Vokale Performancekunst als feministische Praxis: Meredith Monk und das künstlerische Kräftefeld in Downtown New York, 1964-1979 [1. Aufl.] 9783839432235

This book delves into the artistic force field in downtown New York in the 1960s and '70s, and into the singular wo

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German Pages 430 Year 2015

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Table of contents :
Inhalt
0. Einleitung
0.1 Übersicht
0.2 Vokale Performancekunst
0.3 Feministische Performancekunst
0.4 Downtown New York
0.5 Meredith Monk
I. AUS DER PRAXIS
I.1 „Vessel – An Opera Epic“
I.2 Vokale Performancekunst
I.2.1 Hintergründe und Definition
I.2.2 Kriterien der vokalen Performancekunst
I.3 Performancekunst und feministisches Bewusstsein
I.3.1 Ein neues feministisches Bewusstsein
Exkurs: Feministische Gruppierungen und Literatur in New York City und den USA 1964-1979
I.3.2 Drei zentrale Charakteristika des neuen feministischen Bewusstseins
II. DAS KÜNSTLERISCHE KRÄFTEFELD DOWNTOWN
II.1 Downtown New York
II.1.1 Downtown: Geographie und Relation
II.1.2 Das kulturelle Kräftefeld als relationaler Raum
II.1.3 Downtown: Vom städtebaulichen Sorgenkind zum Zentrum künstlerischer Avantgarde
II.2 Downtowns Bausteine: Räume, Akteur_innen, künstlerische Praktiken
II.2.1 Räume Downtowns
II.2.2 Akteur_innen Downtowns
II.2.3 Künstlerische Praktiken in Downtown
III. MEREDITH MONKS VOKALE PERFORMANCEKUNST
III.1 Über Meredith Monk
III.1.1 Einleitendes über Meredith Monk
III.1.2 Biographisches
III.2 Monks vokale Performancekunst: Downtown-Praxis und feministische Praxis?
III.2.1 Vokale Performancekunst als feministische Praxis und als Downtown-Praxis
III.2.2 Monk als Vertreterin der vokalen Performancekunst
III.3 Im Fokus
III.3.1 Im Fokus: „Our Lady of Late“
III.3.2 Im Fokus: Akteurinnen
III.3.3 Im Fokus: „Das Private ist politisch“
III.3.4 Im Fokus: Praxisformen
III.4 Zusammenfassung
IV. CONCLUSIO
IV.1 Rückblick
IV.2 Ausblick
Dank
Quellen
I. Bibliographie
II. Abbildungsverzeichnis
III. Archive
IV. Filme
V. Webseiten
VI. Zeitungen und Zeitschriften
VII. Diskographie
VIII. Die Downtown Stadtpläne
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Vokale Performancekunst als feministische Praxis: Meredith Monk und das künstlerische Kräftefeld in Downtown New York, 1964-1979 [1. Aufl.]
 9783839432235

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Marie-Anne Kohl Vokale Performancekunst als feministische Praxis

Musik und Klangkultur

Für Edith und Martin Kohl

Marie-Anne Kohl, Musikwissenschaftlerin und künstlerische Co-Leiterin des Berliner Kunstraums alpha nova & galerie futura, ist ab Oktober 2015 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungsinstitut für Musiktheater in Thurnau (Universität Bayreuth).

Marie-Anne Kohl

Vokale Performancekunst als feministische Praxis Meredith Monk und das künstlerische Kräftefeld in Downtown New York, 1964–1979

Ich danke folgenden Förder_innen und Sponsor_innen für die finanzielle Unterstützung bei der Drucklegung: der Mariann Steegmann Foundation, dem Fachbereich 5 der Hochschule für Musik und Tanz Köln, der Gerda-Weiler-Stiftung für feministische Frauenforschung, D-53894 Mechernich, www.gerda-weilerstiftung.de und dem Deutschen Akademikerinnen Bund e.V.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2015 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: »Meredith Monk. Vessel: An Opera Epic«, Foto: Peter Moore, New York City, 1971, © The House Foundation for the Arts Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-3223-1 PDF-ISBN 978-3-8394-3223-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

0. Einleitung | 9

0.1 Übersicht | 10 0.2 Vokale Performancekunst | 12 0.3 Feministische Performancekunst | 13 0.4 Downtown New York | 15 0.5 Meredith Monk | 17

I. AUS DER PRAXIS I.1 „Vessel – An Opera Epic“ | 27 I.2 Vokale Performancekunst | 41

I.2.1 Hintergründe und Definition | 41 I.2.2 Kriterien der vokalen Performancekunst | 58 I.3 Performancekunst und feministisches Bewusstsein | 79

I.3.1 Ein neues feministisches Bewusstsein | 79 Exkurs: Feministische Gruppierungen und Literatur in New York City und den USA 1964-1979 | 82 I.3.2 Drei zentrale Charakteristika des neuen feministischen Bewusstseins | 87

II. DAS KÜNSTLERISCHE KRÄFTEFELD DOWNTOWN II.1 Downtown New York | 109

II.1.1 Downtown: Geographie und Relation | 109 II.1.2 Das kulturelle Kräftefeld als relationaler Raum | 112 II.1.3 Downtown: Vom städtebaulichen Sorgenkind zum Zentrum künstlerischer Avantgarde | 130 II.2 Downtowns Bausteine: Räume, Akteur_innen, künstlerische Praktiken | 149

II.2.1 Räume Downtowns | 151 II.2.2 Akteur_innen Downtowns | 181 II.2.3 Künstlerische Praktiken in Downtown | 224

III. MEREDITH MONKS VOKALE PERFORMANCEKUNST III.1 Über Meredith Monk | 265

III.1.1 Einleitendes über Meredith Monk | 265 III.1.2 Biographisches | 266 III.2 Monks vokale Performancekunst: Downtown-Praxis und feministische Praxis? | 275

III.2.1 Vokale Performancekunst als feministische Praxis und als Downtown-Praxis | 275 III.2.2 Monk als Vertreterin der vokalen Performancekunst | 277 III.3 Im Fokus | 321

III.3.1 Im Fokus: „Our Lady of Late“ | 322 III.3.2 Im Fokus: Akteurinnen | 336 III.3.3 Im Fokus: „Das Private ist politisch“ | 344 III.3.4 Im Fokus: Praxisformen | 354 III.4 Zusammenfassung | 365

IV. CONCLUSIO IV.1 Rückblick | 371 IV.2 Ausblick | 373 Dank | 379 Quellen | 383

I. Bibliographie | 383 II. Abbildungsverzeichnis | 410 III. Archive | 413 IV. Filme | 417 V. Webseiten | 418 VI. Zeitungen und Zeitschriften | 422 VII. Diskographie | 424 VIII. Die Downtown Stadtpläne | 425

Abbildung 1.1: Stadtplan Downtown New York: leer

Zeichnung: Marie-Anne Kohl. Erläuterungen zum Stadtplan siehe unter Quellen VIII

0. Einleitung

Es ist spät am Abend eines verregneten Sonntags, des 31. Oktober 1971, auf einem düsteren Parkplatz im Süden Manhattans. Umgeben von Backsteinmauern, einer Süßigkeitenfabrik, dem Holzbetrieb Canal Lumber Company und dem erleuchteten Säulengang der Kirche St. Alphonsus sitzt eine Gruppe von Menschen auf einer offenen Tribüne neben den geparkten Lastwagen und folgt den Geschehnissen auf dem nackten Asphalt. Sie beobachten den Kampf zweier skurriler, mit Stöcken, Harken, Kazoos, Mundharmonikas und Maultrommeln bewaffneten Armeen mit braunen Papiertüten über den Köpfen und Prozessionen von singenden Pilger_innen und tanzenden Bäuerinnen und Bauern. Ein Minibus fährt vor und spuckt eine Truppe bizarrer, um den Bus tänzelnder Figuren aus, eine Motorradgang überquert knatternd den Parkplatz. Immer wieder formieren sich kleine Gruppen auf dem Parkplatz um eines der fünf Lagerfeuer, oder eine Einzelperson sondert sich von den anderen ab, um mit Stöcken, Lanzen, Harken oder Maiskolben bewaffnet zu tanzen, hüpfen, laufen, um mit Orgel, Trommeln, Eimern, Kazoos, Maultrommeln, Hörnern, Flöten, Trillerpfeifen oder einem Dudelsack Musik zu machen, um mit einem Akkuscheinwerfer, mit Laternen, Fackeln oder einem Schweißgerät das Gelände zu beleuchten. Und immer wieder beginnt jemand zu singen, andere stimmen ein, steigen wieder aus, die Stimmen weben sich umeinander, sind im Einklang und wieder gegeneinander gerichtet, sie schreien, pfeifen, trällern, versuchen sich in Clustern, in Sprechgesang, Tierlauten und Obertongesang. Dieser Abend ist keine Zusammenkunft von begeisterten HalloweenAnhänger_innen. Die Tableaus und Ereignisse sind wohldurchdachte, komponierte und choreographierte Environments und Abläufe. Es handelt sich um den dritten Teil der Musiktheaterperformance „Vessel – An Opera Epic“ von Meredith Monk, die 1971 in New York City uraufgeführt wurde. Eine Rezensentin rezipierte diese damals als „a major work in an art form for which there is no

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proper name.“1 Der Begriff „Performancekunst“ war damals noch nicht etabliert für eine Kunstform, die durch Künstler_innen wie Meredith Monk zu dieser Zeit erst entwickelt wurde.2 Und der Begriff der „vokalen Performancekunst“ wurde erst um 2000 geprägt.3 Meredith Monk gilt als Pionierin dieser in den 1960er und 1970er Jahren in den USA neu entstehenden Kunstform, neben anderen frühen Vertreter_innen wie Joan La Barbara, Laurie Anderson, Diamanda Galás, Demetrio Stratos und David Moss.4

0.1 Ü BERSICHT Inwiefern ist die frühe vokale Performancekunst als eine feministische Praxis zu verstehen, und was hat diese Frage mit der künstlerischen Praxis von Meredith Monk, mit dem künstlerischen Kräftefeld Downtown New York sowie mit dem Zeitfenster 1964 bis 1979 zu tun? Diese Fragen werden durch den Titel dieser Arbeit aufgeworfen. Zu dieser konkreten Fragestellung, die in dieser Arbeit ausführlich bearbeitet wird, wurde ich durch meine Auseinandersetzung mit einigen grundsätzlicheren Fragen und Interessenfeldern geführt. Als Musikwissenschaftlerin, Gender-Forscherin und Sängerin interessiere ich mich ganz grundsätzlich für die Befragung der musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten der menschlichen Stimme und ihrer Kontexte aus einer geschlechterkritischen Perspektive. Aus diesem Interesse heraus wandte ich mich der vokalen Performancekunst zu, die als eine in den USA der 1970er Jahre von Frauen initiierte, neue Kunstform definiert worden war.5 Über diese Tatsache der herausragenden Rolle von Frauen als Akteurinnen hinausgehend, frage ich mich, worin die Gründe für diesen Um-

1

Brooks McNamara in McNamara, Monk, „Vessel: The Scenography of Meredith Monk. An Interview“, S. 88.

2

Vgl. hierzu u. a. den Band Moira Roth (Hg.), The Amazing Decade. Women and Performance Art in America 1970-1980.

3

In erster Linie wurde dieser Begriff von Theda Weber-Lucks geprägt, maßgeblich in ihrer Dissertation: Theda Weber-Lucks, Körperstimmen. Vokale Performancekunst als neue musikalische Gattung. Den Begriff verwendete sie bereits 1999 für ihren Artikel „Vokale Performancekunst: Zur Verknüpfung von Stimme, Körper, Emotion – Meredith Monk und Diamanda Galás“. 1998 schrieb sie von „vokalexperimenteller Performancekunst“ (siehe Weber-Lucks, „Aufbrechen – Ergründen – Transformieren. Frauen in der Lautpoesie“.)

4

Siehe Weber-Lucks, Körperstimmen, S. 7.

5

Siehe ebd.

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stand liegen, und inwiefern die frühe vokale Performancekunst selbst möglicherweise gar als feministische Praxis verstanden werden kann. Um dieser Frage nachzugehen, ist es erforderlich aufzuzeigen, inwiefern die vokale Performancekunst in ihrer Entstehung an ihre zeitgenössischen Kontexte gekoppelt war. Historisch betrachtet sind diese Kontexte in den sozialen Bewegungen der 1960er und 1970er Jahre in den USA zu suchen, namentlich der Bürgerrechts-, Anti-Kriegs- und der zweiten Frauenbewegung, sowie in generellen künstlerischen Entwicklungen, denksystemischen Veränderungen und gesellschaftlichen Umbrüchen, die sich zunächst unter dem Begriff „postmodern“ zusammenfassen lassen. Künstlerische Traditionslinien der vokalen Performancekunst führen zurück bis zu den Aktionskünsten der sechziger Jahre, Fluxus und Happening, und den frühen stimmexperimentellen Avantgardebewegungen Lautpoesie, experimentelles Theater und Neue Vokalmusik.6 Einen weiteren zentralen Kontext der vokalen Performancekunst sehe ich darüber hinausgehend in einem weiteren Sachverhalt gegeben, der sowohl von Weber-Lucks in ihrer Definition der vokalen Performancekunst übersehen oder zumindest nicht als signifikant betrachtet wird, als auch in Elizabeth Helen ‚Kitty‘ Pappas’ Forschungsarbeit „Contemporary Performance Art Composition: Post-Modernism, Feminism, and Voice“7 ignoriert wird, in der die Autorin als Beispiele für die Beschreibung des Ineinanderwirkens von Postmoderne, Feminismus, Stimme und der Entstehung von Performancekunst Arbeiten von Diamanda Galás, Meredith Monk, Joan La Barbara, Pauline Oliveros und Laurie Anderson heranzieht. Der Sachverhalt liegt in einer Gemeinsamkeit dieser Künstlerinnen: Ihr Haupt-Handlungsraum ist New York, genauer Downtown New York. Dieser räumliche Bezug erhält somit in dieser Arbeit eine prominente Beachtung. Entsprechend dient ein Stadtplan von Downtown New York als spielerische Gliederungsebene dieser Arbeit. In unterschiedlichen Varianten ist er den Kapiteln vorangestellt und visualisiert die dort primär thematisierten Aktionsräume.8 Die Arbeit ist in drei Hauptteile gegliedert: Das erste Kapitel „Aus der Praxis“ bietet eine Großaufsicht auf die soziopolitischen, kunst- und musikhistorischen sowie ästhetischen Zusammenhänge der vokalen Performancekunst, das zweite Kapitel „Das künstlerische Kräftefeld Downtown“ nimmt die Stadt als Schauplatz der entstehenden vokalen Performancekunst ins Visier und das dritte Kapitel „Meredith Monks vokale Performancekunst“ den Menschen Monk als Akteurin der vokalen Performancekunst.

6 7

Siehe ebd. Elizabeth Helen ‚Kitty‘ Pappas, Contemporary Performance Art. Composition: Postmodernism, Feminism, and Voice, 1996.

8

Siehe Abbildungen 1.1-1.4.

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0.2 V OKALE P ERFORMANCEKUNST Das erste Unterkapitel I.1 „‚Vessel – An Opera Epic‘“ eröffnet mit einem ausführlichen Einblick in die Performance von Meredith Monk und bietet anhand des konkreten Beispiels einen praxisnahen Einstieg in die Thematiken dieser Arbeit. Im zweiten Unterkapitel I.2 „Vokale Performancekunst“ werden anhand der Definition von Weber-Lucks detailliert die vokale Performancekunst bestimmt, deren wesentliche Kriterien herausgearbeitet und die zentrale Rolle der Stimme untersucht. Die menschliche Stimme ist an den Körper gebunden und scheint damit einen direkten Zugang zur Individualität, Befindlichkeit und zu den Emotionen zu bieten und als sekundäres Geschlechtsmerkmal geltend ein Schlüssel für die entsprechende Identifizierung ihres Trägers oder ihrer Trägerin zu sein. Doch genau wie der Körper generell ist auch die Stimme nicht als ahistorisch zu verstehen, sondern unterliegt historisch, kulturell und sozial variablen Konstruktionskontexten. Die Stimme wird im Gesang bewusster konstruiert als im Alltag, allerdings bezogen auf musikästhetische Klangideale. Der Verdacht einer habituellen Inkorporierung außermusikalischer stimmlicher Eigenschaften liegt scheinbar fern. Jedoch sind die Normen, Traditionen und Konventionen, entlang derer sich Klangideale und damit auch die ihnen entsprechenden Stimmen entwickeln, genauso wandelbar und gesellschaftlich bedingt. Das gilt auch für die Konzentrierung auf die durch so genannte erweiterte Stimmtechniken bestimmte Stimmästhetik in der vokalen Performancekunst. Diese ist meines Erachtens nicht losgelöst von den weiteren Parametern der vokalen Performance sowie den außermusikalischen Bezugspunkten erfassbar. Ich verstehe in dieser Arbeit die vokale Performancekunst eher als eine Praxis als als musikalische Gattung. Zwar macht es für Weber-Lucks’ Untersuchungszusammenhang Sinn, sie als eigenständige (musikalische) Kunstform zu betrachten.9 Allerdings sind es meiner Meinung nach gerade die Handlungsvollzüge und Prozesse, über die u. a. die Haltung und der Habitus der Akteur_innen und damit auch mentalitätsgeschichtliche Diskurse in die musikalische Arbeit einfließen, die für die (vokale) Performancekunst charakteristisch sind und ihren potentiell feministischen Gehalt ausmachen. Daher erachte ich es für sinnvoll, die vokale Performancekunst als Praxisform zu verstehen. Was genau sind die Kriterien und vokalen Praktiken der sich neu etablierenden vokalen Performancekunst? Wie entstehen sie, was implizieren, reproduzieren oder stellen sie neu her, bezogen auf ge-

9

Auch Weber-Lucks nennt die vokale Performancekunst an einer Stelle eine Kunstpraxis, ohne den Begriff jedoch wieder aufzugreifen oder weiter zu erläutern. (Siehe Weber-Lucks, Körperstimmen, S. 7.)

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schlechtsspezifische Aspekte, bezogen auf gängige oder avantgardistische ästhetische Paradigmen, bezogen auf zeitgenössische Normen- und Denksysteme der 1960er und 1970er Jahre?

0.3 F EMINISTISCHE P ERFORMANCEKUNST Die vokale Performancekunst ist definiert als eine „Spielart der Performance Art“.10 Als diese möchte ich sie vornehmlich verstehen. Dieser Bezug ist für meine Bestimmung der vokalen Performancekunst als potentiell feministische Praxis zentral und wird im dritten Unterkapitel I.3 „Performancekunst und feministisches Bewusstsein“ ausgearbeitet. Die Performancekunst als eigenständige, sich in den 1970er Jahren etablierende Kunstform wurde kulturwissenschaftlich und kunsthistorisch bereits als paradigmatisch feministische Kunstform untersucht sowie die Charakteristika, die diese Definition rechtfertigen. An diese Ergebnisse kann ich meine Untersuchungen zur vokalen Performancekunst anlehnen. Als Spielart der Performancekunst teilt die vokale Performancekunst grundsätzlich deren Charakteristika. Es handelt sich vorrangig um Frauen, die die vokale Performancekunst initiierten und auch bis heute weiterführen.11 Und auch für die Performancekunst im Generellen spielen Frauen als Akteurinnen eine ausschlaggebende Rolle. Aber reicht diese Tatsache bereits aus, um sie als potentiell feministische Kunstformen zu verstehen? Wohl kaum. Dennoch ist sie bemerkenswert. Und die Frage nach den Gründen dafür ist sicher nicht eindeutig zu klären. Doch vor dem Hintergrund, dass jahrhundertelang Männer die Methoden, Begriffe und Inhalte von Ideensystemen definierten und Frauen real und symbolisch aus diesen Prozessen ausgeschlossen wurden,12 wirkt die häufig angeführte Erklärung für die auffällig große Präsenz von Frauen in der Performancekunst überzeugend, dass diese nicht durch männlich dominierte Diskurse vorbestimmt war, wie etwa Malerei oder Neue Musik, und daher von Anfang an von Frauen mitdefiniert werden konnte.13 Ein zu diesem Erklärungsansatz gehörendes Argument ist, dass Frauen hier von Objekten zu Subjekten der Kunst 14 werden. Die Entstehung der (vokalen) Performancekunst verlief parallel zu den großen sozialen Umbrüchen in den USA und Europa in der zweiten Hälfte des

10 Vgl. Weber-Lucks, Körperstimmen, S. 7. 11 Vgl. ebd. 12 Vgl. Kohl, „Patriarchat/Matriarchat“. 13 Vgl. z. B. Mary Jane Jacob, „Introduction“ oder Wark, Radical Gestures, S. 29. 14 Vgl. hierzu z. B. Lucy R. Lippard, From the Center, S. 124.

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20. Jahrhunderts, insbesondere der zweiten Frauenbewegung. Ein Schwerpunkt derselben war der Kampf für die Gleichstellung von Frauen in allen Bereichen des Lebens, der damit die Lebensrealität von Frauen thematisierte und auf eine Veränderung bzw. auf alternative Entwürfe von Gesellschaft drängte. Die Etablierung von Frauenräumen sowie die Durchsetzung einer größeren sozialen, kulturellen und politischen Teilhabe von Frauen waren damit zwei wichtige Themen des zeitgenössischen Feminismus. Vor diesem Hintergrund kann die große Präsenz und Aktivität von Frauen in der aufkommenden (vokalen) Performancekunst sowohl als Strategie als auch als Auswirkung der zweiten Frauenbewegung verstanden werden. Neben der also durchaus relevanten Tatsache, dass viele Frauen an der Entstehung der (vokalen) Performancekunst maßgeblich beteiligt waren, boten die Kunstformen auch inhaltlich, formal und ästhetisch das Potential einer zeitgenössischen feministischen Kritik. Weiteres Thema der zweiten Frauenbewegung war bereits in den 1970er Jahren die soziale Konstruktion von Geschlecht, Identität und Subjektivität.15 In diesem Kontext rückten u. a. Fragen nach Körperlichkeit und Repräsentation in den Fokus, was sich bspw. in der Forderung nach dem Recht auf den eigenen Körper äußerte oder in einer Kritik an Repräsentationen von Weiblichkeit. Diese Kontexte schlugen sich nicht nur in den Sujets der Performancekunst nieder. Auch formal und ästhetisch stellte die Performancekunst potentiell eine zeitgenössische feministische Kritik dar dank ihrer Charakteristika des Flüchtigen, Fragmentarischen, Idiosynkratischen, Grenzüberschreitenden oder der Alinearität.16 Diese Kriterien stellten einen Bruch dar mit als androzentrisch geltenden Prinzipien wie Geschlossenheit, Kohärenz, Logozentrismus, Fortschritt, Objektivität oder Genialität. Die in der Performancekunst häufig thematisierten individuellen, privaten, emotionalen Erfahrungen dienten in diesem Sinne einer kritischen Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Kontexten und Normensystemen, die diese Erfahrungswelten mitbestimmten. Die dergestalt thematisierte Beeinflussung der individuellen Erfahrung und Praxis durch gesellschaftliche Denk- und Handlungsprozesse führt mich zu einigen zentralen Fragen für meine Untersuchung der vokalen Performancekunst als feministischer Praxis: Wie gestalteten sich die Interdependenzen zwischen individueller und kollektiver Praxis, zwischen sozialer und ästhetischer Praxis, zwischen alltäglichem und künstlerischem Handeln? D. h. wie wirkten die gesellschaftlichen Erfahrungen und Veränderungen um 1970 und die Sujets, die künst-

15 Vgl. Knaup, Stammer, re.act.feminism # 2 – a performing archive. Curatorial Statement. 16 Vgl. ebd.

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lerischen Praktiken, die Strategien und Entscheidungen bezüglich der Produktionsmittel und -wege der vokalen Performancekunst aufeinander ein? Welche Rolle spielte Geschlecht für diese Wechselwirkungen? Die Körperstimme und die erweiterten Stimmtechniken stehen im Zentrum der vokalen Performancekunst. Welchen Erkenntnisgewinn bietet die Stimme bzw. die vokale Praxis hinsichtlich dieser Fragen nach Interdependenzen und Konstruktionen?

0.4 D OWNTOWN N EW Y ORK Die drei Teile von Monks Musiktheaterperformance „Vessel“ wurden 1971 an drei unterschiedlichen Spielorten in Downtown New York aufgeführt. Der dritte Spielort war der Parkplatz gegenüber der St. Alphonsus Kirche, auf dem sich die eingangs beschrieben Szene abspielte. „All of these locations are in the absolute bowels of New York City – the decaying industrial core that is worse than any slum, because it’s been abandoned by everybody but the scavengers“17, erinnerte sich eine Besucherin. Tatsächlich war dieser Teil Manhattans, die Bezeichnung „Downtown“ setzt sich zu diesem Zeitpunkt erst langsam durch, in den frühen 1970ern längst mehr als ein Geheimtipp. Es war das brodelnde Zentrum einer gegenkulturellen, avantgardistischen Kunstszene, der Downtown-Szene. Ein wesentliches Merkmal dieses kulturellen Downtowns war die Ausbildung neuer Kunstformen und dezidiert individualistischer künstlerischer Praktiken. Meine These ist, dass die vokale Performancekunst sich beispielhaft als neue Kunstform Downtowns oder auch als paradigmatische Downtown-Praxis verstehen lässt. Das bedeutet auch, dass der Raum Downtown eine signifikante Bedeutung für deren Entstehung hat. Aufgrund der ausschlaggebenden Bedeutung des räumlichen Bezugs für die Entstehung der jungen Kunstform wird dieser in Kapitel II. „Das künstlerische Kräftefeld Downtown“ entsprechend ausführlich dargestellt und untersucht. Im ersten Unterkapitel II.1 „Downtown New York“ mache ich deutlich, dass ich unter diesem „Raum Downtown“ in erster Linie den relationalen Raum Downtown verstehe, der gleichzeitig auf einen konkreten physischen Ort bezogen ist. Martina Löw hat in ihrer „Raumsoziologie“ herausgearbeitet, dass Räume keine statischen Entitäten sind, sondern eine sich beständig in Bewegung befindliche „relationale (An)Ordnung“ von sozialen Gütern und Lebewesen.18 Ihr relationaler Raumbegriff geht über andere relationale Raumtheorien hinaus, in-

17 Marcia B. Siegel, „Virgin Vessel“, S. 36. 18 Martina Löw, Raumsoziologie, S. 271.

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dem sie neben den sozialen Gütern auch die Bedeutung der Menschen als sozial Handelnde, d. h. als Akteur_innen, für die Konstitution von Räumen mit einbezieht. Damit ist der von Dingen konfigurierte Raum nicht dem Sozialen gegenüberzustellen.19 Diese Einbeziehung der sozialen Akteur_innen in die Konstitution von Raum macht Löws Raumbegriff für meine Bestimmung Downtowns besonders interessant. Denn ohne seine Akteur_innen, die Künstler_innen, ist das Downtown, um das es in dieser Arbeit geht, nämlich das „kulturelle Downtown“, nicht denkbar. Es sind die Künstler_innen, die als sehr spezifische, relativ homogene Gruppe durch ihr politisches, ihr Alltags- und ihr künstlerisches Handeln, durch ihre Kollaborationen und Freundschaften sowie durch die durch sie etablierte extreme Dichte an Ausstellungs-, Aufführungs-, Arbeits- und Wohnräumen diesen Raum bestimmten. Sie konstituierten damit ein Netzwerksystem, das für die künstlerische Avantgarde der 1960er und 1970er Jahre höchst bedeutsam war. Der Raum oder das System, das durch die Künstler_innen konstituiert wurde, hatte gleichzeitig Auswirkungen auf die Handlungsmöglichkeiten, auf die ästhetischen Praktiken und Werke dieser Künstler_innen. Pierre Bourdieu nennt ein solches System kultureller Produktion ein kulturelles Kräftefeld.20 Das kulturelle Kräftefeld beschreibt er als ein System von Kraftlinien, das seine spezifische Struktur durch die Wechselwirkungen und Beziehungen seiner einzelnen Wirkungsgruppen bzw. Kräfte zueinander verliehen bekommt.21 Gleichzeitig bestimmt die Position der Künstlerin oder des Künstlers im kulturellen Kräftefeld die Art ihrer oder seiner Verbindung mit und die Macht im Bereich dieses Feldes und prägt auch ihr oder sein Verhältnis zum eigenen Werk und damit das Werk selbst. Wenn auch Bourdieus „Zur Soziologie der symbolischen Formen“22, in dem er sein Konzept des kulturellen Kräftefelds festhielt,23 bereits von 1970 stammt und damit in Bezug auf meinen Untersuchungsgegenstand geradezu als zeitgenössisches Dokument zu denken ist, bietet mir dieses Konzept auch heute noch den passenden methodischen Rahmen, um mich dem Phänomen Downtown zu nähern. Indem Bourdieu ein Modell vorstellt, künstlerisches Handeln nicht als autonom und rein individuell, sondern im Kontext kollektiver Strukturen und Prozesse zu denken, ermöglicht sein Konzept die Analyse der Interdependenzen zwischen den Akteur_innen, ihrem künstlerischem Handeln und ihren Netzwerken. Es geht mir in dieser Arbeit in erster Linie darum, dieses Feld und damit kollektive Strukturen und Prozesse zu be19 Vgl. Löw, „Die Konstitution von Raum“, S. 179f. 20 Pierre Bourdieu, „Künstlerische Konzeption und intellektuelles Kräftefeld“. 21 Vgl. ebd., S. 76. 22 Bourdieu, Zur Soziologie der symbolischen Formen. 23 Siehe Bourdieu, „Künstlerische Konzeption und intellektuelles Kräftefeld“.

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schreiben, anhand derer die Bedingungen und Zusammenhänge künstlerischer Entwicklungen zu erkennen und zu bewerten sind. Zwar sind dafür die einzelnen Akteur_innen und ihr Handeln ausschlaggebend, denn sie bilden und beleben diese Netzwerkstrukturen, doch eben nicht als autonome Genies, sondern als Gruppe von miteinander in Wechselwirkung stehenden und von ihren gesellschaftlichen Bedingungen bestimmten Individuen. Mit Bourdieu kann ich in dieser Arbeit die kollektiven Dimensionen des individuellen künstlerischen Handelns greifbar machen. Anhand der Bezüge zu Meredith Monk, die sich wie ein roter Faden durch die ganze Arbeit ziehen, werden diese Konstellationen des Kräftefeldes exemplifiziert, bevor Monk im dritten Kapitel dieser Arbeit als zentrale Akteurin des Kräftefelds Downtown im Mittelpunkt steht. In Kapitel II.1.2 „Das kulturelle Kräftefeld als relationaler Raum“ führe ich den relationalen Raumbegriff von Löw und das Konzept des kulturellen Kräftefelds von Bourdieu zu dem Konzept des „künstlerischen Kräftefelds Downtown“ zusammen24 und skizziere im Anschluss an diesen methodischen Zugang in Kapitel II.1.3 „Downtown: Vom städtebaulichen Sorgenkind zum Zentrum künstlerischer Avantgarde“ die Entstehung des künstlerischen Kräftefelds Downtown New York in den 1960er und 1970er Jahren. In Kapitel II.2 „Downtowns Bausteine: Räume, Akteur_innen, künstlerische Praktiken“ wende ich mich den einzelnen „Bausteinen“ (Löw) bzw. „Wirkungsgruppen“ (Bourdieu) des künstlerischen Kräftefelds Downtown zu, indem ich es aus drei verschiedenen Perspektiven betrachte: aus der der Räume, der Akteur_innen und der künstlerischen Praktiken. Hinter dieser Durchleuchtung des Kräftefelds steht nun dezidiert die Frage nach den Wechselwirkungen zwischen kollektiver und individueller Praxis. Die drei Perspektiven bringen jeweils neue Aspekte zum Vorschein.

0.5 M EREDITH M ONK Meredith Monk definierte als Downtown-Akteurin dieses künstlerische Kräftefeld Downtown durch ihr künstlerisches Handeln mit, welches umgekehrt durch dieses System und ihre eigene Position innerhalb dieses Systems bestimmt war. In Kapitel III. „Meredith Monks vokale Performancekunst“ sowie generell in dieser Arbeit konzentriere ich mich auf den Zeitraum von 1964 bis 1979. Das ist die Zeit, in der Monk ihre Karriere in Downtown New York begann und sich

24 Zur Modifizierung des Begriffs „kulturelles Kräftefeld“ zu „künstlerisches Kräftefeld“ siehe das Unterkapitel „Pierre Bourdieus Begriff des kulturellen Kräftefelds“ in II.1.2 „Das kulturelle Kräftefeld als relationaler Raum“.

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etablierte, in der sie begann, ihre Stimme zu erkunden und ihren höchst idiosynkratischen Vokalstil herauszubilden, und in dem sie zur Pionierin der so genannten erweiterten Stimmtechniken und der vokalen Performancekunst wurde. Dieser Weg wird in Kapitel III.1 „Über Meredith Monk“ und III.2 „Monks vokale Performancekunst: Downtown-Praxis und feministische Praxis?“ ausführlich nachgezeichnet. In Kapitel III.3 „Im Fokus“ schließlich werden einzelne Arbeiten Monks aus dieser Zeit detailliert aus der Perspektive der in den Kapiteln I. und II. herausgearbeiteten Kontexte und Kriterien für eine feministische Praxis sowie für eine Downtown-Praxis untersucht. Anhand dieser als exemplarisch behandelten Arbeiten wird abschließend noch einmal danach gefragt, inwiefern die frühe vokale Performancekunst als eine potentiell feministische Praxis gelten kann. Der Untersuchungszeitraum dieser Dissertation beginnt mit Monks Umzug nach Downtown New York 1964, welches sich zu dieser Zeit gerade als künstlerisches Kräftefeld herauszubilden begann. Er endet 1979 mit dem Musikfestival „New Music, New York“, welches zugespitzt als Moment der Institutionalisierung einer bis dato gegenkulturellen Musikpraxis und damit stellvertretend als Ende einer Ära25 verstanden werden kann. Da sich die Ausführungen in dieser Arbeit auch zu Meredith Monk auf diesen Zeitraum beschränken und somit auf die Anfangszeit ihrer Karriere, möchte ich diese Ausnahmekünstlerin, die inzwischen auf eine rund 50jährige Karriere zurückblicken kann, im Folgenden kurz auch darüber hinaus vorstellen. Meredith Monk ist Komponistin, Vokalistin, Choreographin, Tänzerin, Filmemacherin, Regisseurin, Performancekünstlerin. Sie gilt als Pionierin der vokalen Performancekunst und der so genannten erweiterten Stimmtechniken.26 Eine umfangreiche Sammlung an vokalen Solo- und Ensemblestücken stellt den Kern ihres kompositorischen Repertoires dar. Ihre Vokalstücke, die sie stets von der eigenen Stimme ausgehend entwickelt und selbst interpretiert, sind stark von ihrem unverwechselbaren vokalen Individualstil geprägt. Ihre genreübergreifende Arbeitsweise mündet in multimedialen Arbeiten, in denen sie Musik, Bewegung, Tanz, Licht, Film und Objekte in einem Gesamtkonzept zusammenfügt. Trotz Meredith Monks zentraler Rolle als Pionierin etwa im Bereich multimedialer Performancekunst, erweiterter Stimmtechniken oder auch ortsspezifischer Arbeiten existiert bislang nur wenig Forschungsliteratur, die sich mit ihrer Arbeit

25 Siehe hierzu das Unterkapitel „Downtown-Musik auf dem Festival ‚New Music, New York‘ 1979 – Das Ende einer Ära“ in II.2.3 „Künstlerische Praktiken in Downtown“. 26 Vgl. Weber-Lucks, Körperstimmen, S. 40.

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auseinandersetzt.27 Dieser ein Forschungsdesiderat darstellenden Leerstelle in der wissenschaftlichen Aufarbeitung von Monks Arbeit steht in eklatantem Missverhältnis ein extrem umfangreicher Korpus interdisziplinärer künstlerischer Arbeiten28 sowie eine lange Liste an Preisen, Ehrungen, Ehrendoktortiteln und Nominierungen gegenüber. Diese Liste spricht dafür, dass Monk, egal welchem Medium sie sich im Laufe ihrer inzwischen rund 50jährigen Karriere zuwandte, herausragende Arbeiten schuf: Sie erhielt u. a. drei Obie Awards, und zwar jeweils für die „outstanding production“ der Musiktheaterprojekte „Vessel“ und „Quarry“ (1971 und 1976),29 und für „sustained achievement“ (1985); zwei „Guggenheim fellowships“ (1972 und 1982); den ersten Preis der Biennale Venedig für „Education of the Girlchild“ (1975); zweimal den Preis der deutschen Schallplattenkritik für „Dolmen Music“30 (1981) und für „Our Lady of Late: The Vanguard Tapes“ (1986)31; den „Bessie Award for Sustained Creative Achievement“ (1985) sowie den „New York Foundation for the Arts Fellowship Award in Music Composition“ (1985) und den „New York Foundation for the Arts Fellowship Award in Choreography“ (1996) sowie den „Atlanta Film Festival Special Jury Prize“ für ihren Film „Ellis Island“ (1981). Sie war Preisträgerin des „MacArthur Fellowship Award“ (1995), auch „MacArthur ‚Genius‘ Award“ genannt, des „Yoko Ono Lennon Courage Award for the Arts“ (2012), wurde zur „Musical America’s 2012 Composer of the Year“ (2012) ernannt und erhielt den „New Musica USA Founders Award“ (2013). Zudem hat sie den „Richard and Barbara Debs Composer’s Chair“ der Carnegie Hall inne (2014-2015). Monk trägt (Ehren-)Doktortitel vom Bard College (1988), von der University of the Arts, Philadelphia (1989), der Juilliard School (1998), des San Fransisco Art Institute (1999), des Boston Conservatory (2001) sowie der Cornish School of the Arts (2002).32 Die rund 15 Alben mit Monks Musik sind größtenteils bei „ECM New Series“ erschienen,33 darunter die 2008 für den „Grammy“ nomi-

27 Auf dieses Desiderat weist u. a. Christa Brüstle hin (siehe Brüstle, „Das 20. und 21. Jahrhundert“, S. 106.). Siehe hierzu ausführlich Kapitel III.1 „Über Meredith Monk“. 28 Vgl. Werkverzeichnis auf www MONK WERK. Für eine Aufschlüsselung der mit „www“ beginnenden Kürzel siehe Anhang A. QUELLEN: VI. Webseiten. 29 Vgl. hier und folgend die Liste an Auszeichnungen auf Monks homepage: www MONK AW. 30 Dolmen Music, ECM New Series 1197, 1981. 31 Our Lady of Late, Wergo Spectrum: Mainz, SM 1058-50, 1986/1988 [1973]. 32 Vgl. die Liste an Auszeichnungen auf Monks homepage: www MONK AW. 33 Siehe Diskographie im Anhang A. QUELLEN, VIII. Diskographie.

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nierte „Impermanence“.34 Seit ca. 10 Jahren wird Monk vom Verlagshaus „Boosey & Hawkes“ vertreten.35 Zentrales künstlerisches Medium von Monks multidisziplinär angelegten Arbeiten ist seit Mitte der 1960er Jahre die Musik. Ihr wichtigstes Instrument, von dem aus sie einen Großteil ihrer Arbeiten, vor allem jene, die für diese Dissertation von Interesse sind, entwickelt, ist die Stimme. Seither hat sie ein umfangreiches Repertoire an einzelnen Vokalstücken sowie Liederzyklen für Solostimme oder kleines Vokalensemble hervorgebracht, darunter „A Raw Recital; music for voice and electric organ“ (1970) und „Key: An Album of Invisible Theater“ (1970), „Our Lady of Late“ (1973), „Tablet“ (1976) und „Songs from the Hill“ (1976), „Dolmen Music“ (1979), „Turtle Dream“ (1980), „Light Songs“ (1989), „Facing North“ (1990), „Volcano Songs“ (1992), „Last Song“ (2003) oder „Impermanence“ (2006). Daneben stehen teils expansive Musiktheaterprojekte wie „Juice: A Theatre Cantata in 3 Installments“ (1969) für 85 Personen, „Vessel – An Opera Epic“ (1971) für 75 Personen, „Education of the Girlchild: An Opera“ (1973) für 13 Personen, „Quarry: An Opera“ (1976) für 40 Personen, „Specimen Days: A Civil War Opera“ (1981) für 15 Personen, „The Games“ (1983) für 16 Performer_innen, die von der Houston Grand Opera in Auftrag gegebenen Oper „Atlas: An Opera in Three Parts“ (1991) für 29 Personen, für die Monk erstmals mit klassisch ausgebildeten Opernsänger_innen zusammenarbeitete, „The Politics of Quiet: A Music Theater Oratorio“ (1996) für 12 Personen, „Songs of Ascension“ (2008) für 12 Personen, und „Ascension Variations“ (2009) für 130 Personen.36 Monk komponierte, choreographierte und inszenierte ihre Musiktheaterprojekte selbst und trat in ihnen auch als Interpretin auf. In jüngerer Zeit komponierte sie auch Orchesterwerke, bspw. das symphonische „Possible Sky“ (2003) für die New World Symphony, für dessen Instrumentierung sie wiederum von der Stimme ausging: „Now, in my first work for orchestra, I have sought to find vocal qualities within instruments, applying my particular approach to the voice to create new possibilities for instrumental sound.“37

Monk komponierte das Streichquartett „Stringsongs“ (2004) für das Kronos Quartet, sowie „Night“ (2005) für Kammerorchester und acht Stimmen und „Weave“ (2010) für zwei Stimmen, Kammerorchester und Chor. In den letzten 34 Impermanence, ECM New Series 2026, 2008. 35 Vgl. www MONK BIO; www

BOOSEY.

36 Vgl. hierzu Monks chronologische Repertoireliste auf www MONK WERK. 37 Meredith Monk auf www BOOSEY.

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Jahren arbeitete Monk an ihrem neuesten Projekt, „On Behalf of Nature“, das 2012 uraufgeführt wurde. In diesem abendfüllenden Ensemblestück setzt Monk sich mit der bedrohten Umwelt auseinander und lenkt die Aufmerksamkeit auf die gesellschaftliche Verantwortung und die Wechselwirkungen zwischen Natur und Menschen sowie auf die begrenzten natürlichen Ressourcen. Auf ihrer Website heißt es dazu: „Within this world, Monk evokes the Buddhist notion of the existence of different realm categories – the idea of joining heaven and earth by way of human beings.“38 Monk hat eine ihrer frühen Performancearbeiten, „Education of the Girlchild“ von 1972, heute wieder in ihr aktuelles Repertoire aufgenommen, als „Education of the Girlchild Revisited“.39 Zudem tritt sie nach wie vor als Sängerin sowohl solistisch als auch in kleiner und größerer Besetzung mit ihrem umfangreichen Vokalrepertoire auf oder bietet lokalen Chören die Möglichkeit, in Kollaboration mit dem „Meredith Monk & Vocal Ensemble“ ihre Chorwerke aufzuführen.40 Von Anfang ihrer künstlerischen Karriere an gibt Monk allein oder gemeinsam mit ihren Ensemblemitgliedern Gesangs- und Bewegungs-Workshops.41 Dort vermittelt sie ihren individuellen Ansatz sowohl im Umgang mit der Stimme als auch bezüglich des Körpereinsatzes. Darüber hinaus vermittelt sie dort auf pädagogischer Ebene ihre übliche Arbeitspraxis: Musik entsteht bei Monk in der Regel nicht auf dem Papier, sondern stets als aktive Tätigkeit. Lediglich für die Ensembles, in denen sie nicht selbst musizierte, etwa fürs Kronos Quartet oder das Orchester, das „Atlas“ uraufführte, musste sie im Vorhinein Partituren anfertigen. Doch in der Regel stehen die Probenprozesse und der „Geist des Musik-Machens“ im Vordergrund.42 Auch das „fertige“ Musikstück mündet selten in eine Partitur, ist Monks Musik doch meist anders strukturiert als durch fixierte Abläufe mit genau definierten Zeit- und Tonhöhenverläufen. Häufig ist ihre Musik strukturiert durch die Relationen einzelner Pattern und musikalischer Gedanken, die durch Minimalverschiebungen hoch komplex werden und deren Interpretation mit interpretatorischen Freiheiten versehen sind. Die schriftliche Fixie38 Siehe www MONK NATURE. 39 Siehe www MONK EDU. 40 Siehe www MONK CON und www MONK OTHER. 41 Vgl. Monk: „In the early seventies I taught my own workshops in my own studio[.]“ (Monk in Duckwort, „Meredith Monk“, S. 363.) Putnam Smithner beschreibt, wie Monk in den späten 1960er Jahren in ihrem Studio am 597 Broadway Workshops gab (siehe Putnam Smithner, „Meredith Monk. Four Decades by Desgin and by Invention“, S. 97.) 42 Vgl. Weber-Lucks, Körperstimmen, S. 191, 192.

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rung dieser sich beständig verändernden Relationen wäre ausgesprochen kompliziert. Doch „Ensemble und Musik wachsen und verwachsen laut Monk während des Probenprozesses derart miteinander, dass die Musik direkt in den Körpern der MusikerInnen, durch die sie entsteht, erinnert ist.“43 Durch diesen starken Körperbezug erklärt Monk das Entstehen und Memorieren von Musik nicht zu einer kognitiven, sondern einer somatischen Aktivität. Sie nennt dies das „muscle memory“ (Muskelgedächtnis) und spricht von einer „in-the-bonequality“ (In-den-Knochen-Qualität) ihrer Musik.44 Darin zeigt sich auch ihre spezifische Verbindung tänzerischer und vokaler Praxis. Auf diese Art und Weise arbeitet Monk seit Jahrzehnten mit ihren Ensembles, und gibt ihre Praxis in ihren Workshops auch an Nicht-Ensemblemitglieder weiter. „Diese Form der Erinnerungskultur eröffnet neue Potentiale in Bezug auf die Frage nach der Überlieferung von Musik als Praxis im Generellen, insbesondere angesichts der Verwerfung der Partitur als eines in diesem Falle weniger geeigneten Erinnerungsmediums. Seit geraumer Zeit macht sich Meredith Monk konkret Gedanken über Tradierungsmöglichkeiten ihrer eigenen Musik. In dieser Hinsicht erweisen sich Workshops als alles andere als nebensächlich. Vielmehr stellen sie eine moderne Form der mündlichen Überlieferung dar.“45

43 Kohl, „Musik in den Knochen haben“, S. 3. 44 Vgl. Weber-Lucks, Körperstimmen, S. 194. 45 Kohl, „Musik in den Knochen haben“, S. 4. Vgl. hierzu auch Aron Bederson, New York avant-garde – theatre, values, goals and resonances, S. 78f., 80f.

I. Aus der Praxis

Abbildung 1.2: Stadtplan Downtown New York: „Vessel – An Opera Epic“

Zeichnung: Marie-Anne Kohl. Erläuterungen zum Stadtplan siehe unter Quellen VIII

I.1 „Vessel – An Opera Epic“

„Vessel – An Opera Epic“ (1971) von Meredith Monk basiert inhaltlich lose auf dem Leben der Märtyrerin, Heldin und Visionärin Johanna von Orleans. Die expliziteste Referenz auf Johanna bzw. Joan ist ein Zitat einer Passage aus der fünften Szene von George Bernard Shaws Bühnenstück „Saint Joan“ im ersten Teil von „Vessel“.1 Allerdings ist „Vessel“ weder eine direkte Interpretation oder Inszenierung von Shaws Bühnenstück noch, trotz des Adjektivs „epic“ im Titel, eine lineare Erzählung des Lebens der Joan. In erster Linie sah Monk in Joan eine archetypische Figur, mit der sie sich sehr stark identifizieren konnte. Sie versteht Joan als eine Visionärin, eine „woman seer“, in der sie auch ein Stück weit die Existenz des Künstlers bzw. der Künstlerin repräsentiert sieht als jemand, der bzw. die Eingebungen aus einer anderen Dimension erhält und diese umzusetzen sucht.2 Joan hat diese Existenz als Visionärin zu einer sehr einsamen Frau gemacht. Monk betont in „Vessel“ den Topos der Alleingängerin, indem sie wiederholt Passagen aus Shaws „Saint Joan“ zitiert, wie z. B.: „Yes: I am alone on earth: I have always been alone“, „Do not think you can frighten me by telling me that I am alone“, und „My loneliness shall be my strength“.3 Monk versteht sich in den frühen 1970er Jahren ähnlich als Alleingängerin in ihrer Funktion als Künstlerin und Pionierin, insbesondere in Bezug auf ihre Arbeit mit der Stimme:

1

George Bernard Shaw, Saint Joan. Aufgrund der direkten Referenz zu Shaws Bühnenstück „Saint Joan“ werde ich im Folgenden den Namen Joan verwenden anstelle des im Deutschen üblichen Namens Johanna.

2

Siehe Monk in „Meredith Monk: Invocation/Evocation“, S. 86 sowie Monk, Klappentext Beginnings.

3

Shaw, „Scene V“, in: ders., Saint Joan, S. 62.

28 | A US DER PRAXIS „It was pretty much a lone kind of road. At that time I wasn’t aware of anyone working with the voice in a way that is now called Extended Vocal Techniques. There just wasn’t anybody working that way.“4

Heute gilt Monk als eine der maßgeblichen Pionier_innen für die so genannten erweiterten Stimmtechniken bzw. extended vocal techniques. Was Monk mit „lone“, also als allein oder einsam beschreibt, lässt sich demnach verstehen als innovativer und sehr individueller Ansatz im künstlerischen Umgang mit der Stimme. Nicht nur in Bezug auf ihre stimmtechnischen Experimente hatte Monk von Anfang an einen sehr individualistischen künstlerischen Zugang. Generell waren ihre ästhetischen, formalen und ideellen Ansätze bereits in den 1960er Jahren, d. h. den Jahren ihrer frühen Karriere und ihrer Etablierung in Downtown New York, grenzüberschreitend und idiosynkratisch. „Vessel“ ist ein frühes Beispiel für Monks genreübergreifende Arbeitsweise. Monk nennt „Vessel“ ihre erste Oper.5 Und sie nennt sie eine Oper, weil die Stimme die Basis der gesamten Arbeit bildet.6 Gleichzeitig war sie damals auf der Suche nach einer Form, in die sie viele unterschiedliche Elemente integrieren konnte.7 „Behind Vessel“, bemerkte Brooks McNamara 1971, „lies a very personal concept of […] a performance form in which voice, movement, costumes, lights, film, objects, and environments are blended together into an artistic whole, with all elements working together and none taking precedence over the others.“8

Sie betrachtete „Vessel“ bereits als eine zentrale künstlerische Arbeit einer (bis dato) namenlosen Kunstform.9 Während Monk mit der Bezeichnung Oper eine für den Musikkanon anschlussfähigere Gattung wählte, schlage ich vor, „Vessel“ 4

Monk in Monk, Voegeli, Lutman, Gann, „Meredith Monk – American Mavericks“.

5

Siehe Monk in „Invocation/Evocation“, S. 81.

6

Siehe ebd.

7

Siehe ebd., S. 79.

8

McNamara in McNamara, Monk, „Vessel“, S. 88f.

9

Siehe McNamara in ebd., S. 88 (siehe Zitat in Kapitel 0. „Einleitung“). Ein fast gleichlautender Satz zu „Vessel“ von Arthur Sainer (The Village Voice) wird in einer Werbebroschüre für Meredith Monk und The House von 1973 zitiert: „It seems to me that Vessel is a major work in an art form for which there is no proper name. Theatre? Dance? Opera? The general tenor is magnificent, nothing less than a visual and aural banquet. The work is an act of daring in a shriveling city.“ (siehe Werbezettel „Meredith Monk/The House“, MMA Box 15 Folder 12.)

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aufgrund des individualistischen, grenzüberschreitenden und experimentellen Ansatzes im Kontext der vokalen Performancekunst zu verorten. Durch die Charakteristiken des Individuellen, Grenzüberschreitenden und Experimentellen ihrer Arbeit war Monk paradoxerweise gleichzeitig ihrer Einsamkeit enthoben, als sie Mitte der 1960er Jahre in ein künstlerisches Umfeld eintauchte, das ihren künstlerischen Ansätzen nicht nur entsprach, sondern das sie fortan durch ihre eigene künstlerische Praxis mitbestimmen würde: „When I came to New York, [… t]here was a very strong scene of artists coming from different disciplines, working a lot within galleries, churches, basements, alternative kinds of spaces, people trying to push beyond the boundaries of their own forms. For me having already explored that aspect, because that was something that was also very important to me as a person that had a lot of different interests, that was a very affirmative environment.“10

Die große Experimentierfreude und Individualität der Art, Kunst zu denken, auszuüben und neue Kunstformen zu entwickeln, sowie die daraus resultierende Heterogenität der künstlerischen Szenen bedeuteten im kulturellen Kräftefeld Downtown New York der 1960er und 1970er Jahre gleichzeitig ein Bindeglied. Eine individuelle Praxis war quasi kollektiv.11 Das Spannungsfeld zwischen Individualstil und kollektiver Praxis, wie es bei Monk noch mehrfach hervorzuheben sein wird, zeigt sich ebenso als spezifisches Merkmal einer DowntownPraxis. Das bedeutet auch, mit Downtown existierte ein künstlerisches Umfeld und damit Netzwerkstrukturen, die gerade eine Form grenzüberschreitender, individualistischer und experimenteller künstlerischer Ansätze zuließen und förderten, wie sie in der etablierten zeitgenössischen Musik- und Kulturszene ausgeschlossen wurden.12 Wer im Kontext der Mehrheitskultur als Außenseiter_in oder Alleingänger_in markiert worden wäre, fand hier eine integrierende Gegenkultur. Nicht umsonst gilt das Downtown der 1970er Jahre als „artists’ haven“ sowie als ein Zentrum der US-amerikanischen Avantgarde.13 Anlehnend an Pierre Bourdieus Definition eines „kulturellen Kräftefeldes“14, welche ich im folgenden Kapitel detailliert auf das künstlerische Umfeld Downtown New York

10 Monk in Monk, Voegeli, Lutman, Gann, „Meredith Monk – American Mavericks“. 11 Zu diesem scheinbaren Paradox siehe ausführlicher Kapitel II.2 „Downtowns Bausteine: Räume, Akteur_innen, künstlerische Praktiken“. 12 Vgl. etwa Kyle Gann, Breaking the Chain Letter: An Essay on Downtown Music. 13 Siehe Marvin J. Taylor, „Playing the Field: The Downtown Scene and Cultural Production, an Introduction“, S. 17, 20. 14 Siehe Bourdieu, „III. Künstlerische Konzeption und intellektuelles Kräftefeld“.

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beziehen werde,15 verstehe ich Individualismus, Grenzüberschreitung, künstlerische Heterogenität und Experiment als Themen, die die Beziehungen der Downtown Akteur_innen zueinander bestimmten und damit das System des künstlerischen Kräftefelds. Für Monks Individualstil hat die Stimme einen ganz zentralen Stellenwert. Auch in „Vessel“ haben Stimmen eine große Bedeutung und zwar sowohl ästhetisch als auch inhaltlich. Für die Wahrnehmung von Joan als Visionärin sowie für ihre Verurteilung als Ketzerin sind die Stimmen verantwortlich, die sie hört und die ihr ihre Handlungen eingeben. Die visionären Stimmen Joans sind für Monk in zweierlei Hinsicht ein wichtiger Anknüpfungspunkt: „Saint Joan’s voices, how do they sound?“ fragte Monk sich.16 Ihr Interesse an diesen Stimmen war hier weniger inhaltlich bestimmt, es waren nicht Botschaften wie „to drive the English away from Orleans and from France“17 die Monk wichtig erschienen. Als jemand, die schon immer mehr an den klanglichen Qualitäten erklingender Stimmen als an semantischen Inhalten gesprochener Worte interessiert war und die die Stimme selbst als eine Sprache versteht, war sie auch hier stärker an musikalischen Aspekten interessiert. Wenig auf Joans Topoi Märtyrertum, Patriotismus oder Gottesfurcht abhebend, konzentrierte sich Monk in „Vessel“ auf die musikalische Interpretation der „voice as a supernatural phenomenon“18 sowie auf die Erkundung ihrer eigenen Stimme.19 Auch auf der Ebene der visionären stimmlichen Eingebung setzte Monk Parallelen zu ihrer eigenen Vokalmusik. Die Erarbeitung von „Do You Be?“, dem zentralen Vokalstück in „Vessel“, erzählte sie als eine solche visionäre Eingebung: „September 1970. I was sitting at the Gibson Kalamazoo organ in my old 9 Great Jones Street loft. It was a holiday: the city had that empty, holiday hush, the sun was out, the day felt clear. I began playing a series of sustained chords and suddenly a voice came through me that felt like it was coming through the center of my body, the center of my being and yet the sound was soaring, higher than I ever thought I could sing. I sensed a connection to a larger whole speaking through me. The form of Do you be? made itself known in one sitting. How I wish all pieces were like that! When I began work on Vessel, I realized that

15 Siehe Kapitel II. „Das künstlerische Kräftefeld Downtown“. 16 Monk, „Notes on the Voice“, S. 57. 17 Shaw, „Scene II“, in: ders., Saint Joan, S. 41. 18 Monk, „Notes on the Voice“, S. 57. 19 Siehe Monk, Klappentext Beginnings.

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the process of listening and allowing for something to come through unfiltered resonated with accounts of Joan’s voices. Do you be? became the heart of the piece.“20

Ähnlich wie diese Darstellung wirkt auch Monks Schilderung ihrer ersten Stimmexperimente, die sie in Richtung erweiterter Stimmtechniken führten, wie eine Ursprungserzählung: „I had the revelation one day that the voice could be like an instrument, that I could find different ways to work with the voice and different characters and textures, tempers and ways of producing sound and gender, landscape, you know, anything. I could stretch out my range, and find a vocabulary that was build on my own voice just the way you would as a choreographer build movement on your own body, its idiosyncrasies.“21

Abbildung 2: Meredith Monk, „Vessel – An Opera Epic”

Meredith Monk Archive, Music Devision, The New York Public Library for the Performing Arts

Durchgehend verwendet Monk für diese Erzählung von der Entdeckung der Flexibilität ihrer Stimme, die sie in unzähligen Interviews und Selbstdarstellungen

20 Ebd. [Hervorhebung im Original.] 21 Monk in Monk, Voegeli, Lutman, Gann, „Meredith Monk – American Mavericks“.

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wiederholt, den Begriff „revelation“, spricht also von einer Offenbarung.22 Ähnlich wie Joan ist sie damit Empfängerin von „visions and revelations“.23 „I could identify very strongly with Joan of Arc as an archetype. I saw her also as the artist. I saw that woman seer, someone who received information and acted on it, as being like the artists’ role too. That’s why I called the work Vessel.“ 24

„Vessel“ bedeutet „Gefäß“. Joan ist das Gefäß für die Botschaften ihrer Stimmen, ihrer Heiligen. Und Monk beschreibt sich selbst als Gefäß für ungefilterte musikalische Eingebungen. Die Metapher der „Frau als Gefäß“ ist allerdings eine höchst problematische. Sie definiert „die Frau“ etwa in Reproduktionszusammenhängen als reine (passive) Empfängerin des männlichen Samens, eine Vorstellung, die über Jahrhunderte immer wieder neu aufgegriffen wurde.25 Übertragen gedacht macht dieses Bild „die Frau“ zur Projektionsfläche männlicher Phantasien. Sie ist damit stets „das Andere“, ein passiver, leerer Behälter für fremde Ideen und kein aktives, selbstbestimmtes Eigenes, ist ein zu füllendes Gefäß und nicht selbsterfüllte Akteurin. Die „Frau als Gefäß“ ist folglich als ein androzentrisches, anti-feministisches Prinzip zu verstehen. Monks Erzählungen, in denen sie Saint Joan und auch sich selbst zu Gefäßen oder Empfängerinnen externer Eingebungen macht, laufen somit Gefahr, in diesem Interpretationszusammenhang beide nicht als aktive, selbstbestimmte Gestalterinnen ihrer eigenen Handlungen erscheinen zu lassen, sondern eben als Ausführende einer ihnen von außen eingegebenen Idee. Doch sowohl Joan als auch Monk agieren aus ihrer jeweiligen Position heraus aktiv und nur scheinbar fremdbestimmt. Ihre Stimmen und Eingebungen, die sie empfangen und nach denen sie handeln, stehen meines Erachtens sinnbildlich für ihre eigenen Überzeugungen und Ideen und bieten für diese eine Art Legitimationsstrategie. Der Rezensent Rolf Michaelis findet eine weitere, überzeugende Interpretation für den Titel „Vessel“: „‚Vessel‘ meint nicht etwas (anderes), sondern benennt sich selber. Die drei Teile der ‚epischen Oper‘ bieten sich an als ‚vessel‘, als Behälter für den Sinn, den jeder Zuschauer (sic) selber in den fremdartigen Bildern, den komischen oder schockierenden Vorgängen,

22 Vgl. bspw. auch Monk in Monk, Mountain Record, „Authentic Voice“; Monk in Babeth M. VanLoo, „Meredith Monk. Innter Voice“; Monk, Beginnings; Monk in Monk, Jowitt, „Meredith Monk in Conversation with Deborah Jowitt“, S. 74. 23 Shaw, „Scene VI“, in: ders., Saint Joan, S. 71. 24 Monk in „Invocation/Evocation“, S. 86. [Hervorhebung im Original.] 25 Siehe Löw, Raumsoziologie, S. 117.

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den wenigen, oft bis auf eine einzige Silbe verkürzten, ‚unverständlichen‘ Wörtern zu finden bereit ist.“26

Die Entität „Gefäß“, auf die Arbeit „Vessel – An Opera Epic“ selbst bezogen, bietet in dieser Perspektivierung emanzipatorisches Potential für das Publikum. Shaw, der in seinem Vorwort zu „Saint Joan“ 1924 eine zeitgemäße Interpretation von Joans Geschichte versucht, beschreibt Joan als eine vernünftig handelnde („commonsense“, „sane“) Person und interpretiert die Stimmen, die sie hört, als lebhafte Vorstellungskraft und Ideenreichtum („vivid imagination“).27 Heute spräche man wohl von einem „kreativen Menschen“. Shaw bringt Joan mittels ihrer Kreativität und Originalität in Zusammenhang mit Persönlichkeiten wie etwa Isaac Newton oder Napoleon Bonaparte und definiert sie als Genie.28 Das „Genie“, in seiner bis heute rezipierten Konzeption aus dem 18. und frühen 19. Jahrhunderts verstanden als aus sich selbst heraus schaffender, unabhängiger, kreativer, origineller, intuitiver, mit besonderen Naturgaben ausgezeichneter Künstler (sic),29 bildet einen drastischen Gegensatz zum „Gefäß“, das passiv ist und von außen gefüllt werden muss. Da das Prädikat des Genies historisch und ideell zumeist Männern von Männern zugesprochen wurde und der Begriff etymologisch und ideengeschichtlich männlich konnotiert ist, ist „das Genie“ ebenso wie das Bild der „Frau als Gefäß“ als androzentrisches Prinzip zu verstehen.30 Birgt die Aneignung eines derart androzentrisch bestimmten Topos auch emanzipatorisches Potential? In der Genderforschung existieren diesbezüglich unterschiedliche Positionen.31 Die Aneignung eines prinzipiell anti-emanzipatorischen, jedoch Macht verleihenden Prinzips ist stets ein ambivalentes Unterfangen: Es birgt sowohl die Gefahr der Reproduktion eben jener dem Prinzip immanenten Hierarchien und anti-emanzipatorischen Elemente als auch das Potential der Selbstermächtigung innerhalb des durch dieses Prinzip mitbestimmten Diskurses. Shaw beschreibt in seinem Vorwort zu „Saint Joan“ die Annahme, derzufolge Frauen keine Genies sein könnten, als anti-feministische Tendenz:

26 Rolf Michaelis, „Weltreise in den Kopf“, Die Zeit, Nr. 30, 18.7.1980. Michaelis bespricht in dieser Rezension die Inszenierung in Berlin 1980. 27 Siehe Shaw, „Preface. Joan’s Voices and Visions“, in: ders., Saint Joan, S. 7. 28 Siehe ebd. 29 Vgl. Müller-Oberhäuser, „2. Genie“, 2010, S. 353. 30 Vgl. ebd., S. 352. 31 Vgl. ebd., S. 352f.

34 | A US DER PRAXIS „If a historian is an Anti-Feminist, and does not believe women to be capable of genius in the traditional masculine departments, he will never make anything of Joan, whose genius was turned to practical account mainly in soldiering and politics.“32

Monk hat sich mit Shaws Text auseinandergesetzt. Ihre Darstellungen weiblicher Genialität lassen sich im Umkehrschluss entlang dieser Feststellung als ein feministischer Ansatz verstehen, um diese Art von Annahme ad absurdum zu führen. Jedoch sind es in Bezug auf Joan weniger deren kriegerische Fähigkeiten als vielmehr ihre Eigenschaften als „woman seer“, welche sie für Monk zum Genie machen. Auch wenn im Englischen die Bezeichnung „woman seer“ lediglich als die weibliche Form für „seer“, also als Seherin statt Seher, gelesen werden kann, so lässt der Zusammenhang, in dem Monk dies artikuliert, doch auf ihre Interpretation dieser Fähigkeit als eine weibliche Eigenschaft schließen. Diese Setzung, dass eine Frau in einem männlich dominierten Feld gerade durch weibliche Eigenschaften zum Genie wird, ist dabei meines Erachtens nicht unbedeutend.33 Monks Erzählungen von der „revelation“ in Bezug auf ihre eigene Stimme und der Eingebung von „Do You Be?“ machen sie selbst keinesfalls unausweichlich zum passiven „Gefäß“. Vielmehr lassen sie sich ebenso als Erzählungen genialer Kreativität lesen. Monk konstruiert über sie gleichermaßen ihr eigenes Genie. Sie weist sowohl ihre eigene als auch Joans Genialität als Charakterzug oder Naturgabe aus, damit anknüpfend an einen eher traditionellen, essentialistischen Genie-Begriff. Eine konstruktivistische Interpretation des GenieBegriffs hingegen versteht darunter eine gesellschaftliche Konstruktion oder ein Prädikat, welches Menschen, die Herausragendes geleistet haben, durch die Gesellschaft oder die Geschichtsschreibung zugewiesen wird.34 Währen konsequent dekonstruktivistisch-feministische Positionen ein Genie-Konzept ablehnen oder dekonstruieren, halten andere feministische Positionen seine Weiterverwendung aufgrund der potentiell geschlechtsneutralen Auszeichnung aus feministischer Sicht für möglich oder sinnvoll.35 Ich halte letztere Position lediglich insofern für anschlussfähig, als das Konzept von Genialität nach wie vor gesellschaftlich etabliert und relevant ist und dadurch wirkmächtig bleibt. Dies gilt noch stärker für die 1970er Jahre als für die 2010er. Aus dieser Perspektivierung ist Monks Konstruktion von (weiblicher) Genialität ein wirkungsvoller Schachzug.

32 Shaw, „Preface. Was Joan Innocent or Guilty?“, in: ders., Saint Joan, S. 5. 33 Siehe hierzu Kapitel I.3 „Performancekunst und feministisches Bewusstsein“. 34 Vgl. Müller-Oberhäuser, „2. Genie“, 2010, S. 352f. 35 Vgl. ebd., S. 353.

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Für „Vessel“ entscheidet Monk sich mit der Geschichte der Joan für ein Sujet, das die Topoi Heldentum, Märtyrertum, Alleingängertum sowie, durch den Bezug zu Shaw, Genie bedient, die prinzipiell männlich konnotiert sind.36 Dass Monk mit Joan diese Positionen weiblich besetzt, also eine Heldin, Märtyrerin, Alleingängerin bzw. Individualistin und weibliches Genie vorstellt, bietet generell die Möglichkeit, diese männlichen Konnotationen zu erschüttern. Aus einer dekonstruktivistisch-feministischen Perspektive ist es allerdings problematisch, durch das Austauschen des Helden oder des männlichen Genies durch eine weibliche Protagonistin aus einer androzentrischen eine feministische Erzählung machen zu wollen.37 Für eine Interpretation ihres feministischen Potentials sind die historischen, politischen, künstlerischen und räumlichen Kontexte zu berücksichtigen, in denen die Arbeit „Vessel“ entstand, aufgeführt und rezipiert wurde. „Vessel – An Opera Epic“ wurde 1971 in Downtown New York als ortsspezifische Arbeit entworfen und aufgeführt.38 Zu dieser Zeit und an diesem Ort erstarkte ein neuer feministischer Diskurs, der der zweiten Frauenbewegung. Der Feminismus der zweiten Frauenbewegung zielte u. a. auf die eklatante Unterrepräsentation von Frauen etwa in kulturellen und politischen Bereichen, aber auch in Museen und Galerien sowie in der Geschichtsschreibung ab. Fragen, die auch bis heute relevant bleiben, sind dabei: Wer schreibt Geschichte? Wer geht in die Geschichte ein? Wessen Kunst wird wo gezeigt? und Wer wird wie in Bildern u. ä. dargestellt? Die Sichtbarmachung von Frauen als handelnden, geschichtsschreibenden Akteurinnen und das Schaffen weiblicher Vorbilder waren dabei genauso wie die Stärkung von Infrastrukturen für die soziale, politische und kulturelle Teilhabe von Frauen Strategien, gegen diese Unterrepräsentation anzugehen.39 In diesem Kontext lässt sich die Präsentation einer weiblichen Heldin wie Joan als feministisch interpretieren. Die Ambivalenz für eine Interpretation aus heutiger Sicht bleibt bestehen. Erzählungen von Genies und Held_innen, ob nun männlicher oder weiblicher, insbesondere in behaupteter Kohärenz und Geschlossenheit, sind androzentrische Konstruktionen. Während einige feministische Künstlerinnen bereits in den 1970er Jahren die soziale Konstruktion von Geschlecht, Identität und

36 Vgl. u. a. Dittrich, „Held/Heroismus“, S. 353, Lindhoff, „Genie“, S. 147f., MüllerOberhäuser, „2. Genie“, S. 352f. 37 Vgl. Lindhoff, „Genie“, S. 148. 38 1980 fand eine weitere Aufführung von „Vessel“ an der Berliner Schaubühne statt. 39 Für detailliertere Ausführungen zum Feminismus der zweiten Frauenbewegung in den USA im künstlerischen Kontext siehe Kapitel I.3 „Performancekunst und feministisches Bewusstsein“.

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Subjektivität sowie deren Normensystemen thematisierten,40 kann Monks Arbeit mit ihrer alternativen, „weiblichen“ Geschichtserzählung eher in einem identitätspolitischen Zusammenhang interpretiert werden.41 Es bleibt auf die Problematik angeblicher Kohärenz und Stringenz in der Erzählung von Lebensgeschichten und deren immanenten Androzentrismus hinzuweisen, wie es beispielsweise eine feministische Biographieforschung tut.42 Ein zentraler Kritikpunkt ist dabei häufig die Linearität von Erzählungen. Monks Joan-Erzählung „Vessel – An Opera Epic“ hingegen ist keine lineare Erzählung der Lebensgeschichte der Johanna von Orleans. Wie erwähnt, versteht Monk Joan als einen Archetypus, um den herum sie „Vessel“ aufbaut. Jedoch geschieht dies auf sehr alineare Art und Weise. „Vessel“ ist gebaut aus einzelnen Bildern und Versatzstücken. Die Musikstücke sind alle unabhängig von „Vessel“ früher von Monk erarbeitet und von ihr im Zuge der Konzeptionalisierung von „Vessel“ in die Performance integriert worden.43 „Vessel“ ist somit kein durchkomponiertes Werk, sondern wurde aus bereits existierenden sowie aus neu erarbeiteten Teilen zusammengesetzt. Auch die Abfolge der Bilder und Versatzstücke unterliegt keiner chronologischen Logik oder linearen Geschichtserzählung. Die Bilder und Versatzstücke sind sehr symbolhaft und assoziativ, bieten somit einen großen Interpretationsspielraum für die Zuschauer_innen und Zuhörer_innen. Als Orientierungsrahmen für das Sujet öffnet Monk durch Bezüge etwa in den Kostümen sowie in der Musik eine mittelalterliche Assoziationsfläche:44 „Vessel had a theme too, a medieval Joan of Arc thread running throughout, but in a way that was easier to work on, because we don’t know that period that well[.]“45 Damit lässt sich Monk auch selbst einen großen Interpretationsspielraum. Sie hat nie die Absicht, tatsächlich Mittelalter zu rekonstruieren. Die Räume, die sie in „Vessel“ komponiert, sind Überlagerungen von den mittelalterlich assoziierbaren Handlungsräumen Joans und den unterschiedlichen urbanen Spielorten in 40 Siehe u. a. Knaup, Stammer, „Curatorial Statement. re.act.feminism # 2 – a performing archive“; Beate Kutschke, „Frauenbewegung/Emanzipationsbewegung“ oder Jeanie K. Forte, „Women’s Performance Art: Feminism and Postmodernism“. 41 Zum identitätspolitischen Feminismus siehe Kapitel I.3 „Performancekunst und feministisches Bewusstsein“. 42 Vgl. etwa Melanie Unseld, „(Auto-)Biographie und musikwissenschaftliche Genderforschung“, 2010. 43 Siehe Monk, Klappentext Beginnings. 44 Mittelalterliche Assoziationen und Bezüge finden sich auch später immer wieder in Monks Arbeit. Siehe hierzu auch im Unterkapitel III.2.2 „Monk als Vertreterin der vokalen Performancekunst. Ästhetisches – Ein Überblick“. 45 Monk in „Invocation/Evocation“, S. 86. [Hervorhebung im Original.]

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Downtown New York, an denen „Vessel“ sukzessive aufgeführt wurde. Das Adjektiv „epic“ im Titel deutet auf eine spezifische Gattung hin, das Epos oder die Helden- bzw. Heldinnenerzählung. Während inhaltlich die Anknüpfungspunkte offensichtlich sind, ist der Hinweis auf das Epische formal irreführend. Die Erzählform in „Vessel“ ist formal nicht episch im Sinne einer Linearität. Doch Monks eigene Interpretation schließt an eine andere Deutungsmöglichkeit des Epischen an: „I called Vessel an epic because of the sense of journeying in the whole piece. Not only did I want the content of Vessel to be a journey, but the point of having the audience move from one place to another in one evening is that the audience is also on an epic, you know, they are literally going through the motions of traveling.“46

Das Publikum macht, während es von einem Schauplatz zum nächsten reist, dabei gleichzeitig eine Reise durch Downtown New York. Das urbane Umfeld Downtown, die drei unterschiedlichen Spielorte in Downtown sowie deren Beispielhaftigkeit für typische Downtown-Räume bilden einen weiteren ausschlaggebenden Faktor der Performance. „Vessel – An Opera Epic“ besteht aus drei Teilen: 1. Teil: „Overture: Open House“, 2. Teil: „Handmade Mountain“ und 3. Teil: „Existent Lot“. Die drei Teile wurden an drei unterschiedlichen Orten bzw. in drei unterschiedlichen Räumen in Downtown New York aufgeführt.47 „I was very determined to do this piece in New York City. That was very important to me, somehow. And I feel that the section in my house in some ways is the most like New York City. Because you’re so aware of the traffic that’s going by, and the sirens. It’s like a little world filled with people in black sitting in a room; it’s a little world absolutely closed off, but everything around it is just going on and on, and on. Every time a sound cuts into the silence, it cuts it like a knife.“48

46 Monk in McNamara, „Vessel: The Scenography of Meredith Monk. An Interview“, 1971, S. 96. 47 In dem Stadtplan, der diesem Kapitel vorangestellt ist, sind diese Spielorte eingezeichnet (siehe Abbildung 1.2.). Da bei der Spielstätte des dritten Teils, dem Parkplatz zwischen der Wooster Street und der Canal Street, auch die St. Alphonsus Kirche bespielt wurde, finden sich in der Karte vier Markierungen. 48 Monk in McNamara, „Vessel: The Scenography of Meredith Monk. An Interview“, 1971, S. 96.

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Der erste Raum, in dem der erste Teil „Overture: Open House“, aufgeführt wurde, war Monks eigenes Loft in der 9 Great Jones Street, in dem sie gleichzeitig wohnte, arbeitete, Workshops gab, Aufnahmen machte und auch Aufführungen zeigte.49 Ihr Loft hieß The House, genauso wie ihr erstes, 1968 gegründetes Ensemble für interdisziplinäre Performance, „The House“, und ihre 1971 gegründete „The House Foundation for the Arts“,50 die bis heute ihr Management- und Organisationsorgan bildet. Der Titel „Open House“ war dahingehend mehrdeutig, dass er sich sowohl auf den Aufführungsort als auch auf das aufführende Ensemble bezog sowie ferner eine Einladung aussprach, Monks Wohn- und Arbeitsräume zu besuchen: „Open House“ bedeutet, aus dem Amerikanischen übersetzt, so viel wie „Tag der offenen Tür“. Ein „Tag der offenen Tür“ bietet üblicherweise einem interessierten Publikum Einblicke in Arbeitsumfeld und -prozesse. Der Begriff „Overture“ im Titel rückt hingegen in den Vordergrund, dass sich das Publikum zu einer Aufführung einfindet. Dass diese in den Wohnund Arbeitsräumen der Künstlerin, einem intimen Ort, stattfand, war eine für Downtown typisch werdende Aufführungspraxis. Der zweite Raum, in dem der zweite Teil „Handmade Mountain“ zur Aufführung kam, war die Performing Garage in der 33 Wooster Street.51 Die Performing Garage war in den späten 1960er Jahren von Richard Schechner und seiner Wooster Group als das „first important theater within SoHo proper“52 in der ehemaligen Garage des Gebäudes 33 Wooster Street etabliert worden.53 Das Gebäude war eines der von George Maciunas gegründeten Fluxhouses, deren Einrichtung als Wohn- und Arbeitskooperativen heute als Auslöser für die dichte Besiedlung des Stadtgebiets SoHo durch Künstler_innen in den 1960er und

49 Vgl. das Foto „Part I of Vessel (Overture: Open House), Meredith Monk’s loft. Photo by Peter Moore“, abgedruckt in McNamara, „Vessel: The Scenography of Meredith Monk. An Interview“, 1971, S. 91. 50 Auf Monks Homepage wird das Gründungsjahr mit 1971 angegeben. (Siehe www MONK HOUSE). Der Katalog des Meredith Monk Archives in der New York Public Library gibt als Gründungsjahr 1968 an (siehe The New York Public Library for the Performing Arts, Music Division, Guide to the Meredith Monk Archive, S. 3, 6.) Allerdings ist 1968 das Gründungsjahr von Monks erstem Ensemble „The House“, sodass hier vermutlich eine Verwechslung vorliegt. 51 Vgl. das Foto „Part II of Vessel (Handmade Mountain), at the Performing Garage. Photo by Peter Moore“, abgedruckt in McNamara, „Vessel: The Scenography of Meredith Monk. An Interview“, 1971, S. 95. 52 Richard Kostelanetz, SoHo – The Rise and Fall of an Artists’ Colony, 2003, S. 72. 53 Siehe hierzu auch Unterkapitel II.2.1 „Räume Downtowns. Beispiel Wooster Street“.

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1970er Jahren gilt54 und damit von fundamentaler Bedeutung für die Entstehung des künstlerischen Kräftefelds Downtown war.55 In den folgenden Jahren entstanden in Downtown zahlreiche Aufführungsräume an Orten, die ursprünglich nicht als solche entworfen worden waren. Mit der Performing Garage wählte Monk also einen zweiten typischen Downtown-Raum aus. Abbildung 3: „Vessel – An Opera Epic“, Teil II, „Handmade Mountain“

Archiv House Foundation, Foto: Ruth Waltz

Der dritte Ort, an dem der dritte Teil „Existent Lot“ aufgeführt wurde, war ein öffentlicher Parkplatz in Downtown New York zwischen Wooster Street und West Broadway, nördlich der Canal Street.56 An diesem letzten Freiluft-Spielort war die Präsenz des Stadtraums New York Downtown am stärksten. Das Publikum fand sich mitten in „the city’s viscera, […] the grit and the garbage“,57 die für Downtown in den frühen 1970ern noch prägend waren. Der lakonisch anmutende Titel „Existent Lot“ führt in seiner Mehrdeutigkeit die Handlungsebene mit dem Spielort zusammen. „Lot“ bedeutet sowohl „Parzelle“, „Bau54 Vgl. etwa Roslyn Bernstein, Shael Shaprio, Illegal Living. 80 Wooster Street and the Evolution of SoHo, 2010, hier insbesondere S. 48ff.; Richard Kostelanetz, SoHo, oder Peter Frank, „New York Fluxus“, 1976. 55 Zu urbanen Entwicklungen in Downtown New York in den 1960er und 1970er Jahren und die davon bestimmte Etablierung des kulturellen Kräftefelds Downtown siehe Kapitel II. „Das kulturelle Kräftefeld Downtown“. 56 „The last location was, incidentally, just across the street from St. Alphonsus Church, where the German émigré Erwin Piscator had his first New York City Theater.“ (Richard Kostelanetz, SoHo, S. 127.) 57 Marcia B. Siegel, „Virgin Vessel“, (1971) 1997, S. 36.

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grundstück“ oder, als „parking lot“, „Parkplatz“, als auch „Schicksal“. Das Adjektiv „existierend“ bzw. „gegenwärtig“ nähert die Zeitebenen der Handlung und der Aufführung aneinander an, verweist zudem auf die Eigenschaft des „lot“ als etwas Vorgefundenes. Monk findet den Parkplatz in Downtown als urbanen Ort vor und integriert ihn als wesentlichen Bestandteil in ihre Arbeit. Durch die Überlagerung der wahrnehmbar bleibenden vorgefundenen, physischen, urbanen Räume mit den durch die Kostüme, Beleuchtung und Handlungsabläufe immer auch als solche zu identifizierenden Theaterräumen mit den angedeuteten Aktionsräumen Joans schichtet Monk unterschiedliche Realitätsebenen übereinander. Dieses Übereinanderschichten oder besser Ineinanderverhaken von Realitätsebenen geschieht auch bezogen auf das Sujet: Anhand des historischen Materials der Geschichte der Saint Joan kommuniziert Monk ihre eigene Position als avantgardistische, individualistische Künstlerin. Ihre eigene Verortung in Downtown New York ist für diese Position signifikant. Abbildung 4: Meredith Monk, „Vessel – An Opera Epic“; Teil III, „Existent Lot“

Archiv House Foundation, Foto: Peter Moore

I.2 Vokale Performancekunst

I.2.1 H INTERGRÜNDE

UND

D EFINITION

Vokale Performancekunst als Matrix Maßgeblich für das Aufgreifen von Theda Weber-Lucks’ Konzept der vokalen Performancekunst als neuer musikalischer Gattung in dieser Arbeit ist einerseits meine grundlegende Faszination durch die menschliche Stimme als „performati1 ves Phänomen par excellence“ und als zentrales Bindeglied von Individuellem und Kollektivem sowie von Ästhetischem und Alltäglichem, das parallel diverse, teils widersprüchlich erscheinende Bedeutungskonzeptionen erlaubt.2 Andererseits gilt mein prinzipielles Interesse musikbezogenen vokalen Praktiken, die ich jedoch stets als auch kulturelle und soziale, möglicherweise gar politische Vorgänge verstehe, die in Wechselwirkung mit anderen, außermusikalischen Praktiken und Entwicklungen stehen. Die Kriterien der vokalen Performancekunst, die die Einbindung der Stimme in einen Komplex performativer Prozesse und die Bedeutung von nicht primär musikalischen Kontexten für die Generierung einer neuen vokalmusikalischen Gattung explizit machen, bieten mir paradigmatisch die Möglichkeit, spezifische vokalmusikalische Praktiken als musikkulturelles Handeln in seinen historischen, kulturellen und räumlichen Kontexten sowie die bedeutungsstiftenden Wechselwirkungen von vokalen Praktiken mit anderen Parametern zu untersuchen. Meredith Monk mit ihren vokalen Performances spielt eine zentrale Rolle in dieser Arbeit. Allerdings ist diese Arbeit weder biographisch noch monographisch gedacht, fokussiert sie doch auch nur einen Teilbereich von Monks künst1

Kolesch, Krämer, „Stimmen im Konzert der Disziplinen. Zur Einführung in diesen Band“, S. 11.

2

Siehe hierzu das Unterkapitel I.2 „Vokale Performancekunst. Bindeglied Stimme“.

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lerischem Schaffen. Vielmehr hat diese Prominenz einer einzelnen Akteurin zum einen den Grund, dass Weber-Lucks Monk als Pionierin der vokalen Performancekunst versteht, als „die erste, die über die experimentelle Arbeit mit der Stimme hinaus einen neuen, auf die Körperstimme zentrierten Performance-Typ entwickelt[e]“3 und die die ersten Prototypen der neuen Gattung schuf.4 Zum anderen weisen die signifikanten Merkmale der neuen Kunstform sowie die Zeit ihrer Herausbildung eklatante Überschneidungen mit Monks Vokalexperimenten auf: „Die signifikanten Merkmale einer eigenständigen musikalischen Gattung erhält die Vokale Performancekunst […] erst in den siebziger Jahren. Dazu zählen ein individueller, nonverbaler Vokalstil, erweiterte Gesangstechniken, ein Aufführungstypus im Stile der Performance-Art, konzertant oder szenisch, und die Realisation der Aufführung als VocalComposerPerformer in Personalunion.“5

Da diese Definition stark an Monks Praxis angelehnt ist, ist die Übereinstimmung weder überraschend, noch ist der Versuch sinnvoll, nachzuweisen, dass Monk eine Vertreterin der vokalen Performancekunst ist. Vice versa allerdings legitimiert dieser Umstand die Überlegung, dass die Kontexte für die Herausbildung von Monks Praxis auch für die der vokalen Performancekunst von Relevanz sind. Diese Kontexte sehe ich vor allem in dem künstlerischem Umfeld, in dem Monk sich in den 1960er und 1970er Jahren bewegte und ihre frühen Vokalperformances erarbeitete: Downtown New York. Nun kann eine ganze Gattung kaum anhand einer Einzelperson dargestellt werden. Dies ist auch nicht Absicht dieser Arbeit. Und auch der starke räumliche Bezug einer einzelnen prominenten Akteurin legitimiert noch nicht, der Gattung, die diese Protagonistin vertritt, einen ähnlich starken Bezug zuzuschreiben. Allerdings sind auch ein Großteil der anderen Künstler_innen, die Weber-Lucks als Vertreter_innen der vokalen Performancekunst benennt, Downtown-Akteur_innen: Joan La Barbara, Laurie Anderson, später auch Diamanda Galás, Shelly Hirsch und David Moss.6 Dieser Umstand, dem Weber-Lucks in ihren Ausführungen keine besondere Bedeutung beimisst, ist meines Erachtens signifikant. Die vokale Performancekunst ist somit kein Hauptgegenstand dieser Arbeit in dem Sinne, dass hier eine umfassende Darstellung ihrer Vertreter_innen und deren Werkkorpora geboten würde. Vielmehr dient die vokale Performancekunst 3

Weber-Lucks, Körperstimmen, S. 40.

4

Vgl. ebd., S. 12.

5

Vgl. ebd., S. 41.

6

Vgl. ebd., S. 7, 16, 41, 242.

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in dieser Arbeit als Matrix und Ausarbeitung grundsätzlicher Gedanken über die Interdependenz individueller und kollektiver Leistungen der musikalischen Innovation sowie über die Potentiale vokalmusikalischer Praktiken, jenseits eines rein ästhetischen, musikimmanenten Bedeutungszusammenhangs Sinn zu generieren, etwa eine feministische Haltung bzw. emanzipatorische Inhalte zu vermitteln. Wissenschaftliche Auseinandersetzungen Wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit vokalmusikalischen Phänomenen des 20. Jahrhunderts sind rar. Im Feld der ohnehin ein Nischendasein führenden Gesangsforschung nimmt sie einen entsprechend kleinen Raum ein. Eine Übersicht verschaffen die auf das 20. Jahrhundert bezogenen Kapitel oder Aufsätze in Gesangskompendien7 oder Unterkapitel in den entsprechenden Lexika-Einträgen etwa im MGG,8 im New Grove9 oder im Metzler-Theaterlexikon.10 Diese Einführungen weisen durchgehend auf die große Heterogenität der vokalmusikalischen Phänomene des 20. Jahrhunderts hin, die auch einen Grund dafür darstellen dürfte, dass eine entsprechende ausführliche Dokumentation nicht existiert. Auch diese Arbeit hat dies nicht zur Aufgabe. John Potter bemüht sich mit „Vocal Authority“11 darum, neben dem nach wie vor als maßgeblich behandelten Kunstgesang auch die vielfältigen Gesangsstile populärer Musik als gleichwertige Innovationen darzustellen. Einige ältere Abhandlungen widmen sich detailliert einzelnen Teilbereichen oder Personen oder spezifischen Musikrichtungen bzw. Gattungen, bspw. „Sprache als Musik. Studien zur Vokalkomposition bei Karlheinz Stockhausen, Hans G. Helms, Mauricio Kagel, Dieter Schnebel und György Ligeti“ von Werner Klüppelholz12 von 1976 und István Anhalts „Alternative Voices: Essays on Contemporary Vocal and Choral Composition“13 von 1984 fokussieren auf einzelne Sprachkompositionen der Neuen Vokalmusik. Auch Dieter Schnebel bespricht in den entsprechenden Aufsätzen, die 1972 in dem Sammelband „Denkbare Musik. Schriften 1952-1972“ herausgegeben wurden, sowohl eigene als auch Vokalkompositionen anderer Komponisten (!), ins7

Z. B. in Thomas Seedorf, Gesang; John Potter, Vocal Authority, und ders. (Hrsg.), The Cambridge Companion to Singing.

8

Thomas Seedorf, Wolfram Seidner, „Singen“.

9

Owen Jander, Ellen T. Harris, „Singing“.

10 Sonja Galler, Clemens Risi, „Singstimme/Gesangstheorien“. 11 Potter, Vocal Authority. 12 Werner Klüppelholz, Sprache als Musik. 13 István Anhalt, Alternative voices.

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besondere in denen des Kapitels „IV. Perspektiven (1961-1971)“, in denen er ausführlich auf neue Stimmtechniken und die Möglichkeiten ihrer Produktion und Notation eingeht.14 Unter Neuer Vokalmusik ist die in der Tradition des Kunstgesangs bzw. der komponierten Kunstmusik stehende Vokalmusik zu verstehen. Ebenfalls ausschließlich auf die Neue Vokalmusik bezogen ist die eher pädagogisch ausgerichtete Interpretationsanleitung „Exploring Twentieth Century Vocal Music: A Practical Guide to Innovations in Performance and Repertoire“ von Sharon Mabry,15 die gleichzeitig einen ausführlicheren Überblick über neue, erweiterte Stimmtechniken und ein vielfältiges Repertoire gibt. Für die Generierungsprozesse erweiterter Stimmtechniken ist auch das eher philosophisch und theoretisch und auf die Auswirkung medientechnischer Innovationen ausgerichtete „On Sonic Art“ von Trevor Wishart16 aufschlussreich sowie „The 21st Century Voice“ von Michael Edgerton,17 der sich stark um eine Systematisierung und Notationsmöglichkeit neuer Stimmtechniken bemüht und gleichzeitig eine lange Repertoireliste komponierter neuer Vokalmusik bietet. Zahlreiche Zeitschriftenbeiträge zu einzelnen Vokalkünstler_innen bieten Eindrücke von stimmtechnischen Ausdifferenzierungen. Eine ausführliche historische Kontextualisierung und Darstellung des im Grenzbereich von Literatur, Musik und Malerei angesiedelten Lautgedichts bietet Christian Scholz mit „Untersuchungen zur Geschichte und Typologie der Lautpoesie“,18 der versucht, der Interdisziplinarität des Genres gerecht zu werden und neben dem Darstellungs-Band (I) mit Band II und III zusätzlich jeweils eine ausführliche Bibliographie sowie Diskographie bereitstellt. Eine Untersuchung von stark körperbezogenen, avantgardistischen Vokalpraktiken, die nur zum Teil eine schriftliche Fixierung erfahren, bietet Stefan Drees im ersten Kapitel „Leiblichkeit und Stimme“ seines Buches „Körper. Medien. Musik. Körperdiskurse in der Musik nach 1950“.19 Einblicke in die Interpretationsähnlichkeiten zwischen Neuer Vokalmusik und New Vocal Jazz mit einem besonderen Stellenwert der Improvisation bietet Ute Büchter-Römer mit ihrer Publikation „New Vocal Jazz: Untersuchungen zur zeitgenössischen improvisierten Musik mit der Stimme anhand ausgewählter Beispiele“.20 Die Forschungsbeiträge „Stimme und Sprechkünste im 20. Jahrhundert“ von Reinhart 14 Dieter Schnebel, Denkbare Musik. 15 Sharon Mabry, Exploring Twentieth Century Vocal Music. 16 Trevor Wishart, On Sonic Art. 17 Michael E. Edgerton, The 21st-Century Voice. 18 Christian Scholz, Untersuchungen zur Geschichte und Typologie der Lautpoesie. 19 Stefan Drees, „Leiblichkeit und Stimme“, in: Körper. Medien. Musik, S. 17-40. 20 Ute Büchter-Römer, New Vocal Jazz.

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Meyer-Kalkus21 und „Geschichte der Stimme“ von Karl-Heinz Göttert22 fassen den ästhetischen Einsatz der Stimme etwas weiter und gehen über den rein musikalischen Kontext hinaus, bieten dabei aber einen guten historischen Überblick über Stimmphänomene. Aus dem Bereich der Musikpädagogik hat das Institut für Neue Musik und Musikerziehung Darmstadt mit dem Schott-Verlag 2003 den Kongressband „Stimme“ herausgegeben, der den thematischen Foren der Tagung entsprechende Artikel aus den Themenfeldern Ästhetik, Analyse, musikwissenschaftliche Praxis und Musikpädagogik versammelt.23 In den kultur- und medienwissenschaftlichen Forschungsbereichen erfährt die Stimme seit einigen Jahren eine Art Renaissance.24 Entsprechende Publikationen sind u. a. das vor allem in den USA einflussreiche „His Master’s Voice: eine Theorie der Stimme“ von Mladen Dolar von 2007,25 das von Friedrich Kittler, Thomas Macho und Sigrid Weigl 2002 herausgegebene „Zwischen Rauschen und Offenbarung. Zur Medien- und Kulturgeschichte der Stimme“,26 der 2006 von Doris Kolesch und Sybille Krämer herausgegebene Band „Stimme. Annäherung an ein Phänomen“,27 das 2008 von Doris Kolesch, Vito Pinto und Jenny Schrödl herausgegebene „Stimm-Welten“,28 das von Cornelia EppingJäger und Erika Linz 2003 herausgegebene „Medien/Stimmen“,29 der 2002 von Hans-Peter Bayerdörfer herausgegebene Band „Stimmen – Klänge – Töne: Synergien im szenischen Spiel“30 oder der 2012 von Oksana Burgakowa herausgegebene Band „Resonanz-Räume: Die Stimme und die Medien“.31 Der von 1998 bis 2010 an der Freien Universität Berlin betriebene Sonderforschungsbereich „Kulturen des Performativen“ beherbergte u. a. das Projekt „Stimmen als Paradigmen des Performativen“, über dessen Arbeit nach wie vor das Archiv der Website informiert.32 Am Forschungsinstitut für Musiktheater der Universität Bayreuth ist aktuell das DFG-Projekt „Musik – Stimme – Geschlecht“ eingerichtet, das sich mit der klassisch ausgebildeten Singstimme be21 Reinhart Meyer-Kalkus, Stimme und Sprechkünste im 20. Jahrhundert. 22 Karl-Heinz Göttert, Geschichte der Stimme. 23 Institut für Neue Musik und Musikerziehung Darmstadt (Hg.), Stimme. 24 Vgl. u. a. Doris Kolesch, Sybille Krämer (Hrsg.), Stimme, S. 10. 25 Mladen Dolar, His Master’s Voice. 26 Friedrich Kittler, Thomas Macho (Hrsg.), Zwischen Rauschen und Offenbarung. 27 Kolesch, Krämer (Hrsg.), Stimme. 28 Doris Kolesch, Vito Pinto, Jenny Schrödel (Hrsg.), Stimm-Welten. 29 Cornelia Epping-Jäger, Erika Linz (Hrsg.), Medien/Stimmen. 30 Hans-Peter Bayerdörfer (Hrsg.), Stimmen – Klänge – Töne. 31 Oksana Bulgakowa (Hg.), Resonanz-Räume. 32 Siehe www SFB PER.

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schäftigt und deren Implikationen von „körperlichen und immateriellen, geschlechtlichen und nichtgeschlechtlichen sowie sozialen und individuellen Dimensionen.“33 Die Website „ach, Stimme!“ des „Interdisziplinären Wissenschaftsportals“ des Elfriede Jelinek-Forschungszentrums bietet unter dem Punkt „Stimme & Gender“ allgemeine Informationen zum genannten Themenkomplex.34 Generell ist also seit einigen Jahren ein erneut intensiviertes Interesse an dem Phänomen „Stimme“ im wissenschaftlichen Diskurs zu beobachten.35 Es sind vor allem kulturwissenschaftliche Diskussionen, in denen die Stimme als „performatives Phänomen par excellence“36 in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückt. Hier wird Stimme einerseits vorwiegend in ihrer Differenz zur Schrift diskutiert, andererseits als „performatives Medium“, welches abhängig „von seinen Prozessierungsformen […] im Dispositiv [seiner] unterschiedlichen Generierungsbedingungen“ zu analysieren sei.37 Hierbei steht jedoch zumeist die Sprechstimme im Mittelpunkt des Interesses. Die Singstimme wird allenfalls als Sonderphänomen miteinbezogen.38 Zwar wurde 2012 beim internationalen musikwissenschaftlichen Symposium „Singstimmen: Ästhetik, Geschlecht, Vokalprofil“ eine analytische Wahrnehmung der ausgebildeten Singstimme durch die Musikwissenschaft und andere Disziplinen für die letzten zwanzig Jahre verzeichnet, jedoch zugleich darauf hingewiesen, dass „Prämissen und Methodik einer musikwissenschaftlichen Stimmforschung mit angemessener historischer 33 Vgl. www DFG STIM. 34 Siehe www ACH. 35 Siehe bspw. Bayerdörfer (Hg.), Stimmen – Klänge – Töne; Cornelia Epping-Jäger, Erika Linz (Hg.), Medien/Stimmen; Göttert, Geschichte der Stimme; Kittler, Macho (Hg.), Zwischen Rauschen und Offenbarung; Kolesch, Krämer (Hg.), Stimme; Doris Kolesch, Jenny Schrödel (Hg.), Kunst-Stimmen; Meyer-Kalkus, Stimme und Sprechkünste im 20. Jahrhundert. Vgl. zum Forschungsstand hier und folgend bis zum Ende des Unterkapitels „Wissenschaftliche Auseinandersetzungen“ auch Kohl, Performativität – Geschlecht – Singstimme, S. 2, 33ff. 36 Kolesch, Krämer, „Stimmen im Konzert der Disziplinen. Zur Einführung in diesen Band“, S. 11. 37 Epping-Jäger, Linz, „Einleitung“, in: dies. (Hg.), Medien/Stimmen, S. 9-17, hier S. 11. 38 Beiträge zur Singstimme sind bspw. Christa Brüstle, „Stimme als Klang – Anmerkungen aus der Musikwissenschaft“; K. Ludwig Pfeiffer, „Phänomenalisierung und Sinnsuggestion: Performative Intermedialität und die Oper“; oder Clemens Risi, „Die bewegende Sängerin. Zu stimmlichen und körperlichen Austausch-Prozessen in Opernaufführungen“.

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Breite (bis hin zu Befunden und Perspektiven, die sich auf das aktuelle Musikleben beziehen) noch zu formulieren“ seien.39 Das Symposium stellte unter den Sektionen „Ästhetik“, „Geschlecht“ und „Vokalprofil“ entsprechend unterschiedliche Themen, Ansätze und Perspektiven vor.40 Rebecca Grotjahn merkt an, dass die Geschichte des Singens in der Musikwissenschaft ein Nischendasein führe, da die Stimmforschung in Bezug auf ihren „Bau“ selten historisch gedacht werde, sondern sich häufig auf systematische Untersuchungen der Stimmphysiologie und -anatomie beschränke.41 Dabei verweist gerade die Körperlichkeit der Stimme darauf, dass diese ein formbares, sich wandelndes, nicht ahistorisch zu denkendes Instrument ist, sofern Körper nicht als materielle Gegebenheit, sondern als kultureller und historischer Effekt verstanden wird.42 Grotjahn macht darauf aufmerksam, dass die Körperlichkeit der Stimme den Gesang zum paradigmatischen Rekonstruktionsfeld historischer Körperkonstruktionen und zu musikalischer Mentalitätsgeschichte bestimmt.43 Insbesondere die musikwissenschaftliche Genderforschung eignet sich seit einiger Zeit die in benachbarten Wissenschaftsdisziplinen bereits fruchtbar gemachten Performativitätstheorien an, und wendet sich zunehmend der Performativität der Stimme und deren Bedeutung für die Performativität von Geschlecht zu.44 U. a. untersuchen Miriam Dreysse in „Die Stimmliche Konstruktion und 39 Siehe Stephan Mösch, Anno Mungen, Saskia Maria Woyke (Konzeption und Leitung): Symposium „Singstimmen: Ästhetik, Geschlecht, Vokalprofil“. Auf: www DFG STIM TAG. 40 Siehe www DFG STIM PLAN. 41 Vgl. hierzu Rebecca Grotjahn, „‚Die Singstimmen scheiden sich ihrer Natur nach in zwei große Kategorien‘“, S. 35. Entsprechende Publikationen sind u. a. Johan Sundberg, Die Wissenschaft von der Singstimme oder Peter-Michael Fischer, Die Stimme des Sängers: Analyse ihrer Funktion und Leistung; Geschichte und Methodik der Stimmbildung. 42 Vgl. Grotjahn, „‚Die Singstimmen scheiden sich ihrer Natur nach in zwei große Kategorien‘“, S. 35f. Zur Dekonstruktion einer angeblichen Ahistorizität von Körpern und ihr Theoretisieren als historische und kulturelle Effekte siehe insbesondere die Publikationen von Judith Butler, u. a. Judith Butler, Körper von Gewicht: die diskursiven Grenzen des Geschlechts; dies., Das Unbehagen der Geschlechter. Zu der Wandelbarkeit von bzw. zu unterschiedlichen Körperkonzepten siehe auch Kohl, „Körper, männlicher/weiblicher, Körperlichkeit“. Zur Körperlichkeit der Stimme siehe auch Kolesch, „Die Spur der Stimme“. 43 Vgl. Grotjahn, „‚Die Singstimmen scheiden sich ihrer Natur nach in zwei große Kategorien‘“, S. 35f. 44 Siehe hierzu auch www DFG STIM TAG und www DFG STIM PLAN.

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Dekonstruktion von Geschlechteridentitäten auf der Bühne“,45 Rebecca Grotjahn in „Das Geschlecht der Stimme“ und „‚Die Singstimmen scheiden sich ihrer Natur nach in zwei große Kategorien‘“46 sowie Siegrid Nieberle in „Stimme, Identität, Geschlecht: Konstruktionen in den Gender Studies“47 explizit Interdependenzen zwischen der Geschlechtskonstitution und der Singstimme. Miriam Dreysse analysiert die Übernahme geschlechtsspezifischer Stereotypen der Sprechstimme in die Singstimme.48 Grotjahn befasst sich mit dem Ausschluss von als geschlechtsspezifisch markierten Stimmfrequenzbereichen und problematisiert das binäre Gendering von Singstimmen im 19. Jahrhundert durch die Gesangspädagogik und durch Vokalkompositionen. Sie kontextualisiert stimmästhetische Entwicklungen mit einem sich wandelnden Genderdiskurs und weist darauf hin, inwiefern diese u. a. eine geschlechtliche Definition spezifischer Aspekte der Gesangstechnik bewirkten, bspw. die Definition des Koloraturgesangs als weibliche und des hohen Brustregisters als männliche Domäne.49 Siegrid Nieberle dekonstruiert die scheinbare Kohärenz von Körper und Stimme bzw. den Essentialismus von bestimmten Entwürfen stimmlicher Identitäten sowie die Identität stiftende Bedeutung des Wahrnehmens von Stimmen.50 Arbeiten der vor allem im anglo-amerikanischen Raum präsenten „queer musicology“ machen deutlich, dass auch der aktiven Rezeption von Stimmen, etwa in Form von geschlechtsspezifischen Identifizierungsmechanismen bei der Rezeption von Opernstimmen, für die Analyse der Singstimme als performatives Phänomen eine wichtige Rolle zukommt.51 Catherine Cléments „Die Frau in der

45 Miriam Dreysse, „Die stimmliche Konstruktion und Dekonstruktion von Geschlechteridentitäten auf der Bühne“. 46 Rebecca Grotjahn, „Das Geschlecht der Stimme“; dies., „‚Die Singstimmen scheiden sich ihrer Natur nach in zwei große Kategorien‘“. 47 Vgl. Siegrid Nieberle, „Stimme, Identität, Geschlecht: Konstruktionen in den Gender Studies“. 48 Vgl. Dreysse, „Die stimmliche Konstruktion und Dekonstruktion von Geschlechteridentitäten auf der Bühne“. 49 Vgl. Grotjahn, „Das Geschlecht der Stimme“; dies., „‚Die Singstimmen scheiden sich ihrer Natur nach in zwei große Kategorien‘“. Vgl. hierzu auch Kohl, „Rezension Rebecca Grotjahn, Sabine Vogt (Hg.) ‚Musik und Gender‘“. 50 Nieberle, „Stimme, Identität, Geschlecht: Konstruktionen in den Gender Studies“. 51 Siehe z. B. Sam Abel, Opera in the flesh: sexuality in operatic performance; Corinne E. Blackmer, Patricia Juliana Smith, En TravestiE: women, gender subversion, opera; Wayne Koestenbaum, Königin der Nacht: Oper, Homosexualität und Begehren; Susan J. Leonardi, Rebecca A. Pope, The Diva’s Mouth: Body, Voice, Prima Donna Politics.

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Oper: besiegt, verraten und verkauft“ von 197952 galt lange als Standardwerk der feministischen Opernforschung. Darin betonte Clément allerdings vor allem die Vernichtung von Frauen im Opernplot. Die Opferrolle, die Frauen dadurch erneut zugeschrieben wurde, wurde von den musikwissenschaftlichen Gender Studies zunehmend abgelehnt. So kritisierte bspw. Carolyn Abbate, dass durch diese Betonung der „Triumph“ der Sängerinnen, d. h. „der Klang ihrer singenden Stimme“, ignoriert werde.53 Mit „Unsung Voices: Opera and Musical Narrative in the Nineteenth Century“ hatte Abbate 1991 einen Ansatz vorgestellt, der die „performance“ von Musik, d. h. die Aufführung als „phänomenale Realisierung“ der von den Komponist_innen geschriebenen Musik, als konstitutiven Bestandteil von Musik auffasst und damit die performative Dimension von Musik als „physikalische“ Kraft in den Vordergrund holt.54 Dadurch wird der Fokus auf die Singstimme als klingendes Ereignis gerichtet. Die Bedeutung von „performancecentered“ Analysen von Musik wird gerade im Kontext feministischer Musikwissenschaft immer wieder verdeutlicht, u. a. auch durch Suzanne G. Cusick seit Anfang der 1990er Jahre.55 Christa Brüstle macht darauf aufmerksam, dass die „wissenschaftliche Entwicklung von Aufführungsanalysen und die Berücksichtigung von Thesen der musikwissenschaftlichen Performance Studies“ allerdings noch am Anfang stehen.56 Durch die Betonung performativer Aspekte der Musik gewinnt die musikalische Aufführung, die ich u. a. auch als soziale Praxis verstehe, an Bedeutung. D. h. das musikalische Handeln gerät in den Vordergrund. Für die vokale Performancekunst ist dies von besonderem Interesse, erhält die Aufführung bzw. deren Aufzeichnung doch auch durch die Konzentration auf körperbezogene Prozesse und die weitgehende Unmöglichkeit einer eindeutigen, tradierbaren und standardisierbaren Notation eine noch zentralere, konstitutive Bedeutung. Die für meine Arbeit zentrale Referenz, da bislang die einzige Forschungsarbeit, die sich explizit mit der vokalen Performancekunst auseinandersetzt, bleibt „Körperstimmen. 52 Catherine Clément, Die Frau in der Oper: besiegt, verraten und verkauft. 53 Vgl. Carolyn Abbate, Unsung Voices: Opera and Musical Narrative in the Nineteenth Century, S. viiii. 54 Vgl. ebd., S. x. 55 Siehe Suzanne G. Cusick, „Gender and the Cultural Work of a Classical Music Performance“; dies., „On Musical Performances of Gender and Sex“; dies., „Gender, Musicology, and Feminism“. 56 Christa Brüstle, „Das 20. und 21. Jahrhundert“, S. 107. Deswegen stoße auch die Erforschung von Aufführungen und medialen Präsentationen von Komponistinnen wie Meredith Monk oder Laurie Anderson nach wie vor auf methodische Schwierigkeiten, da Partituren als Grundlage weitestgehend fehlen. (Vgl. ebd. S. 106f.)

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Vokale Performancekunst als neue musikalische Gattung“57 von Theda WeberLucks, in der diese die vokale Performancekunst als neue, von Frauen initiierte Gattung vorstellt. Definition „Vokale Performancekunst“ Die Definition der musikalischen Gattung der vokalen Performancekunst ist relativ jung. Mitte der 2000er Jahre prägte Theda Weber-Lucks den Begriff in ihrer Dissertation „Körperstimmen. Vokale Performancekunst als neue musikalische Gattung“58 und definierte diese als eine eigenständige Kunstform. Da die Definition der neuen Kunstform maßgeblich von dieser Autorin unternommen wurde, gehe ich im Folgenden für meine eigene Bestimmung und Kontextualisierung detailliert auf ihre Ausführungen ein und weise auf die sich darin auftuenden Desiderata hin. Weber-Lucks bestimmt die vokale Performancekunst als eine primär von Frauen initiierte „Spielart der Performance Art“. Als frühe Vertreter_innen gelten ihr Meredith Monk, Joan La Barbara, Laurie Anderson, später auch Diamanda Galás, David Moss oder Shelley Hirsch.59 Im Zentrum der vokalen Performancekunst steht die so genannte Körperstimme. Von besonderer Bedeutung für die Körperstimme in der vokalen Performancekunst sind nonverbale erweiterte Stimmtechniken, das heißt die Einbeziehung aller möglichen vokalen Töne und Klänge sowie die Einbindung in körperlich-performative Aspekte bzw. die Einbeziehung von „Elemente[n] aus den performativen Künsten Tanz, Theater und Musik sowie aus der Bildenden (sic) Kunst und dem Film.“60 Die Körperstimme ist stark gebunden an den bzw. die VocalComposerPerformer und damit an deren bzw. dessen sehr individuelle Fähigkeiten und Vorlieben. Daraus resultiert eine große stilistische Heterogenität und Interdisziplinarität.61 Die Traditionslinien der vokalen Performancekunst führt Weber-Lucks zurück zu den Aktionskünsten der 1960er Jahre, namentlich Fluxus und Happening, und den frühen 57 Weber-Lucks, Körperstimmen. Vokale Performancekunst als neue musikalische Gattung. 58 Weber-Lucks, Körperstimmen. Den Begriff verwendete sie bereits 1999 in ihrem Artikel „Vokale Performancekunst: Zur Verknüpfung von Stimme, Körper, Emotion – Meredith Monk und Diamanda Galás“. 1998 schrieb sie von „vokalexperimenteller Performancekunst“. (Siehe Weber-Lucks, „Aufbrechen – Ergründen – Transformieren. Frauen in der Lautpoesie“.) 59 Siehe Weber-Lucks, Körperstimmen. 60 Ebd., S. 7. 61 Vgl. ebd., S. 7, S. 248.

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stimmexperimentellen Avantgardebewegungen, Dada und Futurismus, der Lautpoesie, dem experimentellen Theater und der Neuen Vokalmusik.62 Die Anfänge der vokalen Performancekunst verortet sie in den 1960er und 1970er Jahren in den USA,63 wobei die signifikanten Merkmale einer eigenständigen musikalischen Gattung erst in den 1970er Jahren herausgebildet wurden und diese sich als eigenständige Gattung vor allem in den 1980er und 1990er Jahren etablierte.64 Obgleich diverse Faktoren der vokalen Performancekunst darauf hinweisen und Weber-Lucks sogar selbst kurz diesen Zusammenhang erwähnt,65 führt sie den meines Erachtens signifikanten Bezug zu Downtown New York nicht weiter aus und sieht ihn offensichtlich nicht als relevant an. Einen ersten wichtigen Hinweis auf diesen möglichen Zusammenhang bieten, wie bereits erwähnt, die Akteur_innen, und zwar nicht nur die der vokalen Performancekunst selbst, sondern auch die der angrenzenden Künste, welche Weber-Lucks als wegweisend und konstituierend für die neue Kunstform der vokalen Performancekunst anerkennt. Viele dieser erwähnten Protagonist_innen können als DowntownAkteur_innen bezeichnet werden, d. h. als Personen, die, insbesondere in der Zeit ab den 1960er Jahren, in Downtown New York lebten und/oder künstlerisch aktiv waren.66 So ist John Cage, dessen wachsender Einfluss sich auch in der Herausbildung der vokalen Performancekunst bemerkbar machte,67 etwa mit seiner Kompositionsklasse an der New School for Social Research68 selbst als Down62 Vgl. ebd., S. 7. Für eine ausführlichere Darstellung dieser Bezüge siehe Weber-Lucks, „Vor-/Geschichte der Vokalen Performancekunst“, in dies., Körperstimmen, S. 9-42. 63 Zwar sieht sie auch entsprechende Entwicklungen in Europa, allerdings setzen diese erst später ein, weswegen sie die Anfänge der vokalen Performancekunst in den USA verortet. (Vgl. Weber-Lucks, „Vor-/Geschichte der Vokalen Performancekunst“, in dies., Körperstimmen, S. 9-42.) 64 Vgl. Weber-Lucks, Körperstimmen, S. 7, 41. 65 Beispielsweise schreibt sie: „Der Geist des ‚alles ist möglich‘ hatte die New Yorker Downtown-Szene und mit ihr auch Meredith Monk erfasst.“ (Weber-Lucks, Körperstimmen, S. 189), oder: „David Moss (sic) Vokalkunst zeigt sich vor allem vom Collageprinzip des sogen. ‚New York Sound‘ inspiriert, den er als aktives Mitglied der New Yorker Downtown Improvisationsszene in den achtziger Jahren selbst generierte.“ (Ebd., S. 242). 66 Vgl. hierzu detailliert das Kapitel II. „Das künstlerische Kräftefeld Downtown“. 67 Vgl. Weber-Lucks, Körperstimmen, S. 11. 68 Weber-Lucks erwähnt diese Kurse und auch, dass sie in New York stattfanden. Auf deren Auswirkungen auf die erstarkende Downtown-Szene verweist sie jedoch nicht, auch nicht darauf, dass Cage damals den Begriff Downtown als Abgrenzung zu Up-

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town-Akteur zu verstehen, vor allem aber auch als Weggefährte, Lehrer und Kollege zahlreicher Downtown-Akteur_innen. Auch die Künstler_innen aus den unterschiedlichsten Disziplinen rund um John Giorno, die in den 1970er Jahren an dem „Dial-a-Poem“-Projekt beteiligt waren, welches Weber-Lucks als wegbereitend für die vokale Performancekunst betrachtet,69 waren zum Großteil Downtown-Akteur_innen, z. B. William S. Burroughs, Robert Ashley, Philip Glass, Patti Smith, Robert Wilson, Claes Oldenburg und natürlich Meredith Monk und Laurie Anderson.70 Das Projekt selbst ließe sich somit als ein Downtown-Projekt bezeichnen. Weber-Lucks erwähnt auch die Jazz-Vokalistin, Komponistin und Soundpoetin Jeanne Lee, die u. a. mit Dick Higgins, Alison Knowles, Cecil Taylor und Anthony Praxton arbeitete.71 Sie alle hatten einen eindeutigen Bezug zu Downtown New York ebenso wie die frühen Vertreter_innen der vokalen Performancekunst Monk, La Barbara, Anderson und später auch Galás, Moss oder Hirsch. Weber-Lucks erwähnt auch das Studio von Yoko Ono sowie die AG-Galerie von George Maciunas, wohl mit dem Hinweis, dass diese sich in New York befanden, allerdings ohne deren Bedeutung für Downtown zu thematisieren.72 Und schließlich bietet der wesentliche Bezug zu Fluxus und Happening,73 den Weber-Lucks in die Definition der vokalen Performancekunst mitaufnimmt, den zunächst letzten wichtigen Hinweis auf den Kontext Downtown New York, ist doch gerade Fluxus sowohl historisch in seiner Entstehung als auch formal-ästhetisch eng gekoppelt an seinen primären Entstehungsort SoHo und damit an Downtown.74 Entsprechend sind auch all die US-amerikanischen Fluxus-Künstler_innen, die Weber-Lucks erwähnt, als Downtown-Akteur_innen zu verstehen: Neben Maciunas und Ono verweist sie auf George Brecht, La Monte Young, Dick Higgins, Alison Knowles und Nam June Paik.75 Diese Anhaltspunkte reichen für die Vermutung aus, dass es sich bei der vokalen Perfortown prägte. (Siehe hierzu die Kapitel II.2.1 „Räume Downtowns“ und II.2.3 „Künstlerische Praktiken in Downtown“.) 69 Vgl. Weber-Lucks, Körperstimmen, S. 39. 70 Vgl. ebd., S. 39. 71 Vgl. ebd., S. 40. 72 Siehe für diesen Zusammenhang die Ausführungen in Kapitel II.2.1 „Räume Downtowns“. 73 Vgl. Weber-Lucks, Körperstimmen, S. 11. 74 Siehe hierzu detailliert Kapitel „II. Das künstlerische Kräftefeld Downtown New York“. 75 Vgl. Weber-Lucks, Körperstimmen, S. 11. Für den Zusammenhang zwischen FluxusKünstler_innen und Downtown siehe auch das Kapitel II.2.2 „Akteur_innen Downtowns“.

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mancekunst, zumindest im Zuge ihrer Entstehung, um eine Downtown-Praxis handelt, und erfordern somit die Untersuchung der Zusammenhänge zwischen dem Raum Downtown und den dort generierten ästhetischen Praktiken. Weber-Lucks vertritt die These, dass die neue Kunstgattung der vokalen Performancekunst vornehmlich von Frauen initiiert und weitergeführt wurde.76 Trotz der sehr guten historischen und ästhetischen Kontextualisierung der Entstehung und Etablierung der vokalen Performancekunst, die Weber-Lucks in ihren Untersuchungen erstmals herausarbeitet, indem sie etwa den Bezug zu den angrenzenden Künsten Fluxus und Happening herstellt und diese in Bezug zu den zeitgenössischen soziopolitischen Entwicklungen wie den sozialen Bewegungen und dem Vietnamkrieg setzt,77 belässt sie es bei diesen eher kurzen Hinweisen und befragt diese Kontexte nicht nach Gründen für diesen relevanten Sachverhalt der prominenten Rolle von Frauen. Zwar gibt sie Hinweise auf die zur gleichen Zeit, in den 1960er und 1970er Jahren, erstarkende zweite Frauenbewegung und die im Zuge derer neu gewonnen Freiräume für Frauen auch in künstlerischer Hinsicht,78 aber sie belässt es bei diesem Hinweis als Kontextualisierung, ohne diese Zusammenhänge hinsichtlich ihrer Bedeutung für die einzelnen Akteur_innen der vokalen Performancekunst sowie für die Kunstform als Praxis näher zu analysieren. Allerdings verweist Weber-Lucks auf eine Interpretation des Musikkritikers und Komponisten Kyle Gann als eine Deutungsmöglichkeit für die erstarkende Bedeutung von Komponistinnen und Performancekünstlerinnen.79 Gann sieht in der Mitte des 20. Jahrhunderts eine Phase in der Neuen Musik, in der diese „ihre weibliche Seite mehr als nötig“ hätte.80 Dieser Bezug auf eine angebliche „weibliche Ästhetik“ oder „weibliche Seite der Musik“ beinhaltet eine meines Erachtens nicht haltbare essentialistische Interpretation. Allerdings stammen diese Überlegungen Ganns zum einen aus den 1980er und 1990er Jahren,81 zum anderen ist sich Gann der Gefahr der Essentialisierung offensichtlich selbst bewusst und thematisiert diesen Zusammenhang, indem er diese „feminine side“ nicht zu naturalisieren, sondern auf geschlechtsspezifisch definierte Werte zu beziehen

76 Vgl. Weber-Lucks, Körperstimmen, S. 7. 77 Vgl. ebd., S. 11f. 78 Vgl. ebd., S. 10f. 79 Kyle Gann, „What Women’s Music Does, or Doesn’t, Mean“. Siehe Weber-Lucks, Körperstimmen, S. 12. 80 Vgl. Gann, „What Women’s Music Does, or Doesn’t, Mean“. Hier zitiert in WeberLucks, Körperstimmen, S. 12. 81 Siehe Gann, „What Women’s Music Does, or Doesn’t, Mean“.

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versucht.82 Zunächst allerdings erläutert er seine langjährigen Erfahrungen mit der Musik der Downtown-Szene, in der er tatsächlich geschlechtsspezifische Unterschiede ausmachen konnte bezüglich der musikalischen Praktiken: „Within my particular musical world, that of downtown Manhattan, it has been unavoidable to notice that women composers fall into different patterns than men. For example, the following composers make music based on using their own voices and usually bodies: Meredith Monk, Pauline Oliveros, Diamanda Galas, Laurie Anderson, Eve Beglarian, Elise Kermani, Joan LaBarbara, Shelley Hirsch, Pamela Z, Brenda Hutchinson, Maria de Alvear, Linda Fisher, Bonnie Barnett, Chistine Baczewska, Lynn Book, Barbara Golden, Toby Twining, David Moss, and David Garland. It will be noticed that 16 of the composers named here are women, only three of them men. Likewise, one could make a list of composers who make long, meditative, environmental works not structured in great detail, but open to natural sounds such as breathing, running water, overtones, and so on: Annea Lockwood, Pauline Oliveros, Eliane Radigue, Maryanne Amacher, Brenda Hutchinson, John Cage. Again, the list is predominantly women. The fact that male names occur on each list indicates that generalities in this area are worth no more than generalities are usually worth. That’s not to deny that generalities sometimes suggest something.“83

Demzufolge waren es vornehmlich Frauen, die in der Downtown-Szene neue Schwerpunkte auf Körper und Stimme bzw. auf Naturklänge und meditative, nicht auf einen Klimax hin orientierte musikalische Strukturen legten und damit Gann zufolge andere Werte in die Musik einführten und einen Gegenpol setzten zur zeitgenössischen Tendenz zu einer höchst unpersönlichen, komplex strukturierten Musik.84 Das entspricht auch Weber-Lucks’ Analyse, derzufolge es vor allem Frauen waren, die die neue Kunstform der vokalen Performancekunst, in der die Körperstimme wie gesehen eine zentrale Rolle spielt, initiierten. Und mit Ganns Liste an Komponist_innen lässt sich erneut sehen, dass Downtown für diese Entwicklungen ein regelrechtes Zentrum darstellte. Neben den konkreten Beispielen aus der Downtown-Musik-Szene zieht Gann mit Verweis auf Pauline Oliveros die gesellschaftliche Identifikation von „männlichen“ oder „weiblichen“ Werten heran.85 Diesen Kontext stellt auch Weber-Lucks in den Vordergrund.86 Durch den Verweis auf die gesellschaftliche 82 Siehe ebd. 83 Ebd. 84 Vgl. ebd. 85 Vgl. ebd. 86 Vgl. Weber-Lucks, Körperstimmen, S. 12.

