Vertriebsrecht: Kommentierung zu §§ 84 bis 92c HGB. Handelsvertreterrecht - Vertragshändlerrecht - Franchiserecht 9783899496574

The current and comprehensive commentary on sections 84-92c  by Raimond Emde from the Staub, the extensive commentary on

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German Pages 1382 [1404] Year 2009

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Frontmatter
Inhaltsübersicht
Abkürzungsverzeichnis
Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur
Vorbemerkungen vor § 84
§ 84. Begriff des Handelsvertreters
§ 85. Vertragsurkunde
§ 86. Pflichten des Handelsvertreters
§ 86a. Pflichten des Unternehmers
§ 86b. Delkredereprovision
§ 87. Provisionspflichtige Geschäfte
§ 87a. Entstehen und Fälligkeit der Provision
§ 87b. Höhe der Provision
§ 87c. Abrechnung der Provision
§ 87d. Aufwendungsersatz
§ 88a. Zurückbehaltungsrecht des Handelsvertreters
§ 89. Kündigung des Vertrages
§ 89a. Fristlose Kündigung
§ 89b. Ausgleichsanspruch
§ 90. Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse
§ 90a. Wettbewerbsabrede
§ 91. Vollmacht des Handelsvertreters
§ 91a. Mangel der Vertretungsmacht
§ 92. Versicherungsvertreter
§ 92a. Mindestarbeitsbedingungen
§ 92b. Handelsvertreter im Nebenberuf
§ 92c. Handelsvertreter außerhalb der EG; Schifffahrtsvertreter
Backmatter
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Vertriebsrecht: Kommentierung zu §§ 84 bis 92c HGB. Handelsvertreterrecht - Vertragshändlerrecht - Franchiserecht
 9783899496574

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Raimond Emde Vertriebsrecht Kommentierung zu §§ 84 bis 92c HGB

EMDE

Vertriebsrecht Kommentierung zu §§ 84 bis 92c HGB Handelsvertreterrecht Vertragshändlerrecht Franchiserecht

von

Raimond Emde

De Gruyter Recht · Berlin

Diese Sonderausgabe enthält die Vorbemerkungen vor § 84 sowie die Kommentierung der §§ 84 bis 92c HGB aus dem Band 2 des Staub, Großkommentar zum Handelsgesetzbuch, 5. Auflage.

Zitiervorschlag: Emde Vertriebsrecht, § 84 Rn 8 Sachregister: Dr. Ulrike Gaebel, Leipzig

ISBN 978-3-89949-533-1

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© Copyright 2009 by De Gruyter Rechtswissenschaften Verlags-GmbH, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Datenkonvertierung/Satz: WERKSATZ Schmidt & Schulz GmbH, Gräfenhainichen Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen Printed in Germany

Vorwort Das vorliegende Werk ist ein geringfügig aktualisierter Auszug aus meiner Kommentierung der §§ 84 bis 92c HGB im Großkommentar von Staub. Es soll den vertriebsrechtlichen Teil der Kommentierung des Staub auch denjenigen Interessenten öffnen, die vornehmlich an ihm interessiert sind. Über Anregungen und Ergänzungsvorschläge aus dem Kreise der Leser würde ich mich freuen. Meiner Freundin Friederike Schmidt-Bogatzky sowie meinen Söhnen Richard und Benedikt Emde danke ich für ihr jahrelanges Verständnis hinsichtlich der Arbeitsbelastung. Hamburg, im April 2009

Raimond Emde

Hinweis für den Benutzer Diese Sonderausgabe enthält die Vorbemerkungen vor § 84 sowie die Kommentierung der §§ 84 bis 92c HGB des Bandes 2 des Staub, Großkommentar zum Handelsgesetzbuch, aus der 5. Auflage. Wir bitten bei Verweisungen innerhalb des Textes folgendes zu beachten: 1. Bei Verweisen auf Vorauflagen ohne nähere Angaben zum Werk handelt es sich um Verweise auf die jeweiligen Kommentierungen in den Auflagen 1 bis 4 des Großkommentars zum HGB, Staub. 2. Bei Verweise auf Randnummern der §§ vor 48–83 bzw. der §§ vor 93–104 handelt es sich um Verweise auf die Kommentierungen im Band 2 des Großkommentars zum Handelsgesetzbuch, Staub, 5. Auflage.

Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . .

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Seite 1 235 300 310 410 488 506 571 618 637 721

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729 739 779 846 1130 1141 1178 1187 1206 1249 1264 1282

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1329

Vorbemerkungen vor § 84 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 84 Begriff des Handelsvertreters . . . . . . . . . . . . . . § 85 Vertragsurkunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 86 Pflichten des Handelsvertreters . . . . . . . . . . . . § 86a Pflichten des Unternehmers . . . . . . . . . . . . . . § 86b Delkredereprovision . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 87 Provisionspflichtige Geschäfte . . . . . . . . . . . . . § 87a Entstehen und Fälligkeit der Provision . . . . . . . . . § 87b Höhe der Provision . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 87c Abrechnung der Provision . . . . . . . . . . . . . . . § 87d Aufwendungsersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 88 (weggefallen) § 88a Zurückbehaltungsrecht des Handelsvertreters . . . . . § 89 Kündigung des Vertrages . . . . . . . . . . . . . . . . § 89a Fristlose Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 89b Ausgleichsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 90 Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse . . . . . . . . . . § 90a Wettbewerbsabrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 91 Vollmacht des Handelsvertreters . . . . . . . . . . . . § 91a Mangel der Vertretungsmacht . . . . . . . . . . . . . § 92 Versicherungsvertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . § 92a Mindestarbeitsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . § 92b Handelsvertreter im Nebenberuf . . . . . . . . . . . . § 92c Handelsvertreter außerhalb der EG; Schifffahrtsvertreter Register

Abkürzungsverzeichnis aA aaO abl. ablehn. Abs. Abschn. AcP ADAC ADHGB aE AG AGB AGG AiB AktG aM amtl. Begr. Anh. Anl. Anm. AO

AöR AP ApothekenBetrO ApothekenG ArbG ArbGG AR-Blattei ArbR ArbstättVO ArbZG ArchBürgR Art. AÜG Aufl. AWD AZR

anderer Ansicht am angegebenen Ort ablehnend ablehnend Absatz Abschnitt Archiv für civilistische Praxis Allgemeiner Deutscher Automobil-Club Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch v. 1861 am Ende Amtsgericht Allgemeine Geschäftsbedingungen Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Arbeitsrecht im Betrieb Aktiengesetz andere(r) Meinung Amtliche Begründung Anhang Anleitung Anmerkung(en) 1. Amtsordnung (Schleswig Holstein) 2. Abgabenordnung Abgabenordnung Archiv des öffentlichen Rechts Arbeitsrechtliche Praxis Apothekenbetriebsordnung Apothekengesetz Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz Arbeitsrecht-Blattei Arbeitsrecht Arbeitsstättenverordnung Arbeitszeitgesetz Archiv für Bürgerliches Recht Artikel Arbeitnehmerüberlassungsgesetz Auflage Allgemeiner Wirtschaftsdienst Gesetz über das Ausländerzentralregister

Baden-Württ. BaWüNotZ BayObLG BayZ BAG BAO BÄO BB

Baden-Württemberg Baden-Württembergische Notarzeitung Bayerisches Oberlandesgericht Bayerische Zeitung Bundesarbeitsgericht Bundesabgabenordnung Bundesärzteordnung Der Betriebs-Berater

IX

Abkürzungsverzeichnis BBiG Bd. Bek. v. Begr Beschl. BetrAVG BetrVG BfA BFH BFHE BGB BGBl. BGH BGHR BGHZ BKartA Bl. BörsG BPatG BPatGE BRAGO BRAK-Mitt BT BUrlG BVerfG BVerfGE BVK bzw. CDH cic CISG PucheltsZ DAR ders. DB DIHT DJT DNotZ DR DStR DV

E EBE/BGH EFG EFZG EG

X

Berufsbildungsgesetz Band Bekanntmachung vom Begründung Beschluss Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (Betriebsrentengesetz) Betriebsverfassungsgesetz Bundesversicherungsanstalt für Angestellte Bundesfinanzhof Entscheidungen des Bundesfinanzhofes Bürgerliches Gesetzbuch vom 18.8.1896 Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof BGH-Rechtsprechung, hrsg. von den Richtern des Bundesgerichtshofes Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Bundeskartellamt Blatt Börsengesetz Bundespatentgericht Entscheidungen des Bundespatentgerichts Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte Mitteilungen der Bundesrechtsanwaltskammer Bundestag Bundesurlaubsgesetz vom 8.1.1963 Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bayerische Versicherungskammer beziehungsweise Centralvereinigung Deutscher Wirtschaftsverbände für Handelsvermittlung und Vertrieb e.V. culpa in contrahendo United Nations Convention on Contracts for the International Sale of Goods, UN-Kaufrecht Zeitschrift für französisches Zivilrecht Deutsches Autorecht derselbe Der Betrieb Deutscher Industrie- und Handelstag Deutscher Juristentag Deutsche Notarzeitung Deutsches Recht 1. Deutsche Steuerrundschau 2. Deutsches Strafecht 1. Durchführungsverordnung 2. Deutsche Verwaltung Entscheidung Eildienst Bundesgerichtliche Entscheidungen Entscheidungen der Finanzgerichte Entgeltfortzahlungsgesetz Europäische Gemeinschaft

Abkürzungsverzeichnis EGBGB EGVVG EHUG

EzA

Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch vom 18.8.1896 Einführungsgesetz zum Versicherungsvertragsgesetz Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister Einleitung Entscheidung Einkommenssteuergesetz Europäische Union Europäischer Gerichtshof Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs Europäisches Gericht Erster Instanz Verfahrensverordnung des Europäischen Gerichts Erster Instanz vom 1.3.2002 Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, vom 27.9.1968, seit dem 1.3.2002 weitgehend durch die EuGVVO European Law Forum Europäische Zeitung für Wirtschaftsrecht Euro- Einführungsgesetz Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht 1. Europäisches Währungssystem 2. Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht Eigentumsvorbehalt Einführungsverordnung Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht

f FAZ FeiertagslohnzahlungsG ff FG Fn FS

folgende Frankfurter Allgemeine Zeitung Feiertagslohnzahlungsgesetz fortfolgende Finanzgericht Fußnote Festschrift

GbR GewO GG ggf. GK GmbH GmbHG GmbHR GenG GewO GOÄ GOZ GRUR GRUR-RR GSG GVO GWB

Gesellschaft bürgerlichen Rechts Gewerbeordnung Grundgesetz gegebenenfalls Großkommentar Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend der Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau Genossenschaftsgesetz Gewerbeordnung Gebührenordnung für Ärzte Gebührenordnung für Zahnärzte Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht/Rechtsprechungsreport Gerätesicherheitsgesetz Gerichtsvollzieherordnung Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen

hA

herrschende Ansicht

Einl. Entsch. EStG EU EuGH EuGHE EuG EuGVVO EuGVÜ

EuLF EuZW EuroEG EWiR EWS EV

XI

Abkürzungsverzeichnis HAG HansGZ HandelsR Hdb. HGB HK h.L. hM HOAI HRefG HRegGebV

HRR Hrsg. Hs./Hs HSG HV HVR HVuHM HWK ICC

Heimarbeitsgesetz Hessisches Ausführungsgesetz Hanseatische Gerichtszeitschrift Handelsrecht Handbuch Handelsgesetzbuch Handelskammer herrschende Lehre herrschende Meinung Honorarordnung für Architekten und Ingenieure in der Bekanntmachung vom 4.3.1991 Handelsrechtsreformgesetz vom 22.6.1998 Verordnung über Gebühren in Handels, Partnerschafts- und Genossenschaftsregistersachen (Handelsregistergebührenverordnung) Höchstrichterliche Rechtsprechung Herausgeber Halbsatz Hochschulgesetz Handelsvertreter Humanitäres Völkerrecht Der Handelsvertreter und Handelsmarker Handwerkskammer

i.S.d. i.V.m. IZPR

Intergovernmental Copyright Committee, International Chamber of Commerce in der Regel im Ergebnis Internationales Handelsrecht insbesondere Industrie- und Handelskammer Insolvenzordnung vom 5.10.1994 Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts Die Deutsche Rechtsprechung auf dem Gebiet des internationalen Privatrechts im Sinne des in Verbindung mit Das Internationale Zivilprozess

JA JMBl. JR JRPV JURA JuS JW JZ

Juristische Arbeitsblätter Justizministerialblatt Juristische Rundschau Juristische Rundschau für Privatversicherung Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung

Kart KFR Kfz KG

Kartell Kommentierte Finanzrechtsprechung Kraftfahrzeug 1. Kammergericht 2. Kommanditgesellschaft Kommanditgesellschaft auf Aktien Jahrbuch für Entscheidungen des Kammergerichts in Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit und Kosten-, Stempel- und Strafsachen

i.d.R. i. E. IHR insbes. Ind.- u. Handelsk. InsO IPRax IPRsp.

KGaA KGJ

XII

Abkürzungsverzeichnis KO KOM Königl. KostG krit. KSchG KTS KWG

LAG LG lit. LM LS

1. Kassenordnung 2. Konkursordnung Kommissionsdokumente Königlich Kostengesetz kritisch Kündigungsschutzgesetz in der Bekanntmachung vom 25.8.1969 Konkurs-, Treuhand- und Schiedsgerichtswesen Kommunalwahlgesetz Kreditwesengesetz

LVA LZ

Landesarbeitsgericht Landgericht litera Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofes, hrsg. v. Lindemaier Landessatzung Leitsatz Landesversicherungsanstalt Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht

m. m. Bespr. mglw. MitbestG MittRhNotK MittBayNot mN MuW mwN

mit mit Besprechung möglicherweise Mitbestimmungsgesetz vom 4.5.1976 Mitteilungen Rheinische Notar-Kammer Mitteilungen des Bayerischen Notarvereins mit Nachweisen Markenschutz und Wettbewerb mit weiteren Nachweisen

NdsRpfl. n.F. NJOZ NJW NJW-RR NotBZ Nr. NRW NZA NZA-RR

Niedersächsische Rechtspflege neue Fassung Neue Juristische Online Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift, Rechtssprechungsreport Zeitschrift für die notarielle Beurkundungspraxis Nummer Nordrhein-Westfalen Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht, Rechtsprechungsreport Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht

NZG NZM österr. (ö)OGH OGHZ OHG OLG OLGR OWiG

Österreichisches Oberster Gerichtshof (Österreich) Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs für die Britische Zone in Zivilsachen Offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht OLG-Report: Zivilrechtsprechung der Oberlandesgerichte Ordnungswidrigkeitengesetz

ParGG PflegeVG

Partnerschaftsgesellschaftsgesetz Pflege-Versicherungsgesetz

XIII

Abkürzungsverzeichnis ppa. ProdHaftG

per procura (in Vollmacht) Produkthaftungsgesetz

RabelsZ RAG RAG ARS

RKS RL Rpfleger Rn ROHG ROHGE Rs. RuS Rz

Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Reichsarbeitsgericht Reichsarbeitsgericht, Arbeitsrechts-Sammlung (Entscheidungen des Reichsarbeitsgerichts und des Reichsehrengerichts, der Landesarbeitsgerichte, Arbeitsgerichte und Ehrengerichte, 1928 ff.) Rechtsberatungsgesetz Recht der Arbeit Randnummer Rundschau Das Recht der Wirtschaft Regierungsentwurf Reichgericht Reichsgesetz Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Recht der Internationalen Wirtschaft Entscheidungen in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit und des Grundbuchrechts, zusammengestellt im Reichsjustizamt Rechtsprechung kaufmännischer Schiedsgerichte Richtlinie Rechtspfleger Randnummer Reichsoberhandelsgericht Entscheidungen des Reichsoberhandelsgerichts Rechtssache Recht und Schaden Randziffer

s. S. s.a. SAE Sächs. ScheckG Sg SGB Slg. sog. st. std. Rspr. StGB s.u.

siehe Seite siehe auch Sammlung arbeitsgerichtlicher Entscheidungen Sächsisch Scheckgesetz vom 14.8.1933 Sozialgericht Sozialgesetzbuch Sammlung sogenannte ständige ständige Rechtsprechung Strafgesetzbuch siehe unten

TB-Merkmale TranspR TVG Tz TzBfG

Tatbestandsmerkmale Transportrecht Tarifvertragsgesetz Teilziffer Teilzeit- und Befristungsgesetz

u.a. u.ä. UmwG

unter anderem und ähnliches Umwandlungsgesetz

RBerG RdA Rdn Rdsch. RdW RegE RG RGSt RGZ RIW RJA

XIV

Abkürzungsverzeichnis Urt. u. U.

Urteil unter Umständen

v. VAG

von/vom Versicherungsaufsichtsgesetz in der Bekanntmachung vom 17.12.1992 Veröffentlichungen des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen Versicherungsvermittlung Die Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vereinbarungen Vertriebsrecht Bundesverband der Geschäftsstellenleiter und Assekuranz Vergleiche von Hundert Vorauflage Verkehrsrechts-Sammlung Gesetz über den Versicherungsvertrag Versicherungswirtschaft

VerBAV VersVerm Vertikal-GVO VertriebsR VGA Vgl. v.H. Voraufl. VRS VVG VW WarnRprs

WechselG WG

WM

WRP WuW WuW-E WVK Z z.B. ZBH ZBR ZEuP ZfA ZfLR ZfV ZGR ZHR ZPO ZR ZS ZSR z.T. zust. zutr.

1. Rechtsprechung des Reichsgerichts auf dem Gebiete des Zivilrechts, soweit sie nicht in der amtlichen Sammlung der Entscheidungen des RG abgedruckt ist, hrsg. v. Warnmeyer 2. Sammlung zivilrechtlicher Entscheidungen des Reichsgerichts hrsg. von Buchwald (Begründet von Warnmeyer) Wechselgesetz 1. Wassergesetz 2. Wechselgesetz 3. Wohnwirtschaftliche Gesetzgebung 1. Wertpapier Mitteilungen, Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht 2. Wohnwirtschaft und Mietrecht Wettbewerb in Recht und Praxis Wirtschaft und Wettbewerb Wirtschaft und Wettbewerb, Entscheidungen zum Kartellrecht Wiener Vertragsrechtskonvention (in Zusammenhängen) Zeitschrift, Zeitung, Zentralblatt zum Beispiel Zentralblatt für Handelsrecht Zeitschrift für Beamtenrecht Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für Immobilienrecht Zeitschrift für Versicherungswesen Zeitschrift für Verwaltung Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht Zivilprozessordnung Zivilrecht Zivilsenat 1. Zeitschrift für Schweizerisches Recht 2. Zeitschrift für Sozialrecht zum Teil zustimmend zutreffend

XV

Abkürzungsverzeichnis ZVersWiss ZVglRWi(ss) zwh.

XVI

Zeitschrift für Versicherungswissenschaft Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft zweifelhaft

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur zu Staub, Handelsgesetzbuch Großkommentar Abkürzungen der 5. Aufl Stand: Juni 2008 Soweit andere als im nachfolgenden Verzeichnis angegebene Auflagen zitiert werden, sind diese mit einer hochgestellten Ziffer gekennzeichnet. AnwK-ArbR/Bearbeiter APS/Bearbeiter ArbR/Bearbeiter AR-Blattei SD

AR-Blattei ES

Assmann/Schütze/Bearbeiter

Bauer/Diller Wettbewerbsverbote Baumbach/Hefermehl/Casper WechselG u. ScheckG Baumbach/Hueck/Bearbeiter GmbHG Baumbach/Hopt Baumbach/Bearbeiter ZPO BeckRS Blomeyer/Otto

Bohnert OWiG Boos/Fischer/Schulte-Mattler/ Bearbeiter KWG

Hümmerich/Boecken/Düwell (Hrsg.), AnwaltKommentar Arbeitsrecht, 2 Bände, Bonn 2008 Ascheid/Preis/Schmidt (Hrsg.), Großkommentar zum Kündigungsrecht, München, 3. Aufl. 2007 Goebel, Frank-Michael, PraxisAusbildung Arbeitsrecht, Bonn, 1. Aufl. 2005 Schwab/Neef/Dieterich (Hrsg.), Arbeitsrecht-Blattei Systematische Darstellungen, Heidelberg, 71. Aufl. 2007 (Loseblatt) zitiert: Bearbeiter AR-Blattei SD v. Dieterich/Neef/Schwab (Hrsg.), Arbeitsrecht-Blattei Entscheidungssammlung, Heidelberg, 19. Aufl. 2006 zitiert: Bearbeiter AR-Blattei ES Assmann/Schütze (Hrsg.), Handbuch des Kapitalanlegerechts, München, 3. Aufl. 2007 Bauer/Diller, Wettbewerbsverbote, München, 4. Aufl. 2006 Baumbach/Hefermehl/Casper, Wechselgesetz, Scheckgesetz, Recht der kartengestützten Zahlungen: WG, ScheckG, Kartengestützte Zahlungen, München, 23. Aufl. 2008 Baumbach/Hueck, GmbH-Gesetz, München, 18. Aufl. 2006 Baumbach/Hopt, Handelsgesetzbuch, München, 33. Aufl. 2008 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung: ZPO, München, 66. Aufl. 2008 Beck Rechtsprechung Blomeyer/Rolfs/Otto, Betriebsrentengesetz, Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Alterversorgung, Kommentar, München, 4. Aufl. 2006 Bohnert, OWiG, Kommentar zum Ordnungswidrigkeitenrecht, München, 2. Aufl. 2007 Boos/Fischer/Schulte-Mattler (Hrsg.), Kreditwesengesetz: KWG, München, 2. Aufl. 2004

XVII

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur Braun, InsO

Bruck/Möller

v. Brunn Händlerverträge Bürgers/Körber/Bearbeiter AktG

Canaris Handelsrecht Canaris Vertrauenshaftung Claussen/Bearbeiter Däubler/Bearbeiter TVG Detzer/Ullrich DKK/Bearbeiter BetrVG

DLW/Bearbeiter Düringer/Hachenburg

Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/ Bearbeiter

Eberstein Ehrenbergs Hdb Ensthaler

ErfK/Bearbeiter Erman/Bearbeiter

Flume I/1 Flume I/2 Flume II FK-InsO/Bearbeiter

XVIII

Braun (Hrsg.), Insolvenzordnung: InsO, München, 3. Aufl. 2007 zitiert: Bearbeiter in: Braun, InsO Möller, Hans/Sieg, Karl/Johannsen, Ralf (Hrsg.), Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz und Allgemeine Versicherungsbedingungen unter Einschluss des Versicherungsvermittlerrechts, Berlin, 8. Aufl. 1970 ff Brunn, Johann Heinrich von, Die Händlerverträge der Kraftfahrzeug-Wirtschaft, Frankfurt am Main 1949 Bürgers/Körber (Hrsg.), Heidelberger Kommentar zum Aktiengesetz, Heidelberg, 2008 Canaris, Claus-Wilhelm, Handelsrecht, München, 24. Aufl. 2006, Canaris, Claus-Wilhelm, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, München 1971 Claussen, Bank- und Börsenrecht, 4. Aufl. 2008 Däubler (Hrsg.), Tarifvertragsgesetz mit Arbeitnehmer-Entsendegesetz, Kommentar, Baden-Baden, 2. Aufl. 2006 Detzer/Ullrich, Gestaltung von Verträgen mit ausländischen Handelsvertretern und Vertragshändlern, 2000 Däubler/Kittner/Klebe (Hrsg.), Betriebsverfassungsgesetz mit Wahlordnung und EBR-Gesetz, Frankfurt am Main, 10. Aufl. 2006 Dörner/Luczak/Wildschütz (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts Arbeitsrecht, Neuwied, 6. Aufl. 2007 Düringer, Adelbert/Hachenburg, Max, Das Handelsgesetzbuch vom 10. Mai 1897 (unter Ausschluss d. Seerechts) auf d. Grundlage d. Bürgerl. Gesetzbuchs, Mannheim 1935 Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn (Hrsg.), Handelsgesetzbuch: HGB, Band 1 §§ 1–342e, 2. Aufl., München 2008, Band 2 §§ 343–475h, München, 1. Aufl. 2001 zitiert: Ebenroth/Bearbeiter Eberstein, Hans Hermann, Der Handelsvertreter-Vertrag, Frankfurt am Main, 9. Aufl. 2006 Ehrenbergs Handbuch des gesamten Handelsrechts, 5. Band, I. Abteilung, 1. Hälfte, 1. Lieferung, 1926 Ensthaler (Hrsg.), Gemeinschaftskommentar zum Handelsgesetzbuch: HGB, Neuwied, 7. Aufl. 2007 zitiert: Bearbeiter in: Ensthaler Müller-Glöge/Preis/Schmidt (Hrsg.), Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, München, 8. Aufl. 2008 Erman, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, Köln, 12. Aufl. 2008 Flume, Werner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 1. Band, 1. Teil: Die Personengesellschaft, 1977 Flume, Werner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 1. Band, 2. Teil: Die juristische Person, 1983 Flume, Werner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2. Band: Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl., 1992 Wimmer (Hrsg.), Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, München, 4. Aufl. 2006

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht/Bearbeiter

Jaeger, u.a. (Hrsg.), Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, 65. Lieferung Juni 2008 (Loseblatt)

Gagel/Bearbeiter SGB III

Gagel u.a., Sozialgesetzbuch III – Arbeitsförderung: SGB III, München, 31. Lieferung Jan 2008 (Loseblatt) Geimer/Schütze (Hrsg.), Europäisches Zivilverfahrensrecht, Kommentar, München, 2. Aufl. 2004 Genzow, F. Christian, Der Vertragshändlervertrag, Köln 1996 Germelmann / Matthes / Prütting / Müller-Glöge, Arbeitsgerichtsgesetz: ArbGG, Kommentar, München, 6. Aufl. 2008 Lutz, Protokolle der Kommission zur Berathung eines allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuches 1858 ff Giesler/Nauschütt (Hrsg.), Franchiserecht, Handbuch, Neuwied, 2. Aufl. 2007 v. Gierke/Sandrock, Handels- und Wirtschaftsrecht, Berlin, 9. Aufl. 1975 Kraft/Wiese/Kreutz/Oetker/Raab/Weber/Franzen, Gemeinschaftskommentar zum Betriebsverfassungsgesetz, 2 Bände, Band 1: §§ 1–73b mit Wahlordnungen, Band 2: §§ 74–132, Neuwied, 8. Aufl. 2005 zitiert: Bearbeiter GK-BetrVG Großkommentar Staub zum HGB, Berlin, 1.–14. Aufl. 1893–1940 (alte Zählung) Hopt/Wiedemann (Hrsg.), Aktiengesetz Großkommentar, Berlin, 4. Aufl. 1987 ff Staub, Hermann, Handelsgesetzbuch: Großkommentar, Berlin, 4. Aufl. 1995–2005 Grüll/Janert, Die Konkurrenzklausel, Heidelberg, 5. Aufl. 1993

Geimer/Schütze Genzow Germelmann/Bearbeiter ArbGG Gesetzgebungsmaterialien zum ADHGB Giesler/Nauschütt/Bearbeiter v. Gierke/Sandrock Handelsund Wirtschaftsrecht GK-BetrVG

GK/Bearbeiter HGB Großkommentar AktG/Bearbeiter Großkomm/Bearbeiter Grüll/Janert Die Konkurrenzklausel Habersack Hahn ADHGB

Hanau/Steinmeyer/Wank Handbuch des Außendienstrechts I

Hachenburg/Bearbeiter GmbHG

Heidel/Bearbeiter AktienR

Heymann/Bearbeiter Hess/Binz/Wienberg Gesamtvollstreckungsordnung Hess/Weis/Wienberg InsO

HK-HGB

Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, 3. Aufl., 2006 von Hahn, Friedrich, Das Handelsgesetzbuch vom 10. Mai 1897 (mit Ausschluss des Seerechts) auf der Grundlage des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Braunschweig, 4. Aufl. 1894 Hanau/Steinmeyer/Wank, Handbuch des europäischen Arbeits- und Sozialrechts, München 2002 Küstner/Thume, Handbuch des gesamten Außendienstrechts, Band I: Das Recht des Handelsvertreters. Ohne Ausgleichsrecht, Heidelberg, 3. Aufl. 2000 Ulmer (Hrsg.), Hachenburg, GmbHG – Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Kommentar, 3 Bände, Berlin, 8. Aufl. 1992/1997 Heidel (Hrsg.), Aktienrecht, Gesellschaftsrecht, Kapitalmarktrecht, Steuerrecht, Europarecht, Kommentar, BadenBaden, 2. Aufl. 2007 Horn (Hrsg.), Heymann, Handelsgesetzbuch (ohne Seerecht), Kommentar, 4 Bände, Berlin, 2. Aufl. 1995 ff Hess/Binz/Wienberg, Gesamtvollstreckungsordnung, Neuwied, 4. Aufl. 1998 Hess/Weis/Wienberg (Hrsg.), Insolvenzordnung, Heidelberg, 2. Aufl. 2001 zitiert: Bearbeiter in: Hess/Weis/Wienberg InsO Glanegger/Kirnberger/Kusterer u.a., Heidelberger Kommentar zum Handelsgesetzbuch, Heidelberg, 7. Aufl. 2007 zitiert: Bearbeiter HK-HGB

XIX

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur Hopt/Mössle/Schmitt Handelsrecht HSWG/Bearbeiter BetrVG

Hübbe/Bearbeiter

Hueck/Canaris Recht der Wertpapiere Hueck/Nipperdey Arbeitsrecht Hüffer AktG HWK/Bearbeiter

Hopt/Mössle/Schmitt, Handelsrecht, München, 2. Aufl. 1999 Hess/Schlochauer/Worzalla/Glock/Nicolai (Hrsg.), Kommentar zum Betriebsverfassungsgesetz, Neuwied, 7. Aufl. 2008 Hübbe, John G. (Hrsg.), Vorschläge zur Neugestaltung des Handelsmaklerrechts, insbesondere des Rechts des Außenhandelsmaklers, Hamburg 1941 Hueck/Canaris, Recht der Wertpapiere, München, 12. Aufl. 1986 Hueck, Alfred, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Band 2: Kollektives Arbeitsrecht, Berlin, 7. Aufl. 1967/1970 Hüffer, Aktiengesetz, München, 8. Aufl. 2008 Henssler/Willemsen/Kalb (Hrsg.), Arbeitsrecht Kommentar, Köln, 3. Aufl. 2008

Immenga/Mestmäcker/Bearbeiter

Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht, Band 2: GWB, Kommentar zum Deutschen Kartellrecht, München, 4. Aufl. 2007

Kallmeyer/Bearbeiter Knieper/Jahrmarkt

Kallmeyer u.a., Umwandlungsgesetz, Köln, 3. Aufl. 2006 Knieper, Rolf/Jahrmarkt, Manfred, Zweigniederlassung, Zweigbüro, Filiale, Nebenbetrieb: rechtliche Regelungen, steuerliche Besonderheiten, betriebswirtschaftliche Überlegungen, Berlin 1972 Köhler, Helmut, BGB Allgemeiner Teil, München, 31. Aufl. 2007 Hefermehl/Köhler/Bornkamm, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, Kommentar, München, 26. Aufl. 2008 Koller/Roth/Morck, Handelsgesetzbuch: HGB, München, 6. Aufl. 2007 Kölner Kommentar zum Aktiengesetz,, Köln, 2. Aufl. 1988 ff (herausgegeben von Zöllner); 3. Aufl. 2004 ff (herausgegeben von Zöllner/Noack) Senge (Hrsg.), Karlsruher Kommentar zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten: OWiG, München, 3. Aufl. 2006 Etzel/Bader/Fischermeier, u.a., Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzrecht und zu sonstigen kündigungsrechtlichen Vorschriften, Neuwied, 8. Aufl. 2007 Küstner/Thume, Handelsvertreterverträge, Frankfurt am Main 2006 Küstner/Thume, Handbuch des gesamten Außendienstrechts, Band 3: Vertriebsrecht. Reisende, Vertragshändler, Kommissionsagenten, Versicherungsmakler, Franchising und Direktvertrieb, Heidelberg, 2. Aufl. 1998 Küstner, Thume (Hrsg.), Handbuch des gesamten Außendienstrechts, Band 1: Das Recht des Handelsvertreters. Ohne Ausgleichsrecht, Heidelberg, 3. Aufl. 2000 Küstner, Thume (Hrsg.), Handbuch des gesamten Außendienstrechts, Band 2: Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters. Warenvertreter, Versicherungs- und Bausparkassenvertreter, Heidelberg, 8. Aufl. 2008 Kuhn/Uhlenbruck, Konkursordnung, 11. Aufl. 1994

Köhler BGB, Allgemeiner Teil Köhler/Bearbeiter UWG Koller/Roth/Morck/Bearbeiter KölnKomm-AktG/Bearbeiter

KK-OWiG/Bearbeiter KR/Bearbeiter

Küstner/Thume Küstner/Thume Außendienstrecht

Küstner/Thume I

Küstner/Thume II

Kuhn/Uhlenbruck KO Langen/Bunte/Bearbeiter

XX

Langen/Bunte (Hrsg.), Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, München, 2 Bände, 10. Aufl. 2006

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/ Bearbeiter Lohmüller/Beustien/Josten Löwisch/Rieble TVG Lutter/Bearbeiter UmwG Lutter/Hommelhoff GmbHG

Martinek Franchising Martinek/Bearbeiter Maus/Bearbeiter HAG Michalski Michalski/Bearbeiter GmbHG

MünchArbR/Bearbeiter Bd. I

MünchArbR/Bearbeiter Bd. II

MünchGesR/Bearbeiter Bd. I

MünchGesR/Bearbeiter Bd. II MünchKommAktG2/3/Bearbeiter

MünchKommBGB/Bearbeiter MünchKommHGB/Bearbeiter MünchKomm-InsO/Bearbeiter MükoZPO/Bearbeiter Musielak/Bearbeiter

Loewenheim/Meessen/Riesenkampff (Hrsg.), Kartellrecht, 2 Bände, München, 1. Aufl. 2005 f. Lohmüller u.a., Handels- und Versicherungsvertreterrecht, 2. Aufl. 1970/71, Loseblatt Ausgabe Löwisch/Rieble, Tarifvertragsgesetz, Kommentar, München, 2. Aufl. 2004 Lutter/Winter (Hrsg.), Umwandlungsgesetz, 2 Bände, Köln, 3. Aufl. 2004 Lutter/Hommelhoff u.a., GmbH-Gesetz, Köln, 16. Aufl. 2004 Martinek, Michael, Franchising, Heidelberg 1987 Martinek, Michael (Hrsg.), Handbuch des Vertriebsrechts, München, 3. Aufl. 2008 Schmidt / Koberski / Tiemann / Wascher, Heimarbeitsgesetz, Kommentar, München, 4. Aufl. 1998 Michalski, OHG-Recht, Kommentar, 2000 Michalski (Hrsg.), Kommentar zum Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH-Gesetz), 2 Bände, München, 2002 Richardi/Wlotzke (Hrsg.), Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Band 1: Individualarbeitsrecht I, München, 2. Aufl. 2000 Richardi/Wlotzke (Hrsg.), Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Band 2: Individualarbeitsrecht II, München, 2. Aufl. 2000 Gummert/Riegger/Weipert (Hrsg.), Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 1: BGB-Gesellschaft, OHG, Partnerschaftsgesellschaft, Partenreederei, EWIV, 2. Aufl. 2004 Riegger/Weipert (Hrsg.), Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band II: KG, GmbH & Co. KG, PublikumsKG, Stille Gesellschaft, 2. Aufl. 2001 Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, Band I, II §§ 1–117, 3. Aufl., München 2008, Band 3–9/2, München, 2. Aufl. 2000 ff Rebmann/Säcker/Rixecker (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, München, 5. Aufl. 2005 ff Schmidt, Karsten (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Handelsgesetzbuch: HGB, München, 2. Aufl. 2005 ff Kirchhof/Lwowski/Stürner (Hrsg.), Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, 3 Bände, München, 2. Aufl. 2007 f Rauscher/Wenzel (Hrsg.), Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung, 3 Bände, München, 3. Aufl. 2007 f Musielak (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung: ZPO, München, 6. Aufl. 2008

Nagel/Gottwald IZPR

Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht, Handbuch, Köln, 6. Aufl. 2007

Palandt/Bearbeiter

Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch: BGB, München, 67. Aufl. 2008 Preis (Hrsg.), Der Arbeitsvertrag, Handbuch der Vertragspraxis und -gestaltung, Köln, 2. Aufl. 2005 Prölss, Versicherungsaufsichtsgesetz: VAG, München, 2005

Preis/Bearbeiter Arbeitsvertrag Prölss/Bearbeiter VAG

XXI

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur Prölss/Martin/Bearbeiter VVG PWW/Bearbeiter

Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz: VVG, München, 27. Aufl. 2004 Prütting/Wegen/Weinrich (Hrsg.), BGB Kommentar, Köln, 3. Aufl. 2008

Reithmann/Martiny/Bearbeiter

Reithmann/Martiny (Hrsg.), Internationales Vertragsrecht, Köln, 6. Aufl. 2004 RGRK-BGB/Bearbeiter Das Bürgerliche Gesetzbuch mit besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofes, Berlin, 12. Aufl. 1975–1999 RGRK-HGB/Bearbeiter Kommentar zum Handelsgesetzbuch, Berlin, 1. Aufl. 1939 ff Richardi Wertpapierrecht Richardi, Reinhard, Wertpapierrecht, Heidelberg 1987 Ritter HGB Ritter, Kommentar zum HGB, 2. Aufl. 1932 Röhricht/Graf v. Westphalen/Bearbeiter Röhricht/Westphalen (Hrsg.), Handelsgesetzbuch: HGB, Kommentar zu Handelsstand, Handelsgesellschaften, Handelsgeschäften und besonderen Handelsverträgen (ohne Bilanz-, Transport- und Seerecht), Köln 2. Aufl. 2001 Roth/Altmeppen GmbHG Roth/Altmeppen, Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung: GmbHG, Kommentar, München, 5. Aufl. 2005 Rowedder/Schmidt-Leithoff/ Rowedder/Schmidt-Leithoff (Hrsg.), Gesetz betreffend die Bearbeiter GmbHG Gesellschaften mit beschränkter Haftung: GmbHG, München, 4. Aufl. 2002 Schaub/Bearbeiter ArbR-Hdb Schleusener/Suckow/Voigt/Bearbeiter Schlegelberger/Bearbeiter Schleßmann K. Schmidt Gesellschaftsrecht K. Schmidt Handelsrecht Schmidt-Rimpler

Scholz/Bearbeiter GmbHG Schönke/Schröder/Bearbeiter StGB Schubert/Schmiedel/Krampe

Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau Schüren/Bearbeiter AÜG3 (bzw. SchürenAÜG, wenn Schüren selbst Bearbeiter)

XXII

Schaub u.a., Arbeitsrechts-Handbuch, München, 12. Aufl. 2007 Schleusener/Suckow/Voigt (Hrsg.), Kommentar zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, München 2007 Schlegelberger/Geßler, Handelsgesetzbuch Kommentar, München, 5. Aufl. 1973 Schleßmann, Das Arbeitszeugnis, Frankfurt am Main, 18. Aufl. 2007 Schmidt, Karsten, Gesellschaftsrecht, Köln, 4. Aufl. 2002 Schmidt, Karsten, Handelsrecht, Köln, 5. Aufl. 1999 Schmidt-Rimpler, Walter, Die Gegenseitigkeit bei einseitig bedingten Verträgen, insbesondere beim Versicherungsvertrag, Stuttgart 1968 Oder: Schmidt-Rimpler, Walter, Die Geschichte des Kommissionsgeschäfts in Deutschland, Bd. 1., Die Zeit bis zum Ende des 15. Jahrhunderts, 1915 Scholz (Hrsg.), Kommentar zum GmbHG, 3 Bände, Köln, Band 1 und 2: 10. Aufl. 2006/2007; Band 3: 10. Aufl. 2008 Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch: StGB, Kommentar, München, 27. Aufl. 2006 Schubert, Werner/Schmiedel, Burkhard/Krampe, Christoph (Hrsg.), Quellen zum Handelsgesetzbuch von 1897, Frankfurt am Main 1988 Zitiert: Schubert/Schmiedel/Krampe Bd./Seitenzahl Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau, Der Vertragshändlervertrag, Frankfurt am Main, 4. Aufl. 2008 Zitiert: Bearbeiter in: Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau Schüren (Hrsg.), Arbeitnehmerüberlassungsgesetz: AÜG, Kommentar, München, 3. Aufl. 2007

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur Schwark/Bearbeiter Soergel/Bearbeiter

Spindler/Stilz/Bearbeiter AktG Staub/Bearbeiter Staub ADHGB Staudinger/Bearbeiter

Staudinger/Bearbeiter (Erscheinungsjahr) Stolterfoht Straatmann/Timmermann Straatmann/Ulmer Straube/Bearbeiter Stumpf/Jaletzke/Schultze/Bearbeiter Stüsser

Thomas/Putzo/Bearbeiter Trinkhaus

Tschöpe/Bearbeiter Arbeitsrecht

Uhlenbruck/Bearbeiter Ulmer Ulmer/Habersack Ulmer/Habersack/Winter/ Bearbeiter GmbHG Ulmer/Brandner/Hensen/ Bearbeiter AGB-Recht Westphal Vertriebsrecht I Westphal Vertriebsrecht II Westermann/Bearbeiter Wiedemann/Bearbeiter TVG

Schwark, Eberhard (Hrsg.), Kapitalmarktrechts-Kommentar, München, 3. Aufl. 2004 Soergel/Siebert (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, 8 Bände, Stuttgart, 13. Aufl. 2001 ff. Spindler/Stilz (Hrsg.), Aktiengesetz, Kommentar, 2 Bände, München, 2007 s. Großkomm Staub, Hermann: Kommentar zum Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch, Berlin, 5. Aufl. 1897 J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, 13. Bearbeitung, Berlin 1993 ff J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, (Erscheinungsjahr des Bandes) Stolterfoht, Joachim N., Handelsrecht, Berlin 1973 Straatmann / Timmermann, Rechtsprechung kaufmännischer Schiedsgerichte (RKS), 1984 ff Straatmann/Ulmer, Handelsrechtliche Schiedsgerichts-Praxis (HSG), 1975 ff Straube, Kommentar zum HGB, Band 1: 3. Aufl. 2003, Band 2: 2. Aufl., 2000 Stumpf/Jaletzke/Schultze, Der Vertragshändlervertrag, Heidelberg, 3. Aufl. 1997 Stüsser, Rolf, Die Anfechtung der Vollmacht nach Bürgerlichem Recht und Handelsrecht, Berlin 1986 Thomas/Putzo, Zivilprozessordnung: ZPO, München, 28. Aufl. 2007 Trinkhaus, Hans, Handbuch der Versicherungsvermittlung, Bd. 1., Provision und Abfindung der Versicherungsvermittler, Berlin 1955 Tschöpe (Hrsg.), Anwaltshandbuch Arbeitsrecht, Köln, 5. Aufl. 2007 Uhlenbruck (Hrsg.), Insolvenzordnung: InsO, Kommentar, München, 12. Aufl. 2003 Ulmer, Peter, Gesellschaft bürgerlichen Rechts und Partnerschaftsgesellschaft, München, 4. Aufl. 2004 Ulmer / Habersack, Verbraucherkreditgesetz, München, 2. Aufl. 1995 Ulmer/Habersack/Winter (Hrsg.), GmbH-Gesetz, Kommentar, 3 Bände, Tübingen, 2005 ff Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht Kommentar, Köln, 10. Aufl. 2006 Westphal, Bernd, Vertriebsrecht, Band I: Handelsvertreter, Düsseldorf, 1. Aufl. 1998 Westphal, Bernd, Vertriebsrecht, Band II: Vertragshändler, Düsseldorf, 1. Aufl. 2000 Westermann/Wertenbruch (Hrsg.), Handbuch der Personengesellschaften, Loseblatt, Stand: Juni 2008 Wiedemann (Hrsg.), Tarifvertragsgesetz, Kommentar, München, 7. Aufl. 2007

XXIII

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur Wolf/Horn/Lindacher

Wolf/Horn/Lindacher (Hrsg.), AGB-Recht, Kommentar, München, 4. Aufl. 1999

Zöllner/Loritz/Hergenröder Arbeitsrecht Zöllner Wertpapierrecht

Zöllner / Loritz / Hergenröder, Arbeitsrecht, München, 6. Aufl. 2008 Zöllner, Wolfgang, Wertpapierrecht, München, 14. Aufl. 1987 Zöller, Richard, Zivilprozessordnung: ZPO, Kommentar, Köln, 26. Aufl. 2007

Zöller/Bearbeiter ZPO

XXIV

SIEBENTER ABSCHNITT Handelsvertreter Vorbemerkungen vor § 84 Schrifttum Dasjenige aus der Zeit vor der Novelle von 1953 ist größtenteils überholt; im Einzelnen siehe die Nachweisungen an dieser Stelle in der 3. Auflage. Grundlegend aber immer noch: Schmidt-Rimpler Das Recht des Handlungsagenten in Ehrenbergs Handbuch V, 1. Danach: Detzer/Ullrich Gestaltung von Verträgen mit ausländischen Handelsvertretern und Vertragshändlern (2000); Eberstein Der Handelsvertreter-Vertrag, 8. Aufl. (1999); Ensthaler/Funk/ Stopper Handbuch des Automobilvertriebsrechts (2003); Emde Die Handelsvertreter-GmbH (1994); Genzow Vertragshändlervertrag (1996); Giesler (Hrsg.) Praxishandbuch Vertriebsrecht (2005); Graf v. Westphalen Handbuch des Handelsvertreterrechts in EU-Staaten und der Schweiz (1995); Henschel/Beine/Buchwald Handbuch zum Recht des Handelsvertreters (1954); Hirsch Der gesetzlich fixierte „Typ“ als Gefahrenquelle der Rechtsanwendung, erläutert am Beispiel des „Handelsvertreters“ Festschrift Tiburtius (1964) 383; Hopt „Handelsvertreterrecht“, 3. Aufl. (2003); Josten/ Lohmüller/Beuster Handelsvertretergesetz, Kommentar 2. Aufl. (1970); Küstner/Thume Handbuch des gesamten Außendienstrechts, Band 1, 3. Aufl. (2000); dies Handbuch des gesamten Außendienstrechts, Band 2, 8. Aufl. (2008); Martinek/Semler/Habermeier Handbuch des Vertriebsrechts, 2. Aufl. (2003); Metzlaff (Hrsg.) Praxishandbuch Franchising (2003); Niebling, Jürgen Vertragshändlerrecht, 2. Aufl. (2003); Stumpf/Jaletzke/Schultze Der Vertragshändlervertrag, 3. Aufl. (1997); Westphal Vertriebsrecht, Band 1 Handelsvertreter (1998); ders Vertriebsrecht, Band 2 Vertragshändler (2000).

Übersicht Rn A. Der Befund . . . . . . . . . . . . . .

1–8

B. Die Genese des Handelsvertreterrechts

9–16

C. Innere Ordnung des Handelsvertreterrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Das auf Handelsvertreter anwendbare Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . I. HGB . . . . . . . . . . . . . . II. Handelsbräuche . . . . . . . . . III. BGB . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines Schuldrecht . . 2. Wegfall der Geschäftsgrundlage . . . . . . . . . . . . . 3. 305 ff BGB – Allgemeine Geschäftsbedingungen . . . . . a) Unwirksame Klauseln . . b) Wirksame Klauseln . . .

17 18–264 18 19 20–82 22–23 24–26 27–34 33 34

Raimond Emde

Rn 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20.

§§ 478, 479 BGB §§ 611 ff, 675 ff § 611 BGB . . . § 611a/b BGB . . § 612 BGB . . . § 612a . . . . . § 613 . . . . . . § 613a BGB . . . § 614 BGB . . . § 615 BGB . . . § 616 BGB . . . § 617 BGB . . . § 618 BGB . . . § 619a BGB . . . § 620–622 BGB § 623 BGB . . . § 624 BGB . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . .

35 36 37 38 39 40 41–52 53 54 55–58 59 60 61 62 63 64 65

1

Vor § 84

1. Buch. Handelsstand Rn

21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36.

§ 625 BGB . . . . . §§ 626, 627 BGB . . § 628 BGB . . . . . § 629 BGB . . . . . § 630 BGB . . . . . § 675 BGB . . . . . §§ 675, 663 . . . . . § 675, 665 BGB . . . § 675, 666 BGB . . . § 675, 667 BGB . . . §§ 675, 668 BGB . . §§ 675, 669, 670 BGB §§ 675, 671 BGB . . §§ 675, 672, 673 BGB §§ 675, 674 BGB . . § 810 BGB . . . . .

. . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . .

66 67–68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82

IV. Kartellrecht . . . . . . . . . . . 83–264 1. Europäisches Kartellrecht . 83–235 a) Einleitung . . . . . . . . 85–87 b) Häufige Formen wettbewerbsbeschränkender Abreden in Vertriebsverträgen . . . . . . . . 88 c) Verbot wettbewerbsbeschränkender Abreden nach Art. 81 EG . . . . . 89–99 aa) Grundlagen . . . . . 89 bb) Art. 81 Abs. 3 EG . 90–99 (1) Einleitung . . . . . 90–93 (2) Fallgruppen . . . . . 94–99 (a) Verbesserung der Warenerzeugung . . 94 (b) Verbesserung der Warenverteilung . . 95 (c) Förderung des technischen Fortschritts . 96 (d) Förderung des wirtschaftlichen Fortschritts . . . . . . . 97 (e) Unerlässlichkeit der wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweisen . . . . . . . 98 (f) Gewinnbeteiligung der Verbraucher . . 99 d) Zwischenstaatlichkeitsklausel . . . . . . . . . . 100–108 aa) Spürbarkeit der Wettbewerbsklausel . . . 103 bb) Prüfungsreihenfolge 104–108 e) Selektive Vertriebssysteme und Art. 81 EG . . . . . 109–112 f) Freistellung nach den kartellrechtlichen Gruppenfreistellungsverordnungen 113–229 aa) Die GVO 2790/99 . 113–151 (1) Erwägungsgründe zur GVO . . . . . . 119–120 (2) Art. 1 GVO . . . . . 121–122 (3) Art. 2 GVO . . . . . 123–128

2

Raimond Emde

Rn (4) (5) (6) (7) (8) (9) bb) (1) (2) (3) (4) (5) (6)

Art. 3 GVO . . . . . 129–130 Art. 4 GVO . . . . . 131–139 Art. 5 GVO . . . . . 140–148 Art. 6 GVO . . . . . 149 Art. 7/8 GVO . . . . 150 Art. 9–13 GVO . . . 151 Kfz-GVO 1400/2002 152–184 Einleitung . . . . . 152–160 Art. 1 Kfz-GVO . . 161 Art. 2 Kfz-GVO . . 162 Art. 3 Kfz-GVO . . 163–171 Art. 4 Kfz-GVO . . 172–173 Art. 4 Abs. 1 KfzGVO. Kernbeschränkungen sind im Einzelnen: . . . . . . . 174–175 (7) Art. 4 Abs. 2 KfzGVO . . . . . . . . 176–177 (8) Art. 5 Kfz-GVO . . 178–181 (9) Art. 6 bis 12 Kfz-GVO Schlichtungsverfahren? 182 (10) Art. 6–12 Kfz-GVO 183 (11) Art. 9 Kfz-GVO . . 184 cc) Handelsvertreter-Kartellrecht . . . . . . 185–229 (1) Historie des Handelsvertreter-Kartellrechts 185–192 (2) Die Leitlinien zur GVO 2790/99 . . . 193–229 (a) Echte Handelsvertreterverträge . . . . . 201–222 (aa) TB-Voraussetzungen eines echten Handelsvertretervertrages . . 201–220 (bb) Rechtsfolgen echter Handelsvertreterverträge . . . . . . 221–222 (b) Unechte Handelsvertreterverträge . . 223–228 (c) Zwischenergebnis . 229 g) Belieferungspflicht bei kartellrechtswidriger Lieferverweigerung? . . . 230–235 aa) Zulässigkeit einer Belieferungsklage . . . 230, 231 bb) Begründetheit einer Belieferungsklage . . 232–234 cc) Belieferungspflicht bei quantitativen Vertriebsbindungssystem . . . . . . . 235 2. Deutsches Kartellrecht . . . 236–264 a) Einleitung . . . . . . . . 236–237 b) Bagatellbekanntmachung 238 c) § 20 GWB . . . . . . . . 239–250 d) Zu § 20 Abs. 1 GWB . . 251–253 e) Zu § 20 Abs. 2 GWB . . 254–258 f) Rechtsfolgen des Verstoßes gegen das Behinderungsund Diskriminierungsverbot . . . . . . . . . . 259–262

Vor § 84

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter Rn g) Aufnahme als Vertragswerkstatt in das Werkstattnetz des Unternehmers . . 263–264 E. Wettbewerbsrecht . . . . . . . . . . . 265–269 I. Fehlende Wettbewerbswidrigkeit 266 II. Wettbewerbswidriges Verhalten . 267–268 III. Zurechnung . . . . . . . . . . . 269 F. Das Antidiskriminierungsgesetz (AGG) 270–272 G. Versicherungsrechtliche Repräsentanteneigenschaft . . . . . . . . . . . . . .

273

H. Wehr- und Ersatzdienst

. . . . . . . .

274

I. Beweislast . . . . . . . . . . . . . . .

275

J. Zwingendes Recht . . . . . . . . . . . 276–279 K. Spannungsverhältnis zwischen gesetzlichem Leitbild und rechtstatsächlicher Erscheinungsform . . . . . . . . . . .

O. Kommissionär und Kommissionsagent 280

L. Andere Formen von Absatzmittlern . . 281–293 I. Handelsvertreterähnliche Mittler 281 II. Handelsvertreterähnliche Einbindung in das Vertriebssystem des Unternehmers . . . . . . . . . . 282–291 III. Vertragliche Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes 292 IV. Beispiele . . . . . . . . . . . . . 293 M. Vertragshändler (Eigenhändler) . . . . I. Übereinstimmungen und Unterschiede in der Funktion . . . . . II. Vertragsschluss und anwendbares Recht . . . . . . . . . . . . . . III. Die Entlohnung des Vertragshändlers . . . . . . . . . . . . . IV. Preisanpassung – Anpassung des Händlerrabattes . . . . . . . . . V. Rückgaberecht für Lagerware nach Vertragsende . . . . . . . .

Rn VII. Leistungsinhalt . . . . . . . . . 1. Leistungspflichten des Franchisenehmers . . . . . . . . . 2. Leistungspflicht des Franchisegebers . . . . . . . . . . . . . a) Gleichbehandlungsgebot . b) Vertragliche Vereinbarung . c) Leistungsstörungen . . . . d) Nichtigkeit . . . . . . . . e) Aufklärungspflichten und Täuschung . . . . . . . . f) Teilhabe des Franchisenehmers an Einkaufsvorteilen des Franchisegebers . g) Franchisenetzwerkhaftung h) Vertragsende . . . . . . .

294–345 294–301 302–331 332 333–339 340–345

N. Franchiserecht . . . . . . . . . . . . . 346–377 I. Die unterschiedlichen Franchisesysteme . . . . . . . . . . . . . 348–349 II. Abgrenzung vom Unselbständigen 350–351 III. Rechtsnatur . . . . . . . . . . . 352 IV. Abschluss . . . . . . . . . . . . 353 V. Widerrufsrecht . . . . . . . . . 354 VI. Anwendbare Vorschriften . . . . 355

P. Handelsmakler

. . . . . . . . . . . .

Q. Gerichtliche Zuständigkeit und Auslegungsfragen . . . . . . . . . . . . . I. Erfüllungs- und Leistungsort sowie Gerichtsstand des Erfüllungsortes II. Erfüllungsort für die Pflichten des Vertriebsmittlers . . . . . . . . . III. Erfüllungsort für die Pflichten des Unternehmer . . . . . . . . . . IV. Einheitserfüllungsort nach Art. 5 Nr. 1 lit b. EuGVVO . . . . . . V. Einheitserfüllungsort und -gerichtsstand außerhalb des Anwendungsbereichs der EuGVVO? . . . . . VI. Gerichtsstandsklauseln . . . . .

356–377 356–357 358–377 359–360 361 362–364 365–367 368–373

374–375 376 377 378–379 380 381–418 381–383 384–387 388 389–397

398–410 411–418

R. Allgemeines zum gerichtlichen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . 419–432 I. Sachliche Zuständigkeit . . . . . 419 II. Schiedsfähigkeit . . . . . . . . . 420 III. Örtliche Zuständigkeit . . . . . 421 IV. Beweislast . . . . . . . . . . . . 422 V. Eilverfahren . . . . . . . . . . . 423 VI. Revisionsgerichtliche Überprüfung 424 VII. Feststellung der Unwirksamkeit einer Kündigung . . . . . . . . . 425 VIII. Internationale Vertriebsrechtsstreitigkeiten . . . . . . . . . . . 426–427 S. Verjährung

. . . . . . . . . . . . . . 428–432

A. Der Befund Die §§ 84 ff regeln seit Bestehen des heutigen HGB das Handelsvertreterrecht. Alle 1 wesentlichen Rechte und Pflichten des HV sind hier niedergelegt. Schließen die Vertragspartner keinen ins Einzelne gehenden Vertrag wird durch die §§ 84 ff ein gesetzestypischer „Mustervertrag“ formuliert. Gleichwohl ist Handelsvertreterrecht wie das gesamte deutsche Recht Fallrecht. Die Mär kodifizierten Rechts stammt aus der Zeit der Begriffsjurisprudenz. Die §§ 84 ff bleiben ausfüllungsbedürftig. Paradigma sind die §§ 89a, 89b, bei denen unbestimmte Rechtsbegriffe der Präzisierung durch Richterrecht harren. Weder

Raimond Emde

3

Vor § 84

1. Buch. Handelsstand

lassen sich § 89a wichtige Gründe zur Vertragskündigung entnehmen, noch regelt § 89b die Berechnungsgrundlagen des Ausgleichs in der erforderlichen Präzision. Der HV-Vertrag gehört zur Gruppe der Vermittlerverträge, zu denen die gesetzlich 2 kodifizierten Typen des Makler- und des Handelsvertretervertrages zählen. Gesetzlich nicht normiert sind etwa Vertragshändler-, Franchise-, Kommissionsagenten- und Vertriebslizenzverträge, deren vertriebsrechtliche Bestimmungen dem analog angewandten Handelsvertreterrecht unterstehen. § 84 spricht allgemein von der Vermittlung oder dem Abschluss von „Geschäften“. 3 Im Wirtschaftsleben überwiegt die Vermittlung im Warengeschäft, weshalb auch das Recht des Warenvertreters – und nur dieses – durch die EG-Richtlinie 1986 geregelt wurde. Rechtstatsächlich bedeutsam sind jedoch auch Vertreter als Vermittler anderer Wirtschaftsgüter, etwa von Versicherungen über Bausparverträge bis zu Patentlizenzen. Der Handelsvertreter ist der vorgeschobene Beobachtungsposten seines Auftraggebers. Seine Tätigkeit wird oft der von eigenen Mitarbeitern oder Niederlassungen des Unternehmers vorgezogen: Für Unternehmer ist es dann günstiger und rationeller, sich der Dienste eines selbständigen Mittlers zu versichern 1. Ihm schuldet der Unternehmer weder Urlaub oder Sozialabgaben, noch muss er die Kosten des Personals des Mittlers tragen. Der Mittler hat den Unternehmer über die Strömungen des Marktes, die Aufnahmefähigkeit desselben, das marktwirksame Auftreten neuer Technologien und die Reaktion der Kundschaft hierauf, die Liquidität der Kunden und ihre Wünsche informiert zu halten. Er ist Geschäftsmittler in einem erweitert zu denkenden Pflichtenkreis zur Förderung und Wahrung der Interessen dessen, für den er tätig wird und von dem er hierzu bestellt ist. Vor allem in der älteren Literatur wurde dem HGB-Gesetzgeber unterstellt, er habe 4 den Vertreter als eine Art Handelsgehilfen 2, nicht als selbständiger Kaufmann, skizziert 3. Von Brunn 4 sah den Handelsvertreter der Novelle 1953 als eine Art Zwitter zwischen Unternehmer und Angestelltem 5. Aber dieses Bild des Handelsvertreters entspricht nicht dem Gesetz. Denn das HGB 1897 sowie alle folgenden Novellierungen hatten die rechtliche Selbständigkeit des Handelsvertreters bewusst betont 6 und dem Vertreter einen Raum eigenständiger Organisationsautonomie und unternehmerischer Verantwortlichkeit zugewiesen, der die rechtliche Stellung des Handelsvertreters mit der des Handlungsgehilfen unvergleichbar macht. Bereits die Materialien zum HGB 1897 gingen mit Selbstverständlichkeit davon aus, dass es dem Vertreter als selbstständigem Kaufmann oblag, die äußeren Rahmenbedingungen seiner Tätigkeit, wie etwa die Herstellung einer einsatzfähigen, planmäßig gegliederten Geschäftsorganisation in Eigenverantwortung zu 1

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Mankowski in: Hopt/Tzouganatos, Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, 2006, 131 (132). AA mit klarer Darstellung des Problemkreises Michalski S. 282 ff vgl. zum Parallelproblem beim Prokuristen Heymann/Sonnenschein § 48 Rn 13. Tendenziell oder ausdrücklich Antrag zu § 89 des Entwurfes, in: Bericht der XVIII. Kommission über den Entwurf eines H.G.B., S. 50; Schubert/Schmiedel/Krampe II/2, S. 1296; Düringer/Hachenburg 1. Aufl., § 84 Anm. I 1 (zum 1. Entwurf); Gutachten der Handelskammern zu Hamburg, Bremen und Lübeck,

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S. 15 (zum 2. Entwurf); v. Gierke ZHR 117 (1955), 138 (141 f); Rodig BB 1952, 893, überzeugend dagegen Engel BB 1953, 47. S. 5. Vgl. auch Rittner WuW 1993, 592 (605): „rechtstatsächlich zwischen Arbeitnehmern und Vertragshändlern“. Denkschrift zur Reichstagsvorlage eines HGB, S. 67, 72 f; Schubert/Schmiedel/Krampe II/2, S. 1005, 1009 f; Bericht der XVIII. Kommission über den Entwurf eines HGB, S. 49 f; Schubert/Schmiedel/Krampe II/2, S. 1296; Handelsblatt v. 14.07.1952; Würdinger JR 1953, 437; Voraufl., Vor § 84 Rn 2.

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planen. Der besondere Stellenwert dieser Organisationsautonomie 7 und die aus ihr folgende Abgrenzung des Vertreters vom Handlungsgehilfen wurde gerade in der Wissenschaft wiederholt hervorgehoben 8. Der Vertreter sei in der Schaffung seiner Vertriebsorganisation „rechtlich selbstbestimmt“ und in der Organisation des Geschäftes sein eigener Herr 9. Eine wirtschaftliche Abhängigkeit des Vertriebsmittlers vom Unternehmer ist gleich- 5 wohl unverkennbar. Sie wird durch erhebliche Investitionen des Mittlers (Paradigma: Kfz-Vertriebsmittler, als Handelsvertreter etwa Mercedes-Benz-Händler) noch intensiviert. Auch sie erschweren es dem Vertreter, gegenüber dem Unternehmer gleichberechtigt aufzutreten 10, und dies nicht erst seit 1918 11. Die Selbständigkeit des HV erschöpft sich daher oft in seinem rechtlichen Status. Deshalb ist das Handelsvertreterrecht in weitem Umfang Schutzrecht zu Gunsten des Vertreters und enthält zahlreiche zwingende Normen. Schon ob der Unternehmer das vermittelte Geschäft abschließen will, steht grundsätzlich bei ihm. Nicht nur, dass der Handelsvertreter der Entlohnung für seine Vermittlungsbemühungen, seiner Provision, verlustig geht, wenn der Unternehmer das vermittelte Geschäft ablehnt: die endgültige Entstehung des Provisionsanspruchs hängt im Falle des Abschlusses noch davon ab, ob das vermittelte und abgeschlossene Geschäft ausgeführt wird und die Gegenleistung beim Unternehmer eingeht (§ 87a). Aber auch jede Umstellung in der Produktion, jede Maßnahme der Preispolitik, jede Disposition über Vertriebsschwerpunkte hat der Handelsvertreter im Grundsatz so hinzunehmen, wie sie vom Unternehmer getroffen werden, und selbst wenn sie – im Rahmen eines Ermessensspielraums (Business judgement rule) – fehlerhaft getroffen werden. Nur für diese Grenze überschreitende Dispositionen, insbesondere willkürliche, haftet der Unternehmer nach § 280 BGB. Verlieren die Produkte des Unternehmers an Attraktivität, wirkt sich das auf die Ver- 6 dienstchancen des Handelsvertreters unmittelbar aus. Er ist in seinem wirtschaftlichen Schicksal mit dem Wohl und Wehe des Unternehmens, für das er tätig wird, verbunden. Gegen solche Abhängigkeit ist seine Selbständigkeit ein Korrektiv nur insofern, als sie ihm gestattet, sein Risiko zu verteilen und Agenturverträge mit mehreren Unternehmern nebeneinander einzugehen – sofern diese nicht miteinander in Wettbewerb stehen oder dem Unternehmer die Mehrfachtätigkeit aus anderem Grunde unzumutbar bleibt. Selbst das noch kann dem sogenannten Einfirmenvertreter des § 92a vertraglich untersagt oder praktisch unmöglich sein. Vor allem aber beschränkt den Handelsvertreter die Endlichkeit seiner Arbeitskraft. Nur wenigen Groß-Handelsvertreter gelingt es, ein auf viele Vertretungen gestütztes Handelsvertreterunternehmen mit zahlreichen Untervertretern oder Angestellten aufzubauen. Realistischerweise kann ein typischer Handelsvertreter ohne Angestellte nur zwischen ein und vier Vertretungen betreuen, es sei denn, diese Produkte werden an einen einheitlichen Kundenkreis veräußert. Damit ist er regelmäßig von den wenigen, vertretenen Unternehmen wirtschaftlich abhängig. Unter dem Druck eines kurzfristigen Kündigungsrechts nach § 89 und ohne gewerkschaftliche Repräsentanz – ein „Streik“ wäre eine zur Kündigung berechtigende Leistungsverweigerung – ist der Mittler – insbesondere zur Höhe der Provision – schnell bereit, Zugeständnisse zu

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Vgl. hierzu auch Ekkenga S. 118; HK/Ruß § 86 Rn 6. Overlach S. 41 f; Schmidt-Rimpler S. 28 f; Stolterfoht S. 125 ff; Hirsch in: FS Tiburtius, S. 396. Schmidt-Rimpler S. 28 f.

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BVerfG, Beschl. v. 07.02.1990 – 1 BvR 26/84, NZA 1990, 389 (390); BGH, Urt. v. 20.09. 2006 – VIII ZR 100/05, BB 2006, 2492 (2493). So aber BVerfG, Beschl. v. 07.02.1990 – 1 BvR 26/84, NZA 1990, 389 (390).

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machen. Gerade nach Ende der Aufbauphase und wenn die Vertretung „gut läuft“ neigen Unternehmer dazu, den Vertrag zu beenden. Um den Ausgleichsanspruch zu sparen, sind sie bei der Suche nach „wichtigen Kündigungsgründen“ im Sinne der § 89a, § 89b Abs. 3 erfinderisch. Der Ausgleichsanspruch als „kleiner Kündigungschutz“ des Vertreters bildet eine vergleichsweise geringe Kündigungsschranke. Dabei trifft insbesondere den älteren HV eine solche Kündigung hart. Weil Unternehmen mit ihren Handelsvertretern langfristig zusammenarbeiten wollen, findet etwa ein 55-jähriger Vertreter meist keine neue, zufriedenstellende Vertretung. Diese Diskrepanz zwischen gesetztem Recht – das HGB von 1897 hatte mit den §§ 84 7 bis 92 (a.F.) erstmals in der Welt eine gesetzliche Regelung des Rechts des Handelsvertreters, damals Handlungsagent genannt, gebracht – und der beruflichökonomischen Wirklichkeit war, beginnend mit den Jahren nach dem ersten Weltkrieg, unübersehbar geworden. Nicht wenige Unternehmer gingen dazu über, anstelle der durch Tarife und Sozialversicherung teurer gewordenen Arbeitskraft von angestellten Reisenden äußerlich selbständige Handelsvertreter einzusetzen. Diese waren auf die Fristung ihrer Existenz mit oft kümmerlichen Provisionen angewiesen. Die Berufsnot nach dem zweiten Weltkrieg stärkte die Dringlichkeit einer Reform. Sie erfolgte durch das „Gesetz zur Änderung des Handelsgesetzbuches (Recht der Handelsvertreter)“ vom 06.08.1953 (BGBl. I, 771), in Kraft seit 01.12.1953 12. Der Siebente Abschnitt gibt vor, vom geschlossenen Bild eines Berufsstandes des HV 8 auszugehen. Dabei dürfte es sich um ein Missverständnis handeln: Die Gesetzesfassung scheint auf die Person des Handelsvertreters abzustellen (vgl. Wortlaut des § 84 Abs. 1 „Handelsvertreter ist …“). Tatsächlich wird in § 84 nicht die Person des Handelsvertreters definiert, sondern ein schuldrechtlicher Vertrag, der noch nicht einmal mit einer natürlichen Person geschlossen sein muss. Vielmehr können auch juristische Personen 13 jeder Art und sogar Anstalten des öffentlichen Rechts, die privatrechtlich tätig werden, Handelsvertreter sein. Der Vertragsschließende braucht noch nicht einmal ausschließlich als Handelsvertreter Geschäfte zu schließen. Wie schon § 92b zeigt, kann er außerhalb des Handelsvertretervertrages in gänzlich anderen Tätigkeiten seinen Erwerb finden. Die §§ 84 ff regeln mithin nicht ein Berufsbild oder die rechtlichen Verhältnisse einer Person. Sie sind vertrags- und nicht personenbezogen. Handelsvertretertätigkeit ist eine rein schuldrechtliche Funktion. Rechtstatsächlich beweisen dies die Handelsvertreter im Nebenberuf, von der historischen, mit einem Ladengeschäft verbundenen Annahmestelle für Laufmaschenreparaturen bis hin zu dem Studenten, der für Zeitschriftenabonnements wirbt, von der Agentur für bestimmte Versandhäuser, die sich ein Geschäftsmann nebenher übertragen lässt, bis zu den großen Import- und Exportagenturen, die nicht selten ebenfalls neben sonstiger handelsgewerblicher Betätigung ihrer Inhaber (Makelei, Kommissionshandel) betrieben werden. Es gibt nicht „den“ Handelsvertreter als berufsständisch fixierten Typ. Einiges wertvolles Material zum rechtstatsächlichen Phänotyp findet sich bei Stolterfoth, Die Selbständigkeit des Handelsvertreters (1973), der der Novelle 1953 (S. 32 ff) einen Leitbild-Pluralismus bescheinigt, bei Emde, Die Handelsvertreter-GmbH, 1994, sowie für eine Einzelsparte in der Schrift von Rehbinder, Der Tankstellenvertrag im Blickfeld der Rechtstatsachenforschung (1971). Eine Konturenschwäche des Spektrums kann konstatiert werden. Sie verstärkt sich aus dem Bestreben aller Branchen, den personalkostenaufwendigen und durch arbeitsrechtliche Schutzvor-

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Amtliche Begründung des Entwurfs: BT-Drs. I/3856.

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Emde Die Handelsvertreter-GmbH, 1994, passim; Emde GmbHR 1999, 1005 ff.

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schriften eingeengten Vertrieb durch angestellte Vertreter oder durch Filialen zu ersparen und stattdessen auf den Vertrieb durch Handelsvertreter oder anderer Vertriebsmittler auszuweichen.

B. Die Genese des Handelsvertreterrechts Der Begriff des HV blickt auf eine überschaubare Lebenszeit zurück. Gesetzessprache 9 wurde er erst durch die HGB-Novelle vom 6. August 1953 14. Zuvor hieß der Handelsvertreter gegen den Widerstand der Berufsverbände 15 „Handlungsagent“. Obwohl der Berufsstand rechtstatsächlich längst bekannt war 16 wurde er erst nach langem Zögern des Gesetzgebers, das sich über das ADHGB 17, welches nur Dienstvertrags- sowie Handelsmaklerrecht (Art. 66 ff) kannte 18, bis in das HGB 19 fortsetzte, erstmals im Handelsgesetzbuch von 1897 20 einer umfassenden gesetzlichen Regelung unterworfen. Der Vergleich der historischen Gegebenheiten zur bis dato fehlenden Kodifikation des Vertragshändler- und Franchiserechts darf gezogen werden. Dem HGB 1897 lag das Leitbild des selbstständigen, „königlichen Kaufmanns“ 21 zugrunde. Hierbei handelte es sich um einen Einzelkaufmann ohne Angestellte und Betriebsorganisation, der in Bildsprache als eleganter Geschäftsreisender mit Zylinder, Schnauzbart und Spazierstock 22 oder als „Diplomat der Volkswirtschaft“ 23 beschrieben wurde 24. Dieses rechtstatsächliche Leitbild entsprach möglicherweise nie den Tatsachen und entspricht es auch heute nicht. Im 20. Jahrhundert unterlag das Handelsvertreterrecht, motiviert durch das Bestre- 10 ben, die Vertreter vor der regelmäßig existenten wirtschaftlichen Übergewicht des Unternehmers zu schützen, stärkeren Wandlungen als andere Bestimmungen über Handelsgeschäfte 25. Parallelen zum BGB-Dienstvertragsrecht, welches durch Schutzrecht zu Gunsten der Arbeitnehmer ergänzt wurde, sind naheliegend. Die HGB-Novelle 1953 als erste große Neuordnung reformierte das HV-Recht umfassend und stärkte die Stellung 14 15 16

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BGBl. I, S. 771. Emde Die Handelsvertreter-GmbH, 1994, S. 11. Garies Handelsgesetzbuch, 2. Aufl. 1900, Vorbemerkung zu § 84 I, S. 93 – spricht insoweit allerdings von einem Chaos von Namen, Beziehungen und Regeln, das zuerst der HGB-Gesetzgeber ordnete; sehr zurückhaltend auch Overlach Der Rechtsbegriff „Handlungsagent“, Diss. iur, Göttingen, 1926, S. 2 ff. Vgl. Protokolle der Commission zur Berathung eines allgemeinen deutschen Handelsgesetz-Buches, Protokoll I – XVL, S. 105 f. Erwähnt wurden die Verhältnisse der Handlungsagenten (ohne diesen Begriff zu gebrauchen) nur in Art. 272 Nr. 4 ADHGB. Eine lesenswerte Zusammenfassung der ADHGB-Kommissionsberatungen zum Handlungsagentenrecht findet sich bei Hirsch in: FS Tiburtius, S. 386 ff. Schmidt-Rimpler Der Handlungsagent, in: Ehrenberg, Handbuch des gesamten Handelsrechts, 1926; Hopt § 84 Rn 2; Münch-

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KommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 1. Vgl. noch das Gutachten der Handelskammern zu Hamburg, Bremen und Lübeck, angefertigt zum 2. HGB-Entwurf, S. 15 – das die Streichung der HGB-Vorschriften zum Agentenrecht empfahl. Gesetz v. 10.05.1897, RGBl. S. 219; eingehend zur Gesetzesgeschichte Eberstein S. 15 ff. Zum rechtstatsächlichen Erscheinungsbild damaliger Vertreter siehe Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 11 ff. Vgl. Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Handelsgesetzbuches (Recht der Handelsvertreter), BTDrucks. I/3856, S. 11. Stolterfoht S. 31 nimmt diesen Begriff auf. Siehe auch BVerfGE 81, 242 (257). Jeske FAZ v. 29.03.1986. Martin Deutsche Bergwerks-Zeitung v. 25.12.1932. Eingehend Emde Die HandelsvertreterGmbH, 1994, S. 12. K. Schmidt Handelsrecht, § 27 II 1.

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des Mittlers 26. Neben der neuen gesetzlichen Bezeichnung wurde, aufbauend auf ausländischen, z.B. österreichischen, polnischen, holländischen, jugoslawischen, französischen und rumänischen Vorgaben, der Ausgleichsanspruch eingeführt 27. Seine Vorbilder waren etwa § 25 des Österreichischen Handlungsagentengesetzes v. 24.06.1921 (das österreichische Handelsvertreterrecht ist bis heute aus dem HGB ausgegliedert); Art. 1751 des italienischen Codice Civile v. 16.03.1942; Art. 418u des schweizerischen Obligationsrechts in der Regelung des schweizerischen Bundesgesetzes über den Agenturvertrag v. 04.02.1949; für Frankreich einerseits das loi instituant le statut légal de voyageurs représentants et placiers du commerce et de l’industrie v. 18.07.1937 i.V.m. Art. 29k – 29r Code du Travail, andererseits Art. 1984 ff Code Civil, aber auch Vorarbeiten der Akademie des Deutschen Rechts 28 und der Centralvereinigung der Deutschen Handelsvertreter- und Handelsmakler-Verbände (CDH) 29 des Jahres 1949 30. Die bedeutsamste und für Mittler (wie Anwälte und Justizkassen) gewinnbringendste 11 Änderung der Novelle 1953 war die Normierung des zwingenden Ausgleichsanspruchs nach Beendigung des Vertragsverhältnisses (§ 89b). Auch zahlreiche andere den Handelsvertreter begünstigende Vorschriften hat die Novelle für zwingend erklärt. Der Novellengesetzgeber ist damit den Bestrebungen der Interessenvereinigungen der Handelsvertreter gefolgt, die am Gesetzgebungsverfahren maßgebend beteiligt waren. Abzulehnen ist die ohnehin nur de lege ferenda interessierende Ansicht der 4. Aufl., den 12 zwingenden Schutz der Novelle 1953 auf den Kreis der HV des § 92a zu beschränken, so wie das Gesetz den Handelsvertreter im Nebenberuf von der Anwendung einiger zwingender Bestimmungen ausgenommen hat. Vielmehr sprechen, wie auch die 4. Aufl. erkannt hat, zahlreiche Gründe für allgemein zwingendes Recht, vor allem die wirtschaftliche Abhängigkeit des HV von seinem Unternehmer, die sich nicht auf den kleinen Kreis des § 92a beschränkt. Weiter erbringt der Vertreter persönliche Leistungen, mit denen er in Vorlage zu treten hat, was das Risiko der ausbleibenden Honorierung und damit der Abhängigkeit potenziert. Dies gilt auch für den Ausgleichsanspruch. Denn auch insoweit tritt der HV in Vorlage, da die geschaffenen Stammkundenbeziehungen durch die Provision für die vermittelten einzelnen Geschäfte noch nicht abgegolten sind. Schließlich wird durch die zwingenden Normen verhindert, dass Zustände wiederkehren, die jeweils nach den beiden Weltkriegen auftraten, als die Rechtsform des Handelsvertreters zur Umgehung einer Beschäftigung als angestellter Reisender benutzt werden konnte und benutzt worden ist. Die Gefahr, in diese Grenzzone zu geraten, ist für den HV immer gegeben. Die Novelle des Jahres 1990 31, in Kraft seit dem 01.01.1990 (für Altverträge seit dem 13 01.01.1994) 32, brachte weitere Änderungen. Sie basierte auf der EG-Richtlinie vom 18.12. 1986 33 (Handelsvertreterrichtlinie), welche im Verlauf ihres langwierigen Entstehungsprozesses 34 stark durch das deutsche HGB geprägt wurde 35. Jener Einfluss war so bedeu26 27 28

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Schlegelberger/Schröder Einl. § 84. Ebenroth S. 15; Hopt § 84 Rn 2. Denkschrift zum Entwurf eines Handelsvertretergesetzes, in: Nipperdey/Dietz Entwurf eines Handelsvertretergesetzes. Arbeitsberichte der Akademie für Deutsches Recht Nr. 17, Berlin 1940; zusammenfassend Eberstein S. 15 ff. Heute: Centralvereinigung Deutscher Wirtschaftsverbände für Handelsvermittlung und Vertrieb (CDH).

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Eingehend Eberstein S. 16. BGBl. I, S. 1910. Amtliche Begründung BTDrucks. Nr. 3856, Erste Wahlperiode. Siehe Küstner/Thume I Rn 279 ff. ABl. EG v. 31.12.1986, Nr. L 382/17, wiedergegeben bei Hopt Materialien I und Ebenroth/Hakenberg vor § 84 Anh. I. Zu den Zielen der Richtlinie ausführlich Eberstein S. 20 ff. Ebenroth/Hakenberg vor § 84 Anh. I Rn 2. Küstner/Thume I Rn 2338.

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tend, dass der zur Richtlinie verfasste Bericht der Kommission v. 23.07.1996 36 die deutsche Rechtsprechung zu § 89b im Kurzüberblick wiedergab, verbunden mit dem Hinweis, sie biete Rechtsanwendern anderer Staaten Hilfestellung und Orientierung 37. Eines der Hauptziele der Richtlinie war der Schutz des HV 38. Die Richtlinie sollte die Harmonisierung des Vertreterrechts fördern und Wettbewerbsverzerrungen der Gemeinschaft beseitigen 39, allerdings nur innerhalb ihres Anwendungsbereichs, der nur Warenvertreter erfasst und erst recht keine Vertragshändler oder Franchisenehmer. Der Versicherungsvertreter z.B. fällt nicht in den Adressatenkreis der Richtlinie, weshalb ihm etwa in Ungarn richtlinienkonform kein Ausgleichsanspruch zusteht 40. Eine richtlinienkonforme Auslegung ist daher bei diesen Vertragstypen nicht zwingend. Was der europäische Verordnungsgeber wollte kann allerdings auch außerhalb des eigentlichen Anwendungsbereichs der Richtlinie für die Auslegung von Interesse sein. Insgesamt stärkte die Richtlinie und ihr Umsetzungsgesetz die Position des Vertreters gegenüber dem Unternehmer erneut 41. Dieser Schutzgedanke muss bei der Anwendung des Vertreterrechts beachtet werden. Dessen Bestimmungen sind so auszulegen, dass die gewünschte Sicherung des HV gewährleistet wird. Novelliert wurden auch die Kündigungsfristen des § 89 sowie die Ausschlussgründe beim Ausgleichsanspruch (§ 89b Abs. 3), zahlreiche weitere Bestimmungen erhielten zwingenden Charakter. Das Vertreterrecht wurde damit zu europäischem Recht 42 und europäische Rechtsprechung formt es nun mit. Die EG-Richtlinie hat, anders als im Vertragshändlerrecht43, zu einer weitgehenden Angleichung des Handelsvertreterrechts innerhalb der Europäischen Union geführt 44. Gleichwohl findet die Rechtsprechung anderer Staaten wenig Eingang in die Fortbildung des deutschen Mittlerrechts – vielleicht mit Ausnahme des vereinheitlichten europäischen Vertriebskartellrechts –, was auch am mangelnden Zugang zu den maßgeblichen Quellen liegen mag. Trotz der Harmonisierung fehlt in den Mitgliedsstaaten eine absolute Rechtsidentität 45. Dies beruht nicht nur auf der Bedeutung des Fallrechts und der Unabhängigkeit der Richter mit unterschiedlichen Interpretationsansätzen 46 sondern bereits auf Umsetzungsermessen sowie Umsetzungsfehlern 47. Teilweise unterblieb die Übernahme von Richtlinienrecht in Deutsches Recht, weil der Gesetzgeber meinte, sich auf eine im Einklang mit der Richtlinie stehende gefestigte Rechtsprechung berufen zu können. Dieses Vorgehen ist möglicherweise zu Recht Angriffen ausgesetzt 48, und zwar schon deshalb, weil die angeblich „feststehende“ Rechtspre36

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Bericht der Europäischen Kommission über die Anwendung von Art. 17 der Handelsvertreterrichtlinie, COM (96) 364. Zum Einfluss deutschen Ausgleichsrechts auf die Rechtsprechung nationaler Gerichte anderer EG-Staaten Krusche EWS 2001, 523. EuGH, Urt. v. 17.1.2008 – Rs. C-19/07, EWS 2008, 151 (153); v. 30.4.1998 – C-215/97, Slg. 1998, I-2191 Rn 13; v. 9.11.2000 – C-381/98, Slg. 2000, I-9305, Rn 20; v. 23.3. 2006 – C-465/04, Slg. 2006, I-2879, Rn 19. Siehe die Ermächtigungsgrundlagen der Art. 47 Abs. 3, 94 EG sowie Eberstein S. 22; Küstner/Thume I Rn 2336; Ebenroth/Hakenberg Vor § 84 Anh. I Rn 2; zum polnischen Handelsvertreterrecht Franek RIW 2002, 359. Pajor-Bytomski RIW 2005, 263 (269). Ebenroth/Hakenberg Vor § 84 Anh. I Rn 11.

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Eberstein S. 22. Hier gibt es jedoch durch die Analogiebildung zum Vertreterrecht einen faktischen Zwang zur Angleichung. Siehe Graf v. Westphalen Handelsvertreterrecht in den EU-Staaten und der Schweiz, 1995; passim: Küstner/Thume I, Rn 2347 ff. Ebenroth/Lange Anh. § 92c Rn 2; zum Ausgleichsrecht Krusche EWS, 2001, 523. Sellhorst EWS 2001, 481. Westphal Vertriebsrecht I Rn 6; ders Die Handelsvertreterrichtlinie und deren Umsetzung in der Europäischen Union, Diss. iur. Münster 1994, S. 215 ff; zum italienischen Recht Lauser/Reifenrath RIW 2002, 746; Kindler RIW 2000, 161. EuGH ZIP 2001, 1373 = EWiR 2001, 969 (Reich).

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chung durch Gesetz vor Veränderungen geschützt werden müsste 49. Gerade deshalb behält die Richtlinie ihren eigenen Anwendungsbereich, weil ihr Inhalt weitgehend 50 nicht zur Disposition von Gerichten und Gesetzgeber und nur außerhalb ihrer zwingenden Bestimmungen zur Disposition der Vertragsparteien 51 steht. Diskrepanzen zwischen der EG-Richtlinie 1986 und § 89b beleuchtet Thume 52. Er 14 rügt folgende Abweichungen: – Art. 17 Abs. 2a der Richtlinie sieht Provisionsverluste nur als einen besonderen Unterfall der Billigkeit an. Nach § 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ist der Provisionsverlust hingegen Anspruchsvoraussetzung des Ausgleichs. Bei europarechtskonformer Auslegung des § 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 darf daher gegenüber dem Warenvertreter der Provisionsverlust nicht als eine zwingende Anspruchsvoraussetzung angesehen werden, sondern nur als ein zusätzlicher Billigkeitsgesichtspunkt 53. – Art. 17 Abs. 2b der Richtlinie stellt bei der Berechnung der Höchstgrenze des Ausgleichs auf den tatsächlichen Empfang der Vergütung ab. Nach § 89b Abs. 2 bildet hingegen das tatsächlich Empfangene nicht notwendigerweise die Höchstgrenze des Ausgleichs 54. – Gemäß § 89b Abs. 3 Nr. 2 besteht der Ausgleich nicht, wenn der Unternehmer das Vertragsverhältnis gekündigt hat und für die Kündigung ein wichtiger Grund wegen schuldhaften Verhaltens des Vertreters vorliegt. Nach bisheriger Rechtsprechung reicht es aus, dass der Unternehmer gekündigt hat. Den wichtigen Grund braucht er nicht einmal zu kennen. Art. 18 Abs. 1a der Richtlinie versagt den Ausgleich aber nur, wenn der Unternehmer den Vertrag wegen eines schuldhaften Verhaltens des Vertreters beendet hat. Es wird dort also ein direkter Kausalzusammenhang zwischen wichtigem Grund und Kündigung gefordert. Kennt der Unternehmer das schuldhafte Verhalten nicht, kann dieser Umstand nach der Richtlinie nur im Rahmen der Billigkeitsprüfung gewertet werden 55. 15 Die Richtlinie bleibt innerhalb ihres Regelungsbereichs, dem Recht der Warenvertreter 56, stets unmittelbar anzuwenden, wo Umsetzungsfehler gerügt werden 57, notfalls sogar contra legem 58. Unberechtigt dürfte die Ansicht sein, ein unmittelbarer Rückgriff auf die

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EuGH NJW 2001, 2244; Graf v. Westphalen BB 2002, 209 (210). Die Richtlinie enthält jedoch eine Reihe von Vorschriften, die es den nationalen Gesetzgebern gestatten, von ihr abzuweichen. Dies gilt etwa für den Bereich der nebenberuflichen Tätigkeit des Vertreters (Art. 2 Abs. 2), für den Provisionsanspruch (Art. 3 Abs. 2 S. 2), das Einsichtsrecht (Art. 12 Abs. 4), das Schriftformerfordernis (Art. 13 Abs. 2), die Kündigungsfrist (Art. 15 Abs. 3), die außerordentliche Kündigung (Art. 16), das Bezirks- und Alleinvertretungsrecht (Art. 7 Abs. 2) sowie die Freiheit, den nachvertraglichen Entschädigungsanspruch als Ausgleichs- oder Schadenersatzanspruch zu kodifizieren (letzteres sieht das insoweit für den Vertreter günstigere französische Recht vor); siehe Küstner/Thume I Rn 2340 ff und 2371.

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K. Schmidt Handelsrecht, § 27 II 1; aA Jörg Schmidt ZHR 156 (1992), 512 ff. BB 2004, 2473; siehe auch Sellhorst EWS 2001, 481. Thume BB 2004, 2473 (2475); Canaris23 Handelsrecht S. 351, Rn 110; Ebenroth/ Löwisch § 89b, Rn 176; Hopt § 89b, Rn 32; Fischer ZVglRWiS 101 (2002), 143 ff (154). Thume BB 2004, 2473 (2475). Thume BB 2004, 2473 (2476). Grundmann Europäisches Schuldvertragsrecht, 1999, S. 566, 572; Ebenroth/Löwisch Vor § 84 Rn 4. Ebenroth/Hakenberg Vor § 84 Anh. I Rn 7; aA Lauser/Reifenrath RIW 2002, 746 (752) unter Hinweis auf EuGH Slg. 1986, 723 Rn 48. Riesenhuber/Domröse RIW 2005, 47 (51).

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Richtlinie sei unzulässig 59. Nationale Gerichte müssen alle Vorschriften des HV-Rechts europarechts- und richtlinienkonform interpretieren 60. Weiter ist dem lokalen Gesetzgeber auf dem Gebiet der Harmonisierung abweichende und die Richtlinie verwässernde eigene Tätigkeit untersagt 61. Das Verhältnis zwischen richtlinienkonformer Auslegung und den nationalen Auslegungsmethoden ist allerdings umstritten. Zum Teil wird angenommen, der richtlinienkonformen Interpretation gebühre gegenüber den nationalen Auslegungsmethoden ein absoluter Vorrang 62. Er beruhe auf dem Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor dem nationalen Recht 63. Die Gegenansicht will einen Vorrang nicht anerkennen 64. Der EuGH 65 verlangt von den nationalen Gerichten eine volle Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den das nationale Recht einräumt. Die Auslegung ist daher soweit wie möglich an Wortlaut sowie Zweck der Richtlinie auszurichten. Wenn das nationale Recht eine richtlinienkonforme Interpretation nicht zulässt, verpflichtet auch der EuGH die Gerichte nicht zu einem contra-legem-Judikat 66. Für Zweifelsfragen bei der Auslegung der Richtlinie ist ausschließlich der EuGH im Vorlageverfahren nach Art. 234 EG (früher: Art. 177 EWG) zuständig. Die Vorlagepflicht dürfte aber auf Fälle des unmittelbaren Anwendungsbereichs der Richtlinie, also den Warenvertreter, beschränkt sein 67. Die Richtlinie hat zu einem relativ einheitlichen innereuropäischen Schutzniveau geführt, welches den Europäischen Gerichtshof 68 dazu veranlasste, ihre zwingenden Vorschriften als rechtswahlfest zu bezeichnen, sofern der Vertreter innerhalb der EG tätig wird. Durch Wahl eines Nicht-EU-Rechts kann mithin von den Vorgaben der Richtlinie nicht abgewichen werden (dazu bei § 92c). Seit dem 01.01.1994 gilt das HGB auch für HV-Verträge, die in der früheren DDR 16 nach damaligem Recht begründet wurden 69. Das Handelsrechtsreformgesetz vom 22.06.1998 70 fügte § 84 Abs. 4 ein, hob § 90a Abs. 2 Nr. 2 auf und änderte § 90a Abs. 4. Desgleichen ist der HV nun nicht mehr „Musskaufmann“ im Sinne des § 1 Abs. 2 a.F 71. Er ist aber regelmäßig Gewerbetreibender und folglich Kaufmann i.S.d. § 1 Abs. 2 n.F., daneben sind nach der Neufassung des § 84 Abs. 4 die Vorschriften der §§ 84 ff – nicht aber das übrige HGB 72 – auch dann auf Vertreter anwendbar, wenn ihr Unternehmen nach Art oder Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb nicht erfordert.

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Freitag/Leible RIW 2001, 287 (293); zwh., denn die Richtlinie ist zumindest Auslegungsmaßstab. EuGHE 1990 I 4135; Hopt FS Medicus, S. 99; Küstner/Thume I Rn 2345; Ebenroth/ Hakenberg Vor § 84 Anh. I Rn 9; Hopt § 84 Rn 3; allgemein Lutter JZ 1992, 593; Götz NJW 1992, 1853. Ebenroth/Hakenberg Vor § 84 Anh. I Rn 6. Auer ZBB 1999, 170; Bach JZ 1990, 1111; Lutter JZ 1992, 604; Spetzler DB 1993, 554. EuGH, Slg. 1964, 1251. Di Fabio NJW 1990, 947; Dänzer-Vanlotti StVJ 1991, 2. EuGH Slg. 1984, 1891; OLGH Slg. 1994, 3325. Tiedtke/Schmitt ZIP 2005, 681 (682). Weiter Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 89: Vor-

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lagepflicht auch im Bereich des richtliniengemäß angepassten sonstigen Handelsvertreterrechts. Aber wo liegt dann die Grenze und müsste dann nicht sogar im Bereich der Analogie zu §§ 84 ff. vorgelegt werden? EuGH VersR 2001, 617 = ZIP 2000, 2108 = EWiR 2000, 1061 (Freitag) = EWS 2000, 550 = BB 2001, 10 m. zust. Anm. Kindler = DB 2001, 36 = EuZW 2001, 50 m. Anm. Reich = RIW 2001, 133 = NJW 2001, 2007 m. Anm. Staudinger NJW 2001, 1974; siehe auch Freitag/Leible RIW 2001, 287. Einigungsvertrag Anl. I Kap. III D Abschn. III 2; Ebenroth/Löwisch Vor § 84 Rn 3. BGBl. I, S. 1474. Emde VersR 1999, 1464. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 46; Emde VersR 1999, 1464.

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C. Innere Ordnung des Handelsvertreterrechts 17

Durch die Vielzahl der „Buchstabenparagraphen“, um welche die ursprünglich nur neun Vorschriften des HV-Rechts 1897 durch die Novellen bereichert wurden, ist das Gesetz trotz seiner relativen Kürze auf den ersten Blick unübersichtlich geworden. Dennoch bildet es die nachfolgend genannte innere Ordnung ab 73: § 84: Einleitende Legaldefinition § 85: Beurkundungsanspruch Die 86er Gruppe: Gegenseitige Rechte und Pflichten im Allgemeinen § 86: Rechte und Pflichten des Handelsvertreters § 86a: Rechte und Pflichten des Unternehmers § 86b: Erweiterung dieser Rechte und Pflichten durch das Delkredere Die 87er Gruppe: Vergütung des Handelsvertreters § 87: Grundnorm § 87a: Der konkrete Provisionsanspruch (Verfestigung, Fälligkeit) § 87b: Berechnung der Provision § 87c: Nachprüfbarkeit der Provision § 87d: Auslagenersatz Die 88er Gruppe: Einreden aus dem Vertragsverhältnis § 88: Verjährung (nach Streichung jetzt § 195 BGB) § 88a: Zurückbehaltungsrechte des Handelsvertreters Die 89er Gruppe: Ende des Handelsvertreterverhältnisses § 89: Ordentliche Kündigung § 89a: Außerordentliche Kündigung § 89b: Ausgleichsanspruch Die 90er Gruppe: Nachvertragliche Bindungen § 90: Verschwiegenheitspflicht (wobei hier auch vertragsbegleitende Verschwiegenheitspflichten geregelt werden) § 90a: Wettbewerbsverbot Die 91er Gruppe: Außenverhältnis im Handelsvertreterrecht § 91: Gesetzlicher Ermächtigungsrahmen § 91a: Überschreitung der Außenermächtigung Die 92er Gruppe: Besondere Erscheinungsformen des Handelsvertreters § 92: Versicherungs- und Bausparkassenvertreter § 92a: Einfirmenvertreter § 92b: Handelsvertreter im Nebenberuf § 92c: außereuropäischer Vertreter, Schiffslinienvertreter. Damit reichen die §§ 84 – ähnlich dem BGB – von Geburt zum Tod, nämlich vom Entstehen des Handelsvertretervertrages zu seiner Beendigung durch Kündigung, woran sich Vorschriften über die Rechtsfolgen solcher Beendigung, besondere Formen der HV sowie zum Geltungsbereich der Normen anschließen.

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Ebenroth/Löwisch Vor § 84 Rn 6.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

Vor § 84

D. Das auf Handelsvertreter anwendbare Recht I. HGB Wie dargelegt untersteht der HV-Vertrag in erster Linie den hier kommentierten 18 §§ 84–92c. Sie sind vorrangig und verdrängen innerhalb ihres Anwendungsbereichs andere Gesetze, insbesondere das Dienstvertrags- und Geschäftsbesorgungsrecht des BGB. Ist also ein Beauftragter als ständiger Geschäftsvermittler tätig, wird auf ihn zuvorderst Handelsvertreterrecht angewandt und es darf nur subsidiär auf das BGB zurückgegriffen werden.

II. Handelsbräuche Auch Handelsbräuche bestimmen das Vertreterverhältnis (§§ 157 BGB, 346) 74. Man- 19 gels abweichender Rechtswahl (eine allgemeine Rechtswahlklausel genügt) sind die am Erfüllungsort – meist dem Sitz des Handelsvertreters (dazu unten) – geltenden Handelsbräuche 75 maßgeblich.

III. BGB Subsidiär ist neben anderen Gesetzen 76 vor allem das BGB auf HV anwendbar. Das 20 Recht des HV-Verhältnisses ist ein Teil des allgemeinen Geschäftsbesorgungs- und Dienstvertragsrechts des BGB, für welches es eine Reihe von Sonderregeln gibt. Denn der Handelsvertreter schuldet eine Tätigkeit, Dienste im Sinne des § 611 BGB, die eine Geschäftsbesorgung (§ 675 BGB) zum Gegenstand haben. Mangels Spezialität und entgegen anderslautender Stimmen 77 sind im Grundsatz alle Regeln des BGB-Dienstvertrags- wie Geschäftsbesorgungsrechts anwendbar 78. Da der Vertreter lediglich Vermittlungsbemühungen und keinen Vermittlungserfolg schuldet 79, bleibt Werkvertragsrecht unanwendbar 80. Daran ändert sich auch nichts, wenn sich der HV verpflichtet, eine bestimmte Zahl von Geschäften zu vermitteln oder abzuschließen81. Ebenfalls keine Anwendung findet der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz 82. Jedoch kann sich aus der Treupflicht 83, bei schützenswertem Vertrauen auf Gleichbehandlung 84 sowie aus § 20 GWB eine Pflicht des Unternehmers ergeben, Handelsvertreter innerhalb des Systems nicht willkürlich in Grundsatzfragen ungleich zu behandeln. Verhandlungsgeschick ist dem Unternehmer jedoch nicht untersagt. Er darf mit einem HV einen günstigeren Vertrag als mit einem anderen schließen. Bei Vertragshändlern und Franchisenehmern besteht regelmäßig eine Gleichbehandlungspflicht. 74 75 76

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MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 22. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 22. Zum Rechtsrahmen der Vertriebsverträge übersichtsartig Martinek/Habermeier und Martinek/Wank §§ 6, 7. Missverständlich Küstner/Thume Rn 250 ff. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 67; Röhricht/Graf v. Westphalen/ Küstner, § 85 Rn 6.

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MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 67. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 1. RGZ 87, 441; 95, 135; Eberstein Der Handelsvertreter-Vertrag, 9. Aufl., S. 68. Hopt ZIP 1996, 1538; Hopt § 86 Rn 10; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 1; LG Hamburg, Urt. v. 15.12.2006 – 406 O 175/06. Hopt § 86 Rn 10. BGH BB 1971, 484; Hopt § 86 Rn 10.

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Allerdings werden die genannten Normen teilweise durch speziellere Vorschriften des HGB verdrängt. Dies bedeutet jedoch nicht ihre strukturelle Unanwendbarkeit. Vielmehr treten sie hinter die spezielleren HGB-Normen zurück. Dies kommt in der Sache meist einer Unanwendbarkeit gleich, ist jedoch rechtstechnisch ein Aliud, was eine Rolle spielen kann, wenn dispositive HGB-Vorschriften explizit abbedungen wurden. Die verdrängten BGB-Bestimmungen werden regelmäßig wieder anwendbar, soweit sich aus der Derogation nicht eine speziellere Vertragsregelung oder ein Ausschluss des BGB entnehmen lässt. In der Praxis spielen die BGB-Vorschriften jedoch eine untergeordnete Rolle, während das HGB im Vordergrund steht.

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1. Allgemeines Schuldrecht. Die §§ 241 ff BGB, insbesondere die §§ 311 ff BGB sind anwendbar. Der Vertreter hat seine Pflichten gemäß § 242 BGB so zu erfüllen, wie es Treu und Glauben erfordern 85. Der HV-Vertrag ist Dauerschuldverhältnis 86. Die für Dauerschuldverhältnisse gelten23 den allgemeinen Regeln, insbesondere das Recht zur fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund (§§ 314, 626 BGB), werden weitgehend durch die spezielleren Vorschriften des HV-Rechts verdrängt, nicht jedoch § 314 Abs. 2 bis Abs. 4 BGB, die ohne Äquivalent im Vertreterrecht blieben 87. Daneben gelten die Regeln über Anfechtung und Nichtigkeit 88 (hierzu § 84 Rn 84 ff) sowie die Rechtsinstitute der CIC (§§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB) 89 und PFV (§ 280 Abs. 1 BGB).

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2. Wegfall der Geschäftsgrundlage. Auch § 313 BGB (ehemals WGG) ist anwendbar 90. Gedacht wird an Fälle notwendiger Änderungen infolge wirtschaftlichen oder marktpolitischen Anpassungsbedarfs bzw. des Wegfalls der Existenzgrundlage. Die Praxis wendet in Fällen des WGG meist den in seiner Rechtsfolge starren § 89a an 91, wobei sogar vertreten wird, für einen Rücktritt vom Vertrag wegen WGG sei neben § 89a kein Raum 92, vielleicht zu Unrecht, weil die von § 313 Abs. 2 BGB geforderte Vertragsanpassung, die auch unter dem Gesichtspunkt der Treupflicht geschuldet sein mag, die sensiblere Regelung bilden kann 93. So kann dauerndes Leistungsunvermögen des HV im Einzelfall wegen WGG eine fristlose Kündigung 94 oder einen Rücktritt 95 (der wie eine fristlose Kündigung behandelt wird) 96 rechtfertigen; § 275 BGB ist nicht anwendbar 97. Nach

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Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 5. Küstner/Thume I Rn 249. Das Erfordernis einer Abmahnung vor der Kündigung entspricht ohnehin §§ 241 II, 242 BGB wie der BGH-Rechtsprechung, vgl. BGH NJW-RR 1999, 539 = EWiR 1999, 611 (Emde); 705 (Emde); VersR 2001, 370 = BB 2001, 645 = NJW-RR 2001, 677 = EWiR 2001, 483 (Emde). Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 49. Martinek/Flohr § 8 Rn 126; im Franchisevertrag OLG München BB 2001, 1759 m. Anm. Böhner BB 2001, 1749. Martinek/Flohr § 9 Rn 48 ff; Emde BB 1996, 2260 (2263); Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 50. Siehe Voraufl., § 85 Rn 4 sowie BGH RIW 1959, 29 für einen in der DDR arbeitenden Vertreter bundesdeutscher Unternehmungen.

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Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 3; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 4; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 2; Schröder § 89a Rn 1; vgl. BGH Urt. v. 11.04.1957 – VII ZR 280/56, BGHZ 24, 91, 95, 96 = NJW 1957, 989. Martinek/Flohr § 9 Rn 48. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 5. BGH, Urt. v. 26.04.1995 – VIII ZR 124/94, ZIP 1995, 910, 912; Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 6; aA Schröder Rn 43. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 6. OLG Braunschweig NJW-RR 1994, 34; Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 5; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 98; s.a. OLG Nürnberg BB 1969, 933.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

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dem Verhältnismäßigkeitsprinzip und unter Treupflichtgesichtspunkten darf allerdings nicht außerordentlich gekündigt werden, wo eine Vertragsanpassung gemäß WGG-Grundsätzen oder eine ergänzende Vertragsauslegung möglich sind und die Anpassung aus dem Mittlervertrag kein von den Parteien nicht gewünschtes „aliud“ formt. Die Anpassung eines HV-Vertrags an veränderte Umstände wegen WGG wird also durch § 89a nicht berührt 98. Gründe, die nicht als „wichtige“ i.S.d. § 89a gelten, werden meist auch nicht zu einem WGG führen 99. Weder Umsatzrückgang, Absatzchancen, Gewinn-, Ertragserwartungen oder die fehlende wirtschaftliche Tragfähigkeit der Vertretung begründen im Regelfall einen WGG 100 oder können zu einer Vertragsanpassung nach § 242 BGB leiten 101, möglicherweise aber eine Wettbewerbslage aufgrund unvorhergesehener technischer Entwicklungen oder der Nichtabsatz aufgrund von Gesetzesänderungen 102 bzw. wenn im Gefolge einer Umgliederung der Wirtschaftsstruktur eines bestimmten Gemeinwesens die Existenzmöglichkeiten für den freien HV nicht mehr gegeben sind. Die Anpassungsmöglichkeit des § 313 Abs. 3 BGB besteht neben dem Recht aus § 89a, wobei ein Kündigungsgrund nach § 313 Abs. 3 BGB regelmäßig auch die Voraussetzungen eines wichtigen Grundes i.S.d. § 89a erfüllen wird. Sofern die Voraussetzungen des § 89b Abs. 3 Nr. 1 nicht eingreifen, verliert der Vertreter infolge einer Eigenkündigung nach § 313 Abs. 3 BGB den Ausgleich, wenn nicht ausnahmsweise unter dem Gesichtspunkt der Vertragsanpassung (§ 313 Abs. 1 BGB) ein anderes Ergebnis sachgerecht ist. Aus §§ 242, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB (CIC) – nicht aus der vorver- 25 traglich noch nicht geschuldeten Interessenwahrungspflicht – leiten sich vorvertragliche Aufklärungspflichten der Parteien her, z.B. die Verpflichtung über Risiken, die der Vertragserfüllung entgegenstehen könnten, unaufgefordert hinzuweisen 103. Das gilt insbesondere für (wirtschaftliche) Risiken, die einer Vertragspartei – meist dem HV – nicht erkennbar sind. Besonders ausgeprägt ist die Diskussion zu diesen Pflichten im Franchiserecht (Rn 468 ff). Gemäß § 315 BGB darf der Unternehmer Weisungs- und Bestimmungsrechte nur nach billigem Ermessen ausüben 104. Der HV-Vertrag ist gegenseitiger Vertrag im Sinne der §§ 320 ff BGB 105. Der HV ver- 26 pflichtet sich zur Vermittlung oder zum Abschluss, der Unternehmer zur Zahlung der vereinbarten Vergütung, welche meist – aber nicht notwendigerweise – eine Provision ist. Wirbt der Mittler in Ausführung seiner Vertriebspflicht Stammkunden, erwirbt er eine ebenfalls im Gegenseitigkeitsverhältnis stehende Ausgleichsvergütung (§ 89b). Begleitet werden die Haupt- durch zahlreiche Nebenpflichten, insbesondere über §§ 241 Abs. 2, 242 BGB hinausgehende Schutz- und Treupflichten 106. Das allgemeine Leistungsstörungsrecht der §§ 320 ff BGB ist damit auch im Vertretervertrag anwendbar 107, wobei beide Vertragsparteien jedoch in der Regel eher auf das präsentere Kündigungsrecht des § 89a ausweichen werden. Bei Untätigkeit des Vertreters kann der Unternehmer dem Vertreter eine Frist gemäß § 323 (früher: § 326) BGB setzen 108. Der Vertreter darf seine Dienste

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Emde BB 1996, 2260 (2263); Ebenroth/ Löwisch § 89a Rn 3. Martinek/Flohr § 9 Rn 49. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 50; Martinek/ Flohr § 9 Rn 49. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 50. Martinek/Flohr § 9 Rn 49. Siehe etwa Martinek/Flohr § 8 Rn 124 f. Zum Franchiserecht Giesler/Nauschütt § 5 Rn 92.

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Küstner/Thume I Rn 248; Martinek/Flohr § 9 Rn 44 ff; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 46; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 48; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 67; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 85 Rn 1. Küstner/Thume I Rn 248 f. Martinek/Flohr § 9 Rn 44. Martinek/Flohr § 9 Rn 45 ff.

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zurückhalten, je nachdem ob es sich um eine Haupt- oder Nebenleistungspflicht handelt gemäß § 320 Abs. 1 S. 1 BGB oder § 273 BGB 109.

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3. §§ 305 ff BGB – Allgemeine Geschäftsbedingungen. Vertriebsrecht ist zugleich meist AGB-Recht 110. Dies wird oft unzureichend beachtet. Wird in den Tatsacheninstanzen einer gerichtlichen Auseinandersetzung nichts zur Qualifikation als AGB vorgetragen, werden Gerichte außer in Evidenzfällen die §§ 305 ff BGB (früher: AGBG) nicht anwenden. Diese Bestimmungen haben eine zunehmende Bedeutung. Jeder Unternehmer, der ein Vertriebsnetz mit mehreren Repräsentanten unterhält, achtet auf die Einheitlichkeit der ihnen gegenüber verwandten Verträge, etwa im Vertragshändlerbereich 111. Ein Aushandeln, welches zur Einordnung als Individualabrede führt, fehlt regelmäßig 112. Es würde voraussetzen, dass der Verwender das Vertragsgefüge in seiner Gänze zur Disposition stellt. Praktisch alle Vertriebsverträge qualifizieren sich deshalb als AGB mit allenfalls marginalen Abweichungen. Insbesondere bei Vertragshändler- und Franchiseverhältnissen ergibt sich die Einheitlichkeit der Verträge und die daraus resultierende Vermutung der Mehrfachverwendung 113 auch aus dem Gleichbehandlungsgebot und dem Gleichbehandlungswillen des Unternehmers. Unerheblich ist, ob der Unternehmer die Verträge nur für eine begrenzte Anzahl von Fällen verwenden will. Dieser Wunsch liegt in der Natur geschlossener Vertriebssysteme begründet 114. Innerhalb eines Vertriebssystems könnte eine Vermutung für die Bewertung als AGB 115 diskutiert werden, die der Unternehmer zu widerlegen hätte. Denn er kann vortragen, welche Verträge er mit welchen Mittlern gezeichnet hat. Im Prozess darf etwa ein HV die Eigenschaft als AGB beweisen, indem er den Beweis „Vorlage aller HV-Verträge durch den Unternehmer“ anbietet. Möglicherweise können auch Wettbewerber gegen unwirksame AGB im Wege der „Konkurrentenklage“ nach UWG vorgehen116, bei Verwendung durch Mittler also andere Mittler. Bei der Prüfung einer Klausel auf ihre Gesetzeskonformität ist zwischen dem Interesse 28 des Unternehmers am Aufbau eines einheitlichen Vertriebssystems, möglichen Benachteiligungen von Unternehmern mit vielgliedrigem Vertriebssystem sowie dem Schutzbedürfnis des Mittlers abzuwägen. Ein Verstoß gegen zwingendes Recht (§ 134 BGB) begründet zugleich einen Verstoß gegen die §§ 305 ff BGB. Das Ergebnis hätte sich dann auch aus § 134 BGB herleiten lassen. Charakteristisch ist das Urteil des OLG München zu Einstandszahlungen 117. Es begründet die Unwirksamkeit einer Einstandszahlungsabrede, die nicht regelte, dass die vom Erstvertreter geworbenen Kunden ausgleichsrechtlich als Kunden des den Einstandspreis leistenden Nachfolgevertreters anzusehen sind, aus § 307 BGB, § 89b Abs. 4. Wie die Herleitung auch aus § 89b Abs. 4 zeigt, hätte das Ergebnis im Rahmen einer Individualvereinbarung nicht anders lauten dürfen. Eine Bedeutung 109 110

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Für Franchiseverträge Giesler ZIP 2002, 420 (424). Graf v. Westphalen DB 1984, 2335; Preis/Stoffels ZHR 160 (1996), 442 (443); Martinek/Flohr § 8 Rn 102, 112; Prasse in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 86; für Kfz-Vertragshändlerverträge Ensthaler/Gesmann-Nuissl BB 2006, 2589. Ulmer/Habersack S. 21. Prasse in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 86.

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Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 211. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 212. Emde EWiR 2002, 486; ders VersR 2003, 549 (553); zu Bauträgerverträgen auch Gero Fischer WM 2003, 1. Köhler NJW 2008, 177. OLG München, Urt. v. 20.10.2004 – 7 U 3194/04, BB 2005, 630 mit Anmerkung Semmler BB 2005, 965 und Emde EWiR 2005, 471.

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haben die §§ 305 ff BGB damit vor allem bei Vertragsklauseln, mit denen dispositive Regelungen abbedungen werden118. Da der Prinzipal ebenso wie sein HV meist Unternehmer i.S.d. § 310 Abs. 1, § 14 BGB 29 ist, bleiben vorrangiger Prüfungsmaßstab nicht die §§ 308, 309 BGB, er wird in erster Linie durch § 307 BGB gebildet 119. Für die Unternehmereigenschaft genügt es, dass der Mittler diese durch den Vertragsschluss begründet 120. Eine mit § 507 BGB vergleichbare Regelung ist im AGB-Recht nicht vorgesehen 121. Auch im Franchiserecht kommt dem übereinstimmend Gewollten Vorrang vor einer objektiven Auslegung der AGB zu 122. Gemäß § 307 BGB sind AGB unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwen- 30 ders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich daraus ergeben, dass die Klausel nicht klar und verständlich ist. Die Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, falls die Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB), oder wesentliche Rechte und Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrages ergeben, so einschränkt, dass der Vertragszweck gefährdet ist. Teilweise wird vertreten, in AGB dürfe überhaupt nicht zu Lasten des Mittlers von dispositivem Recht abgewichen werden 123. Dies ist etwas weitgehend, wenngleich die gemäß § 307 BGB gebotene Einzelfallbetrachtung oft zum selben Ergebnis führt. Ob eine kartellrechtliche GVO das „gesetzliche“ Leitbild widerspiegelt, könnte wegen des Vorrangs und der Spezialität deutschen Gesetzesrecht diskutiert werden. Die Rechtsprechung ist dabei uneinheitlich. Insbesondere der BGH hat Klauseln jedoch am Leitbild der GVO gemessen 124. Auch wenn es sich bei einer GVO wegen des Charakters als Verwaltungsempfehlung nicht um ein gesetzliches Leitbild handelt 125, kommt den durch die Kommission erlassenen GVOs richtigerweise eine wichtige oder zumindest indizielle 126 Stellung als gesetzliche Leitbilder zu, da sie nach Anhörung der beteiligten Kreise erlassen wurden 127. Insbesondere im unnormierten Vertragshändler- und Franchiserecht kann die Leitbildwirkung akzeptiert werden. Verstößt eine Klausel gegen eine GVO, folgt dem regelmäßig die Unwirksamkeit nach § 307 BGB 128. Schwierig ist dabei die Berücksichtigung des Art. 81 Abs. 3 EG. Will man die Leitbildfunktion der GVO anerkennen und widerspricht eine Klausel ihren Bestimmungen, wird die Nichtigkeit nur ausgeschlossen, wenn bei abstrakt-genereller Betrachtung jeder Vertrag des Vertriebssystems nach Art. 81 Abs. 3 EG befreit wäre 129. 118

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Eberstein S. 18 f; Küstner/Thume I Rn 323 ff; Prasse in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 88; Emde MDR 2002, 190 (191); Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 51. Martinek/Flohr § 8 Rn 112. OLG Oldenburg, Urt. v. 12.11.2001, BB 2001, 2499 ff = DB 2002, 423 (424); Prasse in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 87; aA Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 65. OLG Oldenburg, Urt. v. 12.11.2001, BB 2001, 2499 ff = DB 2002, 423 (424); Prasse in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 87. BGH NJW-RR 2000, 1159 (1160). Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 85 Rn 2.

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BGH, Urt. v. 20.07.2005 – VIII ZR 121/04, ZIP 2005, 1785 = WM 2005, 2002 = NJWRR 2005, 1496 = EWiR 2005, 815 (Emde) = NJW 2006, 46 m. Anm. Kappus NJW 2006, 15; siehe auch BGH BB 2000, 60 mit Anm. Emde = EWiR 2000, 153 (Emde). Ulmer/Schäfer ZIP 1994, 753; Ulmer/Habersack S. 30. Ulmer/Habersack S. 30. Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 64; aA Giesler/ Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 219, 230; Niederleithinger NJW 1991, 3078. Niebling WRP 2006, 1334. Vgl. BGH, Urt. v. 13.07.2004 – KZR 10/03, GRUR 2005, 62 = EWiR 2004, 1177 (Herbertz).

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Nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB unterliegen nur Bestimmungen einer Inhaltskontrolle, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Rechtsvorschriften i.S.d. § 307 Abs. 3 S. 1 BGB sind alle Normen der Gesetze im materiellen Sinne sowie ungeschriebene Rechtsgrundsätze, die ohne die inkriminierte Klausel gelten würden. Damit ist Kontrollmaßstab die Gesamtheit der wesentlichen Rechte und Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrages ergeben130. Klauseln, die Art und Umfang der vertraglichen Hauptleistungspflicht beschreiben (Leistungsbeschreibungen) und den dafür zu zahlenden Preis unmittelbar regeln (Preisvereinbarungen) sind einer Inhaltskontrolle entzogen (kontrollfreie Klauseln) 131. Die Höhe der Hauptleistung ist daher nicht Gegenstand einer Kontrolle nach dem AGB-Recht, sondern in erster Linie nach § 138 BGB, ggf. §§ 242 und 313 BGB 132. Als Hauptpflichten von der Inhaltskontrolle ausgenommen sind ferner die Bestimmung der Vertragsparteien, Preisvereinbarungen, Leistungsbeschreibungen, Gebietszuweisungen 133, nicht jedoch Regelungen zur Gebietsbeschränkung 134, Anleitungen für die Ausgestaltung des Franchisebetriebs, Warenbeschreibungen 135, einseitige Preisänderungsvorbehalte 136 und deklaratorische Klauseln 137. Hingegen sind Formularklauseln kontrollfähig, die Leistungsversprechen ausgestalten und modifizieren 138; ebenso Klauseln über die Änderung der Vertragspartnereigenschaft 139. Preisnebenabreden, die zwar mittelbar Auswirkungen auf die Preisgestaltung haben, an deren Stelle aber, wenn eine wirksame vertragliche Regelung fehlte, dispositives Recht treten kann, unterliegen der Inhaltskontrolle. Dies gilt etwa für eine Formularklausel in einem HV-Vertrag zwischen einem Luftfahrtunternehmen und dem Reisebüro, der zufolge Provisionen, welche die Reisebüros erhalten, allein auf Grundlage der Flugkosten und nicht der von Flughafen zu Flughafen variierenden Landegebühren berechnet werden 140. Der BGH hat diese Klausel an § 307 BGB gemessen und für wirksam gehalten. Hingegen hat er Einstandszahlungen des HV für den Kauf einer Vertretung als kontrollfreie Hauptleistungsabrede angesehen 141. Der Ausgleichsanspruch wird gleichfalls nicht als Hauptleistung angesehen, obwohl er im Gegenseitigkeitsverhältnis steht. Bei so genannten Händlerstandards kann es sich um Vertragsbestandteile und damit 32 um AGB handeln. Verbleiben Zweifel, sind sie – wenn dies zum Vorteil des Händlers gereicht – gemäß § 305c BGB nur als Empfehlungen des Herstellers anzusehen 142. Für die Änderung von Händlerstandards gelten die gleichen Anforderungen wie bei sonstigen Änderungsvorbehalten 143, es sei denn, es handelt sich lediglich um Empfehlungen. Die

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BGH v. 06.02.1985, BGHZ 93, 358, 360; BGH, Urt. v. 14.10.1997, BGHZ 137, 27, 29; BGH, Urt. v. 12.05.2004 – VIII ZR 159/03; Prasse in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 89. BGH, Urt. v. 12.05.2004 – VIII ZR 159/03. Prasse in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 89. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 222. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 222. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 222. BGHZ 81, 229 (232); 93, 252 (255); Ulmer/ Habersack S. 36.

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Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 220. BGH v. 24.04.1991, NJW-RR 1991, 1013. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 220. BGH, Urt. v. 12.05.2004 – VIII ZR 159/03, MDR 2004, 1009 = NJW-RR 2004, 1206 = WM 2004, 2453. BGH, Urt. v. 09.12.1992 – VIII ZR 23/92, NJW-RR 1993, 376 = MDR 1993, 1060. Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 108. Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 110.

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Einordnung als AGB ändert sich nicht dadurch, dass der Hersteller den Mittler in Beiräten oder Ausschüssen, die sich aus dem Kreis der Mittler gebildet haben, in die Gestaltung der Verträge einbezieht 144. Selbst wenn diese Organisationen Änderungen einzelner Klauseln durchsetzen, gelten sie nicht als ausgehandelt 145. Die Stellungnahme der Mittlervertretungen können jedoch für die Bewertung der Angemessenheit der Klausel Bedeutung gewinnen, da sie die Sichtweise der Mittler ausdrücken 146. Nur wenn die Vertretung der Mittler von allen Händlern zum Aushandeln der Verträge bevollmächtigt war, kann ein individuelles Aushandeln vorliegen 147. Soweit in dem Vertriebsvertrag die Geltung der dem Vertrag beigefügten allgemeinen AGB einer Partei (etwa Verkaufsbedingungen) vereinbart wird, ist dies zulässig. Soweit nicht auf die jeweils aktuellen AGB verweisen wird, bleibt die Änderung dieser AGB eine Vertragsänderung, die nur konsensual erfolgen darf 148. a) Unwirksame Klauseln. Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe sind Bestimmun- 33 gen mit folgendem Inhalt in Vertriebsverträgen für unwirksam gehalten worden: – Abrechnung: • Regelung, dass Abrechnungen nach Schweigen des Vertreters auf deren Zusendung als anerkannt gelten. Diese Gestaltung wird gewählt, um die Höhe der Provision dem Streit zu entziehen und die Kontrollrechte des § 87c als Hilfsrecht auszuschließen. Das Ergebnis dürfte sich auch aus § 87c Abs. 5 begründen. Das LG Frankfurt/Main 149 hat jedoch in einem Einzelfall ein Interesse des Unternehmers anerkannt, durch eine solche Vereinbarung rasche und klare Verhältnisse zu schaffen. • Verpflichtung des Vertreters, Durchschriften der Abrechnungen innerhalb einer Frist von 2 Wochen nach Zugang zu prüfen und mit einem Bestätigungsvermerk oder evtl. Einwendungen an den Hersteller zurückzusenden 150. • Klausel in den AGB des Mineralölunternehmers, nach der es berechtigt sein soll, von einem Agenturkonto, auf welches der Tankstellenvertreter die Erlöse aus den Verkäufen einzuzahlen hat, im Lastschriftverfahren Abschläge für Verkaufserlöse abzubuchen, die der Tankstellenvertreter noch nicht vereinnahmt hat 151. Begründung: Es zähle nicht zu den gesetzestypischen Pflichten des Vertreters, für Verkaufserlöse in Vorlage zu treten. Der Vertreter habe diese Beträge vielmehr herauszugeben (§ 667 BGB). – Adressen: Zahlungspflicht des Vertreters für die Mitteilung von Kundenadressen 152. Die wechselseitigen Informationspflichten forderten deren kostenlose Überlassung. – Änderungsvorbehalte und einseitige Leistungsbestimmungsrechte: Unzulässig ist das Recht einer Partei, jederzeit ohne Ankündigung Preise, Rabatte, Gebühren, Nachlässe oder andere Verkaufsbedingungen zu ändern und neue Preislisten herauszugeben 153, es 144 145 146 147 148 149 150

Ulmer/Habersack S. 29; Westphal Vertriebsrecht II Rn 64. Westphal Vertriebsrecht II Rn 64. Ulmer/Habersack S. 29; Westphal Vertriebsrecht II Rn 64. Westphal Vertriebsrecht II Rn 64. Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 114. VersR 1998, 1238. Emde MDR 1999, 1108 (1113); Emde EWiR 1999, 328.

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BGH, Urt. v. 08.11.2005 – KZR 18/04, BB 2006, 180; ebenso KG, Urt. v. 201.05.2007 – 23 U 87/05. OLG Saarbrücken, NJW-RR 1997, 99. AA noch 4. Aufl., § 85 Rn 5: Entweder sind die niedrigeren Provisionssätze, die Verkleinerung oder Verlegung des Bezirks sachlich vertretbar – bei der Provisionskürzung der Fall der vermehrten Hereinbringung von Versicherungsverträgen mit schlechtem Risiko: aber der Versicherer könnte den Ver-

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sei denn, es handelt sich um freiwillige Leistungen des Unternehmers 154, also wohl solche, die ohne Gegenleistung erbracht werden (woran es im Zweifel mangelt). Die bloße Freiwilligkeit der Gewährung reicht nicht, weil jede vertragliche Leistung freiwillig erbracht wird (sonst § 123 BGB). Unzulässig ist die Auslagerung der Marge in „freiwillige Leistungen“ 155. Nichtig ist daher die Klausel, die Vertragsware werde zu dem jeweils zur Zeit der Auslieferung an den Händler geltendem Händlereinkaufspreis in Rechnung gestellt. Hierdurch könne der Hersteller den Gewinn des Händlers einseitig beschneiden, falls jener bereits zu einem festen Preis an seine Kunden verkauft habe 156. Gleiches gilt für die in Vertragshändler-AGB enthaltene Klausel „Für Bestellungen des Händlers gelten die Listenpreise für Vertragsware in ihrer zum Zeitpunkt der Annahme der Bestellung gültigen Fassung. Der Unternehmer ist berechtigt, die Listenpreise für Vertragsware jederzeit neu festzusetzen und wird den Händler von einer Neufestsetzung unverzüglich unterrichten“ 157. Dies gilt auch dann, wenn sich der Unternehmer bereit erklärt, dem Vertragshändler die Preisdifferenz zu erstatten, sofern jener wegen eigener wirtschaftlicher Bindungen nicht in der Lage ist, den erhöhten Preis an den Endabnehmer weiterzugeben und auch, wenn der Unternehmer lediglich Importeur und nicht Hersteller ist. Denn der Unternehmer könnte einen Vorbehalt des Inhalts aufnehmen, dass die Preiserhöhung nur eintritt, wenn sich der Importeur erhöhten Kaufpreisen ausgesetzt sieht. Preisanpassungsklauseln in AGB dürften nur zulässig sein, wenn sie keine nachträgliche Änderung des vertraglich vereinbarten Äquivalenzinteresses, etwa eine Gewinnerhöhung, ermöglichen 158, zudem in Fällen des WGG 159. Daneben müssen sie dem Transparenzgebot genügen 160. Der Vertragspartner muss erkennen, in welchem Umfang Preiserhöhungen auf ihn zukommen und er muss die Berechtigung der Preiserhöhungen in etwa überprüfen können 161. Dazu müssen die Preisänderungsfaktoren genannt werden. Möglicherweise wird man auch eine korrespondierende Preissenkungspflicht wie bei Zinsanpassungsklauseln fordern müssen 162. Ob als Äquivalent für die Preiserhöhung ein Vertragslösungsrecht ausreicht, ist unsicher 163. Aufgrund dieser hohen Erfordernisse erscheint es in der Praxis nahezu ausgeschlossen, eine wirksame Änderungsvorbehaltsklausel auf dem not-

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tragsabschluß überhaupt ablehnen, und eine geringere Provision ist für den Vertreter immer noch besser als gar keine –; dann ist der Vorbehalt hinsichtlich seiner konkreten Auswirkungen nicht zu beanstanden. Ist er dagegen sachlich nicht vertretbar (und wirkt sich so auch aus), was bei einer einseitigen Verkleinerung des Bezirks sehr viel häufiger zutreffen wird, dann hat der Handelsvertreter das Recht zu kündigen und erhält dafür seinen Ausgleich (§ 89b Abs. 3). Er ist also durchaus nicht schutzlos. Schon die drohende Ausgleichsberechtigung sorgt mit steigender Dauer des Vertragsverhältnisses dafür, den Unternehmer von einem unangemessenen Gebrauch einseitig diktierbarer Änderungen abzuhalten. BGHZ 124, 351 (362); Ulmer/Habersack S. 35 Ulmer/Habersack S. 35 BGH BB 2000, 60 m. Anm. Emde = NJW

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2000, 515 = EWiR 2000, 153 (Emde); BGH, Urt. v. 20.07.2005 – VIII ZR 121/04, ZIP 2005, 1785 = WM 2005, 2002 = NJW-RR 2005, 1496 = EWiR 2005, 815 (Emde) = NJW 2006, 46 m. Anm. Kappus NJW 2006, 15. OLG Bremen, Urt. v. 05.10.2006 – 2 U 47/06, OLGR 2007, 1 im Anschluss an BGH v. 20.07.2005 – VIII ZR12/04, BGHZ 164, 11. BGHZ 94, 335 (339) = NJW 1982, 331 (332); BGH NJW 1985, 855 (856); BGH NJW-RR 1986, 211 (212); BGH NJW 1986, 3134 (3135); Borges ZIP 2007, 1438. Ulmer/Habersack S. 37. Borges ZIP 2007, 1438. BGHZ 94, 335 (340); BGH NJW 1986, 3136; Borges ZIP 2007, 1438. Borges ZIP 2007, 1440. Vgl. Borges ZIP 2007, 1441 ff.

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wendigen Abstraktionsgrad zu formulieren, die die konkreten Umstände in ausreichendem Maße berücksichtigt 164. Die Grundsätze zum AGB-Änderungsvorbehalt sollen allerdings nur für synallagmatische Leistungsversprechen gelten, also für solche, die für die Vertriebsbemühungen des Mittlers gewährt werden, nicht jedoch für Leistungsversprechen, die zusätzlich zu den im Vertrag versprochenen für Nebenleistungen gewährt werden 165. Diese Auffassung ist abzulehnen. Die Grundsätze gelten für jedes vertragliche Leistungsversprechen, unabhängig von seiner Benennung und auch unabhängig von seiner objektiven Rechtsnatur. Würde man dies gegenteilig sehen, wäre eine strukturelle Verschiebung im Gewicht der gewährten Vergütungsbestandteile zu befürchten, die allerdings einen Umgehungstatbestand im Sinne des § 306a BGB begründen würde166. Die Möglichkeit einer Änderungskündigung bleibt unberührt167. – Aufwendungsersatz: § 87d bestimmt das gesetzliche Leitbild. Durch AGB darf ein Verwender nicht ohne guten Grund von dessen Regelungsgehalt abweichen 168. – Ausbildung: Entgelt für die Ausbildung des Mittlers, wenn ihr keine Gegenleistung gegenübersteht 169. Das ergibt sich bereits aus § 138 BGB. – Ausgleichsanspruch: • Anrechnungsklauseln, nach denen „in Höhe des Barwerts der Altersversorgung kein Ausgleichsanspruch gemäß § 89b entsteht“ 170. Jedoch wird im Einzelfall ein Abzug des Anwartschaftsbarwerts der Altersversorgung vom Ausgleich unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit nicht beanstandet 171: Die Klausel verstoße gegen § 89b Abs. 1 S. 1 Nr. 3, Abs. 4 i.V.m. § 307 BGB und sei daher unwirksam. Sie schreibe den Abzug des Anwartschaftsbarwerts einer Altersversorgung bindend und ohne Berücksichtigung von Einzelfallmomenten vor. Eine differenzierende, jedoch von § 89b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 als zwingendem Recht angeordnete Billigkeitsabwägung sei damit ausgeschlossen. Im Rahmen dieser Abwägung könne z.B. eine lange zeitliche Differenz zwischen Vertragsbeendigung und Fälligkeit des Versorgungsanspruches die Anrechnung verbieten. Die Klausel weiche auch insoweit vom Gesetz ab, als die von § 89b Abs. 1 Nr. 3 vorgeschriebene Billigkeitsprüfung den Ausgleich nicht reduzierte, wenn der errechnete Rohausgleich oberhalb der Ausgleichshöchstgrenze valutierte. Billigkeitskriterien beschnitten lediglich den Rohausgleich. Die Klausel schreibe den Abzug jedoch nicht vom Rohausgleich sondern vom tatsächlich zu zahlenden und durch die Höchstgrenze bereits begrenzten Ausgleich vor. • Eine Formulierung in einer solchen Anrechnungsklausel, „diese Regelung beruht auf der Rechtsprechung des BGH“ verstößt gegen das Transparenzgebot, wenn die Klausel tatsächlich nicht dieser Rechtsprechung entspricht 172.

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Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 135. BGH NJW 1994, 1060 (1063) unter Hinweis auf BGHZ 104, 82 (86); 104, 78. Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 124 f. Ulmer/Habersack S. 37. Ebenroth/Löwisch § 87d Rn 11. OLG Hamm NJW-RR 1990, 567; LG Mönchengladbach, NJW-RR 1991, 1207. BGH, Urt. v. 20.11.2002 – VIII ZR 211/01, DB 2003, 144 = MDR 2003, 277 = WM 2003, 691 = EWiR 2003, 231 (Emde) =

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VersR 2003, 368; Urt. v. 20.11.2002 – VIII ZR 146/01, ZIP 2003, 264 = MDR 2003, 278 = WM 2003, 687 = EWiR 2003, 229 (Küstner) = VersR 2003, 323; ebenso OLG München, Urt. v. 03.03.2003 – 29 U 2509/02, NJW-RR 2003, 1286; zusf. Graf v. Westphalen NJW 2003, 1988. So bereits Küstner VersR 2001, 58. Urt. v. 20.11.2002 – VIII ZR 146/01, ZIP 2003, 264 = MDR 2003, 278 = WM 2003, 687 = EWiR 2003, 229 (Küstner) = VersR 2003, 323.

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• Ausschluss des Ausgleichs in einem Franchisevertrag: Da die analoge Anwendung des § 89b in Fällen des Subordinationsfranchising unzweifelhaft sei, liege eine unangemessene Benachteiligung vor 173. • Ein von ESSO als Ersatz für den durch die Einstufung als Handelsvertreter im Nebenberuf entfallenden Ausgleichsanspruch gezahltes Überleitungsgeld darf nicht aufgrund einer AGB-Klausel zurückgefordert werden, nach der jede Kündigung von Seiten des Vertreters – mit Ausnahme der Kündigung aus Altersgründen – das Rückforderungsrecht auslöst. Eine solche Regelung widerspricht dem Derogationsverbot des § 89b Abs. 4. Die Ausschlussgründe des § 89b Abs. 3 werden unzulässig erweitert174. Austrittsgebühr: Siehe Eintrittsvereinbarung. Auswechslung des Vertragspartners: Auch in einem Franchisesystem hat der Unternehmer regelmäßig kein berechtigtes Interesse daran, einen anderen Vertragspartner an seiner Stelle einzusetzen175. Eine derartige Klausel kann nur berechtigt sein, wenn eine Umgestaltung konkret geplant ist und der mögliche neue Vertragspartner individualisierbar benannt wird. Der Franchisenehmer braucht sich keinen ihm unbekannten und möglicherweise insolventen Vertragspartner aufdrängen zu lassen. Belieferungsrecht: Wird vereinbart, der Unternehmer dürfe einen Vertragshändler auch ohne Bestellung beliefern, widerspricht dies den §§ 145 ff BGB und ist unwirksam, und zwar nicht erst dann, wenn ein korrespondierendes Rückgaberecht nicht vereinbart wurde; für die Unwirksamkeit nur in diesem Fall Vogels/Köhnen, in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, Rn 232; die Klausel halten Stumpf/Jaletzke/Schultze, Rn 256 für wirksam. Außerdem wird die Selbstständigkeit des Händlers beeinträchtigt. Berichtspflicht: Ihre Ausgestaltung und Erweiterung, sofern der HV keine hochwertigen Produkte, sondern preiswerte Massenartikel vertreibt 176. Auch bei Massenartikeln dürfte jedoch das Informationsbedürfnis des Unternehmers wegen des wirtschaftlichen Risikos der großen Zahl und der Produkthaftungsgefahren erheblich sein. Bestimmungsrechte, einseitige: Siehe einseitige Leistungsbestimmungsrechte. Betriebspflicht: Vereinbarung einer automatischen Beendigung des Vertrages, wenn ein Franchisenehmer den Betrieb nicht innerhalb einer bestimmten Frist eröffnet oder keinen wirtschaftlichen Erfolg hat 177. Die Unwirksamkeit der Klausel begründet sich vor allem aus dem vorgesehenen Automatismus 178. Bezugsbindungen: wenn sie Querlieferungen kartellrechtswidrig beeinträchtigen. Nach aA 179 sind sie nicht zu beanstanden, falls sie etwa in einem Franchisesystem dazu dienen, die charakteristischen Qualitätsanforderungen des jeweiligen Franchisesystems und der ihm zugrunde liegenden Geschäftsidee zu sichern. Eine Unwirksamkeit nach § 307 BGB tritt ein, wenn Waren nicht genutzt werden dürfen, die in keiner Konkurrenz zu den Vertragsprodukten stehen und das Marken-, System- und Qualitätsbild des Franchisesystems nicht zu gefährden geeignet sind 180.

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OLG München, Urt. v. 26.06.2002 – 7 U 5730/01, BB 2002, 2521 = DB 2002, 2433. OLG Hamburg, Urt. v. 30.03.2006 – 10 U 16/05. AA Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 247. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 37. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 250.

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Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 250. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 243. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 243.

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– Bildmarke, Verbot der Nutzung: BMW-Werkstätten dürfen trotz einer entgegenstehenden Regelung in den Werkstattverträgen die Bildmarke „BMW“ für den Verkauf von Gebraucht-Kfz nutzen. Sollte sich das Verbot der Nutzung auch auf deren Verkauf erstrecken, wäre es gemäß § 307 BGB nichtig, entschied das OLG München 181 im Anschluss an den BGH 182 und den EuGH 183. – Direktgeschäfte; Vorbehalt solcher Geschäfte des Herstellers im Vertragshändlervertrag. Ein uneingeschränktes Direktvertriebsrecht des Unternehmers, vereinbart in AGB, ist unzulässig 184. Die wirksame Vereinbarung einer solchen Klausel ist nur dann möglich, wenn das Direktvertriebsrecht nur eingeschränkt gewährt wird und dem Vertragshändler ein angemessener Ausgleich für die entgangenen Geschäfte gewährt wird. – Einsatz weiterer Händler im Vertragsgebiet nach Marktlage und Kundendienstbelangen: Ein dem einzelnen Händler individuell zugesicherte Marktgebiet gehört zum wesentlichen Kern des Händlervertrages. Ein rechtmäßiger einseitiger Änderungsvorbehalt des Herstellers würde voraussetzen, dass die Änderung des Vertriebssystems die Belange des Herstellers in angemessener Weise berücksichtigt 185. – Einseitige Leistungsbestimmungsrechte des Unternehmers186, insbes. Vorbehalt der einseitigen Herabsetzung des vereinbarten Provisionssatzes durch den Unternehmer 187 oder Vorbehalt der einseitigen Änderung des Vertreterbezirks bzw. des Kundenstamms durch den Unternehmer 188. Das ergibt sich schon aus der zwingenden Natur der Kündigungsfristen des § 89, zudem aus der zwingenden Natur des § 89a. Am Transparenzgebot scheitert die Klausel meist, wenn sie keine Beispielsfälle für das einseitige Änderungsrecht nennt. Der Hersteller darf Garantiekarten, Preise, Rabatte, Boni, Finanzierungsbedingungen und Zuschüsse nicht beliebig ändern 189. – Einsichtsrechte in die Bilanz und Buchführung des Mittlers sind unwirksam, falls keine objektiven Anhaltspunkte vorliegen, die die Nichterfüllung vertraglicher Verpflichtungen in Folge finanzieller Unsicherheit oder Unregelmäßigkeiten nahe legen 190. – Eine Eintrittsvereinbarung, die gemäß § 89b Abs. 3 Nr. 3 zum Ausgleichsausschluss führt soll nur individualvertraglich zulässig sein 191. Weitere Vorausetzung: ihr muss eine Gegenleistung gegenüberstehen 192. Die Pflicht zur Zahlung des Eintrittsgeldes nach Kündigung, ohne Differenzierung nach Kündigungsgrund und Vertragslaufzeit, ist ebenfalls unwirksam 193. – Eintrittsgebühr, Rückzahlung: Der Ausschluss der Rückzahlung der Eintrittsgebühr

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Urt. v. 06.04.2006 – 29 U 5193/05. BGH GRUR 2003, 340 (342) – Mitsubishi; BGH GRUR 2003, 878 (879) – AUDI. EuZW 1999, 244 (247); Tz. 47–54 – BMW. BGH NJW 1994, 1060; Ensthaler/Gesmann-Nuissl BB 2003, 533 (535 f).; nicht ganz zweifelsfrei, weil die Hauptleistungspflichten kontrollfrei sind. Der Hersteller braucht keine Exklusivität zu versprechen. LG Düsseldorf, Urt. v. 20.02.1991 – 12 O 284/90. BGH, Urt. v. 20.07.2005 – VIII ZR 121/04, ZIP 2005, 1785 = WM 2005, 2002 = EWiR 2005, (Emde); BGH, Urt. v. 13.07.2004 –

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KZR 10/03, GRUR 2005, 62 = EWiR 2004, 1177 (Herbertz). Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 85 Rn 2; aA 4. Aufl., § 85 Rn 5. AA 4. Aufl., § 85 Rn 5. BGH, Urt. v. 06.10.1999 – XIII ZR 125/98. Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 190. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 68. OLG Hamm NJW-RR 1990, 567; LG Mönchengladbach NJW-RR 1991, 1207; Martinek/Flohr § 8 Rn 116. Zum Franchiserecht: Giesler/Nauschütt § 9 Rn 95.

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eines Franchisenehmers für den Fall der vorzeitigen Beendigung des Franchisevertrages ohne Rücksicht auf die Vertragsdauer und den Beendigungsgrund 194. Erfolgshaftung des HV: Eine Erfolgshaftung des HV für Erfolg und Erfüllung eines Geschäftes durch den Kunden oder seine Vermittlung, auch falls der Unternehmer Forderungen gegen Kunden in ein für Forderungen von HV und Unternehmer zu führendes Kontokorrent einstellen 195. Die Unwirksamkeit dürfte jedoch bei der klassischen Delkrederehaftung nicht eintreten, weil sie dem gesetzlichen Leitbild entspricht. Ersatzteile: Die Klausel, nicht vom Kfz-Hersteller stammende Ersatzteile dürfe der Händler nicht verwenden, solange sie nicht den Qualitätsstandard der Herstellerteile erreichten, wobei bis zum Beweis des Gegenteils durch den Händler die Vermutung bestehe, dieser Standard werde verfehlt: Der Händler könne kaum nachweisen, dass Identteile denselben Standard besäßen wie Originalteile. Ein Nachweis könne aber unschwer durch die in Art. 1 Abs. 1 lit. t S. 3 GVO 1400/02 vorgesehene Bescheinigung des Teileherstellers geführt werden, die Qualitätsstandards des Kfz-Herstellers würden erreicht. Die Klausel sei wegen Intransparenz unwirksam: Ihr könne nicht entnommen werden, dass jene Bestätigung des Produzenten für den Nachweis genüge. Es könne offen bleiben, ob die Klausel für sog. Nachbauteile zulässig sei. Für Identteile bleibe sie unzulässig, was zur Gesamtnichtigkeit führe 196. Ersatzfahrzeuge: Eine uneingeschränkte Vorhaltepflicht von Ersatzfahrzeugen ist unter dem maßgeblichen Gesichtspunkt einer interessengerechten Wahrnehmung der Händlerbelange überzogen und bildet eine unangemessene Benachteiligung, da dem Reparaturkunden auch ein Vorführwagen zur Verfügung gestellt werden könnte. Außerdem war die verwendete Formulierung „angemessene Anzahl“ zu unbestimmt und verstieß gegen das Transparenzgebot 197. Feste Vergütung statt Provision 198: Wegen des Leitbildes des § 87. Finanzierung: die in einem Kfz-Händlervertrag enthaltene Regelung, alle vom Hersteller gekauften Fahrzeuge seien über eine konzerneigene Bank zu finanzieren 199. Franchiserichtlinien: Beachtung der jeweils als verbindlich bezeichneten Franchiserichtlinien, weil hierdurch eine dem Direktionsrecht des Arbeitgebers vergleichbare Abhängigkeit geschaffen wird 200. Vor allem liegt ein unzulässiger einseitiger Änderungsvorbehalt vor. Freistellung: Im Arbeitsrecht wird überwiegend von der Unzulässigkeit der Freistellungsklauseln ausgegangen, bei Vorstandsverträgen soll sie zulässig sein 201. Wegen des besonderen Vertrauensverhältnisses im HV-Recht dürften sie bei voller finanzieller Kompensation wohl eher zulässig sein 202, es sei denn, die Tätigkeit ist für den HV bei abstrakt-genereller Betrachtung von besonderer Bedeutung, was eine Frage des Ausübungsermessens sein kann. Unzulässig ist die Freistellung ohne Entschädigung (Rechtsgedanke der § 90a, § 249 BGB, Umgehung der Kündigungsfristen) und dann, wenn es

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Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 254. OLG Düsseldorf OLGR 1994, 281; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 44. BGH, Urt. v. 20.07.2005 – VIII ZR 121/04, ZIP 2005, 1785 = WM 2005, 2002 = NJW-RR 2005, 1496 = EWiR 2005, 815 (Emde) = NJW 2006, 46 m. Anm. Kappus NJW 2006, 15.

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OLG Frankfurt/Main, Urt. v. 25.03.2004 – 1 U 31/03. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 60; sehr zweifelhaft, da kontrollfreie Hauptleistung. Graf v. Westphalen BB 1999, 1519, 1520. OLG München, Urt. v. 26.06.2002 – 7 U 5730/01, BB 2002, 2521. Vgl. Bauer/Arnold ZIP 2006, 2337 (2341). Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 30.

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dem Unternehmer gestattet wird, eine gegen Bezahlung erfolgte Freistellung des HV jederzeit zu widerrufen 203. Die einseitig eingeräumte Möglichkeit des „sich Umentscheidens“ setzt den HV einer unerträglichen Lage aus (hier: Unwirksamkeit in Verbindung mit zu langer Kündigungsfrist bejaht). – Garantie-/Gewährleistungsvergütung: Für Garantiearbeiten, die dem Unternehmer obliegen, weil jener eine Garantiezusage gegeben hat, erhält der Vertragshändler Aufwendungsanspruch aus GoA einschließlich eines angemessenen kalkulatorischen Gewinns 204. Bei einem Geschäftsbesorgungsvertrag erhält der Geschäftsführer die vereinbarte oder eine übliche (§§ 612, 632 BGB) Vergütung, die einen Gewinn einschließt 205. Zudem resultiert ein Regressanspruch aus der zwischen den Vertragspartnern bestehenden gegenseitigen Interessenwahrnehmungspflicht 206. Zudem hat der Händler ggf. einen Regressanspruch nach §§ 478, 479 BGB 207. In AGB darf der Anspruch des Vertragshändlers nicht auf eine Kostenpauschale ohne kalkulatorischen Gewinn beschränkt werden 208. Das Garantierisiko liegt in der Sphäre des Garantiegebers, so dass dieser die daraus resultierenden Aufwendungen zu tragen hat 209. Soweit der Händler verpflichtet ist, Gewährleistungsarbeiten auch für die Kunden anderer Vertragshändler zu erbringen, gelten die vorstehenden Grundsätze entsprechend. Eine dahingehende Klausel wäre auch als AGB zulässig 210. Unwirksam ist die Klausel, für seine im Rahmen von Garantiearbeiten erbrachten Leistungen erhalte der Händler Aufwendungsersatz nach Maßgabe einheitlicher Berechnungsgrundlagen, welche der Hersteller unter Berücksichtigung des für die jeweilige Garantieleistung technisch notwendigen Arbeitsaufwandes und der betriebswirtschaftlichen Gegebenheiten bei dem Durchschnitt der hinsichtlich ihrer Betriebsgröße und Kostenstruktur vergleichbaren Händlerbetriebe nach billigem Ermessen bestimme: Es ergibt sich aus ihr nicht, ob der Händler Anspruch auf den ihm zustehenden kalkulatorischen Gewinn hat 211. Sofern bei Gewährleistungsarbeiten Ansprüche auf Ersatz von Aufwendungen für Lagerhaltung, Fracht und Verpackung ausgeschlossen werden, widerspricht dies §§ 670, 307 BGB, weil der Beauftragte nach diesen Normen ein Recht auf Ersatz seiner Aufwendungen besitzt 212. Unwirksam ist ferner die Klausel, der Stunden-Verrechnungssatz für Gewährleistungsarbeiten werde der Kostenentwicklung angepasst und jeweils durch separate Rund203 204

205

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OLG Celle, Beschl. v. 09.06.2005 – 11 U 110/05, OLGR 2005, 650. BGH NJW 1994, 1060 (1065); Graf v. Westphalen Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Vertragshändlervertrag, Rn 21; Genzow Rn 75; Küstner/Thume Rn 1353; Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, Rn 250; Westphal Vertriebsrecht II Rn 106; Graf v. Westphalen DB 1999, 2553 (2555); ders NJW 1980, 2227; v. Sachsen Gessaphe RIW 2001, 721 (728). BGH, Urt. v. 20.07.2005 – VIII ZR 121/04, ZIP 2005, 1785 = WM 2005, 2002 = NJW-RR 2005, 1496 = EWiR 2005, 815 (Emde) = NJW 2006, 46 m. Anm. Kappus NJW 2006, 15. Siehe auch Emde kfz-betrieb 48/2001, 26. Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, Rn 246; v. Sachsen Gessaphe RIW 2001, 721.

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BGH NJW 1994, 1060 (1065); Graf v. Westphalen Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Vertragshändlervertrag, Rn 21; Genzow Rn 75; Westphal Vertriebsrecht II, Rn 106; Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, Rn 251. Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, Rn 251. Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, Rn 255. BGH, Urt. v. 20.07.2005 – VIII ZR 121/04, ZIP 2005, 1785 = WM 2005, 2002 = NJW-RR 2005, 1496 = EWiR 2005, 815 (Emde) = NJW 2006, 46 m. Anm. Kappus NJW 2006, 15. BGH, Urt. v. 13.07.2004 – KZR 10/03, GRUR 2005, 62 = EWiR 2004, 1177 (Herbertz); Graf v. Westphalen DB 1999, 2553.

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schreiben bekannt gegeben: Dem Hersteller wird durch die Klausel ein einseitiges Recht zur Änderung des Preises eingeräumt. Zur Wirksamkeit einer solchen Klausel bedarf es zumindest einer Konkretisierung der Preisänderungsfaktoren 213. Gebietsschutz, Verlust: Entfallen eines Gebietsschutzes bei Nichterreichen einer unrealistischen Umsatzvorgabe 214; siehe auch Teilkündigung. Geschäftsgeheimnisse: Durch AGB kann eine Erweiterung der Geheimhaltung über § 90 hinaus zu Lasten des HV nicht wirksam begründet werden, weil solches im Regelfall dem gesetzlichen Leitbild des HV widerspricht 215. Geschäftsleitung des HV-Unternehmens, Zustimmung des Unternehmens zur Besetzung: Ein Zustimmungsvorbehalt bildet eine unangemessene Benachteiligung des Mittlers. Es ist auch nicht klar, wie der Hersteller bei einer Veränderung des mit der Geschäftsleitung betrauten Personenkreises beurteilen kann, ob damit der angestrebte Erfolg ernsthaft gefährdet wird 216. Deshalb darf hieran auch kein außerordentliches Kündigungsrecht geknüpft werden 217. Gratisinspektion: Für Gratisinspektionen an Fahrzeugen, die der Direkthändler nicht verkauft hat, steht den Vertragshändlern ein Anspruch auf eine Vergütung in der vom Hersteller festgesetzten Höhe gegen den Vertragshändler zu, von dem das Fahrzeug verkauft wurde 218. Eine davon abweichende Klausel wäre unwirksam. Großkundengeschäft: falls sich der Unternehmer das Großkundengeschäft vorbehält, selbst wenn ihm Direktgeschäfte gestattet sind 219. In der Übernahme des Großkundengeschäfts sei eine Teilbeendigung des Händlervertrages zu sehen, die ausgleichsbegründend wirke. Haftungsbegrenzungs- und Freizeichnungsklauseln: Klauseln, in denen der Unternehmer die Haftung für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit ausschließt, sind an § 309 Nr. 7a und b BGB zu messen, die auch im unternehmerischen Verkehr indirekt über § 310 Abs. 1 BGB i.V.m. § 307 BGB gelten. Eine Haftungsfreizeichnung in einer Formularklausel soll gegen § 307 Abs. 1 BGB verstoßen 220. Halteklauseln: AGB, die es dem Käufer eines fabrikneuen Ferraris bei Meidung einer Vertragsstrafe von 50.000 DM verbieten, das Kfz innerhalb von 12 Monaten nach Übergabe zu veräußern 221. HV im Nebenberuf: Ein HV, der nach der Verkehrsauffassung hauptberuflich tätig ist, kann nicht durch Parteivereinbarung zum nebenberuflichen HV herabgestuft werden 222, erst recht nicht mittels AGB 223. Eine AGB-Klausel, die die Nebenberuflichkeit des HV bestimmt, muss bei abstrakt-genereller Betrachtung in allen außer fern liegen-

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BGH, Urt. v. 12.01.1994 – XIII ZR 165/92. OLG München, Urt. v. 26.06.2002 – 7 U 5730/01, BB 2002, 2521 (für einen Franchisevertrag). BGH ZIP 1993, 703 (704); OLG Koblenz NJW-RR 1987, 95; Ebenroth/Löwisch § 90 Rn 11 – jeweils für Geheimhaltung von Kundenanschriften. OLG Frankfurt/Main, Urt. v. 25.03.2004 – 1 U 31/03; Emde GmbHR 1999, 1005 (1012); Emde Die Handelsvertreter-GmbH, 1994, S. 106 ff. OLG Frankfurt/Main, Urt. v. 25.03.2004 – 1 U 31/03.

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OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.06.1992 – 6 U 105/91. Ensthaler/Gesmann-Nuissl BB 2003, 533. Graf v. Westphalen in: ders Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Auswirkungen der Schuldrechtsreform auf den Schuldvertragsrecht, Rn 1 ff; Prasse in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 97. OLG Hamburg, Urt. v. 29.05.2002 – 5 U 170/01, OLGR 2003, 31. BGH, Urt. v. 18.04.2007 – VIII ZR 117/06, WRP 2007, 977. BGH, Urt. v. 18.04.2007 – VIII ZR 117/06, WRP 2007, 977.

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den Fällen zutreffend sein. Im Individualklageverfahren muss eine unbillige Benachteiligung des HV hinzukommen, die aber bereits in der Verwendung der den HV in Beweisschwierigkeiten bringenden Klausel zu finden sein dürfte. Die Klausel in einem Tankstellen-HV-Vertrag, der HV übernehme als HV im Nebenberuf im Namen und für Rechnung des Mineralölunternehmens den Verkauf sowie den Einzug der Verkaufserlöse, ist gemäß § 307 BGB unwirksam 224. Nach der herrschenden Übergewichtstheorie wird als HV im Hauptberuf nur ein HV angesehen, der vorwiegend als solcher tätig ist und aus dieser Tätigkeit den größten Teil seines Einkommens bezieht. Dabei werden der Shopbereich und der Betrieb der dazugehörigen Tankstelle als Einheit empfunden. Eine Vertretertätigkeit im Nebenberuf ist nicht anzunehmen, wenn zwischen der Vertretertätigkeit und der sonstigen Berufs- oder Erwerbstätigkeit ein enger wirtschaftlicher Zusammenhang besteht und nach der Verkehrsauffassung gerade diese Verbindung in den betreffenden Wirtschaftskreisen häufig anzutreffen ist 225. Tankstellen-HV sind angesichts des Shop-Geschäfts nicht Ladeninhaber im „Hauptberuf“ und HV im „Nebenberuf“ 226. Damit wird ihre Rechtslage durch eine derartige Klausel generell unzutreffend dargestellt 227. Die Kündigung des HV-Vertrages führt auch zur Beendigung des Shop-Vertrages. Deshalb entspricht die Schutzbedürftigkeit des Tankstellen-HV nicht der eines HV im Nebenberuf, der noch anderweitiges Einkommen hat 228. Intransparenz: In ihrer Gesamtheit intransparente Vertriebsmittlerverträge 229. Investitionen müssen sich innerhalb der Vertragslaufzeit amortisieren. Unangemessen kurz ist eine Kündigungsfrist, wenn die Amortisation nicht innerhalb der Vertragslaufzeit möglich ist und ein Alleinvertriebsrecht bereits mit Zugang der Kündigung enden soll 230. Investitionsersatzanspruch: Der vollständige Ausschluss des Investitionsersatzanspruches (§ 89 Rn 60 ff) durch formularmäßige Vereinbarung verstößt gegen § 307 BGB und ist unwirksam 231. In seinem Umfang kann er aber durch AGB angemessen beschränkt werden 232. Kaufpreis für das Alleinvertriebsrecht, wenn der Kaufpreis pauschal bestimmt ist 233. Kontrollrechte: Klauseln, nach denen der Vertreter die Kosten der Kontrollrechte gemäß § 87c tragen soll 234, es sei denn, der HV hat nach dispositivem Recht die Kosten ohnehin zu tragen, regelm. etwa bei Ausübung des Einsichtsrechts. Die genannte Regelung dürfte auch § 87c Abs. 5 widersprechen.

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OLG Hamburg, Urt. v. 30.03.2006 – 10 U 16/05; BGH, Urt. v. 18.04.2007 – VIII ZR 117/06, WRP 2007, 977. OLG Hamburg, Urt. v. 30.03.2006 – 10 U 16/05. BGH, Urt. v. 18.04.2007 – VIII ZR 117/06, WRP 2007, 977. BGH, Urt. v. 18.04.2007 – VIII ZR 117/06, WRP 2007, 977. BGH, Urt. v. 18.04.2007 – VIII ZR 117/06, WRP 2007, 977. Vgl. Emde MDR 2006, 301, 302 zu Lizenzverträgen. OLG Hamburg, Urt. v. 05.12.2002 – 5 U 69/02.

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Graf v. Westphalen Klauselwerke, Vertragshändlervertrag, Rn 51; Ullrich in: Martinek/ Semler/Habermaier § 19 Rn 85; Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 457; Westphal Vertriebsrecht II Rn 679; Foth BB 1987, 1270 (1273). Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 457. OLG Frankfurt/Main NJW-RR 1987, 548; LG Paderborn NJW-RR 1987, 872; LG Aachen NJW-RR 1994, 60; Martinek/Flohr § 8 Rn 115. Vgl. Martinek/Flohr § 9 Rn 16.

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– Kundennamen: Falls die Namen der vom HV selbst geworbenen Kunden zum Geschäftsgeheimnis erklärt werden 235. Der BGH 236 sieht in einem generellen Verwertungsverbot im Hinblick auf dem HV anvertraute oder sonstige Kundenanschriften eine unangemessene Benachteiligung des HV i.S.d. § 307 BGB, weil ein so weitgehendes Verbot mit wesentlichen Grundgedanken und dem Leitbild des § 90 unvereinbar sei. Durch eine solche Vereinbarung werde es dem HV weitgehend unmöglich gemacht, nach Beendigung des Vertrages in Wettbewerb um Kunden zu treten, die vorher beim vertretenen Unternehmen gekauft haben. Wettbewerbsrechtlich sei das Vorgehen eines früheren HV nur dann zu beanstanden, wenn er sich bei dem Wettbewerb um die Kundschaft unlauterer Mittel bediene. Es dürfe aber ein Verbot getroffen werden, bei der Beendigung des Vertragsverhältnisses von Kundenanschriften Aufzeichnungen zu behalten. Denn nach § 667 BGB sei der HV ohnehin verpflichtet, Kundenanschriften herauszugeben 237. Eine solche Vereinbarung führt zu den Folgen des § 90a, insbesondere zur Pflicht, eine Karenzentschädigung zu zahlen 238. Eine derartige Klausel mag aber für vom Unternehmer mitgeteilte Kundendaten zulässig sein, weil sie bereits nach dispositivem Recht als Geschäftsgeheimnis einzuordnen sind. – Kündigungsklauseln sind unwirksam: • bei Intransparenz 239; • bei Vereinbarung von Kündigungsgründen, die ohne sachlichen Grund nur einer Partei zustehen. Das ist etwa bei den Strukturkündigungsklauseln des Kfz-Vertragshändlerrechts problematisch, die nur dem Hersteller ein Strukturkündigungsrecht zubilligen. Auch Händlerketten können Interesse an einer Strukturkündigung haben; • da § 89a das gesetzliche Leitbild kennzeichnet, ist eine Abweichung nach § 307 BGB unwirksam. Vereinbarte wichtige Kündigungsgründe sind deshalb unwirksam, wenn bei abstrakt-genereller Prüfung Kündigungsgründe geregelt werden, die keinen wichtigen Grund konstituieren 240. Die Unwirksamkeit lässt sich nicht vermeiden, indem man derartige Kündigungskataloge nur als Indizien ansieht, was die Parteien als der Vertragsfortführung entgegenstehend ansahen; in der Sache läuft dies auf das selbe hinaus, nämlich eine geltungserhaltende Reduktion 241. Das gilt insbes., wenn bereits einfache Vertragsverstöße oder Verstöße gegen Verhaltensrichtlinien ein außerordentliches Kündigungsrecht geben; • falls ein Kündigungsrecht bei „wirtschaftlichem Misserfolg“ geregelt wird 242. Der Klausel mangelt es an Transparenz. Zudem ist eine Kündigung bei Nichterreichen von Zielvorgaben unzulässig (s.u.); • sollte die Klausel lauten: „ohne dass ein wichtiger Grund im Sinne des Gesetzes vorliegt kann … jede Partei diesen Vertrag mit einer Frist von drei Monaten zum Monatsende kündigen, wenn das Vertrauensverhältnis ernsthaft gestört ist“ 243. Sie ist intransparent und verstößt gegen die zwingenden Kündigungsfristen des § 89; 235 236

237 238

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OLG Koblenz NJW-RR 1987, 95; Martinek/ Flohr § 8 Rn 116. BGH v. 28.01.1993 – I ZR 294/90, WM 1993, 1471 = BB 1993, 818; bestätigt durch Urt. v. 14.01.1999 – I ZR 2/97, BB 1999, 1452. BGH, Urt. v. 14.01.1999 – I ZR 2/97, BB 1999, 1452. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 90 Rn 6.

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BGH BB 2000, 60 (63) m. Anm. Emde. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 28; aA MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene Rn 85. AA Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 28; Schröder Rn 12. Zum Franchiserecht: Giesler/Nauschütt § 9 Rn 86. BGH, Urt. v. 20.5.2003 – KZR 19/02, BB 2003, 2254 (2258).

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• wenn im Vertrag eines HV im Nebenberuf die Kündigungsfrist auf 12 Monate 244 verlängert wurde. Gemäß § 92b Abs. 1 S. 2 dürfe solchen Vertretern gegenüber nur eine Kündigungsfrist von einem Monat für den Schluss eines Kalendermonats vereinbart werden. Werde eine abweichende Frist geregelt, müsse sie für beide Teile gleich lang sein. Die Bestimmung widerspreche dem gesetzlichen Grundgedanken, weil sie die gesetzliche Kündigungsfrist um 23 Monate überschreite. Dies erscheine für eine nebenberufliche Tätigkeit, bei der beide Seiten auf rasche Beendigung angewiesen sein können, gemäß §§ 307, 310 BGB unbillig. Die Kündigungsbestimmung sei außerdem unbillig, weil dem Unternehmer gestattet werde, eine gegen Bezahlung erfolgte Freistellung des HV jederzeit zu widerrufen 245 (dazu s. Freistellung). Wegen des Zusammenhangs dieser Regelung mit den verlängerten Fristen für die ordentliche Kündigung blieben die Kündigungsbestimmungen ohne die Möglichkeit einer geltungserhaltenden Reduktion unwirksam; • Wenn eine einseitige Vertragsbeendigung ohne Zustimmung des Unternehmers ausgeschlossen wird 246. In dieser Fassung liegt ein Verstoß gegen das zwingende Recht auf außerordentliche Kündigung nach § 89a; • Unangemessen ist die Vereinbarung einer 12-monatigen Kündigungsfrist in einem Kfz-Vertragshändlervertrag oder einem anderen Händlervertrag mit investitionsträchtigem Geschäftsfeld 247. Die für HV geltenden Kündigungsfristen des § 89 sind gesetzlicher Mindeststandard auch gegenüber anderen Vertriebsmittlern (etwa Vertragshändlern und Franchisenehmern) 248. Da die Kfz-GVO 1400/02 eine 24-monatige Mindestkündigungsfrist vorschreibt, wird man jene in dieser Branche als Leitbild heranziehen und kürzere Fristen für unzulässig halten müssen. Diese Kündigungsfrist würde auch nach Entfallen der GVO gelten; • Unwirksam ist die Klausel, ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung mit sofortiger Wirkung liege vor, wenn der Vertragshändler seinen Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem Hersteller oder einem verbundenen Unternehmen nachhaltig nicht nachkomme: Der Begriff „nachhaltig“ sei zu unbestimmt. Außerdem sei die Klausel nicht ausreichend konkretisiert, da ein Vertragshändler nicht erkennen könne, welche Verbindlichkeiten gegenüber welchem konzernverbundenen Unternehmen eine außerordentliche Kündigung auslösen könnten 249; • Ein uneingeschränktes Kündigungsrecht des Herstellers bei Änderungen der sachlichen und personellen Ausstattung des Vertragshändlers benachteiligt den Händler jedenfalls dann unangemessen, wenn es unabhängig davon eingreifen soll, ob und inwieweit durch derartige Veränderungen die Interessen des Herstellers oder Importeurs beeinträchtigt werden. Denn nicht jede Änderung der sachlichen oder personellen Ausstattung des Händlerbetriebs berührt nachteilig die Belange des Herstellers, wodurch sich durch eine derartige Klausel ein fast uneingeschränktes Kündigungsrecht ergeben würde 250; • Angeblich ein langfristiger Ausschluss des Kündigungsrechts 251. Angesichts dieser Strenge kann Unternehmern nur geraten werden, eine kurze Kündigungsfrist zu ver244 245 246 247

OLG Celle, Beschl. v. 09.06.2005 – 11 U 110/05, OLGR 2005, 650. OLG Celle, Beschl. v. 09.06.2005 – 11 U 110/05, OLGR 2005, 650. OLG München, Urt. v. 20.11.1996, NJWRR 1997, 1057. Emde BB 2000, 63 (65); Emde VersR 2001, 148 (159); offengelassen von Westphal Vertriebsrecht II 2000, Rn 151.

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Emde VersR 2001, 148 (159); Westphal OLGR 16/2000, K 35, K 37. OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.02.2003 – 26 O 218/97. OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.02.2003 – 26 O 218/97. OLG München VersR 1997, 1003; Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 32.

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einbaren, und bei Nichteintritt der Gründe, die die Kündigungsfrist reduzieren sollen ausnahmsweise eine verlängerte Kündigungsfrist zu vereinbaren (spiegelbildliche Regelung). – Lagerhaltung: Die Verpflichtung zur Lagerhaltung muss bei abstrakt-genereller Betrachtung Absatzfähigkeit und Nachfrage der gelagerten Produkte widerspiegeln 252. Selten benötigte Produkte, deren Absatz Schwierigkeiten entgegenstehen, dürfen nur im geringen Umfang zur Lagerung vorgeschrieben werden 253. Spiegelbildlich dürfen häufig nachgefragte Produkte auch in einem größeren Umfang zur Lagerhaltung vorgeschrieben werden. Die in einem Kommissionsagenturvertrag enthaltene Regelung, wonach der Kommissionsagent für den Warenschwund ab einem bestimmten Prozentsatz unabhängig davon haftet, ob er den Schwund zu vertreten hat, benachteiligt ihn auch als Unternehmer in unangemessener Weise 254. Die verbindliche Vorgabe eines festen Lagerbestandes an Neuwagen im Händlervertrag, die den Vertragshändlern keine wenigstens verfahrensmäßig abgesicherte Möglichkeit einräumt, in ihrem wirtschaftlichen Interesse eine Herabsetzung dieser Vorgabe zu verlangen, stellt eine unangemessene Benachteiligung der Händler dar. Außerdem belastet die Festsetzung einer bestimmten Anzahl von Lagerfahrzeugen die Vertragshändler in einem stärkeren Maß, als das in der GVO 1400/2002 geregelte Verfahren, da die Händler gegen die festgelegte Anzahl von Lagerfahrzeugen keinen Gutachter anrufen können 255. Der Händler darf nicht verpflichtet werden, Ersatzteile Dritter getrennt von den Ersatzteilen der Vertragsware zu lagern 256. – Marktverantwortungsbereich: War dem Mittler ein Alleinvertriebsrecht in seinem Gebiet eingeräumt worden, benachteiligt ihn eine Klausel, die dem Hersteller das Recht geben soll, einen weiteren Mittler einzusetzen, unangemessen und ist unwirksam 257. Auch hier dürften richtigerweise die o.g. Grundsätze zum Änderungsvorbehalt gelten, und zwar auch dann, wenn dem Händler kein Alleinvertriebsrecht zugesichert wurde 258. Außerdem kann der Einsatz anderer Händler den Treupflichten des Unternehmers widersprechen, sofern er zum „Kannibalismus“ unter den Händlern führt. – Mehrmarkenvertrieb, Zustimmungsvorbehalt zu diesem: Wenn die Zustimmung des Herstellers zu einem Mehrmarkenvertrieb daran geknüpft ist, dass dem Vertragshändler der Ausbau seiner Kapazität und der Umfang seiner Investitionen vorgeschrieben wurde, und er seine Kapazität allein mit Vertragsware unverschuldet und unvermeidlich nicht ausnutzen kann und deshalb nicht nur vorübergehend eine Bedrohung seiner wirtschaftlichen Existenz zu befürchten ist. Eine solche Regelung ist intransparent und widerspricht zudem den Anforderungen der Kfz-GVO 259.

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Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 265. Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 265. BGH, Urt. v. 20.03.2003 – I ZR 225/00, BB 2003, 1463 (1464). OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.02.2003 – 26 U 218/97. OLG Frankfurt/Main, Urt. v. 25.03.2004 – 1 U 31/03. BGHZ 89, 206 (211 ff) = NJW 1984, 1182; BGHZ 93, 29 (52 f) = BB 1985, 218; BGH NJW-RR1988, 1077 (1080); Westphal Ver-

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triebsrecht II Rn 77; Ebenroth/Parche, BB 1988 Sonderbeil. 10, S. 25; kritisch Bunte NJW 1985, 600 ff; Ulmer/Habersack S. 90 mit kartellrechtlicher Begründung. Ulmer/Habersack S. 91 unter Hinweis auf BGHZ 124, 351 (354 ff), wo die auch ohne Alleinvertriebsrecht bestehenden Treupflichten des Herstellers gegenüber dem Händler betont werden und deshalb ein Recht des Herstellers verneint wird, in unbeschränkte Konkurrenz zum Händler zu treten. OLG Frankfurt, Urt. v. 25.02.2004 – 1 U 31/03.

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– Mindestumsatz: Vereinbarung eines Mindestumsatzes 260 und hieran anknüpfendes Kündigungsrecht 261; jedenfalls wenn Mindestumsätze bei abstrakt-genereller Betrachtung nur schwer zu erreichen sind 262 oder der Umfang der abzunehmenden Vertragsware vollkommen außerhalb der Relation zur Größe und Wirtschaftskraft des Händlers steht 263. Nach dem „Citroen-Urteil“ des BGH 264 tritt die Unwirksamkeit jedenfalls ein, falls die Klausel die Kündigung selbst dann gestattet, wenn der Mittler sich nach besten Kräften um das Absatzziel bemüht hat, es aber aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen verfehlt. In AGB geregelte Kündigungsgründe müssten objektiv so erheblich sein, dass sie eine fristlose Kündigung als angemessen erscheinen ließen. Die Klausel beinhalte zudem eine unzulässige Kernbeschränkung nach Art. 4 Abs. 1 lit. c GVO 1400/02, weil sie Querlieferungen zwischen den Händlern begrenze. Bis zum Erreichen der Mindestabsatzmenge seien die Händler gehindert, Waren von anderen Händlern zu beziehen. Soweit der Vertrag vorschreibe, die Mindestabnahmemenge werde unter Einbeziehung der „Vertriebspolitik“ des Herstellers bestimmt, liege wegen der Verwendung dieses konturlosen Begriffs ein Verstoß gegen das Transparenzgebot vor. Für eine auch nur vorläufige oder vorübergehende Berechtigung, Mindestabsatzmengen einseitig festzusetzen, fehle ein Bedürfnis 265. Mindestabnahmemengen können daher kaum in AGB garantiert und wohl nur als Mengenrabatte vereinbart werden, wobei Mengenrabatte jedoch wettbewerbsrechtlich problematisch sind, wenn sie keine Kostenvorteile beim Hersteller widerspiegeln 266. – Mithaftung: Folgende gegenüber einem Franchisegeber übernommene Mithaftung der Gesellschafter einer Franchisenehmerin ist zwar nicht gemäß § 309 Nr. 11 lit. a BGB, jedoch wegen Intransparenz gemäß § 307 Abs. 3 S. 2 BGB unwirksam, da der präzise Umfang der Garantieübernahme aus ihr nicht ersichtlich wird 267: „Alle Gesellschafter des Franchisenehmers – mehrere als Gesamtschuldner – stehen für die vollständige und rechtzeitige Erfüllung aller aus dieser Vereinbarung und seiner Beendigung resultierenden Zahlungsverpflichtungen des Franchisenehmers garantiemäßig ein“. – Musterkollektion: Eine Vereinbarung, die den Handelsvertreter zum Kauf der ihm vom Unternehmer überlassenen Musterkollektion verpflichtet, ist als Individualabrede unwirksam 268. Umso eher muss dies für eine AGB-Klausel gelten. – Nachvertragliches Wettbewerbsverbot von einem Jahr ohne Karenzentschädigung. Grund: § 90a Abs. 1 S. 3 sowie Verstoß gegen § 307 BGB 269. Das gesetzliche Leitbild des § 90a dürfte auch für nachvertragliche Wettbewerbsbeschränkungen gelten, die nach Vertragsende geschlossen werden. 260

261

262

Graf v. Westphalen AGB-Klauselwerke, Handelsvertretervertrag, Rn 21; Palandt/ Heinrichs § 307 Rn 111. BGH, Urt. v. 13.07.2004 – KZR 10/03, GRUR 2005, 62 = EWiR 2004, 1177 (Herbertz) zum Kfz-Vertragshändler mit speziell kartellrechtlicher Begründung, BGH, Urt. v. 22.02.2005 – KZR 28/03, WRP 2005, 628 (631) = WuW 2005, 521 = NJW 2005, 1660 mit Anm. Thoma WRP 2005, 1132. BGH, Urt. v. 13.07.2004 – KZR 10/03, GRUR 2005, 62 = EWiR 2004, 1177 (Herbertz); zum Franchiserecht: Giesler/ Nauschütt § 9 Rn 84.

263 264 265

266 267

268 269

Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, Rn 228. Urt. v. 13.07.2004 – KZR 10/03, GRUR 2005, 62 = EWiR 2004, 1177 (Herbertz). BGH, Urt. v. 13.07.2004 – KZR 10/03, GRUR 2005, 62 = EWiR 2004, 1177 (Herbertz). Lorenz WRP 2005, 992 (995). BGH, Urt. v. 26.10.2005 – VIII ZR 48/05, ZIP 2006, 474 m. Anm. Billing WM 2007, 245. OLG München DB 1999, 1007 = BB 1999, 2320. OLG München, Urt. v. 26.06.2002 – 7 U 5730/01, BB 2002, 2521.

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Vor § 84

1. Buch. Handelsstand

– Nicht zugelassene Zahlungsmittel: Eine Vereinbarung, wonach ein Tankstellenvertreter sämtliche Umsätze, die nicht mit zugelassenen Zahlungsmitteln erzielt werden, dem Mineralölunternehmen sofort zu vergüten hat, benachteiligt den HV unangemessen, auch wenn ihm die Gewährung von Stationskrediten untersagt ist. Dies ergibt sich aus der gerichtsbekannten Praxis der Mineralölunternehmen, die Vergabe von Stationskrediten nicht nur zu billigen, sondern zu fördern 270. – Personalpolitik: Einstellung von Mitarbeitern des Mittlers nach Weisung, Mitwirkung oder Zustimmung des Unternehmers. – Preise: Der Unternehmer hat etwa in Vertragshändlerverträgen Interesse an einem jederzeitigen Preisänderungsrecht. Das führt dazu, dass dem Händler Planungssicherheit fehlt. U.U. hat er Ware bereits verkauft und muss sie nun zu einem unerwartet hohen Preis erwerben. Eine angemessene Umstellungsfrist von mindestens vier Wochen dürfte daher Voraussetzung einer Preisänderungsklausel sein, näheres Rn 337. – Provisionsregelungen: • Änderungsvorbehalt zur Provisionshöhe 271: Ein in AGB enthaltenes Provisionsbestimmungsrecht des Unternehmers ist unwirksam, sofern die Preisbestimmung des Unternehmers sich bei abstrakt-genereller Betrachtung nicht in etwa in dem durch Treu und Glauben gebotenen Rahmen eines angemessenen Verhältnisses zwischen Einstandspreisen, Geschäftsunkosten, Geschäftsrisiken und dem Gewinn hält und nicht beliebig und unverhältnismäßig erhöht werden kann 272. • Nachvertragliche Provision: Wegfall der Provisionspflicht für während der Vertragszeit geschlossene Geschäfte, die 6 Monate nach Vertragsende noch nicht ausgeführt wurden 273. • Provisionsgutschrift: Die Klausel eines Versicherungsvertretervertrages mit folgenden Worten 274: „Sofern es sich um eine unbegrenzte Zusage handelt, erfolgt eine Auszahlung erst, wenn ausreichende Sicherheiten beigebracht worden sind (z.B. Vertrauensschadenversicherung, Bankbürgschaft)“. Die Regelung widerspreche dem Transparenzgebot und führe zu einer unangemessenen Benachteiligung des Vertreters (§ 307 BGB). • Verspätete Provisionsauszahlung: Nach § 307 Abs. 1 BGB unwirksam ist die Klausel, nach der Provisionszahlungen des Unternehmers 3 Jahre auf einem Sicherheitskonto des Unternehmers festgelegt und erst dann an den Vertreter ausgezahlt werden 275. • Provisionsminderung bei Preisnachlässen: wenn der Handelsvertreter anteilige Provisionsminderungen hinzunehmen hat, falls der Unternehmer Preisnachlässe gewährt 276. • Verlustfreie Abwicklung: Die Vereinbarung einer Provision nur bei „verlustfreier Abwicklung des Kundengeschäfts“ ist unwirksam, wenn damit das vom Unternehmer zu tragende Verlustrisiko auf den HV verlagert werden soll. Der HV erwirbt seinen Provisionsanspruch auch bei Verlustgeschäften des Unternehmers. Ist er für jene verantwortlich, kann er einem Schadensersatzanspruch ausgesetzt sein 277. 270 271

272 273 274

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KG, Urt. v. 21.05.2007 – 23 U 87/05, DB 2007, 1355. LG Mainz, Urt. v. 20.06.2006 – 12 HKO 82/05, BeckRS 2007, 08487; Preis/Stoffels ZHR 160 (1996), 442 (477 ff); Ebenroth/ Löwisch § 87b Rn 9. LG Mainz, Urt. v. 20.06.2006 – 12 HKO 82/05, BeckRS 2007, 08487. BGH NJW 1998, 629. OLG Köln VersR 2002, 355.

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276

277

OLG Düsseldorf, Urt. v. 02.02.1990, BB 1990, 1068; Prasse in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 98. OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 25.04. 1969, BB 1969, 1326; Prasse in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 99. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 6 sogar bei Individualverträgen.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

Vor § 84

• Verwaltungsprovision: Bestimmung des Anteils verwaltender Provisionen in AGB, was die Einordnung als kontrollfähige Preisnebenabrede voraussetzt 278. Denn der werbende und verwaltende Provisionsanteil darf nicht abstrakt sondern nur konkret-individuell festgelegt werden 279. Eine konkrete Bestimmung dürfte allerdings an den Grundsätzen des Urteils BGH, NJW-RR 2002, 1548 280 scheitern. Hier hat der BGH eine solche Vereinbarung wegen § 89b Abs. 4, § 307 BGB für unwirksam gehalten. – Rückgaberecht von Lagerware und Ersatzteilen: Die Rücknahmepflicht des Herstellers und das Rückgaberecht des Händlers für Ersatzteile kann formularmäßig nicht davon abhängig gemacht werden, dass den Hersteller keinerlei Verantwortlichkeit für die Vertragsbeendigung trifft. Denn der Hersteller ist zur Rücknahme auch verpflichtet, wenn die Kündigung von beiden Seiten zu vertreten ist 281. Unwirksam sind auch Klauseln, die das Rückgaberecht für den Fall ausschließen, dass der Händler den Vertrag ordentlich gekündigt hat. Die ordentliche Kündigung ist keine Vertragsuntreue, sondern lediglich die Aufhebung eines vertraglichen Rechts 282. Unwirksam ist die Klausel, zur Rücknahme der Vertragsware sei der Hersteller nicht verpflichtet, falls die Beendigung des Vertragsverhältnisses auf Umständen beruhe, die den Hersteller zu einer außerordentlichen Kündigung berechtigt haben oder hätten oder der Vertragshändler das Vertragsverhältnis auflöst, ohne seinerseits zu einer außerordentlichen Kündigung berechtigt zu sein. Die Klausel schließt den Rücknahmeanspruch auch für den Fall aus, dass den Vertragshändler keinerlei Verantwortlichkeit für die Vertragsbeendigung trifft. Darin liegt eine mit Treu und Glauben unvereinbare unangemessene Benachteiligung des Vertragshändlers 283. Die Klausel eines Kfz-Händlervertrags mit der Verpflichtung, gelieferte Kfz nach Vertragsende zum Netto-Rechnungswert (Händlereinkaufspreis gemäß Faktura Händler ohne MwSt. und Fracht- und sonstige Nebenkosten, abzüglich gewährter Preisnachlässe oder Rückvergütungen sowie abzüglich etwaiger Wertminderungen) zurückzukaufen ist gemäß § 307 BGB unwirksam 284. Die Klausel müsse so verstanden werden, dass der Abzug für Wertminderungen auch Minderungen erfasse, die aufgrund des Alters der Kfz oder der Einführung eines Nachfolgemodells einträten. Dabei werde nicht danach differenziert, ob die Kündigung durch eine Vertragsverletzung des einen oder des anderen Teils ausgelöst werde, und von wem eine Kündigung ausgegangen sei. Vielmehr werde das Wertverlustrisiko infolge Zeitablaufs in allen Fällen einseitig auf den Händler verlagert, der eine Minderung des Rückkaufpreises selbst dann hinzunehmen habe, wenn sein Vertragspartner durch schuldhaftes Verhalten die Kündigung veranlasst habe. Zu erstatten sei der Händlereinstandspreis; Abzüge für Wertminderungen blieben ausgeschlossen. Der Rückkaufpreis sei zuzüglich gesetzlicher MwSt. zu entrichten 285. Unwirksam ist ferner die Klausel, nur beim Hersteller erworbene Lagerware des Kfz-Vertragshändlers werde zurückgekauft. Damit 278 279 280

Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 522. Graf v. Westphalen NJW 2003, 1988. BGH, Urt. v. 25.09.2002 – VIII ZR 253/99, BB 2002, 2151 = DB 2002, 2321 = EWiR 2002, 1011 (Albicker) = WM 2003, 491 = VersR 2003, 242; ebenso BGH ZIP 2003, 34 (38) = DB 2003, 146 = NJW 2003, 290 = WM 2003, 504 = MDR 2003, 279 = EWiR 2003, 435 (Just); OLG Hamm, Urt. v. 02.09. 1999 – 4 U 26/99, unveröffentlicht.

281 282

283 284 285

BGH BB 1988, 2201; Westphal Vertriebsrecht II Rn 93. BGH BB 1995, 113; OLG München, BB 1993, 1753; Westphal Vertriebsrecht II Rn 93. BGH, Urt. v. 23.11.1994 – XIII ZR 254/93. OLG Hamburg, Urt. v. 20.11.2002 – 4 U 211/01, unveröffentl. OLG Hamburg, Urt. v. 20.11.2002 – 4 U 211/01, unveröffentl.

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1. Buch. Handelsstand

würden Käufe bei anderen Händlern (Querlieferungen) erschwert 286. Die Regelung, nach der der Händler verpflichtet sei, auf Verlangen des Herstellers den gesamten Lagerbestand an den Hersteller zu verkaufen, ist ebenfalls unwirksam: Der Händler werde bei kundenfeindlichster Auslegung gezwungen, auch solche Lagerware an den Hersteller zu veräußern, die er bereits anderweitig verkauft habe. Damit könne er sich nur entweder gegenüber dem Hersteller oder dem Abkäufer vertragsbrüchig verhalten 287. In Abgrenzung zu seiner Daihatsu-Entscheidung 288, in der der BGH billigte, die Ausführung von Lieferverträgen „nach Maßgabe der Liefermöglichkeiten“ zu verweigern, erklärte der BGH 289, die Freistellung des Unternehmers von seinen Vertragspflichten komme nur in Betracht, wenn er die Selbstbelieferung durch die von ihm repräsentierte ausländische Marke nicht beeinflussen könne. Es müsse ein hinreichender Grund für die Lösung aus der eingegangenen Bindung existieren. Ferner fehle eine Regelung über die Entschädigung des Händlers, die offenbar nach Ansicht des BGH ebenfalls eine Wirksamkeitsvoraussetzung bildet. Die Rücknahmepflicht darf nicht auf „im Eigentum des Händlers stehende Ware“ beschränkt werden. Der Hersteller hat vielmehr auch Ware zurückzunehmen, die der Händler zum Zweck der Eigenfinanzierung an eine konzerneigene Bank des Herstellers sicherungsübereignet hat 290. Auch die Klausel, Fahrzeuge mit einem Alter von mehr als einem Jahr nicht rückzukaufen, ist unwirksam 291. Unwirksam ist die Beschränkung der Rücknahmepflicht auf solche Teile, die weniger als 3 Jahre vor Vertragsende geliefert wurden 292. Die Rücknahmepflicht darf auch nicht auf 55 % des Jahreseinkaufes beschränkt werden 293. Ein Abzug von 25 % von dem Erstkaufpreis ist unangemessen. Eine geltungserhaltende Reduktion auf das gerade noch zulässige Maß von 10 % ist nicht möglich 294. Dem Händler darf nicht der Nachweis eines konkret geringeren Abzugs für die Kosten von Bearbeitung und Handling abgeschnitten werden (§§ 307 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. 309 Nr. 5 b BGB) 295. Unwirksam ist die Klausel, bei Rücknahme von Vorführwagen und gefahrenen Lagerwagen werde zusätzlich zu einer Pauschale von 15 % je gefahrenen Kilometer 0,06 Cent zu Lasten des Vertragshändlers berechnet, jeweils zuzüglich der gesetzlichen Umsatzsteuer. Die Pauschale von 15 % verstoße gegen das Transparenzgebot und sei daher unangemessen, da nicht erkennbar werde, von welcher Bezugsgröße die Pauschale von 15 % zu berechnen sei. Allerdings blieben die restlichen Bestandteile der Klausel wirksam, da eine pauschale Nutzungsentschädigung in Höhe von 0,06 Cent zuzüglich der tatsächlich anfallenden Umsatzsteuer nicht unangemessen sei 296. Eine eventuelle Ausschlussfrist für die Rücknahme muss angemessen sein. 286

287

288 289 290

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BGH NJW 2000, 1191 = EWiR 2000, 361 (Emde); BGH, Urt. v. 20.07.2005 – VIII ZR 121/04, ZIP 2005, 1785 = WM 2005, 2002 = NJW-RR 2005, 1496 = EWiR 2005, 815 (Emde) = NJW 2006, 46 m. Anm. Kappus NJW 2006, 15. BGH, Urt. v. 20.07.2005 – VIII ZR 121/04, ZIP 2005, 1785 = WM 2005, 2002 = NJW-RR 2005, 1496 = EWiR 2005, 815 (Emde) = NJW 2006, 46 m. Anm. Kappus NJW 2006, 15. BGHZ 124, 351, 359 = ZIP 1994, 461 (464). BGH NJW 2000, 1191 = EWiR 2000, 361 (Emde). KG BB 1999, 1518 mit Anm. Graf v. Westphalen.

291 292 293

294 295

296

KG BB 1999, 1518 mit Anm. Graf v. Westphalen. BGH BB 1995, 113; Westphal Vertriebsrecht II Rn 98. Graf v. Westphalen Klauselwerke, Vertragshändlerverträge, Rn 43; Westphal Vertriebsrecht II Rn 97; r.A. OLG Köln BB 1987, 148 bei einer Umschlagshäufigkeitslage von zweimal im Jahr. BGH, Urt. v. 23.11.1994 – XIII ZR 254/93. BGH NJW 1994, 1060 (1067); BGH NJW 1985, 320 (326); Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 414. BGH, Urt. v. 12.01.1994 – VIII ZR 165/92, NJW 1994, 1060.

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– Rückkaufrecht des Unternehmers: Hat der Unternehmer sich ein Rückkaufrecht hinsichtlich der noch beim Mittler vorhandenen Vertragsware vorbehalten, so darf er weder einen Abzug für die Kosten des Transports, noch der Gefahrtragung oder eine sonstige Reduzierung des Rückkaufpreises gegenüber dem Einkaufspreis durch Formularvereinbarung regeln, da sonst die Dispositionsfreiheit des Mittlers sowie das Äquivalenzprinzip des Vertrags gestört würden 297. – Rücksendung von Ersatzteilen: Sie darf nicht von der Genehmigung des Herstellers abhängig gemacht werden 298. – Schulungskosten: Um die Unwirksamkeit der Klausel zu vermeiden dürfen die Kosten von Schulungsmaßnahmen bei abstrakt-genereller Betrachtung nur in einem angemessenen Verhältnis zu den Umsatzerwartungen des Vertragshändlers stehen 299. Möglicherweise ist, um Unwirksamkeit zu vermeiden, zwischen den Kosten der Schulungsveranstaltung (Unternehmer) und des zu schulenden Personals (etwa Reisekosten) zu unterscheiden 300. Sieht der HV-Vertrag vor, dass der HV auf Kosten des Unternehmers zum Versicherungsfachmann ausgebildet wird, ist eine Klausel, nach welcher er die summenmäßig nicht bekannten Ausbildungskosten bei Abbruch der Ausbildung zurückzahlen muss, wegen § 307 BGB unwirksam. Dies gilt insbesondere, wenn diese Regelung auch bei fristloser Kündigung durch den Handelsvertreter gelten soll, weil sie dann dem zwingenden § 89a widerspricht 301. – Schweigen als vereinbarte Zustimmung, etwa bei der Anerkennung von Provisionsabrechnungen. – Steuerberater: Bestimmung eines vom Unternehmer vorgeschriebenen Steuerberaters oder anderen Beraters 302. – Teilkündigungsklauseln 303. Dem HV wird ein Vertrag aufgezwungen, den er so nicht geschlossen hat 304 und es werden ihm wesentliche Vertragsrechte einseitig und meist auch ohne Einhaltung der Kündigungsfristen des § 89 entzogen. Dieser einseitige Eingriff in das Vertragsgefüge ist unbillig. Insbesondere ist die Klausel unzulässig, der Hersteller sei berechtigt, durch Teilkündigung mit einer Frist von 12 Monaten unter Aufrechterhaltung des Vertrages im Übrigen die Ausübung der Händlertätigkeit zu beschränken oder das Vertragsgebiet zu verkleinern bzw. weitere Vertragshändler einzusetzen und Niederlassungen zu errichten 305. Die Teilkündigung darf insbesondere nicht daran angeknüpft werden, dass der Anteil der Zulassungen des Händlers an der Gesamtzahl der Zulassungen im Vertragsgebiet 25 % unter dem bundesweiten Anteil 297 298 299

300 301

302

Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht 2005, § 3 Rn 420. BGH, Urt. v. 12.01.1994 – XIII ZR 165/92. Genzow Rn 78; Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 185. Ulmer/Habersack S. 65. OLG Celle, Urt. v. 24.04.2003 – 11 U 226/02; Prasse in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 101; aA BAG, Urt. v. 24.10.2002, MDR 2003, 814 (815). Zum Franchiserecht: Giesler/Nauschütt § 9 Rn 71; Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 4 Rn 167; Liesegang BB 1991, 2381 (2383); aA Flohr FranchiseVertrag, S. 164.

303

304

305

Zum Bankvertrag siehe BGH, Urt. v. 08.11. 2005 – XI ZR 74/05, NJW 2006, 430 = DB 2006, 333; zur Unzulässigkeit der Teilkündigung BGH BB 2000, 60 mit Anm. Emde = EWiR 2000, 153 (Emde); Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 16. Michael Nocker Ausgleichsanspruch, Wien 2001, Rn 231 f. Möglicherweise ist dies ein falscher Schluss: Denn der geschlossene Vertrag beinhaltet auch die Kündigungsklausel. BGH BB 2000, 60 (Emde) = NJW 2000, 515 = EWiR 2000, 153 (Emde) und Anmerkung Westphal OLGR 16/2000, K 35.

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der Zulassungen der Kfz des Herstellers liegt 306. Auch die Lieferungs- und Zahlungsbedingungen sowie Händlerrichtlinien dürfen nicht mit einer Frist von 12 Monaten durch schriftliche Erklärung abgeändert werden 307. Ob sich die Unzulässigkeit dadurch begründen lässt, mit der Kündigung trete eine unzumutbare Unsicherheit über das Bestehen des Ausgleichsanspruchs ein 308, erscheint zweifelhaft, weil es Aufgabe der Rechtsprechung ist, Antworten auf diese Herausforderung zu entwickeln. Ausnahmsweise kann die Klausel wirksam sein, wenn für die Teilkündigung eine angemessene, von § 89b unabhängige Kompensation gewährt wird 309. Sie muss transparent geregelt sein und darf nicht zu Rechtsunsicherheit führen. Ferner kann die Teilkündigung in Sonderfällen zulässig sein, in welchen evidente und schwerwiegende Kündigungsgründe in den AGB konkret benannt sind. Viele halten die Teilkündigung gänzlich für unwirksam 310. – Unterlagen: Pflicht zum Kauf der nach § 86a überlassenen Unterlagen, etwa einer Musterkollektion 311 Die Verpflichtung zum Kauf von Mustern widerspreche dem unabdingbaren § 86a Abs. 1, wonach der Unternehmer dem Handelsvertreter die für seine Tätigkeit erforderlichen Muster zur Verfügung stellen müsse. Auch hier hätte die Entscheidung daher in einem Individualvertrag nicht abweichend lauten dürfen. – Untervertreter, Zustimmung: Die Klausel, der Hersteller werde eine Zustimmung zu Abschluss, Änderung oder Beendigung eines Untervertretervertrages nur verweigern, wenn sachlich gerechtfertigte Gründe die Verweigerung geboten erscheinen ließen. Durch die Abwägung, ob sachlich gerechtfertigte Gründe die Verweigerung geboten erscheinen ließen, entstehe ein ungerechtfertigter Ermessensspielraum 312. – Verjährung: falls alle Ansprüche aus dem Vertrag unabhängig von der Anzeigepflicht zwölf Monate nach dem Eintritt der Fälligkeit des jeweiligen Anspruchs verjähren 313. Die Bestimmung könne zur Folge haben, dass Ansprüche verjähren, ehe der HV von ihrer Existenz Kenntnis erlange 314. Es sei ein Gebot von Treu und Glauben, die Verjährung nicht beginnen zu lassen, ehe der Berechtigte in der Lage sei, den Anspruch geltend zu machen 315. Zudem benachteilige sie den HV unangemessen und sei mit wesentlichen Grundgedanken des § 88 (nach Streichung § 195 BGB) unvereinbar 316. Prasse 317 widerspricht dem: Es bestehe für beide Vertragspartner ein Interesse, verjährungsverkürzende Vereinbarungen zu treffen. Grundsätzlich weisen gesetzliche Vorschriften über die Verjährung jedoch einen hohen Gerechtigkeitsgehalt auf 318. Dieser 306

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BGH BB 2000, 60 (Emde) = NJW 2000, 515 = EWiR 2000, 153 (Emde) und Anmerkung Westphal OLGR 16/2000, K 35. BGH BB 2000, 60 (Emde) = NJW 2000, 515 = EWiR 2000, 153 (Emde) und Anmerkung Westphal OLGR 16/2000, K 35. BGH BB 2000, 60 m. Anm. Emde; BGH BB 1984, 233 (235). BGH BB 2000, 60 (62) m. Anm. Emde BB 1988, 220; BGHZ 124, 351 (354); 89, 206 (211). OLG Köln NJW-RR 2002, 602 (603); Emde BB 2000, 63 (65); Genzow Rn 114; Graf v. Westphalen Vertragsrecht und AGBKlauselwerke, Vertragshändlerverträge, 1994, Rn 19. LG Stuttgart, Urt. v. 20.02.1990, HVR Nr. 690; OLG Düsseldorf, HVR Nr. 770;

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OLG München, HVR Nr. 991; Hopt § 86a Rn 6. OLG Frankfurt, Urt. v. 25.02.2004 – 1 U 31/03. BGH, Urt. v. 03.04.1996, MDR 1996, 801. BGH, Urt. v. 03.04.1996, MDR 1996, 801; OLG Hamm, VersR 1999, 1492 = NJW-RR 1999, 1712. OLG Hamm VersR 1999, 1492 = NJW-RR 1999, 1712. Das kann aber nur für die gesetzliche Fristen verkürzenden Klauseln gelten, da auch das Gesetz kenntnisunabhängige Verjährungsregeln kennt. OLG Celle, Urt. v. 12.02.1988, NJW-RR 1988, 1074. In: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 103. Emde VersR 2001, 148 (151).

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ist in einem formularmäßigen Handelsvertretervertrag zu respektieren 319. Eberstein 320 hält nach Fortfall des § 88 jede verjährungsverkürzende Regelung für unzulässig (zweifelhaft, Rn 432). In Vertragshändlerverträgen dürften zwei Jahre unterschreitende, kenntnisunabhängige Verjährungsklauseln problematisch sein, und zwar schon wegen der Einschränkung der Rückgriffsmöglichkeiten nach §§ 479, 478 Abs. 4 BGB. Verschwiegenheitspflicht: Erweiterung der Geheimhaltung zu Lasten des HV ohne berechtigten Grund, weil dies dem gesetzlichen Leitbild widerspricht 321. Versicherungspflicht von Lagerwaren: Sie ist zulässig, weil dem Hersteller ein berechtigtes Interesse zugesprochen wird, dass die unter Eigentumsvorbehalt stehenden Lagerwaren versichert werden und der Hersteller dies sicherstellen darf, indem er selbst den Versicherer aussucht und den Versicherungsvertrag abschließt. Der Vertragshändler, der die Ware bereits im Besitz hatte und die Gefahr des zufälligen Untergangs trägt, hat die Versicherungskosten zu bezahlen 322. Vertragsgebiet, Änderungen: Hier gilt das zur Teilkündigung Gesagte entsprechend. Vertragslaufzeit: Zu lange Unkündbarkeit. Die formularmäßig zulässige Grenze dürfte bei ca. 10 Jahren liegen 323, es sei denn, es gibt – der Transparenz wegen – möglichst im Vertrag benannte Gründe für eine längere Laufzeit. Vertragspartner: Recht des Unternehmers, an seiner Stelle jederzeit einen anderen Vertragspartner einzusetzen, es sei denn, es existieren sachliche Gründe und sie werden enumerativ benannt (etwa Aufbau eines mehrstufigen Vertriebssystems) 324. Anderenfalls könnte der Unternehmer dem Mittler einen insolventen Vertragspartner unterschieben, was bereits § 826 BGB widersprechen dürfte. Vertragsstrafe: • Vertragsstrafe zur Absicherung eines Wettbewerbsverbots in Höhe einer doppelten Monatsprovision (hier: 34.000 DM) für jeden Fall der Zuwiderhandlung, weil sie zur Zerstörung der wirtschaftlichen Existenz des Handelsvertreters führen kann 325; • Vertragsstrafe eines Franchisevertrages in Höhe von 5.000 DM zuzüglich MwSt für jeden Verstoß gegen ein Wettbewerbsverbot und die Geheimhaltungspflicht unter Ausschluss des Fortsetzungszusammenhangs, sofern das Vertragsstrafeversprechen verschuldensunabhängig gelten soll. Eine solche Regelung ist nur bei gewichtigen Gründen zulässig. Zudem kann der Ausschluss des Fortsetzungszusammenhangs in AGB nicht vereinbart werden 326; • Vertragsstrafeversprechen in einem Vertrag mit einem unechten Hauptvertreter, nach der sich dieser verpflichtet, für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen ein Abwerbeverbot eine Vertragsstrafe von 5.000 EUR zu zahlen. Grund: Die Vertragsstrafe differenziert weder nach der objektiven Schwere des Verstoßes, etwa Versuch oder Vollendung, noch dem Grad des Verschuldens. Auch fehlt eine Obergrenze 327; • Vertragsstrafe von 2.500 EUR für jeden Wettbewerbsverstoß, unabhängig von der Schwere und dem Verschulden sowie ohne Obergrenze. Das Bedürfnis, sich gegen

319 320 321 322 323

OLG München, Urt. v. 07.02.1996 – 7 U 5042/95, NJW-RR 1996, 991 (992). Der Handelsvertreter-Vertrag, 9. Aufl., S. 180. Ebenroth/Löwisch § 90 Rn 11. OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.06.1992 – 6 U 105/91. Vgl. zum Franchiserecht: Giesler/Nauschütt § 9 Rn 80.

324 325 326

327

Zum Franchiserecht: Giesler/Nauschütt § 9 Rn 77. OLG Hamm, Urt. v. 02.12.1983, MDR 1984, 404. OLG München, Urt. v. 26.06.2002 – 7 U 5730/01, BB 2002, 2521 (zu einem Franchisevertrag). LG Gießen, Urt. v. 31.8.2001 – 8 O 78/99.

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einen Wettbewerbsverstoß durch eine Vertragsstrafe zu sichern, sei nicht übermächtig groß. Denn dem Unternehmer stehe ein Schadenersatzanspruch zu, der sich auch durchsetzen lasse, weil sowohl der Ersatzanspruch wie die Vertragsstrafe voraussetzten, dass der Verstoß bekannt sei. Die Möglichkeit der Herabsetzung nach § 343 BGB bleibe im Klauselkontrollverfahren außer Betracht 328; • Die Klausel, nach der eine Vertragsstrafe nicht auf den aus demselben Grund resultierenden Schadenersatzanspruch anzurechnen ist 329; • Eine zu hohe und verschuldensunabhängige Vertragsstrafe 330. Die Vertragsstrafe muss auch bei geringstmöglichem Verdienst noch angemessen sein 331. Die Unwirksamkeit kann sich auch daraus ergeben, dass nur der Vertreter die Strafe leisten soll (etwa bei beide Parteien treffenden Wettbewerbsverbot) 332; • wenn einem Vertreter für jeden Fall der Verletzung des Kunden- wie Quellenschutzes eine „Konventionalstrafe“ von 100.000 DM auferlegt wird 333. Die unangemessen hohe Vertragsstrafe verstoße gegen Treu und Glauben. AGB unterlägen einer Inhaltskontrolle, ob sie eine § 242 BGB widerstreitende Benachteiligung des Vertragspartners enthielten. Eine „Einheitsstrafe“ dürfe nur so hoch sein, dass sie auch im Falle der geringsten denkbaren Pflichtverletzung angemessen bleibe. Daran mangele es hier; • Die Regelung, wonach der Vertriebsmittler (im entschiedenen Fall ein Kommittent) für von ihm leicht fahrlässig verursachte Betriebsunterbrechungen beim anderen Vertragsteil nicht haftet und für den Fall der Verletzung wesentlicher Vertragspflichten eine Vertragsstrafe in Höhe von 10.000 EUR unabhängig davon zu zahlen hat, ob er die Pflichtverletzung zu vertreten hat oder gewichtige Interessen des Unternehmers die Vereinbarung einer verschuldensunabhängigen Vertragstrafe in AGB ausnahmsweise rechtfertigen 334; • Vertragsstrafe wegen Nichtentfernen von Werbehinweisen und Markenzeichen in Höhe von 2.500 EUR, bei Dauerhandlung oder fortlaufender Verletzung für jeden weiteren Tag der Zuwiderhandlung eine weitere Vertragstrafe von 50 EUR je Tag. Die Vertragstrafe ist unangemessen hoch, da die Sanktion außer Verhältnis zum Gewicht des Vertragsverstoßes und zu dessen Folgen für den Vertragspartner steht. Unverhältnismäßig ist die Vertragstrafe, da die Höhe der Vertragstrafe nicht am Gewicht des Vertragsverstoßes ansetzt, sich mit fortschreitender Dauer des vertragswidrigen Zustandes kontinuierlich steigert und weder eine zeitliche noch eine summenmäßige Beschränkung vorgesehen ist 335; • Vertragsstrafe für jede zurückbehaltene Kundenadresse in Höhe von 125 EUR 336; • Kumulation von Vertragsstrafe und Schadenersatz statt der Leistung 337. – Vorführwagen: Die Pflicht zum Vorhalten einer Mindestzahl an Vorführwagen widerspricht Art. 3 Abs. 6 lit. d GVO 1400/02. Es werde zu Lasten der Händler der Spiel328

329 330 331 332

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OLG München, Urt. v. 13.12.1995 – 7 U 5432/95, NJW-RR 1996, 1181 = DB 1996, 422; aM zu § 348 HGB OLG Celle, Urt. v. 28.6.2001 – 11 U 221/00, OLGR 2001, 267. BGH, Urt. v. 21.11.1991, MDR 1992, 951. Zum Franchiserecht: Giesler/Nauschütt § 5 Rn 95. Zum Franchiserecht: Giesler/Nauschütt § 9 Rn 79. Zum Franchiserecht: Giesler/Nauschütt § 9 Rn 79.

333 334 335 336

337

LG Coburg 23 O 176/00, MDR-Report 20/2000, R 21. BGH BB 2003, 1463 (1464). OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.02.2003 – 26 O 218/97. BGH NJW 1993, 1786; einschränkend BGH WM 1995, 1415 für inaktive Kundenadressen. BGH BB 1992, 307; Hopt § 86 Rn 32.

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raum für eine den vertraglichen Vorgaben entsprechende einvernehmliche oder durch einen unabhängigen Sachverständigen vorzunehmende Festsetzung des Bestands an Vorführwagen eingeengt. Gleiches gelte für ein Bestimmungsrecht in Bezug auf die Mindestanzahl sowie den Wechselintervall der Vorführwagen. Eine Freistellung der Klauseln nach Art. 81 Abs. 3 EG habe das Berufungsgericht zu prüfen 338. Unwirksam ist ferner die Klausel, Voraussetzung für die Gewährung des Grundrabattes sei die verbindliche Einhaltung der im Verkaufsplan vereinbarten Menge an Lager- und Vorführfahrzeugen. Die Klausel stellt allein auf die Menge von Lager- und Vorführwagen ab, wodurch der Grundrabatt verweigert werden könne, wenn die vereinbarte Anzahl an Lager- und Vorführwagen auch nur eine Woche nicht eingehalten wird. Zwar hat der Hersteller einen Anspruch darauf, dass der Vertragshändler die im Absatzplan individuell vereinbarte Zahl an Lager- und Vorführwagen anschafft und vorhält. Die Sanktion darf jedoch nicht außer Verhältnis stehen zu dem Gewicht des Vertragsverstoßes und seinen Folgen für den Vertragspartner 339. Aus dem gleichen Grund ist auch eine Klausel unwirksam, der zufolge ein Vertragshändler, welcher keinen aktuellen Vorführwagen – maximal 6 Monate zugelassen – unterhält, einen 3 % unter dem Grundrabatt liegenden Rabatt erhält 340. – Vorführwagenrabatt: Ein Vorführwagenrabatt ist zwar zulässig 341. Unwirksam ist hingegen die Klausel, sämtliche Modellreihen sollten im Bestand der Vorführfahrzeuge repräsentiert sein. Der Hersteller versuche, durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten der Vertragspartner durchzusetzen, ohne vorher die Belange des Händlers hinreichend zu berücksichtigen und einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen 342. – Werbung: Durchführung eigener Werbemaßnahmen des Franchisenehmers nur mit Zustimmung des Franchisegebers, aber Beteiligung an den Kosten „geeigneter Werbemaßnahmen“ des Franchisegebers mit monatlich 400 DM zuzüglich MwSt 343. – Wettbewerbsverbot des HV: • Ein über die gesetzliche Bindung aus der Interessenwahrnehmungspflicht hinausgehendes vertragliches Wettbewerbsverbot soll von wesentlichen Grundgedanken des Gesetzes abweichen (§ 307 Abs. 2 S. 1 BGB) und nur bei Vorliegen besonderer Umstände wirksam sein 344. Das erscheint zweifelhaft, weil sich der Existenz des § 92a die Zulässigkeit solcher Vereinbarungen entnehmen lässt. Zudem handelt es sich bei der Erweiterung des Wettbewerbsverbots nur um eine Konkretisierung der gesetzlichen Interessenwahrnehmungspflicht, die auch innerhalb eines Vertriebsnetzes durch AGB vorgenommen werden darf; • Intransparentes Verbot der Tätigkeit für einen anderen Unternehmer, der nach dem gleichen „Verkaufssystem“ arbeitet 345;

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BGH, Urt. v. 13.07.2004 – KZR 10/03, GRUR 2005, 62 = EWiR 2004, 1177 (Herbertz). BGH, Urt. v. 12.01.1994 – XIII ZR 165/92. BGH, Urt. v. 12.01.1994 – XIII ZR 165/92. OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.06.1992 – 6 U 105/91. BGH, Urt. v. 13.07.2004 – KZR 10/03, GRUR 2005, 62 = EWiR 2004, 1177 (Herbertz).

343 344

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OLG München, Urt. v. 26.06.2002 – 7 U 5730/01, BB 2002, 2521. OLG München NJW-RR 1995, 292; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 25; aA für den Versicherungsvertreter OLG München BB 1993, 1835; s.a. BGH BB 2003, 1463 = ZIP 2003, 1707. OLG München NJW-RR 1995, 292.

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• Klausel, die jede „Unterstützung“ eines Wettbewerbers mit einer Vertragsstrafe belegt, und zwar wegen Intransparenz 346. Wettbewerbsverbot des Unternehmers: Der Unternehmer soll sich nur individualvertraglich Direktlieferungen in das Gebiet des HV vorbehalten dürfen 347. Das ist fraglich, denn der Unternehmer unterliegt grds. keinem Wettbewerbsverbot. Unzulässig ist die Direktlieferung damit nur, wenn die Grenze zur bewussten Schädigung des HV (vgl. § 86a Rn 42 ff) überschritten wird, dann aber auch als Individualvereinbarung (§§ 138, 242 BGB, Rechtsgedanke des § 86a Abs. 3). Zudem muss der Unternehmer für die Direktlieferungen einen angemessenen Ausgleich vorsehen (siehe Rn 34, Stichwort „Direktverkäufe“). Zurückbehaltungsrecht: • Ausschluss oder Einschränkung des Zurückbehaltungsrechts des § 88a Abs. 2, auch zu Gunsten des HV 348 (zwh.); • Einschränkung des Zurückbehaltungsrechts des HV 349. Sie widerspreche dem gesetzlichen Leitbild des § 88a. Zwangsbelieferungsklauseln 350. Zweitmarke: Unwirksam ist das Verbot, für ein Zweitfabrikat Nutzen aus von Citroen getätigten Investitionen zu ziehen. Es sei unvermeidlich, dass von Citroen geschultes Personal erworbene Kenntnisse für die Wartung an Fahrzeugen der Zweitmarke anwende 351.

b) Wirksame Klauseln. Wirksam sollen dagegen die nachfolgenden Klauseln sein: – Abtretung: Die Abtretbarkeit von Provisionsansprüchen kann auch durch AGB ausgeschlossen werden 352, wobei aber meist § 354a entgegensteht. – Alleinvertriebsrecht: Entgelt für dessen Einräumung 353. – Ausgleichsanspruch: • Die AGB „mit der Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs verzichtet der Vertreter auf die unternehmerfinanzierte Altersversorgung“ verstößt nicht gegen die zwingende Natur des Ausgleichs (§ 89b Abs. 4), weil der Ausgleich selbst unberührt bleibt und lediglich die Altersversorgung entfällt. § 89b Abs. 4 verbietet Vereinbarungen, durch die der Ausgleichsanspruch von vom Gesetz nicht vorgesehenen Voraussetzungen abhängig gemacht wird. Dagegen verstoßen Abreden, die sich nur mittelbar auf ihn auswirken nicht gegen § 89b Abs. 4 354. Die Frage, welchen Anspruch der Vertreter wähle, stelle eine nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu treffende Entscheidung dar, berühre aber die Rechtsposition des Ausgleichs nicht 355. Auch ein Verstoß gegen § 307 BGB scheide aus 356. Einen Widerspruch zur BGH-Rechtsprechung über die Unwirksamkeit einer formularmäßig vereinbarten Anrechnung der Altersversorgung liege nicht vor. Es gehe bei der Klausel nicht um die Anrechnung eines be-

346

347 348 349 350

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OLG München, Urt. v. 13.12.1995 – 7 U 5432/95, NJW-RR 1996, 1181 = DB 1996, 422. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 28. Ebenroth/Löwisch § 88a Rn 15. BGH, Urt. v. 29.03.1995, BGHZ 129, 186. Zum Franchiserecht: Giesler/Nauschütt § 9 Rn 75; Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 4 Rn 153.

351

352 353 354 355 356

BGH, Urt. v. 13.07.2004 – KZR 10/03, GRUR 2005, 62 = EWiR 2004, 1177 (Herbertz). AA Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 9. BGH NJW-RR 1993, 376. BGH DB 2003, 1568 (1569). BGH DB 2003, 1568 (1569). BGH DB 2003, 1568 (1569).

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stehenden Anspruchs auf den Ausgleich. Vielmehr werde die Altersversorgung unter der auflösenden Bedingung der Nichtgeltendmachung des Ausgleichs begründet. Der Umstand, dass bei Beendigung des Vertragsverhältnisses in vielen Fällen die Höhe des Ausgleichs noch nicht feststehe, so dass der Vertreter bei dessen Geltendmachung u.U. die für ihn günstigere Altersversorgung verliere, stelle keine unangemessene Benachteiligung dar. Die Berechnung und Durchsetzung des Ausgleichs falle in den Risikobereich des Vertreters. Mit der Jahresfrist des § 89b Abs. 4 S. 2 stehe ein ausreichender Zeitraum zur Verfügung, sich über die Höhe und den Umfang des Ausgleichs im klaren zu werden; • Verlängerung der Ausschlussfrist des § 89b Abs. 4 S. 2 bei gleichzeitiger Verkürzung der Verjährungsfrist, sofern die Verjährungsklausel den o.g. Anforderungen genügt; • Der Ausgleichsanspruch des außerhalb Europas tätigen Vertreters darf nach § 92c Abs. 1 mittels AGB ausgeschlossen werden 357. Berichtspflicht: Regelungen zu ihrer Ausgestaltung 358, es sei denn, der HV wird durch Übermaßberichte gegängelt, insbesondere wenn seine Selbstständigkeit berührt wird. Direktverkäufe: Die Klausel, Direktverkäufe seien trotz versprochener Exklusivität an Großabnehmer zulässig, falls dem Mittler ein angemessener Ausgleich für nachweisbare Beeinträchtigungen seines Absatzes im Vertragsgebiet gewährt werde: Sie ist hinreichend transparent. Für den Direktbelieferungsvorbehalt von Großkunden gebe es sachliche Gründe, etwa den Wunsch nach Bindung an den Hersteller. Allerdings müsse ein Hersteller Mittlern bei deren weitgehender Eingliederung in seine Vertriebsorganisation und Abhängigkeit von Weisungen und Entscheidungen des Herstellers für eventuelle, mit einem Direktbelieferungsvorbehalt verbundene Beeinträchtigungen eine angemessene Kompensation unter Einschluss entgangenen Gewinns gewähren. Dass der Hersteller deren Höhe nach billigem Ermessen bestimmen dürfe, sei nicht zu beanstanden (§ 315 BGB). Dem Mittler obliege nach dispositivem Recht die Beweislast für einen Schaden. Die Beschränkung des Ausgleichs auf „nachweisbare Beeinträchtigungen“ bilde mithin keine Abweichung vom Gesetz (§ 309 Nr. 12 BGB). Zur Art der Beeinträchtigung könne der Händler ohnehin besser als der Hersteller vortragen 359. Die Gründe für eine Direktbelieferung müssen allerdings erheblich sein 360. Möglicherweise muss man auch in der Vertragsklausel selbst eine Berechnung der Kompensation fordern 361. Einkaufsvorteile des Franchisegebers: Die Klausel, Einkaufsvorteile verblieben beim Franchisegeber, soll dem Transparenzgebot genügen und den Franchisenehmer nicht unangemessen i.S.v. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB benachteiligen 362. Freistellung nach Kündigung: Eine Regelung über die Freistellung nach Kündigung 363.

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OLG München, Urt. v. 11.01.2002 – 23 U 4416/01, MDR 2002, 1385 = RIW 2002, 319 = EWiR 2002, 485 (Emde) mit zust. Anm. Mankowski MDR 2002, 1352 und Bälz NJW 2003, 1559; OLG München, Urt. v. 20.11.2002 – 7 U 5609/01, EWiR 2003, 527 mit abl. Besprechung Evers. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 37 vertritt hingegen die generelle Unzulässigkeit formularvertraglicher Regelungen zur Berichtspflicht. BGH, Urt. v. 20.07.2005 – VIII ZR 121/04,

360 361 362 363

ZIP 2005, 1785 = WM 2005, 2002 = NJW-RR 2005, 1496 = EWiR 2005, 815 (Emde) = NJW 2006, 46 m. Anm. Kappus NJW 2006, 15. Ensthaler/Gesmann-Nuissl BB 2006, 2589 (2590). Ensthaler/Gesmann-Nuissl BB 2006, 2589 (2590). Flohr BB 2007, 6 (8). BGHZ 129, 186.

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– Geschäftsführung des Mittlers, Mitspracherechte des Unternehmers: Wirksam ist die Klausel, der Hersteller schließe den Händlervertrag im Vertrauen auf die Befähigung der aufgeführten Personen sowie auf die Zusage des Vertragshändlers, dass deren persönliche Dienste für die Handelsgeschäfte zur Verfügung ständen. Der Vertragshändler erkläre, dass es sich bei diesen Personen um den oder die maßgeblichen Geschäftsführer oder den oder die wesentlichen Eigentümer des Unternehmens handele. Es würden keine Rechtsfolgen mit einem Verstoß gegen diesen Vertrauensgrundsatz verbunden. Die Klausel führe nur die gemeinsame Erwartung der Vertragsparteien aus, dass sich an den Eigentumsverhältnissen des Unternehmens nichts ändern werde 364. – HV im Nebenberuf: Die Vereinbarung, der HV sei ein solcher im Nebenberuf kann durch AGB getroffen werden 365, sofern die Feststellung bei abstrakt-genereller Betrachtung in allen Fällen zutreffend ist. – Karenzentschädigung: Die Karenzentschädigung nach § 90a ist grundsätzlich in einer Summe bei Vertragsende fällig. Angesichts des Leitbildes monatlicher Provisionszahlung darf auch in AGB die Zahlung in monatlichen Raten vereinbart werden. – Konzernverrechnungsklausel, die der konzerneigenen P.S.A.-Bank die Aufrechnung gestattet, wenn der Zahlungsverkehr zwischen Citroen und ihren Vertragshändlern über diese Bank abgewickelt wird 366. – Kündigung: Wirksam ist die Klausel, derzufolge ein Kommitent bei Beendigung des von ihm geschlossenen Mietvertrages den Agenturvertrag kündigen darf. Der Einwand, dann könne er den Mietvertrag beenden, um einen Kündigungsgrund zu erhalten, verfange nicht. Ein solches Verhalten führe zur Unwirksamkeit der Kündigung, nicht aber der Klausel (Ausübungskontrolle) 367. – Kündigungsfrist: Ist der Handelsvertretervertrag nur mit einer Frist von 9 Monaten zum Ende eines jeden dritten Kalenderjahres kündbar, verstößt dies nicht gegen §§ 307 BGB, 89 Abs. 1 S. 1 und 3, wenn die Kündigungsfrist für beide Vertragspartner gilt 368. – Kündigung und Insolvenzantrag: Die Klausel eines Kfz-Händlervertrags, die eine Kündigung aus wichtigem Grund bei Insolvenzantragsstellung des Händlers erlaubt, stellt keine unangemessene Benachteiligung dar. Die vom Unternehmer erklärte Kündigung ist auch einen Monat vor Ablauf der zweijährigen ordentlichen Kündigungsfrist zulässig 369. – Kundenadressen: Vertragsstrafe für jede nach Vertragsende zurückbehaltene Kundenadresse 370, insbesondere wenn sie nur € 125 pro zurückbehaltener Adresse beträgt 371. – Kreditgewährung: Die Höhe des dem Tankstellenvertreter gewährten Agenturkredits darf von ESSO festgelegt und jederzeit angepasst werden. Es handele sich lediglich um einen besonderen Abrechnungsmodus der Provision 372.

364 365

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BGH, Urt. v. 26.11.1984 – XIII ZR 214/83. Ebenroth/Löwisch § 92b Rn 9; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer Rn 11; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene Rn 23; aA Hopt Rn 3. BGH, Urt. v 13.07.2004 – KZR 10/03, GRUR 2005, 62 = EWiR 2004, 1177 (Herbertz). BGH, Urt. v. 20.03.2003 – I ZR 225/00, BB 2003, 1463 (1464) = EWiR 2004, 115 (Emde).

368 369 370 371 372

KG, Urt. v. 26.06.1997, MDR 1997, 1041. OLG München, Urt. v. 24.11.2004 – 7 U 1518/04, BB 2005, 406. BGH BB 1993, 818 = NJW 1993, 1787; Eberstein S. 83. BGH, Urt. v. 10.05.1995, MDR 1995, 916. OLG Hamburg, Urt. v. 30.03.2006 – 10 U 16/05.

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– Marke, Verwendung: die Verpflichtung, Marken- und Geschäftsbezeichnungen des Franchisesystems zu verwenden 373. – Neuwagenverkauf: Der Verkauf von Neuwagen durch eine zugelassene Werkstatt des Herstellers soll in AGB ausgeschlossen werden dürfen 374. Richtig ist das Gegenteil 375: Die autorisierte Werkstatt eines Händlers darf auch Neufahrzeuge der von dem Servicevertrag getroffenen Marke vertreiben 376. Die Werkstatt darf die Wort- und Bildzeichen des Herstellers wegen des Erschöpfungsgrundsatzes des § 24 Abs. 1 MarkenG auch für die Bewerbung von Neufahrzeugen nutzen. Soweit ein Werkstattvertrag vorsieht, dass die von den Werkstattleistungen betroffene Marke nur für die Erbringung von Werkstatt- und Instandsetzungsdienstleistungen verwendet werden kann, ist diese Klausel gemäß § 307 BGB unwirksam. Sie untersage auch den Verkauf von Gebrauchtfahrzeugen, worin eine unangemessene Benachteiligung liege. – Preisbindungsbestimmung, da sie lediglich das gesetzliche Weisungsrecht wiederhole (zum Kommissionsagenturvertrag). Etwas anderes soll gelten, wenn der Kommissionsagent in ein System eingebunden ist, welches der lückenlosen Einführung und praktischen Durchsetzung der vertikalen Preisbindung dient 377. Wegen des Preisbindungsverbots gegenüber Vertragshändlern und Franchisenehmern ist die Entscheidung nicht auf diese Bereiche übertragbar. – Produktionseinstellung: Klauseln, die dem Hersteller das Recht einräumen, jederzeit die Produktion von Vertragswaren einzustellen oder diese zu verändern sind wirksam 378. Der Vertragshändler kann sich vor einer Haftung gegenüber dem Kunden schützen, indem er sich die Annahme der Kundenbestellung innerhalb einer ausreichenden Frist vorbehält, um die Lieferbarkeit zu prüfen 379. – Provisionen: wenn nach den AGB eines Luftfahrtunternehmens die Provision eines als HV agierenden Reisebüros unter Ausschluss der Landegebühren berechnet wird. Die Klausel weicht nicht in einem solchem Maß von § 87b Abs. 2 ab, dass dies mit wesentlichen Grundgedanken des Gesetzes unvereinbar wäre 380. – Provisionsverzichtsklausel hinsichtlich der nach Vertragsende fälligen Provisionen 381. Sie begründet den Ausgleichsanspruch des Versicherungsvertreters. – Provisionsvorschuss: außer im Fall des § 87a Abs. 1 S. 2 sind Regelungen zu Gunsten des HV kontrollfrei (Hauptleistung und fehlendes gesetzl. Leitbild), zu seinen Lasten nicht, deshalb mglw. Unwirksamkeit bei unangemessen hohem Vorschuss 382. – Rückkauf von Lagerware nach Vertragsende: Eine in AGB niedergelegte Erklärungsfrist des Händlers, den Rückkauf binnen 6 Monaten nach Vertragsende anzukündigen 383. Dass der Hersteller bei Vertragsende noch beim Händler vorhandene Kfz nur zum NettoRechnungswert ohne MwSt und ohne Fracht- und sonstige Nebenkosten zurückkauft wurde ebenfalls für wirksam gehalten: Auf Frachtkosten, die beim Rückkauf anfielen, 373 374 375

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Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 238. Niebling WRP 2006, 1334 (1335). LG Erfurt, Urt. v. 13.12.2007 – 2 HK O 244/07; LG Köln, Urt. v. 6.3.2008 – 84 O 159/07, S. 10. LG Erfurt, Urt. v. 13.12.2007 – 2 HK O 244/07; LG Köln, Urt. v. 6.3.2008 – 84 O 159/07, S. 10 BGH, Urt. v. 20.03.2003 – I ZR 225/00, BB 2003, 1463 = ZIP 2003, 1707, 1712 = EWiR 2004, 115 (Emde).

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BGH BB 1985, 218; Westphal Vertriebsrecht II Rn 83. BGH BB 1985, 218; Westphal Vertriebsrecht II Rn 84. BGH, Urt. v. 12.05.2004 – VIII ZR 159/03, MDR 2004, 1009 = NJW-RR 2004, 1206. Graf v. Westphalen DB 2003, 2319. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 51. Graf v. Westphalen Klauselwerke, Vertragshändlerverträge, Rn 44; Westphal Vertriebsrecht II Rn 99; Kleinmann/Siegert BB 2006, 785 (789).

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beziehe sich die Klausel nicht. Solche seien vom Hersteller zu tragen. Die Erstattung der beim Erstkauf entstandenen Frachtkosten brauche der Hersteller nicht zu versprechen, weil der Händler in Gewinnerzielungsabsicht erwerbe und damit mit dem Ziel, die Frachtkosten über den Verkaufspreis auf den Käufer abzuwälzen 384. Die Klausel schließe auch die Zahlung der Mehrwertsteuer durch den Hersteller nicht aus. Auf den in den AGB genannten Nettopreis dürfe der Händler die MwSt aufschlagen. Ein in der Klausel vereinbarter pauschaler Abzug von 10 % für den zu erwartenden Verwertungsverlust des Herstellers stelle keine unangemessene Benachteiligung des Händlers dar 385. Deshalb bildet auch die Klausel, dass für „ältere Modelljahre“ ein Abschlag von 10 % vorzunehmen ist, keine unangemessene Benachteiligung 386. Der Unternehmer soll in Vertragshändler-AGB für den Fall einer unberechtigten Vertragsbeendigung des Händlers den Rückkauf des Ersatzteillagers ausschließen dürfen 387. Die Rückkaufverpflichtung folge aus der nachvertraglichen Treupflicht des Herstellers, wenn dieser den Unterhalt eines Teilelagers verlangt habe. Verstoße der Händlers selbst gegen vertragliche Verpflichtungen (im entschiedenen Fall: durch fristlose Eigenkündigung ohne wichtigen Grund), so könne er sich auf eine nachwirkende Treupflicht seines Vertragspartners nicht mehr berufen 388. Schadenersatzpauschale für Einstellung der Tätigkeit: Eine Schadenersatzpauschale für den Fall der ohne wichtigen Grund vorgenommenen Einstellung der Tätigkeit durch den Handelsvertreter (für jeden Monat des vorzeitigen Ausscheidens die Hälfte des Durchschnittsverdienstes pro Monat aus den letzten 24 Monaten) 389. Bereits nach allgemeinem Zivilrecht sei die Vertragspartei, die den Vertretervertrag unberechtigt kündige, aus § 280 BGB schadenersatzpflichtig. Die Bestätigung dieser Pflicht durch Formularvertrag schließe das Recht des Vertragspartners, den Vertrag aus wichtigem Grund fristlos zu kündigen, nicht aus. Schiedsgutachter: Die vertraglich vorgeschriebene Teilung der Kosten eines Schiedsgutachters: Es entspreche gefestigten Rechtsgrundsätzen, dass die Kosten eines Schiedsgutachters im Zweifel den Parteien hälftig zur Last fielen 390. Schiedsgerichtsklausel: Auch eine Schiedsgerichtsklausel darf anhand des § 307 BGB überprüft werden. Ein Franchisegeber hatte das Schiedsgericht angerufen, gestützt auf eine in AGB enthaltene Schiedsklausel. Der Franchisenehmer hielt diese Schiedsklausel für unwirksam, da er erst durch die Aufnahme der Franchisetätigkeit Kaufmann geworden sei. Das OLG Oldenburg 391 hielt die Schiedsabrede gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB für unbedenklich. Der Franchisenehmer sei Kaufmann. Es genüge, dass mit Aufnahme seiner Tätigkeit die Kaufmannseigenschaft begründet wurde. Schulungskosten: Eine Regelung, nach welcher der Vertreter die Kosten der Vertriebsausbildung im Falle der Vertragsbeendigung maximal 24 Monate ab Beginn der Tätigkeit zurückzuzahlen hat, wobei 12 Monate nach Vertragsbeginn die Hälfte und weitere

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Das gilt allerdings auch für den Einkaufspreis selbst! BGH, Urt. v. 20.07.2005 – VIII ZR 121/04, ZIP 2005, 1785 = WM 2005, 2002 = NJW-RR 2005, 1496 = EWiR 2005, 815 (Emde) = NJW 2006, 46 m. Anm. Kappus NJW 2006, 15. KG BB 1999, 1518; aA Graf v. Westphalen BB 1999, 1519 (1520). OLG München NJW-RR 1998, 1563.

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OLG München NJW-RR 1998, 1563. OLG München NJW-RR 1998, 1189. BGH, Urt. v. 20.07.2005 – VIII ZR 121/04, ZIP 2005, 1785 = WM 2005, 2002 = NJW-RR 2005, 1496 = EWiR 2005, 815 (Emde) = NJW 2006, 46 m. Anm. Kappus NJW 2006, 15. OLG Oldenburg, Beschl. v. 12.11.2001 – 9 SchH 12/01, BB 2001, 2499.

Raimond Emde

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

Vor § 84

12 Monate später der Restbetrag erlassen wird. Die Schulung diene berufsbezogenem Wissen. Angesichts der gestaffelten Erstattungsregelung trete die Kündigungserschwernis nach § 89 zurück 392. Ob auch eine unzulässige Behinderung der außerordentlichen Kündigung nach § 89a vorlag, wurde nicht thematisiert. Zulässig ist auch die Verpflichtung zur Übernahme von Schulungskosten – selbst der Kosten der eigentlichen Schulungsveranstaltung –, wenn das Interesse des Mittlers oder seines Personals das des Unternehmers an der Schulung deutlich überwiegt 393. – Selbstbelieferungsvorbehalt: Die Klausel in einem Vertragshändlervertrag, der Importeur eines ausländischen Herstellers müsse Lieferverträge nur „nach Maßgabe der Liefermöglichkeiten“ schließen. Denn der Importeur könne die Selbstbelieferung durch die von ihm vertretene ausländische Marke nicht beeinflussen, was einen hinreichenden Grund für die Lösung aus der eingegangenen Bindung darstelle 394 (zwh. bei verbundenen Unternehmen). – Übertragung des Franchisebetriebes: Die Verpflichtung des Franchisenehmers, die Rechte und Pflichten aus dem Vertrag nicht ohne Zustimmung des Franchisegebers zu übertragen 395. Der Franchisegeber hat wegen der Geheimhaltung seines Know-How ein berechtigtes Interesse daran, dass keine Außenstehenden in das Franchisesystem eindringen 396. Allerdings muss die Klausel unter dem Vorbehalt stehen, dass die Zustimmung erteilt wird, sofern keine Interessen des Franchisegebers berührt sind. Holt der Franchisenehmer die Zustimmung nicht ein, kann darin eine zur Kündigung berechtigende Verletzung des Vertrauensverhältnisses liegen. – Verjährung: Die in einem HV-Vertrag enthaltene Klausel: „Alle Ansprüche aus diesem Vertrag verjähren in 12 Monaten nach Fälligkeit, … gerechnet von der Erlangung der Kenntnis des Berechtigten von den Umständen, die die Entstehung des Anspruchs rechtfertigen“ 397. In der Abkürzung der Verjährungsfrist auf ein Jahr ab Fälligkeit und Kenntnis von der Entstehung des Anspruchs liegt keine Verkürzung der zwingenden Frist für die Geltendmachung des Ausgleichs nach § 89b Abs. 4 S. 2. Der gleichzeitige Ablauf von Verjährungs- und Geltungsmachungsfrist hindert den HV nicht, diese Frist auszuschöpfen. Will sie der HV voll nutzen, ist er lediglich gehalten, den Anspruch so geltend zu machen, dass zugleich auch die Verjährung unterbrochen wird 398 (was allerdings bereits ein Hindernis bildet). Da die Regelung auch gleichmäßig für beide Vertragsparteien gilt, belastet sie nicht einseitig den Vertreter. Eine Verkürzung der gesetzlichen Verjährungsfrist kann auch nach Auffassung des OLG München 399 vereinbart werden. Zwar konstituieren die gesetzlichen Vorschriften über die Verjährung grundsätzlich einen sehr hohen Gerechtigkeitsgehalt. Eine Verkürzung könne aber hingenommen werden, wenn sichergestellt sei, dass sie für den Anspruchsinhaber in der Regel ohne weiteres erkennbar sei (Transparenzgebot). In einem vom Unternehmer verwendeten Versicherungsvertretervertrag hält die Klausel, nach der die Verjährungsfrist für Ansprüche der Vertragsparteien abweichend von § 88 HGB a.F. von vier auf ein Jahr verkürzt wurde und die Frist mit dem Ende des Jahres, in dem der Anspruch

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BAG MDR 2003, 814 (815, 816); aA OLG Celle, Urt. v. 24.04.2003 – 11 U 226/02. Ulmer/Habersack S. 65. BGHZ 124, 351 (359) = ZIP 1994, 461 (464); BGH NJW 2000, 1191 = EWiR 2000, 361 (Emde). Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 246.

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Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 246. KG VersR 2002, 1554. KG VersR 2002, 1554 (1555). VersR 1999, 1369 = BB 1998, 2445.

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entstanden ist, zu laufen beginnt, der Klauselkontrolle nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB stand, falls der Vertrag dem VV weder einen Kunden- noch einen Gebietsschutz einräumt und die Provisionsabrechnung sowie Kopien der Versicherungspolice regelmäßig übermittelt wurden 400. Vertragsstrafen: Vereinbarung mittels AGB 401 und nach „Hamburger Brauch“, d.h. Festsetzung einer vom Berechtigten in jedem Einzelfall zu bestimmenden „angemessenen“ Vertragsstrafe nach billigem Ermessen 402. Ein Vertragsstrafeversprechen in einem formularmäßigen Versicherungsvertretervertrag, nach dem es dem Versicherungsvertreter bei Meidung einer Vertragsstrafe in Höhe von 1.500,00 EUR untersagt ist, von dem Unternehmer angebahnte Geschäfte nachvertraglich umzudecken, ist wirksam. Es bleibe zu berücksichtigen, dass beide Parteien Kaufleute und insoweit gemäß § 348 HGB in der Verabredung einer Vertragsstrafe freier gestellt seien, als dies im übrigen Zivilrechtsverkehr angenommen werden könne 403. Werbung: Zulässig ist es, wenn der Vertragshändler seine Werbung inhaltlich und graphisch nach etwaigen vom Hersteller gegebenen Richtlinien gestalten und jede Werbung für Vertragsware, gegen die der Hersteller Einspruch erhebt, unverzüglich unterlassen muss 404. Bei nicht produktbezogener Werbung wird man für das Unterlassungsbegehren aber ein berechtigtes Interesse fordern müssen. Wettbewerbsverbot: ein auf die Dauer des Vertrages beschränktes Wettbewerbsverbot 405. Es folgt ohnehin aus der Interessenwahrungspflicht. Es ist auch zulässig, wenn es über das gesetzliche Wettbewerbsverbot hinausgeht. Zurückbehaltungsrecht: Erweiterung des Zurückbehaltungsrechts zugunsten des Vertreters. Zwar entspricht § 88a Abs. 2 dem gesetzlichen Leitbild 406. Die Abweichung benachteiligt den Unternehmer jedoch regelmäßig nicht ungebührlich 407. Zustimmungsfiktion zur Auftragsbestätigung bei fehlendem Widerspruch innerhalb von zwei Wochen: Die Regelung ist im kaufmännischen Verkehr rechtmäßig, da der Vertragshändler auf eine ausdrückliche Annahmeerklärung verzichtet und der Vertrag nach § 151 BGB auch ohne Annahmeerklärung zustande kommt. Die gesetzliche Regelung gilt jedenfalls dann, wenn die Abweichung nicht derart ist, dass der Hersteller mit einer Zustimmung des Vertragshändlers nicht mehr rechnen darf 408. Zweitmarke: Eine Klausel, die bei Übernahme einer Zweitmarke die Verwechslung der Marken ausschließen soll. Selbst in kleinen Verkaufsräumen könnten Marken so angeordnet werden, dass die Zugehörigkeit zur jeweiligen Marke klar erkennbar bleibe 409.

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OLG München, Urt. v. 12.02.2007 – 7 U 3750/07, BB-online BBL 2008-117-4, BB 2008, 117. BGH, Urt. v. 16.07.1998 – VII ZR 9/97, ZIP 1998, 1756; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 44; aA Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 37. Prasse in Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 112; zum Franchiserecht: Giesler/Nauschütt § 5 Rn 95 (Problem: ggf mangelnde Transparenz, gleichwohl ist die Klausel wohl zulässig). OLG Celle, Urt. v. 28.06.2001 – 11 U 221/00, OLGR 2001, 267.

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OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.06.1992 – 6 U 105/91. BGH BB 2003, 1463 = ZIP 2003, 1707. Ebenroth/Löwisch § 88a Rn 15. AA Ebenroth/Löwisch § 88a Rn 15. OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.06.1992 – 6 U 105/91; zweifelhaft, da Schweigen keine Willenserklärung darstellt. BGH, Urt. v. 13.07.2004 – KZR 10/03, GRUR 2005, 62 = EWiR 2004, 1177 (Herbertz).

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4. §§ 478, 479 BGB. Vor der Schuldrechtsnovelle 2002 fehlte eine Regelung zum 35 Rückgriff des Händlers gegen den Lieferanten. Seitdem sollen die §§ 478, 479 BGB bis zum Ablauf der in § 479 Abs. 2 BGB genannten Fünfjahresfrist eine „Regressfalle“ zu Lasten des Händlers verhindern 410. Im Vertragshändlerrecht bestand allerdings schon zuvor gemäß §§ 675, 670 BGB ein Rückgriffsrecht des Händlers 411, zudem ergibt sich ein solches möglicherweise aus der zwischen den Vertragspartnern bestehenden gegenseitigen Interessenwahrnehmungspflicht, wenn der Mangel vom Hersteller zu vertreten ist 412. 5. §§ 611 ff, 675 ff. Sofern das BGB anzuwenden ist, ist im Grundsatz an die sub- 36 sidiäre Anwendung der §§ 611 ff BGB wie der §§ 675 ff BGB einschließlich des dort in Bezug genommenen Auftragsrechts zu denken 413. Immer ist zu prüfen, ob das HGB vorrangig gilt oder die selbständige Stellung des Handelsvertreters der Anwendung des BGB entgegensteht 414. Dazu bedarf es aber – da gesetzliche Normen im Zweifel gelten – eines hinreichend klar erkennbaren Willens. Im Einzelnen: 6. § 611 BGB. Die Vorschrift ist uneingeschränkt anwendbar und tritt nicht hinter 37 § 84 zurück 415. Denn § 84 ist die Legaldefinition, § 611 BGB regelt Vertragspflichten. Eher schon könnte man an ein Zurücktreten hinter § 86 Abs. 1 denken. Insbesondere ist § 611 BGB anwendbar, wenn eine von den §§ 87 ff abweichende Vergütungsart, etwa ein Festgehalt 416, vereinbart wurde. Zudem zeigt § 611 Abs. 2 BGB die Zulässigkeit sogenannter Mischverträge, bei denen die Handelsvertretertätigkeit nur einen Teil der Gesamttätigkeit einnimmt 417. 7. § 611a/b BGB. Die Bestimmungen richten sich an den Arbeitgeber. Der HV ist 38 kein Arbeitnehmer. Gleichwohl findet sich eine vergleichbare Interessenlage, so dass kein Grund besteht, die Regelungen nicht analog anzuwenden. Jedoch ist dies noch nicht abschließend ausdiskutiert 418. 8. § 612 BGB. § 612 Abs. 1 BGB wird durch § 87 verdrängt 419. § 612 Abs. 2 BGB 39 tritt hinter § 87 b Abs. 1 zurück, soweit die übliche Höhe von Provisionen zu bestimmen ist 420. Hinsichtlich des Festvergütungsanteils gilt § 612 Abs. 2 BGB. Kein Äquivalent im Handelsvertreterrecht hat § 612 Abs. 3 BGB 421. Er findet im Vertreterrecht entsprechende

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v. Sachsen Gessaphe RIW 2001, 721. Graf v. Westphalen DB 1999, 2553 (2555); v. Sachsen Gessaphe RIW 2001, 721 (728). Emde kfz-betrieb 48/2001, 26. Emde MDR 2002, 190 ff; Prasse in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 127 ff; Röhricht/Graf v. Westphalen/ Küstner § 86 Rn 2; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 3, 4; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 1. Westphal Vertriebsrecht I Rn 7. Prasse in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 129; aA Martinek/Flohr § 8 Rn 40; Küstner/Thume I Rn 252; Voraufl. § 84 Rn 32. Hopt § 87 Rn 5.

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Häufig ist beispielsweise die Kombination von Handelsvertreter- und Vertragshändlertätigkeit. Die Anwendung verneinen Prasse in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 130; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 49, anders noch bei Benachteiligung aufgrund Nationalität. Emde MDR 2002, 190 (191); Prasse in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 131; Martinek/Flohr § 8 Rn 41. Siehe Evers/Kiene DB 2002, 1309 (1313). Emde MDR 2002, 190 (191); Prasse in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 133.

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Anwendung. Jedoch wird sich – außer bei großen Vertreterunternehmen mit Vergleichsmaßstäben – die geschlechtsspezifische Benachteiligung kaum je nachweisen lassen. Woran sollte die Diskriminierung gemessen werden? Offensichtlich dürfte sie lediglich werden, wenn derselbe Unternehmer Frauen grundsätzlich einen geringen Provisionssatz als Männern verspricht.

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9. § 612a BGB. Die Vorschrift ist Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens und gibt Selbstverständliches wieder. Zumindest der Rechtsgedanke ist daher anwendbar 422.

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10. § 613 BGB. Die Dienste des HV sind im Zweifel in Person zu leisten, der Anspruch auf sie ist im Zweifel nicht übertragbar. Wegen dieses Bildes persönlicher Tätigkeit geht der BFH 423 davon aus, der Gewerbebetrieb eines HV habe in der Regel keinen Geschäftswert, weil seine Tätigkeit im Gegensatz zu zahlreichen anderen gewerblichen Betätigungen im allgemeinen keinen nennenswerten Kapitaleinsatz erfordere und der geschäftliche Erfolg des HV im Regelfall von dessen persönlichen Arbeitseinsatz bestimmt werde. Da die Pflicht zur persönlichen Dienstleistung nur „im Zweifel“ gilt, ist umstritten, welchen Inhalt sie im HV-Recht hat. Es ist von Vertragsverhältnis zu Vertragsverhältnis und je nach tatsächlichem Erscheinungsbild des Vertreterunternehmens zu differenzieren. Im Grundsatz gilt die Pflicht zur persönlichen Dienstleistung für jeden HV 424, auch, 42 wenn der Unternehmer ein größeres Handelsvertreterunternehmen oder eine Vertretergesellschaft 425 beauftragt. In diesen Fällen sind die Normen nicht abbedungen. Bei der HV-Gesellschaft gilt im Grundsatz, dass die Person dessen, der die Dienste eines HV in der Gesellschaft zu erbringen hat, zunächst nicht feststeht. Juristische Personen sind zwar selbst zur Dienstleistung verpflichtet, sie handeln jedoch „persönlich“ durch ihre Organe 426. Wer eine HV-Gesellschaft mit den Aufgaben des HV für sein Unternehmen betraut, ist deshalb, in Umkehrung der Regel der §§ 613, 664 BGB, im Zweifel damit einverstanden, dass die Vertreterfunktionen durch denjenigen ausgeübt werden, der jeweils nach gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen für die Gesellschaft nach außen handelnd auftreten kann. Etwas anderes kann aber die personalistische Struktur der Gesellschaft oder eine Vertragsauslegung ergeben. Es wird sich deshalb empfehlen, im HV-Vertrag klarzustellen, auf wessen Person die Vertreterfunktionen abgestellt sein sollen. Dann nämlich sichert der Unternehmer die Rechtsfolge, dass, wenn die betreffende Person aus der Gesellschaft (oder ihrem Leitungsorgan) ausscheidet, der Vertrag endet – das müsste dann freilich als auflösende Bedingung so bestimmt sein –, mindestens aber aus wichtigem Grunde gekündigt werden kann 427, während umgekehrt der HV-Vertrag auch bei Veränderungen des Status der Gesellschaft solange Bestand behalten kann, als eben dieser Gesellschafter die Vertretertätigkeit in der Gesellschaft betreibt oder sogar die Gesellschaft zur Weiterführung als Einzelkaufmann übernimmt. Auch eine Vertretergesellschaft kann die von ihr geschuldeten Dienste nicht ohne Zustimmung des Unternehmers auf einen anderen, sei dieser Einzelhandelskaufmann oder Handelsgesellschaft, übertragen. 422

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Emde MDR 2002, 190 (191); Prasse in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 134. BFH, Urt. v. 26.02.1964 – I 383/61 U, BFHE 79, 521; v. 07.10.1976 – IX R 50/72, BFHE 121, 21; v. 29.07.1982 – IX R 49/78, BFHE 136, 270; v. 12.07.2007 – X R 5/05, BeckRS 2007, 24003071.

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Küstner/Thume I Rn 254; Westphal Vertriebsrecht I Rn 8; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 85 Rn 6. Martinek/Flohr § 8 Rn 42. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 8. Schmidt-Rimpler S. 308; Schröder § 89, 41b.

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Gleichwohl setzen die §§ 613, 664 BGB der Organisationsfreiheit des HV eine Grenze: 43 Der Unternehmer hat ein bestimmtes HV-Unternehmen mit der Erbringung der Leistungen beauftragt. Die §§ 613, 664 BGB schützen sein berechtigtes Interesse, dass sich das Erscheinungsbild des Unternehmens, dessen wirtschaftlich-faktische Kontinuität, insbesondere seine personelle Kontinuität, nicht unzumutbar ändert. Bei erheblichen und unzumutbaren Änderungen in dessen Erscheinungsbild, etwa bei Ausscheiden von Schlüsselpersonen, besteht ein Unterlassungsanspruch, notfalls ein Kündigungsrecht 428. So wird man etwa den Eintritt eines Teilhabers in eine HV-Gesellschaft für zulässig 44 halten dürfen, falls hierdurch keine dem Unternehmer unzumutbare Änderung der wirtschaftlich-faktischen Kontinuität des HV-Unternehmens eintritt, etwa wenn der Teilhaber im Außenverhältnis – jedenfalls bei Erfüllung der konkreten Vertragspflichten – nicht auftritt. Ein Gesellschafterwechsel, z.B. in einer Personenhandelsvertretungsgesellschaft, bedarf nicht generell der Zustimmung des Unternehmers 429. Vielmehr kommt es auf das Ausmaß der Änderung an (s.o.). Bei einer Einpersonengesellschaft ist zwar jene zur „persönlichen Dienstleistung“ verpflichtet 430. Jedoch bedeutet etwa die Auswechslung des tätigen Alleingesellschafters eine nicht zumutbare wesentliche Änderung. Je größer und unpersönlicher das Erscheinungsbild des Vertreterunternehmens bei Vertragsschluss, umso weniger ist das Vertrauen des Unternehmens auf das Unterbleiben organisatorischer oder personeller Umgestaltungen schützenswert. War etwa der Geschäftsführer eines mittelgroßen HV-Unternehmens für dessen Erscheinungsbild bestimmend, so kann sein Ausscheiden eine gemäß den §§ 613, 664 BGB unzulässige Änderung sein. Dagegen wird ein personeller Wechsel im Unternehmen eines Großvertreters möglicherweise keine vertragswidrige Änderung bewirken. Ob die Abberufung oder Neubestellung des Geschäftsführers einer HV-Gesellschaft mit den §§ 613, 664 BGB vereinbar ist, hängt gleichfalls sehr von der Realstruktur des betreffenden Unternehmens ab 431. Jedoch bleibt der HV trotz der §§ 613, 664 BGB berechtigt, Hilfspersonal einzu- 45 stellen, dessen er sich bei der Wahrnehmung seiner Vertragspflichten bedienen darf 432. Voraussetzung: er muss dessen Tätigkeit überwachen und es darf keine Substitution eintreten. Der Prokurist, der Handlungsbevollmächtigte oder ein anderer Mitarbeiter, den der HV für seine Agentur einstellen darf, selbst wenn dem HV die Beschäftigung von Untervertretern vertraglich nicht gestattet wäre, dürfen ihn in der Vermittlungstätigkeit vertreten. Der HV ist – wie § 84 Abs. 3 zeigt 433 – im Zweifel insbes. zur Beschäftigung von Untervertretern berechtigt 434, es sei denn, der Unternehmer durfte berechtigt auf ein persönliches Tätigwerden seines Vertragspartners vertrauen, etwa bei äußerst vertraulichen und außerordentlich bedeutsamen Vorgängen 435. Selbst bei Vertragsschluss mit einem Einzelvertreter besteht ein solches Vertrauen jedoch nicht immer. In Zweifelsfällen sind Anhaltspunkte im Vertrag zu suchen, wobei es für weitgehende Freiheit des Vertreters bei der Einstellung von Hilfspersonen spricht, wenn ein ausdrückliches oder mit-

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Emde Die Handelsvertreter-GmbH, 1994, S. 128 ff (208 ff); Emde GmbHR 1999, 1005 (1011); Emde MDR 2002, 190 (191); Prasse in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 135; Küstner/Thume I Rn 254. AA Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 17. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 4. Emde Die Handelsvertreter GmbH, S. 101.

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Küstner/Thume I Rn 433; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 2; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 8; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 14. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 2. BGHZ 56, 290; 59, 87; 92 (93); Ebenroth/ Löwisch § 84 Rn 64. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 31a.

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tels Vertragsauslegung gefundenes Verbot der Beschäftigung von Hilfspersonen fehlt. Jedoch muss der HV seine Hilfskräfte anleiten und überwachen. Mangelt es hieran, ersetzen die Hilfskräfte die Leistung des HV, ohne dass er die „Oberaufsicht“ behält, so ist die Grenze zulässiger Hilfstätigkeit überschritten und sind die §§ 613, 664 BGB verletzt. Auch besteht eine Informationspflicht des Vertreters über die Tätigkeit seiner Untervertreter. Dem Unternehmer steht jedoch im Regelfall kein Widerspruchsrecht gegen die Tätigkeit der Hilfspersonen zu, so lange keine Substitution eintritt. Unterlässt der HV die Information über Strukturveränderungen, können daraus Schadenersatzansprüche des Unternehmers resultieren, wobei ein Schaden schwer vorstellbar ist. Dass ein Unterlassen der Information allein zu einem völligen Wegfall des Vertrauens und damit zu einem außerordentlichen Kündigungsrecht des Unternehmers nach § 89a führen könnte, ist eher ausgeschlossen, zumal der Unternehmer ohnehin der Tätigkeit der Hilfspersonen ohne Substitution nicht widersprechen kann. Die internen Aufgaben gegenüber dem Unternehmer wie Berichtspflicht, Abrech46 nungsverkehr u.ä., aber auch die Wahrnehmung der Funktionen nach § 91 Abs. 2 darf der HV unter seiner Verantwortung Hilfspersonen überlassen. Dagegen kann der HV seinen Vertrag nicht ohne Zustimmung des Unternehmers auf einen anderen „übertragen“, etwa durch Verkauf der Agenturfirma. Im Kfz-Vertriebsrecht hat die GVO 1400/02 eine Sonderregelung geschaffen (dazu unten). Der Unternehmer braucht sich keinen beliebigen Nachfolger aufdrängen zu lassen 436. Ob der Unternehmer, wenn der HV einen stichhaltigen Grund hat, die Vertretung aufzugeben, und er dem Unternehmer einen voll geeigneten Nachfolger vorschlägt, der Unternehmer aber gleichwohl die Zustimmung nicht erteilt, das Vertragsverhältnis mit der Rechtsfolge kündigen darf, dass ihm daraufhin entgegen der Regel des § 89b Abs. 3 der Ausgleichsanspruch gegen den Unternehmer verbleibt, erscheint zweifelhaft. Im Einzelfall mögen aus § 242 BGB Zustimmungspflichten des Unternehmers zur Übertragung herzuleiten sein. Sie charakterisieren jedoch nicht den Regelfall, gerade wenn der Unternehmer eigene Vorstellungen zur Nachfolgefrage hat. Der Unternehmer kann gute Gründe haben, seine Zustimmung zu verweigern; Zweifelsfälle gehen zu Lasten des HV. Stimmt der Unternehmer der Abgabe der Vertretung an einen Nachfolger zu bzw. erreicht der HV, wenn er mehrere Unternehmer vertritt, die Zustimmung aller Unternehmer, so kann er seine Agenturfirma samt Verträgen übertragen: die Wirkungen des § 25 beschränken sich auf die Agentur als Organisationseinheit; sie ergreifen nicht die einzelnen HV-Verträge. Das Vertragsverhältnis geht nicht automatisch auf den oder die Erben des Handels47 vertreters über. Allerdings kann der Vertrag abweichende Bestimmungen treffen, z.B. dahin, dass ein Sohn oder die Witwe des HV das Recht zur Fortführung der Vertretung haben sollen. Das ist aber selbst dann nicht automatisch anzunehmen, wenn sie – ggf. mit dem Unternehmer vereinbart – Mitarbeiter der HV-Firma waren. Ob dann gegebenenfalls ein förmlicher neuer Vertrag mit ihnen abgeschlossen werden muss oder der alte Vertrag sich automatisch fortsetzt (dies ist mangels entgegenstehender Vereinbarung gemäß §§ 1922, 1967 BGB der Regelfall), bleibt eine Frage seiner näheren Ausgestaltung. Beim Tod des Unternehmers wird man dagegen annehmen müssen, dass hier der Anspruch auf die Leistung der Dienste aus dem HV-Vertrag im Zweifel auf die Erben, wenn sie das Unternehmen fortführen, übergeht. Denn auf die Person des Unternehmers ist das Handelsvertreterverhältnis nicht in gleichem Maße abgestellt wie auf die Person des Handelsvertreters und es besteht zu Lasten des Unternehmers keine Pflicht zur persönlichen Dienstleistung. 436

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OLG Frankfurt/Main RzW 1960, 172.

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Ist der Vertretervertrag unter der Agenturfirma des HV abgeschlossen 437 ist der HV 48 persönlich oder die mit ihr bezeichnete juristische Person Vertragspartner. Die Firma ist kein eigenes Rechtssubjekt. Sie ist der Name, unter dem der Kaufmann seine Erklärungen im Handelsverkehr abgibt (§ 17 Abs. 1). An der im Zweifel eintretenden Verpflichtung, seine Dienste in Person und grundsätzlich unübertragbar zu leisten (§ 613 BGB), wird durch das Rubrum des Vertrages nichts geändert. Eine Ausnahme von der Pflicht zur persönlichen Dienstleistung des Firmeninhabers wird nur dann gefunden werden können, wenn es dem Unternehmer gerade darauf ankam, die Agenturfirma – also den Organisationsrahmen – als solche und damit ihren good will mit der Vertretung betraut zu sehen, dergestalt, dass ihm dieser good will wichtiger ist als die Person des jeweiligen Inhabers. Einen solchen good will soll die Agenturfirma üblicherweise nicht besitzen 438. Gegenbeispiel ist die erfolgreiche Tätigkeit seit mehreren Generationen in Händen derselben Familie oder eine besondere Reputation aus anderen Gründen, etwa: Aufbau eines eigenen Rufes der Agentur durch ungewöhnliche Werbemaßnahmen mit dem Erfolg, dass gerade sie auf Unternehmer, die eine Vertretung für ihre Erzeugnisse suchen, eine erhöhte Anziehungskraft ausübt und auch die Kunden wegen der hervorragenden Einrichtung des Agenturbetriebs ihre Abschlüsse bevorzugt über sie zu tätigen ein Interesse haben 439. Als Grundregel mag gelten: Je größer und unpersönlicher das Vertreterunternehmen, umso eher muss der Unternehmen Änderungen in dessen Erscheinungsbild akzeptieren. Der HV ist jedoch nicht daran gehindert, sein Vertreterunternehmen einem identitäts- 49 wahrenden Rechtsformwechsel zu unterwerfen. Der HV bestimmt insoweit über die Organisationsform, die Teil seiner Organisationsautonomie ist 440. Die §§ 613, 664 BGB verbieten deshalb nicht den Wandel der Rechtsform des HV-Unternehmens 441. Sofern ein identitätswahrender Rechtsformwechsel nach UmwG eintritt, bleibt der Vertretervertrag trotz Rechtsformwechsels mit dem identischen Rechtsträger bestehen (§ 202 I Nr. 1 UmwG). Auch im Falle der Verschmelzung geht der Vertretervertrag auf den neuen Rechtsträger über (§ 20 UmwG). § 673 BGB steht nicht entgegen 442. Jedoch schützen die §§ 613, 664 BGB den Unternehmer vor wesentlichen Änderungen im Erscheinungsbild des HV-Unternehmens. Ändert sich die wirtschaftlich-faktische Kontinuität des HVUnternehmens infolge der Umwandlung erheblich und werden hierdurch die Interessen des Unternehmers so bedeutend tangiert, dass ihm eine Vertragsfortsetzung unzumutbar ist, mag ein außerordentliches Kündigungsrecht bestehen 443. Die beim Rechtsformwechsel von einer Personen- zu einer Kapitalgesellschaft eintretende Haftungsbeschränkung kann angesichts der geringen finanziellen Risiken des Unternehmers im Verhältnis zu seinem Vertreter nur in krassen Ausnahmefällen ein außerordentliches Kündigungsrecht des Unternehmers begründen 444. Gleiches dürfte für die Ausgliederung von einem Einzelkaufmann zur Kapitalgesellschaft gelten. Zu Kündigungsgründen, die durch die Besonderheiten einer HV-GmbH begründet werden könnten, wird unten bei § 89 ausgeführt. Problematisch sind die Fälle, in denen ein identitätswahrender Rechtsformwechsel 50 oder eine Gesamtrechtsnachfolge gemäß UmwG ausscheidet, etwa bei Gründung einer

437

438 439 440

Das geschieht nicht selten; ein Fall solcher Art lag der Entscheidung RGZ 129, 80 zugrunde. BGH DB 1962, 501. OLG Frankfurt/Main RzW 1960, 172. Emde Die Handelsvertreter GmbH, 1994, S. 120 ff; Westphal BB 1999, 2517.

441 442 443 444

Hierzu Westphal BB 1999, 2517. K. Schmidt DB 2001, 1019. Emde Die Handelsvertreter GmbH, 1994, S. 129 f. Vgl. Emde Die Handelsvertreter GmbH, 1994, S. 130 ff.

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oHG durch Eintritt eines Neugesellschafters. Der Vertragspartner wird hier durch die Neugründung kein anderer. Vielmehr ist der Vertreter nach wie vor als Einzelkaufmann verpflichtet und kann nur durch einverständliche Vertragsänderung eine Übertragung des Vertrages auf die neugegründete Gesellschaft herbeiführen 445. Die Person des Vertragspartners darf nicht ausgetauscht werden 446. Angesichts der Möglichkeit des identitätswahrenden Formwechsels wird kaum ein HV diese Möglichkeit wählen. Westphal 447 verweist darauf, der Vertreter könne bei fehlender Zustimmung des Unternehmers die gegründete Gesellschaft als Untervertreterin einsetzen. Dem ist bei Zumutbarkeit ihrer Tätigkeit beizupflichten. Was für die Übertragbarkeit der Dienste des HV gilt, ist auch für den Fall einer „Auf51 spaltung“ anwendbar, so durch Aufnahme eines Teilhabers in die Agenturfirma. Selbst wenn der Handelsvertreter einen triftigen Grund hat, einen Junior-Partner aufzunehmen (vorgerücktes Lebensalter) und er dem Unternehmer eine geeignete, vertrauenswürdige Person vorstellt, so wird der Unternehmer seine Einwilligung versagen dürfen, ohne dem Handelsvertreter einen begründeten, den Ausgleichsanspruch wahrenden Anlass zur Kündigung oder sogar einen Erfüllungsanspruch zu geben. Wenn im Außendienst der bisherige Agenturinhaber weiter allein tätig bleibt, behält es hierbei sein Bewenden. Damit werden die §§ 613, 664 BGB zu Normen, die dem Schutz der Unternehmens52 kontinuität dienen. Sie garantieren dem Vertragspartner eines größeren Vertreterunternehmens zwar nicht notwendigerweise die Leistungserfüllung durch dieselbe natürliche Person, schützen ihn aber vor wesentlichen Umgestaltungen des Unternehmens. Erfolgt eine wesentliche Änderung des Erscheinungsbildes, kann der Unternehmer die Beibehaltung des status quo fordern. Insbesondere bleibt dem Vertreter unbenommen, den Vertretervertrag aus wichtigem Grund nach § 89a zu kündigen 448. Einer unzulässigen außerordentlichen Kündigung des Unternehmers kann der Vertreter mit einer Feststellungsklage begegnen, mit der die Fortführung des Vertrages festgestellt wird.

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11. § 613a BGB. Die Vorschrift ist weder direkt noch nach ihrem Rechtsgedanken anwendbar 449, nicht einmal auf arbeitnehmerähnliche HV i.S.d. § 5 Abs. 3 ArbGG, da § 5 Abs. 3 ArbGG nur das prozessuale und nicht das materielle Recht regelt 450. Entsprechend geht der Handelsvertretervertrag im Falle der Veräußerung des Unternehmens nicht automatisch gemäß § 613a BGB auf den Unternehmensnachfolger über 451. Es liegt kein (abhängiges) Arbeitsverhältnis vor. Der HV müsste vielmehr dem Übergang des Vertreterverhältnisses auf den Unternehmensnachfolger zustimmen 452. Allerdings kann ein Vertragsübergang aus § 25 folgen 453, demzufolge auch Dauerschuldverhältnisse auf den Übernehmer übergehen können 454. Wäre man § 613a BGB anderer Ansicht, bliebe der Umgehung Tür und Tor geöffnet. Der Unternehmer könnte exakt dasselbe Unternehmen 445 446 447 448 449

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Westphal BB 1999, 2517; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 4. Großzügiger die 4. Aufl. Westphal BB 1999, 2517. Emde Die Handelsvertreter GmbH, S. 102. Emde MDR 2002, 190 (191); aA Prasse in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 136; Martinek/Flohr § 8 Rn 43; Küstner/Thume I Rn 255; Westphal Vertriebsrecht I Rn 8. Prasse in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 136.

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BGH DB 1962, 1636. BGH VersR 1960, 797. Emde MDR 2002, 190 (191); Prasse in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 136; aA 4. Aufl. § 84 Rn 33. K. Schmidt Handelsrecht, § 8 I 4c; Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 149 ff; aA offensichtlich BGH HVR Nr. 419; Schlessmann Kündigung von Handelsvertreter-Verträgen, 1966, Seite 32; generell Beuthien NJW 1993, 1737 ff; Heymann/Emmerich § 25 Rn 42.

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unter anderem Namen fortführen und das Altunternehmen in eine leere Hülle verwandeln. Dann müsste er möglicherweise noch nicht einmal einen Ausgleich nach § 89b leisten. In der Regel wird der Vertreter seine – ggf. konkludente – Zustimmung zur Weiterführung des Vertragsverhältnisses mit dem Unternehmensnachfolger erteilen; er sollte diese Erklärung von der Regelung seiner Ausgleichsansprüche abhängig machen. Fehlt eine Zustimmung des HV, bleibt dem Unternehmer nichts übrig, als das Vertragsverhältnis zu kündigen, sofern er nicht eine wegen des Verkaufs erklärte außerordentliche Kündigung durch den Handelsvertreter provozieren will; in beiden Fällen hat der Handelsvertreter den Ausgleichsanspruch, der sich gegen den bisherigen Unternehmer richtet und für den der Unternehmensnachfolger unter den Voraussetzungen des § 25 mithaftet. 12. § 614 BGB. Bei Provisionszahlung hat die Vorschrift keinen Anwendungs- 54 bereich 455. 13. § 615 BGB. § 615 BGB ist auf HV anwendbar 456. Die Norm gilt zu Gunsten 55 aller Dienstverpflichteten, also auch des HV 457. Vereinbarte Vergütung i.S.d. Vorschrift ist entweder die Provision oder eine versprochene Festvergütung. Eine Anwendung des § 615 BGB kann etwa in Betracht kommen bei einem Annahmeverzug, in den der Unternehmer dadurch gerät, dass z.B. durch Versagen seiner betrieblichen Organisation der Handelsvertreter seine Vertretertätigkeit nicht aufnehmen kann (Unterbleiben eines Einführungsschreibens an die Kundschaft, einer Zuteilung des Bezirks – falls die Zuteilung im Vertrag noch vorbehalten worden war –, einer Zurverfügungstellung der in § 86a Abs. 1 genannten Unterlagen). Vorbehaltlich weitergehender Schadensersatzansprüche im Falle eines Verschuldens (dazu unten) hat der Handelsvertreter dann Anspruch auf die vereinbarte Vergütung (§ 615 S. 1 BGB) in Gestalt eines etwa vereinbarten Fixums zu beanspruchen 458, sonst in Anwendung des Gedankens des § 642 BGB einen Anspruch auf angemessene Entschädigung. § 615 BGB kann ferner einschlägig sein, wenn der Unternehmer ein vom Handelsvertreter vermitteltes Geschäft aus Willkür oder schikanöser Schädigungsabsicht ablehnt, weil so weit seine Dispositionsfreiheit gegenüber dem Handelsvertreter nicht reicht 459. Annahmeverzug kann sich schließlich ergeben, wenn der Unternehmer dem Handelsvertreter unberechtigt fristlos kündigt und ihm einstweilen die Fortsetzung seiner Tätigkeit untersagt. Weigert sich der Unternehmer ohne sachliche Gründe, etwa nach unberechtigter Kün- 56 digung 460, Aufträge des Vertreters entgegenzunehmen oder ihn weiterzubeschäftigen und hindert dadurch das Entstehen von Provision, so steht dem Handelsvertreter zusätzlich – also konkurrierend 461 – ein Schadenersatzanspruch wegen Schlechterfüllung (§§ 280 ff BGB) in Höhe des entgangenen Gewinns zu, es sei denn, der Unternehmer ist nicht zur Annahme der vermittelten Geschäfte verpflichtet, z.B. wenn jene unzumutbar sind. Zusätzlich kann sich der Vertreter auf § 615 BGB stützen. Der Handelsvertreter muss aber seine Dienste anbieten. Widerspricht ein gekündigter Vertreter der vom Unternehmer

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I.E. Küstner/Thume I Rn 256; Prasse in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 137; Martinek/Flohr § 8 Rn 44. Jedoch kommt sie bei Festvergütung zur Anwendung. Emde MDR 2002, 190 (191); Prasse in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 138; Martinek/Flohr § 9

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Rn 47; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 85 Rn 6. Steindorff ZHR 130 (1967), 26, 82 (84). Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 72c. Siehe etwa Steindorff ZHR 130 (1967) 86. Martinek/Flohr § 9 Rn 47. Siehe Martinek/Flohr § 9 Rn 47.

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ausgesprochenen Kündigung nicht und bietet seine Leistung nicht entsprechend § 615 BGB an, so darf der Unternehmer im Ausnahmefall ggf. nach Treu und Glauben von einer einverständlichen Abwicklung des gekündigten Vertragsverhältnisses ausgehen. Der HV ist dann mit einem Anspruch auf Schadenersatz ausgeschlossen 462. Beweiserleichterungen zur Höhe des Schadens erleichtern die Darlegungslast des Ver57 treters gemäß §§ 252 BGB, 287 ZPO 463, und zwar richtigerweise sowohl im Schadenersatzrecht wie im Rahmen des konkurrierenden § 615 BGB. Soweit Bezirksprovisionen gezahlt werden, bedarf es eines Rückgriffs auf § 615 BGB 58 nur beschränkt, falls der Unternehmer die Dienste des Vertreters nicht annimmt, aber selbst oder durch andere HV im Gebiet des Mittlers Geschäfte macht. Denn der Anspruch auf Bezirksprovision entsteht ohne Zutun des Vertreters. Der Vertreter besitzt also einen vertraglichen Anspruch. Der BGH 464 hat deshalb gegenüber einem Bezirksvertreter die Anwendung des § 615 S. 2 BGB abgelehnt: mit Recht, gerade weil die Bezirksprovision „tätigkeitsunabhängig“ ist; eine Anrechnung sonstigen Erwerbs des Handelsvertreters ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt gerechtfertigt, dass der HV durch die eingestellte Betreuung des Bezirks Aufwendungen erspart, da das Maß seiner Aufwendungen ohnehin im Verhältnis zum Unternehmer nicht von Belang ist. Auch der Bezirksvertreter ist auf die §§ 615, 280 BGB angewiesen, soweit er einen Verlust durch die Unmöglichkeit eigener Tätigkeit im Bezirk erfährt. Ein Schaden ist ihm nach der Differenzprognose dann nur in Höhe der infolge der Unmöglichkeit eigener Tätigkeit entgangenen Provisionen abzüglich ersparter Kosten entstanden und auch § 615 S. 2 BGB ist insoweit anwendbar. Da die allgemeinen Geschäftskosten als „Sowieso-Kosten“ gerade aus den entgangenen Provisionseinnahmen bedient werden sollen, sind jene (fortlaufenden) Allgemeinkosten nicht von dem Anspruch des Vertreters abzusetzen. Der Anwendungsbereich des § 615 S. 2 BGB dürfte damit auf die tatsächlichen Kostenreduzierungen beschränkt sein, welche der Unternehmer zu beweisen hat.

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14. § 616 BGB. Satz 1 gilt nicht für HV, die Provisionen erhalten 465, da der Vertreter üblicherweise nur im Falle einer mitwirkenden Kausalität für die Kundenwerbung Provisionen verdient. Bei Festvergütung findet § 616 BGB Anwendung 466; ebenso auf den Bezirksprovisionsanteil.

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15. § 617 BGB. Die Vorschrift ist zwar theoretisch anwendbar 467, wird jedoch praktisch kaum eingreifen 468.

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16. § 618 BGB. Entsprechendes gilt für § 618 BGB. Die Norm findet nur Anwendung, wenn der Dienstberechtigte Räume, Vorrichtungen oder Gerätschaften (etwa Muster) „zu beschaffen hat“, was etwa beim Tankstellenvertreter der Fall sein mag. Regelmäßig 462

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54

OLG Köln, Urt. v. 30.09.2005 – 19 U 67/05, VersR 2006, 407 (408). Diese Aussage ist zweifelhaft, weil auch ohne Widerspruch des Vertreters eine zum Schadenersatz verpflichtende Handlung einen Schadenersatzanspruch begründet. BGH ZIP 2001, 1461 = WM 2001, 2010. BGH v. 18.06.1959, BB 1959, 718 = DB 1959, 787 = VersR 1959, 596; BB 1992, 1162; zustimmend Küstner/Thume Rn 257; Martinek/Flohr § 8 Rn 45, § 9 Rn 47.

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Für generelle Unanwendbarkeit Martinek/ Flohr § 8 Rn 45. Prasse in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 139. AA Küstner/Thume I Rn 259; Martinek/ Flohr § 8 Rn 46. Emde MDR 2002, 190 (192); Prasse in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 140.

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ist der HV hierfür verantwortlich. Auch die Absätze 2 und 3 des § 618 BGB sind grundsätzlich anwendbar, haben praktisch jedoch kaum Anwendungsbereich. Sofern § 618 BGB anwendbar ist, ist auch die Unabdingbarkeit nach § 619 BGB gegeben. 17. § 619a BGB. § 619a BGB findet im Vertriebsrecht keine Anwendung. Die Bestim- 62 mung regelt lediglich den Verschuldensmaßstab eines Arbeitnehmers. Im Vertriebsrecht hingegen gelten kaufmännische Pflichtmaßstäbe (§ 86 Abs. 3) 469, und zwar selbst dann, wenn der Mittler kein Kaufmann sein sollte (§ 84 Abs. 4). Maßgeblich ist daher die allgemeine Vorschrift des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB. 18. § 620–622 BGB. § 620 Abs. 1 BGB ist anwendbar, weil die vorrangige Spezial- 63 regel des § 89 den Anwendungsbereich der allgemeinen Vorschriften nur für „auf unbestimmte Zeit“ eingegangene Verträge sperrt 470. § 620 Abs. 2 BGB findet als Auslegungsregel zur Dauer des Dienstverhältnisses Anwendung 471, nicht aber in seiner Rechtsfolge. Die Verweisungskette der §§ 620 Abs. 2, 621, 622 BGB findet folglich auch dann keine Berücksichtigung, falls eine Festvergütung vereinbart wurde. Denn § 89 trifft eine spezielle Regelung 472, auch wenn mit dem HV ein festes Honorar vereinbart wurde. 19. § 623 BGB. § 623 gilt nur für Arbeitsverhältnisse, also nicht im HV-Recht, selbst 64 wenn der HV ein arbeitnehmerähnlicher sein sollte 473. 20. § 624 BGB. Umstritten ist die Geltung des § 624. Er bestimmt, dass ein Dienst- 65 verhältnis – ein solches ist auch das HV-Verhältnis –, welches auf Lebenszeit oder (fest) auf längere Zeit als fünf Jahre eingegangen ist, vom Verpflichteten nach Ablauf von fünf Jahren mit einer Frist von sechs Monaten gekündigt werden kann. Die Vorschrift ist mit diesem S. 1 zwingend. Gälte sie auch in HV-Verhältnissen, würde damit die Kündigungsregelung des § 89 um eine weitere Stufe der Vertragsdauer aufgestockt. Für HV-Verträge in ihrer Allgemeinheit hat OLG Hamm BB 1978 1335 die Anwendung des § 624 BGB grundsätzlich zugelassen. Im Einzelnen müsse untersucht und darauf abgestellt werden, „ob das Element der persönlichen Dienstleistung dem HV-Verhältnis das Gepräge gebe“. Die Entscheidung ist zu billigen 474. Ein HV oder ein anderer Vertriebsmittler, der sich zu mehr als fünfjähriger Dienstleistung verpflichtete, darf den Vertrag mit einer Kündigungsfrist von sechs Monaten kündigen 475. Auf die Arbeitnehmerähnlichkeit des HV 469 470

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Oetker BB 2002, 43. Küstner/Thume I Rn 262; Hopt § 89 Rn 6; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 3; aA 4. Aufl., § 84 Rn 32. Emde MDR 2002, 190 (192); Prasse in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 144; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 3a. Küstner/Thume I Rn 263; Hopt § 89 Rn 6. Richardi/Annuß NJW 2000, 1231; Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 25; Palandt/Putzo § 623 Rn 2. AA Duden NJW 1962, 1326; Boldt BB 1962, 906. OLG Hamm BB 1978, 1335; KG MDR 1997, 1041 (1042); Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 201; Emde MDR 2002,

190 (192); Ballerstedt JZ 1970, 371; Heyer NJW 1965, 1573; Prasse in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 145; Hopt § 89 Rn 7; HK/Ruß § 89 Rn 3; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89 Rn 12; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 8 f und 41a; MünchKomm/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 4, sofern das dienstvertragliche Element vorherrscht; aA LG Hamburg NJW 1963, 1550 mit zust. Anm. Würdinger BGH Urt. v. 09.06.1969 – VII ZR 49/67, BGHZ 52, 171 und Urt. v. 31.03.1982 – I ZR 56/80, NJW 1982, 1692; Leo DB 1961, 2518; Duden NJW 1962, 1326; Boldt BB 1962, 906; Würdinger NJW 1963, 1550; Höft VersR 1973, 600 (601); für Tankstellenvertreter: MünchKommHGB/v. Hoy-

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kommt es für die Anwendung des § 624 BGB nicht an 476. Teilweise wird eine Ausnahme der Anwendbarkeit des § 624 BGB gesucht, wenn der HV-Vertrag mehr unternehmensbezogen als personenbezogen geführt wird 477. § 624 BGB ist nicht auf unselbständige Dienstverhältnisse (Arbeitsverhältnisse) beschränkt, sondern umfasst Dienstverhältnisse jeder Art. Er teilt deshalb auch nicht einen ausschließlich sozialen Schutzzweck 478. Er wahrt vielmehr den Entfaltungsraum der Persönlichkeit dahin, dass niemand ohne die Möglichkeit einer normalen Kündigung vertraglich gebunden sein soll, einem anderen seine Dienste auf Lebenszeit oder fest für länger als fünf Jahre zur Verfügung zu stellen. Die Grundsätze des WGG bilden keinen § 624 BGB verdrängenden Ausgleich 479. Sie gelten auch im BGB, schließen aber auch dort § 624 BGB nicht aus. Der Standpunkt von Boldt 480, § 89 sei gegenüber § 624 BGB lex specialis, ist eine petitio principii: Denn damit wird behauptet, was erst bewiesen werden müsste. Allerdings kann § 624 BGB im konkreten Fall abbedungen sein, und davon ist regelmäßig auszugehen, wenn der Vertrag mit einem größeren HV-Unternehmen, auch einer HV-Gesellschaft 481, geschlossen wurde 482. Notfalls wäre hier von einem § 242 BGB-Einwand auszugehen. § 624 BGB ist auch auf Vertragshändlerverträge anwendbar 483; ebenso auf den Franchisevertrag 484.

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21. § 625 BGB. Die Bestimmung gilt auch für den HV 485, da das HV-Recht keine speziellere Regelung enthält. Auch § 89 Abs. 3 bildet keine verdrängende Sonderregelung 486, da sie nur für HV-Verträge mit bestimmter Dienstzeit gilt und nicht für die Fortsetzung in anderen Fällen (dort allenfalls analog).

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22. §§ 626, 627 BGB. §§ 89, 89a sind vorrangig 487. Allerdings ist es rechtstechnisch fraglich, ob § 89a auch die Anwendung der Zweiwochenfrist zur Kündigung gemäß § 626 Abs. 2 BGB sperrt 488. Davon geht die hM aus und fordert vom Unternehmer nur eine angemessene Frist zur Entscheidungsfindung von etwa einem Monat (dazu bei § 89a). Die Ansicht zur Nichtanwendbarkeit der Fristenregelung des § 626 Abs. 2 BGB darf mittlerweile als Gewohnheitsrecht bezeichnet werden. Somit gelten nur Verwirkungsgrundsätze, was auch Auffassung des BGH ist 489. § 626 Abs. 2 S. 3 über die Mit-

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ningen-Huene § 89 Rn 5; differenzierend Westphal Vertriebsrecht I Rn 10; Rittner NJW 1964, 2255; Martinek/Flohr § 8 Rn 50; siehe auch die Einzelfallentscheidungen BGHZ 52, 171 und OLG Hamm DB 1978, 1445. Hopt § 89 Rn 7; aA Duden NJW 1972, 1326; Würdinger NJW 1963, 1550. Rittner NJW 1964, 2252; Brüggemann ZHR 131 (68), 27; Hopt § 89 Rn 7. AA Duden NJW 1962, 1326. So aber Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 23. Boldt BB 1962, 906. Rittner NJW 1964, 2255; Emde MDR 2002, 190 (192); Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 208; Prasse in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 145. Vgl. Palandt/Putzo § 624 Rn 3: Es müsse das dienstvertragliche Element vorherrschen. Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 311. Höpfner in: Giesler/Nauschütt § 12 Rn 28;

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Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 330. Emde MDR 2002, 190 (192); Küstner/ Thume I Rn 266; Prasse in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 146; Hopt § 89 Rn 6, 24; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 85 Rn 6; Schlegelberger/ Schröder § 89 Rn 4 a, 5; aA Ebenroth/ Löwisch § 89 Rn 25; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 3. AA Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 25. Leo DB 1961, 1518; Küstner/Thume I Rn 267; Prasse in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 147; Martinek/ Flohr § 8 Rn 49; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 2; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 6; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 4; Schröder § 89a Rn 1. OLG Karlsruhe VW 1978, 195 hat sich für die Anwendung ausgesprochen. BGH EWiR 1999, 705 (Emde).

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teilung des Kündigungsgrundes soll hingegen einen allgemeinen, auch für den HV-Vertrag geltenden Rechtsgrundsatz enthalten 490. § 627 Abs. 1 BGB ist unanwendbar 491. Sonst würden die Kündigungsfristen des § 89 68 umgangen. Ein HV leistet keine Dienste höherer Art i.S.d. Norm 492. Der HV ist Hilfsperson des Unternehmers um dessen wirtschaftlicher Ziele willen; seine Dienste haben keinen anderen Stellenwert als den, am Umsatz wirtschaftlicher Güter im unmittelbaren Vollzug vorbereitend und unterstützend beteiligt zu sein. Gegenüber § 627 BGB ist § 89a schon im TB anders gelagert. § 627 BGB fordert nicht das Vorliegen eines wichtigen Grundes, wie er für § 89a unumgänglich ist. 23. § 628 BGB. Abs. 2 wird durch § 89a Abs. 2 verdrängt 493. § 628 Abs. 1 BGB 69 kann für Provisionsvertreter kaum einen Anwendungsbereich haben, weil jene auf Grund der Provisionstatbestände des HGB ihre Vergütung verdienen 494. Die Norm gilt aber für HV mit Festgeldabrede 495. 24. § 629 BGB. Der HV darf seine Tätigkeit und seine Arbeitszeit frei bestimmen 70 (§ 84 Abs. 1 Satz 2). Deshalb ist § 629 BGB nicht anwendbar 496. 25. § 630 BGB. Entgegen der wohl hM 497 und der 4. Aufl.498 ist die Vorschrift 71 anwendbar, und zwar auch auf HV, die keine arbeitnehmerähnliche Einfirmenvertreter i.S.d. § 92a sind 499. Richtig ist, dass § 630 BGB – wie im Übrigen alle Normen des BGBDienstvertragsrechts – vor allem den in enger persönlicher Bindung zum Dienstberechtigten stehenden, abhängigen Dienstverpflichteten als typischen Normadressaten vor Augen hatte. Daraus folgt aber nicht notwendig die Unanwendbarkeit auf andere Dienstverhält490

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LG Köln NJW-RR 1992, 485; Ebenroth/ Löwisch § 89a Rn 2; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 6. Für Franchiseverträge: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 4 Rn 316. Kassung AfP 2004, 89 (94); LG Köln, Urt. v. 11.03.2002 – 2 O 594/00, S. 7 f; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 2; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 7; Schröder § 89a Rn 1; aA Martinek/Bergmann WRP 2006, 1047 (1059 f): Ein Wertungswiderspruch zwischen § 627 BGB und dem HV-Recht scheide aus. Selbst wenn die Regelung des § 627 BGB den Zweck verfolge, beiden Parteien ein sanktionsloses Kündigungsrecht zu geben schließe § 89b als „kleiner Kündigungsschutz“ des HV § 627 BGB nicht aus. Dies zeige bereits die Co-Existenz von §§ 89a und 89b. Emde MDR 2002, 190 (192); Prasse in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 149; Martinek/Flohr § 8 Rn 51. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 2; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer, § 89a Rn 6; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 7; Leo DB 1961, 1518.

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497

498 499

Hopt § 89a Rn 2. Leo DB 1961, 1519; Küstner/Thume I Rn 269; Prasse in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 148; Martinek/ Flohr § 8 Rn 52; Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 23; Hopt § 86 Rn 5; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene Rn 61; Schröder Rn 38. RGZ 87, 440 (443); OLG Celle, BB 1967, 775; Leo, DB 1961, 1518 (1519); Küstner/ Thume I Rn 270; Westphal Vertriebsrecht I Rn 12; Voß/Höft Das Recht der Versicherungsvermittlung 1985, S. 661, 731; Martinek/Flohr § 8 Rn 51; Hopt § 89 Rn 6; MünchKomm BGB/Schwerdtner § 630 Rn 3; Palandt/Putzo § 630 Rn 2; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 33. 4. Aufl. § 84 Rn 38. Auf jene wollen Martinek/Flohr § 8 Rn 52; Herschel/Beine/Buchwald S. 145, die Anwendung begrenzen. Es fragt sich jedoch, welche Rechtfertigung die Differenzierung haben soll. Materiell-rechtliche Wirkungen hat § 92a heute nicht, seine Bedeutung begrenzt sich auf die prozessuale Bestimmung des Rechtsweges nach § 5 Abs. 3 ArbGG; hierzu Martinek/Wank § 7 Rn 39.

Raimond Emde

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1. Buch. Handelsstand

nisse. Das Leitbild persönlicher Leistung prägt auch das HV-Recht. Grundlage des § 630 BGB ist nicht die rechtliche, soziale oder wirtschaftliche Stellung des Dienstverpflichteten, sondern der Umstand, dass beide Vertragsparteien in einem länger dauernden Rechtsverhältnis miteinander verbunden waren 500. § 630 BGB gibt dem Dienstverpflichteten als Ausfluss der das dauernde Vertragsverhältnis begleitenden Treupflichten 501 einen Anspruch auf Zeugniserteilung, der ohne diese Vorschrift aus der allgemeinen Verpflichtung zu gegenseitiger Loyalität, Treue (§ 242 BGB) 502 und Unterstützung entwickelt werden müsste. Auf diese hat jeder Vertragspartner, unabhängig von seiner wirtschaftlichen und rechtlichen Stellung Anspruch. Deshalb gilt die Vorschrift sogar zu Gunsten einer HV-GmbH 503. Selbstverständlich kann auch ein HV Interesse an der Erteilung eines Zeugnisses haben. Ein Kaufmann kann einem anderen Kaufmann sehr wohl ein „Zeugnis“ erteilen. Kaum kann auch die An- und Abmeldung bei der Gewerbesteuer oder dem Ordnungsamt ein Zeugnis ersetzen (so aber die 4. Aufl.). Weshalb die Selbständigkeit der Erteilung eines Zeugnisses entgegenstehen soll, ist gleichfalls nicht ersichtlich, zumal weder §§ 84 ff noch § 630 BGB die Anwendung ausschließen 504.

72

26. § 675 BGB. Der HV-Vertrag ist Geschäftsbesorgungsvertrag i.S.d. § 675 BGB 505. Danach sind grundsätzlich die §§ 663, 665 bis 670, 672 bis 674 BGB anwendbar 506. § 675 BGB und das Auftragsrecht des BGB gehen allerdings von der Besorgung eines Einzelgeschäfts aus, während beim HV-Vertrag ein Dauerrechtsverhältnis in Rede steht. Das führt jedoch nur zur teleologischen Reduktion im Einzelfall, keinesfalls zur generellen Unanwendbarkeit.

73

27. § 675, 663 BGB. Die Vorschrift ist anwendbar, sofern die TB-Voraussetzungen vorliegen 507. Das dürfte selten der Fall sein, zumal die Norm eher auf den Einzelauftrag passt.

74

28. § 675, 665 BGB. Die Norm konkretisiert das im Handelsvertreterrecht bestehende Weisungsrecht des Unternehmers und findet damit Anwendung 508. Dem Weisungsrecht wird jedoch durch die Selbständigkeit des Vertreters Grenzen gesetzt 509 (dazu unten).

75

29. § 675, 666 BGB. Der HV ist gegenüber dem Unternehmer auskunfts- wie berichtspflichtig, § 666 BGB detailliert jene Auskunftspflicht 510, wobei sich der Vertreter

500 501 502 503

504

58

Emde Die Handelsvertreter-GmbH, 1994, S. 76. Vgl. BGHZ 74, 281 (289): „Nebenpflicht aus dem Dienstverhältnis“. So noch Palandt15/Gramm § 630 Anm. 1. Emde Die Handelsvertreter-GmbH, 1994, S. 77; Im Ergebnis auch Schlegelberger/ Schröder § 89 Rn 33; ablehnend Schlessmann Kündigung von Handelsvertreter-Verträgen, München 1966, S. 236 („absurd“); RGRK-Eisemann § 630 Rn 9. Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 75 ff; Emde GmbHR 1999, 1005 (1009); Emde MDR 2002, 190 (192); Prasse in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 151.

505

506 507

508 509 510

OLG Koblenz, Urt. v. 30.01.2006 – 12 U 127/01, WM 2006, 1452 (1453) für nebenberuflichen Handelsvertreter; Küstner/ Thume I, Rn 271; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 46; MünchKomm HGB/v. HoyningenHuene § 84 Rn 5. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 1. Prasse in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 153; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 46; aA 4. Aufl., Vor § 84 Rn 12; § 84 Rn 31. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 46. Prasse in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 154. I.E. auch Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 46.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

Vor § 84

meist auf den zwar nicht spezielleren, für ihn jedoch recht günstigen § 87c stützen wird. Allerdings gibt es im Vertreterrecht eine einzelfallbezogene Rechtsprechung zum Inhalt der Berichtspflicht des Mittlers, so dass die zu § 666 BGB ergangene Rechtsprechung jeweils auf ihre Vereinbarkeit mit der Judikatur zum Handelsvertreterrecht zu untersuchen ist511. Näheres wird unten, § 86 Rn 159 ff ausgeführt. 30. § 675, 667 BGB. Auch § 667 BGB ist grundsätzlich anwendbar 512, etwa bei der 76 Herausgabe vereinnahmter Gelder 513. Jedoch ist nach dem Inhalt des Handelsvertretervertrags häufig eine abweichende oder detaillierende Absprache getroffen 514, ggf. konkludent. Einzelheiten werden oben, § 86 Rn 42 ff behandelt. 31. §§ 675, 668 BGB. Die Anwendbarkeit setzt voraus, dass der HV Geld an den 77 Auftraggeber herauszugeben oder für ihn zu verwenden hat. Nach der Vertragsgestaltung wird dies meist nicht der Fall sein 515. 32. §§ 675, 669, 670 BGB. Mangels entgegenstehender Absprachen sind die Auf- 78 wendungen des HV durch die Provision abgegolten 516. Einen Vorschuss sieht das HVRecht allein in § 87a Abs. 1 S. 2 vor. Nur bei unerwartet hohen Aufwendungen, die sich nicht aus der Provision bezahlen lassen, darf daher ein Vorschuss gefordert werden 517. Beseitigt ein Vertragshändler Mängel, kann er für die Ersatzteile Vergütung nach § 670 BGB 518 sowie nach § 632 BGB 519 fordern. 33. §§ 675, 671 BGB. Die Vorschrift ist anwendbar 520. Eine Kündigung zur Unzeit 79 analog § 671 Abs. 2 BGB wird im Hinblick auf die einzuhaltenden Kündigungsfristen regelmäßig ausscheiden 521. 34. §§ 675, 672, 673 BGB. Die Bestimmungen sind generell anwendbar 522. Der 80 Regelungsgehalt des § 673 BGB wird durch § 613 BGB unterstützt. Jedoch kann von dem Erben des HV kaum gemäß § 673 BGB verlangt werden, er solle die Besorgung des übertragenen Geschäfts bei Gefahr fortsetzen, da ihm hierzu regelmäßig die erforderlichen Kenntnisse fehlen werden (persönliche Dienstpflicht im Sinne des § 613 BGB) 523. 511

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513 514

515

Emde MDR 2002, 190 (193); Prasse in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 155; Gegen die Anwendbarkeit: 4. Aufl. Vor § 84 Rn 12. BGH, Urt. v. 08.11.2005 – KZR 18/04, BB 2006, 180 = WM 2006, 245 = ZIP 2006, 288 = NJW-RR 2006, 339 = EWiR 2006, 129 (Hensen) = GRUR 2006, 787; OLG Koblenz, Urt. v. 30.01.2006 – 12 U 127/01, WM 2006, 1452 (1453); Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 46. OLG Koblenz, Urt. v. 30.01.2006 – 12 U 127/01, WM 2006, 1452. Emde MDR 2002, 190 (193); Prasse in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 156. Emde MDR 2002, 190 (193); Prasse in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 157.

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519 520 521 522

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Prasse in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 158; gegen die Anwendbarkeit 4. Aufl., § 84 Rn 31. AA Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 51: § 669 BGB unanwendbar. Graf v. Westphalen DB 1999, 2553; BGH, Urt. v. 13.07.2004 – KZR 10/03, GRUR 2005, 62. Graf v. Westphalen DB 1999, 2553. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 24. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 24. Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 123 ff; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 46; hinsichtlich § 673 BGB; Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 24; aA 4. Aufl., Vor § 84 Rn 12. Emde MDR 2002, 190 (193); Prasse in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 159; Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 24.

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1. Buch. Handelsstand

81

35. §§ 675, 674 BGB. Die Vorschrift ist anwendbar 524, zumindest wenn der Vertrag nicht durch Willenserklärungen der Parteien endet 525.

82

36. § 810 BGB. § 87c Abs. 4 schließt die Anwendung des § 810 BGB nicht aus. Jedoch sind die Anspruchsvoraussetzungen des § 810 BGB strenger, so dass sich der HV eher auf § 87c Abs. 4 stützen wird 526.

IV. Kartellrecht 83

1. Europäisches Kartellrecht. Das EU-Kartellrecht ist lex specialis gegenüber dem nationalen Kartellrecht, auch gegenüber dem GWB. Was durch EU-Kartellrecht gestattet ist, kann durch das GWB nicht untersagt werden 527. Fällt ein Vertrag unter europäisches Kartellrecht, weil er geeignet ist, den zwischenstaatlichen Handel zu beeinträchtigen, ist auf ihn nur europäisches und kein deutsches Kartellrecht anzuwenden. Umgekehrt unterfällt der Vertrag nur deutschem Kartellrecht, falls der zwischenstaatliche Handel nicht beeinträchtigt wird 528. Befreit eine GVO den Vertrag innerhalb ihres Anwendungsbereiches, ist der Vertrag auch nach GWB wirksam 529. Das EU-Kartellrecht hat Vorrang gegenüber nationalem Recht: Dies hat das Kartell84 verfahrensrecht in Art. 3 Abs. 2 VO (EG) 1/2003 klargestellt 530. Soweit eine Vereinbarung geeignet ist, den Handel zwischen den Mitgliedsstaaten zu beeinträchtigen, also der Anwendungsbereich des EU-Wettbewerbsrechts erreicht ist, müssen die nationalen Wettbewerbsbehörden Art. 81 EG anwenden. Die Vereinbarung darf aufgrund nationalen Rechts nur verboten werden, wenn sie auch nach Art. 81 EG unzulässig ist. Umgekehrt dürfen nationales Recht und nationale Wettbewerbsbehörden eine Vereinbarung nicht unbeanstandet lassen, falls sie gegen Art. 81 EG verstößt. Das Gemeinschaftsrecht setzt sich also in jedem Fall durch. Lediglich in Hinblick auf Vereinbarungen, die lokale oder allenfalls regionale Bedeutung haben und die deshalb die Anwendungsschwelle des Gemeinschaftsrechts nicht erreichen, bleibt Raum für nationales Wettbewerbsrecht und für wettbewerbspolitische Bewertungen, die von denen des Gemeinschaftsrechts abweichen 531.

85

a) Einleitung. Jeder Hersteller hat verschiedene Möglichkeiten, seinen Warenabsatz zu organisieren. Er kann sich einerseits Angestellter bedienen und durch sie ein eigenes Filial- bzw. Niederlassungsnetz etablieren. Er darf aber auch selbständige Absatzmittler einschalten. Da diese Absatzmittler untereinander substituierbar sind, ist es häufig Zufall, welcher Rechtsform selbstständiger Absatzmittler er sich bedient. Der Einsatz von HV ist aus kartellrechtlicher Sicht interessant, weil echte HV-Verträge nicht unter das Kartellverbot des Art. 81 Abs. 1 EG fallen (s.u.) 532: Der HV übt im Gütertausch nur eine 524 525 526 527

528

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Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 46; aA 4. Aufl. Vor § 84 Rn 12, § 84 Rn 31. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 24. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 67. EuGH Slg. 1994 I, 15; Gerstner in: Giesler/Nauschütt, Franchiserecht, § 2 Rn 4; Fritzemeyer BB 2002, 1658 (1659). Gerstner in: Giesler/Nauschütt, Franchiserecht, § 2 Rn 4.

529

530 531 532

Art. 3 II VO 1/2003; Erwägungsgrund 17 der GVO; Harte-Bavendamm/Kreutzmann, WRP 2003, 682 (687); aA Gerstner in: Giesler/Nauschütt, Franchiserecht, § 2 Rn 4. Harte-Bavendamm/Kreutzmann WRP 2003, 682 (687). Weitbrecht Beilage zu NJW Heft 8/2003; ders EuZW 2003, 69 (70). Ensthaler/Gesmann-Nuissl EuZW 2006, 167.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

Vor § 84

Hilfsfunktion aus; er ist weder Nachfrager noch Anbieter. Vielmehr sucht er als vom unternehmerischen Absatzrisiko entbundener Interessenwalter seines Geschäftsherrn Geschäftschancen. Da er lediglich kommunikatives Hilfsorgan des Unternehmers ist 533, fehlt es an einer eigenständigen Wettbewerbsstellung auf dem Gütermarkt, die durch Beschränkung seiner Handlungsfreiheit beeinträchtigt werden könnte. Der Hersteller darf dann die Preise und Konditionen vorschreiben, zu denen der HV die Waren und Dienstleistungen verkaufen darf 534. Die EU-Kommission hat das Verriebskartellrecht beginnend mit der Einführung der 86 GVO 2790/99 535 neu geordnet. Das Kernstück des HV-Kartellrechts findet sich in den Leitlinien zur GVO 2790/99, die außer für HV auch auf Kommissionsagenten und Kommissionäre Anwendung finden 536. Leider sind dabei aufgrund der Formulierung der schwer verständlichen und vor allem recht unsystematischen Leitlinien zahlreiche Zweifelsfragen entstanden. Entgegen ersten Stellungnahmen in der Literatur 537 haben die Änderungen im Kontrast zum vorherigen Rechtszustand, insbesondere im Vergleich zum Regelungsstand nach der Weihnachtsbekanntmachung des Jahres 1962 538, nicht den befürchteten Umfang eingenommen, und zwar auch deshalb, weil die europäischen Gerichte nicht an die GVO gebunden sind. Die Basis des EU-Kartellvertriebsrechts bildet die GVO 2790/99. Deshalb wird sie 87 auch als Schirm-GVO, also als Auffangtatbestand bezeichnet. Sie befreit innerhalb ihres Anwendungsbereichs von den Beschränkungen des Art. 81 EG. Ihr Wirkungsbereich trifft insbesondere Vertragshändler und Franchisenehmer. Spezieller ist die GVO 1400/ 2002: Sie gilt nur für Kfz-Vertriebsverträge. Echte HV-Verträge sind von den Leitlinien zur GVO 2790/99 erfasst und nicht von den genannten GVOs. Anders als im materiellen Vertriebsrecht bildet das HV-Recht im Kartellrecht also nicht das Fundament des Vertriebsrechts sondern beschreitet einen Sonderweg. b) Häufige Formen wettbewerbsbeschränkender Abreden in Vertriebsverträgen. Beson- 88 ders häufig finden sich in Vertriebsverträgen folgende wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen: – Wettbewerbsverbote 539. Das gilt im Grundsatz auch für Wettbewerbsverbote in echten HV-Verträgen 540; – Gebietsschutzvereinbarungen 541; – Alleinbelieferungspflichten 542;

533

534 535 536

537 538 539

Wank in: Martinek/Semler/Habermeier, § 8 Rn 8; Ensthaler/Gesmann-Nuissl EuZW 2006, 167. Ensthaler/Gesmann-Nuissl EuZW 2006, 167. ABl. 1999 Nr. L 336/21. Polley/Seeliger WRP 2000, 1203 (1208); Lange EWS 2001, 18 (19); Schultze/Pautke/ Wagener Vertikal-GVO, 2001, Rn 153. Rittner DB 2000, 1211 (1212); DB 1999, 2097 (2101). ABl. EG 1962, S. 2921. LG Frankfurt/Main, Urt. v. 15.11.2002 – 3-11 O 87/02, EWiR 2003, 573 (Emde); Bauer/de Bronett EU-Gruppenfreistellungs-

540 541

542

verordnung für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen, 2001, Rn 35; Gerstner in: Giesler/Nauschütt § 2 Rn 47; Westphal ZEuP 2002, 828 (831). EuGH, WuW/E EU-R 1215, Tz. 82; aA Kapp WuW 2007, 1218 (1220). Bauer/de Bronett EU-Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen, 2001, Rn 35; Gerstner in: Giesler/Nauschütt § 2 Rn 52. Bauer/de Bronett EU-Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen, 2001, Rn 35; Gerstner in: Giesler/Nauschütt § 2 Rn 56; Siegert NJW 2007, 188 (189).

Raimond Emde

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Vor § 84 – – – – – – – – – –



– –

1. Buch. Handelsstand

Alleinbezugspflichten 543; Alleinvertriebsrecht 544; Direktbezugsverpflichtungen 545; Verbot des Parallelhandels 546; Preisbindung der zweiten Hand 547. Das Verbot der Preisbindung gilt trotz des einheitlichen Systemsauftritts auch in Franchiseverträgen 548; Kundenkreisbeschränkungen 549; Markenexklusivität 550; der selektive Vertrieb kann eine Wettbewerbsbeschränkung i.S.d. Art. 81 EG bilden (dazu Rn 109); Querlieferungsverbote 551; Rücklieferungsverbote 552: Einem Händler mit Sitz innerhalb der EU kann von einem ebenfalls innerhalb der EU ansässigen Unternehmer nicht jeder Direktverkauf oder jede Rücklieferung in die EG untersagt werden, selbst wenn der Vertriebsmittler außerhalb der EU tätig werden soll (Art. 81 Abs. 1 EG), falls hierdurch eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb der EU bzw. eine Beeinträchtigung der Warenströme zwischen den Mitgliedsstaaten eintritt 553. Ob diese Umstände erfüllt sind, entscheidet sich unter anderem nach dem Preisunterschied der betreffenden Produkte innerhalb und außerhalb der EU. Sofern durch die Höhe der Zölle, die Beförderungskosten oder andere Kosten ein Reimport unwahrscheinlich bleibt, ist eine Beeinträchtigung ebenso wenig gegeben, wie wenn die ausgeführten Produkte nur einen unbedeutenden Prozentsatz des Gesamtmarktes dieser Waren bilden; Sprunglieferungsverbote 554: Ein Sprunglieferungsverbot verbietet etwa dem auf der Großhandelsstufe angesiedelten Vertragshändler die direkte Veräußerung an Endkunden. Hierdurch wird der Einzelhändler „übersprungen“ 555; Verwendungsbeschränkungen hinsichtlich der Ware 556; Zuschüsse für die Vermittlung von Leasingverträgen: Sie sind wettbewerbsbeschränkend, falls der Hersteller dem Händler einen Zuschuss bzw. eine Prämie für den Fall gewährt, dass der Händler einen Leasingvertrag der herstellereigenen oder -nahen Leasinggesell-

543 544 545

546

547

548

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Westphal ZEuP 2002, 828 (831). Siegert NJW 2007, 188 (189). Bauer/de Bronett EU-Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen, 2001, Rn 35. LG Frankfurt/Main, EWiR 2003, (Emde); Bauer/de Bronett EU-Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen, 2001, Rn 35. Bauer/de Bronett EU-Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen, 2001, Rn 35; zu den Hintergründen des Preisbindungsverbots (auch) des US-amerikanischen Kartellrechts Kasten RIW 2007, 419; kritisch Kasten WuW 2007, 994. OLG München NJW-E-WettbR 1997, 234; aA Bechtold GWB § 1 Rn 49 f.

549

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Bauer/de Bronett EU-Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen, 2001, Rn 35. Siegert NJW 2007, 188 (189). Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 548. Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 549. EuGH EWS 1998, 209 = EWiR 1999, 65 (Röhling). Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 549. Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 549. Gehring/Fort EWS 2007, 160 (162, 165).

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Vor § 84

schaft vermittelt 557. Denn die Prämie zielt auf einen Verzicht der Entscheidungsfreiheit des Händlers 558. Gewährt der Hersteller den Zuschuss unmittelbar der herstellereigenen oder herstellernahen Leasinggesellschaft, fehlt es an einer wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung i.S.d. Art. 81 EG 559. Bei Gewährung eines Zuschusses an die herstellereigene Leasinggesellschaft folgt dies schon aus dem Vorliegen einer konzerninternen Maßnahme 560. Die Gewährung derartiger Zuschüsse ist nicht vom Interesse des Herstellers an der Absatzförderung gedeckt. Sie hat den Charakter eines Treuerabatts und behindert deshalb die außenstehenden händlernahen Leasinggesellschaften unbillig i.S.d. § 20 Abs. 2 S. 2 GWB 561. c) Verbot wettbewerbsbeschränkender Abreden nach Art. 81 EG aa) Grundlagen. Gemäß Art. 81 EG sind alle Vereinbarungen zwischen Unterneh- 89 men, welche den Handel zwischen den Mitgliedsstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar und verboten. Nach Art. 81 Abs. 2 EG sind die verbotenen Vereinbarungen nichtig, ohne dass es einer vorherigen Entscheidung bedarf. Dieses Verbot wettbewerbsbeschränkender Abreden gilt, wie seit der Entscheidung Grundig/Consten 562 anerkannt ist, auch für vertikale Absprachen, d.h. Vertriebsvereinbarungen 563, und u.U. auch für HV-Verträge 564, nämlich dann, wenn der HV nicht in das Unternehmen des Prinzipals eingegliedert ist (Auffassung des EuGH) oder als mit wirtschaftlichem Risiko versehener unechter HV bewertet wird (Auffassung der Kommission). Folglich sind wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen in Vertriebsverträgen grundsätzlich unzulässig und nichtig. Voraussetzung der Nichtigkeit ist eine Vereinbarung. „Einseitige Maßnahmen“ des Unternehmers gegenüber seinem Mittler unterfallen nicht dem Kartellverbot des Art. 81 EG, anders als „sonstige Maßnahmen“. Sowohl Wertenbruch 565 wie auch Kamann/Bergmann 566 betonen, es müsse eine Willensübereinstimmung hinsichtlich der in Frage stehenden Wettbewerbsbeschränkung vorliegen, damit die Maßnahme als „sonstige“ i.S.d. Art. 81 EG verboten sei. Wettbewerbsbeschränkungen, die für das Funktionieren eines Franchisesystems unerlässlich sind, bleiben von dem Verbot des Art. 81 EG ausgenommen 567. Auf die Unwirksamkeit nach Art. 81 EG darf sich jede Vertragspartei berufen 568. Sie ist auch von Schiedsgerichten zu beachten 569. AGB-Klauseln, welche die Wettbewerbsfreiheit eines Vertragspartners entgegen Art. 81 EG beschränken, sind nicht nur gemäß Art. 81 Abs. 2 EG, sondern ferner nach § 307 BGB unwirksam 570. Da es sich bei Art. 81 EG um 557

558 559 560 561 562 563

Ulmer/Habersack S. 119 ff, 133; aA möglicherweise BGH, Urt v. 12.11.1991, NJW 1992, 1827 = ZIP 1992, 428 = BB 1992, 453; BGH aber u.U. von EuGH ZIP 1995, 1766 = RIW 1996, 148 überholt (so die Analyse von Ulmer/Habersack S. 123). Ulmer/Habersack S. 121. Ulmer/Habersack S. 133. Ulmer/Habersack S. 133. Ulmer/Habersack S. 133. EuGHE 1966, 322 (387 u. 392); Ebenroth/ Lange Vor § 84 Anhang II Rn 3. Siehe insbesondere die Darstellung des EU-Kartellrechts bei Giesler/Nauschütt § 2.

564

565 566 567

568 569 570

Emde BB 2002, 949; Lubitz EWS 2003, 557; Jacobsen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 1187. EWS 2004, 145. EWS 2004, 151. EuGH, Urt. v. 28.01.1986, NJW 1986, 1415; siehe hierzu Bunte NJW 1986, 1406; Neumann RIW 1985, 612; Skaupy WuW 1986, 445; Kevekordes BB 1987, 74; Joerges ZHR 151 (1987), 195. EuGH GRUR 2002, 367. K. Schmidt zit. nach Heukamp SchiedsVZ 2006, 95. BGH, Urt. v. 13.07.2004 – KZR 10/03, GRUR 2005, 62 = EWiR 2004, 1177

Raimond Emde

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1. Buch. Handelsstand

einen Teil des „ordre public“ handelt, darf eine Nichtbeachtung europäischen Kartellrechts durch ausländische Gerichte und Schiedsgerichte deren Urteilen entgegengehalten werden 571.

90

bb) Art. 81 Abs. 3 EG

(1) Einleitung. Mit der Verabschiedung der Kartellverfahrensordnung (EG) Nr. 1/2003 vom 16.12.2002 572 gilt seit 01.05.2004 ein neues Kartellverfahrensrecht. Zum Übergangszeitraum und den Wirkungen vorheriger Einzelfreistellungen vgl. BGH, Urt. v. 08.05.2007 – KZR 14/04, WRP 2007, 1097, 1099 = EWiR 2007, 547 (Emde). Nach der VO Nr. 17/62 waren lediglich Art. 81 Abs. 1 und 2 EG unmittelbar anwendbar: Falls für eine Vereinbarung die Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EG vorlagen, so bedurfte es eines positiven Aktes der Freistellung, und zwar entweder durch GVO – die Vereinbarung war freigestellt, wenn sie sich unter die Voraussetzungen einer solchen GVO subsumieren ließ – oder durch Einzelfreistellung, also mittels Entscheidung der Kommission 573. Gemäß Art. 1 Abs. 2 VO 1/2003 sind Vereinbarungen, Beschlüsse und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen i.S.d. Art. 81 Abs. 1 EG, welche den Tatbestand des Art. 81 Abs. 3 EG erfüllen, jetzt verboten, ohne dass dies des Ausspruchs einer Entscheidung bedarf. Art. 81 Abs. 3 EG ist damit als Legalausnahme zu verstehen, mit der Folge, dass die Vorschrift „ipso iure“ unmittelbar anwendbar ist. Es bedarf keines besonderen Freistellungsaktes mehr. Folglich hat der BGH in seiner Entscheidung v. 28.06.2005 574 geurteilt, die Nichterfüllung der in der GVO genannten Freistellungsvoraussetzungen führe seit Wirksamwerden der VO 1/2003 ab 01.05.2004 zu keiner automatischen Nichtigkeit der Verträge. Denn die Nichtigkeit setzt weiter die Nichterfüllung der TB-Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EG voraus. Ob Art. 1 Abs. 2 VO 1/2003 dem Wortlaut des Art. 81 Abs. 3 EG widerspricht, der ausdrücklich eine „Nichtanwendbarkeitserklärung“ fordert, ist noch nicht ausdiskutiert. Formal könnte man argumentieren, Art. 1 Abs. 2 VO 1/2003 enthalte eine solche Erklärung oder Freistellung und sei damit die weiteste Form einer GVO 575. Andererseits spricht manches dafür, dass die Freistellung in Einzelfällen für begrenzte Bereiche erteilt werden muss, weil sonst Art. 81 Abs. 3 EG von vornherein als Legalausnahme von Art. 81 Abs. 1 EG hätte formuliert werden müssen, was jedoch unterblieb. Der VO hat damit möglicherweise den Wortlaut des Art. 81 Abs. 3 EG überschritten und sich der von ihm geforderten Einzelfallentscheidung oder der differenzierten Gruppenbildung enthoben 576. Nach Art. 81 Abs. 3 EG können Vereinbarungen, deren Nutzen – etwa auf Grund 91 einer Effizienzsteigerung 577 – so groß ist, dass sie die wettbewerbsbeschränkende Wirkung der Vereinbarung überwiegen, von dem Verbotstatbestand freigestellt werden. Im Einklang mit dem Wortlaut des Absatzes wurde bis 01.05.2004 eine unmittelbare Wirkung des Art. 81 Abs. 3 EG abgelehnt. Die Erfüllung der TB-Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EG führte also nicht „ipso iure“ zum Wegfall des Verstoßes gegen Art. 81 Abs. 1 EG. Seit dem 01.05.2004 kann ein Vertriebssystem unmittelbar nach Art. 81 Abs. 3 EG

571

572 573

64

(Herbertz); Zusammenfassung des Urteils bei Emde BB 2005, 389 (391). C.A. Paris, 18.11.2004, JCP.-Ed.Gen. 2005, 570; hierzu Niggemann SchiedsVZ 2005, 265. ABlEG Nr. L 1 v. 04.01.2003, S. 1. Weitbrecht Beilage zu NJW Heft 8/2003; ders EuZW 2003, 69 (70).

574 575 576 577

BGH, Urt. v. 28.06.2005 – KZR 26/04, WRP 2006, 109, 111 = GRUR Int. 2006, 57. Weitbrecht EuZW 2003, 69 (70). Vgl. K. Schmidt BB 2003, 1237; aA Weitbrecht EuZW 2003, 69 (70). Leitfaden zur GVO 1400/02, Einl., S. 7.

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zulässig sein, obwohl die Anwendungsvoraussetzungen einer GVO nicht erfüllt sind 578. Aus der Unvereinbarkeit einer Klausel mit der GVO folgt mithin nicht mehr zwingend die Nichtigkeit nach Art. 81 EG. Vielmehr muss in einem weiteren Schritt geprüft werden, ob die Klausel nach der Legalausnahme des Art. 81 Abs. 3 EG wirksam ist 579. Der Unternehmer hat also die Möglichkeit, das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EG im Einzelfall zu beweisen 580. Zu Unrecht wird bezweifelt, ob neben der Freistellung nach der GVO noch Raum für eine Anwendung der Legalausnahme des Art. 81 Abs. 3 EG bleibt. Die konkretisierende Wirkung der GVO schließt die Anwendung des Art. 81 Abs. 3 EG nicht aus 581. Die Legalprüfung ist nicht vollständig in den Freistellungstatbeständen der GVO erfolgt. Unternehmen sowie nationale Kartellbehörden und Gerichte sind ermächtigt und verpflichtet, selbst zu prüfen, ob Vereinbarungen die vier Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EG erfüllen und deshalb nicht unter Art. 81 Abs. 1 EG fallen 582. Die „Selbstveranlagung der Unternehmer“ führt zur Rechtsunsicherheit 583. Helfen konnte bisher ein „Comfort letter“, mit dem die Kommission mitteilte, dass für sie derzeit kein Anlass zu einem Einschreiten bestehe. Anstelle des „Comfort letter“ und der Negativatteste ist nun der so genannte „Guidance-letter“ getreten, der ein Beratungsschreiben mit einer informellen Stellungnahme der Kommission zu neuartigen Fragen im Zusammenhang mit Art. 81, 82 EG enthält. GVOs, die vor dem 01.05.2004 als „gebündelte Einzelfreistellungen“ 584 angesehen 92 werden konnten, und bestimmte typisierte Vertragsmuster summarisch vom Kartellverbot ausnehmen 585 sind damit nicht überflüssig geworden. Vielmehr stellen sie innerhalb ihres Anwendungsbereiches klar, dass die Legalausnahme des Art. 81 Abs. 3 EG eingreift 586. Schumacher 587 bezeichnet sie als „rechtlich verbindliche Konkretisierungen“ der spezifischen Vorgaben des Art. 81 Abs. 1 und 3 EG. Sie haben allerdings keinen rechtsgestaltenden sondern lediglich feststellenden Charakter 588, besitzen also für die Praxis als speziellere Norm „Prüfungsvorrang“ vor Art. 81 Abs. 3 EG 589. Nur wenn eine GVO hinter den Regelungen des Art. 81 Abs. 3 EG zurückbleibt, ist gemäß Art. 81 Abs. 3 EG zu prüfen. Da Gerichte nicht an GVOs gebunden sind wird für sie Abs. 3 vorrangig bleiben. Geht die GVO über die Regelungen des Abs. 3 EG hinaus, bleibt die GVO anwendbar 590, bindet die Gerichte aber nicht. Durchsetzbare Rechte und Pflichten zwischen den Vertragsparteien begründen GVOs nicht. Rechtsfolge der Nichteinhaltung einer GVO ist lediglich das Entfallen der Freistellung 591. Zudem können die in einer GVO genannten Beispiele freigestellter Klauseln Leitbildwirkung bei ähnlichen Gestaltungen entfalten 592. Für den spiegelbildlichen Fall – die GVO stellt die Klausel nicht

578 579

580 581 582 583 584 585

Schumacher WuW 2005, 1222 (1224/1225); BGH, Urt. v. 13.07.2004, „Citroen“. BGH, Urt. v. 08.05.2007 – KZR 14/04, WRP 2007, 1097 = RIW 2007, 614 = EWiR 2007, 547 (Emde); BGH, Urt. v. 13.07.2004 „Citroen“ – KZR 10/03, GRUR 2005, 62 = EWiR 2004, 1177 (Herbertz). Rheinländer WRP 2005, 285. AA Ensthaler/Gesmann-Nuissl BB 2005, 1750. ABlEG Nr. L 1 v. 04.01.2003, S. 1. Schumacher WuW 2005, 1222 ff. Harte-Bavendamm/Kreutzmann WRP 2003, 682 (687). Schulte WRP 2005, 1500 (1502).

586

587 588 589 590 591

592

BGH, Urt. v. 28.06.2005 – KZR 26/04, WRP 2006, 109 (111) unter II 2 b; HarteBavendamm/Kreutzmann WRP 2003, 682, 687. WuW 2005, 1222 (1224/1225). Bechtold WuW 2003, 343; aA wohl K. Schmidt BB 2003, 1237 (1241). Wagner WRP 2003, 1369 (1378). Wagner WRP 2003, 1369 (1378). EuGH, Urt. v. 18.01.2007 – C-421/05 – City Motors Groep NV/Citroen Belux NV, EuZW 2007, 113; Wegner/Schroeder EuZW 2007, 115. Ensthaler/Gesmann-Nuissl BB 2005, 1750; Bechtold WuW 2003, 343.

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frei – wird eine Leitbildwirkung für die Prüfung nach Art. 81 Abs. 3 EG abgelehnt 593. Auch weiterhin sind materiellrechtlich auf Grundlage des Art. 81 Abs. 3 EG ergangene GVOs generelle Normen, die nach Art. 249 Abs. 2 EG in allen Mitgliedstaaten verbindlich sind und unmittelbar gelten 594. Nach Ansicht von Baron 595 besitzen die GVOs auch nach Einführung der VO 1/2003 neben der VO 1/2003 gleichen Rang. Sie blieben nach dieser Ansicht durch die Einführung der VO 1/2003 unberührt. Ist eine Freistellung entweder aus der VO 1/2003 oder aus einer GVO zu bejahen, schließt dies die Anwendung der anderen Regelung nicht aus. Im Ergebnis gilt die jeweils weitergehende Freistellung, wie umgekehrt im Falle der Verbotskonkurrenz ohne ausdrückliche gegenteilige Freistellung das jeweils weitergehende Verbot maßgeblich ist. Für die Anwendung des Art. 81 Abs. 3 EG sind spürbare objektive Vorteile Voraus93 setzung 596. Betont wird insbesondere das Erfordernis von Effizienzgewinnen 597. Erwartet werden substantiierte Angaben hinsichtlich Art, Ursache, Wahrscheinlichkeit, Ausmaß und Zeitpunkt der Effizienzgewinne 598. Die Kommission 599 betont, auch Vertriebsvereinbarungen könnten zu qualitativen Effizienzgewinnen führen. So könnten spezialisierte Vertriebshändler Dienstleistungen erbringen, die besser auf die Bedürfnisse der Kunden abgestellt sind, die Auslieferung beschleunigen oder eine bessere Qualitätssicherung in der Vertriebskette anbieten. Gemäß Art. 81 Abs. 3 EG soll beispielsweise der Erhalt des technisch komplexen Produktes Kfz, die Vermeidung von Umweltschäden, die Schaffung von Arbeitsplätzen vor dem Hintergrund der hohen Anzahl der Händlerinsolvenzen und das Interesse an der Exklusivhaltung von Luxusartikeln vorteilhaft i.S.d. Art. 81 Abs. 3 EG sein 600. Schulte 601 hält eine nach hM gemäß Art. 81 EG unzulässige Preisbindung 602 wegen der positiven Wirkungen auf den Wettbewerb nach Art. 81 Abs. 3 EG für zulässig, wenn sie innerhalb einer Verbundgruppe mittelständischer Unternehmen – etwa zwischen Franchisegeber und Franchisenehmer – vereinbart wurde und die Preisbindung, z.B. durch gemeinsame Werbeaktionen, den Wettbewerb zu Großunternehmen erleichtert. Das ist zweifelhaft. Zumindest bei Vereinbarung einer Kernbeschränkung („schwarze Klausel“) ist die Erfüllung der Kriterien der Art. 81 Abs. 3 EG unwahrscheinlich 603. 593 594

595 596 597

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600 601 602

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Schulte WRP 2005, 1500 (1502). Wagner WRP 2003, 1369 (1372); Schulte WRP 2005, 1500 (1502); Baron WuW 2006, 358 ff. WuW 2006, 358 ff. St. Rspr. des EuGH, u.a. v. 13.07.1966, Rs. 56 und 58/64. Leitlinien, Rn 48–72; Meessen in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, Bd. I., Art. 81 Rn 19. Leitlinien, Rn 50; Meessen in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, Bd. I., Art. 81 Rn 19. Leitlinien der Kommission über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags (2004/C 101/07) v. 27.04.2004, Rn 72. Schumacher WuW 2005, 1222 (1229/1230). WRP 2005, 1500 ff. Schulz-Süchting in: Münchener Vertragshandbuch, Band 3, Wirtschaftsrecht II,

603

IV. 2, Anm. 13; Jestaedt in: Langen/Bunte, Kommentar zum Deutschen und Europäischen Kartellrecht, Band 1, 9. Aufl., Art. 81, Fallgruppen Rn 272; Pagenberg/ Geissler Lizenzverträge, 4. Aufl., S. 150, Rn 205; Gleiss/Hirsch Kommentar zum EG-Kartellrecht, Band 1, 4. Aufl., Art. 85, Rn 297, Rn 1539; Klotz in: Schröter/Jakob/ Mederer, Kommentar zum Europäischen Wettbewerbsrecht, 2003, Art. 81 – Fallgruppen: Liefer- und Bezugsvereinbarungen, Rn 11; 80, 210 ff; Art. 4 lit a GVO 2790/99, Art. 4 Abs. 1 lit a GVO 772/2004; v. Falck/Schmaltz in: Loewenheim/Meesen/ Riesenkampff, Kartellrecht, 2005, GVOTechnologie Rn 40; Baron aaO, GVO Vertikal, Rn 164; Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 566; Kahlenberg BB 2004, 391; Schulte WRP 2005, 1500 (1502). Ensthaler NJW 2007, 815 (816).

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(2) Fallgruppen (a) Verbesserung der Warenerzeugung. Bei der Freistellung eines selektiven Vertriebssystems wurde die Begründung, es beinhalte ein stabilisierendes Element für die Erhaltung von Arbeitsplätzen als Verbesserung der allgemeinen Bedingung der Warenerzeugung gerade unter den Voraussetzungen einer ungünstigen Wirtschaftskonjunktur vom EuGH aufrechterhalten 604. Auch in einem mit einem Markenlizenzvertrag verbundenen Wettbewerbsverbot sah die Kommission nicht nur eine Verbesserung der Warenverteilung sondern auch der Warenerzeugung 605. Das ist zweifelhaft. Entständen mehr Verkaufsstellen, gäbe es auch mehr Arbeitsplätze.

(b) Verbesserung der Warenverteilung. Der EuGH hat in der Erhaltung des Fach- 95 handelsvertriebs für beratungsintensive Produkte (Farbfernseher) einen objektiven Vorteil gesehen 606. Tätsächlich darf der selektive Vertrieb eher als „wettbewerbsdämpfend“ betrachtet werden, da sich Händler nur mit einer begrenzten Zahl von Konkurrenten auseinandersetzen müssen, die gleichen Bedingungen wie sie selber unterliegen 607. (c) Förderung des technischen Fortschritts. Das Eingreifen dieser Fallgruppe ist bei 96 vertriebsrechtlichen Wettbewerbsbeschränkungen nur schwer vorstellbar, allenfalls bei hoch technisierten Produkten. (d) Förderung des wirtschaftlichen Fortschritts. Zu denken ist hier insbesondere an 97 eine Rentabilitätssteigerung oder die Sicherheit der Versorgung 608. (e) Unerlässlichkeit der wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweisen. Nach den 98 Leitlinien der Kommission ist zu prüfen, ob die jeweilige wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweise „unerlässlich“ ist, um spürbare objektive Vorteile zu verwirklichen 609. (f) Gewinnbeteiligung der Verbraucher. Die Versorgung der Verbraucher mit einem 99 breiten Angebot qualitätsvoller Produkte zu günstigen Preisen gehört zu den Zielen des Wettbewerbsrechts 610. Für das TB-Merkmal „Gewinnbeteiligung der Verbraucher“ ist entscheidend, ob ein ausreichender Wettbewerbsdruck unter den an den wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweisen beteiligten Unternehmen erhalten bleibt. Der Wettbewerbsdruck muss in der Regel von Mitbewerbern ausgehen 611. Eine Beschränkung wird meist gewählt, um Wettbewerb auszuschalten. Eine angemessene Gewinnbeteiligung der Verbraucher ist bei ihr überwiegend nicht erkennbar. d) Zwischenstaatlichkeitsklausel. Voraussetzung des Verbots des Art. 81 EG ist 100 immer die Möglichkeit einer Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten

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EuGH, Urt. v. 25.10.1977 – Rs. 26/76 – Metro/Kommission, Slg. 1977, 1875, 1915, Rn 43. EuGH, Urt. v. 28.02.2002, Fn 13, II-352 = f, Rn 352, 353; Kommission, Entsch. v. 21.12. 1994, Rs. IV/33218, ABl. 1994 L 378/17, 29 Rn 109 und 32, 140. EuGH, Urt. v. 22.10.1986, Rs. 75/84, Slg. 1986, 3074, 3088, Rn 54.

607 608 609 610 611

Mäsch ZIP 1999, 1507 (1508). Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Art. 81 Rn 23. Leitlinien, Rn 8, 17. Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Art. 81 Rn 25. Kommission, Entsch. v. 22.07.1969, Rs. IV/26625, ABl. 1969 L 195/1, Loewenheim/ Meessen/Riesenkampff, Art. 81 Rn 26.

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(Zwischenstaatlichkeitsklausel). Dazu muss die wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung unmittelbar oder mittelbar geeignet sein, die Freiheit des Handels zwischen Mitgliedstaaten auf eine Weise zu gefährden, die der Verwirklichung der Ziele eines einheitlichen zwischenstaatlichen Marktes nachteilig sein kann 612. Zunächst muss festgestellt werden, ob der Handel zwischen den Mitgliedstaaten be101 troffen ist. Dies ist der Fall, wenn die in Rede stehende Vereinbarung „Außenwirkung“ auf den zwischenstaatlichen Handel entfalten kann. Eine Außenwirkung liegt in aller Regel vor, sofern Unternehmer verschiedener Mitgliedstaaten an der Vereinbarung beteiligt sind. Es kann aber ausreichen, wenn die Vereinbarung zwischen zwei Unternehmen eines Mitgliedstaates getroffen wird, sich aber auf das gesamte Gebiet des Mitgliedstaates bezieht oder ein Unternehmer eines Mitgliedsstaates mit einem anderem aus einem Drittstaat abschließt, falls Reimporte in die Gemeinschaft behindert werden 613. Der EuGH hat wiederholt entschieden, dass Außenwirkung vorliegt, wenn ein wesentlicher Teil des gemeinsamen Marktes betroffen ist. Das ist auch der Fall, wenn das gesamte Gebiet eines Mitgliedstaates von der Vereinbarung betroffen ist, da es einen wesentlichen Teil des gemeinsamen Marktes darstellt 614. So betrifft etwa eine ausschließlich auf das Gebiet von Luxemburg bezogene Vereinbarung einen wesentlichen Teil des gemeinsamen Marktes 615. Dagegen ist nicht erforderlich, dass die Beeinträchtigung des Handels zwischen den 102 Mitgliedstaaten nachgewiesen wird. Ausreichend ist die konkrete Gefahr der Beeinträchtigung. Die Voraussetzungen der Zwischenstaatlichkeitsklausel sind also nur dann nicht erfüllt, wenn nach allen objektiven, rechtlichen oder tatsächlichen Umständen ausgeschlossen werden kann, dass die zur Prüfung stehende Vereinbarung den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen kann. Lässt sich das nicht feststellen, ist eine Abwägung der Gesamtumstände erforderlich 616.

103

aa) Spürbarkeit der Wettbewerbsklausel. Wie sich aus dem Wortlaut des Art. 81 EG ergibt, verstoßen nur solche Wettbewerbsbeschränkungen gegen Art. 81 EG, die zu einer „spürbaren“ Einschränkung des Wettbewerbs führen 617. Zur Konkretisierung 618 des Merkmals der Spürbarkeit hat die Kommission die „Bagatellbekanntmachung“ (oder: de minimis-Bekanntmachung) erlassen 619. Sie verneint Spürbarkeit, sofern bei vertikalen Vereinbarungen auf dem sachlich-räumlich relevanten Markt 620 15 % Marktanteil nicht

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615

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EuGH Slg. 1966, 322, 389; Slg. I-1997, 4411, 4412; Giesler/Nauschütt § 2 Rn 13. Fritzemeyer BB 2002, 1658 (1660). EG-Kommission, Entsch. v. 11.06.2002, COMP/36.571/D-1 – Lombard Club, WuW/E 2004, 823 = EU-V 949; EuGH, Slg. 1992 II – 1995, 1998 ff Rn 57; Giesler/ Nauschütt § 2 Rn 14. EuG, Urt. v. 27.07.2005, Vern.Rs.T-49/02 bis T-51/02-Prasserie nationale/Kommission, WuW 2005, 1311-EU-R 9/67. Giesler/Nauschütt § 2 Rn 16. Ebenroth/Lange Vor § 84 Anhang II, Rn 3; EuGH, Slg. 1966, 281, 306; Slg. 1969, 295, 302; Terhechte EWS 2002, 66; Roniger Das neue Vertriebskartellrecht, 2000, E 3;

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bei vertikalen Verträgen fehlt Spürbarkeit, wenn der Marktanteil auf dem sachlich und räumlich relevanten Markt 15 % (bis 2001: 10 %) unterschreitet und keine Kernbeschränkung vorliegt, siehe Kommission, Bekanntmachung über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die den Wettbewerb gem. Art. 81 I EG nicht spürbar beschränken, ABl. 2001 Nr. C 368, S. 13 ff; hierzu Terhechte EWS 2002, 66; Altfassung ABl. EG v. 9.12.1997, Nr. C 372, S. 13 ff. Terhechte EWS 2002, 66; Ebenroth/Lange Vor § 84 Anh. II Rn 4. Jacobsen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 1214. Siehe Fritzemeyer BB 2002, 1658 (1660).

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überschritten werden 621 und eine Kernbeschränkung fehlt 622. Die Kernbeschränkungen der Ziff. 11 der Bagatellbekanntmachung entsprechen Art. 4 lit. b GVO 2790/99, so dass die Bagatellbekanntmachung nicht hilft, wenn die Freistellung des Verbots des Verkaufs außerhalb des zugewiesenen Gebiets erstrebt wird. Sachlich relevant soll nach einer Ansicht der Markt sein, auf dem sich der Unternehmer Vertriebsmittler (im entschiedenen Fall selbständiger HV) bedient 623, also um deren Tätigkeit konkurriert. Nach zutreffender Auffassung richtet er sich nach der Austauschbarkeit der in Frage stehenden Waren aus der Sicht der Marktgegenseite 624. Der räumlich relevante Markt umfasst das Gebiet, in dem die beteiligten Unternehmen mit der Lieferung der relevanten Erzeugnisse oder Dienstleistungen beschäftigt und in denen die Wettbewerbsbedingungen hinreichend homogen sind 625. Bei großen Mittlern wird der räumlich relevante Markt umfangreicher sein als bei kleinen, da erstgenannte eher bereit sein werden, ihre Vermittlungsbemühungen in einem größeren Umkreis zu organisieren 626. Auch wenn diese Marktanteilsschwelle überschritten wird, ist es im Einzelfall möglich, dass der Wettbewerb nicht spürbar beschränkt ist 627. Denn die Bagatellbekanntmachung gibt nur Erfahrungswerte wieder, präjudiziert die europäische Gerichtsbarkeit jedoch nicht, in anderen Fällen Spürbarkeit abzulehnen 628. Greift die Bagatellbekanntmachung nicht ein, etwa weil eine Kernbeschränkung berührt ist, soll Spürbarkeit bei einem Marktanteil der betroffenen Unternehmen von 5 % vorliegen 629. Auch Vereinbarungen zwischen kleinen und mittleren Unternehmen 630 führen zu keiner Spürbarkeit 631, wobei auch hier eine Anhebung der Schwellenwerte erfolgt ist 632. Die Kommission geht von mangelnder Spürbarkeit aus, wenn der gemeinsame Marktanteil der betroffenen Unternehmen 5 % (und einen Korridor von plus 2 % in 2 aufeinanderfolgenden Jahren) sowie einen Umsatz von höchstens 50 Mio. EUR (plus maximal 10 % in 2 aufeinanderfolgenden Jahren) oder eine Jahresbilanzsumme von höchstens 43 Mio. EUR nicht überschreitet. Soweit KMU betroffen sind besteht eine generelle Ausnahme vom Kartellverbot. bb) Prüfungsreihenfolge. Sind die genannten TB-Voraussetzungen erfüllt, ist eine in 104 einem Vertriebsvertrag enthaltene Wettbewerbsbeschränkung nur dann zulässig, falls sie entweder gemäß Art. 81 Abs. 3 EG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 VO 1/2003, vor Erlass der VO 1/2003 durch eine Einzelfreistellung 633 bzw. eine aufgrund der generellen Ermächtigung der VO Nr. 19/65 634 erlassene GVO 635 gestattet wird 636. Zunehmend bedient sich die 621 622 623 624

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Rn 7 lit. b der Bagatellbekanntmachung 2001. Zusammenfassend Terhechte EWS 2002, 66. LG Frankfurt/Main, EWiR 2003 (Emde). Vgl. Flohr in: Wachter, Handbuch des Fachanwalts für Handels- und Gesellschaftsrecht, Münster 2007, Kap. 6 Rn 43. Leitlinien für vertikale Beschränkungen, ABlEG Nr. C 291 v. 13.10.2001, 1 (Rn 90). Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 613. Ebenroth/Lange Vor § 84 Anhang II, Rn 4. Terhechte EWS 2002, 66 (69). LG Frankfurt/Main, Urt. v. 15.11.2002 – 3-11 O 87/02, EWiR 2003, 573 (Emde). Siehe Definition von kleinsten, kleinen und mittleren Unternehmen (2003/361/EG)

631 632 633 634

635 636

v. 20.5.2003; Altfassung Anh. zur Kommissionsempfehl. 96/280/EG, ABl. 1996 Nr. L 107/8; zur Erhöhung der Schwellenwerte DB 2002, 312; siehe auch die Mitteilung in EuZW 2001, 739; vgl. auch Jacobsen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 1214. Polley/Seeliger WRP 2000, 1203 (1207 f). Vgl. DB 2002, 312; siehe auch die Mitteilung in EuZW 2001, 739. Hierzu Roniger Das neue Vertriebskartellrecht, 2000, E 9 ff. VO v. 02.03.1965, ABl 1965 Nr. 36/533 i.d.F. der VO v. 10.06.1999, ABl. 1999 Nr. L 148/1. Siehe Roniger Das neue Vertriebskartellrecht, 2000, E 12. Polley/Seeliger WRP 2000, 1203.

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Kommission auch reiner Bekanntmachungen in Form der Leitlinien 637, um ihre zukünftige Entscheidungspraxis nach außen zu tragen. Die kartellrechtliche Prüfungsreihenfolge in Vertriebsfällen stellt sich daher wie folgt dar 638: 1. Greift das grundsätzliche Verbot wettbewerbsbeschränkender Abreden gemäß Art. 81 EG ein? 2. Gibt es Ausnahmen von diesem Verbot, z.B. a) wegen fehlender Spürbarkeit, insbesondere konkretisiert 639 in der für Gerichte allerdings nicht bindenden 640 Bagatellbekanntmachung 641 oder bei Vertragsschluss zwischen kleinen und mittleren Unternehmen gemäß Anhang zur Kommissionsempfehlung 96/280/EG 642; b) gemäß Art 81 Abs. 3 EG i.V.m. Art. 2 I VO 1/2003; c) in einer Einzelfreistellung (vor Erlass der VO 1/2003); d) einer GVO, insbesondere der GVO 2790/1999 und den sie erläuternden Leitlinien? Handelt es sich bei dem Mittler gemäß den Leitlinien zur GVO 2790/99 um einen echten HV, greift das Kartellverbot des Art. 81 EG nicht ein 643; e) durch die Bagatellbekanntmachung 2007 des BKartA 644. Es ergeben sich folgende Marktanteilsschwellen: 5 %: Bis zu diesem Marktanteil kann eine erhebliche Beteiligung an einem Marktabschottungseffekt kumulativ bestehender Vertriebssysteme nicht eintreten. 15 %: Höchstgrenze für das Eingreifen der Bagatellbekanntmachung. 30 %: Höchstgrenze für das Eingreifen der GVO 2790/99. 50 %: Gemäß Erwägungsgrund 15 darf die Kommission die GVO 2790/99 auf Vertriebsvereinbarungen für unanwendbar erklären, wenn durch den Kumulationseffekt paralleler Netzwerke von Vertriebsvereinbarungen ein Marktabschottungseffekt entsteht. Oberhalb des Grenzwertes von 30 % kommt bei grundsätzlichem Eingreifen des Art. 81 EG nur eine Freistellung nach Art. 81 Abs. 3 EG in Betracht. Im Grundsatz ist von der Unzulässigkeit aller den Handel zwischen den Mitgliedsstaaten beeinträchtigenden und spürbaren Wettbewerbsbeschränkungen auszugehen, soweit Art 81 Abs. 3 EG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 VO 1/2003, Bagatellbekanntmachung, Einzelfreistellung, GVOs (einschließlich der GVO 2790/99) oder Leitlinien nicht freistellen. Die Nichtigkeit nach Art. 81 EG muss die Partei oder Behörde beweisen, die sich auf sie beruft (Art. 2 VO (EG) 1/2003). Der Beweis, dass die Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EG oder der Freistellung nach einer GVO vorliegen, obliegt dem Unternehmen, das sich auf diese Bestimmung beruft (Art. 2 VO (EG) 1/2003) 645. Das Schicksal des Gesamtvertrages im Falle der Unwirksamkeit seiner wettbewerbsbeschränkenden Teile bestimmt sich nach nationalem Recht 646. Sofern nicht lediglich 637 638

639 640 641

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Weitbrecht EuZW 2002, 581. Emde WRP 2005, 1492 (1494); Emde BB 2002, 949; siehe auch Jacobsen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 1179 mit ähnlichem Prüfungsschema. Terhechte EWS 2002, 66; Ebenroth/Lange Vor § 84 Anh. II Rn 4. Terhechte EWS 2002, 66 (69). Kommission, Bekanntmachung über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die den Wettbewerb gem. Art. 81 I EG nicht spürbar beschränken, ABl. 2001 Nr. C 368, S. 13 ff; Altfassung ABl. EG v. 09.12.1997, Nr. C

642 643 644 645 646

372, S. 13 ff; hierzu Giesler/Nauschütt § 2 Rn 17 ff; zur neuen Bagatellbekanntmachung Terhechte, EWS 2002, 66. ABl. L 107 v. 30.04.1996, S. 4; siehe Tz. 11 der Leitlinien. Jacobsen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 1179. Vgl. zu ihr Pfeffer/Wegner BB 2007, 1173. Schultze/Pautke/Wagener Vertikal-GVO, 2001, Rn 27 ff. Rittner DB 2000, 1211 (1212); Ebenroth/ Lange Vor § 84 Anh. II Rn 6.

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eine Klausel untergeordneter Bedeutung nichtig ist, führt die Teilnichtigkeit in Individualverträgen gemäß § 139 BGB zur Gesamtnichtigkeit des Vertrages 647. Bei AGB ist § 306 Abs. 1 BGB anwendbar 648 und vorrangig 649, so dass ohne erschwerende Tatumstände lediglich die Unwirksamkeit der unzulässigen Klausel und keine Gesamtnichtigkeit des Vertrages eintritt 650. Gesamtnichtigkeit entsteht hier gemäß § 306 Abs. 3 BGB nur dann, wenn das Vertragsgleichgewicht infolge der Unwirksamkeit der inkriminierten Klausel grundlegend gestört wird 651. Gemeint sind Fälle des Vertragsungleichgewichts, die unter dem Gesichtspunkt des § 313 Abs. 1 BGB (WGG) relevant wären 652. Das gilt auch, falls sich die Unwirksamkeit nicht aus den §§ 307–309 BGB sondern aus anderen Vorschriften ergibt, etwa sofern einzelne Klauseln wegen Verstoßes gegen gemeinschaftsrechtliche Vorschriften unwirksam sind 653. §§ 139, 306 Abs. 3 BGB dürfen als dispositives Recht durch eine salvatorische Klausel abbedungen werden, sofern nicht Sinn und Zweck des Art. 81 EG Gesamtnichtigkeit trotz salvatorischer Klausel fordert, z.B. weil sich durch die Teilnichtigkeit der Charakter des Vertrages erheblich verändern würde 654. Die Ersetzungsklausel innerhalb einer salvatorischen Klausel ist regelmäßig dahin zu verstehen, dass die Parteien die nichtige Bestimmung zur GVO-Konformität führen sollen 655. Als AGB dürfte sie wohl unwirksam sein 656. Derjenige, der sich auf die Gültigkeit eines Restvertrages beruft, trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass bei Fehlen einer salvatorischen Klausel der nichtige Vertrag auch ohne die die Nichtigkeit begründenden Vertragsbestandteile geschlossen worden wäre. Kommt er dieser Darlegungs- und Beweislast nicht nach, ist der gesamte Vertrag nichtig 657. Auch die Verletzung der Kernbeschränkung einer GVO führt nicht automatisch zur Nichtigkeit sondern nur dann, wenn der Restvertrag keinen selbständigen Regelungsbereich ausfüllt 658. Da Art. 81 EG ein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB darstellt 659 können dem Verletzten Schadenersatzansprüche zustehen, die sich wegen der darin liegenden Vertragsverletzung auch aus § 280 BGB begründen.

647

648

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650 651

652 653

Polley/Seeliger WRP 2000, 1203; Wendel WRP 2002, 1395 (1399); Emde WRP 2005, 1492 (1500); Emde MDR 2006, 301. BGH, Urt. v. 08.05.2007 – KZR 14/04, WRP 2007, 1097 = RIW 2007, 614 = EWiR 2007, 547 (Emde); Wendel WRP 2002, 1395 (1399). BGH, Urt. v. 08.05.2007 – KZR 14/04, WRP 2007, 1097 (1099) = RIW 2007, 614 = EWiR 2007, 547 (Emde). Emde MDR 2006, 301. Siehe BGH, Urt. v. 08.05.2007 – KZR 14/04, WRP 2007, 1097 (1099) = RIW 2007, 614 = EWiR 2007, 547 (Emde); Beschl. v. 26.07.2005 – KZR 14/04, BB 2005, 2208 = ZIP 2005, 1936 (LS); BGHZ 130, 150, 155; OLG München, Urt. v. 26.06.2002, BB 2002, 2521 = OLGR 2003, 113. Emde MDR 2006, 301. BGH, Urt. v. 08.05.2007 – KZR 14/04, WRP 2007, 1097 (1099)= RIW 2007, 614 = EWiR 2007, 547 (Emde).

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Wendel WRP 2002, 1395 (1398); Emde MDR 2006, 301. Das wird etwa angenommen, wenn ein auf zehnjährige Dauer geschlossener Liefervertrag wegen Verstoßes gegen die Fünf-Jahres-Grenze des Art. 5 lit. a i.V.m. Art. 1 lit. b GVO 2790/99 unwirksam ist, weil aufgrund der Nichtigkeit der zehnjährigen Vertragsdauer dann ein unbefristeter Vertrag vorläge, der nicht im Wege der geltungserhaltenden Reduktion auf fünf Jahre verkürzt werden kann (OLG Düsseldorf, DB 2002, 943 (944); kritisch Canaris DB 2002, 930 ff). Zu der FünfJahresgrenze des Art. 5 lit. a. GVO 2790/99: Emde WRP 2005, 1492 ff. Wendel WRP 2002, 1395 (1399). Vgl. Wendel WRP 2002, 1395 (1399). LG Frankfurt/Main, Urt. v. 06.01.2006 – 3-11 O 42/05, EWiR 2007, 45. Wendel WRP 2002, 1395 (1399). LG Mainz, Urt. v. 15.1.2004 – 12 HKO 52/02, NJW-RR 2004, 478.

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e) Selektive Vertriebssysteme und Art. 81 EG. Der selektive Vertrieb kann eine Wettbewerbsbeschränkung nach Art. 81 EG darstellen 660. Selektive Vertriebssysteme stellen eine Vertriebsform dar, durch die mittels qualitativer Kriterien 661 ein einheitlicher Vertriebsstandard für ein bestimmtes Produkt gewährleistet wird. Unterschieden wird zwischen dem offenen und geschlossenen System. Beim offenen System unterliegen weder Unternehmer noch Händler einer Beschränkung hinsichtlich ihres Abnehmerkreises; sie dürfen an jeglichen Geschäftspartner verkaufen. Beim geschlossenen System dürfen sowohl Unternehmer als auch Händler nur an Endkunden verkaufen und darüber hinaus an solche Wiederverkäufer, die die qualitativen Selektionskriterien erfüllen 662. Die systemzugehörigen Händler innerhalb des selektiven Systems werden vertraglich zur Erbringung bestimmter Marketing-, Beratungs- und Kundendienstleistungen verpflichtet 663. Sie dürfen das Systemprodukt nur innerhalb des Systems an Endverbraucher veräußern. Hierdurch werden Händler vom Produktvertrieb ausgeschlossen, die die Vertriebsstandards nicht erfüllen 664. Als Folge ergeben sich Einschränkungen des markeninternen Wettbewerbs 665. Die Händler sind in ihren Entscheidungen über die Art und Weise des Produktvertriebs an die Systemvoraussetzungen gebunden 666. Die Klausel, nach der es dem systemzugehörigen Händler nicht gestattet ist, das Produkt an Systemaußenseiter zu verkaufen, hat zur Folge, dass die Lieferverweigerung des Herstellers zu einem effektiven Disziplinierungsinstrument gegenüber Händlern wird, die sich einer kartellrechtswidrigen Preis- und Vertriebspolitik des Herstellers nicht beugen 667. Ein Querbezug des Produkts von anderen Händlern wird hierdurch ausgeschlossen. Der selektive Vertrieb beeinträchtigt den Wettbewerb, weil die beiderseitigen Verpflichtungen von Hersteller und Mittler, nicht an Unternehmen außerhalb der Vertriebsorganisation zu liefern, dem letztgenannten den Zugang zu den Produkten des Herstellers verwehrt 668. Im Bereich der gehobenen Depotkosmetik vertreiben sämtliche Hersteller ihre Produkte im Rahmen selektiver Vertriebssysteme. Es soll ein Mustervertrag existieren, der angeblich dem EU-Standard entspricht 669. Wenngleich sich Art. 1 lit. d GVO 2790/99 mittelbar die Zulässigkeit von Qualitäts110 merkmalen in selektiven Vertriebssystemen entnehmen lässt, bleibt die Frage der kartellrechtlichen Zulässigkeit qualitativer Selektionskriterien von der GVO unberührt und richtet sich auch für die Verwaltung nach Art. 81 Abs. 1 EG und der hierzu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung 670. Qualitative Selektionskriterien unterfallen nach der Entscheidungspraxis des EuGH schon nicht dem TB des Art. 81 Abs. 1 EG, sofern die Selektion des vertriebenen Produkts zur Sicherstellung der Qualität bzw. des korrekten Produktgebrauchs erforderlich ist und die Selektionskriterien objektiver und qualitativer Natur sind sowie diskriminierungsfrei gehandhabt werden, das Absatzsystem zur Stärkung des Wettbewerbs beiträgt, im Verbraucherinteresse liegt und schließlich die Ausgestaltung des Vertriebssystems einer Verhältnismäßigkeitsprüfung standhält 671. Ein 660

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Creutzig BB 2002, 2133; Bauer/de Bronett EU-Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen, 2001, Rn 35. Westphal Vertriebsrecht II Rn 425, 429. Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 71. Rheinländer GRUR 2007, 383 (384); Westphal Vertriebsrecht II Rn 419 ff. Rheinländer GRUR 2007, 383 (384). Rheinländer GRUR 2007, 383 (384).

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Rheinländer GRUR 2007, 383 (384). Rheinländer GRUR 2007, 383 (384). EuGH Slg. 1983, 3151/AEG/Telefunken; Mäsch ZIP 1999, 1507 (1509); Rheinländer GRUR 2007, 383 (384). Haslinger WRP 2007, 926. Schultze/Pautke/Wagener Vertikel-GVO, Rn 96. EuGH, Urt. v. 25.10.1977, Slg. 1977, 1875, 1907 ff; EuGH, Urt. v. 22.10.1986, Slg. 1986, 3021, 3074; Bauer/de Bronett Die EU-

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solches System könne, richtig eingesetzt, zu einer Verstärkung des Wettbewerbs unter den Herstellern konkurrierender Produkte führen, etwa im Hinblick auf einen hohen Standard an Beratung und Kundenservice, auch wenn, wie eingeräumt wird, der Wettbewerb innerhalb der Marke und damit insbesondere der Preiswettbewerb leidet. Aus diesem Grunde werden Beschränkungen des markeninternen Wettbewerbs bis zu einem gewissen Grad hingenommen 672. Gefordert wird eine Gesamtschau 673. Es komme auf die konkrete Prüfung im Einzelfall an, ob von einem Vertriebssystem insgesamt eine eher wettbewerbsfördernde oder -beeinträchtigende Wirkung ausgehe 674. Eine bloße quantitative Selektion ohne qualitative Kriterien wird kein selektives Vertriebssystem begründen 675. Zu bejahen ist die Zulässigkeit selektiver Vertriebssysteme etwa für hochwertige, technisch anspruchsvolle Erzeugnisse (Unterhaltungselektronik, PC, Kfz), andere hochwertige Waren (Uhren, Schmuck, Luxusparfüms und Luxuskosmetika bzw. Feinkeramik) sowie Presseerzeugnisse 676. In diesem Sektor könne nur der Vertrieb über sorgfältig ausgewählte Wiederverkäufer Qualität und richtigen Gebrauch gewährleisten 677. Das EuG hat sogar die wenig schützenswerte „Aura des Luxus“ als Rechtfertigung für ein selektives Vertriebssystem von Luxuskosmetika als ausreichend angesehen.678 Zu untersuchen ist jedoch, ob wegen der Verbreitung solcher Absatzsysteme in einer bestimmten Branche oder aus sonstigen Gründen für andere Vertriebsformen kein Raum besteht oder eine „Erstarrung der Preisstruktur“ zu befürchten bleibt 679. Art. 81 Abs. 1 EG ist nach Ansicht des EuGH dann verletzt, wenn über die einfache Fachhandelsbindung hinaus, die durch die Absatzbeschränkung auf Händler mit fachlich qualifizierten Personal und geeigneter Sachausstattung sowie damit eng verbundenen Kriterien gekennzeichnet ist, der Hersteller die Händler an zusätzliche wettbewerbsbeschränkende Verpflichtungen bindet. Zu nennen sind etwa Mindestumsätze, Wettbewerbsverbote, Alleinbezugsbindungen, Paralleleinfuhrverbote und schließlich Preisbindung und ähnlich wirkende Maßnahmen 680. In diesen Fällen ist das Vertriebssystem nur nach einer Einzelfreistellung durch die Europäische Kommission wirksam 681. Die Vereinbarung qualitativer Selektionskriterien ist etwa unproblematisch, sofern sie 111 sich auf die fachliche Eignung des Händlers, seines Personals und seine sachliche Ausstattung beziehen 682. Jedes Kriterium muss allerdings durch den Charakter der Vertragswaren und das vom Hersteller verfolgte Vertriebskonzept gerechtfertigt sein 683. Zu den unbedenklichen Selektionskriterien zählen auch Anforderungen an die Kundenberatung durch geschultes Personal und die Geschäftsführer, solche, die eine angemessene Lagerung, Ausstellung und Vorführung der Produkte gewährleisten und zur Erbringung der Garantieleistungen 684. Selektive Vertriebssysteme widersprechen nur dann nicht Art. 81 EG, wenn jeder 112 Händler, der die festgesetzten Vertriebsstandards erfüllt, zum Handel zugelassen wird und

672 673 674 675 676 677 678

Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen, Rn 55; Birk EuZW 2000, 485 (488). Rheinländer GRUR 2007, 383 (385). Mäsch ZIP 1999, 1507 (1510). EuGH Slg. 1986, 321, Rn 40, 41 – Metro II. Westphal Vertriebsrecht II Rn 425, 429. Westphal Vertriebsrecht II Rn 426. EuGH Slg. 1983, 3151, Rn 33 – AEG Telefunken. EuG, Urt. v. 12.12.1996 – Rs-T-19/92, GRUR lnt. 1998, 149 (155), Tz. 144 ff;

679

680 681 682 683 684

zust. BGH, Urt. v. 12.05.1998 – KZR 23/96, ZIP 1998, 2070 (2072). EuGH Slg. 1977, 1875 (1907 ff) – Metro I; EuGH Slg. 1983, 3151 (3194 ff) – AEG Telefunken; EuGH Slg. 1986, 3021 (3074 ff) – Metro II. Grundlegend EuGH Slg. 1980, 3775 (3791), Rn 16. Mäsch ZIP 1999, 1507 (1510). EuGH NJW 1978, 480. Westphal Vertriebsrecht II Rn 427. Westphal Vertriebsrecht II Rn 428.

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die Händlervereinbarung keine Kernbeschränkungen, wie etwa eine Preisbindung, enthält 685. Die Zulassungsbedingungen müssen einheitlich und objektiv festgelegt und in nicht diskriminierender Weise angewandt werden. Selektionskriterien sind möglichst bestimmt festzulegen, um dem Hersteller keine Möglichkeit willkürlicher Händlerauswahl zu geben 686. Hält sich der Hersteller nicht an den Gleichbehandlungsgrundsatz, verletzt sein Vertriebssystem Art. 81 EG 687. Um diskriminierenden Verzögerungstaktiken der Hersteller bei der Zulassung eines Händlers zum selektiven Vertriebssystem vorzubeugen, verlangt die Kommission, dass der Hersteller grundsätzlich binnen vier Wochen über einen Zulassungsantrag entscheidet 688. Verweigert der Hersteller einem Händler die Zulassung, zu muss er in einem Antwortschreiben an den Bewerber darlegen, welche Voraussetzungen er als noch nicht erfüllt ansieht 689. Eine Lieferverweigerung ist nur dann zulässig, wenn die Nichterfüllung der Systembedingungen durch den Bewerber entweder unstreitig oder gerichtlich festgestellt ist 690. Einem einzelnen Händler, der die Zulassungsvoraussetzung zu einem selektiven Vertriebssystem erfüllt, darf der Vertriebsvertrag nicht gekündigt werden. Eine derartige Kündigung wäre eine Diskriminierung 691. Sie ist gemäß Art. 81 Abs. 2 EG unwirksam 692. Will der Hersteller seine Vertriebspolitik ändern, so muss er das Vertriebssystem insgesamt kündigen 693. Ebenso wie bei der Zulassungsverweigerung sind die Kündigungsgründe dann mitzuteilen 694. Wird die Kündigung aus wichtigem Grund ausgesprochen, weil der Händler Ware an Außenseiter verkauft, so verlangt die Kommission, dass eine Liefersperre nur durchgeführt werden darf, wenn der Verstoß unbestritten oder gerichtlich festgestellt ist 695.

113

f) Freistellung nach der kartellrechtlichen Gruppenfreistellungsverordnungen aa) Die GVO 2790/99. An dem Verbotstatbestand des Art. 81 EG hat sich durch die Einführung der GVO 2790/99 mit dem 01.01.2000 (Art. 13 Abs. 1) nichts geändert. Geändert hat sich lediglich die freistellende GVO696. Die dem Schutz der Marktgegenseite dienenden 697 GVO 1983/83 sowie 1984/83 liefen zum Jahre 2000 aus. Zunächst änderte der Rat die VO 19/65/EWG 698 als Ermächtigungsgrundlage zum Erlass der GVO 699. Die Novelle war erforderlich, da die Kommission die Reform der GVO ohne

685 686

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Rheinländer WRP 2007, 501 (502) mwN; ders GRUR 2007, 383 (384). EuGH, Urt. v. 25.10.1977, Rs. 26/76, Slg. 1977, 1875, 1905 Tz. 20 – Metro I; EuG v. 12.12.1996, Rs. T-88/92, Slg. 1996, II-1961, 2012 Tz. 117 – Leclerc; EuGH v. 25.10.1983, Rs. 107/87, Slg. 1983, 3151, 3194 Tz. 35; Rheinländer WRP 2007, 501 (502). BGH ZIP 1998, 2070, 2072; Rheinländer WRP 2007, 501 (502). Rheinländer WRP 2007, 501 (502). Kommission v. 21.12.1983, ABl. 1983 L 376/41, SABA II; Rheinländer WRP 2007, 501 (502). Kommission v. 21.12.1983, ABl. 1983 L 376/41 – SABA II; Kommission v. 21.12. 1993, ABl. 1994 L 20/15 – GRUNDIG II; Rheinländer WRP 2007, 501 (502). Kommission v. 21.12.1983, ABl. 1983 L

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376/41 – SABA II; Kommission v. 21.12. 1993, ABl. 1994 L 20/15 – GRUNDIG II; Rheinländer WRP 2007, 501 (502). Rheinländer WRP 2007, 501 (502). Kommission v. 21.12.1983, ABl. 1983 L 376/41 – SABA II; Kommission v. 21.12. 1993, ABl. 1994 L 20/15 – GRUNDIG II; Rheinländer WRP 2007, 501 (502). Kommission v. 21.12.1983, ABl. 1983 L 376/41 – SABA II; Rheinländer WRP 2007, 501 (502). Kommission v. 21.12.1983, ABl. 1983 L 376/41 – SABA II; Kommission v. 21.12. 1993, ABl. 1994 L 20/15 – GRUNDIG II; Rheinländer WRP 2007, 501 (503). Emde WRP 2005, 1492 (1494). Grundmann NJW 2000, 14 (20). ABIEG L 1486 = WuW 1999, 719; vgl. bereits Emde VersR 1999, 1464 (1470). Semler/Bauer DB 2000, 193.

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die Novellierung nicht hätte vornehmen dürfen 700. Nach beinahe dreijähriger Diskussion 701 trat dann die GVO 2790/99 702 in Kraft, welche die Kommission frühzeitig im Entwurf vorstellte, um die Fachöffentlichkeit zu Anmerkungen anzuregen 703. Im Anschluss folgten zahlreiche Äußerungen in der Literatur, erste selbstständige Literatur wurde publiziert 704. Die GVO ist seit dem 30.05.2000 anwendbar und löste neben den oben genannten GVO 1983/83 und 1984/83 insbesondere auch die Franchise-GVO 4087/88 705 ab. Altverträge unterstehen seit Ablauf der Übergangsfrist zum 31.12.2001 den Regeln der GVO (Art. 12 Abs. 2) 706. Die GVO geht in ihrem Anwendungsbereich dem GWB vor 707, was allerdings seit der Anlehnung des GWB an Art. 81 EG keine Bedeutung mehr hat. Die GVO 2790/99 gilt innerhalb der gesamten EU 708. Sie regelt anstelle sektorenbe- 114 stimmender Einzel-GVO jede Form vertikaler Wettbewerbsbeschränkungen (sogenannte „Schirm-GVO“). Von ihr erfasst werden jedenfalls alle – auch mehrseitigen – Verträge betreffend Bezug, Verkauf und Weiterverkauf, insbesondere HV-, Vertragshändler-, Standardsoftwarevertriebs -709, Franchise-710, beispielsweise Großhandels-Franchisesysteme, jedoch keine Kfz-Vertriebsverträge (hier gilt die speziellere GVO 1400/02) 711, Herstellungslizenz-712 und OEM-Verträge. Gemischte Verträge werden nur soweit freigestellt, wie die Verbindung zu diesen Wirtschaftszweigen reicht 713. Spezielle Regeln für Bier- und Tankstellenvertrieb fehlen. Auch das Produktfranchising wird in der GVO nicht erwähnt sondern lediglich in den Leitlinien zur GVO 714. Lizenzverträge unterfallen der GVO nur, wenn die Lizenzierung nicht das primäre Element der Vereinbarung darstellt. Es müssen also vertriebsrechtliche Fragen im Vordergrund stehen; Regelungen zu Marken-, Urheberrechten und Know-How dürfen nicht den Schwerpunkt des Lizenzvertriebsvertrages bilden 715. Reine Lizenzverträge ohne vertriebsrechtliche Gravität sind hingegen nicht nach der GVO 2790/99 freigestellt 716. Bei Franchisesystemen, die lediglich ein Vertriebskonzept verkaufen, ohne dass der Franchisegeber Hersteller ist, tritt das Lizenzelement gegenüber dem Verkauf des Know-Hows in den Hintergrund, so dass der Anwendungsbereich der GVO erreicht ist. Dies gilt auch für Master-Franchise-Verträge 717. Franchiseverträge unterfallen nicht der GVO-Technologie, weil das Vertriebselement vorrangig ist. Die Technologie-GVO ist nicht etwa anwendbar, weil es in Franchiseverträgen weniger um den Vertrieb als um die Vervielfältigung einer erfolgreichen

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WuW 1999, 720 (722); Ackermann EuZW 1999, 741. Liebscher/Petsche EuZW 2000, 400. Verordnung Nr. 2790/99 v. 22.12.1999 ABIEG 1999 L 336 S. 21 v. 29.12.1999. ABIEG C 270 v. 24.09.1999. Zu den Änderungen zwischen Entwurf und GVO vgl. die Darstellung der Redaktion EuZW 2000, 66. Roniger Das neue Vertriebskartellrecht Wien/München 2000; Bauer/de Bronett Die EU-Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Wettbewebsbeschränkungen – RWS-Skript 311 – 2001. Vgl. Metzlaff BB 2000, 1201 (1202). Vgl. Semler/Bauer DB 2000, 193 (200). Polley/Seeliger WRP 2000, 1203 (1212); Emde WRP 2005, 1492 (1494). Über die Anwendung der Vertriebs-GVO im

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ungarischen Recht berichtet Darázs EuZW 2003, 138. Angeblich aber nicht Individualsoftwareverträge, so Polley/Seeliger WRP 2000, 1203 (1207); in dieser Allgemeinheit zweifelhaft. Fritzemeyer BB 2002, 1658. Eingehend zur Diskussion um die Einführung der GVO 1400/2002 Emde VersR 2004, 1499 (1505 ff); Emde VersR 2004, 419 (420 ff); Emde VersR 2003, 151 (161). Fritzemeyer BB 2002, 1658 (1660). Polley/Seeliger WRP 2000, 1203 (1205). Siehe Liebscher/Petsche EuZW 2000, 400 (401). Etwa im Rahmen von Franchising, vgl. Polley/Seeliger WRP 2000, 1203 (1207). Liebscher/Petsche EuZW 2000, 400 (401). Pukall NJW 2000, 1375 (1377).

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Geschäftsidee geht. Fraglich ist bei Franchisesystemen aber immer inwieweit überhaupt ein Verstoß gegen Art. 81 EG vorliegt. Denn 1986 entschied der EuGH in „Pronuptia“ 718, im Rahmen des Vertriebsfranchising fielen Verpflichtungen des Franchisenehmers, die vom Franchisegeber entwickelten Geschäftsmethoden des Franchisegebers anzuwenden und das von ihm vermittelte know how einzusetzen, nur Waren des Franchisegebers und eines von diesem ausgewählten Lieferanten verkaufen, den Verkauf nur in dem nach Anweisung des Franchisegebers eingerichteten und ausgestatteten Ladengeschäft vorzunehmen, für jede Werbung die Zustimmung des Franchisegebers einzuholen sowie während der Vertragsdauer oder während eines angemessenen Zeitraumes nach Vertragsbeendigung kein Geschäft mit gleichem oder ähnlichem Zweck zu eröffnen, mit dem der Franchisenehmer zu einem anderen Mitglied der Vertriebsorganisation in Wettbewerb treten könne, nicht unter Art. 81 EG. Dagegen verstoße es gegen Art. 81 EG, wenn der Franchisenehmer verpflichtet sei, Vertragsware nur in einem vertraglich festgelegten Geschäftslokal zu verkaufen. Nach der Pronuptia-Entscheidung stellen damit Klauseln, die für die Funktionsfähigkeit des Franchisesystems unerlässlich sind, keine Wettbewerbsbeschränkung i.S.d. Art. 81 EG dar. So bildet etwa die Unterordnung unter die Corporate Identity des Franchisesystems keine Wettbewerbsbeschränkung719. Die zivilrechtlichen Rechtsbeziehungen zwischen Vertriebsmittler und Auftraggeber 115 richten sich ausschließlich nach nationalem Recht 720. Dies gilt auch für mögliche Ausgleichsansprüche 721. Jedoch sollte es bei der Regel bleiben, dass die kartellrechtlichen Bestimmungen zum Schutz der Mittler Leitbildwirkung i.S.d. § 307 BGB haben. Ihrer Idee nach verzichtet die GVO auf die früher üblichen zwingenden Vorgaben für die Ausgestaltung wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen („Zwangsjackeneffekt“). Ziel ist es, möglichst viele vertikale Bindungen von dem Zwang zur Anmeldung zu befreien 722. In wesentlichen Punkten (Einbeziehung mehrseitiger Verträge, von Waren und Dienstleistungen, keine Beschränkung auf Fälle des Verkaufs) geht sie über die bisherigen GVOs hinaus 723. Vertikale Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern werden grundsätzlich nicht freigestellt. Durch die einheitliche GVO soll der bisherige formale Ansatz des geltenden Gruppenfreistellungsregimes für vertikale Bindungen aufgegeben und durch eine Anbindung an die wirtschaftlichen Auswirkungen der Vereinbarung ersetzt werden. Letztere sollen nach den Marktanteilen der auf verschiedenen Produktions- oder Vertriebstufen tätigen Unternehmen bestimmt werden. Nahezu alle Vereinbarungen mit geringerer Marktwirkung sind innerhalb eines „Sicherheitsbereichs“ von 30 % des Marktanteils des Lieferanten (unter Einschluss verbundener Unternehmen) im sachlichen und räumlich relevanten Markt des vorhergehenden Kalenderjahres freigestellt. Wird der Grenzwert um bis zu 5 % überschritten, bleibt die GVO für zwei weitere Jahre, bei Überschreiten um mehr als 5 % ein Jahr, wirksam. Da die Berechnung des Marktanteils nicht unkompliziert ist, waren Unsicherheiten voraussehbar 724. Marktstarke Unternehmen mit einem Marktanteil von mehr als 30 % müssen Einzelfreistellungen beantragen, falls Wettbewerbsbeschränkungen wirksam bleiben sollen 725.

718 719

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EuGH NJW 1986, 1415 = WuW-E EWG/ MUR 693; dazu Bunte NJW 1986, 1406. EuGH, Urt. v. 28.01.1986 – Rs 161/84, NJW 1986, 1415 (1416); Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 542. Baron in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Vertikal Rn 44.

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Baron in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Vertikal Rn 44. Rittner DB 2000, 1211. Ackermann EuZW 1999, 741 (742); Bayreuther EWS 2000, 106. Semler/Bauer DB 2000, 193 (195). Semler/Bauer DB 2000, 193 (196).

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Vor § 84

Nicht freigestellt sind Verträge, die besonders gefährliche „schwarze Klauseln“ oder 116 Kernbeschränkungen enthalten (Art 4 GVO). Kernbeschränkungen sind etwa direkte wie indirekte Begrenzungen des Wiederverkaufs in nicht ausschließlich dem Lieferanten oder einem anderen Vertriebsmittler zugewiesene Gebiete 726, Mindestpreisregelungen, Kundenschutzklauseln, die Kundengruppen bestimmten Händlern zuordnen, Wettbewerbsverbote für einen Zeitraum von mehr als fünf Jahren und regelmäßig nachvertragliche Wettbewerbsverbote 727. Nicht zu den „schwarzen Klauseln“ zählen das Verbot aktiver Kundenakquisition innerhalb des einem anderen exklusiv zugewiesenen Vertragsgebiets, der Sprunglieferung, Höchstpreise 728, Preisempfehlungen 729 wie Meistbegünstigungsklauseln 730. Vertikale Beschränkungen außerhalb dieses Bereichs unterliegen einer Einzelfallprüfung 731. Meistbegünstigungsklauseln, Höchstpreisbindungen wie Preisempfehlungen sind daher in der GVO unterfallenden Verträgen wirksam, Fest- oder Mindestverkaufspreise 732 hingegen nicht. Die GVO bietet innerhalb ihres Regelungsbereichs einen „sicheren Hafen“. Die An- 117 wendung des Art. 82 EG wird durch die GVO nicht berührt (Erwägungsgrund 16). Für die Anwendung der GVO bilden die von der Kommission veröffentlichten Leitlinien eine Auslegungshilfe. Die Leitlinien gehen über den Bereich der Freistellungsvoraussetzungen hinaus und behandeln sowohl Einzelfälle der Anwendung als auch die Anwendung des Art. 81 Abs. 3 EG im Wege der Einzelfallprüfung auf nicht von der GVO erfasste Wettbewerbsbeschränkungen 733. Im Einzelnen: 118 (1) Erwägungsgründe zur GVO. Ausweislich Ziff. 5 der Erwägungsgründe zur GVO 119 stellt die GVO nur vertikale Vereinbarungen frei, von denen mit hinreichender Sicherheit angenommen werden kann, dass sie die Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EG erfüllen. Mithin bildet die GVO eine Konkretisierung des Art. 81 Abs. 3 EG. Es könne vermutet werden – so Ziff. 8 der Erwägungsgründe – dass vertikale Vereinbarungen, die bestimmte Arten schwerwiegender wettbewerbsschädigender Beschränkungen nicht enthielten, zu einer Verbesserung der Produktion oder des Vertriebs und zu einer angemessenen Beteiligung der Verbraucher und den daraus entstehenden Gewinnen führten, sofern der auf den Lieferanten entfallende Anteil an dem relevanten Markt 30% nicht überschreite. Der „Freistellungsrahmen“ der 30 %-Grenze wird also bereits hier genannt. Die GVO gilt damit nur für Vereinbarungen, bei denen der Hersteller auf dem relevanten Markt einen Marktanteil von 30 % nicht überschreitet. Nur bei vertikalen Vereinbarungen, die Alleinbelieferungsverpflichtungen vorsehen, sind die Auswirkungen der Vereinbarung anhand des Marktanteils des Käufers, also des Vertragshändlers oder unechten HV, zu bestimmen (Ziff. 8 der Erwägungsgründe). 726

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Ob es ausreicht, dass sich der Hersteller sämtliche, dem Vertriebsmittler nicht zugewiesene Gebiete der Welt für sich reserviert, erscheint zweifelhaft; vgl. Liebscher/Petsche EuZW 2000, 400 (403). Vgl. etwa Liebscher/Petsche EuZW 2000, 400 (403); Genzow in: Ensthaler § 90a Rn 23. Metzlaff BB 2000 (1201 /1206); Liebscher/ Petsche EuZW 2000, 400 (402). Sie bleiben allerdings nach § 14 GWB verboten; vgl. Metzlaff aaO; zweifelnd Bayreuther

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EWS 2000, 106 (111); nach Ansicht von Bayreuther bleibt zudem unklar, ob die GVO Höchstpreisbindungen zulässt. Bayreuther EWS 2000, 106 (112). Ackermann EuZW 1999, 741 (743). Paulweber/Kögel AG 1999, 500 (505); Ackermann EuZW 1999, 741. Polley/Seeliger WRP 2000, 1203 (1212); Bechtold EWS 2001, 49 (52). Baron in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Vertikal Rn 20.

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Gemäß Ziff. 10 der Erwägungsgründe sind vertikale Vereinbarungen, welche bestimmte Arten schwerwiegender wettbewerbsschädigender Beschränkungen enthalten, etwa die Festsetzung von Mindest- oder Festpreisen für den Weiterverkauf oder bestimmte Arten des Gebietsschutzes, durch die GVO nicht freigestellt. Die Kommission darf Vereinbarungen, die grundsätzlich unter die GVO fallen, den Vorteil der GVO entziehen (Ziff. 13 der Erwägungsgründe). Daran ist bei erheblicher Marktmacht des Vertriebsmittlers oder bei Existenz gleichartiger parallele Netze von Vertriebsvereinbarungen mit Marktbeschränkung zu denken.

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(2) Art. 1 GVO. Art. 1 der GVO enthält die maßgeblichen Definitionen. Bedeutsam ist die Definition des Käufers in Art. 1 lit. g GVO. Danach ist Käufer auch ein Unternehmen, welches auf der Grundlage einer unter Art. 81 Abs. 1 EG fallenden Vereinbarung Waren oder Dienstleistungen für Rechnung eines anderen Unternehmens verkauft. In der Literatur 734 wird diskutiert, ob wegen der Fassung des Art. 1 lit. g die GVO auch HVVerträge freistellt. Art. 1 lit. g GVO stellt klar, Käufer sei auch ein Unternehmen, welches auf Grundlage einer unter Art. 81 Abs. 1 EG fallenden Vereinbarung Waren und Dienstleistungen für Rechnung eines anderen Unternehmens verkauft. Art. 1 lit. g GVO 2790/99 bezeichnet damit auch HV als „Käufer“ 735, da die Käufer gerade nicht für sich, also „auf eigene Rechnung“ verkaufen müssen. Die Ansicht 736, die GVO 2790/99 sei auf HV unanwendbar, da Art. 1 lit. g GVO 2790/99 als „Käufer“ nur Unternehmer definiere, die Vertragsprodukte „für Rechnung“ eines anderen Unternehmers veräußerten, ist unzutreffend. Die englische Fassung der GVO 2790/99 stellt mit der Verwendung der Formulierung „on behalf of another undertaking“ klar, dass der deutsche Ausdruck des „für Rechnung“-Verkaufs weit auszulegen ist und folglich auch HV erfasst 737, bei denen die Rechnung vom Unternehmer als Geschäftsherrn gestellt wird. Trotz der missverständlichen Definition fallen folglich auch echte HV-Verträge i.S.d. Leitlinien unter diese Definition, obwohl HV bei ihrem Unternehmer nicht „kaufen“ 738. Eine von der grundsätzlichen Frage der Anwendbarkeit zu unterscheidende Frage ist die, ob die auf das KäuferVerkäufer-Verhältnis zugeschnittenen und angeblich an den Gegebenheiten im HVGewerbe vorbeigehenden Regeln der GVO überhaupt auf HV-Verträge „passen“ 739. Die Auslegungsunsicherheit hat die Kommission durch zu HV-Verträgen ausführende Leitlinien entgegengewirkt, nach der die GVO auf echte HV unanwenbar bleibt (Rn 185 ff). Gemäß Art. 1 lit. d sind selektive Vertriebssysteme solche, bei denen der Unternehmer 122 die Waren nur an Mittler veräußert, die nach bestimmten Kriterien ausgewählt werden und nicht an Mittler außerhalb des Vertriebssystem verkaufen dürfen (Rn 109 ff). Ob danach ein selektives Vertriebssystem vorliegt ist eine Frage des Einzelfalls. Umstritten ist, ob Franchising generell einen selektiven Vertrieb bildet, für den die zu diesem Gebiet entworfenen Sonderregeln gelten 740. Das wird man angesichts der Verschiedenartigkeit von

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Rittner DB 2000, 1211 (1212); DB 1999, 2097 (2101); Lange EWS 2001, 18 (22 f). Schultze/Pautke/Wagener Vertikal-GVO, 2001, Rn 145. Rittner DB 2000, 1211 (1212); DB 1999, 2097 (2101); Ebenroth/Lange Vor § 84 Anh. II Rn 44. Bauer/de Bronett EU-Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen, 2001, Rn 49; im Ergebnis

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auch Polley/Seeliger WRP 2000, 1203 (1206); Pukall NJW 2000, 1375 (1377). Schultze/Pautke/Wagener Vertikal-GVO, 2001, Rn 145. Rittner DB 2000, 1211. Vgl. Flohr in: Wachter, Handbuch des Fachanwalts für Handels- und Gesellschaftsrecht, Münster 2007, Kap. 6 Rn 81; Liebscher/ Heinrich/Petsch Vertriebsverträge S. 78 f; Liebscher/Petsche EuZW 2000, 400 ff.

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Franchiseverträgen kaum generell beantworten können. Beide Kriterien werden in Franchisesystemen oft eingreifen, ebenso im Kfz-Vertrieb. (3) Art. 2 GVO. Gemäß Art. 2 Abs. 1 GVO gilt das Verbot des Art. 81 Abs. 1 EG nicht für Verträge und aufeinander abgestimmte Vereinbarungen zwischen Unternehmen auf unterschiedlicher Vertriebsstufe (Vertriebsverträge), sofern die Bedingungen der GVO eingehalten werden. Maßgeblich ist der funktionale Unternehmensbegriff, der darauf abstellt, ob eine wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt wird 741. Es bedarf zusätzlich einer vertikalen Vereinbarung. Sie setzt voraus, dass die an der Vereinbarung beteiligten Unternehmen auf unterschiedlichen Produktions- oder Vertriebsstufen operieren 742. Der jeweilige Vertrag muss die Bedingungen des Vertriebs (Bezug, Verkauf und Weiterverkauf) regeln, was sowohl für Vertriebsverträge über Waren wie Dienstleistungen zutreffen kann. Mit anderen Worten: Die GVO stellt typische Vertragshändler- und Franchiseverträge vom Verbot des Art. 81 Abs. 1 EG frei. Auch Vertriebsverträge mit mehr als zwei Parteien werden erfasst. Durch den weiten Anwendungsbereich des Art. 2 GVO wird das Regel-Ausnahmeverhältnis des Art. 81 Abs. 1 und Abs. 3 EG praktisch umgekehrt 743. Es gilt damit der Grundsatz: Vertikale Wettbewerbsbeschränkungen sind grundsätzlich freigestellt, sofern nicht ausdrücklich etwas anderes geregelt ist 744. Die Begriffe „Ware“ und „Dienstleistung“ sind weit auszulegen 745. Selbst Energielieferverträge sind erfasst 746. Herkunft und Verwendungszweck der Ware sind unerheblich 747. Die freizustellende Wettbewerbsbeschränkung muss aber im Verhältnis der Parteien des Vertriebsvertrages bestehen 748. Nicht erforderlich ist hingegen, dass sie sich auf die gekaufte Ware oder Dienstleistung beschränkt 749. Für Abreden ohne sachlichen Bezug zur Vertriebsvereinbarung gilt die Freistellung nach der GVO nicht 750. Dies trifft etwa auf Vereinbarungen zu, die nur anlässlich einer Vertriebsvereinbarung geschlossen wurde, ohne dass ein innerer Zusammenhang zum Vertrieb besteht 751. Nach Art. 2 Abs. 2 GVO gilt die Freistellung zwischen einer Unternehmensvereinigung und ihren Mitgliedern oder zwischen einer solchen Vereinigung und ihren Lieferanten nur, wenn alle Mitglieder der Vereinigung Wareneinzelhändler sind und keines ihrer einzelnen Mitglieder zusammen mit seinem verbundenen Unternehmen einen jährlichen Gesamtumsatz von mehr als EUR 50.000.000 erzielt. Art. 2 Abs. 3 GVO stellt auch Vertriebsvereinbarungen frei, welche die Übertragung von geistigen Eigentumsrechten auf den Vertriebsmittler oder die Nutzung solcher Rechte durch ihn betreffen. Voraussetzung ist, dass diese Regelungen nicht den Hauptgegenstand der Vereinbarung bilden. Sie müssen sich ferner unmittelbar auf die Nutzung, den Verkauf oder den Weiterverkauf von Waren oder Dienstleistungen durch den Mittler 741 742 743 744 745 746 747

EuGH Slg 1995, I 4013, Rn 14 ff. Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 607. Baron in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Vertikal Rn 95. Baron in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Vertikal Rn 95. Baron in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Vertikal Rn 62. Baron in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Vertikal Rn 62. Baron in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Vertikal Rn 63.

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Veelken in: Immenga/Mestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht, Ergänzungsband, S. 29; Baron in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Vertikal Rn 64. Baron in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Vertikal Rn 65. Baron in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Vertikal Rn 68. Baron in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Vertikal Rn 68.

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oder seine Kunden beziehen. Die Freistellung gilt schließlich unter der Voraussetzung, dass diese Bestimmungen in Bezug auf die Vertragswaren oder -dienstleistungen keine Wettbewerbsbeschränkungen mit demselben Zweck oder derselben Wirkung enthalten wie vertikale Beschränkungen, die durch die GVO nicht freigestellt werden. Mithin sind Regelungen über geistige Eigentumsrechte freigestellt, die einen Annex zur Vertriebsvereinbarung bilden 752. Praktisch bedeutsam ist diese Regelung bei Franchiseverträgen und Vertriebsverträgen mit lizenzrechtlichem Einschlag (Rn 114). Der Mitverkauf urheberrechtlich geschützter Software unterliegt grundsätzlich dem Anwendungsbereich der GVO (Leitlinien, Rn 40). Art. 2 Abs. 4 GVO regelt die Freistellung vertikaler Vereinbarungen zwischen Wettbe127 werbern. Das Wettbewerbsverhältnis muss sich gerade auf die vertriebenen Produkte für den relevanten sachlichen Markt beziehen 753. Solche Verträge unter Wettbewerbern sind grundsätzlich nicht freigestellt. Verkauft der Unternehmer – wie häufig – die Vertragsprodukte auch selbst, wäre der Vertriebsvertrag ein solcher unter Wettbewerbern 754, will man den Begriff des Wettbewerbs nicht auf einen solchen auf der Produktionsebene begrenzen (aber was ist dann mit Importeuren?). Nur ausnahmsweise bleibt der Vertrag freigestellt, nämlich falls die Wettbewerber nicht wechselseitige vertikale Vereinbarungen treffen, d.h. nur ein Wettbewerber den anderen mit dem Vertrieb betraut. Bedingung der Freistellung bleibt in diesem Fall jedoch, dass der jährliche Gesamtumsatz des Vertriebsmittlers 100.000.000 EUR nicht überschreitet oder der Unternehmer zugleich Hersteller und Händler von Waren, der Käufer hingegen Händler ist, der keine mit den Vertragswaren in Wettbewerb stehenden Waren herstellt oder der Unternehmer ein auf mehreren Wirtschaftsstufen tätiger Dienstleister ist und der Mittler auf der Wirtschaftsstufe, auf der er die Vertriebsdienstleistungen bezieht, keine mit diesen in Wettbewerb stehenden Dienstleistungen erbringt. Mit dieser Regelung soll Umgehungen des Kartellverbots durch Vertriebsvereinbarungen in Fällen entgegengewirkt werden, die in Wahrheit allein horizontale Wettbewerbsbeschränkungen bilden. Eine Marktanteilseinordnung wird Unternehmen regelmäßig schwerfallen, weil statistische Werte von Konkurrenzunternehmen selten verfügbar sind 755. Nach Art. 2 Abs. 5 GVO gilt die GVO nicht für Vertriebsverträge, deren Gegenstand 128 in den Geltungsbereich einer anderen GVO fällt. Dies betrifft vor allem die Kfz-GVO 1400/2002. Eine weitere branchenbezogene Sonderregelung für vertikale Beziehungen enthält die GVO-Versicherungen 756.

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(4) Art 3 GVO. Gemäß Art. 3 Abs. 1 GVO scheidet eine Freistellung aus, sofern der Anteil des Unternehmers (Herstellers) an dem relevanten Markt, auf dem er die Vertragswaren oder -dienstleistungen verkauft, 30 % nicht überschreitet. Die Kommission schätzt, dass etwa 80 % der Vertikalvereinbarungen unterhalb des Schwellenwerts des Art. 3 bleiben 757. Wegen der Irrelevanz solcher Selbsteinschätzungen lässt sich die Nichtigkeitsfolge kaum vermeiden, indem in die Präambel des Mittlervertrages die Ansicht beider Parteien aufgenommen wird, der Marktanteil unterschreite 30 %, so dass die GVO gelte 758. Im Fall 752 753 754 755 756

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Baron in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Vertikal Rn 75. Baron in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Vertikal Rn 89. Fritzemeyer BB 2002, 1658 (1661). Fritzemeyer BB 2002, 1658 (1662). VO (EG) Nr. 358/2003 v. 27.02.2003, ABl. EG 2003 Nr. L 53/8.

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Schaub/Dohms Das Weißbuch der Europäischen Kommission über die Modernisierung der Vorschriftenanwendung der Art. 81 und 82 EG-Vertrag. Die Reform der VO Nr. 17, BW 1999, 1055 (1070). Polley/Seeliger WRP 2000, 1203 (1211).

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von vertikalen Vereinbarungen, die Alleinbelieferungsverpflichtungen enthalten, gilt die Freistellung nur, falls der Anteil des Mittlers an dem relevanten Markt, auf dem er die Vertragswaren oder -dienstleistungen einkauft, 30 % nicht überschreitet. Bei Existenz einer Alleinbelieferungsverpflichtung, die den Vertriebsmittler begünstigt, wird also ausnahmsweise auf dessen Marktanteil abgestellt. Das macht Sinn. Denn wenn der Mittler eine Alleinbelieferungsverpflichtung durchsetzen kann, ist er vermutlich der marktmächtigere Part. Alleinbelieferungsverpflichtungen sind nach Art. 1 lit. c GVO alle Verpflichtungen, die den Unternehmer veranlassen, die vertriebenen Waren oder Dienstleistungen nur an ein einzigen Mittler innerhalb der Gemeinschaft zu verkaufen. Art. 3 Abs. 2 GVO erfasst damit nicht die Fälle, in denen für bestimmte Gebiete eine Alleinbelieferung vereinbart ist, darüber hinaus aber auch andere Vertriebsmittler vorgesehen und zugelassen sind. Selbst eine Aufteilung in mehrere selbstständige Alleinbelieferungsverpflichtungen für regional abgegrenzte Gebiete ist nicht nach Art. 3 Abs. 2 GVO, sondern allein nach Art. 3 Abs. 1 GVO zu beurteilen 759. Der Anwendungsbereich des Abs. 2 dürfte damit nicht sehr weit sein. Eigenproduktion (Verwendung im Unternehmen oder in den verbundenen Unterneh- 130 men) bleibt bei der Berechnung des Marktanteils unberücksichtigt. Kurzfristige Überschreitungen sind nach Art. 9 Abs. 2 lit. c und d für ein bzw. zwei Jahre zulässig. Bei mehrstufigen Verträgen mit Unternehmen auf unterschiedlichen Wirtschaftsstufen muss der Schwellenwert von 30 % bei jeder einzelnen Lieferbeziehung eingehalten sein (Leitlinien Rn 93). (5) Art. 4 GVO. Art. 4 GVO nennt nicht freigestellte schwarze Klauseln. Freistellung 131 erfahren sollen nur wettbewerbsrechtlich unbedenkliche Vereinbarungen ohne die in Art. 4 GVO genannten Kernbeschränkungen. Anders gewendet: Kernbeschränkungen sind Vereinbarungen, bei denen keine wettbewerbsrechtlich positiv zu beurteilenden Effizienzgewinne zu erwarten sind. Die Freistellung entfällt insgesamt, sofern eine schwarze Klausel oder Kernbeschränkung in einer Vertikal-Vereinbarung enthalten ist (Leitlinien, Rn 66). Existieren Kernbeschränkungen kann auch über die Bagatellbekanntmachung keine Freistellung erlangt werden 760. Art. 4 GVO bezeichnet fünf Kernbeschränkungen: 132 – lit. a: Preisbindung des Vertriebsmittlers: Allerdings darf der Unternehmer Höchstpreise festsetzen oder Preisempfehlungen aussprechen, sofern sich diese nicht infolge von Druck oder der Gewährung von Anreizen wie Fest- oder Mindestverkaufspreise auswirken. – lit. b: Beschränkungen des Gebiets oder des Kundenkreises, in das oder an den der Mittler die vermittelten Waren oder Dienstleistungen verkaufen darf, mit Ausnahme von: • Beschränkungen des aktiven Verkaufs in Gebiete oder an Gruppen von Kunden, die der Unternehmer sich selbst vorbehalten oder ausschließlich einem anderen Mittler zugewiesen hat, sofern dadurch Verkäufe seitens der Kunden des Mittlers nicht begrenzt werden; • Beschränkungen des Verkaufs an Endbenutzer durch Mittler, die auf der Großhandelsstufe tätig sind;

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Diese Aufassung kann Gerichte und Behörden nicht binden. Baron in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Vertikal Rn 125; Schultze/

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Pautke/Wagener Rn 84; aA Polley/Seeliger WRP 2000, 1203 (1209). Baron in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Vertikal Rn 232.

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• Beschränkungen des Verkaufs an nicht zugelassene Händler, die Mitglieder eines selektiven Vertriebssystems auferlegt werden; • Beschränkungen der Möglichkeiten des Mittlers, Bestandteile, die zwecks Einfügung in andere Erzeugnisse geliefert werden, an seine Kunden zu verkaufen, welche diese Bestandteile für die Herstellung derselben Art von Erzeugnissen verwenden würden, wie sie die Unternehmer herstellt. – lit. c: Beschränkung des aktiven oder passiven Verkaufs an Endverbraucher, soweit diese Beschränkungen Mitgliedern eines selektiven Vertriebssystems auferlegt werden, welche auf der Einzelhandelsstufe tätig sind. Den Mitgliedern des selektiven Vertriebssystems darf aber verboten werden, Geschäfte von nicht zugelassenen Niederlassungen aus zu betreiben. – lit. d: Beschränkungen von Querlieferungen zwischen den einzelnen Händler eines selektiven Vertriebssystems. Dieses Verbot gilt selbst dann, wenn diese Händler auf unterschiedlichen Handelsstufen tätig sind. – lit. e: Beschränkungen des Mittlers, wenn dieser Bestandteile beim Unternehmer kauft, welche er in andere Erzeugnisse einfügt, und die den Unternehmer hindern, diese Bestandteile als Ersatzteile an Endverbraucher oder an Reparaturwerkstätten oder andere Dienstleistungserbringer verkaufen, die der Mittler nicht mit der Reparatur oder Wartung seiner eigenen Erzeugnisse betraut hat. Im Einzelnen: Art. 4 GVO ist die in der Praxis bedeutsamste Regelung der GVO. Jeder Vertriebs133 vertrag muss solche Kernbeschränkungen vermeiden. Ob die jeweilige Kernbeschränkung einen wirtschaftlichen Erfolg hat, ist für die Anwendung des Art. 4 unerheblich 761. Die Kernbeschränkungen sind eng auszulegen 762. Zu lit. a (Preisbindung): Der Begriff des Preises bezieht sich nicht nur auf den Wiederverkaufspreis an den Endverbraucher sondern auf sämtliche preisbildende Faktoren. Damit sind auch Vereinbarungen, die dem Händler eine Gewinnspanne vorschreiben von der Kernbeschränkung erfasst 763. Eine Einschränkung des Preisbindungsverbots gem. Art. 81 EG, Art. 4 lit. a GVO 2790/99 nach Art der amerikanischen „rule of reason“ kommt nicht in Betracht764. Allenfalls kann im Rahmen des Art. 81 Abs. 3 EG die Wirksamkeit der Preisbindung geprüft werden, wobei aber eine angemessene Beteiligung der Verbraucher erforderlich ist 765. Die Preisbindung des Unternehmers ist nicht verboten. Meistbegünstigungsklauseln sind also zulässig 766.

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Zu lit. b (Kundenkreisbindungen): Standortklauseln verstoßen grundsätzlich gegen Art. 4 lit. b GVO 767 (zu Ausnahmen in selektiven Vertriebssystemen s.u.). Auch indirekte Maßnahmen, die sich wie eine Gebiets- oder Kundenkreisbeschränkung auswirken, sind erfasst, etwa mittelbarer Druck. 761 762 763 764 765

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Baron in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Vertikal Rn 146. Baron in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Vertikal Rn 174. Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 622. Sosnetza/Hoffmann AG 2008, 107 ff; Schwaderer WuW 2008, 653 (660). Vgl. Sosnetza/Hoffmann AG 2008, 107 (113).

766

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Schultze/Pautke/Wagener Rn 426 ff; Baron in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Vertikal Rn 155; Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 624. Baron in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Vertikal Rn 182.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

Vor § 84

Zu denken ist an wirtschaftliche Nachteile in Bezug auf eine Reduzierung der Vergütung, Beschränkungen der Liefermenge oder daran, dass der Unternehmer keine gemeinschaftsweiten Garantieleistungen anbietet 768. Verkaufsbeschränkungen, die sich aus der Natur des Produkts erheben, werden nicht erfasst (z.B. bei gefährlichen Produkten). Das gleiche gilt für die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften, etwa des Verbots der Lieferung von Zigaretten und Alkohol an Jugendliche oder Kinder. Beschränkungen der Verwendung der vertriebenen Ware durch den Vertriebsmittler (etwa: „Field of Use-Klauseln“) bilden gleichfalls eine Kernbeschränkung i.S.d. Art. 4 GVO 769. Sie sind auch durch Art. 81 Abs. 3 EG oder die Bagatellbekanntmachung nicht freigestellt 770. Art 4 lit. b nennt die o.g. vier Ausnahmen, bei deren Eingreifen eine Gebietsbeschrän- 135 kung ausnahmsweise zulässig ist. Die erste Ausnahme, in der aktiver Verkauf des Mittlers in Gebiete untersagt werden 136 darf, welche vom Lieferanten oder einem anderen Händler besetzt bleiben, d.h. der Unternehmer sich die ausschließliche Belieferung vorbehalten hat oder einem Dritten das ausschließliche Belieferungsrecht zugewiesen hat, kommt nur für aktive Verkäufe in Betracht. Beschränkungen des passiven Verkaufs sind stets eine Kernbeschränkung 771. In Rn 80 der Leitlinien wird der Begriff des aktiven Verkaufs definiert: Er liegt entweder bei der gezielten Ansprache einzelner Kunden, bestimmter Kundengruppen oder Kunden in einem Gebiet durch Werbung oder Verkaufsförderungsmaßnahmen, die speziell auf diese Kunden ausgerichtet sind oder bei Errichtung eines Lagers oder einer Verkaufsstätte in dem Bereich. Passiver Verkauf ist hingegen die Reaktion auf eine unaufgeforderte Bestellung. Auch Werbemaßnahmen allgemeiner Art, etwa im Internet, gelten im Regelfall als passiver Verkauf. Sie können nur dann als aktiver Verkauf angesehen werden, wenn sie gezielt einzelne Kunden ansprechen 772, etwa mittels gezielt versandter Post oder E-Mail 773. Eine Behinderung des Mittlers im Internetvertrieb 774 ist damit stets eine unzulässige, schwerwiegende Wettbewerbsbeschränkung, sofern nicht die Gefährlichkeit des Produktes den Internetvertrieb ausschließt 775. Im Anwendungsbereich der GVO 2790/99 sind Beschränkungen des Internetvertriebs an Verbraucher nur gestattet, solange sie das „Wie“ des Internetvertriebs betreffen. Nicht freigestellt bleiben Beschränkungen, die direkt oder indirekt darauf abzielen, den Internetvertrieb ganz oder teilweise zu verhindern, also das „Ob“ des Internetvertriebs regeln 776. Angeblich benötigt ein Vertragshändler keine Zustimmung des Unternehmers und Markeninhabers, um eine Website unter dem Markennamen des Unternehmers zu unterhalten 777. Ob deshalb jeder Vertriebsmittler sein Veto gegen das Erstellen einer Website des Unternehmers einlegen darf, so dass es diesem fast unmöglich wird, aus eigenem Antrieb eine solche zu fertigen 778, erscheint sehr fraglich. Mithin ist es schwierig, gegenüber Händlern die Begrenzung ihrer Verkäufe auf das eigene Gebiet durchzusetzen, da das Medium „Internet“ weltweit nutzbar ist. Ein Formulierungsvorschlag findet sich bei Wauschkuhn 779. Die Internet-Werbung kann 768 769 770 771 772 773 774

Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 625. Gehring/Fort EWS 2007, 160 (165). Gehring/Fort EWS 2007, 160 (163, 166). Baron in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Vertikal Rn 190. Baron in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Vertikal Rn 191. Westphal Vertriebsrecht II Rn 384. Siehe hierzu auch Polley/Seeliger WRP 2000, 1203 (1212).

775 776

777 778 779

Pautke/Schultze BB 2001, 317 ff. Siehe hierzu bereits Szönyi GRUR Int. 2004, 567 (568 und 569) sowie Emde BB 2005, 389 (390). Szönyi GRUR Int. 2004, 567 (568). Szönyi GRUR Int. 2004, 567 (569). Der Vertragshändlervertrag, 2. Aufl. München 2003, § 6.

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aber erschwert werden, indem an die Website bestimmte, hohe Qualitätsanforderungen gestellt werden. Jene dürfen nicht so bemessen sein, dass sie kein Händler vernünftigerweise erfüllen könne. Zumindest die gezielte Beeinflussung von Suchmaschinen durch „meta-tags“ kann als beschränkbarer, aktiver Verkauf i.S.d. GVO angesehen werden. Auch das indirekte Verbot passiver Verkäufe ist nicht freigestellt, z.B. Vereinbarungen, nach denen den Mittlern geringere Rabatte gewährt werden, falls sie Vertragswaren in andere Vertragsgebiete innerhalb des gemeinsamen Marktes liefern, sofern die höheren Preise nicht ausnahmsweise durch sonstige Gründe sachlich gerechtfertigt sind 780. Es ist dem Hersteller verboten, den Mittler die für die Lieferung an gebietsfremde Kunden benötigte Vertragsware vorzuenthalten 781. Die vorbehaltenen Gebiete müssen tatsächlich besetzt sein 782. Sind Gebiete nur teil137 weise besetzt, dürfen nur teilbesetzte Gebiete vorbehalten werden (weil sonst durch „Gebietsschneiderei“ die Ausnahme zur Regel würde). Die Besetzungsform hingegen braucht nicht erwähnt zu werden 783. Praktikabilitätsgesichtspunkte sprechen dafür, eine einseitige Erklärung des Herstellers genügen zu lassen, welche Gebiete er sich oder anderen Händlern vorbehält 784. Der Mittler muss sie aber zumindest akzeptieren, damit eine von Art. 81 EG erfasste Vereinbarung vorliegt. Die Größe des betroffenen Gebiets oder die Zahl der Kunden ist unerheblich. Es kann sich sogar um das Verbot der Belieferung eines einzigen namentlich benannten Kunden handeln 785. Dem Lieferanten vorbehalten ist eine Lieferung nur dann, wenn er die Kunden tatsächlich beliefert bzw. eine Belieferung ernsthaft will. Der bloße Wille zum Ausschluss genügt nicht 786. Verkäufe seitens der Kunden des Mittlers dürfen nicht begrenzt werden. Dadurch soll bei mehrstufigen Vertriebssystemen ein absoluter Gebietsschutz ausgeschlossen werden.

138

139

Zu lit. c Beschränkungen des aktiven oder passiven Verkaufs an Endverbraucher: Art. 4 lit. c GVO gestattet in selektiven Vertriebssysteme 787 Vereinbarungen, denen zufolge die Händler ihre Geschäfte nur aus zugelassenen Niederlassungen heraus betreiben dürfen (Standortklausel) 788. Bei mobilen Verkaufsstellen darf ein Gebiet festgelegt werden, welches für den Verkauf an den Endverbraucher eingehalten werden muss (Leitlinien, Rn 54). Umgekehrt darf lit. c entnommen werden, dass Standortklauseln außerhalb selektiver Vertriebssysteme unzulässig sind 789. Zu lit. d Verbot von Querlieferungsbeschränkungen: Durch das Verbot von Querlieferungsbeschränkungen nach Art. 4 lit. d GVO in selektiven Vertriebssystemen soll eine Beschränkung des markeninternen Wettbewerbs verhindert werden 790. Querlieferungen unter zugelassenen Händlern dürfen nicht beschränkt werden. Eine Alleinbezugsverpflichtung, derzufolge die Waren nur vom Unternehmer bezogen werden dürfen, stellt daher eine Kernbeschränkung dar 791. Klauseln, die die Liefe780 781 782 783 784 785

786

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Westphal Vertriebsrecht II Rn 388. Westphal Vertriebsrecht II Rn 389. Polley/Seeliger WRP 2000, 1203 (1213). Unentschieden Polley/Seeliger WRP 2000, 1203 (1213). Polley/Seeliger WRP 2000, 1203 (1213). Semmler/Bauer DB 2000, 193 (198); Baron in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Vertikal Rn 181. Baron in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Vertikal Rn 197; Semmler/ Bauer DB 2000, 193 (198).

787 788 789 790 791

Zur Definition des selektiven Vertriebssystems siehe Art. 1 lit. d GVO. Schultze/Pautke/Wagener Vertikal-GVO, 2001, Rn 621 f. Schultze/Pautke/Wagener Vertikal-GVO, 2001, Rn 621 f. Baron in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Vertikal Rn 220. Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 629.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

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rung an nicht zugelassene Händler verbieten (Raummarktbezug) bilden keine Kernbeschränkung 792. Das mit einem außerordentlichen Kündigungsrecht bei Nichterreichen verbundene Verkaufsziel in einem Vertragshändlervertrag ist gemäß Art. 81 Abs. 1, 2 EG nichtig 793, weil hierdurch Querlieferungen beschränkt werden 794. Absatzziele dürfen nur vereinbart werden, sofern der Händler nicht zur Beschaffung der Ware allein vom Vertragspartner verpflichtet bleibt, d.h. Querlieferungen nicht ausgeschlossen werden 795. Bestimmte Bonuszahlungen können sich als mittelbare Behinderung des Querbezugs auswirken. Wenn der Unternehmer verkaufsbezogene Bonusansprüche gewährt, muss er jene, damit eine mittelbare Behinderung des Querbezugs ausscheidet, auch für Vertragsware zahlen, die zulässigerweise aus anderen Quellen innerhalb des Vertriebssystems bezogen wird 796. Bei einkaufsbezogenen Bonuszahlungen schafft der Unternehmer lediglich einen Anreiz für Einkäufe bei ihm selbst. Dies ist gestattet 797. Sofern eine Mengenzielvereinbarung nur zu einem kleinen Teil mit einer Bezugsverpflichtung aus einer bestimmten Quelle verbunden ist, wird man die Abrede nicht als unzulässiges Querlieferungsverbot qualifizieren können 798. (6) Art. 5 GVO. Art. 5 GVO enthält so genannte „graue“ oder „rote“ Klauseln. Es 140 handelt sich um erhebliche Beschränkungen des Wettbewerbs von mittlerer Schwere, die missbilligt werden. Ein Verstoß gegen Art. 5 GVO hat keine Auswirkung auf die Vereinbarung insgesamt. Von der Freistellung ausgeschlossen sind allein die in Art. 5 GVO genannten Einzelregelungen. Die übrigen Vereinbarungen bleiben freigestellt und wirksam (Leitlinien, Rn 67) 799. Eine geltungserhaltende Reduktion oder eine Anpassung nach den Grundsätzen des § 313 BGB scheidet aus 800. Wenn allerdings die unwirksamen Klauseln einen wesentlichen Teil der Vereinbarung bilden, kann der Gesamtvertrag gemäß §§ 139, 306 Abs. 3 BGB unwirksam sein 801. Sind sowohl die Voraussetzungen des Art. 4 wie des Art. 5 GVO gegeben, so greift die weitergehende Rechtsfolge des Art. 4 GVO ein 802. Rote Klauseln sind – lit. a: alle unmittelbaren oder mittelbaren Wettbewerbsverbote, welche für eine unbe- 141 stimmte Dauer oder für eine Zeit von mehr als fünf Jahren vereinbart werden. Dabei gelten Wettbewerbsverbote, deren Dauer sich über den Zeitraum von fünf Jahren hinaus stillschweigend verlängern, als für unbestimmte Dauer vereinbart. Die Begrenzung auf fünf Jahre greift jedoch nicht ein, wenn die Vertragswaren oder -dienstleistungen vom Mittler in Räumlichkeiten und auf Grundstücken verkauft werden, die Eigentum des Lieferanten oder durch diesen von Dritten, nicht mit dem Mittler verbundenen Unternehmern gemietet oder gepachtet worden sind und das Wettbewerbsverbot nicht

792 793

794 795 796 797

Baron in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Vertikal Rn 222. BGH, Urt. v. 22.02.2005 – KZR 28/03, WRP 2005, 628 (631) = WuW/E DE-R 1449, WuW 2005, 521 = EuZW 2005, 286 = NJW 2005, 1660. Thoma WRP 2005, 1132 (1134). Thoma WRP 2005, 1132 (1135). Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 677. Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 677.

798 799 800 801 802

Thoma WRP 2005, 1132 (1135). Baron in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Vertikal Rn 298. Baron in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Vertikal Rn 299. AA Baron in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO/Rn 298. Baron in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO/Rn 302.

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über den Zeitraum hinausreicht, in welchem der Käufer diese Räumlichkeiten und Grundstücke nutzt. – lit. b: Alle unmittelbaren oder mittelbaren Verpflichtungen, die den Mittler veranlassen, Waren oder Dienstleistungen nach Beendigung der Vereinbarung nicht herzustellen bzw. zu erbringen, zu beziehen, zu verkaufen oder weiterzuverkaufen (nachvertragliches Wettbewerbsverbot). Ausnahmsweise soll die in Art. 5 lit. b GVO genannte Beschränkung jedoch zulässig sein, wenn sich die zu prüfenden Verpflichtungen (kumulativ) • auf Waren oder Dienstleistungen beziehen, die mit den Vertragswaren oder -dienstleistungen im Wettbewerb stehen; • sich auf Räumlichkeiten oder Grundstücke beschränken, von denen aus der Mittler während der Vertragsdauer seine Geschäfte betrieben hat; • unerlässlich sind, um dem Mittler vom Unternehmer übertragenes Know-How zu schützen; • und ein solches Wettbewerbsverbot auf einen Zeitraum von höchstens einem Jahr nach Beendigung der Vereinbarung begrenzt ist. In jedem Fall darf aber die Nutzung und die Offenlegung von nicht allgemein bekannt gewordenem Know-How zeitlich unbegrenzt geschützt werden. – lit c: Alle unmittelbaren oder mittelbaren Verpflichtungen, welche die Mitglieder eines selektiven Vertriebssystems veranlassen, Marken bestimmter konkurrierender Lieferanten nicht zu verkaufen. Zu lit a: Sofern Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung auf dem Gemeinsamen 142 Markt eintritt, verstößt ein in einen Vertriebsvertrag eingefügtes Wettbewerbsverbot gegen Art. 81 EG. Art. 5 lit. a GVO stellt lediglich Verbote bis zu einer Höchstdauer von fünf Jahren frei. Was Wettbewerbsverbote sind, wird in Art. 1 lit. e GVO definiert. Es handelt sich um 143 alle unmittelbaren oder mittelbaren Verpflichtungen, die den Käufer veranlassen, keine Waren oder Dienstleistungen herzustellen, zu beziehen, zu verkaufen oder weiterzuverkaufen, die mit den Vertragswaren oder -dienstleistungen im Wettbewerb stehen, sowie alle unmittelbaren oder mittelbaren Verpflichtungen des Käufers, mehr als 80% seiner auf der Grundlage des Einkaufswertes des vorherigen Kalenderjahres berechneten gesamten Einkäufe von Vertragswaren oder -dienstleistungen sowie ihrer Substitute auf dem relevanten Markt von dem Unternehmer oder einem anderen vom Unternehmer bezeichneten Unternehmen zu beziehen. Verboten sind unmittelbare und mittelbare Wettbewerbsverbote, was für eine weite Auslegung spricht 803. Danach fallen auch Mindestabnahmeverpflichtungen 804 sowie Alleinbezugsvereinbarungen 805 unter den Begriff des Wettbewerbsverbots. Dass in Deutschland § 86 ein unlimitiertes, vertragsbegleitendes Wettbewerbsverbot 144 entnommen wird, schließt die Nichtigkeit nicht aus. Art. 81 EG i.V.m. Art. 5 lit. a GVO 2790/99 verdrängt das zeitlich unbegrenzte Wettbewerbsverbot des § 86 im Wege der kartellrechtlichen Spezialität 806. Ein mehr als fünf Jahre dauerndes Wettbewerbsverbot

803 804

86

Baron in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Vertikal Rn 262. Baron in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Vertikal Rn 264.

805 806

Baron in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Vertikal Rn 247. Emde WRP 2005, 1492 ff; Polley/Seeliger WRP 2000, 1203 (1214).

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kann daher bei einem unter Art. 81 EG fallenden Vertrag regelmäßig nicht aus § 86 entnommen werden 807. Wegen des Verbots mehr als fünf Jahre übersteigender Wettbewerbsverbote wird geraten 808, der GVO unterliegende Vertriebsverträge mit Konkurrenzverboten auf jenen Zeitraum zu beschränken. Dies ist problematisch, weil der Vertriebsmittler nach dem durch Fristablauf eintretenden Vertragsende einen Ausgleich gemäß § 89b fordern darf. Sinnvoller ist es oft, lediglich das Wettbewerbsverbot zu beschränken. Nach Ablauf der Fünfjahresfrist setzt sich ein vertragliches Wettbewerbsverbot nicht als solches dispositiven Rechts fort 809. Die Unwirksamkeit eines nicht von der GVO freigestellten Wettbewerbsverbots wird nur abgewendet, falls gemäß Art. 81 Abs. 3 EG die positiven Effizienzgewinne die aus dem Wettbewerbsverbot entstehenden Nachteile überwiegen. Mögliche Fallgruppen hat die Kommission in Tz. 143, 115 ff der Leitlinien beschrieben. Betroffen vom Verbot mittelbarer und unmittelbarer Wettbewerbsverbote sind nur Verpflichtungen des Vertriebsmittlers. Beschränkungen des Unternehmers sind zugelassen 810. Sofern eine spürbare Wettbewerbsbeschränkung nicht vorliegt, können auch über fünf Jahre hinausgehende Wettbewerbsverbote vereinbart werden 811. Wegen der fünfjährigen Höchstlaufzeit von Wettbewerbsverboten nach Art. 5 lit. a GVO sind längere Laufzeiten von Vertriebsverträgen problematisch, sofern das Wettbewerbsverbot für eine Partei essentialia ist. Die Parteien dürfen jedoch vereinbaren, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt vor Ablauf der 5-Jahresfrist Verhandlungen über eine Fortsetzung des Wettbewerbsverbots begonnen werden, solange jene ergebnisoffen geführt werden. Für Franchiseverträge wird teilweise vertreten, dass die Laufzeit des Wettbewerbsverbots über fünf Jahre hinausreichen dürfe, wenn die Verpflichtung notwendig ist, um Identität und Ruf des Franchisesystems und das Know-How des Franchisegebers zu sichern 812. Die Fünf-Jahres-Grenze kommt nicht zur Anwendung, wenn der Unternehmer dem Vertriebsmittler seine eigenen Räumlichkeiten oder sein Grundstück zur Verfügung gestellt hat. Gleichgestellt werden Fälle, in denen der Unternehmer fremde Immobilien gemietet oder gepachtet oder sie dem Käufer zur Verfügung gestellt hat 813. Wurden sehr umfangreiche Investitionen getätigt, die eine Amortisation über den Fünf-Jahres-Zeitraum hinaus erfordern, darf auch ein Wettbewerbsverbot über mehr als 5 Jahre vereinbart werden 814. Gelingt es nicht, eine freistellungsfähige Klausel zu vereinbaren, darf höchstens eine fünfjährige Vertragslaufzeit geregelt werden 815. Zu lit b: Die Regelung des Art. 5 lit. b GVO entspricht der früheren Praxis 816. 145 Obwohl regelmäßig unzulässig 817, ist ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot gestattet, wenn die drei nach den Worten „es sei denn“ in Art. 5 lit. b GVO eingefügten Spiegelstriche dies erlauben 818. Dazu müssen kumulativ drei Voraussetzungen erfüllt sein, die

807 808 809 810 811 812

813

Westphal Vertriebsrecht II Rn 402. Polley/Seeliger WRP 2000, 1203 (1214). Emde BB 2006, 1061 (1066). Baron in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Vertikal Rn 256. Baron in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Vertikal Rn 257. Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 556; Metzlaff, BB 2000, 1201 (1208). Baron in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Vertikal Rn 277.

814

815 816 817 818

Tz. 155 der Guidelines der GVO 2790/99, wobei eine vertragsspezifische Investition erforderlich ist; siehe auch Flohr in: Wachter, Handbuch des Fachanwalts für Handels- und Gesellschaftsrecht, Münster 2007, Kap. 6 Rn 167. Giesler/Güntzel ZIP 2006, 1792 (1794). Baron in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Vertikal Rn 253. Genzow in: Ensthaler § 90a Rn 23. Bauer/de Bronett Rn 167.

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sich vor allem auf Franchiseverträge beziehen 819. Die Freistellung ist dann auf den Zeitraum von einem Jahr begrenzt. Das ist eine Abweichung von § 90a, die oft unbeachtet bleibt (§ 90a Rn 14). Die Ausnahme (Freistellung) des ersten Spiegelstrichs des Art. 5 lit. b GVO ist sach146 lich begrenzt auf Konkurrenzprodukte. Solche müssen dem gleichen sachlichen Markt wie die Vertragsprodukte angehören, d.h. das Know-How muss bei ihnen in ähnlicher Weise wie bei den Vertragsprodukten nutzbar sein 820. Fehlt es an Know-How, greift die Privilegierung nicht ein 821. Räumlich ist die Ausnahme gemäß dem zweiten Spiegelstrich begrenzt auf den Ort der Geschäftstätigkeit des Mittlers. Unerheblich ist dabei, wem die Räumlichkeiten oder das Grundstück gehören und ob sie dem Vertriebsmittler vom Unternehmer überlassen wurden 822. Gemäß dem dritten Spiegelstrich muss das Wettbewerbsverbot zum Schutz des vom Unternehmer überlassenen Know-How unerlässlich sein. Unerlässlich ist ein Wettbewerbsverbot, sofern es erforderlich ist, um den Mittler daran zu hindern, das vom Unternehmer überlassene Know-How zu seinem eigenen Vorteil auszunutzen. Gemäß Art. 5 lit. b, letzte Alt. GVO, darf der Unternehmer den Mittler hinsichtlich 147 der Nutzung und der Offenlegung von nicht allgemein bekannten Know-How zeitlich unbegrenzten Beschränkungen unterwerfen. Geschützt wird hierdurch geheimes KnowHow. Dies gilt insbesondere für Know-How in Franchiseverträgen, das erforderlich ist, um die Identität des Systems zu wahren oder die Übertragung des Wissens zu schützen 823. Unter diesen Umständen kann auch ein Konkurrenzverbot über die gesamte Vertragslaufzeit zulässig sein 824. Zu lit c: Gemäß Art. 5 lit. c GVO sind alle unmittelbaren oder mittelbaren Verpflich148 tungen von der Freistellung ausgeschlossen, welche die Mitglieder eines selektiven Vertriebssystems veranlassen, Marken bestimmter konkurrierender Lieferanten nicht zu verkaufen. In selektiven Vertriebssystemen steht es dem Unternehmer frei, seinen Vertragspartner den Verkauf von Produkten konkurrierender Marken zu untersagen. Die Markenexklusivität als solche wird also durch Art. 5 lit. c GVO nicht von der Freistellung ausgeschlossen 825. Von lit. c erfasst sind nur gezielt gegen einzelne Konkurrenzunternehmen gerichtete Vertragsklauseln 826, d.h. der Ausschluss einzelner, bestimmter Marken. Diese müssen entweder namentlich benannt oder eindeutig namentlich bestimmbar sein. Das letztgenannte Erfordernis soll Umgehungsversuche ausschließen. Selektionskriterien, die nicht auf einzelne Unternehmen zielen, werden nicht untersagt 827. Es muss sich um eine rechtlich bindende Verpflichtung handeln. Eine faktische Bindung durch Ausübung von Druck oder Gewährung von Anreizen reicht nicht, auch wenn sie in ihrer Wirkung einer rechtlichen Bindung ähnliche Auswirkungen zeigt 828. 819 820 821 822

823 824

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Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 557. Baron in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Vertikal Rn 285. Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 558. Schultze/Pautke/Wagener Rn 693; Baron in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVOVertikal Rn 285. Liebscher/Petsche EuZW 2000, 400 ff; siehe hierzu auch Emde WRP 2005, 1492 ff. Liebscher/Petsche EuZW 2000, 400 ff; Emde VersR 2000, 148, 157.

825

826

827 828

Leitlinien, Nr. 61; vgl. Baron in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Vertikal Rn 291. Baron in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Vertikal Rn 290; Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 637. Baron in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Vertikal Rn 294. Baron in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Vertikal Rn 294.

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(7) Art. 6 GVO. Gemäß Art. 6 GVO kann die Kommission im Einzelfall den Vorteil 149 der Anwendung der GVO entziehen, falls der Vertriebsvertrag Wirkungen zeitigt, die mit den Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EG unvereinbar sind. Dies gilt insbesondere, wenn der Zugang zu dem betroffenen Markt oder der Wettbewerb auf diesem Markt durch die kumulativen Wirkungen nebeneinander bestehender Netze gleichartiger vertikaler Beschränkungen die von miteinander im Wettbewerb stehenden Lieferanten oder Käufern angewandt werden, in erheblichem Maße beschränkt wird. Da die GVO lediglich ein Grobraster bilden, kann es im Einzelfall trotz einer Freistellung nach dem Wortlaut der GVO in der Sache zu wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen kommen, die ungewollt sind. Art. 6 GVO gibt der Kommission für diesen Fall die Möglichkeit zur „Handsteuerung“. Will ein Händler geltend machen, ein Vertriebsbindungssystem erfülle, insbesondere wegen diskriminierender Anwendung der qualitativen Systemvoraussetzungen, nicht die TB-Voraussetzungen einer Freistellung nach der GVO, soll dies nur im Verfahren nach Art. 6, 7 GVO möglich sein 829. Allerdings besteht zivilrechtlich ein Zulassungsanspruch aus § 20 GWB (Rn 239 ff). In dem Verfahren nach Artt. 6, 7 GVO trägt der Lieferant, der sich auf die Freistellung beruft, die Beweislast, dass deren Voraussetzungen, insbesondere eine nicht diskriminierende Anwendung erfüllt sind 830. (8) Art. 7/8 GVO. Ähnliche Rechte geben Art. 7 GVO (Entzug der Freistellung bei 150 wettbewerbswidriger Wirkung in einem gesonderten räumlichen Markt) sowie Art. 8 GVO (Entzug der Freistellung bei Abdeckung von mehr als 50 % des betroffenen Marktes durch nebeneinander bestehende Netze gleichartiger vertikaler Beschränkungen). (9) Art. 9–13 GVO. Art. 9 GVO regelt die Marktanteilsermittlung, Art. 10 GVO die 151 Umsatzermittlung. Art. 11 GVO bestimmt, dass die Begriffe des Unternehmens, des Lieferanten sowie des Käufers die mit diesen jeweils verbundenen Unternehmen einschließt. Gemäß Art. 13 Abs. 3 GVO gilt die GVO bis zum 31.05.2010. Eine Verlängerung wäre wünschenswert, und zwar bereits deshalb, weil den Marktteilnehmern durch Änderungen der GVO erzwungene ständige Anpassungen ihrer Verträge und wechselndes Recht unzumutbar sind.

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bb) Kfz-GVO 1400/2002 (1) Einleitung. Die erste branchenspezifische GVO für den Kfz-Vertrieb war die GVO 123/85 vom 12.12.1984, welche am 01.07.1985 in Kraft trat und bis zum 30.06.1995 wirksam war. Zuvor hatte sich die Kommission seit Anfang der 70iger Jahre in mehreren Entscheidungen zu Einzelfreistellungsanträgen unterschiedlicher Kfz-Hersteller geäußert 831. Um der steigenden Anzahl solcher Einzelfreistellungsanträge entgegenzuwirken entstand die GVO 123/85, die durch die am 01.07.1995 in Kraft getretene und bis zum 30.09.2002 anwendbare GVO 1475/95 832 ersetzt wurde. Ob es die teilweise mit großem Enthusiasmus begrüßte 833, von Anderen skeptisch beäugte 834 Kfz-GVO 1400/2002 tatsächlich 829 830 831

832

Haslinger WRP 2007, 926 (927). Haslinger WRP 2007, 926 (927). Siehe die grundlegenden Entscheidungen zum BMW-Händlervertrag v. 13.12.1974, ABlEG Nr. L 29 v. 03.02.1975, 1. VO (EG) Nr. 1475/95 der Kommission v. 28.06.1995 über die Anwendung von Art. 85 Abs. 3 des Vertrags auf Gruppen von Vertriebs- und Kundendienstverein-

833 834

barungen bei Kraftfahrzeugen ABlEG L 145 v. 29.06.1995, 25. Ensthaler BB 25/2001 „Die erste Seite“. Rittner WuW 2002, 329: noch engere Zwangsjacke für den Kfz-Vertrieb. Der Entwurf wirke an vielen Stellen zu wenig durchdacht, der exklusive Vertrieb könne nicht gut als Alternative zum selektiven gestellt werden, da beide Prinzipien sich ergänzten.

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geben würde war zunächst alles andere als sicher. Diskutiert wurde eine Verlängerung der Alt-GVO 1475/95 835, ihr völliges Entfallen oder eine Schirm-GVO mit kfz-spezifischen Ergänzungen 836. Die Kfz-GVO enthält Regelungen für die Freistellung der sämtlich Wettbewerbsbeschränkungen beinhaltenden 837 Verträge über den Vertrieb von Kfz, Ersatzteilen, sowie den Kundendienst 838. Sie erfasst mindestens dreirädrige Kfz aller Art, Nutzfahrzeuge, Busse, nicht jedoch Motorräder, Motorfahrzeuge, die nicht auf öffentlichen Straßen geführt werden und Gebraucht-Kfz 839. Letztgenannte werden nicht nach der GVO 1400/02 freigestellt, sondern nach der GVO 2790/99 geprüft 840. Auch Importeurverträge zwischen Kfz-Herstellern außerhalb der EU und Importeuren in der Gemeinschaft sind erfasst, ebenso B-Händler- oder Unterhändlerverträge 841 sowie Vertriebsverträge zwischen Ersatzteilhersteller und ihren selbstständigen Händlern 842. Ein Haupthändler bleibt frei in der Wahl seiner Unterhändler, die Wahl kann nicht beschränkt werden 843. Auch Verträge mit Kfz-HV können von der Kfz-GVO freigestellt werden 844, nicht jedoch Verträge mit Finanzierungs- und Leasinggesellschaften des Herstellers 845. Das nationale Kartellrecht darf nicht verbieten, was die GVO erlaubt, soweit von der GVO freigestellte Verträge betroffen sind 846. Die Kfz-GVO bekämpft in erster Linie die in Art. 5 Kfz-GVO wiedergegebenen „Hard153 core restrictions“ (auch: „Kernbeschränkungen“ oder „schwarze Klauseln“), also schwerwiegende Wettbewerbsbeschränkungen 847. Der GVO fehlen jedoch – anders als der Vorgänger-GVO 1475/95 – „weiße Klauseln“, d.h. Regelungen, denen keine Bedenken entgegenstehen 848. Eine Kernbeschränkung führt zur Unanwendbarkeit der GVO. Daneben enthält die Kfz-GVO in ihrem Art. 5 als „rote Klauseln“ eine Liste von Beschränkungen, die nicht freigestellt sind, deren Unzulässigkeit die Wirksamkeit der restlichen Bestimmungen der Vereinbarung jedoch unberührt lässt 849. Nach der Kfz-GVO dürfen die Hersteller zwischen einem exklusiven und einem quan154 titativ-selektiven Vertrieb wählen 850. Der Dualismus der Systeme ergibt sich aus Art. 4 Kfz-GVO 851. Eine Verknüpfung beider Systeme ist nicht erlaubt 852. Eine gemäß Art. 4 Zif. 1 lit. b Kfz-GVO unzulässige Kombination von exklusivem und selektivem Vertrieb bildet etwa die Kombination des Verbots, Vertragswaren an nicht autorisierte Wiederverkäufer zu veräußern mit der gleichzeitigen Begrenzung des aktiven Verkaufs auf das

835 836 837 838 839

840 841 842 843

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Der Mehrmarkenvertrieb brauche nicht über das bisher geltende Recht (Art. 3 Nr. 3 GVO 1475/95) hinaus freigestellt zu werden. Der enge Verbund von Vertrieb und Kundendienst habe sich bewährt. Vgl. etwa Bechtold EWS 2001, 49. Weber kfz-betrieb 16/2001, 26. Ensthaler/Gesmann-Nuissl BB 2006, 2589. Pfeffer NJW 2002, 2110 (2111). Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 657; Creutzig BB 2002, 2133 (2136); Wendel WRP 2002, 1395 (1404). Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 657. Pfeffer NJW 2002, 2110 (2111). Vogel in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Kfz Rn 26. Creutzig BB 2002, 2133 (2136).

844 845 846 847 848 849 850

851 852

Creutzig BB 2002, 2133 (2135); Ensthaler BB-Special 3/2007, S. 31. Creutzig BB 2002, 2133 (2136). Pfeffer NJW 2002, 2110 (2111). Vogel in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, GVO-KfZ Rn 9. Creutzig EuZW 2002, 560. Wendel WRP 2002, 1395 (1398). Ensthaler WuW 2002, 1042 (1043/1044); Polley/Seeliger EWS 2002, 507 (508); Wendel WRP 2002, 1395 (1405); Ensthaler/ Gesmann-Nuissl BB 2006, 2589 (2593). Ensthaler WuW 2002, 1042 (1044). BGH, Urt. v. 08.05.2007 – KZR 14/04, WRP 2007, 1097 (1099) = RIW 2007, 614 = EWiR 2007, 547 (Emde); Ensthaler BB 2002, 313 (314); Siegert NJW 2007, 188 (189).

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jeweilige Vertragsgebiet 853. Für den exklusiven Vertrieb, dessen Zulässigkeit Art. 4.1 lit. b Kfz-GVO (Kernbeschränkungen) entnommen werden kann (Beschränkungen des aktiven Verkaufs in Gebiete oder zu Kundengruppen die sich der Hersteller selbst oder anderen Händlern vorbehalten hat) 854, gilt die GVO bis zu einem Marktanteil des Händlers von 30 % 855. Hier darf dem Händler ein überschneidungsfreies 856 Gebiet ausschließlich zugewiesen 857 und dürfen aktive Verkäufe und aktive Werbung 858 außerhalb jenes Gebiet untersagt 859, nicht jedoch dem Händler der Verkauf an unabhängige Wiederverkäufer („Grauhändler“) 860 und Supermärkte verboten werden 861. Andere Händler dürfen in diesem Vertriebsgebiet nicht aktiv werben und der Hersteller kann Händlern die Eröffnung von Niederlassungen im Vertragsgebiet eines anderen Händlers untersagen 862. Der Hersteller darf die Vertragsgebiete nicht verändern oder weiter aufteilen 863. Ein exklusives Vertriebssystem von Kundendienstleistungen ist unzulässig 864. Innerhalb eines bis zu einem Marktanteil von 40 % freigestellten 865 selektiven Vertriebssystems (unterteilt in qualitativen und quantitativ-selektiven Vertrieb) und erwähnt in Art. 4 Ziff. 1 lit. b (iii) 866 wählen die Hersteller ihre Händler anhand von qualitativen Kriterien aus 867. Beispiele solcher Selektionskriterien sind Größe und Ausstattung des Schauraumes, Ausbildung des Verkaufspersonals, Modellangebot und Zahl der Vorführwagen. Zusätzlich könnten quantitative Selektionskriterien gewählt werden, z.B. die Obergrenze der Händleranzahl. Vereinbart werden dürfen Mindestabnahmemengen oder die Verpflichtung, von einem bestimmten Standort aus zu operieren (Standortklausel) sowie Beschränkungen des Verkaufs an nicht zugelassene Händler, etwa Supermärkte und Internet-Händler 868. Gebietsbezogene Verkaufsziele, Neuwagenzuteilungen und Bonussysteme sind nicht erlaubt 869. In einem solchen System dürfen die Händler aktiv innerhalb der gesamten Gemeinschaft Fahrzeuge veräußern 870. Der Hersteller darf den Händlern also kein bestimmtes Absatzgebiet zuweisen 871. Internet-Verkauf ist im selektiven System unbeschränkt zulässig 872. Im exklusiven System darf nur der aktive Internet-Verkauf untersagt werden 873. Die Übernahme des Großkundengeschäfts soll in einem selektiven Vertriebssystem unzulässig sein 874. Auch einem Supermarkt darf die Aufnahme in das Vertriebssystem nicht verweigert werden, sofern er die Selektionsbedingungen erfüllt 875 (dann agiert er nicht mehr als Supermarkt sondern als Händler). Zugewiesen werden kann ein Hauptstandort, der nicht geschlossen werden darf 876, jeder Händler darf – außer im LKW- und Bus-Vertrieb 877 – seit 2005 „Zweigniederlassungen“

853

854 855 856 857 858 859

860 861 862 863 864

BGH, Urt. v. 08.05.2007 – KZR 14/04, WRP 2007, 1097 = RIW 2007, 614 = EWiR 2007, 547 (Emde). Ensthaler WuW 2002, 1042 (1044); Wendel WRP 2002, 1395 (1405). Polley/Seeliger EWS 2002, 507 (508). Ensthaler BB 2002, 313 (314). Polley/Seeliger EWS 2002, 507 (508). Creutzig BB 2002, 2133 (2140). Pfeffer NJW 2002, 2110 (2112); Polley/ Seeliger EWS 2002, 507 (508); Wendel WRP 2002, 1395 (1406). Ensthaler BB 2002, 313 (314). Polley/Seeliger EWS 2002, 507 (508). Creutzig BB 2002, 2133 (2140). Ensthaler BB 2002, 313 (314). Creutzig BB 2002, 2133 (2140).

865 866 867 868 869 870

871 872 873 874 875 876 877

Polley/Seeliger EWS 2002, 507 (508). Ensthaler WuW 2002, 1042 (1044). Ensthaler BB 2002, 313 (314). Ensthaler WuW 2002, 1042 (1044); Wendel WRP 2002, 1395 (1405). Ensthaler BB 2002, 313. Ensthaler WuW 2002, 1042 (1045); Ensthaler BB 2002, 313 (315); Creutzig EuZW 2002, 560 (561). Rickmann WuW 2003, 752 (759); Polley/Seeliger EWS 2002, 507 (508). Ensthaler WuW 2002, 1042 (1047). Ensthaler WuW 2002, 1042 (1047). Ensthaler/Gesmann-Nuissl BB 2003, 533. Wendel WRP 2002, 1395 (1405). Wendel WRP 2002, 1395 (1413). Wendel WRP 2002, 1395 (1414).

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gründen 878. Qualitätsstandards für einen zweiten Standort sind zulässig 879. Nicht freigestellt sind dagegen Qualitätsstandards, die mittelbar Wettbewerbsverbote zur Folge hätten, etwa Mindestgröße der Ausstellungsfläche und Mindestumsatzgröße 880. Zusätzliche Standorte sind unzulässig, wo der Hersteller ein exklusives Vertriebssystem betreibt 881. Unterschiedliche Standards der Händler in verschiedenen EU-Staaten sind nicht gestattet 882. Nationale Marketingaktionen sind im exklusiven wie im selektiven Vertrieb zulässig 883. 155 Welches System der Hersteller wählt ergibt sich aus dem Vertrag, etwa der Wahl von Marktverantwortungsbereichen. Der Hersteller ist insoweit frei und darf in verschiedenen Ländern unterschiedliche Systeme einführen 884. In diesem Fall soll der Händler im selektiven System hinsichtlich seiner aktiven Verkäufe die Rechte des Händlers des exklusiven Systems (Gebietschutz) zu beachten haben. Er soll nicht in diese Gebiete hinein liefern dürfen, ebenso wie der Exklusivhändler angeblich nicht die freien Händler beliefern darf, die im Gebiet des selektiven Vertriebs ansässig sind 885. Dies begegnet Zweifeln, weil der Hersteller für klar definierte Verbote zu sorgen hätte. Die Mehrzahl der Hersteller und Importeure (Ausnahme: Suzuki) hat sich für den quantitativ-selektiven Vertrieb entschieden, da man das Risiko einer unkontrollierten Öffnung des Vertriebsnetzes für nicht autorisierte Wiederverkäufer wie Supermärkte und Handelsketten im Rahmen eines Exklusivvertriebs vermeiden wollte 886. 156 Die Kfz-GVO erleichtert den Mehrmarkenvertrieb 887. Die Ausstellung einer Marke in einem bestimmten Ausstellungsbereich, nicht jedoch die Abtrennung durch Wände, Vorhänge, Abstandsflächen etc. darf vorgeschrieben werden 888. Händler dürfen nicht verpflichtet werden, mehr als 30% ihres Bedarfs beim Hersteller bzw. einem Dritten zu beziehen 889 oder die gesamte Produktpalette des Herstellers auszustellen 890. Es darf eine Bezugsverpflichtung für Schmierstoffe vereinbart werden 891. Denjenigen Händlern, die exklusiv die Marke des Herstellers vertreiben, darf keine höhere Marge oder ein Bonus gezahlt werden 892. Fordert der Hersteller markenspezifisches Verkaufspersonal, hat er dessen Gehalt zu zahlen 893. Es wird vertreten, der Händler habe die Freiheit der Entscheidung, ob er markenspezifisches Verkaufspersonal beschäftige. Falle die Entscheidung positiv aus, müsse der Hersteller alle zusätzlich entstehenden Kosten tragen 894. 157 Die Kfz-GVO gibt die zwingende Verbindung zwischen Kundendienst und Verkauf auf 895. Händler brauchen keine Werkstattleistungen mehr zu erbringen, müssen damit jedoch eine Werkstatt in Unterauftrag beauftragen und sie gegenüber dem Kunden benennen 896. Umgekehrt kann eine Werkstatt nicht gezwungen werden, Handel zu be878 879 880 881 882 883 884 885 886 887 888

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Ensthaler WuW 2002, 1042 (1045); Wendel WRP 2002, 1395 (1413). Creutzig BB 2002, 2133 (2141). Creutzig BB 2002, 2133 (2141). Creutzig BB 2002, 2133 (2141). Ensthaler WuW 2002, 1042 (1046). Creutzig BB 2002, 2133 (2139). Ensthaler WuW 2002, 1042 (1044). Ensthaler/Gesmann-Nuissl BB 2006, 2589 (2593). Pfeffer NJW 2002, 2110 (2112). Ensthaler WuW 2002, 1042 (1047); Polley/Seeliger EWS 2002, 507 (509). Wendel WRP 2002, 1395 (1406).

889 890 891 892

893 894 895 896

Polley/Seeliger EWS 2002, 507 (509); Wendel WRP 2002, 1395 (1406). Polley/Seeliger EWS 2002, 507 (509). Creutzig BB 2002, 2133 (2137); Wendel WRP 2002, 1395 (1404). Creutzig BB 2002, 2133 (2142); Wendel WRP 2002, 1395 (1406); Niebling WRP 2003, 609 (611). Creutzig BB 2002, 2133 (2142); Polley/ Seeliger EWS 2002, 507 (509). Creutzig EuZW 2002, 560. Polley/Seeliger EWS 2002, 507 (509); Wendel WRP 2002, 1395 (1406). Polley/Seeliger EWS 2002, 507 (509).

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treiben 897. Die Kündigung eines Vertragshändlervertrages kann nur aus Gründen erfolgen, die aus dem Vertrieb resultieren, die Kündigung des Werkstattvertrages nur aus Gründen, die aus dem Werkstattgeschäft herrühren 898. Ein Abrechnungsbetrug im Rahmen des Kfz-Vertriebs soll gleichwohl geeignet sein, das Vertrauen sowohl im Rahmen des Händlers- wie des Werkstattvertrages zu erschüttern und eine Kündigung beider Verträge zu rechtfertigen 899. Nach einer Ansicht 900 stellt der Verkauf von Neuwagen durch zugelassene Werkstätten des Herstellers eine Verletzung des Werkstattvertrages dar und darf auch mittels AGB untersagt werden 901. Der Vertragswerkstättenvertrag begründe die Nebenpflicht, nicht in Wettbewerb zum Vertriebssystem des Herstellers/Importeurs zu treten. Rechtsfolge seien Unterlassungs-, Schadenersatz- und Auskunftsansprüche; zudem das Recht zur fristlosen Kündigung 902. Markenrechtliche Ansprüche erschienen jedoch zweifelhaft, wettbewerbsrechtliche Ansprüche beständen, falls die Werkstatt einen Vertragshändler zum Vertragsbruch veranlasse oder Schleichbezug vorliege. Zudem dürfe sich die Werkstatt nicht als Vertragshändler gerieren 903. Dieser Befund erscheint zweifelhaft, weil die Kfz-GVO den Wettbewerb gerade stärken und nicht einschränken wollte. Wenn der Hersteller die Werkstatt nicht mit dem Vertrieb beauftragt, ist die Werkstatt in diesem Bereich frei (Art. 2 Abs. 1 GG). Sie unterliegt also beim Vertrieb keinem Wettbewerbsverbot und er darf ihr auch nicht untersagt werden. Auch ein Gegenschluss aus § 90a für den nachvertraglichen Wettbewerb bestätigt diesen Befund. Wenn beim nachvertraglichen Wettbewerb keine Beschränkung außerhalb des Vertragsgegenstandes möglich ist gilt dies in gleicher Weise beim vertragsbegleitenden Wettbewerb. Hingegen ist der Vertrieb einer Zweitmarke unbestritten zulässig 904. Der Hersteller wird bei einem Marktanteil im Werkstattbereich von 30 % verpflichtet, 158 mit jedem Bewerber einen Werkstattvertrag als zugelassene Vertragswerkstatt des Herstellers zu schließen, der die Standards des Herstellers erfüllt 905 (dazu Rn 263), und zwar unabhängig davon, wie viele Reparaturwerkstätten bereits in einer bestimmten Region tätig sind 906 und uneingeschränkt ab dem 01.01.2002 907. Jener Marktanteil wird in der Regel von allen Herstellern erreicht 908. Werkstätten haben damit ein einklagbares Recht auf Autorisierung als Vertragswerkstatt 909. Der Hersteller muss über das Gesuch ohne ungebührliche Verzögerung und in nicht diskriminierender Form entscheiden 910, was selten geschieht. Außerhalb dieser Marktanteilsschwelle schreibt die Kfz-GVO keinen Kontrahierungszwang vor, der die Hersteller verpflichten würde, jeden interessierten Abnehmer zu beliefern 911. Unabhängigen Werkstätten muss jedoch der Zugang zu allen

897 898 899 900 901 902

903 904 905

Polley/Seeliger EWS 2002, 507 (509). Creutzig BB 2002, 2133 (2147); Nolte WRP 2005, 1124 (1126, 1127). Nolte WRP 2005, 1124 (1126, 1127). Wendel/Ströbl WRP 2004, 1340 (1346); Niebling WRP 2006, 1334 (1335). Niebling WRP 2006, 1334 (1335); aA LG Erfurt, Urt. v. 13.12.2007 – 2 HK O 244/07. Das Argument dürfte sich wenden lassen: Mit gleicher Begründung könnte eine Verpflichtung des Herstellers begründet werden, nicht in Wettbewerb zur Werkstatt zu treten. Wendel/Ströbl WRP 2004, 1340 ff. Niebling WRP 2006, 1334 (1335). Niebling WRP 2006, 1334; Wendel WRP

906 907 908

909 910 911

2002, 1395 (1408); Anspruchsgrundlage: Allg. Diskriminierungsverbot des Art. 82 EGV, § 20 GWB und §§ 20, 33 GWB, § 249 BGB. Pfeffer NJW 2002, 2110 (2114); Polley/ Seeliger EWS 2002, 507 (509). Ensthaler WuW 2002, 1042 (1054). Ensthaler WuW 2002, 1042 (1050) („bei komplexen Reparaturen regelmäßig über 50 %“); Wendel WRP 2002, 1395 (1408); Niebling WRP 2003, 609 (610/611). Creutzig BB 2002, 2133 (2144); Niebling WRP 2003, 609 (610). Creutzig BB 2002, 2133 (2144). Pfeffer NJW 2002, 2110 (2112).

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technischen Informationen und Ersatzteilen gestattet werden (Ausnahme: Diebstahlssysteme, Informationen zur Manipulation an Tempomaten und Tachometern) 912. Einer zugelassenen Vertragswerkstatt darf kein Standort 913 oder das Verbot der Mehrmarkenreparatur vorgeschrieben werden 914; sie darf Garantiearbeiten ausführen 915. Sachliche 916 Standards der Vertragswerkstätten dürfen festgelegt werden, etwa hinsichtlich der Qualität der Werkstatträume, des Personals oder der Ausrüstung 917. Dagegen ist es unzulässig, der Vertragswerkstatt die Werkstattgröße oder markenspezifisches Werkstattpersonal vorzuschreiben 918. Die Kündigungsbestimmungen der GVO gelten auch für Vertragswerkstattverträge 919. Hersteller dürfen ihren Händlern oder Werkstätten im Anwendungsbereich der Kfz159 GVO nicht vorschreiben z.B. mit einer bestimmten Bank, Telefon- oder Leasinggesellschaft zusammenzuarbeiten oder ein bestimmtes EDV-System anzuschaffen 920. Der Händler darf frei bestimmen, ob er an Leasingfirmen verkaufen will 921. Hersteller müssen Händlern getrennte Verträge für Kauf und Verkauf von neuen Kfz sowie Kauf oder Verkauf von Instandsetzungs- und Wartungsdienstleistungen anbieten 922. Hersteller in einem quantitativ-selektiven System sind verpflichtet, dem Vertragshändler einen Ersatzteilvertrag anbieten 923. Es gilt ein generelles Diskriminierungsverbot 924. Der GVO 1400/2002 vorangestellt sind die von der GVO 2790/99 bekannten Erwä160 gungsgründe, welche die maßgeblichen Überlegungen der Kommission darlegen. Am 30.09.2002 hat die Kommission zudem einen Leitfaden zur GVO 1400/2002 veröffentlicht. Er enthält in rechtlich unverbindlicher Form einen Text, der in Fragen und Antworten einzelne Probleme der GVO behandelt. Gleiches gilt für die am 12.11.2003 veröffentlichten so genannten „häufig gestellten Fragen“.

161

(2) Art. 1 Kfz-GVO. Art. 1 der Kfz-GVO enthält Begriffsbestimmungen. Wichtig ist die Definition des Art. 1 Abs. 1 lit. n Kfz-GVO. Danach sind Kfz nur Fahrzeuge mit Selbstantrieb und mindestens drei Rädern, die für den Verkehr auf öffentlichen Straßen bestimmt sind. Damit fallen Fahrzeuge ohne Räder aus dem Anwendungsbereich der GVO, also etwa Kettenfahrzeuge. Kfz, die nur gelegentlich öffentliche Straßen befahren, unterfallen nicht der Kfz-GVO 925. So werden etwa landwirtschaftliche Fahrzeuge oder solche für Baustellen nicht von der GVO erfasst, da sie nicht für den Verkehr auf öffentlichen Straßen vorgesehen sind 926. Dies gilt ferner für Traktoren 927 und Erdbewegungsmaschinen 928. Nur solche qualitativen Standards sind zulässig, die nach Art. 1 Abs. 1

912 913 914 915 916 917 918 919 920 921 922 923 924

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Ensthaler WuW 2002, 1042 (1050); Wendel WRP 2002, 1395 (1410 ff). Polley/Seeliger EWS 2002, 507 (510). Ensthaler WuW 2002, 1042 (1049). Ensthaler WuW 2002, 1042 (1049). Niebling WRP 2006, 1334 (1335). Creutzig BB 2002, 2133 (2143). Creutzig BB 2002, 2133 (2143). Polley/Seeliger EWS 2002, 507 (510). Creutzig BB 2002, 2133 (2137); Ensthaler WuW 2002, 1042 (1048). Ensthaler WuW 2002, 1042 (1048). Creutzig BB 2002, 2133 (2138). Creutzig BB 2002, 2133 (2138). Creutzig BB 2002, 2133 (2140).

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928

Frage 2 der Leitlinien zur GVO, Fn 32. Vogel in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Kfz Art. 1 Rn 25; Creutzig EG-Gruppenfreistellungsverordnung (GVO) für den Kraftfahrzeugsektor, 2003, Rn 608. Creutzig EG-Gruppenfreistellungsverordnung (GVO) für den Kraftfahrzeugsektor, 2003, Rn 608; Buchner EG-Kartellrecht und Vertriebssysteme, insbesondere der Kfz-Vertrieb, München 2006, S. 193. Leitfaden zur GVO 1400/2002, Antwort zu Frage 2; Creutzig EG Gruppenfreistellungsverordnung (GVO) für den Kraftfahrzeugsektor, 2003, Rn 608.

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lit. h Kfz-GVO sachlich 929 „erforderlich“ sind 930. Die Zahl der Kandidaten für einen Händler- oder Werkstattvertrag darf durch Qualitätskriterien nicht indirekt begrenzt werden 931. Nötig ist Geeignetheit, also ein sachlicher Zusammenhang zwischen Qualitätskriterien sowie geforderter Dienstleistung. Auch gilt das Übermaßverbot 932. Gemäß dem Leitfaden zur Kfz-GVO, Frage 12, bleiben Qualitätsanforderungen unzulässig, die aus Kundensicht über eine einfache Fachhandelsbindung reichen. Spitzenleistungen darf der Hersteller mithin nicht verlangen 933. Die Forderung, eine Kommunikationsanbindung mit dem Hersteller in einer genau vorgeschriebenen Weise einzurichten, ist z.B. ein unzulässiges Qualitätskriterium, wenn der Händler das gleiche Ergebnis auf andere, günstigere oder flexiblere Weise erreichen kann 934. Der Hersteller ist hinsichtlich der Schnittstelleninformationen marktbeherrschend, so dass auch die Voraussetzungen des Missbrauchs gemäß Art. 82 EG, §§ 19, 20 GWB vorliegen 935. Nach Art. 1 Abs. 1 lit. b Kfz-GVO darf der Hersteller vom Händler nur verlangen, dass dieser Fahrzeuge in einem der spezifischen Marke vorbehaltenen Teil der Verkaufsstätte anbietet, damit eine Verwechslung der Marken vermieden wird 936. Bei Ersatzteilen ist der Geltungsbereich der Kfz-GVO nach Art. 1 Abs. 1 lit. s Kfz-GVO nur eröffnet, wenn mit ausreichender Sicherheit feststeht, dass das Bauteil für den Einbau in oder an einem Kfz bestimmt ist. Dies soll bei Schmieröllieferungen an Tankstellen nicht anzunehmen sein. Abzustellen ist darauf, ob die Teile notwendig für die Nutzung des Kfz sind. Bei nachträglich montierten Zubehörteilen wie z.B. Navigationssystemen, Musikanlagen, Mobilfunkgeräten etc. ist dies in der Regel nicht der Fall, es sei denn, sie sind werksseitig montiert 937. (3) Art. 2 Kfz-GVO. Der den Geltungsbereich der Kfz-GVO regelnde Art. 2 stimmt 162 im Wesentlichen mit Art. 2 GVO 2790/99 überein. Gemäß Art. 2 Abs. 1 Kfz-GVO wird Art. 81 Abs. 1 EG unter den in den nachfolgenden Artikeln der GVO näher bestimmten Bedingungen auf Vertriebsvereinbarungen für nicht anwendbar erklärt, welche Regelungen über den Verkauf oder den Weiterverkauf neuer Kraftfahrzeuge, Kraftfahrzeugersatzteile oder Wartungs- und Instandsetzungsdienstleistungen für Kraftfahrzeuge beinhalten. Nach Art. 2 Abs. 2 lit. b Kfz-GVO gilt die Kfz-GVO auch für Vertriebsvereinbarungen, die die Übertragung von geistigen Eigentumsrechten auf den Käufer oder die Nutzung solcher Rechte für den Käufer betreffen, sofern diese Bestimmungen nicht Hauptgegenstand der Vereinbarung sind und sie sich nicht unmittelbar auf die Nutzung, den Verkauf oder den Weiterverkauf von Waren oder Dienstleistungen durch den Käufer oder seine Kunden beziehen. Nach Art. 2 Abs. 3 und Abs. 2 (b) Kfz-GVO sind Vertriebssysteme von Herstellern mit eigenen Verkaufsniederlassungen freigestellt, die in Wettbewerb zu ihren Händlern treten 938. (4) Art. 3 Kfz-GVO. Gemäß Art. 3 Abs. 1 Kfz-GVO gilt die Freistellung nur, falls 163 der Anteil des Lieferanten an dem relevanten Markt, auf dem er Kraftfahrzeuge, Kraft929 930 931 932 933 934

Niebling WRP 2006, 1334 (1335). Ensthaler/Gesmann-Nuissl BB 2005, 1750; aA Bechtold NJW 2003, 3729 (3731). Leitfaden zur GVO 1400/2002, Frage 12. Ensthaler/Gesmann-Nuissl BB 2005, 1749 (1751). Ensthaler/Gesmann-Nuissl BB 2005, 1749 (1752). Ergänzender Leitfaden, Frage 12; Ensthaler/ Gesmann-Nuissl BB 2005, 1749 (1753).

935 936 937 938

Ensthaler/Gesmann-Nuissl BB 2005, 1749 (1754). Creutzig EuZW 2002, 560. Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 661. Creutzig BB 2002, 2133 (2134); Polley/ Seeliger EWS 2002, 507.

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fahrzeugersatzteile oder Instandsetzungs- oder Wartungsdienstleistungen verkauft, 30 % nicht überschreitet. Für Vereinbarungen betreffend quantitative selektive Vertriebssysteme beträgt diese Marktanteilsschwelle gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Kfz-GVO 40 %. Die Marktanteilsschwellen gelten gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 3 Kfz-GVO nicht für Vereinbarungen über qualitative selektive Vertriebssysteme. Fast alle Hersteller haben sich im Bereich des Neuwagenvertriebs für ein qualitatives und quantitatives selektives Vertriebssystem entschieden939. Werden die Schwellenwerte der Bekanntmachung nicht überschritten, ist auch bei Verträgen über den Verkauf von Kfz eine Freistellung nach der Bagatellbekanntmachung möglich 940. Der Katalog absolut unzulässiger Kernbeschränkungen im Kfz-Sektor richtet sich jedoch nicht nach der Bagatellbekanntmachung sondern der Kfz-GVO 941. Herstellern, die sich auf die Bagatellbekanntmachung berufen dürfen, ist es z.B. erlaubt, ihren Händlern einen bestimmten Standort vorzuschreiben oder ein Wettbewerbsverbot aufzuerlegen 942. Im Fall von vertikalen Vereinbarungen, die Alleinbelieferungspflichten enthalten, gilt die Freistellung, wenn der Anteil des Händlers an dem relevanten Markt, auf dem er die Vertragswaren oder -dienstleistungen bezieht, 30 % nicht überschreitet. Wie bei der Schirm-GVO wird also auch hier auf die Marktmacht des Vertriebsmittlers abgestellt. Gemäß Art. 3 Abs. 3 Kfz-GVO sind vertikale Vereinbarungen mit einem Händler 164 oder einer Werkstatt nur freigestellt, sofern der Lieferant der Übertragung der aus der vertikalen Vereinbarung erwachsenen Rechte und Pflichten auf einen anderen Händler bzw. eine andere Werkstatt des Vertriebssystems zustimmt. Dies umfasst Leasing, Fusion, vorweggenommene Erbfolge und dergleichen 943. Die Bestimmung erlaubt es Händlern oder zugelassenen Werkstätten, Rechte oder Pflichten aus dem Vertrag auf einen anderen Händler bzw. eine andere Werkstatt zu übertragen 944, und zwar auch über nationale Grenzen hinaus 945. Das ermöglicht den Verkauf von Kfz-Betrieben 946, auch wenn der Vertrag des Übertragenden oder Empfängers bereits gekündigt ist 947. Jedoch bleibt die Kündigung wirksam 948. Die Zustimmung zur Übertragung muss bereits im Vertrag erteilt werden 949. Eine Übertragung über Kreuz, also von einem Händler auf eine Werkstatt oder umgekehrt ist nicht gestattet 950. Auch ist angeblich nur die Übertragung innerhalb derselben Marke gestattet, also nicht innerhalb eines Konzerns 951, wobei strittig bleibt, ob es sich um das Vertriebssystem derselben Marke (wahrscheinlich) oder eines Markenverbundes handeln dürfe (z.B. VW-Skoda) 952. Die Auswahl des Käufers obliegt dem vormaligen Händler bzw. der Werkstatt 953. Vereinbarungen, nach denen der Unternehmer in bestimmten Fällen, z.B. aus in der Person oder in den wirtschaftlichen Verhältnissen des Unternehmers liegenden Gründen die Zustimmung zur Übertragung verweigern darf, sollen unzulässig sein und die Freistellung entfallen lassen 954. Begründet wird dies damit, dass sachliche Gründe für eine derartige Klausel nicht existierten, weil die 939 940 941 942 943 944 945 946 947

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Vogel in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Kfz Rn 29. Schönbohm WRP 2004, 695 (696); Polley/Seeliger EWS 2002, 507. Pfeffer NJW 2002, 2110 (2112); Creutzig BB 2002, 2133 (2135). Pfeffer NJW 2002, 2110 (2112). Creutzig EuZW 2002, 560 (562). Ensthaler WuW 2002, 1042 (1048). Niebling WRP 2003, 609 (610). Wendel WRP 2002, 1395 (1403). Wendel WRP 2002, 1395 (1403).

948 949 950 951 952 953 954

Vogel in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Kfz Rn 33. Creutzig BB 2002, 2133 (2145); Wendel WRP 2002, 1395 (1403). Creutzig BB 2002, 2133 (2145). Creutzig BB 2002, 2133 (2145); Creutzig EuZW 2002, 560 (563). Creutzig EuZW 2002, 560 (563). Vogel in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Kfz Rn 33. Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 669.

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Rechte und Pflichten nur auf einen anderen Vertragspartner übertragen werden könnten, der ebenfalls bereits Mitglied des Vertriebssystems ist 955. In der Kfz-GVO nicht erwähnt wird, wo der Übertragungsempfänger sein Sitz haben muss. Daraus ist zu folgen, dass er nicht nur im Inland sondern in jedem Mitgliedsstaat seinen Standort haben kann 956. In der Praxis ist das Recht zur Übertragung von zweifelhaftem Wert, falls der Hersteller nach der Übertragung den Vertrag ordentlich kündigen dürfte (Ausnahme zumindest Schikanekündigung). Möglicherweise widerspräche eine solche Kündigung dem Schutzzweck der Kfz-GVO. Gemäß Art. 3 Abs. 4 Kfz-GVO muss eine Kündigung schriftlich begründet werden 957. 165 Diese Begründung muss ausführlich, objektiv und transparent sein 958, um zu überprüfen, ob der Lieferant die vertikale Vereinbarung mit dem Händler oder einer Werkstatt wegen Verhaltensweisen beendet 959, die nach der GVO nicht eingeschränkt werden dürfen (Beispiele: Erwägungsgrund 9). Genannt werden müssen objektive Fakten 960. Dies galt nach Ansicht Ensthalers schon vor Einführung der GVO 961. Jener Schutzzweck trifft im besonderen Maße außerordentliche Kündigungen sowie Strukturkündigungen, so dass auch bei ihnen eine Begründung erforderlich ist 962. Denn der Gekündigte muss wissen, aus welchem Grund der Unternehmer für sich ein Sonderkündigungsrecht in Anspruch nimmt, um die Erfolgsaussichten eines Widerspruchs oder einer Klage abschätzen zu können. Auch der von der Kommission genannte Zweck schränkt das Begründungserfordernis nicht ein. Der Unternehmer kann nicht über das Begründungserfordernis mit der Behauptung disponieren, es liege keine Verhaltensweise vor, die nicht eingeschränkt werden dürfe. Das soll gerade anhand der Begründung überprüft werden, die deshalb immer zu geben ist. Die Nichtverlängerung eines befristeten Vertrages, die 6 Monate vor Auslaufen des Vertrages der anderen Vertragspartei mitgeteilt werden muss, ist keiner Begründungspflicht unterworfen 963. Es ist Sache des nationalen Gerichts zu prüfen, ob das nationale Recht im Fall der Kündigung eine wirksame Überprüfung der Kündigungsgründe gewährleistet. Das nationale Gericht muss in der Lage sein, daraus sowohl für die Gültigkeit der streitigen Vereinbarung im Hinblick auf Art. 81 EG als auch für den Ersatz des dem Händler entstandenen Schadens notwendigen Konsequenzen zu ziehen 964. Nationales Recht darf dabei nicht weniger günstiger ausgestaltet sein, als bei entsprechenden Rechtsbehelfen innerstaatlichen Rechts und die Ausübung der Gemeinschaftsrechtsordnung nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren 965. Der BGH 966 entschied für den Bereich des HeimG, ein Verstoß gegen die Pflicht zur Begründung der Kündigung habe deren Unwirksamkeit zur Folge. Es ist offen, ob sich diese Worte zur Ausübungskontrolle nach § 242 BGB auf das Kfz-Vertriebsrecht übertragen lassen. Jedenfalls nach § 305c Abs. 2 BGB (bei Wiederholung des Begründungserfordernisses in den Vertriebs-AGB) definiert dieses Verständnis die verwenderfeindlichste Auslegung 967. Das 955 956 957 958 959 960 961 962 963

Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 669. Creutzig EuZW 2002, 560 (563). Eingehend Emde VersR 2004, 1499 (1507); s.a. Niebling WRP 2005, 717 (718). Pfeffer NJW 2002, 2110 (2112); Ensthaler WuW 2002, 1042 (1047). Wendel WRP 2002, 1395 (1403). Niebling WRP 2003, 609 (610). Ensthaler WuW 2002, 1042 (1047). AA Niebling WRP 2003, 609 (610). Vogel in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Kfz Rn 31.

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EuGH, Urt. v. 18.01.2007 – C-421/05 – City Motors Groep NV/Citroen Belux NV, EuZW 2007, 113 m. Anm. Wegner/ Schroeder. EuGH, Urt. v. 18.01.2007 – C-421/05 – City Motors Groep NV/Citroen Belux NV, EuZW 2007, 113 m. Anm. Wegner/ Schroeder. Beschl. v. 28.10.2004 – III ZR 205/03, NJW 2005, 147. Im Ergebnis: Wegner/Schroeder EuZW 2007, 115 (116).

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Begründungserfordernis soll analog gelten, wenn der Hersteller mit einem Interessenten keinen Werkstattvertrag abschließen will 968. Es hindert den Hersteller wohl nicht, in einem Gerichtsverfahren Kündigungsgründe nachzuschieben 969. Falls der Vertrag das Begründungserfordernis des Art. 3 Abs. 4 Kfz-GVO vorsieht, die 166 Kündung aber den vorstehenden Erfordernissen nicht entspricht, führt dies wohl nicht zu einem Wegfall der Freistellung 970. Die Nichtigkeitsfolge des Art. 81 Abs. 2 EG bezieht sich nur auf Vereinbarungen und Beschlüsse, nicht auf einseitige, nicht vom Willen der anderen Partei mitgetragene Akte einer Vertragspartei – wie die Kündigung. Ein Wegfall der Freistellung ist daher weder nach dem Wortlaut der GVO noch vor dem Hintergrund der Effektivität des Art. 3 Abs. 4 Kfz-GVO erforderlich. Würde der Wegfall der GVO allein auf der Ausgestaltung der Kündigung beruhen, führte ein gegenteiliges Verständnis zu dem widersinnigen Ergebnis, dass die in ihrer Form von der GVO nicht gebilligte Kündigung die Beendigung des Vertrages herbeiführen würde, jedenfalls wenn das nationale Recht dann zur Unwirksamkeit des Gesamtvertrages leitet 971. Art. 3 Abs. 5 Kfz-GVO regelt weitere Freistellungsvoraussetzungen betreffend even167 tuelle Klauseln zur Vertragsbeendigung. Nach einer Alternative muss der Vertrag eine Laufzeit von mindestens fünf Jahren und sich die Vertragsparteien verpflichtet haben, eine Nichtverlängerung mindestens sechs Monate im Voraus anzukündigen (lit. a). Die zweite Alternative ist, dass der Vertrag unbefristet geschlossen wird und die Vertragsparteien eine Kündigungsfrist von mindestens zwei Jahren vereinbaren (lit. b). Diese Frist kann auf ein Jahr verkürzt werden, wenn der Lieferant entweder (i) aufgrund gesetzlicher Bestimmungen oder aufgrund besonderer Absprache bei Beendigung der Vereinbarung eine angemessene Entschädigung zu zahlen hat oder (ii) sich für den Lieferanten die Notwendigkeit ergibt, das Vertriebsnetz insgesamt oder zu einem wesentlichen Teil umzustrukturieren (Strukturkündigung). Der Ausgleichsanspruch analog § 89b ist keine angemessene Entschädigung i.S.d. Art. 3 Abs. 5 Kfz-GVO 972. Durch diese Regelung soll die Stellung der Mittler gegenüber dem Unternehmer gestärkt werden. Sie sollen ihr Agieren am Markt und ihre Wettbewerbsposition nicht unter dem Druck eines jederzeitigen Kündigungsrechts planen müssen. Ob eine Strukturkündigung mit verkürzter einjähriger Frist wegen Einführung der 168 neuen Kfz-GVO zulässig war, ist strittig 973. Die kurze Umstellungsfrist zwischen Publikation der neuen GVO am 01.08.2002 (ABl. EG L 203/30) und dem Ende der 968 969

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Niebling WRP 2006, 1334. Nolte WRP 2005, 1124 (1126), 1127; Niebling WRP 2006, 1334; aA noch Niebling WRP 2005, 717; Reufels/Laufen WuW 2004, 392 (395). Wegner/Schroeder EuZW 2007, 115 (116) nach deren Ansicht der EuGH, Urt. v. 18.01.2007 – C-421/05 – City Motors Groep NV/Citroen Belux NV, EuZW 2007, 113, anderer Ansicht ist. Siehe hierzu BGH, Urt. v. 08.05.2007 – KZR 14/04, WRP 2007, 1097 = RIW 2007, 614 = EWiR 2007, 547 (Emde). Creutzig BB 2002, 2133 (2147); Niebling WRP 2003, 609 (610); aA Reufels/Laufen WuW 2004, 392 (398). Die Zulässigkeit einer Strukturkündigung mit einjähriger Frist befürworten Wendel

WRP 2002, 1401; Schumacher Recht des Kfz-Vertriebs in Europa, 2005, S. 102 f. Gegen die Zulässigkeit sprechen sich aus: Leitfaden zur GVO 1400/02, Frage 20; Creutzig EuZW 2002, 560 (563); Emde GRUR 2006, 997 ff; ders EWiR 2001, 24; ders VersR 2002, 162; Genzow Kfz-Betrieb 4/2001, 27 unter Hinweis auf LG München I, 11 HKO 15987/99; Niebling WRP 2005, 717; Nolte WRP 2005, 1129 und Reckmann WuW 2003, 755 f. Für die Strukturkündigung Nissaus verneint OLG Köln, Urt. v. 7.12.2007 – 19 U 60/07 (rechtskräftig) die Berechtigung zur Strukturkündigung. OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 13.05.2008 – 11 U 39/07; BB 2008, 1417, nicht rechtskr., verneint sie.

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Anpassungsfrist zum 30.09.2003 hat alle Beteiligten in Zeitnot gebracht. Seit 1995 war jedoch das Auslaufen der GVO 1475/95 bekannt. Hersteller hätten schon im Jahr 2000 ihre Händlerverträge mit zweijähriger Regelkündigungsfrist kündigen können, so dass keine „Notwendigkeit“ zur außerordentlichen Strukturkündigung mit einjähriger Frist bestand 974. Mglw. wurde dem Problem die Strukturkündigung herausfordernder Rechtsänderungen infolge der GVO-Novellierung bereits durch die in der GVO enthaltenen Übergangsfristen Rechnung getragen 975. 2005 legte der BGH 976 dem EuGH gemäß Art. 234 EG die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob BMW infolge der Einführung der neuen Kfz-GVO 1400/02 zum Ablauf der Übergangsfrist von der Alt-GVO 1475/95 zur Neu-Kfz-GVO 1400/02 am 30.09.2003 die nach der alten GVO gefassten Händlerverträge im Wege der Strukturkündigung mit einjähriger statt mit der von beiden GVOs vorgeschriebenen Regelkündigungsfrist von zwei Jahren kündigen durfte, ohne die Freistellung ihres Vertriebssystems von den Wettbewerbsbeschränkungen des Art. 81 EG zu verlieren. Der BGH neigte seinerzeit der Ansicht zu, eine Strukturkündigung mit einjähriger Frist sei zulässig und die Kündigung mit zweijähriger Frist unzumutbar. Gleiches gelte für einen einseitigen Verzicht des Herstellers auf die wettbewerbsbeschränkenden Regeln des Händlervertrages, weil dieser nur konsensual geändert werden dürfe. Möglicherweise berücksichtigte die Entscheidung zu wenig, dass die Kündigungsklausel in den HändlerAGB bei zweifelhafter Verständnismöglichkeit verwenderfeindlich gegen BMW auszulegen war 977. In seinen Entscheidungen Vulcan Silkeborg 978 und BMW 979, letztere zum Vorlageverfahren des BGH, entschied der EuGH, unter welchen Voraussetzungen eine Strukturkündigung zulässig ist: Das Inkrafttreten der neuen Kfz-GVO 1400/02 führe nicht zur „Notwendigkeit“ einer Strukturkündigung mit verkürzter Frist, ebenso wenig eine möglicherweise infolge der novellierten GVO erforderliche Vertragsanpassung. Jedoch könne das Inkrafttreten nach dem spezifischen Aufbau des Vertriebsnetzes des einzelnen Lieferanten eine Strukturkündigung „notwendig“ machen, wobei der Lieferant für diese Voraussetzung beweispflichtig sei. Die nationalen Gerichte müssten prüfen, ob ausnahmsweise eine Umstrukturierung erforderlich sei. Sie setze eine bedeutsame Änderung der Vertriebsstrukturen des betroffenen Lieferanten sowohl in finanzieller wie räumlicher Hinsicht voraus. Die Notwendigkeit der Strukturkündigung könne auch mit Gründen der wirtschaftlichen Effizienz gerechtfertigt werden, die jedoch interne oder externe objektive Umstände voraussetzten, welche ohne eine schnelle Umstrukturierung – mit einjähriger Kündigungsfrist – in Anbetracht des Wettbewerbsumfeldes die bestehenden Strukturen des Vertriebsnetzes beeinträchtigen könne. Die subjektive Beurteilung des Herstellers reiche nicht aus, um die Notwendigkeit einer Umstrukturierung darzutun. Enthalte ein Kfz-Vertragshändlervertrag wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen und werde er nicht durch die GVO 1400/02 freigestellt, so sei er gemäß Art. 81 EG unwirksam. Die Auswirkungen der Unwirksamkeit auf die übrigen Bestandteile des Vertrages müsse das nationale Gericht nach nationalem Recht bestimmen. Eine gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung sei unangebracht. 974

975 976

Emde GRUR 2006, 997 ff; zum Parallelproblem bei Ablauf der GVO 1400/02 Wendel BB 2008, 1294 (1303). Auch hier ist wohl nur eine Kündigung mit Zweijahresfrist denkbar. Ensthaler NJW 2007, 815 (816). BGH, Beschl. v. 26.07.2005 – KZR 14/04, BB 2005, 2208 = ZIP 2005, 1936 (LS) = WuW 2005, 1141 (DE-R 1151) = WRP

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2005, 1535 = NJW 2005, 3376 = EWiR 2006, 13 (Emde) = GRUR Int. 2006, 59. Eingehend Emde GRUR 2006, 997 ff. EuGH, Urt. v. 07.09.2006 – C-125/05, Slg. 2006, I-0000 = BeckRS 2006, 70651 EuGH, Urt. v. 30.11.2006 – C-376/05. GRUR Int. 2007, 232 mit zust. Anm. Ensthaler NJW 2007, 815.

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Beweispflichtig für die TB-Voraussetzungen der Strukturkündigung, die objektiv vorliegen müssen980, ist der Kündigende981. Die Gerichte sind nicht auf eine bloße Willkürkontrolle beschränkt982. Eine als Strukturkündigung unwirksame Kündigung wird aber als solche mit der Regelkündigungsfrist aufrechterhalten983. Der BGH 984 entschied daraufhin, unabhängig von der Wirksamkeit der Kündigung sei 169 der Händlervertrag gemäß § 306 Abs. 3 BGB zum 30.09.03 (Ende der Übergangsfrist der GVO 1400/02) nichtig. Er enthalte wettbewerbsbeschränkende Klauseln, die zwar von der Vorgänger-Kfz-GVO 1475/95 freigestellt waren, nach Ablauf der Anpassungsfrist zum 30.09.03 jedoch nicht von der Neu-GVO 1400/02. Der daraus folgende Verstoß gegen „Schwarze Klauseln“ nehme sämtliche wettbewerbsbeschränkenden Vertragsklauseln von der Freistellungswirkung der Kfz-GVO aus. Die Ersetzung der unwirksamen Klauseln durch gesetzliche Vorschriften nach § 306 Abs. 2 BGB komme nicht in Betracht. Das analog anwendbare HV-Recht sehe keine den unwirksamen Vertragsbestimmungen entsprechenden Regelungen vor. Ebenso scheide eine ergänzende Vertragsauslegung aus. Es lasse sich nicht feststellen, was die Parteien bei Kenntnis der Nichtigkeit vereinbart hätten. BWM sei aufgrund seiner Organisationsmacht berechtigt gewesen, sein Vertriebsnetz auf eine neue vertragliche Grundlage zu stellen. Ein Festhalten am Händlervertrag ohne wettbewerbsbeschränkende Regelungen würde zu einer unzumutbaren Härte i.S.d. § 306 Abs. 3 BGB führen. Bei Vertragsfortsetzung unter Wegfall der inkriminierten Klauseln könne BMW einen Verkauf an nicht autorisierte Wiederverkäufer nicht verbieten und innerhalb des BMW-Vertriebsnetzes hätte zweierlei Recht gegolten. Derart ungeordnete Verhältnisse seien BMW unzumutbar. Ein Schadenersatzanspruch zu Gunsten des Händlers scheide aus. Die Nichtigkeit beruhe auf keinem pflichtwidrigen Verhalten BMWs (§ 280 BGB). Unter den gegebenen Umständen bestehe keine Pflicht BMWs, den Händlervertrag an die neue GVO anzupassen. Diese Entscheidung hat die Kommission bei Einführung der GVO 1400/02 sicherlich 170 nicht gewollt: Nach Neueinführung einer GVO brauchen die Hersteller nicht mehr zu kündigen, sondern können – ohne Verpflichtung zu Schadensersatz – auf die Nichtigkeit des Vertrages mit Ablauf der Umstellungsfrist warten. Die angemessene Umstellungsfrist (Kündigungsfrist) von 2 Jahren wird damit umgangen. Dies widerspricht dem Zweck der GVO, dem Schutz der Händler zu dienen. Das nationale Recht darf die Ausübung der Gemeinschaftsrechtsordnung nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren 985. Die Händler werden doppelt getroffen. Zunächst werden sie Art. 81 EG widersprechenden rigiden Wettbewerbsklauseln unterworfen. Dann sollen diese Klauseln dazu führen, dass bei Einführung einer die Händler schützenden GVO der Vertrag nichtig wird und keine Kündigungsfristen gelten. Wenn die Hersteller der Freistellung bedürftige Verträge entwerfen, haben sie das Risiko der Neueinführung einer GVO zu tragen: Den richtigen Weg hat der Senat gewiesen: Das als dispositives Recht analog anwendbare HVRecht sieht keine derartigen wettbewerbsbeschränkenden Vorschriften vor. Es wäre jedoch bei Unwirksamkeit des Vertrages (analog) anwendbar. Dass dann angeblich zweierlei Recht gelten soll, hätte der Hersteller seiner eigenen Vertragsgestaltung zuzuschreiben. Denn vom ursprünglichen Vertrag divergierendes Recht könnte nur für neu 980 981 982 983 984

OLG Düsseldorf, Urt. v. 17.05.2005 – I-6 U 80/04, unveröffentlicht. So auch OLG Köln, Urt. v. 07.12.2007 – 19 U 60/07. OLG Köln, Urt. v. 07.12.2007 – 19 U 60/07. OLG Köln, Urt. v. 07.12.2007 – 19 U 60/07. BGH, Urt. v. 08.05.2007 – KZR 14/04,

100

985

WRP 2007, 1097 = RIW 2007, 614 = EWiR 2007, 547 (Emde). EuGH, Urt. v. 18.01.2007 – C-421/05 – City Motors Groep NV/Citroen Belux NV, EuZW 2007, 113 m. Anm. Wegner/ Schroeder.

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abgeschlossene Verträge gelten und deren Inhalt bestimmt der Hersteller. Zudem darf sich ein Hersteller auf die Unwirksamkeit eigener AGB nicht berufen, schon gar nicht wenn er die wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen, die zur Nichtigkeit führten, im eigenen Interesse einfügte. Für das deutsche Recht wäre auch § 307 BGB zu berücksichtigen 986. Die Strukturkündigung verkürzt die Kündigungsfrist nur zugunsten der Hersteller, was nicht nur § 307 BGB 987, sondern auch § 89 Abs. 2 S. 1 widerspricht988. Auch große Händlerketten können Interesse an einer durch sie erklärten Strukturkündigung haben. Die meisten Strukturkündigungsklauseln dürften vor diesem Hintergrund unwirksam sein, worauf es allerdings auf Basis der BGH-Rechtsprechung nicht ankam. Auf das europäische Leitbild der GVO können sich die Hersteller nicht berufen. Die GVO gestattet zwar die Strukturkündigungsklausel, setzt aber nur einen Mindeststandard und disponiert nicht über das nach deutschem Recht bestehende Erfordernis, dem Händler die gleiche Kündigungsfrist zu gewähren. Eine zu Unrecht erklärte Strukturkündigung führt zu einem Schadenersatzanspruch des Vertriebsmittlers. Ein Verschulden des Herstellers liegt vor. Denn er wollte die Kündigung und nahm angesichts der ungeklärten Rechtslage die Ersatzverpflichtung billigend in Kauf. Gemäß Art. 3 Abs. 6 Kfz-GVO muss der Vertrag, um freigestellt zu sein, das Anrufen 171 eines unabhängigen Sachverständigen oder eines Schiedsrichters gestatten, etwa bei Meinungsverschiedenheiten über Lieferverpflichtungen, die Festsetzung oder das Erreichen von Absatzzielen, Bevorratungspflichten, die Verpflichtung zur Bereitstellung oder Nutzung von Fahrzeugen für Ausstellungszwecke und Probefahrten, die Voraussetzungen des Mehrmarkenvertriebs, die Frage, ob das Verbot des Tätigwerdens von einem nicht zugelassenen Standort aus die Möglichkeiten der Ausweitung des Geschäfts des Händlers von anderen Kfz als Pkw oder leichten Nutzfahrzeugen beschränkt oder die Frage, ob die Kündigung eine Vereinbarung aufgrund der angegebenen Kündigungsgründen gerechtfertigt ist. Art. 3 Abs. 6 Kfz-GVO verbietet nicht bestimmte vertragliche Klauseln sondern knüpft die Feistellung an die Voraussetzung, dass der Händlervertrag die o.g. Möglichkeit der Klärung von Meinungsverschiedenheiten vorsieht. Diese Voraussetzung ist bereits erfüllt, wenn er eine Klausel enthält, die ein solches Recht vorsieht. Dies gilt unabhängig davon, ob die Kündigung mit Frist oder fristlos ausgesprochen werde. Weder nach Art. 3 Abs. 6 Kfz-GVO noch nach einer anderen Bestimmung der GVO setzt die Geltung der GVO voraus, dass die Einschaltung des unabhängigen Sachverständigen, Schiedsrichters oder Gerichts vor dem Wirksamwerden der Kündigung erfolgen muss 989. Die Gültigkeit der Klausel beurteilt sich damit nach nationalem Recht 990. (5) Art. 4 Kfz-GVO. Art. 4 Kfz-GVO nennt Kernbeschränkungen oder „schwarze Klau- 172 seln“. Die Freistellung entfällt zumindest für die wettbewerbsbeschränkende Klausel 991; 986

987 988

Siehe bereits Emde EWiR 2005, 13; Emde BB 2005, 1121/1122; zur Strukturkündigung und der Beweislast nach Kündigung auch Ensthaler/Gesmann-Nuissl BB 2006, 2589 (2591). Vgl. etwa OLG Celle, Beschl. v. 09.06.2005 – 11 U 110/05, OLGR 2005, 650. AA OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 13.05.2008 – 11 U 39/07, BB 2008, 1417, n. rechtskr. Nach Ansicht des OLG Frankfurt a.M. bildet die GVO 1400/02 eine Spezialregelung. Aber bei ihr handelt es sich nur um eine Verwaltungsregelung der EU-Kommission,

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die nach BGH v. 28.06.2005 – KZR 26/04, WRP 2006, 109 = EWiR 2006, 273 (Emde) zwischen den Parteien keine Rechte und Pflichten erzeugt. EuGH, Urt. v. 18.01.2007 – C-421/05 – City Motors Groep NV/Citroen Belux NV, EuZW 2007, 113 m. Anm. Wegner/Schroeder. EuGH, Urt. v. 18.01.2007 – C-421/05 – City Motors Groep NV/Citroen Belux NV, EuZW 2007, 113 m. Anm. Wegner/ Schroeder. Wendel WRP 2002, 1395 (1397); Siegert NJW 2007, 188 (189).

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wahrscheinlich sogar für alle wettbewerbsbeschränkenden Klauseln des Vertrages, möglicherweise über §§ 306, 139 BGB 992. Kernbeschränkungen gelten unabhängig vom Marktanteil des Kfz-Herstellers als spürbare Beeinträchtigung des Wettbewerbs 993 und sind deshalb auch nicht von der Bagatellbekanntmachung freigestellt 994. Eine einseitige „schwarze Verhaltensweise“ des Herstellers beseitigt die Freistellung nur für den Zeitraum des Verstoßes 995. Dem Hersteller dürfen nicht ohne weiteres „schwarze Verhaltensweisen“ seiner ausländischen Vertragshändler zugerechnet werden 996. Niebling 997 vertritt, nach Nichtigkeit des Gesamtvertrags verbliebe ein Anspruch der Händler auf Belieferung aus § 242 BGB. Der Hersteller verhalte sich widersprüchlich, wenn er einerseits den Vertrag durch Rechtsbruch zerstöre, andererseits aber die Belieferung einstellen wolle. Dieser Ansicht widerspricht das OLG Schleswig 998 und wohl auch der BGH 999. Kernbeschränkungen sind etwa die Festsetzung von Mindest- und Festpreisen für den 173 Weiterverkauf, Beschränkungen des Gebiets und Kundenkreises, in das oder an den der Händler oder die Werkstatt Vertragswaren oder Vertragsdienstleistungen verkaufen darf, Beschränkungen von Querlieferungen zwischen Händlern und Werkstätten innerhalb eines selektiven Vertriebssystems, Beschränkungen der Möglichkeit des Händlers, neue Kfz zu verkaufen, die einem Modell seines Vertragsprogramms entsprechen sowie die Kombination von exklusivem und selektivem Vertrieb 1000. Zu den Kernbeschränkungen zählen nicht die Standortklausel oder ein Wettbewerbsverbot.

174 175

(6) Art. 4 Abs. 1 Kfz-GVO. Kernbeschränkungen sind im Einzelnen: (a) Beschränkung der Möglichkeit des Händlers oder der Werkstatt, den Verkaufspreis selbst festzusetzen. Kfz-Vertragshändlern durch den Hersteller gewährte Boni für die Beachtung der unverbindlichen Preisempfehlung bei Verkäufen des Händlers sind unzulässig, weil eine solche Regelung in das Selbstbestimmungsrecht des Händlers aus Art. 4 Nr. 1 lit. a Kfz-GVO eingreift 1001. Der Lieferant darf jedoch Höchstverkaufspreise festsetzen oder Preisempfehlungen aussprechen, sofern sich jene nicht infolge der Ausübung von Druck oder der Gewährung von Anreizen durch eine der Vertragsparteien wie Festoder Mindestverkaufspreise auswirken. (b) Beschränkungen des Gebiets oder Kundenkreises, in das oder in dem der Händler oder die Werkstatt Vertragswaren oder -dienstleistungen verkaufen darf. Freigestellt sind jedoch: (1) Beschränkungen des aktiven Verkaufs in Gebiete oder an Gruppen von Kunden, die der Lieferant sich selbst vorbehalten oder ausschließlich einem anderen Händler oder einer anderen Werkstatt zugewiesen hat, sofern dadurch Verkäufe seitens der Kunden 992

993 994 995

996

BGH, Urt. v. 08.05.2007 – KZR 14/04, WRP 2007, 1097 (1099) = RIW 2007, 614 = EWiR 2007, 547 (Emde). Schönbohm WRP 2004, 695 (696). Schönbohm WRP 2004, 695 (696); Creutzig EuZW 2002, 560. BGH, Urt. v. 30.03.2004 – KZR 24/02, EuZW 2004, 381 = DB 2004, 1725 = WuW/E 2004, 779 DE-R 1263 = NJW-RR 2004, 1185; OLG Schleswig, Urt. v. 09.07. 2002 – 6 U Kart 72/01, OLGR 2002, 378; i.E. zuvor bereits OLG Celle v. 22.06.2000 – 13 U 137/98, WuW DE-R 581 2001, 65. BGH, Urt. v. 30.03.2004 – KZR 24/02, EuZW 2004, 381 = DB 2004, 1725 =

102

WuW/E 2004, 779 DE-R 1263 = NJW-RR 2004, 1185. 997 WRP 2002, 310 (313). 998 Urt. v. 09.07.2002 – 6 U Kart 72/01, OLGR 2002, 378; im Ergebnis zuvor bereits OLG Celle v. 22.06.2000 – 13 U 137/98, WuW DE-R 581 2001, 65; zusammenfassend Emde VersR 2002, 151 (158); 2001, 148 (159). 999 BGH, Urt. v. 08.05.2007 – KZR 14/04, WRP 2007, 1097 (1099) = RIW 2007, 614 = EWiR 2007, 547 (Emde). 1000 BGH, Urt. v. 08.05.2007 – KZR 14/04, WRP 2007, 1097 (1099) = RIW 2007, 614 = EWiR 2007, 547 (Emde). 1001 Niebling WRP 2005, 717 (718).

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des Händlers oder der Werkstatt nicht begrenzt werden (2) Beschränkungen des Verkaufs an Endverbraucher durch Händler, die auf der Großhandelsstufe tätig sind (3) Beschränkungen des Verkaufs neuer Kfz und von Ersatzteilen an nicht zugelassene Händler, die Mitglieder eines selektiven Vertriebssystems in Märkten mit selektivem Vertrieb auferlegt werden (4) Beschränkungen der Möglichkeiten des Händlers, Bauteile, die zum Einbau in andere Erzeugnisse beliefert werden, an Kunden zu verkaufen, welche diese Bauteile für die Herstellung derselben Art von Erzeugnissen verwenden würden, wie sie der Lieferant herstellt. (c) Beschränkungen von Querlieferungen zwischen Händlern oder Werkstätten innerhalb eines selektiven Vertriebssystems, auch wenn diese auf unterschiedlichen Handelsstufen tätig sind. Das schließt bei selektiven Vertriebssystemen die Vereinbarung einer Alleinbezugsverpflichtung aus 1002. (d) Beschränkungen des aktiven oder passiven Verkaufs von neuen Pkw oder leichten Nutzfahrzeugen, Ersatzteilen für sämtliche Kfz oder Instandsetzungs- und Wartungsdienstleistungen an Endverbraucher in Märkten mit selektiven Vertrieb, soweit diese Beschränkungen Mitgliedern eines selektiven Vertriebssystems auferlegt werden, welche auf der Einzelhandelsstufe tätig sind. Die Freistellung gilt jedoch für Vereinbarungen, in denen Mitgliedern eines selektiven Vertriebssystems verboten wird, Geschäfte von nicht zugelassenen Standorten aus zu betreiben. (e) Beschränkungen des aktiven oder passiven Verkaufs von anderen neuen Kfz als Pkw oder leichten Nutzfahrzeugen an Endverbraucher, soweit diese Beschränkungen Mitgliedern eines selektiven Vertriebssystems auferlegt werden, welche auf der Einzelhandelsstufe tätig sind. Der Lieferant darf es jedoch Mitgliedern eines solchen Systems verbieten, Geschäfte von nicht zugelassenen Standorten aus zu betreiben. (f) Beschränkungen der Möglichkeit des Händlers, neue Kfz zu verkaufen, die einem Modell seines Vertragsprogramms entsprechen. (g) Beschränkungen der Möglichkeit des Händlers, die Erbringung von Instandsetzungs- und Wartungsdienstleistungen an zugelassene Werkstätten untervertraglich weiter zu vergeben. Der Lieferant darf jedoch verlangen, dass der Händler dem Endverbraucher vor Abschluss des Kaufvertrages den Namen und die Anschrift der zugelassenen Werkstatt oder der zugelassenen Werkstätten mitteilt und, sollte sich eine der zugelassenen Werkstätten nicht in der Nähe der Verkaufsstelle befinden, den Endverbraucher über die Entfernung der fraglichen Werkstatt oder Werkstätten von der Verkaufsstelle zu unterrichten. Verpflichtungen dieser Art dürfen jedoch nur auferlegt werden, wenn Händlern, deren eigene Werkstatt sich nicht auf dem gleichen Gelände wie ihre Verkaufsstelle befindet, ähnliche Verpflichtungen auferlegt werden. (h) Beschränkungen des Rechts einer zugelassenen Werkstatt, ihre Tätigkeit auf die Erbringung von Instandsetzungs- und Wartungsdienstleistungen und den Ersatzteilvertrieb zu begrenzen. (i) Beschränkungen des Verkaufs von Kfz-Ersatzteilen durch Mitglieder eines selektiven Vertriebssystems an unabhängige Werkstätten, welche diese Teile für die Instandsetzung und Wartung eines Kfz verwenden. (j) Zwischen einem Lieferanten von Originalersatzteilen oder qualitativ gleichwertigen Ersatzteilen, Instandsetzungsgeräten, Diagnose- oder Ausrüstungsgegenständen oder 1002

Thoma WRP 2005, 1132 (1134).

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1. Buch. Handelsstand

einem Kfz-Hersteller vereinbarte Beschränkungen, welche die Möglichkeit für Lieferanten einschränken, diese Waren an zugelassene oder unabhängige Händler, zugelassene oder unabhängige Werkstätten oder an Endverbraucher zu verkaufen. (k) Beschränkungen der Möglichkeiten eines Händlers oder einer zugelassenen Werkstatt, Originalersatzteile oder qualitativ gleichwertige Ersatzteile von einem dritten Unternehmen ihrer Wahl zu erwerben und diese Teile für die Instandsetzung oder Wartung von Kraftfahrzeugen zu verwenden. Davon unberührt bleibt das Recht der Lieferanten neuer Kfz, für Arbeiten im Rahmen der Gewährleistung, des unentgeltlichen Kundendienstes oder von Rückrufaktionen die Verwendung von Originalersatzteilen vorzuschreiben, die vom Fahrzeughersteller bezogen werden. Das „5-Sterne-Premium-Paket“ eines Kfz-Herstellers, welches für Käufer neuer Fahrzeuge den gleichzeitigen Abschluss eines Vertrages über kostenlose Kundendienstleistungen bis zu einer bestimmten Zeit-und/oder Kilometergrenze beinhaltet, ist als „unentgeltlicher Kundendienst“ i.S.d. Art. 4 Abs. 1 lit. k KfzGVO zulässig, wenn die Begrenzung auf vier Jahre und 50.000 km lautet 1003. (l) Die zwischen einem Kfz-Hersteller, der Bauteile für die Erstmontage von Kfz verwendet, und dem Lieferanten dieser Bauteile getroffene Vereinbarung, die dessen Möglichkeiten beschränken, sein Waren- oder Firmenzeichen auf diesen Teilen oder Ersatzteilen effektiv und gut sichtbar anzubringen.

176

(7) Art. 4 Abs. 2 Kfz-GVO. Gemäß Art. 4 Abs. 2 Kfz-GVO gilt die Freistellung nicht, wenn der Kfz-Lieferant unabhängigen Marktbeteiligten den Zugang zu den für die Instandsetzung oder Wartung seiner Kfz oder für Umweltschutzmaßnahmen erforderlichen technischen Informationen, Diagnose- oder anderen Geräten und Werkzeugen neben einschlägiger Software oder die fachliche Unterweisung verweigert. Dieser Zugang muss unter anderem die uneingeschränkte Nutzung der elektronischen Kontroll- und Diagnosesysteme eines Kfz, deren Programmierung gemäß den Standardverfahren des Lieferanten, die Instandsetzung- und Wartungsanleitung und die für die Nutzung von Diagnose- und Wartungsgeräten sowie sonstige Ausrüstung erforderlichen Informationen einschließen. Unabhängigen Marktbeteiligten ist dieser Zugang gemäß Art. 4 Abs. 3 Kfz-GVO unverzüglich in nicht diskriminierender und verhältnismäßiger Form zu gewähren und die Angaben müssen verwendungsfähig sein. Der Zugang zu Gegenständen, die durch geistige Eigentumsrechte geschützt sind oder Know-How darstellen, darf nicht missbräuchlich verweigert werden. Die Verfügbarkeitsklausel des Art. 4 Abs. 1 lit. f Kfz-GVO erlaubt es den Händlern 177 auch außerhalb der Landesgrenzen des Heimatlandes, Neuwagen mit den landesspezifischen Ausrüstungselementen zu bestellen, sofern die Kunden das Fahrzeug in einem Staat zulassen wollen, in dem der Hersteller das entsprechende Modell des Vertragsprogramms ebenfalls anbietet. Diese Norm ist insbesondere für die Linksverkehrnationen Großbritannien und Irland bedeutsam 1004. Alle Händler können die Lieferung jedes in der EU angebotenen Fahrzeuges fordern, etwa Rechtslenker 1005. Daher sind auch Lieferquoten unzulässig, ebenso auf den Bestimmungsort des Kfz bezogene Prämienregelungen 1006. Ein Händler muss jede Bestellung von Kunden aus der EU akzeptieren 1007. Dem Händler darf der Verkauf an Vermittler nicht untersagt werden, sofern jene eine Vollmacht vorlegen 1008. Der Hersteller darf jedoch die Auslieferung verweigern, wenn die lokale Aus1003

1004

OLG Düsseldorf, Urt. v. 20.09.2006 – VI-U (Kart) 15/06, WuW 2007, 161 = DE-R 1865. Vogel in: Loewenheim/Messen/Riesenkampff, GVO-Kfz Rn 39.

104

1005 1006 1007 1008

Ensthaler WuW 2002, 1042 (1046). Ensthaler WuW 2002, 1042 (1047); Wendel WRP 2002, 1395 (1411). Wendel WRP 2002, 1395 (1411). Wendel WRP 2002, 1395 (1412).

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führung des bestellten Modells nicht dem Vertragsprogramm des Händlers angehört. Die Kfz-Hersteller dürfen weiterhin einen den Mehrkosten angemessenen Preisaufschlag für Rechtslenkerfahrzeuge berechnen 1009. (8) Art. 5 Kfz-GVO. Art. 5 Kfz-GVO enthält wie die Schirm-GVO 2790/99 einen 178 Katalog sogenannter „roter Klauseln“. Die in diesem Katalog genannten Verpflichtungen sind nicht vom Kartellverbot des Art. 81 Abs. 1 EG freigestellt. Das Einfügen einer roten Klausel in den Vertriebsvertrag bewirkt im Gegensatz zu den „schwarzen Klauseln“ des Art. 4 Kfz-GVO nur, dass die Klausel selbst nicht freigestellt wird 1010. Die restliche Vereinbarung steht einer Anwendung der GVO weiterhin offen 1011. Nach aA 1012 entfällt die Freistellung sämtlicher wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen des Vertrags. Jedoch kann gemäß §§ 139, 306 BGB die Nichtigkeit der wettbewerbsbeschränkenden Abreden des Vertrags zur Gesamtnichtigkeit des Vertrags führen 1013, sofern nicht der Schutzgedanke der GVO diesem Ergebnis widerspricht. Ob der Hersteller der Nichtigkeit durch einseitigen Verzicht auf die wettbewerbsbeschränkenden Bestimmungen entgegenwirken kann, erscheint zweifelhaft, weil beiden Vertragspartnern hierdurch ein Vertrag mit ursprünglich nicht gewolltem Inhalt aufgezwungen wird 1014. Eine dahingehende Einigung ist jedoch gestattet, sofern der Vertrag dann GVO-konform wird. Gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. a Kfz-GVO sind alle unmittelbaren oder mittelbaren Wettbe- 179 werbsverbote von der Freistellung ausgeschlossen. Das betrifft sowohl auf die Vertragslaufzeit beschränkte als auch nachvertragliche Wettbewerbsverbote 1015. Nach Art. 5 Abs. 1 lit. b Kfz-GVO sind alle unmittelbaren oder mittelbaren Verpflichtungen, welche die Möglichkeiten von zugelassenen Werkstätten einschränken, Instandsetzungs- und Wartungsdienstleistungen für Fahrzeuge konkurrierender Lieferanten zu erbringen, von der Freistellung ausgeschlossen. Art. 5 Abs. 1 lit. c Kfz-GVO schließt alle unmittelbaren oder mittelbaren Verpflichtungen, welche die Mitglieder eines Vertriebssystems veranlassen, Kfz oder Ersatzteile bestimmter konkurrierender Lieferanten nicht zu verkaufen oder Instandsetzungs- oder Wartungsdienstleistungen für Kfz bestimmter konkurrierender Lieferanten nicht zu erbringen, von der Freistellung aus. Gleiches gilt gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. d Kfz-GVO für alle unmittelbaren oder mittelbaren Verpflichtungen, die den Händler oder die zugelassene Werkstatt veranlassen, nach Beendigung der Vereinbarung Kfz nicht herzustellen, zu beziehen, zu verkaufen oder weiter zu verkaufen oder Instandsetzung- oder Wartungsdienstleistungen nicht zu erbringen. Art. 5 Abs. 2 Kfz-GVO schließt weitere Verpflichtungen von der Freistellung aus: 180 Gemäß lit. a alle unmittelbaren oder mittelbaren Verpflichtungen, die den Händler ver-

1009 1010 1011

1012 1013

Vogel in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Kfz Rn 39. Wendel WRP 2002, 1395 (1398). BGH, Beschl. v. 26.07.2005 – KZR 14/04, BB 2005, 2208 = ZIP 2005, 1936 (LS) = WuW 2005, 1141 (DE-R 1151) = WRP 2005, 1535 = NJW 2005, 3376 = EWiR 2006, 13 (Emde) = GRUR Int. 2006, 59; Vogel in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Kfz Rn 44. Rickmann WuW 2003, 752 (755). Rickmann WuW 2003, 752 (756); Niebling WRP 2002, 310 (313); aA wohl OLG Schleswig, Urt. v. 09.07.2002 – 6 U Kart

1014

1015

72/01, OLGR 2002, 378; im Ergebnis zuvor bereits OLG Celle v. 22.06.2000 – 13 U 137/98, WuW DE-R 581 2001, 65; zusammenfassend Emde VersR 2002, 151 (158); 2001, 148 (159). BGH, Beschl. v. 26.07.2005 – KZR 14/04, BB 2005, 2208 = ZIP 2005, 1936 (LS) = WuW 2005, 1141 (DE-R 1151) = WRP 2005, 1535 = NJW 2005, 3376 = EWiR 2006, 13 (Emde) = GRUR Int. 2006, 59. Vogel in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GVO-Kfz Rn 45; Genzow in: Ensthaler § 90a Rn 23.

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anlassen, keine Leasingdienstleistungen für Vertragswaren oder ihnen entsprechende Waren zu verkaufen. Gemäß Art. 5 Abs. 2 lit. b Kfz-GVO alle unmittelbaren oder mittelbaren Verpflichtungen, welche die Möglichkeiten von Händlern von Pkw oder leichten Nutzfahrzeugen in einem selektiven Vertriebssystem einschränken, zusätzliche Verkaufs- oder Auslieferungsstellen an anderen Standorten am gemeinsamen Markt zu errichten, an denen selektiver Vertrieb stattfindet. Am 01.10.2005 entfiel die zunächst gewährte Freistellung für solche Standortklauseln in selektiven Vertriebssystemen (Art. 5 Abs. 2 lit b, 12. Abs. 2 Kfz-GVO). Zuvor konnten Kfz-Hersteller ihren in ein selektives Vertriebssystem eingebundenen Vertragshändlern die Eröffnung von Verkaufsstellen außerhalb des ihnen zugewiesenen Gebiets untersagen. Dies ist nun nicht mehr möglich1016. Mit Wegfall der Standortklauseln dürfen Händler auch außerhalb ihrer Gebiete tätig werden und überall – im In- wie Ausland – neue Verkaufsstellen eröffnen. Porsche hat sich durch einen comfort letter die Vereinbarkeit der in ihren Händlerverträgen enthaltenen Standortklausel mit Art. 81 EG zusichern lassen. Art. 5 Abs. 3 Kfz-GVO schließt die Freistellung für alle unmittelbaren oder mittel181 baren Verpflichtungen betreffend den Standort einer zugelassenen Werkstatt in einem selektiven Vertriebssystem aus.

182

(9) Art. 6 bis 12 Kfz-GVO. Schlichtungsverfahren? Die Regelungen der Kfz-GVO zum Schlichtungsverfahren bestimmen nicht, ob das Verfahren zwingend vor Einreichung einer Klage vor ordentlichen Gerichten durchzuführen ist 1017. Die Parteien sind frei, eigene Regelungen zu treffen 1018. Selbst ohne dahingehende Verpflichtung dürfen sich Hersteller wie Händler dem außergerichtlichen Schlichtungsverfahren nicht versagen. Sie sind allerdings nicht gezwungen, vor Anrufung der staatlichen Gerichte ein solches Verfahren vorzuschalten 1019. Die Kündigung wird nicht unwirksam, weil in dem Händlervertrag ein Verfahren zur Durchführung der außergerichtlichen Schlichtung nicht vorgesehen ist 1020.

183

(10) Art. 6–12 Kfz-GVO. Im Einklang mit der Systematik der Schirm-GVO stehen auch die Art. 6 bis 12 Kfz-GVO. Gemäß Art. 6 Kfz-GVO kann die Kommission die Freistellung entziehen, wenn die nach der Kfz-GVO freigestellte vertikale Vereinbarung gleichwohl Wirkungen hat, welche mit den Voraussetzungen von Art. 81 Abs. 3 EG unvereinbar ist. Art. 8 Kfz-GVO regelt die Berechnung der Marktanteile. Strittig ist, wie die dort genannte 30 %-Schwelle des Art. 8 Kfz-GVO zu bestimmen ist. Bei Überschreiten besteht insb. ein Kontrahierungszwang im Werkstattgeschäft (Rn 264). Es wird die Ansicht vertreten, Gewährleistungsarbeiten/Garantieleistungen sowie spezifisch markenbezogene Arbeiten müssten bei der Marktanteilsberechnung nach Art. 8 Kfz-GVO als nicht substituierbar unberücksichtigt bleiben. Gemäß Art. 8 Kfz-GVO dürften nur aus Käufersicht substituierbare Leistungen in die Marktvolumenberechnung einfließen. Diese Ansicht ist abzulehnen 1021. Nur weil der Hersteller die Vornahme von Gewährleistungs- und Garantiearbeiten durch Mitglieder seines Vertriebsnetzes vorschreibt, können diese Leistungen nicht von der Marktanteilsberechnung ausgenommen werden. Sonst hätte es der Hersteller in der Hand, durch bilaterale Vereinbarungen zwischen sich und den Mitgliedern sei-

1016 1017 1018 1019

Vgl. EuZW 2005, 642. Wendel WRP 2002, 1395 (1403). Creutzig BB 2002, 2133 (2146); Ensthaler WuW 2002, 1042 (1051). OLG Saarbrücken NJW-RR 1999, 1713.

106

1020 1021

OLG Saarbrücken NJW-RR 1999, 1713. Ensthaler/Gesmann-Nuissl BB 2006, 2589 (2595 f).

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nes Vertriebsnetzes den maßgeblichen Marktanteil herab zu setzen. Auch dass der Hersteller diese Arbeiten bezahlt, führt zu keiner anderen Beurteilung 1022. Die Marktstärke wird nicht weniger gewichtig, weil der Hersteller die Leistungen entlohnt 1023. Zudem kommt es auf die Substituierbarkeit aus der Sicht des Käufers an. Diese wird abstrakt nach der erbrachten Leistung und nicht konkret nach der Person des für die Leistung Zahlenden bestimmt. (11) Art. 9 Kfz-GVO normiert die Bestimmung des Umsatzes. Art. 10 Kfz-GVO trifft 184 eine Regelung über den Übergangszeitraum, die heute praktisch keinen Anwendungsbereich mehr hat. Umstritten war insbes. die Konkordanz von altem und neuem Recht. Da der Händler das Recht hatte, als autorisierte Werkstatt anerkannt zu werden, war ein Konflikt mit der Übergangsregelung für Altverträge, die bis zum 30.09.2003 freigestellt blieben, denkbar. Insbesondere blieb eine Vertragsverletzung des Herstellers möglich, wenn er eine Werkstatt in dem Gebiet eines Händlers autorisierte, der einen bis zum 30.09.2003 geltenden Altvertrag mit zugesprochener Exklusivität geschlossen hatte 1024. Dabei wurde vertreten, altes Recht gehe neuem Recht vor 1025. Gemäß Art. 11 Kfz-GVO wird die Kommission die Anwendung der Verordnung regelmäßig überwachen. Nach Art. 12 Kfz-GVO tritt die Verordnung am 01.10.2002 in Kraft, Art. 5 Abs. 2 b Kfz-GVO jedoch erst ab 01.10.2005. Die Kfz-GVO gilt gemäß ihres Art. 12 Abs. 3 bis zum 31. Mai 2010. Ob sie danach der Verschlankung des EU-Rechts zum Opfer fällt ist unbestimmt. Die von der EU-Kommission in Auftrag gegebene Studie der London Economics kommt zu dem Ergebnis, auf dem Neuwagenmarkt herrsche starker Wettbewerb. Hier sei die GVO gut umgesetzt worden. Im Servicebereich funktioniere der Wettbewerb noch nicht so, wie es wünschenswert sei. Im Ersatzteilbereich funktioniere der Wettbewerb am wenigsten 1026. Die GVO habe den Herstellern zu umfangreiche Gestaltungsspielräume gelassen, ohne Instrumente bereitzustellen, um diese wirksam zu überprüfen 1027. Insbesondere behindern die Hersteller durch umfangreiche Standards, deren Erfüllung wegen der damit verbundenen Kosten schwerfällt, einen freien Wettbewerb 1028. Gleichwohl soll auch im Jahr 2010 nach Ansicht einiger noch eine spezielle Kfz-GVO notwendig sein 1029. Andere gehen davon aus, dass die Kfz-GVO nicht über das Jahr 2010 hinaus verlängert wird 1030. Möglicherweise wird auch der LKW-Vertrieb keine Sonderregelung mehr erhalten oder die allgemein-zivilrechtlichen Regelungen der GVO (etwa: Kündigungsbestimmungen) entfallen – was dann durch ergänzende Vertragsauslegung oder eine strengere Kontrolle anhand des § 307 BGB zu kompensieren wäre. Nach Äußerungen von Seiten der Kommission wird auch an eine übergangsweise Verlängerung der GVO gedacht. Nach Art. 12 Abs. 2 Kfz-GVO ist die GVO in all ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Insoweit drängt mittlerweile die Zeit, weil sich die Betroffenen auf das Gewollte einstellen müssen. Zum Bewertungsbericht der EU-Kommission siehe Wendel BB 2008, 1294 ff.

1022 1023 1024 1025 1026 1027

Ensthaler/Gesmann-Nuissl BB 2006, 2589 (2596 f). Ensthaler/Gesmann-Nuissl BB 2006, 2589 (2596 f). Creutzig EuZW 2002, 560 (563). Creutzig EuZW 2002, 560 (563). Jagels Kfz-Betrieb 35/2006, S. 10. Ensthaler zitiert nach Jagels Kfz-Betrieb 35/2006, S. 11.

1028 1029 1030

Vgl. v. Maltzan kfz-betrieb 26/2007, S. 16. Ensthaler zitiert nach Jagels Kfz-Betrieb 35/2006, S. 11. Genzow FAZ v. 25.01.2006, S. 53; zum Status v. Maltzan kfz-betrieb 26/2007, S. 16; Wendel BB 2008, 1294 ff.

Raimond Emde

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Vor § 84 185

1. Buch. Handelsstand

cc) Handelsvertreter-Kartellrecht (1) Historie des Handelsvertreter-Kartellrechts 1031. Bereits in seinen Urteilen vom 13.07.1966 in den Rechtssachen Consten und Grundig 1032 und Kommission/Italien 1033 hat der EuGH grundlegende Aussagen zur Frage der Anwendung des Art. 81 EG (damals: Art. 85 EG) auf HV-Verträge getroffen. In der Entscheidung Italien/Rat und Kommission 1034 entschied er: „Es wäre schließlich verfehlt, die Lage eines Herstellers, der mit dem Verteiler seiner Erzeugnisse eine Alleinvertriebsvereinbarung getroffen hat und deshalb Art. 85 unterworfen ist, mit derjenigen eines Herstellers zu vergleichen, der den Vertrieb seiner Erzeugnisse auf irgendeinem Wege, beispielsweise den des Einsatzes von Handelsvertretern, in sein eigenes Unternehmen eingegliedert hat und damit nicht von Art. 85 erfasst wird. Beide Fälle sind rechtlich verschieden und auch sonst unterschiedlich zu würdigen, da zwei Absatzorganisationen, von denen die eine in das Hersteller-Unternehmen eingegliedert ist, die andere nicht, nicht notwendig die gleiche Wirksamkeit entfalten. Dem Verbot des Art. 85 unterliegen … alle Vereinbarungen zwischen mehreren Unternehmen. Somit ist es nicht anwendbar, wenn es sich um ein einziges Unternehmen handelt, das seine Vertriebsorganisation in seinen eigenen Geschäftsbetrieb eingegliedert hat“.

186

Der EuGH stellte damit klar, dass HV-Verträge in Hinblick auf Art. 81 EG einer abweichenden Beurteilung unterliegen können als Vertragshändlerverträge. Den Unterschied zwischen beiden Vertriebsformen sah der EuGH hier in der Eingliederung des HV in das Vertriebssystem des Unternehmers. Im Fall Suiker Unie 1035 bestätigte der EuGH diese Bewertung: „…dass es in der Regel Wesen und Sinn einer rechtlichen und wirtschaftlichen Beziehung der hier fraglichen Art entspricht, wenn Hersteller oder Vereinigungen von Herstellern den Absatzmittlern, die in ihrem Namen und für ihre Rechnung verkaufen, untersagen, ohne ihre Zustimmung gleichzeitig für konkurrierende Hersteller tätig zu werden. Wird ein solcher Absatzmittler für seinen Geschäftsherren tätig, so kann er grundsätzlich als ein in dessen Unternehmen eingegliedertes Hilfsorgan angesehen werden, das den Weisungen des Geschäftsherrn zu folgen hat und sonach mit dem betroffenen Unternehmen ebenso wie ein Handlungsgehilfe eine wirtschaftliche Einheit bildet. Bei dieser Sachlage stellt die bloße Tatsache, dass der Geschäftsherr einem solchen Hilfsorgan das Verbot auferlegt, ohne seine Zustimmung mit Waren zu handeln, die geeignet sind, seinen eigenen Waren Konkurrenz zu machen, noch keinen Missbrauch dar. Etwas anderes gilt, wenn dem Absatzmittler aufgrund des zwischen ihm und dem Geschäftsherren getroffenen Abmachung, die die Vertragsparteien als „Handelsvertreter-Vereinbarung“ bezeichnen, Aufgaben erwachsen oder verbleiben, die aus wirtschaftlicher Sicht insofern denen eines Eigenhändlers ähneln, als der Absatzmittler die finanziellen Risiken des Absatzes bzw. der Abwicklung der mit Dritten geschlossenen Verträge zu tragen hat. Da in diesem Fall der Absatzmittler nicht als ein in das Unternehmen des Geschäftsherren eingegliedertes Hilfsorgan anzusehen ist, kann ein zwischen beiden vereinbartes Wettbewerbsverbot, wenn es von einem marktbeherrschenden Unternehmen auferlegt wurde, einen Missbrauch im Sinne des Art. 86 darstellen, weil es geeignet ist, die beherrschende Stellung noch weiter zu verfestigen.“

187

Wenngleich der EuGH in erster Linie die „Eingliederung“ des HV als Befreiungsmerkmal von den Beschränkungen des Art. 81 EG ansah, stellte er hier auch auf eine

1031

1032

Siehe hierzu insbes. Roniger Das neue Vertriebskartellrecht, 2000, E 15 ff; Schultze/ Pautke/Wagener Vertikal-GVO, 2001, Rn 149 ff; Kapp/Andresen BB 2006, 2253. EuGH v. 13.07.1966, Slg. 1966, 429.

108

1033 1034 1035

EuGH v. 13.07.1966, Rs. 32/65 Italien/Rat und Kommission, Slg. 1966, 457. Slg. 1966, 457, 485 f. EuGH v. 16.12.1975, Slg. 1975, 1663, 478/481 ff.

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wirtschaftliche Betrachtungsweise ab. Die Weisungsgebundenheit als Indiz für die Eingliederung solle wiederlegt sein, falls der HV zugleich als Eigenhändler tätig war. In der nachfolgenden Reisevermittler-Entscheidung 1036 ließ der EuGH die Frage der Risikoverteilung jedoch unbeachtet. Er hob allein auf das formale Kriterium ab, dass einerseits die Reisevermittler für mehrere Reiseveranstalter Reiseleistungen verkauften (MehrfirmenHV) und andererseits die Reiseveranstalter ihre Reisen über mehrere Reisevermittler veräußerten. Daraus folgerte er, die Reisevermittler seien keine in das Unternehmen des einzelnen Reiseveranstalters eingegliederten Hilfsorgane. In der Volkswagen-Entscheidung stellte der EuGH neben der formalen Eingliederung wieder auf die Übernahme eines wirtschaftlichen Risikos des HV ab 1037. Nach der neuesten Entscheidung des EuGH aus dem Jahre 2006 ist der vertikal Ge- 188 bundene nur dann Normadressat des Art. 81 EG, falls er unabhängiger Wirtschaftsteilnehmer bleibt. Nur dann liegt eine Vereinbarung zwischen zwei Unternehmen vor 1038. Bei der Prüfung dieser Frage kommt es nicht auf die formale Trennung der zwei Gesellschaften an, sondern darauf, ob sich beide auf dem Markt einheitlich verhalten 1039. Ein Absatzmittler ist kein selbstständiger Unternehmer, falls er sein Verhalten auf dem Markt nicht eigenständig bestimmt, weil er vollständig von seinem Geschäftsherrn aufgrund der Tatsache abhängig ist, dass jener die finanziellen und kommerziellen Risiken in Bezug auf die betreffende wirtschaftliche Tätigkeit trägt 1040. Verbleiben dem Absatzmittler Aufgaben, die aus wirtschaftlicher Sicht denen eines unabhängigen Wirtschaftsteilnehmers ähneln, etwa wenn der Absatzmittler die finanziellen und kommerziellen Risiken des Absatzes oder der Abwicklung der mit dem Dritten geschlossenen Verträge zu tragen hat, ist der Absatzmittler nicht als ein von der Anwendung des Art. 81 EG befreites, in das Unternehmen des Geschäftsherrn eingegliedertes Hilfsorgan anzusehen 1041. Wird der Mittler nach diesen Maßstäben von Art. 81 EG befreit, fallen nur jene Verpflichtungen nicht unter Art. 81 EG, die dem Absatzmittler im Rahmen des Verkaufs der Waren an Dritte für Rechnung des Geschäftsherrn auferlegt werden 1042. Weiterhin nach Art. 81 EG zu prüfen bleiben Verpflichtungen wie z.B. eine Ausschließlichkeits- und Wettbewerbsverbotsklausel. Solche Klauseln können gegen die Wettbewerbsregeln verstoßen, sobald sie zu einer Abschottung des betreffenden Marktes führen 1043. Am meisten umstritten aus der Rechtsprechung der vergangenen Jahre blieb das Urteil 189 des EuG vom 15.09.2005 1044. In seiner Entscheidung hob das EuG die den MercedesVertrieb betreffende Entscheidung der Kommission 2002/758/EG vom 10.10.2001 gegen Daimler Chrysler auf 1045. Die Kommission hatte Mercedes-Benz Autohäuser als unechte

1036 1037 1038 1039

1040 1041 1042

EuGH WuW/E EWG/MUV 803 – Reisevermittler. EuGH Slg. 1995 I-3477, Rn 125 – Bundeskartellamt/Volkswagen AG, VAG Leasing. EuGH, Urt. v. 14.12.2006 – C-217/05, GRUR 2007, 437. EuGH, Urt. v. 14.12.2006 – C-217/05, GRUR 2007, 437; EuGH, Slg. 1972, 619 Rn 140. EuGH, Urt. v. 14.12.2006 – C 217/05, GRUR 2007, 437 (440 Rn 44). EuGH, Urt. v. 14.12.2006 – C 217/05, GRUR 2007, 437 (440 Rn 45). EuGH, Urt. v. 14.12.2006 – C 217/05, GRUR 2007, 437 (441 Rn 61).

1043 1044

1045

EuGH, Urt. v. 14.12.2006 – C 217/05, GRUR 2007, 437 (441 Rn 62). T-325/01 Daimler Chrysler/Kommission, WuW 2005, 1061 = EU-R 933; mit Kommentar Pfeffer/Wegner EWS 2006, 296 sowie kritischer Besprechung Ensthaler/ Gesmann-Nuissl EuZW 2006, 167 ff. EuZW 2001, 674; hierzu Lubitz EWS 2004, 556; Emde VersR 2003, 420; ders BB 2005, 394. In wesentlichen Teilen aufgehoben dürften die Leitlinien entgegen Pfeffer/Wegner EWS 2006, 296 (300) durch diese Entscheidung allerdings nicht sein.

Raimond Emde

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Vor § 84

1. Buch. Handelsstand

HV angesehen 1046 (unten, Rn 217). Das EuG urteilte gegenteilig und großzügiger: Der Begriff der Vereinbarung i.S.d. Art. 81 Abs. 1 EG und damit das Eingreifen des in Art. 81 EG normierten Kartellverbots setze eine Willensübereinstimmung zwischen mindestens zwei Personen voraus. Der TB des Art. 81 EG sei nicht erfüllt, sofern eine Entscheidung des Herstellers ein einseitiges Verhalten darstelle. An „zwei Personen“ im wirtschaftlichen Sinne und damit einer Vereinbarung i.S.d. Art 81 EG fehle es bei wirtschaftlicher Einheit zwischen ihnen. Zwischen HV und Unternehmer existiere eine wirtschaftliche Einheit, falls der HV ein in den Betrieb des Unternehmers eingegliedertes Hilfsorgan sei. Ein HV werde als in den Betrieb des Unternehmers eingegliedertes Hilfsorgan angesehen, wenn er den Weisungen des Geschäftsherrn zu folgen habe. Nur falls der HV einem Eigenhändler gleiche und wie dieser die finanziellen Risiken des Absatzes oder der Abwicklung der mit Dritten geschlossenen Verträge zu tragen habe, fehle es an dieser Einheit. Dürfe der HV trotz eigener Rechtspersönlichkeit sein Geschäftsgebaren nicht autonom bestimmen, sondern habe den Weisungen des Herstellers zu folgen, so bleibe das Verbot des Art. 81 Abs. 1 EG auf die Beziehung zwischen ihm und seinem Geschäftsherrn unanwendbar 1047. Nach diesem Maßstab befürwortete der EuGH die wirtschaftliche Einheit zwischen Daimler Chrysler und seinen HV auch wegen des Mangels erheblicher wirtschaftlicher Risiken des HV (Rn 217). Der Standardvertretervertrag sei von Daimler Chrysler vorgegeben. Der HV habe zudem beim Aushandeln der Preise keine Befugnisse. Die Eingliederung als ein neben der wirtschaftlichen Risikobetrachtung stehendes 190 Merkmal ist nach Ansicht von Ensthaler/Gesmann-Nuissl abzulehnen1048. Es widerspräche den Denkgesetzen, wenn bei völlig identischer Eingliederungstiefe von Kfz-HV (Mercedes-Benz) und Kfz-Vertragshändlern (bei den meisten Herstellern und Importeuren) nur HV aus der kartellrechtlichen Beurteilung nach Art. 81 EG und dem Regelungsbereich der GVO 1400/02 fielen. Die HV seien gerade im Kfz-Bereich derart in das Unternehmen eingebunden, dass von einer Franchisenehmer-Stellung gesprochen werden könne 1049. Es sei nicht systemgerecht, die GVO 1400/02 auf echte HV nicht anzuwenden, während Vertragshändler und unechte HV in den Genuss ihrer Vorteile, etwa der Standortregelung kämen 1050. Betreibe der Hersteller unterschiedlich gestaltete Vertriebssysteme unter Einsatz verschiedener Absatzmittlertypen, die ihrerseits stark angenähert seien, fände die GVO 1400/2002 auch auf echte HV Anwendung 1051. Daimler/Chrysler dürfte sonst zwei unterschiedliche Vertriebssysteme unterhalten, einerseits (außerhalb Deutschlands) ein der GVO 1400/02 unterstehendes Vertragshändlersystem, andererseits in Deutschland mit HV. Die Angehörigen des einen Systems (Händler) wären denen des anderen Systems in Hinblick auf das Schutzniveau überlegen 1052. Dies widerspreche dem Gebot der Systemgerechtigkeit. Der echte Kfz-HV dürfe gemäß § 313 Abs. 1 BGB Vertragsanpassung fordern. Diese Anpassung ginge dahin etwa die Standortklausel in den HV-Vertrag aufzunehmen.

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ABlEG 2002 Nr. L257, 32 ff, aufgehoben durch EuGH, Urt. v. 15.09.2005 – Rs. T-325/01. Zur Unterscheidung zwischen echten und unechten HV siehe auch Emde BB 2002, 949. Ensthaler/Gesmann-Nuissl EuZW 2006, 167 (168 ff). Niebling Das Recht des Automobilvertriebs, 1996, S. 77 ff; ders GRUR 2000,

110

1050 1051 1052

19 (22); Ensthaler/Gesmann-Nuissl EuZW 2006, 167 (169). Ensthaler/Gesmann-Nuissl EuZW 2006, 167 (171). Ensthaler/Gesmann-Nuissl EuZW 2006, 167 (171). Ensthaler/Gesmann-Nuissl BB 2006, 2589 (2593).

Raimond Emde

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

Vor § 84

Die europäische Rechtsprechung (EuGH und das EuG 1053) stellt – neben den vom 191 Vertriebsmittler zu tragenden Risiken 1054 – damit auf die Position des HV als eingegliedertes Hilfsorgan des Unternehmers ab 1055 und unterscheidet zwischen freigestellten HVVerträgen ohne finanzielles Risiko und nicht freigestellten mit finanziellem Risiko 1056. Bei fehlendem Risiko bejaht sie die Eingliederung. Diese Unterscheidung hat die Kommission in den Tz. 12 ff der Leitlinien zur GVO 2790/99 aufgenommen (Rn 193 ff). Für die Kommission 1057 steht die tatsächliche wirtschaftliche Funktion und Betätigung des HV, die primär durch die Übernahme des finanziellen und wirtschaftlichen Risikos determiniert wird, stärker als zentrales Abgrenzungskriterium im Vordergrund 1058. Der HVVertrag wird in „Verkleidung“ einer Eingliederungsprüfung daran gemessen, inwieweit der HV finanzielle und geschäftliche Risiken übernimmt. Anders als die Kommission, welche noch in ihrer Begründungserwägung zur Entscheidung des EuG vom 15.September 2005 1059 die Ansicht vertrat, die Eingliederung sei kein eigenständiges Merkmal zur Abgrenzung eines HV vom Eigenhändler, stellt es die Rechtsprechung und auch das EuG heraus 1060. Im Ergebnis geht aber auch die europäische Rechtsprechung – wie die Kommission in den Leitlinien zur GVO 2790/99 (Rn 193 ff) – unter dem Begriff der Eingliederung darauf ein, ob wirtschaftliche Risiken vorliegen oder nicht 1061. Das EuG prüft das wirtschaftliche Risiko lediglich unter anderer Überschrift 1062. Ist der HV bei einem Teil seiner Geschäfte als HV und bei einem anderen Teil als 192 Eigenhändler tätig („Doppelprägung“) und betrifft diese dieselbe Ware, so ist er kartellrechtlich wie ein Eigenhändler anzusehen und unterfällt nicht den Tz. 12 ff der Leitlinien zur GVO 2790/99 1063. Gleiches soll bei einer Mehrfirmenvertretung auf dem gleichen Produktmarkt gelten. So seien etwa Reisevermittler in der Regel keine eingegliederten HV, da sie für verschiedene Reiseveranstalter tätig seien und die Reiseveranstalter ihre Reisen über eine Vielzahl von Reisevermittlern vertrieben 1064. Dies erscheint zweifelhaft, da auch ein Mehrfirmen-HV Hilfsorgan sein kann und die Eingliederung innerhalb des

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EuGH, Urt. v. 15.09.2005 – T-325/01, Rn 41; Daimler/Kommission unter Verweis auf weitere Rechtsprechung v. 16.12.1975 – 40/73, 48/73, 50/73, 54/73, 56/73, 111/73, 113/73, 114/73; Suiker Unie u.a./Kommission, Slg. 1975, 1663 und v. 24.10.1995 – C-266/93; VAG Leasing, EuGH, Slg. 1995, I-3477. EuGH, Urt. v. 14.12.2006 – C-217/05, GRUR 2007, 437; EuGH, 32/65, Slg. 1966, 457, 458 – Italien/Rat und Kommission; Rs. C-226/93, Slg. 1995, I-3477 – BKart/VW und VW Leasing. EuGH, Urt. v. 14.12.2006 – C-217/05, GRUR 2007, 437; st. Rechtsprechung seit Rs. 56/64 und 58/64, Slg. 1966, 321 (387) – Consten und Grundig/Kommission; siehe Ensthaler/Gesmann-Nuissl EuZW 2006, 167 (168); Kapp/Andresen BB 2006, 2253 (2254); Lubitz EWS 2003, 556 (558 f); Nach Ansicht der Kommission in der Mercedes-Benz-Entscheidung ABlEG 2002, Nr. L 257, 1, 34, spielt dieses Merkmal allerdings keine Rolle.

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Siehe auch Martinek/Flohr § 9 Rn 34. Entsch. der Kommission v. 10.10.2001 bezüglich eines Verfahrens nach Art. 81 EG-Vertrag (Kommission/Mercedes Benz) – ABl. EG Nr. L 257 v. 25.09.2002, S. 1 Rn 153 ff. Siehe Ensthaler/Gesmann-Nuissl EuZW 2006, 167 (168); Pfeffer/Wegner EWS 2006, 296 (301). Rs. T-325/01, EuZW 2005, 766. EuG, Urt. v. 15.09.2005 – T-325/01, Rn 86; Ensthaler/Gesmann-Nuissl EuZW 2006, 167 (168). Ebenso Eilmansberger ZweR 2006, 64 (69 f). Ensthaler/Gesmann-Nuissl BB 2006, 2589 (2592); zum Streitstand Kapp/Andresen BB 2006, 2253 (2254). EuGH, Urt. v. 16.12.1975 (Suiker Unie), Slg. 1975, 1663, 2024/2025, Rz. 554/547; Walcher WRP 2005, 850 (851). EuGH, Urt. v. 01.10.1987 – Vlaamse Reisebureaus, Slg. 1987, 3821 (3828), Rn 20; Walcher WRP 2005, 850 (851).

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Vor § 84

1. Buch. Handelsstand

einzelnen Vertrags zu prüfen ist. Umgekehrt soll das Kriterium der Eingliederung bei einem Einfirmen-HV regelmäßig zu befürworten sein 1065. Bei dem als Abschlussvertreter tätigen HV, der eigenständig die Konditionen des Vertrages aushandeln darf, soll es auf die Vorgaben des Unternehmers und den sich daraus ergebenden Handlungsspielraum des HV ankommen 1066. Die Bestimmung eines Fixpreises durch den Unternehmer soll die Eingliederung als echter HV nicht ausschließen 1067. Richtigerweise ist die Eingliederung in jedem Fall im einzelnen Vertragsverhältnis zu untersuchen. Je mehr die Freiheit des HV, eigene wirtschaftliche Entscheidungen im Zusammenhang mit dem vermittelten Produkt zu treffen vertraglich eingeschränkt wird, um so eher dürfte ein HV-Vertrag dem Kartellrecht entzogen sein 1068.

193

(2) Die Leitlinien zur GVO 2790/99. Bis zur Einführung der GVO 2790/99 wurde das HV-Kartellrecht durch die Weihnachtsbekanntmachung der Kommission 1069 geregelt. Sie erfasste lediglich Alleinvertriebsverträge mit HV und differenzierte ähnlich der Entscheidung Suiker Unie (Rn 186) zwischen Vereinbarungen, die HV-typisch waren und solchen, die einem Vertragshändlervertrag gleichstanden 1070. Als maßgebliches Kriterium für die Separierung zwischen handelsvertreter- und vertragshändlerähnlichen Abreden wurde das mit dem Absatz oder der Vertragsabwicklung verbundene finanzielle Risiko angesehen, wobei Beispiele „eigenhändlergleicher“ Vertreter (jetzt: „unechte“ Vertreter) gebildet wurden, die sehr dem Tz. 16 der heutigen Leitlinien zur GVO 2790/99 entsprachen: Außer bei Übernahme der Delkredere-Haftung habe der HV funktionsmäßig kein weitergehendes Risiko aus dem Handelsgeschäft zu tragen. Übernehme er dennoch solche Risiken, nähere er sich funktionell und wirtschaftlich dem Eigenhändler und müsse daher wettbewerbsrechtlich auch wie ein solcher behandelt werden. Der Verbotstatbestand des Art. 81 EG (damals: Art. 85 Abs. 1 EG) sollte folglich für Alleinvertriebsverträge mit HV nicht erfüllt sein und nur für Vertragshändlerverträge oder vertragshändlerähnliche Vereinbarungen gelten. Schon 1973 änderte die Kommission ihre in der Weihnachtsbekanntmachung verkün194 dete Ansicht. Für die Anwendung des Art. 81 EG sollte nunmehr entscheidend sein, ob der HV zum einen für mehrere Geschäftsherren und zum anderen auch (im Inland) als Eigenhändler für dieselbe Ware auftrat 1071. Nachdem der EuGH in der „ReisevermittlerEntscheidung“ 1072 für die Anwendung des Art. 81 EG auf die Mehrfachvertretung abstellte und folglich auf das Erfordernis der Eigenhändlertätigkeit verzichtete, hielt auch die Kommission nicht länger am kumulativen Erfordernis beider Kriterien fest. Vielmehr vollzog sie in dem „Vorentwurf-Bekanntmachung betreffend HV-Verträge“ 1073 einen Paradigmenwechsel: Es sollte nur noch der eingebundene Einfirmen-HV von der Anwendung des Art. 81 EG ausgenommen sein. Die Unterscheidung des eingebundenen Einfirmen-HV vom Eigenhändler bzw. vom nicht eingebundenen HV sollte anhand der materiellen und wirtschaftlichen Risikoverteilung erfolgen. Dagegen kam es für die Unterscheidung zwischen Einfirmen- und Mehrfirmen-HV nicht mehr auf die Verteilung des wirtschaftlichen Risikos an. Entscheidend sollte sein, ob der HV gleichzeitig mehrere konkurrierende Produktpaletten führte 1074.

1065 1066 1067 1068 1069 1070

Pfeffer/Wegner EWS 2006, 296 (301). Pfeffer/Wegner EWS 2006, 296 (301). Pfeffer/Wegner EWS 2006, 296 (301). Pfeffer/Wegner EWS 2006, 296 (301). ABl. EG 1962 S. 2921. Siehe OLG Hamburg WuW/E DE-R 506.

112

1071 1072 1073 1074

Kommission, ABl. 1973 Nr. L 217, S. 3 bis 6 – SCPA/Kali und Salz. EuGH WuW/E EWG/MUV 803 – Reisevermittler. IV/484/90-DE. Kapp/Andresen BB 2006, 2253.

Raimond Emde

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

Vor § 84

Gemäß Tz. 12 ersetzen die Tz. 12–20 der Leitlinien zur GVO 2790/99 die Weihnachtsbekanntmachung aus 1962. Die Weihnachtsbekanntmachung hat daher heute nur noch Bedeutung für die historische Auslegung der Leitlinien. Die Rechtsverhältnisse der HV wurden nicht direkt in der GVO 2790/99 geregelt. Jedoch führen ihre Leitlinien 1075 in den Tz. 12–20 zu HV-Verträgen aus. Die Leitlinien enthalten – da sie sich auf keine ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage stützen können 1076 – keine Rechtssätze 1077 und sind kein sekundäres Gemeinschaftsrecht 1078. Sie haben also keinen bindenden Charakter 1079. Jedoch bleiben sie als Verwaltungsgrundsätze 1080, welche die Ansicht ihrer Verfasser wiedergeben, eine wichtige Hilfe bei der Interpretation des GVO-Textes. In der Praxis sind sie so lange von vorrangiger praktischer Bedeutung, bis ein Gericht ihre Unvereinbarkeit mit Art. 81 EG feststellt 1081. Sie geben mithin in Form einer Bekanntmachung 1082 die eigene Beurteilung der Kommission 1083 und deren künftigen Entscheidungsmaßstab 1084 wieder und beeinflussen hierdurch die Entscheidungspraxis nationaler Kartellbehörden und Gerichte 1085. Andere bezweifeln, dass die Leitlinien zur GVO 2790/99 Einfluss auf die Rechtsprechung des EuGH haben 1086. Zumindest kommt den Leitlinien Orientierungsfunktion zu 1087. Die Leitlinien regeln nur die Frage, ob in einem HV-Vertrag enthaltene Regelungen freigestellt werden, die dem HV bezüglich der für den Auftraggeber ausgehandelten bzw. geschlossenen Verträge auferlegt werden. Die Leitlinien sind also nur insoweit freistellend, wie es darum geht, ob ein HV durch eine vertragliche Regelung in der Festlegung seiner Marktstrategie etc. eingeschränkt wird. Sie stellen nach Auffassung des LG München I 1088 nicht gegenüber Dritten – hier einem Wettbewerber – frei. Das LG München I bejahte aber eine Freistellung aus Art. 2 Abs. 1 GVO 2790/99. Tz. 8–11 Leitlinien zur GVO 2790/99 wiederholen zunächst ohnehin Geltendes: Von der Bagatellbekanntmachung freigestellte Vereinbarungen oder solche zwischen kleinen und mittleren Unternehmen sind nicht wettbewerbswidrig. Über den bloßen Hinweis auf die Bagatellbekanntmachung oder den Anhang zur Kommissionsempfehlung 96/280/EG (Definition kleiner und mittlerer Unternehmen) kommt diesem Tz. keine eigenständige Bedeutung zu. Im Mittelpunkt der neuen GVO steht die eine eigene „kartellrechtliche“ Begrifflichkeit bildende und nicht an die §§ 84 ff oder die EG-HV-Richtlinie (dort gibt es keine „unechten“ HV) 1089, jedoch an die europäische Rechtsprechung (Rn 185 ff, insbes. Rn 191) anknüpfende Differenzierung: Sogenannte „echte“ HV-Verträge, bei denen sich die Tätigkeit des HV auf eine reine Mittler- ohne Wettbewerbsstellung beschränkt 1090, sind vom 1075

1076 1077 1078 1079 1080 1081 1082 1083 1084

Zu ihrer Veröffentlichung in ABlEG Nr. C 291 v. 19.09.2000, S. 1 siehe die Kurzmitteilung in DB 2001, 371. Darázs EuZW 2003, 138 (139). Rittner DB 2000, 1211 (1213); Darázs EuZW 2003, 138 (139). Lange EWS 2001, 18. Lange EWS 2001, 18. Langen/Bunte/Baron Einf. EG-KartellR Rn 155; Darázs EuZW 2003, 138 (139). Pautke/Schultze BB 2001, 317; Langen/ Bunte/Baron Einf. EG-KartellR Rn 155. Weitbrecht EuZW 2002, 581. Rittner DB 2000, 1211 (1213). Bechtold EWS 2001, 49 (53).

1085

1086 1087 1088

1089 1090

Siehe LG Frankfurt/Main EWiR 2003, 573 (Emde); Langen/Bunte/Baron Einf. EG-KartellR Rn 155; Weitbrecht EuZW 2002, 581 (583). Schultze/Pautke/Wagener Vertikal-GVO, 2001, Rn 198. Emde BB 2002, 949 (951), zust. Walcher WRP 2005, 850 (851). LG München I, Urt. v. 21.03.2006 – 33 O 24781/04, WuW 2006, 626 (628) – DE-R 1708, 1710. Rittner DB 2000, 1211 (1213). Ensthaler/Gesmann-Nuissl EuZW 2006, 167 (168).

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1. Buch. Handelsstand

Wettbewerbsverbot freigestellt und unterfallen nicht dem Kartellverbot 1091. „Unechte“ HV-Verträge werden wie Vertragshändlerverträge 1092 behandelt, bleiben also nicht nach Tz. 12–20 der Leitlinien freigestellt. Sie unterfallen grundsätzlich dem Wettbewerbsverbot des Art. 81 EG. Wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen in unechten HV-Verträgen unterliegen nur dann nicht dem Verbot des Art. 81 EG, wenn der Vertrag auf anderem Wege, etwa durch die GVO 2790/99, freigestellt ist 1093. Also knüpft auch 1094 die Kommission an die Systematik der Weihnachtsbekanntmachung 1962 an und damit an die dort enthaltene Separierung für den HV risikoloser, HV-gleicher Vereinbarungen (jetzt: „echte“ HV-Verträge) einerseits und für den HV mit finanziellem Risiko verbundener eigenhändlergleicher Vereinbarungen (jetzt: „unechte“ HV-Verträge) andererseits. Zum Teil wird sogar vertreten, die Unterscheidung beider Vertretergruppen entspreche der der Weihnachtsbekanntmachung 1962 1095. Auch das hierneben vom EuGH wiederholt angewandte Merkmal der Eingliederung nehmen die Leitlinien entgegen Schultze/Pautke/ Wagener 1096 sowie Pfeffer/Wegner 1097 auf, wie Tz. 15 dokumentiert. Denn dort wird in Übereinstimmung mit dem Urteil Suiker Unie 1098 ausgeführt, in echten HV-Verträgen sei die Verkaufs- und Kauffunktion Bestandteil der Tätigkeiten des Auftraggebers, obwohl es sich bei dem HV um ein eigenständiges Unternehmen handelt. Mithin werden echte HV als eingegliedert betrachtet. Kartellrechtlich ist der „echte“ HV, der kein eigenes unternehmerisches Risiko trägt, 199 damit gegenüber dem Vertrieb etwa durch Vertragshändler oder Franchisenehmer privilegiert 1099, weil der Unternehmer größere Freiheiten hinsichtlich des Weisungsrechts oder etwa der Preisgestaltung besitzt 1100. In der Reihe von Eigenvertrieb über HV zu Vertragshändlern nimmt der HV-Vertrieb damit hinsichtlich seiner Gestaltungsmöglichkeiten eine Mittelstellung ein. Während die echten HV-Verträge grundsätzlich (Ausnahme Tz. 20 im Falle der Kollu200 sion) vom Wettbewerbsverbot des Art. 81 EG freigestellt sind, hängt die Freistellung bei unechten HV-Verträgen davon ab, ob es sich um wettbewerbsbeschränkende Abreden handelt, die das Verhältnis zwischen Unternehmer und HV oder das Verhalten des HV gegenüber dem Kunden regeln 1101. Auch diese Unterscheidung war bereits in der Weihnachtsbekanntmachung angelegt, wenngleich dort mit anderem Ergebnis (s.u.). (a) Echte Handelsvertreterverträge

201

(aa) TB-Voraussetzungen eines echten Handelsvertretervertrages. Echte HV-Verträge sind solche, bei denen der HV keine oder nur unbedeutende finanzielle oder geschäftliche Risiken eingeht (Tz. 15). Diese Merkmale knüpfen an die Rechtsprechung des EuGH an 1102. 1091

1092 1093 1094 1095 1096 1097

Klotz in: Schröter/Jakob/Mederer, Kommentar zum Europäischen Wettbewerbsrecht, Art. 81 – Fallgruppen Liefer- und Bezugsvereinbarungen Rn 53; Emde BB 2002, 949 ff; Ensthaler/Gesmann-Nuissl EuZW 2006, 167 ff. Schultze/Pautke/Wagener Vertikal-GVO, 2001, Rn 146. Kapp WuW 2007, 1218 (1219). Siehe etwa Pfeffer/Wegner EWS 2006, 296 (298). Polley/Seeliger WRP 2000, 1203 (1208). Vertikal-GVO, 2001, Rn 152. EWS 2006, 296, (297, 298).

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1098 1099 1100 1101 1102

EuGH v. 16.12.1975, Slg. 1975, 1663, 478/481 ff. Walcher WRP 2005, 850 (851); Emde BB 2002, 949 (954). Walcher WRP 2005, 850; Ensthaler/ Gesmann-Nuissl EuZW 2006, 167. Kapp WuW 2007, 1218 (1222). EuGH Rs. 40 u.a./73, Europäische Zuckerindustrie, Slg. 1975, 1663 und Rs. C-266/93, VW-Herstellerleasing, Slg. 1995, I-3477, EWS 1996, 14, Rn 19; siehe die Analyse bei Pfeffer/Wegner EWS 2006, 296 (298).

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

Vor § 84

Das vom EuGH in dem Urteil vom 15.09.2005 1103 als Indiz für einen echten HV-Vertrag genannte Kriterium der Weisungsgebundenheit und des geringen Ermessensspielraums des HV wird in den Leitlinien nicht genannt 1104. Die Kommission beabsichtigt dennoch keine Änderung der Leitlinien 1105. Finanzielle und geschäftliche Risiken werden gemäß Tz. 14 der Leitlinien in zwei Gruppen unterteilt, nämlich solche die – wie z.B. die Finanzierung von Lagerbeständen – unmittelbar mit den Verträgen verbunden sind, welche der HV für den Auftraggeber geschlossen/ausgehandelt hat, und – die geschäftsspezifische Investitionen betreffen, d.h. die der HV tätigen muss, um Verträge mit Abnehmern des Unternehmers schließen zu können. Beispiele „geschäftsspezifischer Investitionen“ sind etwa Kosten für Hersteller- und 202 markenspezifische Ausrüstung („Corporate-Identity-Embleme“) 1106, Gegenbeispiele nicht geschäftsspezifischer Investitionen solche in Telefonanlage, EDV, Büromöbel oder Maschinen, die sich auch nach Vertragsende nutzen lassen 1107, es sei denn, ein Verkauf der Investitionsgüter ist nur mit erheblichem Verlust möglich, z.B. bei herstellerbezogenen Maschinen wegen des kleinen Kreises potentieller Käufer (dann liegt eine verlorene Aufwendung vor) 1108. Beide Gruppen von Risiken muss nach dem HV-Bild der Leitlinien grundsätzlich der Unternehmer tragen, damit ein echter, vom Verbot des Art. 81 EG freigestellter Vertrag vorliegt. Trägt dagegen – leitbilduntypisch – der HV jene Risiken in mehr als unbedeutendem Umfang (die Übernahme geringer Risiken ist also gestattet 1109), liegt kein echter sondern ein unechter HV-Vertrag vor, den die Leitlinien nur eingeschränkt freistellen. Das Provisionsausfallrisiko bleibt bei der Einordnung des Vertrages außer Betracht, da es sich um ein mit der HV-Tätigkeit untrennbar verbundenes Risiko handelt (Tz. 15) 1110. Damit stellt sich die Frage, wie sich ein freigestellter „echter“ HV-Vertrag von einem 203 nicht freigestellten unechten HV-Vertrag unterscheidet. Ein echter HV-Vertrag liegt vor, sofern der HV in Hinblick auf die vorgenannten Risiken keine oder nur unbedeutende Risiken trägt 1111. Er setzt mithin voraus, dass der Unternehmer, so Tz. 15 der Leitlinien, sämtliche mit dem Vertrieb verbundenen finanziellen und geschäftlichen Risiken übernimmt, so dass der HV keine unabhängige Wirtschaftstätigkeit ausübt. Insbesondere muss die Verkaufs- und Kauffunktion des HV Bestandteil der Tätigkeiten des Unternehmers – folglich dessen Aufgabe und Risiko – bleiben, und zwar ungeachtet des Umstands, dass der HV ein eigenständiges Unternehmen führt. Nur dann ist der HV in das Vertriebssystem des Unternehmers „eingegliedert“. Die Rechtsform des HV ist – was als interne Organisationsmaßnahme selbstverständlich sein dürfte – für die Einordnung der Risiken und die Zuordnung zu echten oder unechten HV unerheblich (Tz. 16) 1112. Jede andere Wertung hätte die Umgehung zu einfach gemacht. Lubitz 1113 vertritt, die Berücksichtigung allgemeiner Kosten, also der Kosten, die 204 unabhängig von dem konkreten Erfolg des Geschäftes eintreten, wie z.B. Transport-

1103 1104 1105 1106 1107 1108

T-325/01 Daimler Chrysler/Kommission, WuW 2005, 1061 = EU-R 933. Pfeffer/Wegner EWS 2006, 296 (301). Pfeffer/Wegner EWS 2006, 296 (300). Schultze/Pautke/Wagener Vertikal-GVO, 2001, Rn 161. Schultze/Pautke/Wagener Vertikal-GVO, 2001, Rn 161. Schultze/Pautke/Wagener Vertikal-GVO, 2001, Rn 162.

1109 1110 1111 1112 1113

Schultze/Pautke/Wagener Vertikal-GVO, 2001, Rn 165. Siehe Schultze/Pautke/Wagener VertikalGVO, 2001, Rn 159. Tz. 15 der Leitlinien. Diese Klarstellung hätte eigentlich in die „Generalklausel“ des Tz. 15 gehört. EWS 2003, 560 (558).

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kosten, Unterhaltung eines Ersatzteillagers usw. dürften für die Einordnung als echter oder unechter HV nicht maßgeblich sein. Ob die allgemeinen Geschäftskosten den HV unbillig belasteten, hänge im Wesentlichen von der Höhe seiner Grundprovision ab. Es dürfe für die rechtliche Einordnung nicht entscheidend sein, wie hoch der Anteil der allgemeinen Kosten sei. Dem dürfte nicht beizupflichten sein, weil es sich um geschäftsspezifische Kosten handelt, die üblicherweise der Unternehmer trägt. Jedoch dürfen entgegen dem LG Frankfurt 1114 die Kosten behördlicher Genehmigungen, die als Allgemeinkosten den Geschäftsbetrieb betreffen, nicht zur Einordnung als unechter HV führen. Möglicherweise war in dem vom LG Frankfurt entschiedenen Fall eine andere Bewertung gerechtfertigt, weil diese Kosten untypisch hoch lagen. Wer die genannten Risiken übernimmt, ist – so Tz. 16 – an Hand der Umstände des 205 Einzelfalls zu untersuchen 1115, und zwar unter Prüfung der tatsächlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten unabhängig von der Rechtsform des HV. Insoweit müssen, wie der EuGH 1116 anerkennt, die nationalen Gerichte die mit dem Absatz der Waren verbundenen Risiken, die Finanzierung des Lagers, sowie die Risiken berücksichtigen, die mit den marktspezifischen Investitionen verbunden sind, d.h. die Investitionen, die erforderlich sind, damit der Absatzmittler Verträge mit Dritten aushandeln und abschließen kann. Es kommt also nicht nur auf den Wortlaut des Vertrages an sondern auch auf dessen tatsächliche Durchführung. Zumindest erlaubt die praktische Durchführung Rückschlüsse zum vertraglich Vereinbarten. Nach Auffassung der Kommission in dem partiell an die Formulierung der Weihnachts206 bekanntmachung angelehnten Tz. 16 soll ein „echtes“, wettbewerbsrechtlich zulässiges HV-Verhältnis insbesondere (Regelbeispiele!) dann vorliegen, wenn das Eigentum an den gekauften und verkauften Vertragswaren nicht bei dem HV liegt (Warenvertreter) 1117 oder der HV die Vertragsdienstleistungen nicht selbst erbringt (Dienstleistungsvertreter) 1118 und zusätzlich der HV (bereits die Erfüllung eines Merkmals hindert die Freistellung) – nicht an den Kosten der Lieferung der betreffenden Waren einschließlich der Transportkosten beteiligt ist, – weder mittelbar noch unmittelbar verpflichtet ist, Investitionen in die Verkaufsförderung (z.B. Werbung) zu tätigen, – nicht auf eigenes Risiko ein Vorratslager für die Waren unterhält 1119, – keine Kundendienst-, Reparatur- oder Garantieleistungen auf eigene Rechnung erbringt, – keine marktspezifischen Investitionen in Ausrüstungen, Gebäude oder Personal tätigt, – nicht die Produkthaftung gegenüber Dritten übernimmt 1120 und 1114 1115 1116 1117

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EWiR 2003, 573 (Emde). Ebenroth/Lange Vor § 84 Anh. II Rn 39. EuGH, Urt. v. 14.12.2006 – C 217/05, GRUR 2007, 437 (440 Rn 51). Dann liegt nach Ansicht Schultze/Pautke/ Wagener Vertikal-GVO, 2001, Rn 169 bereits kein Handelsvertretervertrag vor. Beides ist fast nicht anders denkbar. Vor allem ist der Vertreter durchweg nie Eigentümer der vertriebenen Waren. Schultze/Pautke/Wagener Vertikal-GVO, 2001, Rn 178 empfehlen zur Vermeidung dieses Merkmals, der HV solle dem Unternehmer die Lagerkosten in Rechnung stellen.

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Wird das Vertragsprodukt durch den HV in die EG eingeführt, haftet er gegenüber dem Kunden aus Produkthaftung. Nach Ansicht Schultze/Pautke/Wagener Vertikal-GVO, 2001, Rn 194 fehlt das Risiko deshalb nur, wenn der Unternehmer den Vertreter von diesem Risiko freistellt. Diese Bewertung ist zweifelhaft, weil es bei dem in Tz. 16 genannten Risiko nicht um das der Haftung gegenüber Dritten, etwa aus Delikt, geht, sondern um das Risiko unmittelbar aus dem Vertragsverhältnis zum Unternehmer.

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– nicht die Haftung für Nichterfüllung durch den Kunden übernimmt (Ausfallrisiko), ausgenommen den Verlust seiner Provision (Provisionsrisiko). Bereits die Übernahme des Delkredere-Risikos soll in diesem Sinne schädlich sein 1121. In der Praxis sind insbesondere die Kriterien der Investitionen in die Verkaufs- 207 förderung sowie der marktspezifischen Investitionen in Ausrüstung, Gebäude oder Personal Gegenstand der Diskussion 1122. Diese waren früher vom EuGH nicht als Abgrenzungsmerkmal herangezogen worden 1123, werden es jedoch jetzt1124. Unter „marktspezifischen“ Investitionen versteht die Kommission offenbar solche, die nach einer Geschäftsaufgabe „verloren“ sind 1125. Es kommt folglich darauf an, ob der HV diese Investitionen nachvertraglich und werthaltig verwenden (dies wäre etwa der Fall beim Erwerb von allgemein gebräuchlicher Software) oder die angeschafften Investitionsgüter ohne wesentlichen Verlust wieder veräußern kann 1126. Nach Auffassung der Kommission soll dies z.B. beim Erwerb von Benzintanks durch Tankstellenpächter oder beim Erwerb spezieller Software durch Versicherungsvertreter nicht der Fall sein 1127, so dass eine Freistellung ausscheidet. Vor diesem Hintergrund dürfte eine dem HV auferlegte Verpflichtung zum Erwerb von Musterkollektionen – je nach Einzelfall – Verbotsverdacht auslösen 1128. Nach Ansicht des EuGH gehen die Gefahren marktspezifischer Investitionen auf den 208 Mittler (im entschiedenen Fall ein Tankstellen-HV) über, wenn er mit der Übernahme der Waren vom Lieferanten deren Besitzer wird 1129. Auch der EuGH befürwortet die Einordnung als nicht nach Art. 81 EG befreiter unechter HV, ohne diesen Begriff in der Entscheidung zu verwenden, falls der Mittler Investitionen im Zusammenhang mit dem Absatz der Waren, z.B. für Räumlichkeiten oder Ausstattung wie einen Kraftstofftank, vornehmen sowie in Werbeaktionen investieren müsse 1130. Dem Mittler, welchem die mit dem Vertrieb der Waren verbundenen Kosten, insbesondere die Beförderungskosten zugewiesen seien, trage auch das Absatzrisiko 1131. Gleiches gilt für die Lagerhaltung 1132: Trage der Mittler die Haftung für Schäden an der Ware unabhängig davon, ob er der Pflicht nachgekommen sei, die Waren unter Bedingungen aufzubewahren, die einen Verlust oder ihre Verschlechterung ausschlössen, übernehme er das Absatzmittlungsrisiko 1133. Maßgeblich sei ferner das mit der Bezahlung der Waren verbundene Risiko, etwa für den Fall, dass der Mittler keine Käufer finde oder später bezahlt werde 1134. Wenn dem Mittler

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Schultze/Pautke/Wagener Vertikal-GVO, 2001, Rn 196; aA Kapp/Andresen BB 2006, 2253 (2257), die in der Delkredereübernahme für bestimmte – nicht alle – Geschäfte ein Zusatzgeschäft zum HV-Vertrag sehen, welches bei der kartellrechtlichen Prüfung unbeachtet bleiben müsse. Nur im „Extremfall“ werde der HV durch die Delkredereübernahme zu einem „unechten Vertreter“ i.S.d. Leitlinien zur GVO 2790/99. Bauer/de Bronett EU-Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen, 2001, Rn 50. Lange EWS 2001, 29; Pfeffer/Wegner EWS 2006, 296 (298). EuGH, Urt. v. 14.12.2006 – C 217/05, GRUR 2007, 437 (440 Rn 51). Leitlinien, Tz. 14.

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Bauer/de Bronett EU-Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen, 2001, Rn 50. Leitlinien, Tz. 16. Bauer/de Bronett EU-Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen, 2001, Rn 50. EuGH, Urt. v. 14.12.2006 – C 217/05, GRUR 2007, 437 (440 Rn 52). EuGH, Urt. v. 14.12.2006 – C 217/05, GRUR 2007, 437 (441 Rn 59). EuGH, Urt. v. 14.12.2006 – C 217/05, GRUR 2007, 437 (440 Rn 53). EuGH, Urt. v. 14.12.2006 – C 217/05, GRUR 2007, 437 (440 Rn 54). EuGH, Urt. v. 14.12.2006 – C 217/05, GRUR 2007, 437 (440 Rn 55). EuGH, Urt. v. 14.12.2006 – C 217/05, GRUR 2007, 437 (440 Rn 56).

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die Waren innerhalb von 9 Tagen vom Hersteller bezahlt würden, trage er insoweit das kommerzielle Risiko 1135. EuGH und Kommission kommen daher trotz unterschiedlicher Nomenklatur oft zum selben Ergebnis. Soweit ein HV nur eines der in Tz. 16 genannten Negativkriterien erfüllt, können – 209 nicht müssen 1136 – die im HV-Vertrag enthaltenen Wettbewerbsbeschränkungen Art. 81. Abs. 1 EG unterfallen, falls dessen Anwendung nicht aus anderen Gründen, etwa wegen fehlender Spürbarkeit oder nach Art. 81 Abs. 3 EG, ausgeschlossen ist (vgl. Tz. 17 der Leitlinien). Die Regelbeispiele des Tz. 16 sind daher widerlegbar und besagen nicht, dass Investitionen der dort beschriebenen Art zwingend zur Erfüllung des Verbotstatbestandes des Art. 81 EG führen 1137. Sie konkretisieren, ohne eine abschließende Regelung zu enthalten („diese Aufstellung ist nicht erschöpfend“, Tz. 17), lediglich die Generalklausel des Tz. 15, derzufolge ein echter HV-Vertrag vorliegt, wenn der HV keine oder nur unbedeutende Risiken trägt. Die Regelbeispiele des Tz. 16 nennen daher „weiße Klauseln“ („safe harbour“), bei deren Erfüllung gewöhnlich (Gegenbeweis zulässig) der Anwendungsbereich des Art. 81 EG nicht erreicht ist, was der Kautelarjurisprudenz Rechtssicherheit und Musterklauseln geben soll. Jedoch besagen die Beispiele der Tz. 16 nicht im Umkehrschluss, ihre Nichterfüllung leite automatisch zum Verbotstatbestand 1138. Dies zeigt schon Tz. 17, demzufolge Art. 81 Abs. 1 EG bei Nichterfüllung der Regelbeispiele lediglich „möglicherweise“ anwendbar ist. Im Einzelfall mag daher die Übernahme eines der in Tz. 16 aufgezählten Risiken gleichwohl nicht das Verbot des Art. 81 EG auslösen. Kosten, die der HV gemeinschaftsweit leitbildtypisch zu übernehmen hat und daher 210 „vertragsimmanent“ sind, können die Einordnung als unechter HV kaum begründen. Ist die Übernahme der in Tz. 16 genannten Risiken „vertragsimmanent“, so fehlt es an einem Verstoß gegen Art. 81 EG und es bedarf keiner Freistellung durch die Leitlinien. Pflichten des HV, die – wie die Interessenwahrnehmungspflicht in der EG-Richtlinie 1139 (dort: Art. 3 Abs. 1) – europarechtlich determiniert sind, können den Vertrag als „HVtypisch“ nicht in den Bereich „unechter“ HV-Verträge und damit in den Bereich des Verbotstatbestandes führen. Denn die Kommission wollte nicht verbieten, was EG-Recht mittels der HV-Richtlinie 1986 europaweit einförmig nach einheitlichem Leitbild geschaffen hatte. Noch präziser: Der „gesetzestypische“ HV i.S.d. § 84 ff, der dem Leitbild der EG-Richtlinie folgt, unterfällt nicht dem Verbot des EU-Wettbewerbsrechts. Mit dem „echten“ HV hatten die Leitlinien exakt diesen HV-Typ im Auge und wollten ihn vom Verbot des Art. 81 EG ausnehmen 1140. Es gilt daher das, was der Verfasser bereits an anderer Stelle 1141 diagnostiziert hatte: für gesetzestypische HV ändert sich weder durch die GVO 2799/99 noch durch ihre Leitlinien viel am bisherigen Rechtszustand 1142. Sie 1135 1136

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EuGH, Urt. v. 14.12.2006 – C 217/05, GRUR 2007, 437 (440 Rn 58). Bauer/de Bronett EU-Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen, 2001, Rn 50. Rittner DB 2000, 1211 (1214); Nolte WuW 3/2006, 254 (257); Pfeffer/Wegner EWS 2006, 296 (298). Pfeffer/Wegner EWS 2006, 296 (298). ABl. EG v. 31.12.1986, Nr. L 382/17, wiedergegeben bei Hopt Materialien I und Ebenroth/Hakenberg Vor § 84 Anh. I. Zu den Zielen der Richtlinie ausführlich Eberstein S. 20 ff.

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Klotz in: Schröter/Jakob/Mederer, Kommentar zum Europäischen Wettbewerbsrecht, Art. 81 – Fallgruppen Liefer- und Bezugsvereinbarungen Rn 57. Emde VersR 2001, 148 (157); ebenso Pukall NJW 2000, 1375 (1377); Röhricht/ Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 27a. Übermäßig pessimistisch noch Rittner DB 1999, 2097 (2101): Die meisten Vertreterverträge würden dem Verbot des Art. 81 EG unterfallen.

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fallen nicht in den Bereich des Verbots wettbewerbsbeschränkender Abreden. Vertragsimmanenz halten etwa Schultze/Pautke/Wagener 1143 in bestimmten Branchen bei der Übernahme der Delkrederehaftung für möglich (vgl. aber Rn 206). Gleiches mag für manche Arten von Investitionen gelten. Bei allen Regelbeispielen der Tz. 16 ist zudem zu berücksichtigen, dass geringe Beteiligungen 1144, Investitionen, Risiken und Haftung, etwa die Beschäftigung einiger Untervertreter oder weniger Angestellter 1145, zulässig bleiben und die Freistellung nicht ausschließen (s.o.). Auf eine dahin gehende Klarstellung hatte insbesondere eine Stellungnahme des Europäischen Parlaments 1146 gedrängt und folglich ist dies in der Grundregel des Tz. 15 zum Ausdruck gebracht worden („keine oder nur unbedeutende Risiken“). Dem stimmt der EuGH im Ergebnis zu: Art. 81 EG bleibt unanwendbar, falls der Mittler nur einen geringen Teil des wirtschaftlichen Risikos trägt 1147. Nach Ansicht der Kommission in Tz. 13 der Leitlinien soll es für die Abgrenzung „echter“ und „unechter“ HV-Verträge hingegen nicht darauf ankommen, ob der HV für einen oder mehrere Unternehmer tätig ist. Die Richtigkeit dieser Wertung wird vor dem Hintergrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in Sachen „Flämische Reisebüros“1148 bestritten 1149. Nach Auffassung des OLG Hamburg 1150 in einer Entscheidung, welche einen noch nach den GVO 1983 und 1984/84 zu beurteilenden „Altfall“ betraf, auf den die Leitlinien zur GVO 2790/99 noch nicht anzuwenden waren, sollen Risiken, die – wie ein Absatzrückgang – beide Vertragspartner gleichermaßen bedrohen ebenso wenig in die Abgrenzung einfließen wie Risiken, die – wie etwa ein Betrug – jeden Teilnehmer am Rechtsleben gefährden. Wenn sich diese Wertung, was Pohlmann 1151 annimmt, auf den heutigen Rechtszustand übertragen lassen sollte, ist dem nur bedingt zuzustimmen: Zum einen macht jetzt Tz. 16 3. Spiegelstrich deutlich, dass auch das Risiko des Verlustes von Lagerbeständen – wohl auch infolge einer Straftat – schädlich sein soll. Zum anderen kann die Generalisierung, beide Vertragspartner treffende Risken seien bei der Abgrenzung unmaßgeblich, so nicht richtig sein. Denn die meisten wirtschaftlichen Risiken gefährden beide Vertragspartner, so dass hierdurch die Abgrenzung der Leitlinien nivelliert würde. Das LG Frankfurt/Main 1152 sah infolge der Zuweisung folgender Kosten auf den als Autovermieter nach dem „Hertz“-System tätigen HV die Stellung als unechter HV begründet: Ausstattung von Büro- und Vermietlokal sowie Parkflächenkennzeichnung, Signalisation, Kosten behördlicher Genehmigungen, Werbemaßnahmen, Kosten der Vertragsdokumentation (sogenannte Transaktionsgebühr), Avalkosten für eine zur Sicherheit gestellte Vertragserfüllungsbürgschaft sowie die Überführungskosten der zu vermietenden Fahrzeuge. Es bestehen allerdings Zweifel, ob die Kosten einer Sicherheit tatsächlich

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Vertikal-GVO, 2001, Rn 196. Zweifelnd Rittner DB 2000, 1211 (1214); Schultze/Pautke/Wagener Vertikal-GVO, 2001, Rn 165, 171. Offengelassen von Rittner DB 1999, 2097 (2100). Resolution v. 3.5.2000; siehe Rittner DB 2000, 1211 (1212). EuGH, Urt. v. 14.12.2006 – C 217/05, GRUR 2007, 437 (441 Rn 61).

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EuGH, Urt. v. 07.10.1987, Amtl. Slg. 1987, 3801. Bauer/de Bronett EU-Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen, 2001, Rn 50. EWiR 2001, 229 (Pohlmann). EWiR 2001, 229 (230). EWiR 2003, 573 (Emde). Die Entscheidung ist in der Berufungsinstanz aufgehoben worden.

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solche sind, die typischerweise der Unternehmer zu tragen hat und die auf den HV „abgewälzt“ werden 1153. Nach Ansicht des OLG Hamburg 1154 blieben die Tankstellen-HV-Verträge ESSO’s 215 freigestellt, da dem HV nicht mehr als unbedeutende Risiken in Bezug auf die für den Unternehmer geschlossenen Verträge zugewiesen worden waren. Echter HV sei derjenige, den keine der Risiken aus den für den Geschäftsherrn vermittelten Geschäften träfen und der lediglich als Hilfsorgan in dessen Unternehmen integriert sei. Das OLG sah folgende Risiken nicht als so erheblich an, dass die Grenze zum unechten HV überschritten wurde: – Dass der HV Schmierstoffe im geringen Umfang vorfinanzieren müsse, wenn die Höhe des dafür übernommenen Kredites mindestens einmal jährlich überprüft und angepasst werde und Absatzveränderungen zur sofortigen Anpassung des Agenturkredits führen sollten. – Die teilweise Ablehnung der Rücknahme von Schmierstoffen nach Überlagerung. Der Händler müsse als Lagerhalter den Ablauf der Verfalldaten überwachen. Er dürfe bei einer Verletzung dieser Nebenpflicht nicht Rücknahme der nicht mehr abzusetzenden Ware fordern. – Das Diebstahls- und Delkredere-Risiko. – Die Anmietung der Tankstelle: Die Anmietung von Geschäftsräumen sei typischerweise mit der Tätigkeit als HV verbunden. Der BGH 1155 hat offen gelassen, ob Tankstellen-HV echte oder unechte HV i.S.d. 216 GVO 2790/99 sind. Mit einem Agenturkredit sei für den Tankstellen-HV kein die Einordnung als unechter HV rechtfertigendes finanzielles Risiko verbunden. Die Mineralölunternehmen würden den Agenturkredit kostenfrei und zinslos bis zur Auflösung der Geschäftsverbindung zur Verfügung stellen 1156. Eine Abgrenzung der Risiken findet sich auch in dem oben, Rn 189, bereits erwähn217 ten Urteil des EuG vom 15.09.2005 1157, mit der das EuG die den Mercedes-Vertrieb betreffende Entscheidung der Kommission 2002/758/EG vom 10.10.2001 gegen Daimler Chrysler aufhob 1158. Die Kommission hatte Mercedes-Benz Autohäuser als unechte HV angesehen 1159. Für diese Einordnung waren die folgenden wirtschaftlichen Risiken des HV entscheidend: Beteiligung am Preisrisiko, indem Preiszugeständnisse beim Neuwagenverkauf vollständig sowie Mengen- oder Verwerterrabatte bis zur Höhe von 6 % zzgl. Boni zu Lasten der Provision des HV gingen, Übernahme des Transport– und Transportkostenrisikos für Neufahrzeuge, erhebliche eigene Aufwendung zur Verkaufsförderung durch Erwerb von Vorführwagen auf eigene Rechnung, Einrichtung der Werkstatt auf eigene Kosten, Unterhaltung eines Ersatzteillagers auf eigene Rechnung, Übersteigen der

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Emde EWiR 2003, 573. OLG Hamburg, Urt. v. 30.03.2006 – 10 U 16/05. BGH, Urt. v. 18.04.2007 – VIII R 117/06, WRP 2007, 977; siehe zu Tankstellen-HV auch EuGH, Urt. v. 14.12.2006 – C 217/05, GRUR 2007, 437 (441). BGH, Urt. v. 18.04.2007 – VIII R 117/06, WRP 2007, 977. T-325/01 Daimler Chrysler/Kommission, WuW 2005, 1061 = EU-R 933; mit Kommentar Pfeffer/Wegner EWS 2006, 296

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sowie kritischer Besprechung Ensthaler/ Gesmann-Nuissl EuZW 2006, 167 ff. EuZW 2001, 674; hierzu Lubitz EWS 2004, 556; Emde VersR 2003, 420; ders BB 2005, 394. In wesentlichen Teilen aufgehoben dürften die Leitlinien entgegen Pfeffer/Wegner EWS 2006, 296 (300) durch diese Entscheidung allerdings nicht sein. ABlEG 2002 Nr. L257, 32 ff, aufgehoben durch EuGH, Urt. v. 15.9.2005 – Rs. T-325/01.

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Umsätze des HV aus eigenunternehmerischer Tätigkeit gegenüber denjenigen aus der Vermittlung von Neuwagen um ein Mehrfaches. Das EuG urteilte großzügiger: Ein HV unterfalle nicht dem Verbot des Art. 81 EG, falls er keine finanziellen Risiken des Absatzes oder der Abwicklung der mit Dritten geschlossenen Verträge zu tragen habe. Der HV habe beim Aushandeln der Preise keine Befugnisse. Er müsse keine Neuwagen auf Lager halten, das Preisrisiko der Lagerhaltung entfalle also. Preisnachlässe zu Lasten seiner Provisionen bildeten kein Preisrisiko. Ein Risiko trage der HV allerdings, soweit er verpflichtet sei, Vorführwagen zu erwerben 1160. Die Kfz würden jedoch zu einem Vorzugspreis in Rechnung gestellt und nach drei bis sechs Monaten weiterveräußert. Das Risiko sei also gering. Es sei nicht dargetan, dass die Vergütung für Gewährleistungsarbeiten des HV kaufmännisch unangemessen wäre und ein finanzielles Risiko darstelle. Diese Großzügigkeit eröffnet auch Franchisesystemen die Möglichkeit, sich als Mittel der Preisbindung HV-Systemen zuzuwenden. Bei zutreffender Wertung der Aufgaben des Kfz-HV hätte das EuG mglw. entscheiden müssen, dass ihr Risiko ebenso hoch wie das von Kfz-Vertragshändlern ist 1161. Daimler/Chrysler-HV müssen sich verpflichten, Fahrzeuge nach Ablauf eines Leasingvertrages zum Restwert zurück zu nehmen und ihre Verkaufsräume entsprechend der Corporate Identity Daimler/Chryslers zu gestalten, was ein erhebliches Risiko begründet 1162. Nach Ansicht von Pfeffer/Wegner 1163 ist nach dem Urteil Daimler/Chrysler./.Kom- 218 mission bei den finanziellen Risiken zwischen Hauptrisiken und sonstigen Risiken abzugrenzen. Hauptrisiken seien die Risiken, welche unmittelbar mit den vermittelten Verträgen im Zusammenhang stehen und sich ausschließlich für die Vermittlungs-/Verkaufsleistung amortisieren müssen. Zu den Hauptrisiken zählten neben dem Finanzierungs- und Absatzrisiko (einschließlich des Delkredere-Risikos 1164) auch das Risiko der Vertragserfüllung gegenüber dem Kunden (Produkt- und Produkthaftungsrisiko). In der schwarzen Liste der Leitlinien seien diese Hauptrisiken in den Spiegelstrichen 3, 6 und 7 aufgeführt. Sie dürften auch in Zukunft eine zentrale Rolle bei der kartellrechtlichen Bewertung eines HV-Vertrages spielen. Bei den Hauptrisiken sei die Übernahme unbedeutender Risiken unschädlich 1165. Die Absatzförderungspflicht sei die Hauptpflicht des HV. Er müsse daher in sie investieren. Sonstige Risiken seien solche, deren Verwirklichung nicht mit dem Erfolg der Vermittlung-/Verkaufsleistung zusammenhinge, die sich daher auch nicht über die Vermittlungsleistung amortisieren müssten 1166. Investitionen in die Absatzförderung seien bei begrenztem Risiko zulässig 1167. Investitionen in die Werbung blieben auch im Rahmen eines echten HV-Vertrages zulässig 1168. Wenn das Kriterium der Eingliederung erfüllt sei und Hauptrisiken beim Handelsherrn lägen spreche eine Vermutung dafür, dass der HV als Hilfsorgan des Handelsherrn agiere 1169.

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Immerhin handelte es sich um bis zu 80 Vorführwagen/Jahr, die der HV auf eigenes Risko anschaffen und als Gebrauchtwagen veräußern musste, siehe Pfeffer/Wegner EWS 2006, 296 (300). Ensthaler/Gesmann-Nuissl EuZW 2006, 167 (168). Ensthaler/Gesmann-Nuissl BB 2006, 2589 (2592). EWS 2006, 296 (302). AA Kapp/Andresen BB 2006, 2253 (2257), die in der Delkredereübernahme für bestimmte – nicht alle – Geschäfte ein Zusatz-

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geschäft zum HV-Vertrag sehen, welches bei der kartellrechtlichen Prüfung unbeachtet bleiben müsse. Nur im „Extremfall“ werde der Vertreter durch die Delkredereübernahme zu einem „unechten Vertreter“ im Sinne der Leitlinien zur GVO 2790/99. Pfeffer/Wegner EWS 2006, 296 (302). Eilmansberger ZWeR 1/2006, 64 (72); Pfeffer/Wegner EWS 2006, 296 (302). Pfeffer/Wegner EWS 2006, 296 (303). Rittner DB 2000, 1211 (1214); Pfeffer/ Wegner EWS 2006, 296 (303). Pfeffer/Wegner EWS 2006, 296 (302).

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Tz. 18 nennt systematisch kaum geglückt wettbewerbsbeschränkende Abreden, die in echten HV-Verträgen (und wohl nur dort, s.u.) stets zulässig sind, und in erster Linie (eine sichere Zuordnung ist nicht möglich, da die genannten Abreden immer Doppelrelevanz haben) das Verhalten des HV gegenüber den zu werbenden Kunden betreffen. Offensichtlich sollen auch die in Tz. 18 genannten Beispiele der Vertragsgestaltung einen sicheren Hafen bei der Formulierung von HV-Verträgen geben, also das – wenn auch rudimentäre – Vertragskorsett eines echten HV-Vertrages. Nötig war dies nicht. Denn echte HV-Verträge sind ohnehin umfassend vom Verbot wettbewerbsbeschränkender Abreden des Art. 81 EG freigestellt, so dass es dieser „weißen Klauseln“ nicht bedurft hätte. Ausdrücklich freigestellt sind gemäß Tz. 18: – Beschränkungen hinsichtlich des Gebiets, in welchem der HV die fraglichen Waren oder Dienstleistungen verkaufen darf; – Beschränkungen hinsichtlich der Kunden, an die der HV die fraglichen Waren oder Dienstleistungen verkaufen darf; – Festlegung der Preise und der Bedingungen, zu denen der HV die fraglichen Waren oder Dienstleistungen verkaufen oder beziehen darf. Aufgrund der teilweise wenig luziden Fassung der Leitlinien könnte man sich fragen, 220 ob die Beispiele des Tz. 18 nicht – ausschließlich oder zusätzlich – die Freistellung unechter Vertreterverträge regeln sollten. Dafür spräche das oben wiedergegebene systematische Argument: Wenn echte HV-Verträge ohnehin umfassend freigestellt sind, wird Tz. 18 (ab. S. 2) systematisch überflüssig, da eine generelle Freistellung Einzelbeispiele freigestellter Klauseln unnötig macht. Gegen diese Folgerung streitet aber der Wortlaut der Tz. 18. Die genannten Bestimmungen werden als „unerlässlich“ angesehen, wenn der Unternehmer die in den Leitlinien (Tz. 14–17) angesprochenen Risiken übernimmt. Übernimmt der Unternehmer jedoch jene Risiken, liegt ein echter HV-Vertrag vor. Also regelt Tz. 18 die Freistellung nur in echten HV-Verträgen. Das legt auch der Übergang zwischen S. 1 und S. 2 des Tz. 18 nahe. Denn der erste Satz betrifft unzweifelhaft nur echte HV-Verträge. Dann spricht aber viel dafür, dass gleiches auch für den noch nicht einmal durch einen Absatz unterbrochenen zweiten Satz gilt. Zudem ist die in Tz. 18 freigestellte Preisbindung gemäß Art. 4 lit. a GVO 2790/99 eine unzulässige schwarze Klausel 1170, grundsätzlich gleiches gilt für Kunden- und Gebietsbeschränkungen (Art. 4 lit. b GVO 2790/ 99) 1171. Warum sollte aber Tz. 18 der Leitlinien bei eigenhändlergleichen unechten HV erlauben, was Art. 4 lit. a, b GVO 2790/99 in Verträgen mit Eigenhändlern gerade nicht freistellen? Folglich stellt Tz. 18 die dort genannten Wettbewerbsbeschränkungen nur in echten Vertreterverträgen frei.

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(bb) Rechtsfolgen echter Handelsvertreterverträge. Tz. 13, 15 und 18 bestimmen die Rechtsfolgen echter HV-Verträge. Gemäß Tz. 15 fällt ein echter HV-Vertrag nicht, also insgesamt nicht, unter Art. 81 Abs. 1 EG. Bei echten HV-Verträgen sind also sämtliche wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen, sofern kein Fall der Kollusion (Tz. 20) vorliegt, freigestellt 1172. Die Freistellung hängt nicht davon ab, ob der Vertrag die Voraussetzungen der GVO 2790/99 einhält, er ist vielmehr auch ohne die Einhaltung ihrer

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Bauer/de Bronett EU-Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen, 2001, Rn 96 ff. Bauer/de Bronett EU-Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen, 2001, Rn 101 ff.

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So wohl auch Ebenroth/Lange Vor § 84 Anh. II Rn 40; Langen/Bunte/Baron Einf. EG-KartellR Rn 158.

Raimond Emde

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

Vor § 84

TB-Merkmale „ipso Leitlinie“ freigestellt (Tz. 13). Mithin sind nicht etwa nur wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen, die die Tätigkeit des HV bei der Werbung gegenüber den Kunden einschränken (z.B. Gebietsschutzabreden, Wettbewerbsverbote 1173) freigestellt, sondern auch solche, welche das Verhältnis zwischen Unternehmer und HV regeln (z.B. Gebiets- und Kundenkreisbeschränkungen, Preisvorgaben) 1174, was Tz. 18 überflüssigerweise klarstellt. Die Überschrift der Ziffer II. der Leitlinien („Grundsätzlich nicht unter Art. 81 Abs. 1 fallende vertikale Vereinbarungen“) sowie Tz. 18 bestätigen diese wörtliche Auslegung: Bei echten HV-Verträgen fallen gemäß Tz. 18 „auch“ sämtliche Verpflichtungen, die dem HV bezüglich der für den Unternehmer geschlossenen/ausgehandelten Verträgen auferlegt werden, nicht unter Art. 81 Abs. 1 EG. Das Wort „auch“ kann nur so verstanden werden, dass nicht nur wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen betreffend die zwischen Unternehmer und Kunden geschlossenen Verträge freigestellt sind, sondern „auch“ – die wohl häufigeren – wettbewerbsbeschränkenden Abreden, welche das bilaterale Verhältnis zwischen Unternehmer und HV regeln. Bei diesem Verständnis hat Tz. 19 nur Bedeutung für die Freistellung unechter HV-Verträge, da echte HV-Verträge ohnehin bereits „generell“ freigestellt sind. Die systematische Auslegung bestätigt diesen Befund. Tz. 20 trifft mit dem Fall der Kollusion eine Sonderregelung für eine Konstellation, in der ausnahmsweise auch echte HV-Verträge nicht vom Verbot des Art. 81 EG befreit sind. Hieraus kann im Rückschluss entnommen werden, dass in anderen Fällen eine generelle Befreiung eintritt. Die historische Auslegung unterstützt jenes Verständnis. Gemäß der Weihnachtsbekanntmachung 1962 unterfielen nach der heutigen Terminologie „echte“ HV-Verträge insgesamt nicht dem Verbotstatbestand des Art. 81 EG (damals: Art. 85 EG). Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass sich an jenem Leitbild etwas ändern sollte. Freigestellt sind damit in echten HV-Verträgen insbesondere 222 – Gebiets- und Kundenkreisbeschränkungen 1175; – Preis- und Konditionenvorgaben 1176; – ein Verbot der Provisionsweitergabe 1177. Ausnahme: Wenn der Unternehmer kein berechtigtes Interesse an der Beachtung seiner Preispolitik nachweisen kann 1178; – Exklusivbindungen des Vertreters 1179 wie des Unternehmers. (b) Unechte Handelsvertreterverträge. Unechte HV-Verträge sind dagegen in den Leit- 223 linien nur ausnahmsweise freigestellt, und zwar unter den in Tz. 19 genannten Voraussetzungen. Jenseits des dort genannten Falles bedarf es einer außerhalb der Leitlinien geregelten Freistellung, etwa nach der GVO 2790/99 (Tz. 13). Allerdings lässt sich auch hier fragen, ob Tz. 19 – wie etwa Tz. 18 (s.o.) – nicht lediglich echte und nicht unechte

1173 1174 1175

1176

Kapp/Andresen BB 2006, 2253 (2256 f): Prüfungsmaßstab sei allein Art. 82 EG. Lange EWS 2001, 18 (19). Bauer/de Bronett EU-Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen, 2001, Rn 48; Schultze/ Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 2001, Rn 155. Bauer/de Bronett EU-Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen, 2001, Rn 51; Schultze/ Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 2001, Rn 155.

1177

1178 1179

Bauer/de Bronett EU-Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen, 2001, Rn 51; Kapp/ Andresen BB 2006, 2253 (2257). Kapp/Andresen BB 2006, 2253 (2257). Hopt § 86 Rn 38; aA Bauer/de Bronett EU-Gruppenfreistellungverordnung für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen, 2001, Rn 52; unklar Schultze/Pautke/Wagener Vertikal-GVO, 2001, Rn 157.

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Vor § 84

1. Buch. Handelsstand

HV-Verträge freistellen will. Die Antwort auf die durch die unklare Fassung der Leitlinien aufgeworfene Frage hängt davon ab, ob man in Tz. 19 eine Begrenzung der Freistellung echter oder eine erweiterte Freistellung unechter HV-Verträge sieht 1180. Sollte ersteres anzunehmen sein, wären etwa auch bei echten HV-Verträgen Wettbewerbsverbote, die zur Marktabschottung führen, unzulässig. Nähme man letztgenanntes an, könnten bei unechten HV-Verträgen Wettbewerbsverbote vereinbart werden, sofern eine Marktabschottung fehlt. Für die erste Alternative spricht das systematische Argument, unechte HV-Verträge sollten grundsätzlich Vertragshändlerverträgen gleichgesetzt werden, welche aber nicht durch die Leitlinien sondern nur durch Einzel- oder Gruppenfreistellungsverordnung freigestellt werden. Andererseits sind die unechten HV-Verträge eine Schöpfung der Leitlinien, so dass nichts dagegen spricht, sie dort auch von den Beschränkungen des Art. 81 Abs. 1 EG zu befreien. Für die Freistellung nach den Leitlinien kommt es auf die Art der Wettbewerbsbe224 schränkung an: Wettbewerbsbeschränkungen, die das unmittelbare Verhältnis zwischen Unternehmer und HV betreffen (etwa Gebietsschutzabreden, Wettbewerbsverbote), also den Markt für die Erbringung der Dienstleistung „Handelsvertretung“, sind unter bestimmten Voraussetzungen, die in Tz. 19 geregelt sind, freigestellt. Dazu zählt auch das Verbot mehr als fünfjähriger Wettbewerbsverbote des Art. 5 lit. a GVO 2790/99 1181, welches auch in unechten HV-Verträgen das vertragsbegleitende Wettbewerbverbot des § 86 im Wege der Spezialität verdrängt 1182. Wettbewerbsbeschränkungen, die das wirtschaftliche Verhalten des HV gegenüber den Kunden beim Verkauf (bzw. Kauf) der Vertragsprodukte betreffen (z.B. Gebiets- und Kundenkreisbeschränkungen, Preisvorgaben), also den Markt für die Waren und/oder Dienstleistungen, deren Verkauf der HV fördern soll, sind dagegen unzulässig. Auch das Verbot der Provisionsweitergabe, d.h. das Verbot der Teilung der Provision mit dem Kunden, darf gegenüber unechten HV nicht vereinbart werden (Tz. 48) 1183. Also ist die Kommission hinsichtlich der Freistellung wettbewerbsbeschränkender Abreden der erstgenannten Art großzügiger als bei wettbewerbsbeschränkenden Abreden der letztgenannten Gruppe, wohl weil das interne Verhältnis zwischen den Vertragspartnern weniger schützenswert ist als der weite Markt außerhalb des bilateralen Verhältnisses Mittler/Unternehmer. Tz. 19 stellt Alleinvertreterklauseln frei 1184. Alleinvertreterklauseln sind Regelungen, 225 die dem Unternehmer verbieten, andere HV für bestimmte Geschäfte, Kunden oder Gebiete zu ernennen. Die Begründung der Kommission lautet: Alleinvertreterklauseln beträfen ausschließlich den markeninternen Wettbewerb und dürften in der Regel keine wettbewerbswidrigen Wirkungen entfalten. Dem ist zuzustimmen, weil der Unternehmer aufgrund seiner Preishoheit ohnehin Wettbewerb unter seinen HV verhindern kann, sofern der HV nicht seine Provision mit dem Kunden teilt. Eine Exklusivbindung des Prinzipals hat also meist nur Auswirkungen auf den „Intra-Brand-Wettbewerb“ und damit grundsätzlich keine wettbewerbsbeschränkende Wirkung. Anderes gilt für vertragsbegleitende wie nachvertragliche Exklusivbindungen des HV, 226 also Bestimmungen, die dem HV untersagen, für ein Unternehmen tätig zu werden, welches mit dem Unternehmer in Wettbewerb steht („Wettbewerbsverbot“). Derartige Wettbewerbsverbote beträfen – so die Leitlinien (Tz. 19) – den Wettbewerb zwischen verschiedenen Marken und fielen unter Art. 81 Abs. 1 EG, wenn sie zur Abschottung des 1180 1181 1182 1183

Emde EWiR 2003, 573. Hierzu Emde WRP 2005 (1492). Emde WRP 2005, 1492 (1495 ff). Bauer/de Bronett EU-Gruppenfreistellungs-

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1184

verordnung für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen, 2001, Rn 5; Kapp/Andresen BB 2006, 2253 (2257). Hopt § 86 Rn 38.

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Vor § 84

relevanten Marktes führten, in dem die Vertragswaren oder -dienstleistungen verkauft oder gekauft würden. Sie sind damit – in Abkehr von der Weihnachtsbekanntmachung – als unzulässige „schwarze Klausel“ in unechten HV-Verträgen nicht freigestellt und können zum Verbot des Art. 81 EG leiten, wenn sie zu einer nicht näher beschriebenen Marktabschottung führen. Hinsichtlich der Kriterien der Marktabschottung verweisen die Leitlinien auf ihre Tz. 138–160, die sehr detailliert – aber wenig generalisierend – viele Beispiele denkbarer Marktabschottung nennen, welche jedoch übertragen auf das HV-Recht prima vista kaum typisch wirken. Tatsächlich dürfte eine Marktabschottung nur in wenigen Ausnahmefällen vorstellbar sein; z.B. wenn in bestimmten Märkten nur wenige „Spezialisten“ oder stationäre Vertreter mit besonderer, auf den Vertrieb eingerichteter Ausstattung als HV tätig sind 1185 und jene durch die Exklusivbindung an der Tätigkeit für andere Unternehmer gehindert werden. Selbst wenn es jedoch an einer Marktabschottung fehlt, gibt es keine sichere Freistellung. Denn die mangelnde Marktabschottung hindert zwar möglicherweise die Anwendbarkeit des Verbotstatbestandes gemäß Art. 81 EG, sorgt aber noch nicht „automatisch“ für eine Freistellung. Wer also seinen HV exklusiv bindet, kann nicht sorglos sein. In der Literatur 1186 wird vertreten, auch gegenüber echten HV dürften Wettbewerbs- 227 verbote ohne Gefährdung der Freistellung nicht vereinbart werden. Dem kann – wie oben dargestellt – nicht zugestimmt werden, da echte HV außer im Falle der Kollusion (dies wäre ein ohnehin unbeachtlicher Umgehungsfall) umfassend vom Verbot des Art. 81 Abs. 1 EG freigestellt sind 1187. Sowohl nach dem Wortlaut wie nach der Systematik der Leitlinien betreffen die schwarzen und weißen Klauseln der Tz. 19 der Leitlinien daher ausschließlich unechte HV, wobei im Ergebnis nur die Anwendung der schwarzen Klauseln auf echte HV interessiert. Nur dieses Verständnis steht im Einklang mit der Entscheidung des EuGH in der Angelegenheit Suiker Unie 1188: Denn dort hatte der EuGH bei echten HV-Verträgen eine Exklusivitätsbindung der HV, d.h. das Verbot für konkurrierende Hersteller tätig zu werden, gestattet. Also kann das in Tz. 19 niedergelegte Verbot einer solchen Exklusivitätsbindung nur unechte HV-Verträge betreffen. Wäre man anderer Ansicht, gälte im Ergebnis nichts anderes: Die Leitlinien in Verbin- 228 dung mit der GVO können nur das vom Verbot des Art. 81 EG befreien, was jenem überhaupt unterfällt. Wettbewerbsverbote, welche dem HV verbieten, für einen unmittelbaren Konkurrenten des Unternehmers tätig zu werden, sind jedoch dem (echten) HVVertrag als Konkretisierung der Interessenwahrungspflicht 1189 immanent 1190 und unterfallen nicht dem Verbotstatbestand des Art. 81 EG (Immanenztheorie). (c) Zwischenergebnis. Echte HV-Verträge sind von dem Verbot wettbewerbsbeschrän- 229 kender Abreden des Art. 81 EG befreit. Dabei ist davon auszugehen, dass der weit überwiegende Teil heutiger HV-Verträge als „echte“ anzusehen sind. Unechte HV-Verträge werden dagegen nur freigestellt, wenn eine in Tz. 18 oder 19 der Leitlinien genannte „weiße Klauseln“ vorliegt, eine Einzel- oder Gruppenfreistellung eingreift oder der Verbotstatbestand des Art 81 EG aus anderen Gründen, etwa wegen fehlender Spürbarkeit, nicht erfüllt ist.

1185

1186

Bauer/de Bronett EU-Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen, 2001, Rn 52. Bauer/de Bronett EU-Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen, 2001, Rn 52.

1187 1188 1189 1190

Langen/Bunte/Baron Einf. EG-KartellR Rn 158. EuGH v. 16.12.1975, Slg. 1975, 1663, 478/481 ff. Ebenroth/Lange Vor § 84 Anhang II Rn 27. Ebenroth/Lange Vor § 84 Anhang II Rn 28.

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1. Buch. Handelsstand

g) Belieferungspflicht bei kartellrechtswidriger Lieferverweigerung?

aa) Zulässigkeit einer Belieferungsklage. Die Feststellungsklage eines Grauimporteurs, die Vertragshändler eines Kfz-Herstellers seien berechtigt, an Kunden mit Wohnsitz in einem anderen europäischen Staat oder Wiederverkäufer zu verkaufen, soll unzulässig sein, weil es an einer Rechtsbeziehung zwischen den Parteien auch dann fehlt, wenn ein Vertragshändler Schadenersatzansprüche an den Kläger abgetreten hat 1191. Ein Leistungsantrag, gerichtet auf zukünftige Belieferung des Händlers, soll gemäß 231 § 253 ZPO unzulässig sein 1192. Ein Urteil, welches einen Antrag auf Lieferung von Gegenständen, die erst nach Typ und genauer Stückzahl durch zukünftige Bestellungen konkretisiert werden sollen, stattgebe, könne keine hinreichend bestimmte Grundlage für die ZV bilden. Es genügt aber ein Leistungsantrag des Händlers auf Abschluss eines Händlervertrages. Mit der Rechtskraft des Urteils, welches den Hersteller zum Abschluss des Händlervertrages verpflichtet, wird die zur Erfüllung dieser Verpflichtung erforderliche Willenerklärung nach § 894 ZPO fingiert 1193.

232

bb) Begründetheit einer Belieferungsklage. Nach Ansicht des BGH 1194 – geäußert ohne Vorlage nach Art. 234 EG – steht einem Belieferung fordernden Wiederverkäufer, dem der Warenhersteller die Aufnahme in ein selektives Vertriebssystem verweigert, obgleich der Wiederverkäufer die nach europäischem Kartellrecht zulässigen qualitativen Voraussetzungen für die Aufnahme in das Vertriebssystem erfüllt, aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 81 EG kein unmittelbarer, auf Vertragsschluss oder Belieferung gerichteter Anspruch zu. Die Frage einer Belieferungspflicht müsse für jeden Einzelfall entschieden werden. Maßgeblich sei nicht die Wirkung des wettbewerbswidrigen Verhaltens, sondern die Frage, ob der Anspruchsteller zu dem geschützten Personenkreis gehöre und ob gerade ein Rechtschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, gewährt werden solle 1195. Bei Wiederverkäufern sei ein Anspruch auf Belieferung nicht vom Schutzzweck des Art. 81 EG erfasst. Würden sie vom Hersteller nicht beliefert, obwohl alle qualitativen Voraussetzungen für die Aufnahme in ein selektives Vertriebssystem beständen und unterbindet der Hersteller gleichzeitig den Warenbezug der Außenseiter durch lieferbereite Depositäre, könne ihnen lediglich ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 81 EG als Schutzgesetz zustehen 1196. Beliefere der Hersteller Wiederverkäufer, die seinen qualitativen Ansprüchen genügten diskriminierungsfrei, scheide der Belieferungsanspruch aus. Jedoch könne ein Schadensersatzanspruch aus §§ 20 Abs. 2 GWB i.V.m. 33 GWB und 249 BGB im Ausnahmefall hergeleitet werden, wenn ein marktstarkes Unternehmen den einem gleichartigen Unternehmen üblicherweise zugänglichen Geschäftsverkehr mit einem von ihm abhängigen Unterneh-

1191 1192 1193 1194

OLG Schleswig, Urt. v. 09.07.2002 – 6 U Kart 72/01, OLGR 2002, 378. Rheinländer WRP 2007, 501 (503). Rheinländer WRP 2007, 501 (503). BGH, Urt. v. 12.05.1998 – KZR 23/95, BB 1998, 2353 = ZIP 1998, 2070 = DB 1998, 2461 = NJW-RR 1999, 189 („Depotkosmetik“) m. Anm. Mäsch ZIP 1999, 1507 und Birk EWS 2000, 485; ebenso OLG Düsseldorf, Urt. v. 29.10.2003 – VI-U (Kart.) 30/00, WuW DE-R 1480; kritisch Rheinländer Selektives Vertriebssystem und

126

1195 1196

Belieferungsansprüche ausgeschlossener Händler; Rheinländer WRP 2007, 501; ders GRUR 2007, 383; Haffinger WuW 1998, 456; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Jäger Art. 81 Abs. 2 Rn 44; vgl. hierzu auch Haslinger WRP 2007, 926. BGH, Urt. v. 12.05.1998 – KZR 23/96, ZIP 1998, 2070 (2072). BGH, Urt. v. 12.05.1998 – KZR 23/96, ZIP 1998, 2070 (2072); Westphal Vertriebsrecht II Rn 413.

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Vor § 84

men oder eine Geschäftsbeziehung ohne sachlich gerechtfertigten Grund verweigere 1197. Zur Prüfung dieser Frage wurde das Verfahren an das OLG zurückverwiesen. Birk 1198 stimmt dem BGH zu: Eine allgemeine Belieferungspflicht sei abzulehnen. Händler- wie Herstellerinteressen blieben gleichwertig 1199. Die Zulässigkeitskriterien für ein selektives Vertriebssystem regelten den Interessenausgleich zwischen beiden Vertriebspartnern: Der Hersteller dürfe sein System frei wählen. Er habe dabei Freiheit und Chancengleichheit auf Marktzutritt anderer zu beachten 1200. Ein Belieferungsanspruch sei gegeben, wenn das System zulässig und der Händler alle qualitativen Voraussetzungen erfülle 1201. Gleiches gelte, falls die Kriterien dazu dienten, den Händler auf versteckte Weise zu disziplinieren 1202. Berücksichtigt werden dürften Kapazitätsüberlegungen, Bonität, Bedeutung der Ware u.a. Die Anforderungen an den Hersteller wüchsen mit der Marktmacht; die Freiheit anderer dürfe möglichst wenig beeinträchtigt werden (mildestes Mittel) 1203. Geldersatz gewährte der BGH auch in einem weiteren Urteil: Ist ein nicht zum selek- 233 tiven Vertriebssystem eines Herstellers zählender Wiederverkäufer fabrikneuer Kfz aufgrund der Weigerung ausländischer Vertragshändler unfähig, Neufahrzeuge an systemfremde Wiederverkäufer zu liefern und Bestellungen seiner Kunden für Neuwagen auszuführen, kann ihm ein Schadenersatzanspruch wegen entgangenen Gewinns aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 81 Abs. 1 EG zustehen, wenn in der fraglichen Zeit eine Freistellung des beanstandeten Verhaltens nach einer GVO ausscheidet 1204. In anderen Fällen (dazu unten bei § 20 GWB), etwa im Zusammenhang mit der Aufnahme in das Vertragswerkstattnetz eines Kfz-Herstellers 1205 (Rn 263 f) hat der BGH die Ansprüche des Außenstehenden nicht auf Schadenersatz beschränkt, sondern den weitergehenden Aufnahmeanspruch aus § 20 GWB zumindest dem Grunde nach geprüft. Dies bestätigte er auch in der vorgenannten Entscheidung vom 12.05.1998 1206. Die Unterschiede im Ergebnis – einmal lediglich Schadenersatzanspruch, ein anderes Mal Kontrahierungszwang – bilden wohl nur scheinbar eine Diskrepanz und erklären sich wie folgt: In dem Verfahren des BGH, das mit Urteil vom 12.05.1998 1207 endete, war nicht der Abschluss eines Neuvertrages, sondern lediglich eine Belieferungspflicht gefordert worden. Eine Belieferungspflicht kann aber nicht zugesprochen werden, solange andere Vertriebsmittler durch einen Rahmenvertrag gebunden sind. Die Beschränkung auf Geldersatz wurde in erster Linie aus dem Schutzzweckgedanken hergeleitet: der BGH erkennt als Rechtsfolge der Nichtigkeit nach Art. 81 EG lediglich einen Schadenersatzanspruch an 1208. Der BGH ließ deshalb sogar offen, ob ein Verstoß gegen Art. 81 EG vorlag. Eine Belieferungs- oder Kontrahierungspflicht kann sich daher nur aus § 20 GWB ergeben. Als „minus“ zu einem Antrag auf Abschluss eines Vertrages oder Belieferung könnte die Feststellung der Unwirksamkeit einer Kündigung beantragt werden. Letztlich hängt es nach Ansicht des BGH von einer Wertung nach § 20 GWB ab, ob ein Aufnahme- oder Belieferungsanspruch besteht. 1197

1198 1199 1200 1201 1202

BGH, Urt. v. 12.05.1998 – KZR 23/96, ZIP 1998, 2070 (2072); BGHZ 49, 90, 98 – Jägermeister; BGH, Urt. v. 26.10.1972 – KZR 54/71, WuW/E 1238, 1245 – Registrierkassen; BGH, Urt. v. 17.01.1979 – KZR 1/78, WuW/E 1567, 1569 – Nordmende; siehe auch Mäsch ZIP 1999, 1507. Birk EWS 2000, 485. Birk EWS 2000, 485. Birk EWS 2000, 485. Birk EWS 2000, 485. Birk EWS 2000, 485.

1203 1204

1205

1206 1207 1208

Birk EWS 2000, 485. BGH, Urt. v. 30.03.2004 – KZR 24/02, EuZW 2004, 381 = DB 2004, 1725 = WuW/E 2004, 779 DE-R 1263 = NJW-RR 2004, 1185. BGH, Urt. v. 28.06.2005 – KZR 26/04, WRP 2006, 109, 111 = EWiR 2006, 273 (Emde). BB 1998, 2353 = NJW-RR 1999, 189. BB 1998, 2352 = NJW-RR 1999, 189. Siehe Mäsch ZIP 1999, 1507 (1511).

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Dem BGH wird mglw. zu Recht widersprochen: Wenn ein Schadensersatzanspruch gemäß §§ 823 Abs. 2, 1004 BGB i.V.m. Art. 81 EG in Betracht käme, dürfe der Ausgeschlossene entgegen dem BGH auch Aufnahme im Wege der Naturalrestitution fordern 1209. Bei einem Verstoß gegen § 20 Abs. 2 GWB sollte sich der Anspruch auf Fortbelieferung daher mittels einer Klage auf Feststellung der Belieferungspflicht erreichen lassen 1210. Der dem Aufnahmeanspruch möglicherweise entgegenstehende Gedanke, man könne den Hersteller nicht dauerhaft an einen Händler binden oder eine Belieferungspflicht sei mit der Vertragsschlussfreiheit des Initiators des Vertriebsbindungssystems unverträglich 1211, weil der Unternehmer sein Vertriebssystem umstellen dürfe, ist nicht überzeugend. Ein Zivilurteil stellt immer eine Momentaufnahme auf der Basis des Sachstandes zur Zeit der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung dar 1212. Spätere Änderungen des Systems im Wege der Strukturkündigung werden nicht verhindert. Ein Händler wird zudem (außer durch statistischen Nachweis der Durchschnittsgewinne anderer Händler) in der Regel nicht in der Lage sein, darzulegen, welche Umsätze und Gewinne er mit dem Verkauf des Systemprodukts hätte erzielen können und wie sich dies auf seinen Umsatz mit substituierenden Produkten ausgewirkt hätte 1213. Für eine rechtswidrige Weigerung, den Händler aufzunehmen, kann der Hersteller folglich schwer belangt werden. Wird ein qualifizierter Händler, der einen preisaggressiven Wettbewerb betreibt, unter den Vorwand, er erfülle die Selektionskriterien nicht, vom Produktvertrieb ausgeschlossen, so stellt dies einen Verstoß gegen die gleichmäßige Anwendung der festgesetzten Selektionskriterien dar. Das gesamte Vertriebssystem verstößt dann aufgrund der von der Vertriebsbindung ausgehenden Wettbewerbsbeschränkung im markeninternen Wettbewerb gegen Art. 81 EG 1214. Erfolgt die ungleichmäßige Handhabung systematisch auf der Grundlage einer Absprache über wettbewerbswidrige Vertriebspraktiken zwischen allen Systembeteiligten, so ist das Vertriebssystem bereits in seiner vertraglichen Ausgestaltung wettbewerbswidrig und nach Art. 81 Abs. 2 EG nichtig 1215. Ein Belieferungsanspruch besteht nicht. Dasselbe gilt, wenn der diskriminierte Händler ursprünglich selbst an einer wettbewerbswidrigen Absprache über eine bestimmte Geschäftspolitik beteiligt war und erst später aus dieser Politik ausschert und deshalb nicht mehr beliefert wird 1216. Wird ein in seiner vertraglichen Ausgestaltung zulässiges selektives Vertriebssystem aufgrund einer Willensübereinstimmung zwischen dem Hersteller und einzelnen Händlern über die Durchsetzung einer bestimmten, kartellrechtswidrigen Geschäftspolitik ungleichmäßig gehandhabt, so folgt jedoch aus Art. 81 Abs. 2 EG ein Belieferungsanspruch des diskriminierten Händlers 1217. Ein aus Art. 82 EG, § 20 GWB entstehender Belieferungsanspruch wegen Ungleichbehandlung soll fehlen, wenn andere Mittler nach Vertragsende nicht mehr beliefert werden 1218.

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cc) Belieferungspflicht bei quantitativen Vertriebsbindungssystem. Noch nicht sicher geklärt ist, ob ein Händler, dem die Belieferung verweigert wird, im Rahmen eines quantitativen Vertriebsbindungssystems eine Belieferungsklage auf der Grundlage des § 20

1209 1210 1211

1212

Mäsch ZIP 1999, 1507; zustimmend: Emde VersR 2001, 148 (158). Rheinländer WRP 2007, 501 (503). Haslinger WRP 2007, 926. Gegenargument: Auch aus § 20 GWB kann ein Kontrahierungszwang folgen. Mäsch ZIP 1999, 1507; zustimmend: Emde VersR 2001, 148 (158).

128

1213 1214 1215 1216 1217 1218

Rheinländer GRUR 2007, 383 (384); Mäsch ZIP 1999, 1507. Rheinländer GRUR 2007, 383 (385). Rheinländer GRUR 2007, 383 (385). Rheinländer GRUR 2007, 383 (385). Rheinländer GRUR 2007, 383 (386). OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.02.2007 – U (Kart) 22/06, BeckRS 2007, 07179.

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GWB erheben kann 1219. Dies wird mit der Argumentation verneint, der Hersteller habe mit Implementierung eines quantitativen Systems zu erkennen gegeben, dass sein System nicht die Voraussetzungen eines für alle gleichermaßen qualifizierten Händler allgemein zugänglichen Geschäftsverkehrs i.S.d. § 20 GWB erfüllt. Einem quantitativen System sei immer eine gewisse Willkür immanent, da nicht jeder Händler beliefert werden müsse 1220. Der Hersteller dürfe seine quantitative Selektion jederzeit ändern, so dass mit dem Wesen der Freistellung quantitativer Systeme ein individueller Zulassungsanspruch, gestützt auf eine Diskriminierung, nicht vereinbar sei 1221. Beruht ein Vertriebssystem jedoch ausschließlich auf quantitativen Voraussetzungen, muss es eine nachvollziehbare und eindeutige Festlegung geben, woraus sich die zahlenmäßige Beschränkung der Händlerzahl im System ergibt bzw. woran sie festgemacht wird 1222. Bewerber müssen eine klar definierte und realistische Chance auf Beitritt haben. Auch kommt es darauf an, ob das erstrebte Ziel durch die Wahl milderer, weniger beeinträchtigender Mittel erreicht werden kann 1223. Die quantitativen Selektionskriterien müssen im Voraus eindeutig durch den Hersteller festgelegt sein und dürfen nicht von Fall zu Fall oder willkürlich an Hand eines Autorisierungsbegehrens angewendet werden 1224. 2. Deutsches Kartellrecht a) Einleitung. Zum 01.07.2005 ist die 7. GWB-Novelle in Kraft getreten. Sie führte 236 zu einem grundsätzlichen Systemwandel 1225. Im Kartellverbot des § 1 GWB wurden die Worte „miteinander im Wettbewerb stehenden“ gestrichen. Vom Kartellverbot erfasst sind nicht mehr nur horizontale, sondern auch – bislang von §§ 14 bis 18 a.F. GWB geregelte – vertikale Vereinbarungen 1226. § 14 GWB a.F. und § 16 GWB a.F. unterschieden sich durch den Gegenstand der Bindung. § 14 GWB erfasste Inhaltsbindungen, § 16 GWB Abschlussbindungen. § 14 GWB griff ein, wenn ein Vertragspartner in seiner Freiheit der inhaltlichen Gestaltung von Verträgen beschränkt wurde, die er mit Dritten einging. § 16 GWB fand Anwendung, wenn der Gebundene nicht frei darüber entscheiden konnte, ob und mit wem er Verträge abschloss 1227. Diese Vorschriften sind nun gestrichen worden. § 1 n.F. GWB hat nach dem Willen des Gesetzgebers den gleichen Regelungsgehalt 237 wie Art. 81 Abs. 1 EG 1228. § 2 Abs. 1 GWB enthält eine als Generalklausel formulierte Ausnahme vom Kartellverbot. Sie übernimmt die Freistellungsvoraussetzung des Art. 81 Abs. 3 EG. Das Vorliegen der in § 2 Abs. 1 GWB n.F. genannten 4 Voraussetzungen wird vermutet, wenn eine EU-GVO auf die Vereinbarung anwendbar ist und deren Tatbestand erfüllt ist. Im Vertriebsrecht sind insoweit die Schirm-Vertriebs-GVO 2790/99 und die Kfz-GVO 1400/02 relevant 1229. Klarstellend überträgt Art. 2 Abs. 2 GWB den Rege1219 1220

1221 1222 1223 1224

1225

Haslinger WRP 2007, 926 (927). Bechtold EG-Kartellrecht VO 2790/99, Art. 1 Rn 18 ff; vgl. auch Haslinger WRP 2007, 926 (927). AA wohl Bavendamm/Kreutzmann DB 2003, 682 (691). Haslinger WRP 2007, 926 (928). BGHZ 81, 322. Haslinger WRP 2007, 926 (928); aA Bechtold EG-Kartellrecht, VO 2790/1999 Rn 19. Jacobsen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 1158.

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1228 1229

LG München I, Urt. v. 21.03.2006 – 33 O 24781/04, WuW 2006, 626 (628) – DE-R 1708, 1710; Karl/Reichelt DB 2005, 1436, 1437; Kahlenberg/Haellmigk BB 2005, 1509. Rahlmeyer in: Martinek/Semler, § 25, Rn 11; Okonek in: Giesler/Nauschütt § 2, Rn 140. Jacobsen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 1159. Siehe Kahlenberg/Haellmigk BB 2005, 1509 (1510).

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lungsgehalt der GVO in Form einer dynamischen Verweisung in das deutsche Recht 1230. An dieser Verweisung wird wegen Art. 80 Abs. 1 GG Kritik geäußert 1231. Ist auf die Vereinbarung eine GVO unanwendbar oder sind deren Voraussetzungen nicht erfüllt, kommt eine Freistellung nach § 2 Abs. 1 GWB in Betracht. Bei fehlender Freistellung durch eine GVO mangelt es an einer offensichtlichen Freistellungsfähigkeit, die aber keine Indizwirkung für eine individuelle Prüfung der Freistellungsvoraussetzungen aufweist 1232. Im Ergebnis hat das deutsche Kartellrecht damit gegenüber Art. 81 EG keinen eigenständigen Regelungsgehalt mehr. Die Rechtsprechung zum europäischen und deutschen Kartellrecht wird sich weitgehend entsprechen, was zu begrüßen ist.

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b) Bagatellbekanntmachung. Die Freistellung eines Vertriebsvertrages kann nach deutschem Recht auch nach der Bagatellbekanntmachung 2007 und der Bekanntmachung KMU 2007 des BKartA erfolgen 1233. Das Bundeskartellamt ist nicht nur für die Anwendung des GWB sondern auch des Art. 81 EG zuständig 1234. Die EU-Bagatellbekanntmachung gilt ausschließlich im Anwendungsbereich des Art. 81 EG, d.h. nur dann, wenn die Wettbewerbsbeschränkung spürbare Auswirkung auf den zwischenstaatlichen Handel haben kann. Keine Anwendung kann die Bagatellbekanntmachung 2007 des BKartA finden, falls die Vereinbarung nicht in den Anwendungsbereich des § 1 GWB/Art. 81 EG fällt oder von §§ 2, 3 GWB, einer GVO oder Art. 81 Abs. 3 EG freigestellt ist 1235. In diesem Fall besteht kein Aufgreifermessen des BKartA. Bei einer nicht horizontalen Vereinbarung liegt der insgesamt maximal zulässige Marktanteil auf allen betroffenen Märkten bei 15 %. Kann die Einordnung nicht zweifelsfrei vorgenommen werden, gilt die geringere 10 %-Schwelle 1236. Besteht der Verdacht, dass auf einem betroffenen Markt der Wettbewerb durch einen kumulativen Marktabschottungseffekt von Vereinbarungen beschränkt wird, beträgt die Marktanteilsschwelle jeweils 5 %. Ein solcher kumulativer Abschottungseffekt liegt vor, wenn 30% oder mehr des betroffenen Marktes von nebeneinander bestehenden Netzen von Vereinbarungen verschiedener Lieferanten für den Verkauf entsprechender Waren/das Angebot entsprechender Dienstleistungen abgedeckt werden. Unzulässige Kernbeschränkungen bilden die Festsetzung von Preisen oder Preisbestandteilen beim Ein- oder Verkauf von Erzeugnissen/Dienstleistungen in Bezug auf mit Dritten ausgehandelten Verträgen sowie die Beschränkung von Produktion, Bezug oder Absatz von Waren oder Dienstleistungen, insbesondere durch die Aufteilung von Versorgungsquellen, Märkten oder Abnehmern. Auf vertikale Vereinbarungen werden dieselben strengen Maßstäbe wie auf horizontale Vereinbarungen angewendet 1237. Insbesondere erlaubt das Bundeskartellamt nicht die gängigen Ausnahmen in vertikalen Vereinbarungen zur Beschränkung des Gebiets- oder Kundenkreises, in das oder an den der Käufer die Vertragswaren oder Dienstleistungen verkaufen darf 1238. Es kann nicht angenommen werden, dass eine Vereinbarung, die nach der Bagatellbekanntmachung des BKartA nicht freigestellt ist, regelmäßig über § 2 GWB i.V.m. einer GVO automatisch freigestellt wäre. In den allgemeinen Anwendungsvoraussetzungen einer GVO, wie z.B. im Bereich des Automobilvertriebs, können ver-

1230 1231 1232 1233

Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 729. Jacobsen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 1160. Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 731. Dazu Pfeffer/Wegner BB 2007, 1173.

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1234 1235 1236 1237 1238

Art. 3 Abs. 1 VO 1/2003, § 50 GWB; vgl. Pfeffer/Wegner BB 2007, 1173 (1174). Vgl. Bagatellbekanntmachung 2007, Rn 3; Pfeffer/Wegner BB 2007, 1173 (1174). Bagatellbekanntmachung 2007, Rn 8 bis 10. Pfeffer/Wegner BB 2007, 1173 (1173). Pfeffer/Wegner BB 2007, 1173 (1174).

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schiedene – rein zivilrechtliche – Voraussetzungen enthalten sein, die eine Vereinbarung erfüllen muss, wenn sie die GVO in Anspruch nehmen will. Diese brauchen die Hersteller/Importeure, deren Marktanteil unter 5 % liegt, im europäischen Recht nicht zu erfüllen, ohne hierdurch mit dem Kartellrecht in Konflikt zu geraten. Fällt eine solche Vereinbarung mangels Zwischenstaatlichkeit nicht mehr in den Anwendungsbereich des Art. 81 EG, was z.B. bei einer Vereinbarung zwischen einem Kfz-Händler und einem ausschließlich regional tätigen Unterhändler in Betracht kommen kann, so wäre nicht die EU-Bagatellbekanntmachung sondern die Bagatellbekanntmachung 2007 des BKartA anwendbar. Ein solcher Händler könnte sich bei identischer Vertragsgestaltung nach deutschem Recht nicht darauf verlassen, dass seine Vereinbarung vom Bundeskartellamt nicht aufgegriffen würde 1239. Vereinbart er ein selektives Vertriebssystem, welches charakteristisch das Verbot des Verkaufs an Wiederverkäufer beinhaltet, könnte dies, als „Beschränkung des Absatzes“, der Anwendung der Bagatellbekanntmachung 2007 entgegenstehen. Zwar folgt aus der Nichterfüllung der Voraussetzungen der Bagatellbekanntmachung 2007 nicht, dass das Bundeskartellamt nun zwingend jegliche Vereinbarung, die die Bagatellbekanntmachung im Ansatz oder im Detail nicht erfüllt, verfolgen wird 1240. Sinnvoll ist ein derartiges Auseinanderfallen der Beurteilung aber nicht 1241. Denn es führt die weitgehende Anpassung des GWB an die europäische Systematik ad absurdum, wenn gerade bei Vereinbarungen mit geringfügiger Auswirkung auf den Wettbewerb die schwierige Abschätzung vorgenommen werden muss, ob eine Vereinbarung dem Art. 81 EG unterfällt oder nicht 1242. Das Merkblatt KMU 2007 des BKartA ersetzt das entsprechende Merkblatt des BKartA zur Kartellnovelle vom 16.12.1998. Nicht anwendbar ist das Merkblatt auf zwischenbetriebliche Kooperationen, welche geeignet sind, den zwischenstaatlichen Handel spürbar zu beeinträchtigen 1243. Zulässig bleiben Vertriebskooperationen, die sich darauf beschränken, Aufträge in Abhängigkeit der Frachtkosten zu vergeben 1244. Preisabreden können ausnahmsweise zulässig sein, sofern sie zwingend mit dem Rationalisierungserfolg verbunden sind, etwa bei einer Vertriebsgemeinschaft 1245. c) § 20 GWB. Nach wie vor eine besondere Bedeutung hat im Vertriebsrecht § 20 239 GWB 1246. Auch Vertriebsmittler, insbesondere HV, können sich bei entsprechender Marktstärke des Unternehmers auf das Diskriminierungsverbot des § 20 Abs. 1, Abs. 2 GWB berufen. Das gilt auch für HV 1247. Die Anwendbarkeit ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil der HV weder Anbieter noch Nachfrager hinsichtlich der vom Unternehmer vertriebenen Produkte ist 1248 oder die §§ 84 bis 92c eine in sich geschlossene, § 20 Abs. 2 GWB vorgehende und verdrängende Sonderregelung beinhalten 1249. Nach

1239 1240 1241 1242 1243 1244 1245 1246 1247

Pfeffer/Wegner BB 2007, 1173 (1175). Pfeffer/Wegner BB 2007, 1173 (1175). Rissmann EuW 2006, 884; Pfeffer/Wegner BB 2007, 1173 (1175). Pfeffer/Wegner BB 2007, 1173 (1175). Pfeffer/Wegner BB 2007, 1173 (1176). Merkblatt KMU 2007, Rn 33. Pfeffer/Wegner BB 2007, 1173 (1177). Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, Anh. § 310 Rn 943. Immenga/Mestmäcker/Markert § 26 Rn 125; Martinek/Semler/Flohr § 9 Rn 33; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene Vor § 84 Rn 32; Wellenhöfer-Klein

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ZIP 1997, 774 (776); offengelassen in BGH Urt. v. 26.02.1970 – KZR 17/68, LM BGB § 138 Bb Nr. 28 = NJW 1970, 855. So aber Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 55. OLG Düsseldorf OLGR 1998, 11; Rittner WuW 1993, 592 (602 ff); Ebenroth/ Löwisch § 84 Rn 55; Carlhoff in Frankfurter Kommentar zum GWB § 26 Rn 162; aA Immenga/Mestmäcker/Markert § 26 Rn 125; Martinek/Semler/Flohr § 9 Rn 33; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene Vor § 84 Rn 32; Wellenhöfer-Klein ZIP 1997, 774 (776).

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dieser Meinungsgruppe bestimmt sich die Entschließungs- und Dispositionsfreiheit des Unternehmers gegenüber dem HV nur nach HV-Recht und endet erst bei Willkür oder Absicht bewusster Schädigung des HV. Darüber hinaus soll sie durch § 20 Abs. 2 GWB nicht weiter eingeschränkt sein 1250. Tatsächlich ist jedoch der Regelungsgegenstand der §§ 84 ff nicht kartellrechtlich, so dass er der Anwendung des § 20 GWB nicht im Wege der Spezialität entgegensteht. Die Analyse von Jacobsen 1251, es sei kaum vorstellbar, dass ein Unternehmer seinen HV diskriminiere oder unbillig benachteilige, dürfte unzutreffend sein. Allerdings will auch die die Anwendbarkeit des § 20 GWB ablehnende Meinungsgruppe eine Anwendung des § 20 Abs. 2 GWB vor Abschluss des HV-Vertrags oder nach dessen Beendigung zulassen1252. Damit dürfte die Anwendbarkeit in ihrem häufigsten Fall unstrittig sein: Denn § 20 240 GWB greift insbesondere dann ein, wenn die Unwirksamkeit einer Kündigung geltend gemacht werden soll 1253. Der Begriff der geschützten Unternehmen i.S.d. § 20 GWB ist weit gefasst 1254. Normadressaten des § 20 GWB sind etwa die meisten Kfz-Hersteller 1255. Auch die Herausgeber des amtlichen Telefonbuches, die zugleich die „Gelben Seiten“ verlegen, unterliegen mit Rücksicht auf die von ihnen ausgeübte Marktmacht erhöhten Anforderungen, wenn sie sich weigern, die ihnen von im eigenen Namen handelnden Werbevermittlern angedienten und geworbenen Anzeigenaufträge entgegenzunehmen 1256. § 20 Abs. 1 und 2 GWB sind auch auf von einer GVO freigestellte Vertriebssysteme 241 anwendbar 1257, weil eine Freistellung nach der GVO nichts über die in den § 20 GWB geregelten Fragen aussagt. Die Gegenansicht verneint die Anwendbarkeit des § 20 GWB insbesondere bei der Prüfung der Aufstellung und Anwendung von Selektionskriterien im Rahmen selektiver Vertriebssysteme 1258. Selektive Vertriebssysteme stellten Vereinbarungsgeflechte und keine einseitigen Handlungen des Herstellers dar, die in Abgrenzung zum europäischen Kartellrecht allein von § 20 GWB erfasst seien 1259. § 20 Abs. 1 und 2 GWB seien daher nur auf einseitige Handlungen des Herstellers gegenüber seinen gebundenen Vertriebshändlern und einseitige Handlungen gegenüber außenstehenden Dritten anwendbar, etwa wenn der außenstehende Händler nicht zum selektiven Vertriebssystem zugelassen werde, obwohl er die Selektionskriterien erfülle 1260. Zutreffend hat der BGH

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BGH Urt. v. 07.03.1989 – KZR 15/87, BGHR GWB § 26 Abs. 2 Behinderung 5; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 55. In: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 1278. Vgl. BGH Urt. v. 21.02.1989 – KZR 3/88, EBE 1989, 263 = EWiR 1989, 783; BGH Urt. v. 26.10.1972 – KZR 54/71, LM GWB § 26 Nr. 22 = NJW 1973, 280; BGH Urt. v. 22.10.1973 – KZR 22/72, LM GWB § 26 Nr. 24 = NJW 1974, 141; Ebenroth/ Löwisch § 84 Rn 55. Niebling WRP 2002, 310. Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht/ Rixen § 20 Rn 403. BGH, Urt. v. 28.06.2005 – KZR 26/04, WRP 2006, 109, 111 = GRUR Int. 2006, 57 = EWiR 2006, 273 (Emde); zuvor

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bereits BGH, Urt. v. 23.02.1988 – KZR 20/86, WuW/E 2491, 2493 – Opel-Blitz; Beschl. v. 19.01.1993 – KVR 25/91, WuW/E 2875, 2878 ff – Herstellerleasing; Urt. v. 21.02.1995 – KZR 33/93, WuW/E 2983, 2988 – Kfz-Vertragshändler; OLG Celle, Urt. v. 22.06.2000 – 13 U 137/98, WuW DE-R 581, 2001, 65 = OLGR Celle 2001, 126. OLG Bremen, Urt. v. 18.12.2003 – 2 U 71/03, OLGR 2004, 202. Weitbrecht EuZW 2003, 72; aA Wirtz WuW 2003, 1039 ff. Harte-Bavendamm/Kreutzmann WRP 2003, 682 (688). Harte-Bavendamm/Kreutzmann WRP 2003, 682 (689). Wirtz WuW 2003, 1039 (1044).

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jedoch ausgesprochen, auch im Geltungsbereich europäischen Kartellrechts ließen sich aus § 20 GWB Ansprüche auf Belieferung und Vertragsschluss herleiten 1261. Zur Systematik der Vorschrift: § 20 Abs. 1 GWB enthält den Verbotstatbestand. Erste 242 Voraussetzung der Anwendbarkeit ist, dass das Unternehmen, gegen welches vorgegangen werden soll, zu dem in § 20 GWB genannten Normadressatenkreis gehört. Zweitens ist erforderlich, dass es sich um einen gleichartigen Unternehmen üblicherweise zugänglichen Geschäftsverkehr handelt. Drittens muss entweder eine unbillige Behinderung oder eine gegenüber gleichartigen Unternehmen unterschiedliche Behandlung ohne sachlich gerechtfertigten Grund vorliegen. § 20 Abs. 2 GWB erweitert den Normadressatenkreis um die Fälle der relativen Marktmacht, bei denen die Marktmacht nicht absolut wie bei den marktbeherrschenden Unternehmen festgestellt wird, sondern relativ in Bezug auf ihre Anbieter oder Nachfrager. Die relative Marktmacht ergibt sich aus der Abhängigkeit kleiner oder mittlerer Unternehmen von der Marktgegenseite in Form des Fehlens ausreichender und zumutbarer Ausweichmöglichkeiten. Diese Abhängigkeit wird nach § 20 Abs. 2 Satz 2 GWB vermutet, sofern bestimmte Nachfrager regelmäßig bevorzugt werden. In der Praxis wird kaum noch auf die Marktbeherrschung abgestellt, da sich eine Abhängigkeit aufgrund relativer Marktstärke leichter begründen lässt 1262. Im Grundsatz gilt: Der Unternehmer ist auch als Adressat des § 20 GWB in der 243 Gestaltung seines Vertriebssystems frei 1263. Einmal bestehende Lieferbeziehungen können für die Zukunft nicht unabänderlich gestaltet werden. Dies würde dem Wesen des Wettbewerbs als einem dynamischen Prozess, der steter Veränderung unterworfen ist, widersprechen. Die Kündigung gegenüber einem Vertriebsmittler kann gerade Ausdruck des Wettbewerbs sein, um einen günstigeren Dienstleister zu wählen. Die Kündigungsmöglichkeit hindert eine Wettbewerbserstarrung. Das Freihaltebedürfnis des Unternehmers ist gegen das Schutzbedürfnis des Mittlers 1264 unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des Gesetzes 1265 abzuwägen. Dabei fällt auf Seiten des Händlers dessen Interesse an der Belieferung ins Gewicht. Zugunsten des Unternehmers ist zu berücksichtigen, dass § 20 GWB ihm unternehmerischen Freiraum bei der Gestaltung und Pflege seines Vertriebssystems belässt und nur den Missbrauch von Marktmacht verhindern will. Eine ordentliche Kündigung des Herstellers gegenüber dem Vertragshändler ist daher 244 trotz § 20 GWB zulässig, auch wenn ein Kündigungsgrund und eine sachliche Rechtfertigung fehlt 1266. Sie steht allerdings unter dem Vorbehalt Treu und Glaubens 1267. Eine Grenze liegt außer im Schikane- und Diskriminierungsverbot des § 20 GWB in dem Verbot sittenwidrigen Handelns. Die Tendenz der Gerichte liegt darin, eine ordentliche Kündigung nur bei Schikane und widersprüchlichem Verhalten wie – bezogen auf die Kündi-

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BGH, Urt. v. 28.06.2005 – KZR 26/04, WRP 2006, 109 (111) = EWiR 2006, 273 (Emde); Urt. v. 12.05.1998 – KZR 23/95, BB 1998, 2353 = NJW-RR 1999, 189. Westphal Vertriebsrecht II Rn 416. BGH WuW/E DE-R 1151, 2003, 395 ; OLG Celle v. 29.03.2001 – 13 U 53/00, WuW DE-R 864 = WuW 2002, 504 (Kfz-Vertragshändler). OLG Celle v. 22.06.2000 – 13 U 137/98 – WuW DE-R 581 = WuW 2001, 65 = OLGR 2001, 126.

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BGH, Urt. v. 28.06.2005 – KZR 26/04, WRP 2006, 109, 111 = GRUR Int. 2006, 57 = EWiR 2006, 273 (Emde); zuvor bereits BGH, Urt. v. 23.02.1988 – KZR 20/86, WuW/E 2491, 2493 – Opel-Blitz; Beschl. v. 19.01.1993 – KVR 25/91, WuW/E 2875, 2878 ff – Herstellerleasing; Urt. v. 21.02.1995 – KZR 33/93, WuW/E 2983, 2988 – Kfz-Vertragshändler. Niebling WRP 2002, 310. Niebling WRP 2002, 310.

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gungserklärung – zeitnahen Aufforderungen des Herstellers gegenüber dem Händler zu investieren (Investitionsschutz) für rechtswidrig zu halten 1268. Wird von einem Unternehmer die ordentliche Kündigung eines Vertretervertrages angedroht, um eine Änderung der Zusammenarbeit zu erreichen, so bestehen meist weder vertragliche noch gesetzliche (§§ 138, 826 BGB, § 20 GWB) Schadensersatzansprüche, falls die ordentliche Kündigung keines besonderen Grundes bedarf und die Kündigungsfrist nicht unangemessen kurz ist 1269. In der Regel wird damit die vom Gesetz als angemessen beurteilte ordentliche Kündi245 gungsfrist des § 89 genügend sein, um dem Mittler eine ausreichende Anpassungs- und Umstellungszeit zuzubilligen. Das hat die Rechtsprechung etwa für den Fall anerkannt, indem dem bisherigen Vertragshändler gekündigt werden sollte, um einen ruinösen Wettbewerb zwischen ihm und einem neu eingesetzten Händler zu verhindern. Nach Kündigung durch den Hersteller scheitere ein Belieferungsanspruch daran, dass der Händler nicht mehr zum selektiven Vertriebssystem des Herstellers gehöre 1270. Nach Ansicht von Ensthaler/Gesmann-Nuissl/Stopper 1271 hinterlässt § 20 GWB bei Existenz eines sachlichen Grundes seine Wirkung dahingehend, dass er dem Händler eine angemessene Auslauf- oder Umstellungsfrist zuspricht. Im außereuropäischen Bereich ist wegen der möglichen Verkürzung der Kündigungsfristen nach § 92c von Fall zu Fall zu entscheiden, wobei das Leitbild des § 89 einen Anhalt bieten kann. In investionsintensiven Branchen mögen Besonderheiten gelten (s.u.). Hat ein Händler die in § 89 genannte Zeitspanne ungenutzt verstreichen lassen, obwohl Anlass für ihn bestand, sich um Ausweichmöglichkeiten zu bemühen, so kann die Abhängigkeit zu verneinen sein 1272. Der Händler ist daher gehalten, sich um die Vertretung einer anderen Marke zu bemühen und während einer gewissen Zeit die dafür erforderlichen Investitionen vorzunehmen sowie seinen Kundenstamm umzustellen 1273. Eine innerhalb der Frist des § 89 erklärte Kündigung ist regelmäßig wirksam und wird durch § 20 GWB nicht ausgeschlossen 1274. Dem Unternehmer steht die Vertragsbeendigung grundsätzlich frei (§§ 89, 89a). Nach Kündigung existiert grundsätzlich kein Anspruch auf Fortsetzung des Vermittlungsvertrages. Dem selektiven Vertriebssystem mit qualitativer Selektion steht § 20 Abs. 1 GWB 246 nicht im Wege, vorausgesetzt, es wird seinerseits nicht diskriminierend angewandt und die Qualifikationsanforderungen sind sachgerecht und angemessen 1275. Selbst wenn die Qualifikationsanforderungen jedoch nicht sachgerecht und angemessen sein sollten, besteht nur ein Aufnahmeanspruch, wenn die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen des § 20 GWB erfüllt sind (dazu im Folgenden). Hierzu zählen insbesondere Marktmacht sowie gegebenenfalls die TB-Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 GWB (Spitzenstellungsabhängigkeit und Spitzengruppenabhängigkeit).

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Niebling WRP 2002, 310. OLG Hamburg, Urt. v. 20.02.2003 – 3 U 26/99, GRUR-RR 2003, 325 (Tankstellenhandelsvertretervertrag). Immer ist allerdings zu prüfen, ob eine unzulässige Schikanekündigung vorliegt (siehe BGH NJW 1970, 855). OLG Celle, Urt. v. 29.03.2001 – 13 U 53/00, WuW DE-R 864, 2002, 504. DB 2003, 257 (260).

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KG v. 03.12.1974, (Kart) 37/74, WuW/E OLG 1548, 1541; OLG Düsseldorf v. 21.02.1978 – (Kart) 16/76, WuW/E OLG 1913, 1918 – Allkauf; Loewenheim/ Meessen/Riesenkampff, § 20 Rn 43. Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 20 Rn 43. Vgl. Langen/Bunte/Schultz § 20 Rn 173 f. Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 20 Rn 91.

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Ausnahmen sind in der Rechtsprechung wiederholt anerkannt worden: So ist das 247 OLG Frankfurt/M 1276 davon ausgegangen, der Unternehmer sei verpflichtet, einem nach 46-jähriger Tätigkeit ausgeschiedenen HV Ersatzteile für früher bezogene Frankiermaschinen zu liefern, obwohl der Vertreter zwischenzeitlich Konkurrenzerzeugnisse vertrieb. Motivierend war, dass die Lebensdauer der vertragsgegenständlichen Geräte 20 Jahre betrug und der vormalige Unternehmer auf den Markt nach Einschätzung des Gerichts einen beherrschenden Marktanteil hatte 1277. Die Entscheidung wurde zwar durch den BGH 1278 aufgehoben. Dies ändert jedoch nichts an dem Umstand, dass den Unternehmer unter den Voraussetzungen des § 20 GWB ein Diskriminierungsverbot trifft und der Abbruch der Vertragsbeziehungen ohne angemessene Umstellungsfrist – die bei erheblichen Investitionen des Vertreters ausnahmsweise über die Kündigungsfristen des § 89 hinausgehen darf – unzulässig sein kann 1279. Ein Kündigungsschutz kann sich auch ergeben, falls der Vertreter auf Veranlassung 248 des Herstellers besondere Investitionen erbracht hat. Dieser Kündigungsschutz unter Investitionsgesichtspunkten folgt aber nicht aus § 20 GWB, sondern aus dem Verbot widersprüchlichen Verhaltens (§ 242 BGB) oder den §§ 627 Abs. 2, 671 Abs. 2, 712 Abs. 2, 723 Abs. 2, 2226 Abs. 2 BGB analog 1280. Deshalb brauchen die strengen Voraussetzungen des § 20 GWB in diesem Fall nicht vorzuliegen. Maßgeblicher Gesichtspunkt des § 20 GWB ist die Gleichbehandlung. Bei Eingreifen 249 der Tatbestandsvoraussetzungen des § 20 GWB kann daher ein Gleichbehandlungsgebot eingreifen 1281: Der Unternehmer ist zwar nicht daran gehindert, ein Mischsystem eigener Niederlassungen mit einem Vertrieb durch Mittler zu kombinieren. Ihn trifft aber eine Pflicht zur Gleichbehandlung der selbständigen Mittler mit den eigenen Vertriebsgesellschaften 1282. Da dem Unternehmer die Freiheit seiner Disposition auch dergestalt zusteht, dass er eigene Vertriebsgesellschaften einsetzen darf, wo er zuvor unabhängige Mittler beschäftigte, dürfte jedoch auch eine Kündigung zum Zweck, den Mittler durch konzerneigene Vertriebsstätten zu ersetzen, kaum an § 20 GWB scheitern 1283. Jedoch kann sich der Unternehmer vertraglich verpflichten, ein Vertriebssystem ausschließlich mit unabhängigen Mittlern zu unterhalten. Die Klausel „Der Vertrieb erfolgt … nur über … Vertragshändler“ schließt etwa den Verkauf des Herstellers durch konzerneigene Gesellschaften aus 1284. Den Verstoß gegen dieses Versprechen kann auch ein Händler geltend machen, dem nicht im eigenen Vertriebsgebiet, aber in dessen unmittelbarer Nachbarschaft (hier: 20–30 Autominuten) als Konkurrent entgegengetreten wird 1285. Der BGH entschied im Opel-Blitz-Urteil 1286, von einem Unternehmer, der der überwiegenden Zahl seiner Vertragshändler die Fortsetzung des Vertrages angeboten habe und lediglich einen oder wenigen den Abschluss verweigere, dürften letztgenannte nach § 20 Abs. 2 GWB Vertragsschluss fordern, weil sie in dem fraglichen Markt „Geschäfts-

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WuW/E OLG 4233 – Frankiermaschinen. Siehe die Analyse von Jacobsen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 1278. WuW/E BGH 2595. Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht/ Rixen § 20 Rn 178. S. Creutzig NJW 2002, 3430 (3432). Ensthaler/Gesmann-Nuissl/Stopper DB 2003, 257 (258). BGH WuW/E DE-R 1151, 2003, 395.

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BGH v. 24.09.2002, KZR 38/99, WuW/E DE-R 1051/1083 – Vorleistungspflicht. OLG Köln, Urt. v. 17.11.2000 – 19 U 200/00, BB 2000, 2595 = EWiR 2001, 23 (Emde) = WuW/E 2001, 185 DE-R 605 = NJW-RR 2001, 1178. OLG Köln, Urt. v. 17.11.2000 – 19 U 200/00, BB 2000, 2595 = EWiR 2001, 23 (Emde) = WuW/E 2001, 185 DE-R 605 = NJW-RR 2001, 1178. WuW BGH 2491.

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verkehr mit dem Unternehmer“ gegenüber anderen Händlern, denen der Vertragsschluss offen stehe, diskriminiert würden. Dies gilt auch im HV-Recht. Voraussetzung ist aber, dass der Vertriebsmittler seinen Geschäftsbetrieb so stark auf die Produkte des Herstellers ausgerichtet hat, dass er nur unter Inkaufnahme erheblicher Wettbewerbsnachteile zur Vertretung eines anderen Herstellers wechseln könne. Möglicherweise ist daran auch zu denken, sofern der vom Mittler aufgebaute Kundenstamm auf die zuvor vertriebenen Produkte fixiert ist. Hingegen dürfte das OLG Düsseldorf 1287 den Anwendungsbereich des § 20 GWB zu sehr einschränken: Nach Ansicht des OLG verstößt eine Franchisegeberin weder gegen das Diskriminierungs- noch gegen das Verbot unbilliger Behinderung, wenn sie eigenen Filialen Ware zu günstigeren Konditionen als ihren Franchisenehmern zur Verfügung stellt. Es handele sich bei eigenen Filialen und Franchisenehmern nicht um gleichartige Unternehmen i.S.d. § 20 Abs. 1 GWB. Die zum Vergleich herangezogenen Unternehmen müssten „andere“ Unternehmen seien. Die sei nicht der Fall, falls die Vergleichsunternehmen mit dem unterschiedlich behandelten Unternehmen eine unternehmerische Einheit bildeten, also Konzernunternehmen seien 1288. Dann würde § 20 GWB jedoch innerhalb von Vertriebssystemen kaum eingreifen. Auch eine Behinderung gemäß § 20 GWB schied nach Ansicht des OLG aus. Die Bevorzugung konzernmäßig verbundener Unternehmen könne sich zwar als Behinderung von Wettbewerbern darstellen. Jedoch sei diese in der Regel nicht unbillig. Etwas anders gelte nur dann, wenn sich die Außenwirkung der konzerninternen Vorgänge auf dem Markt zwischen den Konkurrenten auswirkten und zu einer wettbewerbswidrigen Schieflage führe 1289. Wer Ansprüche aus §§ 33, 20 GWB geltend macht, trägt die Darlegungs- und Beweis250 last nicht nur für die Normadressateneigenschaft des Behindernden, sondern auch für das Vorliegen eines gleichartigen Unternehmens üblicherweise zugänglichen Geschäftsverkehrs und einer Behinderung oder unterschiedlichen Behandlung gegenüber gleichartigen Unternehmen ohne sachlich gerechtfertigten Grund 1290. Er muss darlegen und beweisen, dass er die Merkmale erfüllt, die der Lieferant für das qualitative selektive Vertriebssystem festgelegt hat1291. Im Einzelnen:

251

d) Zu § 20 Abs. 1 GWB. Die Behinderung oder Ungleichbehandlung muss sich auf einen Geschäftsverkehr beziehen, der gleichartigen Unternehmen üblicherweise zugänglich ist. In diesem TB-Merkmal kommt das Prinzip der Gleichbehandlung zum Ausdruck 1292. Dabei muss die wirtschaftliche Funktion der zu vergleichenden Unternehmen im Wesentlichen übereinstimmen. Im Allgemeinen sind Unternehmen gleichartig, die auf derselben Wirtschaftsstufe, etwa als Vertriebsmittler, stehen 1293. Die qualitative Einschränkung bei der Auswahl der Vertriebsmittler schließt die übliche Zugänglichkeit nicht aus 1294. In seiner Rolex-Entscheidung hat das OLG Düsseldorf 1295 als für die 1287 1288 1289 1290

1291

OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.12.2006 – VI-U (Kart) 36/05, BB 2007, 738 (740). OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.12.2006 – VI-U (Kart) 36/05, BB 2007, 738 (740). OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.12.2006 – VI-U (Kart) 36/05, BB 2007, 738 (740). OLG Frankfurt/Main, Urt. v. 10.10.2006 – 11 U 3/06, GRUR-RR 2007, 121; BGHZ 96, 337 = NJW 1986, 1877. OLG Frankfurt/Main, Urt. v. 10.10.2006 – 11 U 3/06, GRUR-RR 2007, 121.

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1292 1293 1294

Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 20 Rn 60. Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 20 Rn 61. BGH v. 04.11.2003 – KZR 2/02, WuW/E DE-R 1203, 1204 – Depotkosmetik im Internet; OLG Celle v. 22.07.2000 – 13 U 137/98 (Kart), WuW/E DE-R 581 – VAGVertrieb; OLG München v. 23.05.1996, U (K) 1951/95, WuW/E OLG 5659 – Versand-Parfümerie – OLG Karlsruhe

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Beherrschung einschlägigen relevanten Markt den Angebotsmarkt betreffend des Bezugs hochwertiger Luxusuhren durch den Facheinzelhandel angesehen. Der in geografischer Hinsicht relevante Markt sei nach Maßgabe der räumlich gegebenen tatsächlichen Austauschmöglichkeiten aus der Sicht der nachfragenden Einzelhändler zu bestimmen. Bei höherwertigen Verbrauchsgütern, wie im konkreten Fall Luxusuhren, sei die Kundennachfrage im allgemeinen nicht regional oder örtlich gebunden, sondern entfalte eine hohe Mobilität. Dementsprechend sei eine das Gebiet Deutschlands unterschreitende Marktabgrenzung nicht geboten. Der Unternehmer ist durch § 20 Abs. 1 GWB grundsätzlich nicht daran gehindert, 252 sein Absatzsystem nach eigenem Ermessen so zu gestalten, wie es dies für richtig und wirtschaftlich sinnvoll hält 1296. Er muss dabei aber nach sachlichen Gesichtspunkten vorgehen und das System konsequent und nicht willkürlich durchführen. Die Freiheit zur Ausgestaltung des Absatzsystems beinhaltet auch die Freiheit zu seiner Umgestaltung, jedenfalls sofern sachliche Gründe (etwa: Rationalisierung, die Ertragssituation, Anpassung an die wirtschaftliche Entwicklung oder gesteigerter Wettbewerbsdruck) dafür sprechen 1297. Eine solche Umstellung rechtfertigt auch den Abbruch bestehender Lieferbeziehungen 1298. Allerdings kann es erforderlich sein, den bisher belieferten Abnehmern eine angemessene Umstellungsfrist einzuräumen 1299. Dabei ist die konkrete Marktstärke des Normadressaten zu berücksichtigen. Je größer die Marktmacht des Normadressaten, desto höher das Maß an Rücksichtnahme, welches vom ihm verlangt werden muss 1300. Die Gestaltungsfreiheit bezieht sich namentlich auf die unternehmerische Grundent- 253 scheidung, ob ein Hersteller sich eines unternehmenseigenen Absatzsystems oder eines Systems fremder Absatzmittler bedienen will 1301. Zulässig ist auch der Ausschluss von Marktstufen im Absatzsystem. § 20 Abs. 1 GWB steht dem Direktvertrieb an Einzelhändler unter Ausschaltung des Großhandels oder unmittelbaren Endverbrauchers nicht

1295 1296

v. 27.09.1995 – 6 U 102/95, WuW/E OLG 5652; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 20 Rn 65. Urt. v. 29.10.2003 – XI-U (Kart) 30/00, WuW DE-R 1480. BGH v. 24.09.2002, KZR 38/99, WuW/E DE-R 1051/1053 – Vorleistungspflicht; BGH v. 27.04.1999, KZR 35/97, WuW/E DE-R 357 – Feuerwehrgeräte; BGH v. 17.03.1998, KZR 30/96, WuW/E DE-R 134 – Bahnhofsbuchhandel; BGH v. 25.10. 1998, KVR 1/87, WuW/E BGH 2535/2540 – Lüsterbehangsteine; BGH v. 24.03.1981, KZR 2/80, WuW/E BGH 1793/1797 – SB-Verbrauchermarkt; BGH v. 08.05.1979, KZR 13/78, 1587/1590 – Modellbauartikel I; BGH v. 10.10.1978, KZR 10/77, WuW/E BGH 1527/1530 – ZeitschriftenGrossisten; BGH v. 30.09.1971, KZR 13/70, WuW/E BGH 1215 – KraftwagenLeasing; BGH v. 27.09.1962, KZR 6/61, WuW/E BGH 502/508 – Treuhandbüro; OLG Stuttgart v. 16.06.2003, 2 U 144/02, WuW/E DE-R 1191/1195 – Telefonbuch-

1297

1298

1299 1300 1301

Inserate; OLG Düsseldorf v. 19.03.2003, U (Kart) 20/02, WuW/E DE-R 1184/1186 – InfraCard-Tarif; OLG Hamburg v. 19.06. 2002 – 5 U 28/02, WuW/E DE-R 1076/ 1080 – Online-Ticketshop; Loewenheim/ Meessen/Riesenkampff, § 20 Rn 89. BGH v. 10.11.1998, KZR 6/97, WuW/E DE-R 220 – U-Bahn-Buchhandlung; BGH v. 17.03.1998, KZR 20/96, WuW/E DE-R 134 – Bahnhofsbuchhandel. BGH v. 17.03.1998, KZR 30/96, WuW/E DE-R 134 – Bahnhofsbuchhandel; BGH v. 10.02.1987, KZR 6/86, WuW/E BGH 2360 – Freundschaftswerbung; BGH v. 08.03.1983, KZR 1/82, WuW/E BGH 1995/1996 – Modellbauartikel III; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 20 Rn 89. BGH v. 12.02.1980, KRB 4/79, WuW/E BGH 1729/1730 – Ölbrenner. Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 20, Rn 89. BGH v. 24.09.2002, KZR 38/99, WuW/E DE-R 1051/1083 – Vorleistungspflicht.

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entgegen 1302. Entscheidet sich ein Unternehmen für ein unternehmenseigenes Absatzsystem, so besteht grundsätzlich kein Anspruch unternehmensfremder Händler auf Belieferung1303. Werden unternehmensfremde Absatzmittler in das Absatzsystem eingeschaltet, so besteht eine grundsätzliche Pflicht, gleichartige Unternehmen bei der Belieferung gleich zu behandeln. Eine Auswahl ist nur unter sachlichen Gesichtspunkten gerechtfertigt 1304. Der Normadressat ist aber nicht verpflichtet, seinen Vertragspartner vor Wettbewerb zu schützen, um ihm die Existenz oder ein auskömmliches Einkommen zusichern. Eine solche Pflicht kann sich nur aus der Treubindung ergeben. Die Zielsetzung des Kartellrechts verbietet es, bestehende Wettbewerbsstrukturen dauerhaft festzuschreiben 1305.

254

e) Zu § 20 Abs. 2 GWB. § 20 Abs. 2 GWB wird vor allem in Vertragshändlerverträgen regelmäßig anwendbar sein 1306. Die relative Marktmacht muss hier im Vertikalverhältnis zwischen verschiedenen Marktstufen vorliegen. Sie ist aus der Sicht desjenigen Unternehmens zu bestimmen, dessen Abhängigkeit geprüft werden soll 1307. Bei einer sortimentsbedingten Abhängigkeit kommt es darauf an, welche Bezugsalternativen für jenes Unternehmen bestehen, bei einer nachfragebedingten Abhängigkeit darauf, welche Absatzalternativen das Unternehmen hat. Die Merkmale der sortimentsbedingten Abhängigkeit, nämlich Spitzenstellungsabhängigkeit 1308 und Spitzengruppenabhängigkeit 1309 ergeben sich nicht aus dem Vertriebsvertrag sondern aus der Art der vertriebenen Produkte. Eine Spitzenstellungsabhängigkeit liegt vor, falls der Hersteller auf Grund der Qualität und Exklusivität seiner Produkte ein solches Ansehen und eine solche Bedeutung besitzt, dass der Repräsentant darauf angewiesen ist, gerade diese Ware anzubieten. Wenn trotz hoher Distributionsrate (80 % der Händler führten die Produkte des Herstellers) 20 % der Händler ohne jene Ware auskommen, spricht dies gegen eine Spitzenstellungsabhängigkeit 1310. Bei einer Ware, die nicht über ein selektives Vertriebssystem abgesetzt wird, geht eine Spitzengruppenabhängigkeit im Allgemeinen mit einer hohen Distributionsrate einher 1311. Eine Spitzengruppenabhängigkeit liegt vor, wenn der Händler eine bestimmte Anzahl allgemein anerkannter Marken aus einer Spitzengruppe im Sortiment führen muss, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Die hohe Präsenz der Produkte (Distributionsrate von 80 %) dokumentiert, dass sie von den meisten Fachhändlern als unverzichtbarer Bestandteil eines entsprechenden Sortiments angesehen werden und eine Spitzengruppenabhängigkeit vorliegt 1312. Vertriebsvertragstypisch ist hingegen die unter-

1302 1303 1304

1305

1306 1307

Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 20 Rn 90. Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 20 Rn 90. BGH v. 24.09.2002, KZR 28/99, WuW/E DE-R 1051/1053 – Vorleistungspflicht; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 20 Rn 90. OLG Frankfurt/Main v. 11.05.2004, 11 U (Kart) 27/03, GRUR-RR 2004, 276, 277 – Autobahn-Raststätte; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 20 Rn 91. Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, Anh. § 310 Rn 943. BGH v. 12.11.2002 – KZR 11/01, WuW/E

138

1308 1309 1310

1311 1312

DE-R 1087, 1091; BGH v. 24.09.2002 – KZR 34/01, WuW/E DE-R 1011, 1012; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 20 Rn 23. Hierzu BGH, Urt. V. 09.05.2000 – KRZ 28/98, GRUR 2000, 1108 (1109). Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 20 Rn 34. BGH, Urt. v. 09.05.2000 – KZR 28/98, NJW-RR 2000, 1286 (Leitsatz dort unrichtig wiedergegeben). BGH, Urt. v. 09.05.2000 – KZR 28/98, NJW-RR 2000, 1286. BGH, Urt. v. 09.05.2000 – KZR 28/98, NJW-RR 2000, 1286.

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Vor § 84

nehmensbedingte Abhängigkeit. Sie liegt vor, wenn sich ein Abnehmer aufgrund längerer, regelmäßig vertraglich abgesicherter Lieferbeziehung auf einen Händler festgelegt hat 1313. Hauptbeispiel sind Vertriebsmittler 1314. Die Abhängigkeit ergibt sich vor allem daraus, dass der Kundenstamm des Mittlers nicht ohne weiteres auf eine andere Marke umgestellt werden kann 1315, da der Mittler einen bedeutenden Teil seines Betriebskapitals durch die auf die Marke spezialisierten Ersatzteile, Spezialwerkzeuge und Spezialmaschinen gebunden hat und die Umstellung auf neue Einrichtungen dieser Art eine erhebliche finanzielle Belastung darstellen würde. Der Wechsel zu einer anderen Marke stellt häufig keine ausreichende und zumutbare Ausweichmöglichkeit dar. Gegenbeispiele sind aber anerkannt: So gewährt das OLG Düsseldorf 1316 im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH 1317 keinen aus Art. 81 EG i.V.m. §§ 823 Abs. 2, 249 BGB hergeleiteten Belieferungsanspruch gegen den Hersteller von „Rolex-Uhren“ wegen einer „Spitzenstellungsabhängigkeit“ eines Händlers von diesen Uhren. Es könne aber Schadenersatz in Gestalt einer Belieferungsverpflichtung aus § 20 Abs. 1, Abs. 2 i.V.m. § 33 S. 1 GWB und § 249 BGB geschuldet sein, wenn ein marktbeherrschendes oder jedenfalls marktstarkes Unternehmen in einem Geschäftsverkehr, der gleichartigen Unternehmen üblicherweise zugänglich ist, einem anderen, insbesondere einem von ihm abhängigen Unternehmen, Geschäftsbeziehungen ohne einen sachlich gerechtfertigten Grund oder in einer unbillig behindernden Weise verweigert. Ob eine unbillige Behinderung oder eine sachlich ungerechtfertigte ungleiche Behandlung erfolgt, ist anhand einer Abwägung der individuellen Interessen der Beteiligten unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des GWB einschließlich der Wertung des europäischen Kartellrechts zu ermitteln. Im entschiedenen Fall fehlte eine Belieferungspflicht wegen des geringen Distributionsgrads (von 10.000 Uhren- und Schmuckfachgeschäften führten lediglich 140 R-Uhren) und der mangelnden Erwartung der beteiligten Verkehrskreise, die Fachgeschäfte müssten diese Uhren führen. Der Begriff der Abhängigkeit wird durch das Fehlen ausreichender und zumutbarer 255 Ausweichmöglichkeiten definiert 1318. Auch das eigene Verhalten des abhängigen Unternehmens ist zu berücksichtigen, etwa wenn das Unternehmen in zurechenbarer Weise seinen Betrieb einseitig auf die Geschäftsbeziehung mit einem anderen Unternehmen ausgerichtet hat (selbstverschuldete Abhängigkeit) 1319. Bei einem Verschulden können dem abhängigen Unternehmen größere Opfer und Risiken zugemutet werden, als einem Unternehmen, welches ohne eigenes Zutun in Abhängigkeit geraten ist 1320. Die Zurechnung 1313

1314

1315

Siehe OLG Frankfurt/Main v. 08.06.1978 – 6 U (Kart.) 132/77, WuW-E OLG 1998, 1999; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 20 Rn 41. Vgl. BGH v. 01.07.1976 – KZR 34/75, WuW-E BGH 1455 – BMW-Direkthändler; OLG Stuttgart v. 23.03.1979 – 2 W (Kart) 8/79, WuW/E OLG 2103 – Porsche-Vertragshändler; OLG Düsseldorf v. 16.10. 1979 – U (Kart) 7/79, WuW/E OLG 2133 – Premiumbier; KG v. 28.11.1979 – (Kart) 12/79, WuW-E OLG 2247 – Parallellieferteile; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 20 Rn 41. OLG Stuttgart v. 23.03.1979 – 2 W (Kart) 8/79, WuW/E OLG 2103-Porsche-Vertragshändler; OLG Düsseldorf v. 16.10.1979 U

1316

1317

1318 1319 1320

(Kart) 7/79, WuW/E OLG 2133 – Premiumbier; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 20 Rn 41. OLG Düsseldorf, Urt. v. 29.10.2003, VI-U (Kart) 30/00, WuW 2005, 244 = DE-R 1480. BGH, Urt. v. 12.05.1998 – KZR 23/95, BB 1998, 2332 = ZIP 1998, 2070 = DB 1998, 2461 = NJW-RR 1999, 189 m. Anm. Mäsch ZIP 1999, 1507 und Birk EWS 2000, 485. Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 20 Rn 24. Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 20 Rn 35. Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 20 Rn 35.

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zu Lasten des abhängigen Unternehmens darf jedoch nicht erfolgen, wenn die einseitige Ausrichtung der Geschäftsbeziehungen marktüblich ist oder vom Geschäftspartner verlangt wurde 1321. Marktbeherrschende Unternehmen dürfen Mitarbeitern von Vertriebsmittlern grund256 sätzlich keine Anreize für den Verkauf der Produkte des Marktbeherrschers gewähren. Verkaufsanreize sind nur insoweit zulässig, als sie durch Kostenvorteile oder andere wirtschaftliche Gründe objektiv gerechtfertigt sind und auf transparenten Bedingungen beruhen. Anreize für nicht exklusive Händler sind ab einer Größenordnung von 15 EUR (Daumenregel des Jahres 2005) nicht den beim Vertriebsmittler tätigen Verkaufsangestellten, sondern dem Mittler zu gewähren. Von der Veranstaltung von Verkaufswettbewerben sollte abgesehen werden. Anreize für nicht exklusive Absatzmittler dürfen nicht dazu führen, dass der Mittler seinen Kunden das betreffende Produkt ohne Beachtung objektiver Kriterien und ausschließlich wegen der Prämie empfiehlt 1322. Die Erhöhung des Werksabgabepreises von Kfz gegenüber den Vertragshändlern stellt 257 keine unbillige Behinderung i.S.d. § 20 Abs. 1, 2 GWB dar, weil Händler Fahrzeuge an Kunden wegen der jenen gewährten Rabatte regelmäßig unterhalb der UPE des Herstellers verkaufen und die Erhöhung des Werksabgabepreises kompensieren können, indem sie ihren Kunden geringere Rabatte gewähren 1323. Allerdings darf ein vereinbarter Rabatt nicht einseitig geändert werden. Ein Parfümhersteller, der ein selektives Vertriebssystem betreibt, ist nicht deshalb 258 nach § 20 Abs. 2 GWB zur Belieferung reiner Internethändler verpflichtet, weil er den Mitgliedern seines selektiven Vertriebssystems neben dem stationären Handel auch den Internethandel erlaubt. Denn dass der stationäre Handel auch per Internet vertreiben darf wird durch Art. 4 lit. b GVO 2790/99 vorgeschrieben. Es liegt daher eine sachlich gerechtfertigte Ungleichbehandlung vor 1324.

259

f) Rechtsfolgen des Verstoßes gegen das Behinderungs- und Diskriminierungsverbot. Gegen einen Verstoß nach § 20 Abs. 1 GWB kann die Kartellbehörde im Untersagungsverfahren vorgehen. Sie kann ferner ein Bußgeldverfahren nach §§ 81ff GWB einleiten. Ebenso besteht die Möglichkeit der Vorteilsabschöpfung durch die Kartellbehörde gemäß § 34 GWB. Nach §§ 33 GWB können zivilrechtliche Unterlassungs-, Schadenersatz- und Beseitigungsansprüche geltend gemacht werden, und zwar sowohl von den Betroffenen als auch von rechtsfähigen Verbänden zur Förderung gewerblicher oder selbstständiger beruflicher Interessen. Denkbar ist ein Schadenersatzanspruch gemäß §§ 33, 20 GWB, gerichtet auf Rücknahme einer Kündigung bzw. auf Wiedereingliederung in das Absatzsystem der Beklagten 1325. Aus § 33 Abs. 1 GWB i.V.m. § 20 Abs. 1 GWB kann sich auch ein Anspruch auf Vertragsschluss, insbesondere auf Belieferung oder Aufnahme ergeben 1326. Die Rechtsprechung gewährt diesen Anspruch in der Regel als Schadenersatzanspruch. Dafür 1321 1322 1323 1324 1325

Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 20 Rn 35. Lorenz WRP 2005, 992 ff; zu diesem Thema auch Heermann WRP 2006, 8 ff. OLG München, Urt. v. 22.01.2004 – U (K) 3329/03, WuW DE-R 2004, 1260 (1261). BGH, Urt. v. 04.11.2003, KZR 2/02, DB 2004, 311. OLG Celle, Urt. v. 22.06.2000 – 13 U 137/98, WuW DE-R 581, 2001, 65 = OLGR Celle 2001, 126 (im dortigen Fall abgelehnt).

140

1326

BGH v. 24.06.2003 – KZR 32/01, WuW/E DE-R 1144 (1146) – Schülertransporte; BGH v. 24.09.1979, KZR 20/78, WuW/E BGH 1629 (1630) – Modellbauartikel II; BGH v. 08.05.1979 – KZR 13/78, 1587 (1588) – Modellbauartikel I, BGH v. 20.11. 1975, KZR 1/75, WuW/E BGH 1391 – Rossignol; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 20 Rn 107.

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ist das Verschulden des Normadressaten Voraussetzung, welches aber bereits dann anzunehmen ist, wenn er erkennen konnte, dass keine Gründe zur Abschlussverweigerung vorlagen. Ein Abschlusszwang kann sich aber auch aus dem Unterlassungsanspruch ergeben, der ein Verschulden nicht voraussetzt 1327. Gemäß § 134 GWB sind Vertragsbestimmungen nichtig, die Dritte beim Marktzugang unbillig behindern. Dagegen sind Rechtsgeschäfte, durch die die Marktpartner unterschiedlich behandelt werden, grundsätzlich nicht nichtig, da die Gleichbehandlung in der Regel durch entsprechende Abänderung der Vereinbarung möglich ist und die dem Beeinträchtigten zum Verfügung stehenden Schadenersatz- und Unterlassungsansprüche meist zur Durchsetzung seiner Interessen ausreichen 1328. Unterliegt der Hersteller gemäß § 20 GWB einem Kontrahierungszwang, darf er den 260 geschlossenen Vertrag nur bei Vorliegen wichtiger Gründe außerordentlich kündigen. Die ordentliche Kündigung eines einzelnen oder eines Teils der Vertreibsmittler ist regelmäßig ausgeschlossen 1329 (Verbot der Ungleichbehandlung). Möglich bleibt die Strukturkündigung aller Vertriebsmittler. Denn dann mangelt es an einer Ungleichbehandlung. Insbesondere darf das Vertragsverhältnis nicht aus Gründen beendet werden, aus denen der Abschluss eines Vertrages nicht verweigert werden kann 1330. Das Nichterreichen vereinbarter Verkaufs- und Absatzziele soll nach Ansicht von Nolte eine Kündigung rechtfertigen 1331. Teilweise wird vertreten, in einem selektiven Vertriebssystem, welches sich allein auf qualitative Kriterien stützt, solle der Ausspruch einer ordentlichen Kündigung gegenüber Händlern, die alle selektiven Kriterien erfüllen, aber keinen wichtigen Grund zur Kündigung gesetzt hätten, nicht wirksam erfolgen dürfen. Entweder sei die Kündigung unwirksam oder der Händler habe Anspruch auf Abschluss eines identischen Neuvertrags 1332. Diese Ansicht ist, wie insbesondere die Rolex-Entscheidung des OLG Düsseldorf 1333 sowie die Vertragswerkstätten-Entscheidungen des BGH 1334 dokumentiert, im allgemeinen Vertriebsrecht (zum Sonderfall des Werkstattvertrages s.u.) nicht die Auffassung der Rechtsprechung. Man wird also nicht generell sagen können, dass eine ordentliche Kündigung in einem selektiven Vertriebssystem ausgeschlossen ist. Jedoch kann der Mittler Neuaufnahme fordern, falls andere Händler, die wie er die Selektionskriterien erfüllen, aufgenommen wurden. Der Neuabschluss darf nur verweigert werden, wenn Gründe vorliegen, die eine außer- 261 ordentliche Kündigung rechtfertigen 1335. Die Frage des Wiederauflebens des Aufnahmeanspruchs nach berechtigter Kündigung und anschließender „Abkühlungsphase“ ist mit Hilfe einer Beweislastumkehr zu lösen. Der eine Wiederaufnahme begehrende Anspruchs-

1327

1328

1329 1330 1331

OLG Karlsruhe v. 12.03.1980 – 6 U 223/77, WuW/E OLG 2217; AG v. 12.10.1979 – (Kart) U 540/79, WuW/E OLG 2210; OLG Karlsruhe v. 08.11.1978 – 6 U 192/77, WuW/E OLG 2085, 2091; offen gelassen in BGH v. 08.05.1979 – KZR 13/78, 1587. BGH v. 24.06.2003, KZR 32/01, WuW/E DE-R 1144, 1145-Schülertransporte; OLG Düsseldorf v. 19.03.2003, U (Kart) 20/02, WuW/E DE-R 1184; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 20 Rn 105. AA Nolte WRP 2005, 1124 (1128). Nolte WRP 2005, 1124 (1129). Nolte WRP 2005, 1124 (1128); aA Frage 9 des Fragenkatalogs im Leitfaden zur GVO

1332 1333 1334

1335

1400/02. Nolte aaO, rügt insoweit fehlende Regelungskompetenz der EUKommission und Mangel der Rechtsqualität des Fragenkatalogs. Der Entsch. BGH v. 22.02.2005 – KZR 28/03, NJW 2005, 1660 dürfte sich aber ein Verbot der außerordentlichen Kündigung bei mangelnder Zielerreichung entnehmen lassen. Creutzig BB 2002, 2133 (2147); Reufels/ Laufen WuW 2004, 392 (396). Urt. v. 29.10.2003, WuW 2005, 244. BGH, Urt. v. 28.06.2005 – KZR 26/04, WRP 2006, 109, 111 = EWiR 2006, 273 (Emde). AA Reufels/Laufen WuW 2004, 392 (397).

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steller soll nachweisen müssen, dass künftiges Fehlverhalten ausscheidet 1336. Daran mag man wegen des Regel-Ausnahme-Verhältnisses (Regel: Kontrahierungszwang) zweifeln. Ordnet ein Kfz-Hersteller sein Vertriebsnetz neu und einigt er sich mit der Interessen262 vertretung der Vertragshändler auf einen für die ausscheidenden Händler als angemessen anzusehenden Ausgleichsanspruch analog § 89b, muss der Hersteller einen ausscheidenden Händler auch dann gleichbehandeln, wenn dieser mit der Beendigung des Vertragshändlervertrages nicht einverstanden war 1337. Der Hersteller dürfe von seiner gleichmäßigen Übung gegenüber früheren Vertragshändlern nicht willkürlich abweichen, weil dies gegen das Diskriminierungsverbot des § 20 GWB verstoße und einen Schadenersatzanspruch gemäß § 33 GWB auslöse, der nach § 249 BGB im Ergebnis zur Gleichbehandlungspflicht führt.

263

g) Aufnahme als Vertragswerkstatt in das Werkstattnetz des Unternehmers. Ein Seitenstück bildet der Streit um das Recht einer Werkstatt, als zugelassene Vertragswerkstatt in das Werkstattnetz des Unternehmers aufgenommen zu werden. Kfz-Hersteller dürfen Betrieben, die autorisierte Werkstatt des Vertriebsnetzes des Herstellers werden wollen, den Abschluss eines Werkstattvertrages nur aus Gründen verweigern, die in der Qualität der Werkstatt begründet sind. Die Kfz-GVO 1400/2002 lässt abweichend von dem vorstehend Ausgeführten wegen Überschreitens des Marktanteils von 40 % im Werkstattbereich (Schwellenwert) durch alle Hersteller eine Begrenzung der Zahl der Werkstätten (sog. „quantitative Selektion“) nicht zu 1338. Kfz-Hersteller sind jedenfalls marktstarke Unternehmen i.S.d. § 20 Abs. 2 GWB, von 264 denen Vertragswerkstätten als kleine oder mittlere Unternehmen unternehmensbedingt abhängig bleiben 1339. Aus der Norm kann sich daher ein Kontrahierungsanspruch ergeben 1340. Hingegen folgt aus Art. 81 EG i.V.m. der GVO 1400/02 kein Kontrahierungszwang des Kfz-Herstellers zum Abschluss eines Werkstattvertrages, sondern bei einem Verstoß lediglich das Entfallen der Freistellung 1341. Der Hersteller darf eine Werkstatt weder unbillig behindern noch sachlich ungerechtfertigt ungleich behandeln (§ 20 Abs. 1 GWB). Der BGH hat in einem Einzelfall eine Ungleichbehandlung der Aufnahme begehrenden Werkstatt im Verhältnis zu anderen Werkstätten und damit einen Aufnahmeanspruch aus § 20 GWB abgelehnt 1342: Auf der Basis der Alt-GVO 1475/95 habe die Beklagte zum Zeit1336 1337 1338 1339

1340

Nolte WRP 2005, 1124 (1130); Bechtold NJW 2003, 3729 (3734). OLG Celle, Urt. v. 29.03.2001 – 13 U 53/00, WuW DE-R 864 (866), 2002, 504. Reufels/Laufen WuW 2004, 392 (393); Creutzig EuZW 2002, 560 (562). BGH, Urt. v. 28.06.2005 – KZR 26/04, WRP 2006, 109 (111) = GRUR Int. 2006, 57 = EWiR 2006, 273 (Emde); hierzu Niebling WRP 2006, 1334; zuvor bereits BGH, Urt. v. 23.02.1988 – KZR 20/86, WuW/E 2491, 2493 – Opel-Blitz; Beschl. v. 19.01.1993 – KVR 25/91, WuW/E 2875 (2878 ff) – Herstellerleasing; Urt. v. 21.02.1995 – KZR 33/93, WuW/E 2983, 2988 – Kfz-Vertragshändler. BGH, Urt. v. 28.06.2005 – KZR 26/04, WRP 2006, 109 (111) = GRUR Int. 2006, 57 = EWiR 2006, 273 (Emde); OLG

142

1341

1342

Frankfurt/Main, Urt. v. 10.10.2006 – 11 U 3/06, GRUR-RR 2007, 121; Frage 72 des Leitfadens der EU-Kommission; Creutzig EU-Gruppenfreistellungsverordnung für den Kraftfahrzeugsektor, 2003, Rn 571; Reimann Kfz-Gruppenfreistellungsverordnung, 2004, Rn 113; zweifelnd Roniger/ Hermertsberger Kfz-Vertrieb neu, Wien 2003, Art. I Rn 42. BGH, Urt. v. 28.06.2005 – KZR 26/04, WRP 2006, 109 (111) = GRUR Int. 2006, 57 = EWiR 2006, 273 (Emde); OLG Frankfurt/Main, Urt. v. 10.10.2006 – 11 U 3/06, GRUR-RR 2007, 121; Nolte WRP 2005, 1124; aA Ensthaler/Gesmann-Nuissl BB 2005, 1749 (1757). BGH, Urt. v. 28.06.2005 – KZR 26/04, WRP 2006, 109 (111) = GRUR Int. 2006, 57 = EWiR 2006, 273 (Emde).

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punkt der Aufnahmeforderung keine Neu-Verträge mehr geschlossen. Die den Regelungen der Alt-GVO unterliegenden Verträge seien lediglich fortgesetzt worden. Neuverträge nach Vorbild der aktuellen GVO 1400/02 habe sie erst gezeichnet, als sie auch dem Begehren der Klägerin auf Neuabschluss nachkam. Eher sei der Hersteller nicht verpflichtet gewesen, die Klägerin als Vertragswerkstatt zuzulassen. Zwar gestatte die GVO 1400/02 den Kfz-Herstellern für den Werkstatt- und Ersatzteilbereich nur noch eine qualitative und keine quantitative Selektion. Die GVO regele aber nur die Voraussetzungen, unter denen Vertriebsverträge gruppenweise gemäß Art. 81 Abs. 3 EG vom Verbot des Art. 81 Abs. 1 EG freigestellt seien. Erfüllte eine Vereinbarung die in der GVO genannten Freistellungsvoraussetzungen nicht, habe dies unter der Geltung der Alt-VO 17/62 die fehlende Freistellung und die Nichtigkeit der wettbewerbsbeschränkenden Klauseln gemäß Art. 81 Abs. 2 EG zur Folge gehabt. Unter der Ägide der nun wirksamen VO 1/2003 fehle gleichfalls die Freistellung des Vertriebssystems. Jedoch führe dies nicht zur Nichtigkeit des Vertrages. Zivilrechtlich durchsetzbare Verhaltenspflichten des Herstellers ließen sich aus einer GVO nicht herleiten. Der Hersteller bleibe auch nicht zur Vermeidung einer nach § 20 Abs. 1 GWB untersagten unbilligen Behinderung verpflichtet, die Werkstatt zuzulassen. Für die Prüfung dieses TB-Merkmals sei eine Abwägung der Interessen der Beteiligten unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des Gesetzes vorzunehmen. Dabei falle auf Seiten der Klägerin deren Interesse ins Gewicht, möglichst frühzeitig als Vertragswerkstatt zugelassen zu werden. Zugunsten der Beklagten sei zu berücksichtigen, dass § 20 GWB ihr unternehmerischen Freiraum bei der Gestaltung und Pflege ihres Vertriebssystems belasse und nur den Missbrauch von Marktmacht verhindern wolle. Einen solchen Missbrauch verneinte der BGH im vorliegenden Fall, da der Hersteller sich auf die möglicherweise irrige aber vertretbare Ansicht zurückziehen durfte, er habe die Klägerin erst ab dem 01.01.2003 als Werkstatt zulassen müssen. Fazit: Nach Auffassung des BGH besteht regelmäßig ein Zulassungsanspruch aus § 20 GWB, sofern andere Werkstätten zugelassen wurden 1343. Insbesondere muss der Hersteller das Diskriminierungsverbot 1344 berücksichtigen. Nur im konkreten Fall wurde der Zulassungsanspruch aufgrund der Besonderheiten des Falles verneint. Ein üblicherweise zugänglicher Geschäftsverkehr ist anzunehmen, solange die Werkstatt objektiv die Herstellerstandards erfüllt 1345. Eine dauerhafte Aufnahmeverweigerung ist nur gestattet, wenn sich ein schwerwiegender Verstoß unmittelbar gegen den Lieferanten richtet und den „goodwill“ seiner Waren oder Dienstleistungen am Markt beeinträchtigt. Verzögerungen bei der Vertragsvergabe eines Werkstattvertrages können eine Pflichtverletzung darstellen und zu Schadensersatzansprüchen führen 1346. Dabei muss der Unternehmer die ihn betreffende Rechtslage kennen; ein Verbotsirrtum ist regelmäßig nicht schuldausschließend. Wer auf Abschluss eines Händleroder Servicevertrages klagt, hat im System des § 20 Abs. 1 und 2 GWB darzulegen und zu beweisen, dass er die Merkmale erfüllt, welche der Lieferant für das qualitativ-selektive Vertriebssystem festgelegt hat 1347. Dazu genügt zunächst der Vortrag, dies sei der Fall. Der Vortrag, dass alle Qualitätsmerkmale erfüllt werden, die ein oder mehrere zugelassene Servicepartner aufweisen, ist erst auf subtantiiertes Bestreiten des Herstellers erforderlich. Insbesondere muss der die Aufnahmepflicht bestreitende Hersteller zunächst vortragen, 1343

1344 1345 1346

Emde EWiR 2006, 273 (274); Niebling WRP 2006, 1334; Wendel/Ströbl WRP 2006, 1336 (1339). Creutzig EuZW 2002, 560 (562). Nolte WRP 2005, 1124 (1126). Niebling WRP 2006, 1334; sehr weitgehend: OLG Stuttgart v. 22.07.2004 –

1347

2 U 202/03, aufgehoben durch BGH v. 28.06.2005 – KZR 26/04, GRUR 2006, 57: Anspruchsgrundlage § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. der GVO. OLG Frankfurt/Main, Urt. v. 10.10.2006 – 11 U 3/06, GRUR-RR 2007, 121.

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warum der Aufnahme Begehrende die Standards nicht erfüllt oder dass es außerhalb der Erfüllung der Qualitätsmerkmale einen sachlich gerechtfertigen Grund für die Aufnahmeverweigerung gibt. Insoweit sind alle Gesichtspunkte relevant, die trotz bestehender kartellrechtlicher Belieferungspflicht den Abbruch einer Lieferung aus wichtigem Grund rechtfertigen können, insb. tatsächlich stattgefundenes oder zu befürchtendes Fehlverhalten, welches die Aufnahme oder Fortsetzung einer Belieferung unzumutbar macht 1348. Da die Selektionskriterien die sachlichen Aufnahme- und Verweigerungsgründe abschließend regeln, können im Lichte des von der EU-Kommission grundsätzlich geforderten Kontrahierungszwanges nur wichtige Gründe i.S.d. § 89a den Aufnahmeanspruch ausschließen1349. Dies gebietet eine europarechtsfreundliche Auslegung. Nach Bestreiten des Herstellers genügt es nicht, die Erfüllung der Standards pauschal zu behaupten 1350. Vor Abschluss des Werkstattvertrages braucht der Bewerber aber nur Selektionskriterien zu erfüllen, deren Erfüllung angesichts der Unsicherheit, ob der Vertrag gezeichnet wird, wirtschaftlich zumutbar sind. Fehlt es an der Zumutbarkeit, genügt die Verpflichtung des Bewerbers, die Selektionskriterien nach Wirksamwerden des Vertrages zu erfüllen. Das gilt etwa für Mindestbevorratungsmengen. Ohnehin ist zu prüfen, zu welchem Zeitpunkt die Selektionskriterien erfüllt sein müssen. Im Zweifel (§ 305c Abs. 2 BGB) ist dies erst ein Zeitpunkt nach Vertragsschluss. Angeblich unklare mietvertragliche Verhältnisse oder ein Schaden des Herstellers im Zusammenhang mit der Insolvenz einer anderen Gesellschaft reichen nicht aus, um die Verweigerung des Abschlusses eines Werkstattvertrages zu rechtfertigen. Der Abschluss eines Werkstattvertrages kann ausgeschlossen sein, wenn feststeht oder zumindest angenommen werden muss, dass das den Werkstattvertrag beanspruchende Unternehmen der faktischen Leitung von Personen untersteht, die die Namens- und Markenrechte des Herstellers missbrauchen. Fraglich ist, ob Händlern und Werkstätten der Zugang zum Vertriebssystem mit der Begründung verweigert werden kann, ihr Vertrag sei zuvor wegen einer Vertragsverletzung gekündigt worden. In der französischen Rechtsprechung ist dies angenommen worden 1351. Allerdings darf nach jener Rechtsprechung der Zugang nur für einen angemessenen Zeitraum verweigert werden. Eine Regelungsverfügung, mit der der Abschluss eines Werkstattvertrages erstrebt wird, bedarf des Nachweises einer existenziellen Abhängigkeit der Antragsstellerin von dem Kfz-Hersteller. Diese soll nach Ansicht des LG Köln1352 nicht vorliegen, falls die Werkstatt EU-Neufahrzeuge veräußert und einen weiteren Werkstattvertrag führt. Letzteres dürfte zweifelhaft sein, da auf Grund der Markengebundenheit des Kundenstammes eine Abhängigkeit existieren dürfte und keiner der betroffenen Hersteller den Antragsteller auf die Möglichkeit des Vertragsschlusses mit dem anderen Hersteller verweisen darf.

E. Wettbewerbsrecht 265

Ein Vertriebsmittler hat die Vorschriften des Wettbewerbsrechts zu beachten und damit die Generalklausel des § 3 UWG 1353. Verstößt er gegen § 3 UWG darf er gemäß § 8 UWG auf Beseitigung und Unterlassung in Anspruch genommen werden. § 9 UWG begründet einen Schadenersatzanspruch. 1348 1349 1350 1351

Bechtold NJW 2003, 3729 (3733). Siehe Bechthold NJW 2003, 3729 (3734). OLG Frankfurt/Main, Urt. v. 10.10.2006 – 11 U 3/06, GRUR-RR 2007, 121. Cour d’appel de Versailles (2. Kammer, 2 Sektion) v. 29.02.1996, Balluz 1997,

144

1352 1353

Summaire 62; zitiert nach Loewenheim/ Meessen/Riesenkampff/Vogel GVO-Kfz Rn 29. Urt. v. 24.04.2008 – 86 O 8/08. Martinek/Flohr § 9, Rn 35.

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I. Fehlende Wettbewerbswidrigkeit –







Nicht wettbewerbswidrig sind: 266 Die Abwerbung eines HV durch einen Wettbewerber des Unternehmers. Etwas anderes gilt, wenn der HV von dem Wettbewerber zum Vertragsbruch verleitet wird 1354. Ein Unternehmer, der durch Beschäftigung eines bei einem Mitbewerber tätigen HV, dem wegen eines Wettbewerbsverbots eine Tätigkeit für Konkurrenten nicht gestattet ist, den Vertragsbruch des Mitarbeiters lediglich ausnutzt, ohne ihn zu dem Vertragsbruch zu verleiten, handelt auch nicht deshalb unlauter, weil er das Wettbewerbsverbot kennt oder kennen muss 1355. Unangekündigte Hausbesuche eines HV, selbst wenn sie schriftlich nicht angekündigt oder vereinbart wurden 1356. Denn der Betroffene braucht den Vertreter nicht zu empfangen. Ein „erzwungener Zutritt“, also hartnäckiges bzw. aufdringliches Verhalten des Vertreters, ist jedoch ebenso wettbewerbswidrig wie die Nichtbeachtung des an der Haustür angebrachten Hinweises, Vertreterbesuche seien unerwünscht 1357. Wettbewerbswidrig kann ein unerbetener Vertreterbesuch sein, falls der Interessent nur Prospektmaterial angefordert hatte 1358. Die einfache Lieferanfrage eines außerhalb eines Vertriebsbindungssystems stehenden gewerblichen Abnehmers bei einem gebundenen Vertragshändler stellt kein wettbewerbswidriges Verleiten zum Vertragsbruch dar 1359. Nutzung der Marke des Unternehmers: Die Leuchtreklame eines ehemaligen Vertragshändlers und jetzigen freien Kfz-Betriebs mit den Aufschriften „VW“ und „Audi“ und dem Zusatz „Spezialist“ ohne Verwendung des Originalschriftzuges dieser Marken wird als Anpreisung der eigenen Tätigkeit in Bezug auf solche Fahrzeuge verstanden, die marken- und wettbewerbsrechtlich zulässig ist 1360. Noch weitergehend judizierte der BGH 1361, die Firma Mitsubishi habe keinen berechtigten Grund i.S.v. § 24 Abs. 2 MarkenG, dem nicht in sein Vertriebssystem eingebundenen Wiederverkäufer der Markenware bei dessen Werbung, die keine besondere Geschäftsbeziehungen zu ihr vortäuscht, die Verwendung des Firmenlogos zu untersagen und ihn auf die bloß namentliche Nennung des Produktes zu verweisen. Auch ein nicht als Vertragshändler eingesetzter Automobilhändler kann daher mit dem Logo des Herstellers werben. Wenig später ergänzte der BGH 1362, Audi dürfe einem freien Kfz-Vermittler nicht verbieten, mit ihrer Wort-/Bildmarke für die vermittelten Produkte zu werben. Der Händler könne sich auf die markenrechtliche Erschöpfung des § 24 Abs. 1 MarkenG berufen. Ein ungebundener Widerverkäufer ist damit nicht auf die Verwendung der Wortmarke beschränkt.

1354 1355 1356 1357 1358 1359 1360

OLG Oldenburg, Urt. v. 15.02.2007 – 1 U 97/06, WRP 2007, 460. BGH, Urt. v. 11.01.2007 – I ZR 96/04, WRP 2007, 951. BGH GRUR 1959, 277. LG Hamburg WRP 1987, 272. BGH GRUR 1968, 648; ZIP 1990, 199. OLG Düsseldorf, Urt. v. 30.04.2002 – 20 U 15/02, GRUR-RR 2003, 89. Schweizerisches Bundesgericht, Urt. v. 30.01.2002 – 4 C.142/01, GRUR-Int. 2002, 946.

1361

1362

Urt. v. 07.11.2002 – I ZR 202/00, WRP 2003, 534 = GRUR 2003, 340 = NJW-RR 2003, 1403. BGH, Urt. v. 17.07.2003 – I ZR 256/00, GRUR 2003, 878 = NJW-RR 2003, 1402; ebenso OLG Naumburg, GRUR– RR 2001, 297 (298) – Mitsubishi; OLG Düsseldorf GRUR-RR 2001, 299 (300) – Mercedes – Stern.

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II. Wettbewerbswidriges Verhalten 267

Wettbewerbswidrig ist: – die Werbung eines Mittlers in dem einem anderen Mittler exklusiv zugewiesenen Gebiet, sofern die Exklusivität wechselseitig gewährt wurde. Der HV verstößt zudem gegen die zwischen den HV bestehenden Treupflichten. Der geschützte HV kann ihn auf Unterlassung in Anspruch nehmen. – wenn ein Außenseiter in ein geschlossenes Vertriebssystem eindringt: Ein Unterlassungsanspruch gemäß §§ 3, 8 Abs. 1 UWG ist aber nur gegeben, falls der Käufer einen gebundenen Vertragshändler oder eine gebundene Vertragswerkstatt entweder bewusst zum Vertragsbruch verleitet oder ihn über die Wiederverkaufsabsicht täuscht (Schleichbezug), z.B. sich als Verkaufsvermittler ausgibt, einen Strohmann vorschiebt oder mit ungetreuen Angestellten des Vertragshändlers zusammenwirkt. Fehlt es dagegen an einer dieser Voraussetzungen (Verleiten zum Vertragsbruch oder Schleichbezug), bestehen Ansprüche nach §§ 3, 8 Abs. 1 UWG nicht 1363. Der Hersteller/Importeur, der gegen einen gewerblichen Wiederverkäufer vorgehen will, stößt oft auf Beweisschwierigkeiten. Einen Schleichbezug wird er kaum nachweisen können. Etwas besser sieht die Situation beim Verleiten zum Vertragsbruch aus 1364. Ein solches kann im Einzelfall bestehen, weil es dem Vertragshändler eines selektiven Vertriebssystems vertraglich untersagt ist, die Ware an nicht autorisierte Wiederverkäufer zu verkaufen. Der Außenseiter verleitet dann je nach den Umständen des Einzelfalls den Vertragshändler zum Vertragsbruch, wenn er hinsichtlich des Kaufs von Neuwagen zum Verkauf anfragt. Es genügt jedes bewusste Hinwirken darauf, dass der andere einen Vertragsbruch begeht, wenn auch dessen Widerstand noch so gering ist. Legt der Hersteller dar, dass er ein gedanklich lückenloses Vertriebssystem unterhält, soll eine tatsächliche Vermutung dafür sprechen, dass der Außenseiter die Ware nur auf wettbewerbsrechtlich unzulässige Weise erworben haben kann 1365. Das ist schon deshalb zweifelhaft, weil der Außenseiter die Bindungen innerhalb des Vertriebssystems nicht kennen muss, schon gar nicht außerhalb seines Heimatlandes. – die Nutzung vorgefertigter Kündigungsschreiben, je nach Sachverhaltsgestaltung. Ob die Nutzung vorgefertigter Kündigungsschreiben unlauter im Sinne des § 3 UWG ist, ist allerdings umstritten: Das OLG Köln vertrat in seiner Entscheidung vom 16.03.1990 1366, bei einer Lebensversicherung reiche das bloße Abwerben von Kunden eines Wettbewerbers nicht für die Annahme unlauteren Verhaltens i.S.d. § 3 UWG aus, sofern nicht sonstige unlautere Momente hinzuträten. Ein unlauteres Abwerben könne vorliegen, wenn ein Konkurrent oder ein das Unternehmen wechselnder Vertreter den Kunden des bisherigen Prinzipals Kündigungshilfe mittels vorgedruckter oder sonst mechanisch vervielfältigter Formularschreiben leiste. Das OLG Nürnberg vertrat in seinem Urteil vom 24.07.1990 1367 die Ansicht, eine Kündigungshilfe sei auch dann unlauter, falls sich der Kunde bereits zum Vertragsschluss mit dem Abwerbenden entschlossen habe. Denn in diesem Fall werde der Entschluss durch die Hilfeleistung bei der Kündigung gefördert. Zudem nehme der Abwerbende den Kunden durch die Mit1363

1364

BGH BB 1999, 1888; Busche WRP 1999, 1231; Ensthaler NJW 2000, 2482; Köhler BB 1999, 1892; Sack WRP 2000, 447; Tiemann WRP 2004, 289; Wendel/Ströbl WRP 2004, 1340 (1343). Wendel/Ströbl WRP 2004, 1340 (1343).

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1365

1366 1367

WRP 2000, 734 (736); OLG Thüringen WRP 1997, 980; Wendel/Ströbl WRP 2004, 1340 (1344). GRUR 1990, 536. NJW-RR 1991, 233.

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nahme und das Absenden der Kündigungsschreiben die Möglichkeit, sich nochmals mit der Frage der Kündigung auseinander zu setzen. Dem stimmt das OLG München 1368 zu: Die Kündigungshilfe sei auch dann, wenn die Entscheidung des Kunden für einen Wechsel getroffen sei, unlauter, weil der Kunde auf diese Weise „bei der Stange“ gehalten werde, ohne dass er die Frage der Kündigung nochmals überdenken könne. Das OLG Brandenburg hatte in seiner Entscheidung vom 12.06.2001 1369 über die Kundenabwerbung durch einen ehemaligen Mitarbeiter, der als Versicherungsvertreter für das Unternehmen tätig gewesen war und nach der Kündigung eine selbstständige Tätigkeit als Versicherungsmakler aufgenommen hatte, zu entscheiden. Das OLG war der Ansicht, es stehe einem ehemals als Vertreter für ein Unternehmen Tätigen auch nach Beendigung des Vertreterverhältnisses grundsätzlich frei, dem Unternehmen, für welches er bisher tätig gewesen war, auch in dem Bereich Konkurrenz zu leisten, in dem er es vorher vertrat. Einen generellen Anspruch auf Erhaltung seines Kundenstammes habe der Unternehmer nicht. Wettbewerbsrechtlich zu beanstanden sei ein solches Verhalten nur, wenn unlautere Mittel angewendet würden. Unlauter sei es nicht, wenn Kündigungshilfe unter Verwendung von Formularen geleistet werde. Das OLG Celle vertrat in seiner Entscheidung vom 13.09.2001 1370 die Auffassung, die Aufforderung an den Kunden zur Kündigung von Verträgen mit Wettbewerbern bei gleichzeitiger Vorlage eines vorgefertigten Kündigungsschreibens sei unlauter, wenn es sich um eine außerordentliche Kündigung handele. Der BGH 1371 entschied zum Franchiserecht, die Abwerbung von vertraglich gebundenen Kunden durch Vorlage vorformulierter Kündigungsschreiben, die nach Einfügen des Kündigungstermins nur noch zu unterschreiben seien, bliebe auch dann zulässig, falls die Abwerbung durch den ehemaligen Angestellten eines Handelsvertreters des durch die Abwerbung geschädigten Prinzipals erfolge und dieser Angestellte nun im Rahmen seiner Tätigkeit als Franchisenehmer handele. Möglicherweise wäre der Fall anders zu beurteilen, wenn es sich bei dem Abwerbenden nicht um einen Angestellten, sondern um den Handelsvertreter selbst handelte. Denn dann läge bei Nutzung von Geschäftsgeheimnissen des Unternehmers ein gemäß § 90 unzulässiger Geheimnisbruch des Handelsvertreters vor. Sollte der Vertreter Sach-, HUK- und Rechtsschutzversicherungen vermitteln, war die Verwendung von vorgedruckten oder sonst auf mechanischem Wege vervielfältigten Kündigungsschreiben bislang gemäß Ziff 56 der alten Wettbewerbsrichtlinien der Versicherungswirtschaft vom 15.12.1977 unzulässig. Fischer 1372 vertritt in einer Besprechung des BGH-Urteils, die Kündigungshilfe sei nur bei Vorliegen besonderer Umstände wettbewerbswidrig. Diese seien etwa die Gefahr der Irreführung (§ 5 UWG), falls der Abwerbende den Akzent auf die Kündigungshilfe lege und dabei dem Abzuwerbenden entscheidungserhebliche Angaben zum eigenen Leistungsangebot vorenthalte, die dieser als Informationsgrundlage benötige, um eine sachgerechte Entscheidung in Bezug auf Kündigung und Wechsel treffen zu können. Gewährt der Abwerbende die Kündigungshilfe nur, wenn der Kunde zu ihm wechselt, so müsse dieser auf die Verknüpfung hingewiesen werden. Von einer unzumutbaren Belästigung (§ 7 Abs. 1 UWG) durch das Eindringen in die Privatsphäre sei auszugehen, falls dem Kunden im Rahmen einer unangekündigten Haustürwerbung das Kündigungsschreiben vorgelegt werde. Eine Überrumpelung, vor der § 7 UWG ebenfalls schütze, komme

1368 1369 1370 1371

GRUR 1994, 136. Urt v. 24.06.1993, VersR 2002, 759. 13 U 46/01. BGH, Urt. v. 07.04.2005 – I ZR 140/02,

1372

ZIP 2005, 1380 = WRP 2005, 874 m. Bespr. Fischer WRP 2005, 1230. WRP 2005, 1230.

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bei unangekündigter Haustürwerbung in Betracht, wenn der Abwerbende sich die Kündigung sofort unterschreiben lasse und mitnehme. Die Einordnung der Kündigungshilfe als unangemessene unsachliche Beeinflussung (§ 4 Nr. 1 UWG) durch übertriebenes Anlocken oder Verschaffen einer psychischen Zwangslage sei kaum denkbar. Ein Verstoß gegen § 4 Nr. 7, Nr. 8 UWG komme in Betracht, wenn der Konkurrent herabgesetzt, verunglimpft oder durch Behauptung nicht erweislich wahrer Tatsachen in seinem Ruf geschädigt werde. Eine sonstige gezielte Behinderung eines Wettbewerbers i.S.d. § 4 Nr. 10 UWG werde in der Regel verneint werden können, da ein lauterkeitsrechtlicher Schutz vor der Abwerbung der eigenen Kundschaft durch Konkurrenten nicht bestehe. Der Abwerbung durch ehemalige Mitarbeiter könne durch die Vereinbarung eines Wettbewerbsverbots vorgebeugt werden. Unlauter sei es allerdings, falls Kundendaten verwendet werden, die auf unlautere Weise erlangt wurden. Die Feststellung eines Zuwiderhandelns gegen eine privatwirtschaftliche Wettbewerbsrichtlinie ersetze nicht die Prüfung, ob ein unlauteres Verhalten im Sinne des UWG vorliege. unangekündigte Telefonanrufe zu Wettbewerbszwecken sowohl im privaten wie im gewerblichen Bereich 1373. Dies gilt namentlich, wenn zu dem Inhaber des Telefonanschlusses keine geschäftliche Beziehung bestand 1374. Nichts anderes kann angenommen werden, sofern der Vertreter seinen Anruf vorher schriftlich ankündigte 1375. Ausnahme: der Angerufene hat zuvor sein stillschweigendes Einverständnis mit dem Anruf erklärt 1376. Ein in AGB enthaltenes Einverständnis mit telefonischer Werbung ist ebenfalls unzulässig 1377. Entsprechende Grundsätze gelten für Fernkopien. die Verwendung unwirksamer (formularmäßiger) Vertragsbestimmungen, z.B. Wettbewerbsverbote, etwa nach § 90a oder unwirksamer Beschränkungen des Ausgleichs 1378, ebenso die Gegenüberstellung von unverbindlicher Preisempfehlung mit dem tatsächlichem Preis, wenn dem Händler ein Alleinvertriebsrecht eingeräumt wurde 1379 oder die Verwendung von Klauseln, die nach Art. 81 EG nichtig sind 1380. Wenn der HV heimlich eine weitere Vertretung für einen Wettbewerber übernimmt, ohne den Wettbewerber von der Heimlichkeit in Kenntnis zu setzen 1381. der HV lässt trotz bestehenden Vertragsverhältnisses einen Wettbewerber des Unternehmers in bereits angebahnte Geschäfte mit Kunden eintreten 1382. Geschäftsgeheimnisse: Ein HV verwertet unzulässig eine Kundenliste des Unternehmers als Geschäftsgeheimnis i.S.d. § 17 Abs. 2 UWG, wenn die Namen der Kunden im Rahmen der geschäftlichen Tätigkeit in die persönlichen Unterlagen des Vertreters gelangt sind und von ihm bei der Ausübung seiner Geschäftstätigkeit außerhalb des Unternehmens verwertet werden 1383. Dem Unternehmer ist das Verhalten des HV nicht über § 8 Abs. 4 UWG zuzurechnen, weil es um eine wettbewerbswidrige Verwertung von Geheimnissen des früheren Unternehmers und damit nicht um eine von § 8 Abs. 4 UWG vorausgesetzte Gefährdung durch das arbeitsteilige Zusammenwirken

1373 1374

1375 1376 1377 1378

Emde VersR 2001, 148 (151). BGH DB 1970, 1583; WRP 1991, 470; BB 1990, 301; GRUR 1989, 753/754; BGHZ 54, 188. BGH WM 1989, 1396 – ZIP 1989, 1258. BGH ZIP, 1990, 199; BB 1991, 1140; 1995, 1211. BGH BB 1999, 1130. Koch WM 2001, 1016 (1019); Martinek/ Flohr § 9, Rn 35.

148

1379 1380

1381 1382 1383

BGH, Urt. v. 28.06.2001 – I ZR 121/99, BB 2001, 1973. LG Frankfurt/Main, Urt. v. 15.11.2002 – 3-11 O 87/02, EWiR 2003, 573 (Emde). Die Entscheidung wurde angeblich v. OLG Frankfurt/Main aufgehoben. Martinek/Flohr § 9 Rn 35. Martinek/Flohr § 9 Rn 35. BGH GRUR 2003, 453 (454).

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von HV und Unternehmer geht. Der Unternehmer kann jedoch eigenverantwortlich als Störer oder als Tatbeteiligter am Geheimnisverrat haften. Eine Haftung des Unternehmers aus § 3 in Verbindung mit § 17 Abs. 2 UWG kommt insbesondere in Betracht, sofern der Unternehmer dem HV für „mitgebrachte“ Kunden eine recht hohe Zusatzprovision von 15 % verspricht 1384. Mithin haftet der Inhaber eines hiervon profitierenden Betriebs für Spionage oder Geheimnisverrat eines HV, falls er den Verstoß fördert 1385. Ähnlich entschied das OLG Saarbrücken: Der HV handelt wettbewerbswidrig, wenn er nach seinem Ausscheiden Kundenlisten des früheren Unternehmers, die er unbefugt an sich gebracht hat, zum Zwecke des Wettbewerbs für ein Konkurrenzunternehmen nutzt. Dieser durch § 17 Abs. 2 UWG und nicht durch § 90 eröffnete Anspruch ist hinsichtlich sämtlicher Kunden begründet, gleich ob es sich um Stammkunden oder sonstige Kunden des Unternehmers handelt. Nicht zu entscheiden sei der Fall der Verwertung von Kundenadressen, welche dem HV bei seinem Ausscheiden im Gedächtnis blieben. Greife der HV unter Verstoß gegen § 17 Abs. 2 UWG auf Kundenlisten seines früheren Unternehmers zurück, so sei ihm jegliche Verwertung untersagt 1386. – Erweckt ein Kfz-Hersteller in Kundenanschreiben den unzutreffenden Eindruck, die Kunden könnten Nachteile bei der Abwicklung von Gewährleistungsansprüchen erleiden, sollten sie ihre Wartungs- und Reparaturarbeiten nicht bei einem Vertragshändler des Herstellers durchführen lassen, so kann darin eine unbillige Behinderung eines aus dem Vertragshändlernetz ausgeschiedenen freien Händlers nach § 3 UWG in Form einer boykottähnlichen Maßnahme liegen 1387. – falls sich jemand, der nicht Vertragshändler des Unternehmers ist, als solcher geriert 1388. Wettbewerbsrichtlinien privater Verbände – etwa die Wettbewerbsrichtlinien der Ver- 268 sicherungswirtschaft – können die Anschauungen der beteiligten Verkehrskreise wiedergeben, in welchen Fällen eine Wettbewerbswidrigkeit vorliegt 1389. Sie sind daher bei der Bewertung eines Verhaltens eine Auslegungshilfe, können jedoch nur bei allseitiger Überzeugung ihrer Richtigkeit durch die maßgeblichen Verkehrskreise entscheidend sein.

III. Zurechnung Vgl. zunächst oben, Rn 267, zur Verwertung der Kundenliste. Die Strafvorschrift des 269 § 17 UWG gilt nicht für den HV, da er als Selbständiger kein tauglicher Täter ist 1390, er kann jedoch Teilnehmer sein. HV sind jedoch als Beauftragte im Sinne des § 8 Abs. 2 UWG anzusehen, so dass der Unternehmer für Wettbewerbsverstöße des HV auf Unterlassung in Anspruch genommen werden kann 1391. Für die wettbewerbswidrige Hand-

1384 1385 1386 1387 1388 1389

BGH GRUR 2003, 453 (454). Dittmer EWiR 2003, 731 (732). OLG Saarbrücken, Urt. v. 24.07.2002 – 1 U 901/01, GRUR-RR 2002, 359. OLG Frankfurt/Main, Urt. v. 03.08.2004 – 11 U 17/04 (Kart), GRUR-RR 2005, 197. OLG München, Urt. v. 28.01.1988 – 29 U 6053/86, GRUR 1988, 708. BGH GRUR 1969, 474 (476); 1991, 462 (463).

1390

1391

RG LZ 1914, 399; JW 1927, 2387; Martinek/Flohr § 9, Rn 35; Köhler/Piper UWG, § 17 Rn 12; Schmidt-Rimpler S. 88; anderer Ansicht RG MuW 1932, 235 (237); Schlegelberger/Schröder, § 90 Rn 12. Martinek/Flohr § 9, Rn 35; für Franchiseverträge Giesler/Nauschütt § 3 Rn 90.

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lung eines Franchisenehmers haftet der Franchisegeber grundsätzlich nicht auf Schadenersatz. Eine Störerhaftung kann nur Abwehransprüche begründen 1392. Hingegen hat ein Vertriebshändler, der Schuldner einer strafbewehrten Unterlassungserklärung ist, für die in einer auch in seinem Namen gezeichneten, von dem Hersteller geschalteten Werbeanzeige liegende Zuwiderhandlung einzustehen, wenn er dessen Praxis zur Veröffentlichung zentraler, mit den Händlern im Detail nicht abgestimmter Werbeaktionen kennt und seine Haftungserklärung beim Hersteller nicht aktenkundig gemacht hat 1393.

F. Das Antidiskriminierungsgesetz (AGG) 270

Am 18.08.2006 ist das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Kraft getreten. Das AGG ist grundsätzlich auf Vertriebsverträge anwendbar 1394. Zumindest seine Zugangsbedingungen werden auf solche Verträge angewendet, die den Rahmen und die Grundlage für die Tätigkeit als Selbständiger bieten. Dazu zählen Verträge mit HV, Vertragshändlern oder Franchisenehmern. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 AGG finden die Vorschriften des AGG insgesamt auf solche Selbständige Anwendung, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind. Dies sind gemäß § 5 Abs. 1 S. 1 ArbGG Selbständige, die nicht persönlich sondern lediglich wirtschaftlich abhängig sind. Maßgebend ist, dass der Schwerpunkt der Erwerbstätigkeit bei einem Auftraggeber liegt und die hieraus entstehende Vergütung die wesentliche Existenzgrundlage darstellt. Da die Vorschrift § 5 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 ArbGG weitgehend entspricht, kann die diesbezügliche Rechtsprechung herangezogen werden 1395. Abzulehnen ist die Ansicht 1396, derzufolge selbstständige Absatzmittler, die nur für einen Unternehmer tätig sind, immer unter diese Vorschrift fallen 1397. Allerdings werden selbständige HV, die nur für einen Unternehmer tätig sind, häufig derart einzuordnen sein, da sie faktisch wirtschaftlich und sozial von diesem abhängig sind 1398. Eine Verdienstgrenze ist nicht maßgeblich. Das gleiche gilt für Franchisenehmer und Vertragshändler 1399. Für Vertriebspartner, die als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind, gelten sämtliche Vorschriften des AGG zum Schutze der Beschäftigten vor Benachteiligungen. Im Übrigen finden auf Vertriebspartner nur die Normen des AGG Anwendung, die nach § 6 Abs. 3 AGG für Selbständige gelten. Danach sind Absatzmittler, die lediglich für einen Auftraggeber tätig werden bzw. mit denen eine Alleinbezugsverpflichtung (etwa beim Vertragshändler) vereinbart wurde, den arbeitsrechtlichen Vorschriften des AGG gem. § 6 Abs. 3 AGG unterworfen 1400. Das sind die Vorschriften, die den Zugang zur Erwerbstätigkeit sowie den beruflichen Aufstieg regeln 1401. Der sachliche Anwendungsbereich des AGG ist zwar grundsätzlich in § 2 AGG geregelt. Er wird jedoch durch § 6 Abs. 3 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG für Selbstständige beschränkt auf die „Bedingungen, einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen, für den Zugang zur Erwerbstätigkeit sowie für den beruflichen Aufstieg“. Dagegen sind gem. § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG die dort geregelten Bereiche ausgeschlossen, weil hier die Existenz eines Beschäftigungsverhältnisses vorausgesetzt wird 1402. „Beruflicher Aufstieg“ ist für Absatzmittler unpassend und 1392 1393 1394 1395 1396

BGH BB 2000, 1959. OLG Köln, Urt. v. 30.03.2007 – 6 U 207/06, WRP 2007, 1272. Budde BB 2007, 731 (732); Giesler/Güntzel ZIP 2008, 11 Giesler/Güntzel ZIP 2008, 11. Budde BB 2007, 733 (732).

150

1397 1398 1399 1400 1401 1402

Giesler/Güntzel ZIP 2008, 11. Budde BB 2007, 731 (732). Budde BB 2007, 731 (735). Giesler/Güntzel ZIP 2008, 11. Budde BB 2007, 731 (732). Giesler/Güntzel ZIP 2008, 11.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

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kann auf die vergleichbaren Sachverhalte „Karriere im System“, Erweiterung des Sortiments bzw. des Geschäftskonzepts, des Vertragsgebietes, des Rechts zur Eröffnung eines weiteren Systembetriebs, die Zuteilung eines zusätzlichen Vertragsgebietes, eine mit diesen Erweiterungen verbundene finanzielle Besserstellung etc. erstreckt werden 1403. Umstritten ist, ob der sachliche Anwendungsbereich auf Maßnahmen im Zusammenhang mit einer Beendigung des Vertragsverhältnisses auszuweiten ist 1404. Es ist kein Grund ersichtlich, warum während des Vertrages Benachteiligungsverbote bestehen, während die Beendigung eines unter Umständen langjährigen Vertragsverhältnisses ohne einen Diskriminierungsschutz möglich sein soll 1405. Die Anwendung des AGG ist auch zu bejahen, wenn mehrere Vertriebspartner als Personengesellschaft tätig werden. Sie können sogar als arbeitnehmerähnliche Personen angesehen werden, wenn sie wirtschaftlich vom Auftraggeber abhängig sind. Dann gilt für sie das AGG insgesamt. Anderenfalls gelten für sie die Bestimmungen über Zugang und Aufstieg 1406. Die Anwendung des AGG auf als juristische Person organisierte Vertriebsmittler ist ausgeschlossen. Es kann aber damit gerechnet werden, dass die Rechtssprechung eine Ausnahme für die Fälle der „Ein-Personen-Gesellschaft“ machen wird 1407. Nach aA gilt das AGG für HV nur hinsichtlich seiner Zugangsbedingungen, nicht jedoch hinsichtlich der Ausübungsbedingungen 1408. Die Anwendbarkeit der Vorschriften aus dem zivilrechtlichen Abschnitt des AGG ist gemäß § 19 Abs. 1 AGG beschränkt auf Massengeschäfte, vergleichbare Schuldverhältnisse und zivilrechtliche Schuldverhältnisse, die eine privatrechtliche Versicherung zum Gegenstand haben. Diese Vorschriften sind auf Vertriebsverträge mit HV, Vertragshändlern und Franchisenehmern unanwendbar 1409. In § 1 AGG werden sechs Merkmale aufgeführt, auf die sich das Benachteiligungs- 271 verbot bezieht, nämlich Alter, Behinderung, ethnische Herkunft bzw. Rasse, Geschlecht, Religion und Weltanschauung sowie sexuelle Identität. Beispiel für eine unmittelbare Benachteiligung ist es, wenn einem Bewerber wegen des Geschlechts eine Absage erteilt wird. Eine mittelbare Benachteiligung liegt gemäß § 3 Abs. 2 AGG vor, falls durch ihrem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren, Personen wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligt werden, es sei denn, ein rechtfertigender Grund liegt vor. Bei Franchiseverträgen kann das Benachteiligungsverbot etwa bei der systemtypischen Kleidung bedeutsam werden, sofern bestimmte, eine religiöse Überzeugung begründende Kleidungen nicht getragen werden können 1410. Nach § 7 Abs. 2 AGG sind Regelungen in Vereinbarungen unwirksam, die gegen das AGG verstoßen. Dies kann beispielsweise dazu führen, dass eine diskriminierende Vereinbarung über Provisionskürzungen oder Gebietsverkleinerungen unwirksam ist. Gem. § 15 Abs. 1 AGG bleibt der Unternehmer verpflichtet, bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot den entstandenen Schaden zu ersetzen, falls der Unternehmer die Pflichtverletzung zu vertreten hat. Ein abgelehnter Bewerber hat keinen Anspruch auf Abschluss eines Vertriebsvertrages (§ 15 Abs. 6 AGG) 1411. Der Schadenersatzanspruch gem. § 15 Abs. 1 AGG umfasst die bis zum Ablauf der ordent-

1403 1404

Giesler/Güntzel ZIP 2008, 11 (12). Budde BB 2007, 731 (733); Thüsing Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, 2007, Seite 41, Rn 96; aA Bauer/Göpfert/ Krieger AGG, 2007, § 2 Rn 30, § 6 Rn 31; Schleusener/Suckow/Voigt, AGG, 2007, § 6 Rn 16; Wilemsen/Schweibert NJW 2006, 2583 (2584).

1405 1406 1407 1408 1409 1410 1411

Giesler/Güntzel ZIP 2008, 11 (12). Budde BB 2007, 731 (732). Budde BB 2007, 731 (732). Bauer/Göpfert/Krieger DB 2005, 595 (597). Giesler/Güntzel ZIP 2008, 11 (12/13). Giesler/Güntzel ZIP 2008, 11 (12/13). Giesler/Güntzel ZIP 2008, 11 (13).

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lichen Kündigungsfrist oder einer Festlaufzeit, bei Franchiseverträgen leicht eine fünf- bis zehnjährige Vertragslaufzeit 1412, entgehenden Gewinne. Diskutiert wird, diesen Schadensersatzanspruch auch im Falle einer zu erwartenden Festlaufzeit auf den bis zum Ablauf der Kündigungsfrist gem. § 89 entstehenden Schaden zu beschränken 1413, was regelwidrig sein dürfte. Gemäß § 22 AGG muss der Benachteiligte lediglich Indizien beweisen, die eine Benachteiligung vermuten lassen. Dann kehrt sich die Beweislast um. Der Unternehmer trägt die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen das AGG vorliegt. Empfohlen wird, bei Strukturkündigungen sollten Anhaltspunkte vermieden werden, 272 die auf die Anwendung unzulässiger Kriterien schließen ließen 1414. Potenzielle Auftraggeber sollten Stellenausschreibungen z.B. für HV oder Franchisenehmer möglichst neutral formulieren 1415. Auch die Auswahlentscheidung bei einer Erweiterung des Vertriebsgebietes kann gegen das AGG verstoßen 1416. So könnte die Voraussetzung einer langjährigen ununterbrochenen Beschäftigung für die Erweiterung des Vertrages zu einer mittelbaren Benachteiligung weiblicher Vertriebspartner führen, bei denen eine Unterbrechung ihrer beruflichen Tätigkeit wesentlich häufiger eintritt als bei männlichen Kollegen 1417. Auch die Höhe des Provisionsanspruches darf nicht an das Alter des HV geknüpft werden 1418. Die Beendigung eines Vertriebsvertrages sollte nachweisbar nach den Kriterien des § 1 AGG getroffen werden.

G. Versicherungsrechtliche Repräsentanteneigenschaft 273

Der HV ist versicherungsrechtlicher Repräsentant des Unternehmers, wenn er aufgrund einer mit dem Unternehmer getroffenen Vereinbarung das durch den Unternehmer geleaste und vorfinanzierte Kfz zu eigenen Zwecken nutzen durfte, der Pkw nicht in den Geschäftsbetrieb des Unternehmers eingegliedert war und der HV nach Ablauf der Leasingzeit das Fahrzeug auszulösen bzw. bei vorzeitigem Ausscheiden aus dem Unternehmen zu übernehmen hatte 1419.

H. Wehr- und Ersatzdienst 274

Zu den Folgen von Wehr- und Ersatzdienst auf das HV-Verhältnis siehe Ebenroth/ Löwisch, § 87 Rn 7.

I. Beweislast 275

Die Beweislast für die Anwendbarkeit der vorgenannten Normen trägt derjenige, der sich auf diese beruft 1420.

1412 1413 1414 1415 1416 1417

Giesler/Güntzel ZIP 2008, 11 (13). Giesler/Güntzel ZIP 2008, 11 (14). Budde BB 2007, 731 (733). Budde BB 2007, 731 (735). Budde BB 2007, 731 (735). Budde BB 2007, 731 (735).

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1418 1419 1420

Budde BB 2007, 731 (735). OLG Koblenz, Urt. v. 22.12.2000 – 10 U 508/00, VersR 2001, 1507. Für das Kartellrecht OLG Hamburg, EWiR 2001, 229 (Pohlmann).

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J. Zwingendes Recht Das Vertreterrecht 1897 kannte nur dispositives Recht, wenngleich die Parteien natürlich von Anfang an nicht darüber disponieren konnten, ob der Mittler nun Vertreter war oder nicht. Im Grundsatz ist das Vertreterrecht noch immer disponibel, so dass die Gestaltungsfreiheit nur ihre Grenzen an den §§ 242, 134, 138 BGB 1421 sowie an den §§ 305 ff BGB findet. Die grundgesetzlich geschützte Vertragsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) 1422 ist jedoch im Vertreterrecht, besonders auf Grund der EG-Richtlinie 1986, weitgehend eingeschränkt 1423. Ihre Rechtfertigung findet diese Einschränkung in der Schutzbedürftigkeit des HV, der rechtstatsächlich oft einem Arbeitnehmer gleicht 1424. Eine Vereinbarung, die gegen eine zwingende Vorschrift verstößt, ist unwirksam. Jedoch wird, sofern nicht das gesamte Vertragsgefüge, d.h. das Gleichgewicht von Leistung und Gegenleistung auseinanderfällt, regelmäßig anzunehmen sein, dass der Vertretervertrag auch ohne den nichtigen Teil geschlossen worden wäre (§§ 139 BGB, 306 Abs. 3 BGB) 1425. Gemäß § 92c kann von den zwingenden Regeln abgewichen werden, sofern der Vertreter seine Tätigkeit außerhalb des Gebietes der Europäischen Gemeinschaft oder der anderen Vertragsstaaten des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum ausübt oder mit der Vermittlung oder dem Abschluss von Geschäften betraut wird, welche die Befrachtung, Abfertigung oder Ausrüstung von Schiffen oder die Buchung von Passagen auf Schiffen zum Gegenstand haben (i.E. s. Kommentierung zu § 92c). Zwingend sind folgende Bestimmungen: § 85 (Urkundsanspruch), § 86 Abs. 1, 2 (Interessenwahrnehmungs- und Benachrichtigungspflicht des Vertreters), § 86a Abs. 1, 2 (Überlassungs- und Unterrichtungspflicht des Unternehmers), § 86b Abs. 1 (Delkredereprovision), § 87a Abs. 1 (Vorschussanspruch), § 87c (Abrechnungs- und Informationsanspruch des Vertreters), § 88a (Zurückbehaltungsrecht), § 89a Abs. 1 (außerordentliche Kündigung). Halbzwingend sind die §§ 87a Abs. 2 (Nichtleistung des Kunden), 87a Abs. 3 (Nichtausführung des Geschäfts), 87 Abs. 4 (Fälligkeit des Provisionsanspruch), 89 Abs. 1 (Mindestkündigungsfristen), 89b Abs. 1–3 (Ausgleichsanspruch), 90a Abs. 1–4 (nachvertragliche Wettbewerbsabrede), 92a (Mindestentgelt) und 92b (Kündigungsfrist beim Handelsvertreter im Nebenberuf; hier muss die Kündigungsfrist für beide Vertragspartner gleich lang sein). Bei den halbzwingenden Vorschriften ist eine Abweichung zum Nachteil des Vertreters nicht gestattet.

276

277

278

279

K. Spannungsverhältnis zwischen gesetzlichem Leitbild und rechtstatsächlicher Erscheinungsform Die §§ 84 ff und die genannten Vorschriften des „Nebenrechts“ gelten für alle HV, 280 unabhängig von ihrem rechtstatsächlichen oder gesetzlichen Erscheinungsbild 1426. Regelungsgegenstand der § 84 ff ist trotz ihres vielleicht missverständlichen Wortlautes das 1421 1422 1423

Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 1. BVerfGE 8, 274, 328; 88, 384 (403); st. Rspr.; Cornils NJW 2001, 3758. Siehe etwa Eberstein S. 17; Küstner/Thume I Rn 307 ff; Westphal Vertriebsrecht I Rn 16.

1424 1425

1426

Man denke etwa an Versicherungsvertreter. Küstner/Thume I Rn 309; Westphal Vertriebsrecht I Rn 14; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 85 Rn 5. Bei der HV-GmbH: Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 52 ff.

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Vertragsverhältnis 1427, nicht die Person des Mittlers. Im Grundsatz spielt es folglich für das HGB keine Rolle, ob der Vertreter groß oder klein 1428, neben- oder hauptberuflich tätig, Einzelkaufmann oder Handelsgesellschaft ist. Ein allenfalls vor Umsetzung der EGRichtlinie 1986 auf europäischer Ebene 1429 existierender Leitbild-Pluralismus 1430, sollte ihn das HGB angesichts der von ihm bezweckten Regelung des Vertragsverhältnisses, nicht des Status des Vertreters, überhaupt gekannt haben, ist für die Gesetzesanwendung unerheblich. Nur muss jeweils geprüft werden, ob § 242 BGB oder eine an §§ 133, 157 BGB orientierte Vertragsauslegung die konkrete Anwendung des Gesetzes beeinflusst. Paradigma ist § 89a. Dasselbe Verhalten mag gegenüber einem HV ein Kündigungsrecht geben, gegenüber einem anderen nicht.

L. Andere Formen von Absatzmittlern I. Handelsvertreterähnliche Mittler 281

Die Vorschriften der §§ 84 ff sind auf Verträge mit Vertriebsmittlern entsprechend anwendbar, wenn ihre rechtliche und tatsächliche Position der eines Handelsvertreters gleicht oder ähnelt. Die analoge Anwendung des Handelsvertreterrechts als Fundament im Bausteinsystem des Vertriebsrechts 1431 wird deshalb im gesamten ungeregelten handelsvertretergleichen Vertriebsmittlerrecht zugunsten handelsvertreterähnlicher Vertriebsmittler befürwortet, wenn die nachfolgend genannten Analogiekriterien erfüllt sind, nämlich – der Vertriebsmittler selbständig ist, – sich die vertraglichen Beziehungen zwischen Unternehmer und Vertriebsmittler nicht in einer reinen Verkäufer-Käuferbeziehung erschöpfen, der Vertriebsmittler vielmehr nach Gestaltung und/oder Handhabung des Vertrages durch Pflichten, wie sie in einer KäuferVerkäuferbeziehung nicht bestehen, auf Dauer so in die Absatzorganisation des Unternehmers eingegliedert ist, dass er wirtschaftlich in großem Umfang einem Handelsvertreter vergleichbare Aufgaben zu erledigen, insbesondere den Absatz des Unternehmers laufend zu fördern hat und insgesamt den handelsvertretertypischen Bindungen unterliegt 1432. Bedeutsam ist dabei, dass es auf die wirtschaftliche Vergleichbarkeit ankommt, die eher gegeben sein dürfte als eine rechtliche Vergleichbarkeit. Sie wird – was unten Rn 287 ff näher ausgeführt wird – durch eine dem Mittler auferlegte Vertriebspflicht indiziert. Da die Vertriebspflicht jedoch häufig nicht ausdrücklich geregelt wird muss die HV-ähnliche Einbindung anderen Indizien entnommen werden.

1427 1428 1429 1430 1431 1432

Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 64. Krusche EWS, 2001, 523. Ebenroth/Hakenberg Vor § 84 Anh. I Rn 2. Martinek/Flohr § 8 Rn 18. Emde VersR 1999, 1464. Zum Vertragshändler: BGH, Urt. v. 13.07. 2007 – VIII ZR 352/04, MDR 2007, 1084 = EWIR 2007, 661 (Emde) (Analogie dort verneint); BGH NJW 1962, 1107; BB 1967, 44; NJW 1984, 2101; BB 1988, 1770; BGH, Urt. v. 28.06.2006 – VIII ZR 350/04,

154

BB 2006, 1648 = WM 2006, 1919; OLG Köln, BB 1997, 2451; OLG München, BB 1997, 595, Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 22; Manderla in: Martinek/Semler, Handbuch des Vertriebsrechts, § 14 Rn 29; Ullrich in Martinek/Semler, Handbuch des Vertriebsrechts, 1996, § 14 Rn 7; Westphal Vertriebsrecht II: Vertragshändler, 2000, Rn 131; Emde WRP 2003, 468 ff; ders WRP 2006, 449 ff; Siegert NJW 2007, 188 f.

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II. Handelsvertreterähnliche Einbindung in das Vertriebssystem des Unternehmers Siehe auch § 89b Rn 30 ff. In Literatur und Rechtsprechung werden folgende vertrag- 282 lich begründete Indizien genannt, aus denen auf die HV-ähnliche Eingliederung zu schließen sein soll 1433. – Absatzzrisiko des Mittlers 1434; – Alleinvertriebsrecht 1435; – ständige Wahrnehmung der Interessen des Herstellers verbunden mit einer besonderen Treupflicht 1436; – Konkurrenzverbot 1437; – Wenn ein Vermittlungsvertrag nicht nur die HV-Tätigkeit, sondern gleichermaßen den Absatz in Form von Eigengeschäften vorsieht. Dann liegt die Substituierbarkeit und damit die HV-gleiche Einbindung nahe 1438. In diesem Fall ist es dem Unternehmer gleich, ob der Mittler als HV oder Vertragshändler vermittelt 1439; – Einsatz des Händlers für die Marke/Ware auf eigene Kosten 1440; – die Verpflichtung des Unternehmers, die Tätigkeit des Mittlers zu unterstützen und die Geräte zu einem marktgerechten Preis zu liefern 1441; – Pflicht zur Beachtung einer einheitlichen Corporate Identity 1442; – Zuweisung eines bestimmten Vertragsgebietes, auch wenn kein Gebietsschutz besteht 1443; – die Pflicht, keine Angebote in das Ausland abzugeben 1444; – andererseits wieder die Möglichkeit des Absatzes der Herstellerprodukte auch außerhalb des Vertragsgebietes; – Förderung des Absatzes und der Interessen des Herstellers im Vertragsgebiet 1445; – Befolgung der Weisungen 1446, Richtlinien und Empfehlungen des Herstellers für den Verkauf; 1433

1434 1435

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Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht 2005, § 3 Rn 35; Ullrich in: Martinek/Semler/Habermeier, Handbuch des Vertriebsrechts, 2. Aufl. 2003, § 20 Rn 8; Westphal Vertriebsrecht II Rn 131; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 75. LG Düsseldorf, Urt. v. 20.12.2006 – 5 O 126/06, BeckRS 2007, 1449. BGH, Urt. v. 21.06.1972 – VIII ZR 96/71, MDR 1972, 1028; BGHZ 89, 206; BGH MDR 1993, 520; Graf v. Westphalen FG Jürgen Gündisch, S. 77 ff; Ebenroth/ Löwisch § 84 Rn 75. BGH, Urt. v. 13.06.2007 – VIII ZR 352/04, MDR 2007, 1084 = EWIR 2007, 661 (Emde) (Analogie dort verneint); LG Düsseldorf, Urt. v. 20.12.2006 – 5 O 126/06, BeckRS 2007, 1449; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 75; Stumpf/Jaletzke/Schultze Rn 214 ff. BGH, Urt. v. 13.06.2007 – VIII ZR 352/04, MDR 2007, 1084 = EWiR 2007, 661

1438 1439 1440 1441 1442 1443 1444 1445 1446

(Emde) (Analogie dort verneint); OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.02.2007 – U (Kart) 22/06, BeckRS 2007, 07179; LG Düsseldorf, Urt. v. 20.12.2006 – 5 O 126/06, BeckRS 2007, 1449; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 72. OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.02.2007 – U (Kart) 22/06, BeckRS 2007, 07179. OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.02.2007 – U (Kart) 22/06, BeckRS 2007, 07179. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 75. OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.02.2007 – U (Kart) 22/06, BeckRS 2007, 07179. Flohr BB 2007, 1866. BGH, Urt. v. 10.02.1993, BB 1993, 2399. OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.02.2007 – U (Kart) 22/06, BeckRS 2007, 07179. BGH, Urt. v. 10.02.1993, BB 1993, 2399. BGH, Urt. v. 13.06.2007 – VIII ZR 352/04, MDR 2007, 1084 = EWiR 2007, 661 (Emde) (Analogie dort verneint); Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 75.

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Vor § 84 – – – – – – – – – – – –

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Einrichtung von geeigneten Geschäfts- und Werkstatträumen; Hervorhebung, Wahrung und Pflege des Markennamens des Herstellers; Verpflichtung zur Schulung der Mitarbeiter durch den Händler 1447; Verpflichtung zur technischen Schulung des Händler durch den Hersteller 1448; Durchführung von Kundendienst- und Reparaturleistungen; Übernahme der dem Unternehmer obliegenden Erfüllung von Gewährleistungsansprüchen des Kunden 1449; Einrichtung und Betreuung von Vertragswerkstätten im Vertragsgebiet; Vorhaltung von Lagerware, insbesondere eine Lagerpflicht für Ersatzteile 1450; Vorhaltung von Produkten zu Ausstellungs- und Vorführzwecken, insbesondere die Pflicht zum Erwerb von Vorführgeräten 1451; Mindestabnahmepflicht von Herstellerprodukten 1452; Orientierung an vorgegebenen Listenpreisen oder Verpflichtung zu Preisnachlässen 1453; Kontroll- und Überwachungsrechte des Unternehmers 1454, insb. Berechtigung des Herstellers, jederzeit Zutritt zu den Geschäfts- und Lagerräumen des Vertragshändlers zu verlangen; einheitliche Buchführung nach Vorgabe des Herstellers; Hinweis auf die Vertragshändlereigenschaften im Firmennamen; gemeinsame Markt- und Messepolitik mit dem Hersteller 1455, insb. Besuch von Messen 1456; Unterrichtung des Unternehmers über Entwicklungen am Markt sowie sonstige für den Absatz wesentliche Umstände 1457; Pflicht zur Wahrung der Betriebsgeheimnisse des Unternehmers 1458; eine ins Einzelne gehende Berichtspflicht 1459, insbesondere wenn über den Namen der Kunden vierteljährlich zu berichten ist 1460;

1447 1448 1449 1450 1451 1452

1453

BGH, Urt. v. 03.03.1983, BB 1983, 997. BGH, Urt. v. 10.02.1993, BB 1993, 2399. LG Düsseldorf, Urt. v. 20.12.2006 – 5 O 126/06, BeckRS 2007, 1449. OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.02.2007 – U (Kart) 22/06, BeckRS 2007, 07179. OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.02.2007 – U (Kart) 22/06, BeckRS 2007, 07179. BGH, Urt. v. 09.10.2002 – VIII ZR 95/01, BB 2002, 2520 = NJW-RR 2003, 98 = MDR 2003, 162 = DB 2003, 825 = WM 2003, 842 = EWiR 2003, 587 (v. Hoyningen-Huene); BGH, Urt. v. 10.02.1993, BB 1993, 2399; Ullrich in: Martinek/Semler/ Habermeier, Handbuch des Vertriebsrechts, 2. Aufl. 2003, § 20 Rn 8; Stumpf/Jaletzke/ Schultze Rn 245 ff; v. Westphalen, FG Jürgen Gündisch, S. 80 ff; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 75. BGH, Urt. v. 10.02.1993, BB 1993, 2399.

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1454

1455 1456 1457 1458 1459

1460

BGH, Urt. v. 13.07.2007 – VIII ZR 352/04, MDR 2007, 1084 = EWIR 2007, 661 (Emde) (Analogie dort verneint); BGH, Urt. v. 09.10.2002 – VIII ZR 95/01, BB 2002, 2520 = NJW-RR 2003, 98 = MDR 2003, 162 = DB 2003 825 = WM 2003, 842 = EWiR 2003, 587 (v. HoyningenHuene); Genzow Rn 11, 65, 67–71, 73–76, 79; Manderla in: Martinek/Semler § 14 Rn 24 (34). BGH NJW 1983, 1789. Stumpf/Jaletzke/Schultze Rn 231 ff. Stumpf/Jaletzke/Schultze Rn 241; Ebenroth/ Löwisch § 84 Rn 75. Stumpf/Jaletzke/Schultze Rn 236 ff. BGH VersR 2000, 487; BGH BB 1993, 2399; BGH, Urt. v. 03.03.1983, BB 1983, 997. OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.02.2007 – U (Kart) 22/06, BeckRS 2007, 07179.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

Vor § 84

– die Übersetzung von anfallenden Texten in die Landessprache 1461 (als Indiz von zweifelhaftem Wert); – Verpflichtung zum Vorhalten eines Verkäufers für die Vertragsprodukte 1462. Keinesfalls müssen alle vorgenannten Kriterien gleichzeitig erfüllt sein 1463, noch nicht 283 einmal ihr überwiegender Teil. Sie haben zudem unterschiedliches Gewicht 1464. So ist etwa das Bestehen von Kontroll- und Überwachungsrechten nicht zwingend, soweit sich die Einbindung aus anderen Kriterien ergibt 1465. Die Einräumung eines Alleinvertriebsrechts oder eines Gebietschutzes ist nicht notwendige Voraussetzung der Analogie 1466; ebenso wenig der Einsatz eigenen Kapitals oder die Unterhaltung eines Lagers 1467 bzw. die Schutzbedürftigkeit des Vertragshändlers 1468. Dagegen soll es gegen eine handelsvertretergleiche Einbindung sprechen, wenn: 284 – zwar ein Alleinvertriebsrecht eingeräumt und eine Alleinbezugsverpflichtung begründet wurde, sowie der Händler das Markenzeichen des Herstellers zu verwenden hatte, dem Händler aber hinsichtlich des Vertriebs keine konkreten Vorgaben gemacht wurden 1469; – ein Absatzgebiet zugewiesen wurde, der Mittler einer Abnahmeverpflichtung sowie einem Konkurrenzverbotes unterlag, jedoch eingehende Informations- und Berichtspflichten fehlten 1470; – eine enge Kooperation durch persönliche Kontakte, Verkaufsgespräche, gegenseitige Besuche, Besprechungen sowie Strategietreffen als auch durch die Kooperation bei der Entwicklung neuer Produkte und die Überlassung von Verkaufs- und Besuchsberichten bestand, der Händler aber nicht wie im HV-Recht verpflichtet war, die Interessen des Herstellers wahrzunehmen, ein Konkurrenzverbot zu achten oder einen Mindestbezug einzuhalten und keine generelle Richtlinienkompetenz des Herstellers bestand 1471; – der Unternehmer keine Absatzorganisation am zugewiesenen Markt unterhält 1472. In diesem Fall gab es auf dem zu bearbeitenden Markt nur einen Kunden als Monopolisten; eine weitergehende Absatzförderung habe nicht erfolgen können; – zwar Absatzförderungspflicht und Wettbewerbsverbot vereinbart sind, diese Pflichten aber im unmittelbaren Zusammenhang damit standen, dass die Mittler ein exklusives Vertriebs- und Verkaufsrecht eingeräumt erhielten und der Hersteller deshalb darauf angewiesen war, dass der Händler hiervon Gebrauch macht; – der Vertrag erst mit dem Abschluss des ersten Verkaufsgeschäfts in Kraft trat, und deshalb keine Pflicht zum Tätigwerden regelte 1473; – der Mittler keiner produkt- und tätigkeitsbezogenen Weisung des Unternehmers unterlag, vielmehr in der Ausgestaltung des Verkaufs frei blieb. Tatsächlich dürfte es auf die Absatzorganisation des Unternehmers nicht ankommen. 285 Selbst wenn der Unternehmer nur einen einzigen Vertriebsmittler beschäftigt, kann dieser 1461 1462 1463

1464 1465 1466 1467 1468

OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.02.2007 – U (Kart) 22/06, BeckRS 2007, 07179. BGH, Urt. v. 10.02.1993, BB 1993, 2399. Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht 2005, § 3 Rn 36; Westphal Vertriebsrecht II Rn 137. Westphal Vertriebsrecht II Rn 138. BGH BB 1992, 596; Westphal II Rn 139. BGH DB 1983, 2412; BGH BB 1988, 1770; Westphal Vertriebsrecht II Rn 139. BGH NJW 1977, 896. BGH NJW 1977, 896.

1469 1470 1471 1472

1473

BGH, Urt. v. 08.06.1988, BB 1988, 1770. OLG Hamm, Urt. v. 15.05.1995, NJW-RR 1996, 226; zweifelhaft. OLG München, Urt. v. 08.01.1997, BB 1997, 595. BGH, Urt. v. 13.07.2007 – VIII ZR 352/04, MDR 2007, 1084 = EWiR 2007, 661 (Emde). BGH, Urt. v. 13.07.2007 – VIII ZR 352/04, MDR 2007, 1084 = EWiR 2007, 661 (Emde) Rn 18.

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1. Buch. Handelsstand

eine eigene Absatzorganisation des Unternehmers ersetzen 1474. Noch weniger kommt es auf die Absatzorganisation des Vertriebsmittlers selbst an. Nach Ansicht des BGH 1475 führt eine Vertriebspflicht nicht zur HV-gleichen Einbindung, wenn diese Vertriebspflicht nur Gegenstück zur gewährten Exklusivität darstellt. Dies ist sehr zweifelhaft, weil unter solchen Bedingungen einem Vertragshändler, dem Exklusivität zugesichert wurde und der damit einen besonderen Schutz erlangen will, grundsätzlich kein Ausgleichsanspruch mehr zusteht, soweit nicht weitere Analogiekriterien vorliegen. Vielmehr deutet die wechselseitige Exklusivität eher auf eine engere Einbindung hin. Vor allem steht auch dem Leitbild der Analogie, dem Ausschließlichkeitsvertreter, ein Ausgleich zu. Es kann nicht sein, dass durch eine vertiefte Einbindung in das Vertriebssystem der Ausgleichsanspruch entfällt 1476. Die vom BGH 1477 betonte Freiheit im Verkauf trifft fast alle Vertragshändler. Das Merkmal ist daher kaum greifbar und würde bei strikter Anwendung zu einer Ausgleichsfreiheit sämtlicher Händlerverträge führen. Die Ansicht des BGH 1478 weist in die falsche Richtung. Legt man die Maßstäbe des BGH an Vertragshändlerverträge an, würden eine Vielzahl, wenn nicht die meisten, Vertragshändlerverträge ausgleichsfrei sein. Dies führt zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit. Wenn in einem Fall wie dem des BGH eine Vertriebspflicht existierte, spricht dieses klare Indiz für eine Einbindung, die der Pflicht des HV zur Werbung und (beim Abschlussvertreter) zum Abschluss entspricht. Von den für die Einbindung sprechenden Kriterien sind neben der auch nach disposi286 tivem Recht dem HV obliegenden Vertriebspflicht wahrscheinlich allenfalls die ständige Wahrnehmung der Interessen des Herstellers, verbunden mit einer besonderen Treupflicht, die Unterrichtung des Unternehmers über Entwicklungen am Markt und in geringerem Umfang ein Konkurrenzverbot (dieses obliegt zwar dem HV kraft Gesetzes, es gibt jedoch zahlreiche HV, die von ihm befreit sind), die Zuweisung eines Vertragsgebietes (solche gibt es noch nicht einmal beim typischerweise ausgleichsberechtigten Kfz-Vertragshändler) sowie die Verfolgung von vertriebstypischen Weisungen, Richtlinien und Empfehlungen des Händlers, die Pflicht zur Wahrung der Betriebsgeheimnisse sowie eine Berichtspflicht relevant, wobei letztere für den Vertragshändler als eher untypisch empfunden wird. Allerdings unterliegt der Vertragshändler einer Informationspflicht (zum HV § 86 Rn 133 ff). Er ist also verpflichtet, den Unternehmer über die Marktverhältnisse zu informieren. Diese Pflicht ist jedoch ebenso wie ein Konkurrenzverbot Rechtsfolge und nicht Rechtsgrund der Analogie 1479, auch der HV erhält einen Ausgleichsanspruch, ohne dass ihm ausdrücklich ein Wettbewerbsverbot auferlegt werden muss. Jedes weitere Kriterium dürfte irrelevant sein, weil es auch beim HV typischerweise nicht vorzufinden ist. Die vorgenannten Kriterien bilden üblicherweise die Rechtsfolge, nicht den Rechtsgrund der Statusfrage, und das auch beim HV-ähnlichen Mittler. Ihre vertragliche Regelung lässt nur den Rückschluss zu, dass der Mittler wie ein HV in das Vertriebssystem des Unternehmers eingebunden werden sollte. Diejenigen, die mehr als die vorgenannten Merkmale als Voraussetzung der Analogie 287 fordern 1480, verlangen für die Analogie mehr, als beim gesetzestypischen HV für dessen 1474 1475

1476 1477

Emde EWiR 2007, 661 (662). BGH, Urt. v. 13.07.2007 – VIII ZR 352/04, MDR 2007, 1084 = EWiR 2007, 661 (Emde). Emde EWiR 2007, 661 (662). BGH, Urt. v. 13.07.2007 – VIII ZR 352/04, MDR 2007, 1084 = EWiR 2007, 661 (Emde).

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1480

BGH, Urt. v. 13.07.2007 – VIII ZR 352/04, MDR 2007, 1084 = EWiR 2007, 661 (Emde). AA BGH, Urt. v. 13.07.2007 – VIII ZR 352/04, MDR 2007, 1084 = EWiR 2007, 661 (Emde). Typisch Ulmer/Brandner/Hensen, AGBRecht, Anh. § 310 Rn 968.

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Vor § 84

Einordnung als HV und ein Ausgleichsrecht erforderlich ist. HV-Recht ist weitgehend dispositiv. Ein HV-Vertrag kann sogar formfrei geschlossen werden (§ 85) und oft wird in diesem Fall nicht mehr vereinbart, als dass der HV für den Unternehmer vermittelnd tätig sein soll und als Gegenleistung eine bezifferte Provision erhält. Die Rechtsfolge ergibt sich dann aus dem Gesetz, nämlich die Provisions- (§§ 87 ff) und Ausgleichspflicht (§ 89b). Für die Einordnung als HV nicht gefordert werden hingegen die oben genannte Analogiekriterien, insbesondere die Zusicherung eines Alleinvertriebsrechts, die Gewährung eines Bezirksschutzes oder die Verpflichtung zur Lagerhaltung. Ganz sicher gilt das für die Verpflichtung zum Kundendienst, die HV-untypisch ist, erst recht nachdem die Kfz-GVO 1400/02 im das Vertragshändlerrecht stark prägenden Kfz-Handel nun eine zwingende Trennung von Verkauf und Kundendienst vorschreibt. Analogiebegründend kann nur sein, was in § 84 geregelt ist. Soweit der Vertriebsmittler selbständiger Gewerbetreibender ist und wie der HV einer Vertriebspflicht unterliegt (für den HV: mit der Vermittlung oder dem Abschluss von Geschäften betraut, beim HV-ähnlichen Mittler: mit dem Vertrieb betraut) ist das wichtigste Analogiekriterium die einem HV vergleichbare Verpflichtung zum Vertrieb 1481. Liegt sie vor, ergibt sich die Rechtsfolge aus der analogen Anwendung des HV-Rechts einschließlich seines § 89b. Die häufig auf Zufälligkeiten beruhende Bezeichnung des Vertrages als HV-, Vertrags- 288 händler- oder Franchisevertrag ist für diese Rechtsfolgen hingegen unerheblich 1482. Entscheidend ist allein die Aufbauleistung des Vertriebsmittlers in Hinblick auf den Kundenstamm, in welchem Rechtskleid auch immer. Bei gleicher Verpflichtung zum Vertrieb dem Handelsvertreter einen Ausgleich zu gewähren, den mit höherem Risiko – weil mit eigenem Kapitaleinsatz – arbeitenden Vertragshändler, Franchisenehmer oder Markenlizenznehmer mit Vertriebspflicht jedoch nicht, bedürfte einer sehr eingehenden Erklärung. Die Vertriebspflicht bildet damit das bedeutendste – aber nicht das einzige – Ana- 289 logiekriterium 1483. Weisungsgebundenheit oder Interessenwahrungspflicht als Analogietatbestände treten hinter jenem Indikator zurück. Die letztgenannten Pflichten sind vielen Rechtsverhältnissen immanent, etwa Geschäftsbesorgungs- (§§ 675, 665 BGB) und Dienstverträgen. Sie bestehen z.B. auch zwischen GmbH-Geschäftsführer und Gesellschaftern. Beide Pflichten sind – anders als die ständige Vermittlungspflicht – also nicht handelsvertretertypisch. Die Vertriebspflicht hingegen grenzt den HV vom nicht ausgleichsberechtigten, jedoch ebenfalls einer Interessenwahrungspflicht unterliegenden 1484 Handelsmakler nach §§ 93 ff ab 1485. Sie ist HV-typisch, weil leitbildprägend. Gleichwohl sind Weisungsgebundenheit und Interessenwahrungspflicht auch den meisten in den Analogiebereich fallenden Verträgen eigen und oft ausdrücklich versprochen. Ohne klare Abrede folgt die Interessenwahrungspflicht aus dem durch die ausdrückliche oder stillschweigende Vertriebspflicht indizierten vertriebsrechtlichen Kern des Vertrages und sie dürfte schon wegen der Verpflichtung des Mittlers zur Loyalität gegenüber dem Prinzipal stillschweigend vereinbart sein. Die Weisungsfolgepflicht wird oft geregelt und ergibt sich bei Existenz vertriebsrechtlicher Vertragsteile konkludent aus dem Vertrag. Schon beim

1481 1482

1483

Eingehend Emde WRP 2006, 449 ff. BGH, Urt. v. 23.09.1975, BB 1976, 6, 7; Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 8. BGH, Urt. v. 31.01.1991 – I ZR 142/89, BB 1991, 1210; Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 19; Emde WRP 2003, 468 ff; Emde

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WRP 2006, 449 ff; ders EWiR 2007, 661 (662); Ensthaler/Gesmann-Nuissl EuZW 2006, 167. Hopt § 93 Rn 24. Küstner/Thume I Rn 91; K. Schmidt Handelsrecht, § 27 I 2d; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene Vor § 84 Rn 7; Emde DB 2003, 981 (982).

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HV-Vertrag wird die Weisungsfolgepflicht ohne ausdrückliche Vereinbarung bejaht. Sie wird teils aus § 86 Abs. 1 (Interessenwahrungspflicht) entnommen 1486, richtigerweise aber wohl aus §§ 675, 665 BGB 1487. Diese Herleitung aus allgemeinem Zivilrecht zeigt, dass auch die Weisungsgebundenheit nicht vertretertypisch ist und nicht allein analogiebegründend wirken kann. Allerdings lässt sich die Existenz der Vertriebspflicht häufig nur aus Indizien herleiten und hier gewinnt die vertragliche Vereinbarung HV-typischer Rechtspflichten und Rechtsfolgen, etwa eines vertraglich vereinbarten Wettbewerbsverbots, das eigentlich Rechtsfolge und nicht Rechtsgrund der Statusfrage ist, Bedeutung 1488. Eine Vielzahl vertraglich vereinbarter Pflichten, die den Mittler dem Leitbild des HV nähern, deuten daher auf eine HV-gleiche Einbindung hin. Verträge, die eine Vertriebspflicht enthalten, substituieren einen Vertrieb der Marken290 waren des Unternehmers durch HV, Vertragshändler oder andere ausgleichsberechtigte Vertriebsmittler. Ein zwingendes Analogiekriterium ist diese Substitution nicht, nur ein weiterer Indikator. Dass um den vertriebsrechtlichen Kern des Vertrages – insbesondere die Vertriebspflicht – herum nicht dem Vertriebsrecht zugehörige Klauseln, etwa markenrechtliche Regelungen oder eine Produktionspflicht gelegt werden, ist kein analogieausschließender Umstand, ebenso wenig, wie es weitere um den Vertriebsrechtskern gruppierte Regelungen sind. Das zeigt schon das heutige Erscheinungsbild der anerkannt ausgleichspflichtigen, samt Anlagen oft mit dreistelliger Seitenzahl und zahlreichen vertriebsuntypischen Abreden versehenen Tankstellen- und Kfz-Handelsvertreterverträge (Mercedes-Benz, VW Phaeton), Kfz-Vertragshändlerverträge 1489 oder Franchiseverträge. Gerade die letztgenannten Verträge beinhalten umfassende Regeln zur Nutzung der Marke des Unternehmers sowie zum Systemauftritt und ein ausgleichspflichtiger Produktionsfranchisevertrag neben den vertriebsrechtlichen Klauseln nicht wenige Bestimmungen zu Produktion und Produktionsverfahren. In Vertragshändlerverträgen schließen sich den vertriebsrechtlichen Regelungen solche zu den Kaufverträgen zwischen den Vertragspartnern an 1490. An der Analogie ändert sich durch diese Zusatzregelungen nichts: Sie ergänzen den zur Analogie führenden Vertriebskern, schließen die Charakterisierung als Vertriebsvertrag jedoch nicht aus. Dass z.B. ein Produktionsfranchise- oder Markenlizenzvertrag neben dem Vertrieb die Produktion des Unternehmers ersetzt, berührt die Anwendung der §§ 84 ff auf die vertriebsrechtlichen Regelungen des Gesamtvertrages nicht. Einem Mischvertrag ist immanent, dass verschiedene Teile des Vertrags unterschiedlichem Regime unterstehen können. Die Übertragung von Know how, wie sie beim Franchisevertrag geschieht, ist gleichfalls keine Analogievoraussetzung. Sie ist nicht HVtypisch. Eine angeblich gegebene „pachtvertragliche Komponente“ 1491 etwa von Marken291 lizenzverträgen, kann die Analogie nicht beiseite setzen. Vielleicht zeigt dies außer der Diskussion um die pachtvertragliche Einordnung des ausgleichspflichtigen Franchise-

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Küstner/Thume I Rn 561; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 20. OLG München, NJW-RR 2003, 401 (402); Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 30; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 13; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 31. Emde EWiR 2007, 661 (662). Vgl. zum extensiven Inhalt solcher Verträge beispielhaft BGH, Urt. v. 20.07.2005 – VIII

160

1490 1491

ZR 121/04, ZIP 2005, 1785 = WM 2005, 2002 = NJW-RR 2005, 1496 = EWiR 2005, 815 (Emde) = NJW 2006, 46 m. Anm. Kappus NJW 2006, 15; BGH, Urt. v. 13.07.2004 – KZR 10/03, GRUR 2005, 62 = EWiR 2004, 1177 (Herbertz). Emde DB 2003, 981 (983). Martinek/Wimmer-Leonhardt WRP 2006, 204 (207 und 219).

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vertrages bereits der Vergleich zum Tankstellen-HV 1492, bei dem die Analogie befürwortet wird und der oft als Tankstellenpächter bezeichnet wird. Das Pachtrecht enthält zwar kein Ausgleichsrecht – weshalb ein reiner Pachtvertrag nicht ausgleichspflichtig wäre. Andererseits regelt es aber auch keinen Ausschluss der Ausgleichsberechtigung. Die pachtrechtliche Komponente vervollständigt den vertriebsrechtlichen Kern des Vertrages. Bei dem dann gegebenen Mischvertrag bliebe nach wie vor eine Regelungslücke bestehen: Ein Pächter unterliegt keiner Vertriebspflicht und muss deshalb keine Kunden werben. Die seine Vertriebspflicht erfüllende Aufbauarbeit am Kundenstamm wird durch das Pachtrecht nicht honoriert, weshalb sich ohne Analogie zum Vertriebsrecht möglicherweise eine Vergütungspflicht aus § 354 HGB oder § 812 BGB 1493 ergäbe. Auch in Franchiseverträgen wird nach einer Meinungsgruppe auf die lizenzvertraglichen Vertragsteile Pachtrecht angewandt 1494. Gleichwohl besteht dort eine Ausgleichsberechtigung.

III. Vertragliche Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes Als drittes Analogiekriterium wird die spätestens bei Vertragsende 1495 gegebenenfalls 292 konkludent 1496 begründete Verpflichtung des Mittlers gefordert, dem Unternehmer während oder zum Ende des Vertragsverhältnisses seinen Kundenstamm durch Übermittlung der Kundendaten so zu überlassen, dass dessen Vorteile bei Vertragsende sogleich für den Unternehmer nutzbar sind 1497. Dieses Analogiekriterium ist jedoch nur für die Gewährung des Ausgleichsanspruchs analog § 89b erforderlich, weshalb es dort näher dargestellt wird (§ 89b Rn 36 ff). Bei der Analogie zu anderen Vorschriften des HV-Rechts braucht es hingegen nicht vorzuliegen 1498. Denn anders als bei der Gewährung des Ausgleichs muss kein Kundenstamm übergeben werden, um die analoge Anwendung anderer Regelungen der §§ 84 ff zu rechtfertigen 1499.

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BGH NJW 1985, 862; NJW 1998, 66; 1998, 71; NJW-RR 2002, 1548; BGH, Urt. v. 08.11.2005 – KZR 18/04, BB 2006, 180; OLG Köln, OLGR 2003, 170; VersR 2001, 1234; Westphal OLGR-Kommentar 12/2002, K 35; Küstner/Thume I Rn 131; Semmler Die Rechtsstellung des Tankstellenhalters zwischen Handelsvertreter und Vertragshändler, Baden-Baden 1995; Heyer Rechtsfragen an Tankstelle und Garage, Würzburg 1964; Rehbinder Der Tankstellenvertrag im Blickfeld der Rechtstatsachenforschung, Berlin 1971; aA English Court of Appeal; Entsch. v. 23.07. 1999, ZEuP 2002, 823 m. Anm. Westphal. Siehe BGH, Urt. v. 05.10.2005 – XII ZR 43/02, ZflR 2006, 92 = NZM 2006, 15 = EWiR 2006, 101 (Eckert). Plassmeier in: Heide/Pauly/Amend, Anwaltsformulare, Franchiserecht, Rn 24, S. 876.

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BGH NJW-RR 1992, 421 (423). BGH DB 1986, 1067 (1070); Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 23; MünchKomm HGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 23. BGH NJW 1983, 2877 (2878); BB 1993, 2399; NJW 1996, 2159 (2160); OLG Saarbrücken NJW-RR 1999, 106; Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 23; BGHZ 29, 83, 90; 34, 282, 286; BGH NJW 1964, 1952; BGH NJW-RR 1994, 99; BGHZ 135, 14; BGH WM 1998, 1256; OLG Saarbrücken NJWRR 1999, 106; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 23; aA K. Schmidt DB 1979, 2357 (2359 f); Eckert WM 1991, 1237, 1243 f; Küstner/Thume Außendienstrecht Rn 1820. Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht 2005, § 3 Rn 36; Emde DB 2003, 981 (985). Emde DB 2003, 981 (985).

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1. Buch. Handelsstand

IV. Beispiele 293 Diese Analogiekriterien sind etwa bei folgenden Typen von Vertriebsmittlern erfüllt: – – – – –

Vertragshändlern 1500, insbesondere Kfz-Vertragshändler 1501; Franchisenehmern 1502; Kommissionsagenten; Markenlizenznehmern 1503; Service-Provider, die Netzkapazitäten von Netzbetreibern im eigenen Namen und auf eigene Rechnung vertreiben 1504.

M. Vertragshändler (Eigenhändler) Schrifttum v. Brunn Die Händlerverträge in der Kraftfahrzeugwirtschaft (1949); ders Ausgleichsansprüche beim Eigenhändlervertrag, DB (1961) 419; ders Zum Recht des Eigenhändlers, Festschrift 150 Jahre Carl Heymanns Verlag (1965) 327; Buchwald Vertragshändler – Handelsvertreter? Zur Auswirkung des § 89b HGB, GmbHR (1957) 102; Evans v. Krbek Die analoge Anwendung des Handelsvertreterrechts auf den Vertragshändler, 1976; Finger Die Stellung des Vertragshändlers bei Beendigung des Vertrages, DB (1970) 141; Glaser Steht dem Generalvertreter ein Ausgleichsanspruch zu? DB (1957) 1173; Kreifels/Lang Der Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers, NJW (1970) 1769; Kroitzsch Der Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers und seine kartellrechtlichen Grenzen, BB (1977) 1631; Martiny Zustandekommen von Gerichtsstandsvereinbarungen und stillschweigende Rechtswahl bei Vertragshändlerverträgen, AWD (1972) 165; Mücke Ist § 89b HGB auf Vertragshändler anwendbar? MDR (1956) 641; Nies Kann einem Eigenhändler der Ausgleichsanspruch des § 89b HGB zustehen? MDR (1961) 556; Hans-Carl Nipperdey Handelsvertreter und Eigen-(Vertrags-)händler. Der Ausgleichsanspruch des § 89b HGB, Festschrift Hedemann (1958) 207; Renz Das Rechtsverhältnis zwischen dem Vertragshändler und seinem Lieferanten, Diss. Heidelberg (1966); Sandrock Der Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers: der Bundesgerichtshof auf den Spuren von Odysseus, Festschrift Rob. Fischer (1979) 657; K. Schmidt Kundenstammüberlassung und „Sogwirkung der Marke“: taugliche Kriterien für den Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers? DB (1979) 2357; Schröder Steht ein Ausgleichsanspruch auch einem Eigenhändler (Vertragshändler) zu? BB (1958) 252; ders Zum Ausgleichsanspruch des Eigenhändlers (Vertragshändlers), BB (1961) 809; ders Zum Ausgleichsanspruch des Eigenhändlers, DB (1966) 449; Schuler Ausgleichsanspruch des Eigenhändlers? NJW (1959) 649; ders Zum Ausgleichsanspruch des Eigenhändlers und des Handelsvertreters, NJW (1961) 758; Steffens Der Alleinverkaufsvertrag, Diss. Hamburg (1960); Stumpf Der Vertragshändlervertrag, 2. Aufl. (1979); Stumpf/Zimmermann Zu den Voraussetzungen des Anspruchs des Vertragshändlers auf Zahlung eines Ausgleichs, BB (1978) 429; Sturm Der Eigen-

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BGH NJW 1983, 2877 (2878); BB 1993, 2399; NJW 1996, 2159 (2160); OLG Köln, ZIP 2002, 420 (426); Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 2; kritisch Kirsch NJW 1999, 2779 (Kommentar zu Kirsch bei Emde VersR 2001, 148 (163)). Besonders plastisch: OLG Köln, Urt. v. 15.11.2002 – 19 U 94/02, VersR 2003, 105. Siehe BGH NJW-RR 1997, 170 (175); OLG München, Urt. v. 26.06.2002 – 7 U 5730/01, DB 2002, 2433; LG Hanau,

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Urt. v. 28.05.2002 – 6 O 106/01, unveröffentlicht; Martinek Franchising, S. 353, 366 ff; Niebling Vertragshändlerrecht, 1999, Rn 205 ff; Giesler ZIP 2000, 2098 ff; Giesler WM 2001, 1441 ff; Haager NJW 2002, 1463 (1471); Martinek ZIP 1988, 1362 (1378). Emde WRP 2003, 468; Emde WRP 2006, 449; Prasse MDR 2008, 122 (127); aA Martinek/Wimmer-Leonhardt WRP 2006, 204 ff. Pollklesener DB 2003, 927.

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händler im Außenprivatrecht, Festschrift Wahl (1973) 207 ff; Ulmer/Habersack Rechtsfragen des Kraftfahrzeugvertriebs durch Vertragshändler, (1998); Peter Ulmer Der Vertragshändler, 1969 (dazu Rittner ZHR 135 [1971], 62).

I. Übereinstimmungen und Unterschiede in der Funktion Der unselbständige (angestellte) Reisende und der selbständige HV sind, abgesehen 294 vom Aufbau eines Filialnetzes, nicht die einzigen Vertriebsformen, die ein Unternehmer wählen mag. Er kann sich auch des Absatzes durch selbständige Mittler bedienen, die auf eigene Rechnung arbeiten, gleichwohl aber in seinen Vertriebsorganismus fest eingegliedert sind. Diese Erscheinung findet sich oft bei Markenartikeln (Kraftfahrzeugen, Möbeln, Büromaschinen, Elektrogeräten, aber auch in der Getränkeindustrie – Vertrieb durch Abfüllunternehmer –). Die Belieferung des Marktes erfolgt dann oft unter regionaler Aufteilung durch Händler, die jeweils, meist mit Alleinvertriebsrecht, einen bestimmten Bezirk zugewiesen erhalten. Der Vertragshändler ist zunächst einmal Eigenhändler. Eigenhändler ist der selbstän- 295 dige Kaufmann, der im eigenen Namen und für eigene Rechnung kauft sowie verkauft und weder rechtlich noch wirtschaftlich für einen anderen Unternehmer tätig ist 1505. Der Eigenhändler wird zum Vertragshändler, wenn er mit einem Unternehmer einen Bezugsvertrag mit ständiger, HV-ähnlicher Bindung schließt, durch den er in dessen Vertriebsund Absatzorganisation eingegliedert wird, mit der Verpflichtung, den Vertrieb der Ware des Unternehmers in eigenem Namen und auf eigene Rechnung zu fördern (Vertriebspflicht, siehe Rn 282 ff). Beschränken sich die Bindungen hingegen auf eine bloße Verkäufer-Käufer-Beziehung liegt kein Vertragshändlervertrag vor 1506. Ob es zwischen dem Vertragshändler und dem als Großhändler tätigen Eigenhändler 296 noch die Gruppe der Fachhändler gibt, ist Gegenstand der Diskussion und wird vertreten 1507. Der Fachhändler kann sich vom Vertragshändler durch die fehlende Vertriebspflicht unterscheiden. Zwingend ist dies nicht, da der Begriff des Fachhändlers weniger auf die vertriebsrechtliche Einbindung als die fachliche Spezialisierung zielt. Auch der Vertragshändler vertreibt die Produkte auf eigene Rechnung mit eigenem Namen, ist jedoch in das Vertriebssystem des Herstellers enger eingebunden, weil er regelmäßig der quantitativen, gegebenenfalls auch der qualitativen Selektion unterliegt und den Endverbrauchern gegenüber zur Beratung hinsichtlich des Produktes – spiegelbildlich gegenüber dem Hersteller zur Teilnahme an Schulungen etc. – verpflichtet ist. Nicht anders als beim Vertragshändler müssen die Verkaufsräume des Fachhändlers bestimmten im Fachhändlervertrag vereinbarten Voraussetzungen entsprechen. Auf Grund dieser Einbindung kann, wollte man dem Begriff des Fachhändlers rechtliches Eigenleben zubilligen, die Geltung der §§ 85, 86 Abs. 1 und 3, 86a Abs. 2, 89, 89a und 90a diskutiert werden 1508. § 89b ist hingegen ohne HV-gleiche Einbindung unanwendbar, zum einen auf Grund der

1505 1506

Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 72. Vgl. BGH, Urt. v. 11.12.1958 – II ZR 73/57, BGHZ 29, 83, 87 = NJW 1959, 14; BGH, Urt. v. 16.02.1961 – VII ZR 239/59, BGHZ 34, 282, 286 = NJW 1961, 662; BGH, Urt. v. 14.04.1983 – I ZR 20/81, NJW 1983, 2877; OLG Köln, NJW-RR 1995, 29; Westphal Vertriebsrecht II Rn 5;

1507 1508

Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89b Rn 8; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 89b Rn 20; Alff Rn 328. Flohr in: Martinek/Semler, § 22 Rn 6, 10; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 77. Flohr in: Martinek/Semler, § 22 Rn 80, 83, 85, 108, 113, 117, 133, 146, 142, 143, 153 ff, 168; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 77.

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fehlenden Analogie (fehlende Vertriebspflicht), zum anderen, weil die Namen der Abkäufer dem Unternehmer nicht mitgeteilt zu werden pflegen. Vertragshändler beziehen die Ware käuflich vom Hersteller, um sie im Wege des 297 Weiterverkaufs abzusetzen. Grund des Vertriebes durch Kfz-Vertragshändler ist u.a., dass sie den Herstellern Vertriebskosten in Höhe von 15 % der unverbindlichen Preisempfehlung ersparen 1509. Vom Großhändler unterscheiden sich die Vertragshändler dadurch, dass sie mit dem Hersteller durch einen Dauer- oder Rahmenvertrag 1510 verbunden sind, der ihnen analog § 84 Abs 1 (dort: Vermittlung und Abschluss) eine Vertriebspflicht auferlegt. Damit ist der Vertragshändlervertrag ein auf Dauer gerichteter Rahmen- und Geschäftsbesorgungsvertrag eigener Art, durch den sich der Vertragshändler verpflichtet, die Produkte des Unternehmers im eigenen Namen und auf eigene Rechnung auf Grund besonderer Kaufverträge zu beziehen und weiterzuvertreiben, und durch den der Vertragshändler in die Vertriebsorganisation des Unternehmers eingegliedert wird 1511. Der Vertragshändlervertrag kann kaufrechtliche Elemente 1512 beinhalten, sofern bereits in ihm die Bedingungen für die später aufgrund des Rahmenvertrags mit dem Unternehmer abzuschließenden Einzelkaufverträge festgelegt werden. Die Bezeichnung des Vertrages als Vertragshändlervertrag oder etwa als Konzes298 sionärs- oder Großhändlervertrag ist für die rechtliche Einordnung nicht anders als beim HV-Vertrag irrelevant. Zwar kann dem Händler nach der Abschaffung der Preisbindung zweiter Hand für Markenartikel durch die Kartellnovelle 1973 nicht mehr rechtsgültig die Innehaltung bestimmter Preise und Konditionen beim Weiterverkauf auferlegt werden 1513. Wohl aber sind „Empfehlungen“ zulässig. Daneben bleibt ein breiter Bereich zulässiger Weisungsgebundenheit. Der Händler kann verpflichtet werden, auf Anfordern Vertriebsschwerpunkte zu bilden, an Vertriebskonferenzen teilzunehmen, Einsicht in seine Bücher und Bilanzen zwecks Vergewisserung über seine Leistungsfähigkeit zu gestatten (zur Unwirksamkeit in AGB Rn 33 „Einsichtsrechte“). Berichtspflichten mehr oder weniger großen Umfangs pflegen das Bild der Integrierung in das Vertriebsnetz zu runden. Das Vertriebsnetz kann auch mehrstufig organisiert sein – weshalb im Folgenden dem „Hersteller“ der „Lieferant“ an die Seite gestellt wird –, etwa in der Automobilbranche. Es gibt auch Vertriebsmittler, die teils als HV, teils als Vertragshändler für denselben Hersteller tätig sind 1514. Die Integration oder Eingliederung in das Vertriebsnetz des Herstellers bei Existenz 299 einer Vertriebspflicht, ist das, was dem Vertragshändler und dem HV gemeinsam ist. Beide haben die Pflicht, den Absatz der Erzeugnisse ihres Unternehmers (Herstellers) zu fördern. Konkurrenzware dürfen sie nicht führen. Von den Dispositionen des Unternehmers (Herstellers) sind sie, obwohl selbständige Kaufleute, wirtschaftlich, von seinen (zulässigen) Weisungen rechtlich abhängig. Zulässig sind in erster Linie Weisungen zur Vertriebspolitik und weniger zur Unternehmensorganisation des Vertragshändlers. Es gel-

1509 1510 1511

Creutzig BB 2002, 2133. Ulmer/Habersack S. 23. BGHZ 29, 83 (87) = NJW 1959, 144; 34, 282 (285) = NJW 1961, 662; 54, 338 (341) = NJW 1971, 29; 68, 340 (343) = NJW 1977, 896; 74, 136 (139) = NJW 1979, 1783; Urt. v. 09.10.2002 – VIII ZR 95/01, BB 2002, 2520 = NJW-RR 2003, 98 = MDR 2003, 162 = DB 2003, 825 = WM 2003, 842 = EWiR 2003, 587 (v. Hoynin-

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1512

1513 1514

gen-Huene); Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, Anh. § 310 Rn 937. Genzow Rn 5, 23; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 74; Manderla in: Martinek/Semler § 14 Rn 7; aA Stumpf/Jaletzke/Schultze Rn 40; Ebenroth S. 33 („auf Geschäftsbesorgung gerichteter Dienstvertrag“). KG NJW 1981, 2823. BGH DB 1974, 233.

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ten insoweit die § 86 Rn 184 ff für den HV dargelegten Maßstäbe. Auch die rechtliche Struktur ihres Tätigkeitsfundaments ist die gleiche: den Rahmen ihrer Arbeit gibt ein mit dem Unternehmen (Hersteller) geschlossener Rahmenvertrag; in Ausführung desselben haben die einzelnen Vertriebsakte sich zu vollziehen. Dennoch gibt es erhebliche Unterschiede. Der Vertragshändler „reist“ meist nicht, 300 sondern ist eher ortsfest, wobei auch dies kein festes Abgrenzungsmerkmal ist, da es stationäre HV (etwa: Tankstellen-HV und Mercedes-Benz-HV) gibt, aber auch reisende HV-ähnliche Vertriebsmittler. Die Dienste des HV sind auch weniger kapitalintensiv. Die Geschäfte, die ein HV vermittelt oder abschließt, vermittelt oder schließt er ab für seinen Unternehmer, der sie ausführt. Für die danach ausgeführten, auf seine erfolgreiche Vermittlung zurückzuführenden Geschäfte wird er vom Unternehmer entlohnt in Gestalt von Provisionen, berechnet nach einem meist festen Prozentsatz vom Abschluss. Andere Risiken als die, dass der Unternehmer das vermittelte Geschäft nicht abschließt, ein Geschäft aus vom Unternehmer nicht zu vertretenden Gründen nicht zur Durchführung gelangt oder der Kunde nicht zahlt (§ 87a Abs. 2, 3), trägt er normalerweise nicht. Dies ist Grund dafür, dass die EU-Kommission in den Leitlinien zur GVO 2790/99 (Rn 193 ff) echte von unechten HV durch das übernommene finanzielle Risiko abgrenzt. Es bleibt das Provisionsrisiko des HV, welches seiner Tätigkeit immanent ist. Dieses liegt zwar außerhalb seiner Einwirkungsmöglichkeit. Er kann sich aber dadurch schützen, dass er sein Risiko verteilt, indem er mehrere Vertretungen für verschiedene Unternehmer in nicht konkurrierenden Waren übernimmt und dadurch Sortiment und Tätigkeitsfeld auf breitere Basis stellt. Die Risiken des Vertragshändlers sind wesensbedingt andere. Der Vertragshändler 301 arbeitet auf eigene Rechnung. Er kauft und verkauft, muss Werbung im eigenen Namen betreiben, unterliegt Mangelgewährleistungsrecht und muss ggf. Service anbieten. Für alles benötigt er eigenes Kapital. Das Risiko des Vertragshändlers erfährt nicht nur gegenüber dem eines HU sondern auch gegenüber dem eines ungebundenen Händlers eine Verschärfung, da der Vertragshändler wegen der eingeschränkten Sortimentsfunktion nur mit Einschränkungen einen Risikoausgleich zwischen den Artikeln anstreben kann 1515 und sich dem Schicksal der Produkte „seines“ Unternehmens unterordnen muss. Ferner darf sich der Vertragshändler aufgrund der Vertriebspflicht nicht frei entscheiden, ob er von Fall zu Fall tätig werden will. Vielmehr hat er sich ständig um den Absatz der Herstellerprodukte zu bemühen 1516. Er trägt die Risiken der Umschlagsaufgaben des Handels, etwa der Vorausdisposition, der Transportgefahr, der Lagerhaltung und einer etwaigen Kreditierung des Verkaufspreises an den Abnehmer, während sich der HV auf die Markterschließungs-, Marktbeobachtungs- sowie die Kundenberatungsfunktion konzentrieren kann 1517. Wenngleich auch der Vertragshändler bei der Absatzförderung Dienste persönlicher Art einzusetzen hat, so doch zu einem mindestens gleichgewichtigen Teil im Interesse seines eigenen unternehmerischen Kapitalwagnisses. Wird der Vertragshändlervertrag beendet, so sind die Folgen für den Vertragshändler oft einschneidender als für den HV: Er kann sein Kapital aus seinem Betrieb, dessen Warenbestand er nun nicht mehr vertreiben darf und dessen Kundendienstabteilung mit meist nicht unerheblich hohen Investitionen nutzlos geworden ist, nur unter Verlust herausziehen. Auch die Kunden gehen ihm verloren. Gerade als Letztverbraucher bleiben sie zu einem erheblichen Teil der „Marke“ treu; ihr Stamm kommt also dem Nachfolger zugute, wofür trotz des automatischen Übergangs des Kundenstammes („Sogwirkung der Marke“) nach hM 1515 1516

Westphal Vertriebsrecht II Rn 7. Westphal Vertriebsrecht II Rn 18.

1517

Westphal Vertriebsrecht II Rn 37.

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kein Ausgleich zu zahlen ist, sofern dem Unternehmer die Kunden des HV-ähnlichen Vertriebsmittlers nicht ausdrücklich namhaft gemacht wurden. Deshalb ist die Zahl bekannter Händlerinsolvenzen erheblich, insbesondere im kapitalintensiven Kfz-Vertragshändlerbereich. Insolvenzen von HV, außer Verbraucherinsolvenzverfahren, sind hingegen eher selten. Zu weit dürfte die für den Kfz-Vertrieb gestellte Analyse gehen, die ehemals mittelständischen Händler seien zu Filialen des Herstellers mutiert 1518. Unter dem Druck eines „freien Kündigungsrechts“ seien den Händlern kaufmännisch unvertretbare Investitionen in DM-Milliardenhöhe (1999: 3 Mrd.) abverlangt worden 1519. Es sei nicht nachvollzogen worden, was andernorts gelte: Ausübung von Macht sei mit Haftung verbunden. Es stelle sich die Frage nach der Anwendung des Konzernrechts mit Verlustausgleichspflicht (§§ 302 f AktG) 1520.

II. Vertragsschluss und anwendbares Recht 302

Der Vertragshändlervertrag ist als Typus gesetzlich nicht geregelt. Er unterliegt keiner Form 1521 und kann auch durch schlüssiges Verhalten abgeschlossen werden1522. Der Vertrag unterfällt wie der Franchisevertrag einem zwingenden Schriftformerfordernis nach §§ 491 ff, 505 BGB, wenn er die regelmäßige Lieferung von Waren der gleichen Art oder die Verpflichtung zum wiederkehrenden Erwerb oder Bezug von Sachen zum Gegenstand hat und es sich bei dem Vertragshändler um einen Verbraucher handelt 1523. Verbraucher ist der Vertragshändler, wenn der Vertragsschluss zur Aufnahme einer gewerblichen Tätigkeit dienen soll 1524. Der Verbraucher ist über sein Widerrufsrecht zu belehren. Bei Unterlassen verlängert sich die Widerrufsfrist auf unbegrenzte Zeit (§ 355 Abs. 3 S. 3 BGB). Ein Verstoß führt zur Unwirksamkeit der kreditähnlichen Elemente des Vertrages, also insbesondere der Bezugsverpflichtung 1525 und damit gemäß § 139 BGB gegebenenfalls zur Gesamtnichtigkeit des Vertrages 1526. Dem Vertragshändlerverhältnis liegt durchweg ein detaillierter schriftlicher Vertrag, in aller Regel unter Nutzung eines vom Hersteller allgemein verwendeten Vertragsformulars (AGB) 1527, zugrunde. Angesichts des Fehlens gesetzlicher Bestimmungen erhebt sich die Frage, an welchen gesetzlichen Maßstäben der Vertrag zu messen ist bzw. welches dispositive Recht eingreift. Die Einordnung des Vertragshändlervertrages in gesetzliche Kategorien ist umstritten. Die Rechtsbeziehungen des Händlers zum Hersteller – bei mehrstufigem Vertragshändler-Einsatz: zum Lieferanten – wurden früher 1528 als solche eigener Art auf der Basis der Interessenverknüpfung angesehen, in welchen Elemente der Geschäftsbesorgung, der Abnahmeverpflichtung (gegen1518 1519 1520 1521 1522 1523

1524

Ensthaler BB 2002, 313 (314); ders BB 25/2002, „Die erste Seite“. Ensthaler BB 2002, 313 (314); ders BB 25/2002, „Die erste Seite“. Ensthaler/Gesmann-Nuissl/Stopper DB 2003, 257 (258). Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 51. BGH WM 1987, 962; Westphal Vertriebsrecht II Rn 44. Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 54; Westphal Vertriebsrecht II Rn 48. BGH NJW 1986, 1988 (1989); Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 55.

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BGH BB 1995, 217; Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 57; Westphal Vertriebsrecht II Rn 50; aA Manderla in: Martnek/Semler, § 14 Rn 58; Stumpf/Jaletzke/Schultze Rn 130, die Gesamtnichtigkeit des Vertrages annehmen. BGH BB 1995, 217 (219); Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 57. Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, Anh. § 310 Rn 938; Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 52. So noch BGH DB 1979, 165.

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über dem Hersteller bzw. Lieferanten) und schließlich Bindungen verschiedenen Inhalts und verschiedener Gerichtetheit sich mischen. Der Vertragshändlervertrag ist ein auf Geschäftsbesorgung gerichteter Dienstvertrag im Sinne der §§ 611, 675 BGB 1529. Allerdings muss der Begriff der Geschäftsbesorgung auf die Wahrnehmung der Interessen eines anderen 1530 präzisiert werden. Das eigene Interesse des Vertragshändlers an der gegebenen Interessenverknüpfung mindert das die Geschäftsbeziehung prägende Gewicht der Inpflichtnahme für den Hersteller/Lieferanten deshalb nicht, weil es nicht mehr ist als das Motiv, welches den Vertragshändler dazu bestimmt, die selbständige Vertretung der „Marke“ für das Vertragsgebiet zu übernehmen. Entscheidend und für die Folgerungen beim Ausgleichsanspruch grundlegend sind die von P. Ulmer herausgearbeiteten Erkenntnisse hinsichtlich der Entgeltlichkeit des Vertragshändlervertrages. Das Entgelt für die Absatzförderungsförderungspflicht des Vertragshändlers liegt meist nicht oder jedenfalls nicht wesensnotwendig in besonders günstigen Konditionen für den Bezug der Vertragsware 1531. Es liegt in der Eröffnung der günstigen Verdienstchancen beim Weiterverkauf, die der good will der „Marke“ begründet, an dem der Hersteller bzw. Lieferant den Vertragshändler damit teilhaben lässt 1532 und den der Händler weiter fördert. Hingegen bildet ein Vertragshändlervertrag abweichend von den zu seiner Durchführung abgeschlossenen Einzelverträgen keinen Kaufvertrag i.S.d. UN-Kaufrechts 1533 ebenso wenig wie Franchiseverträge 1534. Auch im Anwendungsbereich des UN-Kaufrechts beurteilen sich etwa die Auswirkungen der Unwirksamkeit oder der Kündigung eines Vertriebsvertrages auf die einzelnen Kaufverträge nach nationalem Recht 1535. Er bildet regelmäßig kein Dauerschuldverhältnis in der Form des Sukzessivlieferungsvertrages 1536. Anders ist es, wenn im Rahmenvertrag bereits feste Lieferabsprachen getroffen werden 1537. Damit ist auch der Vertragshändlervertrag ein Dienstvertrag mit Geschäftsbesorgungs- 303 charakter 1538. Soweit sich aus dem Nachfolgenden nichts Abweichendes ergibt, sind die oben genannten Regeln des Geschäftsbesorgungsrechts (Rn 72 ff) anwendbar. Insbesondere hat der Unternehmer entgegen der 4. Aufl. durchaus ein Interesse an einer Information nach § 666 BGB. Er kann sich dabei jedoch auch auf §§ 242, 259 ff BGB stützen. Anwendbar sind auch die Auslegungsregeln der §§ 672 bis 674 BGB über den Einfluss des Todes des Auftraggebers und des Beauftragten. Hier wird aber immer im Einzelfall zu prüfen sein, ob diese Regeln nicht nach der Art oder Größe des Geschäftes stillschweigend abbedungen sind. Das ist beim Vertragshändler tendenziell eher als beim HV anzunehmen, weil bei ihm häufiger der Kapitaleinsatz und die Geschäftsausstattung und weniger die persönliche Vermittlungsleistung im Vordergrund stehen mag. Unanwendbar 1529

1530 1531 1532 1533

P. Ulmer S. 264 f; Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, Anh. § 310 Rn 937; Evansv. Krbek S. 94; Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 23; Graf v. Westphalen DB 1999, 2553. P. Ulmer S. 266; hier: die Absatzförderungspflicht. AaO S. 285. AaO S. 288. BGH v. 04.04.1979, BGHZ 74, 136; BGH v. 26.11.1980, NJW 1981, 1156 zum Haager Kaufrecht; Schlechtriem/Schwenzer Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht, 4. Aufl. 2004, Art. 1 Rn 31; Piltz NJW 2003, 2056 (2058); Piltz NJW 2000, 553 (555); ICC Arbitration Case 8908 of

1534

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1989; ICC International Court of Arbitration Bulletin 10, 83, Handelsgericht Zürich IHR 2001, 45; United States District Court for the Eastern District of Pennsylvania IHR 2002, 28; aA Corte Suprema di Cassazione, European Law Forum (EuLF) 2001, 11. Schlechtriem/Schwenzer Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht, 4. Aufl. 2004, Art. 1 Rn 32. Piltz NJW 2000, 553 (556). AA Kirsch NJW 2002, 2520 (2522). Piltz NJW 2003, 2056 (2058); Helsinki Court of Appeals, Urt. v. 26.10.2000, CISG-Pace, CISG-online. Ulmer/Habersack S. 22.

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sind meist – im Einzelfall mag sich nach der Art der Geschäftsausführung Gegenteiliges ergeben – die §§ 667 BGB (Herausgabepflicht des Beauftragten), 668 BGB (Verzinsung verwendeten Geldes), 669 BGB (Vorschußpflicht) und 670 BGB (Aufwendungsersatz). Anwendbar ist wieder § 665 BGB über das Abweichen von erteilten Weisungen, und § 666 BGB hinsichtlich der Pflicht zur Erstattung der erforderlichen Nachrichten. Seinem Regelungstyp nach ist auf den vertriebsrechtlichen Teil eines Vertragshändlervertrages in erster Linie HV-Recht analog anwendbar. Tatsächlich steht das Regelungsregime des HVRechts den vertriebsrechtlichen Inhalten eines Vertragshändlervertrages am nächsten 1539. Es ersetzt daher auch bei Unwirksamkeit einzelner Klauseln des Vertragshändlervertrages die unwirksamen Regelungen 1540. Fraglich ist, inwieweit insbesondere die zwingenden Bestandteile des HV-Rechts auch 304 für das Recht des Vertragshändlers als unabdingbar zu gelten haben. Sieht man von den Bestimmungen ab, die für das Vertragshändlerverhältnis seiner 305 Eigenart wegen kaum passen (etwa: §§ 86b – Delkredere –1541, 87 Abs. 1, – § 87 Abs. 3 ist anwendbar 1542 – 87a und 87c 1543 (jedoch kann dem Vertragshändler ein Auskunftsanspruch nach § 666 BGB und § 242 BGB zustehen 1544) – Provision 1545 und sie betreffende Kontrollrechte 1546 –, 91, 91a – Abschlüsse in Vollmacht des Unternehmers –, 92 – Versicherungs- und Bausparkassenvertreter –, 92a, 92b – Kleinvertreter und HV im Nebenberuf –), wohl auch § 86a Abs. 1 1547 (jedenfalls in den meisten Fällen), so ist die grundsätzliche Analogiefähigkeit des HV-Rechts heute wohl eher allgemeine Ansicht. In Betracht gezogen wurde historisch die Annahme einer Rechtsanalogie, die die allgemeinen Rechtsgedanken des HV-Rechts auf das Vertragshändlerrecht ausgedehnt hätte. Konsequenz wäre es nach dieser Ansicht gewesen, alle Grundgedanken des HV-Rechts auf das Vertragshändlerrecht anzuwenden. Eine Prüfung hinsichtlich der Analogiefähigkeit einzelner Vorschriften des HV-Rechts wäre überflüssig geworden. Eine solche Rechtsanalogie wurde jedoch mit dem Argument abgelehnt, das HV-Recht enthalte solch analogiefähige allgemeine Rechtsgedanken nicht 1548. Stattdessen wurde eine Gesetzesanalogie zu einzelnen Vorschriften vorgezogen 1549. Dies ist zutreffend: Wie der HV unterliegt der Vertragshändler einer Absatzförderungspflicht, der zufolge er sich nachhaltig für den Absatz der Vertragswaren einzusetzen hat 1550. Die Absatzförderungspflicht, auch als Vertriebspflicht bezeichnet, begründet die Vertragshändlereigenschaft sowie die Analogie und ist zugleich die wichtigste Hauptpflicht des Vertragshändlers. Der Vertragshändler 1539

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BGH, Urt. v. 08.05.2007 – KZR 14/04, WRP 2007, 1097, 1100 = RIW 2007, 614 = EWiR 2007, 547 (Emde). BGH, Urt. v. 08.05.2007 – KZR 14/04, WRP 2007, 1097, 1100 = RIW 2007, 614 = EWiR 2007, 547 (Emde). Hopt § 84 Rn 11. BGH NJW 1984, 2411; Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht 2005, § 3 Rn 37; Ullrich in: Martinek/ Semler § 17 Rn 3; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 76. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 76; aA Schröder Rn 20a; Stumpf/Jaletzke/Schultze Rn 333 (für § 87c Abs. 2 und 3). BGH, Urt. v. 02.04.1957 – VIII ZR 60/56, NJW 1957, 1026; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 76.

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BGH, Urt. v. 09.02.1984 – I ZR 226/81, NJW 1984, 2411; Stumpf/Jaletzke/Schultze Rn 320, 388 ff. Hopt § 84 Rn 11. Westphal Vertriebsrecht II Rn 158. BGHZ 29, 83 ff. BGHZ 29, 83 ff; BGH NJW 1962, 1107; BGH BB 1967, 44; BGH NJW 1977, 896, BGH BB 1983, 997; BGH DB 1983, 2412; BGH NJW 1984, 2101; BGH BB 1988, 1770, BGH BB 1992, 596; BGH BB 1993, 2399; BGH BB 1996, 1458; OLG Hamm NJW-RR 1996, 226; OLG Köln BB 1997, 2451; OLG München BB 1997, 595. Ulmer/Habersack S. 24; Westphal Vertriebsrecht II Rn 446.

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darf daher nicht durch ständig überhöhte Preise den Absatz der Vertragswaren gefährden 1551. Die Vorschriften des HV-Rechts, welche die Innenbeziehung zwischen HV und Unternehmer regeln sind analogiefähig, wegen des Eigenverkaufs des Vertragshändlers jedoch nicht die Regelungen, die das Außenverhältnis des HV zum Kunden betreffen 1552. HV wie Vertragshändler stehen in einem Dauerrechtsverhältnis zum Unternehmer (Hersteller/Lieferanten), sie sind seinem Vertriebsorganismus eingegliedert und von seinen Dispositionen zur Produktpalette abhängig. Das Gebot der Zusammenarbeit bringt hier wie dort für beide Vertragsteile Pflichten zur Rücksichtnahme auf die Interessen des anderen Teils mit sich. Das gilt namentlich für § 85 1553, die §§ 86 Abs. 1 1554, Abs. 3, 86a Abs. 2 S. 3 sowie die aus § 86a Abs. 2 hergeleitete allgemeine Informationspflicht 1555, die Pflicht zur Gewährung der üblichen Vergütung (§ 86b Abs. 1) 1556, § 87d 1557, § 88a, soweit der Vertragshändler bzw. bei § 88a Abs. 2 der Unternehmer in einem handelsvertreterähnlichen Vertragsverhältnis stehen 1558 und es um Ansprüche geht, die unmittelbar aus der Geschäftsbeziehung resultieren 1559, etwa Boni und Prämien 1560, die Kündigungsvorschriften der §§ 89 1561, 89a 1562, 90a 1563 und § 92c 1564, aber auch die Bestimmungen über den Aufwendungsersatz (§ 87d), und über die Wahrung von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen (§ 90) 1565. Im Zentrum der Erörterungen schließlich steht die Analogiefähigkeit des § 89b zum Ausgleichsanspruch. 1551 1552 1553

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Westphal Vertriebsrecht II Rn 451. Westphal Vertriebsrecht II Rn 140. Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, Anh. § 310 Rn 973; BGH DB 1970, 872 hat die Möglichkeit eines konkludenten Zustandekommens von Vertragshändlerverträgen anerkannt; Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht 2005, § 3 Rn 37, 53; Stumpf/Jaletzke/Schultze Rn 134 ff; Westphal Vertriebsrecht II Rn 156; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 75. BGH NJW 1984, 2101; Westphal Vertriebsrecht II Rn 146. Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 290; Westphal Vertriebsrecht II Rn 159; Stumpf/Jaletzke/ Schultze, Rn 287; Ulmer S. 433. Ulmer/Habersack S. 45. BGH NJW 1984, 2101; Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht 2005, § 3 Rn 37; Westphal Vertriebsrecht II Rn 161. Ebenroth/Löwisch, § 88 a Rn 16; Genzow in: Ensthaler, § 88a Rn 8; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene Rn 8. Genzow in: Ensthaler, § 88a Rn 8. Genzow in: Ensthaler, § 88a Rn 8. BGH, Urt. v. 09.10.2002 – VIII ZR 95/01, BB 2002, 2520 = NJW-RR 2003, 98 = MDR 2003, 162 = DB 2003 825 = WM 2003, 842 = EWiR 2003, 587 (v. Hoyningen-Huene); Urt. v. 17.07.2002 – VIII ZR 59/01, DB 2002, 1992 = EWiR 2002, 915 (Emde); EBE 1995, 259; BB 1967, 94;

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Urt. v. 05.04.1962 – VII ZR 202/60, DB 1962, 635 = NJW 1962, 1107; Vogels/ Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 37; Westphal Vertriebsrecht II Rn 150; aA Stumpf/Jaletzke/ Schultze Rn 622 ff; Manderla in: Martinek/ Semler § 14 Rn 25, 26, 30 bis 40; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 75; zu den Kündigungsfristen: v. Westphalen FG Jürgen Gündisch S. 83 ff. BGH DB 1962, 635; BGH NJW 1982, 2432; BGH, Urt. v. 10.02.1993 – VIII ZR 48/92, NJW-RR 1993, 682 (683); OLG Saarbrücken NJW-RR 1999, 1339; Vogels/ Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht 2005, § 3 Rn 37; Westphal Vertriebsrecht II Rn 152; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 75. BGH, Urt. v. 12.11.1986, NJW-RR 1987, 612 (zum Franchisevertrag); Stumpf/ Jaletzke/Schultze Rn 132, 492, 717; Vogels/ Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht 2005, § 3 Rn 37, 58; Westphal Vertriebsrecht II Rn 155 f; Ebenroth/ Löwisch § 84 Rn 75; Hermes RIW 1999, 81 (82). Stumpf/Jaletzke/Schultze Rn 886; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 75. Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht 2005, § 3 Rn 37; Stumpf/ Jaletzke/Schultze Rn 44, 236 ff; Westphal Vertriebsrecht II Rn 162; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 75.

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306

Die Interessenwahrungspflicht des Vertragshändlers geht in analoger Anwendung des § 86 1566 positiv auf Unterrichtung über die Entwicklung des Vertriebs und die am Rande desselben gewonnenen, das gemeinsame Interesse berührenden allgemeinen Erkenntnisse über Einsatz der gebotenen verkaufsfördernden Maßnahmen, Werbung, Kundendienst. Darin ähnelt sie der Informationspflicht des HV. Der Vertragshändler muss etwa sein Augenmerk auf die Verletzung der Schutzrechte der von ihm vertretenen Marke im Vertragsgebiet richten und Tatbeständen dieser Art nachgehen. Die Herleitung der Informationspflicht aus einer Analogie zu § 86 ist gegenüber derjenigen aus § 666 BGB die überzeugendere insofern, als sie sich auf die Interessenwahrung im Dauerverhältnis bezieht, während § 666 BGB den Einzelauftrag im Auge hat, zudem ist § 86 lex specialis. Aus § 86 wird auch die Pflicht des Vertragshändlers entnommen, sich des Vertriebs von Konkurrenzware zu enthalten. Was insoweit für den HV gilt, gilt in gleicher Weise, verstärkt durch ein eventuelles Privileg des Alleinvertriebsrechts 1567, für den Vertragshändler. Wie der HV darf der Händler allerdings nicht-konkurrierende Erzeugnisse ohne Zustimmung seines Vertragspartners, des Herstellers/Lieferanten, in sein Sortiment aufnehmen 1568. Dies hat die GVO 1400/02 für den Kfz-Vertragshändler auf das Recht zur Übernahme des Vertriebs eines Konkurrenzprodukts erweitert (Rn 179). Die Interessenwahrungs-, allgemein ausgedrückt: die Loyalitätspflicht des Vertragshändlers, gebietet es ferner, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse des Herstellers nicht preiszugeben, und zwar in gleicher Weise wie beim HV auch über das Vertragsende hinaus in analoger Anwendung des § 90 1569; ein Verstoß kann wie beim HV die außerordentliche Kündigung rechtfertigen 1570. Ebenfalls aus der Interessenwahrungspflicht ergibt sich, dass der Vertragshändler die „Marke“ und ihren Schutzbereich sorgsam zu beachten und ihre Verwässerung durch unsachgemäßen Gebrauch nicht nur zu vermeiden, sondern innerhalb der Sphäre seiner Verantwortung nach seinen Möglichkeiten und Kräften zu verhindern hat 1571. Ganz allgemein hat er jedes den Unternehmer oder das vertriebene Produkt schädigende Verhalten zu unterlassen. Insoweit besteht eine nach Vertragsende nachwirkende Pflicht des Vertragshändlers. Wenn ihm eine bestimmte Marke zum Alleinvertrieb überlassen worden war, geht es aber zu weit, anzunehmen, er müsse sich des Gebrauchs einer ähnlichen Marke für ein anderes, nunmehr von ihm vertriebenes Erzeugnis enthalten 1572, solange eine Verwechslungsgefahr ausscheidet. Der Vertrieb eines Wettbewerbsprodukts steht ihm nach Vertragsende in Abwesenheit einer Wettbewerbsabrede (mit Karenzentschädigung) jedoch frei. In Analogie zu § 86a existieren im Spannungsverhältnis zur Dispositionsfreiheit des 307 Unternehmers 1573 (§ 86a Rn 42 ff) stehende, auf Grund der hohen Eingliederung möglicherweise stärker als gegenüber dem HV ausgeprägte 1574 Förderungs- und Loyalitätspflichten (Treupflichten) des Herstellers/Lieferanten im Verhältnis zum Vertragshändler 1575. Sie ergeben sich aus der Natur des auf engen Austausch von Leistung und Gegenleistung ausgerichteten Vertragsverhältnisses, wobei die Interessenwahrungspflicht des Händlers wie beim HV die Treupflicht des Herstellers überwiegt. Der Umstand, dass 1566

1567 1568 1569 1570 1571

BGHZ 54, 338 (341); 68, 340 (343); 74, 136 (139); 93, 29 (39); Genzow Rn 90; Ulmer/Habersack S. 22 für den Kfz-Vertrieb. BGH LM § 1 UWG Nr. 57. AA 4. Aufl. und P. Ulmer S. 423 ff. Westphal Vertriebsrecht II Rn 458 ff. Westphal Vertriebsrecht II Rn 460. P. Ulmer S. 425.

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1572 1573 1574 1575

BGH BB 1967, 54. Westphal Vertriebsrecht II Rn 518. Ulmer/Habersack S. 26/27. OLG München, Urt. v. 22.01.2004 – U (K) 3329/03, WuW DE-R 2004, 1260 (1262); Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 271; Ulmer/ Habersack S. 26/27; Westphal Vertriebsrecht II Rn 516.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

Vor § 84

der Händler nicht nur seine Tätigkeit, sondern auch seinen Geschäftsbetrieb und das von ihm investierte Kapital weitgehend den Interessen des Herstellers unterordnet, verpflichtet den Hersteller, den schutzwürdigen Belangen des Händlers angemessen Rechnung zu tragen und dessen Interessen nicht ohne begründeten Anlass zuwider zu handeln 1576. Die Gewinnchance darf der Hersteller dem Vertriebsmittler also nicht ohne gerechtfertigten Grund verkürzen. Dem Bemühen der Händler, die Vertragsprodukte bestmöglich und unter den strengen Vorgaben des Herstellers an den Endkunden zu bringen, steht die Pflicht des Herstellers gegenüber, alles zu unterlassen, was die Marktposition und die Gewinnaussichten seines Vertriebspartners beeinträchtigen könnte 1577. Grundsätzlich wird man daher eine Pflicht des Unternehmers zur Belieferung des Händlers annehmen müssen 1578, sie ist geradezu Kern des Vertrages. Soweit eine solche Verpflichtung nicht ausdrücklich geregelt ist, ergibt sie sich aus Treu und Glauben 1579. Sie ist die Kehrseite der oft mit enormen Kosten verbundenen Marketingverpflichtungen der Händler 1580. Auch ohne Kapitaleinsatz des Mittlers schützt ihn die dem Unternehmer auferlegte Treupflicht, da sie aus dem Dauerschuldverhältnis selbst entspringt. Sie verstärkt sich jedoch durch den Kapitaleinsatz. Zwar ist der Unternehmer nicht verpflichtet, den Vertragshändler so zu beliefern, wie dieser es jeweils wünscht und abruft. Der Vertragshändlervertrag stellt weder einen Vorvertrag auf Abschluss demnächstiger Lieferverträge dar, noch weniger begründet er ein Sukzessivlieferungsverhältnis. In dem Fehlen der Lieferpflicht gegenüber dem Vertragshändler liegt die Parallele zum Fehlen der Abschlusspflicht gegenüber dem HV, der das Geschäft bis zur Abschlussreife vermittelt hat. Der Hersteller ist auch hier in seinen Dispositionen frei. Allerdings darf er Lieferwünsche des Vertragshändlers nicht grundlos ablehnen 1581. Selbst eine befristet ausgesprochene Kündigung des Vertragshändlervertrages durch den einen oder anderen Teil ist kein zureichender Grund, für die Restdauer des Vertrages die Entgegennahme von Bestellungen zu verweigern1582. Verletzt ein Hersteller die vertraglich zugesagte Exklusivität des Händlers, etwa indem er im zugewiesenen Bezirk andere Händler einsetzt, hat der verletzte Händler gemäß §§ 249, 252 BGB Anspruch auf Ersatz des Gewinns, der ihm entgangen ist 1583. Zur Vorbereitung des Ersatzanspruches darf der Händler, will er seinen Schaden nicht aus dem Rohertrag der Vergangenheit berechnen, Auskunft über die vertragswidrigen Verkäufe des Herstellers an andere Händler im geschützten Gebiet verlangen1584. Auskunft und Schadenersatz können im Wege der Stufenklage geltend gemacht werden.

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OLG München, Urt. v. 22.01.2004 – U (K) 3329/03, WuW DE-R 2004, 1260 (1262). Ensthaler/Gesmann-Nuissl BB 2005, 1749 (1753); OLG München, Urt. v. 22.01.2004 – U (K) 3329/03, WuW DE-R 2004, 1260 (1262). Manderla in: Martinek/Semler/Habermeier, § 18 Rn 15; Ulmer/Brandner/Hensen, Anh. 9 bis 11, Rn 888; Genzow Vertragshändlervertrag, Rn 82; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 75; Rheinländer WRP 2007, 501 (502); aA Stumpf/Jaletzke/Schultze Rn 341 (müsste ausdrücklich vereinbart werden). Manderla in: Martinek/Semler/Habermeier, § 18 Rn 17; Rheinländer WRP 2007, 501 (502). Rheinländer WRP 2007, 501 (502).

1581 1582 1583

1584

BGH NJW 1958, 1138. Einschränkend P. Ulmer S. 488. BGH, Urt. v. 17.04.2002 – VIII ZR 139/01, VersR 2002, 1023 = BB 2002, 1507 = DB 2002, 1657 = NJW-RR 2002, 1256 = EWiR 2002, 766 (Emde) = WM 2003, 250; BGH, Urt. v. 22.11.2000 – VIII ZR 40/00, BB 2001, 115 = MDR 2001, 283 = NJW 2001, 821 = WM 2001, 686. BGH, Urt. v. 17.04.2002 – VIII ZR 139/01, VersR 2002, 1023 = BB 2002, 1507 = DB 2002, 1657 = NJW-RR 2002, 1256 = EWiR 2002, 766 (Emde) = WM 2003, 250; BGH, Urt. v. 22.11.2000 – VIII ZR 40/00, BB 2001, 115 = MDR 2001, 283 = NJW 2001, 821 = WM 2001, 686.

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Einen gewichtigen Anhalt für den Umfang der dem Händler entgangenen Geschäfte stellen die Geschäfte dar, welche in der fraglichen Zeit im geschützten Vertragsgebiet durch den Hersteller oder von ihm eingesetzte Händler gezeichnet werden1585. Dies schließt es nicht aus, bei der Schadensberechnung einen besonderen Einsatz der anderen Händler oder deren spezielle Betriebssituation zu berücksichtigen 1586. Der Hersteller ist allgemein zur Wahrung der Interessen des Händlers verpflichtet, etwa durch Überlassen der für den Vertrieb notwendigen speziellen Hilfsmittel, Sicherstellung gleichbleibender Qualität der Ware, jedoch nur im Ausnahmefall zu angemessener Werbung für das Produkt 1587. Führt der Vertragshändler Gewährleistungs- oder Garantiearbeiten aus, steht ihm voller Aufwendungsersatz einschließlich eines angemessenen kalkulatorischen Gewinns zu (Rn 35). Zur Rückkaufpflicht hinsichtlich der Lagerware s.u. Ein Vertragshändlervertrag begründet weder aus den §§ 20, 33 GWB, wegen schuld308 hafter Verletzung von Treuepflichten, § 313 Abs. 1 BGB oder den §§ 675, 670 BGB eine Verpflichtung des Herstellers zum Ausgleich der Einbußen, die der Händler erleidet, weil der Hersteller die Preise für Vertragswaren senkt (hier Kfz) und der Händler infolge dessen Kfz, die der Vertragshändler als Neufahrzeuge an Autovermieter veräußert und dann auf Grund einer gegenüber dem Hersteller übernommenen Rückkaufverpflichtung zurückgekauft hat, nicht mehr mit Gewinn absetzen kann 1588. Auch soll sich aus dem Vertragshändlerverhältnis keine Pflicht des Herstellers ergeben, die Belieferung des Vertragshändlers mit mangelhafter Ware zu vermeiden, um ihn vor Schäden durch Verlust von Kunden zu bewahren 1589. Die mit dem Hersteller/Lieferanten abgeschlossenen einzelnen Kaufverträge sind rechtlich selbständig, auch (wie sich insbesondere in der Zeit nach ausgesprochener Kündigung des Vertragshändlerverhältnisses zeigt) selbständig abzuwickeln. Der Vertragshändler ist auf die Gewährleistungsansprüche für die jeweilige einzelne Lieferung beschränkt. Allenfalls anhaltend schlechte Lieferungen mögen dem Vertragshändler das Recht zur fristlosen Kündigung des Vertragshändlervertrages geben 1590. Grundsätzlich unterliegt es der Dispositionsfreiheit des Herstellers, wie er seine Pro309 duktion gestalten will. In dem Waschmaschinenfall BGH BB 1972 193 hatte der Hersteller die Produktion einer neuen Serie entwickelt und konnte deshalb vorübergehend nicht mehr die vereinbarte Mindestmenge des bisherigen Typs liefern. Selbst hierauf hatte – so der BGH – der Vertragshändler Rücksicht zu nehmen; der Sachverhalt gab ihm kein Recht zur fristlosen Kündigung, wenn der Hersteller ihm für den vorübergehenden Ausfall an den Lieferungen des bisherigen Typs die entsprechende Menge des neuen Typs zur Verfügung stellte. Denn das wiederum verlangte die Rücksichtnahme auf die Belange des Vertragshändlers. Überhaupt erheischt die Loyalitätspflicht des Herstellers analog § 86a Abs. 2, dem Vertragshändler vorausschauend Nachricht zu geben, wenn wegen Produktionsengpässen Lieferung nicht uneingeschränkt möglich sein wird oder wenn Umstellun1585

Der Ursachenzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden bestimmt sich nach den Beweiserleichterungen des § 287 ZPO: Es genügt eine auf gesicherter Grundlage bestehende Wahrscheinlichkeit. Der Kläger hat Tatsachen vorzutragen und zu beweisen, welche für eine Beurteilung nach § 287 ZPO ausreichende greifbare Anhaltspunkte bieten; so BGH, Urt. v. 03.12.1999 – IX ZR 332/98, VersR 2001, 246; siehe auch Freitag/Leible RIW 2001, 287.

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BGH, Urt. v. 22.11.2000 – VIII ZR 40/00, BB 2001, 115 = MDR 2001, 283 = NJW 2001, 821 = WM 2001, 686. AA Stumpf/Jaletzke/Schultze Rn 295; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 75. OLG Frankfurt/Main, Urt. v. 18.11.2003 – 11U (Kart) 35/03, GRUR-RR 2004, 120 = OLGR 2004, 134. BGH wie vor; zweifelhaft. Finger S. 144.

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gen in der Produktion anstehen. Auch der Vertragshändler muss seine eigenen Dispositionen entsprechend treffen können. Wird bei P. Ulmer 1591 doch sogar mit Recht angenommen, dass der Hersteller/Lieferant den Vertragshändler rechtzeitig zu unterrichten hat, wenn er einen befristeten Vertragshändlervertrag nicht verlängern will: dem Vertragshändler muss Gelegenheit gegeben sein, seine Lagerbestände so rechtzeitig abzubauen, dass er bei dem demnächstigen Vertragsende keinen größeren Kapitalverlust erleidet. Die Unterrichtung muss so früh wie möglich, mindestens jedoch binnen der Kündigungsfristen des § 89 analog erfolgen (Rechtsfolge bei Unterlassen: Schadenersatz). Die Ansprüche auf Information durch den Unternehmer sind für den HV durch die 310 zusätzliche Bestimmung des § 86a Abs. 2 S. 2 Hs. 2 als zwingende gestaltet. Damit stellt sich hier – und zugleich für spätere Zusammenhänge, in denen die Analogie von zugunsten des HV zwingenden Rechtssätzen zur Erörterung stehen wird – das Problem, wie weit die Analogie des Grundgehalts der einzelnen Norm auch deren zwingende Geltung mit sich führt. Das wiederum hängt davon ab, ob der Vertragshändler generalisiert – auf den konkreten Vertrag wird man schon aus Gründen der Rechtssicherheit nicht abstellen dürfen – in gleicher Weise wie der HV als schutzbedürftig angesehen werden kann. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, dass es die Figur „des“ schutzbedürftigen HV nicht gibt. Wollte man die Analogie für die Unabdingbarkeit davon abhängig machen, ob der Vertragshändler im Einzelfalle schutzbedürftig sei, dann trüge das nicht nur einen Bruch in den Analogievollzug hinein, der dogmatisch nicht vertretbar wäre 1592. Man lieferte sich darüber hinaus auch kaum lösbaren Schwierigkeiten aus, nach welchen Kriterien sich die Schutzbedürftigkeit bemessen solle. Im Gegenteil: In vielen Fällen dürfte der Vertragshändler schutzbedürftiger als der HV sein, da er mit erheblichem Kapitaleinsatz arbeitet. Der BGH hat in seiner Rechtsprechung zu § 89b zweimal einen Ansatz gemacht, eine spezifische Schutzbedürftigkeit des Vertragshändlers aus diesen und anderen Merkmalen zu bestimmen: er hat beim dritten Mal seine Bemühungen aufgegeben (Rn 327). Die Analogie zum HV-Recht ist immer da gerechtfertigt, wo der Vertragshändler einem HV vergleichbar in das Vertriebssystem des Unternehmers eingegliedert ist. Wird dieses Analogiekriterium angenommen, ist der Vertragshändler entgegen der 4. Aufl. bei generalisierender Betrachtungsweise auch einem HV vergleichbar schutzbedürftig. Die zwingenden Vorschriften des HV-Rechts sind grundsätzlich auf ihn anwendbar, soweit sich nicht aus ihrer Natur etwas anders ergibt. Das zeigen klassische Abgrenzungsfälle, in denen der Absatzmittler formell als Ver- 311 tragshändler unter Vertrag genommen wird, obwohl er der Sache nach wie ein Handelsvertreter gestellt ist 1593. In solchen Fallgestaltungen wird ohnehin HV-Recht auch gegen die rein äußerliche Eingruppierung des betreffenden Absatzmittlers als Vertragshändler angewandt. Die bloße Etikettierung entscheidet nicht. Zwingend ist auch die Bestimmung des § 86a Abs. 1. Auch sie ist analog anwendbar. 312 Danach ist der Hersteller/Lieferant verpflichtet, dem Vertragshändler Unterlagen und Hilfsmittel für den Vertrieb zu überlassen. Dazu gehören Werbematerialien, Kundendienstanleitungen, aber auch die Ausrüstung für die Durchführung des Kundendienstes. Wenn P. Ulmer 1594 betont, die Lieferung könne im Gegensatz zum HV nicht unentgeltlich verlangt werden, gibt es dafür wenige Begründungsansätze. Denn die Interessenlage ist durchaus der beim HV vergleichbar, und nicht nur bei der Erstausstattung. Man wird

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S. 434. So auch Kreifels/Lang S. 1774.

1593 1594

BGH WM 1975, 1107 und BB 1981, 871. S. 433.

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möglicherweise die 1990 eingeführte zwingende Natur nicht auf den Vertragshändler übertragen und abweichende Regelungen des Vertragshändlervertrages zulassen können. Von Bedeutung ist namentlich die aus der gebotenen Förderung der Absatztätigkeit des Vertragshändlers grundsätzlich erwachsende Pflicht des Unternehmers, seine Vertragshändler unter sich gleich zu behandeln, nicht einem von ihnen ohne rechtfertigenden Grund bessere Konditionen einzuräumen und ihm dadurch einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen 1595; dies auch unabhängig von den besonderen Voraussetzungen des Diskriminierungsverbots aus § 20 Abs. 2 GWB. Als rechtfertigender Grund für eine Ungleichbehandlung nennt P. Ulmer 1596 etwaige besondere Verhältnisse während der Anlaufzeit oder Standortnachteile. Bei eingeschränkter Liefermöglichkeit wird der Hersteller seine Vertragshändler gleichmäßig zu berücksichtigen haben 1597. In engem Zusammenhange mit der Loyalitätspflicht des Herstellers nach § 86a stehen die Fragen der Sicherung des Vertriebsrechts des Vertragshändlers. Oft – nicht immer – wird eine sogenannte Absatzbindung des Herstellers vertraglich vereinbart. Sie bedeutet, dass der Hersteller nicht direkt in das Vertragsgebiet liefern darf, vorbehaltlich bestimmter Abnehmergruppen, die von dem Verbot ausgenommen werden. Gekoppelt sein kann damit ein Alleinvertriebsrecht – der Hersteller lässt in einem bestimmten Vertragsgebiet nur diesen einen Vertragshändler zu – und/oder ein Gebietsschutz – der Hersteller verpflichtet sich gleichzeitig, Vertragshändlern in anderen Bezirken die Beschränkung ihres Tätigwerdens auf ihre Bezirke aufzuerlegen. In der einen oder der anderen Form sind solche Sicherungen in den Vertragshändlerverträgen häufig enthalten. Allerdings muss der Vertrag sich hierüber schon aussprechen; die Bezeichnung „Generalvertreter“ kann auch untechnisch gemeint sein und besagt jedenfalls noch kein Alleinvertriebsrecht 1598. Die Rechtsstellung eines so geschützten Vertragshändlers erinnert an die des Bezirksvertreters nach § 87 Abs. 2. Indessen kann diese Bestimmung nicht analog anwendbar sein 1599. Dem Unternehmer sind in diesem Fall Direktgeschäfte überhaupt nicht gestattet. Tätigt er sie, macht er sich schadenersatzpflichtig und § 87 Abs. 2 ist nicht maßgeblich. Ein Alleinvertriebsrecht erfasst – neben seinem Hauptinhalt, der Nichtzulassung weiterer Vertragshändler im Vertragsgebiet – die Pflicht des Unternehmers, sich nicht selbst als Konkurrent des Vertragshändlers im Vertragsgebiet durch Direktbelieferung zu betätigen 1600. Der Schadensersatz geht alsdann auf die entgangene Weiterverkaufsspanne abzüglich der darauf liegenden Unkosten. Außerdem kann Herausgabe des durch den Direktverkauf erzielten Reinerlöses nach § 687 Abs. 2 BGB verlangt werden 1601. Gleichermaßen verpflichtet es zum Schadensersatz, wenn der Hersteller/Lieferant dem Vertragshändler dadurch im Vertragsgebiet Konkurrenz macht, dass er die Absatzbindungs- oder Alleinvertriebsklausel unterläuft und ein gleiches Erzeugnis wie die Vertragsware, nur unter anderer äußerer Aufmachung und anderer Bezeichnung unmittelbar vertreibt 1602. Sind dem Unternehmer einzelne Direktgeschäfte gestattet, begeht er weder eine Vertragsverletzung noch ist § 87 Abs. 2 anwendbar. Denn der Unternehmer behält sich die

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1598 1599 1600

P. Ulmer S. 434. S. 437 Fn 133. V. Brunn Händlerverträge S. 85 ff, anders anscheinend P. Ulmer S. 437 Fn 134; zum Handelsvertreter RG JW 1914, 403/404. BGH DB 1970, 872. Hopt § 87 Rn 29. RG Recht 1920, Nr. 715, P. Ulmer S. 428, Peterek BB 1966, 353.

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Offengelassen in BGH NJW 1964, 151; aA 4. Aufl. und P. Ulmer S. 429/430; OLG Celle Recht 1908, Sp. 491 Nr. 2809. BGH BB 1972, 1204: Der Kunde ist geneigt, unter der veränderten Aufmachung und Bezeichnung eine technische Verbesserung zu vermuten.

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Direktgeschäfte gerade vor, damit er jene schließen darf, ohne um Zustimmung des Händlers nachzusuchen oder ihm verpflichtet zu sein. Zutreffend fordert der BGH1603 jedoch für die mit einem Direktbelieferungsvorbehalt verbundenen Beeinträchtigungen einen angemessenen Ausgleich, falls dem Händler ein Alleinvertriebsrecht zugesagt wurde. Liegt eine echte Gebietsschutzabrede vor, so können, wenn andere Vertragshändler den 317 Gebietsschutz durch Lieferungen in das geschützte Vertragsgebiet verletzen, Schadensersatzansprüche gegen den Unternehmer begründet sein, sofern dieser seiner Verpflichtung aus der Gebietsschutzklausel, dem konkurrierenden Vertragshändler die Respektierung des Vertragsgebiets aufzuerlegen (Vertragsstrafe), nicht gehörig nachgekommen ist. Eine darüber hinausgehende allgemeine Einstandspflicht des Unternehmers, dem Vertragshändler Schäden aus Verletzung des geschützten Gebiets durch Belieferung gebietsansässiger Kunden von dritter Seite zu ersetzen, ist aus der Gebietsschutzabrede jedoch nicht herzuleiten. Auch so weit würde eine Analogie zu § 87 Abs. 2 nicht gezogen werden können. Ob wiederum die Alleinvertriebsabrede auch einen Gebietsschutz oder einen Kundenschutz in dem Sinne, dass kaufwillige Kunden an den zuständigen Vertragshändler zu verweisen seien, mitenthalte, ist Sache der Auslegung des Vertrages 1604. Allgemein wird sich das nicht sagen lassen, auch wenn es in früheren Urteilen 1605 gelegentlich so gesehen worden war. Denn anders als beim Vertrieb durch HV, wo sämtliche vermittelten Bestellungen beim Unternehmer zusammenlaufen und von ihm ausgeführt werden, hat im Vertragshändlervertrieb der Hersteller/Lieferant keine unmittelbare Möglichkeit, die Lieferung in das Vertragsgebiet des einen, obwohl von ihm für dieses Gebiet „konzessionierten“ Vertragshändlers durch den Vertragshändler eines anderen Gebiets zu unterbinden oder mindestens den „übergangenen“ Vertragshändler an diesem Geschäft in der einen oder anderen Form zu beteiligen – unterbinden könnte er das höchstens mittelbar durch die obigen Vertragsstrafeklauseln oder einen Kündigungsvorbehalt. Das Risiko, dass sein Alleinvertriebsrecht für einen bestimmten Bezirk von außen und ohne Mitwirkung des Unternehmers unterlaufen wird, trägt grundsätzlich der Vertragshändler 1606. Enthält ein Vertragshändlervertrag keine Bestimmung über die Rabatte, ist analog 318 § 87b Abs. 1 von der branchenüblichen Handelsspanne auszugehen. Lässt sich diese nicht feststellen, ist die Lücke im Wege ergänzender Vertragsauslegung zu schließen 1607. Keine Probleme bietet die analoge Anwendung des § 87d über den Ausschluss des Auf- 319 wendungsersatzes. Trägt schon der Handelsvertreter, obwohl er für fremde Rechnung arbeitet, die Kosten seines Geschäftsbetriebs selbst, so muss das erst recht für den auf eigene Rechnung arbeitenden Vertragshändler gelten 1608. Es gilt im Grundsatz – vorbehaltlich der anerkannten Grundsätze zum Invesitionsschadenersatzanspruch – für ihn

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BGH, Urt. v. 20.07.2005 – VIII ZR 121/04, ZIP 2005, 1785 = WM 2005, 2002 = NJW-RR 2005, 1496 = EWiR 2005, 815 (Emde) = NJW 2006, 46 m. Anm. Kappus NJW 2006, 15. Vgl. BGH NJW 1966, 1117 (1118). OLG Colmar PucheltsZ 1906, 24 (26 ff); OLG Hamburg HansGZ 1911, Hauptblatt 275 Nr. 123. Vgl. OLG Köln DB 1975, 49 – die dortige Kurzinformation läßt allerdings nicht erkennen, welche Schutzabrede im konkre-

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ten Falle getroffen worden war – und OLG Stuttgart BB 1966, 798 – Vertragshändler. Sehr weit in der Frage einer schuldhaft mittelbaren Begünstigung solchen Unterlaufens durch den Hersteller geht BGH DB 1961, 601 (Handelsvertreter). Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, Anh. § 310 Rn 953. AA wohl Hopt § 84 Rn 11: Aber er wird dem Vertragshändler wohl keinen gegen den Unternehmer gerichteten Anspruch auf Aufwendungsersatz zubilligen?

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selbst dann, wenn er besondere Aufwendungen in seinen Betrieb investiert hat, die bei Vertragsende sich noch nicht haben amortisieren können. Die Möglichkeit der Kündigung des Vertragshändlervertrages pflegt keiner der bekannt gewordenen und von P. Ulmer 1609 untersuchten Formularverträge ungeregelt zu lassen. Unter dem Gesichtspunkt der analogen Anwendbarkeit des HV-Rechts ist daher nur zu fragen, ob dessen Kündigungsbestimmungen bei Fehlen vertraglicher Abrede ergänzend eingreifen, und wie weit zwingendes Kündigungsrecht (§§ 89 Abs. 3, 89a Abs. 1 S. 2) sich auch gegenüber vertraglicher Regelung zugunsten des Vertragshändlers durchsetzt. Dass Dauerrechtsverhältnisse kündbar sein müssen, ergibt sich bereits aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die in den Regelungen für andere Dauerrechtsverhältnisse ihren Niederschlag gefunden haben (aus dem BGB: §§ 314, 573, 620 Abs. 2, 723). Für die ordentliche Kündigung liegt dann allerdings, wenn vertragliche Abreden fehlen, die Schwierigkeit in der Bestimmung der Kündigungsfrist. Hier hilft nur die analoge Anwendung der Kündigungsfristen des HV-Rechts nach § 89 Abs. 1 und 2 1610, bei aller durch die Kürze der Frist für den Handelsvertreter und damit auch für den Vertragshändler und seine Abwicklungsschwierigkeiten bedingten Härte. § 627 Abs. 2 BGB wird man nicht anwenden dürfen1611. Auch § 89 Abs. 3 ist analog anzuwenden1612; ebenso das Verbot der Teilkündigung1613. Problemlos wiederum ist die analoge Anwendung des § 89a für die fristlose Kündigung aus wichtigem Grunde 1614. Diese Kündigungsmöglichkeit ist bei allen Dauerschuldverhältnissen rechtens (§ 314 BGB). Man könnte sich sogar fragen, ob nicht auf § 314 BGB als allgemeine Vorschrift zurückzugreifen wäre, nicht auf § 89a. Das ist jedoch wegen der größeren Sachnähe des Handelsvertreterrechts abzulehnen, woraus sich auch die Nichtanwendbarkeit der Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB im Vertragshändlerrecht ergibt1615. Vielmehr gilt hier, wie im HV-Recht, eine angemessene Überlegungsfrist (§ 89a Rn 35 ff). Das außerordentliche Kündigungsrecht ist auch im BGB zwingend (vgl. etwa § 723 Abs. 3 BGB). Seine im HV-Recht zwingende Geltung (§ 89a Abs. 1 Satz 2) ist deshalb auch im Vertragshändlerrecht anzuerkennen. Die Kündbarkeit aus wichtigem Grund war schon vom RG unter der Geltung des § 92 Abs. 2 a.F. zugelassen worden 1616; der BGH hat sich dem angeschlossen 1617. Kündigungsgründe sind in mannigfacher Form denkbar. Es können hierzu gehören: Wiederholte Belieferung mit mangelhafter Ware trotz Abmahnung, nachhaltige Verletzung der Informationspflichten, Zahlungsschwierigkeiten beim 1609 1610

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AaO S. 127 ff. P. Ulmer S. 448/449; für Anwendung des § 89 Abs. 1: BGH LM § 89 HGB Nr. 1, RG WarnRspr. 1929, Nr. 52; OLG Stuttgart BB 1972, 548; OLG Colmar LZ 1913, Sp. 948 – die beiden letztgenannten Entscheidungen zu § 92 Abs. 1 a.F.; Emde DB 2003, 981 (982); Westphal OLGR-Kommentar 16/2000, K 35; Westphal Vertriebsrecht II Rn 556; Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 21; Hopt § 84 Rn 11; ablehnend Evans v. Krbek S. 109 ff, wo allerdings nicht deutlich wird, welche Kündigungsfristen denn nun zu gelten hätten; für Anwendung des § 89 Abs. 2: Mücke S. 642. Für dessen Anwendung allerdings implizit RGZ 95, 166.

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AA 4. Aufl., Vor § 84 Rn 22. BGH BB 2000, 59 m. Anm. Emde; Westphal Vertriebsrecht II Rn 553. BGH DB 1962, 635; BGH NJW 1982, 2432; BGH, Urt. v. 10.02.1993 – VIII ZR 48/92, NJW-RR 1993, 682 (683); OLG Saarbrücken NJW-RR 1999, 1339; Westphal Vertriebsrecht II Rn 152; Ebenroth/ Löwisch § 84 Rn 75; Hopt § 84 Rn 11. BGH DB 1994, 728; Westphal Vertriebsrecht II Rn 153 f. RG WarnRspr. 1929, Nr. 52, RG DR 1942, 1226. NJW 1967, 825, 1982, 2432.

Raimond Emde

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

Vor § 84

Vertragshändler, unerlaubte Konkurrenz oder wettbewerbliche Benachteiligung von Seiten des Herstellers, unerlaubtes Führen von Konkurrenzware durch den Vertragshändler (im Einzelnen § 89a Rn 27). Da das Vertragshändlerverhältnis auf vertrauensvoller Zusammenarbeit beruht, stellt vor allem der Missbrauch dieses Vertrauens einen Grund zur fristlosen Kündigung dar. Im Falle BGH, BB 1978, 982, hatte der Vertragshändler, bisher Einzelkaufmann, die Umstrukturierung seines Unternehmens zur GmbH & Co. KG über längere Zeit nicht mitgeteilt und dadurch das Kreditrisiko seines Lieferanten, der ihm bereits Ware im Werte von 100.000 DM bis 200.000 DM auf Kredit geliefert hatte, unangemessen erhöht, ohne dass dieser Gelegenheit hatte, sich hierauf, ggf. durch einen neuen Vertragshändlervertrag, einzustellen. Dass die Umgliederung des VertragshändlerUnternehmens im Handelsregister eingetragen worden war, entband nicht von der sich aus der vertraglichen Loyalitätsbindung ergebenden Pflicht zur Mitteilung. Im Falle des OLG Karlsruhe, DB 1978, 2049, bezog der Vertragshändler von seinem Lieferanten Kopierautomaten, die er aber nicht verkaufte, sondern nur vermietete und für deren Bezahlung ihm vom Lieferanten deshalb gestattet war, den Fakturenbetrag ohne Mehrpreis in Raten entsprechend den einkommenden Mieterlösen zu begleichen: der Vertrauensbruch wurde darin gesehen, dass der Vertragshändler nach einiger Zeit ohne Mitteilung an seinen Lieferanten dazu überging, die Geräte nunmehr zu verkaufen, sie aber gleichwohl weiterhin nur so in Raten bezahlte, als habe er sie vermietet, obwohl er den Wiederverkaufspreis längst in Händen hatte. Die durch schuldhaftes Handeln veranlasste fristlose Kündigung seitens des anderen 324 Teils verpflichtet den Kündigungsgegner nach § 89 Abs. 2 zum Schadensersatz, und dies in analoger Anwendung auch im Vertragshändlerverhältnis. Der Vertragshändler, der auf solche Weise dem Hersteller/Lieferanten Anlass zur fristlosen Kündigung gegeben hat, verliert seine Ansprüche auf Entgegenkommen bei der Abwicklung seiner Lagerbestände. Im umgekehrten Falle drohen dem Hersteller/Lieferanten Schadensersatzansprüche des Vertragshändlers: unbeschadet weitergehender Verpflichtung zum Ersatz des dem Vertragshändler entstehenden Umstellungsschadens muss der Warenbestand gegen Erstattung des Einstandspreises oder gegen Verzicht des noch ausstehenden Kaufpreises zurückgenommen werden 1618 (Rn 440 ff). Von der 4. Aufl. ist zudem – unabhängig von Anlass und Form der Beendigung des 325 Vertragshändlerverhältnisses – die analoge Anwendung des § 87 Abs. 3 in Erwägung gezogen worden 1619. Diese Bestimmung sei der Sache nach ein Anwendungsfall des § 354 1620. Auch der Vertragshändler habe, in Erfüllung seiner Pflicht zur Absatzförderung dem Hersteller/Lieferanten Dienste geleistet, wenn er den Weiterverkauf erfolgreich so weit angebahnt habe, dass es nach Auslaufen des Vertragshändlervertrags zu einem Abschluss mit seinem Nachfolger (oder mit dem Unternehmer im Wege des Direktverkaufs) komme. Der Unternehmer habe analog § 87 Abs. 3 dem Nachfolger die Verpflichtung aufzuerlegen, den bisherigen Vertragshändler an der Verdienstspanne teilhaben zu lassen (§ 328 BGB) oder, wenn er selbst den Verkauf abwickele, dem bisherigen Vertragshändler einen angemessenen Teil der Verdienstspanne zu vergüten. Davon kann 1618

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BGHZ 54, 338; die Kritik von Finger in der Anmerkung NJW 1971, 555 verkennt, dass der BGH hier nur den Grundsatz der Naturalrestitution angewandt hat. Vor § 84 Rn 25; ebenso P. Ulmer S. 488/ 489, der allerdings die aus § 87 Abs. 3 in analoger Anwendung abzuleitende Verpflichtung des Unternehmers, einem nach-

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folgenden Vertragshändler die Beteiligung des ausscheidenden Vertragshändlers an dem Verdienst aufzuerlegen, außer Betracht lässt und deshalb der Analogie nur einen geringen praktischen Spielraum zubilligen will; aA BGH VersR 1960, 653 (655); Finger S. 147. AM Evans v. Krbek S. 117.

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in Einzelfällen auszugehen sein, jedoch nur als gemäß § 242 BGB bestehender Anspruch. Regelmäßig dürfte kein solcher Anspruch bestehen. Ein Wettbewerbsverbot nach Ende des Vertragshändlerverhältnisses kann in gleicher 326 Weise wie bei einem Handelsvertreter vereinbart werden. Bei diesem erfordert § 90a ebenso wie beim Vertragshändler die Schriftform 1621. Auch die bezahlte Karenz des HV bei einer mit dem Vertragshändler getroffenen Wettbewerbsabrede ist gemäß § 90a Rn 4 zwingend 1622. Die Beschränkung des Wettbewerbsverbots auf zwei – früher drei Jahre – (§ 90a Abs. 1 S. 2) ist ebenfalls zwingend 1623. Zu kartellrechtlichen Problemen § 90a Rn 14. Der Ausgleichsanspruch insbesondere. Am umstrittensten ist die Frage, ob dem Ver327 tragshändler in analoger Anwendung des § 89b auch ein Ausgleichsanspruch zusteht. Das wird heute fast allgemein befürwortet 1624. Schröder 1625 hat schon früh festgestellt, es sei vorauszusehen gewesen, dass alsbald andere Gruppen von Vertriebsmittlern bestrebt sein würden, sich an das „Schutz“ modell des Ausgleichs anzuhängen. P. Ulmer 1626 hat erwogen, ob dem Vertragshändler ein Ausgleichsanspruch im Wege ergänzender Vertragsauslegung zustehen könne. Der BGH hat in seiner Rechtsprechung nicht weniger als zweimal gewechselt, wobei infolge Wechsels der Geschäftsverteilung jeweils andere Senate beteiligt waren. In den beiden anfänglichen Entscheidungen BGHZ 29, 83 und BGHZ 34, 282 stellte er es auf eine konkrete Schutzbedürftigkeit des Vertragshändlers ab, die ihn für eine Zubilligung des Ausgleichs als dem „schutzbedürftigen“ HV gleichstehend erscheinen lasse. Im erstgenannten Falle wurde die Schutzbedürftigkeit darin gesehen, dass der Vertragshändler sich einem Formularvertrag des Herstellers hatte unterwerfen müssen; im zweiten Falle – unter Verwerfung des früheren Kriteriums – nunmehr darin, dass er ohne Eigenkapital gearbeitet habe. Diesen Anknüpfungspunkt – und damit den der Schutzbedürftigkeit des Vertragshändlers überhaupt – hat der BGH dann in der Entscheidung BGHZ 68, 340 aufgegeben und auch den Vertragshändler mit Eigenkapital als ausgleichsberechtigt anerkannt. Jetzt wurde nur noch als entscheidend angesehen, dass der Vertragshändler in den Vertriebsorganismus des Herstellers eingegliedert sei und dass er 1627 vertraglich verpflichtet sei, dem Hersteller den Stamm der von dem Vertragshändler geworbenen Kunden zu überlassen. Der BGH präzisierte dann 1628, es genüge, wenn der Vertragshändler schon während des Vertragshändlerverhältnisses gehalten sei, dem Hersteller einen solchen Einblick in seine Kundendaten zu geben, der es dem Hersteller ermögliche, nach Beendigung des Vertragsverhältnisses sich in den Besitz des Kundenstammes zu setzen. Die rein tatsächliche Möglichkeit hierzu, etwa auf Grund bloßer Kenntnis des Kundenstammes als Folge der Gestaltung der Belieferung des Vertragshändlers (Streckengeschäft) solle nicht ausreichend sein 1629. 1621

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BGH WM 1987, 512 (Franchisenehmer); Hopt § 90a Rn 5; aA Vorauflage, Vor § 84 Rn 26. AA 4. Aufl., Vor § 84 Rn 26. OLG München BB 1963, 1114. Ablehnend: P. Ulmer S. 449 ff; Evans v. Krbek S. 105; Nipperdey S. 235/236; Kroitzsch S. 1634 – mit kartellrechtlicher Begründung –; Mücke S. 642 ff; Glaser S. 1173; Schuler NJW 1959, 649. Befürwortend Sandrock (in: Gierke/Sandrock § 28 C IV 2 S. 496 und FS Robert Fischer S. 676; Schröder BB 1961, 809 (mit Einschränkungen); Buchwald GmbH-Rundschau 1957, 102; Maier NJW 1958, 1330;

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Kreifels/Lang S. 1773, 1775; Finger S. 145; v. Brunn FS Heymann-Verlag S. 338 ff; Nies S. 537 ff; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 3a, 13. BB 1961, 809. S. 450 ff. Dieser Gesichtspunkt war bereits in den zwischenzeitlichen Entscheidungen des BGH NJW 1964, 1952 und BB 1969, 1370 angeklungen. BGH WM 1979, 1391; bestätigt in: NJW 1981, 1961 (1962). BGH WM 1975, 1243 und ihm folgend OLG Nürnberg BB 1979, 1979.

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Vor § 84

Die Kritik an dieser Rechtsprechung 1630 dürfte heute vorwiegend rechtshistorisches Interesse finden. Zu fragen ist vielmehr, ob sie nicht erweitert werden muss. Der Ausgleich wird dem HV dafür gewährt, dass er mit der Schaffung des Kundenstammes dem Unternehmer eine Leistung erbracht hat, die während der Vertragszeit noch nicht abgegolten worden ist, weshalb der Begriff der Ausgleichsvergütung treffender ist. Der Kundenstamm repräsentiert, über die Vermittlung der jeweiligen einzelnen Abschlüsse hinaus, einen eigenen Wert; er realisiert sich durch die Folgegeschäfte. Der HV hätte an ihnen bei Fortbestand des Vertragsverhältnisses durch Folgeprovisionen verdient und sich daraus für seine Bemühungen um die erstmalige Gewinnung des Kunden voll bezahlt gemacht: diese Möglichkeit ist ihm durch die Beendigung des Vertragsverhältnisses genommen, während der Kundenstamm dem Unternehmer verbleibt. Bis dahin hatten beide Teile, Unternehmer und Handelsvertreter, aus dem Kundenstamm je ihren Nutzen gezogen. Die Gleichgewichtigkeit des Nutzungsverhältnisses ist nun zerschnitten und an ihrer Stelle eine leitbildtypisch nur noch einseitige Nutzungsmöglichkeit durch den Unternehmer getreten. Dieses nicht gerechtfertigte Ungleichgewicht wieder auszugleichen, ist Zweck und Rechtsgrund des Ausgleichsanspruchs. Jener Gedanke trifft auch auf handelsvertreterähnliche Vertriebsmittler, unter ihnen Vertragshändler, zu: Der Vertragshändler wird nicht schon während der Vertragszeit für das, was er an werbendem und kundenbetreuendem Einsatz schuldet, entschädigt 1631. Die Handelsspanne ist lediglich Gegenleistung für die Erfüllung der Vertriebspflicht und Gegenleistung für die Ausführung des einzelnen Geschäfts, aber ebenso wenig wie beim HV Gegenleistung für den Aufbau des Kundenstammes. Zwar gibt es weder im bürgerlichen Recht noch im Handelsrecht einen Grundsatz, dass wirtschaftliche Vorteile und Chancen, die eine Erfüllung vertraglicher Verpflichtungen als bloße Nebenfrucht dem anderen Teil über das vertraglich zu Beanspruchende hinaus zuwachsen lässt, neben einer geschuldeten Vergütung gesondert abgegolten werden müssten. Derartiges ist deshalb auch nicht aus § 354 abzuleiten. P. Ulmer 1632 erwähnt das Beispiel des Pächters eines Handelsunternehmens, der durch geschickte Geschäftspolitik das Ansehen der Firma und deren good will gemehrt hat: er hat während der Pachtzeit den Nutzen daraus gezogen und kann nicht verlangen, die Mehrung des good will nach Vertragsende besonders vergütet zu erhalten, sofern das nicht besonders vertraglich vereinbart wurde. Der Pächter unterliegt jedoch keiner Vertriebspflicht, in deren Ausübung er den Kundenstamm werben soll. Die Gegenleistung – Ausgleichsanspruch – steht deshalb keine Vertriebspflicht als Hauptleistung gegenüber. Der Analogie steht nicht entgegen, dass dem HV Provision gezahlt wird, während der Vertragshändler sich, aus der beim Weiterverkauf verdienten Handelsspanne bezahlt macht. Die Rückführung des Ausgleichs in § 89b Abs. 2 auf die gezahlt gewesenen Provisionen ist nur ein Berechnungsmodus 1633. Er ist vom BGH überbrückt worden, indem eine fiktive Provision angesetzt wird; die Befürchtungen von v. Brunn 1634 und Evans v. Krbek 1635, mit der Berechnung eines Vertragshändlerausgleichs auf der Basis der Handelsspanne würden schwer tragbare Belastungen auf den Unternehmer zukommen, sind deshalb unbegründet. Einzelheiten sind in der Kommentierung zu § 89b behandelt.

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Nachweise in der 4. Aufl., Vor § 84 Rn 28 ff; auch die Voraufl. hat eine Analogie verneint. AA 4. Aufl., Vor § 84 Rn 31.

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S. 454. Nipperdey S. 230 ff. DB 1961, 429. S. 15.

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III. Die Entlohnung des Vertragshändlers 332

Was dem Vertragshändler der einzelne Abschluss einbringt, ist nicht eine Provision, sondern ist seine Handelsspanne („Rabatt“ oder „Differenz zwischen VK und EK“), aus der er sich bezahlt macht 1636. Der Vertragshändler braucht als kaufmännischer Geschäftsbesorger nicht unentgeltlich tätig zu werden. Er ist schon nach § 354 berechtigt, vom Unternehmer für die Übernahme der im Interesse des Unternehmers liegenden Vertragspflichten ein Entgelt zu verlangen 1637. Der Unternehmer schuldet dem Vertragshändler aber nicht die Zahlung bestimmter Beträge für den Vertrieb der Vertragswaren, sondern die Einräumung einer realistischen Handelsspanne 1638. Als Gegenleistung für die Absatzförderungspflicht des Vertragshändlers ist daher die Eröffnung einer gesicherten Verdienstmöglichkeit durch die Teilnahme am Vertrieb zu qualifizieren 1639. Der Unternehmer ist verpflichtet, dem Vertragshändler einen Grundrabatt oder vergleichbare Vergütungen zuzusichern. Denn sonst stände der Leistung des Vertragshändlers allein der Wettbewerbsvorsprung durch die Teilnahme am Goodwill des Herstellers und die Beschränkung des Absatzes der Vertragswaren gegenüber. Damit würde sich der Vertragshändler, wenn er weitgehend in die Vertriebsorganisation des Herstellers eingegliedert und von dessen Weisungen und Entscheidungen abhängig ist, hinsichtlich seiner wirtschaftlichen Existenz völlig in die Hände des Herstellers begeben 1640. Genzow 1641 vertritt die Sittenwidrigwie Nichtigkeit von Händlerverträgen mit unzureichenden Verdienstmöglichkeiten. Möglicher Erwerb aus dem Werkstatt- und Gebrauchtwagengeschäft dürfe bei Kfz-Händlerverträgen in die Gesamtbetrachtung der Verdienstmöglichkeiten nicht einbezogen werden, da die Kardinalpflicht des Neuwagenvertriebs allein im Gegenseitigkeitsverhältnis zu der aus ihm stammenden Vergütung steht 1642, soweit dieser Rabatt überhaupt vom Hersteller geleistet wird (nur dann kann ein solches Gegenseitigkeitsverhältnis bestehen). Die Handelsspanne besteht entweder in der Differenz zwischen dem Verkaufspreis des Unternehmers an den Vertragshändler einerseits und dem vom Vertragshändler festgesetzten Preisen bzw. einer unverbindliche Preisempfehlung des Herstellers andererseits. Gelegentlich wird sie in Höhe eines Abzuges von der üblichen Preisliste des Herstellers vereinbart. Dieser Rabatt wird als „Vertragshändlerrabatt“ 1643 bezeichnet. Das Recht zur Festsetzung der (ggf. unverbindlichen) Verkaufspreise folgt aus der Organisationsautonomie des Unternehmers, soweit es sich nicht um „Mondpreise“ handelt 1644. Hinzu treten oft Zusatzleistungen mit verhaltensbezogenem oder absatzorientiertem lenkenden Charakter, meist als „Bonus“ oder „Gratifikation“ bezeichnet 1645. Bei den Zuschüssen, Gratifikationen und Boni kann es sich um Nebenleistungen handeln, wenn diese für andere Leistungen als die Erfüllung der Vertriebspflicht gewährt werden 1646. Mit zunehmender Bekanntheit und Ausdifferenzierung des Vertriebssystems wird die eigentliche Marge oft 1636

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Eingehend Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 115 ff; s.a. Ulmer/Habersack S. 14. Ulmer S. 282; Ulmer/Habersack S. 25. Ulmer S. 282; Ulmer/Habersack S. 22, 25. BGH, Urt. v. 20.07.2005 – VIII ZR 121/04, ZIP 2005, 1785 = WM 2005, 2002 = NJW-RR 2005, 1496 = EWiR 2005, 815 (Emde) = NJW 2006, 46 m. Anm. Kappus NJW 2006, 15; BGHZ 124, 351 (362); Ulmer S. 282, 426 ff; Ulmer/Habersack S. 25. BGH, Urt. v. 20.07.2005 – VIII ZR 121/04,

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ZIP 2005, 1785 = WM 2005, 2002 = NJW-RR 2005, 1496 = EWiR 2005, 815 (Emde) = NJW 2006, 46 m. Anm. Kappus NJW 2006, 15. Genzow kfz-Betrieb 8/2001, 24. Genzow kfz-Betrieb 8/2001, 24. Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 117 f. Ulmer/Habersack S. 34. Westphal Vertriebsrecht II Rn 484. Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 121.

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zu Gunsten der lenkenden Boni und Gratifikationen zurückgefahren1647. Die Handelsspanne liegt meist höher als die Provision eines HV, weshalb sie bei der Ausgleichsberechnung auf die Provision eines HV zurückgeführt wird. Im Kfz-Bereich dient etwa ein erheblicher Teil der Handelsspanne (8,5–11 %) der Erfüllung der CI-Kriterien der Hersteller sowie der Ausstattung der Werkstatt 1648. Hersteller sind bei der Gestaltung der Preise gegenüber ihren Vertragshändler nicht frei. Nimmt der Hersteller durch Abgabe einer echten unverbindlichen Preisempfehlung (UPE) i.S.d. § 23 Abs. 1 Nr. 2 GWB Einfluss, darf er die Preise, zu denen er die Händler beliefert, nicht so festsetzen, dass ihnen keine angemessene Gewinnspanne verbleibt. Der Abgabepreis an die Händler und die UPE muss entsprechend harmonisiert werden 1649. Einen Schwerpunkt hat die Rechtsprechung zum Vertragshändlerrecht und insbesondere zum Leistungs-/Gegenleistungsverhältnis in ihren Entscheidungen zu Kfz-Vertragshändlern gefunden 1650. Wegen ihrer hohen Investitionen nehmen diese Händler eine Sonderstellung ein. Die zu ihnen ergangene Rechtsprechung lässt sich daher nicht in jedem Fall übertragen 1651. An Sonderaktionen der Hersteller, mit denen z.B. besonders ausgestattete oder besonders günstige Sondermodelle oder -aktionen vorgestellt werden, müssen sich Vertragshändler nicht beteiligen 1652. Besteht ein faktischer Beteiligungszwang verstößt dies gegen die dem Hersteller obliegende Treupflicht, sofern sich daraus spürbar nachteilige Auswirkungen auf die Verdienstmöglichkeiten des Händlers ergeben 1653. Eine solche Treupflichtverletzung kann angenommen werden, falls die dem Händler obliegende Beteiligung an der Sonderaktion der Höhe seiner Marge nahe kommt oder entspricht 1654. Ansonsten sind Sonderaktionen zulässig, sofern dem Vertragshändler die freie Entscheidung über die Beteiligung zusteht 1655.

IV. Preisanpassung – Anpassung des Händlerrabattes Da zwischen Vertragsabschluss und möglichem Abschluss eines Einzelgeschäfts ein 333 langer Zeitraum, ggf. Jahrzehnte, liegen kann, hat der Unternehmer ein besonderes Interesse, Preisänderungsklauseln in Vertragshändler- oder Franchiseverträge einzufügen 1656. Deshalb behält sich der Unternehmer regelmäßig die Neufestsetzung der unverbindlichen Preisempfehlung vor 1657. Die Rspr. muss diesem Bedürfnis entgegenkommen und darf nicht zu einer Erstarrung der Preisfindung führen oder die Parteien auf die von keiner Partei gewollte Änderungskündigung verweisen. Leitbild ist § 315 BGB, dessen Voraussetzungen soweit als möglich in der Preisanpassungsklausel konkretisiert werden müssen (s.u.). Wird der Anfangspreis in irgendeiner Weise im Rahmenvertrag genannt, erfordert die einseitige Preisanpassung eine vertragliche Abrede innerhalb der Rahmenvereinbarung 1658. Oft werden dort Listenpreisklauseln gefasst, nach denen der jeweils geltende Listenpreis des Herstellers gelten soll 1659. 1647 1648 1649 1650 1651 1652 1653 1654 1655

Vgl. Ulmer/Habersack S. 14. Ulmer/Habersack S. 18. OLG München, Urt. v. 22.01.2004 – U (K) 3329/03, WuW DE-R 2004, 1260 (1262). Westphal Vertriebsrecht II Rn 28. Westphal Vertriebsrecht II Rn 28. Ulmer/Habersack S. 58. Ulmer/Habersack S. 58. Ulmer/Habersack S. 58. Ulmer/Habersack S. 58.

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1657 1658 1659

Vgl. Nagel in: Stumpf/Jaletzke/Schultze, Der Vertragshändlervertrag, 3. Auflage, Rn 398 ff; Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht 2005, § 3 Rn 124 ff. Ulmer/Habersack S. 14. Becker in: Metzlaff, Praxishandbuch Franchising, 2003, § 9 Rn 108. Vgl. Horn NJW 1985, 1122.

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Das Thema der Preisanpassung ist sensibel, weil der Hersteller durch übermäßige Preiserhöhungen die Weiterführung des Vertrages im Sinne einer „stillen Kündigung“ verhindern kann. Grenzen setzen sein Eigeninteresse am Verkauf und die Treupflicht, die willkürlich unangemessen unterschiedliche Preise zwischen den Vertragshändlern eines einheitlichen Vertriebssystems ausschließen. Die strengen Voraussetzungen, welche die Rspr. an einseitige Änderungen der Handelsspanne (Händlerrabatt) stellt (regelmäßig nur durch konsensuale Einigung möglich, zu AGB siehe vor § 84 Rn 33), gelten für die Festsetzung der Verkaufspreise der Waren wohl nicht, obwohl nicht zu verkennen ist, dass auch durch Änderungen der Verkaufspreise der Kernbereich des Vertrages mittelbar betroffen werden kann (s.o.). Der Hersteller wird, anders als bei der Reduzierung der Händlerspanne, schon deshalb bei Preisänderungen zurückhaltend sein, weil seine eigenen Absatzchancen bei übermäßigen Preiserhöhungen betroffen sind. Willkürliche Preisanpassungen überschreiten das Dispositionsrecht des Unternehmers und sind unwirksam. Der Vertragshändlervertrag muss nicht notwendig die Bedingungen der Einzelgeschäfte 335 nennen 1660. Vermeidet er dies, bestimmen sich die Preise der Einzelgeschäfte nach dem Prinzip von Angebot und Annahme bei Abschluss des Einzelgeschäftes und für Preisanpassungen wegen der Treu- und Rücksichtnahmepflichten aus dem Händlervertrag – schon um nicht zu dem Gestaltungshinweis einzuladen, über die Preisanpassung im Rahmenvertrag zu schweigen – die nachfolgenden Regeln. Zudem liegt oft eine zumindest konkludente Einigung auf einen bestimmten Anfangspreis vor, ggf. durch Ausführung mehrerer Einzelgeschäfte. Individualvertraglich vereinbart unterliegen Preisanpassungsklauseln nur den Grenzen 336 der §§ 138, 315 BGB. Ob sich der Unternehmer ein an § 315 BGB orientiertes Leistungsbestimmungsrecht vorbehalten kann ist umstritten. Das OLG Stuttgart 1661 hat dies zugelassen. Fiat dürfe aufgrund des Fehlens einer Rabattvereinbarung im Vertragshändlervertrag nach § 316 BGB die Rabatte für ihre Produkte gem. § 316 BGB bestimmen. Allerdings ist, wie ausgeführt, eine konkludente Margenvereinbarung denkbar 1662, etwa wenn über längere Zeit hinweg eine bestimmte Marge gewährt wurde. Da die Marge im Gegenseitigkeitsverhältnis zur Vertriebspflicht des Vertragshändler steht, fragt sich allerdings, ob nicht in Wahrheit der Vertragshändler das Bestimmungsrecht i.S.d. § 316 BGB besitzt 1663. Außerdem wäre an eine Analogie zu § 87b Abs. 1 1664 oder an eine ergänzende Vertragsauslegung unter Rückgriff auf den hypothetischen Parteiwillen 1665 zu denken. In jedem Fall schuldet der Unternehmer unter Treupflichtgesichtspunkten eine angemessene Ankündigungsfrist, damit sich der Vertragshändler auf Preisänderungen einstellen kann. Eine Ankündigungsfrist, die der Frist zur ordentlichen Vertragskündigung entspricht, ist immer zulässig. Sie ist aus Sicht des Unternehmers aber regelmäßig zu lang. Die Angemessenheit der Ankündigungsfrist bestimmt sich nach den Verhältnissen des Einzelfalls. Werden Preisänderungsklauseln in AGB vereinbart, ist die Rechtslage diffiziler. Wenn 337 Verkaufspreise im Vertrag genannt wurden und die Preisänderungsklausel insgesamt fehlt oder unwirksam ist, wird eine Preisänderung unzulässig sein. Es gilt dann der Grundsatz „pacta sunt servanda“. Bleibt der Teil der Klausel wirksam, der eine Preisänderung gene1660

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Vgl. Manderla in: Martinek/Semler/Habermeier, Handbuch des Vertriebsrechts, § 18 Rn 18. Urt. v. 26.04.1996 – 2 U 35/95, zitiert nach Ulmer/Habersack S. 38; die Revision wurde vom BGH durch Beschl.

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1662 1663 1664 1665

v. 7.05.1997 – VIII ZR 175/96 – nicht angenommen. Ulmer/Habersack S. 39. Ulmer/Habersack S. 43. Ulmer/Habersack S. 43. Ulmer/Habersack S. 46.

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rell zulässt und ergreift die Unwirksamkeit nur den Teil der Klausel, der die Bedingungen der Preiserhöhung regelt, gilt das dispositive Recht, also §§ 138 und ggf. 315 BGB (s.o.). Dies ist angesichts des Umstandes, dass kein Händler von jahrelanger Preisstabilität ausgehen darf, das mglw. im Wege ergänzender Vertragsauslegung zu gewinnende sachgerechtere Ergebnis, wobei man sich dann fragen muss, ob die strengen Anforderungen, die von Einigen gestellt werden, dem Vertragshändler helfen. Sie wären nur für das Verbandsklageverfahren von Interesse. Teilweise wird für AGB in Anlehnung an § 309 Nr. 1 BGB (Ausstrahlungswirkung) eine viermonatige Bindungsfrist an die Preise für erforderlich gehalten 1666. Zwar trifft § 309 Nr. 1 BGB den vorliegenden Fall nicht, da die Vorschrift nur die Preiserhöhung zwischen Vertragsschluss und Lieferung regelt, nicht jedoch den bei Preisänderungsklauseln meist allein relevanten Fall der Preisänderung zwischen Abschluss des Vertragshändlervertrages und ihn ausführendes Einzelgeschäft (Kaufvertrag). Zudem würde zumindest die im zweiten HS enthaltene Ausnahme für Dauerschuldverhältnisse den Händlervertrag selbst treffen.1667 Bei abstrakt genereller Betrachtung sind aber Deckungslücken zu befürchten, wenn der Hersteller die Preise innerhalb eines kürzeren Zeitraums als vier Monate erhöht, der Händler diese Preiserhöhung aber wegen § 309 Nr. 1 BGB nicht an den Endverbraucher weitergeben darf. Denn der Händler kann seinen Gewinn wegen des möglicherweise geänderten Einkaufspreises nicht sicher kalkulieren, sofern er sich gegenüber dem Kunden bindet und erst dann bestellt. Dem mag er möglicherweise durch eine Voranfrage beim Hersteller oder einen Vorvertrag mit ihm entgegenwirken. Daher sollte der Viermonatszeitraum im Falle einer in AGB enthaltenen Preisanpassungsklausel als Regelankündigungsfrist angesehen werden, es sei denn, die ordentliche Kündigungsfrist ist kürzer oder der Sachverhalt fällt nicht in den Anwendungsbereich des § 309 Nr. 1 BGB (Änderungsfrist dann ca. 4 Wochen). Sollen Preiserhöhungsklauseln auch Preise in bereits abgeschlossenen Kaufverträgen zwischen Hersteller und Händler ergreifen, so kann der Änderungsvorbehalt im Hinblick auf die Bindung des Händlers an § 309 Nr. 1 BGB für die ersten vier Monate nach Vertragsschluss nur dann vereinbart werden, falls er diejenigen Waren ausnimmt, die der Händler im Zeitpunkt der Preisänderung seinerseits schon weiterverkauft hat 1668. Eine weitere Ausnahme ist für schwerwiegende Änderungsgründe zu machen, etwa 338 plötzliche Preiserhöhungen des Vorlieferanten und bei Rohstoffen. Zudem gelten auch bei Beachtung der viermonatigen Ankündigungsfrist die allgemeinen Anforderungen an Änderungsvorbehaltsklauseln. Weiter ist das einseitige Recht der Preisanpassung in Rahmenvereinbarungen nach § 308 Nr. 4 BGB nur wirksam, wenn dieses unter Berücksichtigung der Interessen des Vertragshändlers zumutbar ist 1669. Der Vorbehalt ist nur wirksam, sofern er genau eingegrenzt ist und sich im Rahmen des Angemessenen hält 1670. Die Eingrenzung muss in der Klausel enthalten sein, die den Änderungsvorbehalt vorsieht. Es müssen konkrete Regeln vorgesehen werden, wann und wie der Änderungsvorbehalt ausgeübt werden kann und soll 1671. Die Klausel muss konkrete schwerwiegende Änderungsgründe nennen und in ihren Voraussetzungen die Interessen des Vertragshänd-

1666 1667 1668 1669

Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht 2005, § 3 Rn 129. Vgl. Stumpf/Jaletzke/Schultze/Nagel Rn 405. Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, Anhang, § 310 BGB, Rn 953. Becker in: Metzlaff, Praxishandbuch Franchising, 2003, § 9 Rn 109.

1670

1671

BGH, Urt. v. 26.11.1984, ZIP 1985, 161 (163); Becker in: Metzlaff, Praxishandbuch Franchising, 2003, § 9 Rn 110. BGH, Urt. v. 26.11.1984, ZIP 1985, 161 (163); Becker in: Metzlaff, Praxishandbuch Franchising, 2003, § 9 Rn 110.

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lers angemessen berücksichtigen 1672. Die Preisänderung ist dann z.B. bei Preissteigerungen von Vorprodukten zulässig 1673. Auch ist sie zulässig, wenn das Produkt nach seinem Wert verbessert wird (Modellpflege). Wird ein neues Produkt eingeführt, dürfen die Preise im angemessenen Rahmen neu bestimmt werden. Ein Preisänderungsrecht scheidet nur aus, wenn sich aus dem Vertragshändlervertrag hinreichend klar das Verbot einer Preiserhöhung ergibt, etwa bei Vereinbarung eines Festpreises. Will der Hersteller dann die Preise erhöhen, muss er den Weg der Änderungskündigung einschlagen. Bei widerspruchsloser Hinnahme angemessener Preiserhöhungen in der Vergangenheit kann eine konkludente Preisänderungsklausel nach dem Maßstab des § 315 BGB vereinbart worden sein. Ein der Preiserhöhung folgendes Lösungsrecht des Vertragshändlers vom Vertrag ent339 sprechend den für Endverbraucher geltenden Entscheidungen, BGH ZIP, 1984, 330 (333) und BGH ZIP, 1989, 1196 (1198) besteht nicht 1674. Allerdings kann eine nicht gerechtfertigte Preiserhöhung dem Vertragshändler nach Abmahnung einen Grund zur außerordentlichen Kündigung nach §§ 89a, 89b Abs. 3 S. 2 geben. Maßgeblich sind die konkreten Umstände des Einzelfalls 1675. Sieht sich ein Hersteller schwer kalkulierbaren Schwankungen der Rohstoffpreise ausgesetzt, kann für diesen Fall eine konkrete Preisanpassungsklausel im Vorwege kaum formuliert werden 1676. Sie darf dann auch nicht erwartet werden. Auch die Anforderungen an die Abstrahierung der Preisänderungsfaktoren in AGB können in diesem Fall herabgesetzt sein.

V. Rückgaberecht für Lagerware nach Vertragsende 340

Eine eher nur beim Vertragshändler akut werdende Förderungspflicht des Herstellers besteht darin, dass er bei Vertragsende gehalten sein kann, den Vertragshändler beim Absatz der noch vorhandenen Lagerbestände zu unterstützen, etwa die Überleitung der Bestände auf den Nachfolger zu vermitteln (ggf. unter Abschlägen vom Einstandspreis) oder auch sie zurückzunehmen, sofern sie aus sachlich vertretbaren Vorausdispositionen herrühren 1677. Dies gilt besonders dann, wenn der Vertragshändler ein Lager oder bestimmtes Depot zu unterhalten gehabt hatte 1678. Der Unternehmer ist selbst ohne ausdrückliche Rücknahmeverpflichtung verpflichtet, 341 Lagerware und Ersatzteile nach Beendigung des Händlervertrages 1679 oder eines Werkstattvertrages 1680 zurückzunehmen. Die Rücknahmepflicht ergibt sich nicht aus den §§ 985, 667, 675 BGB oder einer analogen Anwendung des HV-Rechts sondern aus der

1672

1673 1674 1675

BGH, NJW 1994, 1060 (1063); BGH ZIP 2000, 138, 145; Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht 2005, § 3 Rn 131. Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht 2005, § 3 Rn 131. Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht 2005, § 3 Rn 130. BGH, Urt. v. 16.01.1985, BB 1985, 1223; 1985, 260, Stumpf/Jaletzke/Schultze/Nagel Rn 408.

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1680

BGH, Urt. v. 16.01.1985, BB 1985, 1223; 1985, 260, Stumpf/Jaletzke/Schultze/Nagel Rn 408. P. Ulmer S. 472. BGHZ 54, 338 (343 ff). OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.02.2007 – U (Kart) 22/06, BeckRS 2007, 07179; OLG Saarbrücken, NJW-RR 1999, 106; BGH NJW 1995, 524 = ZIP 1995, 1222; Schriefers BB 1992, 2158. Niebling WRP 2006, 1334 (1335).

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nachvertraglichen Treupflicht des Unternehmers 1681, ggf. aus einer vertraglichen Vereinbarung 1682, bei außerordentlicher Kündigung des Händlers wegen schuldhaften Verhaltens des Herstellers auch aus § 280 BGB 1683. Der Händler hat, wenn die Vertragsbeendigung nicht aus einem von ihm zu vertretenden Grund erfolgte, einen Anspruch auf Rücknahme der Vertragswaren und Ersatzteile, die er aufgrund der Vorgaben des Herstellers in seinem Lagerbestand gehalten hat, sofern er zur Lagerhaltung verpflichtet war 1684. Der Händler kann sich darauf beschränken, nur einen Teil der Lagerbestände zurückzugeben 1685. Für den Fall, dass der Hersteller die Vertragsbeendigung zu vertreten hat, ist eine Beschränkung des Rücknahmeanspruchs im Formularvertrag unzulässig. Individualvertraglich dürfen die Parteien den Rücknahmeanspruch beliebig festsetzen oder ausschließen 1686, und zwar innerhalb der allgemeinen Grenzen ausschließlich der Haftung wegen vorsätzlichen Verhaltens. Geschah die Vertragsbeendigung aus einem vom Händler zu vertretenden Grund, kann für jene Situation jede Rücknahme auch formularvertraglich ausgeschlossen werden. Selbst eine Berufung auf die Treuepflicht des Unternehmers ist regelmäßig ausgeschlossen, wenn der Händler die Vertragbeendigung allein verschuldet hat 1687. Eine ordentliche Kündigung bildet kein Verschulden des Händlers 1688. Haben beide Parteien die Vertragsbeendigung verschuldet, wird die Rücknahmepflicht unter Berücksichtigung der beiderseitigen Verursachungsanteile eingeschränkt 1689. In diesem Fall bleibt die Rücknahmepflicht in vollem Umfang bestehen; die Rücknahmevergütung ist jedoch angemessen herabzusetzen 1690. Hat keiner der Parteien die Vertragsbeendigung zu vertreten, steht dem Händler ein Anspruch auf Rücknahme der Lagerwaren zu. Darauf, dass die Vertragsware originalverpackt ist, dürfte es nicht ankommen 1691, es genügt, dass sie in neuwertigem und unbenutztem Zustand ist 1692. Übermäßige Bestände, die aufgrund von Dispositionsfehlern des Händlers gehalten werden, müssen nicht zurückgenommen werden 1693. Verweigert der Händler eine Rücknahme, steht dies einem Dispositionsfehler gleich 1694. Ein Anspruch des Händlers auf Ersatz des ihm durch den Rückkauf entgangenen Gewinns kommt nur bei Vertretenmüssen des Herstellers in Bezug auf die Vertragsbeendigung in Frage 1695. Durch eine lange Lagerdauer kann eine erhebliche Wertminderung der Ware eintreten. Da der Händ1681

1682 1683 1684 1685

1686

BGH, Urt. v. 18.07.2007 – VIII ZR 227/06, WRP 2007, 1210 = WM 2007, 2078; BGH BB 1970, 1458; BGH WM 1988, 1344, 1349 f = ZIP 1988, 1182; BGH WM 1994, 1121 (1130); BGH BB 1995, 113 ff; OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.02.2007 – U (Kart) 22/06, BeckRS 2007, 07179. BGH ZIP 1988, 1182; BGH ZIP 1994, 461 ff; BGH NJW-RR 1999, 106. BGH BB 1970, 1458; BGH BB 1995, 113 (114); Kleinmann/Siegert BB 2006, 785 f. OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.02.2007 – U (Kart) 22/06, BeckRS 2007, 07179. Unentschieden Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 399; differenzierend nach Anspruchsgrundlagen Stumpf/Jaletzke/Schultze 689 f; dagegen: LG Frankfurt/Main BB 1977, 1475. Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 407.

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1692 1693 1694 1695

Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 401. BGH BB 1988, 2201; BGH BB 1995, 113 (114); Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 401. BGHZ 54, 338 (346 f); BGHZ 54, 338 (346 f); BGH ZIP 1988, 1182 (1187 f); Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 402. Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 402. AA möglicherweise OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.02.2007 – U (Kart) 22/06, BeckRS 2007, 07179. OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.02.2007 – U (Kart) 22/06, BeckRS 2007, 07179. OLG Saarbrücken NJW-RR 1999, 106. Kleinmann/Siegert BB 2006, 785 (788). Kleinmann/Siegert BB 2006, 785 (789, 791).

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ler das Lagerrisiko trägt, wird ein Abzug vom Einkaufspreis für die Wertminderung insbesondere gebilligt, sofern der Händler die Beendigung des Vertrages verschuldet hat 1696. Es besteht aber keine Vermutung dafür, dass bei der zurückzugebenden Lagerware eine Wertminderung eingetreten ist 1697. Eine Reduzierung des Rückkaufspreises in Höhe von 10 % des Netto-Einkaufspreises wegen zu erwartender Verwertungsverluste ist auch mittels AGB zulässig. Da Grund des Abzuges von 10 % der mit der Neueinlagerung zahlreicher Einzelteile verbundene Verwaltungsaufwand des Hersteller ist, kann diskutiert werden, ob der Abzug bei der Rückgabe von Vertragsware angemessen ist, die in leicht überschaubarer Anzahl erfolgt 1698. Die Rücknahmepflicht erstreckt sich auch auf Waren, die der Händler zum Zwecke der Eigenfinanzierung an eine konzerneigene Bank des Herstellers sicherungsübereignet hat 1699. Dies gilt auch, wenn die Rücknahmepflicht nur für „im Eigentum des Händlers stehende Ware“ vereinbart wurde 1700. Befindet sich der Hersteller mit der nach Vertragsende geschuldeten Rücknahme der 342 Teile im Annahmeverzug, darf der Händler gemäß § 304 BGB i.V.m. § 354 HGB für die Dauer des Annahmeverzugs des Herstellers die ortsüblichen Lagerkosten beanspruchen 1701. Die Rücknahmepflicht besteht auch dann, wenn der vorherige Händler danach auto343 risierte Werkstatt des Herstellers bleibt 1702. Eine Beendigung des Vertrages liegt nicht nur vor, wenn zwischen den Parteien überhaupt keine Vertragsbeziehungen mehr bestehen 1703. Auch der Umstand, dass der BGH die Rücknahmepflicht auch aus Treupflichten hergeleitet hat, weil Sinn und Zweck der auferlegten Lagerhaltung entfallen seien und dem Händler eine Veräußerung des Lagerbestandes wegen der veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse nicht mehr zumutbar sei, rechtfertigt nicht den Umkehrschluss, das Vorhalten eines Ersatzteillagers sei weiterhin im vollen Umfang sinnvoll 1704. Damit hob der BGH die Vorinstanz OLG Frankfurt/Main 1705 auf, nach der eine ergänzende Vertragsauslegung ergebe, dass bei Vertragsschluss die Möglichkeit der Fortsetzung des Händlervertrages durch einen Werkstattvertrag nicht vorherzusehen war. Gleichwohl bestand auch nach Ansicht des OLG Frankfurt der Rücknahmeanspruch, wenn die Werkstatt nicht oder nicht mehr in zumutbarem Maße die Möglichkeit besitzt, das Ersatzteillager zu amortisieren. Für eine Rücknahmepflicht spricht bereits das Formulierungsrisiko (§ 305c BGB) des Herstellers und der „Mitzieheffekt“ des Verkaufs für das Werkstattgeschäft und die nach Wegfall des Verkaufs reduzierten Reperaturaufträge. Eine Ausschlussfrist für die Geltendmachung des Rückkaufes existiert kraft Gesetz 344 nicht. In Frage kommt jedoch eine Verwirkung des Anspruchs 1706. Der Händler muss bei Vertragsbeendigung einen kompletten Geschäftsbetrieb abwickeln. Deshalb sind keine strengen Voraussetzungen zu stellen. Ein gekündigter Kfz-Vertragshändler verwirkt 1696 1697

1698 1699 1700 1701 1702

BGHZ 54, 338. Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 409; Westphal Vertriebsrecht II Rn 662. Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 414. KG BB 1999, 1518 mit Anm. Graf v. Westphalen; Emde VersR 2001, 148 (165). KG BB 1999, 1518 mit Anm. Graf v. Westphalen. BGH, Urt. v. 22.03.2006 – VIII ZR 173/04, WM 2006, 1403. BGH, Urt. v. 18.07.2007 – VIII ZR 227/06,

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1706

WRP 2007, 1210 = WM 2007, 2078, Rn 24; OLG Frankfurt/Main, Urt. v. 01.08. 2006 – 11 U 13/06 (Kart), WRP 2006, 1387. BGH, Urt. v. 18.07.2007 – VIII ZR 227/06, WRP 2007, 1210 = WM 2007, 2078, Rn 25. BGH, Urt. v. 18.07.2007 – VIII ZR 227/06, WRP 2007, 1210 = WM 2007, 2078, Rn 27. Urt. v. 31.03.2006 – 21 U 25/05, WRP 2006, 1384; zustimmend Wendel/Ströbl WRP 2006, 1336 ff. Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 416.

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seinen Anspruch gegen den Hersteller auf Rückkauf des Ersatzteillagers nicht deswegen gemäß § 242 BGB, weil er den Anspruch erst nach rechtskräftigem Abschluss eines zwischen den Parteien geführten Rechtsstreites über die Wirksamkeit der Kündigung des Händlervertrages geltend macht 1707. Vor Entscheid des Rechtsstreites habe der Händler keinen Anlass, den Rückkauf zu fordern, weil er von dem Fortbestehen des Vertrages ausgehe. Ältere Ersatzteile könnten noch für die Reparatur älterer Kfz verwendet werden. Es ist grundsätzlich Sache des Händlers, das Vorliegen der Voraussetzungen für einen vertraglich vereinbarten Rückkaufanspruch darzulegen und zu beweisen 1708. Der Tatrichter muss ggf. durch Beweisaufnahme die Rücknahmefähigkeit der Ersatzteile feststellen 1709. Dass der Hersteller nach der Honda-Entscheidung des BGH 1710 auch verpflichtet ist, nicht vom Hersteller bezogene Lagerware zurückzunehmen, dürfte eine Folge des Rechts auf Querbelieferung sein und wird deshalb von Kleinmann/Siegert 1711 zu Unrecht bemängelt. Letztlich stammt die Ware auch hier vom Unternehmer. Das Bestreiten des Herstellers, dass die Ware von ihm bezogen wurde, ist auch deshalb irrelevant. Er kann aufgrund seiner eigenen Aufzeichnungen feststellen, ob er die Ware veräußert hat 1712 (soweit dieses Bestreiten nach dem Vorstehenden überhaupt bedeutsam ist). Bei Vorhandensein von Originalvertragsware soll zudem ein Anscheinsbeweis dafür bestehen, dass der Händler die Ware beim Unternehmer erworben hat 1713. Für den Rücknahmeanspruch gelten die §§ 346 ff BGB analog 1714. Bei Vorführwaren liegt die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme im Vorführzweck. Dieser Gebrauchsvorteil führt nicht zu einer Ersatzpflicht des Händlers gemäß § 346 Abs. 2 Nr. 3 BGB 1715. Ob auch unbenutzte Spezialwerkzeuge, die vom Händler auf Veranlassung des Unternehmers angeschafft wurden, ohne vertragliche Regelungen rücknahmefähig sind, wird uneinheitlich beurteilt 1716. Die Rücknahme wird nur über einen Investitionsersatzanspruch (§ 89 Rn 60 ff) erfolgen können 1717. Spiegelbildlich zur Rückkaufverpflichtung des Unternehmers soll dem Händler eine 345 Rückverkaufspflicht auferlegt werden dürfen, weil er Kaufverträge mit seinen Abkäufern vor der Eigenkündigung oder dem Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist erfüllen könne. Er wird also angeblich nicht zum Vertragsbruch gezwungen, weil der Hersteller nach Vertragsende die Rückgabe der Lagerware fordert. Dies ist zweifelhaft und kann sicher nicht für den Fall der vom Unternehmen verschuldeten Kündigung gelten.

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OLG Köln, Urt. v. 01.03.2002 – 19 U 182/01, OLGR 2002, 221 = VersR 2002, 886. BGH, Urt. v. 18.07.2007 – VIII ZR 227/06, WRP 2007, 1210 = WM 2007, 2078, Rn 45; BGH, Urt. v. 20. September 2006 – VIII ZR 127/04, II 1b. BGH, Urt. v. 18.07.2007 – VIII ZR 227/06, WRP 2007, 1210 = WM 2007, 2078, Rn 48. BGH ZIP 2005, 1785. BB 2006, 785 ff. OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.02.2007 – U (Kart) 22/06, BeckRS 2007, 07179. Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 397.

1714 1715 1716

1717

BGH NJW 1972, 1191; BGH NJW 1994, 1060 (1067). Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 411. Dagegen: LG Köln, Urt. v. 08.11.2001 – 86 O 120/99, unveröffentlicht; Frankfurt/ Main, BB 1982, 209; Westphal Vertriebsrecht II Rn 660; Stumpf/Jaletzke/Schultze Rn 702. Genzow Rn 135; Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 397.

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N. Franchiserecht 346

Die deutsche Franchise-Wirtschaft wächst stetig. 870 Franchise-Systeme haben zusammen mit 48.700 Franchise-Unternehmen im Jahre 2005 einen Umsatz von 32,3 Milliarden EUR erwirtschaftet 1718. Das Franchiserecht wird damit zu einem interessanten Teil des Vertriebsrechts 1719. Gleichwohl gibt es kein kodifiziertes Franchiserecht, abweichend von vielen anderen Ländern 1720. Insbesondere fehlt, anders als beim HV-Recht, vereinheitlichtes europäisches Recht. In Frankreich, Spanien, Italien, Belgien und Schweden gibt es Gesetze zum Umfang der vorvertraglichen Aufklärungspflichten. In Deutschland wird das Franchiserecht durch die §§ 84 ff, die Regelungen des allgemeinen Zivil-, Handels-, Gesellschafts-, Wettbewerbs-, Kartell-, Verbraucherschutz-, Arbeits- und Sozialversicherungsrecht, sowie die Rechtsprechung geprägt 1721. Franchisesysteme wurden erstmals in den USA eingeführt, und zwar 1889 von General 347 Motors und im Jahr 1902 von Rexal. Franchising ist ein Vertriebssystem, durch das Waren und/oder Dienstleistung und/oder Technologien vermarktet werden. Es gründet sich auf eine enge und fortlaufende Zusammenarbeit rechtlich sowie finanziell selbständiger und unabhängiger Unternehmen, dem Franchisegeber und seinem Franchisenehmer. Der Franchisegeber gewährt seinem Franchisenehmer das Recht und legt ihm gleichzeitig die Verpflichtung auf, ein Geschäft entsprechend seinem Konzept zu betreiben. Dieses Recht berechtigt und verpflichtet den Franchisenehmer gegen ein direktes oder offen vereinbartes indirektes Entgelt im Rahmen und für die Dauer eines zu diesem Zweck zwischen den Parteien abgeschlossenen Franchisevertrags per laufender technischer und betriebswirtschaftlicher Unterstützung durch den Franchisegeber den Systemnamen und/oder das Warenzeichen und/oder die Dienstleistungsmarke und/oder andere gewerbliche Schutz- und Urheberrechte sowie das Know-How, die wirtschaftlichen und technischen Methoden und das Geschäftsordnungssystem des Franchisegebers zu nutzen. Das Franchisesystem kennzeichnet sich daher durch die Stichworte „Know-How“, „geheim“, „wesentlich“ und „genau beschrieben“ 1722. Der Franchisegeber muss das dem Franchisenehmer zur Verfügung gestellte Know-How nachweisen 1723. Dies ist für die Angemessenheit der Franchisegebühren wichtig 1724. Der Franchisevertrag bildet keinen Gesellschaftsvertrag, weil sich der Franchisenehmer nicht am Unternehmensträger des Franchisenehmers beteiligt. Zur Frage, ob Franchisesysteme einen selektiven Vertrieb bilden Rn 122).

1718 1719 1720

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Gajo AG-Report 15/2006, R 363. Emde VersR 2001, 148 (154). Wer etwa die regelmäßigen Länderberichte des Newsletter „International Franchising“ der IBA Legal Practice Division durchsieht, wird feststellen, dass sogar Länder wie Vietnam ein kodifiziertes Franchiserecht kennen (Decree on Franchising v. 31. März 2006, vgl. Holmes Newsletter International Franchising May 2007, 13). Vgl. Flohr in: Wachter, Handbuch des Fach-

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anwalts für Handels- und Gesellschaftsrecht, Münster 2007, Kap. 6 Rn 51. Flohr in: Wachter, Handbuch des Fachanwalts für Handels- und Gesellschaftsrecht, Münster 2007, Kap. 6 Rn 4. Flohr in: Wachter, Handbuch des Fachanwalts für Handels- und Gesellschaftsrecht, Münster 2007, Kap. 6 Rn 9. Flohr in: Wachter, Handbuch des Fachanwalts für Handels- und Gesellschaftsrecht, Münster 2007, Kap. 6 Rn 10.

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I. Die unterschiedlichen Franchisesysteme Unterschieden wird zunächst nach der Art der vertriebenen Produkte. Werden Sach- 348 güter abgesetzt, handelt es sich um Waren- oder Produktfranchising. Beim Absatz von Dienstleistungen spricht man von Dienstleistungsfranchising 1725. Nach der Art des Systems unterscheidet Martinek Subordinationsfranchising und Partnerschaftsfranchising in den Formen des Koordinations-, Koalitions- und Konföderationsfranchising 1726. Subordinationsfranchising ist eine Fortentwicklung des Vertragshändlervertriebs 1727 und kennzeichnet sich durch eine weisungsabhängige Stellung des Franchisenehmers auf der Grundlage eines Geschäftsbesorgungsvertrags mit zahlreichen Elementen des HV-Rechts. Es ordnet sich am ehesten in das klassische Vertriebsrecht i.S.d. eines auf den §§ 84 ff fußenden Rechtsgebiets ein. Der Franchisenehmer hat sein Unternehmen nach den vertriebspolitischen Weisungen und Vorgaben des zur Kontrolle befugten Franchisegebers zu führen 1728 (darauf beruht gerade die Uniformität des Systems), bleibt aber – wie der HV – selbständig. Die oben dargestellten Analogievoraussetzungen zum HV-Recht sind auf Grund der Eingliederungstiefe in die vertriebspolitischen Vorgaben der Systemzentrale beim Subordinationsfranchisung qua Natur übererfüllt. Gleichwohl darf die Selbständigkeit des Subordinationsfranchisenehmers nicht verletzt werden. Eher untypisch für das heutige Verständnis des Franchising ist das sog. Partnerschaftsfranchising. Hier soll ein durch Weisungsunterworfenheit geprägtes Unterordnungsverhältnis fehlen. Das System wird durch partnerschaftliche Zusammenarbeit auf der Grundlage von Austauschverträgen gekennzeichnet 1729, Abstimmung und Mitbestimmung betreffend den Absatz der angebotenen Waren oder Dienstleistungen treten unter Nutzung des vom Franchisegeber zur Verfügung gestellten know hows/Franchisepakets, für welches der Franchisenehmer die Franchisegebühren zahlt, an die Stelle von Weisungen. Der geschäftsbesorgende Charakter des Systems ist im Vergleich zum HV-Vertrieb schwach ausgeprägt; eine Vertriebspflicht des Franchisenehmers fehlt 1730. Da es sich bei dem Partnerschaftsfranchising nicht um klassisches Vertriebsrecht im o.g. Sinne handelt, können die §§ 84 ff nur im Ausnahmefall angewandt werden 1731. Dies gilt insbes. für § 89b. Gedacht werden könnte allenfalls an die Analogie zur einzelnen Vorschriften, etwa §§ 85 und 89. In erster Linie ist jedoch GbR-Recht anwendbar, ggf. ergänzt durch das Recht der stillen Gesellschaft 1732. Abgegrenzt werden die verschiedenen Formen nach dem Inhalt der Verträge, wobei die Bezeichnung wie im HV-Recht irrelevant ist 1733. Bei Mischformen bestimmt sich das anwendbare Recht nach dem Schwerpunkt der einzelnen Regelungen, auf unterschiedliche Regelungen des einheitlichen Vertrages darf verschiedenes Recht angewandt werden. Bei dem Koordinationsfranchising (Austauschfranchising) werden gleichförmige Aus- 349 tauschverträge ohne die Pflicht des Franchisenehmers zur Befolgung von Weisungen

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Martinek/Semler/Habermeier § 3 Rn 23; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 79; Wolf/Horn/Lindacher § 9 AGBG Rn 102. Martinek/Semler/Habermeier § 3 Rn 25; Martinek ZIP 1988, 1362, 1369 f; ders ZHR 161 (1997), 67, 85 ff; kritisch und aA Skaupy NJW 1992, 1785 (1788). Martinek/Semler/Habermeier § 3 Rn 52, 54. Martinek/Semler/Habermeier § 3 Rn 55, 56, 57, 59.

1729 1730 1731

1732 1733

Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 81. Martinek/Semler/Habermeier § 3 Rn 27, 64 f; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 81. Martinek/Semler/Habermeier § 19 Rn 91, § 20 Rn 65; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 83. Martinek/Semler/Habermeier § 19 Rn 97; Ebenroth/ Löwisch § 84 Rn 83. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 84.

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sowie zur Wahrung der Interessen des Unternehmers geschlossen1734. Die gegenseitigen Treuepflichten sind schwächer ausgeprägt als beim Subordinationsfranchising. Der Franchiseeffekt wird durch Koordination der einzelnen Verträge der Vertragspartner erreicht 1735. Das Koalitionsfranchising bildet eine atypische zweigliedrige Innengesellschaft zwischen Franchisenehmer und Franchisegeber. Die Partner haben den vereinbarten Gesellschaftszweck zu fördern, um den Vertrieb nach Maßgabe des gemeinsamen Franchisekonzepts zu fördern. Durch die Parallelität der Innengesellschaftsverträge wird der Franchiseeffekt erreicht 1736. Im Konföderationsfranchising (Bündnis- oder Blockfranchising) schließen sich alle Beteiligte im Wege eines Dauerschuldvertrages, dem Systemvertrag, zu einer GbR zusammen, deren Gegenstand die Pflicht zur Betriebseingliederung und Absatzförderung durch alle Gesellschafter ist. Daneben bestehen die separaten, auf Bildung einer (weiteren) Innengesellschaft gerichteten Koalitionsfranchiseverträge zwischen Franchisegeber und dem einzelnen Franchisenehmer 1737. Klassisches Vertriebsrecht im vorgenannten Sinne bilden auch diese Systemformen nicht. Häufig sind auch mehrstufige Franchisesysteme. Ein Master-Franchisenehmer erhält das Recht, ein bestimmtes Gebiet durch Vergabe von Unter-Franchiseverträgen zu erschließen 1738. Die Bedeutung der vorgenannten Unterscheidungen darf nicht überschätzt werden.

II. Abgrenzung vom Unselbständigen 350

Wird die Selbständigkeit des Franchisenehmers missachtet, handelt es sich beim „Franchisenehmer“ analog § 84 Abs. 2 um einen Angestellten 1739 bzw. die die Selbständigkeit verletzenden Bestimmungen sind unwirksam (vgl. § 84 Rn 7). Die unternehmerische Selbständigkeit des Franchisenehmers fordert, dass diesem ein Kernbereich eigener wirtschaftlicher Entfaltungsmöglichkeiten und Entscheidungsfreiheit verbleibt 1740. Dabei gelten folgende Grundsätze zur Bestimmung der Arbeitnehmereigenschaft eines Franchisenehmers: Nicht für die Arbeitnehmereigenschaft sprechen: – Weisungsrecht des Franchisegebers hinsichtlich der Ausstattung der Räumlichkeiten 1741; – Verpflichtung des Franchisenehmers, ein bestimmtes Warensortiment zum Zwecke der Vermarktung über den Franchisegeber zu beziehen, zumal wenn weitere Waren von Dritten bezogen werden können 1742; – Verpflichtung, ausschließlich das vom Franchisegeber zur Verfügung gestellte Werbematerial zu verwenden 1743;

1734 1735 1736 1737 1738 1739

Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 81. Martinek/Semler § 4 Rn 63 ff; § 19 Rn 88 ff; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 81. Martinek/Semler § 4 Rn 67 ff; § 19 Rn 92 ff; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 81. Martinek/Semler § 4 Rn 71 ff; § 19 Rn 98 ff. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 57. BGH, Beschl. v. 04.11.1998 – VIII ZB 12/98, BGHZ 140, 11 = ZIP 1998, 2104; BAG ZIP 1997, 1714; OLG Düsseldorf ZIP 1997, 624 und 1039; Wolf/Horn/Lindacher § 9 AGBG Rn 101; Weltrich DB 1988, 806;

190

1740

1741 1742 1743

Matthiessen ZIP 1988, 1089; Skaupy NJW 1992, 1785 (1789, 1790); Horn/Henssler ZIP 1998, 589; Hopt DB 1998, 863 (866); Braun NZA Sonderheft 1999, 3. LG Mainz, Urt. v. 20.06.2006 – 12 HKO 82/05, BeckRS 2007, 08487; OLG München, BB 2002, 2521. BGH, Beschl. v. 16.10.2002 – VIII ZB 27/02, DB 2003, 198 = MDR 2003, 285. BGH, Beschl. v. 16.10.2002 – VIII ZB 27/02, DB 2003, 198 = MDR 2003, 285. BGH, Beschl. v. 16.10.2002 – VIII ZB 27/02, DB 2003, 198 = MDR 2003, 285.

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Vor § 84

– Verpflichtung, den Firmensitz an einem bestimmten Ort zu führen 1744; – Verpflichtung, das Ladengeschäft im Rahmen der gesetzlichen Ladenschlusszeiten möglichst lange offen zuhalten, selbst wenn damit eine Öffnungszeit von wöchentlich 52 Stunden vorgegeben war. Denn über die Pflicht zum persönlichen Einsatz in diesem Zeitrahmen sei hiermit nichts gesagt 1745; – Vertragswidrige Beschränkung, weil dadurch niemand zum Arbeitnehmer wird 1746. Gegen die Arbeitnehmereigenschaft sprechen: – Die Berechtigung, Arbeitnehmer selbst einzustellen 1747; – Nichteinbindung in das Abrechnungssystem des Franchisegebers 1748; – das uneingeschränkte Verbot jedweder anderer Tätigkeit 1749. Wenn ein Franchisenehmer eigenständig sein Geschäft führt, sein Geschäftslokal selbst 351 anmietet, selbständig Arbeitnehmer einstellen und die Endpreise bestimmen kann, ist er auch keine arbeitnehmerähnliche Person i.S.d. § 5 Abs. 1 S. 2 ArbGG 1750.

III. Rechtsnatur Bei dem Subordinations-Franchisevertrag schließt sich der Franchisenehmer im Rahmen 352 eines vertikal-kooperativ organisierten Absatzsystems rechtlich selbstständiger Unternehmen 1751 einem meist eingeführten, einheitlichen Vertriebssystem des Franchisegebers fast immer gegen Zahlung von Franchisegebühren an. Das System tritt am Markt uniform auf und wird geprägt durch das Leistungsprogramm des Systempartners sowie durch ein Weisungs- und Kontrollsystem zur Gewährleistung eines systemkonformen Verhaltens 1752. Zwar ist der Franchisenehmer selbständiger Unternehmer und bietet seine Leistungen eigenständig am Markt an. Charakteristisch ist aber, dass der Franchisenehmer wegen des Auftretens unter dem Markennamen des Franchisegebers, für dessen Nutzung sowie die Nutzung der überlassenen Rechte – Warenzeichen-, Schutz-, Namensrechte, Rechte an technischer Ausstattung, know how – (Franchisepaket) er die Franchisegebühren zahlt, und das zu einheitlichem Auftreten von Franchisegeber und Franchisenehmer nach außen führen soll, wenig als eigenständiger Marktteilnehmer wahrgenommen wird. Beide Parteien ziehen Nutzen aus dem Marktauftritt des Franchisenehmers, da die Tätigkeit des Franchisenehmers – auch – den Markennamen und die Interessen des Franchisegebers stärkt (deshalb analoge Anwendung des § 89b). Der Franchisevertrag enthält Elemente des Dienst-, des Geschäftsbesorgungsvertrages wie des Pacht- und Kaufvertrages, wobei der Geschäftsbesorgungsgedanke, ebenso wie beim Vertragshändler, weniger ausgeprägt als beim HV auftritt. Der Vertrag bildet keinen gesetzlich ausgeformten Typ, und er wurde – auch wegen seines relativen kurzen rechtstatsächlichen Auftritts – nicht gesetzlich erfasst. Dies ist auch nicht geplant. Vielmehr kommt es im besonderen Maße darauf an, was die Parteien im Einzelfall vereinbart haben 1753. Dem übereinstimmenden 1744 1745 1746 1747 1748

BGH, Beschl. v. 16.10.2002 – VIII ZB 27/02, DB 2003, 198 = MDR 2003, 285. BGH, Beschl. v. 16.10.2002 – VIII ZB 27/02, DB 2003, 198 = MDR 2003, 285. BGH, Beschl. v. 16.10.2002 – VIII ZB 27/02, DB 2003, 198 = MDR 2003, 285. BGH, Beschl. v. 16.10.2002 – VIII ZB 27/02, DB 2003, 198 = MDR 2003, 285. BGH, Beschl. v. 16.10.2002 – VIII ZB

1749 1750 1751 1752 1753

27/02, DB 2003, 198 = MDR 2003, 285. LG Mainz, Urt. v. 20.06.2006 – 12 HKO 82/05, BeckRS 2007, 08487. BGH, Beschl. v. 16.10.2002 – VIII ZB 27/02, DB 2003, 198 = MDR 2003, 285. Hänlein DB 2000, 374. Hänlein DB 2000, 374. BGH NJW-RR 2000, 1159 (1160).

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Verständnis des Gewollten kommt dabei der Vorrang vor einer objektiven Auslegung von AGB zu 1754. Ob es sich bei dem Franchisevertrag um einen Sukzessivlieferungsvertrag handelt, ist eine Frage des Einzelfalls. Wenn der Vertrag die Verpflichtung zur fortlaufenden Abnahme von Vertragswaren enthält kann dies der Fall sein 1755. Die Einräumung von Nutzungsrechten an Marken, Gebrauchs- und Geschmacksmustern, gelegentlich Patenten, Geschäftsbezeichnungen und Urheberrechten sowie die Überlassung von Know-How spielt beim Franchising eine bedeutsame Rolle 1756. Dies ist allerdings kein im Kern vertriebsrechtliches Problem.

IV. Abschluss 353

Der Franchisevertrag kommt durch konsensuale Willenserklärungen zustande. Er kann grundsätzlich formfrei geschlossen werden 1757, Rückschluss aus § 85 analog. Für Franchiseverträge, die unter die Bestimmungen des Verbraucherkreditrechts fallen, gilt ein Schriftformerfordernis gemäß § 505 Abs. 1 S. 2 BGB 1758. Das Offenlassen von Lücken führt zur Formnichtigkeit, etwa wenn vergessen wurde, den Standort oder das Eröffnungsdatum einzusetzen 1759 oder eine im Vertragstext zitierte Anlage nicht beigefügt wurde1760. Bei Verfehlung dieser Form sind nach den §§ 505, 355 BGB zunächst nur die kreditrechtlichen oder kreditähnlichen Teile des Franchisevertrages unwirksam 1761. Nach a.A. ist von einer Gesamtunwirksamkeit des Franchisevertrages auszugehen 1762. Im Regelfall ist auch nach der erstgenannten Ansicht gemäß § 139 BGB eine Gesamtunwirksamkeit des Vertrages anzunehmen 1763. Franchiseverträge sind in der Regel Formularverträge 1764. Zu einzelnen Klauseln siehe Rn 33 ff.

V. Widerrufsrecht 354

Franchiseverträge können gemäß §§ 505 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, § 355 BGB widerrufen werden 1765. Für den Fall des Widerrufs ist im Regelfall von der Einheitlichkeit der mit dem Franchisevertrag im Zusammenhang stehenden Nebenverträge auszugehen 1766. Für 1754 1755 1756 1757

1758 1759

1760 1761

BGH NJW-RR 2000, 1159 (1160). Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 70. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 83. Flohr in: Wachter, Handbuch des Fachanwalts für Handels- und Gesellschaftsrecht, Münster 2007, Kap. 6 Rn 122. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 286. LG Berlin, Urt. v. 29.11.1999 – 99 O 63/99, unveröffentlicht; ähnlich KG Berlin, Beschl. v. 11.02.1993 – 2 W 706/93, unveröffentlicht; Böhner NJW 1992, 3135 (3137); Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 289. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 290. BGH, Urt. v. 14.12.1994, ZIP 1995, 105,

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1762

1763 1764

1765

1766

107 = NJW 1995, 722; BGH, Urt. v. 16.04. 1986, ZIP 1986, 781 (783). OLG Hamm, Urt. v. 28.07.1992, ZIP 1992, 1224, 1226; Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 291; Giesler WM 2001, 1441. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 201. Liesegang BB 1991, 2181; Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 211. BGH, Urt. v. 16.04.1986, BGHZ 94, 226 = NJW 1985, 1544 zum AbzG; Giesler/ Güntzel NJW 2007, 3099 (3100). BGH, Urt. v. 05.11.1997, WM 1998, 126; OLG Düsseldorf, Urt. v. 15.01.1987, WM 1987, 599 (600) (Auswirkung der Nichtigkeit des Franchisevertrages auf einen Mietvertrag); OLG Nürnberg, Urt. v. 03.02.

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eine Übertragung der BGB-InfoV auf den Franchisevertrag Flohr 1767. Notwendig ist die Widerrufsbelehrung, wenn der Franchisenehmer Verbraucher i.S.d. § 13 BGB ist. Davon ist bei der Unterzeichnung eines Franchisevertrages nicht auszugehen 1768. Die Anwendbarkeit des Verbraucherkreditrechts auf Franchiseverträge kann sich deshalb in erster Linie aufgrund einer Bezugsverpflichtung im Sinne des § 505 Abs. 1 Nr. 3 BGB ergeben („wiederkehrender Erwerb oder Bezug von Sachen“). Die meisten Franchiseverträge enthalten eine derartige Bezugsbindung 1769. Ausreichend ist es, wenn sich die Verpflichtung zum wiederkehrenden Erwerb oder Bezug von Sachen aus dem Franchisevertrag mittelbar ergibt 1770. Die Verpflichtung zum Bezug der Erstausstattung führt nur dann zur Anwendbarkeit der §§ 505 Abs. 1, 355 BGB, wenn die Erstausstattung in Teilleistungen geliefert wird und in Teilleistungen zu bezahlen ist 1771. Gemäß § 507 BGB ist eine Widerrufsbelehrung notwendig, falls ein Existenzgründungsvertrag vorliegt, es sei denn, die Investitionssumme des Franchisenehmers übersteigt einen Betrag von 50.000 EUR 1772. Die Wertgrenze von 50.000 EUR unterliegt nach einer Meinungsgruppe der teleologischen Reduktion, wenn ein Franchisegeschäft von einem Existenzgründer neu gegründet wird1773 oder ein Existenzgründer oder Kleingewerbetreibender tätig wird 1774. Bleibt zweifelhaft, ob die Investition diesen Betrag übersteigt, sollte eine Widerrufsbelehrung erfolgen. Eine Widerrufsbelehrung ist insb. wegen der engen Auslegung des OLG Brandenburg 1775 wichtig, nach der es nicht auf den Wert des Gesamtengagements ankommt. Vielmehr sei jede Willenserklärung gesondert zu bewerten. Da in der Regel eine Eintrittsgebühr die Wertgrenze von 50.000 EUR nicht erreicht, bedeutet dies, dass auch beim Existenzgründungsfranchisenehmer von der Notwendigkeit einer Widerrufsbelehrung auszugehen wäre 1776. Beim Warenfranchising wird die Wertgrenze von 50.000 EUR gelegentlich überschritten, gerade beim Dienstleistungsfranchising ist dies zweifelhaft. Ungeklärt bleibt, wann beim Dienstleistungsfranchising ein Widerrufsrecht besteht. Rechtsprechung und Lehre nehmen zutreffend ein Widerrufsrecht an, falls der Franchisenehmer vertraglich verpflichtet ist, seinen Vertrieb jederzeit nach den Änderungen unterliegenden Systemvorgaben des Franchisegebers umzugestalten 1777 oder im Falle der Weiterentwicklung der Franchise zusätzliche Gebühren zu entrichten hat 1778. Der Franchisevertrag kann innerhalb einer Frist von zwei Wochen widerrufen werden (§ 505 Abs. 1, 355 Abs. 1 BGB)1779. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, zu dem der Franchisenehmer eine ordnungsgemäße Belehrung über sein Widerrufsrecht erhalten hat (§ 355 Abs. 1 S. 1

1767

1768 1769 1770

1998 – 3 U 3361/96, unveröffentlicht (Auswirkung eines Widerrufs nach VerbrKrG); Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 198. Flohr in: Wachter, Handbuch des Fachanwalts für Handels- und Gesellschaftsrecht, Münster 2007, Kap. 6 Rn 115 ff; zur Fehlerhaftigkeit der dort vorgegebenen Widerrufsbelehrung u.a. Woitkewitsch, MDR 2007, 630. Giesler/Güntzel NJW 2007, 3099 (3100). Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 267. BGH, Urt. v. 14.12.1994, ZIP 1995, 105, 107; OLG Hamm, Urt. v. 28.07.1992, ZIP 1992, 1224 ff; Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 267.

1771 1772

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1778 1779

Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 268. BGH, Beschl. v. 24.02.2005, ZIP 2005, 622 = NJW 2005, 1273; Giesler/Güntzel NJW 2007, 3099 (3100). Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 263. Giesler ZIP 2002, 420. Urt. v. 31.08.2005, NJW 2006, 159. Flohr BB 2006, 389 (394). OLG Frankfurt/Main, Urt. v. 18.04.1997 – 18 O 115/96, zitiert nach Giesler ZIP 2002, 420 (422). Giesler ZIP 2002, 420 (422). Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 272.

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BGB). Fehlt eine Widerrufsbelehrung oder entspricht sie nicht den gesetzlichen Vorschriften, kann zeitlich unbefristet widerrufen werden (§ 355 Abs. 3 S. 3 BGB) 1780. Durch den Widerruf entsteht ein Rückabwicklungsschuldverhältnis (§§ 357, 346 ff BGB) 1781. Die Rückabwicklung erfolgt nicht nach den §§ 812 ff BGB. Eine Rückgewähr erhaltenen Know-Hows ist nicht möglich. Deshalb ist Wertersatz zu leisten 1782. In Höhe des Wertersatzanspruches des Franchisegebers ist seine Forderung mit den Gebührenrückzahlungsanspruch des Franchisenehmers zu saldieren 1783. Das Know-How bildet keinen Wert, sofern es ausschließlich im Zusammenhang mit weiteren Leistungen des Franchisegebers genutzt werden kann, welche der Franchisenehmer nicht mehr erhält 1784. Wertlos ist etwa ein Franchisehandbuch, das nicht auf die Belange des Systems zugeschnitten ist 1785. Ein weiteres Problem stellt der Nutzungsanspruch (§§ 346 Abs. 1, 347 BGB) dar, wenn der Widerruf erfolgt, nachdem der Franchisenehmer aus der Franchise bereits vorzeitig Nutzungen gezogen hat. Nutzungen sind nur so weit zu ersetzen, wie das Recht durch den Gebrauch im Wert gemindert wird. Franchise nutzt sich jedoch nicht ab, gelegentlich gewinnt sie durch Aufwendungen des Franchisenehmers sogar an Wert, weil die Marke im Vertragsgebiet bekannt wird.

VI. Anwendbare Vorschriften 355

Die §§ 84 1786, 85 1787, 86a Abs. 1 1788 unter Ausschluss von Abs. 2 1789 (wobei die Informationspflichten des Franchisegebers über die im HV-Vertrag hinausgehen) 1790, 87d 1791, 88a 1792, 90 1793, 90a 1794, 92b, 92c 1795 sind auf Subordinations-Franchiseverträge analog anzuwenden 1796; § 89b gleichfalls 1797 (§ 89b Rn 43). Voraussetzung ist die HV1780

1781 1782 1783

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Flohr in: Wachter, Handbuch des Fachanwalts für Handels- und Gesellschaftsrecht, Münster 2007, Kap. 6 Rn 211; Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 273. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 281. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 282. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 282; Giesler ZIP 2002, 420 (423). BGH, Urt. v. 14.12.1994 – VIII ZR 46/94, ZIP 1995, 105 (107 f); Giesler WM 2001, 1441 (1442); ZIP 2002, 420 (423). Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 284; Flohr WiB 1995, 1010; aA OLG Dresden, Urt. v. 28.09.1995, NJW-RR 1996, 1013. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 294. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 294. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 294. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 296.

194

1790 1791 1792 1793 1794

1795 1796 1797

Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 97. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 294. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 294. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 294. KG MDR 1974, 144; BGH, Urt. v. 12.1. 1986 – I ZR 209/84, NJW-RR 1987, 612; Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 294. AA Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 295. Giesler Franchiseverträge Rn 143 f mwN. OLG Celle, Urt. v. 19.4.2007 – 11 U 279/06, BB 2007, 1862, 1864; OLG München, Urt. v. 26.06.2002 – 7 U 5730/01, BB 2002, 2521; LG Mainz, Urt. v. 20.06.2006 – 12 HKO 82/05, BeckRS 2007, 08487; LG Hanau, Urt. v. 28.05.2002 – 6 O 106/01, unveröffentlicht; LG Frankfurt/Main, Urt. v. 19.11.1999 – 3-8 O 28/99 (bestätigt durch OLG Frankfurt/Main, Vergleich v. 16.09.2003 – 11 U 13/00), EWiR 2004, 69 (Albicker); LG Berlin, v. 6.9.2004 – 101

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ähnliche Einbindung in das Vertriebssystem des Unternehmers. Sie wird angenommen, wenn der ganze Vertrag unter dem Verdikt des einheitlichen Auftretens nach außen (Systemanwendungspflicht) und unter qualitätssichernden Maßnahmen des Unternehmers steht, der Franchisenehmer die seitens des Franchisegebers entwickelten Richtlinien anwenden, an Fortbildungen teilnehmen und Kontrollen durch den Franchisegeber dulden muss. Weitere Indizien sind ein Vertriebsschutz für das zugewiesene Gebiet sowie ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot 1798. Für die analoge Anwendung des § 89b – aber nur für diese – muss als zweites Analogiekriterium die vertragliche Verpflichtung des Franchisenehmers zur Übertragung des Kundenstammes hinzutreten. Auch ein Dienstleistungsfranchisingvertrag 1799, bei dem der Franchisenehmer die Dienstleistungen selbst erbringt, kann ausgleichspflichtig sein, wenn in Ausführung der Vertriebspflicht ein Kundenstamm aufgebaut wird. Gleiches gilt für einen Produktionsfranchisevertrag, bei welchem der Franchisenehmer die Waren selbst produziert. Das ausgleichspflichtige Leistungs-Gegenleistungsverhältnis wird allein durch die Vertriebspflicht einerseits und den Aufbau des Kundenstammes andererseits definiert. Umstritten ist die Anwendbarkeit von § 86 1800. Richtigerweise wird in dieser Frage differenziert, d.h. die analoge Anwendung von § 86 Abs. 1 wird angenommen 1801, während § 86 Abs. 2 von der Analogie ausgenommen wird 1802. Aufgrund der analogen Anwendung des § 86 Abs. 1 unterliegt auch der Franchisenehmer einem Wettbewerbsverbot 1803. Die Vorschriften über die Provision des HV, §§ 87 1804 Abs. 1 1805 und 3 1806, 87a 1807, 87b 1808, 87c 1809 sowie die Bestimmungen der §§ 86a, 91 1810, 91a 1811, 92 1812 bis 92a sind unanwendbar. Das Auftragsrecht des BGB ist überwiegend anwendbar, so die §§ 664, 666, 672 bis 674 und § 670 i.V.m. § 683 BGB 1813 (hierzu unten, Rn 72 ff).