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Konstruktion bestimmter Eigenschaften als geschlechtsspezifisch versucht Gann, der essentialistischen Deutung von Stereotypen zu entgehen, denen zufolge Männer „ambitious, analytical, driven by self-interest, dictatorial“ und Frauen „receptive, emotional, community-oriented, nurturing“ seien und die von ihnen komponierte Musik diese Qualitäten entsprechend reflektiere.87 Durch ihre Verankerung im gesellschaftlichen Bewusstsein haben Geschlechterstereotypen jedoch eine nicht zu vernachlässigende Wirkmacht auf potentielle Subjektpositionen. Sie haben neben ihrer deskriptiven stets auch eine normative Funktion und eine große Bedeutung dafür, wie Individuen als Männer und Frauen sozialisiert und welche Rollen und Aufgaben ihnen in einer Gesellschaft zugedacht werden.88 Die von Gann benannten „männlich“ oder „weiblich“ identifizierten Werte haben somit eine gesellschaftliche Relevanz, ohne dass sie natürlich gegebene, unumstößliche, fixierte Wahrheiten darstellen: „[S]tructure, logic, scientific precision, individuality […] are frequently considered […] male-identified values. Opposite values – community, receptiveness, emotionality, intuition, nature – are often considered female-identified.“89

Die intendierte Aufwertung der als weiblich identifizierten Werte bzw. Aspekte wie die bewusste Betonung des Autobiographischen, Privaten, Emotionalen, Natürlichen, Körperlichen und Gemeinschaftsbildenden, wie sie auch im Kontext der zweiten Frauenbewegung und der feministischen Performancekunst unternommen wird,90 rücken Ganns Beobachtung einer Verschiebung von einer mit männlichen Werten identifizierbaren zu einer mit weiblichen Werten zu identifizierenden Musik und Musikpraxis in einen für diese Arbeit wichtigen Kontext. In diesem Zusammenhang lässt sich auch die in Kapitel I.1 „Vessel – An Opera Epic“ erwähnte Setzung der „weiblichen Eigenschaft“ als Seherin lesen, durch die Saint Joan bei Monk zum Genie wird. Ähnliches gilt für die größere Partizipation von Frauen, die zudem, „unbekümmert um männlich dominierte Traditionen ihre eigenen Wege suchten.“91 Auch dieser Sachverhalt ist offensichtlich verankert in der zweiten Frauenbewegung.92 Die Ausarbeitung dieser Kontexte kommt trotz deren Erwähnung bei Weber-Lucks zu kurz. Allerdings liegt der Fokus ihrer Arbeit, neben der pio87 Gann, „What Women’s Music Does, or Doesn’t, Mean“. 88 Kohl, „Geschlechterstereotyp“, S. 258. 89 Gann, „What Women’s Music Does, or Doesn’t, Mean“. 90 Vgl. hierzu Kapitel I.3 „Performancekunst und feministisches Bewusstsein“. 91 Weber-Lucks, Körperstimmen, S. 12. 92 Vgl. hierzu Kapitel I.3 „Performancekunst und feministisches Bewusstsein“.

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nierhaften ersten Skizzierung der historischen Kontexte der vokalen Performancekunst, eher auf der Erstellung der auditiven Datenbank und der Analyse des Stimmgebrauchs der von ihr ausgewählten vokalen Performancekünstler_innen. Weber-Lucks’ Analysen des Stimmgebrauchs einiger vokaler Performancekünstler_innen weisen deutlich geschlechtsspezifische Unterschiede nach.93 Zwar sind und waren, wie bereits mehrfach hervorgehoben, vornehmlich Frauen die Akteur_innen der vokalen Performancekunst, dennoch traten und treten vereinzelt auch Männer in dieser Disziplin in Erscheinung. Weber-Lucks schließt fünf von ihnen, und damit ebenso viele wie Frauen, in ihre Analysen mit ein, offensichtlich um einen Geschlechtervergleich zu ermöglichen. Ihre Analysen ergeben, dass in der vokalen Performancekunst Männer und Frauen unterschiedlich mit ihrer Stimme arbeiten, obwohl sie die gleichen vokaltechnischen und ästhetischen Voraussetzungen und Hintergründe teilen und gleichsam auf Belcanto bzw. Klassische Musik, auf Neue Vokalmusik, Free Jazz, Fluxus, Happening, Performance Art usw. zurückgreifen.94 Deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede macht Weber-Lucks vor allem anhand der Verwendung von Klangfarben und Gestaltungsmöglichkeiten der Stimme fest.95 „Überdies ist bei Frauen das gesangsähnliche, emotionsbesetzte Schallsignal ausgeprägter, während Männer in der Verwendung neutraler, sprachähnlicher Artikulationen und onomatopoetischer Schallsignale dominieren.“96 Im Rahmen dieser Untersuchung überwiegt also bei Frauen ein emotionaler, transformatorischer Kommunikationsbegriff von Stimme, bei Männern steht ein Collage-Konzept und die Auffassung der Stimme als Instrument im Vordergrund.97 Und auch die Umgangsweise mit den gleichen künstlerischen Disziplinen, auf die zurückgegriffen wird, ist laut Weber-Lucks geschlechtsspezifisch unterschiedlich: „So z. B. tendieren Frauen weit mehr zur Einbeziehung des Tanzes und zur Kreation multimedialer Bühnenformen, die eben auch Bühnenbild, Licht, Kostüm und szenische Aktion einbeziehen.“98 93 Vgl. Weber-Lucks, Körperstimmen, S. 241ff. 94 Vgl. ebd., S. 248. 95 Siehe dazu ebd., detaillierter dazu dies., „6.11. Zusammenfassung und Vergleich. Ästhetische Kontexte und Praktiken in Vokaler Performancekunst“, in: dies., Körperstimmen, S. 241-247. 96 Ebd., S. 248. 97 Ebd., S. 245. 98 Ebd., S. 248. In Bezug auf den Tanz, aber auch auf Event, Happening und Performance, nimmt Meredith Monk in Weber-Lucks’ Ausführungen allerdings eine Son-

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Frauen tendieren also eher zu einer Gesamtbühnengestaltung.99 Diese ist ein wesentliches Merkmal der vokalen Performancekunst100 und möglicherweise das ausschlaggebende Kriterium, weswegen die Initiierung und Etablierung der vokalen Performancekunst vornehmlich Frauen zuzuschreiben ist. Inwiefern der Einsatz spezifischer vokaler Praktiken und die Betonung bzw. Einführung spezifischer Werte in die musikalische Praxis nun in einem feministischen Zusammenhang verstanden werden können, ist eine Frage, die WeberLucks in dieser Form nicht stellt. Zwar legt sie mit dem Verweis auf Luce Irigarays Theorie der „Neuorientierung durch sinnliche Wahrnehmung“ und die künstlerischen Ansätze von Martha Graham und Louise Bourgeois, die eine emanzipatorische Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper vollzogen,101 eine Spur, die eine weiterführende Auseinandersetzung und Kontextualisierung von feministischen Ansätzen und der Körperstimme ermöglichen könnte, verfolgt diese aber selbst nicht weiter. Dabei bieten die von ihr herausgearbeiteten Kriterien der vokalen Performancekunst genügend Anhaltspunkte, sie mit Forderungen, Haltungen, Entwicklungen und Handlungsstrategien der zeitgenössischen soziopolitischen Bewegungen, insbesondere denen der Frauenbewegung, kurzzuschließen. Der Sachverhalt, dass die vokale Performancekunst als neue Gattung maßgeblich von Frauen initiiert und fortgeführt wurde, ist dabei nur das offensichtlichste Kriterium, welches allerdings auch noch auf seine Ursachen hin zu befragen ist. Auch der generelle direkte Bezug zur Performancekunst, als deren Spielart Weber-Lucks die vokale Performancekunst versteht und die somit grundsätzlich deren Charakteristika teilt, bietet Anlass, über die bereits gut aufgearbeitete Geschichte und die Bedeutungszusammenhänge der Performancekunst entsprechende Erklärungsansätze herauszuarbeiten. So sind die weiteren Kriterien, wie sie Weber-Lucks für die vokale Performancekunst dargestellt hat, auf ihre außermusikalischen, sinnstiftenden Potenziale hin zu befragen.

derrolle ein, sodass auch zu überlegen wäre, ob dieser Bezug tatsächlich als geschlechtsspezifisch zu interpretieren ist oder gegebenenfalls eher als individuell. (Vgl. ebd., S. 244f.) 99

Vgl. ebd., S. 245.

100 Vgl. Weber-Lucks’ Definition der vokalen Performacekunst, ebd., S. 7. 101 Vgl. ebd., S. 11.

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I.2.2 K RITERIEN

DER VOKALEN

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Auf drei der von Weber-Lucks benannten „signifikanten Merkmale“ der vokalen Performancekunst möchte ich an dieser Stelle detaillierter eingehen. Das erste Merkmal sind ein „individueller, nonverbaler Vokalstil“ und „erweiterte Gesangstechniken“, das zweite ist „die Realisation der Aufführung als VocalComposerPerformer in Personalunion“ und das dritte Kriterium „ein Aufführungstypus im Stile der Performancekunst“.102 Kriterien der vokalen Performancekunst: Erweiterte Stimmtechniken Die erweiterten Gesangstechniken oder auch erweiterten Stimmtechniken, „extended vocal techniques“, „vocal effects“ oder die „extra normal voice“103 bezeichnen der Gesangspädagogin Sharon Mabry zufolge jeglichen außergewöhnlichen, nicht standardisierten Gebrauch der Singstimme. Das impliziert insbesondere jene stimmlichen Fähigkeiten und Klänge, die in traditioneller westlicher (Kunst-)Musik normalerweise nicht vorzufinden sind.104 Laut Weber-Lucks bedeutet dies, dass alle vokal potentiell generierbaren Töne, Klänge und Techniken der verschiedenen Sprachen und Gesangstile der Welt miteinbezogen werden.105 Somit gehört auch das Einbeziehen des im klassischen westlichen Gesang eher als Störfaktor geltenden Geräuschhaften mit in den Bereich erweiterter Stimmgebung. Einige der erweiterten Stimmtechniken sind neben der Sprechstimme und der experimentellen Deklamation Scatten, Pfeifen, Zungenschnalzen und -Trillern, Klicklaute, Stimmbandknarzen, Summen bzw. Bocca Chiusa,

102 Vgl. ebd., S. 41. Ich übernehme in dieser Arbeit von Weber-Lucks die Schreibweise ComposerPerformer bzw. VocalComposerPerformer mit den Binnenmajuskeln, da sie schriftbildlich die Personalunion wiedergibt, die diese Begriffe bezeichnen. Da es sich trotz der eigentümlichen Schreibweise um einen englischen Begriff handelt, werde ich diesen nicht gendern. 103 Die Bezeichnungen sind hier nicht einheitlich. Weber-Lucks (Körperstimmen) etwa verwendet den Begriff „erweiterte Gesangstechniken“, Sharon Mabry (Exploring Twentieth Century Vocal Music: A Practical Guide to Innovations in Performance and Repertoire) den der „vocal effects“ oder Michael E. Edgerton (21st-Century Voice: contemporary and traditional extra-normal voice) schreibt von der „extra normal voice“. 104 Vgl. Mabry, Exploring Twentieth Century vocal Music, S. 123. 105 Vgl. Weber-Lucks, Körperstimmen, S. 7.

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Flüstern, Multiphonics wie etwa der Obertongesang, auf IPA-Symbolen basierende nonverbale Artikulationslaute, der Phonetik entnommene Komponenten wie Frikative, Vibranten oder Plosive sowie Stöhnen und (kontrolliertes) Schreien.106 Auch das Spiel mit Mikrointervallen oder komplexe intervallische Bewegungen in der Gesangslinie, der dezidiert vibratolose Gebrauch der Stimme als Rückgriff auf eine vormals übliche Praxis im Kunstgesang, die nicht zuletzt auch im Kontext der historischen Aufführungspraxis107 reanimiert wurde, und der Einsatz von Elektrotechnik zur Bearbeitung der Stimme gehören laut Mabry in den Bereich einer innovativen Stimmgebung.108 Dieter Schnebel schrieb 1972 in einem Text über neue Vokalpraktiken: „Solche Praktiken gehen über das, was bis in die sechziger Jahre in Vokalmusik üblich war, weit hinaus. Die Stimmen werden von den Konventionen des Kunstgesangs freigemacht, also entfesselt.“109

Das Überschreiten der Konventionen bzw. das Ausweiten vokaler Äußerungsformen, der Beginn des expliziten Erforschens nichtstandardisierter Vokalmusik oder der Stimme als Klangquelle werden von Meyer-Kalkus historisch auf nach 1945, von Michael E. Edgerton mit Verweis auf Kompositionen von Dieter Schnebel, Luciano Berio, John Eaton, Giacinto Scelsi, Gyorgy Ligeti, Kenneth Gaburo, Pauline Oliveros, Sylvano Bussotti, Robert Erickson und Mauricio Kagel auf das Ende der 1950er Jahre oder von John Potter auf die Nachkriegszeit festgelegt.110 Es lässt sich also festhalten, dass die fortschreitende Ausdifferenzierung vokalmusikalischen Materials und die unterschiedlichen musikalischen Auseinandersetzungen mit den erweiterten Stimmtechniken, die von sehr experimentellen oder improvisatorischen Ansätzen bis hin zu Versuchen ihrer systematischen Erforschung reichen, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erstarkten. Diese Entwicklungen haben bis zurück zum Beginn des 20. Jahrhunderts Vorläufer in den frühen Avantgardekünsten Dada, Futurismus, SA-UM, den experimentellen Sprechkünsten und der Lautpoesie sowie in der Einführung 106 Vgl. beispielsweise Mabry S. vf. 107 Zu der Entwicklung innovativer Zugänge zur vokalen Interpretation Alter Musik im 20. Jahrhundert siehe John Potter, „Early Music and the Avant-garde: TwentiethCentury Fragmentation“, in: ders., Vocal Authorities, S. 113-132, insbesondere 114ff. 108 Vgl. Mabry, Exploring Twentieth Century Vocal Music, S. 28f. 109 Schnebel, „Sprech- und Gesangsschule“ 1972, S. 444. 110 Siehe Edgerton, 21st-Century Voice, S. xv; Meyer-Kalkus, Stimme und Sprechkünste im 20. Jahrhundert, S. 299, Potter, Vocal Authority, S. 126.

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der Sprechstimme in den musikalischen Kontext. Diese Zusammenhänge und ihre Bedeutung für die vokale Performancekunst werden von Weber-Lucks detailliert dargestellt.111 Ferner sind die Erweiterungen des stimmlichen Materials in Form der erweiterten Gesangstechniken im Kontext eines prinzipiellen vokalmusikalischen Pluralismus, d.h. der Simultaneität unterschiedlichster kunst- und populärmusikalischer Gesangspraktiken, einzuordnen, der das 20. Jahrhundert prägte.112 Dieser stilistische und vokaltechnische Pluralismus ist wohl prägnantestes Charakteristikum der Vokalmusiken im 20. Jahrhundert, verstärkt ab der Nachkriegszeit, und macht eine eindeutige und allgemeingültige Bestimmung von Gesangskunst unmöglich.113 Der Gesangshistoriker Thomas Seedorf macht darauf aufmerksam, dass sich bis ins frühe 20. Jahrhundert Gesangstechniken, -stile und -lehren entlang gesellschaftlicher und musikbezogener Anforderung sukzessive entwickelten und einander allmählich ablösten. Die vokalmusikalische Heterogenität seit dem 20. Jahrhundert verdankt sich der Vervielfältigung potentieller Bezugspunkte und Einflüsse und der fortschreitenden Ausdifferenzierung und gegenseitigen Beeinflussung von Musikrichtungen, die vor allem im Kontext eines kulturellen globalen und postmodernen Pluralismus zu verstehen sind. Die Pluralisierung umfasst Entwicklungen im Bereich der so genannten Kunstmusik in Form von neuen Stimmtechniken und der Wiederbelebung historischer Gesangstechniken, Ausdifferenzierungen populärer Musikrichtungen und den jeweiligen spezifischen Gesangstechniken sowie die Einbeziehung von Vokalstilen nicht-westlicher Musik.114 Letzterer Aspekt weist darauf hin, dass es 111 Siehe ausführlicher Weber-Lucks, Körperstimmen, S. 9-42. Für eine detailliertere Kontextualisierung und Historisierung von Stimm- und Sprechkünsten siehe vor allem auch Meyer-Kalkus, Stimme und Sprechkünste im 20. Jahrhundert und Potter, Vocal Authority. 112 Vgl. Thomas Seedorf, Gesang, S. 73ff. 113 Vgl. ebd.; Galler, Risi, „Singstimme/Gesangstheorien“, S. 204; sowie genereller die Beiträge in Potter (Hg.), The Camebridge Companion to Singing. 114 Siehe Seedorf, Gesang, S. 72f. Seedorf macht ferner darauf aufmerksam, dass im frühen 20. Jahrhundert die Historisierung des kunstgesanglichen Repertoires begann, was gleichzeitig ein Festhalten an historisch gewordenen Techniken und Stilen des klassischen Gesangs mit sich brachte, die Interpretationen selbst jedoch nicht frei von einem „sich wandelnden Zeitgeschmack des Singens“ waren und sind (ebd., S. 72.). Für detailliertere Darstellungen von unterschiedlichen populärmusikalischen Gesangsstilen siehe folgende Beiträge in Potter (Hg.), The Camebridge Companion to Singing: Richard Middleton, „Rock singing“, S. 28-41, David Troop „The evolving language of rap“, Potter „Jazz singing: the first hundred years“. Für die Wechselwirkungen zwischen Traditionen des klassischen Gesangs und den unterschiedli-

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sich bei den dargestellten Kontexten um westliche, d. h. vornehmlich in Europa und US-Amerika produzierte und rezipierte Musik handelt. Neben den auf den Körper und den Stimmapparat bezogenen neuen Techniken revolutionierten medientechnische Entwicklungen die Potenziale vokaler Klanggenese, von der reinen Manipulation der menschlichen Stimme, etwa durch Mikrofonierung oder den Einsatz diverser Effektgeräte, bis hin zur synthetischen Simulation der menschlichen Stimme, d. h. der synthetischen Klanggenese. Diese neuen elektrotechnischen Möglichkeiten hatten nicht nur für die Avantgarde große Bedeutung, sondern führten besonders im Bereich der Popularmusik zu neuen Gesangsstilen und -techniken.115 Für den Kunstgesang bedeuteten die erweiterten Stimmtechniken und der Einsatz von elektrotechnischen Medien in weiten Bereichen eine Abkehr von einem vorherrschenden Klangideal. Die Erweiterungen des 20. Jahrhunderts verhindern die Dominanz eines einzelnen Gesangsstils mit einer präzise definierten Gesangstechnik und ermöglichen einen Pluralismus von Klangidealen.116 Kritik am Begriff der erweiterten Stimmtechniken Für die vokale Performancekunst sind die erweiterten Stimmtechniken ein wesentliches Merkmal. Sie spielten auch für den Bereich der neuen Vokalmusik, d. h. vor allem komponierter Musik, eine wichtige Rolle und wurden hier meist in einer Art Kooperation zwischen Komponist_in und Sänger_in erarbeitet.117 Im chen Gesangsstilen der Popularmusik sowie eine kritische Auseinandersetzung mit den sozio-politischen Implikationen der jeweiligen Entstehungskontexte derselben siehe John Potter, Vocal Authority. 115 Vgl. u. a. Owen Jander, Ellen T. Harris, „5. 20th century“; Galler, Risi, „Singstimme/Gesangstheorien“, S. 304; Potter, „7. Popular Singing“. 116 Vgl. u. a. Galler, Risi, „Singstimme/Gesangstheorien“, S. 304f.; John Potter, „Introduction“, in: ders. (Hg.), The Camebridge Companion to Singing, S. 2. 117 Ein berühmtes Beispiel für eine solche Kooperation ist die Zusammenarbeit von Cathy Berberian und Luciano Berio für die „Sequnza III“ für Frauenstimme. Zur Verwendung der Stimme in komponierter neuer Vokalmusik siehe u. a. Reinhart MeyerKalkus, Stimme und Sprechkünste im 20. Jahrhundert, S. 296ff. Für eine lange Repertoireliste komponierter neuer Vokalmusik siehe Michael Edward Edgerton, 21stCentury Voice: contemporary and traditional extra-normal voice. In beiden Publikationen ist auffällig, dass die überwiegende Mehrzahl der genannten Komponist_innen männlich ist, während es sich häufig um Kompositionen handelt, die für Frauenstimmen komponiert wurden. Die Komponist_innen der Werke werden immer genannt, die der Uraufführungsinterpret_innen hingegen nur im Sonderfall.

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Falle der VocalComposerPerformer der neu entstehenden vokalen Performancekunst wie Meredith Monk, Joan La Barbara, Diamanda Galás, Demetrio Stratos und David Moss, welche alle als Pionier_innen erweiterter Stimmtechniken gelten, wurden und werden diese anhand der eigenen Stimme, durch Experimente und eigenes Aufführen, erarbeitet und eingesetzt.118 Der Begriff erweiterte Stimm- oder Gesangstechniken ist dabei nicht unproblematisch. Linda Hirst und David Wright befragen zu Recht den Begriff der Erweiterung.119 Denn dieser impliziert einen quasi statischen ursprünglichen Gesangsstil, den es zu erweitern gilt. Die Norm, die dabei gesetzt wird, ist die des klassischen Gesangs, d. h. des westlichen Kunstgesangs. Hirst und Wright präzisieren diesen Bezug auf den „Belcanto“.120 Entsprechend sind die erweiterten Stimmtechniken also als auf diesen bezogen zu denken.121 Auch für die Vertreter_innen der vokalen Performancekunst, die Weber-Lucks in ihrer Arbeit behandelt, ist der Belcanto ein Bezugspunkt bzw. Voraussetzung.122 Was Hirst und Wright allerdings nicht kritisieren, obgleich sie bereits die implizierte Norm des westlichen Kunstgesangs problematisieren, ist die Veranderung, die durch die Benennung einiger dieser erweiterten Stimmtechniken oftmals vorgenommen wird. Was Weber-Lucks am neutralsten zu formulieren gelingt, indem sie von der Einbeziehung von „alle[n] Töne[n] und Klänge[n] der verschiedenen Sprachen, Gesangstile und Geräusche der Welt“123 spricht, gerät bei Formulierungen wie der „Voice of Culture“ und „Voice of Faith“ (Edgerton) oder des „ethnischen Gesangs“ (Mabry) leicht zu einer Exotisierung nicht-westlicher Gesangstechniken in dem Sinne, dass diese als einer „besonderen Kultur zugehörig“ betitelt werden müssen, während die traditionellen westlichen Gesangstechniken nicht extra als „kulturell“ bezeichnet werden müssen. Deren „Kultur“ ist ohnehin nie in Frage gestellt, sie sind die Norm. Vice versa müsste jedoch die Verwendung solcher Gesangstechniken, sofern sie als nicht-westlich identifiziert

Hannah Bosma macht auf ein ähnlich stereotypes Gender Pattern in elektroakustischer Vokalmusik aufmerksam, auf die übliche Paarung von (männlichem) Komponisten und (weiblicher) Sängerin. (Siehe Hannah Bosma, „Bodies of evidence, singing cyborgs and other gender issues in electrovocal music“.) 118 Vgl. Weber-Lucks, Körperstimmen, S. 7. 119 Vgl. Linda Hirst, David Wright, „Alternative voices: contemporary vocal techniques“, S. 197. 120 Vgl. ebd., S. 194. 121 Vgl. ebd., S. 197. 122 Vgl. Weber-Lucks, Körperstimmen, S. 241. 123 Ebd., S. 7.

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werden, auch kritisch unter dem Stichwort der kulturellen Aneignung thematisiert werden.124 Kulturelle Aneignung vs. Interkulturelle Prozesse Akte der kulturellen Aneignung, d. h. die einseitige Vereinnahmung von Zeichen aus einer anderen Kultur ohne Anerkennung ihrer kulturellen oder religiösen Bedeutung, sind von tatsächlich interkulturellen Prozessen, d. h. einer gegenseitigen Beeinflussung in alle Richtungen, zu unterscheiden.125 So ist die verstärkte Einbeziehung nicht-westlicher Musik im 20. Jahrhundert auch im Kontext der fortschreitenden kulturellen Globalisierung zu denken, die eine Pluralisierung von musikalischen Traditionen und Einflüssen mit sich brachte. Deren Wechselwirkungen können jedoch auf Akten der Vereinnahmung, der Aneignung oder der Kollaboration basieren.126 Die US-amerikanische Gesellschaft fußt seit Jahrhunderten auf kulturell heterogenen Einflüssen, wenn auch die europäischen lange eine dominante Stellung einnahmen. Jede Einwanderungsgruppe sowie die unter Zwang nach Amerika verschleppten Sklav_innen brachten ihre eigenen kulturellen Traditionen und musikalischen Praktiken mit, die zum einen als solche Fortbestand hatten, zum anderen über die Zeit mit denen anderer kultureller Gruppen in Wechselwirkung traten. Im Falle der Wechselwirkung lässt sich noch am ehesten von interkulturellen Prozessen sprechen.127 Das Konzept der so genannten „Weltmusik“ ist da einseitiger. Zwar wurde durch die Idee der Weltmusik, so der Musikwissenschaftler Thomas Seedorf, seit den 1970er Jahren nicht-westliche Musik im europäisch-amerikanischen Raum leichter verfügbar und erfuhr auch dadurch im Westen mehr Aufmerksamkeit.128 Sie ermöglichte es, so John Potter, Gesang außerhalb westlicher Tradition in die heute verfügbaren Möglichkeiten einzubringen. „Weltmusik“ bleibt dabei jedoch ein westliches

124 Edgerton weist kurz auf diese Problematik hin, schreibt aber auch, dass er nicht näher darauf eingehen wird. (vgl. Edgerton, The 21st-Century Voice, S. 136.) 125 Vgl. John Schaefer, „Songlines“, S. 9. 126 Vgl. ebd. 127 Für eine ausführliche Darstellung der Bedeutung dieser heterogenen gesellschaftlichen Zusammensetzung in den USA für die Ausprägung der Avantgardekünste im 20. Jahrhundert siehe Wilfried Raussert, Avantgarden in den USA. 128 Vgl. Seedorf, Gesang, S. 73. Eine Rolle für die Kenntnisnahme nicht-westlicher Vokalmusik bereits um 1900 spielten unter anderem musikethnologische Forschungen. Siehe hierzu z. B. Meyer-Kalkus, Stimme und Sprechkünste im 20. Jahrhundert, S. 274f.

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Konzept.129 Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts gaben sich einige westliche Komponist_innen und Künstler_innen der klassischen Moderne und frühen Avantgardebewegungen, welche zu den Vorläufern der vokalen Performancekunst gehören, fasziniert von nicht-westlicher Kunst, insbesondere von „afrikanischer“ Kunst. Diese Faszination schlug sich beispielsweise im (damals) so genannten „Primitivismus“ oder in den experimentellen Lautgedichten beispielsweise des Dadaisten Hugo Ball nieder.130 Eine ausführliche, musikwissenschaftliche, kritische Befragung dieser Kontexte als potentielle Akte kultureller Aneignung und eurozentristischer Konstruktionen des Anderen bildet nach wie vor ein Forschungsdesiderat, kann an dieser Stelle aber leider nicht geleistet werden. Ab der Mitte des 20. Jahrhunderts erstarkte die Bedeutung indischer Musik für westliche Musiker_innen, initiiert etwa durch den indischen Musiker Ravi Shankar und seinen Einfluss auf so unterschiedliche Musiker_innen wie Philip Glass, die Beatles und John Coltrane131 oder durch den Einfluss des seit den frühen 1970er Jahren in New York City lebenden und lehrenden indischen RagaSängers Pandit Pran Nath auf westliche Komponist_innen und Künstler_innen wie La Monte Young, Terry Riley, Rhys Chatham, Yoshimasa Wada, Marian Zazeela und Simone Forti,132 im übrigen alles Downtown-Akteur_innen. Ebenfalls Mitte des Jahrhunderts fand eine verstärkte Zuwendung zu „fernöstlichen“ Konzepten statt, sehr prominent durch John Cage, dessen musikalische Praxis für die Ausdifferenzierungen der US-amerikanischen Avantgarden generell und 129 Potter, Cambridge Companion to Singing, S. 1. Für eine ausführlichere Übersicht über nicht-westliche Vokaltraditionen, die unter dem Konzept der Weltmusik ihre Einflüsse im westlichen Kontext entfalteten, siehe John Schaefer, „Songlines“. 130 Vgl. Scholz, „3.1. Hugo Ball“, in: ders., Untersuchungen zur Geschichte und Typologie der Lautpoesie, S. 109-177, hier: 172ff.; Meyer-Kalkus, Stimme und Sprechkünste im 20. Jahrhundert, S. 278, 286f. Beide Autoren zeigen sich eher unkritisch gegenüber sowohl dem „Primitivismus“ als auch Balls Lautgedichten immanenten problematischen Potential der kulturellen Aneignung. Meyer-Kalkus interpretiert Balls Lautpoesie hingegen als „Einspruch gegen den Primitivismus einer sich selber zerfleischenden Welt“, als „Kampf gegen eine dekadente Gesellschaft.“ (MeyerKalkus, Stimme und Sprechkünste im 20. Jahrhundert, 287f.) Bezüge zu „afrikanischer Kunst“ oder „Lauten afrikanischer Sprachen“ sind derart unspezifisch bzw. generalisierend. 131 Vgl. Annette Kreutziger-Herr, „What it takes ‚to write a real american opera‘: Ein Jahrhundert Operngeschichte in den USA“, S. 378; James Nye, „Ravi Shankar, legendary sitar player whose music inspired The Beatles dies aged 92“. 132 Vgl. Alexander Keefe, Lord of the Drone: Pandit Pran Nath and the American Underground; www MELA PANDIT.

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speziell für die Downtown-Musik einen wichtigen Einfluss darstellt.133 Cage setzte sich u. a. mit dem Zen-Buddhismus oder chinesischen Ideogrammen auseinander. Diese Auseinandersetzungen bedeuteten insbesondere alternative Denk- und Repräsentationsformen, die einen neuen Zugang eröffneten zu der Art, das musikalische Material zu strukturieren, formalisieren, organisieren, anzuordnen, konzeptionieren und zu verstehen.134 Viele weitere Komponist_innen und Künstler_innen, auch in Downtown, dabei nicht unbedingt in der Folge von Cage, wandten sich in der zweiten Jahrhunderthälfte dem Zen oder Buddhismus, deren Philosophien und Haltungen zu, wie etwa Yoko Ono135 oder Meredith Monk.136 Die Emotion der eigenen Stimme Neben der Hinwendung zum Zen war John Cage außerdem stark beeinflusst durch den Künstler Marcel Duchamp und die Kunstform Dada.137 Obgleich John Potter anmerkt, dass Cage im Grunde sehr wenig Vokalmusik geschrieben hat, als einziges Beispiel bezieht er sich auf Cages sehr wohl radikale „Aria“, ist er der Meinung: „It is through Cage that the apparently anarchic vocal performances of Futurism and Dada become part of the mainstream classical repertoire.“138 Diese Bewertung von Cages Einfluss geht meines Erachtens zu weit, zumal vor dem Hintergrund des vielfach postulierten Pluralismus (vokal-)musikalischer Einflüsse im 20. Jahrhundert. Meredith Monk etwa verstand sich zu ihrer frühen 133 Zen war nur eine der vielen kulturellen Einflüsse, denen sich Cage zuwandte. Unter dem Konzept der „anarchic harmony“ strebte er den kontinuierlichen interkulturellen und intermedialen Austausch an. Zur Verknüpfung von Interkulturalität und Intermedialität bei John Cage siehe Wilfried Rausserts Kapitel „Verknüpfung von Interkulturalität und Intermedialität in der Amerikanischen Avantgardekunst: John Cage“, in: ders., Avantgarden in den USA, S. 82-122. 134 Vgl. hierzu Raussert, „Verknüpfung von Interkulturalität und Intermedialität in der Amerikanischen Avantgardekunst: John Cage“, in: ders., Avantgarden in den USA, S. 82-122. 135 Für eine Kritik an einer vereinfachenden, einschränkenden Interpretation von Onos Kunst über ihre japanische Herkunft und der Limitierung auf eine zen-buddhistische Ausrichtung siehe Woo, „Silence and Scream. Yoko Ono’s Subversive Aesthetics“. 136 Vgl. u. a. Monks Ausführungen in Marranca, Monk, Performance and the spiritual life. Meredith Monk in conversation with Bonnie Marranca. PAMM 04. 137 Vgl. Potter, Vocal Authority, S. 125. 138 Ebd., S. 125

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Downtown-Zeit geradezu „als Gegenteil von John Cage.“139 Eine ebenfalls andere Sichtweise auf die Auseinandersetzung mit Stimme durch Cage und sein direktes Umfeld in der New Yorker Avantgardeszene eröffnet die Kunsthistorikerin Jung-Ah Woo in ihrer Analyse von Yoko Onos Stimmexperimenten im Kontext der Fluxus-Szene. Onos Vokalmusik sei voll von Leiden, Schmerz, Wunden, Ängsten gewesen, „replicating the sexualized body of a woman“, und damit diametral zu Cages Musik, die frei von jeglicher Selbstbezogenheit des Künstlers oder der Künstlerin war und somit auch die Thematisierung von persönlichen Ängsten oder von Sexualität ausschloss.140 Ono thematisierte die Ablehnung der Stimme als zu emotional durch die von Cage beeinflusste New Yorker Avantgarde.141 Ono bezieht sich mit ihrer Kritik wohl auf die frühen 1960er Jahre und ihre Fluxus-Kontakte, auch wenn sie bemerkt: „It was all just a head trip. The avant-garde boys didn’t use the voice. They were all just so cool, right? There was also [a] very asexual kind of atmosphere in the music. And I wanted to throw blood.“142

Ihre Wahrnehmung von Ablehnung ist mit der von Monk vergleichbar, die sich zu ihrer frühen Downtown-Zeit, trotz des vorherrschenden Gemeinschaftsgefühl, gerade als Frau mit ihren eigenen Kunstvorstellungen einsam und sich selbst als „zu aggressiv“ wahrnahm:

139 Vgl. Weber-Lucks, Körperstimmen, S. 189. 140 Vgl. Jung-Ah Woo, „Silence and Scream. Yoko Ono’s Subversive Aesthetics“, S. 64f., direktes Zitat auf S. 65. 141 „In an interview Ono mentioned her first encounter with John Cage, and her unequivocal awareness of the Cagean avant-garde’s total rejection of the voice that was loaded with personal anxiety and individual psyche. The full portion of the interview shows Ono’s critical concerns with Cagean orthodoxy: ‚But all that time, I wanted to write songs because I’m a poet as well, and it combines the two. Even in the avantgarde where they didn’t believe in lyrics, I used to do voice experiments. Now, at the time, it was not well accepted even in the avant-garde because New York avantgarde was into cool art, not hot. And what I do was too emotional. In a way they thought it was too animalistic. They were into controlling. They used to control the voice, rather than letting it out.‘“ (Woo, „Silence and Scream. Yoko Ono’s Subversive Aesthetics“, S. 65.) 142 Yoko Ono zitiert in Woo, „Silence and Scream. Yoko Ono’s Subversive Aesthetics“, S. 65.

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„Ich glaube, am Beginn meiner Arbeit war ich sehr, sehr angespannt. […] Ich musste aggressiv sein, sonst hätte ich nichts zustande gebracht. Es gab eine Menge Widerstand dagegen und es gab viel, das mir wirklich ein sehr schlechtes Gefühl gab. Wie z. B., dass ich keine gute Frau war... ich war blablabla, all diese stereotypen Dinge. Wenn Du wirklich das tust, was du tun willst, musst du eine schreckliche Frau sein... Ich mußte deswegen durch viel Schmerz hindurchgehen. Aber meine Vision war so überwältigend, dass ich einfach diesem Ding folgen musste. […] Ich wußte wirklich, dass ich diese großen Stücke machen wollte und dass ich, man könnte sagen, meinen Stempel hinterlassen wollte, etwas, das wirklich einen Unterschied machen würde. Und dann mit der Stimme, das war wirklich eine Sache auf Leben und Tod für mich.“143

Auch Meredith Monks Zugang zur Stimme, so betonte sie immer wieder, war und ist vor allem ein emotionaler, und zwar nicht nur als Ausdruck ihrer eigenen Emotionalität, sondern vor allem auch als emotionales Kommunikationsmedium, welches Menschen transkulturell direkt miteinander in Beziehung setzen kann.144 Onos und Monks Konzentration auf die Stimme und deren emotionale Implikationen sowie ihre Erfahrung von zumindest zeitweiser Ablehnung145 passen zu Kyle Ganns zuvor angesprochenen Beobachtungen, denen zufolge es vor allem Frauen waren, die zum einen die Stimme und den Körper wieder zentral in die Musik Downtowns einbrachten, zum anderen mit der Betonung und Thematisierung des Emotionalen einen neuen Wert in die männlich dominierte, meist unpersönliche Musikpraxis trugen.146 Auch wenn John Cage durch seine Wiederbelebung bestimmter Ideen von Futurismus und Dada oder seine eigene Konstruktion von Zen sehr wohl wichtige Bezugspunkte für die Downtown-Szene setzte, so sind die radikalen Umbrüche im Umgang mit der Stimme eher denjenigen zuzurechnen, die auf radikale 143 Monk zitiert in Weber-Lucks, Körperstimmen, S. 189. 144 Vgl. u. a. Monk in AHF 04 Monk, Jowitt, „Meredith Monk im Interview mit Deborah Jowitt“, CD 482; Monk in AHF 11 Monk, Highwater, „Interview with Meredith Monk and Jamake Highwater (fellow artist)“, CD 483a. 145 Ähnliches erfuhr beispielsweise auch Carolee Schneemann als Fluxus-Künstlerin. Sie wurde von George Maciunas regelrecht exkommuniziert, da ihre Kunst ihm zu unordentlich, barock, opernhaft, politisch und vor allem zu esoterisch und selbstbezogen sei und somit seinen klaren, strengen Definitionen nicht entsprach. Ähnlich empfand er auch Charlotte Moorman, die das New York Avant Garde Festival gründete und von 1963 bis 1982 organisierte, als Konkurrentin. (Vgl. Anette Kubitza, Fluxus, Flirt, Feminismus? Carolee Schneemanns Körperkunst und die Avantgarde, S. 37, 39.) 146 Vgl. Gann, „What Women’s Music Does, or Doesn’t, Mean“.

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und innovative Art und Weise mit ihrer eigenen Stimme experimentierten, also vor allem den VocalComposerPerformern der vokalen Performancekunst und ihren unterschiedlichen Entwicklungen von erweiterten Stimmtechniken. Das Konzept der „Urstimme“ Inwiefern einzelne Aspekte der so genannten erweiterten Stimmtechniken als Akte kultureller Aneignung zu verstehen sind, bleibt weiterhin ungeklärt. Trotz der dargestellten Problematik bleibe ich bei der Verwendung der Begrifflichkeit „erweiterte Stimmtechniken“, um damit einen über klassische Gesangstechniken westlicher Kunstmusik hinausgehenden, individuellen Umgang mit der Stimme zu bezeichnen. Eine notwendige tiefergehende kritische Auseinandersetzung mit dem Komplex der angedeuteten problematischen Implikationen ist leider auch im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich. Es ist in diesem Zusammenhang allerdings interessant, dass Meredith Monk in Bezug auf die von ihr verwendeten erweiterten Gesangstechniken immer betont hat, dass sie diese allein aus dem Experimentieren mit der eigenen Stimme entwickelte und nie in Auseinandersetzung mit ihr vormals unbekannten Gesangsstilen und -techniken. Immer wieder wurden ihre Melodien, Harmonien und Stimmtechniken mit nicht-westlichen musikalischen Traditionen oder historischen oder außerhalb des westlichen Kunstgesangs angesiedelten Gesangsstilen assoziiert.147 Monk weist all diese Assoziationen allerdings regelmäßig von sich. Ihr zufolge generiert sie alle Klänge aus dem Experimentieren mit ihrer eigenen Stimme und negiert dabei jedwede bewusste Bezugnahme auf externe musikalische Einflüsse: „I just really worked with my own instrument, there you come across transcultural aspects of the voice.“148 Die Ideen für ihre Musik und die verwendeten Techniken entstehen ihr zufolge entsprechend nicht durch Einflüsse von außen, sondern von „innen“ heraus. Es birgt eine gewisse Konsequenz in sich, dass Monk den Begriff der erweiterten Stimmtechniken, für die sie als Pionierin gilt, sogar selbst ablehnt: „When I first started, of course, there was no term. [Laughs] Now it’s sort of like school, and I have a hard time with that myself. Sometimes people try to codify these ways of using the voice – they have names for them and everything – and for myself, it takes a lot of 147 Vgl. etwa „Interview with Meredith Monk and Jamake Highwater (fellow artist)“, CD 483a/483b, AHF 11; Jowitt in „Meredith Monk im Interview mit Deborah Jowitt“, CD 482, AHF 04; Johnson, „Music for the Planet Earth“, 4. Januar 1973, in: ders., Voice of New Music, S. 35. 148 Monk in Monk, Jowitt, „Meredith Monk im Interview mit Deborah Jowitt“, CD 482, AHF 04.

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the mystery away. To me, when something happens that really has power, it’s because I’ve allowed something to come through that I don’t have words for. I’m not trying to make a ‚technique‘ in quotation marks. But I think the definition is basically working with the voice as an instrument and exploring all its possibilities.“149

So kritisch Monks Haltung zu betrachten ist, angeblich von äußeren Einflüssen völlig unabhängig Techniken zu „entdecken“ oder „bloßzulegen“, die auch in anderen, zeitgenössisch zugänglichen Kontexten auffindbar sind, entgeht sie damit nicht nur genau der Gefahr der kulturellen Aneignung. Innerhalb ihrer eigenen Philosophie der menschlichen Stimme ist dieser Zusammenhang auch von bemerkenswerter Logik. 1976 schrieb sie in ihren „Notes on the Voice“: „The voice as a tool for discovering, activating, remembering, uncovering, demonstrating premordial/prelogical consciousness.“150 Monk zufolge ist die Stimme ein „ursprüngliches“ Instrument, das dazu in der Lage ist, kulturelle und sprachliche Grenzen zu überschreiten und einen direkten Zugang zu den Emotionen bzw. eine emotionale Verbindung zwischen Menschen ermöglicht.151 Dieses Konzept einer Stimme, die quasi jeglicher Sozialisierung vorgelagert existiert und damit allen Menschen gemein ist, nenne ich die „Urstimme“. Dieses Urinstrument kann Monk zufolge mehr ausdrücken, als es irgendein Text könnte, und berührt Bereiche, für die es keine Worte, keine Sprache gibt.152 Vielmehr versteht Monk die Stimme selbst als eine Art Sprache.153 Konsequenterweise verwendet sie selten Wörter oder gar ganze Sätze in ihrer Vokalmusik. Stattdessen entwickelt sie für jedes Stück ein eigenes Vokabular, meist bestehend aus einzelnen vokalen Mustern, einzelnen Vokalen, einer einzelnen bestimmten Klanggenerierungstechnik. Das ist das Kernmaterial, aus dem heraus sie dann ganze Stücke entwickelt. D. h. ihr Vokalstil ist primär nonverbal. Dieser nonverbale Vokalstil zählt zu den Kriterien, mit denen Weber-Lucks die vokale Performancekunst definiert und der bei Monk offensichtlich mehr ist als ein rein technisches oder formales Merkmal. Es geht ihr um die primäre Qualität der Stimme, jenseits von wortgebundener Sprache eine Art universaler Sprache zu sein, zu der alle Menschen 149 Monk in Howe, Monk, „Monk in Interview: Meredith Monk“, 1. 150 Monk, „Notes on the Voice“, S. 56. 151 Vgl. auch Weber-Lucks, Körperstimmen, S. 188f. 152 Vgl. hierzu auch ebd., S. 193. Siehe auch Monk in Monk, Jowitt, „Meredith Monk in conversation with Deborah Jowitt“, CD 482, AHF 04. Monk versteht „The voice as language.“ (Monk, „Notes on the Voice“, S. 56.) 153 Vgl. z. B. Monk in Monk, Jowitt, „Meredith Monk Interview with Deborah Jowitt“, CD 482, AHF 04.

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Zugang haben. Die Potentiale der Stimme jenseits von Sprache, im rein Klanglichen angesiedelt, sieht Monk in einer die Menschheit verbindenden, allen verständlichen Emotionalität. So bleibt es Monks Absicht, mit ihrer Musik und mit der Stimme diese kommunikativen Qualitäten in den Vordergrund zu bringen.154 Trotz der weitestgehenden Abwesenheit verständlicher Wörter hat Monks Art zu phrasieren und Vokal- und Konsonantklänge aneinanderzureihen meist einen Sprachduktus, suggeriert monologisches oder dialogisches Verhalten und hat somit neben seiner cantabilen Qualität stets einen kommunikativen Charakter. Diese sprachnahen Qualitäten stimmen überein mit der Vorstellung von einer Urstimme, mittels derer eine transkulturelle Kommunikation möglich ist, also als Kommunikationsmedium. Dieser transkulturelle Aspekt der Stimme ist nach Monks Logik allerdings zugleich ein prä-kultureller Aspekt, etwas, das vor jedweder Sozialisierung liegt und das „(wieder-)gefunden“, „aktiviert“, „erinnert“, „freilgelegt“, „gezeigt“ werden kann.155 Dieser Zugang gelingt Monk zufolge etwa durch das Experimentieren mit der eigenen Stimme: „When you work with your own voice you become part of the world vocal family just by what you’re doing with your own voice.“156 Diese Vorstellung von einer prä-sozialen Urstimme läuft diametral zu aktuellen wissenschaftlichen Überlegungen zur Stimme, denen zufolge diese „immer bereits medial vermittelt ist“ und nur existiert „durch die Sprache, die sie lernt zu sprechen.“157 Ich denke, dass sich Monks Konzeption der Urstimme und ihre Idee, dass die Stimme selbst eine Sprache sei, nichtsdestotrotz im Kontext von Sozialisierung interpretieren lässt, im Zuge derer Identität stiftende Eigenschaften und Verhaltensweisen herausgebildet werden. „I always think […] that each of our voices has many voices within it, so I think that within my voice I have male, female, I have young, old, middle aged, I have animal, vegetable, mineral, you know, I have landscape, I have cityscape within my one instrument, and I think that all of us actually have that.“158

154 Vgl. hierzu auch Weber-Lucks, Körperstimmen, S. 193. 155 Siehe vorheriges Zitat aus Monk, „Notes on the Voice“, S. 56. 156 Monk in dies., Jeffrey Books, Bill Mockeh, „The Composer’s Voice“, CD 453, AHF 05. 157 Ulrike Bohle, Nadia Ghattas, Sybille Krämer u. a., „Arbeitsgruppe Medien: Über das Zusammenspiel von ‚Medialität‘ und ‚Performativität‘“, S. 163. Siehe auch Epping-Jäger, Linz, „Einleitung“, S. 9. Siehe ausführlicher zu diesem Zusammenhang im folgenden Unterkapitel „Bindeglied Stimme“. 158 Monk in dies., Books, Mockeh, „The Composer’s Voice“, CD 453, AHF 05.

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Monk zufolge ist also eine Vielzahl an Charakteristiken in jeder Stimme potentiell vorhanden. Es sind dann die Sozialisierung und die kulturelle Erziehung, so lässt sich interpretieren, etwa das Erlernen einer Sprache, die es einigen angelegten Talenten und Potentialen erlauben, sich zu einer Stimme auszubilden und ihr Identität zu verleihen. Andere Aspekte, die in einem spezifischen Sozialisierungskontext keine Rolle spielen, liegen hingegen brach. In dieser Perspektivierung jedoch verliert Monks Konzept der Urstimme jegliche mögliche naturalistische oder essentialistische Deutbarkeit. Monk erkennt an, dass etwa Alter und Geschlecht in unterschiedlicher Ausprägung gleichermaßen als Potential vorhanden sind und dass sie allein durch Handlungsvollzüge, etwa durch das Experimentieren mit der Stimme oder das Erlernen einer „vokalen Sprache“, herausgebildet werden. Monk erkennt gleichzeitig an, dass „every voice is totally unique and individual.“159 Diese Einzigartigkeit und Individualität lässt sich in dieser Logik und im Kontext ihrer eigenen vokalen Performancekunst auf (mehr oder weniger) bewusste Entscheidungen zurückführen, bestimmte Konventionen, etwa des Stimmtrainings oder bestimmter vokaler Techniken, zurückzuweisen und konsequent immer wieder neu am eigenen, durch Experimente auffindbaren stimmlichen Material zu arbeiten. Diese Handlungsvollzüge, die es ihr ermöglichen, sich ihren sehr eigenen Stimmklang und eine stimmliche Identität zu kreieren, sind als Akt der Selbstermächtigung zu interpretieren. Bindeglied Stimme Zu Beginn dieses Kapitels schrieb ich von der Stimme als „performatives Phänomen par excellence“160 und als elementares Bindeglied, das unterschiedlichste, teils widersprüchlich wirkende Bereiche miteinander verbinden kann. Meredith Monk gilt die Stimme als transkulturelles Bindeglied zwischen Individuen mittels einer tiefliegenden Emotionalität, zu der die Stimme ihr zufolge einen direkten Zugang bedeutet.161 Doris Kolesch und Sybille Krämer bestimmen die Stimme als „Schwellenphänomen“162 bzw. als „paradigmatische Figur der Überschreitung“.163 Sie sei sowohl Körper und Geist bzw. Körper und symboli159 Ebd. 160 Vgl. Kolesch, Krämer, „Stimmen im Konzert der Disziplinen. Zur Einführung in diesen Band“, S. 11. 161 Vgl. vorangehendes Unterkapitel „Das Konzept der ‚Urstimme‘“. 162 Vgl. Kolesch, Krämer, Stimme, S. 12. 163 Doris Kolesch, „Die Spur der Stimme. Überlegungen zu einer performativen Ästhetik“, S. 275. Vgl. hier und folgend auch Kohl, Performativität – Geschlecht – Singstimme, S. 33ff.

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sche Ordnung,164 Sinnliches und Sinn, Affekt und Intellekt, Sprache und Bild,165 Präsenz und Repräsentation, Symbol und Index.166 In dieser stets zusammenfallenden Verkörperung verstehen Kolesch und Krämer u. a. die Überschreitung binärer Kategorisierungen.167 Durch die Stimme überschritten wird vor allem auch eine Trennung zwischen Individuellem und Kollektivem, und ich verstehe sie an hiesiger Stelle für meine Arbeit vor allem in dieser Hinsicht als Bindeglied. Diese Eigenschaft, Individuelles und Kollektives zu verbinden, scheint mir vor allem in der besonderen Relation der Stimme zu sowohl der Sprache als auch dem Körper begründet. Wenn Roland Barthes von der „Rauheit“ bzw. dem „Korn“ der Stimme schreibt, so bestimmt er sie als „die Materialität des Körpers, der seine Muttersprache spricht“168 und damit die „persönliche Körperlichkeit einer Person […]: das, was jede Stimme unverwechselbar macht“.169 Eine solche Stimme sei paradoxerweise gleichzeitig individuell und unpersönlich.170 Es ist gerade die Sprache, die eine Stimme zu sprechen gewohnt ist und der entlang sie sich herausbildet, die „alles andere als rein ‚persönlich‘“ ist171 und damit die Stimme auch in ihrer Einzigartigkeit als etwas „Trans-Persönliches“ bestimmt.172 Denn die gesellschaftliche Eingebundenheit der Stimme durch die Sprache, durch die sie lernt sich zu artikulieren, ist von Anfang an gegeben. Somit ist „bereits die ‚natürliche‘ Stimme medial konstruiert und hochgradig von kulturellen Artefakten und Inszenierungen bestimmt.“173 Die gesellschaftliche Bestimmtheit der individuellen Stimme schlägt sich auch in der Singstimme nieder, wie es John Potter anmerkt: „The human voice is a marker of individual personality: no two voices sound the same. When the speaking voice is extended into song it becomes the supreme articulator of hu164 Vgl. Kolesch, Krämer, Stimme, S. 12, bzw. Kolesch, „Die Spur der Stimme. Überlegungen zu einer performativen Ästhetik“ S. 275. 165 Vgl. Kolesch, Krämer, Stimme, S. 12. 166 Vgl. Kolesch, „Die Spur der Stimme“, S. 275. 167 Vgl. Kolesch, Krämer, Stimme, S. 12. 168 Roland Barthes, Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn, S. 271. 169 Bohle, Ghattas, Krämer u. a., „Arbeitsgruppe Medien: Über das Zusammenspiel von ‚Medialität‘ und ‚Performativität‘“, S. 163. 170 Vgl. Barthes, Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn, S. 271. 171 Vgl. Bohle, Ghattas, Krämer u. a., „Arbeitsgruppe Medien: Über das Zusammenspiel von ‚Medialität‘ und ‚Performativität‘“, S. 163. 172 Vgl. ebd. 173 Epping-Jäger, Linz, Einleitung, S. 9.

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man desires, emotions and aspirations[. …] Every utterance we make, from the first scream or grunt onwards, is conditioned by our own past and that of the society we live in, and most of the time neither singer or listener is conscious of this ideological baggage that we all carry with us.“174

Persönliches und Gesellschaftliches verbinden sich in der Stimme, der Sprechstimme ebenso wie der Gesangsstimme. Ihre Relation zu Sprache und zum Körper ist dafür konstitutiv. Für Doris Kolesch ist die Stimme „Spur des Körpers in der Sprache, und sie steht für dessen Identität.“175 Zudem hören wir in der Stimme den Körper und zwar einen „bestimmten Körper, dem wir ein Geschlecht, ein Alter, einen sozialen Status, bisweilen auch eine regionale Herkunft zuschreiben – wobei wir uns in und mit diesen Zuordnungen auch täuschen können.“176 Allerdings lässt sich nicht einseitig die Sprache für das Trans-Persönliche der Stimme und die Körperlichkeit für das Persönliche der Stimme verantwortlich machen, selbst wenn letztere die Unverwechselbarkeit der Stimme stark bestimmt. Den Körper selbst nicht als gegebene Materialität, sondern als performativ hervorgebracht und historisch verstehend,177 weist auch die Körperlichkeit der Stimme diese als gesellschaftlich aus. Gleiches gilt für die Identität stiftenden, dem Körper zugeschriebenen Zuordnungen Geschlecht, Alter, sozialer Status oder regionale Herkunft. Die Stimme ist Körper. Damit unterscheidet sie sich von allen anderen Instrumenten, welche als Artefakte allemal vom Körper gespielt werden, während die Stimme selbst körperlich ist. Sie ist allerdings kein einzelnes zu bestimmendes Organ, wie etwa das Auge, das sieht, oder die Nase, die riecht. Es ist eine Vielzahl an Körperteilen, die an der Formierung der Stimme beteiligt sind, etwa der Kehlkopf, die Stimmlippen und -bänder, die Lungen, der Gaumen, die Zähne, die Lippen. Und erst durch körperliche Bewegungen, die diese Körperteile aktivieren, wird ein Stimmklang hervorgebracht. Tatsächlich wird dieser erst im Körper der Hörenden in Klang übersetzt, wenn er als Schallwelle durch Haut und Ohren eindringt, Knöchelchen und Haarzellen in Schwingung versetzt. Da174 Potter, Vocal Authority, S. 1. 175 Vgl. Kolesch, „Die Spur der Stimme“, S. 267. 176 Vgl. ebd., S. 267ff. 177 Vor allem die Publikationen Judith Butlers sind wegweisend dafür, den Körper in seiner Materialität als durch Normen bestimmt und als gesellschaftlich konstruiert zu verstehen (siehe u. a. Judith Butler, Körper von Gewicht: die diskursiven Grenzen des Geschlechts; dies., Das Unbehagen der Geschlechter). Zu historisch sich wandelnden Körperkonzepten siehe auch Kohl, „Körper, männlicher/weiblicher, Körperlichkeit“.

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mit entsteht die Stimme nicht nur körperlich, sondern sie berührt auch körperlich und löst dabei eine körperliche Reaktion aus. Also existiert sie erst im Ohr des oder der Anderen. Sowohl Doris Kolesch als auch Clemens Risi machen darauf aufmerksam, dass Stimmen wesentlich an ihr Wahrgenommen-Werden geknüpft sind,178 dass ihr Erlebt-Werden für sie konstitutiv ist.179 Sie müssen erklingen, und sie müssen gehört werden. Beides, das Erklingen und das Hören, macht die Stimme zum vergänglichen Ereignis. Aufgrund dieser Ereignishaftigkeit gilt die Stimme, neben ihrem Aufführungscharakter, ihrem Verkörperungscharakter, ihrem Subversions- und Transgressionspotenzial und ihrer Intersubjektivität, Kolesch und Krämer eben als „performatives Phänomen par excellence“.180 Und es ist diese performative Dimension, der sich den Autorinnen zufolge auch die formulierte Reaktivierung eines Interesses an der Stimme im wissenschaftlichen Diskurs verdankt. Dank „einer methodischen Umorientierung in der Frage, was überhaupt den Gegenstand einer kulturhistorischen und -systematischen Betrachtung und Analyse ausmacht“, namentlich einer „performativen Orientierung“, rücken Ereignisse als „wahrgenommene Vorgänge und wahrgenommene Vollzüge“ anstelle von Strukturen und Werken in den Vordergrund.181 Die Stimme als wahrgenommener Vollzug und damit als Akt der Kommunikation verstanden, offenbart einmal mehr ihre kollektive Dimension. Monks Vorstellung der Universalität, Trans-Kulturalität oder Kollektivität der menschlichen Stimme basiert auf ihrer Idee der Stimme als ultimativem Kommunikationsmedium, der „Urstimme“, welches Menschen emotional direkt miteinander verbindet. Zugleich bilden ihre Experimente mit der eigenen Stimme und die Entwicklung erweiterter Stimmtechniken, die sie auf diese Urstimme zurückführt, die Basis der Einzigartigkeit ihrer Stimme und ihres Individualstils.182 Monks erweiterte Stimmtechniken, als Merkmal der vokalen Performancekunst, markieren in dieser Logik die Stimme als zugleich kollektives und als individuelles Phänomen.

178 Vgl. Kolesch, „Die Spur der Stimme“, S. 271ff. 179 Vgl. Risi, „Die bewegende Sängerin“, S. 143. 180 Vgl. Kolesch, Krämer, „Stimmen im Konzert der Disziplinen“. 181 Siehe Kolesch, Krämer, „Stimmen im Konzert der Disziplinen“, S. 10 [Hervorhebungen im Original]. Vgl. hierzu auch Epping-Jäger, Linz, „Einleitung“, S. 7. 182 Vgl. vorangehendes Unterkapitel „Das Konzept der ‚Urstimme‘“.

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Kriterien der vokalen Performancekunst: VocalComposerPerformer Der sehr individuelle Einsatz spezifischer, auf die eigenen Fähigkeiten und Vorlieben zugeschnittener Techniken, die einen idiosynkratischen Stimmeinsatz und vokalen Individualstil zur Folge haben, ist als Merkmal der vokalen Performancekunst eng verbunden mit dem Kriterium der bzw. des VocalComposerPerformers. Denn diese_r komponiert bzw. entwirft die vokale Musik, die sie oder er selbst aufführt, auf Basis der Experimente, Möglichkeiten und Erfahrungen mit der eigenen Stimme. Hintergrund für die Möglichkeiten, das eigene vokaltechnische und -stilistische Repertoire individuell zu gestalten und zu erweitern, sind die Überschreitung bzw. Loslösung von eindimensionalen Konventionen und Traditionen sowie die Pluralisierung von potentiellen Bezugspunkten und Einflüssen, wie sie für den Gesang im 20. Jahrhundert charakteristisch sind.183 „ComposerPerformer“ ist ein gängiger und offensichtlicher Begriff, der bezeichnet, dass die Person die eigene Musik aufführt, die Musik also sowohl komponiert als auch interpretiert. Dieser Musiker_innen-Typus war vor allem in der New Yorker Downtown-Szene der 1970er Jahre der gängige, wie ich im Kapitel II.2.2 „Akteur_innen Downtowns“ darlegen werde.184 Dieser Umstand ist relevant für die These dieser Arbeit, dass es sich bei der vokalen Performancekunst um eine Downtown-Praxis handelt. Für die VocalComposerPerformer gilt im speziellen, dass die eingesetzten Stimmtechniken normalerweise auf die eigenen ‚individuellen, artikulatorischen und stimmlichen Möglichkeiten zugeschnitten und daher nur schwer übertragbar‘ sind.185 Da der Typus der ComposerPerformer also stark mit den spezifischen Entwicklungen der Downtown-Szene zusammenhängt und die VocalComposerPerformer als ein Spezialtypus desselben zu verstehen sind, ist auch letzterer in diesem Kontext zu verorten und zu untersuchen. Ebenso ist der resultierende Individualismus der vokalen Performancekunst ein weiteres charakteristisches Kriterium für die Downtown-Szene der 1970er Jahre.186

183 Siehe dazu die Unterkapitel I.2 „Vokale Performancekunst. Wissenschaftliche Auseinandersetzungen“ sowie „Vokale Performancekunst. Kriterien der vokalen Performancekunst: Erweiterte Stimmtechniken“. 184 Siehe hierzu das Kapitel II.2.2 „Akteur_innen Downtowns“. 185 Weber-Lucks, Körperstimmen, S. 7. 186 Vgl. hierzu Kapitel II.2 „Downtowns Bausteine: Räume, Akteur_innen, künstlerische Praktiken“.

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Die Auseinandersetzung mit der eigenen Stimme in der vokalen Performancekunst bedeutet zugleich auch eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper, weswegen Weber-Lucks auch von der Körperstimme schreibt.187 Dies trifft in besonderem Maße für Meredith Monk zu, die ihren Zugang zur Stimme in erster Linie über den Tanz gefunden hat und dieser sowohl in der direkten Beschäftigung mit der Stimme als auch im Entwurf ihrer Performances stets einen wichtigen Stellenwert einnahm und nach wie vor einnimmt.188 Dieser Körperbezug erlaubt wiederum eine direkte Verbindung zur feministischen Performancekunst der 1970er Jahre, die den Körper, insbesondere den eigenen Körper, zu einem zentralen Medium machte.189 Diese Verbindung zur feministischen Performancekunst ist für mein Erkenntnisinteresse hinsichtlich der Befragung der vokalen Performancekunst als potentiell feministischer Praxis von zentralem Interesse. Deswegen werde ich im folgenden Kapitel I.3 „Performancekunst und feministisches Bewusstsein“ detaillierter darauf eingehen. Kriterien der vokalen Performancekunst: Ein „Aufführungstypus im Stile der Performancekunst“ Weber-Lucks’ Definition der vokalen Performancekunst als „Spielart der Performance Art“ scheint sich nah an musikalischen Kontexten zu orientieren. Sowohl Kyle Gann als auch Tom Johnson, beides (Downtown-)Musikrezensenten, die von Weber-Lucks’ zitiert werden, bezeichnen mit dem Begriff der „Performance Art“ spezifische Ausprägungen von Neuer Musik (Johnson) bzw. von Downtown-Musik (Gann). Tom Johnson identifizierte in seinem Village-VoiceArtikel „New Forms for New Music“ 1978 einige neue Formen der Neuen Musik, neben der „post-Webern form“, der „multi-media form“, der „performerand-tape form“, der „hypnotic form“ und der Form des „sound poem“ eben die „performance-art form“:190 „The performance-art form: The main requirement in this form is that composer-artists perform the pieces themselves. The works may involve instruments, sound effects, talking, singing, theatrical devices, or all of these things, but they must be presented by the artist, with or without assistants, and must be highly individualistic. The content is usually auto-

187 Weber-Lucks, Körperstimmen. 188 Siehe hierzu Kapitel III. „Meredith Monks vokale Performancekunst“. 189 Siehe dazu das Kapitel I.3 „Performancekunst und feministisches Bewusstsein“. 190 Siehe Johnson, „New Forms of New Music“, 4. September 1978, in: ders., Voice of New Music, S. 190.

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biographical, conceptual, or comic, and the performance often utilizes highly developed vocal skills, or other individual performing skills, that only the particular artist can execute. Works in this form must not be addressed specifically to a musical audience, however, since most of the performance outlets for this genre are in museums and galleries. Little songs, dances, or jokes, which would be considered frivolous in most other art forms, are often acceptable in performance art. The genre evolved in the early ’70s and now flourishes particularly around New York.“191

Sowohl die Stimme bzw. besondere stimmliche Kompetenzen, das Phänomen „ComposerPerformer“, bei Johnson „composer-artist“ genannt, Multidisziplinarität, autobiographische Bezüge, ein ausgeprägter Individualismus als auch der Raum New York, der sich problemlos auf Downtown spezifizieren lässt, spielen also für diese Definition der musikalischen Performancekunst eine Rolle. Kyle Gann versteht die „performance art“, die er neben „art rock“, „experimental rock“, „conceptualism“ oder „minimalism“ als besondere Ausrichtung der Downtown-Musik definiert, als konzeptausgerichtete Soloperformance.192 Er sieht in Laurie Anderson mit ihren textmusikalischen Solostücken unter der Verwendung elektrotechnischen Equipments die erste Vertreterin der Performancekunst, während er Meredith Monk dem Minimalismus zuschreibt,193 eine Zuschreibung, derer sich Monk allerdings immer erwehrt hat.194 Auch wenn Gann in dieser Definition der performance art der Stimme keinen besonderen Stellenwert beimisst, weist er an anderer Stelle, an der er erneut die Bedeutung von Frauen – und hier gehört Monk neben Anderson selbstverständlich zu den Akteurinnen – für die Etablierung einer stärker die Stimme und Körper einbeziehende und damit mehr Verletzlichkeit zeigende Musikpraxis hervorhebt, auf den Zusammenhang zwischen dieser Musikpraxis und der Performancekunst hin: „Since the explosion in the number of women composers in the 1970s, a new genre of music has been added to the cultural scene. […] Women composers are far more likely than men to use their own voices and bodies as material for their music; the singing of unusual and virtuosic vocal techniques, or the musical structuring of body movements, involves a vulnerability, a publicly emotive expressiveness, that men in our society are perhaps too inhibited to indulge. […] To distinguish these composers from the usual kind who work in 191 Ebd. 192 Vgl. Gann, Downtown Music und ders., Music Downtown, S. 11f. 193 Siehe Gann, „Meredith Monk“, in: ders., American Music in the Twentieth Century, S. 208-217. 194 Vgl. etwa AHF 11 „Interview with Meredith Monk and Jamake Highwater (fellow artist)“, CD 483a/483b.

78 | A US DER PRAXIS a more abstract way, writing notes or playing instruments, they are often called performance artists, but their role as composers of essentially musical structures should not thereby be diminished.“195

Erneut spielen Körperlichkeit, Verletzlichkeit und Emotionalität eine Rolle, erneut steht der besondere Stellenwert von Frauen im Vordergrund. Damit wird einmal mehr die Nähe zur feministischen Performancekunst deutlich, doch hier noch einmal mit einem ganz klaren Bezug zum Raum Downtown. Und beide Definitionen machen deutlich, dass die entscheidende Zeit die 1970er Jahre waren.

195 Gann, American Music in the Twentieth Century, S. 208f.

I.3 Performancekunst und feministisches Bewusstsein

I.3.1 E IN NEUES

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Einleitung Der Titel dieser Dissertation impliziert die Frage, inwiefern die vokale Performancekunst in ihrer Anfangszeit als eine potentiell feministische Praxis verstanden werden kann. Hierfür ergibt es Sinn, die Performancekunst, als deren „Spielart“ (Weber-Lucks) sie definiert, ein wenig näher zu beleuchten. „[T]he relationship between feminism and performance art since the 1970s has become so inextricably linked that it is inconceivable to speak of one without reference to the other.“1

Diese Aussage der Kunsthistorikerin Jayne Wark über die Bedeutung des Feminismus für die Performancekunst, und vice versa, legt die Überlegung mehr als nahe, auch die vokale Performancekunst in diesem Kontext zu reflektieren. Die Bedeutung des Feminismus für die Performancekunst ist dezidiert im Zusammenhang zu verstehen mit der parallelen Erstarkung beider Phänomene in den 1960er und 1970er Jahren in den USA, d. h. der zweiten Frauenbewegung sowie der neuen künstlerischen Praxisform. Im Folgenden werde ich diese Phänomene, ihr Ineinanderwirken sowie die unterschiedlichen Praktiken und Strategien, die sich in diesen Zusammenhängen herausbildeten, skizzieren. Die Performancekunst selbst stellt in ihrer Diversität und nicht eindeutig definierbaren Begriffsbestimmung selbst konzentriert auf den US-amerikanischen Kontext ein enormes eigenes Forschungsfeld dar, ebenso die zweite Frauenbewegung in den USA. Dieses Kapitel kann und will keine detaillierte, umfassende Darstellung oder 1

Wark, Radical Gestures, S. 3.

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Historisierung dieser neuen Kunstform oder der sozialen Bewegung bieten. Vielmehr konzentriere ich mich mit meiner Skizze auf einige Aspekte, in deren Zusammenhang die Frage nach der vokalen Performancekunst als potentiell feministischer Praxis diskutiert werden kann. Zur Entstehung eines neuen feministischen Bewusstseins Im Zuge der radikalen sozialen Bewegungen der 1960er und 1970er Jahre in den USA, der Bürgerrechtsbewegung sowie der Anti-Kriegs-Bewegung erstarkte auch die Frauenrechtsbewegung in ihrer „second wave“, d. h. als zweite Frauenbewegung, erneut.2 Frauen waren seit den frühen 1960er Jahren in bedeutender Anzahl im politischen Aktivismus engagiert,3 organisierten sich seit Mitte der 1960er Jahre in diversen feministischen Gruppierungen und protestierten in kreativen, radikalen Aktionen gegen die Unterdrückung von Frauen in der privaten und öffentlichen Sphäre.4 Der Kampf der zweiten Frauenbewegung galt in erster Linie der Selbstbestimmung von Frauen, zentral auch in Bezug auf den eigenen Körper, und zielte dabei einerseits auf sehr konkrete Forderungen wie Veränderungen in Rechtsprechung und Gesundheitswesen ab, andererseits auf die Sichtbarmachung von Dynamiken geschlechtsspezifischer Hierarchien, die sich in symbolischen und ideologischen Strukturen kultureller Repräsentationen niederschlugen.5 Dieses neue feministische Bewusstsein verbreitete sich, wie es die Kunsthistorikerin Jayne Wark betont, spätestens in den frühen 1970er Jahren auch in der Kunstwelt und „found one of its most distinctive manifestations in North America in the practice of performance art.“6 Die Performancekunst gilt Wark also als eine feministische Praxis. Ein weiterer wichtiger Grund für den engen Zusammenhang von Performancekunst und Feminismus ist meines Erachtens darin zu sehen, dass von den Anfängen der Performancekunst an diese eng begleitet wurde von einem theoretischen, wissenschaftlichen und journalistisch-kunstkritischen Diskurs, der aus

2

Vgl. ebd., S. 23; Goldberg, Performance, S. 130.

3

Vgl. Wark, Radical Gestures, S. 23.

4

Siehe hierzu bspw. Roth, Burdick, Dubiel, „Chronology“, oder Wark, Radical Gestures, S. 23ff. sowie Kapitel II.2.2 „Akteur_innen Downtowns. Frauen als Akteurinnen Downtowns“.

5 6

Wark, Radical Gestures, S. 3. Wark, ebd. Vgl. auch Lippard, From the Center: feminist essays on women’s art, S. 266.

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einer dezidiert feministischen Perspektive heraus formulierte und interpretierte.7 Die Performancekunst wurde zu einem wichtigen Feld, an dem der sich akademisierende Feminismus in seinen unterschiedlichen Ausrichtungen wie dem liberalen, radikalfeministischen oder poststrukturalistischen Ansatz8 seine wissenschaftlichen und theoretischen Fragestellungen schärfen konnte. Diese Rezeption und Interpretation wurden sowohl von der Wissenschaft als auch von den Künstler_innen und der Kunstwelt rezipiert.9 So haben sie meines Erachtens auch die Historisierung und Wahrnehmung von Performancekunst nachhaltig geprägt.10

7

Für eine gute Übersicht hierzu siehe Jill Dolan, „In Defense of the Discourse.“ Eine lange Literaturliste mit Literatur über Performance und Kunst von Frauen, die vor 1983 publiziert wurde, bietet auch bereits der 1983 veröffentlichte Überblicksband Roth (Hg.), The Amazing Decade, S. 151-153.

8

Für die Unterscheidung und Beschreibung dieser drei zentralen Ansätze feministischer Kunstkritik siehe Dolan, „In Defense of the Discourse.“

9

Die Etablierung des Diskurses spiegelt u. a. die ausführliche Literaturliste in Roth (Hg.), The Amazing Decade, S. 151-153.

10 Feministische Publikationen zur Performancekunst sind u. a. Edith Almhofer, Performance Art. Die Kunst zu leben; RoseLee Goldberg, Performance. Live Art since the 60s; Moira Roth (Hg.), The Amazing Decade. (Hierin gibt es zusätzlich eine ausführliche Literaturliste zum Themenfeld „Performancekunst bzw. Kunst von Frauen“ mit Literatur, die vor 1983 publiziert wurde, S. 151-153); Lucy R. Lippard, From the Center; Carol Martin (Hg.), A Sourcebook of Feminist Theater and Performance; Craig Owens, „The Discourse of Others: Feminists and Postmodernism“; Peggy Phelan, Unmarked; Jayne Wark, Radical Gestures. ‒ Einen wichtigen Überblicksband über Performancekunst per se bildet Gregory Battcock, Robert Nickas, The Art of Performance: A Critical Anthology, in dem zwei feministische Artikel von Goldberg an zentraler Stelle stehen mit Goldberg, „Performance. A Hidden History“ und dies., „The Golden Years“. ‒ Insbesondere in den USA gibt es seit den 1980er Jahren einen anwachsenden Korpus an Dissertationen, die mit unterschiedlichen Schwerpunkten zum Themenfeld Performancekunst und Feminismus arbeiten, so bspw.: Jeanie Kay Forte, Women in Performance Art; Martha Ann Lavey, Representing the Body; Johanna Frank, Beyond Visibilty: Feminism, Performance, and the Dramatic Text, Elisabeth Helen ‚Kitty‘ Pappas, Contemporary Performance Art Composition: Post-modernism, Feminism, and Voice; Samuel Austin McBride, Performing Laurie Anderson: The Construction of a Persona; Kathryn Sarell Martin, The Performance Works of Meredith Monk and Martha Clarke: A Postmodern Feminist Perspective; Leslie Satin, Legacies of the Judson Dance Theater: Gender and Performing Autobiography. ‒ Seit 2008 sammelt, untersucht und präsentiert das „performing archive“: „re.act.feminism“

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E XKURS : F EMINISTISCHE G RUPPIERUNGEN UND L ITERATUR IN N EW Y ORK C ITY UND DEN USA 1964-1979 Das neu entstehende feministische Bewusstsein schlug sich in dem zeitlichen Rahmen dieser Arbeit, 1964 bis 1979, in der Entstehung diverser feministischer Gruppierungen, Ausstellungsprojekte und Literatur nieder. New York City war hierfür eines von zwei wichtigen Zentren in den USA.11 Einige der in New York sowie in den ganzen USA neu gegründeten feministischen Gruppen waren dezidierte Künstlerinnen-Gruppen. In diesem Exkurs „Feministische Gruppierungen und Literatur in New York City und den USA“ fasse ich die Informationen zusammen, die, sofern nicht anders ausgewiesen, der von Moira Roth, Janet Burdick und Alice Dubiel Anfang der 1980er Jahre zusammengestellten Chronologie entnommen sind.12 Diese zeitgenössische Perspektive, d. h. welche Ereignisse von den Autorinnen als relevant für den Kontext „Frauen und Performancekunst“ erachtet wurde, ist für eine historische Rahmung meines Untersuchungsgegenstandes von Interesse. Auch die Literaturverweise aus dieser Chronologie gebe ich deswegen so detailliert wieder, da ich es für wichtig erachte festzuhalten, welche Fülle an feministischer Literatur in diesem Zeitfenster entstanden ist und von den Autorinnen Roth, Burdick und Dubiel als relevant für ihren Kontext befunden wurde, ohne dass diese inhaltlich immer einen direkten Zusammenhang zu meinem Untersuchungsgegenstand hätte. 1966 gründeten Shulamit Firestone, Carol Hanisch, Robin Morgan und Pam Allen die New York Radical Women, aus der nach deren Auflösung 1969 zunächst die Gruppe Redstockings, gegründet von Shulamit Firestone und Ellen Willis, und dann als weitere Splittergruppe die New York Radical Feminists (NYRF), gegründet von Shulamit Firestone und Anne Koedt, hervorgingen. 1968 ging aus einer Spaltung von NOW (s. u.) die New Yorker Gruppierung The Feminists (Feminists – A Political Organization to Annihilate Sex Roles) hervor. 1969 wurde das New Feminist Theater in New York als eine der ersten feministischen Theatergruppen der USA gegründet sowie die Gruppe Women Artists in Revolu-

feministische, genderkritische und queere Performancekunst seit den 1960er Jahren und stellt seine Informationen auch online zur Verfügung. (Siehe www REACT.) 11 Vgl. u. a. Roth, „Essay“, S. 16f.; Goldberg, Performance, S. 129f. Siehe hierzu auch weiter unten das Unterkapitel I.3 „Performancekunst und feministisches Bewusstsein. New York“. 12 Vgl. Roth, Burdick, Dubiel, „Chronology“.

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tion (W.A.R.). 1970 ging aus der Gruppe des Judson Dance Theater die gemischtgeschlechtliche Gruppe Grand Union hervor. 1972 entstanden in New York das Women’s Interart Theater, das Women’s Inter Art Center sowie das Ad Hoc Women Artists’ Committee, welches hervorging aus den Protesten gegen die 1970er Whitney Biennale, in der Frauen frappierend unterrepräsentiert waren. Im gleichen Jahr nahm die New York Women’s Art Registry ihre Arbeit auf als erste US-amerikanische Organisation, die eine Dia-Sammlung mit Kunst von Frauen anlegte. 1973 gründeten Michelle Wallace, Faith Ringgold, Margaret Sloan-Hunter u. a. in New York City die National Black Feminist Organization. 1975 entstand in New York die erste Frauenbank. 1979 etablierte sich in New York das Feminist Art Institute. 1966 wurde unter ihrer ersten Präsidentin Betty Friedan die NOW (National Organization for Women) ins Leben gerufen. Aus einer Spaltung 1968 ging die Women’s Equality Action League (WEAL) unter Leitung der Rechtsanwältin Elizabeth Boyer aus Ohio hervor sowie die New Yorker Gruppierung The Feminists. 1969 wurde in Kalifornien das neben dem New Feminist Theater in New York erste feministische Theater Los Angeles Feminist Theater gegründet. 1971 initiierten Judy Chicago, Lucy Lippard, Marcia Tucker und Miriam Schapiro West-East Bag (WEB) als nationales feministisches Kunstnetzwerk. 1971 entstanden außerdem Women Against Violence Against Women (WAVAW) und 1972 COYOTE (Cut Out Your Old Tired Ethics), gegründet von Margo St. James und anderen Sex-Arbeiterinnen. 1972 entstand das Washington Area Feminist Theater. Diese ganzen Gründungen fanden vor dem Hintergrund politischer und gesellschaftlicher Ereignisse statt, die für die zweite Frauenbewegung relevant waren. 1965 wurde Patricia R. Harris in Luxemburg als erste schwarze Frau Botschafterin der USA. 1968 war Shirley Chrisholm die erste schwarze Frau, die in das „U.S. House of Representatives“ gewählt wurde. 1966 fand der „Women’s Strike for Peace“ vor dem Pentagon statt. 1968 unterbrachen Robin Morgan und diverse andere Feministinnen den „Miss America Contest“, indem sie ein Schaf zur Miss America krönten und Lockenwickler, falsche Wimpern u. ä. in den „Freedom Trashcan“ warfen. Im gleichen Jahr fanden in den ganzen USA Demonstrationen unter dem Titel WITCH (Women’s International Terrorist Conspiracy from Hell) statt. Ebenfalls 1968 wurde in Chicago die erste „National Conference of Women’s Liberation“ abgehalten, dem Jahr, in dem Valerie Solanas ihre berühmten Schüsse auf Andy Warhol abfeuerte. Angela Davis wurde in diesem Jahr von der University of California entlassen, da sie sich öffentlich als Kommunistin bekannte. Martin Luther King wurde ermordet. 1969 er-

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klärte der kalifornische Supreme Court das staatliche Anti-Abtreibungsgesetz für verfassungswidrig. Die University of Washington etablierte das erste „Women’s Studies Program“. In der Christopher Street in Downtown New York ereignete sich der unter dem Namen „Stonewall-Aufstand“ bekanntgewordene Zusammenprall zwischen Polizei und Besucher_innen der schwul-lesbischen Bar Stonewall, der als Wendepunkt der Schwulen- und Lesbenbewegung gilt. 1970 erlebte die Frauenbewegung mit dem „Women’s Strike for Equality“ in New York City unter Teilnahme von mehreren Zehntausend Frauen die größte Frauenversammlung seit der Suffragettenzeit der ersten Frauenbewegung. Im gleichen Jahr, 1970, wurde das damals liberalste Abtreibungsgesetz in New York verabschiedet. 1972 wird Sally Priesand die erste Rabbinerin der USA. 1975 erfolgt die offizielle Beendigung der US-amerikanischen Intervention in Vietnam durch den amtierenden Präsidenten Gerald Ford und der Abzug der US-amerikanischen Truppen aus Vietnam. 1977 wurde in Houston, Texas, die erste „National Women’s Conference“ mit 2.000 Teilnehmer_innen abgehalten. 1978 demonstrierten zahlreiche Aktivist_innen unter dem Slogan „Take Back the Night“ in New York und San Francisco. 1979 wurde Margaret Thatcher als erste Frau an der Spitze eines europäischen Staates zur Premierministerin Großbritanniens gewählt. In Washington D.C. fand die erste entsprechende Großdemonstration „National March on Washington for Lesbian and Gay Rights“ statt. 1968 war in Chicago die erste US-amerikanische feministische Zeitung „Voices of the Women’s Liberation“ erschienen.13 1969 wurden „To Be Young, Gifted and Black“14 von Lorraine Hansberry und Monique Wittigs „Les Guérillères“15 veröffentlicht. 1970 erschienen in den USA „The Dialectic of Sex“ von Shulamith Firestone,16 „The Female Eunuch“ von Germaine Greer,17 „Sexual Politics“ von Kate Millett18 sowie das von Robin Morgan herausgegebene „Sisterhood is Powerful: An Anthology of Writings from the Women’s Liberation Movement“.19 1971 erschien in der Zeitschrift „Art News“ ein die Kunstgeschichte aus feministischer Perspektive neu betrachtender Artikel von Linda Nochlin, „Why Have There Been No Great Women Artists?“.20 Das Bostoner 13 ZT VOICEWOMEN. 14 Lorraine Hansberry, „To Be Young, Gifted and Black“. 15 Monique Wittigs, Les Guérillères. 16 Shulamith Firestone, Frauenbefreiung und sexuelle Revolution (The Dialectic of Sex). 17 Germaine Greer, The Female Eunuch. 18 Kate Millet, Sexual Politics. 19 Robin Morgan (Hg.), Sisterhood is Powerful: An Anthology of Writings from the Women’s Liberation Movement. 20 Linda Nochlin, „Why Have There Been No Great Women Artists?“.

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Women’s Health Collective brachte den Band „Our Bodies, Ourselves“21 heraus. Elizabeth Gould Davis veröffentlichte „The First Sex“22 und die PulitzerpreisDichterin Anne Sexton ihr „Transformations“.23 1972 begann das „Feminist Art Journal“ seine Arbeit.24 Die englische Ausgabe von Simone de Beauvoirs „The Coming of Age“25 erschien sowie Margarte Drabbles „The Needle’s Eye“26 und Selma James’ und Mariarosa Dalla Costas „Power of Women and the Subversion of the Community“.27 1973 erschienen Barbara Ehrenreichs und Deirdre Englishs „Witches, Midwives and Nurses“28 sowie Jill Johnstons „Lesbian Nation“,29 Rita Mae Browns Roman „Rubyfruit Jungle“30 sowie Mary Dalys „Beyond God the Father“.31 1974 wurden Andrea Dworkins „Woman Hating“32 und Eleanor Tufts „Our Hidden Heritage: Five Centuries of Women Artists“33 veröffentlicht, 1975 Susan Brownmillers „Against Our Will: Men, Women and Rape“,34 Judy Chicagos „Through the Flower: My Struggle as a Woman Artist“,35 sowie das vom Redstocking Kollektiv des Women’s Liberation Movement herausgegebene „Feminist Revolution“.36 1976 erschienen Shere Hites „The Hite Report“,37 Lucy Lippards „From the Center: feminist essays on women’s art“,38

21 The Boston Women’s Health Book Collective, Our Bodies, Ourselves: A New Edition for a New Era. 22 Elizabeth Gould Davis, The First Sex. 23 Anne Sexton, Transformations. 24 ZT FEMINISTART. 25 Simone de Beauvoir, The Voming of Age. 26 Margaret Drabble, The Needle’s Eye. 27 Mariarosa Dalla Costa, Selma James, The Power of Women and the Subversion of the Community. 28 Barbara Ehrenreich, Deirdre English, Witches, Midwives and Nurses: A History of Women Healers. 29 Jill Johnston, Lesbian Nation: The Feminist Solution. 30 Rita Mae Browns, Rubyfruit Jungle. 31 Mary Dalys, Beyond God the Father: Toward a Philosophy of Women’s Liberation. 32 Andrea Dworkin, Woman Hating. 33 Eleanor Tuft, Our Hidden Heritage: Five Centuries of Women Artists. 34 Susan Brownmiller, Against our Will: Men, Women, and Rape. 35 Judy Chicago, Through the Flower: My Struggle as a Woman Artist. 36 Women’s Liberation Movement, Feminist Revolution / Redstockings of the Women’s Liberation Movement. 37 Shere Hite, The Hite Report: A Nationwide Study on Female Sexuality. 38 Lucy R. Lippard, From the Center: Feminist Wssays on Women’s Art.

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Adrienne Richs „Of Woman Born“39 und Merlin Stones „When God was a Woman“.40 Ab 1977 publizierten „Chrysalis“41 in Los Angeles, „Frontiers“42 in Colorado und „Heresies“43 in New York. Im September erschien im New Yorker „Artforum“ Martha Roslers Aufsatz „The Private and the Public: Feminist Art in California“.44 Marilyn French veröffentlichte „The Women’s Room“,45 Nancy Friday „My Mother/My Self“,46 Faith Wilding „By Our Own Hands: The Women Artists’ Movement, Southern California, 1970-1976“47 und Dorothy Dinnerstein „The Mermaid and the Minotaur“.48 1978 erschienen Mary Dalys „Gyn/Ecology“,49 Susan Griffins „Woman and Nature“50 und Michele Wallaces „Black Macho and the Myth of the Superwoman“.51 1979 veröffentlichten Germaine Greer „The Obstacle Race“52 und Judy Chicago das Buch zu ihrer gleichnamigen Ausstellung „The Dinner Party“.53 1968 kuratierte Josine Ianco-Starrels in Los Angeles die Ausstellung „25 California Women of Art.“ 1972 organisierten die Women in the Arts in New York die Ausstellung „Women Choose Women“, in The Kitchen veranstalteten Susan Milano, Shridhar Rapat, Laura Kassos und Rochelle Steiner das erste internationale „Women’s Video Festival“.54 Das „Feminist Art Program“ in Los Angeles gründete das Womanhouse. 1974 fand im The Woman’s Building in Los Angeles die Konferenz, Ausstellung und Performancereihe „Performance!“ statt. 1976

39 Adrienne Cécile Rich, Of Woman Born: Motherhood as Experience and Institution. 40 Merlin Stone, When God Was a Woman. 41 ZT CHRYSALIS. 42 ZT FRONTIERS. 43 ZT HERESIES. 44 Martha Rosler, „The Private and the Public: Feminist Art in California“. 45 Marilyn French, The Women’s Woom. 46 Nancy Friday, My Mother – My Self. The Daughters Search for Identity. 47 Faith Wilding, By Our Own Hands: The Woman Artist’s Movement, Southern California, 1970-1976. 48 Dorothy Dinnerstein, The Mermaid and the Minotaur: Sexual Arrangements and Human Malaise. 49 Mary Daly, Gyn/Ökologie (Gyn/Ecology). Eine Metaethik des radikalen Feminismus. 50 Susan Griffin, Woman and Nature. The Roaring Inside Her. 51 Michele Wallace, Black Macho and the Myth of the Superwoman. 52 Germaine Greer, The Obstacle Race: The Fortunes of Women Painters and Their Work. 53 Judy Chicago, The Dinner Party: A Symbol of Our Heritage. 54 Siehe auch Abbildung 5.

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organisierten Ann Sutherland Harris und Linda Nochlin im L.A. County Museum of Art in Los Angeles die Ausstellung „Women Artists 1550-1950“. Abbildung 5: „Women’s Video Festival. The Vasulkas, Queer Blue Light, Joie Davidow, Jackie Cassen, Susan Milano, Darcy Umstadter, Keiko Tsuno, Yoko Maruyama, Shigeko Kubota, and others“, September 14- 30, 1972

Vasulka Kitchen Archive

I.3.2 D REI

ZENTRALE C HARAKTERISTIKA DES NEUEN FEMINISTISCHEN B EWUSSTSEINS

Die kurze chronologische Übersicht im vorangestellten Exkurs55 verdeutlicht die produktive Aktivität von Feministinnen in den 1960er und 1970er Jahren. In Bezug auf das zuvor beschriebene neue feministische Bewusstsein, das sich in diesen vielfältigen Engagements niederschlug, stelle ich die These auf, dass folgende drei zentralen Ebenen bzw. Charakteristika wichtig und zu unterscheiden sind, insbesondere auch für den Kontext der feministischen Performancekunst: Erstens ist es von zentraler Bedeutung, dass Frauen vermehrt und explizit als Akteurinnen in Erscheinung traten, die Themen und Inhalte setzten, und damit beispielsweise zu „female role models“ wurden oder eine „women’s countercul55 Die Informationen des Exkurses „Feministische Gruppierungen und Literatur in New York City und den USA“ sind, sofern nicht anders ausgewiesen, der von Moira Roth, Janet Burdick und Alice Dubiel zusammengestellten Chronologie entnommen (vgl. Roth, Burdick, Dubiel, „Chronology“).

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ture“ etablieren konnten.56 D. h. Frauen wurden als selbstbestimmte Subjekte politischer, gesellschaftlicher und künstlerischer Handlungen aktiver und sichtbarer. Zweitens wurden alternative Inhalte thematisiert. Drittens sind eben jene Handlungen von großer Bedeutung, genauer die Handlungsweisen, mittels derer Themen gesetzt und behandelt wurden. Anders gefragt: Wer agierte? Was wurde agiert? Wie wurde agiert? Das Private ist politisch Eine grundlegende Maxime der zweiten Frauenbewegung war die Feststellung, als Slogan formuliert, „Das Private ist politisch“,57 die auf unterschiedlichste Weise auch Niederschlag in der Performancekunst fand. Sie beruhte u. a. auf der Erkenntnis, dass der Kampf für die Abschaffung diskriminierender Gesetzgebung bzw. für eine juristisch und formal abgesicherte Gleichstellung nur eine Seite der Medaille im Kampf um die Selbstbestimmung von Frauen darstellte. Solange es gesellschaftlich eines Selbstverständnisses für die Gleichstellung der Geschlechter ermangelte, so wurde es vielen Frauen zu dieser Zeit in ihren sozialen Kämpfen klar, stellte die soziale Ordnung die eigentliche Grundlage für Ungleichverhältnisse zwischen Frauen und Männern dar.58 So blieben selbst im Kontext der radikalen sozialen Bewegungen der 1960er Jahre stereotype Geschlechterrollen quasi unangetastet. Frauen wurden weiterhin weitestgehend reproduktive Aufgaben zugedacht, wie die der Mutter, Ehefrau, Freundin und Haushälterin oder wie das Verfassen von Protokollen und Kochen von Kaffee in politischen Runden. Gleichzeitig und gerade durch diese Aufgabenverteilung konnten Männer selbstverständlich ihre freie Zeit und Energie in das Lesen, Denken, Schreiben und Diskutieren investieren. Die Verhandlung frauenrelevanter Themen wurde in diesen Kontexten politischer Debatten geradezu ausgeschlossen und damit quasi zu einem Privatvergnügen marginalisiert, welches zudem der Erfüllung der ‚eigentlichen, natürlichen Rolle der Frauen‘ hintanzustehen hatte.59 Die Solidarisierung von Frauen in Gruppen, in denen man sich über solche und andere persönliche Erfahrungen austauschte und somit über Themen, die im allgemeinen politischen und öffentlichen Diskurs als irrelevant angesehen und von daher ausgeschlossen wurden, spielte eine wichtige Rolle dabei, zu erken56 Jill Dolan, „Introductory Essay. Fathom Languages: Feminist Performance Theory, Pedagogy, and Practice“, S. 6f. 57 Vgl. etwa Wark, Radical Gestures, S. 5, 23f. 58 Vgl. ebd., S. 24. 59 Vgl. ebd., S. 24f.

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nen, dass diese Erfahrungen und der Unmut darüber keine Einzelerfahrungen waren, sondern kollektive und als solche gesellschaftlich und strukturell bedingt und somit fundamental politisch.60 Persönliche Erfahrungen von Sexualität, Vergewaltigung, Abtreibung, gesellschaftlichen Zuschreibungen, der Unterordnung von Frauen etc. wurden als Themen von politischer Bedeutung erkannt. Doch auch der Anspruch, diese Themen überhaupt öffentlich zu verhandeln, war bereits ein Politikum. Das Bilden von Gruppen oder Kollektiven von Frauen, in denen man sich über persönliche Erfahrungen austauschte und diese als politisch benannte, diente als wichtiges Momentum für die Entwicklung eines Bewusstseins dafür, was es in dieser Gesellschaft bedeutete, eine Frau zu sein. Jayne Wark betont allerdings, dass das Bilden eines kollektiven Bewusstseins zwar die Grundlage des feministischen Konzepts „Das Persönliche ist Politisch“ bildete und damit die Bedeutung persönlicher Erfahrung unterstrich, diese damit aber nicht alleinig zentral war, sondern dass vielmehr die Schnittpunkte von Persönlichem und Politischem, Privatem und Öffentlichem, Individuellem und Kollektivem, Besonderem und Allgemeinem in ihrer Relevanz hervorgehoben wurden.61 Auch Künstlerinnen begannen sich in Kollektiven zusammenzufinden. „Exchange,“ also das Teilen, Solidarisieren, sich Austauschen in Kollektiven, „is a feminist strategy“, befand die Kunstkritikerin Lucy Lippard, „out of dialogue between peers comes a focus to be shared by others.“62 Aus dem gemeinsamen Austausch über spezifische Erfahrungen in einer männlich dominierten Kunstwelt wie Marginalisierung, Isolation, mangelnder Respekt und Wertschätzung, schlechter Zugang zu Ressourcen, diskriminierende Repräsentation und weitere Faktoren, die die persönliche und professionelle Selbstbestimmung von Künstlerinnen erschwerten oder gar verunmöglichten, entwickelte sich ein gemeinsames Bewusstsein. „And that becomes political“, bemerkte Lippard in diesem Zusammenhang, „even if the art itself isn’t directly political in subject matter. Making other people aware is a political act. “63 Durch das erstarkende feministische Bewusstsein wurde demnach auch die kontroverse Frage nach dem Zusammenhang von Kunst und Politik neu aufgeworfen. Während sich Künstler_innen im Allgemeinen noch uneinig darüber waren, ob oder inwiefern sie im Zusammenhang der sozialen Krisen um 1970 politische Verantwortung trugen, so Wark, legte das feministische Bewusstsein durch die Thematisierung des Persönlichen offen, dass die Kunstwelt bereits immanent politisch war, nämlich durch die ihr eingeschriebenen Ungleichheitsverhältnisse. Zugleich ermöglichte 60 Vgl. ebd., S. 25. 61 Vgl. ebd., S. 25f. 62 Lippard, „Changing since Changing“, in: dies., From the Center, S. 11. 63 Lippard, From the Center: feminist essays on women’s art, S. 269.

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dies einen direkteren Dialog zwischen Kunst und Alltagspolitik.64 Dieser direkte Bezug erfüllte zudem auf sehr eigene, neue Art und Weise das alte avantgardistische Postulat nach der Verbindung von Kunst und Leben.65 Identitätspolitik Dieses neue feministische Bewusstsein, ein Bewusstsein dafür, was es bedeutete, eine Frau in der vorgefundenen (US-)Gesellschaft, in der männlich dominierten Kunstwelt zu sein, und dies dezidiert als ein geteiltes, kollektives Bewusstsein zu entwickeln, hatte weitere Implikationen. Gerade der Zusammenschluss in Gruppen gab Frauen einen Ausweg aus der Vereinzelung und Marginalisierung, bot Selbstbewusstsein, Bestätigung und Rückendeckung und nicht zuletzt Potentiale für mehr öffentliche Sichtbarkeit und Schlagkraft. Grundlage hierfür war das aus dem Teilen gemeinsamer Erfahrungen hervorgehende Selbstverständnis einer gemeinsamen Identität, deren Vorbild RoseLee Goldberg in der Identitätspolitik 66 der Bürgerrechtsbewegung sieht. „[W]omen artists used the notion of ‚identity‘ to establish their collective visibility. The word ‚identity‘ even had a therapeutic edge. Identity as a declaration of the self; identity as claiming and naming common qualities; identity as pride.“67

Auch Lippard betonte bereits in den 1970er Jahren, für wie wichtig sie das Hervorheben ‚weiblicher Identität‘ sowie deren Anerkennung als etwas Positives für gesellschaftliche Veränderungen im feministischen Sinne hielt: „I’m absolutely convinced that you’ll have to deal with it differently because you’re a woman and your experience is entirely different no matter how much the same as a man’s you may want it to be. No, I think it’s more a recognition of the fact that you’re a woman and then seeing this as a positive factor, being conscious of its ramifications. That being a woman isn’t bad, isn’t something to be ashamed of, in fact is good, and that there is material for both art and life in that difference, and pride in it.“68

64 Wark, Radical Gestures, S. 5. 65 Zu dem avantgardistischen Postulat der Verbindung von Kunst und Leben siehe ausführlicher Kapitel II.2.2 „Akteur_innen Downtowns. Heterogenität versus Homogenität des künstlerischen Kräftefelds Downtown“. 66 Vgl. Goldberg, Performance. Live Art Since the 60s, S. 130. 67 Ebd. 68 Lippard, From the Center, S. 268.

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Das gemeinsame Berufen auf eine geteilte, positiv zu definierende Identität diente in diesem Zusammenhang der Möglichkeit von Selbstdefinition und -repräsentation als selbstbestimmter Gegenentwurf zu patriarchalen, diskriminierenden Respräsentationen von Weiblichkeit. Zusammenhänge, die mit dieser ‚weiblichen Identität‘, den spezifischen Erfahrungen von Frauen und angeblichen ‚weiblichen Eigenschaften‘ zu tun hatten, wurden von Künstlerinnen vielfach thematisiert. So stellten etwa Geburt, Mutterschaft, Vergewaltigung, Menstruation, Haushalt uvm. wiederkehrende Topoi dar, Sexualität und der eigene Körper wurden zu zentralen Verhandlungspunkten. Auch die Aufwertung oder Resignifizierung vormals negativ konnotierter weil weiblich assoziierter Eigenschaften und Werte spielte eine wichtige Rolle.69 Durch das Setzen neuer Themen bzw. durch alternative Perspektiven boten diese Ansätze einen Einblick in eine, so Lippard, „potential female culture.“70 Alternative, weiblich dominierte Kultur- bzw. Gesellschaftsentwürfe können in diesem Zusammenhang eines identitätspolitischen Feminismus verstanden werden.71 Identitätspolitische Ansätze waren vor allem für den so genannten radikalen Feminismus oder Differenzfeminismus von Relevanz und wurden durchaus auch als problematisch betrachtet. Jill Dolan spricht von einer Romantisierung „weiblicher Identität“ durch den Radikalfeminismus, indem er dieser eine Kohärenz und Vollständigkeit zuschreibt und als Gegensatz zu einer „männlichen“ Identität definiert.72 Neben diesem meist als essentialistisch kritisierten Ansatz eines Identitätsfeminismus73 gab es jedoch von früh an eine andere feministische Position, eine poststrukturalistische bzw. postmoderne.74 Die Kritik an einem radikalfeministischen Ansatz 69 Vgl. ebd., S. 7, 148. „Zur Thematisierung weiblicher Identitätsbilder als Prozess künstlerischer Produktion“ siehe auch Almhofer, „Findungen“, in dies., Performance Art, S. 34-49. 70 Ebd., S. 6. 71 Für Bezüge zu den Vorstellungen von alten matriarchalen oder anderen alternativen Gesellschaftsformen in frühen Performances von Frauen siehe Wark, Radical Gestures, S. 62f. 72 Jill Dolan, „In Defence of the Discourse“, S. 96. 73 Für eine detailliertere Erläuterung des Essentialismus in frühen Performances siehe Wark, „Cultural Feminism: The Essence of Difference“, in: dies., Radical Gestures, S. 58-85. 74 Ich nenne an dieser Stelle die Begriffe poststrukturalistisch und postmodern zusammen, da beide eine Position bezeichnen, die die Idee einer kohärenten, fixen, eindeutig definierten Identität auflöst. Unter Poststrukturalismus ist dabei eher ein „Ensemble von Theorien und Konzepten“ zu verstehen, welche auf die sprachliche Konstitution von Gegenständen, Begriffen und Kategorien wie Vernunft, Wahrheit, Subjekt, oder

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zielt grundsätzlich auf dessen Perspektivierung ab, die prinzipiell eine einheitliche Erfahrung von Frauen behauptet und damit Unterschiede zwischen Frauen, die etwa durch Klasse, race oder Alter produziert werden, ausblendet.75 Dies ist vor allem deswegen von Relevanz, da das Gros der Aktivistinnen der zweiten Frauenbewegung selbst aus der weißen Mittelschicht stammte.76 Ein anderer Vorwurf lautet, dass selbst wenn all diese Positionen benannt werden, sie als essentiell, d. h. als gegeben oder natürlich verstanden werden, anstatt, aus einem poststrukturalistischen Verständnis heraus, als gesellschaftlich und durch strukturelle Zwänge produziert. „[T]he prevelance of identity politics in feminism has prompted the development of opposing feminist theories of the self. Identity politics claim to define women’s subjectivity by their positions within race, class, or sexuality, positions which the dominant culture – and often, the dominant voices in feminism – have effectively squelched. Post-structuralist practice suggests that any such coherent conceptions of identity are specious since even race, class, and sexuality, as well as gender, are constructed within discursive fields and changeable wihtin the flux of history.“77

Diese unterschiedlichen, gerade hinsichtlich der Frage nach Identität unvereinbaren feministischen Ansätze waren sowohl in der feministischen Performancekunst selbst als auch im Schreiben über und Theoretisieren von feministischer Performancekunst präsent.78

auch Geschlecht verweisen, deren Genese untersuchen und damit ihre angebliche Natürlichkeit demaskieren (vgl. Sabine Hofmann, „Poststrukturalismus“, hier insbesondere S. 317f.). Die Postmoderne, die sowohl als „deskriptiver Begriff und theoretischprogrammatisches Projekt“ als auch als „Ausdruck eines Zeitgeistes und einer Lebenshaltung“ verstanden wird, steht für die Pluralität, Hybridität, Flexibilität, Heterogenität, Dezentralisierung und den Eklektizismus von Identitäten, Lebensstilen, Haltungen, Wissensformen, Handlungsmustern, Wertesystemen, Weltanschauungen, Subjekt-Positionen, Geschlechtern und ästhetischen Ausdrucksformen (vgl. Doris Kolesch, „Postmoderne“, hier insbesondere S. 316f.). 75 Martha Ann Lavey etwa macht mit Susan Bordo darauf aufmerksam, inwiefern die Konzentration auf gender als Differenzierungskategorie die Lebenszusammenhänge von Women of Colour oder Lesben ignoriere (siehe Lavey, Representing the body, S. 80). 76 Vgl. z. B. Lippard, From the Center, S. 143. 77 Dolan, „In Defence of the Discourse“, S. 96. 78 Für eine detaillierte Darlegung siehe Dolan, „In Defence of the Discourse“.

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„The fundamental conflict in the attempt to intersect the feminist critique of patriarchy with postmodern philosophy is the tension between the use of gender as a analytical category and a discourse that would disavow any such categorization as ‚essentialist‘ or ‚totalizing‘.“79

Die Perspektivierungen bleiben ein unauflösbarer Widerspruch. Einerseits, so hebt auch Peggy Phelan hervor, erklärt der (Radikal-)Feminismus das Geschlecht der Künstler_innen zur zentralen Funktion ihrer „signifying practice“, andererseits erklärt der Poststrukturalismus, „that the author is dead, that the notion of an individual subject is extremely problematical, and that all signifying practices are ‚traces‘ of Language’s grand circulation.“80 Hingegen muss sich die Postmoderne auch die Kritik gefallen lassen, dass sie „aufgrund ihrer Preisgabe utopischer Potentiale keine Emanzipationsbestrebungen zu formulieren erlaube.“81 Die Ablehnung kohärenter Identitätskonzepte durch poststrukturalistische und postmoderne feministische Ansätze beruht auf der Einsicht, dass der Entwurf kohärenter Identitäten neben Konzepten von Genialität, Neutralität, Meisterwerken, dem cartesianischen Subjekt u. ä. ein androzentrisches Prinzip einer dominanten, patriarchalen Kultur ist.82 Poststrukturalistische Theoretiker_innen postulieren einen prinzipiellen Zusammenhang zwischen Performancekunst, Postmoderne und Feminismus.83 In der Performancekunst sieht die PerformanceTheoretikerin Jeanie Kay Forte die Möglichkeit, androzentrische Prinzipien zu unterminieren: „This disruptive capacity derives not merely from the content of the performances, but rather from an immanent critique of modernism and its patriarchal structures.“84 Eine solche Kritik an patriarchalen Strukturen kann sich u. a. in Form alternativer Praxisformen entfalten.

79 Martha Ann Lavey, Representing the Body, S. 80. 80 Peggy Phelan, „Feminist Theory, Poststructuralism, and Performance“, S. 158. 81 Kolesch nach Seyla Benhabib, „Postmoderne“, S. 317. 82 Vgl. u. a. Lippard, From the Center, S. 3; Forte, Women in Performance Art, S. iii; Kohl, „Identität“, S. 259. 83 Vgl. u. a. Sally Banes, Subversive Expectation; Peggy Phelan, „Feminist Theory, Poststructuralism, and Performance“; Jill Dolan, „In Defence of the Discourse“; Jeanie Kay Forte, Women in Performance Art; Lavey, Representing the Body; Kathryn Sarell Martin, The Performance Works of Meredith Monk and Martha Clarke: A Postmodern Feminist Perspective. 84 Jeanie K. Forte, Women in Performance Art, S. iii.

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Feministische Praxisformen in der Performancekunst Prozessualität Die Performancekunst ist eine ephemere Kunstform, d. h. sie ist prozessorientiert, ereignishaft und vergänglich. Ziel und Zentrum der Performancekunst ist also nicht das Kunstobjekt, ein Endprodukt wie etwa ein Gemälde, eine Skulptur, eine Fotografie o. ä., sondern der Moment bzw. der Prozess bzw. das Ereignis des Entstehens, Veränderns, Vergehens, der Performance bzw. Aufführung eben. Das machte die Performancekunst, insbesondere in ihrer Entstehungszeit in den frühen 1970er Jahren, laut Wark sowohl für Frauen als auch für Männer attraktiv, denn damit positionierte sie sich, „along with other anti-object art forms, as a countervailing force against the market-driven, commodity-oriented ethos that dominated the art world in the 1960s.“85 Das kapitalismus- oder zumindest kunstmarktkritische Potential ist eine wichtige Ebene dieser Eigenschaft des Ephemeren. Es erinnert zudem an die Kritik der historischen Avantgarde an einem im bürgerlichen Ästhetizismus des 19. Jahrhunderts herausgebildeten Werkcharakter der Kunst.86 Die Konzentration auf den Prozess anstatt auf ein Ziel bedeutet zugleich die Bevorzugung des Werdens anstelle des Seins. Die Fiktion von Abgeschlossenheit und Identität wird ersetzt durch ein beständiges Entstehen und Sich-Verändern. Diese Fokus- oder Werteverschiebung hat eine wichtige genderspezifische Dimension. Die patriarchale Ideologie eines androzentrischen Kulturentwurfs, so betont u. a. Forte, basiert auf der „Otherness of Woman“,87 d. h. der Konstruktion der Frau als „das Andere“. Mit dem Begriff der (kulturellen) Alterität wird die Überzeugung formuliert, dass erst die Abgrenzung zum als anders Empfundenen die eigene Identität umreißen und definieren kann.88 „Grundlegend für die Definition kultureller Alterität ist Edward Saids Schrift ,Orientalism‘ (1978), die in der Darstellung des irrationalen, orientalischen (oft weiblichen) Anderen die Affirmation der Vorherrschaft eines rationalen, weißen, männlichen, heterosexuellen Selbst aufdeckt[,]“89

85 Wark, Radical Gestures, S. 18. 86 Vgl. hierzu Kapitel II.2.2 „Akteur_innen Downtowns. Heterogenität versus Homogenität des künstlerischen Kräftefelds Downtown“. 87 Siehe Forte, Women in Performance Art, S. iii. 88 Siehe Christine Fischer, „Kulturelle Alterität“; S. 260; Kohl, „Identität“, S. 259f. 89 Fischer, „Kulturelle Alterität“, S. 260.

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schreibt Christine Fischer. Somit ist die Konstruktion von Alterität, also ‚dem Anderen‘, konstitutiv für die Bildung von Identität, u. a. hinsichtlich Geschlecht.90 Anhand dieses Konstruktionscharakters wird auch die Idee der geschlossenen, an ein autonomes Subjekt gebundenen Identität ad absurdum geführt und dessen Prozessualität in Form von ‚fortwährenden Inszenierungen und performativen Akten‘ offenbar.91 Die Theoretisierung der Performativität von Identität, insbesondere bezogen auf die Geschlechtsidentität, wurde vor allem in den einflussreichen Schriften Judith Butlers ab den späten 1980er Jahren herausgearbeitet, die grundlegend für die Diskurse der unterschiedlichsten wissenschaftlichen Disziplinen wurden.92 Die poststrukturalistischen Autoren Gilles Deleuze und Felix Guattari, so weist es Olaf Sanders auf, konnotierten in „Mille Plateaux“ den Unterschied zwischen Sein und Werden geschlechtsspezifisch: Mann-Sein und Frau-Werden. Sie verstehen den „rationalen, weißen, erwachsenen Mann“ als Standard und identifizieren ihn mit dem Sein, welches durch klare, binäre Abgrenzungslinien definiert ist. Frau-Werden hingegen bedeutet einen niemals abgeschlossenen Prozess des Werdens, der vom Standard abweicht und der end- und ziellos ist.93 „The postmodernist nature of performance art thus affords women the opportunity to subvert the stability of this system precisely because of Woman’s special status in the system“94 überlegt Forte. Die Qualitäten des Prozessualen, des beständigen Werdens, erschüttern die angebliche Geschlossenheit und Autonomie androzentrischer Identität. Die Fokusverschiebung auf das Prozessuale und das Ereignis, die die Performancekunst unternimmt, integriert zudem Unvorhersehbarkeiten und experimentelle Elemente als wichtige Charakteristiken. So lässt sich ein Ablauf zwar im Vorhinein planen oder komponieren, doch das tatsächliche Ereignis ist von vielerlei Faktoren abhängig, wie etwa von der Umwelt, den Reaktionen des Publikums sowie der Tagesform der Aufführenden. Eine Performance kann den Raum bieten, auf solche Unvorhersehbarkeiten zu reagieren, sodass das tatsächliche Ereignis, auch wenn die Performance wiederholt wird, stets unterschiedlich ist. Der Prozess des Machens ist zugleich der Prozess des Werdens.

90 Siehe Fischer, „Kulturelle Alterität“, S. 260. 91 Vgl. Kohl, „Identität“, S. 260. 92 Siehe vor allem Judith Butler, Körper von Gewicht, dies., „Performative Akte und Geschlechterkonstitution. Phänomenologie und feministische Theorie“, dies., Das Unbehagen der Geschlechter. 93 Olaf Sanders, „Frau-Werden“, S. 260f. 94 Forte, Women in Performance Art, S. iii.

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Stehen bereits bei der Performancekunst diese Charakteristiken stark im Vordergrund, sind sie von noch größerer Bedeutung hinsichtlich der vokalen Performancekunst. In deren Zentrum steht die Körperstimme. Die Stimme als „performatives Medium par excellence“95 ist mehr noch als jedes andere Instrument an die körperlichen Prozesse gebunden, die sie zum Erklingen bringen.96 Ohne diese existiert sie nicht. Erst durch die Aktionen der Sängerin oder des Sängers, die Kombination von Atem, Bewegungen und Einstellungen des Kehlkopfs, des Mundraums, des Zwerchfells etc. wird die Stimme, ereignet sie sich. Sie ist immer ein Ereignis. Durch das Experimentieren mit individuellen, erweiterten Stimmtechniken wird zudem dem Standard traditioneller Stimmtechniken ein Suchen und Probieren mit „etwas anderem“ entgegengesetzt. Körper Nicht das Kunst-Objekt stand also im Mittelpunkt oder war Ziel der Performancekunst. Dafür erhielt der Körper einen zentralen Stellenwert. Diese Fokusverschiebung bedeutete u. a. einen formalen Paradigmenwechsel. Auch der Körper verweist aufgrund seiner Vergänglichkeit und seiner Präsenz auf das Prozessuale und Gegenwärtige. Doch diente er auch als Aushandlungsmedium, um spezifische Themen in der Kunstpraxis zu implementieren und zu verhandeln. Der Einsatz des eigenen Körpers lässt die Performerin oder den Performer als lebendigen Menschen in seiner physischen Präsenz und all seiner Eigenart sichtbar werden und kann in sofern selbstermächtigend, weil selbstbestimmt seiend, wirken. Zugleich kann er die einzelne Person in ihrer gesellschaftlichen Bestimmtheit thematisieren.97 Damit ist der Einsatz des Körpers anschlussfähig an 95 Kolesch, Krämer, „Stimmen im Konzert der Disziplinen. Zur Einführung in diesen Band“, S. 11. Vgl. hierzu Kapitel I.2 „Vokale Performancekunst“. 96 Vgl. hierzu Kapitel I.2 „Vokale Performancekunst“. 9 7 Sowohl Frauen als auch Männer setzten ihren Körper künstlerisch in Reflektion seiner gesellschaftlichen Dimension ein. Wilfried Raussert merkt an: „Insbesondere für den amerikanischen Kulturkontext kristallisierten sich Ereignis und Körper als richtungsweisende Komponenten für die Entwicklung der Avantgarde heraus. […] In der amerikanischen Gesellschaft wird der Leib zu diesem Zeitpunkt[, in der Nachkriegszeit,] noch immer streng privat verhandelt, und der Umgang mit ihm ist in öffentlichen und auch künstlerischen Medien häufig von Prüderie gekennzeichnet. Zudem steht für viele Künstler die Isolation des Körpers in einer rein privaten Sphäre symbolisch für eine Gesellschaft, die sich zwar dem persönlichen Wohl jedes Einzelnen verschrieben hat, dabei aber die Idee der Gemeinschaft vernachlässigt.“ (Raussert, Avantgarden in den USA, S. 126f.) Für Raussert spielt in diesem Zusammenhang Geschlecht allerdings offensichtlich keine Rolle. Dabei hatte die Verdrän-

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das feministische Postulat der zweiten Frauenbewegung, dass das Private politisch sei. Die individuellen, körperlichen Erfahrungen von Frauen wurden im Kontext gesellschaftlicher, patriarchaler Strukturen thematisierbar. Wark betont, dass die Sichtbarkeit des Körpers es ermöglichte, die Frage nach einer verkörperlichten Subjektivität zur Grundlage einer neu politisierten feministischen Kunstpraxis werden zu lassen.98 Somit wurden auch durch den Einsatz des Körpers die Themen von Identität und Subjektivität verhandelt. Wark bemerkt: „As an art form that features the living body, performance allowed women to place themselves, both literally and figuratively, at the very centre of their work and to assert themselves as the active and self-determining agents of their own narratives.“99

Künstlerinnen wie Yoko Ono (bspw. mit „Cut Piece“, 1965), Shigeko Kubota (bspw. mit „Vagina Painting“, 1965), Valie Export (bspw. mit „Body Sign Action“, 1970 oder „Action Pants: Genital Panic“, 1969) oder Carolee Schneemann (bspw. mit „Interior Scroll“ 1975) stellten den eigenen Körper und darüber sich selbst in den Mittelpunkt ihrer Arbeit und wurden so zum aktiven, selbstbestimmten Agens der eigenen Erzählung. Unterscheidungen von Subjekt und Objekt, von Autor_in und Interpret_in, von privat und öffentlich wurden hierbei verwischt. Auch Lucy Lippard hob hervor, dass Selbstermächtigung ein wichtiger Faktor sei: „When women use their own bodies in their art work, they are using their selves; a significant psychological factor converts these bodies or faces from object to subject.“100 Übertragen auf die vokale Performancekunst kann also auch die reine Tatsache, dass die eigene Stimme nach eigenen Vorgaben eingesetzt wird, eine selbstermächtigende Dimension haben. Das ‚Verwenden von sich selbst‘, das der Einsatz des eigenen Körpers laut Lippard bedeutet, verweist zudem auf die Möglichkeit autobiographischer Auseinandersetzung. Autobiographisches Erzählen stellt eine weitere wichtige Praxis der feministischen Performancekunst um die 1970er Jahre dar. Vielfach thematisierten Performancekünstlerinnen anhand

gung des Körperlichen in die Privat-sphäre für Frauen gesellschaftlich eine andere Bedeutung als für Männer, was Frauen in der Performancekunst dann thematisierten. 98

Siehe Wark, Radical Gestures, S. 31.

99

Ebd., S. 32.

100 Lippard, From the Center, S. 124, zitiert auch in Wark S. 6. [Hervorhebung im Original.]

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ihres Körpers autobiographische, alltägliche Erfahrungen und Emotionen.101 Das Private ist politisch. Über das Setzen von Inhalten Das Einbringen von Physischem, Persönlichem, Autobiographischem, Emotionalem in die Kunstpraxis erschütterte die zeitgenössisch vorherrschende angebliche „Neutralität“ und „Coolness“ von Kunst, die generell Inhalte ablehnte und rein formalistisch ausgerichtet war.102 Die Praktiken der Performancekunst forderten diese „formal anti-content tradition“103 heraus. Künstler_innen der Performancekunst waren nicht neutral, sondern persönlich, verletzlich, assoziativ, physisch, autobiographisch und teilten Inhalte.104 Diese einander gegenübergestellten Eigenschaften haben offensichtliche geschlechterspezifische Implikationen. Lippard schrieb: „Since the art world is still dominated by men, this attitude pervades the art that is being made. In the process, feelings and forms are neutralized.“105 Die Hervorhebung stereotyp weiblich assoziierter Eigenschaften durch die Performancekunst verschaffte diesen nicht nur Sichtbarkeit und ermöglichte deren Aufwertung, was aus identitätspolitischer Perspektive höchst relevant für die Performancekünstlerinnen war. Sie forderte darüber hinaus eine prinzipielle Neuorientierung in der Frage danach, was als Kunst gilt. Es wurde klar, wie es Wark anhand der Erfahrungen der Performancekünstlerin Carolee Schneemann thematisiert, „that if women were going to participate in art practice on their own terms, they were going to have to challenge aesthetic assumptions that art was neutral or disinterested.“106 So sieht Lippard anhand der Performancekunst das Axiom in Frage gestellt, demzufolge Innovationen in der Kunst primär auf der Ebene von Stil und Form stattfinden könnten.107 Diese Dekonstruktion von Innovationshoheit war für Künstlerinnen elementar. Denn, so Lippard, die Identifizierung von Frauen mit historischen Stilen sei aufgrund derer männlich dominierten Vorprägungen kaum möglich.108 Dies ist eine übliche Antwort auf die 101 Für Beispiele siehe u. a. Wark, Radical Gestures, S. 53ff.; Lippard, From the Center, S.125ff. 102 Wark, Radical Gestures, S. 5. 103 Ebd., S. 7. 104 Ebd., S. 5. 105 Ebd., S. 11. 106 Wark, Radical Gestures, S. 29. 107 Lippard, From the Center, S. 6. 108 Ebd.

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Frage, warum vor allem Frauen sich vielfach der Performancekunst zuwandten.109 Lippard vermutet, dass aus diesem Grund das künstlerische Innovationsinteresse vieler Künstlerinnen anders als die eher traditionelle avantgardistische Idee nicht ein Widerstand gegen Stile und Formen, sondern vielmehr gegen Ideologien gewesen sei.110 Überhaupt Themen zu setzen, Persönliches, also Autobiographisches, zu verhandeln, Emotionen ins Spiel zu bringen, den eigenen Körper zum künstlerischen Material zu machen und anzuerkennen, dass ‚künstlerische Produktion immer in sozialen Kontexten stattfindet‘,111 veränderte prinzipielle Annahmen über Kunst.112 Das Thematisieren von Autobiographischem oder des „Selbst“ vollzog dabei auch formal einen solchen ideologischen Bruch. So verhandelten autobiographische Performances keine „authentischen“, kohärenten Selbstentwürfe, sondern offenbarten Brüche und Widersprüchlichkeiten im Autobiographischen und wiesen die Konstruiertheit der Konzepte von Selbst und Identität auf. Es ging um die Problematisierung eines „stabilen, mit sich identischen Selbst“ und damit der prinzipiellen „Infragestellung des abendländischen Konzepts von Selbst überhaupt“.113 Erika Fischer-Lichte macht darauf aufmerksam, dass es folglich kaum überraschend sei, dass die Entwicklung der Form der autobiographischen Performance seit den 1970er Jahren vor allem von Künstler_innen vorangebracht wurde, „die Gruppen angehörten, welche aufgrund der in unserer Kultur vorherrschenden Vorstellung von Ich und Selbst eher marginalisiert sind: von Frauen und homosexuellen Männern.“114 Der Einsatz des Körpers stellt für die vokale Performancekunst in Form der Körperstimme einen zentralen Aspekt dar. Somit spielt auch die Verletzbarkeit, die durch den Einsatz des Körpers oder das Offenlegen persönlicher, autobiographischer, individueller Erzählungen riskiert wird, für sie eine Rolle. Verstärkt wird diese durch die Verwendung individueller Stimmtechniken, die für die vokale Performancekunst konstitutiv ist. Auch das Charakteristikum des Emotionalen ist mit der vokalen Performancekunst in Verbindung zu bringen.115 Wie Theda Weber-Lucks herausgearbeitet hat, tendieren vor allem die Frauen in der vokalen Performancekunst, deren Arbeiten sie analysiert hat, dazu, das Emotionale in der Stimme hervorzuheben, während die Männer aus ihrer Untersuchung eher 109 Vgl. z. B. Mary Jane Jacob, „Introduction“, oder Wark, Radical Gestures, S. 29. 110 Vgl. Lippard in Anlehnung an Susana Torre in Lippard, From the Center, S. 6. 111 Vgl. Wark in Anlehnung an Monika Kin Gagnon in War, Radical Gestures, S. 29. 112 Vgl. Lippard, From the Center, S. 9. 113 Vgl. Erika Fischer-Lichte, „Inszenierung von Selbst? Zur autobiographischen Performance“, S. 69. 114 Vgl. ebd., S. 69f. 115 Vgl. hierzu Kapitel I.2 „Vokale Performancekunst“.

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neutrale Artikulationen verwenden.116 Diese Beobachtungen passen zwar sehr gut zu denjenigen Lippards und Warks, denen zufolge die von ihnen thematisierten männlich dominierten Kunstpraktiken neutral und „cool“, d. h. Emotionen eher aussparend, waren und Frauen in ihrer Kunst verstärkt sowohl Emotionen thematisierten als auch emotional agierten. In Bezug auf die Untersuchungen zur vokalen Performancekunst sollte diese Unterscheidung allerdings in ihrer Bedeutung nicht überstrapaziert werden. Zum einen sind die Analysen Weber-Lucks’ quantitativ nicht repräsentativ, zum anderen weist sie an dieser Stelle selbst auf die Gefahr der Festschreibung geschlechtsspezifischer Klischees hin.117 Der meines Erachtens spannendere Brückenschlag von der vokalen Performancekunst zur Performancekunst in Bezug auf den Aspekt des Emotionalen ist die Überlegung, dass die Stimme prinzipiell ein spezifisches Bindeglied hin zum Emotionalen bildet; eine Überzeugung, die vor allem Meredith Monk vertritt und zum Zentrum ihrer eigenen Stimmphilosophie macht.118 Zusammenfassung Am Beginn des Kapitels stand die Frage, inwiefern die Kontextualisierung der vokalen Performancekunst mit der Performancekunst die Befragung ersterer als potentiell feministische Praxis voranbringen kann. Dabei stellte ich meine These voran, dass diese Frage Antworten auf drei Ebenen hat: der Ebene der Handlungssubjekte, also der Akteur_innen, der der verhandelten Inhalte, und der der Handlungsweisen. Wie gesehen, ist es von großer Relevanz, dass viele Frauen die Performancekunst von Anfang an mitbestimmten. Vor allem aus identitätspolitischer Perspektive ist die Tatsache, dass Frauen als Frauen diese neue Kunstform nach eigenen Bedürfnissen formen konnten, die im Zuge der zweiten Frauenbewegung klarer und offensiver formuliert wurden, wichtig. Sie brachte unter anderem die Möglichkeit selbstbestimmterer Repräsentationen. Entsprechend sind die Parallelen zwischen der Performancekunst und der vokalen Performancekunst, nämlich dass auch bei letzterer vornehmlich Frauen tonangebend waren, interpretierbar hinsichtlich der Potentiale für eine selbstbestimmtere künstlerische Aktivität. Jayne Wark bezieht sich in ihren Darstellungen zu feministischer Performancekunst ausschließlich auf diejenigen Künstlerinnen, die dezidiert ein fe116 Vgl. Weber-Lucks, Körperstimmen, S. 248. Siehe dazu auch Kapitel I.2 „Vokale Performancekunst“. 117 Vgl. Weber-Lucks, Körperstimmen, S. 249. 118 Vgl. hierzu Kapitel 1.2. „Vokale Performancekunst“, vor allem die Unterkapitel „Die Emotion der eigenen Stimme“ sowie „Das Konzept der ‚Urstimme‘“.

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ministisches Bewusstsein vertraten. Allerdings weist sie selbst darauf hin, dass nicht alle Künstlerinnen, die Performancekunst machten, bekennende Feministinnen waren.119 Wie anhand meiner Ausführungen dargelegt, besitzt die Performancekunst, wie auch die vokale Performancekunst, jedoch auch jenseits der Selbstpositionierung ihrer Akteur_innen und deren Motive und Absichten emanzipatorisches Potential und zwar sowohl durch die gesetzten Inhalte als auch durch die Praxisformen. Sowohl die Tatsache, dass überhaupt Inhalte gesetzt wurden, als auch die Inhalte selbst: Autobiographisches, Persönliches, sich selbst, Emotionen unterminierten die Paradigmen einer zeitgenössischen androzentrischen Kunstpraxis. Und schließlich haben die künstlerischen Handlungsweisen, wie beschrieben, großes emanzipatorisches Gewicht, selbst wenn die gesetzten Inhalte nicht derart eindeutig zuordenbar sind: der Einsatz des Körper anstatt der Präsentation eines Kunstobjekts, die Prozessualität und Ereignishaftigkeit der Performance, emotionales statt „cooles“ Agieren. Aus dieser Zusammenfassung lässt sich bereits ablesen, dass die vokale Performancekunst in Anlehnung an die Performancekunst in ihren Anfängen als Praxis immanent feministisches Potential besaß. Für die beschriebenen Zusammenhänge ist einerseits, wie gesehen, die Kontextualisierung mit der zweiten Frauenbewegung und somit die zeitliche Einordnung in die 1970er Jahre von Relevanz, die „golden years of performance“120 bzw. deren „amazing decade“,121 in dem sie sich als die prominente avantgardistische Kunstform durchsetzte.122 Anhand vieler der beschriebenen Aspekte drängt sich andererseits erneut auch ein räumlicher Zusammenhang auf: New York City. New York Zu ihren Anfängen etablierten sich zwei Zentren der feministischen Performancekunst: die Westküste mit San Francisco und Los Angeles und die Ostküste mit New York City.123 Sie hatten laut RoseLee Goldberg unterschiedliche Ausrichtungen. Die Künstlerinnen an der Ostküste waren sehr viel stärker an kollektiven Praktiken orientiert124 und damit stärker in Linie mit der feministischen 119 Vgl. Wark, Radical Gestures, S. 4 oder auch Lippard, From the Center, S. 145. 120 So der Titel von Goldberg, „The Golden Years“, S. 45. 121 So der Titel des Sammelbands Roth (Hg.), The Amazing Decade. Women and Performance Art in America 1970-1980. 122 Banes, Subversive Expectation, S. 1. 123 Vgl. u. a. Roth, „Essay“, S. 16f.; Goldberg, Performance. Live Art since the 60s, S. 129f. 124 Vgl. Goldberg, Performance. Live Art since the 60s, S. 129f.

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Praxis der solidarischen Gruppenbildung. In New York hingegen gab es eine größere Tendenz hin zu einem Individualismus,125 wenn auch hier generell feministische Kontexte existierten, innerhalb derer Performances als eher soziale, auf die „community“ zielende Ereignisse stattfanden.126 Und ganz prinzipiell spricht Dolan von „New York City’s continued centrality to feminist discourse in the arts.“127 Die Betonung von Individualität, wie sie in der New Yorker Performanceszene vorherrschend war, ist u. a. auch an der vokalen Performancekunst abzulesen, in deren Zentrum der bzw. die VocalComposerPerformer mit seinen bzw. ihren individuellen Fähigkeiten steht.128 Der Typus des bzw. der ComposerPerformer ist dabei als ein typisches Downtown-Phänomen zu verstehen.129 Doch trotz dieser Betonung von Individualität gab es auch in New York ein starkes Gemeinschaftsgefühl in der Downtown-Kunstszene. Dieses basierte allerdings weniger auf einer Idee von Einheitlichkeit als vielmehr auf einer des Neben- und Miteinanders von Einzelpersonen.130 Das Spannungsverhältnis zwischen Individualität und Kollektivität scheint mir auf unterschiedlichen Ebenen wiederzukehren. Auf einer Ebene steht die feministische Thematisierung individueller Erfahrungen als gesellschaftlich bedingt. Auf einer anderen Ebene ist die Befragung der menschlichen Stimme als individuelles oder kollektives Phänomen von Bedeutung. Und auf einer wieder anderen Ebene existiert stets die Frage danach, inwiefern der Individualstil eines einzelnen Künstlers oder einer einzelnen Künstlerin bestimmt ist durch das gesamte künstlerische und soziale Umfeld, innerhalb derer er oder sie agiert. Die Frage nach den Interdependenzen von individuellem und kollektivem Handeln erscheint mir somit insbesondere auch für die künstlerischen Praktiken in Downtown New York relevant.131 Zentral für das Gemeinschaftsgefüge Downtowns war die Herausbildung eines dichten Netzes von gegenkulturellen Räumen, an denen die Künstler_innen aktiv waren und miteinander in Austausch kamen.132 U. a. wurde hier mit der

125 Vgl. ebd. 126 Vgl. hierzu Dolan, „In Defense of the Discourse“, S. 7f. 127 Ebd., S. 5. 128 Vgl. hierzu das Unterkapitel I.2 „Vokale Performancekunst. Kriterien der vokalen Performancekunst: VocalComposerPerformer“. 129 Vgl. hierzu Kapitel II.2 „Downtowns Bausteine: Räume, Akteur_innen, künstlerische Praktiken“. 130 Vgl. hierzu ebd. 131 Vgl. hierzu ebd. 132 Vgl. Goldberg, Performance, S. 129.

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A.I.R. Galerie 1972 die erste US-amerikanische reine Frauengalerie eröffnet.133 Die Entstehung der zahlreichen gegenkulturellen Räume Downtowns war für alle Downtown-Künstler_innen existentiell. Doch für Frauen brachte sie zusätzlich die Möglichkeit, einer auf ihre räumlichen Ressourcen bezogenen Benachteiligung zu begegnen, die auch in Downtown New York um 1970 noch virulent war. Lucy Lippard erinnert sich: „In the winter of 1970, I went to a great many women’s studios and my preconceptions were jolted daily. I thought serious artists had to have big, professional-looking spaces. I found women in corners of men’s studios, in bedrooms and children’s rooms, even in kitchens, working away.“134

Frauen waren maßgeblich an der Etablierung der unterschiedlichen alternativen Räume in Downtown ab Ende der 1960er Jahre beteiligt, die in der Mehrheit als gegenkulturelle, kooperative Räume organisiert waren.135 Die Entstehung dieser Räume, in denen u. a. die unterschiedlichsten Arten von Performancekunst zur Präsentation kamen,136 ist zugleich ein Spiegel als auch ein Grund dafür, dass Downtown New York in den 1970er ein internationales Zentrum der Performancekunst war. Ein weiterer Grund für die Bedeutung New Yorks für die Performancekunst ist in deren Vorläufern zu sehen. Als direkte Vorgänger gelten Happening, Events und Fluxus, welche wiederum auf die frühen avantgardistischen künstlerischen Bewegungen wie Dada und Futurismus zurückgeführt werden.137 Eine prägende Figur für diese Zusammenhänge war John Cage.138 Durch seine Betonung von Handlungsabläufen, von Veränderung, des Moments künstlerischer 133 Vgl. Alloway, „SoHo als Bohemia“, S. 144. Vgl. hierzu auch Kapitel II.2 „Downtowns Bausteine: Räume, Akteur_innen, künstlerische Praktiken“. 134 Lippard, „Changing Since Changing“, in dies. From the Center, S. 4. 135 Vgl. hierzu Kapitel II.2 „Downtowns Bausteine: Räume, Akteur_innen, künstlerische Praktiken“. 136 Vgl. hierzu u. a. Banes, Subversive Expectation, S. 4; Goldberg, „A Hidden History“, S. 25f. 137 Siehe u. a. Banes, „Introduction“, in: dies., Subversive Expectation, S. 1. Siehe hier auch für eine gute Übersicht, Definition und historische Herleitung der Performancekunst sowie Definitionsversuche in den 1970er Jahren: Banes, „Introduction“, in: dies., Subversive Expectation. 138 Für Cages Bedeutung für die US-amerikanische Avantgarde siehe u. a. Raussert, „Verknüpfung von Interkulturalität und Intermedialität in der amerikanischen Avantgardekunst: John Cage“, in ders. Avantgarden in den USA, S. 82-122.

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Realisierung, des Prozessualen, welche durch seine Orientierung an Daisetz Suzukis Zen-Lehren sowie dem amerikanischen Pragmatismus und Transzendentalismus zur Basis seiner eigenen Kunst geworden waren, wurde er richtungsweisend für die Performancekunst.139 Als besonders einflussreich gilt sein Kompositionsunterricht an der New Yorker New School for Social Research in den späten 1950er Jahren, an denen zahlreiche spätere Fluxus-Künstler_innen teilnahmen.140 Letztere gelten als erste Generation von Künstler_innen im ab den 1960er Jahren zum künstlerischen Stadtteil avancierenden SoHo und damit als Downtown-Akteur_innen. Dies sind nur einige Aspekte, durch die sich der Raum New York als zentral für meinen Untersuchungszusammenhang erweist. Das nächste Kapitel wird die komplexen historischen, gesellschaftlichen und ästhetischen Zusammenhänge erläutern, die den Raum Downtown New York zu einem elementaren Kontext für die Entstehung der vokalen Performancekunst als feministischer Praxis machen.

139 Vgl. Raussert, „Verknüpfung von Interkulturalität und Intermedialität in der amerikanischen Avantgardekunst: John Cage“, in ders. Avantgarden in den USA, S. 82122, hier besonder S. 92, 99, 122, 97, 123. 140 Vgl. Weber-Lucks, Körperstimmen, S. 11.

II. Das künstlerische Kräftefeld Downtown Meredith Monk zog 1964 im Alter von 22 Jahren zurück in ihre Geburtsstadt New York City. Dort traf sie auf eine Szene von Künstler_innen, die sowohl ähnliche Vorstellungen davon hatten, was unter Kunst zu verstehen ist, als auch ihre Herangehensweise, Kunst zu machen, teilten. Sie alle lebten und agierten damals primär in einem geographisch überschaubaren Territorium von ca. 10 km² im südlichen Manhattan, das bald unter einer neuen Bezeichnung zu Ruhm kommen sollte: Downtown New York. Downtown hatte, so meine These, sowohl in Bezug auf Meredith Monks vokale Performancekunst im Speziellen als auch auf die künstlerischen Entwicklungen, in deren Kontext Monk sich etablierte, im Generellen eine große Bedeutung.

Abbildung 1.3: Stadtplan Downtown New York: Räume

Zeichnung: Marie-Anne Kohl. Dieser Stadtplan ist samt Index und weiterführenden Informationen zu den einzelnen Räumen detailliert einzusehen auf: stadtplandowntownnewyork.marie-anne-kohl.de. Weitere Erläuterungen siehe Quellen VIII

II.1 Downtown New York

II.1.1 D OWNTOWN : G EOGRAPHIE

UND

R ELATION

Der Begriff Downtown bezeichnet, geographisch verstanden, das Stadtgebiet Manhattans in New York City, das sich südlich der 14th Street bis zum Financial District an der Südspitze Manhattans, und von den Piers des Hudson River an der West Side bis zur Avenue D am East River erstreckt.1 „Downtown“ ist ein Sammelbegriff für weitere kleine Stadtteile wie das Greenwich Village, das East Village, Little Italy, die Lower East Side, TriBeCa, NoHo und insbesondere SoHo,2 mit dessen Entwicklungen in den 1960er und 1970er Jahren die Etablierung des Begriffs „Downtown“ eng zusammenhängt.3 In diesem Zusammenhang steht der Begriff „Downtown“ für einen physischen Ort. Der Begriff „Downtown“ ist jedoch mit weit mehr Bedeutung aufgeladen und steht als Assoziationsrahmen für andere Zusammenhänge als allein für den physischen Ort, obgleich diese Bedeutungen eng zusammenhängen mit Entwicklungen des physischen Orts. Der Begriff „Downtown Music“ bezeichnet laut Kyle Gann eine (ab den 1960ern) neue Aufführungstradition, Musik von Downtown-Musiker_innen bzw. in Downtown gespielte Musik.4 Über die Musik hinausgehend, steht der Begriff „Downtown“ ab den 1970er Jahren für ein heterogenes Feld unterschiedlicher künstlerischer Szenen, die sich weniger über eine gemeinsame Ästhetik definieren als vielmehr über eine geteilte Haltung der Künstler_innen in Bezug auf Produktions- und Distributionszusammenhänge von Kunst.5 Daran angelehnt ist „Downtown“ mit René Block auch zu verstehen als ein „‚State of mind‘, eine

1

Vgl. Marvin J. Taylor, „Playing the Field“, S. 17.

2

„SoHo“ steht als Abkürzung für South of Houston Street.

3

Vgl. Gendron, „The Downtown Music Scene“, S. 41.

4

Vgl. Gann, American Music in the Twentieth Century, S. 155.

5

Siehe Taylor, „Playing the Field“, S. 20.

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Geisteshaltung, eine bestimmte politische und ästhetische Einstellung, die unabhängig von geographischen Grenzen ist.“6 Der Begriff „Downtown“ impliziert dabei immer eine Relation bzw. Abgrenzung zu Uptown und Midtown, welche entsprechend ihrerseits für eine andere Musik bzw. Kultur stehen, Uptown etwa für eine elitäre, akademische Musik und Midtown für Massenkultur und Unterhaltung.7 „Downtown“ ist also ein Begriff, der sowohl einen geographischen Ort bezeichnet, als auch darüber hinausgehend als Abstraktion zu verstehen ist und übergeordnet als Bezeichnung für ein „kulturelles Downtown“8 steht. Er stellt Relationen her zu einer assoziativen Dimension und bezeichnet bestimmte künstlerische Szenen, Praktiken und eine Haltung, die sich an dem Ort Downtown herausbildeten bzw. virulent waren. Diese wurden einerseits von den DowntownKünstler_innen in Auseinandersetzung mit dem Ort Downtown hervorgebracht und praktiziert und bestimmten andererseits die Interaktionen der Künstler_innen. Somit entstand ein auf vielen Ebenen interdependentes dynamisches System. Die Raumsoziologin Martina Löw bezeichnet ein solches durch das soziale Handeln seiner Akteur_innen generiertes Relationssystem als sozialen, genauer als relationalen Raum.9 Der Archivar und Dowtown-Spezialist Marvin J. Taylor versucht, mit seinem Downtown Book10 2006 Downtown „as both geography and metaphor“ zu betrachten.11 Er weist darauf hin, dass Downtown trotz einer Fülle von Kommentaren und Mythen über seine Szenen bislang kaum wis-

6

Block, „Planquadrat SoHo“, S. 6. Diese Aussagen, mit denen Block die Spezifika SoHos in den 1970er Jahren umschreibt, lassen sich in dieser Form auch übergreifend auf Downtown übertragen.

7

Vgl. Gann, „Introduction. The Importance of Being Downtown“, in ders., Music Downtown, S. 1-15.

8

Der Begriff „kulturelles Downtown“ bzw. „cultural Downtown“ wird beispielsweise von Bernard Gendron verwendet in Zusammenhang mit der Durchsetzung des Begriffs Downtown als Oberbegriff für die benachbarten, künstlerisch belebten Bezirke im Süden Manhattans (siehe Bernard Gendron, „The Downtown Music Scene“, S. 41).

9

Martina Löw, Raumsoziologie und „Die Konstitution von Raum“.

10 Marvin J. Taylor (Hg.), The Downtown Book: The New York Art Scene, 1974-1984. 11 Taylor, „Playing the Field“, S. 20. Der Begriff Metapher ist meines Erachtens etwas unglücklich gewählt, ich habe daher die Begriffe Relation bzw. assoziativer Rahmen bevorzugt, um die weiteren Bedeutungsebenen Downtowns zu bezeichnen. Im Grunde beziehe ich mich jedoch damit auf die Ebenen, die auch für Taylor relevant sind.

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senschaftlich erforscht wurde.12 Um die Kunst und die Funktionsweisen der Downtown-Szenen zu verstehen, macht sich Taylor dafür stark, mit den Ansätzen des Soziologen Pierre Bourdieus die sozialen Konditionen der künstlerischen Produktion und das Zusammenwirken der einzelnen Künstler_innen mit in den Blick zu nehmen, d. h. vor allem auch „to understand the effect all these people had not only on one another, but also on the scene as a whole.“13 Die Signifikanz des Raums in Bezug auf die Entwicklung dieses spezifischen „kulturellen Downtowns“ kommt dabei allerdings meines Erachtens trotz des Verweises auf Bourdieus Konzept des kulturellen Kräftefelds zu kurz.14 Um über Taylors Ansatz hinausgehend die Interdependenzen vom Raum und seinen Akteur_innen, die Downtown konstituierten, und deren Alltags- und ästhetischen Praktiken, offensichtlich zu machen, und um die Entstehung des Raums Downtown darzustellen, bietet mir das relationale Raumkonzept Martina Löws,15 das über Bourdieu hinausgehend z. B. auch Geschlecht als Strukturprinzip der Raumkonstitution miteinbezieht, einen methodischen Rahmen. Im folgenden Unterkapitel führe ich die beiden Begriffe „relationaler Raum“ (Löw) und „kulturelles Kräftefeld“ (Bourdieu) für meinen Untersuchungskontext Downtown New York zusammen. Entsprechend verstehe ich Downtown als spezifisches kulturelles Kräftefeld, das als relationaler Raum durch seine Akteur_innen, deren Haltung und Handlungen und die durch sie hervorgebrachten gegenkulturellen Räume bestimmt ist. Durch die Integration der Signifikanz des Raums Downtown weitet sich der zeitliche Schwerpunkt meiner Untersuchungen im Gegensatz zu Taylor, der seinen Fokus allein auf die 1970er Jahre als Blütezeit der Downtown-Szenen legt, auf die 1960er Jahre aus, in denen wichtige stadtpolitische Entscheidungen die 12 Siehe Taylor, „Playing the Field“, S. 20. Allerdings bemüht Taylor sich mit der „Downtown Collection“, angesiedelt in der Fales Library der New York University, möglichst vielfältiges Material der unterschiedlichen Szenen Downtowns zu sammeln, archivieren und zur Verfügung zu stellen. (Vgl. ebd., S. 29ff.) Einen Überblick über die ansässigen Künstler_innen und ihre Arbeit in Downtown bzw. SoHo in den 1960er und 70er Jahren sowie Hinweise für weiterführende Literatur bieten neben dem von Taylor herausgegebenen Band Downtown u. a. auch Richard Kostelanetz mit seinem aus subjektiver Perspektive als Erfahrungsbericht geschriebenen SoHo – The Rise and Fall of an Artists’ Colony sowie die Einzelbeiträge im nach wie vor informativen, wenn auch bereits 1976 von René Block herausgegebenen Ausstellungskatalog New York – Downtown Manhattan, SoHo. 13 Siehe Taylor, „Playing the Field“, S. 29ff., hier S. 31. 14 Allein der Beitrag von Carlo McCormick geht ansatzweise darauf ein (siehe McCormick, „A Crack in Time“). 15 Martina Löw, Raumsoziologie und „Die Konstitution von Raum“.

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Transformation des Stadtgebiets Downtown, insbesondere SoHos, einleiteten. Während sich diese Transformation einerseits auf den physischen Ort Downtown bezog (Deindustrialisierung, demographischer Wandel etc.), brachte sie andererseits gleichzeitig einen neuen sozialen Raum hervor, indem sich eine neue, erstaunlich homogene Gruppe von Akteur_innen ansiedelte, die sich den Raum Downtown auf eine neue Art und Weise aneignete, ihn neu gestaltete und umdefinierte. Diese neue Gruppe von Akteur_innen bestand vorrangig aus Künstler_innen mit einem sozialen Hintergrund in der weißen Mittelschicht,16 zu der auch Meredith Monk gehörte. Der Umstand, dass SoHo hauptsächlich von Künstler_innen besiedelt wurde, ist wiederum auch auf stadtpolitische Entscheidungen zurückzuführen. Diese Transformation Downtowns bildete die Basis für die Herausbildung und Etablierung des kulturellen Kräftefelds Downtown, welches nur an diesem Ort als dieser Raum um 1970 entstehen und sich etablieren konnte und deswegen auch seinen Namen trägt.17

II.1.2 D AS

KULTURELLE K RÄFTEFELD ALS RELATIONALER R AUM

Martina Löws relationaler Raumbegriff Das kulturelle Downtown, so meine These, stellt einen zentralen Kontext für die Herausbildung von Monks vokalem Individualstil dar. Sprach ich bislang vom geographischen Ort Downtown, dann suggerierte dies möglicherweise einen statischen Raum, der in dieser Form allerdings nicht existiert. Ich verstehe dieses Downtown als einen relationalen Raum im Sinne Martina Löws. Dieser Raum wurde primär von Künstler_innen genutzt, definiert und hergestellt und ist damit als ein dezidiert künstlerischer Raum zu verstehen. Gleichzeitig bestimmten die sich herausbildenden räumlichen Strukturen die künstlerischen Praktiken in Downtown und damit auch Monks künstlerisches Handeln. In seiner Spezifik

16 Siehe hierzu ausführlicher das Kapitel II.2.2 „Akteur_innen Downtowns. Homogenität versus Heterogenität des künstlerischen Kräftefelds Downtown.“ 17 Da Downtown als relationale Bezeichnung das kulturelle Kräftefeld selbst und nicht allein den physischen Ort benennt, dessen kulturelles Kräftefeld es zu untersuchen gilt, werde ich im Folgenden nicht von dem kulturellen Kräftefeld Downtowns, sondern dem kulturellen Kräftefeld Downtown sprechen. Dabei beziehe ich mich durchweg, sofern nicht explizit anders hervorgehoben, auf die 1960er und 1970er Jahre bzw. auf den Rahmen meiner Untersuchung, 1964 bis 1979.

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konnte er sich allein an diesem speziellen urbanen und (post-)industriellen Ort herausbilden, als zunächst gegenkultureller Raum, der sich im Laufe der 1970er Jahre allerdings schnell institutionalisierte. Der relationale Raumbegriff Löws ermöglicht es, die Wechselwirkungen zwischen den Akteur_innen und deren (gegenkulturellen, künstlerischen und Alltags-)Handlungen, den gesellschaftlichen Strukturen, den vorgefundenen symbolischen und materiellen Faktoren und der Konstitution von Raum zu fassen, wie sie für die Beschreibung der Entstehung des kulturellen Downtown sinnvoll ist, und dabei auch Geschlecht als ein alles durchziehendes Strukturprinzip zu verstehen. In Löws Raumtheorie kommt den sozialen Akteur_innen und deren Handeln eine zentrale Rolle bezüglich der Konstitution von Räumen zu. Löw zufolge sind Menschen raumkonstituierend durch ihre Handlungen, durch ihr soziales Verhältnis zueinander18 und durch ihre „(An)Ordnung“19 im Raum. Das ist für das kulturelle Downtown von größter Relevanz, gehe ich doch davon aus, dass für dessen Hervorbringung gerade die Künstler_innen als soziale Akteur_innen Downtowns mit ihrem gegenkulturellen, künstlerischen und Alltags-Handeln und ihren Netzwerkbildungen konstitutiv waren. Räume werden also als menschliche Konstruktionsleistungen verstanden, die somit auch historisch und kulturell wandelbar sind. Und wenn der Konstitution von Räumen menschliche Handlungen zugrunde liegen, hat sie auch immer eine geschlechtsspezifische Dimension.20 Denn als wirkmächtige gesellschaftliche Konstruktion, die inkorporiert und im Habitus verankert ist, durchzieht Geschlecht alle Lebensbereiche,21 auch das Handeln, Denken, Fühlen und Urteilen. Die Bezugnahme auf Pierre Bourdieus Konzept des Habitus ermöglicht es Löw, Geschlecht als weiteres Strukturprinzip der Raumkonstitution einzuführen.22 Der Habitus steht als Bezeichnung dafür, wie gesellschaftliche Strukturen und spezifische Lebensumstände als kollektive Dispositionen in den Körper eingeschrieben und zur Basis eines Systems verinnerlichter, doch zumeist unbewusster Denk-, Wahr18 Ihre Nähe oder Distanz zueinander bestimmen ihre (An)Ordnung im Raum. (Vgl. Löw, „Die Konstitution von Raum“, S. 179.) 19 Der Raum wird dadurch bestimmt, wie Menschen im Raum platziert sind, ob sie etwa an- oder abwesend sind. (Vgl. Löw, „Die Konstitution von Raum“, S. 179.) 20 Vgl. u. a. Susanne Rode-Breymann, „Orte und Räume kulturellen Handelns von Frauen“, S. 192. 21 Vgl. u. a. Löw, Raumsoziologie, S. 176, 179. 22 Dabei macht sie allerdings deutlich, dass Bourdieu selbst Geschlecht neben Klasse nur zögerlich als weitere Basis des Habitus miteinbezogen habe. (Vgl. Löw, Raumsoziologie, S. 177.)

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nehmungs- und Handlungsmuster werden.23 Gilt Geschlecht mit Löw als Strukturprinzip, das alle gesellschaftlichen Strukturen durchzieht, bedeutet dies, dass Geschlecht diese Systembasis komplett durchzieht. Geschlecht als grundlegendes Prinzip jeglicher Raumkonstitution zu verstehen, ist für Downtown insbesondere interessant bezüglich der Fragen danach, wie Frauen und Männer an der Konstitution von Downtown partizipierten und welche Räume geschaffen und genutzt wurden. Löw versteht Räume als ‚sich stetig verändernde, relationale (An)Ordnungen von sozialen Gütern und Lebewesen an Orten.‘24 Durch die Schreibweise „(An)Ordnung“ deutet sie auf zwei interdependente Aspekte der Raumkonstitution hin, nämlich auf den Prozess des Anordnens als Handlungsdimension sowie auf eine strukturierende Dimension, eine „Ordnung“.25 Entsprechend versteht sie die „Entstehung von Raum in der Wechselwirkung zwischen Handeln und Strukturen“.26 Räumliche Strukturen versteht sie als abgesicherte Regeln und Ressourcen, entlang denen institutionalisierte, d. h. kollektiv reproduzierte und genormte Handlungsweisen nach sich ziehende Räume konstituiert werden.27 Räumliche Strukturen sind Teil der gesellschaftlichen Struktur und strukturieren gesellschaftliche Prozesse vor.28 Denn sie steuern oder strukturieren einerseits das Handeln. Andererseits jedoch müssen sie gleichzeitig auch ‚im Handeln verwirklicht werden‘.29

23 Vgl. Löw, Raumsoziologie, insbesondere „5.2.4 Geschlecht und Klasse“, S. 173-179, hier S. 176f., sowie Pierre Bourdieu, „Der Habitus als Vermittlung zwischen Struktur und Praxis“, in: ders., Zur Soziologie der symbolischen Formen, S. 125-158. Siehe auch Kohl, „Körper, männlicher/weiblicher, Körperlichkeit“, S. 313. Zum Konzept des Habitus im Kontext meiner Fragestellungen siehe auch die Unterkapitel II.1.2 „Das Kulturelle Kräftefeld als relationaler Raum. Pierre Bourdieus Begriff des kulturellen Kräftefelds“ sowie in Kapitel II.2.2 „Akteur_innen Downtowns“ die Unterkapitel „Kulturelles, soziales und symbolisches Kapital und das Beziehungssystem“, „Homogenität versus Heterogenität des künstlerischen Kräftefelds Downtown“ und „Frauen als Akteurinnen Downtowns“. 24 Vgl. Martina Löw, „Die Konstitution von Raum“, S. 178f., und dies., Raumsoziologie, S. 271, These 1. 25 Vgl. Löw, Raumsoziologie, S. 166. 26 Siehe den Titel des Kapitels „5.2 Die Entstehung von Raum in der Wechselwirkung zwischen Handeln und Strukturen“, in: Löw, Raumsoziologie, S. 158-230. 27 Vgl. Löw, Raumsoziologie, S. 167, S. 272, These 3. 28 Vgl. ebd., S. 167ff. 29 Vgl. ebd., S. 172, siehe auch S. 166.

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Löw unterscheidet analytisch zwischen zwei raumkonstituierenden Handlungsprozessen, dem Spacing und der Syntheseleistung. Das Spacing bezeichnet den Prozess des Platzierens, Positionierens bzw. (An)Ordnens von sozialen Gütern, Menschen oder von symbolischen Markierungen, welche Ensembles von Gütern und Menschen als solche kenntlich machen, in Relation zu anderen Platzierungen. Die Syntheseleistung bezeichnet die Zusammenfassung bzw. Verknüpfung von Gütern und Lebewesen zu Räumen durch Wahrnehmungs-, Vorstellungs- und Erinnerungsprozesse.30 Wenn Monk im dritten Teil von „Vessel“ ihre Performerinnen und Performer auf dem Parkplatz in der Wooster Street und im Säulengang einer angrenzenden Kirche „platziert“, so bedarf es auch der Syntheseleistung der Zuschauer_innen, die Relation zu erkennen und die einzelnen Elemente zu einem Raum zusammenzufassen. Für Löw spielt für die Konstitution von Räumen durch Spacing und Synthese in erster Linie das repetitive, habitualisierte Alltagshandeln eine Rolle, das auf Routinen und Regeln zurückgreift und meist aus einem „praktischen Bewusstsein“ heraus geschieht, d. h. auf Basis eines (auch körperlich und emotional verstandenen) im Alltag aktualisierten, jedoch nicht bewusst reflektierten Wissens.31 Für Downtown spielt jedoch meines Erachtens neben dem Alltags- vor allem das künstlerische Handeln eine Rolle in der Raumkonstitution. Es sind vornehmlich die künstlerischen Praktiken, die Downtown zum Gegenpol des als etabliert wahrgenommenen Kulturraums Uptown machen, gewissermaßen also zu einem Gegenraum. Auch Löw sieht jenseits des gewohnheitsbedingten Alltagshandelns die Möglichkeit gegenkulturellen Handelns als Abweichen oder Verändern von Gewohnheiten und darüber die Potentiale, Räume zu verändern bzw. gegenkulturelle Räume zu schaffen.32 Dieses gegenkulturelle Handeln kann durch unterschiedliche Faktoren ausgelöst werden, etwa durch „Einsicht in Notwendigkeiten“, durch „körperliches Begehren“, durch „Aushandlungsprozesse“ oder durch „Fremdheit“. Unter gegenkulturellen Räumen versteht Löw Räume‚ die im Prozess eines Handelns konstituiert werden, das gegen institutionalisierte (An)Ordnungen gerichtet ist.33 Solche gegenkulturellen Räume sieht Löw beispielsweise durch die „Erschließung von öffentlichen Frauenräumen durch die

30 Vgl. Martina Löw, „Die Konstitution von Raum“, S. 183, und dies., Raumsoziologie, S. 158ff. 31 Vgl. Löw, Raumsoziologie, insbesondere „5.2.2 Der repetitive Alltag“, S. 161-166, hier besonders S. 161. 32 Siehe Löw, Raumsoziologie, insbesondere „5.2.5 Abweichung und Veränderung“, S. 183-191. 33 Vgl. ebd., S. 185.

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Frauenbewegung“ hervorgebracht.34 In Downtown entstanden in den 1970er Jahren mit der A.I.R. Gallery, SoHo 20 oder Women in the Arts die ersten reinen Frauengalerien der USA überhaupt.35 Sie entstanden u. a. als Reaktion darauf, dass Künstlerinnen in den etablierten Galerien und Museen Uptowns so gut wie gar nicht ausgestellt wurden: „If women are not welcome in the Fiftyseventh Street galleries, they can create their own art world in SoHo.“36 In Form von selbstorganisierten Galerien, alternativen Aufführungsorten, Wohn-Kooperativen oder integrierten Wohn- und Aufführungsräumen standen diesen Frauenräumen zahlreiche weitere Modelle gegenkultureller Räume in Downtown zur Seite. Sie alle entstanden aus einer „Fremdheit“ gegenüber bestehenden Räumen heraus, die den eigenen künstlerischen Praktiken oder Lebensentwürfen keinen Raum boten, und aus der „Einsicht in die Notwendigkeit“ und sicher häufig genug auch aus dem „körperlichem Begehren“ nach der Erschaffung entsprechender eigener Räume. Die große Fülle gegenkultureller Räume bildete zusammengefasst einen wesentlichen Baustein des gegenkulturellen Raums Downtown. Die Zusammenfassung der verschiedenen Räume zu einem einzelnen Raum kann wiederum als Verknüpfung bzw. Syntheseleistung verstanden werden.37 Indem also die Downtown-Künstler_innen oder -Besucher_innen oder auch ich, die ich aus (musik-)historischer und (-)soziologischer Perspektive über Downtown schreibe, die vielen Galerien, Lofts, Off-off-Theater etc. als zusammengehörend wahrnehmen, handel(te)n wir bereits raumkonstituierend. Es zeigt sich daran beispielhaft auch, dass die Herstellung des gegenkulturellen Raums Downtown eine kollektive Dimension hatte, also über rein individuelle Handlungen – Spacings oder Syntheseleistungen – hinausging. Sobald jedoch gegenkulturelles Handeln kollektiv und regelmäßig wird, sind laut Löw auch Veränderungen von institutionalisierten Räumen oder gar von Strukturen möglich,38 d. h. also das Verändern von genormten Handlungsweisen, von Regeln und Ressourcen.

34 Ebd. 35 Vgl. Helene Zucker Seeman und Alanna Siegfried, SoHo: A Guide, S. 78, 86f. und Lawrence Alloway, „SoHo als Bohemia“, S. 144. 36 Taylor, „Playing the Field“, S. 32. 37 Vgl. ähnlich hierzu: „Ein Stadtteil zum Beispiel, bestehend aus sehr vielfältigen sozialen Gütern und Menschen, kann als ein Element wahrgenommen werden, welches relational verknüpft mit anderen Stadtteilen den Raum der Stadt bildet. Der Stadtteil kann aber auch selbst als Raum betrachtet werden.“ (Martina Löw, „Die Konstitution von Raum“, S. 181f., Hervorhebung im Original.) 38 Vgl. Löw, Raumsoziologie, S. 185.

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Die Veränderungen von institutionalisierten Räumen oder Strukturveränderungen setzen, da regelmäßige Abweichungen wiederum selbst neue Routinen entwickeln, den Prozess der Schaffung (neuer) institutionalisierter Räume erneut in Gang.39 Das gegenkulturelle Handeln, das die einzelnen Räume Downtowns sowie den Raum Downtown hervorbrachte, entwickelte offensichtlich das Potential, bestehende institutionalisierte Räume und gesellschaftliche Strukturen, bezogen auf einen künstlerischen Kontext, zu verändern und neue Standards zu etablieren. Nicht umsonst fragt Taylor 2006 in der Auseinandersetzung mit dem Downtown der 1970er Jahren danach, „how this place, during this period, shaped creative culture in the United States over the past twenty-five years“.40 Unter diesem historisch spezifizierten „place“ versteht auch er den Raum Downtown, der durch die unzähligen Künstler_innen und ihre Kunst bestimmt war. Während dieses Downtown bereits im Zuge der 1970er Jahre zum Zentrum der US-amerikanischer Avantgarde und darüber alsbald zum Maßstab dessen wurde, was auch über New York und die USA hinaus als avancierte Kunst und Kunstpraxis gelten sollte,41 begann er als gegenkultureller Raum. Pierre Bourdieus Begriff des kulturellen Kräftefelds Zuvor habe ich behauptet, dass für die Konstitution des kulturellen Downtown vor allem künstlerische Praktiken von Relevanz waren. Denkt man dabei an das Spacing und die Syntheseleistung von vornehmlich materiellen Gütern und Menschen, wie dies bei Löw der Fall ist, führt das nur bedingt weiter. Zwar lassen sich das Eröffnen, Bespielen und Besuchen der gegenkulturellen Räume, also die (wenn auch teils nur temporäre) Platzierung von Kunstwerken (auch in Form von Performances), von Scheinwerfern und Lautsprechern sowie die Bewegungen und sich damit stetig verändernde Platzierung der Akteur_innen, sowie die Verknüpfung der Räume, der dort stattfindenden Aktionen und ihrer Akteur_innen zum kulturellen Downtown, als Spacing und Syntheseleistung interpretieren. All diese Handlungen sind auch als kunstbezogenes Handeln zu verstehen und in dieser angedeuteten raumkonstituierenden Funktion nicht zu unterschätzen. Mein Hauptinteresse in Bezug auf die Konstitution Downtowns zielt allerdings auf ein Verständnis der Wechselwirkungen zwischen dem relationalen 39 Vgl. ebd. 40 Taylor, „Playing the Field“, S. 20. Siehe auch: „The field of cultural production that we call the Downtown scene was a hotbed for this particular postmodern moment, and the ‚position takings‘ of Downtown artists helped shape the art and art practices that would follow.“ (Taylor, „Playing the Field“, S. 33.) 41 Vgl. ebd., S. 20.

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Raum Downtown und den künstlerischen Praktiken oder Kunstwerken seiner Akteur_innen ab, also darauf, wie der Raum diese ermöglichte oder einschränkte und gleichzeitig durch sie konstituiert wurde. In welcher Weise also beeinflusste das kulturelle Downtown Meredith Monks vokale Performancekunst und deren Entstehung, und wie wirkte diese in die Prozessualität der Entstehung Downtowns ein? Hierfür muss der Raum als mehr als die relationale (An)Ordnung primär materieller Güter und Menschen verstanden werden und vielmehr auch das Beziehungs- und Referenzsystem, das die künstlerischen Arbeiten und Arbeitsweisen selbst untereinander bilden, als integraler Bestandteil des Raums miteinbezogen werden.42 Eine Möglichkeit, einen maßgeblich durch künstlerische Zusammenhänge geprägten Raum theoretisch zu erfassen, bietet in Anlehnung an Pierre Bourdieu das Konzept des kulturellen Kräftefelds.43 Pierre Bourdieu beschrieb mit seinem Begriff des kulturellen Kräftefelds meines Erachtens einen Raum, ohne ihn jedoch explizit als solchen zu benennen.44 Dieser Raum ist ein sehr spezifischer Raum, der sich explizit auf Konstel42 Zwar hat Martina Löw immer auch die symbolischen Ebenen der Konstitution von Raum mit im Blick, führt aber nicht weiter aus, auf welche Weise primär symbolische Güter wie Kunstwerke, Vorschriften, Werte oder Haltungen in die Raumkonstitution einfließen, und kommt von daher immer wieder primär auf materielle Raumkomponenten zurück. (Siehe dazu Löw, „Die Konstitution von Raum“, S. 178.) 43 Bourdieu, „Künstlerische Konzeption und intellektuelles Kräftefeld“. Auch Marvin J. Taylor versteht in seinem Downtown Book die „Downtown scene“ mit Piere Bourdieu als „field of cultural production.“ (Siehe Taylor, „Playing the Filed“, S. 29ff.) 44 Bourdieu entwirft an anderer Stelle einen eigenen sozialen Raumbegriff, den Martina Löw kritisch überdenkt und in ihre Raumsoziologie mit einarbeitet (siehe bspw. Pierre Bourdieu, „Sozialer Raum und ‚Klassen‘“ oder ders., „Sozialer Raum, symbolischer Raum“; vgl. auch Martina Löw, Raumsoziologie, insbesondere S. 179-198). Seine Überlegungen zum kulturellen Kräftefeld in „Künstlerische Konzeption und intellektuelles Kräftefeld“ bezieht Bourdieu erstaunlicherweise nicht direkt auf das Konzept des sozialen Raums. Allerdings macht Löw darauf aufmerksam, dass Bourdieu den Feldbegriff häufig synonym zum Begriff des sozialen Raums verwendet, mit ersterem jedoch stärker das relationale Gefüge ausgedrückt sieht (siehe Löw, Raumsoziologie, S. 180f.). In „Künstlerische Konzeption und intellektuelles Kräftefeld“ hält Bourdieu lediglich fest, dass anhand der Bewegung „des Intellektuellen“ (sic) innerhalb eines kulturellen Feldes auch dessen „historischer und sozialer Ort“ zu bestimmen sei (siehe Bourdieu, „Künstlerische Konzeption und intellektuelles Kräftefeld“, S. 115f.). Er verweist dabei auf die ‚Internalisierung der objektiven Kultur einer Gesellschaft, Epoche oder Klasse‘ (ebd. S. 116) durch den Intellektuellen (sic), übertragbar auch zu denken als der oder die Künstler_in. Diese Verortung verweist zwar auf

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lationen, Entwicklungen und Hervorbringungen der künstlerischen Sphäre bezieht, und ist in erster Linie als ein sozialer und symbolischer Raum zu verstehen. Denn Bourdieu bezieht sich mit dem Begriff des Kräftefeldes nicht auf einen spezifischen Ort,45 an dem sich dieses Feld herausbildet, sondern konzentriert sich auf die Binnenstruktur des Feldes als relationales Gebilde, das durch die einzelnen Kräfte des Feldes sowie deren Beziehungen zueinander seine Struktur erhält.46 Er versteht das kulturelle Kräftefeld als ein System symbolischer Beziehungen.47 Von zentralem Interesse ist dabei, wie das Kräftefeld die Konzipierung von Kunstwerken durch Künstler_innen und damit deren künstlerische Handlungsweisen und die dabei entstehenden Kunstwerke selbst mitbestimmt.48 Dabei geht es also weniger um materielle Güter, wie sie primär eine die Position der/des Einzelnen im sozialen Raum, Bourdieu macht jedoch nicht explizit, dass das spezifische kulturelle Kräftefeld selbst als dieser zu verstehen ist. 45 Für die begriffliche Unterscheidung zwischen Ort und Raum siehe das Unterkapitel II.1.2 „Das kulturelle Kräftefeld als relationaler Raum. Zur Bedeutung des Ortes für den Raum Downtown“. 46 Siehe Pierre Bourdieu, „Künstlerische Konzeption und intellektuelles Kräftefeld“, S. 76f. 47 Siehe ebd., S. 97 Anm. 23. 48 Der Begriff des Kunstwerks wird von mir an dieser Stelle aufgegriffen, da er auch von Bourdieu verwendet wird. Allerdings steht hinter diesem Werkbegriff kein absolutes, geschlossenes Werkverständnis. Vielmehr kann der Begriff in erweitertem Sinne ebenso auf das (Zwischen)Ergebnis künstlerischer Produktionsprozesse bzw. auf diese Prozesse selbst verweisen, wie zum Beispiel bei Happenings oder bei zahlreichen Performances (siehe dazu auch Kapitel I.3 „Performancekunst und feministisches Bewusstsein“). An dieser Stelle kann keine ausführliche Auseinandersetzung mit der umfangreichen Diskussion des Werkbegriffs erfolgen, wie sie beispielsweise für den Kontext der Musik in den 1970er und 1980er Jahren ausgedehnt geführt wurde (vgl. Christa Brüstle, „Performance/Performativität in der neuen Musik“, S. 271f.). Es sei generell auf die Krise des Begriffs und der Kategorie des Werkes hingewiesen, welche laut Erika Fischer-Lichte insbesondere infolge der von ihr formulierten „performativen Wende“ weg vom Werkbegriff hin zum Ereignisbegriff führte (Erika FischerLichte, „Begründung für eine Ästhetik des Performativen“ in: dies., Ästhetik des Perforamtiven, S. 9-30). Dabei sind es sowohl denksystemische Paradigmenwechsel als auch neue Kunstformen, die diese performative Wende herbeiführten. Doch bereits die frühen Avantgardekünste hatten den Pfad gelegt, das Konzept des Werkes prinzipiell in Frage zu stellen oder auch zu erweitern (siehe Edith Almhofer, „Entgrenzungen. Zur Kritik und Erweiterung der Werkkategorie in der Aktionskunst der Moderne“, in: dies., Performance Art, S. 12-33; oder auch Peter Bürger, „III. Das avantgardisti-

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Rolle spielen bei Löws Vorstellung von Raum als (An)Ordnung, außer man versteht einzelne Kunstwerke vornehmlich in ihrer materiellen Eigenschaft. Nichtsdestotrotz lässt sich auch Bourdieus Kräftefeld als (An)Ordnung verstehen, allerdings als (An)Ordnung primär symbolischer Güter und Menschen. Und es sind gerade die (An)Ordnungen, die Art der Beziehungen zwischen den Künstler_innen, weiteren Akteur_innen und den eigenen sowie der Gesamtheit aller künstlerischen Produktionen des Feldes, die Bourdieu interessieren, d. h. wie sie entstehen, sich verändern, wodurch sie beeinflusst werden oder Wirkmacht erhalten. Der für mein Forschungsinteresse anschlussfähigste Anspruch ist, die künstlerische Produktion nicht als absolut, rein selbstreferentiell und losgelöst von externen Faktoren zu verstehen, sondern „im Zentrum des Individuellen selber Kollektives zu entdecken“,49 also die These auf- und ernstzunehmen, dass sich ein Werk immer auch an „ästhetischen Anforderungen, geistigen Erwartungen, Wahrnehmungs- und Denkkategorien“50 orientiert und daher stets in Kommunikation, d. h. in Relation zu externen Faktoren entsteht. Wenn nun Bourdieu dafür plädiert, Determinismen und Motivation als gleichwertige Faktoren der kreativen Konzeption zu verstehen und eine Ästhetik zu denken, die gleichzeitig immanent, d. h. bis zu einem gewissen Grad selbstreferentiell, und relational

sche Kunstwerk. 1. Zur Problematik der Werkkategorie“, in: ders., Theorie der Avantgarde, S. 76-80). Für die Musik bedeutete eine verstärkte Hinwendung zum musi kalischen Handeln und der Aufführung von Musik eine Kritik an dem Konzept des musikalischen Werkes als geschriebener Notentext (vgl. bspw. Brüstle „Performance/ Performativität in der neuen Musik“, Rebecca Grotjahn „Frauenberuf Sängerin“, Bettina Schlüter, „Vom Werkcharakter der ‚Oper‘ zur Textur von ‚Opera‘“). Dieser Paradigmenwechsel ist für nicht verschriftlichte Musiken von besonderer Bedeutung. In dieser Arbeit verwende ich seltener den Begriff des Kunstwerks, jedoch häufig den Begriff „künstlerische Arbeit“ oder einfach „Arbeit“, wenn ich über die künstlerischen Outputs der Downtown-Künstler_innen spreche. Damit greife ich eine in Downtown damals übliche Ausdrucksweise auf: Die Künstler_innen sprachen selten von ihrer „Kunst“, vielmehr von ihrer „Arbeit“ (vgl. „LA: ‚And we called it our work. Everything was called work. You had pick-ups and you were wearing work boots. And you were at work all day doing stuff.‘ RG: ‚That word, ‚work‘, was really important in the vocabulary of the time.‘“ Laurie Anderson und RoseLee Goldberg in Laurie Anderson, Trisha Brown, Jane Crawford u. a., „All Work, All Play“, S. 83. Vgl. auch: „‚Arbeit‘ [ist] einer der Lieblingsausdrücke in SoHo.“ Stephen Koch, „Betrachtungen über SoHo“, S. 136. Siehe hierzu auch im Kapitel II.2.1 „Räume Downtowns“). 49 Bourdieu, „Der Habitus als Vermittlung zwischen Struktur und Praxis“, S. 132. 50 Bourdieu, „Künstlerische Konzeption und intellektuelles Kräftefeld“, S. 121.

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ist,51 misst er damit der einzelnen Künstlerin oder dem einzelnen Künstler nach wie vor einen gewissen Handlungsspielraum bei,52 wenn auch stets vermittelt durch ihre oder seine jeweilige Position innerhalb des Kräftefelds. Die Künstlerin oder der Künstler ist dabei als Akteur_in selbst eine Kraft eben jenes Kräftefelds. Ihre oder seine Position innerhalb des Feldes bezeichnet die Art der Beziehungen, in denen er oder sie zu den anderen Kräften des Feldes steht.53 Als kulturelles Kräftefeld versteht Pierre Bourdieu ein Struktursystem, das durch die „in ihm wirkenden Mächte“ bzw. deren „Wirkungsgruppen“ sowie deren Beziehungen untereinander geformt wird. Die Position jeder dieser Kräfte im Feld bestimmt gleichzeitig deren eigene Macht im Bereich des Feldes.54 Denn die Positionen oder Beziehungen implizieren immer auch Machtverhältnisse, welche jedoch dynamisch bleiben, zum Beispiel wenn sich die Beziehungen und damit auch das Gefüge des Feldes verschieben. Die Autorität, die der einzelnen Person und deren künstlerischen Handlungen beigemessen wird, ist immer durch Interaktion vermittelt.55 Für die Künstlerin oder den Künstler bedeutet dies, dass ihre oder seine Position „in der Struktur des kulturellen Feldes […] das Verhältnis zum eigenen Werk und damit das Werk selbst“ mitdefiniert.56 Dieser Gedanke bezieht sich nicht allein darauf, dass die künstlerische Vernetzung und Anerkennung Auswirkungen hat auf den potentiellen Zugriff auf Ressourcen, auf die Optionen der Realisierung, der Aufführung oder Ausstellung der eigenen künstlerischen Arbeiten, auf das Potential, eine breitere Öffentlichkeit erreichen und neue Kollaborationen eingehen zu können, auf die generelle Möglichkeit oder die konkrete Höhe der Entlohnung der eigenen Arbeit, oder in Abhängigkeit davon ganz prinzipiell darauf, ob jemand den zeitlichen und ökonomischen Freiraum hat, Ideen zu entwickeln und auszuarbeiten. Dabei spielte in Downtown genau die Relation zwischen diesen Aspekten und der sehr spezifischen Struktur und den Netzwerkbildungen des künstlerischen Kräftefelds eine interessante Rolle. Monk baute vom ersten Moment ihrer Ankunft in Downtown New York ihre Netzwerke rasant aus, ging unterschiedlichste Kollaborationen ein, zeigte ihre eigenen Arbeiten an vielen unterschiedlichen Orten und entwickelte ihren individuellen, innovativen Stil mitten in Downtown. Wenn Pierre Bourdieu von der Beziehung des Künstlers oder der Künstlerin zum eigenen Werk schreibt, geht es ihm vielmehr in erster Linie darum, dass bereits die Konzipie51 Vgl. ebd. 52 Vgl. hierzu auch Taylor, „Playing the Field“, S. 31f. 53 Vgl. Bourdieu, „Künstlerische Konzeption und intellektuelles Kräftefeld“, S. 76. 54 Siehe ebd., S. 76f. 55 Vgl. ebd., S. 102f. 56 Vgl. ebd., S. 76.

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rung eines Kunstwerks, also das Entwickeln einer Idee mit einer künstlerischen Intention und die Planung der Ausführung, durchdrungen ist von über diese Motivation und eine Selbstreferenzialität hinausgehenden „sozialen Zwängen“ oder Determinismen.57 Zum einen prägen die Erwartungen, Vorstellungen, Bewertungen, Forderungen, Urteile, die potentielle Anerkennung, Abneigung oder Indifferenz der Gesellschaft die Bedeutung, den Wert und die „Wahrheit“ des Kunstwerks mit, die somit immer durch Adressat_innen und Urheber_innen gleichermaßen bestimmt werden.58 Das Verhältnis der oder des Schaffenden zum Publikum ist außerdem bestimmt durch die spezifischen Regeln, die zwischenmenschliche Beziehungen im jeweiligen gesellschaftlichen Kontext gestalten, und gehorcht daher „zutiefst unterbewußten Verhaltensmustern.“59 Zum anderen unterliegt bereits die konkrete Verankerung einer künstlerischen Intention in einem Kunstwerk den Internalisierungen einer gesellschaftlichen Disposition durch die Künstlerin oder den Künstler.60 Die Intention ist also vermittelt durch gesellschaftliche Strukturen sowie die Strukturen des eigenen kulturellen Kräftefeldes.61 Somit liegt in jedem individuellen künstlerischen Handeln „Kollektives in Form von Kultur – im subjektiven Sinne des Wortes ‚cultivation‘ oder ‚Bildung‘, oder […] im Sinne des ‚Habitus‘, der den Künstler [sic] mit der Kollektivität und seinem Zeitalter verbindet und, ohne dass dieser es merkte, seinen anscheinend noch so einzigartigen Projekten Richtung und Ziel weist.“62

Unter dem Habitus ist erlerntes, verinnerlichtes und inkorporiertes gesellschafts-, klassen-, epochen- oder geschlechtsspezifisches Wissen zu verstehen. Dieses verinnerlichte Wissen bildet ein System von Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsschemata. Diese erzeugen wiederum als „allgemeine Disposition“ Einzelmuster, die das individuelle Denken, Wahrnehmen und Handeln anleiten.63 So 57 Ebd., S. 86ff. 58 Vgl. ebd., S. 86f., S. 89. 59 Ebd., S. 118. 60 Vgl. ebd., S. 116. 61 Vgl. ebd., S. 118f. 62 Pierre Bourdieu, „Der Habitus als Vermittlung zwischen Struktur und Praxis“, S. 132. [Hervorhebungen im Original.] 63 Vgl. ausführlich Bourdieu, „Das kulturell Unbewusste“ in: ders., „Künstlerische Konzeption und intellektuelles Kräftefeld“, S. 115-124, und ders., „Der Habitus als Vermittlung zwischen Struktur und Praxis“. Da Geschlecht von Bourdieu erst an anderer Stelle und nur zögerlich als Basis des Habitus anerkannt und theoretisiert wird (vgl. Löw, Raumsoziologie, S. 177), fügt Martina Löw Geschlecht als weitere Kategorie für

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werden auch der Künstler und die Künstlerin durch seinen oder ihren Habitus als System verinnerlichter Muster unbewusst aber systematisch angeleitet in seinen bzw. ihren künstlerischen Entscheidungen.64 Selbst die „bewusstesten Entscheidungen“ sind bestimmt durch dieses kollektive „kulturell Unbewusste“,65 das sich in Form des Habitus im Individuum verankert. Das kulturell Unbewusste zeigt sich etwa in geteilten Themen- und Problemkonstellationen, Tagesfragen, Denkstilen, Wahrnehmungsformen und einer unbewussten Übereinkunft über die „Brennpunkte des kulturellen Feldes.“ Diese Gemeinsamkeiten bilden letztlich die „Einheit des kulturellen Kräftefelds.“66 Wenn Bourdieu das künstlerische Schaffen als „kommunikativen Akt“ bezeichnet,67 so heißt das nichts anderes, als dass es der Verständigung über diese Gemeinsamkeiten dient, diese bestätigt oder verschiebt, indem es die kollektive Disposition, das kulturell Unbewusste, reproduziert, welches das kulturelle Kräftefeld definiert. Während Bourdieu vom kulturellen oder auch intellektuellen Kräftefeld schreibt,68 entscheide ich mich in Anlehnung daran für die Bezeichnung „künstlerisches Kräftefeld“ für meine Untersuchung Downtowns. Unter diesem künstlerischen Kräftefeld verstehe ich ein kulturelles Kräftefeld im Sinne Bourdieus, betone damit jedoch die künstlerischen Zusammenhänge, die für Downtown konstitutiv sind. Das System „Kräftefeld“ funktioniert laut Bourdieu nur in relativer Autonomie. D. h., es funktioniert in erster Linie als Binnensystem, mit eigenen Regeln und immanent gebildeten Beziehungen.69 Es müssen also die Grenzen des Feldes relativ klar abzustecken sein. Diese Grenzen, die gleichzeitig die ‚Grenzen der Untersuchung des Feldes definieren‘, werden u. a. gebildet durch die ‚historischen und sozialen Bedingungen, die seine Existenz ermöglichen.‘70 Im Falle Downtowns bilden allemal die zweite Frauenbewegung, die Antikriegsbewegung und die Bürgerrechtsbewegung der 1960er und 1970er Jahre diese Kontexte, aber auch die zeitgenössische vor allem ökonomische und bauplanerische Situation der Stadt New York sowie die Rolle, die Kunst in den USA im Generellen und in New York im Speziellen gespielt hat. den Bourdieuschen Habitusbegriff hinzu (siehe Löw, Raumsoziologie, S. 173ff., S. 187f.). Siehe auch Kohl, „Körper, männlicher/weiblicher, Körperlichkeit“, S. 313. 64 Vgl. Bourdieu, „Der Habitus als Vermittlung zwischen Struktur und Praxis“, S. 152. 65 Vgl. Bourdieu, „Künstlerische Konzeption und intellektuelles Kräftefeld“, S. 116. 66 Vgl. ebd., S. 116, S. 123. 67 Siehe ebd., S. 76. 68 Siehe u. a. ebd., S. 77. 69 Vgl. ebd., S. 77, 85f. 70 Siehe ebd., S. 85f.

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Die Grenzen, die das künstlerische Kräftefeld Downtown als System definieren, sind allerdings darüber hinaus auch an anderer Stelle zu suchen. Bourdieu postuliert für das von ihm untersuchte literarische Kräftefeld eine gewisse Abkapselung von der (externen) Gesellschaft im Zuge einer selbst angestrebten Autonomisierung der künstlerischen Sozietät, die einhergeht mit einer Verstärkung der Binnenbeziehungen.71 Da dieses Geflecht an Beziehungen das System des kulturellen Kräftefeldes erst als System definiert,72 basiert es also ein Stück weit auf der Selbstwahrnehmung oder Selbstdefinition durch seine Akteur_innen als ein von der Gesellschaft autonomes System. Ohne dass Bourdieu dies freilich explizit macht, impliziert diese Einschätzung der Konstitution eines künstlerischen Kräftefelds als relativ autonomes System, dass es sich zumindest in der Selbstwahrnehmung seiner Akteur_innen immer als gegenkultureller Raum konstituiert.73 Es sei an dieser Stelle jedoch noch einmal betont, dass auch der gegenkulturelle Raum des künstlerischen Kräftefeldes, wie zuvor deutlich gemacht wurde, selbst in dieser relativen Autonomie als historisches und soziales Produkt zu verstehen ist.74 Da die Konstitution von Räumen auf menschlichen Handlungen basiert und die Konstitution von gegenkulturellen Räumen auf gegenkulturellem Handeln, führen auch die selbst als gegenkulturell wahrgenommenen Handlungen zu ebensolchen Räumen. Die Konstitution des künstlerischen Kräftefelds als gegenkultureller Raum in der Selbstwahrnehmung seiner Akteur_innen lässt sich von daher besonders gut nachvollziehen im Zusammenhang mit einer avantgardistischen Haltung, wie es Bourdieu exemplarisch am avantgardistischen Verleger verdeutlicht: „Die Vorstellung, die der Verleger sich von seiner eigenen Praxis macht (die er selbst beispielsweise für wagemutig und bahnbrechend hält), eine Vorstellung, die seine Tätigkeit mindestens ebenso sehr leitet, wie sie sich in ihr ausdrückt, bildet und bestätigt sich neben der reichlich grob als ‚avantgardistisch‘ charakterisierbaren ‚Haltung‘.“75

71 Vgl. ebd., S. 84. 72 Vgl. ebd., S. 85. 73 Damit behaupte ich allerdings nicht, dass die Akteur_innen selbst den Begriff des gegenkulturellen Raums verwenden oder auch nur denken in Bezug auf das Phänomen, das ich mit diesem Begriff bezeichne. 74 Vgl. Bourdieu, „Künstlerische Konzeption und intellektuelles Kräftefeld“, S. 85 und Martina Löw, „5.2.5 Abweichung und Veränderung“ in dies., Raumsoziologie, S. 181191. 75 Bourdieu, „Künstlerische Konzeption und intellektuelles Kräftefeld“, S. 97.

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Die Intention des avantgardistischen Verlegers, gegenkulturell zu handeln, fußt auf geteilten „Themen- und Problemkonstellationen“, die seine Handlungen mitbestimmen und ihm zum Vertreter einer spezifischen „oppositionellen“ Denkoder Bildungsgemeinschaft machen,76 dem avantgardistischen kulturellen Kräftefeld. Das künstlerische Kräftefeld Downtown: postmodern und avantgardistisch Doch ist es keinesfalls allein die Wahrnehmung seiner Akteur_innen, die das kulturelle Kräftefeld zu einem relativ autonomen System und zum gegenkulturellen Raum macht. Auch die von außen herangetragenen Erwartungen und gruppierenden Definitionen tragen zur Bildung einer unterstellten Einheit bei.77 So bemerkt auch der Philosoph Wolfgang Welsch in Bezug auf das ihm zufolge paradoxe Verhältnis von Gesellschaft und Kunst in der Moderne, dass in ihr „die Kunst zum gesellschaftlichen Ort des Anderen zur Gesellschaft [wurde]. Sie avancierte zum Feld der Abweichung, zur Institution der Alternative, zum Terrain der Negation. Die Paradoxie liegt darin, dass das Andere damit definiert und verortet wird; und dass die Kunst so durch Abweichung gerade übereinstimmt, durch Dissens Konsens mit der Gesellschaft herstellt. Paradox ist des Weiteren die Stellung der Gesellschaft zur Kunst: Gelobt wird die Kunst, wo sie die Gesellschaft beschimpft[. …] Subversivität gilt als Standard[.]“78

Bezogen auf das kulturelle Kräftefeld der Moderne betont Welsch also, wie sich gerade dieses spezifische Feld als Gegenposition oder gegenkultureller Raum konstituiert und definiert, und hebt dabei auch die gesellschaftliche Dimension dieser Konstitution und Definition hervor. Ein solches Fremd- und Selbstverständnis der Gegenpositionierung lässt sich nicht allein verstehen als rein spezifisch für die Moderne, sondern als prinzipiell geltend für jede avantgardistische Kunst oder Haltung. So gehört es zu den substanziellen Prämissen jeglicher Avantgarde, quasi der Etymologie des eigenen Namens entsprechend, stets neu, anders bzw. dem Status quo vorauszusein. Dabei verstehe ich den Avantgardebegriff mit dem Amerikanisten Wilfried Raussert nicht allein bezogen auf ein singuläres, historisch begrenztes Phänomen im Sinne der „historischen Avant-

76 Siehe ebd., S. 108. 77 Vgl. ebd., S. 98f. 78 Wolfgang Welsch, Ästhetisches Denken, S. 168.

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garde“, welche tatsächlich eng an die Moderne geknüpft ist, sondern als ein Konzept „radikalästhetischer und kulturkritischer Erneuerung“, das auch für spätere Entwicklungen wie etwa die beginnende Postmoderne Relevanz hat.79 Dieses Verständnis ermöglicht auch die Verwendung des Begriffs im Plural: Avantgarden.80 An seine Überlegungen hinsichtlich der ästhetischen Grenzüberschreitungen in der Moderne anschließend, verdeutlicht Welsch, dass eine „gesellschaftliche Zuweisung spezifischer Orte“ der Grenzüberschreitung einen „Standard von Normalität“ voraussetzt. Von einem derart eindeutigen oder homogenen Standard kann jedoch hinsichtlich der Pluralisierung der Gesellschaft, wie sie die Postmoderne mit sich brachte, nicht mehr ausgegangen werden.81 Diese Pluralität finde ihren Niederschlag gerade in der Kunst als Spiegel (Welsch) gesamtgesellschaftlicher Prozesse82 oder auch als Initiator (Raussert) „einer die Postmoderne kennzeichnenden Ästhetik- und Kulturdebatte“.83 Mit dieser Einschätzung bezieht Raussert sich explizit auf die künstlerische Praxis USamerikanischer Künstler_innen bzw. Avantgardegruppen.84 Gerade anhand der US-amerikanischen Avantgarden, deren Entfaltung Raussert in der Nachkriegszeit von 1940 bis 1970 ansiedelt, zeigt sich eine auf Kunst bezogene Pluralität an Zielen, Aussagen, interkulturellen Prozessen oder Gemeinschaftsmodellen und ein entsprechender ästhetischer Eklektizismus im „Umgang mit Form, Inhalt und Material.“85 Die Avantgarden in den Vereinigten Staaten bildeten ebenfalls Gegentraditionen oder Alternativdiskurse, so wie auch die „historische“, europäische Avantgarde einen künstlerisch-gesellschaftlichen Gegenentwurf darstellte, jene allerdings, und damit fundamental anders als diese, eben im Plural gedacht. So entstanden zum Beispiel parallel u. a. afroamerikanisch, fernöstlich und verstärkt feministisch orientierte Avantgardegruppierungen.86 Diese mehrschichtige Heterogenität fußt laut Raussert in der spezifischen „inhärent multikulturellen“, also heterogenen Zusammensetzung der amerikanischen Gesell-

79 Siehe Wilfried Raussert, „1. Avantgardismus im historischen, kulturellen und interkulturellen Kontext“, in: ders., Avantgarden in den USA, S. 11-43, hier S. 11. 80 Siehe Raussert, Avantgarden in den USA, S. 38. 81 Vgl. Wolfgang Welsch, Ästhetisches Denken, S. 170f. 82 Vgl. ebd., S. 172. 83 Wilfired Raussert, Avantgarden in den USA, S. 208, siehe auch S. 205. 84 Vgl. ebd. 85 Vgl. ebd., S. 206. 86 Vgl. ebd.

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schaft.87 Aus all diesen Faktoren zieht Raussert die Schlussfolgerung, dass die Postmoderne ein genuin US-amerikanisches Phänomen sei.88 Für das künstlerische Kräftefeld Downtown, welches Taylor als „quintessentially postmodern“89 gilt und das zum Zentrum der US-amerikanischen Avantgarden avancierte, bedeuten diese Überlegungen, dass seine immanente Heterogenität etwa in Form von pluralen ästhetischen Praktiken und gegenkulturellen Räumen paradoxerweise zu einem verbindenden Element wird und Downtown erst zu einem postmodernen und avantgardistischen Raum macht. Dabei zeigt sich einmal mehr, dass die Definition und Abgrenzung des Raums bzw. des künstlerischen Kräftefelds als „relativ autonomes System“ eine Konstruktionsleistung ist. Downtown sowie Uptown sind diesbezüglich als Konstruktionen und in ihrer dichotomen Gegenüberstellung sicher auch als nicht unproblematisch zu verstehen.90 Da Downtown jedoch als gegenkultureller Raum in Opposition zu Uptown von seinen Akteur_innen explizit als solcher wahrgenommen, gedacht, gefühlt, gelebt, benutzt, hergestellt und installiert wurde,91 hat es als solcher dadurch auch historische Realität und Gültigkeit. Die Verbundenheit oder den Zusammenhalt des künstlerischen Kräftefelds Downtown allein in seiner Heterogenität zu suchen, ginge allerdings zu weit, zumal die Gesellschaft, von der es sich „abkapselt“, ebenso als eine postmoderne und somit mit Welsch und Raussert als sich ähnlich pluralisierend zu denken ist. Wenn sie also auch nur bedingt als Abgrenzungskriterium herangezogen werden kann, spielt diese Heterogenität als immanentes Kriterium für die ästhetischen Handlungsweisen, die Positionierungen und die Art der Beziehungen der Akteur_innen Downtowns eine wesentliche Rolle. Sie bestimmt also genau die Faktoren, die laut Bourdieu die Struktur des kulturellen Kräftefelds ausmachen. Es gilt somit in den folgenden Kapiteln, diese auszumachen und konkret darzustellen, um das künstlerische Kräftefeld Downtown zu erfassen.

87 Vgl. ebd., S. 38, 206, 213. 88 Vgl. ebd., S. 205. 89 Taylor, „Playing the Field“, S. 21. 90 Kyle Gann bricht diese Dichotomie auf, indem er Midtown als weiteres musikalisches Kräftefeld in New York in Opposition zu Downtown und Uptown mit ins Spiel bringt (siehe Gann, „Introduction. The Importance of Being Downtown“, in: ders., Music downtown, S. 1-15). Siehe ähnlich auch Alloway, „SoHo as Bohemia“, S. 148. 91 Siehe hierzu auch das Unterkapitel II.2.3 „Künstlerische Praktiken in Downtown. Downtown-Musik“.

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Zur Bedeutung des Ortes für den Raum Downtown Um über die bisherigen Kriterien hinausgehend auf ein weiteres, vorerst letztes Kriterium (zurück)zukommen, mittels dessen die Grenzen des künstlerischen Kräftefelds Downtown definiert werden können, bringe ich mit dem Popkulturkritiker und Kurator Carlo McCormick die Abkapselung Downtowns als gegenkulturellen Raum noch einmal auf den Punkt: „Downtown was outside America; even outside New York City – perhaps its most anthemic proclamation a graffiti message on the wall: ‚U.S. out of N.Y.C.‘“92 Wenn sich McCormick mit dieser Bemerkung zwar offensichtlich in erster Linie auf den relationalen Raum Downtown bezieht, bzw. auf „a state of mind“, „a place“‚ „a methodology“, „an audience“, „a membership“ und „a phenomenology of experience“, bestärkt er mit ihr gleichzeitig auch noch einmal einen Bezug zur Topographie.93 Die topographische Verortung Downtowns, d. h. seine Auffindbarkeit an einem physischen Ort, markiert seine zwar nicht rigiden aber doch benennbaren Grenzen. Das künstlerische Kräftefeld Downtown ist meines Erachtens in seiner Entstehung und seiner Spezifik abhängig von dem physischen Ort, an dem es sich etablierte. Der Bezug zwischen dem (häufig urbanen) Ort und der Etablierung und Benennung des entsprechenden künstlerischen Kräftefelds ist an sich nicht außergewöhnlich. Wo sich Künstler_innen zusammenfinden, bilden sie ein künstlerisches Kräftefeld.94 In Bezug auf Downtown ist allerdings nicht allein relevant, dass sich zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort viele Künstler_innen zusammenfinden, obgleich deren reine Quantität bereits einzigartig und bedeutsam ist. Der spezifische urbane Ort selbst ist von fundamentaler Bedeutung für die Interaktionen der Künstler_innen, d. h. für die Formen künstlerischer Produktionsprozesse, die Strukturen der künstlerischen Netzwerke und die Haltung der Künstler_innen und damit ebenso für deren Kunst selbst sowie für die durch sie entwickelten neuen Kunstformen. Löw differenziert wie andere Raumtheoretiker_innen auch zwischen den Begriffen Raum und Ort. Während sie den Raum als „Verknüpfung von Elementen“95 bzw. als eine sich stetig verändernde relationale (An)Ordnung von sozia-

92 Carlo McCormick, „A Crack in Time“, S. 70. 93 Siehe ebd. 94 Entsprechend wurden Namen wie die Berliner Schule(n), die École(s) de Paris, die Florentiner Schule, die Hamburger Schule, die Münchner Schule, die Neue Frankfurter Schule, die Venezianische Schule, die Weimarer Klassik, die Wiener Klassik, die Zweite Wiener Schule usw. geprägt. 95 Vgl. Löw, Raumsoziologie, S. 200.

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len Gütern und Lebewesen96 versteht, begreift sie den Ort als einen konkret benennbaren, einzigartigen, meist geographisch markierten Platz.97 Anders als andere Raumtheoretiker_innen misst Löw dem Ort jedoch eine fundamentale Bedeutung für die Konstitution von Raum bei, als Lokalisierung, von der aus die Akteur_innen raumkonstituierend handeln, als Stelle, an der Akteur_innen sich oder soziale Güter (an)ordnen bzw. platzieren können und an der prinzipiell immer unterschiedliche Räume geschaffen werden können.98 Damit kann etwa der geographische Ort SoHo mit seiner besonderen Architektur und vormals industriellen Nutzung als Voraussetzung für die Ansiedlung einer wachsenden Anzahl von Künstler_innen ab den 1960er Jahren methodisch in die Überlegungen der Raumkonstitution Downtowns miteinbezogen werden. Zeitgleich haben am selben Ort andere Akteur_innen wie etwa die hier weiterhin zumeist tagsüber arbeitenden Fabrikarbeiter_innen, Drucker_innen oder Lastwagenfahrer_innen nach wie vor auf unterschiedliche Art und Weise Spacings und Syntheseleistungen vorgenommen und andere Räume hervorgebracht. Der Raum, der in dieser Arbeit interessiert, ist das künstlerische Kräftefeld Downtown, der jedoch von den Akteur_innen und Handlungen der parallelen Räume nicht unberührt blieb.99 Die künstlerischen Praktiken Downtowns sind selbst nicht unabhängig vom physischen Ort ihrer Konzipierung und Realisierung, wie es sich etwa an Fluxusarbeiten, ortsspezifischen Performances, großformatigen Installationen und neuen Musikinstrumenten zeigt.100 Dieser Einfluss des Ortes bezieht sich sowohl auf seine Materialität als auch auf sein Potential, zu inspirieren bzw. einen Impuls für künstlerisches Schaffen zu geben wie etwa für Meredith Monk:

96

Vgl. Löw, „Die Konstitution von Raum“, S. 178f., und dies., Raumsoziologie, S. 271f.

97 98

Vgl. Löw, Raumsoziologie, S. 199. Vgl. detailliert Löw, Raumsoziologie, „5.3 Die Lokalisierung der Räume an Orten“, S. 198-203.

99

Nicht zuletzt bestimmten etwa die Gerüche und Geräusche der industriellen Arbeit den Alltag der Künstler_innen, die hier lebten, mit (siehe hierzu das Unterkapitel II.1 „Downtown New York. Downtown: Vom städtebaulichen Sorgekind zum Zentrum künstlerischer Avantgarde“).

100 Vgl. u. a. Réne Block, „Planquadrat SoHo“, S. 96f., Richard Kostelanetz, SoHo, S. 52.

130 | DAS KÜNSTLERISCHE K RÄFTEFELD DOWNTOWN „I was inspired in some of the early songs by the sound environment that I lived in. New York with its grating, ever present electric hum; things rubbing against each other, dissonances and continual complexity of events.“101

In den folgenden Kapiteln möchte ich mich also auf die Suche begeben nach diesem elektrischen Brummen, nach den Dingen, die sich reiben, nach den Dissonanzen und der kontinuierlichen Komplexität der Ereignisse des kulturellen Kräftefelds Downtown. Auf dieser Suche werde ich zunächst den Ort Downtown durchstreifen und sehen, wie die spezifische Architektur dieses Ortes und städteplanerische Entscheidungen an dieser Stelle ab den 1960er Jahren ein wahres Sammelbecken für Künstler_innen entstehen ließen und wo schließlich das künstlerische Kräftefeld Downtown konstituiert wurde. (Kapitel II.1.3) An diese Bestandsaufnahme anschließend, kann ich konkret einige der zentralsten „Bausteine des Raums“ (Löw) bzw. „seine Kräfte und deren Wirkungsgruppen“ (Bourdieu), die „(An)Ordnungen“ (Löw) bzw. „Positionierungen“ (Bourdieu) der Akteur_innen innerhalb dieses Systems und die „Herstellung von Beziehungen zwischen diesen Elementen“ (Löw) bzw. die „Art ihrer Verbindung(en) mit diesem System“ (Bourdieu) erläutern, die dieses System, diesen Raum, dieses Kräftefeld konstituierten:102 die zahlreichen gegenkulturellen Räume (Kapitel II.2.1), die Künstler_innen (Kapitel II.2.2) und ihre künstlerischen Praktiken (Kapitel II.2.3).

II.1.3 D OWNTOWN : V OM STÄDTEBAULICHEN S ORGENKIND ZUM Z ENTRUM KÜNSTLERISCHER AVANTGARDE SoHo oder Downtown Bis in die 1950er Jahre befanden sich die meisten wichtigen kommerziellen Galerien im Norden Manhattans, in der Gegend rund um die 57th Street und dem oberen Ende der Madison Avenue.103 Ähnliches galt für musikalische Veranstal-

101 Meredith Monk, Untitled Essay about New York, MMA. Zur Beeinflussung von Monks Vokalstil durch Außengeräusche siehe auch Monk in Bear, „Invocation/ Evocation“, S. 82. 102 Vgl. Löw, „Die Konstitution von Raum“, S. 180, und Bourdieu, „Künstlerische Konzeption und intellektuelles Kräftefeld“, S. 76ff. 103 Vgl. etwa Zucker Seeman, Siegfried, SoHo: A Guide, S. 27.

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tungsorte: „In those days, […] when you said ‚concert‘, it meant Town Hall, Carnegie Recital Hall, that was it,“104 erinnert sich Yoko Ono an die frühen 1960er Jahre. Die eine Konzerthalle liegt in der West 43rd Street, die andere weitere 14 Block nördlich an der 7th Avenue Ecke W 57th Street, somit in Midbzw. Uptown New York. Downtown als kultureller Raum existierte noch nicht. Die Downtown-Szene als subkulturelle Kunstszene mit all ihren Galerien, Theatern, Konzert-, Performance- und anderen Aufführungsräumen, wie sie für die 1970er Jahre bezeichnend ist, bildete sich zu diesem Zeitpunkt erst langsam heraus.105 Die 1960er Jahre in dieser Gegend mit ihrer überschaubaren, intimen, nach außen fast unsichtbaren, wenn auch durch illegale Wohnverhältnisse zusätzlich prekarisierten Gemeinschaft, werden von einigen Künstler_innen und Autor_innen als Pionierzeit dieser spezifischen Avantgardeszene besonders geschätzt. Historisch verorten sie hier den eigentlich gegenkulturellen Raum Downtown. Demgegenüber gelten ihnen die 1970er Jahre bereits als entpolitisiert und „ausverkauft“. Diese brachten eine unerwünschte Sichtbarkeit, Popularität, Vereinnahmung und Überfüllung, kurz: die Gentrifizierung mit sich.106 In den 1970er Jahren wuchs die künstlerische Gemeinde Downtowns rapide an, und die künstlerische Praxis Downtowns wurde international sichtbar und anerkannt. Folglich sehen andere in diesem Jahrzehnt die eigentliche Blütezeit des künstlerischen Kräftefelds Downtown.107 „‚Art capital of the world‘ ... not a label to be given lightly, but that is indeed what SoHo has become today“, behauptete ein Stadtteilführer 1978.108 Die Konstituierung des künstlerischen Kräftefelds Downtown steht in engem Zusammenhang mit den Entwicklungen des Stadtteils SoHo. Laut Gendron setzt sich Downtown als Sammelbegriff erst in dem Moment durch, als sich Musiker_innen, Künstler_innen, Galerien und Aufführungsorte in den 1970er Jahren

104 Ono zitiert in Robert Palmer, Onobox, 1992. 105 Im Jahr 1978 zählten Helene Zucker Seeman und Alanna Siegfried 85 Galerien in SoHo (vgl. Zucker Seeman, Siegfried, SoHo: A Guide, S. 25). Die erste Galerie südlich der Houston Street, die Paula Cooper Gallery, eröffnete 1968 (vgl. Lippard, „Geographie der Straßenzeit“, S. 180). 106 Siehe etwa Lippard, „Geographie der Straßenzeit.“ 107 Marvin J. Taylor spricht von Downtown als „artists’ haven“ der 1970er Jahre (Marvin J. Taylor, „Playing the Field“, S. 17) und begrenzt in seinem Sammelband The Downtown Book : The New York Art Scene, 1974-1984 den Zeitraum der Blütezeit auf 1974-1984 (vgl. Taylor (Hg.), Downtown). 108 Zucker Seeman, Siegfried, SoHo: A Guide, S. 25.

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vermehrt in SoHo niederlassen.109 Zwar waren bereits zuvor etwa im Greenwich, East oder West Village, also an Orten, die heute unter die räumliche Bezeichnung Downtown fallen, künstlerische Szenen angesiedelt, die mit diesen Orten in Zusammenhang gebracht wurden, jedoch wurden diese Szenen auf ihre spezifischen Bezirke bezogen, und nicht auf den umfassenderen Raum Downtown.110 „But once SoHo was thrown into the mix […], the notion of a cultural Downtown came to the fore[.]“111 Auch Lucy Lippard spricht von „der ‚DowntownSzene‘, wie sie sich seit ungefähr 1971 entwickelt hat, als das so genannte SoHo […] karnevalistisch auf Touren kam.“112 Eine trennscharfe Unterscheidung zwischen den Bezeichnungen SoHo und Downtown erweist sich als nicht immer möglich vor dem Hintergrund derartiger Parallelisierungen von Entstehungsbzw. Entwicklungsprozessen, wie sie u. a. Gendron und Lippard für die frühen 1970er Jahre benennen.113 Lynn Gumpert gibt an, dass in „the mid to late 1970s, the Downtown art world was located primarily in SoHo.“114 Was in dieser Zeit für SoHo gilt, gilt für Downtown.

109 Vgl. Gendron, „The Downtown Music Scene“, S. 41. Gendron bezieht sich mit dieser Aussage auf „musical undergrounds“, allerdings lassen sich auch die Vertreter_innen und Aktionen anderer früherer Avantgardebewegungen wie die (New Yorker) Beat Generation, Happening oder Fluxus in den unterschiedlichen Bezirken Downtowns verorten. 110 Vgl. ebd. 111 Ebd. 112 Siehe Lippard, „Geografie der Straßenzeit“, S. 180. 113 Auch zeitgenössische Artikel über die florierende Kunstszene verwendeten sowohl Downtown als auch SoHo als Bezeichnung. Gregory Battcock etwa titelte seinen Artikel für das Arts Magazine bereits 1968 mit „Ten Downtown“ (Battcock, „Ten Downtown: Open Studios in Lower Manhattan“), David L. Shirey schrieb 1970 für die New York Times den Artikel „Downtown Scene: Heart“ (Shirey, „Downtown Scene: Heart“), Dore Ashton 1971 für Studio International „New York Commentary: Uptown, Downtown, All Around Town“ (Ashton, „New York Commentary: Uptown, Downtown, All Around Town“), während andere Autor_innen die Bezeichnung SoHo bevorzugen, etwa 1970 und 1971 Grace Glueck für die New York Times (Glueck, „Neighborhoods: SoHo Is Artist’s Last Resort“, dies., „Four Uptown Dealers Set Up in SoHo“), 1972 Peter Schjeldahl ebenfalls für die New York Times (Schjeldahl, „The Malaise That Afflicts SoHo’s Avant Garde Galleries“) oder 1974 Dorothy Seiberling fürs New York Magazine (Seiberling, „SoHo: The Most Exciting Place to Live in the City“). 114 Lynn Gumpert, „Foreword“, S. 12.

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Die entsprechenden urbanen Transformationsprozesse SoHos setzten bereits in den frühen 1960er Jahren ein, wie es vor allem die Stadtsoziologen Charles R. Simpson115 oder Stephen Petrus beschreiben.116 Innerhalb des kurzen Zeitraums von gut zehn Jahren verwandelte sich der in den frühen 1960ern noch South Houston Industrial District heißende industrielle Bezirk, dessen Fortbestand im Verlaufe der 1960er Jahre mehrfach durch städtebauliche Pläne bedroht wurde, in das kulturelle Zentrum SoHo.117 „In SoHo, there is an active, ambitious, and progressive world of performing arts. […] One of the reasons SoHo has been able to develop as a cultural center for new and experimental work is because of its location.“118

Die Lokalisierung bzw. der Ort SoHo ist also von zentraler Bedeutung. Die Entwicklungen in dem Stadtteil SoHo sowie dessen urbane Spezifik spielten eine herausragende Rolle für die Herausbildung und Beschaffenheit des kulturellen Raums Downtown als Epizentrum der US-amerikanischen Avantgarde und deren heterogenen Kunstszenen. Daher werde ich diese folgend detaillierter beschreiben. Dabei verstehe ich sowohl die 1960er Jahre als den Zeitraum beginnender Ansiedlung künstlerischer und politischer Aktivität von Künstler_innen in SoHo,119 als auch die 1970er Jahre als Zeitraum maximaler Niederlassung, 115 Siehe Charles R. Simpson, SoHo: The Artist in the City. Simpsons Beschreibung des kulturellen SoHo – der Entwicklungsprozesse SoHos und der Aktivitäten der dort lebenden und arbeitenden Künstler_innen – von den 1960er bis zum Beginn der 1980er Jahre ist auch als Primärquelle zu lesen: Er selbst hat seit 1968 als Drucker und Schreiner in SoHo gearbeitet, war in den späten 1960ern in zwei Wohnkooperativen von Künstler_innen aktiv und lebte seit 1973 in SoHo. Seine 1981 veröffentlichte Studie basiert auf 68 Interviews mit Künstler_innen aus SoHo (vgl. ebd. S. 245f.). 116 Stephen Petrus setzt als entscheidenden Entwicklungszeitraum die Zeitspanne 19621976 fest. Siehe Stephen Petrus, „From Gritty to Chic: The Transformation of New York City’s SoHo, 1962-1976“. 117 Vgl. hierzu ebd. 118 Vgl. etwa Zucker Seeman, Siegfried, SoHo: A Guide, S. 95f. 119 Eine strikte Einschränkung auf die benannten Grenzen SoHos macht bei der Beschreibung der Entwicklungen und der urbanen Spezifik SoHos wenig Sinn, da sie einen hermetisch abriegelten Raum suggerieren würde, der so nicht existiert. René Block, der in der Konzeption der Ausstellung New York – Downtown Manhattan, SoHo: Ausstellungen, Theater, Musik, Performance, Video, Film. 5. September Bis 17. Oktober 1976. Akademie der Künste, Berliner Festwochen und des begleitenden

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Aktivität und Sichtbarkeit dieser spezifischen Gruppe von Akteur_innen als bestimmende Jahrzehnte. Dieser Zeitraum umfasst die Phase von 1964 bis 1979, die meines Erachtens auch für die Entwicklung und Etablierung von Meredith Monks vokalmusikalischer Praxis entscheidend war. Architektur, Stadtplanung und Institutionalisierung Gusseiserne Fassaden, Feuerleitern und schmale, von be- und entladen werdenden Lastwagen und Waren verstopfte Straßen ohne Gehwege prägen das Stadtbild SoHos, das sich nördlich bis zur Houston Street, östlich zur Lafayette Street, südlich zur Canal Street und westlich bis zum West Broadway erstreckt.120 Die vornehmlich kleinindustriell geprägte Architektur, die das Viertel bis heute ausmacht, entstand im 19. Jahrhundert für Eisengießereien, Klaviermanufakturen, Druckereien, Tabakverarbeitung, Metall-, Textil- und Glasproduktion etc.121 und beherbergte auch in den frühen 1960ern noch hauptsächlich Betriebe der Leichtindustrie wie der Verpackungsindustrie oder Fabriken für die Herstellung von Puppen, Kleidung oder Altpapier, Druckereien und Lagerstätten.122 In erster Linie arbeiteten hier ungelernte Arbeiter_innen aus Puerto Rico und AfroAmerikaner_innen.123 Bereits im 19. Jahrhundert war die ansässige Textilindustrie angewiesen auf die billige Arbeitskraft der Immigrant_innen, die sich vermehrt in den Wohngegenden der Lower East Side niederließen.124 Die Arbeitsverhältnisse in den als Ausbeuterbetriebe verschrieenen Fabriken sorgten wiederholt für Skandale.125 Neben den schlechten Arbeitsbedingungen verschlimmerten regelmäßige Feuer die prekäre Situation und verliehen dem Bezirk den Beinamen „Hell’s Hundred Acres“.126 Noch in den 1960er Jahren war die Bedrohung durch Feuer sehr real und spielte auch für die Künstler_innen und ihren

Katalogs diese Grenzen strikt einhält, weist selbst bereits 1976 auf die Konstruktion dieser Grenzziehung hin (vgl. Block, New York – Downtown Manhattan, SoHo). 120 Vgl. Petrus, „From Gritty to Chic“, S. 1 oder Simpson, SoHo: The Artist in the City, S. 111. 121 Siehe Simpson, SoHo, S. 114. 122 Vgl. ebd., S. 2. 123 Vgl. Petrus, „From Gritty to Chic“, S. 1. 124 Siehe Simpson, SoHo, S. 114. 125 Vgl. Stephen Koch, „Betrachtungen über SoHo“, S. 112. 126 Siehe etwa Stephen Petrus, „From Gritty to Chic“, S. 1, Richard Kostelanetz, „SoHo“, S. 14, oder Lucy Lippard, „Geographie der Staßenzeit“, S. 180.

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Status als legale oder illegale Bewohner_innen der ehemaligen Fabriketagen eine nicht unwesentliche Rolle.127 Ein architektonisches Herausstellungsmerkmal, welches den Bezirk bis heute für Architekturhistoriker_innen interessant macht und in den 1960ern und 1970ern Aktivist_innen wie den Friends of Cast-Iron Architecture (FCIA) rund um Margot Gayle dazu brachte, erfolgreich für den Erhalt der vom Abriss bedrohten historischen Gebäude zu kämpfen,128 ist neben zahlreichen aus der Nach-Bürgerkriegszeit erhaltenen kommerziellen Bauten129 die einzigartige Dichte gusseiserner Gebäude, durch die der Bezirk den Beinamen „The Cast Iron District“ erhielt.130 Die gusseiserne Bauweise war zur Mitte des 19. Jahrhunderts eine Innovation. Sie erlaubte durch ihre Stabilität einerseits eine höhere Bodenbelastung und das Einlassen ausladender Fensterfronten an den Vorderund Rückseiten der Gebäude, andererseits war das Material billig, konnte aber so hergestellt werden, dass es teuren Steinfassaden glich.131 Diese Eigenschaften ermöglichte es den Händler_innen und Fabrikbesitzer_innen, ihre Gebäude preiswert bauen zu lassen, zumal die einzelnen Komponenten erstmals in Massenproduktion vorproduziert und die Gebäude vor Ort in wenigen Tagen hochgezogen werden konnten. Gleichzeitig konnten die Fassaden so gestaltet werden, dass sie edel und repräsentativ wirkten. Während in den oberen Stockwerken produziert wurde, diente das Erdgeschoss als Ausstellungs- und Verkaufsfläche. Die großen Fensterfronten boten maximales Tageslicht sowohl für die Produktion als auch für die Auslage.132 Große Flächen, große Fenster, viel Tageslicht: Diese Faktoren machten die Fabriketagen auch für Künstler_innen attraktiv, die nach einer bezahlbaren Arbeitsfläche für großformatige Arbeiten suchten. Und im Zuge der fortschrei-

127 S. u. 128 Vgl. Petrus, „From Gritty to Chic“. S. 32f. 129 Siehe Landmarks Preservation Commission, „SoHo – Cast Iron Historic District Designation Report“, S. 1. 130 Siehe ebd. Zur ausführlichen Beschreibung der Bebauungsgeschichte SoHos sowie eine detaillierte Beschreibung der gusseisernen Bebauung sowie einzelner Gebäude siehe Landmarks Preservation Commission, „SoHo – Cast Iron Historic District Designation Report“. Auch Roslyn Bernstein und Shael Shapiro bieten einen architektonischen und historischen Überblick der industriellen Bebauung SoHos und deren Nutzung seit dem späten 18. Jahrhundert bis in die 2000er Jahre (Bernstein, Shapiro, Illegal Living). 131 Vgl. Simpson, SoHo, S. 114f. 132 Vgl. ebd.

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tenden Abwanderung der Betriebe wurde diese Fläche auch erschwinglich.133 Ab Mitte der 1950er Jahre zog es Künstler_innen in die Fabriketagen im südlichen Teil Manhattans.134 Ihre Zahl wuchs in den 1960er Jahren rapide an und explodierte förmlich in den 1970ern. Mehr und mehr entschieden sich die Künstler_innen, die Etagen nicht nur als Ateliers zu nutzen, sondern auch in ihnen zu wohnen. Es gab jedoch ein nicht unwesentliches Problem: Das Bewohnen der Fabriketagen war illegal. Denn für die Erlaubnis, ein Gebäude zu bewohnen, bedurfte es in New York eines „Certificate of Occupancy“, kurz „C of O“.135 Eine solche Genehmigung wurde allerdings nur für spezifische Bauzonen erteilt, die sogenannten C-Zonen. SoHo war jedoch als M1-5-Zone klassifiziert, d. h. als eine rein industrielle Zone, deren Gebäude nur industriell genutzt und nicht bewohnt werden durften.136 Während das Einrichten von Ateliers für die Künstler_innen also kein legales Problem darstellte, blieb bei Verstoß gegen das nicht existierende Wohnrecht die Gefahr einer Zwangsräumung.137 Im Laufe der Jahre entwickelte sich ein regelrechtes System des Versteckspiels vor und der Bestechung von städtischen Inspekteur_innen.138 Die Nachbarschaft hatte sogar eine Art „underground telephone warning system“ gebildet, um sich gegenseitig vor dem Besuch der Inspekteur_innen zu warnen.139 Neben der Illegalität war der 133 Vgl. ebd. 114f., 120; Petrus, „From Gritty to Chic“, S. 3; Tannenbaum, SoHo, S. 54. 134 Siehe Simpson, SoHo, S. 120. Vgl. auch Lippard, „Geographie der Straßenzeit“, S. 180. Yoko Ono erinnert sich daran, dass ihr, als sie Ende der 1950er Jahre auf der Suche nach einem Raum für sich war, der Bildhauer Ino Miyuzami davon erzählte, dass Künstler_innen diesertage illegalerweise Lofts nutzen würden (siehe Ono in Thurston Moore, Byron Coley, „Scream at the Sky“). Laut Zucker Seeman und Siegfried beziehen zum Beispiel Jackson Pollock, Mark Rothko und Franz Klein in den 1950ern Fabriketagen im Coenties Slip am East River in der Nähe des Battery Parks, um dort zu leben und zu arbeiten (siehe Zucker Seeman, Siegfried, SoHo: A Guide, S. 27). Alanna Heiss gibt an, dass es in den 1950ern vor allem Männer waren, die Lofts zwischen der fünften und siebten Avenue bewohnten. Sie seien hauptsächlich in den Bereichen der Dichtung und der Herausgabe von Büchern aktiv gewesen, aber ihre Lofts seien keine sozialen Zentren gewesen wie später in den 1960er Jahren (vgl. Heiss in Anderson, Brown, Crawford u. a. „All Work, All Play“, S. 77). 135 Siehe Kostelanetz, SoHo, S. 11. 136 Vgl. Bernstein, Shapiro, Illegal Living, S. 55. 137 Vgl. ebd. 138 Siehe u. a. Bernstein, Shapiro, „George Maciunas: The Father of SoHo“, in dies. Illegal Living, S. 35-74; Petrus, From Gritty to Chic, S. 17, 23. 139 Jane Crawford in Anderson, Brown, Crawford u. a. „All Work, All Play“, S. 76.

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schlechte Zustand der Fabriketagen in einer unzureichenden Infrastruktur eine weitere maßgebliche Herausforderung bezüglich der Wohnsituation, mit denen sich die meisten auseinanderzusetzen hatten. Die Fabrikgebäude, die als Manufakturen und industrielle Produktionsstätten errichtet worden waren, waren nun einmal nicht fürs Bewohnen angelegt. Die sanitären Einrichtungen waren mangelhaft: Die meisten Lofts hatten gerade einmal Toiletten und kaltes Wasser, alles Übrige musste von den illegalen Bewohner_innen selbst eingebaut und gestaltet werden. Heizen war ein Problem, und auch Elektrizität gab es, wenn überhaupt, nur während der Betriebszeiten der Betriebe, d. h. nur tagsüber und nur unter der Woche.140 Auch die urbane Infrastruktur war noch nicht auf Bewohner_innen ausgerichtet: Es gab keine Supermärkte, keine Kindergärten oder Schulen, keine Cafés oder Restaurants141 und auch keine Müllabfuhr. Somit wurde selbst die Entsorgung des täglichen Mülls zu einer Art kleinkrimineller Erfahrung.142 Auch der Tagesrhythmus war geprägt durch die noch ansässige Kleinindustrie: Ab 4 Uhr morgens begann der Lärm des Be- und Entladens auf den Straßen und des Ratterns der Maschinen aus den Fabriken. Ab 17 Uhr waren die Straßen hingegen ruhig und nachts wie ausgestorben.143 Doch die Vorteile überwogen. Nirgends sonst in Manhattan waren für so wenig Geld derart großzügige Flächen zu finden, und die vorgefundene Situation machte erfinderisch. Es galt einerseits, die Lofts bewohnbar zu machen, andererseits, dabei nicht zu viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Viele Renovierungen blieben daher so minimal wie möglich, einerseits aus Kostengründen, andererseits aus Gründen der Sichtbarkeit. Nach außen hin sollte so wenig wie möglich erkennbar sein, dass die Räume auch bewohnt wurden. Die Fabrikbesitzer_innen wussten sehr wohl um den Umstand, dass die Künstler_innen sich hier auch zum Wohnen einrichteten. Dennoch überließen sie bei wachsendem Leerstand die Lofts gerne den Künstler_innen. Sie hatten nichts zu verlieren, bei Vermietung konnten sie vielmehr mit einer Aufwertung der Lofts rechnen und gegebenenfalls den illegalen Status der Künstler_innen ausspielen.144 Die Umgestaltung der Lofts in Wohnräume erfolgte sehr individuell, meist durch die neuen Bewohner_innen selbst, und auch der Notwendigkeit der Einrichtung sanitärer Anlagen stellte man sich. Nicht alle zeigten das gleiche Geschick im Verlegen von Rohren und Stromleitungen, und bald bildete sich ein 140 Vgl. Simpson, SoHo, S. 120. Vgl. auch Crawford in Anderson, Brown, Crawford u. a. „All Work, All Play“, S. 76. 141 Vgl. Petrus, „From Gritty to Chic“, S. 21. 142 Vgl. Bernstein, Shapiro, Illegal Living, S. 109, 163; Kostelanetz, SoHo. 143 Vgl. Petrus, „From Gritty to Chic“, S. 2. 144 Simpson, SoHo, S. 121f.

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System der gegenseitigen Unterstützung heraus.145 Einige Künstler_innen machten regelrecht Karriere als Installateur_innen, etwa Philip Glass, Yoshi Wada, Rhys Chatham, Gordon Matta-Clark, Allana Heiss oder Jene Highstein.146 Der Musiker Wada, der häufig vom umtriebigen Fluxus-Künstler und autodidaktischen Immobilienmakler George Maciunas als Installateur vermittelt worden war, verwendete später riesige, mit einem Tubamundstück versehene Installationsrohre für seine Performances.147 So wie diese Vorliebe für selbstkreierte Rohr-Instrumente einen Rückschluss auf die Beeinflussung von Wadas künstlerischer Arbeit durch die Arbeit als Installateur zulässt, sind auch die Kunst und das künstlerische Handeln anderer mit dem Ort und den Umständen SoHos in Verbindung zu bringen. Trisha Brown erinnert sich, dass das Leben in SoHo, umgeben von den Fabrikgebäuden und vor allem den unendlich großen, weiten und hohen Lofts, ihre Wahrnehmung und ihr Bewusstsein ausbildete, viel nach oben zu schauen und sich dort oben luftige Welten vorzustellen. „Plus, I’ve always wanted to fly! It’s been a recurring theme in my work for decades.“148 Eine dieser frühen Arbeiten in SoHo war 1971 ihr „Roof Piece“. Die großzügigen Flächen der ehemaligen Fabrikgebäude ermöglichten nicht nur das Erarbeiten, sondern auch das Ausstellen großformatiger Objekte. Die Louis K. Meisel Gallery etwa stellte in den späten 1970er Jahren ein Flugzeug in ihren Räumen aus.149 Viele andere Künstler_innen berichten darüber, wie die vielen kleinen Trödelläden an der Canal Street sowie der industrielle Müll, der im gesamten Viertel massenhaft und regelmäßig vorgefunden wurde, nicht nur der Renovierung der eigenen Lofts zugute kam, sondern auch die eigene künstlerische Arbeit mitbestimmte.150 Das Material war billig oder umsonst und vielfältig einsetzbar. Die 145 Vgl. ebd., S. 120. 146 Siehe Kostelanetz, SoHo, S. 52; Jane Crawford in Anderson, Brown, Crawford u. a. „All Work, All Play“, S. 76; Heiss in Anderson, Brown, Crawford u. a. „All Work, All Play“, S. 83. 147 Vgl. Kostelanetz, SoHo, S. 109. 148 Trisha Brown in Anderson, Brown, Crawford u. a. „All Work, All Play“, S. 76. 149 Vgl. Zucker Seeman, Siegfried, SoHo: A Guide, S. 27. 150 Z. B. Laurie Anderson erzählt: „So for me, back then, Canal Street was about all the junk shops, where you could find the greatest junk. So one day I would be over at Zelf’s Tool and Die Works renting something, and then the other part of the day I was stopping by the junk shops and electronic shops on Canal Street to see what was new.“ (Laurie Anderson in Laurie Anderson, Trisha Brown, Gordon Matta-Clark: Pioneers of the Downtown Scene, New York 1970s , London: Barbican Centre, 2011, S. 73) ‒ Auch Richard Kostelanetz erinnert sich: „Picking not only furniture but art

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Auseinandersetzung mit vorgefundenen Materialien und Situationen und deren Integration sowohl ins Alltagsleben als auch in die eigene Kunst sind paradigmatisch für die spezifische Haltung des erstarkenden künstlerischen Kräftefelds Downtown. Sie entspricht zugleich einem generellen avantgardistischen Anspruch der Verbindung von Kunst und Leben.151 Dergestalt spielte der urbane Ort SoHo also eine wesentliche Rolle für die Herausbildung der Haltung und der künstlerischen Praktiken des künstlerischen Kräftefelds Downtown und für die Reformulierung eines avantgardistischen Anspruchs. Ganz konkret manifestierte sich der Einfluss des Orts beispielsweise in künstlerischen Arbeiten der frühen Fluxuskunst. Der Galerist und Kurator René Block formulierte 1976 seine Gedanken diesbezüglich: „Ich glaube, es ist nicht vermessen zu fragen, was aus Fluxus, der Performance- und Videobewegung geworden wäre, hätte es nicht SoHo und seine Lofts und die Canal Street gegeben. Die Geschichte von Fluxus, dieser Welt der kleinen, vorgefundenen, einfachen und zugleich komplizierten Dinge ist eng verbunden mit der Geschichte SoHos. Hier an materials off the street was a neighborhood game. […] Dumpsters alongside the sidewalks, which were necessary for interior renovation, were also rich sources for materials that could be turned to artistic uses. ,Picking over the discards from [SoHo] business became a regular nocturnal activity for those living in SoHo,‘ writes James R. Hudson. ,There even developed a certain etiquette governing the process of pawing through the discards. The first rule was not to approach any trash containers while someone else was selecting objects. It was also de rigeuer to put the trash back into the containers when one had finished making choices.‘ Well into the 1970s the streets of SoHo were filled with piles of industrial stuff: wood, metal, rubber, textiles, construction material, and whatever[.]“ (Kostelanetz, SoHo, S. 24.) ‒ Stephen Koch schrieb 1976: „Generationenlang hatte Canal Street der umliegenden Industrie als ein zehn Häuserblock langes, riesiges Eisenwarenlager und als Trödellager gedient. Für SoHos Künstler wurde diese Gegend zum weiten, üppigen, verwirrenden Garten des Wirklichen. Man schlendert in der Kühle des Abends auf ihren Gehwegen. Da stehen große Kisten mit Werkzeug, Kästen voll mit Zangen, Regale über Regale mit Plexiglas, ganze Stockwerke vollgestopft mit billigen Büromöbeln. Hier auf der Canal Street kauft man seine Möbel ein, nehmen Werke und Karrieren ihren Anfang, werden Gemüter besänftigt. Von Canal Street und ihresgleichen ging die unverwechselbare Eleganz dieses Ortes aus.“ (Stephen Koch, „Betrachtungen über SoHo“, S. 126) 151 Vgl. etwa Raussert, Avantgarden in den USA. Ausführlicher zum Verhältnis von avantgardistischen Prinzipien und einer Downtown Haltung siehe das Kapitel II.2.2 „Akteur_innen Downtowns. Heterogenität versus Homogenität.“

140 | DAS KÜNSTLERISCHE K RÄFTEFELD DOWNTOWN der Canal Street gab es Trödler und Secondhandläden für nahezu alles, was mit Papier, Werkzeugen, Büromöbeln, Kunststoffen, Textilien, Kurzwaren und vor allen Dingen Elektronik zu tun hatte. Diese Straße war (und ist es auch heute noch) eine Fundgrube. […] Gibt es auf der einen Seite eine starke Beziehung zwischen den objets trouvées der Canal Street und der Fluxusästhetik, so gab es auf der anderen eine logische Beziehung zwischen den sehr früh manifestierten sozialen Fluxusambitionen und der Industriegegend SoHo.“152

Einflussnahme von Künstler_innen auf stadtplanerische Entscheidungen Wie gezeigt, war die Industriegegend SoHo wie andere Bereiche New Yorks von der in den 1950er und 1960er Jahren einsetzenden Deindustrialisierung betroffen, in deren Zuge mehr und mehr Betriebe und Fabriken South Houston verließen.153 Zusätzlich wurde der Fortbestand des Viertels durch unterschiedliche städtebauliche Pläne bedroht. Zunächst gab es 1962 eine Empfehlung des City Club of New York unter seinem Präsidenten I. D. Robbins, der das Viertel einen „commercial slum“ nannte, dieses durch Abriss und Neubau in ein Wohngebiet umzuwandeln.154 Nachdem diese Idee der Stadterneuerung durch eine weitere Studie, den einflussreichen Rapkin Report,155 abgewendet werden konnte, zeigten sich in den späten 1960er Jahren die Pläne für den Bau eines rund 2 km langen, acht- bis zehnspurigen Express-Highways als neue Bedrohung. Der Lower Manhattan Expressway sollte quer durch South Houston entlang der Kenmare und Broome Street vom Holland Tunnel und dem West Side Highway im Westen bis hin zu den Williamsburg- und Manhattan-Brücken im Osten verlaufen.156 Erst 1969 entschied sich Bürgermeister John Lindsay endgültig gegen den Bau des Highways. Diese Entscheidung war vor allem unter dem politischen Druck von Aktivist_innen gefallen, die sich gegen den Bau des Highways engagiert

152 Block, „Planquadrat SoHo“, S. 96f. Siehe hierzu auch Frank, „New York Fluxus“, S. 152ff. 153 Vgl. u. a. Petrus, „From Gritty to Chic“; Bernstein, Shapiro, Illegal Living, S. 35. 154 Robbins nannte South Houston einen „commercial slum“ und forderte eine „bessere Nutzung“ des Gebiets durch gemischtes „low- to upper-income housing“ (siehe Petrus, „Grom Gritty to Chic“, S. 5). 155 Für eine ausführliche Beschreibung der beiden Studien und deren Einfluss auf die stadtentwicklungsbezogene Entscheidungsfindung der City Planning Commission und des Bürgermeisters Robert Wagner siehe Petrus, „From Gritty to Chic“, S. 4ff. 156 Vgl. Bernstein, Shapiro, Illegal Living, S. 48.

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hatten, darunter das 1968 gegründete Bündnis von Künstler_innen Artists Against Expressway (AAE).157 Ihr Lebens- und Schaffensraum wurde durch das Projekt massiv bedroht. Dabei waren es in starkem Maße diese Faktoren, die Deindustrialisierung und die Bedrohung des Fortbestands des Viertels durch die Bauprojekte, die für den Leerstand von Fabriketagen und die ausgesprochen niedrige Miete von ca. neun Dollar pro Quadratmeter pro Jahr bzw. den Verkaufspreis von rund 25 Dollar pro Quadratmeter mit verantwortlich waren und damit den Zuzug von Künstler_innen fortführend begünstigten.158 Bis 1968 hatte sich in SoHo eine regelrechte „Kolonie“ (Kostelanetz) von gut 600 Künstler_innen herausgebildet.159 In wenigen Jahren vervielfachte sich diese Zahl. Anfang der 1970er lebten in Downtown rund 2000 Künstler_innen,160 1978 waren es an die 5000.161 Für diese fortgeführte Expansion der künstlerischen Anwohnerschaft waren wiederum mehrere Faktoren verantwortlich, die auf den Entwicklungen der 1960er Jahre aufbauten. Einer der wichtigsten war die Durchsetzung des Wohnrechts für Künstler_innen, d. h. die lange erkämpfte Legalisierung des Bewohnens der Downtown Lofts.162 Diese war über mehrere Etappen

157 Für weitere Details über die Planung des Express Highways siehe Petrus, „From Gritty to Chic“, S. 7ff. 158 „[T]he city had proposed constructing an eight-lane elevated expressway along Broome Street, from the East River to the Hudson River. As a result, both landlords and tenants were reluctant to enter into new leases. In addition, the buildings were fast becoming obsolete. Owners were happy to sell their buildings for less than $3 or $4 a square foot.“ (Bernstein, Shapiro, Illegal Living, S. 48.) Vgl. hierzu auch Kostelanetz, SoHo, S. 3 oder Petrus, „From Gritty to Chic“, S. 3, 6) 159 Vgl. Petrus, „From Gritty to Chic“, S. 11. 160 Siehe ebd., S. 25. 161 Ca. 5000 von insgesamt ca. 8000 Anwohner_innen waren Künstler_innen, der Rest schätzungsweise deren Angehörige (vgl. Kostelanetz, SoHo, S. 28). Charles Simpson schreibt 1981 von insgesamt 4500 Bewohner_innen von Lofts in SoHo (vgl. Simpson, SoHo, S. 1). ‒ „By November 1974 approximately 80 percent of SoHo residents were artists and their families. According to SAA president Charles Leslie, the rest of the population included gallery owners, art dealers, art critics, publishers, and local businessmen.“ (Petrus, „From Gritty to Chic“, S. 25) 162 Weitere ausschlaggebende Faktoren für die Explosion der Künstler_innenBevölkerungszahlen waren eine verbesserte Kunstförderung in den 1970er Jahren (vgl. z. B. Simpson, SoHo, S. 126) sowie der Umstand, dass in den 1970er Jahren mehr Kunststudierende als je zuvor an US-amerikanischen Kunsthochschulen ihr Studium absolvierten, anschließend massenhaft nach New York strömten und dort

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erreicht worden. In der Literatur finden sich unterschiedliche Einschätzungen der wichtigen Schritte und Gesetzesänderungen bis hin zur tatsächlichen Legalisierung. Stephen Petrus gibt an, dass das Wohnen 1971 durch einen Beschluss der City Planning Commission legalisiert wurde.163 René Block schreibt, dass das Wohnen in den industriellen Downtown Lofts bis 1973 nicht erlaubt gewesen sei, und druckt im gleichen Beitrag eine Mitteilung der Stadtverwaltung von 1976 an die Bewohner_innen SoHos über die Umwandlung der ZonenNutzungsregulierung in „Living-Work Quarters for Artists“ ab.164 Für Marvin J. Taylor bringt das Jahr 1974 mit dem Emergency Tenant Protection Act, ch. 576 (ETPA)165 den entscheidenden Wandel. Die unterschiedlichen Gewichtungen und Hervorhebungen zeigen meines Erachtens in erster Linie, dass es viele Etappen und unterschiedliche politische Entscheidungen gab, die alle ihre unterschiedlichen Auswirkungen auf die jeweils Betroffenen hatten. Im Folgenden gebe ich einige entscheidende Eckpunkte des Wegs zur Legalisierung von den frühen 1960ern bis in die erste Hälfte der 1970er Jahre wieder,166 denn diese Entwicklungen waren für die Herausbildung des künstlerischen Kräftefelds Downtown mitentscheidend. Legalisierung und Verteuerung von Wohnraum Bereits 1960/1 war die Artists’ Tenant Association, kurz ATA, aktiv geworden. Nach einem verheerenden Feuer in einem Industriegebäude in SoHo 1960 verschärfte das New Yorker Fire Department stadtweit seine Inspektionen und Brandschutzverordnungen, klassifizierte etliche Fabrikgebäude als Feuerrisiko und verschloss sie. Zahlreiche Künstler_innen waren davon betroffen, ihre Lofts wurden zwangsgeräumt und sie auf Dauer aus ihren Lofts ausgeschlossen. Die

ihren Platz in Downtown suchten (vgl. Taylor, „Playing the Field“, S. 31, Anmerkung 17 auf S. 39). 163 Petrus, „From Gritty to Chic“, S. 23. 164 Block, „Planquadrat SoHo“, S. 6, 24. 165 Siehe Taylor, „Playing the field“, S. 18. Das Gesetz wurde erlassen „to prevent exaction of unjust, unreasonable and oppressive rents and rental agreements and to forestall profiteering, speculation and other disruptive practices tending to produce threats to public health, safety and general welfare“ (McKinney’s Uncons Laws of NY § 8622, zitiert in Taylor, „Playing the field“, S. 18). 166 Dieser Weg wird ausführlich von Petrus in seinem Aufsatz „From Gritty to Chic: The Transformation of New York City’s SoHo, 1962-1976“ nachgezeichnet (siehe Petrus, „From Gritty to Chic“).

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ATA formierte sich als Antwort auf diese Beeinträchtigungen.167 Nach der Androhung eines Galerienboykotts durch die Künstler_innen kam ihnen der sich im Wahlkampf befindende Bürgermeister Robert F. Wagner Jr. im August 1961 entgegen. Unter der Einhaltung einiger Vorgaben wurde es Künstler_innen erlaubt, in den Fabrikgebäuden SoHos zu wohnen.168 Zu diesen Vorgaben gehörte, dass bestimmte Standards des Feuerschutzes und des Zugangs zum Gebäude gewährleistet sein mussten, und es waren immer nur zwei Wohneinheiten pro Gebäude zugelassen. Die Künstler_innen mussten ein Schild an der Fassade des Gebäudes anbringen mit den Buchstaben A.I.R., kurz für „Artist in Residency“, um die Feuerwehr im Ernstfall auf die Anwesenheit von Bewohner_innen aufmerksam zu machen.169 Hierfür mussten sie ihren Künstler_innen-Status vom städtischen Building Department anerkennen und eine Inspektion über sich ergehen lassen.170 Deshalb wurde das A.I.R.-Programm kaum angenommen, nur sehr wenige Künstler_innen ließen sich registrieren. Darüber hinaus wurde ein Großteil der Anträge nicht angenommen, was andere nicht gerade dazu ermutigte, das Prozedere über sich ergehen zu lassen. Viele Künstler_innen zogen ihren illegalen Status vor. Und wie sich schnell herausstellte, war auch das A.I.R.Programm machtlos gegenüber der Bebauungsregulierung, derzufolge in dem als M-Zone klassifizierten SoHo niemand wohnen durfte. Damit drohte den Künstler_innen weiterhin, trotz A.I.R.-Status, die Zwangsräumung.171 Allerdings zeichnete sich trotz des definitiven Scheiterns des A.I.R.-Programms mit ihm erstmals ein Sonderrecht für Künstler_innen bezüglich des Wohnrechts in Downtown ab. 1964 erreichten die ATA gemeinsam mit den neu gegründeten Citizens for Artists’ Housing (CAH) eine Abänderung des Multiple Dwelling Laws durch Artikel 7-B durch den Bundesstaat New York, der es Künstler_innen erlaubte, in Fabrik- und Geschäftsgebäuden zu leben und zu arbeiten. Wer Künstler_in war, wurde dabei vom Staat definiert. Prinzipiell wurden nur professionelle bildende Künstler_innen wie Maler_innen oder Bildhauer_innen als solche anerkannt, d. h. bspw. Schriftsteller_innen, Schauspieler_innen oder Fotograf_innen hatten keine reale Chance.172 Für die Anerkennung des Künstler_innen-Status waren das kommunale Büro für kulturelle Angelegenheiten oder der staatliche Kunst-

167 Siehe Simpson, SoHo, S. 123f. 168 Siehe ebd., S. 124. 169 Vgl. Kostelanetz, SoHo, S. 11. 170 Vgl. hierzu Simpson, SoHo, S. 123ff.; Petrus, „From Gritty to Chic“, S. 14f. 171 Vgl. hierzu Simpson, SoHo, S. 123ff.; Petrus, „From Gritty to Chic“, S. 14f. 172 Vgl. Kostelanetz, SoHo, S. 15.

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beirat zuständig.173 Der Artikel 7-B beinhaltete allerdings sehr hohe Auflagen, wiederum etwa bezüglich des Feuerschutzes, die eine Sanierung der Gebäude zu deren Erfüllung extrem kostenintensiv machten. Viele Künstler_innen zogen es erneut vor, in der Illegalität zu verbleiben.174 Nach jahrelangem politischen Druck und Lobbyarbeit durch die 1968 aus dem Kontext der Artists Against the Expressway hervorgegangene SoHo Artists Association (SAA), deren Mitglieder ausschließlich illegal in Lofts wohnende Künstler_innen waren, und den CAH, deren Mitglieder z. T. prominente Künstler_innen, Kunsthändler_innen und Sammler_innen waren, wurde schließlich 1971 mit Unterstützung von Bürgermeister John V. Lindsay eine erneute Änderung des Artikels 7-B des Multiple Dwelling Laws durch die City Planning Commmission verabschiedet. Bauverordnungen und Feuerschutzbestimmungen wurden gelockert, und das Bewohnen von Fabriklofts durch Künstler_innen wurde endgültig legalisiert für den definierten Bezirk, der von da an auch offiziell „SoHo“ genannt wurde.175 Über das Ziel hinausgeschossen Die Legalisierung erwies sich jedoch von Anfang an als janusköpfig. Auch dieser letzte Schritt der Legalisierung brachte spürbare Folgen für die künstlerische Bewohnerschaft SoHos. Zwar wurde durch die Legalisierung ihr prekärer Status entschärft,176 doch die niedrigen Preise für Arbeits- und Wohnraum, die anfangs ausschlaggebend gewesen waren für den Zuzug von Künstler_innen, schienen 173 Stephen Petrus schreibt vom „municipal office of cultural affairs“ bzw. vom „state council on the arts“ (siehe Petrus, „From Gritty to Chic“, S. 16). 174 Siehe ebd. 175 Siehe ebd., S. 17ff., 23. Zur Durchsetzung des Namens „SoHo“ siehe u. a.: „‚SoHo‘ came up as a name and stuck. The basis for the name was that we were a viable community and a neighborhood. All the others in the city had names – like Cobble Hill.“ (eine Anwohnerin, zitiert in Simpson, SoHo, S. 163) oder: „‚SoHo‘, a term originating with urban planners who as late as 1962 referred to this area as the South of Houston Industrial District.“ (Simpson, SoHo, S. 1) oder: „‚It wasn’t SoHo then, but as a matter of fact it was [the AAE’s] meeting at the Whitney that it was first called ‚SoHo.‘“ (Rachele Wall zitiert in Simpson, SoHo, S. 150). 176 Nicht nur kann die stete Gefahr einer drohenden Zwangsräumung auf Dauer sehr belastend sein. Das Bestechungssystem, auf dessen Basis die Bewohner_innen sich etwas Ruhe erkauft hatten, lief laut Stephen Petrus ab Ende der 1960er Jahre immer mehr aus dem Ruder, als die Inspekteur_innen immer mehr Geld für ihre Blindheit verlangten (vgl. Petrus, „From Gritty to Chic“, S. 17).

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auch mit dem illegalen Status zusammengehangen zu haben. Die Kuratorin, Kunsthistorikerin und damalige SoHo-Bewohnerin Lucy Lippard erinnert sich: „Mit der Genehmigung, in Lofts zu leben, und der Seligsprechung von SoHo zum Wahrzeichen, mit daraus resultierender Beachtung durch die Medien, ersetzte eine Kommerzialisierung unerhörten Ausmaßes das anfängliche Ideal einer Gemeinschaft. 1971 hatte sich die politische Erregung gelegt. Während die Kunst sich in Pluralismen sonnte, verwandelte sich das Viertel langsam in eine Landschaft von Boutiquen, Bars und ausgesuchten Eßlokalen. Als an Sonnabenden die Touristen erschienen (und später ganze Busladungen auch während der Woche), wurde es klar, daß das Schicksal von SoHo nicht länger in den Händen der ursprünglichen Künstlergemeinschaften lag. Spätere Umzüge nach ‚NoHo‘, ‚Tribeca‘, Brooklyn und in den Flower District erweiterten nur den Bereich der ‚Downtown-Szene‘.“177

Als in den frühen 1970ern einige einflussreiche Zeitungsartikel die Aufmerksamkeit auf den neuen Wohnstil des „Loft Living“ lenkten,178 wurde dieses binnen kürzester Zeit zum neuen New Yorker Chic und lockte alsbald wohlhabende Nicht-Künstler_innen an.179 Die Preise explodierten.180 Ein Loft, das 1960 $30.000 gekostet hatte wurde 1970 für $150.000 verkauft.181 Diese Veränderungen brachten also definitiv einen Wandel in Form einer Verteuerung des Viertels bzw. auch einer Kommerzialisierung, wie Lippard sie beklagt. Stephen Koch verortet ähnlich wie Lippard diesen Wandel historisch im Übergang von den 1960ern zu den 1970ern und sieht die Gründe dafür ebenso hauptsächlich in der Legalisierung von Wohnraum.182 Dabei schienen noch in den späten 1970ern viele Künstler_innen im Status der 1960er Jahre zu leben. So schreiben Helene Zucker Seeman und Alanna Siegfried 1978 in ihrem SoHo Guide: 177 Lippard, „Geographie der Straßenzeit“, S. 180. 178 Ein wichtiger Artikel in diesem Zusammenhang war der Leitartikel der New York Times vom 20. Mai 1974 mit dem Titel „The Most Exciting Place to Live in the City“, der zugleich einen kleinen Stadtteilführer zu den Galerien und Lofts in SoHo bot (vgl. Alteveer, „Chronology“, S. 176). 179 Der Umstand, dass sie keinen legalen Wohnstatus erlangen konnten, da sie keine Künstler_innen waren, schien dieser neuen Bewohnerschaft relativ gleichgültig zu sein. 180 Petrus, „From Gritty to Chic“, S. 26f. 181 Siehe ebd., S. 24. Und auch die Mietpreise zogen rapide an (vgl. hierzu Bernstein, Shael Shapiro, Illegal Living, S. 120ff.). 182 Vgl. Koch, „Betrachtungen über SoHo“, S. 106f.