1798 1799

1800 1801 1802

1803

O 23/04; Prasse NJW 2008, 122 (126) – im anonymen Massengeschäft auch ohne vertragliche Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes; MünchKomm/v.Hoyningen-Huene § 89 Rn 6. LG Hanau, Urt. v. 28.05.2002 – 6 O 106/01, unveröffentlicht. Hierzu Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 53 ff. Martinek Franchising, S. 319; aA Herrfeld S. 288. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 4 Rn 151. Höpfner in: Giesler/Nauschütt § 7 Rn 17 ff; aA Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 161. OLG München, Urt. v. 15.05.1999 – 29 U 4446/98, EWiR 1999, 595 (Martinek); Rauser in: Metzlaff, Praxishandbuch Franchising, 2003, § 16 Rn 45; Giesler/ Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 4 Rn 152; Teutsch in: Küstner/

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1806 1807 1808 1809 1810 1811 1812 1813

Thume Band 3 Rn 1794; Skaupy Franchising, 2. Aufl. S. 180. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 295. OLG Celle, Urt. v. 19.4.2007 – 11 U 279/06, BB 2007, 1862 (1863); Flohr BB 2007, 1866. OLG Celle, Urt. v. 19.4.2007 – 11 U 279/06, BB 2007, 1862, (1863). Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 295. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 295. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 295. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 295. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 295. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 295. Martinek in: Martinek/Semler § 19 Rn 57 ff; Böhmer NJW 1998, 109.

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VII. Leistungsinhalt 356

1. Leistungspflichten des Franchisenehmers. Wie andere Vertriebsmittler unterliegt auch der Franchisenehmer, der meist spätestens mit Vertragsschluss Kaufmann wird 1814, einer Vertriebs- oder Absatzförderungspflicht 1815. Nicht anders als beim Vertragshändler ist sie doppelrelevant: Zum einen begründet sie die analoge Anwendung des HV-Rechts. Zum anderen ist sie Rechtsfolge des Franchisevertrages. Dies gilt jedenfalls für die meisten Franchiseverträge und für diejenigen, bei denen die §§ 84 ff analog anzuwenden sind. Zudem unterliegt der Franchisenehmer der Betriebseingliederungs-1816 oder Systemanwendungspflicht. Er muss das Franchisekonzept anwenden 1817. Folge ist die QuasiFilialität. Gerade deshalb wird Franchising in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen 1818. Franchisesysteme wollen nicht erkannt werden 1819. Aus dieser Quasi-Filialität resultiert die Gefahr einer Rechtsscheinhaftung jedenfalls der Systemzentrale in direkter oder analoger Anwendung des § 56 1820, jedoch kaum eine Haftung eines Franchisenehmers für die Erklärung eines anderen. Der Franchisenehmer unterliegt regelmäßig, je nach Vertrag, einer Betriebsführungspflicht 1821. Er muss den Franchisebetrieb aufbauen, eröffnen und unterhalten 1822. Sofern nicht wirksam anderweitig vereinbart, hat der Franchisenehmer sein Geschäftslokal nicht pausenlos zu öffnen, jedoch so, wie es seiner Absatzförderungspflicht entspricht. Meist verpflichtet sich der Franchisenehmer im Franchisevertrag zur Zahlung von 357 Franchisegebühren 1823. Diese Gebühren separieren sich häufig in Eintrittsgebühren, laufende Gebühren sowie Marketing- und Werbegebühren. Mit der Eintrittsgebühr soll die Teilhabe an dem Franchisesystem sowie die im Zusammenhang mit der Betriebseröffnung erbrachte Ausstattungs- und Systemeingliederungsleistung abgegolten werden, mit den laufenden Franchisegebühren die Systemeingliederungs- und Betriebsförderungsleistungen des Franchisegebers 1824. Die Eintrittsgebühr soll nach § 307 BGB zulässig sein, sofern ihr wirtschaftliche und rechtliche Vorteile gegenüberstehen 1825. Möglicherweise handelt es sich sogar um eine kontrollfreie Hauptleistung (vor § 84 Rn 31). Die Angemessenheit bestimmt sich nach den §§ 138, 242 BGB 1826. 82 % der Franchisegeber berechnen ihre laufenden Gebühren prozentual vom Umsatz. Teilweise werden Spannen angegeben, innerhalb derer sich umsatzabhängige Franchisegebühren regelmäßig bewegen sollten, um eine Unangemessenheit zu vermeiden. Es werden Spannen von 2 % bis 5 %, 1 % bis 10 % 1827, 2 % bis 20 % 1828 oder 14 % 1829 genannt. Es kommt jedoch 1814 1815

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1819 1820 1821

OLG Oldenburg, Beschl. v. 12.11.2001 – 9 SchH 12/01, BB 2001, 2499. Martinek S. 260 ff; Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 141; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 80. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 80. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 144. Siehe Pasderski in: Giesler/Nauschütt § 6 Rn 11 ff; Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 145. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 145. Vgl. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 146. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 154.

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Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 154. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 80. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 182. Vgl. Flohr in: Wachter, Handbuch des Fachanwalts für Handels- und Gesellschaftsrecht, Münster 2007, Kap. 6 Rn 134. Vgl. Flohr in: Wachter, Handbuch des Fachanwalts für Handels- und Gesellschaftsrecht, Münster 2007, Kap. 6 Rn 136 ff. Skaupy S. 135. Martinek S. 301. Vgl. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 178.

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jeweils auf den Einzelfall an; die Angemessenheit ist durch Sachverständigengutachten festzustellen. 40 % der Franchisesysteme erheben eine monatliche Fixgebühr. Sie betrug 2007 um im Durchschnitt 230 EUR. Häufig ist eine Kombination beider Gebührenarten zu verzeichnen 1830. Der Franchisenehmer ist zur persönlichen Dienstleistung verpflichtet (§§ 613, 664 BGB). Er darf seine Tätigkeit nur mit Zustimmung des Franchisegebers auf einen Dritten, auch eine von ihm gegründete Gesellschaft, übertragen 1831. 2. Leistungspflicht des Franchisegebers. Eine Pflicht, das Franchisesystem beliebig zu 358 erweitern (Systemaufbaupflicht), trifft den Unternehmer nicht 1832. Er darf das System jedoch nicht bewusst lückenhaft lassen, wenn er zuvor andere Erwartungen geweckt hat. Gleiches gilt, sofern eine gewisse Zahl von Franchisebetrieben für die Funktionalität erforderlich ist 1833. Der Franchisegeber muss werthaltiges Know-How an den Franchisenehmer übertragen 1834, etwa durch Schulungen oder ein Systemhandbuch 1835. Wenn im Franchisevertrag die Übertragung eines besonderen Know-How vereinbart wird, ohne dass sich der Franchisegeber vergewissert hat, ob das System überhaupt über Know-How verfügt, führt dies zum Einwand des nicht erfüllten Vertrages 1836. Das Know-How muss Unterscheidungskraft und Abgrenzbarkeit besitzen. Geheim braucht es nicht sein 1837, solange es werthaltig ist. Auch nicht Geheimes kann zu einem Mix komponiert werden, der Geldwert besitzt. Fehlt es an Know-How oder erfüllt das Know-How nicht die vereinbarten Anforderungen, muss zwischen Äquivalenz- und Leistungsstörungen unterschieden werden 1838. Eine Äquivalenzstörung liegt vor, falls die Übertragung von Know-How nicht ausdrücklich vereinbart wurde oder ausdrücklich nur öffentliches Know-How übertragen werden sollte und die Gegenleistung des Franchisenehmers gemessen an dieser Leistung unangemessen hoch erscheint 1839. Ein Fall der Leistungsstörung tritt ein, wenn ein vertraglich zugesichertes Know-How fehlt oder es den vereinbarten Anforderungen nicht entspricht 1840. Die Rechtsfolge ergibt sich aus den §§ 320, 280, 138 BGB sowie den Gewährleistungsvorschriften 1841. Nicht nur aus der Treuepflicht sondern auch aus der besonders engen Einbindung beider Parteien in den Franchisevertrag leiten sich Beratungs- und Unterstützungspflichten des Franchisegebers her, auch vor Betriebseröffnung 1842. Dazu zählen etwa Unterstützungsleistungen bei Bankgesprächen, öffentlich-rechtlichen Genehmigungen 1843 oder bei der Erstellung eines Muster-Buisinessplans 1844. Ob eine Konkurrenzschutzpflicht des Franchisegebers eine vertragsimmanente Pflicht darstellt, ist umstritten 1845. Die Konkurrenzschutzpflicht ist Spiegelbild der Hauptpflicht zur Überlassung des Know-Hows 1846 und

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Vgl. Flohr in: Wachter, Handbuch des Fachanwalts für Handels- und Gesellschaftsrecht, Münster 2007, Kap. 6 Rn 140. Martinek in: Martinek/Semler § 19 Rn 57. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 117. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 117. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 84 ff. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 93. Giesler ZIP 2003, 1025. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 92; Giesler ZIP 2003, 1025.

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Giesler ZIP 2003, 1025 (1031). Giesler ZIP 2003, 1025. Giesler ZIP 2003, 1025. Giesler ZIP 2003, 1025. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 103. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 103. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 104. Dafür: Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 125; Liesegang BB 1999, 857; hierzu Emde VersR 1999, 1464 (1468); aA Fritzemeyer BB 2000, 472. Liesegang BB 1999, 857.

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existiert, jedenfalls hergeleitet aus der Treupflicht und § 3 UWG 1847, in ihrem Kern – begrenzt auf einen im Einzelfall zu bestimmenden Nahbereich – unabhängig von einer Gebietsschutzregelung 1848 zumindest in Form des Schutzes vor existenzbedrohendem Wettbewerb 1849. Das gilt umso mehr, je stärker sich der Franchisenehmer in die Betriebsorganisation des Franchisenehmers eingegliedert und seine wirtschaftlichen Dispositionen durch Einsatz von Kapital, Arbeitskraft und Personal ausgerichtet hat1850. Der Franchisenehmer müsse seine Investitionen amortisieren und einen angemessenen Gewinn (mindestens 30 % über der Vergütung eines angestellten Managers) erzielen können. Selbst Fritzemeyer, der eine Konkurrenzschutzpflicht ablehnt, nimmt eine Schadenersatzpflicht des Franchisegebers an, wenn er das Franchise ungerechtfertigt häufig vergibt. Richtig dürfte die Existenz einer Leistungstreuepflicht sowie eines Schädigungsverbots des Franchisegebers sein, die es verbietet, einem „Kannibalismus“ der Franchisenehmer Vorschub zu leisten. Will sich der Franchisegeber trotz Zubilligung von Gebietsschutz an den Franchisenehmer einen parallelen Direktvertrieb vorbehalten, muss dies ausdrücklich vereinbart 1851 und eine angemessene Kompensation geleistet werden. Teilweise wird auch dann ein solcher Vorbehalt für unwirksam gehalten 1852. Kommt ein Franchisegeber den vertraglich übernommenen Beratungs- und Werbepflichten nicht nach, steht dem Franchisenehmer kein Zurückbehaltungs- oder Leistungsverweigerungsrecht zu 1853. Für eine das Vertriebssystem schädigende Werbung kann der Unternehmer wegen der Verletzung der Rücksichtnahmepflicht haften1854. Gegebenenfalls muss der Vertriebsmittler den Unternehmer auf das Problem hinweisen1855. Der Franchisenehmer soll sich nicht auf einen Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen dürfen, solange die Äquivalenzstörung nicht existenzgefährdend wirkt. Nach Vertragsende besteht nach den oben Rn 440 ff zum Vertragshändler wiedergegebenen Grundsätzen eine Rücknahmepflicht des Franchisegebers hinsichtlich der dem Franchisenehmer zum Vertrieb überlassenen, von ihm aber nicht mehr abzusetzenden Produkte, sofern der Franchisenehmer zur Lagerhaltung verpflichtet war1856.

359

a) Gleichbehandlungsgebot. Im Gegensatz zum HV-Recht wird im Franchiserecht überwiegend vertreten, dass der Franchisegeber zur Gleichbehandlung seiner Franchise-

1847 1848 1849

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Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 126. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 125. OLG Schleswig, Urt. v. 18.01.1994 – 6 U-Kart 46/92, bestätigt durch Nichtannahmebeschl. des BGH v. 04.04.1995 – KZR 33/94 und durch Zurückweisung der dagegen gerichteten Verfassungsbeschwerde durch Beschl. v. 06.07.1995 – BuR 1034/95; Rauser in: Metzlaff (Hrsg.), § 16 Rn 83 ff; Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 125. BGH, Urt. v. 23.07.1997 – VIII ZR 130/96, NJW 1996, 3304 (3307 f); Emde NJW 1999, 326 ff. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 130. LG Berlin, Urt. v. 21.06.2001 – 14 O 177/01, unveröffentlicht. LG Braunschweig, Urt. v. 14.07.2004 – 22

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O 289/04, zitiert nach Haager NJW 2005, 3394 (3396) unter Berufung auf OLG Frankfurt/Main, NJWE – WettbR 1996, 142. BGH, Urt. v. 06.07.1995, BB 1995, 1792; BGH, Urt. v. 06.07.1995, ZIP 1995, 1286 = BB 1995, 1792; BGH v. 06.07.1995, BB 1995, 1794 (Benetton); Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 123; aA BGH, Urt. v. 29.06.1959, NJW 1959, 1964; BGH, Urt. v. 30.01.1986, NJW 1986, 1931; BGH, Urt. v. 06.05.1993, WM 1993, 1725; BGH, Urt. v. 21.06.1972, WM 1972, 1092; BGH, Urt. v. 10.02.1993, WM 1993, 1464; BGH, Urt. v. 19.01.1972, BB 1972, 193. BGH, Urt. v. 23.07.1997, BGHZ 136, 295. BGH Urt. v. 05.11.1997 – VIII ZR 351/96, NJW 1998, 540; Martinek/Semler § 21 Rn 56 bis 60.

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nehmer verpflichtet sei 1857. Diese Abweichung rechtfertigt sich möglicherweise aus der systembedingt engeren Einbindung des Franchisenehmers in das Vertriebssystem des Unternehmers, als sie gegenüber dem HV praktiziert wird. Der Franchisegeber darf angesichts des Preisbindungsverbots beim Abnehmer des Franchisenehmers keine Preiserwartungen wecken. Wirbt daher ein Franchisegeber, der Waren- oder Dienstleistungen teils über ein Franchise-System, teils über eigene Filialen vertreibt, unter Angabe fester Endverkaufspreise, ohne die Preisangaben auf die eigenen Filialen zu beschränken oder auf deren Unverbindlichkeit für die Franchisebetriebe hinzuweisen, so kann von dieser Werbung ein wirtschaftlicher Druck auf die Franchisenehmer zur Übernahme der beworbenen Preise ausgehen, der einer verbotenen Preisbindung gleichkommt 1858. Der Franchisegeber muss entweder in seiner Werbung zwischen Filial- und Franchisebetrieben differenzieren oder deutlich herausstellen, dass er eine unverbindliche Preisempfehlung bewirbt. Nicht ausreichend sind Zusätze „ab“ oder „bis zu“ 1859. Fraglich ist auch, ob die übliche Formulierung „nur bei teilnehmenden Betrieben“ klar genug ist. Der durch eine unberechtigte Preisbindung entstehende Schaden des Franchisenehmers errechnet sich aus der Spanne zwischen den Verkaufpreisen, welche er infolge des faktischen Drucks durch die Werbung gewähren muss und den Preisen, welche ohne diesen Druck erzielt worden wären, wobei gemäß §§ 252 S. 2 BGB, 287 ZPO zu schätzen ist. Möglicherweise besteht eine vom Franchisegeber zu widerlegende Vermutung eines Schadens in Höhe der Differenz zwischen beworbenen und vom Franchisenehmer gesetzten Preisen. Dass sich durch die Werbung möglicherweise die Absatzchancen erhöhen, bleibt unberücksichtigt 1860. Franchisenehmer unterliegen nicht gemäß § 2 Nr. 9 SGB VI der Rentenversicherungs- 360 pflicht, weil „sie auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber, nämlich den Franchisegeber, tätig sind“ 1861. Nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz sind keine Schadenersatz-Sammelklagen von Franchisenehmern wegen Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten möglich 1862. Der Franchisegeber muss auch über Einkaufsvorteile (dazu unten, Rn 468 ff) und Gebühren aufklären 1863. b) Vertragliche Vereinbarung. Wie dargestellt, werden die vertraglichen Pflichten der 361 Parteien meist umfassend geregelt. Nicht anders als beispielsweise Kfz-Vertragshändlerverträge sind Franchiseverträge für ihren extensiven Inhalt bekannt. Der Franchisegeber kann sich wirksam verpflichten, nicht in Wettbewerb zum Franchisenehmer zu treten, der Franchisenehmer darf u.a. Verpflichtungen zum Qualitätsmanagement, zur Führung eines Mindestsortiments, zur Zahlung von Werbekosten, Vertraulichkeit, Teilnahme an Ausbildungsveranstaltungen, zum einheitlichen Erscheinungsbild der Betriebsstätte oder zu Kontrollen durch den Franchisegeber zeichnen 1864. c) Leistungsstörungen. Die Rechtsfolgen einer Schlechterfüllung des Franchisevertrages 362 bestimmen sich danach, welche Pflicht verletzt ist. Bei vertriebsrechtlichen Pflichten stehen in erster Linie die analoge Anwendung der §§ 89a einschließlich seines Absatzes 2 sowie § 280 BGB in Frage. Die Maßstäbe des HV-Rechts gelten auch hier. Dienstvertrag-

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Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 116. BGH, Urt. v. 20.05.2003 – KZR 27/02, BB 2003, 2258 = WuW/E DE-R 1170, WuW 2003, 1192 = DB 2003, 2435 = WRP 2003, 1454 = NJW-RR 2003, 1624. Giesler ZIP 2004, 744. Kiethe WRP 2004, 1004 (1010 f).

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SG Stuttgart, Urt. v. 25.03.2004 – S IX RA 23/03; zitiert nach Flohr BB 2006, 389 (391). Flohr BB 2006, 389 (392/393). Flohr BB 2006, 389 (393). Liebscher/Petsche EuZW 2000, 400 (404); Emde VersR 2001, 148 (157).

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liche Rechtsfolgen treten dahinter zurück, da eine Verletzung einer dienstvertraglichen Pflicht aus dem Franchisevertrag in der Regel auch eine Verletzung der vertriebsrechtlichen Absatzförderungspflicht bilden wird 1865. Soweit die Erstausstattung oder die Belieferung der Vertragswaren zwischen den Vertragspartnern in Frage steht, kann Kaufrecht Anwendung finden, insbesondere die §§ 434, 437 ff BGB 1866. Der Rücktritt nach Kaufvertragsrecht erfasst möglicherweise analog § 139 BGB den gesamten Franchisevertrag, wenn nach Sinn und Zweck und nach dem Interesse der Vertragspartner anzunehmen ist, dass die übrigen Vertragsbestandteile keine Geltung behalten sollen 1867. Für die Kaufverträge über die Belieferung mit Vertragswaren gelten unzweifelhaft die §§ 434, 437 ff BGB 1868. Die Regelungen über das Miet- und Pachtrecht treten oft zurück. Die §§ 137 ff, 581 Abs. 2 BGB sind daher im Regelfall nicht anwendbar 1869. Das gilt auch hinsichtlich der Überlassung von Franchise- und Betriebshandbüchern, weil dieser Fall durch analoge Anwendung des § 86a gelöst werden kann 1870. Nur auf ggf. separat geschlossene Miet- und Pachtverträge, etwa über Betriebsräume, ist Miet- oder Pachtrecht anwendbar. Im Fall der Nicht- oder Schlechtleistung des Franchisegebers hat der Franchisenehmer 363 folgende Rechte: ZBH gemäß § 320 Abs. 1 S. 1 BGB oder gemäß § 273 Abs. 1 BGB; Androhung einer außerordentlichen Kündigung sowie Gewährleistungsrechte. Ein Minderungsrecht des Franchisenehmers lässt sich den §§ 275 Abs. 1, 326 Abs. 1, Hs. 2, 441 Abs. 3 BGB (Teilunmöglichkeit) entnehmen. Voraussetzung ist Unmöglichkeit (§ 275 Abs. 1 BGB). Sie liegt in der Regel vor, da der überwiegende Teil der Leistung des Franchisegebers den Charakter eines absoluten Fixgeschäftes einnimmt. Bei mangelhaften Know-How-Transfer kommt ein Minderungsrecht analog §§ 581 Abs. 2, 537 BGB in Betracht. Die Aushändigung des Franchisehandbuchs stellt eine vertragliche Hauptpflicht dar. Die Einrede des nicht erfüllten Vertrages kann auch im Falle völliger Fehlerhaftigkeit des Handbuchs erhoben werden 1871. Diskutiert wird, ob der Franchisegeber gemäß §§ 581 Abs. 2, 537 BGB Gewähr für die Geeignetheit des Marketingkonzepts zur Erreichung des Zweckes leistet 1872. Im Fall einer Nicht- oder Schlechtleistung steht den Vertragspartnern zudem Schadenersatz nach §§ 280 Abs. 1, 241 BGB zu. Führt die Änderung der Systemvorgaben im laufenden Franchisevertrag zu unverhältnismäßig hohen Investitionen, die sich nicht mehr amortisieren, kann der Franchisenehmer die Einwendung nach § 275 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 BGB erheben und gegebenenfalls analog § 87d Ersatz der Aufwendungen fordern. Für die wettbewerbswidrige Werbung eines Franchisenehmers haftet der Franchise364 geber grundsätzlich nicht auf Schadenersatz. Sofern der Franchisegeber die im Streite stehende Werbung nicht veranlasst, kommt allenfalls ein durch Unterlassen begangener Verstoß in Betracht. Dieser setzt eine Erfolgsabwendungspflicht voraus, die sich insbe-

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1866 1867 1868

AA Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 4 Rn 192, die §§ 275 Abs. 1, 326 Abs. 1 Hs. 2, 441 Abs. 3, 434, 437 BGB entsprechend anwenden wollen. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 4 Rn 193. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 4 Rn 193. LG München I, Urt. v. 22.01.2001 – 8

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1869 1870 1871 1872

HKO 1156/00, unveröffentlicht; Giesler/ Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 4 Rn 193. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 4 Rn 194. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 4 Rn 194. Giesler ZIP 2000, 2098. So Kroll Informationspflichten im Franchising, 2001, S. 109 ff.

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sondere nicht aus der Überlassung von „good will“ ergibt. Eine möglicherweise in Betracht kommende Störerhaftung kann nur Abwehr-, nicht aber die geforderten Schadenersatzansprüche begründen 1873. d) Nichtigkeit. Ein Franchisevertrag kann u.a. gemäß §§ 134, 138 BGB 1874, § 306 365 BGB, Art. 81 EG oder § 34 GWB a.F.1875 (§ 85 Rn 7) nichtig sein 1876. Eine sittenwidrige Knebelung wird bei Franchiseverträgen angenommen, sofern der Franchisenehmer fast vollkommen dem Willen des Franchisegebers unterworfen und faktisch zum Angestellten im eigenen Betrieb wird. Gewisse Weisungs- und Kontrollbefugnisse sind allerdings franchisetypisch 1877. Weiter wird auf die einseitige Risikoverteilung abgestellt 1878. Bei einer Kombination mehrerer unwirksamer AGB-Klauseln kann ein Franchisevertrag gemäß § 306 BGB unwirksam werden 1879. Die Wirksamkeit des Vertrages darf ex tunc beseitigt werden (Anfechtung, außerordentl. Kündigung). Ein Franchisevertrag soll sittenwidrig sein, wenn die realen, durch die Systemwertschöpfung zu erwirtschaftenden „Lizenzanalogiesätze“ durch die Belastung mit den laufenden Franchisegebühren um mehr als 100 % überschritten werden 1880. Unterwirft sich ein Franchisenehmer einem System, das eine nahezu 100 %ige Kooperation mit dem Franchisegeber verlangt, kann hieraus nicht ohne weitere Anhaltspunkte auf eine Sittenwidrigkeit des Vertrages geschlossen werden, solange unternehmerische Gestaltungsräume verbleiben 1881. Die „Unterwerfung“ ist oft Geschäftszweck. Bei vereinbarten Mindestgebühren müssen diese, so wird vertreten, am Standort des Franchisenehmers mit den dortigen lokalen Fixkosten auf Dauer zu „rechnen“ sein 1882. Dies bedeute, dass ein break-even-point nach 18 Monaten erreicht sein müsse 1883. Ergebe sich aus dem Vergleich mit den Durchschnittserträgen der Branche, dass der durchschnittliche Ertrag der Standorte einer Branche wesentlich unter den Mindestfranchisegebühren liege, so könne sich auch daraus eine unangemessene Überbelastung ergeben 1884. In diesen Fällen ist gemäß §§ 812 ff BGB rückabzuwickeln, und zwar entsprechend der Saldotheorie. Beide Vertragspartner müssen empfangene Leistungen zurückgewähren. Folglich hat der Franchisegeber erhaltene Zahlungen unter Abzug von Warenlieferungen, Nebenkosten und Fernsprechgebühren zurückzuerstatten. Schulungskosten werden nicht angerechnet. Probleme bereiten immaterielle Leistungen des Franchisegebers, insbesondere Know-How. Es ist festzustellen, ob das erhaltene Fachwissen einen saldierungsfähigen wirtschaftlichen Wert besitzt, was der Franchisegeber darzulegen und zu beweisen hat. Von einer Werthaltigkeit ist regelmäßig nicht auszugehen (insbesondere, wenn die Leistungen ausschließlich im Zusammenhang mit weiteren Leistungen des Franchisegebers genutzt werden können), sofern die Leistungen nicht Ausdruck des franchise-spezifischen Know-Hows sind. Nicht anwendbar ist die Saldo-

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BGH, Urt. v. 06.04.2000, I ZR 67/98, NJW-RR 2000, 1710 = NJW 2001, 441 (LS) = MDR 2001, 163. OLG Oldenburg, Urt. v. 26.04.2006 – 8 U 206/06, BeckRS 2007, 16857; OLG Naumburg, Urt. v. 28.04.2006 – 10 U 45/05, BeckRS 2007, 03091; Giesler ZIP 2003, 1025. OLG Koblenz, Urt. v. 21.12.2006 – 11 HKO 4/05, BeckRS 2007, 01074. Giesler WM 2001, 1441. OLG Oldenburg, Urt. v. 26.04.2006 – 8 U 206/06, BeckRS 2007, 16857.

1878 1879

1880 1881 1882 1883 1884

OLG Oldenburg, Urt. v. 26.04.2006 – 8 U 206/06, BeckRS 2007, 16857. OLG Oldenburg, Urt. v. 26.04.2006 – 8 U 206/06, BeckRS 2007, 16857; LG Mainz, Urt. v. 20.06.2006 – 12 HKO 82/05, BeckRS 2007, 08487. Dehe/Meeth BB 2002, 2524. OLG Naumburg, Urt. v. 28.04.2006 – 10 U 45/05, BeckRS 2007, 03091. Dehe/Meeth BB 2002, 2524. Dehe/Meeth BB 2002, 2524. Dehe/Meeth BB 2002, 2524.

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theorie, wenn der Franchisevertrag mit Wirkung ex nunc beseitigt wird. Der Franchisenehmer hat u.U. Anspruch auf den nicht verbrauchten Teil eines „Eintrittsgeldes“. Er darf analog § 89b Ausgleich fordern, wobei die Tragfähigkeit der Analogie in jedem Einzelfall zu prüfen ist. Je nach Situation kann der Franchisenehmer Ansprüche, ggf. in Anspruchskonkurrenz, auf Vertragsaufhebungsschaden analog § 89a Abs. 2, Rücknahme und Vergütung von Vertragswaren (Ausnahme: Kündigung wg. schuldhaften Verhaltens des Franchisenehmers), Investitionsschutz (unklar ob als Kündigungs- oder Schadenersatzanspruch, nach Ansicht Gieslers vorrangig als finanzielle Ersatzleistung) 1885 sowie Zurückbehaltungsrecht an gemieteten Geschäftsräumen geltend machen. Hat der Franchisenehmer bei einem auf feste Zeit geschlossenen Franchisevertrag zum 366 Zeitpunkt des Vertragsschlusses eine Eintrittsgebühr gezahlt, hängt es von den Umständen des Einzelfalls ab, ob diese bei vorzeitiger Vertragsbeendigung pro rata temporis gemäß § 812 BGB zurückzuzahlen ist. Musste der Franchisegeber für das vertragsgegenständliche Know-How keine eigenen Vorleistungen aufbringen und handelte es sich um ein am Markt noch nicht erprobtes Geschäftskonzept, spricht dies für eine Rückzahlungspflicht 1886. Ein Franchisenehmer darf nach § 812 BGB Rückzahlung geleisteter Franchise367 gebühren fordern, wenn der Franchisevertrag in wesentlichen Teilen der Inhaltskontrolle gemäß § 307 BGB nicht standhält und deshalb nach § 306 Abs. 3 BGB insgesamt unwirksam ist 1887. Eine Gesamtunwirksamkeit und keine geltungserhaltende Reduktion ist anzunehmen, falls die Unwirksamkeit zahlreiche, die unternehmerische Betätigung des Franchisenehmers regelnde Klauseln, aber auch die vereinbarte Vergütungsregelung betrifft, so dass ein der Ausfüllung durch dispositives Recht und ergänzende Vertragsauslegung zugänglicher Rest nicht mehr verbleibt 1888. In Anwendung der Saldotheorie muss sich der Kläger einen Abzug gefallen lassen, dessen Höhe mit 2/3 Reduktion vom OLG München 1889 nicht beanstandet wurde. Das zur Verfügung gestellte „know how“ stellt dann keinen Wert dar, wenn es ausschließlich im Zusammenhang mit weiteren Leistungen des Franchisegebers genutzt werden kann, die nach dem Scheitern des Franchiseverhältnisses nicht mehr zur Verfügung stehen 1890. Die Nichtigkeit eines Franchisevertrages führt jedoch nicht zur Nichtigkeit der in seiner Ausführung geschlossenen Kaufverträge1891.

368

e) Aufklärungspflichten und Täuschung. Dogmatisch abzugrenzen sind Täuschungshandlungen einerseits und unvollständige Aufklärung andererseits 1892. Im Ergebnis führt beides zu denselben Rechtsfolgen. Der Franchisegeber muss vollständig und richtig aufklären und darf aufklärungsrelevante Informationen nicht zurückhalten. Beispielhaft sind die vorvertraglichen Aufklärungspflichten nach US-amerikanischem Recht, die einzelstaatlich geregelt sind. So sieht das US-amerikanische Recht vor, dass der Franchisegeber die Vertragsbedingungen in einem 20 Punkte umfassenden Auskunftsformular eingehend

1885 1886 1887 1888 1889

Richtigerweise wohl beides, nach Wahl des Franchisenehmers. OLG Hamburg, Urt. v. 30.12.2002 – 5 U 220/01, DB 2003, 1054. OLG München, Urt. v. 26.06.2002 – 7 U 5730/01, BB 2002, 2521. OLG München, Urt. v. 26.06.2002 – 7 U 5730/01, BB 2002, 2521. OLG München, Urt. v. 26.06.2002 – 7 U 5730/01, BB 2002, 2521.

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1890 1891

1892

OLG München, Urt. v. 26.06.2002 – 7 U 5730/01, BB 2002, 2521. OLG Brandenburg, Urt. v. 28.09.2005 – 4 U 37/05, NJW-RR 2006, 53; BGH v. 16.04.1986, NJW 1986, 1988; BGH, Urt. v. 23.07.1997 – VIII ZR 130/96, EWiR 1997, 985 (Schlechtriem). Giesler/Güntzel NJW 2007, 3099.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

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erläutert. Ob dies als Vorbild für das deutsche Recht gesehen werden kann, ist Gegenstand der Diskussion 1893. Das internationale Institut für die Vereinheitlichung des Privatrechts (Unidroit) hat ein Modellrecht über die Offenlegungspflichten beim Franchising (Model franchise disclosure law) entwickelt 1894. Aufklärungspflichten existieren, wenn ein Wissens- oder Informationsgefälle existiert. 369 Sie beginnen mit dem ersten Kontakt 1895 und verdichten sich mit der Vertragsfortführung. Über ihren Inhalt existieren Richtlinien des deutschen Franchise-Verbandes zur vorvertraglichen Aufklärung 1896. Der Franchisegeber hat aufgrund seiner besseren Informationslage und Kenntnis des Systems den Franchisenehmer über sämtliche Umstände aufzuklären, die für dessen Vertragsschluss erkennbar von besonderer Bedeutung sind, namentlich über dessen Erfolgschancen 1897, Funktion, Wirkungsweise 1898, Leistungen, Vorteile und Entwicklung des Franchisesystems, die Zahl der Franchisebetriebe 1899, die Anforderungen an den Franchisenehmer, die Konkurrenz- und Marktsituation, den intrabrand-Wettbewerb 1900, das erforderliche Mindest- und Startkapital, die durchschnittlich erforderlichen Finanzmittel, die durchschnittliche Umsatz- und Ertragserwartung, vergleichbare Betriebe 1901 sowie die durchschnittlichen Kosten eines Franchisebetriebs 1902. Der Franchisegeber muss nicht über jeden einzelnen denkbaren Punkt aufklären, da das unternehmerische Risiko grundsätzlich beim Franchisenehmer liegt. Die Aufklärungspflicht hat allein die Funktion, das Risiko besser überschaubar und eingrenzbarer zu machen. Realisiert sich ein gut geprüfter Plan nicht, ist dem Franchisegeber kein Vorwurf zu machen 1903. Beruhen Umsatzanalysen auf einer unsicheren Basis, ist der Franchisegeber verpflichtet, den Franchisenehmer darauf hinzuweisen 1904. Der Franchisegeber darf sein System nicht erfolgreicher darstellen, als es tatsächlich der Fall ist und gegenüber dem Franchisenehmer unzutreffende Vorstellungen über die Rentabilität erwecken. Der Franchisegeber muss den Franchisenehmer befähigen, den Umfang der über das Startkapital hinaus anfallenden Aufwendungen sowie den Zeitraum der Anfangsverluste abzuschätzen 1905. Insbesondere falls er konkrete Akquisitionsvorgaben macht und die Parteien ein Recht des Franchisegebers zur fristlosen Kündigung für den Fall der Nichteinhaltung dieser Vorgaben vereinbaren, müssen diese auf einer realistischen und sorgfältigen, auf das konkrete Vertriebssystem bezogenen Marktanalyse beruhen 1906. An einer vollständigen Aufklärung mangelt es, wenn der Franchisenehmer nicht über die „Scheiterungsquote“, also den Anteil gescheiterter Franchisenehmer, aufklärt 1907. Jedoch

1893 1894 1895

1896 1897

1898

1899

Dafür Hibt/Siemens RIW 2000, 597. Vgl. Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 7. Flohr in: Wachter, Handbuch des Fachanwalts für Handels- und Gesellschaftsrecht, Münster 2007, Kap. 6 Rn 96. Wiedergegeben in: Jahrbuch Franchising 1999/2000, S. 243 ff. OLG München, Urt. v. 24.04.2001 – 5 U 2180/00, BB 2001, 1759 m. Anm. Böhner BB 2001, 1749. OLG München, Urt. v. 24.04.2001 – 5 U 2180/00, BB 2001, 1759 m. Anm. Böhner BB 2001, 1749; Hibt/Siemens RIW 2000, 597. Giesler/Güntzel NJW 2007, 3099 (3100).

1900 1901 1902 1903 1904

1905 1906 1907

Liesegang BB 1999, 857. Giesler/Güntzel NJW 2007, 3099 (3100). Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 27. Giesler/Güntzel NJW 2007, 3099. Flohr in: Wachter, Handbuch des Fachanwalts für Handels- und Gesellschaftsrecht, Münster 2007, Kap. 6 Rn 91. OLG Stuttgart, Urt. v. 13.07.2001 – 2 U 223/00, unveröffentlicht. OLG Hamburg, Urt. v. 30.12.2002 – 5 U 220/01, DB 2003, 1054. OLG München, Urt. v. 24.4.2001 – 5 U 2180/00, BB 2001, 1759 m. Anm. Böhner BB 2001, 1749.

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braucht der Franchisegeber seinem Franchisenehmer vor Vertragsschluss keine Standortanalyse 1908, Marktanalyse 1909 oder eine Wirtschaftlichkeitsberechnung vorzulegen. Das gilt jedenfalls, sofern eine solche dem Franchisegeber nicht vorliegt 1910. Die sich aus dem Gebot von Treu und Glauben abzuleitenden allgemeinen Auskunfts- und Beratungspflichten des Franchisegebers würden überspannt, wenn man annehmen wolle, er müsse dem Franchisenehmer nicht nur das Datenmaterial für eine eigene Wirtschaftlichkeitsprognose überlassen, sondern darüber hinaus auf eigene Kosten eine ins Einzelne gehende Rentabilitätsuntersuchung durchführen und dem Franchisenehmer für deren Richtigkeit einstehen. Es ist vielmehr Sache des Franchisenehmers, aus dem Datenmaterial des Franchisegebers Rückschlüsse auf die Erfolgsaussichten des geplanten Franchisegeschäftes zu ziehen und zu diesem Zweck eine Wirtschaftlichkeitsprüfung durchzuführen 1911. Täuschungshandlungen betreffen beispielsweise die Aussagen, es gebe eine große Zahl 370 erfolgreicher Franchisenehmer, was tatsächlich nicht zutraf 1912; man könne als Franchisenehmer viel Geld sicher verdienen, während utopische Umsatzzahlen als vorsichtige Schätzungen bezeichnet wurden 1913; die wahrheitswidrige Behauptung, es bestehe ein bundesweites Netz von Master-Franchisenehmern und deshalb ein reichhaltiger Erfahrungsschatz 1914; falsche Angaben zur Erprobung und zu dem bisher erzielten Markterfolg des Franchisesystems 1915; unrichtige Angaben dazu, ob in den Einzugsbereich des Franchisenehmers bereits Kunden vorhanden sind 1916; die Anpreisung, der Erfolg sei praktisch vorprogrammiert, obwohl von 135 Franchisenehmern 28 Unternehmen wirtschaftliche Schwierigkeiten hatten 1917 und die Darstellung einer krisensicheren Zukunft, während in dem Franchisesystem erhebliche Schwierigkeiten bestanden 1918. Wird ein Franchisenehmer vor Vertragschluss vom Franchisegeber über zu erwartende 371 Umsätze getäuscht, haftet er dem Franchisenehmer, wenn die Prognosezahlen nicht auf einer nachvollziehbaren, realistischen Grundlage basieren und die Täuschung hinsichtlich der Tatsachen erfolgt, die für die Willensbildung von ausschlaggebender Bedeutung sind 1919. Die vorvertragliche Haftung folgt aus den §§ 280 I, 241 II, 311 II BGB oder aus Deliktsrecht (§ 823 Abs. 2 BGB, 263 StGB) 1920. Die Haftung für Prognosen, etwa Umsatz und Rentabilitätsplanungen, tritt beispielsweise ein, wenn die Prognosezahlen auf keiner nachvollziehbaren, realistischen Grundlage basieren 1921. Ob die Grundsätze zur

1908

1909 1910 1911

1912 1913

OLG Düsseldorf, Urt. v. 30.6.2004 – VI-U (Kart) 40/02, BeckRS 2004, 12148; OLG Brandenburg, NJW-RR 2006, 51; Giesler/ Güntzel NJW 2007, 3099 (3101); aA OLG Köln, Urt. v. 16.5.2004, zit. nach Flohr WiB 1996, 1137 (1140); LG Essen, Urt. v. 09.05.2005 – 18 O 238/04; Braun NJW 1995, 504 (505). Giesler/Güntzel NJW 2007, 3099 (3101). Giesler/Güntzel NJW 2007, 3099 (3101). OLG Brandenburg, Urt. v. 28.09.2005 – 4 U 37/05, NJW-RR 2006, 51 (52); siehe hierzu auch OLG Frankfurt/Main, Urt. v. 25.01.2005 – 11 U (Kart) 12/04; zitiert nach Haager NJW 2005, 3394 (3399). OLG München, Urt. v. 13.11.1997, BB 1988, 865. OLG München, Urt. v. 16.09.1993, NJW 1994, 667 ff.

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1914 1915

1916 1917 1918 1919 1920 1921

OLG Köln, Urt. v. 07.09.2001 – 19 U 83/01, unveröffentlicht. LG Hamburg, Urt. v. 02.05.1995 – 312 O 519/94, unveröffentlicht; bestätigt durch OLG Hamburg, Urt. v. 17.04.1996 – 5 U 137/95, unveröffentlicht. LG München I, Urt. v. 31.07.2001 – 4 O 2319/00, unveröffentlicht. OLG München v. 24.04.2001, BB 2001, 1759 (1761). OLG Köln, Urt. v. 07.09.2001 – 19 U 83/01, unveröffentlicht. OLG München, Urt. v. 1.08.2002 – 8 U 5085/01, BB 2003, 443. Giesler/Nauschütt BB 2003, 435. BGH, Urt. v. 07.10.1987, WM 1987, 1557 (1558); LG Hamburg, Urt. v. 02.05.1995 – 312 O 519/94, unveröffentlicht; OLG Hamburg, Urt. v. 17.04.1996 – 5 U 137/95,

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Prospekthaftung oder zur Haftung im Kapitalanlagebereich anwendbar sind, ist umstritten. Teilweise wird dies verneint, weil der Erfolg des Franchisenehmers weitgehend von Marktlage, Einsatz und Tüchtigkeit abhängt 1922. Andere wiederum bejahen die Anwendbarkeit, z.T. unter Hinweis auf die Eigenschaft des Franchisenehmers als Kapitalanleger 1923. Die Prospekthaftung trete neben die Haftung des Franchisegebers aus §§ 311 Abs. 2, 280 BGB. Ihm seien falsche Prospektangaben zuzurechnen, wenn er die Fehlerhaftigkeit kannte oder kennen musste und dennoch den Prospekt publizierte. Ein Mitverschulden des Franchisenehmers sei nicht pauschal auszuschließen. Ersetzt wird der Vertrauensschaden 1924. Der Franchisegeber hat den Franchisenehmer so zu stellen, wie er stehen würde, wenn er nicht auf die Richtigkeit der Aufklärung bei Abschluss des Franchisevertrages vertraut hätte (negatives Interesse) 1925. Ersetzt werden mindestens die gezahlten Franchisegebühren, die Aufwendungen für den Bürobetrieb sowie die Kosten, welche für die Führung des Franchisebetriebs nach den Vorgaben des Franchisegebers entstanden sind, jedoch unter Abzug der erzielten Einnahmen 1926, Restwerte und Verwertungserlöse 1927. Den Franchisegeber trifft die Beweislast dafür, dass die vorvertraglichen Angaben zutreffend sind 1928 und er vollständig und wahrheitsgemäß aufgeklärt hat, da nur er hinreichend Einblick in die Umstände hat, die zu den mitgeteilten Informationen geführt haben 1929 und dokumentieren kann. Die Kausalität zwischen Täuschung und Aufklärungspflichtverletzung und dem Entschluss des Franchisenehmers, den Franchisevertrag zu unterzeichnen, wird vermutet 1930. Ein Franchisegeber darf dem Franchisenehmer regelmäßig nicht als Mitverschulden entgegenhalten, dass er leichtfertig den Anpreisungen des Franchisegebers vertraut hat 1931. In einem Urteil aus 2001 geht das OLG München 1932 von einem Mitverschulden des Franchisenehmers aus. Zum Führen eines Schadensersatzprozesses Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 43. Das OLG Frankfurt/Main 1933 verneint Schadenersatzansprüche eines Franchisenehmers 372 wegen Verschuldens bei Vertragsverhandlungen, falls die vom Franchisegeber prognostizierten Umsatzvorgaben lediglich um rund 15 % verfehlt wurden. Nach Ansicht von Haager 1934 übersieht das Gericht dabei, dass der Break-Even und damit ein rentables

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1923 1924

1925 1926 1927

1928

unveröffentlicht; OLG München, Urt. v. 05.08.2002, BB 2003, 443; Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005 Rn 35. OLG München, Urt. v. 24.04.2001 – 5 U 2180/00, BB 2001, 1759 m. Anm. Böhner BB 2001, 1749. Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 46. Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 40; Giesler ZIP 2000, 21 (31). OLG Brandenburg, Urt. v. 28.09.2005 – 4 U 37/05, NJW-RR 2006, 53. Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 40. OLG München, Urt. v. 24.04.2001 – 5 U 2180/00, BB 2001, 1759 m. Anm. Böhner BB 2001, 1749; OLG München, Urt. v. 16.09.1993, NJW 1994, 667 ff. OLG München, Urt. v. 13.11.1987, BB 1988, 865 ff; LG Hamburg, Urt.

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v. 02.05.1995 – 312 O 519/94 unveröffentlicht. OLG Hamburg, Urt. v. 30.12.2002 – 5 U 220/01, DB 2003, 1054. Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 37. OLG München, Urt. v. 16.09.1993, NJW 1994, 667 ff m. Anm. Böhner NJW 1994, 635; Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 38; differenzierend nach Geschäftserfahrung vgl. Flohr in: Wachter, Handbuch des Fachanwalts für Handels- und Gesellschaftsrecht, Münster 2007, Kap. 6 Rn 108; Flohr WiB 1996, 1137 (1139); Böhner NJW 1994, 635. Urt. v. 24.04.2001, BB 2001, 1759 (1761). Urt. v. 25.01.2005 – 11 U (Kart) 12/04; zitiert nach Haager NJW 2005, 3394 (3399). NJW 2005, 3394 (3399).

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Betreiben des Ladenlokals erst bei einem Erreichen von mindestens 98 % des vorgegebenen Mindestumsatzes eingetreten wären. Die deutsche Tochtergesellschaft eines ausländischen Franchisegebers kann als Ver373 handlungsgehilfe des Franchisegebers wegen der Verletzung vorvertraglicher Pflichten ausnahmsweise selbst haften, weil sie ein eigenes wirtschaftliches Interesse am Zustandekommen des Vertrages hat und gleichsam in eigener Sache tätig wird, wenn sie eine selbstübernommene Gewähr für die Richtigkeit einer von ihr übergebenen Wirtschaftlichkeitsberechnung übernimmt, indem sie zusichert, im Falle eines Scheiterns des Projekts werde sie das Franchiseobjekt übernehmen, „wie sich das für eine große Franchisefamilie gehöre“ 1935. Der Franchisenehmer hat über seine beruflichen Fähigkeiten, persönlichen Eigenschaften und finanziellen Möglichkeiten aufzuklären 1936.

374

f) Teilhabe des Franchisenehmers an Einkaufsvorteilen des Franchisegebers. Umstritten ist, inwieweit Franchisegeber zur Weitergabe von Einkaufsvorteilen (sog. „kick-backs“) an ihre Franchisenehmer verpflichtet sind. Zunächst: Eine Verpflichtung des Franchisegebers, vorteilhafte Einkaufsbedingungen auszuhandeln, dürfte fehlen 1937. Einkaufsvorteile sind von der unstrittig zulässigen Handelsspanne 1938 abzugrenzen, die der Franchisegeber erhebt, wenn er selbst Produzent und Verkäufer ist. Der US-amerikanische Robinson-Patment-Act 1939 verbietet solche kick-backs. Für das dispositive deutsche Recht ist die Frage höchstrichterlich ungeklärt: Nach einer Ansicht gibt es keinen etwa aus §§ 675 Abs. 1, 666, 667, 242 BGB hergeleiteten gesetzlichen Anspruch auf Weitergabe von Einkaufsvorteilen des Franchisegebers an Franchisenehmer. Eine solche Pflicht könne höchstens einer Auslegung der vertraglichen Abreden entnommen werden 1940. Ergäbe sie eine Weitergabepflicht, habe der Franchisegeber alle systemimmanenten Vorteile des Franchisesystems offenzulegen und auszukehren 1941. Diese Ansicht vertritt, Einkaufsvorteile müssten nicht weitergegeben werden, wenn vertraglich auf den Verbleib der Kick-backs beim Franchisegeber hingewiesen (was die Zulässigkeit solcher Klauseln impliziert) oder die Weitergabe in den zwischen Franchisegeber und Lieferanten gezeichneten Lieferverträgen ausgeschlossen wurde 1942 (diese wären jedoch bei fehlender Beteiligung der Franchisenehmer ein Vertrag zu Lasten der Franchisenehmer). Franchisegeber gehen dazu über, zu vereinbaren, dass Einkaufsvorteile als Gegenleistung für geführte Listungs- und Konditionengespräche beim Franchisenehmer verbleiben 1943. Das setzt jedoch die vom Franchisegeber zu beweisende Werthaltigkeit seiner Gegenleistung voraus. Nur dann genügt die Klausel, Einkaufsvorteile verblieben beim Franchisegeber, dem Transparenzgebot und benachteiligt den Franchisenehmer nicht unangemessen i.S.v. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB 1944. Jene Literaturmeinung fühlte sich 2003 durch die ApolloUrteile 1945 bestärkt. Zwar befürwortete der Kartellsenat hier Auskunfts- und Zahlungs-

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BGH, Urt. v. 13.12.2005 – KZR 12/04, NJW-RR 2006, 993 = NJW 2006, 2547 (LS). Flohr in: Wachter, Handbuch des Fachanwalts für Handels- und Gesellschaftsrecht, Münster 2007, Kap. 6 Rn 114. Flohr BB 2007, 6 (9). Giesler/Güntzel ZIP 2006, 1792. U.S.C. § 13 (c). OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.12.2006 – VI-U (Kart) 36/05, BB 2007, 738, 740;

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Flohr BB 2006, 1074; BB 2007, 741; Prasse MDR 2004, 256; Haager NJW 2004, 1220; zum Streitstand auch Haager NJW 2002, 1463. NJW 2004, 1220. Flohr BB 2006, 389 (393). Flohr BB 2007, 6 (7). Flohr BB 2007, 6 (8). BGH ZIP 2003 (2030); BGH ZIP 2004, 773; BGH v. 25.05.2003 – KZR 29/02 und weitere Urteile.

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ansprüche der Franchisenehmer auf der Grundlage einer vertraglichen Regelung im Franchisevertrag. Alle drei Entscheidungen enthielten jedoch die Formulierung, es könne offen bleiben, ob neben der vertraglichen Regelung auch andere rechtliche Gesichtspunkte als Grundlage des verfolgten Begehrens in Betracht kämen. Dies wurde als Hinweis auf die Nichtexistenz eines gesetzlich normierten Anspruchs interpretiert, was angesichts des Vorrangs vertraglicher Ansprüche möglicherweise eine Fehldeutung ist. In dem HertzUrteil 1946 wurde ein Recht auf Auskehrung der Einkaufsvorteile gegen eine Beklagte abgelehnt, weil sie nicht selbst solche Vorteile erzielte und einbehalten hatte und gegen die andere bereits aus einer vertraglichen Abrede bejaht. Auch jenes Urteil wurde teilweise dahin verstanden, es teile die Position derjenigen, die gesetzliche Auskunfts- und Zahlungsansprüche der Franchisenehmer ablehnten. Insgesamt ist es nach dieser Auffassung rechenschaftsfreies Interna des Franchisegebers, in welcher Weise er seine Einkünfte erzielt. Nach der Gegenansicht ist die Schadenersatzpflicht und das vorgeschaltete Auskunftsrecht auch ohne vertragliche Verpflichtung zur Weiterleitung der Einkaufsvorteile existent 1947. Diese Meinungsgruppe ist der Auffassung 1948, der BGH habe einen gesetzlichen Anspruch auf Auskunft und Zahlung nicht abgelehnt. In seinen Hertz-Urteilen habe er die Frage, ob sich Zahlungsansprüche aus den §§ 675, 666, 242, 667 BGB ergeben könnten, nicht beantwortet 1949, weil er Ansprüche gegen eine Beklagte wegen fehlender Einkaufsvorteile ablehnte und gegen die andere auf Grund einer Vertragsauslegung befürwortete. Gemäß §§ 675, 667, 242 BGB, 20 Abs. 1, 2, 33 GWB 1950 treffe den Franchisegeber bereits aus dem Gesetz die Pflicht zur Herausgabe von Prämien, Rückvergütungen, Werbekosten, Zuschüssen, Provisionen und Einkaufsvorteilen, welche Lieferanten aufgrund des Warenbezugs der Franchisenehmer an ihn zahlten 1951. Entgegenstehende Regelungen in Franchiseverträgen verstießen gegen § 307 BGB 1952. Der Franchisegeber habe im Rahmen seiner vorvertraglichen Aufklärungspflicht über Einkaufsvorteile aufzuklären (sonst: §§ 311, 280 BGB) 1953. Ferner ist an eine Haftung aus §§ 823 Abs. 2 BGB, 263 StGB und ein Recht zur außerordentlichen Kündigung zu denken 1954. Richtig dürfte sein, dass der Franchisegeber sich seine Leistungen auch durch Einkaufsvorteile bezahlen lassen darf. Er muss dann jedoch hinreichend transparent über einbehaltene Vorteile sowie das Leistungs-Gegenleistungsverhältnis informieren. Das Verschweigen der Einkaufsvorteile ist Betrug, die Aufklärungspflicht ergibt sich aus dem Franchisevertrag 1955. Kenntnisse einer Einkaufsvorteile verhandelnden Muttergesellschaft müsse sich der Franchisenehmer zurechnen lassen 1956. Im Normbereich des § 20 GWB folgt die Schadenersatzpflicht auch aus § 33 GWB, wenn eigene und fremde Filialen des Franchisegebers ungleich behandelt werden 1957. Entsprechend vertritt das BKartA, ein Franchisegeber benachteilige seine Franchisenehmer unbillig i.S.d. § 20 Abs. 1 GWB, sofern er ihnen eine ausschließliche Bezugspflicht hinsichtlich des gesamten Warensorti-

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BGH ZIP 2006, 810 = BB 2006, 1071. Siehe Emde EWiR 2004, 67 (68). Böhner WRP 2006, 1089 (1092); Giesler ZIP 2004, 744. Giesler/Güntzel ZIP 2006, 1792 (1794). Flohr BB 2007, 6 ff. OLG München, BB 1997, 1430; LG Hamburg, Urt. v. 10.04.2001 – 313 O 182/99 und 313 O 184/99; Böhner NJW 1998, 109; Flohr DStR 2001, 710; Giesler in: Giesler/Nauschutt, Franchiserecht, 2002, § 5 Rn 137.

1952 1953 1954 1955 1956

1957

AA Flohr BB 2007, 6 (8). Flohr BB 2006, 389 (393); Flohr BB 2007, 741 (742). Flohr BB 2007, 6 ff. Emde VersR 2004, 1499 (1504). OLG München, Urt. v. 27.07.2006 – 23 U 5590/05, BB 2007, 14; Flohr BB 2007, 6 ff. BGH NJW-RR 2003, 834; OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.12.2006 – VI-U (Kart) 36/05, BB 2007, 738 (740) = EWiR 2007, 395 (Emde).

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mentes auferlege, jedoch Einkaufsvorteile vorenthalte 1958. Die Unbilligkeit ergebe sich aus der Koppelung beider Klauseln. Die Einstandspflicht des Franchisegebers für die Zahlungsverpflichtungen der Franchisenehmer gegenüber den Lieferanten biete keine sachliche Rechtfertigung der Einkaufsvorteile. Denn sie stehe mit ihnen in keinem sachlichen Zusammenhang 1959. Die Praxis, von systemgebundenen Franchisenehmern unangemessene Bezugspreise zu fordern, stelle nach diesem Beschluss eine unbillige Behinderung abhängiger Unternehmer i.S.v. § 20 Abs. 1 GWB dar und führe gemäß §§ 20 Abs. 1, 2, 33 GWB zur Verpflichtung, gewonnene Einkaufsvorteile an die Franchisenehmer zurückzuzahlen. Eine Aufklärung des Franchisenehmers über den Einbehalt der Einkaufsvorteile kann die im öffentlichen Interesse eintretende Kartellrechtswidrigkeit nicht beseitigen 1960, die Wirksamkeit einer Aufklärung mittels AGB ist umstritten 1961. Bisher galt: enthielt der Franchisevertrag keine Regelung über die Auskehrung von Einkaufsvorteilen, fehlte eine derartige Pflicht 1962. Der Beschluss des BKartA habe – so Flohr – nur Bedeutung, wenn drei Voraussetzungen erfüllt seien: Erstens eine 100 %ige Bezugsbindung, zweitens die fehlende Berechtigung zu selbständigen Einkaufsverhandlungen mit den Systemlieferanten sowie drittens Einkaufsvorteile. Er sei unmaßgeblich, wenn eine 100 %ige Bezugsbindung nicht auf einer verpflichtenden Regelung, sondern auf einer eigenen Entscheidung der Franchisenehmer beruhe 1963. Die Anforderungen des Beschlusses gelten auch für Dienstleistungs-Franchisesysteme. Soweit es sich bei den kick-backs um „verdeckte Franchisegebühren“ handelt, die im Franchisevertrag unerwähnt blieben, wird vertreten, der Vertrag erfülle nicht das Schriftformerfordernis des § 505 Abs. 2 BGB 1964. Letzteres ist zweifelhaft. Es dürfte zwischen dem Franchisevertrag und den in seiner Ausführung geschlossenen Kaufverträgen zu unterscheiden sein. Beide stehen in keinem untrennbaren Zusammenhang, da die Anzahl der zu schließenden Einzelverträge und die Höhe des Gewinns aus ihnen noch unbestimmt ist. Zudem handelt es sich bei den Rabatten nicht um essentialia des Vertrages, welche dem Schriftformerfordernis unterliegen 1965. Nach beiden Meinungsgruppen sind allerdings zunächst die vertraglichen Abreden zu 375 prüfen, ehe es auf gesetzliche Ansprüche ankommt: Enthält der Franchisevertrag (hier

1958

AA OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.12.2006 – VI-U (Kart) 36/05, BB 2007, 738 (740): Die Franchisegeberin habe weder gegen das Diskriminierungs- noch gegen das Verbot unbilliger Behinderung verstoßen. Zwar stelle sie in eigenen Filialen die Ware zu den Konditionen zur Verfügung, die sie bei den Lieferanten ausgehandelt habe, während sie dies ihren Franchisenehmern verweigere. Es handele sich aber nicht um gleichartige Unternehmen im Sinne des § 20 Abs. 1 GWB. Die zum Vergleich herangezogenen Unternehmen müssten „andere“ Unternehmen seien. Die sei nicht der Fall, wenn die Vergleichsunternehmen mit dem unterschiedlich behandelten Unternehmen eine unternehmerische Einheit bildeten, also Konzernunternehmen seien. Auch eine Behinderung gem. § 20 GWB scheide aus. Die Bevorzugung konzernmäßig verbunde-

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1959

1960 1961 1962 1963 1964

1965

ner Unternehmen könne sich zwar als Behinderung von Wettbewerbern darstellen. Jedoch sei diese in der Regel nicht unbillig. Etwas andere gelte nur dann, wenn sich die Außenwirkung der konzerninternen Vorgänge auf dem Markt zwischen den Konkurrenten auswirkten und zu einer wettbewerbswidrigen Schieflage führten. BKartA, Beschl. v. 08.05.2006 – B9-149/04, ZIP 2006, 1007 (1788), mit Anmerkung Giesler/Güntzel; hierzu Flohr BB 2007, 6 ff. Flohr BB 2007, 6 (9). Befürwortend Flohr BB 2007, 6 (8). Flohr BB 2007, 6 (7). Flohr BB 2007, 6 (9). Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 137; Giesler ZIP 2004, 744. Emde BB 2005, 390 (391).

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

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Apollos) die Klausel, „Vorteile … zur Erreichung optimaler Geschäftserfolge“ seien an die Franchisenehmer weiter zu geben, verpflichtet sie den Franchisegeber in ihrer nach § 305c Abs. 2 BGB maßgeblichen kundenfreundlichsten Auslegung zur Weitergabe sämtlicher Einkaufsvorteile. Die Franchisenehmer können dann gemäß § 242 BGB Auskunft über die erzielten Einkaufsvorteile fordern 1966. Gleiches gilt, falls der Vertrag die Teilnahme der Franchisenehmer an Einkaufskonditionen und eine Auskunftspflicht über die Sonderkonditionen vorschreibt 1967. Sieht der Franchisevertrag hingegen nur eine Unterstützungspflicht bei der Bearbeitung von Verfahrensweisen hinsichtlich des Erwerbs von Material und Ausrüstung vor oder die Verpflichtung, laufend zentrale Leistungen zur Verfügung zu stellen 1968, ergibt sich keine Herausgabepflicht. g) Franchisenetzwerkhaftung. Diskutiert wird, ob es neben dem Franchisevertrags- 376 recht ein Franchisenetzwerkrecht gibt, aus dem sich eine zusätzliche Grundlage für die Weiterleitung von Einkaufsvorteilen herleiten lässt 1969. Das dürfte eher zweifelhaft sein. Sofern bei Vertragsschluss nicht weitere Umstände vorliegen, führt nach Ansicht des BGH allein der Umstand, dass innerhalb eines Franchisesystems Marken oder sonstige Kennzeichen einheitlich als Bestandteil zur Bildung von weitere Bestandteile enthaltenden Firmen- oder sonstigen geschäftlichen Bezeichnungen verwendet werden, auch nicht zur Verpflichtung des Franchisegebers oder anderer Franchisenehmer nach Rechtsscheingrundsätzen1970. Ob eine andere rechtliche Beurteilung in Betracht zu ziehen ist, wenn Unternehmen im Rahmen eines Franchisesystems unter identischen Bezeichnungen auftreten, ohne dass ersichtlich wird, ob es sich jeweils um rechtlich selbstständige Unternehmen handelt, könne, so der BGH, offen gelassen werden1971. Dies wird jedoch zum Teil angenommen: Eine Haftung des Franchisegebers für Verbindlichkeiten des Franchisenehmers und damit eine Franchisenetzwerkhaftung soll möglich sein, falls der Markenname des Franchisesystems durch gemeinsame und überregionale Werbung, Systemlogo, Symbole, Slogan, Handelsnamen und sonstige Geschäftsbezeichnungen überregionale Bedeutung gewonnen und die Firma des Franchisenehmers dahinter zurücktritt1972. Der nach § 15a GewO bekanntzugebende Firmenname tritt dahinter zurück, weil er von den maßgeblichen Verkehrskreisen regelmäßig nicht bemerkt wird. Die Verpflichtung des Franchisegebers ergibt sich aus den Grundsätzen des unternehmensbezogenen Geschäfts 1973 sowie den Grundsätzen der Duldungs- und Anscheinsvollmacht1974. Eine An1966

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BGH, Urt. v. 20.05.2003 – KZR 19/02 (Apollo), BB 2003, 2254 (2255) = DB 2003, 2434 = WRP 2003, 1448 = MDR 2003, 1344 = NJW-RR 2003, 1635 = EWiR 2004, 67 (Emde); ebenso BGH, Urt. v. 20.5.2003 – KZR 27/02, NJW-RR 2003, 1624. Zu dem Urteil Böhner BB 2004, 119. BGH, Urt. v. 22.02.2006 – VIII ZR 40/04, WRP 2006, 595 = ZIP 2006, 810 = WM 2006, 923 = BB 2006, 1071 m. Anm. Flohr = NJW-RR 2006, 776 = GRUR 2006, 610. OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.12.2006 – VI-U (Kart) 36/05, BB 2007, 738, 739 = EWiR 2007, 395 (Emde). Siehe Böhner BB 2004, 119; Teubner, ZHR 198 (2004), 1; einschränkend Giesler ZIP 2004, 744.

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1973 1974

BGH, Urt. v 18.12.2007 – X ZR 137/04, DB 2008, 812 (813). BGH, Urt. v 18.12.2007 – X ZR 137/04, DB 2008, 812 (813). Buck-Heeb/Dieckmann DB 2008, 855, 857; Martinek/Semler/Habermeier 2, § 23 Rn 68; Bräutigam in: Metzlaff, Praxishandbuch Franchising 2003, § 13 Rn 4 f. Heeb/Dieckmann BB 2008, 855 (856). Heeb/Dieckmann BB 2008, 855 (858); Wolf/Ungeheuer BB 1994, 1027; Pasderski in: Giesler/Nauschütt, Franchiserecht, 2. Aufl. 2007, Kapitel 6 Rn 27 f; Bräutigam in: Metzlaff, Praxishandbuch Franchising 2003, § 13 Rn 6; aA Ullmann NJW 1994, 1255 (1556).

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fechtung der Rechtsscheinsvollmacht scheidet regelmäßig aus, und zwar bereits deshalb, weil sich der Franchisegeber über die Rechtswirkungen des gemeinsamen Auftritts bewusst ist: Er verpflichtet die Franchisenehmer regelmäßig dazu, ihre Stellung als selbständige und unabhängige Unternehmen kenntlich zu machen1975.

377

h) Vertragsende. Die in § 89 normierten Kündigungsfristen des HV-Rechts gelten analog im Franchiserecht, sofern der Franchisenehmer einem HV vergleichbar in das Vertriebsystem des Franchisegebers integriert ist 1976. § 89 gewährt dem HV Schutzfristen, binnen derer er sich um eine neue Tätigkeit bemühen könne. Die Notwendigkeit einer solchen Umstellungsfrist besteht bei einem Franchisenehmer zumindest dann, wenn er seinen Geschäftsbetrieb im o.g. Sinne vertragsgemäß weitgehend auf das Vertriebskonzept des Franchisegebers zuzuschneiden hat 1977. Gegenüber dem HV-Recht können längere Kündigungsfristen erforderlich sein, vor allem im Falle erheblicher Investitionen 1978. Demgegenüber soll die analoge Anwendung des § 89a 1979 Abs. 1 mangels Regelungslücke seit der Einführung von § 314 BGB ausgeschlossen sein 1980, was wegen der größeren Regelungsnähe des HV-Rechts zweifelhaft ist 1981. Beim Franchising soll regelmäßig eine Mindestkündigungsfrist von zwei Jahren nicht zu unterschreiten sein 1982. Geht mit dem Franchisevertrag ein Mietvertrag über die Geschäftsräume einher, wird diskutiert, ob der Franchisenehmer bei einem gleichzeitig endenden Mietvertrag zu einer Nutzungsfortsetzung berechtigt ist 1983. Regelmäßig wird dies nicht der Fall sein. Franchisenehmer oder Vertragshändler sind häufig unter der Marke oder Geschäftsbezeichnung des Vertriebssystems in Telefonbüchern und Verzeichnissen eingetragen. Diese Eintragung muss nach Vertragsende in der nächsterreichbaren Ausgabe geändert werden 1984. Für die Umsetzung haftet der Franchisenehmer nicht, wenn seine Änderungsanweisung nicht ausgeführt wird. Der Verlag ist nicht Erfüllungshilfe des Vertriebsmittlers 1985.

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Buck-Heeb/Dieckmann BB 2008, 855 (858); Wolf/Ungeheuer BB 1994, 1027; Pasderski in: Giesler/Nauschütt, Franchiserecht, 2. Aufl. 2007, Kapitel 6 Rn. 27 f; Bräutigam in: Metzlaff, Praxishandbuch Franchising 2003, § 13 Rn. 6; aA Ullmann NJW 1994, 1255 (1556). BGH, Urt. v. 17.07.2002 – VIII ZR 59/01, DB 2002, 1992 = MDR 2002, 1259 = NJW-RR 2002, 1554 = EWiR 2002, (Emde) = WM 2003, 251. BGH, Urt. v. 17.07.2002 – VIII ZR 59/01, DB 2002, 1992 = MDR 2002, 1259 = NJW-RR 2002, 1554 = EWiR 2002, (Emde) = WM 2003, 251. Martinek/Semler § 21 Rn 12 ff, 39 ff. Zu ihr Martinek/Semler § 19 Rn 60 ff; § 21 Rn 18 ff; BGH, Urt. v. 17.12.1998 – I ZR 106/96, NJW 1999, 1177 m. Anm. Martinek EWiR 1999, 303.

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Giesler ZIP 2002, 420 (426); Giesler ZIP 2004, 744; aA Höpfner in: Giesler/ Nauschütt § 12 Rn 44. Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 294. Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 322; Pfeffer NJW 1985, 1241 (1247). Eingehend Giesler in: Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 205 ff. Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 441; Giesler WM 2001, 658. Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 441; Giesler WM 2001, 658.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

Vor § 84

O. Kommissionär und Kommissionsagent Mit dem Kommissionär der §§ 383 ff hat der HV gemeinsam, dass er wie jener für 378 fremde Rechnung tätig wird. Auch ist die Weite des Branchenfeldes im Prinzip die gleiche. Die entscheidenden Unterschiede zwischen HV und Kommissionär liegen im Grundsatz darin, dass der HV an seinen Unternehmer durch Dauervertrag gebunden ist, während der Kommissionär im Einzelauftrag tätig wird1986; zum anderen: dass der HV nur vermittelt, äußerstenfalls im Namen seines Auftraggebers abschließt, also erkennbar für diesen auftritt, während der Kommissionär im eigenen Namen auftritt und abschließt (das Kommissionsgeschäft ist der Hauptanwendungsfall der sog. verdeckten Stellvertretung). Außerdem kennt das Kommissionsrecht die sog. Gelegenheitskommission eines sonst in anderen Branchen tätigen Kaufmanns, die im HV-Recht keine Entsprechung hat (der HV im Nebenberuf, § 92b, ist rechtlich und soziologisch keine vergleichbare Erscheinung). Auch hat der HV nicht das Selbsteintrittsrecht in das vermittelte Geschäft, welches dem Kommissionär nach § 400 zusteht. Die eigentliche Warenkommission wiederum ist im Inlandsgeschäft auf geringe Reste wie im Weinhandel, Briefmarkenhandel, Kunst- und Antiquitätenhandel verschwunden; nur im Export hat sie hier noch eine gewisse Bedeutung. Während der Kommissionär im Einzelauftrag tätig wird, ist er, wenn er zur kommis- 379 sionsweisen Wahrnehmung von Aufträgen im Dauerverhältnis mit seinem Auftraggeber steht, Kommissionsagent 1987. Der Verkauf erfolgt dann zu den vom Unternehmer vorgegebenen Preisen. Der Kommmissionsagent ist alleiniger Vertragspartner des Kunden (Abnehmers) mit allen sich daraus ergebenden Pflichten. Nur im Innenverhältnis entlastet ihn der Unternehmer meist von allen mit der Vertragserfüllung nach außen zusammenhängenden Aufgaben, z.B. Gewährleistung, Kundendienst. Er übernimmt ferner das Risiko für Absatz, Transport, Lagerhaltung, Gewährleistung. Hierdurch gewinnt der Unternehmer einen ständig beauftragten Absatzmittler mit der Stellung eines verdeckten Stellvertreters und braucht nicht selbst in direkte Vertragsbeziehungen zu dem Kunden zu treten 1988. Der Typus ist im Gesetz nicht geregelt. Da die Bindung im Dauerverhältnis ihn mit dem HV, der Modus der Interessenwahrnehmung durch Abschlüsse im eigenen Namen für fremde Rechnung mit dem Kommissionär verbindet, kommt erneut die Frage ins Spiel, wieweit in den Innenbeziehungen zum Auftraggeber HV-Recht analog anzuwenden sei 1989. Das ist regelmäßig der Fall 1990. Auf den Kommissionsagenten entsprechend anwendbar sind die §§ 85, 86 1991, 86a, 87 Abs. 2, 88a, 89, 89a und 89b 1992, § 87 Abs. 3 1993, sowie §§ 90, 90a, 90b 1994 und 92c, nicht aber die §§ 91 und 91a sowie die sonstigen Vorschriften über die Provision und deren Abrechnung. 1986 1987

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Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer Vor § 84 Rn 10. BGH Urt. v. 26.09.1980 – I ZR 119/78, BGHZ 79, 89, 97 = NJW 1981, 918; RGZ 69, 363, 365; Martinek ZHR 161 (1997), 67, 75; Ulmer/Habersack ZHR 159 (1995), 109, 112. Martinek ZHR 161 (1997), 67 (76). Evans v. Krbek S. 118 ff. RGZ 69, 363 (365); RG HRR 1934, 1298; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 71; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer Vor § 84 Rn 11, § 383 Rn 5; Schröder § 84 Rn 20; Marti-

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nek ZHR 161 (1997), 67, 76; Ulmer/Habersack ZHR 159 (1995), 109 (113). Ulmer/Habersack ZHR 159 (1995), 109 (125 ff); Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 71. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 71; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer Vor § 84 Rn 11; Schröder § 84 Rn 20. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 71; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 103. Ebenroth/Löwisch § 92b Rn 2.

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P. Handelsmakler 380

Vom Handelsmäkler – zur Abgrenzung zum Zivilmakler siehe BGH DB 1982 590 1995 – unterscheidet sich der HV durch das Merkmal der ständigen Geschäftsvermittlung. „Gelegenheitsagenten“ sind daher Makler und nicht „freie Mitarbeiter“ 1996. Sind Mittler sowohl als HV wie als Handelsmäkler tätig (z.B. Exportvertreter, Linienvertreter und Schiffsmakler; Makleragent in der Versicherung 1997), ist für das konkrete Einzelgeschäft zu prüfen, in welcher Funktion es vermittelt oder geschlossen wurde. Folgen ungenügender Trennung gehen im Zweifel zu Lasten des Mittlers, es sei denn, der Vertrag wurde vom Unternehmer formuliert. Neben solchen Zwillingserscheinungen gibt es Zwischenbildungen zwischen HV und Handelsmakler, bei denen von Fall zu Fall zu prüfen ist, welche Regeln aus dem Recht des einen oder des anderen zu der jeweils auftauchenden Frage die größere Sachnähe haben. Entscheidend ist allein der Tatbestand, nicht die von den Parteien verwendete Terminologie 1998. Wegen seiner Treupflichten gegenüber dem Unternehmer und der unausweichbaren Pflichtenkollission ist für den konkreten Geschäftsabschluss die Tätigkeit als HV der einen Partei bei gleichzeitiger Tätigkeit als Makler für die andere Partei unzulässig 1999. Handelsmakler können sich nicht auf die Rechte eines HV berufen, etwa Buchauszug oder Ausgleichsanspruch.

Q. Gerichtliche Zuständigkeit und Auslegungsfragen I. Erfüllungs- und Leistungsort sowie Gerichtsstand des Erfüllungsortes Fraglich ist, wo bei Vertriebsmittlern der Erfüllungsort ihrer Leistungspflichten liegt 2000. Die Antwort auf diese Frage hat auch Bedeutung für die gerichtliche Zuständigkeit in Vertriebsmittlerstreitigkeiten. Maßgeblich ist § 269 BGB. Leistungsort ist gemäß § 269 BGB der Ort, an dem der 382 Schuldner die Leistungshandlung vorzunehmen hat. Er wird in der juristischen Terminologie auch als Erfüllungsort bezeichnet 2001 und bestimmt sich in erster Linie nach den Parteivereinbarungen 2002, sofern die Parteien als Kaufleute über den Erfüllungsort disponieren dürfen. Ohne Vereinbarung richtet er sich nach dem Gesetz. Die herrschende Ansicht verneint einen einheitlichen Erfüllungsort für die Pflichten 383 beider Parteien aus einem Vertriebsvertrag 2003. Der Erfüllungsort für die Pflichten des

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1995

1996 1997 1998

HV, tätig für Grundstücksmakler: nicht Untermakler, da dieser typmäßig nicht zum Tätigwerden verpflichtet. AA Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 69. Bruck-Möller Vor § 43, 26. Siehe hierzu die Fälle OLG Bamberg MDR 1966, 56 (Möbelhaus bedient sich ein und desselben Mittlers für regelmäßig wiederkehrende Abschlüsse mit der Bundeswehr, aber ohne festen Dauerauftrag: Handelsmäkler trotz Bezeichnung als HV); OLG Stuttgart BB 1959, 537 (Auftrag zur Herstellung von Geschäftsverbindungen als einstweilen bloßen Rahmens für spätere Abschlüsse, mit Kontaktpflege und laufen-

212

der Unterrichtung über neue Muster: Mäklervertrag). 1999 BGH, Urt. v. 23.11.1973 – IV ZR 34/73, NJW 1974, 137; vgl. auch OLG Bamberg MDR 1966, 55; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 68. 2000 Im Einzelnen: Emde RIW 2003, 505. 2001 Palandt/Heinrichs § 269 Rn 1. 2002 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 22. 2003 OLG Karlsruhe, IPRspr 1987, 112a; LG München II, IPRspr 1984, 142; Geimer, IZPR, 3. Aufl., Rn 1494 Fn 574; Eberstein Handelsvertreter-Vertrag, 8. Aufl. 1999, S. 144 Fn 1; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 53.

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HV und Unternehmers liegt nach dieser herrschenden Ansicht jeweils am Ort der gewerblichen Niederlassung des Schuldners zur Zeit der Entstehung des Schuldverhältnisses (§ 269 Abs. 2, 1 BGB) 2004. Insbesondere BGH, NJW 1988, 966 2005 lehnte einen Erfüllungsortes am Sitz des HV ab und damit auch den dort belegenen Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach § 29 ZPO. Der BGH entschied durch den seinerzeit für das Vertriebsrecht zuständigen 1. Zivilsenat, der Gerichtsstand des Erfüllungsortes für die gegen einen portugiesischen Unternehmer gerichtete Informations-, Provisions- und Ausgleichsklage liege am Sitz des Unternehmers. Sämtliche geltend gemachten Ansprüche seien dort zu erfüllen. Der Umstand, dass der Schwerpunkt der vertraglichen Beziehungen am Vertriebsort liege, reiche nicht aus, diesen Ort als einheitlichen Erfüllungsort für die beiderseitigen Leistungen anzusehen. Auf diesen Schwerpunkt habe die Rechtsprechung lediglich bei der Frage abgestellt, welches materielle Recht nach dem hypothetischen Parteiwillen anzuwenden sei 2006. Gerade in Hinblick auf den gemäß § 87c zu erteilenden Buchauszug könne nicht davon ausgegangen werden, dass dem Unternehmer generell die Leistung am Sitz des HV zumutbar sei. Der Unternehmer sei zur Erfüllung der Buchauszugsforderung in aller Regel auf die in seiner Niederlassung befindlichen Geschäftsunterlagen angewiesen und werde bestrebt sein, jenen Anspruch, der auch das Recht auf Einsicht in Geschäftsunterlagen einschließe (§ 87c Abs 4), an seinem Sitz zu erfüllen. Ob dieser Ansicht zugestimmt werden sollte ist fraglich. Durchaus diskutiert werden könnte auch ein Einheitserfüllungsort am Sitz des Vertriebsmittlers 2007. Für innereuropäische Streitigkeiten hat diese Streitfrage wegen der Regelung des Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO heute keinen besonders hohen Stellenwert mehr und die Bedeutung des Erfüllungsortes und damit des Gerichtsstandes nach § 29 ZPO innerhalb rein deutscher Vertragsverhältnisse ist angesichts der heutigen Infrastruktur vernachlässigenswert. Durchaus Bedeutung hat die wenig vertriebsmittlerfreundliche hM aber für internationale Streitigkeiten mit einem außereuropäischen Unternehmer.

II. Erfüllungsort für die Pflichten des Vertriebsmittlers Gemäß § 269 Abs. 1 und 2 BGB ist Erfüllungsort für die Leistungen des Vertriebs- 384 mittlers grundsätzlich der Ort seiner gewerblichen Niederlassung zur Zeit der Begründung des Mittlervertrages 2008, und zwar unabhängig davon, wie viel der Mittler an andere Orte reist. Dies gilt insbesondere für die Herausgabe- und die Aufbewahrungspflicht und auch für den nur reisend tätigen Mittler. Sofern der Mittler keinen registerlichen Niederlassungsort oder keine gewerbliche Niederlassung hat, ist als Erfüllungsort der Ort anzusehen, wo er seinen geschäftlichen Mittelpunkt hat, wo er seine Geschäftsräume unterhält, wohin seine Geschäftsbriefe gehen, von wo er seine Reisen antritt und wohin er von ihnen zurückkehrt 2009. Dieser Ort kann gelegentlich mit dem Niederlassungsort des Unternehmers zusammenfallen, ist aber grundsätzlich davon zu separieren. Dass aus der Natur des Schuldverhältnisses (§ 269 Abs. 1 BGB) zu folgern sei, der HV habe stets am Niederlassungsort des Unternehmers seine Vertragspflichten zu erfüllen, ist nicht anzuerkennen.

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Hopt § 86 Rn 46. Kurze Zeit später bestätigt durch NJW 1988, 1466. 2006 BGHZ 53, 332 (337); Küstner/Thume Außendienstrecht Rn 2127 ff.

Emde RIW 2003, 505. Hopt § 86 Rn 46; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 51. 2009 MünchKomm HGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 22.

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Insbesondere die Vermittlungs- und Abschlusspflicht ist nicht immer am Sitz der Kunden zu erfüllen. Mittels moderner Kommunikationsmedien kann der HV auch insoweit von seinem Geschäftssitz aus erfüllen, etwa unter Zuhilfenahme von Telefon, Fernkopie und E-Mail. Deshalb ist heute eher davon auszugehen, dass der HV den Schwerpunkt seiner Vermittlungstätigkeit an seinem Sitz erbringt (siehe auch § 92c Rn 35). Zu einem Vertriebsvertrag zwischen einem deutschen Vertragshändler und einem 386 italienischen Hersteller entschied der Kassationshof 2010 vor Geltung der EuGVVO 2011, Erfüllungsort für die Verpflichtung zur Übermittlung von Kaufaufträgen sei der Ort, an dem die Aufträge zur Kenntnis des Vertragspartners zu bringen seien (Art. 15 CISG). Werde diese Verpflichtung von einem deutschen Händler zu Gunsten einer italienischen Gesellschaft übernommen, bestehe gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ die Zuständigkeit der italienischen Gerichte betreffend einen Streit über eine Kündigung, welche in Folge der Verletzung dieser Verpflichtung erklärt wird. In einer Anmerkung zum Urteil erklärt Braggion 2012 die Grundsätze, nach denen italienische Gerichte ihre Zuständigkeit in Vertriebsmittlerstreitigkeiten prüfen. Offenbar teilt die italienische Praxis den Standpunkt der deutschen hM, die im Vertriebsmittlerrecht einen Einheitserfüllungsort verneint. Für folgende Pflichten des Mittlers ist sein Sitz, mangels eines solchen sein geschäft387 licher Mittelpunkt 2013 bei Begründung des HV-Vertrages 2014 Erfüllungsort: – Für die ihm obliegenden Pflichten 2015; – Für die Hauptpflicht der Vermittlung und des Abschlusses; – Für die Rückgabe von überlassenen Unterlagen nach Vertragsende oder Ablauf der Überlassungszeit 2016; – Für die Rückzahlung überzahlter Provisionen; – Für gegen den Vertriebsmittler gerichtete Schadenersatzzahlungen; – Für die Übergabe der gemäß § 86a Abs. 1 geschuldeten Unterlagen als Hilfsmittel des HV abweichend von § 269 BGB 2017 nicht der Tätigkeitsort. Die Pflicht ist eine Bringschuld des Unternehmers.

III. Erfüllungsort für die Pflichten des Unternehmers 388

Nach herrschender Ansicht liegt der Erfüllungsort für Leistungen des Unternehmers an dessen Sitz. Getrennte Erfüllungsorte für die beiderseitigen Verpflichtungen aus dem HV-Vertrag bestehen daher nur, wenn aus den Umständen, namentlich aus der Natur des Schuldverhältnisses, nichts Abweichendes zu entnehmen ist (§ 269 Abs. 1 BGB). Davon ist jedoch beim Vertriebsvertrag auszugehen. Der Erfüllungsort für Pflichten des Unternehmers liegt nach herrschender Meinung beispielsweise für folgende Pflichten am Sitz des Unternehmers: 2010 2011

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Urt. v. 10.03.2000, RIW 2001, 308. Auch jetzt könnte nach den Maßstäben dieses Urteils ein konkurrierender Gerichtsstand zum Einheitsgerichtsstand des Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO gefunden werden. RIW 2001, 309. Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 6; MünchKomm HGB/v. HoyningenHuene § 86 Rn 22.

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Hopt § 86 Rn 46; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 22. Hopt § 86 Rn 46. OLG München BB 1999, 2320; Küstner/ Thume I, Rn 615 (624); Westphal Vertriebsrecht I Rn 383; Hopt § 86a Rn 6. Küstner/Thume I, Rn 615; Westphal Vertriebsrecht I Rn 383.

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Ausgleichsanspruch 2018; Vertragsdokumentation nach § 85; Informationspflichten nach § 86a Abs. 2 2019; Auskunftspflicht nach § 87c 2020; Buchauszug 2021; Provisionszahlungspflicht 2022; Schadenersatzzahlungen des Unternehmers; Auch der Streit um die Wirksamkeit der Kündigung dürfte am Sitz des Unternehmens auszutragen sein. Denn die Entscheidung über die Vertragsfortsetzung ist dort zu treffen. Eine Gegenansicht ist vertretbar, weil der Mittler die Hauptpflicht erfüllt und die Kündigung dem Mittler an seinem Sitz zur Kenntnis gelangen muss.

IV. Einheitserfüllungsort nach Art. 5 Nr. 1 lit b. EuGVVO Die VO (EG) Nr. 44/2001 (Brüssel I-VO oder EuGVVO) des Rates vom 22.12.2000 389 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung von Entscheidungen in Zivilund Handelssachen 2023, die seit dem 01.03.2002 in Kraft ist, hat innerhalb ihres Anwendungsbereichs – die EU – die Stellung der HV entscheidend gestärkt. Gemäß Art. 5 Ziff. 1 lit. a EuGVVO dürfen Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates haben, am Erfüllungsort der vertraglichen Verpflichtung verklagt werden. Nach Art. 5 Ziff. 1 lit. b EuGVVO gilt als Erfüllungsort für die Erbringung von Dienstleistungen der Ort in einem Mitgliedsstaat, an welchem die Dienstleistungen nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen. Anders als unter Geltung des Art. 5 Nr. 1 LugÜ/EuGVÜ ist der Begriff des Erfüllungs- 390 ortes nach Art. 5 Abs. 1 lit. b VO (EG) Nr. 44/2001 autonom 2024 und weit 2025 anhand der vertragscharakteristischen Leistung 2026 wie der Legaldefinition der EuGVVO einzuordnen. Er ist also nicht mehr aus geltendem nationalen Rechts (in Deutschland: § 269 BGB und der dazu vertretenen oben dargestellten hM), sondern allein aus Sinn und Zweck der EuGVVO zu entwickeln. Dabei ist, wie der BGH 2027 entschied, ein einheit-

2018

BGH NJW 1988, 966. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 33. Dieser Erfüllungsort widerspricht der allgemeinen Regel, nach der der Erfüllungsort von Auskunftspflichten an den Erfüllungsort der Hauptpflicht angeknüpft wird [BGH, Urt. v. 12.06.2007 – XI ZR 290/06, ZIP 2007, 1676 (1679); BGHZ 151, 5, 9 = ZIP 2002, 1238 (1239); BGH, Urt. v. 30.09.1976 – II ZR 107/74, WM 1976, 1230 (1232)]. Hauptpflicht ist aber die am Sitz des HV zuerfüllende Vertriebspflicht. 2020 BGH NJW 1988, 966; OLG Celle v. 29.11. 2001 – 11 U 344/00. 2021 BGH NJW 1988, 966 (967); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 45; für den Buchauszug LG Hannover, Urt. v. 26.01.2004 – 21 O 159/03. 2019

2022

BGH NJW 1988, 966 (1466); OLG Celle v. 29.11.2001 – 11 U 344/00; Ebenroth/ Löwisch § 87 Rn 9; Schlegelberger/Schröder § 87a Rn 43b. 2023 ABl. (EG) L 12 v. 16.01.2001, S. 1. 2024 EuGH EuZW 1999, 727; BGH, Urt. v. 02.03.2006 – IX ZR 15/05, NJW 2006, 1806; Musielak/Weth ZPO, VO (EG) Nr. 44/2001, Art. 5 Rn 7; Thomas/Putzo ZPO24 EuGVVO, Art. 5 Rn 8. 2025 BGH NJW 1994, 262. 2026 Nagel/Gottwald IZPR, 5. Aufl. 2002, § 3 Rn 49. 2027 BGH, Urt. v. 02.03.2006 – IX ZR 15/05, RIW 2006, 861 (863) zu einem Anwaltsvertrag.

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licher Erfüllungsort am Schwerpunkt des Vertrages zu bestimmen und dem Zweck der EuGVVO entgegenzukommen, alle Streitigkeiten an einem Ort zu konzentrieren. Dieser Gerichtsstand des „Dienstleistungsortes“ gilt nach der EuGVVO für alle An391 sprüche aus dem Vertrag, ungeachtet ihrer Art, und damit nicht nur für einen Streit um die Erbringung der Dienste selbst (beim HV: um die Vermittlungs- und Abschlusstätigkeit), sondern z.B. auch um Zahlungsverpflichtungen des Unternehmers als Dienstleistungsgläubiger 2028. Der Verordnungsgeber hat mithin zum Zwecke der Gerichtsstandsbestimmung einen einheitlichen Erfüllungsort für Prozesse um alle Vertragspflichten postuliert 2029. Der Begriff der Dienstleistung wurde in der EuGVVO nicht definiert 2030. Nach Art. 50 EG sind „Dienstleistungen“ solche Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden, insbesondere gewerbliche, kaufmännische, handwerkliche oder freiberufliche Tätigkeiten. Gemäß Art. 50 Abs. 2 lit. b EG zählen hierzu insbesondere freiberufliche Tätigkeiten. Diese Definition kann bei der Bestimmung des Begriffs „Dienstleistung“ im Sinne der EuGVVO herangezogen werden 2031 und sie spricht dafür, dass Vertriebsverträge Verträge über Dienstleistungen in diesem Sinne sind. Kaufmännische Tätigkeiten können Dienstleistungen i.S.d. Art. 5 Abs. 1 lit. b EuGVVO darstellen 2032. Insbesondere sind Geschäftsbesorgungsverträge solche Dienstleistungen 2033. Als Dienstvertrag über die Geschäftsbesorgung ist deshalb der HV-Vertrag als Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen einzuordnen und der HV darf sich auf den Einheitsgerichtsstand des Art. 5 Abs. 1 lit. b EuGVVO berufen 2034. Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO ist auch anwendbar, wenn mit der Klage gleichzeitig meh392 rere Ansprüche, etwa Informations- und Ausgleichsansprüche in Form der Stufenklage, geltend gemacht werden 2035. Das geschieht häufig, denn die Buchauszugsklage wird meist – schon zum Zwecke der Verjährungsunterbrechung – als Stufenklage (§ 254 ZPO) erhoben, verbunden mit einer Provisions- oder Ausgleichsklage 2036. Durch den Einheitsgerichtsstand soll eine Konzentration aller Streitigkeiten aus einem 393 Vertrag bei dem Gericht des Erfüllungsortes erreicht werden, was deshalb sinnvoll ist, weil selbst Auseinandersetzungen über Nebenpunkte regelmäßig aus Nichterfüllung oder mangelhafter Erfüllung der Hauptleistung resultieren 2037. Auch Informations-, Provi2028

BTDrucks. 534/99 v. 23.09.1999 zum Vorschlag einer Verordnung (EG) des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, S. 14; Micklitz/Rott EuZW 2001, 325, 328; Musielak/Weth Art. 5 Rn 7; Thomas/Putzo Art. 5 Rn 10; zu Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ bei Arbeitsverträgen auch EuGH, NJW 2003, 2224. 2029 BGH, Urt. v. 02.03.2006 – IX ZR 15/05, NJW 2006, 1806; ÖstOGH v. 2.9.2003, JBl 2004, 186, 187; Mankowski in: Hopt/ Tzouganatos Europäisierung des Handelsund Wirtschaftsrechts, 2006, 131 (139). 2030 BGH, Urt. v. 02.03.2006 – IX ZR 15/05, NJW 2006, 1806. 2031 BGH, Urt. v. 02.03.2006 – VIIII ZR 15/05, NJW 2006, 1806; OLG Düsseldorf; Hinweisbeschl. v. 26.07.2007 – 16 U 203/06, BeckRS 2007, 13992; BGH NJW 2006,

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1806; OLG Saarbrücken, NJOZ 2007, 709 (713). 2032 Micklitz/Rott EuZW 2001, 325 (328); Thomas/Putzo Art. 5 EuGVVO, Rn 8; Musielak/Weth Art. 5 Rn 7. 2033 Nagel/Gottwald IZPR, 5. Aufl. 2002, § 3 Rn 48. 2034 OLG Düsseldorf; Hinweisbeschl. v. 26.07. 2007 – 16 U 203/06, BeckRS 2007, 13992 (aA Vorinstanz LG Düsseldorf, Urt. v. 26.09.2006 – 14c 236/05); OLG Saarbrücken, NJOZ 2007, 709 (713); Emde RIW 2003, 505. 2035 Thomas/Putzo/Hüßtege Art. 5 Rn 10. 2036 Westphal Vertriebsrecht I Rn 1338; Martinek/Flohr § 9 Rn 17; Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 51; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 50. 2037 Micklitz/Rott EuZW 2001, 325, 328; Musielak/Weth Art. 5 Rn 7.

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sions- und Ausgleichsklagen können am Ort der Dienstleistung im Einheitsgerichtsstand erhoben werden 2038. Der Gerichtsstand des Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO ist schwer zu bestimmen, wenn der 394 HV nach dem Vertrag in mehreren Staaten tätig sein soll. Hier gibt es vier Lösungsmöglichkeiten: 1. Die erste Möglichkeit ist, nach einem relativen Schwerpunkt, also nach dem relativ gewichtigsten Tätigkeitsort zu suchen 2039. Dies ist grundsätzlich der Ort, zu dem der Streitgegenstand die engste Verknüpfung aufweist2040. Das ist im Grundsatz die Ansicht des BGH2041 (die allerdings nicht den unten favorisierten 4. Lösungsweg als Vermutung ausschließt). Sie führt zu schwierigen Abwägungsproblemen2042, die sich jedoch auch bei anderen Lösungswegen ergeben. 2. Die nächste Variante besteht darin, jeden Tätigkeitsort relevant sein zu lassen und zum Erfüllungsort zu erheben. Damit multiplizieren sich jedoch die Gerichtsorte 2043. Die Lösung wäre unter dem Aspekt des Einheitsgerichtsstands konzeptwidrig 2044. 3. Man könnte auch die Ermittelbarkeit des Erfüllungsortes verneinen 2045 und über lit. c auf lit. a des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO zurückfallen. Damit gäbe man den Einheitsgerichtsstand auf 2046. 4. Die vierte Variante läuft auf eine Vermutung hinaus. Unter ihr würde man den Erfüllungsort der Leistung vermutungsweise mit der Hauptniederlassung des HV bzw. bei Einzelpersonen mit deren gewöhnlichem Aufenthaltsort gleichsetzen 2047 Immerhin dürfte dort ein großer Teil der organisatorischen Arbeit samt Vertragsbearbeitung, -registrierung und -meldung an den Prinzipal erfolgen 2048. Diese Vermutung ist sachgerecht und verhilft auf einfachem Wege zu einem leicht zu bestimmenden Einheitsgerichtsstand. Die Vermutung ist jedoch widerleglich 2049. Richtig dürfte damit folgendes sein: Da der HV den Schwerpunkt seiner Dienstleistung 395 am Sitz seiner Niederlassung erbringt, liegt dort regelmäßig der Tätigkeitsort der Dienst-

2038

Emde RIW 2003, 505 (508); obita LG Köln, Urt. v. 19.09.2002 – 83 O 53/01, S. 8, n.rkr. (unveröffentlicht); Mankowski in: Hopt/Tzouganatos, Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, 2006, 131 (137) mwN; Hollander TBH 2000, 175 (178). 2039 OLG Düsseldorf; Hinweisbeschl. v. 26.07. 2007 – 16 U 203/06, BeckRS 2007, 13992; Magnus IHR 2002, 45 (49); MüKoZPO Gottwald Art. 5 EuGVVO Rn 8; Geimer/ Schütze Art. 5 EuGVVO Rn 87. 2040 OLG Düsseldorf; Hinweisbeschl. v. 26.07. 2007 – 16 U 203/06, BeckRS 2007, 13992; BGH NJW 2006, 1806; OLG Saarbrücken NJOZ 2007, 709 (713). 2041 BGH, Urt. v. 02.03.2006 – IX ZR 15/05, RIW 2006, 861 (863) zu einem Anwaltsvertrag. 2042 Mankowski in: Hopt/Tzouganatos, Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, 2006, 139. 2043 Mankowski in: Hopt/Tzouganatos,

Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, 2006, 140. 2044 Mankowski in: Hopt/Tzouganatos, Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, 2006, 140. 2045 Dahingend Leiple in: Rauscher, Europäisches Zivilprozessrecht, 2004, Art. 5 Brüssel I-VO Rn 55. 2046 Mankowski in: Hopt/Tzouganatos, Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, 2006, 140. 2047 Magnus/Mankowski Brussels I Regulation, 2006, Art. 5 Brussels I Regulation Rn 121; Mankowski in: Hopt/Tzouganatos, Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, 2006, 141. 2048 Mankowski in: Hopt/Tzouganatos, Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, 2006, 141. 2049 Mankowski in: Hopt/Tzouganatos, Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, 2006, 142.

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leistung, also der Erfüllungsort. Nur ausnahmsweise kann der von der Niederlassung abweichende Vertriebsort die Tätigkeit des HV so prägen, dass allein auf ihn abzustellen ist. Insoweit kann auf die in § 92c Rn 35 wiedergegebene Diskussion zum Schwerpunkt der Tätigkeit i.S.d. Art. 28 EGBGB verwiesen werden. Fraglich ist, wie vorgegangen werden muss, wenn eine Partei die Existenz eines Ver396 triebsvertrages – ggf. mit Gerichtsstandsklausel – behauptet und die andere Partei dessen Existenz verneint. Meist wird die Frage nicht erheblich. Denn der Gerichtsstand des Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO ist lediglich ein konkurrierender, der – meist dem klagenden HV – einen zusätzlichen Gerichtsstand 2050 gibt, ohne andere Gerichtsstände auszuschließen. Dass es sich bei Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO nur um einen konkurrierenden Gerichtsstand handelt zeigt die Formulierung „sofern nichts anderes vereinbart ist“, zudem der Umkehrschluss aus Artt. 13, 17 und 22 EuGVVO. Wäre man aA dürfte auch eine Gerichtsstandsvereinbarung an Art. 23 Abs. 5 EuGVVO scheitern. Der klagende HV kann also an seinem Heimatgerichtsstand klagen. Einer eventuellen auf einen anderen Gerichtsstand gestützten negativen Feststellungsklage des Unternehmers steht dann der Einwand anderweitiger Rechtshängigkeit entgegen 2051. Das Problem kann wie folgt gelöst werden: Eine Möglichkeit wäre es, nach der Theorie zum doppelrelevanten Vortrag 2052 vom Vortrag des Klägers auszugehen. Dagegen spricht, dass der Kläger im Rahmen einer negativen Feststellungsklage des den Vertriebsvertrag leugnenden Unternehmers so behandelt würde, als sei der Vertrag existent. Andererseits kann es bei Nichtanwendung zu einem schwer erklärbaren Auseinanderfallen der Beweislast zwischen Zulässigkeit und Begründetheit kommen und der den Vertrag verneinende negative Feststellungskläger müsste im Rahmen der Zulässigkeit die Nichtexistenz des Vertrages beweisen, was faktisch unmöglich ist. Würde man die Grundsätze zum doppelrelevanten Vortrag anwenden, müsste Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO ausgeblendet werden, wenn der Kläger die Existenz des Vertrages verneint. Ein deutscher Unternehmer könnte z.B. in Deutschland auf Feststellung klagen, dass ein ausländischer HV-Vertrag nicht existiert 2053. Würde dementsprechend Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO nicht angewandt, wären die Gedanken anwendbar, welche das LG Trier 2054 entwickelt hat: die negative Feststellungsklage kann nach Art. 5 Nr. 1 lit. a EuGVVO in Fällen, in denen das Vorhandensein des Vertrags selbst im Streit steht, an jedem Ort erhoben werden, an dem die Vertragspflichten möglicherweise zu erfüllen wären. Dabei genüge es, wenn gute Gründe dafür sprächen, dass jedenfalls ein Teil der Vertragspflichten auch an dem im Bezirk des angerufenen Gerichts liegenden Sitz der Klägerin zu erfüllen würde 2055. Eine vom BGH grundsätzlich befürwortete Suche nach einem Einheitsgerichtsstand 2056 kann in dieser Situation nicht problemlos erfolgen, denn die Existenz des Vertrages selbst ist strittig. Es muss zunächst

2050

Zöller/Geimer ZPO, Art. 5 EuGVVO Rn 1; Baumbach/Albers ZPO, Art. 5 EuGVVO Rn 1. 2051 Im Anwendungsbereich der EuGVVO betreffen negative Feststellungsklage und korrespondierende Leistungsklage denselben Streitgegenstand. 2052 Hierzu MüKoZPO2/Gottwald Art. 5 EuGVÜ, Rn 45; OLG Celle, Beschl. v. 04.06.2007 – 11 U 293/06, OLGR 2008, 177; KG Berlin, KGR Berlin 2001, 128. 2053 So der Fall des LG Trier, Urt. v. 17.10.2002 – 7 HKO 140/01, NJW-RR 2003, 287.

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2054

LG Trier, Urt. v. 17.10.2002 – 7 HKO 140/01, NJW-RR 2003, 287. 2055 Court of appeal, Entsch. v. 19.03./02.04. 1986 in Sachen Boss Group Ltd. v. Boss France S.A., All England law reports (1996) 4. All ER. 2056 Dahin tendierenden Magnus IHR 2002, 45 (49); MüKoZPO/Gottwald Art. 5 EuGVVO Rn 8; Geimer/Schütze Art. 5 EuGVVO Rn 87.

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nach einem Forum gefahndet werden, in dem der Streit um das Bestehen des Vertrages ausgetragen wird. Zwischenergebnis: Nach der EuGVVO besteht ein Einheitserfüllungsort und damit 397 -gerichtsstand für alle Streitigkeiten am Erfüllungsort der Vermittlungs- und Abschlusstätigkeit des HV.

V. Einheitserfüllungsort und -gerichtsstand außerhalb des Anwendungsbereichs der EuGVVO? Die eigentlich als rein prozessuale Regel entstandene Legaldefinition des Art. 5 Abs. 1 398 EuGVVO könnte auch außerhalb ihres Anwendungsbereiches eine generelle, materiellrechtliche Regel bilden. Grundsätzlich bestimmt sich sowohl bei innerdeutschen Streitigkeiten wie auch bei 399 internationalen Vertriebsmittlerstreiten der Gerichtsstand nach den §§ 12 ff ZPO. Zur Sonderzuständigkeit nach der EuGVVO Rn 389 ff. Vertriebsmittler suchten schon unter der Geltung des LugÜ/EuGVÜ bei Klagen gegen Unternehmer einen Heimatgerichtsstand. Der allgemeine Gerichtsstand des § 12 ZPO, Art. 2 Abs. 1 LugÜ/EuGVÜ des Unternehmers lag an dessen ggf. ausländischem Sitz. Er half also nicht. Der nur bei Auslandssachverhalten relevante, jedoch auch dort nur selten eingreifende Gerichtsstand des Vermögens (§ 23 ZPO) 2057 war ebenfalls nur von geringem Wert. Bei Streitigkeiten innerhalb der EU blieb er unanwendbar. Gerade in den USA sind Urteile, welche in diesem Gerichtsstand erstritten wurden, kaum anerkennungsfähig. Vollstreckt werden können sie damit nur außerhalb der USA und vor allem in Deutschland, was voraussetzt, dass hier vollstreckungsfähiges Vermögen existiert oder bekannt ist. Der Sitz der eigenen Agentur oder eines anderen Vertriebsmittlers des Prinzipals wird nicht als Gerichtsstand der Niederlassung (§ 21 Abs. 1 ZPO, Art. 5 Nr. 5 EuGVVO/LugÜ) anerkannt 2058, weil es an der Aufsicht und Leitung durch den Unternehmer fehlen soll 2059. Der HV mag im Außenverhältnis zu Kunden Niederlassung des Prinzipals sein und den Kunden so einen zusätzlichen Gerichtsstand gegen den Prinzipal eröffnen 2060. Dies heißt aber nicht, dass seine eigene Tätigkeit, ihm im Innenverhältnis zum Prinzipal einen Niederlassungsgerichtsstand gegen den Prinzipal eröffnete, weil er selber die Niederlassung (= Organisationsteil) des Prinzipals wäre 2061. Der HV kann aber gemäß Artikel 5 EuGVVO/LugÜ seinen ausländischen Unternehmer auf Zahlung von Provision, Ausgleich oder ähnlichem vor dem Gericht des Ortes in Anspruch nehmen, an dem sich das inländische Vertriebs-

2057

Zu einem solchen Fall OLG München, Urt. v. 17.05.2006 – 7 U 1781/06, WM 2006, 1556 = EWiR 2006, 621 (Emde). 2058 EuGH NJW 1977, 490 (491); Mankowski in: Hopt/Tzouganatos, Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, 2006, 131, 142; Zöller/Vollkommer ZPO23 § 21 Rn 9; Baumbach/Hartmann ZPO61 § 22 Rn 9; Art. 5 EuGVÜ Rn 22; Thomas/ Putzo24 § 21 Rn 2.

2059 2060

2061

EuGH NJW 1977, 490 (491). Mankowski RIW 1996, 1001 (1005); MüKoZPO/Gottwald IZPR, Art. 5 EuGVÜ Rn 52; Mankowski in: Hopt/Tzouganatos, Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, 2006, 142. Emde RIW 2003, 505 ff; Mankowski in: Hopt/Tzouganatos, Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, 2006, 142.

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büro des Unternehmers befindet, wenn der HV Bestellungen über dieses Vertriebsbüro abwickelt 2062. Vertragshändler oder HV begründen auch keine in einem Staat belegene Niederlassung des Unternehmers im Sinne des UN-Kaufrechts 2063. Außer an den Gerichtsstand der Widerklage, der eine bereits in Deutschland rechts400 hängige Klage des Unternehmers gegen den HV voraussetzte, war deshalb nur an den Gerichtsstand des Erfüllungsortes gemäß § 29 ZPO, Art. 5 Nr. 1 LugÜ/EuGVÜ 2064 zu denken. Der Erfüllungsort bestimmte sich sowohl nach Art. 5 Nr. 1 LugÜ/EuGVÜ wie nach § 29 ZPO gemäß den Regeln des materiellen Rechts, das nach dem IPR des jeweiligen Forums auf das Vertragsverhältnis anzuwenden war 2065. War deutsches Recht Sachrecht galt § 269 BGB. Der Gerichtsstand des Erfüllungsort nach § 29 ZPO rechtfertigt sich aus der Sach401 nähe des Gerichts am Ort der Leistungshandlung 2066. Ein Gerichtsstand am Leistungsort ist sachnah, wenn die betreffende Leistung dem Vertrag ihren prägenden Charakter gibt. Nach hM ergibt sich allerdings nicht nur nach deutschem Recht (§§ 269 BGB, 29 ZPO) sondern ferner im Anwendungsbereich des LugÜ 2067 gemäß Art. 5 Nr. 1 Hs. 1 LugÜ/ EuGVÜ eine doppelte Abweichung von den Regelungen der EuGVVO: Zum einen ist der Erfüllungsortsgerichtsstand kein Einheitsgerichtsstand für alle Ansprüche aus dem Vertrag. Vielmehr bezieht er sich nur auf die einzelne streitgegenständliche Verpflichtung. Zum anderen ist der Erfüllungsort nicht übereinkommensautonom nach Maßgabe eines eigenständigen prozessualen Erfüllungsortsbegriffs zu ermitteln, sondern unter Anlehnung an das in der Sache anwendbare materielle Recht und unter Zwischenschaltung des IPR des Forums nach Maßgabe der materiellen lex causae. Verortet diese den Erfüllungsort am Ort der Niederlassung oder am Sitz des Schuldners (wie z.B. § 269 Abs. 1 BGB), so ist seine Zahlungsklage auf Provision oder Ausgleich am Sitz des Unternehmers zu erheben 2068. Bereits unter der EuGVO hatte der EuGH allerdings entschieden, dass ein gegen den HV gerichteter Anspruch auf Zahlung von Provisionen auf Grund eines HVVertrages und auf Zahlung von Schadensersatz wegen Prozessrechts der Auflösung eines solchen Vertrags im Hinblick auf die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist am Sitz des HV als Erfüllungsort zu erheben war 2069. Die starke europarechtliche Präformation des HV-Rechts durch die EG-Richtlinie 1986, 402 die es auch gegenüber anderen europarechtlichen Einflüssen offen lässt, spricht auch nach materiellem Recht, nämlich gemäß § 269 BGB, dafür, die werbende und vertragscharakteristische Tätigkeit des HV, die unter dem Gesichtspunkt der Sachnähe gemäß

2062

OLG München, RIW 1999, 872 = EWiR 1999, 1119 (Emde). 2063 Piltz NJW 2003, 2056 (2058); United States District Court for the Northern District of California, San Jose Division, Urt. v. 27.07.2001; OLG Köln, Urt. v. 13.11.2001, beide CISG-Pace; vgl. auch OLG Stuttgart, IHR 2001, 65. 2064 BGH NJW 1988, 966 = ZIP 1988, 436, dazu EWiR 1988, 489 (v. HoyningenHuene); Westphal Vertriebsrecht I, 1998, Rn 1330, 1355; Niebling Vertragshändlerrecht, 1999, Rn 343. 2065 EuGH NJW 2000, 719; Baumbach/Albers ZPO, Art. 5 EuGVÜ Rn 8; zu dem an-

220

wendbaren Recht bei HV-Verträgen Emde MDR 2002, 190. 2066 LG Kiel NJW 1989, 841; Baumbach/Hartmann § 29 Rn 2. 2067 Das Lugano-Übereinkommen entspricht weitgehend dem EuGVÜ in der Fassung des 3. Beitrittsübereinkommens, insbesondere auch dessen Art. 17. 2068 BGH v. 22.10.1987, NJW 1988, 966; Emde RIW 2003, 505 (507); Mankowski in: Hopt/Tzouganatos, Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, 2006, 143. 2069 EuGH, Urt. v. 08.03.1988 – Rs. 9/87, „Arcado/Haviland“, EuGHE 1988, 1539.

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Art. 28 EGBGB zur Anwendung des Rechts am Sitz des HV führt 2070, als vertragsprägend anzusehen. Sie prägt den Vertrag und gibt der Vermittlung ihr vertragscharakteristisches Bild 2071. Der Unternehmer erbringt jedenfalls im HV-Bereich allenfalls unterstützende Tätigkeiten. Das werbende und vermittelnde Element formt den Vertrag so sehr, dass dies im Sinne einer Schwerpunktbetrachtung für einen grundsätzlichen Einheitserfüllungsort am Tätigkeitsort, regelmäßig dem Sitz des Mittlers spricht 2072. Die hM ist bislang anderer Ansicht. Andere Rechtsordnungen, etwa die französische 2073, sind in Vertretersachen wenig 403 zurückhaltend in der Annahme eines einheitlichen Erfüllungsorts. Entsprechend nimmt auch das deutsche Recht zunehmend 2074 einen Einheitserfüllungsort an, z.B. beim Arbeits- 2075, Dienst- 2076, Werk- 2077 oder Architektenvertrag 2078. Dem Bauherrn wird ein Einheitserfüllungsort für alle Verpflichtungen aus dem Bauvertrag am Ort, an welchem das Bauwerk errichtet wird 2079, dem Architekten am Ort seines Büros für Ansprüche aus der Planungsphase 2080, dem Arbeiter einheitlich am Ort der Arbeitsleistung 2081, dem Verbraucher beim Vertrag über den Bezug von Strom am Ort der Energieabnahme 2082 und – besonders vertriebsmittlernah – dem reisenden und angestellten Außendienstmitarbeiter an seinem Wohnsitz 2083 zugebilligt. Mit diesen Vertragstypen lässt sich der Mittlervertrag vergleichen. Er ist ein Dienstvertrag, häufig – vor allem bei Einfirmenvertretern und in der Versicherungsvermittlung – mit arbeitsvertraglichen Anklängen. Nicht umsonst ist die Statusfrage vielfach Gegenstand der Diskussion 2084. Auch der Vergleich mit dem Werkvertrag ist nicht fernliegend. Zwar schuldet der HV – anders als der Werkunternehmer – keinen Erfolg. Jedoch hat er ein leicht erkennbares Interesse an einem solchen. Denn schließlich hängt regelmäßig seine Provision von dem Vermittlungserfolg ab (§ 87 Abs. 1 S. 1). Dieses Ergebnis ist auch bei der Bestimmung des Gerichtsortes sachgerecht: Handelt 404 es sich wie bei Ausgleich, Provision oder die Informationspflichten des § 87c um Ansprüche, deren Inhalt durch die Umstände am Vertriebsort bestimmt werden, muss dort

2070

BGH NJW 1993, 2753 (2754); BGHZ 127, 368, 371 = NJW 1995, 318 (319); Hermes RIW 1999, 81 (85); Palandt/Heldrich Art. 28 EGBGB Rn 15; MünchKommBGB/ Martiny Art. 28 EGBGB Rn 158; Küstner/ Thume I, Rn 2441; Martinek/Oechsler § 55 Rn 18; Westphal Vertriebsrecht I Rn 25; Ebenroth/Lange Anh. § 92c Rn 21; Hopt § 92c Rn 2; Soergel/ v. Hoffmann Art. 28 Rn 258, 265; Erman/ Hohloch Art. 28 Rn 53; Reithmann/Kartzke Rn 1435; Kindler RIW 1990, 358 (363). 2071 Vgl. Einsiedler NJW 2001, 1549, der selbst allerdings aA ist. 2072 Emde RIW 2003, 505 (509 ff). 2073 Storp RIW 1999, 823/824. Anders aber offensichtlich die italienische Praxis, die die Erfüllungsorte wie die deutsche separiert, siehe Braggion RIW 2001, 309 ff sowie das von ihm besprochene Urteil des Kassationshofes v. 03.04.2000, RIW 2001, 308. 2074 Vgl. Palandt/Heinrichs § 269 Rn 12: die

Rechtsprechung tendiere zu einem Einheitserfüllungsort; zweifelnd Prechtel MDR 2001, 591 (592). 2075 Baumbach/Hartmann § 29 Rn 19. 2076 Baumbach/Hartmann § 29 Rn 21. 2077 OLG Celle NJW 1990, 777; Baumbach/ Hartmann § 29 Rn 33. 2078 BGH, Urt. v. 07.12.2000 – VII ZR 404/99, NJW 2001, 1936. 2079 BGH NJW 1986, 935; BayObLG, 83, 64; Thomas/Putzo § 29 Rn 6. 2080 LG München II NJW-RR 1993, 212; Putzo in: Thomas/Putzo, § 29 Rn 6; aA LG Tübingen, MDR 1995, 1208. 2081 Thomas/Putzo § 29 Rn 6. 2082 Thomas/Putzo § 29 Rn 6; Riemer Recht der Elektizitätswirtschaft, 1989, 242. 2083 Thomas/Putzo § 29 Rn 6; Schulz NZA 1995, 14; aA ArbG Regensburg, NZA 1995, 96. 2084 Siehe Emde VersR 1999, 1464 ff; 2001, 148 ff; 2002, 151 ff.

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1. Buch. Handelsstand

prozessiert werden. Provision ist nur zu zahlen, wenn Geschäfte am Vertriebsort geschlossen (§ 87 Abs. 1 S. 1, Abs. 2) oder Folgegeschäfte getätigt wurden (§ 87 Abs. 1 S. 2). Für die Zahlung des Ausgleichs sind neugeworbene Stammkunden oder erweiterte Altkunden im Vertriebsgebiet nachzuweisen. Auch bei den Informationsansprüchen des § 87c geht es um die Umstände am Vertriebsort, zudem sind die Rechte des § 87c bloß untergeordnete Hilfsrechte 2085, die zudem bei Entfallen des Hauptrechts, meist des Provisionsanspruches, erlöschen 2086. In allen Fällen geht es letztlich um die Verhältnisse am Tätigkeitsort. Nur ein dort situiertes Gericht liegt sachnah. Die Argumentation des BGH 2087, jedenfalls die Informationspflichten des § 87c und 405 damit auch Ausgleichs- und Provisionsanspruch seien am Sitz des Unternehmers zu erfüllen, überzeugt nicht. Bereits der Ausgangspunkt ist falsch. Bis auf das Bucheinsichtsrecht sind die Informationsrechte des § 87c am Sitz des HV zu erfüllen. Zudem: Der Hinweis des BGH auf den Erfüllungsort der Informationspflicht ist nur Argument gegen einen am Sitz des HV belegenen Erfüllungsort für die Informationsansprüche. Warum der Ausgleich nicht am Sitz des HV gefordert werden darf, erklärt dieser Begründungsansatz nicht. Es ist nicht verständlich, weshalb ein einzelner aus dem Gesamtvertrag hergeleiteter Anspruch den Gerichtsstand am Sitz des Herstellers nahelegt, und nicht umgekehrt der Schwerpunkt der Vertragsausführung einen Einheitsgerichtsstand an diesem Schwerpunkt. Bei Verträgen, die kein normiertes Informationsrecht kennen, dürfen aus § 242 BGB Auskünfte gefordert werden 2088, ohne dass dieser Gesichtspunkt je gegen den Einheitserfüllungsort sprach. Die wirtschaftliche Schutzbedürftigkeit des HV sollte zudem bei der Wahl des Gerichts406 standes berücksichtigt werden. Typischerweise schutzbedürftig ist der Mittler, nicht der Unternehmer. Denn er ist meist die klagende Partei, sei es zur Durchsetzung der Zahlungsansprüche auf Provision und Ausgleich oder seiner Kontrollrechte nach § 87c. Eine Klage fern dem Vertriebsort ist für ihn jedoch wirtschaftlich und tatsächlich unsinnig. Wirtschaftlich unsinnig ist sie, weil ausländische Verfahrensordnungen vielfach keine Kostenerstattung kennen. In Großbritannien und den Vereinigten Staaten sind Prozesskosten von € 50.000 bei einer einfachen Ausgleichsklage schnell erreicht und sie erhöhen sich durch Übersetzungs- und Gutachterkosten. Dies schreckt die wirtschaftlich schwächeren 2089 Vertriebsmittler ab und hindert sie entgegen dem in der zwingenden Natur des Ausgleichs sichtbar gewordenen Schutzgehalt des materiellen Rechts an der Durchsetzung ihrer berechtigten Ansprüche, gerade in der finanziell schwächeren Zeit nach Vertragsende (Ausgleichsklage) 2090. Dies wissen Unternehmer genau. Die Vertragshändlern gewiesene theoretische Möglichkeit, durch Nichtzahlung von Rechnungen auf Warenlieferungen im Wege der „Selbstjustiz“ eine Aufrechnungslage herzustellen, die es ermöglicht, nach Vertragsende und dann eintretender Fälligkeit mit dem Ausgleich aufzurechnen, scheidet bei HV aus. Tatsächlich unsinnig ist die Klage am Sitz des Unternehmers, weil sämtliche Beweismittel am Ort der Niederlassung des Mittlers liegen und weiter dessen Recht anzuwenden wäre. Die etwa für die Berechnung des Ausgleichs maß-

2085

Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 17; Röhricht/ Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 5; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 4. 2086 Martinek/Flohr § 9 Rn 17; Ebenroth/ Löwisch § 87c Rn 18; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 4, 49; Palandt/Heinrichs § 261 Rn 25.

222

2087

BGH NJW 1988, 966. Vgl. Palandt/Heinrichs § 261 Rn 8. 2089 AA Freitag/Leible RIW 2001, 287. 2090 Gegen diese Berücksichtigung im Schiedsverfahren Ouinke SchiedsVZ 2007, 246 ff. 2088

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geblichen Dokumente, z.B. Kundenlisten, sind in der Sprache des Vertriebsorts gefasst, ebenso wie die Korrespondenz mit Abnehmern. Am ausländischen Gerichtsort wären sie teuer zu übersetzen. Ohne Abwahl gilt wegen der Sachnähe das Recht am Ort der Niederlassung des Mittlers (Art. 28 EGBGB, § 92c Rn 30 ff), d.h. bei einem deutschen Mittler deutsches Recht 2091. Die durch den Unternehmer gezahlte Vergütung ist zu wenig aussagekräftig, um sie als charakteristisch und rechtsprägend anzusehen 2092. Ein ausländisches Gericht müsste also wenig übersichtliches deutsches Provisions- oder Ausgleichsrecht anwenden und wahrscheinlich kostenintensiv durch Gutachten ermitteln. Eine deutsches Recht fortbildende Entscheidung ist nicht zu erwarten 2093, erst recht nicht zur komplexen Materie des Ausgleichsanspruchs, des Provisionsrechts der §§ 87 ff oder der Informationsansprüche nach § 87c. Die HV sind zudem mit den Kosten zweier Anwälte belastet, nämlich den Kosten des zum materiellen Recht vortragenden Anwalts am Vertriebsort und eines das Verfahren führenden am Prozessort. Wenn prozessökonomische Gründe die Wahl des zuständigen Gerichts beeinflussen 2094, streitet dies für den Gerichtsstand Deutschland 2095. Forum und anwendbares Recht sollten einhergehen. Hinzu tritt als verständliche psychologische Komponente die Furcht vor einem aus- 407 ländischen Prozess. Sie trifft den HV härter als den Unternehmer. Der Unternehmer hat sich für den Vertrieb seiner Produkte auf den fremden Markt begeben und sich damit den lokalen Usancen und Gesetzen unterstellt. Dem HV dagegen mangelt diese internationale Erfahrung, da er den heimischen Markt bearbeitet und ihm zudem erfahrungsgemäß die wirtschaftliche Kraft zur Rechtsdurchsetzung im Ausland fehlt. Meist müssen HV zur Durchsetzung des Ausgleichsanspruches klagen. Gestaltungen, 408 die den Ausgleich behindern, sind nichtig (§ 89b Abs. 4). Zwar handelt es sich um eine Regel des materiellen Rechts. Ihre ratio, den Ausgleich zu stärken, ist jedoch auch im Verfahrensrecht der Ausgleichsklage zu beachten. Beide Körper des Rechts stehen sich nicht als Gegensätze sondern als Teile einer einheitlichen Wertordnung gegenüber. Ist ein Anspruch materiell „stark“, ist das Verfahrensrecht so auszulegen und anzuwenden, indem die materielle durch eine formelle Stärke unterlegt wird. Dies ist auch bei der Suche nach dem Gerichtsort zu beachten und der materielle Schutzgehalt so zu unterstützen, dass ein materielles Recht effektiv und schnell durchgesetzt werden kann. Der EuGH hat aus der zwingenden Natur des Ausgleichs in seinem unter § 92c Rn 54 erläutertem Urteil vom 09.11.2000 2096 eine Rechtswahlfestigkeit hergeleitet. Er entschied, im Vertrag eines innerhalb der Gemeinschaft tätigen Warenvertreters dürfe der Ausgleich 2091

BGHZ 53, 332 (337); BGH NJW 1993, 2753 (2754); BGHZ 127, 368 (371) = NJW 1995, 318 (319); Hermes, RIW 1999, 81 (85); Palandt/Heldrich Art. 28 EGBGB Rn 15; MünchKommBGB/Martiny Art. 28 EGBGB Rn 158; Küstner/Thume I, Rn 2441; Küstner/Thume Außendienstrecht Rn 2127 ff; Martinek/Oechsler § 55 Rn 18; Westphal Vertriebsrecht I Rn 25; Ebenroth/ Lange Anh. § 92c Rn 21; Hopt § 92c Rn 2; Soergel/v. Hoffmann Art. 28 Rn 258, 265; Erman/Hohloch Art. 28 Rn 53; Reithmann/ Kartzke Rn 1435; Kindler RIW 1990, 358 (363). 2092 Kindler RIW 1987, 660 (662); Westphal

Vertriebsrecht I Rn 25; Martinek/Oechsler § 55 Rn 18; Ebenroth/Lange Anh. § 92c Rn 21. 2093 Was aber neben der Auflösung der individuellen Streitigkeit Gerichtsaufgabe ist. 2094 BGH MDR 1999, 1217. 2095 Ausführlich Emde EWiR 1999, 1119 (1120); Emde VersR 2001, 148 (165) f. 2096 EuGH, Urt. v. 9.11.2000 – Rs C 381/98, ZIP 2000, 2108 = EWiR 2000, 1061 (Freitag) = EWS 2000, 550 = BB 2001, 10 m. zust. Anm. Kindler = DB 2001, 36 = EuZW 2001, 50 m. Anm. Reich = RIW 2001, 133.

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nicht durch Wahl ausgleichsfeindlichen Drittrechts ausgeschlossen werden. Der so durch richterrechtliche Rechtsfortbildung gewährte Schutz des Ausgleichs blieb verfahrensrechtlich lex imperfecta. Nicht ausdrücklich vorgeschrieben wurde nämlich durch die EuGH-Entscheidung ein europäischer, bei heimischen HV ein „deutscher“ Gerichtsstand der Ausgleichsklage. Das ist aus der Warte des EuGH verständlich, denn die EG-Richtlinie 1986 zum HV-Recht regelt nichts Entsprechendes. Vielmehr entsprach es bis dato der vom BGH 2097 geteilten herrschenden Ansicht 2098, der Ausgleich sei regelmäßig am Sitz des ausländischen Unternehmers einzuklagen. Die EuGVVO hat diese Argumente aufgenommen und die für richtig erkannte 409 Rechtsfolge kodifiziert. Sie entspricht im Bereich des durch die EG-Richtlinie vom 18.12.1986 getroffenen Warenvertreterrechts 2099 Sinn und Zweck des EuGH-Urteils vom 9.11.2000 2100, durch eine am Schutz der Richtlinie orientierte Auslegung des Prozessrechts (§§ 29 ZPO, 269 BGB) einen Einheitserfüllungsort am Vertriebsort zu schaffen. Der Regelungsappell der EuGVVO sollte daher als Ausdruck eines im gesamten Dienstleistungs- und damit auch des HV-Rechts geltenden Grundsatzes angenommen werden, schon um Wertungswidersprüche zu vermeiden. Nationale Richter haben sicherzustellen, dass vom Gemeinschaftsrecht gewährte Rechte durchgesetzt werden können 2101. Eben diese Richtung weist das unter Rn 416 besprochene Urteil des OLG München 2102. Es hielt eine auf Kalifornien weisende Schiedsvereinbarung für unwirksam, weil die wertsetzende Bedeutung der zwingenden Norm der EG-HV-Richtlinie dort möglicherweise missachtet werden würde. Das Urteil hat zwar nicht explizit einen Einheitsgerichtsstand des Mittlers am Vertriebsort angenommen, schon gar nicht für Mittler, die außerhalb des Anwendungsbereichs der EG-Richtlinie stehen. Gleichwohl geht die Intention des Urteils in die zutreffende Richtung. Man wird den dort gefundenen Gedanken fortentwickeln können und auch bei Fehlen eines am Gerichtsort liegenden Gerichtsstandes nach § 23 ZPO einen Einheitsgerichtsstand am Vertriebsort annehmen müssen. Das Urteil des EuGH v. 05.10.1999 2103 steht einer Wende der Rechtsprechung nicht 410 entgegen. Der EuGH entschied hier, ein Einheitserfüllungsort scheide aus, wenn nach den Kollisionsnormen des Gerichtsorts ein separater Leistungsort vorliege. Eine „deutsche“ Auslegung, welche einen einheitlichen Gerichtsstand annimmt, ist folglich gestattet 2104. Zwischenergebnis: Auch außerhalb des Anwendungsbereichs der EuGVVO sollte ein Einheitsgerichtsstand am Ort des Vertriebs angenommen werden.

2097

2101

2098

2102

BGH NJW 1988, 966. Westphal Vertriebsrecht I 1998, Rn 1330 (1355); Niebling Vertragshändlerrecht, 1999, Rn 343. 2099 Grundmann Europäisches Schuldvertragsrecht, 1999, S. 566, 572; Ebenroth/Löwisch Vor § 84 Rn 4. 2100 EuGH, Urt. v. 9.11.2000 – Rs C 381/98, ZIP-aktuell 46/2000, A 99 = ZIP 2000, 2108 = EWiR 2000, 1061 (Freitag) = EWS 2000, 550 = BB 2001, 10 m. zust. Anm. Kindler = DB 2001, 36 = EuZW 2001, 50 m. Anm. Reich = RIW 2001, 133.

224

2103

2104

Rörig EuZW 2004, 18. OLG München, Urt. v. 17.05.2006 – 7 U 1781/06, WM 2006, 1556 = EWiR 2006, 621 (Emde). Rs. C-420/97, ZIP 1999, 1773 = EWiR 1999, 117 (Mankowski) = NJW 2000, 721 = VersRAI 2000, 7 L; ähnlich bereits zuvor EuGH, VersRAI 2000, 10 L. Ausführlich Emde VersR 2001, 148 (166); ders EWiR 1999, 1119 (1120).

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VI. Gerichtsstandsklauseln Das für die Prüfung der Wirksamkeit einer Gerichtsstandsklausel maßgebliche Recht 411 wird nach deutschem internationalen Zivilprozessrecht in den §§ 38 bis 40 ZPO teilweise nach der lex fori, also dem Recht am Gerichtsort, teilweise nach der lex causae, also nach dem gemäß den Kollisionsnormen in der Sache selbst auf einen bestimmten Sachverhalt anzuwendenden Recht, ermittelt. Zulässigkeit, Form und Wirkung bestimmen sich nach der lex fori, während das Zustandekommen und die Auslegung der Gerichtsstandsvereinbarung sich nach der lex causae beurteilt 2105. Lex fori wäre bei einem Verfahren in Deutschland deutsches Recht. Lex causae wäre nach deutschem IPR meist das Recht am Sitz des Vertriebsmittlers (§ 92c Rn 35). Wird der Anwendungsbereich der EuGVVO nicht eröffnet, ist in Abwesenheit vorrangiger staatsvertraglicher Regelung auf das autonome Recht abzustellen 2106. Gerichtsstandsvereinbarungen können im innerstaatlichen Bereich gemäß § 38 ZPO getroffen werden. Die Parteien müssen im Zeitpunkt des Abschlusses der Gerichtsstandsklausel Kaufleute sein. Die spätere Erlangung der Kaufmannseigenschaft, etwa in Durchführung des Vertrages, genügt nicht. Gerichtsstandsklauseln in Existenzgründerverträgen sind folglich unwirksam 2107. Für die Schutzbedürftigkeit kommt es auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses an. Eine spätere Erlangung der Kaufmannseigenschaft lässt die Schutzbedürftigkeit nicht rückwirkend entfallen, weil der Mittler nicht rückwirkend höhere Kenntnisse oder Fähigkeiten erwirbt. Auch internationale Gerichtsstandsklauseln werden nach den allgemeinen Grundsätzen Vertragsbestandteil 2108. Ausgehend von dem insoweit strengeren Art. 23 Abs. 1 EuGVVO wird allerdings gelegentlich die Auffassung eingenommen, auch bei § 38 Abs. 1 ZPO sei eine tatsächliche Willenseinigung der Parteien erforderlich. Die internationalen Gerichtsstandsklauseln hätten sehr schwerwiegende Folgen für die belastete Partei, weshalb eine größere Schutzbedürftigkeit anzunehmen sei. Diese Meinung findet im Gesetz keine Stütze 2109. Die Gerichtsstandsklausel kann die gesetzliche Zuständigkeitsordnung nicht pauschal, 412 also beispielsweise für alle Klagen aus den bestehenden Geschäftsbeziehungen der Parteien oder für alle künftigen Rechtsstreitigkeiten modifizieren. Gemäß § 40 Abs. 1 ZPO hat vielmehr eine Konkretisierung auf die Klagen aus einem bestimmten Rechtsverhältnis und die aus ihm entspringenden Rechtsstreitigkeiten zu erfolgen. Die Vereinbarung muss ferner auf ein zumindest bestimmbares Gericht verweisen. Auch sind die Schranken des § 40 Abs. 2 ZPO zu beachten (auch im internationalen Verkehr) 2110, wonach es sich um eine vermögensrechtliche Streitigkeit handeln muss und die im deutschen Verfahrensrecht begründeten ausschließlichen Gerichtsstände nicht derogiert werden können.

2105

2106

BGH Urt. v. 17. 05. 1972 – VIII ZR 76/71, BGHZ 59, 23, 27 = NJW 1972, 1622 ff; Urt. v. 20.01.1986 – II ZR 56/85, NJW 1986, 1438, 1439 mit Anm. Geimer; Urt. v. 24.11.1988 – III ZR 150/87, NJW 1989, 1431 f; Urt. v. 21.11.1996 – IX ZR 264/95, ZIP 1996, 2184 (2186 ff); Urt. v. 18.03. 1997 – XI ZR 34/96, RIW 1997, 778 f; Ebenroth/Lange Anh. § 92c Rn 39. Ebenroth/Lange Anh. § 92c Rn 39.

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2108 2109 2110

Für das Franchiserecht: Giesler/Kroll in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 226. Ansonsten: Baumbach/ Hartmann § 38 Rn 15; Zöller/Vollkommer § 38 Rn 19; OLG Köln NJW-RR 1992, 571; OLG Karlsruhe MDR 2002, 1269; aA OLG Düsseldorf NJW 1998, 2980. Ebenroth/Lange Anh. § 92c Rn 40. Ebenroth/Lange Anh. § 92c Rn 40. Ebenroth/Lange Anh. § 92c Rn 41.

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Gerichtsstandvereinbarungen sind zudem nach Art. 23 EuGVVO im europäischen Rahmen zulässig 2111. Art. 23 EuGVVO verdrängt in seinem Anwendungsbereich § 38 ZPO. Art. 15 EuGVVO kommt nicht zum Zuge, da sein persönlicher Anwendungsbereich nicht gegeben ist 2112. Die Gerichtsstandsvereinbarung kann allerdings nicht verhindern, dass eine Partei sich über sie hinwegsetzt und ihr zum Trotz vor einem eigentlich derogierten Gericht klagt 2113. Das Risiko der Klagabweisung wird in diesen Fällen in Kauf genommen, um Vergleichsdruck zu schaffen. Ob von dem vorliegend entwickelten, zum Schutz des Dienstverpflichteten geschaffe414 nen allgemeinen Gerichtsstand in jedem Fall durch Gerichtsstandsvereinbarungen abgewichen werden darf, ist diskussionswürdig 2114. Nach bislang hM fand eine Inhaltskontrolle von Gerichtsstandsklauseln in europäischen HV-Verträgen neben Art. 23 EuGVVO nicht statt, auch nicht durch die §§ 305 ff BGB 2115. Auch findet keine Prüfung statt, ob der HV Kaufmann im Sinne des § 38 Abs. 1 ZPO ist. Eine Kontrolle der Gerichtsstandsvereinbarungen wäre auf mindestens zwei Wegen 415 möglich: Einmal über Art. 34 EGBGB, und dies auch bei Individualvereinbarungen und zudem über die §§ 305 ff BGB, dann jedoch nur bei AGB. Zur ersten Alternative vertritt Mankowski 2116 zutreffend, dem im Ingmar-Urteil 2117 gewährten Schutz könne ein gut informierter Unternehmer ausweichen, in dem er sich bemühe, vertraglich die Wahl drittstaatlichen Rechts durch die Vereinbarung eines korrespondierenden drittstaatlichen Gerichtsstands zu vertiefen. Das materielle Recht benötige eine prozessuale Absicherung. Wer ernsthaft die Schutzgebote durchsetzen wolle, müsse dies auch auf der prozessrechtlichen Ebene der Zuständigkeit tun. Zwingendes materielles Recht müsse entgegenstehenden Gerichtsstandsvereinbarungen die Wirkung nehmen. Eine richtlinienkonforme Auslegung sei nicht nur für spezifisches Umsetzungsrecht geboten, sondern für das gesamte nationale Recht. Sie würde zwar auch Individualvereinbarungen erfassen und wäre insoweit weiter als eine an den §§ 305 ff BGB orientierte Beschränkung (dazu im Folgendem). Anderseits wäre sie auch enger, weil sie jede innereuropäische Verweisung anerkennen müsste und nicht von der EG-Richtlinie 1986 erfasste Mittler, also sogar Nichtwarenvertreter und erst recht Vertragshändler und Franchisenehmer nicht schützt. Diesen Weg ist das OLG München 2118 gegangen: Trotz einer nach Kalifornien wei416 senden Schieds- und Gerichtsstandsvereinbarung billigte es dem klagenden HV den deutschen Gerichtsstand des Vermögens (§ 23 ZPO) 2119 zu. Der für § 23 ZPO erforderliche 2111

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2114 2115

Mankowski in: Hopt/Tzouganatos, Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, 2006, 131, 135. Mankowski MDR 2002, 1352 (1353); ders. in: Hopt/Tzouganatos, Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, 2006, 131, 135. Mankowski in: Hopt/Tzouganatos, Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, 2006, 131, 136. Siehe bereits Emde RIW 2003, 505 (508 ff). Mankowski in: Hopt/Tzouganatos, Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, 2006, 131, 136; aA Emde RIW 2003, 505 (508 f).

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Mankowski in: Hopt/Tzouganatos, Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, 2006, 131, 149. EuGH, Urt. v. 09.11.2000 – Rs C 381/98, ZIP 2000, 2108 = EWiR 2000, 1061 (Freitag) = EWS 2000, 550 = BB 2001, 10 m. zust. Anm. Kindler = DB 2001, 36 = EuZW 2001, 50 m. Anm. Reich = RIW 2001, 133. OLG München, Urt. v. 17.05.2006 – 7 U 1781/06, WM 2006, 1556 = EWiR 2006, 621 (Emde) mit ablehnender Besprechung Ouinke, SchiedsVZ 2007, 246. Man hätte auch mit dem Verfasser (Emde RIW 2003, 505 ff) im Rahmen des § 29 ZPO einen Einheitserfüllungsort am

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Inlandsbezug folge aus der Tätigkeit des HV in Deutschland. Die Schieds- und Gerichtsstandsvereinbarung sei aufgrund der wertsetzenden Bedeutung des zwingenden Ausgleichs nach § 89b, hergeleitet aus Art. 17–19 HV-Richtlinie 1986, unwirksam 2120. Auch der in Deutschland oder Polen für eine Schweizer Firma tätige HV, der die Geltung des Schweizer Rechts vereinbart hat, kann sich auf die Entscheidung berufen, weil ihm nach Schweizer Recht ein geringerer Ausgleich auf Kundschaftsentschädigung gemäß Art. 419u OR zustände 2121. Bei Fehlen einer Gerichtsstandsklausel wird man dem HV ebenfalls nach diesem Grundsatz einen zwingenden Gerichtsstand innerhalb der EU gewähren müssen, außerhalb des Anwendungsbereichs des § 23 ZPO wohl analog Art. 5 Ziff. 1 lit. b EuGVVO an seinem Tätigkeitsort 2122. Das OLG München lehnte sich an den BGH 2123 an, der bereits 1961 ausführte, die in einem HV-Vertrag getroffene Vereinbarung ausländischen Rechts und eines ausländischen Gerichtsstandes könne im Einzelfall unwirksam sein, falls sie dem Zweck diene und praktisch dazu führe, dass das Recht des prorogierten Landes vereinbart werde, obwohl die Parteien die Anwendung des ausländischen Rechts nicht wirksam vereinbaren könnten. Auf die kaum feststellbare individuelle Schutzbedürftigkeit des HV kommt es nicht an 2124. Ebenso unbehelflich ist der Hinweis, bei mangelnder finanzieller Fähigkeit zur Durchführung des (ausländischen) Schiedsverfahrens dürfe der HV zu den ordentlichen Gerichten ausweichen 2125. Denn ein deutscher Gerichtsstand wäre auch bei Unbeachtlichkeit der Schiedsklausel nicht gegeben. Es bleibt ferner die Frage: Soll der aus der Ingmar-Entscheidung hergeleitete Schutz auch bei ausländischem Vertriebsgebiet, aber Vertragsschluss mit einem innerhalb der EU ansässigen HV eingreifen? Das wird man bejahen müssen, wenn der HV – hierfür spricht eine Vermutung – den Schwerpunkt seiner Tätigkeit am innereuropäischen Sitz ausführt. Eine zweite Alternative ist ein Schutz durch die §§ 305 ff BGB: Wie ausgeführt ist 417 HV-Recht meist AGB-Recht 2126. Allerdings liegt bei Gerichtsstandsklauseln, es sei denn, diese wurden im Vertrag „versteckt“, regelmäßig kein Fall einer überraschenden Klausel nach § 305c Abs. 1 BGB vor, auch nicht bei Verwendung von Gerichtsstandsklauseln in internationalen Vertriebsverträgen 2127. Bereits unter der Geltung des EuGVÜ war umstritten, ob Art. 17 EuGVÜ (= Art. 23 EuGVVO) auch die Inhaltskontrolle nach § 307 BGB verdrängt 2128 oder ob § 307 BGB neben dieser Norm anwendbar blieb 2129. Zunächst muss bei Gerichtsstandsbestimmungen in AGB neben einem unzweideutigen Hinweis auf die AGB die Möglichkeit zumutbarer Kenntnisnahme in Form des Zugänglichmachens des Klauselwerks bestehen. Dazu reicht es nicht aus, falls die AGB auf der Rückseite eines Geschäftsschreibens abgedruckt werden; vielmehr muss die Bezugnahme

2120

2121 2122 2123

vertrags- und rechtprägenden (Art. 28 EGBGB) Vertriebsort annehmen können, wie ihn im innereuropäischen Rechtsverkehr Art. 5 Ziff 1 lit. b EuGVVO geschaffen hat. OLG München, Urt. v. 17.05.2006 – 7 U 1781/06, WM 2006, 1556 = EWiR 2006, 621 (Emde). Die Entscheidung liegt auf der Linie von BGH, Urt. v. 01.12.2005 – VIII ZR 191/03, RIW 2006, 144 (zu einer Gewinnzusage). Thume IHR 2006, 69. Emde EWiR 2006. BGH NJW 1961, 1061 (1062).

2124 2125 2126 2127 2128

2129

AA Ouinke SchiedsVZ 2007, 246 (249). So Ouinke SchiedsVZ 2007, 246 (251). Martinek/Flohr § 8 Rn 102, 112. Ebenroth/Löwisch Anh. § 92c Rn 42. Gottwald FS Firsching, S. 89, 103 f; Grüter DB 1978, 381 (384); Ebenroth/Löwisch Anh. § 92c Rn 31. OLG Karlsruhe Urt. v. 30.12.1981 – 14 U 4/81, NJW 1982, 1950 f; OLG Düsseldorf Urt. v. 6.1.1989 – 16 U 77/88, NJW-RR 1989, 1330, 1332 f; Landfermann RIW 1977, 445 (448).

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eindeutig erfolgen 2130. Auch ist es ungenügend, wenn sie der Gegenseite erst später zugänglich gemacht werden 2131. Teilweise wird aus § 38 Abs. 1 ZPO die Wirksamkeit der internationalen Prorogation abgeleitet, weshalb eine Inhaltskontrolle nicht oder nur in Ausnahmefällen eingreifen soll 2132. Andere wollen dann eine Ausnahme machen, wenn es sich für einen der kaufmännischen Vertragspartner um ein Privatgeschäft handelt oder der vorgeschriebene Gerichtsort keine ausreichende Beziehung zum Rechtsgeschäft aufweist 2133. Eine weitere Meinungsgruppe sieht wegen der weitgehenden Akzeptanz von Gerichtsstandsklauseln eine Benachteiligung nur als gegeben an, wenn zusätzliche Umstände hinzutreten, die nicht durch das berechtigte Interesse des Klauselverwenders ausgeglichen werden 2134. Es könnte angesichts der maßstabsetzenden Wertung der EuGVVO diskutiert werden, eine vom Einheitsgerichtsstand am Tätigkeitsort (Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO) abweichende AGB-Gerichtsstandsklausel für mit § 307 BGB unvereinbar und unwirksam zu halten 2135. Dem widersprechen Teile der Rechtsprechung: Gegenüber einem deutschen HV dürfe durch AGB ein ausländischer Gerichtstand am Sitz des Unternehmers (hier: Frankreich) vereinbart werden (Art. 23 EuGVVO). Das Schutzbedürfnis des HV führe auch nicht analog Artt. 15, 17, 18, 19 und 21 EuGVVO zur Unwirksamkeit der Gerichtstandsklausel, da ein HV weder einem Arbeitnehmer noch einem Verbraucher gleichstehe 2136. Man könnte auch im Rahmen der AGB-Prüfung daran denken, den Prüfungsmaßstab 418 am Ingmar-Urteil zu orientieren und auf einen Gerichtsstand außerhalb der EU weisende Vereinbarungen wegen des mangelnden Schutzes für unwirksam zu halten, wobei innereuropäische Verweisungen aber auch hier wohl anzuerkennen wären. Auch müsste der Schutz wohl von der EG-Richtlinie nicht erfasste Vertriebsmittler ausnehmen. Dies gilt auch innerhalb des Anwendungsbereichs der EuGVVO. Zwar ist der Begriff einer Gerichtsstandsvereinbarung i.S.d. Art. 23 VO EuGVVO im Grundsatz gleichfalls autonom auszulegen 2137. Richtigerweise sind jedoch die Wirksamkeitsvoraussetzungen der Gerichtsstandsvereinbarung gemäß Art. 23 Abs 1 lit. a und b EuGVVO nach dem IPR der lex fori zu prüfen 2138. Damit ist auch eine Prüfung anhand des § 307 BGB mög2130

2131

2132

2133

2134

EuGH Urt. v. 14.12.1976 – Rs. 24/76, „Estasis Safotti/RÜWA“, EuGHE 1976, 1831, 1841 = NJW 1977, 494; BGH, Urt. v. 26.3.1992 – VII ZR 258/91, RIW 1992, 756 (758); Ebenroth/Lange Anh. § 92c Rn 35. EuGH Urt. v. 14.12.1976 – Rs. 24/76, „Estasis Safotti/RÜWA“, EuGHE 1976, 1831, 1841 f = NJW 1977, 494; Urt. v. 14.12.1976 – Rs. 25/76, NJW 1977, 495; Sieg RIW 1998, 102 (103 f). OLG Köln Urt. v. 28.4.1975 – 10 U 195/74, VersR 1976, 537 f; ähnlich LG Bielefeld Urt. v. 27.1.1977 – 13 S 74/76, MDR 1977, 672. OLG Karlsruhe Urt. v. 30.12.1981 – 14 U 4/81, NJW 1982, 1950 f; LG Karlsruhe Beschl. v. 3.9.1973 – 5 O 142/73, BB 1973, 1604; Schiller NJW 1979, 636 (637). OLG Hamburg Urt. v. 30.12.1985 – 11 U 159/85, RIW 1986, 462 (464); Ebenroth/ Löwisch Anh. § 92c Rn 43.

228

2135

2136

2137 2138

Emde RIW 2003, 505 (508 f); ähnlich OLG Karlsruhe v. 30.12.1981, NJW 1982, 1950; OLG Düsseldorf v. 6.1.1989, NJWRR 1989, 1330 (1331); Landfermann, RIW 1977, 445 (448); vgl. zur Rechtswahlklausel Emde MDR 2002, 190 (198); aA Mankowski in: Hopt/Tzouganatos, Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, 2006, 131 (136). OLG Hamburg, Urt. v. 14.04.2004 – 13 U 76/03, NJW 2004, 3126; aA Emde RIW 2003, 505. Thomas/Putzo/Hüßtege Art. 5 Rn 3. OLG Saarbrücken NJW 1992, 987; MünchKommBGB/Martiny vor Art. 27 EGBGB Rn 50; Mankowski IPRax 1996, 427; Thomas/Putzo/Hüßtege Art. 5 Rn 4; für die Gerichtsstandsvereinbarung in einer Satzung auch EuGH NJW 1992, 1671.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

Vor § 84

lich 2139. Ebenso kann überprüft werden, ob überhaupt eine Prorogationsbefugnis nach § 38 ZPO vorlag 2140. Sie fehlt, wenn der HV kein Kaufmann ist.

R. Allgemeines zum gerichtlichen Verfahren I. Sachliche Zuständigkeit Für den Entscheid einer Vertriebsmittlerstreitigkeit sind grundsätzlich die ordent- 419 lichen Gerichte, Zivilkammern, zuständig. Nur wenn die Voraussetzungen für die Zuständigkeit der Kammern für Handelssachen begründet sind – beidseitiges Handelsgeschäft und gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 1 GVG müsste der Beklagte Kaufmann und in das Handels- oder Genossenschaftsregister eingetragen sein – ist deren Kompetenz begründet. Nach § 84 Abs. 4 muss ein HV nicht notwendig Kaufmann sein. Ob ein beiderseitiges Handelsgeschäft vorliegt, ist daher nicht immer sicher 2141. Es gibt also keine Allzuständigkeit der Kammern für Handelssachen 2142. Denn seit der Novellierung des § 95 Abs. 1 Nr. 1 GVG durch das HRefG v. 22.06.1998 ist den Kammern für Handelssachen ein wesentlicher Teil ihrer Zuständigkeiten entzogen, was zu einer Teilzuständigkeit der Zivilkammern geführt hat. Das gilt zum einen, wenn der klagende HV keinen kaufmännischen Geschäftsbetrieb führt (was bei lediglich zwölf oder gar nur vier jährlichen Provisionsbuchungen nicht ausgeschlossen ist) oder der beklagte Unternehmer nicht in das Handelsregister eingetragen wurde. Die dadurch hervorgerufenen Zuständigkeitsstreitigkeiten und die geringere Zuständigkeitskonzentration bei den Kammern für Handelssachen dürfen bedauert werden. Nach Ansicht von Kügel 2143 ist bei HV ab einem Provisionsumsatz von etwa 100.000 EUR die Kaufmannseigenschaft anzunehmen (berechnet auf Basis eines Provisionssatzes von 2 % bis 5 %). Bei Vertragshändlern müsse man auf die Umsätze abstellen und ab 250.000 EUR die Kaufmannseigenschaft bejahen 2144. Richtigerweise gibt eine Gesamtbetrachtung, nicht aber der Umsatz allein Aufschlüsse über die Kaufmannseigenschaft 2145. Ist der HV arbeitnehmerähnliche Person i.S.d. § 5 Abs. 3 ArbGG sind die Arbeitsgerichte zuständig 2146. Ob das AG oder das LG zuständig ist, bestimmt sich nach der Höhe des Streitwertes. Ist eine Tatsache doppelrelevant, also sowohl für die Zuständigkeit wie die Begründetheit der Klage erheblich, ist nach der Theorie des doppelrelevanten Vortrages zur Bestimmung der Zuständigkeit nur auf den Klägervortrag abzustellen2147. Nach einer Ansicht ist sogar dann allein auf den

2139

2140

OLG Düsseldorf NJW-RR 1989, 1330; Landfermann RIW 1977, 448; aA MükoZPO/Gottwald, Art. 17 EuGVÜ Rn 63; Graf v. Westphalen Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Gerichtsstandsklauseln, Rn 56. AA: autonome Auslegung nach Art. 23 VO EuGHE 1979, 3423 = NJW 1980, 1218; BGH NJW 1980, 2022; OLG München NJW 1982, 1951; Mankowski in: Hopt/ Tzouganatos, Europäisierung des Handelsund Wirtschaftsrechts, 2006, 131, 136; Graf v. Westphalen Vertragsrecht und AGBKlauselwerke, Gerichtsstandsklauseln, Rn 54.

2141 2142 2143 2144 2145 2146 2147

Siehe Emde VersR 1999, 1464. AA Küstner/Thume II Rn 1739. DB 1998, 1802 (1805). Vögel DB 1998, 1802 (1805) für den Einzelhandel. Emde VerR 1999, 1464. Küstner/Thume I, Rn 1462. Hierzu OLG Celle Beschl. v. 04.06.2007 – 11 U 293/06, OLGR 2008, 177; KG Berlin, KGR Berlin 2001, 128; MüKoZPO/Gottwald 2 Art. 5 EuGVÜ, Rn. 45.

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1. Buch. Handelsstand

Klägervortrag abzustellen, wenn es sich bei den maßgeblichen Umständen nicht um doppelrelevante Tatsachen handelt2148. Es sei allein maßgeblich, ob die vom Kläger zur Begründung seines Anspruchs behaupteten Tatsachen Rechtsbeziehungen oder Rechtsfolgen ergäben, die in die Zuständigkeit der Zivilgerichte fielen. Zwar bestehe das Risiko, dass der Kläger durch einseitigen Vortrag die Zuständigkeit der Gerichte bestimme. Hierdurch werde die jeweilige Beklagte aber nicht unzumutbar beeinträchtigt. Denn die einseitige Berücksichtung des Klägervortrags beschränke sich auf die Frage der Zulässigkeit des Rechtswegs.

II. Schiedsfähigkeit 420

Vertriebsmittlerstreitigkeiten sind schiedsfähig. Sieht ein Händlervertrag im Einklang mit Art. 5 Abs. 3 GVO 2790/99 ein außergerichtliches Schlichtungsverfahren vor, nach dem die Vertragspartner bei fehlendem Einvernehmen über die Gültigkeit einer fristlosen Kündigung einem zügigen Verfahren zur Beilegung der streitigen Angelegenheit durch Inanspruchnahme eines Sachverständigen Dritten oder eines Schiedsrichters zustimmen müssen, dürfen sich Hersteller wie Händler einem solchen außergerichtlichen Schlichtungsverfahren nicht versagen. Sie sind allerdings nicht gezwungen, vor Inanspruchnahme staatlicher Gerichte ein solches Verfahren vorzuschalten 2149. Zur Unwirksamkeit einer auf einen außereuropäischen Schiedsort verwiesenen Schiedsgerichtsvereinbarung in einem zwingendem EU-Recht widersprechenden Vertrag vor § 84 Rn 508.

III. Örtliche Zuständigkeit 421

Die örtliche Zuständigkeit folgt aus den §§ 12 ff ZPO, im Anwendungsbereich der EUGVVO oder des LugÜ aus diesem. Der allgemeine Gerichtsstand des Unternehmers liegt gemäß § 12 ZPO an dessen ggf. ausländischem Sitz. Zum Gerichtsstand des Erfüllungsort Rn 381 ff. Zu Gerichtsstandsklauseln oben, Rn 411 ff.

IV. Beweislast 422

Für Streitigkeiten zwischen Unternehmer und Vertriebsmittler gelten die allgemeinen Regeln zur Beweislast.

V. Eilverfahren 423

Die Rechte beider Vertragspartner in Vertriebsmittlerstreitigkeiten können durch einstweilige Verfügungen gesichert werden. Besonders häufig ist dies bei Weiterbelieferungsverfügungen im Vertragshändlerrecht 2150 oder auch als Antrag auf weitere Fort-

2148 2149

OLG Celle Beschl. v. 04.06.2007 – 11 U 293/06, OLGR 2008, 177. OLG Saarbrücken, NJW-RR 1999, 1713.

230

2150

Vgl. etwa LG Stuttgart NJW-RR 1999, 329 = EWiR 1999, 411 (Emde).

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

Vor § 84

setzung der Vermittlungsleistung im HV-Recht. Der vorherige Versuch, den Vertrag durch Verhandlungen zu retten, schließt die Eilbedürftigkeit nicht aus 2151.

VI. Revisionsgerichtliche Überprüfung Bei der Ermittlung des Sinngehalts der Vertragsbestimmung eines Vertriebsvertrages 424 geht es in erster Linie um eine dem Tatrichter obliegende Auslegung einer Individualerklärung (§§ 133, 157 BGB) 2152. Das Revisionsgericht kann das Ergebnis nur darauf überprüfen, ob gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt worden sind. Zu den anerkannten Auslegungsregeln zählt insbesondere die Maßgeblichkeit des Wortlauts als Ausgangspunkt jeder Auslegung sowie die Berücksichtigung der Interessenlage der Vertragspartner im Zeitpunkt des Vertragsschlusses 2153. Das gleiche gilt in Ausgleichsstreitigkeiten. Hier obliegt es dem Tatrichter, Billigkeitsmomente oder die Abwanderungsquote zu schätzen. Bei Beurteilung der Frage, ob der Unternehmer ein vom HV angedientes Geschäft abschließen muss, überschreitet es die Befugnis eines Gerichts, sich in die Geschäftspolitik eines Unternehmens zu mischen und dessen Entscheidung darauf zu überprüfen, ob sie auf einen vernünftigen und einleuchtenden Grund beruhen. Daher ist jede plausible Begründung hinzunehmen 2154. In erster Linie für Haftungsprozesse zwischen Unternehmer und Drittem hat eine Entscheidung des OLG München 2155 Bedeutung: Ein Unternehmer, der sich für den Abschluss von Darlehensverträgen selbständiger Vermittler bedient, kann sich nicht über deren behauptete Vorgehensweise in Unkenntnis halten und diese pauschal oder mit Nichtwissen bestreiten.

VII. Feststellung der Unwirksamkeit einer Kündigung Nach Kündigung eines Vertriebsvertrages kann der Mittler eine Klage auf Feststellung 425 der Unwirksamkeit der Kündigung, hilfsweise auf Neuabschluss oder Weiterbelieferung 2156 bzw. Annahme vermittelter Geschäfte stellen.

VIII. Internationale Vertriebsrechtsstreitigkeiten Zum Gerichtsstand Rn 389 ff. In internationalen Vertriebsrechtsstreitigkeiten ver- 426 sucht eine Partei häufig der ausländischen Leistungsklage der anderen Partei durch eine eigene Feststellungsklage zuvorzukommen. Die Gründe hierfür sind mannigfaltig. In einem Staat mit erprobt langsamer Gerichtsbarkeit kann ein Unternehmer Interesse an

2151 2152 2153 2154

Vgl. etwa LG Stuttgart NJW-RR 1999, 329 = EWiR 1999, 411 (Emde). BGH, Urt. v. 05.04.2006 – VIII ZR 384/04, BB 2006, 1300. BGH, Urt. v. 05.04.2006 – VIII ZR 384/04, BB 2006, 1300. LG Hamburg, Urt. v. 12.06.2006 – 415 O 17/06.

2155 2156

OLG München, Urt. v. 27.04.2006 – 19 U 3717/04, NJW 2006, 1811. OLG Celle, Urt. v. 22.06.2000 – 13 U 137/98, WuW DE-R 581, 2001, 65 = OLGR 2001, 126; OLG Saarbrücken, NJW-RR 1999, 1339 (Emde) = EWiR 1999, 1175.

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1. Buch. Handelsstand

einer Verzögerung der Entscheidung eines Staates mit schnellerer Gerichtsbarkeit haben. Häufig geht es auch um die Sicherung der eigenen Gerichtsbarkeit. Sedes materie ist innerhalb des europäischen Raumes Art. 27 EuGVVO bzw. Art. 21 EuGVÜ/LugA. Erhebt ein deutscher HV in Deutschland Schadenersatzklage wegen unberechtigter Kündigung des Vertretervertrages und klagt der Unternehmer in Italien auf Feststellung, dass für seine Kündigung ein wichtiger Grund bestanden habe und dem Vertreter kein Ausgleichsanspruch zustehe, setzen deutsche Gerichte das Verfahren aus, wenn die italienische Klage als erste an- und rechtshängig war 2157. In dem eben zitierten Urteil entschied der BGH, die Kernpunkte des deutschen und des italienischen Verfahrens seien dieselben. Die „italienische“ Feststellungsklage, dass für die Kündigung des Vertretervertrages ein wichtiger Grund bestehe, sei ein für die deutsche Zahlungsklage auf Schadenersatz wegen entgangener Provisionen vorgreifliches Rechtsverhältnis. Der Schadenersatzanspruch des Vertreters setze nach § 89a Abs. 2 voraus, dass er zu seiner eigenen Kündigung durch ein von dem Unternehmer zu vertretendes Verhalten veranlasst worden sei. Als ein solches Verhalten komme allein die Kündigung des Vertrages durch den Unternehmer in Betracht, die wegen der Befristung des Vertrages nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes berechtigt sei. Werde deshalb auf die Klage in Italien rechtskräftig festgestellt, für die Kündigung habe ein wichtiger Grund bestanden, so sei aufgrund der nach Art. 26 Abs. 1 EuGVÜ zu beachtenden materiellen Rechtskraft die Zahlungsklage der Klägerin ohne weiteres als unbegründet abzuweisen. Werde hingegen der Feststellungsantrag der Beklagten abgewiesen, so sei aufgrund der präjudiziellen Rechtskraftwirkung dieser Entscheidung für die deutsche Zahlungsklage des Vertreters davon auszugehen, dass die Kündigung des Unternehmers unwirksam und damit vertragswidrig sei, was eine der notwendigen Voraussetzungen für einen Schadenersatzanspruch des Vertreters sei. Dass bei Abweisung der Feststellungsklage des Unternehmers noch nicht feststehe, ob der Schadenersatzanspruch des Vertreters gegeben sei, weil dafür noch weitere Voraussetzungen vorliegen müssten, stehe der Annahme einer doppelten Rechtshängigkeit im Sinne des Art. 21 EuGVÜ nicht entgegen. Ausreichend sei die Möglichkeit, dass es in beiden Prozessen zu unvereinbaren Entscheidungen komme. Auf die Zulässigkeit der Aufrechnung kommt es in internationalen Vertriebsstreitig427 keiten häufig an, etwa bei unterschiedlichen Gerichtsständen des Mittlers und Unternehmers 2158. Voraussetzung der internationalen Aufrechnung ist wie bei der Widerklage Konnexität. Eine solche dürfte bei gegenseitigen Ansprüchen aus einem einheitlichen Vertriebsvertrag regelmäßig vorliegen, etwa zwischen Ausgleich und Kaufpreisforderung beim Vertragshändlervertrag.

S. Verjährung 428

Die Verjährung der Ansprüche aus Vertriebsverträgen richtete sich bislang nach § 88 (ggf. analog) 2159. § 88 wurde jedoch durch das Verjährungsanpassungsgesetz vom 28. Oktober 2004, welches am 14.12.2004 verkündet 2160 und am 15.12.2004 in Kraft getreten ist, aufgehoben. Bisher § 88 unterfallende Ansprüche verjähren zukünftig inner-

2157 2158

BGH, Urt. v. 06.02.2002 – VIII ZR 106/01, RIW 2002, 393. Busse MDR 2001, 729 (731).

232

2159 2160

Emde DB 2003, 981. BGBl. I 2004, 3214.

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halb der dreijährigen Regelverjährungsfrist der §§ 195, 199 BGB 2161, auch in Vertragshändler- und Franchiseverträgen2162. Die Übergangsregelung für die neuen Verjährungsvorschriften ist in Art. 229 § 12 EGBGB normiert. Aufgrund des Verweises auf Art. 229 § 6 EGBGB findet das Übergangsrecht auf alle Ansprüche Anwendung, die vor dem 15.12.2004 bestanden haben und zu diesem Zeitpunkt noch unverjährt waren. Maßgeblich für das „Bestehen“ des Anspruchs ist seine Fälligkeit 2163. Gemäß Art. 229 § 12 i.V.m. § 6 Abs. 1 S. 2–4 EGBGB gilt für die Verjährung der Ansprüche, die vor dem 15.12.2004 (Wegfall des § 88) entstanden sind, folgendes: Ist die Verjährungsfrist nach dem seit dem 15.12.2004 geltenden Recht kürzer als nach § 88 a.F., gilt die neue Verjährungsfrist, die jedoch erst vom 15.12.2004 an berechnet wird. Ansprüche des HV verjähren daher im Normalfall erst mit Ablauf des 31.12.2007 2164. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt, wenn die alte Frist früher ausläuft als die Frist nach den neuen Bestimmungen. In diesem Fall ist die Verjährung mit dem Ablauf der nach dem alten Recht berechneten Frist vollendet. Der Lauf der Verjährungsfrist beginnt nicht mit der Tag der Fälligkeit des Anspruchs, 429 sondern mit dem Schluss des Jahres, in dem die Fälligkeit des Anspruchs eingetreten ist und der Gläubiger von den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen (§ 199 Abs. 1 BGB) 2165. Sind dem HV Provisionsansprüche wegen fehlender Abrechnung des Unternehmers 430 unbekannt geblieben, darf sich der Unternehmer gemäß §§ 162, 242 (unzulässige Rechtsausübung 2166), 280, 826 BGB nicht auf Verjährung berufen, wobei (nur) bei den Schadenersatzansprüchen ein regelmäßig vorliegender bedingter Vorsatz erforderlich ist 2167. Der HV ist, wenn er davon erst nach eingetretener Verjährung Kenntnis erlangt, im Wege des Schadenersatzes, aber auch gemäß §§ 162, 242 BGB, so zu stellen, als sei der Provisionsanspruch bei Kenntniserlangung unverjährt 2168. Dieser Schadenersatzanspruch verjährt dann erneut gemäß § 195 BGB binnen drei Jahren seit Kenntniserlangung 2169. Das soll allerdings nicht gelten, wenn es sich nur um Abrechnungsfehler handelte, die der HV durch einfache Nachprüfung hätte feststellen können 2170. Ohnehin kann hinsichtlich nicht bekannter Provisionsansprüche nur eine kenntnisunabhängige Verjährung zu laufen beginnen. Den Beweis fehlenden Vorsatzes müsste der Unternehmer führen, weil er allein unter Berücksichtigung von Gefahrenbereichen hierzu in der Lage sein kann. Bei Dauerhandlungen, etwa der Verletzung der Exklusivität eines Vertriebsmittlers, 431 setzt sich die Verletzungshandlung in der Durchführung und Aufrechterhaltung der Vertragsbeziehung fort. Es handelt sich also um wiederholte Verletzungshandlungen, bei

2161 2162

2163 2164 2165 2166

Wagner ZIP 2005, 558 (563). AA nach Manuskriptabgabe mglw. Eberstein Der Handelsvertreter-Vertrag, 9. Aufl., S. 180 mit unzutreffender Inanspruchnahme des Unterzeichners. Wagner ZIP 2005, 558. Prasse in: Gießler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 352. Prasse in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 350. Hopt § 88 Rn 6.

2167 2168

2169 2170

Vgl. Küstner/Thume I Rn 1469. BGH v. 28.01.1977 – I ZR 171/75, WM 1977, 410; Stötter NJW 1978, 799; Hopt § 88 Rn 6; ders. § 88 Rn 6; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 88 Rn 8. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 88 Rn 8; Hopt § 88 Rn 6. OLG Karlsruhe v. 23.03.1973, BB 1973, 1600; 1973; 1974, 713; Küstner/Thume I Rn 1469; Hopt § 88 Rn 6.

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1. Buch. Handelsstand

der für jeden Schadenszeitraum eine separate Verjährungsfrist zu laufen beginnt 2171. Nichts anderes gilt, wenn man bei einer Verletzung der Exklusivität das Festhalten des Herstellers an den Verträgen mit den Wettbewerbern als eine Dauerhandlung betracht. In diesem Fall beginnt, sofern nicht das Alleinvertriebsrecht der Klägerin früher endet, die Verjährungsfrist nicht vor Abbruch der Lieferbeziehungen zu den Wettbewerbern 2172. Die Vorschriften über die Verjährung sind dispositiv (vgl. § 202 BGB)2173. Eine ein432 seitige Verkürzung der Verjährung zu Lasten des HV ist unzulässig. Das folgert der BGH 2174 aus dem Rechtsgedanken des § 89 Abs. 3 und dies gilt auch nach Wegfall des § 88. Die Entscheidung betraf eine Abkürzung der Verjährungsfrist, die für den Ausgleichsanspruch getroffen worden war. Sie beansprucht aber darüber hinaus Geltung, wenn bei der die Verjährung verkürzenden Abrede Ansprüche sowohl des Unternehmers wie des HV angesprochen sind und hierbei der HV mit der kürzeren Frist bedacht worden ist; insoweit wird dann analog § 89 Abs. 3 für beide Teile die längere Frist zu gelten haben. Ist die Verjährung unzulässig verkürzt worden, hat aber der HV das aus Rechtsunkenntnis nicht erkannt und daraufhin nach Ablauf der vermeintlichen „Verjährung“ die in Wahrheit noch mögliche, rechtzeitige Geltendmachung des Anspruchs unterlassen, so verstößt es gegen Treu und Glauben, sofern der Unternehmer ihm nunmehr die Verjährungseinrede entgegensetzt 2175. Das ist jedenfalls dann zutreffend, wenn der Vertrag mit dieser (unwirksamen) Verjährungsklausel vom Unternehmer gestaltet worden war. Die Abkürzung der Verjährungsfrist auf ein Jahr für Ansprüche aus einem HV-Vertrag ist sowohl als AGB wie als Individualvertrag unwirksam, sofern der Lauf der Verjährung ohne Rücksicht auf die Kenntnis des Anspruchsinhabers von der Entstehung des Anspruchs – hier: Provisionsforderung – beginnt 2176.

2171

2172 2173 2174

BGH, Urt. v. 17.04.2002 – VIII ZR 139/01, VersR 2002, 1023 = BB 2002, 1507 = DB 2002, 1657 = NJW-RR 2002, 1256 = EWiR 2002, 766 (Emde) = WM 2003, 250; BGHZ 97, 97, 110; BGH NJW 1985, 1023. RGZ 80, 436, 437 f. AA für das Vertriebsrecht: Eberstein, Der Handelsvertreter-Vertrag, 9. Aufl., S. 180. BGHZ 75 218; BGH, Urt. v. 12.2.2003 –

234

2175 2176

VIII ZR 284/01, VersR 2003, 991 = BB 2003, 919 = NJW 2003, 1670 = MDR 2003, 701 = DB 2003, 2121 = WM 2003, 2101. OLG Karlsruhe BB 1974, 904. OLG München, Urt. v. 15.11.2000 – 7 U 3545/00, OLGR München 2001, 111; v. 07.02.1996 – 7 U 5042/95, NJW-RR 1996, 991; OLG Hamm VersR 1999, 1492 = NJW-RR 1999, 1712.

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§ 84

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 84 Begriff des Handelsvertreters (1) 1 Handelsvertreter ist, wer als selbständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für einen anderen Unternehmer (Unternehmer) Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen. 2 Selbständig ist, wer im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. (2) Wer, ohne selbständig im Sinne des Absatzes 1 zu sein, ständig damit betraut ist, für einen Unternehmer Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen, gilt als Angestellter. (3) Der Unternehmer kann auch ein Handelsvertreter sein. (4) Die Vorschriften dieses Abschnittes finden auch Anwendung, wenn das Unternehmen des Handelsvertreters nach Art oder Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb nicht erfordert.

Schrifttum Bogs Die Beurteilung der Selbständigkeit von Handelsvertretern als Methodenfrage der Sozialversicherungspflicht VersR 1977, 197; Götz Hueck Arbeitnehmer und freie Mitarbeiter DB 1955, 834; Ludwig Auf welche Handelsvertreter ist das Bundesurlaubsgesetz anwendbar? DB 1966, 1972; Marburger Zur Sozialversicherungspflicht von Vertretern und ähnlichen Personenkreisen DB 1979, 840; Martin OHG und KG als Versicherungsvertreter VersR 1967, 824; Neflin Der Industriepropagandist in handelsrechtlicher und steuerlicher Sicht DB 1961, 833; Ordemann Zur Abgrenzung zwischen Handelsvertreter und Angestelltem BB 1963, 498; Rewolle Die Abgrenzung des Begriffs „Handelsvertreter“ zum Arbeitnehmer und der Zuständigkeit der Gerichte DB 1954, 214; Stolterfoth Die Selbständigkeit des Handelsvertreters 1973; Stötter Abgrenzung zwischen Handelsvertretern und Reisenden DB 1978, 429.

Übersicht Rn A. Überblick

. . . . . . . . . . . . .

1

B. § 84 Abs 1: Definition des Handelsvertreters . . . . . . . . . . . . . . .

2–4

C. Der Angestelltenstatus des nicht selbständigen Geschäftsmittlers (Abs. 2)

5–7

D. Vertrags- nicht Personenbezogenheit der Definition . . . . . . . . . . . . .

8

E. Europarechtliche Präformation

9

. . . .

F. Die einzelnen TB-Merkmale des Abs. 1 . . . . . . . . . . . . . . . I. Selbständiger Gewerbetreibender 1. Gewerbetreibender . . . . . a) Gewerblichkeit . . . . . b) Handelsgewerblichkeit . 2. Selbständigkeit . . . . . . . a) Begriffsbestimmung . . . b) Einzelkriterien zur Bestimmung der Selbständigkeit aa) Für Selbständigkeit sprechende Merkmale

. . . . . . .

. . . . . . .

10–72 10–46 11–17 12 13–17 18–46 18–23

. .

24–36

. .

26–30

Raimond Emde

Rn (1) Merkmale die nur in geringem Maße für Selbständigkeit sprechen . . . . . . . . . . (2) Merkmale die in höherem Maße für Selbständigkeit sprechen . . (3) Merkmale mit starker Indizwirkung für Selbständigkeit . . . . . . . (4) Merkmale die zwingend für Selbständigkeit sprechen . . . . . . bb) Gegen die Selbständigkeit sprechende Merkmale . . . . . . . . . . (1) Merkmale mit keinem oder sehr geringem Gewicht . . . . . . . . (2) Merkmale mit mittlerem Gewicht. Umstände der Dienstleistung . . .

.

27

.

28

.

29

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30

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31–36

.

32–33

.

34

235

§ 84

1. Buch. Handelsstand Rn

(3) Merkmale, die sehr stark für das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses sprechen c) Bedeutung der SGB-Vorschriften über die Scheinselbständigkeit . . . . . . d) Arbeitnehmerähnliche Personen . . . . . . . . . e) Beweislast . . . . . . . . II. Geschäftsvermittlung und Ab- . . schluss für einen Unternehmer . 1. Unternehmer . . . . . . . . . 2. Vermittlung und Abschluss von Geschäften . . . . . . . . a) Vermittlungsvertreter . . . b) Abschlussvertreter . . . . c) Geschäfte . . . . . . . . . III. Ständige Betrauung . . . . . . . 1. Betrauung . . . . . . . . . . 2. Ständig . . . . . . . . . . . . IV. Ungeschriebene Ausschlussmerkmale? . . . . . . . . . . . . . .

.

35–36

.

37–43

. . . . .

44–45 46

. . . . . . .

54–63 55–59 60 61–63 64–71 65–66 67–71

.

72

G. Vertragschluss, Vertragsbeginn und Vertragsinhalt . . . . . . . . . . . . . I. Abschluss des Handelsvertretervertrages . . . . . . . . . . . . .

47–63 48–53

73–83 74–76

Rn II. Vertragsbeginn . . . . . . . . III. Vertragsänderung und Vertragsübergang . . . . . . . . . . . 1. Vertragsänderung . . . . . 2. Vertragsübergang . . . . .

. .

77

. . . . . .

78–83 78 79–83

H. Anfechtbarkeit und Nichtigkeit . . . .

84–89

I. Arten von Handelsvertretern . . . . I. Handelsvertreter und ihr Tätigkeitsfeld . . . . . . . . . . . . . II. Abgrenzung nach rechtlicher Erscheinungsform . . . . . . . . . 1. Alleinvertreter und -vertrieb . 2. Arbeitnehmerähnliche Handelsvertreter . . . . . . . . . 3. Bezirksvertreter . . . . . . . 4. Ein- und Mehrfirmenvertreter 5. Handelsvertreter im Nebenberuf (§ 92b) . . . . . . . . 6. Vertreter mit Kundenschutz . 7. Minderjährige . . . . . . . . 8. Absatz 3: Untervertreter . . a) Echte Untervertreter . . b) Unechte Untervertreter . 9. Vermittlungs- und Abschlussvertreter . . . . . . . . . . . 10. Vertretergesellschaften . . .

. 90–127 .

92–93

. 94–127 . 95–100 . 101–103 . 104 . 105 . 106 . 107 . 108 . 109–119 . 110–117 . 118–119 . 120 . 121–127

A. Überblick 1

§ 84 Abs. 1 nennt die Tatbestandsvoraussetzungen des HV-Vertrages. Abs. 2 hebt den Begriff der Selbständigkeit hervor und definiert die Antipode zum selbständigen Vertreter, den angestellten Reisenden. Abs. 3 stellt klar, dass der HV auch Unternehmer sein kann und als solcher echte Untervertreter für sich tätig werden lassen kann. § 84 enthält in seinen Absätzen 1 bis 3 zwingendes Recht. Der durch das Handelsrechtsreformgesetz 1998 eingefügte Abs. 4 bestimmt die Geltung der §§ 84 ff auch für den bisher minderkaufmännischen Vertreter. Dieser erfüllt die Voraussetzungen der Kaufmannseigenschaft nach § 1 Abs. 2 HGB n.F. nicht und würde außerhalb des Anwendungsbereichs der Schutzvorschriften der §§ 84 ff fallen, wenn Abs. 4 die Geltung dieses Schutzrechts nicht ausdrücklich anordnen würde.

B. § 84 Abs 1: Definition des Handelsvertreters 2

§ 84 Abs. 1 definiert den Begriff des Handelsvertreters. Die Legaldefinition enthält fünf TB-Merkmale (Abs. 1 S. 1), nämlich Selbständigkeit (1), Gewerbe (2), ständige (3) Betrauung (4) – wobei das Merkmal ständig im Vordergrund dieses Begriffspaares steht – sowie Vermittlung oder Abschluss von Geschäften (5). Die Vermittlung und der Abschluss von Geschäften stehen rechtstatsächlich meist im Alternativverhältnis. Für die rechtliche Einordnung als HV brauchen die letztgenannten beiden Merkmale jedoch nicht kumulativ erfüllt zu sein. Man könnte hier also von Tatbestandsmerkmalen 5a und b sprechen. Nach anderer Ansicht und gekürzt auf logische Zusammenhänge stellt das

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 84

Gesetz sogar nur drei Merkmale auf, die sämtlich erfüllt sein müssen, damit ein Handelsvertretervertrag vorliegt, und zwar selbständiger Gewerbebetrieb (1), ständige Betrauung (2) mit der Vermittlung oder dem Abschluss von Geschäften für einen Unternehmer (3). Sämtliche dieser zwingenden Merkmale – mit Ausnahme des Alternativpaars Vermittlung oder Abschluss müssen kumulativ vorliegen, damit das Vertragsverhältnis ein HV-Vertrag ist. Mangelt es an einem dieser Tatbestandsmerkmale, hat der Vertriebsmittler keinen HV-Vertrag geschlossen1. Eine Erlaubnispflichtigkeit der HV-Tätigkeit liegt – Sonderregeln etwa im Versicherungsvermittlungsgewerbe weggedacht – nicht vor: Weder ist eine bestimmte Ausbildung gefordert noch die Erfüllung besonderer öffentlich-rechtlicher Voraussetzungen oder Vorschriften 2. Sofern eine ggf. auch nur stillschweigende Abrede der Parteien existiert, die alle diese Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt, liegt ein Handelsvertretervertrag vor. Dies gilt selbst wenn die Parteien eine oder alle Rechtsfolgen des Handelsvertreterrechts nicht wollen, solange auf der Tatbestandsseite eine Tätigkeit mit Wissen und Wollen beider Parteien vorliegt. Falls beide Parteien erkennbar den Willen haben, sich ohne ausdrückliche Absprachen oder vor Einigung über alle Einzelheiten einer abzuschließenden Vereinbarung vertraglich zu binden und tatsächlich einen auf Dauer angelegten Handelsvertretervertrag praktizieren, entsteht ein den §§ 84 ff unterliegender Vertrag 3. Bei Fehlen eines Tatbestandsmerkmals mag, je nach dem, an welchem Merkmal es 3 mangelt, ein Arbeitsverhältnis (fehlendes Merkmal: „Selbständigkeit“), ein Vertragshändler- oder Franchisevertrag (fehlendes Merkmal: „Geschäftsvermittlung“ bzw. „Abschluss im fremden Namen“), eine Kommission (fehlendes Merkmal „in dessen Namen“) oder ein Maklervertrag (fehlendes Merkmal: „ständige Betrauung“) vorliegen. Jedes Merkmal kann auch aus der Gesamtschau des Vertrages hergeleitet werden 4. Bei der Abgrenzung hilft eine breitgefächerte Fallgruppenbildung und eine Rechtsfolgenbetrachtung unter Einbeziehung des Schutzgedankens des Handelsvertreterrechts: Zieht man den Anwendungsbereich des Handelsvertreter-Schutzrechts zu eng, fallen bestimmte Verträge durch das Netz des überwiegend mittlerfreundlichen Handelsvertreterrechts. Zudem erleichtert das spezielle Handelsvertreterrecht die Rechtsfolgenfindung, mit Ausnahme der dank der Umständlichkeit des Berechnungsweges (ein von den Gerichten hausgemachtes Problem) schwierigen Ausgleichsberechnung (dazu bei § 89b). Die Legaldefinition des § 84 gilt auch für das Arbeits-, Sozial- und Steuerrecht. Der Hauptdefinition des Abs. 1 S. 1 stellt Abs. 1 S. 2 eine Unterdefinition zur Seite. Gemäß § 84 Abs. 1 S. 2 ist selbständig, wer im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Jene Unterdefinition rückt im Normengefüge des § 84 den Begriff der Selbständigkeit in den Vordergrund, und zwar zu recht, denn in der Praxis wird ausnehmend häufig über Selbständigkeit oder Unselbständigkeit gestritten. Die besondere Stellung des Tatbestandsmerkmals wird durch die Negativabgrenzung des § 84 Abs. 2 betont: Wer ohne selbständig zu sein, ständig damit betraut ist, für einen Unternehmer Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen, gilt als Angestellter. Diese Folge ist zwingend, sie steht nicht zur Disposition der Parteien 5. Abs. 3 bestimmt aus heutiger Sicht Selbstverständliches: Unternehmer kann auch ein HV sein. Die Bedeutung des § 84

1 2 3

Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 1. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 3. BGHZ 62, 71 (74); BGH NJW 1983, 1727; BGH NJW-RR 1987, 546; BGH NJW-RR 1990, 354 (355); BGH WM 1992, 1193 (1195); Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 26;

4 5

MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene Rn 69; vgl. Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer Rn 33. OLG Karlsruhe VersR 2007, 1514 (1516). Küstner/Thume I, Rn 34.

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§ 84

1. Buch. Handelsstand

Abs. 3 liegt daher in dem mittelbar Mitgeteilten: der Vertreter darf sich nach dem gesetzlichen Leitbild Hilfspersonen bei der Vertragsausführung, insbesondere Untervertreter, bedienen (Konkretisierung der §§ 613, 664 BGB). Im Bereich handelsvertreterähnlicher Vertriebsmittler, bei denen eine Analogie zu 4 § 84 gebildet wird, wird auch die Legaldefinition des § 84 Abs. 1 analog angewandt. Sie lautet dann: „Handelsvertreterähnlicher Vertriebsmittler ist, wer als selbständiger Gewerbetreibender im Vertriebssystem eines anderen Unternehmers (Unternehmer) einer auch im Interesse dieses Unternehmers auferlegten Vertriebspflicht unterliegt. Selbständig ist, wer im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann“.

C. Der Angestelltenstatus des nicht selbständigen Geschäftsmittlers (Abs. 2) 5

Abs. 1 kontrastiert mit seinem Gegenbild, dem des angestellten Geschäftsmittlers (Abs. 2). Die Regelung hat nur klarstellende Bedeutung. „Gilt“ als Angestellter bedeutet: Selbst wenn die Beteiligten (etwa um einerseits den Ausgleichsanspruch auszuschalten, andererseits aber auch Sozialleistungen zu sparen) den nicht selbständigen Geschäftsmittler ungeachtet seines ständigen Betrauungsverhältnisses in einem Zwischenfeld ansiedeln und ihn entsprechend deklarieren wollten, als Verkaufsbetreuer, Firmenrepräsentant o.ä., „freier Mitarbeiter“ – ungeachtet es auch solche gibt – zur Verschleierung eines Angestelltenverhältnisses 6, nutzt ihnen das nichts. Der Betreffende hat, weil und solange er nicht selbständig ist, kraft gesetzlichen Befehls Angestelltenstatus. Die zwingenden Regeln in Abs. 1 und Abs. 27 sollen Umgehungen des Gesetzes verhindern, die unselbständig Tätigen den Schutz des Arbeitsrechts vorenthalten 8. Der in Abs. 2 angesprochene Angestellte ist solcher mit allen Folgen, nicht nur pri6 vatrechtlichen. Der übergreifende Ausdruck „Angestellter“, sonst dem HGB fremd und dem Arbeitsrecht angehörend, macht das deutlich. In der Tat kommt hier ein Element des Arbeits- und des Sozialrechts ins Spiel. Der als Angestellter zu klassifizierende Geschäftsmittler hat teil an allen persönlichen Zügen des abhängig Beschäftigten: er unterliegt dem Direktionsrecht des Unternehmers als seines Arbeitgebers, sein Beschäftigungsverhältnis wird bei Veräußerung des Unternehmens automatisch mit dem Unternehmensnachfolger fortgesetzt – § 613a BGB –, anders beim HV. Typmäßig ist er der auf Provisionsbasis angestellte „Reisende“, wie er in § 55 Abs. 1 apostrophiert ist. Er ist weisungsgebunden in Bezug auf Arbeitsrhythmus und Arbeitszeit. Dies äußert sich darin, dass er seine Arbeitszeit nicht selbst bestimmen kann 9, dass er auch Weisungen über die Art und Weise, wie er seine Tätigkeit im Einzelnen zu entfalten hat, unterworfen ist 10. Zu seinen Gunsten gelten die arbeitsrechtlichen Kündigungsbestimmungen einschließlich des Kündigungsschutzgesetzes. Die Fortzahlung der Vergütung im Krankheitsfalle regelt sich nach den einschlägigen arbeitsrechtlichen Grundsätzen. Es besteht Anspruch auf Urlaub nach dem Bundesurlaubsgesetz. Das Beschäftigungsverhältnis ist lohnsteuerpflichtig; es sind Beiträge zur Sozialversicherung abzuführen. Der als Angestellter geltende Geschäftsmittler ist auch für das Betriebsverfassungsrecht in den Betrieb des Unternehmers integriert. Durch Auslegung der einschlägigen Tarifverträge ist zu ermitteln, ob die dort vorgesehenen Löhne auch dem auf Provision angestellten Geschäftsmittler als Mindestvergütung zustehen. Wiederum besteht für ihn kein Ausgleichsanspruch. 6 7

BGH DB 1982, 590. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 60; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer Rn 39; Hopt Rn 39.

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8 9 10

Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer Rn 39. RAG ARS 30, 40. RAG ARS 10, 597.

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§ 84

Die Gegenüberstellung beider Typen ist, wie die Verklammerung durch Abs. 1 Satz 2 7 beweist, eine einander ausschließende. Die Vertragspartner haben es nicht in der Hand, im Formenkreis des Geschäftsmittlers den HV-Begriff nach ihrem Belieben abzuwandeln. Am wenigsten vermögen sie es durch die bloße „Etikettierung“: durch vertragliche Bezeichnung als HV für denjenigen, der die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt; häufiger freilich mit umgekehrter Zielsetzung (um die Ausgleichsvergütung nach § 89b auszuschalten) durch handelsvertreterferne Benennung dessen, der nach dem gesetzlichen Bild HV-Eigenschaft hat. Die gewählte Terminologie – „Vertreter“, „Agent“, „Reisender“, „Verkaufsleiter“, „Repräsentant“, „Subdirektor“, „Filialdirektor“, „Generalvertreter“, „Geschäftsbesorger“, „Berater“, „Consultant“ u.a. – ist nie entscheidend 11. Nicht die Benennung dominiert die rechtliche Qualifikation, vielmehr der Inhalt des Vertrages und seine tatsächliche Durchführung 12 (wobei im Zweifelsfall die letztere entscheidend ist 13, jedenfalls soweit sie auf eine stillschweigende Vertragsänderung hindeutet). Man wird allerdings ein Wahlrecht des Mittlers annehmen können, sich bei der Statusfrage auf die tatsächliche Durchführung zu berufen oder sich im Wege der Durchsetzung des Vereinbarten in die Selbständigkeit durchzukämpfen. Es muss also an der Definition des Gesetzes genau Maß genommen werden. Das bezieht sich namentlich auf das Erfordernis der Selbständigkeit des HV. Für Klagen auf Feststellung der TB-Voraussetzungen des Abs. 2 ist im Gegensatz zu entsprechenden Klagen nach Abs. 1 das Arbeitsgericht zuständig 14.

D. Vertrags- nicht Personenbezogenheit der Definition Der Wortlaut des § 84 stellt den Begriff des HV, also dessen Person, in den Vorder- 8 grund. Inhaltlich regeln die §§ 84 ff gleichwohl ausschließlich das Vertragsverhältnis15. Das HV-Recht des Siebenten Abschnitts hat es nur mit diesen einzelnen HV-Verträgen zu tun. Die Kreuzpunkte mit dem Recht der Agenturfirma hat das Gesetz vernachlässigt; sie ergeben sich überall da, wo die persönliche Dienstleistungspflicht des HV eine Rolle spielt 16 (siehe Vor § 84 Rn 41 ff). Die Person des HV hat für die §§ 84 ff keinerlei rechtliche Bedeutung. Außer einer natürlichen Person darf auch jede Gesamthandsgemeinschaft oder juristische Person 17 Vertreter sein. Auch kann derselbe Außendienst-Mitarbeiter – behält man die an die Person und nicht den Vertrag angelehnte Terminologie des § 84 bei – im Verhältnis zu einem Auftraggeber Handelsvertreter, gegenüber einem anderen vielleicht Reisender im Angestelltenverhältnis 18, Vertragshändler, Kommissions-

11

12

13

14

BGH NJW 1972, 251; BAG 15, 335; BSG VersR 1961, 172; BAG DB 1972, 2215; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 3; Wank EWiR 1997, 829 – auch nicht in der Versicherungswirtschaft –; OLG Stuttgart BB 1959, 537; OLG Bamberg BB 1965, 1167; LAG Bremen DB 1955, 535. BGH ZIP 2000, 630 (631); OLG Bremen OLGR 2005, 432; Behrend NJW 2003, 1563. BSG BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 29; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 35. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 60; Hopt Rn 45;

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ausführlich Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 35b. AA Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 1: Regelung sowohl der Vertragsparteibezeichnung wie der Kaufmannsgewerbebezeichnung. Im Einzelnen Brüggemann ZHR 131 (1968), 1 ff. K. Schmidt Handelsrecht, § 27 I 1a; Emde Die Handelsvertreter-GmbH, passim; Emde GmbHR 1999, 1005; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 12. BFH HFR 1966, 465; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 60; Hopt § 84 Rn 39.

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1. Buch. Handelsstand

agent oder Makler sein 19. Dies wäre kaum denkbar, sollte in § 84 allein die „unteilbare“ Stellung der Person des Mittlers geregelt sein: Nicht die Person des HV, sondern das rechtliche Band zwischen den Parteien ist also Regelungsgegenstand der §§ 84 ff. Die richtige Frage lautet deshalb: „welche Vereinbarung erfüllt die Voraussetzungen eines Handelsvertretervertrages“, nicht „wer kann Handelsvertreter sein“? Möglicherweise hätten die Bestimmungen zum Handelsvertretervertrag daher nicht in das erste Buch (Handelsstand) sondern in das vierte Buch des HGB (Handelsgeschäfte) gepasst. Mithin regelt § 84 wann ein Handelsvertretervertrag vorliegt.

E. Europarechtliche Präformation 9

Die Definition des § 84 ist durch Art. 1 Abs. 2 EG-Richtlinie 1986 europarechtlich determiniert 20. Nach Art. 1 Abs. 2 EG-Richtlinie ist HV, wer als selbstständiger Gewerbebetreibender ständig damit betraut ist, für eine andere Person (den Unternehmer) den Verkauf oder Ankauf von Waren zu vermitteln oder diese Geschäfte im Namen und für Rechnung des Unternehmers abzuschließen 21. Dies ergibt sich aus dem Grundsatz der Entwurzelung nationaler Bestimmungen selbst bei Übernahme der europarechtlichen Regelung in nationales Recht 22. Auch wenn der Text einer nationalen Regelung nach Erlass der Richtlinie unverändert bleibt, überlagert die Richtlinie den alten Text und richtet ihn europarechtlich aus 23. Für den Selbstständigkeitsbegriff der Richtlinie gilt daher die Definition, die zur Zeit des Inkrafttretens der Richtlinie in der Gemeinschaft bestand 24.

F. Die einzelnen TB-Merkmale des Abs. 1 I. Selbständiger Gewerbetreibender 10

Diese Worte grenzen zum Anstellungsvertrag ab (§ 84 Abs. 2). Scheitert die Einordnung als Vertretervertrag an der Abwesenheit jener Merkmale, bleibt der Mittler Angestellter. Das ergibt sich – zwingend 25 – aus § 84 Abs. 2. Eine Zwischenform, belegen zwischen HV und Reisendem, oder gar die Anwendung eines „Rumpfvermittlerrechts“, verfasst aus den §§ 675 ff BGB i.V.m. §§ 611 ff BGB, ist vom Gesetz nicht gewollt 26.

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1. Gewerbetreibender. Der HV muss Gewerbetreibender und kann Handelsgewerbetreibender sein. Da Handelsgewerblichkeit, die Voraussetzung der Kaufmannseigenschaft ist, baut sie auf der Gewerblichkeit auf.

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Vgl. Küstner/Thume I, Rn 112 ff; BGH VersR 1960, 462; LAG Baden-Württ. VW 1970, 57; Bruck/Möller Anm. 431 Vor §§ 43–48 VVG; Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 2 und § 86 Rn 40. Hopt § 84 Rn 36; Hopt FS Medicus, 1999, S. 246. Kiene RIW 2007, 287 (297). Kiene RIW 2007, 287 (297).

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EuGH EuGHE 1978, 2183; Hopt Neue Selbstständigkeit und Scheinselbstständigkeit, in: FS Medicus, S. 235 (247); Kiene RIW 2007, 287 (297). Kiene RIW 2007, 287 (297). OLG Düsseldorf WM 1985; Hopt § 84 Rn 39. Küstner/Thume I, Rn 34.

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§ 84

a) Gewerblichkeit. Der Begriff des Gewerbes wird in einer Reihe von Gesetzen als 12 Tatbestandsmerkmal verwendet, ohne dass eine einheitliche Terminologie existiert 27. Ein Gewerbe setzt als positive Tatbestandsmerkmale Selbständigkeit, Marktausrichtung, planmäßige Tätigkeit auf eine gewisse Dauer bei einer Unbestimmtheit von Geschäften, Gewinnerzielungsabsicht und als negative Abgrenzungsmerkmale das Nichtvorliegen eines freien Berufes bzw. der bloßen Verwaltung eigenen Vermögens voraus 28. Die Tatbestandsmerkmale des Gewerbebegriffes „Selbständigkeit“ und „gewisse Dauerhaftigkeit“ brauchen nicht ein zweites Mal geprüft zu werden, da sie bereits Voraussetzungen des § 84 Abs. 1 sind (sonst: Doppelprüfung). Es bleiben die Merkmale Marktausrichtung, Planmäßigkeit, Gewinnerzielungsabsicht sowie die oben genannten negativen Abgrenzungsmerkmale. – Auf den Markt ausgerichtet ist die Tätigkeit des HV regelmäßig. Denn anderenfalls könnte er auf den beiden für ihn relevanten Märkten – Tätigkeit gegenüber dem Unternehmer und Tätigkeit gegenüber den Kunden – nicht arbeiten. – Auch planmäßige Gewinnerzielungsabsicht wird durchweg Motiv der Tätigkeit des HV sein, während ein freier Beruf 29 oder die bloße Verwaltung eigenen Vermögens fehlt. Also ist die Vertretertätigkeit eine gewerbliche. Dass der HV im Einzelfall ohne Vergütung arbeitet, schließt die Gewinnerzielungsabsicht nicht aus 30. b) Handelsgewerblichkeit. Vor dem Handelsrechtsreformgesetz v. 22.08.1998 betrieb 13 der HV kraft Gesetz (§ 1 Abs. 2 Nr. 7 a.F.) ein Handelsgewerbe 31. Das hierin versteckte „minus“, die Gewerblichkeit, war ohne weitere Prüfung anzunehmen. Jene Stellung als „Gewerbetreibender kraft Gesetzes“ und die aus ihm folgende Kaufmannseigenschaft hat die Novelle 1998 beseitigt. Sieht man Abs. 1 isoliert, bliebe nun nur noch derjenige HV Kaufmann, der ein 14 Handelsgewerbe betreibt (§ 1 Abs. 1). Auf den nichtkaufmännischen Mittler wären die §§ 84 ff nicht anwendbar. Denn ein Handelsgewerbe bildet lediglich ein Unternehmen, welches einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert (§ 1 Abs. 2). Da nicht jedes Vertreterunternehmen einen kaufmännischen Geschäftsbetrieb benötigt, würde es bei seinem Fehlen aus dem Anwendungsbereich des HV-Rechts fallen. Dies wiederspräche dem Schutzgedanken des Vertreterrechts, da gerade die wirtschaftlich schwächsten Vertreter von der Sicherung des weitgehend zwingenden Vertreterrechts ausgenommen wären 32. Die vor der Novellierung minderkaufmännischen HV sollten jedoch vom Schutzbereich des Vertreterrechts erfasst bleiben 33. Deshalb bestimmt § 84 Abs. 4, die §§ 84 ff fänden auch Anwendung, sofern das Unternehmen des HV nach Art oder Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb nicht erfordert. Diese Vorschrift findet auch auf HV-ähnliche Vertriebsmittler, namentlich Vertragshändler und Franchisenehmer, Anwendung. Auf Mittler ohne kaufmännischen Geschäftsbetrieb sind gem. Abs. 4 zwar die §§ 84 ff anwendbar, nicht jedoch das übrige HGB 34. Jene Disparität hat Folgen, wenn sich der HV auf Rechte beruft, die nur ein Kaufmann haben kann. Im materiellen Recht ist hieran etwa bei Anwendung der §§ 343 ff, 354 (bei

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Ebenroth/Kindler § 1 Rn 15 ff. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 50. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 50. Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 84 Rn 5; Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 15.

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MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 50. BR-Drucks. 340/97, S. 62; Küstner/Thume I, Rn 26. BR-Drucks. 340/97, S. 62; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 2, 4; Küstner/Thume I, Rn 26. Emde VersR 1999, 1464; Hopt § 84 Rn 28.

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fehlender Kaufmannseigenschaft gilt dann aber § 612 Abs. 1 BGB), 36635 zu denken, im Prozessrecht bei Prüfung der Wirksamkeit einer nur bei Vereinbarung durch Kaufleute wirksamen Gerichtsstandsabrede (§ 38 ZPO) bzw. der Zuständigkeit der Kammern für Handelssachen, die gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 1 GVG nur zur Entscheidung berufen sind, wenn das dem Streite zugrundeliegende Geschäft für beide Teile ein Handelsgeschäft ist36. Hier entzog die Neuregelung den Kammern für Handelssachen ihr „Beinahemonopol“ für Vertreterangelegenheiten, was wegen ihrer begrüßenswerten Spezialisierung 37 sinnwidrig ist. Jene ist gerade in komplizierten Ausgleichsangelegenheiten wünschenswert, auch wegen der durch die Konzentration eher gewährleisteten Einheitlichkeit der lokalen Rechtsprechung. In Vertriebsmittlerstreitigkeiten muss nun häufig über die Zuständigkeit der Kammern für Handelssachen gestritten werden, gelegentlich auf Anstoß der entscheidungsunwilligen Kammern selbst. Ein vergleichbares Problem ist aus der Zeit der Novelle 1953 bekannt: Während vor 15 der Novellierung des Jahres 1953 gemäß § 84 Abs. 1 a.F. nur ein Kaufmann Unternehmer sein konnte, öffnete die Reform 1953 die Position als Prinzipal auch Nichtkaufleuten. Dies führte zum Streit, ob auf solche Repräsentanten das Recht der zweiseitigen Handelsgeschäfte (analog) anzuwenden war 38, was anzunehmen sein konnte, wenn sich in den beteiligten Verkehrskreisen ein entsprechender Handelsbrauch gebildet hätte (§ 157 BGB). Ein Beispiel für einen derartigen Handelsbrauch: die Vertragspartner hatten sich über Jahre wie Kaufleute behandelt. Mit Ausnahme der Erweiterung durch Handelsbrauch wurde eine Ausdehnung des Kaufmannsbegriffes oder die analoge Anwendung handelsrechtlicher Normen39 abgelehnt. Nicht anders ist im Rahmen des § 84 Abs. 4 zu entscheiden: die analoge Anwendung des übrigen Handelsrechts kommt nur in Betracht, wo sich ein entsprechender Handelsbrauch (§ 157 BGB) bildete. Davon kann nur im Ausnahmefall ausgegangen werden. Starre Regeln, wann die Grenze zur Handelsgewerblichkeit überschritten ist, sind ab16 zulehnen. Entscheidend ist eine Gesamtwürdigung der Verhältnisse, wobei folgende Umstände eine Rolle spielen: Zahl der Beschäftigten und Art ihrer Tätigkeit, Umsatz, Anlageund Betriebskapital, Vielfalt der im Betrieb erbrachten Leistungen, Geschäftsbeziehungen sowie Inanspruchnahme von Kredit 40. Deshalb darf auch nicht auf feste Provisionsgrößen abgestellt werden. Kögel 41 meint, bei HV ab einem Provisionsumsatz von etwa € 100.000 (berechnet auf Basis eines Provisionssatzes von 2–5 %) könne man die Kaufmannseigenschaft vermuten. Bei Vertragshändlern, und so wird man ergänzen dürfen, Franchisenehmern, müsse auf die Umsätze abgestellt werden, man dürfe ab € 250.000,00 die Kaufmannseigenschaft bejahen 42. Westphal 43 referiert Entscheidungen des Landgerichts Rottweil 44 und des OLG Oldenburg vom 31. Januar 1985 45, die bei einem vermittelten Umsatz von € 0,5 Mio. und Provisionseinnahmen von € 300.000 jährlich (500 Kunden, 4 Firmen) bzw. bei jährlichen Provisionseinnahmen von € 65.000 mit einem vermittelten Umsatz von ca. € 0,5 Mio. (200 Kunden, 3 Firmen) die Vollkaufmannseigenschaft nach damaligem Recht (heute: „Kaufmann“) annahmen. Derartige feste Umsatzschwellen mögen zwar dem Wunsch nach Rechtssicherheit entsprechen. Sie

35 36 37 38 39 40

v. Olshausen JZ 1998, 717 (720). Emde VersR 1999, 1464; Küstner/Thume I, Rn 26 ff. Küstner/Thume I, Rn 30. Hopt § 84 Rn 28; AcP 183 (83), 108. So aber Hopt § 84 Rn 28; AcP 183 (83), 108. OLG Dresden NJW-RR 2002, 33.

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41 42 43 44 45

DB 1998, 1802 (1805). Kögel nimmt diese Grenze für den „Einzelhandel“ an, DB 1998, 1802 (1805). Westphal Vertriebsrecht I, Rn 38. HO 208/74. I O 143/84.

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§ 84

versperren jedoch den Blick auf die Umstände des Einzelfalls. Auch bei hohen Provisionseinnahmen ist ein Vertreter kein Kaufmann, falls sich seine Buchführungstätigkeit im Wesentlichen auf die Verbuchung von zwölf jährlichen Provisionseinnahmen beschränkt. Jedoch ist dieser theoretische Fall kaum vorstellbar, da meist erhebliche Kosten gegenzubuchen sind. Wäre man allzu streng, schwächte man die Konzentration von Vertreterangelegenheiten bei den Kammern für Handelssachen erneut. Als Kaufmann führt der HV für seine Agentur eine Firma, ist Mitglied der Industrie- 17 und Handelskammer, hat Handelsbücher zu führen und Bilanzen nach Handelsrecht zu erstellen, kann Prokura erteilen und kaufmännisches Personal beschäftigen. Seine Agentur ist – ebenso wie die eines Nichtkaufmanns – ein „eingerichteter und ausgeübter Geschäftsbetrieb“, der gegen Eingriffe den Schutz des Gesetzes durch Schadensersatzansprüche aus § 823 Abs. 1 BGB genießt 46. 2. Selbständigkeit a) Begriffsbestimmung. Nur der „selbständige“ Mittler übt HV-Tätigkeit aus, wobei 18 es ausreicht, dass er mit Aufnahme seiner Tätigkeit Selbständigkeit erlangt 47. Das Merkmal ist – wie die gesamte Legaldefinition des Abs. 1 (Rn 9) – europarechtlich präformiert und zwar trotz des Umstandes, dass die Richtlinie keine Definition der Selbständigkeit vornimmt. Zuweilen wird gegen den Ansatz eines europarechtlichen Selbstständigkeitsbegriffs vorgebracht, dem Richtliniengeber sei bekannt gewesen, dass in den Mitgliedsstaaten bisher nicht nur unterschiedliche Konzepte der Selbstständigkeit verfolgt wurden, sondern dass die Abgrenzung zwischen unselbstständigen Vermittlern und HV schwierig erscheint. Aufgrund dieser Tatsache soll es daher Sache der Mitgliedsstaaten sein, die Interpretation nicht definierter Bestimmungen zu übernehmen 48. Gegen diese Annahme spricht jedoch das Ziel, eine Angleichung der Rechtssysteme zu schaffen, um höhere Ziele der Gemeinschaft zu verwirklichen 49. So fallen etwa in Frankreich durch die nationale Auslegung des Selbstständigkeitsbegriffs weniger als 10 % der Vermittler in den Anwendungsbereich der Richtlinie 50, was gegen eine nationale Auslegung spricht. Der Begriff der Selbständigkeit grenzt zum materiellen Arbeitsrecht ab und hat damit zentrale Bedeutung 51, auch für die Abgrenzung des Rechtsweges ordentliche Gerichte/Arbeitsgerichtsbarkeit (formelles Arbeitsrecht), wobei auch Rechtsstreitigkeiten eines selbständigen HV als arbeitnehmerähnliche Person i.S.d. § 5 Abs. 3 ArbGG vor die Arbeitsgerichte verwiesen werden können 52. Der Streit um Selbständigkeit oder Unselbständigkeit hat seinen vorrangigen Standort im HV-Recht. Im Vertragshändlerrecht hat er kaum Bedeutung, im Franchiserecht trotz der vertragsbedingt engen Einbindung des Franchisenehmers gleichwohl nur eine marginale. Der Streit hat dort meist keine Berechtigung, weil sich die gegenüber einem Franchisenehmer erteilten Weisungen auf die Vertriebspolitik beziehen und solche nicht zu Unselbständigkeit leiten können. Auch sind viele Vertragshändler und Franchisenehmer juristische Personen, die nicht unselbständig sein können (s.u.). 46

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OLG Karlsruhe BB 1959, 1006: diskriminierende Rundschreiben des Unternehmers an die Kunden nach Ausscheiden des Handelsvertreters. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 7; Schlegelberger/ Schröder § 84 Rn 1, 7. Vgl. den Hinweis bei Fock Die europäische Handelsvertreterrichtlinie, S. 100; ebenso

49 50 51 52

Salger-Ivens Handbuch der europäischen Rechts- und Wirtschaftspraxis, § 3 Rn 47. Kiene RIW 2007, 287 (297). Kiene RIW 2007, 287 (297). MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 25. Martinek/Wank § 7 Rn 39.

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Selbständigkeit liegt gemäß § 84 Abs. 1 S. 2 vor, wenn der Repräsentant „im wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen“ kann 53, also „sein eigener Herr“ ist. Sie ist der Regelfall 54. Ob der Mittler von der ihm eingeräumten Möglichkeiten persönlicher Freiheit tatsächlich Gebrauch macht, ist für die Beurteilung der Selbständigkeit ohne Bedeutung 55. Für die Abgrenzung zum unselbständigen Angestellten beschränkt sich das Gesetz im Bereich der Vermittlung auf diese beiden Kriterien 56. Andere Legaldefinitionen ergänzen oder ersetzen § 84 Abs. 1 S. 2 folglich nicht. § 84 Abs. 1 S. 2 enthält ein typisches Abgrenzungsmerkmal, welches über seinen unmittelbaren Anwendungsbereich hinaus eine auch auf andere Mittlerverträge anwendbare allgemeine gesetzgeberische Wertung erkennen lässt 57. Einigkeit besteht darin, dass die knappe und unscharfe 58 Legaldefinition des § 84 20 Abs. 1 S. 2 zur Eingrenzung der Selbständigkeit kaum geeignet ist und der Konkretisierung bedarf 59. Gelegentlich wird sie sogar als Unsicherheitsfaktor angesehen 60. Andererseits enthält Abs. 1 S. 2 keine abschließende Aufzählung der Abgrenzungsmerkmale 61. Dass die gesetzlichen Kriterien unzureichend sind, hat sich sehr bald herausgestellt. Auch der angestellte Geschäftsmittler kann in Grenzfällen, etwa auf einem Außenposten, die Freiheit in einem Maße haben, dass die Art und Weise seiner Tätigkeit sich einer betrieblichen Kontrolliertheit und Kontrollierbarkeit weithin entzieht. „Selbständigkeit“ ist ein Merkmal, welches essentieller gefasst werden muss und dessen Bestimmung unter einer Fülle von Gesichtspunkten zu erfolgen hat. Frühe Rechtsprechung 62 und Lehre haben hierfür eine Schwerpunktbetrachtung entwickelt. Sie stellt auf das Gesamtbild von Vertragsgestaltung und Vertragshandhabung ab und verwertet für die Einordnung als selbständiger HV eine Vielzahl von Indizien 63. Die Bezeichnung der Parteien als HV oder Angestellter ist irrelevant. Der Status rich21 tet sich nicht nach den Wünschen und Vorstellungen der Vertragspartner, sondern danach, wie die Vertragsbeziehung nach ihrem Inhalt objektiv einzuordnen ist 64. Es kommt also auf die Subsumtion unter das TB-Merkmal der Selbständigkeit an. Selbständigkeit meint die„rechtliche“ oder „persönliche“ Freiheit in Ausübung der Tätigkeit (§ 84 Abs. 1 S. 2) 65 im Gegensatz zur „wirtschaftlichen“, welche bei jedem Vertragsverhältnis und auch bei selbständigen Kaufleuten und Unternehmern fehlen kann 66 (man denke nur an die Abhängigkeit vieler Zulieferer von ihrem Auftraggeber). Dieses Außerachtlassen

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Hopt § 84 Rn 35. Mankowski in: Hopt/Tzouganatos, Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, 2006, 131 (134). BAG, Urt. v. 19.11.1997 – 5 AZR 653/96, ZIP 1998, 612; BAG, Urt. v. 30.9.1998 – 5 AZR 563/97, ZIP 1999, 544 m. zust. Komm. Dalichau EWiR 1999, 549; LAG Nürnberg BB 1999, 793 (794). LG Mannheim, Beschl. v. 19.10.2001 – 7 AKtE 1/01, ZIP 2001, 2149 = EWiR 2002, 23. BGH DB 2003, 198 (zum Franchisevertrag). Moritz DB 1987, 875 (879). Begr. zur Novelle 1953, BT-Drucks. I/3856, S. 15; Stolterfoht S. 94. Schlessmann Kündigung von Handelsvertreter-Verträgen, 1966, S. 16.

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63 64 65 66

RGRK-BGB/Schliemann § 611 Rn 1053. BGH VersR 1964, 331 und BB 1975, 1409 (1410); BAG 18, 87 (103) und DB 1972, 2215; BSG VersR 1961, 172; BFH DB 1970, 862. Grundlegend: BAG 18, 87. OLG Koblenz, Beschl. v. 09.10.2006 – 2 W 510/06, VersR 2007, 1222 (1223). OLG Koblenz, Beschl. v. 09.10.2006 – 2 W 510/06, VersR 2007, 1222. RAG 1, 253; 16, 273; RAG JW 1942, 1293; BGH VersR 1964, 331; BAG ZIP 1997, 1715; OLG Koblenz, Beschl. v. 09.10.2006 – 2 W 510/06, VersR 2007, 1222; Hopt DB 1998, 861 (863); Eberstein A II 1 a; Schlegelberger/ Schröder § 84 Rn 3, 3b; Martinek/Wank § 7 Rn 21.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

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wirtschaftlicher Abhängigkeit ist grundsätzlich sachgerecht, denn rechtstatsächlich sind Vertriebsmittler – schon wegen der kurzen Kündigungsfristen i.V.m. ihrem bei Einpersonen-Vertreterunternehmen auf wenige Unternehmer konzentrierten Geschäftsfeld – meist gegenüber dem Unternehmer der schwächere Part und von ihm wirtschaftlich abhängig. In mancher Beziehung sind sie das sogar stärker als angestellte Geschäftsmittler, die wenigstens an der Sicherung des „sozialen Netzes“ teilhaben. Die mangelnde Tauglichkeit der Fragestellung: wirtschaftlich abhängig oder nicht, beweist allein schon die Existenz des § 92a. Die wirtschaftliche Schutzbedürftigkeit kann nicht zum Fehlen eines HVVertrages und infolge des Wegfalls des Schutzes des HV-Rechts zur weiteren Schwächung der Position des Vertreters führen. Allerdings ist das von § 84 Abs. 1 genannte Kriterium der „persönlichen Freiheit“ für 22 sich genommen gleichfalls nichtssagend 67. Es soll vorliegen, falls rechtlich und tatsächlich die wesentliche Freiheit in persönlicher, fachlicher, zeitlicher, örtlicher und organisatorischer Hinsicht besteht 68, wobei der Unternehmer, da er die Leitlinien der Vertriebspolitik bestimmt, am stärksten in die fachliche Unabhängigkeit eingreifen darf, ohne dass hierdurch die Selbständigkeit des Mittlers tangiert wird. Grundsätzlich ordnet der HV Arbeitseinsatz und -zeit sowie Ort und Art der erledigten Arbeiten frei 69. Arbeitnehmer ist hingegen derjenige, der seine Dienstleistung im Rahmen einer von Dritten bestimmten Arbeitsorganisation erbringt 70. Einen HV-Vertrag begründet bereits die „wesentliche“, also überwiegende, Freiheit in der Gestaltung von Tätigkeit und Arbeitszeit. Die Eingliederung in die fremde Arbeitsorganisation zeigt sich insbesondere darin, dass der Beschäftigte einem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Dieses Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen. Die fachliche Weisungsgebundenheit ist für Dienste höherer Art nicht immer typisch 71. Vollständige Freiheit, etwa Freiheit von jeden Weisungen, ist nicht erforderlich, wie der Umstand zeigt, dass HV in fachlicher Hinsicht – insbesondere in Hinblick auf die Leitlinien der Vertriebspolitik – typischerweise weisungsgebunden bleiben 72. Wenn die Ansicht eingenommen wird, die Präzision der Definition werde durch die Reduktion auf „wesentliche“ Freiheiten entwertet 73, ist dies fraglich. Denn durch jene Eingrenzung sollen lediglich Umstände des Einzelfalles Berücksichtigung finden. Ausfüllen lässt sich die Definition folglich nur durch eine Einzelfallbetrachtung unter wertendem Einfluss von Indizien. Es gilt daher: Ob Selbständigkeit vorliegt bestimmt sich unter Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls74, insbesondere nach dem Gesamtbild der vertraglichen Gestaltung und der tatsächlichen Handhabung 75, wobei zu untersuchen ist, ob der Schwerpunkt des Vertrages entweder auf handels- oder arbeitsrechtlichem Gebiet liegt („Schwerpunkttheorie“) 76. Wegen der fehlenden Dispositionsbefugnis der Parteien in

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Vgl. Martinek/Wank § 7 Rn 44. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 8. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 7. OLG Koblenz, Beschl. v. 09.10.2006 – 2 W 510/06, VersR 2007, 1222. OLG Koblenz, Beschl. v. 09.10.2006 – 2 W 510/06, VersR 2007, 1222. Martinek/Wank § 7 Rn 66. Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 3. BAG ZIP 2000, 630 = VersR 2000, 1143 = BB 2000, 826; BAG ZIP 2000, 808 = EWiR 2000, 533 (Emde) = BB 2000, 1469 m. Anm. Reiserer; Hopt BB 1998, 863 (865); Hanau/

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Strick DB 1998 Beil. 14/98, S. 4; Thume BB 1999, 2309; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 7; Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 3b; Martinek/Wank § 7 Rn 66. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 12.05.2006 – 1 W 18/06, VersR 2007, 207, 208; OLG Saarbrücken VersR 2005, 1388. BVerfG NJW 1978, 365; BGH BB 1982, 1877; NJW 1982, 1758; WM 1991, 1474; ZIP 1998, 863 (2104); Küstner/Thume I, Rn 44; Stolterfoht S. 16 ff; Hopt § 84 Rn 36; Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 3a.

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Bezug auf die rechtliche Einordnung des Vertragsverhältnisses kommt dem beidseitig tatsächlich Gewollten stärkeres Gewicht zu als der schriftlichen Vereinbarung 77, die bekanntlich geduldig ist. Vorrang hat damit die zumindest konkludent als Vertragsinhalt gewollte (bloße Hinnahme vertragswidrigen Verhaltens reicht nicht aus, s.u.) tatsächliche Vertragshandhabung 78. Damit entsteht die Frage, ob mit einer Änderung dieser tatsächlichen Handhabung 23 sich nicht auch der Schwerpunkt verschieben könne, ja sich beliebig verschieben lasse, und das unter Umständen sogar mehrmals im Laufe der Vertragszeit, mit allen für die Rechtsklarheit misslichen Folgen. Das Vertragsverhältnis müsste dann je nachdem einmal als selbständiges und dann wiederum als unselbständiges behandelt werden. Die Gefahr ist nicht unbemerkt geblieben; Stolterfoth 79 hat sie als „Chamäleon-Effekt“ bezeichnet und die Schwerpunkttheorie deshalb abgelehnt. Dennoch ist die Gefahr nicht so groß, wie er sie sehen zu müssen glaubt. Die Beispiele, an denen sie aufgezeigt wird, sind immer wieder: die Erteilung und Hinnahme von mit der Selbständigkeit eines HV unvereinbaren Weisungen und die Aufstockung eines Fixums unter Verschiebung des Verhältnisses zu den Provisionen. Vielleicht lassen sich sogar andere „Schiebegewichte“ denken, Zuweisungen von Lehrlingen zur Ausbildung, nachträgliche Inanspruchnahme von Kontrollrechten für Buchführung und Karteiführung. Indessen: Die reine Tatsächlichkeit solcher oder ähnlicher Übergriffe des Unternehmers entscheidet nicht, und nicht einmal ihre widerspruchslose Hinnahme durch den HV. Was der Unternehmer entgegen seinen vertraglichen Befugnissen in Anspruch nimmt, bleibt immer vertragswidrig; dies auch dann, wenn der HV es zunächst hinnimmt (er wird dazu um so eher geneigt sein, je stärker seine wirtschaftliche Abhängigkeit vom Unternehmer ihn bedrängt). Solche Sachverhalte vermögen rechtlich nichts zu ändern. Der Mittler könnte sich gegen eine übermäßige, vom Vertrag entfernte Gängelung mittels Feststellungs- oder sogar Leistungsklage wehren. Das Vertragsverhältnis läuft mithin mit demjenigen Charakter weiter, unter dem es begründet worden ist. Erst dann, wenn eine dem entgegenstehende Handhabung sich mit ersichtlicher Billigung beider Teile zeitlich und sachlich so verfestigt hätte, dass sich daraus eine einverständliche Änderung der seine Rechtsnatur konstituierenden Elemente ergäbe, könnte sich der Schwerpunkt über die Grenze hinüber verlagert haben: dergestalt, dass auch der HV daran nunmehr gebunden wäre und das Recht, Beachtung des Ursprungsvertrages zu verlangen, wirklich verloren hätte. Gegen einen häufigen Wechsel des vertraglich Vereinbarten ist jedoch nichts zu erinnern, auch wenn er konkludent erfolgt. Vielleicht besteht eine Vermutung, das einverständlich über lange Zeit durchgeführte Tätigkeitsbild spiegele die vertraglichen Abreden wieder, notfalls als konkludenter Änderungsvertrag. Selbst dann aber müssten schon alle anderen bisher maßgebend gewesene Indizien durch das neue Faktum entkräftet sein. Die vertragswidrige Erteilung von Weisungen, ein gern gebrauchtes Beispiel, reicht dafür schwerlich aus. Beliebige „Schaukelzuweisungen“ des Vertragsverhältnisses durch schwankende Vertragspraxis sind in der Wirklichkeit kaum ernsthaft zu befürchten. Die bloße, nicht einverständlich durchgeführte Abweichung vom Vertrag führt den Mittler also nicht in die Unselbständigkeit. Um die nötige Rechtssicherheit zu schaffen dürfen nach Ansicht des OLG Saarbrücken 80 zur Abgrenzung zwischen selbstständigem HV und unselbstständigem Reisenden nur vertraglich fixierte – Schriftform ist aber nicht erforderlich, § 85 – Pflichten herangezogen werden, nicht aber solche, bei denen ein Verstoß lediglich zur Beeinträchtigung des

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BAG ZIP 2000, 630 (631) = VersR 2000, 1143 = BB 2000, 826. BAG 18, 87.

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S. 221 ff. Beschl. v. 29.07.2004 – 5 W 144/2004 – 49, EWiR 2005, 147 (Rouvray).

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wirtschaftlichen Erfolges führt, was zutreffend sein dürfte, wenn man auch konkludente Vertragsänderungen den vertraglich fixierten zurechnet. Es ist daher nicht in jedem Fall richtig zu sagen, werde der Vertrag abweichend von den ausdrücklichen Vereinbarungen vollzogen, sei die tatsächliche Durchführung maßgebend. Die praktische Handhabung lässt allenfalls Rückschlüsse zu, von welchen Rechten und Pflichten die Parteien ausgegangen sind 81. Insbesondere wird man auf den Vertragstext zurückgreifen müssen, wenn sich kein klares Tätigkeitsbild ergibt 82. In Grenzfällen kann auch die von den Parteien ausdrücklich vorgenommene Einordnung des Vertrages den Ausschlag geben 83, was jedoch nur dann schlüssig ist, wenn die übrige Vertragsgestaltung dem nicht widerspricht und nicht zwingendes HV-Recht unbeachtet geblieben ist. b) Einzelkriterien zur Bestimmung der Selbständigkeit. Der Streit um Selbständigkeit 24 oder Unselbständigkeit hat mittlerweile zu nahezu unübersehbaren Stellungnahmen aus Rechtsprechung und Literatur geführt 84. Die für Selbständigkeit oder Unselbständigkeit sprechenden Indizien werden im Folgenden stichwortartig dargestellt. Die Merkmale sind in jedem einzelnen Vertragsverhältnis gesondert zu prüfen 85. Zu berücksichtigen ist, dass jedes dieser Merkmale allenfalls ein – je nach Vertrag, beteiligten Personen und Umständen – stärkeres oder schwächeres Indiz in die eine oder andere Richtung geben kann. Schwerpunktbetrachtung bedeutet, dass die Zuordnung zum einen oder zum anderen Typ auch ungeachtet eines Gegensatzes der indizierenden Merkmale möglich und nötig ist. Formelle und gewillkürte Merkmale (etwa Eintragung in Registern, Korrespondenz auf eigenen Geschäftsbögen) besitzen die geringste Aussagekraft 86, weil die Parteien die rechtliche Einordnung ihres Vertragsverhältnisses nicht facto contrarium verschieben können. Gleiches gilt für dem Vertretervertrag typische und damit leitbildnahe Beschränkungen 87 sowie aus der Natur der Sache folgende Vorgaben für die Vertragsausführung – z.B. hinsichtlich der Werbung und Präsentation des Vertriebsprodukts oder der Einzelheiten der Vertriebspolitik des Unternehmers 88. Vertriebsvorgaben haben eine reduzierte Bedeutung, weil sie leitbildtypisch sind. Das gilt insbesondere für Versicherungsvertreter 89, Bausparkassenvertreter 90 und vergleichbar stark in die Betriebsorganisation des Unternehmers eingebundene HV. Wären enge Vertriebsangaben beachtlich bliebe jeder Franchise-Nehmer und Tankstellenvertreter unselbständig. Abzulehnen ist daher die Aussicht, den Postagenturen der Deutschen Post AG fehle die Selbständigkeit und damit die Eigenschaft als HV (im Nebenberuf) 91, da sie engen Vorgaben zum Vertrieb unterlägen. Letztlich ist die Abgrenzung anhand einer Gesamtwürdigung und Abwägung aller Um-

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OLG Koblenz, Beschl. v. 09.10.2006 – 2 W 510/06, VersR 2007, 1222; BAGE 41, 247 (258); BAG NZA 1991, 933; 1992, 407. K. Schmidt Handelsrecht, § 27 I 2e. OLG München NJW 1957, 1767: „Handelsvertreter i.S. des § 84“. Küstner/Thume I, Rn 31 ff. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 11. AA Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 5. LAG Nürnberg BB 1999, 793 (795); Plagemann EWiR 1998, 491. BAG DB 1966, 546; OLG Düsseldorf ZIP 1998, 624 (625) m. abl. Anm. Griebeling EWiR 1998, 341 (342); OLG Düsseldorf ZIP 1998, 1039 (1040); Heymann/Sonnenschein/

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Weitemeyer § 84 Rn 11; Küstner, HVR Rn 56, 57; Schröder DB 1959, 817; Hopt DB 1998, 863 (864); Horn/Henssler ZIP 1998, 589 ff (600); Plagemann EWiR 1998, 491. BAG ZIP 2000, 630, BAG, Urt. v. 15.12.1999 – 5 AZR 169/99, EWiR 2000, 969 (LS) = EWiR 2000, 968 (Emde). BAG BB 1998, 1954; BAG, Urt. v. 15.12.1999 – 5 AZR 3/99, ZIP 2000, 808 = EWiR 2000, 532 (Emde); LAG Nürnberg BB 1999, 793 = EWiR 1999, 362 (Plagemann). BAG, Urt. v. 15.12.1999 – 5 AZR 770/98, BB 2000, 932. LG Dortmund, Urt. v. 14.12.2006 – 16 O 92/05, NJOZ 2007, 1485.

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stände vorzunehmen 92. Infolgedessen können nicht wenige der nachfolgend für den einen oder den anderen Status aufgeführten Merkmale im Einzelfalle auch mit einer gegenteiligen Eingruppierung vereinbar sein. Ein Stadtreisender, obwohl er sich jeden Morgen bei seinem Unternehmer zur Berichterstattung einzufinden hatte, ist als selbständiger HV angesehen worden, weil er seine weitere Tätigkeit nach Inhalt und Zeit selbständig bestimmen konnte 93; ebenso ein HV, obwohl dessen allmorgiger Tätigkeitsbeginn auf 8 Uhr festgesetzt worden war und er zur Sozialversicherung angemeldet und obwohl für ihn eine „Lohnsteuer“ einbehalten wurde 94. Auf der anderen Seite standen der Einordnung als nicht selbständig nicht entgegen 25 Vertragsbestimmungen, die eine Verpflichtung zur Anmeldung eines „Gewerbes“, zur Eigenversteuerung der Provision, zur Tragung der vollen Sozialversicherungsbeiträge und der Spesen außerhalb der Geschäftsräume vorsahen 95. Auf Grund einer einverständlichen Charakteränderung der Tätigkeit mag sich die Einordnung des Rechtsverhältnisses während der Vertragsbeziehung verschieben („Chamäleon-Effekt“, s.o., Rn 23), wobei mehrmaliges Hin- und Herschaukeln auf Grund der faktischen Identität der Tätigkeit kaum ernsthaft zu befürchten ist und ohnehin kein Argument gegen die Schwerpunkt-Theorie wäre.

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aa) Für Selbständigkeit sprechende Merkmale. Für die Selbständigkeit des Mittlers sprechen folgende Merkmale 96, wobei diese Umstände in solche mit geringem, mittlerem, starkem oder entscheidendem Gewicht untergliedert werden:

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(1) Merkmale die nur in geringem Maße für Selbständigkeit sprechen. In diese Gruppe fallen insbesondere formelle und gewillkürte Merkmale, also etwa – Benennung als HV 97; – eigene Buchführung 98; – Entrichtung von Umsatz- und Gewerbesteuer 99; – Mitgliedschaft in der IHK100 und Zahlung von Beiträgen 101; – Eintragung in das Handelsregister 102; – Eintragung in das Gewerberegister sowie Anmeldung des Agenturgewerbes nach § 14 GewO beim zuständigen Ordnungsamt 103; – Auftreten unter eigener Firma 104; – Benutzung eigener Briefbogen mit der Firma des HV 105; 92

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MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 30; Hopt DB 1998, 863 (865); Walker EWiR 1998, 53 (54); Hanau/Strick DB 1998 Beilage 14/98 S. 4; Thume BB 1999, 2309. OLG München BB 1957, 560. OLG Nürnberg VersR 1960, 904; vgl. auch RGRK-BGB/Schliemann § 611 Rn 998; Plagemann EWiR 1998, 491. BGH DB 1982, 590. Siehe auch die umfassende Ausarbeitung von Hanau/Strick DB Beil 14/1998. BGH, Urt. v. 04.12.1981 – I ZR 200/79, WM 1982, 272 (273); BGH NJW 1982, 1757; BAG, Beschl. v. 16.07.1997 – 5 AZB 29/96, ZIP 1997, 1714; Hopt § 84 Rn 5; Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 30a, Westphal Ver-

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triebsrecht I Rn 2; Jahnke ZHR 146 (1982), 616 ff. OLG München NJW 1957, 1767; RAG 7, 175; Hopt § 84 Rn 36; Schlegelberger/ Schröder § 84 Rn 5. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 7. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 7. SG Detmold BB 1959, 636. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 7. OLG Celle MDR 1958, 341; OLG München NJW 1957, 1767 und BB 1957, 560; SG Detmold, BB 1959, 636. BGH VersR 1964, 331; BAG BB 1980, 1471; Hopt § 84 Rn 36; Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 5 („sicheres Anzeichen“). OLG Celle MDR 1958, 341.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 84

– Fehlen von Dienststunden (solche sind weder für angestellte noch für selbständige Mittler typisch) 106; – Nichteinbindung in das Abrechnungssystem des Unternehmers 107; – Veranlagung zur Gewerbesteuer; – nebenberufliche Tätigkeit108; – wenn sich der Mittler auf schriftliche oder fernmündliche Berichte beschränken darf 109. (2) Merkmale die in höherem Maße für Selbständigkeit sprechen. 28 – Recht zum Einsatz von Untervertretern und Angestellten110; – Freiheit in Arbeitsumfang und Arbeitsgestaltung111; – Falls der Mittler seine Kundenbesuche nach eigener Initiative und eigenem Gutdünken einrichten kann112 und hierbei nach Belieben auch ganze Tage auslassen darf 113; – Existenz eines eigenen Unternehmens mit eigenen unternehmerischen Chancen114; – Kapitaleinsatz, da solcher nicht HV-typisch ist115; – Korrelation zwischen unternehmerischen Chancen und Übernahme von Kosten und angemessenen116 und freiwilligen117 Risiken der Geschäftstätigkeit (Unternehmerrisiko)118, etwa Verlust des Einsatzes von Arbeitskraft und Geldmitteln bei Erfolglosigkeit der Vermittlungsbemühungen, keine Provision bei Stornierung des Auftrags (§ 87a Abs. 2; Abs. 3 S. 2); keine Absicherung gegen Einnahmeausfall bei Krankheit; keine Sicherheit gegen Einnahmerückgang bei Änderung der Marktsituation; Übernahme der eigenen Geschäftsunkosten (vgl. § 87d)119; – eigene Geschäftsräume und Geschäftseinrichtung120; – kein „Urlaubsanspruch“121, dass eine Abstimmung der Urlaubswünsche erwartet oder verlangt wird, verschlägt nicht; – Vorherige Forderung eines Ausgleichsanspruchs122; – Provisionszahlungen 123 (wobei es hier sehr auf die Verhältnisse des Einzelfalls ankommt. Denn bei gewillkürten Merkmalen ist immer Vorsicht angebracht). 106

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BAG ZIP 2000, 808 = EWiR 2000, 533 (Emde) = BB 2000, 1469 m. Anm. Reiserer VersR 2000, 1501 = BB 2000, 1837 m. Anm. Bolle = EWiR 2000, 969 (Emde). BGH DB 2003, 198 (zum Franchisevertrag) entnahm diesem Merkmal allerdings eine starke Indizwirkung für die Selbständigkeit (zwh.). OLG Koblenz, Beschl. v. 09.10.2006 – 2 W 510/06, VersR 2007, 1222 (1223). Ordemann DB 1963, 1566. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 7; Hopt § 84 Rn 36. Hopt § 84 Rn 36; Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 3b. SG Karlsruhe VersR 1955, 388. OLG Celle MDR 1958, 341. Küstner/Thume I, Rn 55; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 7; Hopt § 84 Rn 36; Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 3b; Martinek/ Wank § 7 Rn 67. Hopt § 84 Rn 36; Martinek/Wank § 7 Rn 67. Martinek/Wank § 7 Rn 49. Martinek/Wank § 7 Rn 48.

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BVerfG NJW 1978, 365; BAG AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 37; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 12.05.2006 – 1 W 18/06, VersR 2007, 207 (208); Hopt § 84 Rn 36; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 28, 44. OLG München NJW 1957, 1767. BVerfG NJW 1978, 365; OLG München NJW 1957, 1767; SG Stuttgart VersR 1956, 318; Hopt § 84 Rn 36; Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 5; Martinek/Wank § 7 Rn 67. SG Stuttgart VersR 1956, 318. OLG Koblenz, Beschl. v. 09.10.2006 – 2 W 510/06, VersR 2007, 1222 (1223). OLG Karlsruhe, Beschl. v. 12.05.2006 – 1 W 18/06, VersR 2007, 207 (208); OLG Hamm, Beschl. v. 07.02.2003 – 35 W 11/02, VersR 2004, 1133; LG Osnabrück VersR 2000, 963; LG Mannheim, Beschl. v. 19.10.2001 – 7 AktE 1/01, ZIP 2001, 2149 = EWiR 2002, 23; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 7; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 84 Rn 47; Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 5.

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(3) Merkmale mit starker Indizwirkung für Selbständigkeit. – Vertretung mehrerer Unternehmer 124; jedenfalls wenn die einzelnen Vertretungen wirtschaftlich gleich ertragreich sind und keine wirtschaftlich-faktische Identität oder gesellschaftsrechtliche Verflechtung zwischen den Unternehmern besteht; – Unfähigkeit zur Erfüllung der Vertragspflichten ohne eigene Hilfskräfte 125; – Selbst ausgesuchtes eigenes Personal 126 bzw. das Recht solches einzustellen 127, etwa die Erlaubnis, sich Untervertreter halten zu dürfen 128.

30

(4) Merkmale die zwingend für Selbständigkeit sprechen. – Vertragsschluss als juristische Person. In einem solchen Fall spricht das formelle Kriterium für Selbständigkeit 129, es sei denn, es liegt ein Umgehungsfall vor. Die juristische Person ist auch als Konzernunternehmen i.S.d. § 18 AktG qua Status selbständig, weil Arbeitsrecht auf sie sinnvoll nicht angewendet werden kann 130.

31

bb) Gegen die Selbständigkeit sprechende Merkmale. Indizien, die gegen die Selbständigkeit des Mittlers sprechen, fehlen ebenfalls nicht. Auch hier ist jedem Merkmal allenfalls indizielle Funktion beizumessen, so dass jeder Einzelfall an seinen Besonderheiten zu messen bleibt 131. Dies zeigt schon die allgemeine Meinung, derzufolge es auf das Gesamtbild der vertraglichen und tatsächlichen Handhabung ankommt.

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(1) Merkmale mit keinem oder sehr geringem Gewicht. Zunächst wird die Gruppe von Merkmalen genannt, der bei der Abwägung überhaupt kein oder nur ein sehr geringes Gewicht zukommt. Diese Merkmale sind zur Abgrenzung weitgehend ungeeignet, weil sie einen Schluss auf das Vorliegen der Unselbständigkeit kaum zulassen. In diese Gruppe fallen: 33 – die vertragliche Bezeichnung, da die Parteien nicht durch eine formale Etikettierung über die Anwendung zwingender Schutznormen disponieren können 132, anders je-

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Begr. zu § 84 II, BT-Drucks. 1/3856, S. 17; BAG AP § 611 Abhängigkeit Nr. 44; OLG Celle MDR 1958, 341; Oberthür/Lohr NZA 2001, 126 (133); Hopt § 84 Rn 36; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 42; Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 4, 5; aA Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 10. BAG DB 2002, 1610. BAG ZIP 2000, 630 = VersR 2000, 1143 = BB 2000, 826; DB 1997, 2437; BGH VersR 1964, 331; Hopt § 84 Rn 36; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 43. BGH DB 2003, 198 (zum Franchisevertrag). SG Karlsruhe VersR 1955, 388; Hopt DB 1998, 863 (864); siehe auch BGH ZIP 1998, 2176 (2178). Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 88 f; Emde GmbHR 1999, 1005 (1007); K. Schmidt Handelsrecht, § 27 I 2a. Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 87 ff; K. Schmidt Handelsrecht, § 27 I 2a; Man-

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kowski in: Hopt/Tzouganatos, Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, 2006, 131 (134); Martin, VersR 1967, 824; Schuler JR 1954, 284 (285); Stolterfoht S. 260; Küstner/Thume I, Rn 5; Ebenroth/ Löwisch § 84 Rn 12; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 21, 49. Küstner/Thume I, Rn 47. BAG ZIP 2000, 808 = EWiR 2000, 533 (Emde) = BB 2000, 1469 m. Anm. Reiserer VersR 2000, 1501 = BB 2000, 1837 m. Anm. Bolle = EWiR 2000, 969 (Emde); OLG Bremen, Beschl. v. 28.01.2005 – 2 W 108/04, OLGR 2005, 432; OLG Hamm, Beschl. v. 07.02.2003 – 35 W 11/02, VersR 2004, 1133; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 3, 7, 10; Hopt § 84 Rn 5, 36; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 33; Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 6a; Martinek/Wank § 7 Rn 31, 66.

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doch, wenn sich kein klares Tätigkeitsbild ergibt, dann ist „hilfsweise“ auf den Vertragstext zurückzugreifen 133; Modalitäten der Entgeltzahlung 134; Dauerhaftigkeit des Vertragsverhältnises 135; Führung von Personalakten 136; dass der HV sein Unternehmen als Pächter oder Nießbraucher führt 137; umgekehrt die tatsächlich nur unzureichende Wahrnehmung der vertraglich gewährten Rechte, wenn auf den Mittler kein (auch nur indirekter) Druck zur Missachtung ausgeübt wird 138; ein angeblich mit Sanktionsregelungen verbundener Karriereplan, soweit nicht klar wird, welche Sanktionen gemeint sind 139; Verpflichtung zur Teilnahme an Schulungen, weil auch der Handelsvertreter einer Fortbildungspflicht unterliegt 140; wenn der Mittler an wichtigen Verhandlungen des Unternehmer teilzunehmen pflegt 141; die Einbeziehung in die betriebliche Altersversorgung des Unternehmens 142, weil insbesondere auch Versicherungsvertretern eine solche Altersversorgung zugesagt wird dass einem Berufsanfänger für den Beginn seiner Tätigkeit ein ausgebildeter Mitarbeiter zur Seite gestellt wird, falls nach dem Gesamtbild der Vertragsgestaltung und -handhabung die HV-Eigenschaft zu bejahen ist 143; Vorschriften zum äußeren Erscheinungsbild, solange ihre Missachtung nicht zu klaren Sanktionen führt. Zudem liege es im legitimen Interesse des Unternehmers, dass die für ihn tätigen HV im Hinblick auf ihr Äußeres einen gewissen Mindeststandard einhalten. Gerade in der Versicherungswirtschaft ist wegen der Schwierigkeit und Vielgestaltigkeit dieser Branche und der sehr hohen finanziellen Risiken, die damit verbunden sind, selbst bei ausgebildeten Handelsvertretern ein großzügiger Maßstab hinsichtlich der Zulässigkeit von Weisungen anzulegen 144; die Anonymität des Massen- oder Bargeschäftes 145; die vertragliche Verpflichtung, allgemein die Interessen des Unternehmers (selbst mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns) zu wahren (siehe § 86 Abs. 1); ein allgemeines, auf die fachliche Tätigkeit („Betrauung“) bezogenes Weisungsrecht 146. Jenem unterliegt auch der HV (§ 86 Abs. 1) 147, insbesondere in Hinblick auf K. Schmidt Handelsrecht, § 27 I 2e. OLG Koblenz, Beschl. v. 09.10.2006 – 2 W 510/06, VersR 2007, 1222 (1223). OLG Koblenz, Beschl. v. 09.10.2006 – 2 W 510/06, VersR 2007, 1222 (1223). OLG Koblenz, Beschl. v. 09.10.2006 – 2 W 510/06, VersR 2007, 1222 (1223). Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 84 Rn 5. LAG Nürnberg, BB 1999, 793 = EWiR 1999, 363 (Plagemann); zur Genese des Rechtsstreites Küstner BB 1999, 541 (542); LG Osnabrück, VersR 2000, 963. OLG Saarbrücken, Beschl. v. 29.07.2004 – 5 W 144/2004 – 49, EWiR 2005, 147 (Rouvray). Für stärkeres Gewicht wohl OLG Bremen, Beschl. v. 28.01.2005 – 2 W 108/04, OLGR 2005, 432.

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BGH DB 1982, 590 (zwh., weil dieser Umstand gerade auch für die Unabhängigkeit des Mittlers sprechen kann). AA BFH DB 1970, 861 (862); Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 84 Rn 15. OLG Saarbrücken, Beschl. v. 29.07.2004 – 5 W 144/2004 – 49, EWiR 2005, 147 (Rouvray). OLG Saarbrücken, Beschl. v. 29.07.2004 – 5 W 144/2004 – 49, EWiR 2005, 147 (Rouvray). AA LAG Nürnberg DB 2002, 1777. Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 6. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 12.05.2006 – 1 W 18/06, VersR 2007, 207 (208); Eberstein A II 1a; Hopt § 84 Rn 38.

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die Leitlinien der Vertriebspolitik 148. Deshalb dürfen dem Vertreter Weisungen zur Preisgestaltung, Verbuchung und Abrechnung von Lieferungen, Präsentation, Vertragskonditionen, Zahlungsmodi und Produktdarstellung gegeben werden149. Schädlich sind Weisungen hinsichtlich der unternehmerischen Tätigkeit des Vertreters und seiner Arbeitszeit 150; die vertragliche Vereinbarung oder die Zuweisung eines festen Vertreterbezirks (§§ 46 VVG, 87 Abs. 2) 151; Rotationsvertrieb 152, d.h. Wechsel von Bezirken; Verpflichtung zu „ständiger“ Tätigkeit (solche ist nämlich Tatbestandsmerkmal des § 84 Abs. 1, s.u.)153; Verpflichtung, den Firmensitz an einem bestimmten Ort zu führen154; Handelsvertretertypische Berichtspflichten (§ 86 Abs. 2), sofern nicht übertrieben (letzteres gilt etwa für eine tägliche Berichterstattung)155; Vom Unternehmer vereinbarte Gesprächstermine mit Kunden156; dass der Mittler seine Arbeitszeit nach den Anwesenheitszeiten der Kunden auszurichten hat 157 oder bestimmte Umstände die Tätigkeit an einem Ort (etwa: Belegenheit der Tankstelle beim Tankstellenvertreter oder des Lotto-Geschäftes) erzwingen (die so determinierte Tätigkeit entspricht lediglich der Interessenwahrungspflicht); insbes., dass der Tankstellenhalter standortgebunden ist und die Tankstellenbedienung nicht beliebig, gar auf ganze Tage, unterbrechen darf. Deshalb spricht die Verpflichtung eines Tankstellenvertreters, die Tankstelle 24 Stunden täglich offen zu halten, nicht für Unselbständigkeit. Denn im Hinblick auf die Länge der Öffnungszeiten sei auszuschließen, dass der Tankstellenvertreter persönlich an die Öffnungszeiten gebunden sein solle158. Gleiches gilt für die Verpflichtung des Franchisenehmers, das Ladengeschäft im Rahmen der gesetzlichen Ladenschlusszeiten möglichst lange offen zuhalten, selbst wenn damit eine Öffnungszeit von wöchentlich 52 Stunden vorgegeben ist, da über die Pflicht zum persönlichen Einsatz in diesem Zeitrahmen keine Aussage getroffen wird159; die Aufstellung eines unverbindlichen „Erfolgsplans“ o.ä.; Abarbeiten von Stornogefahrmitteilungen160; die Verpflichtung, regelmäßig vertretertypische Tätigkeiten zu verrichten (Bestandspflege, Verwaltung etc.); Hopt § 84 Rn 38; aA wohl LG Dortmund, Urt. v. 14.12.2006 – 16 O 92/05, NJOZ 2007, 1485. Hopt § 84 Rn 38. Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 6; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 40. BAG ZIP 2000, 808 = EWiR 2000, 533 (Emde) = BB 2000, 1469 m. Anm. Reiserer VersR 2001, 857 = BB 2001, 48 = EWiR 2001, 277 (Emde); OLG Düsseldorf NJW 1998, 2978; 1998, 2981 = DB 1998, 2262; LG Osnabrück VersR 2000, 963; Oberthür/ Lohr NZA 2001, 126 (131); Ebenroth/ Löwisch § 84 Rn 10. Emde VersR 2001, 148 (149); Oberthür/ Lohr NZA 2001, 126 (131); aA Schaefer NJW 2000, 320 (321).

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BAG VersR 2001, 857 = BB 2001, 48 = EWiR 2001, 277 (Emde). BGH, Beschl. v. 16.10.2003 – VIII ZB 27/02, DB 2003, 198 (zum Franchisevertrag). OLG Hamm, Beschl. v. 07.02.2003 – 35 W 11/02, VersR 2004, 1133; Oberthür/Lohr NZA 2001, 126 (132); Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 6. OLG Hamm, Beschl. v. 07.02.2003 – 35 W 11/02, VersR 2004, 1133. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 9; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 39. OLG Köln OLGR Köln 2003, 170. BGH DB 2003, 198. BAG VersR 2000, 1501 = BB 2000, 1837 m. Anm. Bolle = EWiR 2000, 969 (Emde).

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§ 84

– Klauseln, nach denen der Unternehmer den Vertreterbezirk durch einseitige Weisung ändern kann (jene sind ohnehin unwirksam)161; – die fehlende Befugnis, das vermittelte Produkt bzw. die Produktpalette zu gestalten (dies darf auch der HV nicht)162; – die Verpflichtung, geschlossene Verträge, Abrechnungen, Einnahmen o.ä. pünktlich an den Unternehmen weiterzuleiten; – das Fehlen eines zur Betreuung zugewiesenen Kundenkreises; – die vertraglich vereinbarte Beschränkung auf bestimmte Sparten; – Verbote, die geeignet sind, ein wettbewerbswidriges Verhalten des im Außendienst Tätigen zu verhindern163, z.B.: (1) das Verbot systematischer Telefonwerbung; (2) das Verbot des systematischen Ausspannens von Kunden; (3) das Verbot unzulässiger Kopplung von vermittelten Verträgen mit anderen Produkten; (4) das Verbot des Auftretens gegenüber potentiellen Kunden unter Verschweigen der Vertretereigenschaft; (5) das Verbot, Veröffentlichungen zu Werbezwecken vorzunehmen, die nicht mit dem Unternehmer abgestimmt wurden; (6) die Bindung an Wettbewerbsrichtlinien oder andere Standesregeln; – die Verpflichtung, Inkasso-Tätigkeiten nach Richtlinien des Unternehmers wahrzunehmen164; – die Überlassung von Listen mit Kundenadressen, sofern der im Außendienst Tätige auf jene nicht beschränkt und er nicht verpflichtet ist, die genannten Kunden anzusprechen; – die freiwillige Benutzung der Telefon- oder EDV-Anlage des Unternehmens165; – die Zahlung eines Provisionsvorschusses166; – die Tatsache, dass dem im Außendienst Tätigen keine Kosten für seinen Geschäftsbetrieb entstehen; – die Verpflichtung, Untätigkeit (Urlaub, Krankheit) zu melden oder abzustimmen167; – wenn der Mittler sich im Verhinderungsfalle, namentlich im Krankheitsfalle168, zu entschuldigen hat 169; – das Überlassen von Informationsmaterial, Formularen170 usw. für die Kunden (dies ist eine übliche Unterstützung durch den Unternehmer); – die Verpflichtung an Schulungen teilzunehmen171; – Überlassung von Kundenlisten, falls es sich um eine bloße Unterstützungsmaßnahme handelt und der Vertreter zur Abarbeitung nicht verpflichtet ist 172; – Anzeigepflichten bei der Wahl von Untervertretern173; 161 162 163

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BAG ZIP 2000, 808 = EWiR 2000, 533 (Emde) = BB 2000, 1469 m. Anm. Reiserer. Küstner/Thume I, Rn 64; aA ArbG Nürnberg, ArbuR 1996, 417. BAG ZIP 2000, 808 = EWiR 2000, 533 (Emde) = BB 2000, 1469 m. Anm. Reiserer VersR 2000, 1501 = BB 2000, 1837 m. Anm. Bolle = EWiR 2000, 969 (Emde). LG Osnabrück VersR 2000, 963. LG Osnabrück VersR 2000, 963; Oberthür/ Lohr NZA 2001, 126 (132). OLG Hamm, Beschl. v. 07.02.2003 – 35 W 11/02, VersR 2004, 1133.

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OLG Hamm, Beschl. v. 07.02.2003 – 35 W 11/02, VersR 2004, 1133. SG Karlsruhe VersR 1955, 388. RAG ARS 15, 505; 45, 34. BAG VersR 2000, 1501 = BB 2000, 1837 m. Anm. Bolle = EWiR 2000, 969 (Emde). OLG Hamm, Beschl. v. 07.02.2003 – 35 W 11/02, VersR 2004, 1133. BAG NZA 1995, 649; Oberthür/Lohr NZA 2001, 126 (132). Oberthür/Lohr NZA 2001, 126 (133).

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– die Zahlung von handelsüblichem Aufwendungsersatz; – die Gewährung einer Altersversorgung174; – formale Merkmale175, etwa Gewerbeanmeldung, Firmenführung, Buchführung, Zahlung von Umsatz- wie Gewerbesteuer176, IHK-Beiträgen, Sozialabgaben177, Übergabe von Arbeitspapieren178 etc. Denn über sie kann beliebig disponiert werden, die Abgrenzung darf jedoch nicht im Belieben der Parteien liegen179; – die wirtschaftliche Abhängigkeit vom Unternehmer 180, selbst wenn sie besonders ausgeprägt sein sollte 181 (dann aber mglw. Nichtigkeit gem. § 138 BGB) 182. Dies zeigt schon § 92a183; – die ohnehin kaum bestimmbare soziale Schutzbedürftigkeit 184 (sie hat gerade zu den Schutzbestimmungen des zwingenden Vertreterrechts geführt, kann folglich kein Indiz der Unselbständigkeit sein); – mangelnder eigener Kapitaleinsatz185; – vertragswidrige Beschränkungen, weil dadurch niemand zum Arbeitnehmer wird 186 (aber es wird auf die tatsächlichen Umstände ankommen: Die Abweichung vom Vertrag kann gerade Ausdruck eines „arbeitsrechtlichen Direktionsrechts“ des Unternehmers sein, s.o.); – Werbung: Verpflichtung, ausschließlich das vom Unternehmer zur Verfügung gestellte Werbematerial zu verwenden187; – geringer Verdienst 188 (Arg. aus § 92a; 5 Abs. 3 ArbGG), dann aber möglicherweise prozessuale Zuständigkeit des ArbG, siehe § 5 Abs. 3 ArbGG); – übliche Weisungen: Der Selbständigkeit tut es keinen Abbruch, wenn der Vertreter Direktiven erhält, was er im Interesse des von ihm vertretenen Unternehmens anzustreben hat; das Wie der Ausführung muss regelmäßig ihm überlassen bleiben. Gerade in der Versicherungswirtschaft darf wegen der außerordentlichen Schwierigkeit und Vielgestaltigkeit des Versicherungsrechts und der sehr hohen finanziellen Risiken der Rahmen für gegenüber dem selbständigen Vertreter zulässige Weisungen nicht zu eng gezogen189. Ein gutes Beispiel für das Überschreiten der Weisungsgrenzen, deren Respektierung der Handelsvertreter kraft seiner Selbständigkeit verlangen kann, bietet die Entscheidung OLG Oldenburg, DB 1964, 105190. 174 175 176 177 178

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Küstner/Thume I, Rn 57; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 10. Hopt § 84 Rn 36. OLG Koblenz, Beschl. v. 09.10.2006 – 2 W 510/06, VersR 2007, 1222 (1223). Martinek/Wank § 7 Rn 32. Vgl. MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 84 Rn 46f; aA Schlegelberger/ Schröder § 84 Rn 5. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 47 misst diesen Merkmalen deshalb nur bei Fehlen materieller Abgrenzungsmerkmale Bedeutung bei; aA Schlegelberger/ Schröder § 84 Rn 5. BAG ZIP 2000, 808 = EWiR 2000, 533 (Emde) = BB 2000, 1469 m. Anm. Reiserer AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 6 m. Anm. Schnoor LAG Berlin, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 50; Oberthür/Lohr NZA 2001, 126 (130); MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 84 Rn 45; Schlegelberger/Schröder

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§ 84 Rn 3b; aA Beuthien RdA 1979, 2, 5; Ranke, AuR 1979, 9 (15 ff); Wank Arbeitnehmer und Selbständige, S. 125 ff. AA Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 3b. OLG Düsseldorf NJW 1998, 2978; 1998, 2981 = DB 1998, 2262. Oberthür/Lohr NZA 2001, 126 (131). Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 8; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 32; aA Beuthien RdA 1978, 2 ff. Hopt § 84 Rn 36; Martinek/Wank § 7 Rn 67. BGH DB 2003, 198 (zum Franchisevertrag). BGH DB 2003, 198. BFH VersR 1964, 1157; Küstner/Thume I, Rn 55. BAG 18, 87 (94). Die Revisionsentscheidung NJW 1966, 882, die die Sache zurückverwies, hat den Sachverhalt wegen einer möglicherweise dennoch gegebenen Ausnahmelage als klärungsbedürftig angesehen.

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34 (2) Merkmale mit mittlerem Gewicht. Umstände der Dienstleistung 191 die zeitliche Beschränkung der Reisetätigkeit; Untersagung jeglicher Konkurrenztätigkeit für sämtliche Produkte, die vom Unternehmer vertrieben wurden192; das Verbot, Produkte zu vermitteln, die nicht in der Provisionsliste des Unternehmers (hier: AWD) enthalten sind 193; die Stellung eines Firmenwagens durch den Unternehmer 194; mangelnde Innen- oder Außenorganisation des Vertreterunternehmens195; die Einordnung in eine betriebliche Hierarchie; die Verpflichtung, ein bestimmtes Mindestsoll zu erreichen, welches keinen Spielraum hinsichtlich der Arbeitszeit belässt 196; vollständiger Ersatz der beruflichen Aufwendungen durch den Unternehmer 197; Verpflichtung zur Bestandspflege mit dem Recht zur Ersatzvornahme durch den Unternehmer 198; die Verpflichtung, Weisungen hinsichtlich des äußeren Erscheinungsbildes des Büro etc. zu befolgen (zu berücksichtigen ist, dass derartige Weisungen gerade im Franchise- oder Vertragshändlerbereich üblich sind, ohne dass deshalb an der Selbständigkeit zu zweifeln ist); allgemein personenbezogene und ablauforientierte Weisungen hinsichtlich der Umstände, unter denen die Leistung erbracht wird 199, unschädlich ist etwa die Weisung, ob der Fachhandel oder Endverbraucher zu beliefern ist 200; detaillierte Pflichten eines Tankstellenvertreters hinsichtlich der Warenbevorratung, der Abrechnung und der Zahlungsmodalitäten, da sie der typischen Vertragsgestaltung im Tankstellengewerbe entsprechen sollen 201; die Verpflichtung, an bestimmten Veranstaltungen (Schulungen etc.) regelmäßig teilzunehmen202; die Verpflichtung, dem Unternehmer regelmäßig in kurzen Abständen detaillierte, über das übliche hinausgehende Berichte zukommen zu lassen (dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass auch der Vertreter berichtspflichtig ist 203, die Betonung liegt also auf „unüblich“); Forderung nach Übermittlung einer Drei-Monats-Produktionsvorschau, aufgeteilt nach einzelnen Produktionssparten, mit einer seriösen Prognose der prozentualen Gewichtung der Abschlusse pro Kunde. Diese Weisung gehe über die Bemühungspflicht nach § 86 Abs. 1 hinaus 204; ein Nebenbeschäftigungsverbot oder dem Unternehmer zugesagte Exklusivität 205. Allerdings kann ihm nicht zwingend die Unselbständigkeit entnommen werden, OLG Koblenz, Beschl. v. 09.10.2006 – 2 W 510/06, VersR 2007, 1222 (1223). Siehe OLG Bremen, Beschl. v. 28.01.2005 – 2 W 108/04, OLGR 2005, 432. Siehe OLG Bremen, Beschl. v. 28.01.2005 – 2 W 108/04, OLGR 2005, 432. Eberstein Der Handelsvertreter-Vertrag, S. 39. BAG ZIP 2000, 630 = VersR 2000, 1143 = BB 2000, 826. BAG VersR 2000, 1501 = BB 2000, 1837 m. Anm. Bolle = EWiR 2000, 969 (Emde); Oberthür/Lohr NZA 2001, 126 (132). Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 8.

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OLG Bremen, Beschl. v. 28.01.2005 – 2 W 108/04, OLGR 2005, 432. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 40. OLG München NJW-RR 2003, 401 (402). OLG Köln OLGR Köln 2003, 170. BAG ZIP 2000, 808 = EWiR 2000, 533 (Emde) = BB 2000, 1469 m. Anm. Reiserer. Küstner/Thume I, Rn 60. BAG, Urt. v. 20.08.2003 – 5 AZR 610/02, NJW 2004, 461. BAG ZIP 2000, 808 = EWiR 2000, 533 (Emde) = BB 2000, 1469 m. Anm. Reiserer LG Osnabrück, VersR 2000, 963; Küstner/

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– –

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da § 92a den Einfirmenvertreter zulässt 206. Erforderlich sind folglich ergänzende Indizien; die Zahlung einer echten Mindestprovisionsgarantie, wobei letztlich die Höhe entscheidend ist 207; die Zahlung von Aufwendungsersatz über das handelsübliche Maß hinaus, insbesondere als monatliches Fixum, wobei es bei diesen Merkmalen auf den Umfang ankommt, also auf die Höhe der vom Unternehmer geleisteten Zahlungen 208; die Verpflichtung, während des Urlaubs für Ersatz zu sorgen 209; Anordnung von Urlaubsperren, weil hierdurch die Bestimmung der Arbeitszeit eingeschränkt wird 210; Weisungsrecht des Unternehmers hinsichtlich der Ausstattung der Räumlichkeiten 211; Statusvergleich, d.h., wenn der Mittler Tätigkeiten wahrnimmt, die zuvor unzweifelhaft Unselbständige ausführten; falls der Mittler regelmäßig zur Berichterstattung persönlich zu erscheinen hat.

(3) Merkmale, die sehr stark für das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses sprechen. Die dritte Gruppe bilden Merkmale, denen die Rechtsprechung bei der Bestimmung der Unselbständigkeit großes Gewicht beimisst. Sie führen zu in den Kerngehalt der Selbständigkeit eingreifenden Beschränkungen. In diese Gruppe fallen: – die uneingeschränkte Verpflichtung, allen Weisungen des Unternehmers Folge zu leisten (Direktionsrecht nahekommend) 212; – wenn der Mittler in Bezug auf seine Tätigkeit und die Art ihrer Ausübung einer umfassenden Kontrolle unterliegt 213; – sofern die Leistungen im Rahmen einer vom Unternehmer bestimmten Arbeitsorganisation mit umfassendem Weisungsrecht des Unternehmers hinsichtlich Zeit, Dauer und Ort der Dienste erbracht werden 214; insbes. fester Arbeitsplatz in den Räumen des Unternehmers 215 mit fest vorgegebener Arbeitszeit im Unternehmen; – Recht zur jederzeitigen Revision, Geschäfts- und Kassenkontrolle durch den Unternehmer; – Versetzungsrecht in den Innendienst 216; – Verpflichtung zur täglichen Berichterstattung 217;

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Thume I, Rn 53; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 8, 10; Hopt § 84 Rn 36; für stärkere Bedeutung: LAG Niedersachsen, LAGE § 611 (Arbeitnehmerbegriff) Nr. 24. OLG Hamm, Beschl. v. 07.02.2003 – 35 W 11/02, VersR 2004, 1133; Küstner/Thume I, Rn 63; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 84 Rn 42. Eberstein, A II 1a; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 9, 10; Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 5. Eberstein, A II 1a; Hopt § 84 Rn 36. Grenzfall, siehe Oberthür/Lohr NZA 2001, 126 (132). BAG, Urt. v. 20.08.2003 – 5 AZR 610/02, NJW 2004, 461. AA für das Franchiserecht BGH DB 2003, 198. Auf das Vertreterrecht ist diese Ent-

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scheidung nicht übertragbar, weil die Corporate Identity des Franchisesystems derartige Vorschriften fordert. Ebenroth/Löwisch, § 84 Rn 8; Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 6. RAG ARS 30, 40; 45, 34. BAG BB 1990, 779 (780); BAG, Urt. v. 12.09.1996 – 5 AZR 104/95, DB 1997, 1037; BAG ZIP 1997, 1714; BAG ZIP 1998, 612; LAG Düsseldorf BB 1997, 891; Hanau DB 1998, 69 (73); Horn/Henssler ZIP 1998, 589 (592); Hromadka DB 1998, 195 (197); Reinecke ZIP 1998, 581 (583); kritisch Hümmerich NJW 1998, 2615 (2630). Hopt § 84 Rn 36. Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer Rn 12, 15. BGH BB 1989, 1076; Oberthür/Lohr NZA 2001, 126 (132).

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– Tätigkeit mit Stechkarten 218; – Verpflichtung oder tatsächliche Übung, in Räumen des Unternehmers zu arbeiten 219 (dabei ist aber auf entsprechende Usancen in einzelnen Branchen Rücksicht zu nehmen), dessen Firmenpapier zu nutzen 220 oder die sonstige Eingliederung in den Betrieb des Unternehmers 221; – die Unterstellung unter die Arbeitsordnung des Unternehmers und die Maßgeblicherklärung eines Tarifvertrages für die Bezahlung 222; – örtliche Weisungsgebundenheit 223, etwa in Hinblick auf den Tätigkeitsort 224; – die Verpflichtung, ein bestimmtes Mindestsoll – auf hohem Niveau – zu erreichen 225; – Mindestzeiten 226, Tages-, Dienstpläne 227 und Arbeitspensen 228; – wenn dem Mittler die zu besuchenden Kunden und die Besuchstour vorgeschrieben werden 229; – feste Arbeits 230- und Urlaubszeiten 231; – die Vereinbarung über Urlaubsanspruch und Zahlung von Urlaubsgeld 232; – Versetzungsrecht 233; – zeitliche Weisungsgebundenheit 234; – die Verpflichtung, Fehlzeiten nachzuweisen 235; – Vertretung des Mittlers durch Personal des Unternehmers in Urlaubszeiten 236; – die Verpflichtung, Adresslisten abzuarbeiten, insbesondere in Verbindung mit dem Verbot der Kundenwerbung aus eigener Initiative; – die Vornahme von Abzügen für Lohnsteuer und Sozialversicherung an den Bezügen des Geschäftsmittlers, mögen diese auch nur in Provisionen bestehen; – die Zuweisung von Lehrlingen zur Ausbildung; – die Einrichtung der Geschäftskonten bei Banken und Postscheckamt ausschließlich auf den Namen des Unternehmers 237; – das Verbot, Untervertreter oder Mitarbeiter einzustellen, wohl auch Zustimmungsvorbehalte, falls die Zustimmung – vertraglich fixiert – nicht unter bestimmten, keine erhebliche Hürde aufstellenden Umständen erteilt werden muss 238. Diese Beschränkung setzt dem Geschäftsumfang des im Außendienst Tätigen zu enge Grenzen. Der Selbständige kann grundsätzlich nicht zu einem bestimmten maximalen oder mini-

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OLG Koblenz, Beschl. v. 09.10.2006 – 2 W 510/06, VersR 2007, 1222 (1223). BGH MDR 1998, 920; LG Kiel VersR 1999, 485; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 8; aA LG Mannheim, ZIP 2001, 2149 = EWiR 2002, 23 (Emde). BAG AP § 92 Nr. 2; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 39. AG Neumünster VersR 1998, 1507; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 37; Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 3a; Martinek/Wank § 7 Rn 29. ArbG Wilhelmshaven DB 1963, 999 [Leits.]; vgl. weiter OLG München NJW 1957, 1767; auch: BFH DB 1970, 862 (863). Martinek/Wank § 7 Rn 23. Hopt § 84 Rn 36. AA OLG Düsseldorf NJW 1998, 2978; 1998, 2981 = DB 1998, 2262.

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AG Neumünster VersR 1998, 1507. Hopt § 84 Rn 36; Martinek/Wank § 7 Rn 25. RAG ARS 45, 34; Hopt § 84 Rn 35. Oberthür/Lohr NZA 2001, 126 (132); aA Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 6. BGH MDR 1998, 920. BGH MDR 1998, 920; Oberthür/Lohr NZA 2001, 126 (132); Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 8. BFH DB 1970, 862 (863); BB 1962, 401. Hopt § 84 Rn 36. Martinek/Wank § 7 Rn 24. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 39. BAG AP Nr. 1; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 43. LAG Frankfurt am Main VersR 1966, 236. Vgl. Oberthür/Lohr NZA 2001, 126 (133).

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malen Geschäftsumfang verpflichtet werden. Ihm muss die rechtliche Möglichkeit zu geschäftlicher Expansion offen stehen 239. Gleichwohl: Liegen einzelne dieser in die letzgenannte Gruppe fallende Merkmale 36 vor, hat das nicht zwingend ein Beschäftigungsverhältnis zur Folge, wenn andere Merkmale für die Selbständigkeit sprechen.

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c) Bedeutung der SGB-Vorschriften über die Scheinselbständigkeit. Für den HV besteht keine Sozialversicherungspflicht des Unternehmers 240. Die in § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI des Gesetzes vom 19. Dezember 1998 241 eingeführte und in der zum 1. Januar 1999 rückwirkenden Fassung des Gesetzes zur Förderung der Selbständigkeit vom 20. Dezember 1999 242 geltende sozialrechtliche Definition der Selbständigkeit ist für die arbeitsrechtliche Einordnung des Vertragsverhältnisses nach § 84 ebenso ohne Bedeutung 243 wie steuerrechtliche Definitionen 244. Die Norm hat keine Sonderform des HV geschaffen, weswegen die Vorschrift ohne Auswirkungen auf § 84 ist 245. Sie regelt lediglich die Voraussetzungen unter denen Sozialversicherungspflicht eintritt, beantwortet aber nicht die Frage, ob der Mittler selbständig (Handelsvertreter) oder unselbständig (Reisender) ist. Nur im Einzelfall kann den Kriterien des SGB für eine Unselbständigkeit Bedeutung als Indiz für eine Unselbständigkeit zukommen 246. Gemäß §§ 2, 7 SGB IV sind Arbeitnehmer sozialversicherungspflichtig, wobei gemäß 38 § 7 IV SGB IV bei Vorliegen von drei aus fünf Merkmalen Arbeitnehmereigenschaft vermutet wird 247. Auch Vertriebsmittler können grundsätzlich Arbeitnehmer sein. Der Begriff des Arbeitnehmers wird jedoch in § 7 Abs. 4 SGB IV vorausgesetzt, nicht definiert. Insbesondere hat die Vermutungsregelung des § 7 Abs. 4 SGB IV nach hM keine

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Oberthür/Lohr, NZA 2001, 126 (133); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 43; aA LG Mannheim Beschl. v. 19.10.2001 – 7 AktE 1/01, ZIP 2001, 2149 = EWiR 2002, 23. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 47; Marburger BB 1979, 840. BGBl. I 1998, 3843 (3846). BGBl. I 2000, 2. Begr. des Gesetzentwurfs ZIP 1998, 2031 (2035) sowie Beschlußempfehlung des BTAusschusses für Arbeit und Sozialordnung ZIP 1998, 2195; BAG ZIP 2000, 808 = EWiR 2000, 533 (Emde) = BB 2000, 1469 m. Anm. Reiserer; VersR 2000, 1501 = BB 2000, 1837 m. Anm. Bolle = EWiR 2000, 969 (Emde); VersR 2001, 857 = BB 2001, 48 = EWiR 2001, 277 (Emde); LG Mannheim, ZIP 2001, 2149 = EWiR 2002, 23 (Emde); LAG Nürnberg ZIP 1999, 769; Emde VersR 2001, 148; Thume BB 1999, 2309 (2310); Martinek/Wank § 7 Rn 36; Rundschreiben der Spitzenverbände zur Scheinselbständigkeit mit Einführung von Hanau ZIP 1999, 252 (255) mit den ergänzenden Hinweisen zur versicherungsrechtlichen Beurteilung scheinselbständiger

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Arbeitnehmer und arbeitnehmerähnlicher Selbständiger v. 16.6.1999 NZA 1999, 746; Buchner DB 1999, 1502; aA Graf v. Westphalen ZIP 1999, 1083; zu dem Gesetz ferner Berndt MDR 1999, 210 (211); Buchner DB 1999, 533; Weimar/Goebel ZIP 1999, 217; Leuchten/Zimmer DB 1999, 381 (382, 383); Kunz/Kunz DB 1999, 846 (848); Kerschbaumer/Tiefenbacher ArbuR 1999, 121; Reiserer BB 1999, 366 (367, 368); Buchner DB 1999, 146 (148, 150); Goretzki/ Hohmeister BB 1999, 635; Postler NJW 1999, 925; Richardi DB 1999, 958; Küstner BB 1999, 541; Adomeit NJW 1999, 2086; Krebs DB 1999, 1602; Gaul/Wisskirchen DB 1999, 2466; Buchner DB 1999, 2514; Reiserer BB 2000, 94; kritisch: Berndt NJW 2000, 464. Martinek/Wank § 7 Rn 35. Thume BB 1999, 2309 (2310); aA Graf v. Westphalen ZIP 1999, 1083. Graf v. Westphalen ZIP 1999, 1083 (1088); Berndt DB 1999, 1162 (1166, 1167); kritisch dazu Reiserer BB 1999, 366 (367, 368). Zusammenfassend Bauer/Baeck/Schuster Scheinselbständigkeit, 2000, Rn 93; Emde VersR 1999, 1464 (1466).

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Bedeutung 248. Denn gemäß § 7 Abs. 4 S. 2 SGB IV sind – angeblich auf das Lobbying zuständiger Verbände hin 249 – HV, die „im wesentlichen frei ihre Tätigkeit gestalten und über ihre Arbeitszeit bestimmen können“ von dem Anwendungsbereich der Vermutungsregelung ausgenommen (sog. „Bereichsausnahme“). Ein selbständiger HV kann folglich nicht in den Anwendungsbereich der Vermutung des § 7 Abs. 4 SGB IV fallen. Der Wortlaut des § 7 Abs. 4 S. 2 SGB IV lehnt sich an den des § 84 Abs. 1 S. 2 an, so dass neben dem Vorrang des HGB bei der Beantwortung der Statusfrage auch dies gegen eine Bedeutung des SGB für die arbeitsrechtliche Statusfrage spricht. Eine unselbständige, an § 84 angelehnte Regelung kann kaum die Rolle einer statusbestimmenden Definition einnehmen. Zur Bereichsausnahme ist anzumerken: Sie soll dem historisch gewachsenen Verständnis des HV als selbständigen und gleichberechtigten Unternehmer Rechnung tragen 250. An dieser Privilegierung im Vergleich zu anderen Vertriebsmittlern oder Freiberufler (Architekten, Anwälten) wird Kritik geübt 251, teilweise von der Verfassungswidrigkeit ausgegangen 252. Gleichwohl kommt wegen des Ausnahmecharakters der Bestimmung keine analoge Anwendung auf andere Vertriebsmittler, etwa Vertragshändler und Franchisenehmer, in Frage 253. Um diejenigen in die gesetzliche Rentenversicherung zu zwingen, die § 7 SGB VI nicht erfasst 254 – aufgrund der Bereichsausnahme z.B. HV (Auffangtatbestand) 255 – hat der Gesetzgeber § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI eingefügt, demzufolge HV zwar nicht sozialversicherungspflichtig, als arbeitnehmerähnliche Selbständige jedoch rentenversicherungspflichtig sind, sofern folgende Voraussetzungen erfüllt sind: – sie dürfen im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigten, dessen Arbeitsentgelt aus diesem Beschäftigungsverhältnis regelmäßig EUR 400 im Monat übersteigt, und – sie müssen auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sein. Ein HV, der der Rentenversicherungspflicht unterliegt, trägt im Gegensatz zu den nach SGB IV Sozialversicherungspflichtigen die Beiträge in vollem Umfang allein, § 168 Nr. 1 SGB VI 256. Die Rechtsprechung sieht in dem Einsatz von Hilfskräften zur Erfüllung der vertraglichen Pflichten ein wesentliches Merkmal selbständigen Unternehmertums. Unbeantwortet bleibt, weshalb die Erfüllung des Kriteriums nur durch die Beschäftigung eines Arbeitnehmers, nicht durch die eines selbständigen Subunternehmers, widerlegt werden kann 257. Die Beschäftigung des Arbeitnehmers muss regelmäßig erfolgen, um Umgehun248 249 250

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Oberthür/Lohr NZA 2001, 126. Bauer/Baeck/Schuster Scheinselbständigkeit, 2000, Rn 99. Vgl. Buchner DB 1999, 146 (147); Küstner BB 1999, 541 (542 f); zusammenfassend Emde VersR 1999, 1464 (1466); Gaul, DB 1998, 2467 (2470 f). Bauer/Baeck/Schuster Scheinselbständigkeit, 2000, Rn 99; Reiserer BB 2000, 94 (95). Bauer/Baeck/Schuster Scheinselbständigkeit, 2000, Rn 99; Bauer/Diller/Lorenzen NZA 1999, 169 (173); Bengelsdorf NJW 1999, 1817 (1825); Buchner DB 1999, 148; Hässler NWB Fach 27, S. 4959 (4967); Hohmeister NZA 1999, 337 (339); Kersch-

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baumer/Tiefenbacher AuR 1999, 121, 123; Rolfs NZA 2000, 188. Rolfs NZA 2000, 188; aA Weimar/Göbel ZIP 1999, 217 (219); ähnlich noch Emde VersR 1999, 1464 (1466). Buchner DB 1999, 146 (149). Vgl. Berndt MDR 1999, 210 (213); Reiserer/ Biesinger BB 1999, 1006 (1007); Emde VersR 1999, 1464 (1466). Oberthür/Lohr NZA 2001, 126 (127); Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 4; Emde VersR 1999, 1464 (1466) ff; Emde VersR 2001, 148 ff. Oberthür/Lohr NZA 2001, 126 (127).

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gen durch kurzfristige Beschäftigungsverhältnisse auszuschließen. Auch § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI trifft keine Aussagen zur Einordnung eines Vertriebsmittlers als selbständig oder unselbständig, da § 84 die speziellere Norm darstellt 258.

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d) Arbeitnehmerähnliche Personen. Bei arbeitnehmerähnlichen Personen i.S.d. § 5 Abs. 1 S. 2 ArbGG tritt an die Stelle der persönlichen Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit das Merkmal der wirtschaftlichen Abhängigkeit. Ferner muss der wirtschaftlich Abhängige auch seiner gesamten sozialen Stellung nach einem Arbeitnehmer vergleichbar sozial schutzbedürftig sein 259. Für solche arbeitnehmerähnlichen Personen ist die Zuständigkeit der ArbG nach § 5 Abs. 1 ArbGG begründet. An dieser sozialen Schutzbedürftigkeit soll es fehlen, wenn ein Mittler eigenständig sein Geschäft führt, das Geschäftslokal selbst anmietet und selbständig Arbeitnehmer einstellt und nicht in ein Abrechnungssystem des Unternehmers eingebunden ist 260. § 5 Abs. 3 ArbGG trifft allerdings für HV eine vorrangige lex specialis, die § 5 Abs. 1 45 Satz 2 ArbGG verdrängt 261. Nach dieser Norm sind die ArbG für Rechtsstreitigkeiten von HV zuständig, wenn sie zu dem Personenkreis gehören, für den nach § 92a die untere Grenze der vertraglichen Leistung des Unternehmers festgesetzt werden kann und während der letzten sechs Monate des Vertragsverhältnisses vor Klagerhebung im Durchschnitt monatlich nicht mehr als € 1.000 aufgrund des Vertragsverhältnisses an Vergütung einschließlich Provisionen Ersatz für im regelmäßigen Geschäftsbetrieb entstandene Aufwendungen bezogen haben 262. Im Einzelnen siehe hierzu bei § 92a. § 5 Abs. 3 ArbGG hat damit lediglich prozessuale Bedeutung. Der Mittler bleibt HV i.S.d. §§ 84 ff und das ArbG muss das HGB anwenden. Es handelt sich hierbei also um „formelles“ Arbeitsrecht. Die Zuständigkeit der ArbG ist wenig praxisnah, da sie mit dem HGB materiell ein Gesetz anwenden müssen, welches ihnen in der täglichen Rechtspraxis eher fern steht. Sind die Tatbestandsvoraussetzungen des § 5 Abs. 3 S. 1 ArbGG nicht erfüllt, bleibt es bei der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte. Es kommt dann nicht darauf an, ob der HV in diesen Fällen noch als arbeitnehmerähnliche Person angesehen werden kann. § 5 Abs. 3 ArbGG enthält eine für HV in sich abgeschlossene Zuständigkeitsregelung, die der Regelung über die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte für arbeitnehmerähnliche Personen in § 5 Abs. 1 ArbGG vorgeht 263.

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e) Beweislast. Die Beweislast für Selbständigkeit oder Unselbständigkeit trägt derjenige, der daraus Rechtsfolgen herleiten will. Macht ein Vertriebsmittler geltend, er sei Arbeitnehmer, so ist er für den fehlenden Spielraum bei der Arbeitszeitgestaltung darlegungs- und beweisbelastet 264. Spiegelbildlich muss der Unternehmer die Arbeitnehmereigenschaft beweisen, wenn er hierdurch einen Ausgleichsanspruch vermeiden will. Wird eine vom Vertrag abweichende tatsächliche Übung vorgetragen, muss sie derjenige bewiesen, der sich auf jene beruft 265. 258

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AA Graf v. Westphalen ZIP 1999, 1083; kritisch zu dieser Ansicht bereits Thume BB 1999, 2309 (2310). BGH DB 2003, 198 (zum Franchisevertrag). BGH DB 2003, 198 (zum Franchisevertrag). BAG MDR 2003, 814 (815); OLG Karlsruhe, Beschl. v. 12.05.2006 – 1 W 18/06, VersR 2007, 207 (208); Germelmann/ Müller-Glöge ArbGG, § 5 Rn 23 ff; Martinek/Flohr § 8 Rn 27; näher Kapitel 3. Martinek/Flohr § 8 Rn 27. Die Vergütungs-

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grenze belief sich zunächst auf DM 500,–, seit dem 28.01.1968 dann auf 1000,– DM, seit dem 01.02.1976 auf DM 1500,– und seit dem 1.7.1979 auf DM 2000,–. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 12.05.2006 – 1 W 18/06, VersR 2007, 207 (209); OLG Saarbrücken VersR 2005, 1388. BAG, Urt. v. 20.08.2003 – 5 AZR 610/02, NJW 2004, 461. Hopt § 84 Rn 38.

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II. Geschäftsvermittlung und Abschluss für einen Unternehmer HV ist nur, wer für einen anderen Unternehmer Geschäfte vermittelt oder in dessen 47 Namen abschließt. 1. Unternehmer. Der HV muss für einen anderen „Unternehmer“ (das HGB verwen- 48 det diese Bezeichnung, außerhalb der Gesetzessprache finden auch die Bezeichnungen „Geschäftsherr“ 266, „Prinzipal“, bzw. je nach Funktion „Hersteller“ oder „Importeur“ Verwendung) tätig werden, der nicht identisch mit dem Vertreter sein darf 267. Es ist also das Bestehen eines Drei-Personen-Verhältnisses („für einen anderen“) erforderlich 268. Dies soll sich aus dem Begriff „Vermittlung“ ergeben269. Vermittlung oder Abschluss von Eigengeschäften des Vertreters begründen keinen HV-Vertrag i.S.d. § 84 270. Gedacht wird an Fälle, in denen der HV einen Weiterverkauf plant 271. Die Provisionspflicht kann jedoch auch auf diese Fallgestaltung erstreckt werden 272. Kunde und HV dürfen mithin nicht identisch sein. Ob eine wirtschaftliche Verflechtung (Durchgriffsgedanke) schädlich wird, ist unsicher. Wahrscheinlich ist zumindest für die Statusfrage und wohl auch für die Provisionsfrage die formale Selbständigkeit der Parteien genügend273 (anders zum Courtageanspruch des Maklers). Meist ist dies ohnehin kein Problem der Statusfrage. Davon ist jedenfalls auszugehen, sofern die Vermittlung an wirtschaftlich verbundene Unternehmen nicht Vertragsgegenstand ist oder nur einzelne Kunden mit dem HV verbunden sind. Allenfalls wenn von vornherein die Beratung eines verbundenen Unternehmens des HV beabsichtigt war, mag gegenteiliges vertretbar sein. Auch hier neige ich jedoch zu einem Vorrang der formalen Betrachtungsweise, welche die rechtliche Selbständigkeit des Kunden genügen lässt. Problematisch ist eher das Provisionsrecht (aber auch hier erhält der Unternehmer wirtschaftlich die Vorteile der Vermittlung und schuldet daher Provision274) oder die Ausgleichsfrage, da aufgrund des nachvertraglichen Wegfalls des Kunden (das verbundene Unternehmen wird meist kein Stammkunde des Unternehmers bleiben) in der Regel Vorteile des Unternehmers fehlen. Wirtschaftliche oder rechtliche Verflechtung zwischen Unternehmer und HV 275, Personenidentität der Geschäftsleitung, auch Abhängigkeit oder Konzernierung, schließen ein solches Drei-Personen-Verhältnis gleichfalls nicht aus 276, solange die wirtschaftliche Verflechtung oder Verbindung i.S.d. §§ 17 ff AktG die rechtliche Separierung der Parteien nicht beseitigt. 266 267

268 269 270

271 272

Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 19. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 41; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 84 Rn 28; § 87 Rn 11; Hopt § 84 Rn 23; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 66; § 87 Rn 23; Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 16; § 87 Rn 7; Leuchten/Zimmer DB 1999, 381 (383). Hopt § 84 Rn 23. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 66. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 41; aA OLG Hamburg OLG Rspr. 36 (1912) 258; Schnitzler DB 1965, 463. Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 16. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 41; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87 Rn 11; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 23.

273

274 275 276

BFH Urt. v. 26.07.1972 – I R 138/70, BB 1972, 1489; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 50; Hopt § 84 Rn 23. AA OLG Celle Urt. v. 14.11.1969, BB 1970, 51 = DB 1970, 582. BFH BB 1972, 1489; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 41; Hopt Rn 23. Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S 95; Ebenroth/Löwisch 84 Rn 19; Hopt § 84 Rn 23; aA Küstner/Thume I, Rn 9 ff für „firmeneigene Versicherungsvermittler“ wegen wirtschaftlichen „Selbstanbietens“ (Durchgriffsgedanke); auch Schlessmann, Kündigung von Handelsvertreter-Verträgen, 1966, S. 76 f, falls der Unternehmer in der Geschäftsführung der Vermittler-GmbH vertreten ist.

Raimond Emde

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§ 84

1. Buch. Handelsstand

Eine solche Verflechtung ist etwa in der Versicherungswirtschaft bekannt, wenn z.B. ein Lebensversicherungsunternehmen einen Organisationsvertrag mit einem Sachversicherungsunternehmen abschließt und damit als Versicherungsvertreter für den Sachversicherer tätig wird. Deswegen kann nach dem weit auszulegenden 277 und wirtschaftlich zu verstehenden Begriff 278 Unternehmer jeder sein, der über einen zum Vertrieb geeigneten Gegenstand oder ein geeignetes Recht verfügt. Das Vertriebsmotiv des Unternehmers ist unerheblich und damit auch der Umstand, ob dem HV übertragene Geschäfte der Abwendung eines Insolvenzfalls dienen sollen 279. Eigene Erwerbszwecke muss der Unternehmer, anders als der HV, nicht verfolgen 280. § 84 Abs. 3 bestimmt, der Unternehmer könne auch ein HV sein. Diese Klarstellung ist 49 überflüssig. Es ist anerkannt, dass der Begriff des „Unternehmers“ i.S.d. § 84 Abs. 1 weit zu fassen ist 281. Für den Unternehmer stellt das Gesetz nämlich keine besonderen Voraussetzungen auf 282. Unternehmereigenschaft soll jeder haben, der am rechtsgeschäftlichen Verkehr in den Formen des Privatrechts teilnimmt und dergestalt seine Aufgaben erfüllt 283. Kürzer ließe sich sagen, dass Unternehmer jede am Zivilrechtsverkehr teilnehmende Person ist. Diese weite Auslegung des Unternehmerbegriffs ist geboten, damit nicht die internen Verhältnisse des Auftraggebers, auf die der Mittler keinen Einfluss haben kann, darüber entscheiden, ob er in den Schutzbereich des Vertreterrechts einbezogen wird 284. Bis 1953 war HV nur derjenige, der „für das Handelsgewerbe eines anderen“, also für 50 einen Kaufmann warb 285. Diese Einschränkung des Geschäftsherrnbegriffes wurde mit der Novelle 1953 aufgehoben, und sie war schon zuvor kaum sinnvoll, solange man keine befriedigende Antwort auf die Frage geben konnte, welchem Recht das Vertragsverhältnis im Falle der Tätigkeit für einen Nichtkaufmann unterliegen sollte. Die nahe liegende Antwort hätte auf eine analoge Anwendung des HV-Rechts verwiesen, so dass die §§ 84 ff auch unmittelbar hätten angewandt werden konnten. Nach seit 1953 geltendem Recht braucht der Unternehmer weder Kaufmann 286 noch juristische Person des Privatrechts 287 zu sein, noch muss er überhaupt ein (Handels-)Gewerbe betreiben 288. Dies korrespondiert mit Art. 1 Abs. 2 der allerdings nur für den Warenhandelsvertreter geltenden EGRichtlinie 1986, die nicht von einem „Unternehmer“, sondern von einer „andere[n] Person“ spricht. Die Richtlinie stellt mithin klar, dass der Unternehmer nicht Kaufmann sein muss, und diese Vorgabe wäre im Bereich des Warenvertriebs maßgeblich. Da der Unternehmer keine eigenen Erwerbszwecke zu verfolgen 289 braucht, kann 51 Eberstein 290 und der 4. Aufl.291 trotz der wenig hilfreichen Terminologie des Gesetzes („Unternehmer“) nicht darin zugestimmt werden, demjenigen mangele die Vertreter277 278 279

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281 282 283 284

BGHZ 43, 108, 111. BGH, Urt. v. 22.06.1972 – VII ZR 36/71, BB 1972, 938 (939). Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 19; aA Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 84 Rn 22; Hopt § 84 Rn 26. BGHZ 43, 108, 111; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 19; aA Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 14. BGHZ 43, 110; BGH BB 1982, 1876; Küstner/Thume I, Rn 12; Hopt § 84 Rn 27. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 65; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 63. BGH BB 1965, 304; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 19. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 65.

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Eberstein A I; Hopt § 84 Rn 27. BGHZ 43, 108 (109) = NJW 1965, 1132; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 19; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 84 Rn 3, 22; Hopt § 84 Rn 27; Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 9, 13; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 66; irrig noch OLG Stuttgart BB 1959, 537. BGHZ 43, 108 (109); BGH DB 1981, 92; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 84 Rn 24; Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 13. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 19; aA Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 14. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 19. A. I. Staub/Brüggemann § 84 Rn 18.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

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eigenschaft, der etwa als „Zivilagent“, z.B. als Sammler für seine Akquisitionen, der Genealoge für die Beschaffung urkundlichen Materials, der Forschungsreisende für die Ausrüstung seiner privaten Expeditionsfahrten, ständig Geschäfte ausschließlich des privaten Bereichs seines Vertragspartners vermittele, so dass nur die §§ 675 ff BGB anwendbar wären. Der Unternehmer braucht daher kein „Unternehmer“ i.S.d. § 14 BGB sein. Denn dort wird eine gewerbliche oder selbständige berufliche Tätigkeit des Unternehmers gefordert, die gem. § 84 gerade nicht erforderlich ist. Richtigerweise hätte das Gesetz also statt „Unternehmer“ die neutralere Fassung „Vertragspartner“ wählen sollen. Ist der Unternehmer kein Kaufmann oder fehlen gar HV wie Unternehmer die Kauf- 52 mannseigenschaft, sind zwar die §§ 84 ff, das übrige HGB aber allenfalls partiell anwendbar. Eine analoge Anwendung der eigentlich nicht anwendbaren handelsrechtlichen Vorschriften außerhalb der §§ 84 ff ist abzulehnen. § 84 öffnet einem jeden Unternehmer, auch wenn er nicht Kaufmann ist, die Möglichkeit, HV für sich tätig werden zu lassen: nicht mehr. Damit ist die Rechtslage nur derjenigen angeglichen, wie sie für den nichtkaufmännischen Unternehmer in Ansehung der Inanspruchnahme der Dienste von Kommissionären oder Handelsmäklern schon seit jeher bestanden hatte. Wollte man darüber hinaus das Sonderrecht der zweiseitigen Handelsgeschäfte in der ganzen Breite der Rechtsbeziehungen zwischen Unternehmer und HV gelten lassen, so wäre kein Halten mehr: dann müsste das gleiche auch für die Rechtsbeziehungen zwischen dem nichtkaufmännischen Unternehmer und dem Kommissionär sowie dem Handelsmäkler rechtens sein. Das wird nicht gefordert; es wäre auch von der wohlerwogenen Begrenzung des Geltungsgrundes der Regeln über die zweiseitigen Handelsgeschäfte her nicht zu begründen. Anderenfalls müsste man dann konsequenterweise fordern, dass der nichtkaufmännische Unternehmer im Verhältnis zu seinem HV auch denjenigen Bestimmungen unterworfen sei, die dem Kaufmann als solchem einseitig gelten, nämlich den §§ 347, 350. Eine dem HV im Vertrag zugesagte Vertragsstrafe könnte nicht herabgesetzt, eine dem Handelsvertreter gegenüber übernommene Bürgschaft (etwa für die Erfüllung des Ausgleichsanspruchs durch den in Aussicht genommenen Nachfolger im Vertreterverhältnis) könnte formlos übernommen werden und würde keine Einrede der Vorausklage begründen – alles dies, auch wenn der Unternehmer Nichtkaufmann ist. Unternehmer können beispielhaft sein: 53 – Angestellte 292; – Freiberufler, auch Schriftsteller, ausübende Künstler 293: – Genossenschaften 294; – Immobilienmakler 295; – Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts, sofern sie im Rechtsverkehr in den Formen des Privatrechts auftreten und gerade in dieser Form ihre Aufgabe erfüllen 296 – Juristische Personen 297; – Künstler 298; 292 293

294 295 296

Küstner/Thume I, Rn 14. Hopt § 84 Rn 27; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 63; aA Hirsch FS Tiburtius S. 402. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 66. BGH DB 1982, 590. BGH, Urt. v. 21.01.1965, BB 1965, 304; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 66; Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 13.

297 298

MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 64. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 63; Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 13; Martinek/Bergmann WRP 2006, 1047 ff; zu Unrecht zweifelnd OLG Hamburg, Urt. v. 28.10.2005 – 11 U 169/04, GRUR 2006, 788.

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§ 84 – – – – – – – – – –

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Land- und Forstwirte 299; Lottounternehmen 300; Tanzlehranstalten 301; die Deutsche Post AG 302; Öffentliche Unternehmen 303; Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit 304; Verbände und Vereine 305; verbundene Unternehmen; Vertragshändler oder Vertriebsmittler jeder Art; Wettbewerber, selbst wenn die Aufnahme der Waren nur der Sortimentsabrundung dient 306.

54

2. Vermittlung und Abschluss von Geschäften. HV ist nur, wer Geschäfte für den Unternehmer vermittelt oder in dessen Namen und auf dessen Rechnung abschließt. Dieses Merkmal grenzt zum Vertragshändler, Franchisenehmer und Kommissionär 307, aber auch zum bloßen Propagandisten oder sonstigen „Geschäftsbesorgern“ ab. Denn Vertragshändler und Franchisenehmer 308 kontrahieren, anders als der HV, im eigenen Namen und auf eigene Rechnung, der Kommissionär zwar im eigenen Namen, aber auf fremde Rechnung (§ 383). Ist der Kommissionär vertraglich ständig mit solchen Abschlüssen betraut, wird er zum Kommissionsagenten. Der Kommissionsagent verhält sich also zum Kommissionär wie der HV zum Handelsmakler 309. Die § 84 ff finden auf seine Rechtsverhältnisse analoge Anwendung, soweit die §§ 383 ff nicht entgegenstehen310. Ebenso ist die Analogie zum HV-Recht auch im Franchise-311 und Vertragshändlerrecht (hierzu Vor § 84) anerkannt, was besonders beim Ausgleichsrecht, aber auch bei der Anwendung der Kündigungsvorschriften praktisch wird. Dagegen ist die Unterscheidung zwischen Vermittlungs- und Abschlussvertretern für die Frage, ob ein Handelsvertretervertrag vorliegt, unerheblich. Sie betrifft – anders als die Natur des Vertrages mit dem Unternehmer – allein den Inhalt der Vertragspflichten und der Bevollmächtigung, nicht die Frage, ob überhaupt ein HV-Vertrag vorliegt 312.

55

a) Vermittlungsvertreter. Eine Vermittlungstätigkeit liegt vor, wenn der HV verpflichtet ist, den Abschluss von Geschäften für den Unternehmer zu fördern, d.h. Geschäftsabschlüsse mit einem Dritten (auch HV und Kunde dürfen also nicht identisch sein) 313 299 300

301 302

303 304

305 306

Hopt § 84 Rn 27. BGH BB 1975, 1409; BGHZ 43, 108; 99, 87; Küstner/Thume I, Rn 13; Schlegelberger/ Schröder § 84 Rn 13. LG Göttingen MDR 1956, 302. BGH WM 2001, 274 (275); OLG Koblenz, Urt. v. 30.01.2006 – 10 U 127/01, WM 2006, 1452; aA LG Dortmund, Urt. v. 14.12.2006 – 16 O 92/05, NJOZ 2007, 1485. Hopt § 84 Rn 27. Lohmüller/Beustien/Josten § 84 Anm. 5; Bruck/Möller Vorbem. 173 Vor § 43 bis 48 VVG; Küstner/Thume I Rn 13. Küstner/Thume I, Rn 13; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 64. AA Küstner/Thume I, Rn 15, mit der Begründung, es fehle an einer Tätigkeit „für einen anderen Unternehmer“; vielmehr wür-

264

307 308 309 310 311

312

313

den nur eigene Interessen verfolgt (aber dies ist beim klassischen Vertreter nicht anders). Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 20. Zu ihm: MünchKommHGB/v. HoyningenHuene Vor § 84 Rn 17 ff. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene Vor § 84 Rn 9 f. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene Vor § 84 Rn 12. Martinek Moderne Vertragstypen II, S. 105 ff; Mathießen ZIP 1988, 1089 (1094 ff); MünchKommHGB/v. HoyningenHuene Vor § 84 Rn 21. Allerdings ist dies sehr wohl auch eine Frage des Innenverhältnisses zum Unternehmer, zweifelhaft daher K. Schmidt Handelsrecht, § 27 I 2c. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 6. Auch bei Abhängigkeit oder

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vorbereitet, ermöglicht oder herbeiführt314. Dabei muss zum Zwecke des Geschäftsabschlusses auf einen Dritten, potentiellen Kunden oder Geschäftsherrn, gerichtet auf die Erteilung des konkret ins Auge gefassten und den Gegenstand der Vermittlungsbemühungen bildenden Auftrags eingewirkt werden („Zielgerichtetheit“ oder „Finalität“ der Mitwirkungshandlung). Erforderlich ist also das Bestehen eines „Drei-Personen-Verhältnisses“315. Der Begriff der „Vermittlung“ ist im Rahmen des § 84 autonom auszulegen und es bleibt – solange der geschlossene Vertrag jedenfalls zur Vermittlung oder Abschluss als Hauptleistung verpflichtet – irrelevant, welchen Umfang die geschuldete Vermittlungsleistung einnimmt oder „wieviel“ der Vertreter vermitteln oder abschließen muss, damit er in concreto seinen Vertragspflichten nachkommt oder seine Provision verdient. Dies wird nicht immer sauber voneinander geschieden. Für die Statusfrage gilt: „Vermittlung“ ist wirtschaftlich zu verstehen 316, und zwar erneut zum Schutze des HV weit. Erforderlich ist nur, dass der Vertreter verpflichtet ist, den Geschäftsabschluss durch Einwirkung auf die Willensentscheidung des Kunden in irgendeiner Weise zu fördern 317. Ob der Vertreter dieser Pflicht nachkommt oder nicht, bleibt für die Einordnung des Vertragsverhältnisses als Vertretervertrag irrelevant. Er schuldet lediglich Vermittlungsbemühungen, keinen Vermittlungserfolg 318. Wäre man anderer Ansicht könnte der Mittler durch Untätigkeit über seinen Status richten und sich dadurch auch der Vermittlungspflicht entledigen. Deshalb ist es auch irrelevant, wie beschwerlich die Tätigkeit des HV ist. Anderer Ansicht war aber das LG Dortmund: Die Postagenturen der Deutschen Post AG sollen keine HV sein 319, weil sich die Produkte – Postdienstleistungen – quasi „von selbst“ verkaufen. Auch die Tatsache, dass der Mittler bei der Geschäftsvermittlung nur mitursächlich320 werden muss, schließt seine Einordnung als Vertreter nicht aus. Mitursächlichkeit bei der Vermittlung ist auch ausreichend, um dem HV einen Provisionsanspruch zu sichern. Jedoch erfüllt der HV seine Vertragspflichten mangelhaft, sollte er sich darauf beschränken, „Mitursächlichkeit“ für den Geschäftserfolg anzustreben. Er schuldet vollen Einsatz. Dies ist allerdings kein Thema der Statusfrage. Gleichfalls ist es ist für den Vertreterstatus unerheblich, ob erst eine letzte Handlung des Unternehmers zum Vertragsschluss führen soll 321. Die Rechtsprechung zur Annahmestelle für Toto und Zahlenlotto 322, „schon das Offenhalten der Annahmestelle übe einen Anreiz aus, Wetten abzuschließen und fördere das Zustandekommen von Wettverträgen dadurch, dass Gelegenheit geboten werde, Lottoanträge zwecks Weiterleitung an den Lottounternehmer und Abschluss der Wettverträge einzureichen“ streift auf der Basis dieser Dogmatik die Untergrenze wirklicher Vermittlungstätigkeit; die Zeichnungsstellen bei der Auflegung von Anleihen und der Ausgabe von Aktien sollen deshalb nicht Handelsvertreter sein 323.

314 315 316 317 318 319

Konzernierung des Kunden kann jedoch eine Vermittlung vorliegen, ein „Durchgriff“ zu Lasten des Vertreters ist regelmäßig abzulehnen. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 55. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 66. Küstner/Thume I, Rn 16; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 36. Hopt § 84 Rn 22; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 56. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 67. LG Dortmund, Urt. v. 14.12.2006 –

320

321 322 323

16 O 92/05, NJOZ 2007, 1485. Hinsichtlich der werbenden Bemühungen der Postagenturen dürfte zukünftig auch der entstehende Wettbewerb eine Rolle spielen, zudem der Wettbewerb zu anderen Kommunikationsformen wie E-Mail, Fax etc. BGH, Urt. v. 05.04.2006 – VIII ZR 384/04, BB 2006, 1301; BAG BB 1971, 492; BGH NJW 1980, 1793; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 36; Hopt § 84 Rn 22. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 55. BGHZ 43, 108 (113); einschließlich der Bezirksstellen BGHZ 7, 59 (87). Voraufl., § 84 Rn 22.

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Da andererseits eine mittelbare oder unmittelbare Einwirkung auf den Kunden, dass dieser das Geschäft mit dem Unternehmer abschließt324, gefordert sein soll, entspricht es überwiegender Ansicht, der bloße Nachweis von Geschäftsmöglichkeiten gegenüber dem Unternehmer genüge nicht, damit ein HV-Vertrag vorliegt325. Obwohl man dem Terminus „vermitteln“ möglicherweise ein gewisses „Hin- und Her“ („Pendeln“ bei mehrmaligem Kontakt) zwischen den Vertragsparteien und dem Parallelbild des Abschlussvertreters ebenfalls einen direkten Kontakt zum Kunden entnehmen darf, ist eine unmittelbare oder mittelbare Einwirkung auf den Kunden durch den Wortlaut des Gesetzes nicht geboten und ein solches Erfordernis für die Statusfrage wäre auch nicht sachgerecht. Vermittelt ist das Geschäft auch ohne eine solche Einwirkung. Es reicht, dass z.B. durch die Nennung von Kaufinteressenten unmittelbar auf den Unternehmer eingewirkt wird, konkrete Geschäfte zu zeichnen. Ohne Nennung der Geschäftsadressen wäre der Vertrag nicht zustandegekommen. Der HV ist hier Einkaufsvertreter. Nicht erforderlich ist die Einwirkung gerade auf den Kunden oder zwingend auf beide Vertragspartner. Vielmehr erfüllt es die Anforderungen, wenn auf einen der potentiellen Vertragspartner, Vertreter oder Kunden, zum Zwecke des Vertragsschlusses eingewirkt wird. Da der Begriff der Vermittlung wirtschaftlich und weit zu verstehen ist und die übrigen Tatbestandsmerkmale einer Vertretertätigkeit vorliegen, ist der Mittler Handelsvertreter. So hat der BGH wiederholt die Ansprüche an die Einwirkungshandlung herabgesetzt und, wie skizziert, sowohl bei Lotto- wie bei Tankstellenvertretern angenommen, bereits das Offenhalten der Verkaufsstelle genüge als vermittelnde Tätigkeit326. Eine konkrete Einwirkung auf den Kunden fehlt hier, sie beschränkt sich auf die „Sogwirkung der Verkaufsstätte“. Auch die Rechtsfolge der hM wäre kaum wünschenswert: Fehlt nämlich das vermittelnde Element, bliebe der hiervon betroffene Vertrag ein bloßer Geschäftsbesorgungsvertrag ohne die speziellen und schützenden Normen des Vertreterrechts. Die erforderliche Einwirkung auf einen der potentiellen Vertragspartner setzt auch nicht voraus, dass sie tatsächlich für den Kauf kausal wird. Auch wenn der Mittler auf bereits zum Kauf Entschlossene einwirkt, liegt eine Vermittlung vor 327. Obgleich Umfang oder Schwierigkeit der Vermittlung nicht statusbegründend wirkt, 57 Mitursächlichkeit bei der Vermittlung vielmehr ausreicht 328 (auch wenn die Vermittlung leicht ist, bleibt der Mittler HV) 329 und dabei eine wirtschaftliche Betrachtungsweise geboten ist 330, begründen bloße Hilfsdienste außerhalb des Leitbilds der Vermittlung oder des Abschlusses keinen Vertretervertrag 331. Die reine Werbung ist deshalb ebenso wenig ausreichend 332 wie Kontaktpflege oder Betreuung. Hierdurch werden keine konkreten Geschäfte vermittelt, sondern lediglich Kaufanreize geschaffen 333. Sonst wäre jede Werbeagentur HV. Es fehlt an der konkreten Einwirkung auf einen der vorgesehenen Vertragspartner. Zwar zählt Werbung u.U. zu den Pflichten eines HV. Sie ist aber nicht kennzeichnend oder bestimmend für diesen Vertragstyp 334. In der Sache handelt es sich 324

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Westphal Vertriebsrecht I, Rn 56 f; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 36; Hopt § 84 Rn 22; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 55; Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 18a. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 57; Ebenroth/ Löwisch § 84 Rn 36; Hopt § 84 Rn 23; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 57; Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 18a. BGHZ 7, 59 (87); 43, 108 (113). Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 18a.

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328 329 330 331 332 333 334

Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 26. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 59. BGHZ 59, 87 (92); Westphal Vertriebsrecht I, Rn 11. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 36. Hopt § 84 Rn 23; Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 16a. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 58. BGH NJW 1983, 42; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 58.

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um eine teleologische Reduktion des insoweit zu weiten Wortlauts unter dem Gesichtspunkt des Schutzzwecks der Norm. Die notwendige Abgrenzung bedarf möglicherweise noch einer vertieften Fallgruppenbildung. Nicht HV ist deshalb derjenige, dessen Tätigkeit der bloßen Weckung von Kaufanreizen im Allgemeinen zu dienen hat. Keine Vermittlungstätigkeit, mithin keine HV-Tätigkeit üben daher aus: – der Ärzte- oder Pharma-Propagandist 335, der sich nicht an die Apotheken oder deren Kunden, die Patienten, wendet, sondern an die Ärzte, die das empfohlene – apothekenpflichtige – Medikament verschreiben und damit zu dessen Umsatz beitragen sollen; – ferner der Industriepropagandist 336, der dazu bestellt ist, Kontakte zu eröffnen und die Erzeugnisse seines Auftraggebers „im Gespräch zu halten“, etwa bei Behörden, damit der Unternehmer bei Ausschreibungen zur Abgabe von Angeboten aufgefordert wird (anders deshalb der Fall BGH NJW 1980, 1179, wo echte Handelsvertretertätigkeit anerkannt wurde, falls der HV in einer konkreten Ausschreibung sich für das von ihm vertretene Unternehmen durch unmittelbare Fühlungnahme mit der ausschreibenden Stelle eingesetzt hatte, damit das Unternehmen zum Zuge kam). Es fehlt in diesen Fällen an der Förderung eines konkreten Kaufentschlusses, zudem kaufen die Beworbenen auf Grund dieser Tätigkeit keine Medikamente bei den Auftraggebern der Propagandisten. Vielmehr werden die Geschäfte in der Regel später zwischen den Besuchten und Dritten, etwa Patienten und Apotheken, geschlossen 337; – Erbringer von Hilfsdiensten, zum Beispiel von Schreib- und Übersetzungsarbeiten 338 (hier fehlt es an der Vermittlung als zielgerichteten Einwirkung auf Dritte); – reine Berater oder Betreuer (zum Beispiel Kapitalanlageberater ohne Vertragsvermittlung) oder bei der Abwicklung bereits geschlossener, wenn auch in ihrem Fortbestand möglicherweise gefährdeter Verträge Tätige 339. Grund: Auch hier mangelt es an der auf den Geschäftsabschluss zielenden Tätigkeit des Mittlers; – Einsatz zur Abwicklung bereits geschlossener, jedoch in ihrem Fortbestand gefährdeter Verträge 340. Solche Tätigkeiten werden auf der Basis eines Vertrages als freier Mitarbeiter (Ge- 58 schäftsbesorgungsvertrags gem. §§ 675, 611 BGB) erbracht 341. Die §§ 84 ff sind nicht anzuwenden. Da Mitursächlichkeit ausreicht, um HV-Tätigkeit herbeizuführen, braucht der Mittler 59 nicht persönlich tätig zu werden. Es ist ausreichend, wenn der ein Vertriebssystem aufbauende oder führende Vertriebs- oder Strukturleiter über sogenannte „unechte“ Untervertreter kraft Weisungsbefugnis als „mittelbarer Täter“ vermittelt 342. Jedoch ist gerade beim Strukturvertrieb (Rn 92) die Grenze zum leitenden Angestellten fließend. Auch ist 335 336 337

338

LG Dortmund DB 1971, 524; aA Neflin S. 833. LG Bielefeld BB 1975, 7: „Behördenbüro“. Küstner/Thume I, Rn 80 ff; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 59; BGH NJW 1984, 2695; LG Dortmund DB 1971, 524; Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 16a; Küstner ZIP 1988, 63; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 84 Rn 58; aA Neflin RVR 70, 323 (327). BGH WM 1982, 1222 (1224); OLG Düsseldorf DB 1991, 1664 = EWiR 1991, 479; OLG Stuttgart BB 1959, 537; OLG Köln DB 1971, 327; LAG BW, DB 1971, 1016;

339 340

341 342

LG Bielefeld BB 1975, 7; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 84 Rn 19, 20; Hopt § 84 Rn 23; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 36. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 36. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 36; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 84 Rn 22; Hopt § 84 Rn 26. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 69. BGHZ 56, 290 (293); 59, 87 (93); K. Schmidt Handelsrecht, § 27 I 2d; Emde MDR 1999, 1108 (1109); Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 36; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 56.

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es möglich, dass sich die Aufgabenstellung schleichend von der Vermittlungstätigkeit zu der eines leitenden Angestellten verschiebt 343. Problematisch ist hier die Wirkung auf den Ausgleichsanspruch. Die Anzahl der neugeworbenen oder erweiterten Stammkunden wird im Laufe des Wechsels stetig reduziert. Zudem ist der Ausgleich spätestens ein Jahr nach Abschluss der „Umwandlung“ des Rechtsverhältnisses, deren Zeitpunkt sich kaum je exakt nachweisen lassen wird, anzumelden. Im Sinne einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise ist regelmäßig Großzügigkeit angebracht und die Vermittlungstätigkeit durch unechte Untervertreter zuzurechnen, soweit dies möglich ist.

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b) Abschlussvertreter. Neben der Vermittlung kann der HV mit dem Abschluss von Verträgen beauftragt sein, ob zusätzlich zur oder anstelle der Vermittlung ist Auslegungsfrage. Faktisch ist der Abschluss ohne vorherige Vermittlung kaum vorstellbar, jedoch denkbar, falls die Kunden auf den HV zugehen, etwa bei starker Sogwirkung der Marke. Die Abschlussvollmacht muss deutlich zum Ausdruck gebracht werden, da andernfalls nur eine Vermittlungsvertretung vereinbart ist 344. Die Betrauung mit der Tätigkeit als Abschlussvertreter ist gewollt, wenn der Vertreter im Namen des Unternehmers Angebot und Annahme des Vertrages gegenüber dem Kunden erklären darf 345. Es besteht keine Vermutung, dass ein Vertreter Abschlussvertreter ist 346, zumal der Vermittlungs- häufiger als der Abschlussvertreter anzutreffen ist. Voraussetzung für die Tätigkeit als Abschlussvertreter ist eine entsprechende Vollmacht, die auch konkludent erteilt werden kann. Regelmäßig liegt die Bevollmächtigung bereits in der Bestellung zum Abschlussvertreter (§ 167 Abs. 1 1. Alt. BGB) 347. Die Abschlussvollmacht des HV kann auf einzelne Geschäfte oder so beschränkt werden, dass die Wirksamkeit des abzuschließenden Vertrags von der Genehmigung des Unternehmers gegenüber dem Kunden abhängig gemacht wird 348. Behält sich der Unternehmer die Vertragsannahme vor, wird der Mittler nicht zum Abschlussvertreter 349. Duldet der Unternehmer das Auftreten eines Vermittlungsvertreters als Abschlussvertreter oder setzt er zurechenbar den Anschein seiner Bestellung zum Abschlussvertreter, mag eine Anscheins- oder Duldungsvollmacht vorliegen 350. Ebenso kann durch stillschweigende einverständliche Handhabung der Vertrag von einem Vermittlungs- in einen Abschlussvertrag gewandelt werden 351. Ob der Abschlussvertreter zum Abschluss verpflichtet oder nur neben der Vermittlung berechtigt ist, bleibt eine Frage der Vertragsauslegung und der jeweiligen Geschäftschance. Zwar muss der Vertreter günstige Geschäftsgelegenheiten wahrnehmen, jedoch nicht zwingend vermöge eines Abschlusses im fremden Namen. Er kann sich darauf beschränken, dem Unternehmer das Geschäft zu vermitteln, muss ihn jedoch dann auf ein günstiges Geschäft hinweisen. Die bloße Berechtigung ohne Verpflichtung dürfte der zu vermutende Regelfall sein 352, ständige, den Unternehmer behindernde Rückfragen müssen aber unterbleiben. Zu Vertragsänderungen oder Inkasso ist der Abschlussvertreter nur bei entsprechender Vollmacht berechtigt und verpflichtet 353. Mit der Vermittlung ist der Abschlussvertreter a maiore ad minus neben dem Abschluss im Zweifel ebenfalls beauf343 344

345 346 347

Küstner/Thume I, Rn 18. Schlegelberger/Schröder Rn 27, 29, bedenklich LAG Hamm DB 1959, 236 („Hereinholen von Aufträgen“ als Auftrag zur Abschlussvertretung; siehe Ebenroth/ Löwisch § 84 Rn 39). Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 19. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 39; Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 27 und § 86 Rn 12. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 39.

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348

349 350 351 352 353

Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 39; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 84 Rn 21, § 86 Rn 8; Hopt Rn 24. Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 25. Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 25a. LAG Düsseldorf DB 1960, 813. AA Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 19. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 39; Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 21.

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tragt, sofern der Vertrag nicht ausnahmsweise deutlich die Tätigkeit auf den Abschluss begrenzt 354. Zum Begriff des Abschlussvertreters siehe auch Rn 120 sowie § 86 Rn 28 ff. c) Geschäfte. § 84 Abs. 1 spricht von der Vermittlung oder dem Abschluss von „Ge- 61 schäften“. Anders als für die EG-Richtlinie 1986, die nur den Warenhandelsvertreter erfasst 355, ist die Art der vermittelten oder abgeschlossenen Geschäfte im Rahmen der §§ 84 ff irrelevant 356. Die Vermittlungs- und Abschlusstätigkeit des HV kann sich folglich auf alle Arten von Geschäften beziehen 357, sogar sittenwidrige, wobei dann jedoch meist auch der HV-Vertrag sittenwidrig sein dürfte. Im Vordergrund des gesetzlichen Leitbilds steht gleichwohl der Warenumsatz. Ihm an die Seite stellt das Gesetz noch den Versicherungsvertreter und den Bausparkassenvertreter (§§ 92, 89b Abs. 5, 92a Abs. 2, 92b Abs. 4). Anders als beim Handelsmäkler (§ 93) brauchen die vertriebenen Produkte auch nicht „Gegenstände des Handelsverkehrs“ zu betreffen. Ferner fordern die §§ 84 ff keine bestimmten Kenntnisse des Handelsvertreters, etwa in Hinblick auf den Vertriebsgegenstand. Deshalb steht es einem HV-Vertrag nicht entgegen, wenn sich der Vertreter notwendige Fachkenntnisse erst mittels Schulung anzueignen hat 358. Die vom Vertriebsrecht erfassten Waren werden regelmäßig im Vertrag näher be- 62 schrieben 359. Die so bestimmte Palette kann konkludent erweitert werden 360. Im Zweifel darf und muss der HV das gesamte Lieferprogramm des Unternehmens vertreiben 361. Neue Artikel werden im Regelfall ohne besondere Abrede Vertriebsgegenstand 362, selbst wenn sie sich an andere Kunden wenden, als sie der HV bisher bearbeitete 363. Etwas anderes gilt möglicherweise hinsichtlich für den Mittler branchenfremder Artikel oder solcher, welche er bereits in zulässiger Weise für andere Unternehmen vertreibt 364. Beispielhaft kommt die Vermittlung folgender Leistungen in Betracht 365: 63 366 – Adressbucheinträge ; – Anlagen- und Kredite 367; 354

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Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 39; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 8; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 27; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 7. Vgl. BGH, Urt. v. 18.10.1995 – VIII ZR 149/94, BGHR HGB § 84 – Handelsvertreterverhältnis 1. BGH WM 1982, 272 (273); Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 84 Rn 22; Hopt § 84 Rn 26; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 61 bis 64; Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 31. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 61; Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 31. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 24; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer Rn 36. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 40; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 22; Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 32. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 40; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 9. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 40; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 9:

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MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 24. Westphal Vertriebsrecht II, Rn 370; Stumpf/ Jaletzke/Schultze Rn 190 ff (für den Vertragshändlervertrag); Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 40; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 9, § 87 Rn 9; Hopt § 86 Rn 12; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 86 Rn 24; Schröder § 86 Rn 5a. BGH, Urt. v. 17.02.1981 – I ZR 39/79 – DB 1981, 1772; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 24. Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 9; Hopt § 86 Rn 12; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 24; Schröder § 86 Rn 5a. Siehe auch die Übersichten bei Ebenroth/ Löwisch § 84 Rn 23; Hopt § 84 Rn 26. OLG Nürnberg NJW 1957, 1720; Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 31. BGH, Urt. v. 25.10.2007 – III 2R 100/06, VersR 2008, 352; Urt. v. 12.07.2007 – III 2R 83/06, VersR 2007, 1653 (1654); Urt. v. 14.11.1983 – II ZR 184/82, WM 1984, 127; Melcher BB 1981, 2101; Ebenroth/Löwisch

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Anzeigengeschäfte 368; Bauaufträge 369; Bauspar- 370 oder Versicherungsverträge 371 (§ 92); Befrachtung, Abfertigung oder Ausrüstung von Schiffen und Buchung von Schiffspassagen (siehe § 92c); Bilder eines Künstler-Repräsentanten 372; Dienste u.ä.373; Einkauf von Geschäften für den Unternehmer; insb. von Ware, Diensten, Mietverträgen (Einkaufsvertreter) 374; Eintrittskarten 375; Filmverleihverträge; Gesellschaftsanteile 376; Immobilien 377; Kabelanschlüsse 378; Kfz (50 % der Mercedes-Benz-Händler sind HV); Ladegut 379; Lotto/Totto-Geschäfte 380; Mietverträge 381; Mineralöl (Tankstellenpächter) 382; Partnerschaften/Ehen 383; Patentlizenzverträge; § 84 Rn 23; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 59; Schlegelberger/ Schröder § 84 Rn 31. Schröder DB 1970, 1625; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 11; Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 31. BGH, Urt. v. 20.02.1986 – I ZR 105/84, NJW-RR 1986, 709 (710). MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 10. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 9. Martinek/Bergmann WRP 2006, 1047 ff; aA OLG Hamburg, Urt. v. 28.10.2005 – 11 U 169/04, NJOZ 2006, 1543. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 61. OLG Hamburg VW 1967, 788 (914, 1014); Westphal Vertriebsrecht I, Rn 61; Ebenroth/ Löwisch § 84 Rn 23; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89b Rn 7; Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 31. BGH NJW-RR 1986, 709; Ebenroth/ Löwisch § 84 Rn 23. BFH, Urt. v. 20.7.2007 – V R 62/06, ZIP 2008, 503 = DB 2008, 620. BGH BB 1982, 1876; BAG, Urt. v. 22.01. 1971 – 3 AZR 42/70, BB 1971, 492; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 59. BAG, Urt. v. 29.10.1997 – 5 AZR 624/96, BB 1997, 2376.

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BGH NJW-RR 1986, 709 (710); OLG Hamm BB 1968, 1017. BGHZ 43, 108 (112); 59, 87; BGH, Urt. v. 04.06.1975 – I ZR 130/73, BB 1975, 1409 (1410); Küstner ZIP 1988, 63; Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 31; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 59. BGH, Urt. v. 26.05.1999 – VIII ZR 123/98, ZIP 1999, 1307; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 23; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 84 Rn 61. BGH, Urt. v. 15.10.1964 – VII ZR 150/62, BGHZ 42, 244 (245) = NJW 1965, 248; BGH, Urt. v. 09.06.1969 – VII ZR 49/67, BGHZ 52, 171 (174) = NJW 1969, 1662; BGH, Urt. v. 15.12.1967 – KZR 6/66, MDR 1968, 386; BGH BB 1972, 938; BGH, Urt. v. 20.02.1981 – I ZR 59/79, NJW 1981, 1961; BGH, Urt. v. 29.11.1984 – I ZR 149/ 82, BB 1985, 353; BGH NJW-RR 1993, 1122; OLG Celle BB 1959, 898; LG Hamburg, NJW 1963, 1550 m. Anm. Würdinger Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 31; Ebenroth S. 26; Lange DAR 1958, 8; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 59. LG Hamm NJW-RR 1990, 567; Ebenroth/ Löwisch § 84 Rn 23.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

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Regaldienst- oder Regalpflegetätigkeit in Kaufhäusern 384; Reedereigeschäfte 385; Reisen (Reisebüros) 386; Sammelbestellungen für Versandhäuser 387; Verkaufsgeschäfte jeder Art, insb. alle Gegenstände des Rechtsverkehrs; Zeitschriften 388.

III. Ständige Betrauung 64

Letztes Tatbestandsmerkmal des § 84 Abs. 1 ist die „ständige Betrauung“.

1. Betrauung. Was „Betrauung“ ist, erklärt das Gesetz nicht. Das Merkmal ist 65 farblos 389, zugleich aber sprachliche Überleitung zur Verpflichtung des HV, sich um Aufträge zu bemühen 390. Der Gesetzgeber wählte den Terminus, um der Beurteilung der Rechtsnatur des Vertragsverhältnisses nicht vorzugreifen 391. Jene ist heute als gegenseitiges, durch Treupflichten begleitetes Dauerschuldverhältnis mit dienstvertraglichen und geschäftsbesorgenden Elementen geklärt 392, so dass dem Wort nur zu entnehmen ist, dass der Mittler dem Unternehmer gegenüber im Wege eines echten „Kooperationsverhältnisses“ mit dessen Wissen und Wollen vertraglich verpflichtet 393 sein muss. Der HV muss im Lager des Unternehmers stehen und dessen Belange wahren, nicht diejenigen des Kunden, zu dem er – außer im Sonderfall eines meist ungewollten Auskunftsvertrages – nicht in rechtliche Beziehungen tritt 394. Eine Tätigkeit als Nebenpflicht eines anderen Vertragsverhältnisses 395 genügt ebenso wenig wie das Tätigwerden aufgrund einer außervertragliche Pflicht, etwa aufgrund familienrechtlicher Bindungen der §§ 1356 Abs. 2, 1360, 1618a BGB 396 oder eines Gesellschaftsvertrages. Deshalb ist beispielsweise der Gesellschafter einer oHG/KG, der sich nach der internen Aufgabenverteilung um die Vermittlung von Aufträgen für das Gesellschaftsunternehmen zu bemühen hat nicht HV. Vielleicht 384 385 386

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Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 23. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 23; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 89b Rn 7. BGH, Urt. v. 21.12.1973 – IV ZR 158/72, BGHZ 62, 71, 73 = NJW 1974, 852; BGH, Urt. v. 19.11.1981 – VII ZR 238/80, BGHZ 82, 219, 221= NJW 1982, 377; BGH, Urt. v. 22.10.1987 – VII ZR 5/87, BGHZ 102, 80, 83 = NJW 1988, 488; BGH, Urt. v. 28.03.1974 – VII ZR 18/73, NJW 1974, 1242; BGH, Urt. v. 31.03.1982 – I ZR 60/80, WM 1982, 1152 (1153); Ebenroth/ Löwisch § 84 Rn 23; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 59. OLG Düsseldorf OLGR 1994, 281; OLG Hamm BB 1978, 1686; Fröhler NJW 1963, 279; Müller NJW 1963, 895. BGH, Urt. v. 16.12.1998 – VIII ZR 381/97, NJW-RR 1999, 539; vgl. aber BGH, Urt. v. 06.11.1967 – VIII ZR 175/65, BB 1968, 61; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 23. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 53.

390 391 392 393 394

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BGH NJW 1972, 251 [L]; OLG Bamberg BB 1965, 1167. Begr. RegE, BT-Drucks. 1/3856, S. 15. Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 10b. Eberstein A II 1. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 32; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 12; Hopt § 86 Rn 20; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 1, 32. Etwa im Rahmen eines Geschäftsführervertrages einer juristischen Person oder in Wahrung der gesellschaftsrechtlichen Treupflicht. Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 10; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 67: Allerdings kann auch zwischen Angehörigen ein Vertretervertrag geschlossen werden, wenn eine über die Unterstützungspflicht hinausgehende vertragliche Bindung gewollt ist.

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schwingt dem Merkmal auch, möglicherweise vom Gesetzgeber unbeabsichtigt, das Element des gegenseitigen Vertrauens mit, welches für das HV-Verhältnis wesensbestimmend ist. Nicht so sehr, dass es sich um Dienste höherer Art handelt, die auf Grund besonderen Vertrauens übertragen zu werden pflegen (§ 627 Abs. 1 BGB), wohl aber um ein Interessenwahrnehmungsverhältnis, das nicht ohne einen Vorschuss von Vertrauen in die Loyalität des HV und in die auf seine Belange rücksichtnehmende Haltung des Unternehmers denkbar ist. Ob die allgemeine Interessenwahrungspflicht des § 86 Abs. 1 Hs. 2 über das Wort „Betrauung“ TB-Voraussetzung des HV-Vertrages ist, erscheint zweifelhaft 397. Sie ist Rechtsfolge und nicht eine in § 84 definierte TB-Voraussetzung. Der HV-Vertrag ist jedoch ein auf enge Zusammenarbeit ausgerichtetes Dauerschuld66 verhältnis mit Geschäftsbesorgungselementen. Deshalb unterliegen beide Parteien besonderen Treu- und Rücksichtnahmepflichten gegenüber dem Vertragspartner, die sich auf Seiten des HV gegenüber dem Unternehmer zu einer Interessenwahrnehmungspflicht verdichten. Aber auch der Unternehmer unterliegt Treubindungen, die umso enger sind, je weiter er den HV in sein Vertriebssystem eingebunden und andere Verdienstmöglichkeiten des HV unterbunden hat. Deshalb sind die Treubindungen des Unternehmers gegenüber dem Einfirmenvertreter besonders tief, ebenso die Treubindung eines Unternehmers, der seinen HV zu außergewöhnlichen Investitionen veranlasst. Hier können sich die Treubindungen unter dem Gesichtspunkt des Investitionsschutzes nach Wahl des HV zu einem Kündigungsverbot oder einem Schadensersatzanspruch erhöhen, sofern die Investitionen noch nicht amortisiert sind 398. Immer hat also der Unternehmer bei seinem Handeln auch die Interessen des HV zu berücksichtigen, was über das bloße Schikaneverbot (§ 226 BGB) hinausgehend ein Rücksichtnahmegebot wie ein Verbot der Ausübung bestimmter, dem Unternehmer formal zustehender Rechte zur Folge haben kann (§ 86a Rn 28 ff). Dagegen unterliegen die Parteien eines HV-Vertrages keinen Gleichbehandlungspflichten 399. Beide Parteien dürfen daher individuelle Verträge mit verschiedenen Vertragspartnern zeichnen, etwa der Unternehmer mit unterschiedlichen Vertriebsmittlern seines Vertriebsnetzes 400. Jedoch kann sich der Unternehmer durch jahrelange Gleichbehandlung gegenüber allen HV gebunden haben, hiervon nicht ohne sachlichen Grund abzuweichen 401. Wenn man hier keine vertragliche Einigung annimmt, ergibt sich dies zumindest aus § 242 BGB.

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2. Ständig. „Ständig“ meint, der HV müsse verpflichtet 402 sein, sich während der Vertragslaufzeit laufend um die Vermittlung oder den Abschluss zu bemühen. Es muss ein Dauerschuldverhältnis gewollt sein 403, wobei die tatsächliche Dauer des Vertrages irrelevant bleibt 404, mithin ein solcher von kurzer oder kurz befristeter Dauer ausreichend ist. Kennzeichnend ist damit eine auf Dauer vorgesehene beidseitige Bindung mit dem Ziel einer selbständig ausgeübten Vermittlungs- oder Abschlusstätigkeit. „Ständig“ bedeutet also nicht „auf immer“, „auf unbestimmte Zeit“ 405 oder ständige, ununterbrochene Betätigung, etwa Tag und Nacht 406. Auch wird nicht vorausgesetzt, dass dem Unterneh397 398

399 400

Martinek/Bergmann WRP 2006, 1047 (1052). Hierzu S. Creutzig Der Investitionsschutz des Vertragshändlers bei ordentlicher Kündigung des Herstellers, Diss. iur. Hamburg 2001, passim. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 73. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 73.

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401 402 403 404 405 406

BGH BB 1971, 584; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 73. Küstner/Thume I, Rn 6. Hopt § 84 Rn 43; Martinek/Wank § 7 Rn 57. BGH NJW-RR 1990, 354 (355). Küstner/Thume I, Rn 6; BGH BB 1992, 2178; BGH DB 1984, 2298. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 34.

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mer das durch den HV abzusetzende Produkt in unbeschränkter Zahl zur Verfügung steht 407. Ein einzelner 408 oder eine Kette von Einzelaufträgen ohne die Sicherheit ihrer Fortsetzung genügt nicht 409. Der Vertretervertrag kann deshalb auch nur für eine von vornherein bestimmte kurze Dauer, etwa eine Saison, Kampagne, Probezeit, Messe oder Ausstellung begründet werden, saisonbedingte Unterbrechungen der Tätigkeit mit sich bringen oder sogar unmittelbar nach Vertragsschluss innerhalb der Fristen des § 89 gekündigt werden 410. Entscheidend ist, dass der HV in dieser u.U. kurzen Zeit verpflichtet ist, seinen Vermittlungsbemühungen laufend nachzukommen, und zwar in Hinblick auf eine unbestimmte Vielzahl von Geschäften 411. Eine HV-Tätigkeit fehlt, wenn es im Belieben des Mittlers steht, ob er tätig werden will 412. Die Betrauung mit einer von vornherein zahlenmäßig begrenzten Anzahl 413 von Geschäften, oder gar nur einzelner414 erfüllt das Tatbestandsmerkmal nicht, auch wenn deren Vermittlung erhebliche Zeit in Anspruch nehmen sollte 415 (der Mittler ist dann Makler). Folglich ist ein sogenannter Gelegenheitsvermittler, der vertragsgemäß für einen Unternehmer nur bei Gelegenheit vermittelt oder Bedarfsfälle nennt, kein Handelsvertreter 416. Unerheblich bleibt, ob die ständige Vermittlung gelingt oder ein Fehlschlagen durch begrenzte Lieferungen des Unternehmers verursacht wird 417. Auch hier kann der Unternehmer durch Eingriffe in den Vertrag nicht im Nachhinein dessen Rechtsnatur determinieren (§§ 162, 242 BGB). Die tatsächliche Dauer des Vertretervertrages ist also unerheblich, solange der Vertrag auf die Vermittlung oder den Abschluss einer unbestimmten Vielzahl von Geschäften gerichtet bleibt. Entscheidend ist die Intention. Die Aufgabe dieser Intention mag als (konkludente) Vertragsänderung zu werten sein. Ebenso bleibt die Intensität der Tätigkeit für die Einordnung als HV irrelevant. Sie richtet sich nach dem Vertrag 418 sowie den Umständen des Einzelfalls 419. Die „ständige Betrauung“ grenzt zum Handelsmakler (§ 93) ab 420, der, ohne auf 68 Grund eines Vertragsverhältnisses ständig betraut zu sein, für andere „von Fall zu Fall“ 421 vermittelt 422. Ist der Vermittler also nicht HV, so kann er entweder Makler (Handelsmakler gemäß §§ 93 ff), Zivilmakler gemäß §§ 652 ff BGB oder theoretisch (partiarischer) Geschäftsbesorger im Sinne der §§ 675, 611 BGB sein 423. Aufgrund dieser Auswahl kann man nicht generell von einer Auffangfunktion des Maklerrechts 407 408 409

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412 413 414 415 416 417

Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 34. Eberstein Der Handelsvertreter-Vertrag, S. 43. Martinek/Bergmann WRP 2006, 1047 (1052); Staudinger/Reuter (2003), Vorbemerkung 21 zu § 652 ff. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 90; Ebenroth/ Löwisch § 84 Rn 34; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 54; Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 11a. OLG Nürnberg BB 1959, 318; OLG Bamberg BB 1965, 1167; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 90; Hopt § 84 Rn 42; Schlegelberger/ Schröder § 84 Rn 11a. Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 10a. Ebenroth/Löwisch, § 84 Rn 34. OLG Bamberg BB 1965, 1167; Küstner/ Thume I, Rn 6. Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 11. Küstner/Thume I, Rn 7. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 34.

418 419

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421 422

423

Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 33; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 15a. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 33; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 10; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 25. OLG Stuttgart BB 1959, 537; Küstner/ Thume I, Rn 91; K. Schmidt Handelsrecht, § 27 I 2d; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene Vor § 84 Rn 7. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene Vor § 84 Rn 7. Der Handelsmakler schließt dagegen keine Verträge in eigenem oder fremden Namen, vgl. MünchKommHGB/v. HoyningenHuene Vor § 84 Rn 6. BGH LM HGB § 84 Nr. 6, Urt. v. 18.11. 1971 – VII ZR 102/70; OLG Hamburg, Urt. v. 28.10.2005 – 11 U 169/04, GRUR 2006, 788; Martinek/Bergmann WRP 2006, 1047 (1051).

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sprechen 424. Zwischenformen zwischen Handelsvertreter und Makler sind hingegen schwer vorstellbar 425. Der Unterschied zwischen HV und Makler besteht darin, dass der HV vertraglich zu 69 ständigem Tätigwerden hinsichtlich einer unbestimmten Vielzahl von Geschäften verpflichtet ist 426, während der Makler trotz u.U. langjähriger Tätigkeit ständig tätig werden „darf“, aber nicht „muss“ 427. Der Makler ist Augenblicksvermittler, während der HV in dauernder Pflichtenbeziehung zu seinem Geschäftsherrn steht 428. In Ausgleichsprozessen ist es häufig der Unternehmer, der die vertragliche Pflicht des Mittlers zur Maklerleistung „kleinreden“ will, um der Ausgleichsverpflichtung zu entgehen. Bei der Verjährungsfrage war das Maklerrecht seit 2002 bis zur Streichung des § 88 wegen der um ein Jahr kürzeren Verjährungsfrist für den in Anspruch genommenen günstiger, so dass er sich auf dessen Geltung zu berufen wünschte 429. Leitbild der Maklertätigkeit mag eher die Begrenzung auf ein Objekt sein, während es 70 mehr für einen Handelsvertretervertrag spricht, wenn ein Tätigwerden über einen langen Zeitraum intendiert ist 430. Ebenso spricht es eher für eine Maklertätigkeit, falls sich die Vermittlung auf bestimmte Waren oder Leistungen begrenzt, während der Handelsvertreter eine komplette Angebotspalette vertritt 431. Eine Weisungsgebundenheit deutet hingegen nicht notwendigerweise auf einen Handelsvertretervertrag hin 432. Ob der Mittler einen Wettbewerber des Unternehmers vertritt, ist für die Abgrenzung zwischen Makler und Handelsvertreter irrelevant 433. Eine Zwischenstellung zwischen beiden Vertragstypen nimmt der Maklerdienstvertrag 71 ein, der den Makler – insoweit gleich dem Handelsvertreter – zum Tätigwerden verpflichtet. Der Maklerdienstvertrag ist nichts anderes als ein spezieller Dienstvertrag, der eine Geschäftsbesorgung zum Gegenstand hat. Im Unterschied zum Handelsvertreter ist der Makler aber auch beim Maklerdienstvertrag nicht zum ständigen Tätigwerden in einer unbegrenzten Zahl von Fällen verpflichtet 434. Es geht auch hier in der Regel nur um die Vermittlung eines Objektes. Dem Vertragspartner fehlt die ständige Beziehung zu seinem Geschäftsherrn im Sinne einer ständigen Betrauung (§ 84 Abs. 1) und die andauernde Interessenwahrungspflicht (§ 86 Abs. 1 Alternative 2).

IV. Ungeschriebene Ausschlussmerkmale? 72

Weitere ungeschriebene Merkmale des HV-Vertrages, etwa Ausschlussmerkmale, gibt es nicht. Insbesondere sind nicht besondere Mittlergruppen von der HV-Tätigkeit ausgeschlossen. Das Gesetz ist abschließend. 424 425 426 427 428 429 430 431

Martinek/Bergmann WRP 2006, 1047 (1051). Anderer Ansicht OLG Stuttgart, Urt. v. 11.12.1958 – 2 U 124/58, BB 1959, 536. Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 10. Martinek/Bergmann WRP 2006, 1047 (1050). Martinek/Bergmann WRP 2006, 1047 (1051 mwN). BGH LM Nr. 6 zu § 84 HGB; K. Schmidt Handelsrecht, § 27 I 2d. Martinek/Bergmann WRP 2006, 1047 (1053). Martinek/Bergmann WRP 2006, 1047 (1053).

274

432 433

434

So aber BGH, Urt. v. 01.04.1992 – IV ZR 154/71, NRW 1992, 2818. Anders noch BGH, Urt. v. 18.11.1971 – VII ZR 102/70, LM HGB § 84 Nr. 6 das eine Konkurrenzvertretung noch als Indiz gegen das Vorliegen eines Handelsvertretervertrages ansah; relativierend BGH, Urt. v. 01.04.1992 – IV ZR 154/91, NJW 1992, 2818. Dehner NJW 1992, 2225 (2226); Möller Wesen und Arten der Vermittlungsverträge, FS Raape, 1948, 341 (343); Martinek/Bergmann, WRP 2006, 1047 (1051).

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§ 84

G. Vertragschluss, Vertragsbeginn und Vertragsinhalt Der HV muss aufgrund eines wirksamen Vertrages tätig werden, der die eben darge- 73 stellten Tatbestandsmerkmale erfüllt. Wer aus anderem Rechtsgrund tätig wird, etwa aufgrund familienrechtlicher, gesellschaftsrechtlicher oder arbeitsrechtlicher Verpflichtungen, ist nicht HV 435.

I. Abschluss des Handelsvertretervertrages Der HV-Vertrag ist gegenseitiger Vertrag i.S.d. §§ 320 ff BGB. Sein Abschluss setzt 74 gemäß §§ 311, 145 ff BGB übereinstimmende Willenserklärungen beider Vertragspartner, das Zustandekommen durch kaufmännisches Bestätigungschreiben 436 oder nach § 362 BGB 437 voraus. Wie § 85 dokumentiert, unterliegt der Vertrag keiner bestimmten Form 438 (näher 75 § 85 Rn 5 ff). Er kann daher sowohl mündlich 439, sogar durch konkludentes Verhalten 440 sowie in jeder anderen Form geschlossen werden 441. Jedoch dürfen die Parteien ein Formgebot vereinbaren. Typisch ist der stillschweigende Vertragsschluss durch tatsächliche Tätigkeitsaufnahme in beidseitigem Einverständnis 442, etwa mittels wiederholter Geschäftsvermittlung und wiederholtem Abschluss der vermittelten Verträge durch den Unternehmer 443 oder sogar erstmalige Annahme der Dienste des HV, mit der Maßgabe, dies auch künftig in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zu tun 444. In der Praxis ist der mündliche Vertragsschluss nicht selten, zumal angesichts des in den §§ 84 ff vorgegebenen „Vertragskorsetts“ auch im Falle eines mündlichen Vertragschlusses ein durch dispositives Recht vorgeformter Standardvertrag gilt. Typisch ist etwa folgender Sachverhalt: Vertreter und Unternehmer lernen sich auf einer Messe oder anlässlich eines kurzen Kontaktes kennen, nennenswerte Umsätze des Unternehmers im künftigen Vertriebsgebiet fehlen meist. Da zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses lediglich die Hoffnung auf künftige Geschäfte existiert, verzichten die Parteien angesichts der bis dato mangelnden wirtschaftlichen Bedeutung auf schriftliche Fixierung. Entwickelt sich das Geschäft, ändert sich an diesem Umstand nichts. Ein solcher Abschluss fordert allerdings, dass die Vertragspartner konkludent einen Vertrag schließen, der die oben genannten Tatbestandsmerkmale erfüllt. Insbesondere muss in Abgrenzung zum Maklervertrag eine „ständige“ Betrauung, d.h. ein auf die Vermittlung oder den Abschluss einer unbe-

435 436 437 438

439

440

Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 24. OLG Nürnberg BB 1957, 560; BGH DB 1955, 1085 (i.E. ablehn.); Hopt § 85 Rn 2. Hopt § 85 Rn 2. BGH NJW 1983, 1727 (1728); K. Schmidt Handelsrecht § 27 III 1; Martinek/Flohr § 8 Rn 102; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 85 Rn 7; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 85 Rn 1, 7; Schlegelberger/Schröder § 85 Rn 2. OLG Frankfurt/M. VW 1971, 117; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 69. BGH VersR 1961, 270; OLG Nürnberg

441

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443 444

VersR 1959, 801; Martinek/Flohr § 8 Rn 102 f; Röhricht/Graf v. Westphalen/ Küstner § 85 Rn 3; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 69. BGH NJW 1974, 852; VersR 1961, 270 (271); Küstner/Thume I, Rn 311; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 173. Martinek/Flohr § 8 Rn 103; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 69; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 85 Rn 3. Hopt § 85 Rn 2. BGHZ 62, 74; Hopt § 85 Rn 2.

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stimmten Vielzahl von Geschäften gerichteter Vertrag, gewollt sein 445. Dies braucht im schriftlichen Vertrag nicht ausdrücklich niedergelegt zu werden 446, muss jedoch erkennbar Wille beider Vertragspartner sein 447. Anhaltspunkt hierfür ist der übereinstimmende, wenn auch stillschweigende Wunsch nach „vertretertypischem“ Verhalten, etwa: Zuweisung eines Verkaufsbezirks, Einladung zu Vertreterversammlungen, regelmäßige Entgegennahme von Aufträgen, regelmäßige Zahlung von Provision und Übermittlung von Angeboten und Aufträgen 448. Nicht erforderlich ist, dass sich die Parteien (arg. § 154 Abs. 1 BGB: „im Zweifel“) 449 über Rechtsfolgen, etwa Provisionspflicht, Provisionshöhe und Ausgleich 450 oder einen Kaufpreis für die Vertretung 451 einigen. Derartige Lücken schließt das dispositive Recht. Zwar wird die Höhe der Vergütung durch die §§ 84 ff nicht vorgegeben. Jedoch gilt im Zweifel gem. § 87b Abs. 1 der übliche Satz als vereinbart. Zudem helfen die §§ 315 ff BGB. Allerdings besteht über die Provisionshöhe ohnehin meist kein Streit, falls langjährig auf der Basis eines bestimmten Provisionssatzes abgerechnet wird. Dann ist dieser Provisionssatz vereinbart und eine einseitige Änderung im Nachhinein unzulässig. Arbeitsrechtliche Zustimmungspflichten zum Vertragsschluss, insbesondere eine 76 Zustimmung des Betriebsrates, fehlen 452. Der Vertreter ist kein Arbeitnehmer.

II. Vertragsbeginn 77

Die §§ 84 ff weisen von Vertragsinhalt (§ 84) zu den Vertragspflichten zum Vertragsende (§§ 89, 89a). Der Vertragsschluss selbst ist nicht geregelt. Insoweit gilt das BGB: Der Vertrag wird in dem Moment wirksam, für den die Parteien durch übereinstimmende Willenserklärungen (§§ 145 ff BGB) den Beginn der Handelsvertretertätigkeit vereinbart haben. Im Zweifel ist dies der Zeitpunkt der Unterzeichnung durch den letzten Vertragspartner. Haben die Parteien einen bestimmten Vertragsbeginn bezeichnet, nehmen aber tatsächlich zuvor die Vertragsausführung auf, liegt eine konkludente Vertragsänderung vor. Der Vertrag beginnt dann mit dem Anfang der Handelsvertretertätigkeit 453. Denn eine einverständliche Handhabung entgegen dem zunächst Vereinbarten wird regelmäßig selbst bei schriftlich geschlossenen Verträgen eine rechtsverbindliche Vertragsänderung bewirken454. Ein einseitiges Tätigwerden vor Vertragsunterzeichnung durch den Handelsvertreter ohne korrespondierende Absprache begründet dagegen keinen Vertretervertrag. Deshalb stehen dem Vertreter regelmäßig für sein verfrühtes und eigenmächtiges Handeln auch keine Provisions- oder andere Vergütungsansprüche, etwa aus §§ 354, 812 BGB oder Informationsrechte aus § 242 BGB zu 455. Falls der Vertreter Kaufmann ist, kann der Vertrag ferner nach durch widerspruchslose Hinnahme eines kaufmännischen Bestätigungsschreibens sowie über die Annahmefiktion des § 362 zustande kommen.

445

446 447 448

MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 69; Schlegelberger/Schröder § 85 Rn 2. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 31; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer Rn 33. BGH, Urt. v. 06.10.1989 – I ZR 20/88, BB 1990, 303. Martinek/Flohr § 8 Rn 103; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 69.

276

449 450 451 452 453 454 455

Hopt § 85 Rn 2. Martinek/Flohr § 8 Rn 103. BGH NJW 1983, 1727; Hopt § 85 Rn 2. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 74. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 27. Siehe Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 52. AA Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 29.

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III. Vertragsänderung und Vertragsübergang 1. Vertragsänderung. Die Parteien können jederzeit einverständlich eine Abänderung 78 des Vertrages vereinbaren 456. Wie oben skizziert liegt in der einverständlichen, vom Vertragstext abweichenden stillschweigenden tatsächlichen Übung jedenfalls dann eine konkludente Vertragsänderung 457, wenn sich die Parteien der Abweichung bewusst sind. Eine Schriftformklausel hindert eine solche Vertragsänderung nicht, weil auch eine Schriftformklausel stillschweigend abbedungen werden kann 458. Steht die Vertragsänderung fest, ist die nächste Frage, ob lediglich eine vorübergehende oder eine dauernde Abweichung gewollt ist, wobei weder für das eine wie das andere eine Vermutung streitet. Einseitige Vertragsänderungen 459 sind nur nach wirksamer vertraglicher Vereinbarung zulässig. Entsprechende Vorbehalte in Formularverträgen sind unwirksam, falls dem Vertragspartner kein angemessener Ausgleich für dieses Recht gewährt wird 460. In Individualverträgen ist der Berechtigte an das billige Ermessen des §§ 242, 315 BGB gebunden 461. Vertragsänderungen können auch durch widerspruchslose Hinnahme eines kaufmännischen Bestätigungsschreibens sowie über die Annahmefiktion des § 362 zustandekommen, nicht jedoch durch Schweigen auf ein Vertragsangebot 462, sofern nicht der Fall des § 151 BGB vorliegt. Außerdem ist jederzeit eine Änderungskündigung zulässig 463. 2. Vertragsübergang. Da die Dienste des HV in Person (wenngleich nicht unter Aus- 79 schluss von Hilfspersonen) zu leisten sind, ist das Vertragsverhältnis grundsätzlich an seine Person gebunden. Der HV kann seine „Vertretung“, einzeln oder durch Veräußerung seiner Agenturfirma im ganzen, nicht einseitig auf einen Nachfolger übertragen. Dazu bedürfte es nicht nur der Zustimmung, sondern der Mitwirkung des Unternehmers. Denn dieser hätte mit dem Nachfolger einen eigenen HV-Vertrag abzuschließen. Das mag zwar in der Form des „Eintritts“ des Nachfolgers in den HV-Vertrag als „Übernehmer“ der Vertretung des Vorgängers geschehen. Aber es ist keine Rechtsnachfolge im eigentlichen Sinne, auch wenn – firmenrechtlich – eine Firmennachfolge im Sinne des § 25 für die Agentur als Ganzes vorliegt. Was erreichbar ist und erreicht werden soll, ist lediglich eine zeitliche und organisatorische Kontinuität in der Betreuung des Bezirks oder des Kundenkreises und der inhaltliche Gleichlauf des neuen mit dem bisherigen Vertrage. Nicht etwa läuft der bisherige Vertrag ohne Einbuße seiner Identität durch bloße Auswechslung seiner Personen weiter 464. Handelte es sich um einen schlichten Eintritt des Nachfolgers in den bestehenden Vertrag, so müssten die bestehenden Provisionsansprüche dem Vorgänger vorbehalten werden – es ist weder erforderlich noch, wo es geschieht, mehr als eine bloße Klarstellung –; auch erübrigte sich die ausdrückliche Abgrenzung für laufende, aber noch nicht abgeschlossene Vermittlungsbemühungen nach § 87 Abs. 3 – die aber gerade hier unumgänglich wird –. Das Vertragsverhältnis mit dem Übernehmer schließt sich an das mit dem bisherigen HV an. Der Vertrag mit dem bisherigen HV ist einvernehmlich beendet. Er ist abzuwickeln; der Ausgleichsanspruch ent456 457

458 459

Ebenroth/Löwisch, § 84 Rn 52; Schlegelberger/Schröder § 85 Rn 4a. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 52; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87 Rn 4; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 8. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 52. Hierzu Schlegelberger/Schröder § 85 Rn 4a.

460

461 462 463 464

BGHZ 89, 206 (216) = BB 1984, 233; BGH BB 2000, 60 (62 m. Anm. Emde), Ebenroth/ Löwisch § 84 Rn 52. Schlegelberger/Schröder § 85 Rn 4a. BGH, Urt. v. 24.10.1955 – II ZR 216/54, DB 1955, 1085. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 52. AA Sieg VersR 1964, 791.

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steht vorbehaltlich des § 89b Abs. 3 Nr. 3 auf Grund der einverständlichen Lösung des Vertrages, aus dem der bisherige HV damit entlassen wird. Wie jeder andere Vertrag kann damit auch der HV-Vertrag nur durch vertragliche Vereinbarung auf einen Dritten übertragen werden 465, und zwar auch dann, wenn eine Handelsgesellschaft Vertreterin ist. Das gilt auch für die Übertragung auf einen Angestellten oder Untervertreter 466. Im Zweifel ist der Unternehmer nicht zur Zustimmung verpflichtet, ohne Zustimmung bleibt der bisherige HV sein Vertragspartner. Die Übertragung kann ausdrücklich oder im Wege der konkludenten Vertragsänderung erfolgen und ist i.d.R. gem. § 89b Abs. 3 Nr. 3 ausgleichsschädlich (§ 89b Rn 237 ff). Für einen Parteiwechsel ist erforderlich, dass die beteiligten Personen eine befreiende Schuldübernahme gem. § 414 BGB vereinbaren, wobei beide Parteien den Willen, den bisherigen Schuldner aus der Verpflichtung zu entlassen, deutlich erklären müssen 467. Das Einverständnis mit dem Vertragsübergang kann bereits bei Vertragsschluss im HV-Vertrag erklärt werden, wie es im Kfz-Vertriebsrecht durch die GVO 1400/02 vorgeschrieben ist. So darf vereinbart werden, dass ein Vertragspartner ohne weitere Zustimmung des Anderen zur Übertragung auf einen Dritten berechtigt ist 468, sofern in der Person dieses Dritten keine Gründe entgegenstehen. Zweifelhaft ist, ob dies formularvertraglich nur für eine Seite, etwa den Unternehmer, erklärt werden darf. Mögliche Missbräuche liegen nahe, etwa die Übertragung des Vertrages auf eine vermögenslose Gesellschaft, bei der kein Ausgleichsanspruch vollstreckt werden kann. Häufig geschieht ein stillschweigender Übergang im allseitigen Einvernehmen nach Gründung einer Gesellschaft 469, wobei der HV grundsätzlich keinen Anspruch auf Übertragung des Vertretervertrages auf eine von ihm neu gegründete Gesellschaft hat 470. Er kann sein Unternehmen jedoch ohne Zustimmung des Unternehmers nach dem UmwG in eine Gesellschaft umwandeln, solange sich die wirtschaftlich-faktische Identität nicht ändert und der Unternehmer kein erkennbares Interesse am Vertragsschluss nur mit einer natürlichen Person hat. Ein Eintritt der neu gegründeten Gesellschaft in den Vertretervertrag kann konkludent erfolgen, wenn die andere Partei in Kenntnis des Wechsels die Vertragsbeziehungen fortsetzt 471. Allerdings ist diese Kenntnis erforderlich, sie kann – sofern die Verhältnisse nicht offenbar sind – nur durch hinreichend deutlichen Hinweis der Partei, die den Eintritt eines Dritten wünscht, herbeigeführt werden. Langjährige Adressierung von Korrespondenz, Abrechnungen, Zahlungen etc. an den neuen Vertragspartner genügt meist, um eine konkludente Zustimmung erkennbar werden zu lassen 472. Im Zweifel ist davon auszugehen, dass der Vertrag mit allen Rechten und Pflichten auf den neuen Vertragspartner übergeht und der ursprüngliche Vertragspartner aus dem Vertrag entlassen wird, was eine Frage der Vertragsauslegung sein kann 473. Das gilt auch für tatsächliche Anwartschaften wie die Zurechnung der Neukundenwerbung oder der Erweiterung von Altkunden im Sinne des Ausgleichsrechts. Der neue Vertragspartner kann also den Ausgleich auch für solche Kunden fordern, die im Rahmen des einheitlichen und übergegangenen Vertragsverhältnisses von dem bisherigen Vertragspartner geworben wurden. Dies ist besonders deutlich bei wirtschaftlich-faktischer Identität zwischen altem und neuem Vertragspartner, etwa bei Einbringung des bisher einzelkaufmännischen Vertreterunternehmens in eine Gesellschaft, gilt aber auch sonst. Um ein

465 466 467 468 469

Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 14a. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 17. OLG Hamm, Urt. v. 18.09.1998 – 35 U 43/97, BeckRS 2007, 18621. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 14. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 52.

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470 471 472 473

Martinek/Flohr § 8 Rn 37; Schlegelberger/ Schröder § 86 Rn 14e. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 52. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 52. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 14a.

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Problem des gesellschaftsrechtlichen Durchgriffs handelt es sich nicht, vielmehr um einen Vertragsübergang mit allen Rechten und Pflichten. Wie gesagt: Die Frage stellt sich nur, sollte es an einer Identität zwischen Alt- und Neugesellschaft nach UmwG oder einer Gesamtrechtsnachfolge fehlen. Denn bei Identität oder Gesamtrechtsnachfolge ist die Zurechnung zweifelsfrei. Veräußert der Unternehmer sein Unternehmen, so verneint die herrschende Ansicht 80 einen Anspruch des Vertreters gegen den Erwerber auf Vertragsfortführung 474. Ein Vertragsübergang nach § 613a BGB wird abgelehnt (siehe auch § 613 Abs. 2 BGB) 475. Die Norm finde keine entsprechende Anwendung, weil sie eine Lücke im Kündigungsschutzsystem für Arbeitnehmer schließen solle, der Vertreter jedoch kein Arbeitnehmer sei 476. Gegenüber dem veräußernden Unternehmer besteht auch dann kein Anspruch auf Übertragung des Vertretervertrages an den Übernehmer, wenn sich der Unternehmer im Vertretervertrag das Recht der Übertragung auf einen Dritten vorbehalten hat 477. Ein Anspruch gegen den Erwerber wird ohne seine Zustimmung nicht begründet, weil dies ein unzulässiger Vertrag zu Lasten Dritter wäre 478. Damit ist noch nichts darüber ausgesagt, ob es zu einem Vertragsübergang auf den 81 Erwerber nach § 25 Abs. 1 kommen kann. Die herrschende Meinung verneint dies, wenngleich sie den Anwendungsbereich der Norm in den letzten Jahren Stück für Stück erweitert hat. Der Übergang des HV-Vertrages sei ausgeschlossen 479. Diesem tradierten Verständnis des § 25 Abs. 1 setzt eine neuere Ansicht das Prinzip der Haftungskontinuität entgegen. Die Verbindlichkeiten und Rechtsverhältnisse, welche zum Unternehmen gehören, sollen auch im Fall des Unternehmerwechsels dem jeweiligen Unternehmensträger, also dem Erwerber, zugewiesen bleiben. Deshalb könnten auch ganze Dauerschuldverhältnisse auf den Übernehmer übergehen 480. § 613 BGB hindere den Übergang nicht 481. Firmenfortführung oder Firmenidentität seien nicht Voraussetzung des Vertragsüberganges, solange Unternehmensfortführung oder Unternehmensidentität vorlägen 482. Ist der HV-Vertrag unternehmensbezogen, so sollen vertragliche Rechte und Pflichten ohnehin bei „dem Unternehmen“ bleiben. Oft wird der bisherige Schuldner ohne die übertragenen Unternehmensmittel auch überhaupt nicht mehr fähig sein, den jeweiligen Vertrag zu erfüllen 483. Richtig wäre wohl ein Wahlrecht des Mittlers auf Vertragsfortsetzung gegenüber Veräußerndem und Erwerber. Der neueren Auffassung dürfte wohl zuzustimmen sein 484. Die Gründe sind von Kars- 82 ten Schmidt 485 und Lieb 486 dargestellt worden. Neben der Praktikabilität spricht für sie, dass die Unternehmensfortführung bei Veräußerung oder Neugründung einer Gesellschaft durch die Überleitung der auf das Unternehmen bezogenen Verträge deutlich

474 475

476 477 478 479 480

Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 14b. BGH NJW 1963, 100 (101); Schlegelberger/ Schröder § 86 Rn 14b; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 10. MünchKomm HGB/v. Hoyningen/Huene § 86 Rn 10. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 14b. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 14b. Vgl. Beuthien NJW 1993, 1737 ff; Heymann/Emmerich § 25 Rn 42. AA (ohne Nennung des § 25) offensichtlich BGH HVR Nr. 419; Schlessmann S. 32. Vgl. auch Lieb Die Haftung für Verbindlichkei-

481 482 483 484 485 486

ten aus Dauerschuldverhältnissen bei Unternehmensübergang, 1991, der auf S. 16 ausdrücklich das Beispiel der Handelsvertreterverträge nennt. K. Schmidt Handelsrecht, S. 206. K. Schmidt Handelsrecht, S. 215 ff. Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 151. Siehe bereits Emde Die HandelsvertreterGmbH, S. 151. Handelsrecht, S. 204 ff. AaO, passim, insbes. S. 16. Lieb stellt allerdings strengere Anforderungen an die Unternehmenskontinuität, vgl. S. 12.

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erleichtert wird 487. Auch die Interessen des Vertragspartners werden hierdurch nicht berührt. Ein Vertragsübergang nach § 25 kann auch dem HV zugute kommen, der sein Unter83 nehmen an einen Erwerber veräußern oder in eine neugegründete Gesellschaft einbringen will, ohne dass aufgrund des UmwG Identität des Rechtsträgers vorliegt (dann wäre ein Vertragsübergang nicht erforderlich, weil der Vertretervertrag ohnehin beim „umgewandelten“ Rechtsträger verbliebe). Selbst bei Veräußerung des Vertreterunternehmens kann es zu einem Vertragsübergang nach § 25 kommen, falls der Übernehmer wirtschaftlichfaktisch mit dem ursprünglichen Vertragspartner identisch ist. Davon kann etwa ausgegangen werden, wenn ein Einzelkaufmann eine personenidentische GmbH gründet 488. Das bedeutet nicht, dass der Vertreter nach Einbringung seines bislang einzelkaufmännisches Unternehmens in eine Gesellschaft dem Unternehmer durch anschließende Abtretung der Gesellschaftsanteile wirtschaftlich-faktisch betrachtet einen nicht genehmen „Vertragspartner“ aufzwingen könnte. Hiervor ist der Unternehmer gemäß §§ 613, 664 BGB geschützt (siehe Vor § 84 Rn 41 ff). Die Anteilsübertragung wäre eine Vertragsverletzung. Kommt es bei der Einbringung des HV-Unternehmens in eine Gesellschaft zu einer Veränderung des Erscheinungsbildes des Unternehmens, die etwa in dem Eintritt einer Vielzahl neuer in der Gesellschaft tätiger Gesellschafter liegen kann, mangelt es an einer gemäß § 25 erforderlichen Unternehmenskontinuität 489.

H. Anfechtbarkeit und Nichtigkeit 84

Für den Vertrag gelten die allgemeinen Anfechtungs- und Nichtigkeitsgründe des bürgerlichen Rechts 490. Obwohl die zur Anfechtung berechtigenden §§ 119, 123 BGB regelmäßig – aber nicht immer – einen wichtigen Grund im Sinne des § 89a bilden und das bereits in Vollzug gesetzte Vertragsverhältnis nicht mit Rückwirkung beseitigt werden kann (deshalb Anwendung der Grundsätze zum faktischen Vertrag), ist eine Anfechtung möglich. § 89a bildet auch bei einem in Vollzug gesetzten HV-Vertrag keine abschließende Sonderregelung 491. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der wegen nicht rechtzeitiger Geltendmachung „verbrauchte“ Kündigungsgrund nach § 89a über § 142 Abs. 1 BGB zum sofortigen Vertragsende führen kann 492. Denn es besteht Anspruchskonkurrenz bei unterschiedlichen TB-Voraussetzungen. Nichtigkeitsgründe sind insbesondere: – Anfechtung wegen Irrtums 493, etwa wegen Irrtums über eine verkehrswesentliche persönliche Eigenschaft des Vertragspartners (Vertrauenswürdigkeit des Unternehmers 494, Vorstrafe des HV auf vermögensrechtlichem Gebiet 495, dauernd berufsunfähig machende Erkrankung) oder über verkehrswesentliche Eigenschaften des vertriebenen Produkts 496; 487 488 489 490

491 492

Lieb S. 16. Vgl. Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 152. Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 154. Martinek/Flohr § 8 Rn 106; Ebenroth/ Löwisch § 89 Rn 6; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene Rn 15. Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 1; aA Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 3. AA Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 3.

280

493 494 495 496

Martinek/Flohr § 8 Rn 106; Schlegelberger/ Schröder § 86 Rn 30. RG WarnRspr. 1920, Nr. 185. RAG 15, 49. Vgl. RG LZ 1932, 753 (vertreterähnliches Verhältnis, Irrtum über Eigenschaften des Fabrikats); Küstner in: Röhricht/Graf v. Westphalen, § 85 Rn 5; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 70.

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– Formmangel bei rechtsgeschäftlich vereinbarter Form (§§ 126, 127 BGB) 497; – Anfechtung wegen arglistiger Täuschung 498 oder Drohung 499. Hier ist der HV im Verhältnis zum Unternehmer nicht Dritter 500; – Nichtigkeit gemäß § 134 BGB 501. Beispiele: § 51 ArzneimittelG; § 8 HeilmittelwerbungsG; Gesetzesumgehung (HV-Vertrag zur Umgehung kartellrechtlicher Bindungsverbote), jedoch nicht der Betrieb des HV-Unternehmens ohne Gewerbeerlaubnis 502. Ob der Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot zur Nichtigkeit des Vertrags führt, ist, wenn eine ausdrückliche Regelung fehlt, nach Sinn und Zweck der jeweiligen Verbotsvorschrift zu beantworten 503; – Nichtigkeit gemäß § 138 BGB wegen Verstoßes gegen die guten Sitten 504, etwa in folgenden Fällen: • auf Grund einer Gesamtwürdigung des Vertrages 505; etwa durch eine Kombination einer Vielzahl einseitig belastender Klauseln, die einer Inhaltskontrolle nach §§ 305 ff BGB nicht standhalten 506; • wenn der Mittler fast vollkommen dem Willen des Unternehmers unterworfen und faktisch zum Angestellten im eigenen Betrieb wird 507; • im Falle der Verpflichtung des HV, selbst Ware in übermäßigem, durch ein fristloses Kündigungsrecht besichertem Mindestumfang zu beziehen 508; • bei dem auf Täuschung von Kunden ausgerichteten Vertriebsvertrag 509; • bei einseitiger Risikoverteilung 510; • falls der Unternehmer dem HV ohne besondere Kompensation wesentliche Teile des Unternehmerrisikos, z.B. des Absatzrisikos, auferlegt 511; • Nichtigkeit wegen Wuchers (§ 138 Abs. 2 BGB). Von ihr soll z.B. bei einer unverhältnismäßig niedrigen, sog. Hungerprovision ausgegangen werden 512, insbesondere bei krassem Missverhältnis zwischen den Vertragspflichten des HV und der ihm gewährten Vergütung 513, wobei immer die Risikoverteilung im Einzelfall zu

497 498 499 500

501

502 503 504

505 506

Martinek/Flohr § 8 Rn 108; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 71. Martinek/Flohr § 8 Rn 106; Schlegelberger/ Schröder § 85 Rn 4, § 86 Rn 9, 48c. Küstner/Thume I, Rn 383; Ebenroth/ Löwisch § 84 Rn 28. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 58; Hopt § 84 Rn 5–55; Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 24, § 86 Rn 9, 19b, 48c; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 91. OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.09.2006 – 1 U 34/06, VersR 2007, 1514; Martinek/Flohr § 8 Rn 107; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 28; Schlegelberger/Schröder § 85 Rn 4. Martinek/Flohr § 8 Rn 107. OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.09.2006 – 1 U 34/06, VersR 2007, 1514. BGH DB 1981, 2274; Küstner/Thume I, Rn 330; Martinek/Flohr § 8 Rn 110; Hopt § 86 Rn 9; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 71. Martinek/Flohr § 8 Rn 110. OLG Oldenburg, Urt. v. 26.04.2006 – 8 U 206/06, BeckRS 2007, 16857; LG Mainz,

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Urt. v. 20.06.2006 – 12 HKO 82/05, BeckRS 2007, 08487. OLG Oldenburg, Urt. v. 26.04.2006 – 8 U 206/06, BeckRS 2007, 16857. OLG Stuttgart NJW 1957, 1281; Martinek/ Flohr § 8 Rn 106, 111; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 71. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 49; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 84 Rn 34, § 86 Rn 7. OLG Oldenburg, Urt. v. 26.04.2006 – 8 U 206/06, BeckRS 2007, 16857. BGH, Urt. v. 20.03.1981 – I ZR 12/79, MDR 1982, 200. RAG 19, 113; BAG MDR 1960, 613 = BB 1960, 1222 (Versicherung); DB 1981, 2274 (wegen des Unternehmerrisikos im Ergebnis ablehnend); OLG Düsseldorf NJW 1998, 2980; Martinek/Flohr § 8 Rn 111; Hopt § 86 Rn 9; Schlegelberger/Schröder § 85 Rn 4; kritisch Küstner/Thume I, Rn 384. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 49; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 84 Rn 34.

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§ 84

1. Buch. Handelsstand

berücksichtigen ist. Wucherfälle sind wiederholt in der Rechtsprechung behandelt worden. Beispiele: „Hungerlohn“ 514; „Risikoschraube“ 515. Unangemessen niedrige Provision oder Zuweisung eines ertragsschwachen Bezirks begründen den Sittenwidrigkeitseinwand allein noch nicht; der HV trägt als selbständiger Gewerbetreibender regelmäßig selbst das Risiko, ob seine Tätigkeit verdienstbringend sein kann oder nicht. Möglicherweise gelten für den „arbeitnehmerähnlichen HV“ des § 92a strengere Maßstäbe. Hier ist der Vertrag dann sittenwidrig, falls der Bezirk hoffnungslos ist und dem Unternehmer die wirtschaftliche Sinnlosigkeit des Unterfangens, ihn erneut zu vergeben, aus den Erfahrungen der Vergangenheit bekannt war 516. Keine Nichtigkeit tritt ein, wenn der Vertrag das Existenzminimum zwar nicht sichert, aber weitere HV-Tätigkeit gestattet ist 517. Ansonsten gilt: Der HV ist kein Arbeitnehmer, ihm ist – sofern keine besondere Schutzbedürftigkeit vorliegt, gegenüber dem in § 92a angesprochenen HV ein größeres Risiko zuzumuten. So kann es ihm obliegen aus dem Bezirk „etwas zu machen“ oder andere Vertretungen anzunehmen, so dass Nichtigkeit eher in Frage kommt, wenn der HV einem Wettbewerbsverbot unterliegt, da dann die Verluste des einen Vertrages nicht durch Gewinne anderer Vertretungen ausgeglichen werden können 518. Im Zweifel ist in den Fällen der Hungerprovision zum Schutze des Vertreters lediglich die Provisionsabrede nichtig 519. Der übrige Vertrag bleibt wirksam, da anderenfalls der Schutz des HV verfehlt würde. Verdienstmöglichkeiten aus dem Werkstattgeschäft oder dem Gebrauchtwagenhandel bleiben bei der Berücksichtigung des Leistungs-Gegenleistungsverhältnisses unberücksichtigt, da derartige Erträge nicht als Gegenleistung für die Vertriebspflicht erzielt werden 520. Keine Nichtigkeitsgründe bilden: 85 – ein Verstoß gegen § 32 Abs. 1 S. 1 KWG in Verbindung mit § 134 BGB 521; – bei einem deutschen Recht unterliegenden Vertrag die Verletzung des Art. 47 des Schweizer Bankengesetzes (Bankgeheimnis) 522; – übermäßige Einzelanweisungen des Unternehmers 523, da jene wegen Verstoßes gegen die Selbständigkeit des HV unbeachtlich bleiben. Sind von dem Nichtigkeitsgrund wegen Gesetzesverstoßes nur einzelne Bestimmungen 86 des HV-Vertrages betroffen, so ist entgegen dem bei Individualverträgen anwendbaren § 139 BGB nicht das ganze Vertragswerk nichtig; vielmehr erhält der Vertrag insoweit einen dem dispositiven Recht entsprechenden Inhalt 524. Gesamtnichtigkeit entsprechend §§ 139, 306 Abs. 3 BGB kann nur in Fällen der Unwirksamkeit einer „Kernabrede“ angenommen werden, der Vertrag wäre dann ohne die nichtige Bestimmung nicht geschlossen worden525. Bei AGB ist § 306 Abs. 3 BGB maßgeblich 526. Sollte ausnahmsweise Gesamtnichtigkeit eintreten, so gilt: Trotz der Nichtigkeit ist bis zum Zeitpunkt 514 515 516 517 518 519 520 521

RAG 19, 113; BAG MDR 1960, 613. OLG Stuttgart NJW 1957, 1281. BAG MDR 1960, 613; s. auch BGH DB 1981, 2274. OLG Nürnberg BB 1960, 1261; Hopt § 86 Rn 9. Martinek/Flohr § 8 Rn 111. BAG BB 1960, 556; Schlegelberger/Schröder § 85 Rn 4. Genzow kfz-betrieb 8/2001, S. 24. OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.09.2006 – 1 U 34/06, VersR 2007, 1514.

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OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.09.2006 – 1 U 34/06, VersR 2007, 1514. Martinek/Flohr § 8 Rn 111. BGH, Urt. v. 25.11.1963 – VII ZR 29/62, BGHZ 40, 235 (238f) = DB 1964, 28 = NJW 1964, 350; Martinek/Flohr § 8 Rn 106. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 85 Rn 5; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 84 Rn 71. Siehe Emde MDR 2006, 301.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 84

der „Entdeckung der Nichtigkeit“ HV-Recht maßgeblich 527. Denn das vollzogene Austauschverhältnis kann nicht mit Rückwirkung vernichtet werden. Deshalb findet wie im Arbeitsrecht die Lehre des „faktischen Vertragsverhältnisses“ Anwendung und treten an die Stelle der unwirksamen vertraglichen Abreden die §§ 84–92c, sofern die übrigen TB-Voraussetzungen eines HV-Vertrages vorliegen 528. Das gilt auch beim Franchisevertrag 529, und zwar nicht nur im Hinblick auf die ohnehin separat geschlossenen Einzelkaufverträge 530. Auch im Fall der Anfechtung wegen Arglist gilt dieser Grundsatz 531. Im Ergebnis wird die Anfechtung damit wie eine fristlose Kündigung behandelt 532. Eine Rückabwicklung der beiderseits erbrachten Leistungen nach dem Recht der ungerechtfertigten Bereicherung (§§ 812 ff BGB) ist weder erforderlich noch sachgerecht noch würde sie den durch die §§ 84 ff begünstigten HV hinreichend schützen. Da die Parteien einen HV-Vertrag „gelebt“ haben, fragt sich auch, welches andere Regelungswerk sachgerecht ihre Rechtsbeziehungen regieren sollte. Geschäftsbesorgungsrecht i.V.m. § 812 BGB wäre kaum geeignet, interessengerechte Ergebnisse herbeizuführen 533, auch nicht zu Gunsten der Partei, die an der Nichtigkeit keine Schuld trägt. Auch muss der Unternehmer trotz der Nichtigkeit einen Ausgleichsanspruch gem. § 89b zahlen 534, es sei denn, der Schutzzweckgedanke oder die entsprechende Anwendung des § 89b Abs. 3 hindert den HV an der Geltendmachung des Ausgleichs. Daran ist zu denken, wenn der HV selbst – etwa durch arglistige Täuschung – die Nichtigkeit herbeigeführt hat. Ist der HV der „Bewucherte“ muss ihm schon deshalb ein Ausgleich zugebilligt werden. Anderenfalls könnte der Unternehmer kein besseres Geschäft machen, als einen gem. § 138 BGB wegen Hungerprovision nichtigen Vertrages zu schließen. Unter Anwendung der §§ 87b Abs. 1 HGB, 249 BGB kann die Ausgleichsbemessungsgrundlage angemessen erhöht werden. Im Vertragshändlerrecht soll hingegen bei nichtigem Vertrag kein Ausgleich geschuldet sein, weil es wegen der Unwirksamkeit der vertraglichen Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes an einem Analogiekriterium fehlen soll. Dies ist nicht ganz konsequent, wenn man die Grundsätze des faktischen Vertrages oder des § 249 BGB anwendet. Ebenso wie Provisionen für die Vergangenheit ist auch der Ausgleich gem. § 89b eine vertragliche Gegenleistung für den in der Vergangenheit aufgebauten Kundenstamm. Deshalb ist es folgerichtig, ihn nach Nichtigkeit zuzubilligen. Der HV ist infolge der Nichtigkeit auch nicht gehindert, für die Vergangenheit Provi- 87 sions- 535, insbesondere Bezirksprovisions- 536 oder Auskunftsansprüch geltend zu machen, es sei denn, die Nichtigkeit wurde gerade durch diesen Anspruch herbeigeführt 537. Eines Rückgriffs auf Vergütungsansprüche nach § 354 538 bedarf es nicht. Im Ergebnis 527 528

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Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 28. OLG Düsseldorf HVR Nr. 607; Küstner/ Thume I, Rn 385; Martinek/Flohr § 8 Rn 106; Hopt § 85 Rn 1; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 28. AA Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 457; Giesler WM 2001, 658. So aber Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 458; Giesler WM 2001, 658. AA Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 49. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 6. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 28; aA Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89b Rn 20; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 89b Rn 33.

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BGHZ 129, 290 (293) = NJW 1995, 1958; BGH Urt. v. 11.12.1996 – VIII ZR 22/96, ZIP 1997, 238 (239); Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 28; aA für den Fall der rückwirkenden Nichtigkeit: Heymann/Sonnenschein/ Weitemeyer § 89b Rn 20. BAG MDR 1960, 613 für Handelsvertreter nach § 92a; Küstner/Thume I, Rn 385; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 28. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 28; aA 4. Aufl., § 85 Rn 3. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 28. So 4. Aufl., § 85 Rn 3.

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§ 84

1. Buch. Handelsstand

wird der HV daher hinsichtlich der in der Vergangenheit begründeten Ansprüche so gestellt, als wäre der Vertrag wirksam und mit zulässigem Inhalt zustande gekommen. Teilweise wird angenommen, die Lehre vom faktischen Vertrag nach einer Anfech88 tung gelte nicht im Vertragshändlerrecht: Eine Rückabwicklung eines HV-Vertrages mit Provisionszahlung sei unmöglich, nicht jedoch die des Vertragshändlervertrages, bei dem der Händler seine Marge lediglich aus den Einzelkaufvertragen erziele 539. Die in der Vergangenheit ausgetauschten Leistungen, insbesondere die Erfüllung der Vertriebspflicht und der zahlreichen Nebenpflichten weichen jedoch beim Vertragshändlervertrag nicht wesentlich ab. Zudem sind die Einzelgeschäfte in Ausführung des Rahmenvertrages geschlossen worden, und sie wären zu anderen Konditionen gezeichnet worden, wenn es diesen Rahmenvertrag nicht gäbe. Eine Rückabwicklung ist daher auch beim Vertragshändlervertrag kaum möglich; die Lehre des faktischen Vertrages gilt auch hier 540. Der Vertragsteil, der die Nichtigkeit nicht verschuldet hat, kann von seinem Vertrags89 partner nach § 280 BGB eine angemessene Auslauffrist analog den Fristen des § 89 fordern 541. Ausgleich in Geld könnte das Interesse des von der Nichtigkeit Betroffenen kaum in jedem Fall befriedigen. Der Geschädigte darf weiter Schadenersatz als in Konkurrenz stehenden Anspruch verlangen. Insbesondere Schadensersatzansprüche, falls die Nichtigkeit des Vertrages durch das dolose Verhalten eines Vertragsteils oder auch nur auf Verschulden bei Vertragsschluss (vgl. § 122 BGB, der selbst beim faktischen Arbeitsverhältnis dem Arbeitnehmer entgegengehalten werden kann 542) zurückzuführen ist, bleiben unberührt. An eine angemessene Auslaufzeit ist etwa in Fällen der Vermögenslosigkeit zu denken oder wenn der faktische Abbruch der Kundenbeziehungen durch Schadensersatz nicht kompensiert werden kann. Einer Kündigungserklärung bedarf es in Fällen der Nichtigkeit nicht. Denn die Vertragsbeendigung ist bereits durch Nichtigkeit eingetreten. Allenfalls muss sich eine Partei auf die Nichtigkeit berufen; diese Erklärung wird de facto wie eine Kündigungserklärung behandelt.543 Andererseits tritt die Vertragsfortsetzung bis zum Ablauf der Fristen des § 89 nicht automatisch ein. Grundsatz bleibt, dass die Nichtigkeit zur sofortigen Vertragsbeendigung führt. Wenn allerdings der durch Verschulden des anderen Vertragspartners von der Nichtigkeit Betroffene eine angemessene Auslauffrist entsprechend der Fristen des § 89 fordert, ist ihm jene zu gewähren.

I. Arten von Handelsvertretern 90

In der Praxis gibt es kein einheitliches Bild des HV 544. Vielmehr sind HV in allen Bereichen der Wirtschaft vermittelnd tätig und nutzen hierbei die verschiedensten Organisationsformen. Diese faktische Uneinheitlichkeit wird auf das Gesetz übertragen und von einem Leitbild-Pluralismus gesprochen. Jedoch hat dieser Leitbild-Pluralismus, sollte es ihn zum Zeitpunkt des Entwurfs des HGB bzw. seiner Novellierungen bei den Verantwortlichen tatsächlich gegeben haben, keine Folgen bei der Gesetzesanwendung. Denn das Gesetz beschränkt seinen Wirkungsbereich gerade wegen dieser Leitbild-Vielfalt

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Stumpf/Jaletzke/Schultze Rn 600. Küstner/Thume Außendienstrecht III, Rn 1384; Westphal Vertriebsrecht II, Rn 649; Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 374. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 25.

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BAG BB 1958, 232. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 28; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 32. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 6.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 84

nicht auf bestimmte Vertretertypen, sondern erfasst die Lebenssachverhalte aller rechtstatsächlichen Ausprägungen. Das Erscheinungsbild der HV ist mithin außergewöhnlich vielgestaltig. Im Folgenden 91 werden sie nach der Art ihrer Tätigkeit (hierzu unter I) und nach ihren rechtlichen Besonderheiten (hierzu unter II) dargestellt.

I. Handelsvertreter und ihr Tätigkeitsfeld Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sind Mittler in folgenden Bereichen Handelsver- 92 treter: – Anzeigenvertreter 545. Ihre Tätigkeit ist darauf gerichtet, Interessenten für einen Werbeträger zu finden 546; – Anlagevermittler 547; – Autovermieter: etwa Europcar und Hertz-Vermieter 548; – Auswanderungsagenten 549; – Bausparkassenvertreter 550. Der Gesetzgeber stellt die Bausparkassenvertreter durch die Verweisungsvorschrift des § 92 Abs. 5 den weiter verbreiteten Versicherungsvertretern gleich; – Fotorepräsentanten 551; – Mercedes-Händler 552; – Einkaufsvertreter 553. Das sind solche Vertreter, die für den Unternehmer Einkaufsgeschäfte, d.h. Bezugsverträge, vermitteln; – Grundstücksvermittler 554; – Kreditvermittler 555, auch Investment- und Anlageberater 556; – Lotto-Totto-Vertreter 557. Die Vermittlungstätigkeit liegt darin, dass ein LottostellenHandelsvertreter das Wettgeschäft fördert, indem er die Annahmestelle offen hält, auch wenn er sonst keinerlei Werbetätigkeit entfaltet 558; – Mobilfunkvermittler 559; 545

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Vgl. Küstner/Thume I, Rn 129; Schröder DB 1970, 1625, MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 11; Klosterfelde Anzeigen-Praxis 1968, 134 ff, sowie Lambsdorff/ Skora Handbuch des Werbeagenturrechts, Frankfurt 1975, S. 78 ff, 203 (222). MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 11. BGH, Urteil v. 25.10.2007 – III ZR 100/06, VersR 2008, 352. LG Frankfurt/Main, EWiR 2003, 573 (Emde). 4. Aufl., Vor § 84 Rn 40; heute nicht mehr praktisch. Küstner/Thume I, Rn 128; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 10; Küstner BB 1966, 269 ff. Martinek/Bergmann WRP 2006, 1047 ff; aA zu Unrecht OLG Hamburg, Urt. v. 28.10. 2005 – 11 U 169/04, GRUR 2006, 788. EuG, Urt. v. 15.09.2005 – T-325/01 Daimler Chrysler/Kommission, WuW 2005, 1061 =

553 554

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558 559

EU-R 933 = DB 2005, 2127 = EWiR 2005, 861 (Weidenbach) = EuZW 2005, 766 (LS); s.a. Kommissionsentscheidung EuZW 2001, 674; hierzu Ensthaler/Gesmann-Nuissl EuZW 2006, 167 ff; Lubitz EWS 2004, 556; Emde VersR 2003, 420; Emde BB 2005, 394. Martinek/Flohr § 8 Rn 18. BGH BB 1982, 1876 = DB 1982, 590 = HVR Nr. 556 = MDR 1982, 545 = VersR 1982, 343 = WM 1982, 272; Küstner/ Thume I, Rn 136. BGH BB 1985, 823 = WM 1984, 1633. Melcher BB 1981, 2101. BGHZ 59, 87 = BGH BB 1972, 938 = DB 1972, 1624 = HVR Nr. 459 = NJW 1972, 1662; OLG Hamburg, Urt. v. 12.08.2004 – 5 U 58/03, WRP 2005, 378 = OLGR 2005, 113. Küstner/Thume I, Rn 133. OLG Brandenburg NJW-RR 2002, 1401.

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§ 84

1. Buch. Handelsstand

– Postagenturen 560; – Reisebüros sind Handelsvertreter, die als Buchungsstelle für einen Reiseveranstalter tätig werden und ständig damit betraut sind, für den Veranstalter Reiseverträge zu vermitteln bzw. abzuschließen 561; – Stationäre Handelsvertreter, d.h. solche ohne Reisetätigkeit (etwa Tankstellenhalter, Exportvertreter, Reisebüros, Toto/Lotto-Annahmestellen, Handelsvertreter mit Auslieferungslager wie die Getränkeniederlagen der Brauereien oder die nebenberuflich betriebenen Ladenagenturen der Versandhäuser); – Strukturvertreter. Das Vertriebssystem des Unternehmers kann vertikal gestaffelt sein („Strukturvertrieb“ oder „mehrstufige“ Außenorganisation). Für einen Unternehmer werden weitere HV als meist unechte Untervertreter (s.u.) tätig. Jene stehen entweder in unmittelbaren vertraglichen Beziehungen zu dem „Haupt- oder Generalvertreter“. Dann spricht man von „echten Untervertretern“ 562. Häufiger ist jedoch folgende Gestaltungsform: Die Untervertreter – ebenso wie der ihnen organisatorisch „übergeordnete“ Handelsvertreter – treten in unmittelbare vertragliche Beziehungen zum vertretenen Unternehmer („unechte Untervertreter“). Kennzeichnend für den im Versicherungsvertrieb nicht seltenen Strukturvertrieb ist seine – oft sogar durch militärische Bezeichnungen der verschiedenen Hierarchiestufen betonte – hierarchische Gliederung, bei der in der untersten Stufe oft durch nebenberufliche Vermittler vermittelt wird und in den übergeordneten Stufen die Verwaltungstätigkeit in den Vorder- und die Vermittlungstätigkeit in den Hintergrund tritt 563, und zwar umso stärker, je mehr der bisherige Vermittler auf Grund seiner Erfolge in eine höhere Stufe aufsteigt 564. Der übergeordnete Vertreter, der nunmehr stärker verwaltend tätig wird, ist am Vermittlungserfolg der niedrigeren Stufe durch Superprovisionen beteiligt 565. Vom Grundsatz her ist HV-Recht im Strukturvertrieb anwendbar 566. Obwohl sich 93 nämlich die Tätigkeit der Vermittler höherer Stufe auf Koordinierungs- und Leitungsaufgaben konzentriert, genauer: Führung, Rekrutierung, Ausbildung und Administration, bleiben diese Handelsvertreter, wenn sie durch ihre unechten Untervertreter dauernd Geschäfte vermitteln. Eine Geschäftsvermittlung setzt voraus, dass es dem Mittler gelingt, zwei sich als mögliche Partner einer Transaktion gegenüberstehende Interessenten zusammenzuführen, d.h. – zumindest mitursächlich – eine solche bis zur Abschlussreife vorzubereiten und hierdurch den Vertragsschluss herbeizuführen. Unmittelbar, d.h. durch eigene Werbung, vermitteln die Strukturoberen meist keine derartigen Geschäfte, da sie vom eigentlichen Vermittlungsgeschäft zu weit entfernt sind, als dass sie selbst Kunden werben würden.567 Allerdings wird in mehrstufigen Vertriebsstrukturen der auf niedriger 560

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BGH WM 2001, 274 (275); OLG Koblenz, Urt. v. 30.01.2006 – 10 U 127/01, WM 2006, 1452; aA LG Dortmund, Urt. v. 14.12.2006 – 16 O 92/05, NJOZ 2007, 1485. BGH, Urt. v. 25.04.2006 – X ZR 198/04, NJW 2006, 2321; BGH, Urt. v. 12.05.2004 – VIII ZR 159/03, MDR 2004, 1009; Urt. v. 10.12.2002 – X ZR 193/99, NJW 2003, 743 = ZIP 2003, 216; DB 1990, 2585; DB 1974, 1156 = EBE 1974, 179 = NJW 1974, 1242; EBE 1974, 180; BGHZ 62, 71 (73); BGH BB 1975, 198; OLG München, Beschl. v. 27.01.2005 – 29 W 1400/04, GRUR-RR 2005, 205. Besonders problematisch ist bei echten

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563 564 565

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Untervertretern die provisionsrechtliche Frage, ob dem Unternehmer Ansprüche auf Untervertreterprovisionen zustehen, wenn es nach § 87a Abs. 2 darauf ankommt, wer „Dritter“ im Sinne dieser Vorschrift ist. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 61. Küstner/Thume I, Rn 159. Zum Auskunftsrecht des Strukturmitglieds gem. § 87c Abs. 3 vgl. Emde MDR 1999, 1108. BGH, Urt. v. 24.6.1971 – VII ZR 223/69, BGHZ 56, 290; v. 22.6.1972 – VII ZR 36/71, BGHZ 59, 87; Emde MDR 1999, 1108 (1109). Charakteristisch BFH, Urt. v. 20.12.2007 –

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 84

Stufe eintretende Vermittlungserfolg dem Strukturhöheren als mittelbar herbeigeführter Abschluss zugerechnet. Der BGH hat aus diesem Grunde in seiner Entscheidung BGHZ 56, 290 keine Zweifel daran gelassen, einem „Verkaufsleiter“ seien die Umsätze seiner unechten Untervertreter zuzurechnen. Der Generalvertreter könne mithin als Handelsvertreter einen Ausgleich nach § 89b verlangen. In der Literatur sind an diesem Ergebnis wenig Zweifel angeklungen. Von einem schleichenden Wandel der Aufgabenstellung eines Strukturleiters von der eines Handelsvertreters zu einem „freien Mitarbeiter“, der zu einem Entfallen der HV-Eigenschaft führen könnte, ist daher auch an der Strukturspitze nicht auszugehen.568 Eine differenzierte Ansicht nahm – soweit ersichtlich – nur die 4. Aufl.569 ein. Werde dem Generalvertreter eine als Superprovision bezeichnete Verwaltungsprovision als alleinige Vergütung für das Führen der Struktur gezahlt und vertraglich als Honorierung seiner ausschließlich in der laufenden Organisation des Vertretereinsatzes und der Koordinierung der Vertreteraktivitäten bestehenden, also nur noch verwaltenden Tätigkeit, ausgewiesen 570, fehle die HV-Eigenschaft. Die Ansicht der 4. Aufl. steht allerdings im Widerspruch zur Zurechnung des Vermittlungserfolges an die Strukturspitze und wohl auch zu den zitierten Urteilen des BGH. „Berufstypische“ Tätigkeiten eines HV sind damit auch die Anwerbung, Kontrolle, Schulung wie Verwaltung der Untervertreter, soweit sie bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise der Umsatzsteigerung des Unternehmers dienen und auf den Abschluss von Verträgen gerichtet sind. – Tankstellenvertreter 571, insofern sie Treibstoff und Schmiermittel im Namen und für Rechnung ihrer Mineralölgesellschaft verkaufen. In den Tankstellenverträgen werden die vertriebsrechtlichen Abreden mit Elementen der Pacht am Tankstellengrundstück und der Verpflichtung der Mineralölgesellschaft zur Vornahme oder zur Finanzierung der zum Betrieb der Tankstelle notwendigen Einbauten und beweglichen Einrichtungen, gelegentlich auch unter Einräumung einer Grunddienstbarkeit, verbunden 572. Der BGH hat in seinen Tankstellenurteilen 573 insbesondere die Besonderheiten der Ausgleichsberechnung betont. Einzelheiten hierzu § 89b Rn 320 ff; – Verlagsvertreter 574; – Versicherungsvertreter. Die Rechtsverhältnisse der Versicherungsvertreter sind in § 92 gesondert geregelt. Deshalb wird auf sie dort näher eingegangen. Zur Ausgleichsberechnung § 89b Rn 368 ff. – Warenvertreter, sind Vertreter, die Waren im Gegensatz etwa zu Diensten, Versicherungs- oder Bausparverträgen vermittteln 575. Der Warenvertreter, der für den Ein-

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V R 62/06, ZIP 2008, 503 = DB 2008, 620. Die steuerliche Entscheidung BFH, Urt. v. 20.12.2007 – V R 62/06, ZIP 2008, 503 = DB 2008, 620 lässt sich nicht in das Vertriebsrecht übertragen. § 84 Rn 30. Zu diesem Charakter der Superprovision siehe auch Westphal Vertriebsrecht I, Rn 691. BGHZ 43, 244; st. Rspr.; siehe BGH NJW 1985, 862; NJW 1998, 66; 1998, 71; NJW-RR 2002, 1548; BGH, Urt. v. 08.11. 2005 – KZR 18/04, BB 2006, 180; OLG Köln OLGR Köln 2003, 170; VersR 2001, 1234; Westphal OLGR-Kommentar 12/2002, K 35; Küstner/Thume I, Rn 131;

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Semmler Die Rechtsstellung des Tankstellenhalters zwischen Handelsvertreter und Vertragshändler, Baden-Baden 1995; Heyer Rechtsfragen an Tankstelle und Garage, Würzburg 1964; Rehbinder Der Tankstellenvertrag im Blickfeld der Rechtstatsachenforschung, Berlin 1971; aA English Court of Appeal; Entsch. v. 23.07.1999, ZEuP 2002, 823 m. Anm. Westphal. S. darüber Rehbinder Der Tankstellenvertrag im Blickfeld der Rechtstatsachenforschung 1971, auch Stolterfoth S. 48. NJW 1998, 66; 1998, 71; NJW-RR 2002, 1548; NJW-RR 2003, 821. Küstner/Thume I, Rn 130. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 8.

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oder Verkauf von Waren wirbt, formt das gesetzliche Vertreterleitbild 576, was sich pointiert darin äußert, dass allein er Normadressat der EG-Richtlinie ist. Also sind die §§ 84 ff zuvörderst auf ihn zugeschnitten, ohne dass andere Vertretertypen dem Regelungsappell des Gesetzes entzogen wären.

II. Abgrenzung nach rechtlicher Erscheinungsform 94

Nach der rechtlichen Erscheinungsform unterscheiden sich etwa:

95

1. Alleinvertreter und -vertrieb. Ein Mittler ist alleinvertriebsberechtigt, etwa Alleinvertreter, falls er „allein“ oder „exklusiv“ berechtigt ist, in dem ihm zugewiesenen Bezirk Geschäfte für das vertretene Unternehmen zu vermitteln oder abzuschließen. Wurde dem Mittler keine Ausschließlichkeit zugesichert, sind Direktgeschäfte des Unternehmers im Grundsatz zulässig. Die mildeste Ausgestaltung des Alleinvertriebsvertrages ist das Verbot an den Unternehmer, andere Absatzmittler im Vertragsgebiet zu beschäftigen oder zu beliefern 577. Die nächst intensivere Ausgestaltung der Pflicht ist das zusätzliche Verbot, selbst im Vertragsgebiet tätig zu werden, womit Direktgeschäfte des Unternehmers ausgeschlossen werden 578. Fehlt im Vertrag eine Regelung, liegt ein nicht ausschließliches Vertriebssystem vor 579. Grundsätzlich ist bei zugesichertem Alleinvertrieb davon auszugehen, dass der Mittler 96 umfassend geschützt werden soll: Der Unternehmer darf weder selbst oder durch andere Vertriebsmittler tätig werden 580. Hingegen darf der HV im Zweifel auch andere, nicht im Wettbewerb zum Unternehmer stehende Unternehmer vertreten 581. Während der Bezirksvertreter kein Ausschließlichkeitsrecht hat, in dem ihm zugewiesenen Bezirk tätig zu werden – was letztlich unerheblich ist, da er auch für Direktgeschäfte oder für von anderen Mittlern vermittelte Geschäfte Provision erhält –, steht dem Alleinvertreter ein solches Recht zu 582. Dies schließt die Tätigkeit des Unternehmers selbst, durch andere Mittler, durch nahestehende Dritte oder beherrschte Unternehmen aus 583. Im Einzelfall kann eine andere Wertung gerechtfertigt sein 584. Der Unternehmer umgeht vertragswidrig ein Alleinvertriebsrecht des HV, wenn er Vertragsware, etwa Kleincomputer, lediglich mit anderem Gehäuse und anderer Beschriftung vertreibt 585. Der Unternehmer kann seine Unterlassungspflichten aber einschränken, indem er sich bestimmte Kunden oder Geschäfte vorbehält. Er muss dem Vertragshändler hierfür jedoch eine angemessene Entschädigung gewähren 586, da er im Grundsatz eine Vertragsverletzung begeht (wogegen eingewandt werden könnte, dass ein vertragliches Recht auch unter Einschränkungen 576 577 578

579 580

581

MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 8. Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 67. BGH NJW-RR 1993, 682; Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 67, 276. Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 69. BGH, Urt. v. 09.01.1961 – VII ZR 219/59, DB 1961, 601; BGH NJW-RR 1993, 678; Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 279. BGH DB 1961, 601; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87 Rn 22; Hopt § 87

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582 583

584 585 586

Rn 24; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene Rn 16; § 87 Rn 80; Schlegelberger/ Schröder § 87 Rn 31d, 58b; Hopt ZIP 1996, 1533 (1534); Peterek BB 1966, 351; Schröder BB 1962, 738 (739). Küstner/Thume I, Rn 146. BGH BB 1993, 2399; BB 1970, 99; Westphal Vertriebsrecht II, Rn 375 für den Vertragshändlervertrag. BGH BB 1970, 99; Westphal Vertriebsrecht II, Rn 375. BGH BB 1972, 1204; K. Schmidt Handelsrecht, § 28 II 2c. Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 276.

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erteilt werden darf). Je weiter der Vertriebsmittler in die Absatzorganisation des Unternehmers eingebunden ist, insbesondere finanzielle Verpflichtungen oder Verpflichtungen übernommen hat, werden die Eingriffsrechte des Unternehmers eingeschränkt. Im Falle einer Verletzung seines Alleinvertriebsrechts durch den Unternehmer steht dem HV Schadenersatz zu 587, jedoch kein Anspruch auf Vergütung in analoger Anwendung des § 87 Abs. 2 oder aus § 687 Abs. 2 BGB 588. Zudem darf der Mittler Unterlassungsansprüche geltend machen 589. Er kann auf Unterlassung der Direktgeschäfte klagen und seine Rechte im Wege der einstweiligen Verfügung durchsetzen. Schließlich besitzt er – nach Abmahnung – ein außerordentliches Kündigungsrecht 590. Problematisch ist oft die Frage, ob dem HV tatsächlich ein Alleinvertriebsrecht zuge- 97 billigt wurde oder ob er „nur“ Bezirksvertreter werden sollte. Das Alleinvertriebsrecht schränkt die Handlungsmöglichkeiten des Unternehmers stärker als die Einsetzung als Bezirksvertreter ein, weil die Stellung als Bezirksvertreter lediglich die Forderung nach Bezirksprovision zur Folge hat, nicht jedoch ein Ausschließlichkeitsrecht zum Vertrieb. Die bloße Zuweisung eines Vertretungsbezirks berechtigt den HV also nicht zur Alleinvertretung des vertretenen Unternehmens 591. Es bedarf vielmehr einer klaren Absprache 592, die nur dann vorliegt, wenn entweder der Begriff des Alleinvertreters (oder ein ähnlicher Terminus) gebraucht wurde oder dessen Tatbestandsmerkmale – Ausschluss anderer Mittler oder des Unternehmers von werbender Tätigkeit im Bezirk des HV – vertraglich umschrieben wurden. Die Bezeichnung als „Generalvertreter“ reicht hierfür nicht 593. Hat sich der Unternehmer verpflichtet, Anfragen von Kunden an den HV weiterzuleiten, hat dies in gehöriger Frist und Form 594 und auch hinreichend zeitnah zu geschehen. Das OLG München 595 entschied, dass der Hersteller trotz eines Alleinvertriebsrechts 98 bereits während des Laufs der Kündigungsfrist berechtigt sein kann, einen weiteren Händler neben einem Kfz-Vertragshändler in dessen Gebiet einzusetzen. Zu einem wirtschaftlich sinnvollen Übergang von einem zum anderen Vertragshändler bedürfe es einer Übergangszeit, in der sich der neue neben dem alten Vertragshändler am Markt etablieren könne. Eine angemessene Übergangszeit unter Berücksichtigung der besonderen Gegebenheiten sei mit einem Jahr anzusetzen. Diese Auffassung dürfte eher abzulehnen sein 596, da die Kündigungsfrist eine Umstellungsfrist sein soll und dem Vertragshändler ungekürzt zur Verfügung steht. Wenn er durch den Einsatz eines anderen Händlers, der u.U. vom Hersteller besser unterstützt wird, praktisch vorzeitig zumindest „teilgekündigt“ wird, widerspricht dies dem Grundsatz pacta sunt servanda. Zudem wird der Ausgleichsanspruch, der regelmäßig auf der Basis des letzten Vertragsjahres berechnet wird, unzulässig verkürzt 597. Auch ohne Vereinbarung eines Alleinvertriebsrechts kann der Hersteller aufgrund sei- 99 ner Treupflicht gehindert sein, Direktgeschäfte im Vertragsgebiet vorzunehmen 598 (§ 86a 587 588 589

590 591 592

BGH NJW 1984, 2411; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 105. Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 280. Küstner/Thume I, Rn 146; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 16; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 105. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 105. Küstner/Thume I, Rn 149. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 43; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 81; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 31a.

593

594 595 596 597 598

BGH, Urt. v. 18.03.1970 – VIII ZR 57/68, MDR 1970, 584; OLG Celle BB 1956, 95; Ebenroth/Löwisch, § 84 Rn 43; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 81; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 30a, 31d. Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 22a. Urt. v. 14.10.1993 U (K) 5333/92. Westphal Vertriebsrecht II, Rn 571. Westphal Vertriebsrecht II, Rn 571. BGH NJW-RR 1987, 628; BGH BB 1984, 1313; BGH NJW-RR 1993, 678; BGH NJW 1994, 1060 (1061); OLG Zweibrücken BB

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Rn 29). Insbesondere darf der Unternehmer nicht existenzgefährdend werbend im Gebiet oder Kundenkreis des Mittlers tätig werden. Je weitgehender der Absatzmittler dem Vertriebsinteresse des Unternehmers untergeordnet wird, um so eher sind dem Unternehmer eigene Vertriebsinteressen auf der Handelsstufe des Absatzmittlers verboten 599. Der BGH 600 hat dies in einem Vertragshändlervertrag angenommen, in welchem der Vertragshändler sich den Vertriebsinteressen des Herstellers unterzuordnen hatte. Der Mittler hatte es unter anderem übernommen, einen Teil seines Personals speziell für den Vertrieb der Herstellerprodukte einzusetzen, war Mindestabnahmeverpflichtungen sowie ein Konkurrenzverbot eingegangen und zur eingehenden Berichterstattung verpflichtet. Die Treupflicht verbot dem Hersteller allerdings nur Direktgeschäfte im Vertragsgebiet. Weitere Vertriebsmittler hätte der Unternehmer einsetzen dürfen, soweit es zu keinen Kannibalismus unter ihnen kommt 601. Die Existenz des Alleinvertriebsrechts hat derjenige zu beweisen, zu dessen Gunsten 100 es gereicht. Abweichend hiervon trägt bei entsprechender Andeutung im Vertrag aber fehlender abschließender Klarheit wohl die Partei die Beweislast, die den Vertrag (missverständlich) formulierte.

101

2. Arbeitnehmerähnliche Handelsvertreter. § 92a i.V.m. § 5 Abs. 3 ArbGG nennt die sogenannten „arbeitnehmerähnlichen Handelsvertreter“. Die Norm verdrängt § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG 602. Zu den arbeitnehmerähnlichen HV zählen Einfirmenvertreter, die während der letzten sechs Monate des Vertragsverhältnisses und bei kürzerer Vertragsdauer während jener im Durchschnitt monatlich nicht mehr als € 1.000 aufgrund des Vertragsverhältnisses an Vergütung einschließlich Provision und Ersatz für im regelmäßigen Geschäftsbetrieb entstandene Aufwendungen erzielen 603. Für gerichtliche Auseinandersetzungen solcher HV ist nur die Zuständigkeit des ArbG gem. §§ 2 Abs. 1, 5 Abs. 3 ArbGG begründet 604. Die Norm setzt die Tätigkeit eines selbstständigen HV voraus. Es kann daher nicht dahinstehen, ob der Außendienstmitarbeiter selbstständig oder unselbstständig ist 605. Zur Bestimmung der Verdienstgrenze siehe die Kommentierung zu § 92a. Bedeutung 102 hat § 5 Abs. 3 ArbGG lediglich für die gerichtliche Zuständigkeit 606. Arbeitnehmerähnliche Vertreter bleiben HV 607 nach HGB, solange die Tatbestandsvoraussetzungen des § 84 Abs. 1 erfüllt sind 608. Insbesondere sind sie ausgleichsberechtigt, sofern sie nicht

599 600 601 602

603

1983, 1301; Ulmer S. 428; Semler DB 1985, 2493; Genzow S. 52 f; Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 279. BGH, Urt. v. 10.02.1993, BB 1993, 2399; Westphal Vertriebsrecht II, Rn 376. Urt. v. 10.02.1993, BB 1993, 2399. BGH, Urt. v. 10.02.1993, BB 1993, 2399; Westphal Vertriebsrecht II, Rn 378. BAG v. 15.07.1961, AP HGB, § 92a Nr. 1; BGH v. 25.10.2000 – VIII ZB 30/00; LAG Niedersachen v. 05.05.2003, NZA-RR 2004, 324; Germelmann/Müller-Glöge ArbGG, § 5 Rn 28. OLG Saarbrücken, Beschl. v. 09.05.2005 – 5 W 92/05 – 23, VersR 2005, 1216; Martinek/Flohr § 8 Rn 27. Die Vergütungsgrenze belief sich zunächst auf DM 500,–, seit dem

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604

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28.01.1968 dann auf 1000,– DM, seit dem 01.02.1976 auf DM 1500,– und seit dem 01.07.1979 auf DM 2000,–. OLG Saarbrücken, Beschl. v. 09.05.2005 – 5 W 92/05 – 23, VersR 2005, 1216; LAG Stuttgart, Beschl. v. 23.02.2005 – 6 Ta 1/05, VersR 2005, 832; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 29.07.2004 – 5 W 144/2004 – 49, EWiR 2005, 147 (Rouvray). OLG Saarbrücken, Beschl. v. 29.07.2004 – 5 W 144/2004 – 49, EWiR 2005, 147 (Rouvray). BAG MDR 2003, 814 (815). BAG MDR 2003, 814 (815); Martinek/Flohr § 8 Rn 27. Germelmann/Müller-Glöge ArbGG, § 5 Rn 23 ff.

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bloß nebenberufliche HV i.S.d. § 92b sind 609. Das folgt sowohl aus der Entstehungsgeschichte der Norm wie ihrem Sinn und Zweck, nach der solche HV den Rechtstreit unabhängig vom Streitwert ohne anwaltliche Unterstützung führen dürfen und im Vergleich zur ordentlichen Gerichtsbarkeit im Falle des Unterliegens im Rechtsstreit die Belastung mit Gebühren und Kosten geringer ausfällt (§§ 12, 12a Absatz 1 Satz 1 ArbGG) 610. Arbeitnehmer, die materiellem Arbeitsrecht unterliegen, werden solche Mittler nur, wenn an die Stelle der persönlichen Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit das Merkmal der wirtschaftlichen Abhängigkeit tritt. Ferner muss der wirtschaftlich Abhängige auch seiner gesamten sozialen Stellung nach einem Arbeitnehmer vergleichbar sozial schutzbedürftig sein 611. Liegt ein sog. sic-non-Fall vor, in dem sowohl die Zulässigkeit wie die Begründetheit 103 davon abhängen, dass der Kläger arbeitnehmerähnliche HV oder Arbeitnehmer ist, genügt für die Zulässigkeit einer an das ArbG gerichteten Klage die Behauptung, es lägen die Tatsachenvoraussetzungendes § 5 Abs. 3 ArbGG vor bzw. es habe ein Arbeitsverhältnis bestanden, ohne dass im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung entschieden werden muss, ob der Kläger arbeitnehmerähnlicher HV, Arbeitnehmer oder selbstständiger HV ist 612. Damit bestimmt sich der Rechtsweg nach dem schlüssigen Tatsachenvortrag der klagenden Partei 613. Maßgebend für die den Rechtsweg sind die Umstände im Zeitpunkt des Entstehens des eingeklagten Anspruchs 614. Nach einer Ansicht ist sogar dann allein auf den Klägervortrag abzustellen, wenn es sich bei den maßgeblichen Umständen nicht um doppelrelevante Tatsachen handelt 615. Es sei allein maßgeblich, ob die vom Kläger zur Begründung seines Anspruchs behaupteten Tatsachen Rechtsbeziehungen oder Rechtsfolgen ergäben, die in die Zuständigkeit der Zivilgerichte fielen. Zwar bestehe das Risiko, dass der Kläger durch einseitigen Vortrag die Zuständigkeit der Gerichte bestimme. Hierdurch werde die jeweilige Beklagte aber nicht unzumutbar beeinträchtigt. Denn die einseitige Berücksichtigung des Klägervortrags beschränke sich auf die Frage der Zulässigkeit des Rechtswegs. 3. Bezirksvertreter. Wurde einem HV ein Vertretungsbezirk oder ein bestimmter 104 Kundenkreis zur Bearbeitung zugewiesen, ist er Bezirksvertreter i.S.d. § 87 Abs. 2 616. Bedeutung hat dies für die Provisionspflicht, da der Bezirksvertreter gemäß § 87 Abs. 2 einen Provisionsanspruch für alle Geschäfte geltend machen darf, welche der Unternehmer mit Kunden seines Bezirks bzw. Kundenkreises schließt, auch wenn er das Geschäft nicht selbst vermittelt hat 617. Im Einzelnen siehe § 87. 4. Ein- und Mehrfirmenvertreter. Ein- und Mehrfirmenvertreter unterschieden sich 105 danach, ob sie gleichzeitig für verschiedene Unternehmen tätig sind. Soll der HV als Einfirmenvertreter nur für einen Unternehmer tätig werden, muss der Vertretervertrag dies eindeutig bestimmen. Im Zweifel darf jeder Vertreter mehrere Unternehmer vertreten 618, 609 610 611 612

613 614 615

Küstner/Thume II, Rn 89. BAG MDR 2003, 814 (815). BGH DB 2003, 198 = MDR 2003, 285. LAG Hamm, Beschl. v. 14.05.2007 – 2 Ta 646/06, BeckRS 2007, 47017; BAG v. 19.12.2000 – 5 AZB 16/00, NZA 2001, 285; v. 17.01.2001 – 5 AZB 18/00, NZA 2001, 341. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 14. BGH, Beschl. v. 21.10.1998 – VIII ZB 54/97, NJW 1999, 648 (650, 651). OLG Celle Beschl. v. 04.06.2007 – 11 U 293/06, OLGR 2008, 177.

616 617

618

Martinek/Flohr § 8 Rn 24; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 15. Vgl. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 93 f; Küstner/Thume I, Rn 142 ff; Martinek/Flohr § 8 Rn 24; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 15. Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer Rn 13; Hopt Rn 30; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene Rn 14; ausführlich Schlegelberger/Schröder Rn 4.

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soweit sie nicht konkurrierende Produkte vertreiben. Der Einfirmenvertreter soll nach Hopt zum Ausschließlichkeitsvertreter werden, wenn er nur für einen Unternehmer tätig sein darf und stärker in dessen Geschäftsbetrieb eingegliedert wird, als es bei einem gewöhnlichen Einfirmenvertreter üblich ist 619. Für den Einfirmenvertreter kann der Bundesminister für Justiz Mindestarbeitsbedingungen festlegen (§ 92a). Näheres dazu und zum Einfirmenvertreter bei § 92a.

106

5. Handelsvertreter im Nebenberuf (§ 92b). Für den HV im Nebenberuf, der ein echter HV im Sinne der §§ 84 ff ist 620, gilt § 92b. Zu den Besonderheiten dieses Phänotyps wird bei § 92b ausgeführt.

107

6. Vertreter mit Kundenschutz. Wird dem HV vertraglich Kundenschutz zugesichert, bedeutet dies im Zweifel, dass der Unternehmer nicht selbst unter Umgehung oder Ausschaltung des Vertreters mit den geschützten Kunden in Verbindung treten darf und die Kontaktaufnahme durch andere, von ihm abhängige Vertriebsmittler zu unterbinden hat 621. Handelt der Unternehmer dieser Verpflichtung zuwider schuldet er Schadenersatz. Wird eine Provision für alle Geschäfte mit geschützten Kunden versprochen, ist dieser HV Bezirksvertreter i.S.d. § 87 Abs. 2.

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7. Minderjährige. Auch Minderjährige, die das 7. Lebensjahr vollendet haben (§ 106 BGB), dürfen als HV tätig sein 622. Erforderlich ist die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters (§ 107 BGB) 623. Zudem kann mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts eine Ermächtigung nach § 112 BGB verteilt werden 624. Nach Erteilung ist der Minderjährige für solche Rechtsgeschäfte unbeschränkt geschäftsfähig, welche der Geschäftsbetrieb mit sich bringt (§ 112 BGB) 625. Beim HV sind das alle Rechte und Pflichten, die sich aus dem Handelsvertretergeschäft ergeben können, z.B. die Unterwerfung unter Vertragsstrafen, Provisionsrückforderungsansprüche des Unternehmers 626 oder Wettbewerbsabreden 627 (dann ist aber gem. § 242 BGB eine verschärfte Ausübungskontrolle richtig). Die Ermächtigung ist eine einseitige, formfreie, an den Minderjährigen zu richtende Willenserklärung, die erst mit einer nach pflichtgemäßem Ermessen zu erteilenden Genehmigung des Vormundschaftsgerichts wirksam wird 628. Die Wirksamkeit eines von einem minderjährigen Handelsvertreter eingegangenen Wettbewerbsverbot beurteilt sich nach den allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechts (§ 106 ff BGB) 629. Ein Geschäftsunfähiger kann dagegen nicht Handelsvertreter sein, weil ein entsprechender Vertrag nicht geschlossen werden darf 630.

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8. Absatz 3: Untervertreter. Unterschieden werden „echte“ und „unechte“ Untervertreterverträge 631. 619 620 621 622

623 624

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Hopt ZIP 1996, 1533 (1534). Martinek/Flohr § 8 Rn 26. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 45. BAG 15, 335; Behrend NJW 2003, 1563 (1564); MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 84 Rn 19. Schlegelberger/Schröder § 85 Rn 4. Behrend NJW 2003, 1563 (1564); MünchKomm HGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 19. Schlegelberger/Schröder § 85 Rn 4.

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Behrend NJW 2003, 1563 (1564). Behrend empfiehlt jedoch, von den Erziehungsberechtigten eine Sicherheit einzufordern. Schlegelberger/Schröder § 85 Rn 4. Palandt/Heinrichs § 112 Rn 2. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 20. AA wohl MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 84 Rn 20. Siehe Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 61 ff; Küstner/Thume II, Rn 77 ff.

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a) Echte Untervertreter. Nach Abs. 3 kann Unternehmer auch ein HV sein. Die Gruppe 110 der HV mit Untervertretern wird vom Gesetz also besonders hervorgehoben. Der Hauptvertreter bedient sich dann eines oder mehrerer echter Untervertreter zur Erfüllung seiner Aufgaben. Wird der Vertretervertrag im eigenen Namen zwischen einem Ober-, Hauptoder Generalvertreter und einem Untervertreter geschlossen, liegt ein echter Untervertretervertrag vor 632, der rechtstechnisch nichts anderes als ein Vertretervertrag i.S.d. §§ 84 ff ist 633, sofern die Tatbestandsvoraussetzungen des § 84 Abs. 1 erfüllt sind 634. § 84 Abs. 3 spricht nur diesen echten Untervertreter an 635. Der Einsatz von Untervertretern widerspricht – wie § 84 Abs. 3 zeigt – regelmäßig nicht der Verpflichtung zur persönlichen Dienstleistung i.S.d. §§ 613, 664 BGB 636, sofern der Hauptvertreter die persönliche Dienstpflicht nicht vollumfänglich überträgt, sondern lediglich unter seiner Überwachung Hilfskräfte tätig werden lässt, die einzelne, bestimmte Tätigkeiten ausführen, ohne dass eine Substitution vorliegt 637. Ob und inwieweit der Hauptvertreter Untervertreter oder sonstige Hilfspersonen zur Ausführung des ihm übertragenen Auftrags beiziehen darf, bestimmt sich nach dem Vertrag zwischen Hauptvertreter und Unternehmer. Als selbständiger Kaufmann darf der Vertreter grundsätzlich selbst die Wahl über den Einsatz von Hilfspersonal treffen. Regelmäßig besitzt der „Hauptunternehmer“ kein Mitspracherecht 638, es sei denn, die Person des Untervertreters ist dem Unternehmer unzumutbar. Jedoch kann im Ausnahmefall die vertragliche Pflicht zur persönlichen Vertragserfüllung bestehen. Im Zweifel wird der Hauptvertreter bei seiner Tätigkeit nicht ausschließlich unmittelbar persönlich tätig werden und mitwirken müssen, sondern Untervertreter einsetzen dürfen 639, wobei auch Untervertretergesellschaften nicht selten sind 640. Der Untervertreter ist Erfüllungsgehilfe des Hauptvertreters 641. Der Obervertreter ist im Verhältnis zum Untervertreter Unternehmer i.S.d. § 84 Abs. 3. Ein Untervertreter verdient seine Provision, sobald der Auftraggeber des Hauptvertreters das vermittelte oder abgeschlossene Geschäft ausführt 642. Der wirtschaftliche Erfolg des Geschäfts des Untervertreters wird dem Hauptvertreter also zugerechnet 643. Sein Provisionsanspruch entfällt, wenn feststeht, dass entweder der Endabnehmer nicht an den Unternehmer zahlt oder der Unternehmer den Provisionsanspruch des Hauptvertreters nicht erfüllt (§ 87a Abs. 2) 644. Die Vergütung des Untervertreters aufzubringen ist Sache des Hauptvertreters, der sie 111 aus seiner eigenen Provision zu zahlen hat. Einen Ausgleichsanspruch besitzt der echte Untervertreter nur gegenüber dem Hauptvertreter 645, wenn diesem Vorteile – etwa in Form eines eigenen Ausgleichsanspruchs gegenüber dessen Unternehmer – verbleiben. Das setzt die Durchsetzbarkeit des Ausgleichs des Hauptvertreters im Verhältnis zu seinem Unternehmer voraus, wobei es keine Rolle spielt, ob der Hauptvertreter den Anspruch tatsächlich durchsetzt (der Vorteil liegt bereits im potentiell durchsetzbaren 632 633 634

635 636

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Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 61. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 63. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 61; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 84 Rn 40; Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 36. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 61. BGHZ 56, 290; BGH ZIP 1998, 420 (421); Hopt § 84 Rn 22; Ebenroth/Löwisch, § 84 Rn 64. Martinek/Flohr § 8 Rn 20. AA Eberstein S. 53. BGHZ 56, 290; 59, 87 (92, 93); Ebenroth/ Löwisch § 84 Rn 64; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 3; Hopt § 86

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641 642 643 644 645

Rn 18, 19; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 86 Rn 8; Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 39, § 86 Rn 14; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 68. Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 58; Westphal BB 1999, 2517 (2520); Ebenroth/ Löwisch § 84 Rn 61; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 17. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 47. Martinek/Flohr § 8 Rn 20. BGHZ 59, 87 (92). Martinek/Flohr § 8 Rn 20. Küstner/Thume II, Rn 79; Martinek/Flohr § 8 Rn 20.

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Anspruch). Käme es auf die tatsächliche Durchsetzung an, wäre der Hauptvertreter unter dem Gesichtspunkt der Treupflicht gegenüber dem Untervertreter zur tatsächlichen Durchsetzung verpflichtet. Spiegelbildlich richten sich die Vertragspflichten des echten Untervertreters einschließlich der Interessenwahrungspflicht 646 und des Wettbewerbsverbots 647 des Untervertreters ausschließlich auf den Hauptvertreter. Vertragsbeziehungen zwischen dem Untervertreter und dem vom Obervertreter vertretenen Unternehmer existieren also nicht, allenfalls ein vorvertragliches Vertrauensverhältnis, wenn der „Hauptunternehmer“ im Rahmen der Vertragsverhandlungen zwischen Haupt- und Untervertreter besonders hervortrat und besonderes Vertrauen für sich in Anspruch nahm. Jedoch kann der Untervertreter im Untervertretervertrag auf die Beachtung der Bestimmungen des Hauptvertretervertrages verpflichtet werden, wobei dem Unternehmer daraus im Zweifel kein eigenes Recht gegen den Untervertreter auf Vertragserfüllung zusteht. Auch darf der Hauptvertreter – soweit nach dem Inhalt der Rechte und dem Vertrag zwischen Hauptvertreter und Unternehmer zulässig – ihm gegenüber dem Unternehmer zustehende Rechte an seinen Untervertreter abtreten 648. Fehlt es an einer solchen Regelung, sind die Bestimmungen des Hauptvertrages bei der Auslegung des Untervertrages nur zu berücksichtigen 649, wenn sie dem Untervertreter bekannt waren. Jedoch gehört die Wahrung der Interessen des Hauptvertreters zu den mittelbaren Vertragspflichten des echten Untervertreters, weil der Untervertreter gehalten ist, die Interessen des Hauptvertreters wahrzunehmen und es im Interesse des Hauptvertreters liegt, die Interessen seines Unternehmers wahrzunehmen. Dadurch wird der Untervertreter mittelbar zur Interessenwahrung gegenüber dem Unternehmer seines Hauptvertreters verpflichtet 650 („Durchleitung“ oder „Durchgriff“), sofern ihm diese Interessen bekannt sind. Bei Interessenkollisionen zwischen den Interessen des Hauptvertreters und denen seines Unternehmers gehen für den Untervertreter aber die Interessen seines Vertragspartners, des Hauptvertreters, vor 651. Auch die Auskunftsrechte gem. § 87c stehen dem Untervertreter allein gegenüber dem Hauptvertreter zu 652, der aber – je nach Zumutbarkeit 653 – einklagbar und gemäß § 888 ZPO vollstreckbar 654 verpflichtet sein kann, zu deren Erfüllung eigene Auskunftsrechte gegenüber seinem Unternehmer geltend zu machen 655. Ausnahmsweise kann gem. § 242 BGB ein eigenes Auskunftsrecht des Untervertreters gegenüber dem Unternehmer des Hauptvertreters bestehen 656, insbesondere wenn jenem die Tätigkeit des Untervertreter auch in seinem Interesse bekannt ist. Der Hauptvertreter haftet seinem Unternehmer für Fehler des Untervertreters nach § 280 BGB i.V.m. § 278 BGB 657. Die Überwachungspflichten des Hauptvertreters ver646 647 648 649

650

651

MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 46; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 47. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 47. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 63. Großzügiger: Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 63: Die Bestimmungen sind immer zu berücksichtigen. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 46; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 47; § 84 Rn 63. AA Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 63: Interessen des Unternehmers sind gegenüber denen des Hauptvertreters vorrangig.

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652 653

654 655 656 657

Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 56. Die Grenzen dieser Zumutbarkeit sind schwer zu bestimmen. Denn macht der Hauptvertreter Auskunftsrechte gegenüber seinem Unternehmer geltend, droht u.U. eine erhebliche Belastung der Beziehungen. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 56. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 56. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 56. BGHZ 59, 87 (92); OLG Hamm MDR 1959, 1016; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 65; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer, § 86

Raimond Emde

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 84

dichten sich, falls er von Nachlässigkeiten des Untervertreters Kenntnis erlangt. Für mangelnde Auswahlsorgfalt bei Bestellung des Untervertreters haftet der Hauptvertreter unmittelbar nach § 276 BGB, und damit bei unsachgemäßer Auswahl auch dann, wenn ein Erfüllungsgehilfen-Verschulden aus der Person des Untervertreters im konkreten Falle nicht gegeben wäre – es sei denn, der Hauptvertreter könnte dartun, dass das gleiche (objektive) Versagen auch einem sorgfältig ausgewählten Untervertreter unterlaufen wäre. Ob der Abschlussvertreter seinem Untervertreter Abschlussvollmacht für den Unter- 116 nehmer erteilen darf, bestimmt sich nach dem Vertretervertrag zwischen Hauptvertreter und dessen Unternehmer, ist aber im Regelfall anzunehmen 658. Sollte der Abschlussvertreter keine Untervollmacht erteilen dürfen, darf er eine solche dem Untervertreter nicht zum Handeln im Namen des Hauptvertreters erteilen 659, weil dann mittelbar auch Vollmacht zur Verpflichtung des Hauptunternehmers erteilt wäre. Die Laufzeit des Haupt- und Untervertretervertrages sind getrennt zu bestimmen, der 117 Untervertretervertrag endet nicht „automatisch“ mit Vertragsende des Hauptvertretervertrages. Auch gibt es keine Vermutung, dass das Untervertreterverhältnis nicht länger als das Hauptvertretungsverhältnis dauern soll 660. Dem widerspricht schon, dass anderenfalls die zwingenden Kündigungsfristen des § 89 im Untervertretervertrag nicht gelten würden, nämlich dann, wenn gegenüber dem Hauptvertreter am letzten Tag der Frist gekündigt wird, die korrespondierende Kündigung gegenüber dem Untervertreter jedoch wegen Fristversäumung fehlschlägt. Im Untervertretervertrag sollten daher kürzere Kündigungsfristen als im Hauptvertrag vorgesehen werden, damit der Hauptvertreter den Untervertretervertrag noch rechtzeitig kündigen kann, sollte ihm gegenüber gekündigt werden. Jedoch wird er dann gegenüber dem Untervertreter ausgleichspflichtig, die verbleibenden Vorteile des Hauptvertreters i.S.d. § 89b Abs. 1 Nr. 1 valutieren zumindest in Höhe der eigenen Ausgleichsberechtigung gegenüber dem Hauptunternehmer. Wird der Hauptvertretervertrag mit unzulässig kurzer Frist gegenüber dem Hauptvertreter gekündigt und schließt sich daran eine Kündigung des Haupt- gegenüber dem Untervertreter an, wird der Hauptvertreter regelmäßig unter dem Gesichtspunkt seiner ihm gegenüber dem Untervertreter obliegenden Förderpflicht (§ 86a Rn 28 ff) gehalten sein, seine Rechte gegenüber seinem Unternehmer geltend zu machen, soweit nach pflichtgemäßem Ermessen Erfolgsaussichten bestehen. Dies kann je nach den Umständen des Einzelfalls soweit gehen, dass der Hauptvertreter sich mittels einstweiliger Verfügung auf vertragsgemäße Fortführung des Vertrages (§ 86a Rn 34) in den Stand setzen muss, vom Untervertreter vermittelte Geschäfte weiter entgegenzunehmen oder – beim Vertragshändler – den Unterhändler (B-Händler) zu beliefern. b) Unechte Untervertreter. Möglich und nicht selten ist aber auch eine andere Art 118 des Einsatzes von Untervertretern. Kommt der Untervertretervertrag – ggf. durch Zeichnung des in Vollmacht für den Unternehmer handelnden Generalvertreters 661 – unmittelbar zwischen dem (vom Hauptvertreter) vertretenen Unternehmen und dem Untervertreter zustande, handelt es sich um einen unechten Untervertretervertrag 662. Der Untervertreter ist dann allein dem vertretenen Unternehmer gegenüber berechtigt und

658

659

Rn 3; Hopt § 86 Rn 18 f; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 8. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 96; Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 36 ff; aA Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 63. Vgl. hierzu Martinek/Flohr § 8 Rn 20.

660 661

662

So aber Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 63. Zu diesem Begriff: MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 18; Küstner/ Thume I, Rn 157. Siehe Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 62.

Raimond Emde

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§ 84

1. Buch. Handelsstand

verpflichtet, der Hauptvertreter beschränkt sich häufig auf die Überwachung der unechten Untervertreter. Unechte Untervertreterverträge werden meist dann geschlossen, wenn es für den vertretenen Unternehmer wegen der Größe der Außendienst-Organisation oder wegen der räumlichen Ausdehnung der Vertreterbezirke zweckmäßig ist, einen Teil seiner Befugnisse auf einen Hauptvertreter zu delegieren 663. Das Direktionsrecht des vertretenen Unternehmers wird häufig durch den dem Untervertreter organisatorisch übergeordneten „Generalvertreter“ des Unternehmers ausgeübt 664, der Hauptvertreter, Verkaufsleiter, Subdirektor (im Versicherungswesen), Generalvertreter, Generalagent oder – missverständlich – Bezirksvertreter u.ä. genannt wird 665. Die Tätigkeit des Hauptvertreters im Extremfall beschränkt sich darauf, Untervertreter einzustellen, zu führen und zu überwachen 666. Häufig findet sich diese Gestaltung im Strukturvertrieb (s.o.) 667, der besonders von Versicherern gewählt wird. Der Generalvertreter erhält einen Anteil der insgesamt für den Abschluss ausgeworfenen Provision oder einen Anteil an der Provision des Untervertreters (Superprovision oder Provisionsspitze) 668. Auch in diesen Verhältnissen wird ihm der Vermittlungserfolg des Untervertreters als eigener (mit) zugerechnet, da die Führungs- und Beaufsichtigungstätigkeit des Generalvertreters über die ihm unterstellten Untervertreter als hierfür mitursächlich angesehen wird 669, dem Generalvertreter obliegt auch insoweit die echte Verpflichtung zur umsatzfördernden Tätigkeit 670. Ob der Hauptvertreter mit einer hohen Zahl unechter Untervertreter noch werbende 119 Tätigkeiten ausführt, also Handelsvertreter mit eigenem Ausgleichsanspruch gegenüber dem Unternehmer bleibt, ist gerade im Strukturvertrieb Gegenstand der Diskussion 671. Denn die leitende Tätigkeit nimmt – je weiter man sich der Spitze der Organisation nähert – einen immer breiteren Raum ein; die werbende Tätigkeit tritt zurück 672. Deshalb wird die Superprovision hier, meist mit dem Ziel sie der Ausgleichsberechnung zu entziehen, als Verwaltungsprovision bezeichnet 673. Regelmäßig wird auch hier der Vermittlungserfolg der unechten Untervertreter dem Generalvertreter zugerechnet, so dass der Generalvertreter – mittelbar – werbend tätig ist.

120

9. Vermittlungs- und Abschlussvertreter. Der Vermittlungsvertreter ist verpflichtet, den Abschluss von Verträgen zwischen den von ihm vertretenen Unternehmer und Dritten als Kunden in die Wege zu leiten 674. Er bildet in der Praxis die Regel 675. Man wird ihn als ermächtigt ansehen müssen, als Empfangsvertreter des Unternehmers das Angebot des Geschäftspartners entgegenzunehmen 676. In der Minderzahl der Fälle ist der Handelsvertreter auch Abschlussvertreter. Er kann dann das Angebot des Geschäftspartners zugleich namens des Unternehmers annehmen und den Abschluss damit perfekt machen.

663 664 665 666 667 668 669

Küstner/Thume I, Rn 156. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 62. Küstner/Thume II, Rn 81. BFH, Urt. v. 10.06.1999 – V R 10/98, DB 1999, 1988 (1989). Siehe Emde MDR 1999, 1108 ff. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 691; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 62. BGHZ 56, 290 (293); Emde MDR 1999, 1108 ff.

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670 671 672

673 674 675 676

BGHZ 59, 87 (93). Ablehnend 4. Aufl., § 84 Rn 30. Vgl. BFH, Urt. v. 20.12.2007 – VR 62/06, ZIP 2008, 503 = DB 2008, 620; Küstner/ Thume II, Rn 82. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 691. Martinek/Flohr § 8 Rn 19. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 13. Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 18c.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 84

10. Vertretergesellschaften. Handelsgesellschaften dürfen HV-Geschäfte betreiben 677. 121 Die Gesellschaft ist dann persönlich i.S.d. § 613 BGB verpflichtet 678. Bei einer stillen HV-Gesellschaft wird der stille Teilhaber nicht HV, ebenso wenig mangels Rechtsfähigkeit die Erbengemeinschaft oder der nicht rechtsfähige Verein 679. Da der HV – mit Ausnahme des Versicherungsvertreters – anders als etwa in Italien (Art. 5 Disciplina dell’ attivitá di agente e rappresentente die commercio) – keinerlei persönliche Qualifikationen zur Ausübung seines Berufes aufweisen muss 680, kann deren Fehlen auch nicht die Tätigkeit durch eine Kapitalgesellschaft ausschließen, etwa weil die Kapitalgesellschaft eine derartige persönliche Qualifikation nicht besitzen kann 681, wie sie teilweise bei freien Berufen vorgeschrieben wird (vgl. etwa § 3 I BÄO, § 4 I BAO). Früher wurde vertreten, es sei nach der Eigenart des Handelsvertretervertrages ausge- 122 schlossen, etwa GmbHs mit der Ausführung von Handelsvertretergeschäften zu beauftragen. So schrieb Hans Möller 682 noch 1944, zu einem Zeitpunkt, als sich die VertreterGmbH ansatzweise bereits etabliert hatte 683, dass „eine nähere Prüfung … ergeben (dürfte), dass Kapitalgesellschaften für die Versicherungsvermittlung nicht zugelassen werden sollten, und zwar schon deshalb nicht, weil die Versicherungsvermittlung in hohem Maße persönlichen Einsatz und die persönliche Verantwortung erheischt.“ Deshalb dürfte auch eine „Gesellschaft mit beschränkter Haftung … sich kaum jemals rechtfertigen lassen.“ Es darf gefragt werden, ob sich diese Äußerung lediglich auf die Versicherungsvermittlung bezog. Jedoch lässt sich die Zulässigkeit einer Vermittler-Kapitalgesellschaft im erlaubnisfreien Vermittlungsgeschäft nicht nach der Art des vermittelten Produktes befürworten oder ablehnen. Da im gesamten Vertreter-Gewerbe immer wieder das Erfordernis persönlichen Einsatzes und persönlicher Verantwortung 684 betont wird, lassen sich die Bedenken Möllers nicht auf den Sonderfall der Versicherungsvermittlung und die hier in den Vordergrund tretende, mit der Auslegung der § 81 Abs. 2 S. 3 VAG verbundene Problematik beschränken 685. Trotz der geschickt auf Zeitgeist 686 und

677

678 679 680 681

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Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 16; Emde GmbHR 1999, 1005 (1006 ff); Martin VersR 1967, 824; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 57; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 84 Rn 6; Hopt § 84 Rn 8 f; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 5 f; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 4. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 4. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 6; Hopt § 84 Rn 9. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 3. Kritisch hierzu Ahlers AnwBl 1991, 226 ff; Henssler JZ 1992, 697 (707 ff); Kremer S. 184 ff; ablehnend OLG Düsseldorf AnwBl 1992, 133. Recht und Wirklichkeit der Versicherungsvermittlung, Hamburg, 1944, S. 74; vgl. aber derselbe in: ZfV 1955, 2 ff. Vgl. die statistischen Angaben bei Hans Möller aaO, S. 73 f. Vgl. nur CDH (Hrsg.), Sie wollen Handelsvertreter werden, S. 2.

685

686

Möllers Ausführungen zielen erkennbar nicht auf den spezifisch-versicherungsrechtlichen Problemkreis der firmeneigenen Vermittlungsgesellschaften und des in § 81 Abs. 2 S. 3 VAG normierten Verbots der Provisionsabgabe an Versicherungsnehmer ab, das durch ein „Verstecken“ der Versicherungsnehmer als Gesellschafter „anonymer“ Kapitalgesellschaften umgangen werden könnte, eine – außer bei firmeneigenen Vermittlungsgesellschaften – tatsächlich angesichts der regelmäßig geringen Kapitalbeteiligung möglicher Versicherungsnehmer wohl kaum praktische Befürchtung. Gegen die Anwendung des § 81 Abs. 2 S. 3 VAG auf Vermittlungsgesellschaften, Selke ZfV 1966, 142, zusammenfassend: Gärtner VersR 1967, 1118; Hopt § 84 Rn 8, verneint zu Unrecht die Vertretereigenschaft der selbstständig Vermittlungsaufgaben wahrnehmenden firmeneigenen Vermittlungsgesellschaften. Die Nationalsozialisten betrachteten „anonyme“ Kapitalgesellschaften mit Skepsis.

Raimond Emde

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§ 84

1. Buch. Handelsstand

Gedanken der Begründung zum GmbH-Gesetz zugeschnitten Worte Möllers sind die von ihm geäußerten Bedenken nicht zu teilen. So ist es schwierig zu erklären, warum gerade im Vertretergewerbe, in dem die Wirkung eines vom HV vermittelten oder abgeschlossenen Geschäfts allein den Unternehmer treffen, nur letzterer mithin Vertrags- oder Schadensersatzforderungen von Kunden ausgesetzt ist, den Vertreter gegenüber den Kunden eine besondere persönliche Verantwortung treffen soll, die, etwa wie bei Ärzten 687, einen Ausschluss der Haftungsbegrenzung auf ein Gesellschaftsvermögen rechtfertigen könnte. Das Schadensrisiko des Unternehmers im Verhältnis zum HV kann wegen des Fehlens finanzieller Vorleistungen und der geringen Insolvenzquote unter HV sogar niedriger als bei anderen längerfristigen Verträgen eingestuft werden, so dass es auch unter fairer Beachtung der Unternehmerinteressen keine Beschränkung der Rechtsformwahl rechtfertigt. Gleiches gilt angesichts des persönlichen Elements des Handelsvertretervertrages. Auch zu einer juristischen Person kann ein enges Vertrauensverhältnis bestehen. Es bezieht sich dann auf die Person oder besser das Unternehmen dieser Gesellschaft 688. So wird bei Vertragsschluss mit einer GmbH das Vertrauen regelmäßig an die für diese handelnden natürlichen Personen anknüpfen 689, so dass jedenfalls zu ihnen ein „persönliches“ Vertrauensverhältnis bestehen könnte. Ohnehin dürften die Gedanken zur Unzulässigkeit angesichts der grundgesetzlich garantierten Vereinigungsfreiheit sowie Handlungsfreiheit ohne ausdrückliches und gerechtfertigtes Verbot kaum Bedeutung haben und auf einem Missverständnis beruhen: Der Handelsvertretervertrag ist schuldrechtliches Band und nicht Ausdruck der Eigenschaft einer Person, nämlich des Handelsvertreters. Auch besteht kein Spannungsverhältnis zwischen gesetzlichem Leitbild und Vertrags123 ausführung durch eine Kapitalgesellschaft 690. Zwar ist das gesetzliche Bild des HV auf den Einzelkaufmann zugeschnitten, schon wegen des hierzu gehörenden Betrautseins mit persönlicher Dienstleistung. Handelsvertretergesellschaften sind gleichwohl häufig 691, und zwar sowohl als Personen- wie als Kapitalgesellschaften. Bei den Kapitalgesellschaften steht die Handelsvertreter-GmbH im Vordergrund 692. Handelsvertreter-AGs sind eher selten 693. Sowohl Personen- (etwa OHG, KG 694) wie Kapitalgesellschaften 695 können Handelsvertreter 696 sein, selbst GbRs 697 im Anwendungsbereich des § 84 Abs. 4 (sonst wäre die Gesellschaft gemäß §§ 1 Abs. 2, 105 Abs. 1 eine OHG) 698.

687 688 689 690 691

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693

Vgl. etwa Taupitz NJW 1992, 2317. Im Einzelnen: Emde Die HandelsvertreterGmbH, 1994, S. 30 ff. BGH NJW 1990, 388 (390). Emde Die Handelsvertreter GmbH, S. 62; Emde GmbHR 1999, 1004 (1006 f). Rechtstatsächliches Material bei Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 52 ff; Stolterfoth S. 45 (53 ff); Tiefenbacher BB 1981, 85 (86, 87). Emde Die Handelsvertreter GmbH, 1994; Emde GmbHR 1999, 1005; Beispiele auch bei Stolterfoth S. 53; Herschel/Beine/Buchwald S. 272. Brüggemann ZHR 131 (1968), 6; und für die frühere Zeit Schmidt-Rimpler S. 58 Fn 4.

298

694 695

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697

698

LG Essen MDR 1982, 852; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 22. Emde Die Handelsvertreter-GmbH passim; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 57; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 21. Martinek/Flohr § 8 Rn 36; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 21, § 86 Rn 5 ff. Nachdem der BGH die Rechtsfähigkeit der GbR anerkannte (NJW 2001, 1056), kann auch eine solche Handelsvertreter sein (Boin GmbHR 2001, 513); aA noch Ebenroth/ Löwisch § 84 Rn 6, 15. Emde VersR 2002, 152; siehe auch MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 22.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 84

Die §§ 84 ff gelten für die Vertragsausführung durch Vertretergesellschaften ebenso 124 wie für jeden anderen Vertretervertrag 699, da die Normen nicht die persönliche Stellung des Vertreters sondern das rechtsformunabhängige Vertragsverhältnis regeln. Handelsvertreter ist eine Gesellschaft auch dann, wenn sie als Tochterunternehmen im Vertriebssystem ihres Mutterunternehmens eingeschaltet, also im gesellschaftsrechtlichen Sinne ein abhängiges Unternehmen im Sinne des § 17 AktG ist 700. Eine Vertreter-Kapitalgesellschaft ist kraft Rechtsform „selbständig“ im Sinne des § 84 Abs. 1 701. Die §§ 92a 702, § 92b 703 sowie § 630 BGB 704 finden auf sie Anwendung, auch der Ausgleichsanspruch des § 89b steht ihr wie einer natürlichen Person zu 705, da er als vertragliche Gegenleistung unabhängig von der Rechtsform des Vertragspartners geschuldet wird. Die auf der 102. Sitzung des wirtschaftspolitischen Ausschusses des Bundestags vorgeschlagene Fassung des § 89b, derzufolge eine HV-Gesellschaft keinen Anspruch auf einen Vertreterausgleich haben sollte 706, wurde nicht Gesetzesrecht 707. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die HV-Gesellschaft für das Vertreterrecht nur eine geringe Herausforderung bildet. Tiefenbacher weist darauf darauf hin, dass Neugründungen seltener sind als die spä- 125 tere Ausweitung von einzelkaufmännischen Agenturen zu Vertretergesellschaften 708. So insbesondere, wenn ein alt gewordener HV einen Juniorpartner aufnimmt, um sich demnächst zur Ruhe setzen zu können und die Kontinuität der Agenturgeschäfte zu wahren, oder durch Hereinnahme der Ehefrau als Kommanditistin. Bei den Personen- wie bei den Kapitalgesellschaften ist die Gesellschaft selbst Ver- 126 tragspartner 709. Die Gesellschafter oder Organe sind regelmäßig nicht zur Leistung oder zum Unterlassen verpflichtet 710, und zwar hinsichtlich der persönlichen Haupt- und Nebenpflichten wegen §§ 613, 664 BGB entgegen § 128 auch nicht bei den Personengesellschaften 711, da dies der persönlichen Dienstpflicht durch die Gesellschaft widerspräche. Für Verschulden ihrer Organe haftet die Gesellschaft gem. § 31 BGB 712. Die Tätigkeit bestimmter Personen für die Gesellschaft kann jedoch als Vertragspflicht formuliert 713 und deren Ausscheiden oder Tätigkeit als Bedingung der Vertragsfort-

699 700 701 702

703

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Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 57. K. Schmidt Handelsrecht § 27 I. I.2.a). Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 87; Emde GmbHR 1999, 1004 (1007). Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 66; Emde GmbHR 1999, 1004 (1008); aA Heymann/Sonnenschein § 92a Rn 9; Schlegelberger/Schröder § 92a Rn 1; Brüggemann ZHR 131 (1968) 1, 9). Emde Die Handelsvertreter GmbH, S. 69; Emde GmbHR 1999, 1004 (1008); Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 57; aA Brüggemann ZHR 131 (1968), 1, 9 ff. Emde Die Handelsvertreter GmbH, S. 75; Emde GmbHR 1999, 1004 (1009); aA Schlessmann Kündigung von Handelsvertreterverträgen, 1966, S. 236. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 57. Kurzprotokoll der 202. Sitzung des Ausschusses für Wirtschaftspolitik des Deutschen Bundestages v. 07.05.1953.

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709 710 711 712 713

Vgl. Emde Die Handelsvertreter GmbH, S. 77 ff; Emde GmbHR 1999, 1004 (1009 f). Zu den steuerlichen Auswirkungen der Übertragung der Vertretung auf eine neu gegründete GmbH BFH, Urt. v. 15.10.1998 – III R 75/97, BB 1999, 249 = GmbHR 1999, 190. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 5 f. MünchKomm HGB/v. Hoyningen/Huene § 86 Rn 6. AA MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 5. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 7. BGH, Urt. v. 10.12.1997 – VIII ZR 329/96, ZIP 1998, 420; Westphal BB 1999, 2517 (2518).

Raimond Emde

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§ 85

1. Buch. Handelsstand

führung formuliert werden714, wenn der Unternehmer hieran ein schützenswertes Interesse hat. Ob der HV Gesellschafteränderungen bei der Gesellschaft zu dulden hat, bestimmt 127 sich nach den oben Vor § 84 Rn 41 ff dargestellten Maßstäben.

§ 85 Vertragsurkunde 1 Jeder Teil kann verlangen, daß der Inhalt des Vertrages sowie spätere Vereinbarungen zu dem Vertrag in eine vom anderen Teil unterzeichnete Urkunde aufgenommen werden. 2 Dieser Anspruch kann nicht ausgeschlossen werden.

Übersicht Rn A. Inhalt und Tragweite des § 85

. . . . . .

1–3

B. Bedeutung der Vorschrift . . . . . . . . .

4

C. Die Form des Handelsvertretervertrages

Rn H. Fortbestehen des Anspruchs I.

. . . . . . .

15

Erfüllungsort . . . . . . . . . . . . . . .

16

.

5–7

J. Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . .

17

. . . . . . .

8

K. Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . .

18

E. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 85 9–12 I. Jeder Teil . . . . . . . . . . . . . . 9 II. Verlangen . . . . . . . . . . . . . . 10 III. Aufnahme des Inhalt des Vertrages sowie späterer Vereinbarungen zu dem Vertrag in eine vom anderen Teil unterzeichnete Urkunde . . . . . 11–12

L. Nicht- und Schlechterfüllung . . . . . . .

19

M. Abtretung und Zurückbehaltungsrecht . .

20

N. Prozessuale Durchsetzung

. . . . . . . .

21

O. Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . .

22

. . . . . . . . . . . .

23

F. Wirkung der Beurkundung . . . . . . . .

13

Q. Analoge Anwendung . . . . . . . . . . .

24

G. Erfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . .

14

D. Einführung der Schriftform

P. Zwingende Natur

A. Inhalt und Tragweite des § 85 1

Die 1953 in das Gesetz eingebettete Vorschrift und weitgehend Art. 13 EG-Richtlinie 1986 entsprechende Norm (Folge: im Anwendungsbereich Vorlageverfahren nach Art. 234 EG) dient der Klarstellung der vertraglichen Abmachungen1, da sich bei einem mündlich geschlossenen und langjährig durchgeführten Vertrag leicht Unklarheiten und Streitigkeiten ergeben können 2: Den Parteien soll es ermöglicht werden, sich Beweisunterlagen zu beschaffen 3. Das Recht auf Dokumentation ist zwingend (S. 2). 2 Man unterscheide: § 85 setzt einen gültigen Vertragsschluss voraus. Er bezieht sich auf ein Verlangen nachfolgend nach Zustandekommen des Vertrages. Wird das Verlangen nach schriftlicher Festlegung von einem der Vertragsteile schon während der Vertragsverhandlungen geäußert, so schließt das im Zweifel seinen Bindungswillen ohne 714

Westphal BB 1999, 2517 (2518).

2 3

1

Hopt § 85 Rn 5.

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MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 85 Rn 1; Schlegelberger/Schröder § 85 Rn 1. Martinek/Flohr § 8 Rn 101; Schlegelberger/ Schröder § 85 Rn 1.

Raimond Emde

§ 85

1. Buch. Handelsstand

führung formuliert werden714, wenn der Unternehmer hieran ein schützenswertes Interesse hat. Ob der HV Gesellschafteränderungen bei der Gesellschaft zu dulden hat, bestimmt 127 sich nach den oben Vor § 84 Rn 41 ff dargestellten Maßstäben.

§ 85 Vertragsurkunde 1 Jeder Teil kann verlangen, daß der Inhalt des Vertrages sowie spätere Vereinbarungen zu dem Vertrag in eine vom anderen Teil unterzeichnete Urkunde aufgenommen werden. 2 Dieser Anspruch kann nicht ausgeschlossen werden.

Übersicht Rn A. Inhalt und Tragweite des § 85

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1–3

B. Bedeutung der Vorschrift . . . . . . . . .

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C. Die Form des Handelsvertretervertrages

Rn H. Fortbestehen des Anspruchs I.

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Erfüllungsort . . . . . . . . . . . . . . .

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J. Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . .

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K. Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . .

18

E. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 85 9–12 I. Jeder Teil . . . . . . . . . . . . . . 9 II. Verlangen . . . . . . . . . . . . . . 10 III. Aufnahme des Inhalt des Vertrages sowie späterer Vereinbarungen zu dem Vertrag in eine vom anderen Teil unterzeichnete Urkunde . . . . . 11–12

L. Nicht- und Schlechterfüllung . . . . . . .

19

M. Abtretung und Zurückbehaltungsrecht . .

20

N. Prozessuale Durchsetzung

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21

O. Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . .

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23

F. Wirkung der Beurkundung . . . . . . . .

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Q. Analoge Anwendung . . . . . . . . . . .

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G. Erfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . .

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D. Einführung der Schriftform

P. Zwingende Natur

A. Inhalt und Tragweite des § 85 1

Die 1953 in das Gesetz eingebettete Vorschrift und weitgehend Art. 13 EG-Richtlinie 1986 entsprechende Norm (Folge: im Anwendungsbereich Vorlageverfahren nach Art. 234 EG) dient der Klarstellung der vertraglichen Abmachungen1, da sich bei einem mündlich geschlossenen und langjährig durchgeführten Vertrag leicht Unklarheiten und Streitigkeiten ergeben können 2: Den Parteien soll es ermöglicht werden, sich Beweisunterlagen zu beschaffen 3. Das Recht auf Dokumentation ist zwingend (S. 2). 2 Man unterscheide: § 85 setzt einen gültigen Vertragsschluss voraus. Er bezieht sich auf ein Verlangen nachfolgend nach Zustandekommen des Vertrages. Wird das Verlangen nach schriftlicher Festlegung von einem der Vertragsteile schon während der Vertragsverhandlungen geäußert, so schließt das im Zweifel seinen Bindungswillen ohne 714

Westphal BB 1999, 2517 (2518).

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Hopt § 85 Rn 5.

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MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 85 Rn 1; Schlegelberger/Schröder § 85 Rn 1. Martinek/Flohr § 8 Rn 101; Schlegelberger/ Schröder § 85 Rn 1.

Raimond Emde

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 85

diese Form aus. Erst recht gilt im Zweifel der Vertrag als nicht geschlossen, falls eine Beurkundung zuvor verabredet worden ist, § 154 Abs. 2 BGB. Ob der Anspruch auf Vertragsbeurkundung auch dann besteht, wenn ein inländischer 3 Handelsvertreter für einen ausländischen Unternehmer tätig wird oder ein inländischer Unternehmer einen im Ausland tätigen Handelsvertreter beauftragt hat, hängt davon ab, ob für dieses Rechtsverhältnis deutsches Recht maßgebend ist (dazu § 92c Rn 29 ff). Beurteilt sich das Verhältnis nach ausländischem Recht, welches einen Anspruch auf Beurkundung des Vertrages nicht kennt, so verstößt dieses Recht nicht gegen den deutschen ordre public, obgleich § 85 zwingendes Recht darstellt.

B. Bedeutung der Vorschrift In der Praxis ist der Beurkundungsanspruch weitgehend bedeutungslos, wie die recht 4 geringe Durchdringung der Materie mittels gerichtlicher Entscheidungen zeigt. Solange Einvernehmen besteht, wird keine Partei die Zusammenarbeit durch die Forderung nach einer mit keinen unmittelbaren wirtschaftlichen Vorteilen verbundenen Beurkundung belasten. Meist wird der Beurkundungsanspruch erst geltend gemacht, wenn über den Vertragsinhalt Streit besteht 4. Zu diesem Zeitpunkt aber ist der Anspruch kaum durchsetzbar. Denn derjenige, der Beurkundung fordert, trägt die Beweislast für den von ihm behaupteten Vertragsinhalt 5. Dieser Beweis wird sich selten führen lassen, allenfalls durch Dokumente. Existieren solche, bedarf es aber keiner Beurkundung. Hinzu treten die verfahrensrechtlichen Schwierigkeiten der Rechtsdurchsetzung: Da die hM einen Einheitserfüllungsort am Sitz des Vertriebsmittlers ablehnt (Vor § 84 Rn 381 ff), müsste der mit einem ausländischen Unternehmer verbundene HV seinen Beurkundungsanspruch am Sitz des ausländischen Unternehmers einklagen, sofern man nicht – wie zu § 89b vertreten 6 – aus der bereits von Art. 13 Abs. 1 S. 2 HV-Richtlinie vorgegebenen zwingenden Natur des § 85 einen gleichfalls zwingenden Gerichtsstand am Vertriebsort herleitet. Schließt die anwendbare ausländische Verfahrensordnung den Zeugenbeweis aus, ist der Anspruch kaum durchsetzbar.

C. Die Form des Handelsvertretervertrages § 85 ist keine Formvorschrift 7, auch nicht für künftige Vertragsänderungen, wenn 5 zuvor bereits der Beurkundungsanspruch durchgesetzt wurde 8, und dient allein Beweiszwecken 9. Der Handelsvertretervertrag bedarf nach deutschem Recht, um gültig zu sein, keiner Form 10. Er kann mündlich abgeschlossen werden11, sogar durch schlüssiges Verhalten 12, durch wiederholte Geschäftsvermittlung und Abschluss der vermittelten Ver4 5 6

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Küstner/Thume I, Rn 370; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 181. Küstner/Thume I, Rn 371. OLG München, Urt. v. 17.05.2006 – 7 U 1781/06, WM 2006, 1556 = EWiR 2006, 621 (Emde). Würdinger JR 1953, 437; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 85 Rn 1, 7; Schlegelberger/Schröder § 85 Rn 2a. Ebenroth/Löwisch § 85 Rn 1.

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OLG München VersR 1954, 97; Küstner/ Thume I, Rn 379. BGH NJW 1983, 1727 (1728); Ebenroth/ Löwisch § 84 Rn 30; Hopt § 85 Rn 2. OLG Frankfurt am Main VW 1971, 117. BGH NJW 1958, 180; VersR 1961, 270; BB 1987, 220; 1990, 303; WM 1991, 1474; NJW 1992, 2818; OLG Nürnberg VersR 1959, 801; Hopt § 85 Rn 2.

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träge durch den Unternehmer 13 (s.a. § 84). Sofern sich die Parteien noch nicht über alle Punkte des Vertrages geeinigt haben, etwa über die Höhe einer Einstandszahlung, jedoch gleichwohl Geschäfte vermittelt und vom Unternehmer angenommen werden, hat die Möglichkeit des konkludenten Vertragsschlusses besondere Bedeutung. Zwar gilt im Zweifel ein Vertrag nicht geschlossen, solange sich nicht die Parteien über alle Fragen geeinigt haben. Dies gilt aber nicht, falls bereits ein Vertrag in Vollzug gesetzt wird14. Von der grundsätzlichen Formfreiheit gibt es drei Ausnahmen. Erstens können die Par6 teien eine Form vereinbaren, ggf. auch nur für einzelne Klauseln 15. Solange die Parteien sich dann nicht – u.U. auch konkludent – auf die Derogation der dergestalt vereinbarten Form geeinigt haben, hängt die Wirksamkeit des Vertrages gem. §§ 125 S. 2, 126, 127 16, 154 Abs. 217 BGB von der Einhaltung der gewillkürten Form ab 18. Das Schriftformerfordernis darf auch für nachträgliche Änderungen und Ergänzungen des Vertrags vereinbart oder ausgeschlossen werden19. Vertragsänderungen können gleichwohl mündlich vorgenommen werden, weil das Schriftformgebot mündlich, u.U. sogar konkludent 20, abbedungen werden kann 21. Zum zweiten bedarf gemäß § 86b Abs. 1 S. 3 die Verpflichtung des HV, für die Erfüllung der Verbindlichkeiten aus einem Geschäft einzustehen (Delkredere), der Schriftform. Ebenso formbedürftig ist zum dritten nach § 90a Abs. 1 S. 1 eine nachvertragliche Wettbewerbsabrede, dergemäß der Handelsvertreter nach Vertragsende nicht für einen Wettbewerber des Unternehmers tätig sein darf. Das Schriftformerfordernis des § 34 GWB a.F. wurde durch die Novelle zur Änderung 7 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 26.08.1998 – BGBl. I 1998, 2521 mit Wirkung zum 31.12.1998 aufgehoben 22. Enthielt ein Vertretervertrag wettbewerbsbeschränkende Abreden i.S.d. §§ 18, 20 und 21 GWB a.F., so unterlag er gem. § 34 GWB a.F. einem Schriftformerfordernis 23, mit der Folge der Nichtigkeit der betreffenden Klausel gem. § 125 BGB 24 (Folge: u.U. Gesamtnichtigkeit nach § 139 BGB). § 34 GWB a.F. galt auch in Fällen, in denen ein konzernverbundenes Unternehmen in den Vertriebsvertrag eines anderen Konzernunternehmen eintrat 25. Für vor 1998 geschlossene Altverträge gilt § 34 GWB a.F. weiterhin 26, es sei denn, sie wurden neuem Recht unterstellt oder nach diesem Recht bestätigt 27. Deshalb kann auch ein unter der Altregelung vor dem 01.01.1990 gezeichneter Franchisevertrag zum jetzigen Zeitpunkt noch gem. § 34 GWB a.F. nichtig sein, falls er eine zur Schriftform nach § 34 GWB a.F. führende Aus13 14

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Hopt § 85 Rn 2. BGH NJW 1983, 1727; siehe auch BGH BB 1987, 220 = NJW-RR 1987, 546; BB 1990, 303 = NJW-RR 1990, 354. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 30; Schlegelberger/Schröder § 85 Rn 3. Hopt § 85 Rn 5. BGH NJW 1983, 1727 (1728); BGH WM 1992, 1193 (1195); WM 1991, 1472. OLG Frankfurt am Main MDR 1997, 1139; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 30; Hopt § 85 Rn 5; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 84 Rn 71; Schlegelberger/Schröder § 85 Rn 3. OLG Frankfurt MDR 1997, 1139. LAG Düsseldorf BB 1960, 1075. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 85 Rn 4. Zu seiner Anwendung auf Handelsvertreter-

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verträge noch Martinek/Flohr § 8 Rn 104, vgl. auch Bunte BB 1998, 1600; ders. DB 1998, 1748; Kahlenberg BB 1998, 1593 (1596). OLG Koblenz, Urt. v. 21.12.2006 – U 819/06 Kart, WuW/E DE-R 2157 = WuW/E 2008, 81; Martinek/Flohr § 8 Rn 104; § 9 Rn 31. OLG Koblenz, Urt. v. 21.12.2006 – U 819/06 Kart, WuW/E DE-R 2157 = WuW/E 2008, 81; Martinek/Flohr § 8 Rn 106. BGH BB 2003, 1463 (1464). BGH, Urt. v. 02.02.1999 – KZR 51/97, BB 1999, 865 m. Bespr. Bunte BB 1999, 866; BGH, Urt. v. 09.03.1999 – KZR 23/97, ZIP 1999, 857; OLG Koblenz, Urt. v. 21.12.2006 – U 819/06 Kart, WuW/E DE-R 2157 = WuW/E 2008, 81 = BeckRS 2007, 01074. Bunte BB 1999, 866 (867).

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 85

schließlichkeitsabrede enthält und die zu gewährenden Rabattsätze auf einem gesonderten, mit dem Vertrag nicht fest verbundenen Blatt aufgeführt sind, welches nicht unterschriebenen ist und auf das in dem unterschriebenen Teil des Vertrages nicht Bezug genommen wird. Selbst wenn es dem Franchisegeber nach Treu und Glauben verwehrt ist, sich gegenüber dem Franchisenehmer auf die Formnichtigkeit zu berufen, ist der Franchisegeber möglicherweise mit Schadensersatzforderungen wegen des nicht ausreichenden Bezugs an Waren aus diesem Vertrag ausgeschlossen 28. Es stellt keinen Rechtsmissbrauch dar, wenn sich eine Partei auf die Nichtigkeit des Vertrages nach mehreren Jahren beruft. Die sich auf die Formnichtigkeit berufende Partei habe zwar eine gewisse Zeit lang Vorteile aus dem Franchisevertrag gezogen. Dem stehe jedoch der Gewinn gegenüber, den die andere Partei in derselben Zeit aufgrund des Vertragsvollzuges erzielt habe 29.

D. Einführung der Schriftform Die Einführung der Schriftform wäre europarechtskonform, da Art. 13 Abs. 2 EG- 8 HV-Richtlinie 1986 diese Option eröffnet 30. Sie wurde vom deutschen Gesetzgeber jedoch nicht genutzt. In den Verfahren Bellone/Yokohama31 sowie in dem Verfahren Centrosteel Srl/Adipol GmbH 32 führte der EuGH aus, nationales Recht dürfe keine weitergehenden Voraussetzungen an die Wirksamkeit des Vertretervertrages stellen als die so gestattete Schriftform. In diesen Verfahren stritten die Parteien um die Wirksamkeit eines HV-Vertrages nach italienischem Recht. Italienisches Recht sah neben dem schriftlichen Abschluss des Vertrages die Eintragung in ein Register vor, die fehlte. Der EuGH erkannte die Handelsvertreterverträge gleichwohl als wirksam an. Art. 13 Abs. 2 der Handelsvertreterrichtlinie 1986 sehe nur die Möglichkeit vor, die Schriftform als Wirksamkeitsvoraussetzung eines HV-Vertrages zu normieren. Da der Gemeinschaftsgesetzgeber die Frage in Art. 13 der HV-Richtlinie abschließend geregelt habe, dürften die Mitgliedstaaten außer der schriftlichen Abfassung des Vertrages keine weiteren Bedingungen – hier die Eintragung – postulieren. Diese Rechtsprechung führte in Italien zur Änderung der entsprechenden Vorschriften 33, in Deutschland zur Einführung des § 84 Abs. 4. Was unter Schriftform i.S.d. Art. 13 HV-Richtlinie zu verstehen ist, bestimmt die Richtlinie nicht 34. Der Rechtsprechung lässt sich entnehmen, dass die Erklärungen in einem Schriftstück verkörpert 35, lesbar 36 und eigenhändig unterschrieben sein müssen 37. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist ein HV-Vertrag zwingend schriftlich abzuschließen, wenn von der Ermächtigung in Art. 13 Abs. 2 HV-Richtlinie Gebrauch gemacht worden ist 38. Nach 28

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OLG Koblenz, Urt. v. 21.12.2006 – U 819/06 Kart, WuW/E DE-R 2157 = WuW/E 2008, 81 = BeckRS 2007, 01074. OLG Koblenz, Urt. v. 21.12.2006 – U 819/06 Kart, WuW/E DE-R 2157 = WuW/E 2008, 81 = BeckRS 2007, 01074. AA Eberstein Der Handelsvertreter-Vertrag, S. 67. EuGH, Urt. v. 30.04.1998 – Rs. C-215/97, „Barbara Bellone/Yokohama SpA., Slg. 1998, I-2191, EWS 1998, 215, Rn 20 = EuZW 1998, 409 mit Anm. Fock ZEuP 2000, 106. EuGH vom 13.07.2000 – Rs. C-456/98, Centrosteel Srl/Adipol GmbH, Slg. 2000, I-6007, EWS 2000, 358, Rn 8.

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Laumann EWS 2005, 554 (558). Laumann EWS 2005, 554, (557). EuGH vom 11.10.2001 – Rs. C-77/99, Kommision/Oder-Plan Architektur, NCC und espensen consulting, Slg. 2001, I-7355. Mankowski Formvorschriften und Europäisches Privatrecht, in: Schulze/Schulte – Nölke (Herausgeber), Europäisches Vertragsrecht in Gemeinschaftsrecht, 2002, S. 202. Laumann EWS 2005, 554 (557). EuGH Rs. C-456/98, Centrosteel Srl/Adipol GmbH, Rd. 8; EuGH Rs. C-215/97, Barbara Bellone/Yokohama SpA, Rn 14.

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1. Buch. Handelsstand

Ansicht von Fock 39 folgt aus Art. 13 Abs. 2 HV-Richtlinie nicht, dass dort die zulässigen Wirksamkeitserfordernisse abschließend geregelt seien. Seine Auffassung stützt Fock darauf, dass es Einschränkungen der Gültigkeit eines Vertrages gebe, die nicht aus der Formgütigkeit des Vertragsabschlusses herrühren. Für jene sei Art. 13 Abs. 2 HV-Richtlinie nicht einschlägig. Fock trennt also – im Gegensatz zu Laumann 40 – die Registereintragung und den Abschluss des Vertretervertrages.

E. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 85 I. Jeder Teil 9

Jede 41 Partei des HV-Vertrages, HV wie Unternehmer oder ihre Rechtsnachfolger 42, etwa Erben 43, können die Fixierung des Vertragsinhaltes in einer vom anderen Teil unterzeichneten Urkunde fordern. Anspruchsvoraussetzung ist die Existenz eines wirksamen Vertrages i.S.d. §§ 84 ff 44 (dies ist vorrangig zu prüfen). Die Person des Anspruchstellers ist irrelevant, solange ein HV-Vertrag vorliegt. Insbesondere sind die Rechtspersönlichkeit oder das rechtstatsächliche Auftreten für Art und Umfang des Anspruchs irrelevant 45. Gem. § 84 Abs. 4 darf auch ein nicht kaufmännischer HV die Beurkundung verlangen ohne die Eintragung in das Handelsregister betreiben müssen 46.

II. Verlangen 10

Der Anspruch wird als verhaltener, ebenso wie etwa der nach § 87c Abs. 2, mit Zugang des empfangsbedürftigen Verlangens als Willenserklärung der einen Vertragspartei bei der anderen fällig und ist binnen einer angemessenen Frist nach Zugang, regelmäßig wie beim Buchauszug wohl innerhalb von 4 Wochen (abhängig von den Umständen des Einzelfalls, etwa ob Rückfragen und Hilfe der anderen Partei erforderlich sind), zu erfüllen (§ 362 BGB). Die verpflichtete Partei befindet sich nicht im Verzug, falls sie auf die erforderliche Mithilfe der anderen Partei angewiesen ist. Der Anspruch auf Beurkundung besteht unbefristet und auch nach Vertragsende, sofern ein Rechtsschutzbedürfnis an der Perpetuierung besteht (dazu Rn 15). Er darf jederzeit geltend gemacht werden. Das Verlangen kann bei Vertragsschluss und nach jeder noch nicht beurkundeten Vertragsänderung 47 gestellt werden; eine zum Zeitpunkt der Änderung unterbliebene schriftliche Fixierung des Ursprungsvertrages kann verlangt werden, ist aber nicht Voraussetzung der Forderung nach Dokumentation des Nachtrages.

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EG-Handelsvertreterrichtlinie und gewerberechtliche Registrierungspflicht, Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 30.04.1998, ZEuP 8 (2000), 106 (114). EWS 2005, 554 (557). Ebenroth/Löwisch § 85 Rn 2; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 85 Rn 2; Schlegelberger/Schröder § 85 Rn 5. Hopt § 85 Rn 6.

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Hopt § 85 Rn 6. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 85 Rn 7. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 85 Rn 13; Schlegelberger/Schröder § 85 Rn 5. Laumann EWS 2005, 554 (558). Ebenroth/Löwisch § 85 Rn 3; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 85 Rn 10.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

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III. Aufnahme des Inhalt des Vertrages sowie späterer Vereinbarungen zu dem Vertrag in eine vom anderen Teil unterzeichnete Urkunde Gerichtet ist der Anspruch auf Ausfertigung, Unterzeichnung und schließlich Aushän- 11 digung (sonst Verfehlung des Beweiszwecks) 48 eines Vertragsstückes, welches alle zwischen den Parteien getroffenen Abreden vollständig, verständlich und zutreffend wiedergibt 49, auch unwesentliche Nebenbestimmungen 50 und Anlagen 51. Weisungen des Unternehmers 52 sind in dem Dokument nicht zu nennen. Der Schuldner hat ein Wahlrecht, ob er eine eigene oder vom Fordernden vorgegebene Urkunde unterzeichnet 53, solange diese die Abreden zutreffend wiedergibt. Gab es eine Vertragsänderung, ist der Vertrag in seiner geänderten Fassung zu dokumentieren 54. Liegt eine schriftliche „Altfassung“ vor, ist der Anspruch insoweit teilerfüllt, so dass nur die geänderten Regelungen dokumentiert werden müssen 55, es sei denn, es besteht ein besonderes Interesse am Erhalt einer konsolidierten Fassung 56 (etwa: fehlende Klarheit). Die Vertragsurkunde bedarf der Schriftform des § 126 BGB 57, wobei eine Unterzeichnung durch den Anspruchsgegner genügt 58. Der Anspruchsteller kann die vom Verpflichteten unterzeichnete Urkunde selbst unterzeichnen, ohne ihre Gültigkeit oder Beweiskraft zu gefährden. Er darf ihren Inhalt auch gemäß § 151 BGB annehmen, wovon im Zweifel auszugehen ist. Dass § 85 lediglich die Unterzeichnung durch den Anspruchsgegner fordert, liegt daran, dass ein Anspruch immer nur gegen eine andere Person gerichtet sein kann, d.h. ein Anspruch auf Unterzeichnung durch den Berechtigten sinnlos wäre. Insbesondere besteht ein Anspruch auf Dokumentation der nachfolgenden Abreden 59: – Aufgaben des HV; – Bezirk des HV; – Provisionsanspruch; – Vertragsdauer; – Kündigungsmöglichkeiten; – Wettbewerbsabreden; – Datum und Ort des Wirksamwerdens des Originalvertrages sowie eventueller Nachträge. Was sich aus dispositivem Recht ergibt, braucht nicht noch einmal dokumentiert zu 12 werden60, weil sonst das gesamte dispositive Recht und wohl auch die dazu ergangene Rechtsprechung (samt Literatur und unterschiedlicher Ansichten?) zu dokumentieren wäre. Jedoch kann gefordert werden zu beurkunden, dass „im Übrigen“ dispositives Recht gilt 61. 48 49

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Ebenroth/Löwisch § 85 Rn 1; Schlegelberger/ Schröder § 85 Rn 6. BGH, Beschl. v. 21.02.2006 – VIII ZR 61/04, BB 2006, 905 = NJW-RR 2006, 755 = WM 2006, 1115 = VersR 2006, 835 = MDR 2006, 1056; Ebenroth/Löwisch § 85 Rn 2; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 85 Rn 16. Schlegelberger/Schröder § 85 Rn 6a. BGH, Beschl. v. 21.02.2006 – VIII ZR 61/04, BB 2006, 905 = NJW-RR 2006, 755 = WM 2006, 1115 = VersR 2006, 835 = MDR 2006, 1056. Küstner Außendienstrecht Rn 340; Ebenroth/Löwisch § 85 Rn 1.

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Hopt § 85 Rn 6. Martinek/Flohr § 8 Rn 101; Hopt, § 85 Rn 6. Schlegelberger/Schröder § 85 Rn 10. Hopt § 85 Rn 6. Hopt § 85 Rn 6. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 85 Rn 5. I.E. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 85 Rn 2; Schlegelberger/Schröder § 85 Rn 6a. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 85 Rn 3; Schlegelberger/Schröder § 85 Rn 5; aA wohl Ebenroth/Löwisch § 85 Rn 7. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 85 Rn 3.

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F. Wirkung der Beurkundung 13

Die gemäß § 85 erstellte Urkunde hat keine konstitutive, sondern nur deklaratorische Wirkung 62. Bei vorbehaltsloser Annahme begründet die Privaturkunde i.S.d. § 416 ZPO 63 eine widerlegbare 64 Vermutung, dass der Vertragsinhalt so, wie er in der Urkunde niedergelegt wurde, richtig, vollständig 65 und dem beiderseitigen Parteiwillen entsprechend ist 66. Der Gegenbeweis ist zulässig, wenn nicht dem Verhalten der Parteien der unzweideutige Wille zu entnehmen ist, den Vertragsinhalt verbindlich und gegebenenfalls in Abänderung oder Ergänzung früher getroffener Absprachen abschließend festzulegen 67, wobei hierfür ebenfalls der Begünstigte beweispflichtig ist. Anders gewendet: Abreden, die nicht in die Urkunde aufgenommen wurden, bleiben wirksam 68, wobei die widerlegliche Vermutung ihre Beweisbarkeit erschwert. Aus Gründen der Rechtssicherheit nimmt die hM eine konstitutive Wirkung an, falls der Vertragsinhalt in der Urkunde zwar falsch wiedergegeben, aber von dem anderen Vertragspartner akzeptiert wurde. Der bisherige Vertragsinhalt soll durch die „falsa demonstratio“ abgeändert werden, die neu gefertigte Urkunde den bisherigen Vertragsinhalt ändern bzw. ergänzen 69. Eine solche Vertragsänderung darf jedoch nur durch eine konsensuale, ggf. konkludente Vertragsänderung zustande kommen 70, die nicht allein in dem Schweigen einer Partei auf die unzutreffende Dokumentation liegt. Richtig wäre die h.A. nur, wenn die Neuausstellung den Willen zur Vertragsänderung beinhaltet 71. Davon ist jedoch allein auszugehen, sofern den Parteien die Abänderung bewusst ist und sie jene wollen, was i.d.R. ein eindeutiges Angebot und eine ebenso unzweideutige Annahme der Vertragsänderung voraussetzt 72. Auch mag durch längere Akzeptanz und Durchführung des „neuen“ Vertragstextes eine Vertragsänderung eintreten. Auf Grund der Rechtskraftwirkung zwischen den Parteien steht der Vertragstext zwischen den Parteien auch nach einem rechtskräftigen Urteil auf eine Klage nach § 85 fest. Denn inter partes erwächst der neue Vertragsinhalt dann in Rechtskraft. Der nicht unterzeichnete Entwurf hat diese Wirkungen nicht 73. Er kann aber ein Indiz für das Gewollte bilden. Ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben über den Inhalt der getroffenen Vereinbarungen gewinnt, falls es die getroffenen Abreden nicht zutreffend wiedergibt, wenn von einer Partei mit Kaufmannseigenschaft herrührend, bei unterbliebenem Widerspruch des anderen Teils und über § 85 hinausgehend konstitutive Kraft, insofern der Vertrag nunmehr als mit dem Inhalt des Bestätigungsschreibens abgeschlossen gilt (§ 346).

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MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 85 Rn 8. Hopt § 85 Rn 10. Ebenroth/Löwisch § 85 Rn 6; Hopt § 85 Rn 10; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 85 Rn 8. OLG München VersR 1957, 97; LAG Bremen DB 1960, 1212; Ebenroth/Löwisch § 85 Rn 6; Hopt § 85 Rn 10. Küstner/Thume I, Rn 372; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 85 Rn 8.

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Ebenroth/Löwisch § 85 Rn 6. Schlegelberger/Schröder § 85 Rn 7. Küstner/Thume I, Rn 372; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 182; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 85 Rn 8; Röhricht/ Graf v. Westphalen/Küstner § 85 Rn 7. Schlegelberger/Schröder § 85 Rn 7, 9. Ebenroth/Löwisch § 85 Rn 6. Schlegelberger/Schröder § 85 Rn 9. Ebenroth/Löwisch § 85 Rn 6.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

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G. Erfüllung Der Anspruch erlischt durch Erfüllung (§ 362 BGB) 74, falls sämtliche getroffenen 14 Abmachungen in einem Schriftstück, auch einem kaufmännischen Bestätigungsschreiben 75, niedergelegt sind, dieses zumindest von dem Verpflichteten unterzeichnet und dem Anspruchsteller ausgehändigt wurde 76, ebenso, wenn bereits bei Vertragsschluss ein ausgefertigter schriftlicher Vertrag existiert 77 (Vorauserfüllung vor Verlangen).

H. Fortbestehen des Anspruchs Eine Meinungsgruppe vertritt, der Anspruch bestehe nur, solange ein wirksamer HV- 15 Vertrag existiert 78. Nur bis zum letzten Tag des Vertrages, also auch während laufender Kündigungsfrist, dürfe der Anspruch geltend gemacht werden, und zwar ohne Rücksicht auf die bereits zurückgelegte Vertragsdauer 79. Eine andere Meinungsgruppe ist der Ansicht, der Beurkundungsanspruch bestehe nach Vertragsbeendigung bis zur vollständigen Abwicklung des Vertrages fort, weil auch in diesem Fall ein Interesse an der Fixierung des Vertragsinhaltes bestehen kann80. Gedacht wird insbesondere an nachvertragliche Wettbewerbsabreden, Provisions- oder Ausgleichsansprüche 81, bei Vertragshändlern etwa auch Rückkaufansprüche betreffend die Vertragsware. Dieser zweiten Meinungsgruppe ist zuzustimmen. Sie steht am ehesten mit dem Rechtsgedanken des § 195 BGB im Einklang. Wäre man aA könnte etwa der durch ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot gebundene Vertreter den Umfang seiner Verpflichtung nicht bestimmen, weil sie sich nur auf die nach dem Vertrag vertriebenen Produkte erstrecken darf (§ 90a). Das Beurkundungsrecht besteht gerade, wenn aus einer nachvertraglichen Unsicherheit das Interesse an einer Beurkundung folgt. Der Anspruch ist zwar unabdingbar, aber im Einzelfall verwirkbar 82. Während der Vertragslaufzeit ist eine Verwirkung des selbst aus § 242 BGB hergeleiteten Anspruchs allerdings kaum vorstellbar 83, die Beurkundung kann regelmäßig auch dann gefordert werden, sofern nur noch einzelne Ansprüche aus dem HV-Vertrag im Streite stehen, weil Beweissicherheit auch für zukünftige Streitigkeiten bezweckt ist oder der Vertreter, etwa als Vorlage für andere Verträge, eine schriftliche Dokumentation wünscht. Der Beurkundungsanspruch darf geltend gemacht werden, solange ein Rechtsschutzbedürfnis an der Dokumentation besteht 84, nicht länger. Das Rechtsschutzbedürfnis kann fehlen, falls die

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Schlegelberger/Schröder § 85 Rn 8. Ebenroth/Löwisch § 85 Rn 3; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 85 Rn 6. Ebenroth/Löwisch § 85 Rn 3; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 85 Rn 17. Schlegelberger/Schröder § 85 Rn 11. Küstner/Thume I, Rn 373; Westphal I, Rn 183; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 85 Rn 8; Schlegelberger/Schröder § 85 Rn 10. Küstner/Thume I, Rn 373; Westphal I, Rn 183. Ebenroth/Löwisch § 85 Rn 3; Hopt § 85 Rn 6; Schlegelberger/Schröder § 85 Rn 10; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 85 Rn 18.

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Hopt § 85 Rn 6; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 85 Rn 18. Ebenroth/Löwisch § 85 Rn 1; aA (keine Verwirkung während der Vertragslaufzeit) MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 85 Rn 20: die vertragsbegleitende Verwirkung ist aber nur in Ausnahmefällen vorstellbar. Ebenroth/Löwisch § 85 Rn 1; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene, § 85 Rn 20 lehnt vertragsbegleitende Verwirkung wegen der zwingenden Natur gänzlich ab. Ebenroth/Löwisch § 85 Rn 3.

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Beurkundung aus sachfremden Motiven gefordert wird: Wie beim Informationsanspruch aus § 87c sind derartige Motive denkbar, wenn mit dem Anspruch Druck auf den Anspruchsgegner ausgeübt werden soll, z.B. zur Durchsetzung anderer Forderungen.

I. Erfüllungsort 16

Da die hM einen Einheitserfüllungsort am Sitz des HV ablehnt (Vor § 84 Rn 381 ff), liegt der Erfüllungsort des Dokumentationsanspruchs nach hM am Sitz des Unternehmers. Dort befindet sich nach dieser Ansicht auch der Gerichtsstand des § 29 ZPO. Im Anwendungsbereich der EuGVVO darf sich der Vertreter auf dessen Art. 5 lit. a berufen (Wahlgerichtsstand am Vertriebsort).

J. Verjährung 17

Der Beurkundungsanspruch verjährt gemäß § 195 BGB innerhalb von 3 Jahren nach dem Jahr des Vertragsendes, nicht dagegen seit Anspruchstellung 85, weil sich der Anspruch während der Vertragslaufzeit ständig erneuert86. Nicht hingegen verjährt der Anspruch erst drei Jahre nach Vollbeendigung aller vertraglichen Ansprüche, z.B. eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots87 (Problem: mangelnde Klarheit des Datums).

K. Kosten 18

Die Kosten der Beurkundung sind in Ermangelung einer gegenteiligen, zuvor getroffenen Regelung (Beweislast bei dem, der sie behauptet) von den Vertragspartnern nach Köpfen zu tragen 88. Eine Gegenansicht, nach welcher die Kosten von dem Unternehmer als Verpflichtetem zu tragen sind, wäre vertretbar.

L. Nicht- und Schlechterfüllung 19

Weigert sich ein Vertragspartner, den Anspruch zu erfüllen, macht er sich aus § 280 BGB schadenersatzpflichtig 89. Zudem wird die Weigerung – nach Abmahnung – regelmäßig einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung gem. § 89a darstellen 90. Der Unternehmer gibt dem HV spätestens begründeten Anlass zur ausgleichserhaltenden Kündigung, wenn er dem Anspruch aus § 85 trotz mehrfacher Aufforderung nicht nachkommt 91. Einem solchen Kündigungsrecht kann allerdings entgegenstehen, dass der HV 85 86 87 88 89

So aber MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 85 Rn 21. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 85 Rn 8. So aber Hopt § 85 Rn 7. Ebenroth/Löwisch § 85 Rn 4. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 85 Rn 25; Hopt § 85 Rn 10; Schlegelberger/Schröder § 85 Rn 13.

308

90

91

OLG München VersR 1957, 97; Ebenroth/ Löwisch § 85 Rn 2; Hopt § 85 Rn 10; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 85 Rn 25; Schlegelberger/Schröder § 85 Rn 13. BGH, Beschl. v. 21.02.2006 – VIII ZR 61/04, BB 2006, 905 = NJW-RR 2006, 755 = WM 2006, 1115 = VersR 2006, 835 = MDR 2006, 1056.

Raimond Emde

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 85

bereits mehrere Jahre für den Unternehmer tätig war, ohne in dem Fehlen einer Vertragsurkunde einen Anlass zur Kündigung gesehen zu haben 92.

M. Abtretung und Zurückbehaltungsrecht Der Anspruch ist als bloßes Hilfsrecht nicht eigenständig abtretbar und pfändbar 93. 20 An der Urkunde darf der Verpflichtete kein Zurückbehaltungsrecht geltend machen 94.

N. Prozessuale Durchsetzung Geklagt wird auf Abgabe einer Willenserklärung, nicht pauschal auf „Ausstellung, 21 Unterzeichnung und Aushändigung einer den Vertragsinhalt richtig wiedergebenden Urkunde“ 95. Der Klagantrag muss den vollständigen Inhalt des Vertrages, präziser: die vom Anspruchsgegner abzugebende Willenserklärung, bezeichnen 96, ggf. mit den vereinbarten Verweisungen auf dispositives Recht 97. Zulässig ist auch Klage auf Feststellung, dass der Vertrag den im Klageantrag genannten Inhalt hat; das Feststellungsinteresse folgt aus § 85 98. Die Leistungsklage ist schon deshalb nicht vorrangig, weil sie nach einer bedeutenden Meinungsgruppe (s.u.) umständlicher zu vollstrecken ist, während die Feststellungswirkung ohne Vollstreckung eintritt. Der Feststellungsantrag erwächst zudem unzweifelhaft in Rechtskraft, während die nach § 85 erteilte Urkunde lediglich eine widerlegliche Vermutung ihrer Richtigkeit begründet 99. Jeder Vertragspartner, der den Anspruch nicht im Vorwege anerkannt hat, muss verklagt werden, mehrere Streitgenossen sind notwendige i.S.d. § 62 ZPO. Die Beweislast für Bestehen und Inhalt des Vertrages trifft den Kläger 100. Soweit Abreden nicht nachgewiesen wurden, ist die Klage abzuweisen101 und es tritt an ihre Stelle dispositives Recht, notfalls ergänzende Vertragsauslegung102 (sie wird durch die Dokumentation nach § 85 ebenso wenig ausgeschlossen wie bei Unterzeichnung eines Vertrages durch beide Parteien).

O. Zwangsvollstreckung Die Zwangsvollstreckung erfolgt gem. § 894 ZPO, das rechtskräftige Urteil ersetzt 22 die Beurkundung103. Eine Zwangsvollstreckung nach § 888 ZPO ist überflüssig104. Sie wäre nicht nur umständlich, sondern ginge auch am Rechtsschutzziel vorbei. Es geht 92

93 94 95 96 97 98

99

BGH, Beschl. v. 21.02.2006 – VIII ZR 61/04, BB 2006, 905 = NJW-RR 2006, 755 = WM 2006, 1115 = VersR 2006, 835 = MDR 2006, 1056. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 5. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 5. AA Küstner/Thume I, Nr. 376; Röhricht/ Graf v. Westphalen/Küstner § 85 Rn 9. Ebenroth/Löwisch § 85 Rn 7. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 7. BGH, Urt. v. 4.11.1998, ZIP 1998, 2152 = BB 1999, 71 m. Anm. Escher; Ebenroth/ Löwisch § 84 Rn 7; ablehnend Schlegelberger/Schröder § 85 Rn 13. Vgl. Schlegelberger/Schröder § 85 Rn 13.

100

101 102 103

104

MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 85 Rn 23; Schlegelberger/Schröder § 85 Rn 12. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 85 Rn 23. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 7. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 85 Rn 24; Küstner/Thume I, Rn 377; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 85 Rn 9; aA (Vollstreckung nach § 888 ZPO) Ebenroth/Löwisch § 85 Rn 7; Hopt § 85 Rn 9; Schlegelberger/Schröder § 85 Rn 12. Schlegelberger/Schröder § 85 Rn 12; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 85 Rn 8; aA Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 7.

Raimond Emde

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§ 86

1. Buch. Handelsstand

dem Klagenden nicht darum, eine Urkunde zu erhalten, die notwendigerweise von dem Beklagten stammt, sondern vielmehr um Rechtssicherheit, die er auch durch ein Urteil erhält. Es ist dem Kläger nicht zuzumuten, bei dem möglicherweise vollstreckungsunempfindlichen Beklagten so lange durch Zwangsgeld oder Zwangshaft die Durchsetzung des Beurkundungsanspruches zu versuchen, bis sich dieser bequemt, die Erklärung abzugeben.

P. Zwingende Natur 23

Der Anspruch ist nicht erschwerbar und unverzichtbar (§ 85 S. 2) 105. Er darf nach § 92c ausgeschlossen werden. Dies beruht auf europarechtlicher Präformation. Siehe auch Rn 15.

Q. Analoge Anwendung 24

§ 85 ist im Recht handelsvertreterähnlicher Vertriebsmittler analog anwendbar, etwa auf Vertragshändler 106, Kommissionsagenten oder Franchisenehmer 107.

§ 86 Pflichten des Handelsvertreters (1) Der Handelsvertreter hat sich um die Vermittlung oder den Abschluß von Geschäften zu bemühen; er hat hierbei das Interesse des Unternehmers wahrzunehmen. (2) Er hat dem Unternehmer die erforderlichen Nachrichten zu geben, namentlich ihm von jeder Geschäftsvermittlung und von jedem Geschäftsabschluß unverzüglich Mitteilung zu machen. (3) Er hat seine Pflichten mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns wahrzunehmen. (4) Von den Absätzen 1 und 2 abweichende Vereinbarungen sind unwirksam.

Schrifttum Birkhahn Wettbewerbsverbot für Handelsvertreter auch ohne vertragliche Grundlage, BB 1961, 1351 und BB 1962, 1106; v. Brunn Unzulässige Verhandlungen über die Nachfolge eines Handelsvertreters vor Kündigung seines Vertrags, DB 1964, 1841; ders. Das Wettbewerbsverbot im Handelsvertreterrecht beim Fehlen einer Vereinbarung, AcP 163 (1964), 487; Hohn Wettbewerbsverbote für Arbeitnehmer und Handelsvertreter, DB 1963, 1500 und 1538, 1967, 1852 und 1895; ders. Wettbewerbsverbote mit Arbeitnehmern und Handelsvertretern, DB 1971, 94; Hopt Wettbewerbsfreiheit und Treuepflicht des Unternehmers bei parallelen Vertriebsformen, ZIP 1996, 1533; Keller Konsig-

105

Ebenroth/Löwisch § 85 Rn 1; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 85 Rn 19; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 85 Rn 8; Schlegelberger/Schröder § 85 Rn 11.

310

106 107

MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 85 Rn 1. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 2.

Raimond Emde

§ 86

1. Buch. Handelsstand

dem Klagenden nicht darum, eine Urkunde zu erhalten, die notwendigerweise von dem Beklagten stammt, sondern vielmehr um Rechtssicherheit, die er auch durch ein Urteil erhält. Es ist dem Kläger nicht zuzumuten, bei dem möglicherweise vollstreckungsunempfindlichen Beklagten so lange durch Zwangsgeld oder Zwangshaft die Durchsetzung des Beurkundungsanspruches zu versuchen, bis sich dieser bequemt, die Erklärung abzugeben.

P. Zwingende Natur 23

Der Anspruch ist nicht erschwerbar und unverzichtbar (§ 85 S. 2) 105. Er darf nach § 92c ausgeschlossen werden. Dies beruht auf europarechtlicher Präformation. Siehe auch Rn 15.

Q. Analoge Anwendung 24

§ 85 ist im Recht handelsvertreterähnlicher Vertriebsmittler analog anwendbar, etwa auf Vertragshändler 106, Kommissionsagenten oder Franchisenehmer 107.

§ 86 Pflichten des Handelsvertreters (1) Der Handelsvertreter hat sich um die Vermittlung oder den Abschluß von Geschäften zu bemühen; er hat hierbei das Interesse des Unternehmers wahrzunehmen. (2) Er hat dem Unternehmer die erforderlichen Nachrichten zu geben, namentlich ihm von jeder Geschäftsvermittlung und von jedem Geschäftsabschluß unverzüglich Mitteilung zu machen. (3) Er hat seine Pflichten mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns wahrzunehmen. (4) Von den Absätzen 1 und 2 abweichende Vereinbarungen sind unwirksam.

Schrifttum Birkhahn Wettbewerbsverbot für Handelsvertreter auch ohne vertragliche Grundlage, BB 1961, 1351 und BB 1962, 1106; v. Brunn Unzulässige Verhandlungen über die Nachfolge eines Handelsvertreters vor Kündigung seines Vertrags, DB 1964, 1841; ders. Das Wettbewerbsverbot im Handelsvertreterrecht beim Fehlen einer Vereinbarung, AcP 163 (1964), 487; Hohn Wettbewerbsverbote für Arbeitnehmer und Handelsvertreter, DB 1963, 1500 und 1538, 1967, 1852 und 1895; ders. Wettbewerbsverbote mit Arbeitnehmern und Handelsvertretern, DB 1971, 94; Hopt Wettbewerbsfreiheit und Treuepflicht des Unternehmers bei parallelen Vertriebsformen, ZIP 1996, 1533; Keller Konsig-

105

Ebenroth/Löwisch § 85 Rn 1; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 85 Rn 19; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 85 Rn 8; Schlegelberger/Schröder § 85 Rn 11.

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106 107

MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 85 Rn 1. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 2.

Raimond Emde

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 86

nationslager – Probleme aufgrund von Vereinfachungsregelungen in einzelnen EU-Mitgliedstaaten, UR 2000, 61; Kieninger Informations-, Aufklärungs- und Beratungspflichten beim Abschluß von Versicherungsverträgen, AcP 199 (1999), 190; Kreis Ausschließlichkeitsbindung in Tankstellenverträgen, BB 1967, 942; Leo Wettbewerbsverbot für Handelsvertreter auch ohne vertragliche Vereinbarung, BB 1962, 1106; ders. Das Wettbewerbsverbot des Handelsvertreters im Lichte des § 18 GWB, WRP 1969, 85; Maier Das gesetzliche Wettbewerbsverbot für Handelsvertreter, BB 1979, 500; Möschel Absatzmittler und vertikale Preisbindung, BB 1985, 1477; Oehler „Umgekehrte“ Preisbindung zwischen Unternehmer und Handelsvertreter in Agenturvertriebssystemen, BB 1987, 765; Ordemann Die Berichtspflicht im Handelsvertreters, DB 1963, 1565; Rasch Ausschließlichkeitsbindung im Handelsvertreterrecht, WuW 1958, 208; Riesenkampff Die Ausschließlichkeitsbindung des Tankstellenhalters für Treib- und Schmierstoffe, BB 1968, 732; ders. Die „derivativen“ Wettbewerbsverbote und Wettbewerbsbeschränkungen unter besonderer Berücksichtigung des Kommissions- und Agenturvertrags, BB 1984, 2026; Rittner Die Wettbewerbsverbote des Handelsvertreters und § 18 GWB, ZHR 135 (1972), 289; ders. Das Wettbewerbsverbot im Handelsvertreterverhältnis, FS Reinhardt, 1972, S. 301; ders. Handelsvertreterverhältnis und Preisbindungsverbot, DB 1985, 2543; Rumpf Wirtschaftsrechtliche Vertrauensgeschäfte, AcP 119 (1921), 1; Schmidt/Thiele Die Ausschließlichkeitsbindung des Tankstellenhalters für Treib- und Schmierstoffe, BB 1968, 886; Schriefers Lagerrücknahme bei Vertragsbeendigung des Händlervertrags, BB 1992, 2158; Seifert Vermittlung von Versicherungen durch angestellte und selbständige Vertreter, NZA Sonderheft 1999, 6; Thume Die Musterkollektion des Handelsvertreters, BB 1995, 1913.

Übersicht Rn A. Übersicht . . . . . . . . . . . . . . .

1–7

B. Entstehungsgeschichte und Europarecht

8

C. Unterteilung der Vertreterpflichten . .

9–10

D. Verpflichteter . . . . . . . . . . . . .

11

E. Berechtigter

. . . . . . . . . . . . .

12

F. Dauer der Pflichten . . . . . . . . . .

13

G. Die einzelnen in § 86 geregelten Pflichten 14–180 I. Absatz 1: Hauptpflicht: Vermittlungs- oder Abschlusspflicht . . . 14–41 1. Räumliche Begrenzung der Vertretertätigkeit . . . . . . . 17 2. Bezirksvertreter . . . . . . . 18 3. Gegenständliche Begrenzung . 19–23 4. Inhalt der Hauptpflichten . . 24–41 a) Vermittlungspflicht . . . . 24–25 b) Abschlusspflicht und Abschlussvollmacht . . . . . 26–30 c) Vertragliche Vereinbarungen 31 d) Gesetzliche Regelung . . . 32–41 aa) Umfang der Vollmacht 32–38 bb) Vollmacht des Versicherungsvertreters . . . . 39 cc) Vollmachtsmissbrauch 40 dd) Beweislast . . . . . . 41 II. Nebenpflichten . . . . . . . . . 42–136 1. Herausgabepflicht . . . . . . 42–47 2. Interessenwahrnehmungspflicht 48 a) Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . 49–51 aa) Ein- und Mehrfirmenvertreter . . . . . . . 50 bb) Interessenwahrungs-

Raimond Emde

Rn pflicht zwischen Hauptund Untervertreter . . . . b) Zeitlicher Anwendungsbereich und vorvertragliche Treupflichten aa) Vorvertragliche Treupflichten bb) Nachvertragliche Treupflichten . . . . . . . . . c) Inhalt der Interessenwahrungspflicht . . . . . . . . . . . . . d) Untergruppen der Interessenwahrungspflicht . . . . . . . . . . . aa) Aufbewahrungspflicht . . bb) Bonitätsprüfungspflicht . . cc) Förder- und Loyalitätspflicht . . . . . . . . . . . dd) Informationspflicht . . . . ee) Marktbeobachtungspflicht ff) Organisationspflicht . . . gg) Prüfungspflicht . . . . . . hh) Verbot der Nachteilszufügung . . . . . . . . . ii) Verbot der Nutzung von Geschäftschancen des Unternehmers . . . . . . . . . . jj) Wettbewerbs- oder Konkurrenzverbot . . . . . . . . . (1) Wettbewerb im Allgemeinen (2) Genese des Wettbewerbsverbots . . . . . . . . . . (3) Anspruchsinhaber . . . . (4) Verpflichteter . . . . . . . (a) Wettbewerbsverbot des HV (b) HV-ähnliche Vertriebsmittler (aa) Wettbewerbsverbot des Vertragshändlers . . . . . . .

51 52–56 54–55 56 57–59 60–136 61–63 64–68 69–70 71 72 73 74–75 76

77 78–135 78–79 80–83 84 85–87 85 86–87 86

311

§ 86

1. Buch. Handelsstand Rn

(bb) Wettbewerbsverbot des Franchisenehmers . . . . . 87 (5) Umfang des Wettbewerbsverbots . . . . . . . . . . 88–108 (a) Wettbewerbslage . . . . . 93–95 (b) Sachlicher Geltungsbereich 96–101 (c) Räumlicher Geltungsbereich 102–105 (d) Zeitlicher Geltungsbereich des Wettbewerbsverbots . . 106–108 (6) Nachträgliches Entstehen einer Wettbewerbssituation 109–116 (a) Allgemeines . . . . . . . . 109–114 (b) Konzernfälle . . . . . . . 115–116 (7) Vertragliche Regelung des Wettbewerbsverbots . . . . 117–124 (a) Gestattung der Wettbewerbstätigkeit . . . . . . . . . . 118–121 (b) Vertragliches Wettbewerbsverbot . . . . . . . . . . . 122–124 (8) Grenzen des Wettbewerbsverbots nach deutschem oder EU-Kartellrecht . . . 125 (9) Umgehungstatbestände . . 126–130 (10) Folgen unberechtigter Konkurrenz . . . . . . . . 131–135 kk) Treupflichten innerhalb eines Vertriebssystems . . . . . . 136 III. Nachrichtspflicht des Handelsvertreters (§ 86 Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . 137–177 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . 137 2. Abgrenzung von der allgemeinen Informationspflicht . . . . . . . . 138 3. Abgrenzung von der Berichtspflicht . . . . . . . . . . . . . . . 139 4. Abgrenzung von der Auskunftspflicht nach § 242 BGB . . . . . . . . . . 140 5. Inhalt der Nachrichten . . . . . . 141–144 6. Verpflichteter . . . . . . . . . . . 145 7. Dauer der Nachrichtspflicht . . . 146 8. Zeitpunkt der Nachrichten . . . . 147 9. Form der Nachrichten . . . . . . 148 10. Weisungen zu den Nachrichten . . 149 11. Vertragliche Vereinbarung zur Nachrichtspflicht . . . . . . . . . 150 12. Untergruppen der Nachrichtspflicht 151–177 a) Verpflichtung zur Mitteilung über Vermittlung und Abschluss . . . 152 b) Allgemeine Informations- oder Offenbarungspflicht . . . . . . 153–158 aa) Geltungszeitraum . . . . . 154 bb) Zeitpunkt der Information 155 cc) Umfang . . . . . . . . . . 156–158 c) Berichtspflicht . . . . . . . . . 159–177 aa) Zweck . . . . . . . . . . 161 bb) Verpflichteter . . . . . . . 162 cc) Berichtsturnus . . . . . . 163–164 dd) Inhalt . . . . . . . . . . . 165–167 ee) Form der Berichte . . . . 168 ff) Vertragliche Vereinbarungen zu den Berichten . . . . . 169–172

312

Rn (1) (2) (3) (4) gg) hh)

Zur Häufigkeit der Berichte 169 Zum Inhalt der Berichte . . 170 AGB . . . . . . . . . . . . 171 Details . . . . . . . . . . 172 Weisungen zu den Berichten 173–176 Folgen fehlerhafter Berichterstattung . . . . . . . . . 177 IV. Sorgfaltspflicht des Handelsvertreters (§ 86 Abs. 3) . . . . . 178–180 H. Persönliche Dienstleistung

. . . . . .

I. Rechenschaftspflicht (§ 666 BGB)

181

. . 182–183

J. Weisungsfolgepflicht . . . . . . . . . 184–195 I. Umfang der Weisungsgebundenheit . . . . . . . . . . . . . . . 184–186 II. Billiges Ermessen und Rücksichtnahmegebot . . . . . . . . . . . 187–189 III. Zwingende Natur des Weisungsrechts . . . . . . . . . . . . . . 190 IV. Folgen zulässiger Weisungen . . 191 V. Folgen unzulässiger Weisungen . 192 VI. Vertraglich vereinbartes Weisungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . 193 VII. Fehlende Weisungen . . . . . . 194 VIII. Rechtsfolgen bei Nichtbefolgung von Weisungen . . . . . . . . . 195 K. Verschwiegenheitspflicht während der Vertragsdauer und nach Vertragsende .

196

L. Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . 197–198 M. Zwingende Natur des § 86 . . . . . . 199–206 I. Allgemeines . . . . . . . . . . . 199–201 II. Vertragliche Erweiterung der Pflichten . . . . . . . . . . . 202–206 N. Folge der Verletzung der Pflichten des Mittlers . . . . . . . . . . . . . . 207–221 I. Haftung des Mittlers . . . . . . 210 II. Haftung des Mittlers gegenüber dem Kunden . . . . . . . . . . 211–213 III. Haftung des HV nach dem Produkthaftungsgesetz . . . . . . . 214–215 IV. Haftung des Vertragshändlers nach dem Produkthaftungsgesetz . . . 216 V. Haftung des Mittlers gegenüber dem Unternehmer . . . . . . . . 217–220 1. Haftung des Mittlers gem. §§ 280 Abs. 1, 282, 241 Abs. 2, 242, 311 Abs. 2 BGB (culpa in contrahendo) . . . . . . . . . 218 2. Haftung des Mittlers gemäß § 280 I, III BGB wegen Schlechterfüllung vertragsbegleitender Pflichten (Positive Forderungsverletzung) . . . . . . . . . . 219 3. Haftung des Mittlers gemäß § 280 I BGB wegen Schlechterfüllung nachvertraglicher Pflichten . . . . . . . . . . . 220 VI. Haftung von Dritten . . . . . . 221

Raimond Emde

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 86

A. Übersicht Der HV-Vertrag und die ihm nahen Vermittlerverträge bilden ein klassisches Dauerschuldverhältnis mit Geschäftsbesorgungscharakter 1, bei dem sich als Hauptpflichten auf Seiten des HV die Vermittlungs- oder Abschlusspflicht, auf Seiten des Unternehmers einerseits die Zahlung der Vergütung (Provision, Festvergütung) und andererseits die Ausgleichsvergütung nach § 89b gegenüberstehen. Die Hauptpflichten sind eingebettet in gegenseitige Treu- und Interessenwahrungspflichten 2, die sich verstärken, wenn eine Partei der anderen Ausschließlichkeit verspricht. Meist ist es der HV, welcher Ausschließlichkeit verspricht. Der HV schuldet Haupt- und Nebenpflichten. § 86 handelt von den Pflichten des HV, § 86a von denen des Unternehmers. § 86 ist wenig gelungen. Die Bestimmung macht nicht einmal den Versuch einer erschöpfenden Behandlung ihres Gegenstandes 3 (so wenig das im Letzten vielleicht möglich wäre). Die Pflicht, den Weisungen des Unternehmers Folge zu leisten, lässt sie unerwähnt; man muss sie aus § 665 BGB, der noch dazu auch sie nur mittelbar ausspricht, interpolieren. Die Pflicht zur Tätigkeit, zum Bemühen um die Vermittlung und den Abschluss von Geschäften würde sich bereits aus § 84 ergeben, wird dort aber nur für die Statusfrage geregelt. Dass der HV „hierbei“ das Interesse des Unternehmers wahrzunehmen hat, ist wiederum unvollständig formuliert. Denn die Interessenwahrungspflicht geht über die konkreten Bemühungen um das Hereinholen von Aufträgen hinaus. Sie erweitert sich zu der Pflicht, sich beruflich dem Unternehmer gegenüber in allem loyal zu verhalten. Auch die Berichtspflicht des Abs. 2 wiederholt bis in den Wortlaut hinein diejenige des § 666 BGB über die zu gebenden „erforderlichen“ Nachrichten; allenfalls eine Teilkonkretisierung ergibt sich aus Abs. 2 Hs 2. Die in § 86 beschriebenen Pflichten ziehen einen Kreis von den im HGB gegebenen – Pflicht zum Tätigwerden mit dem Ziel des Hereinholens von Abschlüssen, Pflicht zur Beobachtung des Marktes, Pflicht zur Berichterstattung – über diejenigen ergänzenden bürgerlichen Rechts – Befolgung von Weisungen, Rechenschaft, Herausgabe – bis zu der allgemeinen Loyalitätspflicht, die wieder auf die besondere, dem HV durch § 84 zugewiesene Stellung zurückführt und welche in einzelnen Ausformungen – Verschwiegenheit, Unterlassen von Wettbewerb – sichtbar wird. § 86 regelt beides und bestimmt die Pflichten des HV, die „gesetzestypisch“ also ohne weitergehendes vertragliches Versprechen des HV bestehen. Die Norm bildet damit ein „gesetzliches Vertragskorsetts“, geht also über eine „Klarstellung“ 4 hinaus. Jedoch ist sie ausfüllungsbedürftig und nicht abschließend 5, insbesondere bei der Benennung der recht selektiv erwähnten Nebenpflichten 6. Die Parteien dürfen also über das in § 86 Geregelte hinaus weitere Hauptund Nebenpflichten vereinbaren, um ihren Vertrag an die individuellen Verhältnisse anzupassen 7. Der bedeutendste Abschnitt des § 86 ist sein Absatz 1, der wie Abs. 3 mit der HVNovelle 1953 Teil der Norm wurde 8. § 86 Abs. 1 Hs. 1 regelt die im Gegenseitigkeitsver1 2 3

4 5

Hopt § 86 Rn 1; für partiarischen Einschlag Canaris § 17 Rn 54. Küstner/Thume I, Rn 248. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 1; MünchKommHGB/v. Hoyningen/Huene § 86 Rn 3; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 1. So aber Küstner in: Röhricht/Graf v. Westphalen, § 86 Rn 2. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 1; MünchKomm-

6 7 8

HGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 3; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 1. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 1. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 1; Schlegelberger/ Schröder § 86 Rn 4a. Siehe Begr. zum RegE, BT-Drucks. 1/3856, S. 18; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 86 Rn 1.

Raimond Emde

313

1

2

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§ 86

1. Buch. Handelsstand

hältnis stehende Hauptpflicht, die Bemühenspflicht um Vermittlung oder Abschluss von Geschäften, § 86 Abs. 1 Hs. 2 die wichtigste Nebenpflicht, die über die allgemeine Treupflicht hinausgehende, durch § 266 StGB sanktionierte 9 Interessenwahrungspflicht des HV (welche als schwächere, einfache Treupflicht auch in umgekehrter Richtung fließt). Das in § 86 Abs. 2 Geregelte ist hingegen untergeordneter Natur und Ausfluss bzw. 5 Konkretisierung des in Abs. 1 Bestimmten. Gemäß § 86 Abs. 2 hat der HV dem Unternehmer die erforderlichen Nachrichten zu geben, namentlich ihn von jeder Geschäftsvermittlung und von jedem Geschäftsabschluss unverzüglich Mitteilung zu machen. Hierbei handelt es sich um eine gesetzlich vorgegebene Nebenpflicht. Sie folgt eigentlich schon aus den §§ 665 S. 2 und 666 BGB, wurde jedoch wegen ihrer Bedeutung noch einmal in § 86 hervorgehoben10. § 86 Abs. 3 determiniert den allgemein geltenden Pflichtenmaßstab: Der HV hat 6 während der gesamten Vertragsausführung, jedoch nur bei dieser, mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns zu handeln. Die Norm hat nun, nachdem HV nicht notwendigerweise Kaufleute sein müssen (vgl. §§ 1 ff, 84 Abs. 4), gegenüber § 347 eigenständige Bedeutung und gibt nicht lediglich eine unter Kaufleuten ohnehin geltende Selbstverständlichkeit wieder 11. Denn der Sorgfaltsmaßstab des § 86 Abs. 3 gilt auch, sollte der HV kein Kaufmann sein (siehe § 84 Abs. 4). Gem. § 86 Abs. 4 sind die Abs. 1 und 2 zwingend. 7

B. Entstehungsgeschichte und Europarecht 8

In der bis 1953 geltenden Fassung des HGB war die Regelung im Wesentlichen in § 84 enthalten. Die Abs. 1 bis 3 wurden erst durch die Novelle 1953 eingefügt. Hierdurch sollte das Bemühen um Geschäftsvermittlung und -abschluss als wesentliche Hauptpflicht des HV normiert werden 12. Sie war zuvor aus dem dienstvertraglichen Charakter der Tätigkeit abgeleitet worden. Zudem war bezweckt klarzustellen, dass der HV der Interessenswahrer des Unternehmers und nicht neutraler Makler zwischen jenem und der Kundschaft ist 13. § 86 wurde durch das Durchführungsgesetz zur EG-Richtlinie 1986 vom 23.10.1989 ergänzt. Von der ursprünglich geplanten Umsetzung der Art. 3 und 5 HV-Richtlinie in Form der Streichung des Abs. 3 und Ergänzung des Abs. 1 um die Verpflichtung, sachgerechten Weisungen des Unternehmers Folge zu leisten 14, wurde abgesehen, wohl weil der Gesetzgeber bemüht war, den alten Text des § 86 Abs. 1–3 so weit als möglich beizubehalten 15. Zum Teil wird deshalb von einer unzureichenden Umsetzung der HV-Richtlinie gesprochen 16 und eine richtlinienkonforme Auslegung angemahnt 17. Weitgehend ähnlich wurde in beiden Regelungswerken die Interessenwahrnehmungspflicht formuliert. Der Begriff findet sowohl in der Richtlinie wie in § 86 Verwendung, § 86 Abs. 1 Hs. 2; Art. 3 Abs. 1 Hs. 1 HV-Richtlinie. Die HV-Richtlinie verpflichtet den HV auf Treu und Glauben (Art. 3 Abs. 1 Hs. 2), ebenso wie gem. Art. 4 Abs. 1 den Unternehmer. Eine ausdrückliche Umsetzung unterblieb wegen § 242 BGB. 9

10 11 12 13

OLG Köln MDR 1967, 1026; OLG Koblenz MDR 1968, 779; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 1. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 1. AA wohl Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 1. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 1. Begründung zum RegE, BT-Drucks. 1/3856,

314

14 15 16 17

S. 18 f; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 86 Rn 1. Noch vorgesehen vom RegE, BT-Drucks. 11/3077. Ebenroth/Hakenberg § 86 Rn 50. Vgl. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 2; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 2. Ebenroth/Hakenberg § 86 Rn 50.

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§ 86

Dies dürfte europarechtskonform sein 18, weil es keine Rolle spielt, ob der Inhalt der Richtlinie im HGB oder BGB geregelt ist, solange § 242 BGB existiert. Die in § 86 Abs. 3 vorgesehene Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns wird in der HV-Richtlinie nicht genannt. Dem stehen keine Bedenken entgegen 19, weil sich aus der Verpflichtung zur Interessenwahrnehmung und zu Treu und Glauben die Verpflichtung zu diesem Sorgfaltsmaßstab ergeben dürfte. Während die HV-Richtlinie in Art. 3 Abs. 2 vorsieht, dass sich der HV „in angemessener Weise für die Vermittlung und den Abschluss der ihm anvertrauten Geschäfte einsetzen“ muss, braucht er sich nach § 86 Abs. 1 nur darum zu „bemühen“. Dies ist als Synonym zu akzeptieren. Andererseits verlangt die HV-Richtlinie, soweit es die Informationen an den Unternehmer betrifft, nicht die unverzügliche Mitteilung von jeder Geschäftsvermittlung und jedem Geschäftsabschluss, wie § 86 Abs. 2 dies tut. Auch dem stehen Bedenken nicht entgegen, weil die unverzügliche Mitteilung der Interessenwahrnehmung wie auch Treu und Glauben entspricht. Die in Art. 3 Abs. 2 lit. c HV-Richtlinie geregelte Pflicht des HV, den vom Unternehmer erteilten angemessenen Weisungen nachzukommen, hat kein Abbild in § 86 gefunden. Darin liegt eine mangelnde Umsetzung der Richtlinie 20. Die Rspr., nach der das Weisungsrecht aus der Interessenwahrungspflicht und § 665 BGB folgt, kann die Normierung nicht ersetzen 21. Sie hätte auch die Selbständigkeit des HV nicht berührt 22. Das Verbot abweichender Parteivereinbarungen in § 86 Abs. 4, der Art. 5 HV-Richtlinie umsetzen soll, erstreckt sich nur auf § 86 Abs. 1 und 2, nicht hingegen auf die von der Richtlinie vorgeschriebene Weisungsfolgepflicht. Das wird ebenfalls als Umsetzungsmangel empfunden 23.

C. Unterteilung der Vertreterpflichten Die Pflichten des HV werden unterschieden in 9 – Gesetzlich vorgegebene, im Gegenseitigkeitsverhältnis stehende Hauptpflichten i.S.d. §§ 320 ff BGB, d.h. Vermittlungs- und Abschlusspflicht; – Gesetzlich vorgegebene Nebenpflichten; – Durch separates vertragliches Versprechen übernommene Haupt- und Nebenpflichten. Hiervon regeln § 86 Abs. 1 und 2 nur die gesetzlich vorgegebenen Haupt- und 10 Nebenpflichten, während § 86 Abs. 3 zugleich den Sorgfaltsmaßstab für vertraglich übernommene Pflichten bestimmt.

D. Verpflichteter Verpflichtet ist der HV, auch als Untervertreter 24, egal in welcher Rechtsform er tätig 11 ist 25. Sowohl eine Gesamthandsgesellschaft wie natürliche oder juristische Personen dürfen HV sein (§ 84 Rn 121 ff) und sind Normadressaten des § 86 26. Es darf – außer in 18 19 20

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Ebenroth/Hakenberg § 86 Rn 51. AA Ebenroth/Hakenberg § 86 Rn 51. Westphal FS Meyer-Marsilius, 1993, S. 12; noch Ankele DB 1987, 569 (570); Ebenroth/ Hakenberg § 86 Rn 53; aA Ankele DB 1989, 2211. EuGH, Urt. v. 19.09.1996 – Rs. C-236/95, „Kommission/Griechenland“, EuGHE 1996 I, 4459; Ebenroth/Hakenberg § 86 Rn 53.

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AA Kindler RIW 1990, 358 (359). Ebenroth/Hakenberg § 86 Rn 54. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 48; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 3; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 3. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 5. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 6.

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§ 86

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AGB des HV – vereinbart werden, dass der HV ohne weitere Zustimmung des Unternehmers zur Übertragung des Vertrages auf einen Dritten berechtigt ist 27, sofern in der Person dieses Dritten keine Gründe entgegenstehen. In der Regel dürfte dann der ursprüngliche Vertragspartner aus dem Vertrag entlassen sein, was jedoch eine Frage der Vertragsauslegung bleibt. § 86 ist auf HV-ähnliche Vertriebsmittler, etwa Vertragshändler 28, Kommissionsagenten 29 sowie Franchisenehmer 30 entsprechend anwendbar. Beim Franchisenehmer ist die Anwendung des § 86 allerdings umstritten 31. Richtigerweise wird in dieser Frage differenziert, d.h. die analoge Anwendung von § 86 Abs. 1 wird angenommen 32, während § 86 Abs. 2 von der Analogie ausgenommen wird 33.

E. Berechtigter 12

Gläubiger der dem HV obliegenden Pflichten ist der Unternehmer, mit welchem der HV-Vertrag geschlossen wurde 34. Der Unternehmer darf seinen Anspruch gegen den HV nicht ohne Zustimmung des HV auf Dritte übertragen (§ 613 S. 2 BGB) 35. Der Anspruch gegen den HV geht auch im Fall einer Betriebsveräußerung nicht automatisch auf den Erwerber über 36. § 613 a BGB findet keine entsprechende Anwendung (Vor § 84 Rn 11). Auch hier kann vereinbart werden, dass der Unternehmer ohne Zustimmung des HV zur Übertragung auf einen Dritten berechtigt ist 37, sofern in der Person dieses Dritten keine Gründe entgegenstehen, jedoch nicht in vom Unternehmer gestellten AGB.

F. Dauer der Pflichten 13

Grundsätzlich bestehen die Pflichten des HV nur vertragsbegleitend (Grundregel) 38. Er kann jedoch vor- und nachvertraglichen Pflichten, insbesondere vor- und nachwirkende Treupflichten, unterliegen. Zudem kann eine Auslegung oder der Wortlaut einer Bestimmung, etwa § 90 (Geheimnisschutz) oder § 90a (nachvertragliches Wettbewerbsverbot), ergeben, dass sie über den Vertrag hinaus Nachwirkung zeitigt.

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Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 14. BGH, Urt. v. 07.07.1983 – I ZR 115/81, NJW 1984, 2101 (2102); Schulz NJW 1959, 649 (652); Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 48; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 3; Hopt § 84 Rn 11; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 3. Ulmer/Habersack ZHR 159 (1995), 109 (126, 129 ff) für Wettbewerbsbeschränkungen; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 48; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 3. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 3. Martinek Franchising, S. 319; aA Herrfeld, S. 288. Giesler/Kroll in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 4 Rn 151.

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Giesler/Nauschütt/Höpfner § 7 Rn 17 ff; aA Giesler/Kroll in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 4 Rn 161. MünchKomm HGB/v. Hoyningen/Huene § 86 Rn 9. MünchKomm HGB/v. Hoyningen/Huene § 86 Rn 9. BGH NJW 1963, 100 (101); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 10. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 14 fordert eine weitere Zustimmung des Vertreters zum Zeitpunkt der Übertragung. OLG Düsseldorf DB 1969, 2077; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 4; MünchKommHGB/v. Hoyningen/Huene § 86 Rn 11.

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§ 86

G. Die einzelnen in § 86 geregelten Pflichten I. Absatz 1: Hauptpflicht: Vermittlungs- oder Abschlusspflicht Als im Gegenseitigkeitsverhältnis stehende 39 vertragliche Hauptpflicht, die im Zen- 14 trum der vom HV geschuldeten Aktivitäten steht 40, schuldet der HV gemäß § 86 Abs. 1, 1. Hs Vermittlung oder bei entsprechender Vollmacht das ständige – nicht nur gelegentliche 41 oder gar fehlendes 42 – Bemühen (EG-Richtlinie: „Einsatz“) 43 um den Abschluss von Geschäften 44. Das ergibt sich nicht erst aus der Stellung als Beauftragter 45 sondern aus Abs. 1. Auch § 84 spricht die Vermittlung oder den Abschluss von Geschäften an, jedoch mit anderer Rechtsfolge. In § 84 sind die TB-Voraussetzungen des HV-Vertrages geregelt (Statusfrage), in § 86 Abs. 1 die Hauptpflichten des HV 46. Maßgeblich für den Umfang der geschuldeten Vermittlungs- oder Abschlusstätigkeit 15 ist zuvörderst der Vertrag 47. Die Parteien dürfen den Umfang der geschuldeten Leistung bis zur Grenze des Kernbereichs der Selbständigkeit des HV (§ 84 Abs. 1) sowie zu den allgemeinen Grenzen (§§ 134, 138, 307 ff BGB) 48 beschreiben. Regelmäßig exakt umschrieben wird der Umfang der Vermittlungs- und Abschlusstätigkeit nach vertretenem Produktprogramm wie dem räumlichen Ausdehnungsbereich der Vermittlungs- oder Abschlusstätigkeit. Gesetzestypisch schuldet der HV so viel Tätigkeit, wie es für die ordnungsgemäße 16 Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich ist 49, inbes. das Auffinden 50 und Werbung von Neukunden, das Entdecken und Nutzen von Marktlücken 51, die Beratung von Kunden 52 aber auch die Pflege des Altkundenstammes 53. Er hat sich mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns (Abs. 3) um das Hereinholen von Abschlüssen zu bemühen und darf seine Tätigkeit selbst dann nicht einstellen oder auf ein Minimum herabsetzen, falls der Unternehmer sich nicht vertragsgerecht verhält 54. Besitzt der HV Kenntnis von potentiellen Neukunden, etwa aufgrund von Hinweisen des Unternehmers 55, muss er mit ihnen Kontakt aufnehmen, sie für den Abschluss interessieren und endgültig geneigt machen 56. Der HV hat sich im Rahmen seiner Fähigkeiten und Möglichkeiten um angemessene Umsätze zu bemühen 57, schuldet vollen Einsatz, darf nicht untätig bleiben 58 und kein Geschäft ohne guten Grund zurückweisen 59 (sofern ihm diese Entscheidung überhaupt obliegt, denn regelmäßig trifft sie der Unternehmer). Der HV ist also zum Tätigwerden verpflichtet, nicht nur berechtigt 60. Geringer Umsatz bei Vertragsbeginn allein ist aller39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51

MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 23. BGHZ 30, 98 (102). Hopt § 86 Rn 12; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 5. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 15a. Vgl. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 52. Martinek/Flohr § 8 Rn 19. Diese Stellung betont Hopt § 86 Rn 12. AA Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 1. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 15a. Hopt § 86 Rn 8 f. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 15a. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 6. OLG Celle BB 1970, 228; Hopt § 86 Rn 13; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 25.

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OLG Hamm HVR (70), 432; Hopt § 86 Rn 13; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 6. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 23. OLG München BB 1955, 714. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 28. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 23. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 33; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 10. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 3. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 3. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 3.

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dings kein Indiz für mangelhaften Einsatz 61. Hingegen ist der HV nicht verpflichtet, so viele Abschlüsse hereinzuholen, wie es ihm bei größter Anstrengung möglich wäre 62; er ist lediglich gehalten, nach den jeweiligen Gegebenheiten sich um angemessene Umsätze zu bemühen 63. Alle Kunden, die überhaupt in Betracht kommen, braucht er nicht zu besuchen. Er kann sich vielmehr auf jene beschränken, bei denen die Vermittlungstätigkeit Aussicht auf Erfolg hat 64. Ein Einfirmenvertreter (§ 92a) hat im typischen Fall sich voll der Vertretung zu widmen. Ob an ihn generell höhere Anforderungen gestellt werden dürfen 65 erscheint aber zweifelhaft, wenn dies nicht im Vertrag zum Ausdruck gekommen ist. Ist der HV nicht als Einfirmenvertreter eingestellt worden, muss der Unternehmer es hinnehmen, dass er noch andere Vertretungen übernimmt oder sonstige Erwerbstätigkeiten ausübt. Auch der Mehrfirmenvertreter ist jedoch nicht berechtigt, die Tätigkeit für einen Unternehmer zu Lasten eines anderen zu vernachlässigen. Nie dürfen die Mindestanforderungen an die objektiv nach kaufmännischer Sorgfalt zu verlangende Betreuung der Unternehmerinteressen vernachlässigt werden; es ist Sache des HV, zu beurteilen, welchen Umfang an Aktivitäten er sich aufbürden kann, um allem gerecht zu werden. Eine allgemeine Pflicht des HV, den Unternehmer um Erlaubnis anzugehen, eine weitere Vertretung oder eine sonstige Tätigkeit zu übernehmen, ist jedoch nicht herzuleiten. Der Unternehmer, dem es hierauf ankäme, mag sich Entsprechendes im Vertretervertrag ausbedingen. Im Übrigen richtet sich die Intensität der einzusetzenden Bemühungen nach den Umständen.

17

1. Räumliche Begrenzung der Vertretertätigkeit. Ist der räumliche Ausdehnungsbereich der geschuldeten Vertretertätigkeit bestimmt, stellt sich regelmäßig die Frage, ob der HV nur Gebiets- oder – ihm stärkere Rechte gebend – Bezirksvertreter ist bzw. ihm sogar Exklusivität zugesichert wurde. Dazu siehe unten, § 87 Rn 101 ff. Bei Vertragshändlern kommt es für die Frage, ob das Geschäft innerhalb des dem Vertragshändler zugewiesenen Gebietes geschlossen wurde, auf den Ort des Vertragsschlusses und nicht den Sitz des Kunden an, ansonsten auf den Sitz des Kunden. Denn die Abschlüsse eines Vertragshändlers werden meist in seinen Räumlichkeiten getätigt 66. Teilweise wird vertreten, der Unternehmer dürfte das dem Mittler zugewiesene Gebiet individualvertraglich ändern 67. Dies ist zweifelhaft, weil hierdurch das Leistungs-Gegenleistungsverhältnis geändert und dem Mittler ein Vertrag aufgedrängt wird, den er so nicht geschlossen hat oder möglicherweise auch nicht geschlossen hätte. Eine derartige Regelung steht einer unzulässigen Teilkündigung gleich und ist daher nur zulässig, wenn das Änderungsrecht zuvor genau beschrieben wurde, nicht zu einer Verschlechterung der Vertragsbedingungen führt, weil das neue Gebiet gleichwertig ist und anderenfalls eine angemessene finanzielle Kompensation gewährt wird. Ansonsten ist der Unternehmer auf die Änderungskündigung zu verweisen. Zu AGB Vor § 84 Rn 33.

18

2. Bezirksvertreter. Von dem Bezirksvertreter gemäß § 87 Abs. 2 (§ 87 Rn 101 ff) darf wegen seiner von einer Kausalität für den Abschluss unabhängigen Vergütung besonderer Einsatz erwartet werden 68. Er hat den zugewiesenen Bezirk laufend und in 61 62

63 64

Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 10. OLG Celle NdsRPfl. 1959, 109 (110); Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 10; Hopt § 86 Rn 12; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 25. OLG Celle NdsRpfl. 1959, 109. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 4.

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Küstner/Thume I, Rn 442; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 5. Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 80. Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 82. Hopt § 86 Rn 12.

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§ 86

besonderer Weise zu pflegen 69. Er darf 70 einen ihm zugewiesenen Bezirk nicht liegen lassen oder auch nur gegenüber anderen Tätigkeiten nachhaltig hintansetzen. Anderenfalls macht er sich aus § 280 BGB dem Unternehmer gegenüber schadensersatzpflichtig; dieser kann bis zur Höhe des Schadens eine geschuldete Provision zurückhalten 71. Lehnt der HV sogar ab, für die Hereinholung eines in seinem Bezirk zu vergebenden Auftrags tätig zu werden, so verwirkt er den Anspruch auf die Bezirksprovision (§ 87 Abs. 2), wenn der Unternehmer daraufhin unmittelbar abschließt 72. 3. Gegenständliche Begrenzung. Den Gegenstand der hereinzuholenden Aufträge 19 bestimmt in erster Linie der HV-Vertrag 73. Meist werden die zu vertretenden Produkte in einer Anlage zum HV-Vertrag definiert. Die Festlegung der Vertragsprodukte ist deshalb wichtig, da ihr Lebenszyklus kürzer als die Laufzeit des Vertragsvertrages sein kann. Hier gibt es mehrere Möglichkeiten: Die am häufigsten gewählte ist die, dass das gesamte Produktprogramm des Unternehmers zum Gegenstand der werbenden Tätigkeit bestimmt wird. Werden die Artikel, für welche Aufträge hereingeholt werden sollen, nicht genannt, so erstreckt sich – bei einem Verkaufsvertreter – seine Pflicht zur Tätigkeit im Zweifel auf das gesamte Sortiment des Unternehmers 74. Den Vertrieb von Altprodukten darf der Unternehmer einstellen, sofern er hierbei 20 nicht willkürlich oder treuwidrig über die Interessen des HV hinweggeht. Für die Fortentwicklung des Programmes gilt das Gleiche (zum Dispositionsrecht des Unternehmers § 86a Rn 42 ff). Fehlt eine Beschreibung der zu vertreibenden Produkte, so gilt folgendes: Mangels 21 anderweitiger vertraglicher Bestimmung ist der HV berechtigt und verpflichtet, das gesamte Sortiment des Unternehmers zu vertreiben 75. Dann fragt sich, ob hiermit das gegenwärtige oder auch das zukünftige zu verstehen ist, wobei im Zweifel 76 letzteres anzunehmen ist, jedenfalls bei Vertragspflicht „zur Betreuung des gesamten Warensortiments“ 77. Erweitert oder ändert der Unternehmer sein Programm, so werden damit – wurde nicht klar das Gegenteil vereinbart – neu eingeführte Produkte von der Vermittlungs- bzw. Abschlusspflicht erfasst, vorausgesetzt, die neuen Produkte sind mit dem ursprünglichen Sortiment verwandt 78. Dies gilt insbesondere für Weiterentwicklungen des ursprünglichen Vertragsproduktes 79 und angeblich auch, wenn der HV diese Produkte schon für einen anderen Unternehmer vertreibt 80. Tatsächlich darf der Mittler die Einbeziehung eines neuen Produktes in den Vertriebsvertrag ablehnen, wenn diese unzumutbar ist. Dies gilt allerdings nur, wenn nicht bereits der Ursprungsvertrag die Pflicht zum Vertrieb dieses Produktes vorsieht. Unzumutbarkeit kann etwa vorliegen, falls die Übernahme den Mittler zu einer Vertragsverletzung gegenüber einem anderen Unternehmer zwingt 81, zudem bei unrealistischen Absatzverpflichtungen und erheblichen Redu69 70 71 72 73 74 75

OLG München NJW-RR 2003, 401 (402). OLG Düsseldorf DB 1969, 435. OLG München BB 1975, 714. OLG Hamm NJW 1959, 677. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 6. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 6. Hopt § 86 Rn 12; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 210; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 6; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 24.

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79 80 81

Schlegelberger/Schröder § 86 5a. BGH DB 1981, 1772. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 210; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 24; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 5a. Westphal Vertriebsrecht II, Rn 369. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 5a. Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 101.

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zierungen der für den Vertrieb gewährten Gegenleistung 82. In jedem Fall muss der Mittler eine eingetretene Wettbewerbssituation auflösen (hierzu unten Rn 109 ff). Der HV muss sich nach Ausweitung der Produktpalette ggf. um einen neuen Abnehmerkreis bemühen 83, wobei fehlende Identität der Produkte Indiz für mangelnde Verwandtschaft ist. Zur Übernahme der Vertretung für Artikel anderer Branchen, die der Unternehmer aufnimmt, ist der HV nicht berechtigt oder verpflichtet 84. Er kann hierzu auch durch Weisungen des Unternehmers nicht angehalten werden; der Unternehmer müsste sich schon im HV-Vertrag ausbedungen haben, dass der HV das jeweilige Sortiment zu vertreten habe. Jedoch hat er unter dem Gesichtspunkt der Interessenwahrungspflicht im Rahmen des Angemessenen auch solche Anfragen an den Unternehmer weiterzuleiten, die nicht die von ihm vertretenen Produkte betreffen 85. Die Freistellung durch die GVO 2790/99 wird nicht dadurch gehindert, dass neue 22 Produkte automatisch vom Vertriebsrecht erfasst werden. Zwar sieht die GVO 2790/99 vor, dass die Freistellung nur für den Vertrieb „bestimmter“ Waren oder Dienstleistungen erteilt wird. Dieses Bestimmtheitskriterium ist auch gewahrt, wenn sämtliche neue Produkte durch den Vertriebsvertrag erfasst werden 86. Im Falle eines ersetzenden Produkts, welches mit einem Ursprungsprodukt voll austauschbar ist, wird die Einbeziehung des Ersatzprodukts ohnehin als hinreichend bestimmt und damit von der GVO 2790/99 freigestellt angesehen 87. Die Vertriebspflicht darf gegenüber dem so beschriebenen dispositiven Recht be23 schränkt werden, und zwar nach Sortiment und Kundenkreis 88. Das bietet sich an. Denn hinsichtlich der Aufnahme neuer Produkte hat der Hersteller oft ein Interesse daran erst später zu entscheiden, ob sie in den Vertriebsvertrag einbezogen werden sollen 89. Im Einzelfall kann eine Auslegung ergeben, dass nur branchenspezifische Produkte Vertragsgegenstand sind. Ist ausdrücklich lediglich das gegenwärtige Produktionsprogramm Vertragsgegenstand, so werden neue Produkte nicht ohne separate Vereinbarung Vertragsgegenstand. 4. Inhalt der Hauptpflichten

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a) Vermittlungspflicht. Die Betrauung des HV kann zum Inhalt haben, dass Aufträge (nur) vermittelt werden sollen. Dann hat der HV, falls ein neuer Kunde zu gewinnen ist, mit jenem Kontakt aufzunehmen, ihn für den Abschluss zu interessieren und endgültig geneigt zu machen, was normalerweise in der Abgabe eines formellen Vertragsangebots an den Unternehmer seinen Ausdruck findet. Der HV ist verpflichtet, den Abschluss von Geschäften für den Unternehmer zu fördern, d.h. Geschäftsabschlüsse mit Dritten 90 vorzubereiten, zu ermöglichen oder herbeizuführen 91. Er muss zum Zwecke des Geschäftsabschlusses auf die potentiellen Kunden einwirken („Zielgerichtetheit“ oder „Finalität“ der Einwirkungshandlung) 92. Die Art und Weise dieser Einwirkung steht dem HV regel-

82 83 84 85 86 87

Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 101. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 24. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 210. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 5. AA Westphal Vertriebsrecht II, Rn 370. Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 99.

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Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 6. Westphal Vertriebsrecht II, Rn 369. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 6. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 55. Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer, § 84 Rn 19; MünchKommHGB/v. Hoyningen-

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mäßig frei 93, etwa mittels zulässigerweise beschäftigter Hilfspersonen. Die Einwirkung muss für den Willen des Kunden zum Vertragsschluss zumindest mitursächlich werden 94. Die Kunden eines zugewiesenen Gebiets oder Bezirks hat der HV, soweit nicht eine andere Art der Kontaktaufnahme tunlich ist oder genügt (auch angesichts moderner Kommunikationsmittel ist meist ein persönlicher Besuch angezeigt), regelmäßig zu besuchen und bei ihnen für den Absatz der Erzeugnisse des Unternehmers zu werben 95. Ein Mehrfirmenvertreter hat im Zweifel und, falls die Interessen des Kunden nicht evident etwas anderes gebieten, Folgeaufträge grundsätzlich dem Unternehmer zuzuführen, zu welchem der Kunde bereits in vertraglichen Beziehungen gestanden hat 96. Auch den bereits auf andere Weise, z.B. durch öffentliche Ausschreibung 97, von der Möglichkeit des Vertragsschlusses informierten oder infolge Produktwerbung oder Listung daran interessierten Kunden kann der HV auf diese Weise vermitteln 98. Für nähere Details wird auf die Kommentierung zu § 84 Rn 47 ff verwiesen. Der Vermittlungsvertreter ist berechtigt und verpflichtet Angebote potentieller Kun- 25 den entgegenzunehmen und an den Unternehmer weiterzuleiten 99. Gem. § 91 Abs. 2 ist er – nicht anders als der Abschlussvertreter nach § 55 Abs. 4 – zur Entgegennahme der Anzeige von Mängeln an einer Ware, die Erklärung, dass eine Ware zur Verfügung gestellt werde sowie ähnlichen Erklärungen, durch die ein Dritter seine Rechte aus mangelhafter Leistung geltend macht oder sich vorbehält, berechtigt und unter dem Gesichtspunkt der Interessenwahrnehmungspflicht auch verpflichtet. Er darf die Rechte auf Sicherung des Beweises geltend machen. b) Abschlusspflicht und Abschlussvollmacht. Entweder ausschließlich oder neben der 26 Vermittlung kann der HV auch mit dem Abschluss von Verträgen beauftragt sein. Die Betrauung mit der Tätigkeit als Abschlussvertreter ist gewollt, wenn der HV im Namen des Unternehmers Angebot und Annahme des Vertrages gegenüber dem Kunden erklären darf 100. Es besteht keine Vermutung dafür, dass ein HV Abschlussvertreter ist 101. Der Abschlussvertreter ist schon in der Praxis die Ausnahme. Er ist es auch aus der Sicht des Gesetzes: solange keine Abschlussvollmacht vorliegt, bleibt der HV lediglich Vermittlungsvertreter. Der Abschlussvertreter hat alle Rechte und Pflichten eines Vermittlungsvertreters 102, besitzt jedoch zusätzlich die Abschlussvollmacht. Sie verleiht den erhöhten Status des Handlungsbevollmächtigten (§ 55)103. Die Vollmacht des Abschlussvertreters kann ausdrücklich oder konkludent erteilt 27 werden. Die Bevollmächtigung ist meist im Vertretervertrag enthalten, oder sie wird nachträglich erteilt 104, was auch durch schlüssiges Verhalten, nicht zuletzt in Gestalt der Anscheins- oder Duldungsvollmacht geschehen kann. Regelmäßig liegt die Bevollmächtigung bereits in der Bestellung zum Abschlussvertreter (§ 167 Abs. 1 BGB) 105.

93 94

95 96 97 98

Huene, § 84 Rn 55 ff; Schlegelberger/Schröder, § 84 Rn 16, 18a. Hopt § 84 Rn 22. BAG BB 1971, 492; LAG BW DB 1971, 1016; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 84 Rn 19; Hopt § 84 Rn 22. OLG München NJW-RR 2003, 401 (402). Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 15; Hopt § 86 Rn 24. BGH NJW 1980, 1793. BGHZ 43, 108 (113); BGH NJW-RR 1986, 709 (710); Heymann/Sonnenschein/Weite-

99 100 101 102 103 104 105

meyer § 84 Rn 20; Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 18a. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 6a. Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 19. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 38; Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 27. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 7. Eberstein Der Handelsvertreter-Vertrag, S. 48. LAG Düsseldorf DB 1960, 813. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 38.

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Der Abschlussvertreter hat den Abschluss vorzubereiten 106. Ob er daneben zu einem Abschluss verpflichtet oder nur neben der Vermittlung berechtigt ist, bleibt eine Frage der Vertragsauslegung 107. Teils wird eine Pflicht angenommen, wenn nicht Art oder Risiko des Geschäftes eine Rückfrage erfordert 108. Tatsächlich dürfte die bloße Berechtigung ohne Verpflichtung der zu vermutende Regelfall sein 109. Der HV ist nach pflichtgemäßem Ermessen zum Abschluss berechtigt und verpflichtet, darf jedoch Rückfrage beim Unternehmer halten. Dafür spricht bereits, dass der HV nicht gezwungen werden kann, ohne Rückfrage und Weisung des Unternehmers das Haftungsrisiko eines Fehlabschlusses zu tragen. Der HV darf sich also mangels ausdrücklich gegenteiliger Vereinbarung auf die Vermittlung beschränken und dem Unternehmer den Abschluss überlassen, es sei denn, es wurde vertraglich etwas Abweichendes geregelt oder es existiert eine (Einzel-)Weisung zum Abschluss. Die Berechtigung kann sowohl in die eine wie die andere Richtung im Vertrag geregelt werden und dem HV etwa pflichtgemäßes Ermessen eingeräumt 110 werden. Falls der Abschlussvertreter vor Abschluss keine Rückfrage hält, ist er zur besonderen 29 Sorgfalt verpflichtet. Bekannte Probleme des Unternehmers muss er berücksichtigen, etwa Lieferschwierigkeiten 111. Im Zweifel oder bei Geschäften mit außergewöhnlichen Risiken hat er vor deren Abschluss die Weisung des Unternehmers einzuholen 112. Der Unternehmer muss sich behandeln lassen, als hätte er einen Abschlussvertreter 30 bestellt, wenn insoweit die Grundsätze der Anscheins- oder Duldungsvollmacht eingreifen.

28

31

c) Vertragliche Vereinbarungen. Der Umfang der Abschlussvollmacht ist gesetzlich geregelt. Vertragliche Abreden gehen jedoch vor, da der gesetzlich bestimmte Umfang parteidispositiv ist. So können dem HV über den gesetzlichen Umfang hinausgehende Rechte, aber auch interne Beschränkungen auferlegt werden. Dem HV darf etwa auferlegt werden – nur nach Rückfrage mit dem Unternehmer abzuschließen; – nur Geschäfte ab einer oder bis zu einer bestimmten Größenordnung abzuschließen 113; – nur Geschäfte einer bestimmten Art abzuschließen 114; – mit bestimmten Kunden nicht abzuschließen 115; – Weisungen des Unternehmers zu den Abschlüssen zu beachten. Solche Beschränkungen regeln mangels entgegenstehender Abreden sowohl die interne Berechtigung zum Handeln wie den Umfang der Vollmacht im Außenverhältnis, wobei der Schutz Dritter gem. §§ 54, 55 unberührt bleibt. Selbstverständlich können die Parteien zwischen beiden Rechten differenzieren. d) Gesetzliche Regelung

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aa) Umfang der Vollmacht. Haben die Parteien nur allgemein das Recht des HV zum Abschluss im Namen des Unternehmers bestimmt, ergibt sich der Umfang der Abschlussvollmacht aus §§ 54 und 55. Der Unternehmer wird durch den Abschluss des HV be106 107

108 109

MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 27. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 27; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 12. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 7. AA Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 12.

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110 111 112 113 114 115

Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 13a. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 8. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 7. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 13a, b. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 13b. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 13a.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 86

rechtigt und verpflichtet als hätte er selbst das Geschäft geschlossen 116. § 91 Abs. 1 stellt klar, dass § 55 auch eingreift, wenn der Unternehmer kein Kaufmann ist. § 91 Abs. 2 regelt den Fall des Vollmachtsmissbrauchs durch den HV. Gemäß § 54 erstreckt sich die Abschlussvollmacht auf alle Geschäfte und Rechtshandlungen, die der Betrieb eines derartigen Handelsgewerbes oder die Vornahme derartiger Geschäfte gewöhnlich mit sich bringt. Hierzu gehören beim HV die zum Geschäftsabschluss führenden Verhandlungen, die Abgabe der nötigen Willenserklärungen und die Entgegennahme und Abgabe vertragsbegleitender Willenserklärungen, auch Mahnungen, Fristsetzungen und Entgegennahme von Mängelrügen 117. Nach § 54 Abs. 2 ist der Abschlussvertreter zur Veräußerung oder Belastung von Grundstücken, zur Eingehung von Wechselverbindlichkeiten, zur Aufnahme von Darlehen und zur Prozessführung grundsätzlich nicht ermächtigt. Gemäß § 55 Abs. 1 u. 2 ist der HV insbesondere nicht bevollmächtigt, abgeschlossene Verträge zu ändern und Zahlungsfristen zu gewähren. Zahlungen darf der Vertreter gem. § 55 Abs. 3 nur annehmen, wenn er hierzu ausdrücklich bevollmächtigt wurde. § 55 Abs. 4 spezifiziert, welche der in § 54 Abs. 1 genannten Geschäfte und Rechtshandlungen von der Vollmacht eines Vertreters umfasst sind. Danach gilt der HV als ermächtigt, die Anzeige von Mängeln einer Ware, die Erklärung, dass eine Ware zur Verfügung gestellt werde sowie ähnliche Erklärungen, durch die ein Dritter seine Rechte aus mangelhafter Leistung geltend macht oder sie vorbehält, entgegen zu nehmen. Zudem darf der HV die dem Unternehmer zustehenden Rechte auf Sicherung des Beweises geltend machen. Diese Beweissicherungsrechte umfassen sowohl gerichtliche als auch außergerichtliche Rechtshandlungen, insb. fällt hierunter das selbständige Beweisverfahren der §§ 485 ff ZPO und die Einholung von Sachverständigengutachten 118. Der Unternehmer ist berechtigt, die Abschlussvollmacht über diese im Gesetz genannten Fälle hinaus zu beschränken 119. Die Beschränkungen verpflichten den HV bei Überschreitung nur zum Schadensersatz gegenüber dem Unternehmer. Das gilt namentlich für den Abschluss unter Vorbehalt der Aufgabe des Dritten 120: der im Namen des Unternehmers getätigte Abschluss bindet diesen; zu einer solchen Handhabung ist der HV im Innenverhältnis aber nur befugt, falls ihm das besonders gestattet ist. Ein Dritter muss die Beschränkungen nur gegen sich gelten lassen, wenn er sie kannte oder kennen musste (§ 91 Abs. 2 S. 2). Das Kennen oder Kennenmüssen bestimmter Umstände durch den HV wird dem Unternehmer gem. § 166 BGB zugerechnet 121. Die Abschlussvollmacht kann jederzeit widerrufen 122 oder durch Weisungen beschränkt 123 werden, sofern sich aus dem Vertretervertrag nichts anderes ergibt (§ 168 Abs. 2 BGB). Wann sich aus der Mittlervertrag „etwas anderes“ i.S.d. § 168 Abs. 2 BGB ergibt, ist ungeklärt. Ein Ausschluss der Widerruflichkeit soll anzunehmen sein, wenn die Bevollmächtigung auch den Interessen des Mittlers dient 124. Die Bestellung als Abschlussvertreter dient auch den Interessen des Mittlers. Denn ihm soll das Werben für den Unternehmer und damit der Provisionsverdienst erleichtert werden. Das Merkmal ist also kaum ergiebig. Richtigerweise ist das Ganze eine Frage der Vertragsauslegung: Wurde dem HV – ggf. konkludent – in dem Vertrag zugesagt, er dürfe als Abschlussvertreter tätig werden, hat er grundsätzlich ein Recht auf Beibehalt der Vollmacht und 116 117 118 119 120

Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 8, 8a. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 69. Ebenroth/Weber § 55 Rn 16. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 74. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 11.

121 122 123 124

Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 8. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 75. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 13a ff. Palandt/Heinrichs § 168 Rn 6.

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auf eine solche Tätigkeit. Ein isolierter Widerruf der Vollmacht wäre unzulässig und unwirksam (pacta sunt servanda). Der Vertreter braucht also nicht erst den Unternehmer auf Wiedererteilung der Vollmacht in Anspruch zu nehmen und gem. § 894 ZPO zu vollstrecken, wobei ihm jedoch jederzeit das Recht einer Feststellungsklage offen steht. Will der Unternehmer in solchen Fällen die Vollmacht des HV beseitigen, muss er den Vertretervertrag kündigen, bei Bestehen eines wichtigen Grundes i.S.d. § 89a ggf. außerordentlich. Deshalb ist äußerste Vorsicht bei der Erteilung von Abschlussvollmachten angebracht. Der Unternehmer sollte sich darauf beschränken, die Vollmachtserteilung außerhalb des Vertrages vorzunehmen. Nur aus wichtigem Grund kann die vertraglich versprochene Vollmacht widerrufen 37 werden125. Obwohl Teilkündigungen problematisch sind 126 (hierzu unten), können es der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und die Treupflicht gebieten, dass der Unternehmer allein die Vollmacht widerruft (= „Teilkündigung“) und nicht den gesamten Vertrag kündigt 127. Dazu hat er bei Bestehen eines wichtigen Grundes ein Recht. A maiore ad minus darf der Unternehmer sich auf die Kündigung der Vollmacht beschränken, falls der wichtige Grund so erheblich wäre, dass der gesamte Vertrag außerordentlich gekündigt werden könnte. Hat der HV Inkassovollmacht und soll er berechtigt sein, sich wegen seiner Provisionen durch Einbehaltung aus den eingezogenen Geldern zu befriedigen, darf ohne zwingenden Grund diese Vollmacht nicht einseitig widerrufen werden 128. Etwas schwieriger zu beantworten ist die Frage des Weisungsrechts. Vertragskonkreti38 sierende Weisungen sind bereits nach allgemeinen Grundsätzen zulässig. Aber sofern der Unternehmer bei eigener Willenserklärung über Annahme oder Nichtannahme eines Geschäftes entscheiden kann, darf nichts anders gelten, wenn er einen Abschlussvertreter bestellt hat. Er darf den HV anweisen, ein bestimmtes oder eine Gruppe von Geschäften zu unterlassen. Die Vollmacht bleibt bestehen, der Umfang der Ausübung wird jedoch mittels Weisung konkretisiert. Dieses Weisungsrecht geht soweit, wie der Unternehmer über Annahme und Ablehnung des durch einen Vermittlungsvertreter vermittelten Geschäfts entscheiden darf. Werden die Geschäfte des Abschlussvertreters hierdurch unbillig behindert, darf er ausgleichserhaltend gem. § 89b Abs. 3 kündigen.

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bb) Vollmacht des Versicherungsvertreters. Die Vollmacht des Versicherungsvertreters regeln die §§ 43 bis 47 VVG. Versicherungsvertreter ist, wer mit Wissen und Willen des Versicherers einen Versicherungsvertrag abschließt 129. Gemäß § 43 Nr. 1 und 2 VVG besitzt der Versicherungsvertreter Empfangsvollmacht. Er gilt in dem Versicherungsfall, für den er bestellt ist, als bevollmächtigt, Anträge auf Abschluss, Verlängerung oder Änderung eines Versicherungsvertrages und den Widerruf solcher Anträge sowie die Anzeigen, welche während der Versicherung zu machen sind, Kündigungs- und Rücktrittserklärungen oder sonstige das Versicherungsverhältnis betreffende Erklärungen von den Versicherten entgegen zu nehmen. Einzelheiten § 92 Rn 29 ff.

40

cc) Vollmachtsmissbrauch. Schließt der Unternehmer ohne Abschlussvollmacht Geschäfte oder überschreitet er den Umfang der Vollmacht, liegt ein Vollmachtsmissbrauch vor. Hierfür gelten die allgemeinen, aus den §§ 138, 242, 177 ff BGB hergeleiteten

125 126

BGH WM 1969, 1009; 1985, 646; Palandt/ Heinrichs § 168 Rn 6. Siehe etwa OLG Köln NJW-RR 2002, 602 (603); großzügig Kießling/Becker WM 2002, 578 ff.

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127 128 129

Angedeutet auch von Kießling/Becker WM 2002, 578 ff. OLG Celle DB 1961, 369. Kollhosser in Prölss/Martin, § 43 Anm. 1; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 83.

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Regeln130. Näheres § 91a Rn 31 ff. § 91a trifft eine Sonderregelung der Missbrauchsfolgen im HV-Recht131. Siehe hierzu die Kommentierung zu § 91a.

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dd) Beweislast. Zur Beweislast für die Vertretungsmacht des HV § 91a Rn 38.

II. Nebenpflichten 1. Herausgabepflicht. Gemäß §§ 675, 667 132, 812 BGB muss der HV alles, was er im 42 Rahmen des Vertrages von dritter Seite erhalten hat unverzüglich nach Erledigung der Geschäftsbesorgung an den Unternehmer herausgeben 133 und ggf. hierüber abzurechnen (s.o. Rn 182). Nicht anlässlich des Vertrages Gewährtes braucht der HV nicht herauszugeben. Soweit das Eigentum an den Gegenständen bei dem Unternehmer verbleibt, wie im Zweifel bei Mustern, konkurriert der Anspruch mit dem aus § 985 BGB. Zur Ausführung des Auftrags empfangen hat der HV das, was ihm der Unternehmer nach § 86a ausgehändigt hat. Herauszugeben sind sowohl Gegenstände wie Rechtspositionen. Hinsichtlich der vom HV herauszugebenden Unterlagen besteht eine Rücknahmepflicht des Geschäftsherrn 134. Soweit an den Unternehmer herauszugebende Geschäftsunterlagen nicht nach § 90 geschützt sind, darf der HV vor der Herausgabe Kopien fertigen, jene jedoch nicht an Dritte weitergeben135, wohl auch nicht an seinen Rechtsnachfolger 136. Herauszugeben sind: 43 – Bestellschreiben 137; – Bestechungsgelder, deren Entgegennahme dem HV ungeachtet der Herausgabepflicht auf Grund seiner Loyalitätspflicht nicht gestattet ist 138. Ist das aber geschehen, so hat er sie dem Unternehmer abzuliefern und ist über den Tatbestand rechenschaftspflichtig; – Geschäftswagen 139; – Kassierte Gelder oder Prämien 140; – Kreditkartengebühren, die der HV weisungswidrig erhoben hat 141; – Die vom Unternehmer übergebene Kundenkartei 142. Selbst erstellte Kundenlisten muss der HV dem Unternehmer als Teil seiner Nachrichtspflicht zugänglich machen 143, aber wohl nicht herausgeben 144;

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134 135 136 137 138

Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 6d. Martinek/Flohr § 8 Rn 19, § 9 Rn 40. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 35. OLG Celle OLGZ 1970, 6 (8); Ebenroth/ Löwisch § 86 Rn 35; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 55; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 35. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 38. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 38. AA Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 38. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 35. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 35; Hopt § 86 Rn 17; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 86 Rn 56; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 37.

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Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 38. OLG Stuttgart DB 1962, 405; Ebenroth/ Löwisch § 86 Rn 35; Hopt § 86 Rn 17; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 56; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 35. OLG Düsseldorf WM 1992, 913 (915); MünchKomm HGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 55. BGH EBE 1999, 204 (206); Ebenroth/ Löwisch § 86 Rn 38. Hopt § 86 Rn 17. AA Hopt § 86 Rn 17.

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– Muster, Zeichnungen, Preislisten, Werbedrucksachen und Geschäftsbedingungen145. Die Rechtsverhältnisse an Musterkollektionen und Musterlagern, wie sie insbesondere Exportvertreter unterhalten, werden in der Regel vertraglich geregelt. Im Zweifel gelten folgende Grundsätze: Das Eigentum an den Mustergegenständen bleibt beim Unternehmer; zur Verfügung über sie oder zum Selbstverbrauch146 ist der HV nicht befugt. Den HV trifft jedoch eine mit kaufmännischer Sorgfalt zu erfüllende Verwahrungspflicht; sie umfasst auch die Pflicht des HV, das Kopieren der Muster durch Dritte tunlichst zu verhindern. Nach Handelsbrauch beurteilt es sich, ob und gegen welche Gefahren der HV zur Versicherung der Muster verpflichtet ist; im Übrigen finden die Grundsätze der §§ 388, 390 analoge Anwendung. Die Unterhaltung der Musterlager dient sowohl den Interessen des HV wie jenen des Unternehmers. Die Unterhaltungskosten sind daher nicht ohne weiteres als Aufwendungen im Interesse des Unternehmers anzusehen. Ob sie im Hinblick auf § 87d dem HV zu erstatten sind, beurteilt sich nach Handelsbrauch; grundsätzlich nicht anwendbar ist § 354. Es besteht auch keine aus Handelsübung entspringende Verpflichtung des HV, die Musterkollektionen bei Beendigung der Saison käuflich zu übernehmen. Für Auslieferungslager gelten diese Grundsätze entsprechend. Mit Wert und Gefahr steigen die Anforderungen an die erforderliche Sorgfalt 147; – Proben mangelhafter Lieferungen, die der HV bei Entgegennahme einer Mängelrüge nach §§ 55 Abs. 4, 91 Abs. 2 vom Kunden mit ausgehändigt erhalten hat; – Protokolle über ein von ihm beantragtes Beweissicherungsverfahren, die dem HV vom Gericht zugestellt worden sind; – Schriftsätze aus Gerichtsverfahren, die für den Unternehmer bestimmt sind 148 (Schriftsätze, bei denen der Vertreter selbst Partei ist, brauchen nicht herausgegeben zu werden, ggf. besteht ein Informationsrecht des Unternehmers aus § 242 BGB); – Ursprungszeugnisse von Waren; – verbotswidrig angefertigte Kopien von Geschäftsunterlagen des Unternehmers149; – Vertragsformulare 150; – Vorführgeräte 151; – Waren 152; – Warenproben 153, insbes. beim Einkaufsvertreter; – Wechsel und Schecks, die erfüllungshalber übergeben wurden 154. Ohne besondere Umstände jedoch nicht 44 – Die eigene kaufmännische Buchführung 155; – Originale des Schriftwechsels mit dem Kunden 156 (der HV schuldet insoweit gem. § 242 BGB nur Information, wenn der Unternehmer entschuldbar über den Inhalt eines Rechts im Unklaren ist und der HV die Auskunft unschwer geben kann, die er

145

146 147 148 149 150 151

Thume BB 1995, 1913 (1916); Ebenroth/ Löwisch § 86 Rn 38; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 56; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 35. LAG Düsseldorf DB 1960, 813. BGH WM 1993, 1596; Hopt § 86 Rn 44. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 56. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 38. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 38. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 38.

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152 153 154 155 156

Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 35. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 38. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 56. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 38; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 37b. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 35; aA Hopt § 86 Rn 17; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 56; Schlegelberger/ Schröder § 86 Rn 35.

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durch Übersendung von Kopien oder auf andere Weise geben kann 157) oder zwischen HV und Unternehmer 158. Solche Dokumente muss der HV als selbständiger Unternehmer als Teil der eigenen Geschäftskorrespondenz aufbewahren und braucht sie daher nicht herauszugeben. Der Unternehmer muss von ihm empfangene Schreiben selbst dokumentieren und bedarf keiner Information durch den HV; – Die vom HV selbst festgehaltenen Kundenanschriften 159 (vgl. § 90 Rn 8), deren Inhalt dem Unternehmer aufgrund der Mitteilungspflicht des HV bereits bekannt sein muss 160 (sonst Erfüllungsanspruch); – Kleinere Gelegenheitsgeschenke der Kunden 161 oder solche Geschenke, die bestimmungsgemäß für den HV gedacht waren; – Provisionen, die der HV infolge einer verbotswidrigen Tätigkeit von einem Wettbewerber des Unternehmers eingenommen hat (Rn 135). Sie wurden nicht im Rahmen des HV-Vertrages gewährt; – Miles und more Gutschriften oder Vorteile aus Bonusprogramme, soweit der HV die den Vorteilen zugrunde liegenden Kosten selbst getragen hat 162. Um herauszugeben, muss der HV das Herauszugebende tatsächlich erlangt haben 163. 45 Was der HV pflichtwidrig nicht erlangt hat, kann nicht herausverlangt werden 164. Möglicherweise ist aber Schadenersatz geschuldet 165. Zu welchem Zeitpunkt die Herausgabepflicht zu erfüllen ist, bestimmt sich nach der 46 Art des Erhaltenen. War es für die gesamte Vertragslaufzeit bestimmt, etwa überlassene Sachen 166, ist es erst nach Vertragsende herauszugeben 167. War es nur für den einzelnen Abschluss oder eine einzelne Vermittlung bzw. eine begrenzte Zeit bestimmt, ist es nach deren Ende herauszugeben 168. Ist etwas von Dritten zur Weiterleitung an den Unternehmer erlangt worden, hat der HV es im Regelfall unverzüglich weiterzugeben 169. Eingenommene Gelder sind, wenn der HV nicht regelmäßig derartige Gelder einnimmt, unverzüglich nach der Einnahme 170, ansonsten in regelmäßigen, zeitnahen Abständen 171 abzuführen, Bestechungsgelder 172 und unrechtmäßig Eingezogenes 173 sofort. So brauchen mit dem Inkasso beauftragte HV, die ständig kleinere Summen entgegennehmen, jene wegen der anfallenden Kosten und des Arbeitsaufwands im Zweifel nicht kurzfristig, gar täglich, sondern nur in periodischen Abständen an den Unternehmer abzuführen, es sei denn, der Unternehmer erstattet die anfallenden Mehrkosten 174 und es gibt

157 158 159

160 161 162

163 164

OLG Hamm VersR 2001, 1154; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 37b. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 35. Vgl. BGH, Urt. v. 10.05.1995 – VIII ZR 144/94, ZIP 1995, 1260; BGH, Urt. v. 28.01.1993 – I ZR 294/90, ZIP 1993, 703 mit krit. Anm. Oellers EWiR 1993, 421. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 38; aA Hopt § 86 Rn 17. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 37. Die zu Arbeitnehmern ergangene Entscheidung BAG, Urt. v. 11.04.2006 – 9 AZR 500/05, MDR 2007, 161 ist nicht übertragbar, weil der HV die Kosten der Reisen regelmäßig selbst trägt – siehe § 87d. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 35; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 37a. RGZ 55, 330; Ebenroth/Löwisch § 86

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Rn 35; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 37a. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 35; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 37a. Hopt § 86 Rn 17. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 36. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 55; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 36, 37. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 56. Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 54a. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 35; Hopt § 86 Rn 17; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 86 Rn 56. Hopt § 86 Rn 17. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 35. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 36.

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gute Gründe für den entstehenden Arbeitsaufwand. Bis zur Herausgabe sind die eingenommenen Gelder getrennt von anderen Geldern aufzubewahren 175. Sofern vertraglich nicht ausgeschlossen, kann der HV mit eigenen Forderungen aufrechnen oder wegen solcher zurückhalten, falls nicht ausnahmsweise nach § 242 BGB der Unternehmer mit der sofortigen vollständigen Abführung rechnen durfte 176. Ein ZBR besteht jedoch regelmäßig nicht 177. Bei Existenz einer Inkassobefugnis wird der HV regelmäßig berechtigt sein, von den eingezogenen Geldern seine hierauf entfallenden Provisionsanteile einzubehalten und mit seinen fälligen Ansprüchen aus dem HV-Vertrag aufzurechnen, wenn nicht diese Rechte des HV im Einzelfall abbedungen sind 178. Dabei kommt es aber auf die Vertragsauslegung im Einzelfall an. Da der HV alle vorgenannten Unterlagen nach Beendigung des HV-Vertrags heraus47 zugeben hat, beinhaltet das eine Herausgabe in einem Zustand, der einer sorgfältigen Behandlung in der Zwischenzeit entspricht. Maßgebend ist wieder die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns. Werden die herauszugebenden Sachen beschädigt oder die Rückgabe unmöglich, so kann der HV gem. § 280 BGB haften. Da der Verlust oder die Beschädigung aus der Sphäre des HV resultiert, muss er darlegen, welchen Grund es für den Verlust gab. Kann er keinen Grund darlegen, der fehlende Fahrlässigkeit plausibel erscheinen lässt, ist diese zu Lasten des HV indiziert 179. Sofern die Gegenstände nicht zum Verkauf vorgesehen waren, valutiert der Schaden nicht in Höhe ihres Verkaufswertes sondern in Höhe des Anschaffungs- oder Herstellungspreises 180. Wird Herausgabe vereinnahmter Gelder gefordert, soll dem Unternehmer bei Kassenfehlbeständen kein Mitverschulden (§ 254 BGB) entgegengehalten werden können 181. Die Herausgabe erfolgt am Geschäftssitz des HV (Erfüllungsort) 182. Die Kosten der reinen Herausgabe bis zur Tür seines Geschäftssitzes dürfte regelmäßig der HV zu tragen haben, die Kosten der Abholung und des Transport hingegen der Unternehmer.

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2. Interessenwahrnehmungspflicht. Bei der Vermittlungs- und der Abschlusstätigkeit macht sich die Pflicht des HV, die Interessen des Unternehmers gebührend zu wahren, in herausgehobenem Maße geltend. Sie wird deshalb in diesem Zusammenhange auch eigens vom Gesetz aufgeführt (Abs. 1 Hs 2) und ist für den HV-Vertrag wesensbestimmend und zwingend 183. Aus ihr hat die Rechtsprechung durch Fallgruppenbildung weitere Unterpflichten abgeleitet, u.a. das Konkurrenzvertretungsverbot, die Bonitätsprüfungspflicht und die Verschwiegenheitspflicht. Schon der Wortlaut des § 86 Abs. 1 ergibt, dass es sich bei der Interessenwahrungspflicht um eine Nebenpflicht handelt. Gleichwohl ist sie eine der bedeutendsten Pflichten des HV überhaupt und zugleich seine wichtigste Nebenpflicht.

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a) Persönlicher Anwendungsbereich. Die Interessenwahrungspflicht trifft ausschließlich den Mittler (s.o.). Den Unternehmer treffen (regelmäßig schwächere) Treupflichten (Art. 4 Abs. 1 HV-Richtlinie), nicht jedoch die Interessenwahrungspflicht des § 86 Abs. 1

175 176

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Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 35. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 35; Hopt § 86 Rn 17; aA OLG Hamm NJW-RR 1994, 158. Grund: treuhänderische Verwahrung. Aber Geld gegen Geld darf immer aufgerechnet werden (Gleichwertigkeit). Hopt § 86 Rn 17. So Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 35.

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Ähnlich LG Darmstadt HVR Nr. 8; Küstner/ Thume I, Rn 618. LG Darmstadt HVR Nr. 8, Küstner/ Thume I, Rn 618. OLG Koblenz, Urt. v. 30.01.2006 – 12 U 127/01, WM 2006, 1452 (1455). Küstner/Thume I, Rn 624. BGHZ 97, 326; 112 (222); Hopt § 86 Rn 20.

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HGB, Art. 3 Abs. 1 HV-Richtlinie). Grund ist, dass der zur Geschäftsbesorgung Verpflichtete stärkere Treupflichten innehat als derjenige, der nur Geld (Provision) schuldet. Die Interessenwahrungspflicht obliegt auch dem wie einem HV in das Vertriebssystem des Unternehmers eingebundenen Vertriebsmittler, etwa dem Franchisenehmer und Vertragshändler. Hat sie in vertraglichen Bestimmungen solcher Verträge Niederschlag und Konkretisierung gefunden, ist sie – obwohl grundsätzlich Rechtsfolge und nicht TB-Voraussetzung – neben der vertraglich vorgeschriebenen Vertriebspflicht geradezu Indikator der Analogie. aa) Ein- und Mehrfirmenvertreter. Auch als Mehrfirmenvertreter schuldet der HV 50 jedem seiner Unternehmer bei möglicherweise vertragsgemäß verringertem Arbeitseinsatz Interessenwahrung und damit die dieselbe Loyalität wie der Einfirmenvertreter 184. Allerdings darf der Unternehmer bei Mehrfachvertretung nicht den gleichen zeitlichen Einsatz wie bei einem Einfirmenvertreter erwarten, ggf. ist jedoch dahingehende konkludente Abrede denkbar. Interessenskollissionen sind möglich 185, jedoch nach dem Veranlasserprinzip aufzulösen. In jedem Fall muss auch der Mehrfirmen-HV den berechtigten und übernommenen Pflichten gerecht werden 186. bb) Interessenwahrungspflicht zwischen Haupt- und Untervertreter. Der echte Unter- 51 vertreter ist in erster Linie zur Wahrung der Interessen des Hauptvertreters verpflichtet 187. Deswegen darf er während des bestehenden Vertragsverhältnisses zu dem Hauptvertreter nicht hinter dessen Rücken Absprachen mit dem Unternehmer zur Übernahme der Handelsvertretung seines noch in ungekündigtem und nicht infolge Befristung auslaufendem Vertragsverhältnis zu dem Unternehmer stehenden Hauptvertreters treffen 188. Unmittelbare Pflichten gegenüber dem Unternehmer, mit welchem er nicht in vertraglichen Beziehungen steht, treffen den echten Untervertreter nicht 189. Im Zweifel liegt es jedoch im Interesse des Hauptvertreters, dass der Untervertreter auch die Interessen des Unternehmers, für welchen der Hauptvertreter tätig ist, wahrnimmt 190. Eine Verletzung der Pflichten oder der Interessenwahrungspflicht des HV gegenüber seinem Untervertreter und vice versa kann zugleich pflichtwidrig gegenüber dem Unternehmer sein, wenn hierfür ein sachlicher Grund fehlt und der Unternehmer geschädigt wird 191. b) Zeitlicher Anwendungsbereich und vorvertragliche Treupflichten. Gem. § 86 Abs. 1 52 Hs 2 hat der HV „bei“ der Vermittlung oder dem Abschluss von Geschäften das Interesse des Unternehmers wahrzunehmen. Jedoch ist die Interessenwahrnehmungspflicht nicht nur bei oder bis zur Ausführung der Hauptpflichten sondern in jeder Situation wahrzunehmen 192, etwa auch während der Geschäftsabwicklung 193. Es handelt sich um eine beispielhafte Hervorhebung. 184 185 186 187

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Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 8; Hopt § 86 Rn 24. Hopt § 86 Rn 24. BGH, Urt. v. 27.02.1981 – I ZR 39/79, DB 1981, 1772. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 48; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 46. BGHZ 42, 59 mit ablehnender Besprechung v. Brunn DB 1964, 1841; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 48. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 48; Münch-

190 191 192

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KommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 46. MünchKomm HGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 46. BGH WM 1992, 2026; Hopt § 86 Rn 25. OLG Koblenz BB 1973, 866; Ebenroth/ Löwisch § 86 Rn 48; Röhricht/ Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 1; Hopt § 86 Rn 20; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 86 Rn 31. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 31.

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§ 86 53

1. Buch. Handelsstand

Die Interessenwahrungspflicht besteht vertragsbegleitend. Sie beginnt mit Vertragsbeginn (nicht Vertragsabschluss) und endet mit Vertragsende 194. Vor Vertragsbeginn und nach Vertragsende 195 treffen die Parteien (meist schwächere) Treupflichten aus der Aufnahme von Vertragsverhandlungen (§§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB) sowie ebenfalls schwächere nachvertragliche Treupflichten 196, möglicherweise auch gesondert im Vertrag niedergelegte Pflichten, die Verschwiegenheitspflicht des § 90 bzw. ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot, nicht jedoch die vertragsbegleitende Interessenwahrungspflicht.

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aa) Vorvertragliche Treupflichten. Die von der Interessenwahrungspflicht zu separierende vorvertragliche Treupflicht verpflichtet den HV bereits vor Vertragsabschluss zur Loyalität gegenüber dem Unternehmer, sofern durch die Verhandlungen Schutzpflichten erwartet werden dürfen. Sie beginnt spätestens mit Aufnahme ernsthafter Vertragsverhandlungen 197. Bei Scheitern der Verhandlungen besteht eine Verschwiegenheitspflicht analog § 90 in Bezug auf die dem HV anlässlich der Vertragsverhandlungen bekanntgewordenen und anvertrauten Geheimnisse 198. Insbesondere muss der HV – alles unterlassen, was den Vertragszweck vereiteln oder erschweren könnte; – über vorvertraglich mitgeteilte Vertragsgeheimnisse Vertraulichkeit bewahren 199; – Den Unternehmer vor Vertragsschluss vollständig über alle wesentlichen, auch persönlichen Umstände unterrichten, die bei objektiver Würdigung aus der Sicht des Unternehmers für dessen Entscheidung zum Abschluss des HV-Vertrags von Bedeutung sein können 200, z.B. über solche, die der Vertragsdurchführung entgegenstehen könnten 201. Vorvertragliche Aufklärungspflichten können daher, je nach der Natur des HV-Vertrages bestehen über • Verschuldung 202; • Stellung im Kundenkreis 203; • Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung 204; • Mangelnde oder bestehende Kenntnisse und Fähigkeiten 205; • Konkurrenzvertretungen 206; • die Absicht, die HV-Tätigkeit alsbald aufzugeben; wohl aber nicht über: 55 • Vertragsverhandlungen mit Wettbewerbern aufzuklären 207, es sei denn, der Unternehmer äußert Vertrauliches und würde dies in Kenntnis möglicher Wettbewerbstätigkeit nicht tun.

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195 196 197 198

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Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 9; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 4; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 11. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 9. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 2; Hopt § 86 Rn 20. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 2. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 2; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 11; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 12. Hopt § 86 Rn 45; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 12.

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200 201 202 203 204 205 206

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Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 2; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 30. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 2. OLG Nürnberg BB 1960, 956; Ebenroth/ Löwisch § 86 Rn 2. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 30. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 2. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 2. Hohn DB 1971, 94 (96); Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 2; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 30. AA Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 40a.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 86

bb) Nachvertragliche Treupflichten. Die nachvertragliche Treupflicht fordert etwa 56 – nichts zu unternehmen was den Vertragszweck, insbesondere den vertraglich vorausgesetzten Erfolg oder den Bestand der vermittelten Geschäfte vereiteln oder erschweren könnte 208, selbst wenn der Unternehmer dem HV die Provision vorenthält 209. Will sich der HV in dieser Situation aus dem Vertrag lösen, muss er (außerordentlich) kündigen; – anfragende Kunden auf das Ende des HV-Vertrages hinzuweisen 210. Sie fordert nicht – nach Vertragsende das Abwerben von Kunden oder die nachvertragliche Tätigkeit für einen Wettbewerber zu unterlassen 211, soweit diese Tätigkeit nicht wettbewerbswidrig erfolgt. Denn dem HV obliegt ohne gesonderte Vereinbarung kein nachvertragliches Wettbewerbsverbot (arg. e § 90a). c) Inhalt der Interessenwahrungspflicht. Die Interessenwahrungspflicht ist weiterge- 57 hend als die bloße Treupflicht, die bei einem HV-Vertrag – über das in § 241 Abs. 2 BGB Geregelte hinaus – beide Parteien zur Rücksichtnahme auf die Interessen des anderen Vertragspartners verpflichtet. Gleichzeitig begründet sie eine Vermögensbetreuungspflicht i.S.d. § 266 StGB 212, vor allem beim Abschlussvertreter. Die Treupflichten obliegen beiden Vertragspartnern, die Interessenwahrungspflicht dagegen nur dem HV. Dies ist auch sachgerecht. Die vertragstypische Leistung erbringt der HV, nämlich die Vermittlungsund Abschlusspflicht. Hierbei sind die Schädigungsmöglichkeiten gegenüber dem Unternehmer größer als reziprok, weil der HV den Unternehmer nach außen repräsentiert während sich die Verpflichtung des Unternehmers zuvörderst auf die Zahlung von Geld beschränkt. Dass es gleichwohl einen großen Anwendungsbereich für die Treupflicht des Unternehmers gegenüber dem HV gibt, ist allerdings unbestritten. Der HV ist infolge der Interessenwahrungspflicht zur umfassenden Wahrnehmung der 58 Belange des Unternehmers verpflichtet, wobei er auch außervertraglich den Unternehmer nicht schädigen darf 213. Er muss alles tun, was im Interesse des Prinzipals erforderlich ist und alles unterlassen, was dessen Interessen widerspricht oder widersprechen kann 214 und sich jederzeit ihm gegenüber loyal verhalten 215. Unerheblich ist dabei, ob er einen oder mehrere Unternehmer vertritt. Der HV steht nicht als „ehrlicher Makler“ unparteiisch zwischen Unternehmer und Kunden oder gar im Lager des Kunden 216. Er ist vielmehr einseitig nur Interessenswahrer des vertretenen Unternehmens 217.

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OLG Köln MDR 1967, 1026; Ebenroth/ Löwisch § 86 Rn 9; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 11. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 9. LG Düsseldorf WRP 1969, 462 (463); Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 9; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 11. BGH, Urt. v. 19.11.1970 – VII ZR 47/69, BGHZ 55, 45; 57, 58 = NJW 1971, 462; BGH, Urt. v. 28.01.1993 – I ZR 294/90, ZIP 1993, 703 (704); BGH, Urt. v. 14.01.1999 – I ZR 2/97, EBE 1999, 204 (206); Ebenroth/ Löwisch § 86 Rn 9. OLG Köln MDR 1967, 1026; OLG Koblenz MDR 1968, 779; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 1. Missverständlich Schlegelberger/Schröder

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§ 86 Rn 16: Interessenwahrungspflicht nur im Rahmen der Diensteistungspflicht. BGHZ 42, 59 (61); BGH DB 1988, 751; EBE 1999, 13 (15); OLG Koblenz BB 1973, 866; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 3; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 1; Hopt § 86 Rn 21; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 29; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 16. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 3; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 29; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 16, 29. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 19. OLG Koblenz BB 1973, 866; Küstner/ Thume I, Rn 456; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 215.

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§ 86

1. Buch. Handelsstand

59

Dass der HV gegenüber eigenen Interessen, insb. dem Provisionsinteresse, grundsätzlich den Interessen des Unternehmers Vorrang zu geben hat 218 mag als Grundregel oder besser „Vermutung“ richtig sein. Gleichwohl kann der Vorrang nur für gleichgewichtige Interessen gelten. Es ist also in jedem Einzelfall abzuwägen, welches Gewicht die Interessen des Unternehmers und des HV haben 219. Überwiegen die Interessen des HV auch im Lichte der ihm gegenüber dem Unternehmer obliegenden Pflichten erheblich, kommt ihnen Vorrang zu. Will der HV in diesem Fall seinen eigenen Interessen Vorrang einräumen, muss er kündigen 220. Ein Vorrang des Unternehmerinteresses scheidet nicht erst dort aus, wo sich der Unternehmer willkürlich und ohne Grund über die schutzwürdigen Belange seines HV hinwegsetzt 221.

60

d) Untergruppen der Interessenwahrungspflicht. Die Interessenwahrnehmungspflicht muss durch konkrete Pflichten ausgefüllt werden 222. Es gibt eine weitverzweigte Kasuistik. Folgende Neben- oder Unterpflichten des Vertreters werden aus der Interessenwahrnehmungspflicht abgeleitet:

aa) Aufbewahrungspflicht. Als Ausprägung der Interessenwahrungspflicht 223 hat der HV die vom Unternehmer für die Vertragstätigkeit überlassenen Gegenstände, insbesondere Muster, Preislisten, Geschäftsunterlagen, Werbematerial und Vorführgeräte, sorgfältig aufzubewahren 224 und vor unbefugtem Zugriff zu sichern 225. §§ 388, 390 gelten entsprechend 226. Eine Versicherungspflicht besteht ohne gesonderte Vereinbarung nicht 227, wobei umstritten ist, ob § 86a Abs. 3 der Vereinbarung einer Versicherungspflicht entgegensteht – wofür einiges spricht 228. Die Anforderungen an die zu beachtende Sorgfalt steigern sich mit dem Wert der Gegenstände 229. Vertragswidrig wäre insbesondere: 62 – die unsichere Verwahrung, welche es ermöglicht, dass Dritte Kenntnis von Geschäftsgeheimnissen erlangen 230 oder Eigentum des Unternehmers stehlen können 231; – wenn der HV eine ihm überlassene Schmuckkollektion im Wert von rund 35.000,00 EUR über die Mittagszeit in einem Fahrzeug ohne besondere Sicherungsvorkehrung

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OLG Koblenz BB 1973, 866; Küstner/ Thume I, Rn 457; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 215; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 9; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 29; Schlegelberger/ Schröder § 86 Rn 16, 18. Vgl. Küstner/Thume I, Rn 457. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 7. Zu dieser Grenze BGHZ 26, 161 = NJW 1958, 219. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 216. BGH WM 1993, 1596; Hopt § 86 Rn 17; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 54: Rechtsgrundlage ist „Treu und Glauben“. BGH, Urt. v. 07.04.1993 – VIII ZR 133/92, NJW-RR 1993, 926; OLG Celle BB 1958, 894; Hopt § 86 Rn 17; Thume BB 1995, 1913 (1916) für Musterkollektion; Ebenroth/

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Löwisch § 86 Rn 16; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 54; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 6. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 16. Hopt § 86 Rn 17. Thume BB 1995, 1913 (1914 f); Ebenroth/ Löwisch § 86 Rn 16; Hopt § 86 Rn 17; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene Rn 54; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 6; aA LG Hannover MDR 1984, 1028. AA Hopt § 86 Rn 17. BGH NJW-RR 1993, 926; Ebenroth/ Löwisch § 86 Rn 16; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 54. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 54. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 64.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 86

belässt, welches auf einem unbewachten Parkplatz in der Nähe einer Fußgängerzone abgestellt ist, und sich für etwa 40 Minuten entfernt 232; – die Nutzung oder Duldung des Kopierens durch Dritte 233; – der Selbstverbrauch 234; – die Veräußerung der verwahrten Gegenstände 235. Wird die Aufbewahrungspflicht verletzt oder die Rückgabe (s.u. zur Herausgabe- 63 pflicht) unmöglich, so kann der Vertreter gemäß § 280 BGB haften. bb) Bonitätsprüfungspflicht. Ein Unterfall der Interessenwahrungspflicht bildet auch 64 die Bonitätsprüfungspflicht 236. Allerdings ist sie im Lichte des dem HV Zumutbaren und Möglichen auszulegen 237. Der Grundsatz ist, dass der HV im Rahmen des Zumutbaren die Bonität, Kreditwürdigkeit und kaufmännische Zuverlässigkeit des Kunden jedes Kunden zu prüfen 238 und das Ergebnis dem Unternehmer unverzüglich, spätestens bei Meldung des Geschäfts 239, mitzuteilen hat. Je nach Sachlage muss er eine Auslieferung ohne Prüfung verhindern 240. Das gilt in erster Linie für neu geworbene Kunden 241. In der Praxis ist diese Pflicht schwach entwickelt. Nachträglich erhaltene Informationen und Bedenken sind unverzüglich weiterzuleiten. Insbesondere hat der HV solche Informationen einzuholen, die ohne Kosten und Schwierigkeiten zugänglich sind 242. Das allerdings sagt noch nichts über den Umfang der Prüfungspflicht im Detail. Der HV hat sich nur in seinem geschäftlichen Umfeld über die Bonität des Kunden zu erkundigen. Ein HV ist kein Detektiv, sondern (regelmäßig) Kaufmann. Er ist deshalb grundsätzlich nicht verpflichtet, detektivische Ermittlungen einzuleiten, um die Bonität des Kunden zu sondieren. Insb. ist er nicht verpflichtet, kostenpflichtige Auskünfte, etwa Creditreform oder SchimmelpfengAuskünfte einzuholen, sofern entsprechendes nicht ausdrücklich vereinbart wurde 243. Ob er bis zum Beweis des Gegenteils der allgemeinen Meinung folgen darf 244, ist angesichts seiner Untersuchungspflicht fraglich. Da er andererseits Zweifeln über die Bonität des Kunden nachzugehen hat245, mögen solche Auskünfte gefordert sein, falls es konkrete Zweifel gibt. Aber was der HV ohne Kosten und Schwierigkeiten über die Kreditwürdigkeit des neuen Kunden in Erfahrung bringen kann, darum hat er sich zu bemühen. Möglicherweise kommen ihm Informationen insoweit auch ungefragt zu. 232 233 234

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BGH BB 1993, 1105; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 64. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 54. LAG Düsseldorf, DB 1960, 813; Küstner/ Thume I, Rn 617; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 64. IHK Berlin Handelsbrauch- u. HandelsvertreterR, 1952, Gutachten Nr. 183; Küstner/Thume I, Rn 617; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 16; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 64; Schlegelberger/ Schröder § 86a Rn 6. RGZ 18, 112; Rumpf AcP 119 (1921), 1, 92; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 29; Hopt § 86 Rn 21. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 29. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 29; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 14; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 17.

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RGZ 18, 112; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 29; Hopt § 86 Rn 21; Schlegelberger/ Schröder § 86 Rn 17. OLG Karlsruhe DB 1969, 741; Hopt § 86 Rn 21. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 10. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 60. AG Coburg HVR Nr. 95; Küstner/Thume I, Rn 451; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 29; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 60. So OLG Düsseldorf HVR (54) Nr. 59; Hopt § 86 Rn 21. OLG 11, 23; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 17.

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Ungünstige Informationen hat er in jedem Falle weiterzugeben, aber auch Hinweise auf Quellen, die ihm einstweilen nicht zuverlässig erscheinen: das Urteil über die Stichhaltigkeit hat er dem Unternehmer zu überlassen 246. Bleibt er ohne solche, hat er den Unternehmer bei seinem Bericht über das vermittelte Geschäft (§ 86 Abs. 2, zweite Alt.) darauf hinzuweisen, dass die Kreditwürdigkeit nicht geprüft sei, um dem Unternehmer Gelegenheit zu geben, seinerseits diesem Punkt nachzugehen. Der Mittler hat insbes. auf Zweifel hinweisen, damit der Unternehmer von sich aus das Erforderliche veranlassen kann 247. Er ist auch gehalten, aus seiner besseren Kenntnis heraus eine beim Unternehmer erkennbar vorhandene Fehlvorstellung über die Kreditwürdigkeit des Kunden richtigzustellen. Auch muss der HV deutlich auf den Verdacht hinweisen, der Kunde werde Zahlungsziele nicht einhalten oder säumig werden 248, auch auf Einschätzungen oder Zweifel Dritter, sogar Gerüchte, selbst wenn sie der HV nicht teilt 249. Höchstkredite für einen Kunden darf er nur aufgeben, wenn sichere Anhaltspunkte für deren Vertretbarkeit bestehen 250. Einer solchen Prüfung bedarf es nur dann nicht, sofern sich der HV aufgrund seiner 65 Erfahrung auf den äußeren Anschein der Solvenz verlassen kann 251 oder wenn eine ständige Geschäftsbeziehung ohne Beanstandungen dafür spricht, der betreffende Kunde werde seinen laufenden Zahlungsverpflichtungen wie bisher ordnungsgemäß nachkommen 252. Gleiches gilt bei Kenntnis des HV, ein neugeworbener Kunde habe bei anderen vom HV vertretenen Unternehmen pünktlich gezahlt 253. Eine Prüfungspflicht besteht aber im vorgenannten Umfang bei Geschäftsaufnahme mit neuen Kunden, besonders, wenn der HV sie warb 254. Einer ständigen Überprüfung muss der HV bekannte Kunden nicht unterziehen 255. Die Bonitätsprüfungspflicht lebt jedoch wieder auf, falls der HV eine entsprechende Weisung des Unternehmers oder Hinweise auf eine Verschlechterung der Bonität erhalten hat 256. Solchen Hinweisen hat der HV nachzugehen und den Unternehmer selbst dann unverzüglich vom Ergebnis zu unterrichten, wenn das vermittelte Geschäft bereits abgeschlossen ist 257. Insbesondere nachträglich aufgetretene Bedenken wegen der Kreditwürdigkeit hat der HV dem Unternehmer zu unterbreiten: möglicherweise hat dieser den vermittelten Abschluss noch nicht bestätigt, möglicherweise steht er unmittelbar vor weiteren Abschlüssen mit dem Kunden. Sogar Informationen, welche der HV erst nach Geschäftsabschluss erhält, hat er an den Unternehmer weiterzu-

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Vgl. hierüber RG LZ 1927, Spalte 1269 (dort war der Verpflichtung genügt worden) und BGH BB 1969, 1196 (der HV kann sich nicht damit entlasten, dass er, falls das Geschäft wegen der ausbleibenden Zahlung des Kunden „platzt“, ja auch keine Provision erhalte, er also wegen des einschlagenden eigenen Interesses nur für Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten einzustehen brauche). BGH BB 1969, 1196; Küstner/Thume I, Rn 451; Hopt § 86 Rn 21. Küstner/Thume I, Rn 451. BGH, Urt. v. 19.06.1969 – VII ZR 39/67, DB 1969, 1787 = BB 1969, 1196; Ebenroth/ Löwisch § 86 Rn 29; Hopt § 86 Rn 21. LG Heidelberg BB 1955, 942; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 17.

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AG Coburg HVR Nr. 95; Küstner/Thume I, Rn 449. Küstner/Thume I, Rn 449; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 10. LG Bonn HVR Nr. 60; Küstner/Thume I, Rn 450; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 86 Rn 60; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 17. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 10. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 29; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 14; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 17. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 29. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 29; Hopt § 86 Rn 21; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 86 Rn 59.

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leiten 258. Nach der Abwicklung des Geschäfts kann die Prüfung und Unterrichtung unterbleiben, sofern Folgegeschäfte mit dem Kunden nicht anstehen 259. Die Bonitätsprüfungspflicht obliegt dem HV auch bei kleineren Aufträgen 260. Sie ver- 66 größert sich proportional zur Höhe der finanziellen Gefährdung des Unternehmers 261. Besonders hohe Auftragssummen erfordern eine außergewöhnlich sorgsame Prüfung. Da der Unternehmer die Bonität des Kunden nicht untersuchen kann, wenn der HV als Abschlussvertreter vor Abschluss keine Rückfrage beim Unternehmer hält, muss der HV in einer solchen Situation gerade bei Neukunden besonders sorgsam sondieren 262. Im Falle von Zweifeln hat der Abschlussvertreter beim Unternehmer rückzufragen und Weisungen einzuholen 263 oder sich auf die Tätigkeit als Vermittlungsvertreter zu beschränken. Bei Verletzung seiner Bonitätsprüfungspflicht haftet der HV 264, auch für Fahrlässig- 67 keit 265. Jedoch haftet der HV nicht für die unbedingte Richtigkeit einer Bonitätsauskunft 266, sondern nur für pflichtwidriges, der verkehrsüblichen Sorgfalt widersprechendes 267 Verhalten. Haftungsfälle stehen kaum im Mittelpunkt gerichtlicher Entscheidungen. Leitet ein HV eine ungünstige Kreditauskunft nicht weiter, weil er sie für bedeutungslos hält, besteht eine zum Schadenersatz 268 sowie zur außerordentlichen Kündigung 269 berechtigende Pflichtwidrigkeit. Die Grenze zur Pflichtwidrigkeit ist eher höher anzusetzen 270, und zwar weil der HV – wie ausgeführt – kein Detektiv ist. Zudem bleibt dem HV der Beweis alternativer Kausalität wie der Einwand des Mitverschuldens (§ 254 BGB) 271. Hätte er selbst bei pflichtgemäßem Verhalten kein zutreffendes Bild über die Vermögenslage des betreffenden Kunden gewinnen können, so fehlt es an einem vorwerfbaren Schaden 272. Das Gleiche gilt, sofern der HV nachweisen kann, der Unternehmer hätte auch nach Warnung oder Information über die nicht vorgenommene Prüfung das Geschäft mit dem Kunden geschlossen. Wenn der Unternehmer in vergleichbaren Fällen geliefert hat, spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, er hätte gleiches auch im streitigen Fall getan. Der Umfang der Prüfungspflicht darf vertraglich erweitert werden, mittels AGB je- 68 doch in mehr als unerheblichem Umfang nur bei angemessener Vergütung 273. cc) Förder- und Loyalitätspflicht. Die Förder- und Loyalitätspflicht ist der Kern der 69 Interessenwahrungspflicht. Der HV steht zum Unternehmer im Verhältnis gegenseitiger Loyalität, die vom BGH 274 und auch sonst oft mit dem auch aus dem Gesellschaftsrecht

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MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 60. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 29. AG Coburg HVR Nr. 95; Küstner/Thume I, Rn 451. Vgl. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 17. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 29. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 29. RG JW 1919, 45011; OLG Düsseldorf HVR Nr. 59; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 11; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 61; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 17. AA Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 29; Hopt § 86 Rn 21; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 61. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene

267 268

269 270 271 272 273 274

§ 86 Rn 61; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 17. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 17. BGH, Urt. v. 19.06.1969 – VII ZR 39/67, DB 1969, 1787; Röhricht/Graf von Westphalen/Küstner § 86 Rn 10. Röhricht/Graf von Westphalen/Küstner § 86 Rn 10. Wohl auch Röhricht/Graf v. Westphalen/ Küstner § 86 Rn 10. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 61. OLG Düsseldorf HVR Nr. 59; Röhricht/ Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 11. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 29. BB 1966, 999.

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bekannten Ausdruck der Treupflicht bezeichnet wird, welche allerdings durch die stärkere und speziellere Interessenwahrungspflicht, deren Ausprägung die Loyalitätspflicht ist, überlagert wird. Er ist nicht unparteiischer Makler zwischen den Parteien 275 sondern parteiischer Interessenwahrer des Unternehmers. Daraus erwachsen für den HV einige allgemeine Pflichten, Handlungspflichten und – praktisch fast noch wichtiger – Unterlassungspflichten. Der HV hat die Interessen und Geschäfte des Auftraggebers mit voller Kraft zu fördern, günstige Geschäfte für ihn herbeizuführen 276 und ihm loyal zur Seite zu stehen, und zwar vertragsbegleitend während der gesamten Laufzeit des Vertrages 277. Ziel seiner Tätigkeit muss es sein, sich um das Optimum des geschäftlichen Erfolges für den Unternehmer zu bemühen. Einen „Dienst nach Vorschrift“ verbietet nicht nur die Verpflichtung zur Vermittlung und zum Abschluss selbst, sondern auch die Interessenwahrnehmungspflicht. Gleichwohl darf er den Kunden nicht bewusst schädigen (zur Haftung des HV gegenüber dem Kunden Rn 211 f). Der Allgemeinen Förderungs- und Loyalitätspflicht sind folgende Pflichten des HV zuzuordnen. Der HV darf nicht (siehe auch unten zum Verbot der Nachteilszufügung): – einen anderen HV des Unternehmers abwerben 278, auch nicht für einen Dritten, der kein Wettbewerber ist; – Bestechungsgelder fordern oder annehmen 279. Der HV kann sich bei deren Annahme gem. §§ 299 StGB strafbar machen 280. Der Einwand, der Abschluss wäre ohnehin nicht zu besseren Konditionen zustandegekommen, leugnet nur den Schaden, rechtfertigt jedoch nicht den Vertrauensverlust 281; – zugleich als Makler für einen Kunden tätig sein, weil der Unternehmer dann nicht mehr der uneingeschränkten Loyalität des HV sicher sein kann 282; – seinen Einsatz in Kleinaufträgen verzetteln, wenn darüber die Möglichkeit eines lohnenden Großauftrages vernachlässigt wird; – als Bezirksvertreter mit Abschlussvollmacht, falls sein Vertragsverhältnis sich dem Ende nähert – etwa in der Zeit nach ausgesprochener Kündigung –, vermehrt sog. Jahresverträge mit den bezirksansässigen Kunden vermitteln und abschließen, d.h. solche Verträge, deren Abwicklung sich noch längere Zeit nach Ende seines HV-Verhältnisses hinziehen und ihm hierfür weitere Provisionen sichern wird, weil er dadurch die kontinuierliche Betreuung des Bezirks zu seinem eigenen Nutzen blockiert und dem Unternehmer die Gewinnung eines Nachfolgers erheblich erschwert – spiegelbildlich das Versicherungsvertreter Verträge mit untypisch kurzer Laufzeit vermitteln, um nach Ende der Laufzeit und des HV-Vertrages die Verträge auf einen neuen Versicherer umzudecken. Hat der Unternehmer solche Verträge angenommen wird es an einem Schaden fehlen; – als Vermittlungsvertreter, dem gegenüber Mängelrügen, Zurverfügungstellungen und ähnliche rechtswahrende Akte des Kunden mit Wirkung gegen den Unternehmer erklärt werden können (§ 91 Abs. 2; das gleiche gilt für den Abschlussvertreter nach § 55 Abs. 4), die Entgegennahme solcher Erklärungen verweigern (selbst wenn er das mit rechtlicher Wirkung vermöchte) und den Kunden hierfür an den Unternehmer ver-

275 276

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BGH BB 1979, 242; Hopt § 86 Rn 20. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 5; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 11; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 30. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 5. BGH MDR 1977, 644; Hopt § 86 Rn 21.

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Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 7; Hopt § 86 Rn 23; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 38. Hopt § 86 Rn 23. Hopt § 86 Rn 23. BGH NJW 1974, 137; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 32.

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weisen. Er muss sich hierfür bereithalten, schon um den Kunden nicht noch mehr zu verärgern. Ob er, weil er es darf, dazu auch verpflichtet ist, von sich aus die Rechte des Unternehmers auf Sicherung des Beweises geltend zu machen, wird von dem Grade der bei ihm vorauszusetzenden rechtlichen Gewandtheit abhängen. Bei HV im Nebenberuf wird das im Allgemeinen nicht der Fall sein, eher schon beim Inhaber einer kaufmännischen Agenturfirma. Wo nicht, setzt dann aber jedenfalls die sofortige Berichtspflicht über die Bemängelung des Kunden ein; der HV wird daraufhin zum Unternehmer zu den zu ergreifenden Schritten angewiesen werden können, mindestens zur Beauftragung eines vom HV an Ort und Stelle auszuwählenden Anwalts. Der HV hat: da er allein dem Unternehmer und nicht dem Kunden zur Interessenwahrung verpflichtet ist, den Abschluss zu günstigsten Bedingungen zu erreichen 283, selbst wenn sich das wegen des reinen Abschlussvolumens nicht auf seine Provision auswirkt; Hinweisen des Unternehmers auf die Möglichkeit zu Geschäftsabschlüssen nachzugehen 284; Handelsbücher zu führen 285; den Kunden über das gewünschte Geschäft so aufzuklären und zu beraten, wie es dem Geschäftsherrn obliegt 286, dabei aber die Geschäftsförderungspflicht nicht zu vergessen; eine von seinem Vorgänger überwiegend eingeleitete Vermittlung zu Ende zu führen, selbst wenn er hierfür keine Provision zu beanspruchen hat, weil sie noch dem Vorgänger zufällt (§ 87 Abs. 1 S. 2, Abs. 3); insbesondere in der Versicherungsvermittlung, den Schwerpunkt nicht auf das Hereinholen von Verträgen mit ungünstigen Risiken zu legen, weil diese erfahrungsgemäß leichter zu vermitteln sind; Geschäfte zu möglichst günstigen Konditionen abzuschließen 287; den Kunden umfassend über das Produkt aufzuklären 288; sich der Vermittlung oder des Abschlusses zu enthalten, wenn anderenfalls, etwa durch persönliche Animositäten des Kunden gegen den HV, das Zustandekommen des Geschäfts gefährdet würde 289; bestehende Kundenbeziehungen zu pflegen 290; jedoch sich nicht ausschließlich auf die Pflege solcher bestehenden Beziehungen zu beschränken, sondern in angemessenem Verhältnis zu den Bemühungen, Folgeaufträge von bisherigen Kunden zu erhalten – sie erfordern erfahrungsgemäß einen geringeren Einsatz –, zu versuchen auch neue Kunden zu gewinnen. Ein Anreiz hierfür bietet die Anwartschaft auf den entsprechend höheren Ausgleich nach § 89b; branchenübliche Fach- und Verkaufsmessen zu besuchen; Kundenwünsche und Anregungen entgegenzunehmen sowie Hinweisen des Unternehmers auf mögliche Geschäftsabschlüsse nachzugehen;

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Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 7; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 17. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 5; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 28. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 62. Kieninger AcP 199 (1999), 190; Ebenroth/ Löwisch § 86 Rn 7.

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Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 7. Kieninger AcP 199 (1999), 190; Ebenroth/ Löwisch § 86 Rn 7. Schröder DB 1958, 44. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 5; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 9; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 45.

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– ein eigenes Provisionsinteresse ggf. gegenüber den Interessen des Unternehmers zurückzustellen; – den Unternehmer vor Schäden zu bewahren 291; – es zu unterlassen, dem Kunden die Auflösung des Vertrages und Schadenersatzansprüche gegen den Unternehmer zu empfehlen 292; – bei der Gestaltung seiner Preise Rücksicht zu nehmen, falls sich durch ständige preisüberhöhte Angebote eine Gefährdung des Absatzes der Vertragswaren ergibt 293. Dagegen verpflichtet die Förderungs- und Loyalitätspflicht den HV nicht 70 – die Abwicklung des vermittelten oder abgeschlossenen Geschäfts durchzuführen oder zu begleiten. Deshalb darf der HV ohne wirksame vertragliche Vereinbarung weder mit dem Inkasso 294, der Warenauslieferung, der Gewährleistung oder der Führung von Prozessen aufgrund der ausgeführten Geschäfte belastet werden 295; er muss jedoch ggf. Gewährleistungsforderungen des Kunden aufnehmen und an den Unternehmer weiterleiten; – tatsächlich feststehendes strafbares Verhalten des Unternehmers oder eines Kunden zu verschweigen 296; – Werbung i.S. allgemeiner Öffentlichkeitsarbeit sowie allgemeine Produkt- und Marktpflege zu betreiben 297. Dies ist Aufgabe des Unternehmers.

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dd) Informationspflicht. Die allgemeine Informationspflicht wird überwiegend aus der Interessenwahrungspflicht hergeleitet. Nach der hier eingenommenen Ansicht handelt es sich um einen Unterfall der Nachrichtspflicht des Abs. 2. Als solcher Unterfall wird die allgemeine Informationspflicht hier systematisch eingeordnet und daher unten, Rn 133 ff behandelt.

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ee) Marktbeobachtungspflicht. Der HV ist nicht nur dazu berufen und bestellt, sich um Geschäftsabschlüsse zu bemühen. Er ist zugleich der Außenposten des Unternehmers am Markt, dessen Puls er fühlt und dessen Strömungen ihm vor allem einsehbar werden. Seine nicht geringste Aufgabe ist es, ständig den Markt zu beobachten und zu prüfen. Marktlücken ausfindig zu machen 298; Aufnahmefähigkeit, Wünsche oder Geschmacksrichtung des Interessentenkreises aufzuspüren, gesetzliche Schranken, die sich dem Vertrieb entgegenstellen, zu verfolgen, das Auftauchen von Konkurrenzfabrikaten im Auge zu behalten, Verletzungen gewerblicher Schutzrechte des Unternehmers zu registrieren und über alles dem Unternehmer zu berichten. Gerade hier wird seine Stellung als die eines Wahrers der Interessen des Unternehmers am reinsten sichtbar 299. Wieweit er die Möglichkeiten der Verwertung technischer Neuerungen in seine Beobachtungen einzubeziehen hat, ist Tatfrage und wohl nur dann zu bejahen, wenn die Verhältnisse gerade in seinem Vertreterbezirk das nahelegen und seinem Urteil das entsprechende technische 291 292 293 294 295 296 297

Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 7. OLG Koblenz BB 1973, 866; Hopt § 86 Rn 21. Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 172. OLG Stuttgart DB 1962, 405; Ebenroth/ Löwisch § 86 Rn 5. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 5. OLG Köln VersR 2002, 482. BGH, Urt. v. 23.07.1997 – VIII ZR 130/96, EBE 1997, 290 (292); Ebenroth/Löwisch

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§ 86 Rn 5; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 9; Hopt § 86 Rn 13; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 45; Schröder § 86 Rn 4b. OLG Celle BB 1970, 228; Rumpf AcP 119 (1921), 1 (89); Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 5; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 19; Hopt § 86 Rn 13; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 45. Rumpf AcP 119, 89/90.

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Verständnis unterstellt werden darf; sonst aber wird derartiges nicht zu seinen Aufgaben gehören. ff) Organisationspflicht. Der HV muss seinen Geschäftsbetrieb so organisieren, ein- 73 richten und ausstatten (insbes. auch technisch), dass er die vertraglich übernommenen Aufgaben ordnungsgemäß erfüllen kann 300. Erforderliches Personal hat er einzustellen 301. Ggf. hat er das Unternehmen an den Wettbewerb anzupassen. gg) Prüfungspflicht. Teil der aus der Interessenwahrungspflicht hergeleiteten Neben- 74 pflichten ist auch die Pflicht zur Prüfung 302 der Umstände des Geschäfts, die terminologisch unzureichend von der Nachrichtspflicht abgrenzend auch als Informationspflicht bezeichnet wird. Gemeint ist nicht die Erteilung von Informationen an den Unternehmer, sondern die Einholung von Informationen durch den Vertreter. Die hier angesprochene Prüfungspflicht ist Vorstufe der Nachrichtspflicht. Denn ohne vorherige Prüfung kann es keine substantiellen Nachrichten an den Unternehmer geben. Der HV muss sich über alles informieren, was für den Vertrag und den Unternehmer relevant sein könnte, wobei – nicht anders als bei der Bonitätsprüfungspflicht – keine detektivischen Ermittlungen geschuldet sind. Ausprägung dessen ist etwa die Bonitätsprüfungspflicht, die ihrer Bedeutung wegen oben Rn 64 ff gesondert beschrieben wurde. Eine Nachforschungspflicht besteht insbesondere bei sich aufdrängenden oder konkreten Verdachtsmomenten. Nicht zu den Prüfungspflichten des Vertreters gehört es ohne entsprechende Regelung 75 im HV-Vertrag regelmäßig, sich nach öffentlich-rechtlichen Erlaubnissen des Geschäftspartners zu erkundigen 303 (der HV ist kein Rechtsanwalt). Die Grenze wird bei den rein kaufmännisch-wirtschaftlichen Verhältnissen des Kunden zu ziehen sein. Die Prüfungsobliegenheit kann stillschweigend vereinbart sein, wenn der Unternehmer einen HV mit ausgewiesenen Rechtskenntnissen und Erfahrung auf diesem Gebiet beauftragt 304. Weiß der HV jedoch um solche öffentlich-rechtlichen Hindernisse, wird er solche Kenntnis dem Unternehmer gegenüber nicht unterdrücken dürfen. Der HV muss auch diesbezüglich konkreten Verdachtsmomenten nachgehen 305. hh) Verbot der Nachteilszufügung. Aufgrund seiner Loyalitätspflicht muss der HV 76 Nachteile vom Unternehmer abwenden 306, Rücksicht nehmen und schädigendes Verhalten unterlassen 307. Denn wenn von ihm Interessenwahrnehmung gefordert ist, darf er dem Unternehmer keine Nachteile oder Schäden zufügen, sondern hat solche abzuwenden 308. Der Übergang zur mehr das aktive Verhalten betonenden Förderungs- und Loyalitätspflicht ist fließend. Häufig ist eine verbotene Nachteilszufügung aber nichts anderes als unterlassenes Fördern bzw. unterlassene Loyalität. Will der HV die gebotene Rücksichtnahme nicht ausführen, muss er den Vertrag (außerordentlich) kündigen 309. Eine verbotene Nachteilszufügung bildet insbesondere 300 301 302 303

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Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 4; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 3. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 4; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 3. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 62. OLG Hamm BB 1968, 1017; Ebenroth/ Löwisch § 86 Rn 5; Hopt § 86 Rn 13; aA MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 62. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 5.

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MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 62. BGH, Urt. v. 18.06.1964 – VII ZR 254/62, BGHZ 42, 59 (61) = NJW 1964, 1621; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 6. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 6; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 19. BGHZ 42, 59 (61) = NJW 1964, 1621; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 6. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 7.

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– der Abschluss nachteiliger, risikobelasteter oder solcher Geschäfte, an denen der Unternehmer kein Interesse haben kann (etwa wegen bekannter Zahlungsunfähigkeit oder Zahlungsunwilligkeit des Kunden) 310; – Geschäfte anzubahnen, bei denen Bedenken hinsichtlich der Zahlungsfähigkeit oder Zahlungswilligkeit der Kunden bestehen. Von solchen Geschäften ist im Zweifel Abstand zu nehmen 311; – das leichtfertige Äußern strafrechtlicher Vorwürfe gegenüber einem wichtigen Kunden des Unternehmers 312; – die Herabsetzung des Ansehens des Unternehmers oder des zu vertreibenden Produkts 313, jedoch darf der HV das Produkt wahrheitsgemäß mit seinen Vor- und Nachteilen darstellen 314; – die Konkurrenz des HV zum Unternehmer (Rn 78 ff) 315. Insbesondere darf der HV Geschäfte mit Kunden, auf die sich seine Vertriebspflicht bezieht, nicht auf eigene Rechnung abschließen 316 oder Dritten vermitteln 317; – Kunden dazu zu bewegen, geschlossene Verträge zu stornieren 318; – die Abwerbung von Personal des Unternehmers, gleich ob Angestellte oder HV 319; – Personal oder Mitarbeitern des Unternehmers Hilfestellung bei einer Kündigung zu leisten 320; – Gegenüber Dritten oder Kunden geäußerte Kritik an den Waren des Unternehmers 321; – Untervertreter: eine Absprache mit dem Unternehmer betreffend die Kündigung des Hauptvertreters und die Übernahme seiner Vertretung 322; – das Verhindern von Geschäftsabschlüssen: Der HV darf potentielle Kunden nicht vom Vertragsschluss mit dem Unternehmer abhalten, wenn hierfür keine zwingenden Gründe existieren 323; – Wettbewerbswidriges Verhalten, so dass Verstöße gegen das UWG regelmäßig auch eine Verletzung der Interessenwahrnehmungspflicht darstellen. Überholt dürfte es nach heutigem Verständnis der Selbständigkeit des Vertriebsmittlers sein, die ohne Zustimmung erfolgte Umwandlung eines Mittlers, etwa eines Vertragshändlers, vom Einzelkaufmann in eine haftungsbeschränkte Gesellschaft als Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot zu werten, weil durch die Umwandlung die Gefahr bestehen konnte, dass die Forderungen des Unternehmers ohne die vormals bestehende unbeschränkte, nun aber beschränkte Haftung des Vertragshändlers gefährdet wären 324. Hier kann sich der Unternehmer genügend durch Vorkasse, ggf. durch die gerade im investitionsintensiven Bereichen häufige Einforderung einer Bürgschaft des vormaligen Einzelkaufmanns und nunmehrigen Gesellschafters sichern, wobei es von Seiten des 310

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Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 7; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 30; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 17. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 7; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 17. OLG Köln VersR 2002, 482. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 6. Hopt § 86 Rn 24; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 6. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 6. OLG München NJW-RR 1995, 1186 (1187); Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 6. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 6. OLG Koblenz BB 1973, 866; Ebenroth/ Löwisch § 86 Rn 6.

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BGH MDR 1977, 644; BGH, Urt. v. 01.06. 1983 – I ZR 78/81, BB 1983, 2136; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 6; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 11; Ebenroth/ Löwisch § 86 Rn 6; Hopt § 86 Rn 21; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 34. OLG München BB 1994, 1104; Ebenroth/ Löwisch § 86 Rn 6. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 20. BGHZ 42, 61; Hopt § 86 Rn 25. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 17. BGH BB 1978, 982.

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Unternehmers nicht unangemessen ist, angesichts der vormaligen persönlichen Haftung des Einzelkaufmanns derartige Sicherungsrechte einzufordern. ii) Verbot der Nutzung von Geschäftschancen des Unternehmers. Der HV darf keine 77 Geschäftschancen des Unternehmers wahrnehmen, d.h. Geschäfte mit Kunden, die er dem Unternehmer zuzuführen hat, nicht auf eigene Rechnung abschließen oder Dritten vermitteln 325. Es handelt sich um eine Gruppe, die auch als Verstoß gegen das Wettbewerbsverbot begriffen werden könnte. Jedoch wird unter dem Gesichtspunkt „Wettbewerbsverbot“ heute überwiegend die unzulässige Übernahme von Konkurrenzvertretungen diskutiert (hierzu im Folgenden). jj) Wettbewerbs- oder Konkurrenzverbot (1) Wettbewerb im Allgemeinen. Das vertragsbegleitende Konkurrenzverbot ist die in 78 der Praxis bedeutendste aus der Interessenwahrungspflicht abgeleitete Unterlassungspflicht. Das Wettbewerbsverbot vertraglich vorzuschreiben ist nicht erforderlich, da es sich bereits aus der Interessenwahrnehmungspflicht ergibt 326. Jedoch darf es konkretisiert werden. Das vertragsbegleitende Wettbewerbsverbot ist von dem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot des § 90a zu separieren, welches einer besonderen Vereinbarung bedarf. Anders als dem Handlungsgehilfen (§ 60) ist es dem HV gesetzlich nicht untersagt, im 79 Geschäftszweig seines Unternehmers, d.h. in dessen ganzer Ausdehnung, für eigene oder fremde Rechnung Geschäfte zu machen 327. Als Ausfluss der Interessenwahrungspflicht des § 86 Abs. 1 Hs 2 328 muss der HV jedoch selbst ohne vertragliche Vereinbarung alles unterlassen, was ihn in einen Interessenwiderstreit oder eine Wettbewerbssituation zum Unternehmer bringen und dessen Interessen dadurch beeinträchtigen kann 329. Die Interessenwahrungspflicht 330 gebietet es dem HV aber nur, sich vertragsbegleitend desjenigen Wettbewerbs zu enthalten, der auf dem Gebiet der von ihm zu betreuenden Interessen des Unternehmers liegt 331. Außerhalb dieses engen Bereichs darf der HV jede weitere Tätigkeit ausüben, solange ihm genügend Zeit und Ressourcen für die Erfüllung seiner Pflichten gegenüber dem Unternehmer bleibt 332. Zweifelsfälle muss der HV mit dem Unternehmer klären 333.

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Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 6; OLG München NJW-RR 1995, 1186 (1187). BGH v. 18.06.1964, BGHZ 42, 59 (62); Thume WRP 2000, 1033 ff; Küstner/ Thume I, Rn 459; Prasse in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 2 Rn 254; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 23. BGH BB 1954, 647. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 18. BGH, Urt. v. 30.01.1963 – VIII ZR 256/61, BB 1963, 448; BGH, Urt. v. 15.12.1967 – KZR 6/66, DB 1968, 211; BGH, Urt. v. 09.06.1969 – VII ZR 49/67, BGHZ 52, 171 (172) = NJW 1969, 1662; BGH, Urt. v. 25.11.1998 – VIII ZR 221/97, EBE 1999, 13 (15); Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 18; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 16;

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MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene Rn 33, 34; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 40a; aA früher noch OLG Hamburg MDR 1955, 422; enger Birkhahn BB 1961, 1351. Martinek/Flohr § 12 Rn 64; Ebenroth/ Löwisch § 86 Rn 18; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 23; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 17. Brunn AcP 163 (1964), 487; Birkhahn BB 1961, 1351; BB 62, 1108; Leo BB 1962, 1106; Hohn DB 1971, 94; Maier BB 1979, 500; Rittner, FS Reinhardt, S. 301; DB 1999, 2097; Hopt § 86 Rn 26. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 18; Schröder § 86 Rn 40a. Eberstein S. 71.

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(2) Genese des Wettbewerbsverbots. Dass der HV, der die Interessen seines Unternehmens wahrzunehmen hat, diesem keine Konkurrenz machen darf, wurde von der 4. Aufl.334 als „schlichte Selbstverständlichkeit“ 335 empfunden und auf die Rechtsprechung des ROHG 336 zurückgeführt. Tatsächlich war dieser Befund nicht uneingeschränkt gerechtfertigt. Vor Inkrafttreten des HGB war ein grundsätzliches Verbot der Konkurrenzvertretung 81 unbekannt. Trotz der dauernden Beziehung zu seinem Geschäftsherrn vertrat der HV meist mehrere Unternehmer 337. Es war für jeden Einzelfall zu untersuchen, ob sich die Konkurrenztätigkeit mit der Interessenwahrnehmungspflicht des HV vereinbaren ließ 338. Im Rahmen des Entstehungsprozesses des HGB wurde das Verbot der Konkurrenzvertretung bzw. ein allgemeines Konkurrenzverbot für den HV eingehend diskutiert. Abweichend von der Handhabung der Praxis sah der erste Entwurf eines HGB von 1895 (RJAE I) ein strenges Wettbewerbsverbot des HV vor. Ihm sollte grundsätzlich verboten sein, im selben Geschäftszweige wie der Geschäftsherr – etwa durch Übernahme weiterer Agenturen – tätig zu werden (§ 64 RJA-E I) 339. Jenes strenge Wettbewerbsverbot stieß auf heftigen Widerspruch. Schon in den Beratungen der Kommission zur Begutachtung des Entwurfes eines HGB (sog. „Kommission Handel“) wurde diese Regel als zu weitgehend und für eine große Anzahl von Fällen evident unpassend kritisiert 340. In vielen Fällen müsse der Agent, schon um den Kunden überhaupt eine hinreichende Auswahl anbieten zu können, gleichzeitig mehrere Produzenten vertreten dürfen. Zudem könne es sein, dass verschiedene Unternehmer auf ein und denselben HV angewiesen seien. Auch wurde darauf hingewiesen, dass zahlreiche HV, insbesondere Berufsanfänger, in der Tätigkeit nur für einen Unternehmer keinen ausreichenden Verdienst fänden. Zur kompletten Streichung der Vorschrift über die Konkurrenzvertretung konnte man sich zunächst im Interesse der Rechtssicherheit nicht durchringen 341. Mehrere Kommissionsmitglieder sprachen sich – quasi als Kompromiss – dafür aus, am Grundsatz des § 64 RJA-E I, d.h. an der grundsätzlichen Unzulässigkeit der Konkurrenzvertretung, festzuhalten, aber einen ausdrücklichen Vorbehalt zu Gunsten abweichender Handelsbräuche oder abweichender Parteivereinbarungen aufzunehmen. Einige Mitglieder schlugen sogar vor, den Grundsatz umzukehren und den Konkurrenzbetrieb nur dann als unzulässig zu erachten, wenn dies ortsüblich oder vereinbart sei. Die Regelung in § 76 des Entwurfs eines HGB von 1896 (RJA-E II) nahm diese Anregung auf. § 76 Abs. 2 RJA-E II enthielt die Klarstellung, dass die Einwilligung zur Konkurrenz82 tätigkeit als erteilt gelten solle, falls dem Geschäftsherrn beim Abschluss des Vertrages mit dem Handelungsagenten bekannt war, dass dieser in dem betreffenden Handelszweige für eigene und fremde Rechnung Geschäfte mache und der Geschäftsherr die Aufgabe dieses Geschäftsbetriebs nicht ausdrücklich vereinbarte. Aber selbst das entschärfte Verbot der Konkurrenzvertretung des § 76 RJA-E I, da es den damalig vorherrschenden Ver-

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4. Aufl., § 86 Rn 33. Rittner HGB S. 304. Nachweis bei Rittner HGB S. 305. Martinek/Bergmann WRP 2006, 1047 (1054). Crome Partiarischen Rechtsverhältnisse, 1897, S. 403 f. Siehe Denkschrift zu dem Entwurf eines Handelsgesetzbuchs für das Deutsche Reich von 1895 (RJA-E I), S. 58.

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Protokolle über die Beratungen der „Kommission“ Handel bei: Schubert/Schmiedel/ Krampe (Hrsg.), Quellen zum Handelsgesetzbuch von 1897, Band 2 Halbband 1, 1987, S. 259 ff (366 f). Martinek/Bergmann WRP 2006, 1047 (1055).

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kehrsgeflogenheiten widersprach, traf weiter auf entschiedenen Widerstand. Während der Verhandlungen der 23. Plenarsitzung des Deutschen Handelstages vom Oktober 1896 342 wurde mit großer Mehrheit die Streichung der Konkurrenzklausel gefordert. Sie entspreche nicht der bestehenden Übung. Es gäbe eine Reihe von Branchen, in denen der Agent neben dem eigentlichen Geschäftsherrn auch für andere auf eigene oder fremde Rechnung Geschäfte mache 343. Aus dem gleichen Grunde standen auch zahlreiche Landesregierungen dem grundsätzlichen Konkurrenzverbot des § 76 RJA-E II ablehnend gegenüber 344. Bayern sprach sich dafür aus, das Regel-Ausnahme-Verhältnis umzukehren und eine Tätigkeit für andere Firmen nur dann zu untersagen, wenn in dieser Richtung ein Handelsbrauch bestehe oder eine entsprechende Vereinbarung getroffen sei. Lübeck, Bremen und Hamburg beantragten, die Vorschrift ganz zu streichen. Die letztgenannte Forderung setzte sich durch. § 76 RJA-E II wurde in der Bundesratsvorlage und der Reichstagsvorlage gestrichen. In der Begründung heißt es 345, aus der Pflicht des Agenten, das Interesse des Geschäftsherren zu wahren, ergäbe sich von selbst, dass er diesem nicht durch anderweitige Geschäfte, die er in demselben Handelszweige mache oder vermittle, eine unmittelbare schädigende Konkurrenz bereiten dürfe. Eine so weitgehende Beschränkung, wie sie nach § 59 die Handlungsgehülfen träfe, ließe sich dem Agenten nicht auferlegen. Da der Gehülfe der Regel nach seine ganze Arbeitskraft in den Dienst des Prinzipals zu stelle habe, könne ihm überhaupt nicht gestattet sein, eigenen Handel zu treiben und in den Handelszweigen des Prinzipals irgendwelche Geschäfte zu machen. Der Agent hingegen finde in der Vertretung eines einzigen Hauses nur selten eine ausreichende Beschäftigung und sei deshalb von vornherein auf die Übernahme weiterer Agenturen oder auf einen sonstigen Handelsbetrieb angewiesen. In manchen Fällen werde er sogar, um dem Kunden die erforderliche Auswahl zu bieten, genötigt sein, gleichzeitig mehrere Produzenten oder Großhändler zu vertreten, deren Waren, wenn sie auch bestimmte Unterschiede aufwiesen, doch derselben Gattung angehörten. Das Gesetz müsse auf dieses Verhältnis Rücksicht nehmen und der Entwurf sehe deshalb von einer besonderen Bestimmung über die Unzulässigkeit eines Konkurrenzbetriebes durch den Agenten ab. Die allgemeine Vorschrift über die Pflicht des Agenten, das Interesse des Geschäftsherrn zu wahren, werde ausreichen, um im einzelnen Falle unter Berücksichtigung der Art und des Zweckes der Geschäftsverbindung und der im betreffenden Geschäftszweig bestehenden Übung die Grenzen festzustellen, welche von dem Agenten hinsichtlich der Vertretung anderer Handlungshäuser sowie hinsichtlich des eigenen Handelsbetriebes eingehalten werden müssten. Rückwirkend mag sich diese Enthaltsamkeit des Gesetzgebers als falsch darstellen. 83 Denn es ist eine Entwicklung zu beobachten, die sich – nach anfänglich weitherziger Zulassung ungenehmigter Konkurrenztätigkeit – durch eine immer restriktivere Haltung zunehmend von der Vorstellung des Gesetzgebers entfernt hat 346. Das Verbot der Kon342

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Protokolle bei: Schubert/Schmiedel/Krampe (Hrsg.), Quellen zum Handelsgesetzbuch von 1897, Band 2 Halbband 1, 1987, S. 567 ff (599 f). Protokolle bei: Schubert/Schmiedel/Krampe (Hrsg.), Quellen zum Handelsgesetzbuch von 1897, Band 2 Halbband 1, 1987, S. 567 ff (599 f). Äußerungen der Bundesregierung zu dem Entwurf eines Handelsgesetzbuches von 1896 (RJA-E II), abgedruckt bei: Schubert/

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Schmiedel/Krampe (Hrsgb.), Quellen zum Handelsgesetzbuch von 1897, Band 2 Halbband 2, 1988, S. 745 ff (776 f). Denkschrift zum Entwurf eines Handelsgesetzbuches und eines Einführungsgesetzes (RTVorl.), S. 69. Vgl. dazu v. Brunn Das Wettbewerbsverbot im Handelsvertreterrecht beim Fehlen einer Vereinbarung, AcP 163 (1963), 487 (504 ff); Martinek/Bergmann WRP 2006, 1047 (1055).

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kurrenzvertretung ist daher kein unumstößliches Dogma 347. Ausschlaggebend sind stets die Umstände des Einzelfalls.

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(3) Anspruchsinhaber. Anspruchsinhaber ist allein der Unternehmer 348. Dritte können keine Ansprüche gegenüber dem Vertriebsmittler geltend machen 349. Auch Konkurrenten des HV besitzen keinen Anspruch auf Beachtung des gesetzlichen oder vertraglichen Wettbewerbsverbots 350, es sei denn, der HV handelt wettbewerbswidrig i.S.d. UWG 351.

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(4) Verpflichteter. (a) Wettbewerbsverbot des HV. Das Wettbewerbsverbot trifft den HV, unabhängig davon, ob es sich um einen Einfirmen- oder Mehrfirmenvertreter handelt 352. Denn auch den Einfirmenvertreter trifft die Interessenwahrungspflicht und das aus ihr hergeleitete Wettbewerbsverbot. Zudem verstößt er gegen die übernommene Verpflichtung, keinen anderen Unternehmer zu vertreten (Anspruchskonkurrenz). Konkurrenztätigkeiten seines Hilfspersonals, etwa eines Angestellten oder Untervertreters, hat sich der Mittler zurechnen zu lassen 353. Außerdem muss er solches Verhalten verhindern. Verpflichtet sind auch HV-ähnliche Vertriebsmittler, etwa Vertragshändler, Franchisenehmer und Kommissionsagenten. (b) HV-ähnliche Vertriebsmittler

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(aa) Wettbewerbsverbot des Vertragshändlers. In Analogie zu § 86 Abs. 1354 gilt auch ohne vertragliche Vereinbarung eines Konkurrenzschutzes jedenfalls für den einem HV vergleichbar in das Vertriebssystem des Unternehmers eingebundenen Vertragshändler 355 – das weitere Analogiekriterium „Übertragung des Kundenstammes ist hier nicht erforderlich 356 – mit Alleinvertriebsrecht ein vertragsbegleitendes Wettbewerbsverbot 357. Der BGH 358 leitet daraus ab, die Übernahme einer Konkurrenzvertretung durch den Vertragshändler stelle regelmäßig einen schweren Verstoß gegen die ihm obliegenden Treuepflichten dar, der die außerordentliche Kündigung des Vertrages rechtfertige. Wahrscheinlich gilt dies auch für den Vertragshändler ohne Alleinvertriebsrecht 359. Dafür spricht zum einen, dass auch beim HV die Konkurrenzschutzpflicht unabhängig von einer zugewiesenen Exklusivität besteht. Zum anderen darf der Unternehmer nur unter Geltung eines Wettbewerbsverbots auf die unvoreingenommene Anpreisung seines Pro-

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Martinek/Bergmann WRP 2006, 1047 (1056). Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 26. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 26. BGH, Urt. v. 27.06.1975 – I ZR 97/74, WM 1975, 1214; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 27. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 27. AA Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 19. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 20. Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 201. Zu den Analogievoraussetzungen Emde WRP 2003, 468 ff. BGH, Urt. v. 07.07.1983 – I ZR 115/81, NJW 1984, 2101 (2102); Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 201.

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BGH, Urt. v. 07.07.1983 – I ZR 115/81, NJW 1984, 2101 (2102); BGH LM Nr. 57 zu § 1 UWG, Emde WRP 2005, 1492 (1496); Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 201; Stumpf/Jaletzke/Schultze Der Vertragshändlervertrag, 3. Aufl., Rn 483; Martinek/ Manderla Handbuch des Vertriebsrechts, 2. Aufl. 2003, § 18 Rn 64, 68; Hopt § 86 Rn 26; aA Küstner/Thume Außendienstrecht, 2. Aufl. 1998, Rn 1339. BGH NJW 1984, 2102; WM 1993, 1464. Zum Meinungsstand Martinek/Manderla Handbuch des Vertriebsrechts, 2. Aufl. 2003, § 18 Rn 69.

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duktes durch den Händler vertrauen. Dieses Interesse besteht gleichfalls gegenüber dem Mittler ohne Alleinvertriebsrecht 360. Hinsichtlich der räumlichen Ausdehnung des Vertragsgebietes kann nichts Abweichendes als beim HV gelten. Auch beim Vertragshändler erstreckt sich daher das Konkurrenzverbot auf das gesamte Vertriebsgebiet des Unternehmers. Nach Art. 5 Abs. 1 Kfz-GVO 1400/02 sind Wettbewerbsverbote grundsätzlich unzulässig (siehe Vor § 84 Rn 179). Damit soll die Möglichkeit gefördert werden, Fahrzeuge unterschiedlicher Marken zu verkaufen, instand zu setzen und zu warten 361. (bb) Wettbewerbsverbot des Franchisenehmers. Auch im Franchising gilt ein aus § 86 87 Abs. 1 abgeleitetes Verbot, demzufolge der Franchisenehmer während der Vertragsdauer zu dem Franchisegeber weder gegenständlich noch räumlich in Konkurrenz treten darf, und zwar weder selbst noch über Dritte 362. Meist wird ein solches Wettbewerbsverbot vertraglich unterstützt oder verstärkt. Beim Franchising steht insbesondere der Schutz des Know-hows des Franchisegebers im Vordergrund 363. Gerade um des Schutzes des Know-hows Willen gilt dieses Wettbewerbsverbot im gesamten Vertriebsgebiet des Franchisegebers und nicht nur in dem dem Franchisenehmer gegebenenfalls vertraglich zugewiesenen Gebiet 364. Rauser 365 weist darauf hin, es bedürfe nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, dass ein gut geschulter, mit systemspezifischen Know-how ausgestatteter Franchisenehmer leichter dazu in der Lage sei, das erworbene Wissen selbst oder durch Dritte zum Schaden des Franchisegebers und des gesamten Franchisesystems ohne örtliche Bindung gewinnbringend einzusetzen. (5) Umfang des Wettbewerbsverbots. Der HV darf ohne Zustimmung des Unterneh- 88 mers keinen weiteren Unternehmer vertreten, der mit dem bereits vertretenen Unternehmer im Wettbewerb steht 366 oder selbst als solcher tätig werden, weil ihn dies zumindest in einen Interessenwiderstreit bringen könnte, was für den Unternehmer ebenso nachteilig sein mag wie die Konkurrenztätigkeit selbst und damit gegen das Verbot der Nachteilszufügung verstößt 367. Ist eine solche Wettbewerbslage nicht gegeben, darf der HV andere Unternehmer auch ohne Einverständnis des Unternehmers vertreten. Grundsätzlich ist dem HV anderweitige wirtschaftliche Tätigkeit gestattet 368, auch als Vertragshändler, Franchisenehmer oder sonstiger Vertriebsmittler. Ein gesetzliches Tätigkeitsverbot für andere Unternehmen gibt es nicht 369. Der HV muss ausdrücklich als Einfirmenvertreter mit einem Tätigkeitsverbot verpflichtet werden, falls der Unternehmer sich die vollständige Arbeitskraft des HV sichern will 370. Ein Wettbewerbsverbot greift nur ein,

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Emde WRP 2005, 1492 (1496). Vgl. Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 677. OLG München, Urt. v. 15.05.1999 – 29 U 4446/98, EWiR 1999, 595 (Martinek), Rauser in: Metzlaff, Praxishandbuch Franchising, 2003, § 16 Rn 45; Giesler/Kroll in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 4 Rn 152; Küstner/Thume/Teutsch Außendienstrecht, Rn 1794; Skaupy Franchising, 2. Aufl. S. 180. Rauser in: Metzlaff, Praxishandbuch Franchising, 2003, § 16 Rn 48. Rauser in: Metzlaff, Praxishandbuch Franchising, 2003, § 16 Rn 50.

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Rauser in: Metzlaff, Praxishandbuch Franchising, 2003, § 16 Rn 50. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 18; Hopt § 86 Rn 26; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 86 Rn 33; Martinek/Flohr § 8 Rn 64; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 217 ff; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 42; v. Brunn AcP 1964, 487; Birkhahn BB 1961, 1351 und 1962, 1108; Leo BB 1962, 1106; Küstner/Thume I, Rn 458 ff. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 18. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 3a, 40. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 40. Prasse in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 2 Rn 254.

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soweit die Tätigkeit geeignet ist, die Interessen des Unternehmers zu verletzen 371. Davon ist zum einen auszugehen, wenn der HV selbst als Unternehmer tätig wird 372, zum anderen, wenn er einen Wettbewerber unterstützt und schließlich durch jedes Handeln, welches mittelbar oder unmittelbar die Interessen eines Konkurrenten stärkt 373. Konkurrenztätigkeit liegt mithin nicht nur im Vertrieb des Konkurrenzprodukts, sei es mit oder ohne förmliche Übernahme einer Konkurrenzvertretung, sondern in jeder sonstigen Hilfeleistung oder Unterstützung des Wettbewerbers und seines Produkts 374. Weil das Wettbewerbsverbot das vertragliche Vertrauensverhältnis sichern soll reicht schon die Möglichkeit oder der Anschein 375, dass die Interessen des Unternehmers durch Aufnahme der Konkurrenzvertretung berührt werden könnten aus, um eine Erlaubnis des Unternehmers erforderlich zu machen. Beispiele: Bürogemeinschaft mit dem Mittler eines Konkurrenten 376, das Angebot, für die Produkte eines Konkurrenten zu werben 377 oder die Handelsvertretung zu übernehmen 378. Dann liegt zudem der einen Wettbewerbsverstoß begründende Versuch einer Konkurrenztätigkeit vor. Darauf, ob die Dinge bis zu einer Schädigung, d.h. zu einem Absatzrückgang beim Unternehmer, gediehen sind, kommt es nicht an 379. Ein wettbewerbsförderndes Verhalten erfasst Versuch wie Vollendung. Dem Unternehmer, der aus seiner Sicht sich ein Urteil über die etwaigen Konkurrenzsituationen bei Erteilung der Erlaubnis zu bilden hätte, kann billigerweise nicht zugemutet werden, abzuwarten, ob und in welchem Umfange die Konkurrenzvertretung des HV zu einem Absatzrückgang führen wird; und dies um so weniger, als er nicht in der Lage zu sein pflegt, die Werbetätigkeit des HV bei dem Absatz der konkurrierenden Artikel zu kontrollieren 380. Allenfalls kann bei einem „Rücktritt vom Versuch“ ein zur Kündigung berechtigender Vertrauenswegfall fehlen. Bereits das Angebot auf Übernahme einer Wettbewerbsvertretung parallel zur Tätig89 keit für den anderen Unternehmer bildet eine Vertragsverletzung und nicht erst die tatsächliche Aufnahme der Tätigkeit 381. Die Übergänge zum allgemeinen Schädigungsverbot sind fließend. Das Wettbewerbsverbot regelt zudem nur das Wettbewerbsverhältnis zum Unternehmer, nicht zu dessen Kunden 382. Aus der Interessenwahrungspflicht kann sich – je nach der Situation – jedoch die Pflicht ergeben, Kunden des Unternehmers nicht zu schädigen 383. Zu weit geht die Auffassung von Schröder 384, der HV müsse zu einer jeden Erwerbs90 tätigkeit – also auch einer solchen ohne wettbewerblichen Einschlag –, die er neben seiner Vertretung übernehmen wolle, den Unternehmer um Erlaubnis fragen, wenn die Ausübung jener Tätigkeit den vollen Einsatz des HV beeinträchtigen könne. Diesen Inhalt 371

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BGHZ 42 49, 61 unter Anführung der vorausgegangenen Entscheidungen; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 34; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 3a, 40a. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 34. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 20. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 20; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 34. BGH, Urt. v. 20.01.1969 – VII ZR 60/66, VersR 1969, 372 (373); Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 20. BGH VersR 1969, 372 (373); Ebenroth/ Löwisch § 86 Rn 20; Hopt § 86 Rn 28.

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OLG Nürnberg BB 1961, 64; Ebenroth/ Löwisch § 86 Rn 20; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 44. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 20; Hopt § 86 Rn 28. BGH DB 1968, 211. Leo S. 1107. Prasse in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 2 Rn 259; Hopt § 86 Rn 28. Hopt § 86 Rn 26. Strenger zu Lasten des Unternehmers wohl OLG Köln HVR (02), 978; Hopt § 86 Rn 26. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 40a, 41.

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hat die Loyalitätspflicht nicht. In der Entscheidung BGH MDR 1954 606, auf die Schröder sich bezieht, ist das nicht gesagt. Der HV ist selbständiger Kaufmann und in seiner wirtschaftlichen Betätigung grundsätzlich unbeschränkt. Der HV-Vertrag als solcher verpflichtet ihn nicht dazu, so viel an Aufträgen hereinzuholen, wie ihm dies bei größter Anspannung möglich wäre: er hat sich um die Erzielung angemessener Ergebnisse zu bemühen. Solange er dies gewährleistet, ist der HV nicht gehindert, durch Aufnahme einer weiteren Erwerbstätigkeit sich sogar ein „Übersoll“ an Arbeit zuzumuten 385, es sei denn, die ordnungsgemäße Tätigkeit für die bisherigen Unternehmer wird offensichtlich beeinträchtigt 386. Das hat er selbst zu beurteilen und zu vertreten; Zwang zur vorsorglichen Einholung einer Erlaubnis beim Unternehmer, woraufhin er eine fristlose Kündigung nach § 89a zu gewärtigen hätte, falls sie nicht eingeholt worden ist, wäre mit seiner Selbständigkeit unvereinbar. Nur wenn der HV durch die weitere Tätigkeit mit dem Unternehmer in Konkurrenz treten würde, ist ein solcher Schritt geboten; darin liegt es nicht anders als bei der Aufnahme einer Konkurrenzvertretung (darüber s. sogleich). Zu großzügig ist andererseits die Ansicht von Birkhan 387, das Wettbewerbsverbot 91 beginne erst dort, wo der HV die Waren des einen Unternehmers herabsetze. Nach Meinung von Birkhan kann es im Sinne des Geschäftsherrn liegen, wenn der HV ein möglichst breites Sortiment – auch von anderen Unternehmern – vertritt und dem Kunden vorzulegen in der Lage ist, weil die dadurch gegebene Verbreiterung der Kontaktbasis letzten Endes allen beteiligten Unternehmern zugute komme. Gegen seine Ansicht sprechen zum einen Nachweisschwierigkeiten. Zum anderen muss der Unternehmer seinem HV uneingeschränkt vertrauen und jeden Informationsfluss zum Wettbewerber ausschließen können. Die Entscheidung des OLG Hamburg, auf die Birkhan sich berief, war problematisch und auch vereinzelt geblieben; ihre Bestätigung durch den BGH 388 ist denn auch nur im Hinblick auf die Besonderheit des Einzelfalles erfolgt, nicht dagegen wegen ihrer übrigen allgemein gehaltenen Thesen, die der BGH, wie die Fassung der Entscheidungsgründe des Revisionsurteils ergibt, eher ablehnen zu wollen scheint. Auch die grundsätzliche Kritik von Steindorff 389 am Wettbewerbsverbot, es könne nicht richtig sein, dass der Unternehmer ein Geschäft des HV zurückweisen dürfe, ohne dass der HV nun einen Wettbewerber vertreten könne, ist zwar auf den ersten Blick charmant, geht jedoch zu sehr vom Einzelfall aus 390, zumal der Unternehmer eben nicht schlechthin frei ist in der Ablehnung des vermittelten Geschäfts, sondern nur aus unternehmerisch vertretbaren Gründen ablehnen darf (zum Dispositionsrecht des Unternehmers § 86a Rn 42 ff), was wiederum der HV als sein Provisionsrisiko tragen muss. Will der HV eine gegen das Wettbewerbsverbot verstoßende Tätigkeit aufnehmen und verweigert der Unternehmer seine Zustimmung, darf der HV nicht aus wichtigem Grunde gem. § 89a kündigen 391. Gegen das Wettbewerbsverbot verstoßen etwa folgende Tätigkeiten: 92 – Abwerben anderer HV oder Personal des Geschäftsherrn zugunsten eines Wettbewerbers 392; – Angebot der Übernahme einer Wettbewerbstätigkeit 393; 385 386 387 388 389 390

OLG Frankfurt/Main MDR 1979, 761. Eberstein S. 70. S. 1353, 1354 (unter Berufung auf OLG Hamburg MDR 1955, 422. LM Art. 7 ff EGBGB [Deutsches Internationales Privatrecht] Nr. 1. S. 84 ff. Kritisch auch Röhricht/Graf v. Westphalen/ Küstner § 86 Rn 27.

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Differenzierend Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 40a. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 20; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 34. BGH WM 1977, 318; OLG Nürnberg BB 1961, 64; Hopt § 86 Rn 28.

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– Handeln als Aufkäufer auf eigene Rechnung, etwa wenn der HV Einkaufsvertreter ist (deshalb auch nicht durch „Selbsteintritt“ in das vermittelte Geschäft – keine analoge Anwendung des § 400); – Belieferung von Kunden eines Wettbewerbers 394; – Beratung eines Wettbewerbers 395; – Beteiligung an Wettbewerbern 396, auch als stiller Gesellschafter 397, wohl aber nicht bei rein kapitalmäßiger Beteiligung, z.B. mit unbedeutender Aktienbeteiligung; – Bürogemeinschaft mit Wettbewerber oder dessen Vertriebsmittler 398; – Gründung eines Wettbewerbsunternehmens; – Handeln als Großhändler oder Händler gleicher Vertriebsstufe; – Hilfsdienste für einen Wettbewerber 399, etwa Nachrichten, Beratung 400; – Kritik an der Ware des Geschäftsherrn verbunden mit gleichzeitigem Lob der Ware des Konkurrenten 401; – Tätigkeit als Organ einer Wettbewerbsartikel vertreibenden oder produzierenden Gesellschaft; – als Produzent 402; – Überlassen von Kundenlisten oder sonstigen der Geheimhaltung unterliegenden Informationen an einen Wettbewerber 403; – Überlassung von Geschäfts- oder Lagerräumen an einen Wettbewerber oder dessen Vertriebsmittler 404; – Vertretung eines Wettbewerbers 405; – Vorschieben anderer Personen zu Wettbewerbshandlungen, etwa der Ehefrau oder eines sog. Strohmannes 406; – Handeln als Werbeunternehmer oder in sonstigen Hilfsfunktionen 407 für Konkurrenzunternehmen; – sonstige (mittelbare) Förderung des Wettbewerbers 408; – Zuführung von HV an den Wettbewerber 409 (bei bloßen Freundschaftsdiensten fraglich).

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(a) Wettbewerbslage. Das Konkurrenzverbot besteht, sofern sachlich, räumlich und zeitlich in nicht unerheblichem Maße 410 eine Wettbewerbslage existiert 411. Jene ist nicht subjektiv aus der Sicht des Unternehmers, sondern objektiv zu bestimmen. Denn sonst regelten übertriebene Befindlichkeiten des Unternehmers den Umfang des Wettbewerbsverbots und nicht die tatsächliche Sachlage. Der Eintritt einer Schädigung beim Unter-

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Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 20. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 20; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 34. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 20. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 20. Prasse in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 261; Ebenroth/ Löwisch § 86 Rn 20; Hopt § 86 Rn 28. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 34. Hopt § 86 Rn 28. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 20. BGH DB 1958, 512. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 20.

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Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 20; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 34. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 42. OLG Hamm NJW-RR 1987, 1114; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 34. Maier S. 500. Prasse in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 2 Rn 260. Hopt § 86 Rn 28. Prasse in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 2 Rn 255. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 19.

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nehmer ist nicht erforderlich, da dem Unternehmer ein Abwarten bis zu deren Eintritt unzumutbar wäre 412. Die h.A. ist strenger zu Lasten des HV: Da der HV eigene Interessen gegenüber denen 94 des Unternehmers zurückzustellen habe, sei in Zweifelsfällen eine eher großzügige Wertung zugunsten des Unternehmers angebracht. Deshalb legt die Rechtsprechung bei der Beurteilung, ob eine Konkurrenzsituation vorliege, einen strengen Maßstab an 413. Unter Umständen genügt der Anschein einer Konkurrenztätigkeit 414 und die Möglichkeit einer Interessenberührung; in Zweifelsfällen entscheidet der Unternehmer 415, dem der Sachverhalt vollständig mitzuteilen und dessen Zustimmung einzuholen ist 416. Bei der Beurteilung solcher Zweifelsfälle ist zu berücksichtigen, dass weniger die Möglichkeit einer tatsächlichen Schädigung entscheidend ist als vielmehr die Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen Unternehmer und HV 417. Jedoch muss auch aus der Warte der h.A. die Wertung des Unternehmers objektiv nachzuvollziehen sein (Korrektiv) 418, nicht anders als etwa der Befangenheitsantrag gegenüber einem Richter, der aus subjektiver Wertung der Parteien objektiv durch einen Dritten nachvollzogen werden muss. Besteht keine Wettbewerbslage oder vertritt der HV mehrere Unternehmer mit in 95 Wettbewerb stehenden Produkten, hat der HV die Produkte jedes Unternehmers in gleicher Weise zu fördern und zu präsentieren 419. Er braucht aber nicht sein Urteil über Vorund Nachteile zu unterdrücken 420. Der HV ist in der Zuweisung des Geschäfts zu einem oder dem anderen Produkt nicht frei 421, sondern muss alle Unternehmer grundsätzlich gleich behandeln. (b) Sachlicher Geltungsbereich. Eine Konkurrenzlage besteht bei Austauschbarkeit – 96 Substituierbarkeit – der Produkte aus der Sicht des Verbrauchers (Kunden) 422 auf dem sachlich relevanten Markt 423, oder umständlicher: Die Wettbewerbslage besteht in sachlicher Hinsicht zwischen den vom HV vertragsgemäß zu vertreibenden Produkten (Waren oder Dienstleistungen) des Unternehmers und denjenigen seiner Konkurrenten, welche aus Sicht potentieller Abnehmer die Aufgaben und Zwecke der Produkte des Unternehmers ebenfalls erfüllen können 424 (gattungsmäßige Gleichheit). Absolute Identität, Gleichartigkeit oder Vergleichbarkeit der Waren nach Preis, Aussehen oder Qualität bzw. Überschneidung der Angebotspalette sind nicht erforderlich 425. Entscheidend bleibt, ob aus Sicht der Kunden Wettbewerb besteht, weil diese bereit sein können, anstelle der Produkte des Unternehmers auf diejenigen des Konkurrenten zuzugreifen 426. Damit scheidet eine Konkurrenzlage in sachlicher Hinsicht nur hinsichtlich solcher Waren aus, 412 413 414 415

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BGH DB 1968, 211. Küstner/Thume I, Rn 464; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 218. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 20. Prasse in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 2 Rn 258; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 25; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 42. BGH DB 1958, 512; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 25. BGH BB 1968, 60; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 218. Siehe Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 25 „der subjektive Standpunkt des Unternehmers müsse eine beachtliche objektive Grundlage haben“.

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Hopt § 86 Rn 24. BGH v. 27.02.1976; zit. nach v. Gamm NJW 1979, 2491; Hopt § 86 Rn 24. Hopt § 86 Rn 24. Prasse in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 2 Rn 255; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 19. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 19. OLG München BB 1955, 714; OLG Celle BB 1970, 228; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 19; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 86 Rn 35. BGH DB 1958, 512; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 19. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 19.

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bei denen die Gefahr einer Verdrängung des Unternehmers vom Markt nicht in Betracht kommt 427, etwa weil sie von der Funktion her ganz unterschiedlichen Anforderungen genügen müssen oder sich an verschiedenartige, nicht austauschbare Kundenkreise wenden 428. Ferner greift die auch aus § 90a bekannte Beschränkung auf die Geschäfte ein, welche der HV nach dem Vertrag zu vermitteln oder abzuschließen hat 429. Das Verbot bezieht sich daher nicht auf sämtliche Artikel und Leistungen des Unternehmers 430. Nach der kartellrechtlichen Definition des Art. 1 lit. b GVO 2790/99 sind Wettbewerbsverbote alle unmittelbaren oder mittelbaren Verpflichtungen, die den Vertriebsmittler veranlassen, keine Waren oder Dienstleistungen herzustellen, zu beziehen, zu verkaufen oder weiterzuverkaufen, die mit den Vertragswaren oder -dienstleistungen im Wettbewerb stehen sowie alle unmittelbaren oder mittelbaren Verpflichtungen des Mittlers, mehr als 80 % seiner auf der Grundlage des Einkaufswertes der vorherigen Kalenderjahre berechneten gesamten Einkäufe von Vertragswaren oder -dienstleistungen sowie ihrer Substitute auf dem relevanten Markt vom Unternehmer oder einem anderen vom Unternehmer bezeichneten Unternehmen zu beziehen. Diese kartellrechtliche Regelung ist im HV-Recht nicht unmittelbar maßgeblich, kann aber in Zweifelsfällen bei der Auslegung berücksichtigt werden. Durch den Absatz nicht miteinander konkurrierender Produkte in einem gleichartigen Vertriebssystem entsteht keine Konkurrenzlage 431. Nach einer Ansicht genügt die Überschneidung oder besser: Substituierbarkeit hin97 sichtlich einzelner Teile des Sortiments 432 aus der Sicht des Verbrauchers, und zwar sogar dann, wenn das konkret vertriebene Sortiment vom Unternehmer nicht produziert wird 433. Richtig ist, dass gegenständlich und wirtschaftlich unbedeutende Überschneidungen nach Abnehmerkreis, Qualität, Preis und Verwendungszweck 434 außer Betracht bleiben. Positiv gewendet: Genügend ist die Substituierbarkeit hinsichtlich einzelner, jedoch nicht ganz unbedeutender Teile 435 des Sortiments 436. Identität, Gleichartigkeit, Vergleichbarkeit der Waren nach Abnehmerkreis, Preis, Ausstattung, Güte oder Qualität sind dabei Indikatoren für die Substituierbarkeit, absolute Gleichheit ist nicht erforderlich 437. Werden die Produkte an völlig separate Kundenkreise vertrieben und besteht keine Chance der Umwerbung, existiert keine Wettbewerbslage 438. Ist der HV mit der Vertretung nur eines Sektors aus dem Lieferprogramm seines Unternehmers betraut, bleibt er an der Aufnahme einer Konkurrenztätigkeit für die übrigen Bereiche nicht gehindert 439. Bei überschneidenden Produktionsprogrammen des Unternehmers fehlt mithin

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Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 19; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 42. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 19; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 17; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 35. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 35. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 35. OLG München NJW-RR 1995, 292 (293); Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 19. OLG Düsseldorf OLGR 1999, 53; Ebenroth/ Löwisch § 86 Rn 19; Hopt § 86 Rn 27; aA MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 38. Hopt § 86 Rn 27; aA MünchKommHGB/

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v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 38 (wohl zu weitgehend). Prasse in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 2 Rn 255. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 24. BGH HVR Nr. 164; OLG Düsseldorf OLGR 1999, 53; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 19. OLG Celle BB 1970, 228; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 204; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 35; aA wohl 4. Aufl., § 86 Rn 37. Maier BB 1979, 500 (501); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 35. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 38.

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§ 86

eine Wettbewerbstätigkeit, falls der HV für einen Unternehmer, der die Artikel A, B und C herstellt, nur den Artikel A und für den Konkurrenten, der die Artikel B, C und D herstellt, nur den Artikel D verkauft 440. Will der Unternehmer auch derartiges unterbinden, muss er sich das im Vertrag ausbedingen. Allerdings sind auch hier besondere Fallgestaltungen denkbar, in denen die erwerbswirtschaftliche Betätigung des HV auf anderen Feldern die Belange des Unternehmers so empfindlich schädigt, dass dies auf die Bereiche „durchschlägt“, mit deren Vertretung im engeren der HV betraut ist: dann hat er auch einen so sich auswirkenden Wettbewerb zu unterlassen 441. Entscheidend ist nicht, welche Waren der Wettbewerber „sonst noch“ vertreibt, sondern ob – wenn auch nur in einem nicht unwesentlichen Teilbereich – eine Wettbewerbslage existiert. Anderenfalls wären Wettbewerber mit breiter Produktpalette bevorzugt. Immer ist aber auf die Produkte des jeweils vertretenen Unternehmens abzustellen, nicht auf die Produktpalette eines mit ihm verbundenen Unternehmens. Denn sofern der HV keine Vorteile aus der Vertretung der verbundenen Unternehmen ziehen kann, darf ihm auch nicht der Nachteil des Wettbewerbsverbots obliegen. Bleiben die vom HV vertriebenen anderen Artikel wettbewerbsneutral, so wird der Vertrieb noch nicht ohne weiteres dadurch zum unzulässigen, dass er den fremden Auftraggeber wirtschaftlich gegenüber dem eigenen Unternehmer des HV zu stärken vermag 442. Bei sachlicher Überschneidung ist die räumliche Nähe der Wettbewerbshandlung zu 98 dem Geschäftslokal des Mittlers irrelevant: Zum Wettbewerbsverstoß genügt etwa der Vertrieb eines Wettbewerbsprodukts in einer 70 km entfernten Werkstatt an einem nicht mehr im Einzugsbereich der für den Unternehmer betriebenen Tankstelle belegenen Ort. Entscheidend bleibt die Störung des Vertrauensverhältnisses zum Unternehmer 443. Ob zukünftige Produkte des Unternehmers durch das Wettbewerbsverbot geschützt sind, hängt davon ab, ob sie zu den vom HV zu vertreibenden gehören. Das ist – wie oben, Rn 21 ausgeführt, regelmäßig der Fall 444. Nach diesen Maßstäben soll in folgenden Fällen eine Überschneidung vorliegen: 99 – Bei einer Blusenkollektion, die sich im Hinblick auf mehrere Artikel mit den vom vertretenen Unternehmen vertriebenen Blusen in Genre und Preisklasse überschnitt 445; – Bei Vertrieb von beiden Unternehmen verkaufter Zubehörteile, selbst wenn jene weder mengen- noch preismäßig ins Gewicht fielen 446 (zwh.; da wohl nur eine unbedeutende Überschneidung der Produktpalette vorlag). Zumindest kann es nach den Umständen des Einzelfalles Treu und Glauben widersprechen, falls der Unternehmer den HV-Vertrag im Falle einer lediglich ganz geringen Überschneidung außerordentlich kündigt 447; – bei der Vermittlung von Rostschutzfarben, selbst wenn hier der Unternehmer seine Rostschutzfarbe auf unterschiedlicher Rohstoffgrundlage herstellte 448; – Beim Vertrieb von Konkurrenzware, bei der es sich um eine „Marktlücke“ handelt, weil der entsprechende Abnehmerkreis vom bisher vertretenen Unternehmen nicht bearbeitet wird. Denn es sei die Pflicht des HV, derartige „Marktlücken“ in werbender Tätigkeit für die Erzeugnisse des vertretenen Unternehmens nutzbar zu machen 449.

440

441 442 443 444

MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 38; aA OLG Düsseldorf OLGR 1999, 53; Hopt § 86 Rn 27; Ebenroth/ Löwisch § 86 Rn 19. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 42, 42a. Maier S. 501. BGH MDR 1977, 289. Siehe Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 19.

445 446

447 448 449

BGH HVR Nr. 164. BGH v. 21.10.63 – VII ZR 103/62; zitiert nach Küstner/Thume I, Rn 474; ähnlich OLG Celle BB 1970, 228. BGH BB 1968, 60 = DB 1968, 211. BGH v. 21.03.66 – VII ZR 116/64; zit. nach Küstner/Thume I, Rn 480. OLG Celle BB 1970, 228.

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Jedoch dürfte anders zu entscheiden sein, falls der Unternehmer nach Hinweis des HV bewusst auf die Nutzung der Marktchance verzichtete. Denn dann liegt eine bewusste Auslassung des Produktionsprogramms vor; – Im Falle des Vertriebs von Weinen der unteren und mittleren Mosel 450. Eine Konkurrenztätigkeit wurde dagegen verneint: 100 – Beim Vertrieb einerseits von Kühlschränken für Privathaushalte und andererseits von Kühlschränken für die Gastronomie 451; – Wenn der HV einerseits von dem Wettbewerber A lediglich das Produkt 1 vertritt, von dem Wettbewerber B jedoch nur das Produkt 2 452. Begründung: Auch hier interessiert nicht, welche Produkte der Wettbewerber „ansonsten“ außerhalb des vertraglich zum Vertrieb vorgesehenen Programms herstellt. Eine unzulässige Konkurrenz liegt jedoch vor, sofern der HV auch Waren übernimmt, die beide Unternehmer herstellen; – Bei Vertrieb einerseits eleganter Damenschuhe mit hohen Absätzen und andererseits Damenschuhen sportlicher Machart mit flachen Absätzen (unterschiedlicher Verwendungszweck) 453. Wie auch sonst gilt: Im Zweifel gebieten Interessenwahrnehmungspflicht sowie wech101 selseitige Treupflichten es dem HV, den Unternehmer zu fragen, ob gegen die beabsichtigte Übernahme der Vertretung etwas einzuwenden ist 454 und bis zu einer unverzüglichen Antwort die Vertretung des anderen Unternehmers zu unterlassen. Jedoch kommt es auf die tatsächliche Rechts- und Sachlage und nicht das subjektive Befinden des Unternehmers an, ob die Wettbewerbstätigkeit zulässig oder unzulässig. Da jedoch bereits der Anschein einer Verletzung der Interessenwahrnehmungspflicht schädlich ist, und jener in Zweifelsfällen eingreifen kann, muss der HV vorsichtig sein. Dass jedoch in allen Zweifelsfällen, in denen der Unternehmer die Tätigkeit des HV nicht gestattet, jene (auf Dauer) zu unterlassen ist 455, verkürzt die Rechtsposition des HV zu sehr. Zeigt der Unternehmer sich nach gehöriger Aufklärung darüber, dass der beanstandete Vertrieb in Wahrheit wettbewerbsneutral ist, unnachgiebig und beharrt er auf seiner ablehnenden Haltung, so hat der HV Grund, nach ergebnisloser Abmahnung fristlos zu kündigen. Er darf aber statt dessen auch die Weigerung des Unternehmers als unverbindlich behandeln und sie unbeachtet lassen, tut das allerdings, wenn der Unternehmer daraufhin Konsequenzen zieht und es darüber zum Prozess kommt, auf sein Risiko.

102

(c) Räumlicher Geltungsbereich. Nach h.A. soll sich das Wettbewerbsverbot räumlich auf das gesamte Gebiet, in welchem der Unternehmer seine Produkte vertreibt und über das eigene Einzugsgebiet oder den Bezirk 456 des HV hinaus erstrecken 457. Erkenn450 451 452 453

454

OLG München HVR Nr. 107; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 42. OLG München BB 1983, 1835; Thume BB 1994, 2358. Küstner/Thume I, Rn 477. BGH, Urt. v. 25.04.1966 – VII ZR 89/64; zitiert nach Küstner/Thume I, Rn 480; aA 4. Aufl., § 86 Rn 37; Begründung: Es bestehe immer die Gefahr, dass der Käufer der Damensportschuhe wegen ihrer guten Qualität sich später auch für die von B hergestellten oder demnächst herzustellenden hochhackigen Damenschuhe interessiere. BGH v. 25.03.1985, BB 1985, 425, DB 1958, 512, ähnlich schon MDR 1954, 606; OLG

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455 456 457

München BB 1956, 20; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 22. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 22. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 43a. BGH, Urt. v. 19.11.1976 – I ZR 84/75, MDR 1977, 289 (290); Prasse in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 2 Rn 255; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 19; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 17; Hopt § 86 Rn 27; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 43a; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 227; aA (nur auf den Vertreterbezirk) Maier BB 1979, 500 (501); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 37.

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bar bevorstehende 458 und naheliegende 459 Produkt-, Gebiets- oder Kundenerweiterungen werden mitumfasst; jedoch nicht unbestimmte „potentielle“ Produkterweiterungen 460. Auch Vertriebsgebiete, in denen der Unternehmer zwar bislang nicht tätig ist aber eine solche Tätigkeit plant, können damit für den HV gesperrt sein, nämlich dann, wenn dem HV die baldige Aufnahme des Vertriebs in diesem Bereich erkennbar ist 461. Diese weite räumliche Erstreckung erscheint prima vista ungerecht, weil der Unter- 103 nehmer über den örtlichen Geltungsbereich des Vertriebsvertrages mitbestimmt und es daher auch ihm zuzurechnen ist, falls ein bestimmter HV lediglich einen Teilbereich des gesamten Vertriebsbereiches betreut. Die Ansicht bildet zudem eine nicht erklärte Abweichung zum nachvertraglichen Wettbewerbsverbot des § 90a. Vertretbar wäre auch Folgendes anzunehmen: Sofern der HV nur einen kleinen Bezirk bearbeitet und lediglich aus ihm Vorteile ziehen kann, soll er nicht daran gehindert sein, an anderer Stelle für einen Wettbewerber des Unternehmers aquisitorisch tätig zu werden 462. Jedoch ist auch zu berücksichtigen, dass Vertrauen unteilbar ist. Bei realistischer 104 Betrachtung könnte nämlich ein objektiver Dritter nicht ausschließen, der HV werde die in einem Vertriebsgebiet erhaltenen internen Informationen zu den Produkten eines Wettbewerbes in dem anderen Vertriebsgebiet nutzen oder ein Geschäft dorthin verlagern, wo es für ihn am vorteilhaftesten ist. Das gilt insbesondere, wenn das Vertriebssystem des Unternehmers auf spezifischem know-how aufbaut, etwa in franchiseähnlichen Vertriebssystemen. Folglich hat ein objektiver Unternehmer durchaus ein Interesse daran, dass „sein“ HV Waren eines Wettbewerbers überhaupt nicht, also auch nicht in anderen Vertriebsgebieten, vertreibt 463. Ausnahmen sind vorstellbar, jedoch wenig praktisch. Zu denken wäre an eine Ausnahme etwa dann, wenn die betroffenen Märkte vollkommen verschieden und die Informationen eines Vertriebsgebietes deshalb in dem anderen Vertriebsgebiet wertlos sind. Im Ergebnis kommt es auf den Einzelfall an, weil die Interessenwahrungspflicht trotz zulässiger, geringer Generalisierungen immer auf den Einzelfall abstellt. Außerhalb des Vertriebsgebiets seines Unternehmers darf der HV – als Grundregel – 105 für einen anderen Unternehmer tätig werden. Jedoch könnte man auch hier je nach den maßgeblichen Tatsachen eine gegenteilige Ansicht vertreten. Denn der HV erhält aus seiner Tätigkeit für den einen Unternehmer Informationen, mit denen er die Geschäfte des anderen Unternehmers außerhalb des Vertriebsgebietes des ersten Unternehmers fördert. Dass er dessen wirtschaftliche Stärke („economy by scale“) unterstützt, was die Wettbewerbsfähigkeit auch außerhalb des dem HV zugewiesenen Bezirks stärkt, ist dagegen grundsätzlich zulässig. Es liegt zwar eine generelle Förderung der Geschäfte des zweiten Unternehmers vor, die mittelbar die Wettbewerbsposition auch auf dem von beiden Unternehmern beworbenen Markt unterstützt, sie ist jedoch grundsätzlich zulässig. Auch hier kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an, wobei jedoch angesichts der bewussten Beschränkung des ersten Unternehmers auf einen kleineren Markt eine Vermutung dafür sprechen sollte, dem HV die Werbung für die Produkte des zweiten Unternehmers mit größerem Vertriebsgebiet zu gestatten. (d) Zeitlicher Geltungsbereich des Wettbewerbsverbots. Das gesetzliche Konkurrenz- 106 verbot greift wie die gesamte Interessenwahrnehmungspflicht nur vertragsbegleitend ein. 458 459 460 461

Hopt § 86 Rn 27. AA Hopt § 86 Rn 27. AA Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 19. Ähnlich Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 19.

462 463

So auch MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 86 Rn 37. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 19.

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Es endet daher mit der rechtlichen Vertragsbeendigung 464. Ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot dagegen muss von den Parteien vereinbart werden 465. Wurde der HV-Vertrag unwirksam gekündigt, hat der HV das Wettbewerbsverbot beachten, weil er weiterhin allen Vertragspflichten unterliegt 466. Das gilt auch (aber § 242 BGB) falls der Unternehmer eindeutig unberechtigt kündigt und die Dienste des HV ablehnt 467. Will der HV diese Folge vermeiden, muss er die unwirksame Kündigung (ggf. nach Abmahnung) selbst zum Anlass einer – ausgleichserhaltenden – Kündigung aus wichtigem Grund nehmen. Ebenso trägt der HV das Risiko und die Folgen einer verbotenen Wettbewerbstätigkeit, sofern er eine Konkurrenztätigkeit aufnimmt, obwohl der Unternehmer die vom HV ausgesprochene außerordentliche Kündigung für unwirksam hält 468. Bleibt der HV nach der Kündigung eines Vertriebsgebietes noch in einem anderen Vertriebsgebiet für den Unternehmer tätig, unterliegt er auch im ehemaligen Vertriebsgebiet selbst ohne nachvertragliches Wettbewerbsverbot einem aus der Interessenwahrungspflicht hergeleiteten Wettbewerbsverbot Rn 102 ff). Denn wie ausgeführt erstreckt sich das aus der Interessenwahrungspflicht hergeleitete Wettbewerbsverbot auf das gesamte Verkaufsgebiet des Unternehmers. Auch im Falle einer Freistellung des HV von weiterer Tätigkeit gilt das Wettbewerbsverbot bis zum Vertragsende 469. Keine Wettbewerbshandlung stellt die vertragsbegleitende Suche nach einer Nach107 folgetätigkeit sowie der Abschluss eines sie betreffenden Vertrages dar. Diese Vorsorge für die Zeit nach Vertragsende muss der Unternehmer hinnehmen; ein Misstrauensbeweis ist hierin nicht zu finden, weil der HV ohne dahingehende Vereinbarung keinem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot unterliegt und einen Anschlussvertrag suchen darf und muss, um einen nahtlosen Übergang sicherzustellen. Dies ist gerade Zweck der Kündigungsfrist, wobei der HV mit seiner Suche nicht auf diese beschränkt ist. Der HV darf die beabsichtigte Konkurrenztätigkeit aber erst nach Beendigung seines Vertrags aufnehmen 470. Die Befürchtung des Unternehmers, der sich um einen Folgevertrag bemühende HV werde bis zum Vertragsende seine Interessen nicht mehr mit vollem Einsatz wahrnehmen, rechtfertigt die Annahme einer Pflichtverletzung nicht 471. In Vertragshändlerverträgen, Franchiseverträgen oder unechten HV-Verträgen (dazu 108 vor § 84 Rn 141 ff) verstößt ein Wettbewerbsverbot gegen Art. 81 EG. Art. 5 lit. a GVO 2790/99 stellt lediglich Wettbewerbsverbote bis zu einer Höchstdauer von fünf Jahren von dem Verbot des Art. 81 EG frei. Dass in Deutschland § 86 ein unlimitiertes, vertragsbegleitendes Wettbewerbsverbot entnommen wird, schließt die Nichtigkeit nach Art. 81 EG nicht aus. Art. 81 EG i.V.m. Art. 5 lit. a GVO 2790/99 verdrängt das zeitlich unbegrenzte Wettbewerbsverbot des § 86 im Wege der kartellrechtlichen Spezialität 472. 464 465 466

Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 23. Küstner/Thume I, Rn 459; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 217. BGH, Urt. v. 30.6.1954 – II ZR 26/53, BB 1954, 647 (648); BGH NJW-RR 1992, 481 (482); BGH, Urt. v. 12.03.2003 – VIII ZR 197/02, VersR 2003, 856 = BB 2003, 1253 = NJW-RR 2003, 981 = NJW 2003, 2677 (LS) = WM 2003, 2103 = EWiR 2003, 973 (Albicker); Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 60, § 86 Rn 23; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene, § 89a Rn 78; Schlegelberger/ Schröder, § 89a Rn 6a, 20a, § 86 Rn 42a; Hoss DB 1997, 1818 ff.

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467 468 469 470

471 472

AA OLG Köln HVR (02) Nr. 978; Hopt § 86 Rn 28. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 23. Küstner/Thume I, Rn 513. BGH, Urt. v. 03.04.1996 – VIII ZR 3/95, ZIP 1996, 1006 (1008); BGHZ 42, 59 (62); OLG München VersR 1957, 97; Ebenroth/ Löwisch § 86 Rn 21, § 89 Rn 29; Hopt Rn 26; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 43b, § 89 Rn 32. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 21. Emde WRP 2005, 1492 ff.

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Nach Ablauf der Fünfjahresfrist setzt sich deshalb ein vertragliches Wettbewerbsverbot auch nicht als solches dispositiven Rechts fort 473. Die Unwirksamkeit des Wettbewerbsverbots wird nur abgewendet, falls gem. Art. 81 Abs. 3 EG die positiven Effizienzgewinne die aus dem Wettbewerbsverbot entstehenden Nachteile überwiegen. Mögliche Fallgruppen hat die Kommission in Tz. 143, 115 ff der Leitlinien zur GVO 2790/99 beschrieben. In echten HV-Verträgen (Vor § 84 Rn 193 ff) ist hingegen auch ein fünf Jahre übersteigendes Wettbewerbsverbot unbedenklich. (6) Nachträgliches Entstehen einer Wettbewerbssituation (a) Allgemeines. Konkurrenzsituationen können sich auch nachträglich und ohne 109 Zutun des HV entwickeln. Der HV hat, als Beispiel, zwei Unternehmen zu vertreten, deren Erzeugnisse (noch) nicht im Wettbewerb stehen; nachträglich nimmt einer von beiden Artikel in sein Produktionsprogramm auf, die nunmehr mit denen des anderen Unternehmers konkurrieren 474. Das Risiko des nachträglichen Entstehens der Wettbewerbssituation ist im Verhältnis zwischen dem seine Produktpalette erweiternden Unternehmer und dem HV zu klären, wobei das Veranlasserprinzip zu beachten ist: Das Risiko der Produkterweiterung trägt in erster Linie der erweiternde Unternehmer, erst in zweiter Linie der mit ihm in Vertragsbeziehungen stehende HV. Der nicht erweiternde Unternehmer ist hingegen in keiner Beziehung „Risikoveranlasser“. Diese Wertung ist bei der Untersuchung der Rechtsfolgen einer solchen Erweiterung zu berücksichtigen. Grundsätzlich ist der HV – je nach den Verhältnissen des einzelnen HV-Vertrags – 110 berechtigt und verpflichtet, bei Ausweitung der Produktpalette eines Unternehmers auch die neu eingeführten Produkte zu vertreiben, wenn sie mit den bisher vertriebenen Produkten verwandt sind (Rn 21). Nur im Falle einer solchen Verwandtschaft und der Verpflichtung zur Übernahme der Vertretung dieser Produkte kann es zu Konfliktsituationen kommen. Nicht verwandte Produkte braucht der HV nicht zu vertreiben. Hier muss dem HV von dem Unternehmer, dessen Artikel die zeitliche Priorität in der Vertretung genießen, Gelegenheit gegeben werden, das Vertragsverhältnis zu dem sein Sortiment erweiterndem Unternehmer zu ordnen, notfalls durch Kündigung (aus begründetem Anlass durch Verhalten des Unternehmers: § 89b Abs. 3 – ausgleichspflichtig! –) zu lösen, ehe er seinerseits Maßnahmen wegen nichtgestatteten Wettbewerbs ergreift 475. Der HV muss zunächst versuchen, dass Einverständnis beider betroffener Unternehmer zur Vertretung einzuholen 476. Sind die Unternehmer nach Rückfrage nicht bereit, die neu eingetretene Wettbewerbssituation zu dulden, muss der HV entscheiden, welche Vertretung er kündigt, um die Wettbewerbssituation aufzulösen 477. Dabei ist der HV nicht nach dem Prioritätsprinzip gehalten, immer die später über- 111 nommene Vertretung oder die des erweiternden Unternehmens zu kündigen 478. Der so verstandene Gesichtspunkt der Priorität ist kein sachgerechter, um den Konflikt aufzulösen. Der HV darf vielmehr jedem Unternehmer ordentlich kündigen, sofern das ordentliche Kündigungsrecht nicht wegen einer Festlaufzeit ausgeschlossen ist. Je nachdem, 473 474

475

Emde BB 2006, 1061 (1066). Siehe BGH DB 1960, 1305 und LG Frankfurt/Main DB 1966, 499; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 19; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 36. BGH, Urt. v. 27.02.1976 – I ZR 16/75, zitiert bei v. Gamm NJW 1979, 2491 zu Fn 21.

476 477 478

Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 42. Vgl. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 19. So aber Prasse in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 2 Rn 257; Ebenroth/ Löwisch § 86 Rn 19.

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wem der HV kündigt kann er jedoch seinen Ausgleichsanspruch verlieren: Kündigt er die Vertretung mit dem nicht erweiternden Unternehmer, so verliert er seinen Ausgleichsanspruch (§ 89b Abs. 3 Nr. 1) 479. Kündigt der HV gegenüber dem seine Produktpalette erweiternden Unternehmer, stellt die Produkterweiterung für eine solche Kündigung dagegen einen begründeten Anlass im Sinne des § 89b Abs. 3 Nr. 1 dar, so dass der HV seinen Ausgleich nicht verliert 480. Für die Ausgleichsfrage entscheidend ist also, welcher Unternehmer den Konflikt herbeigeführt hat. Ihm gegenüber darf als Risikoveranlasser ausgleichserhaltend gekündigt werden 481. Wusste der HV von einer bevorstehenden Produkterweiterung eines Unternehmers, darf er keine Zweitvertretung für solche Produkte aufnehmen, in die der Unternehmer erweitern will. Insbesondere steht ihm dann kein ausgleichserhaltendes Kündigungsrecht gegenüber dem erweiternden Unternehmer zu. Ein ausgleichserhaltender begründeter Anlass zur Kündigung durch den HV besteht 112 nach Ansicht des BGH 482 selbst dann, wenn der erweiternde Unternehmer dem HV anbietet, das im Wettbewerb stehende Produkt durch einen anderen HV vertreiben zu lassen. Eine konfliktfreie Doppelvertretung sei in diesem Fall ausgeschlossen. Zudem muss der HV befürchten, dass durch die Tätigkeit des anderen HV der Vertrieb auf diesen übergeleitet wird. Bei der Ausgleichsberechnung ist unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit (§ 89b Abs. 1 Nr. 3) die Vertretung des Konkurrenten gegebenenfalls zu berücksichtigen 483. Gegenüber dem erweiternden Unternehmer ist meist eine außerordentliche Kündi113 gung nach § 89a zulässig 484. Der nicht erweiternde Unternehmer muss dem HV Gelegenheit zu einer solchen Kündigung gegenüber dem Risikoveranlasser geben, ehe er dem HV wegen Verstoßes gegen das Wettbewerbsverbot kündigt. Wartet der HV zu lange und ist dieses Zuwarten dem nicht erweiternden Unternehmer unzumutbar, riskiert der HV die ausgleichsschädliche außerordentliche Kündigung durch den nicht erweiternden Unternehmer. Regelmäßig ist der HV also zur außerordentlichen Kündigung gehalten, es sei denn, dem Unternehmer ist ein Zuwarten bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar. Der erweiternde Unternehmer, der den Konflikt herbeigeführt hat, darf ohnehin nicht kündigen (Rechtsgedanke der §§ 242, 161 BGB). Natürlich können auch andere Gesichtspunkte bedeutend sein, etwa die wirtschaftliche Bedeutung der Vertretung für den Mittler. Eine feste Regel gibt es nicht. Letztlich entscheidet der HV, wem er kündigt. Er muss aber die Folgen (ggf. Ausgleichsverlust) tragen. Da es für einen wichtigen Grund nicht auf ein schuldhaftes Verhalten ankommt kann ein solcher sogar gegenüber beiden Unternehmer bestehen 485. Schadenersatzansprüche gegenüber dem kündigenden HV darf der sein Produktions114 programm erweiternde, außerordentlich gekündigte Unternehmer nicht erheben. Dies 479 480 481 482 483 484

Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 42. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 19; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 5a, 42. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 36. BGH BB 1987, 221 = MDR 1987, 376 = NJW 1987, 778. BGH VersR 1961, 52 (54). Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 19; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 17; Hopt § 86 Rn 27; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 36; Schlegelberger/ Schröder § 86 Rn 5a; aA LG Frankfurt/

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485

Main DB 1966, 499 = HVR Nr. 371: Unzulässigkeit der Kündigung. Der erweiternde Unternehmer hat gleichwohl keinen Anspruch auf Schadenersatz, weil sich der Vertreter unter dem Gesichtspunkt der Druckkündigung in einer notstandsähnlichen Situation befunden hat, so dass es zumindest am Verschulden des Vertreters fehlt. Denn das Risiko der Erweiterung des Produktprogramms trägt allein der erweiternde Unternehmer (s.o.). AA Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 19: Nur gegenüber dem das Sortiment Erweiternden.

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gilt wohl auch in Fällen, in welchen der Mittler die den Konflikt auslösende Vertretung in Kenntnis des entstehenden Konfliktes übernahm. Zumindest darf ihm die (keine Schadenersatzansprüche auslösende) ordentliche Kündigung nicht verwehrt sein. (b) Konzernfälle. Eine Wettbewerbssituation kann nachträglich durch Konzernnie- 115 rung, Spaltung eines Unternehmens oder dessen wirtschaftliche Entflechtung entstehen. Vertritt beispielsweise ein HV im allseitigen Einvernehmen zwei Unternehmen, die durch einen gemeinsamen Gesellschafter und einen gemeinsamen Geschäftsführer verbunden sind und entwickeln sich diese Unternehmen auseinander, sodass nicht nur formell sondern auch wirtschaftlich eine Wettbewerbssituation entsteht 486, obliegt es den Unternehmen die Wettbewerbssituation aufzulösen, notfalls durch Kündigung des HV-Vertrages 487. Der HV braucht nicht zu handeln und verstößt auch nicht gegen das Wettbewerbsverbot. Denn ursprünglich akzeptiertes und damit vertragsgemäßes Handeln wird durch eine allein im Einflussbereich des Unternehmers liegende Strukturmaßnahme nicht unrechtmäßig. Kündigt der Unternehmer, fehlt es an einem die außerordentliche Kündigung rechtfertigenden schuldhaften Verhalten des HV i.S.d. § 89b Abs. 3 Nr. 2, sodass der HV den Ausgleich fordern kann. Verschmelzen zwei HV-Unternehmen, so haben sie im Falle einer ergebnislosen 116 Abstimmung mit den Unternehmern einen aus der Verschmelzung resultierenden Verstoß gegen das Wettbewerbsverbot durch – ausgleichsvernichtende – Kündigung einer der im Wettbewerb stehenden Vertretungen zu beenden. Ob im Falle einer Konzernierung und Steuerung beider Handelsvertretungen lediglich durch eine gemeinsame Holding gleich zu entscheiden ist, hängt von den tatsächlichen Umständen ab. Im Zweifel spricht einiges dafür, dass auch bei einer solchen Struktur das Vertrauen des Unternehmers beeinträchtigt ist, mithin ein Verstoß gegen das Wettbewerbsverbot eintritt. Dem kann durch personell-wirtschaftliche Separierung beider Vertretungen entgegengewirkt werden. Treten sich beide HV-Gesellschaften auf dem Markt wie unabhängige Wettbewerber gegenüber, mag eine Verletzung des Konkurrenzverbotes ausscheiden. (7) Vertragliche Regelung des Wettbewerbsverbots. Vertragliche Regelungen des 117 Wettbewerbsverbots sind zulässig, da sie nicht den Kernbereich der Interessenwahrungspflicht und damit den Unabdingbarkeitsgrundsatz berühren. Solche Vereinbarungen unterteilen sich in die vertragliche Gestattung des Wettbewerbsverbots (Rn 118 ff) und die spiegelbildliche vertragliche Begründung des Wettbewerbsverbots (Rn 122 ff). (a) Gestattung der Wettbewerbstätigkeit. Der Unternehmer darf dem HV die Tätig- 118 keit für Wettbewerber gestatten 488, und zwar sowohl ausdrücklich wie konkludent 489. Sofern nicht anders erklärt, handelt es sich bei einer Gestattung nach Vertragsschluss im Zweifel rechtstechnisch um eine Vertragsänderung, die nicht einseitig zurückgenommen werden kann 490. Ein Anspruch des HV auf Erlaubnis existiert nicht 491, auch nicht, wenn erhebliche Schäden des HV drohen 492. Der Unternehmer darf seine Zustimmung aber nicht willkürlich versagen und muss die schutzwürdigen Interessen des HV bei seiner

486 487 488

Siehe Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 29 f. OLG Zweibrücken HVR Nr. 327; Küstner/ Thume I, Rn 511. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 24; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 18; Hopt

489 490 491 492

§ 86 Rn 28, 30; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 40, 65. Hopt § 86 Rn 28. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 24. Hopt § 86 Rn 28. Hopt § 86 Rn 28; offen BGHZ 52, 181.

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Entscheidung berücksichtigen 493. Grundsätzlich besteht ein Anspruch auf Gestattung der Wettbewerbstätigkeit nur unter den Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 GWB, 242 BGB. Es existiert kein grundsätzlicher Anspruch auf Gleichbehandlung gegenüber einem anderen HV, dem die Konkurrenztätigkeit erlaubt wurde 494. Das Gleichbehandlungsgebot des Arbeitsrechts ist nicht entsprechend anwendbar 495. Dem HV steht daher ohne besondere Umstände des Einzelfalls kein Anspruch auf eine Genehmigung der Zweitvertretung zu, nur weil einem anderen HV diese bereits gestattet wurde 496. Im Vertragshändler- und Franchiserecht mag wegen des dort vertretenen (§ 86a Rn 35 ff) Gleichbehandlungsgebots Gegenteiliges anzunehmen sein. Verweigert der Unternehmer einem HV jedoch ohne sachlichen Grund eine Wettbewerbstätigkeit, die er einem anderen HV bewilligt hat, kann hierin je nach den Besonderheiten des Einzelfalls eine Treuepflichtund damit eine Vertragsverletzung, ferner eine Selbstwiderlegung der Beeinträchtigung des Unternehmers 497 oder der Wettbewerbslage 498 liegen, was insbesondere bei einem Streit um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung zu prüfen sein wird. Verbietet der Unternehmer zu Unrecht den Vertrieb eines Zweitfabrikats, kann dies dem HV nach Abmahnung einen berechtigten Anlass zur ausgleichserhaltenden Kündigung aus wichtigem Grund gemäß § 89b Abs. 3 Nr. 1 geben. Vertritt ein HV mit Genehmigung des vertretenen Unternehmers einen Wettbewerber, ist er bei Verlust dieser Vertretung nicht automatisch berechtigt, die Vertretung eines anderen Wettbewerbers ohne erneute Erlaubnis des Unternehmers zu übernehmen 499. Eine konkludente Gestattung liegt etwa vor, falls der Unternehmer dem HV die Ver119 tretung in Kenntnis seiner Tätigkeit für einen Wettbewerber überträgt. Auch gibt es Branchen, in denen das Wettbewerbsverbot stillschweigend derogiert ist, etwa wegen der Üblichkeit oder Notwendigkeit des Vertriebs von Konkurrenzprodukten 500. So kann es branchentypisch oder sogar erforderlich 501 sein, dass der HV Produkte von Wettbewerbern anbietet; in diesem Fall ist spiegelbildlich eine Gestattung des Unternehmers anzunehmen. Dies mag etwa der Fall sein, wenn ein Tankstellen-HV aufgrund der Empfehlung der Automobilhersteller für die Motoren ihrer Erzeugnisse zur Verwendung bestimmter Öle gezwungen ist 502, wobei dieser Fall auch unter dem Gesichtspunkt der Pflichtenkollision geführt wird. Der HV darf dann nur nicht für diese Erzeugnisse werben 503. Anders, wenn der Stationär in gleicher Lage die Wahl hat zwischen dem Motorenöl der Konkurrenz und demjenigen seines Unternehmers, der Kfz-Hersteller nicht die Marke des Wettbewerbers, sondern nur eine Ölsorte mit bestimmten Eigenschaften empfohlen hat (die die beiden konkurrierenden Ölsorten gleichermaßen aufweisen) und der Tankstellenstationär in seiner Werkstatt daraufhin das Konkurrenzöl nur deshalb verwendet, weil es preisgünstiger ist: keine Pflichtenkollision, daher Wettbe-

493 494

495 496 497 498 499

Prasse in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 2 Rn 258. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 24; Hopt Rn 30; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 40. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 40. Hopt § 86 Rn 28; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 40. BGH NJW 1984, 2101; Hopt § 86 Rn 28. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 40. Küstner/Thume I, Rn 2056.

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500

501 502

503

BGH DB 1968, 211; BGHZ 52, 171 (178); BGH, Urt. v. 25.09.1990 – KVR 2/89, BGHZ 112, 218 (222) = NJW 1991, 490; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 24; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 35. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 35. BGH BB 1968, 60 = DB 1968, 211. Gibt es keine derartige Empfehlung des Herstellers, fehlt es an einer konkludenten Gestattung oder an einer Pflichtenkollision. BGH – Kartellsenat – DB 1968, 211.

Raimond Emde

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 86

werbsverstoß 504. Weiter kann eine konkludente Gestattung bei Künstler-Repräsentanten 505 angenommen werden, die traditionell ebenso mehrere Unternehmer repräsentieren wie Reisebüros. So vertreten etwa mittlere und größere Reisebüros üblicherweise zwischen fünfzig und hundert Reiseveranstalter 506. Eine vergleichbare Gestattung ist gegenüber Radio- und Fernsehhändlern anzunehmen 507, wobei es immer auf die Umstände des Einzelfalls ankommt. Der Vertrieb von Wettbewerbsprodukten ist dann vertragsimmanent. In diesen Fällen muss das Wettbewerbsverbot ausdrücklich vereinbart sein, soll es gelten. Widrigenfalls steht zu vermuten, es entspreche den Interessen des Unternehmers, dass sein HV – um für Kunden attraktiv zu bleiben – eine möglichst breite Palette an Produkten vertreibt. Auch sonst mag der HV einen Vorteil z.B. für seine Absatztätigkeit darin finden, dass 120 er seinen Kunden eine Auswahl unter Fabrikaten verschiedener Herkunft bieten kann, und auf der anderen Seite ist es nicht ausgeschlossen, dass der Geschäftsherr seinerseits mittelbare Vorteile daraus zieht, wenn das Wirkungsfeld des HV durch größere Breite des Angebots sich verbreitert. Aber das Urteil hierüber darf außer in offensichtlichen Fällen (wie den vorgenannten) nicht der HV sich selbst beilegen, falls er den Vorwurf vermeiden will, ohne die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns zu Werke gegangen zu sein. Vielmehr ist die Frage objektiv zu beantworten. Die Interessenwahrungspflicht fordert zudem die Neutralität zwischen den Produkten der verschiedenen Unternehmer 508, also inbesondere die neutrale Beratung des Kunden. Liegt eine Erlaubnis zur Wettbewerbstätigkeit vor, handelt es sich um eine Ausnahme 121 von der Regel. Sie ist daher eng auszulegen 509 und der HV ist für sie beweispflichtig, wobei auch hier im Einzelfall eine abweichende Betrachtung geboten sein kann. (b) Vertragliches Wettbewerbsverbot. Der Unternehmer darf dem HV durch Vertrag 122 ein Wettbewerbsverbot auferlegen, welches über das aus der Interessenwahrungspflicht hergeleitete hinausgeht 510. Zudem kann der Unternehmer das gesetzliche Konkurrenzverbot konkretisieren 511. Wird das Wettbewerbsverbot vertraglich begründet, handelt es sich um einen eigenständigen vertraglichen Anspruch i.S.d. § 241 BGB, nicht um eine Ausprägung der Interessenwahrungspflicht. Der Unternehmer darf aber auf das in Anspruchskonkurrenz stehende gesetzliche Wettbewerbsverbot rekurrieren, etwa nach Unwirksamkeit des vertraglichen Wettbewerbsverbots. Jedes Wettbewerbsverbot und seine Ausübung muss auf die schutzwürdigen Belange des HV Rücksicht nehmen 512. Ziel des Verbots muss die Ausschaltung von Konkurrenz sein 513. Wird lediglich die Behinderung der Tätigkeit des HV oder dessen Kontrolle gewünscht, kann die Durchsetzung eine unzulässige Rechtsausübung bilden 514. Dem HV darf etwa

504 505 506 507 508 509 510

BGHZ 52, 171 (179). Siehe Martinek/Bergmann WRP 2006, 1047 ff. BGHZ, Beschl. v. 25.09.1990 – KFR 2/89, BGHZ 112, 218 (223). Vgl. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 231. Martinek/Bergmann WRP 2006, 1047 (1050). Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 24. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 25; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 7; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene

511 512 513 514

§ 86 Rn 41; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 41. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 41. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 25; Hopt § 86 Rn 26. OLG Düsseldorf DB 1990, 1960; Ebenroth/ Löwisch § 86 Rn 25. BGHZ 52, 171, 180 (181); Ebenroth/ Löwisch § 86 Rn 25; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 19.

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– individualvertraglich jede andere Tätigkeit untersagt 515 (Problem: § 307 BGB, siehe Rn 124 516) und das Verbot durch Vertragsstrafe abgesichert werden 517, wobei die Vertragsstrafe bereits mit dem Abschluss des Wettbewerbsvertrags verwirkt sein kann 518; – verboten werden, weitere Vertretungen zu übernehmen, selbst wenn diese zu den vertriebenen Produkten nicht in Wettbewerb stehen. Dann ist der HV Einfirmenvertreter i.S.d. § 92a 519; – auferlegt werden, weitere Vertretungen oder eine andere Tätigkeit nur mit Zustimmung des Unternehmers aufzunehmen. Es ist eine Frage der Auslegung, ob dem HV dann jede andere Betätigung untersagt werden soll oder nur eine solche, die zu einer Beeinträchtigung der Interessen des Unternehmers führen kann 520. Die Zustimmung hat der Unternehmer nach billigem, gerichtlich nachprüfbarem Ermessen zu erteilen (§ 315 BGB) 521. Er hat dabei seine eigenen gegen die Interessen des HV abzuwägen und die Gründe darzulegen und zu beweisen, welche zu einer ablehnenden Entscheidung berechtigen 522. Wurde ausdrücklich eine Verweigerung der Zustimmung nur bei Interessengefährdung vereinbart, so darf auch nur in jener Situation die Zustimmung verweigert werden. Der Unternehmer ist darlegungs- wie beweispflichtig für die Existenz einer Interessengefährdung 523, wobei ein gewisser Beurteilungsspielraum besteht; – eine weitere Tätigkeit oder Wettbewerbstätigkeit nur bis zum Widerruf gestattet werden 524. Der HV muss dann nach Widerruf (Grenze: Schikane 525) die Tätigkeit für den Wettbewerber einstellen 526. Jedoch muss ihm der Unternehmer zur Kündigung eine angemessene Zeit, jedenfalls die gesetzliche Kündigungsfrist, geben. War der Unternehmer mit einer längeren Kündigungsfrist einverstanden, muss er auch jene gewähren. Ob der Widerruf dem HV das Recht gibt, den „Erstvertrag“ ausgleichserhaltend aus begründetem Anlass zu kündigen 527, erscheint zweifelhaft. Ist der HV aufgrund seiner Arbeitsbelastung rein faktisch an einer Tätigkeit für einen 123 anderen Unternehmer gehindert, handelt es sich um kein vertragliches Konkurrenzverbot 528. Ein über die gesetzliche Bindung aus der Interessenwahrnehmungspflicht hinaus124 gehendes vertragliches Wettbewerbsverbot soll von wesentlichen Grundgedanken des Gesetzes abweichen (§ 307 Abs. 2 S. 1 BGB) und damit in AGB vereinbart nur bei Vorliegen besonderer Umstände wirksam sein 529. Das erscheint zweifelhaft, weil sich der Existenz des § 92a ein anderweitiges gesetzliches Leitbild entnehmen lässt. Zudem handelt es sich bei der Erweiterung des Wettbewerbsverbots lediglich um eine Konkretisierung der gesetzlichen Interessenwahrnehmungspflicht, die innerhalb eines Vertriebsnetzes

515 516 517 518 519 520 521

522

Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 40, 41. Hopt § 86 Rn 33. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 41. OLG Nürnberg BB 1961, 64; Schlegelberger/ Schröder § 86 Rn 41. Siehe Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 40. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 40. OLG München BB 1993, 1835; Ebenroth/ Obermann DB 1981, 829; Ebenroth/ Löwisch § 86 Rn 25; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 40; Ebenroth/Obermann DB 1981, 829; zum Arbeitsrecht: BAG DB 2002, 1507: Arbeitgeber darf Zustimmung nicht willkürlich verweigern. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 40.

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523 524 525 526 527 528

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Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 40. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 41a. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 41a. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 41a. Dafür: Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 41a. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 25; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 7; aA Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 41. OLG München NJW-RR 1995, 292; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 25; aA für den Versicherungsvertreter OLG München BB 1993, 1835; s.a. BGH BB 2003, 1463 = ZIP 2003, 1707.

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§ 86

durch AGB erfolgen darf. Gleichwohl können auch hier Treupflichten und § 242 BGB die Rechte des Unternehmers im Einzelfall einschränken 530. (8) Grenzen des Wettbewerbsverbots nach deutschem oder EU-Kartellrecht. Vertrag- 125 liche und sogar aus dem Gesetz (Interessenwahrungspflicht) hergeleitete gesetzliche 531 Wettbewerbsverbote sind stets auf ihre Konformität mit dem Kartellrecht zu überprüfen 532. Dabei darf die Rechtsprechung zu § 86 das europäische Kartellrecht nicht binden, zumal sie nur eine Interpretation des § 86 und keine ausdrückliche Regelung bildet. Hinsichtlich der kartellrechtlichen Wirkungen sind Art. 81 EG und die GVO 2790/99 zudem spezieller. Vertragsbegleitende Wettbewerbsverbote können, sofern sie spürbar sind, Art. 81 EG widersprechen. Gegenüber unechten HV kann das aus § 86 entnommene oder ein vertraglich begründetes Wettbewerbsverbot nicht für länger als fünf Jahre vereinbart werden 533 (s.o. Rn 108). Ob die so zum Ausdruck gekommene Entscheidung der EU-Kommission Leitbildwirkung auch für die zivilrechtliche Lage hat, ist noch nicht ausdiskutiert, aber wohl abzulehnen. Hinsichtlich der für Kfz-Händler geltenden Kündigungsfristen der „Alt-GVO“ 1475/95 von zwei Jahren wird eine vergleichbare Leitbildwirkung des EU-Rechts in der Literatur befürwortet 534. Der BGH 535 hat es offen gelassen, ob eine derartige Leitbildwirkung bei Bierbezugsverträgen besteht. (9) Umgehungstatbestände. Die Praxis zeigt, dass sowohl das gesetzliche wie das ver- 126 traglich vereinbarte Wettbewerbsverbot für Umgehungsversuche anfällig sind 536. Einigkeit herrscht in der Zielsetzung, sie umgehungsfest zu machen 537. Der Verstoß gegen die Loyalitätspflicht ist auch hier aus der Sicht eines verständig denkenden Unternehmers zu beurteilen. Loyalität und Vertrauen lassen sich nicht manipulieren. Unsicher ist gleichwohl, wann eine Umgehung vorliegt. Grundsätzlich gilt, dass der HV keine Tätigkeiten ausüben darf, die dem vereinbarten oder gesetzlichen Wettbewerbsverbots widersprechen oder eine Umgehung des Verbots darstellen 538. Das Konkurrenzverbot darf z.B. nicht umgangen werden – durch Vorschieben von Angehörigen oder Dritten als Mittelspersonen 539; – durch Vorschieben anderer „Strohmänner“ 540; 530 531 532 533 534 535 536

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Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 25. BGH, Urt. v. 07.07.1983 – I ZR 115/81, NJW 1984, 2101 (2102). Hopt § 86 Rn 34; Prasse in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 2 Rn 256. Hierzu Polley/Seeliger WRP 2000, 1203 (1214). Siehe Emde BB 2000, 63 (65 mwN). ZIP 2001, 1245 (1247). Vgl. BGH VersR 1969, 372; BGH, Urt. v. 06.07.1970 – II ZR 18/69, BB 1970, 1374; MDR 1977, 644; OLG Hamm NJW-RR 1987, 1114; Emde Die HandelsvertreterGmbH, S. 162; Emde GmbHR 1999, 1005 (1012); Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 26; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 18; Hopt § 86 Rn 29; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 28; Schlegelberger/ Schröder § 90a Rn 10. OLG Hamm NJW-RR 1987, 1114; Gallus

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Wettbewerbsbeschränkung im Recht der Handelsvertreter, 1971, S. 126; Prasse in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 2 Rn 261; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 20; Hopt § 86 Rn 29; Heymann/Sonnenschein/ Weitemeyer § 86 Rn 18; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 28; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 42a. Küstner/Thume I, Rn 489. BGH VersR 1969, 372; OLG Düsseldorf DB 1959, 435; Gallus aaO, S. 126; Hopt § 86 Rn 29; Küstner/Thume I, Rn 489; Prasse in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 2 Rn 261; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 26; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 28; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 86 Rn 34. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 28.

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– durch Beteiligung an einem Konkurrenzunternehmen 541; – durch Beteiligung als stiller Gesellschafter an einem Konkurrenzunternehmen 542; – durch Gründung eines Konkurrenzunternehmens, an dem Familienangehörige, nahe Verwandte oder Angestellte des Vertreterunternehmens wesentlich beteiligt sind 543; – durch Gründung einer formal selbständigen HV-Gesellschaft 544; – durch Untervertretungen 545; – durch eine Geschäftsraumpartnerschaft oder Bürogemeinschaft 546 ohne ausreichende, die Preisgabe von Geschäftsgeheimnissen ausschließende Trennung der Büros 547. Schwierig ist zu beantworten, wann eine unzulässige Umgehung vorliegt. Die Diskus127 sion weist Parallelen zur „Durchgriffsprüfung“ im Gesellschaftsrecht auf. Kein Umgehungsfall sondern eine unzulässige Förderung des Wettbewerbes liegt vor, falls der HV die Tätigkeit des Umgehenden unterstützt, etwa durch Überlassung von Räumen, Hilfe, Urlaubsvertretung, gemeinsame Telefon- und Faxnummer bzw. E-Mail-Adresse, Homepage und Ähnlichem oder von ihr profitiert 548. Unzureichende Trennung der Sphären kann, nicht anders als eine Vermögensvermischung im Gesellschaftsrecht, für Umgehung sprechen, zumal sie zumindest die Befürchtung der Illoyalität begründet, ist aber eigentlich eher der Fallgruppe unzulässiger Förderung zuzuschlagen. Dem HV obliegt dann der Beweis fehlender Umgehung, was auch wegen der Sachnähe richtig ist. Bei Trennung ohne Umgehungstatbestand, etwa von dem Vater unabhängige Vertretung eines Wettbewerbers durch den Sohn, liegt kein Verstoß vor 549. Auch wäre der Vater nicht verpflichtet, auf den Sohn mit dem Ziel einzuwirken, den Wettbewerb einzustellen 550. Das widerspräche schon dem Recht des Sohnes auf freie Berufswahl (Art. 12 GG). Insbesondere der Wettbewerb durch Gesellschafter einer HV-Gesellschaft ist Gegen128 stand der Diskussion 551. Paradigma ist der Wettbewerb des Alleingesellschafters einer HVGesellschaft oder durch einzelne Mitglieder von HV-Ketten, die häufig in GmbH-Form organisiert sind 552. § 86 Abs. 1 2. Hs. verpflichtet die HV-Gesellschaft, umfassend die Interessen des Unternehmers wahrzunehmen. Hierzu zählt das Unterlassen eigenen aber auch das Bekämpfen fremden Wettbewerbs. Das nach § 86 Abs. 1 2. Hs. zu schützende Unternehmerinteresse wird durch einen Wettbewerb aus dem Umfeld des HV nicht geringer beeinträchtigt als durch einen solchen Dritter oder der Vertretergesellschaft selbst. Hat die HV-Gesellschaft eigenen Wettbewerb zu unterlassen und muss sie fremden bekämpfen, so darf der Unternehmer darauf vertrauen, dass Wettbewerb aus den Reihen der Gesellschafter mit gleicher Konsequenz wie fremden Wettbewerb entgegengetreten wird 553. Ver-

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MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 33; Küstner/Thume I, Rn 489. Prasse in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 2 Rn 260; Küstner/Thume I, Rn 490; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 20; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 42a. Küstner/Thume I, Rn 490. BGH, Urt. v. 20.01.1969 – VII ZR 60/66, VersR 1969, 372 (373); BGH, Urt. v. 06.07. 1970 – II ZR 18/69, BB 1970, 1374; OLG Hamm NJW-RR 1987, 1114; Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 162 ff; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 26. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 26. Prasse in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 2 Rn 261.

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BGH VersR 1969, 372; Küstner/Thume I, Rn 494; Hopt § 86 Rn 28. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 28. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 28. Röhricht/Graf von Westphalen/Küstner § 86 Rn 28. Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 162 ff; Emde GmbHR 1999, 1005 (1012). Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 163. Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 186 f; Emde GmbHR 1999, 1005 (1012); aA wohl Brüggemann ZHR 131 (1968), 1 (19).

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triebsrechtliche Treu- und Interessenwahrungspflichten dürfen nicht mit Hilfe Dritter umgangen werden 554. Der Unternehmer will vor jedem Wettbewerb geschützt sein. Die HV-Gesellschaft ist daher zu jedem rechtlich zulässigen und möglichen Einwirken auf den konkurrierenden Gesellschafter verpflichtet. So ist sie verpflichtet, gegenüber ihrem Gesellschafter jeden Anspruch geltend zu machen, der ein Recht auf Unterlassen des Wettbewerbs gibt, insb. Unterlassungsansprüche aus Treupflicht, §§ 3 UWG, 826 BGB, u.U. i.V.m. § 1004 BGB. Ggf. muss die HV-Gesellschaft das sie schützende Wettbewerbsverbot im Verhältnis zu ihrem Gesellschafter oder Geschäftsführer durchsetzen. Denn jene sind zumindest unter Treupflichtgesichtspunkten, der Geschäftsführer auch aus seinem Anstellungsvertrag – zudem auf Weisung – gegenüber der GmbH verpflichtet, Wettbewerb zu unterlassen 555. Sollte sich der Gesellschafter, was oft geschieht, im Verhältnis zu dem Unternehmer zur Unterlassung von Wettbewerb verpflichtet haben 556, so besitzt der Unternehmer einen Direktanspruch gegenüber dem Gesellschafter. Bei Wettbewerb durch die Gesellschaftergesamtheit oder den Alleingesellschafter spricht ein Anschein für eine Umgehung 557. Regelmäßig besteht allerdings kein Direktanspruch gegen den vertraglich nicht mit 129 dem Unternehmer verbundenen, Wettbewerb ausübenden Dritten, etwa einen Angehörigen des HV 558. Prasse fordert „individuelle“ Lösungen 559. Die Gesellschaftergesamtheit kann im Wege des Durchgriffs das Wettbewerbsverbot der HV-Gesellschaft treffen 560. Da für die HV-Gesellschaft die hinter ihr stehenden Personen handeln (gerade im Vertriebsbereich ist die Einpersonengesellschaft typisch), kommt es dem Unternehmer auch darauf an, dass die für die Gesellschaft tätigen Personen das Wettbewerbsverbot achten. Ein nur die Gesellschaft, nicht aber die für sie agierenden Gesellschafter („Schlüsselpersonen“) treffendes Konkurrenzverbot wäre faktisch wertlos 561. Bei einer personalistischen Gesellschaft, deren Gesellschafter in die Vertragserfüllung eingebunden sind, trifft die Gesellschafter ohne weiteres persönlich eine Unterlassungspflicht. Der BGH hat dies zu einem Subunternehmervertrag angenommen, bei dem der Gesellschafter nicht nur Alleingesellschafter war sondern als Geschäftsführer das gewerbliche Handeln seiner GmbH bestimmte 562. §§ 1 Abs. 1 S. 2 AktG, 13 Abs. 2 GmbHG stehen nicht entgegen. Es geht nicht um die Erstreckung von Verbindlichkeiten der Gesellschaft auf die Gesellschafter, sondern darum, dass der Vertragspartner einer solchen Gesellschaft erwarten darf, deren Gesellschafter würden nicht bewusst seinen Interessen zuwiederhandeln (§ 242 BGB, aus dem der Durchgriffsgedanke entwickelt wurde). Neu eintretenden Gesellschaftern darf diese Verpflichtung ebenfalls entgegengehalten werden, sofern sie selbst in Ausführung der Verpflichtungen der HV-Gesellschaft tätig sind und ihre personalistische Struktur bei Eintritt erkannten. Denn dann wissen sie um die besonderen Treu- und Interessenwahrungspflichten, die es ihnen verbieten, ihre Loyalität gegenüber 554 555

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OLG Köln BB 2000, 2595 = NJW-RR 2001, 1178 = EWiR 2001, 23 (Emde). Im Einzelnen: Emde Die HandelsvertreterGmbH, S. 167; zu einem Durchgriff zu Lasten des Unternehmers OLG Düsseldorf OLGR 2000, 425 = GmbHR 2000, 1205; OLG Köln BB 2000, 2595 = NJW-RR 2001, 1178 = EWiR 2001, 23 (Emde). Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 169. Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 170. Prasse in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 2 Rn 261.

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Prasse in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 2 Rn 261. Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 171, insbesondere S. 177 f; BGH, Urt. v. 30.11. 2004 – X ZR 109/02, ZIP 2005, 296 (298) für einen Subunternehmervertrag. Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 178. BGH, Urt. v. 30.11.2004 – X ZR 109/02, ZIP 2005, 296 (298) = WRP 2005, 349 m. krit. Anm. Quiring WRP 2005, 813 ff zu einem Reinigungsvertrag.

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dem Unternehmer in eine solche der Tätigkeit für die HV-Gesellschaft und in eine außergesellschaftliche aufzuspalten. Auch wenn den Gesellschafter die Verpflichtung zur Unterlassung von Wettbewerb 130 nicht persönlich treffen sollte, darf der Unternehmer den Vertrag mit der HV-Gesellschaft bei Schädigungsgefahr und Schädigungswahrscheinlichkeit außerordentlich kündigen 563. Eine Schädigungsgefahr ist regelmäßig durch die Gesellschafterstellung indiziert 564. Eine Schädigungswahrscheinlichkeit besteht vor allem, falls der Gesellschafter die Konkurrenztätigkeit in den Vordergrund seiner wirtschaftlichen oder persönlichen Interessen stellt, etwa wenn er an dem finanziellen Erfolg des Wettbewerbers in gleichem Maße oder stärker interessiert ist, als er das am Erfolg oder Misserfolg der HV-Gesellschaft ist 565. Zweifelsfälle sind im Lichte der Interessenwahrungspflicht zugunsten des Unternehmers zu entscheiden. Denn da für die Zubilligung eines fristlosen Kündigungsrechts gem. § 89a der Eintritt eines Schadens nicht Voraussetzung ist, vielmehr bei objektiver Grundlage bereits eine nachhaltige Erschütterung des Vertrauens in die Loyalität des Vertragspartners ausreicht 566, wird man dem Unternehmer im Zweifel keine Geschäftsbeziehung zumuten können, in der objektive Anhaltspunkte für eine unvermittelt drohende Schädigung gegeben sind. Weil der befürchtete Interessenkonflikt jederzeit, also auch im Laufe der in § 89 vorgesehenen Kündigungsfrist, eintreten kann, ist dem Unternehmer ein Abwarten bis zu deren Ende oft nicht zumutbar 567. Kündigt der Unternehmer den HV-Vertrag aufgrund der Konkurrenz durch den Gesellschafter außerordentlich, so verliert die HV-Gesellschaft den Ausgleichsanspruch wegen Fehlens eigenen schuldhaften Verhaltens nur dann (§ 89b Abs. 3 Nr. 2), wenn sie es entgegen ihren Vertragspflichten unterließ, auf den Gesellschafter mit dem Ziel einzuwirken, dass dieser die Konkurrenz einstellt. Denn der Ausgleichsanspruch (Kontrollfall!) wird auch nicht bei einer fristlosen Kündigung wegen Konkurrenz durch einen Ehegatten ausgeschlossen 568.

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(10) Folgen unberechtigter Konkurrenz. Verstößt der HV gegen das Wettbewerbsverbot, ist dies eine Vertragsverletzung. Verletzt der HV die in § 86 niedergelegten oder die vertraglich vereinbarten Pflichten, darf der Unternehmer vertragsgemäßes Verhalten, also Unterlassung fordern 569 oder auf Erfüllung klagen und den Anspruch im Wege der Zwangsvollstreckung durchsetzen 570. Das gilt auch für den Anspruch auf Geschäftsvermittlung und -abschluss 571. Zudem ist der Unternehmer – je nach den Umständen des Einzelfalls – zur außerordentlichen Kündigung gemäß § 89a berechtigt 572. Grundsätzlich ist vor der Kündigung eine Abmahnung erforderlich, und zwar sowohl in Fällen der Verletzung des Vertrauens- wie des Leistungsbereiches 573. Entbehrlich wird sie nur, falls – bei objektiver Betrachtung – die Vertrauensgrundlage auch durch Abmahnung und anschließendes Wohlverhalten nicht wieder hergestellt werden kann 574. Hiervon soll in Fällen unerlaubter und – auch – heimlicher Konkurrenz als „Erfahrungssatz“ auszuge563 564 565 566 567 568 569 570 571

Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 212 ff. Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 213. Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 214. BGH DB 1956, 136; Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 215. Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 215. OLG Braunschweig, VW 1968, 860. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 43. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 67. AA MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 67.

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572

573 574

Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 31; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 86 Rn 42. BGH VersR 2001, 370 = NJW-RR 2001, 677 = MDR 2001, 637. BGH NJW-RR 2001, 677 = BB 2001, 645 = EWiR 2001, 483 (Emde); NJW 1992, 496; VersR 1981, 190 = DB 1981, 987; Küstner/ Thume I, Rn 1750; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 797.

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§ 86

hen sein 575. Tatsächlich wird man solches als Regel nicht feststellen können, da es sehr auf die Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Art der Wettbewerbstätigkeit – etwa: Verschulden des HV, Rechtsirrtum u.ä. – ankommt 576. Auch nach Verletzung des Wettbewerbsverbots kann eine Abmahnung erforderlich sein (Grundsatz) 577, vor allem wenn Unklarheit über die Sach- und Rechtslage besteht 578, d.h. ein Rechtsirrtum des HV nahe liegt. Eine Konkurrenztätigkeit, welche der Unternehmer trotz Kenntnis längere Zeit (etwa: 132 zwei Monate) geduldet hat, kann nicht zum Anlass einer außerordentlichen Kündigung genommen werden. Das Kündigungsrecht ist dann verwirkt 579 (erste Grenze des Kündigungsrechts). Eine über die Verwirkung hinausgehende konkludente Vertragsänderung (zweite Grenze) liegt in der Duldung jedoch nur, sofern dem HV sowohl die Kenntnis des Unternehmers von der Wettbewerbstätigkeit wie die Duldung bekannt sind. Dann kann der Mittler durch Fortsetzung der HV-Tätigkeit in Kenntnis der Duldung des Unternehmers dessen Angebot auf konkludente Vertragsänderung annehmen. Im Zweifel muss der HV das Einverständnis des Unternehmers mit der Konkurrenztätigkeit beweisen 580, ebenso wie die Voraussetzungen einer Verwirkung. Größerer Umsatzrückgang eines HV zu einer Zeit, in der dieser eine unzulässige Tätigkeit für einen anderen Unternehmer ausgeübt hat, kann den Anscheinsbeweis rechtfertigen, dass die Vertragsverletzung für den Umsatzrückgang ursächlich gewesen ist 581. Das gilt im Rahmen eines Kündigungs- wie eines Schadenersatzprozesses. Die pflichtverletzende Wettbewerbstätigkeit des HV begründet im Falle der Kündi- 133 gung eine Schadensersatzverpflichtung nach § 89a Abs. 2, bei fehlender Kündigung gemäß § 280 Abs. 1 BGB 582, jedoch nur für Schäden bis zum nächsten ordentlichen Kündigungstermin 583. Nach dem Schutzzweck der Norm kann der HV den Schaden nicht mit dem ohnehin kaum beweisbaren Einwand negieren, bei eigenem Unterlassen hätte ein anderer HV die verbotene Tätigkeit ausgeführt. Durch bloße Duldung des Unternehmers und daran anknüpfende Verwirkung des Kündigungsrechts ist – soweit keine konkludente Gestattung oder Vertragsänderung (s.o.) vorliegt – der Schadensersatzanspruch nicht gesperrt, da in der bloßen Verwirkung keine Billigung des Verhaltens des HV liegt. Doch werden §§ 60 Abs. 2, 112 Abs. 2 analog anzuwenden sein; der Unternehmer hat keine Schadensersatzansprüche und keine Kündigungsmöglichkeit, wenn ihm bei Eingehung des Vertrages mit dem HV bekannt war, dass jener die jetzt beanstandete Tätigkeit bereits wahrnahm 584. Bei fortlaufendem Vertrag ist der Schaden nicht leicht zu beweisen. Der zu bean- 134 spruchende Schadensersatz geht auf den Gewinn, den der Unternehmer hätte erzielen können, falls der HV nicht mit den Artikeln der Konkurrenzgeschäfte gezeichnet hätte. Er liegt zumindest in der Differenz zwischen den Gewinnen aus den konkreten Geschäf-

575 576

577 578 579

BGH VersR 1999, 1270 = EWiR 1999, 705 (Emde); Westphal Vertriebsrecht I, Rn 797. Siehe zum gutgläubig konkurrierenden Vertreter BGH NJW-RR 2001, 677 = BB 2001, 645 = EWiR 2001, 483 (Emde). Tendenziell bereits Emde EWiR 2001, 484. BGH NJW-RR 2001, 677 = BB 2001, 645 = EWiR 2001, 483 (Emde). BGH NJW-RR 1992, 1059; Küstner/ Thume I, Rn 520; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 42.

580 581 582

583 584

OLG Hamburg DB 1973, 1214; Küstner/ Thume I, Rn 524. LAG Stuttgart BB 1970, 127; Ebenroth/ Löwisch § 86 Rn 49. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 31; Hopt § 86 Rn 32; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 43; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 43. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 31. Maier S. 502.

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ten mit und ohne Wettbewerbstätigkeit 585. Der Unternehmer hat gegenüber dem HV zwar ein Auskunftsrecht über den Umfang der vertragswidrig für den Wettbewerber getätigten Umsätze 586 (§§ 242, 259, 260 BGB), angeblich jedoch nicht über die Provisionshöhe 587 bzw. über das dabei von ihm Verdiente 588. Der Grund hierfür liegt darin, dass sich der Schadensersatzanspruch des Unternehmers nach seinen Verlusten infolge der unzulässigen Wettbewerbstätigkeit des HV bestimmt, nicht nach dessen Einkünften, kein Eintrittsrecht des Unternehmers besteht und er auch nicht die Herausgabe des Verdienten fordern darf. Die Auskunft setzt den vom Unternehmer zu führenden Nachweis eines Verstoßes gegen das Wettbewerbsverbot voraus 589. Sie ist zum Schutz des Wettbewerbers – wenn der HV ihm, was er zu beweisen hat, Geheimnisschutz schuldet – zu anonymisieren oder geeignet zu beschränken 590, mglw. durch Anordnung der Herausgabe der Bücher nur an einen der Schweigepflicht unterliegenden Sachverständigen 591. Das kann jedoch nicht gelten, falls der andere Unternehmer Kenntnis des Vertragsbruchs hatte. Denn er muss dann als „Mittäter“ mit der Offenlegung und dem Auskunftsverlangen rechnen. Geheimnisschutz ist auch nicht anzuerkennen, wenn jener nur auf Grund einer vertraglichen – nicht gesetzlich als Leitbild vorgesehenen – Geheimhaltungsabrede geschuldet ist, weil solche Abreden nicht zu Lasten des Geschädigten gehen können 592. Allzu strenge Maßstäbe sind dabei zum Schutz des Geschädigten kaum angebracht. Die Umsätze mit den Produkten des Wettbewerbers geben allerdings – außer im Fall der weitgehenden Vergleichbarkeit der Produkte – keinen sicheren Nachweis der Schadenshöhe, möglicherweise jedoch ein Indiz für die gem. §§ 252 BGB, 287 ZPO zulässige Schätzung der dem Unternehmer durch die vertragswidrige Konkurrenztätigkeit entgangenen Gewinne. Außerdem kann der Schaden in Höhe der Differenz der Umsätze aus einem repräsentativen Tätigkeitszeitraum ohne Wettbewerbsbemühungen des Mittlers zu den Umsätzen eines vergleichbar repräsentativen Zeitraums mit Konkurrenztätigkeit bemessen werden. Nach Kündigung ist die Schadensermittlung einfacher: Gehen in Folge der Kündigung die Umsätze in dem Vertretergebiet zurück, darf der Unternehmer den Durchschnittsgewinn der vergangenen Jahre mit dem nach „Ausfall“ des HV erzielten tatsächlichem Gewinn (bei Totalausfall möglicherweise Null) vergleichen und als Schaden fordern (§§ 252 BGB, 287 ZPO) 593. Die fehlende Betreuung des Gebiets hat der HV durch die Provokation der Kündigung hervorgerufen. Ein Mitverschulden (§ 254 BGB) ist dem Unternehmer nicht vorzuwerfen. Denn die Kündigung war eine adäquat-kausale Folge des vertragswidrigen Verhaltens des HV, der Unternehmer ist nicht gehalten, zur Schadensminderung den Vertrag mit einem Mittler fortzusetzen, zu dem er das Vertrauen verloren hat. Die Ausübung des Kündigungsrechts ist daher legitim und dem Unternehmer nicht als Mitverschulden vorwerfbar.

585 586

587

MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 43. BGH NJW 1964, 817; 1996, 2097; OLG Hamm NJW-RR 1987, 1114; Ebenroth/ Löwisch § 86 Rn 45; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 31; Hopt § 86 Rn 32; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 43; Schlegelberger/ Schröder § 86 Rn 43. BGH NJW 1964, 817; 1996, 2097; OLG Hamm NJW-RR 1987, 1114; Ebenroth/ Löwisch § 86 Rn 45; Röhricht/Graf v. West-

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589 590 591 592 593

phalen/Küstner § 86 Rn 31; Hopt § 86 Rn 32; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 43. BGH NJW 1964, 817; 1996, 2097; OLG Hamm NJW-RR 1987, 1114; Hopt § 86 Rn 32. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 45. Vgl. BGHZ 10, 387; Hopt § 86 Rn 32. Hopt § 86 Rn 32. AA möglicherweise Hopt § 86 Rn 32. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 43.

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§ 86

Der Unternehmer ist nicht berechtigt, neben Schadenersatz in entsprechender Anwen- 135 dung der §§ 61, 113 HGB, 667 BGB vom HV Herausgabe der durch die vertragswidrige Konkurrenztätigkeit erzielten Vergütung zu verlangen 594; ebenso wenig besitzt er ein Eintrittsrecht 595. Die Aufnahme einer einen solchen Anspruch gewährenden Regelung in das Recht des HV sei, so der BGH 596, im Rahmen der Novellierung 1953 bewusst unterblieben. Das Gesetz enthalte deshalb keine Lücke. Das mag sachgerecht sein, denn der Gewinn des HV kann den Schaden des Unternehmers übersteigen und auf einen solchen „windfall“ hat der Unternehmer keinen Anspruch. Neben Schadenersatz kann eine Vertragsstrafe verfallen sein 597, hierfür genügt – je nach Fassung des Vertragsstrafeversprechens – regelmäßig schon das Anerbieten unzulässigen Wettbewerbs 598. Die Aufnahme der Konkurrenztätigkeit ist also nicht erforderlich 599. kk) Treupflichten innerhalb eines Vertriebssystems. Nicht nur gegenüber dem Unter- 136 nehmer obliegen dem HV Treupflichten. Richtigerweise bestehen sie auch – im Verhältnis zu der gesetzlichen Interessenwahrnehmungspflicht in abgeschwächter Form – zwischen den verschiedenen Mitgliedern eines einheitlichen Vertriebssystems, nicht anders als unter Gesellschaftern 600. Am weitesten fortgeschritten ist diese Diskussion im Franchiserecht, wo sie unter dem Stichwort „Franchisenetzwerkhaftung“ diskutiert wird 601. Die Mitglieder eines Vertriebssystems sind zwar einerseits Wettbewerber jedoch auch Systemnachbarn. Daraus resultieren im Einzelfall zu bestimmende Förder-, jedenfalls aber Rücksichtnahmepflichten. Zu ihnen zählt etwa die Pflicht, bei wechselseitig gewährter Exklusivität die einem Systemnachbarn gewährte Ausschließlichkeit zu respektieren.

III. Nachrichtspflicht des Handelsvertreters (§ 86 Abs. 2) 1. Allgemeines. Nach § 86 Abs. 2 hat der HV dem Unternehmer unverzüglich jede 137 Geschäftsvermittlung oder jeden Geschäftsabschluss mitzuteilen. Die so normierte Nachrichtspflicht des HV, die auch als „Informationspflicht“ 602 oder Mitteilungspflicht 603 beschrieben werden könnte, ist nach der Interessenwahrungspflicht die bedeutendste Nebenpflicht. Sie existiert kraft Gesetzes, also ohne dass sie einer vertraglichen Regelung bedarf 604. § 87c berechtigt ausschließlich den HV und ist auch nicht analog zugunsten des Unternehmers anwendbar. Ihren Grund hat die Nachrichtspflicht in dem Informationsgefälle zwischen dem HV, der als „Außenposten des Unternehmers“ den lokalen

594

BGH, Urt. v. 23.01.1964 – VII ZR 133/62, NJW 1964, 817; BGH ZIP 1996, 1006 (1008); OLG Hamm NJW-RR 1987, 1114 (1115); Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 18; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 43; Schlegelberger/ Schröder § 86 Rn 43. 595 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 43. 596 BGH HVR Nr. 311. 597 Hopt § 86 Rn 32. 598 OLG Nürnberg BB 1961, 64; Hopt § 86 Rn 32; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 86 Rn 44.

599 600

601

602 603 604

OLG Nürnberg BB 1961, 64. Siehe OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.12.2006 – VI-U (Kart) 36/05, BB 2007, 738 m. Anm. Flohr S. 741 zur Franchisenetzwerkhaftung. Flohr BB 2007, 741; ders., BB 2006, 1074; Böhner BB 2004, 119; Teubner ZHR 198 (2004), 1 ff. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 10. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 50. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 20a.

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Markt am besten kennt 605, sowie dem Unternehmer. Wegen ihrer Bedeutung im Dauerschuldverhältnis wurde die Nachrichtspflicht in § 86 Abs. 2 hervorgehoben. Zwar folgt die Nachrichtspflicht des Abs. 2 bereits aus den §§ 675, 666 BGB 606. Dort wird jedoch eher das einzelne Geschäft geregelt, im Dauerschuldverhältnis „Vertriebsvertrag“ kann das Informationsbedürfnis stärker sein. Für die Praxis ist die Herleitung irrelevant. Der Wert des § 86 Abs. 2 liegt in erster Linie in seiner Funktion als „Merkposten“ besonders naheliegender Auskunftsfälle. Zudem konkretisiert § 86 Abs. 2 die §§ 675, 666 BGB, indem der HV verpflichtet wird, namentlich von jeder Geschäftsvermittlung und von jedem Geschäftsabschluss unverzüglich (zeitliche Komponente) Mitteilung zu machen.

138

2. Abgrenzung von der allgemeinen Informationspflicht. Von der Nachrichtspflicht des Abs. 2 wird teils terminologisch teils inhaltlich die unter Rn 71, 153 ff behandelte allgemeine Informationspflicht abgegrenzt 607, wobei eine solche begriffliche Separierung überflüssig ist, weil sich die in Abs. 2 niedergelegte Nachrichtspflicht auf alle Informationen (Abs. 2 Hs. 1) bezieht und damit wohl mit der allgemeinen Auskunftspflicht identisch ist. Zumindest aber handelt es sich bei der als allgemeine Informationspflicht behandelten Fallgruppe um einen Unterfall der Nachrichtspflicht des Abs. 2.

139

3. Abgrenzung von der Berichtspflicht. Die Abgrenzung erfolgt in erster Linie nach dem Inhalt der Nachrichten. Die Nachrichtspflicht des Abs. 2 betrifft tendenziell eher punktuelle Informationen. Berichte werden hingegen meist als zusammenhängende Informationen über ein umfassenders Thema verfasst, etwa über die Gesamtsituation eines Kunden oder eine bestimmte Kundenreise. Die Übergänge sind fließend, die Dogmatik für die Praxis irrelevant.

140

4. Abgrenzung von der Auskunftspflicht nach § 242 BGB. Neben das allgemeine Informationsrecht des Unternehmers kann als in jedem schuldrechtlichen Vertrag geltendes allgemeines Rechtsinstitut ein aus §§ 242, 259, 260, 810 BGB hergeleiteter Auskunftsanspruch treten, falls der Unternehmer im Einzelfall auf eine Auskunft angewiesen ist, welche der HV unschwer erteilen kann. Diese Auskunftspflicht kann nach Vertragsende fortbestehen. Während des Vertrages sind kaum Fälle vorstellbar, in denen ein Anspruch aus §§ 666 BGB, 86 Abs. 2 nicht eingreift und allein ein solcher aus §§ 242, 259, 260 BGB gegeben sein könnte. Ein Verzicht auf die allgemeine Berichtspflicht lässt den Anspruch aus §§ 242, 259, 260 BGB im Zweifel unberührt. Ein ausdrücklicher Verzicht auf den Auskunftsanspruch ist aber nach Entstehen des Anspruchs zulässig 608, etwa im Rahmen eines Vergleiches.

141

5. Inhalt der Nachrichten. Die Nachrichtspflicht besteht hinsichtlich aller erforderlichen und bekannten Informationen, auch außervertraglich oder außerhalb des Vertriebsgebiets 609 erlangten bzw. für das Verhalten des Unternehmers außerhalb des Vertriebsgebiets relevanten Informationen 610 (denn die Interessenwahrungspflicht ist unteilbar). Erforderlich sind alle Informationen, die bei objektiver, die Interessen des Unternehmers berücksichtigender Würdigung für ihn, seine Willensbildung und sein geschäftliches Ver-

605 606 607

Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 13. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 1, 34; Hopt § 86 Rn 40. Hopt § 86 Rn 40.

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608 609 610

Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 15; aA Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 33. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 10. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 21a.

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halten von Bedeutung sein können 611. Die Nachrichtspflicht ist zwingend. Auf „erforderliche“ Nachrichten i.S.d. § 86 Abs. 2 kann der Unternehmer nicht verzichten (§ 86 Abs. 4 i.V.m. § 86 Abs. 2) 612. Jedoch darf auch hier konkretisiert werden, was der Unternehmer als „erforderlich“ ansieht 613 und insbesondere die Berichtspflicht (s.u.) ist abdingbar, soweit nach der Natur des Vertrages Berichte nicht „erforderlich“ sind. Eine Erforderlichkeit ständiger Berichterstattung wird nicht bestehen, falls der HV den Unternehmer mittels Übersendung ständiger Einzelinformationen informiert hält. Der HV hat die Nachrichten wahrheitsgemäß, also „ungeschminkt“ zu übermitteln. 142 Spiegelbildlich muss sie der Unternehmer vertraulich behandeln, darf sie also nicht an Kunden weiterleiten 614. Ein Zurückbehaltungsrecht des HV scheidet angesichts der Bedeutung der Nachrichten aus, wenn jene „erforderlich“ sind 615. Der HV ist insbesondere verpflichtet, den Unternehmer Nachrichten zu geben über: 143 – alle wesentlichen Vorgänge im Vertriebsgebiet; – die Annahme von Schmiergeldern 616; – den Inhalt der von dem HV selbst gefertigten Kundenlisten 617; – den Eingang von Provisionen; – die Einzelheiten von Kundenwünschen 618; – den Stand der Bemühungen des HV, über die Aussichten auf Abschlüsse 619 sowie den Stand der Geschäfte (§ 666 BGB) 620. Je nach Bedarf ist unverlangt ein Zwischenbericht zu geben 621; – die bei Vermittlung oder Abschluss getroffenen bzw. künftige Abschlüsse vorbereitenden Abreden 622; – Vertragsverletzungen durch Kunden 623, selbst wenn das für den HV nachteilig ist 624; – die Kreditwürdigkeit von Kunden 625; – die aus der Marktbeobachtung gewonnenen Erkenntnisse, etwa Berichte über Konkurrenzangebote, Anregungen für die Produktion, Beobachtungen aus den Kundenbesuchen 626; – die allgemeine Absatzlage und die Geschmacksrichtung des Publikums 627; – die Aufnahme von Konkurrenztätigkeiten 628, falls erforderlich sogar die Absicht dazu 629;

611

612 613 614

615 616 617 618 619

Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 10; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 48; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 20a, 21. AA (ohne Begründung) Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 13. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 65. LG Freiburg BB 1966, 999; Schlegelberger/ Schröder § 86 Rn 28a; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 15. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 28. Hopt § 86 Rn 41. Hopt § 86 Rn 17. OLG Köln BB 1971, 543; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 50. OLG Köln BB 1971, 543; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 49.

620 621 622 623 624 625 626 627 628

629

Hopt § 86 Rn 40. Hopt § 86 Rn 40. Hopt § 86 Rn 41. BGH BB 1979, 242; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 50. BGH BB 1979, 242; Hopt § 86 Rn 42. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 50. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 50. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 50. BGH LM § 89a Nr. 11; BGH ZP 1996, 1006; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 86 Rn 50. Hopt § 86 Rn 41.

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– für die Vermittlung wichtige persönliche Umstände, z.B. Erkrankungen 630 oder sonstige Verhinderungen des HV 631; – die angewandten Werbemethoden 632. Der Abschlussvertreter hat zusätzlich über das getätigte Geschäft durch eine geord144 nete Zusammenstellung, welcher die dazugehörigen Belege beizufügen sind, Rechenschaft abzulegen 633.

145

6. Verpflichteter. Die Informationen muss der HV übermitteln, jedoch nicht persönlich. Es genügt, wenn er sie durch einen Mitarbeiter fertigen und an den Unternehmer senden lässt, sofern es hierdurch nicht zu einem Qualitätsverlust kommt. Die Nachrichtspflicht trifft auch den HV-ähnlichen Mittler, z.B. Franchisenehmer und Vertragshändler, wobei der Unternehmer hier – außer im Falle einer vertraglichen Verpflichtung (dann Indiz für die HV-gleiche Einbindung in das Vertriebssystem) – nicht über jeden Abschluss unterrichtet werden muss, weil er nicht Verpflichteter des Geschäfts ist. Die im zweiten Hs. des Abs. 2 apostrophierte Information über die Geschäftsvermittlung (Vermittlungsvertreter) und den Geschäftsabschluss (Abschlussvertreter) bezieht sich mithin nur auf die vom HV für den Unternehmer vermittelten Geschäfte. Ohne vertragliche Vereinbarung ist der Vertragshändler folglich nicht verpflichtet, dem Unternehmer über jeden Geschäftsabschluss unverzüglich Mitteilung zu geben, auch nicht zur Erfüllung der Analogievoraussetzung „Einbindung in das Vertriebssystem“. Die Informationspflicht bezieht sich in dieser Situation auf die allgemeinen Marktgegebenheiten und ähnliches.

146

7. Dauer der Nachrichtspflicht. Zeitlich besteht sie von Vertragsbeginn bis zum Vertragsende 634. Davor und danach kann eine Informationspflicht aus § 242 BGB 635, zudem aus vor- oder nachwirkenden Treupflichten eingreifen. Zu unterscheiden ist die Nachrichtspflicht damit von der vorvertraglichen Informationspflicht. Jene leitet sich nicht aus der Interessenwahrungspflicht ab, die nur vertragsbegleitend bestehen kann, sondern aus dem vorvertraglichen Vertrauensverhältnis, s.o. und §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB (früher: cic). Hat der HV während der Vertragslaufzeit nicht informiert, muss er nach Vertragsende erfüllen und ferner gem. § 280 i.V.m. § 249 BGB als Schadenersatz in Form der Naturalrestitution nachleisten 636. Die Nachrichtspflicht ist einklagbar, der Unternehmer ist also nicht (nach Abmahnung) auf eine außerordentliche Kündigung beschränkt.

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8. Zeitpunkt der Nachrichten. § 86 Abs. 2 verpflichtet, unverzüglich von jeder Geschäftsvermittlung bzw. jedem Geschäftsabschluss Mitteilung zu machen. Das bedeutet ohne schuldhaftes Zögern i.S.d. § 121 Abs. 1 BGB 637. Diese zeitliche Festlegung ist eine generelle Regel 638. „Unverzüglich“ sind alle erforderlichen Informationen abzugeben, ungeachtet der Rechtsgrundlage der Informationspflicht. Letztlich entscheiden die Bedürfnisse des Unternehmers über den Zeitpunkt, zu dem die Nachrichten übermittelt werden müssen. Erforderlich sein kann die Benachrichtigung in jedem Vertragsstadium, 630 631

632 633

Hopt § 86 Rn 41. Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 22; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 86 Rn 50. Hopt § 86 Rn 41. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 34; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 53; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 34.

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634 635 636 637 638

Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 13. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 15. AA wohl Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 13. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 278; Hopt § 86 Rn 40. Martinek/Flohr § 8 Rn 61; Schlegelberger/ Schröder § 86 Rn 26.

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etwa bei Einleitung der Geschäftsvermittlung 639, vor Beendigung 640, nach Abschluss der Vermittlung 641 und in Ergänzung vorhandener Nachrichten 642. Erscheint bei objektiver Würdigung eine sofortige Information des Unternehmers erforderlich, muss der HV unverzüglich informieren 643. Bei Großobjekten kann unter Umständen eine Information über den Stand laufender Vermittlungsbemühungen erforderlich werden 644. Dies besonders dann, wenn dem Unternehmer Gelegenheit gegeben werden muss, sich einzuschalten, unterrichtete Personen für technische Aufschlüsse zu entsenden, evtl. auch schon vorbereitende Maßnahmen für eine demnächstige Ausführung des Auftrags anlaufen zu lassen. Die Nachrichten über die Kreditwürdigkeit des Kunden werden in aller Regel mit der Berichterstattung über den Auftrag zu verbinden sein. Auch kann die mangelnde Information über länger laufende, erfolgversprechende Geschäftsanbahnungen Schadensersatzansprüche hervorrufen, falls der Unternehmer ohne Kenntnis der Initiative des HV demnächst mit dem Kunden direkt abschließt und bei seiner Preiskalkulation die Provision, sofern er sie nicht als eine Bezirksprovision in Rechnung zu stellen hätte, außer Betracht lässt 645. Ansonsten wird der HV entgegen der 4. Aufl. das Ende einer Besuchstour abwarten dürfen, um die Berichte dann gesammelt zu erstatten. Obwohl er verpflichtet ist, so rasch wie möglich zu informieren, darf er Informationen von nicht herausragender Bedeutung in den regelmäßig zu übermittelnden Berichten zusammenfassen 646 (zur Berichtspflicht s.u.). Spätestens bei Vertragsende hat der HV über noch nicht Mitgeteiltes zu informieren 647. 9. Form der Nachrichten. Eine bestimmte Form ist nicht vorgeschrieben. Die Form 148 muss jedoch so gewählt sein, dass der Unternehmer Kenntnis von allen maßgeblichen Tatsachen erhält 648. Meist wird Textform geschuldet sein, zumal der Unternehmer ein Interesse an einer Perpetuierung der Informationen haben kann. Wenn die Schnelle der Information bedeutsam ist, ist eine (fern)mündliche Mitteilung vorzuziehen, wobei die Schnelligkeit auch per Fax oder E-Mail gesichert sein kann. Durch Individualvertrag oder AGB darf eine bestimmte Form vereinbart werden649, soweit der HV durch sie nicht treuwidrig bzw. unbillig benachteiligt wird. Der Abschlussvertreter hat durch eine geordnete Darstellung unter Beifügung von Belegen Rechenschaft über das geschlossene Geschäft abzulegen650. 10. Weisungen zu den Nachrichten. Weisungen zur Nachrichtspflicht können erteilt 149 werden, sofern hierdurch die Erforderlichkeit konkretisiert und die Selbständigkeit des HV nicht ausgeschlossen 651 wird. Sondersituationen erlauben einengende Weisungen, etwa nach starkem Umsatzrückgang 652 oder bei hohen Risiken und bedeutenden Einzelgeschäften 653. Was vertraglich nicht vereinbart werden kann, darf auch nicht durch Weisungen vorgeschrieben werden.

639 640 641 642 643 644 645 646 647

Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 22. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 23. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 24. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 25. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 11. Ordemann S. 1566. Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 14. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 11. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 38.

648 649 650 651 652 653

Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 34. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 34. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 34. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 17. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 20a. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 17.

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11. Vertragliche Vereinbarung zur Nachrichtspflicht. Die Konkretisierung der Nachrichtspflicht durch Vertrag ist zulässig 654. Sie verletzt den Kernbereich der durch § 86 Abs. 4 geschützten Rechte und Pflichten nicht. Ein völliger Verzicht auf erforderliche Nachrichten ist hingegen nicht möglich. Die vertragliche Erweiterung findet ihre Grenze dort, wo sie entweder den Kreis der erforderlichen Übermittlung von Nachrichten völlig verlässt oder den Kernbereich der Selbständigkeit des HV beeinträchtigt 655.

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12. Untergruppen der Nachrichtspflicht. Untergruppen der Nachrichtspflicht sind die Allgemeine Informationspflicht, die in § 86 Abs. 2 beispielhaft genannte Verpflichtung zur Mitteilung von Vermittlung und Abschluss und die Berichtspflicht. Für diese Untergruppen, deren Anwendungsbereiche verschwimmen, gilt das Vorstehende entsprechend, soweit nichts Abweichendes ausgeführt wird.

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a) Verpflichtung zur Mitteilung über Vermittlung und Abschluss. Ausdrücklich regelt § 86 Abs. 2, der HV müsse unverzüglich von jeder Geschäftsvermittlung bzw. jedem Geschäftsabschluss Mitteilung geben. Insoweit wird der Mindeststandart der Nachrichtspflicht festgelegt. Mitzuteilen hat der Mittler den Namen des Kunden sowie den Umfang und die Konditionen des Angebots bzw. des Geschäftsabschlusses einschließlich schriftlicher und mündlicher Nebenabreden, Zusicherungen und Erklärungen, egal ob wirksam oder unwirksam 656. Er muss unverzüglich benachrichtigen, also – wie dargestellt – ohne schuldhaftes Zögern 657.

153

b) Allgemeine Informations- oder Offenbarungspflicht. Die allgemeine Informationspflicht, auch Offenbarungs- oder Auskunftspflicht 658 benannt, ist als vertragsbegleitende Pflicht wie die Berichtspflicht Unterfall der Nachrichtspflicht des Abs. 2. Zur Abgrenzung von der Nachrichtspflicht s.o., Rn 138. Ergänzend leitet die allgemeine Informationspflicht sich aus § 242 BGB sowie der Interessenwahrungspflicht her: Der HV ist gehalten, dem Unternehmer eintretendenfalls Umstände offenzulegen, die das Vertragsverhältnis in seiner Vertrauensbasis berühren.

154

aa) Geltungszeitraum. Auch die allgemeine Informationspflicht besteht nur während des laufenden Vertrages und erlischt mit seinem Ende. Danach hat der HV den Unternehmer nur dann ungefragt über seine Erfahrungen oder Erkenntnisse zu informieren, wenn er vor Vertragsende seiner Informationspflicht vertragswidrig nicht hinreichend nachgekommen ist 659. Auf Verlangen des Unternehmers muss er aber nachträglich erfüllen. Bei außergewöhnlichen Gefährdungen des Unternehmers kann der HV auch nach Vertragsende unter dem Gesichtspunkt der nachvertraglichen Treupflicht (Rn 56) zu einer Warnung an den Unternehmer verpflichtet sein, sofern nicht bei Abwägung mit einer Verschwiegenheitspflicht aus einem neuen Vertrag das Schweigen geboten ist.

155

bb) Zeitpunkt der Information. Allgemein hat der HV den Unternehmer unverzüglich zu unterrichten. Grundsätzlich bestimmt die Dringlichkeit der Kenntnisnahme den Zeitpunkt der geschuldeten Unterrichtung 660. Fehlt ein Bedürfnis nach unverzüglicher 654 655 656 657

Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 37. BGH BB 1966, 265 = DB 1966, 375 = NJW 1966, 882; Küstner/Thume I, Rn 543. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 277; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 34. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 278.

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658 659 660

Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 33. AA Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 13. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 11; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 21; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 48; Hopt § 86 Rn 42.

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§ 86

Information, genügt eine periodische Auskunft in festen Abständen 661, z.B. hinsichtlich laufender Beobachtungen und Erfahrungen. Bei dieser periodischen Informationspflicht dürfte es sich regelmäßig um die unter Rn 159 behandelte Berichtspflicht handeln. Der HV hat den Unternehmer auf Nachfrage zu informieren 662, es sei denn, es fehlt das erforderliche Informationsinteresse 663 oder die Nachfragen beruhen auf Schikane, wofür allerdings der HV beweispflichtig wäre. Zudem hat der HV den Unternehmer ungefragt über alles bekannt gewordene zu informieren, was bei objektiver, die Interessen beider Seiten berücksichtigender Würdigung 664 für den Unternehmer und sein geschäftliches Verhalten von Bedeutung sein kann 665. Ob der HV Einzelnes unter dem Gesichtspunkt der Vertraulichkeit oder Diskretion 666 gegenüber dem Kunden verschweigen darf, hat er zu prüfen; es kann auch im Interesse des Unternehmers liegen, dass ein Kunde Vertrauen zum HV hat. Im Zweifel hat das Informationsinteresse des Unternehmers Vorrang. cc) Umfang. Der HV hat über alle Umstände zu informieren, die für die Vertragsaus- 156 führung und die vertrauensvolle Zusammenarbeit der Vertragspartner erheblich sind 667. Aufgrund seiner allgemeinen Informationspflicht muss der HV z.B. folgende Tatsachen mitteilen: – Anregungen und Empfehlungen, etwa für die Produktion 668; – Arbeitsunfähigkeit 669; – Außergewöhnliche Risiken eines Geschäftes 670, insbesondere wenn der HV als Abschlussvertreter das Geschäft für den Unternehmer abschließen will; – Bedarf von Kunden innerhalb und außerhalb des Bezirks 671; – Erklärungen von Kunden, z.B. Reklamationen 672; – Erfahrungen, die der HV innerhalb und außerhalb des Vertriebsgebiets mit Produkten des Unternehmers und dessen Konkurrenten gemacht hat einschließlich der Reaktionen von Interessenten und Kunden 673; – dass der HV die zusätzlich zur Provision gezahlte Mehrwertsteuer ordnungsgemäß an das Finanzamt abgeführt hat, um den Unternehmer in den Stand zu setzen, seinerseits den Vorsteuerabzug geltend machen zu können 674. Diese Mitteilung wird sammelweise und jeweils abgestimmt auf die Termine für die Umsatzsteuer-Vorauszahlungen erfolgen dürfen (diese Information ist wohl nur auf Nachfrage geschuldet); – Gründe für den Absatz von Konkurrenzprodukten 675; – Informationen über durch den HV verbotswidrig für einen Wettbewerber des Unternehmers vermittelten Geschäfte 676; 661 662 663 664 665

666 667 668 669

Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 11. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 37. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 37. BGH, Urt. v. 13.01.1966 – VII ZR 9/64, NJW 1966, 882 (883). LAG Bremen DB 1955, 123; Ordemann DB 1963, 1565; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 10; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 21; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 86 Rn 48; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 20a. Hopt § 86 Rn 41. Küstner/Thume I, Rn 548. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 10; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 50. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 14.

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Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 22. Martinek/Flohr § 8 Rn 61. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 10; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 9; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 45, 50. LAG Bremen DB 1955, 123; Ebenroth/ Löwisch § 86 Rn 10. OLG Nürnberg, Beschl. v. 27.05.1975 – 6 W 31/75, zitiert nach Küstner/Thume I, Rn 548. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 10. BGH DB 1996, 1279 = NJW 1996, 2097; NJW 1964, 817 = HVR Nr. 311; Küstner/ Thume I, Rn 1520.

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– die Absicht, weitere Vertretungen zu übernehmen, falls die zusätzliche Vertretung eine Konkurrenzvertretung ist 677 oder die Übernahme weiterer Vertretungen der Zustimmung des Unternehmers bedarf 678; – Konditionen eines geschlossenen oder vorgesehenen Vertrages unter Übermittlung eines ggf. existierenden Vertragsentwurfs 679; – Konkurrenzprodukte 680 und Wettbewerbstätigkeit 681; – Kreditwürdigkeit eines Kunden insbesondere: bei Zweifeln an ihr 682; – Kundenwünsche 683; – Krankheit, Verhinderung oder Abwesenheit: Bei länger dauernder Krankheit oder Verhinderung wird der HV seinem Unternehmer Mitteilung zu machen haben, wer ihn als Mitarbeiter oder Handlungsbevollmächtigter in der Agenturfirma vertritt, oder ob eine Vertretung nicht möglich ist, damit der Unternehmer für eine anderweitige Betreuung der Kundschaft oder des Bezirks Sorge tragen kann 684; – Markt- und Kundenbeobachtungen 685; – Mitarbeiter: ihre Tätigkeit 686 und ihren Aufgabenbereich (aber wohl nur auf Nachfrage); – Namen und Adressen von Kunden 687; – Mängelrügen; – Reaktionen von Interessenten und Kunden 688; – Reklamationen; – längere Verhinderung 689; – Vermögensverhältnisse des Kunden: Informationen, die für den Unternehmer von Interesse sind, etwa zum Vermögensverfall 690 (siehe auch zur Bonitätsprüfungspflicht); – Vermittlungsbemühungen: Die unterlassene Unterrichtung des Unternehmers von Vermittlungsbemühungen des HV kann je nach den Umständen des Einzelfalls zum Verlust des Provisionsanspruchs führen, wenn der Unternehmer in Unkenntnis der Bemühungen des HV mit dem Kunden ein Direktgeschäft abschließt und bei der Preisvereinbarung einen Provisionsanspruch nicht berücksichtigt 691. Zu prüfen ist aber immer, ob der HV mit einem Direktgeschäft des Unternehmens rechnen musste; – Vertragsverletzungen von Kunden 692; – Vertretungsregelung bei längerer Krankheit; – Werbemethoden 693;

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Küstner/Thume I, Rn 550. Küstner/Thume I, Rn 551. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 23, 24. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 10; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 50. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 10; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 50. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 17; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 86 Rn 50. OLG Köln DB 1971, 865; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 10; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 50. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 14; Hopt § 86

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685 686 687 688 689 690 691 692 693

Rn 41; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 86 Rn 50. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 10; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 22. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 2. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 23, 24. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 10. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 14. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 25. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 44; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 14. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 50. Hopt § 86 Rn 41.

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§ 86

– Wünsche des Kunden 694 oder Dritter 695. Keine Informationspflicht besteht regelmäßig über 157 – den Wunsch des HV, vertragsbegleitend Vertretungen zu übernehmen, die keine Konkurrenzvertretungen sind, es sei denn, es wurde eine Zustimmungspflicht des Unternehmers vereinbart 696 oder dessen Belange werden in besonderer Weise erkennbar berührt. Dies gilt erst recht nach Vertragsende 697. Denn der HV unterliegt außerhalb des o.g. Wettbewerbsverbots keinem Tätigkeitsverbot und braucht über ihm gestattete Tätigkeiten daher keine Informationen zu erteilen. Es empfiehlt sich gleichwohl, die Abstimmung mit dem Unternehmer zu suchen. Grundlage für Schadensersatzansprüche oder Kündigungsmaßnahmen des Unternehmers wäre ohnehin in erster Linie die nicht genehmigte Tätigkeit, und nur in zweiter Reihe das Ausbleiben der Mitteilung über deren Vorhaben; – den Wunsch des HV, nachvertraglich einen Wettbewerber 698 oder ein anderes Unternehmen 699 zu vertreten. Eine Offenbarungspflicht ist in diesem Zusammenhang von der 4. Aufl. diskutiert worden, wenn der HV bei einem gekündigten oder wegen Befristung auslaufenden Vertragsverhältnis die Absicht hat, demnächst als HV oder auch im Angestelltenverhältnis in die Dienste der Konkurrenz zu treten. Der Unternehmer müsse die Möglichkeit haben, den Einsatz des HV in dieser Zeit so zu gestalten, dass er nicht mehr als unvermeidbar Nutzen hieraus für die demnächstige Tätigkeit bei der Konkurrenz ziehen kann. Auch der Ausschluss des HV von Betriebsgeheimnissen werde dann aktuell. Schon die 4. Aufl. zweifelte allerdings, ob der HV diese Absicht (ab wann?) wirklich in jedem Falle und von sich aus dem Unternehmer mitzuteilen habe. Allenfalls könne eine Pflicht hierzu angenommen werden, falls der HV mit dem künftigen Konkurrenzunternehmer bereits einen festen Vertrag abgeschlossen habe. Sonst aber wird es Sache des Unternehmers sein, den HV über seine Absichten zu befragen, falls er Klarheit zu haben wünscht. Dann freilich hat der HV seine Pläne wahrheitsgemäß offenzulegen; – eine fristlose Kündigung in einem früheren Beschäftigungsverhältnis 700, es sei denn, hieran besteht (z.B wegen des Grundes – Vertrauensposition) ausnahmsweise ein erhebliches Interesse; – die Arbeits- und Werbemethoden des HV 701, es sei denn, der HV weicht von verbindlichen Vorgaben oder dem in der Branche allgemein Üblichen ab 702. 694 695 696

Martinek/Flohr § 8 Rn 61; Hopt § 86 Rn 41. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 10. Urt. v. 03.05.1995 – VIII ZR 95/94, ZIP 1995, 1001 (1003); BGH, Urt. v. 25.03.1958 – VIII ZR 90/57, DB 1958, 512; auch im Fall BGH. Urt. v. 19.11.1976 – I ZR 84/75, MDR 1977, 289 (290) = WM 1977, 319 lag eine Konkurrenzlage vor; Küstner/Thume I, Rn 552; aA wohl OLG Düsseldorf BB 1969, 330 = DB 1969, 435; OLG Nürnberg BB 1965, 809; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 14; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 22; Hopt § 86 Rn 28; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 50. Begründung: Die Mitteilungspflicht diene nicht der Genehmigung oder dem Verbot einer solchen Tätigkeit, sondern solle dem Unternehmer einen Überblick über die Akti-

697 698

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702

vitäten seines HV mit ihren möglichen Auswirkungen auf den Vertrag sowie die ordnungsgemäße Erfüllung der Pflichten des HV geben. Vgl. auch Hohn DB 1967, 1897; DB 1971, 94 (96). Hopt § 86 Rn 42; aA MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 50. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 14; aA OLG Saarbrücken RVR 1973, 100 mit Anm. Schröder RVR 1973, 161 (164); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 50. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 14. AA Küstner/Thume I, Rn 1871. OLG Köln DB 1971, 865; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 10; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 49. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 10.

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§ 86 158

1. Buch. Handelsstand

Der HV muss auf eine zulässige Nachfrage des Unternehmers wahrheitsgemäß antworten 703, es sei denn, es besteht in Abwägung mit dem Informationsinteresse des Unternehmers ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse oder der HV kann sich auf Notstand berufen (§ 228 BGB). Auch unzulässige Nachfragen wird der HV regelmäßig wahrheitsgemäß beantworten müsse. An einen Notstand und ein Recht zur Lüge ist zu denken, wenn der HV weiß, dass sein rechtmäßiges Verhalten den Unternehmer zu einer unzulässigen Schikanekündigung oder anderen Nachteilen motivieren könnte.

159

c) Berichtspflicht. Die Berichtspflicht ist ein Unterfall der Nachrichtspflicht. Überwiegend wird sie aus der Interessenwahrungspflicht hergeleitet. Wie die Nachrichtspflicht ist auch die Berichtspflicht Neben-, nicht Hauptpflicht 704. Das zur allgemeinen Nachrichtspflicht Gesagte (Rn 153 ff) gilt entsprechend. Der Übergang zwischen Nachricht und Bericht ist fließend. Allgemein wird man sagen können, die Nachricht sei eine kurze, punktuelle Information während der Bericht umfassender ausführt und zudem meist – nicht notwendigerweise – in einer gewissen Regelmäßigkeit erteilt wird. Ob überhaupt eine Teilung zwischen Informations- und Berichtspflicht sinnvoll ist, bleibt eine berechtigte Frage. § 86 erwähnt in Abs. 2 lediglich die Verpflichtung zur Übergabe der „erforderlichen 160 Nachrichten“, nicht aber der Abgabe von Berichten. Aus diesem Grunde kann die Verpflichtung zur Abgabe regelmäßiger Berichte auch abbedungen werden, § 86 Abs. 4 steht wegen fehlender Normierung der Berichtspflicht nicht entgegen 705. Gleichwohl besteht auch bei Derogation der Berichtspflicht eine Verpflichtung zur Information, wenn die Übermittlung der Information „erforderlich“ (§ 86 Abs. 2) sein sollte, die Verpflichtung ist insoweit zwingend. Dann handelt es sich um eine Erfüllung der allgemeinen Nachrichtspflicht (s.o.).

161

aa) Zweck. Die Berichtspflicht dient dem Unternehmer dazu, einen Überblick über die Marktsituation, den Wettbewerb, die Absatzlage, die Wünsche und Erwartungen der Kunden sowie eine mögliche Produktverbesserung zu erhalten 706. Der Unternehmer soll sich über die Marktverhältnisse ein eigenes Bild schaffen. Zudem soll sich der Unternehmer ein Bild über die Tätigkeit des HV machen können 707. Auch der HV hat Interesse an der regelmäßigen Information des Unternehmers. Mangels einer solchen bleibt der Unternehmer ohne Kontakt zum Markt und produziert an dessen Bedürfnissen vorbei.

162

bb) Verpflichteter. In erster Linie ist der HV, nicht der Unternehmer, zu Berichten verpflichtet. Das bedeutet nicht, dass der Unternehmer nicht gehalten sein kann, ebenfalls zu berichten und zu informieren, falls dies objektiv erforderlich sein sollte. Dann resultiert diese „Berichtspflicht“ jedoch nicht aus der stärkeren, nur dem HV obliegenden Interessenwahrungspflicht oder der allgemeinen Nachrichtspflicht sondern aus der allgemeinen Treu- und Informationspflicht (§ 242 BGB). Die Verpflichtung zur Erteilung erforderlicher Informationen besteht auch im Recht HV-ähnlicher Vertriebsmittler, wohl aber nicht die typische Berichtspflicht des HV-Rechts. Deshalb sind Berichte im Franchise- und Vertragshändlerrecht auch eher untypisch. Sie können jedoch auch dort gefor-

703 704 705

Küstner/Thume I, Rn 557. AA Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 12. AA Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 1.

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Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 13. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 13.

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dert sein, sofern der Unternehmer Informationen in Berichteform über den Markt erwarten darf und eine solche Pflicht kann – innerhalb der unten genannten Grenzen – auch hier vertraglich vereinbart werden. cc) Berichtsturnus. Über die Häufigkeit der Berichte enthält § 86 keine ausdrückliche 163 Regelung. Wie jede Information müssen auch Berichte unverzüglich vorgelegt werden, falls sie erforderlich sind, also ohne schuldhaftes Zögern i.S.d. § 121 Abs. 1 BGB 708. Der Berichtsturnus ist in erster Linie aus dem Vertrag 709 und in zweiter Linie aus der gesetzlichen Regelung unter Würdigung der Interessen des Unternehmers abzuleiten. Die Bedürfnisse des Unternehmers sowie des Marktes bestimmen über die Häufigkeit der Berichte 710. So können Berichte, die in einem Fall zeitlich (und inhaltlich) erforderlich und für den Unternehmer von größter Bedeutung sind in anderen Fällen entbehrlich sein 711. Eine starre Regelung zum Berichtsturnus gibt es nicht, insbesondere keine Verpflichtung zu regelmäßigen Berichten oder Tages- oder Wochenberichten 712. Auch braucht der HV nicht über jeden Kundenbesuch schriftlich Mitteilung zu geben 713 oder über „jeden seiner Schritte und Besuche“ Bericht zu erstatten 714, weil dies nicht erforderlich wäre. Eine Berichtspflicht hinsichtlich jeder einzelnen vom HV beabsichtigten oder vorgenommenen Vertriebsmaßnahme oder jedes Geschäfts sieht das Gesetz nicht vor 715. Sie kann nur bestehen, wenn der HV ein unübliches Geschäft tätigen will und dem Unternehmer Gelegenheit gegeben werden muss, Weisungen zu äußern 716. Entscheidend ist: Berichte müssen abgegeben werden, sobald sie objektiv erforderlich sind, dann aber auch unverzüglich, und zwar so zeitig, dass sie der Unternehmer zum benötigten Zeitpunkt verwerten kann 717. Wann dies ist, beurteilt sich nach den Verhältnissen des Einzelfalls 718 und dem Handelsbrauch. Ein Bericht ist erforderlich, wenn ihn der Unternehmer objektiv betrachtet erwarten und ihn der HV als ordentlicher Kaufmann (§ 86 Abs. 3) erstatten müsste. Unter Umständen können periodische Berichte erforderlich sein, jedoch nicht immer und ohne Grund. Nimmt der Unternehmer die Berichte des HV nicht zur Kenntnis, indiziert dies die fehlende Notwendigkeit dieser Berichte 719. Besteht eine Berichtspflicht, muss der HV so rechtzeitig berichten, dass der Unternehmer ggf. durch Weisungen das Geschehen steuern kann 720. Besonders Bedeutsames, etwa Risiken, muss sehr rasch mitgeteilt werden 721. Ein bedeutendes Geschäft kann einen Zwischenbericht erfordern 722, insbesondere, falls sich der Unternehmer einschalten oder Vorbereitungen tref708 709

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Westphal Vertriebsrecht I, Rn 278. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 52; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 20b. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 16. Küstner/Thume I, Rn 535; ebenso Röhricht/ Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 16. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 52. OLG Köln BB 1971, 543 = DB 1971, 865; AG München HVR Nr. 147; Küstner/ Thume I, Rn 538; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 49. OLG Köln BB 1971, 543 = DB 1971, 865; Küstner/Thume I, Rn 538; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 18; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 20a.

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Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 37; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 23. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 37; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 23. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 52. BGH BB 1966, 265 = DB 1966, 375 = NJW 1966, 882; Küstner/Thume I, Rn 535; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 16. Vgl. Küstner/Thume II, Rn 1403. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 37; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 22. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 20b. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 37; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 49.

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fen, etwa die Produktionsplanung an den in Aussicht stehenden Geschäftsabschlüssen ausrichten muss 723 und oft dann, wenn der HV Provisionsvorschüsse erhalten hat 724. Weniger Bedeutsames kann in Sammelberichten mitgeteilt werden 725. Hat der Unternehmer begründeten Anlass, am Einsatz des HV zu zweifeln oder liegen besondere Umstände, z.B. starke Umsatzrückgänge 726, vor, darf er einen engeren Berichtsturnus erwarten, jedoch nur bis zu dem Zeitpunkt, zu dem bei vernünftiger Betrachtung die berechtigten Zweifel ausgeräumt sind, angeblich jedoch nicht zu dem Zweck, den HV und seinen Arbeitseinsatz zu kontrollieren (zwh.)727. Er kann daraufhin Berichte in dichterer und auch regelmäßigerer Folge verlangen, um beurteilen zu können, ob die Ursache in einer nachlassenden Tätigkeit des HV oder in einer sich kontinuierlich verschlechternden Marktlage zu suchen ist. Dem darf der HV dann nicht die Wahrung seiner Selbständigkeit entgegenhalten. Der BGH hat in diesem Zusammenhang sogar die Forderung nach wöchentlichen Kundenbesuchsberichten gebilligt 728. Besonders häufig entstehen Diskussionen über die Berichtspflicht nach Kundenbesu164 chen. Grundsätzlich wird der HV nicht über jeden Kundenbesuch berichten müssen, sondern nur zusammenfassend über Besonderheiten, die ihm während seiner Besuche mitgeteilt wurden und über welche der Unternehmer erwarten darf, informiert zu werden. Deshalb gibt es auch keinen Handelsbrauch, demzufolge periodische Kundenbesuchsberichte zu erstatten sind 729, da es auf die Erforderlichkeit im einzelnen Vertrag und den konkret existierenden Bedarf ankommt. Der Unternehmer muss einen Marktüberblick erhalten.

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dd) Inhalt. Der HV hat dem Unternehmer die „erforderlichen“ Berichte zu geben, um ihm ein möglichst präzises und zuverlässiges Bild über die Marktsituation 730 und die Tätigkeit des HV 731 zu geben, wobei letztgenannter Zweck in die zweite Linie zurücktritt 732. Die Erforderlichkeit bestimmt also nicht nur über die Häufigkeit der Berichte (Rn 163) sondern auch über ihren Inhalt. Was erforderlich ist ordnet sich nach den Verhältnissen des Einzelfalls. Der Bericht muss so informativ sein, dass er alle Umstände, die für die Disposition des Unternehmers nötig sind, richtig und vollständig in zutreffender Gewichtung mitteilt. In jedem Fall muss der HV alles ihm Bekannte zu den Marktgegebenheiten und dem Kundenverhalten weitergeben, ebenso die Informationen, die er von Kunden erhält. Umgekehrt sind die Berichte von Überflüssigem und Wiederholungen freizuhalten, weil das Gebot der Klarheit gilt. Der HV braucht deshalb auch nicht in Details zu jedem Kundenbesuch zu schwelgen. Vermutungen sind als solche zu kennzeichnen. Der HV darf eine Marktsituation nicht deshalb „geschminkt“ darstellen, weil eine wahrheitsgemäße Berichterstattung den Unternehmer dazu veranlassen könnte, die Produktion derjenigen Artikel, die der HV vertreibt, einzustellen – nur weil der HV sich eine letzte Chance nicht entgehenlassen zu können glaubt, dass die Lage sich vielleicht noch wieder bessern möchte. Die Parteien können durch ihre tatsächliche Übung deutlich 723 724 725 726

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Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 37. AA Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 37. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 20b. BGH NJW 1966, 882; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 17; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 19; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 21. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 11. BGH NJW 1966, 882; WM 1988, 33; zust. Hopt § 86 Rn 42.

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Ordemann S. 1566. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 13. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 14. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 15.

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machen, was sie für erforderlich halten. Moniert der Unternehmer nicht, dass der HV über Jahre lediglich über außergewöhnliche Vorkommnisse berichtet oder begnügt er sich über lange Zeit mit fernmündlichen Berichten, darf er bei gleich bleibenden Verhältnissen nicht plötzlich regelmäßige oder ausführliche schriftliche Berichte fordern. Denn die Parteien haben sich dann meistens konkludent auf diese Berichtsform geeinigt, so dass eine hiervon abweichende Regelung nur mittels Vertragsänderung erfolgen kann. Auch die mangelnde Forderung gegenüber anderen HV nach vergleichbaren Berichten indiziert fehlende Erforderlichkeit. Anders ist es, wenn sich der Markt verändert hat. Denn dann darf sich der HV nicht 166 damit begnügen, auf das Vergangene hinzuweisen, sondern muss auf die Marktveränderung reagieren. Hierzu kann auch eine extensivere Berichtspflicht gehören. Da das Gesetz namentlich die Berichtspflicht hinsichtlich der Geschäftsvermittlung oder Geschäftsanbahnung hervorhebt, sind an die Berichtspflicht zudem größere Anforderungen zu stellen, falls es sich um die Anbahnung und Vermittlung eines umfangreichen Geschäfts handelt, welches auf Unternehmerseite besondere Investitionen erforderlich macht. Andererseits können inhaltlich (und zeitlich) geringere Anforderungen gestellt werden, wenn es sich um den Vertrieb von gut eingeführten Artikeln des täglichen Bedarfs handelt 733. Zur Beweislast beim Streit um die Erforderlichkeit der Berichtspflicht: Ordemann DB 1963, 1566. Berichte müssen insbesondere erteilt werden wenn: 167 – außergewöhnliche Umstände, etwa Großobjekte und Risiken 734, dies erfordern; – Zweifel an der Kreditwürdigkeit eines Kunden mitgeteilt werden müssen 735; – Mängelrügen von Kunden vorliegen; – Eine Ergänzung der Berichte erforderlich ist 736. ee) Form der Berichte. Weil das Gesetz die Berichte selbst nicht erwähnt, wird auch 168 ihre Form nicht vorgeschrieben 737. Zunächst einmal gilt das oben zur Nachrichtspflicht Gesagte. Auch die Form sowie der Inhalt der Berichte wird in erster Linie durch das zulässigerweise Vereinbarte bestimmt 738, hilfsweise durch die „Erforderlichkeit“. Es kommt also darauf an, was das Interesse des Unternehmers objektiv im Lichte der Besonderheit und Dringlichkeit des Falles erfordert 739. Ist die Angelegenheit eilbedürftig, kann ein telefonischer Bericht erforderlich und genügend sein, z.B. dann, wenn die Berichtserstattung so schnell und umfangreich erfolgen muss, dass eine solche per Fernkopie oder E-Mail ausscheidet. In der Praxis gibt es alle Formen, nämlich telefonisch, persönlich, per Fernkopie, per Brief und sogar per Diktat, welches im Hause des Unternehmers geschrieben wird 740. Berichte in Textform sind daher nicht zwingend vorgeschrieben, wenngleich dies vertreten wird 741. Meist wird jedoch in Textform berichtet und ein solcher Bericht wegen der notwendigen Perpetuierung oft auch erforderlich sein. Die Erforderlichkeit mag durch eine bestimmte Übung mglw. sogar konkludent vereinbart worden sein. Besteht etwa eine Übung zur Teilnahme an regelmäßig stattfindenden Besprechungen mit dem Unternehmer, kann die Berichtspflicht in deren Rahmen mündlich erfüllt

733 734 735 736 737

Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 17. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 20b. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 17. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 25. Hopt § 86 Rn 43.

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MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 51. Hopt § 86 Rn 42. Küstner/Thume I, Rn 539. Für Schriftform: Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 12.

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werden 742. Jedenfalls ist, sofern dies erforderlich ist und dem keine besonderen Gründe entgegenstehen, der Bericht auf Verlangen des Unternehmers in Textform vorzulegen 743. Dies gilt insbesondere bei einer Vielzahl von Kunden oder berichtspflichtigen Vorgängen, es sei denn, die Forderung erfolgt rechtsmissbräuchlich oder sie behindert den HV auch im Lichte des berechtigten Informationsinteresses des Unternehmers ungebührlich. Denn die Entwicklung des Marktes lässt sich nach Jahren oft nur noch aus den Akten nachvollziehen, weshalb Berichte in Textform erforderlich sein können.

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ff) Vertragliche Vereinbarungen zu den Berichten. (1) Zur Häufigkeit der Berichte. Die zeitliche Abfolge der Berichte darf vereinbart werden. § 86 Abs. 4 steht nicht entgegen, weil die Berichte im Gesetz nicht erwähnt und eine bloße Konkretisierung den Kernbereich der durch § 86 Abs. 4 geschützten Rechte und Pflichten nicht berührt. Ein völliger Verzicht auf erforderliche Informationen ist nicht möglich, allerdings auf turnusmäßige Berichte 744. Deshalb ist ein Verzicht auf solche Berichte nicht als Derogation des allgemeinen Informationsrechts auszulegen 745. Eine periodische Berichterstattung darf vereinbart werden. Der Klarstellung halber ist eine solche Vereinbarung angeraten. Ihre Grenzen findet sie an der Selbständigkeit des HV, weiter an den §§ 138, 242, 307 BGB, wobei bei der Bestimmung der Grenzen einer individualvertraglich vereinbarten Berichtspflicht Großzügigkeit angebracht sein sollte. Die Regelung überschreitet die Schwelle zur Unzulässigkeit, wenn die Anforderungen an die vereinbarte Berichterstattung den HV daran hindert, seine Tätigkeit im Wesentlichen frei zu gestalten und seine Arbeitszeit selbst zu bestimmen 746. Zudem findet die vertraglich vereinbarte Berichtspflicht ihre Grenze in dem Verbot der Schikane (§ 226 BGB). Ob feste Berichtstermine (zum Wochenende, vierzehntägig, zum Monatsende) und Berichtspflichten über jeden Kundenbesuch die Selbständigkeit des HV bei der Erfüllung seiner Obliegenheiten im Kern beeinträchtigen würden, erscheint entgegen der 4. Aufl. sehr zweifelhaft. Eine vereinbarte zweiwöchige Berichtspflicht kann nach den Verhältnissen des Einzelfalls noch angemessen sein 747. Kürzere Berichtspflichten können bei begründetem besonderen Bedarf mittels Individualvereinbarung im Einzelfall festgelegt werden 748. Eine vertraglich vorgeschriebene tägliche oder für jeden einzelnen Kundenbesuch vorgeschriebene Berichtspflicht ist mit der Stellung des HV als selbständiger Kaufmann kaum vereinbar 749.

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(2) Zum Inhalt der Berichte. Auch die Konkretisierung des Inhalts und der Berichtsform im Vertrag ist grundsätzlich zulässig 750. Eine vertragliche Erweiterung der gesetzlichen Berichtspflicht findet stets ihre Grenze dort, wo sie entweder den Kreis der „erforderlichen“ Übermittlung von Nachrichten völlig verlässt oder den Kernbereich der Selbständigkeit des HV beeinträchtigt 751 (Rn 169). Der Unternehmer darf neue „Be-

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Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 12. OLG Braunschweig NJW-RR 1996, 1316; Hopt § 86 Rn 43. Vgl. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 27. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 33. Küstner/Thume I, Rn 543. Ebenroth/Löwisch, § 86 Rn 11. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 11; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene Rn 52; einschränkend für wöchentliche Berichtsfristen: Hopt § 86 Rn 42; OLG Oldenburg DB 1964, 105.

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750 751

BGH, Urt. v. 16.02.1989 – I ZR 185/87, NJW-RR 1989, 862 (863) = BB 1989, 1076 = WM 1989, 1060; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 11; Hopt § 86 Rn 16; Röhricht/ Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 19; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 52; aA OLG München BB 1957, 560. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 37. BGH BB 1966, 265 = DB 1966, 375 = NJW 1966, 882; Küstner/Thume I, Rn 543.

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richtsrichtlinien“ erlassen, sofern sie die gesetzliche Regelung nicht überdehnen, nicht überzogen sind und von allen HV zu beachten sind. (3) AGB. Auch mittels AGB dürfen die Berichtspflichten ausgestaltet werden, und 171 zwar nicht nur gegenüber HV hochwertiger Produkte sondern auch gegenüber solchen von Massenware 752. Erfolgt die Regelung durch AGB (Vor § 84 Rn 33) muss die Regelung aber in allen denkbaren und üblichen Fällen bei abstrakt-genereller Betrachtung noch angemessen sein. (4) Details. Folgende Berichtspflichten dürfen nicht vereinbart werden und sind für 172 den HV unverbindlich: – Berichtspflicht über jeden Besuch des HV; – Tägliche Berichterstattung 753; – Wöchentliche Berichterstattung 754 (bei Besonderheiten der Branche oder starkem Umsatzrückgang 755 ist eine Gegenansicht vertretbar); – Kontrollberichte, die der Unternehmers allein deshalb fordert, um die Tätigkeit des HV zu kontrollieren, nicht dagegen, um über den Markt informiert zu sein 756 (mangelndes Informationsinteresse); – Vertraglich vereinbarte Berichte solchen Umfanges, dass sie der Unternehmer nicht mehr auswerten kann oder will 757. Diese Eingrenzung ergibt sich zwar nicht daraus, dass der Unternehmer eine Auswertungspflicht hat 758 (eine solche Pflicht besteht nicht, vielmehr handelt es sich um eine Obliegenheit des Unternehmers), sondern deshalb, weil nicht ausgewertete Berichte nicht „erforderlich“ sein können. Folgende vertragliche Vereinbarungen über die Berichtspflicht sind hingegen gestattet: – eine zweiwöchige Berichtspflicht, bei besonderem Anlass auch eine kürzere 759; – Bericht auf Formularen des Unternehmers (Rn 175) 760, sofern der HV hierdurch nicht unbillig belastet wird (s.o.); – Regelmäßige Kurzberichte über Kundenbesuche, in denen die besuchten Kunden benannt sind und über mitteilungswerte Informationen, welche die Besuche ergaben, berichtet wird. gg) Weisungen zu den Berichten. Hinsichtlich des Inhalts und der zeitlichen Abfolge 173 der Berichte besteht Raum für ein Weisungsrecht des Unternehmers 761, allerdings nur 752 753

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AA Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 37. BGH, Urt. v. 16.02.1989 – I ZR 185/87, NJW-RR 1989, 862 (863) = BB 1989, 1076 = WM 1989, 1060; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 11; Hopt Rn 16; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 19; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 52; aA OLG München BB 1957, 560. OLG Oldenburg DB 1964, 105; Graf v. Westphalen DB 1984, 2335 (2336); Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 19. BGH NJW 1966, 882; WM 1988, 33; Hopt § 86 Rn 42; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 19.

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Küstner/Thume I, Rn 545; OLG Oldenburg DB 1964, 105. Küstner/Thume I, Rn 547. So Küstner/Thume I, Rn 547. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 11; aA 4. Aufl., § 86 Rn 18. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 12. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 11; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 19, 51; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 20a, 32 (aA aber Rn 21: nur bei vertraglicher Vereinbarung eines Weisungsrechts welches dann aber konsequenterweise in Konflikt mit der zwingenden Natur des § 86 geraten dürfte).

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sofern hierdurch die Erforderlichkeit konkretisiert oder eine vertragliche Regelung nicht überdehnt wird. Ansonsten besteht ein Weisungsrecht nur soweit dies vertraglich vereinbart ist. Entgegen der gesetzlichen („Erforderlichkeit“) oder der vertraglichen Regelung dürfen zu den Berichten keine Weisungen gegeben werden, weil dies der Interessenwahrungspflicht widerspricht. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände, etwa erheblicher Umsatzrückgänge im Vertriebsgebiet des HV, dürfen darüber hinausgehend Berichte vom Unternehmer vorübergehend einseitig verbindlich angeordnet werden 762. Eine Verpflichtung des Unternehmers zu Weisungen besteht nicht 763. In Abwesenheit von Weisungen muss der HV den Interessen und dem mutmaßlichem 174 Willen des Unternehmers gemäß handeln 764. Dagegen kann dem HV mittels Weisungen nicht vorgeschrieben werden, „Übermaßberichte“ zu übermitteln, weil solche nicht erforderlich und damit vertragswidrig sind. Sondersituationen erlauben einengendere Weisungen, etwa in der Situation starken Umsatzrückgangs 765. Was vertraglich nicht vereinbart werden darf, kann auch nicht durch Weisungen vorgeschrieben werden. Hinsichtlich des Zulässigen gelten daher die Ausführungen zu vertraglichen Vereinbarungen (Rn 169 ff). Allgemeine Kundenbesuchsberichte soll der Unternehmer angeblich durch Weisung dem HV auferlegen dürfen, wenn er ihm einen Spesenzuschuss zahlt 766. Ob der HV verpflichtet ist, auf Weisung oder vertragliche Vereinbarung, Formulare 175 des Unternehmers für seine Berichte zu nutzen oder jene computergerecht aufzuarbeiten767, ist ungeklärt. Nach einer Ansicht soll der Unternehmer durch Weisung die Einhaltung bestimmter Formalien, genannt werden die Verwendung von Vordrucken, Formularen, verbindlich vorschreiben dürfen768. Macht dies keine besonderen Umstände und/ oder erleichtert dem Unternehmer die Arbeit, ohne sie für den HV ungebührlich zu erhöhen, entspricht es der Interessenwahrungspflicht des HV, die gewünschte Form zu verwenden. Sind für den HV dagegen besondere Schwierigkeiten mit der Nutzung dieser Formulare verbunden, kommt es darauf an, ob das Formularwesen „erforderlich“ im Sinne des § 86 Abs. 2 ist. An diesen Maßstäben orientiert sich auch die nachträgliche Einführung von Formularen. Grundsätzlich kann – wie oben ausgeführt – eine bestimmte Form der Berichte stillschweigend vereinbarte Vertragspflicht sein, insbesondere nach jahrelanger Übung. Wie ausgeführt, ist der HV aber unter dem Gesichtspunkt der Interessenwahrungspflicht gehalten, den Unternehmer zu unterstützen. Es sind also – trotz vorher abweichender Übung – Formulare des Unternehmers zu verwenden, sofern dies entweder dem Vertreter keine Mühe macht oder erforderlich sein sollte. Immer ist das Schutzbedürfnis des HV zu berücksichtigen. In diese Richtung geht ein 176 Urteil des BGH vom 24.09.1987 769. Der Unternehmer hatte den HV angewiesen, Wochenberichte zu übersenden, die in einer bestimmten Form abgefasst werden sollten. Der HV kam dieser Aufforderung nicht nach und verwendete nach einer Mahnung des Unternehmers für die Wochenberichte nicht die gewünschten Formulare, sondern gab weiterhin Nachrichten in der bisher von ihm geübten Form ab. Der Unternehmer kündigte außerordentlich aus wichtigem Grunde. Der BGH verneinte einen wichtigen Grund

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763 764 765 766

BGH, Urt. v. 13.01.1966 – VII ZR 9/64, NJW 1966, 882; BGH, Urt. v. 24.0.1987 – I ZR 243/85, NJW-RR 1988, 287; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 11. AA Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 32. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 32a. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 20a. SG München VersR 1963, 921.

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MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 51. BGH NJW-RR 1988, 287; Ebenroth/ Löwisch § 86 Rn 12; Hopt § 86 Rn 43; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 51. DB 1988, 41 = MDR 1988, 286 = NJW-RR 1988, 287.

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zur Kündigung, weil die Weigerung des HV, seiner Berichtspflicht in der geforderten Form nachzukommen, das Vertragsverhältnis nicht in so erheblichem Maße erschüttert habe, dass dem Unternehmer ein Festhalten am Vertrag unzumutbar geworden sei. Denn der HV hatte – wenn auch nicht in der verlangten Form – berichtet, und durch die Berichte des HV erhielt der Unternehmer in ausreichender Weise Kenntnis von den Marktvorgängen. hh) Folgen fehlerhafter Berichterstattung. Die fehlerhafte oder mangelhafte Bericht- 177 erstattung ist eine Vertragsverletzung, die zum Schadenersatz berechtigt. Dies gilt sowohl auf Seiten des Unternehmers, wenn dieser „Übermaßberichte“ fordert wie auf Seiten des HV, falls er unzureichend berichtet. Entsteht dem Unternehmer durch unzureichende Berichte ein Schaden, so ist er nach § 280 BGB schadenersatzberechtigt 770. Der Unternehmer darf im Falle unzureichender Berichterstattung aus wichtigem Grund kündigen771, jedoch nur nach ergebnisloser Abmahnung. Der HV verliert dann seinen Ausgleichsanspruch. Umgekehrt kann die Forderung des Unternehmers nach Übermaßberichten den HV – je nach Schwere des Vertragsverstoßes des Unternehmers – einen Grund zur außerordentlichen Kündigung geben, zudem einen begründeten Anlass zur Kündigung im Sinne des § 89b, in beiden Fällen jedoch jeweils nur nach vorheriger Abmahnung.

IV. Sorgfaltspflicht des Handelsvertreters (§ 86 Abs. 3) Der HV hat bei der Erfüllung aller ihm obliegenden Haupt- und Nebenpflichten die 178 Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns zu wahren 772. Dies ist seit dem HGB-Reformgesetz 1998 nicht mehr bloße Wiedergabe des ohnehin nach § 347 Abs. 1 Geltenden 773, da der HV nun nicht mehr notwendigerweise Kaufmann ist (§ 84 Rn 14). Für den Unternehmer ist die Kaufmannseigenschaft ohnehin nicht zwingend, weshalb das Fehlen einer Abs. 3 entsprechenden Regel in § 86a unverständlich bleibt. Der Sorgfaltsmaßstab des Abs. 3 gilt dort aber entsprechend, da beide Parteien an denselben Maßstab gebunden sind. § 347 Abs. 2 hat in Abs. 3 keine Entsprechung in § 86 Abs. 3 gefunden und gilt daher im HV-Recht nicht 774. § 86 Abs. 3 bildet eine lex specialis. In § 86 Abs. 3 wird ebenso wie in § 347 Abs. 1 nur der Sorgfaltsmaßstab, nicht der 179 Inhalt der Pflichten bestimmt 775. Der HV schuldet die Sorgfalt, die ein ordentlicher HV bei objektiver Würdigung im konkreten Einzelfall aufzuwenden hat 776. Je größer Risiko, Wert oder Gefahr umso höher die Sorgfaltsanforderungen 777. Wirkt der HV an einem besonders bedeutenden Geschäft mit oder verwahrt er wertvolle Ware, Musterkollektio770 771 772

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Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 17. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 17. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 46; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 58. Hopt § 86 Rn 44; aA MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 58 unter Berufung auf RegE, BT-Drucks. 11/3077, S. 7. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 46.

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Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 20; Hopt § 86 Rn 44; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 58. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 45; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 46. BGH, Urt. v. 07.04.1993 – VIII ZR 133/92, NJW-RR 1993, 926 = WM 1993, 1596; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 46; Hopt § 86 Rn 44; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 86 Rn 58; Schlegelberger/Schröder § 86b Rn 2.

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nen oder ein Auslieferungslager des Unternehmers 778, so steigen die ihn treffenden Sorgfaltsanforderungen 779. Zur Sorgfaltspflicht des HV gehört es: 180 – vor dem Geschäftsabschluss oder einer Geschäftsvermittlung die Kreditwürdigkeit des Geschäftspartners zu überprüfen 780; – Zusicherungen über die Kreditwürdigkeit nur zu geben, wenn sichere Beweise hierfür vorliegen 781. Die Ermittlungspflicht des HV ist aber auf Umstände begrenzt, die er ohne Kosten und Schwierigkeiten über die Kreditwürdigkeit des Kunden in Erfahrung bringen kann 782; – Handelsbücher nach §§ 238 ff zu führen 783. Deshalb darf der HV eine Abrechnung gegenüber dem Unternehmer nicht mit der Begründung verweigern, dieser enthalte ihm Belege vor, sofern er bei ordnungsgemäßer Buchführung die zur Abrechnung notwendige Kenntnis gehabt hätte 784.

H. Persönliche Dienstleistung 181

Der HV ist gemäß §§ 613, 664 BGB im Zweifel verpflichtet, die Dienstleistung persönlich zu erbringen 785. Substitution ist unzulässig 786. Denn Dienstleistungsverträge mit Geschäftsbesorgungscharakter, zu denen HV-Verträge zählen, werden aufgrund des Vertrauens in die Fähigkeiten der zur Geschäftsbesorgung verpflichteten Person geschlossen. Näheres oben, Vor § 84 Rn 41 ff.

I. Rechenschaftspflicht (§ 666 BGB) 182

Das Interesse des Unternehmers an erschöpfender Unterrichtung wird zunächst und hauptsächlich durch die aus § 86 Abs. 2 hergeleitete Auskunfts- und Berichtspflicht des HV abgedeckt. Doch kann das Informationsbedürfnis unter Umständen auch weiter gehen. Gemeint sind zwar nicht unvollständige Berichte: hier verlangt der Unternehmer bis zur Erfüllung (§ 362 BGB) Vervollständigung. Gemäß § 675, 666 BGB ist der HV verpflichtet, Rechenschaft abzulegen787, jedoch nur, falls hierzu ein Anlass besteht. Das bezieht sich hier vor allem auf Angelegenheiten im Anschluss an die Vermittlung oder den Abschluss und ist in eigentlich unnötiger Abgrenzung zu § 86 Abs. 2 (der dort ge-

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BGH, Urt. v. 07.04.1993 – VIII ZR 133/92, NJW-RR 1993, 926 = WM 1993, 1596; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 46; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 5. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 46. RGZ 18, 112; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 59; Röhricht/Graf von Westphalen/Küstner § 86 Rn 10 f. LG Heidelberg BB 1959, 942; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 59. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 60. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 63.

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OLG Köln BB 1971, 760; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 63. Hopt § 86 Rn 18; MünchKommHGB/ v. Hoyningen/Huene § 86 Rn 8. Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 99; Küstner/Thume I, Rn 432; aA Albrecht/ Tentler Das Recht der Agenten nach deutschem Handelsrecht, 1908, S. 35; Stolterfoht S. 77; Trinkhaus Handbuch der Versicherungsvermittlung I, 1955, S. 356; Staudinger/Wittmann § 664 Rn 13. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 53; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 33.

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regelte Anspruch umfasst – falls nötig auch die Rechenschaft) beispielsweise anzunehmen, wenn eine Gesamtheit von Einnahmen oder Unterlagen, etwa kassierte Gelder oder umfangreiche Musterkollektionen, zurückgegeben werden müssen. Gedacht wird ferner an das Ergebnis eines vom HV beantragten Beweissicherungsverfahrens oder die Rechenschaft darüber, dass und warum von einem Antrag hierauf abgesehen worden ist, die Verwaltung eines Musterlagers oder eines Auslieferungslagers, bei Versicherungsvertretern die Bestandspflegetätigkeit oder die Rechenschaft über das dem HV übertragene Inkasso; Schmiergelder 788; eine Auskunft über Werbemethoden dürfte der Nachrichtspflicht des § 86 Abs. 2 unterfallen 789; überhaupt über alles das, was der HV in Ausführung seiner Obliegenheiten von dritter Seite erhalten hat. Bei einer Umsatzbeteiligung mag dem HV gegenüber dem Unternehmer ein Rechnungslegungsanspruch entsprechend § 666, 675, 259 BGB zustehen 790. Dann gelten die §§ 259, 260 BGB. Wer verpflichtet ist, über eine mit Einnahmen oder Ausgaben verbundene Verwaltung Rechenschaft abzulegen, hat dem Berechtigten eine die geordnete und nachprüfbare 791 Zusammenstellung der Einnahmen oder der Ausgaben enthaltende Rechnung mitzuteilen und, soweit Belege erteilt zu werden pflegen, dem Unternehmer 792 Belege vorzulegen (§ 259 Abs. 1 BGB). Wer verpflichtet ist, einen Inbegriff von Gegenständen herauszugeben oder über den Bestand eines solchen Inbegriffs Auskunft zu erteilen, hat dem Berechtigten ein Verzeichnis des Bestandes vorzulegen (§ 260 Abs. 1 BGB). Notfalls muss der HV gem. §§ 259 Abs. 2, 260 Abs. 2 BGB die Richtigkeit eidesstattlich zu versichern 793. Wann die Rechenschaft abzulegen ist, bestimmt sich in erster Linie nach den vertrag- 183 lichen Vereinbarungen 794, hilfsweise nach dem konkreten Gegenstand der Rechenschaftslegung. Da zwischen Unternehmer und HV ein Dauerschuldverhältnis besteht, ist der HV nicht nach jedem einzelnen Geschäftsabschluss zur Rechenschaft verpflichtet, sondern jeweils – falls erforderlich – periodisch 795. Der Monatszeitraum des § 87c Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 dürfte nicht analog anzuwenden sein 796. Über eingenommene Gelder wird periodisch abgerechnet 797, meist monatlich 798 oder vierteljährlich. Sind Gegenstände herauszugeben, etwa umfangreiche Musterkollektionen, ist das Verzeichnis des Bestandes am Ende der Saison, also am Ende der Überlassungsdauer, vorzulegen. Im Zweifel gilt die „Unverzüglichkeit“ des § 86 Abs. 2 analog, wobei die Analogie nicht erforderlich ist, falls man die Rechenschaft als von Abs. 2 erfasst ansieht.

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791 792 793 794

Hopt § 86 Rn 41. AA Hopt § 86 Rn 41. OLG Karlsruhe BB 1966, 1169; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 10. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 53. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 33. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 34. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 53.

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MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 50. AA MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 53. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 53. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 53.

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J. Weisungsfolgepflicht I. Umfang der Weisungsgebundenheit Das Thema „Weisungen“ hat zwei Seiten, nämlich auf der Seite des Unternehmers das Weisungsrecht und auf Seiten des HV die Weisungsfolgepflicht. Die Weisungsfolgepflicht des HV wird üblicherweise in Zusammenhang mit der Interessenwahrungspflicht gebracht 799. Der HV muss als Interessenswahrer des Unternehmers dessen Weisungen nachkommen 800. Richtigerweise ergibt sich die Weisungsfolgepflicht, falls eine vertragliche Regelung dieser Frage besteht, aus jener. In Ermangelung einer vertraglichen Regelung entsteht die Weisungsfolgepflicht des HV aus den §§ 675, 665 BGB 801, da § 665 BGB ein Weisungsrecht des Auftraggebers voraussetzt. In jedem Fall besteht Einigkeit über die Existenz eines Weisungsrechts des Unternehmers. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber die Übernahme von Art. 3 Abs. 2c der HV-Richtlinie nicht für erforderlich gehalten, demzufolge der HV „angemessene“ Weisungen beachten sollte. Vorgesehen war eine Ergänzung des Abs. 1 um die Verpflichtung, sachgerechten Weisungen Folge zu leisten 802, welche jedoch unterblieb. Die in der HV-Richtlinie zum Ausdruck gekommene Beschränkung auf „angemessene“ Weisungen ist wegen des Gebots europarechtsnaher Auslegung innerhalb ihres Anwendungsbereiches (Warenvertreter) gleichwohl für Gerichte maßgeblich. Deshalb darf der HV-Vertrag nichts Abweichendes regeln 803. Außerhalb des Schutzbereichs der Richtlinie ergibt sich die Beschränkung des Unternehmers auf angemessene oder gebotene Weisungen aus dem Wechselspiel der Treuepflichten („Verhältnismäßigkeitsgrundsatz“) 804 und der Regel, dass nicht ausdrücklich vereinbarte Nebenpflichten nur im Rahmen der Erforderlichkeit eingefordert werden können. Je größer das dem Unternehmer drohende Risiko, desto weiter die Grenzen des Weisungsrechts 805. Folglich ist das Weisungsrecht gegenüber einem Abschlussvertreter tendenziell umfassender als gegenüber dem Vermittlungsvertreter 806, angeblich auch gegenüber Versicherungsvertretern807. Weisungen sind einseitige, nicht empfangsbedürftige und bis zu ihrer Ausführung ein185 seitig widerrufliche, ggf. konkludent abgegebene Erklärungen 808 des Unternehmers, mit denen er Anordnungen für die Ausführung der Vertragspflichten für den Einzelfall oder eine Vielzahl gleichgelagerter Fälle 809 gibt 810. Nicht anders als beim Direktionsrecht des Arbeitgebers darf der Unternehmer nur bereits bestehende Pflichten des HV präzisieren 811. Was nur durch Vertrag oder nach Änderungskündigung geregelt werden kann, ist nicht mit Weisung durchzusetzen: Verkleinerung, Verlegung des Vertreterbezirks, Herab-

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799 800 801

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Küstner/Thume I, Rn 561; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 20. OLG München NJW-RR 2003, 401 (402); Hopt § 86 Rn 15. OLG München NJW-RR 2003, 401 (402); Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 30; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 13; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 31. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 2. Zum alten Recht abweichend 4. Aufl., § 86 Rn 19. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 33.

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805 806 807 808 809 810 811

Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 22. BGH BB 1960, 574; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 22. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 22. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 30; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 32a. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 30. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 30. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 13.

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setzung des Provisionssatzes, Untersagung einer weiteren Erwerbstätigkeit (sogar bei einem Einfirmenvertreter nicht; dieser ist nur gehindert, eine weitere Erwerbstätigkeit in Gestalt einer hinzukommenden Vertretung zu übernehmen). Zu Tätigkeiten, die dem HV nach dem Vertrag nicht obliegen, darf er nicht angewiesen werden, wobei sich viele Pflichten aus der Interessenwahrungspflicht ergeben. Grenzen findet das Weisungsrecht daher am Vertragsinhalt 812. Das Weisungsrecht darf einzelne Vertragspflichten des HV nur konkretisieren, nicht abändern 813. Was konsensual vereinbart wurde, kann nicht durch einseitige Willenserklärung abgeändert sondern allenfalls – Zweifel gehen zu Lasten des Unternehmers – detailliert werden 814. Deshalb darf etwa der Bezirk des HV nicht mittels Weisung verkleinert oder verlegt bzw. die Provision reduziert oder per Weisungsrecht der Umfang der Tätigkeit des HV verändert werden 815. Mithin sind Weisungen in den nachfolgend Rn 188 f beispielhaft genannten Fällen nur zulässig, wenn der Vertrag keine abweichenden Regelungen trifft. Das Weisungsrecht darf die Selbständigkeit des HV nicht im Kern berühren 816. Solche 186 Weisungen wären unbeachtlich 817. Damit dürfen sich die Weisungen weniger auf die Interna der Büroorganisation des HV beziehen (z.B. Festlegung einer Reiseroute, Form und Intervalle der Berichte) und die Festlegung der Arbeitszeit, als vielmehr darauf, welche Richtlinien der Vertriebspolitik einzuhalten, welche Schwerpunkte hierbei zu bilden, welche technischen Aufschlüsse den Angeboten beizugeben seien. Gedacht ist in erster Linie an produktbezogene Weisungen. Generell lässt sich sagen, dass Weisungen, welche die vom Unternehmer bestimmte Vertriebspolitik oder die Tätigkeit des HV gegenüber Kunden 818 betreffen, gestattet sind. Eher unzulässig sind dagegen Weisungen in Bezug auf die unternehmerische Tätigkeit 819, die Büroorganisation, insbesondere die Ausgestaltung des Vertreterunternehmens 820, und die Arbeitszeit 821 des HV. Manche Unternehmen hochtechnisierter Geräte stellen für Kundenbesuche technische Berater zur Verfügung; der HV kann dann etwa Weisung erhalten, sich mit jenen wegen einer gemeinsamen Reiseroute abzustimmen. Mit einem solchen Inhalt im Vertrag festgelegt oder in solcher Beschränkung gehandhabt, wäre das Weisungsrecht dann ein Indiz gegen die Selbständigkeit des HV. Wirksame, die Selbständigkeit tangierende, vertraglich vereinbarte Weisungsrechte bedingen eine Angestelltentätigkeit. Erforderlich ist hierzu aber immer eine Vereinbarung, d.h. eine notfalls konkludente Akzeptanz der in die Unselbständigkeit leitenden Abrede. Einseitige Weisungen, welche die Selbständigkeit ausschließen würden sind schlicht unzulässig. Es besteht ein Abwehrrecht des HV. Ohne vertragliche Akzeptanz und deren Wirksamkeit – Problem AGB, hier bestimmt sich das Leitbild nach dem Schwerpunkt des Vertrages – ist die einseitige Maßnahme unwirksam. Gegenüber Abschlussvertretern ist die Weisungsgebundenheit eine schärfere, da sie den Unternehmer

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814

815 816

Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 31a. BSG BB 1981, 2074; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 30; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 86 Rn 13. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 20; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 86 Rn 13. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 13. BGH, Urt. v. 13.01.1966 – VII ZR 9/64, MDR 1966, 495 = NJW 1966, 882 (883); BSG, Urt. v. 29.01.1981 – 12 RK 63/79, BB 1981, 2074; OLG Nürnberg DB 1974, 144;

817 818 819 820 821

SG München VersR 1963, 921 (922); Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 30; Hopt § 86 Rn 16; MünchKomm HGB/v. Hoyningen/Huene § 86 Rn 14; Röhricht/Graf von Westphalen/ Küstner § 86 Rn 20; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 31a bis 32b. MünchKommHGB/v. Hoyningen/Huene § 86 Rn 14. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 31. Großzügiger offenbar Hopt § 86 Rn 15. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 31. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 31a.

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§ 86

1. Buch. Handelsstand

durch die Abschlüsse binden 822. Überhaupt wird der Rahmen der zulässigen Weisungen je weiter zu ziehen sein, je größer das geschäftliche Risiko des Unternehmers ist oder sein kann. Das gilt insbesondere für die Tätigkeit von Versicherungsvertretern wegen der Schwierigkeit der Materie und der Längerfristigkeit der zu übernehmenden Risiken 823. Fehlen Weisungen, muss der HV dem mutmaßlichen Willen und den Interessen des Unternehmers gemäß handeln 824.

II. Billiges Ermessen und Rücksichtnahmegebot 187

Das Weisungsrecht des Unternehmers stellt ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht gemäß § 315 BGB dar. Deshalb hat der Unternehmer die Bestimmung nach billigem Ermessen zu treffen 825 und darf das Weisungsrecht nur innerhalb der Grenzen der §§ 242, 134 und 138 BGB ausüben. § 307 BGB ist hingegen auf Weisungen nicht anwendbar, jedoch auf Klauseln, die ein Weisungsrecht postulieren. Der Unternehmer hat weiter von seinem Weisungsrecht maßvoll Gebrauch zu machen 826. Die Weisung muss durch berechtigte Belange geboten sein und er hat auf die Interessen des HV Rücksicht zu nehmen 827 (Ausübungskontrolle). Zulässig sind Weisungen zu folgenden Gebieten, wobei die Besonderheiten des Einzel188 falls eine abweichende Betrachtung erfordern können: – Abschlussvollmacht: Zu ihrem Inhalt 828; – Berichtspflicht 829: Eine Grenze bildet die Erforderlichkeit des Weisungsinhaltes. So dürfen sich die Weisungen auf die computergerechte Gliederung und Ausgestaltung der routinemäßigen Berichte beziehen sowie auf Gesichtspunkte, über die bei der Marktbeobachtung der Unternehmer besonders unterrichtet zu werden wünscht; – Bestandsverwaltung, Rückübertragung 830; – Eintragung der Preise in Auftragsscheine 831 oder Ausfüllung von Versicherungsanträgen 832; – Geschäftskonditionen 833: Vorgaben hinsichtlich des Vertragsinhaltes der zu vermittelnden oder zu schließenden Verträge 834; – Geschäftspolitik, etwa ob ausschließlich der Fachhandel oder Endverbraucher zu betreuen sind 835; – welche Geschäftsbedingungen zu beachten sind 836;

822

823 824 825 826 827 828 829

BGH VersR 1960, 414 – hier kam hinzu, dass der zum Abschluss bevollmächtigte HV zugleich das Auslieferungslager unterhielt, der Unternehmer also sein Absatzengagement überhaupt nur durch Weisungen steuern konnte. BAG 18, 87 (94); SG Köln VersR 1962, 1150 (1151). Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 32a. Zum Franchiserecht Giesler/Nauschütt § 5 Rn 92. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 33. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 33. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 13a. BGH, Urt. v. 24.09.1987 – I ZR 243/85, BB 1988, 12; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 11, 30;

388

830 831 832 833 834

835 836

MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 19; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 32. BGH VersR 1968, 642; Hopt § 86 Rn 15. OLG Nürnberg MDR 1974, 144; Hopt § 86 Rn 15. BGH VersR 1986, 1072; Hopt § 86 Rn 15. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 17. BGH, Urt. v. 14.03.1960 – II ZR 79/58, BB 1960, 574; OLG Nürnberg MDR 1974, 144; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 30; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 20; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 32. OLG München NJW-RR 2003, 401 (402). Küstner/Thume I, Rn 566.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 86

– Konkreten Kunden, zur Person des Geschäftsgegners 837, ihrer Behandlung, etwa die Weisung, mit bestimmten Kunden überhaupt nicht mehr, zu bevorzugten Konditionen oder nur noch gegen Vorkasse oder Barzahlung abzuschließen 838, mit welchen Kunden der Unternehmer sich direkte Abschlüsse vorbehalten will. Solche Weisungen sind auch dann für den HV verbindlich, wenn sie seine Provisionsaussichten schmälern, solange der Unternehmer nicht die Tätigkeit des HV im ganzen oder in wesentlichen Teilen dadurch lahmlegt, sondern die Weisungen sich auf Ausnahmen beschränken; – Zur technischen Durchführung der Vermittlung (Verwendung von Auftragsformularen, Art der Ausfüllung derselben 839 – dies erleichtert dem Unternehmer die büromäßige Behandlung); – Tourenpläne: ihre Beachtung 840 (aber Grenze zur Unselbständigkeit schnell überschritten); – Produktbezogene sowie die Selbständigkeit des HV nicht berührende tätigkeitsbezogene Weisungen 841; – Zur Handhabung des Vertragsschlusses 842; – Zur Marktbeobachtung und Kundenpflege 843; – Den Schwerpunkt der Vermittlungs- oder Abschlusstätigkeit auf bestimmte Erzeugnisse zu legen 844; – Dass sich die Tätigkeit des HV auf einen bestimmten Kundenkreis zu konzentrieren habe 845; – Verbot von Vertragsverhandlungen mit bestimmten Kunden 846; – Vertriebspolitik: Weisungen des Unternehmers zur Vertriebspolitik (Vertriebsschwerpunkte 847 –, Kundenschwerpunkte); – Die Einhaltung bezeichneter Zahlungsziele und Zahlungsbedingungen 848; – Die Weisung, sämtliche Altkunden innerhalb einer Frist zu erfassen und in gewissen Zeitabständen mehrmals zu besuchen 849, wobei die Fristen jedoch nicht zu eng gesetzt werden dürfen; – Zur Werbung, insbesondere ihrer Gestaltung 850. Im Ganzen gesehen darf der HV nicht durch Weisungen einer kleinlichen Kontrolle 189 und Gängelung unterworfen werden 851. Allerdings sind auch nicht sachgerechte Weisungen maßgeblich 852 weil es das Recht des Unternehmers ist, selbst die Sachgerechtigkeit innerhalb der Grenzen der §§ 134 (analog), 138, 242 BGB festzulegen. Nur missbräuchliche, insbesondere schikanöse Weisungen sind unbeachtlich. Unzulässig wären Weisungen in folgenden Fällen: 837 838

839 840 841 842 843

844 845

OLG München NJW-RR 2003, 401 (402). BGH BB 1960 574; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 17; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 32. OLG Nürnberg MDR 1974, 114. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 15a. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 30; Hopt § 86 Rn 15. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 30. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 30; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 18. Küstner/Thume I, Rn 566; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 17. Küstner/Thume I, Rn 566; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 20.

846 847 848 849

850

851 852

BGH HVR Nr. 211; Küstner/Thume I, Rn 566. BGH DB 1981, 1772. Vgl. BGH BB 1960, 574; Küstner/Thume I, Rn 566. BGH, Urt. v. 28.11.1963 – VII ZR 90/62, zitiert nach Küstner/Thume I, Rn 566; äußerst zweifelhaft. BGH, unveröffentlichte Urteile vom 25.03.1963 – VIII ZR 250/61, und 05.11.1962 – VII ZR 160/61; zitiert nach Küstner/Thume I, Rn 566; OLG München NJW-RR 2003, 401 (402); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 18. OLG Stuttgart BB 1960, 956. AA Hopt § 86 Rn 16.

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– Arbeitszeit: sie betreffende Weisungen sind regelmäßig unzulässig, weil solche Weisungen die Selbständigkeit tangieren 853. In bestimmten Branchen, in denen ständige Anwesenheit erforderlich ist, mag Abweichendes gelten; – Bezirksumsetzung: Ob der Unternehmer dem HV durch Weisungen einen anderen Bezirk zuweisen darf, hängt sehr von den Umständen ab 854. Derartiges ist unzulässig wenn dem HV im Vertrag ein bestimmter Bezirk zugewiesen wurde, weil dann ein vertragliches Recht auf diesen besteht. Auch sonst ist die Umsetzung durch bloße Weisung wegen des aus der Treupflicht entspringenden Schädigungsverbots problematisch. Denn die Umsetzung lässt keine Kundenbindungen entstehen, was die Werbung ausgleichspflichtiger Stammkunden erschwert; – einen Bericht über jeden der Schritte und Besuche des HV anzuordnen 855, und zwar selbst bei erheblichem Umsatzrückgang (jedoch sind in diesem Fall erhöhte Anforderungen an die Berichtspflicht zulässig; sie dürfen jedoch nicht in den Kernbereich der Selbständigkeit eingreifen); – den Besuch jedes Kunden innerhalb eines bestimmten Zeitraums vorzuschreiben 856; – die die Bestellung des Geschäftsführers einer HV-Gesellschaft anordnen 857; – falls der Betrieb des HV durch Übermaßweisungen erheblich gestört oder gar lahmgelegt werden soll, um das Entstehen von Provisionsansprüchen zu verhindern 858. Allerdings dürfen zulässige Weisungen im Einzelfall auch negative Auswirkungen auf die Provisionsaussichten des HV haben 859; – Gerichtsverfahren: Weisung, Gerichtsverfahren mit Kunden oder für den Unternehmer zu führen; – Kfz: der Unternehmer darf dem HV nicht vorschreiben, welchen Kfz-Typ er für seine Geschäftsfahrten zu benutzen habe (höchstens die Wagenklasse kann der Unternehmer aus Gründen der Repräsentation des Unternehmens durch Weisung festlegen); – Mindestumsatz: Sollvorgaben für einen zu erzielenden Mindestumsatz darf der Unternehmer dem HV nicht durch Weisung auferlegen, am wenigsten einseitig und nachträglich 860: Der HV ist nicht verpflichtet, so viel Abschlüsse hereinzuholen, wie es ihm bei größter Anstrengung möglich wäre 861; er ist nur verpflichtet, angemessene Umsätze zu erzielen; – Missbräuchliche Weisungen 862; – Nachfolger: Weisung, einen Nachfolger einzuarbeiten 863 (wobei jedoch eine angemessene Unterrichtung des Nachfolgers von der Interessenwahrungspflicht umfasst sein kann); – Nicht geschuldete Tätigkeiten: Der Unternehmer darf den HV nicht zu nicht geschuldeten Dienstleistungen anweisen 864;

853 854 855 856

857 858

Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 31a. Für die Zulässigkeit Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 15. Küstner/Thume I, Rn 569; AG München HVR Nr. 147. OLG Nürnberg BB 1964, 866; Ebenroth/ Löwisch § 86 Rn 30; aA wohl Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 4b. Emde Die Handelsvertreter GmbH, S. 96 ff; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 30. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 30; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 32.

390

859

860

861 862 863 864

OLG Düsseldorf WM 1991, 913 für die Weisung, keine Kreditkartengebühren zu erheben; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 86 Rn 17. OLG Nürnberg BB 1964, 866 für einen Extremfall; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 21; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 30. OLG Celle NdsRpfl. 1959, 109. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 32c. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 30. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 32c.

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§ 86

– Niederlassungsort 865: Ist der Ort der Niederlassung des HV nicht im Vertrag bestimmt, darf er dem HV nicht mittels Weisung vorgeschrieben werden; – Personal: Weisungen, welches und wie viel Personal der HV einzustellen habe 866; Weisungen, die zur Einstellung von Hilfspersonal verpflichten (auch hier handelt es sich um Pflichten, die vertraglich vereinbart werden müssten) 867; – Prozesse zu führen. Wozu der HV als Abschlussvertreter nach § 55 Abs. 4, als Vermittlungsvertreter nach § 91 Abs. 2 gesetzlich ermächtigt ist und was ihn deshalb eintretendenfalls im Zweifel zum Tätigwerden verpflichtet, wird freilich auch Gegenstand einer Weisung sein können, so zum Beispiel die Beantragung eines Beweissicherungsverfahrens; – Reiseroute: welche Reiseroute der HV zu nehmen habe; – Urlaub: Weisungen, wann der HV Urlaub nehmen darf, etwa, dass er seinen Urlaub nur in den Betriebsferien nehmen dürfe; – Vereitelung von Provisionsansprüchen: die betreffenden Weisungen sind nur zulässig, falls sie die Interessen beider Seiten berücksichtigen, wobei wegen der Interessenwahrungspflicht des HV im Einzelfall Weisungen auch negative Auswirkungen auf die Provisionsaussichten haben dürfen 868; – Verhandlungen mit Behörden zu führen.

III. Zwingende Natur des Weisungsrechts Nicht aus der HV-Richtlinie übernommen wurde die zwingende Natur des Weisungs- 190 rechtes. Hierbei handelt es sich um einen Umsetzungsfehler 869, der wegen der fehlenden Erwähnung der Weisungsfolgepflicht durch Abs. 4 nicht geheilt wird. Im Anwendungsbereich der Richtlinie ist durch eine richtlinienkonforme Entscheidungspraxis der Gerichte zu helfen 870. Ihrer bedarf es nicht, sofern man die Weisungsfolgepflicht auch aus der zwingendem Interessenwahrungspflicht herleitet. Deshalb wird man nicht sagen können, dass, soweit die HV-Richtlinie nicht entgegensteht, das Weisungsrecht disponibel bleibt.

IV. Folgen zulässiger Weisungen Weisungen, die der Unternehmer zulässigerweise gegeben hat, sind vom HV bei Mei- 191 dung der Schadensersatzpflicht und – nach ergebnisloser Abmahnung – unter Androhung der fristlosen Kündigung in schwerwiegenden Fällen wegen Ungehorsams zu befolgen 871. Auch nicht sachgerechten Weisungen muss der HV grundsätzlich nachkommen 872. Abweichen darf er nur unter der Voraussetzung des § 665 BGB, wenn er den Umständen nach annehmen kann, dass der Unternehmer bei Kenntnis der Sachlage die Abweichung billigen werde und wegen der mit einem Aufschub verbundenen Gefahr eine Entscheidung des Unternehmers nicht vorab einholen kann 873. Auch diese Beurteilung ist mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns (Handelsvertreters) vorzunehmen. Damit sind

865 866 867 868

Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 31a. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 31a. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 31a; Ebenroth/Löwisch § 86, Rn 30. BGH HVR Nr. 211; Küstner/Thume I, Rn 566; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 30.

869 870 871 872 873

Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 53. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 53. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 31. AA Hopt § 86 Rn 16. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 32b.

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strenge Voraussetzungen an eine Abweichung gestellt. Will der HV ohne diese Voraussetzungen abweichen, muss er den Unternehmer über die Gründe für die Nichtbefolgung der Weisung unterrichten und dessen Entscheid abwarten (§ 665 Satz 2 BGB) 874. Besteht der Unternehmer auf Befolgung der Weisung, so hat es damit für den HV sein Bewenden. Schadenersatzforderungen des Unternehmers wegen fehlerhafter Einschätzung setzen Pflichtwidrigkeit und Verschulden voraus. Bei der Bewertung beider Umstände ist ggf. die Eilbedürftigkeit der Entscheidung zu berücksichtigen. Stellt sich eine Entscheidung des HV im Nachhinein als unzutreffend heraus, ist er gleichwohl von der Haftung frei, falls er bei seinem Entschluss, wegen Dringlichkeit nicht zuvor den Unternehmer gefragt zu haben, mit gehöriger Sorgfalt vorgegangen ist.

V. Folgen unzulässiger Weisungen 192

Unzulässige Weisungen und Übermaßweisungen sind unverbindlich 875. Dennoch darf der HV sie nicht einfach unbeachtet lassen. Er muss den Unternehmer wegen der ihm obliegenden Interessenwahrnehmungspflicht – soweit zumutbar – von der Nichtausführung verständigen 876, insbes. auch dazu, warum er die Weisung nicht zu befolgen gedenke. Eine neue Entscheidung und eine zulässige Weisung braucht er nicht abzuwarten 877. Ohne Mitteilung macht der HV sich schadensersatzpflichtig, zwar nicht auf das Erfüllungsinterssse, wie bei der verweigerten Befolgung einer zulässigen Weisung, wohl aber auf das negative Interesse. Der Unternehmer kann verlangen, so gestellt zu werden, als sei ihm das Unzulässige der Weisung vor Augen geführt worden und als ob er sein weiteres Verhalten darauf einstellen hätte können. Das Mitverschulden des Unternehmers, welches in der unzulässigen Weisung liegt und welches den Schaden mit herbeigeführt hat, ist zu berücksichtigen. Ein Grund zur fristlosen Kündigung wird aus dem Unterlassen dieses Hinweises meist nicht hergeleitet werden können. Unzulässige Weisungen können dem Vertreter einen Anlass zur Kündigung aus wichtigem Grund 878 oder einen ausgleichserhaltenden begründenden Anlass zur Kündigung geben 879.

VI. Vertraglich vereinbartes Weisungsrecht 193

Da Rechtsgrund § 665 BGB und nicht die Interessenwahrnehmungspflicht ist, darf das Weisungsrecht außerhalb des Anwendungsbereichs der HV-Richtlinie – aber nur dort (Rn 190) – vertraglich erweitert oder eingeschränkt werden (siehe auch Rn 199) 880, jedoch nur innerhalb des Rahmens der §§ 138, 242, 307 BGB. Zudem dürfen Weisungen auch nach vertraglicher Erweiterung des Weisungsrechts – ebenso wie im Rahmen des gesetzestypischen Weisungsrechts – den Kernbereich der Selbständigkeit 881 nicht ver874

875

876

Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 31; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 16; Schröder § 86 Rn 32b. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 31; Röhricht/ Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 21; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 16; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 32c. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 31; Hopt § 86 Rn 15f; MünchKommHGB/v. Hoyningen-

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877 878 879 880 881

Huene § 86 Rn 16; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 32c. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 31. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 32. Küstner/Thume I, Rn 574. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 32. Vgl. hierzu etwa die Beispielsfälle BGH NJW 1966, 882 (883); OLG Stuttgart DB 1970, 1112 (Regelung der Kundenbesuchsintervalle) und OLG Karlsruhe DB 1971,

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§ 86

letzen und nicht in die Geschäftspolitik des HV eingreifen882. Unterhalb dieser Grenze kann durch Vertrag, angeblich auch mittels AGB 883, das Weisungsrecht eingeschränkt, erweitert, modifiziert und näher ausgestaltet werden, insbesondere dem Unternehmer eine konkrete und ins einzelne gehende Weisungsbefugnis hinsichtlich der dem HV zur Erledigung übertragenen Aufgaben eingeräumt werden 884. Über das im Vertrag festgelegte oder für den vertraglichen Pflichtenkreis gebotene Maß dürfen Weisungen nicht hinausgehen.

VII. Fehlende Weisungen Im Falle anfänglich fehlender Weisungen muss der HV in erster Linie gemäß dem Ver- 194 trag, in zweiter Linie nach den auf eine Rückfrage erteilten Weisungen und in dritter Linie nach dem mutmaßlichen Interesse des Unternehmers handeln. Wenn möglich hat er Rückfrage zu halten und die Antwort abzuwarten.

VIII. Rechtsfolgen bei Nichtbefolgung von Weisungen Die Nichtbeachtung zulässiger Weisungen bildet eine Vertragsverletzung, die zum 195 Schadenersatz berechtigt 885, nach ergebnisloser Abmahnung auch zur fristlosen Kündigung 886. Wie ausgeführt ist eine Abmahnung dann nicht erforderlich, wenn bereits die einmalige Missachtung der Weisung zu einem die Vertragsfortsetzung ausschließenden Vertrauensfortfall führt. Der HV muss beweisen, dass er im Einzelfall von einer verbindlichen Weisung abweichen durfte 887.

K. Verschwiegenheitspflicht während der Vertragsdauer und nach Vertragsende Gemäß § 90 darf der HV Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, die ihm anvertraut 196 oder als solche durch seine Tätigkeit für den Unternehmer bekannt geworden sind, „auch“ nach Beendigung des Vertragsverhältnisses nicht verwerten oder anderen mitteilen, soweit dies nach den Gesamtumständen der Berufsauffassung eines ordentlichen Kaufmanns widersprechen würde. Zu den Einzelheiten wird auf die Kommentierung zu § 90 verwiesen.

882

572 (sogenannte Sollvorgaben für den Umsatz; dort aus anderen Gründen als gegen Treu und Glauben verstoßend und daher unbeachtlich beurteilt; ebenso Ebenroth/ Löwisch § 86 Rn 32. OLG München NJW-RR 2003, 401 (402); Küstner/Thume I, Rn 565; Ebenroth/ Löwisch § 86 Rn 30, 32; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 20;

883 884 885 886 887

MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 14; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 31a, 32. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 32. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 32. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 32d. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 32d. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 49.

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L. Beweislast 197

Im Rahmen eines Streites hat der Unternehmer die bestehende Pflicht, die Pflichtverletzung des HV sowie die TB-Voraussetzungen der Rechtsfolge, etwa den Schaden beim Schadenersatz, zu beweisen 888. Die Pflichtverletzung indiziert das Verschulden (s.u.). Bei Schadensersatzklagen darf er sich auf die Beweiserleichterungen der §§ 287 ZPO, 252 BGB berufen 889. Das Nichtvertretenmüssen ist gem. § 280 Abs. 1 S. 2 BGB ein Einwendungstatbestand, für welchen der Schuldner beweispflichtig ist 890. Obwohl die Sorgfaltspflicht als vertragliche Nebenpflicht formuliert wurde, muss der HV – wie bei jeder Pflichtverletzung – das Fehlen einer objektiven Pflichtverletzung nicht nachweisen 891. Nicht etwa liegt die Beweislast für die Einhaltung der Sorgfalt beim HV 892. Sonst bestände praktisch im gesamten HV-Recht eine vom sonstigen Recht abweichende Beweislastverteilung, auch im Rahmen eines Prozesses um § 89a müsste der HV sein pflichtgemäßes Handeln nachweisen. Entgegen der Vorauflage wird man eine gegenteilige Verteilung der Beweislast nicht aus der Rechenschaftspflicht (§§ 666, 675 BGB) des HV herleiten können. Steht die Pflichtverletzung des HV aber fest, muss er sich exkulpieren 893. Er hat darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, dass ihn kein Verschulden trifft und er damit die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes beachtet hat 894. Von dieser Beweislastverteilung ist in erster Linie dann abzuweichen, wenn der in An198 spruch Genommene seine Erfüllung beweisen muss, weil der Anspruchsteller die Leistung nicht als Erfüllung angenommen hat (§ 363 BGB). In den meisten Fällen werden Pflichtverletzungen erst im Nachhinein entdeckt, so dass der Unternehmer die Leistung des HV als Erfüllung angenommen hat. Folglich bleibt es hier bei der vorgenannten Beweislastverteilung. Stellt der HV in Abrede, vor seinem Ausscheiden angebahnte Geschäfte zu einem anderen Versicherer umgedeckt zu haben und trägt er vor, die Kunden seien zu ihm gekommen, weil sie der Meinung gewesen seien, sie hätten ungünstige Verträge abgeschlossen, so reicht dieses Bestreiten nicht aus, falls der Unternehmer konkrete Vorgänge unter Nennung der Vertragsnummern und der genauen Anschriften der Kunden mitgeteilt hat. Unter diesem Gesichtspunkt obliegt es dem HV, präzisen Vortrag dazu zu halten, ob es sich um die Kunden handelte, von denen er behaupten will, sie seien mit dem Wunsch nach einem Wechsel wegen eines zu hohen Abschlusses an ihn herangetreten. Lässt sich dem Vorbringen des HV kein derartig präziser Vortrag entnehmen, ist er mangels Substanz unbeachtlich 895.

888

889 890

891

BGH MDR 1954, 606; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 49; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 25; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 58, 70. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 70. Palandt/Heinrichs § 280 Rn 34; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 70; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 45. AA OLG Karlsruhe DB 1969, 741; Hopt § 86 Rn 44.

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892 893 894

895

AA OLG Karlsruhe DB 1969, 741; Hopt § 86 Rn 44. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 70. Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 25; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 86 Rn 70. OLG Celle, Urt. v. 28.06.2001 – 11 U 221/00, OLGR 2001, 267.

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M. Zwingende Natur des § 86 I. Allgemeines Seit der Novellierung 1989 sind die in § 86 geregelten Haupt 896- und Nebenpflichten 199 zwingend, insbesondere die Interessenwahrungspflicht 897. Sie können nicht erweitert oder beschränkt werden (Amtl. Begründung). Die zwingende Natur trifft jedoch nur den kodifizierten Kern- oder Wesensgehalt 898 (Wortlaut des § 86 Abs. 4) der in § 86 geregelten Rechte und Pflichten899 und damit nur die in Abs. 1 und 2 niedergelegten gesetzlichen Nebenpflichten des HV (dessen Hauptpflicht zur Vermittlung oder zum Abschluss allerdings bereits nach § 84 unabdingbar ist), nicht aber für die sonstigen dem HV durch andere gesetzliche Bestimmungen oder durch Vertrag zusätzlich auferlegten Pflichten. Die übrigen vertraglichen Pflichten sind also innerhalb der allgemeinen Grenzen der §§ 134, 138, 242, 307 BGB dispositiv 900, insbesondere der Sorgfaltsmaßstab des Abs. 3 901. Die zwingende Natur gilt sowohl für Abweichungen zu Gunsten 902 wie zu Lasten des HV. Das Verbot von Abweichungen zu Gunsten des HV ist bemerkenswert, weil hierdurch nicht der bei sonstigem zwingendem HV-Recht maßgebliche Schutz des HV sondern der des Unternehmers erstrebt wird. Die Vereinbarung zusätzlicher Pflichten des HV widerspricht nicht § 86 Abs. 4, 200 soweit hierdurch die in § 86 niedergelegten Pflichten in ihrem Kernbereich nicht erweitert oder eingeschränkt werden. Bei der Interessenwahrnehmungspflicht ist nur der Grundsatz der Pflicht zur Interessenwahrnehmung unabdingbar. Die Parteien dürfen aber regeln, welche Interessen des Unternehmers vom HV im Einzelfall auf welche Weise wahrzunehmen sind und auf die Wahrung welcher Interessen der Unternehmer im Einzelfall für Vergangenheit oder Zukunft verzichten will 903. Das Recht des Unternehmers zu bestimmen, was im Einzelfall seinem Interesse entspricht, nimmt Abs. 4 ihm also nicht 904. Der Unternehmer darf den HV aber nicht aus der unabdingbaren Vertrauensstellung und der Pflicht entlassen, sein Handeln an dem vorrangigen Interesse des Unternehmers auszurichten 905. In jedem Fall dürfen die in § 86 Abs. 2 niedergelegten und § 86 Abs. 1 konkretisierenden Pflichten vertraglich ausgestaltet werden. Deshalb darf der Unternehmer über die aus der Interessenwahrnehmungspflicht hergeleiteten Pflichten, etwa zu Verschwiegenheit, Bonitätsprüfung, Bericht und Information oder Einhaltung eines Wettbewerbsverbots, disponieren 906. Das ist auch erforderlich. Denn trotz ihrer Erläuterung durch die Rechtsprechung einiger Jahrzehnte bleiben die unbestimmten Rechtsbegriffe des § 86 auslegungsbedürftig. Die Parteien mögen etwa regeln, welche Interessen des Unternehmers durch den HV im Einzelfall auf welche Weise wahrzunehmen sind 907, wie das Wettbewerbsverbot 908, die Unterrichtungs- oder Bemühungs896

897 898

899 900 901

Entgegen Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 47 ergibt sich auch die zwingende Natur der Vermittlungs- und Abschlusspflicht aus § 86 Abs. 4. BGHZ 97, 326; 112 (222); Hopt § 86 Rn 20. BGHZ 112, 218 (222); Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 47; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 27; Hopt § 86 Rn 50 f. Hopt § 86 Rn 50. Hopt § 86 Rn 50. Hopt § 86 Rn 50.

902

903 904 905 906 907 908

Ankele DB 1989, 2211; Küstner/v. Manteuffel BB 1990, 291 (294); Hopt § 86 Rn 50; aA Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 26, nachdem Abweichungen zu Gunsten des Unternehmers nicht verboten sind. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 47. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 47. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 47. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 47. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 47. Hopt § 86 Rn 50.

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§ 86

1. Buch. Handelsstand

pflicht 909 im Einzelnen auszugestalten ist und auf die Wahrung welcher Interessen oder die Übermittlung welcher Nachrichten 910 der Unternehmer für Vergangenheit oder Zukunft verzichten will 911, solange die Interessenwahrungs- oder Nachrichtspflicht nicht in ihrem Kernbereich derogiert wird. Da lediglich der Kernbereich der Interessenwahrnehmungspflicht geschützt ist, darf der Unternehmer auch den Inhalt der einzelnen aus ihr hergeleiteten Unterpflichten, etwa zum Konkurrenzverbot, zur Verschwiegenheit, Bonitätsprüfung, Berichts- und Informationserteilung sowie zu den Weisungen regeln, konkretisieren, sie derogieren oder erweitern 912. Denn auch sie fallen nicht in den zwingenden und damit unantastbaren Kernbereich. Der Spielraum dispositiver Gestaltung gleicht folglich dem bei der Bestimmung außerordentlicher Kündigungsrechte. Das außerordentliche Kündigungsrecht kann nicht eingeschränkt werden. Jedoch dürfen die Parteien konkretisieren, welche Gründe als „wichtige“ zur außerordentlichen Kündigung berechtigen sollen. Es ist foglich zulässig, 201 – Regelungen zur Art und Weise der Erfüllung zu treffen, solange der Kernbereich unangetastet bleibt 913; – die in § 86 normierten Pflichten auszulegen 914, zu modifizieren 915, zu konkretisieren 916, zu ergänzen oder auszugestalten; – neue Pflichten zu begründen, sofern sie § 86 nicht widersprechen 917.

II. Vertragliche Erweiterung der Pflichten 202

Zu Haupt- und Nebentätigkeiten ist der HV nur verpflichtet, falls der Vertretervertrag das besonders bestimmt 918, was zulässig ist 919. Ohne vertragliche Vereinbarung besteht daher insbesondere keine Verpflichtung – zur Abwicklung der vermittelten oder abgeschlossenen Geschäfte 920; – zum Inkasso der vom Kunden dem Unternehmer geschuldeten Beträge 921; – zur Bestandspflege bei Versicherungsvertretern; – zur allgemeinen, dem Unternehmer obliegenden Markt-, Produkt- und Kundenpflege 922; – Gerichtsverfahren mit Kunden für den Unternehmer zu führen 923; – zur umfangreiche Beschaffung von Prozessinformationen 924; 909 910 911 912

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Hopt § 86 Rn 50. Hopt § 86 Rn 50. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 47. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 47; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 65. BGHZ 112, 218 (222); Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 27; Ebenroth/ Löwisch § 86 Rn 47. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 206. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 1. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 65. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 1. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 212; Küstner/Thume I, Rn 442; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 47.

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Hopt § 86 Rn 13. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 5. OLG Stuttgart DB 1962, 405; Küstner/ Thume I, Rn 442; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 7; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 47; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 4a; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 5. Hopt § 86 Rn 13. OLG Hamburg JW 1936, 293937 (2340); Küstner/Thume I, Rn 442; Ebenroth/ Löwisch § 86 Rn 5; Hopt § 86 Rn 13; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 4a. Küstner/Thume I, Rn 442; OLG Hamburg JW 1936, 2939.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 86

zu Vergleichsverhandlungen 925; zur Lagerhaltung 926; zur Auslieferung von Waren an Kunden 927; zum Einstehen für Verbindlichkeiten aus einem Geschäft 928; zur Mangelgewährleistung 929; zur Abwehr von Mängelrügen des Kunden 930; zu einem Mindestumsatz 931; zur Montage der vertriebenen Produkte 932; zur umfassenden Einarbeitung eines Nachfolgers (aber zur Vorstellung seines Nachfolgers und zur nicht zu arbeitsintensiven Erklärung des Tätigkeitsbereichs); – zum Service 933; – zur Prüfung, ob das vertriebene Produkt öffentlich-rechtlicher Erlaubnisse bedarf 934; – zur Werbung 935: Sie obliegt dem Unternehmer, nicht dem HV, soweit sie als eine allgemeine, nicht auf bestimmte potentielle Kunden gezielte sich darstellt; – Zu Verhandlungen mit unternehmens- oder marktpolitischer Zielsetzung; – Zwangsvollstreckungen gegen Kunden zu betreiben 936. Der Unternehmer darf in diesen Fällen den HV ohne wirksame vertragliche Vereinba- 203 rung nicht zur Tätigkeit anweisen. Jedoch ist der HV unter dem Gesichtspunkt der Nachrichtspflicht gehalten, die Notwendigkeit zum Tätigwerden dem Unternehmer mitzuteilen. In Notfällen muss er auch ohne vertragliche Verpflichtung eingreifen, sofern ihm dies zumutbar ist. Die vom Gesetz vorgesehenen Haupt- und Nebenpflichten sind nicht abschließend. 204 Die Parteien können – soweit der Wesensgehalt des § 86 nicht verändert wird (§ 86 Abs. 4) – durch hinreichend deutliche Vereinbarung (Hinweise in ausgelagerten AGB genügen oft nicht 937) weitere Pflichten vereinbaren und das gesetzliche Leitbild ergänzen. Dabei dürfen dem HV auch solche Aufgaben übertragen werden, welche an und für sich handelsvertreteruntypisch (etwa die Leistungserbringung, „Produktionshandelsvertreter“) sind oder dem Unternehmer obliegen938. Die vertragliche Dispositionsbefugnis stößt lediglich an die Grenzen – der zwingenden Vorschriften des HV-Rechts; – der zwingenden Vorschriften des bürgerlichen Rechts (insbesondere §§ 134, 138, 305 ff BGB); – der zwingenden Vorschriften des sonstigen Rechts; – des Verstoßes gegen die Selbständigkeit des HV 939. – – – – – – – – –

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Küstner/Thume I, Rn 442; Hopt § 86 Rn 13. Küstner/Thume I, Rn 442; Hopt § 86 Rn 13; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 7. Küstner/Thume I, Rn 442; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 7; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 47. Küstner/Thume I, Rn 442; BGHZ 30, 98 = NJW 1959, 1430. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 5. BGH BB 1962, 1345. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 47. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 7.

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Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 7. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 5. BGH EBE 1997, 290 (292); Ebenroth/ Löwisch § 86 Rn 5; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 47; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 4b, 16. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 4a. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 39. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 39; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 7; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 47; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 49. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 39.

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§ 86 205

1. Buch. Handelsstand

Leitbilduntypische Verpflichtungen dürfen möglicherweise nicht durch AGB geregelt werden (§ 307 BGB), es sei denn, es handelt sich um eine kontrollfreie Hauptleistung. Innerhalb der vorgenannten Grenzen dürfen die Parteien – zumindest individualvertraglich (zu AGB Vor § 84 Rn 27 ff) etwa Regelungen über die nachfolgenden Gegenstände treffen: – Allgemeine Markt-, Bestands- und Kundenpflege 940; – Arbeitszeit: Vereinbarungen über die für die Tätigkeit aufzuwendende Zeit 941, sofern hierdurch die Selbständigkeit nicht über Gebühr eingeschränkt wird; – Auslieferungslager: Der HV kann die Unterhaltung und Führung eines Auslieferungslagers 942 oder die Auslieferung 943 übernehmen. Im Zweifel trägt der Unternehmer die Kosten dieses Auslieferungslagers 944. Kennt der Unternehmer die Namen und Adressen der Abkäufer der Lagerware nicht, muss der HV ihm jene bekanntgeben 945. Bei Vertragsende sind Warenbestand und Lager, wenn es vom Unternehmer gestellt wurde, an ihn zurückzugeben; der Unternehmer hat das Warenlager zurückzunehmen. Muss der Mittler den Warenbestand vertragsbegleitend erwerben und handelt er als Vertragshändler, besteht die Vor § 84 Rn 440 ff erörterte Rückkaufpflicht des Unternehmers. Für einen Warenfehlbestand haftet der HV nur, falls eine Pflichtwidrigkeit vorliegt 946; – Beratungspflicht: Pflicht des HV, den Kunden zu beraten; – zu eventuellen Besprechungen mit dem Unternehmer, etwa betreffend eine verbindliche Vorgabe der Teilnahme des HV 947; – Delkredere 948 (§ 86b); – Mitwirkung bei der Gewährleistungs- und Schadensregulierung 949; – Hilfspersonal: Mit dem HV kann vereinbart werden, dass bestimmte Personen seines Unternehmens in die Vertragsausführung eingeschaltet bleiben müssen 950. Auch dürfen ihnen bezeichnete Tätigkeiten zugewiesen werden. Bei Vertragsschluss mit einer HVGmbH wird häufig der Gesellschafterbestand und die Tätigkeit eines bestimmten Geschäftsführers vorgeschrieben 951. Auch darf eine Mindestanzahl von Mitarbeitern vorgeschrieben werden 952, ohne dass die Selbständigkeit des HV in ihrem Kernbereich berührt ist. Der Unternehmer mag darauf Wert legen, einen HV von bestimmter Marktstärke oder Größe mit der Vermittlung oder dem Abschluss zu betrauen. Darf er wegen zu geringer Größe des HV von dem Vertragsschluss absehen, so darf er erst recht die Mindestgröße zur Bedingung der Vertragsfortführung erheben. Austausch oder Reduzierung dieser Hilfspersonen ist dann nur mit Zustimmung des Unterneh-

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Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 40. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 15a. BGHZ 30, 98 (102); Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 41; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 47; Schlegelberger/ Schröder § 86 Rn 44a; zur umsatzsteuerrechtlichen Behandlung von Konsignationslagern im grenzüberschreitenden Warenverkehr innerhalb der EU Keller UR 2000, 61. Hopt § 86 Rn 50. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 41; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 44a. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 41; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 11a. AA Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 41; Schlegel-

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berger/Schröder § 86 Rn 44a: generelle Haftung. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 40. Hopt § 86 Rn 50. BGH, Urt. v. 04.05.1959 – II ZR 81/57, BGHZ 30, 98 (102) = NJW 1959, 1430; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 40; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 7; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 47. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 42; vgl. auch Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 44c. Martinek/Flohr § 8 Rn 36. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 44c.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

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§ 86

mers zulässig 953, die er nach billigem Ermessen erteilen muss 954. Ein Zustimmungsrecht des Unternehmers hinsichtlich der Tätigkeit von Untervertretern, die im Geschäft für den Unternehmer tätig werden, wird wohl vereinbart werden dürfen und gerät nicht in Konflikt mit der Selbständigkeit des HV. Jedoch wird kein Weisungsrecht des Unternehmers zur Einstellung von Personal vereinbart werden können, höchstens genaue Spezifikationen, unter welchen Umständen für welche Tätigkeit eingestellt werden muss 955. Eigene Rechte und Pflichten dieser Hilfspersonen gegenüber dem Unternehmer entstehen nicht automatisch und müssten durch Vertrag der Hilfspersonen mit dem Unternehmer begründet werden 956; Interessenwahrungspflicht: ihre Ausgestaltung 957; Inkasso 958 (§ 87 Abs. 4); verbindliche Vorgaben für Kundenbesuche in bestimmten Zeitabständen 959; Lagerhaltung 960: Ohne vertragliche Verpflichtung ist weder ein HV noch ein Franchisenehmer oder Vertragshändler zur Lagerhaltung verpflichtet 961. Die Verpflichtung zur Lagerhaltung dient auch dem Absatzinteresse, weil der Bestellzyklus kurz gehalten wird; Messeveranstaltungen 962: Teilnahme; Mindestumsatz: Der Vertragshändler unterliegt einer allgemeinen Abnahmepflicht, die jedoch nicht mengenmäßig bestimmt ist 963. Individualvertragliche Mindestabnahmemengen sind zulässig, sofern sie nicht gemäß § 138, § 242 BGB zur Knebelung und damit zur Nichtigkeit der Vereinbarung führen 964. Dies gilt auch im HV-Recht 965. Mindestabnahmeverpflichtungen sind allerdings wegen der Unzulässigkeit des kartellrechtlichen Verbots von Querlieferungen problematisch, und zwar sowohl nach der GVO 2790/1999 wie nach der GVO 1400/2002 (Vor § 84 Rn 139, 175). Zu prüfen ist, ob es sich bei ihnen um Empfehlungen oder rechtlich verbindliche Verpflichtungen handelt 966. Zur fristlosen Kündigungsmöglichkeit § 89a Rn 27; zur AGB-Kontrolle Vor § 84 Rn 33. Die Formvorschrift des § 86b Abs. 1 S. 3 gilt nicht 967. Gewollt sein kann: • die automatische Vertragsbeendigung (auflösende Bedingung) bei Nichterreichen dieser Umsätze. Vereinbart werden darf aber nur ein Vertragsende innerhalb der Fristen des § 89, wobei unterschieden werden muss, ob die Folge an verschuldetes oder unverschuldetes Nichterreichen geknüpft wird;

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Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 42. Ähnlich Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 42: Verweigerung der Zustimmung nur bei Vorliegen triftiger Gründe zulässig. Großzügiger wohl Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 31a. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 42. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 65. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 40; Hopt § 86 Rn 50; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 86 Rn 47. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 40. Hopt § 86 Rn 50. Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 257. OLG Stuttgart BB 1970, 1112; Ebenroth/ Löwisch § 86 Rn 40; Hopt § 87d Rn 4.

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Ulmer S. 309; Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, Rn 220. BGH NJW 1959, 144; Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, Rn 221. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 43; Hopt § 86 Rn 14; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 86 Rn 47; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 44e; aA Eberstein, S. 75 unter Hinweis auf OLG Stuttgart NJW 1957, 1281. Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, Rn 224. Hopt § 86 Rn 14.

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• Schadenersatz- oder Erfüllungspflicht bei Nichterreichen der Umsatzschwelle 968, und zwar gemäß §§ 280 Abs. 1, 281, 286 BGB 969. Vorausgesetzt wird jedoch ein Verschulden des HV, das oft fehlt. Von einem Verschulden müsste sich der Mittler entlasten; • Außerordentliche Kündigungsmöglichkeit des Unternehmers bei Nichterreichen 970. Sie sind problematisch (§ 89a Rn 27). Der Ausgleich entfällt aber nicht automatisch nach § 89b Abs. 3. Denn das Nichterreichen des Schwellenwerts muss kein ausgleichsschädliches, schuldhaftes Verhalten des HV bilden 971; • Andere an das Nichterreichen geknüpfte Rechtsfolgen, etwa Vertragsstrafe oder geringere (bei Unterschreiten) oder höhere (bei Überschreiten) Provisionszahlungen 972; • ein unverbindliches Richtmaß für die Tätigkeit des HV ohne konkrete Rechtsfolgen, was im Zweifel anzunehmen ist 973, etwa bei der Zahlung eines Bonus oder eines höheren Provisionssatzes für das Überschreiten des Mindestumsatzes 974. Konkrete Rechtsfolgen müssen also ausdrücklich vereinbart sein, sollen sie Geltung beanspruchen; Schadensregulierung 975: Abreden hierzu; Schulung: Vertragliche Vereinbarungen über Schulungsmaßnahmen des Mittlers sind zulässig, falls sie keine der beiden Vertragsparteien in ihren Vertriebsaktivitäten unzulässig einschränken 976; Pflicht zu Serviceleistung: Der Vertragshändler kann zu Serviceleistungen, insbesondere Gewährleistungsarbeiten und Garantieleistungen verpflichtet sein (zu seinem Rückgriffsanspruch Vor § 84 Rn 35). Bei der Gewährleistungsverpflichtung handelt es sich um eine eigene Verpflichtung; bei der Verpflichtung zum Abarbeiten von Garantiearbeiten meist um eine Verpflichtung des Unternehmers, sofern der Unternehmer und nicht der Händler eine Garantiezusage gegeben hat. Die Garantiezusage durch den Unternehmer bildet einen selbständigen Garantievertrag 977. Die Verpflichtung zu Garantiearbeiten für den Unternehmer ist dem Vertragshändlervertrag nicht immanent. Sie muss separat vereinbart werden 978. Zivilrechtlich ist eine Bezugsbindung des Händlers hinsichtlich der Originalersatzteile des Unternehmers zulässig 979. Zum möglichen Inhalt einer solchen Servicevereinbarung vgl. Vogels/Köhnen Rn 242; Tourenpläne: deren Einhaltung 980. Derartige Tourenpläne sind allerdings Indiz für die Unselbständigkeit des HV (§ 84 Rn 35). Versicherungsvertreter: Die Vereinbarung einer Bestandspflege einschließlich der Mitwirkung bei der Schadensregulierung in der Haftpflicht-, Sach- und Unfallversicherung. Hierfür ist dann eine besondere Vergütung zu leisten (so ausdrücklich für das Inkasso § 87 Abs. 4). Auch sie wird meist in Gestalt einer Provision gezahlt (vgl. § 87 Abs. 4) und sollte getrennt von der eigentlichen Provision für das Hereinholen von

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Hopt § 86 Rn 14. Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, Rn 225. Hopt § 86 Rn 14. Hopt § 86 Rn 14. Hopt § 86 Rn 14; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 44e. RGZ 65, 86 (90); BGH, Urt. v. 02.07.1992 – I ZR 181/90, NJW-RR 1992, 1386 (1388); Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 43; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 44e. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 43.

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Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 40. Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 308. Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, Rn 238. Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, Rn 239. BGH BB 1982, 391; BGH BB 1962, 1396; Keese BB 1972, 817 (819). Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 40; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 15a.

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Abschlüssen ausgeworfen werden, zumal sie nicht ausgleichsfähig im Sinne des § 89b ist; – Zuweisung eines Vertriebsgebiets: Erfolgt eine solche Zuweisung gegenüber einem echten HV, darf ihm aktive Werbung außerhalb dieses Gebiets untersagt sein. Passive Verkäufe wird er entgegennehmen dürfen, der Unternehmer braucht solche Aufträge jedoch nicht anzunehmen; – Vorgaben zu Kundenbesuchen für bestimmte Zeitabstände 981 (innerhalb angemessener Grenzen); – Allgemeine Produkt- oder Unternehmenswerbung 982 oder Werbeaufwendungen 983. Kommt ein Franchisegeber den vertraglich übernommenen Beratungs- und Werbepflichten nicht nach, steht ihm kein Zurückbehaltungs- oder Leistungsverweigerungsrecht zu 984. Der Franchisenehmer darf sich nicht auf einen Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen, solange die Äquivalenzstörung nicht existenzgefährdend ist. Eine Vielzahl vertraglicher Einschränkungen kann in ihrer Kumulation zur Unselb- 206 ständigkeit führen (§ 84 Rn 18). Dies gilt insbesondere bei vertraglichen Regelungen zur Arbeitszeit oder Festschreibung von Tourenplänen.

N. Folge der Verletzung der Pflichten des Mittlers Ein Verstoß gegen gesetzliche oder vertragliche Pflichten konstituiert eine Pflichtver- 207 letzung. Verletzt der HV die in § 86 niedergelegten oder die vertraglich vereinbarten Pflichten, darf der Unternehmer auf Erfüllung klagen und den Anspruch im Wege der Zwangsvollstreckung durchsetzen 985. Das gilt auch für den Anspruch auf Geschäftsvermittlung und -abschluss 986. Denkbare weitere Folgen einer Pflichtverletzung sind: 208 – Beim Bezirksvertreter ist die Verwirkung (nach § 242 BGB) des Rechts auf Bezirksprovision denkbar 987; – nach vergeblicher Abmahnung eine außerordentliche Kündigung gemäß § 89a988, bei völliger Zerstörung des Vertrauensverhältnisses auch ohne Abmahnung, jedoch nur innerhalb einer angemessenen Frist (§ 314 Abs. 3 BGB), die spätestens zwei Monate nach Kenntnis des Kündigungsgrundes abgelaufen ist. Für Verstöße gegen die Mitteilungs- oder Berichtspflichten soll das nur gelten, wenn der Unternehmer die geschuldeten Informationen nicht auf andere Weise erhält 989 und der Verstoß so schwer wiegt, dass er das Vertrauensverhältnis zerstören kann;

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Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 40; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 25. Rittner DB 1999, 2097 (2099); Hopt § 86 Rn 50; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 44d. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 40. LG Braunschweig, Urt. v. 14.07.2004 – 22 O 289/04, zitiert nach Haager NJW 2005, 3394 (3396) unter Berufung auf OLG Frankfurt/Main NJWE-WettbR 1996, 142. Hopt § 86 Rn 47; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 67.

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AA MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 67. OLG Hamm NJW 1959, 677; Hopt § 86 Rn 47; vgl. auch OLG Koblenz BB 1973, 866: Verwirkung bei gravierendem Verstoß gegen die Interessenwahrungspflicht. BGH WM 1988, 34; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 44; Hopt § 86 Rn 47; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 42, 69. BGH NJW-RR 1988, 287 (288); Ebenroth/ Löwisch § 86 Rn 44.

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– das Entstehen eines Zurückbehaltungsrechts des Unternehmers 990, je nachdem ob es sich um eine Haupt- oder Nebenleistungspflicht handelt gem. § 320 I 1 BGB oder § 273 BGB 991; – Auskunftsrechte nach § 242 BGB, etwa im Falle eines Wettbewerbsverstoßes, um den Umfang der Wettbewerbstätigkeit kennen zu lernen 992; – Fristsetzung gemäß §§ 323 BGB (früher: § 326) BGB 993, danach ein Rücktrittsrecht 994; – die Fälligkeit einer Vertragsstrafe 995, sofern sie vereinbart war. Sie muss hinreichend bestimmt sein 996, der Höhe nach angemessen 997, wird auf einen Schadensersatzanspruch angerechnet 998 und kann neben einem Ordnungsmittel nach § 890 ZPO geschuldet sein 999. Zu Vertragsstrafeversprechen in AGB vgl. Vor § 84 Rn 33; – der Einbehalt der Provision 1000, wenn der Provisionsanspruch verwirkt ist, was auch hinsichtlich von Bezirksprovision eintreten kann 1001. Das soll der Fall sein, falls der Unternehmer in Unkenntnis der Bemühungen des HV ein Direktgeschäft abschließt und bei der Preisvereinbarung einen Provisionsanspruch nicht berücksichtigt 1002 (zweifelhaft, weil der HV nicht zur ständigen Information über jede Vermittlungsbemühung verpflichtet ist. Zudem handelt es sich rechtstechnisch um einen Schadenersatzanspruch, mit dem aufgerechnet wird). Grundsätzlich behält der HV allerdings auch bei schweren Vertragsverfehlungen seinen Provisionsanspruch 1003; – ein Unterlassungsanspruch, etwa bei verbotenem Wettbewerb 1004; – Recht auf Verzugsschaden gem. §§ 280 II, 286 BGB; – Herausgaberecht gem. § 667 BGB. Verlangt der Unternehmer nach § 667 BGB vom HV Erstattung eines Kassenfehlbetrages, ist § 254 BGB nicht anwendbar.1005 Verschulden des Personals seiner Agentur, aber auch seiner Unteragenten hat der HV 209 nach § 278 BGB zu vertreten. Relevant wird eine Verletzung meist im Streit um außerordentliche Kündigungsgründe, bei denen sich die Frage stellt, ob es sich im einen wichtigen Grund i.S.d. § 89a handelt. Im Einzelnen unten Rn 210 zur Haftung des HV.

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OLG München BB 1955, 714; Hopt § 86 Rn 47. Für Franchiseverträge Giesler ZIP 2002, 420 (424). MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 43; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 44. Martinek/Flohr § 9 Rn 45 ff. Hopt § 86 Rn 47. BGH, Urt. v. 04.10.1984 – I ZR 151/82, BB 1985, 823 (824); Urt. v. 10.05.1995 – VIII ZR 144/94, ZIP 1995, 1260; BGH, Urt. v. 28.01.1993 – I ZR 240/90, ZIP 1993, 703; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 44; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86 Rn 25; Hopt § 86 Rn 47; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 44. OLG Celle EWiR 1998, 157; Ebenroth/ Löwisch § 86 Rn 44.

402

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OLG Hamm MDR 1984, 404; OLG Düsseldorf DB 1992, 86; OLG München BB 1994, 1104; OLG Celle EWiR 1998, 157; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 44. 998 BGH, Urt. v. 21.11.1991 – I ZR 87/90, NJW 1992, 1096; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 44. 999 BGH, Urt. v. 05.02.1998 – III ZR 103/97, EBE 1998, 90; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 44. 1000 Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 3. 1001 Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 44. 1002 Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 44. 1003 Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 44. 1004 Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 44; Hopt § 86 Rn 47; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 43. 1005 OLG Koblenz, Urt. v. 30.01.2006 – 10 U 127/01, WM 2006, 1452.

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§ 86

I. Haftung des Mittlers Der HV kann aus seiner Tätigkeit gegenüber dem Unternehmer und Dritten haften. 210 Im Einzelnen sind bei der Haftung des HV folgende Konstellationen zu unterscheiden:

II. Haftung des Mittlers gegenüber dem Kunden Eine Haftung des HV gegenüber dem Kunden ist grundsätzlich ausgeschlossen, da der 211 Kunde nur in Vertragsbeziehungen zum Unternehmer, nicht zum Vertreter, tritt 1006. Darin unterscheidet der HV sich vom Handelsmäkler. Der HV ist nicht, wie es für den Handelsmäkler zutrifft, Mittler zwischen den Parteien mit der Aufgabe, deren entgegengesetzte Interessen zum Ausgleich zu bringen, sondern er wahrt die Interessen des Unternehmers, für den er tätig ist. Andererseits ist für alle Vertreter zu beachten, dass sie, auch soweit vertragliche Verhältnisse nicht vorliegen, zur Gegenpartei in nahen Geschäftsverkehr treten. Das Gesetz trägt in § 91a dem Rechnung, indem der Dritte damit rechnen darf, dass der Unternehmer das Handeln des HV, sofern er sich in dem ihm zugewiesenen Geschäftsbereich bewegt, wie eigenes Handeln auffassen und es nicht verleugnen werde. Die Abschlussvollmacht des HV lässt ebenfalls keine vertraglichen Beziehungen des HV zum Kunden entstehen 1007. Denn auch dann, wenn der HV seine Vollmacht nutzt, handelt er im Namen des Unternehmers, den die damit verbundene Haftung trifft. Selbst die Beratung des HV gegenüber dem Kunden erfolgt grundsätzlich im Namen des Unternehmers und begründet keine Eigenhaftung des HV aufgrund eines konkludent geschlossenen Beratungsvertrages 1008. Vereinbarungen des Unternehmers mit dem HV oder Kunden, denenzufolge der Kunde dem Vertreter die Provision zu zahlen hat, begründen selbst bei einem unmitttelbaren Zahlungsanpruch des HV gegen den Kunden keine eigenständigen vertraglichen Beziehungen zwischen beiden 1009, allenfalls im Einzelfall. Insbesondere Schadenersatzansprüche wegen Verschuldens des HV bei seinen Verhandlungen mit dem Kunden über den zwischen jenem und dem Unternehmer abzuschließenden Hauptvertrag richten sich grundsätzlich allein gegen den Unternehmer, der für den HV als seinen Erfüllungsgehilfen einstehen muss (§ 278 BGB) 1010. Eine Eigenhaftung des Mittlers kommt daher im Ausnahmefall lediglich nach folgenden Anspruchsgrundlagen in Betracht: – Positive Forderungsverletzung (§ 280 BGB), sollten ausnahmsweise vertragliche Beziehungen zwischen HV und Dritten existieren (im Regelfall fehlen sie) 1011 und Pflichten aus ihnen verletzt werden 1012. Ob der HV überhaupt berechtigt ist, Vertragsbeziehungen zu Kunden einzugehen (regelmäßig nur mit Zustimmung des Unternehmers), ist eine separate Frage 1013; – nach § 179 BGB 1014; – nach § 821 BGB, § 3 UWG;

1006

1007 1008 1009 1010

Abram VersR 2002, 1331 (1332); Martinek/Flohr § 9 Rn 40; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 19, 48a. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 58. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 58. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 58. BGH, Urt. v. 25.04.2006 – X ZR 198/04, NJW 2006, 2321 (2322).

1011 1012 1013 1014

Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 49. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 49. Hierzu Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 49. Abram VersR 2002, 1331 (1332); Martinek/Flohr § 8 Rn 19; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 6d, 48d.

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403

§ 86

1. Buch. Handelsstand

– nach § 826 BGB 1015, etwa falls der Kunde durch arglistige Täuschung oder Betrug zum Vertragsschluss veranlasst wurde 1016 (dann auch §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB); – § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Schutzgesetzen; – unter den engen Voraussetzungen einer Vertreterhaftung gemäß § 280 I, III BGB oder § 311 Abs. 3, § 241 Abs. 2 BGB 1017 wegen der Inanspruchnahme persönlichen Vertrauens 1018 oder wegen eines unmittelbaren eigenen wirtschaftlichen Interesses 1019. Regelmäßig muss der HV die Verhandlungen oder den Vertragsschluss dabei erheblich beeinflusst haben 1020. Die berufliche Sachkunde und das Provisionsinteresse 1021 des HV begründen die Haftung wegen Inanspruchnahme persönlichen Vertrauens nicht ohne das Hinzutreten weiterer Umstände, so dass ein derartiger Anspruch meist ausscheidet 1022. Vielmehr muss ein über das Provisionsinteresse hinausgehendes Interesse des HV bestehen, welches ihn quasi als wirtschaftlichen Herrn des Geschäftes erscheinen lässt. Beispiel: Der HV vermittelt den Eindruck, er werde persönlich mit seiner Sachkunde die ordnungsgemäße Abwicklung des Geschäftes gewährleisten, selbst wenn der Vertragspartner dem Unternehmer nicht oder nur wenig vertraut 1023. Beide Voraussetzungen sind nach dem BGH 1024 etwa bei einem Reisebüro üblicherweise nicht gegeben. Dass das Reisebüro mit seiner Sachkunde wirbt, bedeutet keine Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens. Erforderlich ist vielmehr, dass es dem Kunden zusätzlich in zurechenbarer Weise den Eindruck vermittelt, es werde persönlich mit seiner Sachkunde die ordnungsgemäße Abwicklung des Geschäfts selbst dann gewährleisten, falls der Kunde dem Geschäftsherrn nur wenig vertraut 1025. Der HV muss also über das allgemeine Verhandlungsvertrauen hinaus eine zusätzliche von ihm ausgehende Gewähr für die Seriosität und die Erfüllung des Geschäftes übernehmen 1026. Verletzt werden kann vorvertragliches Vertrauen der Kunden auch, wenn es der HV unterlässt, sie über Umstände aufzuklären, die der Vertragserfüllung entgegenstehen können, etwa mangelnde Bonität des Unternehmers 1027 oder fehlende Tauglichkeit bzw. Fehlerhaftigkeit des Produktes 1028. Steht der dann erforderlichen Aufklärung eine Vertraulichkeitsabrede des HV-Vertrages entgegen, muss der Repräsentant die Vermittlung einstellen 1029 oder auf andere Weise rechtmäßiges Verhalten sicherstellen, wozu er in diesem Einzelfall auch im Verhältnis zum Unternehmer berechtigt und sogar verpflichtet ist. Die dem Mittler im Verhältnis zum Unternehmer verpflichtende Vertraulichkeitsabrede darf sich nicht zum Schaden eines Kunden auswirken. Zu eige-

1015

1016 1017 1018

1019 1020 1021

RGZ 120, 252; Abram VersR 2002, 1331 (1332); Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 19, 48b. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 19. BGH, Urt. v. 25.04.2006 – X ZR 198/04, NJW 2006, 2321 (2322). BGHZ 14, 318 und BGH LM § 278 [Fa] Nr. 4; OLG Celle BB 1963, 1142; OLG Düsseldorf VersR 1970, 126 [Versicherungsvertreter]; Martinek/Flohr § 9 Rn 36; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 48a. BGH, Urt. v. 25.04.2006 – X ZR 198/04, NJW 2006, 2321 (2322). BGH, Urt. v. 25.04.2006 – X ZR 198/04, NJW 2006, 2321 (2322). BGH WM 1971, 498 (499); Martinek/Flohr

404

1022 1023 1024 1025 1026 1027 1028 1029

§ 9 Rn 37; aA OLG Düsseldorf, VersR 1970, 126. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 49. Martinek/Flohr § 9 Rn 38. BGH, Urt. v. 25.04.2006 – X ZR 198/04, NJW 2006, 2321 (2322). BGH, Urt. v. 25.04.2006 – X ZR 198/04, NJW 2006, 2321 (2322). BGH, MDR 1992, 232; Martinek/Flohr § 9 Rn 38. OLG Hamm VersR 1993, 227; Martinek/ Flohr § 9 Rn 39. Martinek/Flohr § 9 Rn 42. OLG Hamm DB 1993, 2229; Martinek/ Flohr § 9 Rn 39.

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§ 86

nen Nachforschungen ist der HV nur im Falle eindeutiger Anhaltspunkte auf vertragshindernde Umstände, falls dies der Verkehrssitte entspricht, oder im Falle einer regelmäßig unzulässigen (Doppeltätigkeit) Vereinbarung mit dem Kunden verpflichtet 1030; – wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht, etwa dann, wenn den HV ein Organisationsverschulden beim Vertrieb oder dem Aufbau eines eigenen (Unter)vertriebssystems trifft; – im Falle eigenständiger Gewährübernahme 1031. In diesem Sinne kann ganz ausnahmsweise zwischen HV und Kunden ein meist stillschweigender Beratungs- oder Auskunftsvertrag zustandekommen, der den HV persönlich zu sachlich zutreffenden Angaben und zur Richtigstellung fehlerhafter Angaben verpflichten kann und mit der Folge der persönlichen Haftung für Pflichtverletzungen 1032. Im Zweifel wird kein solcher Vertrag zwischen Kunden und HV gewollt sein 1033. Dagegen scheidet eine Haftung gegenüber dem Kunden regelmäßig unter folgenden 212 Gesichtspunkten aus: – aus §§ 280, 281 BGB (Positive Forderungsverletzung, c.i.c) 1034; – aus Mangelhaftung. Da der HV in keinem Vertragsverhältnis zum Kunden steht, obliegt ihm keine Mangelhaftung nach §§ 437 ff BGB. Insbesondere entsteht gegenüber dem Vertreter kein Anspruch auf Nachbesserung 1035 i.S.d. §§ 437, 439 BGB. Hat der HV nicht nur auf seine besondere Sachkunde hingewiesen, sondern zugleich zu erkennen gegeben, dass er im Falle von Sachmängeln auch bereit sei, für die Gewährleistung einzustehen, so liegt ein eigenständiges vertragliches Versprechen vor, welches eine Eigenhaftung des HV begründet 1036 (s.o.). Hierzu bedarf es aber einer ausdrücklichen Verpflichtung. Im Zweifel ist von ihrem Fehlen auszugehen. Einen Regressanspruch gegenüber dem Unternehmer besitzt der Vertreter dann nur, wenn das Vertragsverhältnis zum Unternehmer die Übernahme der Gewährleistungsverpflichtung forderte. Fehlt es hieran, haftet der HV ohnehin nach den Rechtsgedanken des § 179 BGB alleine. – Wer als Versicherungsvertreter ohne die Erlaubnis nach Art. 1 § 1 Abs. 1 Nr. 2 RBerG 213 einen Versicherungsnehmer berät und zur Änderung des bestehenden Versicherungsverhältnisses veranlasst, haftet nicht für den diesem hierdurch entstehenden Schaden gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 a RBerG als Schutzgesetz 1037. Die Beratung des Kunden durch den Versicherungsvertreter in Bezug auf die Versicherungsverträge, welche mit dem vom ihm vertretenen Versicherer geschlossen werden, ist durch das Berufsbild des Versicherungsvertreters gedeckt und verstößt nicht gegen § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a RBerG. Anders ist es bei Verträgen, die der Kunde mit einem Versicherer schließt, der vom Versicherungsvertreter nicht vertreten wird.

1030 1031 1032

OLG Hamm VersR 1993, 227; Martinek/ Flohr § 9 Rn 39. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 59. BGH ZIP 1998, 1735; BGH ZIP 2000, 355; BGH, Urt. v. 28.09.2000 – III ZR 43/99, EBE 2000, 346; OLG Köln MDR 2000, 99; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 59.

1033 1034 1035 1036 1037

Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 59. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 19. Vgl. Martinek/Flohr § 9, Rn 40. Vgl. Martinek/Flohr § 9, Rn 41. OLG Nürnberg, Urt. v. 02.02.2004 – 8 U 110/03, VersR 2005, 1237.

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§ 86

1. Buch. Handelsstand

III. Haftung des HV nach dem Produkthaftungsgesetz 214

Weder der Abschluss- noch der Vermittlungsvertreter haften nach den Regeln der Produzentenhaftung 1038. Insbesondere haftet der HV nicht nach dem Produkthaftungsgesetz. Etwas anderes soll gelten, falls der HV die Auslieferung des Produktes vornimmt, insbesondere ein Warenlager unterhält, von dem aus die Auslieferung des fehlerhaften Produktes erfolgt 1039. Beschränkt sich die Tätigkeit des Vertreters jedoch auf den Abschluss oder die Vermittlung des Vertrages und erfolgt die Lieferung des Produktes unmittelbar vom Unternehmer an den Kunden (echter Vertretervertrag im Sinne des EUKartellrechts, siehe Vor § 84 Rn 201 ff) ist der Vertreter nicht Lieferant im Sinne des § 4 Abs. 3 Produkthaftungsgesetz und unterliegt keiner Haftung 1040. Ein Vertragshändler muss nicht ohne weiteres deliktsrechtlich für alle Schäden auf215 kommen, die durch von ihm vertretene Produkte entstehen, selbst dann nicht, wenn kapitalmäßige Verknüpfungen zum Hersteller bestehen 1041.

IV. Haftung des Vertragshändlers nach dem Produkthaftungsgesetz 216

Ein Vertragshändler kann gemäß § 4 ProdHaftG als Quasihersteller haften, sofern er im Geschäftsverkehr den Eindruck erweckt, Hersteller des vertriebenen Produkts zu sein. Zudem haftet er, wenn er als Importeur Produkte aus einem Land einführt, welches nicht zur EU gehört. Schließlich haftet er, falls er nicht in der Lage ist, dem anfragenden Anspruchsteller den Hersteller oder Vorlieferanten des Produkts binnen eines Monats unter Mitteilung der Anschrift zu benennen 1042. Den Vertragshändler trifft zudem eine Produktbeobachtungspflicht, die zu einer Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB führen kann. So haftet er, wenn er die Prüf- und Beobachtungspflicht missachtet, die sich darauf richtet, die Vertragsware durch eine hinreichende Sichtkontrolle daraufhin zu prüfen, ob von ihr Gefahrenquellen ausgehen, die ihre Ursachen im Verantwortungsbereich des Händlers haben 1043. Auf Herstellungs- und Fabrikationsfehler des Unternehmers braucht der Vertragshändler die Ware regelmäßig nicht zu überprüfen 1044. Im Falle einer Warn- und Rückrufaktion hat der Vertragshändler den Hersteller zu unterstützen. Er muss ihm bekannt gewordene Beanstandungen der Vertragsprodukte überprüfen 1045 und die möglichen Mängel feststellen sowie ggf. kenntlich machen 1046. In der Regel ist der Produktbeobachtungspflicht Genüge getan, sofern Reklamations- und Schadensfälle gesammelt und an den Unternehmer unter Hinweis auf mögliche Serienfehler weitergeleitet werden 1047.

1038 1039 1040 1041 1042 1043 1044

Martinek/Flohr § 9 Rn 42. Martinek/Flohr § 9 Rn 43. Martinek/Flohr § 9 Rn 43. Kollmann NJW 2000, 1912 (1915). Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 212. Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 214. BGH VersR 1960, 855; BGH VersR 1977,

406

1045 1046 1047

839 (840); BGH NJW 1980, 1219; Vogels/ Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 214. Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 217. Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 217. Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 219.

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§ 86

V. Haftung des Mittlers gegenüber dem Unternehmer Eine Haftung des HV gegenüber dem Unternehmer ist ebenso wie in der spiegelbild- 217 lichen Konstellation „Haftung des Unternehmers gegenüber dem HV“ (§ 86a Rn 126 ff) vor- wie nachvertraglich und vertragsbegleitend denkbar 1048. Vorvertraglich haftet der HV dem Unternehmer gem. §§ 242, 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB (culpa in contrahendo), vertragsbegleitend aus § 280 Abs. 1 (positive Forderungsverletzung), zudem ebenfalls nach § 89a Abs. 2. Auch aufgrund der Schlechterfüllung nachvertraglicher Treupflichten kann eine Haftung entstehen, und zwar auch hier gemäß § 280 Abs. 1. Der Hauptvertreter haftet dem Unternehmer für Fehler seines Untervertreters oder des Personals nach diesen Anspruchsgrundlagen i.V.m. § 278 BGB 1049. Hinzu treten mögliche deliktische Anspruchsgrundlagen, etwa § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 StGB. Denn der Vertreter ist gegenüber dem Unternehmer treupflichtig, so dass der Treubruchstatbestand des § 266 StGB erfüllt sein kann 1050. Der Unternehmer muss sich ein eventuelles Mitverschulden gem. § 254 BGB zurechnen lassen 1051. 1. Haftung des Mittlers gem. §§ 280 Abs. 1, 282, 241 Abs. 2, 242, 311 Abs. 2 BGB 218 (culpa in contrahendo). Eine Haftung des HV wegen vorvertraglichen Verschuldens kommt insbesondere in folgender Konstellation in Betracht: – Mangelnde Aufklärung, etwa über Risiken des Vertrages 1052. Derartige Aufklärungspflichten bestehen beispielsweise, wenn ein Wissens- oder Informationsgefälle besteht 1053. 2. Haftung des Mittlers gemäß § 280 I, III BGB wegen Schlechterfüllung vertrags- 219 begleitender Pflichten (Positive Forderungsverletzung). Dem Unternehmer kann ein Schadenersatzanspruch gegen den HV entweder nach § 280 Abs. 1 BGB oder § 280 Abs. 2 BGB 1054 zustehen. Ggf. ist ein Mitverschulden des Unternehmers zu berücksichtigen 1055. Eine Haftung wegen Schlechterfüllung vertragsbegleitender Pflichten gemäß § 280 Abs. 1 (positive Forderungsverletzung) kommt in folgenden Fällen in Betracht 1056: – Abschlussvertreter: Abschluss trotz bekannter Lieferschwierigkeiten des Unternehmers 1057; mangelnde Rückfrage bei Risikogeschäften und fehlender Risikobereitschaft des Unternehmers; – Aufbewahrungspflicht: Ihre Verletzung; – Bezirksvertreter: Vernachlässigung des Bezirkes; – Bonitätsprüfungspflicht: Bei Verletzung seiner Bonitätsprüfungspflicht haftet der HV 1058, und zwar grundsätzlich auch für Fahrlässigkeit 1059; 1048 1049

1050

1051 1052

Zum Regelungszustand vor der Schuldrechtsnovelle Martinek/Flohr § 9 Rn 44. OLG Hamm MDR 1959, 1016; Ebenroth/ Löwisch § 84 Rn 65; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 2; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 14, 46. RGSt 71, 366; OLG Hamm JMBlNW 1956, 58; 1964, 1399; OLG Koblenz MDR 1968, 779; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron § 266 Rn 25. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 61. Martinek/Flohr § 8 Rn 124 f; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 30; zum Franchisevertrag Giesler ZIP 2002, 420 (426).

1053 1054 1055 1056

1057 1058

1059

Giesler ZIP 2002, 420 (426). Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 44; Hopt § 86 Rn 47; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 45. Hopt § 86 Rn 47. Siehe Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 44; Hopt § 86 Rn 47; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 45. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 8. RG JW 1919, 450; OLG Düsseldorf HVR Nr. 59; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 11; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 61; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 17. AA Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 29.

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§ 86

1. Buch. Handelsstand

– Berichtspflicht: Schadenersatz bei fehlenden oder mangelhaften Berichten 1060; – Falschberatung des Kunden 1061; – Geldanlage: Bei Unmöglichkeit der Herausgabe vereinnahmter Gelder durch den Mittler infolge der Geldanlage bei einer nicht dem Einlagesicherungsfond angehörigen Bank haftet der Mittler gem. §§ 280, 283, 667 BGB (zu einem Makler) 1062; – Herausgabe von Unterlagen: Verzögerung 1063 (hier ist der Unternehmer nicht auf seine Rechte aus den §§ 286 ff BGB beschränkt, denn die Rückgabepflicht ist eine Nebenpflicht 1064); – Herausgabepflicht: Beschädigung oder Zerstörung der herauszugebenden Gegenstände; – Hilfspersonen: Nichteinstellung von Hilfspersonen, deren Beschäftigung der HV versprochen hatte, sofern sich ein Schaden, etwa aus entgangenem Gewinn, nachweisen lässt 1065; – Informationspflichten: Verletzung. Entgangene Einnahmen werden nur ersetzt, wenn dem Nichtinformierten auf Grund der Nichtinformation oder Fehlinformation eine Einkommensposition entgangen ist 1066; – Kündigung: Die unberechtigte Kündigung durch den HV bildet eine Pflichtverletzung: Nach einer solchen kann, so der BGH 1067, der Unternehmer den entgangenen Gewinn in der Weise abstrakt berechnen, dass er aus den im Einzelnen aufgeführten Umsätzen in den der Kündigung vorausgehenden 18 Monaten jeweils den monatlichen Durchschnittssatz ermittelt, daraus den Umsatzausfall für den Zeitraum von der fristlosen Kündigung bis zum Ablauf der Frist für die ordentliche Kündigung errechnet und die vertraglich geschuldete Provision und den Warenabsatz abzieht. Im Anschluss an sein Urteil DB 2000, 967 1068 bestätigte der BGH Beweiserleichterungen bei der Schadensschätzung, die sowohl Mittlern wie Unternehmern zugute kommt: Gemäß § 252 S. 2 BGB gelte der Gewinn als entgangen, welcher nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge als entgangen vermutet werden könne. Volle Gewissheit, dass der Gewinn gezogen worden wäre, sei nicht erforderlich. Es genüge der Nachweis einer gewissen Wahrscheinlichkeit. Dem Ersatzpflichtigen obliege der Beweis, dass er nach dem späteren Verlauf oder aus irgendwelchen anderen Gründen nicht erzielt worden wäre. Dabei dürften keine zu strengen Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des Geschädigten gestellt werden. Stehe eine Schadenersatzforderung dem Grunde nach fest und sei lediglich ihre Höhe nicht sicher zu ermitteln, dürfe das Gericht die Klage nicht einfach abweisen, sondern müsse prüfen, in welchem Umfang der Sachverhalt eine Grundlage für die Schätzung eines Mindestschadens biete. Dem Unternehmer sei eine gewisse Übergangszeit einzuräumen, in der er sich nach geeigneten Vertretern umsehen dürfe; – Pflichtwidriges Unterlassen von Geschäftsabschlüssen 1069. Der Unternehmer hat Anspruch auf Ersatz des ihm entgangenen Gewinns 1070, falls er nachweist, dass pflichtgemäßes Verhalten zum Erfolg geführt hätte 1071;

1060 1061 1062 1063 1064 1065 1066 1067

Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 17; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 28. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 58. BGH, Urt. v. 21.12.2005 – III ZR 9/05, VersR 2006, 360. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 44. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 44. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 44c. Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 44. BGH, Urt. v. 30.5.2001 – VIII ZR 70/00,

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1068 1069 1070

1071

ZIP 2001, 1461 = DB 2001, 2189 = WM 2001, 2010. Hierzu Emde VersR 2001, 148 (165). Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 44. BGH BB 1985, 823 (824); Urt. v. 03.04. 1996 – VIII ZR 3/95, ZIP 1996, 1006 (1008); Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 44; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 43. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 44.

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§ 86

– Rückzahlungen an Kunden, wenn sie vertragswidrig geschehen 1072; – Schlechterfüllung oder Nichterfüllung der Haupt- oder Nebenpflichten des HV-Vertrages, insbesondere der in § 86 niedergelegten 1073; – Serviceleistungen/Kundendienst: Nichterbringung von im Vertragshändlervertrag versprochenen Serviceleistungen 1074; – Treupflichten: Verletzung der Treupflichten durch den Vertreter 1075; – Vermittelte Geschäfte: Obwohl der HV dem Unternehmer grundsätzlich nicht für Erfolg und Erfüllung des getätigten Geschäfts einzustehen hat, begründen pflichtwidrig vom HV vermittelte oder abgeschlossene Geschäfte, die bei pflichtgemäßem Verhalten des HV nicht zustandegekommen wären, einen Anspruch auf Ersatz des hierdurch entstandenen Schadens 1076; – Verzögerung und Langsamkeit bei der Tätigkeit; – Verschwiegenheitspflicht: Verletzt der HV die Verschwiegenheitspflicht, so macht er sich gemäß § 280 BGB schadenersatzpflichtig, zudem gemäß § 280 Abs. 1 BGB, § 826 BGB, § 823 I BGB in Verbindung mit den Grundsätzen zum eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb oder § 3 UWG; – Vertragsstrafe: Haftung des HV, falls dem Unternehmer durch Verschulden des Vertreters eine Vertragsstrafe auferlegt wird 1077; – Vollmacht: Geschäftsabschluss trotz fehlender Vollmacht 1078; – Weisungen: Nichtbeachtung zulässiger Weisungen 1079; – Wettbewerbstätigkeit: pflichtwidrige Wettbewerbstätigkeit des HV begründet im Falle der Kündigung durch den Unternehmer eine Schadensersatzverpflichtung nach § 89a Abs. 2, bei fehlender Kündigung gemäß § 280 Abs. 1 BGB 1080; aber nur für Schäden bis zum nächsten ordentlichen Kündigungstermin 1081. Als Schadenersatz wird regelmäßig der Gewinn anzusetzen sein, den der Unternehmer erzielt hätte, wenn der HV nicht mit Artikeln der Konkurrenz Geschäfte geführt hätte 1082. Ggf. ist gemäß § 287 ZPO zu schätzen 1083. Zudem besteht eine Auskunftspflicht des HV 1084. 3. Haftung des Mittlers gemäß § 280 I BGB wegen Schlechterfüllung nachvertrag- 220 licher Pflichten. An eine Haftung gemäß §§ 280 Abs. 1 aufgrund der nachvertraglichen Pflichtverletzung kann ebenfalls gedacht werden.

1072 1073

1074 1075 1076

1077 1078

BGH NJW 2003, 743 (744). Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 44; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 68. Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, Rn 243. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 43c. OLG Düsseldorf OLGR 1994, 281; Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 44; Schlegelberger/ Schröder § 86 Rn 47. KG JRPrV 41, 199; Recht 1941, Nr. 43, 68; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 45. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 6d, 13.

1079 1080

1081 1082 1083 1084

Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 32d. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 31; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 86 Rn 43; Schlegelberger/ Schröder § 86 Rn 43. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 31. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 43. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 43. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene, § 86 Rn 43.

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§ 86a

1. Buch. Handelsstand

VI. Haftung von Dritten 221

Auch Dritte können ausnahmsweise haften. – Der Leiter einer Struktur eines HV-Vertriebs haftet den Anlegern aus § 826 BGB, sofern er ins Blaue hinein erklärt, die Anlage erfolge bei einer renommierten ausländischen Bank, die einem Einlagensicherungssystem angehöre, und er damit rechnet, dass diese Aussage an die Anleger weitergegeben wird 1085. – Ausgleichsanspruch – fehlende Geltendmachung: Die Nichtgeltendmachung eines Ausgleichsanspruches nach § 89b durch einen Wettbewerber, der das anspruchsberechtigte Autohaus übernimmt, kann ein zum Schadenersatz verpflichtender existenzvernichtender Eingriff in den Betrieb des Autohauses sein, der zur unbegrenzten Haftung des Gesellschafters des Unternehmers verpflichtet 1086. Es gibt also eine schadensersatzrechtlich sanktionierte Pflicht zur Geltendmachung des Ausgleichs, die allerdings auch aus dem Haupt- und Untervertreterverhältnis bekannt ist.

§ 86a Pflichten des Unternehmers (1) Der Unternehmer hat dem Handelsvertreter die zur Ausübung seiner Tätigkeit erforderlichen Unterlagen, wie Muster, Zeichnungen, Preislisten, Werbedrucksachen, Geschäftsbedingungen, zur Verfügung zu stellen. (2) 1Der Unternehmer hat dem Handelsvertreter die erforderlichen Nachrichten zu geben. 2Er hat ihm unverzüglich die Annahme oder Ablehnung eines vom Handelsvertreter vermittelten oder ohne Vertretungsmacht abgeschlossenen Geschäfts und die Nichtausführung eines von ihm vermittelten oder abgeschlossenen Geschäfts mitzuteilen. 3Er hat ihn unverzüglich zu unterrichten, wenn er Geschäfte voraussichtlich nur in erheblich geringerem Umfange abschließen kann oder will, als der Handelsvertreter unter gewöhnlichen Umständen erwarten konnte. (3) Von den Absätzen 1 und 2 abweichende Vereinbarungen sind unwirksam.

Schrifttum v. Brunn Unzulässige Verhandlungen über die Nachfolge eines Handelsvertreters vor Kündigung seines Vertrags, DB 1964, 1841; Fruhmann Dispositionsfreiheit des Unternehmers gegenüber seinem Vertragshändler – nur ein Lippenbekenntnis?, MDR 1995, 433; Höft Wettbewerbsverbot des Handelsvertreters und geschäftliche Dispositionsfreiheit des vertretenen Unternehmers, VersR 1969, 875; Hopt Moderne Vertriebsformen und Einzelheiten ihrer handelsrechtlichen Zulässigkeit, ZIP 1996, 1809; ders. Wettbewerbsfreiheit und Treuepflicht des Unternehmers bei parallelen Vertriebsformen, ZIP 1996, 1533; Küstner Verstoßen „Rennlisten“ gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen, BB 1984, 1906; Matthiessen Arbeits- und handelsvertreterrechtliche Ansätze eines Franchisenehmerschutzes, ZIP 1988, 1089; Schriefers Lagerrücknahme bei Vertragsbeendigung des Händlervertrags, BB 1992, 2158; Thume Die Musterkollektion des Handelsvertreters, BB 1995, 1913; Steindorff Vereitelte Ansprüche und Wettbewerbsverbot des Handelsvertreters, ZHR 130 (1968), 82.

1085

OLG Celle, Urt. v. 15.12.2005 – 11 U 107/05, OLGR 2006, 209.

410

1086

BGH, Urt. v. 13.12.2004 – II ZR 206/02, GmbHR 2005, 225 mit Komm. Schröder.

Raimond Emde

§ 86a

1. Buch. Handelsstand

VI. Haftung von Dritten 221

Auch Dritte können ausnahmsweise haften. – Der Leiter einer Struktur eines HV-Vertriebs haftet den Anlegern aus § 826 BGB, sofern er ins Blaue hinein erklärt, die Anlage erfolge bei einer renommierten ausländischen Bank, die einem Einlagensicherungssystem angehöre, und er damit rechnet, dass diese Aussage an die Anleger weitergegeben wird 1085. – Ausgleichsanspruch – fehlende Geltendmachung: Die Nichtgeltendmachung eines Ausgleichsanspruches nach § 89b durch einen Wettbewerber, der das anspruchsberechtigte Autohaus übernimmt, kann ein zum Schadenersatz verpflichtender existenzvernichtender Eingriff in den Betrieb des Autohauses sein, der zur unbegrenzten Haftung des Gesellschafters des Unternehmers verpflichtet 1086. Es gibt also eine schadensersatzrechtlich sanktionierte Pflicht zur Geltendmachung des Ausgleichs, die allerdings auch aus dem Haupt- und Untervertreterverhältnis bekannt ist.

§ 86a Pflichten des Unternehmers (1) Der Unternehmer hat dem Handelsvertreter die zur Ausübung seiner Tätigkeit erforderlichen Unterlagen, wie Muster, Zeichnungen, Preislisten, Werbedrucksachen, Geschäftsbedingungen, zur Verfügung zu stellen. (2) 1Der Unternehmer hat dem Handelsvertreter die erforderlichen Nachrichten zu geben. 2Er hat ihm unverzüglich die Annahme oder Ablehnung eines vom Handelsvertreter vermittelten oder ohne Vertretungsmacht abgeschlossenen Geschäfts und die Nichtausführung eines von ihm vermittelten oder abgeschlossenen Geschäfts mitzuteilen. 3Er hat ihn unverzüglich zu unterrichten, wenn er Geschäfte voraussichtlich nur in erheblich geringerem Umfange abschließen kann oder will, als der Handelsvertreter unter gewöhnlichen Umständen erwarten konnte. (3) Von den Absätzen 1 und 2 abweichende Vereinbarungen sind unwirksam.

Schrifttum v. Brunn Unzulässige Verhandlungen über die Nachfolge eines Handelsvertreters vor Kündigung seines Vertrags, DB 1964, 1841; Fruhmann Dispositionsfreiheit des Unternehmers gegenüber seinem Vertragshändler – nur ein Lippenbekenntnis?, MDR 1995, 433; Höft Wettbewerbsverbot des Handelsvertreters und geschäftliche Dispositionsfreiheit des vertretenen Unternehmers, VersR 1969, 875; Hopt Moderne Vertriebsformen und Einzelheiten ihrer handelsrechtlichen Zulässigkeit, ZIP 1996, 1809; ders. Wettbewerbsfreiheit und Treuepflicht des Unternehmers bei parallelen Vertriebsformen, ZIP 1996, 1533; Küstner Verstoßen „Rennlisten“ gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen, BB 1984, 1906; Matthiessen Arbeits- und handelsvertreterrechtliche Ansätze eines Franchisenehmerschutzes, ZIP 1988, 1089; Schriefers Lagerrücknahme bei Vertragsbeendigung des Händlervertrags, BB 1992, 2158; Thume Die Musterkollektion des Handelsvertreters, BB 1995, 1913; Steindorff Vereitelte Ansprüche und Wettbewerbsverbot des Handelsvertreters, ZHR 130 (1968), 82.

1085

OLG Celle, Urt. v. 15.12.2005 – 11 U 107/05, OLGR 2006, 209.

410

1086

BGH, Urt. v. 13.12.2004 – II ZR 206/02, GmbHR 2005, 225 mit Komm. Schröder.

Raimond Emde

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 86a

Übersicht A. Gesetzgebungsgeschichte

. . . . . . .

Rn

Rn

1

b) Fälligkeit . . . . . . . . . 73 c) Kosten . . . . . . . . . . 74 d) Eigentum an den Hilfsmitteln . . . . . . . . . . 75 e) Pflicht zur sorgsamen Verwahrung . . . . . . . . . 76 f) Herausgabepflicht . . . . . 77 g) Erfüllungsort . . . . . . . 78 h) Haftung des HV . . . . . 79 i) Haftung des Unternehmers 80 j) Beweislast . . . . . . . . 81–82 2. § 86a Abs. 2: Informationspflicht des Unternehmers . . 83–95 a) Allgemeines . . . . . . . . 84–85 b) Allgemeine Informationspflicht . . . . . . . . . . 86 c) Zweck . . . . . . . . . . 87 d) Zeitlicher Umfang und Fälligkeit . . . . . . . . . 88 e) Sachlicher Umfang der Informationspflicht . . . . 89–94 f) Vertragliche Erweiterung der Informationspflichten . 95 3. Mitteilung der Annahme oder Ablehnung eines Geschäfts (§ 86a Abs. 2 Satz 2, 1. Hs) . 96–104 a) Aktivlegitimation . . . . . 97 b) Zweck . . . . . . . . . . 98–100 c) Inhalt . . . . . . . . . . . 101–103 d) Zeitpunkt der Information 104 4. Mitteilung der Nichtausführung abgeschlossener Geschäfte (§ 86a Abs. 2 Satz 2, 2. Hs) . . . . . . . . . . . . 105–107 a) Zweck . . . . . . . . . . 106 b) Inhalt . . . . . . . . . . . 107 5. Unterrichtung über Abschlussbeschränkungen (§ 86a Abs. 2 S. 3) . . . . . . 108–111 a) Zweck . . . . . . . . . . 109 b) Inhalt . . . . . . . . . . . 110 c) Fälligkeit . . . . . . . . . 111

B. Europarechtliche Präformation . . . .

2

C. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . .

3–4

D. Unterteilung der Pflichten des Unternehmers . . . . . . . . . . . . . . . . E. Aktiv- und Passivlegitimation . . . . . I. Handelsvertreter . . . . . . . . II. Handelsvertreterähnliche Vertriebsmittler . . . . . . . . . . . F. Zeitdauer und Fälligkeit . . . . . I. Vertragsbegleitende Pflichten II. Vor- und nachvertragliche Pflichten . . . . . . . . . . III. Vorvertragliche Pflichten . . IV. Nachvertragliche Pflichten .

5–12 13–15 13 14–15

. . . .

16–21 16

. . . . . .

17 18–20 21

G. Die in § 86a nicht ausdrücklich geregelten Nebenpflichten des Unternehmers . . . . . . . . . . . . . . . I. Treu-, Loyalitäts- und Unterstützungspflicht . . . . . . . . II. Rücksichtnahmepflicht . . . . 1. Einleitung . . . . . . . . . 2. Kasuistik . . . . . . . . . . 3. Beweislast . . . . . . . . .

.

22–41

. . . . .

23–27 28–32 28 29–31 32

III. Belieferungspflicht des Unternehmers . . . . . . . . . . . . . IV. Gleichbehandlungspflicht . . . . V. Organisationspflicht des Unternehmers . . . . . . . . . . . . . H. Dispositionsfreiheit des Unternehmers I. Einleitung . . . . . . . . . . . . II. Willkür . . . . . . . . . . . . . III. Objektiver Maßstab . . . . . . . IV. Steigende Schutzpflichten je nach Gefährdung des Mittlers . . . . V. Kündigung vor Umsetzung der Dispositionsmaßnahme? . . . . VI. Rechtzeitige Information des Mittlers . . . . . . . . . . . . . VII. Abwägungsgebot . . . . . . . . VIII. Kasuistik . . . . . . . . . . . . IX. Rechtsfolgen von Dispositionsmängeln . . . . . . . . . . . . . X. Vertragliche Erweiterung des Dispositionsrechts . . . . . . . . XI. Vertragliche Beschränkung des Dispositionsrechts . . . . . . . . I. Die in § 86a besonders geregelten Nebenpflichten . . . . . . . . . . . I. Zeitdauer und Fälligkeit . . . . II. Zu den einzelnen Pflichten des § 86a . . . . . . . . . . . . . 1. Überlassung von Unterlagen (§ 86a Abs. 1) . . . . . . . a) Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . .

. .

33–34 35–38 39–41 42–61 42–49 50 51–52 53 54 55 56 57–58 59

J. Erfüllungsort und Kosten . . . . . . .

112

K. Rechtsfolgen der Verletzung der Informationspflichten des § 86a Abs. 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . 113–115

60

L. Informationserteilung an Dritte, AVAD

116

61

M. Vertragliche Erweiterung der Nebenpflichten des Unternehmers . . . . . .

117

N. Erfüllungsort der Unternehmerpflichten . . . . . . . . . . . . . . .

118

62–111 65–68

O. Durchgriffserwägungen zu Lasten des Unternehmers . . . . . . . . . . . . 119–122

.

69–111

.

69–82

P. Pflichten des Unternehmers im Verhältnis zu Dritten . . . . . . . . . . .

123

.

69–72

Q. Abs. 3: Zwingende Natur . . . . . . .

124

Raimond Emde

411

§ 86a

1. Buch. Handelsstand Rn

R. Rechtsfolgen der Verletzung der Unternehmerpflichten . . . . . . . . . . . .

Rn

125

S. Schadenersatz des Unternehmers gegenüber dem Vertriebsmittler . . . . . . . 126–141 I. Schadenersatz des Unternehmers gegenüber dem Mittler gemäß §§ 280 I, 282, 241 Abs. 2, 242, 311 Abs. 2 BGB (culpa in contrahendo) . . . . . . . . . . . . . 127 II. Schadenersatz des Unternehmers gegenüber dem Mittler nach § 280 Abs. 1, 3 BGB wegen Schlechterfüllung vertragsbegleitender Pflichten (Positive Forderungsverletzung) . . . . . . 128–129 III. Schadenersatz des Unternehmers gegenüber dem Mittler gemäß § 280 I BGB wegen Schlecht-

IV. V.

VI.

VII. VIII.

erfüllung nachvertraglicher Pflichten . . . . . . . . . . . . 130 Schadenersatz des Unternehmers gegenüber dem Mittler aus Delikt 131 Schadenersatz des Unternehmers gegenüber dem Mittler aus anderem Rechtsgrund . . . . . . 132–133 Haftung des Unternehmers gegenüber Dritten . . . . . . . . . . . 134–139 1. Haftung wegen eigener Rechtspflichtverletzung . . . . 135 2. Haftung wegen zugerechneter Pflichtverletzung des Mittlers . 136–138 3. Fehlende Haftung des Unternehmens gegenüber Dritten . 139 Haftung von Dritten . . . . . . 140 Beweislast in Haftungstatbeständen . . . . . . . . . . . . 141

A. Gesetzgebungsgeschichte 1

§ 86a in seiner heutigen Form beruht auf der Novelle 1989. Sie fügte in Abs. 2 Satz 2 die Worte „und die Nichtausführung eines von ihm vermittelten oder abgeschlossenen Geschäfts“ sowie in Abs. 2 Satz 3 „unverzüglich“ ein. An die Stelle der früheren Fassung in Abs. 2 Satz 3 „als nach den Umständen zu erwarten ist“ trat die Formulierung „als der Handelsvertreter unter gewöhnlichen Umständen erwarten konnte“. Abs. 3 wurde neu in das Gesetz aufgenommen. Zuvor war gemäß dem letzten Satz des Abs. 2 nur der Anspruch nach Abs. 2 Satz 3 unabdingbar. Die Neufassung gilt gem. Art. 29 EGHGB ab dem 01.01.1990 für danach geschlossene und seit dem 1. Januar 1994 für sämtliche Verträge.

B. Europarechtliche Präformation 2

§ 86a dient der Umsetzung der Art. 4 und 5 HV-Richtlinie. Gemäß Art. 4 Abs. 1 HVRichtlinie hat sich der Unternehmer gegenüber dem HV entsprechend den Geboten von Treu und Glauben zu verhalten. Nach Art. 4 Abs. 2 HV-Richtlinie hat der Unternehmer dem HV die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen, welche sich auf die betreffenden Waren beziehen. Er muss zudem die für die Ausführung des HV-Vertrages erforderlichen Informationen geben und den HV binnen angemessener Frist benachrichtigen, sobald er absieht, dass der Umfang der Geschäfte erheblich geringer sein wird, als der HV normalerweise erwarten darf. Gemäß Art. 4 Abs. 3 HV-Richtlinie muss der Unternehmer dem HV binnen angemessener Frist von der Annahme oder Ablehnung und der Nichtausführung der vom HV vermittelten Geschäfte Kenntnis geben. Art. 5 HVRichtlinie bestimmt die zwingende Natur des Art. 4 HV-Richtlinie: Die Parteien dürfen keine Vereinbarung treffen, welche von Art. 4 HV-Richtlinie abweicht. Nicht anders als in § 86 wurde der Hinweis auf Treu und Glauben nicht in das HGB übernommen, weil er sich aus § 242 BGB ergibt. Dies ist hinnehmbar. Die deutsche Regelung zu den Unterlagen sowie zur Informationspflicht ist etwas detaillierter als die HV-Richtlinie. Auch dies ist akzeptabel. In § 86a Abs. 2 S. 3 wurde Art. 4 Abs. 2 lit. b HV-Richtlinie umgesetzt, derzufolge der Unternehmer den HV zu unterrichten hat, wenn der Umfang eines

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Raimond Emde

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 86a

Geschäfts voraussichtlich erheblich geringer wird als dies der HV normalerweise hätte erwarten können. Damit wurde ein subjektiver Maßstab im Gegensatz zu dem früher geltenden, objektiven eingeführt 1. Der HV erhält damit die Informationen, die er nach früherem Recht nur über den Buchauszug nach § 87c Abs. 2 hätte erwarten können 2.

C. Einleitung Das Verhältnis zwischen Unternehmer und HV ist auf Vertrauen und Zusammen- 3 arbeit aufgebaut. Den wegen der vertragsprägenden Leistung des HV in der §§-Folge vorangestellten und damit hervorgehobenen Pflichten des HV (§ 86) entsprechen solche des Unternehmers. So wenig wie diejenigen des HV, lassen sich die Pflichten des Unternehmers in einem gesetzlichen Katalog erschöpfend aufzählen 3. Auch § 86a ist hier nur Ansatz und Ausschnitt. Die Tätigkeitspflicht des HV hat ihre Entsprechung in der Pflicht des Unternehmers, das Tätigwerden des HV nach Kräften zu fördern. Insoweit und auch in Bezug auf die hier gleichermaßen für den Unternehmer bestehende Treue-4 und Loyalitätspflicht – sie ist allerdings weniger ausgeprägt als die Interessenwahrungspflicht des HV 5 – ist kaum etwas problematisch. Das eigentliche Problem liegt dort, wo das Unternehmerinteresse und die Interessen des HV in Widerstreit geraten können: in der Frage, wie weit der Unternehmer in seinen unternehmerischen Dispositionen durch Rücksichtnahme auf Provisionschancen des HV gebunden sein kann. Gerade diesen Fragenkreis beschneidet das Gesetz nicht. Es geht zwar allgemein von der in Abs. 2 Satz 2 und 3 nur unvollkommen umschriebenen Pflicht des Unternehmers zur gebührenden Berücksichtigung der Interessen des HV aus (Rücksichtnahmepflicht), ohne welche die Pflichten des HV, die Interessen des Unternehmers zu wahren (u.U. sogar unter Hintansetzung der eigenen Interessen zu wahren), der rechtfertigenden Ausgewogenheit entbehrten. Sie fordert vom Unternehmer, den HV vor Schäden zu bewahren 6. Aber gerade in dem Urteil über die „gebührende“ Rücksichtnahme liegt die besondere Schwierigkeit, welche nicht zuletzt über das Tatbestandsmerkmal der Billigkeit auch auf die Bemessung des Ausgleichs nach § 89b ausstrahlt 7. Betrachtet man die Literatur zum HV-Recht, legt der Vergleich des Umfangs ihrer 4 Ausführungen zu den Nebenpflichten des HV und des Unternehmers (auch in diesem Werk) nahe, die Nebenpflichten des HV seien zahlreicher als jene des Unternehmers. Das entspricht jedoch nicht den Tatsachen. Ihren Grund hat die ausdifferenziertere Literatur zu den Nebenpflichten des HV vorwiegend in dem Umstand, dass mit Unternehmern häufiger über deren Hauptpflichten (Provision, Ausgleich unter Einschluss der Kontrollrechte als Hilfsrechte), mit den Vertretern dagegen eher über eine Verletzung ihrer Nebenpflichten, meist in Zusammenhang mit Auseinandersetzungen über die Rechtmäßigkeit einer außerordentlichen Kündigung, gestritten wird. Seine Ursache hat dieser Umstand darin, dass Unternehmer, soll der Vertretervertrag beendet werden, zur Vermeidung einer Ausgleichszahlung nach wichtigen Gründen für eine außerordentliche Kündi-

1 2 3 4 5

Ebenroth/Hakenberg § 86a Rn 43. Ebenroth/Hakenberg § 86a Rn 43. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 1. BGH, Urt. v. 25.04.1960 – II ZR 130/58, BB 1960, 605 (606). Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 2.

6

7

BGH, Urt. v. 23.07.1997 – VIII ZR 130/96, BGHZ 136, 295; Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 2; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86a Rn 17, 19; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 17, 46; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 1. Siehe Steindorff ZHR 1930 (1967), 88 ff.

Raimond Emde

413

§ 86a

1. Buch. Handelsstand

gung wegen schuldhaften Verhaltens des Vertreters suchen. Jene „finden“ sich dann in einer angeblichen Verletzung von Nebenpflichten und diese Fälle stehen im Fokus von Literatur und Rechtsprechung. Das reichert sowohl Literatur und Rechtsprechung zu den Nebenpflichten der HV ungemein an, was sich in der Relation in einer geringeren Erfassung des Rechtsgebietes der Nebenpflichten des Unternehmers äußert.

D. Unterteilung der Pflichten des Unternehmers 5 6

7

8

9

10

Wie die Pflichten des HV werden auch die des Unternehmers in gesetzliche und vertragliche und innerhalb dieser Untergruppen in Haupt- und Nebenpflichten unterteilt. Gesetzliche Hauptpflichten des Unternehmers sind: • Die Provisionszahlungspflicht 8; • Die Ausgleichspflicht (§ 89b) 9. Gesetzliche Nebenpflichten des Unternehmers sind etwa: • Treuepflicht 10; • Auskunftspflicht 11; • Überlassungspflicht; • Informations- und Mitteilungspflicht; • Allgemeine Unterstützungspflicht – Förderpflicht; • Rücksichtnahmepflicht; • Verschwiegenheitspflicht. Eine Fürsorge- oder Beschäftigungspflicht des Unternehmers i.S.d. Arbeitsrechts besteht nicht 12. In § 86a, der in nichtamtlicher Fassung die Überschrift „Pflichten des Unternehmers“ trägt, werden nur diese Nebenpflichten geregelt 13. Oberster Grundsatz der Zusammenarbeit im HV-Vertrag ist die Pflicht, sich so zu verhalten, dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit beider Parteien gewährleistet ist und dem HV die Ausübung seiner Tätigkeit entsprechend den übernommenen Verpflichtungen möglich wird. Haupt- und Nebenpflichten des Unternehmers können weitgehend frei vereinbart werden. Das Leistungs-Gegenleistungsverhältnis soll so weit als vertretbar der Parteidisposition unterliegen. Einschränkungen ergeben sich auch hier aus den allgemeinen Grenzen (§§ 134, 138, 242 BGB), weiter aus § 307 BGB (Vor § 84 Rn 27 ff). So kann sich der Unternehmer beispielsweise verpflichten, folgende Haupt- oder Nebenpflichten zu erfüllen: • Einrichtung eines Büros- oder einer Betriebsstätte für den HV; • Zahlung einer Fixprovision; • Gewährung eines Dienstwagens, etc.; • Schulung des Personals des HV 14; 8 9 10 11

Westphal Vertriebsrecht I, Rn 369. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 369. BGH, Urt. v. 25.04.1960 – II ZR 130/58, BB 1960, 605 (606). Martinek/Flohr § 8 Rn 124; Ebenroth/ Löwisch § 86a Rn 2; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86a Rn 1.

414

12 13 14

Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 2; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 1 und 22. Hopt § 86a Rn 1. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 371.

Raimond Emde

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 86a

• Werbung für das Produkt oder den Vertriebsmittler 15; • Ausstellung der Vertragsprodukte auf Messen 16; • Belieferung des Vertreters mit Ersatzteilen 17. Die Provisions- (§§ 87 ff), Ausgleichs- (§ 89b) und Auskunftspflicht (§ 87c) des 11 Unternehmers wurden wegen ihrer hervorgehobenen Bedeutung in eigenen §§ geregelt. In § 86a werden weitere, nicht gesondert normierte gesetzliche Nebenpflichten des Unternehmers angesprochen, die hervorgehoben werden sollten 18. Wegen der Paarbildung zu § 86 geschah dies bemerkenswerterweise vor den Vorschriften zu den Hauptpflichten des Unternehmers. Sämtliche dem Unternehmer obliegende Nebenpflichten hat der Unternehmer mit der 12 üblichen Sorgfalt, als Kaufmann mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns (§ 347 Abs. 1), zu erfüllen 19. Sie sind einklagbar und können ggf. – sofern es sich nicht um eine Vorwegnahme der Hauptsache handelt – im Wege der einstweiligen Verfügung gesichert werden 20. Der HV ist im Falle einer Verletzung durch den Unternehmer nicht auf Schadenersatzansprüche beschränkt.

E. Aktiv- und Passivlegitimation I. Handelsvertreter Aktivlegitimiert ist der HV. Damit gilt § 86a auch für Hauptvertreter im Verhältnis 13 zu ihren Untervertretern. Passivlegitimiert ist der Unternehmer. Wie allgemein ist auch hier die Rechtsform oder der rechtstatsächliche Auftritt der Parteien grundsätzlich unerheblich. Die Nebenpflichten bilden regelmäßig keine höchstpersönlichen Pflichten. Der Unternehmer darf sie auch durch Dritte erfüllen 21. So kann der Unternehmer etwa eine Gesellschaft gründen, deren einziger Zweck darin besteht, den Vertretern die zur Durchführung der ihnen obliegenden Aufgaben benötigten Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen 22.

II. Handelsvertreterähnliche Vertriebsmittler Auf sie findet die Förderpflicht des Unternehmers, die allgemeine Informationspflicht 14 des Abs. 2 S. 1 sowie Abs. 2 S. 3 entsprechende Anwendung, etwa auf Vertragshändler 23, Kommissionsagenten 24 oder Franchisenehmer beim Subordinationsfranchising 25. Zudem hat der Unternehmer einem solchen Vertriebsmittler die produktspezifischen Unterlagen des Abs. 1 zu übergeben, soweit sich nicht ausnahmsweise aus den

15 16 17 18 19 20 21 22

Westphal Vertriebsrecht I, Rn 371. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 371. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 371. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 1. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 40. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 37. Zur Überlassungspflicht nach § 86a: Küstner/Thume I, Rn 609. Küstner/Thume I, Rn 609.

23

BGH BB 1957, 452; BGH NJW 1958, 1138; BGH EBE 1997, 290 (292); Ebenroth/ Löwisch § 86a Rn 39. 24 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 1. 25 Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 39; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 1; eingeschränkt Matthiessen ZIP 1988, 1089 (1095).