146 | DAS KÜNSTLERISCHE K RÄFTEFELD DOWNTOWN „Others are afraid that publicity will lead to eviction, as many of the lofts used for residences and performance spaces are still illegal; and because of this apprehension, many existing studios have refused permission to be listed in this guide.“183

Auch andere Autor_innen erlebten oder prognostizierten die Auswirkungen der ökonomischen Veränderungen auf das künstlerische Kräftefeld Downtown in Form von Verdrängung der künstlerischen Klientel erst für einen späteren Zeitpunkt. Der Stadtsoziologe Stephen Petrus sieht die Transformation des Stadtteils SoHo zu „one of the world’s art centers“ Mitte der 1970er Jahre als abgeschlossen und die Tatsache, dass es sich die meisten Künstler_innen danach nicht mehr leisten konnten, nach SoHo zu ziehen oder dort wohnen zu bleiben, als Resultat von Gentrifizierung.184 Er betrachtet Gentrifizierung, Deindustrialisierung und städtische Erneuerung, wie in diesem Kapitel nachgezeichnet, als einander überschneidende und verstärkende Faktoren. Er legt dabei Wert darauf, mit der Soziologin Sharon Zukin darauf hinzuweisen, dass der Gedanke, Künstler_innen seien die Speerspitze der Gentrifizierung, ein vereinfachender, impressionistischer urbaner Mythos sei.185 An dem komplexen Prozess seien neben den Künstler_innen vielmehr weitere Akteur_innen zentral beteiligt gewesen, wie städtische Träger, Immobilienmakler_innen, Vermieter_innen, die Presse, öffentliche Planungsbehörden, Denkmalschützer_innen und Hypothekengeldgeber_innen gleichermaßen.186 Charles R. Simpson sieht 1981 ein Ende der vitalen künstlerischen Szene SoHos erst noch kommen, das allerdings geradezu prophetisch: „The particularly urban qualities of diversity, the vitality of numerous subcultures, and proximity to an artistic avant-garde may well become priced out of the area. The artists remaining in SoHo could become limited to the small minority with high incomes, or a 183 Zucker Seeman, Siegfried, SoHo: A Guide, S. 105. 184 Vgl. Petrus, „From Gritty to Chic“, S. 2, 29. 185 Siehe ebd., S. 3f. Sharon Zukin zufolge ist die Vorstellung, dass Künstler_innen als Pionier_innen oder gar Held_innen ein urbanes Nichts und die gusseiserne Umgebung domestiziert hätten, ein Mythos und keine urbane Geschichte. Das habe in dieser Form nie stattgefunden. Sie versteht die in Downtown in den 1960er und 1970er Jahren stattfindenden urbanen Transformationsprozesse, insbesondere in Form des entstehenden Loft-Markts, vielmehr als exemplarisch für die in den USA ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erstarkende Vereinnahmung von AMPs („artistic modes of production“) durch kapitalistisch motivierte urbane Transformationsvorhaben und Immobilieninvestments (siehe Zukin, „8. Capital Shifts and the cultural Avant-Garde in urban America“, in: dies., Loft Living, S. 173-192). 186 Petrus, „From Gritty to Chic“, S. 3f.

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residue of aging co-opers, their studios rather than their careers having become their wealth, socially marooned in a rising tide of property values. The vital artistic community will have been displaced. With luck, it will regroup in and transform another area of urban decay. But SoHo as a vital community supporting avant-garde art will have been destroyed; a territorial base essential to the concentration and independence of critical artistic activity will be gone. But such a prospect remains some years in the future, as the existing artist residents struggle to incorporate change without destroying the artistic nature of the community.“187

Simpsons Prognose impliziert zugleich, dass er die 1970er Jahre noch als eine Zeit der Diversität, der Subkulturen und der Avantgarde versteht. Auch der Komponist Philip Glass, der von früh an der Downtown-Szene angehörte, verortet die Verlagerungen etwa zehn Jahre später: „I was also thinking that, in many ways, the 70s were much easier than the 80s. There was a kind of leisureliness about New York at that time, or so it seems now. For one thing, the real estate business in New York: it was then much easier to live here. You could even start things like The Kitchen with barely a handful of people. […] It’s very possible that, because of the real estate problems, it’s going to be more and more difficult for people to work in the city, to live in the city, and to present their work in the city.“188

Auch der Katalog zur Ausstellung „Laurie Anderson, Trisha Brown, Gordon Matta-Clark: Pioneers of the Downtown Scene, New York 1970s“189 versteht ähnlich wie der Sammelband von Marvin J. Taylor „The Downtown Book“190 die 1970er Jahre als Startpunkt bzw. Blütezeit Downtowns und registriert damit eher das Gegenteil von einer Abwanderung der Küsntler_innen. Und der Fotograf Allan Tannenbaum, der in den 1970er Jahren die Downtown-Szenen fotografisch dokumentierte, sieht im SoHo gerade der 1970er Jahre eine regelrechte Oase inmitten des schmutzigen, gefährlichen, völlig verarmten Molochs New York City.191 Downtown als gegenkultureller Raum. Martina Löw hebt hervor, dass im Zuge kollektiv werdender Konstituierungen von gegenkulturellen Räumen neue Rou187 Simpson, SoHo, S. 5. 188 Philip Glass, „A New, Important Stage“, S. 83ff. 189 Laurie Anderson, Trisha Brown, Gordon Matta-Clark: Pioneers of the Downtown Scene, New York 1970s. 190 Taylor, The Downtown Book. 191 Siehe Allan Tannenbaum, New York in the 70s – SoHo Blues, S. 6.

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tinen entwickelt werden und erneut der Prozess der Institutionalisierung von Räumen bzw. räumlichen Strukturen in Gang gesetzt wird.192 Auch der gegenkulturelle Raum Downtown institutionalisierte sich im Laufe der 1970er Jahre. Die aus einem gegenkulturellen Handeln heraus entstandene Besonderheit von Wohn- und Arbeitsräumen der Künstler_innen etablierte sich zu einem begehrten Standard. Und Ähnliches galt auch für die künstlerischen Praktiken, die das künstlerische Kräftefeld Downtown ebenso bestimmten. 1979 wurde auf dem mehrtägigen Festival „New Music, New York“ in dem Downtown-Veranstaltungsraum The Kitchen erstmals einer breiten Öffentlichkeit eine große Auswahl dessen präsentiert, was sich über zehn Jahre lang als die Neue Musik Downtowns in Form heterogener, idiosynkratischer musikalischer Ansätze von vielen unterschiedlichen Musiker_innen in vielen unterschiedlichen Aufführungsräumen herausgebildet hatte. Doch wie der Komponist und Village VoiceKolumnist Tom Johnson bereits damals in seiner Rezension über das Festival anmerkte: „[N]ew music is now an institution. Of course, this particular institution was never intended to be one. It was more often thought of as a guerrilla unit, or a collection of guerrilla units.“193 1979 bildet somit den zeitlichen Schlusspunkt meiner folgenden Untersuchungen zum künstlerischen Kräftefeld Downtown. Seine gegenkulturellen Räume, seine Akteur_innen und deren Handlungen, die das künstlerische Kräftefeld Downtown bis dahin bestimmt und zu einem der einflussreichsten avantgardistischen Kunstzentren der Welt gemacht hatten, werden mich in den folgenden drei Kapiteln interessieren.

192 Vgl. Löw, Raumsoziologie, S. 185. 193 Tom Johnson, „New Music New York Institution“, 2. Juli 1979, in: ders., The Voice of New Music, S. 223-226, hier: S. 223.

II.2 Downtowns Bausteine: Räume, Akteur_innen, künstlerische Praktiken

In den folgenden Unterkapiteln werde ich das künstlerische Kräftefeld Downtown aus drei verschiedenen Perspektiven betrachten: aus der der Räume, der Akteur_innen und der künstlerischen Praktiken. Hinter dieser Durchleuchtung des Kräftefelds steht die Frage nach den Wechselwirkungen zwischen dem Kollektiv und dem Individuum, genauer zwischen der Gesamtheit des Kräftefelds und der Einzelperson Meredith Monk, also danach, inwiefern Monk dieses Kräftefeld und wechselwirkend das Kräftefeld Monks eigene Praxis mitbestimmt haben. Im ersten Unterkapitel „Räume Downtowns“ stehen die zahlreichen gegenkulturellen Räume des künstlerischen Kräftefelds im Zentrum. Das Kapitel dient in erster Linie der Darstellung der enormen, anwachsenden Dichte an Räumen in der Zeit von 1964 bis 1979. So ist es nicht allein die Qualität der Räume, sondern auch ihre Quantität, die konstitutiv für das künstlerische Kräftefeld war. Die Räume waren Dreh- und Angelpunkt der künstlerischen Praktiken der Künstler_innen und für deren Netzwerkausbildung. Daher wird in diesem Kapitel das empirische Material aufgefächert und gerade auch diese Quantität gezeigt, auch wenn aufgrund der Fülle nicht jeder einzelne Raum beschrieben werden kann. Besondere Beachtung erhalten diejenigen Räume, die für das künstlerische Kräftefeld von exemplarischer Bedeutung waren. Ansonsten knüpft die Auswahl der explizit erwähnten Räume an Meredith Monk an, die für die vorliegende Forschungsarbeit einen zentralen Stellenwert einnimmt. Die dargestellten Räume haben also meistens entweder einen direkten Bezug zu Monk selbst oder zu Personen, die für ihre Kollaborationen wichtig waren. Das übrige Material meiner Datensammlung findet sich in der online einzusehenden Karte (dem Stadtplan Downtown New York: Räume) und dem zugehörigem Index, welche die Räume

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meiner Recherchen abbilden.1 Die Karte stellt dabei keine realitätsgetreue Abbildung eines bestimmten Zeitpunkts dar, sondern ist eine thematische Karte, die für die begrenzte Zeitspanne von 1964 bis 1979 die gegenkulturellen Räume Downtowns zeigt. Diese Darstellung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie ist vielmehr der Beginn einer Sammlung und eine Einladung an engagierte Leser_innen, sie zu ergänzen. Doch bereits in ihrer vorliegenden Form erfüllt die Karte ihren Zweck, die Dichte der Räume zu verdeutlichen und eine Vorstellung von der spezifischen Struktur des durch sie gebildeten Netzwerks zu vermitteln. Im zweiten Unterkapitel „Akteur_innen Downtowns“ wird Downtown vorrangig als Beziehungssystem betrachtet, welches die Künstler_innen in Downtown mittels ihrer Interaktionen und Alltags- wie künstlerischen Handlungen hervorbrachten. Im Vordergrund stehen dabei die Akteur_innen selbst und die sozialen und politischen Hintergründe, aus denen sie kamen und aus denen heraus sie handelten, als diejenigen Kontexte, durch die die einzelne Akteur_innen im künstlerischen Kräftefeld Downtown ihre jeweilige Position erlangten bzw. veränderten. Ausgehend von Meredith Monk und ihren Begegnungen und Kollaborationen rückt dabei eine Vielzahl von Namen mehr oder weniger bekannter Künstler_innen ins Blickfeld. Im dritten Unterkapitel „Künstlerische Praktiken in Downtown“ werden der Begriff der Downtown-Praxis vorgestellt und die spezifischen Kriterien künstlerischer Handlungsweisen diskutiert, die zusammengefasst diese DowntownPraxis ausmachen. Der Fokus ist auf die Downtown-Musik gerichtet, die an dieser Stelle detaillierter vorgestellt und als Downtown-Praxis definiert wird. Am Ende des Kapitels höre ich in ausgewählte Aufführungen vokaler Performances genauer hinein, um einige Kriterien der Downtown-Musik zu exemplifizieren. Dabei weise ich zugleich anhand des Festivals „New Music, New York“ die beginnende Etablierung dieser gegenkulturellen Musikrichtung Downtown-Musik auf und erkläre es zum Schlusspunkt meines Untersuchungszeitraums. Eine gewisse Redundanz ist für das Gesamtkapitel unvermeidlich, sind diese hier in drei Kapiteln getrennt dargestellten Perspektiven doch tatsächlich eng miteinander verwoben und bedingen einander. Dennoch bringt jede neue Perspektive neue Aspekte zum Vorschein.

1

Siehe Abbildung 1.3 sowie stadtplandowntownnewyork.marie-anne-kohl.de.

D OWNTOWNS B AUSTEINE

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II.2.1 R ÄUME D OWNTOWNS Das künstlerische Kräftefeld Downtown konstituierte sich als gegenkultureller Raum u. a. als Opposition zu Uptown. Ein paradigmatisches Unterscheidungsmerkmal gegenüber den Tempeln der Hochkunst in Uptown waren die vielfältigen unterschiedlichen Arten der Ausstellungs-, Aufführungs- und Arbeitsräume in Downtown und deren immense Anzahl, die in den 1970er Jahren schier explodierte. Zu der enormen Fülle kultureller Räume gehörten einerseits die Fabriketagen, in denen die Künstler_innen lebten und arbeiteten und nicht selten auch ihre Arbeit zeigten, und das in nächster Nähe zueinander. Selten zuvor gab es einen Ort wie Downtown, an dem räumlich derart konzentriert zur gleichen Zeit so viele Künstler_innen lebten.2 Einen maßgeblichen Anteil hatte andererseits die stetig wachsende Anzahl von Galerien, in denen häufig auch Musik oder Performances aufgeführt wurden, von Off-off-Theatern und von selbstorganisierten, alternativen Räumen, in denen unterschiedliche Formate von Musik und Performance über Skulptur und Fotografie zu Video und Installation gezeigt wurden. Bereits seit den 1960ern fanden ebenfalls vielfach in Kirchen Aufführungen von vornehmlich zeitgenössischem Tanz und Musik statt. In der spezifischen Qualität und Quantität kultureller Räume und dieser „Dezentralisierung“3 manifestierte sich die Heterogenität der künstlerischen Praktiken Downtowns und ihrer Akteur_innen. Meredith Monk erinnert sich an ihre Anfangszeit in New York: „There was a very strong scene of artists coming from different disciplines, working a lot within galleries, churches, basements, alternative kinds of spaces, people trying to push beyond the bounderies of their own forms.“4

Auch sie selbst zeigte vor allem ihre frühen Arbeiten vorrangig in Galerien und alternativen Räumen.5 „Räume“, dieser Begriff, den ich in Anlehnung an Martina Löw als Bezeichnung eben jener vielfältigen gegenkulturellen Räume Downtowns verwende, war zudem in jener Zeit eine eher modische, von der Szene verwendete Bezeichnung, wenn auch freilich auf Englisch, als „space“. Stephen Koch bemerkte Mitte der 1970er Jahre ironisch, dass man in SoHo keine Theater mehr oder einfach ein Loft, sondern immer einen „Raum“ besuchte. „Was für

2

Vgl. Taylor, „Playing the Field“, S. 31.

3

Lippard, „Geographie der Straßenzeit“, S. 180.

4

Monk in Monk, Voegeli, Lutman, Gann, „Meredith Monk – American Mavericks“.

5

Vgl. Monk, Klappentext Beginnings.

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ein schöner Raum!“ sei ein angemessenes Kompliment gewesen. Der Begriff „Raum“ bzw. „space“ war zu einem Lieblingswort in SoHo geworden, ähnlich wie der Begriff „Arbeit“ für „Kunst“. So sprachen Downtown-Künstler_innen selten von ihrer „Kunst“, dafür stets von ihrer „eigenen Arbeit“.6 Ähnlich wie die Künstler_innen selbst bezogen die Galerien und Veranstaltungsräume Fabrikgebäude in Downtown. Helen Zucker Seeman und Alanna Siegfried zählten 1978 in ihrem „SoHo: A Guide“ 85 Galerien und zwei Museen allein in SoHo.7 Die extreme Dichte der Räume implizierte, dass die hier ansässigen Künstler_innen sich potentiell täglich über den Weg liefen, und bildete damit die fruchtbare Grundlage für die Szenen, die darin wachsen und gedeihen konnten. Die Beziehungen der Downtown Akteur_innen wurde nicht unwesentlich durch die zufälligen Begegnungen auf der Straße, in Cafés oder auf Parties geprägt oder durch das regelmäßige gegenseitige Besuchen von Vernissagen, Konzerten und Performances.8 Nicht selten gaben diese mehr oder weniger zufälligen Treffen Anstoß für den Austausch von Ideen oder für Kollaborationen und förderten Freundschaften.9 Derartig alltägliche Regelmäßigkeit und Spontaneität an Begegnungen waren nur so ausgeprägt möglich durch die räumliche Nähe: „I think the seamlessness of moving between studio or loft to gallery and back again was an important part of the way that art was seen.“10 Die räumliche Nähe entstand einerseits durch die Überschaubarkeit des geographischen Orts, andererseits durch die immer größer werdende Dichte an gegenkulturellen Räumen. Downtown-Räume I: Lofts. Wohn-, Arbeits- und Aufführungsräume Ende 1960 zog Yoko Ono in ein altes Fabrikgebäude nahe der City Hall im Süden Manhattans, in die 112 Chamber Street.11 Sie war damit eine der ersten Loft-

6

Vgl. Koch, „Betrachtungen über SoHo“, S. 123, 126, 133, 136. Vgl. Auch die Diskussion in Anderson, Brown, Crawford u. a., „All Work, All Play“, S. 83.

7 8

Vgl. Zucker Seeman, Siegfried, SoHo: A Guide, S. 25, 32. Vgl. u. a. Anderson in Goldberg, Laurie Anderson, S. 86; La Barbara, „SoHo“, S. 252; Vgl. Anderson, Brown, Crawford u. a., „All Work, All Play“, S. 69-91.

9

Vgl. Anderson, Brown, Crawford u. a., „All Work, All Play“, S. 69-91.

10 Vgl. Goldberg in ebd., S. 82. 11 Die Chamber Street befindet sich in dem heute als Tribeca bekannten Stadtteil Downtowns. Das Akronym Tribeca steht für Triangle below Canal.

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Bewohner_innen Downtowns.12 Allerdings arbeitete und wohnte sie dort nicht nur illegaler Weise. Von Anfang an hatte sie nach einem Raum gesucht, der auch für Konzerte geeignet war. Keine_r ihrer Freund_innen hatte einen entsprechenden Veranstaltungsraum in New York.13 Und so initiierte sie sogleich eine Konzertreihe, die später berühmt gewordene „Chamber Street Series“, die sie gemeinsam mit den Komponisten La Monte Young und Richard Maxfield veranstaltete.14 Laut Robert Palmer handelte es sich dabei um New Yorks erste LoftKonzerte.15 Der Musikkritiker und Village Voice-Kolumnist Kyle Gann geht soweit, die These aufzustellen, dass Onos Konzertreihe eine neue Aufführungstradition begründete, die „Downtown-Tradition“, in Form von informellen Aufführungen an unkonventionellen Veranstaltungsorten.16 „This geographic dislocation resulted in an entire new body of work“, schreibt er, „so-called ‚Downtown music‘“.17 Gann bezeichnet Ono aufgrund dieser Innovation als die „Erfinderin Downtowns“.18 Die Künstler_innen der Chamber Street Series rekrutierten sich vornehmlich aus dem Schüler_innenkreis von John Cages Experimental Composition Class, die er Ende der 1950er Jahre an der New School gegeben hatte, und welche bald darauf als Fluxus-Künstler_innen die erste künstlerische Bewohnerschaft SoHos darstellten, darunter Jackson MacLow, Henry Flynt, Terry Jennings, Terry Riley, Joseph Byrd, Simone Forti19 und Robert Morris.20 Selbstverständlich zeigte Ono 12 „The experimental loft music scene that would help make artists such as Laurie Anderson and Philip Glass into stars and Soho real estate some of the most expensive in New York was still some twenty years in the future.“ (Robert Palmer, Onobox, 1992) Ono erinnert sich: „Ino Miyuzami, a sculptor, knew that I was looking for a place. So he said, ‚These days artists are working in a couple of lofts.‘ And we didn’t know what lofts were. We found out they were warehouse spaces that were not being used and they were cheap. So some artists were doing that. And in those days you could not stay in a loft, it was illegal.“ (Ono in Thurston Moore, Byron Coley, „Scream at the Sky“) 13 Vgl. Palmer, Onobox, 1992, o. S. 14 Vgl. ebd. 15 Vgl. ebd. 16 Vgl. Gann, American Music in the Twentieth Century, S. 155. 17 Ebd. 18 Gann, „The part that doesn’t fit is me. Yoko Ono, the inventor of downtown“, abgedruckt in ders., Music downtown: Writings from The Village Voice, S. 23-28. 19 Simone Forti, die auch für die feministische Performancekunst eine wichtige Akteurin werden sollte, zeigte 1961 in Onos Loft „Five Dance Constructions and Some Other Things“ (siehe Roth, Burdick, Dubiel, „Chronology“, S. 48).

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auch eigene Arbeiten.21 Weitere wichtige Frauen des Fluxuskreises waren Charlotte Moorman und Alison Knowles.22 Der Kreis an Fluxus-Künstler_innen stellte Meredith Monks ersten maßgeblichen musikalischen Kontakt dar, als sie 1964 nach New York kam.23 Bereits 1957 hatte Alison Knowles als erste Fluxus-Künstlerin ein Loft in SoHo am 423 Broadway nördlich der Canal Street bezogen, bald gefolgt von den weiteren Fluxisten Dick Higgins, der zu ihr zog,24 sowie Joe Jones, Ay-O, Nam June Paik und George Maciunas, die in die Canal Street zogen.25 Letzterer richtete in der 359 Canal Street den Fluxshop ein, direkt gegenüber vom „berühmte[n] Canal Street-Postamt, von dem aus Fluxus seine Botschaften über die Welt verbreitete.“26 Der selbsternannte Fluxus-Begründer George Maciunas stellte eine treibende Kraft in Bezug auf die Herausbildung der künstlerischen Bewohnerschaft Downtowns dar. Während sich im Verlauf der 1960er Jahre mehr und mehr einzelne Künstler_innen individuell in SoHo niederließen, war es Maciunas, der ab der zweiten Hälfte der 1960er Jahre durch den gezielten Ankauf und die Sanierung ganzer Gebäude und deren Umbau in Wohn- und Arbeitslofts für Künstler_innen als Wohnkooperativen, so genannten Ko-Ops, die konzentrierte Besiedlung

20 Siehe Ken Friedman, Owen Smith, Lauren Sawchyn, „Introduction to the fortieth anniversary edition“, in dies., (Hg.), Fluxus Performance Workbook; Thomas Dreher, „‚Apres John Cage‘“. 21 Vgl. Gann, Music downtown: Writings from The Village Voice, S. xiii. 22 Vgl. Roth, Burdick, Dubiel, „Chronology“, S. 49. 23 Vgl. Monk in Monk, Voegeli, Lutman, Gann, „Meredith Monk – American Mavericks“. 24 Siehe Kostelanetz, SoHo, S. 4; Peter Frank, „New York Fluxus“, S. 152. Das Gebäude wurde Mitte der 1970er Jahre auch von Steve Reich und Kaspar König genutzt (vgl. Peter Frank, „New York Fluxus“, S. 152). ‒ 1969 sind sowohl Knowles als auch Higgins Teil der Besetzung von Monks „Juice“ im Guggenheim Museum. Knowles ist eine der 85 Performer_innen im ersten Teil, Higgins spielt im zweiten Teil im Minor Latham Playhouse sowie im dritten Teil in The House Loft (siehe Programm „Juice. A Theatre Cantata“, MMA Box 15 Folder 9). 25 Vgl. Block, „Planquadrat SoHo“, S. 97. Block erinnert sich daran, dass drei von fünf Adressen, die er 1964 in New York hatte, in der Canal Street lagen, und zwar die von Dick Higgins, George Maciunas und Nam Jun Paik. 26 Vgl. ebd.

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SoHos und die Etablierung der „artists’ colony SoHo“ (Kostelanetz) vorantrieb.27 Der Filmemacher Jonas Mekas erinnert sich: „We spoke about George, how everything we have, that we see here is connected with George – there simply wouldn’t be SoHo without George, we wouldn’t be in this building, in this home, sitting now around this table, without George.“28

1967 gründete Maciunas in SoHo die erste Ko-Op für Künstler_innen, die Fluxhouse Cooperative II in dem Gebäude der 80 Wooster Street, welches er für $105.000 gekauft hatte.29 In den folgenden zehn Jahren folgten 15 weitere KoOps.30 In einem komplexen System der Geldumlagen, welches von den Behörden nicht immer als legal betrachtet wurde, organisierte Maciunas den Ankauf und die Verteilung der Räumlichkeiten an die Künstler_innen, die ihm ihr Geld anvertraut hatten.31 Sie wurden in diesen Hausgemeinschaften zu Eigentümer_innen ihrer eigenen Lofts, für die Gemeinschaftsflächen waren alle gemeinsam verantwortlich.32 Das gemeinsame Kaufen, Sanieren, Bewohnen und Instandhalten der Gebäude ist trotz aller aufgetreten Streitigkeiten ein Beispiel für Solidargemeinschaften. Diese Praxis Maciunas gilt als maßgeblicher Impuls für 27 Siehe u. a. Bernstein, Shapiro, „George Maciunas: The Father of SoHo“, in: dies., Illegal Living, S. 35-74. Für die Bezeichnung der „Künstler_innen-Kolonie“ siehe den Titel bei Richard Kostelanetz, SoHo – The Rise and Fall of an Artists’ Colony. 28 Jonas Mekas, zitiert in Bernstein, Shapiro, Illegal Living, S. 72. 29 Siehe Bernstein, Shapiro, Illegal Living, S. 35, 52. 30 Vgl. ebd., S. 52. 31 Einzelheiten darüber, wie Maciunas die Fluxhouses und Ko-Ops etablierte, sowie über seine teils illegalen Machenschaften, in die er sich damit verwickelte und die ihn einerseits dazu zwangen, sich vor der Polizei zu verstecken und ihn andererseits in einer Auseinandersetzung mit der Mafia ein Auge kosteten, sind nachzulesen etwa bei Bernstein, Shapiro, Illegal Living, Kostelanetz, SoHo oder in Frank, „New York Fluxus“. 32 Durch den Kauf der Gebäude konnten die Künstler_innen zwar der realen Gefahr entgehen, von Vermieter_innen jederzeit fristlos gekündigt oder zu höheren Mieten gezwungen zu werden und damit die Zeit, die Energie und das Geld, dass sie in die Renovierung der Lofts gesteckt hatten, zu verlieren. Allerdings galt auch für Maciunas und seine Käufer_innen, was in den 1960er Jahren für alle galt: Das Bewohnen von Fabriketagen war illegal, egal ob gekauft oder gemietet. Somit konnten auch die Künstler_innen, auch wenn sie Eigentümer_innen ihrer Lofts waren, von der Stadt zwangsgeräumt werden, wenn herauskam, dass sie hier lebten (vgl. hierzu Petrus, „From Gritty to Chic“; Bernstein, Shapiro, Illegal Living).

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die erstarkende Besiedlung SoHos durch Künstler_innen und die spezifische Struktur der Ko-Ops.33 Downtown-Räume II: Galerien, Off-off-Theater, Kirchen etc. Waren die 1960er Jahre maßgeblich geprägt durch den wachsenden Zuzug der künstlerischen Bewohner_innen Downtowns, so waren die 1970er Jahre geprägt vom Ausbau ihrer Wirkungsstätten, von denen ebenfalls einige als Ko-Ops gestaltet sein würden. In der Literatur gilt gemeinhin die 1968 eröffnete Paula Cooper Gallery in der 96-100 Prince Street als die erste Galerie in SoHo.34 Paula Cooper hatte zuvor die Park Place Gallery direkt nördlich der Houston Street geleitet, die selbst eine kooperative und in dieser Form neuartige Galerie gewesen war.35 Unter einer kooperativen Galerie war ein selbstorganisierter Ausstellungsraum zu verstehen, d. h. sie wurde von den Künstler_innen selbst verwaltet, das Programm selbstständig organisiert, meist zeigten sie ihre eigenen Arbeiten.36 Bald folgten weitere Ko-Ops wie 1969 die Bowery Street Gallery, die First Street Gallery und die von Mitgliedern der Artworkers’ Coalition gegründete 55 Mercer Street oder 1970 die Prince Street Gallery und 1972 die Galerien West Broadway und Landmark in der 469 Broome Street.37 1978 zählten Zucker Seeman und Siegfried in SoHo 17 kooperative Galerien.38 Auch die reinen Frauengalerien SoHo 20 und A.I.R. waren Kooperativen. Letztere hatte ihren Namen als ironischen Verweis auf den berühmten A.I.R.-Erlass erhalten, ihre Räume in der Wooster Street waren von den Mitgliedsfrauen selbst renoviert worden.39 In Erinnerung an diese Frauengalerien verweist Lawrence Alloway auf den Umstand, 33 Anlässlich von Maciunas’ Tod beschrieb ihn die New York Times als „one of those chiefly responsible for the development of SoHo as an artists’ community.“ (Zitat abgedruckt in Bernstein, Shapiro, Illegal Living, S. 72) 34 Vgl. u. a. Alloway, „SoHo als Bohemia“, S. 142, Lippard, „Geographie der Straßenzeit“, S. 180. 35 Vgl. Alloway, „SoHo als Bohemia“, S. 142. Lawrence Alloway macht ferner darauf aufmerksam, dass bereits in den 1950er Jahren in der Gegend rund um die East 10th Street Künstler_innen selbst Galerien gegründet hatten, und verweist damit auf die 10th Street Galleries (vgl. Alloway, „SoHo als Bohemia“, S. 148). 36 Vgl. ebd., S. 144. Alloway macht dort auch auf den Unterschied zwischen „totalen“ und „verwalteten“ Ko-Op-Galerien aufmerksam. 37 Vgl. ebd., S. 142ff.; Lippard, „Geographie der Straßenzeit“, S. 180. 38 Vgl. Zucker Seeman, Siegfried, SoHo: A Guide, S. 32. 39 Vgl. Alloway, „SoHo als Bohemia“, S. 142ff., Zucker Seeman, Siegfried, SoHo: A Guide, S. 41, 179.

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dass auch in den Gruppen anderer Ko-Ops, der Bowery sowie der Prince Street Gallery, der Frauenanteil stetig wuchs, woraus er die Schlussfolgerung zieht, dass „die Ko-Ops an der sich wandelnden Rolle der Frau in der Kunstwelt in starkem Maße beteiligt [waren].“40 Es ist freilich auch möglich, andersherum zu argumentieren. Frauen waren in starkem Maße daran beteiligt, Räume zu wandeln, an ihnen zu partizipieren, sie sich anzueignen und räumliche Strukturen zu verändern. „Frauen [nutzen] tendenziell eher die Potentiale gegenkulturellen Handelns“, bemerkt Martina Löw in Anlehnung an die Soziologin Ilse Modelmog im Kontext ihrer Auseinandersetzung mit der Konstitution gegenkultureller Räume.41 Gegenkulturelles Handeln bringe gegenkulturelle Räume hervor, indem es sich gegen institutionalisierte (An)Ordnungen richte und damit Abweichungen und Veränderungen bewirke. Diese würden, so Löw mit Modelmog, nicht allein durch Reflexion, sondern auch durch körperlich-emotionales Begehren ausgelöst. Frauen würden von der dualistischen Geschlechterordnung die Handlungsfelder von Gefühlen, Leiblichkeit und sozialen Beziehungen zugewiesen, in die sie sich aktiv einsozialisierten. Wenn Frauen aufgrund ihrer Sozialisierung einen direkteren Zugang zu körperlich-emotionalen Handlungsweisen haben, und diese gegenkulturelles Handeln begünstigen, liegt der Schluss nahe, dass Frauen diese Potentiale dann auch eher nutzen.42 Die institutionalisierten Räume Uptowns waren für Frauen weitestgehend nicht zugänglich.43 Also schufen Frauen sich in Downtown eigene Räume und protestierten offen gegen institutionalisierte Räume, die Frauen strukturell ausschlossen. 1970 bspw. protestierten feministische Künstlerinnen in New York gegen den niedrigen Prozentsatz von Frauen in der Whitney Museum’s Biennale mit „theatrical means“, indem sie rohe Eier und Binden in den Räumlichkeiten des Museums verteilten.44 Auch innerhalb SoHos wurden Künstlerinnen aktiv. So organisierte die 1971 gegründete Organisation und Dowtown-Galerie Women in the Arts in der 435 Broome Street Proteste.45 1975 fotografierte Allan Tan40 Alloway, „SoHo als Bohemia“, S. 144. 41 Löw, Raumsoziologie, S. 186. 42 Vgl. ebd., S. 185f. 43 Siehe u. a. Taylor, „Playing the Field“, S. 32. Aufgrund mangelnder Repräsentanz in den üblichen Uptown-Galerien „zeigten A.I.R. und SoHo 20 Künstlerinnen als Protest gegen Geschmacksmuster und sexuelle Diskriminierungen der Frau in den UptownGalerien[.]“ (Alloway, „SoHo als Bohemia“, S. 144) 44 Moira Roth, „The Amazing Decade. Women and Performance Art in America (Essay)“, S. 16. 45 Vgl. Zucker Seeman, Siegfried, SoHo: A Guide, S. 86f.

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nenbaum einen Demonstrationszug von protestierenden Künstlerinnen in den Straßen Downtowns vor den 420 West Broadway Galerien.46 Die Geschlechterverhältnisse in Downtown waren prinzipiell weniger rigide und offensichtlich paritätischer. So berichtet Richard Kostelanetz, der selbst lange in SoHo gelebt hat, beispielsweise von den Wohn-Kooperativen, dass Künstler_innen „regardless of age, gender, political affiliation, sexual orientation, ethnicity, or any other category of discrimination popular in the larger world“ hier leben konnten.47 „Women owned nearly as often as men, and they renovated by themselves as well. In my own co-op, from the beginning at least one-third of the partners have been divorced, unattatched women. Approximately one-third of the residents are gay.“48 Und Laurie Anderson erinnert sich in einer Unterhaltung über Downtown: „In the art world men and women dressed the same, they looked the same and it felt equal. That was what attracted me to it more than anything.“49 Sicher existierten auch im weniger als die Mehrheitsgesellschaft patriarchal organisierten künstlerischen Kräftefeld Downtown Reibungspunkte. Doch schufen sich die Akteur_innen hier in den gegenkulturellen Räumen sowie auf den Straßen, die ebenfalls künstlerisch bespielt wurden, die Möglichkeiten für emanzipatorische Aktionen. Lucy Lippard erzählt von zahlreichen Straßenperformances von Frauen, die ich vor allem als expansive Inanspruchnahme von öffentlichem Raum lese.50 Und in den Räumen Downtowns entfalteten sich die neuen Kunstformen Performancekunst sowie die vokale Performancekunst, die von Anfang an einen feministischen Impetus besaßen.51 Neben den Ko-Op-Galerien ließen sich nach und nach auch zahlreiche kommerzielle Galerien in SoHo nieder, am berühmtesten vielleicht im Gebäude unter der Adresse 420 West Broadway mit den Galerien Leo Castelli, André Emmerich, Ileana Sonnabend, Mary Boone und John Weber,52 welches vielen als „Flaggschiff“ der SoHo-Kunstszene galt.53 Die Galerien wurden immer zahlreicher und das Viertel immer lebendiger. Allan Tannenbaum erinnert sich:

46 Siehe Tannenbaum, New York in the 1970s, S. 106. 47 Kostelanetz, SoHo, S. 41. 48 Ebd. 49 Anderson in Anderson, Brown, Crawford u. a. „All Work, All Play“, S. 75. 50 Siehe Lippard, „Geogrphie der Straßenzeit“. 51 Siehe detaillierter dazu das Kapitel II.2.3 „Künstlerische Praktiken in Downtown“. 52 Vgl. Zucker Seeman, Siegfried, SoHo: A Guide, S. 49, 144; Kostelanetz, SoHo, S. 61. 53 Vgl. Zucker Seeman, Siegfried, SoHo: A Guide, S. 144.

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„The streets were often scenes of paintings being carried from studios to galleries. Sculptural projects dotted the post-industrial landscape. Street performances were common, be they solitary or group, spontaneous or planned. On quieter days the streets were meeting places for artists and friends. Many a SoHo Saturday was spent wandering from gallery to gallery, followed by beers at an oval tavern like Fanelli’s, and ending at a party in someone’s loft.“54

Das Netz an Galerien in SoHo war Mitte der 1970er Jahre derart dicht, dass in vielen der Straßen zehn Galerien und mehr pro Block angesiedelt waren. Häufig befanden sich in einem einzigen Gebäude mehrere Galerien wie im Falle von 420 West Broadway oder von der 142 Greene Street mit der Sperone Westwater Fischer Gallery, der Azuma Gallery und mit Sculpture Now.55 Sculpture Now von Max Hutchinson war die einzige Galerie, die sich allein auf Skulpturen spezialisiert hatte und in der gelegentlich Performances stattfanden, die zu diesen einen Bezug herstellten. Der Soho Guide gibt an, dass Meredith Monk hier eine ihrer ersten Performances gab.56 Während die Beschreibungen von SoHo in den 1960er Jahren noch die mangelnde Infrastruktur und die nächtliche Verlassenheit hervorheben, wandelte die Eröffnung der zahlreichen Räume, der Galerien, Cafés, Bars, Buch- und Plattenläden und Boutiquen das Viertel also zu einem lebendigen Anziehungspunkt.57 Auch darin bestand ein weiteres Unterscheidungsmerkmal gegenüber Uptown, wie es der Kurator und Kunstkritiker Lawrence Alloway Mitte der 1970er Jahre feststellte: „Die Galerien Uptown nutzten die Räume in Bürohäusern – nach Geschäftsschluß ist diese Gegend tot, und man weiß nach einem Galeriebesuch am späten Nachmittag oder frühen Abend, nach einer Vernissage nicht, wohin man gehen könnte. […] In SoHo dagegen verschmelzen Galerien mit der Umgebung zu einem Ganzen.“58

54 Tannenbaum, New York in the 1970s, S. 54. 55 Vgl. Zucker Seeman, Siegfried, SoHo: A Guide, S. 184. 56 Vgl. ebd., S. 64f., 137. 57 In den zeitgenössischen Stadtführern SoHos werden nicht umsonst neben den Galerien und anderen Kunsträumen auch Restaurants, Bars und Boutiquen mitaufgelistet. Siehe etwa Zucker Seeman, Siegfried, SoHo: A Guide oder auch KA 05 Raw Books Publication, Streets of Soho Map and Guide. 58 Alloway, „SoHo als Bohemia“, S. 146f.

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Neben den Galerien prägten also auch andere Räume die Straßenzüge, Blöcke und Gebäude SoHos und spiegelten in ihrer Diversität die spezifische Heterogenität der künstlerischen Szenen Downtowns. Downtown-Räume III: Hier spielt die Musik In vielen unterschiedlichen Downtown-Räumen wurde Downtown-Musik59 gespielt. Auch qualitativ boten sie andere Aufführungsmöglichkeiten als die Konzertsäle Uptowns. Der Downtown ComposerPerformer und in den 1970er Jahren Village Voice-Kolumnist für Downtown-Musik Tom Johnson: „Places like the Kitchen, WBAI’s Free Music Store, the Cubiculo, and a variety of lofts, churches, and galleries provide performance spaces at no cost to the artists, and with an unprecedented degree of artistic license. At such places no one will tell composers or groups that they have to be finished by 11 p.m. because of union regulations, or that they must submit scores to a committee, or that they must guarantee an audience of so many people, or that they cannot write for such-and-such instruments, or even that they have to keep their clothes on.“60

Es war also vieles möglich, wenig verboten. Räume, in denen gelegentlich oder regelmäßig Downtown-Musik aufgeführt wurde, waren neben den von Johnson erwähnten u. a. die Paula Cooper Gallery, die Leo Castelli Gallery, die Sonnabend Gallery, die 112 Greene Street, die 530 Canal Street, die 10 Beach Street und die 325 Spring Street oder auch Kirchen wie die Judson Memorial Church, die Village Church in der 27 Barrow Street, die Washington Square Methodist Church in der 135 West 4th Street oder die St. Mark’s Church in der 131 East 61 10th Street. Auch die Elaine Summers – Experimental Intermedia Foundation 62 am 537 Broadway bzw. in der 224 Centre Street, die Dia Art Foundation in der 59 Zur Begriffsdefinition siehe das Unterkapitel II.2.3 „Künstlerische Praktiken in Downtown“. 60 Tom Johnson, „New Music: A Progress Report“, 3. Januar 1974, in: ders., The Voice of New Music, S. 63. 61 Vgl. hierzu u. a. Kostelanetz, SoHo, Johnson, The Voice of New Music, Gendron, „Downtown Music Scene“, Patti Smith, Just Kids, Putnam Smithner, Directing Ensemble, S. 401ff., Lawrence, Hold on to Your Dreams, S. 60. 62 Die Experimental Intermedia Foundation scheint unterschiedliche Adressen gehabt zu haben. Der SoHo: A Guide von 1978 gibt als Adresse für die Elaine Summers – Experimental Intermedia Foundation den 537 Broadway an (siehe Zucker Seeman, Siegfried, SoHo: A Guide, S. 221). Tim Lawrence hingegen schreibt von einem Konzert

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141 Wooster Street, der Artists Space in der 38 Greene Street, die Clocktower Gallery in der 108 Leonard Street Nähe Broadway, die Radiostation WBAI in der 359 East 62nd Street oder das Loeb Student Center der New York University am 566 La Guardia Place boten Konzerten mit Downtown-Musik einen Raum.63 Wichtig für das Experimentieren und Aufführen der eigenen Musik, aber auch beispielhaft für eine spezifische Intimität zwischen Downtown-Musiker_innen und ihrem meist aus ihren Freund_innen und Kolleg_innen zusammengesetzten Publikum waren auch die Lofts der Künstler_innen. Richard Kostelanetz erinnert sich: „The scale of SoHo’s loft spaces made them appropriate for music designed for audiences smaller than those in the standard musical concert venues of New York.“64 Bereits Ende der 1960er öffnete Ornette Coleman in der 131 Prince Street als einer der ersten in SoHo sein Loft als das Artists House.65 1972 verwandelte der Jazzsaxophonist Sam Rivers seinen Proberaum in der 24 Bond Street in das öffentliche Performance-Loft Studio Rivbea.66 In Robert Wilson’s Byrd Hoffman Arthur Russels, das 1975 in der Experimental Intermedia Foundation stattgefunden hatte, die seit 1973 von Phill Niblock in seinem Loft in der 224 Center Street geleitet wurde (vgl. Lawrence, Hold on to your Dreams, S. 102). Auch Kostelanetz spricht von Konzerten, die Phill Niblock unter dem Namen der Experimental Intermedia Foundation in „his own more spacious loft beyond the southeast edge of SoHo“ veranstaltete (vgl. Kostelanetz, SoHo, S. 111). Diese Adresse ist auch heute noch die gültige Adresse der Experimental Intermedia Foundation. 63 Vgl. u. a. Kostelanetz, SoHo, S. 111f., Johnson, The Voice of New Music, passim., Lawrence, Hold on to your Dreams, S. 60. 64 Kostelanetz, SoHo, S. 107. 65 Siehe Joan LaBarbara, „SoHo“, S. 252. 66 Vgl. Gendron, Downtown Music Scene, S. 44. Bernard Gendron unterscheidet in drei unterschiedliche Richtungen der Downtown-Musik in den 1970ern, in „experimental post-Cagean music“, „loft jazz“ und „Punk and New Wave Rock“, und weist diesen trotz Überschneidungen mehr oder weniger eigene Räume zu, exemplarisch ersteren The Kitchen, der zweiten das Studio Reverba von Sam Rivers und der dritten den Oscar Wilde Room bzw. später den Club CBGB (vgl. Gendron, „The Downtown Music Scene“, S. 41, 44). Kyle Gann verwendet den Begriff Downtown-Musik in erster Linie bezogen auf die Musikrichtung, die Gendron als „post-Cagean music“ bzw. als Musik von „art composers“ (Gendron, „The Downtown Music Scene“, S. 42) bezeichnet. Das zeigt sich in erster Linie in Ganns Auswahl an Musiker_innen, über die er schreibt (siehe Gann, Breaking the Chain Letter, ders., Downtown Music, ders., Music downtown). Ich beziehe mich auf Ganns Verwendung des Begriffs, was sich im Folgenden auch in der Auswahl der von mir vorgestellten Räume niederschlägt.

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School of Byrds in der 147 Spring Street fanden regelmäßig sowohl Workshops, die auch Monk besucht hatte, sowie Konzerte experimenteller Musik statt.67 Jim Burton veranstaltete ab den frühen 1970ern Konzerte sowohl in seinem Loft in der Greene Street als auch auf dem Dach des Gebäudes.68 Das Studio von Philip Glass in der Bleeker Street, das Loft von Dick Higgins in der West 22nd Street und Monks Loft in der Great Jones Street und später dem West Broadway69 sind nur wenige weitere Beispiele für diese spezifische Form gegenkultureller Räume der Downtown-Musik: Lofts. Zu einem der wenn nicht dem zentralen Experimentierfeld der DowntownSzene wurde alsbald The Kitchen, „a groundbreaking venue for experimental composition[.]“70 Mit den Worten RoseLee Goldbergs: „In the 1970s, The Kitchen was the heart of SoHo.“71 Hier fand u. a. 1979 die erste Ausgabe des Festivals „New Music America“ unter dem Titel „New Music, New York“ statt, welches ich als Endpunkt meiner Untersuchungen über das künstlerische Kräftefeld Downtown setze. Daher werde ich am Ende des Kapitels noch einmal detaillierter auf The Kitchen zurückkommen. The Kitchen hatte Ende der 1970er Jahre die Adresse 59 Wooster Street. Beispiel Wooster Street Die Wooster Street ist ein gutes Beispiel dafür, dass in SoHo nicht nur einzelne Gebäude mehrere Räume beherbergten, wie im Falle des 420 West Broadway, sondern auch gesamte Straßenzüge durch ein dichtes Nebeneinander unterschiedlichster gegenkultureller Räume geprägt waren. Am südlichen SoHo-Ende der Wooster Street, knapp oberhalb der Canal Street, lag der Parkplatz, auf dem der dritte Teil von „Vessel“ stattfand. Einen Block weiter nördlich hatte sich in der 33 Wooster Street in einer alten Garage für Trucks der Performance Raum Performing Garage eingerichtet. Hier fand 1971 der zweite Teil von Monks „Vessel“ statt.72 Die 33 Wooster Street war zudem eines von Maciunas’ Fluxus67 Vgl. Goldberg, Performance. Live Art Since the 60s, S. 64; Kostelanetz, SoHo, S. 112; Zucker Seeman, Siegfried, SoHo: A Guide, S. 102f., 120f. 68 Kostelanetz, SoHo, S. 108. 69 Vgl. Monk in Strickland, „Voices/Visions“, S. 136; Gendron, „The Downtown Music Scene“, S. 43. 70 Lawrence, Hold on to Your Dream, S. 2; vgl. u. a. auch Kostelanetz, SoHo, S. 108ff. 71 RoseLee Goldberg, „No Other Place“, 1992, S. 47. 72 In der Performing Garage gründete Richard Schechner die beiden Theaterkompanien The Performance Group (1967) und The Envelope (1978), das Programm wurde laut Zucker Seeman und Siegfried von Schechner und Elizabeth LeCompte ausgewählt

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Kooperativen gewesen.73 Einen weiteren Block gen Norden im Eckhaus mit der Postadresse 59 Wooster Street und seinem Eingang in der 484 Broome Street hatte The Kitchen ihren neuen Raum gefunden. Das Programm war jede Woche mit zahlreichen Musikveranstaltungen, Performances, Videovorführungen und regelmäßigen Festivals sehr dicht. Direkt gegenüber von The Kitchen in der 64 Wooster Street befand sich das Open Space Theatre. Hier fand 1978 das „Theatre Experiments in SoHo Festival 3“ statt, bei dem langjährige Ensemblemitglieder Monks zentral mitwirkten.74 Ein paar Häuser weiter in der 80 Wooster Street, also der ersten Fluxhouse Cooperative II, befand sich Jonas Mekas’ Anthology Film Archive, vormals die Filmmakers Cinematheque. Eröffnet wurden die neuen Räume des Anthology Film Archive in der Wooster Street 1974 mit Carolee Schneemanns Performance „Up To and Including Her Limits“, in der sie nackt von der Decke hängend auf Wände und Boden malte, „in a feminist reworking of Pollock-type action painting.“75 Das Anthology Film Archive galt als Zentrum des Avantgardefilms und bot eine der ersten Reihen von Videovorführungen an, kuratiert von Shigeko Kubota and Bob Harris, wodurch es zum „umfassendsten Zentrum“ für Videokunst in Soho wurde.76 Das Anthology Film Archive bot aber

(vgl. Zucker Seeman, Siegfried, SoHo: A Guide, S. 109). 1968 führte Schechner hier sein viel beachtetes, wegweisendes Performance-Theaterstück „Dionysus in 69“ auf, welches sich u. a. auf den Vietnamkrieg bezog und als Interaktion mit dem Publikum gestaltet war (vgl. Bernstein, Shapiro, Illegal Living, S. 51, Kostelanetz, SoHo, S. 72). Schechners partizipativen, improvisatorischen Produktionen sowie die Unkonventionalität des neuartigen, theaterästhetisch nicht vordefinierten Aufführungsraums hatten großen Einfluss auf andere Downtown Theater- bzw. Performance-Kunst (vgl. Richard Kostelanetz, SoHo, S. 72). ‒ Laut Bernstein und Shapiro wurde das Gebäude 1975 von der „Wooster Group“ mit den Mitgliedern Spalding Gray, Elizabeth LeCompte, Willem Dafoe u. a. übernommen (vgl. Bernstein, Shapiro, Illegal Living, S. 48ff.). 73 Vgl. Bernstein, Shapiro, Illegal Living, S. 48ff. 74 Monks langjähriger Performance-Partner Ping Chong, mit dem sie u. a. „Paris“ als Duo konzipiert und der zentrale Rollen in „Vessel“ u. a. Stücken übernommen hatte, führte bei dem Festival mit seiner Fiji Company das Stück „Lazarus“ auf, bei dem auch das Ensemblemitglied Andrea Goodman mitwirkte (siehe Programm „The Open Space Theatre Experiment. Theatre Experiments in SoHo Festival 3“, MMA Box 16 Folder 4). 75 Alteveer, „Chronology“, S. 178. 76 Stephen Reichard „Alternative Aufführungsräume“, S. 248; vgl. auch Kostelanetz, SoHo, S. 150.

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auch Theatermacher_innen wie Richard Foreman einen Raum.77 Foreman wohnte nur wenige Häuser weiter, in der 52 Wooster Street, in seinem Loft, in dem er auch eigene Theaterproduktionen wie „Total Recall“ oder „Pandering to the Masses“ zeigte.78 Sein eigenes Theater, das Ontological-Hysteric Theatre, hatte er bereits 1968 am 491 Broadway eröffnet.79 Richard Kostelanetz gilt Foreman neben Richard Schechners Performance Group mit der Performing Garage als erster Realisator alternativer Theaterräume in SoHo: „SoHo theater artists, beginning with the Performance Group and Richard Foreman, tended to build their own theaters within spaces whose uses were previously industrial, installing seats in various alternative configurations with their stages on the same level as the seats, rather than petitioning uptown producers and directors to appear in their proscenium theaters, or even renting a space with a raised stage. […] These SoHo spaces came in sizes odd for theatrical presentations, either too square or too skinny. […] Inhabiting a different country, the denizens of SoHo didn’t play cultural games by uptown rules, declaring independence by simply living where they did.“80

Die Abwesenheit von Theaterbühnen in Theater-, Konzert- und Tanzräumen Downtowns ist ein wesentliches Attribut. Das Verlegen der Aktionen auf den gleichen Boden, auf dem sich auch das Publikum aufhält, überwindet buchstäblich den Graben zwischen Publikum und Darstellenden und bricht entsprechende Hierarchien auf. Auch für Monk war es elementarer Bestandteil insbesondere ihrer großen Ensemble-Arbeiten der 1960er und 1970er Jahre, andere Anordnungen von Publikum und Darstellenden zu erproben als die der klassischen Bühnen-/Zuschauerraumsituation.81 Schräg gegenüber dem Anthology Film Archive befand sich die A.I.R. Gallery in der 97 Wooster Street.82 Gleich nebenan, unter der Adresse 99 Wooster Street, eröffnete mit dem GAA Firehouse, dem Gay Activist Alliance Firehouse, das erste nicht an eine Universität gebundene schwule Tanzlokal.83 Einige Galerien und Boutiquen weiter schließt nördlich der Prince Street der nördlichste SoHo-Block der Wooster Street direkt unterhalb der Houston Street 77 Vgl. Kostelanetz, SoHo, S. 21; Bernstein, Shapiro, Illegal Living, S. 92; Zucker Seeman, Siegfried, SoHo: A guide, S. 107. 78 Vgl. Goldberg, „Art after Hours“, S. 100. 79 Vgl. Zucker Seeman, Siegfried, SoHo: A Guide, S. 107f., 221. 80 Kostelanetz, SoHo, S. 57f. 81 Siehe hierzu Kapitel II.2.2 „Monk als Vertreterin der vokalen Performancekunst“. 82 Zucker Seeman, Siegfried, SoHo: A Guide, S. 41, 179. 83 Vgl. Kostelanetz, SoHo, S. 21.

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an. Hier befand sich in der 141 Wooster Street die Dia Art Foundation, eine nicht-kommerzielle Organisation, die Mitte der 1970er Jahre Downtown-Künstler_innen, darunter auch Komponist_innen wie Walter De Maria, La Monte Young, Marian Zazeela und Terry Riley präsentierte.84 Der Stadtplan Downtown Dieser kurze Gang durch die sechs SoHo-Blöcke der Wooster Street zwischen der Canal und der Houston Street, der bei Weitem nicht alle Räume berücksichtigt hat, sollte als kleiner Einblick in die enorme Dichte der gegenkulturellen Räume SoHos dienen. Die vorangestellte thematische Karte von Downtown, der Stadtplan Downtown New York: Räume, soll darüber hinausgehend diese Dichte des Netzes an Räumen in Downtown verdeutlichen.85 Die Karte habe ich anhand der Informationen erstellt, die ich aus der in diesem Kapitel herangezogenen Literatur und den Stadtteilführern gesammelt hatte.86 Da ein Großteil der recherchierten Literatur einen Fokus auf SoHo legt, ist die besondere Dichte an Räumen in diesem Bereich in der Karte zum Teil auch diesem Umstand anzurechnen. Die Karte und ihr Index erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr verstehe ich sie als den Anfang einer Sammlung, die zugleich eine Einladung an den und die Leser_in ist, diese zu ergänzen. Trotz potentieller Ungenauigkeit, die durch widersprüchliche oder unvollständige Angaben in den herangezogenen Quellen möglich sind, und definitiver Unvollständigkeit kann diese Karte sehr gut das für meinen Untersuchungszusammenhang Wesentliche visualisieren: Die Dichte und Diversität der gegenkulturellen Räume Downtowns für die Zeitspanne zwischen 1964 und 1979.

84 „The Dia Foundation presented avant-garde music in its second-story space at 141 Wooster Street, before it was filled with Walter de Maria’s earth. Sponsoring only a select few, as is its style, it offered, in 1974, a Terry Riley concert and, in 1975, La Monte Young playing his lush but interminable Well-Tuned Piano live in concerts classic enough to be recorded (and available decades later on several CDs) before installing Young in his own facility from 1979 to 1985 on Harrison Street in Tribeca.“ (Kostelanetz, SoHo, S. 110) 85 Siehe Abbildung 1.3. 86 Für die herangezogenen Quellen siehe den Index auf stadtplandowntownnewy-

ork.marie-anne-kohl.de. Im Anhang wird erläutert, wie die Karte zu lesen ist.

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Meredith Monks Downtown-Räume Es waren also, wie gesehen, nicht allein die Galerien, die Downtown zum lebendigen künstlerischen Viertel machten, sondern auch die Heterogenität von Räumen sowie deren Nutzung. Die vielen Galerien, die parallel zu Spielstätten der erstarkenden Szenen der Performancekunst und der Downtown-Musik wurden, verkörperten lediglich ein typisches Merkmal der Downtown-Praxis, nämlich die Grenzverwischung zwischen Genres und Kunstformen. Meredith Monk zeigte ab dem Zeitpunkt ihrer Ankunft in New York 1964 große Präsenz in zahlreichen Downtown-Räumen, zunächst in erster Linie als Tänzerin und gelegentlich auch Sängerin in anderen Ensembles, aber auch als eigenständige Choreographin und dann vermehrt als Komponistin und Sängerin eigener Arbeiten.87 Sie trat vielfach in Downtowns Kirchen und seinen Off-off-Theatern auf.88 Einer der ersten und sehr prominenten Räume, in denen sie in Erscheinung trat, war die Judson Memorial Church am 55 Washington Square South. Seit Ende der 1950er Jahre förderte die Judson Church avantgardistische Ansätze unterschiedlicher Kunstrichtungen, vor allem Tanz, Theater und Musik, dadurch, dass sie mit der Kirche selbst sowie der angrenzenden Judson Hall Raum und die Möglichkeit zur Programmierung bot. In den frühen 1960ern wurde sie Spielstätte der neu gegründeten Judson Dance Theater und Judson Poets’ Theater.89 Das Judson Dance Theater ist sowohl für die Tanzgeschichte der USA und für die Geschichte feministischer Performancekunst von großer Bedeutung90 als auch für Monks Etablierung in der Downtown-Szene.91 Eine lange Liste später prominenter Künstler_innen lässt sich für diese Zeit bis Ende der 1970er Jahre mit dem Namen Judson assoziieren, darunter Claes Oldenburg, Robert Rauschenberg, Robert Dunn, Allen Kaprow, Yoko Ono, Carolee Schneemann, Lucinda Childs, Yvonne Rainer, Trisha Brown, Twyla Tharp, Steve Paxton, Al Carmines, Sam Shepard, Lanford Wilson, Kenneth King, Pheobe Neville, La

87 Siehe detaillierter dazu die Kapitel II.2.2 „Akteur_innen“ und III.2.2 „Monk als Vertreterin der Vokalen Performancekunst“. 88 Siehe hierzu auch den Stadtplan Downtown New York: Meredith Monk (Abbildung 1.4), auf dem die Räume markiert sind, in denen Meredith Monk nachweislich in den Jahren zwischen 1964 und 1979 aktiv war. Er ist dem Kapitel III. „Meredith Monks vokale Performancekunst“ vorangestellt. 89 Siehe auch die Selbstbeschreibung der Judson Memorial Church auf www JUDSON. 90 Vgl. Wark, Radical Gestures, S. 37f. 91 Siehe hierzu detaillierter das Kapitel II.2.2 „Akteur_innen Downtowns. Monks frühe Downtown-Zeit“.

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Monte Young und eben auch Meredith Monk.92 In den 1960er und 1970er Jahren war Judson auch ein aktives Nachbarschaftszentrum der Friedens-, Bürgerrechts-, der schwullesbischen und der zweiten Frauenbewegungen.93 1970 fand hier die gegen die „repressiven Gesetze über die Verwendung der amerikanischen Flagge“ gerichtete Protestveranstaltung „Peoples Flag Show“ statt, in deren Zuge die Künstler Jon Hendricks, Faith Ringgold und Jean Toche verhaftet wurden.94 Auf der Veranstaltung hielt auch die bekannte feministische Aktivistin Kate Millett, die im gleichen Jahr ihr einflussreiches Buch „Sexual Politics“95 herausbrachte, eine von Publikum, Presse und Polizei mit großer Aufmerksamkeit bedachte Rede.96 Neben Kollaboration wie etwa mit dem Fluxus-Künstler Dick Higgins bei der Realisation einer Version von Erik Saties „Relâche“ für sechs Performer_innen 1965 realisierte Monk bereits früh auch eigene Arbeiten in der Judson Church sowie der angrenzenden Judson Hall. 1965 wurden in der Judson Hall das Solo „Blackboard“ und „Radar“ für zwei Performer_innen uraufgeführt.97 Im gleichen Jahr zeigte sie in der Judson Memorial Church erstmalig „Cartoon“ für sieben Performer_innen sowie 1966 die zwei Stücke für zwei Performer_innen „Duet with Cat’s Scream and Locomotive“ und „Portable“98 und nahm das bereits 1965 im Hardware Poets’ Playhouse uraufgeführte „Beach“ wieder auf.99

92 Vgl. Jowitt, „Introduction“, S. 4. Vgl. auch Goldberg, „Chapter 5. Dance“, in: dies., Performance, S. 147-17. Vgl. auch George Jackson, „Judson Church: Dance“ und Amy Newman, „An Innovator Who Was the Eros of Her Own Art“. Siehe ferner die Selbstbeschreibung der Judson Memorial Church auf www JUDSON. 93 Siehe hierzu die Selbstbeschreibung der Judson Memorial Church auf www JUDSON. 94 Siehe Lippard, „Geographie der Strassenzeit“, S. 208. 95 Kate Millet, Sexual Politics. 96 Vgl. Tom Fletcher, „Judson Memorial Church. Sponsorship of the Arts“. 97 Vgl. Nancy Putnam Smithner, Directing Ensemble, S. 401f., Monk in Edward Strickland, „Voices/Vision“, S. 136. 98 Putnam Smithner, Directing Ensemble, S. 401f. 99 Siehe u. a. Programmflyer „Judson Dance Theatre presents An Evening of Dance. Works by Meredith Monk, Phoebe Neville, Joe Jones, Kenneth King, William Meyer“, MMA Box 15 Folder 7.

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Abbildung 6: Meredith Monk, „Duet with Cat’s Scream and Locomotive“

Archiv House Foundation. Foto: Charlotte Victoria

Für ihr Solo „16 Millimeter Earrings“ komponierte Monk erstmals eine durchgängige musikalische Struktur und entwickelte ein komplexes Sound-Environment, in dem Live-Ereignisse und Einspielungen ihrer während der Performance mitgeschnittenen Aufnahmen einander abwechselten.100 Monk versteht „16 Millimeter Earrings“ selbst als ihren künstlerischen Durchbruch.101 Es war für sie ein sehr wichtiges Stück in ihrem Entwicklungsprozess, in dem sie erstmals eine Performance-Form entwickelte, in der sie unterschiedliche Medien wie Film, Tanz, Text und Gesang sowohl live als auch von Tonband miteinander verknüpfen und somit eine mehrdimensionale Erfahrung herstellen konnte.102 Auch ihr eigener Gesang spielte erstmals eine wesentliche Rolle in Form einer Aufnahme

100 Vgl. Putnam Smithner, Directing Ensemble, S. 401f. 101 Vgl. Jowitt, „Introduction“, S. 5. 102 Siehe Monk in Monk, Jowitt, „Meredith Monk in Conversation with Deborah Jowitt“, S. 72f.

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des von ihr gesungenen Volkslieds „Greensleeves“, die während der Performance eingespielt wurde103 und der von ihr komponierten Vokalise „Nota“.104 „16 Millimeter Earrings“ führte Monk erstmals 1966 in der Judson Church auf. Abbildung 7: Meredith Monk, „16 Millimeter Earrings“

Archiv House Foundation, Foto: Diane Dorr-Dorynek

Nebenan, in der Washington Square Methodist Church, führte Monk 1973 gemeinsam mit u. a. Garrett List und Daniel Goode Terry Rileys „In C“ auf.105 1975 nahm sie hier an einem Benefizkonzert teil, an dem neben ihr auch John Giorno, Steve Katz, Anne Waldman, Robert Wilson, Rudy Wurlitzer, Philip Glass, Dickie Landry, Charlemagne Palestine und Steve Reich mitwirkten.106

103 Diese Einspielung von „Greensleeves“ ist 2009 auf Monks Album „Beginnings“ erschienen (siehe Monk, „Beginnings“). 104 Vgl. Monk, Jowitt, „Meredith Monk in Conversation with Deborah Jowitt“, S. 72. Auch „Nota“ wurde auf dem Album „Beginnings“ veröffentlicht. (Siehe Monk, „Beginnings“.) 105 Siehe Programm „Terry Riley’s In C“, MMA Box 15 Folder 12. Siehe auch Tom Johnson, „‚In C‘ in Concert: Terry Riley“, 3. Mai 1973, in: ders., The Voice of New Music, S. 47. 106 Siehe Programmzettel „The Tibet Center Inc. A Benefit“ at Washington Square United Methodist Church, MMA Box 15 Folder 14.

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Um die Ecke der Kirche befanden sich die „anspruchsvollen, aber kurzlebigen“ Washington Square Galleries am Washington Square Garden, 80 Washington Square South.107 Hier hatte die von George Maciunas veranstaltete „FluxusOlympiade“ unter Mitwirkung von u. a. Joe Jonas, Shiomi Chieko und Ay-O stattgefunden,108 und hier hatte Monk 1964 ihre allererste eigene Arbeit in New York gezeigt, „Break“.109 Im Juli des gleichen Jahres sang sie in der Washington Square Gallery, welche offensichtlich nicht zu verwechseln ist mit den Washington Square Galleries am 80 Washington Square East und selbst nicht am Washington Square lag sondern am 530 Broadway, in Judith Dunns „Before any Beginning“ im Rahmen einer mit „A Dance Concert“ titulierten Veranstaltung, bei der auch Yvonne Rainer, Lucinda Childs, David Gordon und Peter Schumann eigene Choreographien zeigten.110 Richard Kostelanetz erinnert sich an Monks „Break“ als erste Arbeit, die er von ihr gesehen hatte. Allerdings sah er sie nicht in den Washington Square Galleries, sondern ein Jahr später im Bridge Theater am 4 St. Mark’s Place: „Meredith Monk has been a protean polyartist whose career at once precedes SoHo, exploits its opportunities, and yet reflects the hothouse as she has worked in varying success in several media since the mid-1960s. I first knew her as a dancer just out of college, performing in a small theater on St. Marks Place called the Bridge.“111

107 Siehe Frank, „Fluxus in New York“, S. 162; www STEIN. 108 Siehe Frank, „Fluxus in New York“, S. 162. 109 Vgl. Monk in Monk, Voegeli, Lutman, Gann, „Meredith Monk – American Mavericks“. 110 Siehe Programmzettel „A Dance Concert“, MMA Box 15 Folder 5. Auf dem Programm ist auch die Adresse 530 Broadway verzeichnet. 111 Kostelanetz, SoHo, S. 126. Kostelanetz gibt für diese Aufführung das Jahr 1964 an. Da das Theater allerdings erst 1965 eröffnete, ist es wahrscheinlich, dass er sich an das Datum falsch erinnert. Ein Programm des Bridge Theater für eine Benefizveranstaltung, bei der Monk „Break“ zeigte, ist auf das Jahr 1966 datiert (siehe Programm „A Bridge Benefit Media Move“, MMA Box 15 Folder 7). Für weitere Informationen zu der Performance „Break“ siehe Forte, „Women in Performance Art“, S. 141ff. und Don McDonoagh „The Rise and Fall and Rise of Modern Dance“.

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Abbildung 8: „A Bridge Benefit, Media Move“

Meredith Monk Archive, Music Devision, The New York Public Library for the Performing Arts

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1966 löste die Verbrennung der US-amerikanischen Flagge, wie sie vor allem von Anti-Kriegs-Aktivist_innen in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre als Protestform praktiziert wurde,112 auch im Kontext einer Kunstaktion im Bridge Theater im East Village einen kleinen Skandal aus. Der Künstler und Filmemacher Jose Rodriguez-Soltero entzündete die Flagge als Teil der Anti-KriegsParodie „LBJ“.113 Die Aktion führte zur Zwangsschließung des kleinen Theaters, das erst 1965 eröffnet hatte. Das Theater, das auch eine Galerie mit einschloss, war Treff- und Aufführungsraum für Künstler_innen zeitgenössischer Musik, Tanz, Film und experimentellem Theater gleichermaßen gewesen. Allen Ginsberg, Yoko Ono, Trisha Brown, Carolee Schneemann, Lucinda Childs, Yvonne Rainer oder Elaine Summers waren neben Monk nur einige von ihnen.114 Einen Block weiter östlich des Bridge Theater hatte Ellen Stewart 1961 in der 312 East 9th Street das Theater La MaMa oder auch La MaMa Experimental Theatre Club eröffnet, mit dem sie 1969 in die 74 East 4th Street zog, dort mit einem weiteren Gebäude, dem La MaMa’s Annex in der 43a East 4th Street.115 Von Anfang an unterstützte das Theater junge, noch wenig bekannte Künstler_innen des experimentellen Theaters und der Downtown-Musik und zeigte viele frühe Arbeiten etwa von Sam Shepard, Lanford Wilson, Philip Glass, Robert Wilson und von Meredith Monk.116 1976 wurde im La MaMa’s Annex Monks „Quarry: An Opera“ uraufgeführt, für das sie im gleichen Jahr den „OBIE Award for Outstanding Achievement“ erhielt.117 Ebenfalls 1976 nahm Monk im La MaMa mit einer Auswahl aus ihren „Songs from the Hill“ und einer Tonbandaufnahme aus „Quarry“ an dem Programm „Music from the Women’s Interart Center“ teil.118 1979 fand im La MaMa die Uraufführung von Monks

112 Siehe Sarah Boxer, „Word for Word/The Flag Bulletin; Two Centuries of Burning Flags, A Few Years of Blowing Smoke“. Darin findet sich auch eine Liste von Flaggenverbrennungen in den USA zwischen 1861 und 1989. 113 Siehe Fred W. McDarrah, „American Flag Burned In Theatre Spectacle“. 114 Siehe Landmarks Preservation Commission, „Hamilton-Holly House“, S. 7. Siehe hier auch für mehr Details über das Bridge Theater und dort veranstalteter Kunstaktionen. 115 Vgl. ebd., S. 6; Programm „Recent Ruins“, MMA Box 16 Folder 6. Der Annex befindet sich heute in der 66 East 4th Street. (Siehe www MAMA ADDRESS.) 116 Siehe u. a. Philip Glass, „A New, Important Stage“, S. 84. Vgl. auch die Selbstdarstellung auf www MAMA HIST. 117 Vgl. Putnam Smithner, Directing Ensemble, S. 401f. 118 Siehe Programm „Music from the Women’s Interart Center“, MMA, Box 16 Folder 1, 2.

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„Recent Ruins: An Opera“ statt, für das sie mit dem „Villager Award for Outstanding Production of the Year 1979“ ausgezeichnet wurde. Bereits vor „Recent Ruins“ und „Quarry“ hatte Monk mit „Education of the Girlchild“ 1973 nach „Juice“ (1969) und „Vessel“ (1971) ein weiteres Ensemblestück geschrieben. 1973 wurde „Education of the Girlchild“ erstmalig in der kompletten Version samt Ensembleteil in dem winzigen Common Ground Theater in der 70 Grand Street aufgeführt, das lediglich einem sehr kleinen, intimen Publikum Raum bot.119 Den Soloteil von „Education of the Girlchild“ führte Monk bereits 1972 in ihrem The House Loft auf. Hinter diesem Namen verbargen sich 1972 offensichtlich drei unterschiedliche Adressen, ihr Studio am 597 Broadway sowie ihr Loft in der 9 Great Jones Street bzw. am 228 West Broadway, wohin sie offensichtlich in diesem Jahr umzog.120 Der Soloteil von „Education of the Girlchild“ wurde am 597 Broadway uraufgeführt.121 Die später auch 119 Vgl. Putnam Smithner, Directing Ensemble, S. 401, Zucker Seeman, Siegfried, SoHo: A Guide, S. 102. 120 Im Programmheft, das laut Archivkatalog des MMA das früheste für eine Performance von „Education of The Girlchild“ 1972 ist (vgl. The New York Public Library for the Performing Arts, Music Division, Guide to the Meredith Monk Archive, S. 13), ist als Adresse „The House Loft, 597 Broadway“ angegeben (siehe Programmheft „Education of the Girlchild (Part 1) by Meredith Monk“, MMA Box 15 Folder 11). Putnam Smithner schreibt, dass Monk in den späten 1960er Jahren Workshops in ihrem Studio mit der Adresse 597 Broadway gegeben habe (siehe Putnam Smithner, Directing Ensemble, S. 76). Da Monk nachweislich bereits 1967 bei den Gesangsaufnahmen für „Greensleaves“ wie auch später bei der Uraufführung von „Vessel“ auch die Adresse in der 9 Great Jones Street für The House angibt (siehe u. a. Monk, Beginnings), gehe ich davon aus, dass sie zusätzlich zu ihrem Loft in der 9 Great Jones Street das Studio am 597 Broadway angemietet hatte und in beiden Räumen Performances und Workshops gab und sie beide mit The House titulierte. 1972 scheint sie allerdings zusätzlich bereits ihr neues Loft am 228 West Broadway bezogen zu haben, in dem sie bis heute lebt, zumindest gibt ein Artikel im „Artforum“ diese als Adresse der Erstaufführung von „Paris“ im Dezember 1972 an (siehe „Works by Meredith Monk“ in Zeitschrift „Artforum, May 1973“, MMA Box 293 Folder 1). Auch auf einem Plakat für „Paris“ im April 1973 erscheint die Adresse 228 West Broadway (siehe Plakat „Paris by Ping Chong & Meredith Monk“, MMA Box 15 Folder 12). Vermutlich wurde die letzte Adresse erst später The House genannt. Allerdings gibt Putnam Smithner an, dass „Paris“ in The House uraufgeführt wurde (siehe Putnam Smithner, Directing Ensemble, S. 401). 121 Siehe Programmheft „Education of the Girlchild (Part 1) by Meredith Monk“, MMA Box 15 Folder 11.

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in der Judson Church und anderen Räumen gezeigte Performance „Paris“ in Kollaboration mit Ping Chong wurde im gleichen Jahr am 228 West Broadway uraufgeführt.122 In ihrem vorherigen Loft in der 9 Great Jones Street hatte Monk neben dem dritten Teil von „Juice“ (1969) und dem ersten Teil von „Vessel“ (1971) 1968 auch die Serie „Blueprint 3“, „Blueprint 4“ und „Blueprint 5“ aufgeführt.123 The House wurde außerdem der Name für Monks erstes eigenes Ensemble, das sie 1968 gründete.124 Die 1971 gegründete The House Foundation for the Arts, die sich um Produktion und Management für Monk und ihr Ensemble kümmert, hat ihren Sitz heute noch am 260 West Broadway,125 nur wenige Schritte von ihrer privaten Adresse entfernt. Monk als VocalComposerPerformer Die letzten Seiten haben Monks Präsenz und Bewegung im künstlerischen Kräftefeld Downtown während der 15 Jahre meines Untersuchungszeitraums exemplarisch, bei Weitem nicht umfassend, angedeutet. Dabei bin ich absichtlich nicht chronologisch vorgegangen, sondern habe geographisch einen Weg durch Downtown gesucht, von Raum zu Raum. Die kurzen Kontextualisierungen der einzelnen Räume machten dabei deutlich, wie stark sie nicht nur als Experimentier- und Auftrittsstätten sondern auch als Vernetzungspunkte für die Akteur_innen Downtowns dienten. Wie gesehen, setzten bei allen genrebezogenen Grenzüberschreitungen und Offenheiten viele dieser Räume bestimmte Schwerpunkte in Bezug auf die von ihnen primär präsentierten Formate, wie die Judson Memorial Church mit postmodernem Tanz, das La MaMa mit experimentellem Theater oder das WBAI mit Downtown-Musik. Dass Monk, wie viele andere Downtown-Akteur_innen auch, all diese Räume nutzte, ist einerseits ein deutliches Zeichen ihrer multidisziplinären Arbeitsweise. Dass Monk ab den späten 1960er Jahren vermehrt in Räumen in Erscheinung trat, die primär mit Downtown-Musik assoziiert werden können, deutet andererseits eine Schwerpunktverschiebung ihrer künstlerischen Praxis 122 Siehe Plakat „Paris by Ping Chong & Meredith Monk“, MMA Box 15 Folder 12. Siehe auch „Works by Meredith Monk“ in Zeitschrift „Artforum, May 1973“, MMA Box 293 Folder 1. 123 Vgl. Putnam Smithner, Directing Ensemble, S. 401. Vgl. auch die Adressangabe für The House and Julius Tobias Studio: 9 Great Jones Street zwischen Broadway and Lafayette auf der Programmnotiz für „Blueprint 5 (Open House)“. (Siehe Programmnotiz für „Blueprint 5 (Open House)“, MMA Box 15 Folder 13) 124 Vgl. hierzu das Kapitel II.2.2 „Akteur_innen Downtowns“. 125 Vgl. Information auf www MONK HOUSE.

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an. 1972 gab Monk in der Radiostation WBAI in der 359 East 62nd Street ein Konzert, in dem der damalige Village Voice-Musikrezensent und Komponist Tom Johnson sie erstmalig singen hörte. Er schrieb in seiner Rezension des Konzertes, das in der späteren Veröffentlichung seiner Village VoiceRezensionen „The First Meredith Monk Review“ tituliert ist: „Then she began singing, and the mood changed drastically: loud nasal sounds, disarming sounds, squealing sounds, wordless whines, and just plain caterwauling – an impression of a woman gone mad perhaps. It didn’t seem very disciplined or musical, but I wasn’t too surprised since she is basically a choreographer, and probably doesn’t have much musical training. But then I started to notice that she was repeating some of those screaming phrases, and hitting exactly the same pitches every time. Before long my suspicions that she might be faking musically had to be completely abandoned, as it became clear that she was very much in control of her personal vocal language. And it is quite a versatile language too.“126

Dieses Zitat pointiert einen Wendepunkt, ab dem Monk in der Downtown-Szene 127 verstärkt als Sängerin und Komponistin bzw. als VocalComposerPerformer und nicht mehr primär als Tänzerin und Choreographin wahrgenommen wurde. Monk selbst hatte diese Schwerpunktverschiebung ihrer künstlerischen Praxis bereits früher vollzogen, bestärkte ihn jedoch erneut 1978 mit der Gründung 128 ihres „Meredith Monk & Vocal Ensemble“. Im Mai desselben Jahres trat Monk erstmals im Herzen der experimentellen Downtown-Musik-Szene The Kitchen auf, im Rahmen eines Benefizkonzerts, an dem neben ihr auch Laurie Anderson, Robert Ashley, Philip Glass und Steve Reich beteiligt waren. Gemeinsam mit ihren Ensemble-Mitgliedern Andrea 129 Goodman und Monica Solem bot Monk „Excerpts from Vocal Music 1967-78“. 126 Tom Johnson, „The first Meredith Monk Review“, 3. Februar 1972, in: ders., The Voice of New Music, S. 21. Siehe hierzu auch das Kapitel III.2.2 „Monk als Vertreterin der vokalen Performancekunst“. 127 Für eine Definition des Begriffs „VocalComposerPerformer“ vgl. die Kapitel I.3 „Vokale Performancekunst. Kriterien der vokalen Performancekunst: VocalComposerPerformer“ und II.2.2 „Akteur_innen Downtowns“. 128 Vgl. hierzu detaillierter das Kapitel II.2.2 „Akteur_innen Downtowns. Monk und andere Stimmexpert_innen in Downtown“. 129 Siehe Programm und „Program Notes“ in „Benefit Concert. The Kitchen“, MMA Box 16 Folder 4. Siehe Abbildung 9. Die frühesten Materialien, die im Katalog des MMA zu The Kitchen verzeichnet sind, sind auf 1979 datiert und befinden sich in

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In einem weiteren Konzert in The Kitchen im Januar 1979, „Old & New Vocal Music by Meredith Monk“, präsentierte Monk mit Mitgliedern ihres Ensembles, Andrea Goodman, Monica Solem, Julius Eastman, Robert Een und Paul Langland, Soli aus „Quarry“, die „Vessel Suite“, „Tablet“ und die Premiere von 130 „Dolmen Music“. Am 8. Juni 1979 war Monk neben Robert Ashley, Philip Glass, Pauline Oliveros und dem Steve Reich Ensemble eine der Künstler_innen des Eröffnungskonzerts des Festivals „New Music, New York“ in The Kitchen. Sie trat solistisch mit ihrem „Traveling Song“ und „Biography“ aus „Education 131 of the Girlchild“ sowie mit „Do You Be“ auf. Dieses Festival „New Music, New York“ stellte einen Wendepunkt in der Wahrnehmung der Downtown132 Musik-Szene durch die Öffentlichkeit sowie durch die Szene selbst dar.

Form von Programmheften in Box 16 Folder 6 (vgl. u. a. Programm „The Kitchen. January“, Postkarte „Meredith Monk. Vocal Works. January 24- 27. The Kitchen“, jeweils MMA Box 16 Folder 6) oder auch in Form von Verträgen in Box 210 Folder 25. Folder 25 ist mit „The Kitchen“ gekennzeichnet und auf Januar 1979 datiert (siehe Vertrag „Performing Artist Contract“, MMA Box 210 Folder 25). In diesem Folder befindet sich ebenfalls ein auf 1978 datierter Vertrag, der sowohl auf das Konzert im Januar 1979 als auch auf ein Benefizkonzert hinweist (siehe Vertrag „The Kitchen. 14 Dec 1978“, in MMA Box 210 Folder 25). Das Konzert im Juni 1979 im Rahmen des Festivals „New Music, New York“ war als Benefizkonzert angekündigt (vgl. KA 02 Programm „New Music, New York. A Festival of Composers and their Music“). Im Rahmen der Reihe „Contemporary Music Series“ in The Kitchen fand am 20. Mai 1978 ebenfalls das Benefizkonzert statt, an dem Monk auch beteiligt war (siehe Programm „Benefit Concert. The Kitchen“, MMA Box 16 Folder 4). Im Kitchen Archive existiert zudem eine Videoaufzeichnung des Konzerts von 1978, bei dem Monk in Erscheinung tritt (siehe KA 01 Video „The Kitchen Benefit Concert 1978“). Tom Johnson schrieb eine Rezension über dieses Konzert (siehe Tom Johnson, „The Kithcen Grows Up“, 5. Juni 1978, in: ders., The Voice of New Music, S. 185). Aus diesen Daten schließe ich, dass das Benefizkonzert vom Mai 1978 die erste Gelegenheit war, bei der Monk in The Kitchen auftrat. 130 Siehe Postkarte „Old & New Vocal Music by Meredith Monk“, MMA Box 16 Folder 6. 131 Siehe Programm „New Music, New York. A Festival of Composers and Their Music“, KA 02. 132 Vgl. hierzu detaillierter das Unterkapitel II.2.3 „Künstlerische Praktiken in Downtown. Downtown-Musik auf dem Festival ‚New Music, New York‘ 1979 – Das Ende einer Ära“.

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Abbildung 9: „Benefit Concert“

Meredith Monk Archive, Music Devision, The New York Public Library for the Performing Arts

Downtown-Räume IV: Beispiel The Kitchen Die Berichterstattung zu dem Festival „New Music, New York“ in The Kitchen, das 1979 immerhin am Ende von zwei Jahrzehnten florierender DowntownSzenen stattfand, „entdeckte“ The Kitchen als „a focal point for what is variously 133 described as the downtown/underground/classical avant-garde music scene“ und „entdeckte“ das neue Phänomen „alternativer Räume“: „More and more, […] these musicians, along with artists from other media, are finding ‚alternative spaces‘ to be the champion of new ideas in an increasingly visible way.“134 In einem Artikel für die Village Voice hatte Johnson hingegen bereits für das Benefizkonzert 1978 festgehalten:

133 Jepsen, „Experimental Kitchen“, KA 04. 134 Charles Ward, „Finding ‚alternative spaces‘ for new musical ideas“, KA 06.

178 | DAS KÜNSTLERISCHE K RÄFTEFELD DOWNTOWN „The Kitchen has grown up. Many still seem to regard this vital avant-garde center as a slightly glorified loft, which is sort of the way it began seven years ago. But its May 20 benefit concert was more like a function at an established museum of new video and music, which is sort of what it has become. […] For the benefit there were not only chairs for everyone but also a couple of ushers, a healthy list of patrons and friends, potted plants on the stage, and even tuxedos on the male staff members. […] The crucial point, however, is that the experimental music the Kitchen has nurtured has also grown up. Philip Glass, Laurie Anderson, Meredith Monk, Robert Ashley, and Steve Reich don’t appear in slightly glorified lofts much anymore. Their work now seems more appropriate to, well, to an established museum of new video and music.“135

The Kitchen hatte sich also innerhalb weniger Jahre von einem typischen gegenkulturellen Raum Downtowns zu einem institutionalisierten Raum der sich ebenfalls bereits institutionalisierenden Downtown-Musik entwickelt. Ein Faktor, der The Kitchen sowohl zunächst als einen paradigmatischen gegenkulturellen Downtown-Raum entstehen ließ und später seine Institutionalisierung begünstigte, war seine geographische Lokalisierung: mitten im Beziehungsgeflecht des künstlerischen Kräftefelds Downtown. Die Downtown-Musikerin Laurie Anderson erinnert sich im Zusammenhang mit dem „New Music, New York“ Festival: „I mean in the 70s, The Kitchen was the center of SoHo, which was the center of the New York art world, which was, of course, the center of the world. ‚Experimental‘ work was what we were supposedly doing there [...] But the most important thing about New Music America was that we walked there. The Kitchen began as the center of a neighborhood of artists.“136

The Kitchen wurde im Sommer 1971 von den Video-Künstler_innen Woody und Steina Vasulka eröffnet. Seinen Namen hatte The Kitchen von seinem ursprünglichen Standort, einer ehemaligen Küche im Gebäude des Hotels Broadway Central am 673 Broadway Ecke 240 Mercer Street. In diesem Gebäude befand sich

135 Johnson, „The Kitchen Grows Up“, 5. Juni 1978, in: ders., The Voice of New Music, S. 185. Auch Kostelanetz vermerkt in Bezug auf die genreübergreifende Praxis von The Kitchen: „But by the middle eighties, there was no longer this feeling of transgression. It had become the norm, to the point where music producers at alternative art spaces and festivals [around the world] appeared to be putting on variety shows rather than concerts of serious music.“ Kostelanetz, SoHo, S. 110. 136 Laurie Anderson, „I’m thinking back“ 1992, in Lee Morrisey (Hg.), The Kitchen Turns Twenty: A Retrospective Anthology, New York: Haleakala, 1992, S. 37f.

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Anfang der 1970er das Mercer Arts Center,137 welches neben The Kitchen u. a. auch den Oscar Wilde Room beherbergte, in dem gelegentlich Punk-Konzerte stattfanden.138 Nachdem 1973 das Gebäude des Mercer Arts Center eingestürzt war,139 zog The Kitchen in die 484 Broome Street Ecke 59 Wooster Street und eröffnete noch im selben Jahr mit einem Konzert zu Ehren von John Cages sechzigstem Geburtstag.140 Der Gründung von The Kitchen war ursprünglich die Idee vorausgegangen, speziell einen Raum für das neue Medium Video zu schaffen. Beispielsweise zeigte Nam June Paik, Pionier der junge Videokunst, hier erstmalig seine Video-Synthesizer.141 Im Grunde jedoch positionierte sich The Kitchen von Anfang an als multimedialer Raum, in dem neben Video- auch Tanzaufführungen, Performances, Konzerte u. ä. stattfanden, häufig mit einem Schwerpunkt auf elektronischen Medien. The Kitchen veranstaltete bereits in seinen ersten Jahren zahlreiche Festivals für die unterschiedlichen Formate, u. a. 1972 erstmalig das von Susan Milano, Shridhar Rapat, Laura Kassos und Rochelle Steiner organisierte Women’s Video Festival,142 1971 das von Charlotte Moorman organisierte Avant Garde Festival,143 die von Dimitri Devyatkin, Charles Dodge u. a. organisierten Computer Art Festivals144 oder die von den Vasulkas organisierten

137 Im Vasulka Kitchen Archive findet sich eine Broschüre des Mercer Arts Center, in dem u. a. Grundrisse, Flur- und Raumpläne des Gebäudes abgedruckt sind (siehe VASKA KBR1 Broschüre „Mercer Arts Center“). 138 Bernard Gendron beschreibt die Unterschiedlichkeit dieser zwei angrenzenden Downtown-Räume, die beide Musik darboten: „Evidently, these lively sounds did not please the Kitchen’s denizens just across the hallway – a short distance masking a yawning cultural chasm.“ (Gendron, „The Downtown Music Scene“, S. 51) 139 Im Januar 1974 schickte Seymour C. Kabak, der (ehemalige) Präsident des Mercer Arts Center, den Vasulkas die letzte Broschüre des Centers samt einer Sammlung von Zeitungsausschnitten über den Zusammensturz des Gebäudes, einzusehen unter: VASKA KBR2 Sammlung an Zeitungsartikeln „Collapse of Hotel Central, Home of the Mercer Arts Center“. 140 Vgl. Tim Lawrence, Hold on to Your Dreams, S. 61. Siehe dort auch weitere Gründe für den Umzug des The Kitchen. 141 Vgl. Douglas Davis, „SoHo du mal“, S. 224. 142 Siehe VASKA KE064a Programm „Women’s Video Festival“. 143 Siehe Roth, Burdick, Dubiel, „Chronology“, S. 50; Tannenbaum, New York in the 1970s, S. 86f. 144 Siehe u. a. VASKA KE083 Programm „Official Program. The 1973 International Computer Arts Festival ...“.

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Kitchen Video Festivals.145 Bereits kurze Zeit nach seiner Eröffnung begann The Kitchen noch im gleichen Jahr mit den Monday Night Concerts, auch Electronic Music Series genannt, seine erste regelmäßige Musikreihe.146 Sie wurde von dem damals gerade 19jährigen Kompositionsstudenten Rhys Chatham organisiert, der damit zugleich zum ersten musikalischen Leiter von The Kitchen wurde. In dieser Position folgte ihm 1972 der Downtown-Komponist Jim Burton, 1974 gefolgt vom Musiker Arthur Russell und 1975 von Garrett List, bevor 1977 bis 1978 wieder Chatham zum musikalischen Leiter von The Kitchen wurde. Unter Russell und List wurden auch vermehrt Jazz und Rock in The Kitchen programmiert, der Schwerpunkt lag jedoch eindeutig auf der als avantgardistische Kunstmusik zu definierenden Downtown-Musik. 1978 übernahm Mary MacArthur die Leitung von The Kitchen, unter deren Federführung 1979 auch das Festival „New Music, New York“ stattfand. RoseLee Goldberg wurde zur Kuratorin für Performance und Eric Bogosian für Tanz.147 Mit seinem vielfältigen, offenen Programm, nicht nur, aber gerade auch im Bereich der Downtown-Musik, entwickelte sich The Kitchen schnell zu einer tonangebenden Größe der DowntownSzene: „As List’s program unfolded, the Kitchen changed. Having operated as a fairly neighborhood space that existed for young, vagabond composers, it became a high-pressure venue. ‚Whoever got to play at the Kithcen was pretty much sure of getting a review in the New York Times and the Village Voice, and people were coming from all over, including Europe, to play here‘ remembers List. ‚The music director of the Kitchen was a very powerful person.‘“148

Diese Macht der Position des Musikdirektors bzw. der Musikdirektorin von The Kitchen verstärkte sich laut Lawrence noch, als 1976 Philip Glass in The Kitchen eine gut besuchte Vorpremiere seiner von der Szene neugierig erwarteten ersten 145 Siehe u. a. VASKA KE056 Plakat „The Kitchen Video Festival“. 146 Siehe u. a. VASKA KI020 Anschreiben „Proposal: A Series of Electronic Music Concerts“; VASKA KI022 Ankündigung „An Ongoing Series of Monday Night Concerts“; VASKA KI023 Künstler_innenliste „Artists Who are Scheduled to Appear or Have Appeared at the Live and Electronic Music Series“. Siehe Abbildung 13. 147 Vgl. u. a. Gendron, „The Downtown Music Scene“, S. 47; Lawrence, Hold on to Your Dreams, S. 59ff., 154; Kostelanetz, SoHo, S. 108ff.; Johnson, „The Kitchen grows up“, in: ders., The Voice of New Music, S. 185. Zur Begriffsdefinition von Downtown-Musik siehe Kapitel II.2.3 „Künstlerische Praktiken in Downtown“. 148 Lawrence, Hold on to Your Dreams, S. 100.

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Kollaboration mit Robert Wilson, „Einstein on the Beach“, gab. Das Stück wurde danach in Europa uraufgeführt und hatte seine U.S.-Premiere später in der Metropolitan Opera: „one of the first occasions when downtown trespassed into the dominion of uptown.“149 Dass Monk erst Ende der 1970er Jahre in The Kitchen in Erscheinung trat, ist einerseits überraschend. Andererseits sind die Tatsache, dass sie ihren ersten Auftritt hier hatte, als The Kitchen bereits ein renommierter Raum war, sowie ihr Auftritt an so prominenter Stelle wie dem Eröffnungskonzert des großen Festivals „New Music, New York“ Zeichen für ihren bis dahin bereits etablierten Status und ihre Anerkennung in der Downtown-Szene und darüber hinaus.

II.2.2 AKTEUR _ INNEN D OWNTOWNS Das künstlerische Kräftefeld Downtown als Beziehungssystem Das künstlerische Kräftefeld ist laut Pierre Bourdieu ein Struktursystem, das durch die Beziehungen seiner Akteur_innen mitbestimmt wird. Die jeweilige Position des Künstlers oder der Künstlerin, der zentralen Akteur_innen Downtowns, bezeichnet nicht nur die Art der Beziehungen zu den anderen Kräften des Feldes, sondern bestimmt dabei zudem seine oder ihre eigene Macht im Bereich des Feldes sowie das eigene künstlerische Handeln.150 Das letzte Kapitel „Räume Downtowns“ zeigte, inwiefern die Qualität, Quantität und räumliche Nähe der gegenkulturellen Räume Downtowns das künstlerische Kräftefeld Downtown strukturierte und damit auch die Bewegungen, Begegnungen, d. h. die Positionierungen und (An)Ordnungen seiner Akteur_innen. Sie bedeuteten somit einen ausschlaggebenden Faktor für deren physische und soziale Beziehungen. Das vorliegende Kapitel will exemplarisch, ausgehend von Meredith Monk, dieses Beziehungsgeflecht zwischen den Downtown-Akteur_innen nachzeichnen. Welche Position nahm Monk im künstlerischen Kräftefeld Downtown ein? Wem begegnete sie? Mit wem arbeitete sie zusammen? Welche Resonanz bekamen ihre Arbeiten? Wer waren die Downtown-Akteur_innen um sie herum, die das Kräftefeld ebenso wie sie geprägt haben? Wie lässt sich diese sehr spezifische Gruppe näher definieren, jenseits des nicht irrelevanten Fakts, dass es sich hauptsächlich um Künstler_innen handelte? Aus welchen Kontexten kamen sie?

149 Ebd. 150 Siehe Bourdieu, „Künstlerische Konzeption und intellektuelles Kräftefeld“, S. 76f. Siehe detaillierter das Kapitel „II.1 Das kulturelle Kräftefeld als relationaler Raum“.

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In welchen Kontexten begegneten sie einander? Welche Gemeinsamkeiten und Diskrepanzen lassen sich benennen? Um die Beschaffenheit der Netzwerkstruktur des künstlerischen Kräftefelds Downtown greifbar zu machen ist es zum einen relevant, diese Akteur_innen konkret kennenzulernen, zum anderen die Art ihrer Beziehungen prinzipiell zu verstehen, d. h. deren Qualität. Kulturelles, soziales und symbolisches Kapital und das Beziehungssystem Jede_r Akteur_in hat ein spezifisches „funktionales Gewicht“ innerhalb des Beziehungssystems,151 welches jedoch durch die Beziehungen zu anderen Akteur_innen und die Positionierung der eigenen künstlerischen Arbeiten dynamisch bleibt. Pierre Bourdieu schreibt an anderer Stelle von „kulturellem“, „sozialem“ und „symbolischem“ Kapital,152 mittels dessen sich dieses Prinzip des funktionalen Gewichts genauer definieren lässt. Neben dem allein auf den Warenaustausch bezogenen ökonomischen Kapital führt Bourdieu das Kultur- und Sozialkapital als weitere Erscheinungsformen von Kapital in die analytischen Überlegungen zur „Struktur“ und zum „Funktionieren“ der „gesellschaftlichen Welt“ ein.153 Das Kulturkapital bezieht sich auf Bildung. Es wird, in inkorporierter, objektivierter oder institutionalisierter Form, zu einem Faktor sozialer Distinktion.154 Für den Kontext Downtowns ist besonders das inkorporierte kulturelle Kapital von Interesse, welches jegliche Form von Wissen und Kompetenzen bezeichnet, die durch die Investition von Zeit erlernt oder angeeignet wird und also verinnerlichte Bildung ist: „Inkorporiertes Kapital ist ein Besitztum, das zu einem festen Bestandteil der ‚Person‘, zum Habitus geworden ist; aus ‚Haben‘ ist ‚Sein‘ geworden.“155 In Form des im Habitus verankerten kulturellen Kapitals brachte also jede_r Downtown-Akteur_in bestimmte erlernte, klassen- und geschlechtsspezifisch bedingte Fähigkeiten, Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsweisen in das kulturelle Kräftefeld ein. Als Habitus ist verinnerlichte Bildung ein starker Faktor, der die potentiellen Positionen bzw. die eigene Macht, d. h. das „funktionale Gewicht“ der einzelnen Akteur_innen im Kräftefeld definiert. Das soziale Kapital besteht aus den Ressourcen sozialer Interaktion. Diese

151 Vgl. ebd., S. 76. 152 Siehe Bourdieu „Ökonomisches Kapital – Kulturelles Kapital – Soziales Kapital“ und Bourdieu, „Das symbolische Kapital“. 153 Bourdieu „Ökonomisches Kapital – Kulturelles Kapital – Soziales Kapital“, S. 49f. 154 Siehe ebd., S. 53ff. 155 Siehe ebd., S. 56.

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beziehen sich auf ein mehr oder weniger institutionalisiertes, dauerhaftes soziales Beziehungsnetzwerk, welches auf gegenseitigem Kennen und Anerkennen bzw. auf Gruppenzugehörigkeit basiert und durch ständige Beziehungsarbeit hergestellt und reproduziert werden muss. Die sozialen Beziehungen versprechen potentiell den ‚Zugang zu materiellen und symbolischen Profiten‘.156 Das künstlerische Kräftefeld Downtown ist ein solches Beziehungsnetzwerk, welches also durch die Ressourcen sozialer Partizipation, durch das soziale Kapital, mitdefiniert wird. Denn diese bestimmen die Relationen der Positionen innerhalb des Kräftefelds. Wenn laut Bourdieu die „zu einem bestimmten Zeitpunkt“ gegebene „Verteilungsstruktur von Kapital“ der „immanenten Struktur der gesellschaftlichen Welt“ bzw. der „Struktur des gesamten Feldes“ entspricht157 und die in Downtown vorrangig relevanten Kapitalformen das kulturelle und das soziale Kapital sind, so machen die Verteilungsstrukturen von kulturellem und sozialem Kapital die Struktur des künstlerischen Kräftefelds Downtown aus. Mit anderen Worten: Die Art der Beziehungen zwischen den Akteur_innen wird bestimmt durch deren jeweiligen Besitz an kulturellem, sozialem und damit auch symbolischem Kapital, also ihrem funktionalen Gewicht. Sowohl die Akkumulation der einzelnen Kapitalformen sowie die Umwandlung von einer Kapitalform in eine andere als auch, bedingt, die Weitergabe von Kapital sind möglich. Das ökonomische, soziale und kulturelle Kapital kann also in symbolisches Kapital umgewandelt werden, d. h. in soziale Anerkennung, Prestige, Ansehen bzw. Bedeutung.158 Diese Umwandlung verläuft habituell, d. h. der Habitus ist darauf eingestellt, das „Kapital als Zeichen von Wichtigkeit“ anzuerkennen und so eine durch die Verteilungsstrukturen von Kapital bestimmte Machtbeziehung in eine Sinnbeziehung umzuwandeln bzw. zu „verklären“. Das symbolische Kapital als „Produkt dieser Verklärung“ verleiht soziale Bedeutung, Wichtigkeit und Sinn. Der Grad der eigenen Anerkennung bestimmt zudem die eigene Macht, „anzuerkennen, zu würdigen, zu dekretieren, was gekannt und anerkannt zu werden verdient“,159 und somit auch das eigene Gewicht im Kräftefeld. D. h. die Akkumulation symbolischen Kapitals, welche durch den Grad und das Anhäufen von sozialem und kulturellem Kapital erfolgen kann, hat Einfluss darauf, wie stark die oder der einzelne Künstler_in das Kräftefeld selbst sowie 156 Siehe Bourdieu, „2. Das soziale Kapital“, in: ebd., S. 63-70, hier besonders S. 63, 65. 157 Bourdieu, „Ökonomisches Kapital – Kulturelles Kapital – Soziales Kapital“, S. 50, 58. 158 Vgl. hier und folgend Pierre Bourdieu, „Das symbolische Kapital“, S. 211f. 159 Ebd., S. 212.

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das funktionale Gewicht der anderen Akteur_innen des Feldes mitbestimmen kann. Das eigene funktionale Gewicht im künstlerischen Kräftefeld Downtown konnte also durch die Akkumulation von symbolischem Kapital, d. h. im Kontext Downtowns vor allem von kulturellem und sozialem Kapital, erhöht werden. Eine Möglichkeit der Akkumulation symbolischen Kapitals und damit der Erhöhung des funktionalen Gewichts innerhalb des Kräftefelds wäre beispielsweise für eine_n Künstler_in mit geringem funktionalen Gewicht der Auftritt in einem vom Feld anerkannten Raum, die Teilnahme an einer von Publikum und Presse vielbeachteten künstlerischen Aktion oder die Kollaboration mit anderen, im Feld bereits anerkannten Akteur_innen. „Der Umfang des Sozialkapitals, das der einzelne [sic] besitzt, hängt demnach sowohl von der Ausdehnung des Netzes von Beziehungen ab, die er tatsächlich mobilisieren kann, als auch von dem Umfang des (ökonomischen, kulturellen oder symbolischen) Kapitals, das diejenigen besitzen, mit denen er in Beziehung steht.“160

Die Position der einzelnen Akteur_innen im künstlerischen Kräftefeld gewinnt also an funktionalem Gewicht durch die Akkumulation kulturellen und sozialen Kapitals, d. h. durch vermehrte anerkannte Auftritte und Vernetzungen. Nicht zuletzt deswegen ist es relevant, wenigstens einige der Akteur_innen, mit denen Monk in Downtown in Beziehung stand, sowie deren eigene Rollen bzw. Positionen im künstlerischen Kräftefeld Downtown auszumachen. Während es schier unmöglich und auch nicht besonders sinnvoll ist, jede_n einzelne_n Künstler_in des künstlerischen Kräftefelds Downtown vorzustellen, ist es wichtig zu verstehen, dass auch hier wiederum die Quantität an Akteur_innen für die Qualität des Kräftefelds nicht unwesentlich war. Sie spielte sowohl für die interne Ausdifferenzierung Downtowns sowie für seine externe Wahrnehmung als Kräftefeld eine Rolle, zwei Faktoren, die ich zunächst unter den Begriffen Heterogenität versus Homogenität einander gegenüberstellen möchte. Heterogenität versus Homogenität des künstlerischen Kräftefelds Downtown „I would say the 70s was a very interesting time. There was such a Downtown community, and it was visual artists, musicians, it was dancers, it was actors, it was poets. I mean, the 60s was like that, too. It was so great. Because, you know, you knew everybody in

160 Bourdieu, „Ökonomisches Kapital – Kulturelles Kapital – Soziales Kapital“, S. 64.

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every field. And people were exploring, you know, the painters were doing dance pieces, there was this thing of going past the boundaries of what you had been trained in, so ‚anything-was-possible‘ kind of mentality. And that was very important to me. Because I always had that spirit. So it was just like I’d been very encouraged to follow that very like pioneer kind of spirit that I had. It was a really, really great time for me. But the 70s definitely had that also. There was so much going on. This whole area was like such a community. So that was very, very special about the 70s.“161

Monks Beschreibung der für sie so ermutigenden künstlerischen Gemeinschaft Downtowns in den 1960er und 1970er Jahren ist beispielhaft. Viele Erzählungen und Erinnerungen von Zeitgenoss_innen heben die Multidisziplinarität sowie den produktiven Austausch zwischen den Künstler_innen hervor.162 Als einen Faktor, der diesen beständigen Austausch begünstigte, hatte ich bereits die räumliche Nähe benannt: Indem die Künstler_innen regelmäßig in der Nachbarschaft aufeinandertrafen, hielten sie sich dergestalt über die eigenen Arbeiten auf dem Laufenden und bekamen dabei auch Gelegenheit, die eigenen Ideen und Konzeptionen zu schärfen.163 Vor allem aber unterstützten sich DowntownKünstler_innen gegenseitig darin, die Grenzen der eigenen Disziplinen zu überschreiten und sich in anderen Medien zu versuchen oder sie zu verbinden.164 Die Unterstützung erfolgte etwa in der Form, gegenseitig die Konzerte und Ausstellungseröffnungen der Kolleg_innen zu besuchen, sich auszutauschen und voneinander zu lernen165 oder auch zu kollaborieren und in den Performances und Konzerten anderer Künstler_innen mitzuwirken. Häufig genug bestand das Publikum einer Downtown-Veranstaltung einzig und allein aus Freund_innen, d. h.

161 Monk in Monk, Kohl, Interview mit Meredith Monk. 162 Vgl. u. a. Laurie Anderson in Anderson, Brown, Crawford u. a. „All Work, All Play“, S. 79; La Barbara, „SoHo“, S. 252; Johnson, „New Music: A Progress Report“, 3. Januar 1974, in: ders., The Voice of New Music, S. 63; Anette Kubitza, Fluxus, Flirt, Feminismus?, S. 21, RoseLee Goldberg, Laurie Anderson, S. 13. 163 Laurie Anderson beispielsweise erzählt ironisch über die Entstehung ihrer Arbeit „United States“, wie sie die immer gleichen Protagonist_innen auf der Strasse traf und alle sich einander erzählten, dass sie jetzt an ihrer „Oper“ arbeiteten, und wie dies einen gewissen Druck auf sie ausübte, selbst eine „Oper“ zu schreiben (siehe Laurie Anderson, zitiert in Goldberg, Laurie Anderson, S. 86). 164 Vgl. Goldberg, Laurie Anderson, S. 13. 165 Vgl. z. B. Johnson, „New Music: A Progress Report“, 3. Januar 1974, in: ders., The Voice of New Music, S. 63.

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aus anderen Downtown-Künstler_innen.166 Und selbst die Vertreter_innen der relevanten Presse gehörten nicht selten selbst der Szene an. Tom Johnson, der in den 1970ern die Musikrezensionen für die Village Voice schrieb, war selbst ComposerPerformer. Sally Banes, die ab Mitte der 1970er Jahre in New York für die Village Voice, die SoHo Weekly News und das Dance Magazine schrieb, war Tänzerin, Tanzwissenschaftlerin und Kritikerin, Darrell Henline Tänzer und Herausgeber der SoHo Weekly News. Die Gründer_innen des ersten in SoHo publizierten Kunstmagazins Avalanche167 waren der Künstler und Kurator Willoughby Sharp und die Filmemacherin und Autorin Liza Bear, und das nichtkommerzielle Art Rite168 und die linksrevolutionäre, als Kollektiv betriebene The Fox169 waren genuine SoHo-Kunstmagazine.170 Zwar betont Kostelanetz, dass Empfehlungen etwa für Ausstellungen eher mündlich überliefert wurden als durch Zeitungsannoncen. Doch wenn, dann waren es die bereits be- oder in den 1970er Jahren entstehenden Downtown-Zeitschriften, die für die künstlerische Gemeinschaft eine Relevanz hatten, nicht zuletzt durch die Rezensionen.171 Die Soho Weekly News172 und die Village Voice173 stellten zu der Zeit die maßgeblichen alternativen Zeitungen New Yorks dar.174 Und niemand in Downtown, so Kostelanetz, las die New York Times.175 Denn die repräsentierte Uptown.176 Der mehr oder weniger geschlossene Kreis an Zuhörer_innen- bzw. Zuschauer_innenschaft, Aufführenden und Kritiker_innen ist nicht unwesentlich. 166 Siehe z. B. Laurie Anderson in Anderson, Brown, Crawford u. a., „All Work, All Play“, S. 79. Vgl. auch La Barbara, „SoHo“, S. 252. 167 ZT AVALNACHE. 168 ZT ARTRITE. 169 ZT FOX. 170 Siehe Block, Planquadrat SoHo, S.18ff. 171 RoseLee Goldberg etwa begründet die Bedeutung der Zeitschrift „Avalanche“ für Downtown mit deren regelmäßigen Künstler_innen-Portraits. (Siehe Goldberg in Anderson, Brown, Crawford u. a., „All Work, All Play“, S. 74.) 172 ZT SOHONEWS. 173 ZT VILVOICE. 174 Vgl. Banes, Subversive Expectation, S. 1. „These two weeklies, identified with the two most visible artists’ neighborhoods in New York, were the newspapers in New York committed to covering alternative culture in depth, devoting space to the avant-garde, the politically marginal, the out-of-the-way, and that which for any reason was overlooked by the mainstream press.“ (Banes, Subversive Expectation, S. 12.) 175 ZT NYT. 176 Vgl. Kostelanetz, SoHo, S. 56f.

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Nicht zu unrecht misst Pierre Bourdieu dem Publikum und den Kritiker_innen eine zentrale Bedeutung für die Konzeption eines künstlerischen Werks zu.177 Doch wie Sally Banes in Bezug auf die Performancekunst in Downtown herausstellte, war diese Macht eines Massenpublikums und der Presse hier eher eingeschränkt. Sie etwa verstand ihre eigene Rolle als Kritikerin weniger darin, zu richten und zu urteilen, als vielmehr darin, ein öffentliches Gespräch über die Kunst zu führen.178 Hatten sich die Downtown-Künstler_innen ihre eigenen Räume geschaffen, um ihre Kunst jenseits einer Marktlogik oder als elitär und wirklichkeitsfremd empfundenen Ästhetik und Ausstellungs- bzw. Aufführungspolitik realisieren zu können, so bedeutete auch der kleine Zirkel an Gleichgesinnten, denen man seine Arbeit präsentierte, ein sichereres Experimentierfeld. Die Beziehungen zwischen den Downtown-Künstler_innen waren also weitestgehend von freundschaftlicher oder zumindest kollaborativer Qualität, dabei meist geprägt durch professionelle, d. h. künstlerische Interessen. Die grundsätzliche, multimedial interessierte Experimentierfreude der Downtown-Künstler_innen schlug sich nieder in vielfältigen individualistischen, an den Fähigkeiten, spezifischen Experimenten und Interessen der jeweiligen Künstler_innen orientierten Ansätzen und Stilen. Die neue multimediale, grenzüberschreitende Herangehensweise resultierte in sehr eigenen, idiosynkratischen Arbeiten.179 Überspitzt ließe sich formulieren, dass potentiell jede_r Künstler_in dergestalt einen eigenen, eben einen Individualstil entwickelte. Monks Vokalmusik, die auf den von ihr entwickelten erweiterten Stimmtechniken basiert, klingt beispielsweise völlig anders als die Vokalmusik von Joan LaBarbara oder Laurie Anderson, beides Downtown-Musiker_innen und Vertreterinnen der vokalen Performancekunst. Sie alle erarbeiteten sich entlang an Experimenten mit der eigenen Stimme ihren eigenen Individualstil. Diese Vielfalt von potentiellen Individualstilen bezeichne ich als interne Ausdifferenzierung Downtowns auf künstlerischer Ebene oder auch als Heterogenität der künstlerischen Ansätze. Diese Heterogenität stand und steht in der Rezeption Downtowns stark im Vordergrund.180 Der Downtownspezialist Marvin J. Taylor betrachtet die Heterogenität, die sich allemal in den künstlerischen Arbeiten manifestierte, als prägendes Kriterium und bezieht sie auf das gesamte Kräftefeld Downtown und seine Szenen. So schreibt er auch eher von Szenen im Plural als von der Downtown-

177 Siehe Bourdieu, „Künstlerische Konzeption und intellektuelles Kräftefeld“, S. 86ff., 94f. 178 Siehe Banes, Subversive Expectation, S. 1. 179 Vgl. u. a. Goldberg, Laurie Anderson, S. 13. 180 Siehe etwa Taylor, „Playing the Field“.

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Szene.181 Damit betont auch er die dem Kräftefeld immanente Ausdifferenzierung der Akteur_innen und ihrer künstlerischen Praktiken, die nicht ohne weiteres unter einem Etikett zusammengefasst werden können. Bei aller freundschaftlichen und unterstützenden Gestaltung der professionellen Beziehungen bildeten sich in der Regel keine Gruppen oder Schulen mit einer gemeinsamen Ästhetik oder geteilten Zielen in Downtown heraus.182 Die Szenen, von denen Taylor spricht, bezeichnen entsprechend auch keine erklärten Zusammenschlüsse einer präzise definierten Klientel, sondern vielmehr an bestimmten Formaten primär orientierte, jedoch mit fließenden Grenzen versehene Aktionsfelder wie die Downtown-Musik oder der Punk, die Performancekunst oder die Fotografie. Das Nebeneinander und Ineinandergreifen der Szenen sind Faktoren der Heterogenität Downtowns. Die Heterogenität Downtowns ist eine Heterogenität, wie sie der Amerikanist Wilfried Raussert prinzipiell für die US-amerikanische NachkriegsAvantgarde festmacht.183 U. a. verkörpert ihm zufolge die amerikanische Avantgarde eine Vielfalt von Gegentraditionen. Deswegen schreibt er auch von Avantgarden im Plural.184 Die Heterogenität stellt für Raussert nicht nur ein wesentliches Merkmal der US-amerikanischen Avantgarde(n) per se dar, sondern auch ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal dieser gegenüber der europäischen Avantgarde. Eine Differenzierung zwischen europäischer Avantgarde und amerikanischen Avantgarden sieht Raussert deswegen als relevant an, da seiner Meinung nach die Bedeutung der amerikanischen Avantgarden, die aufgrund der historisch, sozial und kulturell unterschiedlichen Kontexte einer anderen Definition und Betrachtungsweise bedürfen, im wissenschaftlichen Diskurs bislang eklatant vernachlässigt wurde.185 Die historische Avantgarde in Europa in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war Raussert zufolge viel stärker geprägt durch einen Diskurs von Gemeinschaft und Gruppendisziplin, wie sie etwa in den tendenziell dogmatischen Manifesten der historischen Avantgardegruppen zum Ausdruck kamen.186 Sie bezogen eine relativ einheitliche Gegenposition zum vorherrschenden Kunstverständnis, das seit dem späten 19. Jahrhundert durch den Ästhetizismus der euro181 Vgl. ebd., S. 24. 182 Vgl. ebd., S. 23. 183 Vgl. Raussert, Avantgarden in den USA. Siehe hierzu und folgend auch Kohl, „Avantgarden in den USA“, in: dies., „Vokale Avantgarden (er)finden – Über das Setzen von Nullpunkten“. 184 Vgl. Raussert, Avantgarden in den USA, S. 38. 185 Vgl. ebd., S. 37, 203, 205. 186 Vgl. ebd., S. 36, 204.

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päisch-bürgerlichen Gesellschaft, der Vorstellung vom Autonomiestatus von Kunst und die damit verstärkte Trennung von Kunst- und Lebenspraxis, bestimmt war.187 Hierin begründen sich drei basale avantgardistische Postulate: erstens der Wunsch nach dem Bruch mit Traditionen und damit das Postulat der kontinuierlichen Innovation, welches etwa in Praktiken der Grenzüberschreitung resultiert; zweitens das Postulat nach der Überwindung der Kluft zwischen Kunst- und Lebenspraxis; und drittens eine ‚kritische Haltung gegenüber der mehrheitsgesellschaftlichen Kultur‘.188 Wilfried Raussert sieht die Forderungen nach Innovation und nach der Verbindung von Kunst und Leben in den USA gesellschaftlich anders und zum Teil bereits früher gestellt und verwirklicht als in Europa. Er führt sie auf den Transzendentalismus, Puritanismus und Pragmatismus des 19. Jahrhunderts zurück.189 Die Einrichtung einer neuen Gesellschaftsordnung und die angestrebte politische und kulturelle Unabhängigkeit der „Neuen Welt“ Amerika von der „Alten Welt“ Europa begründeten das Prinzip der Erneuerung. Die eher didaktische Funktion von Kunst, welche u. a. der Werteverankerung in der jungen „Nation“ diente, bedeutete ein grundlegend anderes Kunstverständnis als das der in Europa vorherrschenden Kunstästhetik des L’art pour l’art. Die Zurückweisung einer Trennung von Kunst- und Lebenspraxis lag somit einerseits im Kunstverständnis verankert, andererseits galt es als kulturelles Abgrenzungsmerkmal gegenüber Europa.190 Das Prinzip der Innovation, welches also basal zum amerikanischen Selbstverständnis als „Neue Welt“ gehört und zugleich als ein avantgardistisches Postulat gilt, wird laut Raussert im amerikanischen Kulturkontext vor allem mit Individualität in Verbindung gebracht, d. h. „es tritt eine Verknüpfung des avantgardistischen Geistes mit der Betonung individuellen Ausdrucks auf. […] In diesem Sinne zeichnet sich in der amerikanischen Avantgarde ein kritischer Diskurs ab, der Individualität und damit Heterogenität betont.“191

Heterogenität spielte gesellschaftlich auch auf anderer Ebene eine Rolle. Das im Zuge erstarkender Immigration entstehende Nebeneinander von ethnisch, religiös und kulturell unterschiedlichen Gruppierungen ließ eine immanente Heterogenität der gesellschaftlichen Zusammensetzung der USA entstehen. Daraus re187 Vgl. ebd., S. 35. 188 Vgl. ebd., S. 20f. 189 Vgl. ebd., S. 35ff. 190 Vgl. ebd., S. 35ff. 191 Ebd., S. 36f.

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sultierten heterogene, gesellschaftliche Unterschiede betonende Kulturentwürfe,192 die sowohl parallel zueinander sowie grenzüberschreitend ineinandergreifend existierten. Die Prinzipien Innovation, gesellschaftliche Anbindung von Kunst und Heterogenität prägen auch das Kunstverständnis der mit der Nachkriegszeit erstarkenden amerikanischen Avantgarde. Sie schlagen sich in den künstlerischen Experimenten nieder, im „eklektischen Umgang mit Form, Inhalt und Material,“193 in den prozessorientierten Kunstformen Happening und Performancekunst oder in den zugleich kollaborativen wie individualistischen Arbeitsansätzen. Die amerikanische Avantgarde verkörpert dabei, im Gegensatz zur europäischen, eine „Vielfalt von Gegentraditionen“. Diese Heterogenität an Alternativdiskursen deutet Raussert einerseits als „Gegenbewegung zur europäischen Kunstwelt,“ andererseits als „Angriff auf US-amerikanische ästhetische Konventionen.“194 Die Heterogenität bedeutet demzufolge auch eine kritische, d. h. eine Gegenposition zur mehrheitsgesellschaftlichen Kultur. Interessanterweise sind Rausserts Beispiele für die „Avantgarden in den USA zwischen Mainstream und kritischer Erneuerung zwischen 1940 und 1970“195 Künstler_innen und Gruppen wie Yoko Ono, Robert Rauschenberg, John Cage, Allen Ginsberg, Merce Cunningham und das Judson Dance Theater. Es handelt sich dabei um Personen(gruppen), für die ein direkter Bezug zu Downtown festgehalten werden kann, ohne dass Raussert jedoch darauf hinweist. Auch die Downtown-Akteurin Meredith Monk ist sowohl als Person wie auch mittels ihrer Arbeit ein gutes Beispiel für die von Raussert hervorgehobene, in der USamerikanischen Gesellschaft verankerte und in der künstlerischen Praxis fortgeführte kulturelle Heterogenität. Monk hat wie alle nicht indigenen Amerikaner_innen einen nur wenige Generationen zurückliegenden Immigrationshintergrund, mütterlicherseits bspw. einen russisch-jüdischen.196 Sie selbst ist in New York geboren, erfand sich allerdings in den 1960er und 1970er Jahren in diversen Programmheften selbst als „Inca-Jew“, geboren in Lima, Peru.197 Diese Er192 Vgl. ebd., S. 41ff. 193 Vgl. ebd., S. 38. 194 Vgl. ebd. 195 So lautet der Titel seines Buches. 196 Siehe Monk in Monk, Mountain Record, „Authentic Voice“; Alex Ross, „Primal Song“, S. 84; Putnam Smithner, „Vessel“, S. 94. 197 Vgl. z. B. Programm „Education of the Girlchild“, MMA Box 15 Folder 11 oder Programm „Museum of Contemporary Art presents Meredith Monk. Anthology“, MMA Box 16 Folder 3.

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findung wurde gelegentlich, unwissentlich oder absichtlich, von anderen Autor_innen kolportiert.198 In vielen ihrer Arbeiten sind parallel unterschiedliche archetypische oder anachronistisch montierte historische Bezüge präsent, die häufig mythologisch, gar archaisch anmuten, jedoch selten Praktiken „realer“ Kulturen sind, sondern eigene Kulturentwürfe entwickeln. Häufig wurden aus Monks erweiterten Stimmtechniken die unterschiedlichsten kulturellen Einflüsse herausgehört. Sie selbst hat dies immer zurückgewiesen und darauf bestanden, dass ihre Art zu singen allein aus ihren individuellen Experimenten resultiere.199 Doch bereits die potentielle Interpretation multipler Einflüsse deutet auf die Heterogenität ihrer Stimmtechniken hin. Mit der Integration heterogener Elemente in ihre Performances verfolgte Monk dabei schon immer einen holistischen Ansatz, der einer von ihr als solcher empfundenen fortschreitenden gesellschaftlichen und kulturellen Fragmentierung eher entgegenwirken als sie affirmieren soll. Denn die heterogenen Elemente ihrer Stimmtechniken führt sie persönlich eher auf archetypische menschliche Potentiale zurück als auf spezifische kulturelle Praktiken.200 Individualität, Heterogenität, Vielfalt von Alternativdiskursen, all dies sind Formen der Dezentralisierung, mit denen Raussert grundlegende, von Wolfgang Welsch angeführte Kriterien der Postmoderne erfüllt sieht: den „Verlust einer normativen Grundlage“ sowie die „Affirmation von Pluralität“.201 Raussert sieht somit in der amerikanischen Avantgarde ein prinzipiell postmodernes Phänomen. Darüber hinaus versteht er jedoch auch die Postmoderne selbst als ein ursprünglich amerikanisches Phänomen.202 Auslöser waren seiner Meinung nach die künstlerischen Experimente der US-amerikanischen Avantgarde, die ihm als „Vorreiter eines Prozesses kultureller Differenzierung“ und einer die Postmoderne charakterisierenden „differenzierenden Vorstellung von Kultur und Ästhetik“ gelten.203 „Praktiken der Kunst verändern Praktiken des Wissens.“204 198 Bspw. Banes, Putnam Smithner und Oehlschlaegel geben Lima als Monks Geburtsort an (siehe Banes, „Meredith Monk. Homemade Metaphors“, S. 149f.; Putnam Smithner, „Meredith Monk. Four Decades by Design and by Invention“, S. 94; Oehlschlaegel, „Dances for the Voice“, S. 234). Siehe auch Kapitel III.3.2 „Im Fokus: Akteurinnen“. 199 Vgl. u. a. Monk in AHF 04 „Meredith Monk im Interview mit Deborah Jowitt“, CD 482. 200 Vgl. u. a. ebd. 201 Vgl. Raussert, Avantgarden in den USA, S. 212. 202 Vgl. ebd., S. 205. 203 Vgl. ebd., S. 205. 204 Kohl, Vokale Avantgarden (er)finden, o. S.

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Auch Taylor versteht Downtown, seine Akteur_innen und deren Praktiken in ihrer Heterogenität, ihrem Individualismus und Eklektizismus als „quintessentially postmodern“.205 New York City kann, als Weltstadt und Zentrum globaler Immigration, als paradigmatisch für die von Raussert angeführte USAspezifische, „inhärent multikulturelle“ und damit heterogene Bevölkerung und für die darauf basierenden „kontinuierlichen interkulturellen Prozesse“ betrachtet werden.206 Zudem zeichnete sich vor und während des Zweiten Weltkriegs, bedingt u. a. durch die Immigration avantgardistischer Künstler_innen aus Europa, eine „geographische Verschiebung der internationalen Avantgarde von Paris“ nach New York ab.207 Bereits Ende der 1950er Jahre wurde der New Yorker Kunstszene eine neue „Vorreiterrolle im internationalen Avantgardismus“ zugesprochen.208 In den späten 1950er und 1960er Jahren prägte eine „radikale Kunst- und Kulturkritik“ die New Yorker Avantgarde.209 Für 1967 bemerkte der Kunstkritiker und Maler Peter Plagens: „New York was […] the straw that stirred the drink in terms of art in America.“210 Die wachsende internationale Bedeutung New Yorks als avantgardistisches Zentrum war begünstigt vor allem durch die kollaborative und grenzüberschreitende Praxis seiner Künstler_innen.211 Trotz der Verortung in New York weist Raussert nicht darauf hin, dass der geographische Schwerpunkt dieser Avantgarde(n) in Downtown New York lag. Die von ihm „als charakteristisch für die amerikanische Avantgardeszene“ postulierte „lebhafte Interaktion von Tanz, Musik, Kunst und Literatur“ sowie der „rege Austausch unter Künstler_innen“212 sind jedoch charakteristisch für die künstlerischen Praktiken Downtowns. Da sich Raussert bei seinen Ausführungen zudem weitestgehend auf Downtown-Akteur_innen bzw. Wegbereiter_innen bezieht, erlaubt eine zuspitzende Zusammenführung seiner Gedankengänge die geographische Lokalisierung seiner Thesen zur US-amerikanischen Avantgarde schwerpunktmäßig in Downtown New York.