Raimond Emde

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§ 86a

1. Buch. Handelsstand

Besonderheiten der jeweiligen Vertragsverbindung etwas Abweichendes ergibt und die Bereitstellung von Unterlagen nicht erwartet werden kann. Generell ist es einem Vertragshändler eher als einem HV zuzumuten, eigene Werbeunterlagen zu fertigen. Deshalb wird hier zum Teil die analoge Anwendung der Überlassungspflicht von Unterlagen abgelehnt, da der Händler die Vertragsware anders als der HV nicht erwirbt 26. Der Händler werde abweichend vom HV Eigentümer der Ware; er müsse daher die den Warenabsatz unterstützenden Unterlagen erwerben. Diese Ansicht unterscheidet zu wenig zwischen dem Vertriebsvertrag und dem einzelnen Kaufvertrag. Die Überlassungspflicht hinsichtlich der Unterlagen ergibt sich aus dem vertriebsrechtlichen Rahmenvertrag und der Absatzförderungspflicht, die HV und Vertragshändler teilen. Im Franchiserecht ergibt sich meist aus der Einbindung in das Vertriebssystem des 15 Unternehmers, dass allein die Unterlagen des Unternehmers Verwendung finden dürfen. Häufig wird vereinbart, dass der Mittler lediglich die vom Unternehmer übermittelten Werbemittel nutzen darf. Nur Abs. 2 S. 2 hat im Recht der Vertragshändler und Franchisenehmer keinen Anwendungsbereich, weil sie die Geschäfte selbst schließen und damit der dort geregelten Information nicht bedürfen. Soweit die in § 86a bestimmten Pflichten analoge Anwendung finden gilt gleiches für die zwingende Natur gem. Abs. 3.

F. Zeitdauer und Fälligkeit I. Vertragsbegleitende Pflichten 16

Sämtliche Nebenpflichten bestehen vertragsbegleitend während der gesamten Vertragsdauer, also auch in der Zeit zwischen Kündigung und Vertragsende 27. Sie werden fällig, sobald nach Vertrag oder Verkehrsanschauung objektiv mit ihrer Erfüllung zu rechnen ist. Nach Fälligkeit sind die Nebenpflichten unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern im Sinne des § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB, zu erfüllen. § 86a Abs. 2 S. 2 ist insoweit Ausdruck einer allgemeinen Regel.

II. Vor- und nachvertragliche Pflichten 17

Die in § 86a geregelten Nebenpflichten sind Vertragspflichten. Sie bestehen daher vertragsbegleitend. Dies bedeutet jedoch nicht, dass vor- und nachvertragliche Pflichten des Unternehmers nicht existieren. Zu denken ist in erster Linie an Schutzpflichten, wobei auch hier Informationspflichten im Vordergrund stehen.

III. Vorvertragliche Pflichten 18

Vorvertragliche Nebenpflichten gewinnen vor allem als Treu- und Rücksichtnahmepflichten Bedeutung. Vorvertraglich oder bei nichtigem 28 und noch nicht durchgeführten Vertrag (Nichtigkeit tritt nur ex nunc ein, siehe § 84 Rn 86) bestehen deshalb Schutzpflichten des Unternehmers, deren Verletzung zu Ansprüchen aus culpa in contrahendo

26 27

Westphal Vertriebsrecht II, Rn 538; Küstner/Thume Außendienstrecht, Rn 1307. Küstner/Thume I, Rn 610.

416

28

Hopt § 86a Rn 2.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 86a

(§§ 311 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. 241 Abs. 2 BGB) führen. Der Unternehmer hat bereits vor Vertragsschluss vermeidbaren Schaden vom Vertreter abzuwenden. Folgende Ausprägungen dieser vorvertraglichen Schutzpflicht sind hervorzuheben: Ihren wichtigsten Anwendungsfall hat die Schutzpflicht in der Pflicht zur vorvertrag- 19 lichen Information (zu den Aufklärungspflichten des Franchisegebers Vor § 84 Rn 368 ff). In der Sache geht es um eine Verletzung der Aufklärungspflicht bzw. der Wahrheitspflicht 29, wobei die Verletzung der Aufklärungspflicht von aktiven Täuschungshandlungen zu separieren ist 30. Der (prospektive) Vertragspartner trägt zwar im Zweifel das wirtschaftliche Risiko des Vertrages 31, ist aber vor Vertragsschluss über alle entscheidungserheblichen Umstände zu informieren. Die Informationspflicht des § 86a Abs. 2 besteht nur vertragsbegleitend. Der HV darf aber auch fordern, vor Vertragsschluss ungefragt über alle für ihn zu diesem Zeitpunkt wesentlichen Punkte wahrheitsgemäß sowie vollständig unterrichtet zu werden 32. Insbesondere sind alle Umstände unaufgefordert zu offenbaren, die für die Entscheidung des HV, den Vertrag abzuschließen, erkennbar von Bedeutung sind 33. Ihm offensichtlichen Fehlvorstellungen hat der Unternehmer entgegenwirken. Der HV muss abschätzen können, ob sich seine Tätigkeit lohnen wird 34. Falsch ist es zu sagen, solange der Unternehmer nichts in sittenwidriger Weise verschweige, brauche er von sich aus Nachteiliges nicht zu offenbaren oder vorzeitig über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens Aufschluss zu geben 35. Wird dem HV zugesichert, ein guter Kundenstamm sei vorhanden, so haftet der Unternehmer aus Verschulden bei Vertragsschluss auf Schadenersatz, wenn sich die später übergebene Kundenliste mit 13 Namen bis auf einen Kunden als wertlos erweist 36. Zudem liegt nach Ansicht des OLG Nürnberg 37 ein gemäß § 826 BGB zur Schadenersatzpflicht führender Verstoß gegen die guten Sitten vor. Es sei dem HV nicht zuzumuten, dass er sich auf die HV-Tätigkeit im Vertrauen auf den ihm zugesicherten Kundenstamm einlasse, falls ein solcher tatsächlich fehle. Die Einschätzung der Erfolgsaussichten nach wahrheitsgemäßer und vollständiger Aufklärung ist Sache des Mittlers 38. Konkrete Prognosen darf der Unternehmer nur nach sorgfältiger Prüfung abgeben 39. Dabei müssen eventuelle Risiken mit berücksichtigt und auch offenbart werden. Ohne Daten kann keine zuverlässige Prognose aufgestellt werden 40. Daraus folgt, dass ein Unternehmer bei Vorlage einer Prognose zugleich konkludent erklärt, jene sei sorgfältig erstellt worden 41, es sei denn, das Gegenteil ist offensichtlich. Über dem Unternehmer unbekannte Umstände muss er nicht aufklären 42, es sei denn, ihm sollte sich eine Untersuchung aufdrängen. Im Zweifel ist auf die unsichere Tatsachengrundlage hinzuweisen.

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Schipper NJW 2007, 734. Giesler/Güntzel NJW 2007, 3099. Giesler/Güntzel NJW 2007, 3099. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 46; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86a Rn 7. OLG Düsseldorf HVR Nr. 949; ebenso zum Franchise-Vertrag OLG München BB 1988, 865; Schipper NJW 2007, 734 (735). OLG Nürnberg BB 1956, 352 = HVR Nr. 153; Schipper NJW 2007, 734. So aber Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 19; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 23c. OLG Nürnberg BB 1956, 352 = HVR Nr. 153.

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BB 1956, 352 = HVR Nr. 153. OLG Frankfurt DB 1979, 1178. LG Hamburg, Urt. v. 14.04.2004 – 418 O 52/01, unveröffentlicht, bestätigt durch OLG Hamburg, Beschl. v. 19.11.2004, 6 U 96/04, unveröffentlicht, zitiert nach Schipper NJW 2007, 734. LG Hamburg, Urt. v. 14.04.2004 – 418 O 52/01, unveröffentlicht, bestätigt durch OLG Hamburg, Beschl. v. 19.11.2004, 6 U 96/04, unveröffentlicht, zitiert nach Schipper NJW 2007, 734. Schipper NJW 2007, 734 (735). Giesler/Güntzel NJW 2007, 3099 (3102).

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Beispiele: – Der Unternehmer muss den HV über den ihm nicht bekannten Einsatz anderer HV in seinem Gebiet aufklären 43. – Der Unternehmer darf dem HV nicht zusichern, er werde in dem in Aussicht genommenen Gebiet als alleiniger HV tätig sein, wenn bereits ein anderer HV dort aktiv ist oder tätig werden soll 44. – Der Unternehmer hat den HV auf eine in naher Zukunft beabsichtigte Betriebsstilllegung hinzuweisen 45. – Es hat eine Aufklärung über dem HV unbekannte Risiken der Vertretung zu geschehen 46. – Es muss eine Information über das Auslaufen eines bedeutsamen Lizenzvertrages erfolgen, soweit dies eine für den Vertrieb wichtige Information darstellt 47. – Auf geplante Umstellungen im Sortiment und in der Preisgestaltung ist hinzuweisen 48. – Der Unternehmer hat von sich aus mitzuteilen, dass er seinen Betrieb veräußern will 49. – Über die eigene wirtschaftliche Lage muss der Unternehmer aufklären 50. Das gilt insbesondere, falls der Interessent eine gewinnbringende Tätigkeit aufgeben muss, um für den Unternehmer tätig zu werden 51.

IV. Nachvertragliche Pflichten 21

Selbst nachvertraglich bestehen fortwirkende Treupflichten aus dem beendeten HVVertrag, insbesondere Rücksichtsnahmepflichten. Sie verpflichten den Unternehmer, auch nachvertraglich vermeidbaren Schaden vom HV abzuwenden, sofern dies unschwer möglich ist. Die entsprechende Pflicht reduziert sich allerdings mit zunehmendem Abstand vom Vertragsende. Bedeutsam ist auch hier die Informationspflicht. Der Unternehmer hat den Vertreter nachvertraglich über Umstände zu informieren, die für den Vertreter erheblich sein können. Es ist daher insbesondere eine nachvertragliche Informationspflicht über solche Angelegenheiten anzunehmen, deren Kenntnis Schaden vermeiden kann, sofern die Information dem Unternehmer zumutbar ist und sie ohne Schwierigkeiten gegeben werden kann. Unzumutbar ist die Informationserteilung, wenn sich die Parteien nachvertraglich als Wettbewerber gegenüberstehen und es sich um Auskünfte handelt, die unter Wettbewerbern üblicherweise nicht erteilt werden. Auch hier kommt es auf den Einzelfall an und auf die Schwere des möglicherweise drohenden Schadens. Beispiele nachvertraglicher Pflichten sind: – die Pflicht, nachvertraglich eine ungebührliche Behinderung des HV in seiner neuen Tätigkeit zu unterlassen 52. Behindern darf der Unternehmer den HV nur, soweit dies wettbewerbsüblich ist 53; – den Mittler nachvertraglich über drohende Schäden zu informieren. 43 44 45 46 47 48

OLG Nürnberg BB 1956, 352; Hopt § 86a Rn 2. Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 23b. Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 23b. Hopt § 86a Rn 2. OLG Düsseldorf HVR Nr. 949; Schipper NJW 2007, 734 (735); Hopt § 86a Rn 2. OLG Düsseldorf HVR Nr. 949; ebenso zum Franchise-Vertrag OLG München BB 1988, 865; Schipper NJW 2007, 734 (735).

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Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 23b; Schipper NJW 2007, 734 (735). Schipper NJW 2007, 734 (735). Schipper NJW 2007, 734 (735). Hopt § 86a Rn 3. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 29; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86a Rn 17; Hopt § 86a Rn 3; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 46.

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G. Die in § 86a nicht ausdrücklich geregelten Nebenpflichten des Unternehmers Die einzelnen Nebenpflichten des Unternehmers werden in § 86a nur unvollkommen 22 geregelt. Die dort niedergelegten Pflichten bedürfen der Ergänzung durch allgemeine Regeln und der an anderer Stelle bestimmten Pflichten.

I. Treu-, Loyalitäts- und Unterstützungspflicht Die wichtigste Nebenpflicht des Unternehmers ist dessen in Abs. 1 sowie Abs. 2 Satz 1 23 geregelte Treu-, Loyalitäts und Unterstützungspflicht. Sie wird auch als Förderpflicht benannt und bezeichnet die Pflicht, die Arbeit des HV auch ohne dahingehende vertragliche Abrede im Rahmen des branchenüblichen zu unterstützen und nach Möglichkeit zu fördern 54 bzw. von seinen vertraglichen Möglichkeiten und Rechten loyal unter Beachtung der Belange des HV Gebrauch zu machen 55. Sie steht nicht im Gegenseitigkeitsverhältnis zur Vermittlungstätigkeit des HV 56. Die Förderpflicht beinhaltet die auch aus Art. 4 Abs. 1 HV-Richtlinie sowie § 242 BGB hergeleitete Rücksichtnahmepflicht des Unternehmers, die sich ebenso wie beim Schädigungsverbot 57 oft als Unterlassungspflicht ausprägt. Die Rechtsfolgen einer Treupflichtverletzung entsprechen denen jeder Vertragsverletzung: Unterlassung, Erfüllung, Schadenersatz oder Recht zur fristlosen Kündigung 58. Der HV hat gegen den Unternehmer keinen Anspruch auf „Beschäftigung“, sondern dahin, dass der Unternehmer ihn fördert und nicht behindert 59. Besonders die Rücksichtnahmepflicht schränkt die Dispositions- und Entschließungsfreiheit des Unternehmers (Rn 28 ff) ein. Der HV-Vertrag ist ein unabdingbar durch gegenseitiges Vertrauen geprägtes Dauerschuldverhältnis mit beidseitigen Treupflichten 60. Die Treupflicht des Unternehmers wurde in den §§ 84 ff nicht ausdrücklich geregelt, wird von ihnen aber vorausgesetzt und findet in § 86a Abs. 1 und 2 sowie § 242 BGB ihre Ausprägung 61. Gleichwohl ist die Förderungspflicht nur in ihrer in § 86a genannten Ausprägung nach Abs. 3 zwingend und kann daher erweitert 62 und innerhalb der Grenzen der §§ 138, 307 BGB auch eingeschränkt werden. Dies entspricht dem gesetzlichen Regelungstypus, der die einem langfristigen Austauschvertrag immanenten Treupflichten grundsätzlich nicht ausdrücklich ausspricht. Art. 4 Abs. 1 HV-Richtlinie regelt die Treupflicht hingegen ausdrücklich und zwingend 63 („der Unternehmer hat sich gegenüber dem Handelsvertreter nach den Geboten von Treu und Glauben zu verhalten“) und nennt in ihrem § 4 Abs. 2 die Bereitstellungspflicht von Unterlagen und Informationen

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OLG München MDR 1958, 105; KG BB 1969, 1062; Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 13; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86a Rn 17; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 86a Rn 2. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 27; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86a Rn 2; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 14b. Missverständlich Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 1. BGHZ 42, 59 (62); Hopt ZIP 1996, 1533 (1538); Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 28; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 1.

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Siehe etwa Ulmer/Habersack S. 102/103. Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 22. BGH NJW 1985, 623 (625); 1060 (1061); NJW-RR 1993, 678 (681); Martinek/Manderla § 18 Rn 16 (zum Vertragshändlerrecht); Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 1. Hopt § 86a Rn 1. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 13. Art. 5 EG-Richtlinie.

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als deren Ausprägung. Jene wegen des ohnehin maßgeblichen § 242 BGB nicht in das HV-Recht eingefügte 64 Bestimmung zeigt, dass Entsprechendes auch im deutschen Recht gilt und lässt innerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie Streitigkeiten über Treupflichtfragen als mögliche Vorlagefragen nach Art. 234 EG zu 65. Eine Fürsorge- 66 oder Beschäftigungspflicht 67 des Unternehmers i.S.d. Arbeitsrechts besteht nicht. Die Treupflicht wird meist in separate Pflichten, Treu- oder Loyalitätspflicht, Unterstützungspflicht sowie Rücksichtnahmepflicht unterteilt 68. Das ist nicht zwingend, weil es sich in der Sache um eine einheitliche Pflicht handelt, die sich kaum randscharf separieren lässt. Der Umstand, dass der HV in die Vertriebsorganisation des Unternehmers eingebunden ist und daher seine Tätigkeiten und das investierte Kapital den Interessen des Unternehmers unterzuordnen hat, verpflichtet den Unternehmer im Gegenzug dazu, den schutzwürdigen Belangen des HV im besonderen Maße Rechnung zu tragen und dessen Interessen nicht ohne begründeten Anlass zuwiderhandeln. Es handelt sich um eine über § 242 BGB und die Treupflichten in längeren Austauschverträgen hinausgehende Fürsorgepflicht. Sie bildet das Korrelat zur Interessenwahrungs- und Absatzförderungspflicht des HV. Dessen Bemühen, die Vertragsware bestmöglich und nach den Weisungen des Unternehmers zu vermitteln, steht die Pflicht des Unternehmers gegenüber, die Position des HV zu fördern und alles zu unterlassen, was ihm schaden könnte. Das gilt auch im Vertragshändler- oder Franchiserecht. Für den Bereich des Kfz-Vertragshändlerrechts entschied das OLG München 69, einen Kfz-Hersteller – hier BMW – treffe eine gesteigerte Treupflicht gegenüber seinen Händlern. Der Umstand, dass der Händler nicht nur seine Tätigkeit, sondern auch seinen Geschäftsbetrieb und das von ihm investierte Kapital weitgehend den Interessen des Herstellers unterordne, verpflichte den Hersteller, seinen schutzwürdigen Belangen und Interessen angemessen Rechnung zu tragen und ihnen nicht ohne begründeten Anlass zuwider zu handeln. Die Treupflicht gebietet dem Unternehmer alles zu tun, was nach Treu und Glauben erforderlich und zumutbar ist, damit der HV den ihm gestellten Aufgaben und Pflichten gerecht werden kann (Leistungsgebot). Zudem hat der Unternehmer alles zu unterlassen, was die Zusammenarbeit beeinträchtigen und den HV benachteiligen oder schädigen könnte 70 (Unterlassungspflicht, meist in Form der Rücksichtnahmepflicht). Eine Verletzung der Treupflicht ist eine zum Schadenersatz verpflichtende Vertragsverletzung. Vorsätzliche Verstöße gegen das Schädigungsverbot sind unwirksam (§§ 138, 242 BGB, Rechtsgedanke des § 86a Abs. 3). Diese Treupflicht wird durch eigene Interessen des Unternehmers in Wechselwirkung mit den Interessen des HV begrenzt, wobei jede Partei den schutzwürdigen Interessen der anderen Partei Rechnung tragen muss 71. Besonders bedeutende Interessen des Unternehmers können seine Treupflicht reduzieren, es sei denn, es sind wieder überwiegende Gegeninteressen des HV zu berücksichtigen. Welchen Inhalt die Treu- und Unterstützungspflicht im Einzelfall hat, ist jeweils im Lichte der Würdigung der Interessen beider Vertragspartner zu bestimmen. Die Rechtsform der Vertragspartner ist bei der Unter64 65 66 67 68

BT-Drucks. 11/3077, 7. Hopt § 86a Rn 1. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 2; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 1. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 2. Küstner/Thume I, Rn 670 ff; Hopt § 86a Rn 1.

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OLG München, Urt. v. 22.01.2004 – U (K) 3329/03, WuW DE-R 2004, 1260 (1262). BGHZ 42, 59 (62); Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 28; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 1; Hopt ZIP 1996, 1533 (1538). Küstner/Thume I, Rn 670, 675.

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suchung des Umfanges der Treupflichten unerheblich. Je nach rechtstatsächlichem Zuschnitt kann die Treupflicht unterschiedlich ausgeprägt sein. Ein wirtschaftlich schwacher HV, der neu in das Vertriebssystem des Unternehmers eintritt, bedarf u.U. eines stärkeren Schutzes als ein bereits seit langem eingeführter und wirtschaftlich satuierter.

II. Rücksichtnahmepflicht 1. Einleitung. Die Rücksichtnahmepflicht des Unternehmers gegenüber den Belangen 28 seiner Vertriebsmittler ist eine Untergruppe der Förderungspflicht des Unternehmers. Die dogmatische Herleitung der Rücksichtnahmepflicht wird teilweise aus dem Vertragsinhalt 72, zum Teil aus der dem Unternehmer obliegenden Treupflicht (Art. 4 Abs. 1 HVRichtlinie, § 242 BGB) 73 oder aus der analogen Anwendbarkeit des § 86a hergeleitet. Sie fordert vom Unternehmer, den HV im Rahmen des Zumutbaren bei seiner vertraglichen Tätigkeit zu unterstützen, vor Schaden zu bewahren 74 und ihm da, wo es nötig ist, Schutz zu gewähren, etwa vor einer Beeinträchtigung des Vertriebs durch vom Unternehmer abhängige Dritte 75. Die Zahlung von Bezirksprovision entbindet den Unternehmer nicht von der Rücksichtnahmepflicht (kann aber bei der Abwägung zu berücksichtigen sein), weil es dem HV um künftige erhöhte Provisionschancen und eine Erweiterung des Kundenstamms mit der Chance auf Ausgleichszahlung gem. § 89b geht, die der HV nur durch eigene Tätigkeit schaffen kann 76. 2. Kasuistik. Die Ausfüllung dieser allgemeinen Regeln ist Kasuistik. Die Treu- und 29 Unterstützungspflicht fordert beispielsweise: – Anfragen: Der Unternehmer hat dem HV nicht nur bei zugesichertem Kundenschutz Kundenanfragen unverzüglich zuzuleiten.77 – Keine systematischen Direktgeschäfte auszuführen, die den Unternehmer zu einem ernsthaften Wettbewerber des HV werden lassen. Zwar sind Direktgeschäfte grundsätzlich erlaubt. Sie dürfen jedoch kein solches Ausmaß annehmen, dass es dem HV wesentlich erschwert wird, bei Kunden Geschäfte zu vermitteln.78 – Ersatzteile: Bei Vertragshändler- und Franchiseverträgen wird man aus der Förderpflicht sowie aus § 242 BGB die Verpflichtung des Unternehmers zur Lieferung von Ersatzteilen herleiten müssen, es sei denn, das gelieferte Produkt ist preiswert und von allgemein kurzer Lebensdauer bzw. Ersatzteile werden in ausreichender Menge von anderen Lieferanten am Markt vertrieben 79. Ob die Bevorratungsdauer unter Heranziehung der steuerlichen Abschreibungsdauer zu ermitteln ist 80, erscheint zweifelhaft.

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BGH BB 1972, 1204; BGH NJW 1985, 623 (625); Ulmer S. 433; Genzow Rn 81. OLG Zweibrücken BB 1983, 1301 (1302); Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86a Rn 15. BGHZ 26, 161 (164, 165); OLG München MDR 1958, 105; Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 20; Hopt § 86a Rn 15; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86a Rn 15. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 20. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 29; Heymann/

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Sonnenschein/Weitemeyer § 86a Rn 18; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 43. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 13; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 22a. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 411; Hopt ZIP 1996, 1809 (1819); Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 29. Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 103 f. Rodig BB 1971, 854 (855).

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Maßgeblich ist die gewöhnliche Betriebs- und Nutzungsdauer des Produktes 81. Nach Vertragsende ist der Hersteller nicht mehr zur Lieferung von Ersatzteilen verpflichtet 82. Dies gilt allerdings nicht, wenn der Hersteller mangelhafte Ware geliefert hat, so dass der Händler auf die Ersatzteile angewiesen ist, um selbst seinen Gewährleistungspflichten gegenüber dem Kunden nachkommen zu können 83. Weiter ergibt sich eine Belieferungspflicht falls die Vertragsbeendigung vom Hersteller verschuldet worden ist. Als Teil seiner Schadensersatzpflicht muss der Hersteller den Vertragshändler insoweit mit Ersatzteilen versorgen, wie er ihm solche vertragsgemäß bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist oder zu Gewährleistungs- oder Reparaturarbeiten hätte liefern müssen 84. Schließlich kann im Einzelfall eine Belieferungspflicht aus § 20 GWB folgen. Eingriff in den Geschäftsbetrieb des HV: Der Unternehmer darf nicht in den Geschäftsbetrieb des HV eingreifen 85, etwa in das Organisationsrecht des HV. Hierdurch würde auch die Selbständigkeit des HV unzulässig berührt werden. Fehlinvestitionen: Der Unternehmer muss den HV warnen, wenn er Fehlinvestitionen erkennt, etwa den HV durch rechtzeitige und vollständige Information über künftige Entwicklungen oder eine beabsichtigte Kündigung vor Fehlinvestitionen schützen 86. Zum Investitionsschadenersatz § 89 Rn 60 ff. Formulierungsverantwortung: Den Unternehmer trifft eine Formulierungsverantwortung jedenfalls für von ihm entworfene Mittlerverträge 87. Er muss daher ggf. auch Nachteile tragen, die sich aus dieser Formulierungsverantwortung ergeben 88 (s. auch § 305c Abs. 2 BGB). Vom Mittler entworfene Verträge muss er angemessen prüfen, wobei es sich nur um eine Obliegenheit, keine Pflicht, handelt. Die Verletzung der Obliegenheit führt gleichwohl zur Schadenersatzverpflichtung. Gelegenheit zur Vermittlung: Der Unternehmer hat den HV auf ihm bekannte Gelegenheiten zur Ausübung seiner Vermittlungs- und Abschlusstätigkeit hinzuweisen 89. Eine Pflicht zur Suche nach solchen Gelegenheiten trifft den Unternehmer nicht; dies ist Sache des HV. Genehmigungsvorbehalt: Der Unternehmer ist gehalten, von Genehmigungsvorbehalten, die er im Vertrag sich hat zugestehen lassen, loyalen, die Interessen seines HV berücksichtigenden Gebrauch zu machen. Hauptfall ist der Vorbehalt der Genehmigung zur Übernahme von Zweitvertretungen. Soweit es um Konkurrenzvertretungen geht, ist er unbedenklich. Im Übrigen darf die Genehmigung nur versagt werden, wenn sonst beachtenswerte Interessen des Unternehmers verletzt sein könnten, etwa infolge der Gefahr, der HV werde durch die Zweitvertretung von seinen für den Unternehmer übernommenen Aufgaben unvermeidlich und über Gebühr abgezogen werden. Im Zweifel wird er das Urteil hierüber aber dem HV als selbständigem Kaufmann überlassen müssen. Will er das nicht, muss er ihn als Einfirmenvertreter unter Vertrag nehmen. Eine „Weisung“, sich der beabsichtigten Zweitvertretung zu enthalten, könnte er vollends nicht geben. Noch weitergehend unter dem Gesichtspunkt Kühne BB 1986, 1527 (1529); AG München NJW 1970, 1852; Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 106. Westphal Vertriebsrecht II, Rn 671. Westphal Vertriebsrecht II, Rn 671. Westphal Vertriebsrecht II, Rn 672. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 29.

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BAG, Urt. v. 24.4.1980 – 3 AZR 911/77, ZIP 1980, 777 für Franchisegeber; Ebenroth/ Löwisch § 86a Rn 31; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86a Rn 19. Semmler WRP 2007, 247 (256). Semmler WRP 2007, 247 (256). AA Küstner/Thume I, Rn 671.

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und für den Geltungsbereich des § 20 Abs. 2 GWB: Ebenroth/Obermann DB 1981, 829. Gewährung günstigerer Konditionen an andere Vertriebsmittler und Firmen: Gewisse Differenzierungen darf der Unternehmer vornehmen, denn es besteht kein Gleichbehandlungsgebot gegenüber allen Vertriebsmittlern innerhalb des Vertriebssystems 90. Der Unternehmer darf einzelne Mittler aber nicht systematisch ausgrenzen, etwa durch schlechtere Konditionen (näheres Rn 35 ff). Treuwidrig kann es sein, andere Vertriebspartner im Gebiet oder Kundenkreis des Mittlers unter Gewährung günstigerer Konditionen tätig werden zu lassen 91. Auch dürfen Vertragswaren über andere Firmen nicht zu günstigeren Preisen in das Gebiet des HV eingeführt werden 92. Großhandel, keine Belieferung: Der Verkauf an den Großhandel, der dann Kunden des HV beliefert, kann einen mittelbaren Eingriff in das Vertriebsrecht des HV darstellen, welcher der Treupflicht widerspricht. Denn wirtschaftlich entspricht die Belieferung des Großhandels für den HV einer Direktbelieferung 93. Der Unternehmer darf allerdings die Lohnfertigung für einen Wettbewerber vornehmen, auch falls hierdurch mittelbar der Vertrieb dieses Wettbewerbers gestärkt wird 94. keine Handlungen vorzunehmen, welche den geschäftlichen Erfolg, die Tätigkeit oder die Vermittlungsbemühungen gefährden, erschweren, vereiteln oder wirtschaftlich entwerten könnten.95 Informationen: Der HV muss vom Unternehmer über alles Relevante so früh wie möglich informiert werden. Diese Pflicht entspricht der Treupflicht, ist aber wegen ihrer Bedeutung in § 86a Abs. 3 normiert (dazu unten). Kritik, keine Weitergabe an Kunden: Kritik am HV hat sich der Unternehmer gegenüber Kunden nach Möglichkeit zu enthalten. Der Unternehmer hat – sollte Kritik erforderlich sein – jene möglichst schonend anzubringen 96. Wird unberechtigte Kritik gegenüber Dritten geäußert, hat der HV einen Anspruch auf Unterlassung und Widerruf, wobei er allerdings Bagatellen wegen seiner Interessenwahrnehmungspflicht ungeahndet lassen muss.97 Leasinggesellschaften, Zuschüsse: Gewährt der Unternehmer unternehmernahen Vermiet- und Leasinggesellschaften Zuschüsse, z.B. sogenannte Werbekostenzuschüsse, die er mittlernahen Unternehmen nicht zubilligt (Konditionenspreizung), kann hieran eine Treupflichtverletzung liegen 98. Der Unternehmer tritt dem Händler als Wettbewerber entgegen, was seiner Schutzpflicht sowie dem Gedanken der Gleichbehandlung widerspricht 99. Dem darf im Kfz-Vertrieb nicht entgegengehalten werden, dass derartige Maßnahmen unterschiedliche Märkte für Kfz-Leasing bzw. Vermietung

Hopt ZIP 1996, 1538; Hopt § 86 Rn 10, 30; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene, § 86 Rn 73. LG Stuttgart HVR Nr. 668, Küstner/Thume I, Rn 677. OLG Bremen BB 1967, 430; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 410. BGH v. 21.12.1964 – VII ZR 31/63 – unveröffentlicht, zitiert nach Küstner/Thume I, Rn 699. BGH DB 1972, 524; Küstner/Thume I, Rn 700. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 410; Ebenroth/

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Löwisch § 86a Rn 28; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 43; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 1, 22. OLG Karlsruhe BB 1959, 1006; Küstner/ Thume I, Rn 679; Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 29; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86a Rn 19; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 45; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86a Rn 19. OLG Karlsruhe BB 1959, 1006; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 409. Ulmer/Habersack S. 132. Ulmer/Habersack S. 96, 101.

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sowie für Gebraucht- und Vorführwagen betreffen 100. Zugleich liegt hierin eine Verletzung des § 20 Abs. 2 GWB 101. Dies gilt allerdings nur insoweit, als kleine und mittlere Unternehmen geschützt sind.102 alles zu unterlassen, was die Marktposition und Gewinnaussichten des HV beeinträchtigt.103 Mindestverdienst: dem Mittler ein Mindestmaß an Verdienstmöglichkeiten zu gewähren. Ob sie sich dann materialisieren ist eine sich anschließende Frage. Es stellt einen erheblichen Verstoß des Unternehmers gegen die aus dem Vertriebsvertrag resultierende Treue- und Fürsorgepflicht dar, wenn der Unternehmer den Vertrag so ausgestaltet, dass er für den Mittler nur ohne Gewinn oder sogar defizitär erfüllt werden kann 104. Der Unternehmer schuldet dem HV jedoch lediglich die Chance, einen hinreichenden Verdienst zu realisieren. So entschied das OLG München, Kfz-Hersteller seien bei der Gestaltung der Preise gegenüber ihren Vertragshändlern nicht frei. Nehme der Hersteller durch Abgabe einer unverbindlichen Preisempfehlung (UPE) Einfluss, dürfe er die Preise, zu denen er die Händler beliefere, nicht so festsetzen, dass ihnen keine angemessene Gewinnspanne verbleibe. Der Abgabepreis an die Händler und die UPE müssten entsprechend harmonisiert werden 105. Ein Vertragshändlervertrag hat deshalb hinreichende Grundrabatte oder vergleichbare Vergütungen vorzusehen 106. Die Erhöhung des Werksabgabepreises von Kfz gegenüber den Vertragshändlern stellt aber keine unbillige Behinderung i.S.d. § 20 Abs. 1, 2 GWB dar, weil Händler Fahrzeuge an Kunden wegen der ihnen gewährten Rabatte regelmäßig unterhalb der UPE des Herstellers verkaufen und die Erhöhung des Werksabgabepreises kompensieren können, indem sie ihren Kunden geringere Rabatte gewähren.107 Preisunterbietung oder dessen Zulassung bzw. Förderung durch einen anderen HV 108 zu unterlassen, und zwar selbst dann, wenn dem HV kein Alleinvertriebsrecht gewährt wurde.109 Schutz der Stellung des HV bei Kunden: Verpflichtung, die Stellung des Vertreters bei Kunden nicht zu untergraben.110 Untervertreter: Ein Hauptvertreter muss bei Vertragswidrigkeiten seines Unternehmers ggf. gegen diesen – u.U. nach §§ 935, 940 ZPO – vorgehen, um sich in die Lage zu versetzen, den Vertrag mit seinem Untervertreter fortzusetzen (§ 84 Rn 114, 117). Wettbewerbsverbot und Abschirmpflicht: Der Unternehmer ist gehalten, nicht durch eigenes wettbewerbliches Verhalten in die Tätigkeitssphäre des HV einzubrechen. Der Unternehmer darf nicht im Wege der Preisspaltung die Angebote seiner eigenen HV auf deren Arbeitsgebiet durch Direktlieferungen unterbieten 111, soweit derselbe Ulmer/Habersack S. 132. Ulmer/Habersack S. 132. Ulmer/Habersack S. 132. Zum Vertragshändler: Ensthaler/GesmannNuissl BB 2003, 533 (535). Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 270. OLG München, Urt. v. 22.01.2004 – U (K) 3329/03, WuW DE-R 2004, 1260 (1262). BGH, Urt. v. 20.07.2005 – VIII ZR 121/04, ZIP 2005, 1785 = WM 2005, 2002 =

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107 108 109 110 111

NJW-RR 2005, 1496 = EWiR 2005, 815 (Emde) = NJW 2006, 46 m. Anm. Kappus NJW 2006, 15. OLG München, Urt. v. 22.01.2004 – U (K) 3329/03, WuW DE-R 2004, 1260 (1261). OLG Bremen NJW 1967, 254; Hopt § 86a Rn 17. BGHZ 97, 327. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 408. OLG Bremen NJW 1967, 254; ähnlich im Falle LG Frankfurt/Main BB 1969, 1326.

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Interessentenkreis angesprochen wird 112. Insbesondere darf er ein dem HV eingeräumtes Alleinvertriebsrecht nicht dadurch unterlaufen, indem er einer Konkurrenzfirma durch Mitteilung seiner Konditionen Möglichkeit und Gelegenheit gibt, unterbietend in das Vertragsgebiet des HV einzudringen 113. Erst recht darf der Unternehmer nicht selbst eine Vertretung in Konkurrenzartikeln übernehmen. Für den Begriff des Konkurrenzartikels wird das in § 86 Rn 96 ff Gesagte zu gelten haben. Hat der HV einen bestimmten Bezirk oder einen bestimmten Kundenkreis zugewiesen erhalten, so ist der Unternehmer zwar nicht gehindert, Direktgeschäfte in diesem Bezirk oder Kundenkreis durchzuführen. Er darf aber nicht systematisch durch eigene Abschlusstätigkeit die Vermittlungsarbeit des HV lahmlegen 114. Dass dem HV die Provision auch aus solchen Direktgeschäften zusteht (§ 87 Abs. 2), vermag den Loyalitätsbruch des Unternehmers weder auszuräumen noch aufzuwiegen. Der HV soll gerade durch eigene Tätigkeit die Betreuung des Bezirks (Kundenkreises) in der Hand behalten und damit die Gelegenheit erwerben, geschaffene Beziehungen zum Vorteil künftiger erhöhter Provisionschancen auszubauen; außerdem würde ein späterer Ausgleich sich nach einer Meinungsgruppe (§ 89b Rn 131) nur auf der Basis der durch eigene Tätigkeit vermittelten Geschäfte berechnen, nicht dagegen nach den bloßen Bezirksprovisionen des § 87 Abs. 2. Ins Positive gewendet ist es die Pflicht des Unternehmers, die Tätigkeit seines HV gegen Einbrüche in sein Tätigkeitsfeld, hier einen geschützten Bezirks- oder Kundenkreis, von Seiten anderer HV (desselben Unternehmers) abzuschirmen. Er hat gegen solche Versuche vorzugehen, auch durch entsprechende Vertragsgestaltung mit der Gesamtheit seiner HV Vorsorge zu treffen, dass derartige Praktiken, überhaupt: Überschneidungen rechtens unterbunden werden. Ein vorbeugend verlässliches Mittel hiergegen kann das Ausbedingen einer Vertragsstrafe sein. Ein Wettbewerbsverbot des Unternehmers ist dem HV-Vertrag aber nicht zwingend immanent 115. Ob es existiert, hängt vielmehr von den Umständen des Einzelfalls, etwa dem Inhalt des jeweiligen Vertrages, dem Vertrauen, den berechtigten Erwartungen der Vertragspartner und der Ausgestaltung des konkreten Vertriebssystems ab 116. Dem Unternehmer sind angemessene Direktgeschäfte im Gebiet oder Bezirk des HV folglich nicht ohne ausdrückliche oder ausnahmsweise auch konkludente Verpflichtung verboten. Er darf grundsätzlich sogar in dem einen HV zugewiesenen Gebiet konkurrierende HV einsetzen, falls sich nichts Gegenteiliges aus dem Vertrag ergibt 117. Die Grenze bildet die dem Unternehmer gegenüber dem HV obliegende Treupflicht, welche den Unternehmer verpflichtet, die Erwerbschancen des HV nicht unter das im jeweiligen Einzelfall zu Erwartende zu beeinträchtigen. Damit konkretisiert sich das „Wettbewerbsverbot“ des Unternehmers zu einem Schädigungsverbot, nicht mehr. Für ein Wettbewerbsverbot des Unternehmers können aber ausnahmsweise – außer einer klaren vertraglichen Abrede – etwa folgende Umstände sprechen: Erhebliche Investitionen des HV, die sich nicht anders als mittels Wettbewerbsverzicht des Unternehmers amortisieren lassen, erheblicher und untypischer Einsatz von Kapital und Personal durch den HV 118; außerordentlich enge Eingliede112 113

Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 28. BGH, Urt. v. 09.01.1961 – VII ZR 219/59, DB 1961, 601; vgl. aber auch BGH, Urt. v. 23.03.1966 – VIII ZR 295/63, BB 1966, 469; Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 28; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86a Rn 17; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 22b.

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Hopt ZIP 1996, 1809 (1819); Ebenroth/ Löwisch § 86a Rn 29; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 43. Hopt § 86a Rn 17. Hopt § 86a Rn 17. Hopt ZIP 1996, 1553; Hopt § 86a Rn 17. BGHZ 124, 355; BGH WM 1993, 1464; OLG Düsseldorf HVR Nr. 950, Hopt § 87a Rn 17.

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rung in die Vertriebsorganisation des Unternehmers 119 (eher selten anzunehmen) oder konkludent oder ausdrücklich gewährter Bezirks- oder Kundenschutz 120. Die Zusage einer Alleinvertretung kann den Unternehmer je nach Abrede entweder nur zum Schutz vor der Bestellung weiterer HV im Gebiet oder Kundenkreis des HV oder zu einem umfassenden Verbot von Direktgeschäften verpflichten, also auch zu Schutz vor Wettbewerb durch den Unternehmer. Spiegelbildlich darf sich der Unternehmer Wettbewerbshandlungen, etwa Direktvertrieb, durch Individualvereinbarung ausdrücklich vorbehalten 121; bei versprochener Exklusivität ist ein angemessener Ausgleich zu gewähren. Entscheidend ist auch hier eine Vertragsauslegung. Bei Unklarheiten zu berücksichtigen ist, wer den Vertrag formuliert hat. Ist dies – wie meist – der Unternehmer, wird die für ihn ungünstigere Wertung zu favorisieren sein. Überhaupt sollte bei Zusage einer Alleinvertretung eine Vermutung für ein Verbot von Direktgeschäften des Unternehmers bestehen. Denn kaum ein HV wird bei Vereinbarung einer Alleinvertretung erwarten, er sei vor Konkurrenz nur „halb“ geschützt, nämlich nur vor dem Wettbewerb anderer HV und nicht vor der unter Umständen viel gefährlicheren Konkurrenz des Unternehmers. So hat z.B. der BGH 122 entschieden, ein Direktabschluss des Unternehmers verstoße gegen dessen Vertragspflichten und führe zu einem Schadenersatzanspruch des HV. Selbst bei Fehlen eines vertraglichen Wettbewerbsverbotes darf der Unternehmer den HV nicht mit eigenem Wettbewerb systematisch schädigen, etwa durch Übernahme einer Vertretung von Konkurrenzartikeln 123 (hier kommt es jedoch auf die Umstände des Einzelfalls an); Abwerbung von Stammkunden des HV 124; ebenso wenig dürfen Kunden, mit denen der HV Vertragsverhandlungen führt, am Vertragsschluss gehindert werden 125; Ausspannen oder Versuch des Ausspannens von Untervertretern oder Angestellten des HV 126: So liegt ein unerlaubter wettbewerblicher Einbruch in das Tätigkeitsfeld des HV vor, wenn der Unternehmer ihm seinen Untervertreter ausspannt, indem er mit diesem bewusst zusammenwirkt, ihn zum (Haupt-)Vertreter bestellt und daraufhin nach abgesprochenem Plan der HV-Vertrag mit dem überspielten HV (und in der Folge der Untervertretervertrag) gekündigt werden 127. Über das Unerlaubte des Ausspannens von Untervertretern besonders in der Versicherungswirtschaft: OLG München BB 1958, 247. Der BGH hat offen gelassen, ob der Unternehmer den Unterver119 120 121

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Hopt § 86a Rn 17. Hopt § 86a Rn 17. BGH, Urt. v. 15.04.1986 – KVR 3/85, BGHZ 97, 317 (327, 328) = NJW 1986, 2954; OLG Bremen NJW 1967, 254 (255); LG Frankfurt BB 1969, 1326; Hopt ZIP 1996, 1533 (1538); Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 28; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86a Rn 18; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 44. BB 1975, 1409. Hopt § 86a Rn 17. BGH BB 1959, 720; Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 29; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86a Rn 18; Hopt § 86a Rn 17; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 44. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 29; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 21.

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BGHZ 42, 62 mit abl. Bespr. v. Brunn DB 1964, 1841; BGH BB 1982, 1626; OLG Düsseldorf HVR-Nr. 151; OLG München BB 1958, 247; Küstner/Thume I, Rn 700; Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 29; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86a Rn 18; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 44; Hopt § 86a Rn 17; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 21. BGHZ 42, 59 (gegen die Verallgemeinerung dieses in mancher Beziehung extrem gelagerten Einzelfalles v. Brunn DB 1964, 1841); BGH BB 1982, 1626; Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 29; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86a Rn 18; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 44; Röhricht/ Graf v. Westphalen/Küstner § 86a Rn 18; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 21.

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treter ansprechen darf, falls sowohl der Untervertreter wie der Unternehmer bereits unabhängig voneinander gekündigt haben. So lange keine psychische Bestärkung des noch unentschlossenen Untervertreters vorliegt, ist dies zu bejahen. Schwierig ist allerdings die Beweislastverteilung. Es liegt nahe, den schwer zu führenden Beweis nach Gefahrensphären dem Unternehmer aufzubürden. Ist der Wettbewerb zulässig, kann der Unternehmer gleichwohl verpflichtet sein, den HV über die Wettbewerbshandlungen zu informieren 128, damit sich der HV auf die Konkurrenzsituation einstellen kann. Betreibt der Unternehmer verbotenen Wettbewerb, darf der HV zur Vorbereitung einer Schadenersatzklage Auskunft über etwaige Wettbewerbshandlungen fordern 129. Dies hat der BGH insbesondere für den Vertragshändlerbereich mehrfach entschieden: So verletzt ein Hersteller die Exklusivität seines Vertriebsmittler, wenn er verbundene Unternehmen zu Direktgeschäften in dem dem Vertriebsmittler exklusiv zugewiesenen Bezirk veranlasst 130. Wegen der Verletzung der Ausschließlichkeit forderte der klagende Mittler im Fall des BGH von dem beklagten Hersteller auf erster Stufe Auskunft und auf zweiter Stufe Schadensersatz, wobei sich die Auskunft auch auf Geschäfte verbundener Unternehmen der Beklagten im Bezirk der Klägerin erstrecken sollte. Das OLG Hamburg als Vorinstanz des BGH wies die Auskunftsklage insoweit ab, als Auskünfte über die Geschäfte verbundener Unternehmen begehrt wurden. Der BGH hingegen gab der Klägerin teilweise Recht. Im Grundsatz gelte: Der Mittler habe gem. § 242 BGB Anspruch auf Auskunft über die Exklusivität verletzende Geschäfte des Herstellers. Solle die Auskunft einen vertraglichen Schadensersatzanspruch belegen, müsse dieser nicht bereits dem Grunde nach feststehen. Vielmehr reiche der begründete Verdacht einer Vertragsverletzung aus 131. Jedoch fehle ein Auskunftsanspruch hinsichtlich solcher Geschäfte, welche mit der Beklagten verbundene Unternehmen (§§ 15 ff AktG) ohne Veranlassung der Beklagten im Bezirk der Klägerin ausgeführt hätten. Die Auskunftspflicht beschränke sich auf Lieferungen der mit der Beklagten verbundenen Unternehmen, welche auf Veranlassung der Beklagten im Bezirk der Klägerin erfolgten. Der Konzernverbund für sich allein stelle keinen Grund dar, einem Betrieb Aktivitäten verbundener Unternehmen zuzurechnen. Auch in einem weiteren Fall gewährte der BGH einem Vertriebsmittler einen Auskunftsanspruch zur Vorbereitung einer Schadenersatzklage. Gem. §§ 249, 252 BGB habe der Mittler Anspruch auf Ersatz des Gewinns, der ihm entgangen sei, weil der Hersteller unter Verletzung des Alleinvertriebsrechts Vertragswaren an andere Händler verkauft habe. Zur Vorbereitung des Ersatzanspruches dürfe die Klägerin Auskunft über die vertragswidrigen Verkäufe der Beklagten an jene Händler im geschützten Gebiet verlangen. Der Einsatz anderer Mittler sei keine einmalige Verletzungshandlung. Sie erschöpfe sich nicht im Abschluss des Vertrages mit den Wettbewerbern, sondern setze sich in Durchführung und Aufrechterhaltung der Vertragsbeziehung fort. Sehe man zutreffend in der vertragswidrigen Belieferung der Wettbewerber wiederholte Verletzungshandlungen, so beginne für jeden Schadenszeitraum eine separate Verjährungsfrist zu laufen 132. Soweit das Wettbewerbsverbot des Unternehmers reicht, besteht eine umfassende Schutzpflicht des Unternehmers vor eigenem Wettbewerb, aber auch vor solchem Dritter 133, insbesondere nahestehender Dritter, 128 129 130

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Hopt § 86a Rn 17. BGH BB 1957, 452; BGH HVR-Nr. 926. BGH, Urt. v. 17.07.2002 – VIII ZR 64/01, BB 2002, 2351 = EWiR 2002, 1037 (Emde) = MDR 2002, 1442 = WM 2003, 255. Palandt/Heinrichs §§ 259 ff Rn 10, Soergel/

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Wolf BGB, 12. Aufl., § 260 Rn 25, 28; MünchKommBGB/Krüger 4. Aufl., § 260 Rn 16; BAG DB 1996, 2182. BGHZ 97, 97 (110); BGH NJW 1985, 1023. BGH, Urt. v. 09.01.1961 – VII ZR 219/59, DB 1961, 601; BGH, Urt. v. 23.03.1966 –

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z.B. verbundener Unternehmen 134, Gesellschafter oder Angehöriger 135 (dazu unten, Rn 119). Die Intensität der Schutzpflicht ist gestaffelt nach den objektiven Bedürfnissen des HV 136. Am stärksten ist diese Pflicht gegenüber dem Alleinvertreter 137, schwächer, jedoch gleichwohl bestehend gegenüber dem Bezirksvertreter oder dem „einfachen“ HV. Auch kann die Übertragung eines uneingeschränkten Vertriebsrechts an einen Dritten einen Treupflichtverstoß gegenüber dem HV darstellen, sofern hierdurch die Erwerbschancen im Gebiet/Bezirk des HV erheblich reduziert werden 138. Im Franchiserecht ist dieser Fall als „Kannibalismus“ unter den Vertriebsmittlern bekannt. – Keine Hilfeleistung gegenüber Wettbewerbern: Dritte dürfen nicht unterstützt werden, mit Kunden eines HV Geschäfte zu schließen.139 – Verschwiegenheitspflicht: Eine Pflicht zur Verschwiegenheit ist Ausdruck der gegenseitigen Vertrauensbindung, soweit dies die Interessen des HV unter Abwägung der Interessen des Unternehmers fordern 140, zudem Spiegelbild des § 90. Persönliche oder Unternehmensdaten des HV, z.B. Umsätze, Provisionen oder Bilanzen, sind vertraulich zu behandeln und dürfen nur mit Einverständnis des HV Dritten bekanntgegeben werden 141. Da die Existenz des HV auf einem guten Verhältnis zu seinem Kunden beruht, hat sich der Unternehmer herabsetzender oder störender Urteile über den HV zu enthalten 142. Selbst Tatsachen, die für den HV nicht ungünstig sind, hat er nach Möglichkeit nicht an die Kunden weiterzugeben, soweit keine vorrangige Schutzpflicht die Information der Kunden gebietet. Der Unternehmer verletzt beispielsweise die Verschwiegenheitspflicht, wenn er sich über seinen HV abfällig gegenüber der Kundschaft äußert, vertrauliche Kundenberichte des HV mit ungünstigen Urteilen über den Kunden diesem zugänglich macht 143 oder Betriebsgeheimnisse des HV offenbart, auch gegenüber einem Nachfolgevertreter. Zum Teil wird aus der Förderpflicht eine Qualitätssicherungspflicht des Herstellers 30 abgeleitet 144. Diese Ansicht geht möglicherweise zu weit. Nur bewusste Schlechtlieferungen widersprechen der Förderpflicht.

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VIII ZR 295/63, BB 1966, 469; Ebenroth/ Löwisch § 86a Rn 28; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 22b; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 43. Zum Vertragshändlerrecht: BGH, BB 2002, 2351 = EWiR 2002, 1037 (Emde) = MDR 2002, 1442 = WM 2003, 255. Küstner/Thume I, Rn 674; Emde EWiR 2002, 1037; ders., Die HandelsvertreterGmbH, 1994, S. 162 ff; ders., GmbHR 1999, 1005 (1013), die beiden letztgenannten Quellen zum Fall des Verstoßes durch den Mittler. Vgl. bereits Emde GmbHR 1999, 1005 (1013). Vgl. Küstner/Thume I, Rn 674. Siehe Küstner/Thume I, Rn 701 ff. BGH DB 1961, 601 = HVR Nr. 261 zum Bezirksvertreter. Der Klage des HV auf Zahlung der Bezirksprovision aus dem v. dem Dritten abgeschlossenen Geschäft wurde daher stattgegeben.

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Küstner/Thume I, Rn 678; Küstner BB 1984, 1906; Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 30. Küstner BB 1984, 1906; Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 30. OLG Karlsruhe DB 1959, 1006 = HVR Nr. 224; Küstner/Thume I, Rn 679; Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 29; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86a Rn 19; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 45; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86a Rn 19. LG Freiburg/Breisgau BB 1966, 999; Küstner/Thume I, Rn 678; Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 29; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86a Rn 19; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 45; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 28a. Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 299.

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Weitere Förderungspflichten können dem Unternehmer durch Vertrag auferlegt wer- 31 den 145. Abs. 3 steht nicht entgegen 146. Die Förderungspflicht des Unternehmers verlangt nicht, dass der Unternehmer an allen erreichbaren Fachmessen teilnimmt 147. Letztlich kommt es hier auf die Verkehrsüblichkeiten an. 3. Beweislast. Beruft sich der HV im Rahmen eines Schadenersatzprozesses oder zur 32 Begründung einer von ihm ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung nach § 89a auf eine Verletzung der Treu- oder Förderpflicht, muss er diese Verletzung ebenso beweisen wie eine Überschreitung der Dispositionsrechte des Unternehmers. Insbesondere hat der HV mangelnde Sachgerechtigkeit oder Willkür als Beschränkung der Unternehmerfreiheit sowie ein bewusst schädigendes Verhalten des Unternehmers nachzuweisen 148.

III. Belieferungspflicht des Unternehmers Schon aus der Treupflicht des Unternehmers folgt die Verpflichtung, den wirtschaft- 33 lichen Interessen des HV nicht zuwiderzuhandeln. Solange es keine sachlichen Gründe für eine gegenteilige Entscheidung gibt (etwa Übermaßbestellungen des Vertragshändlers kurz vor Vertragsende, § 89 Rn 51), hat der Unternehmer die vermittelten Geschäfte auszuführen und die vom Mittler geworbenen Kunden zu beliefern. Auch Bestellungen des Vertragshändlers 149 oder Franchisenehmers 150 darf der Unternehmer nicht willkürlich und ohne sachlichen Grund ablehnen. Eine Lieferpflicht des Unternehmers ist für den Fall anerkannt worden, dass dem Vertragshändler sowohl eine Mindestabnahmeverpflichtung als auch ein Konkurrenzverbot auferlegt wurde 151. Soll der HV Wartungsund Reparaturaufgaben durchführen, hat der Unternehmer ihn zu diesem Zweck mit Ersatzteilen beliefern. Die Belieferungspflicht ergibt sich dabei als Nebenpflicht aus der Verpflichtung, entsprechende Aufgaben zu übernehmen (Leistungstreuepflicht des Unternehmers). Im Übrigen kann sich eine Belieferungspflicht aus § 20 Abs. 2 GWB ergeben (s.o., Vor § 84 Rn 239 ff). Für unverschuldete Lieferengpässe trifft den Unternehmer keine Schadensersatzverpflichtung 152. Bei Produktknappheit steht einem Mittler nur ein Recht auf anteilige Belieferung zu, womit eine ins Belieben des Unternehmers gestellte Verteilung ausscheidet 153. Auch eine Bearbeitung in der zeitlichen Reihenfolge des Eingangs der Bestellung kann nach den Umständen des Einzelfalls sachgerecht sein 154. Wurde mit einem Teil der Händler eine Alleinbezugsverpflichtung vereinbart, sind diese Händler unter Umständen bevorzugt zu beliefern 155, sofern andere Händler ihre Pro-

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Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 13. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 13. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 13; aA KG BB 1969, 1062. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 41; BGHZ 26, 161 (166). BGH BB 1958, 540 (541); BGH BB 1972, 193; OLG Bremen BB 1966, 756; Vogels/ Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 284. Giesler/Kroll in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 132. BGH BB 1972, 193.

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Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 286. BGH NJW 1982, 644; Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht 2005, § 3 Rn 287. OLG München WM 1985, 362; Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 288. Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 288.

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dukte frei einkaufen können. Besonders wichtige Vertragshändler dürfen nach den Umständen des Einzelfalls bevorzugt beliefert werden 156. Droht unberechtigt der Abbruch der vertraglichen Beziehungen, darf der Mittler eine 34 Regelungsverfügung nach § 940 ZPO auf Fortsetzung des Vertrages und ggf. Belieferung erwirken 157, auch – und gerade (Eilbedürftigkeit) – kurz vor Ablauf der Kündigungsfrist und nach längeren Verhandlungen 158. Sie ist ihrem Antrag nach auf vertragsgemäße Fortsetzung des Vertriebsvertrages gerichtet, meist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptverfahrens 159. Dies gilt jedenfalls, wenn von der Belieferung die Existenzgrundlage des Mittlers betroffen und er glaubhaft macht, dass die vom Hersteller erklärte Kündigung verfristet ist. Die Existenzbedrohung ergibt sich oft aus der Identifikation des Mittlers mit den Produkten des Unternehmers infolge der engen Einbindung im Vertriebssystem (etwa Corporate Identity). Nach Ansicht des OLG Düsseldorf 160 muss der eine Leistungsverfügung beantragende Händler ohne Eilverfügung wesentliche Nachteile, etwa erhebliche wirtschaftliche und nicht wieder gut zu machende Nachteile, erleiden, wobei sich die Anforderungen an diese Nachteile reduzierten, falls die Erfolgsaussichten in der Hauptsache besonders klar sind. Ein Vertragshändler ist z.B. nicht verpflichtet, klagweise Einzelanträge auf Belieferung zu stellen. Denn der Händler kann gegenüber seinen Kunden nicht auftreten, wenn er in jedem Einzelfall den Belieferungsanspruch durchsetzen muss. Er darf sich darauf beschränken, einen gem. § 890 ZPO zu vollstreckenden Unterlassungsantrag zu stellen, mit dem Ziel, die Verfügungsbeklagte solle es unterlassen Maßnahmen zu ergreifen, die einer Weiterbelieferung entgegenstehen. Ein auf Weiterbelieferung und Betreuung gerichteter Leistungsantrag ist unnötig, weil durch das Zwangsgeld bei fehlender Unterlassung der Rechtsschutz hinreichend verwirklicht wird 161. Nach Ansicht des OLG Düsseldorf fehlt die Eilbedürftigkeit, sofern der Antragsteller eine nicht unerhebliche Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragt und bewilligt erhält 162.

IV. Gleichbehandlungspflicht 35

Ob der Unternehmer gehalten ist, alle seine Vertriebsmittler, ggf. unterteilt nach Rechtsverhältnissen (HV, Vertragshändler, Franchisenehmer), in vergleichbarer Situation gleich zu behandeln, etwa hinsichtlich der ihnen eingeräumten Provisions- und sonstigen Konditionen, wird diskutiert. Einen Gleichbehandlungsgrundsatz wie im Arbeitsrecht („gleicher Lohn für gleiche Arbeit“) als generellen Grundsatz gibt es nicht 163. Ein Unter156 157

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Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 288. OLG Saarbrücken, Urt. v. 10.02.1999 – 1 U 35/99-15, NJW-RR 1999, 1339 = EWiR 1999, 1175 (Emde); OLG Köln, Urt. v. 25.05.2001 – 19 U 90/01, VersR, 2002, 1284; LG Stuttgart NJW-RR 1999, 329 = EWiR 1999, 411 (Emde); LG Köln, Beschl. v. 25.01.2007 – 86 O 7/07 (zum Kfz-Vertragshändlerrecht), unveröffentlicht; Genzow, Rn 128. LG Stuttgart NJW-RR 1999, 329 = EWiR 1999, 411 (Emde); Emde VersR 1999, 1471. Beispielhaft etwa LG Köln, Beschl. v.

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25.01.2007 – 86 O 7/07 (zum Kfz-Vertragshändlerrecht), unveröffentlicht. Urt. v. 20.9.2006 – VI-U (Kart) 29/05, unveröffentlicht; ebenso i.E. LG Köln, Urt. v. 24.04.2008 – 86 O 8/08, unveröffentlicht. OLG Köln, Urt. v. 25.05.2001 – 19 U 90/01, VersR 2001, 1284. OLG Düsseldorf, Urt. v. 20.09.2006 – VI-U (Kart) 29/05, unveröffentlicht und i.E. zweifelhaft. BGH, Urt. v. 28.01.1971 – VII ZR 95/69, WM 1971, 561 = DB 1971, 1055; Hopt ZIP 1996, 1538; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 420; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 84 Rn 34; Hopt § 86 Rn 10, 30;

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nehmer ist grundsätzlich nicht gehindert, mit seinen HV, die rechtlich selbstständige Kaufleute sind, voneinander abweichende Verträge zu schließen und braucht Vergünstigungen, die er – durch den Vertrag oder über die vertraglichen Vereinbarungen hinaus – dem einen einräumt, nicht in gleicher Weise auch dem anderen zu gewähren 164. Dazu können die Verhältnisse etwa in den einzelnen Vertreterbezirken allzu unterschiedlich liegen und Geschäftstüchtigkeit des Unternehmers durch das Heraushandeln besonders vorteilhafter Konditionen gegenüber einem HV ist nicht untersagt. So muss es dem Unternehmer gestattet sein, einem Einführungsvertreter ein Fixum zuzulegen oder einen seiner angestellten Reisenden, den er für das Überwechseln in die selbständige Handelsvertretertätigkeit bewegen will, durch übergangsweise höhere Provisionszusagen als Ausgleich für die Aufgabe der sozialen Sicherheiten zu gewinnen. Unbestritten findet das Recht des Unternehmers auf Ungleichbehandlung aber eine Grenze an Willkür oder der Absicht, den Mittler zu schädigen 165, im Einzelfall auch an schützenswertem Vertrauen 166 sowie der Treupflicht 167. Andererseits ist zu bedenken, dass – würde man ein Gleichbehandlungsgebot in allen 36 Situationen ablehnen – es der Unternehmer in der Hand hätte, durch Gewährung günstigerer Konditionen gegenüber einem HV dessen Geschäft zu Lasten der anderen HV zu fördern. Eine solche Ungleichbehandlung widerspräche den dem Unternehmer obliegenden Treupflichten. Das streitet für eine partielle Gleichbehandlungspflicht, wobei den Besonderheiten des Vertriebsrechts mit seiner im Verhältnis zum Arbeitsrecht größeren Gestaltungsfreiheit des Unternehmers durch einen breiteren Raum der „sachlichen Gründe“ für eine Ungleichbehandlung Raum gegeben werden könnte. Richtigerweise wird man das Spannungsverhältnis durch eine Fallgruppenbildung auflösen müssen. Außer in der Situation der Gebundenheit nach § 20 GWB (Rn 38) wird man Gleichbehandlung in maßgeblichen Fragen verlangen dürfen, wenn die Bezirke der verschiedenen Vertreter aneinander grenzen und sich die Kundenkreise überschneiden oder sogar mehrere Vertreter innerhalb desselben Gebiets tätig werden dürfen und eine Ungleichbehandlung zu einer erheblichen Schädigung des benachteiligten Vertreters führen würde. Unzulässig ist es, die Provision – z.B. für Versicherungsvertreter – in einem einheitlichen Vertriebsgebiet nach der Nationalität des HV zu staffeln 168. Sachliche Gründe für eine Ungleichbehandlung können etwa eine unterschiedliche Marktsituation in verschiedenen Vertriebsgebieten sein, z.B. ein niedrigeres Preisniveau im Vertretungsgebiet des einen, das günstigere Preise erfordert, möglicherweise aber auch einen geringeren Provisionssatz. Ob im Vertragshändlerrecht ebenso wie im HV-Recht außerhalb des Anwendungsbe- 37 reiches des § 20 GWB ein Gleichbehandlungsgebot ausscheidet, ist wegen des erhöhten Kapitaleinsatzes des Vertragshändlers, seiner durch die CI-Richtlinien des Unternehmers i.V.m. dem Wettbewerbsverbot bedingten besonders engen Einbindung in das Vertriebssystem sowie des vom Unternehmer konzipierten horizontalen Wettbewerbsverhältnisses zweifelhaft 169. Gleiches gilt im Franchiserecht 170. Es muss dem Vertragshändler wie dem Franchisenehmer möglich sein, dieses Kapital zu amortisieren, was es ausschließt, dass

164

165 166

MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 73; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 1; aA Ebenroth S. 112 ff. BGH, Urt. v. 07.07.1983 – I ZR 115/81, NJW 1984, 2101 (2102); BGH WM 1971, 561 (562). Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 8. BGH BB 1971, 484; Hopt § 86 Rn 10.

167 168

169 170

Hopt § 86 Rn 10. Vgl. Rundschreiben des Bundesaufsichtsamts für das Versicherungswesen v. 12.10.1995 – FAZ 10.11.1995. Genzow Rn 86; Martinek/Manderla § 14 Rn 17; Ulmer/Habersack S. 28. Giesler/Kroll in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 116.

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der Hersteller durch eine Ungleichbehandlung einzelner Mittler einigen bessere Möglichkeiten zur Amortisation des Kapitals einräumt als anderen. Eine Ungleichbehandlung in wesentlichen Punkten ist nur aus sachlichen Gründen möglich. Allerdings besteht keine Pflicht zur absoluten Gleichbehandlung, nur das Verbot der Ungleichbehandlung in wesentlichen Fragen aus unsachlichen Gründen. Auch die Marktverantwortungsgebiete der Vertriebsmittler können unterschiedlich geschnitten sein 171; Mengenrabatte sind zulässig. Die Verkaufsbedingungen des Herstellers für seine Vertragshändler und Franchisenehmer müssen sich gleichen 172. Ist der Unternehmer Normadressat des § 20 GWB, besteht grundsätzlich eine Gleich38 behandlungspflicht (Vor § 84 Rn 239 ff). So entschied etwa das OLG Celle 173, ordne ein Kfz-Hersteller sein Vertriebsnetz neu und einige er sich mit der Interessenvertretung der Vertragshändler auf einen für die ausscheidenden Händler als angemessen anzusehenden Ausgleichsanspruch analog § 89b, müsse der Hersteller einen ausscheidenden Händler auch dann gleichbehandeln, wenn dieser mit der Beendigung des Vertragshändlervertrages nicht einverstanden gewesen sei. Der Hersteller dürfe von seiner gleichmäßigen Übung gegenüber früheren Vertragshändlern nicht willkürlich abweichen, weil dies gegen das Diskriminierungsverbot des § 20 GWB verstoße und einen Schadenersatzanspruch auslöse, der nach § 249 BGB im Ergebnis zur Gleichbehandlungspflicht führe.

V. Organisationspflicht des Unternehmers 39

Den Unternehmer trifft gegenüber dem HV die Pflicht, das Vertriebssystems so auszugestalten, dass es dem HV eine hinreichende Einnahmemöglichkeit bietet. Rechtstechnisch handelt es sich um eine Untergruppe der Treu- und Unterstützungspflicht und sie wird teilweise nicht von ihr separiert. Diese Pflicht folgt aus der Entscheidung des Unternehmers für ein Vertriebssystem unter Einschaltung von Vertriebsmittlern. Die Pflicht erhöht sich, je stärker der Vertriebsmittler in das Vertriebssystem des Unternehmers eingebunden ist und je größer seine Investitionen sind. Leitbildtypisch am stärksten ist diese Pflicht in investitionsträchtigen Vertriebssystemen wie dem Kfz-Vertrieb und in Franchisesystemen. Ihre Grenze findet die Pflicht an der Dispositionsfreiheit des Unternehmers (Rn 42 ff) und vor allem dort, wo ihre Erfüllung zu eigenem, unzumutbaren Schaden des Unternehmers führen würde. Aufgrund der Interessenwahrungspflicht des HV ist den Interessen des Unternehmers tendenziell der Vorrang einzuräumen (s.o.). Ausdruck dieser Pflicht ist es, 40 – nicht zu viele Mittler einzusetzen, um „Kannibalismus“ unter den Mittlern zu verhindern; – dem Vertreter eine wirtschaftliche Existenzgrundlage zu verschaffen 174; – die Gewährung von Konkurrenzschutz, soweit er zur Erhaltung oder Herbeiführung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage erforderlich ist; – Keine bewussten Schädigungen des Vertriebssystem vorzunehmen, um Schaden der Vertreter zu vermeiden (Stichwort etwa „Benetton175“). Diese Pflicht soll angeblich

171 172 173

Genzow Rn 86; Westphal Vertriebsrecht II, Rn 522. Westphal Vertriebsrecht II, Rn 522. OLG Celle, Urt. v. 29.03.2001 – 13 U 53/00, WuW DE-R 864, 866, 2002, 504.

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174 175

Giesler/Nauschütt, § 5 Rn 139. BGHZ 136, 295; Vorinstanz OLG Frankfurt/M. NJW-RR 1997, 170; BGH BB 1995, 1792; ZIP 1995, 1286 = BB 1995, 1792; BB 1995, 1794.

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bei Mitgliedschaft des Unternehmers in der umstrittenen Scientology-Sekte verletzt sein 176 (zwh. wegen Religionsfreiheit); – Die Systemförderung und die Verpflichtung zur Weiterentwicklung des Vertriebssystems. Nicht jedoch 41 – Die Pflicht zur Werbung durch den Unternehmers, es sei denn, eine solche ist besonders vereinbart.

H. Dispositionsfreiheit des Unternehmers I. Einleitung Die Pflichten des Unternehmers aus dem Vertrag gehen dahin, dem HV die Möglich- 42 keit zu eröffnen, sich Provisionen durch Vermittlungs- oder Abschlusstätigkeit zu verdienen. Beim Vermittlungsvertreter hängt der Provisionsanspruch davon ab, ob der Unternehmer das ihm als vermittelt angetragene Geschäft auch abschließt (§ 87). Geht die Förderungspflicht des Unternehmers so weit, die Provisionschance des HV sich zum Provisionsanspruch verdichten zu lassen, wenn nur der HV durch erfolgreiche Vermittlung „das seinerseits Erforderliche“ getan hat (Problem der Freiheit des Unternehmers, ein vermitteltes Geschäft im Einzelfall abzulehnen)? Und geht sie so weit, dem HV die ungeminderte Fortdauer seiner Provisionschancen bereitzuhalten ohne Rücksicht auf die Notwendigkeit betrieblicher Umstrukturierungen beim Unternehmer oder auf das sonstige Schicksal des Betriebes (Problem des Annahmeverzuges im weiteren Sinne)? Wo verläuft die Grenze zwischen der Förderungspflicht des Unternehmers und seiner unternehmerischen Dispositionsfreiheit? Diskutiert wird im Zusammenhang mit § 86a das Dispositionsrecht des Prinzipals. 43 Der Mittler ist wie der Prinzipal Unternehmer und auch er hat damit ein Dispositionsrecht bei der Organisation von Betrieb und Vertrieb. Nur ist dies wegen der ihm obliegenden Interessenwahrungspflicht stärker eingeengt. Im Folgenden geht es in erster Linie um das das Dispositionsrecht des Prinzipals. Vieles davon gilt auch für den Mittler. Einem Hersteller von Waren steht es grundsätzlich frei, den Absatz seiner Erzeugnisse 44 so zu organisieren, wie es ihm am zweckmäßigsten erscheint 177. Er hat die Dispositionsfreiheit über sein Unternehmen, dessen Öffentlichkeitsdarstellung 178 und die Geschäftspolitik 179, soweit Gesetz oder Sozialbildung (Art. 14 GG) nicht zulässigerweise etwas Gegenteiliges bestimmen oder der Hersteller sich nicht vertraglich in einer bestimmten Weise gebunden hat. Wegen der allein ihm zustehenden Entschließungsfreiheit bleibt es seine Sache, ob und in welchem Umfang er eine Produktreihe oder seinen Betrieb umgestalten oder völlig einstellen 180, ob er eine andere Herstellungsmethode verwenden oder ob er in der Qualität der Ware oder in der Preisgestaltung von Konkurrenzerzeugnissen abweichen will, insbesondere, sofern er dies aus betriebswirtschaftlichen Erwägungen für

176 177 178 179

Giesler/Nauschütt, § 5 Rn 144. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 16. BGH EBE 1997, 290 (292). OLG München NJW-RR 2003, 401 (403);

180

BGH, Urt. v. 09.11.1967 – VII ZR 40/65, BGHZ 49, 39 = NJW 1968, 394. BGHZ 49, 39 = NJW 1968, 394; BGH v. 21.12.1964 – VII ZR 31/63 – unveröffentlicht; zitiert nach Küstner/Thume I, Rn 682.

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erforderlich hält 181. Der Unternehmer braucht – anders als der HV, der die Interessen des Unternehmers zu fördern hat – seine Interessen also nicht denjenigen des HV unterzuordnen und darf frei entscheiden, was in seinem geschäftlichen Interesse liegt 182. Aus Rücksicht auf den HV muss er eine unternehmerische Entscheidung weder unterlassen noch zurückstellen. Der HV-Vertrag gibt dem HV nicht das Recht, auf Entscheidungen des Unternehmers Einfluss zu nehmen 183. Dieser unternehmerischen Gestaltungsfreiheit begibt sich der Unternehmer im gewissen Umfang, wenn er sich entschließt, seine Produkte durch Vertriebsmittler vermarkten zu lassen. Dann ist er verpflichtet, neben seinen eigenen unternehmerischen Interessen auch die Interessen seiner Mittler gebührend zu berücksichtigen und ihnen gegenüber obliegende Treu- und Förderungspflichten zu beachten (Rn 23 ff) 184. Der Unternehmer muss sich fragen, ob er den schutzwürdigen Belangen des Mittlers oder den notwendigen betrieblichen Entscheidungen, die zu einer Beeinträchtigung der Rechte des Mittlers führen können, Vorrang einräumen will 185. Diese Interessenabwägung führt nicht selten zu Schwierigkeiten, weil die Interessen beider Vertragsteile zwar im Hinblick auf die Gewinnmaximierung und den dazu erforderlichen Zwischenschritt, möglichst weitgehende Marktdurchdringung, übereinstimmen, im Hinblick auf die Details der Zusammenarbeit jedoch oft gegensätzlicher Natur sind 186. Der Unternehmer möchte etwa Maßnahmen treffen, die die Kosten mindern und den Umsatz heben oder den Umsatzschwerpunkt verlagern, der Mittler möchte so tätig werden, wie ihm dies den bestmöglichen Gewinn bringt. In der Tat geht es um ein Prinzip: Der HV ist von dem Wohl und Wehe des Betriebes 45 seines Unternehmers abhängig; er ist Hilfsperson des Unternehmers. Der HV hat aber keine Garantie des Erfolges seiner Hilfstätigkeit und ihrer Fortdauer zu beanspruchen. Darin liegt das Risiko, welches er selbst eingegangen ist, indem er sich mit dem Schicksal des Unternehmens verbunden hat. Weil der HV in dieser Weise wirtschaftlich abhängig bleibt und weil er Arbeit und Kosten in eine auf längere Zeit geplante Vermittlungstätigkeit investiert, hat der Unternehmer bei seinen unternehmerischen Entschließungen auch auf die Belange des HV gebührend Rücksicht zu nehmen. Damit steht die Dispositionsfreiheit des Unternehmers 187 im Spannungsverhältnis zwischen Unternehmer- und HVRechten 188, zudem im Wechselspiel mit den Treupflichten des Unternehmers, welche seine Dispositionsfreiheit begrenzen 189. Die enge Verknüpfung zeigt sich daran, dass dieselben Fälle zum Teil unter dem Titel Treupflicht, zum Teil aber auch unter der Überschrift Dispositionsfreiheit geführt werden. Auch das Recht des Unternehmers auf Ungleichbehandlung der HV in seinem Vertriebssystem (Rn 35 ff) findet an diesen Gegenrechten seine Grenze 190. Weil § 86a Abs. 2 in S. 2 davon spricht, dass der Unternehmer den HV über An46 nahme oder Ablehnung eines vermittelten Geschäfts zu unterrichten habe, so setzt es die grundsätzliche Freiheit der Entschließung des Unternehmers über den Geschäftsabschluss 181 182 183

184

BGHZ 26, 161 = NJW 1958, 219. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 3. BGH, Urt. v. 12.12.1957 – II ZR 52/56, BGHZ 26, 161 = NJW 1958, 219; Ebenroth/ Löwisch § 86a Rn 3. BGH, Urt. v. 12.12.1957 – II ZR 52/56, BGHZ 26, 161 = NJW 1958, 219; BGHZ 136, 295; Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 7; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86a Rn 16; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 86a Rn 17.

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185

186 187 188 189 190

BGH, Urt. v. 27.01.1972 – VII ZR 300/69, BGHZ 58, 140 (145) = NJW 1972, 1046; BGH, Urt. v. 06.05.1993 – I ZR 84/91, NJW-RR 1993, 1122 (1123); Küstner/ Thume I, Rn 680. Küstner/Thume I, Rn 680. Küstner/Thume I, Rn 606. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 7. BGHZ 42, 59 = BB 1964, 823. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 8.

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voraus. Sonst wäre der Unterschied zwischen Vermittlungs- und Abschlussvertreter nur ein ganz formaler. Abs. 2. Satz 3 spricht davon, dass der Unternehmer den HV zu unterrichten habe, wenn er Geschäfte in Zukunft nur in erheblich geringerem Umfange abschließen könne „oder will“: auch damit ist ein Entschließungsspielraum des Unternehmers vorausgesetzt. Wenn § 86a Abs. 2 Satz 3 lediglich eine Unterrichtung über die Verringerung der Geschäfte vorschreibt, wird daraus im Umkehrschluss zu entnehmen sein, dass keine Verpflichtung des Unternehmers zu gleichbleibender Lieferung besteht 191. Der Unternehmer soll im Grundsatz frei darüber entscheiden dürfen, ob er den vermittelten Auftrag annimmt 192. Weitergehend soll den vorgenannten Vorschriften der Grundsatz zu entnehmen sein, dass allein dem Unternehmer die Entschließungsfreiheit zustehe, wie er seinen Geschäftsbetrieb und seine kaufmännische Betätigung gestalte und dem HV kein Einfluss oder Mitspracherecht auf die Geschäftspolitik des Unternehmers zuzubilligen sei. Innerhalb des von Abs. 2 garantierten Kernbereichs ist die unternehmerische Dispositionsfreiheit zwingend 193. Außerhalb dieses Kernbereichs ist die Selbstbestimmung des Unternehmers zumindest durch § 138 BGB geschützt. Das Fehlen jeder Grenzen der Dispositionsfreiheit lässt sich § 86a Abs. 2 Satz 3 aller- 47 dings nicht entnehmen. Dagegen spricht schon die immanente Begrenzung jedes Rechts, auch der Unternehmerrechte, durch Treupflichten, die in einem Dauerschuldverhältnis besonders intensiv sind. § 86a Abs. 2 Satz 3 sagt nichts darüber aus, unter welchen Bedingungen eine Reduzierung des Geschäftsvolumens und eine Änderung der Geschäftspolitik möglich ist, sondern regelt in erster Linie für einen Spezialfall zulässiger Disposition die Informationspflicht. Die Frage der Grenzen der Dispositionsfreiheit blieb in dieser Norm ungeregelt und beantwortet sich alleine nach allgemeinen Grundsätzen unter Berücksichtigung der Treupflichten. Danach bestimmt zwar der Unternehmer die Leitlinien der Vertriebspolitik. Solange er sich allerdings für ein Vertriebssystem mit unabhängigen Mittlern entscheidet, muss er bei seiner Vertriebspolitik auch Rücksicht auf deren Interessen nehmen. Es ist ihm also nicht bedingungslos alles gestattet, was die Interessen der Mittler berührt. Will er seine Dispositionsfreiheit in vollem Umfang wieder herstellen, hat er – soweit zulässig – die Vertriebsverträge zu kündigen, dann allerdings auch einen Ausgleich nach § 89b zu leisten. Scheut er dies, etwa weil er den Ausgleichsanspruch oder die Folgen eines unbetreuten Bezirkes meiden will, muss er seine eigenen Pflichten mit denen der Mittler in Konkordanz bringen. Die Rechte des Unternehmers finden also an den im Folgenden näher bestimmten Rechten des Mittlers ihre natürliche Grenze, insbesondere an der Rücksichtnahme- und Förderpflicht (Wechselwirkung) 194. Dies gilt im gesamten Vertriebsmittlerrecht, also sowohl im Recht des HV wie der HV-ähnlichen Vertriebsmittler (z.B. Vertragshändler, Franchisenehmer). Danach gilt während der Vertragslaufzeit: Die seinen Betrieb betreffende kaufmänni- 48 sche Entschließungsfreiheit steht grundsätzlich allein dem Unternehmer zu, selbst wenn er Normadressat des § 20 GWB ist 195 (dazu Vor § 84 Rn 239 ff). Aus dem Umstand, dass der Provisionsanspruch und die Verdienstmöglichkeiten des HV von den geschäftlichen Maßnahmen des Unternehmers abhängig sind, rechtfertigt sich keine Einflussnahme des HV 196. Der Entscheidungsspielraum des Unternehmers deckt sogar Maßnahmen, die objektiv gesehen unzweckmäßig sind oder sich im Nachhinein als verfehlt herausstellen. Der HV kann auch sonst keine Rechte aus angeblich oder wirklich mangelhafter Organi191 192 193

Küstner/Thume I, Rn 709. BGH, Urt. v. 05.04.2006 – VIII ZR 384/04, BB 2006, 1300 (1301 Rn 17). Vgl. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 7.

194 195 196

Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 7. BGH, WuW/E DE-R 1151, 2003, 395. BGHZ 26, 161 = NJW 1958, 219; Küstner/ Thume I, Rn 681.

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sation oder Betriebsführung seines Unternehmers herleiten, sofern ihm dadurch Provisionschancen entgehen 197. Jedoch finden die Rechte des Unternehmers ihre Grenzen an den zwischen den Parteien bestehenden vertraglichen Treupflichten, dem Rücksichtnahmegebot und dem Schikaneverbot (§ 226 BGB), Willkür 198 sowie Treu und Glauben (§ 242 BGB), insbesondere an dem aus Treu und Glauben abgeleiteten Verbot widersprüchlichen Verhaltens. Werden diese Grenzen nicht beachtet, wäre eine Disposition des Unternehmers gesetzwidrig und verletzte dessen Pflichten aus dem HV-Vertrag 199. Der Unternehmer darf zwar nicht zum Abschluss des Geschäftes gezwungen werden. Er kann sich aber gegenüber dem HV schadenersatzpflichtig machen, wenn er aus unsachlichen Gründen den Abschluss eines vermittelten Geschäftes verweigert 200. Der BGH hatte, was die Frage von Annahme oder Ablehnung des vermittelten Ge49 schäfts anlangt, ursprünglich in BGHZ 26 161 ff sich noch nicht ganz widerspruchsfrei geäußert. Hieß es dort auf S. 165, es müssten „vernünftige und einleuchtende Gründe“ vorliegen, wenn der Unternehmer durch Ablehnung des vermittelten Geschäfts den HV um den Lohn seiner Bemühungen verkürzen dürfe, so wenig später mit deutlicher Akzentverschiebung auf S. 166, der Unternehmer dürfe „nicht willkürlich, ohne vertretbaren Grund“ bei seinen geschäftlichen Dispositionen den Interessen des HV zuwiderhandeln. Die letztere Linie hat sich in der späteren Rechtsprechung des BGH durchgesetzt. Seit BGH BB 1960, 1222 herrscht, auch in der Literatur 201, die Formel, dass die Entschließungen des Unternehmers nicht willkürlich oder in der Absicht, den HV zu schädigen 202, getroffen werden dürfen. Der BGH betont, dass die Entschließungsfreiheit des Unternehmers keinen Freibrief für eine sinnlose Misswirtschaft darstelle 203 und ihre Grenze finde, wo sich der Unternehmer willkürlich und ohne vertretbaren oder sachlichen Grund über die schutzwürdigen Belange seines HV hinwegsetze 204 oder ihnen zuwiderhandele 205. Der HV müsse ihm nachteilige betriebsändernde Maßnahmen des Unternehmers nicht nur dann hinnehmen, falls der Unternehmer zu diesen Maßnahmen wirtschaftlich gezwungen sei 206. Vielmehr gelte dies für jede Maßnahme des Unternehmers, die ihm wirtschaftlich und sinnvoll erscheine, mit der er aber nicht willkürlich und ohne vertretbaren Grund den Interessen des HV zuwiderhandele.

II. Willkür 50

Die jede Disposition des Unternehmers begrenzende Willkür soll nach heute wohl hM vorliegen, wenn die vom Unternehmer getroffene Entscheidung ohne Prüfung und Abwägung der Gegebenheiten erfolgt, dass ihm eingeräumte unternehmerische Ermessen also nicht ausgeübt worden ist 207, oder die Entscheidung bereits aus subjektiver Sicht 197 198 199

200

201

BGH BB 1960, 1222. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 418. BGHZ 26, 161; BGHZ 58, 140; BGH NJWRR 1993, 1122 (1123); Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 8; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86a Rn 20; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 14, 15 (21). BGH BB 1960, 1221 (1222); OLG Düsseldorf OLGR 1998, 11 (13); Hopt § 86a Rn 14; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 86a Rn 17. Statt vieler: Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 70a.

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202 203 204

205 206 207

Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 10. BGHZ 26, 161 = NJW 1958, 219; Küstner/ Thume I, Rn 683. BGHZ 49, 39 = NJW 1968, 394; BGHZ 26, 161 = NJW 1958, 219; BGH NJW 1959, 1964 = HVR Nr. 209; BGH DB 1972, 524. Küstner/Thume I, Rn 683. BGHZ 49, 39 = NJW 1968, 494. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 9; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 70a.

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des Unternehmers nicht durch wirtschaftlich vernünftige und sinnvolle 208, sondern allein durch sachfremde Erwägungen veranlasst worden ist, im Extremfall um den HV zu schädigen 209. Diese Abgrenzung dürfte das subjektive Element zu sehr betonen.

III. Objektiver Maßstab Man wird die Grenzen der Dispositionsfreiheit weitgehend von subjektiven Elemen- 51 ten befreien und das in dem Begriff der Willkür liegende, ohnehin kaum nachweisbare subjektive Element beiseite lassen müssen: Unzulässig ist bereits eine aus der Sicht eines vernünftigen Unternehmers unvertretbare Maßnahme. Positiv gewendet: Nicht willkürlich sind wirtschaftlich vertretbare und sinnvolle oder jedenfalls aus der Sicht eines ordentlichen Kaufmanns noch nachvollziehbare und verständliche Entscheidungen 210. Fehler in Organisation und Abläufen im Betrieb des Unternehmers sind kein Indiz für Willkür 211. Die Frage, ob eine unvertretbare Maßnahme vorliegt, bleibt – wie richtigerweise auch die Frage, ob Willkür existiert, aus der Sicht eines objektiven Dritten mit optimaler Tatsachenkenntnis zu bestimmen wäre – objektiv zu beantworten. Der Maßstab der Unrechtmäßigkeit ist damit nicht die (allein subjektive) Sicht der Dinge des Unternehmers im Zeitpunkt seiner Entscheidung 212. Doch auch subjektive Elemente sind nicht völlig auszublenden: Willkür und unsachliche Gründe sind ausgeschlossen, sofern der Unternehmer subjektive Zweifel hinsichtlich eines objektiv zur Disposition berechtigenden Umstandes hatte und aus der Sicht eines vernünftigen Unternehmers auch haben durfte 213. Beachtliche Gründe, die eine unsachliche Ablehnung eines Geschäftes ausschließen, können etwa in der Überlastung des Betriebs, in Materialknappheit oder in der Person des Geschäftspartners bestehen 214. Willkür und Unsachlichkeit liegen vor, wenn der Unternehmer ein Geschäft lediglich deshalb ablehnt, um dem HV die weitere Tätigkeit zu verleiden 215. Es überschreitet keinesfalls die Befugnis eines Gerichts, sich insoweit in die Geschäftspolitik eines Unternehmens zu mischen und dessen Entscheidung darauf zu überprüfen, ob sie auf einen vernünftigen und einleuchtenden Grund beruht 216. Auch ist nicht jede plausibel klingende Begründung hinzunehmen 217. Deshalb liegt eine unrechtmäßige Maßnahme nicht schon dann vor, wenn eine Abwägung des Für und Wider durch den Unternehmer überhaupt nicht stattgefunden hat 218: es kommt auf das vertretbare Ergebnis an. Der Vergleich zum Ermessensfehlgebrauch durch Ermessensnichtgebrauch im Verwaltungsrecht liegt angesichts des objektiven Kontrollmaßstabs fern. Um beurteilen zu können, ob eine Maßnahme rechtmäßig war, darf der Mittler vom Unternehmer Auskunft über die Gründe der Maßnahme fordern 219.

208 209 210

211 212 213 214

BGH NJW 1959, 1964 (1965); Ebenroth/ Löwisch § 86a Rn 9. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 10. BGHZ 49, 39, 42; BGHZ 58, 140 (145); Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 9; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 18; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 70. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 9. So Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 3. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 18. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 18.

215 216 217 218 219

MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 18. AA LG Hamburg, Urt. v. 12.06.2006 – 415 O 17/06. AA LG Hamburg, Urt. v. 12.06.2006 – 415 O 17/06. AA 4. Aufl., § 86 Rn 21. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 11; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 17; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 70.

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Willkürlichen oder unvertretbaren Entscheidungen gleichen Umgehungsgeschäfte zwecks Ausschaltung der Rechte des HV, z.B. die Einstellung des Betriebs bei gleichzeitiger Verlagerung auf ein vom Unternehmer neu gegründetes Unternehmen 220. Übernimmt etwa eine GmbH die Geschäfte ihrer Tochtergesellschaft, einer KG, und beliefert sie Kunden mit Produkten, für welche die Tochtergesellschaft einem HV Provision zu zahlen hätte, so ist es objektiv missbräuchlich, wenn sich die GmbH auf die rechtliche Selbständigkeit der Unternehmen beruft 221. Der Unternehmer darf mittels abhängiger Dritter Treupflichten nicht umgehen 222.

IV. Steigende Schutzpflichten je nach Gefährdung des Mittlers 53

Je erheblicher die Investitionen des Mittlers umso höher ist die Schutzpflicht des Unternehmers ausgeprägt. Deshalb hat der BGH 223 die Einschränkung der Dispositionsfreiheit des Unternehmers auch mit den Aufwendungen an Zeit und Geld des HV begründet. Besonders eng sind die Schranken der Dispositionsfreiheit in für die Mittler investitionsintensiven Branchen. Paradigma ist das Vertragshändler- und Franchiserecht. Auch im HV-Bereich kann der Vertrieb ähnlich kostenintensiv sein, wie die Existenz von Kfz-HV (Mercedes-Benz) zeigt.

V. Kündigung vor Umsetzung der Dispositionsmaßnahme? 54

Der Grad des Verstoßes gegen die Grenzen der Dispositionspflicht bestimmt über die vom Unternehmer geforderten Umsetzungsmaßnahmen. Liegt ein Verstoß gegen Rücksichtnahmepflichten vor, darf der Unternehmer die Maßnahme nicht einfach umsetzen. Er hat sich vielmehr von seinen Vertriebs- und damit Rücksichtnahmepflichten durch Kündigung der Mittlerverträge zu befreien und zum (investitionsintensiven) Eigenvertrieb überzugehen. Schon wegen des Verbots der Teilkündigung und der stillschweigenden Aushöhlung von Vertragsrechten durch tatsächliche Maßnahmen wird man von der Möglichkeit der Kündigung nicht a maiore ad minus zum Recht auf Umsetzung der Dispositionsmaßnahme schließen dürfen; das verbieten die aus dem bestehenden Vertrag herrührenden Treupflichten, derer sich der Unternehmer zuvor wirksam (durch Vertragsbeendigung) entledigen muss. Bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist hat er mit der Realisierung der inkriminierten Maßnahme zu warten. Er darf auch mit der Kündigung einen neuen Vertrag anbieten, der die beabsichtigte Maßnahme gestattet, soweit die Vereinbarung nach §§ 84 HGB, 242 BGB, 305 ff BGB zulässig ist (Änderungskündigung). Ist dem Unternehmer eine Umsetzungszeit bis zum Ende der Kündigungsfrist objektiv unzumutbar, muss er außerordentlich – jedoch ausgleichserhaltend, weil ein schuldhaftes Verhalten des Mittlers nicht vorliegt – kündigen. Unzumutbarkeit besteht bei Existenzgefährdung: Der Unternehmer kann in dieser Situation nicht gehalten sein, 220

221

Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 10; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 18; anschaulicher Fall BGH, Urt. v. 30.01.1981 – I ZR 17/79, NJW 1981, 1785 (1786). OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.02.2000 – 16 U 32/99, OLGR Düsseldorf 2000, 425 = GmbHR 2000, 1205.

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OLG Köln, Urt. v. 17.11.2000 – 19 U 200/00, BB 2000, 2595 = EWiR 2001, 23 (Emde) = WuW/E 2001, 185 DE-R 605 = NJW-RR 2001, 1178. BGHZ 26, 161 = NJW 1958, 219.

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nur wegen der Verdienstmöglichkeiten des HV mit Verlust weiterzuproduzieren 224. Ohne Kündigung bleibt die Durchführung vertragswidrig; der HV darf Unterlassung und ggf. Schadenersatz verlangen. Reicht die Unzweckmäßigkeit der Maßnahme so weit, dass der Bereich einer willkürlichen Schädigung erreicht ist, dürfte auch eine ordentliche Kündigung ausgeschlossen sein. Die Treupflichten führen zu einem Kündigungsausschluss, weil auf andere Weise der Schutz des HV vor derart willkürlichen Entscheidungen nicht zu erreichen ist. In diesem Fall wäre die Umsetzung und damit auch eine sie vorbereitende Kündigung unzulässig. Sie käme einer unzulässigen Schikanekündigung nahe. Eine bereits ausgesprochene Kündigung ist unwirksam. Ob in der Information des Unternehmers über eine bestimmte Maßnahme, etwa dass er die Herstellung aller dem HV zum Vertrieb übertragenen Produkte einstellt oder die Kunden des HV nicht mehr beliefert, eine Kündigungserklärung liegt, ist nach §§ 133, 157 BGB zu bestimmen. Hierzu muss der Wille zur Vertragsbeendigung deutlich zum Ausdruck kommen 225. Im Zweifel fehlt eine Kündigung 226. Der HV kann die Information des Unternehmers aber zum Anlass einer ausgleichserhaltenden Kündigung aus begründetem Anlass gem. § 89b Abs. 3 Nr. 1 nehmen.

VI. Rechtzeitige Information des Mittlers Ist eine Disposition zulässig, hat der Unternehmer so früh als möglich über sie zu 55 informieren. Unterlässt er die rechtzeitige Information, so darf der HV den bei zeitgerechter Information vermeidbaren Schaden ersetzt verlangen 227. Je nach Eingriffsgewicht verlängert sich die Frist zwischen Information und Vornahme. Vor Maßnahmen, die wirtschaftlich an eine Kündigung heranreichen, entspricht der Zeitraum zwischen Information und Maßnahme den Fristen des § 89. Die Frist wird dann Auslauffrist genannt; sie muss angemessen sein 228. Ende 229 befürwortet eine Frist von 3–6 Monaten. Richtigerweise entspricht sie der Kündigungsfrist. Bei derart schweren Maßnahmen wird oft ein unzulässiger Eingriff vorliegen, der nur nach Ausspruch einer (Änderungs-) Kündigung zulässig ist. In der Mitteilung des Unternehmers, er stelle die Herstellung des dem HV zum Vertrieb gegebenen Produkts ein, werde den Kundenkreis des HV nicht mehr beliefern oder zum Vertrieb durch Angestellte übergehen, kann je nach Situation (§§ 133, 157 BGB) eine Kündigungserklärung liegen, falls der rechtsverbindliche Wille zur Vertragsbeendigung hinreichend deutlich zum Ausdruck kommt 230. Im Zweifel ist das wegen fehlender Eindeutigkeit nicht der Fall 231. Erfolgt eine Maßnahme aufgrund vernünftiger kaufmännischer Erwägungen, unterlässt der Unternehmer jedoch die Mitteilung, darf der HV i.d.R. nur Ersatz der Aufwendungen verlangen, die bei ordnungsgemäßer Unterrichtung nicht entstanden wären 232. Schadenersatz wegen entgangener Provision kann in diesem Fall nicht gefordert werden. Denn die fehlende Information ist für den Provisionsausfall nicht ursächlich. Ursächlich ist vielmehr die nachvollziehbare und vernünftige Entscheidung des Unternehmers 233. 224 225 226 227 228

BGH BB 1959, 864 = NJW 1959, 164; Küstner/Thume I, Rn 687. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 36; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 14b. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 36. BGHZ 49, 39. Vgl. DIS-Schiedsgericht, DB-Beil. Nr. 11/ 1999, 13; Ende NJW 1999, 326.

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Ende NJW 1999, 326. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 36; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 14b. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 36. Küstner/Thume I, Rn 666. Küstner/Thume I, Rn 666.

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VII. Abwägungsgebot 56

Auch wenn die o.g. Grenzen des Rechtsmissbrauchs, der Treupflichtverletzung oder der Schikane nicht erreicht sind, muss der Unternehmer die Vorteile für sich und die den HV treffenden Nachteile gegeneinander abwägen. Greift eine Maßnahme schwer in Rechte des Mittlers ein, ohne durch mindestens gleichwertige Interessen des Unternehmers gerechtfertigt zu sein, so hat der Unternehmer entweder das Einverständnis des Mittlers einzuholen oder die Maßnahme bis zum Wirksamwerden einer ordentlichen Kündigung zu unterlassen. Das Dispositionsrecht des Unternehmers erhöht sich, wenn er dem Mittler als Ausgleich eine finanzielle Vergütung zusichert. Auch dann kann jedoch ein Treupflichtverstoß vorliegen, falls der Mittler von seinem Kundenstamm ferngehalten und ihm hierdurch die Möglichkeit zu zukünftiger Kundenwerbung und damit zur Steigerung seiner Gewinne verwehrt wird (ein Problem etwa bei der Freistellung). Nicht in allen Fällen richtig ist es, dass der Unternehmer den eigenen geschäftlichen Interessen, die eine bestimmte Maßnahme als geboten erscheinen lassen, im allgemeinen den Vorrang vor den Interessen des Mittlers geben dürfe und dessen Interessen nach Treu und Glauben nur dann den Vorzug verdienten, falls sie gegenüber denen des Unternehmers wesentlich überwögen 234. Bedenklich ist auch die Aussage, der Mittler müsse nachteilige betriebsändernde Maßnahmen nicht nur hinnehmen, wenn der Unternehmer zu diesen Maßnahmen wirtschaftlich gezwungen sei, sondern auch jede Maßnahme des Unternehmers, die jenem wirtschaftlich und sinnvoll erscheine und mit der er nicht willkürlich und ohne vertretbaren Grund den Interessen des HV zuwiderhandele 235. Richtig ist vielmehr, dass es in jedem Fall auf eine Abwägung der beiderseitigen Interessen nach den vorgenannten Maßstäben ankommt.

VIII. Kasuistik 57

Der Unternehmer darf sein zulässiges Dispositionsrecht auf jede zulässige Art und Weise ausüben, etwa durch Vertragskündigung und Weisungen 236. Ausfluss der Dispositionsfreiheit sind beispielsweise folgende Rechte des Unternehmers: – Abschluss und Nichtabschluss eines Geschäfts/Annahme oder Ablehnung eines Geschäfts: Wie ausgeführt, soll sich aus § 86a Abs. 2 S. 3 (= Art. 4 Abs. 3 EG-Richtlinie) der Grundsatz entnehmen lassen, allein der Unternehmer entscheide über die Annahme oder Ablehnung des Geschäftes 237. Der HV habe keinen Anspruch auf Abschluss 238, selbst wenn er das Geschäft wegen des vertragsbegleitenden Wettbewerbsverbots für keinen anderen Unternehmer vermitteln dürfe 239. § 615 BGB sei insoweit nicht anwendbar 240. Diese Begründung ist zweifelhaft. § 86a Abs. 2 S. 3

234

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So angeblich BGH v. 27.10.1966 – VIII ZR 157/64 – unveröffentlicht; zitiert nach Küstner/Thume I, Rn 682. So aber Küstner/Thume I, Rn 684. Küstner/Thume I, Rn 686. BGH NJW 1958, 1138 (1139); BGH, Urt. v. 17.10.1960 – VII ZR 216/59, BB 1960, 1222; Küstner/Thume I, Rn 708; Ebenroth/ Löwisch § 86a Rn 5; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 70–70b.

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Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 5; Hopt § 87 Rn 8; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 86a Rn 16. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 5. Höft VersR 1969, 875 (876); Ebenroth/ Löwisch § 86a Rn 5; aA Steindorff ZHR 130 (1968), 82 (84 ff).

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regelt lediglich die Mitteilungspflicht, nicht aber, ob eine Verpflichtung zur Annahme besteht bzw. welchen Grenzen die Dispositionsfreiheit des Unternehmers unterliegt. Vielmehr darf der Unternehmer Geschäfte nur ablehnen, wenn hierfür den Interessen des Mittlers mindestens gleichwertige, sachliche Gründe bestehen, etwa fehlende Kapazitäten, eine Überlastung des Betriebs, eine entgegenstehende und sinnvolle Marktstrategie, Materialknappheit, ein beabsichtigter Produktionswechsel oder Zweifel des Unternehmers hinsichtlich der Person des Kunden 241 etc. Der Unternehmer darf sich zudem durch Absprachen hinsichtlich der Annahme oder Nichtannahme eines Geschäftes binden 242. In der Regel besteht keine Pflicht des Unternehmers, das abgeschlossene Geschäft wie vermittelt auszuführen 243 (das Schicksal des Provisionsanspruchs bestimmt sich dann nach § 87a Abs. 3); Änderung des Vertriebsgebietes: ein Änderungsvorbehalt soll individualvertraglich zulässig sein 244 (zur Unzulässigkeit einseitiger Änderungsvorbehalte in AGB vor § 84 Rn 33). Dabei wird man jedoch unterscheiden müssen: Kommt der Änderung des Vertriebsgebietes kündigungsgleiche Wirkung zu, handelt es sich um eine unzulässige Teilkündigung. Sie wäre nur als Änderungskündigung zulässig. In jedem Fall müssten bei einem wesentlichen Änderungsvorbehalt die Fristen des § 89 eingehalten werden; Änderung des Vertriebssystems, etwa Ausschluss bestimmter Abnehmergruppen 245; z.B. die Umstellung der Belieferung von Endverbrauchern auf den Fachhandel 246, sogar wenn es sich um feste Kunden des HV handelt 247; Direktvertrieb durch eigene Tochtergesellschaften: Selbst als Normadressat des § 20 GWB ist der Unternehmer nicht daran gehindert, zum Direktvertrieb 248, auch über unternehmenseigene Tochtergesellschaften, überzugehen. Beschäftigt er jedoch auch unabhängige Vertriebsmittler trifft ihn die grundsätzliche Pflicht zur Gleichbehandlung gegenüber den konzerneigenen Vertriebsmittlern 249; Einsatz weiterer Vertriebsmittler: Der Unternehmer darf weitere HV oder Vertriebsmittler einsetzen, auch wenn dadurch der vertraglich nicht geschützte Arbeitsbereich des HV verkleinert wird 250; Investitionen: Der Unternehmer braucht keine unrentable Investition im Interesse des HV vorzunehmen 251. So hat der BGH 252 den Belieferungsanspruch eines TankstellenHV abgelehnt, der trotz Unrentabilität auch mit bleifreiem Super sowie Diesel beliefert werden wollte; Kauf eines Wettbewerbers: Kauft der Unternehmer einen Wettbewerber, so darf er diesen als separates Unternehmen weiterführen, falls der Wettbewerber zuvor eigenständig am Markt tätig war. Denn der HV wird nicht schlechter gestellt, falls er – wie bisher – gegen die konkurrierenden Produkte des nun konzerneigenen Unternehmens antreten muss 253. Der Unternehmer muss aber auf eine saubere Trennung der Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 5; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 18. BGH, Urt. v. 16.12.1998 – VIII ZR 38/97, NJW-RR 1999, 539. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 5. Westphal Vertriebsrecht II, Rn 365. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 424. OLG München NJW-RR 2003, 401 (402). BGHZ 49, 39 (42); BGH, Urt. v. 22.01.1987 – I ZR 126/85, NJW-RR 1987, 873; siehe auch Steindorff ZHR 130 (1968), 82 ff (91).

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Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 14, 15 und 23; vgl. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 27; zum Ganzen Hopt ZIP 1996, 1809. BGH WuW/E DE-R 1151, 2003, 395. Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 21. Eberstein, S. 129; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 421. DB 1983, 2122. AA Küstner/Thume I, Rn 703.

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Sphären der bisher mit widerstreitenden Interessen am Markt agierenden Unternehmen achten und darf vom HV erhaltene Informationen nicht zum Vorteil des Wettbewerbers und zum Nachteil des HV einsetzen. Auch darf der Unternehmer keine Geschäftsinterna des Unternehmens, für welches der HV arbeitet, zu Gunsten des anderen Unternehmers verwenden. Insbesondere darf der bisherige Wettbewerber nicht nach äußerem Anschein und Austauschbarkeit identische Produkte des Unternehmers veräußern, weil dann der Unternehmer seinem eigenen HV als Wettbewerber entgegentreten würde; Kontingentierung: Der Unternehmer darf Waren kontingentieren, wenn sie knapp werden oder er sie aus anderen Gründen, etwa wegen mangelnder Finanzkraft, nicht in ausreichenden Mengen produzieren kann 254. Die Kontingentierung muss jedoch diskriminierungsfrei erfolgen und den Grundsatz der Gleichbehandlung unter den HV – gleiche Umstände unterstellt – beachten. Der Unternehmer muss dem HV ggf. auf anderem Wege einen angemessenen Ausgleich für den Verlust an Provisionen bieten, etwa durch Gestattung einer Wettbewerbstätigkeit 255; Modellwechsel: Der Unternehmer hat das Recht einen Modellwechsel durchzuführen, etwa bei der Kfz-Herstellung 256. Eine Übernahme der für den Mittler hierdurch entstehenden Kosten scheidet im Grundsatz aus 257, es sei denn, bei der Mehrzahl der Mittler steht die Höhe der Kosten außer Relation zu dem Nutzen 258 oder es liegt ein WGG vor 259. Einzelne Mittler haben wegen des Modellwechsels – im Vertragshändlerrecht auch wegen der erforderlichen Gleichbehandlung – kein Recht auf Erhöhung der Vergütung; die Vergütung ist generell anzuheben 260. Zum Vertrieb einer neuen Modellklasse mit völlig abweichenden Sortiment sind die Mittler aber nicht verpflichtet 261; Nichtbelieferung von Kleinkunden: Der Unternehmer darf sich entschließen, aus Gründen der Rationalisierung kleine und kleinste Kunden nicht mehr zu beliefern 262. Er muss jedoch eine Änderungskündigung mit der gegebenen ordentlichen Kündigungsfrist aussprechen, wenn die Kunden des HV zu mehr als 30 % aus solchen Kleinkunden bestehen, weil die Maßnahme sonst kündigungsgleiche Wirkung zeitigt; Organisation des Betriebs des Unternehmers: Umstellung der Produktion, Einstellung der Produktion des bisher vertriebenen Artikels 263, Aufgabe 264, Veräußerung, Verpachtung des Betriebs, Änderung der Vertriebsorganisation: hier überall handelt es sich um unternehmerische Entscheidungen, die der Unternehmer aus übergeordneten betrieblichen und unternehmenspolitischen Erwägungen heraus trifft und treffen darf, selbst falls der Tätigkeitsspielraum des HV dadurch eingeengt wird oder gar zum Erliegen kommt. Der Unternehmer hat das Recht, seinen Betrieb so einzurichten und ggf. umzugestalten, wie es ihm wirtschaftlich sinnvoll und vernünftig erscheint: dass er durch betriebliche Notwendigkeiten hierzu geradezu gezwungen wurde, ist nicht zu

BGH, Urt. v. 07.10.1968 – VII ZR 21/66 – unveröffentlicht, zitiert nach Küstner/ Thume I, Rn 704. BGH, Urt. v. 07.10.1968 – VII ZR 21/66 – unveröffentlicht; Küstner/Thume I, Rn 705. Ulmer/Habersack S. 60. Ulmer/Habersack S. 60. Ulmer/Habersack S. 62. Ulmer/Habersack S. 63. Ulmer/Habersack S. 63.

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Ulmer/Habersack S. 62. BGHZ 49, 39 = NJW 1968, 394; Küstner/ Thume I, Rn 689. BGH, Urt. v. 12.12.1957 – II ZR 52/56, BGHZ 26, 161 = NJW 1958, 219; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 20; Schlegelberger/ Schröder § 86 Rn 14c und § 87 Rn 71. BGH, Urt. v. 12.12.1957 – II ZR 52/56, BGHZ 26, 161 = NJW 1958, 219.

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fordern 265. Insbesondere legt der HV-Vertrag dem Unternehmer nicht die Pflicht auf, seinen Betrieb in unverändertem Umfange weiterzuführen 266. Kein Unternehmer ist gehalten, eine unrentabel gewordene Produktion nur deshalb fortzuführen, um dem HV weitere Gelegenheit zur Vermittlung von Geschäften zu geben 267. Abermals muss der HV das hinnehmen, solange seine Interessen dabei nicht unvertretbar unbeachtet geblieben sind oder eine bewusste Schädigung seiner Interessen obgewaltet hat. Die dem HV geschuldete Rücksichtnahme wird alsdann durch die Pflicht zur rechtzeitigen Benachrichtigung geübt (Rn 55); – Produktionserweiterung: Der Unternehmer darf seine Produktion erweitern, auch wenn durch diese Produktionserweiterung der HV in eine Konfliktsituation gerät, weil ein von ihm ebenfalls vertretenes Unternehmen bereits die Produkte herstellt, die jetzt auch der erweiternde Unternehmer produziert (siehe § 86 Rn 109 ff) 268. Es ist das Risiko des HV, welche Zweitvertretung und welche daraus herrührenden Risiken er übernimmt; – Produktionseinstellung: Der Unternehmer darf seine Produktion einstellen 269, ohne Notwendigkeit einer früheren Einstellung jedoch nur nach Kündigung und Ablauf der Kündigungsfrist 270. Eine Notwendigkeit besteht im Falle der Unrentabilität der Produktionsfortsetzung. Der Vertrag darf in dieser Situation mittels außerordentlicher Kündigung beendet werden 271. Angesichts einer unrentabel gewordenen Fertigung kann der Unternehmer nicht gehalten sein, nur wegen der Verdienstmöglichkeiten des HV mit Verlust weiterzuproduzieren 272. Er muss nicht den wirtschaftlichen Niedergang abwarten, sondern darf den Vertrag zuvor außerordentlich kündigen 273. Durch den Abschluss eines Vertrages kurz vor Produktionseinstellung übernimmt der Unternehmer kein von ihm zu tragendes Risiko. Davon könnte nur ausgegangen werden, wenn der Unternehmer in voller Kenntnis seiner eigenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten einen Vertriebsvertrag mit langer ordentlicher Kündigungsfrist abschließt 274. Fehlt die Notwendigkeit zu einer außerordentlichen Kündigung, begründet die vorgesehene Betriebseinstellung kein außerordentliches Kündigungsrecht 275, weil der Unternehmer sich sonst selbst wichtige Kündigungsgründe schaffen dürfte. Der Unternehmer muss den HV so früh wie möglich über die Produktionseinstellung unterrichten 276, und zwar, soweit keine zwingenden Gründe entgegenstehen, binnen der vereinbarten, hilfsweise der gesetzlichen Kündigungsfrist. Wird nicht ordentlich gekündigt, trifft den Unternehmer eine Schadensersatzpflicht, falls die Betriebseinstellung nicht durch vertretbare Gründe veranlasst wurde 277. Der Unternehmer hat den

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BGHZ 49, 39, 42 und BGH DB 1972, 524. Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 15. BGH NJW 1959, 1964. Küstner/Thume I, Rn 688, 1874. BGH, Urt. v. 12.12.1957 – II ZR 52/56, BGHZ 26, 161 = NJW 1958, 219; DISSchiedsgericht, DB-Beil. Nr. 11/1999, 13. Ein DIS-Schiedsgericht, DB-Beil. Nr. 11/ 1999, 13 (zust. Ende NJW 1999, 326) gab dem Unternehmer jedoch das Recht zur außerordentlichen Kündigung, aber nur mit einer Auslauffrist von 6 Monaten. Das wird nur ganz ausnahmsweise zulässig sein. DIS-Schiedsgericht, DB-Beil. Nr. 11/1999, 13.

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BGH BB 1959, 864 = NJW 1959, 164; Küstner/Thume I, Rn 687. DIS-Schiedsgericht, DB-Beil. Nr. 11/1999, 13. DIS-Schiedsgericht, DB-Beil. Nr. 11/1999, 13. Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 23. RAG, Urt. v. 16.05.1931, ARS 12, 274 (276); vgl. BGH, Urt. v. 07.02.1974, BB 1974, 434 = NJW 1974, 795; Küstner/ Thume I, Rn 1877. Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 23: Schadensersatzverpflichtung nur bei Willkür und Fehlen wirtschaftlich vernünftiger oder sinnvoller Erwägungen.

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HV dann für die Verdienstausfälle bis zum Zeitpunkt eines ordentlichen oder außerordentlichen Kündigungsrechts zu entschädigen 278. Anderweitige Gewinne des HV sind auf den Schadensersatzanspruch anzurechnen 279. Denkbar sind bei Aufgabe des Betriebes Fälle, die im Zwischenfeld zwischen „betrieblich sinnvoll“ und „unvertretbar“ liegen. Eine oHG wird aufgelöst, weil die Gesellschafter aus persönlichen Gründen heillos zerstritten sind und es bei dem Ausmaß des Zerwürfnisses nicht einmal zu einem gemeinsamen Verkauf des Unternehmens kommt. Das Gleiche kann sich bei einer GmbH ereignen. Von einer unvertretbaren Maßnahme lässt sich dann nicht sprechen. Aber auch nicht davon, dass die zur Auflösung der oHG und zur Aufgabe des Betriebs führende Beschlussfassung wirtschaftlich irgend sinnvoll gewesen sei, da im Gegenteil wirtschaftliche Werte sinnlos zerschlagen werden. Der HV ist ein ebenso sinnloses Opfer dieser Zuspitzung der Dinge. Hier mag man über den von Steindorff 280 entwickelten Gedanken des Annahmeverzuges aus der Risikosphäre des Unternehmers nachdenken. Dass ein Unternehmen aus unternehmensbedingten Gründen stillgelegt wird, ist das Risiko des HV. Dass ihm die Grundlage seines Weiterbestehens entzogen wird, weil der Unternehmer eine Personenmehrheit ist, die keinen einheitlichen Unternehmensführungswillen mehr aufzubringen vermag, liegt in der Sphäre und Risikobereich des Unternehmers. Die oHG (GmbH) befindet sich, falls das HV-Verhältnis bis zum Endtermin einer ausgesprochenen Kündigung noch über einige Zeit läuft, im Annahmeverzug. Die Folge ist die Weiterzahlung eines Fixums, sonst einer angemessenen Entschädigung analog § 642 BGB. Ausgleichsansprüche gegen die Liquidationsmasse bleiben unberührt, können jedoch ausscheiden, wenn infolge der Betriebsstilllegung keine Vorteile des Unternehmers verbleiben (§ 89b Rn 101); – Rechenschaftspflicht: Ausfluss des Dispositionsrechts des Unternehmers soll es sein, dass er dem HV keine Rechenschaft über seine Entschließungen schulden soll 281. Das kann richtig sein, soweit sich die Maßnahmen des Unternehmers nicht auf den Vertrieb auswirken. Ist dies jedoch der Fall und berühren sie die Interessen des HV, hat der Unternehmer sie auf Nachfrage zu erläutern, soweit ihr Grund nicht offensichtlich ist und kein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse besteht. Insbesondere hat der Unternehmer dem HV auf Verlangen die für die getroffene Entscheidung maßgeblichen Gründe mitzuteilen, wenn der Verdacht eines unsachlichen oder willkürlichen Verhaltens besteht, weil dann ein Schadenersatzanspruch des HV eingreifen mag 282. Der HV muss sein Informationsinteresse darlegen, z.B. Anhaltspunkte für ein willkürliches oder schädigendens Verhaltens des Unternehmers. Das Auskunftsinteresse ist bereits im Falle der Möglichkeit eines solchen Verhaltens begründet; des Beweises bedarf es nicht, weil die Information überflüssig wäre, sofern der HV Willkür oder schädigendes Verhalten beweisen könnte 283; – Schlechtlieferungen des Unternehmers: Schlechtlieferungen bilden grundsätzlich keine schadenersatzbegründende Treupflichtverletzung, es sei denn, sie beruhen auf Vorsatz oder Willkür 284. Generell hat der HV keinen „Anspruch“ darauf, dass der Unterneh-

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Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 23. Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 23a. ZHR 130 (1967), 88 ff; zust. Ebenroth/ Löwisch § 84 Rn 20. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 11. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 11; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 17; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 70.

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Zu Letzterem aA Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 11. BGHZ 26, 161 = NJW 1958, 219; OLG Celle DB 1962, 94 = HVR Nr. 265; Küstner/Thume I, Rn 706; Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 12.

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mer „gut liefert“. Er ist auch hier mit dem Ansehen und der wirtschaftlichen, damit aber auch der qualitativen Leistungsfähigkeit des von ihm vertretenen Unternehmers im Guten wie im Schlechten verbunden. Sieht er sich hierin enttäuscht, mag er aus wichtigem Grunde fristlos kündigen und hätte alsdann einen Verlust des Ausgleichsanspruchs nicht zu besorgen 285. Eine Pflichtverletzung liegt allerdings vor, sofern der Unternehmer trotz Mahnung des HV und der Möglichkeit, mangelfrei zu liefern, gleichwohl mangelhaft liefert 286, insbesondere willkürlich, ohne sachlichen Grund oder in Schädigungsabsicht 287. Auch wenn die Schlechtlieferung des Unternehmers im Verhältnis gerade zu seinem HV einen Verstoß gegen die Vertragspflichten darstellt, etwa falls dringende Vorstellungen des HV wegen der schlechten Qualität in den Wind geschlagen werden 288 oder eine „sinnlose Misswirtschaft“ 289 vorliegt, ist der HV in seinen vertraglichen Rechten beeinträchtigt und kann über die Kündigungsmöglichkeit hinaus aus § 280 BGB für die entgehenden Provisionschancen Schadensersatz verlangen; – Umsetzungsrecht: Wenn dem HV ein bestimmter Bezirk oder ein Arbeitsgebiet nicht vertraglich zugewiesen ist, soll der Unternehmer ihn kraft seiner Organisationsgewalt einseitig durch Weisung in einem anderen Gebiet einsetzen dürfen 290; sofern der Unternehmer die dafür anfallenden Mehrkosten erstattet oder durch entsprechend höhere Provisionszahlungen ausgleicht. Auf diese Weisungsbefugnis soll die Zulässigkeit eines nicht ausdrücklich vereinbarten Rotationssystems zurückgeführt werden dürfen, bei welchem die HV laufend in verschiedenen Bezirken tätig werden. Diese Ansicht ist zweifelhaft, weil meist eine Tätigkeit im „Ausgangsbezirk“ (ggf. Konkludente) Vertragsgrundlage sein wird. Davon wird insbesondere bei langjähriger Tätigkeit des HV in einem Gebiet und der Unüblichkeit solcher „Versetzungen“ auszugehen sein; – Vertragshoheit: Der Unternehmer darf neue Verträge in sein Vertriebssystem einführen, etwa bei Änderung einer kartellrechtlichen GVO 291; – Werbung: Dem Unternehmer steht die Entscheidung darüber zu, ob, und wenn ja, wie er ggf. für sein Produkt werben will 292. Die allgemeine Produktwerbung ist seine Angelegenheit. Auf die schutzwürdigen und berechtigten Belange des Mittlers muss er bei seiner Werbung Rücksicht nehmen 293. Der Unternehmer darf den Mittler bei der Werbung nicht vorsätzlich oder fahrlässig schädigen 294. Der Mittler kann die Kosten für selbst veranlasste Werbemaßnahmen ohne entsprechender Vereinbarung im Vertriebsvertrag trotz §§ 675, 670 BGB nicht vom Unternehmer ersetzt verlangen 295. Das Dispositionsrecht des Unternehmers ist in folgenden Konstellationen über- 58 schritten:

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OLG Celle DB 1962, 94. OLG Celle DB 1962, 94 = HVR Nr. 265; Küstner/Thume I, Rn 707. BGHZ 26, 161; BGH NJW 1958, 1138; OLG Celle DB 1962, 94; Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 12. OLG Celle DB 1962, 94 = HVR Nr. 265. BGHZ 26, 165. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 15. BGH, Urt. v. 08.05.2007 – KZR 14/04, WRP 2007, 1097 = RIW 2007, 614 = WuW

292 293 294

295

DE-R 2045 = WuW 2007, 917 = EWiR 2007, 547 (Emde). Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 6. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 6. BGHZ 136, 295; Vorinstanz OLG Frankfurt/M., NJW-RR 1997, 170; GH BB 1995, 1792; ZIP 1995, 1286 = BB 1995, 1792; BB 1995, 1794. Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 182.

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– Bestandswegnahme: Ein Versicherungsunternehmen ist nicht berechtigt, dem Versicherungsvertreter den von ihm aufgebauten Bestand an Versicherungsverträgen zu entziehen und dessen erfolgreiche Vermittlungstätigkeit zunichte zu machen, wenn die Bestandsbetreuung Vertragsbestandteil war. Vielmehr ist der Versicherer verpflichtet, im Interesse des Versicherungsvertreters alles zu tun, um den dem Vertreter überlassenen und von ihm aufgebauten oder ihm übertragenden Bestand zu erhalten 296, wobei bei übertragenen Beständen mehr Großzügigkeit zugunsten des Versicherers angebracht erscheint. Letzters gilt insbesondere, falls der Versicherer dem HV ohne Verpflichtung den später entzogenen Bestand zuteilte, was einen spiegelbildlichen actus contrarius eher gestattet. Der BGH hat ausgesprochen 297, es fehle an einer Teilbeendigung des mit einem Versicherungsvertreter geschlossenen Vertrages, wenn der Unternehmer die Verwaltung einzelner durch Vermittlung des HV zustande gekommener Versicherungsverträge später auf einen anderen Versicherungsmakler übertrage. Hierdurch werde der Inhalt des Versicherungsvertrages nicht geändert. Dem HV stehe deshalb kein Ausgleichsanspruch zu. Dieses Ergebnis ist zweifelhaft, sofern die Bestandswegnahme in ihrer wirtschaftlichen Folge einer Teilkündigung gleich steht und die Bestandsbetreuung ggf. konkludent vereinbarter Vertragsbestandteil war; – Kündigungsgleiche Wirkung: falls die Disposition für den HV zu einer kündigungsgleichen Wirkung führt, ist die Rücksichtnahmepflicht berührt. Von einer kündigungsgleichen Wirkung soll bei einer Verdienstminderung von 30 % infolge der Umsetzung 298 oder ähnlichen, besonders schweren Folgen auszugehen sein. Eine solche Maßnahme erfordert eine Änderungskündigung, zum einen wegen des Verbotes der Teilkündigung, zum anderen zwecks Vermeidung der Umgehung der Kündigungsfristen des § 89; – Organisationsrecht des Vertriebsmittlers: Die Selbständigkeit und damit das Eigenorganisationsrecht des HV darf nicht eingeschränkt werden, etwa in Hinblick auf Investitionen im Betrieb des HV 299 oder der Bestellung der Organe einer HV-Gesellschaft; – Vertragsschluss: Der Unternehmer darf einen Vertragsschluss nicht willkürlich ablehnen, nachdem er den HV zuvor mit der Vermittlungstätigkeit beauftragt hat und der HV zum Tätigwerden verpflichtet ist 300. Ein anschauliches Beispiel für eine willkürliche Nichtannahme des vermittelten Auftrags liefert der Fall BGH NJW 1981, 1785: Ein Einzelkaufmann ist zugleich Komplementär seiner Familien-KG, die er wirtschaftlich vollständig beherrscht; er selbst und „seine“ KG arbeiten in der gleichen Branche. Der für das einzelkaufmännische Unternehmen tätige HV bringt einen Auftrag herein, den aber sein Unternehmer nicht für die einzelkaufmännische Firma, sondern für die KG annimmt, um die Provision zu sparen. Der BGH billigt den Provisionsanspruch zu, weil der Unternehmer treuwidrig gehandelt habe. Richtiger wäre wohl eine Begründung aus Schadensersatz gewesen; – Wegnahme von Kunden/Produkten: Der Unternehmer darf dem HV nicht willkürlich Kunden oder Produkte entziehen und damit die Vertretung aushöhlen, beispielsweise durch Übernahme in den Eigenvertrieb oder die Beauftragung unternehmseigener Ver296 297 298 299

Küstner/Thume I, Rn 710. BB 1994, 99 = NJW 1994, 193. BAG EWiR 2003, 203 (Diller) für einen angestellten Vermittler. BGH NJW-RR 1993, 1122; OLG Düsseldorf

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300

OLGR 1998, 11; zum Ganzen Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 71. LG Hamburg, Urt. v. 12.06.2006 – 415 O 17/06.

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triebsgesellschaften. Vielmehr steht ihm dann nur der Weg der Änderungskündigung offen. In dem von Küstner/Thume 301 gebildeten Fall, in welchem der Unternehmer eine rechtlich selbständige Tochterfirma gründet, die das Vertragsgebiet beliefert, fehlt es bei Berücksichtigung der Interessen beider Parteien an einem Grund, der die Ausgliederung auf die Tochterfirma rechtfertigt. Der HV kann einen Schadenersatzanspruch geltend machen. Sein Schaden darf gem. §§ 287 ZPO, 252 BGB auf zwei Wegen geschätzt werden: Zum einen kann der HV die Differenz der Durchschnittsprovisionen vor dem schädigenden Ereignis und nach diesem fordern, zum anderen (alternativ) als Schaden die von der Tochtergesellschaft auf HV-Provisionen heruntergerechneten Gewinne (ähnlich der Herausrechnung nicht HV-typischer Bestandteile beim Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers). Dabei kann der Schaden bei der letzten Methode so bestimmt werden, dass auf alle Geschäfte der Tochtergesellschaft der Provisionssatz zu zahlen ist, der dem HV zusteht 302.

IX. Rechtsfolgen von Dispositionsmängeln Unvertretbare, willkürliche oder in Schädigungsabsicht betätigte Entschließungen des 59 Unternehmers zum Nachteil des Mittlers können zunächst die Folgen des Annahmeverzuges auslösen; sie begründen darüber hinaus Ansprüche auf vertragsgemäßes Verhalten (Weiterbelieferung, Annahme von Aufträgen), ggf. – wenn vertragsgemäßes Verhalten nicht anders hergestellt werden kann – auf Unterlassung 303. Schadensersatzansprüche (§ 280 BGB) bestehen gleichfalls. Die Gründe der Maßnahme sind dem Mittler auf Verlangen mitzuteilen 304. Im Falle der unvertretbaren oder willkürlichen Ablehnung eines vermittelten Geschäfts valutiert der Anspruch in Höhe der entgehenden Provisionen aus Folgeaufträgen, die der abgelehnte Kunde sonst erteilt haben würde. Bei sonstiger Verkürzung des Tätigkeitsfeldes des Mittlers geht der Schadensersatz auf das, was er bis zum Ablauf einer – unterstellten – ordentlichen Kündigung durch den Unternehmer verdient hätte. Der Schadenersatz des HV ist nicht auf den Zeitraum bis zum nächsten Kündigungstermin des HV beschränkt 305. Maßgeblich ist vielmehr die nächste Kündigungsmöglichkeit des Unternehmers. Der Unternehmer hat sich während der gesamten Vertragslaufzeit gegenüber dem HV vertragsgemäß zu verhalten 306. Will oder kann er dies nicht, müsste der Unternehmer und nicht der HV kündigen, so dass es auf die Kündigungsmöglichkeit des Unternehmers ankommt. Darf der Unternehmer später als der HV kündigen, kann der HV Schadenersatz für diese verlängerte Periode fordern. Die Ansprüche aus dem Annahmeverzug des Unternehmers wird der Mittler regelmäßig nicht in Anspruch nehmen, weil sie der Anrechnungspflicht aus § 615 S. 2 BGB unterliegen. Nimmt der Mittler das Vorgefallene zum Anlass, seinerseits fristlos zu kündigen, so besitzt er Ausgleichsansprüche nach § 89b, gegebenenfalls weitergehende Schadensersatzansprüche nach § 89a Abs. 2, insbesondere für seine nunmehr frustrierten Aufwendungen aus zurückliegender Zeit, die die weitere Tätigkeit hätten erfolgreich gestalten sollen.

301 302 303

I, Rn 691. Siehe OLG Köln HVR Nr. 526; Küstner/ Thume I, Rn 692. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 20.

304 305 306

Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 20. So auch BGHZ 26, 161. Vgl. Küstner/Thume I, Rn 706.

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X. Vertragliche Erweiterung des Dispositionsrechts 60

Vertragsklauseln, die dem Unternehmer bei kundenfeindlichster Auslegung einseitig Dispositionen gestatten, welche in den Kernbereich des Leistungs-Gegenleistungsverhältnis eingreifen, sind als Individualvereinbarung gem. § 242 BGB unwirksam, als AGB gem. § 307 BGB (Vor § 84 Rn 33).

XI. Vertragliche Beschränkung des Dispositionsrechts 61

Sofern nicht gesellschaftsrechtliche Gründe entgegenstehen – Eigenorganschaft, Beherrschungsvertrag etc. – darf der Unternehmer auf seine unternehmerische Entschließungsfreiheit weitgehend (vertraglich) verzichten 307. Anders als in § 84 für den HV fehlt beim Unternehmer das zwingende statusbegründende Tatbestandsmerkmal der „Selbständigkeit“, welches zu weitgehende Eingriffe in das unternehmerische Selbstbestimmungsrecht ausschließt. Praktisch sind Verzichtsfälle kaum. Insbesondere darf sich der Unternehmer verpflichten, bestimmte Betriebs- und Vertriebsänderungen zu unterlassen, den HV zu beschäftigen oder von ihm angetragene Geschäfte abzuschließen 308, und zwar auch ohne den Vorbehalt einer abweichenden Entscheidung aufgrund veränderter Verhältnisse 309. Sein Preisbestimmungsrecht darf der Unternehmer nicht völlig dem HV übertragen. In AGB vereinbart kommt es für die Wirksamkeit der Maßnahmen auf die bei abstrakt-genereller Kontrolle bestehende Benachteiligung des Unternehmers an, die bei wirtschaftlicher Überlegenheit des Mittlers als Verwender und Fehlen eines sachlichen Grundes für die Beschränkung häufig gegeben sein mag.

I. Die in § 86a besonders geregelten Nebenpflichten 62

Die vom Gesetz als regelungsbedürftig angesehenen Nebenpflichten des Unternehmers sind in § 86a hervorgehoben. Nur diese Nebenpflichten sind dort geregelt 310. Die Hauptpflicht zur Provisionszahlung folgt erst in §§ 87 ff, die zur Ausgleichszahlung in § 89b. Die Nebenpflichten des § 86a sind – wie Art. 4 Abs. 2 EG-Richtlinie klarstellt – Ausdruck der vom Gesetz vorausgesetzten Unterstützungspflicht des Unternehmers, die wiederum Ausprägung der allgemeineren Treupflicht ist 311. Es sind • Die Überlassungspflicht (§ 86a Abs. 1); • Die Nachrichtspflicht (§ 86a Abs. 2), sub specie; • Die Verpflichtung zur Mitteilung über Annahme und Ablehnung eines vom HV vermittelten oder ohne Vertretungsmacht abgeschlossenen Geschäfts; • Die Verpflichtung zur Mitteilung über die Nichtausführung eines vom HV vermittelten und abgeschlossenen Geschäfts; • Die Verpflichtung zur Mitteilung, falls der Unternehmer Geschäfte voraussichtlich nur in erheblich geringerem Umfang abschließen kann und will, als der HV unter gewöhnlichen Umständen erwarten konnte (§ 86a Abs. 2).

307 308 309

AA Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 7. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 7. Insoweit aA Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 7.

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310 311

Hopt § 86a Rn 1. Hopt § 86a Rn 1.

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§ 86a normiert ebenso wie § 86, der Pflichten des HV zum Inhalt hat, die Pflichten 63 des Unternehmers nicht abschließend 312. Vielmehr sind nur wenige Pflichten besonders hervorgehoben, die noch dazu der näheren Konkretisierung bedürfen 313. Bedauert wird insbesondere das Fehlen einer die Interessenwahrungspflicht des HV spiegelnden Pflicht des Unternehmers 314. Die in § 86a Abs. 1, 2 geregelten Pflichten sind seit der Umsetzung der EG-Richtlinie 64 1986 zwingend. Abweichende Vereinbarungen sind unwirksam (§ 86a Abs. 3).

I. Zeitdauer und Fälligkeit Die Pflichten des § 86a bestehen vertragsbegleitend während der gesamten Vertragsdauer und werden unverzüglich 315 fällig, sobald objektiv mit einer Leistung zu rechnen ist. Unterlagen sind solange bereitzustellen, wie sie benötigt werden 316. Die Überlassungspflicht des § 86a Abs. 1 endet regelmäßig mit Vertragsende. Nur im Ausnahmefall kann der Unternehmer verpflichtet sein, dem Vertreter Unterlagen über die Vertragsdauer hinaus zu überlassen. Die Informationspflicht des § 86a Abs. 2 ist gleichfalls nur eine vertragsbegleitende Pflicht. Vor Vertragsschluss kann eine Informationspflicht des Unternehmers aus vorvertraglichen Schutz- und Treupflichten über alle Umstände hergeleitet werden, die für die spätere Tätigkeit des HV relevant sind 317. Zum Beispiel besteht vorvertraglich die Pflicht zur Aufklärung über die bisherige wirtschaftliche Erfolglosigkeit des Vertriebssystems, die Wertlosigkeit einer Kundenliste, über den Einsatz weiterer HV im gleichen Gebiet 318, über Arbeitsbedingungen und für den Vertreter nicht ohne weiteres erkennbare Risiken der Vertretung 319. Ob man diese vorvertragliche Pflicht unter den Terminus „disclosurerules“ fassen möchte oder den der „Aufklärungspflicht aus vorvertraglichem Vertrauensverhältnis“ ist eine rein terminologische Frage 320. Die vorvertraglichen Aufklärungspflichten haben ihre besondere Bedeutung im Franchiserecht, jene Untergruppe wird oben, Vor § 84 Rn 468 ff, im Einzelnen behandelt. Nach Vertragsende existieren nachvertragliche Treupflichten, jedoch nicht mehr die in § 86a hervorgehobenen Nebenpflichten 321.

65 66 67

68

II. Zu den einzelnen Pflichten des § 86a 1. Überlassung von Unterlagen (§ 86a Abs. 1) a) Sachlicher Anwendungsbereich. Nach § 86a Abs. 1 hat der Unternehmer dem HV 69 die zur Ausübung seiner Tätigkeit erforderlichen Unterlagen, wie Muster, Zeichnungen, Preislisten, Werbedrucksachen, Geschäftsbedingungen zur Verfügung zu stellen. Die in

312 313 314 315 316 317

Westphal Vertriebsrecht I, Rn 373. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 373. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86a Rn 1. Hopt § 86a Rn 6. Hopt § 86a Rn 6. Martinek/Flohr § 8 Rn 124; Hopt § 86a Rn 2.

318 319 320 321

OLG Nürnberg BB 1956, 352; Hopt § 86a Rn 2. Hopt § 86a Rn 2. Vgl. Martinek/Flohr § 8 Rn 125. Hopt § 86a Rn 3.

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Abs. 1 niedergelegte Aufzählung ist nur beispielhaft, nicht abschließend 322, der Begriff der Unterlagen zudem unglücklich gewählt. Er ist weit zu fassen. Hierunter können auch Unterlagen fallen, die nur für ein einzelnes Geschäft erforderlich sind, sie sind dann ohne besondere Aufforderung des HV zu übermitteln 323. Der Unternehmer muss alle produktspezifischen Hilfsmittel aus seiner Sphäre 324 bereitstellen, auf die der HV objektiv besehen 325 oder nach seinem pflichtgemäßen Ermessen 326 zur Ausübung seiner Vermittlungs- und Abschlusstätigkeit und zur Anpreisung der Ware 327 angewiesen ist 328, und zwar in einem ungefährlichen Zustand 329. Der Unternehmer ist der Geschäftsherr und steht seinem Produkt näher als der HV, so dass er die speziell auf die von der Vertriebspflicht erfassten Produkte abgestimmten Hilfsmittel bereitstellen und auf aktuellem Stand halten 330 muss – niemand anders könnte dies. Produktunspezifische, allgemeine Hilfsmittel, die auch ein HV benötigen würde, der andere Produkte vertreibt, muss der HV hingegen selbst anschaffen. Die Verpflichtung des HV zur Ausstattung sowie zum Unterhalt seines eigenen Geschäftsbetriebs, sowie die Pflicht, das für seine Berufsausübung Erforderliche zu beschaffen, wird durch Abs. 1 nicht berührt 331. Büromaterialien und Hilfsmittel, die üblicherweise zur Einrichtung des Gewerbebetriebs des HV gehören, braucht der Unternehmer nicht bereitzustellen. Dem HV obliegt die Ausstattung seines Betriebes 332. Sofern der Unternehmer die Unterlagen nicht besitzt, muss er sie sich beschaffen 333. Nach a.A. trifft die Bereitstellungsfrist nur solche Unterlagen, die der Unternehmer in seinem Betrieb verwendet 334. Dann aber könnte der Unternehmer durch seine Lagerhaltung über die unabdingbare Bereitstellungspflicht disponieren. Die Bereitstellungspflicht trifft daher alle in Abs. 1 ausdrücklich genannten Unterlagen sowie alle produktspezifischen, in Abs. 1 nicht erwähnten Unterlagen, soweit die Verkehrsüblichkeit dem nicht entgegensteht 335. Die Verpflichtung zur Bereitstellung der Unterlagen ist keine Hauptpflicht, sondern eine selbständige Nebenpflicht. Der HV kann den Erfüllungsanspruch auf Überlassung einklagen 336. Welche Unterlagen zur Ausübung der Tätigkeit erforderlich sind, hängt von den 70 Umständen des Einzelfalls, insbesondere von der Branchenüblichkeit ab 337. Beispiele sind: • Für die Werbung des HV hilfreiche Geschäftskorrespondenz mit Interessenten und Kunden, soweit sie sich nicht auf abgeschlossene Vorgänge beschränkt 338 und keine Geheimhaltungsinteressen entgegenstehen. Nach dem BDSG wird die Weitergabe

322

323 324 325 326 327 328 329

Prasse in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 269; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 376; Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 15; Hopt § 86a Rn 5; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 4; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86a Rn 2. AA Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 4. Prasse in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 270. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 15. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 15; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 3. Küstner/Thume I, Rn 607. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 376. Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 3.

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330 331 332 333

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Thume BB 1995, 1913; Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 15. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 14. Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 3. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 16; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 4. Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 2. Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86a Rn 3; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 86a Rn 3. Küstner/Thume I, Rn 635. Küstner/Thume I, Rn 607; Hopt § 86a Rn 5. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 16.

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• • •

• • • •



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342 343 344

345

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regelmäßig nicht zu beanstanden sein 339. Ggf. muss der Unternehmer die Einwilligung der Kunden suchen 340; Kundenlisten (soweit vorhanden und nach dem Vertragsinhalt nicht vom HV zu erstellen 341). Soll der HV ein bislang unbesetztes Gebiet bearbeiten, so braucht der Unternehmer ihm keine Kundenlisten zu übergeben. Die Ermittlung dieser Kunden ist Sache des HV 342. Bestehen allerdings Kundenlisten, hat der Unternehmer jene zur Verfügung zu stellen 343. Schreibt der HV die Kundendatei fort, so hat er bei Vertragsende nur die Ursprungsdatei herauszugeben 344; Unterlagen über existierende Kundenbeziehungen; Musterkollektionen 345; Eigens für das Produktangebot des Unternehmers entwickelte oder darauf zugeschnittene, nicht handelsübliche Computerprogramme, die der HV zur Demonstration benötigt (etwa vom Versicherungsunternehmer für die Bearbeitung des Kundenstammes und Vertragsbestandes einheitlich genutzte EDV-Software 346 oder solche, die im Informationsinteresse des Unternehmers angeschafft wird 347). Das gleiche soll gelten, wenn die Software funktionell an die Stelle der bisherigen Verkaufsunterlagen tritt, die zuvor kostenlos zu überlassen waren 348. Spezielle Software, die dem HV erst Zugang zu dem Datenbestand des Versicherers und damit zu den aktuellen Vertragsdaten seiner Kunden ermöglicht, zählt nach dem Wegfall von in Papierform übersandten Dynamiknachtragsmitteilungen zum Bereich der die Produktwerbung unterstützenden, vom Unternehmer gem. § 86a Abs. 1 kostenfrei zur Verfügung zu stellenden Mittel 349; Bei Branchenüblichkeit kostenlos zu verteilende Probestücke 350; Preislisten 351; Produktbeschreibungen 352 und Gebrauchsanleitungen; Schulung: Der Unternehmer hat den HV kostenlos zu schulen, soweit die Schulung eine Überlassung von Unterlagen ersetzen soll 353. Der Unternehmer muss dabei das für den Vertrieb erforderliche know-how vermitteln, von dem er Kenntnis hat, nicht jedoch sein gesamtes know-how 354; Unterlagen, die für die Anpreisung der Ware des Geschäftsherrn bei der Kundschaft erforderlich sind, insbesondere Werbeunterlagen und Broschüren 355;

Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 16. Evers/Kiene, DB 2003, 2762; Ebenroth/ Löwisch § 86a Rn 16. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 16; Genzow in Ensthaler, § 86a Rn 4; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86a Rn 3; Hopt § 86a Rn 5; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 86a Rn 4; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 2, 21. Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 2. Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 2. AA wohl Küstner/Thume I, Rn 633; Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 15; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86a Rn 6. Thume BB 1995, 1913; Hopt § 86a Rn 5; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86a Rn 4.

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Küstner/Thume I, Rn 608; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 378; Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 16. Ulmer/Habersack S. 73. Ulmer/Habersack S. 73. OLG Köln, Urt. v. 30.09.2005 – 19 U 67/05, VersR 2006, 407 (409). Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 16. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 16; Hopt § 86a Rn 5. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 16. OLG Hamm NJW-RR 1990, 567; Ebenroth/ Löwisch § 86a Rn 16. Martinek/Flohr, § 12 Rn 70. Küstner/Thume I, Rn 608; Ebenroth/ Löwisch § 86a Rn 16; Hopt § 86a Rn 5.

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• Vertragsformulare und Geschäftsbedingungen 356; • Werbedrucksachen 357; • Allgemeine produktunspezifische Werbemittel, etwa Aufkleber, Kleidung mit dem Logo des Unternehmers etc. Keine Unterlagen und damit nicht von der Überlassungspflicht sowie der korrespon71 dierenden Pflicht des HV zur sorgsamen Aufbewahrung erfasst sind Hilfsmittel, welche der HV nach der Verkehrsauffassung selbst anzuschaffen hat, z.B. die o.g. produktunspezifischen Hilfsmittel, etwa: • alle Gegenstände, welche zum allgemeinen Geschäftsbetrieb des HV gehören 358; • Büro, Geschäftseinrichtung 359 und allgemeine Büromaterialien 360, sofern diese lediglich als Hilfsmittel für den Gewerbebetrieb des HV eingesetzt werden sollen 361; • Koffer, Taschen ohne Inhalt, in denen der HV z.B. seine Muster befördert 362, soweit nicht ein Spezialkoffer für das Produkt benötigt wird; • Kfz 363; • Autotelefon 364; • Gängiger PC nebst Hilfsgeräten 365; • Hardware und allgemein übliche Software 366; • Vorratswaren, die der Unternehmer dem HV zur Lieferung an die Kunden überlassen hat sollen keine kostenlos bereitzustellende Unterlage bilden: Sie dienten nicht der Abschluss- und Vermittlungstätigkeit, sondern der Erfüllung geschlossener Geschäfte 367. Die vermittelten Produkte würden nicht an den HV sondern den Kunden geleistet, müssten also nach der Vorstellung des Gesetzgebers nicht an den HV übermittelt werden. Dem Gesetzgeber war offenbar nicht bewusst, dass Voraussetzung der Vermittlung und des Abschlusses in bestimmte Branchen die Präsenz der vermittelten Produkte ist (Tankstellen, Kfz-Vermietstationen). Hier gilt der Rechtsgedanke des § 86a „erst recht“. Diese Waren sind kostenlos zur Verfügung zu stellen, Produktbereitstellungspauschalen oder die Zuweisung von Lagerkosten zum HV sind regelmäßig unzulässig, soweit sie nicht branchenüblich sind. Das folgt auch aus § 87d, demzufolge der HV nur eigene Geschäftskosten trägt. Selbstverständlich sind auch solche Waren sorgfältig zu verwahren. Eine analoge Anwendung des § 86a Abs. 1, auch bei der Leitbildprüfung des § 307 BGB (soweit sie wegen der auch individual-

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Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 16; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86a Rn 3. Hopt § 86a Rn 5. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 15; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86a Rn 4; Hopt § 86a Rn 5; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 3. Prasse in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 270; Martinek/ Flohr § 12 Rn 70; Hopt § 86a Rn 5. Hopt § 86a Rn 5; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 3. Küstner/Thume I, Rn 608. OLG Hamburg HVR Nr. 101; Küstner/ Thume I, Rn 108; Prasse in: Giesler,

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Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 270; Martinek/Flohr § 12 Rn 70; Hopt § 86a Rn 5. Hopt § 86a Rn 5. Küstner/Thume I, Rn 608. Küstner/Thume I, Rn 608. OLG Köln, Urt. v. 30.09.2005 – 19 U 67/05, VersR 2006, 407 (409); Ulmer/Habersack S. 72 f. OLG Düsseldorf BB 1990, 1086 (1087); Küstner/Thume I, Rn 608; Martinek/Flohr § 12 Rn 70; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 380; Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 16; Genzow in Ensthaler, § 86a Rn 4; Hopt § 86a Rn 5.

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vertraglich zwingenden Kostenfreiheit der Überlassung erforderlich sein sollte), ist richtig. Soweit diese Waren nicht kostenfrei bereitzustellen sind, hat der Unternehmer Vorratsware, Lagerbestände, Ersatzteile oder sonstige vom HV im Einverständnis mit dem Unternehmer zur Unterstützung der ihm übertragenen Tätigkeit auf eigene Kosten erworbene Gegenstände nach Vertragsende gegen Wertersatz entsprechend den für Vertragshändlern geltenden Grundsätzen (Vor § 84 Rn 340 ff) zurückzukaufen 368; • betriebsinterne Geschäftsunterlagen des Unternehmers 369, die der HV nicht für die Werbung benötigt; • Unterlagen die allein das Vertragsverhältnis zwischen Unternehmer und HV, nicht aber zu Kunden, betreffen 370; • eine vom HV selbst angelegte Kundenkartei. Mangels besonderer Vereinbarung ist der HV bei Beendigung des Vertrages demgemäß auch nicht zur Herausgabe einer solchen Kartei verpflichtet 371. Regeln die Parteien vertraglich, welche Unterlagen dem HV zur Verfügung zu stellen 72 sind und werden dabei erforderliche Unterlagen nicht genannt, steht dem HV unmittelbar aus § 86a ein Anspruch auf die erforderlichen Unterlagen zu 372. Wegen der zwingenden Natur der Überlassungspflicht gilt dies selbst dann, wenn die Aufzählung erschöpfend sein sollte. Die Überlassungspflicht ist keine höchstpersönliche Pflicht. Der Unternehmer kommt ihr auch nach, indem er dem HV die Unterlagen durch Dritte zukommen lässt 373. b) Fälligkeit. Wie alle in § 86a vorhandenen Pflichten des Unternehmers besteht die 73 Überlassungspflicht vertragsbegleitend. Fälligkeit tritt unverzüglich 374 und jedenfalls bei allgemein üblichen Hilfsmitteln ohne Aufforderung 375 ein, sobald der HV die Unterlagen benötigt 376, etwa bei Vertragsbeginn 377, spätestens unverzüglich nach Aufforderung 378. Erkennt der Unternehmer die Erforderlichkeit nicht, ist die Aufforderung fälligkeitsbegründend. Benötigt der HV die Unterlagen dringend, kann er sein Recht mittels einstweiliger Verfügung sichern lassen 379. Das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache steht nicht entgegen. Die Unterlagen sind dem HV solange zu belassen, wie er sie benötigt 380. Der Unternehmer ist mit der Rechtsfolge des § 295 BGB vorleistungspflichtig und darf die Aushändigung i.d.R. – Extremfälle ausgenommen – nicht von Bedingungen, etwa der Rückgabe anderer Gegenstände, abhängig machen, sofern der HV zur Ausübung seiner Tätigkeit auf die Unterlagen angewiesen ist 381. Denn mit einer überholten oder veralteten Kollektion braucht ein HV nicht zu arbeiten 382. Die Verpflichtung ist eine kontinuierliche. Der Unternehmer hat die geschuldeten Unterlagen auch ohne Aufforderung laufend auf aktuellem Stand zu halten sowie zu übermitteln, und zwar auf

368 369 370 371 372 373 374 375

Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 16. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 16. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 16; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 3. Küstner/Thume I, Rn 634. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene, § 86a Rn 42. Küstner/Thume I, Rn 609. Hopt § 86a Rn 6. Thume BB 1995, 1913; Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 17; Heymann/Sonnenschein/Weite-

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meyer § 86a Rn 5; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 5; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 4. Küstner/Thume I, Rn 610. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86a Rn 3. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 17. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 37. Hopt § 86a Rn 6. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 17. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 17.

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seine Kosten 383; verbrauchte Unterlagen sind zu ergänzen und aufzufüllen 384. Dies gilt, solange der HV für ihn tätig zu sein hat, grundsätzlich auch, wenn das Vertragsverhältnis gekündigt ist 385.

74

c) Kosten. Die in § 86a Abs. 1 genannten Unterlagen sind dem HV kostenlos zur Verfügung zu stellen 386. Diese Kostenfreiheit ist gemäß § 86a Abs. 3 zwingend. Ein Kaufpreis kann also nicht verlangt werden, wegen der beispielhaften Aufzählung in § 86a Abs. 1 insbesondere auch nicht für die Musterkollektion 387. Allenfalls die freiwillige Option zum Kauf darf vereinbart werden 388. Alle Abreden, die auf die Gewährung einer irgendwie gearteten Gegenleistung für die Überlassung der Hilfsmittel gerichtet sind, gleich welcher Höhe und Fälligkeit, wären unwirksam 389, etwa die Vereinbarung einer Holschuld am Sitz des Unternehmers. Produktbereitstellungskosten, z.B. bei der Kfz-Vermietung, sind deshalb unzulässig, und zwar auch individualvertraglich. Selbst Prämien eventueller Versicherungen hat allein der Unternehmer zu tragen, weil anderenfalls Kostenfreiheit fehlt 390. Grundsätzlich hat der Unternehmer auch den durch ordnungsgemäßen Gebrauch oder Abnutzung der „Unterlagen“ eintretenden Wertverlust oder die Wertminderung zu tragen 391. Sicherheiten dürfen nicht verlangt werden, auch nicht bei wertvollen Kollektionen 392. Eine Vereinbarung, die den HV verpflichtet, die Unterlagen oder die Musterkollektion nach Saison- oder Vertragsende käuflich zu erwerben, wäre aus dem gleichen Grund nicht nur als AGB 393 sondern bereits als Individualabrede 394 unzulässig. Diejenigen, die eine Kaufverpflichtung akzeptieren, befürworten dann – auch ohne Vereinbarung – eine Rückerwerbspflicht des Unternehmers zu angemessenem Preis bei Vertragsende, weil der HV die von ihm erworbenen Gegenstände nicht mehr nutzen oder absetzen kann 395. Eine einheitliche Betriebssoftware darf der Unternehmer im HV-Bereich nur vorschreiben, wenn er ihre Kosten, auch die des laufenden Unterhaltes, übernimmt 396.

75

d) Eigentum an den Hilfsmitteln. Ohne abweichende Vereinbarung bleibt der Unternehmer regelmäßig 397 Eigentümer der zur Verfügung gestellten Unterlagen 398. Indiz für

383 384 385 386

387 388 389

Thume BB 1995, 1913; Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 15. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86a Rn 3. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 15; Röhricht/ Graf v. Westphalen/Küstner § 86a Rn 5. OLG Hamm NJW-RR 1990, 567 (568); OLG München BB 1999, 2320; Thume BB 1995, 1913 (1915); Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 16; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86a Rn 3, 6; Hopt § 86a Rn 6; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 7; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86a Rn 3; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 2, 7. OLG München DB 1999, 1007 = BB 1999, 2320; Küstner/Thume I, Rn 611. OLG München DB 1999, 1007 = BB 1999, 2320. Thume BB 1995, 1913; Küstner/Thume Rn 611.

454

390

391 392

393 394 395 396 397 398

Küstner/Thume I, Rn 612; Hopt § 86a Rn 6; aA (Vereinbarungsfrage) 4. Aufl., § 86 Rn 25; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 54: Versicherungspflicht nur „im Zweifel“ beim Unternehmer; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86a Rn 5. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 16. Thume BB 1995, 1913 (1914); Küstner/ Thume I, Rn 620; aA Sieg VersR 1996, 559 (560); Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 16. OLG Düsseldorf HVR Nr. 770; OLG München HVR Nr. 991; Hopt § 86a Rn 6. AA Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 16. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 16. Küstner/Thume I, Rn 611. Küstner/Thume I, Rn 616. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 386; Hopt § 86a Rn 6.

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den abweichend vom Regelfall vereinbarten Eigentumserwerb des HV kann die Ausstellung einer Rechnung über die Unterlagen sein, sofern es sich nicht um eine ProformaRechnung handelt, die lediglich aus internen Gründen, etwa zum Nachweis des Verbleibs oder im Hinblick auf eine Berechnung nach Vertragsende – etwa wegen fehlender Rückgabe – 399 ausgestellt wurde. e) Pflicht zur sorgsamen Verwahrung. Der HV ist unmittelbarer Besitzer der Unter- 76 lagen und nicht Besitzdiener im Sinne des § 855 BGB. Denn zwischen Unternehmer und HV besteht kein sozialrechtliches Abhängigkeitsverhältnis 400. Der gutgläubige Dritte wird nach §§ 932 BGB, 366 HGB geschützt 401. Werden die Unterlagen dem HV entzogen, darf er die Rechte auf Besitzwehr und Besitzkehr der §§ 861, 862 BGB geltend machen 402. Der HV ist verpflichtet, die ihm ausgehändigten und im Eigentum des Unternehmers stehenden Unterlagen sorgfältig aufzubewahren (kaufmännische Verwahrungspflicht, § 86 Abs. 3, siehe § 86 Rn 61 ff) 403. Die Sorgfaltspflicht wird stärker, je wertvoller die überlassenen Hilfsmittel sind. Sie verbietet insbes. Selbstverbrauch 404 des HV sowie die Veräußerung an Dritte auf eigene Rechnung 405. Der HV hat über den Inhalt der Unterlagen Stillschweigen zu bewahren, soweit Vertraulichkeit erwartet werden kann (§ 90) 406. f) Herausgabepflicht. Da die Überlassungspflicht mit Vertragsablauf endet, ist der 77 HV gemäß § 667 407, § 675, § 269 BGB verpflichtet, die Unterlagen bei Vertragsende herauszugeben, auch wenn Unterlagen überholt sind 408. Die durch die Herausgabe entstehenden Kosten der Übersendung sind vom Unternehmer zu tragen, da die Überlassung kostenfrei erfolgen muss 409. Die Rückgabepflicht darf auch nicht durch eine Kaution gesichert werden. Denn wenn eine Kaution zu zahlen wäre, fehlt die unentgeltliche Überlassung 410. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Kaution nach Vertragsende zurückzuzahlen oder zu verzinsen ist. Denn der HV hat bei Aushändigung der Unterlagen einen Geldabfluss zu verzeichnen, so dass aus der maßgeblichen Sicht zu diesem Zeitpunkt keine Unentgeltlichkeit vorliegt. Zudem trägt er das Insolvenzrisiko des Unternehmers sowie das Risiko einer gerichtlichen Auseinandersetzung um die Rückzahlungspflicht. Zum Zurückbehaltungsrecht des HV an den Unterlagen siehe die Kommentierung zu § 88a. g) Erfüllungsort. Erfüllungsort für Übergabe und Rückgabe ist abweichend von 78 § 269 BGB der Sitz des HV 411, nicht der Tätigkeitsort. Die Pflicht zur Übergabe ist also eine Bringschuld des Unternehmers 412; der Unternehmer hat die Unterlagen kostenlos an

399 400 401 402 403 404 405

Küstner/Thume I, Rn 616. Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 7. Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 7. Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 7. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86a Rn 5. LAG Düsseldorf DB 1960, 813; Küstner/ Thume I, Rn 617. LAG Düsseldorf, Urt. v. 20.5.1960 – 8 (3) Sa 437/59; DB 1960, 813; IHK Berlin, Handelsbrauch und Handelsvertreterrecht, 1952, Gutachten Nr. 183; Küstner/Thume I,

406 407 408 409 410 411

412

Rn 617; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86a Rn 5. Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 5. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 17. Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 8. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 386. AA Westphal Vertriebsrecht I, Rn 386. OLG München BB 1999, 2320; Küstner/ Thume I, Rn 615; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 383; Hopt § 86a Rn 6; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86a Rn 4. Hopt § 86a Rn 6.

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den Sitz des HV zu verbringen 413. Die Abholung nach der zum Ende der Überlassungszeit gem. § 667 BGB 414 geschuldeten Rückgabe ist eine Holschuld 415, und zwar dort, wo sich die Unterlagen nach der vertragsgemäßen Bestimmung befinden 416, im Zweifel am Sitz des HV. Von dort hat sie der Unternehmer kostenfrei abzuholen 417. Insbesondere die Musterkollektion ist dem HV am Ort seiner gewerblichen Niederlassung zur Verfügung zu stellen und mit Ablauf der Überlassungsperiode auch wieder abzuholen 418. Die Verpflichtung zur Überlassung von Unterlagen ist eine selbstständig einklagbare Nebenpflicht 419. Der Unternehmer schuldet jedoch nicht die Kosten der Verbringung der Unterlagen zu dem Ort, an dem der HV die Unterlagen möglicherweise während seiner Tätigkeit benötigt. Er muss die Unterlagen ggf. von seinem Sitz auf eigene Kosten zu einem Ort transportieren, wo er sie benötigt, etwa zum Sitz des Kunden. Nach dem Inhalt des Vertrages oder der Natur der Unterlagen, etwa wegen ihrer Sperrigkeit, kann es im Ausnahmefall aber Pflicht des Unternehmers sein, jene an einen anderen Ort, etwa zum Sitz des Kunden, zu verbringen, wenn der Transport nur Aufgabe des Unternehmers sein kann.

79

h) Haftung des HV. Werden die Unterlagen beschädigt, die Rückgabe unmöglich oder erfolgt sie verspätet, so kann der HV auf Schadenersatz haften (§§ 280, 286 BGB). Weil ein Verlust oder eine Beschädigung aus der Sphäre des HV resultiert, muss er darlegen, welchen Grund es hierfür gab. Kann er keinen Grund darlegen, der fehlende Fahrlässigkeit plausibel erscheinen lässt, ist diese zu Lasten des HV indiziert 420. Da die Kollektion nicht zum Verkauf vorgesehen ist, valutiert der Schaden nicht in Höhe ihres Verkaufswertes sondern in Höhe des Anschaffungs- oder Herstellungspreises 421.

80

i) Haftung des Unternehmers. Das Unterbleiben der Ausrüstung des HV mit den erforderlichen Unterlagen zur Aufnahme seiner HV-Tätigkeit kann diese in einem Grade unmöglich machen, dass der Unternehmer mit der Annahme der vom HV geschuldeten Dienste in Annahmeverzug gerät. Für dessen Dauer könnte der HV dann nach § 615 BGB die vereinbarte Vergütung verlangen 422. So lässt sich bei einem vertraglichen Fixum verfahren. Nicht so dagegen in Ansehung der Provision; hier bleibt eine analoge Anwendung des § 642 BGB mit der Folge, dass eine angemessene Vergütung zu zahlen ist. In der Pflicht, die Tätigkeit des HV durch Ausrüstung mit Unterlagen zu fördern, ist ja mindestens die in § 642 BGB vorausgesetzte Obliegenheit des Gläubigers (Unternehmers) auf Vornahme der zur Eröffnung der Tätigkeit des HV erforderlichen Mitwirkungshandlung enthalten. Ein Verschulden des Unternehmers ist nicht vorausgesetzt. Allerdings wird man es ablehnen müssen, den HV analog § 642 BGB auf die angemessene Entschädigung zu beschränken 423. Konkurrierend besteht ein verschuldensabhängiger Schadenersatzanspruch des HV nach § 280 BGB. Die fehlende oder verspätete Übergabe der Unterlagen 413

414 415 416 417

OLG München BB 1999, 2320; Thume BB 1995, 1913; Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 17; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86a Rn 5; Hopt Rn 6; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 6; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 2. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 17. OLG München NJW-RR 1999, 1194 (1195); Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 17. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 17. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 17.

456

418

419 420 421 422 423

OLG München, Urt. v. 03.03.1999 – 7 U 6158/98, NJW-RR 1999, 1194; Röhricht/ Graf v. Westphalen/Küstner § 86a Rn 4. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86a Rn 9. Ähnlich LG Darmstadt HVR Nr. 8; Küstner/ Thume I, Rn 618. LG Darmstadt HVR Nr. 8, Küstner/ Thume I, Rn 618. AA wohl Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 7. Küstner/Thume I, Rn 638.

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durch den Unternehmer soll aber ebenso wie deren Beschädigung keine abstrakten Schadenersatzansprüche des HV gem. § 280 BGB begründen 424. Wenngleich der HV gem. § 252 BGB lediglich die Wahrscheinlichkeit eines Schadens darlegen muss, hat er durch die fehlende Überlassung konkret entgangene Geschäfte nachzuweisen. Wendet der Unternehmer ein, er hätte diese Geschäfte nicht abgeschlossen, eine Einwendung, die ohnehin nur gegenüber einem Vermittlungsvertreter erheblich sein kann (der Abschlussvertreter schließt selbst ab) 425, so ist er für diesen atypischen Geschehensablauf darlegungs- und beweispflichtig 426. j) Beweislast. Jeder Berechtigte hat seine Berechtigung zu beweisen. Der HV muss 81 beweisen, dass es sich bei dem begehrten Material um Unterlagen i.S.d. § 86a handelt, er jene benötigt bzw. sie erforderlich sind. Ein auf Rückgabe der Unterlagen oder Schadenersatz wegen Nichtrückgabe klagender Unternehmer muss beweisen, welche Unterlagen er dem HV zur Verfügung gestellt hat 427, der HV Rückgabe oder Verbleib 428 bzw. die bestimmungsgemäße Verwendung, insbesondere, dass er bei Weitergabe der Unterlagen hierzu berechtigt war 429 und schließlich eine ordnungsgemäße Behandlung 430. Der auf Rücknahme in Anspruch genommene Unternehmer hat eine Erwerbsverpflichtung des HV und den Ausschluss seiner Rückerwerbspflicht zu beweisen 431. Verlangt der Unternehmer Bezahlung von Ware, die der HV als Musterkollektion erhalten haben will, hat der Unternehmer den Abschluss eines wirksamen Kaufvertrags beweisen 432. Will der Unternehmer Kosten für Büromittel vom HV erheben, hat der Unternehmer seine Berechtigung zu beweisen und damit insbesondere, dass es sich nicht um kostenfrei bereitzustellende produktunspezifische Unterlagen i.S.d. § 86a Abs. 1 handelt. Hinsichtlich der Kosten des Transports gilt: Der Unternehmer macht sich gem. § 280 82 BGB schadenersatzpflichtig, falls er die Unterlagen nicht an den Sitz des HV verbringt 433. Eine Ersatzpflicht des HV besteht auch nicht gem. § 670 BGB, da die Transportkosten keinen Ersatz von Aufwendungen darstellen, die im regelmäßigen Geschäftsbetrieb des HV entstehen. Für den Zustand der Sachen haftet der Unternehmer dem HV grundsätzlich gemäß §§ 618 Abs. 1, 3 BGB 434. 2. § 86a Abs. 2: Informationspflicht des Unternehmers. Die Informationspflichten 83 des Unternehmers korrespondieren mit denen des HV. Das Gesetz nennt zwei Hauptgruppen (Abs. 2 S. 2, 3) und begnügt sich im Übrigen mit einer Generalklausel (Abs. 2 S. 1): Gemäß § 86a Abs. 2 hat der Unternehmer dem HV die erforderlichen Nachrichten zu geben. Er hat ihm unverzüglich die Annahme oder Ablehnung eines vom HV vermittelten oder ohne Vertretungsmacht abgeschlossenen Geschäftes und die Nichtausführung eines von ihm vermittelten oder abgeschlossenen Geschäfts mitzuteilen. Er hat ihn ferner unverzüglich zu unterrichten, wenn er Geschäfte voraussichtlich nur in erheblich geringerem Umfange abschließen kann oder will, als der HV unter gewöhnlichen Umständen erwarten konnte.

424 425 426 427

428

Küstner/Thume I, Rn 636. Küstner/Thume I, Rn 637. AA wohl Küstner/Thume I, Rn 637. BGH, Urt. v. 05.02.1997 – VIII ZR 41/96, EBE 1997, 98 (99); Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 41; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 9. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 41; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 9.

429 430 431 432 433 434

Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 9. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 41. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 41. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 41. Küstner/Thume I, Rn 615. Hopt § 86a Rn 6.

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84

a) Allgemeines. § 86a Abs. 2 ist verwandt mit § 87c. Als Ausfluss der Treuepflicht 435 und im eigenen Interesse obliegt dem Unternehmer gem. § 86a Abs. 2 Satz 1 die Nachrichtspflicht. Die Grundnorm enthält § 86a Abs. 1 Satz 1. Sie wird in § 86a Abs. 2 Satz 2 für besonders offensichtliche und bedeutende Fälle, nämlich Annahme, Ablehnung oder lediglich Teilabschluss und voraussichtlich erheblich beschränkte Auftragsannahme, näher ausgestaltet 436. Das Gesetz hätte es aber bei der Grundregel belassen können. § 86a Abs. 2 lässt sich trotz seiner recht umständlichen Fassung auf einen kurzen 85 Kern reduzieren. Er behandelt vertragsbegleitende Informationspflichten, nicht anders als § 87c. Die Zusammenführung in einer Norm hätte nahe gelegen. Allerdings besteht im Normzweck ein Unterschied. Die im ersten Satz des § 86a Abs. 2 genannte Informationspflicht besteht auch im Interesse des Unternehmers, der naturgemäß an einem vollständig über die Marktlage informierten HV gelegen sein muss und die Nachrichtspflicht wird vom Unternehmer meist freiwillig erfüllt. Die Kontrollrechte des § 87c finden ihren Zweck hingegen ausschließlich im Interesse des HV. Mit Ausnahme der Abrechungspflicht des § 87c Abs. 1 werden die in § 87c genannten Informationsrechte meist erst geltend gemacht, wenn das Vertragsverhältnis bereits gestört ist, insbesondere nach Kündigung des Vertrages.

86

b) Allgemeine Informationspflicht. Durch die Generalklausel in Abs. 2 S. 1 ist der Unternehmer ganz allgemein verpflichtet, dem HV die „erforderlichen“ Nachrichten zu geben. Es handelt sich um einen Ausdruck der Förderpflicht des Unternehmers 437. Die Nachrichtspflicht betrifft etwa bevorstehende Änderungen des Herstellungsprogramms, erweiterte oder sonst verbesserte Liefermöglichkeiten, Teilnahme an Messen und Ausstellungen, Verleihung von Preisen und Auszeichnungen für die zu vertreibenden Produkte, kurz alles, was für den Tätigkeitserfolg des HV beim Kunden von Belang sein kann und von ihm deshalb vorausschauend in die Planung der Besuchstätigkeit einbezogen werden muss (Fälle Rn 92). Die Informationspflicht betrifft lediglich das Innenverhältnis zwischen HV und Unternehmer 438 und ist von den Erklärungen des Unternehmers gegenüber dem vom HGB als „Dritten“ bezeichneten Kunden zu separieren 439, die ggf. auch dem HV gegenüber aus der Treupflicht geschuldet sein mögen. Eine Erklärung gegenüber dem einen ersetzt nicht die an den anderen zu übermittelnde 440. Die Informationspflicht schränkt die Dispositionspflicht nicht ein sondern setzt sie voraus 441.

87

c) Zweck. Die Informationspflicht soll den HV in die Lage versetzen, möglichst erfolgreich seiner Tätigkeit nachgehen zu können 442 und ihm Gelegenheit geben, auf vorhersehbare Veränderungen rechtzeitig reagieren zu können 443, seine Dispositionen für die Zukunft zu treffen 444 und ihn vor nutzlosem Aufwand für eine nicht mehr aussichts435

436 437 438 439

Siehe zu der aus der Treupflicht hergeleiteten Informationspflicht etwa BGH, Urt. v. 11.12.2006 – II ZR 166/05, ZIP 2007, 268 (zum GmbH-Recht). Hopt § 86a Rn 7. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 19. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 34; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 13. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 34; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 24.

458

440

441 442 443 444

Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 34; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86a Rn 9; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 24. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 16. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 390. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 390. BGHZ 26, 161; BGH NJW-RR 1987, 873; Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 23; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 14b.

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reiche Vermittlungstätigkeit bewahren 445. Damit liegt die Informationserteilung auch im Interesse des an erfolgreichem Vertrieb interessierten Unternehmers. Schließlich dient die Information dazu, den HV über die Höhe seiner Provisionsansprüche aufzuklären 446. Die Vorschrift ergänzt insoweit § 87c. Das BDSG steht nicht entgegen: Die Übermittlung kundenbezogener Daten von einem Unternehmer an seine HV bedarf als Auftragsdatenverwaltung i.S.d. § 11 BDSG keiner weiteren Einwilligung der Kunden 447. Gleiches gilt für das Bankengeheimnis: Die Erteilung gesetzlich geschuldeter Auskünfte an einen von ihr beauftragten HV durch eine Bank stellt keinen Verstoß gegen Artikel 47 des Schweizerischen Bankengesetzes dar 448. d) Zeitlicher Umfang und Fälligkeit. Die Informationspflicht besteht vertragsbeglei- 88 tend. Damit die Information den HV so rechtzeitig erreicht, dass er sein Handeln entsprechend einrichten und die Information sachgerecht verwerten kann 449 ist die Informationserteilung fällig, sobald ein objektiver HV Informationen erwarten darf. Obwohl das Gesetz bei der Informationspflicht nicht ausdrücklich sagt, dass der Unternehmer die erforderlichen Nachrichten unverzüglich zu geben hat, folgt dies aus dem Begriff der erforderlichen Maßnahmen und dem Zweck der Regelung, derzufolge die Nachrichten zeitlich so gegeben werden müssen, dass der HV sie rechtzeitig auswerten kann 450. Im Zweifel besteht die Pflicht zur Information also unverzüglich 451 (die Unverzüglichkeit der S. 2 und 3 ist Ausdruck eines auch für S. 1 geltenden Grundsatzes); es ist so frühzeitig wie objektiv möglich und zumutbar zu informieren 452, es sei denn, es besteht ausnahmsweise (Beweislast beim Unternehmer) ein objektiv berechtigtes Interesse an einer vorläufigen Geheimhaltung 453 – etwa um den Versuch einer Sanierung nicht zu gefährden 454. Es kann – je nach Sachverhalt – erforderlich sein, Planungen mitzuteilen oder Zwischennachrichten 455 zu geben und nicht erst den endgültigen Beschluss, diesen aber zumindest 456, wobei außer im Fall überwiegender Schutzpflichten keine Pflicht des Unternehmers besteht, die Entscheidungen hinsichtlich der die Informationspflicht auslösenden Umstände unverzüglich zu treffen 457. Der Unternehmer schuldet die Information unaufgefordert 458. Auf Anfrage hat er darüberhinaus das objektiv Erforderliche mitzuteilen 459. Das gilt gerade, wenn die Auskunft über Dispositionen des Unternehmers erteilt wird, die in Rechte des HV eingreift (siehe oben). Die vorstehenden Grundregeln gelten im Zweifel für jede Informationspflicht. Zur vor- und nachvertraglichen Informationspflicht oben, Rn 67.

445 446 447 448 449

450 451

Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 23. AA Westphal Vertriebsrecht I, Rn 390. Evers/Kiene NJW 2003, 2726 (2728). OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.09.2006 – 1 U 34/06, WM 2007, 351. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 32; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86a Rn 7; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 30; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 18. Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 10. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 32; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86a Rn 10; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 23.

452 453 454

455

456 457 458 459

Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 26. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 32. BGH NJW 1974, 795; Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 26; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86a Rn 14; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 32. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 32; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86a Rn 10; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 23. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 26. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 32. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 390. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 390.

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e) Sachlicher Umfang der Informationspflicht. Zu übermitteln sind die erforderlichen Nachrichten. Der Begriff der erforderlichen Nachricht ist weit auszulegen 460. Alle Informationen sind zu erteilen, die der HV objektiv 461 benötigt, um seiner Tätigkeit optimal nachgehen 462, die Tätigkeit für den Unternehmer fördern 463 und sich selbst schützen zu können. Dazu zählen sämtliche Informationen, die benötigt werden, um das Produkt vertreiben zu können und damit alles, was der HV wissen muss, um Fragen von Interessenten sachgerecht und sachkundig beantworten zu können 464. Die Unterrichtungspflicht greift nicht erst bei wesentlichen Änderungen mit erheblicher Bedeutung ein, sondern betrifft alle Informationen, die den HV interessieren müssen, insbesondere Änderungen, bei denen objektiv eine Nachricht erwartet werden darf 465. Damit sind auch solche Informationen mitzuteilen, die sich lediglich auf die Vertriebstätigkeit des HV günstig auswirken und damit den Absatz fördern können 466. Die Information durch den Unternehmer ist insbesondere erforderlich, falls der HV um eine Gegenäußerung oder um Stellungnahme gebeten hat 467. Nur wenn der HV im weiten Umfang informiert ist, kann er auch Vermittlungserfolge erzielen. Ist der HV im Bilde, etwa weil er die Nachricht bereits von dritter Seite erhalten hat, oder ist sie allgemein bekannt 468, muss der Unternehmer kein weiteres Mal informieren, es sei denn, die Bestärkung erhöht die Glaubwürdigkeit der Nachricht. Allgemeiner Geschäftsrückgang in der gesamten Branche, Produktionsausfälle beim Unternehmer durch Brand, Streik, Konkurs eines Zulieferbetriebes: sind diese Tatsachen dem HV bekannt, brauchen sie nicht erst mitgeteilt zu werden. Mitteilungspflichtig ist alsdann allenfalls der Umfang und die voraussichtliche Dauer der Absatzbehinderung. Kennenmüssen oder die Möglichkeit der Kenntniserlangung beim HV reichen nicht. Im Zweifel hat der Unternehmer zu informieren 469. Informationen, um die sich der HV selbst kümmern muss hat der Unternehmer nicht zu erteilen 470, es sei denn, er erkennt, dass sie dem HV entgangen sind. Ist ausnahmsweise ein Interesse des Unternehmers anzuerkennen, derzeit keine Informationen zu geben, sind die Interessen des HV und des Unternehmers gegeneinander abzuwägen 471, wobei angesichts der besonderen Hervorhebung der Informationspflicht im Gesetz dem Informationsinteresse des HV regelmäßig leichter Vorrang zukommen dürfte. So kann auch im Lichte und in Wechselwirkung mit der dem HV obliegenden Verschwiegenheitspflicht nach § 90 472 ein Interesse des Unternehmers bestehen, geheimhaltungsbedürftige Einzelheiten zur Produktentwicklung 473 oder Vertriebsstrategie 474 nicht mitzuteilen. Die Unter460 461 462

463 464 465

466

Küstner/Thume I, Rn 641; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86a Rn 10. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 19; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 11. Küstner/Thume I, Rn 640; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 394; Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 19; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 10; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 10; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 1. Hopt § 86a Rn 8. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 19. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 23; aA MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 35. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 19; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86a Rn 7; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 11 f.

460

467 468

469

470 471

472 473 474

Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 11. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 35; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 31. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 35; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86a Rn 16; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 31. Hopt § 86a Rn 8. BGH NJW 1974, 795; Küstner/Thume I, Rn 642; Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 35; Hopt § 86a Rn 8; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 12. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 35. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 35; Hopt § 86a Rn 9. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 35; Hopt § 86a Rn 9.

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richtungspflicht entsteht in einem solchen Fall, sobald und soweit die Geheimhaltung gegenüber dem HV nicht mehr erforderlich ist 475. Eine gegenüber Dritten übernommene vertragliche Geheimhaltungspflicht kann den Unternehmer von seiner Informationspflicht grundsätzlich nicht dispensieren. Dagegen spricht der zwingende Charakter der Informationspflicht und der Umstand, dass wegen des Verbots von Verträgen zu Lasten Dritter vertragliche Pflichten nicht von Abreden mit Dritten abhängen können. Ein Geheimhaltungsversprechen mag aber im Rahmen der Interessensabwägung ein maßgeblicher Gesichtspunkt sein. Eine Willenserklärung, insbes. gegenüber Dritten, etwa Kunden, gibt der Unterneh- 90 mer mit der Information nicht ab 476. Jedoch kann u.U. ein widersprüchliches Verhalten des Unternehmers vorliegen, welches eine Bindung des Unternehmers an die gegebene Information herbeiführt. Vielen Fällen, die im Zusammenhang mit der Informationspflicht behandelt werden, 91 liegen Sachverhalte zugrunde, in denen die vom Unternehmer geplante Maßnahmen unzulässig war und nicht von seinem Dispositionsrecht gedeckt war (s.o., Rn 42 ff). Der Unternehmer durfte sie also ohne (Änderungs-)Kündigung nicht umsetzen und sich nicht auf eine bloße Information beschränken. Die Umsetzung der Maßnahme war dann eine Vertragsverletzung. Über folgende Umstände ist eine Informationspflicht des Unternehmers angenommen 92 worden: • potentielle neue Kunden 477; • Lage und Entwicklung des Marktes 478; • Maßnahmen, die Ausfluss des Dispositionsrechts des Unternehmers sind, soweit Interessen des Vertreters berührt werden; • Fehlentscheidungen des HV: Der Unternehmer muss den HV auf für ihn vorhersehbare Fehlentscheidungen und -investitionen hinweisen 479; • Fertigungssituation 480; • seinen Geschäftsbetrieb, wirtschaftliche Verflechtungen, Leistungs- und Lieferfähigkeit 481; • Kapazitätsauslastung 482; • beabsichtigte Änderungen oder Verbesserungen der Produkte 483 oder Preise und der Lieferbedingungen 484; • Einschränkungen der Verkaufsmöglichkeiten 485: In dem vom BGH 486 entschiedenen Fall hatte der Unternehmer sich entschlossen, fast nur noch einen Großunternehmer zu beliefern, so dass im nächsten Jahr fast 90 % des Gesamtumsatzes mit diesem Abnehmer abgewickelt worden wären, wodurch die Provisionseinnahmen um 75 %

475 476 477 478 479

480 481

Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 35. Küstner/Thume I, Rn 654. Küstner/Thume I, Rn 640. Hopt § 86a Rn 8. BAG, Urt. v. 24.04.1980 – 3 AZR 911/77, ZIP 1980, 777 für Franchisegeber; Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 31; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86a Rn 19. Küstner/Thume I, Rn 640. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 19.

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Küstner/Thume I, Rn 640. BGHZ 26, 161 (167); BGH, Urt. v. 12.12.1957 – II ZR 52/56, BB 1958, 60; Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 19, 23; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 11a. Küstner/Thume I, Rn 640, 648. BGHZ 49, 39 = NJW 1968, 394; Küstner/ Thume I, Rn 644. BGHZ 49, 39 = NJW 1968, 394; Küstner/ Thume I, Rn 644.

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reduziert worden wären. In dem BGH, NJW-RR 1987, 873 487 zugrunde liegenden Fall hatte sich der Unternehmer entschlossen, mit Abnehmern im Gebiet des HV keine Geschäfte mehr zu schließen. Der BGH forderte in beiden Fällen eine angemessene Informationszeit. Richtigerweise musste der Unternehmer hier nicht nur informieren, sondern eine Änderungskündigung aussprechen 488. Zumindest darf er die Maßnahme erst nach Ablauf einer der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden Ankündigungsfrist umsetzen 489. Das Unterlassen der Kündigung oder der Information begründet eine Schadenersatzverpflichtung; • Betriebsstilllegung 490, sofern es sich um die Stilllegung wesentlicher Teile handelt 491: Der Unternehmer muss den HV unverzüglich nach Beschlussfassung 492 und in jedem Fall eine angemessene Zeit vor der Betriebsstillegung unterrichten und ggf. kündigen, damit der HV sich rechtzeitig um eine Folgebeschäftigung bemühen kann. Die Pflicht zur unverzüglichen Information entfällt nicht, wenn der Unternehmer beabsichtigt, den HV-Vertrag nach der Betriebseinstellung ordnungsgemäß zu kündigen 493. Hinsichtlich des Zeitpunktes der Unterrichtung sind die Unternehmerinteressen an der Geheimhaltung der Stillegungsabsicht mit den Interessen des HV an einer möglichst frühzeitigen und vollständigen Unterrichtung abzuwägen. Besteht ausnahmsweise ein objektiv berechtigtes Interesse an einer vorläufigen Geheimhaltung, z.B. um den Versuch einer Sanierung nicht zu gefährden 494, ist zu informieren, sobald die Gründe wegfallen, die Geheimhaltung gebieten. In der Sache handelt es sich bei der „Information“ regelmäßig um eine Kündigungserklärung, so dass die Umsetzung der Maßnahme nur nach einer mit Kündigungsfrist erklärten Kündigung, zumindest aber nach einer der Kündigungsfrist entsprechenden Informationsfrist zulässig ist 495. • Betriebsübertragung 496: Hier gilt das zur Betriebsstilllegung Gesagte entsprechend: Der Unternehmer muss den HV möglichst früh über eine (beabsichtigte) Übertragung des Unternehmens informieren, ungeachtet der rechtstechnischen Ausgestaltung der Veräußerung (etwa Verkauf, Verpachtung). Auch an einer Information über die Veränderung des Gesellschafterbestandes kann der HV ein Informationsinteresse besitzen. Der HV braucht sich im Rahmen eines Asset-Deals keinen anderen Vertragspartner aufdrängen zu lassen; der HV-Vertrag geht nicht ohne weiteres auf den Nachfolger über und die Übertragung ohne Zustimmung des HV ist daher nicht möglich 497 (§ 84 Rn 80). Unternehmer und Betriebserwerber können auch nicht mit Wirkung gegenüber dem HV einen Übergang des Vertrages vereinbaren 498 Der Unternehmer muss ggf. rechtzeitig kündigen, mit der Folge der Ausgleichspflicht nach § 89b; 487 488 489 490

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= MDR 1987, 642 = WM 1987, 595. BAG EWiR 2003, 203 (Diller) für einen angestellten Vermittler. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 26. BGH NJW 1974, 795 = BB 1974, 434; Küstner/Thume I, Rn 645; Westphal I, Rn 395. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 26; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 34. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 26; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 32. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 26. BGH NJW 1974, 795; Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 26; Heymann/Sonnenschein/Weite-

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meyer § 86a Rn 14; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 32. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 26. BGH NJW 1974, 795; BGH NJW-RR 1987, 873; BGH NJW 1960, 1292 = BB 1960, 606; Küstner/Thume I, Rn 646; Ebenroth/ Löwisch § 86a Rn 26; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86a Rn 14; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 32 f, Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 11c. BGH NJW 1960, 1292 = BB 1960, 606; Küstner/Thume I, Rn 646; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 33. BGH NJW 1963, 100 (101); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 33.

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• die Einstellung der Geschäfte mit bestimmten Einzelkunden im Bezirk/Gebiet des HV 499; • produktspezifische Informationen, z.B. die vollständige und zutreffende Unterrichtung über die vertriebene Ware, technische Zusammensetzung, Einsatzmöglichkeiten, Preis(änderungen) 500 und Lieferbedingungen, Auszeichnungen oder Prämierungen, ihr praktischer Einsatz, günstige Besprechungen in Veröffentlichungen, erfolgreiche Teilnahme an Messen und Ausstellungen 501; • qualitative und quantitative Minderlieferungen: Der Unternehmer darf dem HV nicht durch unerwartete geschäftliche Dispositionen den Erfolg seiner Arbeit nehmen. Der HV soll angesichts veränderter Dispositionen des Unternehmers wissen, wie sich seine Verdienstmöglichkeiten zukünftig gestalten werden. Dies gilt nicht nur, sofern der Unternehmer quantitative Einschränkungen durchführen will (§ 86a Abs. 2 Satz 2), sondern auch dann, wenn er erkennt, dass er nur mit erheblichen qualitativen Einschränkungen liefern kann oder will 502; • die Gründe für die Annahme/Ablehnung/Nichtausführung eines Geschäftes 503. Der HV muss wissen, warum das Geschäft nicht ausgeführt wurde, weil die Gründe für den Umfang seiner Vertriebsbemühungen erheblich sein können. Erfährt er etwa, dass der Kunde Liquiditätsprobleme hat, kann er möglicherweise weitere Vermittlungsbemühungen einstellen 504 und zudem auf Zahlung drängen. Beruht die Nichtausführung auf Lieferschwierigkeiten des Unternehmers, mag der HV den Kunden für ein anderes Produkt interessieren 505; • mit welchen Kunden der Unternehmer nicht bereit ist, Geschäfte abzuschließen 506. Grund ist gleichfalls der Schutz vor sinnlosen Aquisebemühungen; • eine vorgesehene Sortimentsänderung 507 oder Änderung des Warenvorrats 508; • eingeschränkte Liefermöglichkeiten 509; • die Umstellung des Vertriebssystems auf andere Vertriebsformen 510; • drohende Zahlungsunfähigkeit mit Gefahr von Vergleich und Insolvenz 511. Dem HV ist es unzumutbar, Geschäfte für einen Unternehmer zu vermitteln oder abzuschließen, die dieser möglicherweise nicht ausführen kann. Hier steht nicht nur das Provisionsinteresse des HV auf dem Spiel sondern das Geschäftsinteresse, seinen Kundenstamm durch ordnungsgemäße Lieferung zufriedenzustellen und nicht zu verlieren 512. Hingegen ist der Unternehmer nicht verpflichtet, dem HV vorsorglich über eine allgemeine wirtschaftlich schwierige Lage des Unternehmens Kenntnis zu geben, sofern sie sich noch nicht zu konkreten, den HV oder Kunden berührenden Maßnahmen oder Wirkungen materialisiert hat, nur weil nicht auszuschließen ist, dass sie zu einem 499

500 501 502 503 504

BGHZ 49, 39; BGH, Urt. v. 07.02.1974 – VII ZR 93/73, NJW 1974, 795; BGH, Urt. v. 22.01.1987 – I ZR 126/85, NJW-RR 1987, 873; Küstner/Thume I, Rn 647; Ebenroth/ Löwisch § 86a Rn 23; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 35 f; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 11a. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 19, 23. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 19. BGHZ 26, 161 = NJW 1958, 219; Küstner/ Thume I, Rn 648. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 392. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 392.

505 506 507 508 509 510 511

512

Westphal Vertriebsrecht I, Rn 392. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 394; Hopt § 86a Rn 8. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 394. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 23; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 11a. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 394. BGH DB 1968, 35; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 395. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 26; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86a Rn 14; teilw. aA BGH BB 1960, 605 (606). Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 26.

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unbestimmten Zeitpunkt zu einem Insolvenzverfahren führen könnte 513. Klare Fragen nach der wirtschaftlichen Lage seines Betriebs hat der Unternehmer aber wahrheitsgemäß zu beantworten 514; • in Aussicht genommene Veränderungen des HV-Vertrages 515, insbesondere ob eine Verlängerung des mit fester Befristung abgeschlossenen Vertrages 516 oder eine Kündigung 517 (nicht) beabsichtigt ist und – soweit wirksam – über die vorgesehene Ausübung eines dem Unternehmer vorbehaltenen Rechts zu einseitiger Änderung der Vertragsbedingungen, etwa hinsichtlich Provisionssatz, Kundenkreis oder Vertretungsgebiet. Der HV ist über diese Umstände so zeitnah zu unterrichten, dass er sich auf die veränderte Situation einstellen und Konsequenzen, z.B. durch Kündigung, ziehen kann 518. Die Ankündigungsfrist wird man – sofern die Umstände bekannt sind – mit der Kündigungsfrist, wie sie sonst zu gelten hätte, gleichzusetzen haben, die regelmäßig ausreicht 519. Hat der Unternehmer frühere Kenntnis, muss er rechtzeitig informieren, es sei denn, er überlegt noch (Gegenbeweis kaum möglich) oder hat schutzwürdige Interessen an einer späteren Information, etwa weil er objektiv nachlassende Tätigkeiten des HV oder Geheimnisverrat befürchten muss. § 86a Abs. 2 Sätze 2, 3 heben drei Beispiele der Informationspflicht hervor. Der 93 Unternehmer hat den HV unverzüglich – aber im Nachhinein – über seine wegen der Annahme oder Ablehnung eines vermittelten Geschäfts getroffene Entschließung zu unterrichten, ebenso über die Nichtausführung eines von ihm vermittelten oder abgeschlossenen Geschäfts. Er hat ihn weiter unverzüglich – zuvor – zu unterrichten, wenn er Geschäfte voraussichtlich in erheblich geringerem Umfang abschließen kann oder will, als der HV unter gewöhnlichen Umständen erwarten könnte. Sämtliche Mitteilungen sind zu begründen 520. Anderenfalls würden dem HV die 94 Informationen vorenthalten, derer er für die Beurteilung seiner zu erwartenden Provisionsansprüche bedarf 521.

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f) Vertragliche Erweiterung der Informationspflichten. Der Unternehmer darf sich verpflichten, Informationen zu erteilen, die über das „Erforderliche“ hinausgehen. Abs. 3 steht nicht entgegen.

96

3. Mitteilung der Annahme oder Ablehnung eines Geschäfts (§ 86a Abs. 2 Satz 2, 1. Hs). Der Unternehmer muss dem HV gemäß § 86a Abs. 2 Satz 2 Hs. 1 unverzüglich (ohne schuldhaftes Zögern, § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) die Annahme oder Ablehnung eines vom HV vermittelten oder ohne Vertretungsmacht geschlossenen Geschäftes mitteilen. Die Regelung ist mit S. 2 Hs. 2 verwandt. Die dortigen Ausführungen gelten entsprechend.

513

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BGH DB 1960, 636 (637); Ebenroth/ Löwisch § 86a Rn 26; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 13. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 26; Hopt Rn 12. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 22. BGH DB 1960, 636 (637) = BB 1960, 605 (606); Westphal Vertriebsrecht I, Rn 395; Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 22; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a

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517 518 519 520 521

Rn 14; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 11b. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 14. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 22. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 14. Küstner/Thume I, Rn 657. Küstner/Thume I, Rn 657.

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a) Aktivlegitimation. Der Wortlaut der Vorschrift fordert ein vom HV vermitteltes 97 oder vollmachtlos abgeschlossenes Geschäft. Es muss also ein Geschäft vorliegen, bei dem der HV zumindest eine Vermittlungs- oder weitergehend eine Abschlusstätigkeit (diese jedoch ohne Vollmacht) entfaltet hat 522. „Ohne Vertretungsmacht“ meint neben dem Vermittlungs- auch den Abschlussvertreter, der bei Abschluss des Geschäfts seine Vollmacht überschritten hat (§ 91a Abs. 2) 523; ebenso den Untervertreter, dem die Untervollmacht für den Abschluss fehlte. Die Vorschrift bezieht sich damit auf den Vermittlungsvertreter, nie jedoch auf den bevollmächtigten Abschlussvertreter. Dieser bedarf der Unterrichtung bei Existenz einer Vollmacht nicht, weil er selbst den Abschluss infolge seiner Vollmacht verhindlich tätigt 524. Dem Bezirksvertreter sind die Informationen nach § 86a Abs. 2 ebenfalls nur über von ihm vermittelte oder abgeschlossene Geschäfte zu geben, nicht aber zu solchen, die ohne seine Mitwirkung mit Personen seines Bezirkes oder seines Kundenkreises abgeschlossen wurden (§ 87 Abs. 2) 525. Auch dies folgt aus dem Wortlaut: Denn § 86 Abs. 2 Satz 2 nennt nur die Mitteilung über „vermittelte oder abgeschlossene Geschäfte“, nicht über Bezirksgeschäfte, die ohne Mitwirkung des Bezirksvertreters zustande kommen. Auch der Zweck, den HV vor sinnloser Arbeit zu schützen, spricht für dieses Verständnis. Über Bezirks- und Folgegeschäfte kann sich der HV – dann auf Anforderung – gem. § 87c informieren. Bei besonderer Bedeutung folgt jedoch eine Pflicht zur unaufgeforderten Information aus § 86a Abs. 2 S. 1. Eine Gegenansicht ließe sich nur einnehmen, wenn man den Zweck, den HV über die Geschäftspolitik des Unternehmers zu informieren, in den Vordergrund rückt, den Worten „vermittelte oder abgeschlossene Geschäfte“ nur beispielhaften Charakter zumisst 526 oder in ihnen keinen Gegensatz zum Bezirksvertreter („ohne seine Mitwirkung“) erkennt, sondern sie als auf die generelle Vermittlungs- oder Abschlusspflicht bezogen ansieht, die in § 86 Abs. 1 auch für den Bezirksvertreter vorgeschrieben ist. Gleiches gilt für Folgeprovisionen, sofern die ihnen zugrunde liegenden Geschäfte ohne Mitwirkung des HV zustandekamen. Wird vertraglich die Informationspflicht des Unternehmers auf Bezirksgeschäfte ausgedehnt, bestehen hiergegen im Lichte des § 86a Abs. 3 keine Bedenken, weil es sich nicht um eine abweichende Vereinbarung, sondern um eine Ausdehnung der Informationspflicht auf vom Gesetz nicht erfasste Fälle handelt 527. b) Zweck. Die Mitteilungspflicht besteht, da dem HV ein Provisionsanspruch für 98 abgeschlossene Geschäfte zusteht. Er muss wissen, ob seine Vermittlungstätigkeit zur Provisionspflicht geführt hat. Der HV ist ferner auf die Information angewiesen, weil er einen Überblick darüber gewinnen soll, nicht nur, ob seine Vermittlungsbemühungen Erfolg gehabt haben (beim Unternehmer „angekommen“ sind) und ggf. aus welchen Gründen nicht, sondern auch, auf welche Kunden er (namentlich im Falle wiederholter Ablehnung) seine Bemühungen künftig nicht mehr oder nur noch in zweiter Linie zu richten hätte und (im Falle einer nur teilweisen Annahme), zu wann ein vorzeitiger neuer Kontakt mit den betreffenden Kunden geplant werden muss. Er soll also vor sinnlosem Arbeitseinsatz geschützt werden 528 und sich auf die Kundenpolitik des Unternehmers einstellen können. 522 523 524 525

MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 19. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 20. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 24. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 24; aA Küstner/Thume I, Rn 658; Westphal Vertriebs-

526 527 528

recht I, Rn 399; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86a Rn 11 (unklar aber Rn 14). AA 4. Aufl., § 86 Rn 6. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86a Rn 14. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 24.

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Die Mitteilung nach Absatz 2 berührt nur das Innenverhältnis zwischen dem Unternehmer und dem HV. Nur gegenüber dem HV und nicht gegenüber dem Kunden ist der Unternehmer zur Mitteilung verpflichtet 529. Die Benachrichtigung des HV bringt weder das Geschäft mit dem Kunden zustande, noch schließt sie einen Geschäftsabschluss mit dem Dritten aus 530. Das Geschäft wird grundsätzlich erst wirksam durch die Einigung zwischen Unternehmer und Dritten 531. Jedoch kann im Falle des vollmachtlosen Abschlusses in der Mitteilung eine Genehmigung nach § 177 BGB liegen. Eine derartige Genehmigung darf nicht nur gegenüber dem Dritten, sondern auch gegenüber dem HV erklärt werden 532. Der Regelung soll sich entnehmen lassen, dass der Unternehmer, sofern nichts Gegen100 teiliges vereinbart ist, frei bestimmen darf, ob er das einzelne vom HV vermittelte Geschäft abschließen will 533. Einen Anspruch hierauf habe der HV nicht 534, selbst wenn er das Geschäft wegen eines Wettbewerbsverbots nicht einem anderen Unternehmer antragen dürfe. Dem ist innerhalb der o.g. Grenzen des Dispositionsrechts zuzustimmen. Der Unternehmer ist also nicht gänzlich frei sondern muss auch das Interesse seines Mittlers im Auge behalten. Er darf nicht durch beständige Nichtannahme einzelner Geschäfte die Wirkungen einer Kündigung ohne Frist vorwegnehmen, was zeigt, dass der Sachverhalt im Kleinen – dem einzelnen Geschäft – nicht abweichend vom Großen – der Produktionseinstellung (Rn 57) – gewertet werden darf. Beachtliche Gründe für eine Ablehnung des Geschäfts können Überlastung des Betriebs, Materialknappheit, beabsichtigter Produktionswechsel oder Zweifel des Unternehmers hinsichtlich der Person des Kunden sein 535.

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c) Inhalt. Die Mitteilung muss dem HV die Auswirkungen auf sein Provisionsrecht erkennen lassen und das betroffene Geschäft namentlich bezeichnen. Jedes einzelne vermittelte und nicht ausgeführte Geschäft ist mitzuteilen 536. Soweit eine Begründung erwartet werden kann, ist sie zu liefern, etwa falls die Gründe der Ablehnung provisionsoder schadensersatzrelevant sind. Da der Unternehmer grundsätzlich frei über Annahme oder Nichtannahme eines Geschäfts entscheidet und ohne Annahme keine Provision entsteht, fehlt im Regelfall objektiv eine Provisionsrelevanz der Entscheidung. Der HV muss aber kontrollieren können, ob der Unternehmer sein Dispositionsrecht überschreitet und das Geschäft willkürlich (dann mit der Folge eines Schadenersatzanspruchs des HV) ablehnt. Deshalb muss zumindest bei Anhaltspunkten für eine solche Willkür und bei begründeter Nachfrage eine Begründung gegeben werden 537. Sie kann auch gefordert werden, wenn der HV aus vertriebspolitischen Gründen wissen sollte, warum abgelehnt wurde, z.B. um sich bei zukünftigen Vertriebsaktivitäten auf die Annahmepraxis des Unternehmers einstellen oder Stornierungen anderer Verträge verhindern zu können. 529 530 531 532 533

MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 24. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 24. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 25. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 25. BGH NJW 1958, 1138 (1139); BGH, Urt. v. 17.10.1960 – VII ZR 216/59, BB 1960, 1222; Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 5; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 70 bis 70b.

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Hopt § 87 Rn 8; Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 5; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 86a Rn 16. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 5; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 18. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 24. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 24; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86a Rn 9; Hopt § 86a Rn 10; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 22.

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Auch die lediglich teilweise Ausführung des Geschäftes ist mitzuteilen 538. Über 102 Geschäfte, die nach Vertragsbeendigung abgeschlossen werden, muss gleichfalls informiert werden. Denn sie können gemäß § 87 Abs. 3 provisionspflichtig sein 539. Erfolgt der Abschluss durch den HV ohne Vollmacht, ist Annahme oder Ablehnung 103 eines Geschäfts, das dieser Vertreter ohne Vertretungsmacht abgeschlossen hat, ebenfalls mitzuteilen 540. Die Benachrichtigungspflicht entsteht unabhängig davon, durch wen der Unternehmer Kenntnis von dem vermittelten oder vollmachtlos abgeschlossenen Geschäft erhalten hat 541. Hier dürfte keine Begründung erforderlich sein. Es genügt, dass der Unternehmer ohne Vertretungsmacht gezeichnete Geschäfte nicht genehmigen will. Das zielt auf § 91a Abs. 1. Der HV soll hier über die Beendigung des Schwebezustandes vergewissert werden, vor allem dann, wenn er dem Unternehmer die Mitteilung nach § 91a Abs. 1 gemacht hatte. Er muss sich im Falle der Ablehnung auf die Inanspruchnahme durch den Kunden nach § 179 BGB einstellen können 542. Regelmäßig stellt die Mitteilung über die Annahme des Geschäfts zugleich dessen Genehmigung gem. § 177 Abs. 1 BGB dar, da die Genehmigung bis zur Aufforderung nach § 177 Abs. 2 BGB auch gegenüber dem HV erklärt werden darf 543. Will der Unternehmer lediglich eine Information im Innenverhältnis gegenüber dem HV geben, muss er dies unmissverständlich deutlich machen. Die Verweigerung der Genehmigung hat dagegen lediglich Wirkung im Innenverhältnis zum HV, da sie gem. § 91a wirksam nur gegenüber dem Dritten ausgesprochen werden kann 544. d) Zeitpunkt der Information. Die Mitteilungspflicht besteht nur dann, wenn der 104 Unternehmer von der Geschäftsvermittlung oder dem ohne Vertretungsmacht erfolgten Abschluss Kenntnis erlangt hat, ungeachtet davon, von wem er diese Kenntnis erhalten hat 545. Vollständige Kenntnis ist nicht erforderlich. Es genügt Kenntnis über die wesentlichen Grundzüge des Geschäfts 546. Die Mitteilung ist dann unverzüglich, d.h. auch hier ohne schuldhaftes Zögern, zu geben. Diese Pflicht zur „unverzüglichen“ Unterrichtung schließt ein, dass dem HV eine Zwischennachricht zu geben ist, falls der Unternehmer sich nicht zu der alsbaldigen Annahme der Offerte des Kunden (§ 147 Abs. 2 BGB) entschließen kann, etwa weil noch Kreditauskünfte über den Kunden einzuholen sind. Denn auch hierüber muss der HV vergewissert werden. Er muss sich gegebenenfalls persönlich einschalten können, um Hemmnisse auszuräumen, Verärgerungen des Kunden im persönlichen Gespräch abzufangen oder um zu sehen, wo er in vergleichbaren, vielleicht schon laufenden Fällen von Geschäftsanbahnungen genauere und den Vorstellungen des Unternehmers entsprechendere Nachforschungen anzusetzen hat. 4. Mitteilung der Nichtausführung abgeschlossener Geschäfte (§ 86a Abs. 2 Satz 2, 105 2. Hs). Gemäß § 86 Abs. 2 Satz 2 hat der Unternehmer die – auch teilweise 547 – Nichtausführung eines von ihm vermittelten und abgeschlossenen Geschäfts mitzuteilen. Zu Zweck, Inhalt und Rechtzeitigkeit der Information gilt im Wesentlichen das Vorgesagte entsprechend. 538

539 540 541

Westphal Vertriebsrecht I, Rn 398; Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 24; Hopt § 86a Rn 10; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 86a Rn 22. Küstner/Thume I, Rn 652. Küstner/Thume I, Rn 653. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 24; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 12.

542 543 544 545 546 547

MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 20. Küstner/Thume I, Rn 655. Küstner/Thume I, Rn 655. Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 12. Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 12. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86a Rn 13.

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a) Zweck. Die Mitteilungspflicht über die Nichtausführung eines vermittelten oder abgeschlossenen Geschäfts ist durch das Durchführungsgesetz zur HV-Richtlinie in § 86a aufgenommen worden. Auch hier soll der HV vor sinnloser Tätigkeit geschützt werden sowie möglichst frühzeitig Klarheit gewinnen, ob er aus einem provisionspflichtigen Geschäft mit Provisionen rechnen darf 548. Denn § 87a Abs. 3 S. 2 lässt den Provisionsanspruch entfallen, wenn die Nichtausführung auf Umständen beruht, die der Unternehmer nicht zu vertreten hat.

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b) Inhalt. Die Vorschrift betrifft bereits zustande gekommene Geschäfte, deren vertragsgemäßer Ausführung Hindernisse entgegenstehen, während § 86a Abs. 2 Satz 2, 1. Hs lediglich die Annahme oder Ablehnung eines vom HV vermittelten oder ohne Vertretungsmacht abgeschlossenen Geschäfts meint 549, welches noch nicht zustande gekommen ist. Der Begriff der Nichtausführung ist zum Schutze des HV weit zu fassen 550. Hilfsweise wäre das allgemeine Informationsrecht einschlägig. Mitteilungspflichtig sind die vollständige wie die teilweise Nichtausführung 551, wobei jedes einzelne nicht ausgeführte Geschäft namentlich zu bezeichnen ist 552. Auch ist der Grund der Nichtausführung anzugeben 553, weil anderenfalls nicht kontrolliert werden könnte, ob eine vom Unternehmer nicht zu vertretende und zum Entfallen des Provisionsrechts führende Nichtausführung i.S.d. § 87a Abs. 3 S. 2 vorliegt. Die Benachrichtigungspflicht entsteht unabhängig davon, durch wen der Unternehmer Kenntnis von der Nichtausführung erhalten hat 554. Auch hier sind dem HV auf Verlangen die Gründe der Nichtausführung mitzuteilen, damit der HV prüfen kann, ob ihm wegen willkürlichen, bewusst schädigenden Verhaltens oder im Hinblick auf § 87a Abs. 3 Rechte zustehen können 555.

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5. Unterrichtung über Abschlussbeschränkungen (§ 86a Abs. 2 S. 3). Als Ausprägung der Informationspflicht hat der Unternehmer gemäß § 86a Abs. 2 S. 3 den HV ferner unverzüglich zu unterrichten, sofern er Geschäfte nur in erheblich geringerem Umfang abschließen kann oder will, als der HV unter gewöhnlichen Umständen erwarten konnte. Die Mitteilungspflicht ist vom Wortlaut her auf den Vermittlungsvertreter zu beschränken 556. Sie ist jedoch objektiv nicht auf diesen begrenzt. Denn auch der Abschlussvertreter kann Weisungen zum Umfang der Geschäfte empfangen und muss wissen, falls der Unternehmer zukünftig beabsichtigt, derartige Weisungen auszusprechen. Die Nachrichtspflicht ist gem. § 86a Abs. 3 zwingend ausgestaltet. Bis zur Novelle 1989 war nur sie zwingend, was darauf hindeutet, dass sie der Gesetzgeber als besonders bedeutend ansah. Aus ihrer seinerzeit allein zwingenden Natur erklärt sich die von früherer Literatur und Rechtsprechung vertretene weite Auslegung des Tatbestandes, die seinerzeit in ungewollten Derogationsfällen gewünscht war, heute jedoch nicht mehr erforderlich ist. Viele ehemals unter S. 3 gefasste Fälle können jetzt dogmatisch treffender der allgemeinen Informationspflicht zugewiesen werden. Der Tatbestand ist immer erfüllt, wenn der Unternehmer quantitativ im geringeren Maße liefern will, insbesondere, wenn der Unternehmer einen erheblichen Teil der Geschäfte nicht mehr schließen will oder kann, sei es 548 549 550 551

552

Küstner/Thume I, Rn 656. Küstner/Thume I, Rn 656. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86a Rn 13. Küstner/Thume I, Rn 657; Ebenroth/ Löwisch § 86a Rn 24; Hopt § 86a Rn 10; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 22. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 24.

468

553

554

555 556

Küstner/Thume I, Rn 657; Hopt § 86a Rn 10; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86a Rn 13. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 24; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 15. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 24. MünchKomm HGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 26.

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§ 86a

ein prozentualer Anteil an ihnen oder ein wiederholtes Einzelgeschäft, welches einen bedeutsamen Teil der Gesamtvermittlungsleistung des HV einnimmt 557. Die Erheblichkeit ist nach den Verhältnissen des Einzelfalls zu beurteilen. Als Richtschnur gilt: Ab einem zu erwartenden Umsatzrückgang von 20 % 558 bis 25 % 559 des bisherigen Umsatzes dürfte die Erheblichkeit gegeben sein. Auf die Höhe der aus dem Geschäftsrückgang resultierenden Provisionsverluste des HV stellt Abs. 2 S. 3, wie das Wort „Geschäfte“ dokumentiert, nicht ab 560, und zwar schon deshalb nicht, weil die sich aus dem Vertragsverhältnis zwischen HV und Unternehmer ergebenden Provisionsverluste nicht zu den vom Unternehmer zu berichtenden Marktgegebenheiten zählen. Die Provisionsverluste werden jedoch meist dem Umsatzverlust entsprechen. Nicht die subjektive Erwartung des HV ist maßgeblich 561, sondern das, was der HV aus seiner Sicht zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Information unter Berücksichtigung der ihm bekannten Umstände objektiv antezipieren durfte 562. Die Gründe für den Umsatzrückgang sind unerheblich, sie können sogar auf Fehldispositionen, die Geschäftspolitik des Unternehmers oder auf objektive Umstände, z.B. Rohstoffknappheit 563, beruhen 564. a) Zweck. Der HV soll nicht nutzlos tätig werden und die notwendigen Konsequen- 109 zen, nämlich ggf. reduzierter Arbeitseinsatz, aus der Information ziehen können 565. Die Treuepflichten fordern vom Unternehmer, den HV zu warnen, damit er seine Vermittlungs- und Abschlussbemühungen an die verringerten Kapazitäten des Unternehmers anpassen 566, unnötige Arbeit vermeiden und über weitere Dispositionen entscheiden kann, etwa eine Anpassung des HV-Vertrages an die veränderten Umstände, äußerstenfalls eine Kündigung 567. b) Inhalt. Nach hM soll der Unternehmer auch darüber informieren müssen, dass er 110 beabsichtigt, künftig in qualitativ herabgesetztem Grade zu liefern 568. Diese weite Auslegung wird heute nicht mehr durch die Abdingbarkeit des allgemeinen Informationsrechts herausgefordert (Rn 108), weil es anders als früher ebenfalls zwingend ist. Richtigerweise stellt S. 3 auf die Quantität, nicht die Qualität ab 569. Es lässt sich von Wortlaut und Systematik heute gut vertreten, die Information über die Qualitätsverände557

558 559 560 561

562

AA Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 25; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86a Rn 11; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 86a Rn 26; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 16: Die Vorschrift greift nicht ein, wenn es nur hinsichtlich einzelner vermittelter Geschäfte zu einer Nichtannahme kommen soll, selbst wenn es sich um Einzelgeschäfte mit größerem Umsatz oder wichtigen Kunden handelt. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 25. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 29. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 25. MünchKomm HGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 28; unklar Begründung zum RegE BT-Drs. 11/3077, S. 7. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 25; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86a Rn 12; MünchKomm HGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 28.

563 564

565 566 567

568

569

LAG Stuttgart NJW 1951, 374. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 25; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86a Rn 14; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 29; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 15. Küstner/Thume I, Rn 659; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86a Rn 15. Küstner/Thume I, Rn 659. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 25; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86a Rn 11; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 26; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 11. BGHZ 26, 161 (167) = NJW 1958, 219; Küstner/Thume I, Rn 659; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 402. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 25.

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rung dem allgemeinen Informationsrecht des HV zuzuweisen 570. Nach der hM gilt: Wenn der Unternehmer den HV darüber zu unterrichten hat, dass er künftig nur in quantitativ verringertem Umfange liefern kann oder will, so gilt das erst recht dann, sofern er überhaupt nicht mehr liefern kann oder will, etwa weil er die Produktion des betreffenden Artikels einstellen 571 oder sie künftig nur noch in Lohnfabrikation für andere Unternehmer herstellen 572, seinen Herstellungsbetrieb einer Konzernleitung unterstellen 573, überhaupt sein Vertriebssystem umstellen, also zwar weiter liefern will, aber eben nicht mehr über den Einsatz von HV 574. Man könnte diese Fälle heute ebenfalls unter die allgemeine Informationspflicht des Abs. 2 S. 1 fassen. Obgleich § 86a Abs. 2 S. 3 dem Wortlaut nach nur die Mitteilung der Entscheidung verlangt, darf der HV aus der allgemeinen Informationspflicht bei Informationsinteresse eine Nachricht über die Gründe der Beschränkung fordern, schon um beurteilen zu können, ob es sich um eine nachhaltige Behinderung handelt 575. Der Unternehmer braucht sich aber nicht zu rechtfertigen 576. Er darf nicht geltend machen, der HV habe aus einer Kette erfolgter Ablehnungen ihm vermittelter Geschäfte erahnen müssen, dass der Unternehmer nur noch in erheblich geringerem Umfange abschließen wolle oder könne. Denn die Mitteilungspflicht soll den HV gerade vor unnötiger Belastung durch Vermittlungstätigkeit bewahren. Der Unternehmer muss also unzweideutig informieren, und dies rechtzeitig 577.

111

c) Fälligkeit. Die Nachrichtspflicht ist unverzüglich – ohne schuldhaftes Zögern – fällig, sobald der Unternehmer die Umstände kennt, aus denen sich ergibt, dass es zu erheblich geringeren Geschäftsabschlüssen kommen wird 578 und nicht erst nach dem tatsächlichen Eintritt der Verringerung 579. In allen Zweifelsfällen muss der Unternehmer den HV benachrichtigen 580. Hat der Unternehmer glaubhafte Indizien für solche Umstände, muss er ebenfalls berichten.

J. Erfüllungsort und Kosten 112

Alle geschuldeten Informationen hat der Unternehmer dem HV auch ohne dahingehende Vereinbarung in einer objektiv geeigneten Form und Weise dorthin zu übermitteln, wo der HV seinen vertragsgemäßen Tätigkeitsort hat, im Zweifel an den Geschäftssitz des HV 581. Welche Form erforderlich ist, hängt von der Länge der Nachricht, der Effizienz, den Möglichkeiten, den HV zu erreichen sowie der Eilbedürftigkeit ab. Bei besonderer Eilbedürftigkeit ohne das Bedürfnis der Perpetuierung ist ein Anruf genügend. Wenn eine eingehende Analyse und Perpetuierung erforderlich ist, wird Textform 582 gefordert sein. Grundregeln gibt es hier nicht. Die Kosten der Informationserteilung hat der Unternehmer zu tragen 583.

570 571 572 573 574 575 576 577 578 579

Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 25. BGH NJW 1959, 1964. BGH DB 1972, 524. OLG Braunschweig NJW 1976, 2022. BGHZ 49, 39. AA Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 25. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 25. Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 18. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 25. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 30.

470

580 581

582 583

MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 31. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 33; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86a Rn 1; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 18. AA Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 33: Schriftform. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 33.

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§ 86a

K. Rechtsfolgen der Verletzung der Informationspflichten des § 86a Abs. 2 Die fehlende Information nach § 86a Abs. 2 ist eine Vertragsverletzung. Sie führt zum 113 Schadenersatz nach § 280 BGB 584. Die Beweislast für Pflichtverletzung, Kausalität und Schaden liegt beim HV 585. Teilt der Unternehmer dem HV entgegen § 86a Abs. 2 S. 2 die Annahme eines Geschäftes nicht mit und lehnt der Dritte deshalb den Abschluss des Geschäftes wegen nicht rechtzeitiger Annahme ab, valutiert der Schaden in Höhe der entgangenen Provision 586. Entgeht kein Geschäft, kann ein Schadenersatz in Höhe vergeblicher Aufwendungen entstehen 587. Zu unterscheiden ist immer, ob der Schadenersatzanspruch aufgrund unterlassener 114 Mitteilung oder aufgrund des mitteilungspflichtigen Umstandes entstanden ist. Lehnt der Unternehmer beispielsweise den Abschluss eines Geschäftes ab, so gelten die oben zur Treupflicht und Dispositionsfreiheit des Unternehmers genannten Maßstäbe. Grundsätzlich entscheidet der Unternehmer über Ablehnung und Nichtablehnung. Die Ablehnung des Geschäfts führt aber zu einem Schadenersatzanspruch, falls sie ohne sachgerechten Grund erfolgte. Schadenersatzbegründend ist hier aber die Ablehnung selbst und nicht eine unterlassene Information. Der HV hat Anspruch auf Ersatz seiner nutzlosen Aufwendungen für eine erfolglose Tätigkeit, vor welcher die Information ihn bewahren sollte 588. Der Anspruch kann wie bei § 670 BGB die Entschädigung für erfolglos aufgewendete Arbeitskraft umfassen 589. Voraussetzung ist, dass Benachrichtigungen unterblieben oder fehlerhaft erteilt wurden und hieran ein unter der unrichtigen Informationslage vermitteltes Geschäft im Stadium des Abschlusses oder des Vollzuges an gerade diesem Umstand gescheitert ist. Die Begrenzung auf den Vertrauensschaden rechtfertigt sich aus der Tatsache, dass bei erschöpfender oder zutreffender Unterrichtung eine Vermittlung des Geschäfts nicht aussichtsreich gewesen wäre. Kann der HV dartun, dass das Geschäft alsdann zu anderen Bedingungen abgeschlossen worden wäre (wozu der enttäuschte Kunde nunmehr nicht länger bereit ist), so steht ihm als Schadensersatz die entgangene Provision zu. Die Nichterteilung der Informationen kann auch zu einem Schaden führen, wenn der HV wegen der unterbliebenen Information sinnlose Aufwendungen tätigt. Der Vertreter kann zudem bei wiederholter und erheblicher Verletzung der Informationspflicht kündigen, wobei eine vorherige Abmahnung erforderlich ist (§ 314 Abs. 2 BGB). Die Informationsansprüche sind einklagbar 590, regelmäßig jedoch nicht mittels einst- 115 weiliger Verfügung sicherbar 591. Der HV hat also ein Wahlrecht zwischen Schadenersatzund Informationsklage 592.

L. Informationserteilung an Dritte, AVAD Grundsätzlich muss der Unternehmer über die Verhältnisse seines HV schweigen. Nur 116 dem berechtigten Auskunftsverlangen Dritter über den HV darf er wahrheitsgemäß nachkommen 593. Das gilt etwa für Mitteilungen an die Außenstelle für den Ver-

584 585 586 587 588

Küstner/Thume I, Rn 663. Küstner/Thume I, Rn 663. Küstner/Thume I, Rn 665. Küstner/Thume I, Rn 665. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 37; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 37.

589 590 591 592 593

Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 37. Küstner/Thume I, Rn 667. Emde ZIP 2001, 820. Küstner/Thume I, Rn 667. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 31.

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sicherungsaußendienst e.V. in Hamburg (AVAD). Der Präsident des BaFin hat gem. § 81 Abs. 2 Satz 1 VAG angeordnet 594, dass Versicherungsunternehmen vor Vertragsschluss mit einem Versicherungsvertreter Informationen über dessen Zuverlässigkeit „z.B. durch Anfrage bei der AVAD“ einzuholen haben. Darin liegt eine mittelbare Anerkennung dieser Institution.

M. Vertragliche Erweiterung der Nebenpflichten des Unternehmers 117

Nebenpflichten dürfen weitgehend frei vereinbart werden. So kann sich der Unternehmer verpflichten, vom Gesetz nicht vorgesehene Nebenpflichten zu erfüllen, die je nach Auslegung der getroffenen Vereinbarung den Status einer Hauptpflicht erreichen können. Für solche Beispiele wird auf die Kommentierung oben, Rn 10, verwiesen.

N. Erfüllungsort der Unternehmerpflichten 118

Nach der hier vertretenen Auffassung ist der Erfüllungsort der Unternehmerpflichten grundsätzlich der Sitz des HV (Einheitserfüllungsort). Dies widerspricht der herrschenden Ansicht 595, dergemäß für die Bestimmung des Erfüllungsortes der Unternehmerpflichten § 269 Abs. 2 BGB maßgeblich ist und der Unternehmer jene am Ort seiner gewerblichen Niederlassung zu erbringen hat. Eine vertragliche Vereinbarung ist innerhalb der Vor § 84 Rn 381 ff dargestellten Grenzen möglich 596.

O. Durchgriffserwägungen zu Lasten des Unternehmers 119

Wie dargestellt ist der Unternehmer verpflichtet, den HV aktiv vor fremden Wettbewerb, erst recht vor dem durch Konzernunternehmen oder nahestehenden Dritte, zu schützen 597. Dies ist nicht direkt eine Frage des Durchgriffs sondern ergibt sich als Schutzpflicht aus dem HV-Vertrag selbst, insbesondere als Nebenpflicht einer Ausschließlichkeitsbindung. Aus ihr folgt bei allen Vertriebsverträgen eine umfassende Schutzpflicht des Herstellers vor eigenem Wettbewerb, aber auch vor solchem Dritter 598, insbesondere nahestehender Dritter, z.B. verbundener Unternehmen, Gesellschafter oder Angehöriger. Die Intensität der Schutzpflicht ist gestaffelt nach dem Grad der Verletzungshandlung und verbietet geordnet nach der Schwere des Verstoßes: 1. eigenen Wettbewerb 2. Veranlassung fremden Wettbewerbs, auch solchen verbundener Unternehmen 3. Umgehung der Exklusivität durch Vorschieben Dritter 4. Unterstützung fremden Wettbewerbs und 5. unterlassene Abschirmung fremden Wettbewerbs (s.o.). Die Verletzung bereits einer dieser Pflichten ist eine Schlechterfüllung des Vertriebsvertrages. Sie führt zur Schadensersatzpflicht und damit korrespondierend zur Auskunftspflicht; zudem (nach Abmahnung) zu einem Kündigungsrecht aus wichtigem Grund analog § 89a 599.

594 595 596 597

R 1/90 v. 27.02.1990 – Z 3 – V – 50/90. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 372. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 372. Zum spiegelbildlichen Fall der Umgehung vertraglicher Pflichten durch den HV Emde GmbHR 1999, 1005 (1013).

472

598

599

Der BGH hat im Urt. v. 11.04.2003 – V ZR 323/02, NJW 2003, 3622, zu einem Wegerecht ausgesprochen, die Verpflichtung zur Unterlassung beinhalte die Pflicht, Verstöße durch Dritte zu verhindern. Emde EWiR 2002, 1037.

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Der Unternehmer ist also materiellrechtlich – ebenso wie der HV in spiegelbildlicher 120 Konstellation – verpflichtet, jede Handlung zu unterlassen, die den HV schädigen könnte und verpflichtet, Schaden vom HV abzuwenden. Nicht anders als der HV darf auch der Unternehmer die ihm obliegenden Vertragspflichten keinesfalls durch Dritte, insbesondere von ihm beherrschte Gesellschaften, abhängige Unternehmen, Strohleute oder Angehörige umgehen 600. Gründet oder unterhält der Unternehmer eine abhängige Gesellschaft oder eine Schwestergesellschaft, die Vertragspflichten verletzt, welche dem Unternehmer gegenüber dem HV oblegen hätten, so spricht ein Indiz für eine Umgehung der Vertragspflichten durch diese Gesellschaft und die Zurechnung der Pflichten des Unternehmers – meist Unterlassungspflichten – zu ihr. Dieses Indiz hätte schon wegen der Sachnähe der Unternehmer bzw. die betroffene Gesellschaft zu widerlegen. Eine Zurechnung ist nicht auf Gesellschaften begrenzt. Jede im Lager des Unternehmers, also ihm nahe stehende natürliche und juristische Person, kann Adressat solcher Pflichten sein. So werden in der Literatur Personenidentität der Gesellschafter oder der Geschäftsleitung 601 und Beherrschung 602 als maßgebliche Umstände angesehen, die im Falle einer Verletzung von Vertragspflichten durch Dritte zur Zurechnung beim Unternehmer führen und ihm richtigerweise sogar den Entlastungsbeweis fehlender Zurechnung zuweisen. Das OLG Köln 603 entschied, es sei objektiv missbräuchlich, falls sich der Unternehmer zur Rechtfertigung einer Vertragsverletzung bei Personenidentität der Geschäftsführung auf die rechtliche Selbständigkeit einer Tochterfirma berufe. In diesen Fällen wird über die Selbständigkeit der Tochtergesellschaft hinweggegangen. In dem Urteil BGH, NJW 1981, 1785 604 überging der BGH die Selbständigkeit der geschäftsausführenden KG, weil der Inhaber der Einzelfirma, mit dem der HV-Vertrag bestand, gleichzeitig Gesellschafter und Geschäftsführer dieser KG war. BGH NJW-RR 1987, 547 kam zum selben Ergebnis, da der persönlich haftende Gesellschafter des Unternehmens, mit dem der HV-Vertrag bestand, gleichzeitig Gesellschafter und Geschäftsführer des geschäftsausführenden Unternehmers war. Kann eine als Unternehmer tätige Muttergesellschaft auf das Vertriebssystem ihrer Töchter, die als Haupt- oder A-Händler tätig sind, gestaltend Einfluss nehmen und bindend veranlassen, dass etwa eine Tochtergesellschaft das Vertragsverhältnis mit einem B-Händler löst, haftet die Muttergesellschaft nach Vertragsgrundsätzen 605. Von der Muttergesellschaft vorgenommene Maßnahmen können eine zum Schadensersatz verpflichtende Treupflichtverletzung darstellen. In diesen Fällen darf der HV nach seiner Wahl (Gesamtschuldnerschaft) die Erfüllung 121 der Vertragspflichten, etwa Zahlung der Provision, von beiden Unternehmen, Vertragspartner wie verbundener Person, verlangen. Die geschäftsausführende Person kann sich nicht darauf berufen, mit ihr sei kein Vertretervertrag geschlossen. Der Unternehmer darf sich nicht darauf zurückziehen, er habe kein Geschäft ausgeführt. Dieses Ergebnis ist die konsequente Folge der Missachtung der rechtlichen Selbständigkeit des Vertragsverletzers. Kein Durchgriffsfall sind Konstellationen, in denen der Unternehmer einem Dritten 122 ein uneingeschränktes Vertriebsrecht einräumt, welches zur Belieferung des dem HV zugewiesenen Gebiets oder Bezirks berechtigt und dessen Gewinnchancen aushöhlt 606. Dieses Verhalten kann eine Treupflichtverletzung des Unternehmers darstellen. 600 601 602 603 604

Vgl. BGH, Urt. v. 30.01.1981 – I ZR 17/79, NJW 1981, 1785. Küstner/Thume I, Rn 691. Küstner/Thume I, Rn 691. HVR Nr. 526. Zustimmend Genzow in: Ensthaler, § 87 Rn 13.

605

606

OLG Stuttgart, Urt. v. 15.09.1989 – 2 U 63/88, NJW-RR 1990, 491 (492) (vom BGH ist die Revision mangels Erfolgsaussichten nicht angenommen worden). Vgl. Küstner/Thume I, Rn 701.

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P. Pflichten des Unternehmers im Verhältnis zu Dritten 123

Von den vertraglichen Pflichten im Verhältnis zwischen Unternehmer und HV sind Pflichten zu unterscheiden, die den Unternehmer ggf. aus dem Rechtsverhältnis zu Dritten, etwa zu seinen Kunden, treffen können. Diese Pflichten unterliegen einem selbständigen Regelungsregime, das meist wenig mit Vertriebsrecht zu tun hat. Häufig handelt es sich um Abwicklungs- oder Gewährleistungsfragen der vermittelten Geschäfte. Zu den mit dem HV-Recht verwandten Fragen solcher Rechtsbeziehungen zählen etwa: – Datenschutz: Die Übermittlung kundenbezogener Daten von Banken an ihre HV bedarf als Auftragsdatenverwaltung i.S.d. § 11 BDSG keiner weiteren Einwilligung der Kunden 607. – Beratungspflicht: Der Unternehmer kann aufgrund einer (konkludenten) Absprache mit dem Kunden dessen Beratung übernommen haben. Eine Verletzung der Beratungspflicht stellt eine Pflichtverletzung dar.

Q. Abs. 3: Zwingende Natur 124

Seit der Novelle 1989 sind die Pflichten des § 86a Abs. 1 und 2 zwingend ausgestaltet. Zuvor traf das nur auf Abs. 2 S. 3 zu. Wie in § 86 werden von der zwingenden Natur allein die in beiden Absätzen ausdrücklich normierten Pflichten erfasst. Andere als die in Abs. 1 und 2 explizit genannten Nebenpflichten des Unternehmers dürfen also innerhalb der Grenzen der §§ 134, 138, 242, 307 BGB erweitert oder eingeschränkt werden; die Erstreckung der zwingenden Natur auf weitere Pflichten wäre unzulässig 608 (Art. 2 Abs. 1 GG). Möglicherweise prägen jedoch in den Abs. 1 und 2 nicht erwähnte Nebenpflichten das Leitbild des Vertrages, so dass die Erweiterung oder Beschränkung nach § 307 BGB unzulässig wäre 609; dies ist im Einzelfall zu untersuchen (zur AGB-Prüfung Vor § 84 Rn 27 ff). Abs. 3 verwehrt es den Parteien auch nicht, die für unabdingbar erklärten Pflichten des Unternehmers durch Vereinbarung näher auszugestalten, zu konkretisieren oder zu präzisieren 610, solange sie in ihrem Kern bestehen bleiben und insoweit nicht eingeschränkt werden. Einer vertraglichen Ausweitung der Pflichten des Abs. 1 und 2 steht Abs. 3 als Schutzvorschrift zugunsten des HV ebensowenig entgegen 611 wie einem nachträglichen, auf die Vergangenheit beschränkten Verzicht des HV auf seine Rechte aus § 86a 612.

R. Rechtsfolgen der Verletzung der Unternehmerpflichten 125

Im Falle der Verletzung der Unternehmerpflichten stehen dem HV folgende Rechte zu:

607 608 609 610

Evers/Kiene NJW 2003, 2726 (2728). Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 38; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86a Rn 22. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 38. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 38; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86a Rn 22; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 42.

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611

612

Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 38; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86a Rn 6 und 22; wohl auch MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 42; aA Thume BB 1995, 1913 (1914). Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 38.

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– Annahmeverzug: Verhindert der Unternehmer dass Entstehen der Provision, darf der HV gemäß § 615 BGB die vereinbarte Vergütung fordern 613 (siehe vor § 84 Rn 55 ff). § 615 BGB ist trotz der Entschließungsfreiheit des Unternehmers grundsätzlich anwendbar 614. Der Anspruch aus § 615 BGB tritt in Konkurrenz 615 zum Provisionsanspruch aus §§ 87 ff HGB, 162 BGB sowie zum regelmäßig gegebenen Schadenersatzanspruch wegen Schlechterfüllung (§ 280 BGB); – Arglistige Täuschung: Der HV darf den HV-Vertrag nach § 123 BGB anfechten, falls er von dem Unternehmer arglistig getäuscht wurde 616; – Außerordentliche Kündigung nach § 89a: Bei Unzumutbarkeit der Vertragsfortführung darf der HV außerordentlich kündigen 617, etwa: – nach einem Verstoß gegen die Überlassungspflicht von Unterlagen 618. Dieses Recht kann jedoch – wenn durch den Vertragsverstoß das erforderliche Vertrauen nicht vollkommen entfallen ist – nur nach ergebnisloser Abmahnung geltend gemacht werden (§ 314 BGB) 619. Es sind jeweils die Umstände des Einzelfalles maßgeblich 620. So wird etwa die Weigerung des Unternehmers, dem HV die zur Ausübung seiner Tätigkeit dringend benötigten Musterkollektionen, Preislisten etc. zur Verfügung zu stellen, eher einen wichtigen Kündigungsgrund bilden, als wenn es sich z.B. um weniger bedeutsames Werbematerial handelt 621. U.U. wird eine wiederholte Verletzung eher unbedeutender Nebenpflichten erforderlich sein, ehe gekündigt werden darf. Eine außerordentliche Kündigung ohne Abmahnung ist nur wirksam, falls durch die Nicht- oder Schlechterfüllung das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien vollkommen zerstört wird und auch durch eine Abmahnung nicht wiederhergestellt werden könnte. Davon wird nur im Ausnahmefall auszugehen sein. Durch die Kündigung nach § 89a gewinnt der HV auch den gegenüber § 280 BGB spezielleren Anspruch auf Ersatz des durch die vorzeitige Auflösung des HV-Verhältnisses entstandenen Schadens (§ 89a Abs. 1, 2); – Ausgleichserhaltende Kündigung gemäß § 89b Abs. 3 Nr. 1: Selbst wenn der HV die ordentliche der außerordentlichen Kündigung vorzieht, etwa weil er nicht das Risiko eingehen will, in einem Prozess den Kündigungsgrund als nicht gewichtig genug für eine fristlose Kündigung beurteilt zu sehen, wahrt er bei Existenz eines begründeten Anlasses zur Kündigung nach § 89b Abs. 3 Nr. 1 den Ausgleichsanspruch, der ihm sonst bei einer Eigenkündigung verloren ginge. Nur muss die Pflichtverletzung des Unternehmers dem HV zur Kündigung wenigstens einen „begründeten Anlass“ gegeben haben. Dazu werden leichtere oder einmalige Verstöße des Unternehmers nicht ausreichen; hier würde der HV sich einstweilen mit Abmahnung, allenfalls Schadensersatzansprüchen zu begnügen haben. Nicht anders als bei § 89a hängt es von der Schwere des Verstoßes ab, ob der HV ausgleichserhaltend kündigen kann, wobei im Rahmen des § 89b Abs. 3 Nr. 1 geringere Anforderungen zu stellen sind; – Erfüllung: Die wichtigste Folge der Verletzung einer Haupt- oder selbständigen Nebenpflicht ist, dass sie nicht durch Erfüllung erlischt und der Erfüllungsanspruch 613

614 615 616 617

Martinek/Flohr, § 9 Rn 47; Ebenroth/ Löwisch § 86a Rn 37; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 9; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 85 Rn 6. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 37. Siehe Martinek/Flohr § 9 Rn 47. OLG Karlsruhe HVR Nr. 976. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 37; Hopt § 86a

618 619 620 621

Rn 4; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 86a Rn 39; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 21. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 388. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 388. Küstner/Thume I, Rn 639. Küstner/Thume I, Rn 639.

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§ 86a

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fortbesteht 622. Der HV darf also das geschuldete Handeln oder Unterlassen fordern. Die unerfüllt gebliebene Pflicht kann eingeklagt und vollstreckt werden. Im Falle der Eilbedürftigkeit ist das Recht im Wege der einstweiligen Verfügung durchsetzbar, z.B. hinsichtlich der Überlassung von Unterlagen, die der HV für den Vertrieb dringend benötigt 623. Bei den meisten Nebenpflichten des Unternehmers handelt es sich um derartige selbständige Nebenpflichten, etwa bei der • Treupflicht • den in § 86a genannten Pflichten 624 • dem Gleichbehandlungsgebot • der Belieferungspflicht • der Organisationspflicht des Unternehmers; Fristsetzung nach § 323 BGB: Der HV darf dem Unternehmer eine Frist gemäß § 323 (früher: § 326) BGB setzen 625; Schadenersatz: Dazu Rn 126 ff; Vertragsstrafe: Der HV darf eine hinreichend bestimmte und angemessene Vertragsstrafe einfordern 626; Verzugsschaden: Der HV kann im Falle des Verzuges gem. §§ 280 Abs. 2, 286 BGB den Verzugsschaden fordern; Zurückbehaltungsrecht: Der HV darf seine Leistungen zurückhalten, je nachdem ob es sich um eine Haupt- oder Nebenleistungspflicht handelt gem. § 320 Abs. 1 Satz 1 BGB oder § 273 BGB 627.

S. Schadenersatz des Unternehmers gegenüber dem Vertriebsmittler 126

Im Falle der schuldhaften 628 Verletzung von Unternehmerpflichten darf der HV Schadenersatz fordern 629. Eine Schadenersatzverpflichtung des Unternehmers gegenüber dem HV ist vor- wie nachvertraglich und selbstverständlich vertragsbegleitend denkbar. Vorvertraglich kann der Unternehmer dem HV gemäß §§ 242, 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB (culpa in contrahendo) haften. Vertragsbegleitend kommt eine Haftung aus § 280 Abs. 1 in Betracht, zudem gemäß § 89a Abs. 2. Auch aufgrund einer Schlechterfüllung nachvertraglicher Treupflichten mag eine Haftung nach § 280 BGB entstehen. Hinzu treten deliktische Anspruchsgrundlagen, insbesondere § 826 BGB. Kenntnisse einer in die Vertragsausführung eingeschalteten Muttergesellschaft muss sich der Unternehmer ggf. zurechnen lassen 630. Schadensersatzansprüche wegen Verletzung des § 86a dürfen wegen der zwingenden Natur des Abs. 3 nicht ausgeschlossen werden 631.

622

623 624 625 626 627

Thume BB 1995, 1913 (1915); Ebenroth/ Löwisch § 86a Rn 37; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 2. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 37. Küstner/Thume I, Rn 667. Martinek/Flohr § 9 Rn 45 ff. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 37. Für Franchiseverträge Giesler ZIP 2002, 420 (424).

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628 629 630

631

OLG Düsseldorf OLGR 1996, 55. Hopt § 86a Rn 4. OLG München, Urt. v. 27.07.2006 – 23 U 5590/05, BB 2007, 14; Flohr BB 2007, 6 ff (Franchiserecht). Zur früheren Rechtslage vgl. Schlegelberger/ Schröder § 86a Rn 28.

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§ 86a

I. Schadenersatz des Unternehmers gegenüber dem Mittler gemäß §§ 280 Abs. 1, 282, 241 Abs. 2, 242, 311 Abs. 2 BGB (culpa in contrahendo) Eine Haftung des Unternehmers gegenüber dem HV wegen vorvertraglichen Verschul- 127 dens gem. §§ 280 Abs. 1, 282, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2, in krassen Fällen auch nach § 826 BGB 632, kommt insbesondere bei mangelnder Aufklärung, etwa über Risiken des Vertrages 633, in Betracht. Derartige Aufklärungspflichten bestehen beispielsweise, wenn ein Wissens- oder Informationsgefälle besteht 634. Vorvertragliche Pflichtverletzungen begründen i.d.R. einen Anspruch auf Ersatz des negativen Interesses 635 (Differenzhypothese), sofern der Unternehmer nicht ausnahmsweise konkrete Zusicherungen abgegeben hat, bei deren Nichteintritt er auf das volle Erfüllungsinteresse haftet 636. Es ist ein Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die sich ohne jenes Ereignis ergeben hätte, vorzunehmen. Der HV ist nicht lediglich auf eine „angemessene Entschädigung“ in Analogie zu § 642 BGB wegen Annahmeverzuges beschränkt 637. Unbeachtlich ist, was der HV verdient hätte, wenn eine falsche Behauptung des Unternehmers zutreffend gewesen wäre oder ein verschwiegener Umstand nicht bestanden hätte (positives Interesse) 638. Entgangener Gewinn aus als sicher hingestellten Geschäften muss nicht ersetzt werden. Völlig zufällige Ereignisse werden schadensrechtlich ausgeblendet, etwa eine Gebietsvergrößerung aufgrund des Unfalles eines Kollegen 639. Der HV darf vollmundigen Versprechen des Unternehmens nicht blind vertrauen, sondern muss sich, wie jeder Unternehmer, informieren, bevor er in ein neues Geschäftsfeld investiert 640. Der HV hat den Unternehmer z.B. nach den Erfolgschancen des Vertriebssystems zu befragen und das erforderliche Maß an Skepsis walten lassen, falls er keine Antwort erhält 641. Regelmäßig kann sich der Unternehmer jedoch nicht mit dem Einwand entlasten, der HV habe sich auf die Richtigkeit seiner Angaben nicht verlassen dürfen. Dies widerspräche dem Grundsatz von Treu und Glauben 642. § 254 BGB ist anwendbar 643. Verlangt der HV Schadensersatz, weil ihm die Möglichkeit erfolgreicher Vertriebstätigkeit nicht eingeräumt oder nachträglich genommen wurde, hat er sich nach § 254 Abs. 2 BGB den Verdienst anrechnen zu lassen, der bei anderweitigem Einsatz seiner Arbeitskraft tatsächlich verdient wurde oder den er bei sachgerechtem Einsatz hätte verdienen können 644. In Folge des schadenersatzbegründenden Ereignisses unterlassene Tätigkeit kann dem HV nur dann im Sinne des § 254 BGB vorgeworfen werden, sofern es sich um eine zumutbare Tätigkeit handelte 645. Tätigkeiten, die bereits zeitgleich mit dem streitgegenständlichen Vertragsverhältnis durchgeführt wurden, können nur dann angerechnet werden, falls die Einnahmen des HV aus den Tätigkeiten infolge des schadenersatzbegründenden Verhaltens gestiegen sind 646. Ein zum Schadenersatz führendes Verschulden des Unternehmers liegt vor, falls 632 633

634 635

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OLG Nürnberg BB 1956, 352; Schipper NJW 2007, 734 (736). Martinek/Flohr § 8 Rn 124 f; zum Franchisevertrag Giesler ZIP 2002, 420 (426). Giesler ZIP 2002, 420 (426). BGH NJW 1998, 302 (304); OLG Düsseldorf, HVR Nr. 949; Schipper NJW 2007, 734 (736). Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 37; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 67. Küstner/Thume I, Rn 638. Schipper NJW 2007, 734 (736).

639 640 641 642

643 644 645 646

BGH NJW 1998, 302 (304); Schipper NJW 2007, 734 (736). Schipper NJW 2007, 734 (736). Schipper NJW 2007, 734 (736). BGH NJW 1998, 302 (305); OLG München NJW 1994, 667; Schipper NJW 2007, 734 (736). Schipper NJW 2007, 734 (736). Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 37; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 23a. Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 23a. Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 23a.

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er bei gehöriger Sorgfalt hätte voraussehen können, dass sein Verhalten, beispielsweise der erzeugte Irrtum oder der verschwiegene Umstand, die Entscheidung des Interessenten beeinflussen werde 647. Eine eklatante und eingestandenermaßen auch für den Unternehmer nicht erklärbare Abweichung der prognostizierten von den realen Umsatzprognosen indiziert, dass jene nicht sorgfältig und fachgerecht erstellt wurden 648.

II. Schadenersatz des Unternehmers gegenüber dem Mittler nach § 280 Abs. 1, 3 BGB wegen Schlechterfüllung vertragsbegleitender Pflichten (Positive Forderungsverletzung) 128

Eine Haftung wegen Schlechterfüllung vertragsbegleitender Pflichten gemäß § 280 Abs. 1 wird in folgenden Konstellationen diskutiert: – Ablehnung eines vermittelten oder ohne Vertretungsvollmacht gezeichneten Geschäfts: Der HV darf Ersatz seiner Aufwendungen verlangen, die er im Vertrauen auf den Abschluss des Geschäfts getätigt hat, falls der Unternehmer das ihm angetragene Geschäft nicht rechtzeitig ablehnt 649. – Abschlussbeschränkungen, nicht rechtzeitige Mitteilung: Der Unternehmer kann den Schadenersatzanspruch des HV in Höhe entgangener Provision ausschließen, indem er beweist, dass er das angetragene Geschäft ohnehin nicht angenommen hätte 650. Auch dann könnte aber noch ein Verspätungsschaden für die zur Unzeit erfolgte Information geltend gemacht werden; zudem ein Anspruch wegen unvertretbarer Verweigerung des Geschäfts 651. – Auskunftsrechte: Die Unmöglichkeit, Informationsrechte des § 87c zu erfüllen, führt zur Haftung nach § 280 BGB, z.B. falls der Unternehmer keine Bücher geführt hat 652. Wenn ein Informationsrecht nach § 87c ergibt, dass die im Hinblick auf Richtigkeit oder Vollständigkeit von Abrechnungen geäußerten Zweifel des HV begründet waren, trägt der Unternehmer die gesamten Kosten des Kontrollrechts 653. Eine Schadenersatzpflicht trifft den Unternehmer zudem im Fall der nicht rechtzeitigen Erteilung der Informationen, etwa des Buchauszugs 654. Nach Verzugseintritt wird der Schadenersatz aus den §§ 284 ff BGB hergeleitet. – Dispositionsmaßnahme: Ist eine Dispositionsmaßnahme zulässig, verletzt der Unternehmer jedoch die Pflicht zur rechtzeitigen Nachricht, schuldet er lediglich Ersatz des negativen Interesses. Ist die Dispositionsmaßnahme unzulässig, schuldet er auch den entgangenen Gewinn 655, jedoch nur bis zum nächsten ordentlichen Kündigungstermin, zu dem der Unternehmer hätte kündigen dürfen. – Eingriffe in das Vertriebsrecht des HV: Besteht der Schaden in der mangelnden Gelegenheit zum Vertrieb, hat sich der HV nach § 254 Abs. 2 BGB anrechnen zu lassen, was er bei anderweitigem Einsatz seiner Arbeitskraft tatsächlich verdient hat oder bei sachgerechtem Einsatz hätte verdienen können 656. Eine anderweitige Verdienstmöglichkeit fehlt regelmäßig, falls der HV-Vertrag ein Wettbewerbsverbot enthält. 647 648

649 650 651 652

Schipper NJW 2007, 734 (736). OLG Hamburg, Beschl. v. 19.11.2004 – 6 U 96/04, unveröffentlicht; Schipper NJW 2007, 734 (736). Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 26. Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 27. Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 27. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 30.

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BGH LM Nr. 1 zu § 87c sowie BGHZ 32, 302, 306; Seetzen WM 1985, 219, Ebenroth/ Löwisch § 87c Rn 26. Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 11a. Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 15. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 37; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 23a.

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§ 86a

– Information, unterlassene: Bei Verletzung der Informationsrechte beschränkt sich der Schadenersatzanspruch regelmäßig auf das negative Interesse: Der HV hat Anspruch auf Ersatz seiner nutzlosen Aufwendungen für eine erfolglose Vertriebstätigkeit, vor welcher die verletzte Verpflichtung ihn bewahren sollte 657. Dieser Anspruch wird durch die Höhe der sonst entstandenen Provision beschränkt 658. Kann der HV nachweisen, dass er bei rechtzeitiger Information den bestehenden Vertrag gekündigt und mit einem anderen Unternehmer einen Vertriebsvertrag geschlossen hätte, so darf er gemäß § 252 BGB den im neuen Vertrag entgangenen Gewinn fordern 659. Im Fall der nicht rechtzeitigen Mitteilung von der Annahme des Geschäftes kann ein Schaden nur entstehen, wenn der HV daraufhin weitere Aufwendungen für seine Tätigkeit beginnt, um das Geschäft zustande zu bringen 660. – Insolvenz: Dem HV kann gegen den Unternehmer ein Anspruch auf Schadensersatz wegen der Eröffnung eines durch das Verhalten des Unternehmers verursachten Insolvenzverfahrens zustehen 661. Dieser Anspruch ergibt sich nicht unmittelbar aus der InsO. Als Anspruchsgrundlage wird sowohl die entsprechende Anwendung von § 628 Abs. 2 BGB als auch eine Analogie zu § 89a Abs. 2 erwogen 662. Auch an eine Anwendung des § 280 BGB ist zu denken. Die analoge Anwendung des § 89a Abs. 2 lässt sich damit begründen, dass der HV-Vertrag zwar nicht infolge einer Kündigung beendet wird, wie es dem Wortlaut des § 89a Abs. 2 nach Voraussetzung ist, jedoch infolge der Eröffnung des Insolvenzverfahrens kraft Gesetzes erlischt. Die entsprechende Anwendung von § 628 Abs. 2 BGB wird erwogen, weil die Norm über den Wortlaut hinaus einen allgemeinen Rechtsgrundsatz enthält, wonach der Vertragspartner eines Dauerschuldverhältnisses zum Schadensersatz verpflichtet ist, wenn er den Anlass zur Auflösung des Vertrages in schuldhafter Weise herbeiführt 663. Ungeachtet der dogmatischen Herleitung des Schadensersatzanspruchs handelt es sich jedenfalls um einen vertraglichen Anspruch. Hieraus folgt, dass das für die Auflösung des Vertrages kausale Verhalten des Unternehmers Pflichten aus dem HV-Vertrag verletzt haben muss 664. Demzufolge kann die bloß schuldhaft verursachte Insolvenz für sich betrachtet noch kein ausreichender Grund für einen Schadensersatzanspruch sein 665. Es muss vielmehr ein spezielles Auflösungsverschulden vorliegen, das über die bloße Herbeiführung der Insolvenz und die Veranlassung der Vertragsauflösung hinausgeht. Die unternehmerischen Entscheidungen, welche die Eröffnung des Insolvenzverfahrens verursachen, müssen ein „HV-vertragswidriges“ Verhalten konstituieren. In der Rechtsprechung wird darauf verwiesen, dass die vertraglichen Treupflichten des Unternehmers gegenüber dem HV dort enden, wo die unternehmerische Dispositions657 658 659

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662

Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 37. Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 25; LAG Stuttgart NJW 1951, 374. BGH NJW-RR 1988, 1060 = WM 1988, 1234 (1235); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 38. Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 26. OLG Düsseldorf, Urt. v. 15.12.1995 – 16 U 234/94, OLGR Düsseldorf 1996, 55; Emde/ Kelm ZIP 2005, 58 (64); Kuhn/Uhlenbruck KO, 11. Auflage 1994, § 23 Rn 21; Hoffstadt DB 1983, 645 (646 f); Schlegelberger/ Schröder § 89 Rn 41c; aA Schlegelberger/ Schröder § 89a Rn 41. Offen gelassen v. OLG Düsseldorf, Urt. v.

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15.12.1995 – 16 U 234/94, OLGR Düsseldorf 1996, 55. Staudinger/Preis (2002) § 628 Rn 34, 41. OLG Düsseldorf, Urt. v. 15.12.1995 – 16 U 234/94, OLGR Düsseldorf 1996, 55; Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Löwisch § 89a Rn 53; Küstner/Thume I Rn 1820; vgl. auch § 628 Abs. 2 BGB, der explizit ein vertragswidriges Verhalten voraussetzt. So aber Hoffstadt DB 1983, 645 (646 f), der einen Schadensersatzanspruch gemäß § 628 Abs. 2 BGB für möglich hält, „wenn der Konkurs auf einem Verschulden des Gemeinschuldners beruht“.

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freiheit beginnt. Unternehmerische Fehlentscheidungen allein können einen Schadensersatzanspruch daher nicht begründen. Der Unternehmer ist in der Führung seines Unternehmens grundsätzlich frei, er muss jedoch auch auf Interessen des HV Rücksicht nehmen. Entscheidend ist somit, wann der unantastbare Bereich der unternehmerischen Dispositionsfreiheit, in dessen Rahmen ein HV-vertragswidriges Verhalten ausgeschlossen ist, erreicht wird. Ein HV-vertragswidriges Verhalten ist anzunehmen, falls die zur Insolvenz führenden Entscheidungen des Unternehmers willkürlich, in keiner Weise mehr sachlich zu vertreten oder in der Absicht, den HV zu schädigen, getroffen wurden 666. Fraglich ist, wer für das Überschreiten dieser Grenze die Beweislast trägt. Es könnte angenommen werden, der für den Unternehmer handelnde Insolvenzverwalter trage die Beweislast dafür, dass kein spezielles Auflösungsverschulden im vorerwähnten Sinne vorliege und kein Schadensersatzanspruch gegeben ist 667. Dafür streitet, dass ihm dieser Gegenbeweis leichter möglich ist, weil ihm der Unternehmer auskunftspflichtig ist. Es spricht dann eine Vermutung für eine Verletzung der Schutzpflichten des HV-Vertrages, die der Verwalter zu widerlegen hätte. Dem klagenden HV wird es im Prozessfall allerdings obliegen, zunächst greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Auflösungsverschulden zu behaupten, damit der beklagte Insolvenzverwalter in die Lage versetzt wird, in Wahrnehmung seiner Darlegungsund Beweislast substantiiert vorzutragen und Beweis anzutreten. Inhalt des Anspruchs sind etwa die infolge der Vertragsbeendigung für die Zukunft entgangenen Provisionsansprüche. Der Schadensersatzanspruch ist der Höhe nach auf den Zeitraum bis zum vereinbarten oder durch ordentliche Kündigung herbeiführbaren Vertragsende beschränkt 668. Er ist eine einfache Insolvenzforderung, die der HV zur Insolvenztabelle anmelden muss 669. – Lieferbarkeit der Vertragswaren: Hier trifft den Unternehmer nach Ansicht von Eberstein670 eine Garantiehaftung. Das ist zweifelhaft. Bei Abschluss trotz Kenntnis der Nichtlieferbarkeit kommt ein Mitverschulden in Betracht671. – Nichtbeachtung der Treu- und Förderungspflicht: Im Falle der Verletzung der Treuund Förderungspflicht, insbesondere nach willkürlichem Verhalten 672, kommt ein Anspruch auf entgangenen Gewinn in Betracht, sofern der HV beweist, dass er bei ordnungsgemäßer Erfüllung der Förderungspflicht bestimmte Geschäfte erfolgreich vermittelt oder abgeschlossen (was den Nachweis des Abschlusses durch den Unternehmer einschließt) oder bei vertragsgerechter Erfüllung der Treupflicht seine Arbeitskraft erfolgreich der Vermittlung bzw. dem Abschluss anderer Geschäfte gewidmet hätte 673, ggf. für einen anderen Unternehmer nach Kündigung des bisherigen Vertragsverhältnisses 674. Im Hinblick auf die Entschließungsfreiheit des Unternehmers ist für einen Anscheinsbeweis des Abschlusses durch den Unternehmer kein Raum 675. 666 667 668

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OLG Düsseldorf, aaO S. 56. Küstner/Thume I Rn 1718. BGH, Urt. v. 3.3.1993 – VIII ZR 101/92, BGHZ 122, 9 (12 f); Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 89a Rn 16; Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Löwisch § 89a Rn 54. Kuhn/Uhlenbruck KO, 11. Auflage 1994, § 23 Rn 21; Küstner/Thume I, Rn 1718; Hoffstadt DB 1983, 645 (647). S. 94. BAG DB 1974, 1617; Eberstein, S. 94. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 37; Schlegel-

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675

berger/Schröder § 86a Rn 22, 23, 27; § 87 Rn 66 ff. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 41; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 68. BGH NJW 1974, 795; BGH, Urt. v. 03.03. 1988 – I ZR 187/86, NJW-RR 1988, 1060; Thume BB 1995, 1913 (1915); Ebenroth/ Löwisch § 86a Rn 37; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 38; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 25, 26, 27, § 87 Rn 66 ff. Vgl. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 41.

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Ob der Ersatzanspruch zeitlich begrenzt wird bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nach dem Zeitpunkt, zu welchem der HV hätte erkennen müssen, dass der Unternehmer sein Verhalten nicht ändern werde und zur Wahrung seiner Interessen hätte kündigen müssen 676, erscheint zweifelhaft. Der Unternehmer darf nicht auf eine Kündigung des HV hoffen oder sich durch sie von seinen Vertragspflichten dispensieren; er muss vielmehr sämtliche adäquat-kausal verursachten Folgen tragen. Übermaßweisungen: Sie können zu einer Haftung des Unternehmers nach § 280 BGB führen 677. Mangelnde Unterlagen: Stellt der Unternehmer Arbeitsunterlagen nicht oder nicht rechtzeitig zur Verfügung, so kann der HV gem. § 280 BGB oder unter dem Gesichtspunkt des Verzuges als Schadensersatz die ihm entgangenen Provisionen fordern678. Der HV muss beweisen, dass ihm die Unterlagen nicht oder nicht rechtzeitig zur Verfügung gestellt worden sind und diese Unterlassung das Nichtzustandekommen bestimmter provisionspflichtiger Geschäfte zur Folge gehabt hat 679. Der Beweis lässt sich auch durch Statistiken führen, etwa wenn nach Zurverfügungstellung der Unterlagen höhere Gewinne erzielt wurden und andere Gründe hierfür nicht ersichtlich sind. Fehlende Verfügungsbefugnis: Mit dem Abschluss des HV-Vertrags übernimmt der Unternehmer gegenüber dem HV die haftungsrechtliche Verantwortung für die Verfügungsbefugnis über das zum Vertrieb gegebene Produkt 680. Besteht die derart konkludent zugesicherte Verfügungsbefugnis nicht, können Schadenersatzansprüche die Folge sein. Vermittlung und Abschluss: Dem HV stehen Schadensersatzansprüche zu, wenn der Unternehmer ihm willkürlich die Möglichkeit zur Vermittlung oder Abschluss von Geschäften nimmt 681. Wettbewerbswidriges Verhalten: Schadenersatz in Höhe seines Provisionsinteresses steht dem HV zu, sofern ihm durch wettbewerblich unzulässiges Dazwischentreten des Unternehmers eine sonst verdiente Provision entgangen ist 682. Der Schadensersatz beschränkt sich auf das negative Interesse, d.h. auf den Ersatz erfolgloser Aufwendungen, falls der Unternehmer dem HV eine Qualitätsherabsetzung nicht rechtzeitig mitgeteilt hatte und bei sachgemäßer Unterrichtung der HV Bemühungen für den Absatz dieses Artikels nicht mit dem tatsächlichen Aufwand vorgenommen hätte. Ein Vertragshändler hat gem. §§ 249, 252 BGB Anspruch auf Ersatz des Gewinns, der ihm entgegangen ist, weil der Unternehmer unter Verletzung seines Alleinvertriebsrechts an andere Händler verkauft 683. Zur Vorbereitung des Ersatzanspruches darf er Auskunft über die vertragswidrigen Verkäufe des Herstellers an Händler im geschützten Gebiet verlangen. Der Einsatz anderer Händler bildet keine einmalige Verlet-

So BGHZ 26, 161 (166, 167); Ebenroth/ Löwisch § 86a Rn 37. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 32. Prasse in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 270; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 24. Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 24. Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86a Rn 25; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 14.

681 682 683

RG JW 14, 403; JW 21, 1238; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 22. BGH DB 1961, 601. BGH, Urt. v. 17.04.2002 – VIII ZR 139/01, VersR 2002, 1023 = BB 2002, 1507 = DB 2002, 1657 = NJW-RR 2002, 1256 = EWiR 2002, 766 (Emde) = WM 2003, 250; BGH, Urt. v. 22.11.2000 – VIII ZR 40/00, BB 2001, 115 = MDR 2001, 283 = NJW 2001, 821 = WM 2001, 686.

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zungshandlung. Sie erschöpft sich nicht im Abschluss des Vertrages mit den Wettbewerbern, sondern setzt sich in Durchführung und Aufrechterhaltung der Vertragsbeziehung fort. Daher handelt es um wiederholte Verletzungshandlungen und für jeden Schadenszeitraum läuft eine separate Verjährungsfrist 684. Nichts anderes gilt, wenn man das Festhalten des Unternehmers an den Verträgen mit den Wettbewerbern als eine Dauerhandlung betrachten würde. In diesem Fall beginnt, sofern nicht das Alleinvertriebsrecht des Händlers früher endet, die Verjährungsfrist nicht vor Abbruch der Lieferbeziehungen zu den Wettbewerbern zu laufen 685. Einen gewichtigen Anhalt für den entgangenen Gewinn stellen die Geschäfte dar, welche in der fraglichen Zeit im geschützten Vertragsgebiet durch den Hersteller oder von ihm eingesetzte Händler gezeichnet wurden 686. Dies schließt nicht aus, bei der Schadensberechnung einen besonderen Einsatz der anderen Händler oder deren spezielle Situation zu berücksichtigen. – Vertraulichkeit: Falls der Unternehmer Berichte des HV nicht vertraulich behandelt 687. Eine Haftung nach § 280 BGB scheidet aus: 129 – Bei Geschäftseinstellung des Unternehmers aus nachvollziehbaren Gründen vor Ablauf der Kündigungsfristen des § 89 688.

III. Schadenersatz des Unternehmers gegenüber dem Mittler gemäß § 280 I BGB wegen Schlechterfüllung nachvertraglicher Pflichten 130

Auch eine Haftung gemäß §§ 280 Abs. 1 i.V.m. nachvertraglicher Pflichtverletzung ist denkbar. Hieran kann etwa bei einem Schaden wegen Verletzung der nachvertraglichen Informationspflicht gedacht werden.

IV. Schadenersatz des Unternehmers gegenüber dem Mittler aus Delikt 131

Die Verletzung des Ausschließlichkeitsrechts des Mittlers soll gem. § 823 Abs. 2 BGB einen deliktischen Eingriff in dessen eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb darstellen 689. Bei sittenwidriger Schädigung kann eine Haftung aus § 826 BGB eingreifen 690.

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BGHZ 97, 97 (110); BGH NJW 1985, 1023. RGZ 80, 436 (437 f). Der Ursachenzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden kann nach § 287 ZPO bestimmt werden: Es genügt eine auf gesicherter Grundlage bestehende Wahrscheinlichkeit. Der Kläger hat Tatsachen vorzutragen und zu beweisen, welche für eine Beurteilung nach § 287 ZPO ausreichende greifbare Anhaltspunkte bieten; so BGH, Urt. v. 3.12.1999 – IX ZR 332/98, VersR 2001, 246; siehe auch Freitag/Leible RIW 2001, 287.

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Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 28a. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 14c. Zum Franchiserecht: LG München I, Urt. v. 30.09.1999 – 14 HKO 22435/ 98, zitiert nach Giesler/Nauschütt § 5 Rn 103. OLG Nürnberg BB 1956, 352; Ebenroth/ Löwisch § 86a Rn 37; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86a Rn 21; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86a Rn 9, 47; Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 23b, 24, 26 f.

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§ 86a

V. Schadenersatz des Unternehmers gegenüber dem Mittler aus anderem Rechtsgrund Der Unternehmer haftet dem HV gemäß §§ 618 Abs. 1, 3 BGB wegen des Zustandes 132 übergebener Unterlagen i.S.d. § 86a 691. Daneben tritt eine Haftung nach § 280 BGB. Ein Vertragshändler kann gegen den Unternehmer einen Rückgriffsanspruch nach 133 §§ 478, 479 BGB innehaben. Nach dem Recht vor der Schuldrechtsnovelle 2002 gab es keine ausdrückliche Regelung zum Rückgriff des Händlers. Die §§ 478, 479 BGB verhindern nun bis zum Ablauf der in § 479 Abs. 2 BGB genannten Fünfjahresfrist eine „Regressfalle“ zu Lasten des Händlers. Im Vertragshändlerrecht bestand allerdings schon zuvor gem. §§ 675, 670 BGB ein Rückgriffsrecht des Händlers 692, zudem ergibt sich ein solches mglw. aus den gegenseitigen Treupflichten, wenn der Mangel vom Hersteller zu vertreten ist 693.

VI. Haftung des Unternehmers gegenüber Dritten Zu unterscheiden ist eine eigene Haftung des Unternehmers sowie die zugerechnete 134 Haftung. 1. Haftung wegen eigener Rechtspflichtverletzung. In dieser Fallgruppe verwirklicht 135 der Unternehmer gegenüber dem Dritten einen eigenen Rechtspflichtverstoß. Sie liegt in folgenden Situationen vor: – Mangelgewährleistung aus den geschlossenen Kaufverträgen mit den Kunden; – Organisationshaftung des Unternehmers: Zu den Verkehrssicherungspflichten zählt die Verpflichtung des Unternehmers, sein Vertriebssystem publikumssicher zu gestalten. Verletzt der Unternehmer diese Gestaltungspflicht, kann er wegen Organisationsverschuldens nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. den Grundsätzen der jeweiligen Verkehrssicherungspflichten haften 694. Ein Beispiel bildet ferner die mangelnde Produktbeobachtung oder eine Verletzung von Konstruktions-, Fabrikations-, Instruktionspflichten; – Ist ein nicht zum selektiven Vertriebssystem eines Herstellers zählender Wiederverkäufer fabrikneuer Kfz aufgrund der Weigerung ausländischer Vertragshändler unfähig, Neufahrzeuge an systemfremde Wiederverkäufer zu liefern und Bestellungen seiner Kunden für Neuwagen auszuführen, kann ihm ein Schadenersatzanspruch wegen entgangenen Gewinns aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 81 Abs. 1 EG zustehen, wenn in der fraglichen Zeit eine Freistellung des beanstandeten Verhaltens nach einer GVO ausscheidet 695. Eine einseitige „schwarze Verhaltensweise“ des Herstellers beseitigt die Freistellung nur für den Zeitraum des Verstoßes 696. Dem Hersteller dürfen nicht ohne weiteres sogenannte „schwarze Verhaltensweisen“ seiner ausländischen Vertragshändler zugerechnet werden 697. 691 692 693 694 695

Hopt § 86a Rn 6. Graf v. Westphalen DB 1999, 2553 (2555); v. Sachsen Gessaphe RIW 2001, 721 (728). Siehe auch Emde kfz-betrieb 48/2001, 26. Zu Franchiseverträgen Giesler/Nauschütt/ Pasderski § 6 Rn 35 ff. BGH, Urt. v. 30.03.2004 – KZR 24/02, EuZW 2004, 381 = DB 2004, 1725 = WuW/E 2004, 779 DE-R 1263 = NJW-RR 2004, 1185.

696

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BGH, Urt. v. 30.03.2004 – KZR 24/02, EuZW 2004, 381 = DB 2004, 1725 = WuW/E 2004, 779 DE-R 1263 = NJW-RR 2004, 1185. BGH, Urt. v. 30.03.2004 – KZR 24/02, EuZW 2004, 381 = DB 2004, 1725 = WuW/E 2004, 779 DE-R 1263 = NJW-RR 2004, 1185.

Raimond Emde

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2. Haftung wegen zugerechneter Pflichtverletzung des Mittlers. Hier verwirklicht der Unternehmer keinen eigenen Pflichtverstoß. Vielmehr wird ihm ein solcher des HV zugerechnet. Der HV ist nicht Vertragspartner des Kunden sondern lediglich Mittler. Der Kunde 137 tritt also nur zu dem Unternehmer in vertragliche Beziehung 698. Der Unternehmer muss sich Wissen oder Nichtwissen des Vermittlungs- wie Abschlussvertreters, im Zweifel auch dessen mit den Kunden getroffene mündliche Nebenabreden oder ihm gegebene Zusicherungen nach § 166 BGB zurechnen lassen und dafür einstehen 699. Etwas anderes gilt in Anlehnung an die Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsmacht, sofern die Erklärungen die dem HV übertragene Vollmacht erkennbar überschreiten 700. Der HV ist Erfüllungsgehilfe des Unternehmers i.S.d. § 278 BGB 701. Überlässt der Unternehmer Repräsentanten die Werbung von Kunden, muss er mit der Einschaltung von Untervermittlern rechnen. Deren Verhalten bei der Anbahnung von Verträgen hat sich der Hersteller gleichfalls nach § 278 BGB zurechnen zu lassen, der Mittler ist nicht Dritter i.S.d. § 123 Abs. 2 BGB 702. Ein HV soll aber regelmäßig kein Verrichtungsgehilfe des Unternehmers i.S.d. § 831 BGB sein 703. Eine Zurechnung nach § 831 BGB scheidet damit aus. Wenn der HV jedoch den Weisungen des Unternehmers unterworfen und von ihm abhängig ist, soll der HV ausnahmsweise Verrichtungsgehilfe des Unternehmers sein 704. Da nur der Unternehmer Angaben über das Abhängigkeitsverhältnis geben kann, trifft ihn eine sekundäre Darlegungslast 705. Für die Abhängigkeit und die Einordnung als Verrichtungsgehilfe des Unternehmers spricht nach Ansicht des OLG Köln der Besitz von Unterlagen des Unternehmers (Zeichnungsschein, Personalbogen, Quittungsformular mit Namen und Anschrift), eine Duldungsvollmacht des Unternehmers sowie die Tätigkeit des HV in den Räumen des Unternehmers. Möglicherweise werden in der Entscheidung des OLG Köln zu sehr verkehrstypische Umstände als Indizien für eine Abweichung vom Regelfall, nach dem ein HV kein Verrichtungsgehilfe ist, gewertet. HV sind nicht selten räumlich in die Betriebsstätte des Unternehmers eingegliedert. Allerdings fragt sich, ob ein HV nicht regelmäßig als Verrichtungsgehilfe des Unternehmers angesehen werden sollte 706. Insbesondere hat der Unternehmer für folgendes Verhalten des HV einzustehen: 138 – wettbewerbswidriges Verhalten (der HV ist Dritter i.S.d. § 8 Abs. 2 UWG) 707. Dem Unternehmer soll dabei jedoch die wettbewerbswidrige Verwertung einer Kundenliste des Unternehmers als Geschäftsgeheimnis i.S.d. § 17 Abs. 2 UWG nicht gem. § 8 698 699

700 701

702

703

Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 58; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 19a. BGH, Urt. v. 14.06.1957 – VIII ZR 73/56, DB 1957, 745; RG SeuffA 83 Nr. 153; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 58. BGH DB 1957, 745; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 58. BGH, Urt. v. 25.04.2006 – X ZR 198/04, NJW 2006, 2321 (2322); OLG Celle, VersR 2003, 61; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 50. BGH, Urt. v. 14.11.2000, XI ZR 336/99, VersR 2001, 188 = ZIP 2000, 2291 = NJW 2001, 358 = EWiR 2001, 151 (Frisch) = MDR 2001, 283. OLG Köln, Beschl. v. 05.04.2005 – 15 U 153/04, WM 2006, 123; Palandt/Sprau § 831 Rn 8; MünchKommBGB/Stein § 831

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Rn 39; aA Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 58; Hopt § 84 Rn 55. OLG Köln, Beschl. v. 05.04.2005 – 15 U 153/04, WM 2006, 123 (125); BGH, WM 1971, 906 (907). OLG Köln, Beschl. v. 05.04.2005 – 15 U 153/04, WM 2006, 123 (125). Zutreffend Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 58; Hopt § 84 Rn 55. BGH, Urt. v. 25.09.1970 – I ZR 47/69, NJW 1970, 2294; BGH, Urt. v. 05.10.1979 – I ZR 140/77, BB 1979, 1734; BGH, Urt. v. 08.12.1994 – I ZR 189/92, NJW-RR 1995, 613; Martinek/Flohr § 9 Rn 35; Ebenroth/ Löwisch § 84 Rn 58; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 50; anders im Franchiserecht, vgl. BGH NJW-RR 2000, 1710.

Raimond Emde

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 86a

Abs. 2 UWG zugerechnet werden können, weil es um eine Verwertung von Geheimnissen des früheren Unternehmers und damit nicht um eine von § 8 Abs. 2 UWG vorausgesetzte Gefährdung durch das arbeitsteilige Zusammenwirken von HV und Unternehmer geht. Der Unternehmer kann jedoch eigenverantwortlich als Störer oder als Tatbeteiligter am Geheimnisverrat haften. Eine Haftung des Unternehmers aus § 1 i.V.m. § 17 Abs. 2 UWG kommt insbesondere in Betracht, wenn der Unternehmer dem HV für „mitgebrachte“ Kunden eine Zusatzprovision von 15 % verspricht 708. Mithin haftet der Inhaber eines hiervon profitierenden Betriebs für Spionage oder Geheimnisverrat eines HV, falls er den Verstoß beispielsweise auf die vorgenannte Weise fördert 709. Andererseits soll ein Vertragshändler Beauftragter des Unternehmers im Sinne des § 8 Abs. 2 UWG (früher: § 13 Abs. 4 UWG) sein 710; – für einen Verstoß gegen das Rechtsberatungsgesetz 711; – für Täuschungshandlungen nach § 123 BGB. Hier ist der HV im Verhältnis zum Unternehmer nicht Dritter 712; – gemäß § 278 BGB 713 für die Verletzung vorvertraglicher oder vertraglicher Pflichten, wie z.B. • unterlassene Aufklärung des Kunden 714; • fehlerhafte Beratung beim Vertrieb von Finanzdienstleistungen 715; insbesondere im Falle des Zustandekommens eines selbständigen Auskunftsvertrages 716. Ein solcher Vertrag mit Haftungsfolgen kommt im Rahmen der Anlagevermittlung zumindest stillschweigend zustande, falls der Interessent deutlich macht, dass er – auf eine bestimmte Anlageentscheidung bezogen – die Kenntnisse und Verbindungen des Mittlers in Anspruch nehmen will und der Mittler wie gewünscht die Tätigkeit beginnt. Ein solcher Vertrag verpflichtet den Vermittler zu richtiger und vollständiger Information über diejenigen tatsächlichen Umstände, die für die Anlageentscheidung des Interessenten von besonderer Bedeutung sind 717; • Falschangaben gegenüber dem Kunden bei Vertragsanbahnung 718; • Untreuehandlungen eines Generalagenten des Versicherers nach § 278 BGB: Veruntreut dieser, wenn er sich auch mit der Vermittlung von Vermögensanlagen befasst, von Anlageinteressenten entgegengenommenes Geld, so entfällt die Ver708 709 710

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BGH GRUR 2003, 453 (454). Dittmer EWiR 2003, 731 (732). RGZ 151,287 (291); BGH BB 1958,1002; BGH BB 1964, 55; OLG Köln GRUR 1953, 536; Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 204. BGH ZIP 1998, 775 = BB 1998, 1656; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 58. RG Recht 1923, 1250; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 58; Hopt § 84 Rn 51–55; Schlegelberger/Schröder § 84 Rn 24, § 86 Rn 9, 19b, 48c, 50; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 91. OLG Celle VersR 2003, 61; Schlegelberger/ Schröder § 86 Rn 50. LG Hannover EWiR § 278 BGB 2/02, 233 (Schweiger); Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 50. OLG Celle VersR 2003, 61. BGH, Urt. v. 25.10.2007 – III ZR 100/06,

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VersR 2008, 352; Urt. v. 22.03.2007 – III ZR 218/06, VersR 2007, 944 (945); Urt. v. 12.07.2007 – III ZR 83/06, VersR 2007, 1653 (1654). BGH, Urt. v. 25.10.2007 – III ZR 100/06, VersR 2008, 352; BGH, Urt. v. 13.05.1993 – III ZR 25/92, VersR 1993, 1104 = NJW-RR 1993, 1114; v. 13.01.2000 – III ZR 62/99, VersR 2001, 240; v. 11.09.2003 – III ZR 381/02, NJW-RR 2003, 1690; v. 19.10.2006 – III ZR 122/05, VersR 2007, 63, 64 = NJWRR 2007, 348 (349), v. 22.03.2007 – III ZR 218/06, VersR 2007, 944 (945) = NJW-RR 2007, 925; v. 12.07.2007 – III ZR 83/06, VersR 2007, 1653 (1654) = WM 2007, 1606 (1607). BGH ZIP 2000, 2291; Westphal BB 1999, 2517; Kieninger AcP 199, 190; Ebenroth/ Löwisch § 84 Rn 58.

Raimond Emde

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§ 86a

1. Buch. Handelsstand

antwortlichkeit des Versicherers nicht allein deshalb, weil der HV keine Inkassovollmacht besaß 719; – unerlaubte Handlungen des HV bei (ausnahmsweise vorliegender) weisungsgebundener Tätigkeit gem. § 831 BGB 720; regelmäßig ist der HV aber kein Verrichtungsgehilfe, s.o.; – die Kenntnis oder das Kennenmüssen von Umständen, die der HV in Ausübung seiner Tätigkeit erlangt (§ 166 BGB) 721. So darf sich ein Unternehmer, der sich für den Abschluss von Darlehensverträgen selbstständiger Vermittler bedient, nicht über deren behauptete Vorgehensweise in Unkenntnis halten und jene pauschal oder mit Nichtwissen bestreiten 722; – für Zusicherungen und Versprechungen auch des Vermittlungsvertreters 723, wenn diese vom Unternehmer trotz Kenntnis nicht berichtigt werden und der Kunde im Vertrauen auf sie den Vertrag mit dem Unternehmer schließt. Gem. § 434 Abs. 1 S. 3 BGB gehören zur Beschaffenheit einer Sache Eigenschaften, die der Käufer nach öffentlichen Äußerungen des Verkäufers, des Herstellers oder seines Gehilfen erwarten kann. Westermann 724 stellt die von ihm unbeantwortet gelassene Frage, ob deshalb auch für Aussagen einer unmittelbar nicht am Vertrag beteiligten Agentur oder eines Vertragshändlers gehaftet wird. Die Frage ist wohl differenziert zu beantworten 725: Grundsätzlich ja, soweit der Unternehmer die Aussage kennt. Denn sowohl HV wie Vertragshändler sind als Teile des Vertriebssystem „geborene“ Quellen von Äußerungen über Eigenschaften der in Frage stehenden Sache. Jedoch nein, falls der Käufer die Äußerung nicht kannte, weil sie dann die Kaufentscheidung nicht beeinflussen konnte (§ 434 Abs. 1 S. 3 BGB letzter Satzteil). Der Unternehmer kann ggf. u.U. gem. §§ 119 ff BGB anfechten 726.

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3. Fehlende Haftung des Unternehmens gegenüber Dritten. Im Übrigen sind Verstöße des HV gegen gesetzliche Verbote bei der Ausübung seiner vertraglich geschuldeten Vertriebstätigkeit dem Unternehmer im Regelfall nicht anzulasten 727. So haftet der Unternehmer nicht: – Für die wettbewerbswidrige Werbung eines Franchisenehmers. Sofern der Franchisegeber die im Streite stehende Werbung nicht veranlasst hat, kommt allenfalls ein Verstoß durch Unterlassen in Betracht. Dieser setzt eine Erfolgsabwendungspflicht voraus, welche sich insbesondere nicht aus der Überlassung von „good will“ ergibt. Eine möglicherweise in Betracht kommende Störerhaftung kann nur Abwehr-, nicht aber die geforderten Schadenersatzansprüche begründen 728; – für gegen einen Franchisenehmer gerichtete vertragliche Ansprüche. Sofern bei Vertragsschluss nicht weitere Umstände vorliegen, führt allein die Tatsache, dass innerhalb eines Franchisesystems Marken oder sonstige Kennzeichen einheitlich als Bestandteil zur Bildung von weitere Bestandteile enthaltenden Firmen oder sonstigen geschäftlichen Bezeichnungen verwendet werden, nicht zur Verpflichtung des Franchise719 720 721 722 723

BGH, Urt. v. 10.02.2005 – III ZR 258/04, WM 2005, 701. Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 58; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 50. Teichler VersR 2002, 385 (389); Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 6c. OLG München, Urt. v. 27.04.2006 – 19 U 3717/04, NJW 2006, 1811. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 6b.

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724 725 726 727 728

NJW 2002, 241 (245). Emde VersR 2003, 419 (426). Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 6b. BGH BB 1998, 1656 m. Anm. Cordes BB 1998, 1657. BGH, Urt. v. 06.04.2000, I ZR 67/98, NJWRR 2000, 1710 = NJW 2001, 441 (LS) = MDR 2001, 163.

Raimond Emde

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 86a

gebers oder anderer Franchisenehmer nach Rechtsscheingrundsätzen 729. Wie zu entscheiden wäre, falls identische Bezeichnungen verwendet werden, ohne dass ersichtlich wird, dass es sich um rechtlich selbständige Unternehmen handelt, ließ der BGH offen; – gem. § 278 BGB für das betrügerische Handeln eines seiner Versicherungsvertreter, wenn der HV den ihm übertragenen Aufgabenbereich verlässt und seinen Kunden Kapitalanlagen verkauft, die einzig seiner Phantasie entsprungen sind und in keinem sachlichen Zusammenhang mit den Aufgaben stehen, mit welchen der HV betraut war 730.

VII. Haftung von Dritten Auch Dritte können ausnahmsweise haften. So kann die deutsche Tochtergesellschaft 140 eines ausländischen Franchisegebers als Verhandlungsgehilfe des Franchisegebers wegen der Verletzung vorvertraglicher Pflichten selbst haften, weil sie ein eigenes wirtschaftliches Interesse am Zustandekommen des Vertrages hat und gleichsam in eigener Sache tätig wird, wenn sie eine selbst übernommene Gewähr für die Richtigkeit einer von ihr übergebenen Wirtschaftlichkeitsberechnung übernimmt, indem sie zusichert, im Falle eines Scheiterns des Projekts werde sie das Franchiseobjekt übernehmen, „wie sich das für eine große Franchisefamilie gehöre“ 731.

VIII. Beweislast in Haftungstatbeständen Nach § 280 Abs. 1 BGB sind eine Pflichtverletzung, die Entstehung eines Schadens 141 nach Grund und Höhe und der Ursachenzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden 732 von dem Fordernden darzulegen und zu beweisen 733. Das Nichtvertretenmüssen ist jedoch gem. § 280 Abs. 1 S. 2 BGB ein Einwendungstatbestand, für welchen der Schuldner beweispflichtig ist 734. Von dieser Beweislastverteilung ist nur insoweit abzuweichen, als der in Anspruch Genommene Erfüllung beweisen muss, wenn der Anspruchsteller die Leistung nicht als Erfüllung angenommen hat (§ 363 BGB). In den meisten Fällen sind die Pflichtverletzungen erst im Nachhinein entdeckt, so dass der Unternehmer die Leistung des HV als Erfüllung angenommen hat. Folglich bleibt es hier bei der vorgenannten Beweislastverteilung. Der HV muss zudem eventuelle Aufwendungen sowie deren Nutzlosigkeit und Entbehrlichkeit im Falle eines vertragsgemäßen Handelns des Unternehmers nachweisen. Die Schadenshöhe und der entgangene Gewinn darf gem. § 252 BGB, § 287 ZPO geschätzt werden, falls sich ein konkreter Schaden nicht nachweisen lässt 735. Der Unternehmer muss gegenüber einem Schadensersatzbegehren des HV wegen der Nichtausführung eines Geschäftes beweisen, dass er ein von dem Vermittlungsvertreter angetragenes Geschäft nicht abgeschlossen hätte 736. Hiergegen kann der HV einwenden, eine derartige Ablehnung sei willkürlich und unvertretbar 737. Ein 729 730 731 732 733

BGH, Urt. v. 18.12.2007 – X ZR 137/04, DB 2008, 812 (813). OLG Hamm, Urt. v. 27.07.2004 – 4 U 63/04, VersR 2005, 104. BGH, Urt. v. 13.12.2005 – KZR 12/04, NJW-RR 2006, 993. BGH NJW 1974, 795; Küstner/Thume I, Rn 663; Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 41. Küstner/Thume I, Rn 663.

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735 736 737

BGH NJW 1974, 795; Palandt/Heinrichs § 280 Rn 34; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 70; Schlegelberger/ Schröder § 86 Rn 45. BGH NJW-RR 1988, 1060 (1061); Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 41. Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 24. Schlegelberger/Schröder § 86a Rn 24.

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§ 86b

1. Buch. Handelsstand

Kfz-Händler, der gegenüber dem Hersteller einen Kündigungsschaden geltend macht, genügt seiner Darlegungslast, wenn er den Rohertrag je Fahrzeugverkauf angibt und davon die nach seiner Ansicht ersparten Betriebskosten (hier in Höhe von EUR 80 je Einheit) absetzt 738. Die vom Hersteller behaupteten durchschnittlich ersparten 739 Aufwendungen anderer Kfz-Händler darf der Händler mit Nichtwissen bestreiten.

§ 86b Delkredereprovision (1) 1 Verpflichtet sich ein Handelsvertreter, für die Erfüllung der Verbindlichkeit aus einem Geschäft einzustehen, so kann er eine besondere Vergütung (Delkredereprovision) beanspruchen; der Anspruch kann im voraus nicht ausgeschlossen werden. 2 Die Verpflichtung kann nur für ein bestimmtes Geschäft oder für solche Geschäfte mit bestimmten Dritten übernommen werden, die der Handelsvertreter vermittelt oder abschließt. 3 Die Übernahme bedarf der Schriftform. (2) Der Anspruch auf die Delkredereprovision entsteht mit dem Abschluss des Geschäfts. (3) 1Absatz 1 gilt nicht, wenn der Unternehmer oder der Dritte seine Niederlassung oder beim Fehlen einer solchen seinen Wohnsitz im Ausland hat. 2 Er gilt ferner nicht für Geschäfte, zu deren Abschluss und Ausführung der Handelsvertreter unbeschränkt bevollmächtigt ist. Schrifttum v. Brunn Weitere Zweifelsfragen zum neuen Recht der Handelsvertreter, NJW 1954, 56; Castan Rechtsfragen des Delcredere, BB 1957, 1124 ff; Eberstein Zehn Jahre Rechtsprechung zum neuen Handelsvertreterrecht, BB 1964, 271; Glaser Vergütungsfragen des Handelsvertreterrechts, DB 1956, 297; Masing Die Delkrederevereinbarung nach § 86b Abs. 3 HGB, BB 1995, 2589; Schröder Gesetzlicher und vertraglicher Provisionsanspruch des Handelsvertreters, BB 1963, 567.

Übersicht A. Zweck des Delkredere . . . . . . . . . .

Rn

Rn

1–2

V. Nur für ein bestimmtes Geschäft oder für solche Geschäfte mit bestimmten Dritten, die der HV vermittelt oder abschließt . . . . . . . 16–20 1. Bestimmtes Geschäft . . . . . . . 18 2. Geschäfte mit bestimmten Dritten, die der HV vermittelt oder abschließt . . . . . . . . . . . . . . 19 3. Wegfall des Delkredereversprechens . . . . . . . . . . . . 20 VI. Die Delkredereprovision – Rechtsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . 21

B. Systematische Stellung . . . . . . . . . .

3

C. Europarecht . . . . . . . . . . . . . . .

4

D. Rechtsnatur und Haftungsumfang

. . .

5–8

E. Absatz 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . 9–21 I. Verpflichtung . . . . . . . . . . . . 9 II. Handelsvertreter . . . . . . . . . . 10 III. Für die Erfüllung der Verbindlichkeit aus einem Geschäft einzustehen 11–13 IV. Schriftform . . . . . . . . . . . . . 14–15

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BGH, Urt. v. 22.03.2006 – VIII ZR 173/04, WM 2006, 1403 = NJW-RR 2006, 1328 = VersR 2006, 1640. Es ist eine berechtigte Frage, ob solche er-

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sparten Aufwendungen überhaupt abzusetzen sind: Denn aus den Rabatten sollen gerade die Kosten bezahlt werden.

Raimond Emde

§ 86b

1. Buch. Handelsstand

Kfz-Händler, der gegenüber dem Hersteller einen Kündigungsschaden geltend macht, genügt seiner Darlegungslast, wenn er den Rohertrag je Fahrzeugverkauf angibt und davon die nach seiner Ansicht ersparten Betriebskosten (hier in Höhe von EUR 80 je Einheit) absetzt 738. Die vom Hersteller behaupteten durchschnittlich ersparten 739 Aufwendungen anderer Kfz-Händler darf der Händler mit Nichtwissen bestreiten.

§ 86b Delkredereprovision (1) 1 Verpflichtet sich ein Handelsvertreter, für die Erfüllung der Verbindlichkeit aus einem Geschäft einzustehen, so kann er eine besondere Vergütung (Delkredereprovision) beanspruchen; der Anspruch kann im voraus nicht ausgeschlossen werden. 2 Die Verpflichtung kann nur für ein bestimmtes Geschäft oder für solche Geschäfte mit bestimmten Dritten übernommen werden, die der Handelsvertreter vermittelt oder abschließt. 3 Die Übernahme bedarf der Schriftform. (2) Der Anspruch auf die Delkredereprovision entsteht mit dem Abschluss des Geschäfts. (3) 1Absatz 1 gilt nicht, wenn der Unternehmer oder der Dritte seine Niederlassung oder beim Fehlen einer solchen seinen Wohnsitz im Ausland hat. 2 Er gilt ferner nicht für Geschäfte, zu deren Abschluss und Ausführung der Handelsvertreter unbeschränkt bevollmächtigt ist. Schrifttum v. Brunn Weitere Zweifelsfragen zum neuen Recht der Handelsvertreter, NJW 1954, 56; Castan Rechtsfragen des Delcredere, BB 1957, 1124 ff; Eberstein Zehn Jahre Rechtsprechung zum neuen Handelsvertreterrecht, BB 1964, 271; Glaser Vergütungsfragen des Handelsvertreterrechts, DB 1956, 297; Masing Die Delkrederevereinbarung nach § 86b Abs. 3 HGB, BB 1995, 2589; Schröder Gesetzlicher und vertraglicher Provisionsanspruch des Handelsvertreters, BB 1963, 567.

Übersicht A. Zweck des Delkredere . . . . . . . . . .

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V. Nur für ein bestimmtes Geschäft oder für solche Geschäfte mit bestimmten Dritten, die der HV vermittelt oder abschließt . . . . . . . 16–20 1. Bestimmtes Geschäft . . . . . . . 18 2. Geschäfte mit bestimmten Dritten, die der HV vermittelt oder abschließt . . . . . . . . . . . . . . 19 3. Wegfall des Delkredereversprechens . . . . . . . . . . . . 20 VI. Die Delkredereprovision – Rechtsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . 21

B. Systematische Stellung . . . . . . . . . .

3

C. Europarecht . . . . . . . . . . . . . . .

4

D. Rechtsnatur und Haftungsumfang

. . .

5–8

E. Absatz 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . 9–21 I. Verpflichtung . . . . . . . . . . . . 9 II. Handelsvertreter . . . . . . . . . . 10 III. Für die Erfüllung der Verbindlichkeit aus einem Geschäft einzustehen 11–13 IV. Schriftform . . . . . . . . . . . . . 14–15

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BGH, Urt. v. 22.03.2006 – VIII ZR 173/04, WM 2006, 1403 = NJW-RR 2006, 1328 = VersR 2006, 1640. Es ist eine berechtigte Frage, ob solche er-

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sparten Aufwendungen überhaupt abzusetzen sind: Denn aus den Rabatten sollen gerade die Kosten bezahlt werden.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 86b

Rn F. Fälligkeit der Delkredereprovision (Absatz 2) . . . . . . . . . . . . . . . .

22

G. Wegfall des Anspruchs auf Delkredereprovision . . . . . . . . . . . . . . . .

23

Rn K. Absatz 3: Ausnahmefälle . . . . . . . . 29–34 I. Gegenständliche Reichweite der Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . 29–31 II. Auslandsgeschäfte . . . . . . . . . 32–33 III. Geschäfte, zu deren Abschluss und Ausführung der Handelsvertreter unbeschränkt bevollmächtigt ist . . 34

H. Höhe . . . . . . . . . . . . . . . . . 24–26 I. Vertraglich vereinbarte Höhe . . . . 24–25 II. Fehlende Vereinbarung . . . . . . . 26 I.

Unabdingbarkeit

. . . . . . . . . . . .

27

J. Rechtsfolge der Verfehlung der zwingenden Tatbestandsvoraussetzungen . . . .

28

L. Der Delkrederanspruch in der Insolvenz .

35

M. Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . .

36

A. Zweck des Delkredere In § 86b ist die Delkredereprovision des HV geregelt. Tatsächlich hat die Norm 1 wenig Bedeutung1, außer vielleicht im Auslandsgeschäft 2. Die Übernahme der Einstandspflicht nennt das Gesetz mit einem altertümlichen, aus dem Italienischen stammenden Ausdruck der Handelssprache Delcredere (in der amtlichen Schreibweise: Delkredere). Wiewohl der HV verpflichtet ist, die Leistungs-, insbesondere die Zahlungsfähigkeit des Kunden, zu dem er in geschäftliche Verbindung tritt, zu prüfen (§ 86 Rn 64 ff), hat er ohne gesonderte, in § 86b angesprochene Abrede für die Erfüllung der Verbindlichkeit dieses Kunden aus dem für den Unternehmer vermittelten Geschäft grundsätzlich nicht einzustehen. Er wird dem Unternehmer allenfalls schadensersatzpflichtig (negatives Interesse) 3, wenn er es in diesem Punkte an der gehörigen Sorgfalt hat fehlen lassen oder falls er den Unternehmer über bestehende Bedenken nicht pflichtgemäß unterrichtet hat. Sonst aber ist es das Risiko des Unternehmers, falls der Kunde nicht leistet, und Schadensersatzansprüche gegen den Kunden nicht gegeben oder nicht durchsetzbar sind. Deswegen führt § 86b, außer in den Fällen des Abs. 3 und des § 92c, zum Schutz des HV 4 für die Begründung der Delkrederehaftung inhaltliche und förmliche Voraussetzungen ein und der Unternehmer schuldet kraft Gesetzes eine Vergütung, die DelkredereProvision. Die Befürchtung fehlender Durchsetzbarkeit der Leistungsfähigkeit des Kunden könnte 2 den Unternehmer veranlassen, von dem Abschluss des vermittelten Geschäfts abzusehen. Das wiederum berührt das Provisionsinteresse des HV. Dieser kann ein Interesse daran haben, die Befürchtungen zu neutralisieren, indem er selbst es übernimmt, für die Erfüllung durch den Kunden einzustehen5. Die Norm soll es dem Vertreter ermöglichen, freier im Markt agieren zu können, ohne besondere Rücksicht auf das Vergütungsinteresse des Unternehmens nehmen zu müssen. Zudem ist der HV oft besser als der Unternehmer in der Lage, die Erfüllungsbereitschaft und die Zahlungsfähigkeit der von ihm vermittelten Kunden zu beurteilen 6, so dass die Einstandspflicht auch ein Mittel der Disziplinierung 1 2 3 4

Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 1. Masing BB 1995, 2589; Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 1. LG Heidelberg BB 1955, 942; Hopt § 86b Rn 1. BGH, Urt. v. 31.03.1982 – I ZR 60/80, WM 1982, 1152; Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 1; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86b

5

6

Rn 1; Hopt Rn 2; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86b Rn 2 u. 36; Masing BB 1995, 2589 (2592). Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 1; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86b Rn 2, 9; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86b Rn 14. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 1.

Raimond Emde

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§ 86b

1. Buch. Handelsstand

des Vertreters ist, weil er dort besonders sorgsam prüfen wird, wo er selbst eine Einstandspflicht befürchten muss.

B. Systematische Stellung 3

Der Gesetzeswortlaut stellt die Verpflichtung des Unternehmers auf Zahlung einer gesonderten Vergütung in den Vordergrund, obwohl eigentlich der Vertreter die vertragscharakteristische Leistung – Übernahme des Risikos – erbringt. Betont man die Leistung des HV, mag man sich fragen, ob die Vorschrift – nach ihrer Stellung von § 86 (Pflichten des Vertreters) getrennt – nicht besser als § 86a in das Gesetz eingefügt worden wäre. Sieht man eher auf die Gegenleistung des Unternehmers, wäre es wohl richtig gewesen, sie nach § 87a und vor § 87b einzufügen, zumal § 87b auch für die Delkredereprovision gilt 7. § 86b trifft hinsichtlich des Anspruchsgrundes gegenüber § 354 eine Sonderregelung 8.

C. Europarecht § 86b hat kein Vorbild in der HV-Richtlinie 1986 9.

4

D. Rechtsnatur und Haftungsumfang 5

Das Delkredere ist im Zweifel gem. § 349 Satz 1 selbstschuldnerische Bürgschaft 10, wie schon der § 765 Abs. 1 weitgehend gleichende Wortlaut des § 86b Abs. 1 zeigt. Garantiezusage oder Schuldbeitritt liegen regelmäßig nicht vor. Jedoch kann das Delkredere auch als Schuldbeitritt, Schuldversprechen oder Garantie ausgestaltet werden 11, wobei diese Abweichung vom Regelfall durch denjenigen zu beweisen wäre, der sich auf sie beruft. Eine Garantieübernahme wäre nicht akzessorisch zu einer bestehenden Leistungspflicht des Kunden (diese könnte nichtig oder schwebend unwirksam sein; der Garant hätte trotzdem zu leisten und erwürbe nicht einmal immer einen Rückgriff nach Art des § 774 BGB). Der Schuldbeitritt könnte zwar auch durch Vertrag zwischen HV und Unternehmer erfolgen. Doch deckt er im Gegensatz zur Bürgschaft die zu sichernde Forderung nicht in ihrem jeweiligen Bestand, wie sich aus § 425 12 ergibt. Die Einordnung als Bürgschaft hat demgegenüber den Vorzug einer klaren, nicht erst durch Auslegung festzustellenden Rechtslage. Unabhängig von der Rechtsnatur des Haftungs-

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Hopt § 86b Rn 10. BGH, Urt. v. 24.10.1966 – VII ZR 219/64, LM Nr. 1 = MDR 1967, 37; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86b Rn 13. ABl. EG v. 31.12.1986, Nr. L 382/17, wiedergegeben bei Hopt Materialien I und Ebenroth/Hakenberg Vor § 84 Anh. I. Zu den Zielen der Richtlinie ausführlich Eberstein S. 20 ff. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 2; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86b Rn 4; Hopt § 86b Rn 6; RGRK-BGB/Mormann,

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Vor § 765 Rn 9; Masing BB 1995, 2589; aA zwingend Bürgschaft: MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 86b Rn 5; Castan BB 1957, 1124; vgl. auch RGZ 107, 194 (195); RG HRR 1935 Nr. 1054; offengelassen in BGH WM 1982, 1152 (1153). Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86b Rn 4; Hopt § 86b Rn 6; RGRK-BGB/ Morman Vor § 765 Rn 9; Masing BB 1995, 2589. RGZ 135, 108.

Raimond Emde

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 86b

versprechens gelten – schon wegen der zwingenden Natur des § 86b – seine TBVoraussetzungen, insb. das Schriftformerfordernis, und die Rechtsfolge, die Verpflichtung zur Zahlung einer Delkredereprovision, als lex specialis – nach aA analog 13 – auch für ein Delkredereversprechen in Form einer Garantiezusage, eines Schuldbeitritts oder eines Schuldversprechens 14. Regelmäßig greift also ergänzend Bürgschaftsrecht ein 15 und, soweit der HV Voll- 6 kaufmann ist, subsidiär das Recht der Handelsbürgschaft. Für das allgemeine Bürgschaftsrecht bedeutet das insbesondere: Kraft Übernahme des Delkredere haftet der HV für die Forderung des Unternehmers gegen den Kunden in ihrem jeweiligen Bestand, deshalb auch für den an ihre Stelle tretenden Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung (§ 767 Abs. 1 S. 1, 2 BGB) und ebenso für die Kosten der Rechtsverfolgung (§ 767 Abs. 2 BGB), aber auch für Folgeansprüche, wenn das Geschäft mit dem Kunden nichtig, durch Anfechtung vernichtet oder durch Rücktritt wieder aufgehoben worden ist (Bereicherungsansprüche, Ansprüche auf das negative Interesse nach § 122 BGB 16; siehe unten, Rn 11, 20). Einreden des Kunden gegen die Forderung stehen ebenso dem Handelsvertreter zu (§§ 768, 770 BGB) 17. Der HV, der den Unternehmer befriedigt, erwirbt die Forderung gegen den Kunden nach Maßgabe des § 774 BGB. Ist der HV Kaufmann, gilt zwar (wegen Abs. 1 S. 3) nicht die Formfreiheit des § 350. 7 Fraglich ist, ob § 349 Geltung beansprucht, demzufolge dem kaufmännischen HV die Einrede der Vorausklage nicht zusteht. Das ist zwar eigentlich der Fall. Doch widerspräche es dem besonderen Loyalitätsverhältnis zwischen HV und Unternehmer, dass dieser, sofern er durch freiwilliges Entgegenkommen gegenüber dem Hauptschuldner (den er verklagen könnte) seine geschäftlichen Belange selbst schädigt, die dadurch entstehende Einbuße im direkten Zugriff per Delkrederehaftung auf den Vertreter abwälzen dürfte. Deshalb wird man der – von Schmidt-Rimpler S. 96 im Zweifel als vereinbart anzusehenden – Einschränkung beitreten müssen, dass der Unternehmer vor Inanspruchnahme des HV wenigstens den Versuch macht, die Leistung vom Dritten zu erlangen, und dem HV gegebenenfalls die Einrede gewährt wird, der Unternehmer habe jenen Versuch gar nicht unternommen 18. Eine abweichende Vereinbarung dürfte trotz der zwingenden Natur der Treupflicht angesichts ihrer Konkretisierbarkeit wohl noch zulässig sein 19. Das gilt regelmäßig auch, wenn der Vertrag als Garantie einzuordnen wäre 20. Klage und Vollstreckung gegen den Kunden sind gleichwohl nicht erforderlich, so weit reicht die Rücksichtnahmepflicht des Unternehmers nicht 21. Klagen und vollstrecken muss ggf. der HV, der mit der Befriedigung des Unternehmers nicht nur den Provisionsanspruch nach § 87a 22, sondern auch die Forderung des Unternehmers gegen den Kunden nach § 774 BGB erwirbt 23. Er ist allerdings den Einreden ausgesetzt, welche dem Kunden gegen den 13 14

15 16 17 18 19 20

Hopt § 86b Rn 6. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 27; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86b Rn 10, 11; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86b Rn 6. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 2. Schlegelberger/Schröder § 86b Rn 6. Hopt § 86b Rn 8. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 17; Schlegelberger/Schröder § 86b Rn 18a. Hopt § 86b Rn 8. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 27; Hopt § 86b Rn 8; aA wohl Heymann/Sonnenschein/ Weitemeyer § 86b Rn 11.

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22 23

Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 17; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86b Rn 5 und 20; Schlegelberger/Schröder Rn 18a; Masing BB 1995, 2589 (2595); nach Castan BB 1957, 1124 (1125) nur bei Nichtverschulden des HV. Masing BB 1995, 2589 (2596); Ebenroth/ Löwisch § 86b Rn 17. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 17; Schlegelberger/Schröder § 86b Rn 18d; Castan BB 1957, 1124 (1125); Masing BB 1995, 2589 (2596).

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§ 86b

1. Buch. Handelsstand

Unternehmer oder etwa unmittelbar gegen den HV zustehen 24. Die Rechtsprechung hat sich dem angeschlossen 25. Schon früher hatte die kaufmännische Praxis den gleichen Standpunkt eingenommen; vgl. Gutachten der Ind.- u. Handelsk. Berlin III Nr. 240 und der Handelskammer Breslau N.F. 42; Handelsbrauch aaO Nr. 206–214, wonach die Übernahme des Delkredere seitens eines HV handelsüblich sogar nur einer Ausfalls- oder Schadloshaltungsbürgschaft gleichzuachten ist, so dass der Unternehmer zunächst gegen den Kunden klagbar werden muss. Immerhin wird diese Einschränkung nur soweit Geltung beanspruchen können, wie die Loyalitätsbindung reicht. Sollte der Vertreter kein Kaufmann sein, gilt § 349 S. 1 BGB ohnehin nicht. § 86b Abs. 1 S. 2 nennt bestimmte Wirksamkeitsvoraussetzungen für die Übernahme 8 des Delkredererisikos, die über diejenigen der Bürgschaft hinausgehen. Gegenüber der Bürgschaft gibt es daher im Wesentlichen drei Abweichungen, welche die Sonderregelung des § 86b rechtfertigen: – Zum einen ist eine Vergütung für die Bürgschaftsübernahme vorgeschrieben (§ 86b Abs. 1 erster Halbsatz); dieser Anspruch ist zudem zwingend; – die Bürgschaft kann nur für ein bestimmtes Geschäft oder für solche Geschäfte mit bestimmten Dritten übernommen werden, die der HV vermittelt oder abschließt (§ 86b Abs. 1 S. 2); – schließlich ist die Bürgschaftsverpflichtung zwingend schriftlich zu fassen (dies Erfordernis ist logischerweise unabdingbar 26) und verdrängt § 350 27. Selbst wenn der HV also Kaufmann ist, ist § 86b Abs. 1 S. 3 lex specialis, so dass die Schriftform der Übernahmeerklärung gefordert wird. Die Annahmeerklärung des Unternehmers ist dagegen an keine Form gebunden (ebenso § 766 BGB 28).

E. Absatz 1 I. Verpflichtung 9

Das Delkredere muss durch eine inhaltlich eindeutige rechtsverbindliche Vereinbarung („Verpflichtung“) mit einseitiger Schriftform (Rn 14) begründet werden. Erforderlich ist der eindeutig feststellbare Wille beider Vertragsparteien zur Begründung der Haftung des Vertreters 29; es muss eine hinreichend klare Verpflichtungserklärung des HV vorliegen. Nicht erforderlich ist, dass die Rechtsfolge des § 86b – besondere Vergütung – genannt wird. Sie ergibt sich automatisch aus der Übernahme des Delkredere selbst. Was automatisch aus einem Tatbestandsmerkmal folgt, braucht nicht besonders geregelt zu werden. Wegen der Leitbildwirkung der Delkrederevergütung und der erforderlichen Transparenz ließe sich allenfalls in AGB gemäß § 307 BGB Abweichendes vertreten. Ohne die Delkredere-Vereinbarung schuldet der Vertreter kein Einstehen für die Erfüllung der Verbindlichkeiten eines Kunden. Der Gebrauch des Ausdrucks Delkredere ist zwar nicht vorausgesetzt. Wohl aber ist bei Formulierungen, die nicht eindeutig auf ein Einstehen-Wollen hindeuten, stets zu prüfen, ob wirklich eine Einstandspflicht gemeint gewesen ist; z.B. ob in der Erklärung „die Firma X ist gut, ich übernehme für diese Firma 24 25 26

Schlegelberger/Schröder § 86b Rn 18d. RG HRR 1935, Nr. 1054 unter Berufung auf § 242 BGB. Schlegelberger/Schröder § 86b Rn 12; Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 10.

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Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 10. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 10. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 3.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 86b

die volle Verantwortung“ nur eine Kreditauskunft des Vertreters oder die Erklärung zu erblicken ist, Delkredere stehen zu wollen 30. Bloße Erklärungen über Bonität, Zahlungsfähigkeit oder Erfüllungsbereitschaft eines Kunden sind noch keine Delkredereerklärung 31. Im Zweifel ist die Übernahme des Delkredere zu verneinen 32. Diese Verpflichtungserklärung muss der Unternehmer annehmen, notfalls als für sich günstig gem. § 151 BGB. Es handelt sich dann um einen Vertrag, bei dem das Delkredereversprechen des HV einerseits und die Delkrederprovision des Unternehmers im Gegenseitigkeitsverhältnis stehen. Ein einseitiger „Verzicht“ des Unternehmers auf die Delkrederehaftung ist deshalb nicht möglich 33.

II. Handelsvertreter Es muss eine Verpflichtung des HV vorliegen. Zum Begriff des HV § 84. Jeder HV 10 kann die Delkredereerklärung abgeben, sei er Verkaufs- oder Einkaufsvertreter 34. Auf handelsvertreterähnliche Vertriebsmittler, insbesondere Kommissionsagenten, Vertragshändler 35 oder Franchisenehmer 36, passt die Vorschrift nicht 37, weil diese regelmäßig ihre Geschäfte selbst abschließen und mithin keine vergleichbare Interessenlage vorliegt. Die Analogievoraussetzungen dürften daher fehlen.

III. Für die Erfüllung der Verbindlichkeit aus einem Geschäft einzustehen Der HV muss sich verpflichten, für die Erfüllung der Verbindlichkeit aus einem 11 Geschäft einzustehen. Das Delkredere begründet eine Wertersatzhaftung für eine „Verbindlichkeit“ 38. Der genaue Inhalt steht zur Disposition der Vertragspartner, weil § 86b Abs. 1 insoweit nicht zwingend ist. Eine Leitbildwirkung des § 86b gibt es nur bei der Prüfung von AGB. In der Regel handelt es sich bei der „Verbindlichkeit“ um den gegen den Kunden gerichteten Anspruch des Unternehmers auf Gegenleistung, d.h. auf Erfüllung 39. Jedoch können auch alle anderen Ansprüche aus dem Geschäft gesichert sein 40: Übernommen wird je nach Gestaltung Wertersatz für eine Zahlungs-, Sach- oder Dienstleistungspflicht des Kunden. Im Zweifel erstreckt sich das uneingeschränkt übernommene Delkredere auch auf Neben-, Sekundär- und Abwicklungsansprüche des Unternehmers gegen den Kunden 41, etwa aus Verzug, Schlechterfüllung, Nichterfüllung,

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33

34 35

OLG München JW 1930, 14277. OLG München JW 1930, 1424; Ebenroth/ Löwisch § 86b Rn 3; Schlegelberger/Schröder § 86b Rn 4. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 3; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86b Rn 5; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86b Rn 7; Schlegelberger/Schröder § 86b Rn 4. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 15; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86b Rn 26. Castan BB 1957, 1124 (1125, 1127); Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 4. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 28; Münch-

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KommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86b Rn 3. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 28; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86b Rn 3. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 28; Hopt § 84 Rn 11; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 86b Rn 3. Masing BB 1995, 2589 (2595); Ebenroth/ Löwisch § 86b Rn 6. Hopt § 86b Rn 7. Hopt § 86b Rn 7. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 6; Hopt § 86b Rn 7.

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§ 86b

1. Buch. Handelsstand

Rückabwicklung, § 812 BGB, Vertragsstrafe 42 etc. sowie auf Ersatz der dem Unternehmer durch die Beitreibung der Kundenforderung entstehenden Kosten 43. Soll das Delkredere eine so weit gehende Wirkung nicht haben, müssen die Parteien das hinreichend deutlich regeln 44. Auch kann das Delkredere auf die Primär- oder Hauptleistungspflicht des Kunden aus dem Vertrag beschränkt werden 45. Die Einstandspflicht erstreckt sich nur auf Bestimmungen, die in den Verträgen mit 12 Kunden der betreffenden Branche üblich sind, wobei eine weite Auslegung zu Gunsten des Unternehmers angezeigt ist. Mit mehr braucht der HV nicht zu rechnen und auf Weiteres erstreckt sich seine Erklärung zur Delkredere-Übernahme im Zweifel nicht. Soll sich die Einstandspflicht auch auf außergewöhnliche Verpflichtungen beziehen, etwa auf besonders belastende Vertragsstrafeversprechen oder andere ungewöhnliche Bestimmungen, muss der Unternehmer den HV unzweideutig auf das übernommene Risiko hinweisen und sich der HV zur Übernahme verpflichten, anderenfalls es von der Einstandspflicht nicht erfasst ist 46. Unwirksam ist die Bestimmung, welche dem HV die Kosten des gerichtlichen Vorgehens gegen einen bestimmten Kunden oder in jedem Falle bei Zahlungsunfähigkeit oder Unwilligkeit der Kunden bis zur Höhe der Beitreibungskosten auferlegt 47. Trotz des Worts „einem“ können mehrere Delkredereversprechen für verschiedene Geschäfte oder Kunden in einer Urkunde zusammengefasst werden 48, solange die u.g. Anforderungen an die Bestimmtheit der Erklärung erfüllt sind. Anders könnte ein generelles Delkredereversprechen kaum in den HV-Vertrag eingefügt werden. Obgleich § 86b es nicht ausdrücklich sagt, bezieht das Delkredere sich nur auf den 13 Fall, dass der HV seinem Unternehmer gegenüber für die Erfüllung des Dritten aus einem Geschäft einstehen will. Gegenstand der Einstandspflicht kann damit jede Leistung sein, welche der Kunde („Dritte“) dem Unternehmer schuldet. Pflichten des Kunden gegenüber anderen Personen als dem Unternehmer, z.B. Bürgschaft des Abzahlungskaufverträge vermittelnden HV gegenüber der Teilzahlungskreditbank für Verbindlichkeiten des Abzahlungsverkäufers 49 oder Verpflichtungen, die der Dritte (Kunde) gegenüber dem Finanzierungsinstitut bei finanzierten Geschäften eingegangen ist 50, können nicht gemäß § 86b gesichert werden 51. Denkbar wäre es zwar auch, dass ein HV dem Kunden („Dritten“) die Leistung des Unternehmers garantiert 52. Aus einer solchen Zusage darf der Vertreter aber keinen Anspruch auf Delkredereprovision gegen den Unternehmer geltend machen, allenfalls einen solchen gegen den Dritten aus § 354, weil § 86b als lex specialis dann keine vorrangige Regelung trifft. Dagegen ist es für den Begriff Delkrederehaftung unerheblich, ob der Vertreter für die Zahlung des Dritten oder (als Einkaufsvertreter) für die Erfüllung einer Warenlieferschuld desselben einzustehen verspricht. Da der HV die Provision des § 87 für die Geschäftsvermittlung erhält, stellt jede Art Zusage eines Einstehens für die Erfüllung durch den Dritten, also jede Art von Übernahme eines Risikos, welches 42 43

44 45 46 47 48

Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 6; Hopt § 86b Rn 7. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 6; Hopt Rn 4; Schlegelberger/Schröder § 86b Rn 18c; Masing BB 1995, 2589 (2595); vgl. OLG Karlsruhe VersR 1973, 857 (859); BB 1974, 904. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 6. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 6. AA wohl Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 6. OLG Karlsruhe BB 1974, 904; Hopt § 86b Rn 4. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 12; Münch-

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KommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86b Rn 16; Schlegelberger/Schröder § 86b Rn 10, 11. BGH WM 1988, 1048; Hopt § 86b Rn 2. OLG Hamm VersR 1956, 113 (114). OLG Hamm VersR 1956, 113 (114); v. Brunn NJW 1954, 56 (57); Hopt § 86b Rn 2; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86b Rn 24; Schlegelberger/Schröder § 86b, Rn 3; Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 5. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 5; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86b Rn 25; Schlegelberger/Schröder § 86b Rn 3.

Raimond Emde

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 86b

mit der Geschäftsabwicklung verknüpft ist und das sonst der Unternehmer zu tragen hätte, eine zusätzliche Leistung des HV gegenüber dem Unternehmer dar. Daher liegt eine Delkrederehaftung nicht nur vor, falls der Vertreter für die Erfüllung der Hauptverbindlichkeit des Dritten (z.B. für Zahlung des gestundeten Kaufpreises) einzustehen verspricht, sondern auch dann, wenn er es übernimmt, gegenüber dem Unternehmer für eine bestimmte Qualität der von dem Dritten als Verkäufer zu liefernden Ware (z.B. prima Qualität), für rechtzeitige Ankunft der Ware oder für die Erfüllung nur einzelner Vertragsmodalitäten, für den Ausgleich nur bestimmter Arten von Schäden usw. einzustehen.

IV. Schriftform Die Übernahme des Delkredere bedarf der Schriftform nach § 126 BGB 53 (Abs. 1 14 S. 3). Bei Verfehlung tritt Formnichtigkeit ein 54. Trotz der hinsichtlich des zwingenden Kerns des § 86b nicht ganz klaren Bestimmung (Rn 27) lässt sich das Formgebot nicht – ggf. konkludent – abbedingen. Allerdings bezieht sich die Schriftform – wie in § 766 BGB – nur auf die Übernahmeerklärung des HV. Die Annahmeerklärung des Unternehmers ist nicht an eine Form gebunden 55. In der Urkunde müssen die zwingenden Voraussetzungen für eine wirksame Delkredereerklärung enthalten und sie muss vom HV unterzeichnet sein 56. Das Delkredereversprechen braucht nicht einziger Inhalt der Urkunde zu sein 57, sondern kann z.B. auch in schriftlichen Mitteilungen des HV an den Unternehmer enthalten sein 58, ebenso im HV-Vertrag. Die Formvorschrift ist als Schutzvorschrift zugunsten des HV unabdingbar und verdrängt § 350 59. Ungeachtet dessen muss die Delkredere-Verpflichtung des HV durch den Unternehmer angenommen werden, allerdings nicht schriftlich. Auch das entspricht dem allgemeinen Bürgschaftsrecht. Dem Unternehmer darf das Delkredere nicht aufgedrängt werden, zumal er ja dadurch für die Sonderprovision provisionspflichtig wird. Auch die weitere Folgerung des § 766 S. 2 BGB dürfte zu ziehen sein: hat der HV dem formlosen, also zunächst nichtigen Delkredere durch Befriedigung des Unternehmers genügt 60, wird der Mangel der Form geheilt, ebenso, wenn der Unternehmer nach vollständiger Erfüllung der Pflichten des Kunden die Delkredereprovision leistet 61. Im Übrigen gibt es auch hier noch von dem Formerfordernis Ausnahmen. Nach Abs. 3 kann in dessen persönlichem Anwendungsbereich ein Delkredere durch den HV formlos übernommen werden. Der actus contrarius bedarf nicht der Form des § 126 BGB: Die Delkrederevereinba- 15 rung kann durch formlos gültige Vereinbarung, die sich bereits aus den Umständen des Einzelfalls ergeben kann, jederzeit mit Wirkung für künftige Geschäfte zeitlich 62, etwa durch einen Endtermin oder eine zeitliche Beschränkung für das zu sichernde Geschäft 63, oder auf einen bestimmten Betrag begrenzt und wieder aufgehoben werden 64. 53 54

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Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 10; Hopt § 86b Rn 5. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 14; Schlegelberger/Schröder § 86b Rn 10; Castan BB 1957, 1124 (1125). Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 10; Hopt § 86b Rn 5. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 11. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 11. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 11; Schlegelberger/Schröder § 86b Rn 11. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 10.

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Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 13; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86b Rn 10; Hopt § 86b Rn 5; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 86b Rn 18. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 13. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 6; Schlegelberger/Schröder § 86b Rn 18d; vgl. RGZ 107, 194. BGH, Urt. v. 30.01.1997 – IX ZR 133/96, ZIP 1997, 536 (539). BGH ZIP 1997, 536 (539); Ebenroth/ Löwisch § 86b Rn 6; Heymann/Sonnen-

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§ 86b

1. Buch. Handelsstand

V. Nur für ein bestimmtes Geschäft oder für solche Geschäfte mit bestimmten Dritten, die der HV vermittelt oder abschließt 16

Die Amtliche Begründung des Regierungsentwurfs (S. 20) erklärt es für missbilligenswert, „wenn Handelsvertreter von Unternehmern unter Ausnutzung ihrer wirtschaftlichen Überlegenheit gezwungen werden sollen, für unbestimmte Geschäfte oder ganz allgemein das Delcredere zu übernehmen. Hiergegen müssten die Handelsvertreter geschützt werden.“ Das Gesetz gestattet demgemäß die Übernahme des Delkredere nur bei Wahrung des Bestimmtheitsgrundsatzes 65 und unter folgenden Voraussetzungen: Einmal, wenn der Vertreter es übernimmt, für ein bestimmtes Geschäft einzustehen; oder aber, falls der Vertreter das Delkredere allgemein übernimmt für Geschäfte mit bestimmten Dritten (z.B. die der Vertreter für solvent, der Unternehmer für zahlungsschwach hält), sofern der Vertreter selbst – oder für ihn sein Untervertreter – das Geschäft mit ihnen geschlossen oder vermittelt hat. Aus diesem Grund wird das Delkredere faktisch kaum durch AGB begründet werden können 66. Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, so ist nach dem aus der Amtlichen Begründung ersichtlichen Schutzzweck des Gesetzes auch eine Aufrechterhaltung als gewöhnliche Bürgschaft, geschweige denn eine Umdeutung in eine Garantiezusage oder einen Schuldbeitritt nicht möglich 67. Der Inhalt des Kundengeschäfts muss, um die Haftung zu begründen, in den wesentlichen Punkten den Regelungen der Delkrederevereinbarung entsprechen. Unerhebliche Abweichungen sind jedoch unschädlich 68. Durch das Kundengeschäft nachträglich ändernde Abmachungen zwischen Kunde und Unternehmer bleibt die Delkrederehaftung entsprechend § 767 Abs. 1 S. 3 BGB unberührt, wenn jene Änderungen noch von der Delkrederevereinbarung gedeckt sind 69. Wird dieses Bestimmtheitsgebot verfehlt, ist das Delkredere nichtig 70. Auch hier ist 17 eine abweichende Regelung nicht möglich, wenngleich sich der zwingende Teil des § 86b auf den ersten Blick nur auf das Provisionsversprechen zu beziehen scheint.

18

1. Bestimmtes Geschäft. 1. Alternative („bestimmtes Geschäft“ = konkretes Delkredere): Das „bestimmte Geschäft“ braucht noch nicht abgeschlossen zu sein. Es muss jedoch schon so konkretisierbar und von anderen gleichartigen Geschäften unterscheidbar sein, dass es nach seinen wesentlichen Merkmalen in die Delkredere-Vereinbarung aufgenommen werden kann 71. Selbstverständlich dürfen mehrere solchermaßen „bestimmte“, abgeschlossene oder erst mit ihrem Abschluss bevorstehende Geschäfte in einer einzigen Delkredere-Übernahme zusammengefasst werden 72. Ein Abschluss durch den HV selbst oder seinen Untervertreter ist hier nicht vorausgesetzt. Das Delkredere kann beispielsweise auch übernommen werden von einem Bezirksvertreter für bestimmte Abschlüsse, die der Unternehmer selbst in dem übertragenen Bezirk getätigt hat oder zu

65 66 67

68 69 70

schein/Weitemeyer § 86b Rn 7; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86b Rn 11; Masing BB 1995, 2589 (2595). Hopt § 86b Rn 3. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 11. Schlegelberger/Schröder 12; ein Fall dieser Art in der Entscheidung OLG Karlsruhe BB 1974, 904. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 16. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 16. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 14; Heymann/

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71

72

Sonnenschein/Weitemeyer § 86b Rn 6; OLG Karlsruhe BB 1974, 904; Schlegelberger/ Schröder § 86b Rn 12. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 5; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86b Rn 11. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 7; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86b Rn 7; Schlegelberger/Schröder § 86b Rn 8; Castan BB 1957, 1124 (1125).

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tätigen im Begriff steht (auch hier kann die oben geschilderte Interessenlage gegeben sein), oder für Abschlüsse, die von einem anderen HV oder noch von einem Vorgänger des HV herrühren 73, etwa weil dieser intern den HV an der Provision beteiligt. Die Übernahme für eine unbestimmte Vielzahl von Geschäften mit einem Kunden ist nur unter den engen Voraussetzungen des Abs. 1 Satz 2 2. Alternative möglich 74. 2. Geschäfte mit bestimmten Dritten, die der HV vermittelt oder abschließt. 2. Alter- 19 native („Geschäfte mit bestimmten Dritten, die der HV vermittelt oder abschließt“ = generelles Delkredere): Die allgemeine Delkredere-Übernahme für „Geschäfte mit bestimmten Dritten“ kann sich nur auf künftige Abschlüsse mit einem genau und zweifelsfrei bestimmten einzelnen Kunden beziehen. Will der HV das Delkredere für Geschäfte mit mehreren Kunden begründen, bedarf es hinsichtlich jedes einzelnen Kunden einer in Bezug auf dessen Person und den Kreis der gesicherten Geschäfte einer derart präzise bestimmten Vereinbarung 75. Das Delkredere kann nur dann gegen den HV geltend gemacht werden, wenn er selbst, seine Angestellten oder sein Untervertreter das Geschäft, für das es praktisch wird, vermittelt oder abgeschlossen hat. Der Grund: In diesen Fällen ist es der Vertreter, der die Dritten ausgesucht und sie – wohl – auf Grund eigener Prüfung für vertrauenswürdig befunden hat. Als unwirksam würde deshalb es zu erachten sein, wenn der Bezirksvertreter die Delkrederehaftung für alle in seinem Bezirk oder auch nur mit einem bestimmten Kunden geschlossenen Geschäfte übernähme, also auch für solche, deren Abschluss durch den Unternehmer selbst oder durch von diesem unmittelbar eingesetzte Untervertreter erfolgt ist 76. 3. Wegfall des Delkredereversprechens. Die Einstandspflicht des HV ist damit ab- 20 hängig vom rechtswirksamen Bestehen der Kundenverbindlichkeit gegenüber dem Unternehmer 77. Ist das zwischen Kunde und Unternehmer geschlossene Geschäft daher nicht oder nicht wirksam zustande gekommen, wird es nicht durch ein Delkredereversprechen gesichert 78. Ausnahmen gelten für die unter Rn 11 genannten Ersatzansprüche. Der Anspruch entfällt, wenn der Abschluss nachträglich hinfällig wird: durch Anfechtung (§ 142 BGB) 79, Rücktritt vom Vertrag 80 auf Grund Gesetzes oder vertraglichen Vorbehalts, Kündigung des vermittelten Nutzungsverhältnisses vor dessen Antritt, es sei denn, dem Unternehmer stehen die unter Rn 11 genannten Ansprüche aufgrund der Rückabwicklung des bereits vollzogenen Vertrags gegen den Kunden zu und der HV hat ausnahmsweise erkennbar auch hierfür das Delkredere übernommen 81. Hingegen bleibt die Einstandspflicht des HV aus der Delkrederevereinbarung und damit sein Anspruch auf die Delkredereprovision von Umständen unberührt, die den Vertrag mit dem Kunden erst nachträglich ohne Rückwirkung beenden wie z.B. spätere Kündigung 82, Ausübung von 73

74

75 76 77 78

Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 7; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86b Rn 8; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86b Rn 13; Schlegelberger/Schröder § 86b Rn 8. OLG Karlsruhe BB 1974, 904; Ebenroth/ Löwisch § 86b Rn 7; Schlegelberger/Schröder § 86b Rn 8. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 8. Hopt § 86b Rn 4. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 15. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 15; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86b Rn 15;

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81 82

MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86b Rn 19; Schlegelberger/Schröder § 86b Rn 6. Hopt § 86b Rn 11. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 15; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86b Rn 3; aA MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86b Rn 28; Castan BB 1957, 1124 (1127). Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 15; Schlegelberger/Schröder § 86b Rn 6. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 15.

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Gewährleistungs- oder Zurückbehaltungsrechten des Kunden 83, eine auflösende Bedingung 84 oder die nachträglich zwischen Kunden und Unternehmer vereinbarte Vertragsaufhebung, sofern nicht gleichzeitig einverständlich zwischen Unternehmer und HV das Delkredere aufgehoben wird 85. Das betreffende Geschäft hat in der Zwischenzeit Bestand gehabt hat und wird nicht rückwirkend hinfällig 86, weil der HV zumindest interimsweise das Risiko getragen hat 87. Gleiches gilt, wenn die Ausführung des Kundengeschäfts unterbleibt 88. § 87a Abs. 2 und 3 gelten nicht 89.

VI. Die Delkredereprovision – Rechtsgrund 21

Die Übernahme des Delkredere – die Einstandspflicht – ist eine Sonderleistung des HV, die nicht zum gesetzlichen Umfang seiner Vertragspflichten gehört. Hierfür soll er als Gegenleistung – gegenseitiges Geschäft sowie neben und unabhängig von der Vermittlungs- oder Abschlussprovision 90 – die Sonderprovision – die Delkredereprovision – beanspruchen dürfen. Es handelt sich um einen Anwendungsfall des § 354. So wie dort wird auch die Delkredereprovision kraft Gesetzes (= des gesetzlichen Ausspruchs in § 86b Abs. 1 S. 1) geschuldet. Als Sonderprovision, die nicht für die Schaffung eines Kundenkreises gewährt wird, soll sie nach einer Meinungsgruppe 91 nicht ausgleichsfähig sein. Darüber kann diskutiert werden, denn das Gesetz fordert diese Bewertung nicht. Denn auch das Delkredere kann als Provision für „abgeschlossene oder künftig zustande gekommene Geschäften“ i.S.d. § 89b Abs. 1 Nr. 2 verstanden werden 92. Der HV übernimmt das Delkredere, um konkrete Kundengeschäfte herbeizuführen, die der Unternehmer ohne die Einstandspflicht des HV nicht abzuschließen bereit ist93. In jedem Fall wird die Delkredereprovision aber in die Berechnung der Höchstgrenze nach § 89b Abs. 2 eingerechnet 94. Die Informationsrechte des § 87c erstrecken sich auch auf die Delkredereprovision 95, weil der Wortlaut des § 87c jede Provisionsart erfasst und nach Grund und Höhe das gleiche Informationsbedürfnis besteht.

F. Fälligkeit der Delkredereprovision (Absatz 2) 22

Der Anspruch auf die Delkredereprovision wird ohne ausdrückliche oder schriftliche Provisionsvereinbarung kraft Gesetzes 96 sogleich mit dem Abschluss des Geschäfts fällig, aus dem die garantierte Verbindlichkeit entsteht (Abs. 2, § 271 Abs. 1 BGB) 97, also 83 84 85 86 87 88

89

Schlegelberger/Schröder § 86b Rn 18c. Hopt § 86b Rn 11. Schlegelberger/Schröder § 86b Rn 7. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 15; aA Schlegelberger/Schröder § 86b Rn 14. Hopt § 86b Rn 11. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 19; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86b Rn 29; Schlegelberger/Schröder § 86b Rn 14. Westphal I, Rn 214; Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 15, 19; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86b Rn 16; Hopt § 86b Rn 9 und 11; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86b Rn 32, 35; Schlegelberger/Schröder § 86b Rn 14; Castan BB 1957, 1124 (1127).

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Westphal Vertriebsrecht I Rn 214; Hopt § 86b Rn 8. Küstner I, Rn 567; Heymann/Sonnenschein/ Weitemeyer § 86b Rn 13. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 97. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 18. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 18. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 18; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 10. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 19; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86b Rn 33; Schlegelberger/Schröder § 86b Rn 13. Hopt § 86b Rn 11.

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sobald ein Delkrederehaftungstatbestand gegeben ist 98. Die Fälligkeit kann durch Vereinbarung geregelt werden, Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz steht nicht entgegen 99. Die gesetzliche Stufung, wonach die Vermittlungs- und die Abschlussprovision mit dem Abschluss des Geschäfts zunächst bedingt entsteht (§ 87), um erst unter den Voraussetzungen des § 87a zum unbedingten Anspruch zu erstarken, findet sich hier nicht. Ist der Abschluss als solcher aufschiebend bedingt, so entsteht der Provisionsanspruch mit Eintritt der Bedingung. Im Übrigen aber kann sich die Bestimmung des Gesetzes darüber, wann der Anspruch entstehen solle, sinnvollerweise nur auf Geschäfte beziehen, deren Abschluss noch bevorsteht oder, wie in der 2. Alt. des Abs. 1 S. 2, einstweilen überhaupt erst als künftig denkbare in Betracht kommen. Wird dagegen das Delkredere für ein bestimmtes, bereits abgeschlossenes und nicht unter aufschiebender Bedingung stehendes Geschäft übernommen, so entsteht der Anspruch auf die Provision mit der nunmehrigen Übernahme. Nicht etwa gilt er als mit dem Abschluss rückwirkend entstanden 100. Das kann Bedeutung gewinnen in Fällen einer Globalzession „bestehender Provisionsansprüche (gegen den in Rede stehenden Unternehmer)“, wenn sie zwischen Abschluss des Geschäfts und Übernahme des Delkredere erfolgt ist.

G. Wegfall des Anspruchs auf Delkredereprovision Der Anspruch auf Delkredereprovision teilt das Schicksal der Delkrederehaftung: 23 Kommt es nicht zur rechtswirksamen Haftungsübernahme, entsteht der Provisionsanspruch nicht 101. Die o.g. Ausführungen unter Rn 9 ff gelten entsprechend.

H. Höhe I. Vertraglich vereinbarte Höhe Die Höhe der Provision unterliegt in erster Linie der Vereinbarung, die jedoch zum 24 einen wirksam und zum anderen wegen der zwingenden Natur des Provisionsversprechens nicht unterhalb des üblichen Satzes – selbstverständlich jedoch darüber – liegen darf. Die vereinbarte Provision muss dem HV einen angemessenen Ausgleich für die übernommene Haftung gewähren, indem sie in einem wirtschaftlich angemessenen Verhältnis zu dem eingegangenen Risiko steht, und zwar nach den Maßstäben des Ortes, an welchem der HV sein Gewerbe ausübt 102, im Zweifel an seinem Sitz und nicht im Vertriebsgebiet. Anderenfalls liegt ein gegen die zwingende Natur verstoßender Teilprovisionsausschluss vor 103. Maßgeblich für die Überprüfung der Provisionshöhe ist eine Prognose bei Vereinbarung des Delkredere für das konkrete Geschäft, bei generellem Delkredere eine Durchschnittsbetrachtung zum Zeitpunkt der Vereinbarung. Anderenfalls würde nicht die Unsicherheit bei Delkrederübernahme sondern das tatsächliche Risiko den Preis bestimmen und das prognostische Risiko zu Unrecht ausgeblendet. Eine ex post Betrach-

98 99

100

Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 19. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 19; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86b Rn 18; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86b Rn 35. Schlegelberger/Schröder § 86b Rn 14.

101 102 103

Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 19; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86b Rn 15. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 22. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 21; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86b Rn 30; Schlegelberger/Schröder § 86b Rn 17.

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tung nach dem Geschäft ist unzulässig. Die Höhe einer möglichen Rückstellung ist irrelevant 104, weil sonst eine Delkredereprovision ggf. in Höhe des Risikos eines Totalverlustes zu zahlen wäre. Die Provision wird mglw. höher zu bemessen sein, falls sich das Delkredere anstatt auf ein Bargeschäft auf ein vom Unternehmer zu kreditierendes Kundengeschäft mit bei Delkredereübernahme erkennbarem höheren Risiko bezieht 105. Im Falle einer nachträglichen Übernahme des Delkredere besteht die Auslegungsregel, dass die bereits gezahlte oder geschuldete Provision die angemessene Gegenleistung für die vom HV bis zur Delkredereübernahme geschuldeten Leistungen bildet und nicht zugleich das Delkredereversprechen abgelten soll 106. Ist die Höhe unangemessen niedrig festgesetzt, so liegt ein Verstoß gegen § 134 BGB 25 i.V.m. Abs. 1 S. 1 Halbs. 2, ggf. § 138 BGB, vor. An Stelle der unangemessen niedrig bemessenen Provision tritt der gem. § 87b Abs. 1 übliche Satz 107, erforderlichenfalls die Ermittlung nach den §§ 315 ff BGB. Das ergibt sich aus dem Gesichtspunkt der Unabdingbarkeit des Anspruchs, die sich sonst unschwer aushöhlen ließe 108. Bedenklich daher LG Heidelberg BB 1958 7, wo eine unangemessen niedrige Provision als wucherisch und deshalb die gesamte Delkredere-Übernahme aus diesem Grunde als nichtig angesehen worden ist (die Entscheidung könnte trotzdem richtig sein, weil der mitgeteilte Sachverhalt eine sittenwidrige Ausnutzung der Lage des HV noch in anderer Beziehung vermuten lässt).

II. Fehlende Vereinbarung 26

Wird keine Abrede getroffen, greift § 87b Abs. 1 – und nicht § 354 – subsidiär ein. Auch hier ist für die Höhe der Provision die ex ante-Betrachtung bei Delkredereübernahme maßgeblich und eine ex post-Betrachtung unzulässig (Rn 24). Das Schriftformerfordernis steht nicht entgegen. Wie bei der Überprüfung der Höhe einer vertraglich vereinbarten Delkredereprovision ist der am Niederlassungsort des HV übliche Satz zugrundezulegen. Lässt sich ein solcher nicht ermitteln, muss eine Festsetzung nach den §§ 315 ff BGB erfolgen 109. Nicht etwa ist dann die Provisionsabrede und über § 139 BGB das ganze Delkredere unwirksam, weil unvollständig. Das infolge des Vertragsschlusses mit einem zahlungsunfähigen oder zahlungsunwilligen Kunden erhöhte Risiko bleibt unberücksichtigt, sofern der Vertrag bei ordnungsgemäßer Bonitätsprüfung nicht zustandegekommen wäre 110 oder der Kunde nur auf Wunsch des HV vom Unternehmer akzeptiert worden ist111.

I. Unabdingbarkeit 27

Nach Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 kann auf den Provisionsanspruch im voraus nicht verzichtet werden. Dem Wortlaut nach bezieht sich der zwingende Charakter nur auf die Verpflichtung zur Zahlung der Delkredereprovision, nicht auf die übrigen TB-Voraussetzungen. Hierbei handelt es sich jedoch um ein Redaktionsversehen. Es war Wille des 104 105 106 107 108 109

AA Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 21. v. Brunn NJW 1954, 56 (57, 58). Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 21. Hopt § 86b Rn 10. Schlegelberger/Schröder § 86b Rn 17. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 22; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86b Rn 17;

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110

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Hopt § 86b Rn 10; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 86b Rn 31; Schlegelberger/Schröder § 86b Rn 17. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 21; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86b Rn 31. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 21.

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Gesetzgebers, den gesamten Anspruch einschließlich aller seiner Voraussetzungen zwingend auszugestalten 112. Ausnahmen sind nur nach Abs. 3 und § 92c möglich. „Im voraus“ heißt: vor seiner Fälligkeit. Das kann sich nur auf erst künftig zustande kommende Abschlüsse beziehen. Zu eng wäre eine Beschränkung auf die 2. Alternative des Abs. 1 S. 2: ist für ein bestimmtes, unter aufschiebender Bedingung abgeschlossenes Geschäft das Delkredere nach Abschluss, aber vor Eintritt der Bedingung übernommen worden, so ist auch hier ein Verzicht auf die Provision vor Eintritt der Bedingung nicht wirksam möglich, weil die Fälligkeit des Anspruchs noch aussteht. Auf den unbedingt entstandenen Anspruch darf durch formlosen Vertrag zwischen Unternehmer und HV verzichtet werden 113. Unberührt bleibt selbstverständlich das Recht, durch Vereinbarung zwischen HV und Unternehmer die Delkredere-Vereinbarung als solche für künftige Geschäfte wieder aufzuheben und damit den Provisionsanspruch gegenstandslos zu machen (Rn 21). Der Verzicht darf auch zugleich mit der nachträglichen Delkredereübernahme für ein bereits abgeschlossenes Kundengeschäft vereinbart werden 114. Die nachträgliche Aufhebung der Delkrederevereinbarung lässt im Zweifel die bereits entstandenen Provisionsansprüche unberührt 115, denn auch hier lag interimsweise eine im Zweifel zu vergütende Haftungsübernahme vor. Unbeachtlich bleibt der rechtlich irrelevante einseitige „Verzicht“ des Unternehmers auf die Delkrederehaftung 116. Eine unzulässige Umgehung des § 86b soll in der Vereinbarung liegen, dass der HV das abzusetzende Produkt bei dem Unternehmer zu kaufen und an die Kunden weiter zu veräußern hat, obwohl er nicht Vertragshändler sein soll 117. Aber hier ist die Abgrenzung zum zulässigen Mischvertrag zwischen HV- und Vertragshändler-Vertrag schwierig. Es wird sehr auf die Verhältnisse des Einzelfalls ankommen. Zulässig sind Fälligkeitsabreden 118, soweit sie nicht auf Grund ihres belastenden Charakters oder der mit ihnen einhergehenden Unsicherheit einem Ausschluss nahe kommen.

J. Rechtsfolge der Verfehlung der zwingenden Tatbestandsvoraussetzungen § 86b ist hinsichtlich seiner Wirksamkeitsvoraussetzungen lex specialis und ab- 28 schließend. Deshalb darf ein den TB-Voraussetzungen des § 86b nicht entsprechendes, z.B. formunwirksames Delkredere nicht in eine formlos wirksame Haftungserklärung wie Garantie, Schuldbeitritt, Schuldversprechen oder Bürgschaft gem. § 350 umgedeutet werden. Ein nicht den Anforderungen des Abs. 1 entsprechendes Delkredere kann jedoch nach § 139 BGB wirksam sein, wenn und soweit es den gesetzlichen Anforderungen entspricht 119. Nach § 138 BGB ist eine Delkrederevereinbarung beispielsweise nichtig, falls 112

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Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 20; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86b Rn 18; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86b Rn 34. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 20; Hopt § 86b Rn 9; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 86b Rn 34; Schlegelberger/Schröder § 86b Rn 13a. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 20; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86b Rn 34; Küstner HVR Rn 568, 569; aA Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86b Rn 18. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 20; Heymann/

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Sonnenschein/Weitemeyer § 86b Rn 14; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86b Rn 27. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 20; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86b Rn 26. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 20; Schlegelberger/Schröder § 86b Rn 13. Hopt § 86b Rn 9. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 14; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86b Rn 23; Schlegelberger/Schröder § 86b Rn 10.

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der Unternehmer den HV bei Zahlung einer zu geringen, nicht kostendeckenden Vermittlungs- oder Abschlussprovision durch Versprechen einer hohen Delkredereprovision 120 oder durch bewusstes Verschweigen oder Herunterspielen ihm bekannter, dem HV nicht bewusster Risiken zur Abgabe des Delkredeversprechens veranlasst hat 121.

K. Absatz 3: Ausnahmefälle I. Gegenständliche Reichweite der Ausnahmen 29

Die strengen inhaltlichen und förmlichen Voraussetzungen für die Übernahme des Delkredere und die damit verbundene Entstehung der Delkredereprovision kraft Gesetzes gelten in folgenden Fällen nicht: – für HV-Verträge, die deutschem Recht nicht unterfallen; – wenn gemäß § 92c Abs. 1 oder 2 berechtigt eine Delkredereprovision ausgeschlossen wurde (was mit hinreichender Deutlichkeit geschehen muss); – für Delkrederevereinbarungen, die mit ausländischen Unternehmern (Abs. 3 Satz 1) getroffen wurden; – für Delkrederevereinbarungen über Geschäfte mit Kunden im Ausland (Abs. 3 Satz 1); – für Delkrederevereinbarungen über Geschäfte, welche der HV aufgrund uneingeschränkter Vollmacht des Unternehmers in eigener Verantwortung abschließen und vollständig ausführen darf (Abs. 3 Satz 2). In Abs. 3 werden die drei letztgenannten Fälle geregelt. Das bedeutet: Die Übernahme 30 des Delkredere bedarf in diesen Fällen nicht der Schriftform – insoweit ist kein ausdrücklicher Ausschluss erforderlich – und der Anspruch auf Delkredere-Provision kann zumindest ausgeschlossen werden 122, auch durch AGB 123. Bei der im Rahmen des § 307 BGB erforderlichen Leitbildkontrolle ist – nicht anders als im Rahmen des § 92c – auch das Leitbild des Abs. 3 zu berücksichtigen. Fraglich ist, ob der Anspruch auch ausgeschlossen werden muss, d.h. ob ein Anspruch auf Delkredereprovision in den Fällen des Abs. 3 existiert, wenn er nicht ausdrücklich ausgeschlossen wurde. Dann wäre die nächste Frage, mit welcher Deutlichkeit der Ausschluss zu erfolgen hätte. Sind die TB-Voraussetzungen des Abs. 3 erfüllt, „gilt“ Abs. 1 nicht. Es fehlt also eine spezielle Anspruchsgrundlage des HV-Rechts. Damit mangelt es grds. auch an einem Anspruch auf Delkredereprovision. Dem Wortlaut nach gilt aber nur Abs. 1 nicht, § 354 BGB wird nicht ausdrücklich ausgeschlossen. Da Abs. 1 jedoch grundsätzlich § 354 verdrängt, dürfte auch diese spezialgesetzlich verdrängte Norm regelm. nicht wieder aufleben, weil auch die lex specialis verdrängt wird. Ansonsten wäre Abs. 3 überflüssig. Angesichts der fehlenden „Geltung“ spricht viel dafür, dass es in den Fällen des Abs. 3 keines ausdrücklichen Ausschlusses bedarf, damit kein Anspruch auf Delkredereprovision entsteht. Fordert man einen ausdrücklichen Ausschluss der Delkredereprovision, so ist damit 124 regel120

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Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 14; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86b Rn 8; Schlegelberger/Schröder § 86b Rn 5; LG Heidelberg BB 1958, 7; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer Rn 11; Masing BB 1995, 2589 (2595). Masing BB 1995, 2589 (2595); Ebenroth/ Löwisch § 86b Rn 14.

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Schlegelberger/Schröder § 86b Rn 15; Masing BB 1995, 2589 (2590). AA Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 24; Schlegelberger/Schröder § 86b Rn 15. Entgegen Schlegelberger/Schröder § 86b Rn 15.

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mäßig auch ein Provisionsanspruch aus § 354 mit ausgeschlossen. Letztlich entscheidet die Fassung der Ausschlussklausel. Das Erfordernis eines ausdrücklichen Ausschlusses oder sogar ein Schriftformerforder- 31 nis des Ausschlusses könnte jedoch vereinbart werden. Dieses Erfordernis gilt dann im Zweifel auch für die Provisionsabrede – § 154 Abs. 2 125. In den Fällen des Abs. 3 darf die Einstandspflicht des HV unentgeltlich, sogar konkludent, aber nicht einseitig 126, für eine Vielzahl von Geschäften übernommen werden, auch für Geschäfte mit noch nicht bestimmten Dritten. Die Geschäfte müssen jedoch wegen § 765 BGB hinreichend bestimmbar sein 127. Den allgemeinen Anforderungen an die Wirksamkeit von Bürgschaftsverträgen oder den im Einzelfall ggf. einschlägigen Verträgen hat die Delkrederevereinbarung gleichwohl zu entsprechen 128. Eine vereinbarte Provision muss nicht in einem angemessenen Verhältnis zum übernommenen Risiko stehen, darf aber nicht gegen § 138 BGB verstoßen 129. Fehlt eine Provisionsabrede, kann der Provisionanspruch kraft örtlichen Handelsbrauchs bestehen 130, wobei ein vereinbarter Ausschluss der Delkredereprovision im Zweifel auch diesen Anspruch erfasst. Aufgrund des Rn 33 Gesetzeszwecks ist der HV in diesen drei Konstellationen nicht schutzbedürftig 131. Folglich benachteiligt und diskriminiert Abs. 3 inländische Unternehmer oder unter die Ausnahmeregelung fallende HV nicht in unberechtigter und unzulässiger Weise 132.

II. Auslandsgeschäfte Mit dieser Ausnahme des Abs. 3 S. 1 gemeint sind Abschlüsse, bei denen der Unter- 32 nehmer oder der Dritte ihre Niederlassung, bei Fehlen einer solchen hilfsweise ihren Wohnsitz nicht nicht in Deutschland in seinen jeweiligen Grenzen 133 sondern im Ausland haben. Die Ausnahme gilt auch für das europäische Ausland 134. Eine EU-rechtliche Benachteiligung liegt hierin nicht. Die Vorschrift zielt nicht auf die Benachteiligung ausländischer HV, sondern solcher – ggf. auch deutscher –, die im Ausland tätig sind. Sie erleichtert die Aufnahme von Geschäften im europäischen Ausland und behindert den Binnenverkehr nicht. Ein Redaktionsversehen ist eher unwahrscheinlich. Denn § 86b Abs. 3 spricht von Ausland, § 92c Abs. 1 hingegen von einer Tätigkeit außerhalb der EU oder der Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum. Wenn der Gesetzgeber in § 86b Abs. 3 etwas anderes gewollt hätte, hätte er 1990, als er den Wortlaut des § 92c Abs. 1 von „Ausland“ zu „außerhalb der EU oder des EWR“ umstellte, in § 86b Abs. 3 gleiches getan 135.

125 126 127 128 129 130 131

Masing BB 1995, 2589 (2594); Ebenroth/ Löwisch § 86b Rn 24. Masing BB 1995, 2589 (2594); Ebenroth/ Löwisch § 86b Rn 24. Masing BB 1995, 2589 (2594); Ebenroth/ Löwisch § 86b Rn 24. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 24. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 24. Schlegelberger/Schröder § 86b Rn 15 f. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 23; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 86b Rn 20; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86b Rn 36.

132 133 134

135

Masing BB 1995, 2589 (2592, 2593). Masing BB 1995, 2589 (2594). MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86b Rn 39. Nach Ansicht von Hopt § 86b Rn 12 ist dies zweifelhaft. Keinesfalls hilft es den Parteien, wie Hopt § 86b Rn 12 empfiehlt, diese Frage zu regeln, weil eine Regelung gegen die zwingende Natur des § 86b unwirksam wäre. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86b Rn 39.

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503

§ 86b 33

1. Buch. Handelsstand

Zweck der Ausnahmeregelung ist die dem Unternehmer typischerweise fehlende, dem HV hingegen zumutbare Möglichkeit zur Überprüfung von Zahlungsfähigkeit und Erfüllungsbereitschaft des Kunden 136. Sie mag die dem ggf. unerfahrenen Unternehmer schon wegen der Sprachbarriere auch im europäischen Ausland fehlen, weswegen das Delkredere auch bei diesen Verträgen zwar nicht zu den typischen Vertragspflichten des HV zählt 137, jedoch aufgrund der räumlichen Nähe des HV zu den Kunden ihm eher eine kostenfreie Risikoübernahme zuzumuten ist. Der Begriff der „Niederlassung“ ist unglücklich gewählt, weil er nicht klarstellt, ob eine rechtlich selbständige oder unselbständige Betriebsstätte gemeint ist. Niederlassung dürfte eher wie „Betriebsteil“, also – auch – als rechtlich unselbständige Niederlassung, verstanden werden. Entscheidend ist, ob die Niederlassung selbständig über den Vertragssschluss entscheiden darf oder weitgehend eigenständig wirtschaftet, nicht ob sie als Einheit, etwa GmbH, AG, oHG oder KG bzw. juristische Person ausländischen Rechts rechtlich selbständiger Rechtsträger ist. Haben Unternehmer oder Kunde Niederlassungen im In- und Ausland, ist maßgebend, ob Delkrederevereinbarung bzw. zu sicherndes Geschäft mit der ausländischen Niederlassung geschlossen werden sollen 138. Der Sitz des HV ist hingegen irrelevant 139. Bei späterer Sitzverlegung in das Ausland kann die Delkrederevereinbarung mit Wirkung ab der Sitzverlegung geändert werden. Fehlt ein Delkrederversprechen im Vertrag, ist im Zweifel ab dem Datum der Sitzverlegung keine Delkredereprovision mehr geschuldet. Wird eine solche Provision im Vertrag versprochen oder aufgrund einer stillschweigenden Einigung gezahlt, bedarf es einer ausdrücklichen Vertragsänderung, die ab dem Tag der Sitzverlegung zulässig ist. Bis zur Vertragsänderung gilt die bisherige Vereinbarung unverändert weiter.

III. Geschäfte, zu deren Abschluss und Ausführung der Handelsvertreter unbeschränkt bevollmächtigt ist 34

Der hier angesprochene Abschlussvertreter, der obendrein das von ihm abgeschlossene Geschäft selbst ausführen darf, entscheidet im Innen- wie im Außenverhältnis selbst über die Annahme des Geschäfts. Beispiele: Tankstellenpächter 140, Reisebüros, die Flugscheine für Luftverkehrsgesellschaften verkaufen 141. Der HV kann das Geschäft also unterlassen, d.h. über sein Schicksal „im Wesentlichen“ 142 frei bestimmen 143, falls er es für zu risikoreich hält und steht insoweit dem Unternehmer gleich. Grund der Ausnahme ist das berechtigte Interesse des Unternehmers an der Einstandspflicht des HV für Geschäfte, deren Abschluss er ihm vollständig in eigener Verantwortung überlassen hat 144. Es ist jedoch mit dem BGH 145 keine konkrete wirtschaftliche Überlegenheit des HV über den Unternehmer gefordert; auch ist es unschädlich, dass der HV von der Ermächtigung zur Ausführung des Geschäfts tatsächlich keinen oder nur eingeschränkten Gebrauch macht 146, solange er dies könnte, also unbeschränkt dazu bevollmächtigt ist und diese 136

137 138 139

Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 23; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 86b Rn 19; Hopt § 86b Rn 12; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86b Rn 38. AA Castan BB 1957, 1124 (1126). Schlegelberger/Schröder § 86b Rn 15. Masing BB 1995, 2589 (2590); Ebenroth/ Löwisch § 86b Rn 25; Schlegelberger/Schröder § 86b Rn 15.

504

140 141

142 143 144 145 146

LG Essen BB 1961, 425; Castan BB 1957, 1124 (1126). BGH WM 1982, 1152 = BB 1982, 2009; Hopt § 86b Rn 14; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 86b Rn 41. Hopt § 86b Rn 14. Hopt § 86b Rn 14. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 23. BB 1966, 1322. Hopt § 86b Rn 14.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 86b

Vollmacht im Innenverhältnis auch ausüben darf. Dazu hat der Unternehmer dem HV die freie Auswahl des Kunden sowie die sonst ihm zustehende Entscheidung zu überlassen, den Vertrag als Bar- oder Kreditgeschäft abzuschließen 147 und den Kaufpreis ggf. zu stunden 148. Die verbindlichen Vorgaben des Unternehmers hinsichtlich des Produkts und seines Preises muss der HV gleichwohl einhalten 149. Die Übernahme des Inkassos durch den HV ist nicht erforderlich 150. Ob man ein besonderes wirtschaftliches Bedürfnis des Unternehmers an der Übernahme des Delkredere durch den HV als Wirksamkeitsvoraussetzung fordern muss 151 erscheint zweifelhaft. Gleiches gilt für die Frage, ob die Berechtigung und tatsächliche Befähigung des HV, den abgeschlossenen Kundenvertrag ohne Einschaltung des Unternehmers vollständig zu erfüllen, also sämtliche dem Unternehmer aufgrund des Kundenvertrags obliegenden Leistungen zu erbringen, unabdingbar erforderlich ist 152, wie es beim Leitbild des Tankstellenvertreters der Fall ist. Auch wird der HV kaum zwingend die Verfügungsbefugnis über das vertriebene Produkt z.B. durch Einrichtung eines Auslieferungslagers oder freien Zugriff auf das Lager des Unternehmers besitzen müssen 153. Deshalb darf der HV dem Unternehmer die Ausführung des notwendigerweise vom HV abgeschlossenen Geschäfts auch, ggf. teilweise, überlassen 154. Denn der Unternehmer könnte nach §§ 162, 242 BGB ohnehin keine Delkredereprovision fordern, wenn er das Geschäft verhinderte. Die „unbeschränkte“ Bevollmächtigung fordert aber, dass der Unternehmer den Abschluss des Geschäfts nicht selbst (ggf. durch andere Vertreter) tätigen darf und damit den Vertreter ohne Zahlung der Delkredereprovision zur Risikoübernahme verpflichten kann 155. In einem solchen Fall müssten entweder die Voraussetzungen des Abs. 1 einschließlich Schriftform eingehalten sein (Mangel: Nichtigkeit nach § 134 BGB) oder bei Erfüllung dieser Voraussetzungen wird eine Delkredereprovision geschuldet. Eine unbeschränkte Vollmacht besteht auch bei unbeschränkter Vollmacht nur für Einzelgeschäfte 156 oder falls sie verschiedenen Bezirksvertretern je für ihren Bezirk erteilt wurde 157, soweit der eine HV nicht für die von dem anderen HV geschlossenen Geschäfte haftet.

L. Der Delkrederanspruch in der Insolvenz Für die insolvenzrechtliche Behandlung des Anspruchs auf Zahlung der Delkredere- 35 provision sind die unten (§ 87a Rn 87 ff) entwickelten Regeln zum gewöhnlichen Provisionsanspruch gem. §§ 87, 87a heranzuziehen. Anders als dieser entsteht der unbedingte 147

148 149 150 151 152 153

LG Essen BB 1961, 425; Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 26; Heymann/Sonnenschein/ Weitemeyer § 86b Rn 20; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86b Rn 40; Masing BB 1995, 2589 (2593, 2594). Masing BB 1995, 2589 (2594); Ebenroth/ Löwisch § 86b Rn 26. Castan BB 1957, 1124 (1126); Masing BB 1995, 2589 (2594). Masing BB 1995, 2589 (2594); Ebenroth/ Löwisch § 86b Rn 26. BGH WM 1982, 1152 (1153); Ebenroth/ Löwisch § 86b Rn 26. So Masing BB 1995, 2589 (2593); Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 26. So Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 26; Schlegelberger/Schröder § 86b Rn 16. Nach

154 155 156 157

Ansicht von Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 26; Masing BB 1995, 2589 (2596) darf der HV dann für die anlässlich der Ausführung des Geschäfts anfallenden, der Ausführung des Geschäfts durch den Unternehmer dienenden und deshalb von ihm zu tragenden, nicht von der Delkrederehaftung erfassten Kosten Aufwendungsersatz nach § 87d oder § 670 BGB beanspruchen. Hierbei wird es jedoch auf die Umstände des Einzelfalls ankommen. Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 26. Vgl. BGH WM 1982, 1152 (1153). LG Essen BB 1961, 425 (für den Fall eines Tankstellenvertreters); Hopt § 86b Rn 14. BGH BB 1966, 1322; Hopt § 86b Rn 14.

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505

§ 87

1. Buch. Handelsstand

Anspruch auf Delkredereprovision aber bereits mit dem Abschluss des Geschäfts zwischen Drittem und Unternehmer (§ 86b Abs. 2). Im Unterschied zur insolvenzrechtlichen Beurteilung des Provisionsanspruchs gemäß §§ 87a, 87a kann es von vornherein nicht darauf ankommen, ob eine Vertragsdurchführung erfolgt bzw. ob der Insolvenzverwalter die Erfüllung des Vertrages wählt. Wird das Insolvenzverfahren vor Geschäftsabschluss zwischen Unternehmer und Drittem eröffnet und unterbleibt der Geschäftsabschluss endgültig, so entsteht auf Seiten des HV auch kein Anspruch auf Delkredereprovision. Schließt der eingesetzte Insolvenzverwalter dagegen anstelle des Unternehmers ein solches Geschäft mit dem Dritten ab, so entsteht der Anspruch auf Leistung der Delkredereprovision als Masseforderung i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, weil es auf einer Tätigkeit des Insolvenzverwalters beruht.

M. Beweislast 36

Jede Partei muss die für sie günstigen Voraussetzungen des § 86b darlegen und beweisen. Nimmt der Unternehmer den HV aufgrund seiner Haftungserklärung in Anspruch, muss er alle TB-Voraussetzungen des § 86b beweisen, d.h. wirksames Delkredereversprechen, rechtswirksames, jedoch nicht erfülltes Kundengeschäft sowie den erfolglos gebliebenen Versuch, den Kunden zur Erfüllung zu bewegen 158. Verlangt der HV von dem Unternehmer Delkredereprovision, so hat er die rechtswirksame Delkrederevereinbarung, den Abschluss des Kundengeschäfts sowie die Höhe der geschuldeten Provision nachzuweisen 159. Die Voraussetzungen des Abs. 3 muss derjenige beweisen, der sich auf diese Ausnahme beruft.

§ 87 Provisionspflichtige Geschäfte (1) 1Der Handelsvertreter hat Anspruch auf Provision für alle während des Vertragsverhältnisses abgeschlossenen Geschäfte, die auf seine Tätigkeit zurückzuführen sind oder mit Dritten abgeschlossen werden, die er als Kunden für Geschäfte der gleichen Art geworben hat. 2Ein Anspruch auf Provision besteht für ihn nicht, wenn und soweit die Provision nach Abs. 3 dem ausgeschiedenen Handelsvertreter zusteht. (2) 1Ist dem Handelsvertreter ein bestimmter Bezirk oder ein bestimmter Kundenkreis zugewiesen, so hat er Anspruch auf Provision auch für die Geschäfte, die ohne seine Mitwirkung mit Personen seines Bezirkes oder seines Kundenkreises während des Vertragsverhältnisses abgeschlossen sind. 2Dies gilt nicht, wenn und soweit die Provision nach Abs. 3 dem ausgeschiedenen Handelsvertreter zusteht. (3) 1Für ein Geschäft, das erst nach Beendigung des Vertragsverhältnisses abgeschlossen ist, hat der Handelsvertreter Anspruch auf Provision nur, wenn 1. er das Geschäft vermittelt hat oder es eingeleitet und so vorbereitet hat, dass der Abschluss überwiegend auf seine Tätigkeit zurückzuführen ist, und das Geschäft innerhalb einer angemessenen Frist nach Beendigung des Vertragsverhältnisses abgeschlossen worden ist oder

158

Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 29.

506

159

Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 29.

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§ 87

1. Buch. Handelsstand

Anspruch auf Delkredereprovision aber bereits mit dem Abschluss des Geschäfts zwischen Drittem und Unternehmer (§ 86b Abs. 2). Im Unterschied zur insolvenzrechtlichen Beurteilung des Provisionsanspruchs gemäß §§ 87a, 87a kann es von vornherein nicht darauf ankommen, ob eine Vertragsdurchführung erfolgt bzw. ob der Insolvenzverwalter die Erfüllung des Vertrages wählt. Wird das Insolvenzverfahren vor Geschäftsabschluss zwischen Unternehmer und Drittem eröffnet und unterbleibt der Geschäftsabschluss endgültig, so entsteht auf Seiten des HV auch kein Anspruch auf Delkredereprovision. Schließt der eingesetzte Insolvenzverwalter dagegen anstelle des Unternehmers ein solches Geschäft mit dem Dritten ab, so entsteht der Anspruch auf Leistung der Delkredereprovision als Masseforderung i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, weil es auf einer Tätigkeit des Insolvenzverwalters beruht.

M. Beweislast 36

Jede Partei muss die für sie günstigen Voraussetzungen des § 86b darlegen und beweisen. Nimmt der Unternehmer den HV aufgrund seiner Haftungserklärung in Anspruch, muss er alle TB-Voraussetzungen des § 86b beweisen, d.h. wirksames Delkredereversprechen, rechtswirksames, jedoch nicht erfülltes Kundengeschäft sowie den erfolglos gebliebenen Versuch, den Kunden zur Erfüllung zu bewegen 158. Verlangt der HV von dem Unternehmer Delkredereprovision, so hat er die rechtswirksame Delkrederevereinbarung, den Abschluss des Kundengeschäfts sowie die Höhe der geschuldeten Provision nachzuweisen 159. Die Voraussetzungen des Abs. 3 muss derjenige beweisen, der sich auf diese Ausnahme beruft.

§ 87 Provisionspflichtige Geschäfte (1) 1Der Handelsvertreter hat Anspruch auf Provision für alle während des Vertragsverhältnisses abgeschlossenen Geschäfte, die auf seine Tätigkeit zurückzuführen sind oder mit Dritten abgeschlossen werden, die er als Kunden für Geschäfte der gleichen Art geworben hat. 2Ein Anspruch auf Provision besteht für ihn nicht, wenn und soweit die Provision nach Abs. 3 dem ausgeschiedenen Handelsvertreter zusteht. (2) 1Ist dem Handelsvertreter ein bestimmter Bezirk oder ein bestimmter Kundenkreis zugewiesen, so hat er Anspruch auf Provision auch für die Geschäfte, die ohne seine Mitwirkung mit Personen seines Bezirkes oder seines Kundenkreises während des Vertragsverhältnisses abgeschlossen sind. 2Dies gilt nicht, wenn und soweit die Provision nach Abs. 3 dem ausgeschiedenen Handelsvertreter zusteht. (3) 1Für ein Geschäft, das erst nach Beendigung des Vertragsverhältnisses abgeschlossen ist, hat der Handelsvertreter Anspruch auf Provision nur, wenn 1. er das Geschäft vermittelt hat oder es eingeleitet und so vorbereitet hat, dass der Abschluss überwiegend auf seine Tätigkeit zurückzuführen ist, und das Geschäft innerhalb einer angemessenen Frist nach Beendigung des Vertragsverhältnisses abgeschlossen worden ist oder

158

Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 29.

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159

Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 29.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 87

2. vor Beendigung des Vertragsverhältnisses das Angebot des Dritten zum Abschluss eines Geschäfts, für das der Handelsvertreter nach Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2 Satz 1 Anspruch auf Provision hat, dem Handelsvertreter oder dem Unternehmer zugegangen ist. 2 Der Anspruch auf Provision nach Satz 1 steht dem nachfolgenden Handelsvertreter anteilig zu, wenn wegen besonderer Umstände eine Teilung der Provision der Billigkeit entspricht. (4) Neben dem Anspruch auf Provision für abgeschlossene Geschäfte hat der Handelsvertreter Anspruch auf Inkassoprovision für die von ihm auftragsgemäß eingezogenen Beträge.

Schrifttum Ahle Provision und Ausgleichsanspruch das Handelsvertreters bei Einsatz eines Nachfolgers, DB 1964, 611; v. Blomberg Rückzahlungsklauseln in Provisionsgarantievereinbarungen, VersR 1968, 328; v. Brunn Weitere Zweifelsfragen zum neuen Recht der Handelsvertreter, NJW 1954, 56; Eberstein Zehn Jahre Rechtsprechung zum neuen Handelsvertreterrecht, BB 1964, 271; Ehlers Die Aktivierung von Provisionsforderungen eines Handelsvertreters, DB 1963, 1440; Evers Die Nichtigkeit von Handelsvertreterverträgen wegen zu geringer Verdienstmöglichkeiten und ihre Rückabwicklung, BB 1992, 1365; Glaser Vergütungsfragen des Handelsvertreterrechts, DB 1956, 297; Höft Die provisionsrechtlichen Sonderregelungen für die Versicherungswirtschaft – Gründe und Unverzichtbarkeit, VersR 1976, 205; Hoffstadt Rechtsstellung des Handelsvertreters im Konkurs des vertretenen Unternehmens, DB 1983, 645; Holling Die Aktivierung von Provisionsforderungen und Aufwendungen für schwebende Rechtsgeschäfte der Handelsvertreter, DB 1954, 521; ders. Die rechtliche Stellung des Handelsvertreters im Konkurs des von ihm vertretenen Unternehmens, DB 1957, 349; Killinger Die Provisionsschuld des Geschäftsherrn gegenüber dem Handelsvertreter, BB 1981, 1925; Klinger Zur Bemessung und Gestaltung der Vertreterprovision, DB 1957, 975; Knütel Die Provisionsteilung bei Mitwirkung mehrerer Makler oder Handelsvertreter, ZHR 144 (1980), 289; Koch Der Kundenschutz des Vermittlers, DB 1957, 85; Kollke Die Mehrwertsteuer des Handelsvertreters, BB 1968, 1076; Krüger Der Anspruch mehrerer Handelsvertreter auf Provision, DB 1964, 1399; Maier Der Provisionsanspruch des Handelsvertreters bei Bestellungen von verbundenen Unternehmen oder Zweigniederlassungen, BB 1970, 1327; Peterek Zur Bedeutung und zum Umfang allgemeiner Kundenschutzvereinbarungen, BB 1966, 351; Reinicke Auslegungsfragen zum neuen Recht der Handelsvertreter, NJW 1953, 1609; Roellecke Pfändung von Handelsvertreterprovisionen, BB 1957, 1158; Schmidt Vertragsfreiheit und EG-Handelsvertreterrichtlinie, ZHR 156 (1992), 512; Schnitzler Provision für Eigengeschäfte des Handelsvertreters, DB 1965, 463; Schröder Kundenschutz und Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, BB 1962, 738; ders. Gesetzlicher und vertraglicher Provisionsanspruch des Handelsvertreters, BB 1963, 567; ders. Außerbezirkliche Geschäfte des Handelsvertreters, DB 1963, 541; Schweizer/Heldrich Überhangprovision des Handelsvertreters für sogenannte gestorbene Geschäfte, WRP 1976, 25; Siber Zur Aktivierung der Forderungen von Handelsvertretern und Maklern, BB 1956, 916; Stötter Zur Anwendung des § 87a Abs. 3 HGB auf die Provisionsvorschuß-Rückgewähransprüche der Versicherungen in den sog. Stornofällen, MDR 1981, 269; Theis Wann muß der Handelsvertreter seine Provisionsforderungen aktivieren?, DB 1958, 1255; Treffer Pfändung von Provisionsansprüchen, MDR 1998, 384; Wessel Provisionsanspruch des Bezirksvertreters bei Sitzverlegung eines Kunden in einen anderen Bezirk, BB 1962, 473; Westphal Provisionskollisionen durch Zusammenwirken mehrerer Handelsvertreter für einen Geschäftsabschluß, BB 1991, 2027.

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507

§ 87

1. Buch. Handelsstand

Übersicht Rn A. Europarechtliche Präformation . . . .

1

B. Die Provision . . . . . . . . . . . . .

2–3

C. Provision und vertraglicher Leistungsumfang . . . . . . . . . . . . . . .

4

D. Gläubiger des Provisionsanspruchs . .

5

E. Schuldner des Provisionsanspruchs . .

6

F. Analoge Anwendung auf handelsvertreterähnliche Vertriebsmittler . . . .

7

G. Erfüllungsort

. . . . . . . . . . . . .

8

H. Form des Provisionsversprechens . . .

9

I. Geltungsdauer, Änderung und Aufhebung von Provisionsabreden . . . .

10

J. Abweichende Vereinbarungen und weitere Vergütungsformen . . . . . . I. Abweichende Provisionsformen . . II. Andere Vergütungsformen . . . . .

11–29 14–23 24–29

K. Poolabreden

. . . . . . . . . . . . .

30

L. Vergütungsanspruch aus § 354 . . . .

31–32

M. Vergütungsanspruch aus § 812 BGB

.

33

N. Abtretbarkeit . . . . . . . . . . . . .

34–35

O. Pfändbarkeit

. . . . . . . . . . . . .

36–38

P. Systematik der §§ 87 ff . . . . . . . .

39–45

Q. Gesetzgebungsgeschichte R. Abdingbarkeit

. . . . . . .

46

. . . . . . . . . . . .

47

S. Die Provisionsanwartschaft des § 87 Abs. 1 und Abs. 2 . . . . . . . . . . . I. Einführung . . . . . . . . . . . . II. § 87 Abs. 1 . . . . . . . . . . . . 1. Während des Vertragsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . 2. Geschäftsabschluss . . . . . . . 3. Wirksames Geschäft . . . . . . 4. Fehlende Provisionsanwartschaft 5. Rahmenverträge über Teilleistungen . . . . . . . . . . . a) Sukzessivlieferungsvertrag . . b) Bezugs- oder Lieferverträge . 6. Tätigkeit als Vermittlung des Geschäfts mit einem Dritten – Eigengeschäfte? . . . . . . . . 7. Die verschiedenen Provisionsarten . . . . . . . . . . . . . . a) Tätigkeitsprovision . . . . . aa) Kausalität . . . . . . . . (1) Umgehungstatbestände . . . . . . . . (2) Identität des Gegenstandes des Abschlusses mit dem der Vermittlung . . . . . (3) Beweislast . . . . . . . .

508

48–162 48–51 52–162 53–55 56–58 59–68 69–70 71–74 72 73–74

75 76–162 76–86 77–85 83

84 85

Raimond Emde

Rn

b)

c)

d)

e) f)

bb) Abweichende Vereinbarungen . . . . . . . . Folgeprovision . . . . . . . aa) Geworbene Kunden . . . bb) Geschäfte der gleichen Art . . . . . . . . . . . cc) Während des Vertragsverhältnisses . . . . . . dd) Dispositivität . . . . . . Abs. 1 S. 2 Provisionsvorrang des ausgeschiedenen HV . . aa) Überblick . . . . . . . . bb) Zwingende Natur . . . . Abs. 2: Bezirksprovision . . aa) Wer ist Bezirksvertreter? bb) Tätigkeit außerhalb des Bezirkes? . . . . . . . . cc) Während des Vertragsverhältnisses . . . . . . dd) Unter Beteiligung des Unternehmers . . . . . . ee) Provisionspflicht . . . . (1) Synallagmatische Hauptpflicht . . . . . . (2) Inhalt des Provisionsversprechens . . . . . . (3) Höhe der Provision . . . ff) Schlechterfüllung der Bezirksbetreuung . . . . gg) § 87 Abs. 2 S. 2: Provisionsvorrang des ausgeschiedenen HV . . Alleinvertreter . . . . . . . . Nachvertragliche Provision (§ 87 Abs. 3) . . . . . . . . aa) Überblick . . . . . . . . bb) Zweck . . . . . . . . . cc) Abgrenzung zur Überhangprovision . . . . . dd) Erste Alternative der nachvertraglichen Provision: Tätigkeitsprovision nach Abs. 3 Nr. 1 . . . . (1) Tätigkeitsbezogene Komponente: überwiegende Vermittlung oder Einleitung und Vorbereitung . (a) Vermittelt . . . . . . . . (b) Eingeleitet und vorbereitet (c) Überwiegende Verursachung . . . . . . . . . (2) Geschäftsabschluss innerhalb angemessener Frist (zeitliche Komponente) . . . . . . ee) Zweite Alternative der nachvertraglichen Provision: Angebotseingang vor Vertragsbeendigung (§ 87 Abs. 3 S. 2) . . . .

86 87–96 91–92 93–94 95 96 97–100 97–99 100 101–124 102–104 105 106 106 107–118 107 108–117 118 119–123

124 125 126–159 126–128 129–130 131

132–142

133–139 135 136 137–139

140–142

143–146

§ 87

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter Rn (1) (2) (3) ff)

Zweck . . . . . Voraussetzungen Dispositivität . . § 87 Abs. 3 S. 2: Provisionsteilung (1) Überblick . . . . (2) Beweislast und Zweck . . .

. . . . . . . . . . . .

Rn

144 145 146

gg) Allgemein: Provisionskollisionen . . . . . hh) Rechtsfolgen . . . . ii) Derogation . . . . . g) Inkassoprovision (Abs. 4)

. . . . 147–148 . . . . 147 . . . .

. . . .

. 149–157 . 158 . 159 . 160–162

T. Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . 163–165

148

U. Steuerrecht

. . . . . . . . . . . . . .

166

A. Europarechtliche Präformation Der Begriff der Provision und das Provisionsrecht sind europarechtlich determiniert. 1 § 87 Abs. 1 S. 1 entspricht Art. 7 Abs. 1 EG-Richtlinie 1986, § 87 Abs. 1 S. 2 Art. 9. § 87 Abs. 2 füllt eine der Wahlmöglichkeiten aus, die Art. 7 Abs. 2 EG-Richtlinie den Mitgliedstaaten eingeräumt hat, § 87 Abs. 3 S. 1 entspricht Art. 8 EG-Richtlinie, § 87 Abs. 3 S. 2 Art. 9. Die Teilung der Provision zwischen dem ausgeschiedenen und dem nachfolgenden HV wurde infolge der EG-Richtlinie in das deutsche Recht eingeführt (§ 87 Abs. 1 und 2 am Ende; Abs. 3 S. 2). Vorlageverfahren nach Art. 234 EG sind daher möglich 1.

B. Die Provision Der HV entfaltet seine Tätigkeit gegen Entgelt; der HV-Vertrag ist ein Leistungsaus- 2 tauschgeschäft, ein gegenseitiger Vertrag im Sinne der §§ 320 ff BGB. Die wichtigste, für den HV typische und als solche neben der Ausgleichsvergütung vom Gesetz allein geregelte Form des Entgeltes ist die Provision; sie stellt eine Erfolgsvergütung dar und ist Hauptleistung des Unternehmers für die werbenden Bemügungen des HV. Die Berechnung der Provision erfolgt in aller Regel als Prozentsatz des Geldgegenwertes für das einzelne Geschäft (Ein- oder Verkaufspreis, Prämie, Mietzins usw.) – davon geht das Gesetz in § 87b aus –, oder – seltener – des dadurch erzielten Geschäftsgewinns 2. Gem. Art. 6 Abs. 2 EG-Richtlinie ist jeder Teil der Vergütung, der nach Zahl oder 3 Wert der Geschäfte schwankt, Provision im Sinne der Richtlinie. Eine Provision ist damit eine vom Gesetz oder Vertrag erfolgsabhängig, etwa nach Umsatz oder Stückzahl,3 gestaltete Vergütung, d.h. eine irgendwie nach dem Umfang vergütungspflichtiger Bemessungsgrundlagen ermittelte Zahlung als Gegenleistung für die Arbeit des HV 4. Eine konkrete Ursächlichkeit für einen Geschäftsabschluss oder gar eine Tätigkeit des Vertreters ist nicht Bedingung der Provisionspflicht 5. Dies zeigt die Existenz nicht tätigkeitsbezogener Provisionen, etwa der Bezirksprovision (§ 87 Abs. 2) 6. Für Zusatzleistungen können zusätzliche „Sonderprovisionen“ gezahlt werden, etwa die Delkredereprovision (§ 86b), Inkassoprovision (§ 87 Abs. 4) oder Provisionen für besondere Markt- oder Kundenpflege, etwa für die Führung eines Konsignationslagers 7. 1 2 3 4

Hopt § 87 Rn 1. RG LZ 1921, 20. Prasse in: Giesler, Handbuch des Vertriebsrechts, § 2 Rn 279. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 430; Hopt § 87 Rn 2.

5 6 7

Hopt § 87 Rn 2. Hopt § 87 Rn 2. Hopt § 87 Rn 3.

Raimond Emde

509

§ 87

1. Buch. Handelsstand

C. Provision und vertraglicher Leistungsumfang 4

Dem HV-Vertrag bleibt vorbehalten, näher zu regeln, welche Leistungen des Vertreters durch die Provision als abgegolten zu gelten haben. Dies erlangt zum einen Bedeutung im Hinblick auf Aufwendungen des Vertreters (s. § 87d), sodann für die besonders beim Versicherungsvertreter, aber auch bei anderen Vertretern wichtige Frage, inwieweit der gewährte Provisionssatz zugleich die Inkasso- und sog. Verwaltungsprovision mit umfasst. Zum anderen ist es von Bedeutung für die Frage, ob durch die auf die einzelnen Geschäftsabschlüsse entfallende Provision zugleich mit entgolten sein soll, dass der HV durch seine erfolgreiche Tätigkeit dem Unternehmer neue bleibende Kunden zugeführt und damit die Geschäftschancen des Unternehmers allgemein gesteigert hat, was eine in der Praxis kaum bedeutsame Vorauserfüllung des Ausgleichsanspruchs (§ 89b Rn 333 ff) wäre.

D. Gläubiger des Provisionsanspruchs 5

Aktivlegitimiert ist der HV. Zum Begriff § 84. Auch der Untervertreter hat einen Provisionsanspruch nach § 87. Entscheidend für das Entstehen seiner gegen den Hauptvertreter gerichteten Provisionsanwartschaft ist der Vertragsschluss zwischen Kunde und Unternehmer 8.

E. Schuldner des Provisionsanspruchs 6

Provisionspflichtig ist der Unternehmer, nicht der Vertragspartner des vermittelten Geschäfts. Eine Überwälzung der Provisionspflicht vom Unternehmer auf den Kunden ist durch Vereinbarung zwischen beiden nach § 415 BGB zulässig 9. Wenn sich hingegen der Vertreter Provision von beiden Seiten versprechen lässt, agiert er wie ein Makler; die Stellung eines solchen, für beide Seiten Tätigen ist aber mit der eines HV als Interessenswahrer des einen Teils nicht vereinbar und damit unzulässig 10.

F. Analoge Anwendung auf handelsvertreterähnliche Vertriebsmittler 7

§ 87 ist auf Kommissionsagenten 11, Vertragshändler und Franchisenehmer nicht ohne besondere Begründung analog anwendbar 12. Eine vorsichtige Analogie zu Abs. 2 kann möglich sein, wenn dem handelsvertreterähnlichem Mittler ein dem Abs. 2 vergleichbarer Bezirks- oder Kundenschutz eingeräumt wurde 13. Auch Abs. 3 – insbesondere S. 1 8

9 10 11 12

BGH, Urt. v. 20.06.1984 – I ZR 62/82, BGHZ 91, 370 = NJW 1984, 2881; Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 62; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 21. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 9; Schlegelberger/ Schröder § 87 Rn 4a. BGH NJW 1974, 137. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 103. BGH, Urt. v. 09.02.1984 – I ZR 226/81,

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NJW 1984, 2411; OLG Köln BB 1975, 8; Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 62; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 10; aA Alff, Handelsvertreterrecht, 1983, Rn 110; für Abs. 3 Nr. 1: Peterek BB 1966, 351 (354). BGH, Urt. v. 18.11.1963 – VIII ZR 33/62, NJW 1964, 151; BGH, Urt. v. 30.03.1975 – I ZR 143/74, WM 1975, 1107; Ebenroth/ Löwisch § 87 Rn 62; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer vor § 84 Rn 11; Schlegel-

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Nr. 2 – kann ausnahmsweise zugunsten des Kommissionsagenten, Vertragshändlers und Franchisenehmer Anwendung finden, falls eine vergleichbare Situation vorliegt 14, z.B. bei weitgehender Einleitung des Geschäfts durch den Händler. Solche Geschäfte müssen auch in die Ausgleichsberechnung einbezogen werden.

G. Erfüllungsort Der Erfüllungsort der Provisionszahlungspflicht liegt nach h.M. am Sitz des Unter- 8 nehmers 15. Siehe i.E. oben, Vor § 84 Rn 481 ff.

H. Form des Provisionsversprechens Die Provisionsvereinbarung kann formfrei erfolgen (§ 85): Insbesondere ist eine kon- 9 kludente Vereinbarung möglich 16. So soll die jahrelange widerspruchslose Entgegennahme geringerer als der vertraglich vereinbarten Provisionen durch einen Versicherungsvertreter und dessen rügelose Entgegennahme der monatlichen Abrechnung des Versicherers entsprechend dem Rechtsgedanken des § 362 als Annahme eines Antrags des Versicherers zu werten sein, die ursprünglich vereinbarten Provisionssätze zu kürzen 17. Auch Ansprüche des HV auf Folge- und Stehprovisionen können konkludent ausgeschlossen werden 18.

I. Geltungsdauer, Änderung und Aufhebung von Provisionsabreden Mangels abweichender Regelung gelten Provisionsabreden vom Vertragsbeginn bis 10 zum Vertragsende. Bestimmte Provisionssätze und Provisionsbemessungsabreden dürfen weder einseitig aufgehoben werden noch durch Weisung oder Teiländerungskündigung abgeändert werden 19. Ein entsprechendes Änderungsrecht in AGB ist regelmäßig unwirksam (Vor § 84 Rn 33), es sei denn, die Änderung erfolgt ausnahmsweise bei Vorliegen besonders schwerwiegender, im Einzelnen genau festgelegter und die Interessen des Ver-

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berger/Schröder § 87 Rn 30a, 39a; § 84 Rn 20; Peterek BB 1966, 351 (353); aA für Vertragshändler und Franchisenehmer: BGH NJW 1984, 2411; für Vertragshändler; Hopt § 87 Rn 29; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 72. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 103; Martinek/Semler § 21 Rn 54, 55. BGH NJW 1988, 966 (1466); OLG Celle, Urt. v. 29.11.2001 – 11 U 344/00; ausführlich Emde RIW 2003, 505; Ebenroth/ Löwisch § 87 Rn 9; Schlegelberger/Schröder § 87a Rn 43b. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 60; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 8, 56. LG Mannheim, Urt. v. 10.12.2004 – 23 O 89/04, VersR 2005, 1532. Dem soll auch eine

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vertraglich vereinbarte Schriftformklausel nicht entgegenstehen, weil sie durch konkludentes Verhalten abgeändert werden kann. Dieses Judiz dürfte im Spannungsverhältnis zur Rechtsprechung betreffend die zwingende Natur der Kontrollrechte (§ 87c Abs. 5) stehen, weil der HV mit der konkludenten Einigung über das Hauptrecht auch seinen Anspruch auf die nach dieser Vorschrift zwingenden Hilfsrechte verliert. OLG Brandenburg, Urt. v. 21.12.2000 – 6 O 250/99, NJW-RR 2002, 1401 zu den Provisionen von Mobilfunkvermittlern. OLG Stuttgart BB 1965, 926; BGH, Urt. v. 24.10.1955 – II ZR 216/54; DB 1955, 1085; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 87 Rn 79; aA für Teilkündigung, OLG Bamberg NJW 1958, 1830 mit abl. Anm. Thiede NJW 1959, 1444.

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tragspartners angemessen berücksichtigender Voraussetzungen 20. Auch individualvertraglich dürfte ein Änderungsvorbehalt i.d.R. an § 138 BGB scheitern, weil dem HV auf diese Weise ein Vertrag mit völlig anderem Inhalt und abweichendem Leistungs-Gegenleistungs-Verhältnis aufgezwungen werden könnte 21. Bei Bezirksverreterabreden erfordert etwa der Austausch des geschützten Bezirks oder Personenkreises den beidseitigen Konsens 22. Ebenso kann die durch Kundenschutzvereinbarung begründete Rechtsstellung nicht durch Handelsbrauch eingeschränkt oder beseitigt werden 23. Befristung und/oder Beschränkung der Höhe einer Provisionsabrede oder der Bestellung als Bezirksvertreter sind aber in sachlicher oder zeitlicher Hinsicht zulässig 24. Bei unberechtigter fristloser Kündigung besteht die Provisionspflicht bis zum ordentlichen Vertragsende fort. Sofern sich die Höhe der Provision nach § 87b bestimmt, passt sich diese im Falle der Marktgerechtigkeit automatisch der Höhe nach an. Ein Handelsbrauch kann einen lückenhaften HV-Vertrag ergänzen, eine gesetzliche oder vertragliche Regelung aber grundsätzlich nicht abdingen oder ändern 25.

J. Abweichende Vereinbarungen und weitere Vergütungsformen 11

Die Provisionsvorschriften sind innerhalb der allgemeinen Grenzen (§§ 138, 226, 242 BGB) dispositiv 26. Teilweise wird dies unter Hinweis auf Artt. 8, 9 EG-Richtlinie 1986 in Hinblick auf § 87 Abs. 3 verneint: Artt. 8, 9 EG-Richtlinie 1986 sähen die Derogation nicht ausdrücklich vor 27. Da die EG-Richtlinie es regelt, falls eine Vorschrift zwingend sein soll, was bei Art. 8 und 9 nicht geschehen ist, ist davon auszugehen, dass abweichende Parteivereinbarungen möglich sind 28. Die Derogation ist grundsätzlich auch mittels AGB möglich 29 (Einzelheiten Vor § 84 Rn 33 ff). Die Parteien können am besten die Angemessenheit der Hauptleistung bestimmen. Der gesetzgeberische Grund ist der gleiche, der auch § 307 Abs. 2 BGB zugrunde liegt. Die Höhe der Provision darf also weitgehend frei bestimmt werden. Erst das Schicksal der entstandenen Provisionsanwartschaft ist nach § 87a Abs. 5 teilweise der Vertragsfreiheit entzogen 30. Ein Provisionsrecht „nach Absprache“ schließt den gesetzlichen Provisionsanspruch nicht aus 31. Eine wirksame Provisionsvereinbarung verstößt auch nicht gegen die zwingende Natur des Ausgleichsanspruchs (§ 89b Abs. 4), weil nur unmittelbar gegen den Ausgleichsanspruch gerichtete und nicht ihn lediglich mittelbar reduzierende Abreden § 89b Abs. 4 widersprechen 32 (i.E. § 89b Rn 252). 20

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BGH, Urt. v. 06.10.1999 – VIII ZR 125/98, ZIP 2000, 138 (144, 145) = BB 2000, 59 m. Anm. Emde. AA Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 46; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 77; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 31a. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 46; Hopt § 87 Rn 25; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 31a. OLG Celle BB 1961, 1341; Ebenroth/ Löwisch § 87 Rn 46; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 40. Peterek BB 1966, 351 (354); Ebenroth/ Löwisch § 87 Rn 46. OLG Celle BB 1961, 1341; Ebenroth/ Löwisch § 87 Rn 60; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 9; Schlegelber-

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ger/Schröder § 87 Rn 40, 55a; aA wohl Hopt § 87 Rn 48. Eberstein S. 77; Schröder BB 1963, 567; Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 60; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87 Rn 4; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 55; aA wegen der erforderlichen Konformität mit der EGRichtlinie 1986: Schmidt ZHR 156 (1992), 512 (519). Schmidt ZHR 1992, 512 (517, 519); Westphal, Diss. Münster 1994, S. 72 ff. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 66. AA wohl Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 60. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 60. OLG Frankfurt MDR 1997, 1139. BGH, Urt. v. 21.05.2003 – VIII ZR 57/02,

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Insbesondere dürfen geregelt werden: Anforderungen an das Herbeiführen des Kundengeschäfts 33; Aufteilung der Provision unter beteiligten HV 34, insbes. Fälle der Provisionskollision; 12 Teilweiser Provisionsausschluss (der vollständige Ausschluss wäre sittenwidrig); Außerordentliche Kündigung: Ausschluss der Provision nach berechtigter fristloser Kündigung des Unternehmers für danach ausgeführte Geschäfte 35; dies ergibt sich schon aus dispositivem Recht; – Ausschluss oder Einschränkung der Abs. 1 S. 1 2. Alt.36 (Folgeprovision) 37, Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 2 38 Abs. 3 S. 1 und 2 39 sowie Abs. 4 40; – Bezirksvertreter: Erweiterung, Einschränkung oder Ausschluss des Kunden- und Bezirksschutzes 41; – Nichtverprovisionierung von Direktgeschäften (nur bei Bezirksgeschäften praktisch, da nach Abs. 1 ohnehin kein Provisionsrecht für Direktgeschäfte); – Entstehen der Provisionsanwartschaft, insbes. die Verschiebung der Entstehung des Provisionsanspruches auf den Zeitpunkt des Eingangs der Kundenleistung 42 bzw. engere 43 oder weitere Voraussetzungen für die Begründung der Provision. So begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, Provisionsansprüche zur Werbung von Zeitschriftenabonnements nur für den Fall zu versprechen, dass die Bezugszeit zwölf Monate beträgt 44; – Höhe des Provisionssatzes; – Mitursächlichkeit als Vorbedingung des Provisionstatbestandes, etwa Anknüpfung der Provisionsanwartschaft an die ausschließliche oder überwiegende Herbeiführung des Geschäfts 45; – Zahlungspflicht des Kunden statt des Unternehmers 46, wobei aber wohl jedenfalls ein hilfsweises Eintreten des Unternehmers geregelt sein muss (sonst § 138 BGB). Macht der Unternehmer den Abschluss des geworbenen Geschäfts von dessen 13 tatsächlicher Ausführung abhängig, greift zwingend § 87a Abs. 3 ein und der Unternehmer entgeht der Provisionspflicht nur, wenn er nachweist, dass die Nichtausführung des Kundengeschäfts nicht von ihm zu vertreten ist 47. – – – –

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DB 2003, 1568 (1569) = MDR 2003, 1122 = WM 2003, 2110; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 139, § 87 Rn 60; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 194; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 57a. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 60. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 60. OLG München OLGZ 1966, 27. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 60; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 57; aA Schmidt ZHR 156 (1992), 512 (519). MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 66. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 60; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 61. BGHZ 33, 92 (94); BGH, Urt. v. 10.12.1997 – VIII ZR 107/97, MDR 1998, 354; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 452.

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OLG Nürnberg VersR 1959, 801; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 61a. BGH, Urt. v. 09.06.1978 – I ZR 136/76, WM 1978, 982; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 87 Rn 99; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 40, 58a, b, 59, 60; aA Schmidt ZHR 156 (1992), 512 (519). Westphal Vertriebsrecht I, Rn 455. LAG Hamm DB 1959, 236. AG Schwerin, Urt. v. 02.03.2006 – 16 C 2711/04, BeckLSK 2007, 070308. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 65; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 56. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 60. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 60.

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I. Abweichende Provisionsformen 14

Die Vorschriften über die Provision sind nur soweit zwingend, als dies ausdrücklich im Gesetz angeordnet wurde (Rn 146 ff) und wenn und soweit eine Provision vereinbart wurde 48. Die Provision ist vom Gesetz nicht als einzige Entgeltform vorgesehen worden 49. Die Parteien können deshalb jede andere Vergütung allein oder neben der Provision vereinbaren und verschiedene Formen kombinieren 50. So darf etwa an Stelle der Provision eine abweichende Vergütungsform vereinbart werden, z.B. eine feste Vergütung. Jedoch ist hier zu prüfen, ob der Vertreter alsdann nicht in Wahrheit Angestellter ist (§ 84 Abs. 2). Die Provision ist aber die Regelvergütung des HV. Deshalb ging der Regierungsent15 wurf zu § 87 51 davon aus, die übliche Vergütung des HV sei die Provision. So kann etwa als Provision vereinbart werden: 16 – Garantieprovision: Hierbei handelt es sich um eine Mindestprovision, die durch Vermittlungserfolge des Vertreters erhöht werden kann. Der Unterschied zum Fixum besteht darin, dass das Fixum „fest“ ist, also grundsätzlich – eine abweichende Vereinbarung darf getroffen werden – durch die Provisionen weder erhöht noch reduziert wird. Etwas anderes gilt, wenn ein Fixum zusätzlich zur Provision gezahlt werden soll. Im Zweifel ist im Verhältnis zwischen Fixum und Garantieprovision von einer Garantieprovision auszugehen 52, es bedarf dann gegebenenfalls der Auslegung des Vertrages, auf welchen Zeitraum die Provisionsgarantie sich beziehen soll und ob innerhalb des Garantiezeitraums ein Ausgleich zwischen schwankenden Provisionseinnahmen stattzufinden hat. Im Zweifel sind nur Mindest- und Garantieprovision auf die im selben Abrechnungszeitraum verdiente variable Provision anzurechnen, nicht aber ein Fixum sowie sonstige Zuschüsse oder feste Zahlungen 53. Eine Rückforderung der Spitze zwischen verdienter Provision und Mindestprovision ist regelmäßig ausgeschlossen, selbst wenn sich ein „Unterverdienst“ ergibt 54. Die Provisionsgarantie ist damit nicht zu verwechseln mit dem – festen – Provisionsvorschuss, bei welchem eine Rückzahlung nicht erreichter Provisionen stattfindet, während die Provisionsgarantie dem HV das garantierte Minimum in jedem Falle belässt 55. Die garantierte Mindestprovision wird regelmäßig gewährt, sofern die Parteien erwarten, dass die Garantieprovision die nach allgemeinen Grundsätzen zu erwartende Provision zumindest für einen mittelfristigen Zeitraum unterschreitet. Deshalb soll auch eine Vereinbarung, derzufolge der HV bei Kündigung des Vertrages nicht verdiente Provisionsgarantien zurückzuzahlen hat, unwirksam sein 56. Denn es handele sich um eine wesentliche einseitige Erschwerung der Kündigungsmöglichkeit des Vertreters, die gegen § 89 Abs. 2 verstoße, demzufolge die vereinbarte Kündi-

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Prasse in: Giesler, Handbuch des Vertriebsrechts, § 2 Rn 279. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 435; Küstner/Thume I,Rn 712; Hopt § 87 Rn 5. Hopt § 87 Rn 5; Prasse in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 2 Rn 279. Amtliche Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Handelsgesetzbuches vom 15.11.1952, Deutscher Bundestag, 1. Wahlperiode 1949, BT-Drucksache Nr. 3856/Seite 21.

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OLG Nürnberg BB 1964, 866; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 437; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 17. BAG, Urt. v. 22.09.1975 – 3 AZR 114/75; VersR 1976, 1188; Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 6; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 65, 65a. Küstner/Thume I, Rn 729. LAG Baden-Württemberg DB 1959, 1404. LG Frankfurt/Main VW 1975, 1551; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 439.

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gungsfrist für beide Parteien gleich lang sein müsse. Damit solle vermieden werden, dass der schwächere Vertragsteil einseitig in seiner Entschließungsfreiheit beschnitten werde. Man könnte dieses Ergebnis auch mit der zwingenden Natur des außerordentlichen Kündigungsrechtes nach § 89a begründen, sofern die Rückzahlungspflicht auch im Falle einer außerordentlichen Kündigung des HV eingreifen sollte. Verboten sind auch mittelbare Beeinträchtigungen der Rechte aus § 89a, etwa infolge finanzieller Nachteile, z.B. Vertragsstrafen, Verlust von vertraglichen Leistungen, Boni, Verfalls einer vom HV gestellten Sicherheit oder Verlust der Provision aus noch nicht abgewickelten Geschäften bei Kündigung, sofortiger Rückzahlung langfristiger Darlehen, Verzinsung bislang zinsloser Darlehen, unter Umständen Verrechnung einer Einstandszahlung des Unternehmers mit ausstehenden Provisionen 57. Für den Vertreter wäre es jedoch ein finanzieller Nachteil, wenn er nach einer außerordentlichen Kündigung gemäß § 89a den Zuschuss zurückzahlen müsste. Jeder HV wird es sich zweimal überlegen, ob er außerordentlich aus wichtigem Grund kündigt, falls an diese Kündigung die Rückzahlungspflicht geknüpft ist. Wenn die Klausel nicht zwischen den Fällen der ordentlichen und außerordentlichen Kündigung bzw. der außerordentlichen Kündigung des Vertreters oder des Unternehmers differenziert, dürfte sie insgesamt unwirksam sein. Denn dann wäre der Vertreter faktisch an einer solchen außerordentlichen Kündigung gehindert. Tatsächlich wird es auf die Höhe der vereinbarten Rückzahlung und die Umstände des Einzelfalls ankommen, ob eine unzulässige Kündigungserschwernis vorliegt. Solange eine Rückzahlungspflicht beispielsweise für den Fall einer ohne wichtigen Grund erklärten Eigenkündigung des Vertreters innerhalb der ersten Monate des HV-Vertrages getroffen wird, in denen der Vertreter erfahrungsgemäß noch keine dem Unternehmer bleibenden Geschäftsverbindungen schaffen konnte, dürfte sie nicht gegen zwingendes Recht verstoßen. Nicht anders als bei Fixum und Bezirksprovision kann der Anspruch auf Garantieprovision entfallen, wenn der Vertreter untätig bleibt. Regelmäßig wird die Garantieprovision für einen bestimmten Zeitabschnitt zugesichert. Deshalb ist es ausgeschlossen, Unterverdienste in einem Zeitabschnitt (etwa einem Monat) mit Überverdiensten in einem anderen Zeitabschnitt (z.B. in einem anderen Monat) zu saldieren 58. Die Zusage eines Mindestverdienstes ist nämlich wertlos, sofern der Bezugszeitraum nicht bestimmt wird und so langfristig bemessen ist, dass alle Mehrverdienste irgendwann einmal zum Ausgleich von Minderverdiensten herangezogen werden könnten. Außerdem spricht die Verpflichtung zur monatlichen Abrechnung (§§ 87a Abs. 4, 87c Abs. 1 Satz 1) für diese Deutung 59. – Provisionsvorschuss (siehe § 87a Abs. 1 S. 2): Er stellt weder ein Fixum noch eine 17 Garantieprovision dar, weil er in der Höhe zurückzuzahlen ist, in der er nicht durch verdiente Provision abgedeckt wird 60. Abgrenzungsschwierigkeiten treten insbesondere zur Garantieprovision ein 61. Durch eine Vorschusszahlung leistet der Unternehmer auf ein oder mehrere, später zu verprovisionierende Kundengeschäfte einen, etwa prozentual an der künftigen Provision ausgerichteten Abschlag 62. Die Zahlung braucht nicht notwendigerweise auf ein konkretes Geschäft zu erfolgen, es genügt, dass sich die Parteien zu einem späteren Zeitpunkt die Bestimmbarkeit vorbehalten.

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Hopt § 89a Rn 26. BAG v. 22.09.1975; zitiert nach Küstner/ Thume I, Rn 734/735. Küstner/Thume I, Rn 735.

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Westphal Vertriebsrecht I, Rn 440. Küstner/Thume I, Rn 738. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 49.

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Die Bezeichnung ist irrelevant 63. Deshalb kann auch die Zahlung auf eine „Provisionsabrechnung“ einen Vorschuss bilden 64. Übersteigt der Vorschuss erheblich die Höhe der späteren Provisionen, wird aber durch die Kosten der Vermittlungstätigkeit verbraucht, ist dies ein Fall der „Hungerprovision“. Geschuldet wird dann nach § 87b ein angemessener Provisionssatz, nicht aber automatisch ist der Vorschuss als Fixum oder eine Mindestvergütung einzuordnen. Ein Anspruch auf Vorschuss kann – außer nach § 87a Abs. 1 S. 2 und dem nur ausnahmsweise anwendbaren § 669 BGB (Vor § 84 Rn 78) – nur bei entsprechender Vereinbarung bestehen. Zur Höhe des Vorschusses besteht weitgehende Vertragsfreiheit 65, eine Angemessenheitsprüfung findet nicht statt 66, außer im Fall des § 87a Abs. 1 S. 2 zu Gunsten des HV auch nicht nach § 307 BGB (Hauptleistung und fehlendes gesetzl. Leitbild), möglicherweise aber zu seinen Lasten bei unangemessen hohem Vorschuss 67. – Am Leistungserfolg des HV ausgerichtete Gratifikationen, Leistungs- und Treue18 prämien, Boni 68: Für hervortretende Leistungen, beispielsweise hohe Verkaufs- bzw. Umsatzzahlen oder die Schaffung langfristiger Geschäftsverbindungen können besondere feste Zahlungen/Gratifikationen vereinbart werden. Häufig ist diese Gestaltung in Kfz-Vertragshändlerverträgen, z.B. als Zulassungs-, Werbekosten- oder CorporateIdentity-Bonus. Im Gegensatz zur Provision beteiligen Boni den Vertreter meist nicht am einzelnen Geschäft, sondern an der Gesamtheit der Geschäfte, etwa am Umsatz, dem Unternehmenserfolg oder hohen Verkäufen. Im Zweifel entfällt der Bonus mit Vertragsbeendigung 69, sofern nicht ausdrücklich nachvertragliche Leistungen erfasst sind. 19 – Umsatz- oder Gewinnbeteiligung: Der Vertreter kann statt am einzelnen Geschäft auch am Gewinn des Unternehmers, etwa in Form einer Tantieme oder eines Bonus, beteiligt werden 70. 20 – Verwaltungs- oder Bestandspflegeprovision: Sie wird insbesondere in der Versicherungswirtschaft häufig gewährt und ist möglicherweise, aber nicht zwingend, eine leistungsabhängige Vergütung für verwaltende und nicht werbende Tätigkeit. Eine Verwaltungsprovision ist nur dann zusätzlich zur erfolgsabhängigen Provision zu zahlen, wenn dies ausdrücklich vereinbart wird. Fehlt eine Vereinbarung, ist davon auszugehen, dass die verwaltenden Tätigkeiten des Vertreters durch die erfolgsabhängige Vergütung mit vergütet werden; es entsteht also kein zusätzlicher Anspruch auf Zahlung einer Verwaltungsprovision. Vielmehr enthält die erfolgsabhängige Provision einen sog. „Verwaltungsanteil“, der nach hM bei der Ausgleichsberechnung nicht einzubeziehen ist (§ 89b Rn 128 ff). Die Relation zwischen erfolgsabhängiger, ausgleichpflichtigem Vergütungsanteil und dem verwaltenden Anteil der Provision kann nicht beliebig frei vereinbart werden, weil sonst der zwingende Ausgleich des § 89b ausgehöhlt würde. Deshalb muss die Relation angemessen sein, was ein Richter ggf. gemäß § 287 ZPO schätzen kann 71.

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Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 49; LAG BadenWürttemberg BB 1971, 354 („Verrechnungsgarantie“); v. Blomberg VersR 1968, 328 („Provisionspauschale“, „Provisionsgarantie“). OLG Düsseldorf WM 1984, 1287. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 51. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 51.

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Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 51. BAG, Urt. v. 14.11.1966 – 3 AZR 158/66, BB 1967, 501; Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 6; Hopt § 87 Rn 5. Küstner/Thume I, Rn 727. Hopt § 87 Rn 5. Küstner/Thume I, Rn 723.

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Provision kann weiter geleistet werden: 21 für die Übernahme des Delkredere nach § 86b; für das Inkasso nach Abs. 4; für die Stellung eines Akkreditivs durch den Kunden 72; für Einrichtung und Unterhalt eines Konsignations- oder Auslieferungslagers 73 sowie für den Warenverkauf aus einem solchen; – für Verhandlungen zur Abwehr von Mängelrügen 74; – für das Anwerben, Leiten, Überwachen und Betreuen von Untervertretern eine an deren Provisionseinkommen ausgerichtete Leitungs- oder Superprovision 75. Für alle diese Provisionen gelten die §§ 87, 87a und § 87b, soweit es sich um erfolgs- 22 abhängige, vom Unternehmer geleistete Vergütungen handelt76. Insbesondere darf der HV für diese variablen Vergütungsformen die Kontrollrechte nach § 87c fordern. Ob die vorgenannten Vergütungsbestandteile bei der Berechnung des Rohausgleiches 23 zu berücksichtigen sind, ist im Einzelfall zu bestimmen 77. § 89b Abs. 1 Nr. 2 setzt den Verlust von Provision voraus. Davon ist meist bei einem Fixum nicht auszugehen, bei Boni jedoch, da sie werbende Bemühungen honorieren. Sollen feste Vergütungsbestandteile Geschäfte mit neugeworbenen oder erweiterten (Alt-)Mehrfachkunden vergüten, sind sie ausgleichspflichtig. Bei einem Fixum mit Provisionsspitze kann die das Fixum übersteigende Provisionsspitze ausgleichspflichtig sein. Treueprämien stellen regelmäßig keine ausgleichspflichtige Provision dar 78. – – – –

II. Andere Vergütungsformen Dem HV können außer der Provision sonstige Vergütungen versprochen werden, die 24 keine Provision bilden. Es handelt sich dabei in Abgrenzung zur Provision um nicht erfolgsorientierte Vergütungsformen, etwa: – ein Fixum, d.h. ein festes Entgelt, welches unabhängig vom Vermittlungserfolg des 25 HV gezahlt wird 79. Ob daneben zusätzlich Provision geleistet wird, ist Vereinbarungsfrage. Selbst bei ausschließlicher Vereinbarung eines Fixums liegt ein HV-Vertrag vor. Die Gewährung einer Provision ist nicht Tatbestandsvoraussetzung sondern Rechtsfolge der §§ 84 ff. Häufig wird die Zahlung eines Fixums zusätzlich zur Provision vereinbart, um einerseits einen Tätigkeitsanreiz für den Vertreter zu schaffen 80, andererseits dem HV aber ein verlässliches Mindestentgelt zu sichern. Nicht selten ist 72 73

74 75

BGH, Urt. v. 19.11.1956 – II ZR 110/55, WM 1957, 213. BGH, Urt. v. 28.04.1988 – I ZR 66/87, NJWRR 1988, 1061 (1062); Westphal Vertriebsrecht I, Rn 262, 263; Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 5. BGH, Urt. v. 03.10.1962 – VIII ZR 231/61, BB 1962, 1345. BGH, Urt. v. 04.05.1959 – II ZR 81/57, BGHZ 30, 98 (104) = NJW 1959, 1430; Urt. v. 24.06.1971 – VII ZR 223/69, BGHZ 56, 290 = NJW 1971, 1610; Urt. v. 22.06.1972 – VII ZR 36/71, BGHZ 59, 87 = NJW 1972, 1662; Urt. v. 06.07.1972 – VII ZR 75/71,

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BGHZ 59, 125 = NJW 1972, 1664; BAG, Urt. v. 28.07.1981 – 1 ABR 56/78, DB 1981, 2031; Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 5; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 14; Höft VersR 1976, 205 (207). Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 5; zu Unrecht gibt Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 6 für Verwaltungs- und Bestandspflegeprovisionen kein Informationsrecht aus § 87c. Vgl. Küstner/Thume I, Rn 721. Küstner/Thume I, Rn 727. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 435; Hopt § 87 Rn 5. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 435.

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die Koppelung von Fixum (mitunter nur Bezeichnung für einen pauschalierten Unkostenersatz) und daneben versprochener Provision. Das Fixum ist grundsätzlich auch zu leisten, wenn der Vertreter nach Ansicht des Unternehmers seine Aufgaben vernachlässigt 81. Nicht anders als im Falle der Untätigkeit eines Bezirksvertreters (siehe die Paralleldiskussion Rn 119 ff) kann der Unternehmer mit einer Schadenersatzforderung aufrechnen 82 oder nach Abmahnung außerordentlich kündigen. Wird der Vertreter überhaupt nicht tätig, darf die Einrede des § 320 BGB erhoben werden 83. Der Anspruch des HV auf die monatliche Fixprovision ist Arbeitseinkommen nach § 850 Abs. 2 ZPO, wenn es sich um die einzige Tätigkeit des HV handelt.84 – Kostenzuschüsse für Aufbau und Unterhalt von HV-Unternehmen, Büro oder Fahrzeug, für Reisekosten (Kilometergelder) 85 oder Einstellung von Mitarbeitern 86. – Fixe Entgelte für die Betreuung und Pflege eines dem HV übertragenen Kundenbestands (in Abgrenzung zur o.g. Verwaltungs- oder Bestandspflegeprovision). – eine betriebliche Altersversorgung. Sofern solche Vergütungen unabhängig von dem konkreten Erfolg des HV bei seiner Vermittlungs- und Abschlusstätigkeit versprochen werden, bilden sie keine Provisionen. §§ 87 bis 87c gelten für sie nicht 87. Erfolgt eine Anrechnung auf die Provision müssen sich Grund und Höhe der Anrechnung aus Abrechnung und Buchauszug nach § 87c Abs. 1, 2 ergeben 88. Der HV darf keine Gleichbehandlung mit anderen HV fordern, falls der Unternehmer Provisionen oder die vorgenannten, nicht leistungsangelehnten Vergütungen anderen HV gewährt 89. Durch die Vereinbarung derartiger Vergütungen wird der HV nicht verpflichtet, wie ein fest angestellter Mitarbeiter laufend während der üblichen Arbeitszeit für den Unternehmer tätig zu sein 90. Unzureichende Tätigkeit bzw. Untätigkeit des HV schließen das Recht auf diese feste Vergütung nicht aus 91 und sind im Zweifel wie die Rn 119 ff genannten Fälle der Schlechtbetreuung des Bezirks durch den Bezirksvertreter zu behandeln: Bei Verschulden des HV kommen Schadensersatzansprüche des Unternehmers aus § 280 BGB in Betracht 92, nicht jedoch bei unverschuldeter Untätigkeit, etwa infolge von Krankheit 93, Wehrdienst 94 oder bei Untätigkeit gegenüber einzelnen Kunden, z.B. aufgrund eines Hausverbotes 95. Mit diesem Schadenersatzanspruch kann gegen den Vergütungsanspruch aufgerechnet werden. Zudem darf sich der Unternehmer auf § 320 BGB berufen. 81 82 83 84 85 86

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Hopt § 87 Rn 5. Hopt § 87 Rn 5. OLG Braunschweig DB 1956, 794; Hopt § 87 Rn 5. BayObLG NJW 2003, 2181. LAG Stuttgart DB 1970, 164. BGH, Urt. v. 16.03.1989 – I ZR 162/87, ZIP 1989, 632 mit Anm. v. Hoyningen-Huene EWiR 1989, 693. OLG Schleswig VersR 1977, 1002; Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 6; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 16; Hopt § 87 Rn 5; Höft VersR 1976, 205 (206). AA wohl Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 6. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 6; Schlegelberger/ Schröder § 87 Rn 65. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 7. BGH, Urt. v. 09.04.1964 – VII ZR 123/62,

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BGHZ 41, 292 (295) = NJW 1964, 1622; OLG Braunschweig BB 1956, 226; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 97; aA für gänzliche Untätigkeit: Hopt § 87 Rn 5 und 33, vgl. aber auch Rn 31; OLG Hamm BB 1959, 682; im Erg. ebenso: Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 37, 65b. Hopt § 87 Rn 32; Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 7; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 87 Rn 97. Dazu OLG Braunschweig NJW-RR 1994, 34 = BB 1993, 2113; Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 7. RGZ 109, 254 (257); OLG Braunschweig NJW-RR 1994, 34 (35); Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 7. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 7.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

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K. Poolabreden Sogenannte Pool- oder Topfvereinbarungen 96 betreffen nicht das Rechtsverhältnis 30 zwischen Unternehmer und HV sondern sind interne Provisionsverteilungsabreden unter HV. Sie werden zwischen HV getroffen, die ihre Verdienste sammeln, um sie nach einem internen Schlüssel zu verteilen. In der Sache handelt es sich dabei um eine GbR in Form einer Innengesellschaft oder eine oHG 97. Sofern die Gesellschaft nicht nach außen als Vertragspartei hervortritt (dies wäre ein Wechsel des Vertragspartners, der nur mit Zustimmung des Unternehmers zulässig ist) oder eine Zustimmung des Unternehmers vorliegt, sind derartige Abreden zulässig. Denn es ist ein Unternehmensinterna des Vertreters, wie er seinen Geschäftsbetrieb organisiert und seinen Gewinn verteilt. Die eigene Unternehmensorganisation obliegt dem Vertreter. Eine Unzulässigkeit kann sich nur selten ergeben, sofern die Nivellierung der unternehmerischen Risiken, präziser: des Provisionsrisikos, zu einer Gefährdung des mit der Erfolgsvergütung erstrebten Anreizes zum Vertrieb führt oder im Rahmen der Gewinnverteilung unzulässig Geschäftsgeheimnisse des Unternehmers (§ 90) offenbart werden. Davon ist nur im Ausnahmefall auszugehen, wie der Erfolg großer Wirtschaftsprüfer- und Rechtsanwaltssozietäten mit einem ähnlichen Poolsystem zeigt. Zudem wird keiner der Partner des Pools bereit sein, einen Vertreter über längere Zeit mitzutragen, der nicht unternehmerisch denkt. Schließlich schützen den Unternehmer auch die kurzen Kündigungsfristen des § 89.

L. Vergütungsanspruch aus § 354 In der Regel ist mit der Provisionszahlung die gesamte Leistung des HV abgegolten. 31 Auch § 354 gewährt grundsätzlich keinen zusätzlichen Vergütungsanspruch, und zwar bereits deshalb, weil die recht ausdifferenzierten §§ 87 ff eine grds. abschließende Sonderregelung darstellen. Deshalb kann ein HV regelmäßig keinen Anspruch aus § 354 für HV-typische Tätigkeit geltend machen, welche einen Provisionsanspruch nach §§ 87 ff (noch) nicht entstehen lässt 98. Nur im Ausnahmefall, für den der Vertreter beweispflichtig ist, gilt Abweichendes. Wo ein Provisionsanspruch nach dem vertraglichen Leistungsumfang nicht begründet ist, kann dann eine Provisionsberechtigung aus § 354 gegeben sein. Daran ist zu denken, falls der HV nicht durch die Provision abgedeckte, HV-untypische Leistungen erbringt. Der Unternehmer muss dann aber erkennen, dass die Tätigkeiten gerade für ihn geleistet werden 99. Dazu bedarf es allerdings nicht in jedem Fall eines gültigen Vertrages, sofern keine Bedenken gegen die Wirksamkeit des Vermittlungsgeschäftes wegen Einigungs- oder Willensmängeln (§ 145 ff, 104 ff, 116 ff BGB) bestehen oder die Vorschrift, aus der sich die Nichtigkeit ergibt, nicht den Schutz einer Vertragspartei im Blick hat 100. So kann § 354 eingreifen, wenn der Vertretervertrag unwirksam ist 101 und die Grundsätze des faktischen Vertrags nicht helfen. Selbst wenn zeitraubende und mit erheblichen Kosten verbundene Vermittlungsbemühungen erfolglos bleiben, ent96 97

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Küstner/Thume I, Rn 742. AA BAG, Urt. v. 03.06.1998 – 5 AZR 552/97, zitiert nach Küstner/Thume I, Rn 742. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 12; aA wohl BGH, Urt. v. 18.11.1957 – II ZR 33/56, NJW 1958, 180. Vgl. zum Maklerrecht BGH, WM 1966, 621;

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BGHZ 95, 393 (398); BGH, Urt. v. 07.07. 2005 – III ZR 397/04, BGH, Urt. v. 07.07. 2005 – III ZR 397/04, NJW-RR 2005, 1572 (1574). BGH, Urt. v. 07.07.2005 – III ZR 397/04, NJW-RR 2005, 1572 (1574) zum Maklerrecht. Vgl. RG JW 1929, 113111.

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steht grundsätzlich kein Vergütungsanspruch aus § 354, sofern nichts Abweichendes vereinbart wurde 102. Nur bei völlig ungewöhnlichen Belastungen mag § 354 einen über die §§ 87 ff hinausgehenden Vergütungsanspruch gewähren. Alle diese Fälle haben gemeinsam, dass der Unternehmer die Dienste des HV, wie § 354 voraussetzt, entgegengenommen hat. Deshalb entfällt die Provisionsberechtigung des § 354, wenn der HV seine Zuständigkeit eigenmächtig überschritten hat. Praktisch kann dies werden, wo der HV unzulässigerweise außerhalb des ihm zugewiesenen Bezirks Abschlüsse tätigt 103. Beispielsweise kann sich ein zusätzlicher Vergütungsanspruch aus § 354 ergeben: 32 – für vermittelte Ersatzteilgeschäfte, falls nachträglich vereinbart wird, dass sich die Verkaufsbemühungen auch auf die Ersatzteile erstrecken sollen 104 (aber dann wäre mglw. auch ein Provisionsanspruch gegeben); – Für die Vermittlung eines außerhalb der Vertragsverpflichtung liegenden Geschäfts 105, z.B. wenn ein Warenvertreter dem Unternehmer ein Geschäft anderer Art (z.B. Miete eines Geschäftslokals) vermittelt; – wenn das Ergebnis der Vermittlungstätigkeit des Handelsvertreters sich zunächst nur in einem Zwischenergebnis niederschlägt (etwa: vermittelt war ein „Bezugsvertrag“ als Rahmenabkommen, wonach der Kunde sich verpflichtete, seinen Bedarf vorkommendenfalls bei dem Unternehmer zu decken, die daraufhin vorgenommene Bestellung erfolgte, nachdem der HV aus den Diensten des Unternehmers ausgeschieden war; aber wohl Spezialität des Abs. 3 Nr. 1) 106; – sofern ein Einsatz des HV nach Abschluss des Geschäfts das billigerweise zu fordernde Maß an aufbereitender Tätigkeit überschreitet (Verhandlungen zur Abwehr von Mängelrügen) 107; – nach übermäßiger Inanspruchnahme durch verwaltende und vertreteruntypische Tätigkeiten.

M. Vergütungsanspruch aus § 812 BGB 33

Für einen Vergütungsanspruch aus § 812 BGB müssen – außer der Kaufmannseigenschaft des tätig gewordenen Vermittlers – dieselben Voraussetzungen wie für den Anspruch nach § 354 gegeben sein 108. Im Maklerrecht hat der BGH 109 einen Vergütungsanspruch aus § 812 BGB für zweifelhaft gehalten und dies mit der Risikoverteilung des § 652 BGB begründet: Die Privatrechtsordnung kenne grundsätzlich keine Pflicht zur Vergütung ungefragt überlassener Informationen. Diese Begründung wird sich auf die Vermittlung aufgrund eines unwirksamen HV-Vertrages übertragen lassen. Im HV-Recht wird ein nichtiger Vertrag bis zur Entdeckung der Nichtigkeit als wirksam behandelt, so dass sich in diesem Fall der Vergütungsanspruch aus den §§ 87 ff selbst ergibt (§ 84 Rn 86). 102 103 104 105

Küstner/Thume I, Rn 714. Schröder DB 1963, 542; Krüger S. 1399. OLG Düsseldorf HVR Nr. 104. BGHZ 62, 71 (74); BGH, Urt. v. 28.01.1993 – I ZR 292/90, VersR 1993, 878; Ebenroth/ Löwisch § 87 Rn 12; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 6, 64; aA Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87 Rn 7; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 6.

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BGH NJW 1958, 180. BGH BB 1962, 1345; Hopt § 87 Rn 4. BGH, Urt. v. 07.07.2005 – III ZR 397/04, NJW-RR 2005, 1572 (1574) zum Maklerrecht. BGH, Urt. v. 07.07.2005 – III ZR 397/04, NJW-RR 2005, 1572 (1574) zum Maklerrecht.

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§ 87

N. Abtretbarkeit Der HV darf über seine Provision grundsätzlich frei verfügen 110. Insbesondere ist der 34 Provisionsanspruch, auch als künftige Forderung bereits vor ihrem unbedingten Entstehen, abtretbar 111. Die Abtretbarkeit von Provisionsansprüchen kann – auch durch AGB 112 – ausgeschlossen werden, wobei aber meist § 354a entgegensteht. § 81 Abs. 2 S. 4 VAG 113 i.V.m. der Rechtsverordnung des Reichsaufsichtsamtes für 35 das Versicherungswesen vom 04.06.1934 und des BAV vom 17.08.1982 gestattet es dem BaFin, Versicherungsvertretern die Abgabe oder die offene Abtretung eines Teils der Provision an den Versicherungsnehmer zu untersagen (Provisionsabgabeverbot). So sind nach § 1 der VO über das Verbot von Sondervergütungen und Begünstigungsverträgen in der Schadensversicherung vom 17.08.1982 114 insbesondere Provisionsabgaben an den Versicherungsnehmer untersagt. Ein gleichartiges Verbot gilt für den Bereich der Lebensversicherung aufgrund der Anordnung des Reichsaufsichtsamts für Privatversicherung vom 08.03.1934 115. Der Unternehmer darf deshalb dem HV eine Provisionsweitergabe an den Kunden untersagen 116.

O. Pfändbarkeit Die Frage, ob die Provisionsansprüche des HV der Pfändung gemäß den Vorschriften 36 über die Vollstreckung in Arbeitseinkünfte nach den §§ 850 ff ZPO unterliegen, ist in früherer Zeit kontrovers beantwortet worden. Inzwischen wird sie von der überwiegenden Meinung bejaht 117. Die Zweifel, die sich an den Begriff „Arbeitseinkommen“ in § 850 Abs. 1 anknüpften, da die Provisionseinkünfte des HV als eines selbständigen Kaufmanns nicht hierunter begriffen werden könnten 118 sind durch BAG NJW 1962, 1121 ausgeräumt. Was Arbeitseinkommen i.S.d. Forderungs-Pfändungsvorschriften ist, bestimmt § 850 Abs. 2 ZPO selbständig. Dazu zählen (neben Gehalt, Lohn, Versorgungsbezügen) auch „sonstige Vergütungen für Dienstleistungen aller Art, die die Erwerbstätigkeit des Schuldners vollständig oder zu einem wesentlichen Teil in Anspruch nehmen“. Es muss sich also um die Vergütung für persönliche Dienstleistungen handeln: ob jene im abhängigen Arbeitsverhältnis oder in einem Dienstverhältnis nach allg. Dienstvertragsrecht des BGB (wie beim HV) erbracht werden, spielt keine Rolle. Das ergibt sich bereits aus § 850i ZPO. Wesentlich ist nur, dass die Dienste die ausschließliche oder wesentliche Erwerbstätigkeit des Dienstleistenden ausmachen. Für den Einfirmenvertre110 111 112 113 114 115

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Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 34. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 9; Schlegelberger/Schröder § 87b Rn 15. AA Ebenroth/Löwisch, § 87 Rn 9. BGBl. 1993 I, S. 2. BGBl. 1982 I, S. 1243. Vgl. BGH, Urt. v. 19.12.1984 – I ZR 181/82, BGHZ 93, 177 (179) = NJW 1985, 3018; OLG Celle VersR 1994, 856. Ulmer/Habersack ZHR 159 (1995), 109 (131 ff), und zwar nicht nur mittels Individualvertrag (aA Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 34). BGH, Urt. v. 21.12.1989 – IX ZR 66/89, NJW 1990, 1665; BAG, Urt. v. 10.02.1962 –

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5 AZR 77/61, NJW 1962, 1221; OLG Hamm BB 1956, 668 und 1972, 855; LG Dortmund MDR 1957, 750; LG Hamburg MDR 1961, 856; Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 9; Hopt § 87 Rn 50; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87 Rn 28; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 119 und 220; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 1; Westphal Vertriebsrecht I Rn 270, 271; Roellecke BB 1957, 1159; Treffer MDR 1998, 384; aA Schlegelberger/ Schröder § 87b Rn 15a. Schlegelberger/Schröder § 87b, 15a; LG Bochum BB 1957, 1158.

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ter ist das unproblematisch. Aber auch für den Mehrfirmenvertreter ergeben sich keine Probleme, solange nur die HV-Tätigkeit als Ganzes die Erwerbstätigkeit des HV ausschließlich oder zu einem wesentlichen Teil in Anspruch nimmt. Denn auch bei einem abhängigen Arbeitnehmer geht das Lohn- und Gehaltspfändungsrecht von der Möglichkeit aus, dass er seine Einkünfte aus Beschäftigungen bei verschiedenen Arbeitgebern bezieht; es findet dann nach § 850e Nr. 2 ZPO eine Zusammenrechnung statt. Erst wenn der HV neben seiner Vertretertätigkeit für einen oder mehrere Unternehmer noch eine nicht unwesentliche Erwerbstätigkeit anderer (selbständiger) Art ausübt, werden die §§ 850 ff ZPO unanwendbar und unterliegen seine Provisionsansprüche den allgemeinen Vorschriften über die Forderungspfändung 119. Der Anspruch eines HV auf monatliche Fixprovision ist zumindest Arbeitseinkommen nach § 850 Abs. 2 ZPO, sofern es sich um dessen einzige Tätigkeit handelt 120. Maßgebend für die Höhe der Einkünfte ist bei dem Mehrfirmenvertreter dessen Gesamteinkommen 121. Provisionsvorschüsse dürfen ebenfalls gepfändet werden 122. Die erst in Zukunft entstehenden Provisionsforderungen sind als solche nach § 832 37 ZPO pfändbar 123, mögen sie dem § 850 ZPO unterfallen 124 oder nicht 125. In diesen Fällen kann bei einem zum Inkasso berechtigten Vertreter die Frage auftauchen, ob eine zwischen ihm und dem Unternehmer im voraus getroffene Abrede, dass die Provision von den eingezogenen Geldern einbehalten werden dürfe, der später erfolgten Pfändung der Provisionsansprüche gegenüber den Vorrang genießt. Das wäre dann der Fall, wenn die Abrede eine Voraus-Aufrechnung beinhaltete, die die Provisionsforderung im Augenblick des Inkasso als kraft eben jener Aufrechnung getilgt erscheinen lassen müsste. Der Gläubiger wäre dann auf eine Pfändung der einbehaltenen Provision bei dem HV (Bargeld- oder Kontenpfändung) verwiesen. Im Ergebnis besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass ein solcher Vorrang der Ein38 behaltungsberechtigung gegenüber Pfändungen nicht anzuerkennen ist. Die Begründung ist unterschiedlich und in ihrer Unsicherheit wenig befriedigend. Am ehesten überzeugt noch das Argument, dass die „Abrede“ gar keine echte Vorausaufrechnung darstelle, sondern im Zweifel nur eine Feststellung, dass der Unternehmer die Entnahme der Provision aus den eingezogenen Geldern dulden wolle 126. Jedenfalls müssten die Anforderungen an eine förmliche Aufrechnungsvereinbarung schon streng gehalten sein; es würde gefordert werden müssen, dass sie u.a. klarstellt, für welche Zeit sie gelten solle und ferner, ob und unter welchen Umständen sie vom Unternehmer widerrufen werden könne. Schon daran wird es meist fehlen und damit die Abrede auf jene schlichte Duldungsübereinkunft reduziert. Mit einem ähnlichen Gesichtspunkt arbeitet RAG 6 204, 207. Komplizierter wäre es, die Widerruflichkeit der Duldungsübereinkunft in den Vordergrund zu stellen und zu empfehlen, außer dem Provisionsanspruch auch das Recht des HV auf Widerruf zu pfänden und sich zur Einziehung überweisen zu lassen, was ohnehin nicht immer helfen kann. Wiederum andere Meinungen operieren mit § 392 BGB 127 und dem 119

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OLG Hamm BB 1972, 855 und (in einem obiter dictum) BGH Rpfl. 1978, 54; Roellecke BB 1957, 1159; Rewolle DB 1962, 936. BayObLG, Beschl. v. 06.03.2003 – 5 St RR 18/03, NJW 2003, 2181. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 9; Hopt § 87 Rn 50. Treffer MDR 1998, 384 (385); Ebenroth/ Löwisch § 87 Rn 9.

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AA Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 9; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87 Rn 28; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 121. LG Berlin VersR 1962, 217. RGZ 134, 227. So etwa LG Hamburg MDR 1961, 856. LG Dortmund MDR 1957, 750.

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Gedanken, dass die „Vorausaufrechnung“ ohnehin erst im Augenblick des Inkasso wirken könne, weshalb dem die Pfändung mit dem Verfügungsverbot an den Schuldner zuvorkomme 128. Doch ist das gerade die Frage, die es zu untersuchen gilt. Dass die Rechtsprechung sich mit unterschiedlich begründeten Lösungen behilft, mag den Bedürfnissen der Praxis genügen.

P. Systematik der §§ 87 ff § 87 eröffnet die Reihe der Bestimmungen über die Provision. Dazu waren zunächst die tatbestandlichen Voraussetzungen des Provisionsanspruchs näher zu bestimmen. Der Unterschied zwischen HV und Makler liegt darin, dass die Provision nicht schon mit dem Abschluss des vermittelten Geschäfts verdient sein soll. Das Gesetz macht sie grundsätzlich noch von dessen Erfüllung abhängig. Das wiederum erfordert Detailregelungen für Fälle von Leistungshindernissen, aber auch (weil das HV-Verhältnis im Gegensatz zum Maklerauftrag ein Dauerrechtsverhältnis ist) für die zeitliche Abgrenzung, wenn der Vertretervertrag während der Vermittlungsbemühungen vor Abschluss des Geschäfts endet. Schließlich waren Fragen des Kundenschutzes und des Bezirksschutzes – für den Bezirksvertreter – zu entscheiden. Dies alles ging über den normalen Umfang eines einzigen Paragraphen hinaus. Der Gesetzgeber hat sich deshalb entschlossen, die Voraussetzungen des Provisionsanspruchs aufzuspalten; er hat hierbei die Zäsur in den Abschluss des Geschäfts gelegt, welches er als provisionspflichtig anerkennt. Dessen Tatbestand und seine zeitliche Bezogenheit ist der Inhalt des § 87. § 87a regelt den Einfluss des weiteren Schicksals des Geschäfts im Fortgang seiner Erfüllung auf den Provisionsanspruch und zugleich den Zeitpunkt der Fälligkeit. Weil der Provisionsanspruch endgültig erst mit der Erfüllung des Geschäfts oder einem zugelassenen Erfüllungs-Ersatztatbestand begründet sein soll, ist das Verhältnis von § 87 zu § 87a dahin zu bestimmen, dass bei Gegebensein der Voraussetzungen des § 87 der Anspruch zunächst aufschiebend bedingt, als Provisionsanwartschaft, entstanden ist, während die weiteren Voraussetzungen des § 87a die Bedingung darstellen, mit deren Eintritt der Anspruch sich zum unbedingten verfestigt. § 87 bestimmt damit, wofür der HV Provision erhält. Die Norm bestimmt den Rechtsgrund des Provisionsanspruches. Gemäß Abs. 1 hat der Vertreter entweder Anspruch auf Provision für von ihm vermittelte Geschäfte oder sog. Folgegeschäfte. Abs. 2 ordnet den Provisionsanspruch des Bezirksvertreters. Abs. 3 trifft eine Sonderbestimmung für nachvertragliche Provision. Abs. 4 regelt die Inkassoprovision. § 87a regelt, wann der Provisionsanspruch entsteht und wann er entfällt. Nach Abs. 1 hat der HV Anspruch auf Provision, sobald und soweit der Unternehmer das Geschäft ausgeführt hat. Gemäß Abs. 2 entfällt der Provisionsanspruch, wenn feststeht, dass der Kunde nicht leistet. Abs. 3 regelt das Schicksal des Provisionsanspruches bei wirtschaftlicher Disparität zwischen abgeschlossenem und ausgeführtem Vertrag. Abs. 4 bestimmt die Fälligkeit des Provisionsanspruches. § 87b führt aus, wieviel Provision der Vertreter erhält. Dabei bestimmt Abs. 1 die Höhe des Provisionssatzes, Abs. 2 und 3 klären die Bemessungsgrundlage, auf deren Basis der Provisionssatz errechnet wird. Daran schließt § 87c betreffend die Kontrollrechte des HV an, mit denen der HV Grund und Höhe der nach den §§ 87 ff geschuldeten Provision überprüfen darf. 128

RAG 5, 136 (139).

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Die Entstehung des Provisionsanspruches vollzieht sich in mehreren Stadien 129. Gemäß § 87 Abs. 1 entsteht eine Tätigkeits- oder Folgeprovision aufschiebend bedingt auf den Fall, dass die Voraussetzungen des § 87a Abs. 1 eintreten, d.h. sobald und soweit der vertretene Unternehmer (§ 87a Abs. 1 Satz 1) oder der vorleistende Dritte (§ 87a Abs. 1 Satz 3) das abgeschlossene Geschäft ausgeführt hat 130. Ab diesem Zeitpunkt ist der Anspruch entstanden; er ist solcher – nicht nur als zukünftiger – abtretbar und pfändbar131. Unterbleibt die Ausführung, so entsteht der Provisionsanspruch gleichwohl, es sei denn, dass in § 87 Abs. 3 Satz 2 abschließend geregelte Voraussetzungen erfüllt sind, bei denen ausnahmsweise die Nichtausführung die unbedingte Entstehung des Provisionsanspruches hindert 132. Gleichwohl ist hiermit der Provisionsanspruch noch immer nicht absolut sicher. Denn es muss ein weiteres Stadium durchschritten werden. Der Provisionsanspruch kann nämlich (vom Unternehmer zu beweisende Ausnahme) entfallen, wenn feststeht, dass der Dritte nicht leistet (§ 87a Abs. 2). Die Fälligkeit des Provisionsanspruches tritt dann am letzten Tag des Monats ein, in dem der Unternehmer über den Provisionsanspruch abzurechnen hat (§ 87a Abs. 4). Küstner/Thume I, Rn 749 bilden folgendes Beispiel: 44 1. Stadium: Das Geschäft wird abgeschlossen Folge: Der HV erwirbt einen bedingten Anspruch auf Provision (Provisionsanwartschaft). Der Anspruch ist aufschiebend bedingt auf die Ausführung des Geschäftes durch den Unternehmer, gleichzeitig aber auch auflösend bedingt infolge der Nichteinlösung durch den Dritten. 2. Stadium: Der Unternehmer führt das Geschäft aus Folge: Die aufschiebende Bedingung entfällt, die auflösende Bedingung bleibt bestehen. 3. Stadium: Der Dritte (Kunde) leistet Folge: Der Provisionsanspruch wird dadurch zu einem unbedingten Anspruch, der nicht mehr mit Unsicherheitsfaktoren belastet ist. 4. Stadium: Die Fälligkeit Folge: Die Fälligkeit des unbedingten Anspruches tritt am letzten Tag des Monats ein, in dem über den Anspruch abzurechnen ist. 45 Das alles ist hinreichend kompliziert und noch dazu verklausuliert, indem der Kunde eher fernliegend als „Dritter“ apostrophiert wird. Ein Beispiel für die Lesbarkeit durch den Normadressaten wird sicherlich nicht gegeben. Es mag ferner bemängelt werden, dass die Provisionsvorschriften zersplittert sind. Zumindest § 87 und § 87a hätten in einer Vorschrift gefasst werden können.

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Q. Gesetzgebungsgeschichte 46

Die Vorschrift stammt aus der Zeit der großen Novelle 1953. Mittels des Gesetzes 1989 wurden in Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 die Worte „und soweit“ sowie durch eine Neufassung des Abs. 3 dessen jetziger Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 eingefügt.

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BGH NJW-RR 1999, 868; Küstner/Thume I, Rn 749. Küstner/Thume I, Rn 746.

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Eberstein, S. 86. Küstner/Thume I, Rn 746.

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R. Abdingbarkeit § 87 ist in allen Einzelfragen abdingbar. Vertragliche Regelungen sind namentlich des- 47 halb angezeigt, weil das Gesetz die Fälle von Provisionskonkurrenzen nur im Blick auf die Nachfolge in der Vertreterstellung regelt, während es Fälle von gleichgearteten Überschneidungen beim Kundenschutz oder von Überlagerungen beim Tätigwerden verschiedener HV für das gleiche Vermittlungsvorhaben außer Betracht gelassen hat und hier die Gefahr einer doppelten Provisionspflicht für den Unternehmer entsteht. Insoweit kann nur eine aufeinander abgestimmte Regelung in den Verträgen mit den beteiligten Vertretern eine sinnvolle Lösung bringen.

S. Die Provisionsanwartschaft des § 87 Abs. 1 und Abs. 2 I. Einführung § 87 Abs. 1 und 2 regeln, wofür, d.h. unter welchen Umständen, der Vertreter Provi- 48 sion erhält. Die Norm regelt also, welche Geschäfte provisionspflichtige sind.133 Sind die TB-Voraussetzungen der Norm erfüllt, erwirbt der HV einen aufschiebend bedingten Provisionsanspruch 134 bzw. eine sogenannte Provisionsanwartschaft 135. Wie der Rückschluss aus § 87a Abs. 1 offenbart, ist mit dem Eintritt der Voraussetzungen des § 87 die Provision noch nicht endgültig verdient. Vielmehr ist weiter die Ausführung des Geschäftes durch den Unternehmer erforderlich. Erst dann erstarkt der Anspruch zu einem unbedingten Provisionsanspruch 136. Gemäß § 87 Abs. 1 hat der HV Anspruch auf Provision für alle während des Vertre- 49 tervertrages abgeschlossenen Geschäfte, die auf seine Tätigkeit zurückzuführen sind (Tätigkeitsprovision) oder mit Dritten abgeschlossen werden, welche er als Kunden für Geschäfte der gleichen Art geworben hat (Folgeprovision). Nach der Gesetzeskonzeption handelt es sich bei der Tätigkeitsprovision und auch der Folgeprovision um den Grundtatbestand der Provision und statistisch gesehen dürfte dies die häufigste Provisionsform bilden. Allerdings werden im Interesse des Unternehmers nicht selten die Folgeprovisionen ausgeschlossen, was zulässig ist, da § 87 Abs. 1 nicht zwingend ist. § 87 Abs. 2 regelt die Provisionsanwartschaft des Bezirksvertreters (Bezirksprovision). 50 Rechtstatsächlich wird diese Provisionsform häufig gewählt, weil sie Streitigkeiten über die Tätigkeit des Unternehmers im Gebiet des HV vermeidet. Der Unternehmer ist nämlich auch für solche Direktgeschäfte provisionspflichtig. Eine Bezirksprovision wird nur geschuldet, wenn der HV ausdrücklich oder konkludent als Bezirksvertreter eingesetzt wurde. Ist dem HV ein bestimmter Bezirk oder ein bestimmter Kundenkreis zugewiesen worden, so hat er Anspruch auf Provision auch für die Geschäfte, die ohne seine Mitwirkung mit Personen seines Bezirkes oder seines Kundenkreises während des Vertragsverhältnisses abgeschlossen sind. Diesen seinen Bezirk oder Kundenkreis soll der HV ständig betreuen und sich auf ihn konzentrieren. In Anerkennung solcher spezifischen Betreuungsleistungen wird bestimmt, dass dem Bezirksvertreter für alle Geschäfte mit bezirksansässigen Kunden, mag er sie vermittelt haben oder nicht, die Provision so 133 134

Prasse in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 281. BFH, Urt. v. 19.10.1972 – I R 50/70, DB 1973, 363; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87 Rn 5; MünchKommHGB/

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v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 3; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 1. Küstner/Thume I, Rn 745. Küstner/Thume I, Rn 750.

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zusteht, als wenn er selbst vermittelnd tätig geworden wäre. Seine Zuständigkeit soll sich nicht mit provisionssparendem Effekt durch Direktabschlüsse des Unternehmers ausschalten lassen. Durchgehend sind sodann Regelungen über die Abgrenzung der Provisionsberechtigung für den Fall vorgesehen, dass ein Vertreter nach erfolgversprechender Anbahnung einer Vermittlung aus dem Vertreterverhältnis ausscheidet und das Geschäft erst im Zeichen seines Nachfolgers zum Abschluss gelangt (Abs. 3). Systemfremd im Aufbau des § 87 ist schließlich die Bestimmung in Abs. 4 über die 51 Berechtigung zur Inkassoprovision. Sie ist unechte Provision, nicht erfolgsbedingt, eine Vergütung für reine Verwaltungstätigkeit, die nicht einmal zu den wesenseigenen Aufgaben des Handelsvertreters gehört und die hier bestenfalls stellvertretend für mancherlei Verwaltungsprovisionen anderer Art, wie sie beim Handelsvertreter auch vorkommen können (Lagerhaltung, Regulierung von Reklamationen), ihren Ort gefunden hat.

II. § 87 Abs. 1 52

Die Anwartschaft setzt voraus, dass ein Geschäft zwischen dem Unternehmer und dem Kunden während eines bestehenden HV-Vertrages abgeschlossen wird. Weiter muss das Geschäft entweder auf die Tätigkeit des Vertreters zurückzuführen sein („Tätigkeitsprovision“) oder es muss sich um ein Folgegeschäft („Folgeprovision“) handeln.

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1. Während des Vertragsverhältnisses. Provision nach § 87 erhält der HV grds. – von den beiden Ausnahmen des Abs. 3 Satz 1 abgesehen – nur für Kundengeschäfte, welche während des Bestehens des HV-Vertragsverhältnisses abgeschlossen werden. Vom HV vor oder nach Vertragsende zustande gebrachte Geschäfte sind grds. nicht nach § 87 137, u.U. jedoch nach § 354 provisionspflichtig (s.o. Rn 31). Für § 87 Abs. 1 1. Alt. bedeutet dies, dass der HV Provision nur verlangen kann, wenn die Vermittlung während eines wirksamen 138 oder willentlich von beiden Parteien faktisch 139 in Vollzug gesetzten HVVertrags erfolgte 140. Gemeint ist der Abschlusstatbestand als solcher, auch als aufschiebend bedingter 141. Wann dann die Bedingung oder die Erteilung der Genehmigung bei schwebend unwirksamem Kundenvertrag 142 eintritt, ist für den Provisionsanspruch ohne Belang. Tritt die Bedingung/Genehmigung nach Vertragsende ein und/oder wird das Geschäft erst nach Vertragsende ausgeführt, so muss es gegebenenfalls nachverprovisioniert werden. Bedeutung hat das namentlich für Sukzessiv-Lieferungsgeschäfte (Rn 72) Ist der Abschluss während des HV-Vertrages erfolgt, berührt es die Provisionsberechtigung des HV nicht, falls die einzelnen Erfüllungsakte, terminlich oder auf Abruf, erst nach Ende desselben geschehen. Jeder von ihnen löst nach Maßgabe des § 87a Abs. 1 die nachträglich zu berechnende Teilprovision aus. Eine Nachverprovisionierung nach Vertragsende anfallender Ausführungs- oder Teilausführungsakte des Geschäfts kann jedoch ausgeschlossen werden und wird nicht selten vertraglich ausgeschlossen.

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Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 28; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 11. BGH, Urt. v. 21.12.1973 – IV ZR 158/72, BGHZ 62, 71 (73) = NJW 1974, 852; Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 12. Westphal Vertriebsrecht I Rn 276; Evres BB 1992, 1365 (1370, 1371); Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 12; aA wohl Heymann/Sonnen-

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schein/Weitemeyer § 87 Rn 7; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 6, 20; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 4. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 28. Hopt § 87 Rn 7. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 28; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 28.

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Ebenso ist unerheblich, ob das abgeschlossene Geschäft während der Vertragslaufzeit 54 auch abgewickelt wird 143. Allein entscheidend ist der Abschluss des Geschäfts. Denn gemäß § 87 Abs. 1 Alt. 1 sind auch Geschäfte provisionspflichtig, die während des bestehenden HV-Vertrags abgeschlossen werden, jedoch erst nach Vertragsschluss erfüllt werden 144. Bei unwirksamen, jedoch faktisch in Verzug gesetzten Verträgen gelten die Regeln über den faktischen Vertrag. Der Vertrag ist also nur mit ex-tunc-Wirkung nichtig. Für die Vergangenheit bereits entstandene Provisionsansprüche können nach wie vor gefordert werden. Für Geschäfte, die nach Ende des HV-Vertrages geschlossen werden, besteht hingegen grundsätzlich kein Provisionsanspruch 145. Eine Ausnahme bildet die nachvertragliche Provision (siehe Rn 126 ff). Der HV behält selbst bei schweren Vertragsverletzungen seinen einmal verdienten 55 Provisionsanspruch 146. Eine bereits ausgesprochene ordentliche Kündigung bleibt für das Provisionsrecht ebenso unerheblich 147 wie das Vorliegen eines wichtigen Grundes für eine fristlose Kündigung, solange diese nicht erklärt ist 148. Ausnahmen können über § 242 BGB gebildet werden. 2. Geschäftsabschluss. Die Anwartschaft nach § 87 Abs. 1 setzt weiter voraus, dass 56 zwischen Unternehmer und Kunden des Unternehmers ein Geschäft abgeschlossen wird. Ein Anspruch auf Provision erwächst dem HV auf Grund seiner Vermittlung nur, wenn sie zum Erfolge führt, nämlich zum Abschluss von Verträgen. Der Abschlussvertreter führt diesen Abschluss selbst herbei: der Vermittlungsvertreter bleibt unterhalb dieser Schwelle. Nicht immer wird es sich so fügen, dass der HV seinem Unternehmer den mit dem Kunden ausgehandelten Vertrag abschlussreif präsentiert; immer aber muss auch seine Tätigkeit in den Vertragsabschluss als ihren Enderfolg eingegangen sein. Wer von den Parteien des Geschäftsschlusses im vertragstechnischen Sinne Offerent, wer Akzeptierender nach §§ 145 ff BGB ist, spielt für den Provisionsanspruch keine Rolle. Die Provisionsanwartschaft setzt voraus, dass es sich um ein Geschäft handelt, wel- 57 ches der Vertreter nach dem ggf. konkludent erweiterten HV-Vertrag zu vermitteln hatte 149. Insbesondere begründen die Provisionsanwartschaft nur Geschäfte, die zu dem nach dem HV-Vertrag vorausgesetzten wirtschaftlichen Vorteil des Unternehmers führen. Das muss nicht notwendigerweise eine Gegenleistung in Geld sein 150. Wenn der Unternehmer den nach dem HV-Vertrag vorausgesetzten oder einen vergleichbaren wirtschaftlichen Vorteil erhält, genügt dies (§ 87a Rn 43). Unerheblich bleibt, ob das Geschäft für den Unternehmer gewinnbringend ist 151. Durch den Abschluss nicht kostendeckender oder verlustreicher Kundengeschäfte entfällt grundsätzlich nicht die Provision und es ist regelmäßig auch keine Anpassung nach den Grundsätzen des WGG geschuldet 152. 143 144 145 146

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Prasse in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 2 Rn 282. Prasse in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 2 Rn 282. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 459. Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 44; Hopt § 87 Rn 49; aA wohl Heymann/Sonnenschein/ Weitemeyer § 87 Rn 25. Ebenroth/Löwisch § 87 § 87 Rn 28; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87 Rn 12; Hopt Rn 37; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 28. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 28; Heymann/

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Sonnenschein/Weitemeyer § 87 Rn 12; Hopt § 87 Rn 37. Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87 Rn 9; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 87 Rn 22; Hopt § 87 Rn 7; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 5. AA wohl Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 16. OLG Köln, Urt. v. 02.08.2002 – 19 U 152/01 VersR 2002, 1374 = OLGR 2002, 440. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 16; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 7.

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§ 87 58

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Der Unternehmer ist bezüglich der Entscheidung frei, ob er ein vom HV vermitteltes Geschäft annimmt oder ablehnt. Er darf das Geschäft allerdings nicht willkürlich ablehnen und nicht nur, um den HV um seine Provision zu bringen (§ 242, 226 BGB, siehe oben, § 86a Rn 42 ff) 153. Ein Verstoß führt zur Schadenersatzpflicht des Unternehmers in Höhe des entgangenen Rohgewinns des HV. Spätestens in der Auslieferung der Ware liegt die – konkludente – Willenserklärung des Unternehmers zum Abschluss des Geschäftes. Ob das Geschäft wirksam wird, hängt dann davon ab, ob es eine korrespondierende Willenserklärung des Kunden gibt. Auf die Zusendung unbestellter Ware braucht der Kunde nicht zu antworten, so dass sein bloßes Schweigen keine entsprechende Willenserklärung wäre.

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3. Wirksames Geschäft. Das Geschäft muss wirksam und rechtsverbindlich zustande gekommen sein 154. Ein unwirksames Geschäft begründet keine Provisionsanwartschaft. Dazu muss zunächst der Vertrag zwischen Kunden und Unternehmer endgültig und 60 rechtswirksam 155 zustande gekommen sein 156 (§ 145 ff BGB). Ein Provisionsanspruch entsteht nur, sofern der Unternehmer aus dem geschlossenen Geschäft erfolgreich auf Erfüllung klagen könnte. Ein wirksames Geschäft setzt den Zugang der letzten Willenserklärung zum Vertragsschluss voraus. Bei einem Vermittlungsvertreter gibt der Unternehmer die für ihn wirkende Willenserklärung ab. Bei dem Abschlussvertreter darf auch der HV die Willenserklärung abgeben. Ein unwirksames, jedoch durchgeführtes Geschäft begründet die Provisionsanwart61 schaft, wenn es von den Parteien wie ein wirksames Geschäft behandelt wird: Nur muss der Vertreter erhaltene Provision ggf. zurückzahlen, sofern eine Rückabwicklung des Geschäftes, etwa nach §§ 812 ff BGB, erfolgt. Ist diese Rückabwicklung absehbar, braucht der Unternehmer vorerst nicht zu leisten („dolo petit“; § 242 BGB). Keine Provision kann entstehen, falls das Geschäft von Anfang an nichtig 157 ist, etwa 62 infolge von Formnichtigkeit gemäß § 125 BGB oder Sittenwidrigkeit gemäß § 138 BGB bzw. nach §§ 119, 123 BGB anfechtbar und mit Rückwirkung (§§ 142, 143 BGB) angefochten wurde, es sei denn, es wird tatsächlich durchgeführt 158 (worin meist eine Bestätigung des nichtigen Geschäfts zu finden sein dürfte). Ist das Geschäft anfechtbar, aber noch nicht angefochten, so soll dem Unternehmer gegenüber dem Provisionsanspruch des Vertreters unter analoger Heranziehung des § 770 BGB eine aufschiebende Einrede gegeben sein 159, sofern das Geschäft schon soweit ausgeführt ist, dass der Provisionsanspruch überhaupt durchsetzbar ist (§ 87a Abs. 1): eine billigenswerte Einschränkung. Wird in der Insolvenz angefochten (§§ 129, 143 InsO) und muss der Unternehmer deshalb das Erlangte herausgeben, so ist die Provision nicht geschuldet 160. Bedarf das zwischen dem Unternehmer und Kunden vereinbarte Geschäft zur Wirksamkeit einer behördlichen Genehmigung, so kann es – für die Provision und die Begründung des Anspruchs hierauf – erst von deren Erteilung an als zustande gekommen gelten (arg. 153 154 155 156 157

Hopt § 87 Rn 8 f; Prasse in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 2 Rn 283. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 13; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87 Rn 10. Prasse in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 2 Rn 283. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 461; Hopt § 87 Rn 7. Prasse in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 2 Rn 283; Ebenroth/Löwisch

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§ 87 Rn 14; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87b Rn 8; Hopt § 87 Rn 7; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 25; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 9. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 14. Schmidt-Rimpler S. 118 (mit Reichel Die Maklerprovision [1913] S. 27); Ebenroth/ Löwisch § 87 Rn 14. Schmidt-Rimpler aaO; Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 14.