205 Taylor, „Playing the Field“, S. 21. 206 Vgl. Raussert, Avantgarden in den USA, S. 49f., Anm. 9. 207 Vgl. ebd., S. 72. 208 Vgl. ebd., S. 79. 209 Vgl. ebd., S. 49f., Anm. 9. 210 Peter Plagens, zitiert in: Amy Newman, Challenging Art, S. 213. 211 Vgl. Raussert, Avantgarden in den USA, S. 77. 212 Ebd.

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Homogenität versus Heterogenität des künstlerischen Kräftefelds Downtown Aber wie heterogen war Downtown tatsächlich? Paradoxerweise kann doch die so zentrale Heterogenität Downtowns als verbindendes Element seiner Akteur_innen verstanden werden. Individualismus, am besten repräsentiert vielleicht durch die ComposerPerformer, war in Downtown schließlich für alle en vogue. Doch über diesen Individualismus, die geteilte Experimentierfreude und grenzüberschreitenden Praktiken der Downtown-Akteur_innen hinaus gab es weitere Faktoren, die sie zu einer weitaus homogeneren Gruppe machten, als dies eine allein auf ihre künstlerischen Handlungsweisen und Betätigungsfelder blickende und damit primär kunstimmanente Betrachtungsweise erahnen ließe. Denn wenn Raussert die Vielfalt an Gegenpositionen der US-amerikanischen Avantgarden betont, so beziehen diese sich in erster Linie auf die Formen der künstlerischen Praktiken, die meist höchst individualistisch und damit heterogen waren. Er betont dabei die Integration vielfältiger kultureller Bezüge mit Verweis auf die heterogene Bevölkerungszusammensetzung der USA. Implizit thematisiert er damit jedoch allein die multikulturellen Einflüsse auf die künstlerischen Praktiken der Avantgardekünstler_innen. Über diese Künstler_innen selbst, über deren kulturelle oder soziale Hintergründe, ist damit noch nicht viel ausgesagt. Laut Pierre Bourdieu funktioniert das kulturelle Kräftefeld nur als relativ autonomes, durch seine Binnenbeziehungen bestimmtes System, das sowohl von der externen Gesellschaft als auch historisch klar abgrenzbar ist.213 Indem Downtown sich in den 1960er und 1970er Jahren als expliziter Gegenraum etabliert, bildet es ein solches, relativ autonomes System. Zum Zweck der Abgrenzung wird unter der Bezeichnung Uptown ein eindeutiger Gegner der abgelehnten elitären und vereinheitlichenden Hochkultur konstruiert, dem Downtown als Gegenraum entgegengestellt wurde. Dieser Raum Downtown wurde von seinen Akteur_innen als ein solcher Gegenraum durchaus als geteilter, gemeinsamer Lebensraum und Aktionsradius wahrgenommen, wodurch sie zu einer Gemeinschaft wurden, „weil der gemeinsame Raum die Bewohnerinnen und Bewohner an die Gruppe und deren Habitus bindet.“214 Dem als zentralistisch empfundenen Uptown wurden mit Downtown die Herausstellungsmerkmale Dezentralisierung

213 Siehe Bourdieu, „Künstlerische Konzeption und intellektuelles Kräftefeld“, S. 77, 85f. Vgl. hierzu Kapitel „II.1 Downtown New York. Das kulturelle Kräftefeld als relationaler Raum“. 214 Löw, Raumsoziologie, S. 255.

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und Ausdifferenzierung gegenübergestellt. Es handelte sich dabei jedoch vor allem um die Dezentralisierung von Aufführungs- und Ausstellungs-Räumen und die Ausdifferenzierung künstlerischer Praktiken. Auch auf sozio-politischer Ebene wurde Downtown (im Nachhinein) als regelrechte Oase und somit als Gegenort gesehen innerhalb eines stark vom Vietnamkrieg, von Atomkraft, Misogynie, Rassismus und Homophobie geprägten Amerika der 1960er und 1970er Jahre215 und innerhalb der in den 1970er Jahren extrem prekären Stadt New York City. Der Fotograf Allan Tannenbaum beschreibt die damaligen Zustände anschaulich: „Dirty, dangerous, and destitute. This was New York City in the 1970s. War still raged in Vietnam, fueling resentment against the federal government. Nixon and the Watergate scandal created even more cynicism and scepticism. Economic stagnation coupled with inflation to create a sense of malaise. The Arab oil embargo brought the misery of long lines to buy gasoline. Conditions in neighborhoods like Harlem and Bedford-Stuyvesant were horrendous, with abandoned buildings and abject poverty. The subways, covered everywhere with ugly graffiti, were unreliable. The parks were in decay, home to muggers and rapists. Crime was rampant, and the authorities were powerless to stop it. Random killings by the ‚Son of Sam‘ made New Yorkers even more fearful. The notorious blackout of 1977, caused by a power-grid failure, plunged the entire city into darkness for days – thousands of people were stranded in elevators and subways, or involved in automobile accidents due to the lack of traffic signals. Police were inable to control the subsequent looting spree, which caused millions of dollars in damage and stolen merchandise. New Yorkers had had enough, and when the city officials finally turned to the federal government for a financial bail-out, President Gerald Ford said no. The Daily News headline said it all: ‚Ford to City – Drop Dead‘. […] Yet even in the depths of the economic crisis of the 1970s, New York City experienced a different kind of prosperity – a wealth of ingenuity that flourished admist dilapidated buildings and mean streets of downtown Manhattan.“216

Das Zitat Tannenbaums skizziert die zeitgenössische Atmosphäre sowie die zeitgenössischen sozialen und politischen Themen- und Problemfelder, welche den historischen sozio-politischen Rahmen des künstlerischen Kräftefelds Downtown als relativ abgesonderter Raum, als relativ autonomes System bildeten. Zu diesen Themenfeldern gehörten natürlich auch die entsprechenden erstarkenden sozialen Bewegungen, die in Auseinandersetzung mit diesen Problemfeldern entstanden, die Anti-Kriegs-, Bürgerrechts- und Frauenrechtsbewegungen. Diese 215 Vgl. Taylor, „Playing the Field“, S. 22. 216 Tannenbaum, New York in the 70s, S. 6.

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Themen- und Problemfelder prägten auch die Akteur_innen Downtowns. Eine von ihnen, die Kritikerin Lucy Lippard, bezieht die größte Bedeutung dieser Zusammenhänge für die künstlerische Gemeinschaft Downtowns auf einen sehr kurzen Zeitraum im Übergang von den 1960er in die 1970er Jahre: „Diese Zeit war von einer euphorischen Stimmung erfüllt, einem Gefühl, daß die Kontrolle über Kunst wieder Künstlern zufiel. Im Gegensatz zu der intellektuell anspruchsvollen, oft feindseligen und cliquenhaften Atmosphäre der Avantgarde der 60er Jahre, erlebte das Ende dieser Dekade eine kurze Politisierung der Künstler nach dem Vorbild der Schwarzen und Studenten. Ablehnung des hochgestochenen Stiles der elitären 60er Jahre und der Vorherrschaft des großen Geldes, Ablehnung der Uptown-Galerien samt Publikum und das wachsende Bewusstsein, daß Kunst indirekt vom kapitalistischen Establishment dazu benutzt wurde, Kriege und Ausbeutung zu unterstützen – all das trug zum Prozeß der ‚Dezentralisierung‘ in die Downtown-Gegend bei[.]“217

Konsequenzen der Bürgerrechtsbewegung, die verstärkt in den 1950er und 1960er Jahren gegen die alle Lebensbereiche durchziehende Diskriminierung von Afroamerikaner_innen kämpfte, lassen sich meines Erachtens im Downtown der 1960er und 1970er Jahre jedoch kaum festmachen. So war etwa eine gleichrangige Teilhabe am künstlerischen Kräftefeld Downtown für schwarze und weiße Künstler_innen nicht gegeben. Zwar waren unter den DowntownAkteur_innen vereinzelt afroamerikanische Künstler_innen zu finden. So war etwa der Jazz-Pionier Ornette Coleman, der mit seinem Artists House als einer der ersten in SoHo sein Loft als öffentlichen Raum für Konzerte und kollaboratives Arbeiten öffnete, ein früher Downtown-Akteur. Daneben fanden sich vor allem andere Jazz-Musiker_innen, die meisten von ihnen mit der Loft-JazzSzene in Downtown assoziierbar, wie Anthony Braxton, Cecil Taylor, Truvenza (Trudy) Coleman oder Sam Rivers, an den Monk sich als einen ihrer frühen Unterstützer_innen erinnert.218 Auch der Choreograph und Tänzer Bill T. Jones, der Künstler und Kurator Sur Rodney, die Sängerin und Choreographin Jeanne Lee oder die Tänzerin und Choreographin Blondell Cummings, die seit 1969 als Mitglied von Monks Ensemble „The House“ in zahlreichen ihrer Produktionen mitwirkte, waren afroamerikanische Downtown-Akteur_innen. Schwarze Künstler_innen blieben in Downtown jedoch eindeutig in der Minderheit.219 Noch 2003 wunderte sich Richard Kostelanetz in seinen Erinnerungen an diese Jahre: 217 Lippard, „Geographie der Straßenzeit“, S. 180. 218 Vgl. Monk in Monk, Voegeli, Lutman, Gann, „Meredith Monk – American Mavericks“. 219 Vgl. etwa Lawrence, Hold on to Your Dreams, S. 99.

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„Why African American artists were so few in SoHo remains a mystery to me.“220 Die Unsichtbarkeit afroamerikanischer Künstler_innen für Kostelanetz kann nicht daran gelegen haben, dass es sie gar nicht gab, sondern vielmehr daran, dass schwarze und weiße Künstler_innen primär unterschiedliche Räume nutzten. Dies wird besonders deutlich in Bezug auf die Musikszenen in Downtown. Konzerte der erstarkenden Loft-Jazz-Szene, die hauptsächlich von schwarzen Musiker_innen etabliert wurde, fanden vorrangig in Räumen wie der von Rashied Ali in der 77 Greene Street eröffneten „Ali’s Alley“, in Bea und Sam Rivers „Studio Rivbea“ in der 24 Bond Street, das nur einen Block von Monks erstem Loft in der 9 Great Jones Street entfernt lag, und dem „Environ“ am 476 Broadway statt.221 In den Programmen der Räume, in denen vorrangig von weißen Musiker_innen geprägte Downtown-Musik aufgeführt wurde, kam Loft-Jazz bis Ende der 1970er quasi nicht vor. Einzig The Kitchen unternahm durch seine Musikdirektoren Rhys Chatham und Garrett List in den 1970er Jahren Versuche, auch Loft-Jazz in sein Programm zu integrieren, was allerdings vom Publikum mit gemischten Gefühlen aufgenommen wurde.222 Tim Lawrence zitiert den Downtown-Musiker Ned Sublette: „From what I could see, the Kitchen made far more of an effort than many to open up to various scenes, but ultimately everybody was in their own little musical town. Even though there were black music directors subsequently, the people at the Kitchen were white folks from middle-class backgrounds, and they didn’t necessarily know how to hang in other scenes.“223

Die vergleichbare soziale Herkunft dieser „white folks from middle-class background“ verweist auf eine auch vergleichbare Sozialisation. Mit ein Grund für ihre Bevorzugung von Kontexten, die ihnen vertrauten waren, dürfte in einem weitgehend geteilten Habitus zu sehen sein.224 Im vorliegenden Kontext wird es deutlich, dass neben Klasse und Geschlecht225 auch race als Basis des Habitus 220 Kostelanetz, SoHo, S. 41. 221 Vgl. Gendron, „The Downtown Music Scene“, 49f. 222 Siehe Lawrence, Hold on to Your Dreams, S. 99. Vgl. auch Kostelanetz, SoHo, S. 109. 223 Ned Sublette, zitiert in Lawrence, Hold on to Your Dreams, S. 100. 224 Vgl. hierzu die Ausführungen in den Kapiteln II.1 „Downtown New York. Das Kulturelle Kräftefeld als relationaler Raum“ und II.2.2 „Akteur_innen Downtowns. Kulturelles, soziales und symbolisches Kapitel und das Beziehungssystem“. 225 Vgl. Löw, Raumsoziologie, S. 177.

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und somit auch als Strukturprinzip der Raumkonstitution gedacht werden muss. Lawrence stellt pointiert fest: „[D]owntown was still marked by segmentation rather than fusion[, …] downtown remained relatively segregated.“226 Lawrence versteht auch das Festival „New Music, New York“, das 1979 in The Kitchen stattfand, als paradigmatisch für eine mangelnde Repräsentation von schwarzen Musiker_innen in der Downtown-Musik-Szene.227 Eine gleichgewichtige Teilhabe am künstlerischen Leben für schwarze und weiße Künstler_innen war in Downtown offensichtlich nicht gegeben.228 Der afroamerikani-

226 Lawrence, Hold on to Your Dreams, S. 100. 227 Vgl. ebd., S. 182. Lawrence macht für Anfang der 1980er Jahre diesbezüglich einen deutlichen Wandel aus durch den ersten afroamerikanischen Musikdirektor des The Kitchen, den Musiker George Lewis und dessen explizite Agenda für eine deutlich multikulturellere Ausrichtung der Programmgestaltung, die Dekolonialisierung amerikanischer Kunstmusik und die prinzipielle Problematisierung einer ‚whitenessbased construction of American experimentalism‘. (Vgl. Lawrence, Hold on to Your Dreams, S. 182.) Dem entgegengesetzt problematisiert der Jazzmusiker und Aktivist Fred Ho gerade diese Zeit, den Übergang von den 1970er in die 1980er Jahre, in der ihm zufolge afroamerikanische Jazzmusik in Downtown durch eben diese Annäherung an Ecken und Kanten verlor: ‒ „The late-1970’s and early-1980’s avant-garde in New York’s loft scene, however, was, in my opinion, weaker as an example of vulgar post-modernism that promotes obfuscation, obscurantism and empiricism. These black avant-garde musicians and artists of the 1980’s New York Soho loft scene had retreated into self-indulgence (hiding or jettisoning their former socially conscious work) and jumping on to the white performance art band wagon of Meredith Monk, Philip Glass, Robert Wilson, Richard Foreman and others. The fire of the ’60s and early ’70s had dissipated into esotericism, ambiguity and shallow postmodern pastiche by African American artists who even questioned ‚blackness‘ as essentialist, including Bill T. Jones, choreographer Donald Byrd, Bebe Miller, Carl Hancock Rux, among others.“ (Fred Ho, „Fred Ho’s Tribute to the Black Arts Movement: Personal and Political Impact and Analysis“.) 228 Ab 1980 kritisierte die schwarze Performancekünstlerin Lorraine O’Grady in New York City mit Performances und Interventionen die bestehenden Schieflagen: „Mlle Bourgeoise Noire is the persona of a raging beauty queen created by Lorraine O’Grady in 1980 to protest the still largely segregated New York art scene. Her race, class and gender critique not only deconstructs black bourgeois constructs of femininity and high art, but also lays bare the internalized repressions and external oppressions of blacks.“ (www REACT O’GRADY.)

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sche Anteil an der Anwohnerschaft Downtowns war verschwindend klein, und die vorhandenen Szenen existierten getrennt voneinander.229 Der Stadtsoziologe Charles Simpson betont die Verschränkungen der entstehenden künstlerischen Gemeinschaft SoHos mit der US-amerikanischen Mittelklasse.230 Am Beispiel der Mobilisierung einiger Künstler_innen SoHos als Aktivist_innen für die eigenen Wohnrechte verdeutlicht Simpson deren Fähigkeiten, ihr kulturelles Kapital231 einzusetzen: „To make the transition from occupational commitment to occupational and residential survival, they drew upon the cultural resources which are theirs by virtue of their educational and economic backgrounds in the middle class. They built upon family experience with real estate, sales economics, the law, government bureaucracy, and the politics of pressure and publicity. Most of all, they drew upon a self-confidence and assurance that, when forced into activism, they could outmaneuvre their bureaucratic or commercial opposition. They were able to treat their economic and legal vulnerabilities as problems whose solution required a political campaign, a marshalling of social allies, and the achievement of unprecedented zoning changes. Their tactical confidence and strategic ambition came from their middle-class assurance that, as artists, they were important to society and to the city; and as capable political actors, they could make the city accommodate their presence.“232

Implizit beschreibt Simpson hier nicht nur den sozialen Hintergrund der Künstler_innen in der amerikanischen Mittelklasse sowie deren Einsatz ihres kulturellen Kapitals zum Erreichen ihrer Ziele, sondern wiederum ihren Habitus. Dieser ist bestimmt durch ein starkes Selbstbewusstsein und das Wissen darum, selbstverständlich das Recht zu haben, sich zu äußern, Dinge zu fordern und sich damit auch durchsetzen zu können. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch Simpsons Abschlussbemerkung, dass SoHo, das sich selbst als Opposition zur Kultur der „middle-class suburbs“ verstehe, durch das Anwenden von Strategien der Selbsterhaltung, die genau dieser Mittelklasse-Vorort-Kultur immanent seien, vieles dieser Kultur in den eigenen Alltag inkorporiert und diejenigen Werte und Verhältnisse zu reproduzieren begonnen habe, die seine Bewohner_innen

229 Siehe Lawrence, Hold on to Your Dreams, S. 99f. 230 Siehe Simpson, SoHo, S. 12f. Vgl. diesbezüglich auch Koch, „Betrachtungen über SoHo“, S. 130ff. 231 Simpson schreibt nicht explizit von kulturellem Kapital. Aber seine Ausführungen entsprechen Bourdieus Konzept des Kulturkapitals. 232 Simpson, SoHo, S. 13.

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mittels ihrer Berufswahl zurückgewiesen hätten.233 Die von Simpson proklamierte Präsenz der Mittelklasse-Kultur mit ihren Werten und Verhältnissen im künstlerischen Kräftefeld Downtown bedeutete zugleich die Etablierung eines Ausschlusskriteriums für diejenigen, denen diese Kultur fremd war, die den dazugehörigen Habitus nicht beherrschten und denen damit die ungezwungene Bewegung in diesem Raum weniger gut möglich war. Der Raum Downtown war für sie weniger offen, für sie funktionierte er nicht als gegenkultureller Raum. Die vielfach betonte Heterogenität der Downtown-Szene bezieht sich also in erster Linie auf die künstlerischen Formate, Praktiken, Stilistiken, Inhalte und Disziplinen. Die Akteur_innen hingegen erweisen sich, bezogen auf Klasse und race, als eine recht homogene Gruppe. Geschlecht schien allerdings weniger ein verstecktes Ausschlusskriterium zu sein. Zumindest waren gerade in der Downtown-Szene, anders als in der damaligen Mehrheitsgesellschaft, die maßgeblichen Akteur_innen nicht allein oder primär weiße heterosexuelle Männer.234 Frauen, wohlgemerkt weiße Frauen, und auch weiße Homosexuelle, Frauen wie Männer, etablierten in Downtown ebenso ihre Karrieren. Geschlechtsspezifisch war Downtown also paritätischer als andere zeitgenössische Räume, die noch sehr viel stärker von geschlechtsbezogenen Ausschlussmechanismen bestimmt waren. Zumindest für diesen Zusammenhang kann Downtown eine Rolle als gegenkultureller Raum bestätigt werden.

233 Siehe ebd. 234 Kostelanetz bspw. beschreibt die starke Präsenz von Frauen in der Loftszene Downtowns als aktive Akteur_innen (vgl. bspw. Kostelanetz, SoHo, S. 41). Bei meiner Recherche von Programmheften zu Veranstaltungen in Downtown sind mir keine Programme aufgefallen, an denen ausschließlich Männer beteiligt waren. In allen Ensembles haben Frauen mitgewirkt, häufig in der Mehrzahl und in entscheidenden Positionen, wie etwa als Regisseurinnen oder Leiterinnen von Festivals (vgl. z. B. KA 02 Programm „New Music, New York. A Festival of Composers and Their Music“; VASKA KI023 Künstler_innenliste „Artists Who Are Scheduled to Appear or Have Appeared at the Live and Electronic Music Series“; VASKA KE064a Programm „Women’s Video Festival“; Programmzettel „Our Lady of Late, The House“, MMA Box 57 Folder 8 (in diesem Programm ist eine vornehmlich weiblich besetzte technische Crew verzeichnet); Programmzettel „A Dance Concert“, MMA Box 15 Folder 5; uvm.) Selbst im Kleidungsstil der Zeit fand Stephen Koch geschlechtsspezifische Gleichberechtigung: „Die Frauen werden in ihrer StandardArbeitskluft erscheinen (in SoHo herrscht ziemliche Gleichheit der Geschlechter)[.]“ (Koch, „Betrachtungen über SoHo“, S. 138.)

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Frauen als Akteurinnen Downtowns Freilich stand dieser geschlechtsspezifisch paritätischere Raum nicht von allein plötzlich zur Verfügung, sondern wurde aktiv angeeignet und gestaltet. Auch hier, in Downtown, mussten Frauen um ihre Räume und um ihre Anerkennung als aktive Gestalterinnen von Gesellschaft und Kunst kämpfen. Doch bot gerade Downtown als erstarkendes Feld gegenkultureller Praktiken und Räume Potentiale für den neu aufkeimenden Aktivismus feministischer Akteur_innen einerseits und der künstlerischen Präsenz von Frauen auch in entscheidungstragenden Funktionen u. a. durch neu entstehende Kunstformen wie der Performancekunst andererseits. Diese konstituierten wiederum, wechselwirkend, das künstlerische Kräftefeld Downtown mit. Der Raum Downtown, seine Akteur_innen sowie deren Alltags- und künstlerische Praktiken waren in diesem Kontext interdependent wirksam. Frauen gründeten und leiteten in Downtown Ensembles, zeigten große Präsenz in gemischtgeschlechtlichen Räumen und Kollaborationen oder eröffneten eigene künstlerische Frauenräume235 und eigneten sich den Straßenraum für ihre künstlerischen Aktionen an.236 Sahen sich Frauen in Downtown mit geschlechtsspezifischen Ungleichheitsverhältnissen konfrontiert, demonstrierten sie dagegen.237 RoseLee Goldberg erinnert sich in einer Diskussion über Downtown an die starke Präsenz eines feministischen Aktivismus bei ihrem ersten Besuch in New York: „I was drawn into a large group of powerful and engaged women. I went to an opening at the AIR gallery and attended a meeting in Lucy Lippard’s loft on Prince Street, where there must have been 50 or 60 artists talking about actions to be taken about the numbers of women artists in museums or how few were teaching in art schools. That’s when I first met Laurie and Alanna and Trisha and Lucinda Childs and also Dorothea Rockburne, Pat Steir, Mary Miss, Jackie Ferrara, Alice Aycock, Hannah Wilke, Martha Wilson, Jackie Winsor and many others.“

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In Downtown entwickelten Frauen nicht nur künstlerische Arbeiten – Kompositionen, Choreographien, Performances, Skulpturen, Fotografien, Gemälde, Installationen, Videos –, sondern diese wurden auch gezeigt und aufgeführt, gese235 Siehe dazu detaillierter das Kapitel II.1.1 „Räume Downtowns“. 236 Siehe hierzu das Kapitel II.2.3 „Künstlerische Praktiken in Downtown“. 237 Alan Tannenbaum fotografierte 1975 eine entsprechende Demonstration von Künstlerinnen in Downtown (siehe Tannenbaum, New York in the 1970s, S. 106). 238 Goldberg in Anderson, Brown, Crawford u. a. „All Work, All Play“, S. 75.

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hen und gehört. Zwar bemerkt Peter Cherches, dass bis Ende der 1970er Jahre beispielsweise die Downtown-Musik noch männlich dominiert war.239 Aber das Festival „New Music, New York“ 1979 in The Kitchen, welches ihm zufolge diejenigen Künstler_innen präsentierte, die Downtown-Musik definiert hatten und zugleich als Summe am Ende einer Ära verstanden werden könne,240 präsentierte unter 53 Komponist_innen insgesamt 10 Frauen,241 also knapp 19%. Immerhin.242 Das bedeutete mehr Sichtbarkeit als in anderen, hochkulturellen oder mehrheitsgesellschaftlichen, Räumen.243 Die Aneignung und Gestaltung des Raums Downtown als paritätischerer Raum muss auch im Kontext der Entwicklungen und Errungenschaften der zweiten Frauenbewegung verstanden werden, die im übrigen (insbesondere in den USA) als eine Bewegung von und für Frauen der weißen Mittelklasse gilt.244 Dies dürfte ein nicht ganz unwesentlicher Faktor für die erfolgreiche Etablierung stärkerer Partizipation und Präsenz von (weißen Mittelschichts-)Frauen als aktiven Gestalterinnen Downtowns gewesen sein, betrachtet vor dem Hintergrund der gemeinschaftsbildenden Macht eines gemeinsamen kulturellen Kapitals und eines durch Klasse und race bestimmten Habitus bzw. der entsprechenden Sozialisierung. Die Kämpfe der zweiten Frauenbewegung in den USA, die Ende der 1960er Jahre erstarkte, zielten vor allem auf eine größere gesellschaftliche, politische und kulturelle Teilhabe und Selbstbestimmung von Frauen ab und somit auf eine alle Lebensbereiche umfassende geschlechtsspezifische Gleichberechtigung. Wie bereits in Kapitel I.3 „Performancekunst und feministisches Bewusstsein“ 239 Siehe Cherches, „Part I: New Music Downtown, 1971-87“, in ders., Downtown Music, 1971-1987. 240 Siehe ebd. 241 Siehe Programm „New Music, New York“. Folder „New Music, New York“, KA 02. 242 Ein Fünftel ist natürlich nicht die Hälfte. Von paritätischen Verhältnissen kann also nicht gesprochen werden. Lucy Lippard allerdings nannte 1975 die Teilnahme von 25 Frauen unter insgesamt 146 Künstler_innen (also gut 17%) an der Paris Biennale einen „dubious triumph“, der gefeiert werden sollte, da frühere Verhältnisse noch unausgeglichener gewesen sein (siehe Lippard, „The Women Artists’ Movement – What Next“, in: dies., From the Center, S. 139). In Anlehnung an diesen Gedanken bedeuten auch die 19% Frauenanteil am Festival „New Music, New York“ eindeutig mehr Sichtbarkeit für Frauen. 243 Für diese mangelnde Sichtbarkeit sprechen die Proteste der Künstlerinnen gegen die Unterrepräsentation von Frauen in Uptown Museen und Galerien. 244 Vgl. z. B. Lippard, From the Center, S. 143.

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dargelegt, wurden dabei stark die Lebensrealitäten von Frauen thematisiert und u. a. versucht, bestimmten Themen, die für Frauen eine größere Bedeutung hatten als für Männer, einen größeren gesellschaftlichen Stellenwert zu verleihen. Das Recht auf den eigenen Körper, welches etwa im Kontext von Abtreibung oder sexueller Gewalt eine andere Gewichtung für Frauen als für Männer hat, war ein zentrales solches Thema. Die Ansätze changierten dabei zwischen tendenziell eher essentialistischen, quasi gegebene, besondere weibliche Eigenschaften hervorkehrende, und eher dekonstruktivistisch ausgerichteten Ansätzen, die die durch eine geschlechtsspezifisch unterschiedliche Sozialisierung herausgebildeten Fähigkeiten, Ansichten, Prioritäten, Denk- und Wahrnehmungsmuster, kurz: den geschlechtsspezifischen Habitus, betonten. Die Erkenntnis, dass die persönliche Erfahrung von Unterdrückung, Gewalt, Diskriminierung usw. tatsächlich eine von vielen anderen Frauen geteilte Erfahrung war und damit eine gesellschaftliche Dimension hatte, führte zu dem Konzept und Slogan „The personal is the political“.245 Das Persönliche und Autobiographische, das von Feministinnen in den 1960er und 1970er Jahren zum Politikum gemacht wurde, wurde auch in der entstehenden Performancekunst, vor allem der von Frauen, zu einem wichtigen Themenkomplex. Von Anfang an haben Frauen somit durch ihre künstlerische Praxis die Performancekunst und ihre Bedeutung geprägt.246 1983 brachte die Kunsthistorikerin Moira Roth den Band „The Amazing Decade. Women and Performance Art in America 1970-1980“ heraus.247 Er ist eine Darstellung der 1970er Jahre aus feministischer Perspektive als Jahrzehnt der Etablierung der neuen Kunstform Performancekunst und der Bedeutung von Frauen für diese Entwicklungen. Er beinhaltet zudem eine bereits 1980 zusammengestellte und 1983 erweiterte Chronologie von Ereignissen von 1770 bis 1979, die von den Autorinnen als frauenpolitisch und performancekunsthistorisch relevant betrachtet wurden.248 Noch am Ende des dargestellten Jahrzehnts und somit historisch sehr nah am eigenen Untersuchungsgegenstand entstanden, 245 Siehe Moira Roth, „Women and Performance Art in America“, in dies. (Hg.), The Amazing Decade, S. 16 [Hervorhebung im Original]. 246 „[P]erformance gains much of its meaning from the ways women artists have recently chosen to employ it.“ (Jacob, „Introduction“, S. 11) Zum Themenfeld Performancekunst und feministische Praxis siehe ausführlicher das Kapitel 1.3. „Performancekunst und feministisches Bewusstsein“. 247 Roth (Hg.), The Amazing Decade. 248 Roth, Janet Burdick, Alice Dubiel, „Chronology“. Die Informationen aus dieser Chronologie sind im Kapitel I.2 „Performancekunst und feministisches Bewusstsein. Feministische Gruppierungen und Literatur in New York City und den USA“ wiedergegeben.

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ist dieser Band zugleich Primärquelle und wertvolle frühe Bestandsaufnahme. Roth beschreibt ihn selbst folgendermaßen: „The Amazing Decade is the first extended account of women’s performance art in the 1970s and the contexts from which it emerged: the women’s movement and the political upheavals of the 1960s.“249

Unter den Künstlerinnen, die in diesem Band vorgestellt werden, sind neben Meredith Monk u. a. Laurie Anderson, Simone Forti, Joan Jonas, Alison Knowles, Pauline Oliveros, Adrian Piper, Yvonne Rainer, Martha Rosler, Carolee Schneemann und Hannah Wilke. Die angefügte Chronologie stellt für die einzelnen Jahre von 1956 bis 1979 jeweils die Kategorien „History“, „Women’s History“ und „Women’s Performance History“ mit entsprechenden schlaglichtartigen Aneinanderreihungen von Ereignissen nebeneinander und unternimmt damit eine wichtige historische und soziopolitische Kontextualisierung. Der Zusammenhang zwischen der Entstehung der Performancekunst und der Erstarkung der zweiten Frauenbewegung wird dabei hervorgehoben.250 Zugleich wird durch die Darstellungen deutlich, dass die feministische oder zumindest die von Frauen gestaltete entstehende Performancekunst in den USA zwei geographische Zentren hatte, zum einen Kalifornien mit Los Angeles und San Francisco, zum anderen New York City.251 Die angeführten Beispiele aus New York lassen sich größtenteils in Downtown verorten.252 249 Roth, „Preface“, in: dies. (Hg.), The Amazing Decade, S. 8. 250 Vgl. auch Roth: „Performance art began in the late 1960s at the same time as the woman’s movement“ (Roth, „The Amazing Decade. Women and Performance Art in America (Essay)“, S. 14.) und Jacob: „[M]any women turned to performance art in the late 1960s and 1970s. This phenomenon is not without some basis in the women’s rights and social liberties/related events of that period, as a reading of the following chronology […] bears out.“ (Jacob, „Introduction“, S. 11) 251 Siehe. u. a. Roth, „Essay“, S. 16f.; Goldberg, Performance. Live Art Since the 60s, S. 129f. Aufgrund meiner Konzentration auf Downtown New York treten die feministischen Performancekünstlerinnen der Westküste in meinen Überlegungen in den Hintergrund, was jedoch lediglich aus meinem geographischen Fokus resultiert und nichts mit deren Bedeutung für die feministische Performancekunst zu tun hat. 252 Vgl. Roth, Burdick, Dubiel, „Chronology“. Auch im Buch „The Downtown Book“ findet sich eine Chronologie von Ian Alteveer mit den Kategorien ‚Arrivals and Departures‘, ‚Events‘ und ‚Politics and History‘ für die Jahre 1974 bis 1984, welche vergleichbar das Thema des Buches, die Downtown-Szenen mit seinen Akteur_innen und Ereignissen, in den größeren Zusammenhang politischer und historischer Ereignisse

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Monks frühe Downtown-Zeit Als Monk 1964 nach Downtown New York kam, wurde sie zunächst im Kontext des Judson Dance Theater aktiv. Der Kontakt kam über Robert Dunn zustande, bei dem Monk Kompositionsunterricht nahm.253 Das Judson Dance Theater war aus der Klasse von Robert Dunn 1961-62 hervorgegangen. Dunn war Ende der 1950er Jahre Schüler der „Composition of Experimental Music“-Klasse von John Cage an der New School gewesen und bot Anfang der 1960er Jahre neben seiner Tätigkeit als Korrepetitor im Tanzstudio von Merce Cunningham in der East 14th Street dort auch Kompositionsunterricht an.254 Einige der Gründungsmitglieder des Judson Dance Theater hatten hier zuvor Kurse sowohl in Tanz als auch in Komposition belegt. Zur ersten Generation des Judson Dance Theater gehörten u. a. Simone Forti, Trisha Brown, Yvonne Rainer, Judith Dunn, Ruth Emerson, Deborah Hay, Fortis Ehemann Robert Morris, David Gordon, Steve Paxton, Robert Rauschenberg und Carolee Schneemann.255 1962 fand das erste „Dance Concert“ in der Judson Memorial Church statt, bei dem u. a. Choreographien von Deborah Hay, Elaine Summers und Yvonne Rainer gezeigt wurden.256 RoseLee Goldberg hält fest, dass „this first concert would set off two years of experimentation that would come to represent one of the richest and most collaborative periods in the history of American Dance.“257 Die Entwicklung des postmodernen Tanzes fußt stark auf der Geschichte des Judson Dance Theater. Darüber hinaus, darauf weist die Kunsthistorikerin Jayne Wark hin: „[…] it was also important to the history of feminist performance in that it provided the first model in the history of the arts wherein women were the creative leaders. Moreover, stellen (Alteveer, „Chronology“). RoseLee Goldberg fügt ihrem Buch „Performance. Live Art Since the 60s“ eine Chronologie an, in der sie für die Jahre 1960 bis 1998 ausgewählte Ereignisse der Geschichte der Performancekunst auflistet (Goldberg, „Chronology“, in: dies., Performance. Live Art Since the 60s, S. 208-212). Diese Chronologien dienen mir im Folgenden als Hauptquellen meiner Darstellung und Einordnung von Monks Aktivitäten in New York in die Kontexte der künstlerischen Aktivitäten in Downtown, der Ereignisse der feministischen Performancekunst, der Ereignisse der Frauenbewegung sowie in einen breiteren soziopolitischen Kontext. 253 Siehe Goldberg, Performance. Live Art Since the 60s, S. 223; Jowitt, „Introduction“, S. 4. 254 Siehe Goldberg, Performance. Live Art Since the 60s, S. 147. 255 Siehe Roth, Burdick, Dubiel, „Chronology“, S. 4f., und Goldberg, Performance. Live Art Since the 60s, S. 147f. 256 Siehe Roth, Burdick, Dubiel, „Chronology“, S. 49. 257 Goldberg, „Chapter 5. Dance“, in dies., Performance. Live Art Since the 60s, S. 147.

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their principle of collaboration offered a counterpoint to the dominant mythology of the heroic individual genius, and their egalitarianism was an impetus to resist stereotypical expectations of gender roles.“258

Abbildung 10: „An Evening of Dance Theater by Meredith Monk“

Meredith Monk Archive, Music Devision, New York Public Library for the Performing Arts

258 Wark, Radical Gestures, S. 37f.

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Wark sieht in der Tatsache, dass das Judson Dance Theater als Avantgardegruppe primär von Frauen geleitet wurde, einen zentralen Faktor für ein spezifisches Bewusstsein in Downtown New York gegen Mitte der 1960er Jahre, welches sie als Grundlage für die Etablierung eines politischen feministischen Bewusstseins versteht. Ähnlich deutet sie die Präsenz von Fluxus im künstlerischen Kräftefeld, da auch hier viele Frauen beteiligt waren, darunter Alison Knowles, Charlotte Moorman, Mieko (Chieko) Shiomi, Shigeko Kubota und Yoko Ono, auch wenn im Fluxus-Kontext geschlechterrelevante Themen selten explizit verhandelt wurden.259 Viele mit Fluxus assoziierte Künstler_innen und Komponist_innen wie Philip Corner, Dick Higgins, Geoffrey Hendricks, Al Hansen und Charlotte Moorman arbeiteten mit dem Judson Dance Theater zusammen. Insgesamt hatte das Judson Dance Theater also auch eindeutige personelle Überschneidungen mit den Aufführenden der „Chamber Street Concerts“ in Yoko Onos Loft 1960/61.260 Als Monk zum Judson Dance Theater stieß, bildete sie gemeinsam mit u. a. Kenneth King, Lucinda Childs und Phoebe Neville bereits die zweite Generation des Judson Dance Theater, die sich durch ihren theatralischeren und narrativeren Ansatz von der ersten, stark um die Integration von Alltags- und Arbeitserfahrungen in den Tanz bemühte Generation unterschied.261 Viele der Mitglieder des Judson Dance Theater sollten über die Jahre wichtige Kollaborationspartner_innen Monks sein. Zu Beginn bedeuteten sie aber vor allem auch ausschlaggebende Kontakte, von denen ausgehend sie ihr künstlerisches und soziales Netzwerk, also ihr soziales Kapital im künstlerischen Kräftefeld Downtown, ausbauen konnte. So wirkte sie u. a. in einer großen Gruppenarbeit von Elaine Summers mit, nahm an Happenings von Al Hansen, Dick Higgins und Carolee Schneemann teil sowie an einem Tanzstück von Jackson McLow.262 Demnach war es durchaus relevant, dass sie hier früh auf die Fluxus-Künstler_innen stieß:

259 Vgl. ebd., S. 45f. Sowohl Ono als auch Schneemann kritisierten bspw. die Reaktionen einiger männlicher Fluxus-Kollegen auf ihre Arbeiten, diese seien ‚zu emotional‘ (siehe Ono in Woo, „Silence and Scream. Yoko Ono’s Subversive Aesthetics“, S. 65 und Kubitza, Fluxus, Flirt, Feminismus?, S. 37, 39). 260 Siehe hierzu das Unterkapitel II.2.1 „Räume Downtowns. Downtown-Räume I: Lofts. Wohn-, Arbeits- und Aufführungsräume“. 261 Vgl. Jowitt, „Intorduction“, S. 4. 262 Vgl. Monk in, „Invocation/Evocation“, S. 83; Koenig, „Meredith Monk: PerformerCreator“, S. 52.

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„Musically I feel that the people who I most came in contact with in those days were people like Philip Corner, Malcolm Goldstein, Jackson Maclow, Dick Higgins, those people that affiliate with Fluxus.“263

In ihrer Definition der vokalen Performancekunst bezeichnet Theda WeberLucks Fluxus als wichtigen Vorläufer derselben.264 Darüber hinaus war Fluxus, wie gesehen, in den frühen 1960er Jahren die erste der vielen aufkeimenden Kunstszenen Downtowns. Und der fluxusspezifische Umgang mit Form und Material, der zudem stark vom Ort SoHo geprägt war, war für all jene von Einfluss.265 Es ist somit nicht irrelevant zu sehen, dass Monk als frühe Vertreterin der neuen Kunstform der vokalen Performancekunst persönlich in direktem Kontakt zu einigen der Fluxus-Künstler_innen stand und mit diesen zusammenarbeitete. Die Kollaborationen fanden sowohl in der Judson Church als auch in anderen Räumen statt. Monks Interpretation von Eric Saties „Relâche“ gemeinsam mit Dick Higgins, Alison Knowles und Ay-O etwa fand im Rahmen des von Charlotte Moorman 1965 in der Judson Church organisierten „New York Avant Garde“ Festivals statt, in dessen Rahmen Monk auch ihre eigenen Arbeiten „Radar“ und „Blackboard“ zeigte. Monk nahm auch an Higgins’ Fluxus Events „Celestials“ und „The Tart“ teil.266 In Carolee Schneemanns „Water Light. Water Needle. Kinetic Theatre“ im Bridge Theatre sowie in der St. Mark’s Church wirkten 1966 neben Monk u. a. auch Al Hansen, Phoebe Neville, Alison Knowles und Philip Corner mit.267 Alison Knowles und Dick Higgins gehörten 1969 zur Besetzung von Monks Musiktheater „Juice: A Theater Cantata“.268 Monk trat 1966 in Philip Corners „Popular Entertainments“ am Eröffnungsabend, „Pulses“, der ersten „Gate’s Underground Events“ im Gate Theatre in der 162 Second Avenue auf. Am gleichen Abend zeigte sie gemeinsam mit Kenneth King ihr „Duet for Cat’s Scream and Locomotive“.269 263 Monk in Monk, Voegeli, Lutman, Gann, „Meredith Monk – American Mavericks“. 264 Siehe Weber-Lucks, Körperstimmen, S. 7. Siehe dazu auch das Kapitel I.2 „Vokale Performancekunst“. 265 Siehe dazu die Kapitel II.2.1 „Räume Downtowns“ und II.2.3 „Künstlerische Praktiken in Downtown“. 266 Siehe Jowitt, „Introduction“, S. 4. 267 Siehe Programm „Water Light. Water Needle“, MMA Box 15 Folder 7. 268 Knowles war eine der 85 Performer_innen im ersten Teil im Guggenheim Museum, Higgins spielte im zweiten Teil im Minor Latham Playhouse sowie im dritten Teil in The House Loft (siehe Programm „Juice. A Theatre Cantata“, MMA Box 15 Folder 9). 269 Vgl. Programm „Pulses“, MMA Box 15 Folder 7.

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Ebenfalls 1966 bat Philip Corner Monk, bei einem von ihm organisierten Satie-Abend einige Lieder zu singen.270 Monk erinnert sich, dass dieser Konzertabend bei Dick Higgins zu Hause in Midtown stattfand: „Dick Higgins had a Satie festival at his house in the West Twenties. We did a concert at night that included some of his music-hall pieces, and then we did Vexations starting at midnight and going on till about noon. People stayed overnight, brought sleeping bags, and it was really amazing.“271

Die Vorbereitungen für eben jenes Konzert waren für die Herausbildung von Meredith Monks vokaler Performancekunst von besonderer Bedeutung. Darauf gehe ich im folgenden Kapitel II.2.3 „Künstlerische Praktiken in Downtown“ detaillierter ein. Im Jahr ihrer Ankunft in New York, 1964, beteiligte sich Monk nicht nur an Happenings des Judson Dance Theater, sondern zeigte auch sogleich ihre erste eigene Arbeit „Break“ in den Washington Square Galleries.272 Im gleichen Jahr führte Carolee Schneemann in der Judson Memorial Church ihre bekannte Performance „Meat Joy“ auf, und Yoko Ono zeigte erstmalig ihre Performance „Cut Piece“, zunächst in Kyoto und Tokyo und 1965 auch in New York in der Carnegie Recital Hall. Beide Performances gelten als wichtige frühe Arbeiten der feministischen Performancekunst.273 Ebenfalls 1964 veranstaltete Charlotte Moorman gemeinsam mit N. Seaman das zweite „New York Avant Garde Festival“ in der Judson Memorial Church.274 George Maciunas eröffnete den Laden und Aufführungsraum Fluxhall/Fluxshop in der 359 Canal Street.275 270 Vgl. Monk in Monk, Voegeli, Lutman, Gann, „Meredith Monk – American Mavericks“. Monk spricht in dem Interview grob von Mitte der 1960er Jahre. Das Programmheft zu dem entsprechenden Konzert ist im Meredith Monk Archiv in dem auf das Jahr 1966 datierten Ordner, MMA Box 15 Folder 7, einsortiert. 271 Vgl. Monk in Strickland, „Voices/Visions“, S. 136. Siehe hierzu auch das Programm „Satie“ in MMA Box 15 Folder 7. 272 „When I came to New York I immediately showed a piece of mine called ‚Break‘, that was my first piece I showed in New York at the Washington Square Galleries.“ (Monk in Monk, Voegeli, Lutman, Gann, „Meredith Monk – American Mavericks“) Es handelt sich bei „Break“ um Monks erstes eigenes Solo-Stück in New York. Bereits einige Monate zuvor hatte sie gemeinsam mit Elizabeth Keen die gemeinsame Arbeit „Deploid“ im Clark Center for the Performing Arts gezeigt. (Vgl. Jowitt, „Chronology“, S. 193.) 273 Vgl. Wark, „Feminism and Community“, in: dies., Radical Gestures, S. 36-48. 274 Goldberg, Performance. Live Art since the 60s, S. 208. Im Jahr zuvor hatte Moor-

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Im Jahr zuvor, 1963, hatte Andy Warhol in New York seine Factory gegründet.276 Betty Friedan wurde mit der Veröffentlichung von „The Feminine Mystique“277 zu einer Leitfigur der Frauenbewegung. Der U.S. Kongress hatte 1963 den 1964 in Kraft tretenden „Equal Pay Act“ verabschiedet und mit ihm das erste Gesetz, das auf eine geschlechterspezifische Diskriminierung einging, indem es die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern für gleiche Arbeit für illegal erklärte.278 1963 war John F. Kennedy ermordet worden, und Lyndon B. Johnson trat an seine Stelle. Als amtierender Präsident unterschrieb dieser 1964 den „Civil Rights Act“, der, zumindest juristisch, die Segregation von Schwarzen und Weißen in öffentlichen Einrichtungen sowie Diskriminierungen beim Zugang zu Wahlen abschaffte. Martin Luther King, der für die Durchsetzung des Gesetzes maßgeblich mitverantwortlich gewesen war, erhielt den Friedensnobelpreis, und Malcolm X gründete die „Black Nationalist Party“.279 Marshall McLuhan veröffentlichte „Understanding Media“.280 1965 wurde die sich bereits seit den frühen 1960er Jahren abzeichnende und bis ca. 1973 andauernde Intervention der USA in Vietnam unter Johnson offiziell und militärisch.281 In den USA löste sie eine nie gekannte Mobilisierung von Kriegsgegner_innen aus. Die Anti-Kriegsbewegung, die vor allem von Studierenden ausging, entfaltete neben der Bürgerrechts- und Frauenbewegung eine immense Kraft, die tiefgreifende politische und vor allem gesellschaftliche Veränderungen brachte. Sie fand, begrenzt, auch Niederschlag in der künstlerischen Szene Downtowns.

man das zukünftig jährlich stattfindende Avant-Garde-Festival erstmalig in der Carnegie Hall organisiert, spätere Spielstätten des Festivals waren u. a. das Shea Stadium, das World Trade Center, 1971 The Kitchen oder 1973 das Grand Central Terminal, wo auch John Cage mit auftrat (siehe Roth, Burdick, Dubiel, „Chronology“, S. 50; Tannenbaum, New York in the 1970s, S. 86f). 275 Siehe Goldberg, Performance. Live Art since the 60s, S. 208. 276 Siehe Goldberg, Performance. Live Art since the 60s, S. 208. 277 Friedan, The Feminine Mystique. 278 Vgl. Roth, Burdick, Dubiel, „Chronology“, S. 49f., Golderberg, Performance, S. 208. 279 Vgl. Roth, Burdick, Dubiel, „Chronology“, S. 50. 280 Marshall McLuhan, Understanding Media (erwähnt in Jowitt, „Introduction“, S. 4) 281 Vgl. Roth, Burdick, Dubiel, „Chronology“, S. 51.

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Politisierung von Downtown-Akteur_innen im Kontext der Anti-Kriegsbewegung Die vorübergehende Politisierung von Downtown-Künstler_innen „nach dem Vorbild der Schwarzen und Studenten“,282 von der Lucy Lippard schrieb,283 ist für mich schlüssiger in Bezug auf die Anti-Kriegsbewegung und damit auf das „Vorbild der Studierenden“ nachzuvollziehen. RoseLee Goldberg bemerkte: „I think the downtown crowd were pretty aware of politics at the time. I recall frequent protests of one kind or another.“284 Diese Politisierung schlug sich in einem Aktionismus nieder, der unterschiedliche Formate wie Straßenaktionen, Solidaritätsveranstaltungen zum Sammeln von Geldern für Anti-KriegsAktivist_innen, die Teilnahme an Anti-Kriegs-Demonstrationen mit theatralen Mitteln, kritische Diskussionsrunden, alternative Berichterstattung sowie die Thematisierung des Vietnamkriegs als Sujet künstlerischer Arbeiten umfasste.285 „Dionysus in 69“ von Richard Schechner beispielsweise, mit dem 1968 seine Performing Garage eröffnet wurde, basierte auf Improvisationen über Amerika, Vietnam und dem Charles-Manson-Fall.286 Während sich das Stück inhaltlich mit aktuellen Themen auseinandersetzte, war es auch formal und ästhetisch, besonders durch die Kombination von improvisierten Szenen und der Partizipation des Publikums, aktuell und innovativ. „Its impact on SoHo artists – and beyond – was great[.] […] the production influenced other downtown performance art“, bemerkt Richard Kostelanetz.287 1967 fand am Hunter College in New York City die „Angry Arts Week“ statt, ein Festival gegen den Krieg in Vietnam. Diverse Downtown-Künstler_innen waren daran beteiligt, darunter vorrangig Frauen: Meredith Monk, Anne Wilson, Merle Marsicano, Eleo Pomare, James Waring, Yvonne Rainer, Re-

282 Lippard, „Geographie der Straßenzeit“, S. 180. 283 Siehe das Zitat in Unterkapitel II.2.2 „Akteur_innen Downtowns. Homogenität versus Heterogenität des künstlerischen Kräftefelds Downtown“. 284 Goldberg in Anderson, Brown, Crawford u. a. „All Work, All Play“, S. 85. 285 Für eine detailliertere Kontextualisierung der Politisierung von Künstler_innen um 1970 siehe auch Wark, „The question of art and critical responsibility“, in: dies., Radical Gestures, S. 14-22. 286 Vgl. Bernstein, Shapiro, Illegal Living, S. 51. 287 Kostelanetz, SoHo, S. 72. Siehe ein Foto einer Aufführung in der Performing Garage bei Goldberg, Performance. Live Art since the 60s, S. 68.

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my Charlip, Robert Hust, Twyla Tharp und Margot Colbert.288 Als Vorläufer der „Angry Arts Week“ diente im Januar 1967 einigen Dichter_innen in SoHo eine mobile Bühne in Form eines Anhängers an unterschiedlichen Straßenecken als Plattform für Protest und Performance. Im Laufe des Jahres schlossen sich eine Reihe von Künstler_innen und Schriftsteller_innen aus SoHo mit ähnlichen Gefährten der Frühjahrsdemonstration gegen den Vietnamkrieg an. Einige der gleichen Künstler_innen beteiligten sich 1969 „an einem Marsch den West Broadway hinunter, um handschriftliche Protest-,Geschenke‘ an den Kriegsherrn oder Verteidigungsminister zu versenden .“289 Auch radikalere Aktionen wie die Verbrennung der US-amerikanischen Flagge, wie sie etwa zur Schließung des kleinen Bridge Theater geführt hatte,290 gehörten in den Kontext der Anti-Kriegsbewegung. Die „Profanierung“ der Flagge war Teil der bei der City Hall und den Gerichtsgebäuden Downtowns aufgeführten Proteststücke der Guerilla Art Action Group. 1972 verteilten ihre Mitglieder auf dem West Broadway Kopien ihrer Briefe an Richard Nixon, „Eat what you kill“, sowie Poster der Artworkers’ Coalition (AWC), die das Massaker von My Lai in Vietnam anprangerten. Die AWC war bereits 1970 anti-kriegsaktivistisch mobil geworden mit einem Antikriegsmarsch in Form einer Beerdigungsprozession sowie mit einer Versammlung im Museum of Living Artists, auf der zu einer Diskussion darüber eingeladen wurde, „wie Kissinger zu kidnappen sei“, und von der FBI aufgelöst worden war.291

288 Vgl. Plakat „Monk, Meredith. Danceprotest: Dance protest for Viet Nam. Angry arts: Angry arts against the war in Vietnam. January 1967“, MMA Box 293 Folder 1. Vgl. Abbildung 11. 289 Lippard, „Geographie der Strassenzeit“, S. 208. 290 Siehe Unterkapitel II.2.1 „Räume Downtowns. Meredith Monks DowntownRäume“. 291 Siehe Lippard, „Geographie der Strassenzeit“, S. 208.

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Abbildung 11: Monk, Meredith. „Danceprotest: Dance protest for Viet Nam. Angry arts: Angry arts against the war in Vietnam. January 1967“

Meredith Monk Archive, Music Devision, The New York Public Library for the Performing Arts

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Die Paula Cooper Gallery, die erste Galerie in SoHo, eröffnete 1968 mit einer Ausstellung zur Unterstützung der Antikriegsbewegung,292 vertreten durch das „Student Mobilization Committee“. Im gleichen Gebäude war 1966 bei einer Razzia eine von Künstler_innen gegebene Friedens-Party gesprengt worden, auf der u. a. die Anti-Vietnamkriegs-Gruppe The Artists and Writers Protest Committee einen Film gezeigt hatte.293 Das 1968 von John Reilly und Rudi Stern in der 454 Broome Street eröffnete Global Village bot alternative Berichterstattung in Form politischer Dokumentationen und Erotica und startete 1970 eine Serie mit „‚Video-Nachrichten‘ als Reaktion auf die ‚unverantwortliche Berichterstattung über die Morde von Kent State‘.“294 Im Mai 1970 waren mehrere Studierende bei Anti-Kriegs-Protesten an der Kent State University in Kent, Ohio, durch die Nationalgarde Ohios erschossen worden. Wenige Tage später wurden Studierende des Jackson State College in Jackson, Mississippi, bei Anti-KriegsProtesten von der Polizei getötet.295 Die Ereignisse riefen amerikaweit und auch unter New Yorker Künstler_innen Entsetzen und Proteste hervor. Auch Meredith Monk reagierte auf ihre Weise auf die Vorfälle: „I remember around 1970, I was teaching at NYU, and some of my students asked if I would help them on an action about Kent State[.] Kids [had been] killed in Kent State. And so they came to my loft, I was living on Great Jones Street at that time, and we all got dressed up in an uptown kind of clothes, very ladylike, and we would walk into Sach’s, or Bloomingdale’s, and at a certain signal we would all fall to the ground. And then one person who was with us would put up a sign ‚Kent State‘, ‚Remember Kent State‘, and then we’d get up and leave and go to the next store. [Lacht.] So it was kind of a street work.“296

292 Siehe ebd., S. 180. 293 „An artists’ loft party that was advertised in The Village Voice was raided on Friday evening by the combined forces of the police, fire, and buildings departments. Two young art students, Larry Faden and Mark Roberts, were arrested for the illegal sale of alcohol. The raid occurred at 11 p.m. when the party was in full swing. The topfloor loft at 100 Prince Street was filled with an estimated 300 persons, about half of whom were frugging to a live seven-piece band. The Artists and Writers Protest Committee, a new anti-war-in-Vietnam group, had set up a projector in the rear of the loft to show a film on the Los Angeles Peace Tower. The screening was interrupted and the loft ordered cleared ...“ (Susan Brownmiller, „City’s Might Knocks Out Artists’ Peace Party“) 294 Davis, „SoHo du mal“, S. 224, 230. 295 Siehe Roth, Burdick, Dubiel, „Chronology“, S. 60. 296 Monk in Monk, Kohl, Interview mit Meredith Monk.

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Monk war bereits kurz zuvor in „street work“ bzw. „street art“ involviert gewesen. 1969 hatten die Künstler_innen Marjorie Strider, Hannah Weiner und John Perreault eine Serie von Straßenaktionen an unterschiedlichen Orten in New York ins Leben gerufen, die „Street Works“ I – V.297 An der ersten Veranstaltung, „Street Works I“, waren 20 Künstler_innen beteiligt, neben Meredith Monk u. a. Vito Acconci, Gregory Battcock, Ann Waldman, Les Levine, Arakawa und Lucy Lippard. Bei der „Street Works II“ waren es 40 und bei der „Street Works III“ Veranstaltung in SoHo 700 Beteiligte. Monks eigene Erfahrungen mit Interventionen im urbanen Raum, später fortgeführt als für sie typisch werdende Praxis, Ensemblearbeiten im Freien und an ungewöhnlichen Orten zu inszenieren, sowie die relativ übliche Präsenz von künstlerischen Straßenaktionen in Downtown um 1970 schlagen sich auch in Monks Entscheidung nieder, mit dem Parkplatz in der Wooster Street als Spielstätte des dritten Teils von „Vessel“ (1971) einen dezidiert öffentlichen Straßenraum zu bespielen. Auch die Mobilisierung der Nachbarschaft zur Partizipation schien damals problemlos möglich: „Then I started doing some big outdoor pieces with about 60 to 100 people. I would make big choral pieces. In those days there were volunteers. Entire families would be in those pieces.“298 Lucy Lippard beschreibt 1976 in ihrem Aufsatz „Geographie der Straßenzeit: über Kunst auf den Straßen Downtowns“ einige der stattgefundenen Aktionen und Performances der „Street Work“-Serie von 1969.299 Unter den Künstler_innen der Aktionen fanden sich viele Frauen. Einige von ihnen zählten zu den wichtigen Protagonistinnen der frühen, feministischen Performancekunst, etwa Adrian Piper, Colette, Laurie Anderson, Martha Wilson, Jacki Apple und Donna Henes. Nicht nur auf der Straße, sondern vor allem in den Räumen Downtowns traten Frauen als Performance-Künstlerinnen in Erscheinung. Für meinen Untersuchungszeitraum 1964 bis 1979 sind es immer wieder folgende Namen: Carolee Schneemann, Alison Knowles, Yoko Ono, Lucinda Childs, Yvonne Rainer, Simone Forti, Ann Halprin und Pauline Oliveros und Mary Beth Edelson (die alle zu der Zeit nicht in New York lebten, aber in New York Downtown mit Performances bzw. Konzerten in Erscheinung traten),300 Trisha Brown, Charlotte Moorman, Eleanor Antin, Deborah Hay, Elaine Summers, Tina Girouard, Joan Jonas, Mierle Laderman, Adrian Piper, Jacki Apple, Laurie Anderson, Faith Ringgold, Lynda Benglis, Hannah Wilke, Colette, Pat Oleszko, Betsy Da297 Siehe Roth, Burdick, Dubiel, „Chronology“, S. 57; Lippard, „Geographie der Straßenzeit“, S. 182. 298 Monk in einem Interview von 2002, zitiert in Kostelanetz, SoHo, S. 126. 299 Siehe Lippard, „Geographie der Straßenzeit“, S. 182ff. 300 Siehe Roth, Burdick, Dubiel, „Chronology“, S. 53.

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mon, Shigeko Kubota und natürlich Meredith Monk.301 Monk selbst führte zwischen 1964 und 1979 rund 40 eigene Stücke bzw. Konzertabende in New York auf.302 Wie zuvor in Kapitel I.3 „Performancekunst und feministisches Bewusstsein. Feministische Gruppierungen und Literatur in New York City und den USA“ verdeutlicht, waren diese 15 Jahre, in denen Monk in New York Downtown ihre Karriere als Performancekünstlerin, Komponistin, Sängerin, Tänzerin und Choreographin etablierte, offensichtlich wichtige Jahre, in denen in den USA generell und in New York im Speziellen eine größere Sichtbarkeit von Frauen in Politik, Gesellschaft und Kultur durchgesetzt sowie geschlechterrelevante Themen lanciert wurden. Vor diesem Hintergrund bauten sich zahlreiche Frauen in Downtown erfolgreiche Karrieren auf. Viele von ihnen verfolgten dezidiert feministische Ansätze. Auch wenn Monk sich selbst und ihre Arbeiten aus dieser Zeit nur bedingt als feministisch bezeichnen würde,303 arbeitete und lebte sie doch im gleichen künstlerischen Kräftefeld mit anderen feministischen Künstlerinnen, trat in den gleichen Kontexten, Räumen oder auf den gleichen Veranstaltungen auf und kollaborierte mit einigen. Reicht es argumentativ nicht aus, Monk in den Kontext feministischer Performancekunst zu stellen, weil sie als Frau zur gleichen Zeit in den gleichen Räumen künstlerisch tätig war wie andere, selbsterklärte feministische Künstlerinnen, so lässt sich die Verknüpfung zwischen Monk und feministischer Performancekunst mittels einer Analyse ihrer Arbeiten im Hinblick auf feministische Arbeitspraktiken im Kontext Downtowns 301 Siehe ebd., passim.; Goldberg, „Chronology“, passim.; Wark, Radical Gestures, passim. 302 Vgl. Monks Werkverzeichnis auf www MONK WERK. Siehe auch Kapitel III. „Meredith Monks Vokale Performancekunst“. 303 „I think for me, my work […] wasn’t so overtly political. The political layer was in there, like doing a piece called ‚Education of the Girlchild‘. I was thinking about women and about how women weren’t educated in the same way. But […] I really was much more exploring a poetic kind of forms, and much more my internal imagination, and I think you could say, looking back, more spiritual kind of work. I was responding to the time I lived in, but I was very much interested in timelessness. But at the same time I think, if you look at those pieces there is of course a political aspect. But it’s very oblique. It’s not direct at all. It’s just in one layer. […] I mean ‚Girlchild‘ was, you could say, was a feminist piece, but it […] wasn’t polemical. […] Just to be able to see those six beautiful women was already a statement. It was so affirmative, but it wasn’t like aggressive in any way. It was much more ‚let’s look at the being of this and then see what happens to you.‘“ (Monk in Monk, Kohl, Interview mit Meredith Monk.)

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darlegen. Dieser Annäherung dienen die Kapitel zu den entsprechenden Handlungsformen sowie zu Monks vokaler Performancekunst.304 Monks „Rückkehr“ zur Musik Nicht nur als eine der frühen Performancekünstler_innen machte sich Monk einen Namen, sondern vor allem auch als Musikerin, als Sängerin und Komponistin bzw. VocalComposerPerformer. Monk war in Downtown zu Beginn als Tänzerin und Choreographin in Erscheinung getreten. Seit ihrer Kindheit und auch während ihres Studiums hatte sie zwar immer auch selbst musiziert, wollte dies in New York jedoch zunächst hinter sich lassen.305 Mitte der 1960er Jahre fand sie jedoch durch die Auseinandersetzung mit der eigenen Stimme aus einer neuen Perspektive sowie durch entsprechende Kollaborationen mit befreundeten Musiker_innen wieder zur Musik zurück. Monks Weg zurück zur Musik ist meines Erachtens mehreren Faktoren zu verdanken, zum einem ihrem kulturellen Kapital, welches sie durch eine Familie von Musiker_innen, eine musikalische Früherziehung und entsprechende Studien erlangt hatte.306 Zum anderen bot ihr das künstlerische Kräftefeld Downtown, genauer ihr eigenes künstlerisches Netzwerk sowie die zeitgenössischen künstlerischen Ansätze in Downtown die Potentiale, ihre eigene Musik und ihren individuellen Vokalstil zu entwickeln und sich als Musikerin durchzusetzen und anerkannt zu werden. Entscheidend für den Erfolg ihrer Musik war freilich die Qualität, möglicherweise auch die Quantität, sowie der große Innovationscharakter und die Individualität ihrer Arbeiten, die jedoch allein im Kontext der künstlerischen Arbeiten der anderen Akteur_innen des künstlerischen Kräftefelds Downtown als solche verstanden und gewertet werden können.307 Über die Jahre ging Monk wie gesehen zahlreiche Kollaborationen ein und arbeitete häufig mit anderen Künstler_innen zusammen, die selbst bereits ein großes Prestige in der Szene besaßen oder im Laufe der Zeit weiteres soziales Kapital akkumulierten. Dafür noch einmal beispielhaft steht Joan LaBarbaras Aufzählung von 1976:

304 Siehe die Kapitel I.3 „Performancekunst und Feministisches Bewusstsein“, II.2.3 „Künstlerische Praktiken in Downtown“ und III. „Meredith Monks vokale Performancekunst“, vor allem III.3 „Im Fokus“. 305 Vgl. Monk in Bear, „Invocation/Evocation“, S. 84. 306 Siehe hierzu Kapitel III.1.2 „Biographisches“ und III.2.2 „Monk als Vertreterin der vokalen Performancekunst“. 307 Siehe hierzu das Kapitel II.2.3 „Künstlerische Praktiken in Downtown“.

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„Unter den ständigen musikalischen Mitarbeitern [von John Cage und Merce Cunningham] befanden sich bald auch David Tudor, später Gordon Mumm [sic] und David Behrman; Simultan-Vorstellungen mit Komponisten, Musikern und Performern wie Christian Wolff, Robert Ashley, Jon Gibson, Meredith Monk, Charlemagne Palestine, Jackson MacLow, Pauline Oliveros, Garrett List, Jim Burton und anderen fanden laufend statt.“308

Monk selbst akkumulierte dadurch in kürzester Zeit selbst soziales Kapital in großem Umfang. Ende der 1970er Jahre galt sie bereits als anerkannte, etablierte Vertreterin der Downtown-Musik. 1976-1979 etwa erhielt sie den „ASCAP Award for Musical Composition“.309 Ihren auch internationalen Stellenwert im Kontext der Neuen Musik Ende der 1970er Jahre veranschaulicht das abgedruckte Poster der Akademie der Künste Berlin für den „10. Workshop Freie Musik“ von 1975, auf dem sie, als einzige Frau, neben zeitgenössischen Komponisten wie John Cage, Dieter Schnebel, Anthony Braxton und Philip Glass abgebildet ist.310 Auch die Programme und Plakate, auf denen sie andernorts und in ihrer Heimat New York angekündigt wurde, zeugen von einem anerkannten Status, wenn sie etwa als „internationally acclaimed composer, choreographer and singer“ angekündigt wurde.311 Tom Johnson schrieb 1983: „By the mid-’70s I found that I’d already written three or four articles each about people like Phill Niblock, Charlemagne Palestine, Steve Reich, Philip Corner, Meredith Monk, Frederic Rzewski, and La Monte Young. It was getting hard to find new things to say about these composers, and boring to write articles that just repeated the same impressions I’d described before.“312

Bereits 1978 hatte Johnson über die Musik von Philip Glass, Laurie Anderson, Meredith Monk, Robert Ashley und Steve Reich geschrieben, dass diese „erwachsen“ geworden sei und kaum mehr passend für Lofts, sondern viel besser in etablierte Räume passe.313 Als einen solchen verstand er zu dieser Zeit bereits 308 La Barbara, „SoHo“, S. 252. 309 Siehe hierzu Programm „La Mama and The House Presents Recent Ruins“, MMA Box 16 Folder 6. 310 Siehe Abbildung 12. 311 Vgl. bspw. das Plakat „Meredith Monk, Anthology (1971-1979). Dance Workshop at Moving Space“, MMA Box 16 Folder 5. 312 Johnson, „A Farewell Article“, 23. August 1983, in: ders., The Voice of New Music, S. 280-282, hier: S. 280. 313 Vgl. Johnson,„The Kitchen Grows Up“, 5. Juni 1978, in: ders., New Voice of New Music, S. 185.

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The Kitchen, wo das rezensierte Benefizkonzert stattgefunden hatte. Das hier 1979 veranstaltete Festival „New Music, New York“ bot, wie bereits angedeutet, einen Querschnitt durch die Downtown-Musik der 1970er Jahre sowie deren Akteur_innen. 314 Doch bereits in den frühen Jahren ihrer Existenz war The Kitchen Spielstätte für zahlreiche Downtown-Musiker_innen, Video-Künstler_innen, Tänzer_innen und feministische Performancekünstler_innen gewesen. Die Listen an Personen, die hier aktiv waren, lesen sich heute wie eine regelrechte Enzyklopädie der Akteur_innen, die Downtown zu dem machten, was es war. Ohne dass die Namen hier im Einzelnen nochmals aufgelistet werden sollen, bietet die abgedruckte Liste aus dem Vasulka Kitchen Archive einen ersten aufschlussreichen Einblick.315

314 Siehe KA 02 Programm „New Music, New York. A Festival of Composers and Their Music“. Zu diesem Festival siehe ausführlicher Kapitel II.2.3 „Künstlerische Praktiken in Downtown. Downtown-Musik auf dem Festival ‚New Music, New York‘“. 315 Siehe Abbildung 13. Für die Namen weiterer Künstler_innen siehe die unterschiedlichen Programme des Vasulka Kitchen Archive (VASKA).

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Abbildung 12: Masotti, Roberto. „You Tourned the tables on me: You turned the tables on me.“ [Poster for an exhibition at Akademie der Künste, Berlin and at the Biblioteca Germanica of the Goethe-Institut in Milan.]

Meredith Monk Archive, Music Devision, The New York Public Library for the Performing Arts

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Monk und andere Stimmexpert_innen in Downtown Obgleich Monk anmerkte, dass sie zu Beginn ihrer Beschäftigung und ihrer Experimente mit der Stimme niemand anderen kannte, die oder der ähnlich arbeitete wie sie, und sie sich häufig mit ihrem Ansatz sehr einsam vorkam,316 war die Stimme tatsächlich ein vielfach eingesetztes Instrument in der DowntownMusik. Dabei war sie häufig gar nicht primäres Instrument. Sie wurde auch keineswegs allein von professionellen Sänger_innen verwendet, sondern häufig von Künstler_innen oder anderen Musiker_innen im Kontext einer Performance wie etwa von Joan Jonas, Laura Dean, den Tänzer_innen von „Grand Union“ oder Vito Acconci.317 Dennoch gab es durchaus diejenigen Musiker_innen, die sich zentral mit der Stimme beschäftigten. Auch hier gab es Unterschiede, etwa in der Verwendung klassischer Gesangsstimmen gegenüber dem experimentellen Ausbau von erweiterten Stimmtechniken, wie sie für die vokale Performancekunst entscheidend sein sollten, oder darin, dass ein_e Komponist_in für andere Sänger_innen schrieb oder jemand als VocalComposerPerformer die eigene Musik aufführte. LaMonte Young, Tom Johnson, Philip Glass und Robert Ashley gehörten, wenn auch in anderen musikalischen Kontexten selbst als ComposerPerformer agierend, zu denjenigen Komponist_innen, die Vokalmusik in der Regel für andere Sänger_innen und eher selten für ihre eigenen Stimmen schrieben.318 Pauline Oliveros, Charlemagne Palestine, Charlie Morrow, Laurie Anderson, Joan LaBarbara, Connie Beckley und natürlich Meredith Monk gehörten zu denjenigen, die mit einem musikalischen Anspruch experimentell mit ihren eigenen Stimmen arbeiteten, also als VocalComposerPerformer zu verstehen sind. Auch die Jazz-Sängerin und frühe Stimmakrobatin Jeanne Lee war im Kontext der vokalen Downtown-Musik von einigem Einfluss, ebenso wie der indische, in Downtown lebende Gesangslehrer Pandit Pran Nath.319

316 Vgl. Monk in Monk, Voegeli, Lutman, Gann, „Meredith Monk – American Mavericks“. 317 Vgl. La Barbara, „SoHo“, passim. 318 Vgl. ebd., passim. 319 Vgl. ebd., passim.; Johnson, Voice of New Music, passim., Programm „New Music, New York“, KA 02, passim.

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Abbildung 13: „Artists who are Scheduled to Appear or Have Appeared at the Live and Electronic Music Series“

Vasulka Kitchen Archive

Während Monk von Anfang an selbstkomponierte und -gesungene Musik in ihre bereits früh multimedial ausgerichteten Stücke integrierte, trat das Komponieren für ihre eigene Stimme erst im Verlauf der 1960er Jahre in den Vordergrund.320 Um 1970 begann sie, Solo-Konzertabende als Sängerin mit vorwiegend eigenen Stücken aufzuführen.321 Zur gleichen Zeit begann sie, die in ihrer Vokalmusik 320 Siehe Jowitt, „Introduction“, S. 10. 321 Siehe hierzu Kapitel III.2.2 „Monk als Vertreterin der vokalen Performancekunst“.

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der 1970er Jahre sehr präsente Orgel zu integrieren, die sie von einem Freund geschenkt bekommen hatte.322 Gewohnt, in Kollaborationen zu arbeiten, schrieb sie ab der zweiten Hälfte der 1970er Jahre auch für andere Sänger_innen.323 Bereits 1968 hatte sie mit „The House“ ihre eigene Performancegruppe gegründet, bestehend aus Menschen mit sehr unterschiedlichen Talenten und Hintergründen: Schauspieler_innen, Musiker_innen, Tänzer_innen, Maler_innen und Wissenschaftler_innen.324 Für die meisten von Monks größer angelegten Performances, etwa bei „Juice“ und „Vessel“, bildeten die Mitglieder von „The House“ das Kernensemble, das jeweils nach Bedarf durch weitere Teilnehmende vergrößert wurde. 1978 gründete Monk zusätzlich das „Meredith Monk & Vocal Ensemble“. Dies geschah unter anderem, da sie dadurch eine Möglichkeiten gegeben sah, über die Grenzen hinweggehen zu können, die ihr die Arbeit mit der eigenen Stimme, das heißt vor allem mit einer einzelnen Stimme, setzte. Die Arbeit mit einem Vokalensemble öffnete Möglichkeiten, die Experimente und erweiterten Stimmtechniken, die sie anhand ihrer eigenen Stimme begonnen hatte und entwickelte, in komplexeren Strukturen und Harmonien weiterzuführen. Als Vorläufer für die Gründung ihres Ensembles kann die Arbeit an ihrer Oper „Quarry“ (1976) verstanden werden. Hier brauchte sie, nach eigenen Angaben, erstmals Leute, die „tatsächlich singen“ konnten, sodass sie zum ersten Mal überhaupt ein Vorsingen organisierte: „I work with a company of people who have very particular talents and wonderful personalities on stage and have incredible spirit. But for this work, I also wanted to work with people who could really sing. I was being held back in terms of what I could do vocally, and even in terms of movement, on some level. So I finally got the nerve to audition for this chorus. I auditioned 175 people for the best singers and dancers I could get. And I want to continue working with them. It gives me resources that I need for my own growth.“325

Von den 27 Personen, die sie schließlich für den Chor auswählte, entschied sie sich für drei herausragende Sängerinnen, mit denen sie auch an der Ausarbeitung kleinerer Ensemblestücke arbeiten wollte: Andrea Goodman, Susan Kampe und Monica Solem.326 Mit Goodman und Solem bestritt sie dann beispielsweise das

322 Vgl. Jowitt, „Introduction“, S. 10; Monk in Bear „Invocation/Evocation“, S. 82. 323 Vgl. hierzu ausführlich Kapitel III. „Meredith Monks Vokale Performancekunst“. 324 Vgl. Werbezettel „Meredith Monk/The House“, MMA Box 15 Folder 12. (1973) 325 Monk in Bear, „Invocation/Evocation“, S. 92f. 326 Siehe Monk in Strickland, „Voices/Visions“, S. 143.

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Benefizkonzert in The Kitchen 1978.327 Zu Monks Ensemblemitgliedern der 1960er und 1970er Jahre gehörten des Weiteren u. a. Lanny Harrison, Daniel Ira Sverdlig, Monica Moseley, Mark Monstermaker, Signe Hammer, Blondell Cummings, Ping Chong, Coko Pekelis, Lee Nagrin, Ellen Fisher, Pablo Vela, Robert Een, Madelyn Lloyd, Mary Shultz, Tone Blevins und Gail Turner.328 Während ihre Ensembles Monk also die Möglichkeit gaben, ihre künstlerische Praxis zu erweitern, war sie immer auch selbst mit auf der Bühne und ist es bis heute. Sie arrangierte die gemeinsam improvisierten Elemente, komponierte die Musik und führte sie selbst mit auf, u. a. immer auch singend.329 Ihre Erfahrungen und Experimente mit der eigenen Stimme waren stets der Ausgangspunkt für die Zusammenarbeit mit anderen Sänger_innen. Selbst wenn sie, als sie begann, auch für andere Sänger_innen zu komponieren, dabei immer auch die Persönlichkeit und die Besonderheiten ihres jeweiligen Gegenübers im Blick hatte und sich darum bemühte, den individuellen Klang der einzelnen Stimmen zu erhalten, anstatt eine Reihe von Imitationen ihrer eigenen Stimme hervorzubringen.330 Gemeinsam mit ihren Ensembles wie auch in ihren Solo-Konzerten trat sie als VocalComposerPerformer auf. Der Typus des oder der ComposerPerformer wurde im Unterkapitel I.2 „Vokale Performancekunst. Kriterien der vokalen Performancekunst: VocalComposerPerformer“ bereits beschrieben. Die Verbindung des Typus mit Downtown beschrieb Laurie Anderson zum Anlass des Festivals „New Music, New York“ 1979 auf ihre unvergleichliche Art: „Later I was surprised to learn that this New Music America was noteworthy because […] it revealed that there were suddenly lots of people who were Composer Performers – people who actually performed their own music. Since we were also our own engineers, copyists, managers, and booking agents, performing our own music didn’t seem that startling (Bob Ashley, Phil Glass, and Meredith Monk had been doing this for years), but now there were lots of us, and we became a kind of movement.“331

327 Vgl. Postkarte „Meredith Monk. Vocal Works. January 24-27. The Kitchen“, MMA Box 16 Folder 6; „Program Notes“ in Programm „Benefit Concert. The Kitchen“, MMA Box 16 Folder 4. 328 Vgl. Besetzungsinformationen bei Monk „Digging for Quarry“, S. 73; Strickland, „Voices/Visions“; 143ff., Monk in Bear, „Invocation/Evocation“, S. 85; Koenig, „Meredith Monk: Performer-Creator“. 329 Vgl. hierzu auch die Kapitel II.2.3 „Künstlerische Praktiken in Downtown“ sowie III. „Meredith Monks vokale Performancekunst“. 330 Vgl. Monk in Strickland, „Voices/Visions“, S. 145. 331 Laurie Anderson, „I’m thinking back“, S. 37f.

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Tom Johnson kommentierte das erstarkende Phänomen etwas präziser: „There are probably more composers-performers today than ever before. Many composers have had traditional performing skills, but people like Paganini and Rachmaninoff, whose music really depended on their performance abilities, have been rare. Now one could make a long list of avant-garde composers who create works for their own unique performing styles. Joan La Barbara, Meredith Monk, Charlemagne Palestine, Terry Riley, and La Monte Young are a few obvious examples. The genesis of the performance art category had encouraged this phenomenon, as have other socioeconomic factors. But of course, there are also purely artistic reasons why musicians sometimes prefer to write for themselves instead of for other performers.“332

Johnson bindet das Phänomen „composer-performer“ an die Kategorie der „performance art“, welche er an anderer Stelle vor allem New York zuschreibt.333 Weber-Lucks erweitert den Begriff „ComposerPerformer“ zu „VocalComposerPerformer“,334 wobei ihre Begriffsbestimmung offensichtlich sehr nah an den vorangegangenen Bestimmungen orientiert ist. Somit bietet dieser Typus des oder der VocalComposerPerformer, an den die vokale Performancekunst stark gebunden ist, ein Indiz dafür, die vokale Performancekunst als ein genuines Downtown-Phänomen zu verstehen. Der Begriff VocalComposerPerformer bezeichnet also einerseits bestimmte Akteur_innen Downtowns. Andererseits verweist der Typus auf eine künstlerische Praxis, die die Prozesse des Erdenkens und Aufführens von Vokalmusik in einer Person zusammenführt. Das folgende Kapitel wird sich mit den unterschiedlichen künstlerischen Praktiken in Downtown New York auseinandersetzen.

II.2.3 K ÜNSTLERISCHE P RAKTIKEN IN D OWNTOWN Downtown-Praxis Das künstlerische Kräftefeld Downtown war geprägt und bestimmt von den Netzwerken seiner gegenkulturellen Räume und seiner Akteur_innen, der Künst-

332 Johnson, „Julius Eastman and Daniel Goode: Composers Become Performers“, October 25, 1976, in: ders., The Voice of New Music, S. 144. 333 Siehe Johnson, „New Forms of New Music“, 4. September 1978, in: ders., Voice of New Music, S. 190. 334 Vgl. Weber-Lucks, Körperstimmen, S. 7.

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ler_innen Downtowns. Diese Netzwerke waren ihrerseits bestimmt durch deren jeweilige Positionen und Beziehungen zueinander innerhalb des Feldes. Durch ihr kulturelles, soziales und symbolisches Kapital bzw. dessen Akkumulation blieben die Positionen und Beziehungen der Künstler_innen im Feld wandelbar. Laut Bourdieu ist das künstlerische Handeln oder die künstlerische Arbeit nicht losgelöst zu denken von eben jenen Positionen und Beziehungen der einzelnen Künstler_innen in diesem Beziehungssystem, dem künstlerischen Kräftefeld sowie den gemeinsamen Themen- und Problemfeldern und der ähnlichen Haltung bzw. dem ähnlichen Habitus seiner Akteur_innen. Um eine gewisse Sichtbarkeit und Anerkennung erlangen zu können, muss die künstlerische Arbeit an diese Kontexte anschlussfähig sein, welche sie also mit vorbestimmen. Allerdings kann das künstlerische Handeln in Wechselwirkung diese seinerseits beeinflussen und verändern. Die künstlerische Arbeit entsteht dabei immer in Relation zu allen anderen künstlerischen Arbeiten des Feldes, die ebenfalls durch diese Kontexte vorbestimmt sind. Marvin J. Taylor hält fest: „The value of Downtown works emanated from the symbolic capital Downtown artists received from their peers. Artists worked in multiple media, and collaborated, criticized, supported, and valued each other’s works in a way that was unprecedented. The new modes of art – whether installation, performance, or a host of others – opened new paths for all art to follow.“335

In Downtown bildete sich zwar kein von allen geteilter Stil oder eine gemeinsame Ästhetik heraus, dafür entstand jedoch auf Basis eines ähnlichen Habitus eine gemeinsame Haltung gegenüber Kunst, die sich in spezifischen Praktiken niederschlug. Diese zusammengefasst verstehe ich als Downtown-Praxis. „I was lucky. When I came to New York there was a kind of built-in audience of people who were very interested in artists that were exploring new things, so there was this interest in expanding possibilities, opening. It was a real period of this idea of change, that we were going to find new ways of doing things, and that we were going to risk everything, and that there was no norm. That was the time when I came to New York, and that was very very exciting. And that the sky is the limit. Anything you could think of was possible. There was a kind of built-in audience of kindred spirits, and in that’s been the audience that stayed with me all the years. So I was very fortunate to come at that time.“336

335 Taylor, „Playing the Field“, 2006. S. 31. 336 Monk in Monk, Voegeli, Lutman, Gann, „Meredith Monk – American Mavericks“.

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Monk benennt hier einige Kriterien, die neben anderen für eine DowntownPraxis bereits der frühen 1960er Jahre sowie für ihre eigene künstlerische Ausrichtung bestimmend waren: der Bruch mit Konventionen („idea of change“, „find new ways of doing“, „risk everything“), Innovationen („exploring new things“), Grenzüberschreitungen („expanding possibilities“, „the sky is the limit“) oder Gegenpositionen („no norm“). Mit diesen Kriterien sind ebenfalls prinzipielle avantgardistische Postulate angesprochen, die ich im vorangegangenen Kapitel in Anlehnung an Wilfried Raussert in Bezug auf die postmoderne Spezifik US-amerikanischer Avantgarden diskutiert habe.337 Während ich oben bereits auf einen Downtown-Bezug von Rausserts Ausführungen hingewiesen hatte, möchte ich im Folgenden die Kriterien einer Downtown-Praxis noch einmal genauer herausarbeiten. Anschließend werde ich anhand dieser Kriterien die Kunst- bzw. Praxisformen der Downtown-Musik und der vokalen Performancekunst als Downtown-Praxis darstellen. Downtown in den 1960er und 1970er Jahren kann als paradigmatisch für einen künstlerischen Avantgardismus der USA gelten, u. a. indem in besonderem Maße die von Raussert vorgenommenen Neu-Interpretationen der alten avantgardistischen Postulate den jeweiligen künstlerischen Praxisformen immanent waren. Die Postulate der Innovation, der Verbindung von Kunst und Leben sowie einer gesellschaftskritischen Haltung dienten auf unterschiedlichste Art und Weise den heterogenen Praxisformen Downtowns als Grundlage. Während Raussert die Idee der Innovation für die USA vor allem mit Individualismus und damit mit Heterogenität in Verbindung bringt, versteht er Heterogenität, d. h. vor allem auch einen Pluralismus an Gegendiskursen, darüber hinaus als potentielle Kritik an der Mehrheitsgesellschaft.338 U. a. Marvin J. Taylor betont, dass Downtown von Anfang an nicht als kohärente Bewegung definiert werden konnte, sondern von vielen sich teilweise überschneidenden, nebeneinander koexistierenden Kunstszenen geprägt wurde.339 Es existierten keine einheitlichen Traditionen, keine universelle Ästhetik oder leicht zu definierenden Genres. Eines der wesentlichen Merkmale des künstlerischen Kräftefelds Downtown, das habe ich bereits mehrfach herausgestellt, war gerade ein Pluralismus der künstlerischen 337 Siehe die Unterkapitel II.1.2 „Das kulturelle Kräftefeld als relationaler Raum. Das künstlerische Kräftefeld Downtown: postmodern und avantgardistisch“ sowie II.2.2 „Akteur_innen Downtowns. Heterogenität versus Homogenität des künstlerischen Kräftefelds Downtown“. 338 Vgl. Kapitel II.2.2 „Akteur_innen Downtowns. Heterogenität versus Homogenität des künstlerischen Kräftefelds Downtown“. 339 Siehe Taylor, „Playing the Field“, S. 21.

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Stile, Ansätze, Ästhetiken und Arbeitsweisen. Die Ausdifferenzierung fand sowohl auf der Ebene der Kunstformen statt, durch die Entstehung oder Etablierung von Kunstformen wie etwa Video oder Performancekunst,340 als auch auf der Ebene der individuellen Arbeitsweise der einzelnen Künstler_innen, die häufig durch eine sehr individuelle Vermischung der Kunstformen Gattungsgrenzen überschritten und sich eine neue, eigene Multimedialität schufen. Überspitzt formuliert, vertrat jede Künstlerin und jeder Künstler einen eigenen Ansatz, eine idiosynkratische Ästhetik, einen Individualstil. Eine repräsentative Darstellung all dieser unterschiedlichen Ansätze und Arbeitsweisen ist von daher bei den rund 5000 Künstler_innen, die Ende der 1970er Jahre allein in SoHo lebten, schier unmöglich, auch wenn das von Marvin J. Taylor herausgegebene „Downtown Book“341 einen guten Überblick über die unterschiedlichen Szenen bietet. Pointiert hatte ich bereits formuliert, dass gerade diese Heterogenität der Einflüsse, Ansätze, Kunstformen etc. ein verbindendes Element des künstlerischen Kräftefelds Downtown darstelle. Sowohl Raussert als auch Taylor bewerten die Heterogenität bzw. den Pluralismus als grundlegend postmodernes Merkmal, welches Raussert als spezifisch für die US-amerikanischen Avantgarden interpretiert, Taylor für die Szenen Downtowns.342 Die Interpretation Downtowns als „durch und durch postmodern“343 ist neben den individualistischen, heterogenen Ansätzen der künstlerischen Praktiken in Downtown ebenfalls festzumachen an fragmentarischen und eklektischen Arbeitsweisen. Die als postmoderne Praxis verstandene Rekombination von einzelnen Versatzstücken unterschiedlicher Medien, Kulturen oder inner- und außerkünstlerischer Bezüge ist laut Raussert wiederum vor allem auf die Kunstpraxis von John Cage zurückzuführen sowie auf dessen Einfluss auf die amerikanischen Avantgardekünstler_innen insbesondere der performativen Künste wie Happening, Fluxus oder Performancekunst.344 Trotz der für Downtown charakteristischen Uneinheitlichkeit in Bezug auf die künstlerischen Ansätze und Bezugspunkte lassen sich einige weitere Kriterien benennen, die die künstlerischen Handlungsweisen in Downtown neben dieser Heterogenität, dem unbedingten Individualismus und der fragmentarischen, 340 Vgl. ebd., S. 23. 341 Taylor (Hg.), The Downtown Book. 342 Vgl. Kapitel II.2.2 „Akteur_innen Downtowns. Heterogenität versus Homogenität des künstlerischen Kräftefelds Downtown“. 343 Taylor, „Playing the Field,“ S. 21. 344 Vgl. Raussert, „Verknüpfung von Interkulturalität und Intermedialität in der amerikanischen Avantgardekunst: John Cage“, in ders., Avantgarden in den USA, S. 82122, hier besonders S. 85. Vgl auch ders., Avantgarden in den USA, S. 38.

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eklektischen Arbeitsweisen verbinden und zu einer Downtown-Praxis zusammenfassen lassen. Die Kunstkritikerin RoseLee Goldberg bemerkte: „Downtown artists encouraged one another not to choose between disciplines. Composers, choreographers, architects, filmmakers, sculptors, and painters borrowed freely from various media. […] This generation of artists rejected the aestheticized art object, critiqued the meaning of art, and attempted to find ways to take their polemic concerns far away from the confines of the art gallery and the elaborate system that supported it. All of them, particularly the ones working ‚life‘, such as Meredith Monk or Robert Ashley, Joan Jonas or Robert Wilson, set their own terms. They found alternative venues for their work, recorded their own music, and made art especially designed as a vehicle for their varied talents. These artists simply could not think in terms of one discipline at a time.“345

Neben dem individualistischen Ansatz („set their own terms“) steht für Goldberg vor allem die Multimedialität im Zentrum. Diese fand in erster Linie in Form von grenzüberschreitenden Praktiken statt, d. h. in Anleihen aus benachbarten Kunstformen. Mit ihrem Hinweis darauf, dass sich die Künstler_innen Downtowns gegenseitig hierzu ermutigten, weist Goldberg zudem auf die Bedeutung der community, d. h. der freundschaftlichen Netzwerke Downtowns hin, welche die kollaborative und unterstützende Basis für jede_n Künstler_in bildete, auf der er oder sie sich frei ausprobieren und entwickeln konnte. Trotz der Betonung von Individualismus im künstlerischen Kräftefeld Downtown spielte also die Gemeinschaft ebenso eine ausschlaggebende Rolle, worauf u. a. auch die anfangs zitierte Aussage Monks verweist. Auch Alanna Heiss, Kuratorin in Downtown und u. a. Gründerin der Clocktower Gallery sowie des P.S. 1, betonte, als wie sozial sie Downtown in den 1970er Jahren im Vergleich zu anderen Orten erlebte: „Moving in trust with your community, where you could also eat and fall down with someone catching you. It was a motto of the Judson Church, and it became the motto of the art community.“346

Auch der Fotograf Tannenbaum erinnert sich: „Besides the overflowing creativity and experimentation, there was receptiveness to new ideas. There was a sense of community and sharing with others. There was a lack of greed or sense of entitlement. There was excitement, enthusiasm, and optimism.“347 345 RoseLee Goldberg, Laurie Anderson, S. 13. 346 Heiss in Anderson, Brown, Crawford u. a., „All Work, All Play“, S. 82.

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Der Stadtsoziologe Charles Simpson beschreibt noch einmal, wie stark diese Herausbildung einer community mit dem spezifischen Raum zusammenhing: „By providing a large and varied population of artists in a relatively compact area, SoHo has aided in the development and elaboration of support networks among artists. While these networks differ from those of the French impressionists and the abstract expressionists in that they are not primarily vehicles of an artistic movement, they do provide the environment of protection and stimulation that encourages individual experimentation and achievement.“348

U. a. William Duckworth und Monk sprechen zudem die Wahrnehmung davon an, dass dieses Gemeinschaftsgefühl Ende der 1970er Jahre langsam verloren ging: Duckworth: „That sense of a downtown community seems to have dissipated in the eighties.“ Monk: „I think that people have gone in their own directions. And in a sense, you can say that there’s a little bit more feeling of isolation[.]“349

Mit der Hervorhebung der Gemeinschaftlichkeit in Downtown einerseits und der gleichzeitigen Bedeutung individueller Ansätze, wie sie in der weiter oben zitierten Anmerkung RoseLee Goldbergs erneut betont wird, wird einmal mehr ein Spannungsfeld zwischen individueller und kollektiver Praxis aufgemacht, wie es sich in der Downtown-Praxis vielfach niederschlug. Der kollektive Aspekt zeichnete sich einerseits in Kollaborationen ab, etwa im gemeinsamen Betreiben alternativer Räume, in dem gemeinsamen Erarbeiten von Konzerten, Happenings, Performances usw. oder dem Mitarbeiten an den Konzerten, Happenings, Performances usw. von befreundeten Künstler_innen. Monk beispielsweise trat insbesondere in den 1960ern vielfach in den Happenings und Choreographien ihrer Fluxus- und Judson Church-Freund_innen auf oder arbeitete gemeinsam mit Künstler_innen wie Phoebe Neville, Kenneth King oder Ping Chong kollaborativ zusammen, bevor sie vornehmlich eigene Arbeiten entwarf, an denen andere Künstler_innen mitarbeiteten.350 Andererseits lassen sich kollektive Aspekte auch in Form des Einflusses festmachen, welchen die Künstler_innen aufeinander, auf die Netzwerke und Szenen bzw. welchen diese Szenen und Netzwerke 347 Tannenbaum, New York in the 70s, S. 7. 348 Simpson, SoHo, S. 110. 349 Duckworth, Monk in Duckworth, „Meredith Monk“, S. 362. 350 Vgl. hierzu Kapitel III.1.2 „Monk als Vertreterin der vokalen Performancekunst“.

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auf die einzelnen Künstler_innen hatten.351 RoseLee Goldberg stellt dies beispielsweise für die wegweisende Kollaboration zwischen Philip Glass und Robert Wilson, der prominenten Oper „Einstein on the Beach“ (1976), fest. Sie versteht diese als „a tally of the totality of inventions and influences of Downtown performers, including Meredith Monk, Robert Ashley, the Wooster Group, and Mabou Mines, those having nothing to do with the opera itself, but whose essential and pivotal work could be said to have provided touchstones for it.“352

Neben den Kriterien der Multimedialität, Grenzüberschreitung, der Heterogenität bzw. des Individualismus und der Gemeinschaftlichkeit spricht das einleitende Zitat Goldbergs weitere Merkmale einer Downtown-Praxis an: Die Aspekte der „Ablehnung des ästhetisierten Kunstobjekts“, der „Kritik an der Bedeutung von Kunst“ und der „Ablehnung elitärer Strukturen in Form von herkömmlichen Kunstgalerien und dem komplizierten Kunstsystem“ bezeichnen eine geteilte kritische Haltung von Downtown-Künstler_innen gegenüber der Hochkultur und eines mehrheitsgesellschaftlichen oder eines Kunst- und Kulturverständnisses des „l’art pour l’art“. Aus dieser Gegenposition entwickelten sie gegenkulturelle Ausdrucksformen und Praktiken: „The epithet ‚downtown‘ identified distinctly alternative styles not only in visual art but also in theater, performance art, dance, and even literary writing.“353 Als alternative Herangehensweise konnte die Ablehnung herkömmlicher Kunsträume gelten, aus der heraus die Downtown-Künstler_innen alternative Räume etablierten und nutzten, wie ausführlich beschrieben in Kapitel II.2.1 „Räume Downtowns“ und auch in Goldbergs Zitat explizit erwähnt. Wenn gerade im Kontext der performativen Künste der Bühne mit neuem Misstrauen begegnet wurde, so kann deren Ablehnung auch als Enthierarchisierung des Verhältnisses zwischen Publikum und Darstellenden verstanden werden.354 Auch Meredith Monk konzentrierte sich in ihren Performances der 1960er und 1970er 351 Vgl. Taylor, „Playing the Field“, S. 31. 352 Goldberg, „Art After Hours: Downtown Performance“, in The Downtown Book, S. 101. 353 Kostelanetz, SoHo, S. 57. 354 Vgl. hierzu die Unterhaltung zwischen den diskutierenden Künstlerinnen in Anderson, Brown, Crawford u. a., „All Work, All Play“, S. 80, in der es um die Schaffung weniger formaler Situationen durch die Vermeidung der klassischen Bühnensituation geht und um die zentrale Bedeutung der Ablehnung der Bühne für die künstlerische Praxis in Downtown.

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Jahre darauf, alternative Aufführungssituationen zu schaffen, in denen die klassische Bühne vermieden oder kritisch sichtbar gemacht und neue Beziehungen zwischen Publikum und Darstellenden geschaffen wurden.355 Auch die Aneignung von Räumen im Freien oder etwa des Straßenraums kann im Kontext der Nutzung alternativer Räume verstanden werden. Lucy Lippard beschreibt zahlreiche Kunstaktionen auf den Straßen Downtowns in den 1960er und 1970er Jahren, die sowohl von Frauen als auch Männern initiiert und durchgeführt wurden.356 Der urbane Raum wurde interventionistisch bespielt, gleichzeitig die Interaktion mit anderen Menschen angestrebt und forciert.357 Viele Frauen nutzten in ihren Performances öffentliche Plätze und die urbane Architektur expansiv und offensiv, etwa Trisha Brown in „Roof Piece“ (1973) oder „Woman Walking Down a Ladder“ (1973), Laurie Anderson in „Institutional Dream Series“ (1972), „Object/Objection/Objectivity“ (1973) oder „Duets on Ice“ (1974-75) oder Meredith Monk bspw. in „Juice. A Theatre Cantata“ (1969) oder in „Vessel – An Opera Epic“ (1971). Diese Aktionen im öffentlichen Raum bedeuteten eine klare (raumbezogene) Partizipation und damit auch eine größere Sichtbarkeit von Frauen und ihrem Handeln in Downtown als andernorts. Diese künstlerische Praxis von Frauen im öffentlichen Raum widerspricht zudem der von Martina Löw an anderer Stelle selbst hinterfragten These, derzufolge raumgreifendes, die Einbeziehung sozialer Güter bevorzugendes raumbezogenes Handeln eine primär männliche Handlungsstrategie sei.358 Moira Roth wies die Einbeziehung „echter Orte“ zudem als paradigmatisch für die Performancekunst aus.359 Eine derartige Sichtbarkeit räumlichen Handelns von Frauen könnte also auch einen Wandel entlang neuer ästhetischer Praktiken markieren.

355 Vgl. hierzu ausführlicher Kapitel III.1.2 „Monk als Vertreterin der vokalen Performancekunst“. 356 Siehe Lucy R. Lippard, „Geographie der Straßenzeit: über Kunst auf den Straßen Downtowns“. Allan Tannenbaum dokumentierte in den 1970er Jahren mit seinen Fotos Straßenkunst in SoHo, die sowohl „spontaneously broke out, while some – like SoHo Artists’ Day – were planned in advance and streets were officially closed.“ (Tannenbaum, New York in the 1970s, S. 82ff., hier S. 82) 357 Vgl. Lucy R. Lippard, „Geographie der Straßenzeit: über Kunst auf den Straßen Downtowns“, S. 182, 184. 358 Vgl. die von Löw herangezogene vergleichende Studie über das Raumverhalten von Mädchen und Jungen in Löw, „Geschlechtsspezifische Räume“, in: dies., Raumsoziologie, S. 246-254. 359 Vgl. Roth, „The Amazing Decade. Women and Performance Art in America (Essay)“, S. 18, 22.

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Das Beispiel „Vessel“ von Meredith Monk zeigt, inwiefern nicht allein die Tatsache, dass hier der öffentliche Raum von ihr bespielt wurde, gegenkulturelles Potential besaß, sondern dass auch die Art und Weise, wie sie sich den Raum zu eigen machte und ihn neu definierte, alternative Ansätze bot. Ihre eigene Raumkonstruktion, d. h. die im Kontext von „Vessel“ stattfindenden „Spacings“ und „Syntheseleistungen“, stellte eine alternative, verändernde Praxis dar: „Vessel“ fand 1971 an drei Orten in Downtown statt: bei Monk zu Hause im The House Loft (semi-privat), an dem Aufführungsort The Performing Garage (semi-öffentlich), und auf dem Wooster Parking Lot (urban, öffentlich). Deborah Jowitt erinnert sich, wie sie von einem Ort zum anderen wanderten, um sich die drei Teile der Musiktheaterperformance anzusehen. Dann, auf dem Parkplatz: „Suddenly, to our left, almost a block away and across West Broadway, the portico of a church lit up. There stood the performers identified with Joan’s three saints.“360 Das Publikum wurde durch den Stadtraum bewegt und schließlich auf dem Parkplatz platziert, die Performer_innen und das Licht hingegen in einer etwas entfernt liegenden aber sichtbaren Kirche. Diese Spacings wurden jedoch erst durch die Syntheseleistung der Zuschauer_innen zu einem zusammengehörigen Raum. Jowitt weiter: „People gasped, nudged neighbors to look. I still get goosebumps remembering the apparition of those distant figures outside the frame that had been established. […] In Vessel, by layering an imagined French past onto a very real church in her own neighborhood – a crumbling, nienteenth-century industrial district in Lower Manhattan – she not only brought legend closer to us; she expanded our definition of art to take in the entire visible landscape of sound and motion. I remember someone seriously wondering if the plane that flew over was on her payroll.“361

Löw betont, dass die Syntheseleistung es ermöglicht, „Ensembles von Gütern und Menschen zu einem Element zusammenzufassen.“362 Das Wissen darum, einer Performance beizuwohnen, ermöglichte es den Zuschauer_innen von „Vessel“, die Performer_innen, die Aktionen, die Musik, die Stimmen, das Publikum, das Parkdeck und die Kirche zu dem Element „Aufführungsraum“ zu verknüpfen. Und das obgleich laut Jowitt die auftauchenden Ereignisse und Platzierungen das Erwartete und Bekannte überstiegen. Die Performance musste sich also auf die Fähigkeit seines Publikums zur Syntheseleistung verlassen. Die Heraus360 Deborah Jowitt, „Meredith Monk. Introduction“, S. 1. 361 Ebd. 362 Martina Löw, „Die Konstitution von Raum“, S. 184. [Im Original mit Hervorhebung.]

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forderung dieser Fähigkeit zur Syntheseleistung mit ästhetischen Mitteln – der Einbeziehung räumlicher Elemente, die bis dato aus dem Wahrnehmungshorizont ausgeblendet waren – erweiterte in Rückkopplung die Definition dessen, was als Kunst(raum) wahrgenommen wurde, und zudem den (zukünftigen) Erwartungshorizont. Auch Flugzeuge wurden nun als mögliche Raumelemente wahrgenommen. Diese raumkonstituierende Handlung, die zugleich ästhetische Praxis ist, ist also als gegenkulturell, als verändernd und damit als Neues installierend zu verstehen. Zudem wirkte sie auch an der Raumkonstitution des Raums Downtown als gegenkultureller Raum mit. Im einleitenden Zitat Goldbergs wird die Ablehnung des Kunstobjekts durch die Downtown-Künstler_innen geltend gemacht. Indem sich Goldberg besonders auf Live-Arbeiten bezieht, hebt sie die Konzentration auf das Prozessuale hervor, auf den Moment des Machens von Kunst, auf den Moment der Aufführung. Ich hatte an anderer Stelle dargestellt, dass der Fokus auf prozessuale, ephemere Kunstpraktiken als potentiell feministisch verstanden werden kann, als Kritik an der androzentrischen Idee angeblicher Geschlossenheit und Autonomie, welche sich im geschlossenen Kunstwerk widerspiegelt.363 An gleicher Stelle hatte ich auch angemerkt, dass sowohl Frauen als auch Männer aus einer kunstmarktkritischen Haltung heraus sich „anti-object art forms“ und damit stärker performativ ausgerichteten Praxisformen zuwandten, um sich der warenorientierten dominanten Kunstwelt der 1960er Jahre entgegenzustellen.364 Downtown erweist sich als Raum, an dem sich die Hintergründe dieser Praktiken überschneiden. Oder anders gesagt: Die prozessualen, ephemeren Praktiken können sowohl als feministische als auch als Downtown-Praktiken verstanden werden. Diese kritische Haltung gegenüber dem Kunstmarkt ging zudem in eine prinzipiell anti-elitäre Haltung über. Diese äußerte sich vor allem in Form von Gegenpositionen zu der als elitär kritisierten so genannten Hochkultur. Als Praxisformen schlug sich diese anti-elitäre Gegenpositionierung u. a. nieder in Form der Einbeziehung von Alltäglichem, sei es die Verwendung von in den Trödelläden der Nachbarschaft gefundenen Materialien durch die Fluxus-Künstler_innen und ihren Nachfolger_innen in ihrer Kunst oder das Tragen von Alltagskleidung bei Auftritten oder Vernissagen.365 Auch die an Beliebtheit gewinnende Zusammenarbeit mit Nicht-Künstler_innen ist in diesen Kontexten zu verstehen. Jane Crawford erinnert sich, wie erstmals Trisha Brown von der Judson Church Company nichtprofessionelle Tänzer_innen mit professionell ausgebildeten Tänzer_innen in ihren Choreographien zusammenbrachte. „That gave painters and sculptors the 363 Vgl. Kapitel I.3 „Performancekunst und feministisches Bewusstsein“. 364 Vgl. ebd. Vgl. auch Wark, Radical Gestures, S. 18. 365 Vgl. u. a. Koch, „Betrachtungen über SoHo“, S. 126; Gann, Music Downtown, S. 5f.

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nerve to try it.“366 Auch Philip Glass besetzte dezidiert nicht professionelle Sänger_innen für seine Oper „Einstein on the Beach“.367 Monk besetzte in ihren großen Ensemblearbeiten der 1960er und 1970er Jahre ganze Familien.368 Mit Daniel Sverdlik hatte sie von früh an einen Dr. der Chemie in ihrem Ensemble, der zwar sichtbar nie eine tänzerische Ausbildung genossen hatte, sich nichtsdestotrotz, so Monk, „gut bewegen konnte“.369 Und Monk arbeitete lange, bis zur Gründung ihres Vokalensembles 1978, allein mit nicht-professionellen Sänger_innen zusammen. Diese Zusammenarbeit mit Nicht-Profis ist vergleichbar mit der Praxis in Downtown, sich als Künstler_in in Bereichen auszuprobieren, für die man selbst keine Expertise mitbrachte. Generell steckte dahinter ein Demokratisierungsgedanke der Kunstformen, wie es Goldberg an anderer Stelle in Bezug auf den Tanz formulierte: Wer gehen konnte, konnte tanzen.370 Erst ab 1980 wurde eine gewisse „Expertise“ in Downtown akzeptabel. Plötzlich war es „okay, in irgendetwas wirklich gut zu sein.“371 Was Goldberg im längeren Anfangszitat dieses Kapitels noch betonte, ist die Tatsache, dass die Künstler_innen Downtowns „set their own terms,“ dass sie eine Kunst machten, die speziell auf ihre eigenen Talente zugeschnitten war. Auch dieser Bezug der Künstler_innen auf sich selbst, auf die eigenen Kompetenzen und Vorlieben, spricht nicht allein den für eine Downtown-Praxis bestimmenden spezifischen Individualismus an, sondern bestärkte ebenso die avantgardistische Verbindung von Leben und Kunst, wie es die Bezüge zur Alltagskultur taten. Dieser Selbstbezug erinnert ferner ebenfalls an die feministische Praxis der autobiographischen Themensetzung. Entfernt ergibt sich dadurch eine weitere Verbindung zwischen feministischer und Downtown-Praxis. Abschließend liste ich noch einmal die soeben gesammelten Kriterien auf, die in ihrer Anhäufung – ohne dass in jedem Einzelfall jedes der Kriterien erfüllt sein muss – eine Downtown-Praxis definieren. Die Downtown-Praxis ist heterogen, individualistisch, pluralistisch, fragmentarisch, eklektisch, anti-elitär, multimedial, grenzüberschreitend, sie nutzt alternative Räume, verwendet prozessuale Formen in Ablehnung eines verwertbaren Kunstobjekts, sie integriert Bezüge zum Alltag, integriert persönliche Bezüge zu der bzw. dem ausführenden Künstler_in, sie fördert die Zusammenarbeit mit Personen, die keine professionell aus366 Crawford in Anderson, Brown, Crawford u. a., „All Work, All Play“, S. 80. 367 Siehe La Barbara, „SoHo“, S. 266. 368 Vgl. Monk, zitiert in Kostelanetz, SoHo, S. 126. 369 Vgl. Monk in Koenig, „Performer-Creator“, S. 53. 370 Vgl. Goldberg in Anderson, Brown, Crawford u. a., „All Work, All Play“, S. 90. 371 Vgl. ebd.

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gebildeten Künstler_innen oder Musiker_innen sind, sowie das Experimentieren und Sich-Ausprobieren in Bereichen, für die keine Expertise mitgebracht wird. Downtown-Musik Neben den vielfältigen Kunstformen wie Video, Performancekunst, Fotografie, Bildhauerei usw. spielte selbstverständlich auch Musik eine wichtige Rolle in Downtown. Im Folgenden werde ich nachzeichnen, wie Downtown-Musik sich definieren und inwiefern sie sich als eine Downtown-Praxis interpretieren lässt. Dabei beziehe ich mich auf meinen Untersuchungszeitraum 1964-1979, in dem Downtown-Musik noch als gegenkulturelle Praxis zu verstehen ist. Heute versteht Kyle Gann hingegen unter dem Begriff „Downtown music“ eine „major subdivision of American music“.372 Monk beschreibt ihre Einschätzung der Musikszene Downtowns in der Zeit, in der sie dazustieß, Mitte der 1960er Jahre, folgendermaßen: „The mid-60s in New York were heady times. In music there were two sensibilites and groups: uptown and downtown, at odds with each other. The uptown composers were either following the 12-tone or electronic music tradition or the American folk inspired music of the 30s and 40s. In the downtown world, music could be almost anything. There were explosive discoveries in jazz, alleatoric or improvised music, tape compositions, events. I was welcomed by a generation of composer/artists who had been in John Cage’s composition classes at the New School. A piece of music could be the sound of someone jumping on an upright piano (on its side) until it fell apart, to the sound of sand shifting (with contact microphones underneath it), to a walk around the block noting all the sounds of the city. This ‚anything is possible‘ attitude was enormously liberating and affirming for me.“373

Monks Erinnerungen unterstreichen zum einen die Opposition von DowntownMusik zur Uptown-Musik und zum anderen die extreme Ausdifferenzierung musikalischer Möglichkeiten in Downtown. Die Opposition zu Uptown war gleichermaßen Teil des Selbstverständnisses der Downtown-Musik als auch genuiner Grund für die Verwendung des Begriffs: Der Begriff „Downtown“ wurde in Verbindung mit Künstler_innen, die südlich der 14ten Strasse lebten,374 laut 372 Gann, Downtown Music. 373 Meredith Monk, „Untitled Essay about New York“ (1998), MMA Box 26 Folder 17. 374 Die geographischen Grenzen Downtowns waren nie als starr und rigide zu verstehen. Kyle Gann etwa erweitert die gängige nördliche Grenze Downtowns kurzerhand von der 14th zur 20th Street, nachdem The Kitchen in den1980er Jahren in die

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Marvin Taylor erstmals in den späten 1950er Jahren verwendet, und zwar in direkter Referenz zu Arbeiten von dem dort lebenden John Cage. Über den Begriff sollte eine Abgrenzung von dessen Kompositionsstil gegenüber den Arbeiten traditionellerer Komponist_innen Uptowns an der Columbia University vorgenommen werden.375 Die Verwendung des Begriffs als Abgrenzung ist entscheidend. Gann differenziert sie weiter aus in eine Unterscheidung von Uptown, Midtown und Downtown:376 Mit Uptown identifiziert er eine akademische, institutionell und finanziell gut geförderte und stark an der europäischen Musiktradition bzw. dem Serialismus orientierte Avantgardemusik, die von DowntownMusiker_innen als elitär und „upper-class“ wahrgenommen wurde. Der Ort, mit dem er Uptown-Musik assoziiert, ist die Columbia University (West 110th-120th Street). Als führende Vertreter nennt Gann Milton Babbitt, Elliott Carter, Roger Sessions, Donald Martino, Mario Davidovsky, Charles Wuorinen und Leon Kirchner.377 Midtown, assoziiert mit Orten wie der Juilliard School (West 66th 19th Street umgezogen war (vgl. Gann, Breaking the Chain Letter, 1). Auch René Block wies auf die Absurdität strikter Grenzziehungen entlang topographischer Linien wie einzelner Straßenzügen hin, zu denen er sich allerdings gezwungen sah, um 1976 eine überschaubare Ausstellung über Kunst in bzw. aus SoHo organisieren zu können (vgl. Block, „Planquadrat SoHo“, S. 8). Ähnlich dieser Relativierung strikter, im Grunde arbiträrer bzw. konstruierter Grenzziehungen kann auch der Begriff „Downtown“, der sich zwar auf Kunst bzw. Musik, die mit diesem künstlerischen Kräftefeld und somit auch mit dem Raum und Ort assoziierbar sind, bezieht, diese raumbezogenen Grenzen sprengen. Dies gilt allemal, bezieht man den Begriff stärker auf eine künstlerische Haltung. Diese raumbezogene Variabilität oder Offenheit erweitert die räumlichen Kontexte Downtowns, wie es ein Zitat Ganns deutlich macht: „But while ‚Downtown‘ music refers to music that gets played in downtown Manhattan, not all of that music comes from New York.“ (Gann, Breaking the Chain Letter, 1) 375 Taylor hat diese Informationen aus einem Gespräch mit dem Künstler und Downtown-Bewohner Richard Kostelanetz, siehe Marvin J. Taylor, „Playing the Field“, S. 18. 376 Vgl. hier und folgend Gann, „Introduction. The Importance of Being Downtown“, in: ders., Music downtown, S. 1-15. Bernard Gendron beschreibt ferner, dass bis in die 1950er Jahre die Binarität Downtown-Uptown in Bezug auf Musik in New York City bei weitem instabiler war und die Bezeichnungen Downtown und Uptown viel flexibler verwendet wurden (siehe Gendron, „The Downtown Music Scene“, Anm. 1, S. 65). 377 Vgl. auch: „[B]ut actually their music became the musical culture of academia, with its own concerts, stable of expert performers, and well-funded support system. An

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Street) und dem Lincoln Center (West 65th Street), steht für eine der europäischen Musik des 19. Jahrhunderts vergleichbare Musik. Ihre Vertreter_innen, darunter John Corigliano, Joan Tower, John Harbinson, William Bolcom, Christopher Rouse, Ellen Taaffe Zwilich, Stephen Albert, Joseph Schwantner und der späte John Adams, komponieren Symphonien und Konzerte, Orchester- und Kammermusik.378 Downtown hingegen ist in erster Linie ex negativo als Gegenhaltung gegen die „formality and the implied upper-class status“379 der Midtown und Uptown Musik zu verstehen. Zwar teilten Downtown-Musiker_innen mit den Uptown Komponist_innen „the felt necessity to flee from mass culture“,380 doch lehnten sie deren elitäre, formelle Haltung sowie die mit Uptown-Musik assoziierte kompositorisch-musikalisch strenge Formalisierung und Regulierung ab und entwickelten mit ihrer eigenen musikalischen Praxis eine fruchtbare Gegenposition. Zu dieser musikalischen Praxis gehörte Kyle Gann zufolge z. B. mehr Raum für Publikumspartizipation, Adeterminiertheit, improvisatorische Elemente, starke Simplifizierung sowie ein ernsthafter Dialog mit nichtwestlicher Musik.381 Ein weiterer starker Bezugspunkt für die Musikpraxis in Downtown war das Verständnis von Musik als in den Alltag integriert. Downtown-Komponist_innen arbeiteten mit Material aus ihrem persönlichen Umfeld und ihrer Alltagserfahrung anstatt sich an einer europäischen Tradition „abzuarbeiten“.382 Die von Gann genannten Kriterien machen die Downtown-Musik anschlussfähig an die Definition einer Downtown-Praxis, indem sie Alltagsbezüge und damit auch Referenzen zur eigenen Person integriert, heterogene Einflüsse erlaubt, indem sie sich anti-elitär gibt, musikalische Offenheit anstatt Geschlossenheit und damit prozessorientierte Arbeitsweisen einräumt und die Abwesenheit von Expertise erlaubt. Die Gegnerschaft zu Uptown bzw. Uptown und Midtown als Definitionsmerkmal der Downtown-Musik bedeutete keine einheitliche, etwa stilistisch, ästhetisch oder formal eindeutig zu definierende Gegenposition. Downtown-Musik

endless supply of students made academic musical culture self-propagating, ensuring its survival for many decades hence. (One could quote Chomsky: ‚Institutions of dominance have a nice way of reproducing themselves.‘)“ (Gann, Music Downtown, S. 3. [Hervorhebung im Original.]) 378 Vgl. Gann, Music Downtown, S. 2. 379 Ebd., S. 4. 380 Ebd. 381 Siehe Gendron, „Downtown Music Scene“, S. 42. 382 Vgl. Gann, Music Downtown, S. 5f. Dieses Selbstverständnis brachte sich u. a. auch in der informellen Kleidung bei Aufführungen zum Ausdruck. (Vgl. ebd.)

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„could be anything“,383 wie es auch Kyle Gann ähnlich wie Monk beschreibt. Somit lag auch der Downtown-Musik, wie der Downtown-Praxis generell, eine charakteristische Heterogenität zugrunde. Diese Heterogenität äußerte sich u. a. in einer Aufsplittung in unterschiedliche musikalische Richtungen, wie es auch Monk in ihren anfangs zitierten Erinnerungen beschreibt. Die Musikautoren Bernard Gendron, Kyle Gann und Tom Johnson versuchen sich jeweils in einer Kategorisierung der musikalischen Heterogenität in Downtown: Gendron unterscheidet in seinem Artikel „The Downtown Music Scene“ drei wesentliche Hauptstränge der „Downtown Music“ in den 1970ern, den „Loft Jazz“, „Punk“ bzw. „New Wave“ sowie „experimental post-Cagean music“.384 Trotz dieser recht klaren Trennung gab es selbstverständlich auch hier personale, räumliche, stilistische und formale Überschneidungen. Sowohl Kyle Gann als auch Tom Johnson, die beide zu unterschiedlichen Zeiten für die Village Voice Musikrezensionen geschrieben haben, beziehen sich in ihren Kategorisierungsversuchen der Downtown-Musik ausschließlich auf die letzte Kategorie Gendrons, die dieser „experimental post-Cagean“ nennt, die aber auch mit Begriffen wie „classic musical avant-garde tradition“,385 „experimental music“,386 „new music“387 oder eben einfach „Downtown music“388 bezeichnet wurde.

383 Ebd., S. xvii. 384 Bernard Gendron, „The Downtown Music Scene“, S. 41. 385 Ebd., S. 47. 386 Vgl. Gann, Downtown Music. 387 Durch den Titel des 1979 in The Kitchen veranstalteten Festivals „New Music, New York“ verbreitete sich eine neue Bezeichnung für die dargebotene Musik: „new music“ (Gann, American Music in the Twentieth Century, S. 155). Tim Lawrence beschreibt, dass diese Bezeichnung lediglich einen Trend bzw. einen Spitznamen aufgriff, der bereits das ganze Jahrzehnt über in Umlauf gewesen war. Seit 1970 hatte das Lincoln Center die Serie „New and Newer Music“ veranstaltet, die Komponisten wie Luciano Berio, Pierre Boulez und Karlheinz Stockhausen präsentierte. Zeitgleich begannen Komponist_innen der University of California in San Diego den Begriff für ihre tonale Abkehr vom Serialismus zu verwenden. Diese widersprüchliche Verwendung des Begriffs setzte sich fort mit einer Studie Reginald Smith Brindles, „The New Music“, über Boulez, John Cage, Stockhausen und Morton Feldman, während Peter Gordon den Begriff „new music“ parallel in einer Rezension über Jonathan Richmans Modern Lovers verwendete (Larence, Hold on to Your Dreams, S. 181). Der Begriff hielt sich viele Jahre für die Zeit, in denen das „New Music America Festival“, von dem „New Music, New York“ das allererste gewesen war, veran-

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Gann identifiziert folgende einzelne Bewegungen oder Richtungen der Downtown-Musik:389 Der „Conceptualism“ wurde laut Gann anfangs vor allem vertreten durch die Fluxus-Künstler_innen, die verbale Instruktionen und Konzepte schrieben, später besser bekannt als „the short form“. Eine zentrale Vertreterin dieser Richtung ist Yoko Ono, ihr 1964 erstmals erschienenes „Grapefruit. A Book of Instructions and Drawings by Yoko Ono“390 ist hierfür paradigmatisch. Für den „Minimalism“ oder die „Minimal music“ benennt Gann die Repetition kleiner musikalischer Phrasen, eine gleichbleibende oder nur leicht variierte Harmonie und einen gleichmäßigen, pulsierenden Rhythmus als charakteristisch. Als Vertreter nennt Gann etwa La Monte Young, Steve Reich, Philip Glass, Charlemagne Palestine und Phill Niblock. In seinem Buch „American Music“ widmet Gann unter dem Oberkapitel „Minimalism“ auch Meredith Monk ein Kapitel und ordnet ihre Musik damit in diese Kategorie ein.391 Auch wenn die beschriebenen Charakteristika prinzipiell auf Monks Musik zutreffen, hat sich Monk einer Zuschreibung zu dieser feststehenden Musikrichtung stets erwehrt.392 Auch gibt sie an, Steve Reich und Phil Glass bis ca. 1970 nicht gekannt zu haben. Allerdings habe sie in der Mitte der 1960er Jahre ein Drone-Stück von La Monte Young gehört, welches sie sehr beeindruckt habe.393 Gann definiert noch weitere Richtungen der Downtown-Musik, neben bspw. „Art Rock“, „Experimental Rock“, „Free Improvisation“, „Postminimalism“, „Totalism“, elektronischer Musik oder Klanginstallation auch die „Performance Art“. Diese benennt er als „konzeptausgerichtete Soloperformance“. Er sieht in Laurie Anderson die erste Vertreterin dieser Performancekunst.394 Dafür ist es meines Erachtens allerdings nicht ganz plausibel, neben Anderson nicht auch beispielsweise Yoko Ono, Meredith Monk oder Joan La Barbara als Vertreterinstaltet wurde (1979-1990), konnte sich jedoch darüber hinaus laut Kyle Gann nicht halten. 388 Vgl. Gann, Downtown Music. 389 Vgl. folgend ebd. und ders., Music Downtown, S. 11f. Diese Auflistung versteht auch Gann nicht als umfassend, sie benennt aber einige bedeutende Richtungen der Downtown-Musik. 390 Yoko Ono, Grapefruit, 2000. 391 Siehe Gann, „Meredith Monk“, in ders., American music, S. 208-217. 392 Vgl. z. B. AHF 11 „Interview with Meredith Monk and Jamake Highwater (fellow artist)“, CD 483a oder auch Jowitt, „Introduction“, S. 12. 393 Vgl. Monk in Duckworth, „Meredith Monk“, S. 362. 394 Siehe auch Kapitel I.2 „Vokale Performancekunst. Kriterien der vokalen Performancekunst: Ein Aufführungstypus im Stile der Performancekunst“.

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nen dieser Richtung zu verstehen. Vokalmusik taucht bei Gann nicht als eigene Richtung der Downtown-Musik auf. Das ergibt insofern Sinn, als dass vokalmusikalische Elemente schließlich in den unterschiedlichsten Richtungen der von ihm unterschiedenen Downtown-Musik wie etwa der Performance Art, dem Art Rock oder der Konzeptkunst eingesetzt und dabei eher im Sinne eines Instruments oder einer Klangfarbe gedacht werden können anstatt als eine eigene Gattung. Allerdings bemerkte Gann selbst an anderer Stelle, wie bereits in Kapitel I.2 „Vokale Performancekunst“ zitiert, dass in Downtown „the following composers make music based on using their own voices and usually bodies: Meredith Monk, Pauline Oliveros, Diamanda Galás, Laurie Anderson, Eve Beglarian, Elise Kermani, Joan LaBarbara, Shelley Hirsch, Pamela Z, Brenda Hutchinson, Maria de Alvear, Linda Fisher, Bonnie Barnett, Christine Baczewska, Lynn Book, Barbara Golden, Toby Twining, David Moss, and David Garland.“395

Auch wenn sich diese Auflistung nicht allein auf die 1960er und 1970er Jahre bezieht, so macht sie doch deutlich, dass in Downtown eine nicht unerhebliche Anzahl von Komponist_innen, darunter vorwiegend Frauen, mit ihren Stimmen und Körpern arbeiteten. Diese Merkmale reichen bereits in die Definition der vokalen Performancekunst durch Theda Weber-Lucks hinein. Auch wenn sie diese nicht als Downtown-Musik identifiziert, so sind doch ein Großteil der Komponist_innen, die sie als wichtige Vertreter_innen dieser Gattung benennt, Downtown-Musiker_innen und tauchten nicht überraschend auch in Ganns Aufzählung auf: Meredith Monk, Laurie Anderson, Joan LaBarbara, Dimanda Galás, Shelley Hirsch, Pamela Z oder David Moss.396 Es ist also offensichtlich plausibel, die vokale Performancekunst als Richtung der Downtown-Musik mit einzuführen.397 Tom Johnson unterschied bereits 1978 aus der zeitgenössischen Beobachtung der musikalischen Szenen als Komponist und Musikrezensent heraus unterschiedliche „New Forms for New Music“.398 Von diesen ordnete er, wie bereits gezeigt, eine Form explizit dem Raum New York und einer Entstehungsphase um 1970 zu: die „performance-art form“. Neben dieser Form identifizierte Johnson des Weiteren die „post-Webern form“, die „multi-media form“, die „perfor395 Gann, „What Women’s Music Does, or Doesn’t, Mean“. 396 Vgl. Weber-Lucks, Körperstimmen, S. 7. 397 Siehe hierzu auch folgendes Unterkapitel II.2.3 „Künstlerische Praktiken in Downtown. Vokale Performancekunst in Downtown“. 398 Johnson, „New Forms for New Music“, 4. September 1979, in: ders. Voice of New Music, S. 190.

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mer-and-tape form“, die „hypnotic form“ und die Form des „sound poem“ als zeitgenössische Formen Neuer Musik.399 Johnsons Definition der „performanceart form“, welche ja den gleichen Namen wie die von Gann identifizierte Musikrichtung Downtowns trägt, fällt etwas anders aus als die Ganns. Johnson stellt vor allem den Aspekt in den Mittelpunkt, dass die Arbeiten der „performance-art form“ von den „composer-artists“ selbst aufgeführt werden, und zwar mit ausgeprägtem künstlerischen Können, meist in Form stimmlicher Fähigkeiten, was diese Arbeiten höchst individualistisch macht, d. h. sie sind allein auf die Fähigkeiten der aufführenden Künstler_innen zugeschnitten. Er betont auch, dass die Arbeiten der „performance-art form“ eine inhaltliche Ausrichtung haben, und zwar beispielsweise autobiographisch, konzeptuell bis frivol humoristisch sind. Ferner bemerkt er, dass die Arbeiten häufig in Galerien oder Museen, d. h. nicht vor einem rein musikalischen Publikum aufgeführt werden.400 Zwar stellt Johnson mit seiner Definition der „performance-art form“ ein besonderes Können der Darstellenden in den Vordergrund, welches dem Aspekt der Downtown-Praxis der „mangelnden Expertise“ einerseits widerspricht, andererseits knüpft er dieses an einen ausgeprägten Individualismus, demzufolge es nicht um das Beherrschen traditioneller Techniken als vielmehr um den Bezug auf die eigenen Fähigkeiten geht. Dieser Aspekt der individualistischen oder idiosynkratischen Ausrichtung entspricht der Definition der Downtown-Praxis und verwirklicht sich hier insbesondere in Form der Personalunion von Komponist_in und Interpret_in. Die Betonung vor allem vokaler Fähigkeiten erinnert dabei wiederum an die Definitionskriterien der vokalen Performancekunst von Weber-Lucks. In einer anderen Rezension versuchte sich Johnson an einer detaillierteren Kriteriensammlung für die musikalischen Phänomene in Downtown, d. h. weniger an einer Einteilung in unterschiedliche Formen oder Richtungen als vielmehr an der Benennung einzelner Kriterien, die diese sehr heterogenen Phänomene gemeinsam hatten. Es handelt sich um seine Rezension „New Music New York New Institution“ des Festivals „New Music, New York“ in The Kitchen im Sommer 1979,401 welches ich als Endpunkt meines Untersuchungszeitraums setze.402 Das Festival präsentierte erstmals gebündelt Downtown-Musik und stellte

399 Siehe ebd. 400 Vgl. ebd. 401 Johnson, „New Music New York New Institution“, 2. Juli 1979, in: ders., Voice of New Music, S. 223-226. 402 Siehe dazu das folgende Unterkapitel II.2.3 „Künstlerische Praktiken in Downtown. Downtown-Musik auf dem Festival ‚New Music, New York‘ 1979 – Das Ende einer Ära“.

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sie gewissermaßen als neue Musikrichtung in Amerika vor. Diese Zusammenführung beobachtete Laurie Anderson mit dem ihr eignen Humor: „I especially remember New Music America in 1979 (New Music, New York), which was mostly at The Kitchen. […] The night I played I remember that all the other performers were wearing all black and we all had our hair slicked back with the same kind of grease, and I thought: ‚This is it! We’re the New Music Mafia, and we’re going to take over the world. Just as an experiment.‘“403

Da sich dieses Festival bemühte, erstmals einen repräsentativen Querschnitt der musikalischen Stile vorzustellen, die sich im vorangegangen Jahrzehnt in Downtown entwickelt hatten,404 können die von Johnson herausgearbeiteten Kriterien rückblickend für eine Einschätzung von eben jenen herangezogen werden. Während die meisten Besucher_innen des Festivals irgendwann „the search for any unity or cohesiveness in the genre“ aufgaben, wurde Tom Johnsons diesbezüglich doch noch fündig mit folgenden Kriterien: „None of the works here climaxed in anything like the usual sense. None involved a dialectic between two opposing sets of material. The vast preponderance of the work was tonal or modal rather than atonal. Most of the works involved elementary performance skills, and only a few could be considered virtuoso pieces in the usual practice-five-hoursa-day sense. Most of the pieces were not notated on conventional music staves, and often could not have been, due to the nature of the materials. In almost all cases the composers performed their own works.“405

Diese Kriterien stimmen weitestgehend mit den bereits herausgearbeiteten Aspekten einer Downtown-Praxis überein: Die Praxis, nicht mit höhepunktorientierten, harmonischen oder themenkontrastierenden Entwicklungen zu arbeiten, sieht Johnson selbst begründet in nicht-westlichen Einflüssen, da diese stark mit westlicher Kunstmusiktradition zu assoziieren sind.406 Somit steht diese Praxis 403 Laurie Anderson, „I’m thinking back“ 1992, S. 37f. [Hervorhebung im Original.] 404 Vgl. u. a. Gann, American Music in the Twentieth Century, S. 155; Charles Ward, „Very wide umbrella for ‚New Music, New York‘“, S. 13; Johnson, „New Music New York New Institution“, 2. Juli 1979, in: ders., Voice of New Music, S. 223-226; Gann, Downtown Music. 405 Tom Johnson, „New Music New York New Institution“, 2. Juli 1979, in: ders. The Voice of New Music, S. 223-226, hier: S. 225f. 406 Siehe Johnson, „Music for the Planet Earth“, 4. Januar 1973, in: ders., The Voice of New Music, S. 35.

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einerseits für eine Heterogenität an Bezügen, andererseits kann sie als eine Gegenposition zu eben jenen Traditionen gelesen werden. Die Praxis, nicht atonal, sondern eher tonal oder modal zu komponieren, ist u. a. eine klare Gegenposition zur akademischen Neuen Musik Uptowns, die damals noch stark dem Serialismus bzw. dem freitonalen Erbe der Zweiten Wiener Schule verpflichtet war, und bedeutete möglicherweise eine größere Anschlussfähigkeit für ein musikalisch nicht geschultes Publikum, quasi für „Nicht-Expert_innen“. Ähnliches gilt für das Kriterium der Abwesenheit von Virtuosentum, das keiner Expert_innen traditioneller Techniken bedarf. Wie auch durch das Kriterium, dass die Musik in der Regel nicht notierbar war, wird damit der Schwerpunkt auf das musikalische Handeln, das Musik-Machen gesetzt. Der Moment und das gemeinsame Erleben der Ausführung zählen mehr als die Expertise, die technische Versiertheit oder das fixierte musikalische Kunstwerk. Die Gründe für die Ablehnung von Notation sah Yoko Ono in einer stärkeren Orientierung an der Klanglichkeit begründet, wie sie sich in dieser Form bereits in den frühen 1960ern durchsetzte: „Yoko has a theory about all these radical young music makers showing up in downtown Manhattan just as the Sixties were dawning: disparate as they were, they shared a dissatisfaction with the impossibility of notating on musical staff paper the sounds they heard in their heads. ‚You can’t translate the more complex sounds into notation,‘ says Yoko. ‚The minute you do notate it and someone plays what you’ve written, the sound becomes totally different. I wanted to capture the sounds I’d heard of birds singing in the woods, things like that. And I think the reason all these artists came to New York and got together at this time was that all of them had this dissatisfaction about just writing musical notes. They were venturing into a different area, and that’s why we all got together.‘“407

Und das Kriterium schließlich, dass die Komponist_innen in den meisten Fällen ihre eigene Musik aufführten, beschreibt erneut den Typus des oder der CompserPerformer. Downtown wurde in diesem Kapitel II. „Das kulturelle Kräftefeld Downtown“ als spezifischer Ort, als sozialer, relationaler Raum und Netzwerkstruktur, als künstlerisches Kräftefeld, als Haltung und schließlich als eine spezifische Praxisform beschrieben. Kyle Gann schrieb: „I could say Downtown is a state of mind, but musicologically speaking, it’s actually a rather well-defined performance practice.“408 407 Palmer, Onobox, 1992. Siehe auch Ono in Obrist. 408 Gann, Breaking the Chain Letter, 1.

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Diese Definition der Downtown-Musik als „performance practice“, also als Aufführungspraxis, ist entscheidend. Es geht hier in erster Linie darum, wie Musik gedacht und gemacht wurde. Anhand der dargestellten Kriterien lässt sich an dieser Stelle explizit festhalten: Downtown-Musik ist eine Downtown-Praxis. Vokale Performancekunst in Downtown Inwiefern ist nun also die vokale Performancekunst als Downtown-Musik und somit als Downtown-Praxis zu verstehen? Noch einmal an einige der Kriterien erinnernd, die in Kapitel I.2 „Vokale Performancekunst“ anhand der Definition von Weber-Lucks dargestellt wurden – ein individueller Vokalstil; erweiterte Gesangstechniken, d. h. die Einbeziehung heterogener Bezüge und das Hinausgehen über traditionelle Gesangstechniken; die Realisation der Aufführung als VocalComposerPerformer in Personalunion; ein Aufführungstypus im Stile der Performancekunst, d. h. u. a. eine die Grenzen einzelner Kunstformen überschreitende, multimediale Aufführungsform – wird es sehr deutlich, dass diese Kriterien anschlussfähig sind an die Definitionen einer Downtown-Praxis bzw. der Downtown-Musik. Da sich somit kaum die Frage danach stellt, ob die vokale Performancekunst als Downtown-Praxis und Downtown-Musik gelten kann, denn das tut sie offensichtlich, gilt es vielmehr, an dieser Stelle nochmals hervorzuheben, inwiefern die vokale Performancekunst als Praxisform in den Downtown-Kontext eingebettet war. Da Weber-Lucks die vokale Performancekunst primär auf einige wenige Personen bezieht, deren grundsätzliche Assoziierbarkeit mit Downtown ich bereits herausgestellt habe, möchte ich diese hier in den Kontext anderer Künstler_innen und Musiker_innen stellen, die durch ihre vokalmusikalische Praxis das künstlerische Feld hergestellt haben, innerhalb dessen sich die vokale Performancekunst formieren konnte. Wie bereits in Kapitel II.2.2 „Akteur_innen Downtowns. Monk und andere Stimmexpert_innen in Downtown“ angedeutet, war Monk keinesfalls die einzige Künstlerin in Downtown, die grenzüberschreitend und idiosynkratisch mit ihrer Stimme experimentierte. Zwar betonte sie selbst, dass sie zumindest zu Anfang niemand anderes kannte, die oder der auf ähnliche Weise mit der Stimme arbeitete wie sie selbst.409 Definitiv war Monk mit ihren Vokalexperimenten eine Pionierin, selbst im künstlerischen Kräftefeld Downtown. Dies gilt insbesondere für die zweite Hälfte der 1960er Jahre, in der sie begann, mit ihrer Stimme zu expe409 Vgl. Monk in Monk, Voegeli, Lutman, Gann, „Meredith Monk – American Mavericks“. An anderer Stelle sagte sie auch: „Sometimes, when I’m depressed, I don’t feel there’s any tradition to what I do other than myself.‘“ (Monk zitiert in Sid Smith, „After three decades, her performance is still art“.)

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rimentieren, wenngleich beispielsweise Yoko Ono bereits in den frühen 1960ern begonnen hatte, mit verstörenden Urschrei-Performances die Fluxus-Welt aufzurütteln.410 In den 1970er Jahren jedoch, in denen sich Monks vokalmusikalischer Individualstil und ihre vokale Performancekunst ausbildete, gab es eine Vielzahl anderer Künstler_innen, die auf unterschiedlichste Weise neuartige Vokalmusik konzipierten. Kyle Ganns Auflistung von Komponist_innen,411 die in Downtown primär mit ihrer eigenen Stimme und ihrem Körper arbeiteten, geht zwar über die 1970er Jahre hinaus, verweist jedoch auf einen nicht unwesentlichen Korpus an entsprechenden Arbeiten. Die Vokalistin und Komponistin Joan La Barbara beschrieb in ihrem Artikel über „SoHo – eine Gemeinde von kooperierenden Künstlern, ein Sammelbecken der Künste“412 1976 zahlreiche Beispiele, die deutlich machen, wie präsent vokalmusikalisch innovative Ansätze in diversesten Ausprägungen in Downtown waren. La Barbara war selbst auch eine frühe Vertreterin der vokalen Performancekunst.413 Mit einem Hintergrund in klassischem Gesang erforschte sie bereits früh andere stimmliche Möglichkeiten, mit denen sie die rigorosen, einschränkenden traditionellen Techniken überschreiten, vor allem aber „sich selbst“ entdecken konnte. Ähnlich wie auch Meredith Monk war La Barbara auf der Suche nach einem „ursprünglichen Gebrauch“ der Stimme, der ohne Worte auskam und vielmehr rein emotional angeleitet sei. Vor allem anfangs war La Barbaras Ansatz durch und durch experimentell. Sie setzte sich selbst existentiellen Situationen aus, auf die sie spontan reagieren musste, um neue stimmliche Klänge zu finden.414 Einen anderen Strang ihrer frühen Arbeit machten strenge Kompositionen und Etüden aus, in denen sie dieses ge410 Vgl. hierzu u. a. Woo, „Silence and Scream“. Auch Weber-Lucks führt in ihrem Artikel „Aufbrechen – Ergründen – Transformieren“ Yoko Ono als eine Vertreterin der „vokalexperimentellen Performancekunst“ an. (Siehe Weber-Lucks, „Aufbrechen – Ergründen – Transformieren“, S. 34.) 411 Siehe Gann, „What Women’s Music Does, or Doesn’t, Mean“. Siehe Kapitel I.3 „Vokale Performancekunst“ und II.2.3 „Künstlerische Praktiken in Downtown. Downtown-Musik“. 412 Siehe La Barbara, „SoHo – eine Gemeinde von kooperierenden Künstlern, ein Sammelbecken der Künste“. 413 Vgl. Weber-Lucks, „6.3. Joan La Barbara“, in: dies., Körperstimmen, S. 155-161. 414 Siehe Weber-Lucks, Körperstimmen, S. 158. Weber-Lucks beschreibt bspw. eine Performance von La Barbara, bei der diese sich vor Beginn stundenlang komplett, akustisch wie visuell, abschottete, um dann mit verbundenen Augen vor das Publikum zu treten und den ihr unbekannten Inhalt von fünf Schüsseln zu ertasten und stimmlich darauf zu reagieren. (Siehe ebd.)

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fundene, eigene stimmliche Material ausbaute.415 In ihrem oben erwähnten Aufsatz beschrieb sie ihre eigene Arbeit als Erkundung neuer Techniken und Verwendungsmöglichkeiten der Stimme, indem sie bspw. Instrumentaltechniken auf ihre Stimme übertrug, z. B. in Form des Schaffens von Spaltklängen.416 Im gleichen Aufsatz stellte La Barbara eine Vielzahl an weiteren, unterschiedlichen vokalmusikalischen Ansätzen vor von Dana Reitz, Laura Dean, Simone Fortie, Charlie Morrow, Charlemagne Palestine, Meredith Monk, LaMonte Young, Pandit Pran Nath, Tom Johnson, Philip Glass, Robert Wilson, Robert Ashley, Laurie Anderson, Joan Jonas, Jill Kroesen und eben auch von sich selbst.417 An La Barbaras Auflistung ist auffällig, dass hier mehr Männer genannt werden als bei Gann oder bei Weber-Lucks. Das liegt u. a. daran, dass sie ebenfalls die Arbeitsweisen darstellt, die bspw. nicht primär an die oder den ComposerPerformer gebunden sind, sondern auch für andere Sänger_innen geschriebene Vokalmusik beinhalten oder solche, die weniger multimedial ausgerichtet sind oder die Stimme nicht als Hauptinstrument verwenden und somit nicht primär auf die „Körperstimme“ bezogen sind. Nichtsdestotrotz lassen sich diese für die vokale Performancekunst bestimmenden Kriterien auch in der Arbeitsweise einiger männlicher VocalComposerPerformer festmachen, etwa bei Charlemagne Palestine, ansatzweise bei Tom Johnson oder Charlie Morrow. Steve Reich hingegen, Philip Glass, oder in manchen Fällen Tom Johnson (wie mit dem hier angeführten Beispiel seiner Oper „A Masque of Clouds“ für traditionell ausgebildete Opernsänger_innen),418 schrieben für andere Interpret_innen. La Barbara beschreibt Arbeiten, bei denen die Stimme stark in den Kontext von Bewegung gesetzt wurde (etwa von Lewis und Jana Haimsohn, Charlemagne Palestine, Laura Dean, der Judson Group oder Joan La Barbara/Dana Reitz), das Experimentieren mit ungewöhnlichen Stimmklängen und Gesangstechniken im Mittelpunkt steht (etwa bei Monk, La Barbara, Simone Forti, Charles Morrow, Steve Reich), der traditionelle Zugang zur Stimme, d. h. der Klang klassisch ausgebildeter Gesangsstimmen, gepflegt wird (wie bei Tom Johnson), mit unausgebildeten Sänger_innen zusammengearbeitet wird (wie bei Philip Glass/Robert Wilson), auf die Relation der Stimme zu anderen Instrumenten bzw. auf die Orientierung an einem Instrumentalklang oder an Instrumentaltechniken fokussiert wird (wie bspw. bei Reich, LaMonte Young, La Barbara), eine inhaltliche Ausrichtung stattfindet durch das Behandeln von Themen oder auch das Einbringen 415 Siehe Weber-Lucks, Körperstimmen, S. 158f. 416 Siehe La Barbara, „SoHo – eine Gemeinde von kooperierenden Künstlern, ein Sammelbecken der Künste“, S. 264. 417 Siehe ebd., passim. 418 Siehe ebd., S. 264f.

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von Sprache (etwa durch Robert Ashley, Laurie Anderson, Grand Union, Monk), eine zentrale Anbindung an Emotionen oder das Leben der Künstlerin betreffende Kontexte von Bedeutung ist (insbesondere bei Monk, La Barbara) oder ein theatraler, multimedialer Ansatz zentral ist (so bei Joan Jonas, Jill Kroesen, Monk).419 Die Darstellungen La Barbaras öffnen den Blick auf ein abwechslungsreiches Feld unterschiedlicher Praxisformen innovativer Vokalexperimente im Downtown der 1970er Jahre. Im Sinne des künstlerischen Kräftefelds bedeutete dieses ein Beziehungssystem, innerhalb dessen sich die einzelnen Künstler_innen mit ihren vokalmusikalischen Arbeiten positionierten und diese damit in Relation zu all den anderen vokalmusikalischen Arbeiten des Feldes setzten. Somit prägten die Künstler_innen einerseits anhand ihrer künstlerischen Arbeit das Feld, sie selbst wurden andererseits gleichzeitig vom Feld und der Gesamtheit all der in ihm entstehenden Arbeiten mitbestimmt. Paradigmatisch verdeutlichte RoseLee Goldberg diesen Zusammenhang mit der im ersten Teil dieses Kapitels zitierten Aussage über die Oper „Einstein on the Beach“ von Philip Glass und Robert Wilson, dass die Gesamtheit der Erfindungen, Einflüsse und wichtigen Arbeiten von Downtown-Künstler_innen eine Art Grundlage für die Oper bildete, selbst wenn diese Künstler_innen mit der Oper selbst nicht direkt zu tun hatten.420 Allein das Genre „Oper“ ist ein gutes Beispiel für das gruppendynamische Setzen von Themen- und Problemfeldern im künstlerischen Kräftefeld Downtown. Das Genre erfreute sich in den 1970er Jahren in Downtown großer Beliebtheit. Komponist_innen wie Robert Ashley, Anthony Davis, Philip Glass und Robert Wilson, Tom Johnson, Peter Gordon, Laurie Anderson und Meredith Monk schrieben zu der Zeit alle „Opern“. Laurie Anderson erinnert sich: „All my friends in the downtown music world seemed to be writing operas. […] You’d be walking down the street, see a friend and say, ‚So how’s your opera going? Yeah well mine’s coming along too.‘“421

Im Grunde müsste die Vorliebe, mit der Downtown-Künstler_innen „Opern“ schrieben, überraschen, versteht man diese vor allem als traditionelle Gattung. 419 Für Kurzbeschreibungen der unterschiedlichen Arbeiten bzw. Ansätze siehe La Barbara, „SoHo – eine Gemeinde von kooperierenden Künstlern, ein Sammelbecken der Künste“. 420 Vgl. Goldberg, „Art After Hours: Downtown Performance“, S. 101, zitiert in II.2.3 „Künstlerische Praktiken in Downtown. Downtown-Praxis.“ 421 Anderson zitiert in Goldberg, Laurie Anderson, S. 86.

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Allerdings handelte es sich bei den in Downtown geschriebenen „Opern“ im weitesten Sinne um großformatige, multimediale, musiktheatrale Performances. Auch Meredith Monk nannte einige ihrer großen Ensembleperformances der 1970er Jahre „operas“,422 was vor diesem Hintergrund vielleicht weniger überrascht. Monks vokalexperimentelle „Offenbarung“ im Kontext von Downtown-Kollaborationen Der Einfluss des künstlerischen Kräftefelds Downtown auf die Herausbildung von Monks vokaler Performancekunst machte sich sowohl ideell als auch konkret auf den künstlerischen Alltag bezogen bemerkbar. Diesen Einfluss benennt Monk selbst: „When I began exploring my voice with the same intensity that I had my body, I was encouraged by the spirit of inventiveness and originality that permeated downtown New York. […] I had not thought of applying those principles to my voice until one day in 1965 when I sat at the piano vocalizing and realized in a flash that the voice could have the same flexibility and range as the body and that I could find a vocabulary built on my own voice just as I had for my body[.]“423

Mit dem ersten Teil des Zitats bezieht sie sich eher auf den Einfluss durch das gesamte künstlerische Kräftefeld Downtown, weniger auf das Feld vokalmusikalischer Innovationen. Im zweiten Teil des Zitats beginnt sie, die Geschichte ihrer „Offenbarung“424 zu erzählen, welche sie zur Auseinandersetzung mit ihrer Stimme und schließlich zur Entwicklung ihrer idiosynkratischen erweiterten Stimmtechniken führte. Dieses „Ereignis“, sich mit ihrer Stimme auseinanderzusetzen, entsprang einer Konstellation Mitte der 1960er Jahre, die durch das künstlerische Kräftefeld Downtown bestimmt war, genau genommen durch 422 Z. B. „Vessel – An Opera Epic“, „Education of the Girlchild: An Opera“, „Quarry: An Opera“. Ihre erste Oper im klassischeren Sinne, die an einem Opernhaus mit Orchester uraufgeführt wurde, war 1991 „Atlas: An Opera in Three Parts“. 423 Meredith Monk, „Untitled Essay about New York“ (1998), MMA, Box 26, Folder 17. 424 Monk spricht regelmäßig von einer „revelation“, also „Offenbarung“, die sie hatte, als sie begann, experimentell mit ihrer Stimme zu arbeiten. Siehe dazu u. a. Kapitel I.1 „Vessel – An Opera Epic“; Kapitel III.2 „Monks vokale Performancekunst: Downtown-Praxis und feministische Praxis? Von der Tänzerin zur Sängerin, die 1960er Jahre“; oder auch weiter unten in diesem Kapitel.

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Monks Position innerhalb dieses Beziehungsnetzwerks: Philip Corner und Dick Higgins, mit denen sie bereits zuvor zusammengearbeitet hatte, hatten sie um eine weitere Kollaboration gebeten. Monks Erinnerung an ihre Vorbereitungen für dieses Konzert möchte ich hier in Gänze wiedergeben: „I think it was the second year I was in New York[,] Philip asked me if I would sing some Satie musical pieces. So I sang ‚Silvie‘ [‚Trois Melodies‘] and ‚La diva de l’empire‘. And I had done some vocalizing in my pieces, but I hadn’t done as much singing as I wanted to do. So I started vocalizing for ‚La diva de l’empire‘ and ‚Silvie‘, and really, really enjoyed singing the pieces. And then in the process of vocalizing I first of all realized how much I missed singing fullout, and secondly I had the revelation one day that the voice could be like an instrument, that I could find different ways to work with the voice and different characters and textures, tempers and ways of producing sound and gender, landscape, you know, anything. I could stretch out my range, and find a vocabulary that was build on my own voice just the way you would as a choreographer build movement on your own body[. … B]y applying the same principles to my voice, I had because of my family legacy, a much more virtuosic instrument to begin with. And the first thing was very much working with the range, pulling out the highs and the low and stretching that. And then all kind of resonances was another thing I was working with at that time, a kind of kinetic way of thinking about the voice, like the voice spinning, the voice jumping, the voice spiraling. I wasn’t thinking about it consciously but that is how it was working vocally. So I have to thank Philip having me sing these Satie pieces.“425

Das Entdecken dieser Potentiale in einem einzelnen Moment mystifiziert Monk im Nachhinein durch das wiederholte Betonen dieser „revelation“ geradezu zum Anfangspunkt des Experimentierens mit der eigenen Stimme, welches den Rest ihres künstlerischen Lebens bestimmen sollte.426 Nur an einer Stelle las ich eine umgekehrte Darstellung ihrerseits, bei der sie nicht von einer Offenbarung spricht, sondern wo sie vielmehr beschreibt, wie der Beginn ihrer Arbeit an der Stimme in ihrem Willen und ihrem Vorhaben fußte, ihre Stimme so flexibel wie

425 Monk in Monk, Voegeli, Lutman, Gann, „Meredith Monk – American Mavericks“. 426 „That moment marked the beginning of my lifelong exploration of the human voice.“ (Monk, Beginnings.) Die Erzählung der „revelation“ findet sich in ähnlicher Weise in vielen anderen Interviews, siehe beispielhaft Monk in Monk, Mountain Record, „Authentic Voice“; Monk in Babeth M. VanLoo, „Meredith Monk. Innter Voice“; Monk in Monk, Voegeli, Lutman, Gann, „Meredith Monk – American Mavericks“; Monk in Monk, Jowitt, „Meredith Monk in Conversation with Deborah Jowitt“, S. 74.

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ihren Körper zu machen.427 Worauf ich mit dem vorangehenden Zitat jedoch in erster Linie hinweisen möchte, ist die Tatsache, dass selbst dieser Moment, den sie selbst als so zentral für das Herausbilden ihres Herausstellungsmerkmals beschreibt, ihrer hoch idiosynkratischen erweiterten Stimmtechniken und daraus ihrer vokalen Performancekunst, grundlegend bestimmt war durch den Kontext des künstlerischen Kräftefelds Downtown. VocalComposerPerformer auf dem Festival „New Music, New York“ Neben Monk waren es, wie dargestellt, auch andere Künstler_innen, die in den 1970ern in Downtown vokalexperimentelle Innovationen und ein weitgefächertes Feld unterschiedlicher Praxisformen entwickelten. Einen Einblick in diese Vielfalt bot ebenfalls das Ende der 1970er Jahre in The Kitchen stattfindende Festival „New Music, New York“. Das Festival war das erste seiner Art, das sich komplett der in Downtown entstandenen und gewachsenen Musik widmete, indem es über 50 Downtown- Komponist_innen in Konzerten vorstellte und parallel das durch die „Music Critics Association“ veranstaltete Symposium „Institute on Contemporary Experimental Music“ stattfinden ließ.428 Das Festival wollte damit gewissermaßen einen Querschnitt durch die komplexe musikalische Szene Downtowns bieten. Auf der CD „From the Kitchen Archives. New Music New York 1979“429 wurden 17 der auf dem Festival aufgeführten Stücke veröffentlicht und bieten somit noch einmal einen Querschnitt durch den Querschnitt. Blair Sanderson identifiziert in ihrer Rezension der CD vier Schwerpunkte. Einen davon benennt sie als „extended vocal experiments“, vertreten durch Meredith Monk, Pauline Oliveros, Tom Johnson, Charlie Morrow und Charlemagne Palestine.430 Darüber hinaus traten auch andere Künstler_innen auf dem Festival auf, die mit ihrer Stimme experimentierten, die allerdings nicht auf der CD vertreten sind,431 u. a. Larry Austin, Connie Beckley oder Jill Kroesen mit Songs und anderem Material aus „Fay Shism Began in the Home“, „Excuse Me, I Feel

427 Siehe Monk in Duckworth, „Meredith Monk“, S. 357. 428 Siehe KA 02 Programm „New Music, New York. A Festival of Composers and Their Music“. 429 From the Kitchen Archives – New Music, New York 1979, [S.l.]: Orange Mountain Music OMM-0015, 2004. 430 Blair Sanderson, „From the Kitchen Archive New Music New York 1979 Review“. 431 Siehe folgend KA 02 Programmheft „New Music, New York. A Festival of Composers and Their Music“.

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Like Multiplying“ und „The Original Lou and Walter Story“,432 Jeanne Lee in „Collaboration“ mit Gunter Hampel433 und auch Laurie Anderson mit drei Songs aus „Americans on the Move“.434 Da die fünf auf der CD vertretenen Komponist_innen oder vielmehr VocalComposerPerformer einerseits den vokalexperimentellen Ausschnitt des durch die CD repräsentierten Querschnitts des durch das Festival repräsentierten Querschnitts der Downtown-Musik darstellen und andererseits, da sie verfügbar sind, möchte ich im Folgenden meine Höreindrücke dieser Stücke festhalten. Hinzu nehme ich die teilweise recht scharf formulierten Beschreibungen der Komponistin Beth Anderson, die das Festival begleitete und ausführlich über die einzelnen Konzerte schrieb, da diese eine zeitgenössische Rezeption wiedergeben.

432 Die Komponistin Beth Anderson, die ausführlich über das Festival und fast jedes einzelne Konzert schrieb, beschrieb Kroesens Auftritt: „The limited pitch range gave her work a quality of chant or text-sound, especially when combined with inconsistant diction. It represents the only truly experimental work included thus far in this festival.“ (Beth Anderson, „June 10 at The Kitchen“ in: dies., Reviews for the Critics, KA 03.) 433 Anderson schrieb über den Auftritt: „[It] began as a prephonemic improvisation with key-clicking flute, grew into full voice and all-out flute with Ms. Lee moving to center floor reaching further and further out in body gesture and music. Mr. Hampel moved to the corner and was a great deal more inwardly oriented. He eventually played vibes and piano and Lee began to use words in an echoy way to extend them. All in all it was a performance ritual of meaning, a give-and-take between people who understand each other, and a full ‚dance of life‘.“ (Beth Anderson, „June 12 at The Kitchen“ in: dies., Reviews for the Critics, KA 03) 434 Beth Anderson über Laurie Andersons Auftritt: „Laurie Anderson’s work has been ‚hit parade‘ stuff every time I’ve heard it, and last night she was even better. She takes the elements that a lot of other composers are using and puts them together in a more logical, textural, and theatrical way.“ (Beth Anderson, „June 16 at The Kitchen“ in: dies., Reviews for the Critics, KA 03)

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Abbildung 14: „New Music, New York“

The Kitchen videos and records 1971-1999, Getty Research Institute, Los Angeles (2014.M.6), © J. Paul Getty Trust

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Höreindrücke: VocalComposerPerformer auf dem Festival „New Music, New York“ Charlie Morrow bot auf dem Festival drei Songs. Der dritte davon, „Dream Song/Vision Chant“ von 1977, ist auf der CD zu hören.435 Morrow begleitet seine sehr archaisch, schamanistisch und rituell klingenden Vokalisation, die er vorwiegend auf [jo:], [ja:] und [ji:]436 intoniert, mit beständigem, mal heftigeren und mal leichteren Anschlagen einer Klangschale. Es gibt keine klare Melodiefolge, vielmehr eine Folge von anhaltenden Jammerklängen in gleichbleibender Lage, meist in der mittleren Lage, ab und zu in die Tiefe oder die Höhe ausbrechend. Seinen Gesang lässt er allmählich über ca. 30 Sekunden ausklingen, bis er (bei 3:58) sagt: „My dream went something like this: […]“ Dann erzählt er dem Publikum seinen Traum. Beth Anderson, die über das Festival ausführlich berichtete, beschrieb den Song als „trance singing“ und bemerkte: „It was lovely and gentle. Comments from the audience included: Nice. It’s like the old days. (and) He’s sincere.“ 437 Tom Johnson führte drei seiner „Secret Songs“ von 1976 auf, die auch alle auf der CD vertreten sind.438 Alle drei Songs werden a capella vorgetragen und bestehen vorrangig aus rhythmisch gesprochenen, wiederholten Silben. Bei dem ersten Song lautet die gesprochene Silbenfolge [uollou jollou], die langsam in die Silbenfolge [uou] übergeht, die durchgehend wiederholt und rhythmisiert gesprochen wird, mit großen abfallenden Intervallen. Vom Ausgangston geht die Melodie der gesprochenen Silben eine kleine Sexte abwärts, dann eine Quinte aufwärts und wieder eine kleine Sexte abwärts. Da die Silben gesprochen und nicht gesungen sind, sind die Tonhöhen und Intervalle eher ungenau intoniert. Der zweite Song basiert auf den langsam, tief und ruhig gesprochenen Silben [dua:], [duɛ:], [du:] und [duou], die jeweils einzeln für sich auf einem Atem, häufiger durch längere Pausen unterbrochen und in abwechselnder Reihenfolge gesprochen werden, mit einer am Ende abfallenden Tonhöhe. Der dritte Song beginnt mit einer Fortführung des zweiten Songs, bis er ausbricht in ein viel stärker als bei den beiden ersten Songs rhythmisiertes, konsonantenlastiges, scat-

435 Vgl. Track 04 (CD 2) „Dream Song/Vision Chant“ auf From the Kitchen Archives – New Music, New York 1979, [S.l.]: Orange Mountain Music OMM-0015, 2004. 436 Zur Beschreibung der Klangfarben verwende ich die Zeichen des phonetischen Alphabets IPA (Internationales Phonetisches Alphabet). 437 Beth Anderson, „June 11 at The Kitchen“ in dies., Reviews for the Critics, KA 03. 438 Vgl. Tracks 01, 02, 03 (CD 2) „Secret Songs“ auf From the Kitchen Archives – New Music, New York 1979, [S.l.]: Orange Mountain Music OMM-0015, 2004.

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ähnliches und kontrolliertes „Plappern“ in mittlerer Lage. Beth Anderson schrieb über das Konzert: „Tom Johnson’s Secret Songs was kind of soft most of the time. Since some of these have been published in Ear Magazine, we’ve had a chance to see them as process pieces. Either Mr. Johnson has managed to memorize his phonemes or he was doing an improvisational version last night. He works in codes, but told us what they meant so as not to be secretive. Once he did a tongue pop (I realize that a literal description may give a sillier impression than the reality deserves). What took real guts was for Mr. Johnson, who also writes criticism for The Voice, to stand in the spotlight and repeat Dodo. The pieces performed belong to the genra [sic] of text-sound.“439

Charlemagne Palestine führte „Untitled for Solo Voice“ von 1979 auf, ein a capella dargebotenes, non-verbales Vokalstück.440 Zentral für dieses Stück sind die Variationen mit unterschiedlichen Klangfärbungen, von stark nasal und extrem gepressten Intonationen bis hin zu gesummten und zart intonierten Klängen. Die Vokale der Vokalise sind nicht eindeutig zu identifizieren und bewegen sich zwischen [e:] und [a:]. Der Melodieverlauf ist überraschend kontrolliert und präzise mit, obgleich das Stück primär tonal ist, vielen schwierigen Intervallsprüngen, die vor allem kleine Septimen oder Nonen beinhalten. Die Präzision dieser Melodiefolge, die akkurat immer wieder zum Ausgangston zurückkehrt, fällt beim unaufmerksamen Zuhören zunächst gar nicht auf, so stark steht die Klangfärbung im Vordergrund. Diese Klangfärbung wird oft mehrfach während eines einzelnen gehaltenen Tones verändert oder auch im Verlauf einer einzigen Phrase. Immer wieder bringt Palestine sehr aggressive Klänge hervor, die zwischen Stimmbandknarzen und „Growling“ liegen, teils als plötzliche Attacken, und hält dann wieder mit sanften und leisen Tönen dagegen. Regelmäßig ist aus dem Publikum Lachen zu hören. Schließlich folgt auf einen letzten, lang angehaltenen und sehr lauten, gepressten Ton ein fast stimmloses Lachen/Weinen mit vereinzelten, identifizierbaren Tonhöhen. Palestine experimentiert kurz mit dem stimmlosen Glottisschluss und geht von da abwechselnd in ein leises, stimmloses, mit hoher Spannung gepresstes Flüstern über, das in einem plötzlichen lauten Ausruf „No!“ endet. An dieser Stelle (bei 3:30) beginnt Palestine zu sprechen: „I wanna do something different, I wanna be close to something. The music, new [das „new“ ist sehr lang auseinandergezogen und überbetont, M.-A. 439 Beth Anderson, „June 12 at The Kitchen“ in dies., Reviews for the Critics, KA 03. [Hervorhebung im Original.] 440 Vgl. Track 10 (CD 2) „Untitled for Solo Voice“ auf From the Kitchen Archives – New Music, New York 1979, [S.l.]: Orange Mountain Music OMM-0015, 2004.

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K.] music, always feels so abstract,“ (Lachen aus dem Publikum) „so distant. And so I said: Ah, this is the perfect moment to do it. Ah, this is the symbolic moment. This is: I’ll come here and I’ll do it. And I sat up here, and I listened to my […] [unverständlich] in the dark. I listened to my […] [unverständlich] in the dark.“ Frage aus dem Publikum: „Listened to what?“ Palestine: „Arena. Arena. Arena!“ (Lachen aus dem Publikum, dann auch Lachen von Palestine selbst.) „Arena. Arena. No wonder […] [unverständlich] things have coming to fail.“ (Lautes Lachen aus dem Publikum.) „If we were all very quick, we would go on to something else.“ Aus dem Publikum: „Now what?“ Palestine: „So, I’m only allowed 15 minutes. So let’s not get too close.“ Aus dem Publikum: „Time’s up. You should have 17.“ Aufforderung aus dem Publikum: „Sing […] [unverständlich]!“ Pause, dann (bei 5:33) beginnt Palestine wieder, die Melodie vom Anfang zu summen, mit den gleichen Quint- und Septimsprüngen. Nach knapp 20 Sekunden bricht der Song (oder die Aufnahme) abrupt ab. Die Aufführung zeigt einerseits die genaue Konzeption und direkte Kontrolle, die Palestine bei seiner Arbeit hat, andererseits zeigen die „Live“-Momente seinen Willen, sich auf die Situation zu beziehen, und zwar einerseits durch das, was er inhaltlich sagt, aber auch dadurch, dass und wie er auf sein Publikum reagiert.441 Pauline Oliveros führte ihre „The Tuning Meditation“ von 1971 auf.442 Oliveros beginnt damit, dem Publikum bzw. denjenigen, die Lust haben, mitzumachen, die Anleitung für das Stück zu erklären: „You’re to sing long tones only, one per breath. The first tone is a contribution of your own. And then the second is tuning to someone else’s tone. And then the meditation is alternating between those two options. As your voices warm up, it’s interesting to try to tune two people who are distant from you in the room. Or elsewhere.“ (Lachen aus dem 441 Anderson schrieb über Palestines Auftritt: „Next we heard Mr. – Piss-On-TheAudience himself – Charlemagne Palestine (a tremendously talented creature who is currently suffering from a ‚Rite-Of-Spring‘-complex – but if he ever gets an orchestra to play his symphony-in-progress, we’ll have something gorgeous). He did a solo in the dark which consisted of singing a grisly modal chant (at which everyone laughed), laughter at the audience, and short lecture. He brought up the significant question: ‚I only come here to be on stage. Why do you?‘ He yelled ‚Fuck you‘ at the audience and they yelled it back at him. This pleased him and he hollared [sic], ‚We agree.‘ He definitely had something to say and said it.“ (Beth Anderson, „June 14 at The Kitchen“ in: dies., Reviews for the Critics, KA 03) Interessant, dass die Beleidigungssequenz, die Anderson hier beschreibt, in der Aufnahme des Konzerts auf der vorliegenden CD nicht zu hören ist. 442 Vgl. Track 08 (CD 1) „The Tuning Meditation“ auf From the Kitchen Archives – New Music, New York 1979, [S.l.]: Orange Mountain Music OMM-0015, 2004.

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Publikum.) „And while you’re at it, I’m going to see if I can disappear.“ (Erneutes Lachen) Nach einer längeren Pause beginnen zögerlich ein paar Leute, leise Töne zu summen, schnell setzen mehr und mehr Stimmen ein, sodass recht bald ein dichter Klangteppich entsteht, der regelmäßig an- und abschwillt. Beth Anderson schrieb in ihrer Rezension über das Konzert: „Ms. Oliveros disappeared and waves of pitches appeared. Power tripping by the audience. Everyone wants everyone else to sing their pitch. It sounds like an Orff-sound-alikeat-the-movies, just before the wife goes insane. It really is gorgeous. […] She is pulling the sound out of us and we get off. It’s like the Episcopal church where everyone sings almost everything – participation – but better, since it’s not possible to be out of tune. For this one, there is great admiration.“443

Meredith Monk bot auf dem Festival ihren „Travelling Song“ sowie „Biography“ aus „Education of the Girlchild“ von 1973 sowie „Do You Be?“ von 1970,444 letzterer ein zentraler Song in „Vessel“. Auf der CD wird Monk mit einer Aufnahme von „Do You Be?“ präsentiert.445 Monks vokale Performancekunst wird im nächsten Kapitel III. „Meredith Monks vokale Performancekunst“ detaillierter in den Fokus genommen, weswegen ich an dieser Stelle auf eine genauere Darstellung verzichte. Beth Anderson beschrieb ihren Eindruck von Monks Auftritt: „Hey, Hey, Hey, to Ms. Monk with the flower in her hair. The piano repeats sounding like a rhythm back-up for a folk-rock band, but the singing over top is like nothing except Monk. The second song (doo-who-yin) becomes echoes of ‚dyin‘ and seems to be what to sing if you’re an ancient french laundry woman kvetching about work on an expressive day. [S]he gets going and just takes me away and whatever she’s doing is so strong, so tough, so real, so herself – it makes people cry. It’s theatre in sound. She did two slow ones and a fast number and did every kind of singing in the top of the spectrum.“446

443 Beth Anderson, „June 8 at The Kitchen“ in dies., Reviews for the Critics, KA 03. 444 Siehe Programmheft „New Music, New York. A Festival of Composers and Their Music“, KA 02. 445 Vgl. Track 02 (CD 1) „Do you be?“ auf From the Kitchen Archives – New Music, New York 1979, [S.l.]: Orange Mountain Music OMM-0015, 2004. 446 Anderson, „June 8 at The Kitchen“ in dies., Reviews for the Critics, KA 03.

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Abbildung 15: „Meredith Monk and Mary MacArthur in front of the poster ‚New Music, New York‘“

The Kitchen Archive, Foto: Shigeo Anzai, © ANZAÏ courtesy of Zeit-Foto Salon

Diese kurze Vorstellung diente einer Einsicht in die Praxis von VocalComposerPerformern in den 1970er Jahren. Das Festival, auf dem diese Aufnahmen gemacht wurden, markierte jedoch vor allem das Ende einer Ära. Downtown-Musik auf dem Festival „New Music, New York“ 1979: Das Ende einer Ära Mit dem Festival „New Music, New York“ das Ende der Downtown-Ära zu proklamieren, ist sicherlich überspitzt und bedeutet einen konstruierten Schlusspunkt. Auch in den 1980er und 1990er Jahren und bis heute ist Downtown Schauplatz eines reichhaltigen kulturellen Lebens mit einem überbordenden Musikangebot aus den unterschiedlichsten Sparten an jedem Abend in der Woche. Eine Vielzahl der in dieser Arbeit genannten Künstler_innen und Musiker_innen lebt und arbeitet nach wie vor in Downtown.447 Allerdings bedeutete das Festi-

447 Viele Künstler_innen und Autor_innen merken allerdings an, dass die beschriebene gegenkulturelle Haltung, die das künstlerische Krädtefeld Downtown ausmachte, in den 1980er Jahren hinfällig war. Vgl. dazu beispielhaft Bernstein, Shapiro, Illegal Living, S. xi; oder die Beiträge in Taylor (Hg.), The Downtown Book.

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val, wie beschrieben, einen Kulminationspunkt, da hier erstmals gebündelt einer größeren Öffentlichkeit Downtown-Musik oder auch „new music“448 präsentiert wurde und sich damit laut Johnson zugleich institutionalisierte: „[M]any experimental musicians and perhaps the whole movement, now exist in a glass house of their own. The milieu has changed, and the term ‚avant-garde‘ seems less and less appropriate.“

449

Während Johnson das Festival zugleich als einen großen Publikumserfolg beschrieb – das interessierte Publikum war derart groß, dass viele Menschen an den Türen zurückgewiesen werden mussten – lässt sich somit an diesem Punkt sehr wohl ein Ende der primär pionierhaften und gegenkulturellen Qualität festmachen. Peter Cherches schreibt in seinem Überblick über Musik in Downtown in den 1970er und 1980er Jahren: „The New Music New York festival, while mostly celebrating the artists who had defined downtown music, was also, paradoxically (and unintentionally), a summation at the end of an era.“450 Und zu der CD „From the Kitchen Archives. New Music New York 1979“, die 2004 17 der auf dem Festival aufgeführten Stücke veröffentlichte, heißt es in einer Rezension: „[C]hanges in musical directions and tastes since the 1980s make this album seem like a document of the avant-garde’s scattered ending rather than an account of a vital and influential new phase.“451 Auch ehemals durch und durch gegenkulturelle Räume wie The Kitchen waren, so Johnson, inzwischen weitestgehend professionalisiert und die Künstler_innen, die dort präsentierten, etablierter als zuvor: „[They] no longer hide along the fringes of American culture.“452 Wie stark beispielsweise Meredith Monk zu der Zeit bereits etabliert war, zeigt u. a. eine Plakatankündigungen von 1979, in der sie als „internationally acclaimed composer, choreographer and singer“ angekündigt wurde.453 Monk selbst 448 Zu den Begriffen Downtown-Musik, New Music etc. siehe Kapitel II.2.3 „Künstlerische Praktiken in Downtown. Downtown-Musik“. 449 Vgl. Johnson, „New Music New York New Institution“, 2. Juli 1979, in ders. The Voice of New Music, S. 223-226, hier: S. 223. 450 Cherches, „Part I: New Music Downtown, 1971-87“, in ders., Downtown Music, 1971-1987. 451 Blair Sanderson, „From the Kitchen Archive New Music New York 1979 Review“. 452 Johnson, „New Music New York New Institution“, 2. Juli 1979, in: ders., The Voice of New Music. S. 223-226, hier: S. 223. 453 Vgl. Plakat „Meredith Monk, Anthology (1971-1979). Dance Workshop at Moving Space“, MMA Box 16 Folder 5. Siehe dazu auch das Unterkapitel II.2.2 „Akteur_innen Downtowns: Monks ‚Rückkehr‘ zur Musik“.

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verbindet mit dem Festival eher unangenehme Erinnerungen. Sie erlebte es als sehr kompetitiv.454 Dieser neue Konkurrenzgedanke steht dann auch im Gegensatz zu der gefühlten freundschaftlichen Gemeinschaft in Downtown der vorangegangenen zwei Jahrzehnte. Doch der „sense of a downtown community“ hatte sich dann in den 1980ern offensichtlich ohnehin aufgelöst.455

454 Vgl. Monk, „As if it came from an oral tradition“. 455 Siehe das in Unterkapitel II.2.3 „Künstlerische Praktiken in Downtown. DowntownPraxis“ abgedruckte Zitat von William Duckworth in Unterhaltung mit Meredith Monk. (Vgl. Duckworth in Duckworth, „Meredith Monk“, S. 362.)

III. Meredith Monks vokale Performancekunst Die multimediale, innovative künstlerische, vor allem auch musikalische, Arbeit von Meredith Monk ist in engem Zusammenhang mit der Besonderheit des künstlerischen Kräftefelds Downtown New York zu verstehen. Es bildete das fruchtbare Umfeld, in welches sie direkt nach Beendigung ihres Studiums 1964 eintauchte und das die Phase, in der sie sich als Künstlerin etablierte, entscheidend prägte. Downtown war in diesen 15 Jahren bis 1979 bestimmt von heterogenen Kunstszenen, vielfachen künstlerischen Erneuerungen sowie von den zeitgenössischen sozio-politischen Bewegungen, insbesondere dem Anti-KriegsEngagement sowie dem entstehenden neuen feministischen Bewusstsein der zweiten Frauenbewegung. Die Entwicklung von Monks erweiterten Stimmtechniken und ihrer vokalen Performancekunst fanden in diesen Kontexten statt. Als zentrale Figur Downtowns war sie zudem maßgeblich daran beteiligt, dieses künstlerische Kräftefeld zu dem zu machen, was es war. Das folgende Kapitel setzt sich daher ausführlich mit dieser bedeutsamen Akteurin auseinander. Da sich Verweise auf Meredith Monk bereits exemplarisch und als roter Faden durch die letzten Kapitel zogen, lassen sich erneute Redundanzen nicht völlig vermeiden.

Abbildung 1.4: Stadtplan Downtown New York: Meredith Monk

Zeichnung: Marie-Anne Kohl. Erläuterungen zum Stadtplan siehe unter Quellen VIII

III.1 Über Meredith Monk

III.1.1 E INLEITENDES

ÜBER

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Trotz Meredith Monks großem Prestige gibt es bislang wenig Forschungsliteratur zu ihrer Arbeit.1 Als bislang einziger Sammelband, der allein Monk gewidmet ist, existiert der 1997 von Deborah Jowitt herausgegebenen Band „Meredith Monk“.2 Weitere Publikationen, die für Monk selbst einen wichtigen Stellenwert zu haben scheinen, da sie sie auf ihrer Website bewirbt, sind „The Radiant Performer“3 von H. Wesley Balk von 1991 sowie der von Pamela Johnson und Kathleen McLean herausgegebene Band „Art Performs Life: Merce Cunningham, Meredith Monk, Bill T. Jones“4 von 1998.5 Seit Beginn ihrer Karriere gibt es eine lange Liste an Rezensionen und Artikeln über Monks Arbeit, die alle, zumindest die seit 1964, sorgfältig auf ihrer Website bibliographiert sind.6 Babeth

1

Darauf weist u. a. auch Christa Brüstle hin (vgl. Brüstle, „Das 20. und 21. Jahrhundert“, S. 106)

2

Jowitt (Hg.), Meredith Monk.

3

H. Wesley Balk, The Radiant Performer.

4

Pamela Johnson, Kathleen McLean, Art Performs Life: Merce Cunningham, Meredith Monk, Bill T. Jones.

5

Der Katalog des Meredith Monk Archives in der New York Public Library verzeichnet weitere Bücher, Kapitel und Dissertationen aus den Jahren 1965 bis 2004 sowie andere Printmedien, wie bspw. Ausstellungskataloge, in denen Monk erwähnt wird: „Series X: Books, 1965-2004“, in: The New York Public Library for the Performing Arts, Music Division, Guide to the Meredith Monk Archive, 1959-2006, S. 72, und „Separated Materials. Printed Publications Held By The Music Division“, in: ebd., S. 72-80.

6

Siehe www MONK BIB.

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M. VanLoo legte 2009 mit „Inner Voice“7 einen Film über Monk, ihre künstlerische Arbeit und ihr spirituelles Leben vor. 1983 erstellte Peter Greenaway in seiner Filmreihe „Four American Composers“8 ein Portrait über Monk. Michael Blackwood widmete ihr 1993 in seinem „The Sensual Nature of Sound: Four Composers“9 neben Laurie Anderson, Tania León und Pauline Oliveros ein filmisches Portrait.10 Vor allem im US-amerikanischen Raum sind in den letzten Jahrzehnten einige Dissertationen entstanden, die sich mit einzelnen Aspekten von Monks künstlerischer Arbeit auseinandersetzen, häufig im Vergleich zu anderen zeitgenössischen Künstler_innen.11 Auch Theda Weber-Lucks Dissertation „Körperstimmen. Vokale Performancekunst als neue musikalische Gattung“12 leistet einen wichtigen Beitrag zur Einordnung von Monks künstlerischem Schaffen.

III.1.2 B IOGRAPHISCHES Bis 1964 Monks selbstverständlicher und selbstbewusster interdisziplinärer Umgang mit den unterschiedlichsten künstlerischen Medien fußt zunächst auf der Spezifik ihrer frühkindlichen künstlerischen Ausbildung und ihres Studiums. Die am 20.

7

Babeth M. VanLoo, Meredith Monk. Inner Voice.

8

Peter Greenaway, Four American Composers: Meredith Monk.

9

Michael Blackwood, The Sensual Nature of Sound: Four Composers

10 Über diese größeren, sich Monk vor allem als Komponistin nähernden Portraits hinausgehend, existieren weitere Filmbeiträge zu Meredith Monk, u. a. Michael Blackwood, Making Dances: Seven Postmodern Choreographers; Rich Dwyer et al., Performance: the living art; Meredith Monk et al., Meredith Monk: A Documentary. 11 Z. B. Jeanie K. Forte, Women’s Performance Art: Feminism and Postmodernism; Kathryn Sarell Martin, The performance works of Meredith Monk and Martha Clarke: A postmodern feminist perspective; Myrna Frances Schloss, Out of the twentieth century: three composers, three musics, one femininity; Pappas, Contemporary Performance Art. Composition: Post-modernism, Feminism, and Voice; Nancy Putnam Smithner, Directing the Acting Ensemble: Meredith Monk, Elizabeth Le Compte, And Anne Bogart; Rebekah Pym, The Voice as Gesture in Meredith Monk’s ATLAS; Leslie Satin, Legacies of the Judson Dance Theater: Gender and Performing Autobiography. 12 Weber-Lucks, Körperstimmen.

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November 1942 in New York City geborene Monk, heute praktizierende Buddhistin, stammt aus einer jüdischen Familie mit polnischen und russischen Vorfahren.13 Monk bezeichnet sich selbst als vierte Generation einer Familie von Sänger_innen.14 Ihr Urgroßvater war Kantor einer Moskauer Synagoge. Ihr Großvater mütterlicherseits war ein Opern-Bass-Bariton, der in den 1890ern aus dem zaristischen Moskau floh und zunächst im New Yorker Umland als Sänger arbeitete, bevor er in Harlem, NYC eine Musikhochschule eröffnete.15 Monks Mutter, Audrey Marsh, war eine professionelle Radio- und TV-Sängerin und sang u. a. Jingles in Zeiten, als Werbung im Radio noch life übertragen wurde.16 Monk erinnert sich, wie sie als Kind oftmals im Sendesaal saß und ihrer Mutter bei der Arbeit zuhörte, etwa, wenn diese als das Zigarettengirl von Muriel „Why don’t you pick me up and smoke me some time?“ sang.17 Und so fand auch Meredith Monk früh zum Gesang. Sie erinnert sich: „I loved to sing; even before I spoke words I was singing melodies.“18 Bereits im Alter von vier Jahren erhielt Monk Unterricht in Gesang und Klavier.19 Als Kind war sie nach eigener Auskunft körperlich „not very coordinated“ und erhielt deswegen zusätzlich Unterricht in Eurythmie nach der DalcrozeMethode.20 Darin sieht Christa Brüstle einen prägenden Einfluss für Monk hinsichtlich der „Einheit von Musik, Stimme, Körperbewegung und Tanz.“21 Monk selbst betont den Einfluss, den diese frühe Beschäftigung für ihre spätere Arbeit hatte.22 Monk studierte am Sarah Lawrence College in Bronxville, New York State, einem ehemals reinen Frauen-College.23 Hier wurde es ihr ermöglicht, sich ihr eigenes „combined performing arts program“ zusammenzustellen und eigene

13 Vgl. Brüstle, „Monk“, S. 367; Monk in Strickland, „Voices/Visions“, S. 140. 14 Vgl. Monk in Howe, Monk, „Monk in Interview: Meredith Monk“, 2. 15 Vgl. Ross, „Primal Song“, S. 84; Brian Howe, Meredith Monk, „Monk in Interview: Meredith Monk“, 2. 16 Vgl. Ross, „Primal Song“, S. 84; Howe, Monk, „Monk in Interview: Meredith Monk“, 2. 17 Vgl. Ross, „Primal Song“, S. 84; Monk in Duckworth, „Meredith Monk“, S. 347f. 18 Monk in Mountain Record, „Authentic Voice: An Interview with Meredith Monk“. 19 Vgl. Brüstle, „Monk“, S. 367. 20 Vgl. Monk in Duckworth, „Meredith Monk“, S. 349. 21 Brüstle, „Monk“, S. 367. 22 Vgl. Monk in Duckworth, „Meredith Monk“, S. 349, oder auch Monk in Howe, Monk, „Monk in Interview: Meredith Monk“, 2. 23 Vgl. Brüstle, „Monk“, S. 367.

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Arbeiten zu entwickeln.24 Bereits 1962 führte sie dort ihr „And Sarah Knew“ sowie 1963 ihre „Troubadour Songs“ für drei Performer_innen und ihr „Vibrato“ für vier Performer_innen auf.25 Sie studierte sowohl am „Voice“ als auch am „Dance/Theater“ Department, und nahm währenddessen Unterricht im klassischen Lied- und auch Operngesang. Ihren Lebensunterhalt während des Studiums verdiente sie damit, auf Kindergeburtstagen Folksongs zu spielen. Später, in New York, unterrichtete sie Kindergruppen in Musik und Tanz und stand Modell für Maler_innen.26 Da der Tanz für sie physisch immer eine größere Herausforderung darstellte, entwickelte sie nach eigener Aussage bereits früh einen individuellen bzw. idiosynkratischen Bewegungsstil.27 Als sie 1964 direkt nach Beendigung ihres Studiums 22jährig nach New York zog, wurde sie dort zunächst als Tänzerin und Choreographin wahrgenommen und bekannt, nachdem sie noch im selben Jahr Mitglied der später einflussreich werdenden „Judson Dance Company“ wurde.28 Bereits im Jahr ihrer Ankunft in Downtown zeigte Monk auch erste eigene Arbeiten.29 In New York traf sie auf die für sie extrem fruchtbare Downtown-Szene, in die sie sich sogleich mit ihrem eigenen interdisziplinären Ansatz einbrachte und die sie von diesem Zeitpunkt an entscheidend mitprägte. Monk in Downtown New York, 1964-1979 Ich erachte Monks Präsenz in der Downtown-Szene in den ersten fünfzehn Jahren nach ihrer Ankunft in New York als sehr prägend für ihre eigene künstlerische Entfaltung generell, im speziellen auch für ihren individuellen Vokalstil. „I mean my big breakthrough was like late 60s, like finding my beginnings, but truly I came to fruition of my way of thinking about things in the 70s, because my first full concert music that […] didn’t have any dance or any theatrical elements was in 1970. It was at the Whitney Museum, it was called ‚A Raw Recital‘. And there I did a lot of material from ‚Key‘, […] that was the first time I did a whole evening of music. And I started play24 Vgl. Monk in Mountain Record, „Authentic Voice: An Interview with Meredith Monk“ sowie in Howe, Monk, „Monk in Interview: Meredith Monk“, 2. 25 Vgl. Werkverzeichnis auf www MONK WORK. 26 Vgl. Monk in Duckworth, „Meredith Monk“, S. 362 und Monk in Howe, Monk, „Monk in Interview: Meredith Monk“, 1. 27 Vgl. Monk in Howe, Monk, „Monk in Interview: Meredith Monk“, 1. 28 Vgl. Jowitt, „Introduction“, S. 4. 29 Vgl. hierzu auch Kapitel II.2.2 „Akteur_innen Downtowns. Monks frühe DowntownZeit“.

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ing keyboard again. So the 70s, that was really the blooming of me as an artist. [A] very important time for me.“30

In dieser Zeit entwickelte und führte Monk über 40 Stücke auf, darunter Choreographien für Solo oder kleine Ensembles, solistische „vocal recitals“, Performances, Multimedia-Arbeiten, ortsspezifische Stücke, große Ensemblestücke und Musiktheaterprojekte,31 und etablierte sich als wichtige Vertreterin der New Yorker Avantgarde. Die Downtown-Szene bot Monk ab dem Moment ihres Eintauchens einen fruchtbaren Experimentier- und Kollaborationsraum. Sie erinnert sich an die intensive Szene der 1960er Jahre in Downtown, an all die Künstler_innen aus den unterschiedlichen künstlerischen Disziplinen, die die Grenzen ihrer eigenen Kunst austesteten, und wie anschlussfähig sich diese Szene für sie anfühlte, da sie diesen Aspekt bereits selbst begonnen hatte auszuloten.32 Nicht zuletzt war es im Kontext einer typischen Downtown-Kollaboration, in dem Monk sich erneut ihrer Stimme zuwandte und schließlich ihre vielfach wiedererzählte „revelation“ bezüglich ihrer Stimme erlebte, welche sie zu ihrem höchst individuellen vokalen Ansatz erweiterter Stimmtechniken führte.33 Obgleich viele Künstler_innen in Downtown wie Monk einen multidisziplinären künstlerischen Ansatz hatten und nicht wenige mit ihrer eigenen Stimme arbeiteten,34 sah Monk sich anfangs, wie bereits zitiert, mit ihrer spezifischen, individuellen vokalen Praxis allein: „It was pretty much a lone kind of road. At that time I wasn’t aware of anyone working with the voice in a way that is now called extended vocal techniques, there just wasn’t anybody working that way.“35

Wird Monk in dieser Dissertation in Anlehnung an Weber-Lucks als Pionierin der vokalen Performancekunst verstanden,36 so bietet diese Aussage Monks 30 Monk in Monk, Kohl, Interview mit Meredith Monk. 31 Vgl. Monks Werkverzeichnis auf www MONK WORK. 32 Vgl. Monk in Monk, Voegeli, Lutman, Gann, „Meredith Monk – American Mavericks“. 33 Siehe zu dieser Kollaboration, einem gemeinsamen Satie-Festival mit Dick Higgins und Philip Corner, das Unterkapitel II.2.3 „Künstlerische Praktiken in Downtown New York. Vokale Performancekunst in Downtown. Monks vokalexperimentelle ‚Offenbarung‘ im Kontext von Downtown-Kollaborationen“. 34 Siehe hierzu das Unterkapitel II.2.3 „Künstlerische Praktiken in Downtown New York. Vokale Performancekunst in Downtown“. 35 Monk in Monk, Voegeli, Lutman, Gann, „Meredith Monk – American Mavericks“.

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einen wichtigen Hinweis darauf, dass sich die neue Gattung nicht explizit als solche und nicht im Kontext einer definierten Künstler_innen-Gruppe oder Schule herausgebildet hat. Vielmehr handelte es sich um eine Praxisform, die parallel und in offensichtlich teils unbewusster gegenseitiger Beeinflussung von Individuen entwickelt wurde, die ähnlich zu arbeiten begannen. Für die künstlerische Downtown-Szene war es, wie gezeigt, bezeichnend, dass sich die professionellen Beziehungen der Künstler_innen untereinander vorwiegend nicht in Form von definierten Gruppen oder Schulen mit einer gemeinsamen Ästhetik oder geteilten Zielen gestalteten.37 Die einzelnen Künstler_innen bewegten sich sehr individuell durch die einander überschneidenden Szenen, die sich lose um spezifische künstlerische Interessen und Praxisformen herum formierten. Die Individualität und somit Heterogenität ihrer künstlerischen Praxis standen dabei im Vordergrund.38 Die Entstehung der vokalen Performancekunst erweist sich somit erneut als ein typisches Beispiel für das künstlerische Kräftefeld Downtown sowie sich erneut die Bedeutung des künstlerischen Kräftefelds Downtown als durch die Beziehungen seiner Akteur_innen und deren künstlerischer Praktiken bestimmten Netzwerksystems für die Hervorbringung der vokale Performancekunst verdeutlicht. Monks Arbeit mit der Stimme als holistischer Ansatz Monk befand sich mit ihrem multidisziplinären, experimentellen, idiosynkratischen Ansatz im künstlerischen Kräftefeld Downtown also einerseits in bester Gesellschaft. Andererseits unterschied sie sich laut Alex Ross dennoch in Haltung und Motivation: „Monk’s feat was to bring wholeness, even a kind of epic breadth, to the deconstructive happenings of downtown.“39 Monk, von Zen und Buddhismus beeinflusst,40 verfolgt einen holistischen Ansatz. „Es ist die Erfahrung einer ungeteilten, menschlichen Gemeinschaft,“ 36 Siehe hierzu Kapitel I.2 „Vokale Performancekunst“. 37 Vgl. Taylor, „Playing the Field“, S. 23. 38 Vgl. hierzu Kapitel II.2 „Downtowns Bausteine: Räume, Akteur_innen, künstlerische Praktiken“. 39 Alex Ross, „Primal Song“, S. 84. 40 Monk wandte sich bereits in den 1970er Jahren spirituellen Praktiken zu. So war sie seit den 1970ern regelmässig teilnehmende Künstlerin des buddhistischen Zentrums „Naropa Institute“ (siehe bspw. AHF 16 Monk, West, „Interview with Meredith Monk and Rebecca West“, CD 454/Cassette PP). ‒ Siehe auch Marranca, Monk, Performance and the spiritual life. Meredith Monk in conversation with Bonnie Marranca. PAMM 04.

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schreibt Weber-Lucks, „die [Monk] von Anfang an in ihren Performances als Gegenpol zum fragmentierten, schnellen Leben des modernen Westens suchte.“41 Der von Monk als solche erlebten fragmentierten und indirekten, vermittelten Erfahrungswelt setzt sie den Wunsch nach Heilung, Zusammenführung, Direktheit und Kommunikation entgegen, für den ein emotionaler Zugang unerlässlich ist. „I think that the world we are living in now desperately needs to have experiences that are direct, that are not filtered by discursive thought. Our culture is build on encouraging indirect experience – you either evaluate it or you narrate it. All these devices that are in our culture, like the computer, television – the speeding of experience, the fragmenting of experience – are designed to distract you from direct experience. So everything is like secondary experience. I think that live performance gives you that possibility of actually having direct experience, slowing down time a little bit, which I appreciate very much, and I think of as an antidote. I don’t know if I would say exactly the ‚secularization of the spiritual‘ because I think Buddhism itself is a non-theistic practice. My thinking for many years has been, Why do we also make a seperation between art and spiritual practice?“42

Sie versteht ihre künstlerischen Praxis als eine spirituelle Praxis, insofern sie darin die Möglichkeit direkter menschlicher Kommunikation sieht: „Another thing I love so much – I’ve said it many times about live performance – is that we are in the same moment in the same space. There is a congregation of human beings, including human beings who are performing, and, in a sense, are so vulnerable. That level of communication is very important in the world that we are living in.“43

Diese Form der Kommunikation birgt für Monk die Potentiale, Fragen aufzuwerfen, für die es keine eindeutigen Antworten gibt, und Emotionen zu evozieren und zu vermitteln, für die es keine Worte gibt, die jedoch ihrer Meinung nach kulturübergreifende Gültigkeit haben und somit alle Menschen gleichermaßen angehen.44

41 Weber-Lucks, Körperstimmen, S. 191. 42 Monk in Marranca, Monk, Performance and the spiritual life. Meredith Monk in conversation with Bonnie Marranca. PAMM 04, o. S. 43 Ebd. 44 Ebd.

272 | M EREDITH M ONKS VOKALE PERFORMANCEKUNST „And feeling and emotion is not the same as sentiment. Real emotion – we don’t even have a word for it. It’s not anger, sadness. It’s like subtle shades of feeling or energy. There is just not a lot of work that addresses that.“45

Während diese Zusammenhänge, dieser Wunsch nach einer direkten zwischenmenschlichen Kommunikation durch ihre Performances, ihre Denkweise und ihre künstlerische Praxis bis heute prägen, beeinflusste diese Haltung bereits in den 1970er Jahren ihre Arbeit: „When I was a young artist, creating Education of the Girlchild or Vessel, I was working on that level in those days too. I feel like my work always had that. But I think now I am a little bit more aware. At that time I just assumed it, or came to that point instinctively[.]“46

Die Stimme spielt in diesem Kontext eine ganz besondere Rolle, da sie Monks eigener Stimmphilosophie zufolge ein universelles emotionales Bindeglied darstellt.47 „Eine [Idee] war,“ zitiert Weber-Lucks Monk, „dass diese vokale, nonverbale Musik, die Menschen tief in ihrem inneren Kern berühren würde und dass dabei Emotionen freigesetzt würden, für die wir keine Worte haben. Also, zurück zu diesen Bereichen menschlicher Kommunikation, die wir verloren haben ... zurück zu den Ursprüngen menschlichen Wesens. … Aber ich wollte das nicht nur für mich.

45 Ebd. 46 Ebd. ‒ Die Unterhaltung mit Bonnie Marranca fand 2008 statt und bezieht sich stark auf Monks aktuelle spirituelle Praxis. Monk hatte allerdings bereits in den 1970er Jahren Kontakt mit buddhistischer Praxis. So hatte sie durchgehend Kontakt mit dem buddhistischen Zentrum Naropa Institute, das 1974 eröffnete und regelmäßig mit Künstler_innen arbeitete, im Eröffnungsjahr beispielsweise mit Allen Ginsberg und John Cage (siehe Monk, West, AHF 16 „Interview with Meredith Monk and Rebecca West“, CD 454/Cassette PP). Dort zeigte Monk bspw. 1976 „Songs from the Hill“ (siehe Programmzettel „The Moming Collection“, MMA Box 56 Folder 8), zeigte ebenfalls 1976 „Summer Anthology“ und gab den Workshop „Master Class in Dance – Meredith Monk“ (siehe beide Programmzettel „Naropa Institute – Special Events“, MMA Box 15 Folder 14), führte 1978 „The Plateau Series“ auf (siehe Werkverzeichnis auf www MONK WORK), und trat 1978 erneut als Workshopleiterin in Erscheinung (siehe Programmheft „Naropa Institute 1978 Summer Catalogue“, MMA Box 16 Folder 4). 47 Vgl. hierzu die Unterkapitel in I.2 „Vokale Performancekunst“ „Die Emotion der eigenen Stimme“ und „Das Konzept der ‚Urstimme‘“.

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Es ging mir immer um das Öffnen von Klang, Gedächtnis, Körpern und Herzen der Menschen … und vor allem um das Öffnen anderer Welten.“48

Um das Öffnen anderer Welten ging es Monk auch generell bei ihrem grenzüberschreitenden Umgang mit unterschiedlichen Medien und Kunstformen vor allem in ihrer frühen New Yorker Zeit: „I feel like I was always trying to work between the cracks of what we think of as art-forms to find another form.“49 Man könnte meinen, dass diese andere Form mit der vokalen Performancekunst gefunden und diese Suche damit beendet sei. Ich interpretiere diese Aussage allerdings auch dahingehend, dass Monk ihre Arbeitsweise „to work between the cracks“, die tendenziell postmodern eklektizistisch war, selbst weniger als solche verstand, sondern vielmehr als die Suche nach einer holistischeren Kunstpraxis. Monks Idee, Erfahrungen teilen zu wollen und dadurch Gemeinschaften zu bilden, ihr emotionaler Ansatz sowie der Wunsch nach „Heilung“ und nach der Verbindung einzelner Erfahrungen zu einem logischen, nachvollziehbaren, spürbaren Ganzen, sind dabei im Kontext der zweiten Frauenbewegung der 1970er Jahre anschlussfähig an ein neues feministisches Bewusstsein, insbesondere an ein identitätspolitisches.50

48 Monk zitiert in Weber-Lucks, Körperstimmen, S. 188f. 49 Monk in Howe, Monk: „Monk in Interview: Meredith Monk“, 1. 50 Vgl. hierzu ausführlicher Kapitel I.3 „Performancekunst und feministisches Bewusstsein“.

III.2 Monks vokale Performancekunst: Downtown-Praxis und feministische Praxis?

III.2.1 V OKALE P ERFORMANCEKUNST ALS FEMINISTISCHE P RAXIS UND ALS D OWNTOWN -P RAXIS Im ersten Kapitel (I.3 „Performancekunst und feministisches Bewusstsein“) habe ich herausgearbeitet, aufgrund welcher Charakteristika die Performancekunst als feministische Praxis interpretiert wird. Zum einen steht im Vordergrund, dass hier vor allem Frauen als Akteurinnen dieser neuen Kunstform aktiv wurden – Frauen machten sich in diesem Kontext von Objekten zu Subjekten der Kunst – und diese als Praxisform entscheidend formten, u. a. entlang ihrer im Zuge der zweiten Frauenbewegung neu formulierten und politisierten Bedürfnisse und Forderungen. In diesem Zusammenhang spielt ein identitätspolitischer Ansatz eine Rolle, aus dem heraus explizit Erlebnisse, Bedürfnisse und Erfahrungen von Frauen thematisiert und aufgewertet wurden. Das Persönliche und Autobiographische wurde dabei als auf kollektiven Erfahrungen basierend und somit als fundamental politisch (an-)erkannt, was zu thematisieren eine wichtige feministische Aufgabe sei. Eine wichtige Rolle spielte hierfür das Zusammenfinden in Gruppen bzw. Kollektiven. Daraus ergab sich ein fruchtbares Spannungsfeld zwischen kollektiven und kollaborativen Arbeitsformen und einer persönlichen, individuellen, autobiographischen Praxisform. Wie gesehen, bedeutete bereits das Setzen von Themen eine Gegenbewegung gegen eine „coole“, Inhalte vermeidende, zeitgenössische, männlich dominierte Kunstpraxis. Und auch die Themen selbst, die verhandelt wurden, hatten feministische Inhalte: die Erfahrungen und Lebensrealitäten von Frauen, autobiographische Erzählungen, Emotionen. Darüber hinaus waren es die Handlungsweisen, wie diese Themen ver-

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handelt wurden, die eine feministische Haltung vermittelten: sowohl kollaborative als auch individuelle, selbstermächtigende Praktiken, körperbezogene Praktiken, prozessuale und ephemere Formen sowie ein emotionales Agieren. Im zweiten Kapitel, vor allem in II.2.3 „Künstlerische Praktiken in Downtown“, habe ich die Kriterien und Handlungsweisen herausgearbeitet, die die Charakteristika einer Downtown-Praxis ausmachen. Zentral für die DowntownPraxis war eine auf vielen Ebenen grenzüberschreitende Praxis. Grenzüberschreitend einerseits hinsichtlich der Kunstformen, mit denen die einzelne Künstlerin oder der Künstler arbeitete. Fast alle experimentierten mit den unterschiedlichsten Medien, vor allem auch mit denen, für die sie keine klassische Ausbildung hatten, und entwickelten daraus einen jeweils sehr individuellen, idiosynkratischen multimedialen Stil. Darauf basierte das von einer Heterogenität künstlerischer Ansätze geprägte künstlerische Kräftefeld Downtown. Somit lag der Fokus, trotz eines grundlegenden, freundschaftlichen Gemeinschaftsgefühls und einem weitestgehend homogenen sozialen Hintergrund der Künstler_innen, künstlerisch auf einem Individualismus. Im Gegensatz zu einer als elitär empfundenen Kunst Uptowns, die auf Expert_innentum, perfektionierter Technik, auf definierten Gattungsgrenzen und einem strengen Formalismus beruhte, orientierte sich die Downtown-Praxis stärker am Alltag der Künstler_innen und an deren persönlichen Fähigkeiten. In Bezug auf die DowntownMusik bedeutete dies, dass die Künstler_innen meist ihre eigene, auf die eigenen Fähigkeiten und Vorlieben zugeschnittene Musik aufführten. Es bildete sich der Typus des ComposerPerformers heraus, der eine zentrale Rolle im künstlerischen Kräftefeld Downtown spielte. Gerne wurde auch mit Nicht-Musiker_innen gearbeitet. Somit formulierte sich die Downtown-Praxis auch als eine Kritik an der so genannten Hochkunst und verstand sich als anti-elitär. Die Praxis brachte eine Konzentration auf das Machen von Kunst und Musik anstatt auf ihre Produkte mit sich, auf die Prozesse anstatt auf das Werk. In diesem Kontext genossen prozessuale, performative Formen gegenüber einer auf ein Kunstobjekt bezogenen Praxis eine höhere Beliebtheit. Ferner spielte die Auseinandersetzung mit Räumen und Orten, d. h. ortsspezifische Kunst, eine Rolle. Eine Politisierung der Szene schlug sich in erster Linie in Form von Protestaktionen, als AntiKriegs- oder Anti-Diskriminierungs-Aktionen, oder von Aktivismus in der Wohnraumpolitik nieder. Eine politisierte Haltung der Downtown-Praxis äußerte sich ebenfalls durch das Setzen spezifischer Themen, insbesondere in feministischen Kontexten, und allgemeiner durch gegenkulturelle Praxisformen. Die Tatsache, dass diverse Charakteristika sowohl für die feministische Performancekunst als auch für die Downtown-Praxis gelten, zeigen deren Überschneidungen und gegenseitige Beeinflussungen.

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Im Zuge meiner Argumentation habe ich plausibel gemacht, inwiefern die vokale Performancekunst entlang der zuvor zusammengefassten Charakteristika sowohl als potentiell feministische Praxis als auch als Downtown-Praxis verstanden werden kann. Die Konzentration auf die Körperstimme, die im Zentrum der vokalen Performancekunst steht, betont die Körperlichkeit dieser Kunstform. Die Stimme gilt zudem als Bindeglied zum Emotionalen, hat sowohl einen unauflöslichen direkten Bezug zum Individuum als auch zugleich eine kollektive Bestimmtheit. Sie ist fundamental prozessual und performativ. Aufgrund der erweiterten Stimmtechniken und der multimedialen Ansätze der vokalen Performancekunst bildet diese eine neue, eigene Tradition, auch wenn sie Bezüge zu historischen Avantgardebewegungen erkennen lässt. Jedoch widersetzt sie sich vorgegebenen Grenzen von klar abgegrenzten Kunstformen und vordefinierten Stimm- und Klangidealen. Zentral ist die Konzentration auf den höchst persönlichen, nicht von einer einzelnen eindeutigen Tradition bestimmten Mix an Fähigkeiten und Vorlieben der VocalComposerPerformer, auf dem deren Kunst beruht. Die vokale Performancekunst ist weniger explizit politisch im Sinne von agitatorisch, sondern eher implizit durch die Praxisformen und gegebenenfalls durch die Inhalte.

III.2.2 M ONK

ALS V ERTRETERIN DER VOKALEN P ERFORMANCEKUNST

Da Meredith Monk als Pionierin und erste Vertreterin der vokalen Performancekunst gilt, welche nun sowohl als potentiell feministische Praxis als auch als Downtown-Praxis interpretierbar ist, ist es folgerichtig, auch Monks vokalperformancekünstlerischen Arbeiten als solche zu interpretieren. Monk etablierte sich in dem künstlerischen Kräftefeld Downtown als eigenwillige, erfinderische und idiosynkratische Künstlerin mit einem starken eigenen Stil. Ihr individueller, multi-medialer Ansatz entwickelte sich zu einer Zeit, in der diese Art zu arbeiten dort zur üblichen künstlerischen Praxis wurde. Zugleich sollte damals die selbstbestimmte, unabhängige Art und Weise, wie Monk ihre Arbeit anging, für Frauen erst langsam zur Selbstverständlichkeit werden. Die „Neu-Entdeckung“ ihrer Stimme Mitte der 1960er Jahre veränderte Monks künstlerische Praxis nachhaltig. Es gelang ihr, die Prinzipien der Kunstformen, mit denen sie zuvor gearbeitet hatte, für die Stimme fruchtbar zu machen. Während sie parallel in anderen künstlerischen Formaten weiterarbeitete, konzentrierte sie sich in den ersten zehn Jahren nach dieser „Offenbarung“ beim Erkunden der vokalen Möglichkeiten auf die eigene Stimme. Erst dann begann

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sie, ihre Erkundungen und vokalen Techniken auch an andere Sänger_innen weiterzugeben, sie also auf andere Stimmen zu übertragen. Zu diesem Zeitpunkt, 1978, gründete sie ihr „Meredith Monk & Vocal Ensemble“ und begann damit ihren Weg einer kollaborativen vokalen Performancekunst. Sally Banes unterteilt Monks künstlerische Arbeit seit 1964 bis Ende der 1970er grob in fünf Kategorien: frühe Tanzstücke, große ortsspezifische Stücke, Kammerstücke, Kollaborationen und Musikkonzerte.1 Ich werde in den nächsten zwei Unterkapiteln Monks Weg von der Tänzerin zur Sängerin und vokalen Performancekünstlerin eher chronologisch anhand von Monks künstlerischen Arbeiten dieser Zeit nachzeichnen. Dabei versuche ich, möglichst viele Arbeiten Monks zu berücksichtigen, allerdings ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Im anschließenden Unterkapitel gebe ich einen Überblick über einige grundsätzliche, wiederkehrende ästhetische Aspekte ihrer künstlerischen Praxis. Im anschließenden Kapitel III.3 werde ich ausgehend von den Kriterien einer feministischen Praxis einzelne Arbeiten Monks diskutieren. Die teilweise Rekonstruktion von Monks Arbeiten der 1960er und 1970er Jahre in den folgenden Kapiteln basiert aufgrund der Quellenlage zum großen Teil auf zeitgenössischen Rezensionen und Besprechungen. In einigen Fällen existieren Skizzen des szenischen und/oder musikalischen Ablaufs oder der Bühneneinrichtung. Etwa existieren für „Our Lady of Late“ und „Tablet“ Leedsheets,2 welche allerdings nicht mit einer klassischen Partitur verwechselt werden dürfen. Für „Juice“ und „Vessel“ liegen eingeschränkte Aufführungsskizzen vor.3 In den Archiven liegen zahlreiche Fotografien, Programme und Plakate insbesondere der größeren Arbeiten wie „Juice“, „Vessel“, „Education of the Girlchild“ oder „Quarry“, aber auch von Konzerten wie beispielsweise von „Our Lady of Late“ oder „Dolmen Music“.4 Ich hatte ferner Zugang zu audiovisuellen Mitschnitten der Proben zum ersten und dritten Teil von „Vessel“5 sowie zu Videoaufzeichnungen von Aufführungen bzw. Fernsehinszenierungen von „16 Millimeter Earrings“,6 „Education of the Girlchild“,7 „Paris“8 und „Quarry“. Der

1 2

Vgl. Banes, „Homemade Metaphors“, S. 150. Siehe Leadsheets „Our Lady of Late“, leadsheets „Tablet“, jeweils MMA Box 61 Folder 4.

3

Siehe Programm „Juice“, MMA Box 15 Folder 9; Skizzen „Vessel“, MMA 291 Box 8.

4

Siehe vor allem in MMA, aber auch in AHF, JMChA, KA, PAMM.

5

AHF 01 „Vessel (Parking Lot) – Rehearsal Part I Monk’s Loft – NYC 1971 ‚Do You Be‘“ und AHF 02 „Vessel (Parking Lot) – Rehearsal Part III. Canal Street – NYC 1971“.

6

AHF 14 Monk, Withers, „16 Millimeter Earrings“.

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Film „Ellis Island“, der ursprünglich Teil der Musiktheaterperformance „Recent Ruins“ war, ist heute auch als eigenständiger Film zu erhalten.9 Peter Greenaways Dokumentarfilm „Four American Composers: Meredith Monk“ enthält diverse Sequenzen mit Mitschnitten einiger von Monks Arbeiten.10 Monks Vokalmusikstücke aus der Zeit 1964-1979, ob als Teile von Vokalkonzerten, Liederzyklen oder aber größeren Musiktheaterperformances, sind teilweise auf den entsprechenden Alben erschienen.11 Von der Tänzerin zur Sängerin, die 1960er Jahre Abbildung 16: Meredith Monk, „Break“

Archiv House Foundation, Foto: Charlotte Victoria

Zu Beginn ihrer New Yorker Zeit Mitte der 1960er Jahre trat Monk vor allem als Tänzerin und Performerin in Erscheinung. Bereits zuvor, während ihres Studiums am Sarah Lawrence College, hatte Monk ausführlich Erfahrungen auf der Bühne sowohl als Tänzerin als auch als Sängerin gesammelt. So fühlte sie sich von früh an als Performerin auf der Bühne sehr sicher. Doch war ihr auch sehr früh klar, dass sie ihre eigene künstlerische Aufgabe nicht in der einer Interpretin 7

AHF 12 „Education of the Girlchild. Group and Solo“.

8

AHF 13 Monk, Chong, „Paris“.

9

Monk, John Killacky, Book of Days/Ellis Island, DVD.

10 Peter Greenaway, Four American Composers: Meredith Monk, Video. 11 Siehe Diskographie im Anhang.

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sah.12 Zu stark war ihr Ausdruckswille und das Bedürfnis nach einer eigenen, neuen Kunstform, in der sie sich zu Hause fühlen konnte.13 Durch ihren direkten Einstieg in die „Judson Dance Company“ nach ihrer Ankunft in Downtown trat sie zunächst vor allem als Tänzerin bzw. als Performerin in Choreographien wie auch in diversen Happenings und Fluxus-Stücken u. a. ihrer Kolleg_innen der „Judson Dance Company“ auf. Zudem zeigte sie von Anfang an auch eigene, eher choreographische Arbeiten. So sehr sie ihre Kolleg_innen, deren Arbeiten und die Kunstform des Happenings schätzte, so überzeugt war sie von früh an, dass deren Zugang nicht der ihre sein würde.14 Im Vergleich zu der nüchternen, klaren Ästhetik und dem improvisatorischen Ansatz der ersten Generation von „Judson“-Choreograph_innen war Monks Ansatz von vornherein sehr viel theatraler.15 Diese frühe Zeit in Downtown war die Zeit, in der Monk am stärksten mit anderen Künstler_innen kollaborierte und in deren Arbeiten in Erscheinung trat. Auch danach arbeitete sie zwar immer wieder mit zahlreichen anderen Sänger_innen, Musiker_innen, Tänzer_innen und anderen Künstler_innen zusammen, jedoch meist im Kontext ihrer eigenen Kunst. In ihrer frühen DowntownZeit arbeitete sie zum Beispiel eng mit Kenneth King zusammen, der wie sie zur zweiten Generation der „Judson Dance Company“ gehörte. Von King, der einen akademischen Hintergrund in Philosophie hatte und sich von da ausgehend aktiv mit Theater, Bewegung und der Verwebungen von Kultur und zeitgenössischer Politik auseinandersetzte, lernte Monk viel über Theater.16 Sie trat in seinen Arbeiten wie etwa in „Spectacular“ (1965) auf und er in ihren Arbeiten, bspw. in „Cartoon“ (1965) und „Duet with Cat’s Scream and Locomotive“ (1966).17 Weitere Künstler_innen, mit denen Monk früh kollaborierte, waren u. a. Carolee Schneemann, Al Hansen, Dick Higgins, Judith und Robert Dunn, Elaine Summers, Phoebe Neville, Terry Riley, Phil Corner, Roberts Blossom, Jackson Mellow, Peter Schumann, Phill Niblock und Philip Corner.18 12 Vgl. Monk in Strickland, „Voices/Visions“, S. 138. 13 Siehe Monk in Howe, Monk, „Monk in Interview: Meredith Monk“, 1. 14 Vgl. Koenig, „Performer-Creator“, S. 53. 15 Vgl. hierzu Bear, S. 83f., Banes, „Homemade Metaphors“, S. 150, Jowitt, „Introduc tion“, S. 4. 16 Siehe Putnam Smithner, „Four Decades“, S. 96. 17 Vgl. Koenig, „Performer-Creator“, S. 52f. 18 Vgl. hierzu Monk in Duckworth, „Meredith Monk“, S. 362; Koenig, „PerformerCreator“; S. 52, Putnam Smithner, „Four Decades by Design and by Invention“, S. 95f.; AHF 03 Meredith Monk, „Arts Presenter Lecture“, CD 431a/Cassette N. In Abbildung 17 ist Monk mit Philip Corner bei einem Happening zu sehen.

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Abbildung 17: Meredith Monk mit Philip-Corner, „Happening“

Archiv House Foundation, Foto: unbekannt

Die ersten eigenen Arbeiten, die Monk in New York zeigte, bezeichnete sie selbst später als „mosaics of gesture, image, sound and objects, mostly performed in galleries and alternative spaces.“19 Auch wenn sie laut Deborah Jowitt bereits in dieser frühen Zeit des öfteren die Stimme in ihre Arbeiten mit einwob, gelangte diese zu einer prominenteren Stellung erst nach ihrer „revelation“ Mitte der 1960er Jahre.20 Bereits in ihrer ersten Arbeit „Break“ (1964), die Monk in Downtown New York zeigte, waren für ihre Performancekunst charakteristisch werdende Aspekte wie eine ausgeprägte Theatralität und Expressivität, eine Sensibilität für die Räumlichkeiten sowie schnelle Wechsel und Veränderungen präsent: „Break“ war ein Solotanz mit kantigen, plötzlich innehaltenden StaccatoBewegungen, mit starken Brüchen und schnellen Kontrasten, begleitet von 19 Monk, Beginnings. 20 Vgl. Jowitt, „Introduction“, S. 10.

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einem Soundtrack mit den Klängen von Autounfällen und in einer durch die schnellen Schnitte der Bilder regelrecht filmischen Manier:21 „[C]ut, cut, cut, very sharp, fast changes of image. And it already had a sort of dramatic quality to it. I was working with words and gestures, and it had a real persona.“22 Am Ende verließ Monk die Bühne, lief den Mittelgang hinauf und stand inmitten des Publikums und blickte gemeinsam mit dem Publikum zurück auf die leere Bühne, um „the absence of figure“ zu betrachten.23 Ebenfalls im Jahr ihrer Ankunft in Downtown zeigte Monk außerdem „Diploid“, ein Duo für zwei Performer_innen, im Clark Center for the Performing Arts. 1965 realisierte Monk einige eigene Arbeiten an ihrem Hauptarbeitsplatz, der Judson Hall: das Duo „Radar“, das Solo „Blackboard“, „Cartoon“ für 7 Performer_innen sowie die Kollaboration mit Dick Higgins „Relâche“ für 6 Performer_innen zu der Musik von Eric Satie. Im gleichen Jahr erarbeitete sie „The Beach“ für das Hardware Poets Playhouse, welches sie im Folgejahr ebenfalls in der Judson Church zeigte, so wie auch 1966 ihre zwei neuen Stücke für zwei Performer_innen „Duets with Cat’s Scream and Locomotive“ und „Portable“.24 1966 fand bei Dick Higgins zuhause das Konzert bzw. der PerformanceAbend statt, für den Phil Corner Meredith Monk gebeten hatte, einige SatieLieder beizutragen. Bei der Vorbereitung für die Performance hatte Monk ihre berühmte „revelation“.25 „There are events that change our lives irrevocably; that moment of discovery in the mid 60s changed mine. From that point on, exploiting my voice, and what it could evoke, delineate, uncover, and ultimately give to others became the core of my work. […] It became immediately apparent that I had found what would be the soul of my work.“26

Zunächst bedeutete diese zentrale Beschäftigung mit der Stimme eine Konzentration auf die eigene Stimme. Von Mitte der 1960er bis Mitte der 1970er Jahre lag das Hauptinteresse von Monks vokalmusikalischer Auseinandersetzung in

21 Vgl. Koenig, „Performer-Creator“, S. 54, Putnam Smithner, „Four Decades“, S. 95f., Banes, „Homemade Metaphors“, S. 150. 22 Monk, zitiert in Koenig, „Performer-Creator“, S. 54. 23 Siehe Monk, Jowitt, „Meredith Monk in Conversation with Deborah Jowitt“, S. 69. 24 Vgl. Putnam Smithner, Directing Ensemble, S. 401f. Vgl. auch www MONK WERK. 25 Siehe ausführlicher dazu Kapitel II.2.3 „Künstlerische Praktiken in Downtown. Vokale Performancekunst in Downtown. Monks vokalexperimentelle ‚Offenbarung‘ im Kontext von Downtown-Kollaborationen“. 26 Monk in „The Soul’s Messenger“, PAMM 01.

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der solistischen Vokalmusik. „I was just forming my vocabulary, and I wasn’t ready to explain to somebody what I was doing, enough to work with a group.“27 Monks 2009 erschienenes Album „Beginnings“ gibt einen guten Einblick in ihre frühen vokalmusikalischen Arbeiten. Die beiden ältesten Songs auf dem Album, „Greensleaves“ von 1584 und Monks selbst komponiertes „Nota“ von 1966, waren beide Teil von Monks Ende 1966 in der Judson Memorial Church uraufgeführten multimedialen Performance „16 Millimeter Earrings“. „Nota“ ist eine einfache Vokalise, die Monk ohne weitere stimmtechnische Effekte mit einem einfachen, klaren, ungekünstelten Ton auf dem Vokal [a:] singt.28 Die Vokalise variiert eine einfache Melodie mit vom Grundton ausgehenden Quartsprüngen nach unten sowie den Tonraum eine große Terz oberhalb des Grundtons durchschreitenden Tonfolgen. Die Melodie kreist förmlich um den Grundton, ist zirkulär und kontinuierlich. Monk begleitet sich dabei auf der Gitarre mit einem offenen Quintakkord, den sie in gleichbleibendem Rhythmus jeweils zu Taktbeginn einmal anschlägt. Obgleich dieses sehr einfach gehaltene Lied noch nicht an die Komplexität von Monks späteren vokalen Performances herankommt und sie auch noch nicht mit erweiterten Stimmtechniken arbeitete, zeigen sich hier bereits einige zentrale Aspekte, die später Monks Vokalstil prägen werden: eine einfache Bordunbegleitung, über der die Stimme sich frei entfalten kann, sowie die Konzentration auf Minimalveränderungen, wie hier der einfachen Melodie, gegenüber der Kontinuität anderer Parameter, wie hier der Klangfarbe oder des Rhythmus. Das Lied „Nota“ steht am Anfang der Performance „16 Millimeter Earrings“ und ist erneut in der zweiten Hälfte zu hören, während am Ende der Performance das Lied „Greensleaves“ erklingt. „Nota“ und „Greensleaves“ sind im Kontext der Performance allerdings nicht als eigenwertige Songs zu verstehen, sondern als Teile eines „additive sound environment“, das Live-Klänge mit aufgenommenen Klängen vermischte.29 Dazu gehörten auch Sätze aus Wilhelm Reich „Die Funktion des Orgasmus“ („The Function of Orgasm“),30 die Beschreibung eines großen, expansiven Tanzes sowie die Klänge einer großen Menschenmenge. Durch den Einsatz von vier Kassettenrecordern in der LivePerformance wurden diese Klänge in Loops gebracht und nach und nach immer 27 Monk in Duckwort, „Meredith Monk“, S. 356. 28 Vgl. Monk mit „Nota“ auf Monk, Beginnings sowie auf dem Video Monk, Withers, „16 Millimeter Earrings“, AHF 14. 29 Vgl. Monk in Monk, Jowitt, „Meredith Monk in Conversation with Deborah Jowitt“, S. 72. 30 Wilhelm Reich, Die Funktion des Orgasmus: Sexualökonomische Grundprobleme der biologischen Energie. Monk trug aus der englischen Version des Textes vor.

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mehr verdichtet. Monk hatte diesen komplexen Ablauf exakt geplant und damit erstmals eine Art „sound score“ erstellt.31 Diese musikalische Struktur des Stückes war detailliert in Beziehung gesetzt zu den Abläufen auf der Bühne, den Filmen, Tänzen, Bewegungen und dem Spiel mit den Objekten. Monk bezeichnet „16 Millimeter Earrings“ als ihren künstlerischen Durchbruch,32 da sie hier erstmals all die Ebenen zusammenführte, die ihre multimediale Performancekunst ausmachen würde. Es war das erste Mal, dass sie Film benutzte und selber viel sang. Sie benutzte die Bühne als eine Art Leinwand, auf der sie ihre Bilder und Klänge durch ihren Körper, durch Tanz und Bewegung, durch ihren Gesang und die Einspielung von Musik und Geräuschen, durch Film, Objekte, Licht und Farben kreierte und zu einem multidimensionalen Musiktheaterstück kombinierte.33

31 Vgl. Monk in Duckwort, „Meredith Monk“, S. 352. 32 Vgl. z. B. Monk in Monk, Jowitt, „Meredith Monk in Conversation with Deborah Jowitt“, S. 72.; Putnam Smithner, „Four Decades“, S. 96, Monk in Duckworth, „Meredith Monk“, S. 352. 33 Vgl. Monk in Monk, Jowitt, „Meredith Monk in Conversation with Deborah Jowitt“, S. 72f.

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Abbildung 18: Meredith Monk, „16 Milimeter Earrings“

Archiv House Foundation, Foto: Kenneth van Sickle

Die nächsten Lieder auf dem Album „Beginnings“, die dem Song „Nota“ chronologisch folgen, sind zwei Songs aus dem Jahr 1967. Für „Duo for Voice and Echoplex“ arbeitete Monk mit ihrem Cousin, dem Klangingenieur Daniel Zellman, zusammen, der ihre Stimme während der Live-Performance aufnahm und sie, durch den Echoplex modifiziert, wieder einspielte. Erstmals führten sie dies auf der Expo-67 in Montréal, Kanada, auf.34 In Monks Werkverzeichnis auf ihrer Homepage sind zwei Kompositionen für „Solo Voice with Echoplex and Tape“ verzeichnet, und zwar „Dying Swan with Sunglasses“ sowie „Blueprint: Overload/Blueprint (2)“, beide von 1967.35 Monk nannte in einem Interview das Experimentieren mit dem Echoplex einmal ihr erstes Vokalstück.36 Es blieb weitestgehend ihre einzige Auseinandersetzung mit Elektronik, vorrangig aus dem Grund, dass die Stimme, wie Monk für sich entdeckte, selbst, d. h. rein akustisch, fast all das machen könne, was Elektronik machen kann.37 Der andere Song von 1967, „Candy Bullets and Moon“, steht für Monks kurzen Ausflug in die Rockmusik. Auch diesen Bereich sollte Monk später nicht weiter verfolgen. Allerdings beschreibt sie, wie sie auch hier wieder für sich entdeckte, wie grund34 Siehe Monk, Klappentext Beginnings. 35 Vgl. Monks Werkverzeichnis auf www MONK WORK. 36 Vgl. Monk in Strickland, „Voices/Visions“, S. 138. 37 Vgl. ebd., S. 139.

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legend für ihren künstlerischen Weg die Freiheit sei, neue Formen auszuprobieren oder zu kreieren, anstatt lediglich in bereits existierenden, vordefinierten Formen zu arbeiten. Zu dieser Zeit, in der sie auch in der Rockband „The Inner Ear“ spielte, versuchte sie, ihre damals noch neuen Auseinandersetzungen mit der Stimme auch im Kontext eines Rocksongs einzubringen.38 „Candy Bullets and Moon“ war eine Kollaboration mit Don Preston, dem Keyboarder von den „The Mothers of Invention“.39 Der Song für Stimme, elektrische Orgel, E-Bass und Schlagzeug wurde zunächst als heute vergriffene Single und 1984 erneut auf der Kompilation „Better an Old Demon Than a New God“ bei Giorno Poetry Systems Records herausgegeben.40 Sowohl „Candy Bullets and Moon“ als auch die zwei Echoplex-Songs „Dying Swan with Sunglasses“ und „Blueprint: Overload/Blueprint (2)“ waren Teil von Monks größerer „Blueprint“-Reihe. 1967 veranstaltete Monk „Blueprint“ für 12 Performer_innen in Woodstock, New York State, sowie „Overload/Blueprint 2“ für fünf Performer_innen in zwei Teilen, nämlich in einer Installation in der Judson Gallery sowie einer Performance in der Judson Memorial Church. 1968 folgten „Blueprint (3)“ für drei Performer_innen am Colby College in Maine, „Blueprint (4)“ für zwei Performer_innen in Monks The House Loft in Downtown New York sowie „Blueprint (5)“ für acht Performer_innen in The House Loft und im Julius Tobias Studio in New York. Mit der „Blueprint“-Serie begann Monk ihre ortsspezifischen Arbeiten. Bei der ersten Performance in Woodstock bewegte sich das Publikum im Freien von Ort zu Ort, um Aktivitäten zu sehen, oder saß draußen vor einem Gebäude, um Aktionen der Performer_innen zu beobachten, die im Fenster stattfanden.41 Hier experimentierte Monk also bereits mit den vorgefundenen räumlichen Gegebenheiten, mit der Architektur sowie mit der Bewegung im Raum, vor allem bezogen auf das Verhältnis zwischen Publikum und Darstellenden. Einen Monat später konnte das Publikum in New York City den nächsten Teil der „Blueprint“-Reihe sehen, bei dem Monk u. a. den „Sterbenden Schwan“ tanzte.42 Deborah Jowitt äußert die Vermutung, dass viele im Publikum wahrscheinlich nicht realisierten, dass der Pop- bzw. Rocksong „Candy Bullets and Moon“, der 38 Siehe Monk, Klappentext Beginnings. 39 Siehe Programmzettel „Blueprint (1) ‚Candy Bullets and Moon‘ – Music for Aunt Jemima and The United Pancakes by Candy Bullets and Moon *copyright Monk/ Preston Aug. ’67“, JMChA 02, A.02 Folder 16. 40 „Better an Old Demon Than a New God“, Giorno Poetry Systems Records, GPS 033, 1984. 41 Vgl. Banes, „Homemade Metaphors“, S. 150. 42 Vgl. ebd. Aufgrund dieser Information gehe ich davon aus, dass auch der Song „Dying Swan with Sunglasses“ Teil dieser „Blueprint“-Reihe war.

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während der Performance eingespielt wurde, von Meredith Monk war.43 Tatsächlich beschreibt ein zeitgenössischer Rezensent der Aufführung, John Perreault, dass der Song von der Gruppe mit dem unwahrscheinlichen Namen „Aunt Jemima and the United Pancakes“ aufgenommen worden sei und dass „Miss Monk, it should be noted, has obviously not lost her sense of humor nor her Dada delight in flagrant incongruities.“44 Ab 1968 veranstaltete Monk Performances in ihrem The House Loft, angefangen mit zwei Versionen ihrer „Blueprint“-Reihe. Während Monk mit der „Blueprint“-Reihe und 1968 mit „Co-Op“ im Loeb Student Center der New York University für 30 Performer_innen45 bereits Stücke für größere Ensembles herausgebracht hatte, gründete sie 1968 schließlich ihr erstes Ensemble, „The House“. Obwohl sie sich zu dieser Zeit bereits intensiv mit ihrer eigenen Stimme auseinandersetzte, waren in diesem Ensemble keine Sänger_innen oder andere Performer_innen, die primär mit der Stimme arbeiteten.46 Vielmehr vereinte sie eine Gruppe von Personen aus den unterschiedlichsten Bereichen. Ende der 1960er Jahre veranstaltete Monk ebenfalls regelmäßig Workshops in ihrem Studio am 597 Broadway, an denen bildende Künstler_innen, Dichter_innen, Tänzer_innen, Schauspieler_innen und Musiker_innen gleichermaßen teilnahmen. Die Workshops begannen mit ausgedehnten Aufwärmübungen für Körper und Stimme, gefolgt von der Improvisation unterschiedlicher Charaktere, Bewegungen und Lieder, woraus nicht selten kleine Gruppen- und Soloperformances entwickelt wurden. Einige der Workshop-Teilnehmer_innen wurden später Mitglieder vom Ensemble „The House“, wie Ping Chong, Lanny Harrison oder Blondell Cummings.47 Weitere frühe Mitgliedern waren Lee Nagrin und der Chemiker Daniel Sverdlik.48 Das Ensemble bestand zentral immer aus ein paar wenigen engagierten Mitgliedern und wurde je nach Bedarf des jeweiligen Stückes durch andere Künstler_innen erweitert.49 Mit dem gemeinsamen Erarbeiten von Performances verfolgten die Mitglieder von „The House“ einen grenzüberschreitenden Ansatz, der stark von der Haltung der erstarkenden Downtown-Szene geprägt zu sein schien. Ihre Selbstdefinition lautete:

43 Vgl. Jowitt, „Introduction“, S. 10. 44 Vgl. John Perreault, „Monk’s Mix“, S. 24. Siehe dort auch für eine ausführlichere Beschreibung der Performance. 45 Siehe AHF 10, Meredith Monk, „Co-Op“, Foto von unbekannt, NYU, 1968 46 Vgl. Monk, Klappentext Beginnings. 47 Vgl. Putnam Smithner, „Four Decades“, S. 97. 48 Vgl. Monk in Koenig, „Performer-Creator“, S. 53. 49 Vgl. Koenig, „Performer-Creator“, S. 53.

288 | M EREDITH M ONKS VOKALE PERFORMANCEKUNST „The House is a group of actors, musicians, dancers, writers, painters and scientists who believe in performance as a means of expression, and as a means of personal and hopefully social evolution. We stress the interdisciplinary aspect of our work for we believe that only by breaking down as many categories/barriers as possible will we continue to arrive at new forms of performance. Our goal is to change consciousness, pinpoint and enlarge awareness. This is our goal for ourselves and for our audience.“50

Die Multidisziplinarität und Vielseitigkeit dieser „semi-communal performing arts troupe“51 hatten großen Einfluss auf die Ausrichtung und die Ideen in Monks Arbeit. Viele der Ideen und Bilder, die später in große Ensembleperformances wie „Vessel“ eingeflossen sind, entstanden beispielsweise bei Improvisationen während der USA-Tournee des Ensembles 1969.52 Auf dem Album „Beginnings“ gibt es zwei Aufnahmen aus dem Jahr 1969: „Trance“ und „Porch“. Beide sind experimentelle Studien der Solostimme, bei denen Monk unterschiedliche Klangqualitäten ihrer eigenen Stimme auslotet, auf der Suche nach rohen, „ursprünglichen“ Lauten.53 Während das sehr rhythmische „Trance“ begleitet wird von Körperperkussion wie Schnipsen oder Stampfen und dadurch seinen rituellen Charakter erhält, verläuft „Porch“ mehr in einem Fluss und durchwandert unterschiedliche Positionen nasaler Klangräume, mit denen Monk eine breite Palette ihrer vokalen Sprache vorstellt. „Porch“ ist für sie zu einer Art „Beschwörung“ geworden.54 Beide Songs gehören zu Monks ersten a capella Stücken, die beide 1970 auf ihrem Album „Key: An Album of Invisible Theater“55 erschienen, „Trance“ allerdings unter dem Titel „Dungeon.“ Anfang 1969 war Monk neben Yvonne Rainer, Twyla Tharp und Don Redlick56 vom Billy Rose Theater für eine Performance eingeladen und erarbeitete „Untidal: Movement Period“ für fünf Performer_innen sowie „Title: Title“ für zwei Performer_innen. Dieser Abend in einem Haus am Broadway wurde Monk zufolge als großer Skandal gehandelt.57 Im gleichen Jahr begann Monk mit einer 50 Vgl. Werbezettel „Meredith Monk/The House“, MMA Box 15 Folder 12. (1973) 51 Putnam Smithner, „Four Decades“, S. 97. 52 Siehe ebd. 53 Vgl. Monk, Klappentext Beginnings. 54 Vgl. Monk, Klappentext Key. 55 Key: Invisible Theater, Kompositionen 1967-70, Lovely Music, Ltd.: New York, LML 1051, 1977/1995. 56 Deborah Jowitt schreibt in ihrer Rezension des Abends von der vierten Person als Deborah Hay anstelle von Don Redlick (siehe Jowitt, „Far-out Ladies“). 57 Siehe Monk in Duckworth, „Meredith Monk“, S. 354, sowie, für die Titel der Arbeiten, Jowitt, „Chronology“, S. 194.

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Serie groß besetzter, ortsspezifischer Performance-Arbeiten, der „Tour“-Reihe, deren insgesamt sieben Performances 1969 und 1970 an unterschiedlichsten Orten aufgeführt wurden. Monks Auseinandersetzung mit den Räumlichkeiten, an denen die Performances stattfanden, sind teilweise gut an den Titeln der einzelnen Performances abzulesen, die sich auf eine spezifische Räumlichkeit beziehen bzw. auf etwas, was in diesen zu finden ist: 1969 fanden „Tour: Dedicated to Dinosaurs“ für 65 Performer_innen im National Historical Museum in Washington D.C. statt,58 „Tour 2: Barbershop“ für 65 Performer_innen im Museum of Contemporary Art in Chicago und „Tour 3: Lounge“ für 50 Performer_innen an der Alfred University in Alfred, New York, statt sowie 1970 „Tour 4: Organ“ für 60 Performer_innen am Douglas College in New Brunswick, New Jersey, „Tour 5: Glass“ für 50 Performer_innen am Nazareth College in Rochester, New York, „Tour 6: Gym“ für 12 Performer_innen am Auburn Community College in Auburn, New York, Buffalo, und „Tour 7: Factory“ für 15 Performer_innen an der State University of New York in Buffalo. Sowohl mit ihrer Reihe „Blueprints“ als auch mit der Reihe ihrer „Tours“ hatte Monk bereits intensiv mit größeren Ensembles von bis zu 65 Personen zusammengearbeitet und begonnen, einen expansiven Ansatz zu entwickeln, ihre Performances mit der Architektur, mit den Außen- und Innenräumen in Beziehung zu bringen. Diese Form der ortsspezifischen Performance mit großem Ensemble kulminierte zunächst am Ende des Jahrzehnts in Monks prestigeträchtiger Musiktheaterperformance „Juice: A Theatre Cantata in 3 Installments.“

58 Siehe AHF 03 Meredith Monk, „Arts Presenter Lecture“, CD 431a/Cassette N.

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„Juice: A Theatre Cantata in 3 Installments“ Abbildung 19: Meredith Monk, „Juice“

Archiv House Foundation, Foto: V. Sladon

Die drei „installments“ von „Juice: A Theatre Cantata in 3 Installments“ fanden in einem Abstand von anderthalb Monaten an drei unterschiedlichen Schauplätzen statt. So war Monk damals nicht nur interessiert an ungewöhnlichen Spielorten, sondern generell daran, die übliche Situation des Theaterbesuchs zu durchbrechen, eben etwa durch das Verändern der üblichen Spieldauer oder auch des traditionell erwarteten Verhaltens des Publikums, während einer Performance ruhig an einem Platz zu verharren.59 Das erste „installment“ fand im Guggenheim Museum statt als allererste Performance im Guggenheim überhaupt.60 Gefragt danach, wie sie die Zuständigen damals, als 27-jährige, davon überzeugen konnte, gab Monk an, dass sie zu dieser Zeit durch ihre Arbeiten wie „16 Milli-

59 Vgl. Monk in Duckworth, „Meredith Monk“, S. 354. 60 Vgl. Monk in AHF 03 Meredith Monk, Arts Presenter Lecture, CD 431a/Cassette N.

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meter Earrings“, ihren Auftritt im Billy Rose Theatre sowie durch Soloauftritte bereits ein Publikum hatte. Die aber vielleicht wichtigere Begründung: Sie war schlichtweg entschlossen.61 Das „installment“ begann damit, dass eine Frau auf einem Pferd die 5th Avenue heruntergeritten kam, während das Publikum vor dem Guggenheim auf den Einlass wartete. Drinnen konnte das Publikum vom Erdgeschoss aus die vielschichtigen Geschehnisse auf den Rampen des Guggenheim verfolgen: die Musik und Bewegungen eines 85-köpfigen Chores, der auf die unterschiedlichen Ebenen verteilt in reinen Intervallen sang, einige Gesangssolos, z. B. durch Monks Mutter, ein Maultrommel-Solo ihrer Schwester und ein Violin-Solo. Vier von Kopf bis Fuß knallrot bemalte Personen gingen langsam, Stück für Stück, die Rampe hoch und gaben ein kurzes musikalisches Intermezzo an jeder neu erreichten Ebene des Guggenheim. Drei Frauen in historischen Kostümen drehten sich auf den unterschiedlichen Ebenen langsam im Kreis als eine Art „visual drone“.62 Eine unnatürlich große Frau – durch ihre Kleidung war eine andere Person zu sehen, auf deren Schultern sie getragen wurde – trug eine Totenmaske auf ihrem Bauch und stolzierte auf der Rampe und im Erdgeschoss herum. Später konnte das Publikum selbst die Rampe hochschlendern und dabei Tableaus, Szenen mit sich wiederholenden Bewegungen und im Hintergrund die aktuelle Ausstellung von Roy Lichtensteins Gemälden betrachten.63 Am Schluss des „installments“ tanzten alle 85 Beteiligten die Rampe hinunter und spielten dabei Maultrommel. Sie alle trugen rote Stiefel. Das zweite „installment“ fand im Minor Latham Playhouse des Barnard College statt, das mit einer klassischen Bühne ausgestattet war. Die klassische frontale Orientierung des Publikums, die durch diese Bühnensituation forciert wird, wurde von Monk als starker Kontrast gegen die 360°-Orientierung des ersten „installment“ im Guggenheim eingesetzt.64 Die Proportionen im Gegensatz zum ersten „installment“ waren hier komplett reduziert: Am Eingang zum Theater saß ein Kind auf einem Schaukelpferd, das Ensemble von 85 Darstellenden war auf 9 geschrumpft, die Frau mit der Totenmaske erschien nun in normaler Größe. Die vier knallrot ausgestatteten Personen waren nunmehr die Hauptfiguren, die aus ihrem Privatleben rezitierten und Alltagshandlungen vollführten.65 Im Hintergrund der Bühne war ein kleiner Raum, der im Laufe der Vorstellung immer mehr enthüllt wurde, in dem sich die Violinistin bzw. der Violinist aus dem ers61 Siehe Monk in Duckworth, „Meredith Monk“, S. 354. 62 Monk in ebd. 63 Vgl. Banes, „Homemade Metaphors“, S. 150f. 64 Vgl. Monk in Reed, „Transcript of conversation with Meredith Monk.“ 65 Vgl. Banes, „Homemade Metaphors“, S. 150f. Siehe Abbildung 20.

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ten „installment“, eine Menge von Alltagsobjekten sowie der Druck eines Lichtenstein Gemäldes befanden.66 Sally Banes schrieb in ihrer Schilderung des Abends von der „red mountain woman“, gespielt von Monk, die herumwirbelte und wie in Trance sang. Möglicherweise handelte es sich dabei um den Song „Trance.“ Im Vergleich zum ersten „installment“ wirkten die Personen, Aktionen und Dinge alle näher herangeholt; Monk sprach vom Effekt eines ZoomObjektivs.67 Abbildung 20: Meredith Monk, „Juice“. From l to r: Dick Higgins, Meredith Monk, Daniel Ira Sverdlik, Madeline Lloyd

Archiv House Foundation, Foto: Monica Moseley

Das dritte „installment“ fand, wiederum eine Woche später, in Monks Loft in Downtown, in The House Loft, statt, welches Monk in eine Art Galerie umfunktioniert hatte. Hier waren die 85 Kostüme, 85 roten Stiefelpaare und 85 Maultrommeln aus dem ersten „installment“ sowie all die Objekte aus dem zweiten „installment“ ausgestellt. Im hinteren Teil des Lofts gab es einen kleinen Raum wie ein Wohnzimmer, der dem Raum aus dem zweiten „installment“ glich. Hier konnte sich das Publikum setzen und im Fernseher Interviews mit den vier knallroten Charakteren ansehen, nur dass diese hier in schwarz-weiß und in Nahaufnahme zu sehen waren. Auch die Kostüme und Objekte wurden für das Publi66 Vgl. Banes, „Homemade Metaphors“, S. 150f. 67 Vgl. Monk in Reed, „Transcript of Conversation with Meredith Monk.“

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kum jetzt näher erfahrbar, es konnte sie anfassen und riechen. Das war Monks ironischer Kniff, dass bei all dieser möglichen Nähe die Performer_innen nicht mehr anwesend waren: Je näher das Publikum diesen kam, desto mehr waren sie ihnen entzogen.68 Von der Solosängerin zur Leiterin eines Vokalensembles, die 1970er Jahre Ab den frühen 1970er Jahren wechselte Monk beständig zwischen Vokalkonzerten und Theaterarbeiten.69 Während sie die Form des ortsspezifischen Musiktheaters mit großem Ensemble in diesem Jahrzehnt weiterentwickelte, zunächst 1970 mit „Needle-Brain Lloyd and the System Kids“ und vor allem 1971 mit „Vessel – An Opera Epic“, widmete sie sich jetzt auch wieder ganz kleinen, intimen Formen, nun konzentriert auf die vokale Performance. 1970 gab sie ihr erstes reines Vokalkonzert im Whitney Museum und nannte es „A Raw Recital.“70 Unter diesem Titel würde Monk von nun an regelmäßig Vokalkonzerte geben, meist als Konzert für Solostimme und elektrische Orgel, aber auch als vokale Duette mit elektrischer Orgel.71 Bei dem Programm handelte es sich um eine Art Liederabend, den Monk mit „Bist du bei mir“ von Johann Sebastian Bach eröffnete, doch darüber hinaus eigene Kompositionen sang.72 Diese „Raw Recitals“ waren nie rein konzertant, sondern immer theatral. Sally Banes beschreibt das erste „Raw Recital“: Monk persiflierte eine Diva in einem eleganten rosa Kleid und roten Arbeitsstiefeln. Ihr Auftritt wurde immer skurriler, während die Musik von Bach zu Monk wechselte. Ihre mondäne Frisur löste sich nach und nach auf, und die typischen Gesten einer klassischen Sängerin wurden von Monk mehr und mehr fragmentiert.73 Nach diesen Konzerten war Monk erstmals damit konfrontiert, dass Zuhörer_innen sie nach den kulturellen Hintergründen ihrer stimmtechnischen Charakteristiken befragten und etwa den stark präsenten Registerbruch mit dem Balkangesang verglichen.

68 Vgl. Monk in ebd. 69 Vgl. Banes, „Unearthing Symbols“, in: dies., Subversive Expectation, S. 75-77, hier S. 76. 70 Vgl. Monk in Duckworth, „Meredith Monk“, S. 357. Vgl. Programm „The House presents A Raw Recital“, MMA Box 15 Folder 10. Siehe Abbildung 21. 71 Vgl. Monks Werkverzeichnis auf www MONK WORK. 72 Siehe z. B. Programm „Raw Recital“, MMA Box 293 Folder 1. 73 Vgl. Banes, „Homemade Metaphors“, S. 152.

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Abbildung 21: Meredith Monk, „The House presents A Raw Recital“

Meredith Monk Archive, Music Devision, The New York Public Library for the Performing Arts

An diesem Punkt beschreibt Monk: „[…] what I started realizing was that when you’re working with the vocal instrument, you come upon certain things that are archetypal human sounds that transcend culture. It’s kind of like either it’s in a culture – you can learn it from hearing another music – or you

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can learn it in your own voice. It’s a little like ontogeny and phylageny; the course of development in an individual is contained in the history of a group and vice versa.“74

Monk stieß also bereits sehr frühzeitig, konfrontiert mit der Rezeption ihrer Vokalmusik, auf das Thema des Spannungsverhältnisses von der individuellen und der kollektiven Dimension der menschlichen Stimme.75 Der Village Voice-Rezensent Tom Johnson hörte Monk erstmals mit einem ihrer „Raw Recitals“ 1972 im Studio der Radiostation WBAI und zeigte sich nachhaltig beeindruckt von ihren stimmlichen Fähigkeiten, ihrer vokalen Ausdruckskraft 76 und Innovation. Johnson zufolge forderte Monk damit sowohl Jazz- als auch klassische Komponist_innen und Sänger_innen heraus, die seit geraumer Zeit versucht hätten, die Ausdruckspalette der menschlichen Stimme zu erweitern. Nur wenige hätten derart erfolgreich und auf derart persönliche Art und Weise Neuland betreten wie Monk. Zusätzlich imponierte ihm, dass dieses Neuland von einer Choreographin betreten wurde, als welche er Monk bis dato noch wahrgenommen hatte. „Well, choreographers have certainly been influenced by John Cage. Maybe now it’s time for musicians to take a few lessons from a choreographer.“77 Einen Großteil der Lieder, die Monk bei diesen „Raw Recitals“ sang, veröffentlichte sie noch im gleichen Jahr auf ihrem ersten Album „Key: An Album of Invisible Theater.“78 Für das Album kam noch das Lied „Do You Be?“ hinzu, welches Monk erst später im Jahr 1970 komponiert hatte, sowie drei Tracks mit dem Titel „Vision“, für die Monk ihre „The House“-Mitglieder Lanny Harrison und Mark Berger um Monologe auf Basis ihrer Träume gebeten hatte.79 Bei dem Album dachte sie an ein „invisible theater“, da sie bei der Kombination des Materials einen Spannungsbogen kreieren und die sich von Lied zu Lied verändernden Qualitäten, die unterschiedlichen Charaktere und Grade an Intensität für die 74 Vgl. Monk in Duckworth, „Meredith Monk“, S. 357. 75 Zu dem Aspekt Individualität versus Kollektivität der Stimme siehe Kapitel I.2 „Vokale Performancekunst“. 76 Siehe Johnson, „The first Meredith Monk review“ in: ders., The Voice of New Music, S. 21. Siehe das ausführliche Zitat in Kapitel II.2.1 „Räume Downtowns. Monk als VocalComposerPerformer“. 77 Johnson, „The first Meredith Monk review“, in: ders., The Voice of New Music, S. 21. 78 Key: Invisible Theater, Kompositionen 1967-70, Lovely Music, Ltd.: New York, LML 1051, 1977/1995. Siehe hierzu u. a. auch das Programm des Konzertabends am Goddard College 1971: Programm „Raw Recital“, MMA Box 293 Folder 1. 79 Vgl. Monk, Klappentext Key.

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Zuhörer_innen nachvollziehbar machen wollte.80 Arthur Sainer schrieb darüber, wie sich die Stimmen, Instrumente und Reden auf dem Album vor dem inneren Auge des Zuhörers, d. h. ihm, mit immateriellen Bildern unterlegen und ein Gefühl von Räumlichkeit und Körperlichkeit vermitteln.81 Weber-Lucks vergleicht das „unsichtbare Theater“ mit einem Hörspiel, beschreibt die glissandierende, tremolierende, gebrochene und schluchzende Stimme Monks und verweist auf einen starken Leidensdruck, existentielle Gefühle der Einzelkämpferin, auf die Nähe zu Lamentationen und Initiationsritualen des Erwachsenwerdens, die den Liedern immanent seien.82 Bereits hier verfolgte Monk ihren später typischen Ansatz, sich mit jedem Einzelstück einem einzelnen Kriterium zuzuwenden, etwa einem vokalen Charakter, einem technischen Aspekt oder einer bestimmten emotionalen Qualität.83 Zu dieser Zeit lag ihr Hauptinteresse dabei noch in einer „edgy, raw energy“. Während Zuhörer_innen beim Hören ihrer ungewohnten Stimmtechniken Assoziationen von nicht-westlichen Kulturen äußerten, sprach Monk von „folk music from another planet.“84 Bereits sehr weit ausgeprägt zeigten sich Monks erweiterte Stimmtechniken in ihrem 1972 komponierten „Our Lady of Late“. Die Lieder sind als abstrakter Liederzyklus angelegt und damit das erste Beispiel für eine „durchkomponierte“ Musik Monks. Aufgrund dieses Sonderstatus, aber auch, weil mir bei meinen Recherchen keine eingehendere Beschäftigung mit dem Zyklus begegnet ist, werde ich im nächsten Kapitel detailliert auf „Our Lady of Late“ eingehen. Parallel zu ihren vokaltechnischen Erkundungen arbeitete Monk in den frühen 1970er Jahren auch an der Form der ortspezifischen Musiktheaterperformance weiter. Bereits 1970 realisierte sie mit „Needle-Brain Lloyd and the System Kids: a Live Movie“ im Baumgarten und auf der Grünfläche des Connecticut College eine weitere große Gruppenarbeit mit einem Chor von 150 Personen. Wie einzelne zusammengeschnittene Szenen eines Films inszenierte Monk auf offenem Feld eine Collage aus multiplen Tableaus, einzelnen fragmentierten Bilder und parallelen Geschehnissen mit skurrilen Charakteren und phantastischen Gestalten, deren Aktionen zwar häufig an Alltagshandlungen erinnerten, aufgrund ihrer ungewöhnlichen Komposition jedoch verzerrt und halluzinatorisch wirkten. Die knallrote Gruppe aus „Juice“ tauchte wieder auf und auch Pferde und Reiter_innen waren wieder involviert, ein Monster und ein Jeep voll mit Clowns bevölkerten den Rasen und eine Gruppe von Pionier_innen brachte 80 Vgl. ebd. 81 Arthur Sainer, „A Report on Meredith’s Notch“, S. 59. 82 Vgl. Weber-Lucks, Körperstimmen, S. 189. 83 Vgl. Monk, Key. 84 Monk in Duckwort, „Meredith Monk“, S. 359.