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§ 87a: weil auch die Bewirkung der Leistung, wenn und solange die Genehmigung aussteht, rechtsgrundlos wäre). Wird ein Geschäft nachträglich im Gefolge von Leistungsstörungen rückgängig gemacht, beurteilt sich die Frage, ob ein Provisionsanspruch besteht, nach § 87a Abs. 2 u. 3 161. Eine auflösende Bedingung lässt das Geschäft rückwirkend entfallen. Die Provisionsanwartschaft entfällt korrespondierend 162. Die aufschiebende Bedingung führt zunächst zur Provisionsanwartschaft. Ein endgültiger Provisionsanspruch entsteht jedoch nur, wenn neben den TB-Voraussetzungen des § 87a Abs. 1 auch die Bedingung eintritt 163. Es liegt eine zweifach gestufte Bedingung vor. Wird vor Eintritt der Bedingung für den Abschluss das Geschäft rückgängig gemacht, kann der Provisionsanspruch nur unter den Voraussetzungen des § 162 Abs. 1 BGB Bestand behalten (für dessen Anwendung dann im Hinblick auf § 87a die Ausführung des Geschäfts im Zweifel unterstellt werden muss). So insbesondere, wenn die Ausübung des Rücktritts bei Geschäftsabschluss vorbehalten worden war, etwa bei der Klausel „freibleibend“ 164. Bei auflösender Bedingung des Geschäfts ist der Entstehungsgrund für die Provision zunächst gegeben; das Endgültigwerden des Provisionsanspruchs hängt aufschiebend bedingt von einem der Tatbestände des § 87a ab. Tritt vor oder nach dem letzteren Zeitpunkt die auflösende Bedingung für den Geschäftsabschluss ein, kommt dem HV allenfalls § 162 Abs. 2 BGB zugute, sonst ist der Provisionsanspruch hinfällig geworden. Anders nur bei Gebrauchsüberlassungs- oder Nutzungsverträgen, die bei Eintritt der auflösenden Bedingung bereits in Vollzug gesetzt gewesen waren, weil die auflösende Bedingung nur ex nunc wirkt (§ 158 Abs. 2 BGB) und die bis dahin erbrachten Leistungen mit Rechtsgrundlage erbracht bleiben. Mit dem Rücktritt wandelt sich das Geschäft nach § 346 BGB in ein Rückgewährschuldverhältnis um, so dass die beiderseits empfangenen Leistungen zurückzugewähren sind. Es kann damit keine Grundlage für einen Provisionsanspruch des HV bilden 165. Sofern eine Kündigung des Geschäfts zulässig ist, wird sie erst mit Zugang wirksam. Die bis dahin ausgetauschten Leistungen sind provisionspflichtig 166, die danach ausgetauschten, wenn sie von beiden Parteien akzeptiert werden (konkludente oder ausdrückliche Vertragsfortsetzung). Wird die Ungültigkeit später – ohne Durchbrechung des ursächlichen Zusammenhangs des Geschäfts mit der Tätigkeit des Vertreters – behoben (Heilung nach § 313 S. 2 BGB, formgerechter Neuabschluss), entsteht der Provisionsanspruch mit tatsächlicher Durchführung (soweit sich der Kunde nicht später wirksam auf die Unwirksamkeit beruft), mit wirksamen Vergleich 167 (soweit der Provisionsanspruch nicht bereits vorher entstanden war 168) oder mit Heilung 169, je nachdem, welcher Zeitpunkt eher eintritt. Bei unterschiedlichen Beiträgen aus den jeweiligen Heilungsschritten werden jene jeweils zum Zeitpunkt der jeweiligen Durchführung fällig. Bei teilweiser Nichtigkeit eines Vertrages kommt es darauf an, ob der gültige Teil nach § 139 BGB Bestand hat. Die Provision ist dann allein aus dem gültigen Teil zu 161

162 163 164 165

Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 14; Hopt § 87 Rn 7; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 10. Küstner/Thume I, Rn 854; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 467. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 467. OLG Hamburg Recht 1923, Nr. 530. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 465; Prasse in:

166 167 168 169

Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 2 Rn 283. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 466. OLG Köln NJW-RR 1992, 226. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 14. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 14; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 29.

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berechnen 170 (bei Verstoß gegen Preisvorschriften etwa von dem gesetzlich zugelassenen Preis ohne Rücksicht darauf, was wirklich gezahlt worden ist 171).

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4. Fehlende Provisionsanwartschaft. Kein Provisionsrecht rechtfertigen Geschäfte, die den Abschluss verbindlicher Verträge erst in Aussicht stellen oder vorbereiten 172, ohne dass er sicher ist. Dies ist eine Frage der Klagbarkeit, nicht erst der nachfolgenden hinreichenden Kausalität zwischen Werbung des HV und Einzelgeschäft. Das setzt auch eine hinreichende Bestimmtheit des vermittelten Geschäftes voraus: Eine Provisionsanwartschaft entsteht nur hinsichtlich der Geschäfte, die bereits in den Einzelheiten festgelegt sowie verbindlich bestellt und allenfalls – wenn ein fester Liefertermin nicht vereinbart ist – noch abzurufen sind, so dass es keiner weiteren Vertragsverhandlungen bedarf und die Handlung des HV „automatisch“ zur Gegenleistung des Unternehmers führt 173. Der Vorbehalt einer Preisanpassung bei künftigen Lieferungen ist wegen § 315 BGB unbeachtlich 174. Keine Provisionsanwartschaft begründen etwa: 70 – Vorverträge 175 durch die das provisionspflichtige Umsatzgeschäft noch nicht verbindlich abgeschlossen 176. Zur Erfüllung der Anwartschaft reicht der Abschluss eines bloßen Vorvertrages nicht aus 177, und zwar selbst dann nicht, wenn er zum Abschluss des Hauptvertrages verpflichtet 178, es sei denn, er besitzt bereits die einem endgültigen Vertrag vergleichbare bindende Wirkung 179 und führt daher quasi „automatisch“ zum Abschluss des Einzelgeschäfts (siehe Rn 71). Zwar liegt ggf. schon eine Verpflichtung des Kunden vor, demnächst den Hauptvertrag auf Lieferung abzuschließen. Dennoch ist der Güterumsatz noch nicht in der Weise effektuiert, wie das nach dem Inhalt des HV-Vertrages und der darin festgelegten Tätigkeitspflichten des HV vorausgesetzt ist. Der Unternehmer „hat“ noch nicht das, was er endgültig haben soll, vielmehr muss er Weiteres aufwenden, um zu einem durchsetzbaren Liefergeschäft zu gelangen. Der Unterschied zeigt sich, wenn es bei Beendigung des HV-Verhältnisses noch nicht zum Einzelabschluss (beim Rahmenvertrag) oder zum Abschluss des Hauptvertrages (beim Vorvertrag) gekommen ist. Erfolgen diese Abschlüsse erst jetzt, sind sie nicht mehr provisionspflichtig 180. Allenfalls Provisionsansprüche aus § 354 können dann im Einzelfall begründet sein; – Listungen bei Einzelhandelsketten, mit welchen der Kunde den Unternehmer durch Eintragung in „Listen“ in den Kreis seiner Lieferanten aufnimmt 181; – „freibleibende Abschlüsse“, bei denen die Provision, und zwar auch die Provisionsanwartschaft, erst mit Ausführung des Kundengeschäfts entsteht 182; – „Aufbauverträge“ im Versicherungsrecht 183; 170 171 172 173 174 175 176

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Westphal Vertriebsrecht I, Rn 464. OLG Düsseldorf MDR 1957, 168 [L]. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 15; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 8a. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 15. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 15. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 15; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 8. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 15; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87 Rn 10; Hopt § 87 Rn 7; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 62. Schmidt-Rimpler 117, Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 8. Bei v. Gamm NJW 1979, 2492 wird eine Entscheidung des BGH

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vom 30.08. 1964 – VII ZR 83/62 – für das Gegenteil zitiert, ohne dass jedoch die Begründung erkennbar wird (Vorvertrag „kann“ genügen). Westphal Vertriebsrecht I, Rn 462; Hopt § 87 Rn 7. Prasse in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 2 Rn 283. OLG Koblenz, Urt. v. 26.04.2007 – 6 U 529/06, BeckRS 2007, 17218. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 15. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 15; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87 Rn 10. BAG, Urt. v. 28.02.1984 – 3 AZR 472/81,

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– aufschiebend bedingte Geschäfte. Das für die Vermittlung eines aufschiebend bedingten Geschäfts Gesagte trifft auch für die Vermittlung einer Option zu 184, insoweit diese als perfekter Vertragsabschluss unter einer Bedingung (der Ausübung der Option) angesehen werden kann. 5. Rahmenverträge über Teilleistungen. Bei Rahmenverträgen, die die Lieferung von 71 Teilleistungen regeln, zu deren Ausführung jedoch noch Einzelverträge geschlossen werden müssen, liegt eine für die Provisionsanwartschaft hinreichende Klagbarkeit des Einzelgeschäfts nur vor, falls der Rahmenvertrag bereits die Einzellieferungen nach Grund und Höhe regelt und deshalb bei Abschluss des Rahmenvertrages der Umfang der Einzellieferungen feststeht. Die Kontrollfrage lautet: Führt der Rahmenvertrag automatisch zum Einzelgeschäft, welches dem Unternehmer den erstrebten wirtschaftlichen Vorteil generiert? Nur wenn diese Frage mit „Ja“ zu beantworten ist, entsteht die Provisionsanwartschaft des HV. Die bloße Vermittlung eines Rahmenvertrages mit Bezugsrechten des Kunden, die erst später durch Einzelabschlüsse umgesetzt werden müssen, begründet noch keinen Provisionsanspruch, es sei denn, gerade solche Rahmenabkommen sind nach dem HV-Vertrag das zu vermittelnde Objekt 185. Im Einzelnen: a) Sukzessivlieferungsvertrag. Ein Sukzessivlieferungsvertrag verpflichtet den Kunden, 72 über einen bestimmten Zeitraum bereits bei Vertragsschluss nach Umfang und Menge spezifizierte Leistungen des Unternehmers in Raten abzunehmen, wobei die Leistungszeit und -menge von vornherein bestimmt ist oder durch den Kunden im Rahmen der Gesamtmenge nach Bedarf festgelegt wird 186. Es bedarf keiner weiteren Vertragsverhandlungen 187, damit das Geschäft „steht“. Unbeachtlich ist der zeitliche Abstand zwischen Abschluss und Lieferung 188. Da es sich um einen einheitlichen Kaufvertrag mit mehreren Teillieferungen handelt, entsteht die Provisionsanwartschaft bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses in voller Höhe 189 und bezieht sich auf sämtliche Teilleistungen, auch solche, die erst nach Beendigung des HV-Vertrages zur Ausführung gelangen 190. Das gilt auch dann, wenn die Lieferung auf Abruf erfolgen soll 191, solange das „Ob“ des Abrufs sicher ist. Beispiele sind der Bezugsvertrag über Loseblattsammlungen 192 oder der Vertrag über eine Aufbauversicherung, bei der sich die Versicherungssumme in regelmäßigen Zeitabständen erhöht 193. Allerdings entsteht die Anwartschaft aufschiebend bedingt auf die Ausführung des Geschäftes durch den Unternehmer 194. Die Provisionsanwartschaft wird jeweils dann zum Provisionsanspruch, wenn eine Einzellieferung erfolgt 195. Wird der Ver-

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VersR 1984, 897; Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 15. OLG Düsseldorf OLGR 1997, 146; Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 15. BGH NJW 1958, 180; OLG Koblenz, Urt. v. 26.04.2007 – 6 U 529/06, BeckRS 2007, 17218; Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 15; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 6, anders freilich 11a. Küstner/Thume I, Rn 865, 941; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 468; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 59. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 15. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 15; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 59.

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MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 59. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 59. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 59. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 60. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 61; Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 15. Küstner/Thume I, Rn 865, 941; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 471. Küstner/Thume I, Rn 942; Schlegelberger/ Schröder § 87 Rn 8a.

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tretervertrag beendet, ehe der Sukzessivliefervertrag in vollem Umfang ausgeführt ist, sind dem ausgeschiedenen HV alle in der Zeit nach der Vertragsbeendigung erfolgenden Einzellieferungen als Überhangprovision zu verprovisionieren, sofern keine Provisionsverzichtsklausel vereinbart wurde 196.

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b) Bezugs- oder Lieferverträge. In Abgrenzung zum Sukzessivliefervertrag handelt es sich bei Bezugs- und Lieferverträgen um bloße Rahmenverträge, zu deren Ausführung noch einzelne Kaufverträge abgeschlossen werden müssen und aus denen die Provisionsanwartschaft nicht „automatisch“ entsteht. Es mangelt an einer verbindlichen Bestellung 197. Beispiele sind etwa Bedarfsdeckungsverträge 198, bei denen die beabsichtigte Deckung des Bedarfs des Kunden bei dem Unternehmer angekündigt wird, Rahmenbezugsverträge 199, das Einräumen einseitiger Bezugsrechte zugunsten des Kunden 200, „Kundenkarten“ der Mineralölunternehmen oder Betriebsvereinbarungen und Abrufscheine 201. Der entscheidende Unterschied zum Sukzessivlieferungsvertrag ist, dass es bei den Bezugs- oder Lieferverträgen an der Festlegung einer mengenmäßigen Bindung des Kunden fehlt 202, weil sich die Menge nach dem Bedarf des Abnehmers richtet. Auch fallen hierunter Sachverhalte, in welchen dem Kunden einseitig das Recht zum Bezug eingeräumt wird, ohne ihn zu verpflichten 203. Dieser Rahmenvertrag ist grunds. provisionsrechtlich unbeachtlich. Eine Anwart74 schaft entsteht erst mit Abschluss des jeweiligen Teilgeschäftes 204, sofern der Vertreter dessen Abschluss mitursächlich förderte und der HV-Vertrag zu diesem Zeitpunkt noch besteht. Dabei reicht nach Ansicht des OLG Saarbrücken 205 ein Rest an Überzeugungsarbeit für die Mitursächlichkeit aus. Da es keine feste Bindung im Hinblick auf die einzelnen Lieferungen gibt, steht dem Vertreter grundsätzlich auch keine nachvertragliche Provision zu 206. Für die erst nach Ende des HV-Vertrages in Ausführung des Bezugsvertrages geschlossenen Einzelgeschäfte kann aber ein Provisionsanspruch nach § 87 Abs. 3 Nr. 1 entstehen, sofern die Einzelgeschäfte innerhalb einer angemessenen Frist nach Beendigung des Vertragsverhältnisses abgeschlossen wurden (Rn 139 f), weil der HV die Geschäfte vermittelt, sie eingeleitet oder so vorbereitet hat, dass der Abschluss überwiegend auf seine Tätigkeit zurückzuführen ist 207. In einem solchen Fall kann nach Beendigung des HV-Vertrages eine Frist von vier Jahren angemessen sein, innerhalb derer die auf Grund des Rahmenvertrages erfolgten Bestellungen einen Provisionsanspruch des HV nach § 87 Abs. 3 Nr. 1 auslösen 208.

75

6. Tätigkeit als Vermittlung des Geschäfts mit einem Dritten – Eigengeschäfte? Ob Eigengeschäfte des Vertreters provisionspflichtig sind, ist umstritten. § 87 Abs. 1 fordert lediglich ein Geschäft, welches auf eine Tätigkeit des HV zurückzuführen ist. Das spricht 196 197

198 199 200 201 202

Küstner/Thume I, Rn 943; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 471. OLG Koblenz, Urt. v. 26.04.2007 – 6 U 529/06, BeckRS 2007, 17218; Ebenroth/ Löwisch § 87 Rn 15. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 15; Vertriebsrecht Schröder § 87 Rn 11a. BGH NJW 1958, 180; Hopt § 87 Rn 7. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 60. OLG Saarbrücken, NJW-RR 2003, 900 (901). Küstner/Thume I, Rn 867, 944; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 8a.

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203 204 205 206 207

208

MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 60. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 60. NJW-RR 2003, 900 (901). Küstner/Thume I, Rn 944. OLG Koblenz, Urt. v. 26.4.2007 – 6 U 529/06, BeckRS 2007, 17218; Küstner/ Thume I, Rn 944; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 472. OLG Koblenz, Urt. v. 26.4.2007 – 6 U 529/06, BeckRS 2007, 17218.

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für eine Provisionspflicht. Andererseits lässt Abs. 1 bei den Folgegeschäften erkennen, dass das Geschäft mit einem Dritten abgeschlossen werden muss, ebenso § 87a Abs. 2. Wie § 84 Abs. 1 zeigt, liegt nur dann HV-Tätigkeit vor, wenn der Mittler Geschäfte vermittelt oder im Namen des Unternehmers abschließt, wofür ebenfalls die Existenz eines Dreipersonenverhältnisses Voraussetzung ist. Dem HV wird seine Provision für die Vermittlungsbemühungen gezahlt, an der es wohl mangelt, falls ein Insichgeschäft vorliegt 209. Nach diesem Verständnis der Provision als Erfolgsvergütung für geleistete Tätigkeit wird eingeschlossen, dass die Tätigkeit an einem Dritten geleistet sein muss, der als Kunde für jenes Geschäft gewonnen wurde. Nur so soll die Gleichheit der Betrachtungsebene mit der 2. Alternative des Abs. 1 S. 1 hergestellt werden. Systematisch sprechen Gründe gegen eine Provisionspflicht 210. Dem kann mit Schnitzler 211 nicht entgegenhalten werden, dass der HV grundsätzlich jeden, also auch sich selber, als Kunden werben darf. Das mag zwar richtig sein, beantwortet aber nicht die Frage der Provisionspflicht. Es fragt sich jedoch, ob dieses systematische Argument nicht hinter einer aus der Treupflicht entspringenden Pflicht des Unternehmers zurücktreten muss, die ersparte Provisionszahlung an den Vertreter weiterzugeben, zumal er den Vorteil des Geschäftsschlusses hat (§§ 812 BGB, 354 HGB). Nach vielfach bestätigtem Handelsbrauch wird dem HV aber jedenfalls Provision bewilligt, sofern er nicht etwa zu besonderem Preise bezieht 212. Daran schließt sich die Folgefrage an, wie der Fall der wirtschaftlichen Verflechtung zwischen HV und Kunden zu beurteilen ist. Ich neige hier zu einer formalen Betrachtungsweise, die allein auf die rechtliche Selbständigkeit des Kunden abstellt und dem HV seine Provision sichert (§ 84 Rn 48). Dafür spricht, dass der Unternehmer die Vorteile des Geschäfts erhält. Problemlos sind die Fälle, in welchen der Unternehmer von der Verbindung zwischen Kunden und HV weiß und dennoch Provision zahlt. Hier wird meist ein (konkludentes) Einverständnis mit der Provisionspflicht vorliegen. 7. Die verschiedenen Provisionsarten a) Tätigkeitsprovision. Gemäß § 87 Abs. 1 S. 1 1. Alt. erwirbt der HV eine Provi- 76 sionsanwartschaft, falls der Geschäftsabschluss während des HV-Vertrages auf seine Tätigkeit zurückzuführen ist. Diese Tätigkeitsprovision ist eine von drei Provisionsalternativen und der typische 213 Grundtatbestand des Provisionsrechts, der allerdings rechtstatsächlich häufig durch die Bezirksprovision des Abs. 2 ersetzt wird. Neben ihr kennt § 87 in seinem Abs. 1, 2. Alt. die Folgeprovision und § 87 Abs. 2 die Bezirksprovision (siehe unten). aa) Kausalität. Die Tätigkeit des HV muss ursächlich für den Geschäftsabschluss 77 sein. Erste Bedingung hierfür ist Kausalität i.S.d. Äquivalenztheorie: Die Tätigkeit darf im Sinne einer conditio sine qua non 214 nicht hinweggedacht werden können, ohne dass der Abschluss des Geschäftes entfällt 215 oder zumindest zweifelhaft wäre 216. Ausrei209

210

211 212

So OLG Celle, Urt. v. 14.11.1969, BB 1970, 51 = DB 1970, 582; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 23; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 7. Küstner/Thume I, Rn 846; Ebenroth/ Löwisch § 87 Rn 13; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 7. BB 1965, 463. OLG Hamburg OLGE 36, 258; Ind.- und Handelsk. Berlin 1926 Nr. 126, 1930

213 214 215 216

Nr. 124; Gutachten der Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin, Neue Sammlung I S. 35 Nr. 47, S. 64 Nr. 23, 24. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 4. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 33. Küstner/Thume I, Rn 757. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 474; Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 19; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 33.

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chend ist jede auch mittelbare oder geringe 217 Mitursächlichkeit 218, die das Zustandekommen des Geschäftes zu den abgeschlossenen Bedingungen 219 (wobei geringfügige Abweichungen irrelevant sind, es kommt auf den Kern des Geschäfts 220 an) gefördert, mitbewirkt bzw. den Kunden motiviert hat. Das ergibt bereits der Gegenschluss aus Abs. 1 S. 2 i.V. mit Abs. 3. Eine überwiegende Kausalität ist nur bei Geschäften erforderlich, die erst nach Beendigung des HV-Verhältnisses abgeschlossen wurden (§ 87 Abs. 3) 221. Der HV muss den Kunden in irgendeiner Weise – durch Hervorrufen des Entschlusses zum Vertrag, Beeinflussung des Kunden im Interesse des Unternehmers 222 oder Beseitigung von Widerständen – zum Vertragsschluss motiviert 223 und diesen dadurch gefördert haben 224. Der Provisionsanspruch setzt – anders als der Ausgleichsanspruch – nicht voraus, dass der HV den Kunden für den Unternehmer neu geworben hat 225. Der Abschluss braucht nicht das alleinige Verdienst des HV sein (derartiges wäre auch, zumal bei dem schwer abzuschätzenden Faktor einer hinzukommenden unternehmenseigenen Werbung oder Sogwirkung der Marke, kaum je annähernd sicher festzustellen). Deshalb bedarf es auch keiner persönlichen Tätigkeit des HV 226, diejenige seiner Beauftragten, Angestellten oder Untervertreter ist ihm als Mitverursacher zuzurechnen 227. Auf das Maß der Mühewaltung des HV kommt es nicht an. Auch ist die objektive (Mit-)Verursachung ausreichend; der Unternehmer braucht, wenn er selbst den Abschluss perfekt macht, nicht zu wissen, dass und in welcher Weise sein HV vermittelnd vorgearbeitet hat, wobei der HV aber im Nachhinein für die Kausalität beweispflichtig ist. Der HV braucht nicht einmal mit dem Kunden verhandelt zu haben, wenn das auch in der Rechtsprechung gelegentlich als wesentlich herausgestellt wird 228. Die Art der Mitursächlichkeit ist also grundsätzlich unerheblich 229. Das OLG Saarbrücken 230 hat etwa „einen Rest an Überzeugungsarbeit“ genügen lassen, wobei richtigerweise noch nicht einmal Überzeugungsarbeit als solche erforderlich sein dürfte. Der Unternehmer kann sogar selbst oder durch Mitarbeiter zum Geschäftserfolg beigetragen haben 231, solange nur der Vertreter ebenfalls mitursächlich war. Gleiches gilt für die Tätigkeit eines angestellten Reisenden, oder dritter Personen 232. Auf die Provisionshöhe hat das ebenfalls keinen 217 218

219 220 221

222 223

OLG Saarbrücken NJW-RR 2003, 900 (901). BGH, Urt. v. 05.04.2006 – VIII ZR 384/04, BB 2006, 1300 Rn 13 = WM 2006, 1358; BAG; Urt. v. 04.11.1968 – 3 AZR 276/67, DB 1969, 266; BAG; Urt. v. 22.01.1971 – 3 AZR 42/70, DB 1971, 779; Ebenroth/ Löwisch § 87 Rn 19; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87 Rn 18; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 31; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 16; Westphal Vertriebsrecht I Rn 284. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 19. OLG Hamburg NJW-RR 1996, 869. BAG, BB 1971, 492 = DB 1971, 779; OLG Nürnberg BB 1959, 391; Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 19; Hopt § 87 Rn 11; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 34; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 16. LAG Mannheim DB 1971, 1016; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 15. LAG Mannheim DB 1971, 1016; Ebenroth/ Löwisch § 87 Rn 19; Heymann/Sonnen-

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228 229 230 231 232

schein/Weitemeyer § 87 Rn 18; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 13. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 19; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 33. Küstner/Thume I, Rn 734; Ebenroth/ Löwisch § 87 Rn 19. BFH, Urt. v. 10.06.1999 – VR 10/98, DB 1999, 1988; Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 19; Hopt § 87 Rn 11; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 31; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 21. BFH, DB 1999, 1988; Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 19; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 21. BAG DB 1969, 266 – für den angestellten Reisenden. Küstner/Thume I, Rn 757. OLG Saarbrücken NJW-RR 2003, 900 (901). BGH VersR 1971, 460. BAG DB 1971, 779.

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Einfluss. Es wäre schwer möglich, solche zusammentreffenden Ursächlichkeiten rechnerisch gegeneinander abzugrenzen. Nicht einmal eine überwiegende Ursächlichkeit der eigenen Tätigkeit des Unternehmers oder der von ihm eingeschalteten Dritten würde den Provisionsanspruch berühren (arg. Abs. 3). Wenn der Unternehmer Provisionen als Erfolgsvergütungen zusagt, soll der Erfolg auch dann honoriert werden, falls Zufall oder die Tätigkeit anderer mit oder sogar in erster Linie zum Erfolg beigetragen hat 233. Bloßer Nachweis für die Gelegenheit zum Abschluss eines Vertrages genügt nicht 234; der HV ist nicht Makler. Ebenso fehlt bei einem bereits vom Kauf überzeugten Kunden eine Mitursächlichkeit des Vertreters 235. Allerdings werden in einem zweiten Schritt bestimmte Fallgruppen im Wege einer wertenden Typenkorrektur, vergleichbar der Einschränkung der Äquivalenz – durch die Adäquanztheorie von der Kausalität, ausgenommen. Das gilt insbesondere für Fälle der mittelbaren Kausalität. Die Tätigkeit muss in Ausführung des HV-Vertrages erbracht worden sein, d.h. zu den vertraglich geschuldeten Tätigkeiten des HV gehören 236, wofür bei Verursachung während eines laufenden Vertretervertrages eine Vermutung sprechen dürfte. Aus einer dem HV nicht übertragenen, vertragsfremden, die Vollmacht überschreitenden, ihm untersagten oder in sonstiger Weise nicht vertragsgemäßen Tätigkeit, mit der der Unternehmer nicht einverstanden ist, kann ein vertraglicher Provisionsanspruch nach § 87 nicht entstehen 237, ebenso wenig – Typenkorrektur – die Verursachung durch eine rechtswidrige Drohung, wobei man es hier wohl dem Kunden überlassen sollte, ob er gem. § 123 BGB anficht. Auch begrenzt sich die Ursächlichkeit auf das, was relevant ursächlich ist. Der Provisionsanspruch ist zumindest begründet, wenn sich der HV soviel betätigt hat, wie von ihm nach seinen Vertragsbedingungen an Mitarbeit erwartet werden kann 238. Die Mitverursachung wird allerdings nicht dadurch ausgeschlossen, dass der HV weniger tut, als er nach dem Vertrag schuldet 239. Nicht ausreichend ist aber, wenn sein Vertrag ihn verpflichtet, die Kunden nicht nur zu werben, sondern auch eingehend zu beraten und demnächst eine annahmefähige Offerte vorzulegen, er sich aber darauf beschränkt hat, einen Interessenten lediglich anzuschreiben und ihn auf Referenzen zu verweisen, daraufhin alles weitere aber ohne seine (des HV) Mitwirkung ablaufen zu lassen. Eine starke Sogwirkung der Marke 240 schließt die Mitursächlichkeit nicht ohne Weiteres aus. In einem solchen Fall wird regelmäßig die Provision besonders niedrig liegen. Welche Art der Tätigkeit ausreichend ist, beurteilt sich nach Branche und Vermittler unterschiedlich. Auch kann an die Mitursächlichkeit eines Abschlussvertreters möglicherweise höhere Anforderungen zu stellen sein, als an die eines Vermittlungsvertreters 241. Ausreichende, ggf. mittelbare Mitursächlichkeit liegt in folgenden Fällen vor: – Veranlassung der zum Abschluss führenden Verhandlungen durch den HV 242; 233 234 235 236

237 238

BAG BB 1971, 492 = DB 1971, 779. LAG Hamm DB 1959, 236. OLG Saarbrücken NJW-RR 2003, 900 (901). Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 21; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 35; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 13; Westphal BB 1991, 2027 (2028). Küstner/Thume I, Rn 772; Ebenroth/ Löwisch § 87 Rn 21. BAG DB 1971, 779.

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Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 21; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 36; aA wohl Westphal Vertriebsrecht I Rn 287. Küstner/Thume II, Rn 655. Küstner/Thume I, Rn 767. OLG Köln BB 1971, 103; BAG AP Nr. 5 zu § 65 HGB = BB 1969, 178; Küstner/ Thume I, Rn 754.

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– Mitwirkung an einer Ausschreibung, sofern die Tätigkeit des Vertreters für die Auftragserteilung mitursächlich war 243; – Veranstaltung einer Ausstellung durch den Vertreter, um Kaufanreize zu schaffen, Kontaktaufnahme des Kunden aufgrund der Ausstellung 244; – Mitwirkung des HV in einem Team von Messebetreuern, von denen derjenige, der gerade frei war, die jeweiligen Interessenten bediente 245; – Selbständige Bestellungen von Filialen, die vom HV nicht betreut worden waren, wenn die Hauptniederlassung ständig besucht und betreut wurde 246. Man wird hier aber eine Kausalität der Betreuung der Hauptfiliale für die Bestellung der anderen Filiale fordern müssen; – Falls der HV einen Abschluss mit der Hauptniederlassung des Kunden vermittelt hat und die Hauptniederlassung die Ware für den Bereich aller Niederlassungen ausmustert, mit der Berechtigung an die Zweigstellen, daraufhin unmittelbar beim Unternehmer zu bestellen: die Bestellungen der Zweigniederlassungen sind dann provisionspflichtig 247 (Fall des Abs. 1 S. 1 1. Alternative, nicht 2. Alternative, weil die selbständig ordernden Zweigstellen nicht mit „dem“ früher geworbenen Kunden identisch sind – von Bedeutung, wenn der Provisionsanspruch aus Nachbestellungen nach Abs. 1 S. 1, 2. Alternative vertraglich ausgeschlossen ist); – Bei einem Direktgeschäft zwischen Unternehmer und Kunde z.B., wenn sich der Kunde auf Veranlassung des HV 248, seine Empfehlung 249, aufgrund der Vermittlungstätigkeit des HV gegenüber einem dritten Kunden, auf eine Werbemaßnahme des HV oder seine Beratung 250 unmittelbar an den Unternehmer wendet; – Wachrufen des Entschlusses zum Geschäftsabschluss 251; – Sofern der Unternehmer dem Vertreter Adressen potentieller Kunden mit der Weisung bekannt gibt, diese Kunden zu besuchen. Der Interessent wird erst dann Kunde, wenn es zum Geschäftsabschluss kommt. Der Besuch und die Werbung durch den Vertreter sind ausreichende mitverursachende Handlungen 252. Wird das Geschäft nach Kontaktaufnahme des Vertreters geschlossen, besteht zudem die Vermutung, es sei auf dessen Tätigkeit zurückzuführen 253. Die Mitursächlichkeit wird nicht durch Preisgabe des Kundenstamms oder von Kundenlisten durch den Unternehmer ausgeschlossen, damit ist der Kunde noch nicht für das konkrete provisionspflichtige Geschäft geworben 254; – Vermittlung eines Aufbauvertrages, in dem Ausweitungen der Leistungen bereits vorgesehen oder vereinbart sind 255; – Beseitigung des Widerstandes gegen einen Geschäftsabschluss 256; 243 244

245 246 247 248 249

BGH, Urt. v. 08.02.1980, NJW 1980, 1793. Küstner/Thume I, Rn 758; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 477; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 14a. KG, BB 1969, 1062 = HVR-Nr. 397. BGH NJW 1960, 433 = DB 1960, 85; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 478. BGH NJW 1960, 433. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 20; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 19a. Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87 Rn 18; Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 20; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 14a; Westphal Vertriebsrecht I Rn 286; einschränkend

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251 252 253 254 255

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Hopt § 87 Rn 13; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 37. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 20; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 38; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 14a. Küstner/Thume I, Rn 754. Küstner/Thume II, Rn 653 f. Küstner/Thume I, Rn 762. Ebenroth/Löwisch, § 87 Rn 19. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 20; Hopt § 87 Rn 12; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 87 Rn 61. OLG Köln BB 1971, 103.

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– Bestellung beim Unternehmer nach einem auf Veranlassung des HV erfolgten Musterkauf 257; – Tätigkeit des Vertreters trotz Belistung der Ware bei einem bestimmten Verband oder Abnehmer. Die Listung alleine schließt die Tätigkeitsprovision nicht aus, weil Mitursächlichkeit des Vertreters für die Bestellung ausreicht 258; – Regaldienst des HV, wenn sich seine Tätigkeit darauf erstreckt, dass bestehende Fehlbestände durch Nachbestellungen wieder aufgefüllt werden oder veraltete durch neue Ware ersetzt wird 259; – Ersetzen Kunde und Unternehmer ihren geschlossenen Vertrag durch einen neuen, erwirbt der HV eine Provisionsanwartschaft unter den Voraussetzungen des Abs. 1 Satz 1 1. Alt., andernfalls greift § 87a ein 260. Nicht ausreichend ist (Typenkorrektur): 82 – Geschäftsabschluss lediglich aufgrund der Empfehlung eines durch den Vertreter geworbenen Kunden 261 (Begrenzung des Grundsatzes, dass mittelbare Kausalität genügt). Dies ist regelmäßig auch kein Fall des Durchgriffs, weil etwa eine Beherrschung oder so enge Verbundenheit zwischen dem Altkunden des HV und dem Drittkunden besteht, dass beide im Sinne des HV-Vertrags gleichzusetzen sind und deswegen die Bestellung/der Vertrag des Drittkunden als vom HV mitverursacht anzusehen ist, indem er zuvor den Altkunden für derartige Geschäfte geworben hatte 262. Etwas anderes soll gelten, falls der Vertreter die Empfehlung bei dem von ihm geworbenen Kunden veranlasst hatte 263; – Bestellung eines rechtlich oder wirtschaftlich von einem durch den Vertreter geworbenen Kunden abhängigen Unternehmens 264, außer der HV hätte gerade diesen Gang der Bestellungen bei dem von ihm selbst geworbenen Kunden, der beherrschenden Firma, veranlasst 265 (ebenfalls ungenügende mittelbare Kausalität); – Wenn der Kunde als omnimodo facturus bereits zur Bestellung entschlossen war 266 (Problem: Beweisbarkeit). Beispiele: Falls der HV gegenüber einem schon zum Vertrag entschlossenen Dritten tätig wird, etwa weil der Unternehmer ihn veranlasst hat, ein Angebot nach Formular vom Dritten aufzunehmen, oder weil der Dritte sich nur deshalb an den HV wendet, um einige zusätzliche Auskünfte zu erhalten oder um das schriftliche Angebot bei ihm zur Weiterleitung an den Unternehmer abzugeben. Doch kann in solchen Fällen ein Anspruch auf Auslagenersatz aus § 354 oder, nach Handelsbrauch, aus § 87d begründet sein; – Lediglich mittelbare Unterstützung, etwa bloße Schreib 267- oder Übersetzungshilfe 268 des Vertreters für den die Verhandlungen selbst führenden Unternehmer (mangelnde Zielgerichtetheit werbender Bemühung); 257

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OLG Düsseldorf DB 1956, 376; Küstner/ Thume I, Rn 758; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 38; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 14a; vgl. auch BGH, Urt. v. 14.10.1957 – II ZR 129/56, DB 1957, 1068. OLG Düsseldorf Urt. v. 05.02.1988, zitiert nach Küstner/Thume II, Rn 658; Küstner/ Thume I, Rn 765 f. Küstner/Thume II, Rn 652. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 20; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87 Rn 10.

261 262 263 264 265 266 267 268

Westphal Vertriebsrecht I, Rn 479. So aber Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 22; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87 Rn 11. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 479. OLG Celle DB 1970, 582; Küstner/Thume I, Rn 760; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 479. Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 14b. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 480. OLG Köln DB 1971, 327 = BB 1971, 103; Küstner/Thume I, Rn 768. LAG Baden-Württemberg DB 1971, 1016; Küstner/Thume I, Rn 768.

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– Vermittlung eines Rahmenvertrages über die Anfertigung eines Werkzeuges, mit dessen Hilfe der Unternehmer später Produkte für den Kunden herstellen soll. Beispiel ist etwa ein Werkzeug für die Herstellung von Formteilen im Spitzgussverfahren, deren der Kunde im großen Umfang bedarf, etwa im Kfz-Gewerbe, wo zahlreiche Formteile benötigt werden 269. Es ist hier keinesfalls sicher, dass die einzelnen Teile tatsächlich geordert werden.

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(1) Umgehungstatbestände. Gibt der Unternehmer das Geschäft an ein mit ihm wirtschaftlich oder rechtlich verbundenes Unternehmen weiter und führt dieses das Geschäft aus, so besteht zwar kein HV-Vertrag zwischen ausführendem Unternehmer und dem Vertreter. Der Unternehmer verstößt jedoch gegen die Treuepflichten des HV-Vertrages sowie gegen seine Leistungstreuepflicht, wenn er auf diese Weise die Kausalität und die Entstehung der Provisionsanwartschaft verhindert. Folge ist eine Schadensersatzverpflichtung nach § 280, § 826 BGB, wobei der Schaden in Höhe der entgangenen Provision netto valutiert 270. Ebenso erwirbt der HV einen Schadenersatzanspruch, falls er nachweist, dass der Unternehmer das Geschäft mit Drittunternehmen oder Drittkunden nur in der Absicht vorgenommen hat, den Provisionsanspruch des HV zu umgehen oder zu vereiteln 271, wobei es auf objektive Durchgriffserwägungen ankommt, und nicht auf den Umgehungswillen des Unternehmers oder gar des Kunden; letzterer braucht noch nicht einmal Kenntnis des Umgehungstatbestandes zu haben 272. Ein gegen den Unternehmer gerichteter Provisionsanspruch aus §§ 242 BGB, 87 HGB lässt sich unter Durchgriffsgesichtspunkten ebenfalls begründen 273: Kommt das vom HV mitverursachte Kundengeschäft mit einem dem Unternehmer verbundenen oder von ihm rechtlich oder wirtschaftlich beherrschten Drittunternehmen zustande, kann eine Provisionsanwartschaft entstehen, sofern die Vermittlungstätigkeit bei redlicher und vernünftiger Auslegung noch vom HV-Vertrag gedeckt ist, wobei es auf den objektiven Umgehungstatbestand und nicht die subjektive Umgehungsabsicht ankommt 274.

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(2) Identität des Gegenstandes des Abschlusses mit dem der Vermittlung. Die Kausalität für den Vertragsschluss bleibt bestehen, wenn das Geschäft im Anschluss an den kausalen Beitrag des Vertreters abgeändert wird, so lange die Identität des wirtschaftlichen Kerns besteht 275. Während beim Abschlussvertreter die Identitätsfrage nicht auftaucht, weil er den Abschluss perfekt macht, kann es beim Vermittlungsvertreter vorkommen, dass er ein Geschäft vermittelt, dessen Inhalt bis zum Abschluss dann noch in der einen oder anderen Richtung abgewandelt wird. Es handelt sich um eine Diskussion, die parallel auch im Maklerrecht geführt wird. Schröder 276 bildet das Beispiel, dass statt der Bezahlung in Geld ein Tauschentgelt vereinbart wird. Auch eine inhaltliche Änderung der Sachleistungspflicht ist unschädlich, solange das Geschäft in seiner endgültig zustande gekommenen Gestalt noch auf die Vermittlungstätigkeit des HV rückführbar bleibt. Wenn die beiden Geschäftspartner zwar von dem vermittelten Objekt absehen, 269 270

Küstner/Thume I, Rn 945. Im Ergebnis BGH, Urt. v. 30.01.1981 – I ZR 17/79, NJW 1981, 1785; BGH, Urt. v. 04.12.1986 – I ZR 101/85, NJW-RR 1987, 547; Eberstein, S. 79; Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 22; Hopt § 87 Rn 14; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 24, wobei z.T. ein Provisions- und kein Schadenersatzanspruch zugebilligt wird.

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271

272 273 274 275 276

BGH, Urt. v. 29.09.1976 – IV ZR 202/75, WM 1976, 1194; RG HRR 1933 Nr. 940; OLG Celle DB 1970, 582; Ebenroth/ Löwisch § 87 Rn 22, 50. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 50. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 22. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 22. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 481. Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 5.

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aber die Gelegenheit, miteinander in Kontakt gekommen zu sein, dazu benutzen, um ein ganz anderes Geschäft zu schließen, würde das einen Provisionsanspruch nicht mehr begründen können. (3) Beweislast. Den Beweis für die Ursächlichkeit hat der HV zu führen. Zum Be- 85 weise des ersten Anscheins genügt es jedoch, sofern er nachweist, dass er sich in Richtung auf den Geschäftsschluss betätigt hat, z. B. durch einen abgestatteten Kundenbesuch 277. bb) Abweichende Vereinbarungen. § 87 Abs. 1 S. 1 1. Alt. ist dispositiv. Abweichende 86 Vereinbarungen sind daher zulässig 278. Häufig ist eine Regelung, derzufolge ein Geschäft nur dann provisionspflichtig ist, wenn es nicht nur abgeschlossen ist, sondern darüber hinaus auch vom vertretenen Unternehmer ausgeführt wurde. Meist wird sogar vereinbart, dass nur solche Geschäfte provisionspflichtig sind, die vom Kunden durch Zahlung des Kaufpreises erfüllt werden 279. b) Folgeprovision. Die Werbung eines Kunden durch den HV stellt darauf ab, ihn wo 87 immer möglich als Stammkunden für den Unternehmer zu gewinnen. Ob dieses Ziel erreicht ist, zeigt sich an Folgeaufträgen (Nachbestellungen). § 87 Abs. 1 S. 1 2. Alt. will dem HV hierfür eine Gegenleistung gewähren: Er erwirbt auch ohne eine Tätigkeit, eine Mitverursachung oder eine Kausalität seiner Vermittlungsbemühungen eine Provisionsanwartschaft, falls das Geschäft mit einem Kunden abgeschlossen wird, den der HV für Geschäfte der gleichen Art geworben hat. Die Folgeprovision honoriert dreierlei. Zum einen die kausale Nachwirkung des ver- 88 mittelnden Erstauftrages, der letztlich auch für den Folgeauftrag mitursächlich war. Das Gesetz unterstellt in Abs. 1 S. 1 2. Alt. eine solche fortwirkende Ursächlichkeit der Bemühungen des HV, die zu dem Erstauftrag geführt haben. Zum zweiten die Werbung eines Stammkunden, der für den Unternehmer besonders wichtig ist 280. Zum dritten besteht die Vermutung, dass ein Stammkunde mit der Betreuung – auch durch den HV – besonders zufrieden ist, und seine Werbung einen über die Werbung des Einmalkunden hinausgehenden Einsatz fordert, der vergütet werden soll. Eine eventuelle Sogwirkung der Marke wird durch einen Billigkeitsabschlag bewertet. Es handelt sich bei § 87 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. um einen gesetzlichen Fall des provisions- 89 rechtlichen Kundenschutzes. Die näheren Umstände, unter denen die Nachbestellung zustande gekommen ist, haben auf die Provisionspflichtigkeit zugunsten des HV keinen Einfluss. Insbesondere muss keine Mitursächlichkeit des HV für das Folgegeschäft existieren 281, sie wird unwiderleglich 282 vermutet. Die Tatsache einer Nachbestellung als solche entscheidet; mag selbst der Kunde die weitere Zusammenarbeit mit dem HV mittlerweise ablehnen. Nach dem Wortlaut der Bestimmung ist es unerheblich, ob der Kunde die späteren Geschäfte für eigene oder fremde Rechnung, im eigenen oder fremden Namen abschließt; entscheidend ist, dass er die rechtsgeschäftliche Willensentschließung trifft. Das schließt nicht aus, dass der HV sich seinerseits um die Folgeaufträge aktiv bemüht hat. Dann hat er die Provision nicht aus der 2., sondern aus der 1. Alt. des 277 278

279 280 281

OLG Nürnberg BB 1959, 391. BGH, Urt. v. 11.07.1960, BB 1960, 955; Prasse in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 2 Rn 284. Prasse in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 2, Rn 285. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 484. BGH, Urt. v. 17.11.1960 – VII ZR 242/59,

282

BB 1960, 1354 (1355); Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 23; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87 Rn 19; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 40. BGH, Urt. v. 17.11.1960 – VII ZR 242/59, BB 1960, 1354 (1355); Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 23; Hopt § 87 Rn 17.

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Abs. 1 S. 1 verdient 283. Derartiges kann für ihn vorteilhaft sein, wenn im Vertrage die Provision für die Folgeaufträge nach der 2. Alt. anders und ungünstiger festgesetzt ist, beispielsweise niedriger oder zu sonst nachteiligeren Bedingungen (Beweislast des HV für die nachwirkende Ursächlichkeit der Erstvermittlung, Provisionsteilung mit einem mitbeteiligten HV) oder auf diese Provisionsart überhaupt im Voraus verzichtet worden ist. Potentiellen Anspruch auf Folgeprovision 284 nach Satz 1 2. Alt. erwirbt der HV aber nur, sofern seine Vermittlungstätigkeit gleichzeitig eine Neuwerbung des Kunden bildet. Um die Folgeprovisionen zu erlangen müssen drei Voraussetzungen gegeben sein. Es 90 muss sich um Geschäfte (1) mit vom HV geworbenen Kunden (2) handeln. Diese Kunden haben Nachbestellungsaufträge zu erteilen, welche sich auf Geschäfte der gleichen Art (3) beziehen müssen.

91

aa) Geworbene Kunden. Die Folgeprovision entsteht nur für Geschäfte mit vom HV geworbenen Kunden. Es handelt sich um eine Paralleldiskussion zu § 89b, siehe dort Rn 64 ff. Geworben ist ein Kunde, wenn er zu Beginn des HV-Vertrages mit dem Unternehmer noch nicht in Geschäftsverbindung bezüglich identischer oder substituierbarer Produkte stand 285, der Bezug andersartiger Produkte vom Unternehmer ist unerheblich 286. Neu geworben ist auch derjenige Kunde, den der HV in das Vertreterverhältnis mit dem Unternehmer eingebracht, d.h. aus seiner früheren Vertretertätigkeit „mitgebracht“ hat. Denn entscheidend ist, ob der Kunde für den Unternehmer neu ist 287. Nachbestellungen von Altkunden, welche der Vertreter übernommen hat und deren Erstbestellungen vor seiner Zeit liegen, lösen keine Folgeprovision (allenfalls bei Mitursächlichkeit Tätigkeitsprovision) aus 288. Altkunden sind Kunden, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des HV-Vertrages bereits in solchen geschäftlichen Beziehungen zum Unternehmer standen, für die der Vertreter jetzt Folgeprovisionen fordert 289. Eine Ausnahme besteht, sobald der Vertreter die Geschäftsverbindung zu dem Altkunden so ausgeweitet hat (Daumenregel: mindestens 100 % gegenüber dem Zustand bei Übernahme des Vertretervertrages 290), dass dies wirtschaftlich der Werbung eines Neukunden entspricht 291. Folgegeschäfte sind ab dann solche mit einem neu geworbenen Kunden. § 89b Abs. 1 S. 2 muss hier entsprechend anwendbar sein.292 Hat der HV sich für eine von solchen Nachbestellungen seinerseits aktiv eingeschaltet, steht ihm die Provision nach Abs. 1 S. 1, 1. Alt. zu; die dann folgenden weiteren Nachbestellungen sind für ihn provisionspflichtige Folgeaufträge im Sinne der 2. Alt. des Abs. 1 S. 1 – also ohne erneute Tätigkeit – nur, sofern sein voraufgegangener eigener Einsatz den Nachbestellentschluss des Altkunden selbständig gefördert, d.h. aufrechterhalten hatte. Das wird etwa anzunehmen sein, wenn bei jener Gelegenheit die weiteren Nachbestellungen fest ins Auge gefasst wur283 284

285

286

Vgl. Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 20; OLG Düsseldorf DB 1956, 376. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 26; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 43. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 488; Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 24; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87 Rn 19; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 46; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 24. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 24; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 45; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 23a, 24.

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287 288 289 290 291

292

Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 24; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 23a. Küstner/Thume I, Rn 777. Küstner/Thume I, Rn 778. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 489; aA Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 24. Küstner/Thume I, Rn 779; Ebenroth/ Löwisch § 87 Rn 24; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87 Rn 19; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 44; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 23b. Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 23b.

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den 293. Ist der Kunde einmal über einen nicht ganz unbedeutenden Zeitraum (Daumenregel: ein Jahr) zu einem solchen „erweiterten“ Altkunden geworden, verliert er diese Gleichstellung mit einem geworbenen Kunden auch fortan nicht 294. Ebenso wird ein Altkunde zu einem „geworbenen Kunden“, falls er für erhebliche 92 Zeit seine Bestellungen unterbrochen hatte (Daumenregel: vier Jahre) und aufgrund einer Werbung des Vertreters die Kundenbeziehung wieder aufnimmt. Denn auch in diesem Fall steht er wirtschaftlich einem neu geworbenen Kunden gleich 295. Welche Zeiträume im Einzelfall angemessen sind, bestimmt sich nach der Natur der Geschäfte. Nicht anders als im Ausgleichsrecht kommt es auf den Nachbestellzyklus an. Keine Neuwerbung nach Unterbrechung liegt vor, wenn der Kunde innerhalb des üblichen Bestellzyklus ordert. Soweit etwa Waren nur im mehrjährigen Rhythmus bestellt werden, kann von einer Unterbrechung der Kundenbeziehung nur nach einem erheblich längeren Zeitraum ausgegangen werden. Deshalb treffen die oben genannten Daumenregeln allenfalls den Geschäftstypus, bei dem regelmäßig in kürzeren Intervallen nachbestellt wird. Auch bei der Frage der Neukundeneigenschaft können Durchgriffsgesichtserwägungen eingreifen296. Regelmäßig kommt es nur darauf an, ob der Bestellende Wiederholungskäufer ist. Für wessen Rechnung er handelt, ist unerheblich 297. Wirtschaftliche Fragen sollen bei der an Hand der Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 87 ff zu prüfenden Provisionsberechtigung keine Rolle spielen. Bestellt ein Neukunde im Namen eines Kunden, für dessen Bestellung keine Folgeprovision zu leisten wäre, kann ein Anspruch auf Folgeprovision entstehen, wenn der HV nachweist, dass der bestellende Kunde vorgeschoben wurde, um den Anspruch auf Folgeprovision zu vereiteln 298. bb) Geschäfte der gleichen Art. Der HV muss den Kunden in Ausführung des HV- 93 Vertrages – berechtigt – für Geschäfte gleicher Art geworben haben, wie sie nunmehr in den Nachbestellungen ihre Fortsetzung finden. Damit soll ein Rest von Kausalität zwischen der Kundenwerbung und späteren Nachbestellungen gewahrt werden 299. Da der HV Provision nur für vertragsgemäße Tätigkeit erhält, muss sich sein Vertriebsrecht auf diese gleichartigen Geschäftsabschlüsse erstrecken 300. Die Folgegeschäfte müssen sich nicht notwendig auf den gleichen Artikel beziehen; es genügt, dass sie sich innerhalb des vom HV vertriebenen Sortiments bewegen. Der Begriff des „Geschäfts der gleichen Art“ ist wirtschaftlich zu verstehen und weit auszulegen 301. Maßgeblich ist – wie sich bereits aus der Amtlichen Begründung ergibt – die Verkehrsauffassung 302. Änderungen der Vertrags- und Geschäftsbedingungen sind solange unerheblich, als wirtschaftlich noch ein Geschäft der gleichen Art vorliegt 303. Denn die Identität des Geschäfts bestimmt sich in erster Linie anhand des verkauften Gegenstandes, der das Geschäft prägt. Die Konditionen des Geschäfts, insbes. der der Inflation unterliegende Preis, sind weniger bedeutend. Weniger oder fast nicht entscheidend ist damit die Höhe der Gegenleistung, jedenfalls sofern es sich um eine Geldzahlung handelt. Denn ob der Käufer ein gutes oder ein 293 294 295 296

297 298 299 300 301

Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 20. AA Westphal Vertriebsrecht I, Rn 490. Küstner/Thume I, Rn 778. AA Eberstein, S. 78 unter Hinweis auf OLG Celle DB 1970, 582 für den Fall der Beherrschung und finanziellen Abhängigkeit. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 24. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 24. Küstner/Thume I, Rn 780. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 25. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 25; Münch-

302

303

KommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 48. Eberstein S. 78; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 492; Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 25; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87 Rn 19; Hopt § 87 Rn 18; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 47; Schlegelberger/ Schröder § 87 Rn 25. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 25; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 25.

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schlechtes Geschäft macht, darf für das Entstehen der Provisionsanwartschaft des Vertreters kaum eine Rolle spielen. Vollkommene Identität des Geschäfts ist nicht erforderlich, auch Nachbestellungen mit veränderten Konditionen können Geschäfte der gleichen Art darstellen, solange der wirtschaftliche Kern des Geschäfts erhalten bleibt. Geschäfte über weiterentwickelte oder Nachfolgeprodukte, welche aus der Sicht der beteiligten Verkehrskreise die vertriebenen Produkte ergänzen, ersetzen oder fortentwickeln, sind meist mit denen über vorher verkaufte Ausgangsprodukte wirtschaftlich identisch, solange der Verwendungszweck der gleiche bleibt 304. Wenn ein wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen Erst- und Folgegeschäft besteht, ist ein Folgegeschäft mit einem Produkt der ausgeweiteten Produktpalette des Unternehmers provisionspflichtig 305. Das ist insbesondere anzunehmen, falls der Kunde bereits zuvor Abnehmer der gesamten Produktpalette des Unternehmers in einem bestimmten Bereich war 306. Schon der zweite Vertragsschluss über ein gleichartiges Geschäft lässt die Provisions94 anwartschaft entstehen 307. Die Möglichkeit, Folgeprovision zu erzielen beginnt, sobald das erste vom HV vermittelte Geschäft zwischen Kunde und Unternehmer zustande gekommen ist. Fraglich ist, ob zwischen Erst- und Zweitgeschäft ein bestimmter Zeitraum zu fordern ist, nach dessen Ablauf keine Folgeprovision mehr geschuldet ist. Das Gesetz sieht eine solche Frist nicht vor. Es muss daher, anders als bei der Prognose des § 89b, kein überschaubarer Zeitraum zwischen Erst- und Zweitgeschäft vorliegen. Allenfalls in Extremfällen – Vermittlung durch eine juristische Person mit einer Zeitspanne von vielleicht 40–50 Jahren zwischen Erst- und Zweitgeschäft – wird man die vom Gesetz vermutete Ursächlichkeit zwischen Erst- und Zweitgeschäft als widerlegt ansehen müssen, bei einem Zeitraum von mehr als 10 ist die Frage zu prüfen (Beweislast für Provisionsausschluss wegen Verfristung beim Unternehmer). Der einmal begründete provisionsrechtliche Kundenschutz nach S. 1 2. Alt. dauert grundsätzlich fort, bis das Vertragsverhältnis zwischen HV und Unternehmer beendet wird. Erfolgreiche Vermittlungstätigkeiten Dritter können die Folgeprovision nicht zum Erlöschen bringen 308.

95

cc) Während des Vertragsverhältnisses. Die Nachbestellungen müssen in die Zeit des HV-Verhältnisses fallen. Auf das oben Rn 53 Gesagte kann verwiesen werden. Bedingte Abschlüsse aus der Zeit vor Eingehung des HV-Verhältnisses (etwa solche mit demnächst „mitgebrachten“ Kunden), bei denen erst die Bedingung in der Vertragszeit eintritt, bleiben außer Betracht.

96

dd) Dispositivität. § 87 Abs. 1 Satz 2. Alt. ist dispositiv. Die Folgeprovision kann ganz ausgeschlossen oder inhaltlich konkretisiert werden, etwa dergestalt, dass im Hinblick auf bestimmte Kunden nur für die Dauer einer bestimmten Zeitspanne Folgeprovisionen gezahlt werden 309. Solange kein ausdrücklicher Ausschluss der Folgeprovision vereinbart wurde tritt die Provisionspflicht für Folgebestellungen auch dann ein, wenn der HV-Vertrag zu dieser Provisionspflicht schweigt, sofern er sie nicht eindeutig ausschließt 310. Der Anspruch steht nicht dem Versicherungsvertreter zu, § 92 Abs. 3 S. 1.

97

c) Abs. 1 S. 2 Provisionsvorrang des ausgeschiedenen HV. aa) Überblick. § 87 enthält an mehreren Stellen Regelungen über die Provisionsteilung zwischen dem ausscheidendem Vertreter und seinem Nachfolger. Dazu zählt § 87 Abs. 1 S. 2: Der Anspruch auf die 304

305 306

Westphal Vertriebsrecht I Rn 291; Ebenroth/ Löwisch § 87 Rn 25; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 25. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 48. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 25.

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307 308 309 310

Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 26. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 26. Küstner/Thume I, Rn 775. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 27; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 20.

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Provision wird dann ausgeschlossen, wenn nach Abs. 3 dem Vorgänger des HV die Provision deshalb – und zwar ihm allein – zustehen soll, weil der Abschluss des Geschäfts überwiegend auf seine Tätigkeit zurückzuführen ist und der Abschluss angemessene Zeit nach Beendigung des Vertreterverhältnisses des Vorgängers erfolgt ist. Die Vorschrift greift nicht ein, wenn der Nachfolger keine Tätigkeit mehr entfaltet 311. Darüber, wann die TB-Voraussetzungen des Abs. 3 vorliegen, s.u. Rn 126 ff. Abs. 3 setzt voraus, dass der HV, in dessen Vertragszeit der Abschluss fällt, der Nachfolger, nicht Rechtsnachfolger 312, des ausgeschiedenen HV ist, dem die Provision – zumindest anteilig – zusteht und der Nachfolger die Vermittlung dann nur noch zu Ende führt. An sich wäre er nach dem zu Rn 77 ff Gesagten als mitverursachend ebenso provisionsberechtigt. Gleichwohl soll nicht (auch) er Provision beanspruchen dürfen, sondern allein der Vorgänger. Wenn teilweise dem Nachfolger die Provision (neben der dem Ausgeschiedenen zustehenden) unter der Voraussetzung zugebilligt wird 313, dass seine Tätigkeit bei einer gedachten Fortsetzung des Vertragsverhältnisses des Vorgängers als mitursächlich und damit provisionsberechtigend würde angesehen werden können, so erscheint das überspitzt und mit dem Gesetz nicht vereinbar. Es wäre, in der vorgeschlagenen Abgrenzung – Provisionsberechtigung des Nachfolgers nach Abs. 1 S. 2 ausgeschlossen dann, wenn er das Geschäft nur zum Abschluss gebracht hat –, zudem wenig praktikabel. Soweit der Nachfolger hiernach von der Provision für den Abschluss ausgeschlossen ist, hat er auch keinen Provisionsanspruch aus § 354. Der Zweck des Gesetzes, den Unternehmer nicht als Folge eines ihm vielleicht aufgenötigten Vertreterwechsels die Provision zweimal zahlen lassen zu müssen, würde sonst allzuleicht umgangen. Eine zwischenzeitliche Nichtbesetzung des Vertriebsgebietes schadet ebensowenig wie die zeitweilige Tätigkeit eines anderen HV als Interimsnachfolger des ausgeschiedenen HV 314. Die darin liegende und nicht zu leugnende Benachteiligung des Nachfolger-Vertreters 98 nimmt das Gesetz in Kauf. Hier können nur vertragliche Regelungen Abhilfe schaffen. Fehlen sie, so nötigt das dazu, den Ausschluss der Provision eng auszulegen. Er beschränkt sich, dem Wortlaut des Gesetzes entsprechend, auf den Fall, dass dem Vorgänger die Provision nach Abs. 3 wirklich zusteht. Ist sie für den Vorgänger vertraglich für solche Fälle ausgeschlossen (was nicht ganz selten) oder ist schon der Tatbestand des Abs. 3 nicht gegeben, weil der Anteil des Vorgängers am Vermittlungserfolg aus welchem Grunde auch immer nicht überwiegend geworden ist oder der Abschluss des Geschäfts nicht mehr innerhalb angemessener Zeit nach Beendigung des Vertreterverhältnisses mit dem Vorgänger erfolgt ist, so kommt das dem Nachfolger zustatten. Er erhält die Provision, falls es ihm gelingt, an dem in dem endgültigen Abschluss sich darstellenden Erfolg noch irgend mitursächlich beteiligt zu sein. Der Unternehmer kommt dann also nicht etwa in den Genuss einer provisionsfreien Vermittlung. Im Gegenteil muss er unter Umständen nun doch doppelt zahlen; dann nämlich, wenn der Vorgänger ein angestellter Reisender gewesen war und dieser über § 65 Anspruch auf die Provision für die von ihm überwiegend geleistete Vermittlungstätigkeit hat. Denn hier ist der Tatbestand des Abs. 1 S. 3 nicht gegeben – kein ausgeschiedener HV, kein Provisionsanspruch nach Abs. 3 –; die Tätigkeit, welche von dem für das Arbeitsgebiet des bisherigen angestellten Reisenden eingesetzten HV im Anschluss geleistet worden ist, löst einen weiteren, agenturrechtlichen Provisionsanspruch aus 315. Andererseits gilt Abs. 1 S. 2 nur im Vorgänger-Nachfolger-Verhältnis. Sind auf der 99 Vorgängerebene mehrere Handelsvertreter nebeneinander provisionsberechtigt geworden 311 312 313

Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 37. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 35. Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 49.

314 315

Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 35. Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 28.

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und hätte einer von ihnen die überwiegende Vermittlungstätigkeit geleistet, um dann auszuscheiden, so schließt Abs. 1 S. 2, wenn daraufhin dessen Nachfolger die Vermittlung zu Ende führt, nur den Provisionsanspruch dieses Nachfolger-Vertreters aus. Die Ansprüche der übrigen, in der „Endrunde“ nicht mehr tätig gewordenen Vertreter bleiben unberührt 316.

100

bb) Zwingende Natur. Vertragliche Abbedingungen gehen nicht selten vor in der Richtung, dass Provisionsansprüche aus Geschäften, die zwar noch vor Beendigung des HV-Verhältnisses abgeschlossen worden waren, aber erst nachher zur Ausführung kommen und damit entsprechend der Regel des Abs. 1 noch zugunsten des ausgeschiedenen HV nachträglich zu verprovisionieren wären, ausgeschlossen sein sollen. Das ist zulässig; § 89b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 1. Alternative hat gerade solche Fälle im Auge. Doch hat die Abdingbarkeit hier ihre Grenze in § 87a Abs. 3 (Abs. 5): Der Unternehmer kann den HV seiner Provision nicht dadurch verlustig gehen lassen, dass er (der Unternehmer) die Ausführung des Geschäfts entgegen der vertraglichen Fälligkeit über das Ende des HV-Verhältnisses hinauszögert und dadurch den Provisionsverzichtsfall schafft. Er hat das Geschäft „nicht so ausgeführt, wie es abgeschlossen worden war“ (§ 87a Abs. 3 S. 1), und ein Verzicht auf eine solchermaßen zu gefährdende Provision bliebe nichtig schon wegen Verstoßes gegen § 87a Abs. 5 317. Immerhin ist jene Entscheidung auf den Fall der verspäteten Leistung zugeschnitten und auf andere Leistungsstörungen nicht übertragbar. An dem Eintritt des Provisionsverzichtsfalles und seiner wirksamen Statuierung ändert es nichts, wenn der Unternehmer seine Leistung nach Ende des Vertragsverhältnisses termingemäß, aber mangelhaft erbringt und der Kunde daraufhin wandelt. Ohne den Provisionsverzicht würde der Anspruch auf die Provision dadurch zwar nicht beeinträchtigt (§ 87a Abs. 3 S. 1), und selbst eine entgegenstehende Abrede wäre nach § 87a Abs. 5 unwirksam. Doch soll damit nur sichergestellt sein, dass der HV für seine Ansprüche nicht schlechter gestellt wird, als hätte der Unternehmer vertragsgemäß erfüllt: gerade dies unterstellt, wäre wiederum der Provisionsverzichtsfall gegeben.

101

d) Abs. 2: Bezirksprovision. Die in Abs. 2 geregelte, sog. Bezirksprovision bildet neben der Folgeprovision den zweiten Fall einer Provision, die tätigkeitsunabhängig ist 318, wie der EuGH 319 zu Art 7 EG-Richtlinie 1986 bestätigte. Bezirks- oder Kundenschutzprovision erhält ein HV, dem vom Unternehmer vertraglich provisionsrechtlicher Kundenschutz für einen bestimmten räumlich abgegrenzten Bezirk oder persönlich umgrenzten Kundenkreis zugesagt worden ist, und zwar für alle Kundengeschäfte mit Vertragsprodukten, welche mit vom Bezirk oder Kundenkreis erfassten Kunden wirksam während des Bestehens der Kundenschutzzusage zustande gekommen (Abs. 2 Satz 1) oder dem Unternehmer angeboten worden sind (Abs. 3 Satz 1 Nr. 2), sofern die Provision nicht ausnahmsweise ganz oder teilweise dem Vorgänger des Bezirksvertreters zusteht (Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 2) 320. Typisch für den Bezirksvertreter ist die Zuweisung eines Bezirks, weshalb sich der schlagwortartige Terminus Bezirksvertreter durchgesetzt hat.

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aa) Wer ist Bezirksvertreter? Bezirksvertreterprovision ist nur zu zahlen, wenn der HV Bezirksvertreter ist. Das ist der Fall, wenn er mit hinreichender Klarheit vertraglich als solcher benannt ist. Eine einseitige Benennung des Unternehmers oder Zuweisung 316 317 318 319

Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 35; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 16a, 28. BGHZ 33, 92. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87 Rn 16. EuGH, Urt. v. 12.12.1996 – Rs. C-104/95,

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320

„Kontogeorgas/Kartonpak“, EuGHE 1996 I, 6643, Rn 16–19 = EuZW 1997, 248 m. Anm. Klauer St. Galler Europarechtsbriefe 1997, 27; Habersack/Martínez Sanz EWS 1997, 289; Fock ZEuP 1998, 354. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 39.

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eines geschützten Gebiets bzw. Kundenkreises an den HV bildet ein Angebot auf Abschluss eines Bezirksvertretervertrages, welches der HV im Zweifel als für sich günstig nach § 151 BGB annimmt 321. Bei namentlicher Benennung als „Bezirksvertreter“ ist der HV ein solcher, es sei denn, es ergibt sich mit der gleichen Klarheit aus dem Vertrag, meist der Provisionsklausel, dass die Parteien etwas anderes meinten. Eindeutig liegt der Sachverhalt auch, wenn der HV zwar nicht als Bezirksvertreter benannt wurde, ihm jedoch eine Provision für alle mit den Kunden seines Bezirkes geschlossenen Geschäfte zugesichert wurde, selbst wenn der Bezirk nicht ausdrücklich als solcher, sondern etwa als Gebiet oder Erfassungsraum apostrophiert wurde. Ausreichend ist die Bezeichnung als „Bezirksvertreter“, die Gewährung von „Bezirks-“, „Kunden-“ oder „Projektschutz“ 322 oder das Provisionsversprechen für alle „direkten und indirekten“ 323 sowie „mittelbaren und unmittelbaren“ Geschäfte 324. Ergibt sich die Einordnung als Bezirksvertreter nicht aus anderen Umständen, ist in der Zuweisung eines bloßen Gebietes keine Bestellung als Bezirksvertreter zu sehen 325. Die Bezeichnung als „Generalvertreter“ 326 oder „Alleinvertreter“ 327 ist nicht hinreichend eindeutig. Oft werden die Begriffe „Gebiet“ und „Bezirk“ verwechselt. Meist lässt sich erst aus der Provisionsklausel entnehmen, was gewollt war. Wenn einem als „Bezirksvertreter“ bezeichneten HV nach dem Inhalt des Vertrages keine Bezirksprovision zu zahlen ist, ist er in Wahrheit kein Bezirksvertreter. Die Regelung der konkreten Rechtsfolge – etwa die Vereinbarung, dass Provision nur für Geschäfte zu leisten ist, die auf die Tätigkeit des HV zurückzuführen sind – hat Vorrang vor der bloßen Bezeichnung als Bezirksvertreter 328. Ein Hauptvertreter kann seinem Untervertreter nur dann einen Bezirksschutz versprechen, wenn der Bezirk oder Kundenkreis innerhalb des Vertriebsgebietes des Hauptvertreters liegt 329. Anderenfalls ist er schon an der Abrechnung und der Gewährung der Kontrollrechte des § 87c gehindert, schuldet aber ggf. Erfüllung bzw. Schadenersatz, wobei die Beweislast für beide Rechte beim HV liegen dürfte (Gegenansicht vertretbar, weil dem Unternehmer die Kontrollrechte aus § 87c obliegen). Die Bezirksvertreterabrede bleibt wirksam. Der Unternehmer darf den Vertrag mit dem Hauptvertreter dann gem. § 89a kündigen. Die Bestellung als Bezirksvertreter setzt die Zuweisung eines bestimmten geografischen 103 Bezirks oder eines bestimmten Kundenkreises voraus 330. Ob dies der Fall ist und wie der Bezirk umgrenzt ist, muss dem Vertretervertrag entnommen werden. Trotz des Wortlautes „bestimmten“ genügt auch hier Bestimmbarkeit, schon um den HV zu schützen, der meist Verwendungsgegner der vom Unternehmer formulierten Verträge ist. Einem Formgebot unterliegt die Bezirksvertreterabsprache nicht, sofern der Vertrag nicht insgesamt der Schriftform unterworfen ist 331. Deshalb darf die Abrede auch konkludent und durch lange Übung getroffen werden, etwa indem über längere Zeit eine Bezirksvertreterprovision für alle getätigten Geschäfte in einem Bezirk oder mit einem bestimmten Kundenkreis gewährt wird und beide Parteien die Vorstellung haben, dass die Zahlungen in Erfüllung einer Bezirksvertreterabrede geleistet sein sollen 332. Auch eine Bestellung mittels kaufmänni321 322 323 324 325 326 327 328 329

MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 76. OLG Düsseldorf NJW 1982, 1231. RGZ 109, 254 (255); BGH, Urt. v. 20.10. 1955 – II ZR 75/54, DB 1956, 157. BGH DB 1956, 157. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 43. Hopt § 87 Rn 25. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 43. OLG Karlsruhe BB 1971, 1123. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 62.

330 331

332

Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 44. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 43; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87 Rn 23; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 73. RG LZ 1911, 937; BGH, Urt. v. 15.12.1960 – VII ZR 212/59, VersR 1961, 270 (271); OLG Düsseldorf DB 1968, 611; Evers BB 1992, 1365 (1371); Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 43; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 31.

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schen Bestätigungsschreibens ist möglich 333. Wird eine Beurkundung des Vertragsinhaltes nach § 85 verlangt, so sind die Angaben zum Bezirk in die Urkunde aufzunehmen. Darüber, wann eine Bezirksvertretung als übertragen gilt, s. im Allgemeinen OLG Frankfurt LZ 1930, 64. Nach einem Gutachten der Ind.- u. Handelsk. Berlin 1926 Nr. 256 ist, wer in Berlin zum Agenten bestellt wird, nach Handelsbrauch mangels gegenteiliger Vereinbarung Bezirksvertreter. Das dürfte heute nicht mehr gelten, wie das Regel-Ausnahme-Verhältnis der Abs. 1 und 2 zeigt. In HV-Verträgen aus der Zeit vor der Wiedervereinigung bezieht sich die Bezirkszuweisung „Inland“, „Deutschland“ oder „Bundesrepublik“ im Zweifel nicht auf das Gebiet der neuen Bundesländer 334. Da es sich bei der Bestellung zum Bezirksvertreter um eine Ausnahme von der Regel handelt, muss derjenige, der sich auf die Bestellung beruft, diese beweisen. Verbleibende Unklarheiten gehen zu Lasten dessen, der die Eigenschaft als Bezirksvertreter beweisen muss. Es spielt aber auch eine Rolle, wer den Vertrag formuliert hat und damit das Formulierungsrisiko trägt. Im Hinblick auf den Vertreter mit zugewiesenem Kundenkreis gelten die für den 104 Bezirksvertreter dargestellten Grundsätze entsprechend. Der Kundenkreis kann nach beliebigen Gesichtspunkten abgegrenzt und mit einem geographischen Bezirk verbunden sein; z.B. Endverbraucher eines bestimmten Bezirks, Zwischenhändler innerhalb eines solchen; Abgrenzung nach fachlicher Zugehörigkeit, Fabrikaten bestimmter Art usw. Auch hier genügt die Bestimmbarkeit des Kundenkreises.

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bb) Tätigkeit außerhalb des Bezirkes? Dem Bezirksvertreter ist eine Betätigung außerhalb des zugewiesenen Bezirks oder Kundenkreises nicht ohne weiteres verwehrt 335. Bezirksvertreterprovision steht dem HV aber bei Tätigkeit außerhalb seines Bezirks nicht zu, allenfalls Provision nach Abs. 1. Der Unternehmer kann frei entscheiden, ob er den aus einer außerbezirklichen Tätigkeit herrührenden Auftrag annimmt 336. Im Zweifel 337 – insbes., wenn mit Kenntnis des HV das gesamte Vertriebsgebiet in Bezirke aufgeteilt und mit Vertretern besetzt wurde 338 – wird sich ein solches Verbot aber aus dem Wesen des Bezirksvertretervertrages ergeben 339, schon damit der Unternehmer für das selbe Geschäft nicht zweifach Provision leisten muss – einmal an den außerhalb seines Bezirks tätigen Vertreter, ein anderes Mal an den Bezirksvertreter, in dessen Bezirk der andere Bezirksvertreter bezirksfremd tätig ist. In diesem Fall dürfen sich die Bezirksvertreter nicht gegenseitig durch Einbruch in fremde Bezirke Konkurrenz machen 340. Der HV, der dieser Begrenzung zuwiderhandelt, hat keinen Anspruch auf Provision für außerbezirklich vermittelte Geschäfte, die Provision fällt vielmehr dem zuständigen HV als Bezirksprovision an. Gegen unzulässige Einbrüche in den eigenen Bezirk durch andere HV kann der zuständige Bezirksvertreter vom Unternehmer verlangen, geschützt zu werden. Das gilt ungeachtet der Tatsache, dass diesem Bezirksvertreter ein Provisionsanspruch nach Abs. 2 gebührt. Denn die Tätigkeit des bezirksfremden HV kann ihn von seinem Kundenkreis separieren. Man mag hier insoweit von Bezirksschutz sprechen. 333 334

335

Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 43. LAG Düsseldorf ZIP 1992, 647; Ebenroth/ Löwisch § 87 Rn 44; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 85. BGH, Urt. v. 05.04.2006 – VIII ZR 384/04, BB 2006, 1300 Rn 13 = WM 2006, 1358; Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 41; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87 Rn 22; Westphal BB 1991, 2027; s.a. BGH, Urt. v. 15.02.1971 – VII ZR 122/69, WM 1971,

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336 337 338 339 340

563; Peterek BB 1966, 351; aA Wessel BB 1962, 474. BGH, Urt. v. 05.04.2006 – VIII ZR 384/04, BB 2006, 1300 (1301) Rn 17. Wessel BB 1962, 473; Küstner/Thume I, Rn 802. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 41; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87 Rn 22. AA wohl Küstner/Thume I, Rn 801. Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 31b.

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§ 87

Fehlt ein Verbot, kann der Bezirksvertreter bei außerbezirklicher Tätigkeit Tätigkeitsoder Folgeprovision verdienen, und zwar selbst dann, wenn in dem anderen Bezirk ebenfalls ein Bezirksvertreter tätig ist. Akzeptiert der Unternehmer die Tätigkeit außerhalb des Bezirks, kann darin eine stillschweigende Erweiterung des Bezirks bzw. Kundenkreises liegen. I.d.R. gewinnt ein Bezirksvertreter, der mit Zustimmung des Unternehmers außerhalb seines Bezirks bzw. des ihm zugewiesenen Kundenkreises tätig wird, auch für Geschäfte mit Kunden den vollen Provisionsanspruch nach § 87 Abs. 1, die außerhalb des zugewiesenen Bezirks oder Kundenkreises liegen 341. Die Provisionspflicht für diesen Fall darf ausgeschlossen 342, jedoch auch vereinbart 343 werden. Ein Bezirksvertreter, der außerhalb seines Bezirks, in einem fremden Bezirk tätig war, erwirbt aber keinen Provisionsanspruch als Bezirksvertreter 344. Er kann allenfalls Tätigkeitsprovisionen verdienen, sofern ihm die Tätigkeit außerhalb seines Bezirks nicht ausdrücklich verboten war. Folgeprovision scheidet nur aus, sofern ein außerhalb eines Bezirks getätigtes Geschäft kein „Geschäft der gleichen Art“ darstellt 345. Folgeprovision ist in diesem Fall nicht ausgeschlossen, weil die Regelung über die Bezirksprovision die Bestimmung über die Folgeprovision im Wege der Konkurrenz ausschließt 346, sondern da die Bestimmung tatbestandlich nicht eingreift. cc) Während des Vertragsverhältnisses. Voraussetzung der Bezirksvertreterprovision 106 ist, ebenso wie bei der Tätigkeits- oder Folgeprovision, dass ein Geschäft zwischen Unternehmer und Kunden während des HV-Verhältnisses zustande kam (s.o., Rn 53, 95). Auf nachvertragliche Nachbestellungen erstreckt sich Abs. 2 damit nicht 347. dd) Unter Beteiligung des Unternehmers Art. 7 Abs. 2, 1. Spiegelstrich der Eg-Richtlinie 1986 ist so auszulegen, das ein HV, dem ein bestimmter Bezirk zugewiesen ist, keinen Anspruch auf Provisions für ein Geschäft hat, welches ein Kunde, der jenem Bezirk angehört, mit einem Dritten abgeschlossen hat, ohne dass der Unternehmer unmittelbar oder mittelbar an dem Geschäft beteiligt war 348. Ob eine solche Beteiligung vorliegt, haben die nationalen Gerichte unter Berückischtigung des Schutzgedankens der EG-Richtlinie sowie Treu- und Glaubens zu bestimmen349. ee) Provisionspflicht (1) Synallagmatische Hauptpflicht. Die Bezirksprovision ist Erfolgsprovision nur 107 noch in einem sehr mittelbaren Sinne, insofern, als sich davon ausgehen ließe, dass die Pflege des Bezirks sich mitursächlich in Kaufanreizen und in der Abschlussgeneigtheit auch solcher Kunden niederschlägt, bei denen der HV nicht selbst den Abschluss vermittelt hat. Im eigentlichen aber ist die Bezirksprovision eine synallagmatische Gegenleistung, die für die fortlaufende Betreuung und Pflege des Bezirks, Auf- und Ausbau des Marktes für den Unternehmer, die Förderung seines Absatzes sowie die Wahrnehmung seiner Interessen im besonderen Maße sowie bei entsprechender Vereinbarung für das 341

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BGH, Urt. v. 05.04.2006 – VIII ZR 384/04, BB 2006, 1301 Rn 17 = WM 2006, 1358 in Anschluss an BGH, Urt. v. 15.02.1971 – VII ZR 122/69, WM 1971, 563. BGH, Urt. v. 05.04.2006 – VIII ZR 384/04, BB 2006, 1300 (1301) Rn 17 = WM 2006, 1358. Eberstein, S. 51. OLG Düsseldorf WM 1970, 1284.

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Vgl. Küstner/Thume I, Rn 801. So aber Küstner/Thume I, Rn 833 ff. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 47; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 34. EuGH, Urt. v. 17.01.2008 – Rs. C – 19/07, EWS 2008, 151. EuGH, Urt. v. 17.01.2008 – Rs. C – 19/07, EWS 2008, 151 Rn 22.

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Unterlassen des Vertriebs außerhalb des Bezirks oder Kundenkreises gewährt wird 350. Hier tritt der Charakter des gegenseitigen Vertrages bei der Bestellung zum Bezirksvertreter deutlicher hervor als bei sonstigen, nicht bezirklich eingesetzten Vertretern. Deshalb sind die Bestimmungen der §§ 320 ff BGB direkt anwendbar 351. Zur Schlechterfüllung der Bezirksbetreuung s.u., Rn 119 ff.

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(2) Inhalt des Provisionsversprechens. Für die Hauptpflicht zur kontinuierlichen Pflege des Bezirks wird die Bezirksvertreterprovision als Gegenleistung gewährt. Sie braucht als Rechtsfolge der Bestellung als Bezirksvertreter nicht ausdrücklich vereinbart zu werden sondern ergibt sich als automatische Folge dieser Bestellung. Inhaltlich richtet sie sich darauf, dass der Bezirksvertreter für alle vertragsbegleitenden, in seinem Bezirk und in sein Vertriebsrecht fallenden Geschäfte mit den ihm zum Absatz übertragenen Produkten 352 auch ohne Mitursächlichkeit 353, mag er dabei vermittelnd tätig geworden sein oder nicht, mag er für Nachbestellungen provisionsberechtigt geworden sein oder nicht, die Provision so erhält, als habe er vermittelt oder als sei er provisionsberechtigt aus den Nachbestellungen gewesen. Es handelt sich um einen weiteren Fall des provisionsrechtlichen Kundenschutzes. Die Provisionspflicht tritt, wie bei jeder Provisionsart, ohne dahingehende Abrede kraft Gesetzes ein. Für die Höhe gilt § 87b. Weder Direktabschlüsse 354 des Unternehmers noch erfolgreiche Vermittlungstätigkeit eines anderen HV 355 können die Bezirksprovision beeinträchtigen. Sie fällt dem Bezirksvertreter automatisch an. Der Bezirksvertreter hat sogar dann Anspruch auf Provision, wenn der Unternehmer über eine rechtlich selbständige, jedoch von ihm beherrschte Gesellschaft Geschäfte mit Abnehmern des Bezirks des Bezirksvertreters tätigt 356. Was im Folgenden für die Bezirksprovision gesagt ist, gilt sinngemäß für den vom Gesetz gleichgestellten Fall der Provision aus Geschäften in dem übertragenen Kundenkreis. Das Provisionsrecht setzt aber voraus, dass der Bezirksvertreter innerhalb seines Bezirks tätig war. Die Anwartschaft auf Bezirksprovision entsteht ohne Tätigkeit des HV. Ein Rang109 verhältnis zur Tätigkeits- oder Folgeprovision besteht nicht 357. Vor Zubilligung einer Bezirksprovision muss also nicht geprüft werden, ob der Tatbestand der Tätigkeits- oder Folgeprovision erfüllt ist. Soweit der Bezirksvertreter in seinem Bezirk eigene Vermittlungstätigkeit ausübt, hat er die Provision bereits nach Abs. 1 S. 1 in der einen oder anderen Alt. zu beanspruchen. Der Unterschied hat nach Ansicht derjenigen, welche die Ausgleichspflicht der Bezirksvertreterprovision ablehnen Bedeutung für den Ausgleichsanspruch, zudem bei differierenden Provisionssätzen. Die Auslösung des Anspruchs auf Bezirksprovision ist jedoch regelmäßig am leichtesten feststellbar. Deshalb kann der HV 350

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352 353

BGH BB 1957, 9; BGH BB 1976, 1530; BGHZ 41, 292 = BB 1964, 698 = NJW 1964, 1622. BGH Urt. v. 18.06.1959 – II ZR 121/57 – NJW 1959, 1490; Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 40; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 87 Rn 69; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 37. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 44. EuGH, Urt. v. 12.12.1996 – Rs. C-104/95, „Kontogeorgas/Kartonpak“, EuGHE 1996 I, 6643, Rn 16–19 = EuZW 1997, 248 m. Anm. Klauer St. Galler Europarechtsbriefe 1997, 27; Habersack/Martínez Sanz, EWS 1997, 289; Fock ZEuP 1998, 354.

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AA Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 44, der im Zweifel die Provisionspflicht nicht auf Direktgeschäfte des Unternehmers erstrecken will. Aber das Provisionsrecht gilt umfassend, Abgrenzungsschwierigkeiten sollen durch die Bezirksabrede gerade vermieden werden. Hopt § 87 Rn 35; MünchKommHGB v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 89. BGH, Urt. v. 30.01.1981 – I ZR 17/79, NJW 1981, 1785; Genzow in: Ensthaler, § 87 Rn 13. AA Westphal Vertriebsrecht I, Rn 493.

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seinen Anspruch auf § 87 Abs. 2 stützen, muss dies jedoch nicht. Er darf sich auch nachträglich auf den konkurrierenden Anspruch berufen. Um die Provisionspflicht auszulösen muss der bestellende Kunde seinen Geschäftssitz 110 im Bezirk des HV haben 358. Gemeint ist die Bezirksansässigkeit des Kunden, also des Rechtsträgers, für den der Bestellende handeln will 359. Im Zweifel kommt es auf den Hauptsitz des Kunden an, bei juristischen Personen auf deren Sitz. Dabei ist der Ort der tatsächlichen geschäftlichen Tätigkeit der juristischen Person maßgeblich 360. Wird diese an verschiedenen Orten ausgeübt oder wird der HV in mehreren Hoheitsgebieten tätig, so können für die Feststellung des Schwerpunktes des vorgenommenen Geschäfts andere Elemente, namentlich der Ort, an dem die Verhandlungen mit dem HV erfolgt sind oder normalerweise hätten erfolgen müssen, der Ort, an den die Ware geliefert worden ist sowie der Ort der Niederlassung, die die Bestellung aufgegeben hat, berücksichtigt werden 361. Sofern der Sitz in einem öffentlichen Register eingetragen ist, ist diese Eintragung maßgeblich. Bei Bestellungen für Unternehmensgruppen ist der Sitz desjenigen Unternehmens maßgeblich, welches als Besteller nach außen aufgetreten ist und für die Unternehmensgruppe handeln darf, bei selbständig abschließenden Filialen – diese brauchen nicht notwendig rechtlich selbständig zu sein – ist der bezirksgelegene Sitz der Filiale vorrangig, soweit der Bestellende wirtschaftlich besehen eine Bestellung für diese Filiale tätigen will 362. Bei Behördenaufträgen kommt es auf den Sitz der wirtschaftlich für den Abschluss maßgebenden Stelle und nicht auf den formellen Sitz der Behörde an363. Abzustellen ist auf den Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses (letzte Willenserklärung). Der Bezirksprovisionsanspruch besteht auch bei Abschluss mit einem bezirkszugehörigen Kunden, wenn die Lieferung an irgendeinen Ort außerhalb des Bezirkes geht 364. Hingegen reicht es für die Bezirksprovision nicht aus, dass ein Drittkunde die Ware unverzüglich an einen geschützten Kunden im Bezirk des HV weiterveräußert 365. Diese Anknüpfung ausschließlich an den Sitz des Bestellers und damit leicht feststellbare äußere Merkmale dient der Praktikabilität 366 und der Rechtsklarheit 367. Bei nur vorübergehendem Aufenthalt des Kunden im Bezirk 368 ist zu unterscheiden: Unterhält der Kunde während Abschluss und Ausführung des Kundengeschäfts eine selbständig agierende Filiale im Bezirk, entsteht eine Bezirksvertreterprovision, anderenfalls nicht. Es 358

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BGH DB 1976, 2152 (zusammenfassend mit Nachweisung der voraufgegangenen Rechtsprechung) Eberstein, S. 80. Vgl. BGH, Urt. v. 26.11.1956 – II ZR 219/55, DB 1957, 19; BGH, Urt. v. 29.11. 1956 – II ZR 241/55, BB 1957, 9; BGH WM 1976, 1193; BGH, Urt. v. 09.06.1978 – I ZR 136/76, WM 1978, 982; Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 50; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87 Rn 25; Hopt § 87 Rn 27; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 90, 91; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 32, 34a; vgl. auch Maier BB 1970, 1327 (1328). EuGH, Urt. v. 12.12.1996 – Rs. C-104/95, „Kontogeorgas/Kartonpak“, EuGHE 1996 I, 6643, = EuZW 1997, 248 Rn 25–30 m. Anm. Klauer St. Galler Europarechtsbriefe 1997, 27; Habersack/Martínez Sanz, EWS 1997, 289; Fock ZEuP 1998, 354. EuGH, Urt. v. 12.12.1996 – Rs. C-104/95,

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„Kontogeorgas/Kartonpak“, EuGHE 1996 I, 6643, = EuZW 1997, 248 Rn 25–30 m. Anm. Klauer St. Galler Europarechtsbriefe 1997, 27; Habersack/Martínez Sanz, EWS 1997, 289; Fock ZEuP 1998, 354. So schon BGH LM § 87 HGB Nr. 1; auch: OLG Düsseldorf WM 1970, 1284; Eberstein, S. 81; aA wohl OLG Stuttgart BB 1960, 753. Eberstein, S. 81. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 496. BGH, Urt. v. 11.07.1960 – VII ZR 225/59, BB 1960, 956; Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 50; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 87 Rn 84; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 32. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 496. BGH BB 1976, 1530 = DB 1976, 2152. Vgl. hierzu Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 48; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 32.

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kann aber Tätigkeitsprovision des vermittelnden HV verdient sein. Die Äußerlichkeit des Abschlussortes ist unerheblich: es fallen unter die Provisionspflicht auch Geschäfte, die an dem nicht im Bezirk gelegenen Niederlassungsort des Unternehmers mit dem etwa zufällig anwesenden Kunden oder auch durch Briefwechsel zwischen dem Kunden und dem Unternehmer zustande kommen. Die verbindliche Weisung eines Bezirkskunden an nicht bezirksangehörige und nicht geschützte Niederlassungen, Betriebsteile oder vom Bezirkskunden beherrschte Unternehmen zu einer Bestellung reicht als TB-Voraussetzung der Provisionspflicht aus, wenn der Angewiesene keine Entscheidungsfreiheit besitzt und nur die vorgegebenen Produkte bestellen darf 369. Wo und von wem die Vertragsverhandlungen geführt worden sind 370, wer das Kundengeschäft herbeigeführt hat 371, wo der Vertrag abgeschlossen worden ist 372, der Unternehmer zu erfüllen und wohin er zu liefern hat 373, oder für wen die Lieferung, etwa bei einem Streckengeschäft, bestimmt ist 374, hat damit keine Bedeutung 375. Dagegen fallen nicht unter Abs. 2 Geschäfte, die zwar räumlich in dem Bezirk, aber 111 nicht mit Kunden aus dem Bezirk geschlossen werden 376; weiter nicht Geschäfte, die von einem im Bezirk wohnenden Kommissionsagenten 377 des Unternehmers im eigenen Namen, aber für Rechnung des Unternehmers mit Kunden, die außerhalb des Bezirks wohnen, vereinbart werden 378; vollends also nicht Geschäfte, für deren Abschluss der Partner seinerseits durch einen – im Bezirk residierenden – HV vertreten ist. Mit Verlegung des Sitzes eines Bezirkskunden an einen Ort außerhalb des Bezirks endet die Provisionspflicht nach Abs. 2 379. Gleiches gilt, falls der Kunde dazu übergeht, Bestellungen zentral durch eine außerhalb des Bezirks gelegene Person aufzugeben 380. Eine abweichende Vereinbarung kann getroffen werden. Schwierigkeiten bereiten etwa Messegeschäfte. Anspruch auf Provision für während 112 einer Messe vermittelte oder abgeschlossene Geschäfte hat der Bezirksvertreter, zu dessen Bezirk oder Kundenkreis der Messekunde gehört 381, selbst wenn er messeabwesend ist 382. Unerheblich ist, wer das Geschäft herbeigeführt hat und in wessen Bezirk die Messe veranstaltet wird 383. Zwar hätte grundsätzlich auch der vermittelnde HV Anspruch auf Tätigkeitsprovision nach Abs. 1. Diese ist jedoch meist stillschweigend ausgeschlossen: Das gemeinsame Tätigwerden der HV auf dem Messestand trägt im Zweifel die stillschweigend getroffene Übereinkunft in sich, dass bei Abschlüssen mit 369

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OLG Stuttgart BB 1960, 753; Schröder DB 1963, 541 (543); Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 50. Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 32. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 47; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 36; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 96. Eberstein, S. 80; Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 47; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87 Rn 25. BGH, NJW 1958, 180; BGH WM 1976, 1193 = BB 1976, 1530 = DB 1976, 2152; OLG Düsseldorf WM 1970, 1284; Küstner/ Thume I, Rn 790; Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 47; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87 Rn 25; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 83, 90; Schlegelberger/ Schröder § 87 Rn 32. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 47.

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Über die Auslegung einer Provisionsabrede hinsichtlich aller „für den Bezirk und aus dem Bezirk“ abgeschlossenen Geschäfte OLG Braunschweig LZ 1924, Sp. 4795. Schröder DB 1963, 543 für den Fall, dass der Bezirksvertreter eine Ausstellung von Mustern veranstaltet und bezirksfremde Ausstellungsbesucher bei ihm bestellen. RGZ 69, 363; vgl. auch den spiegelbildlich gelagerten Fall LG Bochum BB 1958, 895. RG Recht 1924, Nr. 659. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 51. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 51. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 49; Hopt § 87 Rn 21; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 87 Rn 93. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 49. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 49.

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geschützten Kunden die Provision in voller Höhe dem nach Abs. 2 berechtigten HV zustehen soll 384. Die Bezirksgebundenheit der Provision kann zu Provisionskonkurrenzen führen 385 113 Dies lässt sich wie folgt exemplifizieren: (1) Bei Bestellung von Unternehmensgruppen ist auf den Sitz des Unternehmens abzustellen, welches als Besteller nach außen hin aufgetreten ist 386. Wird an Filialen geliefert, so ist lediglich der HV, in dessen Bezirk die bestellende Hauptniederlassung ihren Sitz hat, als Bezirksvertreter ungekürzt provisionsberechtigt 387. Eberstein388 diskutiert für diesen Fall eine Provisionsteilung mit dem Bezirksvertreter der Zentrale. (2) Werden die Bestellungen aber von Filialen aufgegeben, entsteht ein ungekürzter Bezirksprovisionsanspruch des HV, zu dessen Bezirk die Filiale gehört 389. Dabei soll es keine Rolle spielen, ob die Aufträge „im Namen und für Rechnung der Hauptniederlassung“ erteilt werden. Denn es bleibt dabei, dass die Tätigkeit der Zweigniederlassung für den Auftrag kausal werden darf 390. (3) Der Kunde verlegt seinen Sitz in den Bezirk eines anderen Bezirksvertreters. War er von dem HV seines früheren Bezirks geworben worden, so steht nach einer Ansicht für Nachbestellungen aus dem neuen Bezirk nunmehr beiden Vertretern je die volle Provision zu 391. Richtig dürfte es entgegen dieser Ansicht und der Vorauflage sein, regelmäßig eine volle Bezirksvertreterprovision des neuen Vertreters anzunehmen. Der „alte“ Bezirksvertreter kann jedoch Anspruch auf Folgeprovision haben, wenn er den Kunden geworben hat. (4) Der Bezirksvertreter wechselt seinen Bezirk (zum Rotationsvertrieb s.o. § 89b Rn 150). Sofern der Bezirkswechsel nicht ausdrücklich vereinbart war, lösen sich diese Fälle durch die Einordnung als eines (partiellen) Erlöschens des HV-Verhältnisses für den alten und der Begründung eines anderweiten für den neuen Bezirk 392 bzw. eines Vertragswechsels, was zumindest eine konkludente Vereinbarung des Wechsels voraussetzt. Ob regelmäßig stillschweigend vereinbart ist, dass der einen Bezirk wechselnde Bezirksvertreter erworbene Provisionsanwartschaften nach Abs. 1 S. 1 verliert, soweit der Unternehmer dem Nachfolger im Bezirk für diese Geschäfte Provision nach Abs. 2 zu leisten hat, erscheint entgegen der 4. Aufl. und weiteren Stimmen 393 zweifelhaft. Der Ausgleichsanspruch aus § 89b bietet keine Kompensation. Richtigerweise würde ein solches Verständnis zwei Bedingungen voraussetzen: Zum ersten einen zulässigen Bezirkstausch, was zumindest eine vertragliche Regelung voraussetzt, und zum zweiten eine dahingehende ausdrückliche Vereinbarung. Ansonsten bleibt es bei der Provisionspflicht nach Abs. 1 S. 1. (5) Der Bezirksvertreter veranlasst einen bezirksansässigen Kunden, er möge bei seinem bezirksauswärtigen Zulieferer darauf hinwirken, dass jener gewisse, zum Fertigungsprogramm desselben Unternehmers gehörige Artikel beim Unternehmer unmittelbar bestellt. Letzteres geschieht. Nach Schröder 394 soll alsdann die Provision sowohl 384

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KG BB 1969, 1062; Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 49; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 87 Rn 93, 94. Vgl. Schröder, DB 1963, 541 ff. BGH LM § 87 HGB Nr. 5; OLG Stuttgart BB 1960, 753; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 497; Schröder, DB 1963, 541 ff. BGH BB 1957, 1250 = NJW 1958, 180; Küstner/Thume I, Rn 819. S. 82. BGH BB 1957, 9; Küstner/Thume I, Rn 820; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 497.

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Küstner/Thume I, Rn 820. Schröder aaO S. 541 gegen Wessel BB 1962, 473. Ähnlich Schlegelberger/Schröder § 87b Rn 14a. So Schröder DB 1963, 541; Ebenroth/ Löwisch § 87 Rn 53. Schröder DB 1963, 543.

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dem Bezirksvertreter für den Kunden wie dem Bezirksvertreter für den Zulieferer zustehen, da die Tätigkeit des ersteren mitursächlich für die Bestellung geworden sei. Hier hat der Bezirksvertreter, was die Bestellung des Zulieferers anlangt, sich außerhalb seines Bezirks betätigt, so dass eine Provision nach den o.g. Maßstäben nur anfällt, wenn der HV außerhalb seines Gebietes tätig werden durfte. (6) Ändert sich die Bestellpraxis eines Konzerns dahingehend, dass statt der Filialen nur noch eine im Bezirk eines Vertreters ansässige Filiale bestellt, kann es unter dem Gesichtspunkt der wechselseitig in einem Vertriebssystem bestehenden Treupflichten die Pflicht des HV sein, einem neuen Verteilungsschlüssel zu Gunsten der anderen Vertreter zuzustimmen. Beim „Streckengeschäft“, bei welchem der Besteller den Lieferanten veranlasst, die Ware unmittelbar an seinen Kunden zu liefern, kommt es allein auf die Person des Bestellers an. Falls sich der Unternehmer das Recht vorbehalten hat, im Bezirk des HV selbst tätig werden zu können und nicht festgelegt wurde, wie solche Direktgeschäfte zu verprovisionieren sind, sind diese Geschäfte im Zweifel wie andere Bezirksgeschäfte bezirksprovisionspflichtig 395. Ein Ausschluss der Bezirksprovision darf in diesen Fällen vereinbart werden 396. Der mit der Bezirksvertretung gewährte Provisionsschutz endet nach seinem Zweck dort, wo nicht Geschäfte auf dem freien, der Vermittlungstätigkeit des Vertreters geöffneten Markt in Rede stehen. Deshalb ist eine Warenabgabe des Unternehmers an Belegschaftsmitglieder – Beispiel Jahreswagen – nicht provisionspflichtig 397, soweit diese der persönlichen Bedarfsdeckung der Mitarbeiter dient und ohne Zwischenschaltung von Groß-, Zwischen- oder Einzelhändler durchgeführt wird 398. Auch hat das RG 399 die Bezirksprovision versagt in einem Falle, im welchem der Unternehmer, der in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten war, Notverkäufe zur außergerichtlichen Schuldenabwicklung abgeschlossen hatte. Hierbei muss es sich um einen Ausnahmefall handeln. An die Bezirksvertreterprovision mögen sich Unternehmer häufig nicht erinnern, wenn die Geschäfte gut laufen. Dann werden Direktgeschäfte am HV vorbei getätigt, was als Vertragsverletzung 400 nicht nur zur Provisionspflicht, sondern auch zu Ansprüchen aus §§ 826, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB führt. (3) Höhe der Provision. Angaben zur Höhe des Provisionssatzes muss der Vertrag nicht beinhalten. § 87b gilt auch hier. Im Zweifel gibt die vereinbarte Höhe der Folgeprovision als ähnlich kausalitätsunabhängige Vergütung ein Indiz für die Höhe der gewollten Bezirksvergütung, hilfsweise die Höhe des für die Vermittlung vereinbarten Provisionssatzes 401. Mangels abweichender Vereinbarung ist die Bezirksprovision für Geschäfte mit sämtlichen als Abnehmer in Betracht kommenden potentiellen Kunden des zugewiesenen Bezirks oder Kundenkreises zu gewähren, unabhängig davon, wer diese Kunden geworben hat 402 und ob es sich um Endabnehmer, Zwischenhändler oder weiterverarbeitende Betriebe handelt 403, sofern nicht einzelne Kunden oder Personengrup395 396 397

398 399

Küstner/Thume I, Rn 794. Küstner/Thume I, Rn 794. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 52; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 95; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 35a. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 52. RGZ 140, 80.

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Küstner/Thume I, Rn 789. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 45; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 39. Schröder DB 1962, 378 (379); Ebenroth/ Löwisch § 87 Rn 44. OLG Nürnberg MDR 1982, 324 = VersR 1982, 1099.

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pen ausdrücklich ausgenommen wurden 404. Der tatsächliche Umsatz mit den geschützten Kunden im anspruchsbegründenden Zeitraum bleibt auch dann Bemessungsgrundlage der Provision, wenn der Unternehmer, seine Angestellten oder andere HV zu diesem Umsatz (wesentlich oder ausschließlich) beigetragen haben 405. ff) Schlechterfüllung der Bezirksbetreuung. Die Zuweisung des Bezirks oder des Kun- 119 denkreises verpflichtet den HV, dem zugewiesenen Bereich die besondere und kontinuierliche vertreterische Pflege angedeihen zu lassen 406 und seinen Teil der Gegenleistung zu erbringen (Rn 107), da nur diese besondere Betreuung eine Bezirksvertreterprovision rechtfertigt. Daraus folgt, dass der Bezirksvertreter diese Dienste auch tatsächlich erbringen muss 407. Die Nichterbringung führt aber nicht ipso iure zum Wegfall der Verpflichtung, Bezirksprovision zu leisten 408. Vielmehr entsteht ein Gegenanspruch des Unternehmers auf Schadenersatz, den er geltend machen und beweisen muss. Eine mangelnde Bezirksbetreuung kann auf Krankheit, Arbeitsunfähigkeit oder man- 120 gelnder Pflichterfüllung beruhen 409. Unsicher ist, welche Folgen sie hat. Teilweise wird davon ausgegangen, der Vertreter verliere gem. § 320 BGB 410, gem. 275, 323 BGB 411, §§ 162, 242 BGB 412 oder im Wege der Aufrechnung mit einem Schadenersatzanspruch nach § 280 BGB den Anspruch auf Bezirksprovision 413. Dabei soll die Einrede des nicht erfüllten Vertrages dem Provisionsanspruch nur entgegengehalten werden können, wenn der Bezirksvertreter jedwede Tätigkeit unterlassen hat, nicht aber schon dann, wenn dessen Bemühungen nicht ausreichten. Da die Bezirksprovision eine einheitliche Gegenleistung für die vom HV geschuldeten Bemühungen bildet, ist eine Aufteilung der Gegenrechte nach Zeitabschnitten oder einzelne Kunden grundsätzlich unzulässig und willkürlich 414 und muss auch bei Untätigkeit des HV ausscheiden 415. Im Zweifel ist die Bezirksprovision zu leisten 416. Diese Zahlungspflicht entsteht generell, auch im Falle einer von keiner Seite verschuldeten Verhinderung der Bezirksbetreuung, z.B. bei krankheitsbedingter Schlechterfüllung 417. Keine Zahlungspflicht tritt ein, falls der Unternehmer mit einem Schadenersatzanspruch aufrechnen kann (Rn 121), der Verschulden voraussetzt. Vertretenmüssen wäre weder im Rahmen des § 320 BGB noch der § 162, 242 BGB ein anspruchsbegründender Umstand. Die schuldhafte Schlechterfüllung der Bezirksbetreuung ist eine Vertragsverletzung, 121 die gem. § 280 BGB zum Schadenersatz berechtigt 418, der allerdings – ggf. im Wege der Aufrechnung – geltend gemacht werden muss. Eine verschuldete Pflichtverletzung liegt auch nach lang anhaltender Erkrankung vor, sofern der HV nicht für die geeignete Wahrnehmung der Agenturgeschäfte durch einen Prokuristen oder sonstige Personen sorgt 419, was seine Vertragspflicht wäre. Der Unternehmer muss dann selbst für eine 404 405

406 407 408 409 410 411

Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 44. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 45; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 96; aA OLG Düsseldorf, NJW 1959, 52. OLG München NJW-RR 2003, 401 (402). Küstner/Thume I, Rn 799. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87 Rn 21. Küstner/Thume I, Rn 803. OLG Stuttgart BB 1970, 1112. Hiergegen OLG Braunschweig, Urt. v. 17.06.1993 – 2 U 36/93, NJW-RR 1994, 34 unter Bezugnahme auf BGH, Urt. v.

412 413 414 415 416 417 418 419

09.04.1964 – VII ZR 123/62, BGHZ 41, 292 (295); Röhricht/Graf v. Westphalen/ Küstner § 87 Rn 21. OLG Hamm NJW 1959, 677. OLG Nürnberg BB 1969, 933. BGHZ 41, 292 (295, 296); Ebenroth/ Löwisch § 87 Rn 7. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 7. OLG Stuttgart BB 1970, 1112. AA OLG Braunschweig BB 1993, 2113. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87 Rn 22. Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 38.

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anderweitige Betreuung des Bezirks Sorge tragen, möglicherweise die Interimsvertretung einem Vertreter des Nachbarbezirks übertragen, er wird diesem dadurch Provision oder Bezirksprovision schuldig. Eine vorübergehende Unterbrechung der Tätigkeit (Unfall, zeitweilige Erkrankung) oder eine nach Mahnung des Unternehmers nicht genügend sorgfältige Betreuung des Bezirks berührt den Anspruch auf die Bezirksprovision hingegen noch nicht 420. In der Bezirksprovision steckt ja stets ein Stück Abgeltung für vorgetane Arbeit. Andererseits verwirkt der HV den Anspruch auf die Bezirksprovision, wenn er der Weisung des Unternehmers, sich um ein bestimmtes Geschäft mit einem bezirkseingesessenen Interessenten angemessen zu kümmern, nicht nachkommt und der Unternehmer daraufhin gezwungen ist, das Geschäft direkt abzuschließen 421. Sperrt der Unternehmer dem Bezirksvertreter vertragswidrig den Bezirk, indem er ihm 122 die Tätigkeit unmöglich macht (Rundschreiben an die Kunden), so wird er dem HV nach § 280 BGB schadensersatzpflichtig; der Schadensersatz besteht mindestens in den entgehenden Bezirksprovisionen. Zudem schuldet der Unternehmer die Bezirksprovision für tatsächlich getätigte Geschäfte, die auf die „Sperrung“ oder mangelnde Information folgende Untätigkeit des HV kann ihm nicht vorgeworfen werden. Nach OLG Düsseldorf NJW 1959, 52 soll dann freilich der HV nur Anspruch auf diejenigen Provisionen haben, die sich bei normaler Betreuungsarbeit im Bezirk ergeben hätten; eine außergewöhnliche Steigerung durch einen zwischenzeitlich eingesetzten Nachfolgevertreter könne ihm nicht wohl zugute kommen. Dies ist eine Frage der Vertragsauslegung sowie des § 242 BGB. Der Unternehmer darf, wenn der Bezirksvertreter durch einen von dritter Seite verschuldeten Unfall ausfällt, nicht etwa vom Bezirksvertreter Abtretung der Ersatzansprüche gegen den Schädiger im Umfange der gezahlten Bezirksprovisionen verlangen: die Bezirksprovision ist auch unter diesem Gesichtspunkt tätigkeits- und unfall-unabhängig 422. Die nachhaltige Untätigkeit ermöglicht – auch ohne Verschulden, weil hier die Unzu123 mutbarkeit genügt – nach ergebnisloser Abmahnung (§ 314 BGB) eine außerordentliche Kündigung des Gesamtvertrages 423 und a maiore ad minus wohl auch eine eigentlich unzulässige Teilkündigung der Bezirksvertreterabrede. Erfolgt die Kündigung nicht wegen schuldhaften Verhaltens des HV, begründet die Teilkündigung einen Ausgleichsanspruch gem. § 89b. Seine Berechnung ist nicht unkompliziert, weil die verbleibenden Vorteile durch Tätigkeiten und Folgeprovision zu berücksichtigen sind. Am sinnvollsten ist die Berechnung auf der Basis der Bezirksprovision des letzten Vertragsjahres mit neu geworbenen Stammkunden und erweiterten Altstammkunden, abzüglich von Tätigkeitsprovisionen und Folgeprovisionen. Eine Schätzung nach § 287 ZPO wird zulässig sein, zudem ein Billigkeitsabschlag für die verbleibenden Vorteile infolge der Fortsetzung des Vertrages als „normaler“ HV-Vertrag.

124

gg) § 87 Abs. 2 S. 2: Provisionsvorrang des ausgeschiedenen HV. In gleicher Weise wie bei Abs. 1 S. 2 (s.o., Rn 97 ff) ist die Bezirksprovision insoweit ausgeschlossen, als sie einem ausgeschiedenen HV nach Abs. 3 zusteht. Auch insoweit zeigt sich der Vorrang des Provisionsanspruches des Vorgängers, was Ausdruck einer generellen Regel ist. Die Regelung bezieht sich hauptsächlich auf Fälle, in denen der ausgeschiedene Bezirksvertreter die Vermittlung eines Geschäfts durch persönliche Tätigkeit bis zu seinem Ausscheiden überwiegend gefördert hatte und unter der Ära seines Nachfolgers in der Bezirksvertretung der Unternehmer das Geschäft direkt abschließt. Dann soll die Provision nicht dem Nachfolger als Bezirksprovision zustehen, sondern nur dem Vorgänger als Tätigkeits420 421 422

BGHZ 41, 292 (295); BGH BB 1970, 1112. OLG Hamm NJW 1959, 677. BGHZ 41, 292.

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Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87 Rn 22.

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provision nach Abs. 1 S. 1, 1. Alt. (würde der Nachfolger sich in der Endphase in die Vermittlung persönlich eingeschaltet haben, stünde ihm die Provision gleichfalls nicht zu). Denkbar sind aber auch Fälle, die so liegen, dass der früher tätig gewordene HV ein bezirklich nicht gebundener gewesen war oder dass der frühere HV in seinem Bezirk tätig geworden war und der Abschluss des Geschäfts infolge Umgliederung der Bezirke in den neu gebildeten Bezirk fällt. Diese letztere Fallgruppe der Bezirksumgliederung einschließlich des Bezirkstausches unterfällt ebenfalls der Regelung des Abs. 3; sie zeigt aber die Besonderheit, dass der früher zuständig gewesene und als solcher tätig gewordene Bezirksvertreter, dem nur im Fall einer überwiegend gewordenen Beteiligung an den Vermittlungsbemühungen die Provision nach Abs. 3 zustünde, immer berechtigt (wenn auch nicht verpflichtet) bleiben muss, trotz des Zuständigkeitswechsels die alte Vermittlung zu Ende zu führen. Überall gilt: Wo schon der Nachfolger trotz eigener Tätigkeit die Provision im Verhältnis zum Vorgänger und angesichts dessen überwiegender Vorarbeiten nicht mehr soll verdienen können (Abs. 1 S. 2), kann ihm die Provision angesichts einer solchen Vorarbeit des Vorgängers erst recht nicht als reine Bezirksprovision zufallen. Hingegen kommt er in den Genuss der Provision als Bezirksprovision, sobald die Voraussetzungen eines Vorrangs des Vorgängers nach Abs. 3 nicht gegeben sind und der Vorgänger damit als provisionsberechtigt überhaupt ausfällt. e) Alleinvertreter. Die Steigerung des Bezirksvertreterrechts bildet die Übertragung des 125 Alleinvertretungsrechts, d.h. des Vertretungsrechts unter Ausschluss von Direktgeschäften des Unternehmers (dazu § 84 Rn 95 ff). Die Einräumung einer Bezirksvertretung bedeutet noch nicht die Einräumung eines Alleinvertretungsrechts für den Bezirk 424 sondern muss zumindest stillschweigend und hinreichend deutlich vereinbart werden 425. Beweispflichtig hierfür ist derjenige, der sich auf die Absprache beruft. Umgekehrt muss der Alleinvertreter nicht immer Bezirksvertreter sein, ist es jedoch meist. Der geschützte Kundenkreis ist dem HV provisionsmäßig, nicht rechtlich vorbehalten 426: der Kundenschutz des Bezirksvertreters bedeutet nur, dass alle Abschlüsse mit bezirksansässigen Kunden für den Bezirksvertreter provisionspflichtig sind, gleich wie diese Abschlüsse zustande gekommen sind. Jedoch darf der Unternehmer bei vertraglicher Zuweisung eines Bezirkes den HV nicht einfach in einen anderen Bezirk versetzen, etwa in Form des Rotationsvertriebs 427. Alleinvertretungsrecht besagt darüberhinaus, dass der Inhaber dieses Rechts die Befugnis haben soll, Abschlüsse in dem Alleinvertretungsbezirk ausschließlich tätigen zu dürfen. Der Unternehmer darf, sofern ihm dies nicht vorbehalten wurde, nicht selbst 428 oder durch andere Mittler im Bezirk tätig werden 429. Interessenten hat er an den Alleinvertreter zu verweisen, während er im Falle des schlichten Bezirksvertretervertrages auch selbst abschließen kann und lediglich dem Vertreter provisionspflichtig wird. Der Verstoß gegen ein dem HV eingeräumtes Alleinvertriebsrecht begründet einen Provisionsanspruch nach Abs. 2, wenn der Alleinvertreter zugleich Bezirksvertreter ist, sowie auf Schadensersatz nach § 280 BGB, falls dem HV ein weitergehender Schaden entstanden ist 430. Die Bezeichnung „Generalvertreter“ im Vertrag deutet noch nicht ohne weiteres auf Einräu424

425 426

Schröder BB 1962, 738 (739); Peterek BB 1966, 351; Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 41; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 31d; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87 Rn 22; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 80. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 41. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 41; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87 Rn 22.

427 428 429 430

Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 15. AA Eberstein, S. 52: Eigene Tätigkeit des Unternehmers gestattet. Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 30d. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 41; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 80 und 81.

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mung des Alleinvertretungsrechts im vorstehenden Sinne hin 431. Insbesondere Vertragshändler werden oft einem Alleinbezugsrecht unterworfen. Dieses ist, sofern der Vertragshändler nicht durch die Bagatellbekanntmachung freigestellt ist, gemäß Art. 5 lit. a GVO 2790/99 nur für einen fünfjährigen Zeitraum freigestellt 432. Wird der Händler einem Alleinbezugsrecht unterworfen, so muss ihm als Gegenleistung nicht zwingend Exklusivität zugesichert werden. Dies folgt bereits daraus, dass ein HV wegen der ihm obliegenden Interessenwahrungspflicht bereits kraft Gesetzes einem Wettbewerbsverbot unterliegt, welches einer Alleinbezugsverpflichtung nahe kommt, ohne dass er deshalb notwendigerweise Alleinvertreter sein müsste. Auch mittels AGB können Alleinbezugsrechte begründet werden, ohne dass diese Klausel unwirksam wäre, weil sie nicht mit einem Alleinverkaufsrecht verbunden ist. Das Alleinvertriebsrecht kann – muss jedoch nicht – im Synallagma zu einem Wettbewerbsverbot des HV stehen. Endet das Wettbewerbsverbot des Mittlers, etwa aufgrund von Vereinbarungen, Zeitablauf oder kartellrechtlicher Unzulässigkeit (Art. 5 lit. a GVO 2790/99) 433, kann vereinbart werden, dass auch das Alleinvertriebsrecht endet.

126

f) Nachvertragliche Provision (§ 87 Abs. 3)

aa) Überblick. Zum Regeltatbestand des Provisionsanspruchs gehört, dass der Abschluss des Geschäfts in die Vertragszeit des HV fällt. Deshalb müsste der Provisionsanspruch des HV entfallen, wenn er das Geschäft zwar angebahnt hat, jedoch vor Abschluss desselben durch den Unternehmer – oder vor Abschlussreife, soweit der HV als Abschlussvertreter selbst hätte abschließen können – das Vertretungsverhältnis endet. Diesem Ergebnis, wie es dem Rechtszustand vor der HV-Novelle 1953 entsprach 434 war eine Prämie für allerdings schon gemäß §§ 162, 242 BGB unzulässige Verschleppungstaktiken des Unternehmers. Ihm wird durch Abs. 3 vorgebeugt. Sofern der HV seinen Teil, und zwar den überwiegenden, an dem demnächstigen Zustandekommen des Abschlusses geleistet hatte, soll ihm der Lohn hierfür verbleiben; er wird so gestellt, als sei der Abschluss noch in der Zeit seines Vertragsverhältnisses erfolgt. Mit dieser Maßgabe wird ihm die Provision belassen. Ihr endgültiges Schicksal entscheidet sich allerdings erst durch die Entwicklung nach dem Ende des Vertragsverhältnisses. Ausnahmsweise kann der ausgeschiedene HV also Provision verdienen, wenn der Vertretervertrag bereits beendet war. Diese nachvertragliche Provision ist in § 87 Abs. 3 geregelt. Fälle, in denen dies relevant werden könnte, sind etwa die Vermittlung eines Geschäftes durch den Vorgänger, falls das Geschäft für den Nachfolger ein Bezirksgeschäft darstellt oder der Nachfolger ebenfalls Tätigkeitsprovision verdient hat. Da § 87 Abs. 3 Nr. 1 ausdrücklich eine „Tätigkeit“ des HV voraussetzt, wird dem Bezirksvertreter keine nachvertragliche Provision geschuldet, es sei denn, er hat eine derartige Tätigkeit erbracht 435. Gemäß § 87 Abs. 3 erhält der HV für ein Geschäft, welches erst nach Beendigung des 127 HV-Vertrages abgeschlossen worden ist, nachvertragliche Provision, sofern er das Geschäft vermittelt oder es eingeleitet und so vorbereitet hat, dass der Abschluss überwiegend auf seine Tätigkeit zurückzuführen ist, und das Geschäft innerhalb einer angemessenen Frist nach Vertragsende abgeschlossen worden ist oder vor Vertragsende das Angebot des Kunden zum Abschluss des Geschäftes, für welches dem Vertreter Tätigkeits-, Folge- oder Bezirksprovision zusteht, zugegangen ist. Jedoch steht der Provisions-

431 432 433

BGH NJW 1970, 1040. Emde WRP 2005, 1492. Siehe Emde WRP 2005, 1492.

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434 435

RGZ 78, 252 ff. Küstner/Thume I, Rn 883.

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anspruch gem. dem letzten Satz des Abs. 3 ausnahmsweise (Beweislast!) dem nachfolgenden HV anteilig zu, wenn wegen besonderer Umstände eine solche Teilung der Billigkeit entspricht. Um zu verhindern, dass der Unternehmer wegen Abs. 3 sowohl an den Nachfolger wie den Vorgänger zahlen muss, regeln § 87 Abs. 1 Satz 2 und § 87 Abs. 2 Satz 2 einen in Wechselwirkung mit Abs. 3 stehenden Provisionsausschluss. Der Nachfolgevertreter erhält keine Provision, sofern dem ausgeschiedenen Vertreter nach § 87 Abs. 3 nachvertragliche Provision zusteht. Das Gesetz unterstellt also die Priorität des Provisionsanspruchs des Vorgängers. Die nachvertragliche Provision scheint in der Wechselbeziehung von ausscheidendem 128 HV und Nachfolgevertreter zu stehen. Dem leisten die Bestimmungen in Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 S. 2 Vorschub. Gleichwohl ist es nicht richtig. Abs. 3 setzt nicht voraus, dass ein Nachfolger die bis dahin überwiegend geleistete Arbeit eines Vorgängers fortsetzt und zu Ende führt. Das wird zwar oft der Fall sein – und eben hierauf bezieht sich die Regelung in Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 S. 2 –, aber es muss nicht so sein. Der Unternehmer kann sich entschließen, die weitere Vorbereitung des Abschlusses selbst in die Hand zu nehmen, auch ohne einen Nachfolger zu bestellen. Er kann einen Angestellten hiermit betrauen. Das Unternehmen kann gleichzeitig mit dem Ausscheiden des HV zum Erliegen kommen, der Vertrieb eingestellt werden und ein Liquidator oder Insolvenzverwalter das Geschäft endgültig zum Abschluss bringen. Auch dies sind Fälle des Abs. 3, in denen der ausgeschiedene HV, wenn er die überwiegende Vermittlungsarbeit geleistet hatte, demnächst die nachvertragliche Provision erhält. Übrigens kann auch ein Abschlussvertreter in ihren Genuss kommen, falls er die Vermittlungsarbeit überwiegend geleistet hatte, es aber nicht mehr zu dem ihm an sich gestattet gewesenen Abschluss gekommen ist. bb) Zweck. Der nachvertragliche Provisionsanspruch wird gewährt, weil der Vertre- 129 ter bis zum letzten Tag des Vertrages seine Hauptpflicht zur Vermittlung sowie die Nebenpflichten zu erfüllen hat. Da kaum wahrscheinlich ist, dass alle Geschäfte, für die der Vertreter durch seine Tätigkeit seine Pflicht erfüllt hat 436, ohne die Sonderregel des § 87 Abs. 3 vor Vertragsende provisionspflichtig würden, hätte der Vertreter seinen Teil der synallagmatischen Pflicht erfüllt, ohne eine Gegenleistung zu erhalten. Das soll durch § 87 Abs. 3 verhindert werden. Auf der anderen Seite berücksichtigt die Vorschrift auch das Interesse des Unternehmers. Der Vertreter hätte nämlich kein Interesse an einer Tätigkeit vor Vertragsende, wenn er hierfür keine Gegenleistung erhielte. Daher wären bei nahendem Vertragsende die Geschäfte des Unternehmers und die Kontinuität des Kundenstammes gefährdet, eine Gefahr die § 87 Abs. 3 reduziert. Schließlich soll ausgeschlossen werden, dass der Unternehmer den Abschluss von Ge- 130 schäften in die Zeit nach Vertragsbeendigung hinauszögert, um den Provisionsanspruch zu umgehen 437, wobei jedoch ggf. die Rn 140 ff zeitliche Grenze eingreift, die dazu dienen soll, innerhalb angemessener Frist klare Verhältnisse zu schaffen 438. cc) Abgrenzung zur Überhangprovision. Der nachvertragliche Provisionsanspruch 131 nach § 87 Abs. 3, gelegentlich auch mit dem Begriff „unechte Überhangprovision“ gekennzeichnet, ist von der sog. Überhangprovision – „echte Überhangprovision“ – zu unterscheiden. Bei der Überhangprovision erfolgt der Geschäftsabschluss vor Ende des Vertretervertrages, die Ausführung des Geschäftes erst nach Beendigung des Vertreterver436 437

Küstner/Thume I, Rn 882. Küstner/Thume I, Rn 876; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 508.

438

Küstner/Thume I, Rn 877.

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trages. Hier war der Provisionsanspruch nach § 87 Abs. 1 oder Abs. 2 bereits (bedingt) entstanden; es hatte lediglich die Bedingung des § 87a hinzuzukommen, um ihn endgültig auszulösen. Das Ausscheiden des HV konnte ihm also den so begründeten Provisionsanspruch nicht mehr entziehen, vielmehr vollendete dieser sich durch Eintritt der Bedingung des § 87a ohne Rücksicht auf das Ausscheiden. Der ausgeschiedene HV hat lediglich die Bedingung abzuwarten, um den Provisionsanspruch geltend machen zu können. Das gilt hier auch für die Ansprüche des Bezirksvertreters, des Vertreters mit zugewiesenem Personenkreis und für die Ansprüche aus Nachbestellungen, falls die entsprechenden Abschlüsse als solche noch in der Vertragszeit geschehen sind. Nachvertragliche Provision wird also für ein gegenüber der Überhangprovision „späteres“ Geschäft gewährt, weil bei der nachvertraglichen Provision nicht nur die Ausführung des Geschäftes nach Vertragsende liegt sondern auch der Geschäftsabschluss selbst 439. Der Provisionsanspruch entsteht in den Fällen des Abs. 3 überhaupt erst nach Beendigung des Vertragsverhältnisses, er hängt also nicht „über“ 440.

132

dd) Erste Alternative der nachvertraglichen Provision: Tätigkeitsprovision nach Abs. 3 Nr. 1. Bei der Alternative des Abs. 3 Nr. 1 muss der HV das Geschäft vermittelt haben oder es eingeleitet und so vorbereitet haben, dass der Abschluss überwiegend auf seine Tätigkeit zurückzuführen und das Geschäft innerhalb einer angemessenen Frist nach Beendigung des Vertragsverhältnisses abgeschlossen worden ist. Ob nachvertragliche Geschäfte gem. § 87 Abs. 3 Nr. 1 provisionspflichtig sind, hängt daher von zwei Voraussetzungen ab, nämlich einer tätigkeitsbezogenen und einer zeitlichen 441.

133

(1) Tätigkeitsbezogene Komponente: überwiegende Vermittlung oder Einleitung und Vorbereitung. Abs. 3 S. 1 Nr. 1 hat eine tätigkeitsbezogene Provision zum Gegenstand. Vorausgesetzt wird, dass der ausgeschiedene HV persönlich tätig geworden ist. Die Überhangprovision soll dem HV den Lohn für persönliche Bemühungen um ein abschlussfähiges Geschäft sichern. Sie steht nicht zu dem Bezirksvertreter oder dem Vertreter mit zugewiesenem Kundenkreis aus nachträglich geschlossenen Geschäften, für welche nach Abs. 2 ohne Mitwirkung dieses HV Provision zu zahlen gewesen wäre 442. Sie steht auch nicht zu für Nachbestellungen, die gem. Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. ohne erneute Tätigkeit des ausgeschiedenen Vertreters folgeprovisionspflichtig gewesen wären und deren Abschluss in die Zeit nach seinem Ausscheiden fällt. Tritt an Stelle des ausgeschiedenen Vertreters ein anderer Bezirksvertreter, so fallen die Provisionsansprüche aus solchen Geschäften diesem zu, soweit sie getätigt werden zu einer Zeit, da der Vertrag mit dem Nachfolger in Kraft getreten ist. Die beiden Alternativen „vermitteln“ einerseits sowie „einleiten und vorbereiten“ 134 andererseits drücken ein Rangverhältnis aus. „Vermitteln“ ist die stärkste Form der Tätigkeit, „einleiten“ und „vorbereiten“ sind etwas weniger.

135

(a) Vermittelt. Vermittlung des Geschäfts ist das bei Ende des Vertragsverhältnisses durch Übermittlung des Angebots des Kunden 443 zur Abschlussreife gebrachte Geschäft, so dass nur noch die bindenden Vertragserklärungen von Kunde und Vertragspartner 439 440

Westphal Vertriebsrecht I, Rn 509. Hiergegen die 4. Aufl.: Der „Überhang“ könne sich genausogut darauf beziehen, dass der Abschluss nach Beendigung des Vertragsverhältnisses noch „hing“ und insofern ein Überhang einschließlich der Provi-

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441 442 443

sionschancen über die Vertragsbeendigung hinaus gegeben sei. Küstner/Thume I, Rn 874. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 110. Amtl. Begründung.

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ausstehen 444 – schon deshalb setzt Abs. 3 das Tätigwerden eines Nachfolgers nicht notwendig voraus. Vermittelt hat der HV ein Geschäft, sofern es im Wesentlichen nur noch der Annahme des von ihm herbeigeführten Vertragsangebotes bedarf, wobei auch hier Mitverursachung ausreicht 445. (b) Eingeleitet und vorbereitet. Der HV erhält auch dann nachvertragliche Provision, 136 wenn er das Geschäft „eingeleitet und vorbereitet“ hat. Da beide Begriffe durch das Wort „und“ im Gegensatz zu dem „vermittelt“ sowies „eingeleitet“ trennenden „oder“ verbunden sind, genügt weder einleiten noch vorbereiten allein. Das Einleiten muss durch ein Vorbereiten ergänzt werden. (c) Überwiegende Verursachung. Entscheidend ist das Wort „überwiegend“. Eine 137 überwiegende Verursachung muss sowohl bei der Alternative „Vermittlung“ wie der „Einleitung und Vorbereitung“ festzustellen sein. Allerdings wird sie entgegen der 4. Aufl. bei der Vermittlung regelmäßig vorliegen, weil der HV hierdurch seine Vertragspflicht erfüllt hat und die Leistung des Nachfolgers meist zurücktreten muss. Nur durch die überwiegende Tätigkeit rechtfertigt sich der Vorrang der nachvertraglichen Provision des Vorgängers vor dem Provisionsanspruch des Nachfolgers. Auch gleiche Mitverursachung im Verhältnis zu anderen Beteiligten ist nicht ausreichend 446. Rechnerisch gesehen muss der Verursachungsanteil des HV bei jedenfalls mehr als etwa 60 % liegen 447. Der Verursachungsanteil des HV hat die zusammengefassten Verursachungsbeiträge der nach ihm tätig Gewordenen, d.h. seines Nachfolgers, des Unternehmers, sonstiger Dritter, erheblich zu übersteigen, was durch einen Vergleich der zum Vertragsschluss führenden Gründe zu ermitteln ist 448. Besondere Bemühungen des Unternehmers oder Nachfolgers, den Kunden zum Vertragsschluss zu bewegen, dürfen nicht mehr erforderlich sein 449. Ob eine überwiegende Einleitungs- und Vorbereitungstätigkeit vorliegt, bestimmt sich nach der Verkehrsauffassung 450. Angesichts der weiten Definition der Vermittlung, bei der Mitursächlichkeit ausreicht, haben diese Alternativen heute nur noch einen geringen Anwendungsbereich. Abschlussreife des Geschäftes ist nicht erforderlich. Da kein Nachfolger bestellt zu werden braucht, um die nachvertragliche Provision 138 auszulösen, bezieht sich das „überwiegend“ als Vergleich darauf, dass der Abschluss im Gesamtbild der zu seiner Vorbereitung geleisteten Arbeit vorwiegend auf die Tätigkeit des ausgeschiedenen HV zurückzuführen ist. Das Ergebnis wäre z.B., dass die Provision, wenn es demnächst zum Abschluss gekommen ist, dem Nachfolger, gegebenenfalls einem Bezirksvertreter zufällt, nicht aber über Abs. 3 dem ausgeschiedenen HV. Der Versuchung, die – wiederum in dem Beispielfalle – für den Unternehmer darin liegen könnte, den Abschluss über das Ende des Vertragsverhältnisses mit dem Vorgänger hinauszuzögern, lässt sich mit einer analogen Anwendung des § 162 Abs. 1 BGB entgegentreten. Auch hier hat der Gedanke auszuscheiden, Abs. 3 stelle ab auf eine Provisionskonkurrenz zwischen dem ausgeschiedenen HV und einem für das gleiche Geschäft noch bis zum Abschluss tätig gewordenen Nachfolger, und im Verhältnis zu diesem müsse die Vermittlungstätigkeit des ausgeschiedenen sich als die überwiegende darstellen. Beispielsweise könnten die – beachtlichen – Vermittlungsbemühungen des ausgeschiedenen HV in 444 445 446 447 448

Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 30; Hopt § 87 Rn 41; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 45. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 512. Küstner/Thume I, Rn 885. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 30. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 30; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87 Rn 15;

449 450

MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 109; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 47a. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 30; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87 Rn 15. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 513.

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der Zeit seines Vertragsverhältnisses sich mit einer Aktivität des Unternehmers, der sich in die Anbahnung des Geschäfts zusätzlich und mit ebenso beachtlichem Aufwand eingeschaltet hatte, die Waage halten in einer Weise, dass dem Nachfolger nur noch ein unbedeutender Rest zu tun übrig geblieben war. Verglichen mit diesem hat der ausgeschiedene HV zwar überwiegend gearbeitet. Gleichwohl ist das hier nicht das Entscheidende. Fehlt eine überwiegende Verursachung wird wegen der verdrängenden Spezialität der § 87 ff meist auch ein Vergütungsanspruch aus § 354 ausscheiden 451. Ob eine stillschweigende Vergütungsabrede eingreift 452 ist Tatfrage. Eine überwiegende Einleitungs- und Vorbereitungshandlung liegt etwa vor 139 – bei einem Musterverkauf vor Vertragsbeendigung, der für den endgültigen Geschäftsabschluss aufgrund der gelieferten Muster nach Vertragsbeendigung ursächlich wird 453. Denn ein derartiger Musterverkauf ist von vornherein auf die Veräußerung größerer Mengen gerichtet. Der HV hat die Bestellungen durch den voraufgegangenen Verkauf der Muster so „überwiegend eingeleitet und vorbereitet“, dass ihm die Provision hieraus als nachvertragliche Provision zusteht 454. – Veranlassung der Listung der Produkte in einem Versandhauskatalog für die aufgrund der Bestellung der Versandhauskunden zustande gekommenen Geschäfte 455. – Veranlassung der Mitglieder eines Wirtschaftsverbandes, die Produkte eines vertretenen Unternehmens bevorzugt zu beziehen, für die hierdurch zustande gekommenen nachvertraglichen Geschäfte 456. – Falls der HV einen Rahmenvertrag vermittelt, auf dessen Grundlage der Unternehmer während der Laufzeit des Vertrages auf jeweilige Bestellung des Kunden liefert, ohne dass eine Bezugsverpflichtung bereits aus dem Rahmenvertrag besteht. Dann entstehen Provisionsansprüche erst auf Grund der jeweiligen Einzelbestellungen. Durch die Vermittlung des Rahmenvertrages erwirbt der HV noch keinsen Provisionsanspruch; dieser kann sich erst auf Grund der nachfolgenden Einzelbestellungen ergeben. Der HV erwirbt jedoch gemäß § 87 Abs. 3 Nr. 1 Anspruch auf Provision für die Geschäfte, die innerhalb einer angemessenen Frist nach Beendigung des Vertragsverhältnisses abgeschlossen wurden 457. In einem solchen Fall kann nach Beendigung des HV-Vertrages eine Frist von vier Jahren angemessen sein, innerhalb derer die auf Grund des Rahmenvertrages erfolgten Bestellungen einen Provisionsanspruch des HV nach § 87 Abs. 3 Nr. 1 auslösen 458.

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(2) Geschäftsabschluss innerhalb angemessener Frist (zeitliche Komponente). Als zeitliche Komponente muss die Vermittlung, Einleitung oder Vorbereitung zu einem Geschäftsabschluss „innerhalb angemessener Frist nach Beendigung des Vertragsverhältnisses“ führen 459. Die zeitliche Einschränkung soll ausweislich der Amtlichen Begrün451 452 453

454 455 456

AA Hopt § 87 Rn 41. Vgl. Hopt § 87 Rn 41. BGH BB 1957, 1087 = DB 1957, 1068; OLG Düsseldorf DB 1956, 376; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 513; Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 32; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87 Rn 15; Hopt § 87 Rn 41; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 109; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 47a. BGH BB 1957, 1087 = BGH DB 1957, 1068. Küstner/Thume I, Rn 888. OLG Düsseldorf HVuHM 1988, 298;

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458 459

LG Hamburg VersR 1991, 1240; Küstner/ Thume I, Rn 888. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 32; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 109; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 11a, 49a. OLG Koblenz, Urt. v. 26.04.2007 – 6 U 529/06, BeckRS 2007, 17218. Vgl. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 31; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87 Rn 16; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 111; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 48.

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dung zur raschen Abwicklung des Vertragsverhältnisses beitragen 460. Wieso freilich, verrät die Amtliche Begründung nicht: der ausgeschiedene HV hat auf den Gang der Dinge keinen Einfluss mehr, und der Unternehmer kann an der raschen Abwicklung nur deshalb, weil gerade sie die Provision noch dem ausgeschiedenen (und nicht etwa dem Nachfolger) zukommen ließe, nicht sonderlich interessiert sein. Auch hier kommt es auf die Umstände des Einzelfalls, Art, Inhalt und Bedeutung des Geschäfts, die Verkehrssitte und -anschauung sowie die Branchengebräuche an, welche Frist als angemessen anzusehen ist 461. Eine feste zeitliche Grenze fehlt 462. Wird das Geschäft üblicherweise schnell durchgeführt, so ist die angemessene Frist kürzer 463. Extreme sind auf der einen Seite der Thekenverkauf von Ware, etwa bei Tankstellenvertretern, und auf der anderen Seite die Vermittlung von Kfz-Verkäufen bei Kfz-Vertretern oder von Geschäftsabschlüssen über komplexe Anlagen mit erheblicher Planungszeit. Maßgebend ist das rechtswirksame Zustandekommen des Vertrags mit dem Kunden 464. Erfolgt der Geschäftsschluss unter einer auflösenden Bedingung, genügt der zeitige Abschluss. Das unter einer aufschiebenden Bedingung stehende Geschäft ist hingegen noch nicht wirksam zustandegekommen und reicht nicht 465. Bei einem schwebend unwirksamen Vertrag muss die Wirksamkeit noch binnen angemessener Frist eintreten, die Abgabe der Vertragserklärungen in angemessener Frist genügt auch hier nicht 466. Ausreichend ist es, wenn das Geschäft nach Insolvenz vom Insolvenzverwalter abgeschlossen wird 467. Beispiele: 141 • Der Abschluss über Saisonware darf nicht später als das Erscheinen der Muster für die neue Saison erfolgen 468. Bis dahin aber kann die Orderfrist ausgeschöpft werden. • Bei sofort lieferbarer Stapelware wird die Frist kürzer bemessen sein dürfen als bei der Lieferung einer Maschine mit Spezialanfertigung, für die schon der Abschluss eine längere Vorlaufzeit hat. • Für den Abschluss über die Erstellung einer Beregnungsanlage hat der BGH 469 einen Zeitraum von zwei Jahren noch als angemessen erachtet. Die Dauer der Frist kann auch vertraglich festgesetzt werden. • Der Vertrag betreffend die Fertigung einer Aktenförderanlage (Auftragswert 1 Mio. DM) rechtfertigte einen Zehnmonatszeitraum 470. • Im Falle der Einzelabschlüsse aus einem Rahmenvertrag wurde für den Provisions- 142 anspruch aus den Einzelverträgen eine vierjährige Frist als angemessen angesehen 471. Die Frist ist ab dem Datum der Beendigung des HV-Vertrages zu berechnen 472. Die Ansicht, derzufolge die Frist mit der letzten Vermittlungs- bzw. Vorbereitungshandlung 460 461

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463 464 465

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S. 24 der Amtl. Begründung. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 31; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87 Rn 16; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 111. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 31; Hopt § 87 Rn 43; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 87 Rn 111. Küstner/Thume I, Rn 890. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 31. Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87 Rn 14; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 11; aA Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 32. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 31. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 516.

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Westphal Vertriebsrecht I Rn 514; Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 31; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 111; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 48. Urt. v. 30.01.1964 – VII ZR 83/62, zitiert bei v. Gamm NJW 1979, 2492, unveröffentlicht; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 514. Der BGH nahm die Revision gegen das Berufungsurteil nicht an, siehe BGH, Beschl. v. 25.02.1977 – I ZR 84/76, zitiert bei von Gamm NJW 1979, 2492. OLG Koblenz, Urt. v. 26.04.2007 – 6 U 529/06, BeckRS 2007, 17218. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 515; Hopt § 87 Rn 43.

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beginnen soll 473, widerspricht dem Wortlaut des § 87 Abs. 3 474. So i.E. auch der BGH 475, wonach die „angemessene Frist“ nicht vor dem Ende des HV-Verhältnisses beginnen soll. Keine Begründung für die gegenteilige Ansicht sind die sog. gestorbenen Geschäfte, Vermittlungsbemühungen, die vor längerer Zeit zum Erliegen gekommen waren, von den Beteiligten als „gestorben“ betrachtet wurden, und auf die der Kunde später, kurz nach Ende des HV-Vertrages, unvermutet zurückkommt. Die nachvertragliche Provision soll dem HV nicht den Lohn für seine Bemühungen gegen die Gefahr absichern, dass er gerade und nur durch die Beendigung des Vertreterverhältnisses außerstande gesetzt werde, auf den weiteren Gang der Abschlussbemühungen Einfluss zu nehmen, so dass eine nachvertragliche Provision für das gestorben gewesene Geschäft nicht verdient sei. Die nachvertragliche Provision soll dem Vertreter vielmehr die Provision sichern, die er ohne das Vertragsende verdient haben würde. Das aber wäre auch im Falle des „gestorbenen“ Geschäfts der Fall, sofern der Kunde auf die früheren Vermittlungsbemühungen zurückkommt und deren Ursächlichkeit damit wieder aktiviert. Die zur Stützung der gegenteiligen Ansicht angeführte Entscheidung BGH DB 1957 1068 besagt nicht das, wofür sie zitiert wird 476. Sollte der Unternehmer die Annahme des Geschäfts verzögern, ist die Fristwahrung gem. §§ 242, 162, 826 BGB zu fingieren.

143

ee) Zweite Alternative der nachvertraglichen Provision: Angebotseingang vor Vertragsbeendigung (§ 87 Abs. 3 S. 2). Gemäß § 87 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 steht dem HV weiter nachvertragliche Provision zu, wenn das Angebot des Kunden zum Geschäftsabschluss vor Beendigung des HV-Vertrages beim HV oder Unternehmer zugegangen ist.

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(1) Zweck. § 87 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 soll verhindern, dass der Unternehmer ein Kundenangebot erst nach Beendigung des HV-Vertrages annimmt, um den Provisionsanspruch zu vermeiden 477. Die Regelung beruht auf Art. 8 lit. b EG-Richtlinie 1986 und wurde im Verlauf der Novelle 1989 Teil des § 87.

145

(2) Voraussetzungen. Der Provisionsanspruch gemäß § 87 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 setzt zunächst voraus, dass der HV nach § 87 Abs. 1 S. 1 oder Abs. 2 S. 2 Anspruch auf Provision besitzt, also die dort genannten TB-Voraussetzungen vorliegen. Nr. 2 gilt damit auch für Kundengeschäfte, für welche dem HV Folgeprovision nach Abs. 1 Satz 1 2. Alt. oder Bezirksprovision nach Abs. 2 zusteht 478. Dagegen ist nicht erforderlich, dass – wie gem. § 87 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 – das Geschäft innerhalb einer angemessenen Frist nach Beendigung des Vertragsverhältnisses geschlossen wird 479, wobei § 147 Abs. 2 BGB der Annahme Grenzen setzt. Allein maßgeblich ist der Zugang des verbindlichen Angebotes

473 474

475 476

So Küstner/Thume I, Rn 891. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 515; Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 31; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87 Rn 16; Hopt § 87 Rn 43; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 111; aA Schweizer/ Heldrich, WRP 1976, 25 (30 f). BGH DB 1957, 1068. Ihr Leitsatz könnte zwar dazu verleiten. Indessen war gerade dort die Überhangprovision für Saisonartikel ein Vierteljahr nach Ende des Vertreterverhältnisses beansprucht worden, so dass der Abschluss ebenfalls

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innerhalb dieser Frist erfolgt sein musste: das aber wäre gerade der Schulfall einer Wahrung der „angemessenen Frist“ gewesen. Küstner/Thume I, Rn 897; Ebenroth/ Löwisch § 87 Rn 33; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87 Rn 16a; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 104. Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87 Rn 16a; Hopt § 87 Rn 44; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 104. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 518.

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beim Unternehmer gemäß §§ 130 ff, 145 ff BGB vor Vertragsende, die Annahmeerklärung – deren rechtzeitige, fristungebundene Annahme dann Sache des Unternehmers ist 480 – aber bei Beendigung des HV-Vertrags noch aussteht und die Annahmefrist noch nicht verstrichen ist, andernfalls für einen nach § 150 Abs. 1 BGB zustandekommenden Kundenvertrag Nr. 1 eingreift 481. Auch hier reicht es aus, wenn das Angebot nach Vertragsbeendigung modifiziert angenommen wird 482, solange die Änderung nicht unter § 150 Abs. 2 BGB fällt 483. Willkürliche Modifikationen zur Umgehung des Provisionsrechts sind – wie auch sonst – gem. §§ 242, 162, 826 BGB unbeachtlich 484. Weitere Verhandlungen im Hinblick auf Einzelheiten vor Abschluss des Vertrages sind unschädlich 485. Ebenso wenig ist eine überwiegende Verursachung 486 oder überhaupt eine Verursachung 487 des Geschäfts durch den HV Voraussetzung. (3) Dispositivität. Die nachvertragliche Provision ist abdingbar 488. In der Praxis 146 geschieht das vielfach. Wird sie derogiert, ist sie daraufhin ausgleichsfähig nach § 89b (§ 89b Rn 383 ff). Die Beweislast für die Voraussetzungen der Ausnahmebestimmung des Abs. 3 trifft denjenigen, der sich auf sie beruft. ff) § 87 Abs. 3 S. 2: Provisionsteilung. (1) Überblick. Ausnahmsweise steht dem 147 nachfolgenden HV der Anspruch auf Provision nach Abs. 3 S. 2 anteilig zu, falls eine solche Teilung wegen besonderer Umstände der Billigkeit entspricht, etwa wenn der Abschluss des Kundengeschäfts auch auf die mitwirkende Tätigkeit des Nachfolgers zurückzuführen ist 489. § 87 Abs. 3 S. 2 spricht von der „Teilung“ der Provision. Das bedeutet nicht notwendig eine hälftige Teilung 490. Entsprechend dem Grad der Tätigkeit und der Verursachung kommen andere Teilungsmaßstäbe in Betracht 491. Die Diskussion zu § 426 BGB findet hier eine Parallele. Da das Gesetz vom Vorrang der Provision des Vorgängers ausgeht, wird der Vorgängervertreter in der Regel den größeren Anteil erhalten. Das ergibt sich gem. § 87 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 aus dem Gesetzeswortlaut, indem Anspruchsvoraussetzung wurde, dass das Geschäft „überwiegend“ auf die Tätigkeit des Vorgängervertreters zurückzuführen sein muss 492. Ist der Provisionsanspruch des Vorgängervertreters begründet, weil vor Beendigung des Vertragsverhältnisses das Angebot des Kunden zuging, bleibt die Teilung sogar meist ausgeschlossen, da es zum Abschluss nur noch der Annahme des Angebotes bedarf und keine Tätigkeit des Nachfolgevertreters entfaltet wird 493. Im Einzelfall kann eine andere Aufteilung gerechtfertigt sein, sofern der Nachfolger die Ausführung des Geschäftes betreuen muss 494. Bei der Vermittlungsprovision nach Abs. 1 S. 1 kann eine Teilung nur in Betracht kommen, wenn trotz der als TB-Voraussetzung vorgesehenen überwiegenden Herbeiführung des Kundenvertrags durch den ausgeschiedenen HV (Abs. 3 Satz 1 Nr. 1) die Mitursächlichkeit der Tätigkeit des Nachfolgers so erheblich ist, dass ein völliger (weit480

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Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 33; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 105. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 33. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 519; Hopt § 87 Rn 45. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 33. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 33; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 105; wohl auch Heymann/Sonnenschein/ Weitemeyer § 87 Rn 16a.

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Küstner/Thume I, Rn 899. Küstner/Thume I, Rn 898. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 33. OLG Nürnberg BB 1963, 203. Genzow in: Ensthaler, § 87 Rn 24. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 523. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 523. Küstner/Thume I, Rn 901; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 523. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 523. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 523.

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gehender) Ausschluss einer Vergütung für ihn der Billigkeit widerspricht 495. Entscheidend sind auch hier sämtliche Umstände des Einzelfalls 496. Mitverursachende Beiträge des Unternehmers, seines Personals oder Dritter sind dem Nachfolger bei der Billigkeitsprüfung nicht zuzurechnen 497. Zugunsten der Bezirksprovision nach Abs. 2 S. 1 bleibt für eine Billigkeitskorrektur regelmäßig kaum Raum, weil die Bezirksprovision ohne konkrete Vermittlungstätigkeit verdient wird und der Ausgeschiedene nur unter den engen Voraussetzungen des Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 – mithin der vollständigen Vorbereitung des Kundengeschäfts während seiner Vertragszeit – Anspruch auf eine „nachvertragliche“ Bezirksprovision erwerben kann 498.

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(2) Beweislast und Zweck: Aus dem Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen den normalen Provisionstatbeständen der Abs. 1, 2 sowie Abs. 3 S. 2 folgt die Beweislast: Wer sich auf die Ausnahmebestimmung 499 des Abs. 3 S. 2 beruft, muss den Beweis der Ausnahme führen. Ihrem Zweck nach soll die Regelung einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen des ausgeschiedenen HV und dessen Nachfolger ermöglichen 500, präziser: eine Billigkeitskontrolle.

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gg) Allgemein: Provisionskollisionen. Daneben können Provisionskollisionen aber auch zwischen Vertretern desselben Vertriebssystems eintreten, von denen keiner ausscheidet. Hierin liegt ein stark umstrittenes Problem. Provisionskollisionen können nur eintreten, wenn jeder der beteiligten HV seine Tätigkeit im Verhältnis zum Unternehmer befugt entfaltet hat. Es scheiden etwa Fallgegebenheiten aus, in denen ein Bezirksvertreter sich unzulässigerweise außerhalb seines ihm zugewiesenen Bezirks oder Kundenkreises oder des ihm zur Vertretung ausschließlich zugewiesenen Sortiments vermittelnd betätigt hat. Beispiele bilden das Zusammenwirken mehrerer HV bei der Herbeiführung eines 150 Geschäftes 501, z.B. Mitursächlichkeit bei der Herbeiführung des Geschäftsabschlusses 502. Oder der Unternehmer lässt eine Mehrzahl nicht bezirklich oder ressortmäßig gebundener HV konkurrierend tätig werden. Auch kann die Tätigkeits- oder Bezirksprovision des einen Vertreters für den anderen ein Folgegeschäft darstellen, da er den Kunden vorher für Geschäfte der gleichen Art geworben hatte. Die Bezirksprovision eines Vertreters mag die Tätigkeitsprovision eines anderen darstellen 503. So kann etwa auf einem Messestand des Unternehmers ein Vertreter Geschäfte mit Kunden tätigen, die im Bezirk eines anderen Bezirkvertreters ansässig sind 504. Schließlich können Geschäftsabschlüsse mit Hauptniederlassung und deren Filialen ebenfalls zu Provisionskollisionen führen 505. Beispiele: (1) Der Unternehmer lässt neben einem Vertreter für den zugewiese495

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Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 36; Genzow in: Ensthaler, § 87 Rn 24; Hopt § 87 Rn 46; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 113. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 36; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87 Rn 16b; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 113. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 36; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87 Rn 16b; Hopt § 87 Rn 46. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 36. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 52.

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500

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Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 36; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 113. Siehe etwa KG BB 1969, 1062. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 525, zu regelungsbedürftigen Punkten siehe Küstner/Thume I, Rn 816. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 525. Siehe KG BB 1969, 1062 = HVR-Nr. 397; Küstner/Thume I, Rn 837 ff. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 526.

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nen Bezirk oder Kundenkreis auch bezirklich oder ressortmäßig nicht gebundene Vertreter tätig werden, und einer jener hat das Geschäft mit dem bezirksansässigen oder kundenkreiszugehörigen Kunden vermittelt. (2) In einem Konzern haben die verbundenen, rechtlich selbständigen Unternehmen unabhängig voneinander das gleiche Interesse an einem bestimmten Produkt, für das sie von je ihrem zuständigen Bezirksvertreter gewonnen worden sind; die Bestellungen erfolgen zentral durch das von der Konzernleitung dafür bestimmte Tochterunternehmen, welches seinen Sitz in dem Bezirk eines anderen Bezirksvertreters hat (das Beispiel lässt sich auch auf Filialunternehmen mit alleiniger Bestellzuständigkeit der Zentrale umdenken). Endlich können zwei nicht tätigkeitsgebundene Provisionsansprüche konkurrieren, nämlich solche aus Nachbestellungen mit Bezirksprovisionen. Beispiel: In dem Bezirk bzw. Kundenkreis eines hierfür eingesetzten Vertreters fallen Geschäfte mit bezirksansässigen oder kundenkreisgehörigen Kunden an, die sich als reine Nachbestellungen darstellen, nachdem der zugrundeliegende Erstauftrag von einem anderen, für diesen Bezirk (Kundenkreis) nicht zuständigen, aber damals zuständig gewesenen HV (Sitzverlegung des Kunden, nicht allerdings Bezirkswechsel des Vertreters), abgeschlossen gewesen war – Konkurrenz von Provisionsansprüchen aus Abs. 1 S. 1, 2. Alternative und aus Abs. 2 –. Den Nachbestellungen der letztgenannten Fallgruppe werden solche Bestellungen gleichzustellen sein, die i.S.d. Abs. 1 S. 1, 1. Alt. als noch unmittelbars ursächlich mit einer Stammorder zusammenhängend einzugruppieren sind. Braucht daraufhin der Unternehmer die Provision gleichwohl nur einmal zu zahlen 151 und muss die Provision zwischen den beteiligten HV geteilt werden, oder aber kann ein jeder von ihnen die volle Provision beanspruchen? Das Gesetz entscheidet die Frage nicht. Der BGH 506 hat inzident ausgesprochen, dass jedenfalls dem Bezirksvertreter die Provision aus einem Geschäft mit einem bezirkseingesessenen Kunden nicht deshalb gekürzt werden könne, weil noch ein anderer Vertreter bei dem Abschluss mitgewirkt habe. Das Gegenstück hierzu bildet die Entscheidung BGH VersR 1971 464: Wird ein Bezirksvertreter außerhalb seines Bezirks mit Zustimmung des Unternehmers tätig und vermittelt er ein Geschäft, so steht ihm hieraus auch die Provision für die Folgeaufträge zu, und zwar ungekürzt. Hält man beide Entscheidungen zusammen, so würde sich freilich ergeben, dass der BGH eine Doppelung des Provisionsanspruchs (des Bezirksvertreters und des „anderen“ Vertreters) als Konsequenz hinnimmt. Denkbar sind folgende Lösungswege: Zum einen kann jedem Vertreter der volle Pro- 152 visionsanspruch zustehen 507. Ebenso ist denkbar, dass die Provision nach Köpfen oder nach anderen Maßstäben aufzuteilen ist. Danach wäre die Provision unter den beteiligten HV aufzuteilen, wobei allerdings der Maßstab der Aufteilung schwer zu bestimmen ist. Begründet wird diese Ansicht mit einer analogen Anwendung des § 660 Abs. 1 S. 1 BGB, nach dem der Auslobende, wenn mehrere am Erfolg mitgewirkt haben, die Belohnung unter Berücksichtigung des Anteils eines jeden an dem Erfolg nach billigem Ermessen aufzuteilen hat 508. Auch an eine Analogie zu Abs. 3 S. 2 wäre zu denken. Eine generelle Regel dahingehend, dass der Gesetzgeber eine doppelte Provisions- 153 belastung des vertretenden Unternehmers vermeiden wollte, wird man Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 2 sowie Abs 3 nicht entnehmen können 509. Denn es handelt sich um Ausnahmen, die nicht verallgemeinert werden können. Eine dogmatische Begründung für eine Provisionsteilung lässt sich schwer finden. Genannt werden Billigkeitsgesichtspunkte 506 507

BGH DB 1957, 1222. Küstner/Thume I, Rn 812; Höft VersR 1967, 529; Knütel ZHR 144 (1980), 289 (295).

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Knütel ZHR 144 (1980), 289 (295). AA Küstner/Thume I, Rn 879.

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oder Treu und Glauben. Die Teilungslösung muss das Kriterium der Mitursächlichkeit eliminieren, und bei Mitbeteiligung einer Bezirksprovision sich darüber hinwegsetzen, dass diese als vertragliche Gegenleistung für die Betreuung des Bezirks gewährt wird. Ihre Vertreter operieren zwar gern mit § 87 Abs. 3: aus ihm ergebe sich, dass der Unternehmer die Provision bei Beteiligung mehrerer Vertreter nur einmal zu zahlen brauche. Das Argument ist jedoch aus mehrfachen Gründen nicht triftig. Zum einen stellt Abs. 3 vom Grundsatz her gar nicht auf die Provisionskonkurrenz zwischen mehreren HV ab 510. Nur im Ausnahmefall („wenn und soweit“, Abs. 1 S. 2 sowie Abs. 2 S. 2) ist eine Teilung der Provision zwischen Vorgänger und Nachfolger vorgesehen (Rn 158). Zum anderen gibt es ohnehin keinen Grundsatz, dass der Unternehmer bei Beteiligung mehrerer Geschäftsmittler stets nur einmal Provision zu zahlen habe: das Beispiel des ausgeschiedenen angestellten Reisenden, der ein Geschäft erfolgversprechend eingeleitet hat und dessen Bemühungen nach seinem Ausscheiden durch einen nunmehr eingesetzten HV zu Ende geführt werden, beweist es. Endlich würde die Heranziehung des § 87 Abs. 3 doch allenfalls soviel ergeben, dass der Unternehmer nur einmal zu leisten brauche, nicht aber, dass die Provision unter den mehreren HV zu teilen sei. Die Lage im Falle des § 87 Abs. 3 ist eine andere, als sie hier vorausgesetzt ist. Dort schließen, wenn ein Vorgänger und ein Nachfolger in der Vermittlung ein und desselben Geschäfts tätig geworden sind, beide in ihrem Tätigwerden aneinander an. Die Tätigkeit des Vorgängers ist abgeschlossen und überblickbar. Der Nachfolger weiß, dass ein Vorgänger bereits in der Angelegenheit gearbeitet hat und hat sich darauf einzustellen, unter Umständen ohne eigenen Provisionsanspruch die Vermittlung zu Ende zu führen. In den hier behandelten Fallgestaltungen ist entweder ein Bezirksvertreter mit einer Bezirksprovision beteiligt: deren Kürzung braucht er aus den oben angedeuteten Gründen ohnehin nicht hinzunehmen; und genau das hat der BGH 511 richtig gesehen. Oder aber es werden mehrere HV nebeneinander tätig. Vielfach wird keiner zuverlässig wissen, wie weit der andere schon mit seinen Bemühungen gediehen ist und bis zur Abschlussreife noch gedeihen wird. Möglicherweise weiß er nicht einmal, dass ein anderer Vertreter neben ihm tätig ist. Aber: jeder von ihnen trägt zum Erfolg ursächlich bei, in Gestalt einer nachwirkenden Ursächlichkeit auch bei Folgeaufträgen. Eine Ausnahme dahingehend, dass ihm daraufhin nur eine Teilprovision zustehe, hat das Gesetz nicht festgesetzt. Auch die Berufung auf § 420 BGB schlägt nicht durch; denn es ist ja gerade die Frage, ob die mehreren Vertreter zusammen „eine“ teilbare Leistung zu fordern haben; dieser bereits in der 3. Aufl. gebrachte Hinweis wird nicht widerlegt. Schließlich: Wie sollte auch, wenn § 420 BGB nicht anwendbar ist, ein zuverlässiger Verteilungsmaßstab gefunden werden? Nach dem Gesetz führt die Erfüllung der TB-Voraussetzungen der Provisionspflicht 154 grundsätzlich zum vollen Provisionsanspruch, auch sofern weitere HV für das jeweilige Geschäft ebenfalls Provision beanspruchen können 512. Es besteht volle „Provisionskonkurrenz“ 513. Eine Aufteilung der Provision unter mehreren HV wird – von der Ausnahme des Abs. 3 Satz 2 abgesehen – nicht vorgesehen, auch nicht durch Abs. 1 S. 2 oder Abs. 2 S. 2 514, obwohl bei der Novelle 1989 Gelegenheit zur Klarstellung bestanden 510 511 512

Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 43. BGH DB 1957, 1222. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 34; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 57; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 2a, 16a, 49, 61c; Westphal Vertriebsrecht I Rn 302; Maier BB 1970, 1327; Westphal BB 1991, 2027 (2028); krit. Hopt § 87 Rn 21;

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s.a. LAG Hamm BB 1993, 2236; Krüger DB 1964, 1399. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 34; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 89. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 57.

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hätte, falls eine Provisionsteilung dem gesetzgeberischen Willen entsprochen hätte 515. Es bedürfte daher einer gegenläufigen, aber fehlenden Regelung, damit man eine Teilung, d.h. eine Reduzierung, annehmen wollte. So hat auch der BGH 516 geurteilt, eine Provisionsteilung komme bei einem Bezirksvertreter nicht in Betracht. Ein Bezirksvertreter brauche an einem Vertragsschluss überhaupt nicht mitzuwirken und habe dennoch Anspruch auf Provision. Sie dürfe nicht gekürzt werden, nur weil ein anderer HV ebenfalls mitgewirkt habe. Der Unternehmer, der in solchen Fällen eine Mehrfachzahlung vermeiden will, hat es 155 in der Hand, dem durch vertragliche Abmachungen mit seinen mehreren HV vorzubeugen 517. Die Gefahr der Mehrfachzahlung mag hierfür ein heilsamer Zwang sein. Schon die Amtliche Begründung zu § 87 518 hat ihn auf diesen Weg gewiesen. Sie erbringt allerdings nur den gewünschten Erfolg, wenn der Unternehmer sie mit jedem seiner HV abschließt 519. Wird diese Folgerung nicht gezogen, so gilt: Das Mehrfachzahlen-Müssen ist das Risiko des Unternehmers, der sein Vertriebssystem nicht so gestaltet hat, dass Überschneidungen mit unerwünschten Folgen für die Provisionspflicht vermieden werden. Führt man den Gedanken ins Feld, nach Treu und Glauben müsste den mehreren Vertretern, die nebeneinander und um ihr Nebeneinander wissend sich bemühen, im Wege der Vertragsauslegung je die stillschweigende Einzelabrede unterstellt werden, mit einer Provisionsteilung einverstanden zu sein, so kann dieser im Einzelfalle greifen, läuft aber in seiner Verallgemeinerung auf gewagte Zweckkonstruktionen hinaus und schiebt die Folgen einer unterlassenen Vorsorge des Unternehmers für eine zweckmäßige Disposition seines Vertriebsnetzes allzuleicht auf die beteiligten Vertreter ab, zu Lasten des nach dem Gesetz zu beanspruchenden Lohnes ihrer Mühewaltung. Eine stillschweigende Teilungsabrede ist nur anzunehmen, wenn der Unternehmer die 156 Vertreter von vornherein und für jeden klar erkennbar in einem Vertriebssystem so einsetzt, dass mitursächliche Beiträge vom System her angelegt sind 520. Der Wille der Parteien muss aber so deutlich erkennbar sein, dass er eine regelmäßig erforderliche ausdrückliche (teilweise) Verzichtsabrede ersetzt. Zweifel gehen zu Lasten des Unternehmers. Allein der Umstand, dass das Vertriebsgebiet des Unternehmers in zahlreiche geschützte Bezirke aufgeteilt ist, reicht für die Annahme einer stillschweigenden Vezichtsvereinbarung nicht aus 521. Eine stillschweigende Teilungsabrede kann in den Fällen der Messegeschäfte vorliegen, bei denen ein HV Geschäfte mit Kunden aus dem Bezirk eines anderen Bezirksvertreters aufgrund der mehrseitigen Abrede zwischen Vertretern und Unternehmer tätigt, dass derjenige Vertreter, der gerade auf dem Messestand unbeschäftigt ist, den jeweiligen Interessenten bewirbt 522. Auch ausgleichsrechtlich hat der werbende Vertreter diesen Kunden als Neukunden geworben. Nach den Gutachten der IHK Düsseldorf 523 soll es im Bereich der Kammer jedoch üblich sein, dass Austellungs- und Messe-

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518 519

Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 34. BB 1960, 1250 = HVR Nr. 175. BGH, Urt. v. 11.07.1960 – VII ZR 225/59, BGHZ 33, 92 (96, 97) = NJW 1960, 1996; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 527; Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 34; Hopt § 87 Rn 22; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 87 Rn 55, 57; Maier BB 1970, 1327 (1328); Klinger DB 1957, 975. BT-Drs. Nr. 3856 S. 24. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 528.

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OLG Celle BB 1956, 61 (62); Knütel ZHR 144 (80) 295; Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 34; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87 Rn 20; Hopt § 87 Rn 21; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 56. Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 32a. Zu solchen Fällen Küstner/Thume I, Rn 837 ff. Urt. v. 01.09.1959, HVR-Nr. 228.

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aufträge einen Provisionsanspruch für den HV begründen, in dessen Bezirk der Kunde seinen Wohnsitz oder seine gewerbliche Niederlassung hat. Ein Gutachten der IHK Essen 524 kam zu dem Ergebnis, dass – sofern nichts Gegenteiliges vereinbart sei – der Provisionsanspruch davon abhänge, ob der Abnehmer im Bezirk des Bezirksvertreters sein Geschäftsitz habe. Arbeitet der vor dem Ausscheiden stehende HV seinen Nachfolger ein und überlässt ihm Vermittlungsaufgaben, soll im Zweifel stillschweigend vereinbart sein, dass der Nachfolger nur als Erfüllungsgehilfe für den Ausscheidenden tätig werden soll 525. Eine stillschweigende Regelung, dass dem Ausscheidenden alle Provisionsansprüche zustehen sollen, soll anzunehmen sein, wenn der Unternehmer dem Nachfolger für die Einarbeitungszeit eine zusätzlich zu der Provision des Ausscheidenden zu leistende feste Vergütung oder Erfolgsvergütung verspricht 526. Ist eine Teilung ausnahmsweise zulässig, erfolgt die Teilbarkeit nach Verursachungs157 beiträgen zum Geschäft, mangels Feststellbarkeit nach Köpfen, § 420 BGB 527. Hierbei handelt es sich jedoch um Evidenzfälle. Fehlt es an dieser Evidenz, kann die Teilung nicht aus § 420 BGB und auch nur in Ausnahmefällen aus § 242 BGB folgen 528.

158

hh) Rechtsfolgen. Wenn und soweit eine nachvertragliche Provision entsteht, verdrängt sie die etwaige Provisionsberechtigung eines anderen Vertreters, Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 2. Die Betonung liegt auf dem Wort „soweit“. Es lässt auch eine nur partielle „Teilverdrängung“, d.h. eine Provisionsteilung, zu, sollte sie angemessen sein. Der verdrängte HV kann sowohl ein gewöhnlicher Vertreter nach Abs. 1 sein (der dann bei der Vermittlung des Geschäfts sich gleichfalls betätigt hätte, etwa als Nachfolger-Vertreter), oder aber im Fall des Abs. 3 Nr. 2 ein Bezirksvertreter bzw. ein Vertreter mit zugewiesenem Kundenkreis nach Abs. 2 (namentlich sofern er den Bezirk bzw. den Kundenkreis von dem ausgeschiedenen Vertreter übernommen hat). Nur im ersteren Falle käme es darauf an, wessen Tätigkeit für den Abschluss überwiegend ursächlich geworden ist. Unabhängig hiervon und in beiden Fällen fällt die Provision dem Nachfolger zu, wenn der Geschäftsabschluss erst nach unangemessen langer Frist erfolgt oder es (aus welchen Gründen immer) an dem Merkmal „überwiegende Tätigkeit“ des ausgeschiedenen HV fehlt. Beansprucht der Nachfolger des Vertreters die dem Vorgänger nach Abs. 3 ausbezahlte Provision für sich, so kann er diesen Anspruch nur gegenüber dem Unternehmer, nicht gegen den Vorgänger selbst geltend machen.

159

ii) Derogation. § 87 Abs. 3 ist nicht zwingend. Die Parteien dürfen also Abweichendes vereinbaren. So können sie die Frist, in der der Geschäftsabschluss gemäß § 87 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 nach Vertragsbeendigung getätigt werden muss, bestimmen 529, ebenso die Frist, innerhalb derer das Angebot des § 87 Abs. 3 Nr. 2 eingehen muss. Die nachvertragliche Provision gem. § 87 Abs. 3 Ziffer 1 kann auf die Fälle der überwiegenden oder ausschließlichen Tätigkeit des Vertreters begrenzt werden 530. Schließlich darf die nachvertragliche Provision ganz ausgeschlossen werden.

160

g) Inkassoprovision (Abs. 4). Die Einziehung des von dem Kunden zu zahlenden Entgeltes gehört nicht zu den Aufgaben eines HV 531. Deshalb ist auch ein zum Geschäfts524 525 526 527 528

Urt. v. 29.01.1950, HVR-Nr. 19. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 34. Ahle DB 1964, 611; Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 34. Hopt § 87 Rn 21. Hopt § 87 Rn 21.

568

529 530 531

Küstner/Thume I, Rn 984; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 524. Küstner/Thume I, Rn 894. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 55; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87 Rn 27; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 50.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 87

abschluss bevollmächtigter Vertreter zum Inkasso grundsätzlich nicht verpflichtet oder befugt 532. Wird ihm jedoch ein besonderer Inkassoauftrag erteilt, so steht ihm für die auftragsgemäß eingezogenen Beträge Anspruch auf eine zusätzlich zur Provision nach Abs. 1–3 zu leistende, besondere Vergütung, die sog. Inkassoprovision zu. Das setzt eine hinreichend klare Verpflichtung des HV zum Inkasso voraus, für welche derjenige beweispflichtig ist, der sich auf die Vorteile der Vereinbarung beruft, mit der die Erteilung einer Inkassovollmacht verbunden ist 533. Der Inkassovertrag kann gegenständlich, räumlich, persönlich und zeitlich begrenzt werden. Er muss sich nicht auf Kunden des HV oder von ihm vermittelte Geschäfte beziehen 534. Eine stillschweigende Erteilung des Inkassoauftrages bzw. der -Vollmacht ist möglich, etwa durch wiederholte, widerspruchslose Entgegennahme der von den Kunden an den HV geleisteten Zahlungen 535, längere Zahlung einer Inkassoprovision, Aushändigung einer Quittung gemäß § 370 BGB oder durch Hinweise in den Bestellscheinen auf die Möglichkeit der Zahlung an den HV 536. Im Falle einer Genehmigung bisher vollmachtslosen Verhaltens des HV kommt es auf den Inhalt der Genehmigung an, ob diese auch für die Zukunft gelten soll, was im Zweifel auszuschließen ist 537. In Abwesenheit einer abweichenden Vereinbarung entsteht der Anspruch auf Inkasso- 161 provision, wenn und soweit der HV vertragsgemäß eine Inkassotätigkeit vornimmt 538, also spätestens mit der tatsächlichen Entgegennahme einer für den Unternehmer bestimmten Leistung 539. Die Höhe der Vergütung bemisst sich mangels besonderer Festsetzung nach §§ 87b, 87d 540. Bei eingezogenen Teilbeträgen ist ein entsprechender Teil der Provision zu zahlen 541. Die Inkassoabrede endet spätestens mit dem HV-Vertrag 542. Ein Anspruch auf In- 162 kassoprovision kann dann nicht mehr entstehen, selbst wenn noch nachhängende Vermittlungsprovisionen, etwa auf Grund von Sukzessiv-Lieferungsgeschäften aus der Vertragszeit, anfallen sollten. Ob die Abrede teilgekündigt werden darf, ist Auslegungsfrage. Regelmäßig ist eine Teilkündigung des HV-Vertrages unzulässig. Möglicherweise wird man angesichts des besonderen, mit dem Inkasso verbundenen Vertrauensverhältnisses eine Teilkündigung zulassen müssen 543, wobei die Ansprüche an den wichtigen Grund i.S.d. § 89a hier geringer liegen als bei der Kündigung des gewöhnlichen Vertrages.

T. Beweislast Jede Partei trägt die Beweislast für die für sie günstigen Voraussetzungen einer Norm. 163 Der HV als Anspruchssteller muss Grund und Höhe seines Provisionsanspruchs darlegen und beweisen. Es entspricht zwar nicht dem Idealbild der Prozessführung im Anwalts532 533 534

535 536 537 538

Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 55; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 51. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 55; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87 Rn 27. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 55; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 118; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 52. Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 8a. Schlegelberger/Schröder § 91 Rn 8b. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 55. Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 51.

539

540

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543

OLG Hamburg VersR 1963, 626; Ebenroth/ Löwisch § 87 Rn 56; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 50b. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 57; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87 Rn 27; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 118. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 56. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 117; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 51. Dafür Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 58.

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§ 87

1. Buch. Handelsstand

prozess, wenn wesentliche Details des Sachverhaltes, insb. Provisionsforderungen sowie deren Entfallen nach § 87a Abs. 3 durch Anlagen präsentiert werden, die die Parteien selbst gefertigt haben. Betreffen sie jedoch eine so große Anzahl von Einzelpositionen, dass es angebracht erscheint, keine ausführlichen schriftsätzlichen Darlegungen zu fordern und sind sie übersichtlich gestaltet, ist dies hinzunehmen 544. Vom gesetzlichen Regelfall abweichende Umstände muss beweisen, wer sich auf sie 164 beruft 545. Damit trägt der HV die Beweislast für folgende Umstände: – Entstehen seines Provisionsanspruchs; – Abschluss des Kundengeschäfts 546; – Beim Bezirksvertreter: Bezirksabrede und Kundengeschäft 547; – Folgegeschäft und Vorkauf sind im Grundsatz vom HV zu beweisen 548. Sobald der HV jedoch Erstgeschäfte mit bestimmten Kunden benannt und bewiesen hat, muss der Unternehmer konkret darlegen, dass die vom HV bezeichneten Kunden bereits vor Abschluss des fraglichen Geschäfts ganz bestimmte, im einzelnen bezeichnete, gleichartige Geschäfte mit ihm getätigt haben 549 und dies auch beweisen 550; – Ursächlichkeit der Vermittlungsbemühung für das Kundengeschäft i.S.d. Abs. 1 S. 1 1. Alt. Hierfür soll der Nachweis einer Tätigkeit reichen, die nach allgemeiner Erfahrung mitursächlich für einen solchen Abschluss sein kann 551. Dem Unternehmer obliegt der Gegenbeweis einer ernsthaften anderen Möglichkeit; – Für die TB-Voraussetzungen des Abs. 3 Satz 1 552 und 2 der jeweils anspruchsstellende HV; – Grund und Höhe der Inkassoprovision sowie vertragsgemäße Entgegennahme einer vom Inkassoauftrag erfassten Leistung 553; – Dass ein vom Unternehmer gezahlter Geldbetrag nicht auf einen erfolgsunabhängigen Provisionsanspruch geleistet und anzurechnen ist (zwh.) 554. Der Unternehmer trägt die Beweislast für folgende Tatsachen: 165 – Erfüllung; – Unwirksamkeit des Geschäfts 555; – Bedingter Abschluss des Kundengeschäfts; – Provisionsausschlusses nach Abs. 1 S. 2 oder Abs. 2 S. 2 556; – Gegenrechte aus § 320 BGB, falls der HV zuvor konkret Art und Umfang seiner Tätigkeit dargelegt hat 557; – Gegenrechte aus § 280 BGB. 544 545 546 547 548 549 550

551

OLG München, Urt. v. 24.05.2007 – 4 HKO 1124/00. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 63. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 63. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 63. Baumgärtel § 87 Rn 3; Schlegelberger/ Schröder § 87 Rn 23c. Baumgärtel § 87 Rn 3; Schlegelberger/ Schröder § 87 Rn 23c. AA (Beweislast insoweit beim HV) Baumgärtel § 87 Rn 3; Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 63; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 23c. Baumgärtel § 87 Rn 2; Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 63; MünchKommHGB/v. Hoynin-

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gen-Huene § 87 Rn 49, 50; Schlegelberger/ Schröder § 87 Rn 19b, 27. OLG Düsseldorf OLGZ 1999, 453; Baumgärtel § 87 Rn 5; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 47a. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 63. OLG Nürnberg BB 1964, 866; Baumgärtel § 87 Rn 1; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 2. Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 19b; aA Beweislast bei HV: Baumgärtel § 87 Rn 2. Baumgärtel § 87 Rn 3; Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 63. Baumgärtel § 87 Rn 4.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 87a

U. Steuerrecht Die Auszahlung eines Gewinns, den ein HV im Rahmen einer Wettbewerbsauslosung 166 seines Lieferanten erzielt hat, ist auch ohne Entgeltcharakter betrieblich veranlasst im Sinne der §§ 4 Abs. 4, 8 Abs. 1 EStG, selbst wenn die statistische Wahrscheinlichkeit auf einen Gewinn bei 1 : 16000 liegt 558.

§ 87a Entstehen und Fälligkeit der Provision (1) 1 Der Handelsvertreter hat Anspruch auf Provision, sobald und soweit der Unternehmer das Geschäft ausgeführt hat. 2 Eine abweichende Vereinbarung kann getroffen werden, jedoch hat der Handelsvertreter mit der Ausführung des Geschäfts durch den Unternehmer Anspruch auf einen angemessenen Vorschuss, der spätestens am letzten Tag des folgenden Monats fällig ist. 3 Unabhängig von einer Vereinbarung hat jedoch der Handelsvertreter Anspruch auf Provision, sobald und soweit der Dritte das Geschäft ausgeführt hat. (2) Steht fest, dass der Dritte nicht leistet, so entfällt der Anspruch auf Provision; bereits empfangene Beträge sind zurückzugewähren. (3) 1 Der Handelsvertreter hat auch dann einen Anspruch auf Provision, wenn feststeht, dass der Unternehmer das Geschäft ganz oder teilweise nicht oder nicht so ausführt, wie es abgeschlossen worden ist. 2 Der Anspruch entfällt im Falle der Nichtausführung, wenn und soweit diese auf Umständen beruht, die vom Unternehmer nicht zu vertreten sind. (4) Der Anspruch auf Provision wird am letzten Tag des Monats fällig, in dem nach § 87c Abs. 1 über den Anspruch abzurechnen ist. (5) Von Absatz 2 erster Halbsatz, Absätze 3 und 4 abweichende, für den Handelsvertreter nachteilige Vereinbarungen sind unwirksam.

Schrifttum Glaser Vergütungsfragen des Handelsvertreterrechts DB 1965, 297; Hans Die Provision des Handelsvertreters – insbesondere des Versicherungsvertreters – bei Nichtausführung des vermittelten Geschäfts BB 1957, 1060; Höft Der Provisionsanspruch des Handelsvertreters bei Nichtausführung des abgeschlossenen Geschäfts durch das vertretene Unternehmen DB 1960, 79; Schröder Gesetzlicher und vertraglicher Provisionsanspruch des Handelsvertreters BB 1963, 567; Sundermann Die Provision des Versicherungsvertreters bei Nichtausführung des vermittelten Geschäfts BB 1958, 542.

558

FG Niedersachsen, Urt. v. 13.02.2007 – 15 K 349/04, BeckRS 2007, 26023776.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 87a

U. Steuerrecht Die Auszahlung eines Gewinns, den ein HV im Rahmen einer Wettbewerbsauslosung 166 seines Lieferanten erzielt hat, ist auch ohne Entgeltcharakter betrieblich veranlasst im Sinne der §§ 4 Abs. 4, 8 Abs. 1 EStG, selbst wenn die statistische Wahrscheinlichkeit auf einen Gewinn bei 1 : 16000 liegt 558.

§ 87a Entstehen und Fälligkeit der Provision (1) 1 Der Handelsvertreter hat Anspruch auf Provision, sobald und soweit der Unternehmer das Geschäft ausgeführt hat. 2 Eine abweichende Vereinbarung kann getroffen werden, jedoch hat der Handelsvertreter mit der Ausführung des Geschäfts durch den Unternehmer Anspruch auf einen angemessenen Vorschuss, der spätestens am letzten Tag des folgenden Monats fällig ist. 3 Unabhängig von einer Vereinbarung hat jedoch der Handelsvertreter Anspruch auf Provision, sobald und soweit der Dritte das Geschäft ausgeführt hat. (2) Steht fest, dass der Dritte nicht leistet, so entfällt der Anspruch auf Provision; bereits empfangene Beträge sind zurückzugewähren. (3) 1 Der Handelsvertreter hat auch dann einen Anspruch auf Provision, wenn feststeht, dass der Unternehmer das Geschäft ganz oder teilweise nicht oder nicht so ausführt, wie es abgeschlossen worden ist. 2 Der Anspruch entfällt im Falle der Nichtausführung, wenn und soweit diese auf Umständen beruht, die vom Unternehmer nicht zu vertreten sind. (4) Der Anspruch auf Provision wird am letzten Tag des Monats fällig, in dem nach § 87c Abs. 1 über den Anspruch abzurechnen ist. (5) Von Absatz 2 erster Halbsatz, Absätze 3 und 4 abweichende, für den Handelsvertreter nachteilige Vereinbarungen sind unwirksam.

Schrifttum Glaser Vergütungsfragen des Handelsvertreterrechts DB 1965, 297; Hans Die Provision des Handelsvertreters – insbesondere des Versicherungsvertreters – bei Nichtausführung des vermittelten Geschäfts BB 1957, 1060; Höft Der Provisionsanspruch des Handelsvertreters bei Nichtausführung des abgeschlossenen Geschäfts durch das vertretene Unternehmen DB 1960, 79; Schröder Gesetzlicher und vertraglicher Provisionsanspruch des Handelsvertreters BB 1963, 567; Sundermann Die Provision des Versicherungsvertreters bei Nichtausführung des vermittelten Geschäfts BB 1958, 542.

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FG Niedersachsen, Urt. v. 13.02.2007 – 15 K 349/04, BeckRS 2007, 26023776.

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§ 87a

1. Buch. Handelsstand

Übersicht Rn A. Übersicht . . . . . . . . . . . . . . .

1–10

B. Genese . . . . . . . . . . . . . . . .

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C. Europarechtliche Präformation . . . .

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D. Geltungsbereich

. . . . . . . . . . .

13–14

E. Abs. 1 . . . . . . . . . . . . . . . . I. Satz 1 . . . . . . . . . . . . . . 1. Handelsvertreter . . . . . . . 2. Anspruch auf Provision . . . 3. Geschäftsausführung . . . . 4. Leistung durch Dritten . . . 5. Teilleistungen . . . . . . . . 6. Erfüllungssurrogate . . . . . II. Satz 2: Vorschuss . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . 2. Rückzahlung des Vorschusses III. Satz 3: Provision bei Ausführung durch den Dritten = Kunden . . .

15–37 15–27 15 16 17–22 23 24 25–27 28–32 28–30 31–32

F. Entfallen des Provisionsanspruches (§ 87a Abs. 2, 3) . . . . . . . . . . . I. § 87a Abs. 2: Nichtleistung des Kunden . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsatz und Reichweite . . 2. Verhältnis zu Abs. 3 . . . . . 3. Nichtleistung . . . . . . . . 4. Die Evidenz der Nichtleistung 5. Setzt das Feststehen der Nichtleistung eine Pflicht zur gerichtlichen Durchsetzung der Forderung voraus? . . . . . . . . . 6. Rückzahlung der Provision im Falle der Nichtleistung . . . . 7. Besonderheiten der Rechtslage, wenn das Endgültigwerden der Provision vertraglich an die Leistung des Dritten geknüpft worden war . . . . . . . . . II. § 87a Abs. 3: Nichtausführung durch den Unternehmer . . . . . 1. Verhältnis zu Abs. 2 . . . . . 2. Zweck . . . . . . . . . . . . 3. Die Regelungssystematik . . 4. Der Regelfall des Abs. 3 S. 1 . 5. Ganz oder teilweise nicht oder nicht so ausführt, wie es abgeschlossen worden ist = Nicht- oder Andersausführung . . . . . . . . . . . a) Erster Unterfall: Die Nichtausführung des Geschäfts durch den Unternehmer („nicht … ausführt“) . . . b) Zweiter Unterfall: Die nicht vertragsgemäße Erfüllung

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33–37 38–84 39–54 39 40–42 43 44–47

48 49

50–54 55–84 55 56–57 58–60 61

62–73

63–65

Rn des Geschäfts durch den Unternehmer („nicht … so ausführt“) . . . . . . . c) Feststeht . . . . . . . . . 6. Ausnahme: § 87a Abs. 3 S. 2: Keine Provision bei Nichtvertretenmüssen des Unternehmers . . . . . . . . . . . 7. Vertretenmüssen im Verhältnis Unter-/Hauptvertreter . . . . 8. Teilausführung des Geschäfts 9. Rückzahlungspflicht . . . . .

66–73 74

75–81 82 83 84

G. Fälligkeit der Provision (§ 87a Abs. 4)

85–86

H. Provisionsansprüche in der Insolvenz . I. Insolvenz des Unternehmers . . . 1. Eröffnung des Insolvenzverfahrens vor Vertragsschluss . 2. Vertragsschluss unterbleibt endgültig . . . . . . . . . . 3. Insolvenzverwalter schließt Vertrag ab . . . . . . . . . . 4. Verfahrenseröffnung nach Vertragsschluss . . . . . . . 5. Insolvenzverwalter lehnt Vertragsausführung ab . . . . . 6. Insolvenzverwalter wählt Erfüllung . . . . . . . . . . . . 7. Insolvenzeröffnung erfolgt nach Vertragsschluss und -durchführung . . . . . . . . 8. Insolvenzeröffnung nach vollständiger Vertragsabwicklung zwischen Unternehmer und Dritten . . . . . . . . . . . 9. Abschließende Betrachtung des Provisionsanspruchs im Insolvenzverfahren . . . . . 10. § 25 . . . . . . . . . . . . . II. Insolvenz des Handelsvertreters . III. Insolvenz des Kunden . . . . . . 1. § 87a Abs. 5: Zwingendes Recht und abweichende Vereinbarung . . . . . . . . . . a) Absatz 1 . . . . . . . . . b) Absatz 2 . . . . . . . . . c) Absatz 3 . . . . . . . . . d) Absatz 4 . . . . . . . . . 2. Beweislast . . . . . . . . . . a) Absatz 1 . . . . . . . . . b) Absatz 2 . . . . . . . . . c) Absatz 3 . . . . . . . . . d) Absatz 4 . . . . . . . . .

87–127 87–106

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 87a

A. Übersicht § 87a regelt, wann die Provisionsanwartschaft des § 87 zu einem endgültigen, nicht mehr aufschiebend bedingten Provisionsanspruch erstarkt. Das ist der Fall, wenn der Unternehmer das Geschäft ausführt (§ 87a Abs. 1 S. 1) 1. Etwas versteckt offenbart § 87 Abs. 1 S. 3, dass ein fester Anspruch darüber hinaus entsteht, sobald der Kunde („Dritter“) das Geschäft ausführt. Das Verhältnis von § 87 zu § 87a ist das von Grundlegung des Anspruchs und Liquidierbarkeit des Anspruchs. Der Begründungstatbestand des § 87 legt den Provisionsanspruch nach Grund und Berechnungsfuß fest. Das ist von Bedeutung, falls in der Zeit bis zum Eintritt der Bedingung, d.h. des den Anspruch zum unbedingten verfestigenden Tatbestandes des § 87a der Provisionssatz des HV-Vertrages geändert wird; die Änderung ergreift, sofern nichts anderes vereinbart wird, nicht die Provision aus dem bereits abgeschlossenen Geschäft. Die andere Auswirkung zeigt sich darin, dass die Provisionsberechtigung des HV für das während der Dauer des HV-Vertrages zum Abschluss gelangte Geschäft nicht dadurch beeinträchtigt wird, dass in der Zeit zwischen Abschluss und Ausführung das HV-Verhältnis endet: der Eintritt der Bedingung, die Ausführung des Geschäfts oder die Schaffung eines ihr gleichstehenden Ersatztatbestandes nach § 87a, macht ihn lediglich ab jetzt durchsetzbar und lässt damit die mit der Durchsetzbarkeit verbundenen Rechte und Pflichten der Beteiligten aus § 87c insoweit nachträglich wieder aufleben. Die Regelung, die § 87a im Einzelnen getroffen hat, ist verwickelt, und das noch ganz unnötig. Sie gibt für das Unbedingtwerden des Provisionsanspruchs in Abs. 1 zwei mögliche gestaffelte Anknüpfungen – die Ausführung des Geschäfts durch den Unternehmer und die Ausführung durch den Dritten –, von denen die erstere wirklichkeitsfremd ist und in der Praxis keine Rolle spielt. Dem muss eine differenzierte Regelung des Einflusses von Leistungsstörungen durch den einen oder den anderen Partner des Geschäfts auf den Provisionsanspruch entsprechen; das Ganze wird sodann noch zusätzlich kompliziert durch eine unterschiedliche Ausgestaltung der Abdingbarkeit. Erst § 87a Abs. 1 zeigt, dass der Provisionsanspruch mit Erfüllung der in § 87 geregelten Voraussetzungen noch nicht endgültig entstanden ist, sondern als weitere Voraussetzung die in § 87a Abs. 1 genannte Ausführung des Geschäftes durch den Unternehmer erfordert 2. § 87 ist insoweit missverständlich 3. Mit der in § 87a Abs. 1 niedergelegten Grundregel, dass der Provisionsanspruch endgültig entsteht, sobald und soweit der Unternehmer das Geschäft ausgeführt hat, hat es jedoch kein Bewenden. Gemäß § 87a Abs. 2 entfällt der Provisionsanspruch wieder, wenn feststeht, dass der Dritte nicht leistet („Hin und Her“). Bereits empfangene Beträge sind zurückzugewähren. Die Provision steht deshalb unter der aufschiebenden Bedingung der Ausführung des Geschäftes durch den Unternehmer (§ 87a Abs. 1, vorher nur Anwartschaft) und unter der auflösenden Bedingung des Feststehens der Nichtleistung durch den Dritten (§ 87 Abs. 2) 4. Nach § 87 Abs. 3 besitzt der HV auch dann einen Anspruch auf Provision, wenn feststeht, dass der Unternehmer das Geschäft ganz oder teilweise nicht oder nicht so ausführt, wie es abgeschlossen wurde. Der Anspruch entfällt im Falle der Nichtausführung nur, wenn und soweit jene auf Umständen beruht, die vom Unternehmer nicht zu ver-

1 2

BGH, Urt. v. 14.06.2007 – IX ZR 56/06, WM 2007, 1669 (1671, Rn 19). Hopt § 87a Rn 1.

3 4

Hopt § 87a Rn 1. BGH NJW 1990, 1665; Hopt § 87a Rn 1.

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§ 87a

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1. Buch. Handelsstand

treten sind. Anders gewendet: Hat der Unternehmer die Nichtdurchführung des Geschäfts zu vertreten, geht dies auf seine eigenen Kosten. Der HV erhält Provision als sei das Geschäft durchgeführt worden. Mit der Geschäftsausführung durch Unternehmer oder Kunden entsteht also der Provisionsanspruch, jedoch nur bedingt. Je nachdem, ob der Unternehmer oder der Kunde seine Leistung zuerst erbringt, ist zu unterscheiden5: – Führt der Unternehmer das Geschäft aus, entsteht der Provisionsanspruch unter der auflösenden Bedingung, dass der Dritte (Kunde) seine Leistung nicht erbringt 6. – Führt der Dritte (Kunde) das Geschäft aus, entsteht der Provisionsanspruch unter der auflösenden Bedingung, dass der Unternehmer seine Leistung erbringt. Unterbleibt die Geschäftsausführung aus Gründen, die der Unternehmer zu vertreten hat, entsteht hingegen ein unbedingter Provisionsanspruch des Vertreters 7. Die Nichtleistung des Dritten lässt mithin den Provisionsanspruch regelmäßig verfallen, während die Nichtleistung des Unternehmers den Provisionsanspruch nur auflöst, wenn er die Nichtausführung nicht zu vertreten hat 8. In allen Fällen – spätestens und insoweit unabdingbar – ist der Provisionsanspruch also entstanden mit der Leistung des Dritten (Abs. 1 Satz 3). Damit ist für den Unternehmer jener wirtschaftliche Erfolg eingetreten, dessentwegen er sich des HV bedient; nunmehr ist seine Provisionsschuld als unbedingte begründet (mag sie auch noch nicht fällig sein, Abs. 4). Die Tatsache der Leistung des Dritten entscheidet. Erbringt er sie vorzeitig, entsteht der Provisionsanspruch endgültig mit diesem Zeitpunkt, falls der Unternehmer die vorzeitige Erbringung nicht zurückweist und dazu berechtigt ist; weist er sie ohne triftige Gründe zurück, gilt der Provisionsanspruch über § 162 BGB als mit dem Leistungsanerbieten des Dritten unbedingt geworden und wäre damit durchsetzbar. Eine verspätete Leistung des Dritten lässt den Provisionsanspruch erst mit entsprechender Verzögerung endgültig werden. Einen Verzugszinsanspruch oder sonstigen Verzugsschadensanspruch kann der HV gegen den säumigen Kunden nicht herleiten, weil er zu ihm in keinem Vertragsverhältnis steht; doch kann der Unternehmer den Verzugsschaden seines HV als sogenanntes transitorisches Interesse gegen den Dritten geltend machen und der HV die Abtretung des dem Unternehmer insoweit zustehenden Anspruchs verlangen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass folgende Grundregel in § 87a Abs. 1 gebildet ist: Die Provision entsteht, wenn der Unternehmer oder der Kunde das Geschäft ausführt. Diese Grundregel gilt gem. § 87a Abs. 3 S. 1 sogar, falls das Geschäft ganz oder teilweise nicht so ausgeführt wird, wie es abgeschlossen worden ist. Die Ausnahmen von der Grundregel bilden die §§ 87a Abs. 2 und 87a Abs. 3 S. 2. Gemäß § 87a Abs. 2 entfällt als Ausnahme von der Grundregel der Provisionsanspruch, sofern der Dritte nicht leistet. § 87a Abs. 3 S. 2 lässt den Provisionsanspruch auch entfallen, wenn das Geschäft durch den Unternehmer nicht ausgeführt wird, ohne dass er dies zu vertreten hat.

B. Genese 11

§ 87a stammt als sogenannter „Buchstabenparagraph“ aus der Zeit der Novelle 1953. Durch die Novelle 1990 sind Abs. 1 S. 4 a.F. („Der Anspruch auf Teilprovision für ein nur teilweise ausgeführtes Geschäft kann ausgeschlossen werden, wenn vereinbart ist,

5 6

Westphal Vertriebsrecht I, Rn 531. Küstner/Thume I, Rn 956.

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7 8

Küstner/Thume I, Rn 926. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 532.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 87a

dass der Unternehmer dem Handelsvertreter Provision für das ganze Geschäft gewährt, sobald dieses in bestimmtem Umfange ausgeführt ist“) gelöscht worden. Abs. 3 S. 2 a.F. („Dies gilt nicht, wenn und soweit die Ausführung des Geschäfts unmöglich geworden ist, ohne dass der Unternehmer die Unmöglichkeit zu vertreten hat, oder die Ausführung ihm nicht zuzumuten ist, insbesondere weil in der Person des Dritten ein wichtiger Grund für die Nichtausführung vorliegt“) wurde neu gefasst sowie in Abs. 5 die Worte „Absatz 2 erster Halbsatz“ eingefügt und die Formulierung „können nicht getroffen werden“ durch die Worte „sind unwirksam“ ersetzt.

C. Europarechtliche Präformation § 87a setzt Art. 10 und 11 HV-Richtlinie um. Beide Normgruppen sind trotz unter- 12 schiedlicher Formulierungen inhaltlich weitgehend deckungsgleich 9. Aufgrund Art. 10 Abs. 1b und Art. 11 Abs. 1 2. Spiegelstrich HV-Richtlinie wurde § 87a Abs. 3 im Zuge der Novelle 1990 novelliert: Die Provision steht dem HV jetzt auch zu, wenn das Geschäft vom Unternehmer selbst vereitelt wurde.

D. Geltungsbereich § 87a gilt schon angesichts des nicht differenzierenden Wortlauts für alle Provisionen, 13 auch für die Verwaltungsprovisionen (Inkasso-, Lagerhaltungs-, Bestandspflegeprovisionen) und für die Delkredere-Provision 10. § 87a macht keinen Unterschied zwischen Vermittlungs- und Abschlussvertreter und auch keinen Unterschied zwischen den Provisionen, die tätigkeitsbezogen, und solchen, die es nicht sind (Bezirksprovisionen nach § 87 Abs. 2, Provisionen für Folgegeschäfte, § 87 Abs. 1 S. 1, 2. Alternative). Die Vorschrift gilt auch im Verhältnis von Haupt- und Untervertreter 11. Für Versicherungs- und Bausparkassenvertreter gilt die Sonderregelung in § 92 Abs. 4 und 5 12. Auf handelsvertreterähnliche Vertriebsmittler, etwa Kommissionsagenten 13, Vertrags- 14 händler 14 oder Franchisenehmer 15, ist § 87a nicht anwendbar. Der Rechtsgedanke des Abs. 3 gilt über §§ 162, 242 BGB aber im Recht vertreterähnlicher Vertriebsmittler dann, wenn der Unternehmer den Erfolg eines Geschäftes verhindert (i.Ü. § 280 BGB).

9 10

Siehe Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 56. OLG Karlsruhe BB 1980, 226 für bestimmte Treueprämien; aA OLG Schleswig VersR 1977, 1002; Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 5; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 5; 4. Aufl., § 87 Rn 3. Begründung der gegenteiligen Ansicht d. 4. Aufl.: Bei ihnen fehle das für die Vermittlungsprovision kennzeichnende Gefälle von bedingtem Entstehungstatbestand und unbedingt gewordener Durchsetzbarkeit. Diese Provisionsansprüche entstünden unter den vertraglich festgelegten Modalitäten; sie seien allenfalls für die Abrechnung befristet.

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14 15

BGH, Urt. v. 05.03.2008 – VIII ZR 31/07, ZIP 2008, 1081 = WM 2008, 923 = BB 2008, 1030 m. Anm. Hilgard; OLG Köln, Urt. v. 09.09.2005 – 19 O 174/04, VersR 2006, 71, so auch OLG Düsseldorf NJW-RR 1993, 1188 (1189); OLG Karlsruhe, Urt. v. 24.05.2005 – 8 U 288/04. BGH VersR 1983, 371; OLG Frankfurt VersR 1981, 480; 1986, 461. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 54; aA MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 5. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 54. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 54.

Raimond Emde

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§ 87a

1. Buch. Handelsstand

E. Abs. 1 I. Satz 1 15

1. Handelsvertreter. Anspruchsberechtigt ist der HV. Dazu § 84.

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2. Anspruch auf Provision. Gemeint ist jede Provision.

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3. Geschäftsausführung. Die Provision nach § 87a Abs. 1 S. 1 ist verdient, sobald und soweit der Unternehmer das Geschäft ausgeführt hat (aufschiebende Bedingung) 16, spätestens jedoch, wenn der Dritte das Geschäft ausführt (Abs. 1 S. 3; dazu unten). Der Begriff der Geschäftsausführung in beiden Sätzen ist, abgesehen von den notwendigen, durch den Vertrag vorgegebenen Unterschieden der Leistung durch den Unternehmer oder Kunden, identisch. Es bedürfte guter Gründe, so nah beieinander liegende, identische Begriffe unterschiedlich auszulegen. Der Vertrag mit dem Dritten (Kunden) regelt, was der Unternehmer wann und wie zu leisten hat 17. Entscheidend ist die Leistungshandlung, nicht der Leistungserfolg 18. So ist mit dem Absenden nach § 447 BGB bei einem Versendungskauf, der Übergabe der unter EV verkauften Sache oder der Herstellung des bestellten Werks das Geschäft ausgeführt 19. Bei der Geschäftsausführung durch den Unternehmer nach Abs. 1 S. 1 handelt es sich um eine Vorleistung. Doch ist diese Möglichkeit abdingbar (Abs. 1 S. 2). Ihre Abbedingung ist sogar die Regel; praktisch wird fast immer ausgemacht, dass die Provision mit der Leistung des Kunden zur Entstehung kommen soll. Kein Unternehmer wird die Provision ohne Not zuerkennen wollen, ehe er den Erfolg des vermittelten Geschäfts in Händen hat. Immerhin tritt, und dies wiederum unabdingbar, ein Anspruch auf Vorschuss in die Lücke. Ausführung bedeutet Erbringung der vertraglich geschuldeten Leistung, einerlei, wel18 cher Art sie ist, ob sie schon fällig ist, ob sie Mängel hat 20, es sich um eine unzulässige Teilleistung oder eine andersartige Leistung (aliud) handelt oder ob eine andere als die vertraglich bedungene Ware (vgl. § 378) geliefert wird. Bei solcher nicht vertragsgemäßer Leistung des Unternehmers liegt eine Ausführung des Geschäfts nach Abs. 1 S. 1 vor, falls der Dritte (= Kunde) die Leistung uneingeschränkt als Erfüllung annimmt 21. Dem ist gleichzusetzen der Tatbestand, dass der Dritte eine ihm obliegende kaufmännische Rüge (§ 377) verabsäumt und daraufhin die Gewährleistungsansprüche oder auf andere Weise Gegenrechte verloren hat. An der Ausführung fehlt es, wenn der Kunde die Leistung des Unternehmers berechtigt zurückweist, z.B. mangels Fälligkeit, als nicht vertragsgemäß oder als Teilleistung (§ 266 BGB) oder die Lieferung der i.S.v. § 378 anderen als der bedungenen Ware beanstandet – als Kaufmann im beiderseitigen Handelskauf mit unverzüglicher Rüge, als Nichtkaufmann auch ohne die scharfe Befristung – und daraufhin nicht zahlt, angeblich sogar wenn die Zurückweisung unberechtigt erfolgt 22 (in Wahrheit 16

17 18

19

BGH, Urt. v. 14.06.2007 – IX ZR 56/06, WM 2007, 1669 (1671) Rn 19; Hopt § 87a Rn 5. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 6. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 6; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer Rn 3; Hopt § 87a Rn 5; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 87a Rn 7. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 6; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 8; Schlegelberger/Schröder § 87a Rn 3.

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22

Hopt § 87a Rn 5. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 8; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 44, 45; HK-HGB § 87a Rn 2; aA Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87a Rn 3; Hopt § 87a Rn 5. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 8; Hopt § 87a Rn 5; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 87a Rn 9 für berechtigte Verweigerung.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 87a

liegt eine Ausführung vor und der Provisionsanspruch entfällt nur bei Nichtleistung des Kunden: der Provisionsanspruch des HV ist nicht mehr aus Abs. 1, sondern nunmehr aus Abs. 3 begründbar). Die Existenz von Gewährleistungs- oder Ersatzansprüchen schließt einen Provisionsanspruch nach Abs. 1 S. 1 solange aus, als jene durchsetzbar sind, der Kunde auf sie also nicht verzichtet hat, sie begründen bereits zu diesem Zeitpunkt einen Provisionsanspruch nach Abs. 3 23. Bei Dauerschuldverhältnissen, etwa Sparverträgen, ist schon der Beginn der Erfüllung 19 des Vertrages, etwa durch die Bank, als Ausführung i.S.d. § 87a Abs. 1 anzusehen 24. Bei einem Sukzessivlieferungsvertrag entsteht die Provisionsanwartschaft des Abs. 1 S. 1 mit der vereinbarungsgemäß erbrachten Einzellieferung. Bei einem Gebrauchsüberlassungsvertrag i.S.d. § 87 b Abs. 3 Nr. 1 liegt die Ausführung bereits in der ersten Gebrauchsüberlassung, nicht erst bei ihrem Abschluss zum Vertragsende 25. Das Vertragsende vor Abschluss eines vermittelten Dauervertrages berührt den Provisionsanspruch des HV i.S.d. Merkmals nicht, da die Ausführung i.S.d. § 87a mit dem Beginn des Vertrages abgeschlossen ist. Bei einem Dauervertrag mit unbestimmter Dauer erhält der Vertreter die Provision bis zu dem Zeitpunkt, zu welchem erstmals von dem Dritten gekündigt werden kann 26. Der Provisionsanspruch des echten Untervertreters entsteht, sobald und soweit der 20 Unternehmer (der Auftraggeber des Hauptvertreters) das vom Untervertreter vermittelte oder abgeschlossene Geschäft ausgeführt hat (§ 87a Abs. 1 S. 1). Er entfällt (auflösende Bedingung), wenn feststeht, dass entweder der Endabnehmer nicht an den Unternehmer zahlt oder der Unternehmer, mag er auch seinerseits vom Kunden Zahlung erlangt haben, den Provisionsanspruch des Hauptvertreters nicht erfüllt (§ 87a Abs. 2) 27. Damit entsteht der Provisionsanspruch des Untervertreters in gleicher Weise wie der Provisionsanspruch des Hauptvertreters gegen den Unternehmer durch Ausführung des Kundengeschäfts (Abs. 1 Satz 1), steht jedoch unter der auflösenden Bedingung der Zahlung des Unternehmers an den Hauptvertreter. Rechtstechnisch wäre es zwar korrekt, auf die Ausführung – Vermittlungsleistung – durch den Hauptvertreter als Vertragspartner des HV abzustellen, denn dieser ist für den Untervertreter „Unternehmer“ i.S.d. § 87a Abs. 1 (vgl. § 84 Abs. 3). Betrachtet man die Dinge jedoch wirtschaftlich, bleibt der Erfolg der Vermittlung erst gesichert, wenn der an der „Vermittlungsspitze“ stehende Unternehmer das Geschäft ausführt. Das wirtschaftliche Risiko des Hauptvertreters wäre bei einer gegenteiligen Ansicht zu groß. Aus dem Untervertretungsvertrag ist der Hauptvertreter gegenüber dem Untervertreter verpflichtet, seinen Provisionsanspruch gegen den Unternehmer im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren geltend zu machen und notfalls zwangsweise durchzusetzen. Bei zu vertretender Verletzung dieser Pflicht entsteht der Provisionsanspruch des Untervertreters (Abs. 3 S. 1 und 2 analog) 28. 23

24 25

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Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 6; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 45; HK-HGB § 87a Rn 2. OLG Frankfurt, Urt. v. 19.01.2007 – 4 U 34/06, NJOZ 2007, 1478 (1479). Küstner/Thume I, Rn 934; Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 6; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87b Rn 14; Hopt § 87a Rn 5; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 20. Hopt § 87b Rn 17; aA OLG Düsseldorf DB 1977, 817.

27

28

BGH, Urt. v. 20.06.1984 – I ZR 62/82, BGHZ 91, 370 = NJW 1984, 2881; OLG Düsseldorf NJW-RR 1993, 1188 = DB 1993, 733; LG Saarbrücken VersR 2000, 761; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87a Rn 3; Hopt § 87a Rn 5; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 21; aA es muss sowohl kumulativ Kundengeschäft wie – aufschiebende Bedingung – Leistung des Unternehmers an den Hauptvertreter vorliegen: Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 53. § 87a Rn 53.

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1. Buch. Handelsstand

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Der Provisionsanspruch entsteht auch, falls der nicht vorleistungspflichtige Unternehmer als erster leistet 29. Zahlt etwa der Kunde vor der Lieferung, entsteht der Provisionsanspruch aufgrund der Ausführung des Geschäfts durch ihn 30. Etwas anderes gilt, wenn der Kunde die Leistung nicht vor Fälligkeit erbringen durfte und der Unternehmer die Leistung berechtigt zurückweist 31; es sei denn, der Unternehmer nimmt die Leistung als vertragsgemäß an 32. Der HV darf vom Unternehmer keine vertragsgemäße Leistung an den Kunden ver22 langen. Eine das Dispositionsrecht des Unternehmers (§ 86a Rn 42 ff) überschreitende Nichtleistung begründet aber einen Schadenersatzanspruch 33. Auch eine Abnahme durch den Kunden, zu dem der HV nicht in vertraglichen Beziehungen steht, kann der Vertreter nicht fordern 34. Ihm stehen aber die Rechte aus Abs. 3 zu.

23

4. Leistung durch Dritten. Im Rahmen der §§ 267, 268 BGB kann auch mit gleicher Wirkung für den Provisionsanspruch ein anderer für den Dritten erfüllen 35. Beispiele sind die Leistung des Insolvenzverwalters gem. § 103 InsO nach Ausübung des Wahlrechts 36 oder eines mit dem Unternehmer verbundenen Unternehmens 37; auch Leistung durch einen Bürgen steht die Leistung durch den Dritten gleich.

24

5. Teilleistungen. Der Provisionsanspruch erstarkt gem. § 87a Abs. 1 anteilig „soweit“ der Unternehmer das Geschäft ausgeführt hat 38. Eine Teilausführung durch den Unternehmer lässt daher eine entsprechende Teilprovision endgültig werden, sofern der Unternehmer in Teilen erfüllen durfte, anderenfalls (§ 266 BGB), wenn der Dritte sie als Teilerfüllung entgegengenommen hat. Bei der Teilprovision handelt es sich im Verhältnis zum HV nicht um eine Teilzahlung i.S.d. § 266 BGB 39. Bei Teilleistungen erstarkt der Teilprovisionsanspruch daher insoweit, wie das Geschäft ausgeführt wurde. Diese Regelung über Teilleistungen geht einher mit § 87a Abs. 3 („teilweise“ Nichtausführung, s.u., Rn 83), wobei der Regelungsbereich des Abs. 3 enger ist: Er meint lediglich den Fall vertragswidriger Teilleistung durch den Unternehmer. Nach Teilleistung des Unternehmers entsteht der Teilprovisionsanspruch unter der auflösenden Bedingung des Feststehens der Nichtleistung durch den Dritten (§ 87a Abs. 2). Endgültig ist die (Teil)Provision also erst durch eine dem Vertrag wirtschaftlich entsprechende Leistung des Dritten verdient 40. Hinsichtlich des nicht teilgeleisteten Teils wird das Provisionsrecht des HV entweder nach vollständiger, späterer Leistung nach Abs. 1 oder gemäß den Abs. 2 und 3 begründet. Die Ansprüche auf Teilprovision nach Abs. 1 und nach Abs. 3 sind rechtlich voneinander unabhängig.

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6. Erfüllungssurrogate. Eine von der vertraglich vereinbarten Leistung abweichende Geschäftsausführung kann provisionsbegründend sein. Das ist zumindest der Fall, wenn 29 30 31 32 33 34 35 36

Küstner/Thume I, Rn 934; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 537. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 537. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 537. Küstner/Thume I, Rn 934. AA Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 6; Hopt § 87a Rn 23. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 8. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 6; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87a Rn 13. BGH NJW 1990, 1665; Ebenroth/Löwisch

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§ 87a Rn 6; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87a Rn 3. BGH, Urt. v. 30.01.1981 – I ZR 17/79, NJW 1981, 1785 (1786); BGH, Urt. v. 04.12.1986 – I ZR 101/85, BB 1987, 1417; Ebenroth/ Löwisch § 87a Rn 6; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87a Rn 8. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 9; Hopt § 87a Rn 5. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 9. Hopt § 87a Rn 6.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

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sie wertmäßig der geschuldeten Leistung gleichsteht, also wirtschaftliche Identität und Vollwertigkeit der Ersatzleistung vorliegt 41. Beispiele sowohl bei der Geschäftsausführung des Unternehmers wie des Dritten (s.u., 26 Rn 33 ff) sind: – Aufrechnung (§ 389 BGB) 42; – Leistung an Erfüllung statt (§ 364 Abs. 1 BGB) 43: Hier tritt die Geschäftsausführung mit der Realisierung des erfüllungshalber übertragenen Rechts 44 ein. Ist bei ihr die Surrogatleistung nicht vollwertig, nimmt aber der Unternehmer sie gleichwohl als vollwertig hin, so ist die Provision in voller Höhe geschuldet. Wechsel und Schecks gelten im Zweifel nur als erfüllungshalber hingegeben (§ 364 Abs. 2 BGB); hier tritt die Wirkung des Abs. 1 S. 3 erst mit der Einlösung ein. Immerhin wird der Unternehmer im Verhältnis zum HV als verpflichtet zu halten sein, für gehörige Einziehung zu sorgen. Unterlässt er das schuldhaft, so muss er sich provisionsrechtlich so behandeln lassen, als sei die Einlösung zu dem gehörigen Zeitpunkt erfolgt, wenn Zahlung damals erreichbar gewesen wäre. Vgl. auch RGZ 121, 125, wo zwischen dem Verkäufer und dem Käufer – ohne Mitwirkung des HV – vereinbart worden war, dass der Kaufpreis mit bestimmten Effekten beglichen werden solle, für welche aber bei ihrer alsbaldigen Veräußerung durch den Käufer ein geringerer Erlös als der Fakturenbetrag erzielt wurde, aus welchem die Provision des HV zu berechnen war: Das Urteil befand, dass der Wert der in Zahlung erhaltenen Stücke die Ansprüche des HV nicht beeinflusse; er könne nicht als an dem Risiko von Verlusten in der Verwertung beteiligt angesehen werden, da derartiges nicht zwischen dem Unternehmer und dem Vertreter vereinbart worden sei; habe der Unternehmer dem Käufer gegenüber die empfangenen Stücke – infolge falscher Kalkulation oder vielleicht auch Spekulation – für gut und zur Deckung des Kaufpreises ausreichend gehalten, so müsse er dies auch dem HV gegenüber gelten lassen und sich so behandeln lassen, als wäre der Fakturenbetrag voll eingegangen; – Erhält der Unternehmer anstelle des geschuldeten Kaufpreises eine Ersatzleistung in Form von Auszahlungen aus der Hermes-Kreditversicherung tritt sie anstelle der geschuldeten Leistung, soweit sie das ursprüngliche Erfüllungsinteresse deckt und der Unternehmer die Ersatzleistung als Erfüllung annimmt 45; – Hinterlegung (§ 378 BGB) 46; – Selbsthilfeverkauf durch den Dritten bei Annahmeverzug des Unternehmers (§ 373 Abs. 2 u. 3); – Erfüllung durch Devisenschecks 47; – Übernahme von Effekten zu bestimmtem Kurs in Anrechnung auf den Kaufpreis, selbst falls sich dieser Kurs nicht realisieren lässt (s.o.) 48; – Inzahlunggabe eines Gebrauchtwagens bei Neukauf 49; – Herausgabe des Ersatzes nach § 281 BGB 50;

41 42 43 44 45 46

Hopt § 87a Rn 11. Hopt § 87a Rn 11. Hopt § 87a Rn 11. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 12. OLG Köln, Urt. v. 02.08.2002 – 19 U 152/01 VersR 2002, 1374 = OLGR 2002, 440. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 7; Münch-

47 48 49 50

KommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 14. BGHZ 85, 138; Hopt § 87a Rn 11. RGZ 121, 125. Hopt § 87a Rn 11. Hopt § 87a Rn 11.

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– Erhalt eines Ersatzanspruches, etwa von Schadensersatz wegen Nichterfüllung 51 oder nach § 649 BGB, auch wenn das Geschäft nicht zur Ausführung gelangt. Unerheblich ist, ob der Schadenersatz nach dem Vertrag 52 oder auf Grund einer Ausfallversicherung 53 gewährt wird. Der Provisionsanspruch entsteht in Höhe des Werts, welcher der Ersatzleistung entspricht 54, angeblich jedoch nur, sofern es dem Unternehmer nicht ausnahmsweise auf den Erhalt der vereinbarten Kundenleistung ankommt 55. Bei teilweisem Schadensersatz oder im Falle der Unterversicherung mindert sich die Provision daher entsprechend; – Voller Ersatz durch eine Versicherung oder andere Dritte 56, selbst wenn der Unternehmer die Versicherung selbst bezahlt 57; – Leistung erfüllungshalber (etwa Hingabe von Wechseln und Schecks); hier zählt allerdings erst die Einlösung (§ 364 Abs. 2 BGB) 58; – Einvernehmliche Vertragsaufhebung unter Abschluss eines neuen Vertrages über eine andere, jedoch wirtschaftlich gleichartige Leistung 59. Ein Teilersatz ist wie eine Teilausführung (Rn 24) zu behandeln 60. 27

II. Satz 2: Vorschuss 28

1. Überblick. Zum Vorschuss vgl. zunächst § 87 Rn 17. Gemäß Abs. 1 S. 2 kann der Anspruch des HV auf Zahlung der Provision, sobald und soweit der Unternehmer das Geschäft ausgeführt hat, ausgeschlossen werden. Der Vorschuss dient vor allem der Deckung der Kosten und laufenden Verbindlichkeiten des HV 61. So darf etwa vereinbart werden, dass der Provisionsanspruch nicht bereits mit der Ausführung des Geschäfts durch den Unternehmer, sondern erst mit der Zahlung des Kaufpreises durch den Kunden entsteht 62. In der Praxis geschieht dies häufig, da die entsprechende Regelung für den Unternehmer günstig ist und meist er den Vertrag vorgibt. Eine derartige Regel verhindert, dass der Unternehmer die Provision bereits entrichten muss, wenn der Kunden – etwa aufgrund längerer Zahlungsziele – selbst noch nicht geleistet hat 63. Eine weitere Verzögerung des Entstehungszeitpunktes ist hingegen unzulässig, da mit der Erfüllungsleistung des Kunden der mit dem Geschäft für den Unternehmer bezweckte wirtschaftliche Erfolg eingetreten ist 64. Abs. 1 S. 2 bestimmt, dass der HV zwingend Anspruch auf einen angemessenen Vorschuss hat, sobald der Unternehmer das Geschäft ausführt 65. Der Anspruch wird – ebenso unabdingbar – fällig und pfändbar 66, sobald der Unternehmer seine Handlungen zur Ausführung des Kundengeschäfts beendet hat, selbst wenn er zu einem früheren Zeitpunkt hierzu verpflichtet gewesen wäre 67, gem. § 87a Abs. 1 S. 2 zwingend spätestens am letzten Tage des folgenden Monats, abweichend von der Fälligkeit des Provisionsanspruchs nach Abs. 4. Eine vertragswidrige und unabgesprochene 51 52 53 54

55 56 57

BGH DB 1957, 185; WM 1991, 199. BGH DB 1957, 185; Holling DB 1960, 79 ff (80). LAG Dresden ARS 29, 68. BGH NJW-RR 1991, 156 (159); OLG Hamm BB 1979, 442; Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 12; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 87a Rn 13. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 12. BGH WM 1991, 76; OLG Frankfurt, WM 1991, 867. AA Hopt § 87a Rn 11.

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Hopt § 87a Rn 11. AA Hopt § 87a Rn 11. Hopt § 87a Rn 11. Eberstein, S. 88; Schlegelberger/Schröder § 87a Rn 14/15. Küstner/Thume I, Rn 927. Küstner/Thume I, Rn 948. BGH DB 1983, 446; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 50. Küstner/Thume I, Rn 949; Hopt § 87a Rn 9. Treffer MDR 1998, 384 (385). Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 50.

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Ausführung des Geschäfts durch den HV anstelle des Unternehmers lässt den Anspruch jedoch nicht entstehen 68. Die Parteien dürfen die Höhe des Vorschusses innerhalb der Grenze der von S. 2 vor- 29 gegebenen Angemessenheit bestimmen 69. Was angemessen ist, muss im Einzelfall entschieden werden 70, die Höhe des Vorschusses ist unter Abwägung der Interessen beider Parteien festzusetzen 71. Zu berücksichtigen ist auf Seiten des Unternehmers, welchen Vorschuss er zahlen kann und auf Seiten des HV, wann und mit welcher Sicherheit mit der Kundenleistung zu rechnen ist, welche Aufwendungen für die Vermittlung des Geschäftes er vorfinanzieren muss, welche Mittel der HV vorschussweise benötigt, um seinen Lebensunterhalt und seine Geschäftsbedürfnisse zu sichern und welche Kosten er für die Aufrechterhaltung seines Geschäftsbetriebes und seines Lebensunterhaltes aufwenden muss 72. Keinesfalls darf der Vorschuss so hoch festgesetzt werden, dass er den Unternehmer schädigt, etwa in dem bei langfristigen Zahlungsterminen, z.B. im Großanlagengeschäft, das Kreditrisiko des Unternehmers unberücksichtigt bleibt73. Steht die abschließende Provisionszahlung kurz bevor, kann ein geringerer Betrag angemessen sein 74. Andererseits mag ein der Provision fast entsprechender Betrag angemessen sein, wenn mit einer Leistung des Kunden auf längere Sicht nicht zu rechnen ist 75. Hat der Unternehmer lediglich Teilleistungen ausgeführt, entsteht der Vorschussanspruch nur in Höhe des Teilbetrages 76. Falls der HV am Geschäft etwa als Bezirksvertreter, nicht mitgewirkt hat und keine Auslagen hatte, mag ein geringerer Betrag angemessen sein77. Eine generalisierende, abstrakte und in einem Durchschnittsfall angemessene Regelung darf individualvertraglich vereinbart werden, wobei in AGB eine abstrakt-generalisierende Regel nicht leicht zu finden sein wird. Härten werden durch § 315f BGB, eine ergänzende Vertragsauslegung oder § 242 BGB (Treu und Glauben) ausgeglichen. Eine generalisierende und wirksame Regelung ist schwierig zu fassen. Der Vorschuss darf nur in angemessener Mindesthöhe oder oberhalb der Angemessenheitsgrenze vereinbart werden. Gewährt eine bezifferte Vereinbarung in AGB weniger als die angemessene Vergütung, ist sie unwirksam und der Vertreter hat Anspruch auf den darüber liegenden, angemessenen Betrag. Die Prüfung der Angemessenheit ist dabei nach den zum Zeitpunkt der Fälligkeit geltenden Maßstäben vorzunehmen. Die Bemessung mit einem hälftigen Provisionsanspruch als Regelfall 78 kann einen Anhalt geben und begründet bei einem Individualvertrag eine widerlegliche Vermutung ihrer Wirksamkeit. Fehlt eine Regelung im Vertretervertrag oder können die Parteien im Einzelfall keine 30 Einigung über die Höhe des Vorschusses erzielen, steht dem HV das Recht zu, die Höhe zu bestimmen (§ 316 BGB) 79, vorbehaltlich der Nachprüfbarkeit durch das Gericht 68 69

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Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 50; Schröder § 87a Rn 14b. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 50; Hopt § 87a Rn 9; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 87a Rn 25. Küstner/Thume I, Rn 949; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 551; Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 50. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 551. Küstner/Thume I, Rn 949; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 551; v. Brunn NJW 1954, 56 (58); Schröder BB 1963, 567 (570); Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 50; Hopt § 87a Rn 9; Schröder § 87a Rn 14c. Eberstein, S. 88.

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Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 50. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 50; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87a Rn 22; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 25; Schröder § 87a Rn 15. Küstner/Thume I, Rn 950. Vgl. Eberstein, S. 88. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 551. Küstner/Thume I, Rn 9494; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 552; Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 50; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87a Rn 22; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 25; Schröder § 87a Rn 15.

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(§ 315 BGB). Ein Vorschussrecht besteht nicht, falls der Kunde seine Leistung vor der Geschäftsausführung durch den Unternehmer erbringt, da bereits zu diesem Zeitpunkt die aufschiebende Bedingung eintritt und die Voraussetzung für die Zahlung eines „Vorschusses“ entfällt 80. Ebenso besteht kein Vorschussrecht, wenn – vom Unternehmer zu beweisen – feststeht, dass der Kunde seine Leistung nicht erbringen wird, da dann der Provisionsanspruch auch bei Geschäftsausführung durch den Unternehmer entfallen würde 81. Bei Vorliegen der TB-Voraussetzungen des Abs. 2 entfällt auch der Vorschussanspruch 82.

31

2. Rückzahlung des Vorschusses. Ausgezahlte Vorschüsse muss der Vertreter zurückzahlen, sobald – ebenso vom Unternehmer zu beweisen – ihre unberechtigte Zahlung, etwa die Nichtleistung des Kunden, feststeht, § 87a Abs. 2 analog, § 812 BGB. § 818 Abs. 3 BGB gilt nicht 83. Von diesem Zeitpunkt an schuldet der Vertreter Fälligkeitszinsen in Höhe von 5 % 84, ab Verzug Verzugszinsen. Hierdurch wird das Vorschussrecht nicht entgegen seiner zwingenden Natur unangemessen beschnitten. Die Abrechnung ist Aufgabe des Unternehmers (§ 87c Abs. 1), eine schlüssige Rückzahlungsforderung setzt eine solche Abrechnung voraus 85. Eine Verwirkung des Rückzahlungsanspruches ist nach allgemeinen Grundsätzen denk32 bar 86. Der BGH hat eine Verwirkung angenommen, wenn die Provisionsvorschüsse 2 Jahre ohne Verrechnung mit verdienten Provisionsansprüchen bezahlt wurden und binnen eines Jahres nach Beendigung des HV-Vertrages nicht zurückgefordert wurden 87. Der Entscheidung begegnen Bedenken, da innerhalb der dreijährigen Regelverjährungsfrist eine Verwirkung grundsätzlich kaum vorstellbar ist und im entscheidenden Fall wohl abzulehnen war.

III. Satz 3: Provision bei Ausführung durch den Dritten = Kunden 33

Sobald und soweit der Dritte (= Kunde) das Geschäft ausführt, hat der HV auf jeden Fall, also zwingend ohne die Möglichkeit einer abweichenden Vereinbarung, nach § 87a Abs. 1 S. 3 die Provision verdient. Dies bildet den spätesten Zeitpunkt, in welchem der Provisionsanspruch zum unbedingten wird – durch die Leistung des Dritten. Die zwingende Natur ergibt sich aus den Worten „unabhängig von einer Vereinbarung“ (Abs. 1 S. 3), nämlich einer solchen aus Abs. 1 S. 2, die das Endgültigwerden des Provisionsanspruchs zufolge Ausführung des Geschäfts durch den Unternehmer bis zur Zahlung der Provision abweichend regeln kann. Es erschien dem Gesetzgeber ungerecht, die Entstehung des Provisionsanspruches trotz des wirtschaftlichen Erfolges an einen später eintretenden Umstand zu knüpfen 88. Für den Begriff der Geschäftsausführung und der Erfüllungssurrogate bzw. der Leis34 tung durch Dritte wird auf die Ausführungen oben, Rn 17 ff, 25 ff verwiesen. Ob es es hier abweichend von S. 1 auf den Leistungserfolg und nicht auf die Leistungshandlung ankommt 89, ist angesichts des identischen Wortlauts („ausführen“) zweifelhaft. Beide 80 81 82 83

84

Küstner/Thume I, Rn 951. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 553. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 50; Schlegelberger/Schröder § 87a Rn 14c. BGH BB 1963, 8, BAG MDR 2000, 818; Sieg VersR 1993, 1198; Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 52; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87a Rn 15. BGH BB 1963, 8; Küstner/Thume I, Rn 953.

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OLG Düsseldorf OLGR 1993, 197; Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 52. BAG, Urt. v. 20.06.1989 – 3 AZR 504/87, DB 1989, 2385 = BB 1989, 2333; Ebenroth/ Löwisch § 87a Rn 52. BGH, Urt. v. 30.01.1964 – VII ZR 83/62. Küstner/Thume I, Rn 954. So Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 11 unter Hinweis auf BGH, Urt. v. 20.10.1982 – I ZR

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Sätze müssen einheitlich ausgelegt werden. Die mangelhafte Leistung ist auch hier eine Ausführung, wenn und soweit der Unternehmer die Leistung als Erfüllung der Kundenschuld annimmt 90; es sei denn, sie steht wirtschaftlich einer Nichtleistung gleich. Gleiches gilt für die Leistung eines Dritten, falls jener nach §§ 267, 268 BGB zur Leistung berechtigt ist 91 bzw. der Unternehmer die Leistung annimmt 92. Weist der Unternehmer die Leistung zurück, bestimmt sich der Provisionsanspruch nach Abs. 3 93. Die unberechtigte Verweigerung der Annahme der Kundenleistung löst allerdings gem. §§ 162, 242 BGB die Rechtsfolge des Abs. 1 S. 3 aus 94. Abs. 3 bedarf es insoweit nicht. Die Vorausleistung des Dritten genügt 95. Der Unternehmer braucht noch nicht ge- 35 leistet zu haben 96. Deshalb kann nicht wirksam vereinbart werden, dass der Bedingungseintritt ausgeschlossen ist, sobald und soweit der Dritte das provisionspflichtige Geschäft durch Vorleistung ausführt 97. Vereinbart werden darf dagegen, dass kein Provisionsanspruch entsteht, wenn der HV-Vertrag zwischen Geschäftsabschluss und dem für die Entstehung des Provisionsanspruchs maßgeblichen Umstand endet 98. Dann muss die gesamte Geschäftsabwicklung während des bestehenden Vertrages erfolgen 99. Regelmäßig schließt eine solche Klausel auch nachvertragliche Provisionsansprüche gemäß § 87 Abs. 3 aus 100. Der HV hat – nicht anders als bei der Teilleistung des Unternehmers (Rn 24) 101 – 36 auch bei der Teilleistung des Dritten den unabdingbaren Anspruch auf eine anteilige Provision („soweit“), falls der Kunde eine Teilleistung erbracht hat 102. Ob der Dritte zur Teilleistung berechtigt war oder nicht (§ 266 BGB), ist ohne Belang, wenn sie der Unternehmer angenommen hat. Lehnt der Unternehmer die Teilleistung befugtermaßen (unbefugte Ablehnung: §§ 162, 242 BGB, s.o.) ab, ist die Wirkung des Abs. 1 S. 3 damit noch nicht eingetreten. Die bewirkte Teilerfüllung seitens des Dritten macht die Teilprovision aber nicht, wenn sie daraufhin zur Zahlung durch den Unternehmer heransteht, zur Teilleistung auf die Gesamtprovision im Sinne des § 266 BGB, die der HV zurückweisen dürfte: sie ist „die“ in diesem Zeitpunkt geschuldete Provisionsrate. Vereinbart werden darf, dass die Zahlung des Teilprovisionsanspruches des § 87a Abs. 1 S. 3 nach teilweiser Ausführung des Unternehmers erst zum Zeitpunkt der Kundenleistung erfolgt. Bei fehlender Geschäftsausführung hat der HV wegen seines eventuellen Provisions- 37 ausfalls regelmäßig keinen Schadenersatzanspruch gegen den Kunden, weder aus §§ 311, 280 (fehlender Vertrag) 103 noch aus Delikt, außer – kaum vorstellbar – aus § 826 BGB oder nach den Grundsätzen des direkten Eingriffs in den eingerichteten oder ausgeübten Gewerbebetriebs. Es kann aber aus Abs. 3 ein Anspruch gegen den Unternehmer gegeben sein.

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99/81, BGHZ 85, 134 (138) = NJW 1983, 629; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87a Rn 12, Hopt § 87a Rn 10; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 17. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 13; Schlegelberger/Schröder § 87a Rn 16; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87a Rn 12. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 11; Schlegelberger/Schröder § 87a Rn 16. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 11. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 13. BGH NJW 1990, 1665 (1666); Ebenroth/ Löwisch § 87 Rn 11; HK-HGB § 87a Rn 4.

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BGHZ 85, 138; Hopt § 87a Rn 10. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 11; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87a Rn 12; Hopt § 87a Rn 8. Küstner/Thume I, Rn 954. Küstner/Thume I, Rn 955. Küstner/Thume I, Rn 955. Küstner/Thume I, Rn 955. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 14. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 14; Hopt § 87a Rn 10; Schlegelberger/Schröder § 87a Rn 16. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 13.

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F. Entfallen des Provisionsanspruches (§ 87a Abs. 2, 3) 38

§ 87a Abs. 2, 3 regeln das Schicksal des Provisionsanspruches, wenn das abgeschlossene Geschäft nicht ordnungsgemäß ausgeführt wird. Der Grundsatz ist hier, dass Umstände aus dem Verantwortungsbereich des Unternehmers zu keinem Entfallen des Provisionsanspruches führen (Rechtsgedanke der §§ 162, 242 BGB). Das Gesetz geht davon aus, der Unternehmer als Geschäftsherr stehe dem Geschäft näher als der Vertreter und die Nichtausführung des Geschäfts falle folglich im Grundsatz in seinen Verantwortungsbereich.

I. § 87a Abs. 2: Nichtleistung des Kunden 39

1. Grundsatz und Reichweite. Abs. 2 bestimmt, dass der gem. Abs. 1 S. 1 entstandene Provisionsanspruch „entfällt“, d.h. nachträglich untergeht, wenn und soweit feststeht, dass der Dritte (= Kunde) seine vertraglich geschuldete Leistung nicht erbringt, obwohl er uneingeschränkt zur Leistung verpflichtet ist. Es handelt sich um eine auflösende Bedingung 104. Die Vorschrift setzt damit voraus, dass der bis zur Nichtleistung des Kunden fortbestehende Provisionsanspruch als solcher bereits – als unbedingter – zur Entstehung gelangt ist. Gesetzestypisch kann der Provisionsanspruch vor der Leistung des Dritten (Abs. 1 S. 3) nur in der Ausführung des Geschäfts seitens des Unternehmers begründet sein. Deshalb zielt der Fall des Abs. 2 ausschließlich auf den des Abs. 1 S. 1 105. Er kommt damit in der Praxis ebenso selten zum Zuge wie jener. Was außerdem wegfiele, wäre deshalb allenfalls die unabdingbare Vorschussberechtigung aus Abs. 1 S. 2. Wo dagegen, wie meist, der Provisionsanspruch nach vertraglicher Vereinbarung überhaupt erst mit der Leistung des Dritten zur Entstehung gelangen soll, ist für einen „Wegfall“ bei Nichtleistung des Dritten in unmittelbarer Anwendung des Abs. 2 kein Raum. Hier wie in dem gesetzlichen Fall der Bindung des Provisionsanspruchs an die Leistung des Dritten – Abs. 1 S. 3 – würde das Gesetz, hätte es in Abs. 2 nur einen Ausfall der Bedingung bezeichnen wollen, etwas Selbstverständliches gesagt haben. Ist der Provisionsanspruch noch nicht entstanden, etwa weil die Parteien das Entstehen des Provisionsanspruches auf den Eingang der Kundenleistung verschoben haben, gibt es keinen Anspruch, der aufzulösen ist. Vielmehr bleibt die Kundenleistung auf Dauer aus, so dass der Provisionsanspruch erst gar nicht entsteht. Abs. 2 betrifft diesen Fall nicht 106: Jedoch muss der Unternehmer das Geschäft vertragsgemäß, also auch zum vertragsgemäßen Zeitpunkt, ausführen. Tut er dies nicht, greift Abs. 3107 ein, zudem die §§ 162, 242 BGB. Der Rückgewähranspruch des § 87a Abs. 2 ist bei Rückabwicklung von Leistungen, die als Folge einer wirksamen Anfechtung eines Maklervertrages erbracht wurden und nach § 812 BGB zurückgefordert werden könnten, nicht anwendbar. Hier gibt es kein Vorleistungsrisiko, welches durch § 87a Abs. 2 ausgeglichen wird 108.

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2. Verhältnis zu Abs. 3. Das Verhältnis zwischen Abs. 2 und 3 ist nicht aus dem Gesetzeswortlaut zu entnehmen. Abs. 3 betrifft ausschließlich Fallgestaltungen, in denen die Nichtausführung aus der Sphäre des Unternehmers herrührt, also entweder von ihm zu vertreten oder zurechenbar veranlasst wurde109. Nicht alle, aber viele Fälle des Abs. 2 erfasst der Merksatz, Abs. 2 gehe davon aus, dass der Dritte gegen den Willen des Unter104

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Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87a Rn 14; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 87a Rn 27. BGH MDR 1961, 312; Hopt § 87a Rn 13. Hopt § 87a Rn 13.

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Hopt § 87a Rn 13. BAG NJW 2000, 2372 (2373). BGH, Urt. v. 05.03.2008 – VIII ZR 31/07, ZIP 2008, 1081 = WM 2008, 923 = BB 2008, 1030 (Hilgard).

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nehmers nicht leiste 110: Falls der Unternehmer ohne Zwang auf die Leistung des Dritten verzichte, sei dies nicht nach Abs. 2, sondern nach Abs. 3 zu beurteilen. Um den Anwendungsbereich des Abs. 3 zu eröffnen, muss die Nicht- oder Anders- 41 ausführung damit bei wertender Betrachtung eine solche des Unternehmers sein, nicht des Kunden (sonst: Abs. 2, außer wenn diese wiederum auf den Unternehmer zurückgeht 111). Dann ist Abs. 3 lex specialis: Leistet der Dritte nach geschehener Vorausleistung des Unternehmers deshalb nicht, weil er Rücktrittsrechte nach § 323 BGB geltend macht, ist Abs. 2 nicht einschlägig, sondern allein Abs. 3, weil dann die Leistungsstörung auf Seiten des Unternehmers das primäre ist. Gleiches gilt, falls der Unternehmer seinerseits das Geschäft nicht ausführt und der Kunde die vermittelten Verträge, z.B. Darlehensverträge, gem. §§ 700 Abs. 1 i.V.m. § 490 BGB fristlos kündigt112. Greifen sowohl die TB-Voraussetzungen des Abs. 2 als auch des Abs. 3 ein (was nur vor der Leistung des Dritten möglich ist), bleibt Abs. 3 in den Fällen der Verantwortlichkeit des Unternehmers für die Nichtleistung des Dritten vorrangig und allein anwendbar, um dem HV in von ihm nicht zu verantwortenden Fällen mangelnder Vertragskonformität der Geschäftsausführung seine Provision zu sichern (teleologische Reduktion bzw. Vorrang des Spezialgesetzes). Zudem kann Abs. 2 nur in Fällen eingreifen, in welchen der Dritte noch nicht ge- 42 leistet hat. Nur dann kann feststehen, dass der Dritte nicht leistet. Hat der Dritte bereits geleistet, werden diese Fälle des Scheiterns des vermittelten Geschäfts, z.B. infolge einer Nichtleistung oder nicht vertragsgemäßen Leistung von Kunde oder Unternehmer – unabhängig von ihren Gründen – ausschließlich durch Abs. 3 erfasst 113. Das gilt auch, falls die Leistung des Kunden aus Gründen unterbleibt, die vom Unternehmer nicht zu vertreten sind 114, oder es nach der Leistung des Kunden an den Unternehmer – Abs. 1 S. 3 – zu Leistungsstörungen kommt und das Kundengeschäft zwischen Kunde und Unternehmer rückabgewickelt wird. Nach der Leistung des Kunden ist kein Raum für Abs. 2, selbst wenn die vom Kunden erbrachte Leistung an ihn zurückzugewähren ist. 3. Nichtleistung. Das Gesetz stellt nur auf die Tatsache der Nichtleistung ab. Der 43 Begriff der Nichtleistung des Kunden in Abs. 2 1. Hs entspricht der Nichtausführung des Geschäfts in Abs. 3 S. 1 115, auf die dortigen Ausführungen (Rn 62 ff) kann verwiesen werden. Der Provisionsanspruch nach Abs. 2 entfällt, falls der Dritte die geschuldete Leistung nicht oder nicht in vertragsgemäßer Weise erbringt und der Unternehmer die nicht vertragsgemäße Leistung zurückweist, z.B. die Leistung unmöglich wird (§ 275 BGB 116; auch die Unternehmerleistung entfällt, § 326 Abs. 1 BGB). Erlangt jedoch der Unternehmer ein Surrogat (z.B. die Versicherungsentschädigung, Abtretung des dem Dritten gegen einen anderen zustehenden Schadensersatzanspruches, Vergütungsanspruch nach § 649 BGB 117), so gilt dieses Surrogat, falls es geleistet wird, als Leistung des Dritten 118; ebenso, 110 111

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Schlegelberger/Schröder § 87a Rn 28. BGH, Urt. v. 05.03.2008 – VIII ZR 31/07, ZIP 2008, 1081 = WM 2008, 923 = BB 2008, 1030 (Hilgard); Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 16; Hopt § 87a Rn 21; Schlegelberger/Schröder § 87a Rn 28. BGH, Urt. v. 05.03.2008 – VIII ZR 31/07, ZIP 2008, 1081 = WM 2008, 923 = BB 2008, 1030 (Hilgard) = EWiR 2008 (Emde); im Druck. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 4; Stötter MDR 1981, 269 (270), aA MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 50.

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Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 4; aA MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 50. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 34. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 38; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87a Rn 15; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 31. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 39. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 34; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87a Rn 14.

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wenn die Kündigung des Unternehmers den Vergütungsanspruch des Kunden bestehen lässt 119. Die Leistung des Versicherungsnehmers nach §§ 35 ff VVG ist als Leistungserbringung einzuordnen 120 (siehe § 92 Rn 62). Nur wenn der Wert des Surrogats hinter der Kundenleistung zurück bleibt, liegt in der Höhe der Differenz eine Nichtleistung vor. Der Provisionsanspruch entfällt ferner, soweit (!) der Dritte von seiner Leistung befreit wird durch richterliche Vertragshilfe, durch einen erforderlichen Vergleich im (gerichtlichen oder außergerichtlichen) Vergleichsverfahren oder Zwangsvergleich im Insolvenzverfahren; selbst bei rechtswidriger Leistungsweigerung, wenn Erfüllung oder Schadensersatz endgültig undurchsetzbar sind. Er entfällt weiter, sofern der Dritte einen vorbehaltenen Rücktritt ausübt oder bei Eintritt auflösender Bedingung kondiziert – immer unterstellt, dass der Provisionsanspruch durch Ausführung des Geschäfts seitens des Unternehmers bereits entstanden war. Er entfällt schließlich, wenn der Tatbestand der Nichtleistung des Dritten sich dadurch verwirklicht, dass der Unternehmer zufolge Anfechtung des Geschäfts in der Insolvenz des Dritten etwas von diesem Geleistetes wieder herausgeben muss. Dass ein Erlass der Forderung von Seiten des Unternehmers, soweit sie durchsetzbar gewesen wäre, den Provisionsanspruch nicht berühren kann, bedarf keiner Begründung. Auch ein Teilverzicht, etwa aufgrund eines gerichtlichen Vergleichs, lässt den Provisionsanspruch unter diesen Umständen nicht entfallen 121.

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4. Die Evidenz der Nichtleistung. Der Erlöschenstatbestand für den Provisionsanspruch ist vom Gesetz korrekt normiert: nicht das Negativum der Nichtleistung, sondern, dass die Nichtleistung positiv „feststeht“. Was feststehen muss, ist gerade die Tatsache der Nichtleistung; solange erst soviel feststeht (oder nicht einmal unabweisbar wäre), der Dritte werde nur verspätet leisten, ist der Erlöschenstatbestand des Abs. 2 nicht gegeben. Einbegriffen ist hier andererseits auch der Fall, dass schon vor Fälligkeit der Leistungspflicht des Dritten feststeht, dieser werde ihr nicht nachkommen 122. Das bedeutet: Die Nichtleistung muss sich als endgültiges Faktum darstellen. Es steht 45 fest, dass der Kunde nicht leistet, sobald objektive Anhaltspunkte aus der Warte eines Dritten es als weitgehend sicher erscheinen lässt, dass der Kunde seiner Verpflichtung aus dem Geschäft endgültig nicht nachkommen wird 123, etwa keine Zahlung leistet oder die Nichtleistung definitiv angekündigt wurde. Die Nichtleistung muss m.a.W. objektiv feststehen 124 nicht aber durch (Zwischen)feststellungsurteil rechtskräftig festgestellt sein 125 (zur Obliegenheit gerichtlicher Durchsetzung Rn 48). Nicht ausreichend ist trotz des notwendig prognostischen Elements die ohne objektive Feststellung gebildete subjektive Ansicht des Unternehmers oder eines Dritten, die Forderung sei uneinbringlich 126 oder die kalkulatorischen Erwägungen des Unternehmers, der die Forderung als uneinbringlich abzuschreiben geneigt ist oder schon abgeschrieben hat 127. Die Gründe der Nichtleistung sind unerheblich, können aber einen Anhalt für das Feststehen der Nichtleistung geben 128. Erforderliche 119

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Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 39; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87a Rn 15; Hopt § 87a Rn 14; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 32. Christoph/Effenberger VersR 2007, 593. Westphal, Rn 563. Schlegelberger/Schröder § 87a Rn 27. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 558; Hopt § 87a Rn 14. OLG Karlsruhe, BB 1974, 904; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 558; Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 35.

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Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 35. OLG Celle BB 1972, 594; Ebenroth/ Löwisch § 87a Rn 35; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87a Rn 15; Hopt § 87a Rn 15; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 87a Rn 33; Schlegelberger/Schröder § 87a Rn 27. OLG Celle BB 1972, 594; OLG Karlsruhe BB 1974, 904; LAG Baden-Württemberg DB 1955, 682. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 35.

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Mitwirkungshandlungen des Dritten, z.B. den Abruf bestellter Ware 129 muss der Unternehmer herbeizuführen versuchen 130. Eine feststehende Nichtleistung des Kunden kann angenommen werden, wenn eine 46 gegen ihn gerichtete Klage unzumutbar oder erfolglos geblieben 131, eine Titulierung oder Zwangsvollstreckung wegen Zahlungsunfähigkeit bzw. Insolvenz des Kunden auf absehbare Zeit aussichtslos ist 132, bei Insolvenz der Verwalter eine Erfüllung ablehnt oder der Kunde seine Rechtsfähigkeit verloren hat 133. Wirtschaftliche Sinnlosigkeit einer Klage und damit Unzumutbarkeit liegt aber etwa bei Kleinverträgen vor (Rn 48). Ob der Nachweis der Nichtleistung durch die Auskunft einer anerkannten Auskunfts- oder Kreditschutzorganisation über die fehlende Liquidität des Dritten als geführt anzusehen ist 134, ist eine Frage des Einzelfalls. Generelle Regeln wird man hier nicht aufstellen können. Es spricht einiges gegen eine solche Ansicht, weil die Auskunft nicht die gleiche Sicherheit wie Klage und Vollstreckung aufweist. Der Anspruch des Untervertreters gegen den Hauptvertreter entfällt nach § 87a Abs. 2, 47 sobald feststeht, dass der Unternehmer die Provision an den Hauptvertreter nicht zahlt 135. Im Falle einer Untervertretung bezieht sich der Begriff des Unternehmers bei der Anwendung des § 87a auf den Geschäftspartner des Hauptgeschäfts und nicht auf den Hauptvertreter 136. Der Provisionsanspruch des Untervertreters gegen den Hauptvertreter kann wegen Nichtausführung des Geschäfts deshalb nur dann entfallen, wenn auch der Provisionsanspruch des Hauptvertreters gegen den Unternehmer entfällt 137. Der Untervertreter soll nicht mehr Provision erhalten, als sie der Hauptvertreter erhalten hat 138. Der Hauptvertreter muss aber seinen Provisionsanspruch gegenüber dem Unternehmer durchsetzen, s.o., Rn 20. 5. Setzt das Feststehen der Nichtleistung eine Pflicht zur gerichtlichen Durchsetzung 48 der Forderung voraus? Es fragt sich, ob der Unternehmer gegen den Dritten gerichtlich vorgehen muss (die erfolgreiche Vollstreckung eines obsiegenden Urteils würde dem HV seinen Provisionsanspruch endgültig sichern), ehe die Nichtleistung feststeht, oder aber ob der Unternehmer von einer Klage – zu Lasten des Provisionsanspruchs, der damit endgültig ausfällt – absehen und das Geschäft abschreiben darf, ohne sich dem Vorwurf auszusetzen, er habe nicht alles Erforderliche zur Durchsetzung einer ordnungsmäßigen Vertragsabwicklung getan. Gerade diese Frage kann nicht ausschließlich aus dem Vertragsverhältnis zwischen HV und Unternehmer beantwortet werden; im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung darf der Unternehmer auch das eigene wohlverstandene Interesse seines Unternehmens ins Spiel bringen. Damit die Nichtleistung des Kunden feststeht müssen im Zweifelsfalle die Möglichkeiten einer zwangsweisen Reali129

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BGH NJW-RR 1991, 156 (159); Ebenroth/ Löwisch § 87a Rn 25; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87a Rn 6. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 25. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 37. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 37; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87a Rn 15; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 35. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 37. So Eberstein, S. 91; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 560. BGH DB 1984, 2299; OLG Frankfurt, Urt. v. 19.01.2007 – 4 U 34/06, NJOZ 2007, 1480; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 561.

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BGH, Urt. v. 05.03.2008 – VIII ZR 31/07, ZIP 2008, 1081 = WM 2008, 923 = BB 2008, 1030 m. Anm. Hilgard (zu Abs. 3); OLG Frankfurt, Urt. v. 19.01.2007 – 4 U 34/06, NJOZ 2007, 1480. BGH, Urt. v. 05.03.2008 – VIII ZR 31/07, ZIP 2008, 1081 = WM 2008, 923 = BB 2008, 1030 m. Anm. Hilgard (zu Abs. 3); OLG Frankfurt, Urt. v. 19.01.2007 – 4 U 34/06, NJOZ 2007, 1480. BGHZ 91, 370 (372); OLG Düsseldorf NJW-RR 1993, 1188 = DB 1993, 733; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 561; Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 53.

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sierung ausgeschöpft sein. Regelmäßig ist im Verhältnis HV/Unternehmer bzw. Haupt-/ Untervertreter (Rn 20, 47) von einer provisionsrechtlichen Obliegenheit139 des Unternehmers zur gerichtlichen Durchsetzung und Zwangsvollstreckung 140 bzw. zur Anmeldung bei der Insolvenztabelle (§§ 174 ff InsO) 141 auszugehen, außer es handelt sich um die Erstprämie in der Lebensversicherung (wegen § 38 Abs. 1 VVG) 142; anders in der Sachversicherung 143. Ein Unterlassen von Klage und Vollstreckung führt – auch beweisrechtlich – zur Behandlung analog Abs. 3 S. 2 144 (Rn 78), 162 BGB. Es handelt sich aber regelmäßig nicht um eine einklagbare 145, nach Unterlassen zum Schadenersatz leitende Nebenpflicht. Haben außergewöhnliche Umstände den Dritten erfüllungssäumig werden lassen, so kann es im Interesse der weiteren Geschäftsbeziehungen mit ihm angezeigt sein, von gerichtlichen Schritten abzusehen 146. Ebenso, wenn zu befürchten steht, der Dritte werde die Geschäftsverbindung abbrechen 147, falls seinem geäußerten und wegen Veränderung der Verhältnisse gerechtfertigtem Wunsch nach Streichung des Auftrages nicht entsprochen wird 148, die durch die Maßnahmen zu erwartenden Kosten in keinem Verhältnis zum Umfang der Kundenleistung stehen 149, gegen eine Vielzahl säumiger Kunden geringe Beträge einzuklagen wären,150 etwa bei Zeitschriftenabonnements 151, die Rechtslage unsicher oder die Klage erkennbar aussichtslos ist 152, der Unternehmer den Anspruch nicht sicher beweisen kann 153, eine Titulierung wegen voraussichtlich dauerhafter Leistungsunfähigkeit oder Erlöschens der Rechtsfähigkeit des Kunden keine Vorteile verspricht, die Vollstreckung auf unabsehbare Zeit aussichtslos ist 154, der Prozess zur Geringfügigkeit des Objekts in keinem Verhältnis stehen würde und deshalb dem Unternehmer auch unter Berücksichtigung des Provisionsinteresses des HV schlechthin nicht zumutbar ist (nachhaltige Zahlungssäumnis eines Abonnenten im Zeitschriften139 140

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Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 25. Holling DB 1960, 79 (80); Ebenroth/ Löwisch § 87a Rn 25, 36; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87a Rn 15; Hopt § 87a Rn 15, 26; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 34 f, 54; Schlegelberger/Schröder § 87a Rn 27. BGH NJW-RR 1991, 156 (159). BAG NJW 1968, 518; OLG Frankfurt VersR 1981, 480; OLG Karlsruhe VersR 1982, 267; Fleischmann VersR 1957, 9; Sundermann BB 1958, 542 (544, 546); Ebenroth/ Löwisch § 87a Rn 25; Hopt § 87a Rn 29; aA Hans BB 1957, 1060 (1061); BB 1958, 544 (546). OLG Frankfurt VersR 1986, 462; Hopt § 87a Rn 29. Differenzierend Hopt § 87a Rn 16: Die Rechtsprechung zu Abs. 3 S. 2 lasse sich nicht in jedem Fall übertragen, denn nicht jede Nichtleistung des Dritten mangels zumutbarer Klagerhebung nach Abs. 3 S. 1 sei für den Unternehmer unvertretbar. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 25. BGH VersR 1960, 1109. BGH, Urt. v. 13.07.1959 – II ZR 189/57; DB 1959, 940 = BB 1959, 864 (865); BGH VersR 1960, 1109 (1110).

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BGH LM § 87a Nr. 2. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 558; Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 25; Hopt § 87a Rn 15; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 87a Rn 35; Hans BB 1958, 544 (546): Dieser Fall ist allerdings kaum vorstellbar, da die Gebühren der Gerichte und Rechtsanwälte feststehen und damit im Verhältnis zur Klagforderung immer im gleichen, angemessenen Verhältnis stehen. BGH, Urt. v. 21.10.1971 – VII ZR 54/70, BB 1971, 1430; OLG Hamm BB 1979, 442; Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 25; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87a Rn 15; Hopt § 87a Rn 15; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 35. AG Schwerin, Urt. v. 02.03.2006 – 16 C 2711/04, BeckLSK 2007, 070308. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 25; Hopt § 87a Rn 15; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 87a Rn 35. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 25; Hopt § 87a Rn 15; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 35. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 25; aA OLG Köln NJW-RR 1994, 226 („hinreichender Insolvenzverdacht nötig“).

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§ 87a

bezug), angeblich sogar wenn der durch den Prozess zu erlangende Betrag im Wesentlichen nur dem HV als Provision zustehen würde, wohl aber nicht, sofern der Unternehmer (Versicherer, Unternehmer mit breitem Abnehmerkreis, Versandhaus) Gefahr läuft, in den Ruf eines „notorischen Prozessierers“ zu gelangen 155. Nur ausnahmsweise kann von der Klage abgesehen werden, wenn das geschäftliche Renommé des Unternehmers bei seinen übrigen Kunden durch ein Gerichtsverfahren erheblich gefährdet werden würde, allgemeiner gesagt bei Unzumutbarkeit von Klage und/oder Vollstreckung. Beweispflichtig für diese Ausnahmefälle fehlender Klageobliegenheit ist der Unternehmer 156. Sucht der Unternehmer keinen gerichtlichen Rechtschutz, darf er sich regelmäßig nicht auf § 87a Abs. 2 berufen, und zwar auch dann nicht, wenn er Klage und Zwangsvollstreckung unterlässt, um den Kunden nicht zu verlieren 157. Nur in extremen Fällen ist der HV unter dem Gesichtspunkt der Treu- und Interessenwahrnehmungspflicht gehalten, sich an dem Ausfall des Unternehmers durch Verzicht auf die Provision zu beteiligen. Wo immer möglich, muss der Unternehmer den Versuch gemacht haben, durch ein zumutbares Ersatzgeschäft den Belangen des Kunden entgegenzukommen 158, aus welchem der HV dann provisionsberechtigt bleiben würde. Hat der Unternehmer Grund, von einem gerichtlichen Vorgehen abzusehen, so darf der HV unter Treupflichtgesichtspunkten verlangen, dass ihm in Höhe seiner Provision die Ansprüche gegen den Kunden abgetreten werden, damit er selbst gegen den Kunden, auf den er vielleicht keinen Wert mehr legt, klagbar werden kann, soweit schutzwürdige Belange des Unternehmers dem nicht entgegenstehen 159. Muss der Unternehmer die Leistung des Kunden gerichtlich durchsetzen, darf er die Provision des Vertreters nicht um die Kosten der Rechtsverfolgung kürzen 160. 6. Rückzahlung der Provision im Falle der Nichtleistung. Liegt eine Nichtleistung 49 i.S.d. § 87a Abs. 2 vor, hat der HV bereits geleistete Provision zurückzuzahlen, bei Teilerlöschen entsteht ein Teilrückzahlungsanspruch 161. Der Rückgewähranspruch hat seine Rechtsgrundlage im Vertrag; es liegt ein Rückgewährschuldverhältnis vor, auf welches die §§ 346 BGB anwendbar sind. Die Rückgewähr ist eine Nebenpflicht des HV-Vertrags 162. Der Rückgewähranspruch ist daher nach den §§ 353, 354 Abs. 2 zu verzinsen 163. Ein Anspruch aus § 812 BGB konkurriert 164. Gezahlten Provisionen stehen geleistete Vorschüsse (Abs. 1 S. 2) gleich165. Der Unternehmer kann mit dem Rückgewährsanspruch gegen die Provision aufrechnen 166, sofern dies vertraglich nicht ausgeschlossen wurde. Verjährung: § 195 BGB167. Es zählt zur ordnungsgemäßen Begründung des Rückforderungsanspruches, die Gründe des Rückzahlungsrechts darzulegen und zu beweisen 168. Bei 155

156 157 158 159 160 161 162 163

AA Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 25; Hopt § 87a Rn 15; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 35. AA Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 25. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 558. BGH LM § 87a HGB Nr. 2. Holling DB 1960, 80. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 559. v. Brunn NJW 1954, 56 (59); Ebenroth/ Löwisch § 87a Rn 40; Schröder § 87a Rn 26. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 565. BGH NJW 1963, 1201 = BGH BB 1963, 8 („grundsätzlich“, womit wohl angedeutet sein soll, dass die handelsrechtliche Verzinsung nicht verlangt werden kann von einem Unternehmer, der Nichtkaufmann ist); Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 40; Heymann/

164

165 166 167 168

Sonnenschein/Weitemeyer § 87a Rn 17; Hopt § 87a Rn 19; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 37; Schröder § 87a Rn 26. BGH BB 1963, 8; BAG, Urt. v. 14.03.2000 – 9 AZR 855/98, MDR 2000, 818; Ebenroth/ Löwisch § 87a Rn 40; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87a Rn 17; Hopt § 87a Rn 19; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 87a Rn 37; Schlegelberger/Schröder § 87a Rn 26. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 40. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 564. BGH DB 1963, 29 zu § 88; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 565. Vgl. OLG Köln VersR 2003, 459.

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Gefahr einer Nichtrückzahlung wegen schlechter Vermögenslage darf der Unternehmer nach Vertragsende fällige Provisionen zurückhalten, § 321 BGB 169.

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7. Besonderheiten der Rechtslage, wenn das Endgültigwerden der Provision vertraglich an die Leistung des Dritten geknüpft worden war. Abs. 2 geht aus von einer Vorleistung des Unternehmers (s.o.). Ist die Anknüpfung der endgültigen Entstehung des Provisionsanspruchs an die Ausführung des Geschäfts durch den vorleistenden Unternehmer – wie meist – vertraglich ausgeschlossen oder bleibt der Kunde nach dem Vertrage vorleistungspflichtig, so ist das Unbedingtwerden der Provision daraufhin allein auf die Leistung des Kunden gestellt (Abs. 1 S. 3). Die Frage, welchen Einfluss die Nichtleistung des Kunden in diesem Falle auf den Provisionsanspruch hat, regelt das Gesetz nicht. Es bedurfte dessen aber auch nicht. Der Provisionsanspruch ist mit dem Abschluss des Geschäfts bedingt entstanden. Die Bedingung ist in der hier behandelten Fallgestaltung die Leistung des Dritten (Abs. 1 S. 3). Leistet er nicht, bleibt der Provisionsanspruch deshalb zunächst in der Schwebe. Wann dieser Schwebezustand beendet wird, ergibt sich aus den allgemeinen Lehren des bürgerlichen Rechts: er endet auch hier, wenn feststeht, dass der Kunde nicht leisten wird. Denn dann ist die Bedingung ausgefallen. Der Provisionsanspruch kann endgültig nicht mehr entstehen. Darüber, unter welchen Voraussetzungen feststeht, der Dritte werde nicht mehr leisten, wird das zu Rn 43 Gesagte entsprechend zu gelten haben. Die Nichtausführung des Geschäfts ist auch dergestalt denkbar, dass beim Kauf durch Kundenfinanzierung eine Rückbelastung des Verkäufers eintritt, wenn der Käufer die Darlehnsraten gegenüber dem Finanzierungsinstitut nicht einhält und dieses die Kaufsache auf Grund Sicherungseigentums an sich nimmt 170. Auch hier ist die gleiche Einschränkung zu machen wie zu Rn 41 ff. Wenn der Dritte 51 deshalb endgültig nicht leistet, weil auf Seiten des Unternehmers eine durchgreifende Leistungsstörung vorliegt, wird der Provisionsanspruch ausschließlich aus Abs. 3 beurteilt und gegebenenfalls nach den dortigen Regeln gewährt. Denn daraufhin liegt wiederum die Quelle der Leistungsstörung, als das Primäre, beim Unternehmer. Dieser Fall kann auch dann eintreten, falls Zug um Zug zu leisten gewesen wäre. Ist allerdings der Dritte vorleistungspflichtig und hat er keinen Grund zur Seite, sein endgültiges Nicht-Leisten mit einer Vertragsverletzung durch den Unternehmer (etwa weil dieser schon im voraus seinen mangelnden Erfüllungswillen oder seine fehlende Erfüllungsfähigkeit hat offenbar werden lassen) zu rechtfertigen, so käme es nicht auf Erörterungen darüber an, wieweit der Unternehmer seiner eigenen Leistungspflicht demnächst würde nachkommen können = zumutbar nachkommen müssen oder nicht; der Provisionsanspruch wäre bereits erloschen 171. Denn der Unternehmer würde das Ausbleiben der Leistung des – vorleistungspflichtigen – Dritten stets zum Anlass nehmen dürfen, seinerseits nicht erfüllen zu brauchen; das ist gesetzliche Verhaltensnorm (§ 320 BGB), und mehr ist ihm nicht zuzumuten. Hinwiederum im Zug-um-Zug-Leistungsverhältnis muss der Unternehmer mindestens erfüllungsbereit gewesen sein, wenn die (endgültige) Nichtleistung des Dritten den Provisionsanspruch zum Erlöschen bringen soll, arg. § 756 ZPO. Setzt der erfüllungsbereite Unternehmer dem zunächst erst im Verzug befindlichen Dritten die Frist aus § 323 BGB, so steht die Nichtleistung des Dritten aus Rechtsgründen fest, sobald er die Frist verstreichen lässt und der Unternehmer daraufhin vom Vertrag zurücktritt; wählt der Unternehmer dagegen den Schadensersatz, so entfällt der Provisionsanspruch erst, wenn feststeht, dass auch der Schadensersatz, soweit er an die Stelle der Leistung des Dritten tritt, nicht zu realisieren 169 170

BGH WM 1975, 181. AM, auf die formale Erfüllung des Kaufvertrages abstellend und deshalb wenig über-

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zeugend: LG Wuppertal NJW 1958, 423. Schlegelberger/Schröder § 87a Rn 32.

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ist. Hat der Dritte sich schon vor jeglicher Durchführung des Vertrages von seiner Verpflichtung losgesagt, braucht der Unternehmer erst recht weder aus § 323 Abs. 1 BGB vorzugehen (s. § 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB) noch seine eigene Leistung bereitzuhalten. Der Anspruch auf die Provision ist endgültig dahin 172. Leistet schließlich der vorleistungspflichtige Dritte nicht, weil ihm eine Einrede aus 52 § 321 BGB zu Gebote steht, wird man von einer endgültigen Weigerung noch nicht sprechen können, sondern erst dann, wenn der zur Einrede berechtigende Tatbestand des § 321 BGB sich auf unabsehbare Zeit verfestigt hat. Dann freilich wäre auch hier der Provisionsanspruch nicht mehr gegeben; anders nur, sofern die Verschlechterung in den Vermögensverhältnissen des vorleistungspflichtigen Unternehmers von diesem i.S. des Abs. 3 zu vertreten ist. Liegt eine bloße Schlechtleistung des (sachleistungspflichtigen) Dritten vor, so ist die 53 gesetzliche Bedingung für das Endgültigwerden des Provisionsanspruchs (hier: des Einkaufsvertreters) eingetreten, wenn der Unternehmer die Leistung nicht von vornherein zurückweist. Ungerechtfertigte Zurückweisung wegen angeblicher Schlechtlieferung lässt den Provisionsanspruch gleichwohl endgültig entstehen. Gerechtfertigte Zurückweisung der angedienten mangelhaften Ware a limine belässt das Leistungsangebot des Dritten im Stadium des bloßen Erfüllungsversuchs; ob er wiederholt werden kann, hängt vom Recht zur zweiten Andienung ab. Danach und gegebenenfalls an deren Schicksal entscheidet sich, wieweit von einer echten Nichterfüllung (Nichterfüllbarkeit) der Leistung des Dritten als feststehend gesprochen werden kann, sofern der Unternehmer nicht nach § 323 BGB (s.o.) vorgegangen ist. Erfolgreicher Rücktritt nach geschehener Annahme als Erfüllung versetzt den Erfüllungsakt des Dritten zurück in den Stand der Nichterfüllung. Sie entzieht einer etwa schon gezahlten Provision den Rechtsgrund. Gegenüber dem Anspruch auf noch nicht gezahlte Provision verteidigt der Unternehmer sich nunmehr aus Abs. 3. – Nach erfolgreicher Durchsetzung eines Minderungsverlangens nach § 441 BGB muss die Leistung des Dritten für die Provision im Umfang der Reduktion der Gegenleistung als nicht erbracht behandelt werden. Bloße Mangelfolgeschäden aus der geschehenen Schlechtlieferung des Dritten, wenn sie später auftreten und geltend gemacht werden, berühren den Provisionsanspruch jedoch nicht (der Unternehmer kann die gezahlte Provision als Teil seines Schadens liquidieren). Wie ausgeführt muss der Unternehmer aber vertragsgemäß, und damit zum vertraglich 54 vorgesehenen Zeitpunkt, erfüllen. Nimmt er keine solche Erfüllung vor, schuldet er gem. Abs. 3 die Provision, und zwar ab dem Zeitpunkt, zu dem er gegenüber dem Dritten hätte erfüllen müssen. Weiter ist der Unternehmer gem. §§ 162, 242 BGB so zu behandeln, als habe er vertrags- und damit zeitgemäß erfüllt, mit der Folge der Provisionsberechtigung des HV.

II. § 87a Abs. 3: Nichtausführung durch den Unternehmer 55

1. Verhältnis zu Abs. 2. Zum Verhältnis zu Abs. 2 siehe Rn 40 ff.

2. Zweck. Störungen in der Abwicklung des Geschäfts bergen Risiken für den Unter- 56 nehmer, wenn es nicht gelingt, sie durch Schadensersatzansprüche oder durch Eintritt von außenstehender Seite abzufangen. Der Gesetzgeber hatte zu entscheiden, inwieweit an solchen Risiken der HV für seine Provision zu beteiligen sei. Dabei ergibt sich, dass die Kopplung der positiven und negativen Provisionschancen mit den allgemeinen Unter172

BGH MDR 1961, 312.

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nehmerchancen hier, wo die Vermittlungsbemühungen des HV ihren Erfolg in dem Abschluss des Geschäfts gefunden haben, nicht mehr in gleichem Maße innerlich gerechtfertigt ist. Der Provisionsanspruch ist bereits bedingt, auch weil der HV die Ausführung des Kundengeschäfts nicht erzwingen kann 173. Er kann in seinem Fortbestand nicht mehr mit allen Risiken aus der Durchführung des Geschäfts belastet bleiben, nur weil es die Risiken des Unternehmers sind. Liegen sie in der generell beherrschbaren Sphäre des Unternehmers, geht das Risiko des Provision-zahlen-müssens auf ihn über. Der Unternehmer ist aus dem zwischen ihm und dem Kunden geschlossenen Geschäft gegenüber dem Kunden zur Ausführung verpflichtet. Gegenüber dem HV besteht eine solche Verpflichtung nicht 174, die Ausführung oder Nichtausführung unterfällt im Grundsatz seiner Dispositionsfreiheit. Der Unternehmer kann das Geschäft deshalb entweder ganz unausgeführt lassen, nur zum Teil ausführen oder anders ausführen, als es abgeschlossen wurde. Die Folgen dieses Verhaltens sind jedoch für den HV grundsätzlich irrelevant. Denn in allen drei Fällen der Nicht-, Teil- oder Andersausführung durch den Unternehmer bleibt das Provisionsrecht des Vertreters erhalten 175. Der HV hat die wesentliche Nicht-, Teil- oder Andersausführung des Unternehmers nicht zu verantworten, so dass ihm sein Provisionsanspruch erhalten bleiben soll. In die zugunsten des HV entstandene Provisionsanwartschaft darf der Unternehmer nur unter den Voraussetzungen des Abs. 3 S. 2 eingreifen 176. Nachträgliche abweichende Vereinbarungen zwischen Unternehmer und Dritten berühren den Provisionsanspruch des HV 177 ebenso wenig wie nach § 162 BGB, dessen Rechtsgedanken Abs. 3 ausdrückt 178. Ebenso ist unerheblich, ob nach Abschluss des Kundenvertrags der Provisionssatz geändert worden ist 179. Steht der Kundenvertrag von vornherein unter einem Änderungsvorbehalt liegt keine von Abs. 3 erfasste nachträgliche Änderung vor 180. Der HV muss dann die Ausübung der Änderungsoption durch den Kunden akzeptieren und darf keine Provision nach der vom Kunden nicht gewählten Alternative fordern. Damit der HV die Provisionsabrechnung prüfen kann, sind die Gründe der Nichtausführung im Buchauszug nach § 87c Abs. 2 mitzuteilen. Der Dispositionsfreiheit des Unternehmers, soweit sie sich in der Freiheit seiner Reak57 tion auf Leistungsstörungen von Seiten des Dritten äußert, kann nach Abschluss des Vertrages mit dem Dritten – anders als bei der Entschließung über Annahme oder Ablehnung des Geschäftsabschlusses oder über Produktionseinstellung und Betriebsstilllegung (§ 86a Rn 57) – ein Einfluss auf das Schicksal des Provisionsanspruchs nur mehr begrenzt zugebilligt werden. Jetzt entscheidet nicht mehr die „willkürliche“, „schikanöse“ oder „unsachliche“ Disposition, sondern allein Abs. 3 über die Provision. Im Verhältnis zum HV engt der Entschließungsspielraum des Unternehmers sich ein auf das, was er angesichts der Leistungsstörung als ihm nicht mehr zumutbar ablehnen darf 181. Wenngleich es keine gegenüber dem HV bestehende Pflicht des Unternehmers zur Ausführung des Kundengeschäftes gibt, hätte sich der Rechtsgedanke des Abs. 3 auch aus §§ 162, 280 BGB entwickeln lassen. 173 174 175 176 177

OLG Koblenz BB 1973, 866 (867); Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 16. OLG Koblenz, BB 1973, 866; Hopt § 87a Rn 20. Hopt § 87a Rn 20. OLG Celle NJW 1972, 879; Ebenroth/ Löwisch § 87a Rn 3. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 3; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87a Rn 9; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 42.

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178

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181

Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 16; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 39. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 3; Schlegelberger/Schröder § 87a Rn 1. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 24; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 18, 22; aA Hopt § 87a Rn 20. Siehe dazu die (leicht verkürzende) Formel des BGH NJW 1972, 629 (636).

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3. Die Regelungssystematik. Gemäß § 87a Abs. 3 hat der HV auch dann Anspruch 58 auf Provision, wenn feststeht, dass der Unternehmer das Geschäft ganz oder teilweise nicht oder nicht so ausführt, wie es abgeschlossen worden ist. Dies ist die Grundregel oder der Regelfall. Eine Ausnahme von dieser Grundregel bildet § 87a Abs. 3 S. 2. Danach entfällt ausnahmsweise der Anspruch im Falle der Nichtausführung durch den Unternehmer, wenn und soweit diese auf Umständen beruht, die vom Unternehmer nicht zu vertreten sind. Hier manifestiert sich besonders augenfällig der Grundsatz, dass Umstände aus dem Verantwortungsbereich des Unternehmers nicht zum Entfallen des Provisionsanspruches führen. Bei der Nichtausführung durch den Unternehmer besteht aber eine Vermutung dafür, dass sie aus von dem Unternehmer zu verantwortenden Gründen geschieht. Die Sätze 1 und 2 des § 87a Abs. 3 begründen ein Regel-Ausnahme-Verhältnis. 59 Grundsätzlich bleibt die Provisionspflicht des Unternehmers im Falle der Nichtausführung des Geschäftes durch den Unternehmer bestehen, es sei denn, diese Nichtausführung beruht auf Umständen, die vom Unternehmer nicht zu vertreten sind. Greift der Regelfall ein, hat der HV einen unentziehbaren 182 Anspruch auf Provision. Gemeint ist die vertragsgemäß bedungene Provision, bei Fehlen einer solchen die Provision, deren Höhe nach § 87b bestimmt wird. Aus dem Regel-Ausnahme-Verhältnis und dem Grundsatz der Beweislastverteilung nach Gefahrenssphären ergibt sich auch die Verteilung der Beweislast: Die Ausnahme des § 87a Abs. 3 S. 2 – Entfallen des Provisionsanspruchs – hat der Unternehmer darzulegen und zu beweisen. Dieser Beweis ist regelmäßig schwer zu führen. Abs. 3 gilt auch im Verhältnis von Haupt- und Untervertreter 183. Soweit ein auf 60 Provisionszahlung in Anspruch genommener Hauptvertreter vorträgt, die von ihm vertretene Versicherung habe die Nachbearbeitung selbst übernehmen wollen, hat er sich deren Unterlassen nach § 278 BGB zurechnen zu lassen 184. 4. Der Regelfall des Abs. 3 S. 1. Der Ausführung des Geschäfts durch den Unterneh- 61 mer – Fall des Abs. 1 S. 1 – soll nach Abs. 3 S. 1 die Tatsache der Nichtausführung durch den Unternehmer gleichstehen; genauer: die ganze oder teilweise Nichtausführung des Geschäfts oder seine Nicht-so-Ausführung, wie es abgeschlossen worden ist. Die „Nichtso-Ausführung“, d.h. die nicht vertragsgemäße Ausführung, ist ein Unterfall („minus“) der Nichtausführung, was wegen der fehlenden Nennung der nicht vertragsgemäßen Ausführung in S. 2 bedeutend ist. Der HV soll seiner Anwartschaft auf die durch den Abschluss verdiente Provision nicht dadurch verlustig gehen, dass die Ausführung in der Sphäre des Unternehmers unterbleibt. Gesetzgeberisch ist damit ein Negativum zur Auffangbedingung für das Unbedingt-werden des Provisionsanspruchs 185 erhoben; der Eintritt dieser Auffangbedingung ist in die Form gekleidet, dass „feststehen“ muss, der Unternehmer werde nicht (nicht „so“) ausführen. Die Gründe für die nicht vertragsgerechte Leistung des Unternehmers sind für Abs. 3 S. 1 unerheblich 186, etwa wegen „Rücknahme“

182 183

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BGHZ 33, 92 (95); Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 16. OLG Köln, Urt. v. 09.09.2005 – 19 O 174/04, VersR 2006, 71, so auch OLG Düsseldorf, NJW – RR 1993, 1188 (1189); OLG Karlsruhe vom 24.05.2005 – 8 U 288/04. BGH, Urt. v. 05.03.2008 – VIII ZR 31/07, ZIP 2008, 1081 = WM 2008, 923 = BB

185 186

2008, 1030 m. Anm. Hilgard; OLG Köln, Urt. v. 09.09.2005 – 19 O 174/04, VersR 2006, 71 (72). BGH MDR 1961, 312. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 19; Hopt § 87a Rn 21; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 41; Schlegelberger/ Schröder § 87a Rn 31.

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(= Storno) des Angebotes des Dritten, einer einvernehmlichen Vertragsaufhebung 187, mangelnder Wirtschaftlichkeit des Geschäfts 188, Insolvenz des Unternehmers189 oder weil sich der Dritte nicht vertragskonform verhält und der Unternehmer deshalb berechtigt vertragliche oder gesetzliche Gestaltungsrechte ausübt. Diese Gründe gewinnen erst für Abs. 3 S. 2 als zweitem Prüfungsschritt Bedeutung. Für Abs. 3 S. 1 als erstem, vorrangigen Prüfungsschritt kommt es lediglich auf die nicht vertragsgemäße Ausführung des Kundengeschäfts auf der Grundlage des ursprünglich vereinbarten Vertragsinhalts an 190. Dabei ist das vertraglich intendierte (der Vertragsinhalt) mit der störungsfreien Abwicklung des Vertrages zu beschreiben. Obwohl auch die Ausübung vertraglicher Gestaltungs- oder Gewährleistungsrechte Teil des abgeschlossenen Geschäfts sind, müssen sie bei der Prüfung des Inhalts eines „Abschlusses“ (der Vertragskonformität) ausgeblendet werden. Anderenfalls würde man zu dem Zirkelschluss gelangen, dass bei Ausübung solcher Rechte durch den Kunden, etwa wegen eines Fehlers der Ware, der Provisionsanspruch nicht nach Abs. 3 bestände sondern nach Abs. 2 entfiele, weil z.B. der Rücktritt des Kunden keine Nichtausführung entgegen dem abgeschlossenen Vertrag bildete.

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5. Ganz oder teilweise nicht oder nicht so ausführt, wie es abgeschlossen worden ist = Nicht- oder Andersausführung. Sie setzt voraus, dass das Geschäft überhaupt wirksam ist und der Unternehmer dem Dritten gegenüber verpflichtet ist 191. Im Einzelnen:

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a) Erster Unterfall: Die Nichtausführung des Geschäfts durch den Unternehmer („nicht … ausführt“). Wie sich aus dem systematischen Ort der Bestimmung ergibt, hat sie unmittelbare Bedeutung für den Fall, dass das Unbedingt-werden des Provisionsanspruchs auf die Ausführung des Geschäfts durch den Unternehmer gestellt ist und gerade von ihr abhängt (Abs. 1 S. 1; weil er vorleistungspflichtig ist). Weit bedeutsamer aber ist die mittelbare Verknüpfung, die dort sichtbar wird, wo der Dritte gerade nicht leistet, weil der Unternehmer seinerseits nicht leisten kann oder nicht leisten will oder (bei Stornierung des Auftrags) nicht leisten soll. Die Leistung des Dritten (= Kunden) ist in Abweichung von Abs. 1 S. 1 ganz überwiegend vertraglich vorgeschriebene Bedingung für das Entstehen des Provisionsanspruchs. Steht die Nichtleistung des Dritten fest, so würde damit die Bedingung endgültig ausgefallen sein. Hier nun gelangt die Auffangfunktion des Abs. 3 S. 1 zur Wirkung. Die Nichtleistung des Dritten, wenn und weil der Unternehmer nicht leistet, ist provisionsrechtlich unschädlich. Ob die Nichtleistung des Dritten auf einer Einrede des nicht erfüllten Vertrages (§ 320 BGB) oder einem Rücktritt nach § 326 BGB beruht, ist gleichgültig. Der Unternehmer kann dem eine Provision beanspruchenden HV die Nichtleistung des Dritten nicht entgegenhalten, falls sie darauf beruht, dass der Unternehmer nicht vertragsgemäß leistet. Daraus ergibt sich, dass es zu Lasten des HV geht, wenn die Leistung des Dritten aus 64 Gründen, unterbleibt, die mit der Nichtleistung oder der Nicht-so-Leistung des Unternehmers nichts zu tun haben: in diesem Falle kann ihm auch Abs. 3 S. 1 nicht zur Provision verhelfen. Erbringt der vorleistungspflichtige Unternehmer seine Leistung nicht und wäre das Unbedingt-werden des Provisionsanspruchs durch unternehmerseitige Ausführung des Geschäfts vertraglich abbedungen, so kann der HV die Provision gleichwohl nicht bean187

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BGH HVR (56) Nr. 119; Grund: Keine Einigung zu Lasten des HV; vgl. Hopt § 87a Rn 21. LG Bielefeld HVR (58) Nr. 178; sogar eigene Vertragsuntreue des Unternehmers, Hopt § 87a Rn 21.

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190 191

BGH, Urt. v. 05.03.2008 – VIII ZR 31/07, ZIP 2008, 1081 = BB 2008, 1030 m. Anm. Hilgard; RGZ 63, 69 ff. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 19. Hopt § 87a Rn 21.

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spruchen, sofern feststeht, dass auch der Dritte ganz unabhängig hiervon seine Leistung nicht erbracht haben würde, etwa weil er vor Fälligkeit derselben in Vermögensverfall geriet. Beweispflichtig hierfür wäre allerdings der Unternehmer, wie sich aus Abs. 3 S. 2 und aus den Beweisgrundsätzen zur alternativen bzw. hypothetischen Kausalität ergibt. Hat dagegen der vorleistungspflichtige Dritte seine Leistung erbracht, obwohl fest- 65 steht, dass der Unternehmer das Geschäft nicht ausführen wird, etwa weil der Dritte bereits die Gefahr der zufälligen Unmöglichkeit der Unternehmerleistung zu tragen hatte, so bedarf es des Rückgriffs auf Abs. 3 S. 1 nicht. Der Provisionsanspruch ist bereits zum unbedingten, zwingend und spätestens mit der Leistung des Dritten erstarkt. Hätte der Dritte nach eigener Vorleistung wegen ausgebliebener Ausführung des Geschäfts durch den Unternehmer Rücktrittsrechte und macht er von ihnen Gebrauch, so steht damit zwar seine Nichtleistung fest, aber zugunsten des HV greift Abs. 3 S. 1 ein. b) Zweiter Unterfall: Die nicht vertragsgemäße Erfüllung des Geschäfts durch den Unternehmer („nicht … so ausführt“). Sie ist entweder eine mangelhafte (einschließlich der aliud-Lieferung) oder eine verspätete. Erforderlich ist immer, dass deshalb der Kunde nicht wie vertraglich vorgesehen leistet und infolgedessen der HV ohne Abs. 3 einen Provisionsnachteil erleiden würde (weil sonst ein Provisionsrecht nach Abs. 1 S. 3 entstehen würde). Leistet der Unternehmer ein Surrogat 192, akzeptiert der Dritte dies und fehlt deshalb ein Provisionsnachteil des HV entsteht die Provision nach Abs. 1, 2 und auf Abs. 3 kommt es nicht an. Was vertragsgemäß ist, bestimmt sich nach dem Inhalt des Vertrages. Denn mit der Ausrichtung auf ihn ist der Provisionsanspruch bedingt entstanden. Spätere Änderungen können die Provisionsberechtigung des HV nicht verschlechtern, es sei denn, er hat sich damit einverstanden erklärt 193. Wird die mangelhafte Lieferung vom Dritten von vornherein zurückgewiesen, so ist der Fall, dass damit die nicht vertragsgemäße Leistung „feststeht“ (Rn 74), nur gegeben, wenn die ordnungsgemäße Leistung nicht mehr möglich ist, etwa: bei Gattungsware wegen Untergangs des Restes der Gattung und gleichzeitiger Nichtbehebbarkeit des Mangels der angebotenen Lieferung; bei Spezieslieferung wegen Nichtbehebbarkeit des Mangels des angebotenen Gegenstandes; in beiden Fällen auch wegen nachträglichen finanziellen Leistungsunvermögens des Unternehmers, den Mangel zu beheben und damit eine vertragsgerechte Lieferung nachzuholen. Sonst aber muss grundsätzlich abgewartet werden, ob es noch zu einer mangelfreien Lieferung kommt; wenn ja, gelten die Grundsätze über verspätete Lieferung (s.u., Rn 70). Hat der Dritte die mangelhafte Leistung zunächst entgegengenommen, verlangt er aber Rücktritt, so hat der Unternehmer das Geschäft zwar „ausgeführt“. Aber auf Grund des Rücktritts wird sein Erfüllungshandeln in den Stand der Nichterfüllung zurückversetzt. Verlangt der Dritte Minderung, so ist es für die Provision so anzusehen, als habe der Unternehmer teilweise erfüllt: für den erfüllten Teil (und den ihm entsprechenden, dem Unternehmer verbleibenden Teil der Gegenleistung des Dritten) ist der Provisionsanspruch schon nach Abs. 1 S. 1, 3 gegeben, und im Ausmaß der Reduzierung des Kaufpreises nach Abs. 3 S. 1; der HV erhält seine Provision zum vollen Betrag. – Verlangt der Dritte Schadensersatz im Wege der Differenzrechnung ist die Leistung des Unternehmers nur noch Rechnungsposten in der Schadensrechnung; sie wird nicht mehr erbracht und wird als nicht erbringungsfähig behandelt. Das ist dann der Fall der 1. Alt. Der HV hat ein volles Provisionsrecht. 192

Vgl. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 17.

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Schlegelberger/Schröder § 87a Rn 30.

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Anders liegt es, wenn der Unternehmer das Geschäft verspätet ausführt. Sieht man von den Fällen des Fixgeschäfts ab (§ 361 BGB, § 376), bei denen die nicht termingerechte Erfüllung Nichterfüllung bedeutet und deshalb der Dritte ohne weiteres zurücktreten kann, so wird (und muss) der Dritte – sofern er nicht inzwischen den Mechanismus des § 323 BGB in Gang gesetzt hat – die wenngleich verspätete Leistung annehmen und ist auf die Geltendmachung des Verspätungsschadens beschränkt. Die aus Abs. 3 S. 1 sich provisionsrechtlich ergebende Folge ist die, dass der Provisionsanspruch in dem Augenblick zum unbedingten erstarkt ist, in welchem der Unternehmer das Geschäft hätte vertragsgemäß, d.h. termingerecht ausführen müssen. Ob der Dritte die Verspätung hinnimmt, ohne Ansprüche hieraus herzuleiten (vielleicht hat er keinen spezifischen Verspätungsschaden), spielt keine Rolle. Dass die Provision schon in dem Zeitpunkt unbedingt und damit liquidierbar wird, in welchem der Unternehmer termingemäß hätte ausführen müssen, hat Bedeutung für die Fälligkeit (Abs. 4) und über die Fälligkeit auch für eine etwaige Verzinsung (§§ 353, 354 Abs. 2, gegebenenfalls Verzugszins nach BGB). Beiden Fallgruppen ist Folgendes gemeinsam: Trifft die mangelhafte oder verspätete 71 Ausführung des Geschäfts durch den Unternehmer auf einen Dritten, der unabhängig hiervon ohnedies nicht geleistet haben würde, so nützt auch Abs. 3 S. 1 dem HV nichts. Es bewendet bei Abs. 2; der Anspruch auf Provision ist hinfällig. Hierfür ist der Unternehmer beweispflichtig. Beispiele für eine zum Provisionsrecht des HV führende Nichtausführung: 72 – Die Leistung des Unternehmers ist objektiv unmöglich 194; – Sie erfolgt vorzeitig 195, andersartig 196, unvollständig 197, mangelhaft 198 oder verspätet 199 und der Kunde leistet aus diesem Grunde nicht oder teilweise; – Es liegt eine zwischen Unternehmer und Kunden nachträglich getroffene Abrede vor, wonach die Kundenzahlung auf andere Forderungen des Unternehmers verrechnet werden soll 200 (aber dann dürfte Abs. 1 S. 3 eingreifen); – Ein vermitteltes Dauerschuldverhältnis wird vorzeitig beendet 201; – Der Unternehmer weigert sich auszuführen und der Kunde fügt sich dem; und tritt deswegen vom Geschäft zurück 202; – Der Unternehmer wird insolvent 203; – Der Dritte übt einen vorbehaltenen Rücktritt aus oder kondiziert bei Eintritt einer auflösender Bedingung; – Der Unternehmer muss zufolge Anfechtung des Geschäfts in der Insolvenz des Dritten das von jenem Geleistete wieder herausgeben; – Der Unternehmer erlässt die Forderung, etwa aus „Kulanz“, soweit sie durchsetzbar gewesen wäre 204; – Der Unternehmer übt ein Gestaltungsrecht aus, etwa ein Kündigungsrecht 205. 194 195 196 197 198 199

200

Hopt § 87a Rn 22. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 17. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 17. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 17. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 17. BGHZ 33, 95; BGH WM 1998, 723; Eberstein, S. 92; Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 17; Hopt § 87a Rn 21. OLG Nürnberg BB 1963, 1313 (Verrechnung auf die Kosten einer vom Dritten zusätzlich übernommenen Montage des

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201 202 203

204 205

Kaufgegenstandes; anders bei Verrechnung auf die Kosten der Teilfinanzierung des Kaufpreises). Hopt § 87b Rn 16. Hopt § 87a Rn 22. BGH, Urt. v. 05.03.2008 – VIII ZR 31/07, ZIP 2008, 1081 = WM 2008, 923 = BB 2008, 1030 m. Anm. Hilgard; RGZ 63, 69 ff. BGH MDR 1963, 312 zum alten Recht. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 19.

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§ 87a

Auch wenn der Unternehmer aus dem konkreten Geschäft nur seinem Kunden ver- 73 pflichtet ist, kann die Nichtausführung eine Pflichtverletzung gegenüber dem Vertreter darstellen. Zwar ist gerade vor dem Hintergrund des § 87a Abs. 3 S. 1 insoweit dem Unternehmer ein weites Ermessen zugebilligt, weil der HV durch die Nichtausführung regelmäßig keinen wirtschaftlichen Schaden erleidet. Zumindest dann, wenn es für die Nichtausführung des Geschäfts aus der Warte eines objektiven Dritten keine nachvollziehbaren Gründe gibt, konkurriert mit dem Provisionsanspruch aus Abs. 3 ein Schadensersatzanspruch aus § 280 BGB 206. Es lässt sich sogar diskutieren, ob nicht in jeder zu vertretenden Nichtausführung eine solche Pflichtverletzung liegt, oder ob Abs. 3 insoweit eine abschließende Spezialregel bildet und außerhalb ihrer Rechtsfolge das Dispositionsrecht des Unternehmers weitergehende Ersatzansprüche ausschließt. Ein über das Provisionsinteresse liegender Schaden kann etwa in entgangenen Geschäften der Zukunft liegen, falls eine laufende Geschäftsbeziehung durch die Nichtausführung des Unternehmers unterbrochen oder verhindert wird. Der Schadensersatzanspruch existiert nicht nur bei entsprechender Vereinbarung oder sittenwidriger Schädigung 207. Beweispflichtig für alle Voraussetzungen des Schadenersatzanspruchs ist der HV. c) Feststeht. Es muss objektiv 208 feststehen, dass eine vollständige oder teilweise 74 Nichtausführung wider die vertraglichen Bestimmungen vorliegt. Die subjektive Einschätzung des HV, eine hohe Wahrscheinlichkeit oder die Erfüllungsverweigerung des Unternehmers genügen nicht 209. Dies kennzeichnet die Beweislast und bestimmt zugleich den Zeitpunkt der Fälligkeit. Der HV muss die Nichtausführung entgegen den vertraglichen Bestimmungen beweisen, was hier hervorgehoben wird. Da die materielle Beweislast gekennzeichnet wird, bedarf es keiner gerichtlichen Feststellung 210, etwa mittels eines (Zwischen)Feststellungsurteils. Zur Beweislast i.E. s.u., Rn 125 f. Im Moment des Feststehens tritt, wie der Wortlaut des Abs. 3 S. 1 zeigt, auch die Fälligkeit ein 211, nicht zu dem Zeitpunkt, zu welchem der Unternehmer vertragsgemäß hätte leisten müssen 212. Entscheidend ist der ausbleibende Leistungserfolg, nicht die Leistungshandlung des Unternehmers 213. 6. Ausnahme: § 87a Abs. 3 S. 2: Keine Provision bei Nichtvertretenmüssen des 75 Unternehmers. Die Handelsrechtsnovelle 1989 brachte die Einführung des § 87a Abs. 3 S. 2. Der Provisionsanspruch entfällt ausnahmsweise, wenn und soweit die Nichtausführung des Geschäfts durch den Unternehmer auf Umständen beruht, die vom Unternehmer nicht zu vertreten sind. Im Zweifel bleibt also das Provisionsrecht des HV bestehen 214. Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Ausführung sind seit der Novelle 1989 nicht mehr entscheidend. Betrifft die Nichtausführung nur einen Teil des Geschäfts, bleibt ein anteiliger Provisionsanspruch erhalten („soweit“) 215. Ausreichend ist auch hier, dass der Unternehmer das Geschäft tatsächlich nicht aus- 76 führt. Es ist also keine Unmöglichkeit i.S.d. § 275 BGB 216 oder Unzumutbarkeit der Ausführung des Geschäfts für den Unternehmer erforderlich 217. Nach dem Wortlaut des Abs. 3 (ebenso Art. 11 Abs. 1 EG-Richtlinie) scheint S. 2 im Gegensatz zu S. 1 nur bei der 206 207 208 209

AA OLG Koblenz BB 1973, 866; Hopt § 87a Rn 2. So aber Hopt § 87a Rn 23. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 18. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 18; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87a Rn 10; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 46.

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Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 18. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 17. So Schlegelberger/Schröder § 87a Rn 30. BGH VersR 1983, 371 (372). Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 23. Hopt § 87a Rn 24. Hopt § 87a Rn 25. Hopt § 87a Rn 25.

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Nichtausführung und nicht bei nicht vertragsgemäßer Ausführung möglich zu sein 218. Unter die Nichtausführung fällt jedoch auch die nicht vertragsgemäße Ausführung als Unterfall der Nichtausführung, so dass der Regelungsgehalt des S. 2 den des S. 2 spiegelt 219. Es wäre a maiore ad minus nicht einzusehen, warum im schwerwiegenden Fall des totalen Vertragsbruchs, der Nichtausführung, der Entlastungsbeweis zulässig sein soll, nicht jedoch im Fall des bloßen „Nicht so Ausführens“ als schlechtestenfalls partiellen Vertragsbruchs. Entscheidend ist allein das Nichtvertretenmüssen des Unternehmers. Ein Vertreten77 Müssen im Sinne des § 87a Abs. 2 setzt kein persönliches Verschulden voraus. Es kommt deshalb nicht immer auf Vorsatz oder Fahrlässigkeit des Unternehmers oder seiner Erfüllungsgehilfen (§§ 276, 278 BGB) an 220 oder Einstehenmüssen bei Gattungsschuld (§ 279 BGB). Vielmehr genügt wie im gesamten Handelsrecht Einstehenmüssen für zurechenbare Risiken im Lichte des vertraglich Versprochenen 221. Mit Vertretenmüssen ist alles gemeint, was in die unternehmerische oder betriebliche Risikosphäre des Unternehmers fällt 222. Maßgeblich ist eine Gesamtwürdigung aller Umstände 223. Die Praxis ist mit Recht streng: der Tätigkeit des HV, die zum Abschluss des Geschäfts geführt hat, entspricht die ungeminderte Einstandspflicht des Unternehmers für seine Sphäre, wenn es um die Ausführung geht. Nichtvertretenmüssen kommt in erster Linie bei solchen Umständen oder Verhaltensweisen in Betracht, die auf Zufall 224, höherer Gewalt oder ausschließlich dem vom Unternehmer nicht zu beeinflussenden Risikobereich des Kunden beruhen 225. Deshalb entlastet den Unternehmer auch eine fehlerhafte rechtliche Beratung nicht. Er muss ggf. Schadenersatz beim Berater suchen. Der Unternehmer hat z.B. folgende Risiken zu vertreten: 78 – Eigene Leistungsunfähigkeit 226, Schwierigkeiten im eigenen Betrieb oder bei der eigenen Finanzierung 227; – Produktionsengpässe oder -schwierigkeiten im eigenen Unternehmen, auch durch zu hohe Auftragseingänge 228; – Verschulden von Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB); – Fehlerhafte Kalkulation 229; – Wegfall des Interesses an dem Kundengeschäft aus anderen Ursachen 230; – Abspringen des Kunden wegen Lieferversäumnis des Unternehmers 231; – Weigerung des Kunden, Ware wegen zu hohen Ausschusses abzunehmen 232; – Kündigung des Kunden durch den Unternehmer nach § 649 BGB 233; 218 219

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So auch Hopt § 87a Rn 20. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 22; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 51. OLG Frankfurt, Urt. v. 19.01.2007 – 4 U 34/06, NJOZ 2007, 1481. BGH, Urt. v. 05.03.2008 – VIII ZR 31/07, ZIP 2008, 1081 = WM 2008, 923 = BB 2008, 1030 m. Anm. Hilgard; Holling DB 1960, 79; Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 23; Hopt § 87a Rn 26; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 53. OLG Frankfurt, Urt. v. 19.01.2007 – 4 U 34/06, NJOZ 2007, 1481; Schlegelberger/ Schröder § 87a Rn 37. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 23; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87a Rn 19.

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MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 53. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 23. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 28. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 27; Hopt § 87a Rn 26. RGZ 74, 167; Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 27. Hopt § 87a Rn 26. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 28; Hopt § 87a Rn 26. BGH BB 1961, 147. BGHZ 58, 140. OLG Koblenz DB 1994, 208.

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– Hinnahme des vertragswidrigen Abspringens von Kunden ohne übliche, aussichtsreiche und zumutbare Maßnahmen zur Durchsetzung des Anspruchs 234; – Probleme des Bezugs und Transports der Rohstoffe 235, insb. Lieferschwierigkeiten des Vorlieferanten 236. Der Unternehmer, der Grund hat, an der Leistungsfähigkeit seines Lieferanten zu zweifeln, muss sich über die Warenmenge, auf die er rechnen kann, Gewissheit verschaffen; konnte er nicht mit ausreichender Sicherheit auf die Beschaffung z.B. der zu verkaufenden Ware rechnen, so durfte er dem HV keine Verkaufsaufträge erteilen, und dieser hat aus den vermittelten Geschäften die volle Provision zu beanspruchen 237. Ganz allgemein hat der Unternehmer es zu vertreten, sofern Schwierigkeiten in der Rohstoffbeschaffung, betriebliche Überlastung oder Lieferschwierigkeiten bei den Vorlieferanten auftreten und daraufhin die Ausführung des Geschäfts unterbleibt 238; erst recht, wenn eine Überlastung der eigenen Kapazitäten den Grund hierfür abgibt 239; – Arbeitskräftemangel 240; – nachträgliche Änderung, Rückgängigmachung, inhaltliche Änderung oder Aufhebung 241; – nachträgliche Risikoerhöhung, z.B. bei einem Versicherungsvertrag 242; – bei im Kundenvertrag die nicht vorgesehene Rücknahme der Ware aus Kulanz, etwa weil sie der Kunde nicht absetzen kann 243. Abweichendes kann ausnahmsweise bei langjährigen Kunden oder Großabnehmern gelten, die mit Abbruch der Geschäftsverbindung drohen und dem Unternehmer deshalb ein Beharren auf die Erfüllung des Vertrags unzumutbar ist 244; – Stornierung des Geschäfts 245; – Wenn die Ausführung unterbleibt, weil der Unternehmer bei dem Geschäft wegen irriger Kalkulation oder wegen inzwischen veränderter Marktlage seine Rechnung nicht mehr findet 246; – Unterlassene Ausführung des Geschäfts infolge Einstellung des Betriebes oder der Produktion 247. Der Provisionsanspruch bleibt insbesondere erhalten, falls der Unternehmer den Betrieb aufgibt, nachdem er in der Erfüllung gegenüber dem leistungsbereiten Kunden säumig geworden war und das wiederholte Drängen des HV unbeachtet gelassen hatte 248; 234 235 236 237 238 239 240 241

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Hopt § 87a Rn 26. Eberstein, S. 94 („Garantiehaftung“); Hopt § 87a Rn 26. BGH DB 1959, 940. BGH DB 1959, 940; LAG Bremen DB 1960, 1212. BGH DB 1959, 940; LAG Düsseldorf DB 1960, 813. LAG Bremen DB 1960, 1212. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 27; Hopt § 87a Rn 26. OLG Frankfurt NJW-RR 1990, 356; Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 24; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87a Rn 19; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 18, 41; Schlegelberger/Schröder § 87a Rn 30. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 28. BGH NJW-RR 1991, 156; BGH, Urt. v. 07.05.1998 – III ZR 319/96, NJW-RR 1998, 1561 (1562); Ebenroth/Löwisch § 87a

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Rn 24; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87a Rn 6. BGH, Urt. v. 13.07.1959 – II ZR 189/57, BB 1959, 864 (865); BGH, Urt. v. 13.10.1960 – VII ZR 224/59, VersR 1960, 1109; BAG, Urt. v. 09.12.1966 – 3 AZR 241/66, NJW 1967, 846; OLG Köln VersR 1978, 511; Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 24; Hopt § 87a Rn 26; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 87a Rn 54. BGH MDR 1963, 312 zum alten Recht. OLG Dresden OLGE 22, 1; Ebenroth/ Löwisch § 87a Rn 28; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87a Rn 6. LAG Düsseldorf BB 1960, 1075; Ebenroth/ Löwisch § 87a Rn 28; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 41, 54; aA LAG Stuttgart BB 1950, 674 = NJW 1951, 374 m. Anm. Reinicke. LAG Stuttgart DB 1964, 1379.

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– Insolvenz des Unternehmers 249 (Rn 87 ff), insbesondere als Hauptvertreter gegenüber dem Untervertreter250; – Wenn der Unternehmer von der Beendigung bedrohte Dauerschuldverhältnisse 251, insbesondere Versicherungsverträge 252, nicht hinreichend nachbearbeitet, d.h. sich um ihre Durchführung und Aufrechterhaltung kümmert, sofern deren Bestand gefährdet ist (zu Versicherungsvertretern § 92 Rn 11 ff). Stornierungen sind folglich nur dann nicht durch den Unternehmer zu vertreten, wenn er auflösungsgefährdete Verträge im Rahmen des Zumutbaren mit dem Ziel der Vertragsfortführung so nachbearbeitet, dass die Versicherungsnehmer ernstlich und nachdrücklich zur Erfüllung ihrer Vertragspflichten angehalten wurden 253. Voraussetzung ist die Verkehrsüblichkeit der Nachbearbeitung. Insbesondere bei einer schlichten Nichtaufnahme der Beitragszahlung durch den Versicherungsnehmer trifft den Unternehmer die Verpflichtung, die Nacharbeit des Versicherungsvertrages zu veranlassen 254. Art und Umfang der Nachbearbeitung bestimmen sich nach der Verkehrssitte sowie den Umständen des Einzelfalls 255. Der Unternehmer darf entweder eigene geeignete Maßnahmen zur Stornoabwehr ergreifen oder sich darauf beschränken, dem HV durch eine Stornogefahrmitteilung Gelegenheit zu geben, den notleidend gewordenen Vertrag selbst nachzubearbeiten. Dieses Wahlrecht gilt auch bei beendeten Versicherungsvertreterverhältnissen 256. Ergreift der Unternehmer nach Beendigung des HV-Vertrages selbst geeignete Maßnahmen zur Stornoabwehr, braucht er keine Stornogefahrmitteilungen zu versenden 257. Da der HV mit der Vermittlung oder dem Abschluss des Vertrags seine Pflichten erfüllt hat, soll keine gesetzliche Verpflichtung des HV bestehen, die Nachbearbeitung zu übernehmen oder an ihr mitzuwirken 258, sofern nicht ausnahmsweise dem HV eine solche in höherem Maß als dem Unternehmer möglich und zumutbar bleibt 259. Dem ist für den nachvertraglichen Zeitraum zuzustimmen. Während der Vertragsdauer entspricht es der Interessenwahrungspflicht des HV eine zumutbare Nachbearbeitung vorzunehmen. Die Nachbearbeitungspflicht des HV darf auch vertraglich begründet werden 260, derartiges widerspricht nicht Abs. 5. Eine in AGB ohne angemessene Gegenleistung vereinbarte Pflicht zur nachvertraglichen Nachbearbeitung dürfte regelmäßig unzumutbar sein und daher § 307 BGB widersprechen. Der HV wird sich mit einer solchen Pflicht oft in Widerspruch zu dem aus einem Nachfolgevertrag entstehenden Wettbewerbsverbot setzen, so dass sogar an eine Unwirksamkeit gemäß §§ 242, 138 BGB zu denken wäre. Trifft die Obliegenheit 249

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BGH, Urt. v. 05.03.2008 – VIII ZR 31/07, ZIP 2008, 1081 = WM 2008, 923 = BB 2008, 1030 m. Anm. Hilgard; Hopt § 87a Rn 26; aA RGZ 63, 71 bei „schuldloser“ Insolvenz. BGH, Urt. v. 05.03.2008 – VIII ZR 31/07, ZIP 2008, 1081 = WM 2008, 923 = BB 2008, 1030 m. Anm. Hilgard. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 26. BGH DB 1983, 2136; OLG Frankfurt, DB 1983, 1591; VersR 1986, 461; Knorn BB 1975, 111; Platz VersR 1985, 621; der Vertreter erhält durch den Unternehmer zum Zwecke der Nachbearbeitung Stornogefahrenmitteilung; OLG Köln NJW 1978, 327; OLG Schleswig MDR 1984, 760. BAG VersR 1968, 166 (169); OLG Köln VersR 1976, 87.

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OLG Celle, Urt. v. 28.06.2001 – 11 U 221/00, OLGR 2001, 267. BGH, Urt. v. 25.05.2005 – VIII ZR 279/04, VersR 2005, 1078 = DB 2005, 1961 = WM 2005, 1487 = NJW-RR 2005, 1196. BGH, Urt. v. 25.05.2005 – VIII ZR 279/04, VersR 2005, 1078 = DB 2005, 1961 = WM 2005, 1487 = NJW-RR 2005, 1196. BGH, Urt. v. 25.05.2005 – VIII ZR 279/04, VersR 2005, 1078 = DB 2005, 1961 = WM 2005, 1487 = NJW-RR 2005, 1196. BGH VersR 1983, 371 (372); aA Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87a Rn 16; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 54; differenzierend Knorn BB 1975, 111. Knorn BB 1975, 111. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 26.

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zur Nachbearbeitung einen Hauptvertreter, hat er sich ein Handeln oder Unterlassen des Unternehmers nach § 278 BGB zurechnen zu lassen 261. Die Nachbearbeitung kann durch Versendung von Stornogefahrmitteilungen an den HV ersetzt werden 262, wie es insbesondere im Versicherungsvertrieb geschieht. Die Stornogefahrmitteilung informiert den HV über die drohende Gefährdung seines Provisionsinteresses. Nach Erhalt der Stornogefahrmitteilung mag der HV im Lichte seines Provisionsinteresses entscheiden, ob er nachbearbeitet (Obliegenheit). Vertragsbegleitend ist er dazu regelmäßig aufgrund seiner Interessenwahrungspflicht sogar verpflichtet (s.o.). Macht ein Versicherungsnehmer von dem im VVG vorgesehenen Widerrufsrecht nach § 8 Abs. 4 VVG Gebrauch, so hat er Anspruch darauf, vom Unternehmer nicht behelligt zu werden. Eine Nachbearbeitung ist dann nicht erforderlich 263. Hat der Versicherer den Versicherungsnehmer angeschrieben und auf seine Rückfrage vor Annahme des Krankenversicherungsantrages des Versicherungsnehmers keine Antwort erhalten, so dass der Versicherungsvertrag nicht zustande gekommen ist, steht dem Unternehmer ohne Weiteres ein Anspruch auf Rückzahlung des an den HV gezahlten Provisionsvorschusses zu; eine weitere Nachbearbeitung ist nicht erforderlich 264. Nahm der Versicherer den Versicherungsantrag des Versicherungsnehmers nicht unverändert an, sondern unterbreitete er selbst ein abgeändertes Angebot, auf welches der Versicherungsnehmer nicht reagierte, trifft den Unternehmer kein Verschulden. Eine Nachbearbeitung ist unnötig 265. Teilt der Versicherungsvertreter dem Unternehmer mit, er habe Kenntnis, dass der Versicherungsnehmer die Durchführung des geschlossenen Vertrages nicht wünsche und wurde der Versicherungsvertreter selbst im Interesse einer solchen Nichtdurchführung für den Versicherungsnehmer tätig, so steht ihm keine Provision wegen fehlender Nacharbeit zu 266. Ist dem Versicherungsvertreter bekannt, dass ein Lebensversicherungsvertrag aus krankheitsbedingten Gründen notleidend wurde, besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass den Unternehmer wegen fehlender Nachbearbeitung an der Nichtweiterführung des Vertrages ein Verschulden treffen könnte 267. Hat der Versicherungsnehmer auf einem Vordruck der Lebensversicherungsgesellschaft erklärt, arbeitslos zu sein und sich deswegen die Beiträge nicht mehr leisten zu können, fällt eine darauf beruhende Vertragsstornierung nicht in die Risikosphäre des Unternehmers. In diesem Fall ist davon auszugehen, dass eine Nacharbeit an den veränderten Fakten, dem Eintritt der Arbeitslosigkeit, nichts geändert hätte 268. Mahnschreiben des Unternehmers an die Kunden bilden keine ausreichende Nachbearbeitungsmaßnahme 269. Vielmehr hat eine persönliche oder telefonische Kontaktaufnahme mit nachdrücklichem Hinweis auf die negativen Folgen einer Vertragsbeendigung zu erfolgen 270. Wird ein Eigengeschäft des HV notleidend, erübrigt sich eine Nachbearbeitung oder eine Stornogefahrmitteilung an den HV 271. Für den

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OLG Köln, Urt. v. 09.09.2005 – 19 O 174/04, VersR 2006, 71; vgl. auch BGH, Urt. v. 05.03.2008 – VIII ZR 31/07, ZIP 2008, 1081 = WM 2008, 923 = BB 2008, 1030 m. Anm. Hilgard. OLG Köln, Urt. v. 09.09.2005 – 19 O 174/04, VersR 2006, 71. OLG Celle, Urt. v. 28.06.2001 – 11 U 221/00, OLGR 2001, 267. OLG Celle, Urt. v. 28.06.2001 – 11 U 221/00, OLGR 2001, 267. OLG Celle, Urt. v. 28.06.2001 – 11 U 221/00, OLGR 2001, 267.

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OLG Celle, Urt. v. 28.06.2001 – 11 U 221/00, OLGR 2001, 267. OLG Celle, Urt. v. 28.06.2001 – 11 U 221/00, OLGR 2001, 267. OLG Celle, Urt. v. 28.06.2001 – 11 U 221/00, OLGR 2001, 267. OLG Köln, Urt. v. 09.09.2005 – 19 O 174/04, VersR 2006, 71. OLG Köln, Urt. v. 09.09.2005 – 19 O 174/04, VersR 2006, 71. OLG Celle, Urt. v. 28.06.2001 – 11 U 221/00, OLGR 2001, 267.

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Zugang der Stornogefahrmitteilungen bleibt der Unternehmer beweispflichtig 272. Ist dem HV erst zwei Monate nach einer im achten Monat der Laufzeit eines Versicherungsvertrages erfolgten Kündigung des Versicherungsnehmers eine Stornogefahrmitteilung zugegangen, so steht dies der Rückforderung der Provision nicht entgegen. Der Versicherungsvertreter muss zeitliche Verzögerungen, die daraus resultieren, dass er in einem Strukturvertrieb tätig geworden ist, hinnehmen. Solche Verzögerungen ergeben sich daraus, dass beim Versicherer eingehende Schriftstücke des Versicherungsnehmers dort erst sachgerecht bearbeitet und umgesetzt werden müssen, es sei denn, es liegt eine absichtliche Verzögerung vor 273. Auch hier hat der Unternehmer angemessene Organisationsmaßnahmen zur Beschleunigung zu treffen. Nach Ausscheiden eines HV besteht keine Pflicht zur Stornogefahrmitteilung 274. Dem Unternehmer ist es nicht zuzumuten, dem ausgeschiedenen HV solche Mitteilungen zukommen zu lassen. Es besteht die Gefahr, dass der HV anstelle der Nachbearbeitung des stornogefährdeten Vertrages den Versicherungsnehmer für seinen neuen Dienstherrn abwirbt 275. Auch für die Nachbearbeitung, sofern sie gefordert und nicht durch Stornogefahrmitteilungen ersetzt wurde, ist der Unternehmer beweispflichtig. Unterhalb eines Wertes von Verträgen von 50,00 EUR braucht der Unternehmer Nachbearbeitungsbemühungen nicht näher darzulegen, da ein Missbrauch weder auf der Hand liegt noch ersichtlich ist 276. Das pauschale Bestreiten des HV, es sei keine Nachbearbeitung erfolgt, bleibe, so das OLG Saarbrücken 277, als Sachvortrag „ins Blaue hinein“ unbeachtlich (zweifelhaft, weil der HV keine Kenntnis von der internen Nachbearbeitungsorganisation des Unternehmers zu haben braucht). Behauptet der HV, während seiner Tätigkeit niemals Stornogefahrmitteilungen erhalten zu haben, so könne er sich auf eine derartige Pflichtverletzung des Unternehmers gemäß § 242 BGB nicht berufen, wenn er rügelos hingenommen habe, dass Vertragsstornierungen erfolgten und Provisionsvorschüsse rückbelastet wurden 278. § 87a Abs. 3 und die Obliegenheit des Versicherers zu Stornogefahrmitteilungen gilt auch im Versicherungsmaklerrecht, sofern der Makler eine dem HV ähnliche Rechtsstellung einnimmt 279; – Falls der Unternehmer die ihm zumutbare gerichtliche Durchsetzung eines Anspruchs gegen den Kunden unterlässt (dazu oben, Rn 48), außer es handelt sich um die Erstprämie in der Lebensversicherung (wegen § 38 Abs. 1 VVG) 280; anders in der Sachversicherung 281. Es geht zwar streng genommen nicht um einen Fall des Abs. 3, weil die vom Unternehmer unterlassene gerichtliche Durchsetzung der Gegenleistung nicht zur Vertragsausführung zählt. Die Konstellation wird aber – auch hinsichtlich der Beweislastverteilung – analog Abs. 3 behandelt; 272 273 274

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OLG Köln, Urt. v. 09.09.2005 – 19 O 174/04, VersR 2006, 71. OLG Celle, Urt. v. 28.06.2001 – 11 U 221/00, OLGR 2001, 267. OLG Saarbrücken VersR 2000, 1017; LG Hannover, Urt. v. 16.06.2005 – 2 U 356/04, VersR 2006, 545; Emde VersR 2001, 148 (151/152); aA LG Mainz NJW-RR 2000, 915. Urt. v. 09.09.2005 – 19 O 174/04, VersR 2006, 71, so auch OLG Düsseldorf, NJW-RR 1993, 1188 (1189); OLG Karlsruhe, Urt. v. 24.05.2005 – 8 U 288/04. OLG Celle, Urt. v. 28.06.2001 – 11 U 221/00, OLGR 2001, 267. OLG Saarbrücken VersR 2000, 1017 (wohl

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unzulässige Verschiebung der Beweislast zu Lasten des HV). OLG Saarbrücken VersR 2000, 1017 (zwh., kommt auf Verhältnisse des Einzelfalls an). AG München, Urt. v. 24.03.2004 – 132 C 35109/03, VersR 2005, 1688; tendenziell wohl aA BAG NJW 2000, 2372 (2373). BAG NJW 1968, 518; OLG Frankfurt VersR 1981, 480; OLG Karlsruhe VersR 1982, 267; Fleischmann VersR 1957, 9; Sundermann BB 1958, 542 (544, 546); Ebenroth/ Löwisch § 87a Rn 25; Hopt § 87a Rn 29; aA Hans BB 1957, 1060 (1061); BB 1958, 544 (546). OLG Frankfurt VersR 1986, 462; Hopt § 87a Rn 29.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 87a

– Eigene Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung 282. Das ergibt die Wertung, dass ein Geldmangel generell zu vertreten ist. Nicht zu vertreten hat der Unternehmer die Nicht- oder Anderslieferung insbesondere, 79 wenn – wie es das Gesetz vor der Novelle 1990 ausdrückte – „in der Person des Dritten ein wichtiger Grund für die Nichtausführung vorliegt“, etwa Verdacht des rechtswidrigen, zum Beispiel patentverletzenden Gebrauchs des zu Liefernden 283. Die hierzu ergangene Rechtsprechung kann vorsichtig übernommen werden 284. Nicht verschuldet hat der Unternehmer deshalb Umstände aus der Risikosphäre des Dritten (= Kunden), die der Unternehmer durch eigene zumutbare Maßnahmen, etwa die unten genannte Nachbearbeitung, nicht beeinflussen kann 285. Ist z.B. der Vertrag nicht zustande gekommen, weil der Kunde eine notwendige Erklärung nicht abgegeben hat, so steht fest, dass den Unternehmer kein Verschulden am Nichtzustandekommen des Vertrages trifft 286. Wünscht der Versicherungsnehmer die Nichtdurchführung des Lebensversicherungsvertrages, weil der abzusichernde Immobilienkauf nicht zustande gekommen war, so handelt es sich ebenfalls um einen nicht in die Risikosphäre des Unternehmers fallenden Nichtausführungsgrund 287. Hierher gehören ferner die Ausübung eigener vertraglicher oder gesetzlicher Rechte durch den Unternehmer wegen eines vertragswidrigen Verhaltens des Dritten, Zurückbehaltungsrecht 288, Mangelgewährleistungsrechte des einen Einkaufsvertreter beauftragenden Unternehmers, berechtigt ausgeübte vertragliche oder gesetzliche Kündigung oder Rücktritt, die Ausübung des dem Kunden in dem vom HV herbeigeführten Kundenvertrag vorbehaltenen Rücktrittsrechts, der gesetzlich vorgesehene Widerruf bei Teilzahlungs- oder Haustürgeschäften 289. Streng wörtlich könnte man hier argumentieren, der Vertrag werde nicht vertragswidrig ausgeführt (dazu oben, Rn 66 ff), weil der Unternehmer ein vertragliches Recht in Anspruch nimmt. Dem Unternehmer ist ferner die Änderung oder Einstellung des Betriebs eines Kunden oder dessen drohende oder tatsächliche Insolvenz nicht zurechenbar 290. Gleiches gilt für eine Vermögensverschlechterung des Kunden mit Gefährdung der Kaufpreisforderung (§ 321 BGB) 291. § 321 BGB entlastet den Unternehmer auch im Verhältnis zu seinem HV 292. Der Unternehmer muss aber einen Sekundäranspruch, etwa einen Schadenersatzanspruch in gleicher Weise wie den Erfüllungsanspruch durchsetzen, um dem HV die Provision aus der Ersatzleistung zahlen zu können 293. Leitet die Ausführung des Kundengeschäfts zu einer Straftat, einer nicht gerechtfertigten Verletzung von Rechten Dritter oder der Rechte oder Pflichten des Unternehmers (Schutzrechte), etwa bei Gefahr eines unberechtigten Weiterverkaufs durch den Kunden 294, bzw. zu einem Verstoß 282 283 284 285

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OLG Frankfurt, Urt. v. 19.01.2007 – 4 U 34/06, NJOZ 2007, 1481. Hopt § 87a Rn 28. Hopt § 87a Rn 28. Kempfler NJW 1963, 524 zu unterbliebenen notwendigen Mitwirkungshandlungen des Bestellers bei Werkverträgen; Ebenroth/ Löwisch § 87a Rn 29. OLG Celle, Urt. v. 28.06.2001 – 11 U 221/00, OLGR 2001, 267. OLG Celle, Urt. v. 28.06.2001 – 11 U 221/00, OLGR 2001, 267. AA OLG München, Urt. v. 24.05.2007 – 4 HKO 1124/00: Ein ZBR gegenüber dem Kunden rechtfertigt nicht in jedem Fall die Nichtauslieferung. Voraussetzung soll eine objektiv feststehende Zahlungsunfähigkeit

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oder ein berechtigter Insolvenzverdacht sein. Dazu OLG Karlsruhe NJW-RR 1993, 1274; Rewolle DB 1964, 467 (469); Ebenroth/ Löwisch § 87a Rn 29; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87a Rn 6, 19. Hans BB 1957, 1060 (1061); Ebenroth/ Löwisch § 87a Rn 29; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 55. Hopt § 87a Rn 28. BGH, Urt. v. 09.12.1974 – VII ZR 82/73, WM 1975, 181; Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 29; Hopt § 87a Rn 28; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 55. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 29. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 30; Hopt § 87a Rn 28.

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§ 87a

1. Buch. Handelsstand

gegen ein dem Unternehmer obliegendes Unterlassungsverbot, hat der Unternehmer die Nichtausführung des Kundengeschäfts nicht zu vertreten 295. Der Unternehmer hätte das betreffende Geschäft nicht schließen dürfen, so dass dem HV auch aus jenem Grunde kein Schaden erwächst und er keinen Schadenersatzanspruch geltend machen kann. Soweit der Unternehmer infolge der Nichtausführung oder der nicht vertragsgemäßen Ausführung durch den Unternehmer die Gegenleistung erhalten bleibt 296, etwa im Fall des § 649 BGB 297, oder er ein Surrogat gewinnt, bestimmt sich das Provisionsrecht des HV nach Abs. 1 S. 3, Abs. 3 greift nur insoweit ein, als die als Provisionsbemessungsgrundlage dienende Leistung entfällt. Ebenso darf der Unternehmer, ohne sich provisionspflichtig zu machen, ein Rücktrittsrecht ausüben, welches ihm bereits in dem vom HV herbeigeführten Kundenvertrag vorbehalten ist 298: der Rücktritt erfolgt vertragskonform. Nicht zu vertreten sind ferner Gründe, die in der Kautelarjurisprudenz als höhere 80 Gewalt geregelt werden oder die Vertragsanpassung oder -beendigung im Falle des WGG 299, Eingriffe von hoher Hand, wie Material-, Transport-, Änderungen der Rechtslage, z.B. Export- oder Importsperre 300, Herstellungsverbote nach dem Abschluss 301, es sei denn, diese Eingriffe sind vorhersehbar und Ausweichmaßnahmen möglich 302, unvorhersehbare Betriebsstörungen, Überschwemmung 303 bzw. sonstige Verkehrshindernisse 304, Streiks beim Unternehmer oder Vorlieferanten 305, möglicherweise aber nicht bei Aussperrung, unvermeidbare Transportschwierigkeiten, ganz erhebliche, völlig außer Verhältnis stehende Verteuerung, so dass eine kostendeckende Herstellung unmöglich wird und die Geschäftsgrundlage entfällt 306, rechtskräftige Verurteilung zum Unterlassen der Lieferung 307 oder falls ein Außenstehender die Lieferung (etwa aufgrund von Schutzrechten) verbietet 308. Obwohl der Unternehmer die Nichtausführung oder die nicht vertragsgemäße Aus81 führung nach diesen Maßstäben zu vertreten hat, kann der HV in besonderen Ausnahmefällen nach § 242 BGB oder den Grundsätzen der ergänzenden Vertragsauslegung verpflichtet sein, auf sein Provisionsrecht zu verzichten 309. Ein Beispiel ist etwa der o.g. Fall drohenden Abbruchs der Geschäftsverbindung. Über allem steht also der Grundsatz Treu und Glauben, der Raum für Billigkeitserwägungen des Einzelfalls lässt.

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7. Vertretenmüssen im Verhältnis Unter-/Hauptvertreter. Der Anspruch eines echten Untervertreters entfällt, wenn – feststeht, dass – der Unternehmer die Nichtausführung des vom Untervertreter herbeigeführten Geschäfts nicht zu vertreten hat (Abs. 3 S. 2) 310. 295 296

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Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 30; Hopt § 87a Rn 28. BGH, Urt. v. 17.11.1983 – I ZR 201/83, NJW 1984, 1455; OLG Köln NJW-RR 1994, 226 (227); OLG Koblenz NJW-RR 1994, 295 = MDR 1993, 1187; LG Bückeburg MDR 1998, 665; Wolf/Ungeheuer NJW 1994, 1497; Heymann/Sonnenschein/ Weitemeyer § 87a Rn 19. Da der Besteller von vornherein das Kündigungsrecht nach § 649 BGB hat, liegt streng genommen kein Fall der nicht vertragsgemäßen Ausführung vor, vgl. Hopt § 87a Rn 21. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 24. Hopt § 87a Rn 28. Holling DB 1960, 79; Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 27; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87a Rn 19; Hopt § 87a Rn 28;

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MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 53, 55. LAG Düsseldorf, BB 1960, 1075; Hopt § 87a Rn 28; aA OLG Frankfurt, WM 1991, 867. OLG München, BB 1995, 1559; Hopt § 87a Rn 28. Hopt § 87a Rn 28. OLG Hamburg LZ 1915, 45510. Hopt § 87a Rn 28. Hopt § 87a Rn 28; Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 28; Schlegelberger/Schröder § 87a Rn 37; s.a. OLG Köln VersR 1974, 287. Hopt § 87a Rn 28. Hopt § 87a Rn 28. Vgl. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 24. BGH, Urt. v. 05.03.2008 – VIII ZR 31/07, ZIP 2008, 1081 = WM 2008, 923 =

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§ 87a

Unternehmer i.S.d. § 87 Abs. 3 ist im Verhältnis zu seinem Untervertreter nicht der Hauptvertreter, sondern dessen Auftraggeber 311. Im Ergebnis muss sich der Hauptvertreter folglich das Verhalten seines Unternehmers zurechnen lassen. Dies kennzeichnet den Regelfall, begründet aber keinen Rechtssatz mit Ausschließlichkeitscharakter. Regelmäßig führt der Auftraggeber des Hauptvertreters das Geschäft aus. Diese Aufgabe darf er jedoch an den Hauptvertreter delegieren. Dann gilt § 87a Abs. 3 unmittelbar für das Vertretenmüssen des Hauptvertreters. § 87a Abs. 3 gilt entsprechend, falls zwar der Auftraggeber des Haupvertreters das Geschäft ausführen soll, es aber aufgrund eines Vertretenmüssen des Hauptvertreters anders als vereinbart ausgeführt wird 312. 8. Teilausführung des Geschäfts. § 87a Abs. 3 S. 2 bestimmt, was im Falle der nicht 83 vertragskonformen Teilausführung mit dem Provisionsanspruch geschieht: Steht fest, dass der Unternehmer das Geschäft teilweise nicht ausführen wird, entsteht ein anteiliger Provisionsanspruch „soweit“ geleistet wurde, also entsprechend dem Wertverhältnis des gelieferten zum noch zu liefernden Teil 313. Hinsichtlich des vertragskonform ausgeführten Teils s.o., Rn 24: Wird das Geschäft teilweise ausgeführt oder der Kaufpreis gemindert 314, entsteht die Provision (nur) hinsichtlich des nicht ausgeführten Teils nach Abs. 3, hinsichtlich des ausgeführten Teils nach Abs. 1 315. Führt der Kunde das Geschäft entgegen der Vereinbarung nur teilweise aus, ist der Restprovisionsanspruch nach § 87a Abs. 2 zu beurteilen 316. Wenn der Unternehmer anstelle der nicht erbrachten Teilleistung ein Surrogat erbringt, etwa als Schadensersatz bei verschuldeter Unmöglichkeit der Erfüllung, tritt das Surrogat an die Stelle der Leistung in voller Bedeutung des Abs. 1 S. 1. Erst in Ansehung eines etwaigen Zurückbleibens hinter der ungekürzten Leistungspflicht gilt dann insoweit das in Abs. 3 S. 1 für die quantitative Teil-Nichtausführung Gesagte. Auch falls der Unternehmer eine Teilleistung erbringt, obwohl er zu einer Gesamtleistung verpflichtet ist, ergibt sich der Provisionsanspruch für den nicht ausgeführten Teil aus § 87a Abs. 3. Der HV erhält einen Teilprovisionsanspruch im Verhältnis des Wertes der teilweisen zur vollständigen Ausführung 317, der den Anspruch aus Abs. 3 ergänzt. 9. Rückzahlungspflicht. Wegen der fehlenden Provisionspflicht nach Abs. 3 S. 2 nicht 84 geschuldete Provisionszahlungen muss der HV analog Abs. 2 2. HS i.V.m. §§ 346 ff BGB 318 und § 812 BGB iVm § 818 Abs. 3 BGB 319 zurückgewähren.

G. Fälligkeit der Provision (§ 87a Abs. 4) Die Fälligkeit jeder Provision, auch einer nicht von einer konkreten Tätigkeit abhän- 85 gigen Provision, wie z.B. der Bezirksprovision 320, und des nach § 87a Abs. 1 bis 3 verfestigten Provisionsanspruches tritt am letzten Tag des Monats ein, in dem nach § 87c

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BB 2008, 1030 m. Anm. Hilgard; BGHZ 91, 370 (372); OLG Düsseldorf NJW-RR 1993, 1188 = DB 1993, 733; Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 53. BGH, Urt. v. 05.03.2008 – VIII ZR 31/07, VersR 2008, 1684 = ZIP 2008, 1081 = WM 2008, 923 = BB 2008, 1030 (m. Anm. Hilgard). Emde EWiR 2008 (im Druck). Westphal Vertriebsrecht I, Rn 546; Hopt § 87a Rn 5. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 17; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 45.

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Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 21; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87a Rn 7; Hopt § 87a Rn 20; Schröder § 87a Rn 31. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 546. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 544. BGH, Urt. v. 05.03.2008 – VIII ZR 31/07, ZIP 2008, 1081 = WM 2008, 923 = BB 2008, 1030 m. Anm. Hilgard; Ebenroth/ Löwisch § 87a Rn 32. Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87a Rn 19; aA Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 32. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 41.

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§ 87a

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Abs. 1 über den Anspruch abzurechnen ist, also ipso iure und unabhängig davon, ob tatsächlich abgerechnet wird. Damit tritt Fälligkeit für alle im Abrechnungszeitraum entstandenen Ansprüche im Regelfall am letzten Tag des Folgemonats nach dem Entstehen des Anspruchs ein. Haben die Parteien den Abrechnungszeitraum auf die Höchstdauer des § 87c Abs. 1 Satz 1 2. Hs. von drei Monaten verlängert, wird die Fälligkeit bis zum Ende des vierten Monats nach dem Entstehen herausgezögert. Eine im Laufe des Monats Januar nach § 87a endgültig entstandene Provision wird danach bei monatlicher Abrechnung Ende Februar, bei quartalsmäßiger Abrechnung Ende April fällig. Fälligkeit und Abrechnungszeitpunkt fallen damit auf denselben Zeitpunkt 321. Alle in den Abrechnungszeitraum fallenden Einzelprovisionsansprüche werden ohne Rücksicht auf ihr Entstehen einheitlich fällig 322. Diese Koppelung mit dem Abrechnungsturnus ist nach Abs. 5 zwingend; zur Disposition der Parteien steht einzig (87c Abs. 5, Abs. 1 S. 1 Hs. 2), den Abrechnungsturnus zwischen einem Monat und drei Monaten variieren zu lassen. Es ist also nicht möglich, die Fälligkeit etwa auf jeweils drei Monate nach Entstehen des Anspruchs festzusetzen, weil die Abrechnung auch jene Ansprüche zu umfassen hat, die etwa am letzten Tage der Abrechnungsperiode entstanden sind. Eine kalendermäßige Fälligkeit i.S. von § 284 Abs. 2 BGB wird hierdurch nicht 86 begründet. Dies deshalb nicht, weil der Eintritt der Bedingung für das endgültige Entstehen des Anspruchs nach § 87a – man denke nur an den Tatbestand des Abs. 3 S. 1 –, von welchem ab die Fälligkeit sich allenfalls errechnen ließe, seinerseits kalendermäßig nicht fixiert ist 323. Zur Herbeiführung des Verzuges bedarf es hiernach einer Mahnung. Die Verjährung einer vertragswidrig nicht abgerechneten Provision beginnt erst, sobald der HV Anlass hat, an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Abrechnung zu zweifeln, zumindest aber, sobald er in der Lage ist, den Provisionsanspruch dem Grunde nach geltend zu machen 324 (jetzt § 199 Abs. 1 BGB). Seit der Schuldrechtsnovelle 2002 gilt aber die zehjährige Höchstfrist des § 199 Abs. 4 BGB.

H. Provisionsansprüche in der Insolvenz I. Insolvenz des Unternehmers 325 87

Der Provisionsanspruch des HV ist immer dann privilegierte Masseforderung, wenn er auf eine Tätigkeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zurückgeht. Die insolvenzrechtliche Einordnung von Ansprüchen, die aus einer Tätigkeit des HV vor Verfahrenseröffnung hervorgehen, hängt dagegen maßgeblich vom Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit dem Dritten bzw. der Vertragsdurchführung ab. Für den speziellen Fall von Bezirksoder Kundenschutzprovisionsansprüchen nach § 87 Abs. 2 ist anzumerken, dass solche von vornherein nicht zur Entstehung gelangen, wenn die abgeschlossenen Geschäfte lediglich der Abwendung der Insolvenz des Unternehmers dienen.326 Im Übrigen sind die nachfolgend erläuterten Konstellationen zu unterscheiden. 88 321 322 323

Westphal Vertriebsrecht I, Rn 620. Hopt § 87b Rn 31. BGH, Urt. v. 09.04.1962 – VII ZR 162/60, DB 1962, 699 = BB 1962, 543; OLG Oldenburg NJW 1959, 888 = DB 1959, 138; Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 41; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87a Rn 20; Hopt § 87a Rn 34; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 60; Schlegelberger/ Schröder § 87a Rn 43.

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BGH Urt. v. 28.01.1977 – I ZR 175/75, EBE 1977, 115. Zur KO vgl. Holling DB 1957, 349; s.a. schon Withake JW 1935, 2915. RG, Urt. v. 03.03.1933 – II 276/32, RGZ 140, 80 (82 f); Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn/Löwisch § 87 Rn 52.

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§ 87a

1. Eröffnung des Insolvenzverfahrens vor Vertragsschluss. In jener Konstellation wird 89 der HV vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens tätig, der von ihm vermittelte Vertrag zwischen Unternehmer und Drittem ist im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aber noch nicht abgeschlossen. Innerhalb dieser Konstellation ist zu unterscheiden, ob der Vertragsschluss endgültig unterbleibt oder der inzwischen eingesetzte Insolvenzverwalter den Vertrag mit dem Unternehmer abschließt. 2. Vertragsschluss unterbleibt endgültig. Kommt es nicht zu einem Vertragsschluss 90 zwischen Drittem und Unternehmer, so entstehen auf Seiten des HV keine Ansprüche auf Zahlung einer Provision. Der Provisionsanspruch ist aufschiebend bedingt und die vereinbarte Bedingung der „Geschäftsausführung“ im Sinne des § 87a Abs. 1 nicht eingetreten. Die insolvenzrechtliche Einordnung erübrigt sich. 3. Insolvenzverwalter schließt Vertrag ab. Schließt der Insolvenzverwalter den vom 91 HV angebahnten Vertrag mit dem Dritten ab, so ist der Provisionsanspruch des HV als vorab zu befriedigende Masseforderung nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO einzustufen 327. Der InsV wird sich dazu entschließen, sofern der Antrag des Kunden noch nicht erloschen ist und das Geschäft für die Masse vorteilhaft erscheint. Obwohl die Leistung des HV vor Beginn des Insolvenzverfahrens erfolgt, ist dieses Ergebnis auch sachlich gerechtfertigt, da der Verwalter nicht besser gestellt sein darf als der Insolvenzschuldner. Der Insolvenzschuldner wäre im Falle des Vertragsschlusses mit dem Dritten aber zur vollumfänglichen Befriedigung der Provisionsforderung verpflichtet. 4. Verfahrenseröffnung nach Vertragsschluss. Bei der Einordnung der in dieser Kon- 92 stellation entstehenden Überhangprovisionen ist danach zu differenzieren, wie der Insolvenzverwalter sich im Rahmen des ihm zustehenden Wahlrechts nach § 103 InsO entscheidet. Es ist mithin danach zu differenzieren, ob der Insolvenzverwalter die Ausführung des geschlossenen Vertrages ablehnt oder die Erfüllung des Vertrages wählt. 5. Insolvenzverwalter lehnt Vertragsausführung ab. Lehnt der Insolvenzverwalter die 93 Vertragsdurchführung ab, so wirft dies zunächst die Frage auf, ob überhaupt ein Provisionsanspruch entsteht, da der Eintritt der aufschiebenden Bedingung der „Geschäftsausführung“ unterbleibt. Grundsätzlich besteht ein Provisionsanspruch aber auch dann, falls feststeht, dass das provisionspflichtig zustande gekommene Geschäft nicht ausgeführt wird (§ 87a Abs. 3 S. 1). Der Provisionsanspruch entfällt wiederum, wenn und soweit die Nichtausführung des Vertrages auf Umständen beruht, die vom Unternehmer nicht zu vertreten sind (§ 87a Abs. 3 Satz 2). Stellt man auf die Entscheidung des Insolvenzverwalters ab, war diese vorsätzlich, d.h. zu vertreten. Andererseits ist dem InsV das Wahlrecht im alleinigen Interesse der Masse gegeben, für diese den übersteigenden Wert der Gegenleistung des Vertragspartners zu realisieren. Nicht aber ist es ihm im Interesse des HV gegeben, um jenen vor anderen Gläubigern zu bevorzugen 328. Sieht man den Insolvenzeintritt als Anknüpfungsfaktor, so dürfte der Unternehmer die eigene Insolvenz zu vertreten 327

328

Uhlenbruck/Berscheid, § 55 Rn 9; Ebenroth/ Boujong/Joost/Strohn/Löwisch § 87 Rn 61; Küstner/Thume I, Rn 1362; Westphal Vertriebsrecht I Rn 705, zu § 59 KO; ebenso: Holling DB 1957, 349 zu Ziffer 2). Weiteres Argument der 4. Aufl.: Das Wahlrecht verlängert wirtschaftlich die durch das Wahlrecht des Verwalters substituierte Entscheidungsfreiheit des Unternehmers: Die Freiheit der Entschließung, das Vertrags-

angebot anzunehmen oder abzulehnen, war vor wie nach Insolvenzeröffnung, für den Unternehmer dort wie für den Insolvenzverwalter hier, in gleicher Weise gegeben. Erst nach Abschluss des Geschäfts wäre der Unternehmer nicht mehr frei gewesen; er hätte erfüllen müssen. Im Gegensatz hierzu ist dem Insolvenzverwalter auch jetzt noch das Recht der Wahl eingeräumt, ob er zum Vertrage stehen wolle oder nicht.

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haben 329. Die 4. Auflage 330 vertrat, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Unternehmers werde dieser nur dann nicht zu vertreten haben – mit der Wirkung, dass der Insolvenzverwalter eine hierauf gestützte Einwendung der Geltendmachung der Provisionsforderung im Prozess um die Berechtigung der Anmeldung zur Tabelle entgegensetzen dürfe –, wenn der finanzielle Zusammenbruch auf Umstände zurückzuführen war, die eine höhere Gewalt darstellten. Hierzu könnten auch Kettenzusammenbrüche zählen. Dass es auch eine nicht zu vertretende Insolvenz gibt, ist allerdings ebenfalls denkbar 331. So hat bereits das RG die Möglichkeit einer schuldlos verursachten Insolvenz angenommen 332. Dann würde in den Vordergrund gerückt, dass der Entstehungsgrund der Provisionsforderung aus der Zeit vor Insolvenzeröffnung herrührt, in der er gelegt worden ist, und dass die Provision als bedingt entstandene in die Insolvenz hineingegangen ist. Grundsätzlich ist die Insolvenz jedoch der Risikosphäre des Unternehmers zuzuordnen, so dass regelmäßig auch von einem Vertretenmüssen auszugehen ist, der Provisionsanspruch des HV mithin bestehen bleibt 333. Eine nicht zu vertretende Insolvenz kann ausnahmsweise vorliegen, wenn sie im konkreten Einzelfall allein auf äußeren Umständen beruht, die nicht der Risikosphäre des Unternehmers zuzurechnen sind. Der Insolvenzverwalter muss in diesem Fall den Beweis erbringen, dass die Insolvenz auf solchen, vom Unternehmer nicht zu vertretenden äußeren Umständen beruht 334. Nur unter diesen Voraussetzungen entfällt der Provisionsanspruch ausnahmsweise gemäß § 87a Abs. 3 S. 1. Bleibt der Provisionsanspruch dagegen bestehen, so ist er einfache Insolvenzforderung i.S.d. § 38 InsO 335.

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6. Insolvenzverwalter wählt Erfüllung. Mit der vom Insolvenzverwalter veranlassten Ausführung des Vertrages tritt die aufschiebende Bedingung i.S.d. § 87a Abs. 1 ein und sämtliche Voraussetzungen für die Entstehung des Provisionsanspruchs sind erfüllt, vorausgesetzt, dass es keine abweichenden Vereinbarungen im Vertretervertrag gibt. Die Frage ist, ob der so entstandene Provisionsanspruch vorweg vollumfänglich zu befriedigende Masseforderung oder bloß einfache Insolvenzforderung ist. An eine Masseforderung ist zu denken, weil eine Masseverbindlichkeit gemäß § 55 95 Abs. 1 Nr. 2 InsO vorliegt, sofern der Insolvenzverwalter, wie hier, die Erfüllung eines gegenseitigen Vertrages zur Insolvenzmasse verlangt. Andererseits ist eine Forderung nach § 38 InsO einfache Insolvenzforderung, falls sie zur Zeit der Verfahrenseröffnung „begründet“ ist. Bedingt entstandene Ansprüche, wie der Provisionsanspruch, sind ebenfalls „begründete“ Ansprüche i.S.d. § 38 InsO 336. Der BGH hatte den Provisionsanspruch als einfache Konkursforderung eingestuft 337, 96 weil er bereits mit Abschluss des Vertrages zwischen Unternehmer und Drittem ent329

330 331

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BGH, Urt. v. 05.03.2008 – VIII ZR 31/07, ZIP 2008, 1081 = WM 2008, 923 = BB 2008, 1030 m. Anm. Hilgard; Hoffstadt DB 1983, 645 (647); Westphal Vertriebsrecht I, Rn 703; Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/ Löwisch § 87a Rn 31; Hopt § 87a Rn 26; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 54. § 87a Rn 31. Hopt § 87a Rn 26; Küstner/Thume I, Rn 1368; Hoffstadt DB 1983, 645 (647); Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 31; offengelassen von BGH, Urt. v. 05.03.2008 – VIII ZR 31/07, ZIP 2008, 1081 = WM 2008, 923. Urt. v. 16.03.1906, RGZ 63, 69 (71 f); Ab-

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grenzung in BGH, Urt. v. 05.03.2008 – VIII ZR 31/07, ZIP 2008, 1081 = WM 2008, 923. BGH, Urt. v. 05.03.2008 – VIII ZR 31/07, ZIP 2008, 1081 = WM 2008, 923 = BB 2008, 1030 m. Anm. Hilgard; Hopt § 87a Rn 26. Küstner/Thume I, Rn 1368; Holling DB 1957, 349. Ruß HK-HGB, § 87a Rn 8; Westphal Vertriebsrecht I,Rn 703; Schlegelberger/ Schröder § 89 Rn 41c; Holling DB 1957, 349 zu Ziffer 5b. Bäuerle in: Braun, InsO, § 38 Rn 6. Gemäß § 61 Abs. 1 Nr. 6 der zum damali-

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standen und in diesem Zeitpunkt nach Grund und Berechnungsfuß festgelegt sei. Der HV habe zu diesem Zeitpunkt eine gefestigte Rechtsposition und das Erfüllungsverlangen des Konkursverwalters beeinflusse den Provisionsanspruch nicht 338. Dieser Einschätzung wird entgegengehalten, dass der InsV den Anspruch durch das ihm zustehende Wahlrecht sehr wohl beeinflussen kann, indem er sich für die Nichtdurchführung des Vertrages entscheidet 339. Das Wahlrecht ist aber einzig im Interesse der Masse auszuüben, nicht dagegen im Interesse des HV, um diesem eine privilegierte Masseforderung einzuräumen. Auch bleibt der Provisionsanspruch gemäß § 87a Abs. 3 grundsätzlich bestehen, es sei denn, es liegt ausnahmsweise ein Fall einer nicht zu vertretenden Insolvenz auf Seiten des Unternehmers vor. Hieraus folgt, dass die Rechtsposition des HV jedenfalls im Grundsatz nicht gefährdet ist. Auch bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise erscheint es richtig, die Provisionsforde- 97 rung als einfache Insolvenzforderung einzuordnen. Die wirtschaftliche Position der Gesamtheit aller Gläubiger wird dadurch verbessert, dass die Vorteile des abgeschlossenen Geschäfts der Masse zu Gute kommen, während die damit einhergehenden Nachteile, d.h. die Provisionsforderung, die Masse nicht belasten, sondern als einfache Insolvenzforderungen abgewickelt werden können. Durch die Vermittlungstätigkeit entsteht der Insolvenzmasse auch kein zusätzlicher wirtschaftlicher Vorteil 340. Die Entscheidung des Insolvenzverwalters für die Erfüllung des Vertrages erhält der Insolvenzmasse lediglich den Vorteil, den der Insolvenzschuldner sowieso gehabt hätte 341. Im Ergebnis ist der Provisionsanspruch auch hier als einfache Insolvenzforderung zu 98 qualifizieren.342 7. Insolvenzeröffnung erfolgt nach Vertragsschluss und -durchführung. Erfolgt die 99 Eröffnung des Insolvenzverfahrens erst, nachdem der Vertrag abgeschlossen und durchgeführt wurde, so sind wiederum verschiedene Konstellationen zu unterscheiden 343. Ist das provisionspflichtig zustande gekommene Geschäft im Zeitpunkt der Verfahrens- 100 eröffnung bereits ausgeführt, so ist der Provisionsanspruch gemäß § 87a Abs. 3 S. 1 unbedingt entstanden, die Provisionsforderung unzweifelhaft als einfache Insolvenzforderung zu qualifizieren. Handelsvertreter und Unternehmer können in Abweichung von § 87a Abs. 3 Satz 1 aber auch vereinbaren, dass nicht die Ausführung des Geschäfts durch den Unternehmer, sondern erst die Ausführung durch den Dritten die Unbedingtheit des Provisionsanspruchs herbeiführt. Leistet der Dritte nach der Geschäftsausführung durch den Unternehmer und vor der Verfahrenseröffnung, indem er etwa den vereinbarten Kaufpreis zahlt, so besteht kein Unterschied zur obigen Konstellation, der Provisionsanspruch ist unzweifelhaft einfache Insolvenzforderung. Leistet der Dritte erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, so wird der bis dato 101 nur bedingt entstandene Anspruch auch erst mit der Verfahrenseröffnung unbedingt. Der

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gen Zeitpunkt anwendbaren Konkursordnung. BGH, Urt. v. 21.12.1989 – IX ZR 66/89, NJW 1990, 1665; Uhlenbruck/Berscheid § 55 Rn 9; Weis in: Hess/Weis/Wienberg, § 55 Rn 33; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 41c; aA Ruß in HK-HGB, § 87 Rn 2a; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87 Rn 30; Holling DB 1957, 349 zu Ziffer 2. Küstner/Thume I, Rn 1370 f.

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Hopt § 87 Rn 51. BGH Urt. v. 21.12.1989 – IX ZR 66/89, NJW 1990, 1665. So auch Westphal Vertriebsrecht I, Rn 702; Uhlenbruck/Berscheid § 55 Rn 9; Weis in: Hess/Weis/Wienberg, § 55 Rn 33; Eickmann in: HK-InsO, 3. Aufl. 2003, § 55 Rn 18. Vgl. hierzu insbesondere Küstner/Thume I, Rn 1376 f.

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resultierende Provisionsanspruch ist aber dennoch als einfache Insolvenzforderung einzuordnen. Nach der Rechtsprechung des BGH kommt es darauf an, ob im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung das vermittelte Geschäft abgeschlossen ist 344. Hat der HV gegen seinen Unternehmer einen Anspruch auf Zahlung eines Provisions102 vorschusses nach § 87a Abs. 1 Satz 2, so stellt dieser Anspruch eine einfache Insolvenzforderung dar 345.

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8. Insolvenzeröffnung nach vollständiger Vertragsabwicklung zwischen Unternehmer und Dritten. Hiermit ist die Konstellation gemeint, dass das vermittelte Geschäft zwar vollumfänglich durchgeführt, der Provisionsanspruch des HV aber noch nicht abgerechnet worden ist. Die eigentlichen Provisionsansprüche sind auch hier wiederum nur einfache Insolvenzforderungen. Es sind sämtliche Anspruchsvoraussetzungen bereits vor der Verfahrenseröffnung eingetreten.

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9. Abschließende Betrachtung des Provisionsanspruchs im Insolvenzverfahren. Provisionsansprüche des HV sind nur dann vorab in vollem Umfang zu befriedigende Masseforderungen i.S.d. §§ 53 f InsO, wenn sie aus der Vermittlung eines Geschäfts hervorgehen, welches auf einem neuen HV-Vertrag mit dem Insolvenzverwalter beruht 346. Hierbei stellt sich die Frage, ob ein InsV tatsächlich bereit ist, einen neuen Vertrag 105 abzuschließen. Eine zögerliche Bereitschaft der InsV zum erneuten Vertragsschluss mit den HV des insolventen Unternehmens dürfte sich daraus erklären, dass der InsV sich einem zusätzlichen Haftungsrisiko aussetzt. Für die durch ihn begründeten Masseverbindlichkeiten ist er dem Massegläubiger gegenüber zum Schadensersatz verpflichtet, falls die Masseverbindlichkeit aus der Insolvenzmasse nicht voll erfüllt werden kann und der Insolvenzverwalter dies erkennen konnte (vgl. § 61 InsO). Demgegenüber kann der HV zusätzlichen Anreiz für den Abschluss eines neuen Vertrages schaffen, indem er sich flexibel zeigt. So darf er etwa im Voraus auf den Schadensersatzanspruch gemäß § 61 InsO verzichten, um das Haftungsrisiko des Insolvenzverwalters zu verringern. Denkbar ist auch eine Vertragsgestaltung derart, dass der HV Provisionsansprüche nur für so genannte „Erstgeschäfte“ mit neu geworbenen Kunden erhält. In diesem Fall entsteht kein Ausgleichsanspruch gemäß § 89b, so dass es nicht zu der befürchteten Unüberschaubarkeit der Masseverbindlichkeiten kommen kann. Hierin ist keine unzulässige Umgehung des Grundsatzes der Unabdingbarkeit des Ausgleichsanspruches zu sehen 347.

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10. § 25. Der Grundsatz, dass der Erwerb eines Handelsunternehmens aus der Hand des Insolvenzverwalters die Anwendbarkeit des § 25 Abs. 1 ausschließt, gilt auch gegenüber dem Anspruch eines HV aus § 87a 348.

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BGH, Urt. v. 21.12.1989 – IX ZR 66/89, NJW 1990, 1665. Küstner/Thume I, Rn 1380. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene, § 87 Rn 123; Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn/Löwisch § 87 Rn 61; Küstner/ Thume I, Rn 1352.

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Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 89 Rn 93. LG Landau, Urt. v. 19.04.2007 – 4 O 334/06, NJOZ 2007, 3401.

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II. Insolvenz des Handelsvertreters Sämtliche Provisionsansprüche des HV fallen gemäß § 35 InsO in die Insolvenzmasse. 107 Sie stellen kein insolvenzfreies Vermögen dar und stehen somit zur Befriedigung der Gläubiger zur Verfügung. Im Unterschied zur Insolvenz des Unternehmers erfolgt die insolvenzrechtliche Einordnung unabhängig vom Zeitpunkt der Entstehung oder des Unbedingtwerdens des jeweiligen Anspruchs 349. Der Grund liegt darin, dass die InsO auch den so genannten Neuerwerb des Gemeinschuldners, also nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlangtes Vermögen, in die Insolvenzmasse mit einbezieht, während unter der Geltung der KO bis zum 31.12.1998 lediglich das zum Zeitpunkt der Eröffnung vorhandene Vermögen in die Konkursmasse floss.

III. Insolvenz des Kunden Fraglich ist, welche Folgen es hat, wenn der von dem HV vermittelte Kunde insolvent wird. Erbringt der Geschäftspartner des Unternehmers die vertragsgemäße Leistung, so entsteht unproblematisch der Provisionsanspruch des Handelsvertreters gegen den Unternehmer gemäß §§ 87, 87a. Der vertretene Unternehmer hat seinerseits zur Insolvenzmasse zu leisten. Dennoch existiert auch in dieser Konstellation ein insolvenzrechtlich gelagertes Provisionsverlustrisiko. Der Provisionsanspruch entfällt gemäß § 87a Abs. 2, wenn feststeht, dass der (insolvente) Kunde nicht leistet; bereits empfangene Beträge sind zurückzugewähren. Ein Fall feststehender Nichtleistung liegt vor, falls der Insolvenzverwalter im Rahmen seines Wahlrechts nach § 103 InsO die Erfüllung des Vertrages ablehnt. Die Nichtleistung des Dritten steht auch dann fest, wenn ein Vorgehen gegen ihn wegen der Insolvenz auf absehbare Zeit aussichtslos ist 350. Allein die Insolvenz des Kunden vermag zwar grundsätzlich nicht zu rechtfertigen, dass der Unternehmer auf Klage und Vollstreckung zur Durchsetzung seines Anspruches verzichtet 351. Jedoch steht die Nichtleistung fest, falls ein solches Vorgehen gegen den Kunden aufgrund objektiver Umstände für den Unternehmer aussichtslos erscheint oder wirtschaftlich völlig unvernünftig wäre 352. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Kunden erscheint ein Vorgehen als aussichtslos, weil eine Einzelvollstreckung von diesem Zeitpunkt an nicht mehr möglich, sondern rechtlich ausgeschlossen ist. Der Unternehmer darf andererseits grundsätzlich nicht darauf verzichten, seine Forderungen gemäß § 174 InsO zur Insolvenztabelle anzumelden, um auf diesem Weg deren Durchsetzung zu erreichen 353. Steht die Nichtleistung des Kunden wegen dessen Insolvenz fest und erhält der Hauptvertreter daraufhin keine Provision, so entfällt damit gemäß § 87a Abs. 2 auch der

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Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Löwisch § 87 Rn 61; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 122; Zum alten Recht siehe etwa: Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87a Rn 29. OLG Düsseldorf, Urt. v. 08.11.2002 – 16 U 26/02, OLGR Düsseldorf 2003, 79; Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Löwisch § 87a Rn 37.

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Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Löwisch § 87a Rn 25. Canaris Handelsrecht, § 17 Rn 67; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 558. Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Löwisch § 87a Rn 25.

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Provisionsanspruch eines vom Hauptvertreter beauftragten Untervertreters. Der Untervertreter wird lediglich im Rahmen des HV-Vertrages zwischen Unternehmer und Hauptvertreter tätig und darf nicht in weitergehendem Maße provisionsberechtigt sein als der Hauptvertreter gegenüber Dritten, weil der Untervertreter genauso am Risiko des Hauptvertreters wie an dessen Erfolg beteiligt ist 354. Bei Feststehen der Nichtleistung des Kunden entfällt der Provisionsanspruch nicht 112 zwingend in voller Höhe. Die Insolvenz des Kunden führt lediglich zu einer Teilnichtausführung in Höhe des durch die Insolvenzquote nicht befriedigten Teils der Forderung des Unternehmers. Dies gilt auch, wenn der Unternehmer die Insolvenzquote gar nicht eingefordert hat 355. Der HV hat grundsätzlich auch dann Anspruch auf Zahlung einer Provision in Höhe der Insolvenzquote, wenn der Unternehmer statt Erfüllung Schadenersatz wegen Nichterfüllung vom Kunden verlangen kann 356. Führt nicht der Kunde, sondern der Unternehmer das Geschäft nicht aus, und beruht 113 die Nichtausführung auf der Insolvenz des Kunden, so entfällt der Provisionsanspruch. Der Unternehmer hat die Insolvenz des Kunden nicht im Sinne von § 87a Abs. 3 Satz 2 zu vertreten 357. Dies gilt auch bei hinreichendem Insolvenzverdacht 358. Provisionsansprüche gemäß § 87a Abs. 3 S. 2 können entfallen, weil der Insolvenz114 verwalter des Kunden die zwischen Drittem und Unternehmer bestehenden Verträge mittels Anfechtung nach den §§ 129 f InsO rückgängig macht. Provisionen, die aus diesen Geschäften resultierten und bereits bedingt oder unbedingt entstanden waren entfallen hierbei rückwirkend, weil mit der Anfechtung der jeweilige Vertrag mit ex tunc Wirkung erlischt und die Voraussetzungen eines Provisionsanspruches rückwirkend beseitigt werden.

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1. § 87a Abs. 5: Zwingendes Recht und abweichende Vereinbarung. § 87a ist teilweise zwingendes Recht, was dem Schutz des Vertreters dient. Gem. § 87a Abs. 5 kann von den Abs. 2 1. Hs, 3 und 4 nicht zum Nachteil – wegen des bezweckten Schutzes jedoch selbstverständlich zum Vorteil – des HV abgewichen werden. Soweit die zwingende Natur des Abs. 5 reicht, sind Regelungen unzulässig und gem. § 134 BGB unwirksam, die sich in irgendeiner Weise möglicherweise 359 unmittelbar oder mittelbar für den HV ggf. auch nur beweisrechtlich 360 nachteilig auswirken können 361. An ihre Stelle tritt im Zweifel die gesetzliche Regelung 362. Bestimmungen, die lediglich die geltende Rechtslage wiedergeben und festschreiben, ohne von ihr abzuweichen, fallen nicht unter Abs. 5 und sind zulässig 363. Sie stehen aber unter dem Risiko einer Änderung jener Rechtslage oder des sie mitbestimmenden Richterrechts. Vertragsfreiheit besteht für nach Vertragsende geschlossene Vereinbarungen. Gegen zwingendes Recht setzt sich auch ein abweichender Handelsbrauch nicht durch 364. Soweit zulässigerweise von § 87a abgewichen wird, trägt

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BGH, Urt. v. 20.06.1984 – I ZR 62/82, HVR 590. Canaris Handelsrecht, § 17 Rn 67; Hopt § 87a Rn 10, 14. BGH, Urt. v. 11.10. 1990 – I ZR 32/89, NJW-RR 1991, 156 (159). OLG Köln, Urt. v. 27.11.1992 – 20 U 89/92, NJW-RR 1994, 226; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 582; Hopt § 87a Rn 28. OLG Köln, aaO; Hopt aaO. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 44.

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Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 44; aA OLG Frankfurt BB 1977, 1171; bedenklich auch OLG Karlsruhe VersR 1982, 267. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 42. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 44; Schlegelberger/Schröder § 87a Rn 44. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 45; Hopt § 87a Rn 33; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 57. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 48; Schlegelberger/Schröder § 87a Rn 44.

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diejenige Partei die Beweislast, welche sich auf die Abweichung beruft, hilfsweise der Formulierende. Zu AGB s.o., Vor § 84 Rn 27 ff. Es ist im Einzelfall zu prüfen, ob die Abweichung eine unbillige Benachteiligung i.S.d. § 307 BGB bedeutet. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die §§ 87 ff einen hohen Gerechtigkeitsgehalt in sich tragen. Das Verbot abweichender Vereinbarungen gilt von Vertragsschluss bis Vertragsende. 116 Ist ein Anspruch bereits entstanden, darf der HV auf ihn verzichten, Abs. 5 steht dem nicht entgegen 365. Eine Derogation der Provisionsanwartschaft nach § 87 wird nicht durch Abs. 5 gehindert. Deshalb darf das Entstehen der Provisionsanwartschaften herausgezögert werden, etwa der Anspruch auf echte oder unechte Überhangprovision ausgeschlossen werden 366. Eine solche Regelung gilt wegen Abs. 3 jedoch nicht für Geschäfte, die vereinbarungsgemäß während der Vertragslaufzeit auszuführen gewesen wären, wenn der Unternehmer die nicht rechtzeitige Nichtausführung zu vertreten hat 367. Im Einzelnen: 117 a) Absatz 1. § 87a Abs. 1 ist in Abs. 5 nicht als zwingende Vorschrift genannt, so 118 dass es auf den ersten Blick scheint, als dürfe von dieser Bestimmung vollständig abgewichen werden. Der Wortlaut des § 87a Abs. 5 steht folglich einer § 87a Abs. 1 S. 1 abändernden Vereinbarung nicht entgegen 368, der Anspruch darf innerhalb der nachfolgend aufgezeigten Grenzen individualvertraglich bis zur Grenze des § 138 BGB ausgeschlossen oder modifiziert werden 369. Es ist zulässig, die Provision von der Zahlung des Kunden370, und das Zustandekommen des Kundenvertrags von dessen tatsächlicher Ausführung abhängig zu machen 371. Weiter dürfen Provisionsansprüche sowie gegen den HV gerichtete Rückzahlungsansprüche aus § 87a in ein Kontokorrent gestellt werden 372. Da die Regelung nicht für den HV nachteilig ist, darf vereinbart werden, dass mit Teilausführung des Geschäfts durch eine Partie der volle Provisionsanspruch entstehen soll 373. Abs. 5 hindert den HV auch nicht daran, Provisionsforderungen zu erlassen, die nach §§ 87, 87a Abs. 1 S. 1 entstanden sind, weil der Unternehmer das Geschäft bereits ausgeführt hat 374. Jedoch bestimmt Abs. 1 S. 2 und Abs. 1 S. 3, dass der Vertreter mit Ausführung des Geschäfts zwingend Anspruch auf einen angemessenen Vorschuss und unabhängig von einer Vereinbarung mit Ausführung des Geschäfts Anspruch auf Provision hat, so dass sich – systematisch wenig geglückt – der zwingende Charakter dieses Teils des Abs. 1 nicht aus Abs. 5 sondern bereits aus Abs. 1 ergibt 375. Eine einheitliche Regelung in Abs. 5 wäre wünschenswert gewesen. Unwirksam ist die Einordnung einer Provisions- als Vorschusszahlung 376. Die Höhe des Vorschusses darf aber im Rahmen der von Abs. 1 genannten Angemessenheit konkretisiert werden 377. 365 366

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BGH, Urt. v. 29.11.1995 – VIII ZR 293/94, ZIP 1996, 129 (131); BGH DB 1961, 234. BGHZ 33, 92; Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 42; Schlegelberger/Schröder § 87a Rn 1a, 8, 8a, 13a. BGHZ 33, 92. BGH DB 2003, 2173. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 42; Hopt § 87a Rn 8, 35; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87a Rn 21; Schlegelberger/Schröder § 87a Rn 11 ff. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 42; Schlegelberger/Schröder § 87a Rn 12, 13. AA Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 44. AA Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 44.

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Hopt § 87a Rn 12; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 23; Schlegelberger/Schröder § 87a Rn 11. BGH, Urt. v. 09.07.2003 – VIII ZR 60/02, VersR 2003, 1395 = DB 2003, 2173 = WM 2003, 2112. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 44; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87a Rn 22; Hopt § 87a Rn 9; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 25; Schlegelberger/Schröder § 87a Rn 14a, 46. Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 44. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 42; Hopt § 87a Rn 9; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 87a Rn 25.

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b) Absatz 2. Die Regelung über die Nichtleistung nach Abs. 2 ist gem. Abs. 5 zwingend. Abdingbar ist nur die Regelung in Abs. 2 zweiter Hs., wonach bereits empfangene Beträge zurückzugewähren sind, nicht jedoch der erste Hs. (Abs. 5, 1. Alt.). Für den HV nachteilige Vereinbarungen sind insoweit unwirksam 378. Daher kann nicht zum Nachteil des HV abweichend von § 87a Abs. 2 festgelegt werden, unter welchen Umständen die Kundenleistung als nicht erbracht feststeht. Unwirksam ist eine Vereinbarung, nach der bereits nach einer erfolglosen Mahnung des Dritten dessen Zahlungsunfähigkeit feststehen soll 379. Das LAG Baden-Württemberg 380 hatte eine Vereinbarung des Inhalts, derzufolge mit dem Ausbleiben der Leistung des Dritten die Nichtleistung als festgestellt zu gelten habe und der Unternehmer nicht beizutreiben brauche, als gültig angesehen. Der BGH 381 hat demgegenüber eine solche Abrede nur zugelassen für Fälle, in denen die Einklagung und Beitreibung dem Unternehmer nicht zugemutet werden könne, nämlich bei dem Vertrieb von Massengütern des täglichen Gebrauchs mit geringem Wert des Einzelstücks; das traf in jener Streitsache für rückständige Abonnentengelder aus Zeitschriftenbezug wegen der Geringfügigkeit des Objekts im Verhältnis zu der Vielzahl der anfallenden Rückstandsfälle zu. Das OLG Hamm 382 trifft die gleiche Unterscheidung: bei dauerhaften und höherwertigen Gebrauchsgütern sei eine Klausel des Inhalts, dass mit der Zahlungssäumnis des Kunden seine Nichtzahlung „feststehe“ und der Unternehmer deshalb einen Versuch der Beitreibung nicht zu unternehmen brauche, unwirksam. Da lediglich Bestimmungen zum Nachteil des HV unzulässig sind, bleiben Regelungen gestattet, welche die Anforderungen an den nachträglichen Wegfall des Provisionsanspruchs nach Abs. 2 1. Hs.383 verschärfen oder diese Rechtsfolge ausschließen, den Rückzahlungsanspruch nach Abs. 2 2. Hs. im Detail regeln, ausgestalten oder ausschließen 384.

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c) Absatz 3. Nicht abdingbar sind die Bestimmungen in Abs. 3 über den Einfluss von Störungen in der Ausführung des Geschäfts auf den Provisionsanspruch, soweit Vereinbarungen hierüber zu Lasten des HV getroffen werden (Abs. 5). Ist der Provisionsanspruch durch vertragliche Vereinbarung an die Erbringung der Leistung durch den Dritten geknüpft und erbringt der Dritte seine Leistung nicht, weil der Unternehmer seinerseits das Geschäft nicht ausgeführt hat oder nicht ausführt, so darf diese Ursache, zugunsten des HV zwingend, nicht außer Betracht gelassen werden. Wird vereinbart, dass dem HV keine Provision für Geschäfte zustehen soll, die bei Beendigung des Vertragsverhältnisses noch nicht ausgeführt sind, so ist das zwar wirksam, jedoch wegen des zwingenden Abs. 3 S. 1 nicht für den Fall, dass der Unternehmer schon vor Beendigung des Vertragsverhältnisses mit der Ausführung säumig geworden war, ohne dass ihm hierfür ein Grund nach Abs. 3 zur Seite stand 385. Der Unternehmer kann zudem entgegen Abs. 3 S. 1 nicht das Risiko der Unsicherheit von Lieferschwierigkeiten bei Vorlieferanten in der damals sowjetischen Besatzungszone auf den HV abwälzen mit der Klausel, die Provision sei „in jedem Falle“ erst mit Lieferung und Zahlung des Kunden verdient: eine solche Klausel wäre, da für Abs. 3 S. 1 die Lieferschwierigkeiten im Risikobereich des Unternehmers liegen und von ihm zu vertreten sind, unwirksam 386. Auch mittelbare Risikoüberwälzungen auf den HV entgegen dem Risikoverteilungsprinzip des Abs. 3 hat die Rechtsprechung korrigieren müssen. Das LG Düsseldorf 387 hatte eine Abrede für zulässig gehalten, wonach der 378 379 380 381 382 383

Westphal Vertriebsrecht I, Rn 567. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 567. BB 1955, 682. MDR 1972, 135. VW 1979, 191. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 42; Heymann/

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Sonnenschein/Weitemeyer § 87a Rn 21. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 42. BGHZ 33, 92. LAG Düsseldorf BB 1960, 813. DB 1979, 2176.

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HV das Kostenrisiko des gegen den Kunden zu führenden Prozesses einschließlich der Beitreibungsversuche übernahm, und dies damit begründet, der HV sei eher als der Unternehmer in der Lage, jenes Risiko aus eigener Kenntnis des Kunden zu beurteilen; außerdem sei damit die erzieherische Wirkung verbunden, den HV zur rechtzeitigen Prüfung der Solvenz des Kunden anzuhalten. Die Vereinbarung, für den Einzelfall getroffen, mochte sich gerade noch in den Grenzen des nach Abs. 3 Zulässigen halten. Das OLG Karlsruhe 388 hat demgegenüber mit Recht eine Kostenübernahmeklausel für derartige Fälle missbilligt, was auch im Falle einer anteiligen Kostentragungspflicht des HV gelten dürfte. An der Unabdingbarkeitsschranke des Abs. 5 würden ferner Klauseln über den Verzicht einer Nachbearbeitung oder Klage gegen den Kunden 389 oder den Wegfall der Provision nach einer mit Verlust für den Unternehmer verbundenen Abwicklung des Geschäfts ihre Grenze finden 390. Der Unternehmer darf dem Kunden aber einen Vertragsänderungsvorbehalt einräumen. Übt ihn der Kunde aus, wird der Vertrag nicht anders als abgeschlossen ausgeführt. Vielmehr stand er von vornherein unter dem Vorbehalt möglicher Änderungen, Abs. 3 greift nicht ein 391. Abs. 5 hindert den HV nicht daran, Provisionsforderungen zu erlassen, die nach Abs. 3 S. 1 bereits unbedingt wurden 392. Gestattet sind auch für den HV lediglich vorteilhafte Regelungen, welche die Anforderungen an den nachträglichen Wegfall des Provisionsanspruchs nach Abs. 3 S. 2 verschärfen, jene Rechtsfolge ausschließen 393 oder die Anforderungen an das Entstehen des Anspruchs nach Abs. 3 Satz 1 erleichtern 394. d) Absatz 4. Absatz 4 ist ebenfalls zwingend. Eine ggf. nur mittelbare 395 Verzöge- 121 rung des Fälligkeitstermins verstößt gegen Abs. 5 396. Das gilt etwa für die Vereinbarung, derzufolge der HV einen Teil der fälligen Provision erst zu einem späteren Zeitpunkt als Pension beziehen soll 397. Vereinbarungen zur Schaffung des insbes. im Versicherungsvertrieb üblichen Stornoreservekontos sind hingegen auch im Lichte des Abs. 4 gestattet 398. Dabei wird ein Teil der fälligen Provision zur Sicherung eines Rückforderungsanspruchs des Unternehmers nach Abs. 2 2. Hs. oder wegen nicht verdienter Provisionsvorschüsse in ein Sicherungskonto – das Stornoreservekonto – eingestellt. Voraussetzung der Wirksamkeit ist die Kontogutschrift am Tag der Fälligkeit 399. Gegen den Anspruch des HV auf Auszahlung eines Guthabens aus dem Stornoreservekonto darf der Unternehmer 388

389

390 391

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393 394

BB 1974, 904; Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 44; Hopt § 87a Rn 32; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 56. OLG Hamm MDR 1978, 937; Ebenroth/ Löwisch § 87a Rn 44; Hopt § 87a Rn 33; aA LAG Stuttgart DB 1955, 682; OLG Karlsruhe BB 1974, 904; OLG Frankfurt BB 1977, 1171 und VersR 1978, 326. Schlegelberger/Schröder § 87a Rn 2. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 24; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 18, 22; aA Hopt § 87a Rn 20. BGH, Urt. v. 09.07.2003 – VIII ZR 60/02, VersR 2003, 1395 = DB 2003, 2173 = WM 2003, 2112. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 42; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87a Rn 21. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 42; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87a Rn 21.

395 396

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OLG Düsseldorf OLGR 1993, 131. OLG Düsseldorf OLGR 1993, 131: Abrechnung des Stornoreservekontos erst, wenn alle vermittelten Verträge die Stornohaftzeit überdauert haben; OLG Düsseldorf BB 1990, 1086: Abrechnung 3 Jahre nach Ende des HV-Vertrags; Hopt § 87a Rn 34; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 61. LAG Hamm BB 1985, 464; Ebenroth/ Löwisch § 87a Rn 47; Hopt § 87a Rn 34; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 61. BGH WM 1975, 181; Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 47; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87a Rn 22. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 47; Schlegelberger/Schröder § 87a Rn 43a.

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sowohl vertragsbegleitend wie nachvertraglich mit allen Forderungen aufrechnen, die in dem Vertragsverhältnis ihren Rechtsgrund haben 400. 2. Beweislast a) Absatz 1. Der HV – auch der Untervertreter im Verhältnis zum Hauptvertreter 401 – hat das Entstehen und die Fälligkeit seines Provisionsanspruches zu behaupten und im Streitfalle zu beweisen, insbesondere dass das Geschäft vom Unternehmer ausgeführt worden ist (Abs. 1 S. 1, wo nicht, wie meist, abbedungen; in diesem Falle: dass der Dritte geleistet hat, weil damit der Provisionsanspruch spätestens entstanden ist). Hinsichtlich der Vergütungsbestandteile, für die nach § 87c Abs. 2 ein Buchauszug erteilt werden muss, kann die Darlegungslast des HV durch das Verlangen nach einem vom Unternehmer erstellten Buchauszuges erleichtert werden, weil dieser ein Anerkenntnis enthält. Der HV wird deshalb – ggf. als Widerklage – eine Stufenklage erheben, in erster Stufe gerichtet auf Abrechnung und Buchauszug, in zweiter Stufe auf Provisionszahlung (§ 87c Rn 171). Ein im Wege der Ersatzvornahme gefertigter Buchauszug hat diese Wirkung nicht, er ist jedoch nach § 286 ZPO ein zulässiges Beweismittel. Hat der Unternehmer unberechtigt Provision gezahlt, gehört es zu einer ordnungsgemäßen Begründung seines Rückforderungsanspruchs, die Gründe dazulegen und zu beweisen, die zu den Stornierungen geführt haben 402. Allgemein hat der Unternehmer seine Darlegungslast zur Höhe eines Rückforderungsanspruchs wegen nicht verdienter Provisionen erfüllt, wenn er eine geordnete Zusammenstellung der einzelnen Rechnungspositionen vorlegt, die rechnerisch überprüfbar ist und eine Zuordnung zu den einzelnen Geschäftsvorfällen ermöglicht 403. Das pauschale Bestreiten dieses Vortrags durch den HV gibt keine Veranlassung, höhere Anforderungen an die Substantiierung des Klagevortrages zu stellen 404. Fordert der Unternehmer eine Provision zurück, weil eine Doppelbuchung vorliegt, und tritt der HV dem nicht substantiiert entgegen, so ist das Rückforderungsverlangen angesichts der irrtümlichen Doppelbuchung begründet. Es erscheint unwahrscheinlich, dass der gleiche Kunde am selben Tag zwei Lebensversicherungen über die identische Antragssumme abgeschlossen haben könnte 405. Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Vorschuss nach S. 2 hat der HV zu be123 weisen 406; verlangt der Unternehmer dessen Rückzahlung, trägt er die Beweislast für die Höhe der an den HV als Vorschuss gezahlten Beträge. Strenger entschied das LG Saarbrücken 407: Unterbreitet der auf Rückzahlung von Provisionsvorschüssen klagende Unternehmer eine schlüssige und substantiierte Abrechnung, so ist es Sache des beklagten HV, detailliert vorzutragen, welche der einzelnen Positionen von ihm bestritten werden und warum sie nicht gerechtfertigt sind. Eine solche Substantiierungspflicht wird aber die Ausnahme bleiben und nur gefordert werden können, wenn die Substantiierung dem HV überhaupt möglich ist. Für die rechtliche Einordnung einer Zahlung als Provision, Fixum, Garantieprovision o.ä. ist derjenige beweispflichtig, der Vorteile aus dieser Einordnung herleitet. Handelt es sich um eine betragsmäßig schwankende und offen-

122

400

401 402 403

Differenzierend Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 47: Während des bestehenden HV-Vertrages nur mit Forderungen, deren Sicherung das Stornoreservekonto dienen soll. BGHZ 91, 370 = NJW 1984, 2881 (2883). OLG Köln VersR 2003, 459. OLG Saarbrücken VersR 2000, 1017.

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404 405 406 407

OLG Saarbrücken VersR 2000, 1017. OLG Celle, Urt. v. 28.06.2001 – 11 U 221/00, OLGR 2001, 267. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 55. LG Saarbrücken VersR 2000, 761.

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sichtlich erfolgsabhängig gezahlte Leistung, wird meist von einer Provision auszugehen sein. b) Absatz 2. Unabhängig von seiner prozessualen Parteirolle muss der Unternehmer 124 die Voraussetzungen eines Rückzahlungsanspruchs nach Abs. 2 2. Hs beweisen 408. Ob der HV sich mit seiner Verteidigung auf eine Rückzahlungsklage bis zur Erteilung eines Buchauszuges darauf beschränken kann, die Vorlage eines solchen zu fordern 409, ist zweifelhaft. Es genügt, dass der Unternehmer für die Darlegung seines Rückforderungsanspruchs beweispflichtig ist. Dieser Beweis muss nicht notwendig in Buchauszugsform erbracht werden. Allerdings darf sich der HV gegen ein Zahlungsbegehren des Unternehmers mit dem Beweisangebot „Buchauszug, erstellt von dem Unternehmer“ verteidigen. c) Absatz 3. Die Beweislast für S. 1 liegt beim HV 410, für S. 2 beim Unternehmer. Zu 125 S. 1 braucht der HV nur darzulegen und ggf. zu beweisen, dass die Nichtausführung für den Teil, für den er Provision verlangt, feststeht 411. Für dieses „Feststehen“ trägt er die Beweislast, was Ausführungen zum ursprünglichen Vertragsinhalt und zu der abweichenden Ausführung voraussetzt. Das „Feststehen“ kann durch Indizien unterstützt werden, wobei die Anforderungen nicht zu hoch gelegt werden dürfen. Denn der Unternehmer kann wegen seiner Sachnähe den Gegenbeweis eher führen. Er kann die Provisionspflicht nur abwenden, indem er nachweist, dass er die Nichtausführung nicht zu vertreten hat 412. Dass der Dritte nicht leistet (geleistet habe, leisten werde), braucht der HV nicht darzulegen: zu seinen Gunsten wird, wenn es sonst auf die Leistung des Dritten ankäme, vermutet, die Leistung des Unternehmers habe die Nichtleistung oder die Nicht-soLeistung des Dritten zur Folge; Sache des Unternehmers wäre es, darzutun, dass auch unabhängig von seiner eigenen Leistungssäumigkeit der Dritte nicht geleistet hat oder haben würde. Die Beweislast für die Voraussetzungen des S. 2 trägt der Unternehmer 413. Dazu zählt 126 auch die Darlegung, die Ausführung sei deshalb unzumutbar, weil er (der Unternehmer) zwar leistungsfähig und leistungswillig, aber der Dritte nicht leistungsbereit sei. Schieben also Unternehmer und Dritter sich gegenseitig die Verantwortung für das Scheitern der Ausführung des Auftrages zu, so ist der Unternehmer gegenüber dem HV beweislastmäßig am Zuge: es wird auch hier vermutet, dass der Dritte nicht geleistet habe, weil der Unternehmer es an der Ausführung des Vertrages, der Bereitschaft und der Fähigkeit hierzu habe fehlen lassen; dass Grund und Folge umgekehrt liegen, hätte der Unternehmer, als einen ihn entlastenden Umstand für die Nichtausführung des Geschäfts zu beweisen. Die Gründe der nicht vertragsgemäßen Ausführung des Geschäfts sowie des Nichtvertretenmüssens hat der Unternehmer für jeden einzelnen Fall einer Rückforderung 414 einschließlich Art und Umfang einer behaupteten Nacharbeit (Zeitpunkt und Art der Mahnung und der Unterrichtung des Handelsvertreters über die Stornogefahr) zu 408

409 410

Baumgärtel Rn 2, 4; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87a Rn 19; Hopt § 87a Rn 30; Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 55; MünchKomm-HGB/v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 58; Schlegelberger/Schröder § 87a Rn 42. So wohl Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 55. BGH, Urt. v. 02.03.1989 – I ZR 121/87, NJW-RR 1989, 865.

411 412 413

414

Hopt § 87a Rn 30. BGH BB 1989, 1077; Hopt § 87a Rn 30. RGZ 63, 69 (71); BGH NJW 1983, 629 (631); BGH NJW-RR 1989, 865; BGH NJW-RR 1992, 868 (869); OLG Düsseldorf OLGR 1995, 19 (20); Holling DB 1960, 79; Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 55. OLG Koblenz VersR 1980, 623.

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§ 87b

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beweisen sowie die Höhe der zurückgeforderten Abschlussprovision zu berechnen 415. Davon soll selbst dann nicht abgewichen werden, wenn der HV auf Seiten des Kunden an einer Stornierung des Kundenvertrags mitgewirkt hat 416 (Frage des Einzelfalls). Der Hauptvertreter muss gegenüber seinem Untervertreter die Gründe einer Nichtzahlung des Unternehmers beweisen 417. Eine Erleichterung für die Beweislast hat der BGH 418 dem Unternehmer insofern zugestanden, als bei dem Vertrieb von Massengütern des täglichen Bedarfs mit geringem Wert der Einzelstücke eine Vermutung dafür spreche, dem Unternehmer solle die Einklagung und Beitreibung von Zahlungsrückständen gegen nachhaltig zahlungssäumige Kunden nicht zumutbar sein. Hier habe der HV darzutun, dass und warum es im konkreten Falle anders sei. Zweifelhaft ist, ob diese Entscheidung nach der Novelle 1990 noch maßgeblich ist. d) Absatz 4. Der HV trägt die Beweislast für die Fälligkeit des Provisionsanspruches 419.

127

§ 87b Höhe der Provision (1) Ist die Höhe der Provision nicht bestimmt, so ist der übliche Satz als vereinbart anzusehen. (2) 1Die Provision ist von dem Entgelt zu berechnen, das der Dritte oder der Unternehmer zu leisten hat. 2 Nachlässe bei Barzahlung sind nicht abzuziehen; dasselbe gilt für Nebenkosten, namentlich für Fracht, Verpackung, Zoll, Steuern, es sei denn, daß die Nebenkosten dem Dritten besonders in Rechnung gestellt sind. 3 Die Umsatzsteuer, die lediglich auf Grund der steuerrechtlichen Vorschriften in der Rechnung gesondert ausgewiesen ist, gilt nicht als besonders in Rechnung gestellt. (3) 1Bei Gebrauchsüberlassungs- und Nutzungsverträgen von bestimmter Dauer ist die Provision vom Entgelt für die Vertragsdauer zu berechnen. 2 Bei unbestimmter Dauer ist die Provision vom Entgelt bis zu dem Zeitpunkt zu berechnen, zu dem erstmals von dem Dritten gekündigt werden kann; der Handelsvertreter hat Anspruch auf weitere entsprechend berechnete Provisionen, wenn der Vertrag fortbesteht.

Schrifttum Evers Die Nichtigkeit von Handelsvertreterverträgen wegen zu geringer Verdienstmöglichkeiten und ihre Rückabwicklung, BB 1992, 1365; Habscheid Das Ausgleichsrecht des Handelsvertreters, Festschrift Schmidt-Rimpler, 1957, 335; Heckmann Die Exportabgabe nach dem Absicherungsgesetz und der Provisionsanspruch des ausländischen Handelsvertreters, DB 1969, 990; Kottke Die Mehrwertsteuer des Handelsvertreters BB 1968, 1076; Klinger Zur Bemessung und Gestaltung der Vertreterprovision, DB 1957, 974; Preis/Stoffels Die Inhaltskontrolle der Verträge selbständiger und unselbständiger Handelsvertreter, ZHR 160 (1996), 442; Schröder Änderung der Vertragsbedingun-

415

416 417 418

OLG Hamm, Beschl. v. 12.03.2004 – 35 W 2/04, NJW-RR 2004, 1266; Knorn BB 1975, 111 (112). BGH NJW-RR 1989, 865. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 55. MDR 1972, 135.

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Baumgärtel Rn 2, 3, 4; Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 55; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87a Rn 5; Hopt § 87a Rn 30; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 58; Schlegelberger/Schröder § 87a Rn 42.

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beweisen sowie die Höhe der zurückgeforderten Abschlussprovision zu berechnen 415. Davon soll selbst dann nicht abgewichen werden, wenn der HV auf Seiten des Kunden an einer Stornierung des Kundenvertrags mitgewirkt hat 416 (Frage des Einzelfalls). Der Hauptvertreter muss gegenüber seinem Untervertreter die Gründe einer Nichtzahlung des Unternehmers beweisen 417. Eine Erleichterung für die Beweislast hat der BGH 418 dem Unternehmer insofern zugestanden, als bei dem Vertrieb von Massengütern des täglichen Bedarfs mit geringem Wert der Einzelstücke eine Vermutung dafür spreche, dem Unternehmer solle die Einklagung und Beitreibung von Zahlungsrückständen gegen nachhaltig zahlungssäumige Kunden nicht zumutbar sein. Hier habe der HV darzutun, dass und warum es im konkreten Falle anders sei. Zweifelhaft ist, ob diese Entscheidung nach der Novelle 1990 noch maßgeblich ist. d) Absatz 4. Der HV trägt die Beweislast für die Fälligkeit des Provisionsanspruches 419.

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§ 87b Höhe der Provision (1) Ist die Höhe der Provision nicht bestimmt, so ist der übliche Satz als vereinbart anzusehen. (2) 1Die Provision ist von dem Entgelt zu berechnen, das der Dritte oder der Unternehmer zu leisten hat. 2 Nachlässe bei Barzahlung sind nicht abzuziehen; dasselbe gilt für Nebenkosten, namentlich für Fracht, Verpackung, Zoll, Steuern, es sei denn, daß die Nebenkosten dem Dritten besonders in Rechnung gestellt sind. 3 Die Umsatzsteuer, die lediglich auf Grund der steuerrechtlichen Vorschriften in der Rechnung gesondert ausgewiesen ist, gilt nicht als besonders in Rechnung gestellt. (3) 1Bei Gebrauchsüberlassungs- und Nutzungsverträgen von bestimmter Dauer ist die Provision vom Entgelt für die Vertragsdauer zu berechnen. 2 Bei unbestimmter Dauer ist die Provision vom Entgelt bis zu dem Zeitpunkt zu berechnen, zu dem erstmals von dem Dritten gekündigt werden kann; der Handelsvertreter hat Anspruch auf weitere entsprechend berechnete Provisionen, wenn der Vertrag fortbesteht.

Schrifttum Evers Die Nichtigkeit von Handelsvertreterverträgen wegen zu geringer Verdienstmöglichkeiten und ihre Rückabwicklung, BB 1992, 1365; Habscheid Das Ausgleichsrecht des Handelsvertreters, Festschrift Schmidt-Rimpler, 1957, 335; Heckmann Die Exportabgabe nach dem Absicherungsgesetz und der Provisionsanspruch des ausländischen Handelsvertreters, DB 1969, 990; Kottke Die Mehrwertsteuer des Handelsvertreters BB 1968, 1076; Klinger Zur Bemessung und Gestaltung der Vertreterprovision, DB 1957, 974; Preis/Stoffels Die Inhaltskontrolle der Verträge selbständiger und unselbständiger Handelsvertreter, ZHR 160 (1996), 442; Schröder Änderung der Vertragsbedingun-

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OLG Hamm, Beschl. v. 12.03.2004 – 35 W 2/04, NJW-RR 2004, 1266; Knorn BB 1975, 111 (112). BGH NJW-RR 1989, 865. Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 55. MDR 1972, 135.

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Baumgärtel Rn 2, 3, 4; Ebenroth/Löwisch § 87a Rn 55; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87a Rn 5; Hopt § 87a Rn 30; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87a Rn 58; Schlegelberger/Schröder § 87a Rn 42.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 87b

gen und Ausgleichsanspruch im Handelsvertreterverhältnis, DB 1958, 975; ders. Gesetzlicher und vertraglicher Provisionanspruch des Handelsvertreters; BB 1963, 567; Ulmer/Habersack Zur Beurteilung des Handelsvertreter- und Kommissionsagenturvertriebs nach Art 85 Abs. 1 EGV, ZHR 159 (1995), 109.

Übersicht Rn A. Übersicht B. Genese

. . . . . . . . . . . . . . . .

1

. . . . . . . . . . . . . . . . .

2

C. Europarechtliche Präformation

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Rn 2. Nachlässe . . . . . . . . . . . . 3. Nachlass bei Barzahlung . . . . 4. Nebenkosten . . . . . . . . . . 5. Umsatzsteuer . . . . . . . . . . 6. Abweichende Vereinbarungen . II. § 87b Abs. 3: Provisionsberechnung bei Dauerverträgen . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . 2. Verträge mit bestimmter Dauer (§ 87b Abs. 3 Satz 1) . . . . . . 3. Verträge mit unbestimmter Dauer (§ 87b Abs. 3 Satz 2) . . . . . . 4. Fortsetzung des Vertrages . . . . 5. Nicht fortgesetzter Vertrag . . . 6. Beendigung des HV-Vertrages . . 7. Vorzeitige Beendigung des Dauervertrages . . . . . . . . . . . . 8. Abweichende oder konkretisierende Vereinbarungen . . . . .

3

D. Absatz 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . 4–18 I. Dispositivität sowie vertragliche Vereinbarung der Provisionshöhe . . . 5 II. Sittenwidrigkeit . . . . . . . . . . 6 III. Konkludente Vereinbarung . . . . 7 IV. Ausdrückliche Vereinbarung . . . . 8 V. Änderung der Provisionsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . 9–12 VI. Leistungsbestimmungsrecht . . . . 13 VII. Obrigkeitliche Festsetzung . . . . . 14–15 VIII. Üblicher Provisionssatz mangels Vereinbarung und obrigkeitlicher Feststellung . . . . . . . . . . . . 16–18 E. § 87 b Abs. 2 und 3: Provisionsberechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19–40 I. Absatz 2 . . . . . . . . . . . . . . 20–28 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . 20–22

F. Dispositivität

23 24 25–26 27 28 29–40 29–31 32–34 35 36 37 38 39 40

. . . . . . . . . . . . . .

41

G. Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . .

42

A. Übersicht § 87b handelt von der Berechnung der Provision und trifft Grundregeln zu ihrer 1 Höhe und Berechnungsweise. Die Vorschrift regelt mithin „wieviel“ der Vertreter für seine Hauptleistung erhält. Die Norm trennt Höhe (Abs. 1) und Berechnungsgrundlagen (Abs. 2, 3) der Provision. Abs. 3 betrifft dabei den Sonderfall der Dauerverträge. Sie gilt für alle unter § 84 fallenden HV einschließlich der Unter- 1 und Versicherungsvertreter 2 sowie für sämtliche ihnen zustehende Provisionen 3, auch für Folge- und Bezirksgeschäfte 4. Auf Kommissionsagenten, Vertragshändler und Franchisenehmern ist § 87b unanwendbar 5, da es sich um eine Spezialvorschrift zum HV-Recht handelt. Die Norm ist in allen Teilen dispositiv. Dass die Provision in Geld zu zahlen ist – auch wenn keine der beiderseitigen Leistungen der Geschäftspartner in Geld besteht (Tauschvertrag, Rn 22) 6 –, setzt § 87b voraus. Nicht erforderlich ist, dass sie nach dem Modus des § 87b Abs. 2, 3 berechnungsbedürftig ist; sie kann auch nach der Stückzahl der vermittelten 1

2 3

Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 35. Bei der Anwendung sind die zwischen Hauptvertreter und Unternehmer getroffenen Vereinbarungen zu berücksichtigen, soweit sie den betroffenen Parteien bekannt sind. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 1. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 1; Münch-

4 5 6

KommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87b Rn 3; Schlegelberger/Schröder § 87b Rn 1. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 588. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 35. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 4; Schlegelberger/Schröder § 87b Rn 1.

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§ 87b

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Objekte, statt in Prozenten des Entgelts, oder mit einem festen Betrag für das einzelne Geschäft vereinbart werden, woraufhin die Berechnungsweise des Gesetzes gegenstandslos wird.

B. Genese 2

§ 87b wurde mit der Novelle 1953 in das HGB gebracht. Abs. 2 S. 3, betreffend die Mehrwertsteuer, ist durch die Neufassung des Umsatzsteuergesetzes vom 29.05.1967 (BGBl. I 545) eingefügt worden.

C. Europarechtliche Präformation 3

§ 87b Abs. 1 bildet Art. 6 Abs. 1 HV-Richtlinie 1986 ab. Auch die HV-Richtlinie sieht die Üblichkeit als subsidiären Auslegungsmaßstab vor, daneben subsidiär die Angemessenheit der Vergütung, was – obwohl vom deutschen Recht nicht übernommen – auch hier gilt. § 87b Abs. 2 und 3 sind ohne Vorbild in der HV-Richtlinie.

D. Absatz 1 4

Zum Begriff der Provision vgl. oben, § 87 Rn 2 f.

I. Dispositivität sowie vertragliche Vereinbarung der Provisionshöhe 5

Die übliche Provision des Abs. 1 wird nur geschuldet, wenn vertraglich nichts Abweichendes bestimmt wurde, wobei sich die Parteien auf Teilregelungen zu bestimmten Provisionsarten, Tätigkeiten oder Zeitabschnitten beschränken dürfen 7, die ggf. Auslegungshilfe bei der Bestimmung des im Übrigen Gewollten bieten können. § 87b ist innerhalb der Grenzen der §§ 134, 138, 242, 307 BGB vollständig dispositiv, so dass – wie Abs. 1 mit dem Satzteil „ist die Höhe der Provision nicht bestimmt“ klarstellt, vertragliche Absprachen vorgehen. Deshalb darf auch nach Abschluss des HV-Vertrages jederzeit, wenn auch hinreichend deutlich und auch mit Rückwirkung 8, ein anderer Provisionssatz als der in § 87b Abs. 1 vorgesehene „übliche“ vereinbart werden 9, und zwar – siehe § 85 – formfrei, im Zweifel aber in der vereinbarten strengeren Form 10. Der vereinbarte Provisionssatz geht der in Abs. 1 angesprochenen üblichen Provision, einer ergänzenden Vertragsauslegung, oder einem Handelsbrauch 11 vor, wobei in dieser Reihenfolge zu prüfen ist. Die Bestimmung der Provision, die Abs. 1 als Regel voraussetzt, erfolgt gewöhnlich in dieser Weise durch Vertrag in Form eines bezifferten Provisionssatzes. Notwendiger Bestandteil oder Wirksamkeitsvoraussetzung des HV-Vertrags ist eine solche Provisionsvereinbarung aber nicht. Bei vollständigem oder teilweisem Fehlen oder – ggf. teilweiser – Unwirksamkeit einer Absprache über Berechnung und Höhe der Provision greifen die Auslegungsmechanismen in der vorgenannten Folge ein, vorrangig Abs. 1, nicht aber

7 8 9

Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 3. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 2. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 6.

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10 11

AA Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 2. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 2; Schlegelberger/Schröder § 87b Rn 2.

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§ 87b

§ 139 BGB 12. Ist die Verteilung einer vertraglich vereinbarten Provision auf einzelne Provisionsarten, etwa werbende und verwaltende Provisionsbestandteile (speziell hierzu § 89b Rn 138 ff), streitig, wird ergänzend auf Abs. 1 zurückgegriffen. Eine vertragliche Teilregelung bedeutet nicht, dass über diese Teilregelung hinaus keine Provision gezahlt werden soll 13. Ein solcher Umkehrschluss müsste sich eindeutig aus dem Vertrag ergeben 14. Mangels entgegenstehender Regelung ist die vereinbarte Provision in allen Fällen zu zahlen, in denen der Vertreter Provision verlangen kann 15, d.h. sowohl bei Vermittlungs-, Abschluss-, Bezirks- oder Kundenschutzprovision. Der versprochene Provisionssatz ist grundsätzlich auch dann maßgeblich, wenn mit dem Kunden ein besonders günstiger Sonderpreis vereinbart wird 16 und gilt für alle Tätigkeiten des HV. Abzulehnen ist die Ansicht, für Bestandspflege- und Verwaltungsprovisionen gälten – wohl im Wege ergänzender Vertragsauslegung – grundsätzlich geringere Provisionssätze als für Vermittlungs- oder Abschlussprovisionen 17. Mit der vereinbarten Provision ist im Zweifel die gesamte vertraglich geschuldete Tätigkeit des HV abgegolten 18.

II. Sittenwidrigkeit Sogenannte „Hungerprovisionen“, die sittenwidrig niedrig vereinbart sind, können 6 gemäß § 138 BGB unwirksam sein. Davon ist auszugehen, sofern die Provision kein ausreichendes Äquivalent für die Bemühung des HV darstellt, in außergewöhnlichem Maß von dem sonst in dem Geschäftszweig Üblichen abweicht und der HV trotz vollständiger Erfüllung der ihm übertragenen Pflichten, Ausnutzung der ihm nach dem HV-Vertrag eingeräumten Betätigungsmöglichkeiten sowie gebotenem Einsatz seiner Arbeitskraft eine angemessene Vergütung nicht erzielen kann 19. Verluste des HV reichen für die Annahme einer Hungerprovision nicht aus 20. Eine zu geringe Provision kann auch ein Indiz für die Unselbständigkeit des HV bilden, wobei wirtschaftlicher Abhängigkeit des HV jedoch regelmäßig nur eine schwache Indizwirkung für die Unselbständigkeit beizumessen ist (§ 84 Rn 18 ff). In Anlehnung an diese Diskussion wird auch bei Kfz-Händlerverträgen mit unzureichenden Verdienstmöglichkeiten eine Ergänzung der „Hungermarge“ diskutiert 21. Eine die für den Vertrieb geleistete Marge ergänzende Vergütung aus dem Werkstatt- und Gebrauchtwagengeschäft soll in die Gesamtbetrachtung der Verdienstmöglichkeiten nicht einbezogen werden 22.

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14 15

16 17

Schröder DB 1958, 975 (976); Ebenroth/ Löwisch § 87b Rn 2; Schlegelberger/Schröder § 87b Rn 2a, 2c. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 3; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87b Rn 6; Schlegelberger/Schröder § 87b Rn 2. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 3; Schlegelberger/Schröder § 87b Rn 2. BGH, Urt. v. 15.02.1971 – VII ZR 122/69; VersR 1971, 464; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 588; Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 8; Schlegelberger/Schröder § 87b Rn 2a. OLG München, HVR Nr. 827; Küstner/ Thume Rn 982. AA Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 8.

18 19

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Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 8; Schlegelberger/Schröder § 87b Rn 2. BGH DB 1981, 2274; BGH BB 1960, 1221 (1222); OLG Nürnberg BB 1960, 1261; BAG, Urt. v. 10.03.1960 – 5 AZR 426/58, MDR 1960, 612; OLG Düsseldorf ZIP 1998, 624 (627); LAG Berlin DB 1964, 189; Evers BB 1992, 1365; Küstner/Thume I, Rn 989; Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 6; Schlegelberger/ Schröder § 87b Rn 2c. BGH BB 1960, 1221 (1222); Schlegelberger/ Schröder § 87b Rn 2c. Genzow kfz-Betrieb 8/2001, 24. Genzow kfz-Betrieb 8/2001, 24.

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III. Konkludente Vereinbarung 7

Da die Provisionsabrede formfrei getroffen werden kann, darf eine stillschweigende Vereinbarung zur Provisionshöhe erfolgen. Wird im Einverständnis beider Parteien die Tätigkeit des HV über einen gewissen Zeitraum in gleichbleibender prozentualer Höhe vergütet, darf auf eine entsprechende vertragliche Vereinbarung geschlossen werden 23. Schweigen einer Partei auf den Änderungsvorschlag der anderen bildet keine Zustimmung 24.

IV. Ausdrückliche Vereinbarung 8

Fast alle schriftlichen Vertreterverträge enthalten eine ausdrückliche Regelung des Provisionssatzes 25. Dieser ist dann maßgeblich. Vereinbart werden darf etwa, da kontrollfreie Hauptleistung (Vor § 84 Rn 27) regelmäßig auch durch AGB, die Höhe der Provision, eine differierende Provision nach Geschäft, Kunde, ab Erreichen einer bestimmten Umsatzschwelle, für bestimmte Einzeltätigkeiten 26, der Umfang der Mitwirkung des HV am Zustandekommen des Kundengeschäfts 27, eine Bemessung nach der Verdienstspanne des Unternehmers 28 oder die Provisionsverteilung unter verschiedenen Vertretern 29 (auch als AGB) 30. In allen Fällen kann auch eine völlig abweichende Vergütungsart gewählt werden, etwa ein Fixum oder ähnliches (s.o.). Solange nicht klar unterschiedliche Provisionssätze für verschiedene Tätigkeiten des HV vereinbart sind, gilt der vereinbarte Provisionssatz für alle Tätigkeiten und Abschlüsse 31.

V. Änderung der Provisionsvereinbarung 9

Von der gesetzlich oder vertraglich geregelten Provisionshöhe darf – konkludent oder ausdrücklich (s.o.) – nur einvernehmlich abgewichen werden 32. Einseitige Änderungen sind unwirksam 33. Selbst die jahrelange Duldung einer einseitigen Herabsetzung der Provision, die meist nur aus Furcht des HV vor einer Kündigung des Vertrages durch den Unternehmer erfolgt, hindert den Vertreter später nicht, den noch unverjährten Teil der Provision nachzufordern. Nur in besonders krassen Fällen können Verwirkungsgrundsätze eingreifen, was ein Zeit- und ein Umstandsmoment voraussetzt. Dies hat das LG Mannheim 34 in einem Einzelfall angenommen: Die jahrelange rügelose Entgegennahme geringerer als der vertraglich vereinbarten Provisionen sowie entsprechender Abrechnungen durch einen Versicherungsvertreter soll entspr. § 362 als Annahme eines Antrags des

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Westphal Vertriebsrecht I, Rn 586; Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 2; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87b Rn 4; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87b Rn 4; Schlegelberger/Schröder § 87b Rn 2. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 5. Küstner/Thume I, Rn 983. Klinger DB 1957, 975; Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 5. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 5; Schlegelberger/Schröder § 87b Rn 4. OLG Karlsruhe HVR (75) Nr. 494; Küstner/

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Thume I, Rn 997; Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 5; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87b Rn 4; Hopt § 87b Rn 18. Klinger DB 1957, 975; Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 5; Schlegelberger/Schröder § 87b Rn 2, 2b. AA Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 5. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 5. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 589. BGH BB 1955, 1009; Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 9. LG Mannheim VersR 2005, 1532.

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Unternehmers zu werten sein, die ursprünglich vereinbarten Provisionssätze zu kürzen. Dem widerspreche eine Schriftformklausel nicht, weil sie durch konkludentes Verhalten abänderbar sei. Das Urteil des LG Mannheim dürfte im Spannungsverhältnis zur BGHRspr.35 stehen, derzufolge auf Grund der zwingenden Natur der Kontrollrechte (§ 87c Abs. 5) im Schweigen auf Abrechnungen keine Annahme des Angebots des Unternehmers auf die Höhe der abgerechneten Provision liegt. Zur Verwirkung gelten die zu § 87c Rn 96 ff näher dargestellten Ausführungen zum Anerkenntnis der Provisionsabrechnung mittels Schweigens (siehe dort). Wird keine Regelung getroffen, ab wann die Änderung Anwendung finden soll, ist der Provisionssatz maßgeblich, der zum Zeitpunkt des Zustandekommens des Geschäfts und damit des Entstehens der Provisionsanwartschaft gilt 36. Eine nachträglich verabredete Änderung von Provisionssätzen oder der Art der Provisionsberechnung bleibt damit, wenn nicht eindeutig Gegenteiliges vereinbart wird, ohne Einfluss auf bereits entstandene Provisionsansprüche oder Anwartschaften 37. Beweispflichtig für die Änderung ist derjenige, der sich auf sie beruft. Im Zweifel ist nur eine für das einzelne Geschäft vereinbarte Änderung gewollt 38. Änderungsvorbehalte, mit denen sich der Unternehmer eine einseitige Herabsetzung 10 der Vergütung vorbehält, sind grundsätzlich unzulässig. Zu AGB s.o., Vor § 84 Rn 33. Dies ist allerdings für Individualverträge umstritten. Es wird vertreten, dass sich der Unternehmer in Individualverträgen die einseitige Änderung des Provisionssatzes vertraglich vorbehalten darf 39. Dem ist regelmäßig nur für den Fall zuzustimmen, dass es gewichtige Gründe für die Vereinbarung des Änderungsvorbehalts gibt und der Änderungsvorbehalt einen angemessenen Änderungsrahmen bezeichnet, etwa eine bevorzugte Verprovisionierung in der Aufbauphase. Anderenfalls könnte dem Vertragspartner – nicht anders als bei einem Änderungsvorbehalt mittels AGB – ein Vertrag mit völlig abweichenden Konditionen aufgezwungen werden. Ob langjährige Duldung eines einseitigen Bestimmungsrechts des Unternehmers durch den HV zur vertraglichen Anerkennung des Änderungsvorbehalts führt, ist zweifelhaft 40. Was nicht ausdrücklich vereinbart werden darf kann auch nicht durch Duldung Vertragsinhalt werden. Der Unternehmer ist bei Ausübung seines Änderungsermessens nicht nur an die Willkürgrenze 41 sondern an die Billigkeitsgrenze der §§ 315, 316 BGB gebunden. Die Billigkeit erfordert als das mindeste, dass die üblichen Sätze eingehalten werden 42. Ein einseitiger Änderungsvorbehalt fehlt, falls die Vereinbarung darauf zielt, dass der Provisionssatz bis auf weiteres gilt 43. Mangels hinreichender Klarheit enthält die Bestimmung lediglich die Feststellung, dass die Parteien durch spätere konsensuale Einigung und nicht mittels einseitiger Direktive einer Partei einen neuen Provisionssatz vereinbaren können. Gleiches gilt für die Regelung, der Provisionssatz werde nach Bedarfsfall festgelegt. Auch hierdurch wird kein Änderungsvorbehalt vereinbart 44. Scheitert die Einigung, gilt fortan Abs. 1, soweit sich aus der Regelung nicht ergibt, dass der geregelte Provisionssatz bis zur wirksamen Abänderung gelten soll 45. Können die Vertragspartner keine Einigung über eine Anpassung 35

36 37 38 39

BGH NJW 1996, 588; siehe hierzu Emde MDR 1996, 331 ff; EWiR 1999, 327/328; Kukat DB 2002, 1646; ebenso OLG Hamburg BB 1998, 971 = EWiR 1999, 327 (Emde). Küstner/Thume I, Rn 986. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 9. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 9. Küstner RVR 1968, 149; Schröder DB 1958, 975 (976); Westphal Vertriebsrecht I,

40 41 42 43 44 45

Rn 590; Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 9; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87b Rn 7; Schlegelberger/Schröder § 87b Rn 2d. Küstner/Thume I, Rn 985. So Westphal Vertriebsrecht I, Rn 590. Schlegelberger/Schröder § 87b Rn 2d. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 591. Küstner/Thume I, Rn 985. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 3.

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des Provisionssatzes finden, besteht nur die Möglichkeit, die Provisionshöhe im Wege einer Änderungskündigung und anschließender Neuvereinbarung festzulegen. Dazu muss der HV-Vertrag mit ordentlicher Kündigungsfrist gekündigt werden, wobei der Unternehmer spätestens zum Ende der Kündigungsfrist einen Neuvertrag anbietet. Der HV muss diesen Neuvertrag jedoch nicht annehmen, so dass die Kündigung dann mit der Folge einer Ausgleichsberechtigung nach § 89b wirksam wird. Eine Teilkündigung nur der Provisionsvereinbarung ist unwirksam, da Teilkündigungen unzulässig sind. Weigert sich der Vertreter, geänderte Provisionssätze zu akzeptieren, ergibt sich daraus 11 kein außerordentliches Kündigungsrecht des Unternehmers 46. Die Bereitschaft des Vertreters, in einem Einzelfall einen geänderten Provisionssatz zu akzeptieren, präjudiziert ihn nicht für Folgefälle. Die Einigung beschränkt sich daher im Zweifel auf das einzelne Geschäft. Die Beweislast für eine von der Üblichkeit abweichende Vereinbarung trägt derjenige, 12 der sich auf die vom Gesetz abweichende Vereinbarung beruft. Nicht etwa muss der HV, der die übliche Provision beansprucht, im Streitfalle beweisen, dass die Höhe nicht durch Vereinbarung bestimmt worden ist 47.

VI. Leistungsbestimmungsrecht 13

Hat der Unternehmer gemäß § 315 BGB hinsichtlich der Höhe der Provision ein an der Billigkeit orientiertes Leistungsbestimmungsrecht und infolgedessen in einer bestimmten Höhe abgerechnet, konkretisiert diese Leistungsbestimmung den Leistungsinhalt endgültig. Sie ist für den Unternehmer unwiderruflich 48. Die Bestimmung der Provision oder ihrer Berechnungsgrundlagen darf auch einem Dritten 49 oder einer Vertragspartei überlassen werden, es gelten dann die §§ 315 ff BGB.

VII. Obrigkeitliche Festsetzung 14

Auch sie ist „Bestimmung“ im Sinne des Abs. 1. Die Vertragsfreiheit ist insoweit eingeschränkt. Eine solche Bestimmung ist für die Kfz-Versicherung in §§ 31 ff der VO über die Tarife in der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung vom 5. Dezember 1984 erfolgt 50. Für die Lebensversicherungen ist durch das BaFin auf der Grundlage des § 81 VAG 51 vorgeschrieben, dass die Provision einschließlich sonstiger Vergütungen höchstens 90 % der rechnungsmäßig gedeckten Abschlusskosten des Neugeschäfts betragen darf 52. Dagegen verstoßende Vereinbarungen sind unwirksam. Durch Anordnung des Reichsauf-

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Westphal Vertriebsrecht I, Rn 595. AA 4. Aufl., § 87b Rn 4; RG WarnRspr. 1923/24 Nr. 135; LAG Bremen DB 1960, 1212. BGH, Urteil v. 19.01.2005 – VIII ZR 139/04, VersR 2005, 506. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 7; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87b Rn 4; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87b Rn 5. BGBl. I S. 1437, 1446; Änderung durch

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Vierte Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Tarife in der KraftfahrzeugHaftpflichtversicherung vom 16.07.1991; BGBl. I 1535) Ursprünglich war maßgebend die VO PR 52/50 – Neufassung lt. Bekanntmachung v. 25.08.1960 (BAnz. Nr. 169) –; danach galt die VO über Tarife in der Kraftfahrversicherung v. 20.11.1967 i.d.F. der Bek. vom 07.12.1976 (BAnz. Nr. 233). BGBl. 1993 I S. 2. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 10.

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sichtsamtes für Privatversicherungen vom 8.3.1934 53, welche als Verordnung zu qualifizieren ist 54, wurde gegenüber Lebensversicherungsunternehmen und Vermittlern von Lebensversicherungen ein Verbot ausgesprochen, Versicherungsnehmern Sondervergütungen zu gewähren. Hierbei handelt es sich – ebenso wenig wie bei den anderen hier genannten Verboten – um kein gesetzliches Verbot mit Nichtigkeitsfolge i.S.d. § 134 BGB 55. Es richtet sich allein gegen Versicherer und Vermittler und verpflichtet daher nur eine der vertragsschließenden Parteien, nicht jedoch den Versicherungsnehmer. Der geschlossene Versicherungsvertrag bleibt trotz eines Verstoßes in der Regel wirksam 56. Dreher 57 hält die Bekanntmachung des Reichsaufsichtsamtes v. 8.3.1934 für europarechtswidrig. Der EuGH habe sie im Fall Meng 58 aufgrund der Unzulässigkeit der Vorlage nicht geprüft. Wegen Unbestimmtheit wie Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebe die VO von 1934 keine Ordnungswidrigkeitsgelder rechtfertigende hoheitliche Eingriffsbefugnis. Die so vorgeschriebenen Provisionssätze dürfen nicht überschritten werden 59. Wer- 15 den gesetzliche Höchstpreise für das vom HV vertriebene Produkt festgelegt, sind diese für die Provisionsberechnung maßgebend 60, sofern nicht der Kunde an den Unternehmer höhere Preise zahlt und der Mehrbetrag dem Unternehmer endgültig verbleibt 61. Nach anderer Ansicht 62 soll der HV in keinem Fall von der Gesetzwidrigkeit profitieren und erhält nur den gesetzlich vorgeschriebenen Preis.

VIII. Üblicher Provisionssatz mangels Vereinbarung und obrigkeitlicher Feststellung Fehlt eine (wirksame) vertragliche Bestimmung (Subsidiarität), gilt – vergleichbar § 612 16 Abs. 2 und § 631 Abs. 2 BGB – gemäß § 87b Abs. 1 der übliche und – wie Art. 6 Abs. 1 HV-Richtlinie 1986 betont – angemessene Provisionssatz als vereinbart, zudem – stillschweigend – die übliche und angemessene Berechnungsgrundlage 63. Wegen der Subsidiarität der üblichen Vergütung besteht kein Wahlrecht der Parteien, zwischen der üblichen und der vertraglich vereinbarten Provision zu wählen. Vielmehr ist die vertraglich vereinbarte Provision vorrangig 64. Die Üblichkeit allein ist nicht entscheidend, wenn sie unangemessen ist. Eine übliche aber unangemessene Provision kann nicht als vereinbart gelten. Auf Abs. 1 ist auch zurückzugreifen, falls sich eine Provisionsvereinbarung als unwirksam oder unangemessen erweist: dann tritt anstelle der vereinbarten Provision die übliche und angemessene des § 87b Abs. 1 65. § 139 BGB gilt im Zweifel nicht, weil zu vermuten steht, dass die unwirksame Provisionsbestimmung durch dispositives Recht ersetzt wird 66. Abs. 1 gilt ferner für einen Dissens in Bezug auf die Provisionshöhe oder 53 54 55 56 57 58

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VerAfP 1934, 99. Dreher VersR 2001, 1. BGH MDR 2004, 1104. BGH MDR 2004, 1104. VersR 2001, 1. Urteil v. 17.11.1993 – Rs C-2/91, VersR 1994, 161; siehe auch OLG Hamburg VerBAV 2000, 163. BGH, Urt. v. 30.01.1992 – I ZR 125/90, NJW-RR 1992, 674; Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 10. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 10; Münch-

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KommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87b Rn 21; Schröder § 87b Rn 5b. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 10; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87b Rn 21; Schröder § 87b Rn 5b. OLG Düsseldorf MDR 1957, 168 (Leitsatz). Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 11. BGH VersR 1971, 464; Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 11; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87b Rn 4; Schröder § 87b Rn 2. Küstner/Thume I, Rn 988. Küstner/Thume I, Rn 988.

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dann, wenn eine vereinbarte Provision bestimmte Tätigkeiten nicht erfasst 67. Der Dissens führt entgegen § 154 BGB nicht zur Nichtigkeit des Vertretervertrages 68. Maßgeblich ist der durch Sachaufklärung zu ermittelnde übliche und angemessene 17 Provisionssatz im räumlichen und sachlichen Arbeitsgebiet des HV (vgl. § 354) 69, also zum Beispiel für Anzeigenvertreter im konkreten Ressort, der Branche und am Ort der Tätigkeit 70, wobei die Besonderheit des Einzelfalls nicht außer Betracht gelassen wirden darf 71. Der genaue Provisionsanspruch ist gegebenenfalls gem. § 287 ZPO durch Schätzung zu bestimmen 72. Als Beweismittel kommen Anfragen bei HK, Unternehmensverbänden sowie CDH und letztlich Sachverständigengutachten in Betracht 73. Die stärkste Form der Üblichkeit bildet der Handelsbrauch 74. Sofern keine ggf. stillschweigende abweichende Vereinbarung getroffen wurde, bestimmt sich die Üblichkeit dagegen nicht danach, ob der Unternehmer Provisionen in dieser Höhe anderen HV zahlt 75, zumal der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht gilt 76 (§ 86a Rn 35 ff). Denn sonst würde jedes Unternehmen mit mehreren HV über das üblicherweise zu leistende Entgelt selbst disponieren können und Partikularrecht schaffen. Fehlen andere Auslegungsmittel kann jedoch die vom Unternehmer anderen HV geleistete Provision ein Auslegungsmittel sein. Ein Beispiel für örtlichen Handelsbrauch findet sich in dem Urteil AG Hamburg BB 1981, 2033 (15 % Provision für die Vermittlung von Werbeanzeigen). Mangelt es an einer vertragliche Fixierung und ist eine Üblichkeit nicht feststellbar 18 (etwa weil der provisionspflichtige Auftrag als Sonderauftrag aus dem Rahmen fällt), wird der Provisionsanspruch „im Zweifel“ durch den HV gemäß §§ 315, 316 BGB nach billigem Ermessen bestimmt 77. Eine solche Bestimmung setzt jedoch voraus, dass alle Möglichkeiten der Vertragsauslegung oder der Ermittlung des Provisionssatzes, auch durch Sachverständigengutachten, ausgeschöpft sind 78.

E. § 87b Abs. 2 und 3: Provisionsberechnung 19

§ 87b enthält in seinen Abs. 2 und 3 Grundsätze zur Provisionsberechnung. Auch die Abs. 2 und 3 sind dispositiver Natur. Deshalb können andere Bezugsgrößen als Bemessungsgrundlage für die Provisionshöhe vereinbart werden.

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Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 12; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87b Rn 11; Schlegelberger/Schröder § 87b Rn 3a, 4. LAG Hamm BB 1985, 464; Küstner/Thume I, Rn 991. BGH, Urt. v. 02.03.1961 – VII ZR 15/60, BB 1961, 424 = DB 1961, 638; Ebenroth/ Löwisch § 87b Rn 13; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87b Rn 6; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87b Rn 10; Schlegelberger/Schröder § 87b Rn 3. Küstner/Thume I, Rn 992. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 13; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87b Rn 10; Schlegelberger/Schröder § 87b Rn 3. BAG DB 1998, 1719 (zu einem Arbeitsvertrag).

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Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 14; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87b Rn 12; Schlegelberger/Schröder § 87b Rn 3. Vgl. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 13; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87b Rn 6. Küstner/Thume I, Rn 992. KG BB 1995, 2286 m. zust. Anm. Küstner S. 2287; Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 13. BGH DB 1961, 638; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 599; Küstner/Thume I, Rn 994; Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 14; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87b Rn 6; Hopt § 87b Rn 3; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87b Rn 13; Schlegelberger/ Schröder § 87b Rn 4a, b. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 599.

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I. Absatz 2 1. Allgemeines. Abs. 2 stellt in seinem S. 1 die Grundregel auf, dass sich die Höhe der 20 Provision nach dem im vom HV vermittelten oder abgeschlossenen Vertrag vereinbarten Entgelt bestimmt (Bemessungsgrundlage), und stellt in S. 2 und 3 klar, wie sich dieses für die Provision maßgebliche Entgelt im Einzelnen berechnet. Dazu wird vorgeschrieben, dass Nachlässe bei Barzahlung, die üblichen Nebenkosten und die Umsatzsteuer die Bemessungsgrundlage des S. 1 nicht reduzieren. Provisionsbemessungsgrundlage ist damit der vom HV (mit)verursachte Umsatz, dessen Wert sich im Regelfall nach dem für das Kundengeschäft in Rechnung gestellten Geldbetrag – Kaufpreis, Versicherungsprämie o.ä. – bestimmt 79. Werden andere Bemessungsgrundlagen zur Provisionshöhe vereinbart, z.B. gelieferte Stückzahlen 80, Differenz zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis des vermittelten Produkts 81 bzw. zwischen dessen Verkaufspreis und dem Wert eines in Zahlung genommenen Gegenstands 82, gilt vorrangig das so Geregelte. Abs. 2 S. 1 ist unanwendbar 83. Haben die Parteien keine vom Gesetz abweichende Vereinbarung getroffen, ist die Pro- 21 vision von dem durch den Kunden (Verkaufsvertreter) oder von dem Unternehmer (Einkaufsvertreter) zu leistendem, vollständigem Entgelt zu berechnen. Da die Provision von der Gegenleistung zu berechnen ist, die der Kunde oder Unternehmer „zu leisten hat“, kommt es auf das Geschuldete an, nicht die tatsächliche Höhe der Zahlung 84, was sich auch aus § 87a Abs. 3 ergibt. Die Grundsätze der Provisionsberechnung bei Teilleistungen können daher nicht aus § 87b Abs. 2 hergeleitet werden. Nicht anders als bei § 87a Abs. 3 ist also auch hier zwischen provisionsrelevanten Abreden im Ursprungsvertrag und solchen zu unterscheiden, die zu einer Geschäftsausführung abweichend vom Ursprungsvertrag führen. Letztere sind provisionsneutral und ändern nichts an der Verprovisionierung als ob das ursprünglich geschlossene Geschäft ausgeführt worden wäre: Freiwillig geleistete, d.h. nicht geschuldete Rückvergütungen des Unternehmer mindern die Provision 85 ebenso wenig wie nachträgliche, die Provisionsbemessungsgrundlage reduzierende Abreden zwischen Unternehmer und Kunden 86 (§ 87a Abs. 3). Deshalb ist das vereinbarte Entgelt auch maßgeblich, wenn ohne im Ursprungsvertrag geregelte Verpflichtung statt des Entgelts eine andere Leistung angenommen wird und diese weniger wert ist 87. Das Risiko, durch eine Leistung an Erfüllungs statt, etwa infolge eines Kursverlustes von Wertpapieren, nicht den vollen Gegenwert für seine Gegenleistung zu erhalten, trägt allein der Unternehmer 88, 79

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Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 15; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87b Rn 15, 16; Schlegelberger/Schröder § 87b Rn 5. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 15; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87b Rn 15. OLG München NJW-RR 1994, 103; Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 15. BAG, Urt. v. 24.09.1965 – 3 AZR 231/65, DB 1965, 1917; LAG Berlin DB 1964, 189. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 15; Schlegelberger/Schröder § 87b Rn 5. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 16; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87b Rn 8; Hopt § 87b Rn 5; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87b Rn 18; Schlegelberger/ Schröder § 87b Rn 5a, 6.

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Hopt § 87b Rn 5. Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87b Rn 8; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 87b Rn 22; Schlegelberger/Schröder § 87b Rn 6. RGZ 121, 125 (126); Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 16; Hopt § 87b Rn 6; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87b Rn 18; Schlegelberger/Schröder § 87b Rn 5, 6: teils aA Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87b Rn 8. RGZ 121, 125 (127); Eberstein, S. 96; Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 16; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87b Rn 8; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87b Rn 18; Schlegelberger/Schröder § 87b Rn 5.

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ebenso wie ihm ein spiegelbildlich erzielter Mehrwert zusteht 89. Gleiches gilt für den Fall der Leistung an Erfüllung statt (§ 364 BGB), falls der Unternehmer die Forderung gegen den Kunden unter Nennwert veräußert 90. Für die Teilausführung Anwendung findet § 87a, insbes. sein Abs. 3. Geldwerte Nebenvorteile des Unternehmers, zu denen sich der Dritte bereits im vermittelten Vertrag verpflichtet hat, z.B. ein Preisnachlass auf eine Gegenlieferung, erhöhen das als Bemessungsgrundlage dienende Entgelt 91, sofern es sich um einen Teil der Gegenleistung für die vom Unternehmer zu erbringende Leistung handelt. Der Unternehmer darf den Rabatt nicht geheim halten 92, weil aus §§ 87c, 242 BGB Informationsrechte des Vertreters entstehen. Auf das zu leistende Entgelt ist auch dann abzustellen, wenn das Entgelt (z.B. der 22 Kauf- oder Verkaufspreis) durch eine im Ursprungsvertrag von vornherein vereinbarte Leistung an Erfüllungs statt getilgt wird (eine spätere Vereinbarung braucht sich der HV nach § 87a Abs. 3 nicht entgegenhalten zu lassen). Ist das vereinbarte Geschäft ein Tausch (Kompensationsgeschäft), kommt es auf den in Geld ausgedrückten Wert der Leistung des Leistenden für den Empfänger der Leistung an 93, weil der Unternehmer ihn erstrebt. Ist eine Zahlung in Fremdwährung vereinbart, wird der Umrechnungskurs zum Zeitpunkt des Eingangs der Zahlung beim Unternehmer zugrundegelegt 94. Eine Erhöhung des Fakturenbetrages auf Grund von Preisgleitklauseln gegenüber dem vereinbarten Gegenwert bei Abschluss des Geschäfts kommt dem HV entgegen der 4. Aufl.95 zugute, da sie Teil der vertraglichen Vereinbarung sind 96.

23

2. Nachlässe. Abs. 2 S 2 betrifft nur Nachlässe bei Barzahlung (Skonto, Barrabatte). Für andere Nachlässe gilt: Da die Provision von dem zu leistenden Entgelt zu berechnen ist und im Ursprungsvertrag vereinbarte Nachlässe dieses geschuldete Entgelt reduzieren, mindern sie mittelbar auch die Provision und sind entgegen Abs. 2 S. 2 von der Provisionsbemessungsgrundlage „abzuziehen“. Voraussetzung ist aber auch hier, dass die Nachlässe von vornherein zugesagt waren 97, wofür der Unternehmer die Beweislast trägt. Nimmt der Kunde einen unberechtigten Abzug vor, reduziert dies die Provisionsbemessungsgrundlage nicht, da die Provision von dem geschuldeten Entgelt zu berechnen ist 98. Nachträgliche Nachlässe und Sonderrabatte mindern die Provision nicht 99 (§ 87 Abs. 3), da sie nicht geschuldet sind. Mengen-, Treue-, Aktionsrabatte und Jahresumsatzboni sind in der Regel, aber abhängig vom Einzelfall, von vornherein vereinbart und damit provisionsreduzierend 100. Werden sie ohne vertragliche Verpflichtung nachträglich gewährt, reduzieren sie die Provision gem. § 87a Abs. 3 nicht. Bei Naturalrabatten des Unternehmers an den Kunden, der über die vereinbarte Menge hinaus ohne Vergütung zusätzliche Waren oder Leistungen erhält, bestimmt sich die Provision nach dem ausgehandelten und in Rechnung gestellten Preis für die Kernlieferung. Für die freiwillige Zusatzleistung des 89 90 91

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Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 16. OLG Celle NJW 1972, 879, etwa im Rahmen eines Factoring-Vertrages. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 16; Hopt § 87b Rn 7; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 87b Rn 20; Schlegelberger/Schröder § 87b Rn 5a. Hopt § 87b Rn 7. Hopt § 87b Rn 4. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 16; Hopt § 87b Rn 4; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 87b Rn 18. Dortiges Argument: der HV erhalte auch bei

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96 97 98 99 100

sinkendem Unternehmergewinn auf Grund von Preisverfall die Provision nach dem vereinbarten Gegenwert. Aber dieses Argument verfängt nicht, weil der Unternehmergewinn regelmäßig nicht Teil der vertraglich vereinbarten Provisionsbemessungsgrundlage ist. AA Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 16. Hopt § 87b Rn 8. Küstner/Thume I, Rn 1001. OLG Braunschweig JR 1957, 103; Hopt § 87b Rn 8. Eberstein, S. 95; Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 19.

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Unternehmers darf der HV keine Provision beanspruchen 101 und der Unternehmer die Provisionsbemessungsgrundlage nicht (anteilig) reduzieren. Nicht anzuerkennen ist ein Handelsbrauch, dass sich der Provisionssatz verringert, wenn der Unternehmer dem Kunden Sondervorteile zukommen lässt, oder dass der Unternehmer bei Warenabgabe unter Listenpreis den Provisionssatz einseitig herabsetzen darf 102. 3. Nachlass bei Barzahlung. Von der vorgenannten Grundregel trifft Abs. 2 S. 2 für 24 Nachlässe bei Barzahlung eine Ausnahme. Vereinbarte Nachlässe bei Barzahlung reduzieren die Provision gem. § 87b Abs. 2 Satz 2 Hs 1 nicht, da die Barzahlung dem Unternehmer direkt zugute kommt 103 und der HV bei Abzug benachteiligt würde, falls er ein Geschäft mit einem besonders schnell und pünktlich zahlenden Kunden vermittelt 104. Ein abweichender Handelsbrauch – sollte er heute überhaupt gegen das Gesetz existieren können – ändert daran nichts 105. Ob auch alle Preisnachlässe und sonstigen Sondervorteile, welche der Unternehmer dem Kunden nachträglich auf die vereinbarte Gegenleistung (Preis) gewährt, als Nachlass bei Barzahlung zu verstehen sind, erscheint angesichts des Ausnahmecharakters der Vorschrift zweifelhaft 106. Solche Fälle fallen unter § 87a Abs. 3, was zum selben Ergebnis führt. Keine Kürzung der Provision rechtfertigt deshalb der Umstand, dass der Unternehmer nachträglich, z.B. am Jahresende, seinen Kunden freiwillig einen Gewinnanteil rückvergütet (§ 87a Abs. 3, wohl nicht § 87b Abs. 2 107). Dasselbe hat zu gelten, wenn ein Prämienversicherer den Versicherungsnehmern Gewinnanteile gewährt. Solche Zuwendungen dürfen nicht auf Kosten des Vertreters erfolgen. Die Vereinbarung der Provisionsberechnung nach dem „Netto-Rechnungsbetrag“ führt nicht dazu, dass Skonto von der Provisionsberechnungsgrundlage abzuziehen ist 108. Wurde hingegen von vornherein der Preis als Vorzugspreis (Freundschaftspreis, Großhandelspreis) ermäßigt, so kommt für die Berechnung nur dieser in Betracht. Gleiches muss im Gegensatz zur Amtl. Begründung (S. 38) gelten, sofern von vornherein einem Großabnehmer ein Vorzugspreis (Mengen- oder Treuerabatt) berechnet wird; der Mengenrabatt kann als sog. Naturalrabatt gewährt sein (Lieferung einer höheren Stückzahl als vereinbart und in Rechnung gestellt: der Rechnungsbetrag ist entsprechend umzurechnen). 4. Nebenkosten. Zu den Nebenkosten regelt Abs. 2 S. 2, dass sie grundsätzlich die 25 Provisionsbemessungsgrundlage nicht reduzieren, es sei denn, sie sind dem Kunden gesondert in Rechnung gestellt worden. In Hinblick auf die Nebenkosten für Fracht, Verpackung, Zoll, Steuern, wird ausdrücklich festgelegt, dass sie von dem bemessungsrelevanten Entgelt nicht abzuziehen sind. Diese Aufzählung ist nicht abschließend sondern beispielhaft 109 („namentlich“). Hat beispielsweise der Exportvertreter auf cif-Basis abgeschlossen, so sind in dem vereinbarten Verkaufspreis u.a. inbegriffen die Kosten für Verladung im Abgangshafen, die Frachtkosten bis zum Bestimmungshafen, die Kosten der

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Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 19. OLG Braunschweig JR 1957, 103; Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 19; Schlegelberger/ Schröder § 87b Rn 7. OLG Düsseldorf, DB 1955, 578; Hopt § 87b Rn 9. Küstner/Thume I, Rn 1001. OLG Bremen HV-Journal 1965, 71. So OLG Düsseldorf OLGR 2000, 354 (357); OLG München NJW-RR 1994, 103 = DB 1993, 2379; Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 19.

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So aber Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 19; Hopt § 87b Rn 5. OLG Düsseldorf, DB 1955, 587; Küstner/ Thume I, Rn 1002; OLG Naumburg, OLG 44, 92; OLG Hamburg, OLG 38, 275. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 20; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87b Rn 9; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 87b Rn 27; Schlegelberger/Schröder § 87b Rn 8.

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(Transport)versicherung, der üblichen Verpackung, des Messens, Wiegens, Zählens, Exportpapiere, Montage, Inbetriebnahme, Abnahme, Gewährleistung, allgemeine umsatzfördernde Werbeaufwendungen, alle Abgaben, die für die Ware bis zu ihrer Verschiffung zu entrichten sind, einschließlich der Ausfuhrzölle und -abgaben. Nicht absetzbar bei der Provisionsberechnung sind Steuern, die der Unternehmer zu tragen hat; wegen der Mehrwertsteuer s. Abs. 2 S. 3 u. Rn 27. Nur ausnahmsweise (Beweislast beim Unternehmer) reduzieren Nebenkosten die Pro26 visionsbemessungsgrundlage, wenn diese Kosten – was der Unternehmer zu beweisen hat, s.o. – dem Kunden gesondert in Rechnung gestellt werden, sofern sich nicht aus dem Vertrag oder aus den Umständen ein anderes ergibt. Unter anderem sollen die Abzüge durch die besondere Inrechnungstellung kontrollierbar bleiben110. Abs. 2 S. 2 fingiert, dass jene Kosten durch besondere Leistungen verursacht werden111, welche zusätzlich zu dem vom HV herbeigeführten Vertrag zu erbringen sind und, indiziert durch die gesonderte Ausweisung, dass jene Kosten im Zweifel nicht Gegenstand der provisionspflichtigen Vertriebstätigkeit des HV sind112. Besonders in Rechnung gestellt sind Nebenkosten, die in dem vereinbarten Entgelt nicht inbegriffen sind. Dies muss allerdings von Anfang an mit dem Kunden vereinbart sein und darf nicht einseitig ohne vertragliche Vereinbarung durch den Unternehmer geschehen (sonst: § 87a Abs. 3). Es geht provisionsrechtlich nicht zu Lasten des HV, wenn Unternehmer und Kunde zum Nachteil des HV nachträglich eine gesonderte Ausweisung von Nebenkosten bei der Rechnungstellung vereinbaren113. Die Sachgerechtigkeit der Anknüpfung an einen solchen voluntativen Akt der Parteien des vermittelten Geschäfts – in der Realität setzt der Unternehmer die gesonderte Inrechnungstellung durch – als Grundlage der Provisionsbemessung nach dispositivem Recht mag bezweifelt werden. Um eine weitgehende Auslagerung zu gesondert in Rechnung gestellte Nebenkosten zu verhindern, ist eine strenge Prüfung anhand der §§ 242, 307 BGB angezeigt. Untersucht werden muss jeweils, welche aus der Geschäftsabwicklung erwachsenden sog. Nebenkosten durch das Entgelt leitbildgemäß mit entgolten sind. Eine grenzenlose Auslagerung des als Gegenleistung für die Hauptleistung erbrachten Entgeltes in gesondert ausgewiesene Nebenkosten ist unzulässig. Nebenkosten die typischerweise anfallen, damit die Leistung erbracht werden kann, mindern die Provision nicht. Sie sind in den Preis einkalkuliert, welcher die Provisionsbemessungsgrundlage bildet 114 und dürfen bei der Provisionsberechnung nicht abgezogen werden; Abs. 2 S. 2 Hs. 2. Dies gilt auch für Vereinbarungen über die Erstattung von Nebenkosten, die mit den vertraglich geschuldeten Pflichten des vom HV herbeigeführten Kundengeschäfts nicht in Zusammenhang stehen 115. Bei der Beurteilung der Umstände des Einzelfalles, die über die Frage der Abzugsfähigkeit bestimmen, mag von Bedeutung sein, ob die Nebenkosten die Natur eines Aufwendungsersatzes haben (z.B. verauslagte Frachtgebühr usw.); alsdann sind sie abzusetzen; oder ob sie die Vergütung für übernommene zusätzliche Leistungen darstellen (z.B. Kosten für Montage einer gelieferten Maschine); in solchem Falle können sie Bestandteil der provisionspflichtigen Gesamtver-

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Hopt § 87b Rn 11. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 21; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87b Rn 9; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87b Rn 28; Schröder § 87b Rn 8. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 21. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 22; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87b Rn 10.

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Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 20; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87b Rn 9; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87b Rn 27; Schlegelberger/Schröder § 87b Rn 8. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 22.

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gütung sein. Welche Vertragspartei die Nebenkosten in Rechnung stellt, ist unerheblich. Satz 2 Hs 3 gilt entgegen dem Wortlaut („dem Dritten“) für die Vertragspartei, deren Rechnung für die Provisionsermittlung maßgeblich ist 116, schon um eine Gleichbehandlung zwischen Verkaufs- und Einkaufsvertreter sicherzustellen. Über Handelsbräuche bei der Provisionsberechnung s. Der Handelsbrauch im Handelsvertreterrecht (1952) Nr. 47–167; OLG Braunschweig BB 1956, 226 (kein Handelsbrauch dahin, dass die Provision sich verkürze, wenn der Unternehmer dem Kunden einen „Sonderrabatt“ einräumt). 5. Umsatzsteuer. Die Umsatzsteuer ist nach näherer Maßgabe des § 14 UStG auf der 27 Rechnung gesondert auszuweisen. Mit der Einführung dieser Pflicht zur gesonderten Ausweisung der Umsatzsteuer in Rechnungen von Unternehmen sollte an der grundsätzlichen Berechnung der Provision anhand des Bruttorechnungsbetrages nichts geändert werden. Deswegen wurde durch Abs. 2 S. 3 klargestellt, dass die aufgrund Steuerrechts in Rechnungen gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer, abweichend von den gesondert berechneten Nebenkosten, bei der Provisionsermittlung mitberücksichtigt wird. Die gesonderte Rechnungstellung wird durch Abs. 2 S. 3 für die Provision wegfingiert; Abs. 2 S. 3 weicht von der Grundregel des S. 2 ab und bestimmt, dass die Umsatzsteuer zu dem bemessungsrelevanten Entgelt hinzuzusetzen ist. Die Provision ist also mangels besonderer Vereinbarung, die allerdings üblich 117 und wegen der Dispositivität der Bestimmung zulässig 118 ist, auf den geschuldeten Bruttobetrag mit Mehrwertsteuer zu zahlen 119. Dies führt zu einer Bruttoprovision. Bei Änderung des Umsatzsteuersatzes ist für die Provisionsermittlung steuerrechtlich der Zeitpunkt der Ausführung des Kundengeschäfts durch den Unternehmer maßgeblich 120. 6. Abweichende Vereinbarungen. Wie dargestellt ist auch Abs. 2 in vollem Umfang 28 dispositiv. Vereinbart werden darf etwa: Reduzierung der Provisionsbemessungsgrundlage durch die Inzahlungnahme gebrauchter Sachen 121, dass die Provision nur auf den Barpreis zu zahlen ist 122, Nebenkosten von der Provisionsberechnung ausgenommen 123 werden, Provisionen nur nach Stückzahl, Gewicht etc. der verkauften Ware (x € je Stück, KG oder Tonne usw.) zu leisten sind 124, entgegen § 87 b Abs. 2 Nr. 2 keine Provision auf Skonti 125 oder Umsatzsteuer zu gewähren ist 126, eine Stückprovision mit Aufschlag in % x € des übersteigenden Preises 127 etc.

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Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 21; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87b Rn 10; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87b Rn 29. Hopt § 87b Rn 12. BAG, Urt. v. 23.03.1982 – 3 AZR 637/79; BB 1983, 195 = AP § 87c Nr. 18; Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 23; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87b Rn 11; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87b Rn 30. BGHZ 61, 114, Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 23; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87b Rn 11; Hopt § 87b Rn 12; Münch-

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KommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87b Rn 30. BAG BB 1983, 195; Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 23. Hopt § 87b Rn 18. BAG BB 1966, 386; Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 33; Hopt § 87b Rn 18. BAG BB 1983, 195; Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 33. Küstner/Thume I, Rn 995; Hopt § 87b Rn 18. Hopt § 87b Rn 18. BAG BB 1983, 397; Hopt § 87b Rn 18. Hopt § 87b Rn 18.

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II. § 87b Abs. 3: Provisionsberechnung bei Dauerverträgen 29

1. Überblick. Die Tätigkeit des HV kann auf den Abschluss oder die Vermittlung von Gebrauchsüberlassungs- oder Nutzungsverträgen von bestimmter oder unbestimmter Dauer gerichtet sein. Der Begriff der Gebrauchsüberlassungs- und Nutzungsverträge umfasst beispielsweise Miet- und Pachtverträge, einerlei ob sie Sachen oder Rechte (zum Beispiel Lizenzen, dingliche Rechte wie Erbbaurecht) betreffen 128, zudem Filmverleih-, Maschinenverleih-, oder Grundstücksbenutzungsverträge. Jedoch werden auch andere Dauerverträge mit fest nach Zeitabschnitten bemessenen Entgelt, etwa Dienst-, Kreditvermittlungs-, Patentlizenz-, Versicherungsverträge oder ähnliche Verträge von Abs. 3 erfasst 129. Sofern die Parteien nichts Abweichendes vereinbart haben, regelt Abs. 3 die Berechnung der Provision für alle vom HV vermittelten oder abgeschlossenen Dauerschuldverhältnisse, die sich nicht in einem einmaligen Leistungsaustausch erschöpfen sondern bei denen verbindlich ein vorausbestimmtes und sicher zu erwartendes Entgelt nach Zahlungszeitpunkt und Betragshöhe in festen Zeitabschnitten als laufend zu erbringende Gegenleistung zu zahlen ist 130. Das betroffene Produkt oder die betroffene Leistung sind unerheblich. Bei Dauerschuldverhältnissen, bei welchen die Höhe der Zahlungspflicht noch nicht 30 verbindlich feststeht – also eine automatische Umsetzung des Vertrages fehlt – ist Abs. 3 unanwendbar, selbst wenn die Parteien bei Vertragsschluss die jeweiligen Zahlungszeitpunkte sowie die Grundlagen für die Berechnung des Entgelts möglicher, aber nicht sicher in Ausführung dieses (Rahmen)Vertrages ggf. zu schließender Einzelgeschäfte bereits im Vorhinein für den Fall des Abschlusses der Einzelgeschäfte verbindlich festgelegt haben 131. In diesem Fall ist Abs. 2 maßgeblich. Ferner findet Abs. 3 keine Anwendung auf Verträge mit variablem und ergebnisbezogenem Entgelt, zum Beispiel Verträge mit Stück- oder Umsatzabnahme, etwa Lieferabonnements. Hier berechnet sich die Provision nach jedem vergütungspflichtigen Vorgang, also zum Beispiel dem Verkauf der lizenzierten Gegenstände, der Bücher und der Lieferung der Zeitschrift bzw. jeder Zahlung des anderen Teils 132. Bei den von Abs. 3 erfassten Gebrauchsüberlassungs- und Nutzungsverträgen von 31 bestimmter Dauer ist die Provision vom Entgelt für die gesamte Vertragsdauer zu berechnen (Satz 1). Bei unbestimmter Dauer ist die Provision vom Entgelt bis zu dem Zeitpunkt zu berechnen, zu dem der Kundenvertrag erstmals vom Kunden gekündigt werden kann. Der HV hat jedoch Anspruch auf die Fortzahlung der entsprechend berechneten Provision, falls der Vertrag fortbesteht. Soweit Abs. 3 nicht eingreift, bleiben die allgemeinen Vorschriften 133, insbes. Abs. 1 und 2, anwendbar 134. Abs. 3 ist damit lex specialis zu Abs. 1.

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2. Verträge mit bestimmter Dauer (§ 87b Abs. 3 Satz 1). Bei Verträgen mit seit Vertragsbeginn nach Zeitabschnitten (Kalender, bestimmtes Ereignis) fest bemessenem Entgelt und fest bestimmter Dauer, bei denen es zur Vertragsbeendigung keiner rechtsgestal-

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Hopt § 87b Rn 13. Hopt § 87b Rn 13. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 25. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 25; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87b Rn 12; Hopt § 87b Rn 13; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 87b Rn 33.

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Hopt § 87b Rn 13. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 24; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87b Rn 12; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87b Rn 32. Hopt § 87b Rn 13.

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tenden Willenserklärung bedarf 135, bereitet die Berechnung der Provision aus dem Entgelt keine Schwierigkeit. Die mit der erstmaligen Überlassung des Vertragsgegenstands zum Gebrauch oder eigenständiger Verfügung entstehende 136 und dann einmalig zu zahlende Provision ist vom geschuldeten Entgelt für die bei Vertragsschluss vereinbarte Gesamtdauer des Vertrages zu berechnen – je länger je höher –, auch wenn das Entgelt nur in Raten (Zahlung nach Zeitabschnitten, Mietzahlung) zu leisten ist 137. Eine abweichende Vereinbarung ist jedoch zulässig und wird häufig getroffen. Fehlt eine abweichende Regelung bildet die Provision eine Einmalprovision 138. Für ihre Berechnung werden die während der Laufzeit des Dauervertrages voraussichtlich insgesamt anfallenden Entgelte zusammengezählt, nicht anders als wenn das Entgelt für die gesamte Vertragszeit in einer festen Summe ausgeworfen worden wäre. Auch bei den von S. 1 angesprochenen Verträgen bestimmt sich die Provision entsprechend den oben dargestellten Grundsätzen gem. Abs. 1, 2 nach dem zwischen Kunden und Unternehmer für die vereinbarte Vertragszeit versprochenem Entgelt 139 einschließlich der o.g. Nebenkosten, soweit sie nicht gesondert in Rechnung gestellt werden, und einschließlich der Umsatzsteuer und ohne Abzug der nach Abs. 2 S. 2 nicht abzusetzenden Nachlässe. Unter S. 1 fallen alle auf bestimmte Zeit geschlossenen Verträge, selbst wenn aus- 33 nahmsweise ein der außerordentlichen Kündigung vergleichbares vorzeitiges Rücktrittsoder Kündigungsrecht besteht, jedoch ein ordentliches Kündigungsrecht oder ein ähnliches Recht fehlt (dann S. 2). Eine Verlängerungsklausel oder Verlängerungsoption ist für die Provisionsberechnung bis zur Ausübung des Verlängerungsrechts (dazu unten) irrelevant 140, weil sie die maßgebliche, erstmalige Vertragsdauer nicht prolongiert. Die Frage, wann der Anspruch auf die Einmalprovision endgültig entsteht und fällig wird, regelt § 87a. In § 87b wird nur die Berechnungsweise bestimmt. Die Ausführung des Geschäfts durch den Unternehmer i.S.d. § 87a Abs. 1 S. 1 ist dann der Akt der Zurverfügungstellung des Gebrauchs oder der Nutzung (nicht erst deren vollständige Gewährung im Ablauf des Vertrages). Doch werden – was zulässig ist – häufig abweichende Abreden getroffen, etwa die Zahlung der Provision aus laufend einkommenden Nutzungsentgelten (§ 87a Rn 28), wobei aber § 87a Abs. 1 S. 2 Hs. 2 zu beachten ist, oder Zahlung der Einmalprovision nach Eingang einiger Mietraten (vgl. § 87a Abs. 1 S. 4). Wird der Vertrag nach Ablauf der Vertragslaufzeit oder nach Kündigung um be- 34 stimmte Zeit verlängert, sei es infolge einer Verlängerungsklausel oder durch gesonderte Willenserklärung, etwa infolge einer Verlängerungsoption, entsteht ein neues Provisionsrecht 141 als Tätigkeits- oder Folgeprovision, nach S. 1 bei Verlängerung um einen bestimmten Zeitraum und nach S. 2 bei Verlängerung auf unbestimmte Zeit 142. 3. Verträge mit unbestimmter Dauer (§ 87b Abs. 3 Satz 2). Bei Verträgen mit unbe- 35 stimmter Dauer ist die Provision jeweils aus dem für die Zeit zwischen zwei Kündigungs-

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Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 26. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 28; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87b Rn 36. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 28; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87b Rn 14; Hopt § 87b Rn 14; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 87b Rn 36. Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87b Rn 14; Hopt § 87b Rn 14; Münch-

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KommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87b Rn 36. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 27; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87b Rn 13 und 14; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87b Rn 34 und 36; Schlegelberger/Schröder § 87b Rn 9, 10. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 26. Hopt § 87b Rn 14. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 26.

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terminen des Kunden (nicht des Unternehmers, eine ihm zugebilligte Kündigungsmöglichkeit ist irrelevant) 143 zu zahlendem Entgelt zu berechnen, erstmals für die Zeit von Vertragsbeginn bis zum ersten Kündigungstermin 144. Ob das Kündigungsrecht tatsächlich ausgeübt wird bleibt für die Bemessung der Erstprovision unerheblich 145. Bei Nichtausübung wird aber ein neues Provisionsrecht nach Rn 34, 36 entstehen. Im Übrigen gilt für das Entstehen und Fälligkeit von Erstprovision und Folgeprovision das Gleiche wie für die Einmalprovision des S. 1. Die Zeitspanne bis zur erstmaligen Kündigungsmöglichkeit des Dritten steht der befristeten Nutzungsdauer gleich, so dass die oben zu Rn 32 ff genannten Grundsätze auch hier gelten.