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eine andere historische Zeitebene mit ein.85 Wie zuvor bereits mit „Juice“ suggerierte Monk hier durch eine große Theatralität die Erzählung einer Geschichte, die jedoch uneindeutig bzw. vielschichtig bleibt, insbesondere durch das Schaffen so vielfältiger konkurrierender Realitätsebenen. Das Spiel, mittels Kontrastierung von Bekanntem und Unerwartetem neue Realitäten zu schaffen, trieb Monk mit ihrer nächsten Musiktheaterperformance „Vessel – An Opera Epic“, die bereits im ersten Kapitel dieser Arbeit Thema war, noch weiter. „Vessel – An Opera Epic“ Sally Banes macht darauf aufmerksam, dass das Ungewöhnliche in Monks Arbeit meist seine Wurzeln im Alltäglichen hat: Für das Feuer im dritten Teil von „Vessel“ beispielsweise kamen keine Theatertricks zum Zuge, sondern Schweißgeräte zum Einsatz.86 Die Menschen tragen Kleider, die jede_r besitzen könnte, aber in Kombinationen, in denen man sie nicht tragen würde. Die Mischung klassischer und neuer Elemente, bekannter Objekte und Aktionen in ungewöhnlicher Verbindung sei wesentlich, sie bringe etwas Surreales mit sich. Es sei die Erwartung des Publikums nach einer Erzählung mit Anfang, Mitte und Ende, die den bruchstückhaften Bildern Monks eine gewisse Form und Kohärenz gebe, obgleich kein normaler Anfang, Mitte und Ende und keine Höhepunkte existierten.87 „At the same time Monk teaches us new ways to look at and listen to old things, she provides familiar frameworks as guideposts.“88 Der Bruch mit Erwartungen und die Rekontextualisierung bekannter Elemente sind also wesentlicher Bestandteil von Monks Theatralität. „Since the nature of my work has a lot to do with unconscious imagery and phantasy, I’m very interested in grounding it in what I call ‚reality space‘. Constructing a realistic set doesn’t interest me; what I’m interested in much more is using a reality situation and putting unusual images in that setting as counterpoint. The piece here in the loft is grounded in reality, but the images and the figures are strange. Because of that grounding in reality, the effect is surreal. When the performance moves later to the Performing Garage, it’s almost totally in another world. Then, when we move to the parking lot for the third section, the performance goes back to reality set against phantasy.“89

85 Vgl. Berger, „A Metamorphic Theater“, S. 46f. 86 Vgl. Banes, „Homemade Metaphors“, S. 154. 87 Vgl. ebd. 88 Banes, ebd. 89 Monk in McNamara, „Vessel: The Scenography of Meredith Monk. An Interview“, S. 90.

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Die drei Teile von „Vessel“, dem entfernt die Geschichte der Saint Joan zugrunde liegt, fanden, wie beschrieben, an den drei unterschiedlichen Orten in Downtown New York statt.90 Das Publikum wurde zwischen den beiden ersten Teilen am selben Abend mit dem Bus vom The House Loft zur Performing Garage gebracht. Der dritte Teil auf dem Parkplatz fand an einem anderen Abend statt. Banes beschreibt die Entwicklung der Vorgänge in „Vessel“ als eine Art Umkehrung von denen in „Juice“ in Bezug auf die Größenordnungen: Der Maßstab in „Vessel“ wurde von Teil zu Teil und von Spielort zu Spielort immer größer.91 Für den ersten Teil „Overture: Open House“ wurde das Publikum an einem Ende des Lofts platziert, quasi in Monks Wohnzimmer, während das Ensemble am anderen Ende des Raums spielte. Dazwischen gab es einen leeren Raum von mehreren Metern Tiefe, den Brooks McNamara als eine Art Burggraben benennt, der das Publikum und die Agierenden trennte.92 Monk beleuchtete den Raum nur teilweise, sodass das Publikum ihn nie komplett einsehen konnte. Durch diese Eingriffe verwandelte sie den potentiell intimsten Raum der dreiteiligen Performance in den der größten Distanz.93 Neben Monk, besetzt als „Joan“ sowie als „Joan’s voices“, spielten im ersten Teil Ping Chong den „host“, Lanny Harrison die „narrator“, Haan und Linn Varney „time“, Lanny Harrison, Daniel Ira Sverdlik, Signe Hammer, Monica Moseley, Mark Monstermaker und Blondell Cummings die „House people“.94 D. h. die Mitglieder des House-Ensembles spielten sich selbst. Ganz in schwarz gekleidet, machten sie auf der Bühne minimale Bewegungen, bis sie eine_r nach dem/der anderen unter ein Licht traten und sich in eine andere Figur verwandelten, etwa in einen König, der Münzen um sich wirft, oder eine Frau, die den Boden harkt.95 John Smead ist als „accordian“ besetzt, Dick Wells, Peggy Hunt, Lucy Fine, Ginny Dempsey, Jolie Kelter, Iris Lezak, Bill Himelhoch, Jamie Kelter, Leslie Anker, Jerie Kelter, Kristin Miller, Andy Sichel, Anne Clark, Sherry Blackman, Barbara Jenkins, Nina Salzman, David Arner, Carla Sydney Stone, Carol Rynbrandt als „pioneers“, Leslie Anker als „waterfall“, Coco Pekelis und Lenny Neufeld als „androgyne“, Kristin Miller und John Smead als „soldiers“ und Lanny Harrison ebenfalls als „white lady“.96 90 Siehe Kapitel 1.1. „Vessel – An Opera Epic“. 91 Vgl. Banes, „Homemade Metaphors“, S. 151. 92 Vgl. McNamara in McNamara, Monk, „Vessel: The Scenography of Meredith Monk“, S. 91. 93 Vgl. Monk in McNamara, Monk, „Vessel: The Scenography of Meredith Monk“, S. 91. 94 Siehe Besetzungsliste in Programm „Vessel. an opera epic“, MMA Box 15 Folder 10. 95 Vgl. Banes, „Homemade Metaphors“, S. 151f. 96 Siehe Besetzungsliste in Programm „Vessel. an opera epic“, MMA Box 15 Folder 10.

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Eine Gruppe von Pionier_innen, wie sie auch bereits in „Needle-Brain and the System Kid“ zu sehen gewesen waren, taucht wieder auf, gemeinsam wird der Song „Fire Dance“ angestimmt. Leslie Anker öffnet, den Wasserfall repräsentierend, ihre Haare, kleine Armeen bekämpfen sich mit Harken.97 Monk spielt die Orgel, spricht zwischendurch ihren Monolog aus Shaws „Saint Joan“ und singt am Ende „Do You Be?“. Zwischendurch beantwortete Ping Chong das Telefon, welches mitten in der Performance klingelte: „Hello? … Yeah, but we’re in a middle of a performance now. Could you call back later?“98 Das Publikum muss selbst entscheiden, ob dieser Vorfall Teil der Performance ist, oder ob es sich um einen tatsächlichen Anruf handelte.99 Allemal wird es, konfrontiert mit all den fragmentierten, archetypischen und archaischen Bildern und Handlungen, zurückgeworfen auf die Tatsache, dass es bei Monk zuhause in ihrem Loft sitzt. Der zweite Teil von „Vessel“ war mit „Handmade Mountain“ betitelt. Der „handgemachte Berg“ bestand aus einem verwinkelten, mit weißem Musselin verhüllten Holzgerüst.100 Monk beschreibt, dass im Gegenteil zum Loft dieser Raum als solcher für das Publikum sofort etabliert sei, da alles gleichzeitig und sofort zu sehen sei. Während im ersten Teil die Aufmerksamkeit des Publikums gelenkt wurde, indem zu unterschiedlichen Zeiten an unterschiedlichen Punkten Licht an- und ausgemacht wurde, wurde hier der Fokus durch das Agieren der Darsteller_innen verändert.101 Die House-Mitglieder waren jetzt die „Mountain people“, sie führten alltägliche Tätigkeiten aus wie Lesen, Gemüse putzen, Flüssigkeiten vermischen und kommunizierten jodelnd.102 Der Wasserfall wurde jetzt von Dick Wells, Nina Salzman, Leslie Anker, Sherry Blackman, Jolie Kelter, Carla Sydney Stone, David Arner, Carol Rynbrandt, Andy Sichel, Jerie Kelter, Jamie Kelter, Ginny Dempsey, Barbara Jenkins, Peggy Hunt, Anne Clark, Lucy Fine und Bill Himelhoch gespielt.103 Ping Chong „journeyed in a circle from birth to death“ durch Publikum und Bühne.104 William Dunas spielte den „inqui97 98

Vgl. Banes, „Homemade Metaphors“, S. 151f. Siehe AHF 01 „Vessel (Parking Lot) – Rehearsal Part I Monk’s Loft – NYC 1971 ‚Do You Be‘“, VHS 1971.

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Monk erzählt, dass Chong bei jeder Performance ans Telephon ging und sagte, dass Monk gerade nicht zu sprechen sei, da sie gerade spiele. Das Publikum sei jedesmal perplex gewesen (siehe AHF 03 Meredith Monk, „Arts Presenter Lecture“, CD 431a/Cassette N).

100 Vgl. Abbildungen 3, 23. 101 Vgl. Monk in McNamara, Monk, „Vessel: The Scenography of Meredith Monk“, S. 91. 102 Vgl. Banes, „Homemade Metaphors“, S. 151. 103 Vgl. Besetzungsliste in Programm „Vessel. an opera epic“, MMA Box 15 Folder 10. 104 Vgl. Banes, „Homemade Metaphors“, S. 151.

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sitor“. Für ihn wird Monk wenig später ihren ersten Liederzyklus „Our Lady of Late“ komponieren.105 Die Figur „Pierre Cauchon“ wurde von Martin Gleitsman sowie von Coco Pekelis gespielt. Die jetzt silbern angemalte Joan, gespielt von Monk, wurde im „Handmade Mountain“ von einem König_innen-Paar, das mit Papierkronen auf dem Kopf eher wie ein Clownspaar wirkte, angeklagt und von den zwei „Cauchons“ verhört.106 Abbildung 22: Meredith Monk, „Vessel – An Opera Epic“, Teil I, „Overture: Open House“

Archiv House Foundation, Foto: Ruth Walz

105 Siehe hierzu Kapitel III.3.1 „Im Fokus: ‚Our Lady of Late‘“. 106 Vgl. Banes, „Homemade Metaphors“, S. 151f.

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Abbildung 23: Meredith Monk, „Vessel – An Opera Epic“, Teil II, „Handmade Mountain“

Archiv House Foundation, Foto: Peter Moore

Der dritte Teil, den ich bereits in der Einleitung ansatzweise beschrieben habe, war mit „Existent Lot“ betitelt und fand auf dem Parkplatz an der Wooster Street statt.107 Hier war alles größer oder intensiver als zuvor: der Ort, das Setting, die Besetzung, die Farben und Lichtquellen. Die 80 Darstellenden saßen als Pionier_innen um die fünf Lagerfeuer, tanzten mit Maiskolben, bekämpften einander als Kazoo- und Trillerpfeifen-Armeen mit Harken, erschienen in einer Motorradgang oder einer Gruppe von Clowns im VW-Bus, als spanische_r oder schottische_r Tänzer_in oder als Monster.108 Kinder spielten in höfischer Kleidung auf dem Parkplatz. Es tauchten also bekannte Elemente wieder auf, sowohl aus den beiden ersten Teilen von „Vessel“, als auch aus Arbeiten wie „NeedleBrain Lloyd and the System Kids“. Die House-Mitglieder fanden sich samt ihres Wohnzimmer aus dem ersten Teil wieder. Am Schluss lief Monk a.k.a. Joan in schwarzer Reiterkleidung in das Licht eines Schweißbrenners am hintersten Ende des Parkplatzes ihrer „Opferung“ entgegen.109 Marcia Siegel bemerkte

107 Vgl. Abbildung 4. 108 Vgl. Banes, „Homemade Metaphors“, S. 151f. 109 Vgl. ebd.

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lakonisch: „What a cool, permissive saint she makes, offering Nirvana to a decrepit city!“110 Die Vokalstücke in „Vessel“ hatte Monk zuvor jeweils als Erforschungen einzelner Aspekte ihrer Stimme begonnen. In „Vessel“ integriert, beleuchten sie unterschiedliche Aspekte von Joans Innenleben.111 Im Nachhinein wurden einzelne Musikstücke aus „Vessel“ veröffentlicht und zwar 1992 die Titel „Epic“, „Fire Dance“, „Little Epiphany – Sybil Song“ und „Mill“ auf dem Album „Facing North“112 und 2009 die Titel „Epic I“, „Mill“ (1), „Epic II“, „Tower“, „Mill“ (2), und „Do You Be?“ auf der CD „Beginnings“.113 Letztere Aufnahmen wurden für eine Wiederaufnahme von „Vessel“ an der Berliner Schaubühne 1980 produziert, da diese Aufführungen ohne Monk stattfanden und somit die Stücke „almost like cues in a film“ abgespielt werden sollten.114 Der Titel „Do You Be?“115 wurde ebenfalls zuvor 1970 bzw. 1977/1995 auf Monks Album „Key“,116 1987 auf Monks Album „Do You Be“117 sowie 2004 auf der Kompilation „From the Kitchen Archives“ veröffentlicht,118 einem Querschnitt des 1979 in The Kitchen veranstalteten Festivals „New Music, New York“. Monk bezeichnet das Vokalstück „Do You Be?“ als zentrales Musikstück von „Vessel“. Entstanden ist es bereits, bevor Monk begann, „Vessel“ zu entwickeln, als eigenständiges Vokalstück. Monks Erzählung von der Entstehung von „Do You Be?“ als eine Art Eingebung oder Offenbarung119 knüpft dabei nahtlos an das Sujet von „Vessel“ an: Joan mit ihren Eingebungen und Offenbarungen.120 „Education of the Girlchild“ 1972 und 1973 entwickelte Monk parallel zu ihrem ersten Liederzyklus „Our Lady of Late“ die Musiktheaterperformance „Education of the Girlchild: An 110 Siegel, „Virgin Vessel“, S. 39. 111 Siehe Monk, Klappentext Beginnings. 112 Facing North, ECM New Series 1482, 1992. 113 Beginnings, Tzadik (SunnyMoon Distribution), 2009. 114 Siehe Monk, Beginnings. 115 Vgl. Monk, Klappentext Beginnings. 116 Key: invisible Theater, Kompositionen 1967-70, Lovely Music, Ltd., 1977/1995. 117 Do You Be, ECM New Series 1336, 1987. 118 From the Kitchen Archives – New Music, New York 1979, [S.l.]: Orange Mountain Music OMM-0015, 2004. Das Datum von Monks Komposition Do You Be? ist hier mit 1970 angegeben. 119 Siehe Monk, Klappentext Beginnings. 120 Vgl. hierzu Kapitel I.1 „Vessel – An Opera Epic“.

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Opera“. Sie komponierte das Lied „Biography“ für Solostimme mit einfacher Klavierbegleitung, welches zur Grundlage beider Teile der zweiteiligen Arbeit wurde. Der Soloteil, der zuerst eigenständig entstand und später, nach der Entwicklung des anderen Gruppenteils, zum zweiten Teil der gesamten Arbeit wurde, basiert komplett auf „Biography“. Das Lied wird hier als Begleitmusik zu einem Solotanz von Monk eingespielt und dauert fast eine halbe Stunde. Gesanglich widmet sich Monk in „Biography“ nach und nach einzelnen Aspekten der Stimme, etwa einer einzelnen melodischen Folge, einer bestimmten Technik in einem bestimmten Register, einer rhythmischen Idee oder einer bestimmten Klangfarbe, die jeweils ausgiebig beleuchtet und variiert werden. Monks Tanz zu dem Stück, bei dem sie die allmähliche Rückverwandlung einer alten Frau über eine mittelalte Frau hin zu einem jungen Mädchen und Kind darstellt, basiert dem Gesang vergleichbar auf kleinen, detaillierten und vielfach variierten Bewegungsabläufen.121 Abbildung 24: Meredith Monk, „Education of the Girlchild“, Soloteil

Archiv House Foundation, Foto: V. Sladon

121 Siehe AHF 12 „Education of the Girlchild. Group and Solo“, Video (DVD), 1982.

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Im Gruppenteil von „Education of the Girlchild“ taucht ebenfalls die Melodie von „Biography“ auf, allerdings nur vom Klavier angespielt und ohne Gesang.122 Die anderen beiden wichtigen Musikstücke in diesem Teil, der in archaischen und theatralen Szenen und Bildern unterschiedliche Lebensphasen einer Gruppe von Frauen behandelt, sind der „Travelling Song“ und „The Tale“. Beide wurden gemeinsam mit „Biography“, „Dolmen Music“ und „Gotham Lullaby“ 1981 auf dem Album „Dolmen Music“ veröffentlicht.123 In „Travelling“, das in erster Linie von Monk solistisch gesungen wird, „durchreist“ und variiert sie nacheinander unterschiedliche Stimmtechniken wie rhythmische Calls mit Glottisschlag in unterschiedlichen Registern und unterschiedliche nasale Klänge auf einfachen, kurzen, melodischen Phrasen. Mit diesen Techniken beschäftigte sie sich im Einzelnen auch in ihrem parallel entstandenen Liederzyklus „Our Lady of Late“. Die anderen Frauen fallen bei „Travelling“ gelegentlich in den von Monk intonierten Ruf „Hey“ ein oder umsingen ihre Stimme mit einfachen Akkorden und Melodielinien. Das sehr rhythmische „The Tale“ ist ein seltenes Beispiel für das Verwenden von Worten in Monks ansonsten meist non-verbaler Vokalmusik. Monks Stimme klingt wie die einer alten Frau, die sich mit den kurzen Phrasen und Sätzen wie „Hello? Hello?“ oder „I still have my telephone!“ an das Leben klammert und den Tod verhöhnt, wenn sie zwischen den Phrasen immer wieder in Lachen ausbricht. Hauptmaterial des Songs ist eine zweitönige rhythmische Phrase, die auf den Silben „mm-nananana“ gesungen wird.124 In Konzerten oder auch auf der Aufnahme singt Monk diesen Song allein. In „Education of the Girlchild“ allerdings, wo der Song am Ende des zweiten Teils steht, beteiligen sich alle Frauen an der rhythmischen Phrase und rufen wiederholt „Hello? Hello?“ in ein unsichtbares Telefon, bis eine nach der anderen vom Tod, gespielt von einer blau angemalten Gale Turner,125 abgeholt wird.126 In den unterschiedlichen Szenen in „Education of the Girlchild“ werden die Stimmen der einzelnen Frauen zum zentralen Medium nonverbaler, emotionaler Kommunikation. Beispielsweise erzählt Lanny Harrison in der einleitenden Szene, in der alle Frauen um einen Küchentisch gruppiert sind und gemeinsam häusliche Tätigkeiten verrichten, eine Geschichte, die fast ohne verständliche Worte auskommt. Der narrative Charakter entsteht allein durch Harrisons Einsatz ihrer Stimme durch alle Stimmregister und Klangfärbungen und eine extreme Mimik. Blondell Cummings bricht an einer Stelle weinend zusammen, was einerseits 122 Siehe ebd. 123 Dolmen Music, ECM New Series 1197, 1981. 124 Siehe AHF 12 „Education of the Girlchild. Group and Solo“, Video (DVD), 1982. 125 Siehe Programmheft „The MoMing Collection“, MMA Box 56 Folder 8. 126 Siehe AHF 12 „Education of the Girlchild. Group and Solo“, Video (DVD), 1982.

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durch den Körper und die Gestik, vor allem aber auch über einen langen, grellen Schrei dargestellt wird. An anderer Stelle kommuniziert die Figur der „Ahnin“ mit einer sehr hohen, gepressten Stimme in einer Phantasiesprache mit den anderen Frauen.127 Während nonverbale, emotionale, ansatzweise ungewöhnliche Stimmgebungen unterschiedlicher Frauen in „Education of the Girlchild“ also durchaus präsent sind, bleibt der Einsatz erweiterter Stimmtechniken in musikalischer Form hier zunächst noch allein Monks Sphäre. Abbildung 25: Meredith Monk, „Education oft he Girlchild“, Gruppenteil

Archiv House Foundation, Foto: Mark. E. Smith

Mitte der 1970er Jahre begann Monk vermehrt auf Tour zu gehen128 und zwar auch international. 1974 etwa reiste sie mit ihrem „Anthology and Small Scroll“ für 9 Performer_innen u. a. nach Amsterdam, Mailand und Florenz, bevor sie es 1975 auch in Downtown New York in der St. Mark’s Church aufführte.129 1974 begann Monk außerdem die Ausarbeitung einer Trilogie in Zusammenarbeit mit ihrem Ensemblemitglied und Langzeitkollaborateur Ping Chong. Die erste Arbeit dieser Trilogie war 1974/1975 „Chacon“ für 25 Stimmen, Klavier und Schlagwerk. Hinzu kamen 1976 „Paris“ sowie „Venice/Milan“, die gemeinsam

127 Siehe ebd. 128 Monk in Duckworth, „Meredith Monk“, S. 363. 129 Siehe Werkverzeichnis auf www MONK WORK.

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„The Travelogue Series: Paris/Venice-Milan/Chacon“ für 30 Performer_innen bildeten, mit der das Ensemble nach der Premiere im New Yorker The Roundabout Theater in den USA und nach Bordeaux, Frankreich, tourte. „Venice/Milan“ liegt die gleichnamige Komposition für 15 Stimmen und vierhändiges Klavier zugrunde. „Paris“ ist zudem ein Tanzduo von Monk und Chong. Das Paar reist in der Videoaufnahme des Stücks in den aufeinanderfolgenden Szenen „Portraits“, „Tour Eiffel“, „Solo #1“, „Promenade“, „Danse“, „Solo #2“, „Profiles“ und „Promenade Finale“ gemeinsam durch ein leerstehendes Fabrikgebäude, mal Hand in Hand, mal singend, tanzend, weinend.130 Ihr Spiel ist mit dem gleichnamigen Klavierstück „Paris“ unterlegt, Monks erster Komposition für Klavier von 1972.131 Gespielt wurde es von Steve Lockwood. Bei der Aufführung ist allerdings Robert Aden als „silent pianist“ am Klavier zu sehen, der pantomimisch das Klavierspiel imitiert.132 Die ganze Inszenierung sollte das Gefühl von Stummfilmen vermitteln.133 Monk ging es mit „Paris“ um das Reisen durch imaginäre und reale Räume, die historisch einzigartig und bewusstseinsprägend sind.134 Chong und Monk sind beide in einer Mischung aus zeitgenössischer Alltagskleidung, historisch anmutender Kleidung und asiatisch wirkender Arbeitskleidung gekleidet. Diese eklektische, anachronistische Mixtur suggeriert zwar eine historische Verortung, die aber uneindeutig bleibt, auch wenn Monk primär das frühe 20. Jahrhundert assoziierte.135 Monk trägt zu ihrem langen Rock und langen Zopf einen breiten Schnurrbart.136 Dahinter steht kaum die Absicht, sich als Mann oder als Frau zu verkleiden. Vielmehr lese ich die Ambivalenz dieser äußerlichen Attribute als ein Mittel für Monks generellen Ansatz, Archetypen kreieren und generelle, d. h. für alle Menschen geltende Aussagen, treffen zu wollen.

130 Siehe AHF 13 Meredith Monk, Ping Chong, „Paris“, Video, 1982. 131 Siehe Monk, Klappentext Beginnings. 132 Siehe AHF 13 Meredith Monk, Ping Chong, „Paris“, Video, 1982. 133 Vgl. AHF 03 Meredith Monk, „Arts Presenter Lecture“, CD 431a/Cassette N 134 Siehe Werkverzeichnis auf www MONK WORK. 135 Vgl. Monk in AHF 03 Meredith Monk, Arts Presenter Lecture, CD 431a/Cassette N. 136 Siehe Abbildung 26.

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Abbildung 26: Meredith Monk, Ping Chong. „Paris“

Archiv House Foundation, Foto: Doug Winter

Eine Rezensentin bemerkte: „It’s not the sight of a woman in male regalia that grabs the attention. More memorable is the dignified air that Monk’s mustache imparts to her, and she to it. In Monk’s theater, a worn and somewhat vulgar side gag becomes a moving statement about human values.“137

1976 beendigte Monk neben der Fertigstellung der „Travelogue Series“ ihren nächsten Liederzyklus „Songs from the Hill“, dessen Lieder sie in den Sommern 1974, ’75 und ’76 komponiert hatte.138 Monk suchte hierfür die Zurückgezogenheit, Ruhe und Einsamkeit inmitten der Natur und stand auf einem Hügel in Placitas, New Mexico, während sie mit ihrer Stimme experimentierte und dabei den Eindruck der Landschaft in die Entstehung der Lieder einfließen ließ.139 Auch „Songs from the Hill“ besteht ähnlich wie bereits „Our Lady of Late“ aus mehreren kurzen Liedern, in denen sich Monk jeweils mit einem einzelnen musikalischen Gedanken, einer Stimmtechnik, einem emotionalen Ausdruck oder Charakter usw. auseinandersetzt. Monk führte „Songs from the Hill“ sowohl solis-

137 Nancy Goldner, „Wordly metaphors from Monk“, MMA Box 57 Folder 7. 138 Vgl. u. a. Programm „The House presents Vocal Music by Meredith Monk. ‚Songs from the Hill‘“, MMA Box 16 Folder 4. 139 Vgl. u. a. Monk in AHF 07 Monk, Korte, „Meredith Monk“, CD 491.

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tisch als auch im Duo, sowohl konzertant als auch inszeniert auf. Später wurden sie zur musikalischen Basis der „The Plateau Series“, die Monk 1977 und ’78 ausarbeitete.140 „Quarry: An Opera“ 1976 fand ebenfalls die Uraufführung von Monks nächster großer Musiktheaterperformance, „Quarry: An Opera“, im La Mama Annex in Downtown statt, für die sie noch im selben Jahr den renommierten OBIE Award for Outstanding Achievement erhielt. Komponiert für 38 Stimmen, 2 Harmonien („pump organs“), 2 Sopran-Blockflöten und Tonband wurde „Quarry“ von 40 Performer_innen aufgeführt, darunter die House-Mitglieder Tone Blevins, Ping Chong, Steve Clorfeine, Lanny Harrison, Monica Moseley, Lee Nagrin, Coco Pekelis, Mary Shultz, Daniel Ira Sverdlik, Gail Turner und Pablo Vela.141 „Quarry“ bezieht sich thematisch auf den zweiten Weltkrieg und den Holocaust sowie auf deren Nachwirkungen und Nachklang in der Gegenwart.142 Trotz der historischen Bezüge verfolgte Monk mit „Quarry“ keinen realistischen Ansatz. Vielmehr ging es ihr im weiteren Sinne um die zyklische Beschaffenheit von Kriegen und Diktaturen.143 So liegt „Quarry“ keine lineare Erzählweise einer eindeutig entzifferbaren Geschichte zugrunde. Vielmehr kontrastiert Monk die simultanen Aktionen von unterschiedlichen Akteur_innen in der Gleichzeitigkeit von Bildern, Tableaus und fragmentierten Szenen. Da gibt es intime, familiäre Gruppen, dann individuelle, zusammengesetzte („composite“) Charaktere, die sowohl Diktator_innen als auch Opfer spielen, und den Chor.144 Sally Banes bemerkte: „Like most Monk works, Quarry looks like a narrative but refuses to act like one.“145 Monk befand, dass der ehrlichste Ansatz, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, der Blickwinkel eines kranken Kindes aus großer Distanz sei. Die Krankheit des Kindes nahm sie als Metapher für die Gesellschaft, die immer un-

140 Vgl. u. a. Programm „The House presents Vocal Music by Meredith Monk. ‚Songs from the Hill‘“, MMA Box 16 Folder 4. 141 Siehe AHF 15 Meredith Monk, The House, „Quarry, An Opera in Three Movements. Lullaby, March, Requiem“, Video, 1978. 142 Vgl. Monk, Klappentext Beginnings. 143 Vgl. Monk in Monk, Highwater, „Meredith Monk in Conversation with Jamake Highwater“, S. 83f. 144 Vgl. Banes, „About Quarry, about Meredith Monk“, in: dies. Subversive Expectation: Art and Paratheater in New York, 1976-1985, S. 29-31 145 Ebd., S. 29. [Hervorhebung im Original.]

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heimlicher und böser wurde.146 Zu Beginn von „Quarry“ liegt das Kind, gespielt von Monk, in der Mitte der Bühne und klagt wie in einem Fiebertraum: „I don’t feel well. I don’t feel well. I don’t feel well. It’s my eyes. It’s my eyes. It’s my eyes. It’s my hand. It’s my hand. It’s my hand. It’s my skin. It’s my skin. It’s my skin.“ In den vier Ecken der Bühne waren unterschiedliche häusliche Situationen zu verfolgen: eine Gruppe junger Frauen an einem Abendbrottisch, eine Schauspielerin, die ihre Zeilen übt, ein älterer Wissenschaftler, der sich mit seiner Frau im Wohnzimmer unterhält.147 Diesen Figuren des 20. Jahrhunderts wurde ein Radio zur Seite gestellt als repräsentatives Kommunikationsmedium dieser Zeit, welches für Monk zu einem zentralen Bild in „Quarry“ wurde und als zusätzliche Klangquelle auf der Bühne diente. Den Charakteren des 20. Jahrhunderts wurde ein Paar entgegengestellt, das Getreide siebte und Papierrollen las und einen Bezug zum Alten Testament darstellte. Alle diese Charaktere werden in späteren Szenen zu Diktator_innen.148 Das Publikum saß entlang der Bühne auf zwei Seiten. Der Raum sollte damit an große öffentliche Versammlungsräume oder an deutsche Bierhallen erinnern und die „Wand“ des Publikums das Gefühl von Öffentlichkeit verstärken.149 Den individualistischen Darstellungen der Einzelpersonen und Kleingruppen in den vier Ecken der Bühne wurden die Aktionen des dreißigköpfigen Chors entgegengestellt, die mit ihrem Erscheinen das Geschehen auf der Bühne bestimmten, mal den bzw. die Diktator_in unterstützend, mal ein Requiem singend.150 Banes macht auf die sich verändernde Skala des Stücks aufmerksam: Die Geschichte eines Kindes wird zu der einer Familie, der eines „Volkes“, der einer Welt. Diese Skala werde in dem Film, der zur Mitte von „Quarry“ läuft, zusätzlich visualisiert: Zunächst ist ein Haufen kleiner Steinchen zu sehen. Erst als dazwischen noch kleinere Menschen erscheinen, realisiert der bzw. die Zuschauer_in, dass die Steine riesig sind. Banes versteht den Film als paradigmatisch für eine Interpretation von „Quarry“: „history can change its scope as well as its shape; the history of a child in certain ways duplicates the history of humankind“.151 Monk übernahm den Part des Kindes in „Quarry“ eher widerwillig. Sie hatte ein Vorsingen und Vorsprechen für die Rolle veranstaltet, jedoch niemanden ge146 Vgl. Monk in Monk, Highwater, „Meredith Monk in Conversation with Jamake Highwater“, S. 84. 147 Siehe Banes, „Homemade Metaphors“, S. 153. 148 Siehe ebd.; Monk, Klappentext Beginnings. 149 Vgl. Monk in Monk, Highwater, „Meredith Monk in Conversation with Jamake Highwater“, S. 84. 150 Siehe Banes, „Homemade Metaphors“, S. 153. 151 Ebd.

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funden, der oder die ihren Ansprüchen vor allem auch sängerisch gerecht wurde.152 Die vokalen Anforderungen für die Vokalmusik in „Quarry“ waren auch für die Ensembleparts komplexer geworden als in Monks früheren Ensemblearbeiten, und die Mitglieder ihres House-Ensembles, die keine Sänger_innen waren, brachten die entsprechenden Voraussetzungen nicht mit. Daher veranstaltete Monk für „Quarry“ zum ersten Mal ein Vorsingen und arbeitete erstmals mit einem Gesangschor.153 Einzelne Musikstücke aus „Quarry“ wurden später auf anderen Alben von Monk veröffentlicht: „Quarry Lullaby“ 1987 auf dem Album „Do You Be“,154 die Stücke „Quarry Weave“ und „Quarry Procession“ 2009 auf dem Album „Beginnings“.155 Durch ihre Arbeit an „Quarry“ begegnete Monk vielen talentierten, jungen Sänger_innen, für die sie komplexe Chorstücke schreiben konnte. „I decided then that it would be really interesting to work with other singers, in such a way that each of the parts would be as complicated as what I did. Instead of me being a soloist and them a backup group, I was really interested in making music that had four or five very complex parts.“156

Mit den drei stärksten Sängerinnen arbeitete sie zunächst an einer Aufführung von „Quarry Weave“ für den Sender WBAI 1976.157 Mit ihnen, Andrea Goodman, Monica Solem und Susan Kampe, gründete sie noch im selben Jahr ihr erstes Vokalensemble. Für diese Konstellation komponierte sie noch 1976 „Tablet“ für vier bzw. drei Stimmen,158 Klavier zu vier Händen und zwei SopranBlockflöten. „Tablet“ war ein früheres Solo, das sie nun ausarbeitete und dabei erstmals ihre komplexen erweiterten Stimmtechniken auf andere Stimmen übertrug.159

152 Vgl. u. a. Banes, „About Quarry, about Meredith Monk“, in: dies. Subversive Expectation, S. 29-31, hier S. 30. 153 Vgl. u. a. Monk in Bear, „Invocation/Evocation“, S. 92f. 154 Do You Be, ECM New Series 1336, 1987. 155 Beginnings, Tzadik (SunnyMoon Distribution), 2009. 156 Monk in Duckworth, „Meredith Monk“, S. 364. 157 Vgl. Monk, Klappentext Beginnings. 158 Siehe Erläuterungen hierzu im Kapitel III.3.3 „Im Fokus. Das Private ist politisch“. 159 Vgl. Monk in Duckworth, „Meredith Monk“, S. 364. In den Kapiteln III.3.1 „Im Fokus: Akteurinnen“ und III.3.2 „Im Fokus: ,Das Private ist politisch‘“ gehe ich detaillierter auf das Stück „Tablet“ ein.

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1978 gründete Monk schließlich ihr „Meredith Monk & Vocal Ensemble“, zunächst allein mit weiteren Frauenstimmen.160 1978 wurde Monk auch einem größeren deutschen Publikum bekannt durch ihren Auftritt beim Festival Pro Musica Nova im Packhaustheater in Bremen, bei dem sie mit ihren Stücken „Songs from the Hill“ als Solo ohne Begleitung, mit Ausschnitten aus „Anthology“ für Klavier und Solostimme, der Uraufführung von „Dolmen Music“ und einer Aufführung von „Tablet“ für drei Stimmen mit Andrea Goodman und Monica Solem auftrat.161 Das Konzert wurde von der Kritik begeistert gefeiert.162 1980 brachte Monk eine Version von „Vessel“ nach Berlin, die dort als ortsspezifische Arbeit adaptiert und an andere räumliche Gegebenheiten angepasst mit 100 Statist_innen in Kollaboration mit der Schaubühne realisiert wurde. Die Aufführungsorte in Berlin waren der Club SO36, der Anhalter Bahnhof sowie die Bühne der Schaubühne am Halleschen Tor in Berlin-Kreuzberg.163 Nachdem Monk mit Robert Een, Paul Langland und Julius Eastman auch Männerstimmen in ihr Ensemble aufgenommen hatte, war das erste Stück für das neue Ensemble 1979 „Dolmen Music“.164 Da die Rezension des Bremer Festivals bereits eine Uraufführung von „Dolmen Music“ für 1978 verzeichnet, ist anzunehmen, dass Monk hier bereits eine Version für Frauenstimmen entworfen hatte. Die Version mit den Männerstimmen ist allerdings die Version, die von da an aufgeführt und beispielsweise auch auf dem Album „Dolmen Music“165 veröffentlicht wurde. Die Premiere fand in Downtown New York statt, bei einem Benefizkonzert in The Kitchen.166 „Dolmen Music“, welches heute sicherlich zu den bekanntesten Vokalwerken Monks zählt,167 war auch ein Teil von Monks nächster großer Musiktheaterperformance „Recent Ruins,“168 der letzten in diesem Jahrzehnt.

160 Vgl. Monk in Duckworth, „Meredith Monk“, S. 364. 161 Vgl. Manfred Züghart, „Die phänomenale Meredith Monk“, PAMM 05. 162 Vgl. ebd. Vgl. auch Monk, Kohl, Interview mit Meredith Monk. 163 Siehe Rolf Michaelis, „Weltreise in den Kopf“. 164 Vgl. Monk in Duckworth, „Meredith Monk“, S. 364. 165 Dolmen Music, ECM New Series 1197, 1981. 166 Siehe Programm „Vocal Music by Meredith Monk. January 24-27, 1979“, MMA Box 16 Folder 5. 167 Zur Musik von „Dolmen Music“ siehe Kapitel III.3.3 „Im Fokus: ‚Das Private ist politisch‘“. 168 Vgl. Monk in Duckworth, „Meredith Monk“, S. 71, Anm. 4.

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Abbildung 27: Meredith Monk, „Dolmen Music“. From l to r: Paul Langland, Robert Een, Julius Eastman, Meredith Monk, Naaz Hosseini, Andrea Goodman

Archiv House Foundation, Foto: Johan Elbers

„Recent Ruins“169 für 14 Stimmen, Tape und Cello wurde 1979 im La Mama Annex in Downtown aufgeführt und tourte noch im gleichen Jahr nach Nanterre, Frankreich und Mailand, Italien. Monk erhielt dafür den „Villager Award for Outstanding Production of the Year“.170 Zentral für „Recent Ruins“ war die Idee von Archäologie als einer spezifischen Art und Weise, Dinge zu sehen und die Welt zu betrachten.171 So stehen Bilder und Eindrücke wie das Finden, Ausgraben, Erforschen und Vermessen von Dingen und Überbleibseln aus anderen Zeiten im Mittelpunkt. In Monks typischer Manier ist jedoch nie genau zu bestimmen, ob diese aus uralten, prähistorischen Zeiten, aus der Zukunft oder von einem anderen Planeten stammen. Paradigmatisch erscheint erneut ein Film, den Monk in „Recent Ruins“ integrierte: „Ellis Island“. Ausgekoppelt und erweitert als eigenwertiger Film erhielt „Ellis Island“ u. a. 1982 den CINE Golden Eagle. Er zeigt eine Gruppe von Archäolog_innen, die New York freilegen. In einer eindrucksvollen Szene vermessen einige Ärzt_innen auf der Einwander_innen-

169 Programm „Recent Ruins“, MMA Box 16 Folder 6. 170 Siehe Werkverzeichnis auf www MONK WERK. 171 Vgl. Monk in Programm „Recent Ruins“, MMA Box 16 Folder 6.

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Insel „Ellis Island“ Menschen aus unterschiedlichen Einwanderungsgruppen und beschriften diese.172 Der Titel für das Musiktheaterstück „Recent Ruins“ entstand während eines Besuchs in West-Berlin. Monk und Andrea Goodman sahen den ausgebombten Anhalter Bahnhof, der als Erinnerung an die Kriegsjahre des zweiten Weltkriegs stehengelassen wurde, und Monk bemerkte: „It looks like some kind of ruin.“ Und Goodman antwortete: „Yes, recent ruins.“173 Auch der Titel von „Dolmen Music“ entstand durch die Erinnerung an eine historische architektonische Stätte in Europa. 1977 besuchte Monk gemeinsam mit einigen Ensemble-Mitgliedern die „La Roche-aux-Fées“ in der Bretagne und war überwältigt von der riesigen Steinskulptur, bei der, einem Tisch gleich, ein großer Megalith auf mehreren aufrecht stehenden Megalithen platziert ist. Mit dem Begriff „Dolmen“ bezieht Monk sich auf diese steinzeitlichen steinernen Grabstätten.174 „Dolmen Music“ steht als eine Art Ouvertüre am Anfang von „Recent Ruins“.175 Auf der Bühne gibt es einen abgegrenzten Raum, ein silberner Kreis gesäumt von silbrigen Steinen. Die sechs Sänger_innen sitzen im Zirkel.176 Etwas von dieser Inszenierung verbleibt auch in den konzertanten Aufführungen von „Dolmen Music“, in der die Sänger_innen einander im Kreis gegenübersitzen.177 Sally Banes sieht darin etwas von Monks typischer Theatralität auch in Konzerten erhalten.178 Am Ende von „Recent Ruins“ erklingt erneut ein Teil von „Dolmen Music“, diesmal vom Tonband, und schließt so musikalisch den Rahmen.179 Zum Ende des Jahrzehnts gab Monk drei Konzerte im renommierten Downtown-Raum The Kitchen. Erstmals trat sie hier 1978 gemeinsam mit Andrea Goodman und Monica Solem beim „Kitchen Benefit Concert“ am 20. Mai 1978 mit einem Konzertprogramm betitelt „Meredith Monk. Excerpts from Vocal Music 1967-1978“ auf.180 Vom 24. – 27. Januar 1979 gab Monk hier mit ihrem

172 Siehe Meredith Monk, John Killacky, Book of Days/Ellis Island, DVD. 173 Vgl. Programm „Recent Ruins“, MMA Box 16 Folder 6. 174 Vgl. Monk in Strickland, „Voices/Visions“, S. 145. 175 Vgl. Monk in Monk, Jowitt, „Meredith Monk in Conversation with Deborah Jowitt,“ S. 71. 176 Vgl. Banes, „Unearthing Symbols“, in: dies., Subversive Expectation, S. 75-77, hier S. 76. 177 Vgl. Abbildung 27. 178 Vgl. Banes, „Monk’s Chant“, in: dies., Subversive Expectation, S. 67-68, hier S. 68. 179 Vgl. Monk in Monk, Jowitt, „Meredith Monk in Conversation with Deborah Jowitt,“ S. 71. 180 Siehe KA 01 Video „The Kitchen Benefit Concert 1978“; Programm „The Kitchen. Benefit Concert“, MMA Box 16 Folder 4. Meinen Recherchen zufolge war dies das erste Konzert, mit dem Meredith Monk in The Kitchen auftrat. Siehe dazu auch die

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jungen Ensemble das Konzert „Vocal Music by Meredith Monk“.181 Das Programm beinhaltete die Titel „Procession from Quarry“ von 1976 für Solostimme und Klavier; den Programmpunkt „Vessel Suite“ von 1971, welche die Titel „Joan’s Voices“, „Little Epiphany“ und „Sybil Song“ aus „Vessel“ als 1978 bearbeitete Trioversionen beinhaltete, von Monk, Andrea Goodman und Monica Solem gesungen und von Monk und Goodman auf der Orgel begleitet wurde; „Tablet“, gesungen von eben jenen drei Sänger_innen und begleitet von Monk und Goodman auf dem Klavier sowie von Goodman und Solem auf Blockflöten; und die Premiere von „Dolmen Music“ mit Monk, Goodman, Solem, Julius Eastman, Robert Een und Paul Langland als Sänger_innen und Een am Cello.182 Und am 8. Juni 1979 war Monks Musik Programmpunkt beim Eröffnungskonzert des Festivals „New Music, New York“. Hier trat Monk solistisch auf und sang den „Travelling Song“ und „Biography“ aus „Education of the Girlchild“ sowie „Do You Be?“ vom Album „Key“ bzw. aus „Vessel“.183 Dieses Konzert habe ich als Endpunkt meines Untersuchungszeitraums gesetzt. Ästhetisches: Ein Überblick Nach diesem eher chronologischen Überblick über Monks künstlerische Arbeiten in den 1960er und 1970er Jahren will ich im Folgenden einen Überblick über einige grundsätzliche, wiederkehrende ästhetische Aspekte ihrer musikalischen Praxis geben. Monks Musik ist kaum eindeutig zu kategorisieren und wurde bereits mit vielem verglichen: Minimalismus, experimenteller Avantgarde, Jazzmusik, gregorianischen Chorälen, ritueller Musik, ihre „rhythmischen Tonverschiebungen als Konterpart zur seriellen Musik von Arnold Schönberg“184 verstanden. All diese Vergleiche sind nachvollziehbar, Kennzeichen davon sind in ihrer Musik regelmäßig zu finden. Aber sie ist keinem davon ausschließlich zuzuordnen. Durch die Klassifizierung ihrer Musik beispielsweise als minimalistisch, aufgrund derer diese gelegentlich mit der Musik ihrer Zeitgenossen und Downtown-

Unterkapitel „Monk als VocalComposerPerformer“ und „Downtown-Räume IV: Beispiel The Kitchen“ in Kapitel II.2.1 „Räume Downtowns“. 181 Siehe Programm „The Kitchen. January“, MMA Box 16 Folder 6. 182 Siehe Programm „Vocal Music by Meredith Monk. January 24-27, 1979“, MMA Box 16 Folder 5. 183 Siehe KA 02 Programm „New Music, New York“. 184 Vgl. Brigitta Asloff, Sabine Andreas, „Portrait Meredith Monk“, AHF 09, CD 408.

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Kollegen Philip Glass, Steve Riley oder La Monte Young verglichen wird,185 sieht Monk sich missverstanden.186 Dass ihre Musik häufig als mittelalterlich empfunden wird, vermutet Monk in der Tatsache begründet, dass sie die „reinen Intervalle“ benutze: Oktaven, Quinten und Quarten. Sie versteht diese Intervalle allerdings als von einer „absoluten Qualität“, die keiner historischen Zeit zuzuordnen sei.187 Brigitta Asloff und Sabine Andreas vom Deutschlandfunk zitieren weitere Vergleiche wie „buddhistische Mönche, gebärende Mütter, kichernde Mickymäuse, afrikanische Schamanen, mongolische Maultrommler, mittelalterliche Hexen.“188 Diese Vergleiche verdanken sich Monks höchst idiosynkratischem, auf der Verwendung erweiterter Stimmtechniken basierendem Vokalstil. Dieser geht weniger aus einer klassischen, traditionellen Gesangstechnik hervor als vielmehr aus den Experimenten mit ihrer eigenen Stimme.189 Für jedes neue Vokalstück geht Monk zurück zu ihrer eigenen, über drei Oktaven umfassenden Stimme.190 Jedes neue Vokalstück stellt sie sich als eine neue vokale Welt vor.191 Häufig greift sie zum Komponieren dieser kleinen Vokalwelt einen einzelnen Aspekt heraus: eine Klangfarbe, eine bestimmte Technik, einen einzelnen Vokal oder Konsonanten, eine melodische oder rhythmische Phrase. Dieser einzelne Aspekt bleibt das Hauptmaterial des einzelnen Stückes, das im Verlauf variiert und transformiert wird. Dieses Vorgehen ist u. a. in den einzelnen Liedern ihrer abstrakten Liederzyklen „Our Lady of Late“ (1973), „Songs from the Hill“ (1976), „Facing North“ (1990) oder „Volcano Songs“ (1993/1994) gut zu verfolgen. In dem Duo „Chinook“ („Facing North“) beispielsweise konzentrieren sich die Stimmen auf behauchte, nonverbale Klänge, meist bestehend aus Zischlauten und Frikativen, die rhythmisch immer wieder neu verschoben einsetzen und damit eine komplexe rhythmische Struktur entstehen lassen. Auch in dem Song „Sigh“ („Our Lady of Late“) entscheidet Monk sich für eine stark behauchte, fast heisere und stark gepresste Tongebung und transformiert die Klangcharakteristik des Seufzers mittels unterschiedlich starker Behauchung, deren melodischer Einsatz zudem durch auf- und absteigenden Glissandobewegungen vari185 Siehe z. B. Gann, „Meredith Monk“, in: ders., American Music, S. 208-217; Gann, Downtown Music und Gann, Music Downtown, S. 11f. 186 Vgl. z. B. AHF 11 „Interview with Meredith Monk and Jamake Highwater (fellow artist)“, CD 483a. 187 Vgl. AHF 09 „Portrait Meredith Monk“, CD 408. 188 Vgl. Asloff, Andreas, „Portrait Meredith Monk“, AHF 09, CD 408. 189 Siehe hierzu ausführlicher Kapitel I.2 „Vokale Performancekunst“. 190 Vgl. Monk in Smith, „After three decades“. 191 Vgl. u. a. Monk in Duckworth, „Meredith Monk“, S. 358, oder Monk, „Notes on Our Lady of Late“, MMA Box 26 Folder 9.

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iert wird. Im vorangehenden „Cow Song“ konzentriert sich Monk komplett auf einen einzelnen gesummten Klang (bocca chiusa), den sie in unterschiedlichen melodischen Phrasen in mittlerer bis tiefer Stimmlage wiederholt und variiert. In „Our Lady of Late“ begleitet Monk sich durchgehend auf einem einzelnen Wasserglas, auf dem sie einen stehenden Bordun bzw. Drone spielt, dessen Tonhöhe sie durch das Abtrinken von etwas Flüssigkeit sukzessive verändert.192 Dieser musikalische Aufbau, die Unterlegung der Gesangslinie durch entweder einen einzelnen Halteton oder durch eine einfache repetitive Begleitung beispielsweise von der Orgel, von Blockflöten oder einer Maultrommel, ist ein typisches Merkmal von Monks Musik. Auf Basis dieser „stehenden“ Begleitung entfalten die einzelne Gesangstimme oder die Gesangsstimmen ihr sehr reduziertes Material. Das Durchdeklinieren der für das jeweilige Stück eingesetzten erweiterten Stimmtechniken, der melodischen oder rhythmischen Patterns, transformiert das häufig am Ausgangspunkt sehr einfache, reduzierte Material zu komplexen Gebilden, was vor allem bei den Ensemblestücken durch vielschichtiges Verschachteln zu rhythmisch hoch komplexen, polyphonen Strukturen führt. Das gilt auch für ihre a-capella-Stücke. Umgekehrt führt gelegentlich eine komplizierte Technik zu einer einfachen, wie aus einem Guss klingenden Melodie wie bei dem Lied „Hocket“ („Facing North“), welches die komplizierte Technik des Hoquetus verfolgt, bei der die zwei Stimmen in raschem Wechsel einzelne Töne singen. Es intoniert immer nur eine der Stimmen, während die andere aussetzt, sodass eine wie von einer einzelnen Stimme gesungene Melodielinie erklingt. Ein weiterer wichtiger Aspekt von Monks Arbeitsweise der Transformation einzelner Materialeinheiten ist, dass das Material zwar vorgegeben und komponiert und auch eine zeitliche Abfolge verabredet ist, die Umsetzung jedoch nicht streng fixiert wird. In jeder Aufführung verbleibt somit Spielraum für variable Abweichungen. Dies ist eine musikalische Freiheit, die durch Monks Konzentration auf das Musik-Machen eher gegeben ist, als sie durch die Vorgaben einer Partitur möglich wäre. Die Flexibilität, die Monks Techniken den Stimmen abverlangt, gründet in der ursprünglichen Orientierung am Körper und am Tanz und somit in der engen Verbindung zwischen Stimme und Tanz, die für Monks Vokaltechnik so bestimmend ist und am besten in ihrem Ausspruch von der „tanzenden Stimme“, der „dancing voice, […] as flexible as the spine“,193 zum Ausdruck kommt: „I think of [the] body and voice as one thing,“ sagt Monk. „[I] don’t seperate them.“194 192 Vgl. ausführlicher Kapitel III.3.1 „Im Fokus: ‚Our Lady of Late‘“. 193 Monk, „Notes on Voice“, S. 56. 194 Monk in Monk, John Schaeffer, „Aircheck: New Sounds“, CD 415, AHF 06.

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Grundlegend für Monks Vokalmusik ist, dass sie immer einen kommunikativen und emotionalen Charakter hat. Obgleich Monk sehr selten Wörter verwendet und vielmehr fast immer nonverbale Stimmtechniken zum Einsatz bringt, liegt dem Gesang stets ein Erzählduktus zugrunde. Der narrative Charakter, der beim Einsatz mehrerer Stimmen dialogisch wirkt, erweckt den Eindruck, das Gesungene inhaltlich interpretieren zu können, wenn dieser Inhalt auch nie eindeutig ist und für jede_n Zuhörer_in unterschiedliche Assoziationen wecken kann. Diesem Eindruck liegt Monks eigene Auffassung von der Stimme als Medium direkter, emotionaler, zwischenmenschlicher Kommunikation zugrunde, die mehr ausdrücken kann, als Worte es können.195 „Warum muss die menschliche Stimme unbedingt und zwangsläufig an Worte gebunden sein? Für mich hat die Stimme eine eigene Sprache, das ist doch ganz naturgemäß. Es scheint mir ursprünglich so. Eine menschliche Stimme kann so deutlich sprechen, manchmal voller Schmerz, manchmal in Ekstase. Es mag sein, dass ihre emotionale Intensität für manche nicht zu verkraften ist. Mir kommt es so vor, als ob Worte die Kraft einer Stimme schwächen. Wenn ich Gesang höre, achte ich niemals auf den Text. Zum Beispiel bei Rock’n’Roll-Songs, hat mir der Text überhaupt nichts bedeutet. Ich höre wirklich nur auf die Musik, nie auf die Worte.“196

Das Vermitteln und Auslösen von Emotionen ist wichtige Motivation für Monks künstlerische Praxis sowie ein emotionaler Zugang, die Suche nach der „emotionalen Kraft unmittelbarer Äußerungen“ und nach einem „rohen Gefühlsausdruck“, die auch dem Schaffensprozess selbst zugrunde liegt, wenn sie ihr klangliches Material sammelt. Dieses wird dann von ihr in einem von ihr selbst als rational begriffenen Arbeitsprozess sortiert und zusammenfügt. So versteht sie die Prozesse, in denen sie ihre Musik erfindet, als Kombination von „Intuition und Rationalität“, von „Instinkt und Formwillen“.197 Musik ist, wenn auch das zentrale, so doch nur eines der Medien, mit denen Monk arbeitet. Zwar hat sie seit den 1970er Jahren unzählige reine Musikkonzerte gegeben, und das Gros ihrer Musik ist auf Schallplatte oder CD erschienen, doch ein Großteil ihrer Musik, insbesondere aus den 1960er und 1970er Jahren, 195 Vgl. Monk: „4. The voice as a direct line to the emotions. The full spectrum of emotion. Feelings that we have no words for.“ (Monk, „Notes on Voice“, S. 56.) Ausführlicher zu Monks eigener Stimmphilosophie siehe die Unterkapitel „Die Emotion der eigenen Stimme“ und „Das Konzept der ‚Urstimme‘“ in Kapitel I.2 „Vokale Performancekunst“. 196 Vgl. Monk in Asloff, Andreas, „Portrait Meredith Monk“, CD 408, AHF 09. 197 Vgl. Monk in Wagner, „Klänge aus dem Unbewussten“, S. 55.

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ist eingebunden in nicht primär musikalische Aktionen und Zusammenhänge. Monks künstlerischer Praxis ist eine besondere Kombinations- und Wandlungsfähigkeit der unterschiedlichsten Elemente eigen. Auch bereits „fertige“ Musikstücke, Filme und Choreographien werden häufig neu kontextualisiert:„What I liked about the emergence of performance art in the mind of the public was that, for the first time, I could describe what I do to a cab driver in less than half an hour.“198 Mit dem ihr eignen Humor bringt Meredith Monk mit dieser Aussage den grenzüberschreitenden und multimedialen Ansatz ihrer künstlerischen Arbeit auf den Punkt, für die es zu den Anfängen ihrer Karriere in den 1960er Jahren noch keine Bezeichnung gab. Der Kunstkritiker Sid Smith pointiert: „Before there was performance art, says one expert, there was Meredith Monk.“199 Die spezifische Wandlungsfähigkeit von Monks Arbeiten erstreckte sich immer schon auch darauf, diese immer wieder neu zu kombinieren, aus einem Kontext herauszulösen und in einen anderen einzufügen, neue Besetzungen für sie zu finden. „Songs From the Hill“ beispielsweise, welches Monk als Liederzyklus in der Einsamkeit der Natur in Placitas, New Mexico komponierte, führte sie 1975 gemeinsam mit Lanny Harrison als „music/theatre/dance piece in duet form“ auf, 1976 sowohl als „solo music/theatre/dance piece“ als auch als „a solo music concert“ und 1978 als choreographierte und inszenierte „group form“, dort mit Ellen Fisher, Kasia Mintch und Jackie Radis als „women on the hill“, mit Gail Turner als „death“, und mit Meredith Monk, Andrea Goodman, Eileen Shukofsky und Monica Solem als „women with voices“.200 „Do You Be?“ entstand als einzelnes Vokalstück, wurde dann zum musikalischen Kernmaterial von „Vessel“201 und fast 20 Jahre später zum Titel von Monks sechstem Album.202 Das Musiktheaterprojekt „Recent Ruins“ (1979) beginnt mit dem bekannten Stück „Dolmen Music“, welches bereits 1979 und bis heute auch von „Recent Ruins“ losgekoppelt aufgeführt wurde, als das erste Stück des neu gegründeten „Meredith Monk and Vocal Ensemble“ sowie als erstes Stück, in das Monk Männerstimmen integrierte. Der erste Akt von „Recent Ruins“ spielte in einer Installation Monks, „Silver Lake with Dolmen Music“. Ebenso Teil von „Recent Ruins“ war der Film „Ellis Island“, der auch als eigenständiger Film gezeigt wird und mehrfach preisgekrönt wurde.203 Die „Songs of Ascension“ (2008), 198 Monk in Smith, „After three Decades, Her Performance Is Still Art“. 199 Smith, „After three decades“. 200 Vgl. Programmheft „The Moming Collection“, MMA Box 56 Folder 8. 201 Vgl. Monk, Klappentext Beginnings. 202 Do You Be, ECM New Series 1336, 1987. 203 Vgl. Monks Werkverzeichnis auf www MONK WORK.

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eine aktuelle ortsspezifische Performance Monks, erweisen sich als ähnlich wandlungsfähiges Material. Einerseits eine Komposition für acht Stimmen, Streichquartett, Holzbläser, Schlagwerk, Shrutis und Chor, wurde „Songs of Ascension“ auch als Musiktheaterstück mit 12 Performer_innen an unterschiedlichen Orten aufgeführt, u. a. in Ann Hamilton’s „Tower“ in Kalifornien, an dessen besonderer Architektur und Akustik entlang die Choreographie, Inszenierung und Komposition entstand. Die Bühnenversion der Multimediaarbeit orientierte sich an den physischen und akustischen Gegebenheiten des Turms. 2009 wurde sie als „Ascension Variations“ mit 130 Performer_innen im Guggenheim Museum aufgeführt.204 Bereits vierzig Jahre zuvor war Monk mit dem ersten Teil ihres „Juice: A Theater Cantata“ (1969) im Guggenheim in Erscheinung getreten. Eine Figur aus dieser Arbeit, bestehend aus mehreren rotbemalten Personen, die laut Mark Berger hier wie dort eine illusionsbrechende Funktion erfüllten,205 tauchte wenig später in „Needle-Brain Lloyd and the Systems Kid: A Live Movie“ (1970) wieder auf. Diesen beiden ortsspezifischen Ensemblearbeiten folgte 1971 mit „Vessel – An Opera Epic“ eine weitere. „Vessel“ liegt die Geschichte der Johanna von Orleans zugrunde und ist damit außerdem ein Beispiel für Monks Vorliebe, Frauengeschichten zu erzählen. Ihre 20 Jahre später komponierte Oper „Atlas“ (1992) geht von der Geschichte der Alexandra David-Néel aus, die als eine der ersten Frauen aus dem Westen zu Beginn des 20. Jahrhunderts Tibet bereiste und dort zur Buddhistin wurde. Monk vollzieht mit dem Setzen einer Frau als „Erforscherin“ sowie zuvor mit der Saint Joan als „Heldin“ oder „Retterin“, bewusst einen Traditionsbruch.206 In ihrem zweiteiligen „Education of the Girlchild“ (1973) behandelt Monk aus unterschiedlichen Perspektiven archetypische Frauengeschichten. Der zweite Teil besteht aus einem rund zehnminütigen Solo, in dem Monk sich sukzessive von einer alten in eine junge Frau verwandelt. Diese Verwandlung stellt Monk durch ihre Stimme und ihre Choreographie in dem Stück „Biography“ (1973) dar. Der erste Teil stellt eine Gemeinschaft von sechs archetypischen Frauenfiguren vor, „a female version of the Knights of King Arthur’s Round Table – a heroic matriarchy of ancient women“.207 Die Idee der „community“, vielleich204 Vgl. ebd. und www MONK ASCEND. Siehe auch Monk in Marranca, Monk, Performance and the Spiritual Life. Meredith Monk in Conversation with Bonnie Marranca. PAMM 04. 205 Vgl. Berger, „A Metamorphic Theater“, S. 46. 206 Vgl. Monk in „The Composer’s Voice, Meredith Monk“, AHF 05, CD 453. 207 Monk zitiert in Satin, Legacies of the Judson Dance Theater: Gender and Performing Autobiography, S. 282.

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tauch einer utopischen Gesellschaft208 oder Gemeinschaft unter Frauen, steht hier stark im Vordergrund.209 Das ist eine Idee, die Monks künstlerischer Praxis und Haltung prinzipiell zugrunde liegt. „Wenn ich mit dem Ensemble arbeite,“ erzählt sie beispielsweise, „dann ist das einfach totale Freude und totale Ekstase. Ich denke, in der Gruppenarbeit geht es darum, eine neue Art von Gemeinschaft zu bilden. Es geht um alternatives Verhalten. Das ist genauso wichtig wie die Musik. Also, wenn Du die Leute siehst, dann siehst du tatsächlich eine andere Möglichkeit menschlicher Natur verwirklicht. Und die Musik ist ein Teil davon. Du könntest die Musik nie machen, wenn du nicht diese Art von Verbindung hättest. Du würdest nie so klingen.“210

Deborah Jowitt ist der Meinung: „In some sense, all her works are about communities.“211 Nachdem mit diesem Unterkapitel ein genereller Überblick über einige wichtige, wiederkehrende Aspekte von Monks Ästhetik gegeben wurde, werden im folgenden Kapitel III.3 „Im Fokus“ einzelne Arbeiten unter diesen Aspekten genauer betrachtet und mit den Kriterien einer feministischen Praxis sowie einer Downtown-Praxis zusammengeführt.

208 Vgl. Marianne Goldberg, „Personal Mythologies“, S. 51. 209 Vgl. hierzu ausführlicher die Unterkapitel III.3.2 „Im Fokus: Akteurinnen“ und III.3.3 „Im Fokus: Das Private ist politisch“. 210 Monk zitiert in Weber-Lucks, Körperstimmen, S. 195f. 211 Jowitt, „Introduction“, S. 16.

III.3 Im Fokus

Die vokale Performancekunst ist als multimedial definiert, in ihrem Zentrum steht die Körperstimme. Wenn ich in den folgenden Kapiteln das feministische Potential einzelner vokaler Performancestücke Monks in den Fokus nehme, werde ich von daher den Blick auf den Gesamtkontext richten, mit besonderem Augenmerk auf die jeweilige Rolle der Stimme. Am Anfang steht die Auseinandersetzung mit Monks Liederzyklus „Our Lady of Late“ von 1972. Auch wenn Monk bereits zuvor das Album „Key. An Album of Invisible Theater“ (1970) mit Vokalmusik aufgenommen hatte und seit 1970 Gesangskonzerte unter dem Titel „A Raw Recital“ gab, ist „Our Lady of Late“ das erste durchkonzeptionalisierte Vokalmusikkonzert, das von Monk komplett selbst, und zwar für ihre eigene Stimme, komponiert wurde. Da sich hier bereits wesentliche Merkmale von Monks typischem Vokalstil abzeichnen, werde ich im Folgenden den Zyklus detailliert vorstellen und vorrangig deskriptiv die vokalmusikalischen Aspekte der einzelnen Stücke spezifizieren. Diese Beschreibungen lehnen sich stark an die Informationen aus den „Leadsheets“1 an sowie an detailliertere Höranalysen, weswegen auch mein subjektiver, interpretativer Höreindruck eine Rolle spielt. Ausgehend von der Auseinandersetzung mit „Our Lady of Late“ nehme ich anschließend die drei Aspekte „Akteurinnen“, „Das Private ist politisch“ sowie „Praxisformen“ in den Fokus, um anhand weiterer Arbeiten Monks die Bedeutung dieser Aspekte diskutieren zu können. Die drei Aspekte sind nicht immer trennscharf voneinander abzugrenzen.

1

Zu den Leadsheets siehe Kapitel III.3.1 „Im Fokus: ‚Our Lady of Late‘. Im Detail: ‚Our Lady of Late‘“.

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III.3.1 I M F OKUS : „O UR L ADY

OF

L ATE “

„Our Lady of Late“ ist ein abstrakter Liederzyklus für Solostimme und Wasserglas. Nach ihrem ersten Vokalalbum, „Key“, von 1970 bat der Tänzer und Choreograph William Dunas, der als Darsteller in „Vessel“ mitgewirkt hatte,2 Meredith Monk um die Partitur für ein neues Solo. Dadurch motiviert, komponierte sie 1972 „Our Lady of Late“ und begann damit ihre Auseinandersetzung mit der Form des Gesangszyklus, die sie 1976 mit „Songs from the Hill“, 1988 mit „Light Songs“ und 1994 mit „Volcano Songs“ fortsetzte.3 Die Aufführung von „Our Lady of Late“ trägt starke performative Züge. Monk sitzt in weißer Kleidung an einem kleinen runden Tisch, in dessen Mitte ein einzelnes Wasserglas steht, auf dem sie sich selbst begleitet. Ihr Blick ist durchgehend für die gesamte Dauer des Zyklus konzentriert auf die Tischplatte gerichtet. Das kontinuierliche Reiben der Glaskante mit dem Finger für einen gleichmäßigen Ton bewirkt eine periodische Schaukelbewegung des Körpers. Diese leichten Wippbewegungen des ganzen Körpers, die eintönige Begleitung, die Kleidung, die gleichbleibende konzentrierte Haltung und das Trinken aus dem Glas sollen der Performance einen meditativen, rituellen Charakter verleihen.4 „Our Lady of Late“ besteht aus 16 Miniaturstücken mit einer Länge von jeweils ca. 1,5 bis 4,5 Minuten, umrahmt von einem Prolog und Epilog, die auf einer Glasharmonika gespielt werden. Die Gesamtlänge des Zyklus beträgt ca. 40-45 Minuten. Die Stücke sind kleine Lieder ohne Worte mit einfachen Melodien. Es ist also kein Text und kein eindeutiger Inhalt, die die Gestaltung und den Bedeutungszusammenhang der Lieder bestimmen. Im Zentrum stehen vielmehr die unterschiedlichen Generierungsprozesse, Klangfarben und Gestaltungsmöglichkeiten der Stimme. Tom Johnson bezeichnete 1973 eine Aufführung von „Our Lady of Late“ als „nahezu perfektes Konzert“ und zeigte sich besonders beeindruckt von Monks Haltung gegenüber Sprache und Phonetik: „Monk completely avoids anything which might be taken as intelligible English. Most of the time she doesn’t even use familiar vowels and consonants. Occasionally there is something that might pass for an ,n‘ or an ,o‘ or some other English phoneme, but most of the time her singing has nothing to do with English or, so far as I can tell, with any other lan-

2

Siehe Programm zu „Vessel“ in MMA Box 15 Folder 10.

3

Vgl. Monk, „Notes on Our Lady of Late“, MMA Box 26 Folder 9.

4

Vgl. ebd.

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guage. She has found her own vowels and consonants and evolved her own very personal language.“5

Monk entwickelt in diesem Zyklus ein eigenes vokales Vokabular, eine Art abstrakter Sprache. Durch den vorherrschenden Konversationsmodus und die Sprachähnlichkeit suggerieren die Stücke eine jenseits der Stimme selbst liegende Bedeutung oder Botschaft, die jedoch nie eindeutig werden und einen diversen Assoziationsraum offen lassen. Monk betont die kontrastierenden Qualitäten des Zyklus.6 In jedem Lied konzentriert sie sich auf die Untersuchung einer bestimmten Stimmqualität, eines musikalischen Problems, eines technischen Aspekts, eines stimmlich repräsentier- bzw. konstruierbaren „Charakters“ oder einer „persona“.7 Jedes Lied setzt sich zentral mit einem dieser vokalen Bereiche auseinander. Als Prinzip liegt das Verhältnis von Kontinuität und Veränderung zugrunde: Einige Parameter bleiben unverändert, sodass vor dem Hintergrund dieser Kontinuität ein anderer Parameter variiert und transformiert werden kann. Den meisten Liedern liegt eine melodische Idee zu Grunde, die aus mehreren Patterns besteht. Diese Grundmelodie wird durch das Stück hindurch mehrfach wiederholt und dabei variiert. Für Monk stellt jedes der Lieder eine Welt in sich dar, die zusammengenommen das Universum von „Our Lady of Late“ bilden.8 Diese Welten sind bevölkert von einer Vielzahl potentieller Charaktere und personae, die Monk alle in der eigenen Stimme findet: „As I worked on Our Lady of Late, I realized again how the voice is a vehicle of transformation. Voices of ancient women, jaunty men, sailors, mothers, children playing, winds blowing made themselves known between the notes and phrases.“9

Entlang Monks Philosophie der Urstimme sind all diese unterschiedlichen Identitäten, d. h. unzähligen prinzipiell möglichen Stimmen, in jeder Stimme bereits

5

Tom Johnson, „Meredith Monk, Kirk Nurock, Jon Gibson, Alvin Curran“, January 18, 1973, in: ders., The Voice of New Music, S. 37.

6 7

Vgl. Monk, „Notes on Our Lady of Late“, MMA Box 26 Folder 9. Ebd. „Persona“ ist zu verstehen als „Maske“ oder „Image“ (siehe Brüstle, „Gender performance im aktuellen Musiktheater“.)

8

Vgl. Monk, „Notes on Our Lady of Late“, MMA Box 26 Folder 9.

9

Ebd. [Hervorhebungen im Original.]

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angelegt. Es liegt an der Künstlerin oder dem Künstler, diesen Stimmen Raum zu geben und sie zu Gehör zu bringen.10 Im Detail: „Our Lady of Late“ „Our Lady of Late“ wirft, ähnlich wie die meiste Musik Monks, die Frage nach Sinnhaftigkeit und Durchführbarkeit einer Verschriftlichung auf.11 Tatsächlich existiert eine Skizze von dem Zyklus, die 1976 als „Score“ in der Zeitschrift „The Painted Bride Quarterly“ abgedruckt wurde.12 Monk distanziert sich allerdings im Nachhinein von der Bezeichnung Partitur und gibt zu verstehen, dass es sich bei diesen Aufzeichnungen um „Leadsheets“ handelt13 und sie damit besser als Erinnerungsstütze bzw. Improvisationsgrundlage zu verstehen sind. Dies respektierend, können die „Leadsheets“ für die Untersuchung des Zyklus mitherangezogen werden. Zentraler Bezugspunkt für meine Analyse ist allerdings die Audioaufnahme von „Our Lady of Late“, die 1973 bei Wergo erschienen ist.14 Die „Leadsheets“ bestehen jeweils aus einer kurzen verbalen Anleitung für jedes Stück und einer einzeiligen Akkolade mit einem System für die Stimme und einem System für den Glaston. Es handelt sich dabei um keine vollständige Notation des Stückes, sondern um ein bis fünf Takte, in denen Tonhöhe, Melodieverlauf, Rhythmus, Akzentuierung u. ä. angedeutet werden. Häufig sind auch die Vokal- und Konsonantverbindungen für die Stimme verzeichnet. Die verbalen Anleitungen präzisieren die Notation durch detailliertere Instruktionen hinsichtlich der Klangcharakteristik und Interpretation (clear, smooth, straight tone, vibrato, nasal ‚sob‘, breathy, bell-like, with conversational quality …), des Melodieverlaufs (circle, spiral, peak …), des Rhythmus (syncopated, very short/long phrases …) und der technischen Klangproduktion (pursed lips, glottal break, sharp attack with the diaphragm …)15 Die verbalen Anleitungen zeigen 10 Zu Monks Konzept der Urstimme siehe das Unterkapitel I.2 „Vokale Performancekunst. Das Konzept der ‚Urstimme‘“. 11 Tom Johnson merkte an, dass eine konventionelle Partitur von „Our Lady of Late“ aller Wahrscheinlichkeit nach „wenig eindrucksvoll“ aussähe (siehe Tom Johnson, „Meredith Monk, Kirk Nurock, Jon Gibson, Alvin Curran“, January 18, 1973, in: ders., The Voice of New Music, S. 37). 12 Vgl. Monk, „Score ‚Our Lady of Late‘“. 13 eMail vom 04. Februar 2010. 14 Our Lady of Late, Wergo Spectrum: Mainz 1973, SM 1058-50. Die Aufnahme wurde 1986 mit dem „Preis der deutschen Schallplattenkritik – Vierteljahresliste“ ausgezeichnet. 15 Vgl. Monk, „Score ‚Our Lady of Late‘“, passim.

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sich als sehr viel informativer als es eine musikalische Notation in diesem Fall sein könnte. Die erklingende Musik orientiert sich sehr stark daran. Somit lässt sie sich umgekehrt wiederum sehr gut damit beschreiben, weswegen ich die Anleitungen in meinen Beschreibungen der einzelnen Stücke aufgreife. Der Zyklus „Our Lady of Late“ ist umrahmt von einem auf der Glasharmonika gespielten Pro- und Epilog. Diese werde ich aus meiner Untersuchung ausklammern, da die Stimme hier nicht zum Einsatz kommt. Während der 16 Stücke begleitet sich Monk selbst auf einem einzelnen Glas, auf dem sie mittels Reibung mit dem angefeuchteten Finger einen gleichmäßigen Bordun spielt. Im Laufe des Zyklus trinkt die Sängerin dreimal aus dem Glas und verändert damit die Tonhöhe. Laut Leadsheet liegt dieser Grundton für die Stücke 1-4 auf d2, für 5-9 auf es2, für 10-12 auf f2 und für 13-16 auf g2. Damit verändert der erste Schluck die Tonhöhe um einen Halbton, die beiden weiteren Schlucke je um einen Ganzton, sodass über den Verlauf des gesamten Zyklus ein Gesamtanstieg der Tonhöhe um 5 Halbtöne bzw. eine Quarte stattfindet. Die Grundtöne auf der Audioaufnahme weichen von den Angaben im Leadsheet ab. Dies kann von unterschiedlichen Faktoren abhängig sein, etwa der Füllung des Glases, der Geschwindigkeit oder Intensität der Reibung, der Raumakustik oder der Temperatur. Der durch den Glasbordun bestimmte Grundton ist hier für die Stücke 1-4 es2/dis2, für 5-7 e2, für 8-10 f2 und für 11-16 ges2/fis2. Es findet also eine dreifache Tonhöhenveränderung um jeweils einen Halbton, insgesamt also lediglich um eine kleine Terz, statt. Diese Unterschiede weisen darauf hin, dass die absoluten Tonhöhen für den Zyklus eher irrelevant sind. Die prinzipiellen Frequenzbereiche sind in Bezug auf die Klangfarbe von Bedeutung, d. h. etwa die Verwendung eines bestimmten Registerbereichs in Relation zur Begleitung, auch wenn der Begleitton sich nicht stark verändert. Zudem spielt der performative Akt des Trinkens aus dem Glas zur Frequenzänderung des Begleittons eine Rolle und hat eine humoristische Note. Weder das Glas noch die Stimme sind wohltemperierte Instrumente, daher weisen die tatsächlich erklingenden Tonhöhen häufig deutliche Abweichungen (bis zu einem Viertelton) in Relation zu einer wohltemperierten Stimmung auf. Dennoch erschien es mir sinnvoll, für die Analyse entsprechende Tonbezeichnungen zu verwenden. Für jedes Stück entscheide ich anhand des Borduns der Aufnahme seine Stimmung und vermerke lediglich zu Beginn die Frequenzabweichung, etwa ob das e2 hoch oder tief intoniert ist. Den Verlauf der Stimme beschreibe ich entsprechend angeglichen an die festgelegte Bordunfrequenz. Zur Beschreibung der Klangfarben verwende ich die Zeichen des phonetischen Alphabets IPA (Internationales Phonetisches Alphabet).

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1. „Unisono“ Dauer: 04:33 Grundton: Leadsheet: d2 Aufnahme: es2 (tief intoniert) Im ersten Lied, „Unisono“, umspielt die Stimme den kontinuierlichen Glaston durch unterschiedliche Bewegungs- bzw. Stagnationsmodi, mittels derer die Parameter Tonhöhe und Klangqualität beständig verändert werden. Beginnend mit einem sehr klaren, vibratoarm gesungenen [a:] auf der gleichen Frequenz wie der Glaston (es2) wird ein möglichst starker Einklang mit diesem angestrebt. Von dort werden Tonhöhe, Vokalisation, Stimmsitz und -klang variiert. Die Tonhöhe wird durch gesungene Töne oder Staccati gehalten oder mit einer maximalen Abweichung von einem halben Ton durch Schritte, Glissandi und Vibrati mit variierenden Amplituden (bis zu einem Halbton) und Tempi (zwischen sehr langsam und schnell) verändert. Die Klangcharakteristik wechselt von klar und vibratoarm über das Spiel mit den unterschiedlichen Vibrati zu nasalen und behauchten Klängen. Die Vokalisation wechselt meist übergangslos zwischen [a:] und [u:], mit zwischenzeitlichen Schließbewegungen des Vokaltraktes, die zur Bildung von Diphtongen und damit zu einem nasalen Klang führen. Neben harten Staccatiattacken finden sich weiche nasale „Sobs“. 16 Monk definiert dieses Stück als „an exploration of the full range of vocal quality and texture within strict limitations on pitch variation.“17 Das Ausloten der vokalen Möglichkeiten von Klangqualität und Textur innerhalb eines klar definierten Bereichs ist also eine zentrale Idee von „Unisono“. Eine weitere ist die Relation der Stimme zum Instrumentalton, das Spannungsfeld zwischen Verschmelzen und Abweichung. Damit verwirklicht das Stück als Einstieg in den Zyklus einerseits das durch den Titel benannte Prinzip, führt jedoch andererseits sogleich davon fort und öffnet für die folgenden Lieder ein Feld unendlicher Variationsmöglichkeiten. 2. „Knee“ Dauer: 01:23 Grundton: Leadsheet: d2 Aufnahme: es2 (hoch intoniert) „Knee“ ist eine einfache Vokalise in extrem hoher Lage. Das gesamte Stück wird auf [ɲi˜:] gesungen, welches die gleichbleibend stark nasale, fast quäkende Tonqualität bestimmt.18 Die Melodie hat keinen direkten Bezug zum angehaltenen Glaston und liegt mit ihrem Tonumfang zwischen des2 und des3 deutlich 16 Vgl. Monk, „Score ‚Our Lady of Late‘“, S. 6. 17 Ebd. 18 Vgl. ebd., S. 7.

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über dem Bordun. Der Melodieverlauf ist spiralförmig, wirkt verspielt. Die Melodie besteht aus vier mehrfach, teils auch einzeln wiederholten Phrasen, die bei jeder Wiederholung rhythmisch leicht variiert werden: 1. es2 – as2 – b2 – as2 – ges2, 2. es2 – ges2 – as2 – b2 – as2 – ges2 – as2, 3. des3 – h2 – as2 – ges2 – es2, 4. des3 – h2 – as2 – ges2 – es2 – des3 – es2. Die Übergänge von Ton zu Ton sind stark gebunden, einige Töne werden deutlich von unten angeschliffen. Im Leadsheet beschreibt Monk zusätzlich leichte Tonhöhenveränderungen innerhalb der einzelnen Töne sowie Attacken innerhalb der Phrasen und Töne.19 „Knee“ konzentriert sich auf die sehr unauffälligen kleinen Modifikationen in Bezug auf die Tonhöhe, sowohl in der Abfolge der Töne als auch in Form von Frequenzabweichungen innerhalb eines einzelnen Tons, während der Tonumfang, der von einem einzigen Register bestimmt ist, und die Klangfarben klar definiert sind und unverändert bleiben. Das gesamte Stück hat einen „mädchenhaften“ Charakter.20 3. „Hey Rhythm“ (Titel im Leadsheet: „Three Note Rhythm“) Dauer: 02:39 Grundton: Leadsheet: d2 Aufnahme: es2 Der „Hey Rhythm“ ist das bislang rhythmischste Stück. Solange der Bordun ein durchgehaltener, kontinuierlicher Ton ist, wird der Rhythmus allein durch die Stimme gebildet. Der „Hey Rhythm“ wird bestimmt von einem einzigen Stimmlaut, dem [hɛj], der auf jedem Ton neu angeschlagen wird. Jedes [hɛj] ist eine weiche Attacke, die durch eine akzentuierte Zwerchfellbewegung produziert wird. Als melodische Patterns existieren 1-, 2- und 3-Ton-Figuren in mittlerer Tonlage, die abwechselnd auf einem einzelnen as1 oder b1, auf as1 – b1, ges1 – as1 und ges1 – as1 – b1 intoniert werden. Der jeweils letzte Ton wird gehalten. Gemeinsam mit dem Glaston entsteht so jeweils eine deutlich hervorgehobene Quinte (as1 – es2) bzw. Quarte (b1 – es2). Rhythmisch werden diese Patterns stark variiert. Zu Grunde liegt ein schneller 4/4-Takt, innerhalb dessen die Schwerpunkte, Akzente, Betonungen und der Rhythmus stark verschoben werden.21 Zentrale Idee von „Hey Rhythm“ ist die Fokussierung auf den Einsatz des Diaphragmas als Generator einer rhythmisierten Stimmgebung.

19 Vgl. ebd. 20 Zu dieser gegenderten Interpretation siehe meine Ausführungen in Kapitel III.3.2 „Im Fokus: Akteurinnen“. 21 Vgl. Monk, „Score ‚Our Lady of Late‘“, S. 7.

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4. „Cow Song“ Dauer: 02:17 Grundton: Leadsheet: d2 Aufnahme: es2 (sehr hoch intoniert) Der „Cow Song“ wird komplett gesummt und behält durchgehend diese eine, zarte Klangqualität. Die Melodie ist sehr cantabile und besteht aus fünf Teilen: 1. es1 – ges1 – as1, 2. b1 – as1 – des2 – as1, 3. es1 – des1 – ges1 – as1, 4. h – b – h – f1 – as und 5. (2x) b – h – des1. Der Schwerpunk der Melodie liegt damit eine Oktave unter dem Glaston, in mittlerer bis tiefer Stimmlage. Die Patterns erscheinen immer in der gleichen Reihenfolge, wobei das fünfte manchmal ausgelassen, das erste manchmal wiederholt wird. Die einzelnen Patterns sind alle gleich lang, gefühlte vier Schläge, die rhythmische Verteilung der einzelnen Töne variiert.22 Die Hauptidee von „Cow Song“ sind die melodischen und rhythmischen Minimalveränderungen der Patterns bei gleichbleibender Klangqualität. 5. „Sigh“ Dauer: 02:30 Grundton: Leadsheet: es2 Aufnahme: e2 Mit „Sigh“ wird, wie der Titel vermuten lässt, eine neue Klangcharakteristik vorgestellt, der Seufzer. Die Töne, durchweg als [hɛ] intoniert, sind hoch bis sehr hoch, stark gepresst und gleichzeitig stark behaucht, fast heiser. Die Atemgeräusche stehen eindeutig im Vordergrund, die Tonhöhen sind dahinter nicht immer eindeutig auszumachen. Allerdings brechen aus den stark behauchten Klängen immer wieder klare Pfeiftöne aus.23 Die erkennbaren Tonhöhen stehen eindeutig in Relation zum Glaston. Die Stimme setzt immer wieder oberhalb an, um sich dann in einem Glissando hin zum Glaston zu bewegen. Während im Leadsheet zunächst eine Bewegung von der oberen großen Terz zur übermäßigen Prime (g2 – e2) des Glastons es2 notiert ist, beginnt die Stimme in der Aufnahme mit einer kleinen und großen Sekunde oberhalb des Borduns es2 mit f2, dann ges2/fis2. Der Ansatzton wird immer höher, über g2 und as2 bis a2. Die Hauptbewegung ist ein abfallendes, selten auch ein aufsteigendes Glissando, das in e2 mündet. Teilweise finden sich auch Staccati, d. h. wiederholte harte Ansätze auf gleicher Tonhöhe oder als Sprungsequenz zwischen as2 und des3/cis3 oder d3. Jede Phrase hat die Dauer eines Atemzugs, auch wenn es sich um einen einzigen kurzen Ton handelt.24 Gemeinsam mit der extrem hauchigen Klangqualität ver22 Vgl. ebd. 23 Vgl. ebd., S. 8. 24 Vgl. ebd.

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mittelt dies den Eindruck von Atemlosigkeit und bestärkt so den Klangeindruck von Hecheln bzw. Seufzen oder Jammern. Die Hauptidee von „Sigh“ ist die emotionale Figur des Seufzers, dadurch wird eine emotional affizierte Person suggeriert. Die Emotion hinter dieser Affektion ist nicht eindeutig als positiv oder negativ zu decodieren, beim Höreindruck bleibt es unklar, ob es sich etwa um einen weinenden oder einen freudig oder sexuell erregten Seufzer handelt. 6. „Morning“ Dauer: 01:35 Grundton: Leadsheet: es2 Aufnahme: e2 (hoch intoniert) Die Melodie von „Morning“, die in unterschiedlichen Varianten beständig wiederholt wird, besteht aus zwei Patterns, wobei das zweite Pattern eine Erweiterung des ersten darstellt. Die Patterns sind jeweils aus zwei Teilen zusammengesetzt, einer gesummten Phrase und einem Abschlusston auf [d~ɛ], innerhalb dessen ein deutlich hörbarer Registerbruch erfolgt, ähnlich wie beim Jodeln.25 Pattern 1 besteht aus der gesummten Pendelfigur e1 – es1 – des1 – es1 und dem abschließenden, abwechselnd auf b1 und a1 und somit als Quint- oder Tritonussprung zum vorhergehenden Ton intonierten Klang [d~ɛ], der gelegentlich beliebig oft wiederholt wird. Nachdem Pattern 1 in beiden Varianten mindestens einmal gesungen wurde, hängt sich Pattern 2 an, bestehend aus der gesummten Phrase des2 – h1 – ges1 – as1 – ges1 – es1 – h und dem abschießenden [d~ɛ] auf des1. Die gesummten Phrasen laufen eher schnell und beiläufig, die Betonungen liegen auf dem abschließenden Klang [d~ɛ]. Das Grundmetrum ist ein 4/4-Takt. Allerdings werden die rhythmischen Schwerpunkte im Verlauf des Stückes immer wieder so verschoben, dass der scheinbar gleichmäßige Puls immer wieder gebrochen wird. Etwa erfolgt der Einsatz des ersten Patterns synkopisch versetzt und damit scheinbar unsauber. Durch die Wiederholungen des [d~ɛ] am Ende des Pattern 1 können beliebig viele Schläge hinzugefügt werden, wodurch aus dem 4/4 ein 5/4, 6/4 usw. Takt wird. Die Glottisschläge und Synkopisierungen nehmen im Verlauf des Stückes zu.26 Die Verschiebungen ergeben den Eindruck, dass der Rhythmus „hakt“, und vermitteln ein Gefühl von Hektik. Die rhythmische Desorientierung und der Kontrast zwischen dem zarten Summen und dem Glottisbruch bestimmen den Charakter von „Morning“.

25 Vgl. ebd. 26 Vgl. ebd.

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7. „Slide“ Dauer: 03:00 Grundton: Leadsheet: es2 Aufnahme: e2 Wie der Titel bereits vermuten lässt, besteht „Slide“ komplett aus Glissandi. Diese werden auf der Vokalkombination [i:jɛj] gesungen. Das Stück beginnt mit geradlinigen Glissandi, die von sehr hohen Tönen (anfangs von h2, später von d3) der Kopfstimme in die Bruststimme der kleinen Oktave führen. Der Registerbruch ist als glottaler Schlag teilweise deutlich zu hören und zwar im unteren Teil der 1. Oktave bzw. zwischen der kleinen und 1. Oktave. Spätere Glissandi haben mit immanenten Auf- und Abwärtsbewegungen spiralförmigen Charakter. Diese Figuren finden sich sowohl in sehr hoher als auch in der tiefen Mittellage.27 Die Klangfarbe ist sehr klar und flach, d. h. ohne Vibrato, intoniert. Die Stimme klingt „natürlich“, d. h. ohne klassische Gesangstechniken, ohne starke Stütze, produziert. Die Glissandi haben unterschiedliche Tempi. Die langsameren lassen sich passender als chromatische Schrittfolge bezeichnen und wirken wie Glissandi in Zeitlupe. Zum Ende hin werden die Phrasen tendenziell kürzer und die Glissandi schneller, wodurch das gefühlte Grundtempo erhöht wird.28 Die zentrale Idee von „Slide“ ist das Ausloten von Extremlagen in der Höhe, der Tiefe und rund um den Registerbruch der Stimme. 8. „Waltz“ Dauer: 01:31 Grundton: Leadsheet: es2

Aufnahme: f2 (sehr hoch intoniertes e2)

In „Waltz“ wird der Glaston erstmals nicht als durchgehaltener Ton gespielt, sondern gleichmäßig in kurzen Abständen immer wieder neu angerieben, sodass kein liegender sondern ein rhythmischer Bordun entsteht.29 Die Melodie der Singstimme erklingt dazu in einem triolischen Metrum. Die Melodie wird zu Beginn im Legato auf [ə:] gesungen. In der Mitte werden die Töne zunächst durch ein vorangestelltes [n] ([nə:]), dann durch eine einleitende Aspiration [h] ([hə:]) voneinander abgesetzt, sind aber immer noch stark gebunden. Am Ende werden die einzelnen Töne im Staccato auf [ə:] angeschlagen. Die Stimmgebung entwickelt sich so von weich zu hart. Die Melodie ist volkstümlich und wie beiläufig gesungen. Das Tonmaterial ist pentatonisch und besteht aus den Tönen a1 – g1 – f1 – es1 – c1. Das Hauptmotiv ist eine absteigende Viertonreihe mit dem 27 Vgl. ebd. 28 Vgl. ebd. 29 Vgl. ebd., S. 9.

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Umfang eines Tritonus von a1 zu es1, welches als Variation erweitert wird um ein Rückpendeln der Figur über f1 – g1 – a1 – g1 und die angehängten Sprünge zu entweder es1 oder c1 und zurück zu g1. Der letzte Aufwärtssprung, sowohl zu es1 als auch zu c1, wird verschiedentlich einzeln wiederholt. Auch das Hauptmotiv wird gelegentlich einzeln für sich wiederholt. Dadurch entstehen rhythmische Verschiebungen. Auch wenn Monk schreibt, dass „Waltz“ absichtlich „fast unrhythmisch gesungen“ werde,30 ergibt sich dieser Eindruck beim Zuhören weniger. Der Höreindruck der Beiläufigkeit verdankt sich vielmehr dem gleichbleibend sanften, leicht monotonen Stimmklang. Diese verspielte Beiläufigkeit, bei Monk heißt es „zaghaft“ oder „provisorisch“,31 und die einfache Tongebung wecken die Assoziation einer kindlichen Stimme.32 9. „Prophecy“ Dauer: 03:09 Grundton: Leadsheet: es2 Aufnahme: f2 (hoch intoniert) „Prophecy“ (im Leadsheet lautet der Titel „Quivering Prophecy“) besteht aus unterschiedlich langen Vokalattacken auf den Phonemen [ne:] [ni:] [nɔi] und [ze] und deren Verbindungen. Jeder Ton ist als Kehlkopfträllern intoniert, d. h. als starkes glottales Tremolo. Die Stimmqualität ist nasal, die Attacken erfolgen nicht aggressiv, sondern sehr weich. Die Tonhöhen sind nicht eindeutig festzumachen, u. a. da jeder angeschlagene Ton über das Kehlkopfträllern sofort verlassen wird. Der frequenzbezogene Schwerpunkt liegt um g1. Von hier aus führen Glissandi, die stets als glottales Tremolo intoniert sind, zum c1 und h1. Obwohl im Leadsheet eine sehr tiefe Stimme vermerkt ist, handelt es sich hier mit dem Umfang der 1. Oktave um die mittlere bis tiefe Lage der Kopfstimme.33 Die Klangqualität ist „jammernd“ bis „meckernd“, ist also emotional besetzt. Es liegt tendenziell ein Konversationsmodus vor. Die zentralen Ideen von „Prophecy“ sind also die Klangqualität des nasalen Kehlkopfträllerns sowie der Modus der Konversation mit einem klagenden emotionalen Gestus. 10. „Dumb“ Dauer: 02:19 Grundton: Leadsheet: f2 Aufnahme: f2 (hoch intoniert) 30 Vgl. ebd. 31 Vgl. ebd. 32 Zu dieser gegenderten Interpretation siehe meine Ausführungen in Kapitel III.3.2 „Im Fokus: Akteurinnen“. 33 Vgl. Monk, „Score ‚Our Lady of Late‘“, S. 9.

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Die Melodie von „Dumb“ ist einfach und volkstümlich. Beginnend eine Quarte unter dem Glaston auf c2, verwendet sie das gesamte Tonmaterial der natürlichen f-Moll-Skala mit dem Umfang von es1 bis f2. Das Register ist die Kopfstimme in mittlerer Lage. Reihenfolge, Häufigkeit und rhythmische Verteilung der Töne werden frei variiert. Der anfangs sehr klar gesungene Ton wird zwischenzeitlich nasal, teilweise auch stark behaucht. Die Vokale liegen zwischen [i:], [ĩ:] und [ɛ], werden durch die Konsonanten [n] oder [j] angesungen oder teilweise auch durch ein [h] aspiriert. Im Leadsheet wird eine zitternde, alte, lachende Stimme beschrieben. Vom subjektiven Eindruck her könnte die Stimme ebenso einen kindlichen Charakter vermitteln.34 11. „Conversation“ Dauer: 02:54 Grundton: Leadsheet: f2

Aufnahme: ges2/fis2

In „Conversation“ werden mittels unterschiedlicher Klangfarben, Artikulationsmodi und klanggenerierender Aspekte zwei charakteristisch unterschiedliche Stimmen kreiert, die einander in einer Art Konversation gegenübergestellt werden. Die hohe Stimme, mit der das Stück beginnt und endet, ist gekennzeichnet durch eine hohe, gepresste, nasale Klangqualität. Ihr Frequenzschwerpunkt liegt um e2, von dort bewegt sie sich, ohne Melodieverlauf, im Gesprächsmodus bis zum a1. Sie artikuliert sich meist in einem Lachen, d. h. in schnell aufeinander folgenden, weichen Artikulationsattacken auf [he˜] [he˜] [he˜], [hi˜] [hi˜] [hi˜] und [ha˜] [ha˜] [ha˜], durchbrochen von in derselben Klangqualität hervorgebrachtem Parlando in einer Phantasiesprache, einer Art „Brabbeln“. Diese Stimme ließe sich subjektiv ebenso als „Babystimme“ wie auch als „alte Stimme“ beschreiben.35 Die tiefe Stimme entsteht durch Inspiration, d. h. die Stimmbänder werden durch einströmende Luft zur Phonation gebracht, wodurch sie irregulär schwingen und ein Glottisschluss höchstens unvollständig erfolgt. Die exakte Tonhöhe ist damit schwer zu kontrollieren. Der Frequenzschwerpunkt liegt zwischen c1 und ges1 mit Abweichungen bis zum d2. Die Stimmqualität ist dunkel, zwischen rau und knarrend. Auch diese tiefe Stimme hat keine identifizierbare Melodie und artikuliert sich in einem freien Parlando in einer Phantasiesprache.

34 Vgl. ebd. Zu dieser Interpretation bezüglich der Konstruktion von Alter siehe meine Ausführungen in Kapitel III.3.2 „Im Fokus: Akteurinnen“. 35 Zu dieser Interpretation bezüglich der Konstruktion von Alter siehe meine Ausführungen in Kapitel III.3.2 „Im Fokus: Akteurinnen“.

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Die Stimme klingt wie die Stimme eines sehr alten Menschen.36 Die hohe Stimme soll mit geschürzten, stark kontrollierten Lippen, die zweite Stimme mit offenem Mund gesungen werden.37 Hauptidee von „Conversation“ ist der Kontrast und die Gegenüberstellung zweier charakteristischer Stimmen sowie der Modus der Konversation, des Dialogs, der Kommunikation. 12. „Low Ring“ Dauer: 03:02 Grundton: Leadsheet: f2

Aufnahme: fis2/ges2

„Low Ring“ wird mit tiefer weicher Stimme gesungen. Mit ihrer Lage in der kleinen Oktave liegt die Stimme hier erstmals deutlich, nämlich um fast zwei Oktaven, unterhalb des Glastons. Das Tonmaterial besteht aus den zwei Tönen as/gis und a. Der stets langsame Übergang von einem Ton zum anderen findet entweder stark gebunden auf einer Silbe oder als abgesetzter Tonschritt mit neu angesetzter Silbe statt. Die Silben werden auf [do:], [da:], [de:], [də:] und [dɛ:], teils mit vorgeschobenem [n], gesungen. Häufig wird innerhalb einer Silbe übergangslos einer der Vokale in einen anderen transformiert.38 Die zentrale Idee in „Low Ring“ ist die Veränderung der Klangfarbe in tiefer Lage durch Verschieben des Stimmsitzes und damit des Vokals. 13. „High Ring“ Dauer: 01:45 Grundton: Leadsheet: g2 Aufnahme: fis2/ges2 (hoch intoniert) Die Stimme umspielt in „High Ring“ den Glaston in gleicher Oktavlage. Sie ist hoch und klar, dabei leicht gepresst. Das Stück hat drei melodische Patterns: die Prime auf fis2/ges2 als im Staccato immer neu angeschlagener Ton; eine Pendelfigur, ausgehend von fis2/ges2 über d2 zu e2 und der Halbtonschritt zwischen fis2/ges2 und f2. Damit ist der Glaston auch für die Stimme immer wieder die Ausgangs- und Hauptfrequenz. In der Regel erfolgt jeder Ton als eine kurze, vom Zwerchfell generierte Staccatoattacke mit hartem Stimmeinsatz auf [hə]. Der Halbtonschritt wird gelegentlich gebunden, wobei jeder Ton einen eigenen Zwerchfellimpuls erhält. Dem sehr rhythmischen „High Ring“ liegt ein schnelles Metrum zu Grunde. Das rhythmische Pattern der Töne wird immer wieder vari36 Zu dieser Interpretation bezüglich der Konstruktion von Alter siehe meine Ausführungen in Kapitel III.3.2 „Im Fokus: Akteurinnen“. 37 Vgl. Monk, „Score ‚Our Lady of Late‘“, S. 10. 38 Vgl. ebd.

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iert. Die Hauptidee von „High Ring“ ist das Umspielen des Grundtons in hoher Lage mit rhythmischen Attacken, für die das [hə] als „Mittel der Fokussierung“ dient.39 Die Stimme klingt sehr kindlich bzw. „mädchenhaft“.40 14. „Free“ Dauer: 02:28 Grundton: Leadsheet: g2 Aufnahme: ges2/fis2 „Free“, wie der Titel vermuten lässt, gibt im Leadsheet keinerlei Vorgaben und lässt der Interpretin freies Spiel für das Experimentieren mit den unterschiedlichen Möglichkeiten ihrer Stimme.41 In der vorliegenden Aufnahme lässt sich das Stück grob in sieben relativ unabhängige Sektionen teilen. In Teil 1 steht eine Jammerfigur auf [i:a:] im Vordergrund, die durch ein starkes Glottistremolo generiert wird. Sie wechselt zwischen hoher (ca. e1) und tiefer Lage (ca. d) und spielt so mit dem Registerbruch und den unterschiedlichen Klangfarben der Registerlagen. Teil 2 ist ein Call in sehr hoher Lage auf [lalalalala] um a2. Die Stimmqualität ist sehr klar und obertonreich. In Teil 3 rutscht die Stimme von dem hohen Ton aus Teil 2 in die tiefe Mittellage. Der Ton ist abgedunkelt, mit offenem Hals, klagend, mit einem starken Vibrato mit großer Amplitude. Der tiefe, ruhige Klageton wird immer wieder unterbrochen durch kurze Impulse in hoher Lage, was den Eindruck des Schluchzens erhöht. Teil 4 ist bestimmt durch eine stark gepresste, nasale Stimme mit engem Hals in hoher Lage, der Vokal liegt zwischen [a:] und [ɛ:]. Die Stimme klingt weinend, jammernd. Die Teile 5 und 6 sind sehr kurz. In Teil 5 ist die Stimme tief und abgedunkelt, mit offenem Hals wie in Teil 3, diesmal intoniert auf [i:]. In Teil 6 ergibt sich der Höreindruck einer alten, klagenden Person, mit leiser, gespresster Knarrstimme mit engem Hals auf [a] in mittlerer Lage.42 Teil 7 verbindet in seiner Klangqualität Elemente aus Teil 1 und Teil 3: Das tiefe, abgedunkelte, mit offenem Hals gesungene Glottistremolo bricht immer wieder zu kurzen Impulsen in hoher Lage aus, der Vokal liegt diesmal zwischen [i] und [ə]. Auch hier ist der Höreindruck des Jammerns sehr präsent. Hauptidee in diesem konkreten „freien Spiel“ ist das Ausprobieren unterschiedlicher Modi der stimmlichen Klage. Zentral ist dabei das Spiel mit Kontrasten. 39 Vgl. ebd. 40 Zu dieser gegenderten Interpretation siehe meine Ausführungen in Kapitel III.3.2 „Im Fokus: Akteurinnen“. 41 Vgl. Monk, „Score ‚Our Lady of Late‘“, S. 11. 42 Zu dieser Interpretation bezüglich der Konstruktion von Alter siehe meine Ausführungen in Kapitel III.3.2 „Im Fokus: Akteurinnen“.

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15. „Edge“ Dauer: 01:31 Grundton: Leadsheet: (e2) Aufnahme: ges2/fis2 In „Edge“ herrscht erneut ein Konversationsmodus vor, der die sehr beredt vorgetragenen abstrakten Silben wie einen Phantasietext erscheinen lassen. Der „Text“ besteht aus den Silben [ɛs] als Auftakt und [mi], [ni], [ui] und [i], die als teils synkopische Achtel und Triolen rhythmisiert sind. Es liegt ein auftaktiger 2/4-Takt zu Grunde, der Glaston wird für jeden Takt neu angeschlagen. Die melodischen Patterns bestehen aus Zweitonmotiven in mittlerer Registerlage auf den Tönen fis1/ges1 – gis1/as1 und e1 – fis1/ges1. Diese Zweitonmotive werden gelegentlich umspielt, indem die Melodie nach oben ausbricht. Die Klangcharakteristik ist weich und nasal.43 Die Nasalität wird im Laufe des Stückes verstärkt, bis die Vokalcharateristik fast unkenntlich ist und der Klang ein dem Kehlgesang ähnlicher Laut ist. Während die meisten anderen Stücke mit einem lang angehaltenen Glaston ausklingen, endet „Edge“ abrupt. Hauptidee von „Edge“ ist das Spiel mit dem Stimmsitz und damit mit unterschiedlichen Qualitäten der nasalen Klangcharakteristik. Der Höreindruck weckt Assoziationen zur Imitation von Babystimmen oder auch von der Stimme eines kleinen Mädchens; gleichzeitig lässt sich auch die Stimme einer alten Person assoziieren.44 16. „Scale Down“ Dauer: 02:50 Grundton: Leadsheet: (g2) Aufnahme: ges2/fis2 (hoch intoniert) Die Melodie von „Scale Down“ wird in sehr hoher Lage gesungen. Während der Schwerpunkt auf dem Ton fis2/ges2 und damit auf der gleichen Frequenz wie der Glaston liegt, gehört das gesamte Tonmaterial zu E- bzw. Fes-Dur mit einem Umfang zwischen h1/ces1 und a2/heses2. Der Artikulation liegt die Silbe [nain] zu Grunde, von der aus unterschiedliche Klangfarbenmöglichkeiten der Silbe ausgelotet werden. Von einem klaren Belcantoton wechselt die Stimme stufenlos in unterschiedliche Grade der nasalen und gepressten Stimme über.45 Der Stimmsitz der Vokale und des Konsonanten wird beständig verschoben, etwa von [ai] zu [aj] oder [ɛ], von [n] zu [ɲ] oder [ŋ], dabei von der klaren zur nasalen Klangqualität. Hauptidee von „Scale Down“ ist das Experimentieren mit den Positio43 Vgl. Monk, „Score ‚Our Lady of Late‘“, S. 11. 44 Zu dieser Interpretation bezüglich der Konstruktion von Alter und Geschlecht siehe meine Ausführungen in Kapitel III.3.2 „Im Fokus: Akteurinnen“. 45 Vgl. Monk, „Score ‚Our Lady of Late‘“, S. 12.

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nen im Vokaltrakt, zwischen hinten und vorne, weit und eng, Rachen- und Nasenposition. Erneut vermittelt sich der Höreindruck zwischen einer kindlichen bzw. jugendlichen Stimme bis hin zu einer alten Stimme.46 „Our Lady of Late“ als Schlüsselpunkt „Our Lady of Late“ ist nicht nur das erste reine Vokalmusikkonzert Monks, es weist bereits wesentliche Züge ihres Vokalstils und ihrer Arbeitsweise auf, die in den 1970ern ihre spezifische Form finden.47 Darunter sind insbesondere Monks erweiterten Stimmtechniken zu verstehen sowie der stark emotionale Charakter ihrer Vokalmusik, der nonverbale Stil bei gleichzeitigem Sprachduktus, das Unterlegen der Gesangsstimme mit einer einfachen, repetitiven Begleitung sowie die Konzentration auf einzelne einfache Phrasen, Patterns oder klangliche Aspekte, denen sie durch Variationen, durch immer wieder neue, überraschende Schichtungen und Aneinanderreihungen Komplexität verleiht. Selbstbewusst gibt Monk an, dass die Struktur des Zyklus „the full range of the voice (pitch, volume, speed, impulse, texture, timbre, breath, placement, resonance)“ repräsentiere.48 Viele dieser Charakteristika und Aspekte hatte Monk bereits in „Key“ oder „Vessel“ vorgestellt und wird sie ab da immer wieder aufgreifen, weiter ausbauen und festigen sowie anderen Musiker_innen beibringen und mit ihnen polyphon erweitern.

III.3.2 I M F OKUS : AKTEURINNEN Ein zentrales Anliegen der zweiten Frauenbewegung betraf die Sichtbarkeit von Frauen. Das hieß zum einen, dass Frauen als Akteurinnen sichtbarer wurden, also als politisch, künstlerisch und gesellschaftlich handelnde Subjekte, zum anderen, dass sexistische Repräsentationen von Weiblichkeit kritisiert wurden und neue, selbstbestimmtere Entwürfe Sichtbarkeit erlangten.49 Meredith Monk als Pionierin der Performancekunst, der erweiterten Stimmtechniken, der vokalen Performancekunst, als VocalComposerPerformer, ist eine solche selbstbewusste

46 Zu dieser Interpretation bezüglich der Konstruktion von Alter siehe meine Ausführungen in Kapitel III.3.2 „Im Fokus: Akteurinnen“. 47 Vgl. Weber-Lucks, Körperstimmen, S. 189. 48 Vgl. Monk, „Notes on Our Lady of Late“, MMA Box 26 Folder 9. 49 Vgl. ausführlich hierzu Kapitel I.3 „Performancekunst und feministisches Bewusstsein.“

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Akteurin, die in all ihren unterschiedlichen künstlerischen Funktionen, von der Choreographin und Tänzerin über die Sängerin und Komponistin bis zur Filmemacherin und Regisseurin sowie als Gründerin von zwei Ensembles, große Sichtbarkeit erlangte. Ein starker Wille, unerschütterliches Selbstbewusstsein und ausgeprägter Ehrgeiz halfen ihr dabei, sich nicht von ihrem künstlerischen Weg abbringen zu lassen, auch wenn sie sich gelegentlich damit konfrontiert sah, als Frau mit ihrer Arbeit vor allem in der klassischen Musikwelt auf Unverständnis und Ablehnung zu stoßen.50 Doch das künstlerische Kräftefeld Downtown bot die Kontexte und die Anerkennung, auf Basis derer sie vor allem durch ihren innovativen und individuellen Vokalstil berühmt und damit sehr sichtbar und einflussreich wurde. Als Tom Johnson im Februar 1973 ein Konzert von „Our Lady of Late“ in der Town Hall hörte, nannte er es in seiner Village-VoiceRezension „the closest thing to a perfect concert that I have heard for some time.“51 Mit ihrer ersten rein vokalmusikalischen Performance erlangte Monk also nicht nur Sichtbarkeit, sondern auch Zuspruch und Anerkennung in der Downtown-Szene. Doch auch hier geht es kaum allein darum, dass Monk als Akteurin in Erscheinung tritt. Auch ihre Repräsentationen und Konstruktionen von Weiblichkeit sind von Interesse sowie die Rezeption ihrer Arbeit in diesem Kontext. John Rockwell, damals Rezensent der New York Times, besuchte das gleiche Konzert wie Tom Johnson und schrieb: „Above all, however, it is the emotional range of this music that seems most impressive. To this listener, the evening sounded like a compendium of womanly experience, from birth to girlhood to motherhood to shamanistic ecstasy to grief to old age to death. But whatever associations one chose, the sounds themselves reached deep, beyond intellectualization.“52

Rockwells Interpretation einer „ganzen Welt weiblicher Erfahrung“ mag einerseits als individuelle Wahrnehmung interpretiert werden. Andererseits war das Erkunden unterschiedlicher Charaktere und personae wesentliche Motivation Monks für die Lieder von „Our Lady of Late“. In ihren „Notes on the Voice“ hielt sie zu „Our Lady of Late“ fest:

50 Vgl. Monk in Monk, Kohl, Interview mit Meredith Monk. Siehe auch Monk in WeberLucks, Körperstimmen, S. 189. 51 Johnson, „Meredith Monk, Kirk Nurock, Jon Gibson, Alvin Curran“ in: ders., The Voice of New Music, S. 37. 52 John Rockwell: „‚Lady of Late‘“, S.17, PAMM 02.

338 | M EREDITH M ONKS VOKALE PERFORMANCEKUNST „the naked voice, the female voice in all its aspects; gradiations of feeling, nuance, rhythm, quality; each section another voice (character, persona), each section a particular musical problem, area of investigation; the full range of the voice (pitch, volume, speed, texture, timbre, breath, placement, strength); the voice as the vehicle for a psychic journey.“53

Auch mein subjektiver Höreindruck führte immer wieder zu Assoziationen von bspw. „mädchenhaften“ oder allgemeiner „kindlichen“ Stimmen. Diese Assoziationen dürften mit der fast durchgehenden Verwendung der Kopfstimme zu tun haben, mit der Betonung der hohen Lagen und den Klangqualitäten der häufig zarten, behauchten Stimmgebung. Diese vokalen Merkmale suggerieren potentiell eine Stimme vor ihrem Stimmbruch.54 Die Assoziation „alter“ Stimmen, die ebenfalls häufiger auftauchte, scheint mit einer zitternden oder atemlosen Artikulation u. ä. zusammenzuhängen. Möglicherweise befördert auch die emotionsbetonte Grundstimmung des Zyklus generell die Assoziationen von bestimmten Charakteren oder personae. Es handelt sich hierbei wie gesagt um individuelle Höreindrücke, Assoziationen und Interpretationen, deren Verallgemeinerung grundsätzlich problematisch ist, insbesondere auch aufgrund ihrer genderspezifischen Dimension. Keinesfalls sind sie als wahr oder essentiell zu begreifen. Vielmehr basieren diese Assoziationen, die eine Decodierung akustischer Signale in Aussagen über Personen bedeuten, auf gesellschaftlich konstruierten Zuschreibungen, Stereotypen, Erfahrungen, Erwartungshaltungen usw. Insofern haben die prinzipiell individuellen Assoziationen allerdings durchaus auch eine gesellschaftliche Dimension. Während Beschreibungen derartiger individueller und gesellschaftlicher Stereotypen und Erwartungshaltungen sowie deren Funktion als Basis der (geschlechtsspezifischen) Decodierung akustischer Signale ohne entsprechende repräsentative Daten zwangsläufig vage bleiben, ist es viel in-

53 Monk, „Notes on the Voice“, S. 57. 54 Susanne G. Cusick weist darauf hin, dass der Stimmbruch, d. h. die meist in der Pubertät stattfindende Stimmmutation, als eine kulturelle Inszenierung von Geschlechterdifferenz zu verstehen sei. Junge Männer lernen, ihre hohen Register auszusparen und sich auf das tiefe Register zu konzentrieren, während junge Frauen lernen, dass Veränderungen ihrer Stimme unwesentlich sind und sie ihre Stimmproduktion nicht neu erlernen müssen, um ein erwachsenes Register für Sprache und Gesang zu entwickeln. So würden Männer und Frauen lernen, ihr Geschlecht mittels der Stimme zu performieren. Cusick bezieht sich mit ihren Überlegungen auf den Untersuchungsraum Nord-Amerika (siehe Cusick, „On Musical Performances of Gender and Sex“, S. 32f.).

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teressanter, sich Monks eigene, konkrete Inszenierungen von Weiblichkeit genauer anzusehen. Bei „Our Lady of Late“ sitzt Monk alleine an einem kleinen runden Tisch auf der Bühne, in weißem Kleid mit langen, nach hinten gebundenen Haaren. Sie ist durchgehend konzentriert, schaukelt tänzerisch und meditativ mit dem Oberkörper. So evoziert sie Bilder von Unschuld, von Jugendlichkeit, von Ernsthaftigkeit und von Ritual. Diese sind zugleich beständig mit einer humoristischen Note unterlegt, die u. a. durch den Kontrast zum höchst ungewöhnlichen Gebrauch der Stimme und des Wasserglases entsteht. Christa Brüstle betont 2007, dass Monks „Selbstinszenierung als ‚kleines entdeckungsfreudiges, groß gewordenes Mädchen‘ […] ein wichtiger Teil ihrer Identität als Frau und als Vokalkünstlerin geworden“ und „Teil ihrer ‚gender performance‘“ ist.55 Auf vielen Bildern ist sie mit Zöpfen oder einem Pferdeschwanz zu sehen, häufig trägt sie Latzhosen, Blumenkleider, Röckchen mit Kinderstiefeln u. ä.56 Und auch in ihren Musiktheaterstücken spielen Mädchen häufig eine zentrale Rolle, etwa in „Education of the Girlchild“ (1972/3) oder „Quarry“ (1976) oder auch später in ihrem Film „Book of Days“ (1988) oder ihrer Oper „Atlas“ (1991). Die Figur der Saint Joan in „Vessel“ ist eine ambivalente Figur, die „jungfräuliche Retterin“, die mal als Mädchen, mal als erwachsene Frau interpretiert werden kann. Die Figur des Kindes oder jungen Mädchens tritt oft im Kontext der Erzählung von Übergangs-, Transformations- oder Initiationsriten in Erscheinung.57 „Quarry“, eine Oper über den zweiten Weltkrieg und den Holocaust, beginnt mit dem Fiebertraum eines kleinen Mädchens, gespielt von Monk selbst. Im zweiten Teil von „Education of the Girlchild“, der Solo-Performance „Biography“, beginnt Monk als alte Frau, die sich in ein junges Mädchen zurückverwandelt, und führt damit quasi die Sozialisierung des „girlchild“ im Rückwärtsgang vor. Ähnlich wie in „Our Lady of Late“ ist Monk hier ganz in weiß gekleidet. Sie tanzt und singt auf einem langen weißen Leinentuch, das wie ein Pfad durch die Zeit im Raum ausgelegt ist.58 Die Stimme spielt für diese Reise von alt zu jung eine wesentliche Rolle, Brüstle spricht von einer „mythischen Reise der Stimme“.59 Sie fragt, in welcher Relation die stimmlichen Qualitäten Monks, die sich gerade in den 1970er Jahren in ihrer großen Flexibilität entfalten und Monks „traveling voice“ etablieren, die Techniken, personae und emotionale Räume vereint und überschreitet, zu dieser Inszenierung der kindlichen Frau bzw. dem erwachsenen 55 Brüstle, „Gender performance im aktuellen Musiktheater“. 56 Vgl. ebd. 57 Vgl. ebd. 58 Vgl. Abbildung 24. 59 Brüstle, „Gender performance im aktuellen Musiktheater“.

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Kind steht. Brüstle fragt weiter, ob die „kindliche Offenheit und Beweglichkeit“ beziehungsweise eine „anhaltende Jugendlichkeit“ Monks der „Eroberung ihrer Stimme“ gegenübersteht.60 Meines Erachtens ist für diese „Eroberung ihrer Stimme“, zumal in dieser Anfangszeit ihrer Beschäftigung mit der Stimme, das beständige Experimentieren und Weiterentwickeln des stimmlichen Materials ein wesentliches Merkmal. Die „Eroberung“ stellt keinen Stillstand dar. Bedenkt man Monks Anspruch, immer wieder neue stimmliche Welten zu erforschen und zu kreieren und mittels der Stimme alternative Kommunikationswege zu eröffnen, so spielen die Eigenschaften von Offenheit, Neugierde und Experimentierfreude eine große Rolle. Und wer verkörpert diese Eigenschaft, möglichst alles unvoreingenommen und mit neuen Augen sehen zu können, besser als ein Kind? Dass es sich bei dem Kind in Monks Arbeiten stets um ein Mädchen handelt, verweist darauf, dass in Monks Arbeiten häufig autobiographische Bezüge zu finden sind. Die Hauptprotagonist_innen in Monks Musiktheaterstücken sind fast immer weiblich. So waren auch die Ensemblemitglieder ihres „Vocal Ensemble“ bis zur Komposition von „Dolmen Music“ Ende der 1970er Jahre ausschließlich weiblich. Neben der Figur des Mädchens, die sowohl auf der Bühne als auch in der Selbstinszenierung Monks zu finden ist, sind es vorrangig erwachsene Frauen, die wir in Monks Stücken in Aktion erleben. Diese Frauen befinden sich häufig auf der Reise, auf der Reise durch den Raum, durch Welten, durch die Zeit, aber auch auf der Reise durch diverse musikalische Ausdrucksweisen. Der Prozess der Reise und Transformation ist somit ein wiederkehrender Topos in Monks Arbeit. In „Vessel“ beispielsweise begibt sich Saint Joan auf eine spirituelle Reise, ihren Visionen folgend. Zugleich bewirkt sie eine räumliche Reise für ihre gesamte Gefolgschaft sowie für ihr Publikum, und zwar durch Downtown New York, von Monks Loft über die Performing Garage hin zu einem Parkplatz in der Wooster Street. Auch die Frauen im ersten Teil des zweiteiligen „Education of the Girlchild“ durchwandern gemeinsam unterschiedliche Lebensphasen und bilden dabei eine eingeschworene Gemeinschaft.61 Monk spricht auch von einer „weiblichen King-Arthur-Runde“ oder einem „tribe of women“.62 Ähnlich wie Monk in „Our Lady of Late“ sitzen die sieben Frauen zu Beginn des Stücks gemeinsam an einem Tisch. Sie vermitteln dabei ein Gefühl von Freundschaft und Gemeinschaft, auch von einer gewissen Häuslichkeit, indem sie Essen und Geschichten

60 Vgl. ebd. 61 Siehe „Education of the Girlchild. Group and Solo“, Video (DVD), AHF 12. 62 Vgl. Monk in Bear, „Invocation/Evocation“, S. 85.

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miteinander teilen.63 An einer anderen Stelle laufen und sitzen die Frauen zusammen, stapeln gemeinsam Backsteine.64 Bei diesem Bild dachte Monk an eine Gruppe von Philosophinnen, wie sie zusammensitzen und philosophische Ideen diskutieren. Ganz bewusst bricht sie damit mit einem geschlechterstereotypen Bild, spricht von einer „Sokratese“ anstelle von einem „Sokrates“: „But they were women. Because I think there were women philosophers.“65 Wissen und Weisheit und die gemeinsame Teilhabe an diesen Ressourcen sind weitere Themen von „Education of the Girlchild“. Es gibt die Figur der Ahnin, die den anderen Frauen ihre Weisheit weiterreicht. Sie tut dies einerseits mit einer sehr eigenwilligen, gepressten und klagenden Stimme, andererseits durch große Gesten und Armbewegungen, durch die sie die Frauen zu markieren scheint:66 „And again I think it’s a very female way to pass [wisdom] down by your body.“67 Abbildung 28: Meredith Monk, „Education oft he Girlchild“, Gruppenteil

Archiv House Foundation, Foto: Philip Hipwell

63 Vgl. Abbildung 25. 64 Vgl. Abbildung 28. 65 Vgl. Monk in Monk, Kohl, „Interview mit Meredith Monk“. 66 Siehe „Education of the Girlchild. Group and Solo“, Video (DVD), AHF 12. 67 Vgl. Monk in Monk, Kohl, „Interview mit Meredith Monk“.

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Eine andere Figur ist der „death character“, der durch „Kali“, die „Todesgöttin“, inspiriert wurde.68 Dreimal erscheint der Tod im Verlauf von „Education of the Girlchild“. Am Ende des Ensemble-Teils holt er die anderen Frauen eine nach der anderen ab auf eine ganz spezielle Reise. Nicht nur auf der Bühne, auch jenseits dieser stellte die Gruppe von „Education of the Girchild“ eine Art Gemeinschaft dar. Die Frauen, die neben Monk auf der Bühne erschienen, waren alle aus ihrem Ensemble „The House“: Lanny Harrison, Monica Moseley, Coco Pekelis, Lee Nagrin und Blondell Cummings.69 Die Persönlichkeiten dieser Frauen spielten eine große Rolle bei der Entstehung von „Education of the Girlchild“: „The interior richness of each performer contributes to the making of sequences, and I want the audience to have a profound relationship with their female personality.“70 In enger Zusammenarbeit während des Proben- und Entstehungsprozesses von „Education of the Girlchild“ entwickelte Monk auf Basis der Persönlichkeiten ihrer Darstellerinnen die archetypischen und mythischen Rollen und Charaktere, welche die Ensemblemitglieder eher als Erweiterungen ihrer selbst anstatt als fiktive personae verstanden.71 Durch die Integration autobiographischer Bezüge der Darstellerinnen in das Stück findet zudem eine Verzahnung von Alltag und Leben statt. Im Programmheft identifizierte Monk sich selbst als „IncaJew“, geboren in Lima, Peru.72 Eine Fehlinformation, die gelegentlich bis heute kolportiert wird.73 Monk ließ also nicht nur autobiographische Bezüge in ihre Stück einfließen, sondern erlaubte es umgekehrt Bezügen aus ihren künstlerischen Welten, die eigene autobiographische Erzählung zu manipulieren. Während die Bilder, Tableaus, Szenen, Bewegungen und Charaktere in „Education of the Girlchild“ stark angelehnt sind an die Lebenserfahrungen ihrer 68 Vgl. ebd. 69 Vgl. Monk in Bear, „Invocation/Evocation“, S. 85. 70 Monk, zitiert in Marianne Goldberg, „Personal Mythologies“, S. 50. 71 Vgl. Goldberg, „Personal Mythologies“, S. 50. 72 Siehe Programm „Education of the Girlchild“, MMA Box 15. Sally Banes ist bereits auf einem früheren Programm für „Tour: Dedicated to Dinosaurs“ von 1969 auf diese Information gestossen (siehe Banes, „Meredith Monk. Homemade Metaphors“, S. 149). Auch in anderen Programmen der 1970er Jahre wird Monks Geburtsort mit Lima angegeben (vgl. z. B. Programm „Museum of Contemporary Art presents Meredith Monk. Anthology“ von 1977, MMA Box 16 Folder 3). 73 So gehen bspw. Banes, Nancy Putnam Smithner und Reinhard Oehlschlaegel davon aus, dass diese Information stimmt (siehe Banes, „Meredith Monk. Homemade Metaphors“, S. 149f.; Putnam Smithner, „Meredith Monk. Four Decades by Design and by Invention“, S. 94; Oehlschlaegel, „Dances for the Voice“, S. 234).