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4. Fortsetzung des Vertrages. Wird der Kundenvertrag fortgesetzt oder (auch während der Vertragslaufzeit) verlängert, weil er (vom Kunden oder Unternehmer) nicht gekündigt worden ist, so beginnt für die Berechnung der Provision ein neuer Nutzungsabschnitt bis zur nächsten Kündigungsmöglichkeit des Kunden und eine erneute Zurverfügungstellung von Seiten des Unternehmers. Bei jederzeitiger Kündigungsmöglichkeit des Vertrags durch den Kunden erwirbt der HV für die Zeit nach Ablauf der gesetzlichen Kündigungsfristen einen weiteren Provisionsanspruch, wenn und solange der Kundenvertrag ungekündigt fortbesteht 146. Darf jederzeit gekündigt werden, so wächst der Provisionsanspruch ständig. Kann täglich gekündigt werden, entsteht für jeden verlängerten Tag ein Provisionsanspruch. Die zeitliche Gliederung der zu zahlenden Provision ergibt sich aus den Abrechnungsabschnitten (§ 87c Abs. 1) 147. Dadurch können erhebliche nachvertragliche Provisionsansprüche entstehen (dazu § 87 Rn 71 ff). Wird das vereinbarte Kündigungsrecht des Kunden nach Abschluss des Kundenvertrags durch Vertragsänderung (ggf. auch nur zeitweise) ausgeschlossen oder hinausgeschoben, ist der neu vereinbarte Kündigungszeitpunkt als Endzeitpunkt der Provisionsbemessungsgrundlage maßgebend 148. Der Grund für die Nichtbeendigung des Vertragsverhältnisses mit dem Kunden ist ohne Bedeutung für den Provisionsanspruch des HV 149.

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5. Nicht fortgesetzter Vertrag. Wird der Kundenvertrag nicht fortgesetzt, sondern nach den Bedingungen des Kundenvertrages vertragsgemäß (nicht vertragsgemäße Beendigung: §§ 87a Abs. 2, 3) durch Kündigung oder in sonstiger Weise beendet, endet auch das Provisionsrecht des HV. Wird der Kundenvertrag nach Vertragsende erneut abgeschlossen, erwirbt der HV keinen weiteren Provisionsanspruch, selbst sofern der neue Vertrag mit dem alten übereinstimmt. Etwas anderes gilt, sofern der HV die Vertragsfortführung mitverursacht hat (Tätigkeitsprovision 150, § 87 Abs. 1, s.o., Rn 76 ff), ein Folgevertrag nach § 87 Abs. 1 vorliegt (§ 87 Rn 87 ff), falls Willkür oder die Voraussetzungen der §§ 87a Abs. 3 analog, §§ 162, 242 BGB vorliegen (s.u., Rn 39), etwa wenn der HV beweist, dass der Neuabschluss nur gewählt worden ist, um den Provisionsanspruch des HV zu umgehen 151. Der Grund für die Beendigung des Vertragsverhältnisses zu dem Kunden ist ansonsten unerheblich. Zum Entstehen einer Tätigkeitsprovision nach § 87 143

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Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 29; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87b Rn 15; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87b Rn 37; Schlegelberger/Schröder § 87b Rn 11. Hopt § 87b Rn 15. Schlegelberger/Schröder § 87b Rn 11. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 30; Hopt § 87b Rn 16; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 87b Rn 38.

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Hopt § 87b Rn 15. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 29; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87b Rn 37; Schlegelberger/Schröder § 87b Rn 11. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 29. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 32. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 32.

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Abs. 1 für den Abschluss des Nachfolgevertrages reicht es aus, dass der HV den Kunden bewegt, die Kündigung „zurückzunehmen“, d.h., auf die Wirkungen der Kündigungserklärung zu verzichten. 6. Beendigung des HV-Vertrages. Wird der HV-Vertrag beendet, besteht die Provisions- 38 pflicht auch in Ansehung eventueller nach dem nächstmöglichen Kündigungstermin anfallender Nutzungsentgelte fort, wenn der vermittelte Vertrag in irgendeiner Weise fortgesetzt wird und der Unternehmer hierfür eine Gegenleistung erhält 152. Das Provisionsrecht des HV dürfte aber enden, sobald der Kunde das Vertragsverhältnis berechtigt kündigt, nachdem der HV-Vertrag beendigt ist, es aber durch übliche Bemühungen des Unternehmers oder von anderer Seite gelingt, den Kunden zur „Rücknahme“ der Kündigung zu motivieren (s.o., Rn 37). Diese Bemühung ist wohl keine Obliegenheit des Unternehmers (anders als bei einer vertragswidrigen Kündigung, s.o., § 87a Rn 78 zur Nachbearbeitung), bei deren Fehlen der Unternehmer nach § 87a Abs. 3 S. 2 Provision schuldet; die Kausalität der Erstvermittlung durch den Unternehmer überwiegt die des HV nicht nur nach weit überobligationsmäßigen Bemühungen des Unternehmers. Die Fortsetzung des durch die Kündigung beendeten Dauervertrages ist rechtsförmlich nur im Wege eines neuen Vertragsabschlusses denkbar, der provisionsrechtlich relevante Erstvertrag ist abgelaufen. Das Provisionsrecht des HV besteht fort, wenn die Kündigung auf einen Termin nach Auslaufen des HV-Verhältnisses ausgesprochen, es aber dem HV selbst gelungen war, noch während seiner Vertragszeit Wesentliches zur Umstimmung des Dritten beizutragen, weil dann der neue Abschluss provisionsrechtlich nach § 87 Abs. 3 zu beurteilen ist. Gleiches gilt, falls der Kunde während der Vertragsdauer des HV-Vertrages von dem bloßen Vorhaben einer Kündigung Abstand nimmt, weil er dazu bewogen werden konnte. Unter Umständen kann der Verursachungsbeitrag der Erstvermittlung durch den HV auch so überwiegend sein, dass auch für den Folgevertrag Provision nach § 87 Abs. 3 Nr. 1 geschuldet wird. Abs. 3 geht in diesen Fällen davon aus, dass die Fortdauer des Vertrages mangels Kündigung unverändert auf die ursprüngliche Vermittlung durch den HV zurückzuführen ist153. Der HV kann – je nach Sachverhaltsgestaltung – konkurrierend eine Tätigkeits- und Folgeprovision nach § 87 Abs. 1 verdient haben. Ist der Erfolg der Abstandnahme des Dritten von der beabsichtigt gewesenen Kündigung noch während der Dauer des Vertreterverhältnisses eingetreten, so streitet die Vermutung fortdauernder Ursächlichkeit des HV-Verhaltens bei der Erstvermittlung für den HV. Erreicht der HV die Vertragsverlängerung nach Ende des HV-Vertrages und akzeptiert der Unternehmer sie – dies muss er nicht – dürfte Provision nach § 354 geschuldet sein.

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OLG Düsseldorf BB 1977, 817; LAG Hamm DB 1984, 674; Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 29; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87b Rn 16; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87b Rn 44, AA Schlegelberger/ Schröder § 87b Rn 14; sowie 4. Aufl., Rn 11. Argument der 4. Aufl.: Es müsse so angesehen werden, als handele es sich bei der Provisionsberechtigung aus § 87b Abs. 3 S. 2 Hs. 2 um eine Folgeprovision aus einem neuen Abschluss. Es könne nicht wohl einen

153

Unterschied begründen, ob der Fortbestand des Gebrauchs- oder Nutzungsverhältnisses nur darauf beruhe, dass der bisherige Vertrag nicht gekündigt werde, oder darauf, dass er nach Ablauf seiner Befristung durch Fortsetzung des Gebrauchs bzw. der Nutzung sich stillschweigend verlängere, oder darauf, dass die Parteien über die Fortsetzung, vielleicht unter Änderung in einzelnen Punkten, eine besondere Abrede schlössen. Schlegelberger/Schröder § 87b Rn 12.

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§ 87b

1. Buch. Handelsstand

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7. Vorzeitige Beendigung des Dauervertrages. Die Verprovisionierung bei vorzeitigem Ende eines auf bestimmte oder unbestimmte Zeit geschlossenen Dauervertrages, etwa infolge außerordentlicher Kündigung, wird nicht durch § 87b geregelt, sondern von § 87a Abs. 3 (analog) 154: Der Provisionsanspruch entfällt nur, wenn der Unternehmer die Beendigung des Vertrages nicht zu vertreten hat 155. Er ist insbesondere zur Nachbearbeitung verpflichtet. Sieht der Dauerrechtsvertrag, bei bestimmter Dauer im Übrigen, die Möglichkeit einer normalen, befristeten Kündigung – gleich durch welchen Vertragsteil – als vorzeitige Möglichkeit seiner Lösung vor, so ist § 87a Abs. 3 unanwendbar: Der Vertrag steht von vornherein unter dem Vorbehalt möglicher Kündigung. Der Unternehmer ist in diesem Fall auch nicht zur Nachbearbeitung i.S.d. § 87a Abs. 3 verpflichtet. Missbrauchsfälle, etwa bei leichter „Rettungsmöglichkeit“ des Vertrages, können entweder über § 87a Abs. 3, § 87 Abs. 3 Nr. 1 analog, über §§ 242, 162 BGB oder nach den Grundsätzen willkürlicher Dispositionsmaßnahmen (§ 86a Rn 50 ff) 156 gelöst werden, bei Vertragsfortsetzung kann eine Tätigkeits- oder Folgeprovision geschuldet sein. Für den Unternehmer ist die Dispositionsfreiheit in Ansehung der von ihm oder den Kunden erklärten Kündigung grundsätzlich zu respektieren.

40

8. Abweichende oder konkretisierende Vereinbarungen. Auch Abs. 3 ist in vollem Umfang dispositiv. Vereinbart werden darf etwa bei Dauerverträgen eine nach Zeitabschnitten bestimmte Vergütung 157 oder die Zahlung einer Einmalprovision 158, fällig bei Vertragsschluss oder nach Ablauf bestimmter Vertragszeit 159.

F. Dispositivität 41

Wie dargestellt ist § 87b ist innerhalb der Grenzen der §§ 134, 138, 242 BGB vollständig dispositiv 160. § 84 Abs. 2 dürfte nur selten eine Grenze setzen, weil die Selbständigkeit durch Provisionsbestimmungen, die nur zu einer wirtschaftlichen Abhängigkeit führen können, kaum berührt sein dürfte. Solche Regelungen wären nach § 138 BGB unwirksam. Insbesondere dürfen andere als die gesetzlich vorgegebenen Bemessungsund Berechnungsgrundlagen sowie andersartige Provisionen, z.B. Umsatzbeteiligungen 161, vereinbart werden. Für Einzelheiten wird auf die Kommentierung zu den einzelnen Absätzen verwiesen.

G. Beweislast 42

Im Grundsatz gilt: Der HV muss alle für seinen Provisionsanspruch streitenden gesetzlichen und vertraglichen TB-Merkmale, insbesondere Höhe, Bemessungsgrundlage, Provisionssatz und weitere Berechnungsgrundlagen, darlegen und beweisen. Macht der 154

155 156 157 158 159

Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 31; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87b Rn 14; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87b Rn 40, 41, 42; Hopt § 87b Rn 16; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87b Rn 42. Hopt § 87b Rn 16. Schlegelberger/Schröder § 87b Rn 13. Hopt § 87b Rn 19. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 33. BGHZ 30, 107; Hopt § 87b Rn 19.

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160

161

BGH, Urt. v. 04.05.1959 – II ZR 81/57; BGHZ 30, 98 (109) = NJW 1959, 1430; BAG, Urt. v. 24.09.1965 – 3 AZR 231/65, DB 1965, 1917; Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 33; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87b Rn 3; Hopt § 87b Rn 18, 19; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87b Rn 2, 45. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 33; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87b Rn 12.

Raimond Emde

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 87c

Unternehmer geltend, es sei eine vom Gesetz abweichende Regelung getroffen worden, hat er sie darzulegen und zu beweisen. Fordert der HV Provision, hat er nach hA seiner Forderung entgegenstehende, vom Unternehmer behauptete Vereinbarungen auszuräumen 162. Wegen der Subsidiarität der üblichen Provision nach Abs. 1 im Verhältnis zu vertraglichen Absprachen soll der HV nach jener hM das Fehlen einer vereinbarten Provision zu beweisen haben 163, wobei es dem Unternehmer allerdings zuvor obliegt, den Inhalt dieser Vereinbarung subtantiiert vorzutragen. Kann der HV diesen Beweis nicht führen, soll er Provision nur in Höhe des vom Unternehmer behaupteten Satzes fordern dürfen 164. Klagt der Unternehmer auf Feststellung einer bestimmten Provisionsberechnungs- oder -bemessungsweise bzw. auf Nichtbestehen einer vom HV behaupteten Provisionsforderung, soll sich an dieser Verteilung der Beweislast nichts ändern. Der HV sei auch in einer solchen Konstellation für die Höhe seiner Berühmung, also die Höhe der Provision, beweispflichtig. Im Übrigen treffe den Unternehmer die Beweislast für eine vom Gesetz abweichende Vergütungshöhe. Klage er auf Feststellung der Verpflichtung nur zur Zahlung üblicher Provision, treffe den Unternehmer den Beweis für den Mangel einer abweichenden Provisionsvereinbarung 165. Tatsächlich ist diese Beweislastverteilung zweifelhaft. Es muss bei dem allgemeinen Grundsatz bleiben, dass eine vom Gesetz (§ 87b) abweichende Vereinbarung von demjenigen bewiesen werden muss, der sich auf sie beruft. § 87b kennzeichnet den Regelfall; die beweispflichtige Ausnahme bildet die Provisionsvereinbarung.

§ 87c Abrechnung der Provision (1) 1Der Unternehmer hat über die Provision, auf die der Handelsvertreter Anspruch hat, monatlich abzurechnen; der Abrechnungszeitraum kann auf höchstens drei Monate erstreckt werden. 2 Die Abrechnung hat unverzüglich, spätestens bis zum Ende des nächsten Monats, zu erfolgen. (2) Der Handelsvertreter kann bei der Abrechnung einen Buchauszug über alle Geschäfte verlangen, für die ihm nach § 87 Provision gebührt. (3) Der Handelsvertreter kann außerdem Mitteilung über alle Umstände verlangen, die für den Provisionsanspruch, seine Fälligkeit und seine Berechnung wesentlich sind. (4) Wird der Buchauszug verweigert oder bestehen begründete Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Abrechnung oder des Buchauszugs, so kann der Handelsvertreter verlangen, daß nach Wahl des Unternehmers entweder ihm oder einem von ihm zu bestimmenden Wirtschaftsprüfer oder vereidigten Buchsachverständigen Einsicht in die Geschäftsbücher oder die sonstigen Urkunden soweit gewährt wird, wie dies zur Fest-

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BGH, Urt. v. 09.04.1981 – VII ZR 262/80, BGHZ 80, 257 (259) = NJW 1981, 1442; BGH, Urt. v. 14.04.1983 – VII ZR 198/82, NJW 1983, 1782; Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 36. RG Warn 16 (1924) Nr. 135; LAG Bremen DB 1960, 1212; Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 36; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer

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§ 87b Rn 6; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87b Rn 14; Schlegelberger/ Schröder § 87b Rn 4a. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 36; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87b Rn 14. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 36.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 87c

Unternehmer geltend, es sei eine vom Gesetz abweichende Regelung getroffen worden, hat er sie darzulegen und zu beweisen. Fordert der HV Provision, hat er nach hA seiner Forderung entgegenstehende, vom Unternehmer behauptete Vereinbarungen auszuräumen 162. Wegen der Subsidiarität der üblichen Provision nach Abs. 1 im Verhältnis zu vertraglichen Absprachen soll der HV nach jener hM das Fehlen einer vereinbarten Provision zu beweisen haben 163, wobei es dem Unternehmer allerdings zuvor obliegt, den Inhalt dieser Vereinbarung subtantiiert vorzutragen. Kann der HV diesen Beweis nicht führen, soll er Provision nur in Höhe des vom Unternehmer behaupteten Satzes fordern dürfen 164. Klagt der Unternehmer auf Feststellung einer bestimmten Provisionsberechnungs- oder -bemessungsweise bzw. auf Nichtbestehen einer vom HV behaupteten Provisionsforderung, soll sich an dieser Verteilung der Beweislast nichts ändern. Der HV sei auch in einer solchen Konstellation für die Höhe seiner Berühmung, also die Höhe der Provision, beweispflichtig. Im Übrigen treffe den Unternehmer die Beweislast für eine vom Gesetz abweichende Vergütungshöhe. Klage er auf Feststellung der Verpflichtung nur zur Zahlung üblicher Provision, treffe den Unternehmer den Beweis für den Mangel einer abweichenden Provisionsvereinbarung 165. Tatsächlich ist diese Beweislastverteilung zweifelhaft. Es muss bei dem allgemeinen Grundsatz bleiben, dass eine vom Gesetz (§ 87b) abweichende Vereinbarung von demjenigen bewiesen werden muss, der sich auf sie beruft. § 87b kennzeichnet den Regelfall; die beweispflichtige Ausnahme bildet die Provisionsvereinbarung.

§ 87c Abrechnung der Provision (1) 1Der Unternehmer hat über die Provision, auf die der Handelsvertreter Anspruch hat, monatlich abzurechnen; der Abrechnungszeitraum kann auf höchstens drei Monate erstreckt werden. 2 Die Abrechnung hat unverzüglich, spätestens bis zum Ende des nächsten Monats, zu erfolgen. (2) Der Handelsvertreter kann bei der Abrechnung einen Buchauszug über alle Geschäfte verlangen, für die ihm nach § 87 Provision gebührt. (3) Der Handelsvertreter kann außerdem Mitteilung über alle Umstände verlangen, die für den Provisionsanspruch, seine Fälligkeit und seine Berechnung wesentlich sind. (4) Wird der Buchauszug verweigert oder bestehen begründete Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Abrechnung oder des Buchauszugs, so kann der Handelsvertreter verlangen, daß nach Wahl des Unternehmers entweder ihm oder einem von ihm zu bestimmenden Wirtschaftsprüfer oder vereidigten Buchsachverständigen Einsicht in die Geschäftsbücher oder die sonstigen Urkunden soweit gewährt wird, wie dies zur Fest-

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BGH, Urt. v. 09.04.1981 – VII ZR 262/80, BGHZ 80, 257 (259) = NJW 1981, 1442; BGH, Urt. v. 14.04.1983 – VII ZR 198/82, NJW 1983, 1782; Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 36. RG Warn 16 (1924) Nr. 135; LAG Bremen DB 1960, 1212; Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 36; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer

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§ 87b Rn 6; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87b Rn 14; Schlegelberger/ Schröder § 87b Rn 4a. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 36; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87b Rn 14. Ebenroth/Löwisch § 87b Rn 36.

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stellung der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Abrechnung oder des Buchauszuges erforderlich ist. (5) Diese Rechte des Handelsvertreters können nicht ausgeschlossen oder beschränkt werden.

Schrifttum Emde Abrechnung und Buchauszug als Informationsrecht des Handelsvertreters MDR 2003, 1151; Höft Buchauszug, Bucheinsicht und Auskunft nach § 87c HGB HVuHM 1973, 904; Holling Der Anspruch des Handelsvertreters auf einen Buchauszug BB 1959, 687; Knorn Kosten der Abrechnungs- und Auskunftspflicht des Unternehmers gegenüber dem Handelsvertreter BB 1972, 989; Küstner Die Provisionsabrechnungspflicht des Unternehmers nach § 87c Abs. HGB HVuHM 1967, 144; ders Einzelprobleme zur Provisionsabrechnungspflicht nach § 87c Abs. 1 HGB HVuHM 1967, 196, 774; Mayer-Wegelin Anspruch des Handelsvertreters auf einen „Buchauszug“ BB 1954, 883; Schröder Anspruch des Handelsvertreters auf einen Buchauszug BB 1955, 181; ders Rechnungszeitraum für neben Festgehalt gezahlte Provisionen DB 1963, 651; Stötter Einzelfragen der Provisionsabrechnung zwischen Unternehmer und Handelsvertreter DB 1970, 1473; Wolff Auskunftsrecht des Handelsvertreters zur Berechnung des Ausgleichsanspruchs BB 1978, 1246.

Übersicht Rn A. Generelles zu den Informationsrechten des HV . . . . . . . . . . . . . . . . I. Übersicht . . . . . . . . . . 1. Abrechnung (Abs. 1) . . . 2. Buchauszug (Abs. 2) . . . 3. Bucheinsichtsrecht (Abs. 4) 4. Auskunft (Abs. 3) . . . . 5. Ergänzende Informationsrechte . . . . . . . . . . 6. Zwingende Natur . . . . II. Zweck der Informationsrechte III. Europarechtliche Präformation . . . . . . . . . . . . . IV. Beschränkung auf „provisionsrelevante“ Sachverhalte – Buchauszug zur Berechnung des Ausgleichsanspruchs? . . 1. Problemstellung . . . . . 2. Begriff der Provisionsrelevanz . . . . . . . . . V. III. lex specialis . . . . . . . VI. Anspruchsberechtigter . . . VII. Passivlegitimation . . . . . . VIII. Rangfolge der Informationsrechte . . . . . . . . . . . . IX. Hilfsrechte . . . . . . . . . X. Anspruchsentstehung und Entfallen des Anspruchs . . . 1. Anspruchsentstehung . . . 2. Entfallen des Anspruchs . a) Erfüllung . . . . . . . b) Entfallen durch Wegfall des Hauptrechts . . . . c) Mitwirkung des HV . . d) Verjährung . . . . . .

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1–72 1–7 2 3 4 5 6 7 8–9 10

11–16 11–13 14–16 17 18–21 22 23–25 26 27–43 27–29 30–43 30–31 32 33 34–43

Rn XI. Datenschutzrecht . . . . . XII. Meinungsverschiedenheiten über Zahlungsansprüche . XIII. Buchführungspflicht . . . XIV. Form und Inhalt . . . . . . 1. Form . . . . . . . . . . 2. Inhalt . . . . . . . . . . XV. Informationszeitraum . . . XVI. Fehlanzeige . . . . . . . . XVII. Schadenersatz bei Nichterteilung . . . . . . . . . . XVIII. Zurückbehaltungsrecht . . XIX. Prüfung der erteilten Informationen . . . . . . . . . XX. Erfüllungsort . . . . . . . XXI. Kosten . . . . . . . . . . XXII. Zwingende Natur (§ 87c Abs. 5) . . . . . . . . . . XXIII. Rechtsmissbrauch . . . . . XXIV. Vertraulichkeit . . . . . .

.

44

. . . . . . .

45 46 47–48 47 48 49 50–51

. .

52 53

. . .

54 55–56 57–60

. . .

61–64 65–71 72

B. Die Informationsrechte im Einzelnen I. Abrechnung (§ 87c Abs. 1) . 1. Zweck . . . . . . . . . . 2. Inhalt . . . . . . . . . . . a) Inhalt der Abrechnung b) Umstände, über die nicht abzurechnen ist . 3. Form . . . . . . . . . . . 4. Abrechnungszeitraum und Fälligkeit . . . . . . . . . a) Abrechnungszeitraum . b) Fälligkeit . . . . . . . 5. Entfallen des Abrechnungsrechts . . . . . . . . . . .

73–162 73–108 74 75–84 75–81

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82–84 85 86–92 87–88 89–92 93–94

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter Rn 6. Rechtsfolgen der Abrechnung . . . . . . . . . . . a) Schweigen des Vertreters auf die Abrechnung . . b) Vertragliche Regelung zur Abrechnung . . . . c) Vereinbarung einer Prüfungsobliegenheit . . . d) Vertragliche Vereinbarung eines Anerkenntnisses „durch Schweigen“ . . . . . . . . . . e) Verjährungsverkürzung 7. Beweislast . . . . . . . . II. Buchauszug (§ 87c Abs. 2) . 1. Zweck . . . . . . . . . . 2. Inhalt . . . . . . . . . . . 3. Begriff der Bücher . . . . 4. Form . . . . . . . . . . . 5. Rechtsschutzinteresse . . 6. Fälligkeit und Anspruchsdauer . . . . . . . . . . . a) Fälligkeit . . . . . . . b) Anspruchsdauer . . . . aa) Allgemeines . . . bb) Erfüllung . . . . . cc) Folgen mangelnder Erfüllung . . . . . 7. Kosten . . . . . . . . . . 8. Beweislast . . . . . . . . 9. Rechtsfolgen des Buchauszuges . . . . . . . . . . . III. Auskunftsanspruch (§ 87c Abs. 3) . . . . . . . . . . . 1. Zweck . . . . . . . . . . 2. Inhalt . . . . . . . . . . . 3. Fälligkeit . . . . . . . . .

Rn 4. Entfallen des Auskunftsrechts . . . . . . . . . . . IV. Bucheinsichtsrecht (§ 87c Abs. 4) . . . . . . . . . . . 1. Zweck . . . . . . . . . . 2. Anspruchsvoraussetzungen 3. Fälligkeit und Anspruchsende . . . . . . . . . . . 4. Anspruchsberechtigter . . 5. Inhalt . . . . . . . . . . . 6. Kosten . . . . . . . . . . V. §§ 259 Abs. 2, 260 BGB . . VI. Auskunftsrecht nach § 242 BGB . . . . . . . . . . . . .

95–107 96–98 99–101 102

103–106 107 108 109–137 109 110–122 123 124 125 126–134 126–127 128–134 128 129–131 132–134 135 136 137 138–146 139–140 141–144 145

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C. Verfahrensrechtliche Aspekte . . . . I. Erkenntnisverfahren . . . . . 1. Abrechnungsklage . . . . 2. Buchauszugsklage . . . . 3. Auskunftsklage . . . . . . 4. Bucheinsichtsklage . . . . 5. Klage auf eidesstattliche Versicherung . . . . . . . 6. Eilverfahren . . . . . . . 7. Kosten . . . . . . . . . . 8. Streitwert . . . . . . . . . 9. Insolvenz und Erkenntnisverfahren . . . . . . . . . II. Vollstreckungsverfahren . . . 1. Abrechnung und Buchauszug . . . . . . . . . . 2. Auskunftsrecht . . . . . . 3. Bucheinsicht . . . . . . . 4. Erfüllungseinwand im Vollstreckungsverfahren . . .

146 147–158 148 149–152 153 154–155 156–157 158 159–160 161–162 163–190 163–181 170 171–173 174 175 176 177 178 179 180–181 182–190 182–187 188 189 190

D. Die Informationsansprüche in der Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . 191–194

A. Generelles zu den Informationsrechten des HV I. Übersicht Die Informationsrechte des HV sind in § 87c geregelt. Sie formen das Spiegelbild zu 1 den Informationspflichten des Vertreters, die in § 86 Abs. 2 niedergelegt wurden. Im Einzelnen stehen dem Vertreter die folgenden Informationsrechte zu: 1. Abrechnung (Abs. 1). Gemäß § 87c Abs. 1 schuldet der Unternehmer auch ohne 2 Aufforderung laufend Abrechnung der vom HV vermittelten oder abgeschlossenen Geschäfte, sofern im Abrechnungszeitraum eine Provision zu zahlen ist. 2. Buchauszug (Abs. 2). § 87c Abs. 2 regelt den neben dem Abrechnungsrecht be- 3 stehenden Anspruch des HV, einen Buchauszug über alle vermittelten (Vermittlungsvertreter) oder abgeschlossenen (Abschlussvertreter) Geschäfte zu verlangen.

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§ 87c

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3. Bucheinsichtsrecht (Abs. 4). Erhält der HV den Auszug nicht oder bleiben begründete Zweifel an Abrechnung oder Auszug, hat er gem. § 87c Abs. 4 das Recht auf Einsicht in die Geschäftsbücher oder die sonstigen Urkunden, soweit dies zur Feststellung der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Abrechnung oder des Buchauszuges erforderlich ist.

5

4. Auskunft (Abs. 3). Schließlich darf der HV neben den vorgenannten Rechten („außerdem“) gemäß § 87c Abs. 3 Auskunft („Mitteilung“) über alle Umstände verlangen, die für den Provisionsanspruch, seine Fälligkeit und seine Berechnung wesentlich sind. Es handelt sich um ein Auffangrecht, mit welchem die Informationen abgefragt werden können, die der Vertreter durch Ausübung anderer Informationsrechte nicht erhielt. Eigentlich müsste das Auskunftsrecht als Abs. 4 an letzter Stelle des Anspruchskanons verfasst sein.

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5. Ergänzende Informationsrechte. Ergänzt werden die Informationsrechte des § 87c durch das allgemeine Informationsrecht des § 242 BGB sowie die §§ 259, 260 BGB.

7

6. Zwingende Natur. Gemäß § 87c Abs. 5 sind die Informationsrechte des § 87c zwingend, können also zu Lasten des HV weder ausgeschlossen noch beschränkt werden (Rn 61 ff).

II. Zweck der Informationsrechte 8

§ 87c wurde 1953 in das Gesetz eingefügt und geht auf die §§ 88 IV, 91 a.F. zurück, die eine halbjährliche Abrechnung und ein Buchauszugsrecht vorsahen. Gegenüber der damaligen Regelung wurde die Abrechnungsfrequenz verkürzt, was einer der gesetzgeberischen Ziele war 1. Die Informationsrechte des § 87c sind Hilfsrechte zu Zahlungsansprüchen, welche 9 der HV gegenüber dem Unternehmer besitzt 2. Als Hilfsrechte gehen sie unter, wenn feststeht, dass das Hauptrecht nicht mehr existiert 3, etwa verjährt oder verwirkt ist. § 87c soll den Informationsvorsprung des Unternehmers ausgleichen. Der Unternehmer schließt die vom HV vermittelten Verträge und führt jene aus. Also kann in erster Linie – wenn nicht sogar ausschließlich – der Unternehmer über die geschlossenen Geschäfte und über die Entstehung provisionsbegründender Umstände berichten. Mittelbar haben die provisionsrelevanten Umstände auch für die Berechnung des Ausgleichs nach § 89b Bedeutung, so dass die § 87c-Rechte häufig in Zusammenhang mit einer Ausgleichsklage erhoben werden (Rn 11 ff).

III. Europarechtliche Präformation 10

Gemäß Art. 12 EG-Richtlinie hat der Unternehmer dem HV eine Abrechnung über die geschuldete Provision zu geben, und zwar spätestens am letzten Tag des Monats, der auf das Quartal folgt, in dem der Provisionsanspruch erworben worden ist. Diese Ab-

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MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 3. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 4.

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Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 5; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 87c Rn 4.

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§ 87c

rechnung muss alle für die Berechnung der Provision wesentlichen Angaben enthalten. Nach Art. 12 Abs. 2 EG-Richtlinie kann der HV verlangen, dass ihm alle Auskünfte, insbesondere ein Auszug aus den Büchern, gegeben werden, über die der Unternehmer verfügt und die der HV zur Nachprüfung der ihm zustehenden Provision benötigt. Diese Bestimmungen sind nach Abs. 2 und 3 zwingend. § 87c setzt diese Bestimmungen um. Trotz der teilweise abweichenden Formulierung dürfte die Umsetzung nicht zu beanstanden sein 4.

IV. Beschränkung auf „provisionsrelevante“ Sachverhalte – Buchauszug zur Berechnung des Ausgleichsanspruchs? 1. Problemstellung. Die Rechte des § 87c können nach der hier vertretenen Ansicht 11 auch zur Kontrolle anderer als Provisionsansprüche ausgeübt werden 5, etwa des Ausgleichs (§ 89b Rn 349) 6, einer Prämien- oder Dienstleistungsvergütung, von Zielerreichungsprämien, Leistungsbewertungen 7 oder Schadenersatzansprüchen 8. Der HV braucht zu ihrer Kontrolle also nicht auf die §§ 259, 260 BGB 9 oder § 242 BGB 10 auszuweichen. Davon ist jedenfalls auszugehen, sofern dem HV die ausgleichsrelevanten Daten nicht zuvor bekanntgegeben wurden (sonst mglw. mangelndes Informationsinteresse). Die Ausgleichsberechnung gelingt dem HV ohne Informationen des Unternehmers oft nicht. Zwar kennt der HV die von ihm geworbenen Kunden. Sollte der Unternehmer jedoch dem HV bewusst Geschäfte mit den vom HV geworbenen Kunden vorenthalten haben – was insbesondere der Bezirksvertreter nicht wissen kann – ist dem HV überhaupt keine zutreffende Ausgleichsberechnung möglich. Direkt getätigte Bezirksgeschäfte sind dem HV ohnehin unbekannt, auch wenn er die Kunden zuvor warb. Ihr Umfang kann sich nur aus Abrechnung und Buchauszug ergeben. Solche Direktgeschäfte sind auch für die Ausgleichshöchstgrenze relevant. Das Risiko einer Zuvielforderung wegen Unkenntnis dieser Grenze kann dem HV nicht zugemutet werden. Als Geschäftsherr besitzt der Unternehmer alle ausgleichsrelevanten Informationen, der HV dagegen nach Vertragsende meist keine. Das liegt daran, dass die relevanten Informationen häufig online in einem vom Unternehmer betriebenen EDV-System gespeichert werden. Mit Vertragsende ist der Vertreter von diesen Informationen angeschnitten 11. Hiermit rechnen Unternehmer und im Falle einer Ausgleichsforderung erhält der HV die Mitteilung, er solle zunächst die von ihm neugeworbenen Stammkunden benen-

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Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 60. So aber (für Buchauszug) OLG Nürnberg BB 1999, 150 = EWiR 1998, 951 (v. Manteuffel/ Evers). OLG Hamburg, Urt. v. 19.06.1991 – 5 U 12/90; unveröffentlicht; Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 4; einschränkend Rn 10: nur ergänzender Auskunftsanspruch gem. § 87 Abs. 3. Ablehnend BGH NJW 1996, 2100; OLG Celle, Beschl. v. 20.04.2004, r+s 2004, 349 (350) (Buchauszug); LG Hamburg, Beschl. v. 10.11.1998 – 325 O 257/98 – unveröffentl.; KG, Urt. v. 15.05.2006 – 23 U 95/05 (Abrechnung); Wolff BB 1978, 1246; Emde MDR 1999, 1108 (1111); Emde NJW 2000, 796;

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Eberstein Der Handelsvertreter-Vertrag, 8. Aufl. 1999, S. 125; Westphal, Vertriebsrecht I, 1998, Rn 1224; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 164; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 4. Zu alternativen Vergütungsformen im Vermittlungsgeschäft Kaapke/Sondermann HVJ 17/18/2002, S. 4 ff. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 4. So jedoch Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 4. BGH, Urt. v. 10.03.1969 – VII ZR 246/59, BB 1960, 796; Heymann/Sonnenschein/ Weitemeyer § 89b Rn 79. Siehe BGH, Urt. v. 20.09.2006 – VIII ZR 100/05, BB 2006, 2492 (2493 Rn 20).

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nen, was nach Trennung von der EDV misslingen muss. Zudem vereinfacht der Buchauszug die Ausgleichsberechnung. Der Unternehmer kann die von ihm im Auszug benannten Daten nicht bestreiten, so dass sich eine Beweiserhebung erübrigt (§ 89b Rn 290). Für die hier vertretene Ansicht streitet auch, dass nach Ansicht des BGH 12 ein Teilurteil über den Ausgleich unzulässig sein soll (§ 89b Rn 352). Wenn die ausgleichsrelevante Provision aber erst nach Erteilung des Buchauszuges feststeht, handelt es sich bei der zuvor erhobenen Ausgleichsklage um eine demnach unzulässige Teilklage. Zudem müsste der HV bis zum Entscheid über die Buchauszugsklage die Verjährung seiner Ausgleichsforderung befürchte, ein Ergebnis, welches ihm nicht zugemutet werden kann. Nicht gegen das Recht zur Informationserteilung zum Zwecke der Ausgleichsberech12 nung spricht der Wortlaut des § 87c. Zwar ist grundsätzlich nur über Provisionsrelevantes Information zu erteilen. So ist gemäß § 87c Abs. 1 „über die Provision“ abzurechnen, und über nichts anders. Eine Abrechnung über den Ausgleich oder Schadenersatzansprüche ist folglich aus § 87c (möglicherweise aber als Nebenpflicht zu § 89b und §§ 249 f BGB) nicht geschuldet 13. Gemäß § 87c Abs. 2 darf ein Buchauszug über alle Geschäfte verlangt werden, für die dem HV nach § 87 Provision gebührt, was gegenüber Abs. 1 noch weiter einengt, weil § 87 grundsätzlich nur Vermittlungs- und Bezirksprovision meint. Deshalb ist das Buchauszugsrecht einem HV verweigert worden, der Provision auf den gesamten Warenausgang des Unternehmers erhielt, und zwar auch dann, wenn jener auf nicht durch den Vertreter vermittelten Geschäften beruhte 14. Diese Begrenzung auf „provisionsrelevante Umstände“ bedeutet jedoch nicht, dass der Auszug allein der Prüfung von Provisionsansprüchen dienen kann 15. Er darf vielmehr auch zur Vorbereitung einer Ausgleichsklage gefordert werden 16. Tatsächlich benennen die Worte „für die ihm nach § 87 Provision gebührt“ nur das Geschuldete, sind also nicht Tatbestandsvoraussetzung sondern Leistungsbeschreibung. Anders gewendet: Die Worte grenzen den Anspruchsinhalt inhaltlich ab gegenüber nicht zu erteilenden Informationen betreffend Geschäfte, für welche dem Vertreter keine Provision gebührt. Der Zweck, zu dem Informationen gefordert werden dürfen, wird durch § 87c Abs. 2 nicht determiniert. Fraglich ist, ob dies auch für § 87c Abs. 3 gilt. Gemäß § 87 Abs. 3 darf der Vertreter 13 nur Mitteilungen über alle Umstände verlangen, die für den Provisionsanspruch, seine Fälligkeit und seine Berechnung wesentlich sind. Es stellt sich deshalb die bereits zum Buchauszug angesprochene Frage, ob der HV daran gehindert ist, den Auskunftsanspruch zur Vorbereitung etwa einer Ausgleichsforderung einzusetzen. In der Praxis wird sich das Problem nicht stellen, weil der HV vortragen kann, die Auskunft zur Überprüfung des Provisionsanspruches zu benötigen. Aber eine derartige Verschleierung ist unnötig. Auch hier bezeichnet der Text allein den Inhalt der Information, nicht den Grund ihrer Erteilung. In jedem Fall aber darf der Vertreter analog § 87c Abs. 3 ausgleichsrelevante Informationen fordern. Über die Neukundenwerbung kann der Unternehmer allerdings i.d.R. nicht berichten. Insoweit liegt das alleinige Wissen meist beim HV. Das Bedürfnis nach der Analogie ist offensichtlich. Zwar ist der Ausgleich eine

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BGH, Urt. v. 29.05.1967, NJW 1967, 2153; zustimmend Martinek/Schwab § 17 Rn 34. KG, Urt. v. 15.05.2006 – 23 U 95/05. OLG Karlsruhe, BB 1966, 1169; Küstner/ Thume I, Rn 1393: Wenn der Vertreter nicht in Wahrheit Bezirksvertreter war, wäre aber zumindest eine analoge Anwendung des § 87c Abs. 2 angebracht gewesen. Jedenfalls

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steht ihm gemäß § 242 BGB (dazu unten) ein Auskunftsrecht zu. Dafür aber LG Hannover VersR 2001, 764 = EWiR 2001, 731 (Emde). OLG Hamburg, Urt. v. 19.06.1999 – 5 U 12/90; aA LG Hamburg, Beschl. v. 10.11.1998 – 325 O 257/98.

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Gegenleistung für die Übertragung des Kundenstammes. Gleichwohl errechnet sich der Rohausgleich auf der Basis der Provisionen der letzten zwölf Monate, bei Untypik dieses Zwölfmonatszeitraums eines längeren Zeitraums. Also bestimmt die Höhe der Provisionen mittelbar auch die Höhe des Ausgleichs. Es besteht eine vergleichbare Interessenlage, da auch der Informationsvorsprung des Unternehmers gegenüber dem Vertreter sowohl bei der Ausgleichs- wie der Provisionsbestimmung besteht. 2. Begriff der Provisionsrelevanz. Provisionsrelevant sind Tatsachen zu allen Provi- 14 sionsarten, insbesondere auch zu Inkasso- und Delkredereprovisionen 17, weil der Wortlaut des § 87c jede Provisionsart erfasst und nach Grund und Höhe das gleiche Informationsbedürfnis besteht. Fehlen provisionsrelevante Vorgänge, beschränkt sich der Inhalt der Auskunft auf ein Negativattest (Rn 50) 18. Der Begriff der Provision und damit der Provisionsrelevanz ist weit zu verstehen. Gemäß Art. 6 Abs. 2 EG-Richtlinie ist Provision jeder Teil der Vergütung, der nach Zahl oder Wert der Geschäfte schwankt. Eine Provision ist eine erfolgsabhängige Vergütung, d.h. eine irgendwie nach dem Umfang vergütungspflichtiger Einzelgeschäfte bemessene Zahlung als Gegenleistung für die Tätigkeit des HV. Dem Zweck des § 87c – Kontrolle – entspricht die Verpflichtung zur Information über jede dem HV gewährte und nach Geschäften, Erfolg oder Leistung zur Höhe variierende Vergütung. Auch Bezirksprovisionen sind Provisionen in diesem Sinne, ebenso Verwaltungs- und Bestandspflegeprovisionen 19. Denn auch Verwaltungsprovisionen werden leistungsabhängig gezahlt und sie sind zudem bloßer Annex der Vermittlungstätigkeit sowie der für sie gezahlten Provision. Der Buchauszug beschränkt sich etwa, anders als es der Wortlaut nahe legt („über alle Geschäfte …, für die ihm nach § 87 Provision gebührt“) nicht nur auf Informationen über Geschäfte, für die gem. § 87 Provision zu zahlen wäre, sondern ergreift jede ggf. vertraglich versprochene und über § 87 hinausreichende leistungsabhängige oder aus sonstigen Gründen möglicherweise variierende Vergütung 20. Wegen mangelnder Provisionsrelevanz müssen z.B. keine Informationen erteilt werden, 15 wenn und soweit ein Fixum, Festgehalt, eine Tantieme oder Umsatzbeteiligung 21 gezahlt wird. Sind ausschließlich solche Vergütungen geschuldet, brauchen regelmäßig keine Information gegeben zu werden, dem HV kann aber ein Rechnungslegungsanspruch entsprechend § 666, 675, 259 BGB zustehen 22. Auch für die Ausgleichsberechnung werden die gemäß § 87c zu erteilenden Informationen dann nicht benötigt, weil sich der Ausgleich auf der Basis dessen berechnet, was ein anderer Provisionsvertreter in vergleichbarer Situation an Vergütung erhält (wobei eine solche Regelung für den HV nach § 89b Abs. 4 unverbindlich wäre). Wird ein Fixum zusätzlich zur Provision gezahlt, besteht kein Informationsrecht hinsichtlich der die festen Vergütungsbestandteile betreffenden Umstände 23. Andererseits werden hinsichtlich des variablen Provisionsteils die Informationsrechte nicht ausgeschlossen 24. Das Schutzbedürfnis des HV wird nämlich durch die

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Ebenroth/Löwisch § 86b Rn 18; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 10. Zu stark auf den Anspruchsgrund fokussierend (§ 87c sei nicht anwendbar) Ebenroth/ Löwisch § 87c Rn 57. AA Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 6. Hopt § 87c Rn 13. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 9; Münch-

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KommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 10; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 5b. OLG Karlsruhe BB 1966, 1169; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 10. Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 1. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 10; aA Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 9.

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ergänzende Gewährung eines Fixums ebenso wenig reduziert wie wenn von vornherein eine geringere Provision gezahlt worden wäre 25. Der HV darf zur Überprüfung von Ansprüchen an einem Storno-Reservekonto die 16 Informationsrechte des § 87c einfordern 26. Denn die Summe der dem HV ausgezahlten Provisionen, Vergütung oder Einheit – all diese Begriffe werden verwendet – wird unmittelbar durch die Höhe der Stornoreserve beeinflusst, so dass § 87c zumindest analog anwendbar ist. Teilt man dieses Ergebnis nicht, ergibt sich ein Informationsanspruch aus § 242 BGB.

V. III. lex specialis 17

Umstritten ist, ob § 87c eine abschließende Sonderregelung der Informationsrechte des HV trifft und andere Informationsrechte verdrängt 27. Für die Ansicht, § 87c sei eine abschließende und die Auskunftsrechte der §§ 242, 810 BGB verdrängende und erschöpfende Sonderregelung 28, spricht entgegen der 4. Aufl.29 wenig 30. § 87c soll die Rechte des HV stärken, nicht begrenzen 31. Die Norm ist gesetzliche Ausprägung allgemeiner Auskunftsrechte, die sich u.a. aus § 242 BGB ergeben. Diese Auskunftsrechte sollten nicht beschnitten werden, so dass auch im tatbestandlichen Anwendungsbereich des § 87c allgemeine Auskunftsrechte nicht ausgeschlossen werden. Es bedürfte eines erkennbaren gesetzgeberischen Willens, andere Auskunftsrechte einzuschränken. Dieser ist in § 87c als Schutzrecht des HV nicht sichtbar geworden. Praktische Bedeutung dürfte der Streit kaum gewinnen. Im Zweifel wird der HV die umfassenden Rechte des § 87c, meist das Buchauszugsrecht, geltend machen. Das Auskunftsrecht des § 242 BGB unterscheidet sich kaum von dem des § 87c Abs. 3, die Verjährung richtet sich einheitlich nach § 195 BGB. Eigene Informationsgewinnung und Nachforschungen verbietet § 87c nicht 32, solange die Interessenwahrungspflicht und das Rücksichtnahmegebot – z.B. bei einem öffentlichen Aufruf des HV zur Übermittlung von Informationen“, etwa zwecks Suche nach vermuteten Direktgeschäften des Unternehmers in dem betreuten Bezirk 33 – nicht entgegenstehen34. In einem solchen Fall können auch Schadenersatzansprüche des Unternehmers entstehen 35. § 87c ist gegenüber den Vorschriften des BDSG vorrangig 36. Denn § 87c gibt dem Vertreter ein Recht auf Übermittlung, das deshalb von anderen Normen nicht eingeschränkt werden kann.

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MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 10. AA Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 7. Dafür Ebenroth/Löwisch § 87c, Rn 5. So Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 4. § 87c Rn 3: Andere Informationsmittel stehen dem HV nicht zur Verfügung; er dürfe auch nicht nach seinem Belieben zu anderen Mitteln greifen. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 8. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 8.

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MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 8 OLG Düsseldorf DB 1956, 664. Vgl. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 9; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 1: unerlaubter Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Geschäftsbetrieb. Großzügiger Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 1. V. Verfasser noch offengelassen in VersR 1999, 1468.

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VI. Anspruchsberechtigter Anspruchsberechtigt sind ausschließlich der HV oder dessen Rechtsnachfolger, nicht 18 der Unternehmer37. Informationsrechte des Unternehmers sind nicht in § 87c geregelt; die Vorschrift ist auf Informationspflichten des Vertreters gegenüber dem Unternehmer auch nicht analog anwendbar. Vielmehr besteht hier eine Informationspflicht aus dem Gesichtspunkt der dem Vertreter im Verhältnis zum Unternehmer obliegenden Interessenwahrungspflicht, zudem aus § 242 BGB (§ 86 Rn 140). Das Informationsrecht berechtigt jeden HV ungeachtet seines rechtstatsächlichen Zuschnitts, insbesondere – große HV 38. Die Entscheidung BGH, LM § 87c HGB Nr. 5 = BB 1965, 434, derzufolge besonders umsatzstarke Vertreter nach jahrelangem Schweigen auf übersandte Abrechnungen keinen Buchauszug fordern dürfen, hat der BGH in ZIP 1996, 129 ausdrücklich aufgegeben 39; – Handelsvertretergesellschaften 40; – Versicherungs- und Bausparkassenvertreter 41; – Gekündigte Handelsvertreter, selbst wenn die Kündigung gem. § 89a wegen schuldhaften Verhaltens des HV erfolgte 42. Vertreterrecht ist vertrags- nicht personenbezogen. Das Erscheinungsbild des Vertreters kann daher Informationsrechte weder beschneiden noch erweitern. Selbst handelsvertreterähnliche Vertriebsmittler, etwa Franchisenehmer, Vertragshändler 19 etc., dürfen sich auf § 87c analog berufen, sofern der Unternehmer dem jeweiligen Vertriebsmittler provisionsähnliche Vergütungsbestandteile schuldet 43, ansonsten eher nicht. Ob außerhalb der Rechtsverhältnisse vertreterähnlicher Mittler eine Analogie angezeigt ist, bleibt im konkreten Vertragsverhältnis zu klären 44. Falls nein, wären die Informationsansprüche aus § 666 BGB und § 242 BGB anwendbar 45. In mehrstufigen Vertriebssystemen (Strukturvertrieb) existiert eine Anspruchsberechtigung jedes „Stufenvertreters“ 46, soweit der HV erfolgsabhängige Provision für die Tätigkeit ihm unterstellter Personen – auch Reisender, also nicht nur echter Untervertreter – erhält, auch für die von ihnen vermittelten Geschäfte. Sämtliche Informationsrechte des § 87c sind dort in dem jeweiligen Vertragsverhältnis geltend zu machen, also im Verhältnis zwischen Untervertreter und Hauptvertreter sowie zwischen Hauptvertreter und Hauptunternehmer 47. Der Untervertreter erwirbt kraft Gesetzes keine unmittelbaren Informationsansprüche gegen den Hauptunternehmer, außer ggf. nach § 242 BGB 48. Jedoch kann der Untervertreter von seinem Vertragspartner die Durchsetzung der jenem zustehenden Informationsrechte fordern und dieses Verlangen gemäß § 888 ZPO als unvertretbare Handlung durch Zwangsgeld vollstrecken 49. Dem echten Untervertreter stehen gegen den Haupt37 38 39

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Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 1. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 50. Siehe hierzu Emde MDR 1996, 331; OLG Köln BB 1997, 2130; OLG Hamburg BB 1998, 971 = EWiR 1999, 327 (Emde). OLG Hamburg BB 1998, 971 mit zustimmender Anm. Emde EWiR 1999, 327; Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 50. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 59. BGH BB 1961, 424 (425). Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 57; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 1.

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Zweifelnd Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 6; für eine Analogie LG Düsseldorf, Urt. v. 20.12.2006 – 5 O 126/06, BeckRS 2007, 1449 (Abrechnung und Buchauszug). LG Düsseldorf, Urt. v. 20.12.2006 – 5 O 126/06, BeckRS 2007, 1449. BGHZ 56, 290; Emde MDR 1999, 1108; Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 56. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 56. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 56. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 56.

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vertreter dieselben Informationsrechte zu wie dem Hauptvertreter gegen den Unternehmer 50. Der Hauptvertreter darf sich gegenüber dem Informationsanspruch des Untervertreters nicht damit verteidigen, er selbst werde von seinem Unternehmer nicht informiert 51. Vielmehr fordert § 87c von ihm im Interesse seines Untervertreters (Treupflicht), sich selbst beim Unternehmer umfassend zu informieren und ggf. diesem gegenüber sein Informationsrecht – zur Not auch gerichtlich – einzufordern 52. Ein Unterlassen hat beweisrechtliche Konsequenzen: Zwar wird der Hauptvertreter von seiner Verpflichtung zur Leistung von Informationen frei, wenn er diese Informationen – was er subtantiiert darlegen und ggf. beweisen muss 53 – nicht geben kann (§ 275 Abs. 1 BGB). Jedoch obliegt dem Hauptvertreter dann bei substantiierter Provisions- und Ausgleichsklage des Untervertreters die Beweislast für die Nichtexistenz der Forderungen, sofern die Beweislage des Untervertreters aufgrund der Nichtleistung verschlechtert ist (Beweislastverteilung nach Gefahrensphären). Eventuelle Schäden aus der Auskunftsverweigerung kann der Untervertreter an den Hauptvertreter weitergeben, der den Untervertreter ermächtigen kann, die Informationsrechte gegenüber dem Unternehmer geltend zu machen. Die Informationsrechte sind nach hM nicht selbständig abtretbar 54, verpfändbar oder 20 pfändbar. Mit der Abtretung der Provisionsansprüche geht jedoch das Informationsrecht, etwa das Buchauszugsrecht gemäß § 87c Abs. 2, nach § 401 BGB insoweit zeitanteilig auf den Abtretungsempfänger über, als die Provisionsansprüche abgetreten wurden 55. Der HV ist dann für den betreffenden Zeitraum nicht mehr aktivlegitimiert. Eine Abtretung oder Verpfändung der Informationsrechte aus § 87c ist ohne Abtretung der zugrunde liegenden Forderungen nicht möglich. Wegen ihrer Unabtretbarkeit sind die Rechte auch nicht isoliert pfändbar 56. Dies ergibt sich zum einen aus der Natur als bloßes Hilfsrecht (§ 399 BGB). Zudem besteht die Gefahr einer Vervielfältigung der Informationsrechte zu Lasten des Unternehmers. Der Abtretende könnte die Ansprüche isoliert geltend machen, daneben wegen des Unabdingbarkeitsgrundsatzes des § 87c Abs. 5 jedoch auch der Zedent (das schließt nach Sinn und Zweck u.U. sogar den Einwand anderweitiger Rechtshängigkeit aus), jener zudem auch aus einem konkurrierenden Anspruch, etwa § 242 BGB. Möglich bleibt ggf. – etwa im oben genannten Verhältnis Unter- und Hauptvertreter – die gerichtliche Geltendmachung als Prozessstandschafter des Informationsgläubigers, wobei auf Leistung an den eigentlich Berechtigten zu klagen ist. Diejenigen, die eine isolierte Abtretbarkeit annehmen, befürworten jedenfalls die Zulässigkeit eines Abtretungsverbotes gemäß § 399 BGB 57. Die Abtretung lediglich einer einzigen oder nur einzelner, genau nach Einzelforderun21 gen bezeichneter Provisionsansprüche führt zwar grundsätzlich zum Übergang der Informationsrechte gem. § 401 BGB. Ein Informationsinteresse des Zedenten ist in dieser Situation jedoch kaum denkbar. Es kann allenfalls in Hinblick auf Informationen bestehen, welche die abgetretenen Forderungen betreffen. Bei genau nach Einzelforderungen bezeichneten Ansprüchen (anders bei Abtretung aller Provisionsforderungen, die innerhalb eines bestimmten Zeitraumes entstanden sind) besteht die Vermutung, die Abtre-

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Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 56. AA Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 2a. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 56. Palandt/Heinrichs § 275 Rn 34. LAG Bremen DB 1955, 123; OLG Hamm NJW-RR 1997, 1322 (1323); Hopt § 87c, Rn 1; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 87c Rn 4; Schlegelberger/Schröder

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§ 87c Rn 5d, 13; aA Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 15. OLG Hamm, Urt. v. 14.05.2003 – 35 U 36/02, VersR 2004, 1603. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 4; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 13; aA Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 15. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 15.

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tung beschränke sich auf jene Forderungen und nach Informationserteilung „entdeckte“ Forderungen seien von der Abtretung nicht erfasst. Folglich fehlt es auch an einem Informationsinteresse; Kontrolle ist nicht erforderlich. Dies gilt jedenfalls, wenn die Höhe der Provisionsansprüche bekannt ist. Ob eine Abtretung der Zahlungsansprüche nur zu dem Ziel, die Informationsrechte geltend machen zu können wegen Gesetzesumgehung unwirksam ist 58, erscheint zweifelhaft. Denn die Abtretung der Zahlungsansprüche ist nicht verboten, der Übergang der Informationsrechte nach § 401 BGB gerade die gesetzliche Folge.

VII. Passivlegitimation Passivlegitimiert ist der Unternehmer oder sein Rechtsnachfolger. Dabei ist unerheb- 22 lich, welches rechtstatsächliche Erscheinungsbild der Unternehmer einnimmt oder welche Rechtsform er gewählt hat (Rn 18). Der Unternehmer hat die Informationen selbständig zusammenzustellen und kann keine Beteiligung des Vertreters fordern 59, außer er ist berechtigterweise – also etwa aufgrund vertraglicher Vereinbarung (aber ggf. Abs. 5) oder nach § 242 BGB – auf Auskunft oder Mitwirkung des Vertreters angewiesen. Die Mitwirkung des Vertreters beschränkt sich auf die bei Auszug und Auskunft erforderliche, bei der Auskunft ggf. spezifizierte Anforderung und bei der Einsicht auf den Einsichtsakt. Nach Übernahme des Vertretervertrages schuldet der Übernehmer Buchauszug und Bucheinsicht aus bzw. in die ihm zugänglichen Bücher und Unterlagen 60. Der Übernehmer muss ggf. ihm zustehende Informationsrechte gegenüber seinem Rechtsvorgänger bzw. Verkäufer geltend machen, um seinen Pflichten im Verhältnis zum Vertreter nachkommen zu können. Gegen den Verkäufer des Betriebes besteht u.U. ein Direktanspruch des HV gemäß § 242 BGB oder § 87c analog. Die Information braucht nicht persönlich erbracht zu werden, sondern kann durch einen Mitarbeiter oder Beauftragten erfolgen, wenn hierdurch keine Qualitätsverluste eintreten. Zur Passivlegitimation im Falle der Insolvenz des Unternehmers Rn 192 ff.

VIII. Rangfolge der Informationsrechte Das Gesetz setzt eine bestimmte Stufenfolge der Informationsrechte voraus 61. Die in 23 § 87c gegebenen Kontrollrechte stehen in einer Abfolge, deren einzelne Schritte nicht beliebig austauschbar oder kombinierbar sind. Teilweise wird dies durch die Reihenfolge der Absätze des § 87c deutlich. Als Grundtatbestand nennt das Gesetz das Abrechnungsrecht des § 87c Abs. 1 an 24 erster Stelle 62. Neben der Abrechnung, genauer: nach ihrem Erhalt, ihrer Nichterteilung innerhalb angemessener Frist oder Verweigerung, darf der HV zur Nachprüfung der Abrechnung das Buchauszugsrecht des § 87c Abs. 2 geltend machen, und zwar vorrangig vor der Bucheinsicht. Hat der HV Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit des Buchauszuges, so steht ihm zunächst der Anspruch auf Vervollständigung zu. Hilft das

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Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 5d. Küstner/Thume I, Rn 1407. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 14. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.08.2007 – 16 W 44/07, BeckRS 2007 16108; Ebenroth/

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Löwisch § 87c Rn 3; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 2. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 2.

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nicht weiter, so gibt ihm das Gesetz das Recht auf ergänzende Auskunft (Abs. 3). Das Auskunftsrecht nach § 87 Abs. 3 steht systematisch und seinen TB-Voraussetzungen gemäß etwas außerhalb der Reihe der anderen Informationsrechte. Es ist seinem Wortlaut nach nicht an besondere Voraussetzungen geknüpft, so dass sich vermuten ließe, es stehe in keinem Rangverhältnis zu den anderen Informationsrechten. Das würde bedeuten, dass es noch vor der Abrechnung gefordert werden könnte. Tatsächlich fehlt das Rechtsschutzbedürfnis zur Geltendmachung des Auskunftsrechtes, ehe nicht eine Abrechnung erteilt wurde. Wird jene nicht innerhalb der Fristen des § 87c Abs. 1 übermittelt, ist der HV in seinem Auskunftsrecht nicht mehr beschränkt. Abrechnung, Buchauszug und Auskunftsverlangen darf der HV im Verbund und durch Klage auf ein und derselben Stufe geltend machen 63, wenn die TB-Voraussetzungen des jeweiligen Anspruchs gegeben sind. Gibt es (notwendige TB-Voraussetzungen!) begründete Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Abrechnung, darf der HV neben dem Buchauszug auch sogleich Bucheinsicht (§ 87c Abs. 4) fordern. Er braucht nicht vorher einen Buchauszug zu verlangen 64. Außer in diesen beiden Fällen darf das Bucheinsichtsrecht erst geltend gemacht werden, sofern entweder der Buchauszug nach Anforderung verweigert wurde oder begründete Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit des erteilten Buchauszuges bestehen 65. Durch Stufenklage nach § 254 ZPO kann ferner das Verlangen auf Einsichtnahme (1. Stufe) mit dem auf ergänzende Auskunft (2. Stufe) und auf Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung (3. Stufe) über die Richtigkeit und Vollständigkeit des offengelegten Materials einschließlich der erteilten Auskunft verbunden werden. Einen Buchauszug soll der HV nicht mehr beanspruchen dürfen, wenn er bereits über den weitergehenden Anspruch auf Bucheinsicht einen rechtskräftigen Titel besitzt 66. Das ist nur insoweit richtig, als beide Rechte nicht nebeneinander eingefordert werden können 67. Der HV hat sich durch die Ausübung seines Wahlrechtes nicht festgelegt. Er darf ein einmal gefordertes nach- oder gleichrangiges Recht fallen lassen und das Vorder- oder Parallelrecht verlangen. Dies gilt auch im Verhältnis Buchauszug-Bucheinsicht. Als letztes Mittel kann die Bestätigung der übermittelten Informationen durch eidesstattliche Versicherung gefordert werden 68. Dieses Recht ist subsidiär gegenüber den anderen Informationsrechten sowie dem Einsichtsrecht 69 und setzt zumindest die Erteilung oder Verweigerung der Abrechnung voraus, zudem ein Rechtsschutzinteresse gerade an der eV. Hierzu muss die Unrichtigkeit der Information zu befürchten sein. Der strafbewehrte Zwang der eidesstattlichen Versicherung soll erst eingesetzt werden dürfen, wenn das sonst zuverlässigste Mittel der Vergewisserung, der unmittelbare Augenschein an der Quelle, auch dann noch Zweifel an seiner Aussagekraft hinterlassen hat. Daher darf in der Reihenfolge Abrechnung, Buchauszug und Auskunft, Bucheinsicht 25 und Eidesstattliche Versicherung im Grundsatz nur der Auszug übersprungen werden und dies auch nur dann, wenn die in § 87 Abs. 4 genannten TB-Voraussetzungen dies ausnahmsweise rechtfertigen. Insbesondere sind substantiierbare Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Abrechnung erforderlich, um das Verlangen auf Einsichtnahme

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OLG Köln DB 1972, 2104. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 3. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 2. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.08.2007 – 16 W 44/07, BeckRS 2007 16108; OLG Nürnberg BB 1966, 265; Ebenroth/Löwisch

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§ 87c Rn 3; Röhricht/Graf v. Westphalen/ Küstner § 87c Rn 23a. BGHZ 56, 290 (297). Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 4. BGHZ 32, 302 (305); OLG Hamm NJW 1959, 51; OLG Celle BB 1961, 1017.

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in die Bücher und Unterlagen des Unternehmers zu rechtfertigen 70. Generell lässt sich sagen, dass bei allen Rechten des § 87c ein erfolglos gebliebenes eindeutiges Verlangen des HV nach Erfüllung des vorrangigen Rechts genügt, um das nachrangige Recht ausüben zu können 71. Die Nichterteilung steht einer konkludenten Verweigerung gleich. Vorausgehende Klagerhebung und Vollstreckung sind nicht erforderlich, um das nachrangige Recht auszuüben 72, und zwar schon deshalb, weil die Verjährung des Folgerechts durch die prozessuale Geltendmachung des Vorderrechts nicht gehemmt wird. Über diese Einschränkung hinaus gibt es kein Kumulierungsverbot 73. Deshalb darf der HV jedes Informationsrecht geltend machen, falls dessen TB-Voraussetzungen erfüllt sind.

IX. Hilfsrechte Die Kontrollrechte des HV stehen zum Provisionsanspruch im Verhältnis von Hilfs- 26 rechten 74.

X. Anspruchsentstehung und Entfallen des Anspruchs 1. Anspruchsentstehung. Die Rechte aus § 87c entstehen, sobald der Vertrag gelebt 27 und durchgeführt wird und sämtliche TB-Merkmale des jeweiligen Informationsrechts erfüllt sind. Sie stehen einem HV zu, der Provisionsansprüche hat oder zu haben behauptet und können vertragsbegleitend, aber auch nach Vertragsende gefordert werden 75. Sie entfallen nicht deshalb, weil dem HV aus einem von ihm zu vertretenden Verhalten vom Unternehmer fristlos (89a) gekündigt worden ist 76 oder der HV seinen Vertragspflichten nicht nachkommt 77. Rechtstatsächlich werden sie meist erst nach beendetem Vertrag und gescheiterten Ausgleichsverhandlungen, oft als Druckmittel, geltend gemacht 78. Die Abrechnung schuldet der Unternehmer ohne Aufforderung. Die übrigen Informa- 28 tionsrechte setzen ein formloses aber eindeutiges Verlangen des HV voraus 79 (verhaltener Anspruch). Die Wirksamkeit des Vertretervertrages setzt § 87c ebenso wenig voraus wie dies für die Durchsetzbarkeit des Ausgleichsanspruchs gefordert wird. Haben die Parteien einen fehlerhaften HV-Vertrag in Vollzug gesetzt, so ist § 87c zumindest analog anwendbar 80. Die Informationsrechte bedingen nicht, dass tatsächlich Provisionen zu zahlen sind. 29 Es genügt, dass die Entstehung von Provisionsansprüchen möglich ist. Diese Möglichkeit ist bereits durch den Vertragsschluss indiziert. Einen Gegenbeweis hätte der Unternehmer zu führen. Mithin ist zwischen Anspruchsgrund und Anspruchsinhalt zu unterscheiden.

70 71 72

73 74

BGH NJW 1979, 764. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 3. OLG Koblenz MDR 1994, 198; Ebenroth/ Löwisch § 87c Rn 3; aA BGH WM 1979, 463: Wenn der Vertreter den Buchauszug verlange, müsse er diesen auch durchsetzen und abwarten, was der Auszug ergebe, bevor er Bucheinsicht fordern könne. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 3. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 17; Röhricht/

75 76 77 78 79 80

Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 5; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 4. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 17. BGH BB 1961, 424 (425). AA mglw. Eberstein, S. 102. Emde MDR 1999, 1108 ff. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 2; Röhricht/ Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 1. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 6.

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Der Anspruchsgrund existiert auch dann, wenn der Unternehmer einwendet, es seien keine Provisionen geschuldet. Ob dies zutrifft, soll sich gerade durch die Informationserteilung beweisen. Gibt es keine Geschäfte, die der HV vermittelt hat, ist die zu erteilende Auskunft als Negativattest (Rn 50 kurz: Der Unternehmer kann sich darauf beschränken, mitzuteilen, vom HV seien keine Geschäfte vermittelt worden. Der HV braucht sein vermutetes Informationsinteresse folglich nicht darzulegen. Vielmehr müsste es der Unternehmer widerlegen. Nur in Evidenzfällen kann die durch den Vertragsschluss hervorgerufene Vermutung für das Bestehen eines Informationsinteresses durch die Umstände widerlegt sein. 2. Entfallen des Anspruchs a) Erfüllung. Die Informationsrechte erlöschen durch Erfüllung (§ 362 BGB) 81, für welche der Unternehmer – soweit der HV die Informationen nicht als Erfüllung entgegennahm – gem. § 363 BGB beweispflichtig ist 82. Nach vollständiger Erfüllung dürfen die bereits erteilten Informationen kein zweites Mal eingefordert werden. Ob Erfüllung vorliegt, ist objektiv zu bestimmen. Zu weit geht es, wenn gesagt wird, der Anspruch des HV auf Erteilung des Buchauszuges entfalle erst, falls er sich in rechtsverbindlicher Weise mit den übergebenen Abrechnungsunterlagen zufrieden gibt und damit auf den Anspruch verzichtet oder die Einigung über die Provisionsansprüche feststeht 83. Existieren Mängel oder Auslassungen wurde nicht erfüllt. Bleibt die Information insgesamt unbrauchbar, d.h. so fehlerhaft, dass sie nicht einmal den Mindestanforderungen entspricht 84, muss sie nach Wahl des HV entweder vollkommen neu erteilt oder es müssen die fehlenden Bestandteile nachgeliefert werden. Der Vertreter ist dann nicht auf bloße Ergänzung der bereits erteilten Informationen beschränkt, zumal er ohne Information des Unternehmers meist nicht exakt benennen kann, was nachzufordern ist, sondern hat die vollständige Information als Einheit an den HV zu liefern. Dem Vortrag des Unternehmers, der HV dürfe keinen vollständig neuen Auszug sondern nur Ergänzung fordern, ist daher regelmäßig der Erfolg zu versagen. Selbstverständlich kann der HV auch bei lediglich partieller Mangelhaftigkeit Nacherfüllung verlangen 85. Beispiel ist die Erbringung einer klassischen Teilleistung, etwa die Übermittlung lediglich auf Teilbereiche in zeitlicher, örtlicher oder sonstiger Weise – etwa auf einzelne Artikel, Bezirke, Kunden oder Zeiträume – beschränkter Informationen 86. Bei Mangelhaftigkeit der Informationserteilung zum in der Stufenfolge niedrigeren Rechts (etwa Abrechnung im Verhältnis zum Buchauszug, s.o., Rn 23 ff) ist der HV nicht auf ein zur Kontrolle des mangelhaft erfüllten Informationsrechts bestimmtes, auf höherer Stufe stehendes Informationsrecht (etwa Bucheinsicht) beschränkt. Dies folgt entweder aus den Grundsätzen zur Teilleistung, zumindest aus § 280 BGB, weil der HV als Schadenersatz auch Naturalrestitution fordern darf. Die Erfüllung eines Informationsrechtes schließt die Durchsetzung eines anderen Infor31 mationsrechtes nicht aus, sofern dessen TB-Voraussetzungen vorliegen und ein Informationsinteresse besteht.

30

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b) Entfallen durch Wegfall des Hauptrechts. Als Hilfsrechte zur Durchsetzung der Zahlungsansprüche (Rn 26) erlöschen die Informationsrechte dann, wenn sämtliche Zahlungsansprüche des HV erfüllt sind, er endgültig und abschließend auf Zahlungsan81 82 83

Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 17, 23. OLG Köln NJW-RR 1999, 833; Ebenroth/ Löwisch § 87c Rn 28. OLG Düsseldorf OLGR 2002, 125.

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84 85 86

Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 29. AA Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 28. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 29.

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sprüche gegen den Unternehmer verzichtet hat oder aus anderem Grunde, etwa wegen Verjährung oder bindender Begrenzung der Schuld auf einen bestimmten Zahlungsanspruch, keine Ansprüche mehr existieren können 87. Im Zweifel ist zugunsten des HV zu entscheiden. Durch eine eindeutige, regelmäßig ausdrückliche und auf einen vergangenen Zeitraum bezogene Einigung auf einen bestimmten Zahlungsbetrag, eine konkrete Abrechnung und/oder deren Anerkenntnis werden die zur Durchsetzung des Zahlungsanspruches dienenden Informationsrechte des § 87c als Hilfsrechte undurchsetzbar 88, soweit Abs. 5 nicht entgegensteht (dazu Rn 61 ff). c) Mitwirkung des HV. Der HV schuldet ggf. eine zur Informationserteilung erfor- 33 derliche Mitwirkung als Vorleistung 89. Der Unternehmer braucht daher keine Informationen zu geben, wenn er sie nur unter Mitwirkung des Vertreters erteilen kann und jener seine Mitwirkung verweigert 90. Ein Unternehmer, der HV beschäftigt, muss allerdings für seine Informationsfähigkeit sorgen. Deshalb wird eine solche Entlastung regelmäßig ausscheiden. d) Verjährung. Der Unternehmer darf die Informationsrechte bis zum Zeitpunkt des Verjährungseintritts geltend machen. Sie verjähren gem. § 195 BGB, und zwar unabhängig voneinander 91 und separat von den Hauptansprüchen. Informationsansprüche sind keine Nebenleistungen i.S.d. § 217 BGB, weil sie nicht von dem Provisionsanspruch abhängen. Vielmehr sollen sie dessen Geltendmachung vorbereiten, indem sie zu klären haben, was an Provision überhaupt zusteht 92. Deshalb läuft ihre Verjährung nicht mit der des Provisionsanspruchs parallel sondern selbständig 93: sie beginnt für jedes der Kontrollrechte mit dem ihm eigenen Beginn seiner Durchsetzbarkeit (Fälligkeit des Einzelrechts als verjährungsauslösender Umstand) 94. Die differierende, für jedes Informationsrecht zu einem separaten Zeitpunkt eintretende Verjährung der einzelnen Informationsrechte kann z.B. in folgenden Konstellationen bedeutsam werden: Die verjährungsauslösende Fälligkeit des Buchauszugsrechts tritt grundsätzlich mit Erteilung der Abrechnung ein 95. Das Recht auf Buchauszug besteht zwar für jeden einzelnen Provisionsanspruch. Aber um die Vollständigkeit der Provisionszahlungen – insbesondere nach Beendigung des Vertragsverhältnisses – kontrollieren zu können, ist dem HV nur ein vollständiger Buchauszug dienlich, und für ein Verlangen auf vollständigen Buchauszug hat er solange keine Grundlage, als die Endabrechnung noch aussteht oder offen ist, was überhaupt abrechnungspflichtig ist. Bis dahin besteht keine Plattform, den Anspruch auf Buchauszug über davon betroffene Abrechnungszeiträume geltend zu machen. Vorher kann die Verjährung dieses Anspruchs nicht beginnen 96. Der Anspruch auf Bucheinsicht kann bereits bei Zweifeln an der Richtigkeit und Vollständigkeit oder längerer Nichterteilung der Abrechnungen (s.u.), aber auch nach 87

88 89 90 91

Martinek/Flohr § 9 Rn 17; Ebenroth/ Löwisch § 87c Rn 18; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 4, 49; Palandt/Heinrichs § 261 Rn 25. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 50. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 31. Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 5c. KG VersR 2002, 1554; Küstner/Thume I, Rn 1500; Röhricht/Graf v. Westphalen/ Küstner § 87c Rn 4a; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 5.

92 93 94 95

96

MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 5. BGH NJW 1982, 235. BGH NJW 1979, 764; 1981, 457; Küstner/ Thume I, Rn 1468. Küstner/Thume I, Rn 1502; Hopt § 87c Rn 18; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 30. BGH NJW 1981, 457.

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Verweigerung des Buchauszuges geltend gemacht werden. Nach Erteilung zweifelhafter Abrechnungen darf der HV zunächst einen Buchauszug einfordern und abwarten; erst nach dessen Erteilung beginnt der Lauf der Verjährung am Schluss des Jahres97. Zwar darf der Anspruch auf Einsichtnahme schon auf Grund von Zweifeln an der erteilten Abrechnung und nicht erst nach Zwischenschaltung des Rechts auf Buchauszug geltend gemacht werden. Der Ablauf der Verjährungsfrist nach Erhalt einer Abrechnung (§ 87c Abs. 1) hindert also nicht die Geltendmachung des Bucheinsichtsrechts (§ 87c Abs. 4) wegen begründeter Zweifel an der Richtigkeit des später erteilten Buchauszugs (§ 87c Abs. 2), weil die Verjährungsfrist des § 195 BGB erneut nach Erteilung des Buchauszuges zu laufen beginnt 98. Gleichwohl beginnt die Verjährung erst mit der Erteilung des Buchauszugs und dem Obwalten von Zweifeln gerade gegenüber diesem 99; dem Gläubiger kann es nicht zu seinem Nachteil den Verjährungsbeginn vorverlegen, wenn er sich zu dem verkürzenden, aber für den Schuldner einschneidenderen Weg entschließt, statt ihn mit geringerem Eingriff für den Schuldner gleichsam methodisch auszuschreiten. Auf Grund des Buchauszugs, der erteilten Auskunft oder der Ergebnisse der Einsichtnahme in die Bücher und Unterlagen des Unternehmers – rechtzeitig vor Verjährung der hierauf gerichteten Ansprüche geltend gemacht – kann dann allerdings sich herausstellen, dass Provisionsansprüche bereits verjährt sind. Die letzten, ein Informationsrecht eröffnenden Hauptansprüche werden meist die 38 nachvertraglichen Überhangprovisionen sein. Über solche darf der HV nach Vertragsende eine Abrechnung fordern. Die Verjährungsfrist für die Buchauszugsforderung beginnt dann – wie auch sonst – mit dem Ende des für die Entstehung des Provisionsanspruches maßgeblichen Fälligkeitsjahres 100. Nicht mit der Verjährung des Informationsrechts selbst zu verwechseln ist fehlendes 39 Kontrollbedürfnis aufgrund Verjährung des Hauptrechtes. Muss davon ausgegangen werden, dass alle denkbaren Provisionsansprüche inzwischen verjährt oder verwirkt sind, dann ist auch für die Kontrollrechte kein Raum mehr 101. Es gilt § 195 BGB. Ansprüche, die dem HV unbekannt blieben, verjähren gem. § 199 BGB erst binnen 10 Jahren. Verjährungsunterbrechende Maßnahmen in Hinblick auf die Informationsrechte wirken nur auf ihre Verjährung und nicht auf jene der Hauptrechte und vice versa 102. Das bedeutet, dass der HV regelmäßig eine Stufenklage auf Information und Provision erheben muss. Erhebt er nur eine Informationsklage drohen die Provisionen zu verjähren und der Informationsklage steht fehlendes Rechtsschutzbedürfnis entgegen. Praktisch handelt es sich hierbei um die wichtigere Verjährungsregel, weil gerade beim forensisch bedeutsamen Buchauszugsrecht die Provisionen meist vor dem Auszugsrecht, dessen Fälligkeit und Verjährungsbeginn regelmäßig erst mit Erhalt der Abrechnung eintritt, verjährt. Als Grundregel gilt insoweit: Als Hilfsrechte können Informationsrechte mit Verjährung des zu kontrollierenden Hauptrechts nicht mehr geltend gemacht werden 103. Auch ein Bucheinsichtsrecht kann für verjährte Zeiträume nicht mehr geltend gemacht werden, der Unternehmer darf die Einsicht verweigern, soweit sie derart verjährte Zeiträume betrifft. Dies ist jeweils als Erstes zu prüfen. Der HV riskiert also bei einem Aus97 98

99 100

Eberstein, S. 104. BGH LM Nr. 6 zu § 87c; BGH WM 1979, § 463; Küstner/Thume I, Rn 1513 f; Ebenroth/Löwisch § 88 Rn 3; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 6. BGH NJW 1979, 764. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 23.

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101 102 103

BGH VersR 1981, 880 (881); NJW 1982, 235; OLG Düsseldorf NJW 1965, 2351. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 20. BGH VersR 1981, 880 (881); NJW 1982, 235; OLG Düsseldorf NJW 1965, 2531; Küstner/Thume I, Rn 1467.

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reizen der einzelnen Verjährungsfristen dass die Grundregel – Verjährung des Hauptanspruches = Nichtdurchsetzbarkeit der Informationsrechte – zu einer verjährungsgleichen Wirkung führt. Deshalb eröffnet die ohne auf zweiter Stufe erhobene (unbezifferte) Provisionsklage anhängig gemachte Buchauszugsklage bei längerer Verfahrensdauer dem Unternehmer den Einwand, die Hauptforderungen seien verjährt. Der HV kann dem wieder mit dem Einwand entgegnen, der Unternehmer habe über die Provisionen nicht abgerechnet und vor Abrechnung und Kenntnis der Provisionen (§ 199 BGB) könne keine reguläre Verjährung eingetreten sein. Den Beweis vollständiger Abrechnung wird der Unternehmer im Buchauszugsverfahren nicht führen können. Verläuft die eben angesprochene Prüfung negativ, können die unterschiedlichen und eigenständigen Verjährungsfristen für die einzelnen Ansprüche aus § 87c 104 relevant werden, und zwar nur dann. In der Praxis wird davon angesichts des gem. § 195 BGB auf das Ende eines Kalenderjahres bezogenen Verjährungszeitraums und der Nichtdurchsetzbarkeit nach Verjährung der Hauptrechte kaum auszugehen sein 105. Sind dem HV Provisionsansprüche wegen fehlender Abrechnung des Unternehmers unbekannt geblieben, darf sich der Unternehmer nicht auf Verjährung berufen, sofern er zumindest bedingt vorsätzlich handelte (Vor § 84 Rn 530) 106. Das soll allerdings nicht gelten, wenn es sich nur um Abrechnungsfehler handelte, die der HV durch einfache Nachprüfung hätte feststellen können 107. Den Beweis fehlenden Vorsatzes müsste der Unternehmer führen, weil er allein unter Berücksichtigung von Gefahrenbereichen hierzu in der Lage ist. Ohnehin kann hinsichtlich nicht bekannter Provisionsansprüche nach § 199 Abs. 2 Nr. 1 BGB nur eine kenntnisunabhängige Verjährung zu laufen beginnen. Bei den Auskunftsrechten über verheimlichte Provisionen ist damit fraglich, inwieweit Verjährung eintreten kann. Verheimlicht der Unternehmer dem HV Ansprüche, ist weder der Hauptanspruch – der Provisionsanspruch – noch der Hilfsanspruch – das Informationsrecht – innerhalb der regelmäßigen Verjährungsfrist verjährt. Insbesondere darf der HV gem. Abs. 3 Informationen über die verheimlichten Geschäfte fordern und zudem gemäß Abs. 4 Einsicht in die Geschäftsunterlagen zu den ihm unbekannten Geschäften nehmen. Die Einrede der Verjährung darf insoweit nicht erhoben werden, als die Informationen objektiv erforderlich sein könnten, um mögliche Ansprüche zu prüfen. Eine großzügige Auslegung ist zum Schutz des HV angebracht. Vereinbarungen über die Verkürzung der Verjährungsfrist fallen nicht unter § 87c Abs. 5 und sind zulässig 108. In der Praxis sind sie Mittel, um den Informationszeitraum und damit das Druckpotential des Vertreters einzugrenzen (siehe Rn 107) 109. Informationsrechte können verwirken, regelmäßig jedoch nicht infolge bloßer Untätigkeit 110. Da die Informationsrechte Hilfsrechte zur Überprüfung der Zahlungsansprüche sind, werden sie undurchsetzbar, wenn der Unternehmer nachweist, dass keine Zahlungsansprüche mehr existieren können, etwa wegen Verjährung, Verwirkung, Einigung oder negativen Schuldanerkenntnisses 111. In der Praxis wird dieser Nachweis oft nur durch Erteilung der erstrebten Information geführt werden können. 104 105 106 107

108

Ebenroth/Löwisch § 88 Rn 3. Vgl. KG VersR 2002, 1554; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 5. Vgl. Küstner/Thume I, Rn 1469. OLG Karlsruhe v. 23.03.1973, BB 1973, 1600; 1973; 1974, 713; Küstner/Thume I, Rn 1469. Emde MDR 1999, 1108 (1112); Küstner/

109 110 111

Thume I, Rn 1404, 1503; Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 20. Emde MDR 1999, 1108 ff; Emde EWiR 2001, 631 (632). Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 17. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 18.

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XI. Datenschutzrecht 44

Datenschutzrechtliche Gründe stehen der Ausübung der Kontrollrechte nicht entgegen. § 87c gestattet die Weitergabe der Informationen. Das gilt zunächst für das BDSG: Die Übermittlung kundenbezogener Daten von einem Unternehmer an seine HV bedarf als Auftragsdatenverwaltung i.S.d. § 11 BDSG keiner weiteren Einwilligung der Kunden 112. Gleiches gilt für das (Schweizer) Bankengeheimnis: Die Erteilung gesetzlich geschuldeter Auskünfte – etwa eines Buchauszuges – an einen von ihr beauftragten HV durch eine Bank stellt keinen Verstoß etwa gegen Art. 47 des Schweizerischen Bankengesetzes dar 113.

XII. Meinungsverschiedenheiten über Zahlungsansprüche 45

Meinungsverschiedenheiten über Art und Umfang der Provisionsverpflichtung sind nicht Voraussetzung des Informationsverlangens. Auch müssen solche Meinungsverschiedenheiten nicht geklärt werden, ehe die Informationsrechte durchgesetzt werden können, es sei denn, der Umfang der Informationserteilung wird durch die Auseinandersetzung berührt 114. Vielmehr sollen die Informationen umgekehrt ihrer Auflösung dienen. Soweit strittig ist, für welche Geschäfte die Auskünfte zu erteilen sind, kann dies im Informationserzwingungsprozess geklärt werden.

XIII. Buchführungspflicht 46

Mit den Informationsrechten des HV korrespondieren Pflichten des Unternehmers. Da der HV das Recht auf Information, insbesondere auf Buchauszug und Bucheinsicht hat, muss der Unternehmer derartige Bücher führen 115. Führt der Unternehmer derartige Bücher nicht, begeht er eine Pflichtverletzung gegenüber dem Vertreter. Folge ist eine Schadenersatzverpflichtung mit den o.g. beweisrechtlichen Konsequenzen. Auch den nicht buchführungspflichtigen Unternehmer trifft gegenüber dem HV die Pflicht, diejenigen Bücher zu führen, welche zu einer vollständigen und fehlerfreien Abrechnung und Überprüfung der Provisionsansprüche notwendig sind 116.

XIV. Form und Inhalt 47

1. Form. Die Form der Information bestimmt sich nach den Erwartungen eines vernünftigen Vertreters in der Situation des Informationsempfängers. In der Regel sind die Informationen mindestens in Textform 117 zu erteilen, was der Natur der Sache nach insbesondere für Abrechnung und Buchauszug gilt. Um der Kontrollfunktion des Buchauszuges gerecht zu werden, fordert dies meist die Übermittlung von Kopien der maßgeblichen Dokumente 118, soweit EDV-Listen oder Datensammlungen nicht kontroll112 113 114 115 116

Evers/Kiene NJW 2003, 2726 (2728). OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.09.2006 – 1 U 34/06, WM 2007; 351 = VersR 2007, 1514. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 13. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 11. OLG Köln BB 1997, 2130; Wolff BB 1978, 1246; Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 11;

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117 118

Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 6c (zumindest Abrechnung muss erteilt werden können). Strenger: Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 23: Schriftform. AA möglicherweise Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 24.

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fähig sind. EDV-gestützte Buchauszüge (etwa auf CD) dürften zulässig sein, wenn sie der HV verwerten kann, etwa mit einem handelsüblichen PC, den der HV auch besitzt und der eine problemlose Auswertung der Information ermöglicht. Im Zweifel hat der Unternehmer in Textform zu erfüllen. Auskünfte dürfen im Einzelfall auch mündlich erteilt werden, falls keine schriftliche Perpetuierung erwartet werden darf. Umfangreichere Auskünfte, deren Inhalt nicht sofort aufgenommen werden kann, sind in jedem Fall in Textform zu erteilen, desgleichen hat der HV ein Recht auf schriftliche Wiederholung, wenn er diese Form der Dokumentation aus Beweisgründen oder aus anderen Gründen benötigt. Denn dann ist nach den Umständen des Falles eine solche Verkörperung geschuldet. Der Unternehmer muss erkennbar die Verantwortung für den Inhalt des Auszuges übernehmen, bei schriftlicher Erteilung etwa durch Unterschrift zumindest in einem Begleitschreiben 119 (weshalb für die eigentliche Information Textform reicht). 2. Inhalt. Alle Informationen müssen, um die ihnen zukommenden Aufgabe erfüllen 48 zu können, klar, übersichtlich, aus sich heraus verständlich, vollständig und für den HV nachprüfbar sein 120. Soweit Informationen durch EDV-gestützte Mitteilungen erteilt werden dürfen, kommt es auf die Verständnismöglichkeiten des Vertreters an, ob diese Transparenz vorliegt. Für Verständlichkeit spricht, dass der HV vergleichbare Informationen bislang nicht beanstandet hat. Diese Vermutung ist jedoch nur dann berechtigt, wenn der Vertreter den Auszug nicht gerade deshalb fordert, um die bisherigen Mitteilungen, an deren Vollständigkeit er Zweifel anmeldet, zu überprüfen.

XV. Informationszeitraum Der Informationszeitraum ist der Zeitraum von Vertragsbeginn bis zur vollständigen 49 Abwicklung des letzten Kundengeschäfts, aufgrund dessen der HV Provisionen beanspruchen kann 121, soweit nicht bereits Verjährung (s.o.) eingetreten ist. Die Vertragsbeendigung hindert das Informationsrecht also nicht, gleich aus welchen Gründen sie erfolgte. Anderenfalls könnten nämlich z.B. keine Informationen betreffend Überhangprovisionen gefordert werden 122. Für die Zeit davor oder danach besteht kein Informationsrecht 123. Der HV darf also nicht Offenlegung der nachvertraglichen Entwicklung gem. § 87c verlangen 124, soweit jene nicht ausnahmsweise zur Ermittlung einer nachvertraglichen Provision erforderlich sind. Informationen müssen folglich alle zur Bestimmung der nachvertraglichen Provision maßgeblichen Umstände angeben, damit der Vertreter überprüfen kann, ob ihm aufgrund seiner Tätigkeit solche Provisionen zustehen 125.

119 120

Seetzen WM 1985, 216; Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 23. OLG Hamm VersR 1998, 1415 (1416); OLG München NJW-RR 1999, 1194 (1195); OLG Düsseldorf, MDR 2000, 167 (168); Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 23.

121 122 123 124 125

OLG Düsseldorf OLGR 1999, 424; Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 13. Küstner/Thume I, Rn 1493. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 13. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 10. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 13.

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XVI. Fehlanzeige 50

Hat der Unternehmer – pflichtwidrig – ordnungsgemäße Bücher nicht geführt, befinden sich dort keine Angaben zu vermittelten/abgeschlossenen Geschäften, kann er keine Information erteilen, weil er solche nicht besitzt, sich in seinen Büchern keine Informationen befinden oder er – pflichtwidrig – keine Bücher geführt hat, und ergeben sich auch aus anderen dem Unternehmer zugänglichen und zumutbaren Quellen die erstrebten Informationen nicht, so kann er die Informationsansprüche nicht erfüllen und wird leistungsfrei (§ 275 BGB, siehe auch Rn 123) 126. Er hat dies dem Vertreter mitzuteilen („sog. „Fehlanzeige“ oder „Negativattest“ 127). Der Unternehmer ist beweispflichtig dafür, dass er gemäß § 275 BGB leistungsfrei wird, weil nur er hierzu vortragen kann. Zum einen rechtfertigt sich diese Beweislastverteilung aus dem Gesichtspunkt der Verteilung der Beweislast nach Gefahrensphären, zum anderen aus der Vermutung, dass es zu einem bestehenden Vertrag und vermittelten Geschäften Informationen geben muss. Gemäß § 275 BGB erlischt die Informationspflicht des Unternehmers erst, wenn er das Fehlen von Informationen dargelegt und bewiesen hat 128. Zweifel gehen zu seinen Lasten 129. Die Fehlanzeige ist begründet, falls der Unternehmer die erstrebten Informationen nicht besitzt und sich in seinen Büchern oder sonstigen Unterlagen keine Tatsachen finden, welche für einen Zahlungsanspruch des Vertreters von Bedeutung sein können 130. Der Mangel von Büchern ist jedoch nur insoweit relevant, als die erstrebten Informationen auch in Büchern verkörpert werden, also in erster Linie beim Buchauszugs- und Einsichtsrecht. Deshalb lassen fehlende Informationen in den Büchern möglicherweise das Auszugsrecht entfallen 131. Eine Auskunftspflicht gemäß § 87 Abs. 3 setzt hingegen keine derartige Verkörperung voraus 132. Auch ist der Begriff der Bücher weit zu fassen und fordert keine Niederlegung gerade in Handelsbüchern. Der HV darf gemäß §§ 259 Abs. 2, 260 Abs. 2 BGB fordern, sich die Richtigkeit der 51 Fehlanzeige durch den Unternehmer zu Protokoll an Eides statt versichern zu lassen, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass die Angabe nicht mit der erforderlichen Sorgfalt gemacht wurde 133 (zu den §§ 259 Abs. 2, 260 Abs. 2 BGB im Einzelnen Rn 159 f). Da im Allgemeinen bereits die fehlende Niederlegung der Informationen eine Pflichtwidrigkeit darstellt, spricht eine Vermutung für eine Angabe mit mangelnder Sorgfalt134. Davon ist ferner auszugehen, sobald der Vertreter zumindest einen Fall nennen kann, zu dem es bei vernünftiger Betrachtung der Angelegenheit Unterlagen bei dem Unternehmer geben muss. Die beweisrechtlichen Konsequenzen einer Fehlanzeige sind zu berücksichtigen: Die Darlegungslast des HV in Provisions- wie Ausgleichsklagen wird herabgesetzt, wenn der Unternehmer trotz der ihm obliegenden Verpflichtung zur Führung von Büchern solche nicht führt und Fehlanzeige erteilen muss. Dies ist entweder einer Beweislastverteilung nach Gefahrensphären oder dem materiell-rechtlichen Schadenersatzanspruch auf Naturalrestitution zu entnehmen 135. Es wird vertreten, dass im Falle der Fehl-

126 127 128 129 130

Küstner/Thume I, Rn 1477; Ebenroth/ Löwisch § 87c Rn 30. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 19; Röhricht/ Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 19. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 30; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 11c. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 19. Seetzen WM 1985, 215; Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 19.

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131 132 133

134 135

OLG Frankfurt am Main MDR 1995, 165. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 41. Küstner/Thume I, Rn 1477; Ebenroth/ Löwisch § 87c Rn 19; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 19. Eberstein, S. 101. Siehe Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 30.

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anzeige von den Büchern des HV auszugehen ist 136, möglicherweise auch von dessen substantiierten, am besten durch Dokumente unterstützten Angaben. Jedenfalls sind die dem HV zustehenden Provisionen und sein Ausgleichsanspruch, soweit sie nicht auf andere Weise ermittelt werden können, auf der Grundlage einer Schätzung gem. § 287 ZPO festzusetzen 137, Schadenersatzansprüche ggf. nach den §§ 252 BGB, 287 ZPO. Dem HV bleibt im Fall der Fehlanzeige zudem deren Verprobung durch Bucheinsicht138.

XVII. Schadenersatz bei Nichterteilung Erteilt ein Unternehmer mangels Geschäftsunterlagen seinem HV keine Provisions- 52 abrechnung oder keinen Buchauszug und ist deshalb der HV nicht in der Lage, den ihm zustehenden Ausgleich nach § 89b zu berechnen, so kann der HV einen dem Ausgleich entsprechenden Betrag als Schadensersatz wegen Nichterfüllung nach § 280 BGB in Verbindung mit § 87c Abs. 1 und 2 verlangen. Dem Gericht ist die Möglichkeit eröffnet, in Anlehnung an § 89b die Höhe des Schadens nach § 287 ZPO zu schätzen 139.

XVIII. Zurückbehaltungsrecht Zurückbehaltungsrechte oder Gegenansprüche darf der vorleistungspflichtige Unter- 53 nehmer gegenüber den Rechten des HV aus § 87c nicht geltend machen 140, etwa mit der Begründung, er besitze noch Schadensersatzansprüche gegen den HV. Ein solches Recht hätte er allenfalls gegenüber dem Provisionsanspruch; die Kontrollrechte aus § 87c sollen aber gerade erst klären, in welchem Umfange solche Provisionsansprüche bestehen. Auch kann wegen Abs. 5 ein derartiges Recht nicht vereinbart werden. Jedoch braucht der Unternehmer die Auskunft nicht zu erteilen, wenn eine Mitwirkung des HV erforderlich ist, um die Information zu gewinnen und der HV die Mitwirkung verweigert 141.

XIX. Prüfung der erteilten Informationen Der HV ist nicht zur Prüfung der erteilten Informationen verpflichtet. Wird offen- 54 sichtlich, dass er kein Interesse an den Informationen hat, fehlt ein Informationsinteresse. Nur obliegt dem Vertreter im eigenen Interesse die unverzügliche Überprüfung der vom Unternehmer erhaltenen Informationen auf Richtigkeit und Vollständigkeit, damit er Zahlungsansprüche erheben kann 142. Die erhaltenen Informationen darf der HV nur zur Ermittlung, Überprüfung und Durchsetzung seiner Ansprüche aus dem HV-Vertrag verwenden, im Übrigen ist er zur Geheimhaltung verpflichtet 143. 136

137

138 139 140

Baumgärtel HGB, § 87c Rn 4; Ebenroth/ Löwisch § 87c Rn 30; Schlegelberger/ Schröder § 87c Rn 11a. OLG Düsseldorf OLGR 1993, 197; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 449; Baumgärtel HGB, § 87c Rn 4; Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 30; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 11a. Eberstein, S. 101. OLG Düsseldorf OLGR 1993, 197. RGZ 102, 110; BGH MDR 1978, 467; Küst-

141 142 143

ner/Thume I, Rn 1475; Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 22; Hopt § 87c Rn 29; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 2b, 6b; ebenso OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 07.08.2007 – 20 W 104/07, GmbHR 2008, 592 für Informationsrechte nach §§ 51a, 51b GmbHG. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 22; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 2b. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 31. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 31; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 70c.

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XX. Erfüllungsort 55

Der Erfüllungsort für die Leistung der Informationen bestimmt sich nach § 269 BGB 144. Danach ist am Geschäftssitz des Unternehmers zum Zeitpunkt der Begründung des HV-Vertrags zu erfüllen 145. Folgt man der hier vertretenen, aber von der herrschenden Ansicht abweichenden Auffassung, die von einem Einheitserfüllungsort für alle vertraglichen Pflichten am Geschäftssitz des Vertreters ausgeht, läge der Erfüllungsort am Sitz des HV (Vor § 84 Rn 381 ff), und zwar für den HV kostenfrei. Dies gilt insbes. für die Erteilung des Buchauszuges. Er ist auf Kosten des Unternehmers zum HV zu verbringen. Das ist insbesondere problemlos, falls durch EDV-gestützte Auskünfte erfüllt werden darf (s.o., Rn 47), gilt aber auch sonst. Nach der hier vertretenen Ansicht gilt: Mündliche Informationen sind auf geeignete Weise, etwa per Fernsprecher, an den HV an dessen Geschäftssitz weiterzugeben. Dokumente und Informationen in Text- oder Schriftform sind ihm dort zu übergeben 146. Das Transportmittel ist unerheblich. Der Transport kann z.B. per Post oder Fernkopie erfolgen, soweit nicht § 242 BGB entgegensteht. Das ist anzunehmen, sofern umfangreichere Informationen, etwa der Buchauszug, per Fernkopie übersandt werden 147 oder die EDV des Vertreters auf den Empfang der per E-mail versandten Informationen nicht eingerichtet ist. Mündliche Auskünfte dürfen per Fernsprecher übermittelt werden. Der HV hat also kein Recht auf persönliche Mitteilung. Beim Buchauszug wird teilweise von einem Gewohnheitsrecht ausgegangen, nach dem der Auszug an den HV zu übersenden sei. Dafür spricht, dass dem HV nur wegen des Auszuges keine Reise an den gegebenenfalls ausländischen Sitz des Unternehmers zuzumuten ist. Jedenfalls beim Angebot der Kostenerstattung ist der Unternehmer zur Versendung des Buchauszuges verpflichtet (§ 242 BGB). Das Bucheinsichtsrecht ist seiner Natur nach in den Räumen des Unternehmers aus56 zuüben 148, so dass dort sowohl nach der herrschenden wie der hier eingenommenen Ansicht der Erfüllungsort liegt. Der HV hat keinen Anspruch auf vorübergehende Überlassung der Geschäftsunterlagen 149.

XXI. Kosten 57

Die Kosten der Informationsrechte trägt grundsätzlich der Unternehmer 150. Auch hohe Kosten befreien ihn nicht von seinen Informationspflichten 151. Dies ist Grund für – meist verschleierte – Erpressungsversuche durch HV. Ihnen geht es oft nicht um den Inhalt der Informationen, sondern allein um die durch das Informationsverlangen verursachte Lästigkeit 152. So können für die Erstellung umfangreicher Buchauszüge, insbesondere bei Einschaltung von Buchprüfern, leicht Kosten in Höhe mehrerer zehntausend Euro anfallen 153. 144 145

146 147 148

149

Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 25. BGH NJW 1988, 966 (967); Eberstein, S. 101; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 87c Rn 45; für den Buchauszug LG Hannover, Urt. v. 26.01.2004 – 21 O 159/03. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 23. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 23. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 77; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 17d. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 463; Eben-

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150 151

152 153

roth/Löwisch § 87c Rn 25; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 77; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 17d. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 45. BGH, Urt. v. 20.09.2006 – VIII ZR 100/05, BB 2006, 2492 (2493) Rn 24; BGH, Urt. v. 21.03.2001 – VIII ZR 149/99, NJW 2001, 2333; BGHZ 56, 290 (296); Emde MDR 1999, 1108 (1110). Siehe Emde MDR 1999, 1108 ff. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 26.

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§ 87c

Nur die Kosten einer Bucheinsicht trägt abweichend von der Regelung bei den übri- 58 gen Informationsrechten der HV. Deshalb wird Bucheinsicht erstaunlich wenig gefordert. Natürlich darf der Unternehmer die Kosten der Bucheinsicht auf freiwilliger Basis übernehmen. Die dem Vertreter selbst entstehenden Kosten, etwa für Auswertung und Überprüfung 59 von Abrechnungen, Auszug und Bucheinsicht, insbesondere Reisekosten zum Sitz des Unternehmers sowie Verdienstausfall, werden ihm nicht ersetzt, weil Prüfung und Verwertung der erhaltenen Informationen seine Aufgabe sind 154. Auch unter dem Gesichtspunkt des Verzugs sind diese Kosten regelmäßig nicht ersatzfähig 155. Ausnahmen: 60 – eine Schadenersatzpflicht des Unternehmers nach § 280 BGB kommt in Betracht, falls sich der HV aus der Sicht eines objektiven Dritten aufgrund einer Vertragsverletzung des Unternehmers zum Verlangen nach Information herausgefordert fühlen durfte; – der Verzug des Unternehmers mit seinen Pflichten begründet erhöhte Kosten oder ein bestimmtes Informationsrecht, etwa Bucheinsicht, wird ausschließlich wegen Verzuges des Unternehmers mit seinen Informationsrechten oder einer anderen Vertragspflicht erforderlich. Zudem sind Rechtsanwaltskosten unter dem Gesichtspunkt des Verzugsschadens ersatzfähig; – ein Schadenersatzanspruch ist gegeben, wenn die Informationserteilung ergibt, dass die im Hinblick auf Richtigkeit/Vollständigkeit von Abrechnungen oder Auszug geäußerten Zweifel des Vertreters begründet waren 156. In diesem Fall trägt der Unternehmer die gesamten Kosten des HV 157, wohl auch Anwaltskosten nach RVG. Erweisen sich jedoch die Zweifel in keinem Punkt als berechtigt, liegt die Kostenlast beim HV, es sei denn, der Unternehmer hat durch pflichtwidriges Verhalten die Zweifel verursacht 158. Wer außergerichtlich ein unberechtigtes Informationsverlangen stellt, macht sich keiner Pflichtverletzung schuldig 159.

XXII. Zwingende Natur (§ 87c Abs. 5) Die Informationsrechte des § 87c dienen dem Schutz des wirtschaftlich meist schwäche- 61 ren HV und sind aus diesem Grunde gem. Abs. 5 unentziehbar und unverzichtbar 160, soweit sie noch nicht entstanden sind, also insbesondere für zukünftige Zeiträume. Wie der Vergleich des Wortlauts des § 87c Abs. 5 mit § 89b Abs. 4 zeigt, darf ein Verzicht grundsätzlich auch nicht nach Vertragsende 161 oder nach fristloser Kündigung wegen schuldhaften Verhaltens des HV 162 erklärt werden, außer für bereits abgeschlossene Zeiträume. Die Ansprüche können nur je für den Abrechnungszeitraum dadurch erlöschen, dass die Abrechnung als solche erteilt und anerkannt wird. Die zwingende Natur trifft jedoch nur Informationen zu handelsvertretertypischen Vergütungen 163, nicht also zu 154 155 156 157 158 159

Knorn BB 1972, 990; Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 26. AA Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 26. BGH LM Nr. 1 zu § 87c sowie BGHZ 32, 302 (306); ebenso Seetzen WM 1985, 219. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 26. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 26. AG Groß-Gerau NJW-RR 2002, 1457 (zu einem Unterhaltsrechtsverhältnis).

160 161 162 163

Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 1. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 49; aA Westphal Vertriebsrecht I, Rn 434. Seetzen WM 1985, 217; Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 49. Vgl. Küstner/Thume I, Rn 1404.

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Hebegebühren 164 oder zu tätigkeitsbezogenen Vergütungen 165. Eine AGB, welche die Informationsrechte insgesamt und nicht nur auf diese zulässigen Ausschlusstatbestände abbedingt, ist in Gänze unwirksam. Hat der HV – unwirksam – auf die Informationsrechte verzichtet, kann er jene also für den unverjährten Zeitraum gleichwohl durchsetzen, solange noch keine Erfüllung vorliegt. Ein Verstoß gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens liegt hierin regelmäßig nicht 166, weil sonst die Unabdingbarkeit umgangen würde. Eine Konkretisierung der Informationspflichten mittels Vereinbarung bleibt möglich, solange die Grenze zur Derogation nicht überschritten wird. Insbesondere darf der Unternehmer sein Wahlrecht, ob das Bucheinsichtsrecht durch den Vertreter persönlich oder durch einen Wirtschafts- oder Buchprüfer ausgeübt wird im Voraus, auch im Vertretervertrag, ausüben167, weil insoweit nur ihm ein Recht gegeben wird. Für vergangene Zeiträume darf der HV im Grundsatz auf seine Informationsrechte 62 verzichten, soweit der Vorgang abgeschlossen ist, selbst während des bestehenden Vertrages 168. § 87c Abs. 5 steht nur einem Verzicht auf zukünftige Informationsansprüche entgegen 169, insbesondere nach Vertragsende 170. Der Sache nach handelt es sich hierbei um eine Einschränkung des weitergehenden Wortlauts unter dem Gesichtspunkt mangelnder Schutzbedürftigkeit, für die allerdings der begünstigte Unternehmer beweispflichtig ist. Der Verzicht muss jedoch regelmäßig ausdrücklich erfolgen 171. Es lässt sich gut vertreten, dass die Einschränkung des Wortlauts, d.h. ein solcher Verzicht, nicht möglich ist, solange und soweit der Unternehmer – meist etwa während des bestehenden Vertragsendes – auf den HV wirtschaftlichen Druck ausüben kann, nach Vertragsende z.B. aufgrund der fehlenden Auszahlung des Ausgleichsanspruchs (vgl. zum Parallelproblem § 90a Rn 71). Lässt sich eine freie Entscheidung des HV durch den Unternehmer nicht sicher nachweisen, bleibt es beim Wortlaut des Abs. 5, nach dem die Derogation unzulässig ist. Wegen ihrer zwingenden Natur werden die Informationsrechte nicht durch eine ver63 tragsbegleitende oder nachvertragliche Konkurrenztätigkeit des HV ausgeschlossen oder modifiziert172. Dies ergibt sich schon daraus, dass sich die Informationen – außer zur Bestimmung der nachvertraglichen Provision – nur auf die Zeit der Vertragsbeziehung beziehen, dem HV also nichts mitgeteilt wird, was ihm nicht als Vertragspartner bekannt sein dürfte. Der HV hätte auch vor Aufnahme einer Wettbewerbstätigkeit die Informationen fordern können und könnte sie dann zu einem späteren Zeitpunkt ebenfalls verwerten, ohne dass bei Informationserteilung der Einwand nachvertraglichen Wettbewerbs hätte erhoben werden können. Jedenfalls kann sich der Unternehmer durch rechtzeitige Ausübung des Bestimmungsrechts nach § 87c Abs. 4 vor einer Bucheinsicht durch den Vertreter persönlich schützen 173. Nur in kaum denkbaren Fällen evidenten Missbrauchs mag der Informationsanspruch ausgeschlossen sein. Das Verbot des § 87c Abs. 5 erfasst Gestaltungen, die Rechte des HV direkt oder mit64 telbar 174 beschränken oder ausschließen, etwa

164 165 166 167 168 169

Küstner/Thume I, Rn 1404. Küstner/Thume I, Rn 1405. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 49. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 49; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 18. Küstner/Thume I, Rn 1450; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 32, 85. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 32.

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170 171 172 173 174

Küstner/Thume I, Rn 1451. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 85. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 32. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 32. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 50.

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– Genehmigung oder Anerkenntnis der Provision durch Untätigkeit/Schweigen/widerspruchslose Entgegennahme – z.B. von Abrechnungen – fingieren 175; – eine Pflicht zum Widerspruch gegen Abrechnung oder Zahlungen ausdrücklich vorschreiben, um eine Anerkenntnisfiktion zu erreichen 176; – die Beweislast für das Nichtbestehen solcher Genehmigungen, Anerkenntnisse oder § 87c widersprechender Abreden dem HV auferlegen 177; – in sonstiger Weise Rechtsverfolgung oder Verteidigung des HV – z.B. durch Provisionsrückbelastung – in einer gegen Sinn und Zweck des § 87c verstoßenden Weise beschränken, selbst wenn dies nur mittelbar durch eine dem HV nachteilige Kostenregelung für die Wahrnehmung seiner Informationsrechte geschieht; – durch die vertraglich vorgesehene Erteilung einer „Schlussrechnung“, nach welcher der HV mit weiteren Forderungen ausgeschlossen sein soll 178; – die Regelung, dass statt Buchauszug nur Bucheinsicht genommen werden darf 179; – wenn Provisionsansprüche des HV in ein Kontokorrent mit fingiertem Anerkenntnis gestellt werden 180; – Zurückbehaltungsrechte – z.B. wegen angeblicher Schadenersatzansprüche – gegenüber dem Informationsrecht erlauben oder vereinbaren 181. Solche Rechte bestehen allenfalls gegenüber Provisionsansprüchen 182. Die Kontrollrechte sollen aber gerade klären, ob Provisionsansprüche existieren 183; – den Abrechnungszeitraum für Provisionen über das gesetzlich zulässige Maß, beispielsweise auf ein Jahr 184, verlängern 185. Über andere Vergütungsformen darf auch binnen eines längeren Zeitraumes abgerechnet werden 186; – falls vertragsbegleitend und vor Fälligkeit ein Verzicht des HV auf die Informationsrechte erklärt werden soll 187, außer für vergangene Zeiträume. Der HV kann also nach einem unwirksamen Verzicht – auch rückwirkend für den unverjährten Zeitraum und sofern nicht ausnahmsweise § 242 BGB entgegensteht – die Informationsrechte einfordern.

XXIII. Rechtsmissbrauch Im Spannungsverhältnis zum Unabdingbarkeitsgrundsatz steht das Institut des Rechts- 65 missbrauchs. Grundsätzlich trägt das Verlangen nach Information seine Rechtfertigung in sich 188 und ist nicht rechtsmissbräuchlich 189. Gegenüber der Geltendmachung von Informationsrechten nach § 87c greift daher der Missbrauchseinwand nur ganz aus-

175

176 177 178 179 180 181

182

Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 50; Hopt § 87c Rn 29; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 87c Rn 32. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 50. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 50. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 50. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 49. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 50. RGZ 102, 110 (111); MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 25; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 2b, 6b. Hopt § 87c Rn 29.

183 184 185 186 187 188 189

MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 25. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 8. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 8. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 8. AA Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 2d. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 21. Behrend NJW 2003, 1563 (1564); Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 1.

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nahmsweise ein 190. Der HV braucht den Wunsch nach Information nicht zu begründen 191 oder zu rechtfertigen 192. Jedoch steht das Informationsrecht – wie jedes andere Recht – unter dem Vorbehalt des Rechtsmissbrauchs sowie Treu und Glaubens bzw. der Verwirkung 193. Die zeit- und kostenintensiven Informationsrechte bergen – da ohne vertragliche Verkürzung der Verjährungsfrist insbesondere der Buchauszug regelmäßig über einen drei- bis ggf, fast vierjährigen Zeitraum mit zehntausenden von Einzeldaten gefordert werden kann 194 – erhebliches Druckpotential 195, welches auch in der forensischen Praxis spürbar und bemängelt wird 196. Dies gilt insbesondere für die Versicherungswirtschaft, wo die Fertigung von Abrechnung und Buchauszug aufgrund der laufenden Prämienzahlung 197, der damit einhergehenden laufenden Provisionsfälligkeit sowie der zahlreichen Haupt- und Untervertreterverhältnisse, etwa im Strukturvertrieb, besonders aufwendig sein kann. Versicherer haben darauf mit EDV-gestützten Abrechnungssystemen reagiert, die auch buchauszugsfähig sind. Gleichwohl: Wo allein der Ausgleich im Streite stehen sollte, wird trotz fehlendem Zweifel an der Richtigkeit der Abrechnungen zwecks Steigerung der Lästigkeit ein Buchauszug gefordert. Angesichts sechsstelliger Summen, die für dessen Fertigung aufzuwenden sein können 198, mag die Taktik erfolgreich sein. Hohe Kosten allein begründen jedoch keinen Rechtsmissbrauch 199. Nicht selten müssen Unternehmer zusätzlich einstellen, um dem Auszugsverlangen zu entsprechen. Dauert die Erstellung dann, reagieren die HV mit einem Ersatzvornahmeantrag nach § 887 Abs. 1 ZPO. Dies kann – muss aber nicht – Schikane (§ 226 BGB) sein 200. Deren Voraussetzungen müsste jedoch angesichts der für die Rechtmäßigkeit des Informationsverlangens streitenden Vermutung der Unternehmer darlegen und nachweisen 201, was kaum gelingen kann 202. Das Rechtsschutzbedürfnis wird vermutet, weil § 87c die Annahme der Berechtigung des Anliegens in sich trägt. Wird jedoch feststellbar, dass der HV Informationsrechte allein deshalb geltend macht, um dem Unternehmer zu schaden, d.h., dass bei objektiver Würdigung kein Informationsbedürfnis existiert 203, liegt ein Verstoß gegen die §§ 226, 242 BGB vor, der den Anspruch auf Information ausschließt 204. Der Auskunftsanspruch ist zwar gemäß § 87c Abs. 5 unabdingbar. Dies bedeutet aber 66 nicht, dass er nicht verwirkt, genauer: ihm der Einwand des Rechtsmissbrauchs aus den §§ 242, 226 BGB entgegengehalten werden kann 205. Jedes Zivilrecht steht unter den Schranken dieser Normen. Ob der HV während der Dauer des Vertretervertrages auf die 190 191 192

193

194 195 196 197 198 199

KG, Urt. v. 15.05.2006 – 23 U 96/05. OLG Hamm VersR 1999, 1492 = NJW-RR 1999, 1712; Küstner/Thume I, Rn 1470. OLG München, Urt. v. 01.07.2004 – 23 U 1637/03, VersR 2004, 470 (471) in Anschluss an BGH VersR 2001, 760 (763); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 44. KG, Urt. v. 15.05.2006 – 23 U 96/05; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 44. Küstner/Thume I, Rn 1431. Müller-Stein VersR 2001, 830. LG Hannover VersR 2001, 764 = EWiR 2001, 731 (Emde). Westphal Vertriebsrecht I, Rn 658 ff. BGH ZIP 2001, 876. BGH, Urt. v. 20.09.2006 – VIII ZR 100/05, BB 2006, 2492 (2494) Rn 24.

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200 201 202 203 204 205

Emde EWiR 2001, 731 (732); Emde VersR 2002, 157. Emde EWiR 1999, 327. v. Manteuffel/Evers EWiR 1998, 951; Emde EWiR 1999, 327. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 21. Kukat DB 2002, 1646 (1648); Ebenroth/ Löwisch § 87c Rn 21. OLG München, Urt. v. 01.07.2004 – 23 U 1637/03, VersR 2004, 470 (471); LG Hannover VersR 2001, 764 = EWiR 2001, 731 (Emde); Emde MDR 1999, 1108 (1110); Emde EWiR 1999, 327; Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 21; Hopt § 87c Rn 19; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 719; Martinek/Flohr § 9 Rn 17; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 18; wohl auch BGH, Urt. v. 20.09.2006 – VIII ZR 100/05, BB 2006, 2492 (2494) Rn 24 (dort verneint).

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Rechte aus § 87c verzichten oder sie verwirken kann, ist daher nicht ausdrücklich durch § 87c Abs. 5 entschieden 206. Eine Verwirkung ist folglich denkbar. Dies widerspricht nicht der Rechtsprechung des BGH. In seiner Entscheidung MDR 1996, 372 hat der BGH zwar in Abkehr von einer Rechtsprechung aus dem Jahre 1965 207 ausgesprochen, dem Schweigen des Repräsentanten könne kein negatives Schuldanerkenntnis beigemessen werden. Also führt es ohne weitere Besonderheiten des Falles auch nicht zur Verwirkung 208. Der BGH präzisierte aber nicht, wann die Grenze überschritten wird, oberhalb derer der HV unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben (§§ 242, 226 BGB; auch § 86 Abs. 1: Interessenwahrungspflicht des Mittlers) mit der Forderung nach den in § 87c angesprochenen Auskünften ausgeschlossen ist. Oft fällt den Mittlern erst nach Beendigung des Vertrages, lange nach Fälligkeit der 67 Informationsrechte 209 und – besonders verdächtig – unbefriedigenden Ausgleichsverhandlungen die Forderung nach Information ein. Handelt der HV dann, um den Unternehmer zur Zahlung des zuvor geforderten Ausgleichs oder zu einem Vergleichsabschluss zu motivieren 210, liegt der Gedanke des Rechtsmissbrauchs nahe 211. Der HV mag einen Anspruch auf Ausgleich haben, nicht aber auf außerhalb der Mittel-Zweck-Relation liegende weitere Druckmittel. Die Mittel-Zweck-Relation ist nur gewahrt, sofern der HV eine Zahlungsklage erhebt, ohne hiermit grundlos nicht konnexe Forderungen, wie eine Informationsforderung, zu verbinden. Dem Vertreter darf kein Auskunftsrecht zugebilligt werden, welches er für andere Zwecke missbraucht. Die Informationsrechte sind also kein Selbstzweck 212. Die Verteilung der Darlegungs- 68 last kehrt sich zugunsten des Unternehmers um, wenn der HV während der Vertragslaufzeit über einen langen Zeitraum, z.B. über Jahre hinweg, nie Anlass zur Beanstandung der Abrechnungen sah und seine Untätigkeit nicht erklären kann. Dies gilt insbesondere, wenn eine kontinuierlich erstellte und übermittelte, jedenfalls für den HV und den Unternehmer aus sich heraus verständliche Abrechnung über einen längeren Zeitraum unwidersprochen geblieben und nicht ernsthaft zweifelhaft ist, sich der geltend gemachte Buchauszugsanspruch auf den gesamten unverjährten Provisionszeitraum beziehen soll sowie der Auszug für alle Geschäfte erstrebt wird, in nahem zeitlichem Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um Ausgleichsansprüche nach § 89b steht und nicht dargelegt wird, warum der HV der ergänzenden Informationen ernstlich bedarf 213. Fordert der Vertreter nun im Anschluss an gescheiterte Ausgleichsverhandlungen überraschend Informationen in dem Wissen, dem Unternehmer werde die Erstellung der Abrechnung erhebliche Mühe bereiten, bzw. die Abrechnung führe zu einem wirtschaftlich kaum vertretbaren Aufwand, so spricht dies für einen Rechtsmissbrauch 214, falls er keine nachvollziehbaren Gründe für die Forderung oder sein Schweigen anführen kann 215. Der nicht näher detaillierte Wunsch, die Vertragsbeziehung während ihrer Laufzeit nicht zu belasten 216 dürfte regelmäßig eine zu wenig subtantiierte Erklärung bilden. Besonders 206 207 208 209 210 211

212

Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 18. BGH LM § 87c HGB Nr. 5 = BB 1965, 434. Emde MDR 1996, 331 (333). Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 21. Hierzu v. Manteuffel/Evers EWiR 1998, 951; Emde EWiR 1999, 327. KG, Urt. v. 15.05.2006 – 23 U 96/05; LG Hannover, VersR 2001, 764 = EWiR 2001, 731 (Emde). LG Hannover VersR 2001, 764 = EWiR 2001, 731 (Emde).

213

214

215 216

KG, Urt. v. 15.05.2006 – 23 U 96/05 im Anschluss an LG Hannover VersR 2001, 764 (765). KG, Urt. v. 15.05.2006 – 23 U 96/05; LG Hannover VersR 2001, 764 = EWiR 2001, 731 (Emde); Emde MDR 1999, 1108 (1111). KG, Urt. v. 15.05.2006 – 23 U 96/05. Vgl. Küstner/Thume I, Rn 1431.

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nahe liegt der Gedanke des Rechtsmissbrauchs, wenn der Mittler nach Vertragsende und jahrelangem Schweigen auf die Abrechnungen zunächst nur den Ausgleich oder eine Abfindung fordert. Entstehen dann Meinungsverschiedenheiten über die Höhe und verlangt der HV erst jetzt Informationen, indiziert dies den Rechtsmissbrauch. Darzulegen hat nun der HV, welche Gründe ihn bewogen, zunächst langjährig zu schweigen, um überraschend sein Recht auf Information zu suchen. Gleiches gilt für die unmotivierte Verbindung von Ausgleichs- und Auskunftsklage ohne Gründe, welche die Unrichtigkeit der Abrechnung zumindest als möglich erscheinen lassen (§ 259 Abs. 2 BGB analog) 217. Nicht anders als bei der Widerlegung eines Anscheinsbeweises trägt die Vermutung für ein Rechtsschutzbedürfnis also nicht, falls Indizien zum Gegenteil existieren. BGH, ZIP 1996, 129 218 steht nicht entgegen. Denn der BGH richtete über die Wirkung des Schweigens auf Abrechnungen, nicht über die Darlegungslast in Verdachtsfällen 219. Dem HV obliegt es bei Vorliegen für einen Rechtsmissbrauch sprechender Indizien, nachvollziehbar darzulegen, weshalb er die Informationen zum jetzigen Zeitpunkt, d.h. zur „Unzeit“, fordert. Kann er etwa die Möglichkeit von Unrichtigkeiten der Abrechnungspraxis des Unternehmers darlegen, hat er genug Gründe für seine Forderung vorgebracht. Gleiches gilt, wenn der HV bei einer vertragsbegleitenden Forderung eine ordentliche Kündigung zu fürchten gehabt hätte. Besonders hohe Anforderungen dürfen an den Vortrag des HV nicht gestellt werden, weil weder Abrechnung noch Buchauszug oder Auskunft – anders als die Bucheinsicht – Zweifel an der Richtigkeit zuvor gegebener Informationen voraussetzen (Rückschluss). Nur wenn der Unternehmer darauf wieder darlegen und beweisen kann, die vorgetragenen Unrichtigkeiten seien nicht bestehend, entfällt der Informationsanspruch. Rechtsmissbrauch soll fehlen, sofern bei der Forderung nach dem Auszug eine Ver69 besserung der Verhandlungsposition des HV in Hinblick auf die Durchsetzung des Ausgleichsanspruchs lediglich eine Rolle gespielt hat, der Unternehmer jedoch nicht nachweist, dass der HV in Wirklichkeit kein Interesse an der Erteilung des Buchauszuges besitzt, sondern es nur darum gehe, ein Druckmittel für Verhandlungen über den Ausgleich zu erlangen 220. Insbesondere wenn in der vorprozessualen Korrespondenz weder direkt noch indirekt das Buchauszugsrecht mit einem Entgegenkommen des Unternehmers hinsichtlich des Ausgleichs verknüpft worden sei, fehle es an einer Rechtsmissbräuchlichkeit. Ein Verstoß gegen das Schikaneverbot nach § 226 BGB liege nur dann vor, wenn die Geltendmachung des Anspruchs allein den Zweck haben könne, dem Unternehmer Schaden zuzufügen. Ein besonderes rechtliches Interesse an der Erteilung des Buchauszuges brauche nicht dargetan zu werden. Hohe Kosten führen nicht zur Missbräuchlichkeit des Informationsverlangens 221. Der 70 BGH 222 hat fehlende Rechtsmissbräuchlichkeit etwa bei für die Fertigung des Buchauszuges entstehenden Kosten von rd. 141.000,00 EUR verneint. Ein Unternehmer, der HV beschäftige, müsse sich auf Buchauszugsverlangen einstellen und seinen Betrieb so orga-

217 218

219 220

Emde EWiR 2001, 731 (732). Unternehmerfreundlicher LG Frankfurt/M. VersR 1998, 1238; OLG Saarbrücken VersR 2000, 1017; OLG Naumburg VersR 1999, 578. Emde EWiR 2001, 731 (732). OLG München, Urt. v. 01.07.2004 – 23 U 1637/03 VersR 2004, 470 (471) im Anschluss an BGH VersR 2001, 760 (763).

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221

222

BGHZ 56, 290 (296); BGH DB 2001, 1409; OLG München, Urt. v. 01.07.2004 – 23 U 1637/03 VersR 2004, 470 (471); Kukat DB 2002, 1646 (1648); Küstner/Thume I, Rn 1472; Röhricht/Graf v. Westphalen/ Küstner § 87c Rn 21. ZIP 2001, 876 = EWiR 2001, 631 (Emde).

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nisieren, dass die Fertigung möglich sei. Rechtsmissbrauch soll vorliegen, wenn dem HV bereits alle für die Prüfung seiner Provisionsabrechnung erforderlichen Angaben vorliegen, so dass von der Erteilung des Buchauszuges kein weiterer Vorteil zu erwarten ist und der HV jederzeit auf das EDV-Agentur-Informationssystem des Unternehmens Zugriff nehmen konnte 223. In Wahrheit dürfte es sich um einen Erfüllungseinwand handeln. Unternehmer können das in der Informationsforderung liegende Druckpotential ent- 71 weder durch vollständige – und dokumentierte – vertragsbegleitende Informationen (in der Praxis gelingt dies kaum) oder durch Verkürzung der Verjährungsfrist, etwa von 3 Jahren auf 1 Jahr 224, reduzieren (Rn 107). Denn die Kontrollrechte des § 87c bestehen nur, solange das Hauptrecht, der Provisionsanspruch, noch durchgesetzt werden kann. Ist es verjährt, kann auch das Informationsrecht nicht mehr durchgesetzt werden (Rn 34 ff).

XXIV. Vertraulichkeit Die durch die Kontrollmittel erlangten Informationen darf der HV nur zur Kontrolle 72 seiner Zahlungsansprüche verwenden und hat sie im Übrigen vertraulich zu behandeln (§ 90) 225. Wo der Unternehmer Missbrauch erwartet, sollte er beim Einsichtsrecht des HV (unten, Rn 154 f) die Einsichtnahme durch den Wirtschaftsprüfer oder Sachverständigen wählen.

B. Die Informationsrechte im Einzelnen I. Abrechnung (§ 87c Abs. 1) Der Unternehmer hat dem HV gegenüber die Provision periodisch und ohne beson- 73 dere Aufforderung abzurechnen. Die Abrechnung ist der Grundtatbestand der Informationsrechte 226. Dies ergibt sich aus der systematischen Stellung in Abs. 1 des § 87c, dem Umstand, dass die Abrechnung unaufgefordert zu erteilen ist sowie dass sie die „essentialia“ der provisionsrelevanten Tatsachen mitteilt. Die weiteren Informationsrechte des § 87c ergänzen lediglich die „Grundinformationen“, welche in der Abrechnung mitgeteilt wurden. 1. Zweck. Die Abrechnung soll den HV in die Lage versetzen, unter Vergleich mit 74 seinen eigenen Unterlagen zu prüfen, ob alle Provisionen, auf die er nach den §§ 87, 87a oder einer von diesen Normen abweichenden Vertragsbestimmung Anspruch hat, lückenlos erfasst sind und damit zur Grundlage für die von dem Unternehmer zu erbringenden Zahlungen gemacht wurden 227. Auch hier ist der Begriff der Provision weit im Sinne jeder versprochenen, variierenden Vergütung zu verstehen. Nicht i.S.d. § 87c abzurechnen ist allein über handelsvertreteruntypische Vergütungen 228, z.B. sogenannte „Hebe-

223 224 225 226

LG Köln, Urt. v. 01.04.2004 – 2 O 287/03, unveröffentlicht. Emde MDR 1999, 1108 ff; Emde EWiR 2001, 631 (632). Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 17c. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 2.

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228

Küstner/Thume I, Rn 1406; Ebenroth/ Löwisch § 87c Rn 33; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 11. Küstner/Thume I, Rn 1404.

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gebühren“ eines Versicherungsvertreters 229, wobei die Abgrenzung im Einzelfall schwierig und eine Analogie angebracht sein dürfte. Es besteht zumindest ein Auskunftsanspruch gemäß § 242 BGB. Der Abrechnungsanspruch besteht auch dann, wenn sich der HV anhand eigener Aufzeichnungen selbst unterrichten kann (Ausnahmen: §§ 242, 226 BGB) 230. 2. Inhalt

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a) Inhalt der Abrechnung. Aus diesem Zweck folgt, dass die Provisionsabrechnung alle abzurechnenden Geschäftsvorfälle auf der Grundlage der vertraglich vereinbarten Provisionssätze enthalten muss, soweit sie relevant sind 231. In die Abrechnung gehören vollständig, klar, überprüfungsfähig und übersichtlich dargestellt 232 die im Abrechnungszeitraum angefallenen Provisionen jeder Art nach Grund und Höhe sowie bei unterschiedlichen Provisionssätzen der vom Unternehmer jeweils berechnete 233 aus sämtlichen vom HV vermittelten oder abgeschlossenen Geschäfte, für welche im Abrechnungszeitraum die Provisionszahlungspflicht nach Eintritt der aufschiebenden Bedingung gemäß § 87a Abs. 1 oder 3 entstanden ist 234. Dass sind nicht nur die Provisionen, die der Unternehmer anerkennen will 235 (also möglicherweise gar keine), sondern diejenigen, die geschuldet sind und die er anerkennen muss. Fehlt ein Provisionsanspruch innerhalb des Abrechnungszeitraums, braucht der Unternehmer – wie Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Vorschrift ergeben – nicht abzurechnen. Auch eine Fehlanzeige ist dann als Abrechnungsrecht nicht nötig 236, jedoch auf Anforderung als Auskunftsanspruch nach Abs. 3 geschuldet. Die Abrechnung hat ein rechenmäßiges Ergebnis auszuweisen, welches der HV fordern darf 237. Über folgende Vergütungsansprüche ist abzurechnen: 76 – Abschluss- und Vermittlungsprovisionen 238; – Geschäfte die gem. § 87 i.V.m. § 87a III nicht so ausgeführt wurden wie sie abgeschlossen wurden, gleichwohl aber zu einer Provisionspflicht führen können 239; – solche Provisionsansprüche, die aus Geschäften stammen, die erst nach Beendigung des HV-Vertrags zustande kommen, allerdings erst im Moment ihrer Fälligkeit. Fallen z.B. nach Ende des HV-Verhältnisses noch Überhangprovisionen (§ 87 Abs. 3) oder Provisionen aus Geschäften an, die der HV während seines Vertragsverhältnisses abgeschlossen hatte und die erst jetzt zur Ausführung gelangt sind, mit anderen Worten nachverprovisioniert werden müssen, so sind unaufgefordert und in periodischer Fortsetzung solange Abrechnungen zu erteilen, bis alle Provisionsanwartschaften der bezeichneten Art abgewickelt sind 240; – Gesetzliche und vertragliche Provisionsvorschüsse 241;

229 230 231 232 233 234 235 236

Küstner/Thume I, Rn 1404. KG, Urt. v. 15.05.2006 – 23 U 95/05. Küstner/Thume I, Rn 1406. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 11. Seetzen WM 1985, 213; Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 33. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 33. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 12, 19. AA wohl Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 33.

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Westphal Vertriebsrecht I, Rn 627. Küstner/Thume I, Rn 1409 ff; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 14. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 12. Küstner/Thume I, Rn 1420. Küstner/Thume I, Rn 1419; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 14.

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Inkassoprovisionen 242; Delkredereprovisionen 243; Provisionsrückzahlungsverpflichtungen aus stornierten Geschäften; Entstandene, jedoch durch Nichtleistung des Dritten gem. § 87a Abs. 2 wieder entfallende Provisionen (Abzugsbetrag) 244; – Verwaltungsprovisionen 245; – Passivsaldi aus vorangegangenen Abrechnungen; – Stornoprovisionen; – Fixum, bei Gegenrechnung von Provisionsvorschüssen; – Überhangprovisionen 246; – Provisionsvorschüsse 247. Mitzuteilen sind damit alle Tatsachen, welche der HV für die Ermittlung und Über- 77 prüfung der Provisionszahlungen und ihrer Vollständigkeit benötigt 248. Im Einzelnen sind dies: – Kundenname 249; – Kunden-, Auftrags- und Rechnungsnummer (falls vorhanden); – das mit diesem Kunden vermittelte/abgeschlossene Geschäft unter Nennung seines Gegenstandes einschließlich eventueller Nachbestellungen 250; – Ausführung des Geschäftes nach Art, Menge und Zeitpunkt der jeweiligen Lieferung 251; – Rechnungsbetrag, auf den Provision zu zahlen ist 252, also Nettopreis mit gesondert ausgewiesener Mehrwertsteuer 253; – Datum der Rechnungsstellung 254; – Zahlung des Kunden mit den dazugehörigen Daten 255 sowie Gesamtbetrag der errechneten Provisionen abzüglich gezahlter Vorschüsse oder bereits geleisteter Provisionen 256; – Höhe der Provisionszahlung 257; – Provisionssatz 258; – – – –

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Küstner/Thume I, Rn 1423; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 628; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 13; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 17. Küstner/Thume I, Rn 1423; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 628; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 13; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 17. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 13, 15. Küstner/Thume I, Rn 1423; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 628; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 13. Küstner/Thume I, Rn 1422. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 628. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 33. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 33; Münch-

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KommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 20; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 3b. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 13. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 33. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 628. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 33; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 13; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 3b. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 33. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 33; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 3b. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 33; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 13. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 628; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 3. Küstner/Thume I, Rn 1406.

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Art und Weise der Provisionszahlung; Höhe eines Stornoreservekontos bei Veränderungen (gegebenenfalls periodisch); Verdienstspanne des Unternehmers, falls sich die Provision auf ihrer Basis berechnet 259; Stichwortartig die Tatsachen, welche im Rahmen des § 87a Abs. 3 die Provisionspflicht oder im Fall des § 87a Abs. 2 oder Abs. 3 S. 2 eine Provisionsrückforderung begründen 260. In die Abrechnung eines Versicherungsvertreters sind folgende Angaben aufzunehmen: 78 – Name und Anschrift des Versicherungsvertreters 261; – Datum des Antrags und der Versicherungsannahme 262; – Tarif der Versicherung 263; – Angabe, ob es sich um ein Neu- oder Erhöhungsgeschäft handelt 264; – Beitragshöhe 265; – Versicherungsscheinnummer 266; – Im Stornofall: Datum der Stornierung 267, Stornogrund 268, Erhaltungsmaßnahmen 269, sonstige das Storno betreffende Korrespondenz mit dem Versicherungsnehmer 270; – Entwicklung des Stornoreservekontos; – Höhe der geleisteten Beitragszahlung 271; – Höhe und Fälligkeit der offenen Beitragszahlung 272. 79 Eine Bezugnahme auf beigefügte Unterlagen ist zulässig, sofern sie die Abrechnung nicht ersetzen sollen und sie aus sich heraus verständlich bleibt 273. Deshalb kann sich der Unternehmer nicht auf das Übersenden der Durchschriften von Rechnungen an Kunden beschränken oder auf sie verweisen 274. Die bloße Übermittlung von Unterlagen ersetzt die Abrechnung also nicht. 80 Ist die Abrechnung unvollständig, fehlt also Erfüllung, darf Ergänzung gefordert 275 und eingeklagt 276 werden. Ist die Abrechnung völlig unbrauchbar oder leidet die Verständlichkeit insgesamt, wenn nur eine Ergänzung geliefert werden würde, ist gänzlich neu abzurechnen. Dieses Recht besteht insbesondere, falls einzelne, einer bestimmten 259

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OLG Karlsruhe v. 04.10.1975 – 8 U 54/75, unveröfftl., zit. nach Küstner/Thume I, Rn 1417. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 33. OLG Hamm BB 1999, 150 = EWiR 1998, 951 (v. Manteuffel/Evers). OLG Hamm BB 1999, 150 = EWiR 1998, 951 (v. Manteuffel/Evers). OLG Hamm BB 1999, 150 = EWiR 1998, 951 (v. Manteuffel/Evers). OLG Hamm BB 1999, 150 = EWiR 1998, 951 (v. Manteuffel/Evers). OLG Hamm BB 1999, 150 = EWiR 1998, 951 (v. Manteuffel/Evers). OLG Hamm BB 1999, 150 = EWiR 1998, 951 (v. Manteuffel/Evers). OLG Hamm BB 1999, 150 = EWiR 1998, 951 (v. Manteuffel/Evers). OLG Hamm BB 1999, 150 = EWiR 1998, 951 (v. Manteuffel/Evers).

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OLG Hamm BB 1999, 150 = EWiR 1998, 951 (v. Manteuffel/Evers). OLG Hamm BB 1999, 150 = EWiR 1998, 951 (v. Manteuffel/Evers). OLG Hamm BB 1999, 150 = EWiR 1998, 951 (v. Manteuffel/Evers). OLG Hamm BB 1999, 150 = EWiR 1998, 951 (v. Manteuffel/Evers). Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 33. Küstner/Thume I, Rn 1407; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 20. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 35; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 5. OLG München BB 1964, 698; aA MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 31: Nur Klage auf Provision zulässig.

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Gruppe zugehörige Angaben oder ein Teil der provisions- oder abrechnungspflichtigen Geschäfte fehlen, etwa mit einem bestimmten Kunden, einer bestimmten Kundengruppe, einem bestimmten Bezirk oder für einen bestimmten Zeitraum 277. Schon wegen der Schwierigkeit der Abgrenzung zu den genannten Beispielfällen kann nichts anders gelten, wenn einzelne Geschäfte fehlen. Der HV ist dann nicht auf die Provisionsklage beschränkt 278. Der Nachweis der Vollständigkeit obliegt regelmäßig dem Unternehmer, es sei denn, der Vertreter hat die Abrechnung als Erfüllung angenommen (§ 363 BGB) 279. In einem mehrstufigen Vertriebssystem, z.B. einem Strukturvertrieb, bei dem unechte 81 Untervertreter tätig sind und der Hauptvertreter einen Teil der Provisionen jener unechten Untervertreter als Vergütung („Leitungsvergütung“) erhält, gehören auch die von den Untervertretern herbeigeführten provisionspflichtigen Geschäfte zu den Abrechnungsinformationen 280. In die Abrechnung des Bezirksvertreters sind alle im Bezirk getätigten Geschäfte einzustellen 281. b) Umstände, über die nicht abzurechnen ist. Es gilt der Grundsatz der Transparenz. 82 Überflüssiges ist nicht aufzunehmen. Hat der Unternehmer über einzelne Provisionen bereits gesondert abgerechnet, braucht er sie in die Gesamtabrechnung nicht nochmals aufzunehmen, sofern sie nur einmal zur Provisionszahlung führen. Eine wiederholte Abrechnung ist überflüssig. Erforderlichenfalls hat er die Gesamtabrechnung schriftlich dahin zu erteilen, dass weitere Provisionen als die, über welche bereits einzeln abgerechnet worden ist, nicht angefallen sind. Nicht in die Abrechnung aufzunehmen sind: 83 – Geschäfte, die unstreitig noch nicht zu einer Provisionszahlungspflicht geführt haben 282; – Geschäfte, über welche bereits abgerechnet wurde 283; eine erneute „Generalabrechnung“ ist nicht geschuldet; – Ein gezahltes Fixum 284, jedenfalls wenn es in stets gleicher und offensichtlicher Höhe gezahlt wird (aber Abrechnung bei Reduzierung durch verdiente Provisionen); – Überhangprovisionen, wenn sie nur bedingt entstanden sind und später nochmals in eine Nachtragsabrechnung aufgenommen werden müssten 285 (Sammlung von „Merkposten“ ist nicht geschuldet). Es genügt die Aufnahme bei Bedingungseintritt; – nach § 87 nur aufschiebend durch die Ausführung bedingt entstandene, also noch nicht fällige Provisionsanwartschaften 286, weil nicht sicher ist, ob die aufschiebend bedingte Fälligkeit eintritt und der Unternehmer sie daher der Höhe nach auch nicht anerkennen kann. Schon der unbefangen verstandene Wortsinn der „Abrechnung“ meint nur das, was zahlbar ist. Dagegen sind gem. § 87c Abs. 2 nur auflösend bedingte, zu einer Zahlungspflicht führende Ansprüche anzugeben 287. Abzurechnen ist folglich 277

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Seetzen WM 1985, 213 (214); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 35. AA MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 36. AA Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 5. Emde MDR 1999, 1108 (1109 ff); Ebenroth/ Löwisch § 87c Rn 33. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 33. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 34; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 3a. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 18.

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AA 4. Aufl., § 87c Rn 10. So aber Küstner/Thume I, Rn 1422. OLG Nürnberg, BB 1966, 265; Ebenroth/ Löwisch § 87c Rn 34; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 16; aA Küstner/Thume I, Rn 1409 ff mit Darstellung des Meinungsstandes; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 6, 11; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 2, 3. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 11; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 87c Rn 15.

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über das, was – ggf. durch Eintritt der auflösenden Bedingung wieder vernichtbar – verdient ist; – Ansprüche, bei denen lediglich einzelne Vorbedingungen der Fälligkeit erfüllt sind (s.o.). Sind nämlich nur einzelne TB-Merkmale der Fälligkeit eingetreten, ist diese Tatsache keine in die Abrechnung aufzunehmende „Rechenposition“. Zwar mag insoweit ein Auskunftsanspruch gemäß § 87 Abs. 3 oder ein Buchauszugsrecht nach § 87c Abs. 2 entstehen, nicht jedoch eine Abrechnungspflicht. Im Übrigen würde die Doppelberücksichtigung zur Intransparenz und Überfrachtung der Rechnung führen; – Zwischenberichte über den Stand eines Geschäfts 288. Über jeden Provisionsanspruch ist nur einmal abzurechnen. Wenn gesagt wird, über den Ausgleichsanspruch sei nicht abzurechnen 289, so ist dies 84 nicht nur im Rahmen des § 87c Abs. 1 richtig. Der Unternehmer ist auch als Nebenpflicht zu § 89b keinesfalls verpflichtet, den Ausgleichsanspruch des HV zu errechnen. Oft werden dem Unternehmer hierzu sogar Informationen fehlen. So muss er nicht wissen, ob der HV für die Kundenwerbung kausal war oder der Kunde aus eigenem Antrieb die Geschäfte aufnahm. Bei dem Ausgleich des Vertragshändlers und Franchisenehmers wäre eine solche Berechnung ohnehin erst möglich, nachdem der Mittler den Unternehmer über die ausgleichspflichtigen Geschäfte informiert hat.

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3. Form. Die Abrechnung ist in Textform zu erteilen, soweit die Authenzität außer Frage steht, nicht in der Schriftform des § 126 BGB 290. Das für die Übermittlung der Abrechnung genutzte Transportmittel ist auch hier irrelevant. Solange eine ausreichende Transparenz oder Zugänglichkeit gewahrt bleibt, ist auch die Übermittlung per E-mail oder Fernkopie zulässig. Das in der Abrechnung liegende Schuldanerkenntnis ist gem. § 782 BGB formfrei.

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4. Abrechnungszeitraum und Fälligkeit. § 87c Abs. 1 unterscheidet zwischen dem Abrechnungszeitraum oder -turnus (S. 1) und der Fälligkeit. Der Abrechnungszeitraum bezeichnet die Zeitspanne über die abzurechnen ist 291, die Fälligkeit den Zeitpunkt, an dem die Abrechnung zu erteilen ist.

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a) Abrechnungszeitraum. Der Abrechnungszeitraum oder -turnus beträgt, wenn keine andere Vereinbarung getroffen ist, einen Monat. Das Gesetz sieht also vor, dass über jeden Geschäftsmonat eine Abrechnung zu erstellen ist. Dieser Abrechnungszeitraum darf durch Vereinbarung auf höchstens drei Monate (also auch z.B. zwei Monate) verlängert werden (zwingendes Recht 292). Die Abrechnung ist folglich spätestens zum Ende des vierten Monats auszuhändigen 293, auch wenn neben der Provision ein Fixum gezahlt wurde 294. Alsdann hat die Abrechnung die in diesem Zeitraum entstandenen Ansprüche zu umfassen. Gab es innerhalb dieser Frist kein Geschäft, muss nicht abgerechnet werden. Aus diesem Grunde kann eine fallweise Abrechnung vereinbart werden 295, wobei die Abrechnung jedoch immer innerhalb des Abrechnungszeitraumes nach dem Einzelgeschäft über-

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Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 34. Küstner/Thume I, Rn 1424. Schriftlich: Hopt § 87c Rn 6; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 20; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 3b. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 26.

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Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 8. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 36. Schröder DB 1963, 651; Küstner/Thume I, Rn 1398. Küstner/Thume I, Rn 1397.

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mittelt werden muss. Wurde unzulässigerweise ein zu langer Abrechnungszeitraum vereinbart, ist die Vereinbarung nicht insgesamt unwirksam sondern es gilt analog § 140 BGB die gesetzliche Höchstfrist von drei Monaten 296 (geltungserhaltende Reduktion, nicht aber bei AGB). Der zugelassene Monats- oder Dreimonatszeitraum braucht sich nicht mit dem Kalenderquartal zu decken 297, ist aber im Zweifel gemeint 298. Ohne Vereinbarung braucht der Unternehmer keine Einzelabrechnung über jedes Ge- 88 schäft zu erstellen 299, es sei denn, innerhalb der Höchstfristen des § 87c Abs. 1 wurde nur ein einziges Geschäft getätigt. Wird eine Einzelabrechnung für jedes Geschäft gefertigt und akzeptiert der HV dies (das braucht er nicht, sofern die Übersichtlichkeit leidet oder der Empfang einzelner Abrechnungen unzumutbar ist), besitzt er keinen Anspruch auf eine Gesamtabrechnung, wenn die Einzelabrechnungen 300 vollständig und hinreichend transparent waren. Blieben sie unvollständig, behält der HV seinen Anspruch auf Gesamtabrechnung, kann sich aber mit einer Ergänzung begnügen 301. b) Fälligkeit. Die Abrechnung ist – im Gegensatz zu den übrigen Informationsrechten – 89 ohne Aufforderung des HV 302 unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 BGB), fällig, sobald Abrechnungsrelevantes mitzuteilen ist, und zwar jeweils innerhalb der Frist des § 87c nach Eintritt des provisionsrelevanten Vorganges, also Ausführung des Kundengeschäfts durch den Unternehmer (§ 87a Abs. 1 S. 1), ihm anzulastende Nichtausführung des Geschäfts (§ 87a Abs. 3 S. 1), Leistung/Zahlung des Kunden an den Unternehmer (§ 87a Abs. 1 S. 3), auch wenn möglicherweise noch auflösend bedingt nach § 87a Abs. 2 303. Bei einem durchgeführten HV-Vertrag spricht eine Vermutung dafür, dass Abrechnungsrelevantes mitzuteilen ist. Der Unternehmer müsste also den Gegenbeweis fehlender Geschäfte in Verteidigung gegen ein Abrechnungsbegehren des HV führen 304. Diese Vermutung gilt insbesondere zu Gunsten eines Bezirksvertreters. § 87c Abs. 2 S. 2 fordert unverzügliche Übersendung der Abrechnung, d.h. eine solche 90 ohne schuldhaftes Zögern 305. Spätestens ist die Abrechnung bis zum Ende des nächsten Monats; das heißt also bis zum Ende desjenigen Monats, der auf das Ende der Abrechnungsperiode (Abrechnungsturnus) folgt, dem HV auszuhändigen oder zu übersenden. Der letzte Termin ist damit zum Ende des Monats, welcher an den Abrechnungszeitraum anschließt. Gemeint ist wegen des klaren Datums wohl der Ablauf („Ende“) des Kalendermonat nach Schluss des Abrechnungszeitraums, nicht der Zeitraum eines Monats nach Ende des beliebig festlegbaren Abrechnungszeitraums, dessen Ende auf jeden Tag eines Kalendermonats fallen könnte 306. Der Wortlaut des Gesetzes dürfte diese Deutung eher nahe legen. Dann ist die Frist des § 87c Abs. 1 eine kalendermäßige Leistungszeit im 296

297 298 299 300

Küstner/Thume I, Rn 1396; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 622; Schröder DB 1963, 651; Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 36; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 27; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 2. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 27. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 26. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 37; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 2c. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 18; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 2c, 5a.

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Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 37. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 621; Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 1, 2; Hopt § 87c Rn 5; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 87c Rn 23. Ebenroth/Löwisch § 87c, Rn 35. AA Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 4 (Beweislast für Abrechnungsrelevantes beim Vertreter). MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 28; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 2a. AA MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 29.

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Sinne des § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB, so dass der Unternehmer – Verschulden vorausgesetzt – ohne Mahnung in Verzug gerät 307. Der Unternehmer darf die Abrechnung jedoch nicht bewusst auf diesen spätesten Termin verschieben, sondern hat eher abzurechnen, sofern dies möglich ist 308. Nach Vertragsende wird die Abrechnung für den noch nicht abgerechneten Teil der 91 Provisionen als Endabrechnung gem. § 614 BGB unverzüglich fällig 309, wobei auch hier wohl bis zum Ende des Kalendermonats nach Vertragsende gewartet werden darf 310. Nach Ansicht des OLG München 311 soll nach Vertragsende selbst dann unverzüglich abzurechnen sein, wenn der Abrechnungszeitraum vertraglich verlängert wurde, weil eine solche Vereinbarung nur während der Vertragslaufzeit gelten soll. Das ist zweifelhaft 312. Über nach Vertragsende fällige Provisionen, die etwa entstehen, weil das Geschäft erst 92 nach Vertragsende geschlossen wurde oder gemäß § 87 Abs. 3 provisionspflichtig ist, muss jeweils innerhalb der Fristen des § 87c Abs. 1 oder einer zulässigerweise verlängerten Frist abgerechnet werden 313. Gibt es keine Provisionen, über die abzurechnen ist, entfällt eine Abrechnungspflicht. Eine Schlussrechnung fordert das Gesetz nicht 314. Über das Stornoreservekonto ist bei dessen vertragsgemäßer Auflösung 315, bei Veränderungen periodisch vergleichbar der Provision abzurechnen, davor besteht ein Auskunftsrecht über dessen Stand. Eine Schlussabrechnung kann vereinbart werden 316, wobei jeweils im Einzelfall ihre Rechtsfolgen zu bestimmen sind. Im Zweifel soll sie den HV nicht mit weiteren Provisionsforderungen ausschließen und eine solche Vereinbarung wäre wegen § 87c Abs. 5 auch unwirksam.

93

5. Entfallen des Abrechnungsrechts. Unstrittig ist, dass der Abrechnungsanspruch mit Erfüllung (§ 362 BGB) erlischt 317. Bei Unvollständigkeit der Abrechnung darf der HV auf Erfüllung klagen (Rn 170), zudem Buchauszug und Zahlung der noch ausstehenden Provision verlangen 318. Wie ausgeführt können Informationsrechte nicht geltend gemacht werden, sofern das 94 Hauptrecht – der Zahlungsanspruch – nicht mehr besteht (Rn 32 ff) 319. Ein solcher Wegfall des Zahlungsanspruches tritt ein, wenn – der Unternehmer dem HV alle geschuldeten Provisionen gezahlt hat 320. Wegen des Charakters des Abrechnungsrechts als Hilfsrecht darf nämlich keine Abrechnung gefordert werden, falls kein Provisionsanspruch existiert, etwa nach vollständiger 307

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Küstner/Thume I, Rn 1401; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 24, 28; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 2d; aA Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 35. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 625; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 28. BGH NJW 1981, 457; OLG München MDR 1958, 923; Küstner/Thume I, Rn 1452; Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 36; Hopt § 87c Rn 10; Röhricht/Graf v. Westphalen/ Küstner § 87c Rn 10; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 30; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 1, 2e. AA 4. Aufl., § 87c Rn 8. BB 1958, 895 = MDR 1958, 923. Hopt § 87c Rn 10. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 36; Röhricht/

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314 315 316 317 318 319 320

Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 10; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 18, 30; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 1. Hopt § 87c Rn 10. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 36. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 30. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 31. BGH NJW-RR 1990, 1371; Ebenroth/ Löwisch § 87c Rn 38. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 33. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 33; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 5a.

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Erfüllung aller Provisionsforderungen321. Den erforderlichen Beweis wird der Unternehmer meist nur durch Vorlage einer vollständigen Abrechnung führen können. Der Einwand ist daher meist wenig hilfreich; – sich die Parteien bindend auf die Richtigkeit der erteilten Abrechnung geeinigt haben 322. Deshalb ist das Interesse der Unternehmer hoch, die Abrechnung als zutreffend zu vereinbaren. Die Abrechnung bildet einen Antrag des Unternehmers auf Abschluss eines abstrakten Schuldanerkenntnisvertrages (§ 781 BGB), der gemäß § 782 BGB, § 350 323 nicht der Schriftform bedarf und vom HV angenommen werden kann, indem er die Abrechnung als richtig anerkennt 324. Der HV ist dann mit weiteren Nachforderungen ausgeschlossen, sofern das Anerkenntnis nicht gemäß §§ 119 ff, 134, 138, 242 BGB unwirksam ist 325. Schweigen bildet kein Anerkenntnis; – Dem Zahlungs- oder Abrechnungsanspruch dauernde Einreden oder Einwendungen, etwa Verjährung oder Verwirkung, entgegenstehen 326. Für diese Ausnahmetatbestände ist der Unternehmer darlegungs- und beweispflichtig. Die Abrechnungspflicht entfällt nicht deshalb, weil der HV sich Kenntnis über die abrechnungspflichtigen Tatsachen aus eigenen Unterlagen verschaffen könnte 327, er Kenntnis der abrechnungsrelevanten Umstände besitzt 328 oder er Vertragsverletzungen 329 beging; ebenso wenig infolge einer außerordentlichen Kündigung des Unternehmers. Denn durch all diese Umstände verliert der HV nicht seinen Anspruch oder das Interesse an einem Anerkenntnis des Unternehmers und auch die Arbeit der Zusammenstellung und Berechnung soll dem Unternehmer obliegen. 6. Rechtsfolgen der Abrechnung. Mit der Abrechnung stellt der Unternehmer fest, 95 welche Provisionen zur Auszahlung vorgesehen sind. Die Abrechnung ist daher ein Anerkenntnis des Unternehmers i.S.d. § 781 BGB 330, welches gemäß § 782 BGB, § 350 331 nicht der Schriftform bedarf 332. Im Zweifel nimmt der HV das Angebot auf Abschluss des Anerkenntnisvertrages gemäß § 151 BGB an, soweit das Anerkenntnis für ihn günstig ist (aber nur insoweit). Für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Abrechnung spricht zugunsten des HV – nicht aber zu seinen Lasten – eine Vermutung 333, weshalb der Unternehmer eine behauptete Unrichtigkeit auch von Einzelpositionen beweisen muss. Das mit der Abrechnung erteilte Anerkenntnis kann im Falle erkannter Unrichtigkeit nach § 812 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB kondiziert werden 334, etwa wegen Arglist. Dem

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MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 33; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 5a. BGH, Urt. v. 20.09.2006 – VIII ZR 100/05, BB 2006, 2492 (2493 Rn 22); BGH, Urt. v. 29.11.1995 – VIII ZR 293/94, NJW 1996, 588; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 87c Rn 21; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 5. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 38; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 3c. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 21. Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 3c. Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 5a.

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MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 23. Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 5a. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 23. OLG Karlsruhe HVR Nr. 445; OLG München VersR 1961, 1090; Küstner/Thume I, Rn 1425; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 629; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 3c. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 38; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 3c. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 629. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 38. Küstner/Thume I, Rn 1425; Martinek/Flohr § 9 Rn 16.

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Kondizierenden obliegt der Beweis für die Voraussetzungen der Kondiktion, nämlich seinen Irrtum sowie die Unkenntnis von der Unrichtigkeit 335.

96

a) Schweigen des Vertreters auf die Abrechnung. Schweigt der HV auf die Zusendung von Provisionsabrechnungen, ohne dass (wirksam) Schweigen als Anerkenntnis vereinbart wurde, so liegt hierin regelmäßig keine Annahme des Angebots auf Abschluss eines weitere Provisionsforderungen ausschließenden Anerkenntnisvertrages zu Lasten des HV 336. Typischerweise bedarf es hierzu einer ausdrücklichen Willenserklärung. Zwar kann der HV jederzeit ein negatives Schuldanerkenntnis i.S.d. § 397 Abs. 2 BGB abgeben 337 und innerhalb der Fristen einer gewöhnlich zu erwartenden Annahme das Angebot des Unternehmers auf einen Erlassvertrag annehmen. In dem bloßen Unterlassen einer Reaktion auf den Erhalt der Abrechnungen findet sich aber keine Annahme des Antrags auf Abschluss eines negativen Schuldanerkenntnisvertrages. Dies ergibt sich schon aus dem Grundsatz, dass Schweigen keine Willenserklärung ist. Auch wird der HV überhaupt nicht das Verständnis haben, sein Schweigen solle so verstanden werden. Allerdings kann dem Schweigen im kaufmännischen Geschäftsverkehr ausnahmsweise objektiver Erklärungsgehalt beigemessen werden, falls nach Lage des Einzelfalls entsprechend der Übung ordentlicher Kaufleute ein ausdrücklicher Widerspruch zu erwarten gewesen wäre 338. Mit einem solchen Widerspruch darf der Unternehmer im Regelfall aber nicht rechnen 339. Auf die Zusendung von Abrechnungen wird ein HV allenfalls dann mit einem Widerspruch reagieren, wenn er begründete und detaillierte Einwendungen gegen die Abrechnungen erheben kann. Keinesfalls ist er zu einer prophylaktischen Erhebung des Widerspruchs gezwungen 340. Der BGH war in dieser Frage zunächst zurückhaltend und hat strenge Anforderungen 97 an einen Annahme- oder Verzichtwillen gestellt 341. Später hat er die Anforderungen gelockert und angenommen, ein durch widerspruchslose Hinnahme von Provisionsabrechnungen begründetes Anerkenntnis der Abrechnung könne – wohl angesichts der wertsetzenden Bedeutung des Grundsatzes „Schweigen bildet keine Willenserklärung“ – nur ausnahmsweise und nur bei außergewöhnlich umsatzstarken und – wie man ergänzen darf – geschäftserfahrenen HV, die nach seinerzeitigem Recht Vollkaufleute waren, unterstellt werden 342. Dort hatte der HV, Inhaber einer vollkaufmännischen Agentur, sich Jahre hindurch mit der Entgegennahme von Rechnungen und Durchschlägen der zugrunde liegenden Auftragsbestätigungen begnügt. Nachdem der BGH 343 zuvor in einem weiteren Urteil, in welchem erneut für das Einverständnis des HV mit diesem Modus der Abrechnung und sein Einiggehen mit ihren Ergebnissen eine eindeutige Erklärung gefordert wurde, den singulären Charakter der ersten Entscheidung betonte, hat er sich von ihr zwischenzeitlich klar distanziert und ausgedrückt, regelmäßig sei Schweigen schon im Lichte der zwingenden Natur der Auskunftsrechte (§ 87c Abs. 5) kein Anerkenntnis der

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OLG Frankfurt/Main, Urt. v. 01.07.2003 – 5 U 229/99, VersR 2004, 781; Küstner/ Thume I, Rn 1426. BGH, Urt. v. 20.09.2006 – VIII ZR 100/05, BB 2006, 2492 (2493 Rn 22); Emde MDR 1996, 331 (332); Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 14; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 21, 32; aA LG Wiesbaden VW 1998, 1218; Segger VersR 2004, 781 (782).

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BGH WM 1957, 213 (214); Emde MDR 1996, 331 (332). OLG Köln NJW 1960, 1669; AG Lüdinghausen NJW-RR 1992, 885. Emde MDR 1996, 331 (332). Emde MDR 1996, 331 (332). BGH BB 1961, 424. BGH LM § 87c HGB Nr. 5 = BB 1965, 434. BGH DB 1982, 376.

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Provisionsabrechnungen 344. Es bedarf daher einer ausdrücklichen Willenserklärung, um eine Provisionsabrechnung anzuerkennen 345. Mithin wird durch die jahrelange Hinnahme der Provisionsabrechnungen und jahrelanges Schweigen nicht auf weitere Informationsrechte verzichtet 346. Das gilt auch dann, wenn es sich bei dem HV um eine GmbH mit erheblichen Umsätzen handelt 347. Unrichtig ist daher die Auffassung des OLG Saarbrücken 348, Schweigen vollkaufmännischer HV auf die Zusendung von Provisionsabrechnungen sei generell als Genehmigung zu werten. Da die meisten Vertreter Vollkaufleute waren, verkehrte sich damit die Regel, Schweigen sei keine Willenserklärung, zur Ausnahme 349. Nach Ansicht des LG Mannheim soll jedoch die jahrelange widerspruchslose Ent- 98 gegennahme geringerer als der vertraglich vereinbarten Provisionen durch einen Versicherungsvertreter und dessen rügelose Entgegennahme der monatlichen Abrechnung des Versicherers entsprechend dem Rechtsgedanken des § 362 als Annahme eines Antrags des Versicherers zu werten sein, die ursprünglich vereinbarten Provisionssätze zu kürzen. Dem stehe auch eine Schriftformklausel nicht entgegen, weil sie durch konkludentes Verhalten abgeändert werden könne 350. Dieses Judiz dürfte im Spannungsverhältnis zur vorgenannten BGH-Rechtsprechung zu § 87c Abs. 5 stehen, weil mit der konkludenten Einigung über das Hauptrecht der HV auch seinen Anspruch auf die nach jener Vorschrift zwingenden Hilfsrechte verliert. b) Vertragliche Regelung zur Abrechnung. Die Anerkennung des Provisionsanspruchs 99 nach erfolgter Abrechnung schließt die weiteren Kontrollrechte aus 351. Der HV darf dann grundsätzlich (Ausnahme etwa: Kondiktion des Anerkenntnisses) keine weiteren Provisionen fordern. Mit dem Provisionsrecht als Hauptrecht entfallen als Hilfsrechte auch die Kontrollrechte des § 87c 352. Unternehmer haben daher ein hohes Interesse daran, eine solche bindende und Nachforderungs- und Kontrollrechte ausschließende Einigung herbeizuführen. Gerade deshalb ist sie einer besonders strengen Kontrolle, insbesondere einer Billigkeitskontrolle, zu unterziehen. Die von Unternehmern gewünschte bindende Einigung kann nur durch ein informiertes, individuelles Anerkenntnis des HV zustande kommen. Wird die Abrechnung vom HV als vollständig und richtig anerkannt, 344

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BGH, Urt. v. 20.09.2006 – VIII ZR 100/05, BB 2006, 2492 (2493 Rn 22); BGH NJW 1996, 588; siehe hierzu Emde MDR 1996, 331 ff; EWiR 1999, 327/328; Kukat DB 2002, 1646; ebenso OLG Hamburg BB 1998, 971 = EWiR 1999, 327 (Emde). BAG AP § 87c HGB Nr. 13 u. 18; BGH BB 1961, 424; DB 1982, 376 = MDR 1982, 378; Lindner/Stötter/Karrer aaO, S. 175. BGH, Urt. v. 20.09.2006 – VIII ZR 100/05, BB 2006, 2492 (2493 Rn 22); OLG Frankfurt/Main, Urt. v. 01.07.2003 – 5 U 229/99, VersR 2004, 781; OLG München, Urt. v. 01.07.2004 – 23 U 1637/03 VersR 2004, 470 (471); OLG Saarbrücken NJW-RR 2002, 391; OLG Hamburg BB 1998, 971 = EWiR 1999, 327 (Emde); Westphal Vertriebsrecht I, Rn 629; Martinek/Flohr § 9 Rn 17; Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 50; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene

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§ 87c Rn 21, 44; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 14 mit Hinweis auf eine angeblich abweichende Handhabung unterer Instanzen; aA LG Wiesbaden VW 1998, 1218 (widerspruchslose Hinnahme der Abrechnungen über 1 1/2 Jahrzehnte schädlich; OLG Saarbrücken VersR 2000, 1017; Behrend NJW 2003, 1563 (1565); Segger VersR 2004, 781 (782); Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 18. OLG Hamburg BB 1998, 971 = EWiR 1999, 327 (Emde). DB 1985, 2399 = HVR Nr. 611; siehe jetzt aber OLG Saarbrücken NJW-RR 2002, 391. Emde MDR 1996, 331 (333). LG Mannheim, Urt. v. 10.12.2004 – 23 O 89/04, VersR 2005, 1532. BGH LM § 87c HGB Nr. 3; OLG Nürnberg BB 1966, 877. Küstner/Thume I, Rn 1427.

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nimmt der HV den Antrag auf Abschluss eines negativen Schuldanerkenntnisses nach § 397 BGB an 353. Ein bloßer Bestätigungsvermerk auf der Abrechnung reicht jedoch nicht ohne weiteres aus, um ein negatives Schuldanerkenntnis anzunehmen. Vielmehr muss das Anerkenntnis eindeutig gewollt sein. Um anerkannt zu werden, muss die Annahme des HV unmissverständlich, vollständig informiert, individuell und ohne unbilligen Druck erfolgt sein 354, wofür dem Unternehmer die Beweislast obliegt. In der Praxis gibt es solche Vereinbarungen kaum. Nach wirksamen Anerkenntnis der Abrechnung kann der HV keine weiteren Provi100 sionen fordern, die erkennbar in der Abrechnung enthalten sein müssten. Es ist jedoch nicht anzunehmen, dass die Parteien durch das Anerkenntnis auf alle Einwendungen, auch auf ihnen zur Zeit ihrer Erklärung unbekannte, verzichten wollen 355. Stellt sich nach Anerkennung der Provisionsabrechnung ihre Unrichtigkeit heraus, darf die sich irrende Partei das erteilte Schuldanerkenntnis gemäß §§ 812 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, 826 BGB, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB kondizieren 356, wenn sie sich in einem Irrtum über die Ordnungsmäßigkeit der Abrechnung befand. Ihr obliegt dann der Beweis für die Voraussetzungen der Kondiktion, nämlich ihren Irrtum, die Unkenntnis von der Unrichtigkeit sowie – dies allerdings bereits in Übereinstimmung mit der allgemeinen Beweislastverteilung – für das Bestehen eines nach Kondiktion etwa geltend gemachten Rechtes, z.B. des Provisionsanspruches357. Ein Anerkenntnis nimmt den Parteien folglich nicht uneingeschränkt die Berufung auf ihnen zur Zeit seiner Abgabe unbekannte Einwände, wie beispielsweise die Behauptung, sie hätten erst im Rahmen einer späteren Überprüfung der Gesamtprovision die Unrichtigkeit einzelner Abrechnungen erkannt 358. Eine bindende Einigung kann ferner entstehen, indem sich HV und Unternehmer indi101 vidualvertraglich und periodisch nach Erhalt der Abrechnung über die Richtigkeit der Abrechnung einigen, ein allerdings recht umständlicher Weg. Die Richtigkeit der Abrechnung steht dann zwischen den Parteien fest und darf vom Vertreter nicht mehr bestritten werden. Mit der Einigung sind die in der Abrechnung niedergelegten Provisionen zwischen den Parteien bindend vereinbart und die in § 87c geregelten Hilfsrechte können nicht mehr geltend gemacht werden 359. Der BGH hat den Parteien eines Vertretervertrages ausdrücklich gestattet, sich mit informationspflichtbeendender Wirkung über den Inhalt der Provisionsabrechnung zu einigen 360.

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c) Vereinbarung einer Prüfungsobliegenheit. Offen ist, ob der HV durch den Unternehmer verpflichtet werden kann, Durchschriften der ihm erteilten Abrechnungen innerhalb einer bestimmten Frist, etwa von zwei Wochen nach Zugang, zu prüfen und solche mit einem Bestätigungsvermerk (Annahmeerklärung, negatives Schuldanerkenntnis) oder 353

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Kukat DB 2002, 1646; Küstner/Thume I, Rn 1425; Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 38; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 3c. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 38; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 21. BGH WM 1957, 213 (215); Lindner/ Stötter/Karrer Die Provision, 1973, S. 176; Emde MDR 1996, 331. Vgl. RG JW 1910, 1200 Nr. 9; BGH WM 1957, 213 (214) (speziell zur Provisionsabrechnung); WM 1958, 1157 (1158); Baumbach/Hopt § 351 Rn 6; MünchKomm-

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HGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 22; MünchKommBGB/Lieb § 812 Rn 312; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 3c; Staudinger/Lorenz § 812 Rn 11; Küstner/ Thume I, Rn 1428. Emde MDR 1996, 331; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 17b; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 22. Emde MDR 1996, 331. Küstner/Thume I, Rn 1428 BGH MDR 1996, 372 (373).

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evtl. Einwendungen an den Unternehmer zurückzusenden 361. Die Verpflichtung müsste ggf. durch Klage auf Abgabe einer Willenserklärung, § 894 ZPO, oder durch Drohung mit fristloser Kündigung durchgesetzt werden 362. Bestritten wird bereits, dass die vom HV unterzeichnete Provisionsabrechnung ein negatives Schuldanerkenntnis darstellt 363. Vor allem aber steht eine solche Vereinbarung im Spannungsverhältnis zum Unabdingbarkeitsgrundsatz des § 87c Abs. 5, bei Vereinbarung durch AGB weiter mit dem gesetzlichen Leitbild i.S.d. § 307 BGB 364. Richtig dürfte sein, dass eine solche Vereinbarung als AGB geregelt unbillig und unwirksam ist. Denn der HV unterliegt einem unangemessenen Druck, schnell zu prüfen und anzuerkennen, und das oft ohne hinreichende Kontrolle. Für dieses Ergebnis spricht zum einen die meist recht kurze Prüfungsfrist 365, zudem die dem Anerkenntnis folgende Umkehr der Beweislast zu Lasten des HV, welche bei Entfallen des Provisionsrechts infolge des Anerkenntnisses auch die Informationsrechte als Hilfsansprüche entwertet und damit die Anspruchsdurchsetzung unbillig erschwert 366. Meist ist der HV ohne den Buchauszug nicht zur Prüfung imstande, so dass ein Ausschluss des Kontrollrechts schon aus diesem Grunde unbillig sein muss. Wegen § 87c Abs. 5 kann wahrscheinlich auch im Rahmen eines Individualvertrages nichts Abweichendes gelten 367. Denn auch dort bleibt die wertsetzende Bedeutung des Abs. 5 und der faktische Druck einer ordentlichen Kündigung bei fehlender „Rückmeldung“ zumindest im Rahmen der Billigkeitskontrolle nach § 242 BGB zu beachten, wenn nicht sogar Nichtigkeit nach Abs. 5, § 134 BGB eintritt. d) Vertragliche Vereinbarung eines Anerkenntnisses „durch Schweigen“. Noch weit- 103 gehender versuchen Unternehmer in Abweichung von dispositivem Recht im HV-Vertrag zu vereinbaren, Schweigen des HV auf die Abrechnung solle als deren Genehmigung angesehen werden. Dies stellt sich als unzulässige vertragliche Festlegung einer Willensfiktion dar. Nach ganz herrschender Ansicht kann schon wegen Abs. 5 auch durch Individualvertrag nicht vereinbart werden, Schweigen auf eine Abrechnung solle als deren Anerkenntnis gelten 368. Zwar kann ein negatives Schuldanerkenntnis formfrei erklärt werden, so dass es auch in schlüssigem Verhalten und theoretisch sogar im Schweigen des Vertreters gefunden werden kann. Ist die in Frage stehende Abrede Teil eines Formularvertrages, so ist sie allerdings bereits gemäß §§ 307, 308 Nr. 5 BGB unwirksam, sofern dem HV keine angemessene Frist zur Abgabe einer ausdrücklichen Erklärung eingeräumt ist und der Verwender sich nicht verpflichtet, den Vertragspartner bei Beginn der Frist auf die vorgesehene Bedeutung seines Verhaltens besonders hinzuweisen. Diese

361 362 363 364 365 366 367

368

Dafür Küstner/Thume I, Rn 1428; unentschieden Emde MDR 1999, 1108 (1113). Emde MDR 1999, 1108 (1113). OLG Hamm, Urt. v. 15.9.2000 – 35 U 4/00, VersR 2001, 1106. Emde MDR 1999, 1108 (1113); Röhricht/ Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 17a. Siehe insoweit bereits Emde MDR 1999, 1108 (1113). AA noch Emde MDR 1999, 1108 (1113). Emde EWiR 1999, 328; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 17a: MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 32. BGH, Urt. v. 20.09.2006 – VIII ZR 100/05,

BB 2006, 2492 (2493 Rn 23); BGH, Urt. v. 20.2.1964 – VII ZR 147/62; LM Nr. 4a zu § 87c HGB; BAG AP § 87c Nr. 13 u. 18; OLG Hamm, Beschluss v. 12.03.2004 – 35 W 2/04, NJW-RR 2004, 1266; OLG München VersR 2004, 470 (471); OLG Karlsruhe BB 1980, 226; OLG Koblenz VersR 1980, 623; LG Karlsruhe DB 1982, 2453 (2454); Emde MDR 1996, 331 (332); Westphal Vertriebsrecht I, Rn 630; Martinek/Flohr § 9 Rn 16; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 18; aA OLG Hamm OLGR 1997, 294; Segger VersR 2004, 781 (782); Küstner/Thume I, Rn 1430.

Raimond Emde

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1. Buch. Handelsstand

Wertung gilt auch im Rahmen des § 307 BGB 369. Die Entscheidung des LG Frankfurt/M.370, welches für diesen Fall ein besonderes Interesse des Unternehmers anerkannte, rasche und klare Verhältnisse zu schaffen, ist zweifelhaft. Im Übrigen gelten die oben, Rn 102 genannten Erwägungen zum Billigkeitsmaßstab entsprechend. Die Regelung, der HV erkenne Buchungen durch den Unternehmer an, wenn er nicht binnen 14 Tagen nach Zugang Einwendungen erhebe, verstößt daher gegen Abs. 5 und kann den Anspruch des HV auf Erteilung des Buchauszugs nicht ausschließen 371. Die Frage bleibt jedoch umstritten. Das OLG Naumburg 372 war nämlich der Ansicht, 104 habe der HV jahrelang sein vertraglich eingeräumtes Widerspruchsrecht gegen die vom Unternehmer erteilten Abrechnungen nicht ausgeübt, so trete auf Grund der Kontokorrentabrede der Saldoanspruch an Stelle der Einzelansprüche. Der HV müsse das Anerkenntnis als rechtsgrundlos zurückfordern und die Voraussetzungen des Rückforderungsrechtes darlegen und beweisen. Das OLG Saarbrücken 373 hat eine derartige Klausel bei Verwendung gegenüber nach damaligem Recht vollkaufmännischen HV für wirksam gehalten, wohl vor dem Hintergrund der seinerzeit noch nicht aufgegebenen BGH-Rechtsprechung (Rn 97) 374. Da die meisten HV Vollkaufleute alten Rechts waren, würde die Ausnahme zur Regel. HV haben kaum Mittel, die Streichung der Regelung zu erzwingen. Kein Vertriebsmittler wird den Vertragsabschluss an der Weigerung des Unternehmers scheitern lassen, die in Frage stehende Klausel aus dem Vertrag zu entfernen 375. Auch deshalb kann der Ansicht des OLG Saarbrücken 376 nicht beigetreten werden. Die genannte Klausel beschränkt die Rechte des HV schon bei ihrer Entstehung 377. 105 Die vorweggenommene Bestimmung des Schweigens als Genehmigung stellt sich damit wie eine gemäß § 87c Abs. 5 unzulässige Beschränkung der Informationsrechte dar, weil ohne regelmäßigen Widerspruch des HV insbesondere das Buchauszugsrecht für die Zeit vor Zusendung der letzten unwidersprochenen Abrechnung nicht mehr durchsetzbar wäre 378. Zudem ist auch hier nach § 242 BGB der unbillige Druck zu beachten, dem der HV unterliegt. Um keine ordentliche oder eine gelegentlich unzulässigerweise angedrohte außerordentliche Kündigung zu riskieren, wird der HV schweigen und in vielen Fällen auch dann nicht widersprechen, wenn er den Verdacht unrichtiger Abrechnung hat. Der wirtschaftliche Vorteil des fortlaufenden Vertrages ist höher als der aus einer Provisionsnachforderung. Erst nach Vertragsende kann der HV unbeinflusst von solchen Erwägungen seine Kontrollrechte durchsetzen. Hielte man die Fiktionsklausel für wirksam, wäre das Kontrollrecht nun ausgeschlossen. Das setzt gegenüber unehrlichen und hierauf spekulierenden Unternehmern das falsche Zeichen. Eine andere Bewertung ergibt sich auch dann nicht, wenn die dem HV übersandten 106 Abrechnungsformulare einen ausdrücklichen Hinweis auf die Einordnung des unterlassenen Widerspruchs als Anerkenntnis enthielten. Diese Warnung entkräftet die obigen Argumente nicht. Auch fehlt es hier in der Regel bereits an einer vertraglichen Vereinbarung. Denn die Abrechnungen werden nach Vertragsschluss übersandt, sind also nicht Vertragsbestandteil. Das Schweigen des HV auf die Abrechnungen ist auch nicht Annahme eines ohnehin nicht gewollten Angebotes des Unternehmers auf Vertragsänderung. Zwar haben das LG Saarbrücken 379, das AG Lüdinghausen 380 sowie das LAG 369 370 371 372 373 374

Martinek/Flohr § 9 Rn 16. VersR 1998, 1238. OLG München, Urt. v. 01.07.2004 – 23 U 1637/03 VersR 2004, 470 (471). VersR 1999, 578. DB 1985, 2399. BGH LM § 87c HGB Nr. 5 = BB 1965, 434.

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375 376 377 378 379 380

Emde MDR 1996, 331 (332). DB 1985, 2399 = HVR Nr. 611. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 633. Emde MDR 1996, 331 (332). VersR 1999, 1016. NJW-RR 1992, 885.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 87c

Baden-Württemberg 381 aus einem derartigen Warnhinweis geschlossen, in einem solchen Fall bestehe eine besondere Pflicht des HV zu einer Reaktion, so dass sein Schweigen als Genehmigung der Abrechnung ausgelegt werden könne. Dem kann jedoch nicht beigetreten werden. Wegen eines solchen leicht, ggf. sogar formularmäßig, angebrachten Hinweis auf der Rechnung kann nicht das Schweigen zu einer Willenserklärung gewandelt werden 382. Im Übrigen widerspricht auch diese Gestaltung dem Unabdingbarkeitsgebot des § 87c Abs. 5. e) Verjährungsverkürzung. Das Risiko des Unternehmers kann daher in erster Linie 107 durch eine Verkürzung der Verjährungsfrist reduziert werden. Wie ausgeführt bestehen die Auskunftsansprüche nur solange, wie Provision gefordert werden kann. Ist Verjährung eingetreten, fehlt ein Provisionsanspruch 383. Die gesetzliche Verjährungsfrist von 3 Jahren kann – wohl auch durch AGB 384 – reduziert werden. Eine solche Herabsetzung liegt daher im Interesse jedes Unternehmers, um das Druckpotential von Auskunftsansprüchen zu minimieren 385. 7. Beweislast. Der HV muss einen wirksamen oder zumindest faktisch durchgeführ- 108 ten HV-Vertrag darlegen sowie das Zustandekommen provisionspflichtiger Geschäfte. Dem Unternehmer obliegt der Beweis der Erfüllung oder des Wegfalls des Abrechnungsrechts. An das durch Abrechnung erteilte Anerkenntnis ist der Unternehmer gebunden. Er muss die Unrichtigkeit der von ihm erstellten Abrechnung beweisen. Der HV hat die Unrichtigkeit der Abrechnung nur zur beweisen, falls er das Nichtbestehen weiterer Forderungen wirksam anerkannte. Fordert der Unternehmer bereits ausgezahlte Provisionen zurück, ist er für das Rückforderungsrecht beweispflichtig, und zwar unabhängig davon, ob die Provisionen in der Abrechnung enthalten sind oder nicht 386. Verlangt der HV Provisionen, muss er seinen Anspruch beweisen, wobei es den Beweis erleichtert, wenn er sich auf die Abrechnung des Unternehmers und das in ihr liegende Anerkenntnis berufen kann.

II. Buchauszug (§ 87c Abs. 2) 1. Zweck. Gleich der Abrechnung soll auch der Buchauszug dem HV die Kontrolle 109 aller provisionsrelevanten Vorgänge ermöglichen. Darüber hinaus soll er ihn in Ergänzung der Abrechnung in die Lage versetzen zu prüfen, ob ihm alle in der Abrechnung erwähnten Provisionen auch wirklich gutgeschrieben wurden 387 und helfen, Klarheit über die Provisionsansprüche zu gewinnen 388. Der Auszug dient daher der Prüfung, ob die erteilte Provisionsabrechnung richtig und vollständig ist, und zwar im Hinblick auf jedes einzelne provisionspflichtige Geschäft 389. Da in der Praxis meist so verfahren wird, dass der HV die Durchschriften der Versandpapiere und der Rechnungen erhält, und 381 382 383 384

385 386

AP § 87c Nr. 17. Emde MDR 1996, 331 (333). Emde MDR 1999, 1108 (1112). OLG München OLGR München 1999, 69 = BB 1998, 2445; wohl auch BGH MDR 1991, 115 = BB 1990, 2066. Emde MDR 1999, 1108 (1112). AA Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 17b.

387

388 389

BGH NJW 1961, 1059 = BB 1961, 424; Küstner/Thume I, Rn 1478; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 38. BGH, Urt. v. 20.09.2006 – VIII ZR 100/05, BB 2006, 2492 (2493 Rn 17). BGH BB 1964, 409; OLG Hamm DB 1967, 292; Küstner/Thume I, Rn 478.

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§ 87c

1. Buch. Handelsstand

zwecks Abrechnung später bloß eine Zusammenstellung der provisionspflichtigen Beträge übermittelt wird, werden formelle Buchauszüge überwiegend erst gefordert, wenn Streit über die Provision entsteht, meist nach Beendigung des Vertragsverhältnisses.

110

2. Inhalt. Der Buchauszug muss eine auf den Büchern des Unternehmers und den dazu gehörenden Unterlagen beruhende, ins Einzelne gehende, auf den Zeitpunkt seiner Erstellung bezogene vollständige Bestandsaufnahme aller 390 vom HV vermittelten Geschäfte zwischen Kunden und Unternehmer über alles enthalten, was für den Anspruch des HV auf Provision 391 (gleich welcher Art 392), eine ihr gleichstehende umsatz- oder erfolgsabhängige Vergütung 393 oder den an ihre Stelle tretenden Schadensersatzanspruch von Bedeutung sein kann 394. Mitzuteilen ist allein das, was provisionsrelevant ist. Nicht mitzuteilen ist provisionsirrelevantes 395. In den Buchauszug müssen alle provisionspflichtigen Geschäfte mit ihrem wesentlichen Inhalt ohne Rücksicht auf den Stand ihrer Abwicklung aufgenommen werden 396. Das Schicksal jeden einzelnen Geschäfts muss sich von seinem Zustandekommen bis zur endgültigen Abwicklung entnehmen lassen 397. Im Buchauszug sind auch die Geschäfte anzuführen, die nach § 87a Abs. 3 provisionspflichtig sein können 398. Provisionsrelevant sind deshalb alle Geschäftsabschlüsse, für die der Provisionsanspruch bis zur Verfestigung nach § 87a erst als bedingter entstanden ist: der HV soll durch den Buchauszug – über die Abrechnung hinaus – darüber vergewissert werden, welches Stadium diese Geschäfte erreicht haben und insbesondere, ob sie bis zur Ausführung – von Seiten des Unternehmers, von Seiten des Dritten – gediehen sind. Er muss den Weg dieser Abschlüsse anhand des Buchauszugs lückenlos verfolgen können. Denn auch bei Nichtausführung des Geschäfts kann der Provisionsanspruch für ihn endgültig entstanden sein (§ 87a Abs. 3, unten Rn 115). Besonders wichtig ist das für den Bezirksvertreter bezüglich der in den Bezirk fallenden Geschäfte, die er nicht selbst abgeschlossen hat und welche er folglich nicht aus eigener Tätigkeit kennt, und für die Folgeaufträge des § 87 Abs. 1, bei denen der HV ebenfalls nicht tätig geworden zu sein braucht. Schon hieraus erhellt, dass der „Buch“ auszug sich nicht auf die Handelsbücher im engeren Sinne des § 238 beschränkt, sondern auch die „sonstigen Urkunden“ (Abs. 4), insbesondere die Korrespondenz mit den Kunden darzustellen hat. Anders als es der Wortlaut des § 87c Abs. 2 nahe legt („über alle Geschäfte …, für 111 die ihm nach § 87 Provision gebührt“) beschränkt sich der Inhalt des Auszugs nicht auf Informationen über Geschäfte, für die gemäß der gesetzlichen Regelung in § 87 Provision zu zahlen wäre, sondern muss auch über ggf. vertraglich versprochene und über § 87 hinausreichende leistungsabhängige oder aus sonstigen Gründen möglicherweise variierende Vergütung informieren 399. Denn wie oben dargelegt (Rn 75 f) ist der Begriff der Provision oder der Provisionsrelevanz als Inhaltsbeschreibung der zu erteilenden Informationen im Rahmen des § 87c weit zu verstehen. Welche Informationen im Einzelnen zu erteilen sind, hängt vom konkreten Vertragsverhältnis ab 400. Deshalb kann es sehr 390

391

392 393 394

Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 20; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 87c Rn 39, 40. OLG Frankfurt/Main, Urt. v. 01.07.2003 – 5 U 229/99, VersR 2004, 781; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 7. Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 8. Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 8. Küstner/Thume I, Rn 1480; Ebenroth/ Löwisch § 87c Rn 40.

680

395 396 397 398 399 400

OLG Saarbrücken NJW-RR 2002, 391. Küstner/Thume I, Rn 1480. OLG Hamm VersR 1999, 1492 = NJW-RR 1999, 1712. OLG München NJW-RR 2002, 1034 (1035). Hopt § 87c Rn 13. BGH DB 2001, 1409.

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§ 87c

auf die Details des Falles ankommen, ob eine bestimmte Information mitzuteilen ist. Was in einem Fall als provisionsrelevant zu übermitteln war, braucht in einem anderen Fall nicht provisionsrelevant sein. Der Buchauszug hat alle aus den Büchern und sonstigen maßgeblichen Informations- 112 quellen ersichtlichen Angaben zu umfassen, die auf den Zeitpunkt seiner Aufstellung für die Berechnung der Provision, ihrer Höhe und ihrer Fälligkeit von Belang sind 401. Die im Zeitpunkt der Aufstellung für die Berechnung, die Höhe und die Fälligkeit der Provisionen relevanten geschäftlichen Verhältnisse und Einzeldaten 402 müssen dabei vollständig in klarer, systematischer und übersichtlicher Form wiedergespiegelt werden 403, soweit sie sich aus den Büchern des Unternehmers entnehmen lassen 404. Nur dann kann der Buchauszug seinen Zweck erfüllen, dem HV über seine Provisionsansprüche Sicherheit zu verschaffen und ihm eine Nachprüfung der vom Unternehmer erteilten oder noch zu erteilenden Provisionsabrechnung zu ermöglichen 405. Der Buchauszug ist vollständig, sobald ein „Spiegelbild der Geschäftsbeziehungen“ zwischen Unternehmer, Kunden und Vertreter 406 mit einer aus sich selbst heraus verständlichen Übersicht 407, Gliederung und Logik, welche in übersichtlicher Weise eine Zusammenstellung der Geschäftsbeziehungen gibt, übermittelt wird. Da der Auszug aus sich heraus verständlich werden muss, genügt keine Verweisung 113 auf die erteilten Abrechnungen, und noch weniger auf früher übersandte Auftrags- und Rechnungskopien. Die „Verweisung“ müsste schon, wenn man sie überhaupt für zulässig hält, mindestens mit einer gesonderten Aufstellung verbunden werden, die alle erforderlichen Angaben enthält und die die provisionspflichtigen Rechnungsbeträge vollständig auflistet dergestalt, dass Rechnungen und Rechnungsbeträge ohne Schwierigkeit einander zugeordnet werden können 408. Ein Anspruch auf Mitteilung in Form einer tabellarischen Übersicht besteht nicht, 114 solange auch ohne eine solche eine geordnete Darstellung gewahrt bleibt 409. Die ungeordnete Übermittlung von Kopien, insbesondere Aktenordnern mit Auftrags- und Rechnungskopien 410 oder Kontokorrentbüchern 411 bildet keinen Buchauszug 412. Auch deshalb genügt es nicht, wenn der Buchauszug im Wesentlichen aus erteilten Abrechnungen 413 zusammengesetzt wird, weil das Buchauszugsrecht zusätzlich zum Abrechnungsrecht besteht und bei einer gesammelten Übermittlung von Abrechnungen nichts zusätzliches geliefert wird. Die Erfüllung des Abrechnungsrechts nach Abs. 1 erfüllt also nicht das Buchauszugsrecht nach Abs. 2, weil Abs. 2 sonst systematisch überflüssig wäre und keinen eigenen Inhalt hätte. Anders als bei der Abrechnung sind in den Auszug zudem alle

401 402 403

404

405

BGH DB 1964, 583; DB 1982, 376. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 20. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 40; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 8b. OLG München NJW-RR 2002, 1034 (1035); OLG Düsseldorf MDR 2000, 167; Kukat DB 2002, 1646 (1647); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 41. BGH WM 1982, 152 (153); 1989, 1073 (1074); NJW 2001, 2333; OLG München NJW-RR 2002, 1034 (1035).

406 407 408 409 410 411 412 413

Holling BB 1959, 687 (688); Küstner/Thume I, Rn 1480. OLG Hamm VersR 1999, 1492 = NJW-RR 1999, 1712. BGH DB 1982, 376. BGH ZIP 2001, 876 = EWiR 2001, 631 (Emde). Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 21. OLG Hamm BB 1965, 1047. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 24. OLG München NJW-RR 2002, 1034 (1035).

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1. Buch. Handelsstand

erst bedingt entstandenen Provisionsansprüche aufzunehmen (Rn 110) 414, um dem HV einen vollständigen Überblick über Stand, Stadium und Weg der Geschäfte zu geben, weshalb die Übermittlung von Abrechnungen den Buchauszug gleichfalls nicht substituieren kann. Es ist nicht Aufgabe des HV, sich aus einer Vielzahl ggf. ungeordnet übermittelter 115 Informationen die verwertbaren Fragmente herauszusuchen oder zu einem eigenen Buchauszug zusammenzustellen 415. Insbesondere braucht sich der HV nicht darauf verweisen zu lassen, die ihm übersandten Unterlagen selbst chronologisch zu ordnen und aufzubewahren, um sich daraus die für die Nachprüfung der Provisionsabrechnungen erforderlichen Informationen zusammenzusuchen 416. Vielmehr muss der Unternehmer den Buchauszug zusammenstellen und darf jene Aufgabe nicht dem HV überbürden 417. Dazu kann bei einem sehr erheblichen Umfang des zu erteilenden Buchauszuges eine rechnergestützte Zusammenstellung in Dateiform erforderlich sein 418. Um der Kontrollfunktion zu genügen ist vielfach die Übermittlung von Kopien der maßgeblichen Dokumente nötig 419. Bloße EDV-Listen oder Datensammlungen sind oft nicht kontrollfähig. Allerdings ist immer der Zweck des Anspruchs im Auge zu behalten: Es soll kontrolliert werden, ob und auf welche Weise provisioniert wurde. Nicht dagegen soll die gesamte Geschäftskorrespondenz übermittelt werden. Ggf. mag der HV ergänzende Dokumente nach Abs. 3 anfordern. Unter Umständen genügt die Übersendung von EDV-Listen, wenn sich das Maßgebliche aus ihnen ergibt. Entscheidend ist immer, ob das Gelieferte der Kontrollfunktion gerecht wird und die Verkehrskreise zur Kontrolle umfangreichere Informationen erwarten würden. Hinsichtlich der Darstellungsweise besteht ein Ermessensspielraum des Unternehmers, 116 soweit die geschäftlichen Vorgänge klar und übersichtlich dargestellt wurden. Der BGH 420 hat ausgeführt, es sei nicht gerechtfertigt, den Unternehmer auf eine bestimmte Form zu verpflichten und ihm die Freiheit zu nehmen, unter mehreren gleich geeigneten Darstellungsweisen die für ihn günstigere zu wählen. Einzelheiten: 117 – Bezirksvertreter: In den Buchauszug eines Bezirksvertreters sind alle provisionspflichtigen Geschäfte im Bezirk des HV aufzunehmen 421, also auch Direktgeschäfte des Unternehmers 422 oder anderer HV, wenn hierfür die Provision nicht ausgeschlossen wurde 423; – Inkassoprovision: Sie ist aufzunehmen; – Mehrstufiges Vertriebssystem: Im mehrstufigen Vertriebssystem gehört in den Buchauszug eines HV alles, was sich in den Büchern des Unternehmers über die von anderen HV, etwa echten Untervertretern, herbeigeführten Geschäfte befindet, soweit der den Buchauszug Fordernde erfolgsabhängige Vergütung für die Tätigkeit dieser anderen Vertreter erhält 424; 414

415 416 417 418 419

MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 39; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 7, 8b. OLG Düsseldorf MDR 2000, 167; Kukat DB 2002, 1646 (1648); Hopt § 87c Rn 14. BGH, Urt. v. 20.09.2006 – VIII ZR 100/05, BB 2006, 2492 (2493 Rn 19). Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 39. OLG Brandenburg NJW-RR 2002, 1401. AA möglicherweise Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 24; Schlegelberger/Schröder § 87c

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420 421 422 423 424

Rn 8b: Belege und Unterlagen seien nicht geschuldet. BGH NJW 2001, 2333 (2336) = EWiR 2001, 631 (Emde). Küstner/Thume I, Rn 1478, 1488; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 8. BGH ZIP 1996, 129 (131); Küstner/Thume I, Rn 1479; Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 40. Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 8b. BGHZ 56, 290; Emde MDR 1999, 1108 (1109 ff); Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 40.

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§ 87c

– Mobilfunkvermittler: Monatsabrechnungen und Listen mit Namen und Adressen der Kunden, für die Kartenverträge über Mobilfunkteilnehmerverhältnisse abgeschlossen worden sind, erfüllen nicht die Anforderungen an einen Buchauszug, sofern die notwendigen Angaben nicht in der erforderlichen Weise klar und übersichtlich dargestellt sind 425; – Versicherungsvertreter: Versicherungs- und Bausparvertreter dürfen einen Buchauszug fordern 426. Der Buchauszug muss alles enthalten, was für den Provisionsanspruch nach den §§ 92, 87, 87a von Bedeutung sein kann (Details Rn 120) 427. Sämtliche Versicherungs- und Bausparverträge, hinsichtlich derer eine Mitwirkung des HV bei Ihrem Abschluss oder ein Provisionsanspruch aus sonstigem Grund, zum Beispiel eine Superprovision des Hauptvertreters, in Betracht kommt, müssen im Auszug genannt werden 428. Ihr Schicksal ist mit allen für den Provisionsanspruch erheblichen Tatsachen bis zu dem Zeitpunkt zu dokumentieren, in welchem die für die Provision maßgebliche Prämie nach § 92 Abs. 4 gezahlt und der Provisionsanspruch endgültig und bedingungslos entstanden ist. Bei Nichtzahlung der Prämie muss die sich aus den Büchern ergebende Nachbearbeitung im Einzelnen vollständig wiedergegeben werden. Angaben zur provisionsunabhängigen Vergütung wie Verwaltungs- oder Bestandspflegeprovisionen braucht der Buchauszug nicht zu enthalten 429. Die regelmäßige Provisionsabrechnung ersetzt auch hier den Buchauszug nicht 430. Die Erteilung des Buchauszuges enthält keine Vorwegnahme der Entscheidung, ob das 118 in ihn aufgenommene Geschäft provisionspflichtig ist oder nicht. Bestehen Meinungsverschiedenheiten zwischen HV und Unternehmer, gehören die Angaben zu den im Streite stehenden Geschäften in den Auszug 431, ebenso bei nur möglicher Provisionspflicht 432, z.B. weil ein Geschäft bisher, wie die Übersendung der Durchschriften einschlägiger Buchungsunterlagen zeigt, als provisionspflichtig behandelt worden war 433. Ein Streit über die Provisionspflichtigkeit ist nicht im Buchauszugsverfahren auszutragen 434; insoweit ist abweichend von dem Grundsatz, dass bei Entfallen des Provisionsrechts kein Kontrollrecht gegeben ist, keine volle Aufklärung über die Existenz des Provisionsanspruchs als Hauptrecht erforderlich. Der Buchauszug soll dem HV seine eigene Beurteilung und Entschließung ermöglichen. Zweifelsfälle sind also aufzunehmen. Gegebenenfalls mag der Unternehmer einen Vorbehalt erklären 435. Denn anderenfalls könnte der HV die Behandlung durch den Unternehmer nicht kontrollieren, was aber gerade Sinn des Auszugs ist 436. Nur zweifelsfrei nicht provisionspflichtige Geschäfte brauchen nicht genannt zu werden 437. Enthalten sein müssen Angaben zu Geschäften, für die nach § 87a Abs. 2 die Provisionspflicht nachträglich wieder entfallen ist; denn die Feststellung, 425 426 427 428 429 430

431

OLG Brandenburg NJW-RR 2002, 1401. OLG Saarbrücken NJW-RR 2002, 391; Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 59. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 59. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 59. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 59. Seetzen WM 1985, 216; OLG Hamburg BB 1997, 1329 (1330); Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 59. OLG Köln VersR 2003, 1126; Küstner/ Thume I, Rn 1483, 1485; Ebenroth/Löwisch § 87c, Rn 40; Röhricht/Graf v. Westphalen/ Küstner § 87c Rn 20; Schlegelberger/ Schröder § 87c Rn 6, 8b.

432 433 434 435 436 437

OLG Düsseldorf DB 1971, 1857. OLG München BB 1964, 698. OLG Köln VersR 2003, 1126. Küstner/Thume I, Rn 1486. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 40. BGH WM 1989, 152 (153); OLG Koblenz, Urt. v. 26.04.2007 – 6 U 529/06, BeckRS 2007, 17218; OLG Bamberg, Urt. v. 16.05. 2003 – 6 U 62/02, NJW-RR 2004, 475 (476); OLG Köln VersR 2003, 1126; OLG München NJW-RR 2002, 1034 (1035); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 39.

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dass „der Dritte nicht leistet“, kann nicht einseitig vom Unternehmer durch Nichtaufnahme des Geschäfts in den Buchauszug getroffen werden. Ist eine Gruppe von Geschäften deshalb nicht in den Buchauszug überführt worden, weil der Unternehmer insoweit die Provisionspflicht bestreitet, so darf der HV einen Buchauszug über diese Gruppe verlangen und auf die Erteilung klagen 438. Der Unternehmer hat sogar über vertragswidrig abgeschlossene Geschäfte durch den Buchauszug Aufschluss zu geben, z.B. wenn er dem HV ein Alleinverkaufsrecht zugesagt, aber trotzdem in dessen Bezirk eigene Verkäufe abgeschlossen hat 439. Gerade auch für den möglichen Streitfall sind solche Aufschlüsse notwendig; ist z.B. in einem Agenturvertrag die Provisionspflicht auf die „regulären“ Geschäfte beschränkt, so muss der Buchauszug erkennen lassen, welche Geschäfte der Unternehmer als „irregulär“ angesehen hat. Insbesondere ist im Buchauszug jeweils in zeitlicher Reihenfolge 440 mitzuteilen 441, 119 wobei für jeden Geschäftsvorgang ist eine in sich geschlossene Darstellung erforderlich 442 ist: – Alle zur Ausführung gelangten provisionspflichtigen Geschäfte, gleichviel ob sie durch die Tätigkeit des HV zustande gekommen oder ohne solche Tätigkeit provisionspflichtig sind (z.B. Nachbestellungen, direkte Abschlüsse mit bezirksangehörigen Kunden eines Bezirksvertreters 443); – Genauer Name und präzise Anschrift des Kunden 444. Kundennummern allein dürfen nur verwandt werden, falls sie dem Vertreter bekannt sind 445. Provisionsrelevant ist die Adresse jedenfalls dann, wenn die Provisionspflicht davon abhängt, ob der Kunde seinen Sitz im Gebiet/Bezirk des HV hat. Fehlt es an der Provisionsrelevanz der Adresse wird sie meist zur genauen Identifizierung des Kunden mitgeteilt werden müssen; – Kundennummer (sofern vorhanden) 446; – Wesentlicher Inhalt des Kundenvertrages 447, insbesondere die nachstehenden Informationen; – Datum der Auftragserteilung 448/des Vertragsschlusses; – Umfang des erteilten Auftrages 449; – Datum der Auftragsbestätigung 450;

438 439 440 441 442 443 444

445

OLG Dresden OLGE 27, 326. RG JW 1917, 1566; vgl. auch RGZ 92, 201. Kukat DB 2002, 1646 (1647). Kukat DB 2002, 1646 (1647). Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 40. OLG Nürnberg BB 1966, 265. OLG Köln, Beschluss v. 09.02.2004 – 19 W 2/04, VersR 2004, 1414; OLG München NJW-RR 2002, 1034 (1035); OLG Düsseldorf MDR 2000, 167; OLG Hamm VersR 1999, 1492 = NJW-RR 1999, 1712; OLG Nürnberg BB 1999, 150 = EWiR 1998, 951 (v. Manteuffel/Evers); Küstner/Thume I, Rn 1481; Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 40; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 40; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 6 a, 7; aA Segger VersR 2004, 781 (782). OLG Düsseldorf MDR 1958, 42; Küstner/

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449 450

Thume I, Rn 1481; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 6a. OLG Hamm VersR 1999, 1492 = NJW-RR 1999, 1712. OLG München NJW-RR 2002, 1034 (1035); OLG Nürnberg BB 1999, 150 = EWiR 1998, 951 (v. Manteuffel/Evers); Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 40. OLG Hamm VersR 1999, 1492 = NJW-RR 1999, 1712; Küstner/Thume I, Rn 1481; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 20. OLG Hamm VersR 1999, 1492 = NJW-RR 1999, 1712; Küstner/Thume I, Rn 1481. Küstner/Thume I, Rn 1481; Ebenroth/ Löwisch § 87c Rn 40; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 20.

Raimond Emde

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

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§ 87c

Datum der Lieferungen 451 bzw. Teillieferungen; Art und Menge der Lieferungen 452 bzw. Teillieferungen; Nachbestellungen; Angabe zu schwebenden Geschäften 453: Hierbei handelt es sich i.S.v. § 87 erst bedingt provisionspflichtige Geschäfte. Sie sind in den Auszug aufzunehmen, selbst wenn das Ergebnis hinsichtlich der Provisionspflicht noch aussteht. Gerade insoweit können sich Streit und Zweifel ergeben, und es besteht für den HV ein Bedürfnis, für seine Prüfung und Beurteilung eine sachgemäße Unterlage zu erhalten. Es wäre unbillig, die Entscheidung darüber, ob diese Geschäfte als provisionspflichtig in den Buchauszug aufzunehmen sind, dem Unternehmer allein zu überlassen 454; Datum und Nummer der Rechnung 455 bzw. der Rechnungen bei Teillieferungen 456; Preis, Rechnungsbetrag (Netto/Brutto) 457; Gewährte Nachlässe, Skonti, Rabatte und Preisnachlässe 458; Datum der Zahlung 459 bzw. der Einzelzahlungen 460; Gründe der Nichtleistung des Kunden (§ 87a Abs. 2), da die Wertung, ob der Kunde i.S.d. § 87a Abs. 2 nicht leistet, nicht allein vom Unternehmer vorgenommen werden darf; Höhe der gezahlten Beträge 461/Einzelbeträge; Datum der vollständigen Abwicklung (u.a. wegen § 87 Abs. 3 sowie der Periodenzuordnung) 462; Auslieferungs-Fehlbetrag 463; Grund für den Fehlbetrag (wegen § 87a Abs. 3) 464; Provisionssatz 465 und gezahlte Provision;

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OLG Düsseldorf MDR 2000, 167; OLG Hamm VersR 1999, 1492 = NJW-RR 1999, 1712; OLG Nürnberg BB 1999, 150 = EWiR 1998, 951 (v. Manteuffel/Evers); Küstner/ Thume I, Rn 1481; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 40. OLG München NJW-RR 2002, 1034 (1035); OLG Hamm VersR 1999, 1492 = NJW-RR 1999, 1712; Küstner/Thume I, Rn 1481; Hopt § 87c Rn 15; Röhricht/ Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 20; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 40. BGH, Urt. v. 20.09.2006 – VIII ZR 100/05, BB 2006, 2492 (2493 Rn 18); OLG München DB 1964, 698. Düringer/Hachenburg § 91, 2; SchmidtRimpler S. 171; Apt Gutachten der Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin N. S. I 64. OLG Hamm VersR 1999, 1492 = NJW-RR 1999, 1712; OLG Köln, NJW-RR 1999, 833; Küstner/Thume I, Rn 1481; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 20. OLG Hamm VersR 1999, 1492 = NJW-RR 1999, 1712; Küstner/Thume I, Rn 1481;

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Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 40; Röhricht/ Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 20. OLG München NJW-RR 2002, 1034 (1035); OLG Hamm VersR 1999, 1492 = NJW-RR 1999, 1712; Küstner/Thume I, Rn 1481; Röhricht/Graf v. Westphalen/ Küstner § 87c Rn 20; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 40; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 6a. Küstner/Thume I, Rn 1481; Ebenroth/ Löwisch § 87c Rn 40. OLG Hamm VersR 1999, 1492 = NJW-RR 1999, 1712; OLG Nürnberg BB 1999, 150 = EWiR 1998, 951 (v. Manteuffel/Evers); Küstner/Thume I, Rn 1481. Küstner/Thume I, Rn 1481. OLG Hamm VersR 1999, 1492 = NJW-RR 1999, 1712; Küstner/Thume I, Rn 1481. Küstner/Thume I, Rn 1481. Küstner/Thume I, Rn 1481. Küstner/Thume I, Rn 1481. Küstner/Thume I, Rn 1481 (aA Rn 1487); BGH DB 2001, 1409; OLG Nürnberg BB 1999, 150 = EWiR 1998, 951 (v. Manteuffel/ Evers) und OLG Celle BB 1962, 1017 haben

Raimond Emde

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§ 87c

1. Buch. Handelsstand

– Nichtausführung von Geschäften 466 (wegen § 87a Abs. 3) sowie Angabe der Gründe für die Nichtausführung vermittelter Verträge 467; – Stornierungen/Retouren 468. Dabei sind die Gründe anzugeben, auf denen sie beruhen, da die auf unzulänglicher Belieferung des Dritten durch den Unternehmer beruhenden Retouren die Provisionspflicht nicht beeinflussen (§ 87a Abs. 3). Ggf. sind Dokumente, Kundenschreiben oder sonstigen Belege zu den Gründen beizufügen 469; – Korrekturen, nachträgliche Gutschriften unter Bezeichnung des zuzuordnenden Geschäfts und Angabe der Gründe; – Angaben über vertragswidrig geschlossene Verträge, etwa verbotswidrig geschlossene Direktgeschäfte 470 oder schwebende Geschäfte 471, insbesondere auch über solche Geschäfte, für welche nach § 87a erst ein bedingter Anspruch entstanden ist; – Angaben zu den für eine Schwestergesellschaft des Unternehmers vermittelten Verträgen 472; – Angaben zu Vertragsänderungen 473; – entstandene Versandkosten und die in den Rechnungen an die Kunden belasteten Versandkostenbeträge 474; – Rahmenverträge: Angaben zum Inhalt von Rahmenverträgen, aus denen zukünftige Lieferungen folgen können 475. 120 Der einem Versicherungsvertreter zu erteilende Buchauszug muss folgende Angaben enthalten 476: – Name und Anschrift des Versicherungsnehmers477. Die Anschrift kann bei Versicherungsvertreterverträgen provisionsirrelevant sein. Dann kann ihre Übermittlung allenfalls unter dem Gesichtspunkt der Kontrollfähigkeit geschuldet sein;

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ausgeführt, die gezahlte Provision sei nicht mitzuteilen, weil die Vertragsbestimmungen und der Provisionssatz dem Vertreter bekannt seien. Das ist zu kurz gedacht. Entscheidend ist, dass der Vertreter wissen muss, wie der Unternehmer das jeweilige Einzelgeschäft verprovisioniert hat, nämlich zutreffend oder nicht. Das ist insbesondere bei wechselnden oder gestaffelten Provisionssätzen wichtig. OLG Köln, Beschl. v. 03.03.2004 – 19 W 10/04, VersR 2004, 1457; OLG Düsseldorf MDR 2000, 167; MDR 1958, 42; OLG Köln NJW-RR 1999, 833; OLG Hamm BB 1965, 1047; Hopt § 87c Rn 15; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 7. OLG Köln NJW-RR 1999, 833; OLG Hamm BB 1965, 1047; OLG Düsseldorf MDR 1958, 42; Hopt § 87c Rn 15; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 20; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 7. OLG Köln, Beschl. v. 03.03.2004 – 19 W 10/04, VersR 2004, 1457; OLG Düsseldorf MDR 2000, 167; OLG Hamburg MDR 1955, 43; Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 40;

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MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 40. BGH, Urt. v. 20.09.2006 – VIII ZR 100/05, BB 2006, 2492 (2493 Rn 18); OLG München NJW-RR 2002, 1034 (1035); OLG Nürnberg BB 1999, 150 = EWiR 1998, 951 (v. Manteuffel/Evers). RG JW 1917, 156. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 40. BGH ZIP 2001, 876 = EWiR 2001, 631 (Emde); zweifelhaft. OLG München, Urt. v. 01.07.2003, VersR 2004, 470 (471). OLG Köln, Beschl. v. 03.03.2004 – 19 W 10/04, VersR 2004, 1457. OLG Koblenz, Urt. v. 26.04.2007 – 6 U 529/06, BeckRS 2007, 17218. BGH ZIP 2001, 876 = EWiR 2001, 631 (Emde); OLG Saarbrücken NJW-RR 2002, 391; Kukat DB 2002, 1646 (1647). BGH ZIP 2001, 876 = EWiR 2001, 631 (Emde); OLG Köln, Beschl. v. 09.02.2004 – 19 W 2/04, VersR 2004, 1414; OLG Saarbrücken NJW-RR 2002, 391; Küstner/ Thume I, Rn 1482.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 87c

– Datum des Antrages 478; – Datum der Vertragsannahme 479; – Art 480, Inhalt und Umfang 481 des Versicherungsvertrages (Sparte 482, Tarif 483, prämien- oder provisionsrelevante Sondervereinbarungen 484); – Ursächlichkeit des HV für das Zustandekommen des Vertrages nach Auffassung des Unternehmers 485; – zur Versicherungspolice 486; – Erklärung, ob es sich um ein Neu- oder Folgegeschäft handelt 487; – Zweck des Folgegeschäfts 488; – Beitragshöhe (ggf. Jahresprämie) 489 und Zahlungsweise 490; – Datum des Versicherungsbeginns 491; – Versicherungsscheinnummer 492; – Bei Lebensversicherungsverträgen: Versicherungssumme, Eintrittsalter des Versicherungsnehmers, Laufzeit des Vertrages 493; bei Dynamisierung zusätzlich: Erhöhung der Versicherungssumme 494, Zeitpunkt der Erhöhung und Erhöhung der Jahresprämie; – im Stornofall: Stornierungen 495, Datum der Stornierung 496, Stornogrund 497, Bestandserhaltungsmaßnahmen des Versicherers 498, sonstige die Stornierung betreffende Korrespondenz 499, Höhe der entgangenen Versicherungsprämie 500; 478 479

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OLG Saarbrücken NJW-RR 2002, 391; Küstner/Thume I, Rn 1482. OLG Saarbrücken NJW-RR 2002, 391; OLG Hamm VersR 1998, 1415; Küstner/ Thume I, Rn 1482. OLG Köln, Beschl. v. 09.02.2004 – 19 W 2/04, VersR 2004, 1414; OLG Hamm VersR 1998, 1415. OLG Hamm VersR 1998, 1415. OLG Köln, Beschl. v. 09.02.2004 – 19 W 2/04, VersR 2004, 1414. OLG Köln, Beschl. v. 09.02.2004 – 19 W 2/04, VersR 2004, 1414; OLG Saarbrücken NJW-RR 2002, 391; Küstner/Thume I, Rn 1482; OLG Hamm VersR 1998, 1415. BGH ZIP 2001, 876 = EWiR 2001, 631 (Emde); OLG Köln, Beschl. v. 09.02.2004 – 19 W 2/04, VersR 2004, 1414. Küstner/Thume I, Rn 1482. OLG Hamm VersR 1998, 1415. OLG Saarbrücken NJW-RR 2002, 391; OLG Hamm VersR 1998, 1415; Küstner/ Thume I, Rn 1482. Küstner/Thume I, Rn 1482. BGH ZIP 2001, 876 = EWiR 2001, 631 (Emde); OLG Köln, Beschluss v. 09.02.2004 – 19 W 2/04, VersR 2004, 1414; OLG Hamm VersR 1998, 1415; Küstner/Thume I, Rn 1482. OLG Saarbrücken NJW-RR 2002, 391; Küstner/Thume I, Rn 1482. BGH ZIP 2001, 876 = EWiR 2001, 631 (Emde); OLG Köln, Beschluss v. 09.02.2004

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– 19 W 2/04, VersR 2004, 1414; OLG Saarbrücken NJW-RR 2002, 391; OLG Hamm VersR 1998, 1415; Behrend NJW 2003, 1563 (1564); Küstner/Thume I, Rn 1482. BGH ZIP 2001, 876 = EWiR 2001, 631 (Emde); OLG Köln, Beschluss v. 09.02.2004 – 19 W 2/04, VersR 2004, 1414; OLG Saarbrücken NJW-RR 2002, 391; Behrend NJW 2003, 1563 (1564); Küstner/Thume I, Rn 1482. BGH ZIP 2001, 876 = EWiR 2001, 631 (Emde). OLG München, Urt. v. 01.07.2003, VersR 2004, 470 (471). OLG Köln, Beschluss v. 09.02.2004 – 19 W 2/04, VersR 2004, 1414; OLG Frankfurt/Main, Urt. v. 01.07.2003 – 5 U 229/99, VersR 2004, 781; OLG München, Urt. v. 01.07.2003, VersR 2004, 470 (471). BGH ZIP 2001, 876 = EWiR 2001, 631 (Emde); Küstner/Thume I, Rn 1482. BGH, Urt. v. 20.09.2006 – VIII ZR 100/05, BB 2006, 2492 (2493 Rn 18); BGH ZIP 2001, 876 = EWiR 2001, 631 (Emde); OLG Hamm VersR 1998 (1415); Behrend NJW 2003, 1563 (1564); Küstner/Thume I, Rn 1482. BGH ZIP 2001, 876 = EWiR 2001, 631 (Emde); Behrend NJW 2003, 1563 (1564); Küstner/Thume I, Rn 1482. OLG Saarbrücken NJW-RR 2002, 391. OLG Hamm VersR 1998, 1415.

Raimond Emde

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§ 87c

1. Buch. Handelsstand

Höhe der geleisteten Beitragszahlung 501; Höhe und Fälligkeit offener Beitragszahlungen 502; Angaben zum Stand und zur Entwicklung eines Stornoreservekontos 503; Datum der Stornierung, deren Grund sowie die vom Unternehmer ergriffenen Bestandserhaltungsmaßnahmen 504, um feststellen zu können, ob ein Vertretenmüssen des Unternehmers, mithin ein Provisionsanspruch gem. § 87a Abs. 3, in Betracht kommt. Allerdings dürften die Bestandserhaltungsmaßnahmen schlagwortartig verkürzt werden 505; – Angaben zur Bestandspflegeprovision. Sie stellt zwar eine Verwaltungsprovision und keine gemäß §§ 92 Abs. 3, 87 Abs. 1 S. 1 beim Versicherungsvertreter vom Gesetz allein vorgesehene Tätigkeitsprovision dar. Obwohl im Buchauszug nur Geschäfte zu nennen sind, für die dem Vertreter nach § 87 Provision gebühren, zählen wegen des weiten Verständnisses des Provisionsbegriffes im Rahmen des § 87c (Rn 75 f) auch Informationen über Verwaltungsprovisionen zu den geschuldeten, zumal sich beide Provisionsarten im Falle der Zahlung als Einheitsprovision kaum separieren lassen. Das Buchauszugsrecht wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Versicherungsver121 treter nach §§ 92 Abs. 3, 87 Abs. 1 S. 1 allein Tätigkeitsprovision und – anders als der Warenvertreter – keine Bezirks- oder Folgeprovision erhält. Denn gemäß § 92 Abs. 2 gilt § 87c Abs. 2 auch für den Versicherungsvertreter uneingeschränkt. Selbst beim Warenvertreter ist zudem der Auszug nicht auf Informationen zu Bezirks- oder Folgeprovisionen beschränkt. Nicht in einem Buchauszug gefordert werden können Informationen über: 122 – Tatsachen, die allein dem Vertragsverhältnis zwischen Unternehmer und HV entspringen, also als Vertragsregelungen oder aus anderen Gründen bekannt sind. Denn in einen Buchauszug sind nur diejenigen Umstände aufzunehmen, welche die vermittelten Verträge (Wortlaut des § 87 Abs. 3: „über alle Geschäfte“), also die Geschäftsbeziehung zwischen Unternehmer und seinen Kunden betreffen 506. Die möglicherweise gegensätzliche Ansicht des BGH aus NJW-RR 1989, 738 hat der BGH in NJW 2001, 2334 ausdrücklich aufgegeben; – Provisionssatz und -betrag, weil sie angeblich der Abrechnung i.S.d. § 87c Abs. 1 oder dem Vertrag entnommen werden können 507. Dem darf aber entgegengehalten werden, dass der HV Interesse daran hat, zu wissen, ob der Unternehmer den korrekten Provisionssatz angesetzt hat und die Abrechnung den Buchauszug nicht substituiert; – Kundenzahlungen (zwh.) 508; – Daten der Stornogefahrmitteilungen und Stornomitteilungen, welche dem Mittler bekannt 509 und zudem provisionsirrelevant sind 510. Das OLG München begründet – – – –

501 502 503 504 505 506

Küstner/Thume I, Rn 1482. OLG Saarbrücken NJW-RR 2002, 391; Küstner/Thume I, Rn 1482. OLG Hamm VersR 1998, 1415; Ebenroth/ Löwisch § 87c Rn 40. BGH, Urt. v. 20.09.2006 – VIII ZR 100/05, BB 2006, 2492 (2493 Rn 18). BGH ZIP 2001, 876 = EWiR 2001, 631 (Emde). OLG München, Urt. v. 01.07.2003 – 23 U 1637/03, VersR 2004, 470 (471) im Anschluss an BGH, VersR 2001, 760 (763).

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507

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510

BGH ZIP 2001, 876 = EWiR 2001, 631 (Emde); OLG Hamm, Urt. v. 14.05.2003 – 35 U 36/02, VersR 2004, 1603; OLG Nürnberg, BB 1999, 150 = EWiR 1998, 951 (v. Manteuffel/Evers). OLG Nürnberg BB 1999, 150 = EWiR 1998, 951 (v. Manteuffel/Evers). BGH ZIP 2001, 876 = EWiR 2001, 631 (Emde); OLG Frankfurt/Main, Urt. v. 01.07.2003 – 5 U 229/99, VersR 2004, 781. OLG Saarbrücken NJW-RR 2002, 391.

Raimond Emde

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

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– –





§ 87c

dieses Ergebnis mit der Erwägung, sie beträfen nicht die Ausführung des vermittelten Geschäfts durch das Unternehmen, sondern erfolgten im Innenverhältnis zwischen dem Versicherungsunternehmen und dem Versicherungsvertreter, um diesem zu ermöglichen, selbst Maßnahmen zur Erhaltung des Vertrages zu ergreifen 511; Die Übersendung von Storno- und Informationsmitteilungen, weil insoweit eine schlagwortartige Beschreibung genügt 512; Daten der Provisionsabrechnung und ihre Übermittlung 513; Daten der Versicherungsanträge, wenn nicht strittig ist, ob die Tätigkeit des HV für den Vertragsschluss ursächlich geworden ist 514; Vereinbarte Stornohaftzeiten, soweit sie sich aus dem Vertrag ergeben 515; Das Datum der Kenntnisnahme von Provisionsrückbelastungen 516; Den Zeitpunkt des Zugangs der Police bei dem VN, weil diese Tatsache den Büchern des Unternehmers nicht entnommen werden kann 517; Unzweifelhaft Bedeutungsloses für einen Zahlungsanspruch des HV 518; Nicht zustande gekommene Geschäfte 519; Provisionsirrelevante Direktgeschäfte, die ohne Vermittlung des HV geschlossen wurden, es sei denn, der HV ist Bezirksvertreter oder es handelt sich um provisionspflichtige Folgegeschäfte 520; Geschäfte die aufgrund besonderer Vereinbarung eindeutig nicht provisionspflichtig sind 521; In den Büchern des Unternehmers nicht Genanntes 522. Eine erteilte Fehlanzeige ist durch Bucheinsicht 523, Auskunftsrecht 524 und Eidesstattliche Versicherung prüfbar. Ergibt die Einsicht die Existenz von Informationen, für welche der Unternehmer eine Fehlanzeige meldete, kann ein versuchter Betrug vorliegen; Geschäfte mit einem Kunden, der seinen Sitz aus dem Bezirk des HV verlegte. Denn Auskünfte dürfen nur hinsichtlich provisionsrelevanter Umstände verlangt werden. Für Geschäfte außerhalb seines Bezirkes ist der HV aber nicht berechtigt, Provision zu berechnen 525; Die Person des Versicherungsvertreters, wenn sich der Buchauszug nur auf dessen Person bezieht 526;

511 512 513 514 515 516 517 518 519 520

OLG München, Urt. v. 01.07.2004 – 23 U 1637/03, VersR 2004, 470 (471). OLG Köln, Beschluss v. 09.02.2004 – 19 W 2/04, VersR 2004, 1415. OLG Saarbrücken NJW-RR 2002, 391. OLG Köln, Beschluss v. 09.02.2004 – 19 W 2/04, VersR 2004, 1415. OLG Hamm VersR 1998, 1415. OLG Saarbrücken NJW-RR 2002, 391. OLG Saarbrücken NJW-RR 2002, 391. Küstner/Thume I, Rn 1486; Ebenroth/ Löwisch § 87c Rn 41. Kukat DB 2002, 1646; Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 41. Küstner/Thume I, Rn 1484.

521 522

523

524

525 526

Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 8a. OLG Celle NJW 1962, 1968; Küstner/ Thume I, Rn 1487; Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 41; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 87c Rn 41. Finke WM 1969, 1122 (1127); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 41; aA Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 19. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 41; so aber Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 19. OLG Nürnberg BB 2001, 1169. OLG Köln, Beschluss v. 09.02.2004 – 19 W 2/04, VersR 2004, 1415.

Raimond Emde

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§ 87c

1. Buch. Handelsstand

– Eindeutig nicht provisionspflichtige Geschäfte. Allein die theoretische Möglichkeit einer Meinungsverschiedenheit reicht nicht, damit Geschäfte in den Buchauszug angeführt werden müssen 527.

123

3. Begriff der Bücher. In dem Buchauszug muss nur das erscheinen, was sich aus den Büchern des Unternehmers ergibt. Was sich aus den Büchern nicht ergibt, kann zwar nicht im Buchauszug genannt werden; es muss gegebenenfalls durch ergänzenden Auskunftsanspruch (Abs. 3) sowie dem Recht auf eidesstattliche Versicherung abgedeckt werden. Was „Bücher“ sind, definiert weder § 87c Abs. 2 noch § 87c Abs. 4. Geschäftsbücher sind nicht nur die klassischen Handelsbücher, sondern alle Medien, in denen der Unternehmer Informationen zum Vertragsverhältnis und den geschäftlichen Vorgängen sammelt, etwa EDV 528, Geschäftspapiere 529 oder Mikrofilme 530. Es kann sich nicht auf eine knappe Bezeichnung der Geschäftsvorfälle oder auf diejenigen Tatsachen beschränkt werden, welche ein Kaufmann nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung in den Handelsbüchern i.S.d. §§ 238 Abs. 1 und 257 Abs. 1 Nr. 1 niederzulegen hat 531. Auch ein bloßer Auszug aus den Kontokorrentbüchern genügt insoweit nicht 532. Der Inhalt des Auszuges ist vielmehr aus allen vom Unternehmer aufbewahrten schriftlichen Zeugnissen über die vermittelten Geschäfte zusammenzustellen 533. Dem steht § 87c Abs. 3 nicht entgegen. Zwar kann der HV nach dieser Vorschrift über den Auszug hinaus Auskünfte fordern. Dies lässt jedoch keinesfalls den Schluss zu, der Auszug brauche die in § 87 Abs. 3 genannten Angaben (also theoretisch alles) nicht zu enthalten. Das Auskunfts- ergänzt das Buchauszugsrecht, wenn Fragen verbleiben. Der Auskunftsanspruch erstreckt sich also insbesondere auf solche Umstände, die sich nicht aus den schriftlichen Unterlagen des Unternehmers ergeben und aus diesem Grund nicht Gegenstand des Buchauszuges werden könnten 534. Der Unternehmer muss sich regelmäßig nicht bei Dritten erkundigen, um die in den Auszug einzufügenden Informationen zu erhalten 535. Der BGH hat allerdings gefordert, auch Angaben zu den für eine Schwestergesellschaft des Unternehmers vermittelten Verträgen gehörten in den Auszug 536. Das ist wenig überzeugend und war im entschiedenen Fall wohl nur mit Durchgriffserwägungen aus § 242 BGB zu begründen. Kann der Unternehmer keinen Buchauszug erteilen, weil sich in seinen Büchern keine Informationen befinden oder er – pflichtwidrig – keine Bücher geführt hat, muss er dies dem HV mitteilen („sog. „Fehlanzeige“ 537, Rn 50). Sie ist begründet, wenn sich in den Büchern und sonstigen Unterlagen des Unternehmers keine Tatsachen finden, welche für einen Zahlungsanspruch des HV von Bedeutung sein können 538. Über den Einwand der Unmöglichkeit, den Buchauszug herzustellen – weil z.B. die Bücher verbrannt sind – siehe RGZ 8 337. Der HV ist, falls sich die Unterlagen für die Aufstellung nicht etwa aus Schriftwechsel und Anfragen bei Kunden gewinnen lassen, zudem auf den Interesseanspruch nach § 893 ZPO verwiesen.

527 528 529 530 531 532 533

OLG Köln, Beschluss v. 03.03.2004 – 19 W 10/04, VersR 2004, 1457. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 12. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 39. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 12. BGH ZIP 2001, 876 = EWiR 2001, 631 (Emde). OLG Hamm BB 1965, 1047. BGH ZIP 2001, 876 = EWiR 2001, 631 (Emde).

690

534 535 536 537 538

BGH ZIP 2001, 876 = EWiR 2001, 631 (Emde). OLG Hamburg OLGR 2002, 302. BGH ZIP 2001, 876 = EWiR 2001, 631 (Emde). Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 19. Seetzen WM 1985, 215; Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 19.

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§ 87c

4. Form. Der Buchauszug muss zumindest in Textform erteilt werden 539. Eine münd- 124 liche Mitteilung reicht nicht 540. Ein als Datei versandter Auszug kann bei hinreichender Transparenz genügend sein, wenn der HV ihn auswerten kann. Dabei wird man – noch – auf die konkret bestehenden Möglichkeiten des HV abstellen müssen, nicht auf die Üblichkeit bestimmter Hard- und Software. 5. Rechtsschutzinteresse. Problematisch ist es zu sagen, die Buchauszugsforderung 125 setze keine Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Provisionsabrechnung voraus 541. Richtig ist zwar, dass der HV regelmäßig keine Begründung für die Einforderung zu geben braucht 542. Abzulehnen ist mithin die Ansicht des AG Frankfurt am Main 543, dem Antrag auf Erteilung eines Buchauszuges fehle das Rechtsschutzbedürfnis, falls dem HV die Bezifferung des Provisionsanspruchs möglich sei und er Leistungsklage erheben könne. Denn ob richtig beziffert werden kann soll der Auszug aufzeigen. Die Auszugsforderung setzt aber ein Informationsinteresse des HV bzw. Provisionsrelevanz des Informationswunsches voraus. Beides wird im Normalfall vermutet. Es kann aber fehlen: So soll einem Tankstellen-HV kein Buchauszug über jedes Einzelgeschäft zustehen 544, da er sämtliche Daten über die an der Tankstelle selbst geschlossenen Geschäfte zusammengefasst selbst erheben kann und entsprechende Ausdrucke besitze 545. Da das Informationsinteresse vermutet wird, ist der Unternehmer für das Fehlen des Informationsinteresses beweispflichtig. Gibt es Indizien für einen Mangel des Informationsinteresses, hat es der HV darzulegen; den Beweis für das Fehlen trotz subtantiierter Darlegung trägt gleichwohl der Unternehmer. 6. Fälligkeit und Anspruchsdauer a) Fälligkeit. Der HV „kann einen Buchauszug verlangen“: Der Buchauszug wird als 126 „verhaltener“ Anspruch unverzüglich 546 und auch nur dann fällig, sobald der HV ihn einfordert 547, die Möglichkeit von Provisionsansprüchen besteht und eine Abrechnung erteilt 548 oder unbegründet verweigert wurde 549. Ohne das „Verlangen“ tritt keine Fälligkeit ein. Es wird vertreten, ein Anspruch auf den Auszug fehle, solange der Unternehmer nicht abgerechnet habe 550. Der Buchauszug solle dem HV nur die Kontrolle ermöglichen, ob die Abrechnung seiner Ansprüche zutreffend erfolgt sei 551. Ob der HV zunächst eine Abrechnung fordern muss, um sein Buchauszugsrecht auszuüben, ist 539 540 541

542 543 544

Schriftlich: Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 6a. Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 6a. So BGH WM 1982, 152 (153); OLG Brandenburg NJW-RR 2002, 1401; Hopt § 87c Rn 17; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 18; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 42; aA wohl (Streit Voraussetzung): LG Düsseldorf, Urt. v. 13.12.2005 – 35 O 21/05, BeckRS 2007, 15608. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 42. Urt. v. 28.04.2006 – 31 C 131/06-16, BeckLSK 2007, 240024. OLG München, Urt. v. 19.01.2006 – 23 U 3885/05, NJOZ 2007, 1481; LG Düsseldorf,

545 546 547 548

549 550 551

Urt. v. 13.12.2005 – 35 O 21/05, BeckRS 2007, 15608. LG Düsseldorf, Urt. v. 13.12.2005 – 35 O 21/05, BeckRS 2007, 15608. Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 6b. Hopt § 87c Rn 17; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 6. KG VersR 2002, 1554; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 43; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 9. Seetzen WM 1985, 213 (214); Kukat DB 2002, 1646. Hopt § 87c Rn 18; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 43. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 43.

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jedoch nicht sicher. Zumindest wenn über einen längeren Zeitraum keine Abrechnung erteilt wurde steht dies ihrer unbegründeten Verweigerung gleich. Der HV darf dann sofort sein Auszugsrecht einfordern und muss das Abrechnungsrecht nicht durchsetzen. Die anderslautende Ansicht könnte dazu führen, dass das Auszugsrecht verjährt wäre, ehe das Abrechnungsrecht durchgesetzt ist. Selbst wenn das Abrechnungsrecht als ein mit seperater Verjährungsfrist versehenes Kontrollrecht verjährt wäre, kann der Auszug gefordert werden, sofern dieses Recht unverjährt besteht. Eine bestimmte Frist zur Erteilung des Buchauszuges nach der Aufforderung wurde nicht geregelt. Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalls 552. Das LG Hannover 553 hat eine Frist von 1 1/2 Monaten nach den konkreten Umständen des Falles für angemessen gehalten. Das außerprozessuale Verlangen auf Erteilung des Buchauszugs verknüpft der Wort127 laut des Gesetzes irreführend mit dem Zeitpunkt der Abrechnung. Der Buchauszug ist – entgegen der unglücklichen Wortwahl des Gesetzes – nicht nur „bei“ der Abrechnung fällig, sondern nach Aufforderung und Erteilung/Verweigerung einer geschuldeten Abrechnung zu jedem unverjährten oder anderem Zeitpunkt, zu welchem sich die Parteien noch nicht bindend über die Zahlungsansprüche geeinigt haben 554. Der Buchauszug kann mithin auch später noch solange verlangt werden, als nicht eine abschließende Einigung über die Richtigkeit der erteilten Abrechnungen erzielt wurde 555. Das Wort „bei“ enthält also keine Beschränkung des Anspruchs auf den Zeitpunkt der geschuldeten Abrechnung 556; ihm ist lediglich zu entnehmen, dass der Auszug „zum Zwecke der Kontrolle der Abrechnung“ gefordert werden darf 557 und er – außer im Fall verweigerter Abrechnung – erst in Ergänzung und zur Nachprüfung der Abrechnung verlangt werden darf 558, d.h. sobald eine Abrechnungspflicht entstanden ist 559. Das Gesetz nennt also nur den frühesten Zeitpunkt der Forderung 560. Der HV darf den Buchauszug bei jeder Abrechnung beanspruchen. Der spätere Auszug muss den vorangegangenen in verständlicher Form fortschreiben 561. Meist wird der Auszug erst nach Vertragsende gefordert (zur Druckfunktion s.o.). b) Anspruchsdauer

128

aa) Allgemeines. Das Auszugsrecht besteht vom Zeitpunkt der erhaltenen oder der geschuldeten Abrechnung über das Ende des Vertretervertrages hinaus 562 solange, bis der Buchauszugsanspruch oder – wegen der Einordnung als Hilfsrecht (Rn 26) – die zugrundeliegenden Hauptansprüche durch Erfüllung erlöschen, verjähren 563, verwirken 564 oder infolge verbindlicher Einigung der Parteien über sämtliche durch den Auszug kontrollfähigen Zahlungsansprüche und/oder deren Abrechnung gegenstandslos werden

552

553

554 555 556

LG Hannover, Urt. v 26.01.2004 – 21 O 152/03, r+s 2004, 351; bestätigt durch OLG Celle, Beschl. v. 11.06.2004; siehe r+s 2004, 349. LG Hannover, Urt. v 26.01.2004 – 21 O 152/03, r+s 2004, 351; bestätigt durch OLG Celle, Beschl. v. 11.06.2004; siehe r+s 2004, 349. Küstner/Thume I, Rn 1470; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 44. BGH LM § 87c HGB Nr. 3; DB 1982, 376. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 42; Hopt § 87c Rn 18; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 6a.

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557 558

559 560 561 562 563 564

OLG Hamm NJW 1959, 51; OLG Nürnberg VersR 1959, 801. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 42; aA Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 18 (bereits vor Abrechnung). Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 6. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 44. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 42. Küstner/Thume I, Rn 1493. Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 11b. Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 11b.

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(Rn 32) 565. Die Beweislast für die Erfüllung trägt der Unternehmer; bei Zweifeln bleibt das Auszugsrecht bestehen 566. Darf der Unternehmer dem gerichtlich geltend gemachten Auszugsverlangen deshalb entgegnen, sämtliche Zahlungsansprüche seien entfallen und hierfür Beweis durch einen vom Sachverständigen anzufertigenden Buchauszug anbieten? Dies hätte für ihn den Vorteil, dass die Kosten des Buchauszuges dann bei Richtigkeit der Behauptung durch den HV zu tragen wären (§ 91 ZPO), während die Kosten des Auszuges nach materiellem Recht dem Unternehmer zufallen. Dieses Vorgehen dürfte wohl an § 87c Abs. 5 scheitern, zumal bei Zweifeln das Auszugsrecht bestehen bleibt. Zudem müsste der Unternehmer die Behauptung subtantiiert vortragen, was zumindest Vortrag in Abrechnungsqualität voraussetzt. bb) Erfüllung. Ist das Buchauszugsrecht erfüllt (§ 362 BGB) kann es nicht mehr gel- 129 tend gemacht werden (Rn 30) 567. Die Erfüllung ist vom Unternehmer darzulegen und zu beweisen 568, sofern der HV den Buchauszug nicht als Erfüllung angenommen hat (§ 363 BGB). Das gilt auch bei der Frage, ob ein titulierter Buchauszugsanspruch erfüllt wurde 569. Die Mitteilungspflichten des § 86a Abs. 2 erfüllen die Buchauszugsforderung nicht. Es lässt sich auch nicht konstatieren, dass der Buchauszug durch die Erweiterungen der in § 86a Abs. 2 niedergelegten Pflichten mittels der Novelle 1990 an Bedeutung verloren hätte 570. Der Anspruch auf den Buchauszug kann vorauserfüllt werden, so dass einem weiteren Buchauszugsverlangen der Erfüllungseinwand (§ 362 BGB) entgegensteht 571. Zur Vorauserfüllung reicht jedoch die bloße Übersendung üblicher Abrechnungen nicht aus, weil der Buchauszug gerade der Kontrolle der Abrechnungen dienen soll 572. Vielmehr ist erforderlich, dass sich die erteilten Abrechnungen lückenlos über den gesamten Vertragszeitraum erstrecken und sie entweder zusätzlich alle in einen Buchauszug aufzunehmenden Informationen enthalten oder der Unternehmer mit ihrer Überlassung sämtliche Informationen gibt, die einen ordnungsgemäßen Auszug kennzeichnen 573. Mit anderen Worten: Der Unternehmer muss mit der Provisionsabrechnung oder zu einem anderen Zeitpunkt alle Daten mitteilen, die Inhalt eines Buchauszuges sind 574. Die jeweils monatlich in dieser Art vom Unternehmer angefertigten und dem HV überlassenen „Buchauszüge“ stellen dann in ihrer Gesamtheit den vollständigen Buchauszug über die gesamte Laufzeit eines HV-Vertrages dar, sofern die Transparenz insbesondere nach Übersichtlichkeit und Verständlichkeit gewahrt bleibt und zusammengehörige Geschäftsvorfälle nicht auseinandergerissen werden 575. Auf mehrere Belege oder Schreiben verteilte 565

566 567 568

569

OLG München, Urt. v. 01.07.2003, VersR 2004, 470 (471); Küstner/Thume I, Rn 1471; Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 42; Röhricht/ Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 18; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 11b. Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 11b. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 48. BGH, Beschluss v. 26.04.2007 – I ZB 82/06, VersR 2007, 1081 (1083); BGHZ 161, 67 (72); OLG Köln, NJW-RR 1999, 833; Kannowski/Distler NJW 2005, 865 (868); aA Schuschke InVo 2005, 396 (397). BGH, Beschluss v. 26.04.2007 – I ZB 82/06, VersR 2007, 1081 (1083); BGHZ 161, 67 (72); Kannowski/Distler NJW 2005, 865, 868; aA Schuschke, InVo 2005, 396 (397).

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574 575

Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86a Rn 13. BGH ZIP 2001, 876 = EWiR 2001, 631 (Emde); Röhricht/Graf v. Westphalen/ Küstner § 87c Rn 21. OLG Hamm VersR 1999, 1492 = NJW-RR 1999, 1712. BGH ZIP 2001, 876 = EWiR 2001, 631 (Emde); OLG München, Urt. v. 01.07.2004 – 23 U 1637/03, VersR 2004, 470 (471); NJW-RR 2002, 1034; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 48; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 6a. BGH DB 1982, 376 = WM 1982, 152 (153); OLG Saarbrücken NJW-RR 2002, 391. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 39.

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Angaben dürften jedoch nur ausreichen, wenn sie sich ohne übermäßigen Aufwand zu einem aussagekräftigen Gesamtwerk zusammenfügen lassen 576. Die Übersendung von Abrechnungen mit Tippstreifen und Endziffernaddition reicht nicht 577, ebenso wenig Provisionsabrechnungen, die lediglich eine Versicherungsnummer, den Namen des Kunden, die Belegnummer, die Buchungsart, die Berechnungszeit, das Buchungsdatum, die Höhe der Provision sowie eine Unterteilung der einzelnen Buchungsarten ohne Angabe der Stornierungen, insbesondere der Mitteilung der Stornogrundes und der ergriffenen Erhaltungsmaßnahmen, enthalten 578. Wenn ein Mineralölunternehmen Kassenrollen sowie eine Diskette mit erfassten Daten übergibt, soll der HV keinen zusätzlichen Buchauszugsanspruch erheben können 579. Es handelt sich bei der Vorerfüllung um eine Ausnahme, die – ebenso wie jede Erfül130 lung – vom Unternehmer bewiesen werden muss. In der Praxis lässt sich dieser Beweis kaum führen. Sind die „vorauserfüllten“ Informationen dem HV abhanden gekommen, gilt: Niemand braucht zweimal zu erfüllen, auch nicht der Unternehmer. Andererseits sind dem HV-Vertrag Treupflichten immanent, welche den Unternehmer verpflichten, den HV zu unterstützen. Unter diesem Gesichtspunkt kann der Unternehmer verpflichtet sein, dem HV, welchem unverschuldet die erteilten Informationen abhanden gekommen sind, zu helfen 580. Allerdings sind die Interessen beider Seiten abzuwägen, wobei auch die dem Unternehmer entstehende Mühen eine Rolle spielen. Es gelten die zum Auskunftsrecht aus § 242 BGB entwickelten Maßstäbe. Die Kosten der „Nachlieferung“ muss abweichend von der Grundregel der HV tragen. Der Unternehmer ist nicht berechtigt, eine „Ersatzerfüllung“ durch Bucheinsicht oder 131 Vorlage der Bücher anzubieten 581. Das Einsichtsrecht des § 87c Abs. 4 besteht neben dem Buchauszugsrecht, wie bereits der Wortlaut des Abs. 4 zeigt („Wird der Buchauszug verweigert...“). Der freie Zugang zu einem Online-Abrechnungssystem mit vollständigen Daten soll nach Ansicht des AG Aachen 582 den Anspruch auf Buchauszug vorweg erfüllen, wenn dem HV ein PC zur Verfügung gestellt wird und eine Einweisung in das System erfolgt. Dagegen streitet die fehlende Perpetuierung und die mögliche Kappung der Verbindung nach Vertragsende 583. Der Buchauszug muss aber beim HV verbleiben, woran es z.B. bei nur „treuhänderisch“ erhaltenen Unterlagen mangelt 584. Der Buchauszug ist mindestens in Textform zu erstellen. Die EDV-Einsicht erfüllt diese Form nicht. Der HV muss sich die Angaben zum Buchauszug nicht selbst zusammensuchen 585, die Einsicht in ein elektronisches Agenturinformationssystem gibt jeweils nur den aktuellen Stand der provisionsrelevanten Daten wieder. Aus ihm ließe sich ein Gesamtüberblick über den Zeitraum, über welchen sich der Buchauszug zu erstrecken hat, allenfalls gewinnen, indem der HV die nur vorübergehend zugänglichen Daten fixiert und sammelt 586. Der HV kann aber auf die Textform nach Fälligkeit des Anspruchs (Abs. 5) verzichten und sich mit elektronischen Daten begnügen.

576 577 578 579 580 581

OLG Hamm OLGR 2004, 85 für den familienrechtlichen Auskunftsanspruch. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 48. OLG München, Urt. v. 01.07.2004 – 23 U 1637/03, VersR 2004, 470 (471). KG, Urt. v. 15.05.2006 – 23 U 95/05. Noch weitergehend Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 6a: immer Nachlieferungspflicht. Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 6a.

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AG Aachen VersR 2001, 716. BGH, Urt. v. 20.09.2006 – VIII ZR 100/05, BB 2006, 2492 (2493); Emde VersR 2002, 156. OLG Hamm, Urt. v. 18.09.1998 – 35 U 43/97, BeckRS 2007, 18621. OLG Frankfurt/Main, Urt. v. 01.07.2003 – 5 U 229/99, VersR 2004, 781. BGH, Urt. v. 20.09.2006 – VIII ZR 100/05, BB 2006, 2492 (2493 Rn 20).

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cc) Folgen mangelnder Erfüllung. Wird ein unvollständiger oder lückenhafter Buch- 132 auszug erstellt, so hat der HV keinen Anspruch auf einen vollständig neuen Buchauszug, sondern darf nur Ergänzung fordern 587. Diese Beschränkung auf das Ergänzungsrecht setzt aber voraus, dass überhaupt ein brauchbarer Buchauszug geliefert wurde, wobei Zweifel zu Lasten des für die Erfüllung beweispflichtigen Unternehmers gehen. Neuherstellung darf bei schweren Mängeln verlangt werden, die den Auszug weitgehend unbrauchbar machen 588. Das OLG Köln gibt dieses Recht – wohl fälschlich – nur bei einem gänzlich unbrauchbaren Buchauszug 589. Da die Beweislast für die Erfüllung der Unternehmer trägt, ist nicht der HV dafür be- 133 weispflichtig, dass der erteilte Buchauszug Lücken aufweist. Vielmehr muss der Schuldner beweisen, dass es keine weiteren Geschäfte gegeben hat, auf die sich der Buchauszug beziehen muss 590. Wegen der Schwierigkeiten eines solchen Negativbeweises kann jedoch vom HV das substantiierte Bestreiten der negativen Tatsachen unter Darlegung der für das Positive sprechenden Umstände verlangt werden 591. Der Unternehmer kann sich dementsprechend zunächst damit begnügen, zu behaupten, dass es keine weiteren Fälle gebe, auf die sich seine Verpflichtung zur Erteilung eines Buchauszugs erstrecke. Es ist dann Sache des HV, dieses Vorbringen qualifiziert zu bestreiten und die Umstände vorzutragen, auf die sich seine Forderung stützt, der Buchauszug sei zu ergänzen 592. Der Unternehmer muss nach subtantiierten Vortrag des HV zur Unvollständigkeit die Vollständigkeit des Auszuges beweisen 593. Voraussetzung des Ergänzungsanspruches ist damit die konkrete Darlegung der beanstandeten Unvollständigkeit, die zugleich den Umfang der geschuldeten Ergänzung absteckt 594. Für das Verlangen auf Vervollständigung genügt nicht die allgemeine, ohne ins Einzelne gehende Begründung aufgestellte Behauptung, im Buchauszug fehlten Geschäfte oder Geschäftsgruppen 595. Dem Unternehmer steht gegenüber dem subtantiierten Vortrag des HV z.B. der Nachweis offen, dass Geschäfte der behaupteten Art in seiner Buchführung überhaupt nicht erscheinen. Bringt er diesen Nachweis, dann bleibt dem HV der Weg, ergänzende Auskunft nach Abs. 3 zu verlangen. Bleibt der Unternehmer den Nachweis schuldig, so steht dem HV zur Wahl 596: entweder die Weiterverfolgung und Durchsetzung des Anspruchs auf Erteilung eines vervollständigten Buchauszuges oder aber, bei „begründeten Zweifeln an der 587

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BGH DB 1964, 583; OLG Saarbrücken NJW-RR 2002, 391; Hopt § 87c Rn 20; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 47. BGH DB 1964, 583; OLG Saarbrücken NJW-RR 2002, 391; OLG Nürnberg BB 1999, 150 = EWiR 1998, 951 (v. Manteuffel/ Evers); Küstner/Thume I, Rn 1490; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 6a. OLG Köln, Beschluss v. 09.02.2004 – 19 W 2/04, VersR 2004, 1414; OLG Köln, Beschluss v. 03.03.2004 – 19 W 10/04, VersR 2004, 1457. Die Ansicht des OLG ist zweifelhaft. Ergänzung kann bei jeder Unvollständigkeit verlangt werden. Nur die völlige Neuerteilung des Auszugs darf lediglich bei einem gänzlich unbrauchbaren Auszug gefordert werden. Würde man gegenteiliges vertreten, wäre kein Unternehmer daran gehindert, einen weitgehend un-

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brauchbaren Buchauszug vorzulegen und der HV dürfte noch nicht einmal Ergänzung – also vollständige Erfüllung – fordern. BGH, Beschluss v. 26.04.2007 – I ZB 82/06, VersR 2007, 1081 (1083). BGH, Beschluss v. 26.04.2007 – I ZB 82/06, VersR 2007, 1081 (1083); BGH v. 19.04. 2005 – X ZR 15/04, NJW 2005, 2766 (2768). BGH, Beschluss v. 26.04.2007 – I ZB 82/06, VersR 2007, 1081 (1083). BGH, Beschl. v. 26.04.2007 – I ZB 82/06, VersR 2007, 1081 (1083). OLG Hamm, Urt. v. 14.05.2003 – 35 U 36/02, VersR 2004, 1603. RG WarnRspr. 1915, Nr. 315; OLG Köln, Beschluss v. 09.02.2004 – 19 W 2/04, VersR 2004, 1413; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 10. BGH LM § 87c Nr. 1.

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Vollständigkeit des (bisher vorgelegten) Buchauszuges“, das Vorgehen nach Abs. 4. Ein erstrittenes rechtskräftiges Urteil auf Gestattung der Bucheinsicht nach Abs. 4 soll allerdings das Verlangen auf Ergänzung des Buchauszuges ausschließen, weil es diesem gegenüber ein weitergehendes Recht darstellt 597. Angesichts der Anspruchskonkurrenz und der beim Einsichtsrecht für den HV ungünstigen Kostentragungspflicht erscheint dies zweifelhaft. Bei Zweifeln über die Brauchbarkeit wird die Pflicht zur Neuerstellung meist zum 134 Regelfall, weil ergänzende Informationen ihre exakte Benennung in Klagform voraussetzen, der HV aber ohne Informationen des Unternehmers nicht wissen kann, wonach er zu fragen hat. Vielen Gerichten erscheint der ihnen fremde Auszug schnell als unbrauchbar. Auch daher wird oft ein neuer Auszug zugebilligt. In jedem Fall besteht das ergänzende Auskunftsrecht nach Abs. 3 sowie das Einsichtsrecht nach Abs. 4 598. Fehlende Informationen dürfen weiter nachgefordert werden, wenn bestimmte nach Zeit, Ort oder Umfang eingrenzbare Gruppen von Geschäften im Auszug nicht genannt wurden 599. Der Unternehmer kann dann darlegen und beweisen, dass derartige Geschäfte in seinen Büchern nicht geführt werden. Vollständige Erfüllung muss der Unternehmer beweisen, wobei der HV zumindest subtantiiert darzulegen hat, woran es mangelt 600.

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7. Kosten. Die Kosten des Buchauszuges trägt der Unternehmer. Dass die Erstellung des Buchauszugs mit Kosten verbunden ist, befreit den Unternehmer nicht, selbst wenn die Kosten erheblich sind 601. Er hat seinen Betrieb so zu organisieren, dass der Buchauszug ohne nennenswerte Belastung im laufenden Geschäftsgang erstellt werden kann. Ebenso wenig kann er den HV auf die Einsicht in die Geschäftsbücher und Unterlagen verweisen 602.

136

8. Beweislast. Der HV muss einen wirksamen oder zumindest faktisch durchgeführten HV-Vertrag darlegen sowie das Zustandekommen provisionspflichtiger Geschäfte 603. Dem Unternehmer obliegt der Beweis der Erfüllung oder des Wegfalls des Buchauszugsrechts. Hat der Schuldner einen Buchauszug erteilt, welcher nicht in allen Punkten mit dem gerichtlich erwirkten Titel übereinstimmt, aber den üblicherweise gestellten Anforderungen an den Inhalt eines Buchauszugs genügt, so hat der Gläubiger, der im Wege der Zwangsvollstreckung ergänzende Auskünfte verlangt, sich mit dem Einwand der Erfüllung auseinander zu setzen und darzulegen, warum weitere Angaben erforderlich sind, um den Provisionsanspruch berechnen zu können 604.

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9. Rechtsfolgen des Buchauszuges. Regelmäßig ist der Auszug eine Wissens- und keine Willenserklärung. Er enthält keine Entscheidung, ob das aufgenommene Geschäft provisionspflichtig ist 605 sondern besagt nur, dass es provisionspflichtig sein kann. Dies 597 598

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600

BGH LM § 87c Nr. 1; OLG Nürnberg BB 1966, 265. Küstner/Thume I, Rn 1490; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 46; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 11. OLG Dresden OLGE 27, 326; Hopt § 87c Rn 20; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 87c Rn 46. OLG Hamm, Urt. v. 14.05.2003 – 35 U 36/02, VersR 2004, 1603; OLG Nürnberg HVR Nr. 281; Küstner/Thume I, Rn 1491; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 10.

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602 603 604 605

BGH, Urt. v. 20.09.2006 – VIII ZR 100/05, BB 2006, 2492 (2493 Rn 24); BGH, Urt. v. 21.3.2001 – VIII ZR 149/99, NJW 2001, 2333; BGHZ 56, 290 (296); Emde MDR 1999, 1108 (1110). OLG Nürnberg BB 1966, 265. Küstner/Thume I, Rn 1497. OLG Köln, Beschl. v. 09.02.2004 – 19 W 2/04, VersR 2004, 1413. Küstner/Thume I, Rn 1489.

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§ 87c

ist Spiegelbild dazu, dass auch Zweifelsfälle in den Auszug aufzunehmen sind. Ein Streit in der Sache wird daher nicht über die Verpflichtung zur Erteilung des Auszuges ausgetragen. Soweit sich jedoch dem Auszug der hinreichend deutliche Wille des Unternehmers entnehmen lässt, ein bestimmtes Geschäft zu verprovisionieren, findet sich hierin – ebenso wie bei der Abrechnung – ein Anerkenntnis des Unternehmers (rechtliches Element). Zudem gelten die im Auszug wiedergegebenen Tatsachen zu Lasten des Unternehmers als richtig, weil er sie so in seine Bücher übernommen hat (tatsächliches Element).

III. Auskunftsanspruch (§ 87c Abs. 3) Gemäß § 87c Abs. 3 darf der HV neben Provisionsabrechnung und Buchauszug vom 138 Unternehmer Mitteilung über alle Umstände verlangen, die für den Provisionsanspruch, seine Fälligkeit und dessen Berechnung wesentlich sind. 1. Zweck. Das Auskunftsrecht ergänzt den Anspruch auf Abrechnung und Buchaus- 139 zug 606. Der Anspruch nach Abs. 2 auf den Buchauszug hat zum Gegenstande nur das, was sich aus den Büchern ergibt. U.U. sind für den HV jedoch auch noch weitere Tatsachen wichtig zu wissen, wenn er Klarheit über seine Provisionsansprüche gewinnen will. Zu diesem Zwecke gibt Abs. 3 ihm einen ergänzenden Anspruch auf Auskunft. Er ermöglicht es dem HV, auch das zu erfahren, was sich aus den Büchern des Unternehmers nicht ergibt, aber für die Berechnung seines Provisionsanspruches, etwa nach Umfang und Fälligkeit, erheblich ist 607, z.B. falls der Unternehmer hinsichtlich des Buchauszuges eine „Fehlanzeige“ mitteilt 608 oder die Bücher mangelhaft, unverständlich oder unvollständig sind 609, keine Bücher geführt – der Unternehmer braucht nicht Kaufmann zu sein, müsste jedoch auch dann für die Speicherung notwendiger Informationen sorgen (Rn 46, 123, 135) – oder geführte Bücher verlorengegangen oder vernichtet sind 610. In der amtlichen Begründung zu § 87c Abs. 3 611 heißt es, dass der schriftliche Buchauszug sowie die Abrechnung u.U. Fragen hinsichtlich der Entstehung, der Fälligkeit und der Berechnung eines in ihnen aufgeführten oder nicht erwähnten Provisionsanspruches offen lassen könnten. Bestehen trotz Abrechnung und Buchauszug Unklarheiten, die sich nicht aus dem bloßen Inhalt der Geschäftsbücher klären lassen, kann der HV ihre Beseitigung über § 87c Abs. 3 erreichen 612. Allerdings beschränkt sich der Zweck des Abs. 3 nicht auf diese, den Buchauszug ergänzende Funktion. Der Auskunftsanspruch ist nicht nachrangig gegenüber dem Buchauszug 613. Der HV 140 darf sogleich Auskunft fordern, ohne zuvor einen Auszug zu verlangen. Es gibt keinen

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BGH DB 1964, 583; Küstner/Thume I, Rn 1515; Hopt § 87c Rn 23; Röhricht/ Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 24; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 54. BGH ZIP 2001, 876 = EWiR 2001, 631 (Emde); Küstner/Thume I, Rn 1515; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 24; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 87c Rn 54; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 12. OLG Hamm, Urt. v. 18.9.1998 – 35 U 43/97, BeckRS 2007, 18621.

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MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 55. OLG Hamm, Urt. v. 18.9.1998 – 35 U 43/97, BeckRS 2007 18621; OLG Rostock OLGE 36, 257; Fn 1. BT-Drucksache 3856 v. 15.11.1952, 1. Wahlperiode 1949, 29. Küstner/Thume I, Rn 1516. AA Hopt § 87c Rn 23; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 61.

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1. Buch. Handelsstand

Grund dafür, warum der HV einen vollständigen Buchauszug fordern sollte, obwohl er nur eine einzige Information zu dem Inhalt der Bücher des Unternehmers oder die Ergänzung des Buchauszuges erstrebt. Insbesondere entsteht die Anspruchsberechtigung nicht erst dann, wenn der Auszug so umfangreich ist, dass er ohne ergänzende Auskünfte unverständlich wird 614. Nur soll der HV zunächst die Abrechnung, ihre Verweigerung bzw. unvollständige Erteilung abwarten müssen, ehe er Auskunft fordert. Denn die Auskunft dient der Überprüfung der Abrechnung. Ohne Abrechnung soll es an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis mangeln. Das ist nicht unzweifelhaft, weil der HV auch vor Erhalt der Abrechnung ein Informationsinteresse besitzen kann. Nur hinsichtlich der Informationen, die sich aus der kontinuierlichen Abrechnung ergeben würden, mag er bis zur (u.U. mangelhaften) Erteilung, ihrer Verspätung oder Ablehnung an der Durchsetzung seines Auskunftsrechts gehindert sein, es sei denn, es besteht Eilbedüftigkeit. Im Falle der Verweigerung der Abrechnung kann der Anspruch auf Erteilung einer Abrechnung, eines Buchauszuges und auf Auskunftserteilung nebeneinander geltend gemacht werden. Es existiert kein Kumulierungsverbot 615.

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2. Inhalt. Inhaltlich erfasst der Auskunftsanspruch sämtliche Umstände, die für die Entstehung, die Berechnung und die Fälligkeit des Provisionsanspruchs des HV von Bedeutung sind 616. Die provisionspflichtigen Geschäfte sind in der Auskunft vollständig, klar und übersichtlich darzustellen 617. In welcher Form der Unternehmer diese Auskunft abfasst, ist ihm überlassen. Einen Anspruch auf eine tabellarische Übersicht steht dem HV nicht zu 618. Die Auskunft muss damit Informationen über alle Tatsachen geben, die relevant für Provisionsansprüche 619 des HV und ihm noch nicht – etwa aus Abrechnung und Buchauszug – bekannt sind 620. Das Gesetz spricht nicht ganz deutlich von der Mitteilung über Umstände, die „für den Provisionsanspruch, seine Fälligkeit und seine Berechnung wesentlich sind“. Auch die für die Entstehung des Provisionsanspruchs maßgebenden Umstände werden hierunter zu begreifen sein. Die Anspruchsvoraussetzungen hat der HV schlüssig darzulegen 621 und wohl auch zu beweisen 622. Hinsichtlich der Anforderungen an den Beweis ist im Zweifel eine großzügige Betrachtungsweise angebracht 623. Negativ abgegrenzt können aus § 87c Abs. 2 keine Auskünfte gefordert werden, die für Provisionsansprüche ohne jede Bedeutung sind, etwa weil sie allein Geschäftsinterna des Unternehmers betreffen 624. Die Begrenzung auf provisionswesentliche Ansprüche benennt den Inhalt der zu erteilenden Informationen, engt jedoch nicht das Motiv ein, aus dem diese Informationen gefordert werden können. Motiv der Forderung kann daher auch sein, dass der Vertreter Klarheit über die Höhe eines möglichen Ausgleichs nach § 89b oder eines Schadenersatzanspruchs gewinnen will 625 (Rn 13). Wie sich aus dem Zweck des Auskunftsrechts ergibt, ist jenes – anders als der Buch142 auszug, dem eine solche Begrenzung schon dem Wortsinne nach immanent ist – nicht auf 614 615

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So MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 58. OLG Köln BB 1972, 467; Küstner/Thume I, Rn 1518; Röhricht/Graf v. Westphalen/ Küstner § 87c Rn 24. OLG Hamm, Urt. v. 18.9.1998 – 35 U 43/97, BeckRS 2007, 18621. OLG Hamm, Urt. v. 18.9.1998 – 35 U 43/97, BeckRS 2007, 18621. OLG Hamm, Urt. v. 18.9.1998 – 35 U 43/97, BeckRS 2007, 18621.

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MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 54. Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 12a. Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 12b. AA Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 12b: schlüssige Darlegung soll genügen. Küstner/Thume I, Rn 1517. Küstner/Thume I, Rn 1517; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 59; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 12b. AA Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 12.

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§ 87c

Tatsachen begrenzt, die sich aus den Büchern oder Unterlagen des Unternehmers ergeben 626. Vielmehr soll das Auskunftsrecht auch Aufklärung über Umstände bringen, die dort gerade nicht dokumentiert wurden, über welche der Unternehmer aber aus seiner Erinnerung oder nach angemessenen Nachforschungen – zu denen er unter dem Gesichtspunkt der Treupflicht verpflichtet ist – ausführen kann. Dass die beim Unternehmer vorhandenen Geschäftsunterlagen nicht zur Auskunftserteilung ausreichen, befreit ihn nicht. Der Unternehmer muss auch weitere ihm zugängliche Erkenntnisquellen ausschöpfen, sich etwa die erforderlichen Informationen von mit ihm vertraglich verbundenen Versicherungsunternehmen erteilen lassen 627. In das gegenteilige Extrem verfällt die Ansicht, der Auskunftsanspruch bleibe auf solche Umstände begrenzt, die sich nicht aus den Büchern des Unternehmers ergeben 628. Der Wortlaut des § 87 Abs. 3 stützt jene Auffassung nicht. Sie ist folglich abzulehnen. Gefordert werden kann beispielhaft Auskunft zu den folgenden Komplexen: 143 629 – Tatsachen, über welche der Unternehmer unaufgefordert Mitteilung machen muss ; – Über das Zustandekommen von provisionspflichtigen Geschäften 630; – Geschäfte des Unternehmers mit Kunden des HV, die dem Kundenschutz unterliegen 631; – Kundennamen 632; – Zahlungsbedingungen 633; – Höhe vereinbarter Leistungen 634; – Zahlungen 635; – Bonuszahlungen 636; – Über die Ausführung der Geschäfte, Gründe einer eventuellen Nichtausführung oder stornierte Verträge 637 (insbesondere Angaben zum Vertretenmüssen) 638, denn bei nicht ausgeführten Geschäften sind die Gründe für eine solche Nichtausführung anzugeben, damit der HV prüfen kann, ob ihm trotz der Nichtausführung Provisionsansprüche nach § 87a Abs. 3 zustehen 639; – Gründe einer eventuellen Rückgabe von Ware 640; – Preise 641;

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Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 44; aA Küstner/Thume I, Rn 1515; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 55. OLG Hamm, Urt. v. 18.9.1998 – 35 U 43/97, BeckRS 2007, 18621. So aber Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 3; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 57. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 44. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 56; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 12a. Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 12c. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 56; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 12a. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 56; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 12a.

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MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 56; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 12a. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 56; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 12a. OLG Hamm, Urt. v. 18.9.1998 – 35 U 43/97, BeckRS 2007, 18621. OLG Hamm, Urt. v. 18.9.1998 – 35 U 43/97, BeckRS 2007, 18621. Hopt § 87c Rn 23; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 56; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 12a. OLG Hamm, Urt. v. 18.9.1998 – 35 U 43/97, BeckRS 2007, 18621. Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 12a. Hopt § 87c Rn 23.

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1. Buch. Handelsstand

– Preisnachlässe 642; – Nebenkosten 643; – Bei vermittelten Dauerverträgen: Kündigungsfristen 644. Auskünfte aus oder zu Unterlagen Dritter sollen nicht gefordert werden dürfen, selbst 144 wenn sie erhältlich sein sollten 645. Das dürfte nicht gelten, sofern solche Unterlagen, etwa bei verbundenen Unternehmen leicht zugänglich sind.646 Keine Auskünfte sind auch zu Sach- und Bearbeitungskostenzuschüssen 647 oder pauschalen Schadensbearbeitungskosten zu erteilen, es sei denn, sie enthalten verschleierte Provisionsanteile 648.

145

3. Fälligkeit. Fällig wird der Auskunftsanspruch auf Verlangen des HV 649, wobei der HV hinsichtlich solcher Auskünfte, die sich üblicherweise aus der Abrechnung ergeben, regelmäßig die Abrechnungsfristen abwarten muss (Rn 87 ff). Da der Begriff der Auskünfte weder gesetzlich determiniert ist noch durch die Rechtsprechung eine feste Bedeutung erfahren hat, muss der HV möglichst exakt angeben, welche Auskünfte er begehrt 650. Sonst mangelt es an einer wirksamen Aufforderung und der Unternehmer könnte mit der Kostenfolge des § 93 ZPO eine Klage des HV anerkennen.

146

4. Entfallen des Auskunftsrechts. Das Auskunftsrecht entfällt mit Erfüllung. Es kann nur solange durchgesetzt werden wie das Hauptrecht, der Zahlungsanspruch zu dessen Kontrolle Auskunft eingefordert wird, existiert (Rn 32) 651. Wenn sämtliche Hauptansprüche durch Erfüllung, bindende Einigung, dauernde Einreden oder aus anderem Grunde erledigt sind, darf kein Einsichtsrecht gefordert werden. Für das Entfallen des Auskunftsrechts ist der Unternehmer darlegungs- und beweispflichtig.

IV. Bucheinsichtsrecht (§ 87c Abs. 4) 147

In Anlehnung an die in RGZ 87 10 entwickelte Rechtsprechung wird in Abs. 4 bestimmt, dass bei unberechtigter 652 Verweigerung des Buchauszuges durch den Unternehmer, oder auch dann, wenn begründete Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Abrechnung oder des Buchauszuges (zu ergänzen: der erteilten Auskunft) bestehen, der HV verlangen kann, dass – nach Wahl des Unternehmers – entweder ihm selbst oder einem von ihm zu bestimmenden Wirtschaftsprüfer oder vereidigten Buchsachverständigen auf Kosten des HV 653 Einsicht in die Geschäftsbücher oder in die sonstigen Urkunden soweit gewährt wird, wie dies zur Feststellung der Richtigkeit oder Vollständigkeit der

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Hopt § 87c Rn 23; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 56. Hopt § 87c Rn 23; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 56. Hopt § 87c Rn 23; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 56. Hopt § 87c Rn 23. BGH ZIP 2001, 876 = EWiR 2001, 631 (Emde). OLG Hamm, Urt. v. 18.9.1998 – 35 U 43/97, BeckRS 2007, 18621. OLG Hamm, Urt. v. 18.9.1998 – 35 U 43/97, BeckRS 2007, 18621.

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MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 61; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 12d. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 61; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 12d. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 60; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 13. Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 14. Hopt § 87c Rn 27; Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 47.

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Abrechnung oder des Buchauszuges erforderlich ist. Der Anspruch wurde vor der Einfügung in das HGB aus § 810 BGB hergeleitet 654. 1. Zweck. Die Bucheinsicht dient der Überprüfung von unterlassenen oder zweifel- 148 haften Angaben, die für den HV zur Berechnung seines Provisionsanspruches wesentlich sind. Sie soll dem HV bei Zweifeln die Kontrolle ermöglichen, ob alle ihm zustehenden Provisionen und sonstigen Vergütungen lückenlos erfasst sind 655. 2. Anspruchsvoraussetzungen. Gegenüber den Ansprüchen auf Buchauszug, Aus- 149 kunft und Abrechnung stellt das Einsichtsrecht das weitest gehendste Kontrollrecht dar, weshalb seine Fälligkeit an strenge Voraussetzungen geknüpft ist 656. Kein Bucheinsichtsrecht besteht, wenn beide Parteien den gleichen Informationsstand haben. Dies soll etwa bei einem Tankstellenvertreter der Fall sein, der die Geschäftsabschlüsse selbst tätigt 657. Gleichwohl hat er ggf. Interesse, die Behandlung seines Geschäfts beim Unternehmer zu überprüfen. Bucheinsicht ist nur gestattet, wenn Abrechnung oder Buchauszug verweigert werden, oder begründete Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Provisionsabrechnung oder des Buchauszuges 658 bestehen 659. Die Verweigerung der Abrechnung soll nicht genügen, um das Einsichtsrecht auszulösen 660. Analog wird man das Einsichtsrecht aber gewähren müssen, sofern Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit einer Auskunft bestehen 661 oder diese verweigert wird, weil der HV sonst – um die Einsicht als Kontrollrecht nicht zu verlieren – immer einen Auszug fordern müsse, selbst wenn eine einfache Auskunft reicht. Eine Verweigerung des Buchauszuges liegt vor, falls eine vom HV gesetzte angemes- 150 sene Frist ergebnislos verstrichen ist 662. Der Verweigerung des Buchauszuges steht es gleich, wenn ein den Mindestanforderungen entsprechender Auszug nicht erteilt wird 663. Ergänzend besteht ein Einsichtsrecht, wenn der Unternehmer behauptet, den Buchauszug wegen mangelnder Buchführung nicht erstellen zu können, also „Fehlanzeige“ erstattet. Solange der Unternehmer den Buchauszug verweigert, entfällt das Einsichtsrecht nicht deshalb, weil der HV ein rechtskräftiges Urteil auf Erteilung des Auszugs erstritten hat. Denn die Existenz des Titels lässt die Verweigerung nicht entfallen 664. Begründete Zweifel setzen objektiv angelegte, für einen Dritten nachvollziehbare, 151 nicht lediglich subjektive Zweifel des HV voraus 665. Der HV hat darzulegen und ggf. zu beweisen, in welcher Richtung nach seiner Ansicht die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit besteht 666. Allgemeine Behauptungen ohne näheren Anhalt genügen nicht 667. Es rei-

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BGHZ 32, 302 (306); außerhalb des HVRechts (zu § 810 BGB) großzügiger BGHZ 55, 201. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 66. Küstner/Thume I, Rn 1504; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 25. KG, Urt. v. 15.05.2006 – 23 U 96/05. Hopt § 87c Rn 26. Küstner/Thume I, Rn 1388. Küstner/Thume I, Rn 1507. Küstner/Thume I, Rn 1505. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 45. Küstner/Thume I, Rn 1388; Ebenroth/ Löwisch § 87c Rn 45.

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AA OLG Nürnberg BB 1966, 265; Küstner/ Thume I, Rn 1389. BGH WM 1979, 463; Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 48; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 68; Schlegelberger/ Schröder § 87c Rn 14. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 68; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 14. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 68; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 14.

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chen allerdings Zweifel, die sich auf einen einzigen nicht ganz unerheblichen Punkt beziehen 668. Dazu langen etwa Unstimmigkeiten in den Zahlenangaben 669, Nichtübereinstimmung des Buchauszuges mit den Rechnungssummen 670 oder Kürzungen der Rechnungssumme durch den Unternehmer ohne Angaben von Gründen 671. Nicht gefordert ist hingegen, dass der Buchauszug durchschnittlich oder durchgängig unrichtig oder unvollständig ist. Insoweit geht das Einsichtsrecht aus Abs. 4 über den konkurrierenden § 810 BGB hinaus, der durchschnittliche und durchgängige Unrichtigkeiten fordert 672. Andererseits müssen die Zweifel begründet sein. Wegen dieser abschließenden und enumerativen Aufzählung kann Bucheinsicht nicht 152 neben dem Anspruch auf Provisionsabrechnung, Buchauszug oder Auskunftserteilung zeitgleich geltend gemacht werden (Kumulierungsverbot), sondern erst, wenn die übrigen Kontrollrechte des HV nicht die notwendige Klarheit über die ihm zustehenden Provisionsansprüche gebracht haben 673. Statt das Auszugsrecht durchzusetzen kann der HV allerdings sogleich das Einsichtsrecht geltend machen 674; er besitzt also ein Wahlrecht, ob er aus Abs. 2 oder 4 vorgehen will 675. Jenes Wahlrecht steht jedoch nur dem HV zu, so dass der Unternehmer ihn nicht auf die Einsicht verweisen darf, falls der HV den Auszug fordert 676. Wahlweise an Stelle des Einsichtsrechts darf der HV eine Eidesstattliche Versicherung fordern, die Abs. 4 nicht ausschließt 677, sofern ihre Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen. Einsicht darf auch zum Zwecke der Kontrolle anderer Zahlungsansprüche als des Provisionsanspruches gefordert werden (s.o.), soweit der HV einen solchen Anspruch darlegen kann.

153

3. Fälligkeit und Anspruchsende. Das Einsichtsrecht wird bei Bestehen der Anspruchsvoraussetzungen und auf Anfordern fällig. Wie andere Informationsrechte entfällt es, wenn das Hauptrecht nicht mehr geltend gemacht werden kann 678. Das ist insbesondere der Fall, sobald kein Zahlungsanspruch mehr besteht, weil ihm dauernde Einreden entgegenstehen oder eine bindende Einigung auf einen bestimmten Betrag existiert, die das Kontrollinteresse entfallen lässt 679. Es entfällt nicht infolge fristloser Kündigung oder Schlechterfüllung durch den HV 680.

154

4. Anspruchsberechtigter. Fordern darf das Bucheinsichtsrecht jeder HV, unabhängig von seinem rechtlichen oder tatsächlichen Zuschnitt. Eine davon zu separierende Frage ist, wer das Einsichtsrecht ausübt. § 87c Abs. 4 überlässt es der freien und nicht durch

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OLG Düsseldorf DB 1971, 1857; OLGR 2000, 382 (385); Küstner/Thume I, Rn 1508; Hopt § 87c Rn 25; Ebenroth/ Löwisch § 87c Rn 48; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 26; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 67. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 48. OLG Düsseldorf DB 1971, 1857; Hopt § 87c Rn 25. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 67. Hopt § 87c Rn 25; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 67. BGH DB 1971, 1409 = NJW 1971, 1610;

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BGH NJW 1959, 1964; Küstner/Thume I, Rn 1504; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 25; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 6b. Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 15. Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 15. Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 15a. Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 15. Hopt § 87c Rn 26. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 69; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 17e. BGH BB 1961, 425; Hopt § 87c Rn 26; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 70.

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billiges Ermessen eingeschränkten 681 Wahl des Unternehmers 682, ob dem HV persönlich oder einem „von ihm“, also dem HV 683, unter Berücksichtigung der Interessen des Unternehmers, d.h. nach billigem Ermessen 684, zu bestimmenden und zu beauftragenden 685 Wirtschaftsprüfer oder vereidigten Buchsachverständigen (solange es solche noch gibt) 686 das Einsichtsrecht gewährt wird. Ob der HV außerhalb dieser beiden Berufsgruppen einen anderen zur Berufsverschwiegenheit Verpflichteten beiziehen kann, erscheint angesichts des Gesetzeswortlauts zweifelhaft 687. In Ausnahmefällen und bei sonst fehlender Kontrollfähigkeit ist davon ausnahmsweise auszugehen. Das Wahlrecht des § 87c Abs. 4 ist dem Unternehmer zugewiesen, um seinem Geheimhaltungsinteresse Rechnung zu tragen 688. Es wird durch ggf. konkludente 689 und grundsätzlich unwiderrufliche Willenserklärung ausgeübt, wobei Erklärungsempfänger der HV ist 690. Der Unternehmer hat etwa stillschweigend die Einsicht durch den Vertreter gewählt, wenn er ihm den Zutritt zu seinen Geschäftsräumen gestattet 691. Übt der Unternehmer das Wahlrecht nicht aus, geht es nach Fristsetzung und fruchtlosem Fristablauf gemäß § 264 Abs. 2 BGB auf den HV über 692. Hat der Unternehmer bereits eine Wahl getroffen, etwa Einsichtnahme durch den HV, und erfährt er nachträglich von Verdachtsmomenten, die einen Missbrauch erwarten lassen, kann er sein Einverständnis nach § 812 BGB kondizieren. Gleiches gilt in anderen Fällen, die eine Rücknahme der Willenserklärung objektiv verständlich werden lassen und bei denen Umstände nach der Willenserklärung bekannt wurden, sofern jene Tatsachen bei Kenntnis vor der Erklärung zu einer anderen Wahl geführt hätten. Der Unternehmer wird dann jedoch die nutzlos aufgewendeten Kosten des HV tragen müssen. Entscheidet sich der Unternehmer für die Einsicht durch den Wirtschaftsprüfer, ist 155 dem HV persönlich die Einsicht verwehrt 693. Macht der Unternehmer dagegen von seinem Schutzrecht keinen Gebrauch und wählt die Einsicht durch den HV, bedeutet dies nicht, dass nur der HV persönlich Einsicht nehmen darf. Es entspricht vielmehr allgemeiner Auffassung, dass er eine Hilfsperson hinzuziehen darf 694. So kann der HV etwa auf seine Kosten einen Wirtschafts- oder vereidigten Buchprüfer beiziehen 695 oder ihm die 681 682 683

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Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 17a. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 45; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 17. Küstner/Thume I, Rn 1509; Ebenroth/ Löwisch § 87c Rn 45; Hopt § 87c Rn 27; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 17a. Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 17b: Der Vertreter darf also keinen erkennbar Parteiischen zur Einsichtnahme bestimmen. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 45; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 76; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 17a. Die Abschaffung des Berufsstandes ist vorgesehen; neue Buchprüfer sollen nicht zugelassen werden. Für bestehende Buchprüfer gilt Bestandsschutz. Dafür: MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 87c Rn 76. OLG Frankfurt/Main BB 2002, 427 = DB 2002, 474 = MDR 2002, 478; Ebenroth/ Löwisch § 87c Rn 45; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 74.

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OLG Frankfurt/Main BB 2002, 427 = DB 2002, 474 = MDR 2002, 478. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 74; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 17a. OLG Frankfurt/Main BB 2002, 427 = DB 2002, 474 = MDR 2002, 478. Küstner/Thume I, Rn 1509; Ebenroth/ Löwisch § 87c Rn 45; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 27; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 74. Hopt § 87c Rn 27; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 17. Vgl. KG DB 1971, 1204; MünchKommHGB/v. Hoyningen/Huene § 87c Rn 75; Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 45; Hopt § 87c Rn 11, 27; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 17. Küstner/Thume I, Rn 1509; Ebenroth/ Löwisch § 87c Rn 45.

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Überprüfung auch allein übertragen 696, wohl nicht nur dann, wenn dem HV selbst die nötige Sachkunde fehlt. Anderenfalls würde der Anspruch des Mittlers in den Fällen entwertet, in welchen er nicht in der Lage ist, das Einsichtsrecht persönlich wahrzunehmen 697. Die dem Unternehmer gegebene Alternative soll ihm nur die Möglichkeit eröffnen, einen HV auszuschalten, zu dessen Verschwiegenheit und Zuverlässigkeit in Bezug auf den durch die Einsichtnahme zu gewinnenden Einblick in Unternehmensinterna er nicht das nötige Vertrauen hat. Hat der Unternehmer aber dieses Vertrauen und gestattet er deshalb dem HV die Einsichtnahme in Person, so ist der Unternehmer nicht beschwert, wenn der HV sich der Hilfe eines zur Verschwiegenheit verpflichteten Wirtschaftsprüfers oder Buchsachverständigen bedient 698. Nur gemäß § 242 BGB darf der Unternehmer einen Wirtschaftsprüfer oder Sachverständigen ablehnen.

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5. Inhalt. Die Bucheinsicht erstreckt sich auf alle für die Ansprüche des HV relevanten Dokumente im Besitz des Unternehmers. Sie ist daher nicht auf die Geschäftsbücher des Unternehmers beschränkt 699. Vielmehr können alle Unterlagen, aus denen sich die erstrebte Übersicht herleiten lässt, eingesehen werden, insbesondere – Alle Vertragsurkunden 700; – einschlägiger Schriftwechsel, z.B. mit Dritten 701; – sonstige Unterlagen 702; – Lieferungs- und Zahlungsbelege 703; – EDV 704; – sämtliche Geschäftsunterlagen des Unternehmers, etwa Geschäftspapiere 705, sofern eine ungeordnete oder zu berechtigten Zweifeln an Vollständigkeit oder Richtigkeit Anlass gebende Buchführung existiert 706; – Mikrofilme 707. Das Einsichtsrecht umfasst die Befugnis zur Fertigung von provisionsrelevanten 157 Abschriften, (elektronischen) Kopien oder Auszügen aus den Büchern oder Unterlagen 708, wobei diese wie die gesamten Erkenntnisse vertraulich zu behandeln sind 709. Mit der laufenden vertragsbegleitenden Gewährung des Einsichtsrechts kann der Unternehmer das

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Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 27. OLG Frankfurt am Main BB 2002, 427 = DB 2002, 474 = MDR 2002, 478. KG DB 1971, 1204; Schlegelberger/Schröder 17. Küstner/Thume I, Rn 1507; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 73; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 16. Küstner/Thume I, Rn 1507; Hopt § 87c Rn 25; Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 46; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 26; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 87c Rn 73; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 16. Küstner/Thume I, Rn 1507; Hopt § 87c Rn 25; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 26; MünchKommHGB/v. Hoynin-

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gen-Huene § 87c Rn 73; Schlegelberger/ Schröder § 87c Rn 16. Küstner/Thume I, Rn 1507; Hopt § 87c Rn 25. Hopt § 87c Rn 25; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 26; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 73. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 46. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 39. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 46. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 12. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 47; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 77; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 17d. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 77; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 17d.

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§ 87c

Bucheinsichtsrecht gemäß § 87c Abs. 4 im Zweifel nicht erfüllen 710, schon gar nicht, wenn das angebotene Einsichtsrecht nicht ausgeübt wird. Denn es mögen sich später neue Fragen stellen. Die Einsicht darf nur insoweit ausgeübt werden, wie sie zur Feststellung der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Abrechnung oder des Buchauszuges erforderlich ist 711. Bei Verweigerung des Buchauszuges muss das Einsichtsrecht mindestens soweit gewährt werden wie dies zur ordnungsgemäßen Fertigung eines Buchauszuges nötig ist 712. 6. Kosten. Die Kosten der Einsicht hat abweichend von der Kostenverteilung bei 158 anderen Informationsrechte des § 87c der HV zu tragen (§ 811 Abs. 1 BGB analog) 713. Dies gilt auch für die Kosten von Abschriften und eines ggf. beigezogenen Wirtschaftsprüfers 714. Ist er gemäß § 280 BGB zur Kostentragung verpflichtet, kann der Unternehmer nicht einwenden, die Beiziehung der Hilfsperson widerspreche der Schadensminderungspflicht 715. Wegen dieser Kostentragungspflicht wird der HV meist den Buchauszug einfordern und bei Unrichtigkeiten des Auszuges die – für den Unternehmer vorschusspflichtige – Ersatzvornahme durch einen Wirtschaftsprüfer. Wurden Abrechnung oder Buchauszug insgesamt verweigert 716, lag Verzug mit anderen Informationsrechten vor, die zum Einsichtsrecht leiteten 717 oder offenbart die Einsichtnahme Unrichtigkeiten der bislang erteilten Informationen (z.B. unrichtige Abrechnung 718 oder Buchauszug), liegt eine Pflichtverletzung des Unternehmers vor, die zur Schadenersatzpflicht nach § 280 BGB führt 719: Der Unternehmer hat die Kosten der durch sein Fehlverhalten herausgeforderten Einsicht zu tragen, einschließlich eventueller Kosten eines beigezogenen Sachverständigen (Wirtschaftsprüfers oder Buchsachverständigen) 720, sofern die Bücher nicht – was von vornherein evident sein musste – auch ohne dessen Hilfe prüffähig waren (sonst: mglw. Verletzung der Schadensminderungspflicht 721). Dass die Einsichtnahme neues Material zutage fördert, welches vorher nicht offengelegt worden war, wird für die Schadenersatzpflicht entgegen der 4. Aufl.722 wohl nicht genügen, weil dies bei der Einsichtnahme immer der Fall sein wird. Entscheidend ist vielmehr die Unrichtigkeit der Verprovisionierung. Beruhen die begründeten Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Abrechnung, des Auszugs oder der Auskunft auf einer objektiv mangelhaften Fertigung der Informationen kann auch hierin eine schadenersatzbegründende Pflichtwidrigkeit liegen 723. Verkürzt wird man sagen dürfen, dass eine Erstattungspflicht des Unternehmers besteht, wenn sich die Einsichtsvoraussetzungen des Abs. 4 („Zweifel“) bestätigen.

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Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 45. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 26. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 71; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 16. Hopt § 87c Rn 27; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 28; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 78; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 17e. Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 17e. KG DB 1971, 1204; Küstner/Thume I, Rn 1511; Hopt § 87c Rn 27. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 78.

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BGH BB 1959, 935; Küstner/Thume I, Rn 1510; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 17e. Küstner/Thume I, Rn 1510. BGH LM § 87c Nr. 1; BGHZ 32, 302; KG DB 1971, 1204; Hopt § 87c Rn 27; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 28; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 87c Rn 78; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 17e. BGH LM § 87c Nr. 1; BGHZ 32, 302. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 78. § 87c Rn 24. Vgl. Knorn BB 1972, 989 (990).

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V. §§ 259 Abs. 2, 260 BGB Neben den Rechten aus § 87c steht dem HV als ultima ratio 724 das Recht zu, sich in entsprechender Anwendung die Richtigkeit einer Information eidesstattlich versichern zu lassen. Rechtsgrundlage hierfür ist § 259 BGB, nach anderer Meinung 725 § 260 BGB. Das gilt insbesondere für die durch Auskunft zu erteilenden Tatsachen, jedoch auch andere. Wann der HV die Rechte auf eidesstattliche Versicherung (§§ 259 Abs. 2, 260 Abs. 2 BGB) geltend machen darf, ist umstritten. Nach der am weitest gehendsten Meinung genügen begründete Zweifel an der Richtigkeit irgendeines Informationsrechts des § 87c, um die Rechte auf eidesstattliche Versicherung aus § 259 Abs. 2 BGB (hinsichtlich Abrechnung, Auszug 726 oder Einsicht) oder aus § 260 Abs. 2 BGB (hinsichtlich Auskunft) 727 auszulösen. Die strengere Ansicht fordert, dass andere „bessere und leichtere“ 728 Informationsrechte des § 87c nicht mehr zur Verfügung stehen, insbesondere die Bucheinsicht erfolgte und/oder erfolglos blieb, ehe der HV verlangen kann, dass der Unternehmer Richtigkeit und Vollständigkeit von Abrechnung 729, Auskunft und Buchauszug 730 an Eides statt versichert 731. Dass die Bucheinsicht dem HV zunächst Kosten aufbürdet verschlage nichts 732. Bessere und leichtere Erkenntnisquellen fehlen, wenn – eine Bucheinsicht erfolglos blieb oder keine Klarheit brachte 733; – Bücher fehlen 734; – der Unternehmer eine Fehlanzeige erteilt 735. Diese Subsidiarität ergibt sich, wie der BGH 736 im Verhältnis zum Bucheinsichtsrecht ausführte, ohne dass es einer ausdrücklichen Gesetzesvorschrift bedarf, aus der Natur des Anspruchs. Es sei sachgerecht, dass zunächst derjenige Anspruch zum Zuge komme, der regelmäßig dem Gläubiger größeren Erfolg verspreche und zugleich den Schuldner weniger beschwere. Der strengeren Ansicht ist zuzugeben, dass der HV schon wegen des sonst fehlenden 160 Rechtsschutzbedürfnisses das bei gleichwertiger Informationsfülle den Unternehmer am geringsten belastende Mittel wählen muss. Andererseits mag aber gerade die eidesstattliche Versicherung dieses Mittel sein, weil es den Unternehmer nur dann belasten kann, wenn er Unwahres versichern wollte. Ob deshalb mit der strengeren Ansicht gegenteilig zu entscheiden, d.h. der [Eides]zwang vor Bucheinsicht zuzulassen sei, wenn die Kosten außergewöhnlich hoch seien oder der Unternehmer für eine etwaige Erstattung finanziell nicht sicher erscheine, hat BGHZ 32 302 ausdrücklich offengelassen 737. Das „mildeste Mittel“ darf den HV selbst nicht unbillig belasten. Die Einsichtnahme ist für ihn mit

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Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 4; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 87c Rn 7, 65. Schmidt-Rimpler § 52 Fn 52 m. Nachw.; OLG Hamm, OLGE 24, 128. Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 9a. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 48. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 7. Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 4. Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 10. BGHZ 32, 302; Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 3; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 87c Rn 7.

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4. Aufl., § 87c Rn 22. Küstner/Thume I, Rn 1391. Küstner/Thume I, Rn 1391. Küstner/Thume I, Rn 1477. BGHZ 32, 302 (306). Aber auch dann könne die Antwort nicht anders lauten, so die 4. Aufl., § 87c Rn 22: Der HV sei Kaufmann; er müsse wissen, wieviel ihm die begehrten Aufschlüsse über vermutete Provisionsansprüche wert seien und welche Kosten er daran wenden wolle, sie zu erhalten.

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erheblichen Kosten verbunden. Deshalb ist das Recht auf eidesstattliche Versicherung bei Zweifeln an der Richtigkeit und Vollständigkeit erteilter Informationen meist gegeben, und zwar sowohl zur Kontrolle der Abrechnung, des Buchauszuges, der Auskunft wie des Einsichtsrechtes. Die Rechte aus §§ 259, 260 BGB können angeblich nicht mehr gefordert werden, wenn andere Informationsrechte des § 87c verjährt sind 738 (zweifelhaft, da jeder konkurrierende Anspruch eigenständig verjährt) oder das zu kontrollierende Hauptrecht nicht mehr besteht (fehlendes Informationsinteresse), etwa wegen Erfüllung, Verjährung, bindender Einigung etc.

VI. Auskunftsrecht nach § 242 BGB Nicht nur im Franchise- 739 oder Vertragshändlerrecht 740 sondern auch im HV-Recht 161 darf der HV ergänzend Auskünfte nach § 242 BGB verlangen. Dieses Recht greift ein, wenn die zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen es mit sich bringen, dass der Berechtigte in entschuldbarer Weise über das Bestehen und den Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und der Verpflichtete die zur Beseitigung der Ungewissheit erforderlichen Auskünfte unschwer geben kann 741. Der Anspruch darf nicht mit der Begründung verneint werden, es sei unwahrscheinlich, dass der Gläubiger mit Hilfe der erhaltenen Angaben entgangene Umsatzgeschäfte konkret darlegen könne 742. Unschwer ist eine Auskunft immer dann zu erteilen, sofern die mit der Vorbereitung und Erteilung verbundenen Belastungen des Schuldners entweder nicht ins Gewicht fallen oder aber, obwohl sie beträchtlich sind, dem Schuldner in Anbetracht der Darlegungs- und Beweisnot des Gläubigers und der Bedeutung zumutbar sind, die die verlangte Auskunft für die Darlegung der für Grund oder Höhe des Hauptanspruchs wesentlichen Umstände hat 743. Die Zumutbarkeit ist jeweils aufgrund einer Abwägung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen, bei der auch Bedeutung gewinnen kann, ob der Schuldner ein schützenswertes Geheimhaltungsinteresse an Angaben geltend machen kann, die er machen soll, oder ob er zu deren Offenbarung gegenüber dem Gläubiger ohnehin verpflichtet war 744. Diese Grundsätze sollen angeblich sogar gewohnheitsrechtliche Bedeutung haben 745. Erforderlich ist das Bestehen einer Sonderverbindung 746, die hier im Vertriebsvertrag zu finden ist. § 87c schließt das Informationsrecht aus § 242 BGB nicht aus, ist also keine verdrängende lex specialis. Ein solches Auskunftsrecht besteht etwa in folgenden Konstellationen: 162 – Das OLG Hamm 747 hat den Auskunftsanspruch eines Versicherungsvertreters aus § 242 BGB zur Vorbereitung der Ausgleichsforderung anerkannt, wenn er in ent-

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Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 3. BGH WM 1999, 694 (700 ff) (dort zur Höhe der durch den Kfz-Hersteller gewährten Vorteile, etwa Rabatte und Werbekostenbeiträge). BGH BB 2002, 1507 = NJW-RR 2002, 1256 = EWiR 2002, 766 (Emde). RGZ 108, 7; BGHZ, 10, 387; 81, 24; BGH, NJW 1995, 387; Palandt/Heinrichs § 261 Rn 8. BGH, Urt. v. 06.02.2007 – X ZR 117/04, WRP 2007, 550.

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BGH, Urt. v. 06.02.2007 – X ZR 117/04, WRP 2007, 550. BGH, Urt. v. 06.02.2007 – X ZR 117/04, WRP 2007, 550. Köhler NJW 1992, 1480; Palandt/Heinrichs § 261 Rn 8. BGHZ, 95, 279 (288); BGH, NJW 1978, 1002; NJW-RR 1989, 450. VersR 2001, 1154.

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schuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen sei, sich die Auskünfte nicht selbst beschaffen und der Unternehmer sie unschwer erteilen könne. Auch im Rahmen dieses Ausgleichsinformationsanspruchs kann der HV keine Auskünfte über Zeiträume verlangen, für die Provisionsforderungen bereits verjährt sind; – Ein Informationsrecht aus § 242 BGB besteht, falls sich die Provisionshöhe nicht nach §§ 87 ff errechnet, sondern anhand des gesamten Warenausgangs des Unternehmers, unter Einschluss solcher Geschäfte, die vom HV nicht vermittelt wurden 748; – Ein HV hat gem. § 242 BGB Anspruch auf Auskunft über die Exklusivität verletzende Geschäfte des Herstellers. Soll die Auskunft einen vertraglichen Schadensersatzanspruch belegen, müsse dieser nicht bereits dem Grunde nach feststehen. Vielmehr reiche der begründete Verdacht einer Vertragsverletzung aus. Das Auskunftsrecht erstreckt sich auf Geschäfte, die durch den Unternehmer veranlasst wurden. Der Konzernverbund für sich allein stellt keinen Grund dar, einem Betrieb Aktivitäten verbundener Unternehmen zuzurechnen 749. Kein Auskunftsrecht des HV soll zur nachvertraglichen Entwicklung des ausgleichsrelevanten Kundenstammes existieren750.

C. Verfahrensrechtliche Aspekte I. Erkenntnisverfahren Der HV darf die Informationsrechte des § 87c Abs. 1 bis 4 einklagen 751. Es dürfen durch Stufenklage die Klage auf Buchauszug 752 und als Leistungsanspruch der durch die Informationsrechte des § 87c gesicherte und vorbereitete Provisionsanspruch oder ein an seine Stelle tretender Ersatzanspruch 753 geltend gemacht werden. Sofern die TB-Voraussetzungen aller Rechte gegeben sind, können etwa Abrechnung, Buchauszug und Auskunft auf einer Stufe geltend gemacht werden. Über einzelne Informationsrechte darf durch Teilurteil entschieden werden 754. Ergibt sich bei einer Stufenklage erst infolge der Auskunftserteilung die Unbegründetheit der Leistungsstufe, können bei übereinstimmenden Erledigungserklärungen dem Beklagten die gesamten Kosten auferlegt werden, wenn die Auskunftsstufe begründet war 755. 164 Auch bei der Ausgleichsklage ist eine vorgeschaltete Informationsklage – etwa eine Buchauszugsklage 756 und nicht nur die Informationsklage aus § 242 BGB (s.o., Rn 162) – zulässig, da die Entwicklung der Geschäftsverbindungen des Unternehmers für die Ausgleichshöhe entscheidend ist 757. Die Bezifferung kann bis zur ausgeurteilten Informations-

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OLG Karlsruhe BB 1966, 1169; Küstner/ Thume I, Rn 1393. In diesem Fall hätte aber auch an eine analoge Anwendung des § 87c gedacht werden können. BGH BB 2002, 2351 = EWiR 2002, 1037 (zum Vertragshändlerrecht); Palandt/ Heinrichs §§ 259 ff Rn 10, Soergel/Wolf 12. Aufl., § 260 Rn 25, 28; MünchKommBGB/Krüger 4. Aufl., § 260 Rn 16; BAG DB 1996, 2182. Eberstein, S. 157. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 27, 50. BGH, Urt. v. 04.11.1998 – VIII ZR 248/97, ZIP 1998, 2152 (2153); OLG Bamberg, Urt. v. 16.05.2003 – 6 U 62/02 NJW-RR

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2004, 475; OLG Hamm, Beschl. v. 12.03. 2004 – 35 W 2/04, NJW-RR 2004, 1266; OLG Hamm, OLGR 1996, 54; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 1338; Ebenroth/ Löwisch § 87c Rn 51. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 51. OLG Köln DB 1972, 2104; Ebenroth/ Löwisch § 87c Rn 51. OLG Brandenburg MDR 2003, 893. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 164, der aaO allerdings systemwidrig ein Informationsrecht allein zu dem Zweck der schlüssigen Darlegung des Ausgleichsanspruchs verneint. OLG Hamm v. 15.12.2000, HVR Nr. 974;

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§ 87c

pflicht vorbehalten bleiben 758. Der Nachteil der Kombination liegt darin, dass der Prozess über den Ausgleich durch den Streit über den auf erster Stufe geltend gemachten Informationsanspruch mit ggf. Beweiserhebung und Vollstreckung verzögert wird. Zudem werden die Informationsrechte nicht selten nur deshalb eingeklagt, um möglichst lästig zu werden. Der Kläger geht von vornherein von der Nichtexistenz des auf zweiter Stufe geltend gemachten Zahlungsanspruches aus. Bestätigt sich diese Vermutung, ist die Klage auf zweiter Stufe kostenpflichtig abzuweisen. Soll das verhindert werden, darf keine Zahlungsklage auf zweiter Stufe erhoben werden, wobei der dadurch entstandene potentielle Kostenvorteil mit der Gefahr der Verjährung eventuell doch bestehender Zahlungsansprüche bei fehlender Rechtshängigkeit und der daraus resultierenden (periodischen) Unbegründetheit des Kontrollrechts abzuwägen bleibt. Ein Vorteil der kombinierten Buchauszugs- und Zahlungsklage ist, dass sich bei wahrheitsgemäßer Erteilung die für den Zahlungsanspruch maßgeblichen Berechnungsgrundlagen aus dem Buchauszug ergeben und sich damit ein Streit über die Grundlagen der Ausgleichs- oder Provisionsberechnung erübrigen kann. Hat der Unternehmer vorprozessual seine Verpflichtung zur Übernahme der Informationskosten bestritten (sonst kein Feststellungsinteresse), darf der HV beantragen, die Kostentragungspflicht des Unternehmers feststellen zu lassen. Da Informationen nur gefordert werden können, falls Zahlungsansprüche möglich 165 sind, ist im Informationsprozess diese Möglichkeit – aber nicht mehr – zu klären. Beispiel: Es besteht Streit darüber, ob bestimmte Kunden, für welche Informationen begehrt werden, von der Provisionspflicht ausgenommen wurden 759. Das rechtskräftige (Teil-) Urteil über Rechte aus § 87c trifft keine Entscheidung über 166 das Bestehen etwaiger Zahlungsansprüche des HV 760. Diese sind nicht Streitgegenstand, und zwar auch nicht, wenn im Wege der Stufenklage zugleich der Zahlungsanspruch eingeklagt wird, zunächst aber über die Informationsrechte gesondert verhandelt und entschieden wird 761. Deshalb besteht auch keine Bindung des Gerichts nach § 318 ZPO, weil die Rechte des § 87c nicht das Bestehen von Zahlungsansprüchen, sondern nur deren Möglichkeit voraussetzen 762. Ebenso wenig besteht im Rechtsstreit über die Existenz eines Informationsrechts eine Bindung an die vorangegangene rechtskräftige Entscheidung über Bestehen oder Nichtbestehen eines anderen Informationsrechts, wenn nur das andere Informationsrecht Streitgegenstand der vorangegangenen Entscheidung war 763. Bei allen Informationsklagen muss der Informationskläger Folgendes darlegen: 167 – ein während des Informationszeitraums bestehender HV-Vertrag 764, bei Unwirksamkeit jedenfalls ein faktisch durchgeführter Vertrag; – die Möglichkeit entstandener Zahlungsansprüche durch Vermittlungs- oder Abschlusstätigkeit 765. Sie werden jedoch durch die Existenz eines HV-Vertrags oder seine fak-

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Westphal Vertriebsrecht I, Rn 1338; Schwab in: Martinek/Semler/Habermeier, § 17 Rn 20; aA möglicherweise Ebenroth/ Löwisch § 87c Rn 51. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 164. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 51. OLG Hamm VersR 1995, 779; Ebenroth/ Löwisch § 87c Rn 53; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 51. BGH NJW 1969, 880; BGH LM § 88 Nr. 9; Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 53.

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Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 53. BGH NJW 1959, 752; OLG Nürnberg BB 1966, 265; OLG Köln DB 2000, 2269 = EWiR 2000, 1161 (Emde). Die Entscheidung betraf das Verhältnis Buchauszug – Bucheinsicht; Küstner/Thume I, Rn 1476; Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 53. Küstner/Thume I, Rn 1497; Ebenroth/ Löwisch § 87c Rn 52. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 52.

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tische Durchführung indiziert. Der Unternehmer darf sich nicht auf ein einfaches Bestreiten verlegen, wenn er sich zu Kunden und Geschäften dezidiert äußern kann 766. Es entspricht der Subtantiierungspflicht des Unternehmers, dass er sich spezifiziert äußert 767. Der Unternehmer muss beweisen, dass die Informationsrechte erloschen sind oder 168 erfüllt wurden 768, ebenso fehlendes Informationsinteresse oder Verwirkung, wobei das fehlende Informationsinteresse ausnahmsweise durch besondere Umstände, etwa fehlender Streit über die Richtigkeit der Provisionsrechnung und unmotiviertes Verlangen nach Buchauszug nach fehlgeschlagenen Ausgleichsverhandlungen im Anschluss an die Vertragsbeendigung indiziert sein kann (s.o., Rn 65 ff). Dem HV obliegt die Beweislast für die Kondiktion einer Einigung mit dem Unternehmer über die noch offengebliebenen Provisionsforderungen 769. Der Klagantrag muss hinreichend bestimmt sein. Das Begehren ist sachlich und zeit169 lich hinsichtlich der Geschäfte, auf welche sich die verlangte Information beziehen soll, genau zu umschreiben und zu begrenzen 770. Zuständig sind die ordentlichen Gerichte, Zivilkammer. Nur wenn die Voraussetzungen für die Zuständigkeit der Kammern für Handelssachen begründet sind – Handelsgeschäft und gem. § 95 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Qualifikation des Beklagten als Kaufmann und Eintrag in das Handels- oder Genossenschaftsregister – ist deren Kompetenz begründet. Ist der HV arbeitnehmerähnliche Person i.S.d. § 5 Abs. 3 ArbGG sind Arbeitsgerichte zuständig 771.

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1. Abrechnungsklage. Die Abrechnung kann eingeklagt werden 772. Der Abrechnungszeitraum muss im Antrag präzisiert werden 773 und es können – müssen aber nicht – die Umstände genannt werden, die in der Abrechnung anzugeben sind. Es genügt die Forderung nach einer Abrechnung. Der Begriff hat eine hinreichend spezifische Aussagekraft. Für eine Klage auf Abrechnung bestimmter Provisionen dürfte oft das Rechtsschutzbedürfnis fehlen, weil der HV hinsichtlich der ihm bekannten Provisionen sofort auf Auszahlung klagen kann 774. Sinnvollerweise ist die Klage als Stufenklage mit einem Antrag auf Auszahlung der sich aus der Abrechnung ergebenden Provisionen zu verbinden 775, und zwar schon wegen der damit einhergehenden Verjährungsunterbrechung. Der Klagantrag kann etwa lauten 776: „Die Beklagte wird verurteilt, 1. auf erster Stufe über die gemäß Handelsvertretervertrag vom … dem Kläger zustehenden Provisionen abzurechnen, die sich in der Zeit vom … bis … im Vertreterbezirk … ergeben und 2. auf zweiter Stufe den sich aus der Provisionsabrechnung ergebenden Provisionsbetrag nebst 5 Prozentpunkte Zinsen seit Fälligkeit und 8 Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.“ 766 767 768 769 770 771 772

Küstner/Thume I, Rn 1497. BGH VW 1978, 555; Küstner/Thume I, Rn 1497. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 52. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 52. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 52. Küstner/Thume I, Rn 1462. Küstner/Thume I, Rn 1458; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c

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773 774 775 776

Rn 34; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 2a. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 34. Vgl. Hopt § 87c Rn 11. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 34. Küstner/Thume I, Rn 1460.

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§ 87c

2. Buchauszugsklage. Auch der Buchauszug kann eingeklagt werden 777. Die Klage 171 auf Buchauszug wird in der Regel als Stufenklage i.S.d. § 254 ZPO erhoben 778 (Rn 163). Wenn die Voraussetzungen des Rechts auf Eidesstattliche Versicherung gegeben sind, darf auf erster Stufe der Auszug, auf zweiter Stufe Eidesstattliche Versicherung gefordert werden 779. Der Klagantrag der Buchauszugsklage muss angeben, für welchen Geschäftsbereich, d.h. Bezirk und/oder Kundenkreis, und für welchen Zeitraum die Information verlangt wird 780. Weiter ist anzugeben, auf welche Art von Geschäften sich der Buchauszug beziehen soll 781. Diskutiert wird, ob es gem. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO (Bestimmtheit des Klageantrags) ausreicht, den Antrag zu stellen, einen Buchauszug über alle Verträge zu fordern, die von der „Vermittlungsstruktur“ des Hauptvertreters vermittelt wurden, und zwar ohne Namensnennung der der Struktur angehörigen HV 782. Welche Informationen als Teil des Buchauszuges verlangt werden, muss im Klagantrag nicht im Einzelnen detailliert werden. Nach Ansicht des OLG Saarbrücken 783 genügt allerdings ein derartiger, an den Gesetzeswortlaut angelehnter Klagantrag nicht dem Bestimmtheitserfordernis. Die Verurteilung zur Erteilung eines Buchauszuges habe keinen vollstreckungsfähigen Inhalt. Vielmehr sei in dem Antrag konkret anzugeben, wie der Buchauszug inhaltlich ausgestaltet werden solle. Da der Begriff des Buchauszugs in der Rechtsprechung eine hinreichende Konkretisierung erfahren hat, ist diese Ansicht abzulehnen. Obwohl häufig lediglich den Wortlaut des Gesetzes wiederholende Klaganträge unbestimmt und damit gem. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO unzulässig sind 784, genügt es, lediglich einen „Buchauszug“ für einen bestimmten Zeitraum und für bezeichnete Geschäfte zu fordern 785. Gerade wenn dem HV Geschäfte verheimlicht wurden, wird er keine detailliertere Angaben geben können und falls er zu präzise fragt, kann es sogar sein, dass ihm Provisionsrelevantes, nach dem nicht exakt gefragt wurde, verheimlicht oder ihm hinsichtlich der angefragten Informationen ein „Negativattest“ erteilt wird, obwohl andere provisionsrelevanten Dokumente vorliegen. Insbesondere zu den Dokumenten, die ein Nichtvertretenmüssen des Unternehmers nach § 87a Abs. 3 nachweisen, kann der HV keine Kenntnis besitzen. So weist etwa das LAG Hamburg 786 darauf hin, dem Kläger dürfte es regelmäßig schwer fallen, die für einen bestimmten Klageantrag erforderlichen Dokumente genau zu bezeichnen. Hingegen ist auf die Forderung nach einem „Buchauszug“ alles zu übermitteln, was provisionsrelevant ist. Eine solche „kurze“ Antragstellung hat den Vorteil, dass im Erkenntnisverfahren nicht über die Provisionsrelevanz einer geforderten Information gestritten wird. Werden „zu viele“, nicht provisionsrelevante Informationen gefordert, riskiert der HV ein Teilunterliegen. Allerdings wird der Streit möglicherweise in das Vollstreckungsverfahren getragen: Um Diskussionen im Voll-

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Martinek/Flohr § 13 Rn 17; Hopt § 87c Rn 21; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 87c Rn 50; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 6b; Röhricht/Graf v. Westphalen/ Küstner § 87c Rn 22. OLG Bamberg, Urt. v. 16.05.2003 – 6 U 62/02, NJW-RR 2004, 475 (476); Westphal Vertriebsrecht I, Rn 1338; Martinek/Flohr § 13 Rn 17; Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 51; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 50. Hopt § 87c Rn 21. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 1340.

781 782

783 784 785 786

Westphal Vertriebsrecht I, Rn 1340. Dafür wohl OLG Hamm VersR 1998, 1415; vgl. zur Diskussion: Emde VersR 1999, 1464 (1468); Emde MDR 1999, 1108. Urt. v. 15.06.2001 – 1 U 78/01 – 19, NJW-RR 2002, 34 (35). BGH, Urt. v. 16.11.2006 – I ZR 191/03, DB 2007, 1190. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 1341; Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 52. Beschluss v. 29. Januar 1996 – 1 Ta 14/95, NZA-RR 1996, 422 (423).

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streckungsverfahren zu vermeiden, empfiehlt sich wiederum eine detailliertere Bezeichnung der geforderten Informationen 787. Sollen die begehrten Informationen beschrieben werden, kann bei Durchsetzung der 172 Buchauszugsklage eines Warenvertreters folgender Antrag, im Wege der Stufenklage verbunden mit einem Zahlungsantrag, gestellt werden 788: Es wird beantragt, den Beklagten zu verurteilen, 1. dem Kläger einen Buchauszug über alle Geschäfte zu erteilen, die zwischen der Beklagten und Kunden im Bezirk des Klägers in der Zeit von … bis … zustande gekommen sind, und dabei folgende Angaben zu machen: a) Name und Anschrift des Kunden; b) Kundennummer; c) Datum der Auftragserteilung; d) Umfang des erteilten Auftrags; e) Datum der Auftragsbestätigung; f) Datum der Lieferung bzw. Teillieferungen; g) Umfang der Lieferung bzw. Teillieferungen; h) Datum der Rechnung bzw. Rechnungen bei Teillieferungen; i) Rechnungsbeträge; j) Datum der Zahlung bzw. Einzelzahlungen; k) Höhe der gezahlten Beträge; l) Angabe der Annulierungen und Retouren mit Angabe der jeweiligen Gründe hierfür; 2. über die sich aus dem Buchauszug ergebenden und bislang nicht abgerechneten Provisionen eine Provisionsabrechnung zu erteilen; 3. an den Kläger den sich aus der Provisionsabrechnung ergebenden Provisionsbetrag nebst 5 Prozentpunkte Zinsen seit Fälligkeit und 8 Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen; 4. an den Kläger einen angemessenen Ausgleich gemäß § 89b HGB, mindestens jedoch … € nebst 5 Prozentpunkte Zinsen seit Fälligkeit und 8 Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Je nach Art der begehrten Informationen können weitere, oben genannte Informationen eingefordert werden. Der Klagantrag eines Versicherungsvertreters könnte wie folgt gefasst werden 789: 173 Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für die Zeit von … bis … einen Buchauszug zu erteilen, der sich auf alle vom Kläger vermittelten Versicherungsverträge, bei welchen in diesem Zeitraum Abschluss-, Bestandspflege-, Dynamik- und sonstige Provisionen fällig geworden sind, erstreckt und der für die einzelnen Verträge folgende Angaben enthält: a) Name des Versicherungsnehmers b) Versicherungsscheinnummer c) Art und Inhalt des Versicherungsvertrages (Sparte, Tarifart, prämien- oder provisionsrelevante Sondervereinbarungen) d) Jahresprämie e) Versicherungsbeginn

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Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 52. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 1342.

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BGH ZIP 2001, 876 = EWiR 2001, 631 (Emde).

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f) bei Lebensversicherungsverträgen: Versicherungssumme, Eintrittsalter des VN und Laufzeit des Vertrages g) bei Lebensversicherungsverträgen mit Dynamisierung zusätzlich: Erhöhung der Versicherungssumme, Zeitpunkt der Erhöhung und Erhöhung der Jahresprämie h) Im Falle von Stornierungen: Datum der Stornierung, Gründe der Stornierung und Art der ergriffenen Bestandserhaltungsmaßnahmen. Aber auch hier ist Vorsicht angebracht: Der Antrag muss im konkreten Fall „passen“. Wo es etwa keine provisionsrelevanten Sondervereinbarungen gibt, darf nach ihnen nicht gefragt werden. 3. Auskunftsklage. Der Auskunftsanspruch ist ebenfalls einklagbar 790. Bei der Klage 174 auf Auskunft sind die besonderen Antragsvoraussetzungen darzulegen 791. Der Antrag hat genau zu detaillieren, was Gegenstand der Auskunft sein soll 792, d.h. welche Informationen gefordert werden. Eine Detaillierung im Vollstreckungsantrag dürfte zu spät erfolgen 793. 4. Bucheinsichtsklage. Die Klage auf Bucheinsicht ist zulässig 794. Sie wird jedoch 175 wegen ihrer geringeren Lästigkeit für den Unternehmer weniger häufig erhoben. Der Antrag muss hinreichend bestimmt sein. Es genügt, Bucheinsicht zu fordern und die Person zu bezeichnen, die Einsicht nehmen soll 795. Der Umfang der begehrten Bucheinsicht braucht folglich nicht bereits im Klagantrag benannt zu werden 796, weil sich meist erst bei Einsichtnahme der notwendige Umfang herausstellt. Durchweg wird das Wahlrecht der Bestimmung des Einsichtnehmenden bereits beim HV liegen, weil der Unternehmer auf Fristsetzung keine Wahl getroffen hat. Eine Stufenklage mit Klage auf eidesstattliche Versicherung ist gestattet 797. Der HV hat die oben genannten Anspruchsvoraussetzungen darzulegen, zudem die Verweigerung des Buchauszuges oder begründete Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Abrechnung und des Buchauszuges 798. Weiterhin muss in der Begründung der Klagschrift klargestellt werden, dass die geforderte Bucheinsicht zur Feststellung der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Abrechnung oder des Buchauszuges erforderlich ist. Hierfür ist der HV darlegungs- und beweispflichtig. Sofern die Voraussetzungen für eine Kostentragungspflicht des Unternehmers eingetreten sind, kann mit der Klage auf Bucheinsicht auch ein Vorschuss für die Kosten der Einsicht eingeklagt 799 oder es dürfen Provisionen im Wege der Stufenklage gefordert werden, wobei bis nach Einsichtnahme die Provisionsforderung nicht beziffert zu werden braucht 800. Erfolgt die Bezifferung dann nicht, wird die Klage unzulässig 801.

790 791 792

793

Hopt § 87c Rn 24; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 13. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 52. OLG Hamm DB 1967, 592 = HVR Nr. 360; OLG München BB 1964, 698 = HVR Nr. 313; Baumgärtel § 87 Rn 3; Küstner/ Thume I, Rn 1515, 1518; Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 52; Röhricht/Graf v. Westphalen/ Küstner § 87c Rn 24; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 62. AA OLG Hamm MDR 1967, 770; Hopt § 87c Rn 24.

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Hopt § 87c Rn 28. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 52. AA MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 79. Hopt § 87c Rn 28. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 34. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 51. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 80. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 80.

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5. Klage auf eidesstattliche Versicherung. Die Klage auf eidesstattliche Versicherung erfordert die Darlegung der besonderen Antragsvoraussetzungen, d.h. begründete Zweifel an der Richtigkeit der zuvor erteilten Informationen. Der Antrag hat genau zu detaillieren, was Gegenstand der eidesstattlichen Versicherung sein soll, also was eidesstattlich versichert werden muss. Am besten wird der Wortlaut der abzugebenden Versicherung vorformuliert.

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6. Eilverfahren. Wegen des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache kann nur in Ausnahmefällen ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung in Form einer einstweiligen Verfügung nach §§ 935, 940 ZPO gerechtfertigt sein 802. Sie kommt in Betracht, wenn zeitlicher Aufschub den Erfolg verhindert 803, z.B. bei Bucheinsicht 804. Zudem ist an den Fall existenzieller Nachteile bei Nichterteilung zu denken 805.

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7. Kosten. Gemäß § 91 ZPO trägt der Unterlegene die Kosten des Verfahrens. Beweist der Unternehmer die vollständige Erfüllung der geforderten Information oder Fehlendes Informationsinteresse, ist die Informationsklage abzuweisen und der HV trägt die Kosten des Verfahrens. Da die Möglichkeit von Provisionsforderungen reicht, um das Informationsrecht auszulösen, genügt es für eine kostenpflichtige Klagabweisung nicht, wenn sich im Nachhinein das Nichtbestehen von Provisionsforderungen und damit des Informationsrechts als Hilfsrecht zeigt. Erforderlich ist vielmehr, dass dies für den HV ersichtlich ist, weil dann das Informationsverlangen schon wegen Rechtsmissbrauchs unbegründet war. Gibt es keine Zahlungsansprüche ist jedoch eine ggf. auf zweiter Stufe erhobene Zahlungsklage kostenpflichtig abzuweisen 806.

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8. Streitwert. Der Streitwert bei der Informationsklage bestimmt sich gemäß § 3 ZPO 807 nach dem Interesse des HV an dieser Klage. Jenes valutiert in Höhe des Bruchteils des Wertes der Zahlungsforderung, welche der HV durchzusetzen hofft 808. Die Rechtsprechung bemisst den Teilwert zwischen 1/10 und 1/4 des Streitwertes der Hauptsache 809. Der Teilwert ist um so höher anzusetzen, je stärker die Ansprüche des Klägers von der Auskunft des Beklagten abhängen 810. Der BGH hat den Streitwert eines Auskunftsanspruchs mit 20 % des Wertes der Ansprüche angenommen, deren Klärung der Vertreter beabsichtigt 811. Ist der Hersteller zur Auskunft erstinstanzlich verurteilt worden, bemisst sich der Berufungswert und die Beschwer nach seinem Interesse, die Auskunft nicht erteilen zu müssen 812. Zu schätzen ist deshalb der Aufwand, der mit der Erteilung der Auskunft verbunden ist 813. Die Kosten eines Sachverständigen sind nicht zu berücksichtigen 814. Ein besonderes Geheimhaltungsinteresse kann zu berücksichtigen

802 803 804 805 806 807 808

Hopt § 87c Rn 28; Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 51. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 83. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 83. Emde ZIP 2001, 820 zu §§ 51a, b GmbHG. Küstner/Thume I, Rn 1461. Küstner/Thume I, Rn 1463; Schlegelberger/ Schröder § 87c Rn 13. BGHZ 128, 85 = NJW 1994, 664; Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 55.

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813 814

BGH NJW-RR 1991, 324; Westphal Vertriebsrecht II, Rn 688. Westphal Vertriebsrecht II, Rn 688. BB 1960, 795. BGH NJW-RR 1991, 324; BGHZ 128, 85 = NJW 1994, 664; OLG Hamburg, Beschl. v. 19.10.2005 – 2 Wx 76/05, OLGR 2006, 113 für eine WEG-Sache; Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 55. BGH DB 1993, 2481; Westphal Vertriebsrecht II, Rn 689. Westphal Vertriebsrecht II, Rn 689.

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sein 815. Sofern der HV seine Informationsrechte im Wege der Stufenklage geltend macht, bleibt für Streitwert und Beschwer nur der Teil des Anspruchs maßgebend, über den jeweils entschieden wird 816. Für eine Klage des Unternehmers gegen den unberechtigt Wettbewerb ausübenden Versicherungsvertreter, Informationen über die Tätigkeit für Wettbewerber zu geben, insbesondere zum vermittelten Vertragstyp, zur Abschlusssumme, provisionspflichtigen Summe, Laufzeit, zum Namen des Versicherers, zu individuellen Kennzeichen des vermittelten Geschäfts, etwa Namen des Kunden oder Vertragsnummer, richtet sich die Beschwer des HV nach dem Interesse, die Auskunft nicht erfüllen zu müssen. In der Regel ist der Aufwand an Zeit und Kosten des Verpflichteten für die Erstellung der Auskunft maßgeblich. Der Aufwand des Versicherungsvermittlers, die genannten Informationen für 576 Versicherungsverträge zu erteilen, wurde auf € 3.000 geschätzt 817. 9. Insolvenz und Erkenntnisverfahren. Im Falle der Insolvenz des Unternehmers soll 180 das Verfahren um die Informationsklage gem. § 240 ZPO unterbrochen werden 818, weil die Klage der Vorbereitung eines Zahlungsanspruches dient. Das erscheint zweifelhaft. Denn die Informationsrechte können nicht zur Tabelle angemeldet werden, ebenso wenig wie die durch sie gesicherten Zahlungsansprüche, welche erst durch die Information bekannt würden. Um die Ansprüche im Insolvenzverfahren durchzusetzen, müssen sie dem HV also erst durch die Mitteilung des informationspflichtigen Insolvenzverwalters bekannt werden. Anderenfalls wäre der HV rechtlos und könnte seine Ansprüche in keiner Weise prüfen. Deshalb hilft es ihm auch wenig, wenn er einen Anspruch zur Anmeldung in Höhe der Kosten einer Ersatzvornahme erhält. Denn mit einer prozentualen Quote der tatsächlichen Kosten kann er niemanden mit der Ersatzvornahme beauftragen. Die tatsächlichen, zu kontrollierenden und nicht ausgezahlten Provisionsansprüche können ein Vielfaches dieses Anspruches in Höhe der quotalen Kosten einer Ersatzvornahme wert sein. Der HV ist aber nicht in der Lage, sie zu verwirklichen, weil er sein Kontrollrecht nicht durchsetzen kann. Da auch das Einsichtsrecht wegen § 240 ZPO nicht durchgesetzt werden kann, hilft es dem HV ebenso wenig, einmal davon abgesehen, dass die anderen Informationsrechte durch dieses Einsichtsrecht ohnehin nicht ersetzt werden dürfen, der HV sich also nicht auf das Einsichtsrecht verweisen lassen muss. Ob ein gegen den Unternehmer gerichtetes Verfahren nach dessen Insolvenz unmittel- 181 bar oder entsprechend § 86 InsO durch den klagenden HV aufgenommen werden kann 819, erscheint zweifelhaft.

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816 817

BGH, Beschl. v. 10.08.2005 – XII ZB 63/05, MDR 2006, 267; BGH MDR 1999, 1082; Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 55. BGH DB 2000, 900; Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 55. BGH, Beschl. v. 26.07.2004 – VIII ZR 289/03, NJW-RR 2005, 74.

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MünchKomm-InsO/Schumacher Vor § 85 bis 87 Rn 27; aA OLG Neustadt NJW 1965, 257; Kuhn/Uhlenbruck KO, 11. Aufl., § 3 Rn 21. So MünchKomm-InsO/Schumacher Vor § 85 bis 87 Rn 27.

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II. Vollstreckungsverfahren 1. Abrechnung und Buchauszug. Vollstreckt werden Abrechnungs- 820 und Buchauszugstitel 821 in der Regel als vertretbare Handlung gemäß § 887 ZPO 822, d.h. analog Abs. 4 mittels Ersatzvornahme auf Kosten des vorschusspflichtigen 823 Unternehmers. Das gilt jedenfalls, sofern der Buchauszug aufgrund der vorhandenen Unterlagen nicht nur von der Schuldnerin sondern auch von einem Dritten erstellt werden kann 824. Der Unternehmer hat dem Beauftragten Zutritt zu den Geschäftsräumen und Einsicht in alle Geschäftsbücher und Unterlagen zu gewähren hat, in welchen sich die Angaben befinden können, die in Abrechnung oder Buchauszug gehören 825. Die Vollstreckung nach § 887 ZPO ist angebracht, weil die Informationsrechte auf die Feststellung und Ermittlung von Tatsachen gerichtet sind, welche sich aus den Geschäftsunterlagen des Unternehmers ergeben und zur Erteilung von Buchauszug wie Abrechnung nicht nur derjenige in der Lage ist, der die Bücher geführt hat, sondern regelmäßig auch jeder Wirtschaftsprüfer, der die Bücher und die dazu gehörenden Urkunden einsieht 826. Die Rechtskraft des Ermächtigungsbeschlusses im Sinne des § 887 ZPO hindert den Unternehmer nicht daran, seine Verpflichtungen in anderer Weise freiwillig zu erfüllen 827. Von der Anwendbarkeit des § 888 ZPO (Zwangsgeld) wird nur noch vereinzelt aus183 gegangen 828. Nur hinsichtlich der durch Ersatzvornahme nicht feststellbaren Tatsachen darf gem. § 888 ZPO vollstreckt werden 829, was im Falle fehlender, unvollständiger oder unverständlicher Informationsmedien anzunehmen sein soll 830. Denn dann könne ein Dritter keine Abrechnung oder einen Buchauszug fertigen. Die Vollstreckung eines Buchauszuges im Ausland auf Grund eines deutschen Titels bildet ebenfalls eine unvertretbare Handlung, welche nach § 888 ZPO zu vollstrecken ist, auch wenn der Buchauszug durch Dritte erstellt werden könnte 831. Ob der Schuldner Dritten bereits den Zugang zu seinen Büchern verweigert hat, ist für die Beurteilung unerheblich, so lange nicht mit dem gleichen Verhalten gegenüber dem Gläubiger zu rechnen ist. Die Schwierigkeiten der Aus-

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Küstner/Thume I, Rn 1465; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 37; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 5e. BGH, Beschl. v. 26.04.2007 – I ZB 82/06, VersR 2007, 1081 (1082); OLG Köln, Beschl. v. 03.03.2004 – 19 W 10/04 , VersR 2004, 1457; OLG Köln, Beschl. v. 09.02.2004 – 19 W 2/04, VersR 2004, 1414; OLG Bamberg, Urt. v. 16.05.2003 – 6 U 62/02, NJW-RR 2004, 475; Küstner/ Thume I, Rn 1494; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87c Rn 22; Musielak/ Lackmann ZPO, § 887 Rn 10; Zöller/Stöber ZPO § 887 Rn 3; Baumbach/Hartmann § 887 Rn 23. OLG Hamburg MDR 1955, 43; LAG Baden-Württemberg DB 1959, 1170; OLG Celle NJW 1962, 1968; OLG Düsseldorf BB 1964, 191; MDR 2000, 167; OLG Hamm BB 1965, 1047; MDR 1967, 770; LAG Saarbrücken DB 1965, 187; OLG Köln MDR 1995, 1064; OLG Nürnberg BB 1999, 150 =

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EWiR 1998, 951 (v. Manteuffel/Evers); LG München NJW-RR 2002, 1034 (1035); Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 54; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 51. Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 5e. BGH, Beschluss v. 26.04.2007 – I ZB 82/06, VersR 2007, 1081 (1082). Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 54. OLG München NJW-RR 2002, 1034 (1035); Ebenroth/Löwisch § 87c, Rn 54. BGH MDR 1995, 1060; Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 54. 4. Aufl., § 87c Rn 20; vgl. OLG Köln, Beschluss v. 09.02.2004 – 19 W 2/04, VersR 2004, 1414; OLG München MDR 1960, 404; OLG Neustadt a.W. NJW 1965, 257. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 54. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 37. OLG Frankfurt/M. EWiR 2001, 243 (Schuske) = RIW 2001, 379.

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landsvollstreckung mittels Ersatzvornahme rechtfertigen dieses Ergebnis 832. Ist wegen des Erfordernisses einer eigenen Mitwirkungshandlung des Schuldners eine Vollstreckung nach § 888 ZPO erforderlich, ist jene gleichfalls das richtige Vollstreckungsmittel 833. Die Frage der Vollstreckungsform ist allerdings umstritten: Teilweise wird generell die 184 Vollstreckung durch Zwangsgeld nach § 888 ZPO für richtig gehalten 834. Begründet wird diese Ansicht wie folgt: Es komme nicht darauf an, ob, nach allgemeinen vollstreckungsrechtlichen Grundsätzen den Buchauszug anhand der Bücher des Unternehmers auch jeder Dritte fertigen könne. Im Bereich des § 87c lägen die Dinge besonders. Wenn Abs. 4 nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen – noch dazu als Maßnahme auf Kosten des HV – gestatte, dass entweder dem HV oder in seinem Auftrage einer Persönlichkeit mit besonderer öffentlichrechtlicher Qualifikation die Bücher des Unternehmers zugänglich zu machen seien, wolle es das Gesetz nicht zulassen, dass im Gewand der prozessualen Ersatzvornahme ein beliebiger, vom Prozessgericht zu bestellender Dritter den gleichen Zugang haben solle. Man könne auch nicht sagen, dass der Unternehmer sich das in diesem Fall selbst zuzuschreiben habe, weil er es zur Vollstreckung habe kommen lassen: eine hierin liegende Weigerung sei der Sache keine andere als diejenige, die in Abs. 4 genannt ist; andererseits solle der Weg des Abs. 4 das schärfere Druckmittel gegenüber dem Verlangen des Buchauszuges nach Abs. 2 darstellen. Richtig ist: Bei der Vollstreckung durch Ersatzvornahme darf der HV einen Buch- 185 prüfer seines Vertrauens beauftragen, muss dabei aber angemessene Rücksicht auf die Interessen des kostenpflichtigen Unternehmers nehmen 835. Insbesondere darf die Ersatzvornahme auch durch andere als die in § 87c Abs. 4 genannte Personen erfolgen 836 und muss nicht dem „Grundgedanken“ des § 87c Abs. 4 Rechnung tragen 837. Anders wäre das Recht des HV bei vollstreckungsunempfindlichen Unternehmern kaum durchzusetzen. Das Vollstreckungsrecht kennt auch keine § 87c Abs. 4 entsprechende Einschränkung; der HV mag die Ersatzvornahme durch eine ihm nicht genehme Person mittels rechtzeitiger Erfüllung hindern. Der titulierte Anspruch auf Erteilung eines Buchauszugs darf unabhängig davon vollstreckt werden, ob der Gläubiger bereits auf Bucheinsicht nach § 87c Abs. 4 hätte klagen könnten 838. Über einen Vorschuss für die Kosten der Vollstreckung entscheidet das Gericht durch 186 Beschluss. Vollstreckt ein HV den Beschluss auf Zahlung des Kostenvorschusses für die Ersatzvornahme gem. § 887 Abs. 2 ZPO, darf der Unternehmer gegenüber jenem Anspruch trotz Gleichartigkeit des Leistungsgegenstandes nicht die Aufrechnung erklären 839. Auch in dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt valutierte – wie häufig – der Gebührenvorschuss für die Erstellung des Buchauszuges in Höhe von € 10.000,00. Dem Aufrechnungsverbot ist zuzustimmen: Wegen der zwingenden Natur der Auskunfts-

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So bereits OLG Stuttgart ZZP 1984, 487; Münzberg ZZP 1984, 489; aA OLG Hamm InVo 1999, 32. OLG Bamberg, Urt. v. 16.05.2003 – 6 U 62/02 NJW-RR 2004, 475. 4. Aufl., § 87c Rn 20; OLG München MDR 1960, 404; OLG Neustadt a.d.W. NJW 1965, 257; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 13 (für die Vollstreckung des Auskunftsurteils). OLG Düsseldorf OLGR 1999, 449; Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 54.

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Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 5e; aA OLG Hamm DB 1967, 592; OLG Koblenz MDR 1994, 198; Küstner/Thume I, Rn 1496. So jedoch Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 13. BGH, Beschl. v. 26.04.2007 – I ZB 82/06, VersR 2007, 1081 (1083); BGH v. 01.12. 1978 – I ZR 7/77, NJW 1979, 764, OLG Koblenz NJW-RR 1994, 358 (359); OLG Köln OLGR 2002, 61 (62). OLG Celle, Urt. v. 21.04.2005 – 11 U 263/2004, NJW-RR 2005, 1013.

Raimond Emde

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§ 87c

1. Buch. Handelsstand

rechte gemäß § 87c Abs. 5 darf der Unternehmer weder seine Vorschusspflicht für die Kosten einer Ersatzvornahme durch Sicherheitsleistung abwenden noch mit einem Gegenanspruch aufrechnen 840. Ein titulierter Buchauszugsanspruch darf nach erfolgreicher Klage auf Bucheinsicht 187 nicht mehr vollstreckt werden 841 (zwh. wegen der Konkurrenz beider Ansprüche). Der titulierte Anspruch auf Erteilung eines Buchauszuges kann jedoch unabhängig davon vollstreckt werden, ob der Gläubiger theoretisch auf Bucheinsicht nach § 87c Abs. 4 hätte klagen können 842. Dieses Wahlrecht schließt die Vollstreckbarkeit nicht aus.

188

2. Auskunftsrecht. Die Zwangsvollstreckung des Auskunftsanspruchs erfolgt nach § 887 ZPO, wenn auch ein Dritter (Wirtschaftsprüfer oder vereidigter Buchsachverständiger) nach Bucheinsicht die geforderten Auskünfte erteilen kann 843. Scheidet eine Ersatzvornahme aus, etwa weil die Auskünfte nur aus der Erinnerung des Unternehmers erteilt werden können, ist nach § 888 ZPO als unvertretbare Handlung zu vollstrecken 844. Im Zweifel wird man nach § 888 ZPO vorgehen dürfen. Unsicherheiten gehen zu Lasten des Gläubigers.

189

3. Bucheinsicht. Die Bucheinsicht ist nach § 883 ZPO zu vollstrecken 845, falls die bloße Übergabe der Bücher durch den Gerichtsvollzieher dem HV hilft. Das dürfte der seltenere Fall sein. Dagegen ist im Regelfall gemäß § 887 ZPO zu verfahren, wenn Bücher nicht zu finden oder Unterlagen zusammenzustellen bleiben. Hiervon ist regelmäßig auszugehen. Typische Vollstreckungsfälle sind die Verweigerung des Zugangs zu den Geschäftsräumen oder der Einsicht 846. Das OLG Frankfurt am Main 847 befürwortet eine Vollstreckung durch Ersatzvornahme gem. § 887 ZPO, sofern der Unternehmer den Zugang zu den Unterlagen insgesamt versperrt und etwa Schlösser zu erbrechen sind oder falls vorhandene Unterlagen, deren Standort bekannt sind, zusammengesucht werden müssen. Gerade die Suche dürfte jedoch eher einen Fall des § 887 ZPO bilden. Denn wie soll der Gerichtsvollzieher eine solche durchführen?

190

4. Erfüllungseinwand im Vollstreckungsverfahren. Im Verfahren zur Vollstreckung einer Verurteilung, den Buchauszug zu erteilen, ist der Einwand des Schuldners zu prüfen, er habe den titulierten Anspruch bereits erfüllt 848. Für die Entscheidung, ob der titulierte Anspruch erfüllt wurde, ist der Vollstreckungstitel maßgeblich, nicht die materiellrechtliche Rechtslage 849. Der titulierte Anspruch, einen „Buchauszug über alle Geschäfte des Gebietes zu erteilen“ ist jedenfalls dann erfüllt, wenn der erteilte Buchauszug formal

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Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 54. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.08.2007, 16 W 44/07, BeckRS 2007, 16108. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.08.2007, 16 W 44/07, BeckRS 2007, 16108; BGH v. 01.12.1978 I ZR 7 /77, WM 1979, 304 = NJW 1979, 764; v. 26.04.2007 – I ZB 82/06, WM 2007, 1418 (1420). Küstner/Thume I, Rn 1518; Schlegelberger/ Schröder § 87c Rn 13. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 64; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 13. Seetzen WM 1995, 218; Ebenroth/Löwisch

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§ 87c Rn 54; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87c Rn 82. OLG Koblenz MDR 1994, 198. BB 2002, 427 = DB 2002, 474 = MDR 2002, 478. BGH, Beschl. v. 26.04.2007 – I ZB 82/06, VersR 2007, 1081 (1082); BGHZ 161, 67 (68); BGH v. 22.09.2005 – I ZB 4/05 GuT 2005, 256 (257); v. 07.04.2005 – I ZB 2/05, NJW-RR 2006, 202 (203); aA Musielak/ Lackmann § 887 Rn 19; Kannowski/Distler NJW 2005, 865. BGH, Beschluss v. 26.04.2007 – I ZB 82/06, VersR 2007, 1081 (1082).

Raimond Emde

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 87c

den Anforderungen des Urteilsausspruchs entspricht, insbesondere falls er sämtliche in den Büchern verzeichneten Geschäfte, die unter den Urteilsausspruch fallen, mit den in den Büchern enthaltenen Angaben erfasst 850. Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit des Buchauszuges ändern daran nichts 851. Ist ein Buchauszug hinsichtlich der darin erfassten Geschäfte formal vollständig erteilt worden, kann der Gläubiger die Ergänzung des Buchauszugs verlangen, wenn Angaben über bestimmte Teilbezirke oder Zeiträume fehlen 852 (Rn 132 ff). Die Beweislast für den Einwand, der titulierte Anspruch sei erfüllt, trägt der Unternehmen853. Strenger war noch das OLG München: Dem Erfüllungseinwand des Unternehmers sei im Vollstreckungsverfahren nur dann nachzugehen, wenn die Erfüllung liquide beweisbar sei 854. Soweit sie sich nur durch ein Beweisverfahren, etwa Zeugenaussagen oder Einholung eines Sachverständigengutachtens feststellen lasse, solle gem. der Wertung des § 775 ZPO die Vollstreckung fortzusetzen und der Schuldner auf eine Vollsteckungsabwehrklage nach § 767 ZPO verwiesen werden 855. Es spricht viel für die Richtigkeit der Ansicht des OLG München.

D. Die Informationsansprüche in der Insolvenz Wie ausgeführt hat der Unternehmer dem HV gem. § 87c Abs. 1 mindestens alle drei 191 Monate eine Abrechnung über sämtliche dem HV zustehenden Provisionsansprüche zu erteilen 856. Mit der Beendigung des HV-Vertrages ist der Unternehmer zur sofortigen Abrechnung verpflichtet. Dies gilt auch im Falle der ipso iure Beendigung des HV-Vertrages wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Unternehmers 857. Der insolvente Unternehmer ist demzufolge ab dem Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung zur sofortigen Abrechnung der Provisionsansprüche verpflichtet. Der HV ist mit den noch ausstehenden Provisionsansprüchen wegen bereits abgewickelter Geschäfte einfacher Insolvenzgläubiger gemäß § 38 InsO. Er muss diese Insolvenzforderungen gemäß § 174 InsO unter Angabe von Grund und Höhe zur Insolvenztabelle anmelden. Dabei befindet er sich in einer ungünstigen Situation. Die genaue Höhe der Provisionsansprüche hängt von einer Auskunft oder Berechnung des Unternehmers ab. Eine Anmeldung zur Insolvenztabelle ohne Nennung eines Betrages, nur unter Angabe des Anspruchsgrundes, sieht die InsO nicht vor 858. Der HV ist deshalb darauf angewiesen, eine aussagekräftige Abrechnung von seinem Schuldner zu erhalten, um die Höhe

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BGH, Beschluss v. 26.04.2007 – I ZB 82/06, VersR 2007, 1081 (1082). BGH, Beschluss v. 26.04.2007 – I ZB 82/06, VersR 2007, 1081 (1082); OLG Stuttgart Die Justiz 1994, 241 (242); OLG Hamm OLGR 2001, 55 (56); OLG Hamburg HVR Nr. 956. BGH, Beschluss v. 26.04.2007 – I ZB 82/06, VersR 2007, 1081 (1082); BGH v. 20.02. 1964 – VII ZR 147/62, LM HGB § 87c Nr. 4a = VersR 1964, 429; OLG Hamm OLGR 2001, 55 (56). BGH, Beschluss v. 26.04.2007 – I ZB 82/06, VersR 2007, 1081 (1083); BGHZ 161, 67 (72); Kannowski/Distler NJW 2005, 865 (868); aA Schuschke InVo 2005, 396 (397).

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OLG München NJW-RR 2002, 1034 (1035); strenger (Einwand unbeachtlich) Küstner/Thume I, Rn 1499. OLG München NJW-RR 2002, 1034 (1035). Hierzu Emde MDR 2003, 1151 ff. Küstner/Thume I, Rn 1452 und Rn 1456. Allerdings dürfte eine Schätzung des Betrages nach § 45 Satz 1 InsO möglich sein. § 45 Satz 1 InsO lautet: „Forderungen, die nicht auf Geld gerichtet sind oder deren Geldbetrag unbestimmt ist, sind mit dem Wert geltend zu machen, der für die Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschätzt werden kann.“

Raimond Emde

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§ 87c

1. Buch. Handelsstand

der Provisionsansprüche genau benennen zu können. Aus der Sicht des HV erscheint es hilfreich, dass der Abrechnungsanspruch unmittelbar mit der Vertragsbeendigung entsteht, und nicht etwa das Ende des üblicherweise einzuhaltenden Dreimonatszeitraums abzuwarten ist. Der HV wird dadurch in die Lage versetzt, seine Forderungen innerhalb der vom Insolvenzgericht gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 InsO bestimmten Anmeldefrist, die schließlich kürzer als drei Monate sein kann 859, zur Insolvenztabelle anzumelden. In der Insolvenz des Unternehmers fragt es sich, ob die Ansprüche des § 87c vom 192 Insolvenzverwalter oder vom Insolvenzschuldner zu erfüllen sind. Das OLG Neustadt hat in einer älteren, vielfach zitierten Entscheidung geurteilt, dass die Ansprüche aus § 87c keine Konkursforderungen gemäß § 3 KO seien und daher nur vom Gemeinschuldner selbst erfüllt werden könnten 860. Dieser Meinung wird insbesondere in der insolvenzrechtlichen Literatur teilweise gefolgt 861. Sie stützt sich unter anderem darauf, dass der Abrechnungsanspruch gemäß § 87c Abs. 1 ein besonderer Fall des allgemeinen Rechnungslegungsanspruchs sei, der wiederum auf die Vornahme einer unvertretbaren Handlung gerichtet sei, so dass kein Grund bestehe, den Abrechnungsanspruch nach § 87c Abs. 1 vollstreckungsrechtlich anders zu beurteilen 862. Richtigerweise ist aber im Regelfall der Insolvenzverwalter in Anspruch zu nehmen 863, soweit er erfüllen kann 864. Davon ist auszugehen wenn eine Ersatzvornahme möglich wäre 865. Gegen die Ansicht des OLG Neustadt 866 spricht, dass die von § 87c umfassten Ansprüche grundsätzlich auf die Vornahme von vertretbaren Handlungen i.S.d. § 887 ZPO gerichtet sind 867, das Gesetz zumindest aber die Fertigung des Buchauszuges als vertretbare Handlung ansieht, weil er nach § 87c Abs. 4 bei Verweigerung oder begründeten Zweifeln an Richtigkeit und Vollständigkeit auch durch einen Dritten – Wirtschaftsprüfer oder vereidigten Buchsachverständigen – erstellt werden kann (Rn 182 ff) 868. Des Weiteren sind die Auskunfts- und Rechnungslegungsansprüche des § 87c lediglich Hilfsansprüche des HV zur Ermittlung seiner Provisionsansprüche, welche im Insolvenzverfahren auch nicht gegen den Unternehmer, sondern gegen den Insolvenzverwalter geltend zu machen sind 869. Falls dem Verwalter die Erfüllung unmöglich ist und sich die entsprechenden Informationen bei dem Insolvenzschuldner befinden, ist jener auskunftspflichtig und kann trotz der Insolvenz durch den Vertreter persönlich in Anspruch genommen werden.

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Vgl. § 28 Ab 1 Satz 2 InsO: „Die Frist ist auf einen Zeitraum von mindestens zwei Wochen und höchstens drei Monaten festzusetzen.“ Urt. v. 06.10.1964 – 1 U 67/64, NJW 1965, 257. Uhlenbruck § 38 Rn 24. OLG Neustadt NJW 1965, 257; so auch OLG München MDR 1960, 404. OLG Naumburg, Urt. v. 22.11.1995 – 8 U 16/95, NJW-RR 1996, 993 = EWiR 1996, 313 (Wittkowski); Emde MDR 2003, 1151 (1152); Küstner/Thume I, Rn 1457; Martinek/Schwab § 17 Rn 147 f; Hopt § 87c Rn 7; für die Auskunftsrechte nach §§ 51a, b GmbHG auch OLG Hamm v. 25.10.2001 – 15 W 118/01, NJW-RR 2002, 1396; aA zur KO OLG Neustadt NJW 1965, 257.

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OLG Naumburg EWiR 1996, 313 (Wittkowski); Küstner/Thume I, Rn 1457; Hopt § 87c Rn 7; für die Auskunftsrechte nach §§ 51a, b GmbHG auch OLG Hamm NJW-RR 2002, 1396; aA zur KO OLG Neustadt NJW 1965, 257. Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 5e. NJW 1965, 257; zustimmend Kuhn/Uhlenbruck KO, 11. Aufl., § 3 Rn 21. Vgl. etwa OLG Hamm NJW-RR 1994, 489; OLG Koblenz NJW-RR 1994, 358; Küstner/Thume I, Rn 1457; Ruß in: HK-HGB, § 87c Rn 3; FK-InsO/Schumacher § 38 Rn 10; Dies hatte auch das OLG Neustadt so gesehen, einen Anspruch gegen den Konkursverwalter aber dennoch verneint. Küstner/Thume I, Rn 1457. OLG Naumburg, Urt. v. 22.11.1995 – 8 U 16/95, NJW-RR 1996, 993 (994).

Raimond Emde

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 87d

Gegen die Annahme einer persönlichen Schuld des Insolvenzschuldners spricht auch, 193 dass mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein alleiniges Verwaltungs- und Verfügungsrecht des Insolvenzverwalters gemäß § 80 Abs. 1 InsO begründet wird. Dieses Recht erstreckt sich auch auf die Geschäftsbücher, weil sie gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 1 InsO zur Insolvenzmasse gehören. Der Insolvenzschuldner hat daher grundsätzlich kein Recht mehr, auf die erforderlichen Unterlagen zuzugreifen. Das Zugriffsrecht steht dem Insolvenzverwalter zu, so dass mit der Begründung des alleinigen Verwaltungs- und Verfügungsrechts auch die Verpflichtung des Insolvenzverwalters einhergeht, an Stelle des Unternehmers dem HV Buchauszug und Abrechnung zu erteilen 870. Es kann auch einmal eine Vollstreckung nach § 888 ZPO notwendig sein, falls der 194 Anspruch ausnahmsweise auf die Vornahme einer unvertretbaren Handlung gerichtet ist. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn Bücher überhaupt nicht (mehr) vorhanden sind, wenn sie so geführt sind, dass sie von einem Dritten nicht ausgewertet werden können, oder wenn eine notwendig rechnergestützte Übersicht nicht durch einen Außenstehenden erstellt werden kann (Rn 183) 871. Ein solcher Anspruch ist gegenüber dem Insolvenzschuldner geltend zu machen. Die für die Vollstreckung einer vertretbaren Handlung nach § 887 ZPO angefallenen Kosten sind Masseverbindlichkeiten, die der Insolvenzverwalter vorab vollumfänglich zu berichtigen hat 872.

§ 87d Aufwendungsersatz Der Handelsvertreter kann den Ersatz seiner im regelmäßigen Geschäftsbetrieb entstandenen Aufwendungen nur verlangen, wenn dies handelsüblich ist.

Schrifttum Schröder Unkostentragung nach Handelsvertreterrecht DB 1956, 417 (441); Steindorff Wertersatz für Schäden als Aufwendungsersatz im Arbeits- und Handelsrecht, Festschrift H. Dölle, 1963, Band 1, S. 273.

Übersicht Rn A. Übersicht und Abgrenzung B. Pfändungsschutz

. . . . . . .

1–2

. . . . . . . . . . . .

3

C. Europarechtliche Präformation D. Die Regelung im Einzelnen I. Der Handelsvertreter . II. Kann . . . . . . . . . III. Aufwendungen . . . .

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. . . .

Rn IV. Im regelmäßigen Geschäftsbetrieb entstandene Aufwendungen . . . . . 1. Im regelmäßigen Geschäftsbetrieb entstanden . . . . . . . . . . . . 2. Nicht im regelmäßigen Geschäftsbetrieb entstanden . . . . . . . . V. Handelsüblich . . . . . . . . . . .

9–10 11

E. Aufwendungsersatz kraft Vereinbarung .

12

4 5–11 5 6 7

OLG Naumburg NJW-RR 1996, 993; Martinek/Schwab § 17 Rn 147 f; Kilger/Schmidt Insolvenzgesetze, 17. Aufl. 1997, Anm. 2e zu § 3 KO.

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8–10 8

OLG Köln, Beschl. v. 03.05.1995 – 3 W 10/95, NJW-RR 1996, 100; Hopt § 87c Rn 12; Wittkowski EWiR, § 87c 2/96, 313. Martinek/Schwab § 17 Rn 147 f.

Raimond Emde

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 87d

Gegen die Annahme einer persönlichen Schuld des Insolvenzschuldners spricht auch, 193 dass mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein alleiniges Verwaltungs- und Verfügungsrecht des Insolvenzverwalters gemäß § 80 Abs. 1 InsO begründet wird. Dieses Recht erstreckt sich auch auf die Geschäftsbücher, weil sie gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 1 InsO zur Insolvenzmasse gehören. Der Insolvenzschuldner hat daher grundsätzlich kein Recht mehr, auf die erforderlichen Unterlagen zuzugreifen. Das Zugriffsrecht steht dem Insolvenzverwalter zu, so dass mit der Begründung des alleinigen Verwaltungs- und Verfügungsrechts auch die Verpflichtung des Insolvenzverwalters einhergeht, an Stelle des Unternehmers dem HV Buchauszug und Abrechnung zu erteilen 870. Es kann auch einmal eine Vollstreckung nach § 888 ZPO notwendig sein, falls der 194 Anspruch ausnahmsweise auf die Vornahme einer unvertretbaren Handlung gerichtet ist. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn Bücher überhaupt nicht (mehr) vorhanden sind, wenn sie so geführt sind, dass sie von einem Dritten nicht ausgewertet werden können, oder wenn eine notwendig rechnergestützte Übersicht nicht durch einen Außenstehenden erstellt werden kann (Rn 183) 871. Ein solcher Anspruch ist gegenüber dem Insolvenzschuldner geltend zu machen. Die für die Vollstreckung einer vertretbaren Handlung nach § 887 ZPO angefallenen Kosten sind Masseverbindlichkeiten, die der Insolvenzverwalter vorab vollumfänglich zu berichtigen hat 872.

§ 87d Aufwendungsersatz Der Handelsvertreter kann den Ersatz seiner im regelmäßigen Geschäftsbetrieb entstandenen Aufwendungen nur verlangen, wenn dies handelsüblich ist.

Schrifttum Schröder Unkostentragung nach Handelsvertreterrecht DB 1956, 417 (441); Steindorff Wertersatz für Schäden als Aufwendungsersatz im Arbeits- und Handelsrecht, Festschrift H. Dölle, 1963, Band 1, S. 273.

Übersicht Rn A. Übersicht und Abgrenzung B. Pfändungsschutz

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1–2

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C. Europarechtliche Präformation D. Die Regelung im Einzelnen I. Der Handelsvertreter . II. Kann . . . . . . . . . III. Aufwendungen . . . .

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Rn IV. Im regelmäßigen Geschäftsbetrieb entstandene Aufwendungen . . . . . 1. Im regelmäßigen Geschäftsbetrieb entstanden . . . . . . . . . . . . 2. Nicht im regelmäßigen Geschäftsbetrieb entstanden . . . . . . . . V. Handelsüblich . . . . . . . . . . .

9–10 11

E. Aufwendungsersatz kraft Vereinbarung .

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4 5–11 5 6 7

OLG Naumburg NJW-RR 1996, 993; Martinek/Schwab § 17 Rn 147 f; Kilger/Schmidt Insolvenzgesetze, 17. Aufl. 1997, Anm. 2e zu § 3 KO.

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OLG Köln, Beschl. v. 03.05.1995 – 3 W 10/95, NJW-RR 1996, 100; Hopt § 87c Rn 12; Wittkowski EWiR, § 87c 2/96, 313. Martinek/Schwab § 17 Rn 147 f.

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§ 87d

1. Buch. Handelsstand Rn

Rn

F. Geschäftsführung ohne Auftrag . . . . .

13

J. Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . .

17

G. Fälligkeit des Ersatzanspruchs . . . . . .

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H. Besonderheiten des Fixums

. . . . . . .

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K. Aufwendungsersatzanspruch in der Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . .

18

. . . . . . . . . . . . . .

16

I.

Dispositivität

A. Übersicht und Abgrenzung 1

Gemäß § 670 i.V.m. § 675 BGB hat der in entgeltlicher Geschäftsbesorgung für einen anderen Tätige Anspruch auf Ersatz seiner Aufwendungen, welche er zum Zwecke der Geschäftsbesorgung macht und die er den Umständen nach für erforderlich halten darf. Diese Rechtslage und eine Ersatzpflicht des Unternehmers sind für den HV durch § 87d im Kern außer Kraft gesetzt 1, mit Ausnahme von fünf vom HV zu beweisenden Ausnahmefällen 2: a) der Ersatz entspricht der Handelsüblichkeit, b) es handelt sich um vom Unternehmer veranlasste (beauftragte, § 670 BGB) oder ihm zuzurechnende, im nicht regelmäßigen Geschäftsbetrieb des HV entstandene Aufwendungen, c) der Ersatz wurde ausdrücklich oder konkludent vereinbart 3 (etwa im HV-Vertrag), d) es liegen die TB-Voraussetzungen einer berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag gem. §§ 677, 683 BGB oder e) einer Vergütungspflicht nach § 354 4 vor. Man kann sich angesichts des Wortlauts des § 87d streiten, ob die Norm eine Anspruchsgrundlage oder einen Ausschlusstatbestand (Begrenzung des § 670 BGB) begründet. Richtig ist die Einordnung als Anspruchsgrundlage. Anderenfalls fehlte eine spezielle Anspruchsgrundlage des HV-Rechts. 2 Der HV ist selbständiger Kaufmann. Seine Geschäftskosten, insbesondere die inneren Kosten des eigenen Betriebs 5, muss er grundsätzlich aus seiner vertraglichen Vergütung – gesetzestypisch Provision und ggf. Ausgleichsvergütung nach § 89b – bestreiten. Darauf beschränkt sich im Regelfall die Zahlungspflicht des Unternehmers 6. Nur wenn etwas Gegenteiliges vereinbart – § 87d ist dispositiv 7 – oder handelsüblich ist, besitzt der HV Anspruch auf Ersatz seiner Aufwendungen. Die zu § 670 BGB entwickelten Grundsätze der Schadensverlagerung auf den Arbeitgeber sowie zur gefahrgeneigten Arbeit lassen sich wegen der Selbständigkeit des HV nicht auf das Verhältnis zwischen ihm und dem Unternehmer übertragen 8. Das besagt indessen nicht, dass der HV mangels Vereinbarung oder Handelsüblichkeit in keinem Falle vom Unternehmer Ersatz seiner Aufwendungen verlangen könne. § 87d beschränkt den Ausschluss des Ersatzes auf diejenigen Aufwendungen, die im regelmäßigen Geschäftsbetrieb entstehen. Der HV darf für seinen Unternehmer Tätigkeiten auch jenseits des regelmäßigen Geschäftsbetriebes übernehmen. 1 2 3

4

Ebenroth/Löwisch § 87d Rn 1; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87d Rn 7. Schröder DB 1956, 417; Steindorff S. 283, 285. Ebenroth/Löwisch § 87d Rn 4; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87d Rn 17. I.E. Ebenroth/Löwisch § 87d Rn 4; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87d Rn 2; HK/Russ § 87d Rn 2; Hopt § 87d Rn 5; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87d Rn 6, 7; Schlegelberger/Schröder § 87d Rn 4a, 5.

722

5 6

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8

Genzow in: Ensthaler § 87d Rn 2. Ebenroth/Löwisch § 87d Rn 1; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87d Rn 1, 4; Hopt § 87d Rn 1. Ebenroth/Löwisch § 87d Rn 1; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87d Rn 2; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87d Rn 2. Ebenroth/Löwisch § 87d Rn 2; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87d Rn 8; aA Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87d Rn 8.

Raimond Emde

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 87d

Geschieht das, so ist mangels gesonderter vertraglicher Vereinbarung – die oft vorliegen dürfte – ein Anspruch auf Aufwendungsersatz nach § 670 BGB begründet (Rn 1, 10). Erfolgt die Übernahme im Interesse des Unternehmers, aber ohne Beauftragung, kann ein gleicher Anspruch aus § 683 BGB nach den Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag begründet sein (Rn 13). Auch kann der HV in solchen Fällen für den Einsatz seiner persönlichen Arbeitskraft eine Vergütung nach § 354 verlangen, wenn dessen Voraussetzungen vorliegen (Rn 9) 9. Ob die Voraussetzungen des § 354 vorliegen ist vorrangig zu prüfen. Denn § 354 gibt den umfassenderen Anspruch, nämlich auf eine meist höhere Vergütung, die wegen des Amortisationsgedankens die Summe der üblichen Aufwendungen übersteigt. Für eine zusätzliche Pflicht zum Ersatz der Aufwendungen ist dann kein Raum mehr.

B. Pfändungsschutz Der Aufwendungsersatz unterliegt dem Pfändungsschutz gem. § 850a Nr. 3 ZPO 10. 3 Erhält der HV eine pauschale Kostenerstattung, ist nur der Anteil unpfändbar, der die tatsächlichen Kosten deckt 11. Reicht der pauschale Aufwendungsersatz zur Deckung der wirklichen Kosten nicht aus, erstreckt sich der Pfändungsschutz nach § 850a Nr. 3 auch auf die vom Aufwendungsersatz nicht gedeckten Kosten 12.

C. Europarechtliche Präformation § 87d hat keine Entsprechung in der HV-Richtlinie 1986 und ist daher europarecht- 4 lich nicht präformiert.

D. Die Regelung im Einzelnen I. Der Handelsvertreter Es handelt sich um den HV i.S.d. § 84. Wer HV ist siehe dort. Grundsätzlich setzt 5 § 87d einen wirksamen HV-Vertrag voraus. Der unwirksame, jedoch faktisch durchgeführte Vertrag steht dem gleich. Vor- 13 und nachvertragliche 14 Kosten können, sofern sie mit dem HV-Vertrag in Zusammenhang stehen, nach § 87d behandelt werden, zumindest in analoger Anwendung. Der § 87d zugrundeliegende Grundsatz sowie die zu ihm entwickelte Rechtsprechung lässt sich auf handelsvertreterähnliche Kommissionsagenten, Vertragshändler und Franchisenehmer übertragen 15.

9 10 11

Schlegelberger/Schröder § 87d Rn 1. Genzow in: Ensthaler, § 87d Rn 3; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87d Rn 3. Müller ZfV 1975, 19; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87d Rn 3.

12 13 14 15

Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87d Rn 3; Meyer DB 1952, 693. Ebenroth/Löwisch § 87d Rn 8. Ebenroth/Löwisch § 87d Rn 8. Ebenroth/Löwisch § 87d Rn 12.

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§ 87d

1. Buch. Handelsstand

II. Kann 6

Der HV „kann“ Ersatz seiner Aufwendungen erhalten. Dies bedeutet, dass es für den Aufwendungsersatz auf die Umstände des Einzelfalls ankommt. Es handelt sich bei der Entscheidung über den Aufwendungsersatz um eine gebundene Ermessensentscheidung, die an den TB-Voraussetzungen des § 87d auszurichten ist.

III. Aufwendungen 7

Der Begriff der Aufwendungen entspricht grundsätzlich dem des § 670 BGB. Aufwendungen sind alle Kosten und kostenauslösenden Maßnahmen bzw. alle Vermögensopfer 16, die unmittelbar oder mittelbar durch die Ausübung des konkret vom HV betriebenen Geschäfts entstehen 17, z.B. die üblichen Werbungskosten sowie Belastungen für die Beseitigung von Schäden, welche der HV sich oder Dritten anlässlich seiner Berufsausübung zufügt. Auch unfreiwillige Vermögensopfer des HV bei Ausführung des Auftrages sollten hierunter verstanden werden 18. Eines Rückgriffes auf § 670 BGB oder auf die Grundsätze der Risikozurechnung bedarf es bei diesem Verständnis nicht 19.

IV. Im regelmäßigen Geschäftsbetrieb entstandene Aufwendungen 8

1. Im regelmäßigen Geschäftsbetrieb entstanden. § 87d begründet die Ersatzpflicht des Unternehmers nur für Aufwendungen, die im regelmäßigen Geschäftsbetrieb entstanden. Jene hat der HV in Abkehr von der Regel des § 670 BGB grundsätzlich selbst zu tragen. Zu den in solchem regelmäßigen Geschäftsbetrieb entstandenen Aufwendungen zählen alle Kosten und Lasten, welche bei der Erfüllung der dem HV durch seinen Vertrag ohne besonderes Entgelt auferlegten Haupt- oder Nebenpflichten anfallen 20, die also im weitesten Sinn unmittelbar oder mittelbar seinem Geschäftsbetrieb oder seinen üblichen Vermittlungs- und Abschlussbemühungen dienen 21. Maßgeblich sind die Verhältnisse des Einzelfalls, ggf. ist der Vertrag gem. §§ 133, 157 BGB auszulegen. Hierzu gehören insbesondere Kosten für den Abschluss des HV-Vertrages 22, Fahrtkosten, Aufwendungen, die aus der Haltung eines Kfz entstehen, Porti, Telegramm- und Fernsprechkosten, Kosten für Warenrepräsentation 23, Geschäftsmiete, Reisekosten zu Vertreterbesprechungen 24, Eigenwerbung 25, Kosten der nicht mit dem Unternehmer abgesprochenen Werbemaßnahmen 26, Fracht für Musterkoffer, Produkt- und Kundenpflege 27, für 16

17 18

19 20

Ebenroth/Löwisch § 87d Rn 2; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87d Rn 3. Ebenroth/Löwisch § 87d Rn 2; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87d Rn 3. Siehe § 110; für weiten Aufwendungsbegriff Steinddorff in: FS Dölle, 1963, I 273; aA Hopt § 87d Rn 3. So aber Hopt § 87d Rn 3. Ebenroth/Löwisch § 87d Rn 3; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 87d Rn 4; Hopt § 87d Rn 4; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87d Rn 9; Schlegelberger/Schröder § 87d Rn 3.

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Ebenroth/Löwisch § 87d Rn 3. Ebenroth/Löwisch § 87d Rn 8. Ebenroth/Löwisch § 87d Rn 6; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87d Rn 12. Ebenroth/Löwisch § 87d Rn 6; aA MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87d Rn 13. Ebenroth/Löwisch § 87d Rn 6. Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 182; Ebenroth/ Löwisch § 87d Rn 6; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87d Rn 5; Schlegelberger/Schröder § 87d Rn 3b; aA LAG Bremen

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 87d

Bewirtung, etwa von Kunden 28, sowie technische Unterstützung des Kunden u. dgl. sowie – weil ohnehin unzulässig 29 und mithin nicht ersatzfähig – die Kosten von Schmiergeldern 30. Hat der HV im Vertrage sich zu weiteren Tätigkeiten als der Vermittlung von Geschäften verpflichtet, die an sich Obliegenheit des Unternehmers wären, z.B. Unterhaltung eines Auslieferungslagers 31, Bereitstellung eines Kundendienstes, so ordnen sich die Aufwendungen hierfür – Lagerraummiete, Versicherungsprämien, Kosten der Auslieferung der Ware an den Kunden – ebenfalls zu den nicht ersatzfähigen Aufwendungen im regelmäßigen Geschäftsbetrieb zu. Sie pflegen bei der Bemessung der Provision einkalkuliert zu sein. Reklame für die zu vertreibenden Objekte ist grundsätzlich Sache des Unternehmers. Sie zählt nicht zu den Kosten des regelmäßigen Geschäftsbetriebes; anders Aufwand an Werbung für die Agentur als solche. 2. Nicht im regelmäßigen Geschäftsbetrieb entstanden. Nicht im regelmäßigen Ge- 9 schäftsbetrieb entstandene Aufwendungen sind zu erstatten (diejenigen, die § 87d nicht als Anspruchsgrundlage sehen entnehmen das einem Umkehrschluss aus § 87d) 32, soweit sie vom Unternehmer veranlasst wurden oder ihm zuzurechnen sind. Außer dem Umkehrschluss lässt sich solches § 354 (Mindestvergütung in Höhe der Aufwendungen; zu dem Vergütungsanspruch aus § 354 s. § 87 Rn 31 f) sowie § 670 BGB entnehmen. Nach a.A., die meist zum selben Ergebnis gelangt, ist bei Aufwendungen außerhalb des regelmäßigen Geschäftsbetriebes zwischen solchen zu unterscheiden, bei denen der HV auf Weisung des Unternehmers gehandelt hat bzw. bei Abweichen von der Weisung nach den Umständen annehmen durfte, dass der Unternehmer bei Kenntnis der genauen Sachlage die Abweichung billigen würde, und solchen Aufwendungen, die er aus eigener Initiative, also als Geschäftsführer ohne Auftrag bzw. außerhalb des Auftrags erbringt 33. In der erstgenannten Fallgruppe sollen die Aufwendungen stets nach den §§ 670, 675 BGB zu ersetzen sein 34. Im letztgenannten Fall hängt der Anspruch auf Aufwendungsersatz davon ab, ob die Maßnahmen des HV dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entsprechen (§ 683 S. 1 BGB) 35. Veranlasst sind vom Unternehmer geforderte oder herausgeforderte Aufwendungen. 10 Es handelt sich hierbei um den Fall des § 670 BGB, weil der HV durch die Ausführung konkludent 36 ein Angebot des Unternehmers auf Auftragsdurchführung annimmt. Dem Unternehmer zuzurechnen sind die Aufwendungen, deren Übernahme durch den HV nach den Verhältnissen des Einzelfalls (Abgrenzung von der Handelsüblichkeit) redlicherweise nicht erwartet werden darf, und die in direkter oder analoger Anwendung der

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28 29

DB 1955, 535; Hopt § 87d Rn 4; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87d Rn 13 Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 182. Ebenroth/Löwisch § 87d Rn 6; aA Hopt § 87d Rn 4; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87d Rn 13. Hopt § 87d Rn 4; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87d Rn 4. IntBestG v. 10.09.1998, BGBl. II 2327; OECDÜbK BGBl. II 1998, 2329; siehe Krause/Vogel RIW 1999, 488; Zieschang NJW 1999, 105.

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BGHZ 94, 272; Ebenroth/Löwisch § 87d Rn 6; Genzow in: Ensthaler, § 87d Rn 2; Hopt § 87d Rn 4; krit. Fikentscher/Waibl IPrax 87, 86. Ebenroth/Löwisch § 87d Rn 6. AA Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87d Rn 2; Hopt § 87d Rn 5: Nur wenn Anspruch aus § 670 BGB. Genzow in: Ensthaler, § 87d Rn 3. Genzow in: Ensthaler, § 87d Rn 3. Genzow in: Ensthaler, § 87d Rn 3. Palandt/Sprau § 662 Rn 2.

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§ 87d

1. Buch. Handelsstand

§ 670 BGB 37, § 354 zu erstatten sind. Gemeint ist der regelmäßige Geschäftsbetrieb, den der HV auf Grund seines HV-Vertrages und der darin konkret übernommenen Pflichten zu unterhalten hat, nicht etwa der für HV dieser Sparte „übliche“ Geschäftsbetrieb 38. Zu den nicht im regelmäßigen Geschäftsbetrieb entstehenden Aufwendungen zählen diejenigen aus der Inanspruchnahme des HV für Dienste, die er nicht schon im Vertrage übernommen hat und die auch nicht zum normalen Aufgabenkreis des HV gehören. So je nach den Umständen des Einzelfalls: Versendung von Offerten, Verzeichnissen, Mustern, wenn sie für den Unternehmer erfolgt, oder Erwirkung von Aus- oder Einfuhrbewilligungen; Kosten für die Messeteilnahme mit Standdienst 39; für im Interesse des Unternehmers (etwa zur Durchführung des Geschäfts) einzuholende Genehmigungen 40 (nicht aber solche, die der HV für seinen allg. Geschäftsbetrieb benötigt) oder Kundendienst ohne gesonderte vertragliche Vereinbarung 41 u.ä. Maßnahmen 42. Nach §§ 55 Abs. 4, 91 Abs. 2 ist der HV zwar ermächtigt, die Erklärung des Kunden, dass die Ware zur Verfügung gestellt werde, kostenfrei 43 entgegenzunehmen; er dürfte zur Entgegennahme einer solchen Erklärung sogar verpflichtet sein. Nicht aber ist er verpflichtet, die zur Verfügung gestellte Ware entgegenzunehmen, für den Unternehmer einzulagern und an ihn weiterzuleiten. Die Kosten hierfür darf er, wenn nicht im Vertrage ein anderes bestimmt ist, vom Unternehmer nach §§ 670, 675 BGB ersetzt verlangen. So ist es Handelsbrauch im HV-Recht 44. Unterhält der HV ein Auslieferungslager, übernimmt er aber für den Unternehmer den Transport der Ware zum Kunden, so gilt das gleiche 45; es sei denn, der HV hat das auf eigene Initiative und im eigenen Fahrzeug bewerkstelligt, um mit dem Kunden in Kontakt zu bleiben 46. Marktanalysen 47, allgemeine Werbung, die Versicherung der kostenfrei zur Verfügung zu stellenden Musterstücke 48, die nach § 86a vom Unternehmer zu erbringenden Rechte und Pflichten 49, etwa die Bereitstellung der in § 86a Abs. 1 genannten Unterlagen 50, sowie Bonitätsauskünfte 51 (etwa Creditreform) sind Sache des Unternehmers. Ob hierfür, wenn der HV sie übernimmt, Aufwendungsersatz nach §§ 670, 675 BGB verlangt werden kann, hängt von der Prüfung ab, wieweit der HV sie in Wahrnehmung einer Geschäftsbesorgungsfunktion für erforderlich halten durfte (§ 670 BGB). Gehen die Kosten über das gewöhnliche Maß hinaus, wird er auch nach dem Rechtsgedanken des § 254 BGB in jedem Falle zuvor die Entschließung des Unternehmers einholen müssen; anderenfalls kann der Unternehmer die Erstattung von vornherein ablehnen. Hat der Unternehmer eine Werbung des HV für den Unternehmer oder dessen Produkte zwar nicht ausdrücklich gewünscht, aber ohne entsprechenden Vorbehalt geduldet, so dass der HV auf dessen Einverständnis mit jener Werbung und der

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Vgl. Palandt/Sprau Einf. § 661 Rn 9. Schlegelberger/Schröder § 87d Rn 3, 3a. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87d Rn 13; Hopt § 87d Rn 4 (Auslegung nach §§ 133, 157 BGB); aA Ebenroth/ Löwisch § 87d Rn 6. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87d Rn 13. Ebenroth/Löwisch § 87d Rn 7. RGZ 109, 254. AA Ebenroth/Löwisch § 87d Rn 7; Schlegelberger/Schröder § 91 Rn 11. Gutachten Nr. 169, zit. bei Schlegelberger/ Schröder § 87d Rn 5a.

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OLG Bremen DB 1960, 1212; Ebenroth/ Löwisch § 87d Rn 7; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 87d Rn 13. LAG Bremen DB 1960, 1212. Hopt Rn 4; aA Ebenroth/Löwisch § 87d Rn 6; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87d Rn 5. Ebenroth/Löwisch § 87d Rn 7. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87d Rn 7. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87d Rn 7. Ebenroth/Löwisch § 87d Rn 7.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 87d

Übernahme der dadurch entstandenen Kosten rechnen durfte, sind ihm diese ausnahmsweise zu erstatten 52.

V. Handelsüblich Auch die im regelmäßigen Geschäftsbetrieb entstandenen Aufwendungen sind aus- 11 nahmsweise (vom HV zu beweisende Ausnahme) zu erstatten, falls dies handelsüblich ist. Insoweit bildet § 87d trotz seiner negativen Fassung, die in erster Linie auf den Ausschluss der Ersatzpflicht zu zielen scheint, auch eine Anspruchsgrundlage. Auf die Handelsüblichkeit ist allerdings nur abzustellen, sofern eine konkludente oder ausdrückliche Verpflichtung der Ersatzpflicht durch den Unternehmer fehlt. Bei der Frage der Handelsüblichkeit kommt, abweichend von dem Kriterium des regelmäßigen Geschäftsbetriebs, der Maßstab des für HV 53 dieser Sparte oder Branche Üblichen zur Geltung. Dabei kommt es regelmäßig auf die Verhältnisse am Tätigkeitsort des HV an. Sie sind vom Anspruchsteller zu beweisen, z.B. durch das Beweisangebot eines Sachverständigengutachtens der Handelskammer. Die Generalisierung des Maßstabs bedingt in solchen Fällen zugleich eine Beschränkung der Ersatzfähigkeit auf Aufwendungen üblicher Größenordnung. Regelmäßig ist von fehlender Üblichkeit der Übernahme der Geschäftskosten durch den Unternehmer auszugehen. Gibt es eine Übernahmepflicht des Unternehmers, so sind Aufwendungen vorausgesetzt, die außerhalb des normalen Geschäftsbetriebes anfallen; übersteigen sie das übliche Maß, würde der HV wiederum, bevor er solche Aufwendungen eingeht, die Entschließung des Unternehmers einzuholen haben. Vgl. zum Handelsbrauch in einzelnen Fachzweigen: Der Handelsbrauch im Handelsvertreterrecht, 1952 Nr. 168–179. Die Erstattung von Kosten, welche für den Abschluss des HV-Vertrages entstehen, etwa Reisekosten zu Vorstellungsgesprächen 54, ist anders als bei Arbeitnehmerin nicht üblich 55.

E. Aufwendungsersatz kraft Vereinbarung Vereinbarungen über Aufwendungsersatz überheben der Notwendigkeit einer Prüfung, 12 ob die Aufwendungen im regelmäßigen Geschäftsbetrieb entstanden sind oder ihre Ersatzfähigkeit als handelsüblich anerkannt ist. Die Vereinbarung kann allgemein im Voraus, ausdrücklich oder konkludent, pauschaliert oder nicht pauschaliert, getroffen sein (Spesenzuschuss, Fixum), oder für den Einzelfall. LAG Bremen 56 hat die über längere Zeit sich hinziehende Duldung durch den Unternehmer, der von laufenden Werbemaßnahmen des HV wusste, als stillschweigende Beauftragung angesehen und den Unternehmer wegen der Werbungskosten für ersatzpflichtig gehalten.

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LAG Bremen DB 1955, 535; Genzow in: Ensthaler, § 87d Rn 3. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87d Rn 15; aA Ebenroth/Löwisch § 87d Rn 5; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87d Rn 6; Schlegelberger/Schröder § 87d Rn 4 (es kommt auf die Verhältnisse in der Branche des Unternehmers an).

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AA LG Hagen v. 25.02.1981 – 17 S 19/81, HVR Nr. 543; Hopt § 87d Rn 5; Röhricht/ Graf v. Westphalen/Küstner § 87d Rn 9: Erstattungsfähigkeit nach § 670 BGB. Ebenroth/Löwisch § 87d Rn 8. DB 1955, 535.

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§ 87d

1. Buch. Handelsstand

F. Geschäftsführung ohne Auftrag 13

Der Unternehmer schuldet auch dann Ersatz der Aufwendungen des HV, falls – vom HV zu beweisen – die Voraussetzungen einer berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag vorliegen (§§ 677, 683 BGB) 57. Bei der Ermittlung des Interesses sowie des wirklichen oder mutmaßlichen Willens des Unternehmers nach §§ 677, 683 BGB ist vom Regelfall auszugehen, nach dem der Unternehmer im Zweifel über die Provisionszahlung und etwaige weitere Vergütungsversprechen hinaus ohne ausdrückliche Absprache keine weitere Zahlungen für Leistungen des HV erbringen will 58. § 87d spiegelt diesen Regelfall wieder.

G. Fälligkeit des Ersatzanspruchs 14

Der Ersatzanspruch ist fällig, sobald die ersatzfähige Aufwendung getätigt wurde. Falls voraussichtlich ein Aufwendungsersatzanspruch gegeben ist, besitzt der HV einen Vorschussanspruch analog § 669 BGB, über den der HV später abzurechnen hat 59. Der Unternehmer darf gegen diesen Anspruch – wie grundsätzlich gegen jede Forderung des HV – aufrechnen 60.

H. Besonderheiten des Fixums 15

Werden feste Unkostensätze (Aufwendungspauschale, Spesenpauschale, Fixum) neben der Provision gewährt, ist ihre Zahlung nicht an die Voraussetzung gebunden, dass der HV Aufträge hereinbringt; das Fixum ist keine Erfolgsprämie. Jedoch entfällt der Anspruch, sofern der HV vertragswidrig ohne Grund, aber auch infolge Krankheit oder Freistellung, von der Verpflichtung zum Tätigwerden keine Tätigkeit für den Unternehmer entfaltet hat, ausgenommen den zur Deckung der fortlaufenden Kosten erforderlichen Anteil 61. Im Zweifel ist es Geschäftsgrundlage einer solchen Abrede, dass der HV seine Vertragspflichten in angemessener Weise erfüllt 62. Hat der HV eine Tätigkeit für den Unternehmer aus eigenem Antrieb unterlassen, so wird seinem Anspruch auf das Fixum in voller Höhe der Einwand der Arglist sowie des § 320 BGB entgegenstehen, freilich nicht schon dann, wenn der Unternehmer der Meinung ist, der HV habe nicht genügend Erfolge erzielt oder sich nicht genügend eingesetzt 63.

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I.E. Ebenroth/Löwisch § 87d Rn 4; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 87d Rn 2; HK/Ruß § 87d Rn 2; Hopt § 87d Rn 5; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87d Rn 6, 7; Röhricht/Graf v. Westphalen/ Küstner § 87d Rn 2; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87d Rn 8; Schlegelberger/ Schröder § 87d Rn 4a, 5. Ebenroth/Löwisch § 87d Rn 4; Schröder DB 1956, 417.

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Ebenroth/Löwisch § 87d Rn 7; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87d Rn 16. AA Ebenroth/Löwisch § 87d Rn 7. LAG Baden-Württemberg DB 1959, 656 (Leits.). Ebenroth/Löwisch § 87d Rn 10. OLG Braunschweig BB 1956, 226.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 88a

I. Dispositivität Wie dargelegt ist § 87d dispositiv 64. Allerdings bestimmt die Norm das gesetzliche 16 Leitbild. Durch AGB darf ein Verwender daher nicht ohne guten Grund vom Regelungsgehalt abweichen 65. In der überwiegenden Zahl der Fälle wird dieses Abweichungsgebot zu Lasten des Unternehmers gereichen, der meist die AGB stellt.

J. Beweislast Der HV hat alle TB-Voraussetzungen seines Aufwendungsersatzanspruches vorzu- 17 tragen sowie zu beweisen 66, und zwar zum einen nach dem Grundsatz, demzufolge er für alle ihm günstigen Ansprüche beweispflichtig ist, zum anderen, weil es sich bei dem Aufwendungsersatz um eine Ausnahme von der Regel handelt („nur verlangen“).

K. Aufwendungsersatzanspruch in der Insolvenz Der Anspruch auf Aufwendungsersatz folgt hinsichtlich seiner insolvenzrechtlichen 18 Einordnung als Masseverbindlichkeit bzw. als einfache Insolvenzforderung der oben § 87a Rn 87 ff entwickelten Differenzierung. Es kommt entscheidend darauf an, ob der Anspruch aus einer Tätigkeit herrührt, die auf einem zwischen Insolvenzverwalter und HV nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vereinbarten neuen Vertragsverhältnis beruht. Trifft dies zu, so ist der Aufwendungsersatzanspruch eine vorab zu befriedigende Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, weil er auf einer Tätigkeit des Insolvenzverwalters beruht. Resultiert der Ersatzanspruch dagegen aus dem ursprünglichen HV-Vertrag mit dem insolventen Unternehmer, so stellt er lediglich eine einfache Insolvenzforderung nach § 38 InsO dar.

§ 88a Zurückbehaltungsrecht des Handelsvertreters (1) Der Handelsvertreter kann nicht im voraus auf gesetzliche Zurückbehaltungsrechte verzichten. (2) Nach Beendigung des Vertragsverhältnisses hat der Handelsvertreter ein nach allgemeinen Vorschriften bestehendes Zurückbehaltungsrecht an ihm zur Verfügung gestellten Unterlagen (§ 86a Abs. 1) nur wegen seiner fälligen Ansprüche auf Provision und Ersatz von Aufwendungen. Schrifttum Schneider Aufrechnungsverbot und unabdingbares Zurückbehaltungsrecht des Handelsvertreters nach § 88a HGB DB 1969, 1229; Schnitzler Gerichtsstandsvereinbarung und Zurückbehaltungsrecht des Handelsvertreters DB 1966, 569. 64

Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87d Rn 2.

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Ebenroth/Löwisch § 87d Rn 11. Ebenroth/Löwisch § 87d Rn 13.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 88a

I. Dispositivität Wie dargelegt ist § 87d dispositiv 64. Allerdings bestimmt die Norm das gesetzliche 16 Leitbild. Durch AGB darf ein Verwender daher nicht ohne guten Grund vom Regelungsgehalt abweichen 65. In der überwiegenden Zahl der Fälle wird dieses Abweichungsgebot zu Lasten des Unternehmers gereichen, der meist die AGB stellt.

J. Beweislast Der HV hat alle TB-Voraussetzungen seines Aufwendungsersatzanspruches vorzu- 17 tragen sowie zu beweisen 66, und zwar zum einen nach dem Grundsatz, demzufolge er für alle ihm günstigen Ansprüche beweispflichtig ist, zum anderen, weil es sich bei dem Aufwendungsersatz um eine Ausnahme von der Regel handelt („nur verlangen“).

K. Aufwendungsersatzanspruch in der Insolvenz Der Anspruch auf Aufwendungsersatz folgt hinsichtlich seiner insolvenzrechtlichen 18 Einordnung als Masseverbindlichkeit bzw. als einfache Insolvenzforderung der oben § 87a Rn 87 ff entwickelten Differenzierung. Es kommt entscheidend darauf an, ob der Anspruch aus einer Tätigkeit herrührt, die auf einem zwischen Insolvenzverwalter und HV nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vereinbarten neuen Vertragsverhältnis beruht. Trifft dies zu, so ist der Aufwendungsersatzanspruch eine vorab zu befriedigende Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, weil er auf einer Tätigkeit des Insolvenzverwalters beruht. Resultiert der Ersatzanspruch dagegen aus dem ursprünglichen HV-Vertrag mit dem insolventen Unternehmer, so stellt er lediglich eine einfache Insolvenzforderung nach § 38 InsO dar.

§ 88a Zurückbehaltungsrecht des Handelsvertreters (1) Der Handelsvertreter kann nicht im voraus auf gesetzliche Zurückbehaltungsrechte verzichten. (2) Nach Beendigung des Vertragsverhältnisses hat der Handelsvertreter ein nach allgemeinen Vorschriften bestehendes Zurückbehaltungsrecht an ihm zur Verfügung gestellten Unterlagen (§ 86a Abs. 1) nur wegen seiner fälligen Ansprüche auf Provision und Ersatz von Aufwendungen. Schrifttum Schneider Aufrechnungsverbot und unabdingbares Zurückbehaltungsrecht des Handelsvertreters nach § 88a HGB DB 1969, 1229; Schnitzler Gerichtsstandsvereinbarung und Zurückbehaltungsrecht des Handelsvertreters DB 1966, 569. 64

Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 87d Rn 2.

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Ebenroth/Löwisch § 87d Rn 11. Ebenroth/Löwisch § 87d Rn 13.

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§ 88a

1. Buch. Handelsstand

Übersicht Rn A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . B. Absatz 1 . . . . . . . . . . . . . . . . I. Handelsvertreter . . . . . . . . . II. Gesetzliche Zurückbehaltungsrecht III. Verzicht . . . . . . . . . . . . . IV. Im Voraus . . . . . . . . . . . . V. Umgehungsversuche . . . . . . . VI. Klage . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . .

Rn

1

IV. Nach Beendigung des Vertragsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . V. Nach allgemeinen Vorschriften bestehendes Zurückbehaltungsrecht . VI. Ihm zur Verfügung gestellten Unterlagen . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Nur wegen fälliger Ansprüche auf Provision und Ersatz von Aufwendungen . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Geltendmachung . . . . . . . . . . IX. Allgemeine Schranken des ZBR . .

2–10 2 3–6 7 8 9 10

C. Absatz 2: Einschränkung des gesetzlichen Zurückbehaltungsrechts des Handelsvertreters . . . . . . . . . . . . . . . . . 11–19 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . 11 II. Zweck . . . . . . . . . . . . . . . 12 III. Handelsvertreter . . . . . . . . . . 13

D. Dispositivität

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. . . . . . . . . . . . . .

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E. Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . .

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A. Einleitung 1

Die erst 1953 in das Gesetz eingefügte Bestimmung (das ursprüngliche HGB enthielt keine Regelung des ZBR des HV) hat zwei Gesichter. Abs. 1 ist eine Schutzvorschrift zugunsten des HV. Abs. 2 engt sein Zurückbehaltungsrecht gegenüber dem allgemeinen bürgerlichrechtlichen und handelsrechtlichen ein. Eine § 88a entsprechende Regelung findet sich in der EG-Richtlinie 1986 nicht. Die Vorschrift ist damit nicht europarechtlich präformiert.

B. Absatz 1 I. Handelsvertreter 2

§ 88a setzt einen wirksamen oder fehlerhaften, jedoch faktisch in Vollzug gesetzten 1 HV-Vertrag voraus. Die Norm ist auf andere Vertriebsmittler, etwa Vertragshändler, Franchisenehmer oder Kommissionsagenten analog anwendbar, soweit sie – im Fall des Abs. 2 der Unternehmer – in einem vergleichbaren, handelsvertreterähnlichen Vertragsverhältnis stehen 2 und es um Ansprüche geht, die unmittelbar aus der Geschäftsbeziehung resultieren 3, etwa Boni und Prämien 4. Das ZBR des echten Untervertreters besteht gegenüber seinem Hauptvertreter 5.

II. Gesetzliche Zurückbehaltungsrecht 3

Auf sein gesetzliches ZBR soll der HV zu seinem Schutz gegenüber dem leitbildtypisch wirtschaftlich überlegenen Unternehmer 6 nach Abs. 1 nicht im Voraus verzichten dürfen. 1 2

3

Ebenroth/Löwisch § 88a Rn 1. Ebenroth/Löwisch § 88a Rn 16; Genzow in: Ensthaler, § 88a Rn 8; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 88a Rn 8. Genzow in: Ensthaler, § 88a Rn 8.

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4 5 6

Genzow in: Ensthaler, § 88a Rn 8. Ebenroth/Löwisch § 88a Rn 16. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 88a Rn 2.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 88a

Gesetzliche Zurückbehaltungsrechte sind sowohl diejenigen nach bürgerlichem Recht 4 (§ 273 BGB) wie die weitergehenden nach Handelsrecht (§§ 369 ff, falls auch der Unternehmer Kaufmann ist). § 88a setzt die gesetzlichen ZBR des HV also voraus und begründet sie nicht 7. Die Geltendmachung des ZBR nach § 273 BGB hat zur Folge, dass dem HV ein Leistungsverweigerungsrecht zusteht. Der Unternehmer darf jedoch die Ausübung des ZBR durch Sicherheitsleistung abwenden (§ 273 Abs. 3 BGB). Klagt der Unternehmer die Leistung ein, darf der HV aufgrund des Zurückbehaltungsrechts nur zur Leistung Zug um Zug verurteilt werden (§ 274 BGB). Unter den Voraussetzungen des § 369 steht dem HV ein kaufmännisches ZBR zu. Voraussetzung ist, dass der Unternehmer selbst Kaufmann ist 8. Das kaufmännische ZBR gewährt dem HV nicht nur ein Leistungsverweigerungsrecht, sondern unter den besonderen Voraussetzungen des § 371 auch ein Befriedigungsrecht 9, beim Notrückbehaltungsrecht des § 370 sogar wegen nicht fälliger Forderungen 10. Vertragliche Zurückbehaltungsrechte werden durch die Vorschrift nicht erfasst 11. Auf 5 sie kann, wie sie durch Vertrag begründet worden sind, ebenso durch Vertrag noch vor ihrer Entstehung wieder Verzicht geleistet werden. Die Vorschrift gilt ferner nicht für die Aufrechnung. Dies betreffend bleibt es bei den allgemeinen Grenzen des Zivilrechts, insbesondere nach § 307 BGB. Abs. 2 passt ohnehin nicht auf die Aufrechnung. Zur Aufrechnung auch Rn 9. Grundsätzlich darf der HV zur Sicherung seiner Rechte, auch der Ausgleichsvergütung 6 nach § 89b 12, unbeschränkt ein ZBR ausüben, selbst an Kommissions- oder Vorratswaren und trotz der Herausgabepflicht nach § 667 BGB 13. Es steht ihm als Druckmittel jederzeit, bei jeder Forderung unabhängig von ihrem Wert 14 (selbst bei wertlosen Mustern) 15 neu entstehend zu, bis die jeweilige Forderung vollständig erfüllt ist 16. Die nach Abs. 1 garantierte Unabdingbarkeit scheidet nur aus, wo ein ZBR des HV von vornherein nicht bestehen kann, weil sich ein ZBR nach dem Inhalt der vertraglichen Pflichten verbietet. Insbesondere wird das kaufmännische ZBR nach § 369 Abs. 3 eingeschränkt (siehe auch Rn 19) 17. Es betrifft dies die Zurückhaltung besonders vertragswesentlicher Tätigkeiten wegen geringer Forderungen. Eine solche besonders bedeutende Pflicht ist etwa die Berichtspflicht 18. Diskutiert wird ein Ausschluss des ZBR ferner bei der Pflicht zur Verwendung von Mustern 19, Drucksachen 20 und sonstigen nach § 86a Abs. 1 überlassenen Unterlagen gegenüber dem Kunden 21, der Kundenkartei 22, der Pflicht zur Weiter7 8 9

10 11

12 13 14

MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 88a Rn 4. MünchKomm HGB/v. Hoyningen-Huene § 88a Rn 7. Genzow in: Ensthaler, § 88a Rn 7; Hopt § 88a Rn 1; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 88a Rn 7. Genzow in: Ensthaler, § 88a Rn 7. Ebenroth/Löwisch § 88a Rn 1; Hopt § 88a Rn 1; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 88a Rn 4; Schlegelberger/Schröder § 88a Rn 1. OLG Köln VersR 1970, 53; Ebenroth/ Löwisch § 88a Rn 1. OLG Köln VersR 1970, 53; Hopt § 88a Rn 1; aA OLG Düsseldorf OLGR 2000, 382 (384). Ebenroth/Löwisch § 88a Rn 2; aA OLG Hamburg, HVR Nr. 101; Küstner/Thume I, Rn 627.

15 16 17 18 19

20 21

22

Schlegelberger/Schröder § 88a Rn 2. BGH VersR 1983, 873; Ebenroth/Löwisch § 88a Rn 1. Genzow in: Ensthaler, § 88a Rn 1. Schlegelberger/Schröder § 88a Rn 3. Gegen ein ZBR: Ebenroth/Löwisch § 88a Rn 4; Hopt § 88a Rn 4; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 88a Rn 16; Schlegelberger/Schröder § 88a Rn 3. Gegen ein ZBR: Hopt § 88a Rn 4. Gegen ein ZBR: Ebenroth/Löwisch § 88a Rn 3; Schlegelberger/Schröder § 88a Rn 8a. Ausnahme: falls sie vom Unternehmer lediglich zum Austausch bestimmt sind (z.B. Neuaufl. von Werbematerial). Für ein ZBR: BGH WM 1983, 863; Hopt § 88a Rn 1.

Raimond Emde

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§ 88a

1. Buch. Handelsstand

leitung eingezogener Inkassobeträge 23, z.B. Versicherungsprämien 24 (für diese gilt nicht der Ausschluss des § 369 Abs. 3) 25, der Verwendung von Vorführgeräten 26, der Zurückgabe von Gegenständen, welche für die laufende Abwicklung der Geschäftstätigkeit unverzüglich ausgetauscht werden müssen 27 oder vom Unternehmer für die Ausführung des vermittelten Geschäfts und dessen Abrechnung dringend benötigt werden 28. Nach Ansicht des OLG Köln 29 darf der HV die Herausgabe von kassierten Geldern verweigern, wenn der Unternehmer Ausgleich und Inkassoprovisionen nicht leistet (aufrechnungsgleiche Wirkung). Da der zu einer Geschäftsbesorgung Verpflichtete die Ausführung der Geschäftsbesorgung nicht schrankenlos von der Erfüllung seiner eigenen Ansprüche abhängig machen darf 30 ist in all diesen Fällen unter gebotener Berücksichtigung der berechtigten Interessen beider Parteien sowie Treu und Glaubens und § 369 Abs. 3 zu bestimmen, an welchen Forderungen ein ZBR entstehen kann 31, wobei Ausnahmen von dem Grundsatz des unbeschränkten ZBR eng auszulegen sind. Fordert der Unternehmer Gegenstände zurück 32 oder sind sie nicht mehr für den Vertrieb geeignet 33, wird regelmäßig ein ZBR nach Abs. 1 zulässig sein 34. Selbst Berichte – außer in Notfällen – wird der HV zurückhalten dürfen, sofern er über längere Zeit nicht bezahlt wird; auf eine seine Ausgleichsberechtigung gefährdende Eigenkündigung muss er sich nicht verweisen lassen. Im Fall einer außerordentlich großen Diskrepanz zwischen dem Wert der zurückbehaltenden Gegenstände und der Forderungshöhe mag der Zurückbehalt einen Verstoß gegen Treu und Glauben darstellen 35. In diesen Fällen entfällt das ZBR jedoch, wenn der HV das Herauszugebende durch vorsätzliche Vertragsverletzung oder unerlaubte Handlung erlangt hat, wie etwa vertragswidrig eingezogene 36 oder einbehaltene 37 Kundengelder. Nach Ende des Vertragsverhältnisses erwächst dem HV gem. Abs. 2 allerdings auch an den Mustern und sonstigen Unterlagen ein begrenztes ZBR 38.

III. Verzicht 7

Abs. 1 regelt nur den unabdingbaren39 Verzicht auf das ZBR. Zu weiteren Fragen neben dem Verzicht, etwa zu Entstehen, Fortbestand, Wirkungen und Grenzen des gesetzlichen Zurückbehaltungsrechts des HV sowie zu dem in § 88a nicht angesprochenen 23

24

25 26

27 28 29 30

Für ein ZBR: OLG Köln VersR 1970, 53 (54); Ebenroth/Löwisch § 88a Rn 4; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 88a Rn 7 (Ausnahme: wenn Gesetz oder Vertrag im Einzelfall etwas Gegenteiliges zu entnehmen sei; vgl. Höft VersR 1970, 461). Gegen ein ZBR: Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 88a Rn 2. Gegen ein ZBR: LG Bonn v. 25.11.1970 – 11 O 92/98, VersR 1971, 543; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 88a Rn 6. Hopt § 88a Rn 1. Hopt § 88a Rn 4: ZBR zulässig, aber keine Verwertung nach § 369 Abs. 3, Ausnahme: § 370 Abs. 2. Gegen ein ZBR: Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 88a Rn 2. Ebenroth/Löwisch § 88a Rn 2. OLG Köln VersR 1970, 53 (54). OLG Köln VersR 1970, 53 (54).

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34 35 36 37 38 39

OLG Köln VersR 1970, 53 (54); Ebenroth/ Löwisch § 88a Rn 2; Schlegelberger/Schröder § 88a Rn 3. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 88a Rn 18. Genzow in: Ensthaler, § 88a Rn 1; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 88a Rn 18. Hopt § 88a Rn 4; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 88a Rn 18. Küstner/Thume I, Rn 628. Höft VersR 1970, 461; Ebenroth/Löwisch § 88a Rn 4. AA Ebenroth/Löwisch § 88a Rn 4. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 88a Rn 2. Ebenroth/Löwisch § 88a Rn 5; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 88a Rn 21.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 88a

ZBR des Unternehmers trifft § 88a keine Bestimmung. Diese Fragen werden durch die das ZBR regelnden Normen geordnet 40. Die Unabdingbarkeit macht nicht nur jeden einseitigen oder vertraglichen Verzicht 41 im eigentlichen Sinne, sondern auch jede Beschränkung gem. § 134 BGB unwirksam 42, insbes. Abbedingung des zugunsten des HV als des Gläubigers gegebenen Gerichtsstandes nach § 371 Abs. 4 43 oder Beschränkung des ZBR auf Fälle der Meinungsverschiedenheiten 44; die Ausdehnung auf solche Fälle rechtfertigt sich aus den gleichen Erwägungen wie bei Voraus-Einschränkungen des Ausgleichsanspruchs, § 89b Rn 251 ff). Der zwingenden Natur widersprechende Weisungen des Unternehmers sind insoweit irrelevant 45, weil der Unternehmer durch Weisungen nicht über den Regelungsbereich des Abs. 1 disponieren darf.

IV. Im Voraus Verzicht geleistet werden kann auf das Zurückbehaltungsrecht, sobald und soweit es 8 in der konkreten Situation ausübbar geworden ist. Akut wird das vor allem für die Zeit nach Ende des Vertragsverhältnisses. Denn nunmehr sind regelmäßig alle zum Entstehen des Rechts erforderliche TB vollständig verwirklicht, die Ansprüche des HV entstanden und fällig 46, das Zurückbehaltungsrecht also ausübbar und damit derogierbar 47. Das gilt jedenfalls, sofern alle wesentlichen Ansprüche des HV erfüllt oder geregelt sind (§ 90a Rn 71). Der nicht im Voraus vereinbarte Verzicht ist wirksam 48; ein vor diesem Zeitpunkt erklärter Verzicht hingegen nach § 134 BGB unwirksam 49. § 242 BGB steht der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts nach Unwirksamkeit regelmäßig nicht entgegen 50. Ab diesem Datum reduziert sich die Unabdingbarkeit auf die Sicherung noch nicht fälliger Ansprüche aus Überhangprovisionen (§ 87 Abs. 3) und aus Abschlüssen vor dem Ende des Vertragsverhältnisses, für die die Provision aus Gründen des § 87a noch nicht endgültig und fällig geworden ist; wichtig für §§ 273 Abs. 3 BGB, 369 Abs. 4 HGB (Ausmaß der dem Unternehmer zur Abwendung des Zurückbehaltungsrechts gestatteten Sicherheitsleistung). Abs. 1 steht Vereinbarungen über die Abwendung des ZBR durch Sicherheitsleistung (§§ 273 Abs. 3, 369 Abs. 4) 51 oder über die Verfügung hinsichtlich der dem ZBR unterliegenden Gegenstände (Ausnahme: Aufrechnung) nicht entgegen 52.

40 41 42 43 44 45 46 47

Ebenroth/Löwisch § 88a Rn 1. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 88a Rn 11. Schnitzler DB 1966, 569. Hopt § 88a Rn 2; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 88a Rn 1. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 88a Rn 1. AA Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 88a Rn 5. Genzow in: Ensthaler, § 88a Rn 2. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 88a Rn 13, 14; Schlegelberger/Schröder § 88a Rn 6.

48

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50 51 52

Ebenroth/Löwisch § 88a Rn 5; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 88a Rn 12. Ebenroth/Löwisch § 88a Rn 5; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 88a Rn 9. Ebenroth/Löwisch § 88a Rn 5; Schlegelberger/Schröder § 88a Rn 6. Ebenroth/Löwisch § 88a Rn 8. Ebenroth/Löwisch § 88a Rn 8; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 88a Rn 5.

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§ 88a

1. Buch. Handelsstand

V. Umgehungsversuche 9

Unwirksam sind Umgehungsversuche des Derogationsverbots, was für Verrechnungsvereinbarungen 53 oder vertraglich statuierte Vorleistungspflichten des HV, die über ihren gesetzlichen Umfang hinausgehen 54, diskutiert wird (fraglich). Ob vertragliche Aufrechnungsverbote eine solche Umgehung darstellen und deshalb im HV-Recht gem. § 88a HGB, § 134 BGB unwirksam sind, ist unsicher 55. Dagegen spricht, dass Aufrechnung und ZBR zu unterscheiden sind (Rn 5) 56. Auch wird die übliche Standard-AGB, die zugleich Aufrechnung und ZBR ausschließt, teilbar sein, so dass nach dem „blue-penciltest“ des AGB-Rechts hinsichtlich des Aufrechnungsausschlusses ein wirksamer und separierbarer Restregelungsbereich verbleibt 57. Trotz eines Aufrechnungsverbots bleibt innerhalb der Grenzen des § 88a eine Zurückbehaltung des HV zulässig 58, was in der Sache trotz fehlender „Befriedigungsfunktion“ des ZBR auf dasselbe hinausläuft. Unabhängig von § 390 BGB erhält Abs. 1 dem HV die Möglichkeit der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts gegenüber Geldforderungen des Unternehmers, weswegen seine Geltendmachung nicht als Aufrechnungserklärung gewertet werden darf 59.

VI. Klage 10

Auf Grund eines ausgeübten ZBR darf der HV Klage auf Gestattung der Befriedigung bei dem Gericht erheben, in dessen Bezirk er seinen allgemeinen Gerichtsstand oder den Gerichtsstand der Niederlassung hat (§ 371 Abs. 4) und zwar auch dann, wenn ein abweichender Gerichtsstand vereinbart wurde 60. Allerdings ist zu beachten, dass dieser besondere Gerichtsstand weder für eine Zwischenfeststellungsklage noch zur Austragung eines Streits über die Höhe der Forderungen benutzt werden kann, auf die sich das ausgeübte ZBR bezieht 61. Andererseits braucht im Rahmen der Befriedigungsklage die Höhe der zugrunde liegenden Forderungen nicht beziffert zu werden 62.

53 54 55

56 57

58

Ebenroth/Löwisch § 88a Rn 7. Schlegelberger/Schröder § 88a Rn 3. Dafür 4. Aufl., Rn 1; Hopt § 88a Rn 2 unter unzutreffendem Verweis auf OLG Köln VersR 1970, 53; Ebenroth/Löwisch § 88a Rn 7; dagegen wohl OLG Hamm, Beschl. v. 12.08.1993 – 18 W 23/93, NJW-RR 1994, 158; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 88a Rn 6. Hierzu OLG Köln VersR 1970, 53. Auch OLG Köln VersR 1970, 53 (54) verneint eine Unwirksamkeit der die Aufrechnung verbietenden AGB. OLG Köln VersR 1970, 54; Ebenroth/

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59

60 61 62

Löwisch § 88a Rn 7; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 88a Rn 5; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 88a Rn 12; Schneider DB 1969, 1229. OLG Köln VersR 1970, 53; Schneider DB 1969, 1229; Ebenroth/Löwisch § 88a Rn 7. Schnitzler DB 1966, 569; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 88a Rn 3. OLG Hamburg MDR 1951, 741; Röhricht/ Graf v. Westphalen/Küstner § 88a Rn 3. OLG Hamburg MDR 1960, 315; Küstner in Röhricht/Graf v. Westphalen, § 88a Rn 3.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 88a

C. Absatz 2: Einschränkung des gesetzlichen Zurückbehaltungsrechts des Handelsvertreters I. Einleitung Nach Beendigung des HV-Verhältnisses (aber nur dann) wird das ZBR des HV, soweit 11 es nach allgemeinen Vorschriften bestünde, nicht unerheblich eingeschränkt. An den nach § 86a Abs. 1 überlassenen Unterlagen kann es nur noch wegen fälliger Ansprüche auf Provision und Ersatz von Aufwendungen ausgeübt werden. Die Arbeitsunterlagen sind weithin „retentionsfest“. Gemäß § 371 Abs. 4 darf der HV, der an den Unterlagen ein ZBR ausgeübt hat, Klage auf Gestattung und Befriedigung bei dem für seinen Wohnsitz zuständigen Gericht erheben, und zwar auch dann, wenn im HV-Vertrag eine andere Zuständigkeit vereinbart ist (s.a. Rn 10) 63.

II. Zweck Durch Abs. 2 soll der Unternehmer bevorzugt in den Stand gesetzt sehen, einen Nach- 12 folger des HV mit den Arbeitsunterlagen auszurüsten, damit der Übergang der Kundenbetreuung sich reibungslos vollziehen kann 64. So jedenfalls die Vorstellung des Gesetzgebers 65. Nur für die für den HV existenzwichtigen und (angeblich) leicht zu klärenden Provisions- und Aufwendungsersatzansprüche sollte eine Ausnahme gemacht werden 66. In die Wirksamkeit dieser Vorschrift sollte man dessen ungeachtet keine allzu großen Erwartungen setzen. Dass der ausscheidende HV die Überleitung seines Arbeitsgebiets auf einen Nachfolger durch Zurückhaltung der ihm überlassenen Arbeitsunterlagen (sei es auch nur wegen rückständiger Provisionen und Aufwendungsersatzansprüche) blockieren könne, setzt voraus, dass die Ausstattung mit diesen Unterlagen je Bezirk oder Arbeitsrate beim Unternehmer nur einmal vorhanden ist. Tatsächlich dürfte eine Reserve einschließlich Kopien der Kundenliste (auch sie wird durch die Bestimmung erfasst:) wohl stets zur Verfügung stehen. Unternehmerische Vorsicht wird hierauf geradezu Bedacht nehmen.

III. Handelsvertreter 13

Zum Begriff des HV § 84.

IV. Nach Beendigung des Vertragsverhältnisses Maßgeblich ist grundsätzlich das rechtliche 67, nicht das faktische Vertragsende. Ent- 14 scheidend ist also der Eintritt der Kündigungswirkung, nicht das Datum der Kündigungserklärung. Weder die unberechtigte fristlose Kündigung noch das damit ggf. verbundene Beschäftigungsverbot bzw. die erklärte Freistellung beenden das Vertragsverhältnis 68. Abweichend hiervon kommt es bei rechtlich unwirksamen, aber faktisch durchgeführtem

63 64 65

Küstner/Thume I, Rn 632. Hopt § 88a Rn 5. Amtl. Begr. S. 31.

66 67 68

Hopt § 88a Rn 5. Ebenroth/Löwisch § 88a Rn 12. Ebenroth/Löwisch § 88a Rn 12.

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1. Buch. Handelsstand

Vertrag zum Schutze des HV auf das faktische Vertragsende an. Denn sonst wäre das ZBR des HV über die gesamte Dauer des durchgeführten Vertrages eingeschränkt.

V. Nach allgemeinen Vorschriften bestehendes Zurückbehaltungsrecht 15

Gemeint ist auch hier (Rn 5) nur ein nach allgemeinen Vorschriften bestehendes ZBR, also das gesetzliche und nicht das vertragliche 69. Für vertragliche ZBR gelten die getroffenen Vereinbarungen 70. Das ZBR kann nach bürgerlichem oder nach Handelsrecht begründet sein. Das ZBR nach § 273 BGB setzt Konnexität zwischen Verlangen-dürfen und Leisten-müssen voraus; das Zurückbehaltungsrecht kraft § 369 HGB kennt dieses Erfordernis nicht, besteht dafür aber nur zwischen Kaufleuten – weder Unternehmer noch HV brauchen solche zu sein – und hat zum Gegenstand nur Waren und Wertpapiere des Schuldners (hier: des Unternehmers), die mit dessen Willen in den Besitz des Gläubigers (des HV) gelangt sind, und zwar auf Grund von Handelsgeschäften.

VI. Ihm zur Verfügung gestellten Unterlagen 16

Es handelt sich allein um die in § 86a Abs. 1 genannten Unterlagen (im Einzelnen § 86a Rn 69 ff). Soweit andere in der Zurückbehaltungsmacht des HV befindliche Gegenstände betroffen sind, ist eine gesetzlich befugte Zurückbehaltung unbeschränkt durchsetzbar 71 – und alsdann insbesondere ohne Begrenzung auf bestimmte Gattungen von Forderungen, also auch wegen des Ausgleichanspruchs oder Schadenersatzansprüchen 72. Insbesondere soll wegen des Ausgleichs ein ZBR an Lagerware begründet sein, wenn der HV ein Auslieferungslager unterhält 73. Die Vorschrift besagt nicht, dass nach Vertragsende nur noch ein Zurückbehaltungsrecht im Rahmen des Abs. 2 gegeben ist 74. Wegen fälliger Schadensersatz-, Ausgleichs- oder Karenzentschädigungsforderungen kann der HV ein ZBR an dem ihm überlassenen Reise-PKW (§ 273 BGB) ausüben, unter den Voraussetzungen des § 369 etwa an einem Gebrauchtwagen, welchen der Unternehmer ihm aus Firmenbeständen für Zwecke eines neben der Agentur betriebenen Fuhrgeschäfts mietweise zur Verfügung gestellt hatte und dessen Rückgabe er nunmehr unter Kündigung des Mietvertrages verlangt 75. Erhält der HV Musterkoffer zum Transport der Unterlagen, so fehlt auch insoweit die Einschränkung des ZBR gemäß § 88a. Denn auch sie zählen nicht zu den „Unterlagen“, so dass an ihnen ein ZBR z.B. wegen des Ausgleichsanspruchs geltend gemacht werden darf 76. Der Unternehmer darf sowohl das bürgerlichrechtliche wie das handelsrechtliche ZBR durch Sicherheitsleistung abwenden (§§ 273 Abs. 3 BGB, 369 Abs. 4).

69 70

71

Ebenroth/Löwisch § 88a Rn 9. Ebenroth/Löwisch § 88a Rn 9; Genzow in: Ensthaler, § 88a Rn 6; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 88a Rn 16. Ebenroth/Löwisch § 88a Rn 9; Genzow in: Ensthaler, § 88a Rn 4; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 88a Rn 16.

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72 73 74 75 76

Genzow in: Ensthaler, § 88a Rn 4. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 88a Rn 5. Ebenroth/Löwisch § 88a Rn 9. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 88a Rn 16. OLG Hamburg HVR Nr. 101.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 88a

VII. Nur wegen fälliger Ansprüche auf Provision und Ersatz von Aufwendungen Als zur Zurückbehaltung berechtigende Provision wird alles, was unter dieser Be- 17 zeichnung läuft und dem HV periodisch vergütet worden ist, zu verstehen sein; etwa Provisionen nach § 87, 87a und 87b 77 einschließlich der Forderungen nach § 87a Abs. 3, auch Inkasso-, Delkredere-, Bestandspflegeprovisionen. Für sie wird die Unterscheidung zwischen Zurückbehaltung nach bürgerlichem und (weitgehend) nach Handelsrecht bedeutungslos: eine Konnexität i.S.d § 273 BGB ist hier stets gegeben. Aufwendungsersatz umfasst alles, was nach den Erläuterungen zu § 87d ersetzt verlangt werden kann. Diese Forderungen müssen im Moment der Vertragsbeendigung fällig sein. Da die Unterlagen bei Vertragsende zurückzugeben sind, darf das ZBR nicht auf erst nach Vertragsende fällige Forderungen gestützt werden, selbst wenn der HV die Unterlagen in dem Zeitpunkt, etwa aufgrund des ihm zustehenden ZBR nach Abs. 2, noch in Besitz hat oder die zu sichernde Forderung des HV bei Vertragsende bereits entstanden ist 78. Ausnahmen werden nach § 242 BGB behandelt. Obwohl teilweise vergleichbar existenzwichtig (vor allem bei Fehlen anderweitigen Einkommens) soll der HV wegen anderer Forderungen das ZBR an den Unterlagen des § 86a Abs. 1 nicht geltend machen. Das betrifft etwa Forderungen auf Schadensersatz (auch wegen entgangener Provisionen 79 und aus § 89a Abs. 2), auf Ausgleich (§ 89b) 80 sowie auf Karenzentschädigung (§ 90a) 81. Auch hier sind im Lichte des § 242 BGB Ausnahmen denkbar.

VIII. Geltendmachung Der HV darf sich jederzeit auf sein ZBR berufen. Das Recht kann allerdings verwir- 18 ken, was ein Zeit- und Umstandsmoment voraussetzt, oder nach allgemeinen Grundsätzen (Rn 6, 19) ausgeschlossen sein. Der HV muss folglich sein ZBR an den erhaltenen Unterlagen nicht zwingend sofort geltend machen, wenn der Unternehmer diese herausverlangt, um ein Erlöschen und eine einredefreie Herausgabe zu hindern82. Der HV darf sich daher auch erst zu einem späteren Zeitpunkt, etwa im Prozess, auf sein ZBR berufen.

77 78 79 80

81

82

MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 88a Rn 19. Ebenroth/Löwisch § 88a Rn 10. Ebenroth/Löwisch § 88a Rn 11; Hopt § 88a Rn 5. Ebenroth/Löwisch § 88a Rn 11; Hopt § 88a Rn 5; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 88a Rn 5. Ebenroth/Löwisch § 88a Rn 11; Hopt § 88a Rn 5; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 88a Rn 20; Schlegelberger/Schröder § 88a Rn 8. AA Ebenroth/Löwisch § 88a Rn 14. Begrün-

dung: Da der HV die unter § 86a fallenden Unterlagen nach Vertragsende an den Unternehmer herauszugeben hat und ihm die dann noch bestehenden Provisions- und Aufwendungsersatzansprüche zumindest dem Grunde nach bekannt sein müssen, widerspricht es Sinn und Zweck des Abs. 2 sowie der mit dieser Regelung verfolgten Pflicht zur unverzüglichen Rückgabe, wenn der HV nach Vertragsende berechtigt wäre, deren Rückgabe grundlos zu verweigern und sich erst später, z.B. im Prozeß, erstmals auf sein Recht aus Abs. 2 zu berufen.

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1. Buch. Handelsstand

IX. Allgemeine Schranken des ZBR 19

Unberührt bleiben die allgemeinen Schranken, die die Ausübung des ZBR hindern, z.B. aus §§ 242, 226 BGB oder weil der HV dem Unternehmer gegenüber verpflichtet ist, mit dem betreffenden Gegenstand in bestimmter Weise zu verfahren (§ 369 Abs. 3 83, und entsprechend im Bereich des § 273 BGB). Auch hier bestimmen die Auslegung des Vertrages sowie die Verhältnisse des Einzelfalls über die Einschränkung des ZBR (Rn 6). Kassierte Kundengelder dürfen daher mglw. nicht wegen irgendwelcher Ansprüche des HV zurückgehalten werden. Ebenso ist in Bezug auf die zurückbehaltenen Kunden- und Preislisten das Verwertungsrecht des § 371 HGB eher ausgeschlossen, weil die Veräußerung in der Regel einen Verstoß gegen § 90 darstellen würde.

D. Dispositivität 20

Abs. 1 ist zwingend 84, Abs. 2 dispositiv 85. Zum Vorteil des HV darf unbeschränkt abgewichen werden, etwa das Recht auf nicht fällige Forderungen erstreckt werden 86. Zum Nachteil des HV darf wegen Abs. 1, der auch nach Vertragsende gilt, nicht im Voraus vom Regelungsgehalt des Abs. 1 abgewichen werden 87. Da ein vertragliches ZBR nicht von Abs. 2 erfasst wird, steht es in vollem Umfang zur Disposition der Parteien 88. An die Stelle einer unwirksamen Regelung tritt das Gesetz 89. Zu AGB oben, Vor § 84 Rn 27 ff. Durch Vereinbarung können dem HV beispielsweise nach Beendigung des Vertragsverhältnisses ZBR für an ihm zur Verfügung gestellte Unterlagen im Sinne von § 86 Abs. 1 auch für andere als fällige Ansprüche auf Provisionen und Ersatz von Aufwendungen eingeräumt werden 90.

E. Beweislast 21

Jede Abweichung vom Gesetz hat derjenige zu beweisen, zu dessen Vorteil sie gereicht. Das gleiche gilt für die Vereinbarung eines vertraglichen ZBR. Einen Verzicht auf das gesetzliche ZBR nach Abs. 1 und dessen Zulässigkeit hat der Unternehmer zu beweisen. Die Voraussetzungen eines ZBR hat die Person nachzuweisen, welche sich auf das ZBR beruft. Das dürfte trotz des Ausnahmecharakters der in Abs. 2 enthaltenen Einschränkungen auch im Rahmen des Abs. 2 gelten. Der HV wird daher nachweisen müssen, dass er ausnahmsweise zur Geltendmachung des ZBR nach Abs. 2 berechtigt ist. Nicht dem Unternehmer sondern dem HV obliegt folglich der Beweis für das Vertragsende, die Voraussetzungen des § 86a Abs. 1 hinsichtlich der vom ZBR betroffenen Gegenstände sowie für die fehlende Fälligkeit oder Privilegierung der Forderungen des HV gemäß Abs. 2 91. 83

84 85 86 87

Nach Ansicht von MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 88a Rn 18 ist § 369 Abs. 3 nach Vertragsende unanwendbar. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 88a Rn 21. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 88a Rn 21. Ebenroth/Löwisch § 88a Rn 15. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 88a Rn 21.

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88 89 90 91

Ebenroth/Löwisch § 88a Rn 15. Schnitzler DB 1966, 571; Ebenroth/Löwisch § 88a Rn 15. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 88a Rn 21. AA Ebenroth/Löwisch § 88a Rn 17: Beweislast beim Unternehmer. Der HV brauche nur seine Forderung und die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts nachzuweisen.

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§ 89

§ 89 Kündigung des Vertrages (1) 1 Ist das Vertragsverhältnis auf unbestimmte Zeit eingegangen, so kann es im ersten Jahr der Vertragsdauer mit einer Frist von einem Monat, im zweiten Jahr mit einer Frist von zwei Monaten und im dritten bis fünften Jahr mit einer Frist von drei Monaten gekündigt werden. 2 Nach einer Vertragsdauer von fünf Jahren kann das Vertragsverhältnis mit einer Frist von sechs Monaten gekündigt werden. 3 Die Kündigung ist nur für den Schluß eines Kalendermonats zulässig, sofern keine abweichende Vereinbarung getroffen ist. (2) 1 Die Kündigungsfristen nach Absatz 1 Satz 1 und 2 können durch Vereinbarung verlängert werden; die Frist darf für den Unternehmer nicht kürzer sein als für den Handelsvertreter. 2 Bei Vereinbarung einer kürzeren Frist für den Unternehmer gilt die für den Handelsvertreter vereinbarte Frist. (3) 1 Ein für eine bestimmte Zeit eingegangenes Vertragsverhältnis, das nach Ablauf der vereinbarten Laufzeit von beiden Teilen fortgesetzt wird, gilt als auf unbestimmte Zeit verlängert. 2 Für die Bestimmung der Kündigungsfristen nach Absatz 1 Satz 1 und 2 ist die Gesamtdauer des Vertragsverhältnisses maßgeblich.

Schrifttum Becker-Schaffner Die Änderungskündigung aus materieller und prozessualer Sicht, BB 1991, 129; ders. Zugang der Kündigung, BB 1998, 422; Boldt Zur vorzeitigen Kündigung eines Handelsvertreterverhältnisses, BB 1962, 906; Duden Kündigung von Tankstellenverträgen nach § 624 BGB, NJW 1962, 1326; Füssel Teilkündigung eines Handelsvertretervertrags, DB 1972, 378; Hess Können befristete Arbeitsverhältnisse vor Ablauf der Frist durch eine ordentliche Kündigung gelöst werden, BB 1954, 747; Heyer Zur vorzeitigen Kündbarkeit von Tankstellenverträgen, NJW 1965, 1573; Höft Zur Anwendung des § 89 Abs. 3 HGB, VersR 1973, 600; Hoß/Lohr Befristete Arbeitsverhältnisse, MDR 1998, 313; Küstner Die kündigungsrechtliche Behandlung von Handelsvertreterverträgen mit Verlängerungsklausel, BB 1973, 1239; ders. Handelsvertretervertrag mit Verlängerungsklausel, BB 1975, 195; Leo Rechtsfragen zur Kündigung des Handelsvertretervertrags, DB 1961, 1518; Lohr Kündigung des Arbeitsvertrags – Zurückweisung wegen fehlender Vollmacht, MDR 2000, 620; Maier Kündigung des Handelsvertretervertrags wegen Alters oder Krankheit, BB 1978, 940; Pauly Hauptprobleme der Änderungskündigung, DB 1997, 2378; Preis/Stoffels Die Inhaltskontrolle der Verträge selbständiger und unselbständiger Handelsvertreter, ZHR 160 (1996), 442; Schmidt Die Änderungskündigung nach den neuen Vorschriften des KSchG NJW 1971, 684; Schnitzler Teilkündigung eines Handelsvertretervertrags, MDR 1959, 170; Schröder Änderung der Vertragsbedingungen und Ausgleichsanspruch im Handelsvertreterverhältnis, DB 1958, 975; ders. Handelsvertreterverhältnisse auf „Probe“, DB 1966, 2007; ders. Kündigung von Handelsvertreterverträgen mit Verlängerungsklausel, BB 1974, 298; ders. Handelsvertreterverträge auf bestimmte Zeit, Festschrift für Hefermehl 1976, 113; Schwytz Mindestkündigungsfristen bei Beendigung von Vertragshändlerverträgen, BB 1997, 2385; Ulmer Kündigungsschranken im Handels- und Gesellschaftsrecht, Festschrift für Möhring, 1975, 295; Weimar Kann die Kündigung eines Handelsvertretervertrags wegen Sittenverstoßes nichtig sein, MDR 1959, 986; v. Westphalen Vertragshändlerverträge außerhalb der EG-VO 1475/95 und des Instrumentariums der richterlichen Inhaltskontrolle von AGB-Klauseln, Freundesgabe für Jürgen Gündisch, 1999, S. 70 (zitiert FG Gündisch).

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§ 89

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Übersicht Rn A. Übersicht

. . . . . . . . . . . . . . . .

1

B. Genese und europarechtliche Präformation . . . . . . . . . . . . . . . . .

2

C. Endigungsgründe für das Handelsvertreterverhältnis . . . . . . . . . . . . . I. Änderungskündigung . . . . . . . II. Anfechtung . . . . . . . . . . . . III. Aufhebungsvertrag . . . . . . . . . IV. Auflösende und aufschiebende Bedingung . . . . . . . . . . . . . . V. Befristung . . . . . . . . . . . . . VI. Betriebsveräußerung oder -einstellung . . . . . . . . . . . . . . VII. Auflösung und Vollbeendigung einer Handelsvertretergesellschaft . . . . VIII. Insolvenz des Handelsvertreters oder des Unternehmers . . . . . . 1. Insolvenz des Unternehmers . . . a) Fortsetzung des HV-Vertrages nach Eröffnung des InsV . . . b) Schicksal des Handelsvertretervertrages im Insolvenzantragsverfahren . . . . . . . aa) Fortbestehen im Insolvenzantragsverfahren . . bb) Kündigung durch den HV 2. Insolvenz des HV . . . . . . . . a) Fortbestand des Handelsvertretervertrages in der Insolvenz des Vertreters? . . . . . . . . b) Kündigung des HV-Vertrages . c) Verbraucherinsolvenzverfahren und Restschuldbefreiung . . . IX. Vertragsende in mehrstufigen Vertreterverhältnissen . . . . . . . . . X. Teilkündigung . . . . . . . . . . . XI. Tod des Handelsvertreters . . . . . XII. Übertragung der Vertretung auf einen Nachfolger . . . . . . . . . . XIII. Wegfall der Geschäftsgrundlage . .

Rn 2. Sachlicher Anwendungsbereich . a) Überblick . . . . . . . . . . b) Tankstellenvertreter . . . . . 3. Kündigung vor Vertragsbeginn . II. Auf unbestimmte Zeit eingegangen III. Sonderfälle . . . . . . . . . . . . . 1. Probezeit . . . . . . . . . . . . 2. Vertragsende mit Höchstalter . . 3. Absatz 3: Einverständlich fortgesetztes Vertragsverhältnis . . . IV. Fristen . . . . . . . . . . . . . . . V. Maßgebliche Vertragsdauer . . . . VI. Kündigungserklärung („gekündigt werden“) . . . . . . . . . . . . . . VII. Regelmäßige Kündigungswirkung zum Schluss eines Kalendermonats . VIII. Wirkung der Kündigung . . . . . . IX. Freistellung des HV . . . . . . . . X. „Rücknahme“ und Anfechtung der Kündigung . . . . . . . . . . . . . XI. Fortsetzung eines beendeten Vertragsverhältnisses . . . . . . . . . XII. Ausschluss und Begrenzung des Kündigungsrechts . . . . . . . . . 1. Verwirkung, Verzicht . . . . . . 2. Schikane- oder Vergeltungskündigung . . . . . . . . . . . 3. Kündigung zur Unzeit . . . . . . 4. § 20 GWB . . . . . . . . . . . 5. Folgen erheblicher Investitionen – Investitionsersatzanspruch . . . 6. Widersprüchliches Verhalten . . XIII. Folgen der Vertragsbeendigung . .

3–28 4 5 6 7–8 9 10 11 12–23 12–19 13–16

17–19 17 18–19 20–23

20 21–22 23 24 25 26 27 28

D. Absatz 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . 29–68 I. Vertragsverhältnis . . . . . . . . . 29–34 1. Persönlicher Anwendungsbereich 29–31

32–33 32 33 34 35–40 41–43 41 42 43 44–45 46 47–49 50 51 52 53 54 55–67 56 57 58 59 60–66 67 68

E. Abweichende Vereinbarungen . . . . . . 69–70 I. Kündigungsausschluss . . . . . . . 69 II. Abweichung nach § 92b . . . . . . 70 F. Zulässige Länge von Vertriebsverträgen . 71–73 G. Absatz 2: Verlängerung und Verkürzung der Kündigungsfristen . . . . . . . . . . 74–76 H. Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . .

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I.

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Steuerrecht

. . . . . . . . . . . . . . .

A. Übersicht 1

§ 89 regelt die ordentliche Kündigung des auf unbestimmte Zeit abgeschlossenen oder in Anlehnung an § 625 BGB zunächst auf bestimmte Zeit fest abgeschlossenen und nach Ablauf dieser Zeit von beiden Parteien einvernehmlich fortgesetzten HV-Vertrages im Gegensatz zur außerordentlichen Kündigung des § 89a. Die vor der Novelle 1989 sogar noch kürzeren (Rn 2) Fristen des § 89 bildeten ursprünglich gegenüber den für

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§ 89

Arbeiter und Angestellte nach §§ 621–623 BGB 1 geltenden überwiegend eine Privilegierung, jedenfalls aber keine erhebliche Schlechterstellung. Heute bewirken sie im Vergleich zu den für Angestellte maßgeblichen Fristen eine Benachteiligung des HV. Wohl daraus resultiert das Bestreben der Rspr. oder der Kfz-GVO 1400/02, die Kündigungsfristen in investitionsintensiven Branchen – etwa im Kfz-Vertriebsrecht – zu verlängern. Bei HVähnlichen Dauerschuldverhältnissen sieht der BGH heute eine Kündigungsfrist zwischen sechs Monaten 2 und einem Jahr (Vertragshändlervertrag mit erheblichem Investitionsbedarf) als angemessen an. Die Kündigungsfristen des § 89 sind also recht kurz bemessen. § 89 regelt für beide Parteien die ordentliche Kündigung des HV-Vertrages in allen ihren Formen, einschließlich der Änderungskündigung und – soweit zulässig – der Teilkündigung 3. Die Ausübung von Weisungs- und Dispositionsrechten einer Partei (soweit zulässig), selbst wenn diese die vertraglich vorbehaltene Befugnis zur Änderung einzelner Vertragsbedingungen zum Inhalt hat 4, wird grundsätzlich nicht von § 89 erfasst. Für diese Maßnahmen brauchen die Fristen des § 89 nicht eingehalten zu werden. Sie müssen aber beachtet werden, wenn die Dispositionsmaßnahme ihrer Wirkung einer Vertragsbeendigung gleich kommt (§ 86a Rn 54). Nach einer Kündigung hat der HV grundsätzlich keinen Anspruch auf Neuabschluss eines rechtswirksam beendeten oder auslaufenden HV-Vertrags, sofern dies nicht vereinbart wurde 5 oder § 20 GWB einen Kontrahierungszwang ergibt (Vor § 84 Rn 239 ff). Ausnahmsweise kann ein Anspruch auf Vertragsanpassung nach § 242 BGB bestehen, wobei es sich um einen Erfüllungsanspruch handelt 6. Beispiel: Versicherungsvertreter bei neuer Tarifstruktur 7. Die unberechtigte ordentliche Kündigung kann gemäß § 280 BGB schadensersatzpflichtig machen 8.

B. Genese und europarechtliche Präformation § 89 gewann seine heutige Fassung durch Gesetz vom 23. Oktober 1989. Es setzte die 2 Vorgaben der Artt. 14, 15 EG-HV-Richtlinie 1986 um und verlängerte die Kündigungsfristen (Abs. 1), schränkte die Möglichkeiten abweichender Vereinbarungen ein (Abs. 2) und nahm die Kündigungsregelung für ein auf bestimmte Zeit eingegangenes und dann einvernehmlich fortgesetztes Vertragsverhältnis neu auf (Abs. 3). Vor der Gesetzesänderung durfte der Vertrag in den ersten drei Jahren der Vertragsdauer nur mit einer Frist von sechs Wochen für den Schluss eines Kalendervierteljahres gekündigt werden. Wurde eine andere Kündigungsfrist vereinbart, so musste sie mindestens einen Monat betragen; es durfte nur für den Schluss eines Kalendermonats gekündigt werden. Nach einer Vertragsdauer von drei Jahren durfte das Vertragsverhältnis nur mit einer Frist von mindestens drei Monaten zum Schluss eines Kalendervierteljahres gekündigt werden (Abs. 2). Eine vereinbarte Kündigungsfrist musste für beide Teile gleich sein; bei Vereinbarung ungleicher Fristen galt für beide Teile die längere Frist (Abs. 3). § 89 entspricht nun weitgehend 1

2

Bei nach Monaten bemessener Vergütung war gem. § 621 BGB aF eine Kündigung zum Schluss eines Kalendermonats möglich, die bis zum 15. eines Monats erklärt werden musste. Gegenüber Angestellten höherer Art, etwa Lehrern, lautete die Kündigungsfrist 6 Wochen zum Schluss eines Kalendervierteljahres (§ 622 BGB aF). BGH, Urt. v. 20.07.2006 – III ZR 145/05, MDR 2007, 258 (Belegarzt).

3 4 5 6 7 8

Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 15. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 15; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 9b. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 2. Hopt § 89 Rn 17. BGH WM 1992, 311. OLG Köln, Urt. v. 30.09.2005 – 19 U 67/05, VersR 2006, 407 (408); Hopt § 89 Rn 16.

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dem europarechtlichem Vorbild des Art. 15 EG-HV-Richtlinie 1986; § 89 Abs. 3 S. 1 Art. 14 EG-HV-Richtlinie. Damit wurde gegenüber der früheren Regelung das Schutzniveau erhöht, was dem Ziel der HV-Richtlinie entsprach.

C. Endigungsgründe für das Handelsvertreterverhältnis 3

Die Vielfalt der Gründe, aus denen das HV-Verhältnis enden kann, ist für das HVRecht von Interesse hauptsächlich beim Ausgleichsanspruch des § 89b, in geringerem Umfange daneben noch im nachvertraglichen Wettbewerbsverbot des § 90a, und allenfalls für den Schadensersatzanspruch aus § 89a Abs. 2. Üblicherweise enden HV-Verträge entweder durch Kündigung – ordentliche des § 89 oder außerordentliche des § 89a – oder bei Befristung infolge Zeitablaufs, wobei die Befristung häufig mit einer Fortsetzungsklausel verbunden wird. Insoweit besteht, soweit die zwingenden Kündigungsfristen beachtet werden, weitgehende Vertragsfreiheit und es ist bezeichnend, welche Mühe die Parteien bereits vor Vertragsbeginn auf die Bestimmung der Umstände der Vertragsbeendigung in der zwischen ihnen geschlossenen Vereinbarung legen. Beispielhaft ist das Nachfolgende zu sagen:

I. Änderungskündigung 4

Eine Änderungskündigung enthält im Zweifel die unbedingte 9, ordentliche, keiner Begründung 10 oder Rechtfertigung 11 bedürftige Kündigung des bestehenden Vertrages, verbunden mit dem ggf. nachfolgenden Antrag (zunächst oft nur Letter of Intent) auf Abschluss eines neuen geänderten Vertrags 12. Durch den unbedingten Willen des Kündigenden zur Beendigung des Gesamtvertrages unterscheidet sie sich von der Teilkündigung (siehe dort) oder dem bloßen Angebot auf Vertragsänderung 13. Die Änderungskündigung kann auch konkludent erklärt werden. So mag etwa eine die Tätigkeit des HV einschränkende Weisung ausnahmsweise eine Änderungskündigung darstellen 14. Schweigen auf die Änderungskündigung bedeutet keine Zustimmung zu dem angebotenen neuen Vertrag 15. Der Gekündigte muss ihr weder widersprechen noch das Vertragsangebot annehmen 16. Die Änderungskündigung steht zwar nicht gem. § 2 KSchG analog unter dem Vorbehalt einer gerichtlichen Überprüfung. Jedoch kann der Mittler die Änderungskündigung unter dem Vorbehalt einer gerichtlichen Feststellung ihre Wirksamkeit annehmen 17; das mit der Änderungskündigung verbundene Angebot auf Abschluss eines Neuvertrages würde im Zweifel gemäß § 139 BGB von der Feststellung der Unwirksamkeit erfasst 18.

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Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 17; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 87 Rn 79; aA Stötter S. 157. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 17. BGH ZIP 2000, 138 (140). BGH ZIP 2000, 138 (140); Schröder DB 1958, 975; Pauly DB 1997, 2378; Ebenroth/ Löwisch § 89 Rn 17; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 52; zum Arbeitsrecht Hoss MDR 2000, 562. OLG Köln VersR 1989, 1142; Ebenroth/ Löwisch § 89 Rn 17.

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OLG Stuttgart BB 1965, 926; Hopt § 89 Rn 17. BGH, Urt. v. 24.10.1955 – II ZR 216/54, BB 1955, 1009; Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 17; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89 Rn 24; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 89 Rn 52. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 17. Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 325. Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 325.

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II. Anfechtung 5

Zur Anfechtung § 84 Rn 84 ff.

III. Aufhebungsvertrag Der HV-Vertrag kann durch jederzeit möglichen, frei aushandelbaren, nicht an die 6 Einhaltung von Kündigungsfristen oder eine vereinbarte Schriftform noch an sonstige im Arbeitsrecht geltende Beschränkungen gebundenen 19, auch durch schlüssiges Verhalten zustandekommenden 20 Aufhebungsvertrag beendet werden 21. Eine einverständliche Aufhebung des HV-Vertrages liegt auch vor, wenn das Vertragsverhältnis umgewandelt wird: in ein Verhältnis auf der Basis eines nunmehr angestellten Reisenden 22, eines Anstellungsvertrages unter Betreuung mit sonstigen Aufgaben in der Organisation des Unternehmens, einer Tätigkeit als (nur noch) nebenberuflicher Handelsvertreter (§ 92b). Von der Umwandlung des Vertragsverhältnisses zu unterscheiden ist die bloße Fortsetzung des bisherigen HV-Vertrages zu geänderten Bedingungen. Hier ist das HV-Verhältnis als solches nicht beendet sondern es ist von einer Fortsetzung des bisherigen Vertrages auszugehen, nur zu geänderten Bedingungen. Paradigma ist der Änderungsvertrag, bei welchem lediglich einzelne Regelungen des HV-Vertrages ersetzt werden. Das ist wichtig für den Ausgleichsanspruch 23 (§ 89b Rn 54). Denn bei Vertragsfortsetzung entsteht kein Ausgleichsanspruch. Auf die Frage, ob im Altvertrag erworbene Ausgleichsanwartschaften in den Neuvertrag überführt werden, kommt es nicht an. Anders liegt es regelmäßig in Fällen, in denen eine Änderungskündigung des Unternehmers ausgesprochen wird, mit der erreicht werden soll, dem HV abweichend von vertraglichen Festsetzungen den zugewiesenen Bezirk oder Kundenkreis zu verkleinern oder den Provisionssatz herabzusetzen, und daraufhin eine Vertragsänderung zu diesen eingeschränkten Konditionen zwecks Vermeidung der Änderungskündigung zustande kommt. Gleiches gilt für Konstellationen, in denen einverständlich eine vollkommene Vertragsauswechslung gewollt ist. Die letztgenannten Fälle unterscheiden sich von dem erstgenannten der Vertragskontinuität dadurch, indem zum Zwecke der Vertragsänderung als notwendiges Zwischenstadium die vollständige Vertragsbeendigung gewollt ist. Die Abgrenzung erfolgt nach §§ 133, 157 BGB. Bei der erstgenannten Situation ist hingegen grundsätzlich die Kontinuität des Vertrages gewünscht. Von einer solchen Kontinuität ist als Regelfall auszugehen.

IV. Auflösende und aufschiebende Bedingung Der Eintritt einer auflösenden Bedingung als Endigungsgrund darf vereinbart werden 24, 7 etwa: Erreichen einer Altersschwelle, Übernahme in den Öffentlichen Dienst, Flucht ins Ausland, Anklage wegen einer Steuerstraftat (bei Unternehmern, welche Aufträge von der

19 20 21

Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 2; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 13. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 2; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 14 f. Siehe BGHZ 24, 214; BGH VersR 1963, 556; OLG Nürnberg BB 1959, 318.

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23 24

Fall BAG NJW 1958, 1365 – Vorinstanz: BB 1957, 1275 –; Winterberg DB 1958, 521, 1163; Neflin DB 1958, 579. BGH NJW 1967, 248. Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 4 Rn 309.

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öffentlichen Hand erhalten). Beiden Parteien eher gerecht wird regelmäßig die der Parteidisposition unterliegende Kündigung 25, welche eine „automatische“ Vertragsbeendigung verhindert. Sie schließt es aus, dass eine Partei durch bewusstes Herbeiführen der Bedingung die Beendigung erreichen kann, wobei sich der Unternehmer auch nicht auf die §§ 162, 242 BGB berufen kann, sofern sich die Voraussetzungen des treuwidrigen Bedingungseintritts nicht beweisen lassen. In Betracht kommen können ferner befristete Probeverträge – gleich aus welchen Gründen sie nicht verlängert oder in ein endgültiges Vertragsverhältnis übergeführt werden – und die sogenannte kommissarische Übertragung einer Vertretung durch einen bereits für einen anderen Bezirk oder anderen Kundenkreis tätigen HV, der vorübergehend einen vakanten Bezirk übernimmt. Die kommissarische Betrauung pflegt mit gesondertem Vertrag zu geschehen. Im Gegensatz zur aufschiebenden Bedingung ist der Vertrag dann zwischenzeitlich in Vollzug. Auflösende Bedingungen stehen dem nach Zeitablauf endenden Vertrag gleich. Die Vereinbarung überhebt der Notwendigkeit einer Kündigung; doch wird stets zu prüfen sein, ob nicht in Wahrheit die vertragliche Festlegung eines zur fristlosen Kündigung berechtigenden Umstandes gemeint ist 26. Das wird in der Regel der Fall sein, wenn der TB nicht so eindeutig fixierbar ist, um nicht einen gewissen bei dem Entscheid über das „Ob“ der Kündigung bedeutsamen Beurteilungsspielraum offenzulassen, und er deshalb typischerweise unter die wichtigen Gründe für eine fristlose Kündigung gerechnet wird (Gegenbeispiele zu den obigen: ungenehmigte Übernahme einer Teilzeitarbeit im Angestelltenverhältnis; Teilung der Agentur unter Verlegung der Hauptniederlassung außerhalb des zugewiesenen Bezirks, Abwerbung von Personal bei einer Zulieferfirma des Unternehmers). Die eine auflösende Bedingung regelnde Klausel ist unwirksam, falls die auflösende Bedingung nicht zugleich die Anforderungen an einen wichtigen Grund i.S.d. § 89a erfüllt. Denn wichtige Kündigungsgründe dürfen konkretisiert aber nicht abweichend von § 89a neu bestimmt werden. Auch ist zu prüfen, ob zwingende Kündigungsbeschränkungen umgangen werden sollen 27. Bei auflösenden Bedingungen ist auch darauf zu achten, dass die Investition des Mittlers nicht übermäßigen Gefährdungen ausgesetzt werden 28. Werden auflösende Bedingungen unterhalb der Schwelle eines wichtigen Grundes 8 definiert, ist dies nur ausnahmsweise und dann zulässig, wenn dafür – objektiv – ein anerkennenswertes Interesse gegeben ist. Dies wird meist nur bei objektiv anknüpfbaren Umständen und nicht bei subjektiven Befindlichkeiten der Fall sein. So kann ein anerkennenswertes Interesse daran bestehen, etwa das Nichterreichen bestimmter Umsatzschwellen innerhalb einer bestimmten Zeitspanne als auflösende Bedingung zu regeln, sofern die geregelten Zahlen objektiv realistisch sind 29. Weiter wird man voraussetzen müssen, dass der Auflösungsgrund transparent und vorhersehbar bestimmt wurde, damit die Folgen für den Vertragspartner vorhersehbar sind. Die möglicherweise geringere Eingriffsschwelle gegenüber dem wichtigen Grund nach § 89a wird man in diesem Fall bei Transparenz und objektiv bestehenden Interesse sowie bei Anknüpfung an objektive Umstände hinnehmen können, soweit keine Knebelung nach § 138 BGB eintritt. Die Ausgleichsausschlussgründe des § 89b Abs. 3 wird man im Falle des infolge einer auflösenden Bedin-

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Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 4 Rn 311. Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 1d. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 2; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 12; vgl. LAG Berlin MDR 1998, 293.

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Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 310. Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 4 Rn 310.

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gung eintretenden Vertragsendes analog anwenden müssen. Unter bestimmten Umständen kann ein Kündigungsrecht im Einzelfall auch als auflösende Bedingung zu verstehen sein 30.

V. Befristung Eine Befristung des HV-Vertrages ist anders als im Arbeitsrecht ohne sachliche Be- 9 gründung jederzeit zulässig 31, Allerdings muss der Zeitraum der Befristung mindestens die Kündigungsfristen des § 89 erreichen.

VI. Betriebsveräußerung oder -einstellung Die Veräußerung des Betriebs des Unternehmers führt das Ende des HV-Vertrages 10 nicht herbei 32, so wenig wie die Veräußerung der Agentur durch den HV. Der Unternehmer muss, der HV kann den Vertrag kündigen. Ein automatischer Übergang des Vertragsverhältnisses auf den Betriebsnachfolger findet nicht statt. Insbesondere sind die Voraussetzungen des § 613a BGB nicht gegeben 33. Jedoch kann ein Eintritt des Unternehmensnachfolgers in das Vertragsverhältnis mit dem HV vereinbart werden. Gleiches gilt für die Betriebseinstellung 34 durch eine Vertragspartei. Diese Umstände können einen Grund für eine fristlose Kündigung bilden 35.

VII. Auflösung und Vollbeendigung einer Handelsvertretergesellschaft Die Auflösung einer Vertretergesellschaft (GmbH, oHG, KG) hat ebenfalls nicht die 11 Beendigung des mit ihr geschlossenen HV-Vertrages zur Folge. Sie steht dem Tode einer natürlichen Person nicht gleich, weil die aufgelöste Gesellschaft zunächst noch fortbesteht, wenn auch nur als Liquidationsgesellschaft, und unter Umständen wieder zur Vollgesellschaft erstarken kann. Anders die wohl hM: Sie wendet die §§ 673, 675 BGB nicht nur im Falle des Todes des HV, sondern auch im Fall der Auflösung der HV-Gesellschaft an und vertritt, der HV-Vertrag ende entsprechend §§ 673, 675 BGB bereits bei Auflösung 36. Diese wohl seit der Jahrhundertwende vertretene Ansicht ist abzulehnen. Denn die Gesellschaft besteht als eine ggf. werbende Liquidationsgesellschaft fort 37 und wird als solche regelmäßig von den bisherigen Geschäftsführern liquidiert. Das liegt nicht nur im Interesse der Gesellschaft, sondern ist auch Pflicht gegenüber dem Unternehmer, der Klarheit darüber gewinnen muss, wann er welche Dispositionen aus Anlass der Liquidation seines Vertreter-Partners zu treffen hat. Die §§ 673, 675 BGB sind auf die natürliche Person bezogene Sonderregeln, die nur mit Vorsicht analog auf eine juristi30 31 32 33 34

BayObLG NJW-RR 1990, 87; Staudinger/ Bork vor §§ 158 bis 163 Rn 10. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 2. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 3; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 27. BGH NJW 1963, 101. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 3; Hopt § 89 Rn 4; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 89 Rn 26.

35 36

37

Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 3; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 27. Schuler JR 1957, 44 (47); Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 3; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 41; wohl auch Ahle DB 1963, 227 (228/229). Emde Die Handelsvertreter GmbH, 1994, S. 198; Emde GmbHR 1999, 1005 (1016).

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sche Person anzuwenden sind 38. Sie sollen, da der im Erbfall gemäß §§ 1922, 1967 BGB eintretende Übergang des HV-Vertrages regelmäßig sowohl dem Willen des Unternehmers wie des Erben widersprechen dürfte, den Übergang des HV-Vertrages auf den Erben verhindern 39. Die Auflösung einer Gesellschaft ist nicht mit dem Tod einer natürlichen Person vergleichbar 40. Wegen der zwischen Gesellschaft und Liquidationsgesellschaft bestehenden Identität von Personal- und Sachmitteln sind bei Auflösung der Gesellschaft weder jene noch der Unternehmer in einer dem Erbfall vergleichbaren Weise schutzwürdig. Die Liquidatoren haben daher den HV-Vertrag im Wege der ordentlichen Kündigung zu beenden 41. Würden die Liquidatoren die Kündigung verzögern, gäben sie im Einzelfall dem Unternehmer einen Grund, wegen (insoweit) schuldhafter Verletzung der dem HV obliegenden Pflichten aus wichtigem Grunde seinerseits zu kündigen, sofern die Gesellschaft ihren Vertragspflichten nicht mehr nachkommen kann. Unterlassen die Liquidatoren die Kündigung, so endet der Vertretervertrag mit der Vollbeendigung der Gesellschaft 42. Zudem kann die Auflösung dem Unternehmer einen Grund zur fristlosen Kündigung geben, falls es ihm unzumutbar ist, mit einer Liquidationsgesellschaft zusammenzuarbeiten 43. War der HV eine Personenhandelsgesellschaft (oHG oder KG), so kommt es darauf an, ob und gegebenenfalls wem von den Gesellschaftern der HV-Vertrag die Wahrnehmung der eigentlichen HV-Tätigkeit übertragen hatte. Eine Auslegung kann ergeben, dass der Vertrag mit einem Gesellschafter fortbestehen soll 44. Immerhin werden Unternehmer und Liquidator, bevor sie den HV-Vertrag fristlos kündigen, zweckmäßigerweise abwarten dürfen, ob die aufgelöste Gesellschaft nicht dennoch fortgeführt (§§ 134, 144) oder als zweigliedrige von einem der beiden Gesellschafter übernommen wird. Ist dann der mit der HV-Tätigkeit beauftragt gewesene Gesellschafter in der Gesellschaft verblieben bzw. führt er die bisher handelsgesellschaftliche Agenturfirma allein fort, so kann der HV-Vertrag weiterlaufen (woran der Unternehmer durchaus ein Interesse haben mag 45). Ist er es nicht, so wird die Gesellschaft dem Unternehmer einen anderen, geeigneten Gesellschafter für die vakant gewordene Funktion vorzuschlagen haben. Rechtsform- 46 oder Gesellschafterwechsel beenden das Vertragsverhältnis nicht, sofern dies nicht als auflösende Bedingung (Rn 7) vereinbart worden ist 47. Eine außerordentliche Kündigung wegen eines Gesellschafterwechsels ist nach Abmahnung allerdings möglich, falls die Gesellschaft durch diesen Wechsel gem. §§ 613, 664 BGB wesentlich in ihrem Erscheinungsbild geändert wird. Der Unternehmer ist nach diesen Normen gegen wesentliche Änderungen im Erscheinungsbild des HV-Unternehmens geschützt 48 (Vor § 84 Rn 73), sofern er hierdurch einen Nachteil erleidet. Das trifft insbesondere dann zu, wenn der ausscheidende Gesellschafter Schlüsselperson war 49.

38 39 40 41

42 43

Emde Die Handelsvertreter GmbH, 1994, S. 198. Mugdan II, Seite 307. BGHZ 84, 379 (380); Emde S. 198. Emde S. 199; Schuler JR 1957, 44 (45); Sieg AG 1964, 293 (298), Bruck/Möller Vor §§ 43–48 Anm. 345. Emde S. 199; aA Sieg AG 1964, 293. Vgl. Emde GmbHR 1999, 1005 (1016).