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Darstellerinnen, sollen damit keine existierenden Mythen oder kollektiv erinnerten Geschichten aufgegriffen werden. Vielmehr werden durch ungewohnte Rekombinationen persönliche Mythen kreiert. „Girlchild, by juxtaposing cultural symbols in new ways, reshapes traditional identities of women,“74 befand Marianne Goldberg. Ähnlich wie auch bereits in „Vessel“ wird eine utopische Gesellschaft vorgestellt, hier im Sinne einer friedlichen, kooperativen und harmonischen Gemeinschaftlichkeit. Bei Monk bestehen diese Gemeinschaften aus Gruppen starker Individuen, meist Frauen, deren soziale Beziehungen, so Sally Banes, nicht eindeutig, deren emotionale Verbindungen dafür umso deutlicher sind.75 Diese emotionale Verbundenheit innerhalb einer Gemeinschaft wird selbst in einem Stück wie „Tablet“ rezipierbar, einer rein musikalischen Arbeit für drei Frauenstimmen. „Tablet“ ist die erste Komposition Monks mit, wie sie es in einem Programmheft schrieb, drei gleichwertig komplexen Stimmen.76 In einer Videoaufnahme des Benefizkonzerts in The Kitchen, bei dem Monk „Tablet“ gemeinsam mit Andrea Goodman und Monica Solem als Konzert aufführte, ist zu sehen, wie die drei sich gemeinsam um das Klavier gruppieren, das sie, sowie zwei Sopranblockflöten, abwechselnd spielen.77 Monk forderte das Publikum im hinteren Teil des Saales dazu auf, aufzustehen, um die Gesichter der Performerinnen zu sehen, da dies wichtig für die Performance sei.78 So führen auch bereits diese Aufforderung und die räumliche Anordnung eine besondere Art der Beziehung und Nähe der drei Frauen vor, indem letztere etwa eine häusliche bzw. private Form des gemeinsamen Musizierens suggeriert. Darüber hinaus werden die Verbindungen der drei Frauen, ihre unterschiedlichen Charaktere und Kommunikationsformen durch die Verbindung ihrer Stimmen hergestellt. Aron Bedersen hört „a variety of female archetypes and characteristics: chattering mountain women, youth and beauty, strength and humor. [… The women] create a sense of intimacy and strength in unity and friendship.“79 Diese Nähe unter den Frauen wird musikalisch hergestellt durch ein Weiterreichen, Teilen und gemeinsames Variieren bestimmter erweiterter Stimmtechniken, unterschiedlicher melodischer oder rhythmischer Patterns, durch eine auf die Tonhöhen bezogene 74 Marianne Goldberg, „Personal Mythologies“, S. 51. [Hervorhebung im Original.] 75 Siehe Banes, „Meredith Monk. Homemade Metaphors“, S. 155. 76 Siehe Programmheft „The Moming Collection“, Box 56 Folder 8. 77 Siehe „The Kitchen Benefit Concert 1978“, Video, KA 01. 78 Siehe Monk ebd., ca. 17:15. 79 Siehe Bederson, New York Avant-Garde – Theatre, Values, Goals and Resonances, S. 88. Bedersons Beschreibungen beziehen sich auf eine Aufführung der Gruppe M6 mit Kompositionen Monks im Symphony Space in New York 2008.

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Nähe im gleichen Registerbereich oder durch das Einfallen in einen Konversationsmodus in einer fiktiven, jedoch von ihnen geteilten Sprache. So kreieren sie mittels ihrer Stimmen musikalisch eine freundschaftliche, empathische, auf Nähe und Kommunikation beruhende Gemeinschaft. Sally Banes sieht in den interpretatorisch offenen, emotionalen Gemeinschaften, die Monk in ihren Arbeiten evoziert, eine potentiell feministische Utopie, gedacht nicht als politische oder moralische Patentlösung, sondern als Vorschlag dafür, „was sein könnte“.80 Monks Frauenfiguren der „Visionärin“, „Heldin“ oder „Erforscherin“ ersetzen zum einen einen männlich dominierten Typus mit weiblicher Personage. Zudem bieten Monks Frauenfiguren, zumal in den 1970er Jahren, neue, positivere Repräsentationen von und Identifikationsmöglichkeiten für Frauen. Figuren wie die „Göttin“ oder „Ahnin“ verweisen eher auf zeitgenössische Matriarchatskonzepte, wie sie ab den 1970er Jahren in einer feministischen Kunstpraxis thematisiert wurden, „um die Notwendigkeit gynozentrischer Perspektiven zu betonen.“81 Banes interpretiert Monks Sensibilität für eine friedliche, kooperative, harmonische Gemeinschaftlichkeit, wie sie beispielsweise in „Education of the Girlchild“ kreiert wird, als Reflexion der Ideen der 1960er und 1970er Jahre.82 Ähnlich verstehe auch ich, dass Monks vielfachen mythischen und archetypischen Frauenfiguren und Heldinnen auf der Bühne sowie ihre Betonung des Urmenschlichen, Emotionalen und Intuitiven an die gesellschaftlichen Gegenentwürfe des Radikalen Feminismus der Zweiten Frauenbewegung erinnern, an Utopien von alternativen, weiblich dominierten Formen des Zusammenlebens, die sich u. a. legitimieren über die Berufung auf und Aufwertung von angeblich „urweiblichen“ Fähigkeiten wie Emotionalität, Fürsorglichkeit, Friedlichkeit, Naturverbundenheit und Gemeinschaft. Aus dieser Perspektivierung können diese Frauenfiguren Monks und ihre Weiblichkeitskonstruktionen im Kontext eines identitätspolitischen feministischen Ansatzes gelesen werden.

III.3.3 I M F OKUS : „D AS P RIVATE

IST POLITISCH “

Mit dem Slogan „Das Private ist politisch“ sollte u. a. darauf aufmerksam gemacht werden, dass private Erfahrungen (von Frauen) eine gesellschaftliche und damit eine kollektive und politische Dimension haben. Für die feministische Kunstpraxis der 1970er Jahre bedeutete dies beispielsweise, dass das Themati-

80 Siehe Banes, „Meredith Monk. Homemade Metaphors“, S. 155. 81 Susanne Schmid, „Göttin“, S. 166. 82 Siehe Banes, „Meredith Monk. Homemade Metaphors“, S. 155.

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sieren autobiographischer Erfahrungen sowie generell das Setzen von Inhalten eine neue Relevanz erhielt und auch die Betonung von Emotionen eine wichtige Rolle spielte. Ferner galt es, dieses Spannungsfeld zwischen Individualismus und Kollektivität fruchtbar zu machen.83 Konkrete Inhalte werden in „Our Lady of Late“ kaum direkt transportiert. Die Titel des gesamten Zyklus sowie der einzelnen Stücke verweisen zwar auf semantische Kontexte. Auch der vielen der Stücke zugrundeliegende Sprachduktus, am stärksten sicher in „Conversation“ und „Edge“, unterstützt die Wahrnehmung, dass Inhalte vermittelt werden. Die Botschaft ist allerdings nie eindeutig. Ein kommunikativer sowie ein emotionaler Charakter, etwa durch Stücke wie „Sigh“, „Prophecy“ oder „Free“, steht stark im Vordergrund des Zyklus. Monks fruchtbarer Umgang mit dem Spannungsfeld zwischen Individualismus und Kollektivität oder Gemeinschaftlichkeit zeigt sich vor allem in einem Transfer ihres Individualstils, wie er sich in „Our Lady of Late“ erstmals ausprägt zeigte, in eine kollektive Praxis.84 Mitte der 1970er Jahre begann sie, ihre idiosynkratischen Stimmtechniken anderen Sänger_innen beizubringen mit dem Anliegen, musikalisch komplexer werden zu können.85 Zu diesem Zwecke gründete sie 1978 ihr Vokalensemble. Erstes Beispiel für eine komplexere vokalmusikalische Arbeit für mehrere Stimmen ist, neben der Oper „Quarry“, das Trio „Tablet“. Darin finden sich einige der Stimmtechniken wieder, die bereits in „Our Lady of Late“ vorgestellt worden waren, nun aber kombiniert im Einsatz von drei Stimmen neu kontextualisiert wurden. So tauchen beispielsweise die kurzen rhythmischen Attacken aus „High Ring“ gleich zu Beginn und in der Mitte von „Tablet“ ab ca. 13:20 auf, das Ausloten der extrem hohen Lage ebendort ähnlich wie in „Knee“, der Konversationsmodus ab ca. 7:50 ähnlich wie in „Conversation“, oder die Glissandobewegungen wie in „Slide“ ab ca. 10:50, die hier sehr langsam und in Sekundabständen zwischen den einzelnen Stimmen ausgeführt 83 Vgl. ausführlich hierzu Kapitel I.3 „Performancekunst und feministisches Bewusstsein“. 84 Die Tatsache, dass Monk „Our Lady of Late“ auf Anregung des befreundeten Choreographen William Dunas hin komponierte, zeigt zudem die Bedeutung des fruchtbaren, auf Kollaborationen aufbauenden Netzwerks des künstlerischen Kräftefelds Downtown für Monks künstlerische Weiterentwicklung. 85 Vgl. Monk, „The Soul’s Messenger“, PAMM 01. Vgl. auch Sterritt, „Notes: Meredith Monk“, S. 107, 111. ‒ Ihren individuellen Umgang mit der Stimme übertrug Monk nicht nur auf andere Stimmen, auch für ihre frühe Instrumentalmusik war die Stimme ihr Ausgangspunkt: „Now, in my first work for orchestra, I have sought to find vocal qualities within instruments, applying my particular approach to the voice to create new possibilities for instrumental sound.“ Meredith Monk auf www BOOSEY.

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werden. Hinsichtlich des Transfers oder auch der Wechselwirkung von Individualstil und kollektiver Praxis ist „Tablet“ auch über das Übertragen von zuvor solistisch ausgeführter vokaler Techniken und Ausdrucksformen auf ein Ensemble hinausgehend interessant. So hatte Monk „Tablet“ 1974 zunächst als Solo konzipiert und erweiterte es 1976 in ein Trio mit Klavier- und Blockflötenbegleitung,86 führte es aber auch als Quartett auf.87 Die Erweiterung auf mehrere Stimmen bedeutet eine neue Komplexität in der Dichte des musikalischen Materials. Im Ablauf des Stückes wird das musikalische Material, das typischerweise aus einzelnen Patterns besteht, die auf einzelnen vokalmusikalischen Gedanken wie einer bestimmten Technik, Klangfärbung, melodischen oder rhythmischen Phrase basieren, von einer Stimme an die nächste weitergegeben. Die anderen Stimmen greifen das Material auf, wiederholen und transformieren es und singen simultan ihre jeweilige eigene individuelle Version, in Annäherung und gleichzeitiger Abgrenzung voneinander. Durch diese teils minimalen Verschiebungen und Veränderungen entstehen hoch komplexe, polyphone und polymetrische Schichtungen, die kaum zu notieren wären. Die Verschachtelung der Phrasen ist teilweise so eng, dass die Stimmen dabei zu einer Art Einheit verschmelzen, die jedoch nie unisono ist, sondern stets jeder individuellen Stimme ihren Raum lässt. Durch diese Verschachtelungen und dadurch, dass die Stimmen aufeinander eingehen, einander quasi antworten, ohne sich lediglich zu imitieren, entsteht eine intensive Kommunikation und Intimität. Der Vorrang dieser kommunikativen Eigenschaften und der Relevanz der polymorphen Klangfarben und Texturen vor der Idee einer in ihren Aufführungen sich selbst möglichst identisch bleibenden Komposition, spiegelt sich in der Möglichkeit von Monks Musik wider, die Besetzungsgröße oder das Aufführungsformat für das gleiche Stück flexibel halten zu können. „Tablet“ ist hierfür nur ein Beispiel. Ein weiteres Beispiel für die Flexibilität von Aufführungsformaten und zwischen individueller und kollektiver Aufführungspraxis sind die 1974-1976 komponierten „Songs from the Hill“, die 1979 gemeinsam mit „Tablet“ auf LP bei Wergo88 erschienen und häufig gemeinsam mit „Tablet“ aufgeführt worden 86 Vgl. Programmheft „The Moming Collection“, Box 56 Folder 8. Siehe auch Monk in Strickland, „Voices/Visions“, S. 144. 87 Vgl. Programmnotiz „The House presents Vocal Music by Meredith Monk“, MMA Box 16 Folder 4. Dort wird „Tablet“ angekündigt als aufgeführt von Meredith Monk, Andrea Goodman, Susan Kampe und Monica Solem. Auch im Werkverzeichnis Monks wird die Komposition 1976 sowie die Aufnahme 1979 mit „4 voices“ angegeben. 88 Songs from the Hill/Tablet, Wergo Spectrum: Mainz, SM 1022-50/LC 0846, 1979/ 1989.

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sind.89 Sie stellen nach „Our Lady of Late“ eine weitere Auseinandersetzung mit der Form des Liederzyklus dar. Der Zyklus „Songs from the Hill“ ist ähnlich aufgebaut wie „Our Lady of Late“, mit zehn einzelnen Liedern, die hier allerdings ohne Begleitung gesungen werden. Jedes setzt sich einem einzelnen, einfachen Aspekt wie einer bestimmten Stimmgebung, Klangfarbe, einem melodischen Pattern o. ä. auseinander. Ähnlich wie bei „Our Lady of Late“ werden durch die einzelnen Songs zugleich Emotionen oder Charaktere oder personae vermittelt, wie es bereits einigen der Titel wie „Lullaby“, „Jade (Old Woman’s Song)“, „Insect“, „Bird Code“ oder „Prairie Ghost“ zu entnehmen ist. Monks eigenwillige Gesangstechniken und -stile werden in dem Zyklus weiter ausgebaut und, wie das musikalische Material von „Our Lady of Late“, in „Tablet“ wieder aufgegriffen. Entstanden als solistischer a-capella-Liederzyklus, der von Monk sowohl konzertant als auch als „music/theatre/dance piece“ aufgeführt wurde, existieren zusätzlich eine Duo- und auch eine Gruppenversion von „Songs from the Hill“.90 An dieser inszenierten, choreographierten Gruppenversion sind acht Frauen beteiligt, als „women on the hill“, als „death“, sowie als „women with voices“.91 Am gleichen Abend, an dem diese Gruppenversion uraufgeführt wurde, wurde ebenfalls eine inszenierte Version von „Tablet“ aufgeführt mit über zehn Beteiligten, die als „performers“, „musicians“, „pyramid sculpture“, „giantess’ arms“ und „giantess’ face“ auftraten. Auch für „Tablet“ galt also zusätzlich die Übersetzungsmöglichkeit von konzertanter zu szenischer Form. Während die besagte inszenierte Gruppenversion von „Songs of the Hill“ unter eben diesem Namen aufgeführt wurde, wurde der Zyklus an anderer Stelle als musikalische Partitur für eine andersnamige Performance bzw. szenische Version bezeichnet. In einer Programmnotiz von 1978 heißt es: „[The ‚Songs from the Hill‘] form the musical score for a Dance/Theatre solo ‚Plateau (Songs and Dances from the Hill)‘, which will be performed in New York in spring.“92 Eine Gruppenversion namens „Plateau Series“ wird in Monks Werkverzeichnis als Komposition und Aufnahme für fünf Stimmen und Tonband für das Jahr 1977 sowie als Gruppenperformance mit acht Performer_innen für das Jahr

89 Vgl. Programme in MMA, beispielsweise: Programmheft „The Moming Collection“, Box 56 Folder 8. 90 Programmheft „The Moming Collection“, Box 56 Folder 8. 91 „Women on the hill: Ellen Fisher, Kasia Mintch, Jackie Radis. Death: Gail Turner. Women with voices: Meredith Monk, Andrea Goodman, Eileen Shukofsky, Monica Solem“. (Programmheft „The MoMing Collection“, Box 56 Folder 8). 92 Programmnotiz „The House presents Vocal Music by Meredith Monk“, MMA Box 16 Folder 4.

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1978 verzeichnet,93 während in einem Programmheft von 1979 mitgeteilt wird, dass die Musik der „Plateau Series“ im Sommer 1975 komponiert worden sei.94 Während die Informationen zur Musik von „Plateau“ bzw. der „Plateau Series“ diesbezüglich also etwas uneindeutig sind, ist davon auszugehen, dass sich ihre unterschiedlichen Versionen an den „Songs from the Hill“ zumindest sehr eng anlehnten. Bei der Entwicklung von „Songs from the Hill“ hatte Monk mit einer einzigen menschlichen Stimme, ihrer eigenen, experimentiert. Monk zufolge funktionierte „Dolmen Music“ ganz ähnlich wie „Songs from the Hill“, nur dass sie sich hier von vornherein mehrere Stimmen vorstelle.95 Auch wenn „Dolmen Music“ das erste Vokalstück ist, bei dem Monk auch für Männerstimmen komponierte, ging sie hier nach wie vor primär von Frauenstimmen aus.96 „I guess it was natural for me to start with women’s voices first, because I knew more about them … you know, the range, and everything. I felt more confident in making complicated parts for female voices. Then, in 1978, I started meeting people like Robert Een and Paul Langland, and started thinking about doing Dolmen Music, which I knew instinctively needed both men’s and women’s voices.“97

Mit dem Komponisten Julius Eastman, den sie über Rhys Chatham kennengelernt hatte, fügte sie dem Ensemble für „Dolmen Music“ absichtlich einen Bass hinzu,98 der später durch Ray Morrison ersetzt wurde.99 Durch die Integration von männlichen Stimmen schien Monk hauptsächlich eine Erweiterung der Klangfarbenvielfalt beabsichtigt zu haben. Zunächst scheint es bei „Dolmen Music“ eine deutliche Trennung zwischen weiblichen und männlichen Stimmen zu geben. Zum Beispiel sitzen sich bei den meisten Aufführungen die sechs im Halbkreis oder Kreis angeordneten Aufführenden in zwei nach Geschlecht getrennten Gruppen gegenüber, also die drei Männer auf der einen, die drei Frauen auf der anderen Seite.100 Auch musikalisch scheinen die Stimmen zumindest zu 93

Siehe Monks Werkverzeichnis auf www MONK WORK.

94

Programm „Meredith Monk/The House. Friday, April 13, 8 PM, Sullivant Theatre“, MMA Box 16 Folder 5.

95

Vgl. Monk in „Portrait Meredith Monk“, CD 408, AHF 09.

96

Vgl. Monk in ebd.

97

Monk in Duckworth, „Meredith Monk“, S. 364. [Hervorhebung im Original.]

98

Vgl. Monk in Duckworth, „Meredith Monk“, S. 364.

99

Siehe Programmheft „La Mama and The House Presents: Recent Ruins“, MMA Box 16 Folder 6.

100 Vgl. Abbildung 27.

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Beginn als geschlechtsspezifisch getrennte Gruppen ihre Einsätze zu haben und in entgegengesetzten Lagen zu agieren, d. h. die männlichen Stimmen singen in tieferer, die weiblichen Stimmen in höherer Lage.101 Interessant ist jedoch, dass das musikalische Material, d. h. die melodischen und rhythmischen Patterns und vor allem auch die Stimmtechniken, diesbezüglich keine auffälligen Unterschiede aufweist, auch wenn es nicht deckungsgleich ist. So setzen die Frauenstimmen zu Beginn (bei ca. 1:20) sukzessive mit einer melodischen Phrase, auf einem offenen, im vibratolosen Belcantostil gesungenen [au:], ein, die ihren Schwerpunkt in reinen Intervallen hat. Nach einer Weile (bei ca. 2:39 bzw. 3:17) setzen die Männerstimmen unisono mit einer anderen melodischen Phrase ein, die jedoch ebenfalls ihren Schwerpunkt in reinen Intervallen hat und im vibratolosen Belcantostil auf einem offenen [a…] gesungen wird, dann allerdings auf dem letzten Ton in eine deklamatorische Phrasierung mündet, d. h. in ein unverständliches „Geplapper“. Alle Stimmen singen einzelne Töne im gleichen, mittelschnellen Tempo. Nach einer Weile geht zunächst eine (bei ca. 5:07), dann auch die anderen (ab ca. 6:49) Frauenstimmen in nasale, hart angestossene Klänge über, die die Qualität von Obertongesang erhalten und in einem schnelleren, teilweise triolischen und später synkopierten Metrum gesungen werden. Auf diese neue Gesangstechnik wird von den Männerstimmen erneut mit einer, wiederum anderen, belcantoartig gesungenen Phrase auf [a:] geantwortet, in die die Frauenstimmen irgendwann einfallen. Diesmal gehen die Männerstimmen in eine Art Obertongesang, in mittlerer und tiefer Lage, über (ab ca. 9:53). Nach einer Unterbrechung durch einen Instrumentalpart des Cellos setzen erneut zunächst die Frauenstimmen ein (bei ca. 12:28),102 die zunächst jeweils einzeln ein kurzes melodisches Pattern singen, aus dem alsbald eine sukzessive gesungene Melodie wird, die vielfach wiederholt und dabei weitreichend variiert wird. Die Art, wie die Stimmen einander abwechseln, erinnert an die Hoquetus-Technik, und obgleich die Phrasen nicht deklamiert sondern im Belcanto gesungen sind, entsteht so ein lebendiges Gespräch zwischen den Sängerinnen. Die mittleren Männerstimmen fallen ein und verstärken das kommunikative Spiel. Das Metrum ist diesmal schneller und rhythmischer. Die Phrasen, die diesmal leicht nasal sind, d. h. von der Klangqualität zwischen den offenen und extrem nasalen Klängen der beiden ersten Teile liegen, und die zwischenzeitlich und zum Ende des Teils (bei ca. 16:07) in ein offenes bis gepresstes [a:] übergehen, werden in 101 Siehe Dolmen Music, ECM New Series 1197, 1981. Die folgenden Beschreibungen beziehen sich auf diese Aufnahme. 102 Siehe für diesen Teil auch den entsprechenden Teil aus dem Dokumentarfilm von Peter Greenaway über Meredith Monk (Greenaway, Four American Composers: Meredith Monk).

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mittlerer Lage weitestgehend auf [nana] gesungen. In der sehr hohen Lage liegen die gesungenen Silben zwischen [ni:] und [nj:]. In der mittleren Lage nähern sich die männlichen und weiblichen Stimmen derart an, dass sie klangcharakteristisch nicht zu unterscheiden sind. Im folgenden Teil (ab ca. 16:20) singen alle Stimmen gemeinsam in mittlerer und tiefer Lage. Dieser Teil hat einen choralhaften Charakter mit getragenen, bis zu sechsstimmigen Phrasen. Erstmals liegt die Konzentration eindeutig auf den Harmonien, d. h. der Simultaneität der Töne. Im vorletzten Teil (ab ca. 19:27) steht noch einmal eine neue Technik am Anfang, die des Glottisschlags oder auch des Zwerchfellimpulses, d. h. es werden rhythmisch schnelle, meckernde oder jammernde Phrasen gesungen, die von Stimme zu Stimme sehr unterschiedlich, individuell klingen. Diese werden alsbald unterlegt vom Belcantogesang (ab ca. 20:55) sowie den nasaleren, schnelleren Phrasen (ab ca. 21:09) der früheren Teile, weitere Klänge werden hinzugefügt, sodass der Teil in eine zuvor nicht dagewesene polyphone und vor allem polytechnische Dichte gerät. Diese verdichtet sich immer mehr, bis abrupt zum Schluss hin (bei ca. 23:13) alle Stimmen unisono in eine letzte melodische Phrase übergehen, die eine halbe Minute lang in unterschiedlichen Variationen wiederholt wird. Diese Phrase wird in gleicher Stimmlage gesungen. Diese kurzen Ausführungen zu „Dolmen Music“ verdeutlichen, dass Monk hier zwar auf einer Ebene Männer- und Frauenstimmen unterscheidet, dies aber vor allem auf Basis eines durch die Verwendung unterschiedlicher Register entstehenden Klangfarbenunterschieds tut. Was die unterschiedlichen Gesangstechniken und -stile sowie die melodischen und rhythmischen Phrasierungen anbelangt, seien es Belcanto, Glottisschlag, Obertonsingen, Staccato usw., so macht „Dolmen Music“ deutlich, dass diese von Monk nicht geschlechtsspezifisch zugeordnet werden. Primär ging es ihr darum, die Experimente mit der eigenen Stimme ausweiten zu können und mit anderen Stimmen fortzuführen oder sie auf diese zu übertragen. Bereits bei ihren Soloarbeiten dachte sie häufig daran, diese auch im Ensemble auszuprobieren.103 Gleichzeitig spielten die individuellen Fähigkeiten und Präferenzen der anderen Sänger_innen immer auch eine Rolle.104

103 Vgl. Monk in „Portrait Meredith Monk“, CD 408, AHF 09. 104 Bis heute sagt Monk: „I’m interested in the human being that has a vocal identity.“ (AHF 08 Monk in „Arts Presenter Lecture“, Cassette N, CD 431 B) Damit meint sie eine vokale Identität, die nicht entlang eines traditionellen Klangideals oder bestimmter Hörkonventionen herausgebildet wurde, sondern, ähnlich ihrer eigenen Stimme, entlang individueller Fähigkeiten und Vorlieben. Und es sei schwierig genug, solche Stimmen zu finden (vgl. AHF 08 Monk in „Arts Presenter Lecture“,

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Diese Übertragung ihrer individuell entwickelten Stimmtechniken auf andere Stimmen hatte meines Erachtens nicht allein mit der Möglichkeit zu tun, eine andere musikalische Komplexität erarbeiten zu können. Vielmehr spielte, so behaupte ich, auch Monks Haltung bzw. ihre eigene Stimmphilosophie eine Rolle dabei, ihre individuelle Vokalpraxis in eine kollektive zu überführen. Monk hat immer wieder betont, dass sich ihr Gesangsstil organisch und einzig aus dem Experimentieren mit der eigenen Stimme und nicht durch die Orientierung an externen Einflüssen entwickelt habe. Da ihr Stil so stark an ihren eigenen Fähigkeiten und Präferenzen sowie an ihre Eigenschaft als VocalComposerPerformer gekoppelt ist, lässt sich dieser klar als Individualstil bezeichnen. Und so wie ihre eigene versteht sie auch jede andere Stimme als völlig einzigartig und individuell.105 „At the same time, each person’s vocal apparatus is totally unique, so there are certain things, for example, that certain members of the ensemble do that I can’t quite figure out[…] Those are the things that have much to do with the personal vocal apparatus. At the same time, we all share a common, cross-cultural huge palette of archetypal sounds that people in the world that sing have in common.“106

Gleichzeitig geht sie also mit ihrer Idee der Urstimme von einer überindividuellen, transkulturellen Eigenschaft der menschlichen Stimme aus, die alle Menschen verbindet. Miteinander verbunden sind die menschlichen Stimmen Monk zufolge auch dadurch, dass jede Stimme viele Stimmen in sich vereint, etwa eine „männliche“, „weibliche“, „junge“, „mittelalte“, „tierische“, „gemüsige“, „mineralische“ usw. Stimme:107 „When you work with your own voice you become part of the world vocal family just by what you’re doing with your own voice.“108 Wenn also jede Stimme schon alles potentiell in sich birgt und sie, wie Monk ihre Arbeit selbst versteht, diese nur, einer Archäologin gleich, zum Vorschein bringt, so hilft sie anderen Sänger_innen, indem sie ihnen ihre Techniken beioder näherbringt, lediglich dabei, diese Stimmen in sich selbst wachzurufen.109 Cassette N, CD 431 B). Siehe auch Monks Überzeugung, dass „every voice is totally unique and individual.“ (Monk in „The Composer’s Voice“, CD 453). 105 Vgl. bspw. Monk in Meredith Monk, Jeffrey Books, Bill Mockeh, „The Composer’s Voice, Meredith Monk“, CD 453, AHF 05. 106 Monk in Duckworth, „Meredith Monk“, S. 357. 107 Vgl. Monk in „The Composer’s Voice, Meredith Monk“, CD 453, AHF 05. 108 Monk in ebd. 109 Vgl. hierzu auch Weber-Lucks, „Körperstimmen“, S. 193.

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Für Monk ist also jede Stimme immer bereits individuell und kollektiv, und zwar gleichzeitig. Das ist kein Widerspruch für sie: „I believe the more personal you are the more universal you are.“110 Das entspricht ihrer eigenen Erfahrung. Je stärker sie ihre eigenen Experimenten verfolgte und damit ihre eigene Stimme hervorbrachte, desto mehr stieß sie auf eben jene Eigenschaften, die ihrzufolge transkulturell sind, eben die Urstimme ausmachen. Das Zusammenarbeiten im polyphonen Einklang ist somit eine logische Schlussfolgerung. Was ihre kollektive Praxis ausmacht, geht jedoch über das Weitergeben ihres Vokalstils hinaus, ist zugleich eng an die Prozesse dieses Weitergebens gebunden. Monk versucht, auch wenn sie klar eine leitende, entscheidungsfällende Funktion in ihren Ensembles einnimmt, die Proben- und Entstehungsprozesse von Ensemblestücken offen und partizipativ zu halten. Die Probenprozesse sind quasi die Entstehungsprozesse. Auch für „Dolmen Music“ arbeitete Monk nicht im voraus eine Partitur aus, die dann vom Ensemble interpretiert wurde, sondern ließ die Musik in einem „lebendigen Prozess der Kommunikation“ entstehen.111 D. h. prinzipiell kann sich jedes Ensemblemitglied mit eigenen Ideen einbringen, wie bei „Education of the Girlchild“ gesehen,112 die von Monk aufgegriffen und in die Komposition eingebracht werden kann. Auch dieser Prozess ist in der Musik hörbar als eine Ensembletechnik, die Weber-Lucks „join in“ nennt und mit kollektiv gesungenen Arbeiterliedern, Wiegenliedern oder Begräbnisritualen oraler Kulturen vergleicht.113 Sowohl in „Tablet“ als auch in „Dolmen Music“ sind diese „join ins“ zu hören, wenn eine Stimme eine bestimmte Phrase oder einen musikalischen Gedanken beginnt, die dann von den anderen Stimmen aufgegriffen und variiert werden. Dadurch entsteht der starke kommunikative Charakter von Monks Musik. Und während alternative Gemeinschaften in Monks Arbeiten auch gezeigt und thematisiert werden wie in „Education of the Girlchild“, entsteht auf diese Weise eine in der Musik gelebte Gemeinschaft.114 Durch das Kreieren alternativer Gemeinschaften kann Monks vokale Performancekunst durchaus als politisch interpretiert werden. Bereits ihr erstes Ensemble „The House“ hatte sich eine entsprechende Selbstdefinition gegeben, durch ihre Performancekunst die Wahrnehmung und das Bewusstsein verändern

110 Monk in „Interview with Meredith Monk and Jamake Highwater (fellow artist)“, CD 483a/483b, AHF 11. 111 Weber-Lucks, Körperstimmen, S. 191. 112 Vgl. hierzu Kapitel III.3.2 „Im Fokus: Akteurinnen“. 113 Siehe Weber-Lucks, Körperstimmen, S. 196. 114 Zu der Bedeutung des Kollaborativen für die Idee der Gemeinschaft in Monks Arbeiten siehe auch Putnam Smithner, Directing Ensemble, S. 89ff.

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zu wollen.115 Einer eindeutigen Interpretation ihrer Kunst als politisch stand Monk allerdings meist eher ambivalent gegenüber, da sie politisch motivierte künstlerische Arbeit als zu stark an ihre historischen Kontexte gebunden versteht. So sieht sie sich selbst zumindest nicht als politisch und analytisch im Sinne Brechts.116 Gleichwohl räumt sie ein, dass ihre Musiktheaterstücke „The Games“, „Recent Ruins“ oder „Turtle Dreams Cabaret“ sich sehr klar mit konkreten Problemen auseinandersetzten und insofern als politisch verstanden werden könnten.117 Auch ihr aktuelles „In Behalf of Nature“ passt in diesen Kontext. Ferner bemerkte sie zu ihrer Arbeit: „The political layer was in there, like doing a piece called ‚Education of the Girlchild‘, you know, I was thinking about women and about how women weren’t educated in the same way.“118 Damit ist die Brücke zurückgeschlagen zur feministischen politischen Haltung der 1970er Jahre. Erinnert sei an den Ausspruch Lucy Lippards, dass selbst, wenn die Kunst ihrem Inhalt nach nicht politisch sei, der Akt der Bewusstseinsschärfung bereits politisch sei.119 In diesem Sinne lässt sich Monks Haltung zu ihrer künstlerischen Arbeit lesen: „I think that anything that we can do to make people more aware is important. I do a lot of thinking about what an artist can do in the society. […] I do think that it’s very important that we artists keep working, because what we do is not covered by anything else. […] Art can be an affirmation of human life, and an alternative to certain kinds of behavior. […] I think that the next step has to do much more with offering a behavioural alternative as a sort of microcosm of what could be possible. […] I think that’s what I really enjoy about doing the music with the ensemble […], just to see people working together, the way that the ensmble does, with so much caring and energy […] – to see people not having to dominate in one way or another. I think that there is something that’s very useful in that for human beings.“120

115 Vgl. Werbezettel „Meredith Monk/The House“, MMA Box 15 Folder 12. Die Selbstdefinition von „The House“ ist zitiert im Unterkapitel III.2.2 „Monk als Vertreterin der vokalen Performancekunst. Von der Tänzerin zur Sängerin, die 1960er Jahre“. 116 Monk in Marranca, Monk, Performance and the Spiritual Life. Meredith Monk in Conversation with Bonnie Marranca. PAMM 04. 117 Monk in ebd. 118 Siehe Monk in Monk, Kohl, Interview mit Meredith Monk. 119 Siehe Lippard, From the Center: feminist essays on women’s art, S. 269 und dazu Kapitel I.3 „Performancekunst und feministisches Bewusstsein“. 120 Monk in Duckworth, „Meredith Monk“, S. 365f.

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Künstlerische Praxis bedeutet für Monk das Entwickeln und Vorleben alternativer Lebens- und Gesellschaftsentwürfe. Dergestalt reicht ihre künstlerische Praxis in das Gesellschaftliche und damit das Politische hinein. Der Titel dieses Kapitels zitiert den feministischen Slogan „Das Private ist politisch“, mit dem auf die gesellschaftliche Dimension persönlicher Erfahrungen hingewiesen wurde und in Anlehnung an welchen feministische Performance-Künstlerinnen begannen, autobiographische Zusammenhänge in ihrer Arbeit zu thematisieren. Mit dem Hinweis, dass sie durch das Arbeiten an der eigenen Stimme auf transkulturelle Klänge stößt „that have been there throughout all times“, verwahrte sich Monk einmal gegen die verbreitete Interpretation ihrer Kunst als autobiographisch.121 Diese Ablehnung verstehe ich in dem Kontext, dass das Erkennen autobiographischer Bezüge vor allem im Kontext feministischer Interpretation stattfand. Wie auch in dieser Arbeit dargelegt, gehört das Thematisieren autobiographischer Hintergründe in der Performancekunst der 1970er Jahre zentral zu einer feministischen Praxis. Demnach könnte diese Ablehnung Monks auch als Ablehnung verstanden werden, zu stark in diesem Kontext gelesen zu werden. Nichtsdestotrotz sind die autobiographischen Bezüge an vielen Stellen vorhanden, wie etwa anhand von „Vessel“122 oder „Education of the Girlchild“123 dargestellt, wenn sie auch nie bestimmend oder explizit im Vordergrund stehen. Und während das Einbeziehen autobiographischer Bezüge in die Performances bedeutete, Privates und Öffentliches und Politisches, Individuelles und Kollektives oder auch Alltag und Kunst zusammen zu denken, so finden sich all diese Aspekte in Monks künstlerischer Arbeit, in ihrem Anspruch auf durch ihre Kunst vermittelte alternative Gesellschaftsentwürfe, in ihren künstlerischen Praxisformen.

III.3.4 I M F OKUS : P RAXISFORMEN Ein wichtiges Prinzip, das dem Zyklus „Our Lady of Late“ zugrunde liegt, ist das Verhältnis von Kontinuität und Veränderung. Sehr deutlich wird dies in dem ersten Lied „Unisono“ durch das Umspielen eines einzelnen Tons mit variierender Klangqualität, durch das abwechselnde Verschmelzen mit und Abweichen vom Glasbordun. Doch auch in den anderen Stücken sind es immer einzelne,

121 Monk in „Interview with Meredith Monk and Jamake Highwater (fellow artist)“, CD 483a/483b, AHF 11. 122 Siehe Kapitel I.1 „Vessel – An Opera Epic“. 123 Siehe Kapitel III.3.2 „Im Fokus: Akteurinnen“.

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oftmals minimale Aspekte, die sich im Kontrast zu gleichbleibenden Parametern und dem Kontinuum des Borduns verändern. D. h. es ist meist lediglich die Veränderung der Klangfarbe oder des Rhythmus oder der Melodie oder der Technik usw. angedacht. Diese Konzentration auf die Veränderungen minimaler Momente, die häufig zunächst klein und unscheinbar wirken, alsbald jedoch zu großer Komplexität führen können, wird für Monks Individualstil kennzeichnend. Dieses Spiel mit Minimalvariationen gibt ihrer Musik immer auch etwas Zirkuläres. Nicht ausgerichtet auf einen Spannungsaufbau oder Klimax sind die Veränderungen spiralförmig, führen immer wieder zum Ausgangspunkt zurück, finden neue Variationen und verbleiben damit stets in einem Spiel des Werdens und Veränderns. Diese Art, Musik zu denken und zu machen, lässt sich mit einer generellen Haltung in Beziehung setzen, wie sie Monk einmal formulierte: „[Es ist] immer wieder dasselbe in unserer westlichen Gesellschaft, der Gedanke des linearen Verlaufs des Lebens[. D]as ist, Entschuldigung, eine sehr männliche Art des Denkens. Das Leben verläuft in der Realität eher spiralförmig und zyklisch. Die Möglichkeit, sich auf verschiedene Art immer wieder zu verändern, ist immer vorhanden.“124

Das Werdende und sich kontinuierlich Verändernde steht im Vordergrund von Monks Musikpraxis. So können ihre Stücke in ihrer Umsetzung konkret immer etwas unterschiedlich klingen, ist die Musik Monks doch selten schriftlich fixiert und somit im Ablauf nicht komplett festgelegt. Wie für „Our Lady of Late“ gibt es vielleicht notierte Erinnerungsstützen, doch die Grundlage des Musizierens bleibt die Konzentration auf bestimmte einzelne Aspekte, die im Moment des Aufführens durch vorbestimme Algorithmen verändert werden. Wie genau diese Veränderung im konkreten Ereignis der Aufführung jeweils ausfällt, bleibt variabel. Die Prinzipien oder Praxisformen des Werdenden oder Prozessualen, Ephemeren und Ereignishaften hatte ich zuvor als feministische Praxisformen benannt.125 Denn sie stehen, wie es auch Monks Zitat andeutet, einer androzentrischen Idee von Abgeschlossenheit, Linearität, Determinismus und fixierter Identität entgegen. Diese Prinzipien finden sich in Monks Arbeit auf unterschiedlichsten Ebenen. Die Frauenfiguren in Monks Erzählungen sind häufig „Heldinnen“, „Reisende“, „Visionärinnen“ oder „Entdeckerinnen“, wie in Kapitel III.1 anhand der Beispiele „Vessel“ und „Education of the Girlchild“ oder auch „Quarry“ dargestellt. Diese Figuren implizieren, zumal wenn Monk, wie im Falle von „Vessel“, 124 Monk in Christiane Kort, Monk, „Miracle of a Spoon“, CD 498, AHF 17. 125 Siehe hierzu Kapitel I.3 „Performancekunst und feministisches Bewusstsein“.

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Verbindungen zu ihrem Selbstverständnis ihrer eigenen Rolle als Künstlerin knüpft, einerseits die problematischen da androzentrischen Prinzipien des meist männlich konnotierten Helden, Genies oder autonomen Subjekts,126 sie können aber auch im Kontext einer feministischen Neudefinition dieser Prinzipien in den 1970er Jahren unter dem so genannten „heroinism“ bzw. Heldinnentum verstanden werden, der die Umsetzung von „Heldinnentum, d. h. Autonomie, Genie, Selbstständigkeit von Frauen auf den Gebieten des Reisens, der Liebe, der Erziehung und Selbstdarstellung“ zum Ziel hatte.127 Zeitgleich wurden allerdings diese Prinzipien, wie es Lindhoff anhand des Konzepts des Genies verdeutlicht, „in der feministischen Theorie seit den 1970er Jahren überwiegend als androzentrisches Konzept kritisiert, das mit dem Ende der Autonomieästhetik durch die Entmystifizierung des Subjekbegriffs obsolet geworden sei.“128 Während Monk in ihren Erzählungen zwar anhand ihrer Frauenfiguren durchaus Heldinnentum, Autonomie, Genie und Selbstständigkeit von Frauen thematisiert, durchbricht sie mittels ihrer Praxisformen gleichzeitig auf vielerlei Art und Weise traditionelle Erzählweisen der Singularität und Geschlossenheit. Monks wichtigste Technik hierfür ist sicherlich ihre nicht-lineare Erzählweise. Denn auch wenn ihre Musiktheaterperformances erkennbare Themen haben, handelt es sich nie um eindeutige Geschichten, die von A nach B erzählt werden. Auch ihre Figuren, diese archetypischen, mythischen, von persönlichen Erfahrungen der Darstellenden durchdrungenen Charaktere und personae, repräsentieren keine fixen, eindeutigen Identitäten. Vielmehr bleiben sie assoziativ, uneindeutig und wandelbar. So werden die Frauen in „Education of the Girlchild“ einerseits als Individuen vorgestellt, stehen als Archetypen jedoch gleichzeitig für eine kollektive Identität. In einer Szene beispielsweise, in der sie gemeinsam zum „Traveling Song“ tänzerisch und sängerisch auf die Reise gehen, trägt jede der Frauen einen einzelnen Gegenstand, der sowohl für sie selbst als auch für eine kollektive Idee steht. Lanny Harrison beispielsweise schwingt eine Sense, die einerseits auf die Farm verweist, auf der sie selbst groß geworden ist,129 andererseits Assoziationen von autarkem, ländlichen Leben weckt. Monk selbst trägt ein Haus über ihrem Kopf, das sowohl auf sie persönlich als Gründerin und Leiterin ihres Ensembles „The House“ verweist als auch auf das städtische Leben in Downtown.

126 Vgl. hierzu Kapitel I.1 „Vessel – An Opera Epic“. 127 Renate Kroll, „Heroinismus/heroinism/Amazonomanie“, S. 175. 128 Lena Lindhoff, „Genie“, S. 148. 129 Vgl. Goldberg, „Personal Mythologies“, S. 50. Siehe Abbildung 29.

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Abbildung 29: Meredith Monk, „Education of the Girlchild“, Gruppenteil

Archiv House Foundation, Foto: Lorenzo Capellini

In „Vessel“ verwandeln sich die Ensemblemitglieder von „The House“, neutral in schwarz gekleidet, für das Publikum sichtbar in immer wieder andere Figuren der Erzählung, etwa in den König oder in einen Wasserfall.130 Nancy Putnam Smithner bemerkt in ihren Untersuchungen zu feministischen Inszenierungspraktiken: „In the work of these directors we see roles that are multiple or composite characters, which are also intensely physically challenging. The notion of the singular male hero figure is dismantled and displaced in the act of having one performer playing several characters, or several actors playing the same character.“131

Die Figur von Lanny Harrison in Monks Oper „Quarry“ ist bspw. eine solche „composite persona“, die Monk als eine Mischung aus „Lanny herself, Lanny’s mother, my mother, and mabye four other mothers“ beschreibt.132 Die Figur des Diktators bzw. der Diktatorin in „Quarry“ wird abwechselnd von sechs unter-

130 Vgl. Banes, „Homemade Metaphors“, S. 151. 131 Putnam Smithner, Directing Ensemble, S. 182. 132 Monk in Koenig, „Performer-Creator“, S. 54. [Hervorhebung im Original.]

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schiedlichen Ensemblemitgliedern gespielt.133 In der dreiteiligen Theaterkantate „Juice“ kristallisiert sich eine Einheit von vier Personen heraus, alle von ihnen von oben bis unten rot angemalt. Im ersten großen Ensembleteil sind sie einige Figuren unter vielen, nämlich insgesamt 85, im zweiten Teil werden sie zu den Hauptcharakteren, und im letzten Teil erscheinen sie lediglich noch in einem Video, jetzt aber als Privatpersonen. In „Vessel“ wird der „Wasserfall“ im ersten Teil von einer, im zweiten Teil von 17 Personen gespielt, die Figur „Pierre Cauchon“ wird ebenfalls von zwei Personen, Martin Gleitsman und Coco Pekelis, d. h. von einem Mann und einer Frau, dargestellt.134 Am stärksten durchbricht Monk eine eindeutige, lineare Erzählweise meines Erachtens durch ihren non-verbalen Vokalstil. Abgesehen von seltenen Fällen verwendet Monk keine erkennbaren Worte. Damit entzieht sie mögliche Bedeutungszusammenhänge einer eindeutig semantischen Ebene und öffnet den Raum für vielfache Assoziationen. Nichtsdestotrotz liegt ihrer Vokalmusik fast immer ein Sprachduktus zugrunde, der jedoch auf einer Art Phantasiesprache basiert, die durch ihre Vokaltechniken und einen spezifischen kommunikativen Gestus immer wieder anders generiert wird. Sie versteht auch die Stimme selbst als eine eigene Sprache. Damit bleibt ihre Vokalmusik nicht im Bereich des völlig Abstrakten, bedeutungsfreien Lautlichen. Vielmehr wird stets ein Bedeutungszusammenhang suggeriert, der jedoch nicht eindeutig dechiffrierbar ist, sondern vor allem, so Monk, universellere emotionale Bereiche anspricht, für die wir keine Worte haben.135 Eine lineare Erzählweise wird auch aufgebrochen, indem Monk in ihren Erzählungen in keiner Weise einer Chronologie folgt. Ihre Geschichten erzählen sich vielmehr häufig durch inszenierte Bilder und groß angelegte Tableaus, die eher einzelne ruhige und detaillierte Momentaufnahmen sind als die Abhandlung eines Plots. Hinzu kommt die häufige Simultaneität von Geschehnissen auf der Bühne. In „Quarry“ etwa werden in vier Ecken der Bühne gleichzeitig unterschiedliche häusliche Szenen dargestellt. In „Vessel“ kämpfen zwei Heere miteinander, während simultan eine Gruppe von Kindern um ein Lagerfeuer sitzt 133 Siehe Banes, „About Quarry, about Meredith Monk“, in: dies. Subversive Expectation, S. 29-31, hier S. 30. 134 Vgl. Programm zu „Vessel“ in MMA Box 15 Folder 10. Siehe auch die Ausführungen im Unterkapitel III.2.2 „Monk als Vertreterin der vokalen Performancekunst. Von der Solosängerin zur Leiterin eines Vokalensembles, die 1970er Jahre“. 135 Vgl. etwa Monk in Weber-Lucks, Körperstimmen, S. 188f. und Monk in AHF 04, „Meredith Monk im Interview mit Deborah Jowitt“, CD 482. Vgl. auch Monk in Monk, Jowitt, „Meredith Monk in Conversation with Deborah Jowitt“, S. 74f.

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und eine Gang auf Motorrädern über den Parkplatz brettert. Zwar lenkt Monk laut eigener Aussage, durch inszenatorisches Geschick, die Blicke durch diese Gleichzeitigkeiten,136 dennoch werden die Zuschauer_innen mit einer Vielzahl an gleichzeitigen Eindrücken konfrontiert, die ihnen zumindest das Gefühl vermitteln, durch die Zuwendung zu einem der Geschehnisse ständig etwas anderes zu verpassen. Allerdings verschaffen sie sich dergestalt, durch die individuelle Verteilung der Aufmerksamkeit, eine individuelle Rezeption der Performance. Monk stellt also immer wieder einzelne Fragmente zur Verfügung, die von den Rezipient_innen individuell zu einer Wahrnehmung ihrer Arbeit zusammengesetzt werden. Dieser postmodern fragmentarische Aspekt ihrer Arbeit scheint im Widerspruch zu ihrer Absicht zu stehen, der fragmentierten, schnelllebigen Zeit durch ihre Kunst etwas entgegenstellen zu wollen.137 Dabei verfolgt sie eher einen holistischen Ansatz und strebt nach einer spirituellen, meditativen, transformatorischen Kunstform oder -praxis.138 Ohne diesen Widerspruch komplett auflösen zu wollen, bietet sich folgende Interpretation an: Beide Seiten sind insofern zu verbinden, als dass Monk durch die Vermeidung eindeutiger Geschichten oder einzelner Wahrheiten mehrdeutige und vielfache Angebote macht, Zusammenhänge unterschiedlich zu interpretieren, zu erfahren, zusammenzudenken, zu fühlen und sich seine eigene Welt oder Wahrheit daraus zusammenzusetzen. Die Erfahrung der Rezipient_innen wird damit potentiell individuell und vielschichtig. Für Monk kommt der Anspruch, eine alternative Erfahrungswelt zu bieten, vielleicht weniger aus einem feministischen Bewusstsein als aus ihrer buddhistischen Haltung und Lebensführung, der sie sich ähnlich wie viele andere Downtown-Künstler_innen, unter ihnen Allen Ginsberg und John Cage, spätestens seit den 1970er Jahren zuwandte.139 Ihr Anspruch, der somit auch einen gewissen 136 Siehe Banes, „About Quarry, about Meredith Monk“, in dies. Subversive Expectation, S. 29-31, hier S. 30. 137 Vgl. Monk in „Meredith Monk im Interview mit Deborah Jowitt“, CD 482, AHF 04. 138 Vgl. ähnlich Monk in ebd. 139 Seit den 1970ern war Monk bspw. regelmässig teilnehmende Künstlerin des buddhistischen Zentrums Naropa Institute, das 1974 eröffnete und regelmäßig mit Künstler_innen arbeitete, im Eröffnungsjahr beispielsweise mit Allen Ginsberg und John Cage (siehe AHF 16 Monk, West, „Interview with Meredith Monk and Rebecca West“, CD 454/Cassette PP). An einem Benefizkonzert für das Tibetische Zentrum 1976 nahmen neben ihr auch die Downtown-Musiker_innen John Giorno, Steve Katz, Anne Waldman, Robert Wilson, Rudy Wurlitzer, Philip Glass, Dickie Landry, Charlemagne Palestine und Steve Reich teil (siehe Programmzettel „The Tibet Center Inc. A Benefit“, MMA Box 15 Folder 14). Zu Monks spiritueller Ausrichtung

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Hintergrund in den Downtown-Netzwerken vermuten lässt, zielt auf eine Kunstpraxis, die zugleich eine spirituelle und transformatorische Praxis ist: „I am striving for theatre as a transformational experience and also as offering.“140 Dieser Anspruch fand sich auch bereits in der Selbstdefinition ihres ersten Ensembles „The House“, welches eine Bewusstseinsveränderung sowohl für das Publikum als auch für sich selbst anstrebte.141 Deswegen spielten auch Reisen eine so große Rolle in Monks Arbeiten, Reisen zwischen Räumen und Orten, Reisen zwischen Bewusstseinszuständen, musikalische Reisen, stimmliche Reisen. Das Reisen steht dabei für eine Form der Veränderung. Nicht umsonst spricht Monk von der „traveling voice (moving through dreamscapes)“.142 In „Paris/Chacon/Milan/Venice“ bewegten sich Monk und Ping Chong durch die „Realitäten“ der unterschiedlichen Räume,143 in „Juice“ stiegen sowohl die Darstellenden als auch das Publikum die Rampe im Guggenheim Museum empor, in „Vessel“ reiste das Publikum durch Downtown New York von Spielstätte zu Spielstätte, in „Education of the Girlchild“ „reisen“ die Frauen beim „Traveling Song“, auch wenn sie auf der Bühne auf der Stelle gehen. Im Soloteil von „Education of the Girlchild“ vollzieht Monk eine Reise rückwärts durch die Zeit und durch unterschiedliche „Stadien des Frauseins“.144 Monk versteht die Reisen vor allem als innere Reisen, die also weniger auf äußere Veränderungen abzielen,sondern auf den Körper, auf die lebende Person, auf das Innere bezogen sind.145 Dort finden Transformationen statt. Derartigen Transformationen, Wechseln von Bewusstseinszuständen unterzog sich Monk auch selbst vor dem Soloteil von „Education of the Girlchild“, für eine lange Zeit still in der Anfangsposition verharrend:

und deren Verankerung in ihrem künstlerischen Selbstverständnis siehe auch Marranca, Monk, Performance and the Spiritual Life. Meredith Monk in Conversation with Bonnie Marranca. PAMM 04. 140 Monk in Marranca, Monk, Performance and the Spiritual Life. Meredith Monk in Conversation with Bonnie Marranca. PAMM 04. 141 Vgl. Werbezettel „Meredith Monk/The House“, MMA Box 15 Folder 12. Die Selbstdefinition von „The House“ ist zitiert im Unterkapitel III.2.2 „Monk als Vertreterin der vokalen Performancekunst. Von der Tänzerin zur Sängerin, die 1960er Jahre“. 142 Monk, „Notes on the Voice“, S. 57. 143 Vgl. hier und folgend Jowitt, „Gift of Vision“, S. 122f. 144 Ebd., S. 122. 145 Vgl. Monk in Monk, Jowitt, „Meredith Monk in Conversation with Deborah Jowitt“, S. 73. Vgl. auch Weber-Lucks, Körperstimmen, S. 195.

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„Sitting was, in a sense, my meditation, ultimately, my preperation. Sometimes it was half an hour that I was sitting there before the audience came in. The first times I performed it, I was really getting in touch with my breathing; I was really conscious that I was using it as a meditation to get into a certain kind of state to do the Old Woman. […] Now the sitting is at intermission. […] I’m sitting there, and people are walking around, and I’ve gone through lots of different states of mind with that. […] Now it goes all the way from me being nervous about why the intermission is forty-five minutes and my leg is hurting, to me getting in touch with my breathing and being conscious of the fact that I can use it to very good advantage as a meditation ... to being very conscious ... that when people were walking around ... that I didn’t mind at all that they were in my space, that they were close or far ... to being very peaceful, very centered, and feeling very good about being still. So I go through the gamut of emotions and states when I’m sitting there.“146

Transformatorische, das heißt verändernde oder wandelbare Aspekte finden sich in Monks künstlerischer Praxis vielfach. Diese beziehen sich nicht nur auf die potentielle Wirkung auf die Ausführenden und die Rezipient_innen, sondern auch auf den Umgang mit dem künstlerischen bzw. musikalischen Material und auch auf ihre Arbeitsweise. Wie zu Eingang dieses Kapitels verdeutlicht, sind Minimalveränderungen und -verschiebungen, die zu komplexen Strukturen führen, wesentliches Merkmal von Monks Musik. Anhand der Beispiele „Songs from the Hill“ und „Tablet“ hatte ich bereits die potentielle Wandelbarkeit von Monks Arbeiten in Bezug auf Besetzungsgröße und Aufführungsformat verdeutlicht.147 Ähnliches galt auch bereits für „Education of the Girlchild“, welches sich nicht nur von einem einteiligen Solo zu einer zweiteiligen Ensemble- und Solo-Arbeit entwickelte, sondern dessen Ensemble-Teil auch in unterschiedlich großen Besetzungen aufgeführt wurde.148 Dies gilt für viele andere Stücke Monks. Auch die Übertragbarkeit und Rekontextualisierung von einzelnen Elementen ist für Monks Arbeitsweise üblich. So holt sie regelmäßig, wenn sie an einer größeren Musiktheaterperformance arbeitet, eine Komposition wieder hervor, die sie in einem anderen Kontext und möglicherweise zusammenhanglos geschrieben hatte, um diese in das neue Stück zu integrieren.149 „Do You Be?“ in „Vessel“ oder „Biography“ in „Education of the Girlchild“ sind solche Beispiele. 146 Monk, zitiert nach Carole Koenig, „Meredith Monk: Performer-Creator“, S. 57f. 147 Siehe hierzu Kapitel III.3.2 Im Fokus: „Das Private ist politisch“. 148 Siehe Banes, „Homemade Metaphors“, S. 152. Vgl. u. a. die Programmhefte für „Education of the Girlchild“ in MMA Box 15 Folder 11 und Folder 12. 149 Vgl. Monk in „Portrait Meredith Monk“, CD 408, AHF 09.

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So entstehen die großen Ensemblearbeiten also nicht in einem organischen Zusammenhang. Auch dies negiert wiederum eine Linearität und verweist auf den fragmentarischen Aspekt ihrer Arbeit. Vor allem aber betont es die große Wandelbarkeit und Offenheit von Monks Kunst, die dergestalt nicht in ein fertiges, geschlossenes Werk übergeht, sondern deren einzelne Elemente immer wieder neu kombiniert, variiert und erweitert und so zu neuen Sinneinheiten zusammengefügt werden. Der körperliche Einsatz, wie ihn bspw. Monks Konzentration in der Vorbereitung auf den Soloteil von „Education of the Girlchild“ erfordert, ist ebenfalls elementarer Bestandteil von Monks vokaler Performancekunst. Dieser bezieht sich allerdings in erster Linie auf Monks Umgang mit der Stimme. Als Monk Mitte der 1960er Jahre begann, mit ihrer Stimme zu experimentieren und ihre idiosynkratischen erweiterten Stimmtechniken zu entwickeln und auszubauen, war sie als Choreographin und Tänzerin stark in körperliche künstlerische Arbeit eingebunden. So brachte sie ihre Erfahrungen mit der Stimme gleich, zum Zeitpunkt ihrer „revelation“, mit ihren Erfahrungen als Tänzerin in Verbindung: „One day I had a revelatory moment and realized that I could work with my voice the way that I had with my body. At Sarah Lawrence, I had worked very hard to create a personal movement vocabulary and an idiosyncratic choreographic style from my own physical rhythms and impulses. That day at the piano, I saw that I could literally make a vocabulary built on my own vocal instrument[.]“150

Körper und Stimme wurden von Monk also von Anfang an zusammen gedacht: „I think of body and voice as one thing, don’t seperate them.“151 Die Stimme wird geradezu zur Verlängerung des Körpers und wird als künstlerisches Material ebenso bearbeitet: „The dancing voice. The voice as flexible as the spine.“152 Dieser körperbezogene Ansatz liegt Monks Vokalexperimenten und -techniken also zugrunde und wird somit auch ihren anderen Sänger_innen abverlangt. Der körperliche Einsatz bezieht sich jedoch nicht allein auf die Umsetzung der vokalen Techniken, sondern ist bereits wesentlicher Bestandteil der Entstehungs- und Probenprozesse von Monks Musik. Für das Entwickeln sowie das Einstudieren ihrer Musik verwendet Monk kein Notenmaterial. Vielmehr komponiert sie die Stücke in einem Prozess des beständigen Ausprobierens des Materials, des Wiederholens, Aufnehmens, Anhörens, Umänderns, neu Kombinierens usw., bei 150 Monk in Monk, Jowitt, „Meredith Monk in Conversation with Deborah Jowitt“, S. 74. 151 Monk in Monk, Schaeffer, „Aircheck: New Sounds“, CD 415, AHF 06. 152 Meredith Monk: „Notes on the Voice“.

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dem auch die Ensemblemitglieder ihre Ideen einbringen können. Dies ist bereits ein körperlicher Prozess. Denn niemand hält sich am Notenpapier fest und versucht, eine exakte Tonfolge wiederzugeben. Vielmehr werden die Bewegungen der Stimme und der Arme und der Beine gleichzeitig erprobt. So wächst die Musik allmählich während des Probenprozesses, an dessen Anfang kein fertiges Werk steht. Sie „verwächst“ im Verlaufe des Prozesses mit den Musiker_innen und wird von deren Körpern direkt erinnert.153 Das Gedächtnis der Musiker_innen für Monks Musik sind also sie selbst, ihre Körper, ihr „muscle memory“ (Muskelgedächtnis).154 Somit hat ihre Musik eine „in-the-bonequality“ (In-den-Knochen-Qualität).155 Sie basiert auf einer Körpererinnerung und zwar einer gemeinschaftlichen, kollektiven Körpererinnerung. Die Prozessualität von Monks Arbeitspraxis, die dieser Form der Erinnerungstechnik immanent ist, kennzeichnet diese erneut als Downtown-Praxis sowie als feministische Praxis. So genuin Monks Musik im Körper, im materiellen Inneren der Musiker_ innen, verankert ist, so emotional ist sie. Diese Emotionalität hat einerseits für die Schaffensprozesse Bedeutung, für die sich Monk immer wieder auf das Unbewusste, die emotionale Kraft, den rohen Gefühlsausdruck, auf Intuition und Instinkt als Quellen ihrer musikalischen Einfälle bezieht.156 Gerade die Stimme spielt hier eine ganz zentrale Rolle, da sie von Monk als unvermittelt und somit unverfälscht verstanden wird: „The voice as a direct line to the emotions. The full spectrum of emotion. Feelings that we have no words for.“157 Dieser emotionale Ansatz überträgt sich auch auf viele Rezipient_innen, die sowohl die Emotionalität von Monks Musik als auch ihr eigenes emotionales Angesprochensein thematisieren.158 Dies entspricht auch Monks Anliegen. Zwar will sie ihre Stimme dazu verwenden, eigene Emotionen auszugraben, sichtbar zu machen und zu kommunizieren. Doch da sie davon ausgeht, dass diese Emotionen eine kollektive Grundlage haben, quasi archetypisch sind, soll ihre Vokalmusik auch entsprechende emotionale Reaktionen bei den Zuhörer_innen evozieren. So wird Emotionalität nicht lediglich als Inhalt thematisiert, sondern als mögliche Praxis der Kontaktaufnahme und Kommunikation eingesetzt. Die Stimme wird dabei zum kommunikativen Medium der emotionalen Verständigung.

153 Vgl. Kohl, „Musik in den Knochen haben“, S. 3. 154 Vgl. Weber-Lucks, Körperstimmen, S. 194. 155 Vgl. ebd. 156 Vgl. u. a. Monk in Christoph Wagner, „Klänge aus dem Unbewussten“, S. 55. 157 Monk, „Notes on the Voice“, S. 56. 158 Vgl. u. a. Rockwell: „Lady of Late“, S. 17.

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Monk bot also in den dargestellten Arbeiten mittels ihrer Ästhetik und ihren künstlerischen Praktiken alternative Erfahrungswelten durch die Betonung des Werdenden, sich kontinuierlich Verändernden, des Zirkulären, Prozessualen, Transformatorischen und Ereignishaften. Trotz ihres holistischen Anspruchs bot sie fragmentarische, nicht-lineare Erzählweisen, die sich u. a. stark durch ihren non-verbalen Vokalstil vermittelten. Eine ausgeprägte Körperlichkeit und Emotionalität hatte in all diesen Arbeiten eine große Bedeutung. Diese Aspekte sind alle als feministische Praxisformen identifizierbar.159

159 Siehe dazu das Unterkapitel I.3 „Performancekunst und feministisches Bewusstsein. Feministische Praxisformen in der Performancekunst“.

III.4 Zusammenfassung

Im III. Kapitel habe ich ausführlich Meredith Monks Arbeiten in der Zeit zwischen 1964 und 1979 vorgestellt und mit den zuvor herausgearbeiteten Kontexten in Zusammenhang gebracht. Die maßgeblichen Kontexte stellten dafür sowohl das neue feministische Bewusstsein der zweiten Frauenbewegung in den USA der 1960er und 1970er Jahre dar als auch das künstlerische Kräftefeld Downtown New York im Generellen sowie die sich in diesem Zusammenhang herausbildende vokale Performancekunst als Downtown-Praxis im Speziellen. Ich habe u. a. gezeigt, welche Bedeutung einerseits das künstlerische Kräftefeld Downtown New York sowohl für den Status von Meredith Monk als avantgardistische Künstlerin als auch für die Herausbildung ihres Individualstils hatte, und inwiefern andererseits Monk eben jenes Kräftefeld entscheidend mitgeprägt hat. Es waren dabei insbesondere spezifische, auch von Monk geteilte künstlerische Ansätze und Haltungen, die die Netzwerkstrukturen des künstlerischen Kräftefelds Downtown bestimmten. Monks eigene künstlerische Praxis, insbesondere ihre vokale Performancekunst, war dabei nicht nur anschlussfähig an das, was ich als Downtown-Praxis dargestellt habe, sondern bestimmte diese gleichzeitig mit und ist darüber hinaus für sie paradigmatisch. Ich habe dabei, insbesondere in Kapitel II.2 „Downtowns Bausteine: Räume, Akteur_innen, künstlerische Praktiken“, auch deutlich gemacht, dass das künstlerische Kräftefeld Downtown und die Downtown-Praxis beeinflusst waren vom erstarkenden neuen feministischen Bewusstsein der zweiten Frauenbewegung. Dort habe ich gezeigt, wie sich die drei in Kapitel I.3 „Performancekunst und feministisches Bewusstsein“ herausgearbeiteten, zu unterscheidenden Ebenen dieses Feminismus, namentlich die Rolle der Akteurinnen, die gesetzten Themen sowie das Setzen von Themen und die spezifischen Praxisformen an vielen Stellen mit einer Downtown-Praxis in Verbindung bringen lassen. Die in dieser Zeit neu entstehende Performancekunst spielte für diese Kontexte eine bedeutsame Rolle. Ähnliches lässt sich nun auch über die vokale Performancekunst sagen, deren

366 | M EREDITH M ONKS VOKALE PERFORMANCEKUNST

Kriterien in Kapitel I.2 „Vokale Performancekunst“ dargestellt wurden und in Kapitel I.3 sowie im Verlauf des Kapitels II.2 wiederholt an die Kriterien feministischer Performancekunst sowie an Kriterien der Downtown-Praxis angebunden werden konnten. Detailliert wurde diese Anbindung in den letzten drei Unterkapiteln anhand einzelner Arbeiten von Monks vokaler Performancekunst nachgewiesen. Die wichtigsten Punkte, die hier herausgearbeitet wurden, waren zum einen die Tatsache, dass Monk selbst als wegweisende Akteurin der vokalen Performancekunst in Erscheinung trat, sowie die starken Frauenfiguren, die stets im Zentrum ihrer Erzählungen standen. Diese Erzählungen waren dabei stets nicht-linear, fragmentarisch und uneindeutig, wodurch sie u. a. emanzipatorisches Potential für das Publikum in sich bargen. Zum anderen stand Monks Anspruch im Vordergrund, alternative Erfahrungswelten und meist weiblich dominierte Gesellschaftsentwürfe zu bieten. Des weiteren spielten die insbesondere durch die Stimme akzentuierten und generierten Kriterien der Körperlichkeit, Emotionalität und Transformation eine große Rolle. Soweit Monks zwischen 1964 und 1979 entstandenen Arbeiten als stellvertretend für die frühe vokale Performancekunst verstanden werden, für die Monk als Pionierin gilt, zeigt sich diese also entlang den genannten Kriterien als eine potentiell feministische Praxis.

Abbildung 1.5: Stadtplan Downtown New York: leer

Zeichnung: Marie-Anne Kohl. Erläuterungen zum Stadtplan siehe unter Quellen VIII

IV. Conclusio

IV.1 Rückblick

Wichtigste Aufgabe dieser Arbeit war es, aufzuzeigen, inwiefern die vokale Performancekunst in ihrer Entstehung an ihre zeitgenössischen Kontexte gekoppelt war. Zum einen erwiesen sich in Anlehnung an die feministische Performancekunst, wie vermutet, insbesondere die zweite Frauenbewegung und deren neues feministisches Bewusstsein als maßgebliche Zusammenhänge auch für die vokale Performancekunst. Die Kriterien, die hierfür herausgearbeitet werden konnten, weisen vielfache Äquivalenzen auf, was zudem auf eine nicht einseitige sondern eine wechselseitige Beeinflussung schließen lässt. Die Stimme nimmt in dieser Hinsicht einen besonderen Stellenwert ein, wie ich es in dieser Arbeit dargestellt habe. Zum anderen konnte ein weiterer wichtiger Bezugspunkt der vokalen Performancekunst nachgewiesen werden, der ebenso bislang nicht beleuchtet worden war: die Bedeutung des künstlerischen Kräftefelds Downtown New York als der soziale Raum, an dem sich die vokale Performancekunst in ihrer Spezifik als eine von diversen neuen Kunstformen herausbilden konnte. Dieser Kontext wurde so ausführlich und detailliert, wie es im Rahmen dieser Arbeit möglich war, dargestellt, da hier bislang ein Desiderat für die musikwissenschaftliche Forschung vorlag. Einerseits wird generell die Bedeutung des Raumes für musikbezogene Kontexte nach wie vor zu häufig vernachlässigt. Wie diese Arbeit zeigt, werden dadurch allerdings wesentliche Möglichkeiten verschenkt, maßgebliche Strukturen von Netzwerken und gegenseitigen Beeinflussungen zu erfassen. Es hat sich zudem dabei herausgestellt, dass im Falle Downtowns auch der besondere Ort eine nicht unwesentliche Rolle spielte, an dem sich das künstlerische Kräftefeld Downtown herausbilden konnte. Andererseits war bislang weder die musikwissenschaftliche Forschung zu Vokalmusik bzw. zur vokalen Performancekunst noch diejenige kulturwissenschaftliche und kunsthistorische Forschung, die sich mit Downtown auseinandersetzt, der Rolle der vokalen Performancekunst innerhalb dieses Kräftefelds nachgegangen. Wie meine Ausführungen gezeigt haben, kann jedoch die vokale Performancekunst als paradigmatisch

372 | CONCLUSIO

für die in dieser Arbeit als solche benannte Downtown-Praxis stehen. Darüber hinausgehend, zeigte sich, dass zwischen den herausgearbeiteten Kriterien feministischer Praxis und Downtown-Praxis ebenfalls Überschneidungen existierten, was wiederum darauf schließen lässt, dass diese zwei nicht völlig voneinander zu trennende Faktoren darstellen. Beide manifestierten sich in der vokalen Performancekunst. Anhand der vokalen Performancekunst konnten dabei die Interdependenzen individueller und kollektiver Leistungen in Bezug auf künstlerische Innovationen nachgewiesen werden sowie die Bedeutung komplexer, außermusikalischer Bedeutungszusammenhänge, die über musikimmanente Relationen hinausgehen. Und schließlich nimmt Meredith Monk einen ganz besonderen Stellenwert in dieser Arbeit ein, sowohl als zentrale Protagonistin der vokalen Performancekunst als auch als zentrale Downtown-Figur. Während Monk zwar von Theda Weber-Lucks bereits als Pionierin der vokalen Performancekunst vorgestellt worden war, ging sie in der bisherigen Geschichtsschreibung Downtowns erstaunlicherweise unter. So konnte diese Arbeit zeigen, wie stark Monk in diesem Netzwerk verankert war, welche Bedeutung das künstlerische Kräftefeld einerseits für ihre frühe Entwicklung und Etablierung als Künstlerin, u. a. als vokale Performancekünstlerin, hatte, und wie stark Monk ihrerseits durch ihre künstlerische Praxis an der Gestaltung dieses Kräftefelds beteiligt war, und zwar gerade auch durch ihre vokale Performancekunst. Wenn es auch nicht möglich und auch nicht Absicht dieser Arbeit ist, eine ganze Kunstform anhand einer einzelnen Protagonistin darzustellen, konnten allemal anhand von Monks künstlerischer Praxis die dargestellten Zusammenhänge exemplifiziert werden. Ferner bedeutete die ausführliche Auseinandersetzung mit Monks Arbeiten in dieser Dissertation eine Wertschätzung dieser herausragenden Künstlerin, deren künstlerisches Schaffen in der musikwissenschaftlichen Forschung bislang nur randständig beachtet wurde.

IV.2 Ausblick

Diese Arbeit plädiert dafür, nicht die einzelne Figur des Künstlers oder der Künstlerin als autonomes künstlerisches Genie vorzustellen, das seine Kunst ohne externe Einflüsse aus sich selbst heraus schöpft, sondern die stets auch kollaborativen und kollektiven Prozesse in ihrer Bedeutung für künstlerische Entwicklungen zu erkennen und darzustellen. Dafür sind zwar die einzelnen Akteur_innen mit ihrem Handeln ausschlaggebend, weswegen es von Bedeutung ist, sich diese detailliert anzuschauen, doch erst durch deren Verortung im Kontext ihres künstlerischen Kräftefelds, d. h. durch die Benennung und Identifizierung ihrer Interaktionen, Relationen und Positionen in diesem Feld, sind die Bedingungen und Zusammenhänge und somit die Gründe für künstlerische Entwicklungen zu erkennen und zu bewerten. Diese Konstellationen konnten in dieser Arbeit anhand der künstlerischen Praktiken von Meredith Monk sowie des künstlerischen Kräftefelds Downtown New York exemplarisch dargestellt werden. Während die Situation für Downtown durch die Deindustrialisierung SoHos eine ganz eigene war und somit dieses künstlerische Kräftefeld in dieser Form nur dort entstehen konnte, ist der Ansatz, insbesondere die räumliche Nähe und den alltäglichen Austausch als wichtige Bedingungen für die Etablierung vor allem urbaner künstlerischer Kräftefelder zu verstehen, grundsätzlich auf andere urbane Kontexte übertragbar. Dabei sind selbstverständlich stets die unterschiedlichen Rahmenbedingungen, d. h. die historischen, sozialen, kulturellen und politischen Kontexte und spezifischen Strukturen, also u. a. die existierende Gesellschaftsform und die ökonomische Situation sowohl der Kommune oder des Landes als auch der Akteur_innen selbst, sorgfältig zu eruieren und einzubeziehen. Der interdisziplinäre Ansatz dieser Arbeit erlaubte es durch die Zusammenführung sehr unterschiedlicher Stränge, die Interdependenz von künstlerischem Handeln, emanzipatorischen Praktiken und räumlichen Strukturen aufzuzeigen und ein differenziertes Bild der frühen vokalen Performancekunst als feministischer Praxis und als im künstlerischen Kräftefeld Downtown verankert zu ent-

374 | CONCLUSIO

werfen. Zugleich bietet der interdisziplinäre Ansatz an vielen Stellen Anschlussmöglichkeiten und wirft Fragen für weiterführende Forschung auf: Das künstlerische Kräftefeld Downtown New York wurde in dieser Dissertation mit einem musikwissenschaftlichen Interesse und dadurch mit einem Fokus auf die Downtown-Musik, auf die vokale Performancekunst und auf Meredith Monk beschrieben. Diese Perspektivierung beeinflusste das Bild, welches gezeichnet wurde. Welches Bild würde durch eine andere Perspektive entstehen? Tim Lawrence etwa konturierte in seiner Biographie des Downtown-Musikers Arthur Russell ein etwas anderes Downtown,1 als es die Untersuchung tut, die Meredith Monk in den Mittelpunkt stellt. D. h. es wird auch nie „das“ Kräftefeld Downtown als „das“ Netzwerk beschreibbar sein, vielmehr wird stets die gewählte Perspektive Spezifisches in den Vordergrund holen und die Sichtbarkeit bestimmter Relationen beeinflussen. Während zwar die prinzipiellen, beschriebenen Strukturen und konstitutiven Kriterien des Kräftefelds Downtown generell gültig sind, rücken je nach Protagonist_in oder betrachteter Szene andere Schwerpunkte, andere Netzwerke, andere spezifische künstlerische Praktiken in den Vordergrund. Wie sahen bspw. die spezifischen Netzwerke und Positionierungen anderer vokaler Performancekünstler_innen des künstlerischen Kräftefelds Downtown wie Laurie Anderson oder Joan La Barbara aus, und wie waren diese miteinander verknüpft? Inwiefern spezifiziert und verändert die Befragung ihrer Arbeiten und künstlerischen Praktiken aus gleicher Perspektive wie in dieser Dissertation die bisherigen Bestimmungen der Relation der vokalen Performancekunst zu den beschriebenen Kriterien einer feministischen Praxis und der Downtown-Praxis? Während es in dieser Arbeit u. a. zunächst auch darum ging, die enorme Dichte des künstlerischen Kräftefelds zu verdeutlichen, innerhalb dessen Monk als vokale Performancekünstlerin aktiv war, könnten detailliertere Untersuchungen einer ganzen Gruppe von vokalmusikalischen DowntownMusiker_innen oder des Festivals „New Music, New York“ unter der in dieser Arbeit vorgestellten Fragestellung die spezifischen Netzwerke und gegenseitigen Beeinflussungen, aber auch die Institutionalisierung der ehemals gegenkulturellen Praktiken, noch genauer herausarbeiten. Die Fortführung der thematischen Karte „Stadtplan Downtown New York: Räume“ (Abbildung 1.3), wie sie in dieser Dissertation begonnen wurde, d. h. die fortgeführte Recherche von Downtown-Räumen, die weiter gesammelt, zu denen ausführlichere Informationen zusammengestellt und zur Verfügung gestellt werden können, würde das künstlerische Kräftefeld als räumliches Netzwerk immer detaillierter nachzeichnen. Ähnlich wie für die Downtown-Räume ließe sich eine Sammlung der Downtown-Künstler_innen erstellen, die zur Ver1

Siehe Lawrence, Hold on to Your Dreams, S. xviii.

A USBLICK

| 375

fügung zu stellen im Rahmen dieser Arbeit leider nicht möglich war. Die Informationen zu den Künstler_innen sollten es ermöglichen, ihre Bewegungen, Berührungspunkte und potentiellen Beeinflussungen nachzeichnen zu können. Wie ließen sich die Sammlung der Räume und die Sammlung der Akteur_innen fruchtbar miteinander verknüpfen und visualisieren? Für den Kontext der vokalen Performancekunst wäre dies in sofern von Interesse, als dadurch die Relationen der vokalen Performancekünstler_innen sowohl untereinander als auch zu anderen Künstler_innen des Kräftefelds noch genauer befragt werden könnten. Als Ressource hierfür stehen hervorragende Archive zur Verfügung wie etwa die Sammlungen der Downtown Collection der New York University,2 die diversen Sammlungen der New York Public Library for the Performing Arts3 oder das Kitchen Archive von The Kitchen.4 Eine weitere relevante Ressource, die sich nicht auf Downtown, dafür auf feministische Performancekunst spezialisiert hat, ist das innovative Archiv re.act.feminism.5 Als lebendiges, wachsendes Archiv widmet sich re.act.feminism dezidiert der Sammlung feministischer Performancekunst sowie dem Anspruch, diese recherchierbar und zugänglich zu machen. Ließe sich die vokale Performancekunst sinnvoll als ein Ordnungsprinzip des Archivs re.act.feminism einführen? Definitiv sollten die Arbeiten Meredith Monks in das Archiv integriert werden, was bislang unverständlicherweise nicht der Fall ist. Für die Ausarbeitung der begonnenen Fragestellung und die Untersuchung der benannten Kontexte dürfte es allemal lohnenswert sein, die Bestände dieser unterschiedlichen Ressourcen stärker zusammen zu nutzen. Und heute? Wie hat sich die vokale Performancekunst seit ihrer frühen Phase in den 1970er Jahren entwickelt, wo steht sie heute? Theda Weber-Lucks hat in ihrer Untersuchung zur vokalen Performancekunst bereits teilweise den Blick in die Jetztzeit gerichtet und auch den Entwicklungsweg nachgezeichnet.6 Doch sollte hier wiederum über die bloße Feststellung hinausgehend danach gefragt werden, worin die Gründe liegen, dass es heute nach wie vor vorrangig Frauen sind, die diese Kunstform weiter voranbringen. Gleichzeitig ist zu beachten, dass inzwischen auch vermehrt Männer als VocalComposerPerformer aktiv sind. Welche Kriterien, welche Praktiken und Techniken stehen heute im Vordergrund 2

Dowtown Collection, Fales Library and Special Collections, Bobst Library, New York University, 70 Washington Square South, NYC.

3

The New York Public Library for the Performing Arts, 40 Lincoln Center Plaza, NYC.

4

The Kitchen Archive, The Kitchen, 512 West 19th Street, NYC.

5

www REACT.

6

Siehe Weber-Lucks, Körperstimmen, passim.

376 | CONCLUSIO

der vokalen Performancekunst? Sind diese nach wie vor als emanzipatorisch, als feministisch, als innovativ zu verstehen? Das, was vor 40 Jahren neue, experimentelle Techniken waren, dürfte im Grunde heute nicht mehr als „neu“ gelten. Nichtsdestotrotz scheint die Terminologie „neu“ aktuell zu bleiben für die Einschätzung so genannter erweiterter Stimmtechniken, was interessante Fragen aufwirft nach der Historisierung und Kanonisierung bestimmter vokaltechnischer Entwicklungen, auch im Kontext von Terminologien wie „Neue Musik“, „Neueste Musik“ oder „Aktuelle Musik“. Was gilt dann als „alt“, bzw. auch als „Norm“ gegenüber den „neuen“, „erweiterten“ Stimmtechniken? Einer solchen Terminologie ist offensichtlich die Annahme immanent, Techniken traditioneller westlicher Kunstmusik als Norm zu verstehen. So sollten ferner die Begriffe und die Techniken selbst auch hinsichtlich der Frage nach möglicher kultureller Aneignung kritisch hinterfragt werden. Ob der Versuch einer standardisierten Definition von aktuellen erweiterten Stimmtechniken hingegen sinnvoll wäre, ist allerdings fraglich, da diese nach wie vor gerade im Kontext der vokalen Performancekunst höchst individuell sind. Die Untersuchung von heutigen außermusikalischen Kriterien sowie von aktuellen Techniken und Praktiken der vokalen Performancekunst ist auch hinsichtlich ihres emanzipatorischen Potentials von Interesse. Hat sich die vokale Performancekunst inzwischen institutionalisiert, so wie sich die gegenkulturellen Räume und die frühen Akteur_innen Downtowns relativ zügig institutionalisiert hatten? Behalten spezifische Kriterien, Praktiken, Techniken per se ihr zu einem bestimmten Zeitpunkt feministisches Potential, auch wenn sich ihre Kontexte verändern? Diese Fragen bleiben über die vokale Performancekunst hinausgehend auch generell für die Kontexte einer feministischen Praxis relevant. Auch wenn sich die Gesellschaften der USA und Europas in Folge der zweiten Frauenbewegung der 1970er Jahre gerade hinsichtlich der Geschlechterverhältnisse verändert haben, so bleiben doch weitreichende Forderungen der Bewegung auch rund 40 Jahre später noch aktuell. Aber bleiben auch die ehemals emanzipatorischen Handlungsweisen und Strategien als solche wirksam oder nutzen sie sich ab? Bedarf es einer revidierten Fragestellung, um heutige Kontexte besser erfassen zu können? Im Anschluss an die Kriterien, die in dieser Arbeit als Kriterien des neuen feministischen Bewusstseins der zweiten Frauenbewegung herausgearbeitet wurden, müssten also für heute zunächst folgende Fragen geklärt werden: Braucht es nach wie vor mehr Sichtbarkeit und positive Repräsentation von Frauen in der Kunst, in der Musik, in entscheidungstragenden kulturpolitischen Positionen? Braucht es heute noch spezifisch weibliche Vorbilder? Welche Inhalte werden heute künstlerisch kommuniziert, bzw. werden überhaupt außerkünstlerische, außermusikalische Inhalte verhandelt? Welche künstleri-

A USBLICK

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schen Praktiken und Techniken werden heute eingesetzt, und in welcher Form bieten diese kritisches, emanzipatorisches Potential und alternative Entwürfe? Und schließlich: Wie wäre aus heutiger Perspektive diese Figur zu interpretieren, als welche Marcia Siegel 1971 Meredith Monk a.k.a. Saint Joan in „Vessel – An Opera Epic“ identifizierte: „What a cool, permissive saint she makes, offering Nirvana to a decrepit city!“7?

7

Siegel, „Virgin Vessel“, S. 39.

Dank

Damit eine Idee reifen, von einem Forschungsvorhaben zu einer Doktorarbeit zu einem Buch wachsen kann, bedarf es neben der Begeisterung für den eigenen Forschungsgegenstand vor allem des inhaltlichen Austauschs und der menschlichen sowie institutionellen Unterstützung. Dieses Buch handelt von der Bedeutung von Netzwerken, Freundschaften, Kooperationen und von räumlicher und ideeller Nähe für das kreative Schaffen einzelner Personen. In ähnlichem Zusammenhang verstehe ich auch wissenschaftliches Arbeiten. Ich danke all jenen Personen, die mich auf diesem Weg begleitet haben. Allen voran danke ich der herausragenden Künstlerin Meredith Monk, die im Fokus dieser Untersuchung steht und deren Musik mich bis heute berührt und bereichert. Ich danke ihr für ihre unerschöpfliche schöpferische Energie, Neugier und Kreativität und für ihre Zeit, die sie mir gewidmet hat, um mit mir über ihre Arbeit zu sprechen und mich ihre Arbeitsprozesse hautnah miterleben zu lassen. Mein herausragender Dank gilt meiner Doktormutter Prof. Dr. Annette Kreutziger-Herr. In den zahlreichen inspirierenden Gesprächen war sie mir durch ihre klugen Einfälle, umsichtigen Vorschläge und kostbare Erfahrung stets eine wertvolle Beraterin und die beste Mentorin, die ich mir vorstellen konnte. Sie verstand es stets, mich auch in den schwierigen Phasen der Promotion zu motivieren und mich durch ihren Glauben an meine Fähigkeiten in meinen Entscheidungen zu bestärken. Sie teilte und begleitete die Weichenstellungen und Entdeckungen dieser Arbeit. Ohne ihre fachliche und menschliche Unterstützung wäre dieses Buch nicht zu dem geworden, was es ist. Auch Prof. Dr. Christa Brüstle gilt mein herzlicher Dank. Als fachkundige Zweitgutachterin nahm sie sich trotz kurzfristiger Anfrage mit großem Engagement und wertvoller Sachkenntnis der Arbeit an. Ebenfalls danke ich Prof. Dr. Christine Stöger und Prof. Dr. Arnold Jacobshagen, die als Prüfungskommission meine Disputation am 14.01.2014 an der Hochschule für Musik und Tanz Köln begleiteten.

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Die Arbeit wäre über die Jahre so nicht realisierbar gewesen ohne die finanzielle Förderung in Form eines Promotionsstipendiums der Marian Steegmann Foundation durch das Forschungszentrum Musik und Gender der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. Ganz besonders sei hier Prof. Dr. Susanne Rode-Breymann gedankt. Ihr Kolloquium sowie die Veranstaltungen des fmg boten stets hervorragende Möglichkeiten, die eigene Arbeit zur Diskussion zu stellen und andere Forschungsvorhaben kennenzulernen. Auch Prof. Dr. Nina Noeske und Dr. Nicole K. Strohmann danke ich in diesem Zusammenhang für ihre organisatorische und inhaltliche Unterstützung. Dem DAAD danke ich für das Kurzstipendium für Doktoranden, das mir meinen Forschungsaufenthalt in New York City ermöglichte. Bei meinen Forschungen in NYC bin ich von zahlreichen hilfsbereiten Personen und Institutionen unterstützt worden. Ich danke Prof. Dr. Deborah Kapchan von der New York University (NYU), die mich während meines Forschungsaufenthalts als Visiting Scholar an der NYU 2009/2010 betreut hat, sowie den Mitarbeiter_innen des Departments Performance Studies der Tisch School of Arts der NYU für die Unterstützung bei den Formalia für die Ermöglichung meines Forschungsaufenthalts. Ganz besonders danke ich den Mitarbeiter_innen von The House Foundation for the Arts, derjenigen Stiftung, die nicht nur bis heute für Meredith Monks Management und Produktion verantwortlich zeichnet, sondern auch zahlreiches Archivmaterial von Meredith Monks Arbeiten sowie deren Rechte verwaltet. Sie ermöglichten mir den Zugang zum Material des Archivs und ließen mich die Räumlichkeiten für die Sichtung des Materials nutzen. Allen voran gilt hier mein Dank Peter Sciscioli, der mir nicht nur bereits bei meinen Vorbereitungen auf meinen Forschungsaufenthalt durch die Beantwortung vieler Fragen behilflich und auch während meines Aufenthalts stets eine verlässliche Anlaufstelle war, sondern der mich auch noch in den letzten Zügen der Fertigstellung des Buches bei meinen ständigen Anfragen unterstützte. Auch danke ich Olivia Giorgia, Amanda Cooper und Benn Rassmussen, die mich ebenfalls während meines Forschungsaufenthaltes im Namen von The House Foundation for the Arts bei meinen Recherchen unterstützt haben. Ferner gilt mein Dank den damaligen Mitarbeiter_innen von The Kitchen, die mir bei meinen Recherchen behilflich waren, allen voran dem Archivar John Migliore, der mir den Zugang zu zahlreichen bislang wenig erschlossenen Archivalien ermöglichte, sowie Rachel Peddersen, Katy Dammers und Jessica Williams für die spätere Bearbeitung meiner Anfragen. Den Fotograf_innen, Archiven und Stiftungen sei gedankt für die Möglichkeit, ihre Bilder in diesem Buch zu zeigen, was die dargestellten Zusammenhänge lebendiger und greifbarer macht. Ganz besonderer Dank geht dabei an The House Foundation for the Arts für die großzügige Genehmigung, die Fotos aus ihrem Archiv frei abdru-

D ANK

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cken zu dürfen. Ebenso herzlich gedankt sei Steina und Woody Vasulka, den Gründer_innen von The Kitchen, deren Online-Sammlung an Archivmaterial eine wahre Fundgrube ist. Vielen Dank an beide für die großzügige Autorisierung, über das Material frei verfügen zu können. Desweiteren möchte ich mich bedanken bei den Mitarbeiter_innen der New York Public Library for the Performing Arts (insbesondere der Abteilungen Music Division, Billy Rose Theatre Division und der Special Collections), des Whitney Museum, der Brooklyn Academy of Music, des Electronic Arts Intermix und der Fales Library and Special Collections in der Bobst Library NYU. Ebenso danke ich Prof. Dr. Henry Sirotin von der City University of New York für die freundliche Unterstützung bei meinen Materialrecherchen bezüglich alter Stadtpläne von New York City. Im Laufe der Jahre war der wissenschaftliche Austausch, den ich mit anderen Promovierenden meines Fachbereichs unterhielt, von besonderer Bedeutung. Dazu zählen insbesondere die vierteljährlichen Treffen mit den Kolleg_innen und Berater_innen des UFO, mit denen ich stets fundiert wissenschaftlich und dabei freundschaftlich und herzlich diskutieren konnte und dabei auf ein weitgefächertes Feld an Expertisen traf. Ebenso bot das Kolloquium von Prof. Dr. Annette Kreutziger-Herr an der Hochschule für Musik und Tanz Köln gewinnbringende Auseinandersetzungen, für die ich sehr dankbar bin. Dem transcript Verlag, insbesondere Kathrin Popp und Julia Wieczorek, gilt mein Dank für die Aufnahme dieser Publikation in die Reihe „Musik und Klangkultur“ und die sehr gute Betreuung während des Publikationsprozesses. Für die finanzielle Unterstützung für die Drucklegung des Buches danke ich recht herzlich der Mariann Steegmann Foundation sowie der Gerda-WeilerStiftung, dem Deutschen Akademikerinnenbund und dem Fachbereich 5 der Hochschule für Musik und Tanz Köln. All meinen Freundinnen und Freunden, die mir im Laufe der Jahre mit Rat und Tat zur Seite standen und mir bedingungslos den Rücken stärkten kann gar nicht genug gedankt werden. Von unschätzbarem Wert war die Unterstützung durch meinen guten Freund Dr. Urs Maier, der unermüdlich Zeit, Geduld und Scharfsinn investiert hat, um mich mit offenen Ohren und intelligenten Nachfragen durch die Höhen und Tiefen der Promotion zu lotsen. Ihm bin ich von Herzen dankbar. Meiner Freundin Emma Williams und ihrer ArchitektinnenExpertise bin ich zu großem Dank verpflichtet für die Hilfe bei ersten Gestaltungsentwürfen für die Downtown-Stadtpläne sowie Dorothea Nold für ihre Ratschläge und Sylke Renger für ihre Unterstützung bei der Programmierung der online Variante. Meinen Freundinnen Natalie Lettenewitsch, Katharina Koch und Christiane Marx sowie Gerold Hens danke ich für ihre Hilfe beim Korrekturlesen der Arbeit. Meinen Trainer_innen und Mitstreiter_innen des Boxgirls

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Berlin e.V. danke ich für die vielen schweißtreibenden Stunden in denen ich gelernt habe, mich sprichwörtlich durchzuboxen und für den geistigen Sport des Promovierens fit zu halten. Mein allerherzlichster Dank gilt meiner geliebten Familie Mechthild, Edith und Martin Kohl. Sie haben mir stets uneingeschränkt ihr Vertrauen und ihre Unterstützung geschenkt. Ich widme dieses Buch meinen Eltern Martin und Edith Kohl als Ausdruck meiner tiefen Dankbarkeit.

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II. ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abbildung 1.1: Stadtplan Downtown New York: Leer, Zeichnung: Marie-Anne Kohl Abbildung 1.2: Stadtplan Downtown New York: „Vessel – An Opera Epic“, Zeichnung: Marie-Anne Kohl Abbildung 1.3: Stadtplan Downtown New York: Räume, Zeichnung: MarieAnne Kohl Abbildung 1.4: Stadtplan Downtown New York: Meredith Monk, Zeichnung: Marie-Anne Kohl Abbildung 1.5: Stadtplan Downtown New York: Leer, Zeichnung: Marie-Anne Kohl Abbildung 2: „Vessel – An Opera Epic“, Meredith Monk Archive, Music Devision, The New York Public Library for the Performing Arts (Programmheft, MMA Box 15 Folder 10) Abbildung 3: Meredith Monk, „Vessel – An Opera Epic“, Teil II, „Handmade Mountain“, Archiv House Foundation, The House Foundation for the Arts, Foto: Ruth Walz (AHF 34) Abbildung 4: Meredith Monk, „Vessel – An Opera Epic“; Teil III, „Existent Lot“, Archiv House Foundation, The House Foundation for the Arts, Foto: Peter Moore (AHF 36)

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Abbildung 5: „Women’s Video Festival. The Vasulkas, Queer Blue Light, Joie Davidow, Jackie Cassen, Susan Milano, Darcy Umstadter, Keiko Tsuno, Yoko Maruyama, Shigeko Kubota, and others“ (The Kitchen, September 1430, 1972), Vasulka Kitchen Archive (Programm, VASKA KE064a) Abbildung 6: Meredith Monk, „Duet with Cat’s Scream and Locomotive“ (The Gate Theatre, 1966), Archiv House Foundation, The House Foundation for the Arts, Foto: Charlotte Victoria (AHF 18) Abbildung 7: Meredith Monk, „16 Millimeter Earrings“ (Judson Church, 1966), Archiv House Foundation, The House Foundation for the Arts, Foto: Diane Dorr-Dorynek (AHF 19) Abbildung 8: „A Bridge Benefit, Media Move“ (The Bridge Theater, 1966), Meredith Monk Archive, Music Devision, The New York Public Library for the Performing Arts (Konzertprogramm, MMA Box 15 Folder 7) Abbildung 9: „Benefit Concert“ ( The Kitchen, 1978), Meredith Monk Archive, Music Devision, The New York Public Library for the Performing Arts (Programm, MMA Box 16 Folder 4) Abbildung 10: „An Evening of Dance Theater by Meredith Monk“ (Judson Church), Meredith Monk Archive, Music Devision, The New York Public Library for the Performing Arts (Poster, MMA Box 291 Folder 12) Abbildung 11: „Monk, Meredith. Danceprotest: Dance protest for Viet Nam. Angry arts: Angry arts against the war in Vietnam. January 1967“, Meredith Monk Archive, Music Devision, The New York Public Library for the Performing Arts (Poster, MMA Box 293 Folder 1) Abbildung 12: Masotti, Roberto. „You Tourned the tables on me: You turned the tables on me.“ [Poster for an exhibition at Akademie der Künste, Berlin and at the Biblioteca Germanica of the Goethe-Institut in Milan.], Meredith Monk Archive, Music Devision, The New York Public Library for the Performing Arts (Poster, MMA Box 293 Folder 1) Abbildung 13: „Artists who are Scheduled to Appear or Have Appeared at the Live and Electronic Music Series“ (The Kitchen, 1971-1973), Vasulka Kitchen Archive (Künstler_innenliste, VASKA KI023) Abbildung 14: „New Music, New York“, The Kitchen videos and records 19711999, Getty Research Institute, Los Angeles (2014.M.6), © J. Paul Getty Trust (Poster, KA 08) Abbildung 15: „Meredith Monk and Mary MacArthur in front oft he poster ‚New Music, New York‘“, The Kitchen Archive, Foto: Shigeo Anzai, © ANZAÏ courtesy of Zeit-Foto Salon (KA 10) Abbildung 16: Meredith Monk, „Break“ (1964), Archiv House Foundation, The House Foundation for the Arts, Foto: Charlotte Victoria (AHF 20)

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Abbildung 17: Meredith Monk mit Philip Corner, „Happening“, Archiv House Foundation, The House Foundation for the Arts, Foto: unbekannt (AHF 21) Abbildung 18: Meredith Monk, „16 Milimeter Earrings“ (1966), Archiv House Foundation, The House Foundation for the Arts, Foto: Kenneth van Sickle (AHF 22) Abbildung 19: Meredith Monk, „Juice“, Archiv House Foundation, The House Foundation for the Arts, Foto: V. Sladon (AHF 24) Abbildung 20: Meredith Monk. „Juice“. From l to r: Dick Higgins, Meredith Monk, Daniel Ira Sverdlik, Madeline Lloyd , Archiv House Foundation, The House Foundation for the Arts, Foto: Monica Moseley (AHF 28) Abbildung 21: Meredith Monk, „The House presents A Raw Recital“ (Whitney Museum of American Art, April 27, 28, 1970), Meredith Monk Archive, Music Devision, The New York Public Library for the Performing Arts (Programm, MMA Box 15 Folder 10) Abbildung 22: Meredith Monk, „Vessel – An Opera Epic“, Teil I, „Overture: Open House“, Archiv House Foundation, The House Foundation for the Arts, Foto: Ruth Walz (AHF 38) Abbildung 23: Meredith Monk, „Vessel – An Opera Epic“, Teil II, „Handmade Mountain“, Archiv House Foundation, The House Foundation for the Arts, Foto: Peter Moore (AHF 35) Abbildung 24: Meredith Monk, „Education of the Girlchild“, Soloteil (Cathedral Church of St. Divine, 1973), Archiv House Foundation, The House Foundation for the Arts, Foto: V. Sladon (AHF 39) Abbildung 25: Meredith Monk. „Education of the Girlchild“. Gruppenteil, Archiv House Foundation, The House Foundation for the Arts, Foto: Mark E. Smith (AHF 30) Abbildung 26: Meredith Monk, Ping Chong. „Paris“, Archiv House Foundation, The House Foundation for the Arts, Foto: Doug Winter (AHF 37) Abbildung 27: Meredith Monk, „Dolmen Music“. From l to r: Paul Langland, Robert Een, Julius Eastman, Meredith Monk, Naaz Hosseini, Andrea Goodman, Archiv House Foundation, The House Foundation for the Arts, Foto: Johan Elbers (AHF 31) Abbildung 28: Meredith Monk, „Education of the Girlchild“, Gruppenteil, Archiv House Foundation, The House Foundation for the Arts, Foto: Philip Hipwell (AHF 32) Abbildung 29: Meredith Monk. „Education of the Girlchild“. Gruppenteil, Archiv House Foundation, The House Foundation for the Arts, Foto: Lorenzo Capellini (AHF 33)

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III. ARCHIVE AHF: Archiv House Foundation, The House Foundation for the Arts, 260 West Broadway, NYC AHF 01 AHF 02 AHF 03 AHF 04

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„Vessel (Parking Lot) – Rehearsal Part I Monk’s Loft – NYC 1971 ‚Do you be‘“, VHS 1971. „Vessel (Parking Lot) – Rehearsal Part III. Canal Street – NYC 1971“, VHS 1971. Meredith Monk, „Arts Presenter Lecture“, CD 431a / Cassette N, 1989. Meredith Monk, Deborah Jowitt, „Meredith Monk im Interview mit Deborah Jowitt“, Walker Art Center Minneapolis, MN, Nov. 1997, CD 482. Meredith Monk, Jeffrey Books, Bill Mockeh, „The Composer’s Voice, Meredith Monk“, Meredith Monk im Interview mit Jeffrey Books und Bill Mockeh, Minnesota Public Radio, 5. Juni 1994, CD 453. Meredith Monk, John Schaeffer, „Aircheck: New Sounds“, Interview mit John Schaeffer, 9. November 1987, CD 415. Meredith Monk, Christiane Kort, „Meredith Monk“, Interview mit Christiane Kort (in Deutsch), NDR Radio Berlin, 1998, CD 491. Meredith Monk, „Arts Presenter Lecture“, 1989, Cassette N, CD 431a + b. Brigitta Asloff, Sabine Andreas, „Portrait Meredith Monk“, Deutschland Funk, Sept. 2, 1982, CD 408. Meredith Monk, „Co-Op“, Foto von unbekannt, NYU, 1968. Meredith Monk, Jamake Highwater, „Interview with Meredith Monk and Jamake Highwater (fellow artist)“, Walker Center, Seattle, Washington, 10. November, 1997, Tape 1, CD 483a / 483b. „Education of the Girlchild. Group and Solo“, Video (DVD), Tokyo, Japan 1982, 90:00. Meredith Monk, Ping Chong, „Paris“, Video, KTCA Minneapolis St. Paul, Twin Cities Public Television Walker Art Center, 1982. Meredith Monk, Robert S. Withers, „16 Millimeter Earrings“, Video, 1979. Meredith Monk, The House, „Quarry, An Opera in three Movements. Lullaby, March, Requiem“, Video vom 16mm-Film, produziert von

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Amram Nowak Associates. Dokumentarische Aufnahme der Oper, 1978. Meredith Monk, Rebecca West, „Interview with Meredith Monk and Rebecca West“, Naropa Series Interarts Part 3 (Buddhist Education), KGNV – Boulder, Colorado, Naropa Institute, Juni 1994, CD 454/ Cassette PP. Christiane Kort, Meredith Monk, „Miracle of a Spoon“, Interview with Meredith Monk, Bayerischer Rundfunk, Mai 1982, CD 498. Meredith Monk, „Duet with Cat’s Scream and Locomotive“, The Gate Theatre, 1966, Foto: Charlotte Victoria. Meredith Monk, „16 Millimeter Earrings“, Judson Church, 1966. Foto: Diane Dorr-Dorynek. Meredith Monk, „Break“ (1964), Foto: Charlotte Victoria. Meredith Monk mit Philip Corner, „Happening“, Foto von unbekannt. Meredith Monk, „16 Millimeter Earrings“ (1966), Foto: Kenneth van Sickle. Meredith Monk „Juice“, Foto: Peter Moore. Meredith Monk „Juice“, Spirale, Foto: V. Sladon. Meredith Monk „Juice“, Foto: Peter Moore. Meredith Monk „Juice“, Foto: Peter Moore. Meredith Monk „Juice“, Foto: Peter Moore. Meredith Monk „Juice. From l to r: Dick Higgins, Meredith Monk, Daniel Ira Sverdlik, Madeline Lloyd“, Foto: Monica Moseley. Meredith Monk, „Education of the Girlchild“, Common Ground, NYC, 1973, Foto: Lois Greenfield. Meredith Monk, „Education of the Girlchild“, Gruppenteil, Foto: Mark E. Smith. „Dolmen Music by Meredith Monk. From l to r: Paul Langland, Robert Een, Julius Eastman, Meredith Monk, Naaz Hosseini, Andrea Goodman“, Foto: Johan Elbers. Meredith Monk, „Education of the Girlchild“, Gruppenteil, Foto: Philip Hipwell. Meredith Monk, „Education of the Girlchild“, Gruppenteil, Foto: Lorenzo Capellini. Meredith Monk, „Vessel – An Opera Epic“, Teil II, „Handmade Mountain“, Foto: Ruth Walz. Meredith Monk, „Vessel – An Opera Epic“, Teil II, „Handmade Mountain“, Foto: Peter Moore.

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Meredith Monk, „Vessel – An Opera Epic“; Teil III, „Existent Lot“, Foto: Peter Moore. Meredith Monk, Ping Chong. „Paris“, Foto: Doug Winter. Meredith Monk, „Vessel – An Opera Epic“, Teil I, „Overture: Open House“, Foto: Ruth Walz. Meredith Monk, „Education of the Girlchild“, Soloteil (Cathedral Church of St. Divine, 1973), Foto: V. Sladon.

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JMChA 02

„‚Duet with Cat’s Scream and Locomotive‘ by Meredith Monk – performed by Meredith Monk and Kenneth King; ‚16Millimeter Earrings‘ by Meredith Monk; ‚Dance with mandolins‘ by Phoebe Neville, performed by Phoebe Neville, Meredith Monk and Kenneth King“, Programmzettel, 5., 6. (Mo, Di) Dezember 1966, A.02 Folder 93. „Blueprint (1) ‚Candy Bullets and Moon‘– music for Aunt Jemima and The United Pancakes by Candy Bullets and Moon *copyright Monk/Preston Aug. ’67“, Programmzettel, November 1967, A.02 Folder 16.

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KA 06

KA 07

KA 08

KA 09 KA 10

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MMA: Meredith Monk Archive, Music Devision, The New York Public Library for the Performing Arts, LPA Mss 2006-001 Die Quellen des Meredith Monk Archives [MMA] lagern in 300 „Boxes“ mit jeweils mehreren „Folders“. Im Fließtext gebe ich die jeweiligen, von mir selbst entsprechend ihrer Inhalte betitelten Quellen ihrem jeweiligen Fundort zugeordnet an, und zwar nach folgendem Format: [Art der Quelle] „Titel“, [Kürzel Archivname] Box [Nummer] Folder [Nummer] Beispiel: Programmheft „La Mama and The House Presents: Recent Ruins“, MMA Box 16 Folder 6. PAMM: Privat-Archiv Meredith Monk, New York: N.Y. PAMM 01 PAMM 02

PAMM 03

Meredith Monk, „The Soul’s Messenger“, Manuskript, 2009. John Rockwell, „‚Lady of Late‘ Adds Color With Vocals By Meredith Monk“, in: The New York Times, January 13, 1973, S.17. Tom Johnson, „Hit by a flying solo“, in: The Village Voice, January 18, 1973. (Auch abgedruckt in Tom Johnson, The Voice of New Music: New York City 1972- 1982.)

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PAMM 04

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Bonnie Marranca, Meredith Monk, Performance and the Spiritual Life. Meredith Monk in Conversation with Bonnie Marranca, Manuskript, 2009. Manfred Züghart, „Die Phänomenale Meredith Monk“, in: WeserKurier, Montag, 8. Mai 1978, Nr. 106, S. 6.

VASKA: Vasulka Kitchen Archive, Early Kitchen 1971-1973, Onlinearchiv Unter http://vasulka.org/Kitchen/Frameset_Documents.html (Letzter Zugriff: 17.10.2013) haben Steina und Woody Vasulka, die Gründer_innen von The Ktichen, einen Teil der von ihnen archivierten Dokumente aus der Anfangszeit von The Kitchen 1971-1973 hochgeladen. VASKA KBR1 VASKA KBR2 VASKA KE056 VASKA KE064a

VASKA KE083 VASKA KI020 VASKA KI022 VASKA KI023

„Mercer Arts Center“, Broschüre, 1971-1973. „Collapse of Hotel Central, home of the Mercer Arts Center“,Sammlung von Zeitungsartikeln, 1973. „The Kitchen Video Festival“, Plakat, Juni 15, 1972. „Women’s video festival, September 14-30, 1972; women’s video festival; The Vasulkas, Queer Blue Light, Joie Davidow, Jackie Cassen, Susan Milano, Darcy Umstadter, Keiko Tsuno, Yoko Maruyama, Shigeko Kubota, and others; September 14-30, 1972“; Programm. „Official Program. The 1973 International Computer Arts Festival ...“, Programm, April 1-14, 1973. „Proposal: A Series of Electronic Music Concerts“, Anschreiben, undatiert. Ankündigung „An Ongoing Series of Monday Night Concerts“, 1971-1973. „Artists who are Scheduled to Appear or Have Appeared at the Live and Electronic Music Series, Künstler_innenliste, 1971-1973.

IV. F ILME Beckmann, Erika: 135 Grand Street New York 1979, [1979/2009] Super-8/HD Video; London: Soul Jazz Records Ltd. London, 2010. Blackwood, Michael: Making Dances: Seven Postmodern Choreographers (Trisha Brown, Lucinda Childs, David Gordon, Douglas Dunn, Kenneth King,

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Meredith Monk, and Sara Rudner), Video, New York: Blackwood Productions, 1980. Blackwood, Michael: The Sensual Nature of Sound: Four Composers. Laurie Anderson, Tania León, Meredith Monk, Pauline Oliveros, Video, New York: Michael Blackwood Productions, 1993. Dwyer, Rich/Vituccio, Ralph/Vey, Greg/Zetter, Paula: Performance: the living art, Video, Chicago: Video Data Bank, 1988. Greenaway, Peter: Four American Composers: Meredith Monk, Vol. 3: Meredith Monk [1983], Video, New York: Mystic Fire Video, 1991. Ursprünglich1985 produziert von Transatlantic Films. Mystic Fire Video 76236. Monk, Meredith/Killacky, John: Book of Days / Ellis Island, DVD, Ohne Label, 2006. Monk, Meredith/Mundal, Sidsel/Easter, Allison/Emerson, Dina/Geissinger, Katie/Bogdan, Thomas/Norsk rikskringkasting, Meredith Monk: A Documentary, Video, S.l.: s.n. Insight media, 1994. Rosenberg, Douglas: Meredith Monk (American Dance Festival), Madison: ADF Video, 1996. VanLoo, Babeth M.: Meredith Monk. Inner Voice, BOS (a Buddhist Broadcasting Foundation production), New York: First Run Features, DVD, 2010.

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VI. Z EITUNGEN UND Z EITSCHRIFTEN ZT ARTFORUM Artforum, Denville, NJ: Artforum. ZT ARTRITE Art Rite, New York, NY: Art-Rite Publ. Co. ZT AVALANCHE Avalanche, New York, NY: Kineticism Press.

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ZT CHRYSALIS Chrysalis: a magazine of women’s culture, Los Angeles, CA: Chrysalis. ZT DANCEMAG Dance magazine, New York, NY: Danad Publ. Co. ZT FEMINISTART The Feminist art journal, Brooklyn, NY: Feminist Art Journal, seit 1.1972. ZT FOX The Fox, New York, NY: Art & Language Foundation. ZT FRONTIERS Frontiers: a journal of women studies / University of Colorado, Women Studies Program, Niwot, CO: University Press. ZT HERESIES Heresies: a feminist publication on art and politics, New York, NY: Heresies Collective. ZT NZfM Neue Zeitschrift für Musik, Mainz: Schott. ZT NYT The New York Times, New York, NY: The New York Times Corp. ZT SOHONEWS Soho news: the Greater New York weekly, New York, NY: [s.n.]. ZT VILVOICE Village voice, New York, NY: Village Voice. ZT VOICEWOMEN Voice of the women’s liberation movement, Chicago, IL: Voice of Women.

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VII. D ISKOGRAPHIE Chronologisch nach Erstveröffentlichung Meredtih Monk Candy Bullets and Moon, 1967, Single, out of print. Neu herausgebracht auf Better an Old Demon Than a New God, Giorno Poetry Systems Records, GPS 033, 1984. Our Lady of Late, Mainz: Wergo Spectrum, SM 1058-50, 1986/1988 [1973]. Key: Invisible Theater, Kompositionen 1967-70, New York, NY: Lovely Music, Ltd., LML 1051, 1977/1995. „Rally“ auf Various – Airwaves, One Ten Records OT OO1/2, 1977. „Biography“ auf Big Ego, Giorno Poetry Systems Records, GPS 012-013, 1978. Songs from the Hill / Tablet, Mainz: Wergo Spectrum, SM 1022-50 / LC 0846, 1979/1989. Dolmen Music, ECM New Series 1197, 1981. Turtle Dreams, ECM New Series 1240, 1983. Do You Be, ECM New Series 1336, 1987. Book of Days, ECM New Series 1399, 1990. Facing North, ECM New Series 1482, 1992. „Return to Earth“ auf Eternal Light. Anthologie von Chormusik. Musica Sacra. BMG Catalyst 09026-61822-2, 1992. „Travel Song“, „Paris“, „The Tale“, „Gamemaster’s Song“, „Memory Song“, „Double Fiesta“ auf John Cage / Meredith Monk – Pianos and Voices. Anthony De Mare. Koch International Classics 3-7104-2H1, 1992.

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Atlas, ECM New Series 1491, 1993. „Phantom Waltz“, „Ellis Island“ auf U.S. CHOICE. Anthologie amerikanischer Musik. Double Edge, CRI CD 637, 1993. „Dawn“, „Quarry Weave 1 & 2“, „Quarry Lullaby“, „Farmer’s Song“, „Astronaut Anthem“, „Nightfall“ auf Monk and the Abbess. Musik von Hildegard von Bingen and Meredith Monk. Musica Sacra, dir. Richard Westenberg. BMG Catalyst 09026-68329-2, 1996. Volcano Songs, ECM New Series 1589 / LC 2516, 1997/ 1995. Mercy, ECM Records, ECM New Series 1829, 2002. „Do you be“ auf From the Kitchen Archives – New Music, New York 1979, [S.l.]: Orange Mountain Music OMM-0015, 2004. Impermanence, ECM New Series 2026, 2008. Beginnings, Tzadik (SunnyMoon Distribution), 2009. Songs of Acension, ECM New Series 2154, 2011. Monk Mix. Remixes & Interpretations of music by Meredith Monk. The House Foundation for the Arts, 2012. Verschiedene Künstler_innen From the Kitchen Archives – New Music, New York 1979, Verschiedene Künstler_innen, [S.l.]: Orange Mountain Music OMM-0015, 2004.

VIII. D IE D OWNTOWN S TADTPLÄNE Die Stadtpläne Downtown bilden als thematische Karten keinen einzelnen Zeitpunkt ab, sondern die Zeitspanne von 1964 und 1979. Die gleiche Karte von Downtown wird in dieser Arbeit mehrfach gezeigt, jeweils mit einer unterschiedlichen Dichte an Räumen. In den Abbildungen 1.1 und 1.5 ist lediglich die „leere“ Karte zu sehen, „leer“ in dem Sinne, dass hier noch keine Downtown-Räume

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eingezeichnet sind. Abbildung 1.2 zeigt die drei Spielstätten, an denen 1971 „Vessel – An Opera Epic“ aufgeführt wurde. Da bei der Spielstätte des dritten Teils, dem Parkplatz zwischen Wooster Street und Canal Street, auch die St. Alphonsus Kirche bespielt wurde, finden sich in der Karte vier Markierungen. In der Abbildung 1.3 ist die Zeitspanne von 1964 bis 1979 unterteilt in zwei Abschnitte: Die 1960er Jahre (1964-1971) als Zeit der langsamen Etablierung und die 1970er Jahre (1972-1979) als Blütezeit Downtowns. Diese Unterteilung wird in den Stadtplänen verdeutlicht durch die unterschiedliche grafische Darstellung der nummerierten Räume. Die Dreiecke repräsentieren die 1960er Jahre, die Kreise die 1970er Jahre. In der Zeit von 1964 bis 1979 wurden einige Räume an einem Ort geschlossen und an einem anderen wiedereröffnet, wie etwa The Kitchen oder die Paula Cooper Gallery, oder Künstler_innen zogen um. Diese Räume sind in der Karte mehrfach eingezeichnet, jedoch jeweils unter der gleichen Nummer, gekennzeichnet durch Klein- und Großbuchstaben bei Adresswechsel und durch unterschiedliche Buchstaben bei Namensänderung. Gerade im Falle der geschlossenen und wiedereröffneten Räume zeigt sich damit zudem eine vitale räumliche Bewegung des Kräftefelds, in dem sich nicht nur die Akteur_innen bewegten und sich neu platzierten, sondern auch einige Räume. In Abbildung 1.4 sind alle Räume eingezeichnet, in denen Meredith Monk in der Zeit zwischen 1964 und 1979 meinen Quellen zufolge nachweislich aktiv war. Die Räume, die in der Karte eingezeichnet sind, sind in dem Index auf der Webseite stadtplandowntownnewyork.marie-anne-kohl.de alphabetisch sortiert und durchnummeriert. Die Schraffuren (im Buch) bzw. Farben (in der online Variante) der Räume geben die Art des Raumes an: 1. Publikumsorientierte Aufführungsräume mit klassischer Bühnenarchitektur wie bspw. Theater oder Kinos (rot – Schraffur Gitternetz gerade); 2. Publikumsorientierte Aufführungsräume ohne klassische Bühnenarchitektur, in der Regel ehemals industrielle Gebäude (magenta – Schraffur Senkrecht), 3. Kirchen (violett – Schraffur Waagerecht), 4. Ausstellungsräume, in der Regel Galerien (hellblau – Schraffur Quer 1); 5. Lofts (dunkelblau – Schraffur Kreise bzw. Dreiecke); 6. andere (dunkelgrün – Schraffur Punkte), 7. Geschäfte (hellgrün – Schraffur Gitternetz Quer), 8. Wohnung (beige – Schraffur Quer 2). Dabei sei erneut darauf hingewiesen, dass eine eindeutige Definition der Räume als das eine oder das andere, etwa als ein primärer Aufführungs- oder primärer Ausstellungsraum, als ein eher als privat einzustufendes Loft oder als ein regelmäßig geöffneter Veranstaltungsraum, in den seltensten Fällen derart strikt möglich ist. Einige Räume sind daher auch mehreren Kategorien zugeordnet und in der Karte entsprechend ausgewiesen. Die Zuordnung der Räume zu den entsprechenden Kategorien ist also nicht fix. So wie die präsentierten Kunstformen in Downtown grenzüberschreitend waren, so konzen-

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trierten sich auch die Räume selten auf ein einzelnes Format. Die Definitionen in dieser Karte sind also als Annäherung und konstruiertes Ordnungsprinzip zu verstehen. Die vorliegende Sammlung an Räumen erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Insbesondere die Adressen der informelleren, privaten Lofts der Künstler_innen sind nicht immer leicht zu eruieren. Zucker Seeman und Siegfried hielten noch 1978 in ihrer Zusammenstellung von Räumen in SoHo fest: „Others are afraid that publicity will lead to eviction, as many of the lofts used for residences and performance spaces are still illegal; and because of this apprehension, many existing studios have refused permission to be listed in this guide.“1 Eine systematische Sammlung dieser Räume liegt bislang nicht vor, somit sind die Adressen von Künstler_innen-Lofts in der Regel Einzelfunde. Eine umfangreiche Sammlung von Spielstätten und Galerien bieten die zwei zeitgenössischen Stadtpläne SoHo: A Guide2 von 1978 und Streets of Soho map and guide3 von 1979. Für Galerien liegt mit der Website http://galleriesofnewyork.com eine systematische Sammlung vor. Hier können angeblich alle Galerien in New York City seit 1800 recherchiert werden. Eine interaktive Karte ermöglicht es, die Galerien einzelner Stadtteile oder Jahrzehnte zu betrachten. Allerdings sind mir beim Vergleich mit eigenen, aus Primärquellen recherchierten Daten sehr schnell mehrere Fehler aufgefallen. Obwohl die Datenbank eine beeindruckende Quellenliste vorweist, sind die einzelnen Einträge und Daten keinen spezifischen Quellen zuzuordnen, was eine Überprüfung der Fehlerquellen leider unmöglich macht. Die Datenbank ist von daher als eher unzuverlässig einzuschätzen. Von daher habe ich auf diese Ressource nur dann zurückgegriffen, wenn ich einzelne Daten, wie z. B. Jahreszahlen oder genaue Adressen, aus meinen anderen Quellen gar nicht entnehmen konnte. In diesen Fällen weise ich explizit darauf hin, dass die Daten von dieser Webseite stammen. Bei den mit * gekennzeichneten Adressen war es mir nicht möglich, die genaue Hausnummer zu eruieren, sodass diese Räume in der Karte rein schätzungsweise in der entsprechenden Straße eingezeichnet sind. Der Index auf der Webseite der Stadtpläne (stadtplandowntownnewyork.marie-anne-kohl.de) beinhaltet neben Name und Adresse der Räume auch Angaben zu Jahreszahlen, größtenteils einige weitere Informationen sowie die Quellenangaben. Der Quellenschlüssel findet sich ebenfalls auf der Webseite. 1

Helene Zucker Seeman, Alanna Siegfried, SoHo: A Guide, New York: Neal-Schuman Publ., 1978, S. 105.

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Seeman, Siegfried, SoHo: A Guide. Raw Books Publication, Streets of Soho map and guide, New York: A Raw Books Publication, 1979.

Musik und Klangkultur Sylvia Mieszkowski, Sigrid Nieberle (Hg.) Unlaute Noise/Geräusch in Kultur, Medien und Wissenschaften seit 1900 Januar 2016, ca. 300 Seiten, kart., ca. 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2534-9

Frédéric Döhl, Daniel Martin Feige (Hg.) Musik und Narration Philosophische und musikästhetische Perspektiven November 2015, ca. 280 Seiten, kart., ca. 32,99 €, ISBN 978-3-8376-2730-5

Martha Brech, Ralph Paland (Hg.|eds.) Kompositionen für hörbaren Raum/ Compositions for Audible Space Die frühe elektroakustische Musik und ihre Kontexte/The Early Electroacoustic Music and its Contexts September 2015, 354 Seiten, kart., zahlr. Abb., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3076-3

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Musik und Klangkultur Camille Hongler, Christoph Haffter, Silvan Moosmüller (Hg.) Geräusch – das Andere der Musik Untersuchungen an den Grenzen des Musikalischen 2014, 198 Seiten, kart., 24,99 €, ISBN 978-3-8376-2868-5

Jörn Peter Hiekel, Wolfgang Lessing (Hg.) Verkörperungen der Musik Interdisziplinäre Betrachtungen 2014, 234 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2753-4

Christian Utz Komponieren im Kontext der Globalisierung Perspektiven für eine Musikgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts 2014, 438 Seiten, kart., zahlr. Abb., 39,99 €, ISBN 978-3-8376-2403-8

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Musik und Klangkultur Reinhard Gagel, Matthias Schwabe (Hg.) Improvisation erforschen – improvisierend forschen/ Researching Improvisation – Researching by Improvisation Beiträge zur Exploration musikalischer Improvisation/ Essays About the Exploration of Musical Improvisation April 2016, ca. 420 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 39,99 €, ISBN 978-3-8376-3188-3

Marion Saxer (Hg.) Spiel (mit) der Maschine Musikalische Medienpraxis in der Frühzeit von Phonographie, Reproduktionsklavier, Film und Radio März 2016, ca. 350 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3036-7

Teresa Leonhardmair Bewegung in der Musik Eine transdisziplinäre Perspektive auf ein musikimmanentes Phänomen 2014, 326 Seiten, kart., 37,99 €, ISBN 978-3-8376-2833-3

Christina Richter-Ibáñez Mauricio Kagels Buenos Aires (1946-1957) Kulturpolitik – Künstlernetzwerk – Kompositionen 2014, 342 Seiten, kart., zahlr. Abb., 39,99 €, ISBN 978-3-8376-2662-9

Steffen Scholl Musik – Raum – Technik Zur Entwicklung und Anwendung der graphischen Programmierumgebung »Max« 2014, 236 Seiten, kart., zahlr. Abb., 31,99 €, ISBN 978-3-8376-2527-1

Martha Brech Der hörbare Raum Entdeckung, Erforschung und musikalische Gestaltung mit analoger Technologie September 2015, 304 Seiten, kart., zahlr. Abb., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3096-1

Omar Ruiz Vega Musik – Kolonialismus – Identität José Figueroa Sanabia und die puerto-ricanische Gesellschaft 1925-1952 Februar 2015, 336 Seiten, kart., zahlr. Abb., 44,99 €, ISBN 978-3-8376-2900-2

Daniel Siebert Musik im Zeitalter der Globalisierung Prozesse – Perspektiven – Stile 2014, 228 Seiten, kart., 32,99 €, ISBN 978-3-8376-2905-7

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