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Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 3. OLG Hamburg DB 1962, 1636. 46 Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 3; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 28. 47 Emde S. 207; Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 3; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 20. 48 Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 219. 49 Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 219. 45

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§ 89

VIII. Insolvenz des Handelsvertreters oder des Unternehmers 1. Insolvenz des Unternehmers. Die Eröffnung des InsV über das Vermögen des 12 Unternehmers führt gem. § 116 S. 1 i.V.m. § 115 Abs. 1 InsO 50 zur Beendigung des Vertragsverhältnisses. Es bedarf keiner Kündigung. Deshalb erlöschen im Zeitpunkt der Eröffnung des InsV über das Vermögen des Schuldners sämtliche Geschäftsbesorgungsverträge, auch ein HV-Vertrag 51. Gleiches gilt, wenn die Eröffnung des InsV gemäß § 26 InsO mangels Masse abgewiesen wird. Wente 52 befürwortet für HV-Verträge eine einschränkende Auslegung: Dem Insolvenzverwalter stehe entgegen dem Wortlaut des § 108 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 InsO das Wahlrecht des § 103 InsO über Fortführung oder Nichtfortführung zu. § 108 InsO sei einschränkend auszulegen, da er anderenfalls dem Ziel des Insolvenzverfahrens, die Masse zur gesetzmäßigen und gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger zu erhalten, widerspräche 53. Das Gesetz sieht eine Ausnahme vom Grundsatz des automatischen Erlöschens vor. Dem HV eventuell erteilte Vollmachten, etwa eine Abschlussvollmacht, erlöschen gemäß § 117 Abs. 1 InsO, wobei das Gesetz nur eine Ausnahme vorsieht (vgl. § 117 Abs. 2 InsO). a) Fortsetzung des HV-Vertrages nach Eröffnung des InsV. Eine Fortsetzung des HV- 13 Vertrages nach Eröffnung des InsV über das Vermögen des Unternehmers ist trotz der automatisch eintretenden Beendigung möglich. Die Fortsetzung setzt eine Vereinbarung zwischen Insolvenzverwalter und HV voraus. Es entsteht ein neues Vertragsverhältnis. Die Bedingungen des Neuvertrages können mit denen des ursprünglichen Vertrags weitgehend identisch sein. Den Parteien steht es frei, die Fortsetzung des Altvertrages zu vereinbaren 54. Setzt der Insolvenzverwalter nach der Eröffnung des InsV den HV-Vertrag fort, ohne irgendwelche Vereinbarungen getroffen zu haben, liegt hierin der konkludente Abschluss eines neuen HV-Vertrags, d.h. keine Fortsetzung des Altvertrages 55. Das Entstehen eines neuen Vertrags mit dem Insolvenzverwalter ist von Bedeutung für die insolvenzrechtliche Qualifikation der aus ihm resultierenden Ansprüche. Sämtliche Ansprüche des HV, die aufgrund dessen weiterer Tätigkeit nach Eröffnung des InsV infolge der neuen Vereinbarung mit dem Insolvenzverwalter entstehen, sind vorab zu befriedigende Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO 56. Der HV-Vertrag gilt in Anwendung der § 116 Satz 1 i.V.m. § 115 Abs. 2 Satz 2 InsO 14 als fortbestehend, wenn mit dem Aufschub der übertragenen Geschäfte Gefahr verbunden ist. Die Untätigkeit des HV müsste objektiv eine Gefahr mit sich bringen, d.h. der Insolvenzmasse objektiv Nachteile drohen. Eine solche Gefahr ist gegeben, falls der Insolvenzverwalter das Geschäft nicht rechtzeitig selbst besorgen kann 57. Als Beispiel seien nicht wiederholbare Beweissicherungen durch den HV oder schnelles, nicht ersetzbares Handeln bei Vermittlung oder Abschluss genannt 58. Der HV hat die Pflicht, solche Geschäfte solange fortzusetzen, bis der Insolvenzverwalter anderweitig Fürsorge treffen

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Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 4; OLG Saarbrücken, Urt. v. 04.12.1996 – 1 U 343/96 – 59, BB 1997, 1603 (1604); Canaris Handelsrecht, § 17 Rn 97. Bis zum Inkrafttreten der InsO am 1.1.1999 ergab sich die Beendigung des HV-Vertrages aus § 23 KO; vgl. auch Heymann/Weitemeyer/Sonnenschein § 89 Rn 10. MünchKomm-InsO/Ott § 116 Rn 12.

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ZIP 2005, 335. Wente ZIP 2005, 335 (338). BGH, Urt. v. 11.02.1988 – IX ZR 36/87, BGHZ 103, 250; Küstner/Thume I, Rn 1352. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 884. Küstner/Thume I, Rn 1352; Schlegelberger/ Schröder § 89 Rn 41c. Kroth in: Braun, InsO, § 115 Rn 7. Westphal aaO Rn 882.

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kann (§ 115 Abs. 2 Satz 1 InsO). Dabei ist unerheblich, ob der HV in Kenntnis der Verfahrenseröffnung handelt oder nicht. Es ist allein die objektive Notlage maßgeblich 59. Die aus der Zeit dieser sog. Notgeschäftsführung resultierenden Ersatz- und Vergütungsansprüche des HV ordnet die InsO als vorab zu befriedigende Masseforderungen ein (§ 116 Satz 2 i.V.m. § 115 Abs. 2 Satz 3) 60. Sonst hätte der HV keinerlei Anreiz, tätig zu werden, sofern ihm aus der Tätigkeit bloß einfache Insolvenzforderungen entstünden, deren Realisierung im InsV nicht erwartet werden kann. Zudem spricht für die Einordnung als Masseverbindlichkeit, dass der HV im Rahmen der Notgeschäftsführung im eigentlichen Verantwortungsbereich des Insolvenzverwalters tätig wird, weil er lediglich solche Geschäfte vorzunehmen hat, die der Verwalter selbst vornehmen müsste, wenn er dazu rechtzeitig in der Lage wäre. Dann aber wäre § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO einschlägig, wonach solche Forderungen Masseverbindlichkeiten darstellen, die aus einer Tätigkeit des Verwalters resultieren 61. Der HV-Vertrag gilt gemäß § 116 S. 1 i.V.m. § 115 Abs. 3 S. 1 InsO zu Gunsten des 15 HV als fortbestehend, solange dieser die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ohne sein Verschulden (§ 276 BGB) nicht kennt. Im Unterschied zur gesetzlichen Fiktion wegen eines möglichen Gefahreintritts gilt eine erteilte Vollmacht nicht als fortbestehend. Dies folgt aus einem Umkehrschluss zu § 117 Abs. 2 InsO, wonach die Vollmacht nur im Falle der Fiktion nach § 115 Abs. 2 InsO, nicht aber im Falle des § 115 Abs. 3 InsO als fortbestehend gilt. Der HV handelt ab der Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Vertreter ohne Vertretungsmacht im Sinne der §§ 177 f BGB. Die von ihm getätigten Geschäfte sind gemäß § 177 Abs. 1 BGB schwebend unwirksam. Die Fiktion gilt nur zu Gunsten des HV, so dass Dritte allein dann Ansprüche geltend machen können, wenn der Insolvenzverwalter gem. § 177 BGB die erforderliche Genehmigung zum Geschäft erteilt. Ob der Insolvenzverwalter die Genehmigung erteilt steht ihm frei 62. Dagegen ist der Schuldner gemäß § 81 Abs. 1 InsO daran gehindert, eine Genehmigung zu erteilen, obwohl er letztlich der Vertretene ist. Das aus der fehlenden Vertretungsmacht resultierende Haftungsrisiko des HV gemäß § 179 BGB wird durch § 117 Abs. 3 InsO aufgefangen. Der HV haftet nicht, solange er die Eröffnung des Verfahrens ohne sein Verschulden nicht kennt. Sämtliche aus der Fiktion resultierende Ersatz- und Vergütungsansprüche des HV sind einfache Insolvenzforderungen (vgl. § 116 Satz 2 i.V.m. § 115 Abs. 3 Satz 2 InsO) 63. Vermittelt der HV in Kenntnis der Eröffnung des InsV und ohne Absprache mit dem 16 Insolvenzverwalter neue Geschäfte, so können sich Provisions- und andere Ansprüche nach den Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag ergeben, sofern keine konkludente Fortsetzung des Vertrags oder lediglich ein Maklervertrag anzunehmen ist. Ob die Grundsätze des faktischen Vertrages die Vergütung des HV sichert, erscheint eher zweifelhaft. Eine Vergütung nach GoA setzt voraus, dass das vermittelte Geschäft im Interesse der Insolvenzmasse steht. In diesem Fall sind die resultierenden Ansprüche vorab zu befriedigende Masseforderungen 64. Der HV ist so zu stellen, als wenn der Insolvenzverwalter ihn mit der Vermittlung des Geschäfts beauftragt hätte. Ansprüche, die auf solchen Handlungen des Insolvenzverwalters beruhen, sind Masseforderungen i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Liegen die Voraussetzungen einer berechtigten GoA nicht vor, ist die Herausgabepflicht des Gemeinschuldners gemäß § 684 Satz 1 BGB Masseverbindlichkeit 59 60 61

Kroth in: Braun, InsO, § 115 Rn 7. Vgl. auch Hoffstadt DB 1983, 645 (646); Holling DB 1957, 349 zu Ziffer 3. MünchKommInsO/Ott § 116 Rn 16.

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Kroth in: Braun, InsO, § 117 Rn 6. Vgl. auch Hoffstadt DB 1983, 645 (646); Holling DB 1957, 349 zu Ziffer 4. Hoffstadt DB 1983, 645 (646).

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nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Durch die unberechtigte Geschäftsführung des HV wurde die Masse nämlich rechtsgrundlos bereichert 65.

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b) Schicksal des Handelsvertretervertrages im Insolvenzantragsverfahren aa) Fortbestehen im Insolvenzantragsverfahren. Der HV-Vertrag besteht während des Eröffnungsverfahrens, d.h. in dem Zeitraum ab Einreichung des Insolvenzantrages bis zur gerichtlichen Entscheidung über die Verfahrenseröffnung, fort. Die Erlöschensfolge der §§ 116 Satz 1, 115 Abs. 1 InsO tritt erst mit der Eröffnung des InsV ein. Im Eröffnungsverfahren wird regelmäßig ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, der u.a. die Aufgabe hat, das Unternehmen des Schuldners fortzuführen (§ 21 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 22 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Ansprüche des HV, die aus Geschäften hervorgehen, welche mit Billigung des vorläufigen Insolvenzverwalters ausgeführt werden, sind nach § 55 Abs. 2 InsO vorrangig zu befriedigende Masseanspsrüche.

bb) Kündigung durch den HV. Stellt der Unternehmer beim Insolvenzgericht einen 18 Antrag auf Eröffnung des InsV, so ist dies für den HV in der Regel ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung des Vertrages gemäß § 89a 66. Zu Recht wird eine Kündigung bereits dann als gerechtfertigt angesehen, wenn einer der Insolvenzgründe des § 16 InsO vorliegt, aber noch kein Insolvenzverfahren eingeleitet wurde 67. Demzufolge können sowohl die bevorstehende als auch die eingetretene Zahlungsunfähigkeit sowie, bei Vorliegen aller Voraussetzungen, auch die Überschuldung einen außerordentlichen Kündigungsgrund darstellen. Die Parteien dürfen die Zahlungsunfähigkeit der anderen Partei auch als außerordentlichen Kündigungsgrund vereinbaren 68. Für die Wirksamkeit einer Kündigung wegen des vertraglich vereinbarten Kündigungsgrundes der „bevorstehenden Zahlungsunfähigkeit“ verlangt das OLG Saarbrücken allerdings, dass nach Abgabe der Kündigungserklärung die Zahlungsunfähigkeit auch tatsächlich eintritt 69. Ohne den späteren Eintritt der Zahlungsunfähigkeit könnte die Kündigung allein auf die subjektive Einschätzung und Prognose des Kündigenden gestützt werden. Damit würden die anderen insolvenzbezogenen Kündigungsgründe, z.B. Überschuldung oder Stellung des Insolvenzantrages, die an objektiv messbare Kriterien geknüpft sind, unterlaufen werden 70. Laut einer Entscheidung des OLG Dresden ist eine auf die Einreichung des Insolvenz- 19 antrages gestützte Kündigung ausnahmsweise dann nicht gerechtfertigt, wenn der Gemeinschuldner den HV rechtzeitig umfassend und nachprüfbar darüber aufklärt, dass der Insolvenzantrag frühzeitig gestellt wurde, die Zahlungsschwierigkeiten wahrscheinlich nur vorübergehend sind, bereits ein Sanierungskonzept erarbeitet und der Gemeinschuldner in der Lage ist, alle weiter angebahnten Verträge zu erfüllen 71. Diese Aus-

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Staudinger/Wittmann (1995) § 683 Rn 8, zu § 59 Nr. 4 KO. Hopt § 89a Rn 24; hinsichtlich eines Antrages auf Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens nach der Gesamtvollstreckungsordnung: OLG Dresden, Beschl. v. 11.10.1995 – 7 U 1138/95, ZIP 1996, 73; v. Manteuffel/Evers EWiR § 89a 1/96, 1133; hinsichtlich der Eröffnung eines Vergleichsverfahrens nach der Vergleichsordnung: MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 58.

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Hopt § 89a Rn 24. OLG Saarbrücken NJW-RR 1999, 1713. OLG Saarbrücken, Urt. v. 11.02.1998 – 1 U 364/97-83, NJW-RR 1998, 1191. OLG Saarbrücken, Urt. v. 11.02.1998 – 1 U 364/97-83, NJW-RR 1998, 1191 (1192). OLG Dresden, Beschl. v. 11.10.1995 – 7 U 1138/95, ZIP 1996, 73; v. Manteuffel/Evers EWiR § 89a 1/96, 1133.

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nahme berücksichtigt, dass bei der Prüfung des Vorliegens eines wichtigen Grundes nicht nur die Interessen des HV, sondern auch des Unternehmers in die Abwägung mit einzubeziehen sind. Die Kündigung könnte dazu beitragen, dass der Unternehmer Vertriebskanäle verliert, die für eine Sanierung von Bedeutung sein können. Im Gegenzug muss der insolvente Unternehmer den HV umfassend über Geschäftslage und Sanierungschancen aufklären, damit die Gefahr einer Kündigung abgewendet wird 72. Man wird der Entscheidung nur zustimmen können, falls die Fähigkeit des Unternehmens zur Erfüllung aller vertraglichen Verpflichtungen zweifelsfrei ist. 2. Insolvenz des HV

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a) Fortbestand des Handelsvertretervertrages in der Insolvenz des Vertreters? Nach den Vorschriften der InsO hat die Eröffnung des InsV keine Auswirkung auf den HVVertrag: Gem. § 108 Abs. 1 S. 1 InsO besteht der HV-Vertrag im Falle der Eröffnung des InsV über das Vermögen des HV mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort 73. Die Rechtsfolge der Insolvenz des HV unterscheidet sich damit von der bei Insolvenz des Unternehmers. Dort kommt es gem. § 116 S. 1 i.V.m. § 115 Abs. 1 InsO zur automatischen Beendigung des HV-Vertrages (Rn 12). Eine Vereinbarung, wonach im Fall der Insolvenz der Vertrag beendet wird (mittels Kündigung oder auflösender Bedingung), ist dagegen zulässig. Auch nach Zivilrecht ergibt sich kein abweichendes Ergebnis: Zwar endet der HV-Vertrag gemäß § 673, 675 BGB mit dem Tod des HV 74. Die Eröffnung des InsV steht dem Tod des HV nicht gleich, weil der HV nach wie vor vermittelnd tätig werden kann und die Eröffnung des InsV ihn hieran nicht hindert. Zudem sind die Vorschriften der InsO lex specialis. Sie sehen jedoch keine Beendigung des Vertrages vor (s.o.).

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b) Kündigung des HV-Vertrages. Nach ganz allg. Auffassung berechtigt die Eröffnung des InsV über das Vermögen des HV den Unternehmer nach § 89a Abs. 1 zur außerordentlichen Kündigung des HV-Vertrages aus wichtigem Grund 75. Dem Unternehmer ist es unzumutbar, den Vertrag mit einem insolventen HV fortzusetzen. Eine Abmahnung vor Kündigung gemäß § 314 Abs. 2 BGB ist rglm. nicht erforderlich, sofern eine Abhilfe durch den HV unmöglich ist. Auch vertraglich kann die Insolvenz als Auflösungs- oder Kündigungsgrund vereinbart werden. Die Klausel eines Kfz-Händlervertrags, die eine Kündigung aus wichtigem Grund bei Insolvenzantragstellung des Mittlers vorsieht, stellt keine unangemessene Benachteiligung i.S.d. § 307 BGB dar. Die vom

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OLG Dresden, aaO S. 75. Küstner/Thume Rn 1382; Emde/Kelm ZVI 2004, 282; Stumpf/Ströbl MDR 2004, 1209 (1211) für den Vertragshändlervertrag; Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 4; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 24; Genzow in: Ensthaler, § 92b Rn 8 (für den Einfirmenvertreter). BGHZ 24, 214 (215); 24, 223; Schlegelberger/Schröder HGB, § 89 Rn 41b. BGH, Urt. v. 03.05.1995 – VIII ZR 95/94, BGHZ 129, 290 (296); OLG Hamm, Beschl. v. 09.06.2004 – 35 W 5/04, NJW-RR 2004,

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1554; Küstner/Thume I, Rn 1924; Martinek/ Semler § 14 Rn 19; Hopt § 89a Rn 20; Westphal Vertriebsrecht I 1998, Rn 885; Canaris Handelsrecht23 § 17 Rn 89; K. Schmidt Handelsrecht, § 27 V 1.b); Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 4; Ruß HK-HGB, 6. Aufl. 1996, § 89a Rn 5; Heymann/Sonnenschein § 89 Rn 10; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 89 Rn 24, 25; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 41d; Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 223/224; Stumpf/Ströbl MDR 2004, 1209 (1211) für den Vertragshändlervertrag.

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Unternehmer erklärte Kündigung ist auch einen Monat vor Ablauf der zweijährigen ordentlichen Kündigungsfrist zulässig 76. In Folge der Kündigung ergibt sich die Frage, ob dem kündigenden Unternehmer ein Schadenersatzanspruch gegen den gekündigten HV gem. § 89a Abs. 2 wegen der „Veranlassung“ des Kündigungsgrundes zusteht. Es handelt sich bei diesem Schadenersatzanspruch um einen vertraglichen Anspruch. Dem Unternehmer kann ein solcher Anspruch nur zustehen, falls das die Kündigung auslösende Verhalten des HV eine schuldhafte Verletzung von Pflichten aus dem HV-Vertrag konstituiert 77. Oft wird der HV die eigene Insolvenz zu vertreten und damit die Kündigung veranlasst haben. Ob und unter welchen Bedingungen die Verursachung der Insolvenz eine Verletzung von Pflichten aus dem HV-Vertrag darstellt, ist hiermit noch nicht beantwortet. Nach dem OLG Düsseldorf ist die bloß schuldhaft verursachte Insolvenz für sich betrachtet noch kein ausreichender Grund, einen Schadenersatzanspruch zu befürworten 78. Es muss vielmehr ein spezielles Auflösungsverschulden vorliegen, welches über die bloße Herbeiführung der Insolvenz und die Veranlassung der Vertragsauflösung hinausgeht. Die unternehmerischen Entscheidungen, welche die Eröffnung des InsV verursachen, müssen ein „handelsvertretervertragswidriges“ Verhalten konstituieren, um den Schutzzweck der Norm zu berühren. Da der HV in der Führung seines Unternehmens grundsätzlich frei ist, können unternehmerische Entscheidungen, welche die Insolvenz herbeiführen, nur dann gegen Pflichten aus dem HV-Vertrag verstoßen und einen Schadenersatzanspruch begründen, wenn sie nicht mehr von der unternehmerischen Dispositionsfreiheit des HV umfasst sind. Ein vertretervertragswidriges Verhalten ist mit dem OLG Düsseldorf anzunehmen, sofern die zur Insolvenz führenden unternehmerischen Entscheidungen des HV willkürlich, in keiner Weise mehr sachlich zu vertreten oder in der Absicht, den Unternehmer zu schädigen, getroffen werden. Der HV trägt die Beweislast dafür, dass er nicht vertretervertragswidrig gehandelt hat. Dem Unternehmer wird es im Falle eines Prozesses wiederum obliegen, zunächst tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen eines handelsvertretervertragswidrigen Verhaltens zu behaupten, damit der HV seiner Darlegungs- und Beweislast überhaupt gerecht werden kann. Das nur bereichsspezifisch geltende Verbot von Lösungsklauseln in § 103 ff InsO steht der Wirksamkeit einer vertraglich eingeräumten außerordentlichen Kündigung des Unternehmers wegen Insolvenzeröffnung nicht entgegen 79. Grundsätzlich gibt die Eröffnung des eigenen InsV dem HV keinen Grund zur 22 fristlosen Kündigung des HV-Vertrages 80, ebenso wenig die Einstellung des Betriebs zur Vermeidung eines InsV 81. Ausnahmsweise können jedoch auch Umstände aus der Sphäre des HV dessen außerordentliche Kündigung nach § 89a rechtfertigen. So ist unter besonderen Umständen die Geschäftseinstellung oder die längere Verhinderung des HV – selbst aus Gründen höherer Gewalt – als wichtiger Kündigungsgrund anerkannt, auch wenn diese Umstände beim HV eintreten 82. Die eigene Insolvenz kann dem HV daher einen Kündigungsgrund geben, wenn er in ihrer Folge zur Vertragserfüllung außerstande

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OLG München, Urt. v. 24.11.2004 – 7 U 1518/04, BB 2005, 406; mglw. aber § 242 BGB-Einwand. Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Löwisch § 89a Rn 53; Küstner/Thume I, Rn 1820. So aber Hoffstadt DB 1983, 645 (646 f), der einen Schadensersatzanspruch gemäß § 628 Abs. 2 BGB für möglich hält, „wenn der

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Konkurs auf einem Verschulden des Gemeinschuldners beruht“. OLG München, Urt. v. 26.04.2006 – 7 U 5350/05, DB 2006, 1371. Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 224. BGH, Urt. v. 07.10.2004 – I ZR 18/02, ZIP 2005, 534. Hopt § 89a Rn 25.

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ist 83. Diese Eigenkündigung des HV ist jedoch in der Regel ausgleichsschädlich. Eine ordentliche Kündigung (§ 89) durch den Insolvenzverwalter über das Vermögen des HV wird für nicht zulässig erachtet 84. Begründet wird dies mit der höchstpersönlichen Natur der Pflichten und Ansprüche aus einem HV-Vertrag. Der Insolvenzverwalter soll nicht über die persönliche Arbeitskraft des Gemeinschuldners verfügen und kann wegen des persönlichen Elements der HV-Tätigkeit dessen Tätigkeit auch nicht einfach übernehmen 85. Verpflichteter und damit Kündigungsberechtigter bleibt auch in der Insolvenz der HV 86. Dem Insolvenzverwalter steht kein Wahlrecht nach § 103 InsO zu, weil er nicht in der Lage ist, den HV-Vertrag anstelle des Insolvenzschuldners zu erfüllen 87.

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c) Verbraucherinsolvenzverfahren und Restschuldbefreiung. Der HV übt eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit aus. Das zum 1.1.1999 eingeführte Verbraucherinsolvenzverfahren, welches in den §§ 304 f InsO geregelt ist und ein vereinfachtes Verfahren bildet, findet daher auf ihn grds. keine Anwendung (vgl. § 304 Abs. 1 S. 1 InsO). Vielmehr bleibt es im Grundsatz bei der Anwendbarkeit des so genannten Regelinsolvenzverfahrens. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass auch das Verbraucherinsolvenzverfahren auf ihn Anwendung findet. Sind die Vermögensverhältnisse des HV überschaubar und bestehen gegen ihn keine Forderungen aus Arbeitsverhältnissen, und ist er darüber hinaus eine natürliche Person, so ist ein Verbraucherinsolvenzverfahren durchzuführen (§ 304 Abs. 1 Satz 2 InsO). Ungeachtet der Frage, ob nun ein Regelinsolvenz- oder ein Verbraucherinsolvenzverfahren stattfindet, kann der HV, so er denn eine natürliche Person ist, die Restschuldbefreiung nach den §§ 286 f InsO beantragen.

IX. Vertragsende in mehrstufigen Vertreterverhältnissen 24

Beschäftigt der HV eigene – echte – Untervertreter i.S.d. § 84 Abs. 3, so ist die Beendigung seines eigenen HV-Vertrages (Hauptvertrages) mangels entgegenstehender Bestimmung nicht zugleich Endigungsgrund für die Untervertreterverträge. Sie müssen von ihm gekündigt werden. Ob der Verlust der eigenen Vertretung dem Hauptvertreter ein außerordentliches Kündigungsrecht (dann wohl mit Auslauffrist entsprechend der Kündigungsfrist gegenüber dem Hauptvertreter) gibt, kann diskutiert werden. Dagegen spricht, dass er selbst die Kündigungsfristen in Konkordanz bringen muss, soweit dies möglich war.

X. Teilkündigung 25

Eine Teilkündigung des Vertrages, um einzelne Bestimmungen desselben zu ändern, etwa die Untersagung des Besuchs bestimmter Kunden 88, eine Teilbezirks-Kündigung 89, die Abgrenzung des Kundenstammes bzw. des Bezirks 90 oder die Wegnahme eines Fabri83 84 85 86 87

Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 224/ 225. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 25; Küstner/Thume I, Rn 1382. Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 224. Küstner/Thume I, Rn 1382. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 25; Küstner/Thume I, Rn 1382;

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offen Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 224. OLG Stuttgart BB 1965, 926. OLG Karlsruhe DB 1978, 298; aA OLG Bamberg NJW 1958, 1830 m. abl. Anm. Thiede NJW 1959, 1444. Eberstein, S. 113.

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kats gegenüber dem Kfz-Vertragshändler, ist nach heute gefestigter Anschauung in Lehre und Rechtsprechung unzulässig 91. Die entgegenstehende Auffassung des OLG Bamberg 92 – Teilkündigung zum Zwecke der Verkleinerung des Vertreterbezirks – hat sich nicht durchgesetzt. Richtigerweise darf ein Vertragspartner nicht mittels Teilkündigung einseitig das Vertragsverhältnis ändern und dem anderen Teil einen Vertrag aufzwingen, der so nicht geschlossen wurde. Will der Unternehmer eine durch Teilkündigung erstrebte Veränderung erreichen, muss er eine Änderungskündigung des ganzen Vertrages (Folge: Ausgleichspflicht nach § 89b) aussprechen. Die Teilkündigung ist auch auf Grund eines Vorbehalts im Vertrag regelmäßig nicht wirksam; der Vorbehalt ist selbst unwirksam (§§ 307, 242, 138 BGB) 93. Zu AGB siehe Vor § 84 Rn 33. Eine Ausnahme mag gelten, falls das Teilkündigungsrecht individualvertraglich vereinbart wurde und sich auf abgrenzbare Teile des Vertrages bezieht. Grundsätzlich muss dazu das Vertragsverhältnis aus mehreren teilbaren, also eigenständigen Teilverträgen, zusammengesetzt sein, die nach dem Gesamtbild des Vertrages eigenständig und unabhängig voneinander bestehen und gelöst werden können, ohne dass durch die sich auf den Teilvertrag bezogene Teilkündigung das einheitliche Vertragsverhältnis inhaltlich wesentlich verändert wird 94. Das Beispiel einer solchen zulässigen Teilkündigung soll die Kündigung eines Bezirksleitervertrags bei Fortbestehen des Versicherungsvertretervertrags bilden 95. Abgelehnt wurde dieser selbständige Charakter für die Verpflichtung zum Kunden-, Reparatur- und Wartungsdienst als Teil eines HV-Vertrages 96. Immer müssen wichtige Gründe für die Teilkündigungsklausel existieren 97. Sind sie besonders erheblich, wird man die Ansprüche an die Selbständigkeit der einzelnen Vertragsteile geringfügig herabsetzen können. Weiter ist erforderlich, dass dem Gekündigten für die Teilkündigung eine angemessene, von § 89b unabhängige Kompensation gewährt wird 98. Die Teilkündigung darf auch keine nachteiligen Auswirkungen auf den Ausgleichsanspruch des Gekündigten nach § 89b und dessen Geltendmachung haben 99. Der Vertragspartner kann das in der vertragswidrigen Teilkündigungserklärung liegende Vertragsänderungsangebot annehmen oder zurückweisen und sie zum Anlass einer fristlosen Kündigung nehmen 100. Die Umdeutung einer Teilkündigung in eine Änderungskündigung scheidet regelmäßig aus, da der Unternehmer bei der Teilkündigung nur einen Teilvertrag beenden will, bei der Änderungskündigung jedoch den Gesamtvertrag 101. Es darf nicht unterstellt werden, der Unternehmer 91

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BGH BB 2000, 59 m. Anm. Emde, BGH DB 1977, 1844; OLG Stuttgart BB 1965, 926; OLG Köln NJW-RR 2002, 602 (603); Emde BB 2000, 63 (65); Genzow Rn 114; Graf v. Westphalen Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Vertragshändlerverträge, 1994, Rn 19; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 9c. NJW 1958, 1830. AA 4. Aufl., § 89b Rn 23; Ebenroth/ Löwisch § 89 Rn 16; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 31a; s.a. BGH, Urt. v. 28.01.1971 – VII ZR 95/69, WM 1971, 561. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 16. BGH, Urt. v. 18.02.1977 – I ZR 175/75, LM § 89a Nr. 12 = BB 1977, 964; v. Gamm NJW 1979, 2493; Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 16; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 51; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 9c.

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BGH, Urt. v. 22.02.1960 – II ZR 118/58, unveröffentlicht. OLG Karlsruhe DB 1978, 298; Ebenroth/ Löwisch § 89 Rn 16; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89 Rn 23; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 9c. BGH BB 2000, 60 (62) m. Anm. Emde BB 1988, 220; BGHZ 124, 351 (354); 89, 206 (211). BGH ZIP 2000, 138 m. Anm. Emde BB 2000, 63. BGH, Urt. v. 06.10.1999 – VIII ZR 125/98, ZIP 2000, 138 (140) m. Anm. Emde BB 2000, 63; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 9c. OLG Köln VersR 1989, 1142; Ebenroth/ Löwisch § 89 Rn 17.

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wolle, um das Ziel der Teilkündigung zu erreichen, in jedem Fall als Zwischenstadium die Beendigung des Gesamtvertrages in Kauf nehmen. Auch eine der Teilkündigung vergleichbare einseitige Bestimmungsbefugnis im Vertrage unter den Kautelen des § 315 BGB mit der Möglichkeit der gerichtlichen Nachprüfung ist entgegen der 4. Aufl.102 unzulässig. Verpflichtet sich ein Unternehmer, eine auch in seinem Interesse erfolgte spezielle Ausgestaltung des Vertragshändlervertrages (Aufspaltung in zwei separate, aber in ihrem Bestand voneinander abhängige Verträge über Vertrieb und Werkstattleistungen) nur unter Wahrung der Interessen beider Vertragspartner zu ändern, stellt die in Hinblick auf die geänderte Geschäftspolitik des Herstellers erfolgte Kündigung nur des Werkstattvertrages eine unzulässige Teilkündigung dar 103. Eine dem HV erteilte Abschlussvollmacht darf allerdings gem. § 168 BGB jederzeit widerrufen werden 104.

XI. Tod des Handelsvertreters 26

Der Tod des HV beendet im Zweifel gem. §§ 613, 675, 673 S. 1 BGB den HV-Vertrag 105, nicht aber der Tod des Unternehmers entsprechend § 672 Satz 1 BGB 106.

XII. Übertragung der Vertretung auf einen Nachfolger 27

Da die Dienste des HV gem. §§ 613, 664 BGB in Person (wenngleich nicht höchstpersönlich) zu leisten sind (Vor § 84 Rn 73), ist das Vertragsverhältnis grundsätzlich an seine Person gebunden. Das hat eine zweifache Bedeutung. Der HV kann seine „Vertretung“, einzeln oder durch Veräußerung seiner Agenturfirma im ganzen, nicht einseitig auf einen Nachfolger übertragen. Dazu bedürfte es nicht nur der Zustimmung, sondern der Mitwirkung des Unternehmers. Denn dieser hätte mit dem Nachfolger einen eigenen HV-Vertrag abzuschließen. Das mag zwar in der Form des „Eintritts“ des Nachfolgers in den HV-Vertrag als „Übernehmer“ der Vertretung des Vorgängers geschehen. Aber – und das ist das zweite –: es ist, was das Verhältnis zum Unternehmer anlangt, gleichwohl keine Rechtsnachfolge im eigentlichen Sinne, auch wenn – firmenrechtlich – eine Firmennachfolge im Sinne des § 25 für die Agentur als Ganzes vorliegen kann. Was erreichbar ist und erreicht werden soll, ist lediglich eine zeitliche und organisatorische Kontinuität in der Betreuung des Bezirks oder des Kundenkreises und der inhaltliche Gleichlauf des neuen mit dem bisherigen Vertrage. Nicht etwa läuft der bisherige Vertrag ohne Einbuße seiner Identität durch bloße Auswechslung seiner Personen weiter 107. Handelte es sich um einen schlichten Eintritt des Nachfolgers in den bestehenden Vertrag, so müssten die bestehenden Provisionsansprüche dem Vorgänger vorbehalten werden – es ist weder erforderlich noch, wo es geschieht, mehr als eine bloße Klarstellung –; auch erübrigte sich die ausdrückliche Abgrenzung für laufende, aber noch nicht abgeschlossene Vermittlungsbemühungen nach § 87 Abs. 3 – die aber gerade hier unumgänglich wird –. Das

102 103

104 105

§ 89 Rn 17. OLG Köln, Urt. v. 02.02.2001 – 19 U 148/00, OLGR Köln 2001, 241 = BB 2001, 1759. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 1; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 2. BGHZ 24, 214 (215); 24, 223; Ebenroth/

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Löwisch § 89 Rn 2; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 18. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 2; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 22. AM Sieg VersR 1964, 791.

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Vertragsverhältnis mit dem Übernehmer schließt sich vielmehr an dasjenige mit dem bisherigen HV an. Das Vertragsverhältnis mit dem bisherigen Handelsvertreter ist einvernehmlich beendet. Vertragliche Bestimmungen, die den Fall einer Nachfolge in das Vertreterverhältnis im Voraus regeln, sind zulässig. So kann im Vertrag vorgesehen sein, dass der HV die Vertretung mit Einverständnis des Unternehmers auf einen Dritten übertragen könne, dafür dann allerdings gehalten sei, den Nachfolger die Rechte und Pflichten aus dem Vertrage voll übernehmen zu lassen („ihn in den Vertrag eintreten zu lassen“). Ferner darf geregelt werden, dass im Falle des Todes des HV die Vertretung von seinem Erben (etwa von seiner Witwe) fortgeführt wird. Eine solche Regelung setzt den Normalfall der §§ 673, 675 BGB beiseite. Der Erbe ist in die Dienstleistungsverpflichtung des HV kraft Bereitschaft des Unternehmers, die Erbringung der Dienste von der Person des ursprünglichen Vertragspartners losgelöst zu sehen und hierfür den ggf. noch unbekannten demnächstigen Erben im Voraus zu akzeptieren, eingerückt. Das Vertragsverhältnis setzt sich in der Person des Rechtsnachfolgers fort. Noch anders liegt es, wenn dem Erben – oder einem von ihnen oder der Witwe – lediglich die Option zur Fortsetzung des Vertrages eingeräumt worden ist. Alsdann muss mit dem Optierenden ein selbständiger Vertrag abgeschlossen werden.

XIII. Wegfall der Geschäftsgrundlage 28

Zum WGG siehe Vor § 84 Rn 24 ff.

D. Absatz 1 I. Vertragsverhältnis 1. Persönlicher Anwendungsbereich. Mit dem Vertragsverhältnis gemeint ist der HV- 29 Vertrag i.S.d. § 84. Für den nicht wirksamen, aber tatsächlich in Vollzug gesetzten HVVertrag gelten die §§ 89, 89a ebenfalls: Er wird wie ein ordnungsgemäß begründeter Vertrag beendet, wenn es dem übereinstimmenden, nach außen zum Ausdruck gebrachten tatsächlichen Willen beider Parteien entsprochen hat, einen auf Dauer angelegten HVVertrag zu begründen 108. Dann kann sich eine Partei nicht einseitig unter Berufung auf das Fehlen eines förmlichen Vertragsschlusses von dem Vertrag lossagen 109. Fehlt es an einer solchen Übereinstimmung, bedarf es keiner Kündigung 110. Die von BGHZ 53, 159, vorgebrachte Einschränkung, derzufolge die Grundsätze des faktischen Vertrages nur bei wirtschaftlicher oder sozialer Überlegenheit des Unternehmers maßgeblich sind, dürfte heute überholt sein 111. Auch eine Differenzierung zwischen anfänglicher und späterer Nichtigkeit ist dogmatisch kaum haltbar 112. In beiden Fällen sollte der Vertrag als faktischer anerkannt werden. Wird der Vertrag als faktischer angesehen, ist das Datum des Vertragsbeginns für die Berechnung des Ausgleichsanspruchs das maßgebliche 113. § 89 gilt für alle HV-Verträge mit Ausnahme der mit HV im Nebenberuf (§ 92b Abs. 1 S. 1), auch für die Verträge von Einfirmen-114 und Untervertretern 115. Der Ausschluss des 108 109 110 111 112

Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 13. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 13. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 13. Hopt § 89 Rn 5. Hopt § 89 Rn 5.

113 114 115

Hopt § 89 Rn 5. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 21; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 1a. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 21.

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Anwendungsbereichs des § 89 bei nebenberuflichen HV-Verträgen erscheint wenig sachgerecht. Das Schutzbedürfnis der Kündigungsfristen greift auch hier. Auch viele „hauptberufliche“ Vertreter schließen den einzelnen Vertrag als einen von vielen. Die Bedeutung des einzelnen Vertrages, sofern sie überhaupt Maßstab sein sollte, ist daher auch bei den nicht unter § 92b fallenden Mittlertypen keineswegs immer erheblich. Analog angewandt wird § 89 auf die Kommissionsagenten-116, Franchise-117 sowie 30 handelsvertreterähnliche Vertragshändlerverträge 118. Kürzere Fristen können auch hier weder in AGB noch individualvertraglich vereinbart werden 119. Das soll selbst dann gelten, wenn Händler nicht förmlich in die Absatzorganisation des Unternehmers eingegliedert sind 120. Daran ist richtig, dass § 89 auch für jene eine angemessene (Mindest)Auslauffrist aufzeigt. Bei dem nicht wie ein HV in das Vertriebssystem des Unternehmers eingebundenen Händler sollen aber nur die Kündigungsfristen und Kündigungstermine analog gelten, nicht die zwingende Natur 121. Zum Teil wird insoweit eine ergänzende Vertragauslegung befürwortet 122. Im Kfz-Vertragshändlerrecht galt unter der Ägide der seinerzeitigen GVO 123/85, die lediglich eine einjährige Kündigungsfrist vorschrieb, dass eine Kündigungsfrist von 1 Jahr nach einer umstrittenen 123 Entscheidung des BGH 124

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Ebenroth S. 158; Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 21. BGH, Urt. v. 17.07.2002 – VIII ZR 59/01, DB 2002, 1992 = MDR 2002, 1259 = NJW-RR 2002, 1554 = EWiR 2002, 915 (Emde) = WM 2003, 251; Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 4 Rn 318; Westphal OLGR-Kommentar 16/2000, K35, K37; Westphal Vertriebsrecht II, 2000, Rn 109, 150; Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 21; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 6. BGH, Urt. v. 09.10.2002 – VIII ZR 95/01, BB 2002, 2520 = NJW-RR 2003, 98 = MDR 2003, 162 = DB 2003, 825 = WM 2003, 842 = EWiR 2003, 587 (v. Hoyningen-Huene); BGH, Urt. v. 17.07.2002 – VIII ZR 59/01, DB 2002, 1992 = EWiR 2002, 915 (Emde); BGH, Urt. v. 05.04.1962 – VII ZR 202/60, LM Nr. 1; BGH EBE 1995, 259; OLG Stuttgart BB 1972, 548; Schwytz BB 1997, 2385; Emde EWiR 1999, 411 (412); Westphal OLGR-Kommentar 16/2000, K35, K37; Westphal Vertriebsrecht II, 2000, Rn 109, 150; Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 33. Die Notwendigkeit einer dem HV vergleichbaren Umstellungsfrist bestehe, so der BGH in seinem Urt. v. 09.10.2002 – VIII ZR 95/01, bei einem Franchisenehmer zumindest dann, wenn er seinen Geschäftsbetrieb vertragsgemäß weitgehend auf das Vertriebskonzept des Franchisegebers zuzuschneiden habe. Eine solche Verpflichtung nahm der BGH an, weil der Franchisenehmer sein unter dem Label „H.“ auftretendes

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Kfz-Mietgeschäft ausschließlich in der Form des Standardmietabkommens des „H. Franchisesystems“ zu führen, das „H-Zeichen“ auf Mietfahrzeugen und Geschäftsunterlagen zu verwenden sowie die Gestaltung der Geschäftsräume und Uniformierung des Personals an die „Standard-H.-Farben“ anzupassen habe. Angesichts dieser umfassenden Eingliederung in das Franchisesystem des Franchisegebers, die eine kurzfristige Umstellung auf ein anderes Vertriebskonzept nicht zulasse, müssten dem Franchisenehmer in gleicher Weise wie einem HV die Mindestkündigungsfristen des § 89 zugutekommen. Die analoge Anwendung des § 89 wäre wohl auch ohne die franchisetypische – aber handelsvertreteruntypische – Einbindung aufgrund der Vertriebspflicht und eines Statusvergleichs richtig gewesen (Emde EWiR 2002, 915). Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 21; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 1b. Westphal OLGR-Kommentar 16/2000, K35, K37; Westphal Vertriebsrecht II, 2000, Rn 109, 150. OLG Stuttgart BB 1972, 548; Ebenroth/ Löwisch § 89 Rn 21. Stumpf/Jaletzke/Schultze Rn 624; Ulmer S. 445. OLG Stuttgart, BB 1990, 1015; Vogels/ Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 333; Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 4 Rn 322. Graf v. Westphalen FG Gündisch, S. 83. BGH EBE 1995, 259.

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keine unangemesse Benachteiligung darstellt. Tatsächlich dürfte die mit zwölfmonatiger Frist erklärte Kündigung eines Kfz-Vertragshändlervertrages oder eines anderen Händlervertrages mit investitionsträchtigem Geschäft unangemessen kurz sein 125. Selbst eine Kündigungsfrist von 6 Monaten ist im investitionsintensiven Kfz-Vertriebsrecht wie auch in anderen investitionsintensiven Branchen inakzeptabel 126. In anschließenden Judikaten hat der BGH 127 offengelassen, ob an seiner früheren Entscheidung im Lichte der durch die am 1. Juli 1995 in Kraft getretenen Kfz-GVO 1475/95 festgehalten werde, mit welcher die Mindestkündigungsfristen im Kfz-Vertriebsrecht auf 2 Jahre verlängert wurden (so auch die derzeitige Kfz-GVO 1400/02). Ein Fortgelten der BGH-Rspr. wird man ablehnen müssen, wenn man den branchenspezifischen GVOs AGB-rechtliche Leitbildwirkung zumisst. Vielmehr ist eine zweijährige Kündigungsfrist Mindeststandard. Jedenfalls ist eine zweijährige Kündigungsfrist 128 im Kfz-Vertragshändlerrecht nicht zu beanstanden. Sie sollte hier auch einem eventuellen Wegfall der Kfz-GVO Leitbild sein. Für Anstellungsverträge unselbständiger Geschäftsmittler (Handlungsgehilfen) gilt 31 § 89 nicht; ebensowenig für jene, welche nach § 84 Abs. 2 als Angestellte gelten. Sie unterliegen den Kündigungsregeln des § 66 und dem Kündigungsschutzrecht. Umgekehrt gilt das Kündigungsschutzrecht nicht für HV, welcher Gattung auch immer; auch nicht für den Einfirmenvertreter des § 92a und innerhalb dieses Kreises nicht einmal für den „arbeitnehmerähnlichen“ 129. Lediglich den HV im Nebenberuf nimmt § 92b von den Kündigungsfristen des § 89 aus und gibt stattdessen wahlweise eine eigene, kürzere. 2. Sachlicher Anwendungsbereich a) Überblick. Der sachliche Anwendungsbereich stellt die Frage nach der Abgrenzung 32 des § 89 zu den Kündigungsbestimmungen sowie dem Auftragsrecht des BGB. Hierzu siehe Vor § 84 Rn 63, 72 ff. Im Grundsatz ist davon auszugehen, dass § 89 im gesamten Vertriebsrecht eine vorrangige Regelung für die ordentliche Kündigung des HV-Vertrags bildet 130, auch wenn die Parteien für die vertragsbeendende Erklärung eine andere Bezeichnung wählen. b) Tankstellenvertreter. Eine besondere Betrachtung haben in Literatur und Recht- 33 sprechung HV-Verträge der Tankstellenvertreter, -pächter oder Tankstellenstationäre gefunden (§ 84 Rn 93, § 89b Rn 320 ff). Ihnen stellen die Unternehmer vielfach ein Areal auf Pachtgrundlage der Mineralölgesellschaft zur Verfügung, die darauf die Tankstellenbaulichkeiten errichtet und installiert oder mit Darlehen die Finanzierung derselben durch den Grundstückseigentümer ermöglicht, um mit dem HV dann den HV-Vertrag auf Betrieb der Tankstelle abzuschließen; nicht selten wird der Gesellschaft ein Erbbaurecht bestellt. Die HV-Verträge werden in aller Regel auf längere Frist, meist mit einer Laufzeit von über fünf Jahren abgeschlossen. Ihre Kündbarkeit nach § 624 BGB wird überwiegend abgelehnt 131. Die Argumente gehen, mit Abwandlungen im Einzelnen, dahin, dass das Stationärverhältnis komplexer Natur sei, nicht nur vertreterrechtliche, sondern auch 125

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Emde BB 2000, 63 (65); Emde EWiR 2000, 153 (154); Emde VersR 2001, 448, 159; offen gelassen von Westphal Vertriebsrecht II, 151. BGH, Urt. v. 06.10.1999 – VIII ZR 125/98, ZIP 2000, 138 (142). Entsch. v. 06.10.1999, ZIP 2000, 138 (140). LG Stuttgart NJW-RR 1999, 329 = Emde EWiR 1999, 411.

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LAG Baden-Württemberg DB 1959, 656. Boldt BB 1962, 907; Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 22 (abschließende Sonderregelung); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 3. BGHZ 52, 171; OLG Celle BB 1962, 542; OLG Stuttgart NJW 1964, 2255; Würdinger NJW 1963, 1550, Rittner Anm. zu OLG Stuttgart aaO, Meyer NJW 1965, 1573.

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pachtrechtliche Elemente enthalte und darauf angelegt sei, der Mineralölgesellschaft die Tilgung ihrer meist erheblichen Investitionen durch den Vertrieb ihrer Produkte aus der von ihr errichteten oder finanzierten Tankstelle zu sichern. Verschließt man sich dem nicht, so wird man entgegen der 4. Aufl.132 wegen der Einheitlichkeit des Vertrages auch keine „mittlere Lösung“ befürworten können, nach der gem. § 624 BGB die Verpflichtung des Stationärs zur Dienstleistung als HV kündbar ist, während die übrigen Elemente des Vertrages der für sie geltenden vertraglichen oder sonstigen gesetzlichen Kündigungsregelung unterliegen; entstehende rechtliche Lücken, die dadurch aufgerissen werden können, seien nach der 4. Aufl. durch ergänzende Vertragsauslegung zu schließen.

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3. Kündigung vor Vertragsbeginn. Der Beginn des Laufs der Kündigungsfrist vor Antritt des HV-Verhältnisses wurde in der 3. Aufl. nur mit der Einschränkung als zulässig angesehen, dass der Kündigungstermin später lag als der vertragliche Vertragsbeginn 133. Diese Einschränkung ist nicht aufrecht zu erhalten: Das Recht zur Kündigung besteht, sobald der Vertrag geschlossen wurde 134. Dies kann zur Folge haben, dass der Vertrag bei länger hinausgeschobenem Vertragsbeginn und kürzerer gesetzlicher oder vertraglicher Kündigungsfrist endet, ehe er nach dem Vertragsinhalt beginnen sollte 135. Auch würde es den HV allgemein unzumutbar belasten, müsste er erst ein bereits gekündigtes Vertragsverhältnis antreten, um nach einer relativ kurzen und kaum ertragreichen Einarbeitungszeit die Tätigkeit schon wieder aufzugeben, statt sie gar nicht erst antreten zu brauchen. Abzulehnen ist jedoch die Einschränkung, wonach die Interessenlage entscheide, ob eine Kündigung vor Vertragsantritt den Effekt einer Lösung des Vertragsverhältnisses vor seinem Beginn haben könne. Die Kündigung muss in ihrer Wirkung eindeutig sein. Der Kündigungsempfänger muss sich auf ihre Wirksamkeit einstellen können; es darf nicht in der Schwebe bleiben und von einer arbiträren Beurteilung der Interessenlage und der Güterabwägung abhängen, ob sie als einseitige Willenserklärung wirksam geworden sei oder nicht.

II. Auf unbestimmte Zeit eingegangen 35

§ 89 regelt nur die Kündigung von HV-Verträgen, die auf unbestimmte Zeit eingegangen sind. Den Gegensatz bilden die auf bestimmte Zeit geschlossenen HV-Verträge (vgl. § 620 Abs. 1). Ihre besondere Erwähnung erschien überflüssig, weil sie ohnehin nach Ablauf der jeweils fest bestimmten Zeit enden. Bei ihnen besteht keine Möglichkeit einer fristgerechten ordentlichen Kündigung nach § 89. Da die ordentliche Kündigung jedoch den Regelfall bildet und bilden soll, ist der Anwendungsbereich der auf bestimmte Zeit geschlossenen Verträge eng zu ziehen. Ein auf unbestimmte Zeit geschlossener Vertrag liegt vor, wenn er nicht automatisch 36 mit Eintritt eines zeitlich feststehenden Ereignisses oder zu einem anderweitig bestimmten Endtermin sein Ende finden soll sondern es hierzu eines anderweitigen Endigungstatbestandes bedarf, nämlich entweder einer Einigung beider Parteien (Aufhebungsvertrag) oder meist einer rechtsgestaltenden Erklärung, etwa einer Kündigung 136, jedenfalls aber 132 133 134

§ 89 Rn 7; ebenso Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 41e. So Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 12. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 18; vgl. BGH, Urt. v. 06.10.1983 – I ZR 127/81, BB 1984, 235 (237).

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Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 18; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 49, 50. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 8; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 10, 38.

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eines ungewissen Ereignisses. In diese Gruppe fallen nach Ablauf der ersten Befristung befristet geschlossene Verträge, die aufgrund entsprechender Verlängerungsklauseln nach Fristablauf auf unbestimmte Zeit fortgesetzt werden sollen 137 oder nur zu bestimmten Terminen gekündigt werden können 138, sowie die nach Fristablauf tatsächlich fortgesetzten Verträge gem. Abs. 3 139. Eine „bestimmte“ Vertragsdauer muss – nicht anders als bei der Auslegung des 37 Begriffs „ständig“ im § 84 Abs. 1 (§ 84 Rn 64 ff) nicht eine kalendermäßig bestimmte sein 140. Entscheidend ist, dass der Vertrag mit Ablauf der von vornherein festgelegten Dauer, z.B. mit Eintritt eines zeitlich feststehenden Ereignisses oder zu einem sonstigen bestimmten Endtermin automatisch und ohne rechtsgestaltende Erklärung enden soll 141. Meist wird eine feste Vertragsdauer, oft von 2 oder 5 Jahren, vereinbart. Das Problem einer solchen festen Begrenzung ist die zum Vertragsende eintretende Unsicherheit, durch welche die Vertriebsbemühungen und Investitionen gelähmt werden können. Eine zeitlich feste Begrenzung kann sich auch aus anderen Merkmalen ergeben, z.B. Dauer einer Messe, einer Ausstellung oder Dauer einer Vertretung für einen kurzfristig erkrankten Kollegen des Nachbarbezirks. Ein bis zum Widerruf geltender Vertrag ist ein unbefristeter Vertrag 142. Der „Widerruf“ wäre eine Kündigung, die nur binnen der Fristen des § 89 erklärt werden darf. Überall, wo dem HV-Verhältnis von vornherein eine nur begrenzte Dauer innewohnen soll, wird § 89 mit seinen Kündigungsmöglichkeiten, Kündigungsfristen und Kündigungsterminen unanwendbar. Hierbei handelt es sich aber um eine Ausnahme, die der zu beweisen hat, welcher sich auf sie beruft. Eine außerordentliche Kündigung nach § 89a bleibt auch bei auf bestimmte Vertragsdauer gezeichneten Verträgen möglich 143. Die Voraussetzungen an den wichtigen Grund sind nicht höher oder niedriger als im Rahmen der auf unbestimmte Dauer geschlossenen Verträgen, wohingegen bei beiden Vertragstypen höhere Anforderungen an den wichtigen Grund zu richten sind, wenn die ordentliche Vertragsdauer kurz vor ihrem Ende steht. Verträge unter auflösender Bedingung 144, auf Probe oder auf Lebenszeit 145 sind im Zweifel auf unbestimmte Zeit 146; Zeitverträge mit Option auf Verlängerung 147 oder Verträge mit auf Dauer ausgeschlossenem Kündigungsrecht 148 auf bestimmte Zeit abgeschlossen 149. Auf bestimmte Zeit sind Verträge nur dann gerichtet, wenn ihr Inhalt ausdrücklich oder konkludent ergibt, dass sie allein durch das festgelegte Ereignis und nicht vorzeitig durch eine ordentliche Kündigung beendet werden sollen. Unsicherheiten sind im Zwischenfeld der Verträge auf feste Vertragszeit mit Verlänge- 38 rungsklausel (automatische Verlängerung des Vertrages um jeweils bestimmte Laufdauer, wenn er nicht mit festgesetzter Frist zuvor gekündigt wird) entstanden. Eine Meinungs137

138 139 140 141

142

Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 8; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 10, 38; Schröder FS Hefermehl, S. 119. Küstner BB 1973, 1241; Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 8. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 8. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 8; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 3a. Schröder FS Hefermehl, S. 113; Schröder DB 1966, 2007; Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 7; Hopt § 89 Rn 19; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 30; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 3a. OLG Bamberg HVR (52) Nr. 87.

143 144 145 146 147

148 149

Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 7. AA Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 7; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 4. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 7; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 8. AA Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 7. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 7; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 89 Rn 17; vgl. BGH, Urt. v. 03.11.1999 – VIII ZR 269/98, ZIP 2000, 314 = Graf v. Westphalen EWiR 2000, 461. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 7. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 7.

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gruppe 150 betrachtete sie als auf unbestimmte Zeit geschlossen; eine andere 151 war gegenteiliger Auffassung und legte das Schwergewicht auf die, jedenfalls zunächst, fest bestimmte Vertragszeit. Richtig dürfte folgendes sein: Als auf unbestimmte Zeit eingegangen ist ein Vertrag zu 39 werten, der sich solange verlängert, bis einer der Parteien den Vertrag durch eine rechtsgestaltende Erklärung (Kündigung, Widerspruch zur Verlängerung oder sonstige Erklärung, aus der sich ihr Wille zur Nichtverlängerung ergibt) beendet. Die Parteien haben den Vertrag dann nicht auf eine im Voraus fest bestimmte Zeit abgeschlossen wissen wollen, dergestalt, dass er mit Ablauf dieser Zeit automatisch auslaufe. Entscheidend ist das Merkmal der fehlenden Beendigung „aus sich heraus“ und das Erfordernis einer rechtsgestaltenden Erklärung, um den Vertrag zu beenden. Diese Erklärung muss so frühzeitig erfolgen, dass die Fristen des § 89 eingehalten werden 152. Bei Kündigung oder Nichtverlängerungsmitteilung unter Einhaltung der Kündigungsfrist endet das Vertragsverhältnis nach Ablauf der Fristen des § 89 153, sonst wird es auf unbestimmte Zeit fortgesetzt, bis eine fristgerechte Kündigung oder Mitteilung über die Nichtverlängerung erfolgt und die Kündigungsfrist beendet ist. Die Kündigungsfrist einer Kündigung mit unzulässig verkürzter Frist verlängert sich auf die Frist des § 89. Kettenverträge, bei denen sich der Vertrag längere Zeit entweder gemäß einer bereits bei Vertragsbeginn getroffenen Vereinbarung oder (jedesmal, meist ohne weitergehende Verhandlungen) 154 unmittelbar vor seinem Ablauf mit gleichbleibender vertraglicher Befristung vereinbart um jeweils feste Zeiträume verlängert, so dass beide Vertragsteile sich auf diese Handhabung eingespielt haben, sind als unbefristete Verträge anzusehen 155 und das jeweilig letzte Glied der Kette muss mindestens die von Beginn des ersten Kettengliedes an berechnete Kündigungsfrist des § 89 erreichen, nach mehr als fünfjähriger Vertragsdauer seit Vertragsbeginn also sechs Monate. Kürzere Fristen verlängern sich automatisch auf das von § 89 vorgesehene Maß. Die hM stellt darauf ab, ob mit der fortlaufenden Befristung § 89 umgangen werden soll 156. Aber es kommt allein auf die Einhaltung der Kündigungsfristen des § 89 durch die Kettenglieder an, widrigenfalls die Kündigungsfristen des § 89 gelten 157. Auf mehr kann der HV nicht vertrauen. Solange jedes Kettenglied die Fristen des § 89 einhält, ist gegen eine fortlaufende Befristung nichts zu erinnern. Selbst die stereotype Wiederholung der gleichen Verträge mit identischer oder unterschiedlicher Befristung führt den Vertrag entgegen der hM nicht in den Bereich eines unbefristeten Vertrages, der damit das Vertragsverhältnis zu einem auf unbestimmte Zeit eingegangenen macht und die Kündigungsmöglichkeiten nach § 89 auslöst. Der Vertrag ist grundsätzlich bis zum Ende der Befristung – die allerdings die eben genannten Mindestfris150

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OLG Hamm BB 1973, 1233; Küstner BB 1973, 1239 (1241); BB 1975, 195; Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 9; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89 Rn 18; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 39, 40. BGH, Urt. v. 12.12.1974 – VII ZR 229/73, NJW 1975, 387 mit krit. Anm. Küstner BB 1975, 194; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 5 und FS Hefermehl, S. 117 ff; BB 1974, 298. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 9; offengelassen von BGH LM HGB § 89b Nr. 10/11. Recken WM 1975, 264; Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 9. BGH, Urt. v. 17.07.2002 – VIII ZR 59/01, DB 2002, 1992 = Emde EWiR 2002, 915.

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BGH, Urt. v. 17.07 2002 – VIII ZR 59/01, DB 2002, 1992 = Emde EWiR 2002, 915. BGH, Urt. v. 11.12.1958 – II ZR 169/57, VersR 1959, 129; Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 12; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89 Rn 15; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 10, 35; Schlegelberger/ Schröder § 89 Rn 6; ders. FS Hefermehl, S. 116; vgl. auch BGH, Urt. v. 13.12.1995 – VIII ZR 61/95, ZIP 1996, 330 und BGH, Urt. v. 19.05.1999 – VIII ZR 354/97, ZIP 1999, 1094 (109); Hoß/Lohr MDR 1998, 313 (314). BGH, Urt. v. 17.07.2002 – VIII ZR 59/01, DB 2002, 1992 = Emde EWiR 2002, 915.

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ten einhalten muss und auch die allgemeinen Höchstfristen nicht übersteigen darf – unkündbar, außer nach § 89a. Die ständige Unsicherheit über die Verlängerung des Vertrages führt nicht zur Unwirksamkeit gem. §§ 138, 307 BGB. Denn die jederzeitige Kündigungsmöglichkeit des § 89 stellt die Parteien hinsichtlich dieser Unsicherheit nicht besser. Insbesondere darf nicht der Schluss gezogen werden, die Aneinanderreihung von zwei befristeten Verträgen sei als solche schon eine Umgehung des § 89. Sie kann gerade notwendig sein, um in gewisser Lage die Bindung an ein HV-Verhältnis nicht vorzeitig festzuschreiben 158. In jedem Falle bleibt, auch bei befristetem Vertrag der Weg der fristlosen Kündigung nach § 89a nicht ausgeschlossen. Die Parteien können durch Änderungsvertrag, auch mittels AGB 159, einen Vertrag mit 40 bestimmter Vertragsdauer in einen solchen mit unbestimmter Dauer wandeln und vice versa.

III. Sonderfälle 1. Probezeit. Einen HV-Vertrag auf Probe kennt das Gesetz nicht. Er ist daher meist 41 ein befristeter oder unbefristeter Vertrag. Die Kündigungsfristen des § 89 müssen in jedem Fall eingehalten werden. Sofern der Vertrag mit fester Befristung abgeschlossen wurde, ohne dass Bestimmungen über das, was sich gegebenenfalls daran anschließen soll, getroffen worden sind, endet der Vertrag mit der vereinbarten Frist 160 auch wenn die feste Zeit als „Probezeit“ apostrophiert wurde, falls jene die Mindestfrist des § 89 einhält. Bei fehlender Fristwahrung verlängert sich die Frist auf das von § 89 vorgesehene Mindestmaß. Eine Kündigungsmöglichkeit, außer der fristlosen nach § 89a, scheidet aus 161. Ist jedoch, wie meist, der Vertrag als ein solcher mit vorgeschalteter, zeitlich bestimmter Probezeit abgeschlossen oder so ausgestaltet worden, dass nach Ablauf der Probezeit eine Übernahme in das ordentliche HV-Verhältnis in Aussicht genommen wird, so soll nach h.M. ein Vertragsabschluss auf unbestimmte Laufzeit vorliegen und § 89 Anwendung finden. Eine Kündigung während der Probezeit sei dann nicht ausgeschlossen. Anderenfalls könne der Unternehmer durch Vorschaltung überlanger „Probezeiten“ die zwingende Regelung des § 89 umgehen 162. Das erscheint zweifelhaft. Die „Probezeit“ ist rechtlich meist eine Befristung (Auslegungsfrage). Diese Befristung muss lediglich die Zeiträume der Mindestkündigungsfrist des § 89 einhalten (Rn 39). 2. Vertragsende mit Höchstalter. HV-Verträge, auslaufend mit Erreichung eines 42 bestimmten Lebensalters (bisher meist: des 65. Lebensjahres), sind nicht als mit fester Dauer abgeschlossen anzusehen. Es wird keine feste, bis zu diesem Datum unkündbare Vertragslaufzeit i.S.d. § 620 Abs. 1 BGB bestimmt 163. Im Zweifel stellen sie Verträge auf unbestimmte Zeit mit einem Spätest-Endtermin dar 164. Vorherige Kündigung nach den Regeln des § 89, evtl. des § 624 BGB, ist also nicht ausgeschlossen. Zu strenge Anforde158 159 160

161

162

Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 4. AA Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 7. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 11; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 43. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 11; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 43. BGH, Urt. v. 25.11.1963 – VII ZR 29/62, BGHZ 40, 235 (237) = NJW 1964, 350.

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BGH, Urt. v. 06.02.1969 – VII ZR 125/66, VersR 1969, 445 mit zust. Anm. Boetius; Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 10; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 89 Rn 19; Hopt § 89 Rn 20; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 41; Schlegelberger/ Schröder § 89 Rn 3b, 8a. BGH VersR 1969, 445.

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rungen insoweit stellt Hess 165, der eine ausdrücklich vereinbarte Zulassung früherer Kündigung im Vertrag fordert. Jeweils ist das Gewollte im Einzelfall zu prüfen.

43

3. Absatz 3: Einverständlich fortgesetztes Vertragsverhältnis. Abs. 3 betrifft einen Ausschnitt aus der Problematik fortgesetzter Vertragsverhältnisse, nämlich den Sonderfall eines zunächst auf bestimmte Zeit begründeten Vertragsverhältnisses, welches nach Fristablauf ohne irgendeine Regelung zu Vertragsdauer oder Kündigungsmöglichkeit von beiden Parteien einvernehmlich fortgesetzt wird 166. Ein zunächst bis zu einem festen Auslauftermin befristeter Vertrag wird auf unbestimmte Zeit verlängert, sofern er nach Ablauf der vereinbarten Laufzeit von beiden Teilen fortgesetzt wird, selbst wenn eine nur einseitige Fortführung vorliegt, der der andere Teil nicht unverzüglich widersprochen hat 167. Eine erneute Einigung oder ein fortdauerndes Einigseins der Parteien über sämtliche Bedingungen ihrer Zusammenarbeit ist unnötig. Es genügt, dass der Mittler weiter für den Unternehmer tätig ist und dieser die vom Vertreter vermittelten Kundengeschäfte ausführt 168. Abs. 3 zeigt, dass eine derartige Fortsetzung zulässig ist. Die Fortsetzungsvereinbarung kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen. Für eine stillschweigende Einigung genügt die weitere Tätigkeit des HV, sofern der Unternehmer davon Kenntnis erlangt und sie in irgendeiner Weise duldet, z.B., indem er die vom HV vermittelten Geschäfte ausführt oder der Tätigkeit des HV nicht unverzüglich widerspricht 169. Eine Ausführung des vermittelten Geschäfts durch den Unternehmer bildet daher nicht die einzige konkludent mögliche Zustimmungsform 170. § 625 BGB muss nicht notwendigerweise analog angewandt werden 171 sondern tritt zurück (Amtl. Begr.) 172. Beweist die Fortsetzung derjenige, zu deren Vorteil sie gereicht, entsteht unter Einschluss des zuvor befristeten Vertrages ein einheitliches, unbefristetes Vertragsverhältnis auf unbestimmte Zeit, welches nur gem. § 89 ordentlich kündbar ist. Gleiches gilt, wenn die Kündigungsfrist mehrmals zwischen 2 und 6 Monaten verlängert wird 173. Bei der Bestimmung der maßgeblichen Kündigungsfristen nach Abs. 2 ist der zunächst befristete Vertrag in die Berechnung der Gesamtvertragszeit einzubeziehen 174.

IV. Fristen 44

Ist eine besondere Kündigungsfrist nicht vereinbart, greifen die in § 89 genannten Kündigungsfristen. Sie müssen dem Gekündigten als Mindestfristen ungekürzt zur Verfügung stehen 175, und zwar berechnet ab dem Zugang der Kündigungserklärung 176. Gerade der Mittler benötigt diese – regelmäßig viel zu kurz bemessenen Fristen – zur Anpassung an die neue Situation, etwa zur Suche nach einer Nachfolgevertretung oder

165 166 167 168 169

170

BB 1954, 747. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 14. BGH, Urt. v. 19.01.2005 – VIII ZR 139/04, VersR 2005, 504 = WM 2005, 1041. BGH, Urt. v. 19.01 2005 – VIII ZR 139/04, VersR 2005, 504 = WM 2005, 1041. BGH, Urt. v. 19.01.2005 – VIII ZR 139/04, VersR 2005, 504 = WM 2005, 1041; Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 14; Hopt § 89 Rn 21. AA (Unternehmer muss vermitteltes Geschäft ausführen) Heymann/Sonnenschein/ Weitemeyer § 89 Rn 3.

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171 172 173 174 175 176

AA Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89 Rn 36. Hopt § 89 Rn 22. OLG Stuttgart, Urt. v. 14.08.2002 – 3 U 41/02, unveröffentlicht. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 14; Hopt § 89 Rn 22. BGH, Urt. v. 28.09.1972 – VII ZR 186/71, BGHZ 59, 265 = NJW 1972, 2083. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 26; Hopt § 89 Rn 14.

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für eine Kündigung von Untervertretern, Angestellten oder Mietverträgen (Problem: Konkordanz der Kündigungsfristen, etwa bei Mindest-Kündigungsfristen im Hauptvertrag oder Hauptvertrag mit kurzen Kündigungsfristen nach ausländischem Recht). Gleiches gilt für den Unternehmer im Falle der Suche nach einem Nachfolgevertreter, wobei der Unternehmer regelmäßig weniger auf eine Auslauffrist angewiesen ist und daher das geringere Interesse an langen Kündigungsfristen hat. Erfolgt die Kündigung im ersten Jahr der Vertragsdauer, kann sie nur ausgesprochen werden mit einer Frist von einem Monat. Im zweiten Jahr der Vertragsdauer verlängert sich die Frist zu einer solchen von zwei Monaten und im dritten bis fünften Jahr zu einer Frist von drei Monaten. Nach einer Vertragsdauer von fünf Jahren kann das Vertragsverhältnis nur mit einer Frist von sechs Monaten gekündigt werden. Die Kündigung ist nach S. 3 nur für den Schluss eines Kalendermonats zulässig, sofern keine abweichende Vereinbarung getroffen ist. Gemäß Abs. 2 (dazu Rn 74 ff) dürfen die Kündigungsfristen nach Abs. 1 S. 1 und 2 durch Vereinbarung verlängert werden. Die Frist darf dann jedoch für den Unternehmer nicht kürzer sein als für den HV. Bei Vereinbarung einer kürzeren Frist für den Unternehmer gilt die für den HV vereinbarte Frist. Hier ist ein Rechtsgedanke enthalten, der der Verallgemeinerung fähig ist und aus dem die Rspr. auch bereits die Folgerungen gezogen hat. So kann die Verjährung nicht einseitig gegen den HV durch Vertrag kürzer gestaltet werden als diejenige gegen den Unternehmer. Eine vertragliche Verkürzung der Kündigungsfristen des § 89 ist nicht zulässig, wohl aber eine Verlängerung (Rn 74 ff). Wo nach dem Vorstehenden gesetzliche Mindestfristen für die Kündigung, also unabdingbar, gelten, bedeutet dies, dass die Mindestfristen an die Stelle einer im Vertrag vorgesehenen kürzeren treten 177. Der Kündigende darf wie bei der außerordentlichen Kündigung eine längere als die 45 vereinbarte Kündigungsfrist gewähren. Der Gekündigte braucht dies jedoch nicht zu akzeptieren sondern darf die Einhaltung der geltenden Fristen fordern. Eine gegenteilige Ansicht wäre ebenfalls vertretbar. Denn die verlängerte Frist gibt dem Gekündigten lediglich eine längere Umstellungsfrist; er erfährt meist keinen Nachteil. Sofern man eine einseitige Verlängerung der Kündigungsfrist für unzulässig hält, fragt sich, ob die mit längerer Frist erklärte Kündigung unwirksam wäre (womit der Kündigende erneut nach Abwarten der Auslauffrist mit der vertraglich vorgesehenen Frist kündigen könnte, falls der Gekündigte die unwirksame Kündigung nicht zum Anlass einer Kündigung nach § 89a nimmt) oder die längeren Auslauffristen auf das vertraglich oder gesetzlich vorgesehene Maß reduziert werden. Ich würde der ersten Alternative zuneigen.

V. Maßgebliche Vertragsdauer Die jeweilige Vertragsdauer muss grundsätzlich eine ununterbrochene 178 sein, der HV 46 muss zwischen dem rechtlichen Beginn des Vertrags durch Vertragsschluss oder einverständliche Tätigkeitsaufnahme sowie dem Zugang der Kündigungserklärung bei dem Gekündigten in einem HV-Verhältnis für den Unternehmer tätig gewesen sein 179. Dass der Vertrag Änderungen erfahren hat, etwa Gebietserweiterungen oder -reduzierungen,

177 178

179

BGHZ 40, 235. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 26; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 56. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 26; Münch-

KommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 56; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89 Rn 31; aA berechnet bis zum Kündigungsendtermin: Hopt § 89 Rn 11; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 18.

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Modifikationen des Provisionssatzes oder der Provisionsbemessungsgrundlage, Wandlung von der Tätigkeits- zur Bezirksprovision und umgekehrt bzw. Änderung der Produktpalette, ist für die Einheit des Vertrages und damit die Einheit der Vertragsdauer irrelevant: maßgeblich bleibt die gesamte Vertragsdauer. Bei Ersatz des einen Vertrags durch einen neuen Vertrag, wie es häufig gegenüber Versicherungsvertretern geschieht 180, bleibt das Datum des Abschlusses des ersten Vertrags für die Fristberechnung maßgeblich, wenn das Vertragsverhältnis im Kern tatsächlich fortgesetzt und trotz formalen Neuabschlusses inhaltlich nur eine Vertragsänderung vorgenommen wurde 181. Erst recht bleibt eine Kündigung durch den Unternehmer mit anschließendem gleichinhaltlichen Neuabschluss zu dem bloßen Zweck, die Anwendung des § 89 mit seiner längeren, zwingenden Mindestkündigungsfrist zum Nachteil des HV auszuschalten, für die Berechnung der Gesamtdauer unbeachtlich, gleiches gilt für die Fälle der „Rücknahme“ oder des „Verzichts“ auf eine Kündigung 182, die rechtlich einen (konkludenten) Neuabschluss darstellen. Überhaupt wird man unbedeutende Unterbrechungen des Vertrages bei der Berechnung der Vertragsdauer auszublenden haben. Tätigkeitsunterbrechungen, etwa Freistellungen, bei rechtlichem Fortbestand des HV-Vertrages sind für die Berechnung der Frist ohnehin unbeachtlich. Auch nach 40-jähriger Vertragsdauer ist eine vereinbarte Kündigungsfrist von sechs Monaten zulässig 183. Deshalb bleibt auch bei einem seit 100 Jahre laufenden HV-Vertrag eine Kündigung in den Fristen des § 89 zulässig 184.

VI. Kündigungserklärung („gekündigt werden“) 47

Der Ausspruch der Kündigung folgt den allgemeinen Regeln über Willenserklärungen. Die Kündigung ist eine einseitige, zugangsbedürftige 185 Willenserklärung. Eine Annahme der Erklärung, etwa nach § 151 BGB, ist nicht erforderlich 186. Die Erklärung muss eindeutig und unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass der Vertrag spätestens mit Ablauf der Kündigungsfrist beendet werden soll 187. Die – richtige – Kündigungsfrist braucht in der Erklärung nicht genannt zu werden 188 (Gegenbeispiel: Belgien), wie schon die Umdeutungsmöglichkeit einer außerordentlichen zu einer ordentlichen Kündigung zeigt (§ 89a Rn 5). Eine Kündigung durch Schweigen gibt es nicht 189. Allerdings kann sich die Kündigungserklärung in seltenen Fällen 190 stillschweigend aus den Umständen ergeben. Immer aber muss der eindeutige Wille zum Vertragsende zum Ausdruck kommen, etwa bei der Erklärung, den Vertrag künftig nicht mehr zu wollen. Die Erklärung 180 181

182 183

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Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 26. BGH, Urt. v. 19.03.1987 – I ZR 166/85, NJW-RR 1987, 1112; Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 26; Heymann/Sonnenschein/ Weitemeyer § 89 Rn 31; zu streng Hopt § 89 Rn 11; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 56; Schlegelberger/ Schröder § 89 Rn 18: Neuabschluss nur bei Umgehung des Gesetzes unmaßgebend. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 26; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 18. Oberstes Gericht Dänemarks, Urt. v. 22.10.2003 – UfR 2004.148H, wiedergegeben bei Kjellegaard Jensen RIW 2006, 280 (286). LG Hamburg, Urt. v. 15.12.2006 – 406 O 175/06; unveröffentlicht.

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185

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189 190

Becker-Schaffner BB 1998, 422; Ebenroth/ Löwisch § 89 Rn 25; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 45; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 21. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 25. OLG Düsseldorf OLGR 1999, 453 (454); Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 25; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 45; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 25; Alff Handelsvertreterrecht, 1983 Rn 193. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 25; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 25; aA Finke WM 1969, 1128. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 25. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 25; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 45.

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ist bedingungsfeindlich, mit Ausnahme der von dem Willen des Kündigungsempfängers abhängigen Potestativbedingung 191 oder der innerprozessualen Rechtsbedingung 192. Einer Begründung, Rechtfertigung 193 oder eines Kündigungsgrundes (Gegenschluss aus § 89a) 194 bedarf die Kündigung nicht, eine Begründung braucht auch nicht genannt zu werden (anders Ungarn). Ebenso wenig bedarf die Kündigung einer vorherigen Androhung oder von Gesetzes wegen, anders als in anderen Rechtsordnungen (Belgien: Einschreiben), einer Form, eine Formvorschrift dürfte aber eingeführt werden 195. Eine den zwingenden Voraussetzungen nicht genügende Kündigung braucht auch nicht entsprechend § 174 BGB zurückgewiesen zu werden 196 wie überhaupt einer unwirksame Kündigung nicht widersprochen werden muss; sie ist auch ohne Widerspruch unwirksam 197, was durch Feststellungsklage festgestellt werden darf. Zum Begründungserfordernis bei der Kündigung von Kfz-Vertragshändler- und Werkstattverträgen nach der GVO 1400/02 Vor § 84 Rn 165. Diese branchenspezifische Besonderheit, die ohnehin nur kartellrechtliche Wirkungen hat, lässt sich nicht auf andere Bereiche des Vertriebsrechts übertragen. Eine durch Vertrag vorgeschriebene Form („eingeschrieben“) dient im Zweifel nur Beweiszwecken, macht also eine unter Nichtbeachtung derselben ausgesprochene Kündigung nicht unwirksam. Soll die Form Wirksamkeitserfordernis sein, müsste – gegebenenfalls Auslegungsfrage – festgestellt werden, dass die Parteien gerade dies, eine „durch Rechtsgeschäft bestimmte Form“ (§ 127 S. 1 BGB), gewollt haben. Davon ist in der Regel abzusehen. Bei AGB ist eine verwenderfeindliche, gegenteilige Ansicht vertretbar. § 174 BGB ist anzuwenden, so dass die Kündigung wegen Nichtvorlage einer Vollmacht zurückgewiesen werden kann 198. Beachte auch die für einen HV-Fall ergangene, obwohl ihrem Inhalt nach mit allge- 48 meiner Tragweite ausgestattete Entscheidung BGHZ 59, 265: Fällt der Beginn der Kündigungsfrist auf einen Sonn- oder gesetzlichen Feiertag, so gilt § 193 BGB nicht 199. § 193 BGB erstreckt das Ende der Erklärungsfrist zugunsten des Erklärenden, nicht aber kann dadurch die Dauer einer Frist durch Hinausschiebung ihres Beginnes zu Lasten des Erklärungsempfängers verkürzt werden. Beginnt die Kündigungsfrist, von ihrem Ende ab zurückgerechnet, also an einem Sonnabend oder Sonntag, so wäre eine am Montag ausgesprochene Kündigung nicht mehr rechtzeitig; sie müsste dem Kündigungsempfänger am Tage des Beginnes der Kündigungsfrist effektiv zugegangen sein. Während in der fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund vielfach zugleich eine 49 ordentliche Kündigung auf den nächstzulässigen Termin zu erblicken ist (§ 89a Rn 5) 200, lässt sich eine ordentliche, etwa verspätete Kündigung grundsätzlich nicht in eine fristlose Kündigung aus wichtigem Grunde umdeuten 201, es sei denn, dies kommt in der 191

192 193

194 195 196

Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 25; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 89 Rn 21; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 53; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 25a. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 25. Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 316; aA Genzow Rn 108 f; offengelassen von BGH WuW/E BGH 2491 (Opel-Blitz). Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 25; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 25a. AA Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 25. AA Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 25; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 23.

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200 201

Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 25; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 11; Lohr MDR 2000, 620. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 25; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 24; näher etwa KG BB 1998, 607; Lohr MDR 2000, 620. Ebenso Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 26; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 57. BGH DB 1981, 1821. BGH VersR 1961, 270; OLG Nürnberg BB 1957, 561; RGZ 122, 38; RAG 18, 35.

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Erklärung hinreichend zum Ausdruck. Auch kann bei Kündigung mit vertraglicher Frist nicht die Ausübung des Rechtes auf fristlose Kündigung für längere Zeit vorbehalten werden 202. In einer unwirksamen Kündigung kann jedoch das Angebot auf Abschluss eines Aufhebungsvertrages liegen, welches die andere Vertragspartei annehmen darf 203.

VII. Regelmäßige Kündigungswirkung zum Schluss eines Kalendermonats 50

Mangels (zulässiger, dazu Rn 69 ff) abweichender Vereinbarungen endet der gekündigte Vertrag mit Ende des Monats, in welchem die Kündigungsfrist des § 89 abläuft (Kündigungsendtermin; Abs. 1 S. 3). Das gilt selbst dann, wenn der Kündigende in seiner Kündigungserklärung eine von § 89 nicht vorgesehene, kürzere Kündigungsfrist nennt. An eine in der Kündigungserklärung bezeichnete, über die vertragliche oder gesetzliche Frist hinausgehende, wohl auch eine kürzere Kündigungsfrist, ist der Kündigende nach dem Prinzip der Selbstbindung – nicht allerdings der Gekündigte, zu dessen Schutz die Fristen des § 89 gereichen 204 – gebunden 205, ggf. nimmt der Gekündigte die darin liegende Besserstellung stillschweigend nach § 151 BGB als entsprechendes Vertragsangebot des Kündigenden an. Wo eine solche vertragliche Einigung unwirksam sein sollte hilft § 242 BGB. Nur bei offensichtlichen krassen Berechnungsfehlern oder Schreibfehlern kann der Gekündigte nicht von einer solchen Selbstbindung oder einem solchen Angebot ausgehen (etwa Kündigung zum Jahre 2019 statt 2009). Ohnehin dürfen sich die Parteien ausdrücklich oder stillschweigend auf eine von § 89 abweichende, längere Frist einigen, z.B. nach Ausspruch der Kündigung. Für eine Verkürzung der Frist ist dies nicht anzunehmen, weil § 89 während des laufenden Vertragsverhältnisses zwingend ist (Rn 74 ff).

VIII. Wirkung der Kündigung 51

Während der Kündigungsfrist laufen die Rechte und Pflichten der Parteien unvermindert weiter 206. Der Mittler muss weiterhin mit vollem Einsatz vertreiben, der Unternehmer die vermittelten Geschäfte ausführen bzw. den Händler beliefern, jedoch keine Übermaßbestellungen zur Lagerhaltung des Vertragshändlers für die Zeit nach Vertragsende. Ggf. erfordern die Mitwirkungspflichten des Händlers, seinen Bedarf nachzuweisen. Übliche Klauseln sehen eine solche Nachweispflicht vor, es wird dann bei Streitigkeiten die Überprüfung durch WP vereinbart (Beweislast im Zweifel beim Hersteller). Vertragsbedingungen dürfen nicht einseitig geändert werden, auch vertraglich geregelte Lieferbedingungen dürfen nicht causa Kündigung wesentlich zum Nachteil des Gekündigten abgeändert werden 207. Bei unmittelbar bevorstehender Beendigung des Vertrages kann es dem Unternehmer ggf. unzumutbar sein, aktuelles know-how auf den Vertriebsmittler, 202 203 204 205

RGZ 123, 216. OLG München NJW-RR 1995, 95; Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 25. Vgl. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 27. Vgl. BGH, Urt. v. 20.02.1969 – VII ZR 101/67, BB 1969, 380; Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 27; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89 Rn 33; Hopt § 89 Rn 23.

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206 207

Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 29; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 32. So gibt es beispielsweise im brasilianischen Recht eine Regel, dass in den letzten 6 Monaten vor Vertragsende eine derartige Änderung unzulässig ist.

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etwa einen Franchisenehmer zu übertragen, der kurz darauf zum Wettbewerber wird 208. Dies darf allerdings nur angenommen werden, wenn dem Mittler dadurch keine wesentlichen Nachteile, etwa Umsatzeinbrüche, drohen 209. Auch in diesem Stadium können Vertragsverletzungen oder sonstige wichtige Gründe zu einer außerordentlichen Kündigung nach § 89a führen. Angesichts des nahenden Vertragsendes müssen aber besonders strenge Anforderungen an die Unzumutbarkeit der (ggf. kurzen) Vertragsfortführung gestellt werden; nicht etwa lässt sich umgekehrt argumentieren, angesichts der reduzierten Vertragsdauer seien geringere Ansprüche an den wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung zu geben 210. Zum Zeitpunkt der ordentlichen Kündigungserklärung bekannte wichtige Gründe sind regelmäßig zur Rechtfertigung einer Kündigung nach § 89a ausgeschlossen 211. Der gekündigte HV darf trotz bestehenden Wettbewerbsverbots Vorbereitungen zur Aufnahme einer neuen Tätigkeit („Vorbereitungstätigkeiten“), auch für einen Wettbewerber des Unternehmers treffen. Er darf für jenen aber während der Kündigungsfrist noch nicht tätig werden 212. So darf ein Nachfolgevertrag verhandelt und unterzeichnet werden. Die damit einhergehenden Beeinträchtigungen des Vertriebs infolge der durch die Suche nach einem Anschlussvertrag verlorenen Zeit sind sozialadäquat und hinzunehmen. Grenzfälle sind die Belieferung mit Produkten des Nachfolgeherstellers mit der Weisung, sie erst nach Vertragsende des Vorgängervertrags zu vertreiben (wohl noch zulässig, wenn für Kunden nicht offenbar). Spiegelbildlich darf der Unternehmer sich um einen Nachfolger des HV bemühen, diesem aber noch nicht die dem gekündigten HV zustehenden Rechte und Tätigkeiten übertragen 213, ihn jedoch mit Prospekten, Mustern u.ä. versorgen (Spiegelbild zum Belieferungsrecht des Mittlers). Allerdings kann während der Kündigungsfrist die Tätigkeit eines weiteren HV vertraglich, auch durch AGB, vereinbart werden, sofern der Gekündigte hierfür eine volle Kompensation erhält, etwa berechnet aus dem Durchschnittsverdienst der vergangenen Jahre. Auf diese Weise dürfte sich die angemessene Kompensation abstrakt-generell auch in AGB bestimmen lassen. Der HV kann vertraglich verpflichtet werden, seinen Nachfolger angemessen einzuarbeiten und es kann nur geraten werden, dies im Vertrag klarzustellen. Auch ohne eine solche Regelung dürfte diese Pflicht aus der Interessenwahrungspflicht des HV entstehen 214. Beide Parteien dürfen Kunden über die (bevorstehende) Beendigung des Vertrags angemessen, sachlich und wahrheitsgemäß informieren 215, der HV insbesondere ein sachliches Abschiedsschreiben an die Kunden richten, über dessen Inhalt er eine Verständigung mit dem Unternehmer suchen sollte, aber nicht notwendigerweise muss. Ein vor Vertragsende abgesandtes geschäftsschädigendes Abschiedsschreiben des HV kann einen Grund zur außerordentlichen Kündigung, ein nach Vertragsende abgesandtes Anlass zur Herabsetzung der Ausgleichsvergütung unter Billigkeitsgesichtspunkten geben. Der HV darf eigene Mitarbeiter und Untervertreter über die geplante Aufnahme einer Nachfolgevertretung informieren.

208 209 210 211 212

Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 325. Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 325. BGH WM 1999, 1013 = Martinek EWiR 1999, 303. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 29. BGH, Urt. v. 03.04.1996 – VIII ZR 3/95, ZIP 1996, 1006 (1008); BGHZ 42, 59 (62);

213 214 215

OLG München VersR 1957, 97; Ebenroth/ Löwisch § 86 Rn 21, § 89 Rn 29; Hopt § 89 Rn 26; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 43b, § 89 Rn 32. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 29; Hopt § 89 Rn 25. Hopt § 89 Rn 25. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 31; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 37a.

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IX. Freistellung des HV 52

Aus dem Vertrag erwächst dem HV ein Recht zur Tätigkeit. Der HV ist auf den Kontakt zum Kunden angewiesen. Ohne wirksame vertragliche Gestattung ist deshalb die Freistellung des HV von seiner Tätigkeit selbst nach einer wirksamen, ggf. außerordentlichen Kündigung unzulässig 216, auch nicht gegen Leistung der vollen vertraglichen Vergütung einschließlich entgehender (ohnehin kaum bestimmbarer) Provision 217 und in den meisten Fällen selbst bei berechtigtem Interesse des Unternehmers an einer derartigen Suspendierung 218. Ein solches berechtigtes Interesse gibt kein Recht zur Vertragswidrigkeit. Die Suspendierung ist ausnahmsweise a maiore ad minus zulässig, falls dem Unternehmer das Recht zur außerordentlichen Kündigung des Vertrages zugestanden hätte, er von diesem Kündigungsrecht jedoch abgesehen hat 219. Die unberechtigte Freistellung bildet eine Vertragsverletzung. Sie gestattet die fristlose Kündigung des Vertrages durch den HV 220. Der unberechtigt freigestellte HV muss sich allerdings – sofern er das Vertragsverhältnis nicht selbst berechtigt kündigt – an den Vertrag und ein eventuelles Wettbewerbsverbot halten 221. Jedoch gilt § 615 BGB (analog), wonach der Unternehmer bei Annahmeverzug der Dienste die vertragliche Vergütung schuldet 222. Bei Ausgleich aller finanziellen Nachteile und nicht nur bei Zubilligung einer meist geringeren Karenzentschädigung entsprechend § 90a Abs. 1 223 darf der HV nach einer Kündigung freigestellt werden, falls dies individualvertraglich oder – wohl zulässigerweise – durch AGB 224 (dazu Vor § 84 Rn 34) vereinbart wurde 225. Der zu Recht freigestellte HV hat sich wie jeder gekündigte HV an die Regelungen des HV-Vertrages zu halten und insbesondere ein vertragliches oder gesetzliches Wettbewerbsverbot zu achten 226, braucht und darf jedoch keine Vermittlungstätigkeit vornehmen.

X. „Rücknahme“ und Anfechtung der Kündigung 53

Mit Ausnahme des § 130 Abs. 1 S. 2 BGB (gleichzeitiger Zugang des Widerrufs) kann die Kündigungserklärung als rechtsgestaltende Willenserklärung nicht einseitig durch Rücknahme oder Widerruf rückgängig gemacht werden 227. Sie darf jedoch – wohl nur während der Vertragsdauer 228, also vor dem Kündigungsendtermin – angefochten 216

217 218 219 220

221 222

LG Düsseldorf, Urt. v. 12.02.1976, HVuHM 1977, 794; BAG, Urt. v. 09.08.1976, BB 1976, 1561; Küstner/Thume I, Rn 1908; Ebenroth/ Löwisch § 89 Rn 30; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 64. AA Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 30. AA Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 30; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 32. Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 32; aA Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 30. Küstner/Thume I, Rn 1908 (jedenfalls bei längerer Kündigungsfrist); Ebenroth/ Löwisch § 89 Rn 30. Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 32; aA Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 30. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 30; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 66.

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223

224 225

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228

Großzügiger Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 30: Zahlung einer Karenzentschädigung analog § 90a Abs. 1 genügend. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 30. BGH, Urt. v. 29.03.1995 – VIII ZR 102/94, ZIP 1995, 839; BGH, Urt. v. 20.02.1969 – VII ZR 101/67, LM § 89a Nr. 9 Bl. 2; OLG Nürnberg VersR 1992, 1223; Ebenroth/ Löwisch § 89 Rn 30; aA MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 65. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 30. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 28; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 45. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 28.

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werden 229. Die Wirkungen einer Kündigung können bis Vertragsende einvernehmlich aufgehoben werden (§ 311 BGB) 230. Auch danach dürfen sich die Parteien auf die Fortsetzung des bisherigen Vertrages oder auf einen Neuabschluss 231 einigen. Wird ein bereits beendeter HV-Vertrag vom HV mit Wissen des Unternehmers fortgesetzt, gilt § 625 BGB 232. Durch vor Vertragsende getroffene Vereinbarung über den Kündigungstermin dürfen die zwingenden Kündigungsfristen aber nicht verkürzt werden.

XI. Fortsetzung eines beendeten Vertragsverhältnisses Ein HV-Verhältnis, welches sein Ende durch Zeitablauf oder Kündigung gefunden 54 hat, kann ungeachtet dessen fortgesetzt werden. Eine Kündigung lässt sich theoretisch zurücknehmen; das macht ihre Wirkung indessen nicht ungeschehen, so dass die Fortsetzung auf der Grundlage eines mindestens gedachten neuen Vertragsschlusses erfolgt 233. Im Zweifel gelten die früheren Bedingungen. Ausgleichsanwartschaften gehen über. Das ist auch dann anzunehmen, wenn der HV seine Tätigkeit stillschweigend fortsetzt und der Unternehmer derartiges geschehen lässt. In diesem Falle findet § 625 BGB Anwendung 234. Folge: Hat der Unternehmer dem HV gekündigt mit dem Angebot der Vertragsfortsetzung unter verschlechterten Bedingungen und setzt der HV daraufhin seine Tätigkeit fort, ohne sich zu dem Ansinnen des Unternehmers zu äußern, so soll sogar dann das Vertragsverhältnis zu den alten Bedingungen weiterlaufen; der Unternehmer hätte seinen Standpunkt unter Widerspruch gegen das Verhalten des HV deutlich machen müssen 235.

XII. Ausschluss und Begrenzung des Kündigungsrechts Die Kündigung kann nach allgemeinen Grundsätzen unwirksam sein. So mag das 55 Kündigungsrecht wegen Verwirkung, §§ 138, 826 BGB, Schikane oder nach den Grundsätzen von Treu und Glauben unwirksam sein. Droht ein Unternehmer die ordentliche Kündigung eines HV-Vertrages an, um eine Änderung der Zusammenarbeit zu erreichen, so bestehen aber weder vertragliche noch gesetzliche (§§ 138, 826 BGB, § 20 GWB) Schadensersatzansprüche, wenn die ordentliche Kündigung keines besonderen Grundes bedarf und die Kündigungsfrist nicht unangemessen kurz ist 236. 1. Verwirkung, Verzicht. Auf ein bestehendes Kündigungsrecht darf einseitig ver- 56 zichtet werden 237. Das Kündigungsrecht kann deshalb – ggf. nur temporär – verwirkt werden, etwa falls der Gekündigte aufgrund von Handlungen oder Erklärungen des Kündigenden auf die Nichtausübung des Kündigungsrechts schließen durfte (dann ggf. konkludente Einigung auf Kündigungsverzicht). Das wird etwa im unter Rn 60 ff genannten Fall erheblicher Investitionen des Mittlers diskutiert. Ist zu einem späteren Termin

229 230 231 232 233

Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 28; Hopt § 89 Rn 24; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 28. Hopt § 89 Rn 24. Hopt § 89 Rn 24. Hopt § 89 Rn 24. Vgl. BGH, Urt. v. 06.10.1983 – I ZR 127/81, WM 1984, 1416 (1418).

234 235 236 237

LAG Bremen DB 1955, 123. BGH DB 1955, 1085. OLG Hamburg, Urt. v. 20.02.2003 – 3 U 26/99, GRUR-RR 2003, 325. Höft VersR 1973, 600; Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 28.

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ordentlich, jedoch unwirksam, fristlos gekündigt worden, kann eine erneute ordentliche Kündigung zu einem an sich zulässigen früheren Termin nach § 242 BGB ausgeschlossen sein 238. Auch ein ordentlich gekündigter HV-Vertrag darf aber aus wichtigem Grund noch außerordentlich gekündigt und fristlos auf einen früheren Termin beendet werden 239.

57

2. Schikane- oder Vergeltungskündigung. Grundsätzlich setzt eine ordentliche Kündigung keinen Kündigungsgrund voraus und bedarf keiner sachlichen Rechtfertigung. Sie steht allerdings unter dem Vorbehalt Treu und Glaubens 240. Eine Grenze liegt in dem Verbot sittenwidrigen Handelns sowie dem Schikane- und Diskriminierungsverbot des § 20 Abs. 1 GWB. Die Tendenz der Gerichte liege, so Niebling 241, darin, eine ordentliche Kündigung nur bei Schikane und widersprüchlichem Verhalten wie – bezogen auf die Kündigungserklärung – zeitnahen Aufforderungen des Herstellers gegenüber dem Händler zu investieren (Investitionsschutz) für rechtswidrig zu halten. In der Regel verfolgt der Unternehmer mit der Vergeltungskündigung das Ziel, die übrigen Mittler von einem ähnlichen Verhalten wie dem des gekündigten Mittlers abzuhalten und damit die Unterlassung oder Vornahme von Handlungen der Vertragspartner durchzusetzen, auf welche der Unternehmer keinen Anspruch hat. Dies verstößt unter Berücksichtigung der hohen wirtschaftlichen Abhängigkeit und der wechselseitigen Treupflichten gegen Treu und Glauben und stellt sich als rechtswidrige Ausnutzung einer überlegenen vertraglichen Rechtsposition dar 242. Eine Treu und Glauben (§ 242 BGB) oder den guten Sitten (§ 138 BGB) widersprechende Kündigung ist unwirksam 243. Beispiel ist eine Schikanekündigung, die nur deshalb erfolgt, weil der HV auf vertragswidrige Forderungen des Unternehmers nicht eingeht. Die Rechtsprechung hat ferner die Kündigung zur Durchsetzung einer Rabattkürzung 244 oder der Einführung eines neuen Datenverarbeitungssystems 245 missbilligt. Die Voraussetzungen einer Schikanekündigung werden äußerst selten vorliegen. Denn jeder Vertragspartner darf von dem ihm eingeräumten Kündigungsrecht grundsätzlich uneingeschränkt Gebrauch machen 246. Die Zahlung der Ausgleichsvergütung als Gegenleistung für den Aufbau eines Kundenstammes beseitigt die Treuwidrigkeit einer Kündigung, sollte sie denn vorliegen, nicht 247. Denn der Ausgleich wird nach jeder ordentlichen Kündigung des Unternehmers fällig und bildet keine Kompensation für eine Schikane.

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3. Kündigung zur Unzeit. Die Kündigung zur Unzeit, im entschiedenen Fall: eines Franchisevertrages, soll nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung führen 248. Darüber lässt sich streiten. Es kommt immer auf die Verhältnisse des Einzelfalls an. 238 239 240 241 242 243

BGH BB 1969, 380. OLG Nürnberg HVR (62) Nr. 342; Hopt § 89 Rn 23. Niebling WRP 2002, 310. WRP 2002, 310. Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 344. BGH VersR 1969, 445 (446); BGH, Urt. v. 26.02.1970 – KZR 17/68, NJW 1970, 855; BGH, Urt. v. 21.02.1995 – KZR 33/93, EBE 1995, 259 (261); Ulmer FS Möhring, 1975, S. 311 (316); Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 19; Hopt § 89 Rn 16; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 47; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 29.

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247 248

BGH NJW 1970, 855 (856) BAG AP-Nr. 22 zu § 138 BGB; AG Siegen MDR 1970, 239. OLG Köln, Urt. v. 31.03.1995 – 19 O 197/04, unveröffentlicht. BGH VersR 1969, 445 (446) mit zust. Anm. Boetius; BGH NJW 1970, 855; Finke WM 1969, 1128; Weimar MDR 1959, 986; Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 19; Hopt § 89 Rn 16; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 29. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 19; siehe aber Ulmer FS Möhring, 1975, S. 317. Flohr BB 2006, 389 (397) unter Hinweis auf BGH, Urt. v. 20.05.2003, NJW 2003, 2674.

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4. § 20 GWB. Zu möglichen Kündigungsbeschränkungen aus § 20 GWB siehe 59 Vor § 84 Rn 239 ff. 5. Folgen erheblicher Investitionen – Investitionsersatzanspruch. Nicht letztlich ge- 60 klärt ist, welche Folgen erhebliche Investitionen des HV oder eines HV-ähnlichen Vertriebsmittler auf das Kündigungsrecht des Unternehmers oder die Kündigungsfolgen haben 249. Die überwiegende Ansicht in der Literatur befürwortet einen Investitionsersatzanspruch, sofern die Investitionen fremdbestimmt waren 250. Sehen die Händlerstandards eine Investition als Voraussetzung einer Eingliederung in die Absatzorganisation vor, spricht der erste Anschein für eine Veranlassung der Investition durch den Unternehmer 251. Nach Ansicht von Hopt 252 sind die Grundsätze zum Investitionsschadensersatzanspruch für HV aus tatsächlichen Gründen nicht einschlägig, was angesichts großer Autohäuser, die als HV agieren, unzutreffend sein dürfte. Eine abverlangte Investition in Ausstattungen, die markenspezifisch sind und sich nur bei Zugehörigkeit zum konkreten Vertriebssystem amortisieren lässt, ist mit der berechtigten Erwartung des Händlers verbunden, ihm verbleibe eine entsprechende Amortisationszeit bzw. ihm würden seine Investition erstattet 253. Den nicht amortisierten Investitionen kann im Rahmen einer Interessenabwägung nach §§ 307 Abs. 1 BGB, 20 Abs. 1 GWB bei der Prüfung der Angemessenheit der Kündigungsfrist Bedeutung zukommen 254. Wurde dem Mittler durch den Unternehmer schuldhaft unberechtigt gekündigt, sind 61 dessen Investitionen als Schadensposition wegen Schlechterfüllung einer Nebenpflicht gem. § 311 Abs. 1, 280 Abs. 1 BGB vom Unternehmer zu ersetzen 255. Die Pflichtverletzung läge in einer mangelnden Aufklärung, der Weisung zur Investition bzw. der Kündigung ohne wichtigen Grund. Nach einer Ansicht steht dem Mittler aus § 280 und analog §§ 675, 670 BGB 256 weiter 62 ein Investitionsersatzanspruch zu, wenn er aus dem Vertriebssystem des Herstellers zu einer Zeit ausscheidet, zu dem sich fremdbestimmte Investitionen noch nicht amortisiert haben 257. Fälle jener Art könnten nicht gelöst werden, indem die ordentliche Kündigung des Herstellers für gem. § 242 BGB treuwidrig und nichtig erklärt wird 258 – dies stände mglw. schon im Spannungsverhältnis zur Rechtsklarheit nach Kündigungserklärungen. Vielmehr weise der richtige Weg zu einem Schadenersatzanspruch, sofern der Hersteller

249

250

Vgl. Genzow Rn 137; Westphal Vertriebsrecht II, Rn 675 ff; Ebenroth/Parche BB 1988, Beil. 10; Ebenroth/Strittmatter BB 1993, 1521; Foth BB 1987, 1270; Susanne Creutzig NJW 2002, 3430; Niebling WRP 2005, 717 (719); Ensthaler/GesmannNuissl/Stopper DB 2003, 257; zusf. Emde VersR 2004, 1499 (1502); zum spanischen Recht Lindner/Ramirez RIW 2006, 418 ff. Gegen einen Investitionsersatzanspruch OLG München WuW/E OLG 5091. Ebenroth/Parche BB 1988, Beil. 10, S. 26 ff; Ebenroth/Strittmatter BB 1993, 1521 (1527 ff); Foth BB 1987, 1270 ff; Genzow Rn 137; Graf v. Westphalen Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Vertragshändler Vertrag, Rn 64 ff; Küstner/Thume Außendienstrecht Rn 1453 ff; Stumpf/Jaletzke/

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Schultze Rn 713 ff; Martinek/Ullrich § 19 Rn 80 f; Westphal Vertriebsrecht II, Rn 675 ff. Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 450. § 89 Rn 16. Ensthaler NJW 2003, 3106 (3108). BGH NJW 1987, 3197 (3200); BGH NJW-RR 1995, 1260. BGH DB 1978, 1882; OLG Stuttgart GB 1990, 1015, Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 439. Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 429; Giesler WM 2001, 658. Susanne Creutzig NJW 2002, 3430. AA Westphal Vertriebsrecht II, Rn 676.

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Investitionen des Händlers veranlasst habe 259 und sie schutzwürdig seien, weil sie markenspezifisch oder neutral sind, aber über die Grundausstattung des Betriebs hinausgingen. Soweit die Investitionen nach Vertragsende noch (teilweise) genutzt werden könnten, scheide ein Investitionsersatzanspruch aus 260. Einen Amortisationsanspruch hat der BGH im Mietrecht anerkannt 261. Nicht amortisierte Investitionen sind jedoch nicht vom Schutzzweck des § 20 Abs. 1 GWB gedeckt und begründen folglich keinen Schadenersatzanspruch nach § 33 GWB 262. Hinsichtlich der Höhe der Ersatzleistung besteht Uneinigkeit. Teils wird als Ersatz der Vertrauensschaden gewährt 263, teils der Erfüllungsschaden einschließlich nicht amortisierter fremdveranlasster Investitionen und während der Amortisationszeit entgangenem fiktiven Gewinn 264. Tatsächlich wird der Mittler kaum den Gewinn fordern dürfen, den er infolge der Investitionen noch erzielt hätte 265. Nach aA stellt die Ausübung des Kündigungsrechts durch den Unternehmer einen Ver63 stoß gegen seine Leistungstreuepflichten dar; der Schutz des Mittlers vollziehe sich über die Bemessung der Kündigungsfristen 266. Nach dieser Meinungsgruppe verlängern sich die gesetzlichen Kündigungsfristen – nicht nur beim Vertragshändler –, falls dem Vertriebsmittler von dem Unternehmer fremdbestimmte Investitionen auferlegt wurden 267. Die Ansicht verweist auf die Rechtsprechung des BGH 268, der bei einem investionsintensiven Kfz-Vertragshändlervertrag im Rahmen der AGB-Inhaltskontrolle eine Mindestkündigungsfrist von einem Jahr für angemessen gehalten und sich dabei an den seinerzeit geltenden Mindestvorgaben der Kfz-GVO (jetzt: zwei Jahre) orientierte. Die Kündigung entfaltet keine Wirkung. Diese Kündigungsschranke gilt so lange, bis sich zumindest die Anfangsinvestitionen des Händlers im wesentlichen Teil amortisiert haben. Nach Ansicht des OLG Stuttgart 269 bilden Investitionen eine Kündigungsschranke. Das OLG Stuttgart nahm dies nach einer Vertragslaufzeit von 7 Jahren an. Dem Schutz des Vertrauens in eine angemessene Amortisationszeit dienen nach dieser Auffassung die Kündigungsfristen, welche die Vertragsparteien vor einem plötzlichen und unerwarteten Vertragsende schützen sollen 270. Der von dieser Meinungsgruppe gewährte Schutz leitet sich aus der analogen Anwendung der Grundsätze über die Kündigung zur Unzeit gem. §§ 627 Abs. 2, 671 Abs. 2, 712 Abs. 2 Hs. 2, 723 Abs. 2 S. 2, 2226 S. 2 BGB her. Nach Ansicht des OLG München 271 darf aus § 20 Abs. 1 GWG keine Kündigungsschranke hergeleitet werden. 259

260 261 262 263

264

Westphal Vertriebsrecht II, Rn 677 („fremdbestimmte Investitionen“); Niebling WRP 2003, 609 (611). Westphal Vertriebsrecht II, Rn 677. BGH BB 2000, 1060. Ensthaler/Gesmann-Nuissl/Stopper DB 2003, 257 (261). Westphal Vertriebsrecht II Rn 678; Martinek/Ullrich § 19 Rn 84; Stumpf/Jaletzke/ Schultze Rn 716; Ulmer in: FS Möhring, 1975, S. 310; Foth BB 1987, 1270 (1273). Ebenroth Mittlungsverträge im Spannungsverhältnis von Kartell- und Zivilrecht, in: Monographien zum deutschen und internationalen Wirtschaftssteuerrecht, 1980, S. 186 ff.; Genzow Rn 140; Graf v. Westphalen Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Vertragshändler Vertrag, Rn 67; Ebenroth/Parche BB 1988, 26; Susanne Creutzig NJW 2002, 3430; Ensthaler/Gesmann-Nuissl/Stopper DB 2003, 257 (263).

772

265

266

267 268 269 270 271

Westphal Vertriebsrecht II, Rn 678; Foth BB 1987, 1270; aA Genzow Rn 140; Ebenroth/Parche BB 1988, Beilage 10. Ebenroth Mittlungsverträge im Spannungsverhältnis von Kartell- und Zivilrecht, in: Monographien zum deutschen und internationalen Wirtschaftssteuerrecht, 1980, S.175 ff; Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 335; Westphal Vertriebsrecht II, Rn 675. Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 335. BGH BB 1995, 1657. OLG Stuttgart WuW-E OLG 3415 (Daimler Benz). Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 335. OLG München WuW-E OLG 5091, 5096 (BMW).

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Beide Ansichten haben richtige Ansatzpunkte. Im Grundsatz muss der Mittler selbst 64 das Investitionsrisiko tragen. Nur im vom Mittler zu beweisenden Ausnahmefall kommt ein Ersatzanspruch in Frage. Im investitionsreichen Kfz-Vertragshändlergeschäft werden viele Fälle bereits durch die von der GVO 1400/02 vorgeschriebene Mindestkündigungsfrist von zwei Jahren abgefedert. Da sich Literatur und Rechtsprechung unabhängig von der Existenz eines Investitionsersatzanspruchs einig darüber sind, dass im investitionsintensiven Geschäft – möglicherweise in Analogie zu den kartellrechtlichen Vorschriften der GVO 1400/02 – verlängerte Kündigungsfristen gelten, ist bereits aus jenem allgemeinen Rechtsgedanken eine Verlängerung der Kündigungsfrist des § 89 herzuleiten. Auch dies mindert den Anwendungsbereich des Rechtsinstituts des Investitionsersatzanspruches. Zutreffend dürfte es sein, nach Wahl des Händlers entweder die Unwirksamkeit der Kündigung oder einen Schadenersatzanspruch zuzulassen 272. Ein Wahlrecht des Unternehmers wird man wohl nicht akzeptieren können 273. Es besteht eine Anspruchsgrundlagenkonkurrenz zwischen verlängerter Kündigungsfrist und Ersatzanspruch. Bestehen mehrere Ansprüche, ist in der Regel von einem Konkurrenzverhältnis auszugehen, wobei der Anspruchsberechtigte die Wahl des Anspruchs nach billigem Ermessen treffen darf. Gegen die Gewährung des Kündigungsschutzes mag im Einzelfall sprechen, dass es zu einer Zementierung möglicherweise unwirtschaftlicher Vertriebsverhältnisse kommt und auch Vertragsumstellungen, etwa infolge einer Neufassung einer GVO, erschwert werden 274. Diesen Bedenken lässt sich Rechnung tragen, indem dann, wenn der Ausschluss des Kündigungsrechts für den Unternehmer unzumutbar ist, das Wahlrecht nach §§ 315, 242 BGB auf die Wahl des Schadensersatzes reduziert wird. An dem Grundsatz des Wahlrechts zugunsten des Vertriebsmittlers ändert dieser Ausnahmefall nichts. Soweit man dem Unternehmer ein Wahlrecht zubilligen will, ist in der Kündigung in Kenntnis der nicht amortisierten Investitionen regelmäßig die Wahl des Ersatzanspruches in Geld zu sehen 275. Der Anspruchsteller hat alle anspruchsbegründenden Tatsachen darzulegen und zu 65 beweisen, also Herstellerkündigung, die Vornahme schutzwürdiger Investitionen sowie ggf. den aus der Vertragsbeendigung resultierenden Schaden. Aus dem Finanzierungsplan ergibt sich meist der Amortisationszeitraum 276. Bei zweijähriger Kündigungsfrist – wie sie im Kfz-Vertragshändlerrecht durch die GVO 1400/02 vorgeschrieben wird – soll ein Investitionsersatz nur ausnahmsweise geschuldet sein 277, was sich jedoch in dieser Allgemeinheit nicht sagen lässt. Eine Beschränkung des Investitionsschutzes durch die KfzGVO 1400/02 scheidet aus 278. Bei Franchiseverträgen wird von einer Amortisationsdauer von 3 bis 5 Jahren ausgegangen 279. Ein Investitionsschutz nach acht Jahren ist aus dem Grundsatz von Treu und Glauben angeblich nicht abzuleiten 280. Wegen des Investitionsschutzes kann Händlern nur empfohlen werden, die Veranlassung zu Investitionen zu dokumentieren, etwa im Schriftwechsel zwischen den Parteien 281. Das österreichische Parlament hat am 18.06.2003 den Investitionsschutz des Vertrags- 66 händlers gesetzlich verankert 282: Ein Unternehmer, der an einem vertikalen Vertriebsbindungssystem als gebundener Unternehmer teilnimmt, hat bei Beendigung des Ver272 273 274 275 276

Ensthaler/Gesmann-Nuissl/Stopper DB 2003, 257 (261). AA Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 456. Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 428. Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 455. Susanne Creutzig NJW 2002, 3430.

277 278 279 280 281 282

Niebling WRP 2005, 717. Ensthaler NJW 2003, 3106 (3108). Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 301. KG, Urt. v. 22.01.2004 – 2 U 17/02 Kart., zitiert nach Niebling WRP 2005, 717 (719). Emde kfz-betrieb 20/2001, 26. Vgl. Ensthaler NJW 2003, 3106.

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tragsverhältnisses mit dem bindenden Unternehmer Anspruch auf Ersatz von Investitionen, die er zu tätigen verpflichtet war, soweit sie bei Vertragsbeendigung weder amortisiert noch angemessen verwertbar sind. Der Anspruch nach österreichischem Recht besteht nicht, sofern der Händler von sich aus den Vertrag gekündigt hat oder wenn er nicht innerhalb eines Jahres nach Kündigung seine Rechte geltend macht. Er ist zwingend.

67

6. Widersprüchliches Verhalten. Auch widersprüchliches Verhalten kann zur Unwirksamkeit der Kündigung führen. Ein solches widersprüchliches Verhalten liegt z.B. vor, falls der Vertragspartner zurechenbares Vertrauen auf den Fortbestand des Vertrages hervorgerufen hat. Dies darf angenommen werden, wenn der Unternehmer zunächst einen Vertrag schließt, um ihn dann umgehend zu kündigen 283.

XIII. Folgen der Vertragsbeendigung 68

Mit Eintritt des Kündigungsendtermins (Abs. 1 S. 3) endet das Vertragsverhältnis. Es wandelt sich in ein Abwicklungsverhältnis 284 um. Die nachvertragliche Treupflicht besteht fort; der Rechtsgrund für erbrachte Vorleistungen entfällt. Der Unternehmer schuldet die Abwicklung der auf Vermittlung des HV zustandegekommenen Geschäfte, deren Verprovisionierung, die Informationen des § 87c, Ausgleichsvergütung nach § 89b, Rücknahme seiner Sachen, und zwar grundsätzlich unabhängig vom Eigentumsübergang und auch ohne Konsignationslagerabrede gegenüber dem Vertragshändler 285, eine eventuell zu leistende Karenzentschädigung gem. § 90a sowie ggf. ein Zeugnis nach § 630 BGB (Vor § 84 Rn 71). Aus weiterer gegen den Willen des Unternehmers vorgenommener Vermittlungs- oder Abschlusstätigkeit erwirbt der HV keinen Provisionsanspruch 286; bei Zustimmung des Unternehmers ggf. konkludenter Neuabschluss des Vertrages (§ 89 Abs. 3 S. 1 ggf. analog) oder Vergütungsanspruch gem. § 354, auch bei Kündigung nach § 89a (nicht nur für notwendige Abwicklungsarbeiten) 287. Einstands- oder Vorauszahlungen sind vom Unternehmer abzurechnen. Zur AVAD-Auskunft § 86a Rn 116. Der HV hat den nachvertraglichen Geheimnisschutz gemäß § 90 zu beachten. Nach Kündigung nur im Gedächtnis verhaftete, nicht aber der Kundenkartei entnommene Kundenanschriften darf der Mittler verwerten 288. Auch ein vereinbartes nachvertragliches Wettbewerbsverbot gem. § 90a hat der HV zu beachten. Vorräte, Lagerbestände, Ersatzteile oder sonstige vom HV im Einverständnis mit dem Unternehmer zur Unterstützung der ihm übertragenen Tätigkeit auf eigene Kosten erworbene Gegenstände hat der Unternehmer entsprechend den o.g. Grundsätzen zur Rücknahme der Lagerware bei Vertragshändlern (Vor § 84 Rn 440 ff) nach Vertragsende gegen Wertersatz zu übernehmen 289, selbst wenn ihn ein Schuldvorwurf an einem vorzeitigem Vertragsende nicht trifft. Fehler oder Wertminderung der zurückzugebenden Gegenstände stehen der Rücknahmepflicht nicht entgegen, begründen aber bei vom HV verschuldeter Verschlechterung einen Schadensersatzanspruch 290. In Ausführung eines Vertragshändlervertrages geschlossene Einzelkaufverträge sind zu erfüllen 291. 283

284 285

LG Köln, Urt. v. 08.07.1981 – 84 O (Kart) 23/81, unveröffentlicht; Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 345. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 31. Hopt § 89 Rn 26; aA Schriefers BB 1992, 2158.

774

286 287 288 289 290 291

LG Hamburg VersR 1992, 743. AA Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 51. BGH VersR 1999, 966 = BB 1999, 1452. Ebenroth/Löwisch § 86a Rn 16. Schriefers BB 1992, 2161. Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht 2005, § 3 Rn 425.

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E. Abweichende Vereinbarungen I. Kündigungsausschluss § 89 verbietet Vereinbarungen nicht, die das Kündigungsrecht auf längere Zeit aus- 69 schließen 292. Derartige Abreden liegen innerhalb der durch Art. 2 Abs. 1 GG gesicherten Vertragsfreiheit. Zu AGB Vor § 84 Rn 33 ff. Beide Parteien – insbesondere auch der Vertriebsmittler – können an langfristigen Bindungen ein besonderes Interesse haben, etwa zur Sicherung der Amortisation erheblicher Investitionen. Besonders plastisch wird dies im investitionsintensiven Kfz-Vertriebsrecht, wo die GVO 1400/02 zum Schutz der Mittler sogar eine zweijährige Mindestkündigungsfrist vorschreibt. § 624 BGB ist aber zu beachten. Der Ausschluss der ordentlichen Kündigung kann jedoch sittenwidrig sein 293. Die durch §§ 138 und 242 BGB gezogenen Grenzen der Vertragsfreiheit werden überschritten, wenn die Abwägung der beiderseitigen berechtigten Interessen im Zeitpunkt des Vertragsschlusses eine nicht mehr hinnehmbare übermäßige Einschränkung der wirtschaftlichen und persönlichen Handlungsfreiheit insbesondere des Schwächeren ergibt 294. Dies gilt etwa bei bei sittenwidriger Erschwerung oder Rechtsmissbrauch 295. Es betrifft beispielsweise Fälle der Kündigungserschwerung in Form von Rückzahlungsklauseln, z.B. die Rückzahlung einer Vertragsanschlussgebühr 296 oder die teilweise Rückzahlung einer Provisionspauschale bei fristloser Kündigung des Unternehmers 297. Spätere Veränderungen der Verhältnisse führen nicht zur Unwirksamkeit der bei Vertragsschluss einwandfreien Klausel 298, mglw. jedoch zum WGG 299. Eine Erweiterung des Schutzbereiches des § 242 BGB speziell zum Schutz des HV ist nicht erforderlich 300. Die Seefelder Maximen, vereinbart zwischen dem BVK und dem GdV, nach denen Versicherungsvertretern, die mehr als 25 Jahre tätig und älter als 55 Jahre sind, nicht ohne triftigen Grund gekündigt werden darf, enthalten kein Kündigungsverbot und auch keinen Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten der Versicherungsvertreter. Dies gilt auch dann, wenn der Versicherer gegenüber der Öffentlichkeit erklärt hat, er werde sich an diese Maximen halten.

II. Abweichung nach § 92b Nach § 92b Abs. 1 S. 2 darf, divergierend von den Regelkündigungsfristen des § 89, 70 gegenüber einem HV im Nebenberuf eine Kündigungsfrist von einem Monat für den Schluss eines Kalendermonats vereinbart werden. Wird eine hiervon abweichende Kündigungsfrist geregelt, muss sie für beide Teile gleich lang sein. Eine für beide Parteien geltende Verlängerung der Kündigungsfrist auf 12 Monate, die in AGB gegenüber einem HV im Nebenberuf verwendet wird, ist unzulässig 301. Sie widerspricht dem Grundgedanken des Gesetzes, weil sie die von ihm erlaubte Kündigungsfrist um 23 Monate überschreitet. Siehe auch Rn 74. 292

293 294

295

BGH ZIP 1995, 910; Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 32; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 59; Schlegelberger/ Schröder § 89 Rn 9. BGH NJW 1995, 2350 (im Ergebnis ablehnend); Hopt § 89 Rn 16. BGH ZIP 1995, 910 (911, 912); BGH, Urt. v. 31.03.1982 – I ZR 56/80, BGHZ 83, 313 (316) = NJW 1982, 1692; KG MDR 1997, 1041 (1042); Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 32. Hopt § 89 Rn 16.

296 297 298 299 300 301

BGH NJW 1982, 181 (im Ergebnis unwirksam). OLG Düsseldorf DB 1972, 182 (im Ergebnis wirksam). BGH ZIP 1995, 910 (911, 912). Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 32. Ulmer FS Möhring 75, 311; Hopt § 89 Rn 16. OLG Celle, Beschl. V. 09.06.2005 – 11 U 110/05, OLGR 2005, 650.

Raimond Emde

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§ 89

1. Buch. Handelsstand

F. Zulässige Länge von Vertriebsverträgen 71

Neben der Frage, ob § 624 BGB in diesen Fällen ggf. ein außerordentliches Kündigungsrecht gewährt, ist fraglich, über welche Dauer Vertriebsverträge geschlossen werden dürfen. Sowohl Unternehmer wie Mittler können Interesse an einer längeren Vertragsdauer oder einer Begrenzung der Höchstlaufzeit haben. Einerseits kann ein Mittler oder Unternehmer das Interesse besitzen, seine Investitionen zu amortisieren oder ein unbesetztes Vertriebsgebiet zu verhindern. Andererseits mögen lange Vertragslaufzeiten im Hinblick auf die Absatzförderungs- und Betriebsführungspflicht (letztere insbesondere bei Franchisenehmern) bedenklich sein. Wenn sich der Betrieb im Laufe der Zeit als unrentabel erweist, kann es für den Vermittler existenzbedrohend sein, über längere Zeiträume an dem Vertragsverhältnis festgehalten zu werden 302. Im Grundsatz besteht hier Vertragsautonomie. Bei AGB wird die Laufzeit von Ver72 triebsverträgen auch anhand des § 307 Abs. 1 BGB geprüft. Das Klauselverbot des § 309 Nr. 9 BGB, demzufolge bei regelmäßiger Lieferung von Waren oder Erbringung von Dienst- und Werkleistungen durch den Verwender eine länger als zwei Jahre bindende Laufzeit in AGB unzulässig sei, kann nicht auf Franchiseverträge angewendet werden 303. Die langfristige Bindung eines Vertriebsmittlers in einem AGB-Vertriebsvertrag, insbesondere eine 10-Jahresbindung, ist – so der BGH 304 – nur zulässig, sofern der Unternehmer an ihr wegen erheblicher Investitionen ein berechtigtes Interesse hat. Daran äußert der BGH bei einem Tankstellen-HV-Vertrag Zweifel. Auch Stoffels 305 bezweifelt die Wirksamkeit über 10 Jahre hinausgehender Laufzeiten. Gerade der Mittler mag aber – etwa im investitionsintensiven Geschäft – Interesse an langfristigen Bindungen besitzen. Eine 20-jährige Erstlaufzeit des Vertrages kann nach Ansicht des LG Waldshut-Tiengen 306 noch akzeptabel sein: Es müsse jeweils im Einzelfall geprüft werden, ob die Amortisation der Investitionen eine über 10 Jahre hinausgehende Laufzeit erfordere. Nach anderer Ansicht soll eine Laufzeit von mehr als 20 Jahren bei Franchiseverträgen gegen § 138 BGB verstoßen 307. Je höher die Investitionen des Franchisenehmers sind, desto länger können die Bindungen sein 308. Wegen der fünfjährigen Höchstlaufzeit von Wettbewerbsverboten nach Art. 5 lit. a 73 GVO 2790/99 309 (Vor § 84 Rn 142 ff) sind längere Laufzeiten von Vertriebsverträgen, außer in echten HV-Verträgen (Vor § 84 Rn 198 ff), heute problematisch. Denn die meisten Vertriebsverträge enthalten solche Wettbewerbsverbote 310. Das OLG Dresden stellte wohl deshalb in einem Hinweisbeschluss 311 fest, bei Franchiseverträgen sei lediglich eine fünfjährige Erstlaufzeit akzeptabel.

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307

Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 301. Stoffels DB 2004, 1871. BGH, Urt. v. 11.01.2006 – VIII ZR 396/03, BB 2006, 517. DB 2004, 1871. Urt. v. 16.07.1998 – 1 U 63/98, ebenso LG München I, Urt. v. 20.10.1998, beide zitiert nach Flohr BB 2006, 389 (395). BGHZ 54, 145; BGH NJW 1985, 693; NJW 1969, 1662; NJW 1998, 156 (159 f).

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Flohr in: Wachter, Handbuch des Fachanwalts für Handels- und Gesellschaftsrecht, Münster 2007, Kap. 6, Rn 176. Hierzu Emde WRP 2005, 1492 ff. Emde WRP 2005, 1492 ff; Stoffels DB 2004, 1871. Urt. v. 08.09.2005 – 10 U 747/05, zitiert nach Flohr BB 2006, 389 (399).

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 89

G. Absatz 2: Verlängerung und Verkürzung der Kündigungsfristen Kürzere als die von § 89 vorgesehenen Kündigungsfristen dürfen nicht vereinbart 74 werden 312, und zwar zu Gunsten oder Lasten keiner Partei. Die insoweit zwingende Natur des § 89 ergibt sich lediglich infolge eines Umkehrschlusses aus Abs. 2 S. 1, der nur die Vereinbarung längerer Kündigungsfristen zulässt. Derartige Beschränkungen sind gem. § 134 BGB unwirksam. Gleiches gilt für Umgehungskonstruktionen wie eine Vereinbarung über die Vorverlegung des Vertragsendes, das Entfallen der beiderseitigen Rechte und Pflichten oder die entschädigungslose Freistellung mit dem Datum der Kündigungserklärung 313. Absprachen, die zu einer Behinderung oder Erschwerung des Kündigungsrechts führen, sind ebenfalls unzulässig und gem. § 134 BGB unwirksam. Das gilt etwa für Abreden, nach denen die Kündigung nur nach der Erfüllung bestimmter Ansprüche gestattet ist oder mit finanziellen Nachteilen verknüpft wird 314. Überhaupt sind Vereinbarungen unzulässig, die die freie Entschließung des HV, das Vertragsverhältnis zu kündigen, unter wirtschaftlichen Druck setzen, z.B. durch die ausbedungene Pflicht zur Rückzahlung von nicht erreichten Teilen eines Provisionsfixums 315. Die Parteien dürfen längere Kündigungsfristen als die von Abs. 1 S. 1 und 2 gesetzlich vorgesehenen vereinbaren. Eine Grenze setzt lediglich Abs. 2 S. 1: die für eine Kündigung durch den Unternehmer geltende Frist darf nicht kürzer, aber länger, sein als die für eine Kündigung durch den HV vereinbarte 316. Auch der Kündigungsendtermin (Vertragsende) darf abweichend von Abs. 1 S. 3 bestimmt werden, ebenso der – allerdings nur vorzuverlegende 317 – Zugang der Kündigung bestimmt werden 318. Die Vereinbarung über eine Kündigungsfrist beinhaltet aber nicht ohne weiteres auch eine solche über einen Kündigungsendtermin 319. Im Zweifel bleibt es bei der Vereinbarung des Kündigungsendtermins zum Schluss eines Kalendermonats 320. Da die Kündigungsfrist für den Unternehmer nicht kürzer sein darf als für den HV (Abs. 2 S. 1 Hs. 2) ist die Vereinbarung eines allein zugunsten des Unternehmers wirkenden früheren Endtermins 321 oder späteren Zugangszeitpunkts 322 als für den HV nicht zulässig. Falls abweichende Regelungen gestattet sind, dürfen sie mittels AGB getroffen werden 323. Im Anwendungsbereich des § 92c darf grundsätzlich auch von den zwingenden 75 Regeln des § 89 abgewichen werden. Im Rahmen des § 92b ist § 89 sogar ohne Derogation unanwendbar (§ 92b Rn 11). Allerdings muss bereits gem. § 242 BGB sowie unter dem Gesichtspunkt der wechselseitigen Treupflichten eine angemessene Auslauffrist gewahrt werden, für die bis zum fünften Vertragsjahr die Kündigungsfristen des § 89

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316

Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 33. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 33. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 33; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 48; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89 Rn 22; Hopt § 89 Rn 16; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 9a; BGH, Urt. v. 02.10.1981 – I ZR 201/79, ZIP 1981, 1345; offengelassen in KG MDR 1997, 1042. LG Frankfurt/Main VW 1975, 1551; vgl. § 89a, 21 und die dort zitierte Entscheidung LAG Baden-Württemberg BB 1955, 177. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 33; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 60.

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Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 33. BGH, Urt. v. 12.12.1974 – VII ZR 229/73, LM Nr. 6; Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 33; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 61. LG Bielefeld, HVR (55) Nr. 89; Hopt § 89 Rn 27. Hopt § 89 Rn 27. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 33; Hopt § 89 Rn 27; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 89 Rn 61, der § 622 Abs. 6 für entsprechend anwendbar hält. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 33. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 33.

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§ 89

1. Buch. Handelsstand

Leitbild bleiben dürften. Erst die Kündigungsfrist von sechs Monaten wird sich auf drei verkürzen lassen, sofern nicht besondere Umstände eine längere Auslauffrist fordern, etwa erhebliche Investitionen einer Partei. Ob die Derogation dann mittels AGB erfolgen darf oder ob hier das Leitbild des § 89 die Prüfung des § 307 BGB prägt, ist eine weitere Frage. Mit der hM zur Frage des Ausgleichsauschlusses 324 wird man die Vereinbarung durch AGB für zulässig halten müssen (§ 92c Rn 21 f). Eine unzulässige und gem. § 134 BGB unwirksame Absprache führt wegen des Schutz76 zweckes des § 89 entgegen § 139 BGB nicht zur Gesamtunwirksamkeit des Vertrags 325. Es gilt dann die von § 89 vorgesehene Mindestfrist. Bei einem Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Abs. 2 S. 1 Hs. 2 gilt einheitlich die für den HV vereinbarte Frist 326.

H. Beweislast 77

Jede Partei muss die Voraussetzungen des für sie günstigen Teil-TB des § 89 nachweisen. Die Partei, welche sich auf eine wirksame Kündigung beruft, muss die Kündigungserklärung sowie die Wirksamkeit der Kündigung nachweisen 327. Eine bestimmte Vertragsdauer, die zu den in Abs. 1 genannten Fristen führt, muss die Partei nachweisen, zu deren Vorteil die Frist gereicht. Im Zweifel ist dies der Gekündigte. Da ein auf unbestimmte Dauer gerichtetes Vertragsverhältnis die Regel ist, muss eine (ggf. nachträgliche) Befristung diejenige Partei beweisen, für die die Befristung günstig ist. Für eine von § 89 abweichende Vereinbarung ist derjenige beweispflichtig, der sie behauptet. Dies gilt etwa für eine verlängerte Kündigungsfrist oder für einen von Abs. 1 S. 3 abweichenden Kündigungsendtermin. Die Vertragsverlängerung nach Ende eines befristeten Vertrages, insbesondere die nach Abs. 3, muss diejenige Partei beweisen, für die sie vorteilhaft ist. Dafür, dass nach § 92b, c ausnahmsweise eine von den zwingenden Voraussetzungen des § 89 abweichende Vereinbarung zulässig ist (Rn 75), trägt der hierdurch Bevorteilte die Beweislast. Bei Streit darüber, ob der Vertrag noch bestanden hat, als die geltend gemachte Forderung begründet wurde, soll der Anspruchsteller beweisen müssen, dass der Vertrag nicht von Beginn an befristet war 328 oder nach Fristablauf einvernehmlich fortgesetzt worden ist 329.

I. Steuerrecht 78

Ein mit Ablauf des HV-Vertrages entstehender Anspruch auf Provisionsfortzahlung ist keine rückstellungsfähige ungewisse Verbindlichkeit (§ 249 Abs. 1), wenn das Entstehen noch von einer aufschiebenden Bedingung abhängt. Denn rückstellungsfähig sind nur bereits entstandene oder noch nicht entstandene aber wirtschaftlich in dem abgelaufenen Zeitraum verursachte Verbindlichkeiten, die den Verpflichteten bereits aktuell belasten. Die Rückstellungsfähigkeit hängt mithin davon ab, ob es sich bei der Provisionsfortzahlung um ein Entgelt für bereits erbrachte Leistungen (dann Rückstellungsfähigkeit)

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OLG München RIW 2002, 319 (320). BGHZ 40, 235 (239); OLG Nürnberg NJW-RR 1986, 782; Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 34; Hopt § 89 Rn 28; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 14, 15. BGHZ 40, 235 (239); Ebenroth/Löwisch

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§ 89 Rn 34; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 60. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 35. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 35. Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 35.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 89a

oder um eine Abgeltung des zukünftigen Wettbewerbsverbots (dann Rückstellungsunfähigkeit) handelt 330. Durch BMF-Schreiben vom 21.06.2005 331 hat das BMF Stellung zu diesem BFH-Urteil bezogen. Das BMF führt in dem Schreiben aus, den Grundsätzen des BFH-Urteils werde gefolgt, soweit der BFH zur Abgrenzung der vertraglich vereinbarten Provisionszahlung von einem Ausgleichsanspruch nach § 89b ausführe. Soweit der BFH jedoch die Passivierung einer Rückstellung befürworte, ohne dass die Verpflichtung rechtlich entstanden sei oder mit einiger Wahrscheinlichkeit rechtlich entstehen werde, sei das BFH-Urteil nicht über den Einzelfall hinaus anzuwenden. Vielmehr müsse in Konstellationen, in denen die Provisionsverpflichtung unter einer aufschiebenden Bedingung stehe, die Wahrscheinlichkeit des Eintritts der Bedingung geprüft werden.

§ 89a Fristlose Kündigung (1) 1Das Vertragsverhältnis kann von jedem Teil aus wichtigem Grunde ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden. 2 Dieses Recht kann nicht ausgeschlossen oder beschränkt werden. (2) Wird die Kündigung durch ein Verhalten veranlaßt, das der andere Teil zu vertreten hat, so ist dieser zum Ersatz des durch die Aufhebung des Vertragsverhältnisses entstehenden Schadens verpflichtet.

Schrifttum Becker-Schaffner Die Rechtsprechung zur Ausschlußfrist des § 626 Abs. 2 BGB, DB 1987, 2147, ders. Zugang der Kündigung, BB 1998, 422; Bergwitz Abmahnung und Vertrauensstörung im Arbeitsrecht, BB 1998, 2310; Börner/Hubert Frist für die außerordentliche Kündigung des Handelsbzw. Versicherungsvertreters? BB 1989, 1633; v. Brunn Unzulässige Verhandlungen über die Nachfolge eines Handelsvertreters vor Kündigung seines Vertrags, DB 1964, 1841; Eberstein Zehn Jahre Rechtsprechung zum neuen Handelsvertreterrecht, BB 1964, 271; Ende Die betriebsbedingte außerordentliche Kündigung von Vertragshändlerverträgen durch den Unternehmer, BB 1996, 2260; Fock Der nachvertragliche Schadensersatzanspruch des Handelsvertreters gem. Art. 17 Abs. 3 der EGHandelsvertreterrichtlinie – Alternative oder Ergänzung zum Goodwill – Ausgleich des Vertreters? in Saenger/Schulze Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, 2000, 62; v. Hoyningen-Huene/ Boemke Beweisfragen bei Berufsfortkommensschäden (§ 252 S. 2 BGB, § 287 I ZPO), NJW 1994, 1757; Holling Gründe für die fristlose Kündigung eines Handelsvertreterverhältnisses in der Rechtsprechung, BB 1961, 994; Hoss Das nachvertragliche Wettbewerbsverbot während des Kündigungsschutzprozesses und im Aufhebungsvertrag, DB 1997, 1818; ders. Die arbeitsrechtliche Abmahnung, MDR 1999, 333; Kindler Verwirkung des Rechts auf außerordentliche Kündigung: Für welche Dienstvertragstypen gilt § 626 Abs. 2 BGB? BB 1988, 2051; Kranz Die Ermahnung in der arbeitsrechtlichen Praxis, DB 1998, 1464; Küstner Bestandswegnahme und Schadensersatz, VersR 1996, 944; Leo Rechtsfragen zur Kündigung des Handelsvertretervertrags, DB 1961, 1518; Lohr Kündigung des Arbeitsvertrags – Zurückweisung wegen fehlender Vollmachtsurkunde, MDR 2000, 620; Manfred Löwisch Wilhelm Herschel und die Wurzeln von Ultima-Ratio – Grundsatz und Prognoseprinzip, BB 1998, 1793; Lücke Unter Verdacht: Die Verdachtskündigung, BB 1997, 1842; ders. Die Verdachtskündigung – Fragen aus der Praxis, BB 1998, 2259; Maier Kündigung des Handelsver-

330

BFH, Urt. v. 24.01.2001 – I R 39/00, DB 2001, 1227 = BB 2001, 1241.

331

IV B 2 – S 2137 – 19/05, DB 2005, 1418 = BB 2005, 1624.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 89a

oder um eine Abgeltung des zukünftigen Wettbewerbsverbots (dann Rückstellungsunfähigkeit) handelt 330. Durch BMF-Schreiben vom 21.06.2005 331 hat das BMF Stellung zu diesem BFH-Urteil bezogen. Das BMF führt in dem Schreiben aus, den Grundsätzen des BFH-Urteils werde gefolgt, soweit der BFH zur Abgrenzung der vertraglich vereinbarten Provisionszahlung von einem Ausgleichsanspruch nach § 89b ausführe. Soweit der BFH jedoch die Passivierung einer Rückstellung befürworte, ohne dass die Verpflichtung rechtlich entstanden sei oder mit einiger Wahrscheinlichkeit rechtlich entstehen werde, sei das BFH-Urteil nicht über den Einzelfall hinaus anzuwenden. Vielmehr müsse in Konstellationen, in denen die Provisionsverpflichtung unter einer aufschiebenden Bedingung stehe, die Wahrscheinlichkeit des Eintritts der Bedingung geprüft werden.

§ 89a Fristlose Kündigung (1) 1Das Vertragsverhältnis kann von jedem Teil aus wichtigem Grunde ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden. 2 Dieses Recht kann nicht ausgeschlossen oder beschränkt werden. (2) Wird die Kündigung durch ein Verhalten veranlaßt, das der andere Teil zu vertreten hat, so ist dieser zum Ersatz des durch die Aufhebung des Vertragsverhältnisses entstehenden Schadens verpflichtet.

Schrifttum Becker-Schaffner Die Rechtsprechung zur Ausschlußfrist des § 626 Abs. 2 BGB, DB 1987, 2147, ders. Zugang der Kündigung, BB 1998, 422; Bergwitz Abmahnung und Vertrauensstörung im Arbeitsrecht, BB 1998, 2310; Börner/Hubert Frist für die außerordentliche Kündigung des Handelsbzw. Versicherungsvertreters? BB 1989, 1633; v. Brunn Unzulässige Verhandlungen über die Nachfolge eines Handelsvertreters vor Kündigung seines Vertrags, DB 1964, 1841; Eberstein Zehn Jahre Rechtsprechung zum neuen Handelsvertreterrecht, BB 1964, 271; Ende Die betriebsbedingte außerordentliche Kündigung von Vertragshändlerverträgen durch den Unternehmer, BB 1996, 2260; Fock Der nachvertragliche Schadensersatzanspruch des Handelsvertreters gem. Art. 17 Abs. 3 der EGHandelsvertreterrichtlinie – Alternative oder Ergänzung zum Goodwill – Ausgleich des Vertreters? in Saenger/Schulze Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, 2000, 62; v. Hoyningen-Huene/ Boemke Beweisfragen bei Berufsfortkommensschäden (§ 252 S. 2 BGB, § 287 I ZPO), NJW 1994, 1757; Holling Gründe für die fristlose Kündigung eines Handelsvertreterverhältnisses in der Rechtsprechung, BB 1961, 994; Hoss Das nachvertragliche Wettbewerbsverbot während des Kündigungsschutzprozesses und im Aufhebungsvertrag, DB 1997, 1818; ders. Die arbeitsrechtliche Abmahnung, MDR 1999, 333; Kindler Verwirkung des Rechts auf außerordentliche Kündigung: Für welche Dienstvertragstypen gilt § 626 Abs. 2 BGB? BB 1988, 2051; Kranz Die Ermahnung in der arbeitsrechtlichen Praxis, DB 1998, 1464; Küstner Bestandswegnahme und Schadensersatz, VersR 1996, 944; Leo Rechtsfragen zur Kündigung des Handelsvertretervertrags, DB 1961, 1518; Lohr Kündigung des Arbeitsvertrags – Zurückweisung wegen fehlender Vollmachtsurkunde, MDR 2000, 620; Manfred Löwisch Wilhelm Herschel und die Wurzeln von Ultima-Ratio – Grundsatz und Prognoseprinzip, BB 1998, 1793; Lücke Unter Verdacht: Die Verdachtskündigung, BB 1997, 1842; ders. Die Verdachtskündigung – Fragen aus der Praxis, BB 1998, 2259; Maier Kündigung des Handelsver-

330

BFH, Urt. v. 24.01.2001 – I R 39/00, DB 2001, 1227 = BB 2001, 1241.

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IV B 2 – S 2137 – 19/05, DB 2005, 1418 = BB 2005, 1624.

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1. Buch. Handelsstand

treters wegen Alters oder Krankheit, BB 1978, 940; ders. Das gesetzliche Wettbewerbsverbot für Handelsvertreter, BB 1979, 500; Martin Offene Handelsgesellschaft und Kommanditgesellschaft als Versicherungsvertreter, VersR 1967, 824; Naujok Das Spannungsverhältnis zwischen Verdachtskündigung und Unschuldsvermutung, ArbuR 1998, 398; Niebling Die fristlose Kündigung von Automobil-Händlerverträgen, BB 1998, 2259 und MDR 1998, 1332; Preis/Stoffels Die Inhaltskontrolle der Verträge selbständiger und unselbständiger Handelsvertreter, ZHR 160 (1996), 442; Schaub Die arbeitsrechtliche Abmahnung, NJW 1990, 872; ders. Die Abmahnung als zusätzliche Kündigungsvoraussetzung, NZA 1997, 1185; Schirge Böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs nach § 615 Satz 2 BGB im gekündigten Arbeitsverhältnis, DB 2000, 1278; Schwerdtner Betriebsverfassungsrechtliches Anhörungsverfahren und Nachschieben von Kündigungsgründen, ZIP 1981, 809; ders. Das Recht zur außerordentlichen Kündigung als Gegenstand rechtsgeschäftlicher Vereinbarung im Rahmen des Handelsvertreterrechts, DB 1989, 1757; Ulmer/Habersack Zur Beurteilung des Handelsvertreter- und Kommissionsagenturvertriebs nach Art. 85 Abs. 1 EGV, ZHR 159 (1995), 109; Ulmer/Schäfer Zum Anspruch des Kfz-Vertragshändlers gegen den Hersteller auf Zustimmung zur Übernahme einer Zweitvertretung, ZIP 1994, 753; Westphal Die Handelsvertreter-GmbH: Renaissance mit Unterstützung des BFH? BB 1999, 2517; Wolterek Zweiwochenfrist bei außerordentlicher Kündigung eines Handelsvertreters, DB 1984, 279.

Übersicht Rn A. Die Möglichkeit fristloser Kündigung von Dauerschuldverhältnissen . . . . . . I. § 89 a als Ausfluss eines weiterreichenden Prinzips . . . . . . . . . II. Genese und europarechtliche Präformation . . . . . . . . . . . . . . . III. Verhältnis zum BGB . . . . . . . . IV. Verhältnis zur befristeten Kündigung nach § 89 . . . . . . . . . . . . . . V. Verhältnis zur aufschiebenden und auflösenden Bedingung . . . . . . . VI. Leistungs- und Unterlassungsklage . B. Absatz 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Vertragsverhältnis . . . . . . . II. Von jedem Teil . . . . . . . . . . . III. Aus wichtigem Grunde . . . . . . . IV. Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abwägung . . . . . . . . . . . 2. Objektiver Tatbestand . . . . . 3. Bedeutung der verbleibenden ordentlichen Vertragsdauer . . 4. Zeitpunkt des Eintritts des wichtigen Grundes . . . . . . . 5. Subjektiver Tatbestand, insbes. Verschulden . . . . . . . . . . 6. Verdachtskündigung . . . . . . 7. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . 8. Vereinbarung eines wichtigen Grundes . . . . . . . . . . . . 9. Kasuistik . . . . . . . . . . . . 10. Abmahnung . . . . . . . . . . a) Frist zur Abmahnung . . . . b) Abmahnung nach zweiter Vertragswidrigkeit . . . . . c) Abmahnung unnötig . . . .

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1–8 1–2 3 4 5–6 7 8 9–58 9 10 11 12–32 12–16 17 18 19 20–22 23 24 25–26 27 28–32 30 31 32

Rn V. Der Kündigungsausspruch („gekündigt werden“) . . . . . . . 1. Ausspruch . . . . . . . . . . . . 2. Bedingte Kündigung . . . . . . . 3. Rechtzeitigkeit (Entschlussfrist) . 4. Begründungszwang? . . . . . . . 5. Vereinbarung eines Begründungserfordernisses . . . . . . . . . . 6. Rücknahme oder Widerruf der Kündigung . . . . . . . . . . . 7. Nachgeschobene Gründe . . . . 8. Gleich zu behandelnde Fälle . . . VI. Ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist/Auslauffrist . . . . . . . . . . VII. Unabdingbarkeit . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . 2. Verzicht . . . . . . . . . . . . . VIII. Grenzen des Kündigungsrechts/Treu und Glauben . . . . . . . . . . . . IX. Rechtslage bei Fehlen des Kündigungsgrundes . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . 2. Verteidigung gegen die unberechtigte Kündigung . . . . . . . . . X. Folgen der Vertragsbeendigung . . .

33–46 33 34 35–38 39–40 41 42 43–45 46 47 48–51 48–50 51 52 53–57 53–56 57 58

C. Der Schadensersatzanspruch nach Abs. 2 59–66 I. Umfang des Schadensersatzes . . . 60 II. Mitverschulden (§ 254 BGB) . . . . 61 III. Beiden Parteien zustehendes Kündigungsrecht . . . . . . . . . . . . . 62–63 IV. Positive Forderungsverletzung . . . 64–66 D. Streitwert

. . . . . . . . . . . . . . . .

67

E. Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . 68–73 I. Kündigung . . . . . . . . . . . . . 68–69 II. Schadensersatz . . . . . . . . . . . 70–73

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§ 89a

A. Die Möglichkeit fristloser Kündigung von Dauerschuldverhältnissen I. § 89a als Ausfluss eines weiterreichenden Prinzips Die fristlose Kündigung aus wichtigem Grunde ist ein Rechtsbehelf, der bei allen 1 Dauerschuldverhältnissen zwingend gegeben ist und Ausdruck des bis zur Einführung des § 314 BGB 2002 unnormierten allgemeinen Grundsatzes, nach dem ein Dauerschuldverhältnis bei Vorliegen eines wichtigen Grundes jederzeit ohne Einhaltung einer Frist kündbar ist. Dieser außerordentlichen Kündigung unterliegt auch der HV-Vertrag, gleichgültig, ob er auf bestimmte oder unbestimmte Zeit eingegangen ist. Während ein auf bestimmte Zeit geschlossener Vertrag, der mit Zeitablauf erlischt und keine ordentliche Kündigung vorsieht, nur der Kündigung aus wichtigem Grunde zugänglich ist, besteht bei dem für unbestimmte Zeit geschlossenen Vertrag neben der Möglichkeit der ordentlichen Kündigung jene der fristlosen Kündigung aus wichtigem Grunde. Zudem regelt § 89a, dass auf das Kündigungsrecht nicht im Voraus verzichtet werden darf (Abs. 1 S. 2) und der Gekündigte dem Kündigenden zum Ersatz des durch die Aufhebung des Vertragsverhältnisses entstehenden Schadens verpflichtet ist, falls er die Kündigung verschuldet hat (Abs. 2). Der dem Gekündigten durch eine unberechtigt ausgesprochene Kündigung entstehende Schaden wird in § 89a nicht behandelt, sein Ersatz richtet sich nach § 280 BGB. Ferner kann sich für die auslaufende Zeit des Vertragsverhältnisses ein Anspruch des HV aus Annahmeverzug nach § 615 BGB ergeben. § 89a hat keinen Strafcharakter 1 sondern dient dem zivilrechtlichen Schutz des Kündigungsberechtigten. Wie bei allen Dauerschuldverhältnissen verdrängt auch in § 89a – jedenfalls in der 2 Praxis (Vor § 84 Rn 24) – die Möglichkeit der fristlosen Kündigung die sonst denkbare Alternative der Lösung des HV-Verhältnisses durch Rücktritt oder aus dem Gesichtspunkt des WGG wegen veränderter Umstände 2. Die Behelfe der Anfechtung wegen Irrtums, arglistiger Täuschung oder Drohung werden dadurch nicht berührt. Die Anfechtung vernichtet das Vertragsverhältnis rückwirkend (aber Grundsätze des faktischen Vertrags); die fristlose Kündigung beendet es dagegen nicht mit Rückwirkung, sondern erst vom Wirksamwerden der Kündigung ab (ex nunc).

II. Genese und europarechtliche Präformation Die Vorschrift lautet seit 1953 unverändert. Abweichend vom Richtlinienentwurf 3 1979, der eine ausführliche Regelung der fristlosen Kündigung enthielt, insbes. zum Schadensersatzanspruch bei Fehlen eines wichtigen Grundes, beinhaltet Art. 16 HVRichtlinie 1986 nur den Hinweis, dass Art. 15 HV-Richtlinie zur ordentlichen Kündigung nicht die Anwendung der nationalen Vorschriften zur fristlosen Kündigung berührt, solange eine der Parteien ihren Pflichten teilweise oder ganz nicht nachgekommen ist oder außergewöhnliche Umstände eintreten. § 89a ist enger als diese Ausnahmevorschrift und steht daher in Übereinstimmung mit Art. 16 EG-Richtlinie. Eine Harmonisierungsvorgabe der EG besteht nur soweit, als Art. 16 EG-Richtlinie eine grenzenlose Ausweitung wichtiger Kündigungsgründe über diesen Rahmen hinaus ausschließt.

1

Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 7.

2

Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 1.

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III. Verhältnis zum BGB 4

§ 89a ist lex specialis gegenüber § 314 Abs. 1 (auch im Vertragshändler- und Franchiserecht 3, dessen Basis die §§ 84 ff bilden) sowie § 626 BGB, jedenfalls im Verhältnis zu dessen Abs. 1. In seinem sachlichen Gehalt entspricht er diesen Bestimmungen jedoch weitgehend, besonders seit der im Zuge des Arbeitsrechts-Bereinigungsgesetzes von 1969 erfolgten Neufassung. Im Einzelnen siehe Vor § 84 Rn 67 f. Zum Verhältnis zum WGG Vor § 84 Rn 24 ff, zur Anfechtung § 84 Rn 84 ff.

IV. Verhältnis zur befristeten Kündigung nach § 89 5

Beide Kündigungen haben gemeinsam, dass sie das HV-Verhältnis beenden. Aber schon die Abwicklung gestaltet sich verschieden – die besonderen Probleme der Auslaufzeit stellen sich bei der fristlosen Kündigung nicht –; auch können die Auswirkungen auf Wettbewerbsabrede und Ausgleichsanspruch unterschiedlich sein; schließlich vermag nur die fristlose Kündigung die Schadensersatzansprüche nach Abs. 2 auszulösen. Eine Umdeutung der nicht fristgerechten ordentlichen Kündigung in eine außerordentliche (fristlose) ist regelmäßig nicht möglich (§ 89 Rn 49), selbst wenn ein triftiger Grund hierfür gegeben wäre; die fristlose Kündigung müsste vielmehr neu und als solche ausgesprochen werden. Werden jedoch einer ordentlichen Kündigung Gründe für eine außerordentliche Kündigung nachgeschoben, kann hierin der Ausspruch einer erneuten fristlosen Kündigung liegen, die mit Zugang der nachgeschobenen Gründe wirksam wird. Der Kündigende muss dafür zu erkennen geben, dass das Vertragsverhältnis nun mit sofortiger Wirkung beendet werden soll 4. Wohl aber ist im Wege der Umdeutung nach § 140 BGB umgekehrt eine fristlose Kündigung, für die es am zureichenden Grunde fehlt, als befristete zum nächstzulässigen Kündigungstermin u.U. aufrechtzuerhalten. Dies hängt davon ab, ob der Kündigende das Vertragsverhältnis eindeutig5 auf jeden Fall und notfalls mit der durch die Kündigungsfrist bedingten Verzögerung zu Ende bringen wollte, wofür der Kündigende im Grundsatz beweispflichtig ist. Das wird als Regel anzunehmen sein 6, sofern nicht ausnahmsweise der Wille ausschließlich außerordentlich zu kündigen deutlich7 wird. Wenngleich auch in dieser Situation der Kündigende für die Voraussetzungen einer hilfsweisen ordentlichen Kündigung beweispflichtig bleibt, spricht angesichts der – außerordentlichen – Kündigungserklärung und der die ordentliche Kündigung umfassenden TB-Voraussetzungen einer außerordentlichen Kündigung eine Vermutung dafür, dass sie hilfsweise eine ordentliche Kündigung enthält und der Kündigende den Vertrag in jedem Fall auch mit ordentlicher Kündigungsfrist beenden wollte. Dieser Wille braucht sich nicht notwendig aus der Kündigungserklärung selbst zu ergeben, sondern kann sich aus den Umständen zeigen. Nur bei Vorliegen des negativen TB-Merkmal, dass der Kündigende kein Interesse an der durch die Kündigungsfrist entstehenden Zwischenphase 3 4 5 6

AA Giesler ZIP 2004, 744. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 49. BGH DB 1981, 1821. BGH, Urt. v. 12.01.1981 – VII ZR 332/79, DB 1981, 1821; BGH NJW-RR 1992, 1059 (1060); BGH, Urt. v. 08.09.1997 – II ZR 165/96, EBE 1997, 349 (350) = EWiR 1998, 203 (Finken); BGH ZIP 1998, 509 (510); BGH ZIP 2000, 539 = EWiR 2000, 519

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(Böcker); OLG Karlsruhe DB 1971, 572; OLG Stuttgart BB 1960, 956 (957); OLG Nürnberg BB 1963, 447; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 45; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 34; Hopt § 89a Rn 5; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 83; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 20. Vgl. BGH, Urt. v. 12.01.1998 – II ZR 98/96, EBE 1998, 94 (95) = ZIP 1998, 509 (510).

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§ 89a

haben kann oder falls er das Vertragsverhältnis ausschließlich wegen eines ganz bestimmten Grundes beenden will und sich das Nichtvorliegen dieses Grundes erweist 8, ist der dem Kündigungsempfänger obliegende Gegenbeweis geführt. Die Gegenmeinung 9, derzufolge eine fristlose keine fristgemäße Kündigung enthält, hat zwar die Logik für sich, verkennt aber, dass, wer zu einer fristlosen Kündigung zu schreiten sich veranlasst sieht, im allgemeinen schon deshalb das Vertrauen in eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit nachhaltig verloren hat und dass es gerade nicht die Regel sein wird, er werde das Vertrauen ohne weiteres wieder hergestellt sehen, falls der Kündigungsgrund wider Erwarten nicht durchgreifen sollte. Ein solcher Fall mag bei einer völligen Rehabilitierung des Gekündigten denkbar sein; aber kaum noch, wenn es über die Wirksamkeit der Kündigung zum Prozess gekommen ist, die Fronten sich verhärtet haben und der Termin, zu dem die Kündigung als befristete ihre Wirkung zu entfalten geeignet war, im Laufe des Prozesses im allgemeinen längst verstrichen zu sein pflegt. Die als außerordentliche Kündigung unwirksame, als ordentliche Kündigung jedoch wirksame Kündigung enthält im Zweifel den Widerruf der Vollmachten des HV 10. Jedenfalls ist der mit einer befristeten Kündigung Vorgegangene nicht gehindert, wegen eines während der auslaufenden Vertragszeit neu entstandenen Grundes nunmehr eine fristlose Kündigung nachfolgen zu lassen und damit eine Vorverlegung des Endes des Vertragsverhältnisses zu bewirken11. In aller Regel wird ausdrücklich hilfsweise die ordentliche Kündigung erklärt. Unterbleibt dies trotz anwaltlicher Beratung oder Beratung durch eine Rechtsabteilung mag in Ausnahmefällen hierin ein „beredtes Schweigen“ zu finden sein. Ob in Fällen, in denen die Kündigung begründet werden muss, etwa nach der Kfz-GVO 1400/02, der Wille zur hilfsweisen ordentlichen Kündigung in der Begründung einen Anklang gefunden haben muss, mag diskutiert werden. § 89a spricht, abhebend gegenüber § 89, korrekt von einer Kündigung „ohne Ein- 6 haltung einer Kündigungsfrist“. Der gängige Kurzausdruck „fristlose Kündigung“ ist also ungenau. Ohnehin stellt er auf die Rechtsfolge und nicht auf den Gegensatz zur ordentlichen Kündigung („außerordentliche“) ab. Es gibt auch Kündigungen nach § 89a, die mit der Gewährung einer Auslaufzeit für den Kündigungsgegner verbunden sein können (aus Entgegenkommen), unter Umständen sogar verbunden sein müssen (aus Gründen der Verhältnismäßigkeit); sie mag in Grenzfällen sogar bis zur Dauer der normalen Kündigungsfrist gehen (Rn 47). Entscheidend bleibt immer nur, dass die Kündigung als eine solche ohne Bindung an eine Kündigungsfrist und unter Inanspruchnahme eines wichtigen Grundes ausgesprochen wird. Dass sie stets „fristlos“ sein, d.h. mit einer Beendigung des Vertragsverhältnisses auf der Stelle einhergehen müsse, setzt § 89a nicht voraus.

V. Verhältnis zur aufschiebenden und auflösenden Bedingung Wichtige Kündigungsgründe können nicht frei bestimmt, sondern innerhalb der 7 Grenzen des § 89a (Unzumutbarkeit) lediglich konkretisiert werden. Was nach § 89a keinen wichtigen Kündigungsgrund bildet, kann auch nicht als solcher bestimmt werden. Dieser Grundsatz könnte umgangen werden, wenn unterhalb der Schwelle zum wichti-

8

9

OLG Saarbrücken NJW-RR 1998, 1191 (1192); Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 45; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 20. Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 19.

10 11

Hopt § 89a Rn 5. BGH, Urt. v. 20.02.1969 – VII ZR 101/67, LM Nr. 9; OLG München NJW-RR 1998, 1189 (1190); Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 4.

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gen Grund liegende Umstände grenzenlos als auflösende Bedingungen vereinbart werden könnten. Allerdings ist es nicht gänzlich unzulässig, auflösende Bedingungen zu vereinbaren. Dazu § 89 Rn 7 f.

VI. Leistungs- und Unterlassungsklage 8

Der zur außerordentlichen Kündigung Berechtigte braucht nicht zu kündigen. Er darf auch Vertragstreue einfordern und sogar auf diese klagen (ggf. Unterlassungsklage). Er muss dies aber nicht12.

B. Absatz 1 I. Das Vertragsverhältnis 9

Gemeint ist der HV-Vertrag, gleich mit welchem Inhalt. Die Abgrenzung von anderen Verträgen ist wegen eines möglichen Rückgriffs auf § 314 BGB wenig relevant. Das Gesetz spricht in § 89a richtig vom schuldrechtlichen Vertrag als zwischen den Parteien stehendem Band und nicht wie in anderen Vorschriften der §§ 84 ff missverständlich von der rechtlich irrelevanten Person des HV. Die Vorschrift gilt für alle HV-Verträge, ungeachtet ihres rechtstatsächlichen Kleides oder ihrer gleichfalls rechtsirrelevanten „Schutzbedürftigkeit“13, auch für Unter- und Hauptvertreterverträge14 oder auf Lebenszeit geschlossene Verträge15. Gleich stehen die Rechtsverhältnisse HV-ähnlicher Vertriebsmittler, etwa Vertragshändler- 16, Franchise- 17 und Kommissionsagentenverträge 18. Der Vertrag braucht noch nicht in Vollzug gesetzt sein („begonnen zu haben“) 19. Weder ordentliche Kündigung, (bedingte oder befristete) Vertragsaufhebung 20 oder eine rechtlich ohnehin irrelevante Probezeit 21 (auch wegen unzureichender Leistungen oder Erfolge) 22 hindern die außerordentliche Kündigung, in allen Fällen liegt ein außerordentlich kündbares Dauerschuldverhältnis vor. Für einen auf Grund beiderseitiger Einigung 12 13 14 15

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AA KG BB 1998, 607 (608); Ebenroth/ Löwisch § 89a Rn 16a. Vgl. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 5. BGH, Urt. v. 20.03.1981 – I ZR 12/79, LM Nr. 17; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 5. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 27; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 21. Wenn hier eine besonders strenge Zumutbarkeitsprüfung für erforderlich angesehen wird (Ebenroth/ Löwisch § 89a Rn 27), widerspricht dies der Regel, dass eher bei kurzer Frist bis zur ordentlichen Kündigung ein strenger Maßstab gilt. BGH, Urt. v. 05.04.1962 – VII ZR 202/60, NJW 1962, 1107; BGH NJW 1982, 2432; BGH, Urt. v. 10.02.1993 – VIII ZR 48/92, NJW-RR 1993, 682 (683); BGH, Urt. v. 15.12.1993 – VIII ZR 157/92, NJW 1994, 722; OLG Köln NJW-RR 1995, 29; Niebling MDR 1998, 1332; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 5; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer

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§ 89a Rn 5, 30; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 1; Stumpf/Jaletzke/Schultze Rn 647 ff; Martinek/Ullrich § 15 Rn 41 ff. KG BB 1998, 607 (608) m. Bespr. Haager NJW 1999, 2081 (2085); Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 5; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 9; Martinek/Ullrich § 21 Rn 15 ff. RGZ 69, 363, 365; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 5; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 89a Rn 10. BGH, Urt. v. 06.10.1983 – I ZR 127/81, BB 1984, 237; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 4; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 16. BAG, Urt. v. 29.01.1997 – 2 AZR 292/96, DB 1997, 1411 = EWiR 1997, 689; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 4. OLG Nürnberg BB 1959, 391; Ebenroth/ Löwisch § 89a Rn 4; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 1. AA Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 4.

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faktisch, jedoch unwirksam, in Vollzug gesetzten Vertrag gelten die Grundsätze des faktischen Vertrags; er wird durch einen unmissverständlichen Hinweis eines Vertragsteils auf seine Nichtigkeit beendet. Einer Kündigung bedarf es hier ebenso wenig wie eines wichtigen Grundes zur Kündigung. Das gilt für alle unwirksamen Verträge.

II. Von jedem Teil Das außerordentliche Kündigungsrecht steht jedem Vertragspartner, HV wie Unter- 10 nehmer, zu. Es handelt sich bei § 89a also um keine Schutzvorschrift nur zu Gunsten des HV.

III. Aus wichtigem Grunde Das Vertragsverhältnis kann aus „wichtigem Grunde“ gekündigt werden, d.h. nur 11 aus einem solchem Grunde. Ohne wichtigen Grund gibt es kein Kündigungsrecht aus § 89a. Eine außerordentliche Kündigung ohne wichtigen Grund ist damit wegen Fehlens einer TB-Voraussetzung des § 89a unwirksam 23. Das gleiche Ergebnis ergibt sich de facto, falls der Kündigende den wichtigen Grund nicht beweisen kann. Das geschieht nicht selten, denn die zur Begründung der Kündigung genannten Gründe spiegeln oft nicht die wahren Motive wieder, zu denen persönliche Abneigung, bessere Verdienstmöglichkeiten oder der Wunsch eines neuen Vertriebsleiters zählen, mit ihm vertrauten Personen zusammenzuarbeiten. Das häufig andere als die vordergründig angegebenen Gründe Motiv sind, zeigt schon der Umstand, wie gut zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung die nachvertragliche Zeit oft vorbereitet ist: Kaum jemand kündigt außerordentlich, ohne relativ präzise Vorstellungen zur geschäftlichen Zukunft der nachfolgenden Zeit zu haben. Der Kündigende ist vor Ausspruch der Kündigung nicht verpflichtet, nähere Untersuchungen vorzunehmen 24 oder den Kündigungsempfänger anzuhören 25, sollte dies jedoch tun, da er die Rechtsfolgen einer ohne wichtigen Grund ausgesprochenen Kündigung tragen muss 26. Bei dem wichtigen Grund handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Das Revisionsgericht darf überprüfen, ob das Vordergericht seinen rechtlichen Gehalt falsch bewertet hat, also ob der Sachverhalt generell geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung zu tragen 27, oder ob das Gericht von unrichtigen Tatsachen ausging. Er ist also nur eingeschränkt überprüfbar 28. Wichtiger Grund ist jeder tatsächliche oder rechtliche Umstand (Ereignis oder Verhalten), gleich welcher Art, jede Handlung oder Unterlassen, von außen eintretender Umstand oder jedes Verhalten der

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BGB EBE 1999, 13 (15); Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 10; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 7a. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 44; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 45. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 44; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 30. BGH, Urt. v. 13.07.1972 – VII ZR 166/71, WM 1972, 1095.

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BGH, Urt. v. 26.01.1984 – I ZR 188/81, WM 1984, 556 (558); Hopt § 89a Rn 12. BGH, Urt. v. 24.01.1974 – VII ZR 52/73, WM 1974, 350 (351); BGH, Urt. v. 27.05. 1974 – VII 16/73, WM 1974, 867 (868); BGH, Urt. v. 01.11.1980 – I ZR 118/78, WM 1981, 172 (173); BGH, Urt. v. 26.01.1984 – I ZR 188/81, WM 1984, 556 (558); BGH, Urt. v. 03.07.1986 – I ZR 171/84, NJW 1987, 57; BGH, Urt. v. 29.03.1990 – I ZR 2/89, ZIP 1990, 1197 (1198).

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Vertragspartner, welcher/welches es im Lichte aller Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung von Wesen und Zweck des Vertretervertrages sowie der durch den Vertrag begründeten beidseitigen Rechte und Pflichten dem kündigenden Vertragspartner die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zu dem im ursprünglichen Vertrag vorgesehenen oder einem durch fristgerechte Kündigung nach § 89 herbeizuführenden Vertragsende unzumutbar macht, weil es trotz Beachtung des Grundsatzes der Vertragstreue, von Treu und Glauben sowie der Billigkeit widerspricht, den Kündigenden am Vertrag festzuhalten 29. Wenn nur noch eine kurze Frist bis zum ordentlichen Vertragsende abzuwarten ist, sind die Ansprüche an den wichtigen Grund besonders erheblich. Einfache Vertragsverletzungen werden oft keinen wichtigen Grund konstituieren, ebenso wenig bloße Lästigkeiten 30 oder Spannungen 31. Einzelne Vertragsverletzungen muss – gerade bei Fahrlässigkeit – der davon betroffene Partner sanktionslos hinnehmen 32, das Erfordernis der Abmahnung nach § 314 BGB (Rn 28 ff) bildet einen ersten Filter, da nach geringen Vertragsverstößen nicht sofort gekündigt werden darf sondern zunächst abgemahnt werden muss.

IV. Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung 12

1. Abwägung. Leitgedanke für die Bejahung des wichtigen Grundes ist, dass es für den Kündigungswilligen unzumutbar sein muss, das konkrete Vertragsverhältnis bis zum frühestmöglichen ordentlichen Vertragsende fortzusetzen 33. Nach Abwägung aller Umstände muss das Interesse des Kündigenden an einem sofortigen Vertragsende das Interesse des Vertragspartners an der Vertragsfortsetzung überwiegen 34. Diese Frage kann nur aus einer umfassenden Sicht aller dafür und dagegen sprechenden Gegebenheiten des Einzelfalles entschieden werden35. Gerade im Bereich des Franchising werden an das Vorliegen eines wichtigen Grundes hohe Anforderungen gestellt, und zwar wegen der regelmäßig langen Vertragslaufzeit, der hohen wirtschaftlichen, oft existenziellen Bedeutung des Vertrages sowie der engen und partnerschaftlichen Zusammenarbeit36. Die Möglichkeit einer Freistellung des HV 37 oder einer Fortsetzung des Vertrages zu angepassten Bedingungen38 ist regelmäßig nicht in die Interessenabwägung einzubeziehen. Besonders günstige Vertragsbedingungen erfordern strengere Maßstäbe an die Loyalität des HV und können schon Verstöße als wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung

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BGH, Urt. v. 25.11.1998 – VIII ZR 221/97, ZIP 1999, 277; OLG Düsseldorf, Urt. v. 02.11.2001 – 16 U 149/00, OLGR Düsseldorf 2002, 164; OLG Celle NdsRPfl. 1959, 109; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 6; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 9; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 12; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 4. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 17; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 4. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 17. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 10; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 7. BGH BB 1960, 381. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 18.

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BGH, Urteil v. 12.03.2003 – VIII ZR 197/02, VersR 2003, 856 = BB 2003, 1253 = NJW-RR 2003, 981 = NJW 2003, 2677 (LS) = WM 2003, 2103; BGH WM 1974, 350 (351); BGH WM 1981, 172 (173); BGH, Urt. v. 17.12.1998 – I ZR 106/96, EWiR 1999, 303 = NJW 1999, 1177 m. Anm. Martinek; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 89a Rn 12, 14, 15; Schlegelberger/ Schröder § 89a Rn 7, 7a. Vgl. KG Berlin, Urt. v. 21.11.1997, DB 1998, 607 ff; Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 336. BAG ZIP 1999, 1368 (1372); Ebenroth/ Löwisch § 89a Rn 17. AA Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 18.

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erscheinen lassen, die es unter anderen Umständen noch nicht wären. Eine langjährige vertrauensvolle Zusammenarbeit mit einem HV, der mit gutem Erfolg für das Unternehmen tätig gewesen ist, kann andererseits auch einen einmaligen, schwerer wiegenden Verstoß gegen seine Vertragspflichten in milderem Licht und es dem Unternehmer zumutbar erscheinen lassen, das Vertragsverhältnis gleichwohl fortzusetzen 39. Erst recht gilt das, wenn der vom Unternehmer als schwerwiegend angesehene Grund nicht einmal auf Verschulden des HV beruht 40. Die Gesamtbetrachtung rechtfertigt es, mehrere Umstände, die je für sich allein eine 13 fristlose Kündigung nicht tragen würden, im Zusammenhang zu sehen, falls sie in ihrer Summierung es dem Unternehmer nicht länger zumutbar machen, das Vertragsverhältnis fortzusetzen 41. Entscheidend ist der zuletzt eingetretene Umstand. Jedoch dürfen die zurückliegenden Kündigungsgründe in die Gesamtabwägung einbezogen werden, wenn sie für sich allein nicht ausreichend waren, um eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen, längere Zeit zurückliegen und verfristet sind 42. Immer aber muss zumindest ein nicht verfristeter und – falls erforderlich – erfolglos abgemahnter Umstand vorliegen, der jedenfalls im Zusammenwirken mit den weiteren Gründen in der Zusammenschau einen wichtigen Grund bildet 43. Entweder ist es dann der sprichwörtliche Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt oder der früher aufgetretene Umstand, für den das Kündigungsrecht nicht mehr besteht, wird zur Unterstützung des nunmehr maßgeblichen Ärgernisses herangezogen, um es in das rechte Licht zu rücken und damit den wichtigen Grund herzustellen44. Genügt einer der Kündigungsgründe für sich, kann sich der Kündigende zur Begründung seiner Kündigung auf jenen beschränken 45. Nicht vom Gekündigten verschuldete, jedoch aus seiner Risikosphäre herrührende Gründe geben zu einer besonders sorgfältigen Interessenabwägung und strengen Zumutbarkeitsprüfung Anlass 46. Löwisch (in: Ebenroth, § 89a Rn 19 m.w.N.) bildet die nachfolgend wiedergegebene 14 Prüfungsliste von Abwägungskriterien, die im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen sind und auf die verwiesen wird: – Art, Schwere, Gewicht und Dauer einer dem Gekündigten anzulastenden Vertrags- 15 verletzung oder Störung des Vertragsverhältnisses; – Vorgeschichte der Kündigung und ihr Anlass; – Veranlassung/Herbeiführen des Kündigungsgrundes (ggf. in schuldhafter Weise) durch eine Vertragspartei oder Zuordnung des Kündigungsgrundes zu ihrer Risikosphäre, insb. Mitverursachung oder Mitverantwortung des Kündigenden oder eines seiner Risikosphäre zuzuordnenden Dritten für den die Kündigung auslösenden Anlass; 39

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BGH DB 1978, 1882: erprobter und erfolgreicher HV vernachlässigt in einem Einzelfalle seine Berichtspflicht, woran sich eine harte Auseinandersetzung anschließt; kein berechtigter Grund für fristlose Kündigung, auch wenn der HV sich im Ton vergreift; ähnlich BGH DB 1981, 1772 – Nichtbefolgen einer Weisung. OLG Karlsruhe BB 1957, 561: HV, der viele Jahre hindurch unter vollem Einsatz gute Ergebnisse gebracht hatte, lässt im Alter nach: Absinken der Ergebnisse noch kein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung. BGH, Urt. v. 24.03.1959 – VIII ZR 39/58,

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NJW 1959, 1219 = BB 1959, 540 (544); KG BB 1998, 607 (608, 609); Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 11; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 10; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 25; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 9. BGH BB 1959, 540 (541); BGH BGHR BGB § 242 Kündigung – wichtiger Grund 11; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 11; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 25; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 9. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 11. Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 9. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 11. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 31.

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– längere Vorhersehbarkeit des Kündigungsgrundes; – frühere Vertragsverletzungen des Gekündigten sowie erfolglos gebliebene Abmahnungen; – früheres Verhalten des Kündigenden bei ähnlichen Störungen im Vertragsverhältnis, welche nunmehr die fristlose Kündigung rechtfertigen sollen, sowie ein möglicherweise bei dem Betroffenen durch frühere Reaktionen des Kündigenden begründetes Vertrauen auf eine mildere Sanktion bei künftigen Vorfällen ähnlicher Art; – Verhalten des Kündigenden bei vergleichbaren Vorkommnissen, auch anderer Vertragspartner; eigene Vertragsuntreue des Kündigenden vor oder nach Ausspruch der Kündigung; – Verhalten des Kündigenden nach Kenntnis des Kündigungsgrundes, welches Aufschluss darüber geben kann, wie wichtig er den Anlass tatsächlich nimmt, besonders die Dauer einer zur Beseitigung des vertragswidrigen Verhaltens eingeräumten Frist oder der Ausspruch einer zunächst lediglich ordentlichen anstelle einer fristlosen Kündigung; – Dauer der Übergangszeit bis zum Wirksamwerden einer bereits oder unverzüglich zum nächstmöglichen Zeitpunkt ausgesprochenen ordentlichen Kündigung; je kürzer diese ist, desto eher mag eine Vertragsfortsetzung zumutbar sein; zu vergleichen sind dabei die gesamte Vertragsdauer im Verhältnis zu der noch ausstehenden Vertragszeit bis zum nächstmöglichen Beendigungszeitpunkt; – die mit einer Fortsetzung des Vertrags für die Übergangszeit verbundenen, im Zeitpunkt der Kündigung für den Kündigenden voraussehbaren Vor- und Nachteile beider Parteien einschließlich ihrer vermögensrechtlichen Folgen; – die Auswirkungen einer fristlosen Kündigung für den Gekündigten im Vergleich zu den Folgen einer ordentlichen Kündigung; die besondere Schutzbedürftigkeit einer wirtschaftlich unterlegenen oder von der Gegenpartei wirtschaftlich abhängigen Vertragspartei, wie es besonders bei dem Einfirmenvertreter nach § 92a der Fall sein kann; – die Ausgestaltung des Vertragsverhältnisses im Einzelnen; – die Gewährung besonderer vertraglicher Leistungen oder Rechte kann die Anforderungen an die Unzumutbarkeit ebenso herabsetzen wie die Übernahme besonderer Pflichten durch den zu Kündigenden zu erheblich strengeren Anforderungen an eine Unzumutbarkeit führen kann; – Art und Weise sowie Dauer der bisherigen Zusammenarbeit der Parteien; einen erst kurze Zeit bestehenden oder bereits vielfachen Störungen ausgesetzten Vertrag fortzusetzen kann in geringerem Maß zumutbar sein als ein langjähriges, vertrauensvoll und bislang weitgehend reibungsfrei abgewickeltes Vertragsverhältnis; – die bisherigen Leistungen des zu Kündigenden, besonders sofern sie über einen längeren Zeitraum einwandfrei erbracht wurden; – besondere Verdienste des zu Kündigenden um die Gegenpartei in der Vergangenheit; – die Ausgestaltung der persönlichen Beziehungen der Vertragsparteien in der Vergangenheit; – das Gegenüberstehen von HV und Unternehmer als selbständige Kaufleute ohne Vorliegen eines Arbeits- oder typischen Dienstverhältnisses i.S.v. § 611 BGB, weswegen von der Rechtsprechung zu § 626 BGB entwickelte Abwägungskriterien nicht ohne weiteres übernommen werden dürfen; – Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Jedes dieser Kriterien ist im Einzelfall zu würdigen, wobei einzelne Kriterien nach der 16 Natur des Vertragsverhältnisses stärkere oder schwächere Bedeutung haben können.

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2. Objektiver Tatbestand. Es muss objektiv ein wichtiger Grund vorliegen. Der wich- 17 tige Grund muss also tatsächlich existieren 47. Das ist der erste Prüfungsmaßstab. Häufigster Kündigungsgrund sind Vertragsverletzungen. Das Vertrauensverhältnis kann aber auch durch Umstände zerstört werden, die keine Vertragsverletzungen darstellen 48. Zu untersuchen ist dies anhand des Verständnisses eines durchschnittlichen Marktteilnehmers unter Berücksichtigung aller tatsächlich vorliegenden Tatsachen, selbst wenn sie dem Kündigenden unbekannt sein sollten 49. Für das Vorliegen eines wichtigen Grundes müssen im Zeitpunkt der Kündigungserklärung 50 objektive Tatsachen vorliegen, die eine Fortsetzung des Vertrages bis zum frühestmöglichen ordentlichen Kündigungstermin nach § 89 oder einer ggf. wirksam vereinbarten Kündigungsfrist oder Befristung ausschließen 51. Dabei sind keine engeren oder großzügigeren Maßstäbe als im Arbeitsrecht anzulegen. Was zumutbar ist bestimmt sich nach den Verhältnissen des konkreten Vertrages. Die Art der in die Abwägung einzubeziehenden Tatsachen ist irrelevant. Maßgeblich ist meist ein Verhalten des Gekündigten, etwa eine erhebliche Vertragsverletzung. Ebenso kommt aber auch ein Verhalten des Kündigenden 52 (Paradigma: Produktionseinstellung, Betriebsaufgabe), eines Dritten 53 (Einstellung der Belieferung durch den Dritten 54; falls der faktisch in das Vertragsverhältnis eingeschaltete Ehemann einer Vertragshändlerin in einer eidesstattlichen Versicherung zu einem Eilverfahren schwerwiegende Vorwürfe gegen den Geschäftsführer des Herstellers erhebt, die ein gedeihliches Zusammenwirken der Parteien nicht mehr erwarten lassen 55), von Hilfspersonen der Parteien, zuvörderst aber das Verhalten der Parteien selbst in Betracht. Die Umstände brauchen noch nicht einmal aus dem Risikobereich der Parteien zu stammen 56. Wichtige Gründe sind auch objektive, von keiner Vertragspartei zu beeinflussende Umstände 57. Beispiele: Zerstörung der Produktionsanlagen durch Naturgewalt, Tod einer Schlüsselperson. Hier ist aber immer die Frage der Verhältnismäßigkeit der Kündigung im Lichte der wechselseitigen Treupflichten sorgsam zu untersuchen. Regelfall ist, dass die Parteien gemeinsam versuchen, aus der Krise zu schreiten. Nicht zu fordern ist, dass ein als wichtiger Grund geltend gemachtes Verhalten des Unternehmers sich unmittelbar gegen die Person oder die wirtschaftlichen Interessen des HV richtet; jener darf die fristlose Kündigung auch darauf stützen, dass der Unternehmer den Kunden gegenüber die sittliche Pflicht, seine Geschäfte ehrenhaft, redlich und nach den Grundsätzen eines ehrbaren Kaufmanns zu führen, z.B. durch Hergabe von Schmiergeldern, verletzt 58. 3. Bedeutung der verbleibenden ordentlichen Vertragsdauer. Umstritten ist, welche 18 Bedeutung die Länge der ordentlichen Kündigungsfrist für die Bewertung des wichtigen Grundes einnimmt. Einerseits könnte vertreten werden, dass bei Ausschluss des ordent47 48 49 50 51

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Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 8; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 27. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 31. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 17; BAG MDR 1997, 1130. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 7. BGH EBE 1999, 13 (15, 16); OLG Koblenz, Urt. v. 22.03.2007 – 6 U 1313/06, NJW-RR 2007, 1044 (1045). Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 7; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 9; AA BGH LM Nr. 17 Bl. 3 R. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 13.

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Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 7. OLG Saarbrücken, NJW-RR 1999, 1339 = EWiR 1999, 1175 (Emde). BGH, Urt. v. 30.06.1987 – KZR 7/86; BGHR BGB § 242 Kündigung – wichtiger Grund 4; BAG, Urt. v. 21.01.1999 – 2 AZR 665/98, BB 1999, 1819 (zu § 626 BGB); Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 7; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 13; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 5. RGZ 58, 256. RGZ 77, 96.

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lichen Kündigungsrechts, einer sehr langen ordentlichen Kündigungsfrist oder einer langjährigen Befristung des Vertrages an das Vorliegen eines wichtigen Grundes besonders hohe Anforderungen zu stellen sind 59. Die 20jährige Laufzeit des Vertrages hatte das KG in der Burger-King-Entscheidung 60 als Argument für hohe Anforderungen an den wichtigen Kündigungsgrund angesehen: Der Franchisegeber müsse in diesem Fall einen mehrwöchigen Zahlungsverzug hinnehmen. Möglich ist aber auch eine gegenteilige Beurteilung: Ansonsten hinnehmbare Störungen des Vertrauensverhältnisses könnten sich bei langjähriger Gebundenheit besonders störend auswirken und daher eine Kündigung „erst recht“ begründen 61. Dieser letzten Auffassung dürfte eher zuzustimmen sein, da sie der Systematik der Kündigungsgründe am ehesten gerecht wird. Es kommt immer darauf an, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Vertrages bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar ist, was bei langfristigen Fristen eher weniger anzunehmen sein wird. Man wird mithin nicht argumentieren können, aus langen Kündigungsfristen ließe sich schließen, dass auch an die Voraussetzungen einer außerordentlichen Kündigung höhere Maßstäbe anzulegen sind 62. Als Grundregel gilt daher: Je kürzer die verbleibende Vertragsdauer, umso höhere Anforderungen sind an den wichtigen Grund zu stellen. Teilweise wird diese Regel umgekehrt, etwa bei der Kündigung von Verträgen auf Lebenszeit 63, was eigentlich inkonsequent, jedoch durch die Besonderheiten des auf langfristige Bindung angelegten Vertrages gerechtfertigt sein mag (aber § 624 BGB). Es kann sein, dass sich aus einer Vertragsauslegung ergibt, dass die Langfristigkeit des Vertrages auch dem Schutz des Mittlers vor außerordentlichen Kündigungen dienen soll. Im Falle eines solchen Verständnisses mögen sich die für und gegen das außerordentliche Kündigungsrecht streitenden Momente bei Langfristigkeit der ordentlichen Kündigungsfrist oder langjährig unkündbarem Vertrag aufheben.

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4. Zeitpunkt des Eintritts des wichtigen Grundes. Der Zeitpunkt, zu dem der wichtige Grund objektiv eintritt, ist grundsätzlich kein rechtsrelevanter Umstand. Es darf jedoch kein zu langer Abstand zwischen Kenntnis des Kündigungsgrundes und Kündigungserklärung liegen (Rn 35 ff). Insbesondere ist es nicht erforderlich, dass der wichtige Grund erst im Laufe des Vertragsverhältnisses entstanden sein muss. Auch vorvertragliche Umstände können, wenn sie später bekannt werden, vorbehaltlich der Möglichkeit einer Anfechtung des Vertrages wegen Irrtums oder arglistiger Täuschung, einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung geben 64. So kann eine fristlose Kündigung etwa infolge einer Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten oder einer Täuschung bei Vertragsschluss gerechtfertigt sein. Dass eine Offenbarungspflicht des HV insoweit bestand, wird nicht vorauszusetzen sein, wie denn überhaupt Verschulden nicht wesentlich ist. Umstände indessen, die dem Kündigungswilligen bei Abschluss des Vertrages bekannt waren, hat er in Kauf genommen und kann sie jetzt nicht als wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung verwenden. Nicht erforderlich ist, dass ein Schaden für den Kündigungswilligen entstanden ist 65. Dies mag aber ein abwägungsrelevanter Umstand sein. Auf Gründe, welche nach Zugang der außerordentlichen Kündigung entstanden 59 60 61 62

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BGH BB 1979, 142. KG Berlin v. 21.11.1997, DB 1998, 607 ff. LG Frankfurt/Main BB 1966, 499; Westphal Vertriebsrecht II, Rn 591. So aber Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 28; vgl. auch Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 11. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 27.

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Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 9; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 13; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 6. BGH, Urt. v. 05.02.1959 – II ZR 107/57, BGHZ 29, 275 (276) = NJW 1959, 275 (276); BGH WM 74, 350 (351); OLG Nürnberg BB 1960, 596.

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sind, darf die zuvor ausgesprochene Kündigung nicht gestützt werden 66, es sei denn, dass der neue Umstand nicht als eigenständiger Kündigungsgrund herangezogen wird, sondern lediglich einen früheren Kündigungsgrund erläutern und verständlicher machen soll 67. Es darf jedoch eine neue Kündigung wegen dieses Grundes erklärt werden. 5. Subjektiver Tatbestand, insbes. Verschulden. Subjektiv muss der Kündigende das 20 zur Kündigung leitende Verhalten als besonders erheblich empfunden haben. Es genügt also nicht allein das objektive Vorliegen des Umstandes. Hinzukommen muss die korrespondierende persönliche, subjektive Betroffenheit, nicht anders als beim Zusammenwirken objektiver und subjektiver TB im Strafrecht. Diese Betroffenheit wird regelmäßig durch die objektiven Umstände in Zusammenhang mit ihrer Benennung als Kündigungsgrund indiziert, falls ein durchschnittlicher Marktteilnehmer sie subjektiv als erheblich empfinden würde. Weder reicht also allein der objektive TB noch der subjektive TB 68. Dem Verhalten des Kündigenden nach Kenntnis des vermeintlichen Kündigungsgrundes und seiner anschließenden Reaktion lässt sich oft entnehmen, wie schwerwiegend er die Störung bewertet 69. Nimmt der Kündigungsberechtigende die Tatsachen etwa als Anlass, Vertragsänderungen durchzusetzen, wird er den Kündigungsgrund als eher weniger schwerwiegend empfunden haben 70. Ist der Kündigende besonders unempfindlich und hat er trotz objektiver Erheblichkeit 21 in der Vergangenheit vergleichbare Vorkommnisse nicht zum Anlass einer außerordentlichen Kündigung genommen, so ist sie auch jetzt unzulässig. Für diesen Ausnahmefall ist der Kündigungsempfänger beweispflichtig. Der Kündigende kann mithin durch seine Reaktion auf einen TB, der objektiv gesehen eine fristlose Kündigung rechtfertigen würde, darauf schließen lassen, dass er selbst ihn nicht als so schwerwiegend empfindet 71 (Selbstwiderlegung des wichtigen Grundes) – das kann (Auslegungsfrage!) auch dadurch zum Ausdruck kommen, indem er ordentlich kündigt (Rn 53) bzw. diesen Grund in einer mit anderen Umständen begründeten fristlosen Kündigung nicht nennt –, oder er ihn „verziehen“ hat, d.h. daraus dem HV gegenüber keine Folgerungen mehr herleiten will und derartiges auch zum Ausdruck gebracht hat. Auf solche Umstände kann dann eine fristlose Kündigung im Nachhinein nicht mehr gestützt werden. Sie können höchstens noch als Illustrationsfakten zur Stützung späterer, anderer Kündigungsgründe verwendet werden. In der Tatsache allein, dass der Kündigende mit dem Ausspruch der Kündigung zunächst noch gewartet hat, können meist auf seine innere Einstellung zu dem Geschehen keine Schlüsse gezogen werden. Denn eine gewisse Entschließungsfrist zur vorherigen Überlegung und Abklärung muss ihm zugebilligt werden 72. Es genügt die nachhaltige Erschütterung des Vertrauens in die Loyalität des anderen Teils 73. Ein Verschulden des Kündigungsgegners an der Entstehung der Umstände, die als 22 wichtiger Grund die fristlose Kündigung rechtfertigen, ist nicht vorausgesetzt. Insoweit können objektive Gegebenheiten genügen, um die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses dem Vertragspartner unzumutbar werden zu lassen. So z.B. eine nicht verschuldete Insolvenz des HV infolge von Kettenzusammenbrüchen, oder eine bei dem HV ausgebrochene 66

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Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 9; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 71; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 14c. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 9. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 13. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 10; Münch-

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KommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 24; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 8. OLG Nürnberg BB 1963, 447; Westphal Vertriebsrecht II, Rn 593. OLG München VersR 1957, 92. OLG Nürnberg BB 1965, 688: 19 Tage. BGH BB 1956, 136.

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geistige Erkrankung, wenn die Heilungsaussicht auf absehbare Zeit als ausgeschlossen angesehen werden darf. Der Grund kann sogar in der eigenen Sphäre des Kündigenden liegen. Doch geben betriebliche Einschränkungen und Betriebsstillegungen dem Unternehmer in der Regel keinen wichtigen Grund, daraufhin dem HV fristlos zu kündigen 74. Der Unternehmer wird sich in solchen Fällen auf eine befristete Kündigung beschränken müssen. Da kein Verschulden gefordert ist, wird eine fristlose Kündigung selbst dann nicht ausgeschlossen, wenn den Kündigenden selbst eine Mitverantwortlichkeit für das Entstehen des den wichtigen Grund abgebenden TB trifft75. Das gilt nicht in Extremfällen: Die eigene Vertragsuntreue kann dann die Kündigung wegen Verstößen des anderen Teils hindern, d.h. sofern diese nicht so gewichtig sind, dass die Fortsetzung trotz der eigenen Vertragsuntreue unzumutbar bleibt 76. Haben z.B. beide Parteien schuldhaft die Vertragsgrundlage zerrüttet, so mag die Würdigung aller Umstände ergeben, dass der Vertragsteil, welcher die Zerrüttung überwiegend verschuldet hat, nicht wegen Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Vertrags fristlos kündigen darf 77. Dies gilt insbesondere, falls der Vertrag ohnehin in absehbarer Zeit (hier: zehn Wochen) beendet wird 78. Die Mitverantwortlichkeit kann über § 254 BGB bei der Bemessung des Schadensersatzes nach Abs. 2 ins Gewicht fallen (Rn 62). Dass die Frage des Verschuldens für den Verlust des Ausgleichsanspruchs oder der Karenzschädigung (§ 89b Abs. 3 Ziff. 2, 90a Abs. 2 S. 2) oder für die Berechtigung des HV, sich von einem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot loszusagen (§ 90a Abs. 3), eine Rolle spielt, liegt auf anderem Felde.

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6. Verdachtskündigung. Nach den Grundsätzen der arbeitsrechtlichen Verdachtskündigung kann ausnahmsweise der dringende Verdacht eines wichtigen Grundes zur außerordentlichen Kündigung ausreichen79, falls ihn hinreichend sichere Anhaltspunkte untermauern, der Kündigende alles ihm Mögliche und Zumutbare zur Sachaufklärung unternommen hat, ein Abwarten bis zur endgültigen Klärung weder möglich noch zumutbar und der zu Kündigende vor Ausspruch der Kündigung angehört worden ist 80. Insbes. dann, wenn der Gekündigte nichts tut, um einen bestehenden Verdacht auszuräumen, kann dies einen eigenständigen Kündigungsgrund bilden. Die Aufklärungspflicht des Unternehmers vor Ausspruch der Kündigung hat Grenzen. Nicht aufgeklärte belastende Umstände hat der HV hinzunehmen 81, wenn er an der Aufklärung schuldhaft nicht mitwirkt. Auch darf außerordentlich gekündigt werden, sofern etwa die Kunden die Zusammenarbeit mit einem unter Verdacht stehenden HV oder Unternehmer verweigern 82. Eine derart ausgesprochene Verdachtskündigung steht nicht unter der auflösenden

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Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 10c. BGH BB 1960, 381. BGHZ 44, 275; BGH BB 1959, 541; BGH HVR Nr. 211; BGH WM 1992, 313; OLG Hamm HVR Nr. 878; Hopt § 89a Rn 8. BGH WM 1999, 1013 = EWiR 1999, 303 (Martinek). BGH WM 1999, 1013 = EWiR 1999, 303 (Martinek). BGHZ 29, 275 (276); BGH, Urt. v. 09.01. 1967 – II ZR 226/64, BB 1967, 229; BAG, Urt. v. 07.04.1956 – 2 AZR 340/55, DB 1956, 427; BAG, Urt. v. 18.11.1999 – 2 AZR 743/98, ZIP 2000, 762 (764); LAG Berlin GmbHR 1997, 839; Küstner/Thume I,

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Rn 2011; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 8; vgl. Becker-Schaffner DB 1987, 2148, Lücke BB 1997, 1842; BB 1998, 2259; ablehnend Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 369. BAG, Urt. v. 20.08.1997 – 2 AZR 620/96, BB 1997, 2484; BAG, Urt. v. 18.09.1997 – 2 AZR 36/97, DB 1998, 136; BAG ZIP 2000, 762 (764); Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 8; Lücke BB 1997, 1842 (1843, 1844); BB 1998, 2259. BGH BB 1959, 541; Hopt § 89a Rn 20. BGHZ 29, 275 (276); BGH, Urt. v. 30.03. 1995 – IX ZR 182/94, EBE 1995, 159 (160); Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 8.

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Bedingung der Nichtbestätigung des erhobenen Vorwurfs. Allerdings muss der Kündigende den Vertrag mit dem Kündigungsempfänger – sofern möglich – wieder aufnehmen, wenn der Verdacht ausgeräumt wird. Der Gekündigte kann jedoch im Verfahren um die Aufklärung des Verdachts, etwa durch fehlende Mitwirkung bei der Aufklärung, einen von der eigentlichen Verdachtskündigung unabhängigen wichtigen Kündigungsgrund setzen, mit der Folge, dass auch deshalb das Vertrauen in einer zur Kündigung berechtigenden Weise entfällt 83. 7. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit darf 24 bei dem schwerwiegenden Eingriff, den die fristlose Kündigung für die andere Vertragspartei, meist den HV, darstellt, nicht unbeachtet bleiben. Das betrifft zum einen die Frage, ob dem Unternehmer nicht gleichwohl zuzumuten ist, die Lösung des Vertragsverhältnisses, wenn sie schon unausweichlich erscheint, jedenfalls bis zum nächstzulässigen ordentlichen Kündigungstermin hinauszuschieben, d.h. sich auf eine befristete Kündigung zu beschränken 84. Das ist etwa bei kurzer, verbleibender Vertragsdauer der Fall 85. Ferner können die soziale Lage des HV, die Ergebnisse seines bisherigen Einsatzes, seine Bereitschaft zur Einsicht (falls ihn ein Vorwurf schwereren Grades trifft) Bedeutung gewinnen. Stellt ein Partner als Reaktion auf die Vertragsverletzung der Gegenseite lediglich in Aussicht, Nebenleistungen nicht erbringen zu wollen, kann darauf allein die fristlose Kündigung des in zehn Wochen endenden Vertrages nicht gestützt werden86. Ist der Mittler in ein Absatzsystem einbezogen, welches nur funktionieren kann, wenn die Leistung jedes Partners flächendeckend angeboten werden, darf bei der Beurteilung der Frage, ob ein Mittler (hier: ein Franchisenehmer) zur fristlosen Kündigung des Vertrages berechtigt ist, nicht unberücksichtigt bleiben, dass das plötzliche Ausscheiden aus dem System zwangsläufig zu einer erheblichen Gefährdung der Grundlage des Gesamtsystems führen muss 87. Sucht der Unternehmer zielstrebig einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung, der ansonsten nicht aufgefallen wäre, ist dieses Vorgehen im Rahmen der bei jeder fristlosen Kündigung vorzunehmenden Interessenabwägung zu berücksichtigen und kann zur Unwirksamkeit der Kündigung leiten 88. Besteht ein HV-Vertrag zwischen mehreren Schwesterunternehmen mit identischen Geschäftsführern, so sind alle Schwesterunternehmen zur fristlosen Kündigung der von ihnen geführten Verträge berechtigt 89. Ein Versicherungsunternehmen darf einen Versicherungsvertretervertrag außerordentlich für alle Sparten kündigen, selbst wenn der HV lediglich ein auf die Lebensversicherung begrenztes Wettbewerbsverbot verletzt 90. 8. Vereinbarung eines wichtigen Grundes. Den Parteien ist es unbenommen, durch 25 Vereinbarung zu konkretisieren, was als wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung

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AA Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 8. BGH VersR 1959, 887; OLG München VersR 1957, 97. BGH WM 1999, 1013 = EWiR 1999, 303 (Martinek). BGH WM 1999, 1013 = EWiR 1999, 303 (Martinek). BGH WM 1999, 1013 = EWiR 1999, 303 (Martinek). OLG Köln, Urt. v. 04.11.2002 – 19 U 38/02, NJW-RR 2003, 398 = EWiR 2003, 257 (v. Hoyningen-Huene): Der Unternehmer

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hatte mit detektivischen Mitteln einen Abrechnungsbetrug nachgewiesen. Bei guter geschäftlicher Zusammenarbeit wäre keine Prüfung der Abrechnung erfolgt und das Vertrauensverhältnis nicht zerstört worden. OLG Bremen, Urt. v. 30.03.2006 – 2 U 115/05, OLGR 2006, 489. OLG Frankfurt/Main, Beschl. v. 15.10.2003 – 1 U 159/03, VersR 2005, 940. Die Kündigung führt gemäß § 89b Abs. 3 Nr. 2 zum Verlust des Ausgleichsanspruchs.

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gelten soll. Jedoch darf durch eine Häufung von solchen „Kündigungstatbeständen“ nicht die zwingende Natur des § 89 über Kündigungsfristen ausgeschaltet werden 91 (im Einzelnen Rn 48 ff). Immer müssen die festgesetzten Kündigungsgründe bei objektiver Würdigung als „wichtige“ anerkannt werden können 92. Das führt dazu, dass der Vereinbarung zwar bei Verhandlungsparität (aber nur dann!) Anhaltspunkte entnommen werden können, was die Parteien als wichtigen Grund ansahen, jedoch nicht mehr (siehe auch Rn 50). In der Praxis sind solche Auslegungsmaßstäbe weitgehend unbehelflich, weil immer ein wichtiger Grund vorliegen muss. Strittig ist, ob bei Vorliegen eines vertraglich vereinbarten wichtigen Grundes im Ein26 zelfall noch eine Interessenabwägung stattzufinden hat oder die Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung in diesem Fall ohne eine solche Interessenabwägung feststeht. Der BGH 93 hat die Notwendigkeit einer weiteren Interessenabwägung verneint. Vom KG 94 wurde sie hingegen befürwortet. Richtigerweise ist zunächst zu prüfen, ob der vereinbarte wichtige Grund überhaupt die Anforderungen an einen wichtigen Grund im Sinne des § 89a erfüllt. Ist dies nicht der Fall, bleibt die Vereinbarung wegen des Widerspruchs zur zwingenden Natur des § 89a unwirksam. In solchem Rahmen ist auch die Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung zu prüfen.

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9. Kasuistik. Jeder Fall ist für sich zu betrachten. Eine schematische Übertragung verbietet sich bereits deshalb, weil es jeweils auf die subjektive Betroffenheit und die Verhältnismäßigkeitserwägungen des Einzelfalls ankommt. Zu beachten ist stets, dass es weniger auf tatsächliche Schädigungen als darauf ankommt, ob für den Kündigenden aus dem Standpunkt vernünftigen kaufmännischen Ermessens betrachtet die Befürchtung gerechtfertigt erscheinen musste, dass seine Belange gefährdet seien 95. Deshalb kann Versuch wie Vollendung Anlass einer außerordentlichen Kündigung sein. „Ja“ bedeutet: Kündigung nach § 89a zulässig, „Nein“: Kündigung nach § 89a unzulässig: – Unbegründete Ablehnung von Aufträgen: Ja für den HV. Der Unternehmer ist grundsätzlich nicht verpflichtet, jedes vom HV vermittelte Geschäft abzuschließen (unternehmerische Dispositionsfreiheit) 96. Der Unternehmer darf Aufträge ablehnen, ohne dass der HV deshalb außerordentlich kündigen dürfte, sofern der Unternehmer die Grenzen seiner Dispositionsfreiheit nicht überschreitet, insb. nicht willkürlich handelt oder sachliche Gründe für die Ablehnung besitzt. Wiederholte Ablehnung ohne ersichtlichen Grund oder mit Willkür berechtigen zur außerordentlichen Kündigung97; – Ablehnung von Bestellungen durch den Hersteller bei Vertragshändlertätigkeit: Ein Kündigungsrecht besteht, wenn die Ablehnung ohne vertretbaren Grund erfolgt 98. Auch die sachlich gebotene wiederholte Ablehnung von Bestellungen kann den Händler zur außerordentlichen Kündigung berechtigen, falls sie ein wirtschaftlich existenzgefährdendes Ausmaß erreicht 99; – wiederholte unberechtigte Abmahnungen: Ja;

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Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 12. OLG München BB 1956, 20. BGH, Urt. v. 07.07.1988, ZIP 1988, 1389 ff. KG, Urt. v. 21.11.1997, DB 1998, 607 ff. RGZ 148, 57; BGH DB 1956, 136; BGH, Urt. v. 17.10.1991 – I ZR 248/89, NJW-RR 1992, 481 (482); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 53.

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BGH, Urt. v. 17.10.1960, BB 1960, 1221 = DB 1960, 1359; Küstner/Thume I, Rn 1831; vgl. auch Steindorff ZHR 67, 82; Schröder DB 1958, 43 (47). Küstner/Thume I, Rn 1832. BGH BB 1972, 193; Martinek/Ullrich § 15 Rn 43; Westphal Vertriebsrecht II, Rn 625. Westphal Vertriebsrecht II, Rn 625.

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– abträglicher böser Schein: U.U. können erhebliche strafrechtliche Vorwürfe, selbst wenn sie nicht beweisbar sind, aber in der Kundschaft ein nicht ausräumbares Misstrauen gegen die Integrität des HV geweckt haben, einen Grund zur fristlosen Kündigung abgeben; überhaupt ein kompromittierendes Strafverfahren, auch sofern es mit Außerverfolgungssetzung geendet hat 100; – Verweigerung der Abrechnung: Ja für den HV, ebenso die ständige falsche oder unverständliche Abrechnung 101, nicht jedoch eine nur gelegentlich vorkommende verspätete Abrechnung oder eine auf Irrtum beruhende Falschbuchung 102; – Absatzstockung: Die die Existenz bedrohende Absatzstockung: Ja103, gleichfalls eine wiederholte Absatzstockung, es sei denn, sie ist nur vorübergehender Natur oder beruht auf saisonbedingten Gründen104; – Abwerben von Kunden: Wirbt der Unternehmer Kunden des HV ab und veranlasst er sie, bei ihm nicht provisionspflichtige Direktgeschäfte zu schließen, gibt dies dem HV einen wichtigen Kündigungsgrund105. Der HV darf Kunden des Unternehmers nicht abwerben, sofern der Vertrag nach wie vor besteht, auch dann nicht, wenn der Unternehmer den Vertrag unwirksam außerordentlich gekündigt hat und er deshalb fortgesetzt wird 106; Verstoß: Ja. Die Abwerbung von Stammkunden eines Tankstellenvertreters durch die Mineralölgesellschaft begründet ein außerordentliches Kündigungsrecht107; – Abwerbung von Mitarbeitern des Unternehmers durch HV: Ja, weil Verletzung der Treupflichten des HV-Vertrages. Die Wertung des § 75 f ist bedeutungslos108; – Abwerbung von Mitarbeitern oder Untervertretern: Die Abwerbung eines Untervertreters109 oder Mitarbeiters 110 des HV durch den Unternehmer widerspricht der Treuepflicht und gibt ein außerordentliches Kündigungsrecht. Gleiches gilt, wenn ein angestellter Bezirksdirektor eines Versicherers einem Generalvertreter dessen Untervertreter ausspannt 111;

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OLG Hamburg JR 1927, Nr. 1108 hinsichtlich des Besitzers aller Geschäftsanteile der GmbH, der die Vertretung übertragen war; vgl. auch RG SeuffA 80, 210 Nr. 118 betr. unberechtigte Angriffe. BGH, Urt. v. 13.12.1995 – VII ZR 61/95, BB 1996, 235; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 53. Küstner/Thume I, Rn 1833; Schlegelberger/ Schröder § 89a Rn 11. Küstner/Thume I, Rn 1835. Küstner/Thume I, Rn 1835; Schlegelberger/ Schröder § 89a Rn 10. BGH, Urt. v. 11.06.1959 – II ZR 106/57, BB 1959, 720 = MDR 1959, 911; Küstner/ Thume I, Rn 1836; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 54. Das RG hielt das Verhalten des HV für gerechtfertigt, weil er Gefahr laufe, den Verdienst in der Zwischenzeit zu verlieren (RG, Urteil v. 22.02.1916, RGZ 88, 127). BGH, Urt. v. 11.06.1959, BB 1959, 720 =

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MDR 1959, 911; Küstner/Thume I, Rn 1846. Schloßer BB 2003, 1386. BGH, Urteil v. 18.06.1964, BGHZ 42, 59 = BB 1964, 823 mit Anm. v. Brunn DB 1964, 1841 (allerdings ohne Diskussion des Kündigungsrechts); OLG Düsseldorf, Urteil v. 21.06.1957, HVR Nr. 151; LG Siegen, Urt. v. 16.03.1961, HVR Nr. 238; Küstner/ Thume I, Rn 1841; Westphal Vertriebsrecht II, Rn 626; aA BGH, Urt. v. 11.12.1981, BB 1982, 724 = WM 1982, 535 im Einzelfall für die Kündigung des Unternehmers. BGH, Urt. v. 18.06.1964 – VIII. ZR 254/62, BGHZ 42, 59; OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.06.1957 – 8 U 49/57, HVR Nr. 151; OLG München, Urt. v. 31.10.1957, HVR Nr. 167 = MDR 1958, 105; LG Siegen, Urt. v. 16.03.1961 – 3 O 9/61, HVR Nr. 238; Küstner/Thume I, Rn 1857. OLG München, Urt. v. 31.07.1957, BB 1958, 247 = MDR 1958, 105.

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– Abwerbung anderer Vertriebsmittler: durch den HV: Ja112. Der HV muss wegen seiner Interessenwahrungspflicht jede Schädigung des Unternehmers vermeiden113; – Agenturkonto, Negativsaldo: Nein gegenüber einem Tankstellen-HV, wenn die Kündigung mit einem Negativsaldo des Agenturkontos begründet wird, welches daraus resultiert, dass ein Mineralölunternehmen das Konto auch mit Umsätzen belastet, welche der Pächter auf Grund von Stationskrediten (noch) nicht vereinnahmt hat 114; – Aktivität des HV: Vertriebstätigkeit „mit wenig Nachdruck“: u.U. Ja 115; – Alleinvertretung: Die Übertragung einer Alleinvertretung bedeutet meist, dass der vertretende Unternehmer ohne Zustimmung des HV nicht berechtigt ist, selbst oder durch andere Beauftragte im übertragenen Bezirk tätig zu werden116. Verletzung dieses Alleinvertretungsrechts: Ja 117; – Alter des HV: Fortgeschrittenes Alter des HV: als solches: Nein118, jedoch das atypische Absinken der Leistungskraft und das Nachlassen der Vertriebsbemühung, jedenfalls wenn es so plötzlich erfolgt, dass eine Fortsetzung des HV-Vertrags bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar wird oder besonders lange Kündigungsfristen vereinbart wurden 119. Kein Ausgleichsausschluss gem. § 89b Abs. 3 Nr. 2., da den HV an seinem Alter kein Verschulden trifft; – Auflösung einer HV-Gesellschaft: Grds. Nein. Vom HV wird Vertragstreue erwartet (er darf daher nicht kündigen), für den Unternehmer mag je nach Situation ein Kündigungsrecht begründet sein 120 (HV im Liquidationsstadium u.U. unzumutbar); – Aufrechnung: Die Aufrechnung mit Kundengeldern gegen streitige Provisionen: Ja121; – Aufsichtspflicht: Verletzung der Aufsichtspflicht über Angestellte oder Untervertreter durch HV: Ja122; – den HV schädigende Änderungen im Geschäftsbetrieb des Unternehmers; u.U. Ja; – Ausscheiden des Geschäftsführers einer HV-GmbH: Ja, wenn Schlüsselperson123; – Ausweitung des Geschäftsfeldes eines Unternehmers: Ja, etwa infolge der Ausweitung der dem HV zum Vertrieb gegebenen Vertragswaren des Unternehmers auf solche, welche der HV bereits in zulässiger Weise für einen anderen Unternehmer vertritt oder Entwicklung eines vom HV erlaubtermaßen vertretenen Zweitunternehmers zu einem

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BGH, Urt. v. 18.06.1964 – VII ZR 254/62, VersR 1964, 768 m. Anm. v. Brunn DB 1964, 1841; BGH, Urt. v. 11.03.1977 – I ZR 146/75, WM 1977, 640; BGH, Urt. v. 11.12.1981 – I ZR 139/79, BB 1982, 1626; LG Gießen, Urt. v. 31.08.2001 – 8 O 78/99; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 44, 54. BGH, Urt. v. 11.03.1977 – I ZR 146/75, BGB 1977, 1170 = DB 1977, 1046; Küstner/ Thume I, Rn 1840. KG, Urt. v. 21.05.2007 – 23 U 87/05, DB 2007, 1355. BGH, Urt. v. 07.03.1957, BB 1957, 413; Küstner/Thume I, Rn 1969. Küstner/Thume I, Rn 1847; Schlegelberger/ Schröder § 87 Rn 31d und 58b, § 86a Rn 22b. BGH WM 1974, 350; BGH, Urt. v. 21.03. 1975 – I ZR 141/74, WM 1975, 856 (857),

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BGH, Urt. v. 10.02.1993 – VIII ZR 47/92, NJW-RR 1993, 678; OLG Düsseldorf, Urteil v. 08.06.1972, HVR Nr. 468; Küstner/Thume I, Rn 1847; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 54. Küstner/Thume I, Rn 1848. Küstner/Thume I, Rn 1848. Emde GmbHR 1999, 1005 (1016). OLG Hamm, Urt. v. 12.08.1993 – 18 W 23/93, NJW-RR 1994, 159; v. 9.10.1952 – 7 O 96/52, VersR 1953, 181; Küstner/ Thume I, Rn 1853; aA LG Köln, Urteil v. 13.05.1932, HVR Nr. 34. OLG Celle, Urt. v. 09.05.1958, BB 1958, 894 mA v Lüpke zur Verwaltung eines Kommissionslagers; Küstner/Thume I, Rn 1855; Schlegelberger/Schröder § 89 Rn 5. Emde GmbHR 1999, 1005 (1016).

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Konkurrenten 124, und zwar jedenfalls gegenüber dem ausweitenden Unternehmer, soweit eine Vertragsanpassung ausscheidet 125. Die Kündigung gegenüber dem ausweitenden Unternehmer erfolgt ausgleichserhaltend 126; Leichtfertiges Äußern strafrechtlich relevanter Vorwürfe über einen wichtigen Kunden des Unternehmers: Ja 127; Arbeitsunfähigkeit: Die Arbeitsunfähigkeit des HV stellt u.U. einen wichtigen Grund dar (bei hinreichender Länge, s.a. „Alter“), möglicherweise auch die fehlende Mitteilung des HV über diesen Umstand an den Unternehmer 128; außerdienstliches Verhalten: Ja, wenn es Vertragsfortführung unzumutbar macht 129; äußeres Erscheinungsbild des HV: Ja 130, je nach Umständen und ob vor Vertragsschluss bekannt und akzeptiert; Anzeige eines Haftpflichtschadens durch HV ohne Kenntnis und Auftrag des Versicherungsnehmers: Nein, wenn telefonische Rücksprache mit dem zuständigen Gruppenleiter der Versicherung erfolgte und eine derartige Handhabung von der Versicherung jahrelang ohne Beanstandung hingenommen wurde 131; Fehlende Berücksichtigung der Belange des HV durch Unternehmer; Ja 132; erhebliche Beleidigungen des Unternehmers durch den HV im persönlichen oder schriftlichen Verkehr: Ja133. Doch kommt es darauf an, ob die Beleidigung mit Vorbedacht erfolgt ist134 und nicht etwa Ausdruck starker Erregung war 135; auch genügen nicht bloße Unhöflichkeiten oder Unziemlichkeiten 136. Beleidigungen gegen leitende Angestellte sind solchen gegen die Person des Unternehmers gleichzustellen137. Die Beleidigung bildet einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung, wenn die Vertragsfortführung dadurch unzumutbar wird 138. Mglw. Rechtfertigung durch § 193 BGB 139; Belieferung des Graumarktes bei bestehendem selektiven Vertrieb: Ja140;

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Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 33; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 34. BGH, Urt. v. 06.11.1986 – I ZR 51/85, EBE 1987, 48; BGH, Urt. v. 06.10.1983 – I ZR 127/81, WM 1983, 1416; LG Frankfurt DB 1966, 499; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 33; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 36, 58. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 33. OLG Köln, Urt. v. 04.07.2001 – 19 U 16/01, VersR 2002, 482. Küstner/Thume I, Rn 1850; aA KG, Urt. v. 15.12.1970, HVR Nr. 433. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 38. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 38. OLG Köln, Urt. v. 20.07.2001 – 19 U 219/00, BB 2001, 2241. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 38. RG WarnRspr. 1908, Nr. 332, JW 1919, 504; BGH, Urt. v. 09.07.1959 – II ZR 48/58, VersR 1959, 887; BGH, Urt. v. 21.01.1993 – I ZR 23/91, MDR 1993, 521 (522); OLG Hamburg OLGE 7, 386; OLG Dresden OLGE 8, 389; OLG Dresden OLGE 1904, 389; OLG Celle BB 1963, 711; Heymann/

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Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 20; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 45, vgl. auch RAG 17, 68. OLG Hamburg DB 1960, 1451. BGH VersR 1959, 887. OLG Stuttgart BB 1960, 956. BGH, Urt. v. 21.01.1993 – I. ZR 23/91, NJW-RR 1993, 740; BGH, Urt. v. 09.07. 1959, VersR 1959, 887; OLG Stuttgart v. 13.5.1960, BB 1960, 956; OLG Dresden, Urt. v. 29.02.1904, OLGR 8, 389; Küstner/ Thume I, Rn 1861. OLG Stuttgart, Urt. v. 09.06.1960, BB 1960, 956; OLG Hamburg, Urt. v. 13.05.1960, BB 1960, 1300 = DB 1960, 1451; LG Traunstein, Urt. v. 07.04.1982, HKO 664/82, unveröffentlicht; RG, Urt. v. 22.01.1919, JW 1919, 504 m. Anm. Titze; RG, Urt. v. 11.02. 1908, WarnRspr. 1 (1907/08), S. 244 Nr. 332; RG, Urt. v. 12.12.1924, JW 1925, 945 m. Anm. Titze; Küstner/Thume I, Rn 1860. OLG Stuttgart, Urt. v. 09.06.1960, BB 1960, 956. Niebling MDR 1998, 1132.

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– Berichtspflicht: Eine schwerwiegende Verletzung der Berichtspflicht: Ja141, aber nicht bei bloßer Nachlässigkeit142 oder bei bloßer Verweigerung der geforderten Form 143. Erforderlich ist ein Mangel an Informationen; – anhaltende Berufsunfähigkeit des HV: Ja, sofern entweder eine Wahrnehmung der Agenturgeschäfte durch Einstellung von Personal oder von Untervertretern nicht möglich ist, oder aber eine solche Aushilfe vom HV abgelehnt wird. Dieser Grund wird als wichtiger namentlich bei langfristigen Verträgen in Betracht kommen144. Ausgleichsschädlich kann diese Kündigung sein, wenn der HV schuldhaft den Vertrieb vernachlässigt, etwa für keinen Ersatz sorgt oder selbst kündigt145; – falsche Beschuldigungen: Ja146; – Beschwerden von Kunden: Beschwerden von Kunden allein bilden regelmäßig keinen wichtigen Grund, nur der dahinter stehende Sachverhalt, falls er eine Vertragsverletzung des HV offenbart147; – Bestandsübertragung, Bestandswegnahme: Unabhängig von der Frage, ob der Versicherer – ggf. aufgrund eines entsprechenden Vorbehalts im Vertrag – zu einer Bestandswegnahme berechtigt ist, kann diese eine außerordentliche Kündigung des HV rechtfertigen, wenn er dadurch in wirtschaftliche Schwierigkeiten kommt 148; – Bestechungsgelder: Annahme von Bestechungsgeldern durch den HV: Ja149, es sei denn, es handelt sich um Gelegenheitsgeschenke 150; – Besuchsberichte, Fehlen: Ja151; – Betriebseinstellung: Eine Betriebseinstellung des Unternehmers mag beiden Parteien einen wichtigen Kündigungsgrund geben152, z.B. wenn die Maßnahme unvermeidlich ist aus wirtschaftlichen Gründen und nicht willkürlich erfolgt 153 und falls nach objektiven Maßstäben die Unmöglichkeit eines lohnenden Weiterbetriebs feststeht 154. Der Unternehmer muss seinen Betrieb nicht deshalb mit Verlust fortsetzen, um dem HV einen laufenden Verdienst zu sichern 155. Dass schon rote Zahlen geschrieben werden, ist für die Kündigung wegen Betriebseinstellung nicht notwendig 156. Auf die Geschäftslage der Konzernmutter kommt es grundsätzlich nicht an (kein Konzerndurch-

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BGH, Urt. v. 24.09.1987 – I ZR 243/85, NJW-RR 1988, 287; OLG Oldenburg DB 1964, 105; OLG Köln, Urt. v. 03.03.1971, BB 1971, 543 = DB 1971, 865; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 19; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 35, 36. BGH, Urt. v. 24.09.1987, BB 1988, 12 = MDR 1988, 286 = NJW-RR 1988, 287 = EWiR 1986, 381 (Ostermann). BGH, Urt. v. 24.09.1987, BB 1988, 12 = MDR 1988, 286 = NJW-RR 1988, 287. Küstner/Thume I, Rn 1870. Küstner/Thume I, Rn 1870. BGH WM 1983, 820. RGZ 148, 48; BGH, Urt. v. 16.03.1972, VersR 1972, 534; Küstner/Thume I, Rn 1872; Strenger: OLG Stuttgart, Urt. v. 09.06.1960, BB 1960, 956: Kundenbeschwerden können die Interessen des Unternehmers schädigen; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 41.

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Küstner/Thume I, Rn 1873. Küstner/Thume I, Rn 1974. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 38; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 44. BGH, Urt. v. 29.03.1990 – I ZR 2/89, ZIP 1990, 1197 (1198, 1199). RAG, Urt. v. 13.12.1911, JW 1912, 250; Küstner/Thume I, Rn 1874 (möglicherweise auch § 275 BGB). LG Hamburg, Urt. v. 03.12.1952, HVuHM, 1953, 236; Küstner/Thume I, Rn 1913. Küstner/Thume I, Rn 1913. BGH, Urt. v. 20.02.1958, BB 1958, 894; RG, Urt. v. 13.12.1911, WarnRspr. 1912 Nr. 121 mit weiterem Nachweis aus der älteren Rechtsprechung; Küstner/Thume I, Rn 1913. Hopt § 89a Rn 21.

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griff) 157. Eine Auslauffrist von 6 Monaten kann unter Umständen angemessen sein 158. Unterlässt der Unternehmer die rechtzeitige Mitteilung der geplanten Maßnahme 159 kann sich hieraus ein Grund zur außerordentlichen Kündigung ergeben. Eine Betriebseinstellung aufgrund hoher Verluste rechtfertigt jedenfalls dann keine fristlose Kündigung durch den Unternehmer, wenn die Notwendigkeit dieser Einstellung lange vorhersehbar war160; Betriebsführungspflicht, Verletzung: Ja. Eröffnet ein Franchisenehmer entgegen einer übernommenen Betriebsführungspflicht seinen Betrieb nicht oder hält er ihn nicht geöffnet, berechtigt dies zur außerordentlichen Kündigung 161; Betriebsumgestaltung: Nein, sofern nicht willkürlich sondern aus sachlichen Gründen162. Für die Ankündigungsfrist kommt es darauf an, wie lange die nötigen Dispositionsmaßnahmen vorhersehbar waren. Bei langer Vorhersehbarkeit ist ggf. ein Abwarten bis zum Ende der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar 163; Betriebsveräußerung: Im Falle eines Share-Deals hat die Betriebsveräußerung keine Auswirkung auf den Vertrag. Regelmäßig ist mit ordentlicher Kündigungsfrist zu kündigen164; Beurkundungsanspruch nach § 85: Nichterfüllung: Ja165; Bezirksverkleinerung: Ja166, insb. wenn sie einer verbotenen Teilkündigung gleichkommt (§ 89 Rn 25). Dies gilt etwa, falls das Existenzminimum nicht gesichert ist; Mangelnde Bezirksbetreuung: Verletzung der Pflicht des Bezirksvertreterers zur laufenden Pflege des Bezirks und zum laufenden Besuch der dortigen Interessenten: Ja167. Der Unternehmer darf dabei die Weisung erteilen, die Endabnehmer zu besuchen (Abmahnung erforderlich)168; Bonitätsprüfungspflicht: Verletzung der Bonitätsprüfungspflicht: Ja, insb. wenn in Kenntnis der ungünstigen Bonität weitere Geschäfte vermittelt werden169; Branchenkenntnisse/Sachkunde: Täuschung über die Sachkunde (hier: Apotheker) des HV: Ja170; Brandverursachung durch HV: Ja171;

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DIS-Schiedsgericht BB Beilage 11/1999, 15; Hopt § 89a Rn 21. OLG Hamm NJW-RR 1988, 551; DIS Schiedsgericht, BB Beilage 11/1999, 17; Hopt § 89a Rn 21. RAG, Urt. v. 16.05.1931, ARS 12, 274 (276); vgl. auch BGH, Urt. v. 07.02.1974, BB 1974, 434 = NJW 1974, 795. BGH NJW 1986, 1931. Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 357. RAG, Urt. v. 16.05.1931, ARS 12, 274 (275); BGH, Urt. v. 09.11.1967, BGHZ 49, 39 = NJW 1968, 394. BGH, Urt. v. 30.01.1986 – I ZR 185/83; BB 1986, 1317 = HVR Nr. 615; Küstner/ Thume I, Rn 1879. Küstner/Thume I, Rn 1880. OLG München, Urt. v. 08.05.1956, VersR 1975, 97; Küstner/Thume I, Rn 1881. BGH, Urt. v. 28.01.1971 – VII ZR 95/69,

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WM 1971, 561 (563); OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.06.1955, HVR Nr. 77; OLG Celle, Urt. v. 08.10.1958; HVR Nr. 217; Küstner/ Thume I, Rn 1882; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 55. OLG München NJW-RR 2003, 401 (402). OLG München NJW-RR 2003, 401 (402). OLG Karlsruhe, Urt. v. 25.03.1969, DB 1969, 741; LG Bonn, Urt. v. 28.10.1953, HVR Nr. 60; LG Heidelberg, Urt. v. 30.06. 1955, BB 1955, 942 mit Anm. Hörstel; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 10a; Küstner/Thume I, Rn 1886. OLG Hamburg, Urt. v. 13.05.1960, BB 1960, 1300; Küstner/Thume I, Rn 1887; aA BGH, Urt. v. 22.04.1952, HVR Nr. 27: Es komme nicht auf die spezielle Branchenkenntnisse, sondern auf die besondere Verkaufskunst des HV an. OLG Köln, Urt. v. 02.03.2001 – 19 U 170/00, VersR 2001, 1234.

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– Franchisegebühren, Nichtzahlung: Ja. Es bedarf allerdings einer gewissen Nachhaltigkeit der Nichtzahlung172, wobei in Anlehnung an das Mietrecht zumindest die Nichtzahlung von zwei Monatsfranchisegebühren genügend sein dürfte; – Direktgeschäfte/Eingriffe in das Absatzgebiet des HV: Vertragswidrige Direktgeschäfte des Unternehmers: Ja173; – Diskriminierung: Ja174, je nach den Umständen; – Dispositionsfreiheit: Mangelnde Interessenabwägung zwischen eigenen Interessen und schutzwürdigen Belangen des HV durch den Unternehmer im Rahmen der der Dispositionsfreiheit des Unternehmers unterliegenden Maßnahmen: Ja für HV 175. Überschreiten der Dispositionsbefugnis durch den Unternehmer: Ja für HV 176; – Drohung: widerrechtliche Drohung des HV gegenüber dem Unternehmer: Ja für Unternehmer; – Drohung, eigene Vorzugsbedingungen anderen HV mitzuteilen: Ja177; – Drohung mit der Veröffentlichung von Betriebsinterna: Ja178; – Druckkündigung: Wird ein HV durch einen Unternehmer unter Druck gesetzt, er solle den Vertrag mit einem anderen Unternehmer außerordentlich kündigen, kann dies gegenüber dem anderen Unternehmer ein Recht zur außerordentlichen Kündigung begründen. Gleiches gilt, wenn Dritte, Mitarbeiter oder Kunden unter Androhung von Nachteilen die außerordentliche Kündigung fordern, obwohl in der Person des zu Kündigenden ein wichtiger Kündigungsgrund fehlt 179. Der ausgeübte Druck kann einen wichtigen Kündigungsgrund im Verhältnis zu beiden Vertragspartnern bilden, sofern er die Fortsetzung des Vertrags unzumutbar macht. Beispiel: Erweiterung des Sortiments des anderen Unternehmers und entsprechender Druck zur Vertragsbeendigung durch den ersten Unternehmer 180; – Ehebruch: Ehebruch des HV mit dem Vorstandsmitglied des Unternehmers: Ja181; – Eidesstattliche Versicherung, Abgabe: Ja182; – Einbrechen in den Tätigkeitsbereich des HV durch Abwerben von Kunden zwecks Direktbezug: Ja für den HV183; – Einsatz eines anderen HV im Bezirk des Alleinvertreters: Ja184; – einseitige Vertragsänderung: Ja185; – Einstellen der Belieferung: Ja, falls ein Mineralölunternehmen die Belieferung einer Tankstelle mit Kraftstoffen gemäß § 273 BGB wegen offener Forderungen gegen den Tankstellenvertreter einstellt, diesen aber an dem vertraglichen Verbot, Konkurrenz-

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KG, Urt. v. 21.11.1997, DB 1998, 607 ff; BGH, Urt. v. 20.05.2003, ZIP 2003, 2030. BGH, Urt. v. 11.6.1959 – II ZR 106/57, BB 1959, 720; BGH NJW-RR 1993, 683; Küstner/Thume I, Rn 1888. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 38. Küstner/Thume I, Rn 1889. Küstner/Thume I, Rn 1849. BGH, Urt. v. 06.10.1983, BB 1984, 237 = WM 1983, 1416; Küstner/Thume I, Rn 1890; Hopt § 89a Rn 17. Hopt § 89a Rn 17. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 36a. LG Frankfurt, Urt. v. 12.10.1965, DB 1966, 499 = HVR Nr. 371; Küstner/Thume I, Rn 1891.

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OLG Düsseldorf, Urt. v. 14.11.1963, NJW 1964, 1963 = BB 1964, 1021; Küstner/ Thume I, Rn 1893. BGH, Urt. v. 3.5.1995 – VIII ZR 95/94, ZIP 1995, 1001 (1003). BGH MDR 1959, 911; dort verneint, da nur Eigenmächtigkeit eines untergeordneten Organs und alsbald von der Unternehmensleitung abgestellt: „Pannen“ derlei Art dürften nicht überbewertet werden. OLG Düsseldorf HVR Nr. 468; Hopt § 89a Rn 23. OLG Düsseldorf OLGR 1997, 111.

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produkte zu vertreiben, festhält und ihm dadurch den Betrieb der Tankstelle und Einnahmen unmöglich macht186; Erfolglosigkeit: Der HV schuldet Bemühen, keinen Erfolg. Erfolglosigkeit als solche berechtigt daher nicht zur außerordentlichen Kündigung187. Ein außerordentliches Kündigungsrecht wird nur durch eine Pflichtverletzung, wie mangelnden Einsatz oder Untätigkeit, begründet188. Durch den Kündigenden bewiesen werden muss der Kausalzusammenhang zwischen Untätigkeit und Erfolglosigkeit189; Erfüllungsgehilfen: schuldhaftes Verhalten von Erfüllungsgehilfen: Ja190. Dies gilt insbesondere, wenn der HV nicht einschreitet; Erkrankung des HV: Ist der HV aufgrund einer Erkrankung länger an seiner Tätigkeit gehindert: Ja191; Erschleichung von Werkszuschüssen infolge unrichtiger Angaben und in erheblicher Größenordnung: Ja192; Existenzminimum: Ja, wenn der HV trotz intensiven Einsatzes als Einfirmenvertreter das Existenzminimum nicht erreichen kann, nicht jedoch falls er schlechten Verdienst durch andere Vertretungen ausgleichen kann193; dann mglw. Nichtigkeit des Vertrages nach § 138 BGB; Existenzgefährdung: Ja194; Falschangabe von Tatsachen im Rahmen eines Schadensfalls: Ja195; Fälschung von Aufträgen: Lieferung von Scheinaufträgen durch HV: Ja196. Ein Schaden ist nicht erforderlich197; Feindschaft zwischen den Vertragsparteien, die zu absichtlichem Zuwiderhandeln gegen berechtigte Anordnungen des anderen Teils führt: Ja 198; Firmenwagen: Private Nutzung des Firmenwagens: Ja, allerdings wohl nur in Extremfällen 199; Förderung von Konkurrenzunternehmen: Sie steht der Konkurrenztätigkeit als wichtiger Kündigungsgrund gleich 200;

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BGH, Urt. v. 11.01.2006 – VIII ZR 396/03, DB 2006, 445 (LS) = BB 2006, 518 = WM 2006, 873 = NJW-RR 2006, 615 = MDR 2006, 677. OLG Nürnberg, Urt. v. 28.02.1963, BB 1963, 447; OLG Düsseldorf, Urt. v. 24.02. 1977 – 23 U 102/76 – unveröffentlicht; Küstner/Thume I, Rn 1894. OLG Nürnberg, Urt. v. 28.02.1963, BB 1963, 447; Küstner/Thume I, Rn 1894. OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 31.01. 1967, DB 1967, 329; Küstner/Thume I, Rn 1894. BGH, Urt. v. 05.02.1959, BGHZ 29, 275 = NJW 1959, 878; Küstner/Thume I, Rn 1895. BGHZ 129, 290; OLG Frankfurt/Main, Hinweisbeschl. v. 09.02.2004 – 5 U 284/03, NJW-RR 2004, 1174; OLG Düsseldorf OLGR 2000, 246; Schröder DB 1976, 1269;

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Maier BB 1978, 940; Küstner BB 1976, 630 (631); Küstner/Thume I, Rn 1897; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 46. Niebling MDR 1998, 1132. OLG Nürnberg BB 1960, 1262; Küstner/ Thume I, Rn 1900. BGH, Urt. v. 20.03.1981 – I ZR 12/79, DB 1981, 2274; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 58. OLG Hamm VersR 1999, 1016. BGH, Urt. v. 21.01.1980, DB 1981, 987 = WM 1981, 172; Küstner/Thume I, Rn 1901. ROHG, Urt. v. 24.02.1877, ROHGE 21, 394; Küstner/Thume I, Rn 1901. RG, Urt. v. 12.12.1924, JW 1925, 945 mit Anm. Titze; Küstner/Thume I, Rn 2021. BGH, Urt. v. 26.05.1960, ZfV 1966, 1061; Küstner/Thume I, Rn 1931. Küstner/Thume I, Rn 1905.

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– Fortbildung: Beharrliche Weigerung des HV zur Fortbildung: Ja 201, jedoch nicht bei lediglich gelegentlichen Ermahnungen des Unternehmers, sich technisch zu bilden202; – Freistellung: unberechtigte Freistellung (§ 89 Rn 52): Ja für den HV 203. Grundsätzlich ist die vertraglich vereinbarte Freistellung im Interesse des Unternehmers allerdings legitim, weil sie verhindern soll, dass der gekündigte HV bei Vertragsende den von ihm geworbenen und betreuten Kundenstamm „mitnimmt“ und einem Konkurrenzunternehmen zuführt 204; – Führerscheinverlust: Entzug des Führerscheines des HV: Ja, wenn hierdurch die Vertragsdurchführung unzumutbar wird, etwa weil sie unmöglich wird 205; – Geschäftsgeheimnisse: Verrat von Geschäftsgeheimnissen des Unternehmers: Ja 206. Ausforschung von Betriebsgeheimnissen durch einen Angestellten des HV: Ja 207; – Geschäftsraumpartnerschaft mit einem Wettbewerber: Ja, falls der HV einen anderen HV, der einen Wettbewerber vertritt, in seine Geschäftsräume aufnimmt und nicht für eine genügende Trennung der Sphären sorgt 208; – Geschäftsaufgabe oder -veräußerung durch HV, etwa weil es nicht mehr lohnt: regelmäßig Nein 209; – Geschäftslage/-einstellung des Unternehmerbetriebs: Ja. Wenn sich der Unternehmer durch unverschuldete geschäftliche Misserfolge veranlasst sieht, seinen Geschäftsbetrieb oder die vom HV bearbeitete Betriebsabteilung einzustellen, so ist bei langfristigen Verträgen anerkannt, dass die Unmöglichkeit eines lohnenden Weiterbetriebs für den Unternehmer einen wichtigen Grund darstellt, das Verhältnis zum HV zu kündigen (siehe auch § 86a Rn 57) 210. Dem Unternehmer ist nach dem regelmäßigen Vertragsinhalt nicht zuzumuten, mit Schaden oder doch ohne Gewinn lediglich im Interesse des HV Geschäfte zu führen 211. Es gehöre zur wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit des Unternehmers, ob er weiter produziere oder die Produktion einstelle 212. Durch den Abschluss des Vertrages übernimmt der Unternehmer nicht jedes Risiko der Vertragsfortführung 213. Das ist nur anzunehmen, sofern der Unternehmer in voller Kenntnis eigener wirtschaftlicher Schwierigkeiten einen Vertriebsvertrag mit langer ordentlicher Kündigungsfrist abschließt 214. Doch muss es sich um eine nachhaltige – im Zeitpunkt

201 202 203

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207 208

Küstner/Thume I, Rn 1906. LG Berlin-Charlottenburg, Urt. v. 06.04. 1955, HVR Nr. 80. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 38; Küstner/ Thume I, Rn 1908: Jedenfalls bei außerordentlich langer Kündigungsfrist, nicht jedoch bei sechswöchiger Kündigungsfrist. Hübsch/Hübsch WM Sonderbeilage Nr. 1/2005, S. 27. LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 11.08.1989, DB 1990, 281; Küstner/Thume I, Rn 1911. BGH, Urt. v. 05.02.1959 – II ZR 107/57, NJW 1959, 878; OLG Nürnberg, Urt. v. 18.09.1958, BB 1958, 1151 = MDR 1959, 929; Küstner/Thume I, Rn 1914; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 43; Schlegelberger/Schröder § 90 Rn 17. BGH, Urt. v. 05.02.1959, BGHZ 29, 275 = NJW 1959, 878. BGH, Urt. v. 20.01.1969, VersR 1969, 372;

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209 210

211 212 213 214

Küstner/Thume I, Rn 1916. Dies gilt insbesondere, wenn ein Einblick in die Geschäftsgeheimnisse zu befürchten ist. AA Hopt § 89a Rn 20. RG WarnRspr. 1912 Nr. 121; 1933 Nr. 79 mit Nachw.; auch JRPV 1938, 213; RG JW 1911, 158; 1924, 177; DIS-Schiedsgericht, DB-Beilage Nr. 11/1999, 13; vgl. ferner Titze JW 1925, 1853; Schmidt-Rimpler § 83 S. 303 mit Anf. aus dem Schrifttum; vgl. RAG 15, 103; 18, 257; RAG ARS 12, 274 und HRR 1933, Nr. 822. BGH VersR 1958, 243; DIS-Schiedsgericht, DB-Beilage Nr. 11/1999, 13. DIS-Schiedsgericht, DB-Beilage Nr. 11/1999, 13. DIS-Schiedsgericht, DB-Beilage Nr. 11/1999, 13. DIS-Schiedsgericht, DB-Beilage Nr. 11/1999, 13.

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des Kündigungsausspruchs sich als nachhaltig darstellende –, nicht bloß vorübergehende Verschlechterung der Geschäftslage handeln; auch ist zu prüfen, ob gerade die außerordentliche Kündigung nach § 89a die betrieblich notwendige Maßnahme zur Wiederherstellung der Rentabilität darstellt oder ob nicht der gleiche Zweck durch eine weniger einschneidende Maßnahme erreicht werden kann 215. Endlich wird der Unternehmer zu erwägen haben, ob die Kündigung gerade dieses HV sich rechtfertigt, wenn er mehrere beschäftigt: hierfür mag es darauf ankommen, ob die Verschlechterung der Geschäftslage eine allgemeine oder eine vorzugsweise bei den Kunden des zu Kündigenden eingetreten ist, und welche Verdienste dieser in früheren Jahren sich um das Unternehmen erworben hat 216. Eine Ankündigungsfrist von vier Monaten und angemessene Auslauffrist von sechs Monaten soll ausreichend sein 217; geschäftsschädigendes Verhalten gegenüber der Kundschaft: schlechtes Arbeiten mit dem Erfolg, dass die Kunden sich beschweren 218; Weitergabe fingierter Mehrbestellungen, was zu Weiterungen und Verärgerungen der Kunden führt 219; Gesellschafterwechsel: Gesellschafterwechsel im HV-Unternehmen: grundsätzlich Nein 220. Ggf. aber: Ja, wenn Schlüsselpersonen ausscheiden oder eine hinreichende Betreuung nicht mehr gewährleistet ist 221. Gleiches gilt bei Wegfall der Person, die nach dem Vertrag die Tätigkeit für die Gesellschaft allein ausführen sollte; eine dahingehende Regelung ist zulässig 222. Eine angemessene Übergangszeit ist der Gesellschaft einzuräumen 223; im allgemeinen Insolvenz und Vermögensverfall des HV; Haft einer Vertragspartei: Ja 224; Hausverbot: Ein durch einen Kunden erteiltes Hausverbot kann eine außerordentliche Kündigung begründen, falls es sich um einen Schlüsselkunden handelt 225. Der Unternehmer muss hier aber eine Interessenabwägung vornehmen und die Berechtigung des Hausverbotes mit seinen eigenen Interessen abwägen; Heimliche Verhandlungen mit Dritten zwecks vorzeitiger Vertragsbeendigung: Ja 226; Herabsetzendes Verhalten: Ja 227; pflichtwidrige Auswahl von Hilfspersonen: mglw. Ja 228; Höhere Gewalt: Höhere Gewalt kann ein Festhalten am Vertrag unzumutbar machen 229; Informationspflicht des Unternehmers: Weigert sich der Unternehmer beharrlich, seiner sich aus § 86 Abs. 2 S. 2 ergebenden Informationspflicht zu entsprechen, kann dies einen wichtigen Kündigungsgrund darstellen 230;

215 216 217 218 219 220

221

BGH VersR 1958, 243. Holling S. 996. DIS-Schiedsgericht, DB-Beilage Nr. 11/1999, 13. OLG Stuttgart BB 1960, 956. BGH WM 1981, 172. BGH, Urt. v. 16.03.1970, HVR Nr. 419; Emde Die Handelsvertreter GmbH, 1994, S. 129 f; Emde GmbHR 1999, 1005, 1014 ff; Westphal BB 1999, 2517 (2519); Küstner/Thume I, Rn 1917; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 36. BGH EBE 1982, 132 (133); Emde Die Handelsvertreter GmbH, 1994, S. 129 f; Emde

222 223 224 225 226 227 228 229 230

GmbHR 1999, 1005 ff; Küstner/Thume I, Rn 1919. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 36. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 36. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 38. Küstner/Thume I, Rn 1920. OLG Düsseldorf HVR Nr. 38; Hopt § 89a Rn 17. OLG Stuttgart BB 1960, 956; OLG Nürnberg VersR 1968, 298. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 38. Küstner/Thume I, Rn 1921. Küstner/Thume I, Rn 1922.

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– Inkassovollmacht: unberechtigter Widerruf einer auch im Interesse des HV erteilten Inkassovollmacht, insbesondere ohne wichtigen Grund: Ja 231; – Insolvenz des HV: Die Insolvenz des HV stellt einen wichtigen Grund zur Kündigung dar (§ 89 Rn 21) 232. Der Ausgleichsanspruch entfällt nach § 89b Abs. 3 Nr. 2 nur dann, wenn der Unternehmer erforderlichenfalls beweist, dass der Insolvenzgrund auf ein schuldhaftes Verhalten des Handelsvertreters/Vertragshändlers zurückzuführen ist 233; – Insolvenzantrag des Unternehmers: Ja 234 (Ausnahme jedoch bei Sanierungsmöglichkeit) 235; – Insolvenz des Unternehmers: Ja 236. Regelmäßig wird der Vertrag jedoch gem. § 116 InsO automatisch beendet (§ 89 Rn 12); – Interessenwahrungspflicht: Je nach den Umständen des Einzelfalls kann eine erhebliche Verletzung der dem HV obliegenden Interessenwahrungspflicht zur außerordentlichen Kündigung führen 237. Ein einmaliger Vertragsverstoß nach zehnjähriger Tätigkeit rechtfertigt keine außerordentliche Kündigung 238; – Kapitalherabsetzung einer HV-Gesellschaft: Grds. Nein, wegen mögl. Sicherheitsleistung und fehlender Bedeutung des Kapitals für die Vermittlung. Daher nur bei konkreter Gefährdung der Leistungsfähigkeit 239; – Kassenführung: Zieht der HV Beträge ein, hat er für eine übersichtliche Buchführung zu sorgen, die Aufschluss über die Gelder gibt. Das Fehlen kann zu einer fristlosen Kündigung berechtigen 240. Dies gilt insbesondere bei verschleiernder Abhebung und Umbuchung 241; – Know-how, Weitergabe: Ja, wenn der Franchisenehmer geheimhaltungsbedürftiges Know-how an Dritte weitergibt 242;

231 232

233

OLG Celle, Urteil v. 26.01.1961, DB 1961, 369; Küstner/Thume I, Rn 1923. BGH, Urteil v. 03.05.1995 – VIII ZR 95/94, BGHZ 129, 290 (296); OLG München, Urt. v. 26.04.2006 – 7 U 5350/05, DB 2006, 1371; Küstner/Thume I, Rn 1924; Martinek/ Semler Handbuch des Vertriebsrechts, 2. Aufl. 2003, § 14 Rn 19; Hopt § 89a Rn 20; Westphal Vertriebsrecht I 1998, Rn 885; Canaris Handelsrecht23, § 17 Rn 89; K. Schmidt Handelsrecht, § 27 V 1.b); Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 4; Ruß HK-HGB6, 1996, § 89a Rn 5; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 89 Rn 10; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 24, 25; Schlegelberger/Schröder HGB, 5. Aufl. 1973, § 89 Rn 41d; Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 223/224; Stumpf/Ströbl MDR 2004, 1209 (1211) für den Vertragshändlervertrag. OLG München, Urt. v. 26.04.2006 – 7 U 5350/05, DB 2006, 1371; ebenso früher OLG Hamm, Beschl. v. 09.06.2004 – 35 W 5/04, NJW-RR 2004, 1554 sowie OLG München, Urt. v. 24.11.2004 – 7 U 1518/04, BB 2005, 406 = EWiR 2005,

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601 (Pütz); siehe auch Emde/Kelm ZVI 2004, 382; Emde BB 2005, 396. OLG Dresden ZIP 1996, 73; Hopt § 89a Rn 24. Hopt § 89a Rn 24. OLG Dresden ZIP 1996, 73. BGH, Urt. v. 07.07.1978 – I ZR 126/76, EBE 1978, 317 (318); OLG Stuttgart, Urt. v. 09.06.1960, BB 1960, 956; OLG Nürnberg, Urt. v. 15.03.1960, BB 1960, 956; OLG Hamburg, Urt. v. 02.04.1958, HVuHM 1958, 285; Küstner/Thume I, Rn 1925. BGH, Urt. v. 07.07.1978, BB 1979, 242 = DB 1978, 1882. Emde GmbHR 1999, 1005 (1016 f). ArbG Berlin, Urt. v. 31.07.1935; AG Berlin, Urt. v. 24.10.1935, NZ 1937, 36; Küstner/ Thume I, Rn 1927. OLG Köln, Urt. v. 09.06.1971, VersR 1971, 1171, mit Anm. Höft, LG Bonn, Urt. v. 25.11.1970, VersR 1971, 543; OLG Köln, Urt. v. 14.05.1969, VersR 1970, 53, mit Anm. Höft VersR 1970, 461, Küstner/ Thume I, Rn 1927. Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 350.

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§ 89a

– Kommissionslager: Ergibt sich ein Fehlbestand, der auf mangelnder Sorgfalt des HV beruht, ist der Unternehmer zur fristlosen Kündigung berechtigt 243; – Konkurrenztätigkeit des HV: Verletzung des dem HV obliegenden Konkurrenzverbots: Ja 244, und zwar regelmäßig ohne Abmahnung 245, u.U. auch wenn nicht verheimlicht 246 (wegen Unzumutbarkeit der Wettberwerbstätigkeit). Ein wichtiger Kündigungsgrund fehlt meist, sofern dem Unternehmer die Konkurrenztätigkeit bei Vertragsschluss bekannt war 247. Ein Kündigungsrecht kann auch bestehen nach Aufnahme einer anderweitigen Erwerbstätigkeit ohne Genehmigung des Unternehmers, wenn sie nach dem Vertrage einzuholen gewesen wäre 248, Abspenstigmachen eines anderen HV desselben Unternehmers zugunsten eines anderen Unternehmens, an dem der HV wirtschaftlich beteiligt ist 249, nicht dagegen bei Weiterführung einer Vertretung von Konkurrenzware, die der Unternehmer zunächst geduldet hat und die er jetzt verbietet 250. An das Wettbewerbsverbot ist der HV auch gebunden, falls der Unternehmer beworbene Verträge nicht annimmt. Eine Verletzung des Wettbewerbsverbots berechtigt auch dann zur außerordentlichen Kündigung durch den Unternehmer 251; – Konkurrenzverbot des Franchisenehmers: Ja. Der Franchisegeber darf einen Franchisevertrag in der Regel fristlos kündigen, wenn der Franchisenehmer gegen seine Pflicht, das Franchiseunternehmen unter Einsatz seiner gesamten Arbeitskraft auszuüben und zu nutzen verstößt, indem er ein weiteres Unternehmen betreibt 252. Der kündigende Franchisegeber ist so zu stellen, als hätte der Franchisenehmer den Vertrag durch ordentliche Kündigung zum nächst zulässigen Termin beendet 253. Bei so genannten Kettenverträgen kommt es nicht auf die Restlaufzeit des Franchisevertrages an sondern auf die Kündigungsfristen des § 89 Abs. 1254;

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OLG Celle, Urt. v. 09.05.1958, BB 1958, 894 mit Anm. von Lüpke; Küstner/Thume I, Rn 1928. BGH, Urt. v. 17.01.2001 – VIII ZR 186/99, VersR 2001, 370 = BB 2001, 645 = NJW-RR 2001, 677 = DB 2001, 1195 = EWiR § 89a HGB 2/01, 483 (Emde) = WM 2001, 1031 = MDR 2001, 637 (dort wegen fehlender Abmahnung verneint); BGH; Urteil v. 25.11.1998 – VIII ZR 221/97, VersR 1999, 313 = EWiR 1999, 705 (Emde); BGH, Urt. v. 17.10.1991 – I ZR 248/89, WM 1992, 311; BGH, Urt. v. 24.01.1974, BB 1974, 353; Urt. v. 20.01.1969, VersR 1969, 372; Urt. v. 09.06.1969, DB 1969, 1285; Urt. v. 15.12.1967, BB 1968, 60; Urt. v. 25.04.1966 – VII ZR 89/64, unveröffentlicht; Urt. v. 21.03.1966 – VII ZR 116/64, unveröffentlicht; Urt. v. 18.06.1964, BGHZ 42, 49 = BB 1964, 823; Urt. v. 28.05.1962, RVR 1971, 15; Urt. v. 02.02.1961 – VII ZR 253/59, unveröffentlicht; Urt. v. 10.07.1961 – VII ZR 252/59, unveröffentlicht; Urt. v. 22.09. 1960, BB 1960, 1179; Urt. v. 25.03.1958, BB 1958, 524; Urt. v. 02.10.1958, NJW 1958, 1966; Urt. v. 28.10.1957, HVR-Nr. 164; Urt. v. 20.10.1955, BB 1956, 95; Urt. v. 30.06.

245 246 247 248 249 250 251 252

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1954, BB 1954, 647; Urt. v. 19.03.1956, DB 1956, 473; Urt. v. 30.01.1963, BB 1963, 448; OLG Nürnberg BB 1965, 809, VersR 1968, 298; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 14; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 33; Holling BB 1961, 994; Maier BB 1979, 500 (502). Hübsch/Hübsch WM Sonderbeilage Nr. 1/2005, S. 9. BGH ZIP 1999, 1307 (1309). BGH, Urt. v. 17.10.1991 – I ZR 248/89, WM 1992, 311; Küstner/Thume I, Rn 1930. OLG Düsseldorf BB 1969, 300; OLG Bamberg BB 1979, 1000. BGH BB 1977, 1170. OLG Köln BB 1972, 487. BGH, Urt. v. 17.10.1991 – I ZR 248/89, NJW-RR 1992, 481 = WM 1992, 311. OLG Oldenburg, Urt. v. 26.04.2006 – 8 U 206/06, Beck RS 2007, 16857 = OLGR 2008, 24. OLG Oldenburg, Urt. v. 26.04.2006 – 8 U 206/06, Beck RS 2007, 16857 = OLGR 2008, 24. OLG Oldenburg, Urt. v. 26.04.2006 – 8 U 206/06, Beck RS 2007, 16857 = OLGR 2008, 24.

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Konkurrenzverbot, Umgehung durch Angehörige: Ja 255; Konkurrenzverbot, Umgehung durch Gründung von Scheinfirmen: Ja 256; Konkurrenzverbot, Beteiligung des HV an Konkurrenzunternehmen: Ja257; Kreditschädigende Behauptungen: Kreditschädigende Behauptungen des HV: Ja 258; Kreditverkauf: Darf der HV nur gegen Barzahlung verkaufen und verkauft gegen Kredit, so bildet dies unabhängig von der Frage eines Schadenseintritts einen außerordentlichen Kündigungsgrund 259. Das gilt möglicherweise auch, wenn nur Vermittlungsvollmacht gewährt war 260; unterlassene Kundenbesuche: Ja 261; unzureichende Kundenwerbung: Ja 262; Kundenschutz: Entzug geschützter Kunden durch den Unternehmer: Ja, insbesondere falls keine Provisionen mehr gezahlt werden263; Kundenschwund: Ein üblicher Kundenschwund ohne Vernachlässigung der Betreuungspflichten des HV: Nein 264. Verliert der HV Kunden aus vom Unternehmer zu vertretenden Gründen: Ja 265 für den HV; Kündigung des Haupthändlervertrages: Meist Ja. Da sich ein Vertragspartner die rechtzeitige Selbstbelieferung vorbehalten kann, muss ein B-Händlervertrag auch außerordentlich kündbar sein, wenn dem A-Händler der Haupthändlervertrag gekündigt wird. Man wird diesen Umstand sogar als auflösende Bedingung vereinbaren dürfen (str., siehe zur Vereinbarung entspr. Klauseln in Untervertreterverträgen Rn 49). Kündigung, unberechtigte: Eine ungerechtfertigte Kündigung, insb. eine außerordentliche, berechtigt den anderen Vertragsteil zu einer fristlosen Kündigung 266. Je nach Sachverhaltsgestaltung muss der Gekündigte vorher abmahnen267, schuldet aber schon wegen der nicht bei ihm liegenden Beweislast für die Kündigungsgründe keine detaillierte Gegendarstellung; Lagerhaltung: Kümmert sich ein HV nicht um die Verwaltung eines ihm anvertrauten Auslieferungslagers und verweigert die Aufklärung von Fehlbeständen bzw. folgte dem berechtigten Verlangen des Unternehmers nach Zahlung bzw. Sicherstellung nicht: Ja 268;

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BGH, Urt. v. 03.07.1986 – I ZR 171/84, NJW 1987, 57; BGH, Urt. v. 05.10.1989 – I ZR 160/88, NJW-RR 1990, 71; Ebenroth/ Löwisch § 89a Rn 38; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 33. OLG Hamm NJW-RR 1987, 1114. Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 15. BGH, Urt. v. 05.05.1958, BGHZ 7, 20, 220 = NJW 1958, 1136; Küstner/Thume I, Rn 1932. KG, Urt. v. 14.03.1960, BB 1960, 574 = VersR 1960, 414; Küstner/Thume I, Rn 1858. Küstner/Thume I, Rn 1859. BGH, Urt. v. 27.02.1981 – I ZR 39/79, LM Nr. 16. BGH, Urt. v. 03.07.1957 – I ZR 261/55, BB 1957, 413; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 38. Küstner/Thume I, Rn 1934. Küstner/Thume I, Rn 1838.

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Küstner/Thume I, Rn 1839. BGH, Urt. v. 25.11.1998 – VIII ZR 21/97, MDR 1999, 307; BGH, Urt. v. 11.10.1990 – I ZR 6/89, NJW-RR 1991, 155; BGH, Urt. v. 30.09.1969, HVR Nr. 399; BGH, Urt. v. 14.11.1966, BB 1966, 1410 = NJW 1967, 248; BGH, Urt. v. 12.06.1963, BGHZ 40, 13 = BB 1963, 917 = NJW 1963, 2068; BGH, Urt. v. 09.07.1959, VersR 1959, 887 (888); OLG Hamburg, Urt. v. 08.03.1955, HVuHM 1955, 188; LG Stuttgart, Urt. v. 30.06.1954, BB 1955, 177; Küstner/ Thume I, Rn 1909; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 82; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 35; Schlegelberger/ Schröder § 89a Rn 19, 20. Vgl. BGH WM 1974, 867 (870); OLG Stuttgart DB 1982, 801; weitergehend Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 35. OLG Celle, Urt. v. 09.05.1958, BB 1958, 894 mit Anm. von Lüpke = HVR Nr. 179; Küstner/Thume I, Rn 1856.

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§ 89a

– Mehrfachvertretung: Die Mehrfachvertretung ist grundsätzlich zulässig, so lange der HV das Wettbewerbsverbot nicht verletzt. Wird durch die Mehrfachvertretung aber die Interessenwahrungspflicht verletzt, insbesondere durch Arbeitsüberlastung, kann hierin eine zur außerordentlichen Kündigung berechtigende Vertragsverletzung liegen269; – Meinungsverschiedenheiten: Ja 270; – Mindestumsatz: Wird berechtigt ein Mindestumsatz vereinbart, hat der HV alles zu tun, diese Verpflichtung zu erfüllen 271. Eine außerordentliche Kündigung ist aber nur zulässig, falls der HV diese Pflicht verletzt, nicht – was der Unternehmer auszuschließen hat – wenn die Zielverfehlung auf anderen Umständen beruht, etwa auf der allgemeinen Marktsituation, der Produktpalette oder auf einem Verschulden des Unternehmers 272. Entsprechend kann nicht allein die Verfehlung des Mindestumsatzes als außerordentlicher Kündigungsgrund vereinbart werden. Als Kündigungsgrund darf nur die – erhebliche – Verletzung der Bemühenspflicht vereinbart werden 273; – Mitteilung über die Übernahme weiterer Vertretungen: Nach Ansicht des OLG Düsseldorf 274 berechtigt die fehlende Mitteilung von der Übernahme weiterer Vertretungen zur außerordentlichen Kündigung. Dem ist wegen des fehlenden Verbots der Übernahme weiterer Vertretungen nur bei groben Verstößen zuzustimmen, verbunden mit einer Interessengefährdung 275; – Misserfolge, dauernde. Bloßes Nachlassen in den Verkaufsbemühungen rechtfertigt eine fristlose Kündigung noch nicht, besonders wenn es sich um einen HV handelt, der in früheren Aufbaujahren dem Unternehmer wesentliche Erfolge gebracht hatte; ggf. sind Umstände solcher Art bei der Bemessung eines Ausgleichsanspruchs im Rahmen der Billigkeit nach § 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 zu berücksichtigen. Ein Kündigungsgrund liegt in dem Nachlassen erst dann, wenn die Vernachlässigung der vom HV geschuldeten Bemühungen einen anhaltenden und schweren Grad erreicht hat 276; – Muster: Die Veruntreuung von Musterkollektionen oder Musterkoffer: Ja 277; – Nachrichtspflicht: Verletzung der Nachrichtspflicht durch den HV: Ja 278; – Nachlassende Arbeitskraft des HV: Handelt es sich um eine andauernde Vernachlässigung der geschuldeten Bemühungen: Ja 279. Allerdings muss der Unternehmer übliche Alterserscheinungen respektieren, insbesondere sofern der HV viele Jahre für das vertretene Unternehmen tätig war 280;

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Küstner/Thume I, Rn 1937. LG Düsseldorf VersR 1964, 1097. Küstner/Thume I, Rn 1938. Holling BB 1961, 994 (995); Küstner/Thume I, Rn 1938; vgl. BGH, Urt. v. 12.03.1992 – I ZR 117/90, NJW-RR 1992, 1059 (1060); BGH, Urt. v. 15.12.1993 – VIII ZR 157/92, NJW 1994, 722; RGZ 65, 86 (90); OLG Nürnberg BB 1964, 866; OLG Karlsruhe BB 1971, 888; OLG Düsseldorf OLGR 2000, 354. OLG Karlsruhe BB 1971, 888. In vielen europäischen Ländern, etwa Italien, Griechenland und den Niederlanden, wäre eine solche Klausel zulässig. Ihre Verletzung

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führt aber nicht ohne Verschulden zum Ausgleichsausschluss. OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.02.1969, BB 1969, 330 = DB 1969, 435. Küstner/Thume I, Rn 1867. OLG Stuttgart BB 1960, 956. OLG Nürnberg, Urt. v. 05.02.1965, BB 1965, 688 = VersR 1965, 760; Küstner/ Thume I, Rn 1942. Küstner/Thume I, Rn 1939. OLG Stuttgart, Urt. v. 09.06.1960, BB 1960, 956; Küstner/Thume I, Rn 1943; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 10. OLG Karlsruhe, Urt. v. 11.04.1957, BB 1957, 561; Küstner/Thume I, Rn 1943.

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– Nebentätigkeit: Außerordentliche Kündigung nur bei Vernachlässigung der Pflichten des HV zulässig 281; – unzulässige Nebentätigkeiten des HV: Ja 282; – Nichtabführung kassierter Gelder: Ja 283; – Nichtabführung vereinnahmter Gelder: Darf der HV von vereinnahmten Geldern seine Provision abziehen und kommt es wiederholt zu Unstimmigkeiten, kann eine außerordentliche Kündigung wirksam sein 284; – Nichteinräumen und Nichtentschuldigung von Fehlverhalten: Ja 285; – Nichterreichung vorgegebener Umsätze: Einseitige Sollvorgaben des Unternehmers braucht der HV nicht zu erfüllen. Das Verfehlen der Sollangaben bildet daher keinen wichtigen Kündigungsgrund 286, es sei denn, es liegt eine Pflichtverletzung vor287. Insbesondere berechtigt die Klausel, ein wichtiger Grund sei gegeben, wenn der HV die Richtumsätze nicht erreiche und auf Abmahnung nicht nachweise, dass ihn ein Verschulden hieran nicht treffe, nicht zur Kündigung, da diese Klausel mit Treu und Glauben unvereinbar und der Beweis nicht zu führen sei 288; – Nichtvertrieb neuer Produkte durch HV: Ja 289; – Politische Betätigung: Im Allgemeinen: Nein, es sei denn, im Einzelfall erkennbar unverträglich mit dem Vertrieb; – Pflichtwidrigkeiten des HV 290: Pflichtwidrigkeiten des HV, die ernstliches Misstrauen gegen seine Zuverlässigkeit aufkommen lassen: Ja; – Preisausschreiben: Versendet ein HV unter fettgedruckter Herausstellung seiner Kooperation mit der von ihm vertretenen Bausparkasse ohne deren Zustimmung Werbeschreiben an Kunden, mit welchen jenen vorgespiegelt wird, sie hätten im Rahmen eines Preisausschreibens Grundbesitz gewonnen: Ja 291; – Preisunterbietung: Der HV kann außerordentlich kündigen, wenn der Unternehmer andere Vertriebsmittler zur Belieferung von Stammkunden des HV günstiger beliefert 292. Es kommt aber auf die Umstände des Einzelfalls an; Differenzierungen können angemessen sein, soweit kein Gleichbehandlungsgebot eingreift; – Provisionsgarantie: Übersteigen die Garantiezahlungen an den HV die tatsächlich fälligen Provisionen, berechtigt dies regelmäßig nicht zur außerordentlichen Kündigung durch den Unternehmer 293;

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Küstner/Thume I, Rn 1944. OLG Stuttgart BB 1960, 956; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 19; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 41. RG, Urt. v. 16.05.1939, WarnRspr. 1939, 2367 Nr. 119; OLG Stuttgart DB 1962, 405; OLG Köln VersR 1971, 1171; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 41; Küstner/Thume I, Rn 1945. OLG Hamburg, Urt. v. 08.12.1982, Tankstelle 1983, 176; LG Bochum, Urt. v. 05.05. 1982 – 3 O 66/82, auszugsweise abgedruckt in Tankstelle 1982, 478. BGH, Urt. v. 07.07.1978 – I ZR 126/76, EBE 1978, 317 (319). OLG Nürnberg, Urt. v. 28.02.1964, BB 1964, 866; Küstner/Thume I, Rn 1947.

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Küstner/Thume I, Rn 1978. OLG Karlsruhe, Urt. v. 01.12.1970, BB 1971, 888 = DB 1971, 572; Küstner/ Thume I, Rn 1949. BGH LM Nr. 16. OLG Nürnberg, Urt. v. 15.03.1960, BB 1960, 956 = VersR 1960, 904. OLG Köln, Urt. v. 20.10.2000 – 19 U 86/00, VersR 2001, 1023 = NJW-aktuell 2/2001, VIII = EWiR 2001, 121 (Emde) = NJW-RR 2001, 820. Abmahnung nicht erforderlich. BGH, Urt. v. 11.06.1959, BB 1959, 720 = MDR 1959, 911; Küstner/Thume I, Rn 1955. AA RG Urt. v. 18.12.1919, Recht 1920, 2535; OLG Hamburg, LZ 1909, 3475; Küstner/Thume I, Rn 1959.

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– Einseitige Provisionsherabsetzung: Ja 294. Ist der HV nicht bereit, weitere Kürzungen zu akzeptieren, obwohl er dies in einem Einzelfall getan hat, ergibt sich daraus kein Kündigungsrecht des Unternehmers 295; – Teilweise Provisionszahlungen: Lediglich Teilauszahlungen der Provision: Ja 296; – Qualifikation des HV: Mangelnde Qualifikation des HV und daraus folgende Überforderung: Ja 297; – Qualität der Waren: Lieferung qualitativ minderwertiger Waren ohne Grund: Ja 298. Über die voraussichtliche Lieferung solche Waren muss der Unternehmer den HV informieren299; – Rechtsformwechsel einer HV-GmbH: Regelm. Nein300; – Falsche Reisekostenabrechnung: Ja301; – Reisetätigkeit: Fortgesetzte Verletzung berechtigt festgelegter Tourenpläne durch den HV: Ja302. Unrichtige Angaben über die Reisetätigkeit durch den HV: Ja303; – Mangelnde Reisetätigkeit: Ja304; – Schadensregulierungsvollmacht: Verletzung der Schadensregulierungsvollmacht: Ja305. Dies gilt etwa bei einer falschen Bewertung des Schadens306. Der Widerruf einer Schadensregulierungsvollmacht durch den Unternehmer berechtigt den HV nur dann zur außerordentlichen Kündigung, wenn zum Widerruf kein Recht bestand. Das ist bei Fehlen einer den Widerruf gestattenden Bestimmung der Fall, falls die Vollmacht zu den wesentlichen Bestandteilen des Vertrages gehört 307. Wird die Regulierungsvollmacht widerrufen, fehlt eine zum Ausgleich verpflichtende Vertragsbeendigung 308; – Schleppende Provisionszahlung: Ja309; – Schulungen: Weigerung des Mittlers vertraglich versprochene Schulungen seiner Mitarbeiter durchführen zu lassen: Ja310; – anhaltende Schlechtlieferungen, auf dessen Absatz sich der HV-Vertrag bezieht 311: Ja für den HV; 294

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BGH, Urt. v. 01.10.1970 – VII ZR 171/68, WM 1970, 1513; BGH, Urt. v. 17.10.1991 – I ZR 248/89, NJW-RR 1922, 481; OLG Stuttgart BB 1960, 956; Küstner/Thume I, Rn 1960; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 89a Rn 56. OLG Stuttgart, Urt. v. 09.06.1960, BB 1960, 956 = HVR Nr. 296; Küstner/Thume I, Rn 1961. BGH, Urt. v. 01.10.1970, WM 1970, 1513; OLG Hamburg, Urt. v. 21.10.1903, OLGR 7, 385. Küstner/Thume I, Rn 1965. Küstner/Thume I, Rn 1966. BGH, Urt. v. 12.12.1957, BGHZ 26, 161 = BB 1958, 60 = NJW 1958, 219; OLG Celle, Urt. v. 29.11.1961, DB 1962, 94; Küstner/ Thume I, Rn 1966. BGH, Urt. v. 07.12.1977 – VIII ZR 214/75, BB 1978, 982; LG Hamburg NJW-RR 1989, 995; Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 120 ff; Emde GmbHR 1999, 1005 (1017). Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 38; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 44.

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LG Lüneburg, Urt. v. 21.12.1954, BB 1955, 298; Küstner/Thume I, Rn 1967. ArbG Düsseldorf, Urt. v. 04.01.1938, NZ 1938, 202; Küstner/Thume I, Rn 1968. BGH, Urt. v. 30.06.1954 – II ZR 26/53, LM § 89a HGB Nr. 1. Küstner/Thume I, Rn 1970. RG, Urt. v. 18.02.1930, LZ 1930, 1084. Küstner/Thume I, Rn 1971. AA LG Stuttgart, Urt. v. 21.01.1972, VersVerm. 1971, 260. BGH, Urt. v. 16.04.1959, HVR Nr. 211; BGH, Urt. v. 16.02.1989 – I ZR 185/87, NJW-RR 1989, 862; LG Kaiserslautern, Urt. v. 14.01.1955, HVR Nr. 81; Küstner/Thume I, Rn 1964; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 56. Westphal Vertriebsrecht II, Rn 621. RGZ 65, 86 (90); BGH, Urt. v. 06.02.1986 – I ZR 92/84, WM 1986, 622; BGH, Urt. v. 12.12.1957 – II ZR 52/56, BB 1958, 60; OLG Celle DB 1962, 94; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 47.

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– Sexuelle Belästigung durch den HV: Ja312; – Sitzverlegung: Sitzverlegung eines Schlüsselkunden des HV: Ja, Kündigungsgrund für den HV 313; – Systemgrundsätze, Verletzung durch den Franchisenehmer: Ja. Allerdings wird eine Abmahnung vorauszusetzen sein314; – Systemfreier Zweitbetrieb eines Franchisenehmers: Ja. Diese Verletzung des Wettbewerbsverbots durch einen Franchisenehmer stellt regelmäßig einen wichtigen Kündigungsgrund dar 315; – Falsche Spesenabrechnungen 316: Ja; – Strafbares Verhalten: Ja317, auch wenn außerdienstlich zum Nachteil des Unternehmers 318; – Bedrohliche und alarmierende Stornierung der Verträge: Ja319; – Tätigkeitseinstellung: Ja320; – Täuschung des HV: Wird der HV über zu erwartende Umsätze im Vertragsgebiet getäuscht, etwa indem fälschlicherweise ein guter Kundenstamm zugesichert wird, ergibt sich hieraus ein außerordentliches Kündigungsrecht 321; – Teilkündigung: Unberechtigte Teilkündigung des Vertrages: Ja322; – Private Telefongespräche durch den HV: Ja323; – unberechtigtes Führen von Titeln und Berufsbezeichnungen324: Ja; – Tod des Unternehmer: Ja, für den HV, wenn die Person des Unternehmers wesentlich war 325. Für die Erben des Unternehmers: Ja, falls sie nicht bereit oder in der Lage sind, das vom HV vertretene Unternehmen fortzuführen326; – ständige Trunkenheit: Ja327; – Übermaßweisung des Unternehmers: Ja, für den HV 328; – Überschuldung des HV: Verschuldung des HV dergestalt, dass sich dies auf seine Vertragspflichten auswirkt, etwa Unfähigkeit zur Reisetätigkeit: Ja329. Ein verschuldeter HV ist nur dann verpflichtet, seine Schulden dem Unternehmer auf dessen Fragen bekannt zu geben, wenn die Verschuldung die Interessen des Unternehmers berührt 330; 312 313 314

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RG, Urt. v. 03.12.1929, LZ 1930, 658; Küstner/Thume I, Rn 1975. Küstner/Thume I, Rn 2043. BGH, Urt. v. 03.10.1984, NJW 1985, 1894 ff = ZIP 1984, 1494; Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 360. Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 354. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 38. BGH, Urt. v. 09.07.1959 – II ZR 48/58, VersR 1959, 887; Heymann/Sonnenschein/ Weitemeyer § 89a Rn 20; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 45. KG, Urt. v. 22.01.1999 – 14 U 4581/97, NJW-RR 2000, 1566. BGH NJW-RR 1999, 539 = EWiR 1999, 611 (Emde). BGH, Urt. v. 06.10.1983 – I ZR 127/81, WM 1983, 1416; OLG Stuttgart DB 1982, 800 (801). OLG Nürnberg, Urt. v. 09.02.1956, BB 1956, 352 = HVR Nr. 153; Küstner/ Thume I, Rn 1981.

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Küstner/Thume I, Rn 1982. Küstner/Thume I, Rn 1983. OLG Hamburg BB 1960, 1300; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 44. Küstner/Thume I, Rn 1987. RG, Urt. v. 10.06.1922, JW 1924, 177 mit ablehnender Anm. Titze; Küstner/Thume I, Rn 1988. OLG Celle, Urt. v. 11.02.1961, VersR 1961, 507; Küstner/Thume I, Rn 1989; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 42, und zwar nicht nur, wenn der HV seine Pflichten nicht mehr erfüllen kann. BGH, Urt. v. 16.04.1959, HVR Nr. 211, OLG Celle, Urt. v. 26.01.1961, DB 1961, 369; Küstner/Thume I, Rn 2041. Küstner/Thume I, Rn 2016. OLG Nürnberg, Urt. v. 15.03.1960, DB 1960, 956 = VersR 1960, 904; OLG Hamburg, Urt. v. 21.09.1962, VersR 1963, 278 (279); Küstner/Thume I, Rn 2018.

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– Übertreiben von Bestellungen: Wiederholte Angabe einer größeren Anzahl von Bestellungen, als tatsächlich vom Kunden aufgegeben worden sind: Ja331; – Umsatzrückgang, der auf einer Pflichtverletzung des HV beruht, stellt einen wichtigen Kündigungsgrund dar 332. Für das schuldhafte Verhalten des HV ist der Unternehmer beweispflichtig 333. Nimmt der Unternehmer zunächst andere Maßnahmen vor, um den Umsatz zu stabilisieren, etwa den Vertreterbezirk zu verkleinern, kann eine außerordentliche Kündigung ausgeschlossen sein334. Der Umsatzrückgang darf nicht lediglich geringfügig sein335; – Umsatzsteigerung, mangelnde: Nur bei Pflichtverletzung 336; – Umsatzvergleich zu anderen Vertriebsmittlern: geringerer Kopfumsatz als in anderen Bezirken: Nein337, erst eine Pflichtverletzung gibt ein Kündigungsrecht; – Umstellungsfrist: Eine Frist von sechs Tagen zur übergangslosen Einstellung einer jahrelang geübten Kreditierungspraxis des Mineralölunternehmens ist zu kurz bemessen338. Sofern ein Verhalten jahrelang geduldet wurde kann eine fristlose Kündigung nicht auf den Verstoß gegen eine erstmalig anderslautende Weisung gestützt werden 339; – unangemessenes Auftreten: Ja 340; – Unberechtigte Klagerhebung: In der Regel Nein, jedoch kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an 341; – Unberechtigte Vorwürfe (hier Unterschlagung von Musterkoffern): Ja342. Unberechtigte Vorwürfe gegen den HV von dritter Seite: Ja, wenn damit eine Gefährdung der eigenen Lage verbunden ist 343; – nachhaltiger Ungehorsam gegenüber Weisungen des Unternehmers: Ja 344; – Unhöflichkeiten: Nein345, sofern nicht die Schwelle zur Beleidigung überschritten ist; – unreelles Gebahren gegenüber dem HV, z.B. hinsichtlich der Auszüge nach § 87c: Ja; – Unrentabilität des Franchisebetriebs: Nein für Franchisegeber 346. Ein Kündigungsrecht besteht nur, wenn der Franchisenehmer das Potenzial des Betriebs bewusst nicht aus331

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BGH, Urt. v. 21.11.1980, DB 1981, 987 = VersR 1981, 190 = WM 1981, 172; Küstner/ Thume I, Rn 2010. BGH, Urt. v. 18.02.1982 – I ZR 20/80, WM 1982, 632; BGH EBE 2000, 109 (110); BGH, Urt. v. 04.07.1960, VersR 1960, 707; BGH, Urt. v. 20.02.1958 – II ZR 20/57, BB 1958, 894; OLG Karlsruhe, Urt. v. 01.12. 1970, BB 1971, 888 = BB 1971, 572; v. 25.02.1977, HVR Nr. 505; OLG Köln, Urt. v. 04.03.1970, VersR 1971, 372; OLG Nürnberg, Urt. v. 28.02.1963, BB 1963, 447; OLG Stuttgart, Urt. v. 09.06.1960, BB 1960, 956 = HVR Nr. 296; LG Stuttgart, Urt. v. 19.04.1968, HVR Nr. 378; LG Essen, Urt. v. 22.04.1952, HVR Nr. 27; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 19; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 41; Holling BB 1961, 995. OLG Nürnberg, Urt. v. 28.02.1963, BB 1963, 447. OLG Nürnberg, Urt. v. 28.02.1963, BB 1963, 447. OLG Karlsruhe, Urt. v. 28.10.1975, HVR Nr. 495.

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BGH, Urt. v. 29.03.1990 – I ZR 2/89, ZIP 1990, 1197 (1198). OLG Celle, Urt. v. 08.10.1958, HVR Nr. 217. KG, Urt. v. 21.05.2007 – 23 U 87/05. KG, Urt. v. 21.05.2007 – 23 U 87/05. OLG Hamburg DB 1960, 1451. Bejaht von OLG Celle BB 1973, 711; siehe auch Hopt § 89a Rn 17. OLG Nürnberg, Urt. v. 05.02.1965, BB 1965, 688 = VersR 1965, 760. BGH, Urt. v. 24.03.1959, BB 1959, 540 = HVR Nr. 208, mit der zweifelhaften Feststellung, es bestehe keine Pflicht des Arbeitgebers sich schützend vor seine Arbeitnehmer zu stellen. OLG Stuttgart, Urt. v. 09.06.1960, BB 1960, 956. OLG Stuttgart, Urt. v. 09.06.1960, BB 1960, 956; RG, Urt. v. 22.01.1919, JW 1919, 504 m. Anm. Titze, OLG Hamburg, Urt. v. 07.07. 1903, OLGR 7, 385. Billing WM 2007, 245 (251).

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schöpft und damit seine Absatzförderungspflicht nachhaltig schuldhaft verletzt 347. Fehlender wirtschaftlicher Erfolg stellt angesichts der Betriebsführungspflicht des Franchisenehmers auch keinen wichtigen Grund zur außerordentl. Kündigung durch den Franchisenehmer dar. Der Betrieb eines dauerhaft unwirtschaftlichen Unternehmens ist vom Franchisenehmer jedoch nicht zu verlangen348. Dies gilt jedenfalls, wenn die Laufzeit des Franchisevertrages zwanzig Jahre beträgt; Untätigkeit des HV: Ja 349; Unterlagen: Verletzt der Unternehmer seine aus § 86a folgende Bereitstellungspflicht, kann dies ein außerordentliches Kündigungsrecht geben, zumindest bei beharrlicher Verletzung 350; Unterlassene Information über Änderungen der Unternehmensstruktur, etwa falls sie die Haftungsstruktur des Mittlers nachhaltig berühren: Ja351. Dies mag zum Beispiel bei der Umwandlung eines einzelkaufmännischen Betriebes in eine Kapitalgesellschaft der Fall sein352. Gleiches gilt, wenn es dem Unternehmer erkennbar auf den Vertragsschluss mit einer natürlichen Person ankam und er der Umwandlung nicht zustimmt 353; Unterrichtungspflicht: Mangelnde Unterrichtung über eine Tätigkeit für andere Unternehmer sofern dies vereinbart oder ausnahmsweise wegen der Beeinträchtigung der Unternehmerinteressen gefordert war: Ja354; Unterschrift: Unberechtigte Unterschriftsleistung: Ja, zumindest wenn dem Unternehmen ein Festhalten am Vertrag unzumutbar ist 355; Unterschriftsfälschung einer Kundenunterschrift: Ja, selbst wenn der wirtschaftliche Vorteil sehr gering ist und der HV langjährig ohne Beanstandungen tätig war. Die Kündigung muss innerhalb angemessener Zeit seit Kenntnis der maßgeblichen Umstände erklärt werden 356; Untervertreter: Mangelnde Erfüllung des HV beim Einsatz von Untervertretern: Ja357; Längerfristiges Unvermögen zur Vertragserfüllung, etwa aufgrund langfristiger Berufs- oder Arbeitsunfähigkeit des HV oder Betriebseinstellung des Unternehmers: Nein, wenn diese Tatsache länger voraussehbar war und durch rechtzeitige ordentliche Kündigung zu vermeiden gewesen wäre 358. Ja vor allem bei unvermittelt ein-

347 348 349

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Billing WM 2007, 245 (251); Martinek/ Habermeier § 25 Rn 22. Billing WM 2007, 245 (251). BGH, Urt. v. 27.02.1981 – I ZR 39/79, DB 1981, 1772; OLG Düsseldorf, Urt. v. 11.09. 1981, HVR Nr. 538; OLG Frankfurt DB 1967, 329; OLG Hamm, Urt. v. 03.11.1958, BB 1959, 682 = NJW 1959, 677; OLG Stuttgart, Urt. v. 22.05.1970, BB 1970, 1112; BGH, Urt. v. 09.04.1964, BGHZ 41, 292 = NJW 1964, 1622; Küstner/Thume I, Rn 1995; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 19. Küstner/Thume I, Rn 1865; Schlegelberger/ Schröder § 89a Rn 11. BGH BB 1978, 982; Westphal Vertriebsrecht II, Rn 608. Westphal Vertriebsrecht II, Rn 680. LG Göttingen, Urt. v. 21.03.2007 – 5 O 247/06, VersR 2007, 1696.

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Küstner/Thume I, Rn 2000. OLG Frankfurt, Urt. v. 24.10.1990, VersR 1992; Küstner/Thume I, Rn 2002. OLG München, Urt. v. 01.07.2003 – 23 U 1637/03, VersR 2004, 470. Die Kündigung lässt den Ausgleich gem. § 89b Abs. 3 S. 2 entfallen. OLG Frankfurt, Urt. v. 13.05.1960, BB 1960, 1300; Küstner/Thume I, Rn 2003. BGH, Urt. v. 30.01.1986 – I ZR 185/83, NJW 1986, 1931; BGH, Urt. v. 07.02.1974 – VII ZR 93/73, WM 1974, 351, 352; OLG Dresden ZIP 1996, 73; OLG Düsseldorf OLGR 2000, 246; Ende BB 1996, 2260 f; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 32; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 11; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 51, 55; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 1c.

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tretenden Umständen, z.B. nach plötzlicher Erkrankung des HV, Zerstörung des Betriebs 359; Unwahre Angaben: Verbreitet der HV unwahre Angaben über das vertriebene Produkt: Ja 360: Auch ein einmaliger Zwischenfall kann für die Zerstörung des als Grundlage als Vertrages notwendigen Vertrauensverhältnisses ohne Abmahnung ausreichend sein 361; Unzuverlässigkeit des HV, wenn sie das Vertrauen des Unternehmers nachhaltig erschüttert 362. Beispiele: weder auf die vertraglichen noch auf die außervertraglichen Zusicherungen des HV ist Verlass; etwa falls der Generalvertreter einer Versicherungsgesellschaft nachträglich hervorgetretene Tatsachen nicht mitteilt, die die Versicherungsleistung gemindert hätten 363, und dies, obwohl eine Rückforderung des Zuvielgezahlten noch möglich gewesen wäre; Nichterfüllung wiederholter Zusagen in einem wenngleich langjährigen Vertrauensverhältnis 364; Zerstörung des Vertrauensverhältnisses durch einmalige Unwahrhaftigkeit des Generalvertreters, dem durch einen für unbeschränkte Dauer geschlossenen Vertrag der Generalvertrieb eines Artikels „unwiderruflich“ übertragen war 365; Verkauf der Handelsvertretung: Ein Asset-Deal des HV, mit welchem er sein Unternehmen veräußert, berechtigt zur fristlosen Kündigung, sofern der HV danach nicht mehr zur Vertragserfüllung im Stande ist 366. Dies gilt insbesondere, wenn Dritten hierdurch ohne Zustimmung des Unternehmers dessen Geheimnisse zugänglich werden. Bei einem share-deal bleibt der Vertrag mit der Gesellschaft, deren Anteile veräußert wurden, bestehen. Ein außerordentliches Kündigungsrecht des Unternehmers besteht in jener Situation nur bei Interessengefährdung, etwa nach Ausscheiden von Schlüsselpersonen oder Unzumutbarkeit des neuen Gesellschafters, z.B. bei einem Verkauf an einen Wettbewerber; Vermittlung kreditunwürdiger Kunden: Ja367; Vermögensverfall einer Vertragspartei 368: Ja; Vertragsverletzung bei unklaren Vertragsklauseln: Nein369; Verwaltungstätigkeit: Weigerung des HV zu vertraglich vorgesehenen Verwaltungstätigkeiten (Inkasso, Schadensregulierung, Ausarbeitung von Angeboten, Regaldienst): Ja 370; Vollmachtsüberschreitung durch den HV: Ja 371;

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OLG Düsseldorf OLGR 2000, 246; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 32; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 51, 55; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 10c. BGH, Urt. v. 20.10.1955 – II ZR 75/54, DB 1956, 136; BGH, Urt. v. 05.10.1989 – I ZR 160/88, NJW-RR 1990, 171; RG, Urt. v. 16.02.1932, JW 1937, 1311 m. Anm. Barz; Küstner/Thume I, Rn 2004; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 18. RG, Urt. v. 16.02.1937, JW 1937, 1311. BGH DB 1956, 136. RG HRR 1930, Nr. 1035. KG IRPV 1936, 283. RG, Urt. v. 16.02.1937, JW 1937, 131110. OLG Hamburg, Urt. v. 21.09.1962, DB

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1962, 1663 = VersR 1963, 278; Küstner/ Thume I, Rn 1903. BGH, Urt. v. 14.03.1960 – II ZR 79/58, BB 1960, 574; OLG Karlsruhe DB 1969, 741. BGH, Urt. v. 03.05.1995 – VIII ZR 95/94, BGHZ 129, 290 (295) = ZIP 1995, 1001 (1003); OLG Dresden ZIP 1996, 73 = EWiR 1996, 1133 (v. Manteuffel/Evers); OLG Saarbrücken NJW-RR 1998, 1191; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 33; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 47, 55. OLG München, HVR Nr. 699; Hopt § 89a Rn 18. Küstner/Thume I, Rn 2023. Küstner/Thume I, Rn 2024.

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– Vorbereitung weiterer Tätigkeit: Suche und Abschluss eines Nachfolgevertrages: Nein372. Auch ein Verhandeln mit der Berufsorganisation über den Neuvertrag ist hinzunehmen373. Der HV darf Vorbereitungshandlungen für eine Nachfolgevertretung vornehmen. Dies setzt aber voraus, dass es bei Vorbereitungshandlungen bleibt. Die probeweise Vermittlung von Produkten ist ein zur Kündigung berechtigender Verstoß gegen das Wettbewerbsverbot 374; – Vorkasse, Bestehen des Unternehmers auf 375: Möglicherweise Ja; – Vorstrafen des HV: Ja, wenn die Möglichkeit nahe liegt, dass der HV im Rahmen seiner Tätigkeit Versuchungen ausgesetzt ist, die zu neuen Straftaten führen376 oder ein vorbestrafter HV nicht akzeptabel ist. Die Vorstrafen dürfen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht bekannt gewesen sein. Eine rechtskräftige Verurteilung des zu Kündigenden wegen der Tat, die den Kündigungsgrund darstellen soll, bindet das Zivilgericht nicht (§ 14 Abs. 2 Nr. 1 EGZPO)377. Die Frage der Bindungswirkung stellt sich nicht, falls die Tatsache der Verurteilung bereits die Kündigung rechtfertigen kann378; – Vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit: Wahrheitswidrige Behauptung der Arbeitsunfähigkeit: Ja379; – Vorvertragliche Umstände: Ja, wenn sie dem Kündigenden bei Vertragsschluss unbekannt waren und einen wichtigen Grund bilden 380; – Verletzung der Aufklärungspflicht über vorvertragliche Umstände: Fehlende Aufklärung durch den HV über vertragsrelevante vorvertragliche Umstände: Ja381; – Verluste des Unternehmers ohne durch den HV verschuldeten Umsatzrückgang: Ja, wenn die Kündigung notwendig ist, um den Fortbestand des Unternehmens zu sichern 382. Entscheidend ist allein, wie sich die wirtschaftliche Lage und ihre Weiterentwicklung bei vernünftiger Betrachtung im Zeitpunkt der Kündigung darstellt 383. Der wirtschaftliche Niedergang kann nicht erst dann berücksichtigt werden, wenn Vermögen und Kredit verbraucht sind und die Schließung des Betriebs des Unternehmens erforderlich wäre 384. Der HV muss sich am Risiko des geschäftlichen Niedergangs beteiligen lassen; – Vernachlässigung von Pflichten: Ja 385;

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BGH, Urt. v. 20.06.1968 – VII ZR 12/66, nicht veröffentlicht; Küstner/Thume I, Rn 2019; OLG Nürnberg, Urt. v. 27.05. 1958, HVR Nr. 160; Küstner/Thume I, Rn 2026. Küstner/Thume I, Rn 2027. Küstner/Thume I, Rn 2028. OLG Düsseldorf OLGR 1997, 111. RG, Urt. v. 03.12.1929, LZ 1930, 658, das einen strengen Maßstab anlegen will; RG, Urt. v. 26.09.1924, LZ 1925, 1275; Küstner/ Thume I, Rn 2029. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 65. BAG, Urt. v. 08.06.2000 – 2 ABR 1/00, ZIP 2000, 2265; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 65. Küstner/Thume I, Rn 2031. Westphal Vertriebsrecht II, Rn 596.

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Küstner/Thume I, Rn 2032. BGH, Urt. v. 20.02.1958, BB 1958, 894 = VersR 1958, 243; RG, Urt. v. 09.03.1933 WarnRsp. 1933 Nr. 79; RG, Urt. v. 13.12.1911, WarnRspr. 1912 Nr. 121; OLG München, Urt. v. 05.01.1914, LZ 1914, 1055; RG, Urt. v. 09.03.1933, HRR 1933 Nr. 833; RG, Urt. v. 02.12.1910, JW 1912, 158; RG, Urt. v. 18.12.1919 Recht 1920 Nr. 2535; Küstner/Thume I, Rn 2013. Küstner/Thume I, Rn 2014. BGH, Urt. v. 20.02.1958, BB 1958, 894 = VersR 1958, 243. BGH, Urt. v. 18.02.1982 – I ZR 20/80, WM 1982, 632; OLG Celle NdsRPfleger 1959, 109 (110); Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 19; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 41.

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§ 89a

– Verschmelzung: Eine Verschmelzung kann dem Vertragspartner einen außerordentlichen Kündigungsgrund geben, etwa bei Veränderung des Verkaufsprogramms oder falls der Verschmelzungspartner bereits eine Außendienstorganisation besitzt 386 (regelmäßig ist aber Vertragstreue gefordert; erst ordentliche Kündigung, dann Verschmelzung); – Verwahrung von Fremdgeldern: Ist dem HV Inkassovollmacht erteilt worden, so muss er Fremdgelder gesondert aufbewahren, ohne sie mit fremdem oder eigenem Geld zu vermischen 387. Sie müssen der Verfügungsbefugnis unbefugter Dritter entzogen werden 388. Verletzung dieser Pflichten: Ja389; – Verschlechterung der Vermögensverhältnisse: Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des HV: Ja, soweit sie die Vertragsausführung berührt 390; – Verschlechterung der Ware des Unternehmers: Ja391 wenn erheblich; – Verschweigen von Konkurrenztätigkeit: Leugnen eines verbotenen Wettbewerbsgeschäftes: Ja392; – Vertretertreffen: Vertretertreffen ohne Beteiligung des Unternehmers: Nein393; – Verwaltung eines Treuhand-Fonds: Ja, falls der Franchisegeber bei seiner Verwaltung über einen längeren Zeitraum von den Regelungen des Franchisevertrages zum Nachteil des Franchisenehmers abweicht und dies vor dem Franchisenehmer verheimlicht394; – Wegfall wichtiger Kunden: U.U. Ja 395, insbesondere eines existenziell wichtigen Kunden396. Ein etwa vorhandener Ersatzkunde schließt dieses Recht nicht aus, wenn völlig offen ist, ob er die Produkte des neuen Lieferanten akzeptiert und sie im vergleichbaren Umfang wie bisher ordert 397; – Nichtbefolgung zulässiger Weisungen: Ja 398; – Weisungsrecht: Ein übermäßig stark ausgeübtes Weisungsrecht, welches die Tätigkeit des HV wesentlich erschwert, kann den HV zur fristlosen Kündigung des Vertrages und Schadensersatz berechtigen 399; – Weisungswidrige Annahme von Kundenaufträgen durch den HV: Ja 400;

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Küstner/Thume I, Rn 1912. Küstner/Thume I, Rn 1851. Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 54a; LG Frankfurt am Main, Urteil v. 30.03.1976 – 3/4 HKO 224/75 zur Verwahrungspflicht des Tankstellenhalters; Küstner/Thume I, Rn 1851. OLG Celle, Urt. v. 09.05.1958, BB 1958, 894 m. Anm. von Lüpke = HVR Nr. 179; Küstner/Thume I, Rn 1852. RG, Urt. v. 22.11.1918, LZ 1919, 375; ROHG, Urt. v. 17.06.1871, ROHGE 2, 436; Küstner/Thume I, Rn 1924; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 47; Hopt § 89 Rn 20. BGH, Urt. v. 03.03.1993 – VIII ZR 101/92, BGHZ 122, 9 = NJW 1993, 1386. BGH, Urt. v. 20.10.1955, BB 1956, 95 = DB 1956, 136. Küstner/Thume I, Rn 2036. OLG München, Urt. v. 25.08.2005 – 6 U 4084/04, DB 2006, 554.

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BGH, Urt. v. 20.03.1981 – I ZR 12/79, DB 1981, 2274; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 58. OLG Köln, Urt. v. 09.08.2002 – 19 U 59/02, VersR 2003, 642. OLG Köln, Urt. v. 09.08.2002 – 19 U 59/02, VersR 2003, 642. BGH, Urt. v. 27.02.1981 – I ZR 39/79, DB 1981, 1772; BGH, Urt. v. 04.06.1986 – I ZR 161/84, VersR 1986, 1072; BGH, Urt. v. 21.01.1993 – I ZR 23/91, NJW-RR 1993, 741; OLG Nürnberg MDR 1974, 144; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 17; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 89a Rn 38, 39. BGH, Urt. v. 16.04.1959, HVR Nr. 211; Küstner/Thume I, Rn 1898; Schlegelberger/ Schröder § 86 Rn 32. BGH, Urt. v. 14.03.1960 – II ZR 79/58, VersR 1960, 414; BGH, Urt. v. 21.01.1993 – I ZR 23/91, NJW-RR 1993, 741.

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– Weisungswidriges Unterzeichnen von Auftragsannahmeformularen: Ja 401; – Werkspionage: Ausforschung von Betriebsgeheimnissen des Unternehmers: Ja 402; – Wettbewerbsverbot, Information: Der HV soll angeblich seine Intention, nach Vertragsende für einen Wettbewerber des Unternehmers tätig zu werden, offenbaren müssen403. Der Unternehmer solle die Möglichkeit haben, den Einsatz des HV während der Kündigungsfrist so zu gestalten, dass ihm kein Schaden entsteht. Je nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere bei langer Kündigungsfrist, soll die Verletzung der Offenbarungspflicht einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen 404 (zwh.); – Wettbewerb durch Gesellschafter einer HV-GmbH: Ja, falls die Gesellschaft möglichen Einfluss unterlässt 405, zudem bei Schädigungsgefahr und Schädigungswahrscheinlichkeit 406; – Wettbewerbsverstoß des HV nach unberechtigter Kündigung durch Unternehmer: Die Prüfung, ob der Unternehmer hier kündigen darf oder eine Kündigung durch Treu und Glauben ausgeschlossen ist, hat unter Berücksichtigung aller Einzelfallmomente zu erfolgen 407; – willkürliche Untersagung der Tätigkeit des HV: Ja; – Zahlungsschwierigkeiten: Wahrheitswidrige Behauptung von Zahlungsschwierigkeiten des Unternehmers durch den HV: Ja408; – Zentralinkasso: Übergang vom Vertreterinkasso zum Zentralinkasso: regelmäßig Nein, es sei denn, der HV war vertraglich zum Inkasso berechtigt 409; – Zerstörung des Vertrauensverhältnisses: Ja 410; – Zurückbehaltungsrecht: Zulässige Vornahme des ZBR durch den HV: Nein 411. Dies gilt auch dann, wenn die Ware, an der das ZBR ausgeübt wird, nicht verkauft werden kann 412; – Zusatzvertretung, genehmigungspflichtige: Nichteinholung der vertraglich erforderlichen Genehmigung durch den HV: Ja 413.

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BGH, Urt. v. 04.06.1986 – I ZR 161/84, VersR 1986, 1072; OLG Frankfurt VersR 1992, 492. BGH, Urt. v. 05.02.1959, BGHZ 29, 275 = NJW 1959, 878; Küstner/Thume I, Rn 2042. OLG Saarbrücken, Urt. v. 19.12.1972; Küstner/Thume I, Rn 1950. Küstner/Thume I, Rn 1952; offengelassen von OLG Saarbrücken, Urt. v. 19.12.1972, nicht veröffentlicht. Emde GmbHR 1999, 1005 (1015). Emde GmbHR 1999, 1005 (1015). BGH, Urt. v. 12.03.2003 – VIII ZR 197/02, VersR 2003, 856 = BB 2003, 1253 = NJWRR 2003, 981 = NJW 2003, 2677 (LS) = WM 2003, 2103 = EWiR 2003, 973 (Albicker). OLG Hamburg, Urt. v. 02.04.1958, HVuHM 1958, 285; Küstner/Thume I, Rn 2044.

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Küstner/Thume I, Rn 2045. BGH, Urt. v. 20.10.1955 – II ZR 75/54, DB 1955, 136; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 58. Küstner/Thume I, Rn 2048. Küstner/Thume I, Rn 2049. BGHZ 129, 290 (295); BGH, Urt. v. 07.07. 1983 – I ZR 115/81, NJW 1984, 2101; BGH, Urt. v. 21.03.1985 – I ZR 117/82, WM 1985, 982 (983); OLG Köln, Urt. v. 20.07.2001 – 19 U 219/00, BB 2001, 2241; OLG Celle, Urt. v. 18.12.1970 – 834/69; OLG Köln VersR 1972, 664; OLG Nürnberg, Urt. v. 13.12.1962, BB 1963, 203 = HVR Nr. 342; OLG Karlsruhe, Urt. v. 22.01.1997 – 1 O 188/96, HVR Nr. 820; OLG Hamm, Urt. v. 06.06.1991 – 18 U 114/90, NJW-RR 1992, 364 = HVR Nr. 753; Küstner/Thume I, Rn 2051, 2055; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 38; Ulmer/ Schäfer ZIP 1994, 753 (766).

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10. Abmahnung. Jedenfalls einer außerordentlichen Kündigung wegen Verfehlungen 28 im Leistungsbereich hat regelmäßig eine Abmahnung nach § 314 BGB vorauszugehen 414. Das Erfordernis einer Abmahnung oder das Setzen einer zur Abhilfe bestimmten Frist vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung ist nicht in § 89a sondern in § 314 Abs. 2 BGB geregelt. Das Abmahnerfordernis ergibt sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und der Treupflicht 415. Wo eine Mahnung Vertragstreue wiederherstellen kann soll nicht sofort gekündigt werden dürfen. Die Kündigung bildet die ultima ratio. Daraus folgt sogleich die Grenze des Abmahnerfordernisses: Wenn trotz Abmahnung und nachfolgender Vertragstreue das für die Vertragsfortführung unabdingbare Vertrauen gleichwohl verloren wäre, braucht nicht abgemahnt zu werden Rn 32). Die Vertragsfortführung wäre trotz Vertragstreue unzumutbar. Dies war schon vor Einführung des § 314 BGB durch die Schuldrechtsnovelle 2002 allg. Ansicht 416, auch in der Rechtsprechung 417, und jene Rechtsprechung ist nach 2002 fortgeführt worden. Ohne zumutbare Abmahnung fehlt es am wichtigen Grund (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit) 418 und die Kündigung ist unwirksam, wenn eine Abmahnung erforderlich war. Die Abmahnung bedarf keiner besonderen Form 419. Die wegen fehlender Abmahnung unwirksame Kündigung kann aber in eine wirksame Abmahnung umgedeutet werden 420. Im Regelfall ist von dem Erfordernis einer Abmahnung auszugehen. Gerade bei berechtigten Zweifeln ist eine Abmahnung zwecks Klärung nötig 421. Dies gilt auch bei Störungen im Vertrauensbereich 422, zumal die Abgrenzung zwischen Störungen im Vertrauens- und Leistungsbereich ohnehin unscharf ist 423. Im Arbeitsrecht war früher unstrittig, dass vor Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung wegen Störungen im Leistungsbereich eine Abmahnung erfolgen musste 424. Dem Verletzer sollte Gelegenheit zur Korrektur seines Verhaltens gegeben werden. Betraf die Verfehlung den Vertrauensbereich, entfiel regelmäßig das zur Vertragsfortführung nötige Vertrauen, eine Abmahnung war entbehrlich425. Nachdem das BAG seine Rechtsprechung änderte und erklärte, Abmahnungen

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BGH, Urt. v. 16.12.1998 – VIII ZR 381/97, NJW-RR 1999, 539 = EWiR 1999, 611 (Emde); BGH, Urt. v. 17.01.2001 – VIII ZR 186/99, VersR 2001, 370 = BB 2001, 645 = NJW-RR 2001, 677 = DB 2001, 1195 = EWiR § 89a HGB 2/01, 483 (Emde) = WM 2001, 1031 = MDR 2001, 637; BGH, Urt. v. 11.01.2006 – VIII ZR 396/03, BB 2006, 517 (518); OLG Koblenz, Urt. v. 22.03.2007 – 6 U 1313/06, NJW-RR 2007, 1044 (1045) = EWiR 2007, 525 (Döpfer). Ebenroth/Löwisch § 89 Rn 12. MünchKommBGB/Schwerdtner § 626 Rn 40; Schaub NJW 1990, 872; NZA 1997, 1185; Bergwitz BB 1998, 2310. BGH, Urt. v. 17.01.2001 – VIII ZR 186/99, VersR 2001, 370 = BB 2001, 645 = NJW-RR 2001, 677 = DB 2001, 1195 = EWiR § 89a HGB 2/01, 483 (Emde) = WM 2001, 1031 = MDR 2001, 637; BGH, Urt. v. 16.12.1998 – VIII ZR 381/97, NJW-RR 1999, 539 (540) = EWiR 1999, 611 (Emde); OLG Düsseldorf OLGR 2000, 354 (355); KG BB 1998, 607 (608).

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OLG München BB 1993, 2403; Hopt § 89a Rn 10. Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 375. BGH, Urt. v. 19.01.2007 – V ZR 26/06, WM 2007, 664 zu einem Einziehungsbeschluss nach WEG. BGH WM 2001, 1034; Hopt § 89a Rn 10. Emde EWiR 1999, 706; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 16; aA BGH, Urt. 26.05.1999 – VIII ZR 123/98, ZIP 1999, 1307, 1309 = EWiR 1999, 705 (Emde); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 29; Hopt § 89a Rn 10; offengelassen von OLG Köln, Urt. v. 20.10.2000 – 19 U 86/00, VersR 2001, 1023 = NJW-aktuell 2/2001, VIII = EWiR 2001, 121 (Emde) = NJW-RR 2001, 820. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 16. Hoß MDR 1999, 337; Schaub, ArbR-Hdb8 § 61 VI 2a. BAGE 26, 116; Schaub, aaO.

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seien auch vor Kündigung wegen Verfehlungen im Vertrauensbereich auszusprechen, falls die Erklärung wegen eines steuerbaren Verhaltens oder aus einem Grunde ausgesprochen werde, welcher durch ein steuerbares Verhalten beseitigt werden könne 426, spricht viel dafür, im HV-Recht nicht weniger streng zu urteilen. Dies gilt umso mehr, sofern wegen § 89b Abs. 3 Nr. 2 infolge der Kündigung der Ausgleichanspruch verloren geht 427. Derjenige, der meint, außerordentlich ohne Abmahnung kündigen zu dürfen, ist hierfür beweispflichtig. Dem zu Kündigenden muss mittels der Abmahnung oder der Fristsetzung als zugangsbedürftige Willenserklärungen (Kenntnisnahme wie bei anderen Willenserklärungen nicht erforderlich) 428 unzweideutig, unmissverständlich und ernsthaft vor Augen geführt werden, dass der exakt zu bezeichnende wichtige Grund abgestellt werden muss, widrigenfalls der Vertrag außerordentlich gekündigt werde 429. Regelmäßig muss die Abmahnung ausdrücklich und auch der Beweisbarkeit wegen textschriftlich erfolgen. Ein Formerfordernis gibt es aber nicht 430. In besonders eiligen Fällen kann und muss etwa eine mündliche Abmahnung vorgenommen werden, die aber selbstverständlich schriftlich wiederholt oder bestätigt werden darf. Die Abmahnung kann auch konkludent erteilt werden, wenn sie auch in dieser Form hinreichend klar erfolgt. Dabei ist insbesondere an eine stillschweigende Kündigungsandrohung zu denken. Eine ungenügende Abmahnung verfehlt die erforderliche Warnfunktion 431. §§ 164 ff, 174 und 180 BGB gelten entsprechend 432. Das Abmahnerfordernis gilt auch bei Konkurrenztätigkeit 433 (oft aber völliger Vertrauenswegfall). Gemäß § 314 Abs. 2 BGB ist die Abmahnung oder die Fristsetzung zur Abhilfe nur 29 bei Verletzung einer vertraglichen Pflichtverletzung gefordert. Das kennzeichnet die Mindestanforderungen, schließt jedoch ein Abmahnerfordernis in anderen Fällen nicht aus. Wenngleich darin meist auch eine Vertragsverletzung zu erblicken sein wird, ist das Abmahnerfordernis auf alle Fälle zu erstrecken, in denen ein der Abhilfe fähiger Kündigungsgrund aus der Sphäre des möglichen Kündigungsempfängers stammt. Das ergibt sich nicht erst aus § 314 Abs. 2 BGB (ggf. analog) sondern bereits aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip: Nur in Fällen, in denen auch durch Abmahnung oder Fristsetzung das Vertrauen nicht wiederherzustellen ist, darf gekündigt werden, ohne dass dem Vertragspartner zuvor die Chance zur Besserung geboten wurde.

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a) Frist zur Abmahnung. Die Abmahnung hat dem Abgemahnten hinreichend Zeit und Gelegenheit geben, die abgemahnte Vertragsstörung abzustellen. Hierzu ist eine angemessene, nicht statische 434, an den Verhältnissen des Einzelfalls orientierte und für die Änderung der Umstände genügende Frist zu gewähren. Je dringender der Fall und je schneller eine Abhilfe möglich ist, umso kürzer darf – nicht muss – die Frist gewählt werden. Erst nach Ablauf der Frist kann die erfolglos abgemahnte aber fortbestehende oder eine vergleichbare Vertragsstörung einen wichtigen Kündigungsgrund bilden. Das abgemahnte Verhalten ist dabei nicht Kündigungsgrund, nur das fortgesetzte oder ähn426

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BAGE 86, 95 (102); BAG DB 1999, 1121 (1122); MDR 2001, 36 (37); Palandt/Putzo BGB, 60. Aufl. 2001, § 626 Rn 18. Emde EWiR 1999, 612; EWiR 1999, 706. AA Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 13. Schaub NJW 1990, 872 (873); Hoss MDR 1999, 333 (335); Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 12; aA RGRK-BGB/Corts § 626 Rn 44; Kranz NZA 1998, 1464. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 13.

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Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 12; aA LAG Köln MDR 1999, 876. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 13. BGH, Urt. v. 17.01.2001 – VIII ZR 186/99, VersR 2001, 370 = BB 2001, 645 = NJW-RR 2001, 677 = DB 2001, 1195 = EWiR § 89a HGB 2/01, 483 (Emde) = WM 2001, 1031 = MDR 2001, 637. Hoss MDR 1999, 333 (336).

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liche 435. Das Ursprungsverhalten dient aber auch hier der Illustration des Kündigungsgrundes (Rn 13). Auch ein nicht abgemahntes Verhalten kann im Einzelfall nach einer wegen eines anderen Verhaltens erteilten Abmahnung einen wichtigen Kündigungsgrund bilden, wenn es das „Faß zum Überlaufen bringt“ und die Neigung des Vertragspartners zu Vertragswidrigkeiten unterstreicht 436. b) Abmahnung nach zweiter Vertragswidrigkeit. Auch nach einer erneuten, vergleich- 31 baren Vertragswidrigkeit muss im Grundsatz ein weiteres Mal gem. § 314 BGB abgemahnt werden 437. Dieser Grundsatz ist aber in der Praxis häufig in sein Gegenteil verkehrt: Ergibt sich nämlich im Zusammenwirken zwischen erster, abgemahnter und folgender Vertragswidrigkeit, dass der Vertragspartner sich offenbar auch durch Abmahnungen nicht zur Vertragstreue anhalten lässt, darf jetzt ohne weitere Abmahnung außerordentlich gekündigt werden, was praktisch häufig der Fall ist. Insbesondere, sofern zwischen erstem und zweitem Verstoß nur eine kurze Spanne liegt, wird dieser Fall gegeben sein 438. Das gilt selbstverständlich auch, wenn die zweite Vertragswidrigkeit eine Schwere erreicht, die sogar ohne die erste Vertragswidrigkeit zur außerordentlichen Kündigung ohne Abmahnung berechtigt hätte. c) Abmahnung unnötig. Grundsätzlich ist abzumahnen. Entbehrlich ist die Abmah- 32 nung ausnahmsweise nur, falls die Kündigung auf Umstände gestützt werden kann, auf die der prospektive Kündigungsempfänger keinen Einfluss nehmen kann 439. Beispiele: Kündigungsgründe aus der Sphäre des Kündigenden, nicht steuerbares Verhalten 440 oder binnen angemessener Zeit nicht abstellbare Gründe 441. Gleiches gilt bei Kündigungsgründen, die so erheblich sind, dass selbst durch eine Abmahnung das für die Zusammenarbeit erforderliche Vertrauen nicht wieder hergestellt werden kann (zerstört wurde) 442. Ob der HV sein Verhalten für erlaubt hielt ist unerheblich443, wenn das Verhalten auch im Lichte dessen die nötige Schwere erreichte. Beispiele: grobes Fehlverhalten 444, strafbare Handlungen445, oft heimlicher Verstoß gegen ein vertragliches oder gesetzliches Wettbewerbsverbot 446, Abwerbung anderer HV 447, leichtfertiges Äußern von strafrechtlich relevanten Vorwürfen über einen wichtigen Kunden des Unternehmers 448, falls ein HV unter fettgedruckter Herausstellung seiner Kooperation mit der von ihm vertretenen Bausparkasse ohne deren Zustimmung Werbeschreiben an Kunden verschickt, mit welchen jenen vorgespiegelt wird, sie hätten im Rahmen eines Preisaus-

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Vgl. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 14. Vgl. BAG, Urt. v. 10.11.1988 – 2 AZR 215/88, NJW 1989, 2493; Schaub NJW 1990, 872 (876); Hoss MDR 1999, 333 (338); Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 15. AA BGH WM 1981, 172 (174); Ebenroth/ Löwisch § 89a Rn 15. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 15. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 16. Vgl. BAG MDR 2000, 279; aA BGH NJW-RR 1999, 539 (540) = EWiR 1999, 611 (Emde). BGH, Urt. v. 11.12.1981 – I ZR 139/79, EBE 1982, 132 (133). OLG Köln, Urt. v. 20.07.2001 – 19 U 219/00, BB 2001, 2241.

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BGH, Urt. v. 26.05.1999 – VIII ZR 123/98, WM 1999, 1986; Hübsch/Hübsch WM Sonderbeilage Nr. 1/2005, S. 9. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 16. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 16. BGH ZIP 1999, 1309; Emde EWiR § 89a HGB 2/01, 483 (484); Hübsch/Hübsch WM Sonderbeilage Nr. 1/2005, S. 9; Hopt § 89a Rn 10; aA BGH, Urt. v. 17.01.2001 – VIII ZR 186/99, VersR 2001, 370 = BB 2001, 645 = NJW-RR 2001, 677 = DB 2001, 1195 = EWiR § 89a HGB 2/01, 483 (Emde) = WM 2001, 1031 = MDR 2001, 637. LG Gießen, Urt. v. 31.08.2001 – 8 O 78/99. OLG Köln, Urt. v. 04.07.2001 – 19 U 16/01, VersR 2002, 482.

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schreibens Grundbesitz gewonnen 449, aber nicht nach Anzeige eines Haftpflichtschadens durch den HV ohne Kenntnis und Auftrag des Versicherungsnehmers, aber nach telefonischer Rücksprache mit dem zuständigen Gruppenleiter der Versicherung, sofern eine derartige Handhabung von der Versicherung jahrelang ohne Beanstandung hingenommen worden ist 450. Beweispflichtig für den eng auszulegenden Ausnahmefall der Kündigung ohne Abmahnung ist derjenige, der ohne Abmahnung kündigt. Anderenfalls bedarf es grundsätzlich einer Abmahnung. Es sollte daher regelmäßig abgemahnt werden. Eine unberechtigte Kündigung kann nicht zurückgenommen werden, bildet aber für den Kündigungsempfänger einen eigenen Kündigungsgrund. Trotz fehlender „Rücknahmemöglichkeit“ mag eine Abmahnung mit kurzer Fristsetzung erforderlich sein, mit der der unberechtigt Kündigende aufgefordert wird, sich nicht auf Wirkungen der Kündigungserklärung zu berufen (abhängig vom Einzelfall) 451. Bestimmt der Vertrag ein Abmahnerfordernis, trifft dieses nicht Fälle, in denen auch durch die Abmahnung das für die Vertragsdurchführung erforderliche Vertrauen nicht wieder gefunden werden kann. Als AGB widerspräche eine solche Bestimmung dem gesetzlichen Leitbild und wäre gemäß § 307 BGB unwirksam.

V. Der Kündigungsausspruch („gekündigt werden“) 33

1. Ausspruch. Die Erklärung der fristlosen Kündigung muss eindeutig erkennen lassen, dass der Kündigende mit ihr nicht (oder nicht nur) das ordentliche Kündigungsrecht, sondern (zum mindesten auch) ein Recht zur fristlosen Kündigung ausüben will (Deutlichkeitsgebot) 452. Das gilt insbesondere bei Gewährung einer Auslauffrist 453. Andernfalls bildet die Erklärung im Zweifel eine ordentliche Kündigung. Die nicht klar als außerordentliche Kündigung erkennbare Erklärung wird nicht durch Nachschieben wichtiger Gründe (Rn 43 ff) rückwirkend zur außerordentlichen. Eine solche Erklärung ist vielmehr eine neue, nunmehr außerordentliche Kündigung 454. Die Klarstellung, eine außerordentliche Kündigung zu wollen, kann damit eine erneute außerordentliche Kündigung darstellen, sofern zum Zeitpunkt der Klarstellung ein nicht verfristeter wichtiger Grund vorliegt 455. Eine Auslegung 456 oder Umdeutung (§ 140 BGB, dazu Rn 5) der Erklärung ist möglich. Auch deshalb braucht die Kündigung nicht ausdrücklich als „außerordentliche“, „fristlose“ oder „aus wichtigem Grund“ bezeichnet zu werden 457. 449

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OLG Köln, Urt. v. 20.10.2000 – 19 U 86/00, VersR 2001, 1023 = NJW-aktuell 2/2001, VIII = EWiR 2001, 121 (Emde) = NJW-RR 2001, 820. OLG Köln, Urt. v. 20.07.2001 – 19 U 219/00, BB 2001, 2241; im Anschluss an BGH, Urt. v. 17.01.2001 – VIII ZR 186/99, VersR 2001, 370 = BB 2001, 645 = NJW-RR 2001, 677 = DB 2001, 1195 = EWiR § 89a HGB 2/01, 483 (Emde) = WM 2001, 1031 = MDR 2001, 637. BGH, Beschl. v. 21.02.2006 – VIII ZR 61/04, 61/04, BB 2006, 905 = NJW-RR 2006, 755 = WM 2006, 1115 = VersR 2006, 835 = MDR 2006, 1056. BGH, Urt. v. 15.12.1960 – VII ZR 212/59, BB 1961, 497; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 41; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer

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§ 89a Rn 27; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 61; Schlegelberger/ Schröder § 89a Rn 13. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 41. BGHZ 27, 222; OLG Nürnberg BB 1957, 561; Hopt § 89a Rn 13. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 69; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 13. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 41; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 61; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 13. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 41; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 61; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 13.

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In dem Widerruf einer erteilten Abschlussvollmacht liegt eine fristlose Kündigung noch nicht (der HV wird dadurch nur auf einen Vermittlungsvertreter zurückgestuft), wohl aber ist in der fristlosen Kündigung stets auch der Widerruf der Abschlussvollmacht enthalten 458. Die außerordentliche Kündigung ist schon vor Vertragsbeginn möglich 459 und wird als einseitige, empfangsbedürftige WE mit Zugang bei dem Gekündigten wirksam. Die allgemeinen Lehren zu WE sowie die §§ 164, 174 und 180 BGB sind auch im Bereich des Ausspruchs einer Kündigung nach § 89a anwendbar. 2. Bedingte Kündigung. Eine unter einer Bedingung stehende Kündigung ist wegen 34 der damit verbundenen Rechtsunsicherheit grundsätzlich unzulässig, es sei denn, die Klarheit der Erklärung leidet darunter nicht, etwa bei innerprozessualen Rechtsbedingungen oder solchen, die allein von einem Verhalten des Gekündigten abhängen (Potestativbedingung) 460. Bedingungen, deren Eintritt von dem Willen des Kündigenden oder Dritter abhängen sollen, sind unzulässig. Die Kündigungserklärung ist dann unwirksam und darf auch nicht in eine solche nach § 89 umgedeutet werden. 3. Rechtzeitigkeit (Entschlussfrist). Für die außerordentliche Kündigung des HV-Ver- 35 trags gibt es keine feste gesetzliche oder richterrechtlich bestimmte Frist 461. Jedoch muss die Kündigung – vergleichbar dem Rechtsgedanken des § 626 Abs. 2 S. 2 BGB – innerhalb einer den Umständen des Einzelfalls angemessenen kurzen Frist nach Kenntnis der maßgeblichen Tatsachen erklärt werden 462, auch im Recht HV-ähnlicher Vertriebsmittler 463. Der Kündigungsberechtigte verwirkt sein Kündigungsrecht, wenn er nach Ablauf einer angemessenen Frist die Tätigkeit des Mittlers weiterhin zulässt, ohne die Kündigung auszusprechen 464 (Überlegungs- oder Entschlussfrist). Maßgeblich ist, nach wieviel Zeit der objektiv und vollständig informierte Gekündigte den Verhältnissen des Einzelfalls gemäß objektiv nicht mehr erwarten kann, dass ihm außerordentlich gekündigt wird. Weniger bedeutend dürfte sein, welche Zeit der Kündigende objektiv benötigt, um über die Kündigung nachzudenken und zu entscheiden. Denn es geht nicht um die Mindestfrist der Entscheidungsfindung sondern um einen Verwirkungstatbestand, also eine Höchstfrist. Gewöhnlich aber wird die Verfristung danach bemessen, wieviel Zeit dem Kündigenden objektiv einzuräumen ist, um den Sachverhalt, der Anlass zur Kündigung geben soll, hinreichend sicher aufzuklären und sich darüber klar zu werden, ob deshalb fristlos gekündigt werden soll 465. Das ist hinnehmbar, sofern der Verwirkungstatbestand aus der Sicht eines optimal informierten Kündigungsempfängers bestimmt wird. Jener kennt auch die für Nachforschungen erforderliche Zeitspanne. Wie auch immer die Frist

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Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 3, 19c. Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 16. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 42. BGH, Urt. v. 27.01.1982 – VIII ZR 295/80, DB 1982, 1110; BGH, Urt. v. 03.07.1986 – I ZR 171/84, NJW 1987, 57; BGH, Urt. v. 12.03.1992 – I ZR 117/90, NJW-RR 1992, 1059 (1060); BGH NJW-RR 1993, 682 (684); OLG Düsseldorf OLGR 1999, 53; Börner/Hubert BB 1989, 1633; Ebenroth/ Löwisch § 89a Rn 22; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 64; aA Kindler BB 1988, 2051; Woltereck DB 1984, 279; anders z.B. in Belgien: 7 Tage.

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Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 8. BGH, Urt. v. 15.12.1993 – VIII ZR 157/92, WM 1994, 645; Hübsch/Hübsch WM Sonderbeilage Nr. 1/2005, S. 11. OLG Hamm VersR 1999, 1016. BGH WM 1983, 820 (821); OLG Düsseldorf OLGR 2000, 382; OLG München VersR 1998, 1017; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 24; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 30; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 64; Schlegelberger/ Schröder § 89a Rn 8.

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bestimmt wurde, ist trotz der Beweislast des Kündigenden für die Berechtigung seiner Kündigung 466 kein zu strenger Maßstab anzulegen. Denn jedenfalls dann, wenn die Kündigung wegen eines schuldhaften Verhaltens erklärt wird, bleibt der Gekündigte nicht übermäßig schützenswert (Rechtsgedanke des § 89b Abs. 3 Nr. 2). Die jeweilige Situation des Falls bestimmt über die Dauer der Frist 467. Im Einzelfall können umfangreiche Nachforschungen erforderlich sein, um den Beweis der Kündigungsgründe rechtssicher führen zu können 468, was die Frist verlängert. Eine Zwischenmitteilung über seine Nachforschungen, schuldet der später Kündigende auch bei Verzögerung nicht 469, und zwar schon deshalb nicht, weil er überhaupt keine Nachforschungen schuldet. Er ist lediglich im eigenen Interesse gehalten, die Umstände möglichst früh aufzuklären (Obliegenheit). Eine eventuelle Überlegungsfrist verlängert sich automatisch, sofern die Vervollständigung der Tatsachen längere Zeit in Anspruch nimmt. Das Ergebnis eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens wegen der Vorwürfe, welche die Kündigung rechtfertigen könnten, darf abgewartet werden, wenn der Kündigungsberechtigte erst auf diese Weise die erforderliche Kenntnis des Kündigungsgrundes erlangt 470 oder sich aus diesem neue Kündigungsgründe ergeben. Im Anschluss an die Einsicht in Ermittlungsakten muss jedoch unverzüglich gekündigt werden, wenn die aus ihr ersichtlichen Ermittlungsergebnisse keine neuen Erkenntnisse hervorbringen und den bereits zuvor bestehenden Verdacht fahrlässigen Handelns des Mittlers bestätigen 471. Der Kündigende darf sogar den Ausgang eines Strafverfahrens abwarten 472, kann sich dann aber nur noch auf das Ergebnis der gerichtlichen Entscheidung stützen, welches einen wichtigen Grund bilden muss. Es soll aber nicht gewartet werden dürfen, bis harte verifizierbare Fakten vorliegen, falls bereits zuvor hinreichend konkrete Hinweise auf ein vertragswidriges Verhalten vorgelegen haben, denen aber nicht nachgegangen wurde 473. Der Fristlauf beginnt nicht erst bei sicherer Kenntnis. Ein Unternehmer darf zunächst auf die Redlichkeit seines HV vertrauen und Ermittlungen der Staatsanwaltschaft überlassen. Er braucht erst einem hinreichend konkret begründeten Verdacht nachgehen, nicht einem bloßem Gerücht 474. Eigene Untersuchungen hat er nicht vorzunehmen, um sein Kündigungsrecht zu wahren 475. Erfährt das Unternehmen von einer rechtskräftigen Verurteilung des HV am 26.10.2001, bleibt eine Kündigung am 08.11.2001 fristgemäß 476. Hört ein Versicherer Ende November 1996 von Pflichtverstößen, ist eine Kündigung im Dezember 1996 nicht verfristet 477. HV-Verträge sind nach Auffassung des BGH ausdrücklich von der Anwendung des § 626 BGB ausgenommen 478, § 626 BGB ist nicht unmittelbar anwendbar 479. Das gilt auch im Recht HV-ähnlicher Vertriebsmittler. § 626 Abs. 2 S. 1 BGB lässt sich jedoch entnehmen, dass dem Kündigenden zumindest eine Frist von 2 Wochen

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Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 24. BGH NJW-RR 1992, 1059 (1062); BGH NJW-RR 1993, 682 (684); BGH NJW 1982, 2432; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 22; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 30; Hopt § 89a Rn 30, MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 65. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 24. AA Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 25. LAG Hamm DB 1999, 2068; LAG Köln MDR 2000, 775 (776); Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 24. OLG Köln, Urt. v. 02.03.2001 – 19 U 170/00, VersR 2001, 1234.

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472

473 474 475 476 477 478 479

BAG, Urt. v. 18.11.1999 – 2 AZR 852/96, ZIP 2000, 1020 = BB 2000, 935 = EWiR 2000, 721 (Junker). OLG München, Urt. v. 01.07.2003 – 23 U 1637/03, VersR 2004, 470. BGH ZIP 1999, 1107; Hopt § 89a Rn 30. OLG München, Urt. v. 01.07.2003 – 23 U 1637/03, VersR 2004, 470. OLG München, Urt. v. 01.07.2003 – 23 U 1637/03, VersR 2004, 470. OLG Hamm VersR 1999, 1016. BGH EWiR 1999, 705 (Emde). OLG Köln, Urt. v. 25.05.2001 – 19 U 90/01, VersR 2001, 1284.

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zuzubilligen ist 480. Allgemeingültige Höchstfristen lassen sich nicht festlegen 481. Ob mit Ablauf der Fristen für eine ordentliche Kündigung auch eine außerordentliche Kündigung regelmäßig verfristet ist 482, erscheint gerade bei kurzen Kündigungsfristen – etwa einem Monat – zweifelhaft. Regelmäßig wird eine Überlegungsfrist von einem Monat als angemessen angesehen 483. Deshalb muss der zur Kündigung Berechtigte auch nicht notwendigerweise innerhalb von 2 Wochen nach vollständiger Aufklärung des Sachverhalts kündigen 484. Drei Tage sind ausreichend, sogar gegebenenfalls drei Wochen unschädlich 485; 8 Tage ausreichend 486; im Einzelfall bis zu zwei Monaten 487. Eine Wartezeit von Anfang Oktober bis zum Ausspruch der Kündigung am 23. Oktober soll zu lang sein und das Kündigungsrecht verwirken 488. Ein zweimonatiges Zuwarten kann i.d.R. nicht mehr als angemessene Zeitspanne zur Aufklärung des Sachverhalts angesehen werden. Es deutet darauf hin, dass der Kündigende das beanstandete Ereignis nicht als so schwerwiegend empfunden hat, dass eine weitere Zusammenarbeit unzumutbar wäre 489. Insbesondere ist eine Frist von Jahren zwischen Grund und Kündigung zu lang 490. Ob beim Franchising längere Fristen gelten, ist zweifelhaft. Nach einer Meinung soll hier eine Entscheidungsfrist von zwei Monaten den Regelfall bilden 491. Je länger für die Prüfung der Kündigungsgründe erforderlich, umso ausgedehnter die Überlegungsfrist. Verhandlungen über Berechtigung und Folgen sowie mögliche Abwendung einer fristlosen Kündigung führen zu einer angemessenen Verlängerung der Kündigungsfrist 492. Der in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindliche Unternehmer versäumt die Frist nicht durch Geschäftsfortführung und Unterlassen der Kündigung in der Hoffnung auf Besserung. Vielmehr entsteht das außerordentliche Kündigungsrecht mit der unternehmerischen Entscheidung, deren Zeitpunkt er selbst bestimmt. Ihn zu früherer Kündigung zu zwingen, würde auch dem HV nicht dienen 493. Bei nicht in das Vertriebssystem des Unternehmers eingebundenen Mittlern gilt die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB 494. Die Überlegungsfrist beginnt mit dem hinreichend sicheren, hinsichtlich der maßgeb- 36 lichen Umstände weitgehend vollständigen Blick auf die Kündigungsgründe 495, wobei die Kenntnis des zur Kündigung Bevollmächtigten maßgeblich ist 496. Bei Dauersachverhalten, beispielsweise bei fortlaufender Wettbewerbstätigkeit, Krankheit, Unrentabili480

481 482 483

484 485 486 487 488

BGH ZIP 1996, 636; OLG München VersR 1998, 1017; OLG Köln, Urt. v. 25.05.2001 – 19 U 90/01, VersR 2001, 1284. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 22. So Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 22. BGH, Urt. v. 15.12.1993 – VIII ZR 157/92, ZIP 1994, 293 = EWiR 1994, 279 (Schwerdtner); Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 22; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 89a Rn 65; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 30. AA OLG Karlsruhe BB 1977, 1672; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 24. OLG Nürnberg BB 1965, 688. OLG Bamberg BB 1979, 1001. KG NJW-RR 2000, 1566; Hopt § 89a Rn 30 als „fraglich bezeichnet“. OLG Köln, Urt. v. 02.03.2001 – 19 U 170/00, VersR 2001, 1234; zweifelhaft, mglw. angesichts der Bedeutung der zu treffenden Entscheidung zu streng.

489

490 491

492 493 494 495

496

BGH VersR 1994, 470,741 = NJW 1994, 722 (723); OLG Köln, Urt. v. 30.09.2005 – 19 U 67/05, VersR 2006, 407 (408); OLG München, Urt. v. 01.07.2003 – 23 U 1637/03, VersR 2004, 470. OLG Köln, Urt. v. 25.05.2001 – 19 U 90/01, VersR 2001, 1284. Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 380; Giesler/Nauschütt/Höpfner § 12 Rn 58. LG Hamburg VersR 1992, 743. DIS Schiedsgericht BB-Beilage 11/1999, 16; Hopt § 89a Rn 30. Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 348. BGH, Urt. v. 02.06.1997 – II ZR 101/96, GmbHR 1997, 998 (999); Ebenroth/ Löwisch § 89a Rn 23. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 23.

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tät 497, beginnt die Kündigungserklärungsfrist frühestens zu dem Zeitpunkt, zu dem sich der Dauersachverhalt zu einem wichtigen Kündigungsgrund verdichtet hat. Regelmäßig wird davon auszugehen sein, dass bis zum Abschluss des Sachverhalts ein Kündigungsrecht besteht498 bzw. sich wie beim Lauf der Verjährungsfrist erneuert. Bis zum Ende der Dauerhandlung darf der zur Kündigung Berechtigte entscheiden, ob er diese Dauerhandlung zum Anlass einer Kündigung nimmt. Man könnte auch die gegenteilige Ansicht einnehmen und nach Ablauf einer bestimmten Spanne von einer Verwirkung des Kündigungsrechts ausgehen. Im Regelfall wird allerdings die erstgenannte Ansicht vorzugswürdig sein, zumal der das Dauerdelikt Begehende wenig schutzbedürftig ist und er die Störung vor Ausspruch der Kündigung beenden könnte. Nach Ansicht von Giesler 499 soll Verwirkung erst nach einem Zeitraum von zwei bis drei Jahren eintreten. Eine Wissenzurechnung nach den allgemeinen Lehren zu § 166 BGB ist möglich. Ent37 scheidend ist die Kenntnis der maßgeblichen Tatsachen. Ob, und wenn ja welche Wertung der Kündigende aus jenen zieht ist irrelevant. Er braucht überhaupt keine Wertung vorzunehmen. Bei Zweifeln über die rechtliche Bedeutung muss der Kündigende unverzüglich Rechtsrat einholen 500. Mit jedem neu zur Kenntnis gelangenden Umstand läuft die Kündigungsfrist hinsichtlich dieser Tatsache von neuem 501. Mit Fristablauf entfällt zwar nicht objektiv der wichtige Grund. Subjektiv hat der 38 Berechtigte aber gezeigt, dass der objektive Gehalt des wichtigen Grundes für ihn nicht so erheblich war, dass die Fortsetzung des Vertrages für ihn unzumutbar war. Es handelt sich bei dieser Selbstwiderlegung um eine Vermutung, die durch den Berechtigten widerlegt werden kann502. Zur Unterstützung einer späteren Kündigung kann der auf diese Weise verbrauchte Grund später herangezogen werden 503. Beweispflichtig für den Ablauf der Entschlussfrist ist der Gekündigte. Nur der Kündigende kann aber zuvor subtantiierten Vortrag zur maßgeblichen Frist führen (Darlegungslast). Insoweit besteht eine Vorleistungspflicht des Kündigenden.

39

4. Begründungszwang? Die Frage, ob der Grund der Kündigung in der Kündigungserklärung genannt werden müsse, ist Gegenstand des Streites. Das Gesetz fordert es nicht. Der BGH, der in ständiger Rechtsprechung die Notwendigkeit der Angabe des Kündigungsgrundes als eines Wirksamkeitserfordernisses der (fristlosen) Kündigung verneint 504, begründet dies damit, dass sonst der Unternehmer gezwungen wäre, rein vorsorglich alle etwa vorhandenen Kündigungsgründe aufzuführen, weil einige von ihnen 497 498

499 500 501

502 503 504

DIS-Schiedsgericht, DB-Beilage Nr. 11/1999, 13. Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 383; DIS-Schiedsgericht, DBBeilage Nr. 11/1999, 13. Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 384. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 23. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 23; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 64. Vgl. BGH WM 1985, 982 (983), Fn 94; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 8. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 26. BGH, Urt. v. 07.03.1957 – II ZR 261/55, BGHZ 24, 31 = NJW 1957, 871; BGH, Urt.

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v. 05.05.1958 – II ZR 245/56, BGHZ 27, 221 (225) = NJW 1958, 1136; BGH MDR 1961, 134; BGH, Urt. v. 12.06.1963 – VII ZR 272/61, BGHZ 40, 13 (16) = NJW 1963, 2068; BGH, Urt. v. 29.10.1986 – VIII ZR 144/85, BGHR BGB § 242 – Kündigung wichtiger Grund 2; BGH, Urt. v. 07.07. 1988 – I ZR 78/87, NJW-RR 1988, 1381 (1382); BGH EBE 1995, 59 (60); BGH, Urt. v. 25.05.1995 – KZR 33/93, EBE 1995, 259 (261); ebenso Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 43; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 27; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 62, 67; Schlegelberger/ Schröder § 89a Rn 13.

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durch das Gericht nicht anerkannt werden könnten. Auch gäbe es Schwierigkeiten mit dem Nachschieben von Kündigungsgründen (Rn 43 ff). Entscheidend dürfte das Fehlen einer entsprechenden Verpflichtung in § 89a sein. Derartige Fragen pflegen gesetzlich geregelt zu werden. Mangelt es daran, bildet dies ein beredtes Schweigen. Das Problem hat seit der Neufassung des § 626 BGB viel von seiner früheren Brisanz eingebüßt. Denn auch § 626 Abs. 2 S. 3 BGB fordert seither nicht einmal für das abhängige Arbeitsverhältnis die Bekanntgabe des Kündigungsgrundes bei der fristlosen Kündigung, sondern beschränkt sich darauf, dem Gekündigten das Recht zu geben, ihm auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich mitzuteilen. Wenn das schon im Arbeitsrecht als Schutzvorschrift für den Arbeitnehmer rechtens ist, sollten für den HV keine schärferen Anforderungen gestellt werden. Man wird allenfalls die Vorschrift des § 626 Abs. 2 S. 3 BGB über eben jenes Recht, die unverzügliche Nennung des Kündigungsgrundes verlangen zu dürfen, auf den HV analog anzuwenden haben 505. Da jede Begründung entbehrlich ist, bedeutet die Nichtbenennung eines Kündigungsgrundes keinen Verzicht auf diesen. Der Kündigende will die Kündigung im Zweifel auf alle ihm gegebenen Gründe stützen506. Beweissichere Form und Versendung ist aber in Hinblick auf die Beweislast des Kündigenden sinnvoll; am besten vorweg per Fernkopie und E-Mail und hinterher per Einschreiben/Rückschein oder Kurier. Ein vereinbartes Einschreiberfordernis ist vor diesem Hintergrund wenig sinnvoll. Die vereinbarte Form dient aber im Zweifel nur dem Beweis. Ist der Zugang sicher, bleibt auch die Kündigung in einer nicht vereinbarten Form wirksam. In der Mehrzahl der Fälle wird derjenige, dem fristlos gekündigt wird, über den 40 Anlass hierzu im Bilde sein. Räumt man ihm analog § 626 Abs. 2 S. 3 BGB das Recht ein507, falls er die Gründe nicht kennt und auch nicht zu durchschauen in der Lage ist, sich unverzüglich und vollständig schriftlich508 unterrichten zu lassen, dürfte auch die in BGHZ 27, 220 gemachte Einschränkung, dass u.U. Treu und Glauben eine Angabe des Kündigungsgrundes in der Kündigungserklärung erforderlich machen könnte, ihre Bedeutung verloren haben. Die unterlassene Mitteilung kann zur Schadensersatzpflicht führen, falls der Gekündigte kostenauslösende Maßnahmen vornimmt, welche bei rechtzeitiger Unterrichtung unterblieben wären, z.B. in Unkenntnis der Gründe der Kündigung von ihrer Unwirksamkeit ausgeht und eine Feststellungsklage erhebt, die bei rechtzeitiger Unterrichtung unterblieben wäre 509. Eine Nachfrage ist dem Gekündigten jedoch zumutbar. Das Informationsrecht setzt, nicht anders als die Informationsrechte nach § 87c, ein Informationsinteresse voraus; das Recht kann verwirkt werden 510. Eine Verletzung der Mitteilungspflicht hat jedoch keine Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit der Kündigung 511. 5. Vereinbarung eines Begründungserfordernisses. Die Parteien dürfen vertraglich ein 41 Begründungserfordernis vereinbaren und müssen dies im Anwendungsbereich der Kfz-

505

506

v. Gamm NJW 1979, 2494; Ebenroth/ Löwisch § 89a Rn 43; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 62; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 13. BGHZ 27, 221 (225, 226); Ebenroth/ Löwisch § 89a Rn 43; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 33; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 70.

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508 509 510 511

LG Köln NJW-RR 1992, 485; Ebenroth/ Löwisch § 89a Rn 50; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 62. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 50. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 50. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 50. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 50.

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GVO 1400/02 nach deren Art. 3 Abs. 4 (Vor § 84 Rn 165). Wegen Abs. 1 S. 2 2. Alt. darf zwar nicht die Einhaltung einer die Kündigung erschwerenden Form (Schriftform jedoch noch akzeptabel) 512 aber wohl ein Begründungszwang 513 als Wirksamkeitsvoraussetzung der Kündigung vereinbart werden.

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6. Rücknahme oder Widerruf der Kündigung. Die Kündigung als rechtsgestaltende Willenserklärung kann nicht zurückgenommen 514 oder widerrufen 515 werden. Die Rücknahme, der Widerruf oder eine vergleichbaren Erklärung können jedoch als Angebot auf Abschluss eines Neuvertrages, etwa (meist) zu den alten Bedingungen unter Übernahme aller Rechte und Pflichten einschließlich der Ausgleichsanwartschaften ausgelegt werden oder eines solchen, sich nicht auf die Wirkungen der Kündigung zu berufen 516. Die unberechtigte Kündigungserklärung kann zwar zurückgenommen werden, nicht jedoch der daraus folgende Vertrauensfortfall. Der Gekündigte darf sie je nach den Verhältnissen des Einzelfalls trotz ihrer „Rücknahme“ zum Anlass einer außerordentlichen Kündigung nehmen 517, wenn die Kündigung zum Vertrauensfortfall führte. Möglicherweise liegt in der „Rücknahme“ der unwirksamen Kündigung das Angebot auf Abschluss eines Aufhebungsvertrages. Wurde es angenommen ist keine Rücknahme mehr möglich.

43

7. Nachgeschobene Gründe. Das Nachschieben von Kündigungsgründen gewinnt Bedeutung, wenn der ursprünglich geltend gemachte Grund entweder überhaupt nicht oder für sich allein nicht stichhaltig ist. Eine Auschlussfrist für das Nachschieben von Kündigungsgründen fehlt 518, es gelten aber Verwirkungsgrundsätze 519. Wird die außerordentliche Kündigung freiwillig begründet, hindert dies das spätere Nachschieben weiterer Gründe nicht 520, und zwar schon deshalb, weil sonst auf eine solche Begründung verzichtet werden müsste. Abgemahnt werden kann bei nachgeschobenen Gründen meist nicht, es ist aber gleichwohl nicht ausgeschlossen, dass sich der Kündigende auf den nachgeschobenen Kündigungsgrund beruft. Der nachgeschobene Grund muss aber so schwerwiegend sein, dass er zumindest im Zusammenwirken mit dem bereits geltend gemachten Kündigungsgrund ohne Abmahnung eine fristlose Kündigung rechtfertigt 521. Ob die Prozessvollmacht für den Kündigungsrechtsstreit nach § 81 ZPO zum Nachschieben von Kündigungsgründen und erneuter fristloser Kündigungserklärung berechtigt 522, ist umstritten, und für das Nachschieben wohl zu bejahen, nicht jedoch für die erneute Kündigung. Insgesamt sind mehrere Fallgestaltungen zu unterscheiden:

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a) Hatte der Grund schon bei Ausspruch der Kündigung bestanden (und trägt er die fristlose Kündigung), so kann er mit Wirkung auf den Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs jederzeit nachgeschoben werden, sofern er nicht ausnahmsweise durch erkennbare Beschränkung auf den ursprünglich geltend gemachten Kündigungsgrund verloren 512 513 514 515 516

AA Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 43. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 63. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 46; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 35. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 46; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 18. BGH, Urt. v. 06.10.1983 – I ZR 127/81, BB 1984, 235 (237); Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 46; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 35; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 18.

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517 518 519

520 521 522

Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 46. BAG MDR 1997, 1130; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 47. BGHZ 40, 13 (17); Eberstein, S. 118; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 47; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 70. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 47. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 47. Dafür: Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 48; dagegen MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 89a Rn 73.

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gegangen sein sollte 523. Dass dieser „Reservegrund“ dann aber ausdrücklich geltend gemacht wird, liegt im Begriff des Nachschiebens; er wirkt wegen des Erfordernisses subjektiver Betroffenheit des Kündigenden, die nicht bei allen objektiven Kündigungsgründen gegeben sein muss, nicht aus sich heraus, daher oft keine Berücksichtigung von Amts wegen. Hierher gehört auch der Fall, dass der ursprünglich vorhanden gewesene, als solcher geltend gemachte, bei Kündigungsausspruch noch nicht genügend „manifest“ gewordene Kündigungsgrund durch nachträgliche Tatsachen in das rechte Licht gerückt wird (kein Nachschieben im eigentlichen Sinne, vielmehr Geltendmachen bloßer Illustrationsfakten524). b) Ist der nachgeschobene Grund nach dem Kündigungsausspruch entstanden, dann 45 gilt 525: Im Grundsatz dürfen erst nach Zugang der Kündigungserklärung entstandene Gründe nicht nachgeschoben werden. Denn dies würde zu einem unzulässigen Vertragsende aus nachträglich eingetretenen Umständen führen 526. Steht der nachgeschobene Grund jedoch mit dem ursprünglich geltend gemachten in innerem Zusammenhange, so wird die Kündigung mit dem Augenblick seines nachträglichen Entstehens wirksam, ohne dass es eines neuen Kündigungsausspruches bedürfte 527. Denn der Kündigende hatte zum Ausdruck gebracht, dass er das Vertragsverhältnis wegen eines jeden Grundes der geltend gemachten Art fristlos beendet haben wolle; hierauf musste der Kündigungsgegner sich einstellen. Das gilt insbesondere für nachträglich aufgetretene Umstände, die Tragweite und Bedeutung eines vorliegenden wichtigen Grundes konkretisieren 528, erläutern oder in richtigem Licht erscheinen lassen. Ist der nachträglich entstandene – nachzuschiebende – Grund ohne inneren Zusammenhang mit dem ursprünglich geltend gemachten, so bedarf es eines neuen Kündigungsausspruchs, der allerdings regelmäßig in dem Nachschieben zu sehen ist 529. Die nunmehrige Kündigung wirkt nicht zurück. 8. Gleich zu behandelnde Fälle. So, wie der Unternehmer, um den HV zu schonen, 46 von mehreren eine fristlose Kündigung tragenden Gründen in seinem Kündigungsausspruch nur den am wenigsten belastenden nennt, kann es auch vorkommen, dass er sich mit dem HV zur Vermeidung einer fristlosen Kündigung auf eine vertragliche Beendigung zum sofortigen (oder einem späteren) Zeitpunkt einigt. Bedeutung hat das insofern, als hier der Unternehmer sich die Schadensersatzansprüche nach Abs. 2 vorbehalten muss, um sie nicht einzubüßen530. Ausgleichsrechtlich und für den Verlust der Karenzentschädigung hat der so gewählte Weg allerdings die gleiche Wirkung wie die der fristlosen Kündigung, an deren Stelle er tritt. 523

524 525 526 527

BGHZ 27, 220 (225); BGH MDR 1961, 134; BGH, Urt. v. 12.06.1963 – VII 272/61, BGHZ 40, 13( 14, 16) = NJW 1963, 2068; BGH EBE 1995, 59 (60); Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 47; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 27, 33; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 69; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 14a. Beispiel: OLG Hamburg DB 1960, 1451. BGH MDR 1961, 134. BGH, Urt. v. 21.03.1975 – I ZR 141/74, WM 1975, 856 (857). BGH, Urt. v. 30.06.1954 – II ZR 26/53, BB 1954, 647 (648); Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 14, 14d; aA Ebenroth/Löwisch

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§ 89a Rn 48; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 33; Hopt § 89a Rn 15; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 72; Martinek § 10 Rn 27. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 68. BGH, Urt. v. 28.04.1960 – VII ZR 218/59, MDR 1961, 134; BGH, Urt. v. 15.12.1960 – VII ZR 212/59, BB 1961, 498; BGHZ 27, 221 (222); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 71; Schlegelberger/ Schröder § 89a Rn 14c; aA Schwerdtner ZIP 1981, 809. Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 22.

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VI. Ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist/Auslauffrist 47

Die Worte „ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist“ kennzeichnen eine Rechtsfolge, kein TB-Merkmal. Das Fehlen einer Kündigungsfrist ist nicht zwingend sondern dispositiv. Der zur außerordentlichen Kündigung Berechtigte kann daher a maiore ad minus als milderes Mittel 531 eine Auslauffrist gewähren – etwa aus Entgegenkommen – und die Parteien dürfen eine solche auch vereinbaren. Die Einräumung einer Auslauffrist kann die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass die Kündigung Bestandskraft hat, weil sich die Interessenabwägung evtl. zu Gunsten des Kündigungsberechtigten verschiebt 532. Ein wichtiger Grund muss gleichwohl vorliegen. Es gibt keine Kündigung aus „weniger wichtigem Grund“. Die Auslauffrist kann im Einzelfall bei Abwägung der Interessen beider Parteien, insbesondere der Schutzbedürftigkeit des Gekündigten, sogar aus Treupflichtgesichtspunkten oder nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Rn 23) gefordert sein 533. Diese Frist kann dann kürzer sein als die normale Kündigungsfrist; bei einer Kündigung mit Auslauffrist gelten die Mindestkündigungsfristen des § 89 nicht 534. Kommt sie der normalen Kündigungsfrist gleich, so bleibt die unter solchen Umständen ausgesprochene Kündigung dennoch eine solche aus § 89a535: das muss dann freilich deutlich zum Ausdruck gebracht werden536, weil es nicht zuletzt ausgleichsrechtliche und karenzrechtliche Folgen haben kann. Falls die Auslauffrist kürzer ist als die ordentliche Kündigungsfrist wird eindeutig nicht mit ordentlicher Frist gekündigt und der Kündigende will regelmäßig die Folgen der außerordentlichen Kündigung, etwa § 89a Abs. 2 und § 89b Abs. 3 Nr. 2. In EBE 1999, 13 (15) sieht der BGH nachträglich vom Gericht zugebilligte Auslauffristen als nicht dem Gesetz entsprechend und nicht erforderlich an, zumal solches zu nicht hinnehmbarer Rechtsunsicherheit über den Zeitpunkt der Vertragsbeendigung in Fällen außerordentlicher Kündigungen führe. Jene Unsicherheit und die Unwirksamkeit der Auslauffrist tritt jedoch nicht ein, wenn die Auslauffrist in der Kündigungserklärung ihrer Länge nach benannt wird. Nicht dem Gericht sondern dem Kündigendem steht aber das an den Grundsätzen der Billigkeit und Verhältnismäßigkeit orientierte Bestimmungsrecht über die Auslaufzeit zu. Der Gekündigte muss die Auslauffrist akzeptieren, da der Kündigende aufgrund der Existenz des wichtigen Grundes über das Vertragsende disponiert. Er darf nicht etwa eine gegebene Übergangsfrist ablehnen und seine Tätigkeit (bis auf Abwicklungsarbeiten) nach entsprechender Erklärung einstellen 537. Das folgt bei verschuldeter Kündigung schon aus § 249 BGB. Bei Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung muss der Gekündigte seinerseits kündigen, was aber einen regelmäßig fehlenden wichtigen Grund voraussetzt. Der Gekündigte kann auch das in der einseitigen Gewährung liegende Angebot auf Abweichung von § 89a, der insoweit nicht zwingend ist, annehmen. Es liegt dann eine konsensuale Einigung auf befristete

531

532 533 534 535

Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 21; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 32; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 76. Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 332. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 21. Hopt § 89a Rn 4; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 7a. BAG, Urt. v. 13.04.2000 – 2 AZR 259/99, MDR 2000, 1384; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 21, aA BGH EBE 1999, 13 (15).

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Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 7a. AA Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 21; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 76; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 15; auch 4. Aufl., § 89a Rn 12. Nach Ansicht der 4. Aufl. hatte der HV dann keinerlei Ansprüche mehr, also auch nicht Ansprüche auf Bezirksprovision oder Folgeprovision für Nachbestellungen, die in der Übergangszeit angefallen wären.

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Fortsetzung des HV-Vertrages vor 538. Die Großzügigkeit des Unternehmers bei der Gewährung einer Auslauffrist sollte nicht als Selbstwiderlegung des wichtigen Grundes begriffen werden 539. Der HV kann gehalten sein, dem Unternehmer, dem er fristlos gekündigt hat, eine Übergangsfrist bis zur Gewinnung eines Nachfolgers einzuräumen und für deren Dauer weiter tätig zu sein, sofern andernfalls gravierende Unternehmensinteressen gefährdet wären und auch Übergangsregelungen (interimsweise Wahrnehmung des Bezirks durch einen Kollegen) nicht gangbar sind.

VII. Unabdingbarkeit 1. Überblick. Die Berechtigung zur Kündigung aus wichtigem Grunde ist zwingendes 48 Recht (Abs. 1 S. 2). Sie kann weder ausgeschlossen noch beschränkt, dem Wortlaut nach aber erweitert 540 werden. Erweiterungen verletzen die zwingende Natur des § 89, weil eine zu weitgehende Ausdehnung wichtiger Kündigungsgründe zur Erosion der Kündigungsfristen des § 89 führt (siehe auch Rn 25 f). Unzulässig ist insbesondere die Vereinbarung einer übergroßen Zahl von TB, die die außerordentliche Kündigung rechtfertigen sollen, etwa jede Pflichtverletzung als wichtigen Grund 541. Folglich dürfte die Ausweitung möglicher Kündigungsgründe oder eine Reduzierung der an sie zu stellenden Anforderungen überwiegend unzulässig sein 542. Die außerordentliche Kündigung kann sich damit – je nach Sachverhalt – zu sehr der ordentlichen nähern und könnte gerade wegen der Vorteile einer fehlenden Auslauffrist entgegen der zwingenden Natur des § 89 (§ 89 Rn 69 ff) zur Regelkündigung werden; einer „Inflation“ der vereinbarten Kündigungsgründe ist entgegenzuwirken543. Die von den Parteien vereinbarten Kündigungsgründe müssen objektiv noch als wichtiger Grund i.S.d. S. 1 einzuordnen sein 544 und schließen eine Interessenabwägung und Zumutbarkeitsprüfung im Einzelfall nicht aus 545. Deshalb muss der vereinbarte Kündigungsgrund immer eine Fortführung des Vertrages bis zum vertragsgemäßen Ende unzumutbar machen. Da § 89a das gesetzliche Leitbild kennzeichnet, ist eine Abweichung nach § 307 BGB unwirksam. Vereinbarte wichtige Kündigungsgründe sind unwirksam, falls bei abstrakt-genereller Prüfung Kündigungsgründe geregelt werden, die keinen wichtigen Grund konstituieren546. Die Unwirksamkeit lässt sich nicht vermeiden, indem man derartige Kataloge wichtiger Kündigungsgründe nur als Indizien ansieht, was die Parteien als der Vertragsfortführung entgegenstehend ansahen; in der Sache läuft dies auf dasselbe hinaus, nämlich eine geltungserhaltende Reduk-

538 539 540 541 542

543 544

Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 21; MünchKommBGB/Schwerdtner § 626 Rn 36. AA Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 21. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 27; aA Schwerdtner DB 1989, 1757. BGH HVR Nr. 203; Hopt § 89a Rn 27; vgl. OLG München BB 1956, 20. Preis/Stoffels ZHR 160 (1996), 471; aA OLG München BB 1956, 20; Ebenroth/ Löwisch § 89a Rn 28; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 85. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 28. KG BB 1998, 607 (608); Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 28; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 11; MünchKommHGB/

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v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 28; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 12; aA Martinek § 10 Rn 12, 13; zu weit OLG Saarbrücken NJW-RR 1998, 1191 (1192). Schwerdtner DB 1989, 1758; aA BGH, Urt. v. 07.07.1988 – I ZR 78/87, NJW-RR 1988, 1381 mit krit. Anm. Martinek EWiR 1988, 1059; OLG Saarbrücken NJW-RR 1999, 1713; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 28; MünchKommHGB/v. Hoyningen/Huene § 89a Rn 27. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 28; aA MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 85.

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tion547. An eine fristlose Kündigung aufgrund eines vereinbarten Grundes sind nicht höhere oder strengere Anforderungen zu stellen als an eine auf gesetzlichem wichtigem Grund beruhende Kündigung 548. Zulässig soll es sein, eine auf Zahlungsunfähigkeit gestützte außerordentliche Kündigung des HV zu vereinbaren 549. Das nur bereichsspezifisch geltende Verbot von Lösungsklauseln in § 103 ff InsO soll der Wirksamkeit einer vertraglich eingeräumten außerordentlichen Kündigung des Unternehmers wegen Insolvenzeröffnung nicht entgegenstehen550, was die Zulässigkeit einer solchen Klausel auch im Lichte der zwingenden Natur des § 89a impliziert. Eine solche Klausel stellt auch keine unangemessene Benachteiligung i.S.d. § 307 BGB dar. Die vom Unternehmer erklärte Kündigung ist grundsätzlich auch einen Monat vor Ablauf der zweijährigen ordentlichen Kündigungsfrist zulässig 551. Eine Vereinbarung, derzufolge es einen Grund zur fristlosen Kündigung bildet, wenn der HV bestimmte Mindestumsätze nicht erreicht und dass er für mangelndes Verschulden hieran beweispflichtig sei, verstößt „gegen Treu und Glauben“ und ist unwirksam 552. Als Kündigungsgrund darf nur die – erhebliche – Verletzung der Bemühenspflicht vereinbart werden (zu AGB Vor § 84 Rn 33). Grenzfälle sind die Vereinbarung von festen Auslauffristen nach einer außerordentlichen Kündigung. Sie dienen vordergründig nur dem Schutz des Gekündigten. Andererseits erschweren sie die außerordentliche Kündigung, weil der zur Kündigung Berechtigte von einer außerordentlichen Kündigung absehen wird, wenn sie der Länge ihrer Kündigungsfrist nach zu sehr der Regelkündigungsfrist ähnelt. Gleichwohl dürfte ihre Vereinbarung noch zulässig sein553. Sie gelten nicht, falls die Auslauffrist im Lichte des wichtigen Grundes nicht zumutbar sein sollte. Gegen die zwingende Natur des § 89a verstoßende Vereinbarungen sind nach § 134 49 BGB nichtig, unabhängig davon, welche Vertragspartei sie benachteiligen554. Sie werden durch Abs. 1 S. 1 ersetzt 555. Zum konstitutiven Schriftformerfordernis s.o. Rn 41. Wegen Erschwerung der außerordentlichen Kündigung nichtig sind Abreden, nach denen die Kündigung nur innerhalb genau bestimmter Fristen ausgesprochen werden darf 556; allein bestimmte, von den Parteien festgelegte Sachverhalte als wichtiger Kündigungsgrund gelten sollen 557; der Ausschluss nicht in der Kündigungserklärung mitgeteilter Kündigungsgründe oder Rechtsfolgen 558; die außerordentliche Kündigung mittelbar erschwerende Vereinbarungen, z.B. indem sich wirtschaftliche Nachteile an die außerordentliche Kündigung anschließen, etwa eine Abrede über eine Vertragsstrafe für den Fall der Kündigung 559; falls eine vom HV gestellte Kaution verfällt, wenn dieser kündigt 560; vertragliche Ansprüche entfallen, etwa Boni561 oder Provisionen562, die sofortige Rück547 548 549 550 551 552 553 554 555

AA Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 28; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 12. AA BGH WM 1974, 350 (351); Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 28. OLG Saarbrücken NJW-RR 1999, 1713. OLG München, Urt. v. 26.04.2006 – 7 U 5350/05, DB 2006, 1371. OLG München, Urt. v. 24.11.2004 – 7 U 1518/04, BB 2005, 406. OLG Karlsruhe BB 1971, 888. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 28. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 27; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 21. BGH, Urt. v. 25.11.1963 – VII ZR 29/62; BGHZ 40, 235 (239) = NJW 1964, 250; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 27; Münch-

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558 559 560 561 562

KommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 86. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 27. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 27; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 31; Hopt § 89a Rn 28; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 28, 85; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 21; aA RG JW 1937, 1639. BGH, Urt. v. 16.01.1995 – II ZR 26/94, EBE 1995, 59 (60). RGZ 75, 238. LAG Baden-Württemberg BB 1955, 177. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 27. Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 21a.

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zahlungspflicht langfristig oder die Verzinsung bislang zinslos gewährter Darlehn versprochen wird 563; ebenso die Rückzahlung einer Einstandsleistung564 oder einer Abfindung 565 oder die Fälligkeit über lange Jahre gezahlter, überhöhter, aber nicht verdienter und nicht zurückgeforderter Vorschüsse an die Kündigung geknüpft wird 566. Auch Absprachen, dass bestimmte TB die außerordentliche Kündigung nicht rechtfertigen sollen, obwohl sie einen wichtigen Grund bilden, sind unzulässig 567. Für den Fall einer unberechtigten außerordentlichen Kündigung, die in Kenntnis des fehlenden Kündigungsrechts ausgesprochen wird, dürfen dem unberechtigt Kündigenden nachteilige Vereinbarungen getroffen werden. Denn zum einen liegt objektiv keine außerordentliche Kündigung vor. Zum anderen bestehen ohnehin Schadenersatzansprüche gegen den Kündigenden (§ 280 BGB) 568. Die in einem formularmäßigen Subunternehmervertrag enthaltene Klausel, ein wichtiger Kündigungsgrund existiere, wenn der Hauptvertrag ende, ist gemäß § 307 BGB unwirksam 569 (zu einem Bewachungsvertrag). Daraus wird man mglw. schließen dürfen, die Laufzeit von Untervertreterverträgen dürfe in AGB nicht an die des Hauptvertretervertrages geknüpft werden, was aber in kleinen Vertriebssystemen ein sinnwidriges Ergebnis wäre. In Individualverträgen dürfte diese Klausel aber zulässig sein. Nichtige Klauseln sollen u.U. ein Indiz dafür geben, was die Parteien als erhebliche 50 Gründe der Vertragsbeendigung ansahen 570 (zwh.). Dies kann allenfalls bei echter Verhandlungsparität angenommen werden, also kaum bei AGB (Rn 25). Die Verhandlungsparität muss derjenige beweisen, der sich auf die nichtige Bestimmung beruft. Wenn durch vertragliche Abrede die Provisionsberechtigung für die vom HV vermittelten und vor Ende des Vertragsverhältnisses abgeschlossenen, aber erst später zur Ausführung gelangten Geschäfte oder die Überhangprovision nach § 87 Abs. 3 ausgeschlossen worden ist, so gilt das nicht für den Fall, dass der HV aus wichtigem Grunde kündigt 571. Denn auch dies würde auf eine Behinderung in der Ausübung des Rechts zur fristlosen Kündigung hinauslaufen (anders mglw. im Versicherungsvertreterrecht, wo diese Provisionsverzichtsklausel erst den Ausgleichsanspruch eröffnet, vgl. § 89b Rn 383 ff). 2. Verzicht. Abs. 1 S. 2 verbietet nicht einen einseitigen (dann Verwirkung oder 51 widersprüchliches Verhalten) oder konsensualen Verzicht auf die Rechte aus einem 563

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OLG Düsseldorf OLGR 2000, 246; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 27; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 31; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 84; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 21. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 27. BGH, Urt. v. 03.07.2000 – II ZR 282/98, ZIP 2000, 1442 m. zust. Anm. Haase GmbHR 2000, 877; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 27. LG Karlsruhe BB 1990, 1504. BGH HVR Nr. 159; Hopt § 89a Rn 28; für AGB: BGH NJW 1986, 3134. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 27; aA wohl OLG München NJW-RR 1998, 1189 (1190). BGH, Urt. v. 29.07.2004 – III ZR 293/03, MDR 2005, 82. Der BGH hielt die Klausel zwar nicht für von vornherein treuwidrig,

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lastete der Verwenderin jedoch an, dass nach dem Wortlaut jede Beendigung des Hauptvertrages, selbst die auf einem Verhalten der Verwenderin beruhende (Beispiele: infolge ihrer Eigenkündigung oder aufgrund einer einvernehmlichen Aufhebung) zu einer Kündigung des Subvertrages berechtige. Die Verwenderin könne sich also Kündigungsgründe des Untervertrages durch die Beendigung des Hauptvertrages schaffen. Daraus wird man schließen können, dass die beanstandete Kündigung des Hauptvertrages zulässig ist, falls sie allein nach einer nicht von der Verwenderin veranlassten Auflösung des Hauptvertrages erfolgt. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 27; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 21; vgl. RGZ 75, 234 (238). Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 21.

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bereits entstandenen wichtigen Kündigungsgrund 572. Eine gegenteilige Ansicht müsste auch Verwirkung ausschließen. Ein Verzicht setzt jedoch – anders als die Verwirkung – eine unzweideutige Erklärung in Kenntnis aller maßgeblichen Umstände voraus, regelmäßig gegenüber dem Vertragspartner, z.B. dass der Vertrag trotz eines bekannten Kündigungsgrundes fortgesetzt werden soll 573. Im Fall der konsensualen Vereinbarung ist diese WE vom Gegenüber anzunehmen, notfalls als vorteilhaft gem. § 151 BGB. Der rechtswirksame Verzicht schließt eine erneute außerordentliche Kündigung aus dem nämlichen Grund aus, hindert aber nicht dessen Berücksichtigung zur Unterstützung der Kündigung aus einem anderen Anlass 574. Kommt es später zu einem identischen Fehlverhalten darf gleichfalls gekündigt werden.

VIII. Grenzen des Kündigungsrechts/Treu und Glauben 52

Wie jedes andere Recht kann das Kündigungsrecht verwirkt werden575 oder seiner Ausübung mangelndes Rechtschutzbedürfnis, Treu und Glauben576, Schikane oder § 826 BGB entgegenstehen. Für die Verwirkung ist ein Zeit- (Beispiel: Verfristung 577) oder ein Umstandsmoment erforderlich, etwa falls der Kündigungswillige in Kenntnis seines Kündigungsrechts gegenüber seinem Vertragspartner, z.B. mittels Handlungen oder Erklärungen, das Vertrauen erweckt, von einem bestehenden außerordentlichen Kündigungsrecht keinen Gebrauch zu machen578. So kann die längere Fortsetzung des Vertragsverhältnisses in Kenntnis des bereits existenten Kündigungsgrundes zu einer Verwirkung des Kündigungsrechts führen (Rn 35) 579. Den Kündigungsberechtigten trifft zur Vermeidung der Verwirkungsfolge aber keine Obliegenheit, einem Verdacht oder Hinweisen auf das Vorliegen eines Kündigungsgrundes nachzugehen und zu klären versuchen, ob ggf. eine außerordentliche Kündigung ausgesprochen werden soll 580. Verwirkung entsteht nicht zwingend durch eine ordentliche Kündigung aus demselben Grunde 581, dem Betroffenen steht es frei, eine außerordentliche Kündigung nachzuschieben. Die Entscheidung zu einer ordentlichen anstelle einer an sich zulässigen außerordentlichen Kündigung in voller Kenntnis aller Umstände begründet aber die Vermutung, dass dem Kündigenden das Abwarten bis zum ordentlichen Vertragsende zuzumuten ist (Rn 20 ff) 582. Die Vermutung ist widerleglich. Denn sie kann auch aus Rücksicht oder Vorsicht erfolgen, was aber bei Einhaltung der Kündigungsfrist nur für § 89b Abs. 3 Nr. 2 wichtig ist. Ferner ist es dem zur Kündigung Berechtigten zuzubilligen, nachdem er zunächst die Kündigung gemäß § 89 wählte, nun doch eine erhebliche Betroffenheit zu spüren und fristlos zu kündigen. Wie das Kündigungsrecht selbst kann das Recht, sich auf bestimmte Tatsachen

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Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 29; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 87; Hopt § 89a Rn 29; Schlegelberger/ Schröder § 89a Rn 8, 21. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 29; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 8. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 29; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 8. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 26. BGH, Urt. v. 12.03.2003 – VIII ZR 197/02, VersR 2003, 856 = BB 2003, 1253 = NJW-RR 2003, 981 = NJW 2003, 2677

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(LS) = WM 2003, 2103 = EWiR 2003, 973 (Albicker); Ebenroth S. 172 (173 ff, 181 ff); Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 26. Vgl. etwa BGH WM 1982, 632 (633). BGH NJW-RR 1993, 682 (683). Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 23. BGH NJW 1959, 1219; BGH ZIP 1999, 1307 (1310); aA Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 23. AA Hopt § 89a Rn 32. OLG Nürnberg BB 1963, 447; Ebenroth/ Löwisch § 89a Rn 26.

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als Kündigungsgrund zu stützen, verwirkt werden 583. Auch ein Nachschieben der verwirkten Gründe ist dann unzulässig584. Ein nachgeschobener, jedoch verwirkter Grund kann aber dazu dienen, die Bedeutung des ersten Kündigungsgrundes zu unterstreichen (§ 242 BGB).

IX. Rechtslage bei Fehlen des Kündigungsgrundes 1. Überblick. Die unberechtigte fristlose Kündigung ist unwirksam585. Der Vertrag 53 besteht mit allen gegenseitigen Rechten und Pflichten fort 586. Sie ist u.U. in eine solche zum nächstzulässigen normalen Kündigungstermin umzudeuten (Rn 5) und enthält regelmäßig das Angebot zur Vertragsaufhebung 587, welches gem. § 151 BGB oder konkludent 588 angenommen werden kann, etwa indem der HV seine Tätigkeit einstellt, Unterlagen zurücksendet oder die Abrechnung des Vertragsverhältnisses fordert 589. Widerspricht ein gekündigter HV der Kündigung nicht und bietet seine Leistung nicht entsprechend § 615 BGB an, darf der Unternehmer in Ausnahmefällen nach Treu und Glauben von einer einverständlichen Abwicklung des gekündigten Vertragsverhältnisses ausgehen. So hat das OLG München entschieden590, in einer außerordentlichen Kündigung liege in der Regel das Angebot zu einer einvernehmlichen Vertragsaufhebung. Dieses Angebot könne der unberechtigt Gekündigte durch schlüssiges Verhalten oder Unterlassen annehmen. Ein Schadenersatzanspruch des HV ist dann ausgeschlossen 591. Das Vertragsverhältnis endet durch Aufhebungsvertrag. Hierbei muss es sich aber um Ausnahmefälle handeln. Einer rechtsgrundlosen Kündigung braucht der HV grundsätzlich nicht zu widersprechen. Das Verständnis eines in der Kündigung liegenden Angebotes auf Vertragsaufhebung wird nach §§ 133, 157 BGB nicht in allen Fällen im Interesse des Unternehmers liegen: Denn eine wegen schuldhaften Verhaltens des HV ausgesprochene Kündigung führt zum Entfallen des Ausgleichsanspruches nach § 89b Abs. 3 Nr. 2, der Aufhebungsvertrag begründet jedoch den Ausgleichsanspruch. Auch wenn bei der Bewertung von Rechtsfolgen für die Bedeutung einer Erklärung Zurückhaltung angebracht sein sollte, können sie nicht völlig ausgeblendet werden, gerade bei erheblicher Höhe des Ausgleichsanspruches und etwa mangelnder Finanzkraft des Unternehmers. Rechte aus der außerordentlichen Kündigung darf der Kündigende nach Abschluss des Aufhebungsvertrages nicht geltend machen. Der HV behält seinen Ausgleichsanspruch592. Im Schweigen des Gekündigten auf eine unberechtigte fristlose Kündigung, in deren erklärter Hinnahme oder Annahme liegt im Zweifel nur das Einverständnis mit einer sofortigen Vertragsaufhebung, kein Zugeständnis des wichtigen Grundes 593, dessen Vorliegen ohnehin objektiv zu bestimmen wäre. Der HV, der die fristlose Kündigung als ungerechtfertigt zurückweist, ist, wenn der Unternehmer auf seinem Standpunkt beharrt, 583 584 585

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Hopt § 89a Rn 32. Hopt § 89a Rn 32. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 60; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 78; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 19. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 60; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 78; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 19. OLG München NJW-RR 1995, 95; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 61; Heymann/

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Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 34; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 78. OLG München NJW-RR 1995, 95; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 61; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 78. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 61. Urteil v. 27.07.1994, BB 1994, 2166. OLG Köln, Urt. v. 30.09.2005 – 19 U 67/05, VersR 2006, 407 (408). Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 61. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 61.

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nicht berechtigt, seine Tätigkeit sofort einzustellen594, auch nicht deshalb, weil der Unternehmer durch die Kündigung sein Desinteresse an weiterer Tätigkeit des HV ausdrückt595, es sei denn, die Voraussetzungen eines ZBH oder des § 242 BGB liegen vor. Er müsste vielmehr seinerseits außerordentlich kündigen und sich bis zum Wirksamwerden seiner Kündigung an alle vertraglichen Pflichten596 unter Einschluss eines eventuellen Wettbewerbsverbots halten597 (ausnahmsweise § 242 BGB-Einwand gegen Folgen aus der Verletzung des Wettbewerbsverbots) 598. Das Konkurrenzverbot unterliegt keinen Einschränkungen 599, der HV ist durch die Zulässigkeit einer Gegenkündigung mit nachfolgender Wettbewerbstätigkeit hinreichend geschützt. Da die unberechtigte Kündigung eine Pflichtverletzung darstellt, ist der Unternehmer in ihrer Folge verpflichtet, dem HV als Schadensersatz gem. § 280 BGB die Provisionen zu ersetzen 600, die dieser ohne Kündigung verdient haben würde; die von einem tüchtigeren Ersatzmann hereingeholten Aufträge sind kein Maßstab 601. § 254 BGB und die Grundsätze der Vorteilsausgleichung sind hier anwendbar 602. Das Risiko eines Fehlers bei der Prüfung der Kündigungsgründe trägt der Kündigende 603, Verschulden von Hilfspersonen hat er zu vertreten. Ein pflichtwidriges Verhalten des Gekündigten, welches keinen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung gibt, kann im Einzelfall gem. § 254 BGB anspruchsreduzierend wirken 604. Unberührt bleibt das Recht des HV, nach § 615 BGB vorzugehen, den Unternehmer 54 mit seinen Diensten in Annahmeverzug zu setzen und die entgehenden Provisionen nebst einem etwa zugesagten Fixum zu beanspruchen 605. Um seine erfolgsabhängigen Provi594

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AA OLG Düsseldorf NJW 1959, 52; OLG Stuttgart BB 1960, 956 (957); Ebenroth/ Löwisch § 89a Rn 63; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 78; Hopt § 89a Rn 5; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 19; 4. Aufl., § 89a Rn 20. So aber Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 63. BGH NJW-RR 1992, 481 (482); OLG München BB 1995 168; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 60; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 89a Rn 78. BGH, Urt. v. 30.06.1954 – II ZR 26/53, BB 1954, 647 (648); BGH NJW-RR 1992, 481 (482); BGH, Urt. v. 12.03.2003 – VIII ZR 197/02, VersR 2003, 856 = BB 2003, 1253 = NJW-RR 2003, 981 = NJW 2003, 2677 (LS) = WM 2003, 2103 = EWiR 2003, 973 (Albicker); Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 60, § 86 Rn 23; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene, § 89a Rn 78; Schlegelberger/ Schröder § 89a Rn 6a, 20a, § 86 Rd Nr. 42a; Hoss DB 1997, 1818 ff. Hoss DB 1997, 1819; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 60. AA Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 60: Nur wenn der Unternehmer dem HV eine weitere Tätigkeit bis zur Klärung der Berechtigung der Kündigung gestattet, ihm eine Entschädigung zahlt, wie sie im Fall eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots

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geschuldet wird, oder dem HV trotz Wettbewerbsverbots eine Berufsausübung ohne weiteres möglich und zumutbar ist, bleibe das Verbot verbindlich; vgl. auch OLG Karlsruhe DB 1971, 572 und VersR 1973, 858 mit abl. Anm. Höft. BGH WM 1970, 1513 (1514); Ebenroth/ Löwisch § 89a Rn 64; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 40; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 81; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 19, 20. OLG Stuttgart BB 1960, 957. BGH NJW 1967, 248; BGHZ 53, 150 = NJW 1970, 467; BGH WM 1970, 1513 (1514); BGH, Urt. v. 11.10.1990 – I ZR 32/89, NJW-RR 1991, 156 (157); OLG München NJW-RR 1998, 1189 (1190) (zur Schadenspauschale); Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 64; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 40; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 81; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 19, 20. BGH WM 1970, 1513 (1514); BGH, Urt. v. 13.07.1972 – VII ZR 166/71, WM 1972, 1095; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 64; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 19. BGH NJW 1967, 246 (248) = MDR 1967, 122; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 64. BGH DB 1966, 1965.

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sionsansprüche nicht zu verlieren, muss der HV dem Unternehmer seine Dienste anbieten 606, sofern der HV nicht nachweist, dass der Unternehmer unter keinen Umständen zu einer Weiterbeschäftigung des gekündigten HV bereit war 607. Durch dieses zugangsbedürftige Angebot zur Erfüllung seiner vertraglichen Pflichten nach § 295 BGB erwirbt der HV ferner den Anspruch auf Vermittlungs- oder Abschlussprovision in einer Höhe, wie sie voraussichtlich in der Zeit zwischen fristloser Kündigung und frühestmöglichem ordnungsgemäßem Vertragsende angefallen wären 608. Der HV ist dann nicht zur Nacherfüllung verpflichtet 609; Verschulden des Unternehmers ist, da es sich um keinen Schadenersatzanspruch handelt, nicht Anspruchsvoraussetzung 610. Die Höhe der Leistungspflicht ist nicht anders als beim eben genannten Schadenersatzanspruch gem. § 287 ZPO zu schätzen; sie entspricht dem Betrag, den der HV in einem vergleichbaren früheren Zeitraum oder sein Nachfolger in der Zeit zwischen Kündigung und ordnungsgemäßem Vertragsende verdient hat 611, es sei denn, der Gekündigte verfügt nicht über die gleichen Fähigkeiten und Erfahrungen wie sein Nachfolger oder ist mit anderem Arbeitseinsatz als jener tätig 612. Der Einwand, er hätte die von dem Gekündigten vermittelten Geschäfte nicht angenommen, ist dem Unternehmer trotz seiner Dispositionsfreiheit grundsätzlich verwehrt, soweit es um gleichartige oder vergleichbare Geschäfte geht, wie sie in der Vergangenheit von dem Gekündigten oder in der Folgezeit von seinem Nachfolger vermittelt bzw. abgeschlossen wurden 613. Der HV verliert auf diesem Weg den Einwand des § 254 Abs. 2 BGB 614, da es sich um einen vertraglichen Erfüllungsanspruch handelt 615, muss sich dafür aber auf die variablen Vergütungsbestandteile anrechnen lassen, was er nach der Kündigung anderweit verdient oder böswillig zu verdienen unterlassen hat, indem er vorsätzlich verhindert hat, dass ihm eine zumutbare anderweitige Erwerbsmöglichkeit angeboten wird, oder grundlos eine ihm bekannte mögliche und zumutbare Tätigkeit nicht ausgeübt hat 616, § 615 S. 2 BGB. Fahrlässige Unkenntnis genügt nicht 617. § 615 S. 2 BGB soll hinsichtlich fester Vergütungsbestandteile nicht anwendbar sein 618, jedoch in Bezug auf die erfolgsabhängigen Vergütungsbestandteile 619. Das OLG Düsseldorf 620 rechnet zu dem anrechenbaren Verdienst auch spätere Einkünfte, die der HV erzielt, indem er die durch die Einstellung seiner Tätigkeit gewonnene Zeit dazu nutzt, sich auf jene spätere Erwerbstätigkeit vorzubereiten. Eine solche Ausdehnung ist jedoch mit dem 606

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BGH, Urt. 09.10.2000 – II ZR 75/99, ZIP 2000, 2199; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 61. OLG Saarbrücken NJW-RR 1999, 1339 = EWiR 1999, 1175 (Emde); OLG Köln, Urt. v. 25.05.2001 – 19 U 90/01, VersR 2001, 1284; LG Stuttgart NJW-RR 1999, 329 = EWiR 1999, 411 (Emde); Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 388. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 63; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 40; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 79; Schröder § 89a Rn 19a, 19c. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 63; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 19a. BGHZ 24, 91 = NJW 1957, 989; Ebenroth/ Löwisch § 89a Rn 63. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 63; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 19a.

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BGH, Urt. v. 31.03.1982 – IV a ZR 298/80, WM 1982, 635; OLG Stuttgart BB 1960, 956 (957); Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 63. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 63; enger Steindorff ZHR 130 (1968), 82 (84 ff). BGH DB 1966, 1965. BGH NJW 1967, 248; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 63. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 63; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 40; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 79; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 19b. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 63. BGH, Urt. v. 18.06.1959 – II ZR 121/57, NJW 1959, 1490; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 63. BGH NJW 1967, 248 (250); Hopt § 89a Rn 37, 38. OLG Düsseldorf DB 1972, 181.

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§ 89a

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Gesetz kaum zu vereinbaren 621. Wird dem HV aufgrund der unberechtigten Kündigung die Tätigkeit unmöglich und muss er sie einstellen, behält er ohne Weiteres seinen Anspruch auf erfolgsunabhängige, feste Vergütungen 622 sowie die Bezirksvertreterprovision nach § 87 Abs. 2 623; der Unternehmer hat sie unter Anrechnung ersparter Aufwendungen, anderweitigen Einkommens oder sonstiger Vorteile bis zum rechtlichen Ende des Vertragsverhältnisses zu leisten 624. Solange der HV sich auf die Tätigkeit für einen anderem Unternehmer vorbereitet, 55 ohne bereits eine Vergütung zu erzielen, kann § 615 S. 2 BGB nicht eingreifen 625, es sei denn, der Unternehmer weist nach, dass eine solche Vorbereitung bei objektiver Würdigung nicht nötig und der Drittunternehmer zum sofortigen Einsatz des HV bereit gewesen wäre 626. Der Mehrfachvertreter, der sich infolge der Kündigung in höherem Maß für seine übrigen Auftraggeber einsetzen kann, muss sich den dadurch erzielten Mehrverdienst nach § 615 S. 2 anrechnen lassen 627. Der Bezirksvertreter unterlässt, wenn er den Bezirk oder Kundenstamm nicht weiter betreut, keine anderweitige Verwendung seiner Dienste i.S.d. § 615 S. 2 BGB 628. Im Übrigen hat der HV sich auch nach unberechtigter Kündigung vertragsgemäß zu 56 verhalten und alles zu unterlassen, was ohne die fristlose Kündigung vertragswidrig wäre 629; insbesondere also hat er jeden die Interessen des Unternehmers schädigenden Wettbewerb zu unterlassen 630. Dass der Gekündigte vorsorglich in dieser Zeit Verbindungen zur Konkurrenz aufnimmt, um im Falle der endgültigen Lösung seines Vertrages eine Tätigkeit dort übernehmen zu können, wird ihm ebenso wie die Unterzeichnung des Vertrages mit dem Wettbewerber gestattet sein 631. Der HV darf die ungerechtfertigt fristlose Kündigung des Unternehmers aus „wichtigem Grunde“ zum Anlass einer Gegenkündigung nehmen 632. Auch ist eine solche grundlose Kündigung des Unternehmers ein „begründeter Anlass“ zur Eigenkündigung durch den HV i.S.d. § 89b Abs. 3 Nr. 1, der den Ausgleichsanspruch wahrt 633.

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Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 19b. OLG Karlsruhe BB 1977, 1672; Ebenroth/ Löwisch § 89a Rn 63. BGH, Urt. v. 14.11.1966 – VII ZR 112/64, NJW 1967, 248 (250); BGH WM 1982, 632 (635); BGH, Urt. v. 12.03.1992 – I ZR 117/90, NJW-RR 1992, 1059 (1060, 1061); OLG Düsseldorf NJW 1959, 52; OLG Karlsruhe BB 1977, 1672; Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 7; § 89a Rn 63; Hopt § 89a Rn 38; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 80; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 19c. BGH, Urt. v. 18.06.1959 – II ZR 121/57, NJW 1959, 1490; BGH NJW-RR 1992, 1059; BGHZ 41, 292; Ebenroth/Löwisch § 87 Rn 7, § 89a Rn 63; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer, § 87 Rn 25; Hopt § 87 Rn 31; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 87 Rn 87; Schlegelberger/Schröder § 87 Rn 34, 38; aA noch OLG Düsseldorf DB 1972, 181.

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Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 63; aA OLG Düsseldorf BB 1972, 196 = DB 1972, 281. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 63. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 63; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 19b. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 63; aA MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 80. BGH LM § 89a Nr. 1. BGH, Urt. v. 12.03.2003 – VIII ZR 197/02, VersR 2003, 856 = BB 2003, 1253 = NJW-RR 2003, 981 = NJW 2003, 2677 (LS) = WM 2003, 2103 = EWiR 2003, 973 (Albicker). OLG München VersR 1957, 97; LAG Köln MDR 1997, 858; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 60; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 89a Rn 78; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 20a. AA 4. Aufl., § 89a Rn 21. BGH DB 1966, 1965.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 89a

2. Verteidigung gegen die unberechtigte Kündigung. Der unberechtigt Gekündigte 57 braucht sich gegen die Kündigung nicht zur Wehr zu setzen 634. Jedoch kann ausnahmsweise ein Widerspruch gegen die unberechtigte Kündigung unter Treupflichtgesichtspunkten erforderlich sein 635, falls ein Widerspruch zu erwarten wäre. In einem solchen Ausnahmefall kann Schweigen des Gekündigten als Zustimmung zu der Vertragsaufhebung zu werten sein 636. Der Gekündigte braucht keine Feststellungsklage auf Fortbestehen des Vertragsverhältnisses zu erheben 637. Das darf er aber zu jedem Zeitpunkt, zu dem keine Verwirkung eingetreten ist, wobei davon oft schon vor Ablauf der Frist des § 195 BGB auszugehen sein wird, weil der Kündigende trotz seines rechtswidrigen Verhaltens nach angemessener Frist (wohl 1–2 Jahre), auch im Interesse eines eventuellen Nachfolgevertreters, auf die Bestandsfestigkeit eventueller Dispositionen vertrauen darf. Daneben verjähren eventuelle Ansprüche aus dem ungekündigt fortbestehenden Vertrag nach § 195 BGB. Zur Antragstellung der Feststellungsklage BGH v. 14.2.2000 638. Für eine Klage auf Feststellung des Nichtvorliegens eines wichtigen Kündigungsgrundes vor Ausspruch der Kündigung fehlt regelmäßig das Feststellungsinteresse des § 256 ZPO 639. Eine einstweilige Verfügung gem. §§ 935, 940 ZPO, meist in Regelungsverfügung auf Fortsetzung des Vertrages bis zum Abschluss des Hauptverfahrens, ist zulässig 640. So darf ein gekündigter Vertragshändler im Wege der einstweiligen Verfügung die Weiterbelieferung mit Vertragsware 641 verlangen, wenn von dieser seine Existenzgrundlage betroffen und er glaubhaft macht, dass die vom Hersteller erklärte Kündigung verfristet ist 642. Richtigerweise ist auch ohne existenzielle Betroffenheit ein Eilverfahren zulässig, jedenfalls sofern die Kündigung eindeutig unbegründet war. Der Händler ist nicht verpflichtet, Einzelanträge auf Belieferung zu stellen 643. Denn er kann gegenüber seinen Kunden nicht auftreten, wenn er in jedem Einzelfall den Belieferungsanspruch durchsetzen muss. Die Eilbedürftigkeit ergibt sich daraus, dass bei andauernder Nichtbelieferung und Rückhaltung von Boni und Prämien der Händler in eine wirtschaftliche Zwangslage kommt, die zur Insolvenz führt; diese wiederum zum Schufa-Eintrag und zum Verlust von Kundenbeziehungen 644. Ein Verfügungsgrund besteht auch kurz vor Ablauf einer zweijährigen Kündigungsfrist 645. Der Richter kann gemäß § 938 ZPO im Tenor vom gestellten Antrag abweichen, so dass an die Antragsformulierung keine allzu hohen formalistischen Anforderungen gestellt werden646. Anordnungsgrund wie Anordnungsanspruch müssen entsprechend der Beweislastverteilung im Hauptsacheverfahren glaubhaft gemacht werden647. Damit muss der Unternehmer das Vorliegen eines Kündigungsgrundes nachweisen. Gelingt ihm eine Glaubhaftmachung, so obliegt dem Mittler die sekundäre Darlegungs- und Beweislast, um die Glaubhaftmachung zu erschüttern 648. Der Händler kann sich darauf beschränken, einen gem. § 890 ZPO zu vollstreckenden

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Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 61. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 62. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 62. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 62. II ZR 285/97, ZIP 2000, 539 = EWiR 2000, 519 (Böcker). Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 62; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 17. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 61. OLG Saarbrücken NJW-RR 1999, 1339 = EWiR 1999, 1175 (Emde). OLG Köln, Urt. v. 25.05.2001 – 19 U 90/01, VersR 2001, 1284.

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OLG Köln, Urt. v. 25.05.2001 – 19 U 90/01, VersR 2001, 1284. Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 386 f. LG Stuttgart NJW-RR 1999, 329 = EWiR 1999, 411 (Emde). Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 388. Plassmann NJW 1966, 953 (958); Vogels/ Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 388. Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 388.

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Unterlassungsantrag zu stellen, mit dem Ziel, die Verfügungsbeklagte solle es unterlassen Maßnahmen zu ergreifen, die einer Weiterbelieferung entgegenstehen 649. Ein auf Weiterbelieferung und Betreuung gerichteter Leistungsantrag ist unnötig, weil durch das Zwangsgeld bei fehlender Unterlassung der Rechtsschutz hinreichend verwirklicht wird 650.

X. Folgen der Vertragsbeendigung 58

Die wirksame außerordentliche Kündigung beendet das Vertragsverhältnis fristlos mit Zugang der Kündigungserklärung bei dem Gekündigten, sofern keine Auslauffrist gewährt wurde 651. Es entsteht ein Abwicklungsverhältnis mit den zu § 89 Rn 68 genannten Folgen, bei Gewährung einer Auslauffrist gelten die Ausführungen zu § 89 Rn 51 entsprechend. Wird dem Gekündigten eine Auslauffrist gewährt, während der das Vertragsverhältnis fortbestehen soll, oder ist eine solche nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz oder aus der Treupflicht erforderlich (Rn 47), behält der HV während der Übergangszeit alle vertraglichen Ansprüche 652.

C. Der Schadensersatzanspruch nach Abs. 2 59

Wird die Kündigung tatsächlich 653 durch ein Verhalten (Auflösungsverschulden) veranlasst, welches der andere Teil zu vertreten hat – gleichzuachten: falls der Vertrag einverständlich oder im Wege der Kündigung nach § 89 gelöst wird nach einem schuldhaften Verhaltens des einen Teils, welches einen Grund zur fristlosen Kündigung abgegeben hätte 654, und ist kein eindeutiger Verzichtswille erkennbar 655 –, so ist der Kündigungsempfänger zum Ersatz der durch die Aufhebung des Vertragsverhältnisses entstehenden Schadens verpflichtet. Fehlverhalten, welches nicht zum Kündigungsgrund wurde oder dem Gekündigten nicht als Verschulden gegenüber dem Kündigenden anzulasten ist, begründet keinen Ersatzanspruch aus Abs. 2 656. Ebenso wird ein nicht auf der vorzeitigen Vertragsaufhebung beruhender Schaden von Abs. 2 nicht erfasst 657. Abs. 2 entspricht § 628 Abs. 2 BGB 658 und ist wie diese Norm ein Unterfall der PFV (§ 280 BGB); denn unter „vertragswidrigem“ Verhalten i.S.d. Bestimmung ist „schuldhaftes“ Verhalten 649 650 651

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OLG Köln, Urt. v. 25.05.2001 – 19 U 90/01, VersR 2001, 1284. OLG Köln, Urt. v. 25.05.2001 – 19 U 90/01, VersR 2001, 1284. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 51; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 32; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 75; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 18; aA Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 14b, 14c (Vertragsende mit Geltendmachen des Kündigungsgrundes). Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 52. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 53; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 26b. Offengelassen von OLG Köln, Urt. v. 30.09. 2005 – 19 U 67/05, VersR 2006, 407 (408). BGH BB 1964, 283; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 38; Münch-

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KommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 89; aA Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 58 – im Zweifel Verzicht; vgl. auch BGH NJW 1982, 2432. Gegen die Ansicht von Löwisch spricht, dass ein Entgegenkommen des Kündigungsberechtigten – Gesichtswahrung des anderen Vertragsteils – nicht zu seinen Lasten gehen sollte. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 53. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 54; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 25. BGHZ 44, 271; BGH, Urt. v. 01.10.1970 – VII ZR 171/68, WM 1970, 1513; BGHZ 122, 9 (12); Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 53; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 38; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 89a Rn 88; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 22.

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zu verstehen 659. Damit ist zugleich der Maßstab für das Vertreten-müssen gewonnen. Es geht stets um ein solches aus dem vertraglichen Verhältnis zwischen Unternehmer und HV 660, nicht um ein solches zu Dritten. Wenn z.B. der Unternehmer schuldhaft schlechte Qualität liefert, so kann das für den HV einen Grund zur fristlosen Kündigung abgeben, und er ist in der günstigen Lage, sich wegen des durch die Schlechtlieferung hervorgerufenen begründeten Anlasses zur Kündigung (§ 89b Abs. 3 Nr. 1) seinen Ausgleichsanspruch zu erhalten. Einen Schadensersatzanspruch hat er daraus allein noch nicht. Man beachte, dass das Gesetz an dieser Stelle, anders als in § 89b Abs. 3 Nr. 2, nicht von schuldhaftem Verhalten des HV, sondern von einem vom HV „zu vertretenden“ 661 Verhalten spricht. Eine Verpflichtung zum Schadensersatz besteht also auch dann, wenn der zur fristlosen Kündigung Veranlassung gebende Grund in einem schuldhaften Verhalten eines Agenturangestellten oder eines Untervertreters zu sehen ist, für den der HV nach § 278 BGB einzustehen hat 662. Mitverschulden gem. § 254 BGB für das Auflösungsverschulden genügt 663.

I. Umfang des Schadensersatzes Wegen des Umfangs des Schadensersatzes ist auf § 249 BGB hinzuweisen. Zu erset- 60 zen ist jeder durch die außerordentliche Kündigung mit hervorgerufene Schaden. Der Kündigende ist zumindest so zu stellen, wie er stehen würde, falls der Vertrag nicht außerordentlich und vorzeitig – meist fristlos – beendet, sondern bis zu dem Datum fortgeführt worden wäre, zu dem er nach den vereinbarten, hilfsweise den gesetzlichen, Kündigungsfristen 664, aufgelöst worden wäre 665. Bestehen ungleiche Kündigungsfristen für Kündigenden und schuldhaft handelnden Kündigungsempfänger, wird Schadenersatz bis zu dem Zeitpunkt geschuldet, zu dem der Vertragsverletzer hätte ordentlich kündigen können 666. Denn wer aufgrund einer Vertragsverletzung des anderen Teils kündigt, ist bis zu dem Zeitpunkt schutzbedürftig, zu welchem er mit dem Ablauf der Kündigungsfrist nach einer fristgerechten Kündigung des Vertragsverletzers rechnen musste. In der außerordentlichen Kündigung des zum Schadenersatz Berechtigten wird man keine hilfsweise ordentliche Kündigung mit einer ihm gewährten, ggf. kürzeren Frist finden können 667. Zudem wäre auch jene ordentliche Kündigung durch die Vertragsverletzung hervorgerufen, weshalb sich ein Schadenersatzanspruch aus § 280 BGB ergäbe 668. Führt dieses Verständnis zu unangemessen langen Schadenersatzzeiträumen, kommt eine Beschränkung des Ersatzanspruchs nach § 242 BGB in Betracht 669. Diese zu § 89a Abs. 2 659 660

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RGZ 112, 37. OLG Düsseldorf OLGR 1996, 55 (56); Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 53; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 23. OLG Düsseldorf OLGR 1996, 55; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 53; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 37; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 88; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 22a. BGH, Urt. v. 05.02.1959 – II ZR 107/57, JR 1960, 59 (60); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 90; Schlegelberger/ Schröder § 89a Rn 23. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 53.

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BGH NJW-RR 1992, 1059 (1061). BGHZ 122, 9, 12 = NJW 1993, 1386; BGH WM 1970, 1513 (1514); Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 54; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 39; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 91; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 25. OLG Karlsruhe, Urteil v. 17.09.2003 – 1 U 9/03, NJW-RR 2004, 191 = EWiR 2004, 557 (Emde). Emde EWiR 2004, 558. Emde EWiR 2004, 558. OLG Karlsruhe, Urt. v. 17.09.2003 – 1 U 9/03, NJW-RR 2004, 191 = EWiR 2004, 557 (Emde).

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aufgestellte Regel muss entsprechend für den von § 89a Abs. 2 nicht erfassten Fall der Ersatzpflicht nach unberechtigter Kündigung gelten 670. Die der außerordentlichen Kündigung nachfolgende ordentliche Kündigung wird zum Schutz des Ersatzpflichtigen unterstellt, es ist irrelevant, ob der Vertrag tatsächlich auf solche Weise zu diesem Termin beendet worden wäre 671. Der Ersatzberechtigte müsste nachweisen, dass die unterstellte ordentliche Kündigung unterblieben oder der Vertrag nach Ablauf der vertraglich bestimmten Frist fortgesetzt worden wäre. Weitere Schäden sind von der Ersatzpflicht nicht ausgeschlossen, etwa über den Kündigungstermin herausreichende Folgeschäden, die im Fall der (unterstellten) nachfolgenden ordentlichen Kündigung nicht eingetreten wären und daher keine „Sowieso-Schäden“ bilden. Bei einem auf 20 Jahre fest geschlossenen Franchisevertrag ohne ordentliche Kündigungsmöglichkeit wird die Ersatzpflicht erst durch das weit in die Zukunft verlagerte Laufzeitende begrenzt 672. Soll dieser Anspruch vermieden werden, müsste der Gekündigte nachweisen, dass der Vertrag zu einem früheren Zeitpunkt beendet worden wäre 673. Der Ersatzpflichtige schuldet Schadensersatz wegen Nichterfüllung der vertraglichen Pflichten mindestens für die Spanne unterstellter Vertragsfortführung, d.h. das positive Erfüllungsinteresse 674. Aus dem in einem vergleichbaren Zeitraum der Vergangenheit ermittelten Gewinn kann auf den im Referenzzeitraum verlorenen geschlossen werden 675 (§ 287 ZPO). Für die Vergleichbarkeit spricht mangels evidenter Gegenanzeigen eine Vermutung; ohnehin ist sie aus einer Statistik der Gewinne der Vergangenheit leicht nachweisbar, für den HV ggf. nach Buchauszug gem. § 87c (Verweigerung durch den Unternehmer würde die Beweislast in jedem Fall bei ihm ansiedeln). Besonderheiten der Branche, etwa Saisonverkäufen, ist zu genügen 676. Die ggf. vom HV dem Unternehmer geschuldete Entschädigung geht etwa auf Ersatz des Unternehmergewinns, beispielsweise wegen der Nichtbetreuung des dem Gekündigten übergebenen Gebiets, sowie ggf. sonstiger entgangener Vorteile aus dem gekündigten Vertrag 677. Ebenso erfasst wird der Verfrühungsschaden bei der Nachfolgersuche. Ein Schaden des Unternehmers kann auch darin liegen, dass der HV wegen der fristlosen Kündigung nicht mehr dem Wettbewerbsverbot des § 86 unterliegt 678. Dann kann der HV entschädigungslose Wettbewerbsunterlassung für die Zeit der ordentlichen Kündigungsfrist schulden 679. Die vom Unternehmer dem HV zu leistende Entschädigung umfasst die dem HV entgangene volle Vergütung sowie weitere verlorene Vorteile, jeweils abzüglich ersparter Aufwendungen (Beweislast für die Ersparnis beim Ersatzpflichtigen). Der HV kann den Schadensersatz auch in Gestalt der ihm entgehenden höheren Ausgleichschancen fordern, die ihm erwachsen wären, wenn er bei Fortdauer des Vertragsverhältnisses die entsprechenden Provisionen hätte verdienen können 680 oder die Höchstgrenze auf der Basis eines für den HV günstigeren Zeitraums bestimmt worden wäre. Dem HV können ferner durch das vorzeitige Vertragsende verlorene Überhangprovisionen zu ersetzen sein 681, selbst wenn sie für die Zeit nach Vertragsende abbedungen waren 682. Auch mag ein Investitionsschaden für nicht amortisierte Investitionen entstan670 671 672 673 674 675 676 677

Emde EWiR 2004, 558. BGHZ 122, 9, 15. Billing WM 2007, 245 (251). BGH, Urt. v. 08.12.1976 – I ZR 59/75, EBE 1977, 103 (104). Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 54. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 54; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 26. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 54. LAG Baden-Württemberg BB 1955, 177.

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Hopt § 89a Rn 34. Hopt § 89a Rn 34. BGH DB 1966, 1965; BGH, Urt. v. 12.01. 1970 – VII ZR 191/67, BGHZ 53, 150 = NJW 1970, 467; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 54; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 26 aA 4. Aufl., § 89a Rn 26. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 54. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 54; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 26.

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§ 89a

den sein, und zwar auf beiden Seiten 683. § 61 soll auf den HV nicht entsprechend anwendbar sein684. Im Wege der Vorteilsausgleichung ist auf den Schadenersatz anzurechnen, was der Kündigende infolge kündigungsbedingt vorzeitig freiwerdender Kapazitäten 685 anderweitig erworben oder zu erwerben in vorwerfbarer Weise unterlassen hat 686. Mögliche Vor- und Nachteile müssen sich die Vertragspartner gem. §§ 242, 259, 260 BGB mitteilen (Auskunftspflicht) 687. Der Schadenersatz darf wegen Nichterteilung der Auskunft nicht zurückgehalten werden688.

II. Mitverschulden (§ 254 BGB) Bei Mitverschulden ist der Ersatzanspruch des Kündigenden zu mindern689, allgemein 61 bei beiderseitigem Verschulden, falls der Gekündigte den wichtigen Grund mit hervorgerufen hat oder in Ansehung der Obliegenheit zur Abwendung oder Minderung des Schadens (Abs. 2). Die Kündigungserklärung ist dem Kündigenden nicht als Mitverschulden anzulasten690, ggf. aber vorangegangenes Verhalten zumindest analog § 254 BGB (§ 242 BGB) Umstände aus seiner Sphäre, oder welche die zur fristlosen Kündigung führende Vertragsverletzung des Gekündigten mitverursacht haben691. Dabei ist zu bewerten, von wem eine Vertragsverletzung oder ein Schaden überwiegend verursacht worden ist 692. Den Kündigenden trifft nach § 254 Abs. 2 BGB die Obliegenheit zu anderweitigem, nicht überobligationsmäßigen, schadensmindernden Einsatz seiner in Folge der Kündigung vorzeitig frei gewordenen Kapazität im Rahmen des jeweils Möglichen und Zumutbaren693.

III. Beiden Parteien zustehendes Kündigungsrecht Steht beiden Vertragsparteien ein Kündigungsrecht aus wichtigem Grunde zu und übt 62 die eine Partei es aus, so kann die andere das hierdurch aufgelöste Vertragsverhältnis vorsorglich auch ihrerseits kündigen (die Kündigung bleibt wirkungslos, wenn bereits die Kündigung des Vertragspartners aus wichtigem Grund erfolgte und den Vertrag daher beendete); sie kann statt dessen den ihr zur Seite stehenden Grund berufen, um einen Ersatzanspruch nach Abs. 2 geltend zu machen 694. 683 684 685

686 687

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AA Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 54: nur auf Seiten des HV. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 54; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 37. BGH, Urt. v. 01.03.1984 – I ZR 13/82, WM 1984, 1005; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 55; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 39; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 91. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 55; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 26. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 56; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 37; Hopt § 89a Rn 34. BGH, Urt. v. 03.02.1978 – I ZR 116/76, MDR 1978, 467. Schmidt-Rimpler § 83 S. 292; Münch-

690

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KommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 92; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 24. BGHZ 44, 270 (277); Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 55; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 39; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 92. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 55; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 39. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 55; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 24. BGH WM 1970, 1513 (1514); BGH WM 1984, 1005 (1006); Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 55; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 39; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 92. Schmidt-Rimpler § 83 S. 290.

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§ 89a 63

1. Buch. Handelsstand

Der Schadenersatzanspruch des einen Teiles ist nämlich ausgeschlossen, sofern auch der andere Teil hätte fristlos kündigen können, ohne dass es darauf ankommt, ob der andere Vertragsteil von seiner Kündigungsbefugnis Gebrauch gemacht hat. Denn es würde Treu und Glauben widersprechen, den Empfänger der Kündigung schlechter zu stellen, nur weil er sein Kündigungsrecht ungenutzt ließ 695. Diese Ausdehnung ist durch die Natur der Sache geboten, da es sonst auf einen Wettlauf der Kündigungen und auf den Zufall hinauskäme, wer zuerst gekündigt hat. Sind die beiderseits gegebenen Kündigungsgründe je von dem anderen Teil in gleichem Verhältnis zu vertreten, so steht nach den Rechtsgedanken der §§ 242 696, 254 keinem ein Schadensersatzanspruch zu, gleich wer die Kündigung als erster ausgesprochen hat 697. Endlich wird derjenige dem anderen schadensersatzpflichtig sein müssen, der aus wichtigem Grunde kündigt, diesen Grund aber selbst schuldhaft herbeigeführt hat – sofern in dieser Konstellation überhaupt ein Kündigungsrecht bestehen sollte (§§ 162, 242 BGB). Das Problem liegt insoweit parallel demjenigen bei § 1299 BGB.

IV. Positive Forderungsverletzung (§ 280 BGB) 64

Mit dem Anspruch nach Abs. 2 kann ein Schadenersatzanspruch nach § 280 BGB konkurrieren. Dies ist etwa der Fall, falls ein nicht zur Kündigung führendes nachvertragliches Verschulden des Gekündigten vorliegt. Der Widerspruch des HV gegen die durch den Unternehmer erklärte berechtigte Kündigung ist jedoch keine positive Vertragsverletzung i.S.d. § 280 BGB 698. Nimmt ein HV unmittelbar im Anschluss an die außerordentliche Kündigung eine 65 Tätigkeit für einen Konkurrenten auf, so stehen dem bisherigen Unternehmer nur dann Schadenersatzansprüche zu, wenn im HV-Vertrag ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot vereinbart war 699. Ein vom Kündigenden zu vertretender Kündigungsgrund kann selbst dem berechtigt Gekündigten nach § 280 BGB einen § 89a Abs. 2 vergleichbaren Anspruch auf Ersatz eines Aufhebungsschadens geben700, sofern der Kündigende durch sein Verhalten schuldhaft Vertragspflichten verletzt hat. Dieser Fall wird nicht von § 89a Abs. 2 erfasst. Denn dort ist nur das vom Gekündigten zu vertretende Fehlverhalten anspruchsbegründend. Ein Beispiel bildet die schuldhafte Zerstörung der Produktionsmittel durch den Unternehmer, welche zur Unzumutbarkeit der Vertragsfortführung führt701. Es genügt die Verletzung der Pflicht, den Bestand des Vertrags nicht ohne rechtfertigenden Grund zu gefährden702. Auch der Schadenersatzanspruch des unberechtigt außerordentlich Gekündigten wird 66 nicht durch Abs. 2 geregelt; er ergibt sich gleichfalls aus § 280 BGB. Die unberechtigte 695

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BGHZ 44, 271, 277 = LM Nr. 7 mit Anm. Rietschel; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 89a Rn 93. BGHZ 122, 9 (15); BGH BGHZ 44, 271 (277) = NJW 1966, 347; BGH, Urt. v. 11.02.1981 – VIII ZR 312/79, NJW 1981, 1264 = MDR 1981, 839; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 57; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 39; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 93; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 22a. BGHZ 44, 271; BGH, Urt. v. 25.05.1988 –

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VIII ZR 360/86, BGHR BGB § 242 – Kündigung – wichtiger Grund 6. BGH, Urt. v. 20.11.2002 – VIII ZR 65/02, MDR 2003, 376. OLG Köln, Urt. v. 09.08.2002 – 19 U 59/02, VersR 2003, 642. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 59; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 37; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 88. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 59. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 59.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 89a

Kündigung ist eine Pflichtverletzung, welche gem. § 280 BGB zum Schadenersatz verpflichtet. Kündigt etwa ein Hersteller einem Kfz-Vertragshändler, dem ein Alleinvertriebsrecht eingeräumt wurde, unberechtigt und setzt neue Händler ein, so kann dem Händler ein Schadenersatzanspruch nach § 280 BGB i.V.m. §§ 249, 252 BGB zustehen, falls der Hersteller durch den Einsatz weiterer Händler das Alleinvertriebsrecht des Händlers verletzt703. Ferner besitzt der Händler einen Auskunftsanspruch gem. § 242 BGB, aufgrund dessen er vom Hersteller Informationen fordern darf, welche Geschäfte der Hersteller im Vertragsgebiet nach der Kündigung getätigt hat. Auskunft und Schadenersatz können im Wege der Stufenklage geltend gemacht werden. Einen gewichtigen Anhalt für den Umfang der dem Händler entgangenen Geschäfte stellen die Geschäfte dar, welche in der fraglichen Zeit im geschützten Vertragsgebiet durch den Hersteller oder von ihm eingesetzte Händler gezeichnet wurden704. Dies schließt es nicht aus, bei der Schadensberechnung einen besonderen Einsatz der anderen Händler oder deren spezielle Betriebssituation zu berücksichtigen705. Nach einer unberechtigten fristlosen Kündigung des HV kann der Unternehmer den entgangenen Gewinn in der Weise abstrakt berechnen, dass er aus den im Einzelnen aufgeführten Umsätzen in den der Kündigung vorausgehenden 18 Monaten jeweils den monatlichen Durchschnittssatz ermittelt, hieraus den Umsatzausfall für den Zeitraum von der fristlosen Kündigung bis zum Ablauf der Frist für die ordentliche Kündigung errechnet und davon die vertraglich geschuldete Provision und den Warenabsatz abzieht706. Dem Unternehmer ist eine gewisse Übergangszeit einzuräumen, in der er sich nach geeigneten Nachfolgern umsehen darf 707. Auch der Schadenersatzanspruch eines ungerechtfertigt gekündigten Tankstellenvertreters darf auf der Basis des Gewinns der letzten 18 Monate vor Vertragsbeendigung geschätzt werden708. Unerwartete Gewinne, wie etwa Pachtgutschriften, sind dabei außer Betracht zu lassen709. Ein KfzHändler, der gegenüber dem Hersteller einen Kündigungsschaden geltend macht, genügt seiner Darlegungslast, wenn er den Rohertrag je Fahrzeugverkauf angibt und davon die nach seiner Ansicht ersparten Betriebskosten (hier: in Höhe von EUR 80 je Einheit) absetzt 710. Die vom Hersteller behaupteten durchschnittlich ersparten 711 Aufwendungen anderer Kfz-Händler darf der Händler mit Nichtwissen bestreiten. Ein zu Unrecht fristlos gekündigter Bezirksvertreter, der daraufhin seine Tätigkeit für den Unternehmer berechtigt einstellt, erhält bis zur rechtswirksamen Vertragsbeendigung Provision auf alle Geschäfte im Bezirk, ohne Abzüge nach § 615 S. 2 BGB und ohne Vorteilsausgleichung, nicht nur den Anspruch aus § 615 BGB oder einen Schadenersatzanspruch712. 703

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BGH, Urt. v. 22.11.2000 – VIII ZR 40/00, BB 2001, 115 = MDR 2001, 283 = NJW 2001, 821 = WM 2001, 686. Der Ursachenzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden bestimmt sich nach den Beweiserleichterungen des § 287 ZPO: Es genügt eine auf gesicherter Grundlage bestehende Wahrscheinlichkeit. Der Kläger hat Tatsachen vorzutragen und zu beweisen, welche für eine Beurteilung nach § 287 ZPO ausreichende greifbare Anhaltspunkte bieten; so BGH, Urt. v. 03.12.1999 – IX ZR 332/98, VersR 2001, 246; siehe auch Freitag/Leible RIW 2001, 287. BGH, Urt. v. 22.11.2000 – VIII ZR 40/00, BB 2001, 115 = MDR 2001, 283 = NJW 2001, 821 = WM 2001, 686.

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BGH, Urt. v. 30.05.2001 – VIII ZR 70/00, ZIP 2001, 1461 = DB 2001, 2189 = WM 2001, 2010. BGH, Urt. v. 30.05.2001 – VIII ZR 70/00, ZIP 2001, 1461 = DB 2001, 2189 = WM 2001, 2010. KG, Urteil v. 21.05.2007 – 23 U 87/05. KG, Urteil v. 21.05.2007 – 23 U 87/05. BGH, Urt. v. 22.03.2006 – VIII ZR 173/04, WM 2006, 1403 = NJW-RR 2006, 1328 = VersR 2006, 1640. Es ist eine berechtigte Frage, ob solche ersparten Aufwendungen überhaupt abzusetzen sind: Denn aus den Rabatten sollen gerade die Kosten bezahlt werden. BGH BB 1959, 718; BGH, Urt. v. 27.02. 1976 (mitgeteilt bei von Gamm NJW 1979,

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§ 89a

1. Buch. Handelsstand

D. Streitwert 67

Der Streitwert einer Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung bemisst sich gemäß § 12 Abs. 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO auf den Provisionsausfall bis zum nächstmöglichen ordentlichen Kündigungstermin zuzüglich eines etwaigen Ausgleichsanspruchs gemäß § 89b, jeweils gekürzt um einen Abschlag von mindestens 20 %. Eventuelle Schadenersatzansprüche in Zusammenhang mit der unberechtigten Kündigung erhöhen den Streitwert ohne entsprechenden Feststellungsantrag nicht 713. Das OLG Stuttgart nahm keinen Abzug von 20 % vor: Für die Bestimmung des Gebührenstreitwerts einer Feststellungsklage zur Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung des Franchisegebers sei das nach objektiven Kriterien zu untersuchende wirtschaftliche Interesse des Franchisenehmers an der Fortführung des Franchisevertrages, also der drohende Gewinnentgang, maßgeblich 714.

E. Beweislast I. Kündigung 68

Der Kündigende muss folgendes beweisen: alle TB-Voraussetzungen der außerordentlichen Kündigung715. Dies gilt in jeder Prozesssituation, also auch im Falle der Feststellungsklage des Gekündigten auf Fortbestehen des Vertrages oder falls der Gekündigte die außerordentliche Kündigung als Voraussetzung eines von ihm eingeklagten bzw. zur Aufrechnung gestellten Anspruchs geltend macht 716. Der Gekündigte braucht nur die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung oder das Fehlen einer Kündigungserklärung zu behaupten, ohne dies zu begründen 717. Der Kündigende muss insbes. Abgabe und Zugang der rechtswirksamen Kündigungserklärung 718, die Existenz des wichtigen, nicht verbrauchten oder verfristeten Grundes 719, den Nachweis der Kenntnis des Kündigungsgrundes in unverfristeter Zeit 720, die objektive und subjektive Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung bis zum frühestmöglichen ordentlichen Vertragsende 721, eventuell vertraglich vereinbarte Erleichterungen des Kündigungsrechts und ihre Wirksamkeit sowie die Zulässigkeit einer Kündigung ohne Abmahnung beweisen722. Die konkrete Möglichkeit einer zur Verfristung führenden Kenntniserlangung ist allerdings von dem Gekündigten substantiiert aufzuzeigen und von dem Kündigenden zu widerlegen 723. Ein

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2492); OLG Karlsruhe BB 1977, 1672; Hopt § 89a Rn 38. OLG Köln, Urt. v. 20.07.2001 – 19 U 219/00, BB 2001, 2241. OLG Stuttgart, Beschl. v. 30.10.2006 – 5 B 65/06, NJOZ 2007, 934. BGH NJW-RR 1999, 539 (540); Ebenroth/ Löwisch § 89a Rn 65; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 27. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 65. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 65. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 65; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 17. BGH, Urt. v. 20.02.1995 – II ZR 9/94, ZIP 1995, 560 (562) (zu § 626 BGB), OLG München NJW-RR 1995, 1186; Ebenroth/

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Löwisch § 89a Rn 65; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 33; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 17. BGH, Urt. v. 05.04.1990 – IX ZR 16/89; BGHR BGB § 626 Abs. 2 – Kündigungsfrist 1; BGH, Urt. v. 02.06.1997 – II ZR 101/96, GmbHR 1997, 998 (999); LAG Berlin GmbHR 1997, 839 (842); Becker-Schaffner DB 1987, 2153; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 65; MünchKommBGB/Schwerdtner § 626 Rn 242; diff. Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 6. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 65. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 65. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 65.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 89a

Auskunftsanspruch des Kündigenden über mögliche Kündigungsgründe gegen den Gekündigten besteht nicht 724. Der Beweis für einen Verzicht oder eine Verwirkung des Rechts obliegt demjenigen, 69 dem er günstig ist 725, gleiches gilt für die Kenntnis und das Einverständnis des Kündigenden mit dem die Kündigung hervorrufenden Umstand oder Verhalten 726. Günstig sind diese Umstände meist für den Gekündigten.

II. Schadensersatz Beweislast bei dem Kündigenden: Auch im Schadensersatzprozess nach Abs. 2 muss 70 der Kündigende alle o.g. TB-Voraussetzungen der außerordentlichen Kündigung beweisen. Das gilt auch im Fall der Klage des Gekündigten gegen den Kündigenden, etwa mit der Behauptung, dass die erklärte außerordentliche Kündigung unwirksam ist727. Beweislast beim Ersatzberechtigten: Schadenseintritt und Schadenshöhe oder Annah- 71 meverzug im Rahmen des § 615 S. 2 BGB 728 muss der Anspruchsteller beweisen. Die Beweiserleichterungen der §§ 252 BGB, 287 ZPO kommen ihm zugute 729, ebenso die Vermutung, derzufolge der Schaden regelmäßig in Höhe des Durchschnittsgewinns eines repräsentativen Zeitraums der Vergangenheit valutiert 730 (Rn 66). Einen höheren Gewinn als in diesem Referenzzeitraum muss der Ersatzberechtigte beweisen 731. Hinsichtlich des entgangenen Gewinns braucht der Geschädigte deshalb nur die Umstände darzulegen und zu beweisen, die einen Schaden nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere nach den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen, wahrscheinlich machen (§ 252 S. 2 BGB, 287 Abs. 1 ZPO) 732. Gemäß § 252 S. 2 BGB gilt der Gewinn als entgangen, der nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge als entgangen vermutet werden kann (Details Rn 66). Volle Gewissheit, dass der Gewinn gezogen worden wäre, ist nicht erforderlich 733. Es genügt der Nachweis einer gewissen Wahrscheinlichkeit. Dabei dürfen keine zu strengen Anforderungen an die Darlegungsund Beweislast des Geschädigten gestellt werden 734. Steht eine Ersatzforderung dem Grunde nach fest und ist lediglich ihre Höhe nicht sicher zu ermitteln, darf das Gericht die Klage nicht einfach abweisen, sondern muss prüfen, in welchem Umfang der Sachver-

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Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 65. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 65; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 8. BGH ZIP 1995, 560 (562) zu § 626 BGB; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 65. BGH, Urt. v. 13.11.1997 – III ZR 165/96, MDR 1998, 237; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 66. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 66. BGHZ 53, 150 (152); BGH, Urt. v. 06.02. 1986 – I ZR 92/84, WM 1986, 622 (623); BGH, Urt. v. 05.10.1989 – I ZR 160/88, NJW-RR 1990, 171 (172) = EWiR 1990, 167 (v. Hoyningen-Huene); BGH MDR 1998, 237; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 66. BGH, Urt. v. 22.11.2000 – VIII ZR 40/00, BB 2001, 115 = MDR 2001, 283 = NJW

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2001, 821 = WM 2001, 686; BGH WM 1982, 635 (636); BGH WM 1986, 622, 623; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89a Rn 39; Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 66; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 95. BGH NJW-RR 1991, 156 (157). Hübsch/Hübsch WM Sonderbeilage Nr. 1/2005, S. 10. BGH, Urt. v. 30.05.2001 – VIII ZR 70/00, ZIP 2001, 1461 = DB 2001, 2189 = WM 2001, 2010. BGH, Urt. v. 05.10.1989 – I ZR 160/88, WM 1990, 281; BGH, Urt. v. 30.05.2001 – VIII ZR 70/00, ZIP 2001, 1461 = DB 2001, 2189 = WM 2001, 2010; Hübsch/Hübsch WM Sonderbeilage Nr. 1/2005, S. 10.

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§ 89b

1. Buch. Handelsstand

halt eine Grundlage für die Schätzung eines Mindestschadens bietet 735. Für den Umfang eines „Ausgleichsschadens“, weil dem Gekündigten infolge der Kündigung ein höherer Ausgleich gemäß § 89b entgangen ist, bleibt der Gekündigte beweisbelastet 736. Beweislast beim Ersatzverpflichteten: Der Beweis der Untypik eines dem Ersatzanspruch 72 zugrundegelegten Zeitraums der Vergangenheit obliegt dem Ersatzverpflichteten. Gleiches gilt für Mitverschulden oder Vorteilsausgleichung 737, etwa mittels anderweitiger Nutzung vorhandener Kapazitäten 738. Dem Ersatzpflichtigen obliegt ferner der Beweis, dass ein von § 252 BGB vermuteter Gewinn nach dem späteren Verlauf oder aus irgendwelchen anderen Gründen nicht erzielt worden wäre 739. Diese Allokation der Beweislast gilt auch im Rahmen des § 615 S. 2 BGB 740. 73

§ 89b Ausgleichsanspruch (1) 1Der Handelsvertreter kann von dem Unternehmer nach Beendigung des Vertragsverhältnisses einen angemessenen Ausgleich verlangen, wenn und soweit 1. der Unternehmer aus der Geschäftsverbindung mit neuen Kunden, die der Handelsvertreter geworben hat, auch nach der Beendigung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile hat, 2. der Handelsvertreter infolge der Beendigung des Vertragsverhältnisses Ansprüche auf Provision verliert, die er bei Fortsetzung desselben aus bereits abgeschlossenen oder künftig zustande kommenden Geschäften mit den von ihm geworbenen Kunden hätte, und 3. die Zahlung eines Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände der Billigkeit entspricht. 2 Der Werbung eines neuen Kunden steht es gleich, wenn der Handelsvertreter die Geschäftsverbindung mit einem Kunden so wesentlich erweitert hat, dass dies wirtschaftlich der Werbung eines neuen Kunden entspricht. (2) Der Ausgleich beträgt höchstens eine nach dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre der Tätigkeit des Handelsvertreters berechnete Jahresprovision oder sonstige Jahresvergütung; bei kürzerer Dauer des Vertragsverhältnisses ist der Durchschnitt während der Dauer der Tätigkeit maßgebend. (3) Der Anspruch besteht nicht, wenn 1. der Handelsvertreter das Vertragsverhältnis gekündigt hat, es sei denn, dass ein Verhalten des Unternehmers hierzu begründeten Anlass gegeben hat oder dem Handelsvertreter eine Fortsetzung seiner Tätigkeit wegen seines Alters oder wegen Krankheit nicht zugemutet werden kann, oder

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BGH, Urt. v. 30.05.2001 – VIII ZR 70/00, ZIP 2001, 1461 = DB 2001, 2189 = WM 2001, 2010; tendenziell bereits DB 2000, 967 (zum Ausgleichsanspruch). Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 66; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 20. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 66; Münch-

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KommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 95. BGH WM 1986, 622 (623). BGH, Urt. v. 30.05.2001 – VIII ZR 70/00, ZIP 2001, 1461 = DB 2001, 2189 = WM 2001, 2010. Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 19a.

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§ 89b

1. Buch. Handelsstand

halt eine Grundlage für die Schätzung eines Mindestschadens bietet 735. Für den Umfang eines „Ausgleichsschadens“, weil dem Gekündigten infolge der Kündigung ein höherer Ausgleich gemäß § 89b entgangen ist, bleibt der Gekündigte beweisbelastet 736. Beweislast beim Ersatzverpflichteten: Der Beweis der Untypik eines dem Ersatzanspruch 72 zugrundegelegten Zeitraums der Vergangenheit obliegt dem Ersatzverpflichteten. Gleiches gilt für Mitverschulden oder Vorteilsausgleichung 737, etwa mittels anderweitiger Nutzung vorhandener Kapazitäten 738. Dem Ersatzpflichtigen obliegt ferner der Beweis, dass ein von § 252 BGB vermuteter Gewinn nach dem späteren Verlauf oder aus irgendwelchen anderen Gründen nicht erzielt worden wäre 739. Diese Allokation der Beweislast gilt auch im Rahmen des § 615 S. 2 BGB 740. 73

§ 89b Ausgleichsanspruch (1) 1Der Handelsvertreter kann von dem Unternehmer nach Beendigung des Vertragsverhältnisses einen angemessenen Ausgleich verlangen, wenn und soweit 1. der Unternehmer aus der Geschäftsverbindung mit neuen Kunden, die der Handelsvertreter geworben hat, auch nach der Beendigung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile hat, 2. der Handelsvertreter infolge der Beendigung des Vertragsverhältnisses Ansprüche auf Provision verliert, die er bei Fortsetzung desselben aus bereits abgeschlossenen oder künftig zustande kommenden Geschäften mit den von ihm geworbenen Kunden hätte, und 3. die Zahlung eines Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände der Billigkeit entspricht. 2 Der Werbung eines neuen Kunden steht es gleich, wenn der Handelsvertreter die Geschäftsverbindung mit einem Kunden so wesentlich erweitert hat, dass dies wirtschaftlich der Werbung eines neuen Kunden entspricht. (2) Der Ausgleich beträgt höchstens eine nach dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre der Tätigkeit des Handelsvertreters berechnete Jahresprovision oder sonstige Jahresvergütung; bei kürzerer Dauer des Vertragsverhältnisses ist der Durchschnitt während der Dauer der Tätigkeit maßgebend. (3) Der Anspruch besteht nicht, wenn 1. der Handelsvertreter das Vertragsverhältnis gekündigt hat, es sei denn, dass ein Verhalten des Unternehmers hierzu begründeten Anlass gegeben hat oder dem Handelsvertreter eine Fortsetzung seiner Tätigkeit wegen seines Alters oder wegen Krankheit nicht zugemutet werden kann, oder

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BGH, Urt. v. 30.05.2001 – VIII ZR 70/00, ZIP 2001, 1461 = DB 2001, 2189 = WM 2001, 2010; tendenziell bereits DB 2000, 967 (zum Ausgleichsanspruch). Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 66; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 20. Ebenroth/Löwisch § 89a Rn 66; Münch-

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KommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 95. BGH WM 1986, 622 (623). BGH, Urt. v. 30.05.2001 – VIII ZR 70/00, ZIP 2001, 1461 = DB 2001, 2189 = WM 2001, 2010. Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 19a.

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2. der Unternehmer das Vertragsverhältnis gekündigt hat und für die Kündigung ein wichtiger Grund wegen schuldhaften Verhaltens des Handelsvertreters vorlag oder 3. auf Grund einer Vereinbarung zwischen dem Unternehmer und dem Handelsvertreter ein Dritter anstelle des Handelsvertreters in das Vertragsverhältnis eintritt; die Vereinbarung kann nicht vor Beendigung des Vertragsverhältnisses getroffen werden. (4) 1Der Anspruch kann im voraus nicht ausgeschlossen werden. 2Er ist innerhalb eines Jahres nach Beendigung des Vertragsverhältnisses geltend zu machen. (5) 1Die Absätze 1, 3 und 4 gelten für Versicherungsvertreter mit der Maßgabe, dass an die Stelle der Geschäftsverbindung mit neuen Kunden, die der Handelsvertreter geworben hat, die Vermittlung neuer Versicherungsverträge durch den Versicherungsvertreter tritt und der Vermittlung eines Versicherungsvertrages es gleichsteht, wenn der Versicherungsvertreter einen bestehenden Versicherungsvertrag so wesentlich erweitert hat, dass dies wirtschaftlich der Vermittlung eines neuen Versicherungsvertrages entspricht. 2Der Ausgleich des Versicherungsvertreters beträgt abweichend von Absatz 2 höchstens drei Jahresprovisionen oder Jahresvergütungen. 3Die Vorschriften der Sätze 1 und 2 gelten sinngemäß für Bausparkassenvertreter.

Schrifttum Ahle Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters bei Rücknahme einer zeitweilig übertragenen Zusatzvertretung, DB 1962, 1069; ders. Vorwegerfüllung des Ausgleichsanspruchs der Handelsvertreter, DB 1962, 1329; ders. Probleme beim Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB bei Handelsvertretungen durch juristische Personen oder Personengesamtheiten, DB 1963, 227; ders. Der Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB bei Vertretungen von Anlagegütern, DB 1963, 1704; ders. Provision und Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters bei Einsatz eines Nachfolgers, DB 1964, 611; Arndt Alters- oder krankheitsbedingte Kündigung bei Handelsvertreter-Gesellschaften: Erhaltung des Ausgleichsanspruchs durch Formwechsel? DB 1999, 1789; Ball Rechtsnatur und Funktion des Ausgleichsanspruchs nach § 89b HGB unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, in Saenger/Schulze Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, 2000, S. 17; Bamberger Zur Frage des Ausgleichsanspruchs, insbesondere der Provisionsverluste des Handelsvertreters bei einer Vertriebsumstellung des Unternehmers, NJW 1984, 2670; Bechtold Ausgleichsansprüche für Eigenhändler dargestellt am Beispiel des Automobilvertriebs, NJW 1983, 1393; ders. Rechtstatsachen zum Ausgleichsanspruch des Automobilhändlers, BB 1984, 1262; Bodewig Der Ausgleichsanspruch des Franchisenehmers nach Beendigung des Vertragsverhältnisses, BB 1997, 637; v. Brunn Ausgleichsansprüche bei Eigenhändlerverträgen, DB 1961, 429; Brych Ausgleichsanspruch bei jedweder Art von Eigenkündigung, BB 1992, 8; Creutzig Automobilvertrieb heute und morgen, DAR 1999, 16; Eberstein Bemerkungen zu den Urteilen des Bundesgerichtshofes zum Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, BB 1957, 663; ders. Zum Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, BB 1957, 1059; ders. Zehn Jahre Rechtsprechung zum neuen Handelsvertreterrecht, BB 1964, 271; ders. Vorauserfüllung oder Überwälzung des Handelsvertreter-Ausgleichsanspruchs durch vertragliche Regelung, BB 1971, 200; Eckert Die analoge Anwendung des Ausgleichsanspruchs nach § 89b HGB auf Vertragshändler und Franchisenehmer, WM 1991, 1237; Ekkenga Ausgleichsanspruch analog § 89b HGB und Ertragswertmethode, AG 1992, 345; Emde Ausgleichsanspruch analog § 89b HGB für Markenlizenznehmer?, WRP 2003, 468; ders. Der Ausgleichsanspruch des Lizenznehmers analog § 89b HGB, WRP 2006, 449; ders. Die betriebsbedingte außerordentliche Kündigung von Vertragshändlerverträgen durch den Unternehmer, BB 1996, 2260; Evers Die Nichtigkeit von Handelsvertreterverträgen wegen zu geringer Verdienstmöglichkeiten und ihre Rückabwicklung, BB 1992, 1365; Felix Betriebsaufgabe und Ausgleichsansprüche der Handelsvertreter nach § 89b HGB, BB 1987, 870; Finger Die Stellung des Vertragshändlers bei Beendigung des Vertrags, DB 1970, 141; Flohr Die Anwendbarkeit des § 89b HGB auf den Ausgleichsanspruch des Franchisenehmers bei Beendigung des Franchisevertrags, DStR 1998, 572; Fock Der nachvertragliche Schadensersatzanspruch des Handelsvertreters gem. Art. 17 Abs. 3 der EG-Handelsvertre-

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terrichtlinie – Alternative oder Ergänzung zum Goodwill-Ausgleich des Vertreters? in Saenger/Schulze, Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, 2000, S. 62; Foth Neue Kehrtwende der Rechtsprechung zum Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers in der Kraftfahrzeugbranche, BB 1987, 1686; Frieseke Steuerrechtliche Bedeutung des Ausgleichsanspruchs der Handelsvertreter, DB 1962, 8; Fritz Die Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs des Handelsvertreters nach § 89b HGB, NJW 1960, 1653; Gassner Rückstellungen für künftig anfallende Ausgleichsansprüche der Handelsvertreter, DB 1968, 1645; Gessler Zum Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, BB 1957, 1164; Glaser Steht dem Erben des Handelsvertreters ein Ausgleichsanspruch zu?, DB 1955, 1081; ders. Steht dem Generalvertreter ein Ausgleichsanspruch zu?, DB 1957, 1173; ders. Vergütungsfragen des Handelsvertreterrechts, DB 1956, 297; Görres Der Ausgleichsanspruch der Erben des Handelsvertreters, DB 1955, 681; Günther Zum Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, BB 1957, 1058; Karl Peer Günther Der Versicherungsvertreter und sein Ausgleichsanspruch, 2004, S. 108; Haas Wegfall des Handelsvertreterausgleichsanspruchs gemäß § 89b Abs. 3 Nr. 1 HGB bei Eigenkündigung ohne besonderen Anlaß verfassungswidrig? BB 1991, 1441 und BB 1992, 941; Habscheid Das Ausgleichsrecht des Handelsvertreters, FS Walter Schmidt-Rimpler, 1957, S. 335; Hartz Zur bilanzmäßigen Behandlung der Ausgleichszahlung an den Handelsvertreter, DB 1958, 408; Heissmann Ausgleichszahlung des Handelsvertreters und Pensionzusage, DB 1957, 395; Heitmann Rückstellungen für den Ausgleichsanspruch und den Pensionsanspruch des Handelsvertreters, BB 1966, 1305; Helpensteller Bilanzielle Behandlung von Ausgleichsansprüchen aus Verträgen mit Handelsvertretern gemäß § 89b HGB nF, DB 1977, 2385; Hepting/Detzer Die Abdingbarkeit des Ausgleichsanspruchs ausländischer Handelsvertreter und Vertragshändler, insbesondere durch Allgemeine Geschäftsbedingungen, RIW 1989, 337; Herbert Neues zum Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, BB 1997, 1317; Hermes Beendigung des Vertragshändlervertrags im deutschen und niederländischen Recht, RIW 1999, 81; Heuer Aktivierungszeitpunkt für den Ausgleichsanspruch eines Handelsvertreters, DB 1963, 1738; Hintzen/Hintze Die Rückstellung für Ausgleichsansprüche der Handelsvertreter (§ 89b HGB) in der neueren Rechtsentwicklung, DB 1978, 2037 und 2087; Höfer/Küpper Betriebliche Altersversorgung bei Umwandlung von Tätigkeitsvergütungen, BB 1990, 849; Höft Beschränkung des ausgleichsberechtigten Erbenkreises für den Fall des Todes des Versicherungsvertreters, VersR 1965, 553; ders. Ausgleichspflichtiger Provisionsverlust der Versicherungs-(Bausparkassen-)Vertreter (§ 89b I 2 HGB), VersR 1966, 104; ders. Ausgleichsanspruch (§ 89b HGB) der Versicherungs- und Bausparkassenvertreter für künftig zustande kommende Verträge, VersR 1967, 524; ders. Nochmals: Kein Ausgleichsanspruch (§ 89b HGB) des Versicherungsvertreters für Inkasso- und sonstige Verwaltungsprovisionen, VersR 1970, 97; ders. Die provisionsrechtlichen Sonderregelungen für die Versicherungswirtschaft – Gründe und Unverzichtbarkeit, VersR 1976, 205; Hoffstadt Rechtsstellung des Handelsvertreters im Konkurs des vertretenen Unternehmens, DB 1983, 645; Hohn Wirtschaftliche Anspruchsfaktoren beim Ausscheiden des Handelsvertreters, BB 1972, 521; Hollmann Zum Ausgleichsanspruch des Automobil-Vertragshändlers nach § 89b HGB, BB 1985, 1023; Honsel Anrechnung einer Versorgungsanwartschaft auf den Ausgleichsanspruch eines Handelsvertreters, BB 1984, 365; Horn Zum Ausgleichsanspruch des Eigenhändlers: Kundenstamm und werbende Tätigkeit, ZIP 1988, 137; Intveen Praxisprobleme bei der Berechnung des Ausgleichsanspruchs eines KFZ-Vertragshändlers, BB 1999, 1881; Kainz/Lieber/ Puszkajle Die „Münchener Formel“ – oder Berechnung des Vertragshändlerausgleichs in der Autobranche, BB 1999, 434; Kapp Gehört der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters zum erbschaftsteuerpflichtigen Erwerb? DB 1959, 242; Kirsch Ist der Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers analog § 89b HGB am Ende? NJW 1999, 2779; Klinger Zur Berechnung des Ausgleichsanspruchs der Handelsvertreter, DB 1957, 925; ders. Ausgleichsansprüche der Handelsvertreter und Pensionszusagen, DB 1958, 1192; Kluge Die gewerbesteuerliche Behandlung des Ausgleichsanspruchs beim Handelsvertreter, BB 1972, 441; Köhler Ausgleichsanspruch des Franchisenehmers: Bestehen, Bemessung, Abwälzung, NJW 1990, 1689; Kraatz Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters nach Vertragsbeendigung, WM 1982, 498; Kreifels/Lang Der Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers, NJW 1970, 1769; Kroitzsch Der Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers und seine kartellrechtlichen Grenzen, BB 1977, 1631; Kümmel Der Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers, DB 1997, 27; ders. Der Ausgleichsanspruch des Kfz-Vertragshändlers – Berechnung nach der „Münchner Formel“, DB 1998, 2407; Küstner Berücksichtigung ersparter Unkosten beim Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, BB 1962, 432; ders. Altersversorgung und Ausgleichs-

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anspruch des Handelsvertreters, BB 1963, 1147; ders. Der Ausgleichsanspruch des Bausparkassenvertreters, BB 1966, 269; ders. Zur Aktivierung erbrachter Anspruchsleistungen an Versicherungsvertreter in der Bilanz von Versicherungsunternehmen, BB 1967, 114; ders. Die Berechnung des Ausgleichsanspruchs nach § 89b HGB, NJW 1969, 769; ders. Neue Rechtsprechung zum Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters nach § 89b HGB, BB 1972, 1300; ders. Der Ausgleichsanspruch des Krankenversicherungsvertreters, BB 1975, 493; ders. Neufassung des § 89b Abs. 3 HGB bei altersoder krankheitsbedingter Kündigung des Handelsvertreters, BB 1976, 630; ders. Zum Einfluß des Betriebsrentengesetzes auf die Ausgleichsberechtigung des Handelsvertreters (§ 89b HGB), BB 1976, 1485; ders. Probleme des Ausgleichsanspruchs nach § 89b HGB und seiner Berechnung bei Bausparkassenvertretern, BB 1981, Beilage 12/1981 zu Heft 30/1081; ders. Berechnungsgrundlage für Höhe und Höchstgrenze des Handelsvertreter-Ausgleichsanspruchs, BB 1982, 275; ders. Die neuere Rechtsprechung zum Außendienstrecht, BB 1985, Beilage 12/1985 zu Heft 27/85; ders. Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters und Altersversorgungsleistungen, BB 1994, 1590; ders. Bestandswegnahme und Schadensersatz, VersR 1996, 944; ders Aktuelle Probleme des Vertriebsrechts, BB 1999, 541; ders Ausgleichsberechnung nach § 89b HGB – Fehler im Detail, BB 2000, Heft 20, „Die erste Seite“; Küstner/v. Manteuffel Berechnung des Ausgleichsanspruchs des Vertragshändlers, BB 1988, 1972; dies Die Änderungen des Handelsvertreterrechts aufgrund der EG-Harmonisierungsrichtlinie vom 18.12.1986, BB 1990, 291; dies Gedanken zu dem neuen Ausgleich-Ausschlußtatbestand gem § 89b Abs. 3 Nr. 3 HGB, BB 1990, 1713; dies Probleme des Handelsvertreterrechts, ZIP 1988, 63; Labe Eigenkündigung des Handelsvertreters: Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses des Ausgleichsanspruchs, DB 1994, 1275; Laum Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, BB 1967, 1359; Littmann Zweifelsfragen im Zusammenhang mit der steuerlichen Behandlung von Ausgleichsansprüchen der Handelsvertreter, BB 1959, 446; Loos Keine Aktivierung der von Unternehmen an Selbständige gewährten und von § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG erfaßten Pensionsanwartschaften und Pensionsansprüche, BB 1989, 669; Lutz Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters und Pensionszusage, DB 1989, 2345; Maier Kündigung des Handelsvertreters wegen Alters oder Krankheit, BB 1978, 940; Martin Gesetzlicher Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters und Versorgungszusagen, DB 1966, 1837; ders. Offene Handelsgesellschaften und Kommanditgesellschaften als Versicherungsvertreter, VersR 1967, 824; ders. Ausgleichsanspruch (§ 89b HGB) des Versicherungsvertreters und Wettbewerb zum Nachteil des Unternehmers, VersR 1968, 117; ders. Zum Ausgleichsanspruch des Versicherungsvertreters, VersR 1970, 796; Martinek Franchising im Handelsrecht, ZIP 1988, 1362; Matthies Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters bei kurzer Vertragsdauer, DB 1986, 2063; Matthiessen Arbeits- und Handelsvertreterrechtliche Ansätze eines Franchisenehmerschutzes, ZIP 1988, 1089; Melcher Die Anwendung des Handelsvertreterrechts auf Kapitalanlageberater, BB 1981, 2101; Mellerowicz Zur Bilanzierung der Ausgleichsansprüche von Handelsvertretern, BB 1959, 150; Merkel Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, BB 1956, 420; Meyer Ausgleichsansprüche nach § 89b HGB beim Vertrieb langlebiger Wirtschaftsgüter, BB 1970, 780; Moritz Zum Wegfall des Ausgleichsanspruchs bei Kündigung durch den Handelsvertreter, DB 1987, 875; Mücke Ist § 89b HGB auf Vertragshändler anwendbar?, MDR 1956, 641; Müller Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters nach § 89b I 2 wegen erweiterter Altkundenbeziehung auch bei Umsatzrückgang?, NJW 1997, 3432; Müller-Stein Ausgleichsanspruch gem § 89b HGB nach Bestandsübertragungen aufgrund erteilter Makleraufträge, VersR 1990, 561; Neflin Vorausregelung und Unabdingbarkeit des Ausgleichsanspruchs eines Handelsvertreters, DB 1956, 765; ders. Nochmals: Umstellung der Vertriebsorganisation vom Handelsvertreter auf Reisende, DB 1958, 579; ders. Der Industriepropagandist in handels- und steuerrechtlicher Sicht, DB 1961, 833; ders. Vorwegerfüllung des Ausgleichsanspruchs des Handelsvertreters, DB 1962, 1531; Neuburger/Gaa Ausgleichsanspruch und Pensionsanspruch des Handelsvertreters, BB 1968, Beilage 10/1968 zu Heft 31/68; Niebling Der Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers, BB 1997, 2388; ders. Automobilvertrieb im Umbruch, DAR 1999, 8; Nies Kann einem Eigenhändler der Ausgleichsanspruch des § 89b HGB zustehen?, MDR 1961, 556; Noetze Der Billigkeitsgedanke beim Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, NJW 1958, 1325; Noetzel Die eigene Kündigung des Handelsvertreters und sein gesetzlicher Ausgleichsanspruch, DB 1993, 1557; Ordemann Der „Generalvertreter“ und sein Ausgleichsanspruch, BB 1964, 1323; ders. Die Entschädigung des Handelsvertreters für Wettbewerbsbeschränkungen (§ 90a HGB), BB 1965, 932; Oswald Rückstellungen für Ausgleichsansprüche der Handelsvertreter, BB 1978, 1501; ders.

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Wie wird der Ausgleich des Handelsvertreters gemäß § 89b HGB errechnet? VersR 1979, 509; Peterek Zur Bedeutung und zum Umfang allgemeiner Kundenschutzvereinbarungen, BB 1996, 351; Rau Verbindung von Ausgleichsanspruch und Pensionszusage bei Handelsvertretern, BB 1967, 403; Reinicke Auslegungsfragen zum neuen Recht der Handelsvertreter, NJW 1953, 1609; Retzer Verfassungsmäßigkeit des § 89b Abs. 3 Nr. 1 HGB, BB 1993, 668 und 963; Reufels/Lorenz „Pauschalierung des Ausgleichsanspruchs für Kfz-Vertragshändler“ – ein Plädoyer gegen die „Münchener Formel“, BB 2000, 1586; Risse Die Rechtsnatur des Ausgleichsanspruches der Handelsvertreter und ihre Bedeutung und seine steuerliche Behandlung, BB 1956, 1135; ders. Zum Ausgleichsanspruch der Handelsvertreter, BB 1957, 669; ders. Zur bilanzmäßigen Behandlung der Ausgleichszahlung an den Handelsvertreter, DB 1958, 408; ders. Zur steuerlichen Beurteilung der Ausgleichsansprüche der Handelsvertreter, BB 1958, 337; ders. Zweifelsfragen im Zusammenhang mit der steuerlichen Behandlung von Ausgleichsansprüchen der Handelsvertreter, BB 1958, 1089; Rittner, Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters und die jüngste BGH-Rechtsprechung, DB 1998, 457; Rösseler Zur Verbindung von Ausgleichsansprüchen und Pensionszusagen an Handelsvertreter, DB 1958, 752; Saenger Das Recht des Handelsvertreters zur ausgleichswahrenden Eigenkündigung, DB 2000, 129; Sandrock Der Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers, FS für Robert Fischer, 1979, S. 657; Schaefer Das rotierende Vertriebsystem auf der Grenze zwischen Arbeits- und Handelsvertreterrecht, NJW 2000, 320; Scherer Ausschluß von Ausgleichsansprüchen des Handelsvertreters, DB 1996, 1709; Schiefelbein Beschränkung des ausgleichsberechtigten Erbenkreises für den Fall des Todes des Versicherungsvertreters, VersR 1965, 552; Schlechtriem Ausgleichsansprüche des Hauptvertreters, BB 1971, 1540; Schmidt Pensionsvertrag mit Handelsvertretern und Ausgleichsanspruch, DB 1954, 994; ders. Frist zur Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs des Handelsvertreters, BB 1965, 732; ders. Kundenstammüberlassung und „Sogwirkung der Marke“: taugliche Kriterien für den Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers? DB 1979, 2357; Schneider Die Bemessungsumstände für den Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters gemäß § 89b HGB, JurBüro 1968, 569; ders. Der Verzinsungsbeginn bei Ausgleichsansprüchen des Handelsvertreters, DB 1968, 1613; ders. Die Billigkeit beim Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, MDR 1970, 976; ders. Der Streitwert für Klagen des Handelsvertreters, BB 1976, 1298; Schnitzler Zur Vorausregelung des Ausgleichsanspruchs nach § 89b HGB, MDR 1958, 556; ders. Der Ausgleichsanspruch arbeitsunfähiger Handelsvertreter, DB 1965, Beilage Nr. 15/65 zu Heft 37/65; Schreiber Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters aus prozessualer Sicht, NJW 1998, 3737; Schröder Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, BB 1954, 477; ders. Steht ein Ausgleichsanspruch auch einem Eigenhändler (Vertragshändler) zu?, BB 1958, 252; ders. Zur Berechnung des Ausgleichsanspruchs der Handelsvertreter, DB 1958, 43; ders. Änderung der Vertragsbedingungen und Ausgleichsanspruch im Handelsvertreterverhältnis, DB 1958, 975; ders. Ausgleichsansprüche im Konkurs eines Handelsvertreters, der Selbstmord begangen hat, KTS 1960, 148; ders. Zum Ausgleichsanspruch des Eigenhändlers (Vertragshändlers), BB 1961, 809; ders. Kundenschutz und Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, BB 1962, 738; ders. Zweifelsfragen im Ausgleichsrecht der Handelsvertreter, DB 1962, 895; ders. Gesetzlicher und vertraglicher Provisionsanspruch des Handelsvertreters, BB 1963, 567; ders. Außerbezirkliche Geschäfte des Handelsvertreters, DB 1963, 541; ders. Wettbewerbsbeschränkende Wirkung der Ausgleichsleistung, DB 1964, 323; ders. Zur Berechnung des Ausgleichsanspruchs des Versicherungs-(Bausparkassen-) Vertreters, FS Nipperdey 1965, S. 715; ders. Zum Ausgleichsanspruch des Eigenhändlers, DB 1966, 449; ders. Rechtsgeschäftliche Abwendung des Ausgleichsanspruchs nach § 89b HGB, DB 1967, 1303; ders. Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB bei Veräußerung und Stilllegung des vertretenen Unternehmens, DB 1967, 2015; ders. Abwälzung des Ausgleichsanspruchs auf den Nachfolger des ausgeschiedenen Handelsvertreters, DB 1969, 291; ders. Zum Begriff der Unternehmervorteile beim Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters nach § 89b HGB, DB 1973, 217; ders. Wichtige Gesetzesänderungen im Ausgleichsrecht der Handelsvertreter (§ 89b HGB), DB 1976, 1269; ders. Zum Begriff „Unternehmervorteile“ im Ausgleichsrecht nach § 89b Abs. 1 Nr. 1 HGB, DB 1976, 1897; Schuler Ausgleichsansprüche bei Beendigung des Handelsvertretervertrages, JR 1957, 44; ders. Der BGH und der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, JR 1958, 94; ders. Die Bemessung des Ausgleichsanspruchs des Handelsvertreters, NJW 1958, 1113; ders. Ausgleichsanspruch des Eigenhändlers?, NJW 1959, 649; ders. Zum Ausgleichsanspruch des Eigenhändlers und des Handelsvertreters, NJW 1961, 758; Selthorst Der Ausschluss des Ausgleichs gemäß § 89b Abs. 3 HGB in Saenger/ Schulze Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, 2000, S. 43; Semler Aktuelle Fragen im

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Recht der Vertragshändler, DB 1985, 2493; Seyde Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, Beweislast für erheblichen Vorteil, DB 1957, 476; Seithel Abwälzung der Ausgleichsverpflichtung auf den Nachfolger des Handelsvertreters, BB 1963, 465; Siebel Ausgleichsverpflichtungen an Handelsvertreter, BB 1971, 464; Sieg Rechtsnatur des Ausgleichsanspruchs des Versicherungsvertreters und Folgerungen hieraus, VersR 1964, 789; ders. Die Kündigung des Handelsvertretervertrages im Blickpunkt des Ausgleichsanspruchs, AG 1964, 293; ders. Einfluß des Wegfalls der Altersversorgung auf den festgestellten Ausgleichsanspruch, VersR 1968, 105; Slomma Zur Frage der Bildung von Rückstellungen für Ausgleichsansprüche von Handelsvertretern, BB 1978, 492; ders. Bildung von Rückstellungen für Ausgleichsansprüche der Handelsvertreter nach § 89b HGB, BB 1981, 1498; Steindorff Vereitelte Ansprüche und Wettbewerbsverbot des Handelsvertreters, ZHR 130 (1968), 82; Stötter Das Verbot des rechtsgeschäftlichen Ausschlusses des Ausgleichsanspruchs nach § 89b IV HGB, DB 1971, 709; ders. Vorwegerfüllung des Ausgleichsanspruchs des Handelsvertreters, BB 1972, 1036; Stumpf Vertragshändlerausgleich analog § 89b HGB – praktische und dogmatische Fehlverortung, NJW 1998, 12; Stumpf/Hesse Der Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers, BB 1987, 1474; Stumpf/Zimmermann Zu den Voraussetzungen des Anspruchs des Vertragshändlers auf Zahlung eines Ausgleichs, BB 1978, 429; Theis Ausgleichszahlungen an Handelsvertreter, DB 1955, 248; Thume Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, BB 1990, 1645; ders. Der neue Ausgleichs-Ausschlußtatbestand nach § 89b Abs. 3 Nr. 3 HGB, BB 1991, 490; ders. Neues zum Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters und des Vertragshändlers, BB 1994, 2358; ders. Einige Gedanken zum Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB, BB 1999, 2309; Uelner Pensionsrückstellungen beim Zusammentreffen von Pensionszusage und Ausgleichsanspruch bei Handelsvertretern, BB 1967, 489; Ulmer Kündigungsschranken um Handels- und Gesellschaftsrecht, FS Philipp Möhring, 1976; S. 205; Veith Ausgleichsanspruch des Tankstellenhalters nach § 89b HGB, DB 1963, 1277; ders. Zum Ausgleichsanspruch eines Tankstellenhalters nach § 89b HGB, DB 1965, 65; Veltins Zur analogen Anwendung von § 89b HGB auf den Ausgleichsanspruch des Eigenhändlers, NJW 1984, 2063; Waldner Zur Verbindung von Ausgleichsansprüchen und Pensionszusagen an Handelsvertreter, DB 1958, 579; Wauschkuhn Vereinbarungen im Hinblick auf den Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers, BB 1996, 1517; Webe Das Verhältnis von Ausgleichs- und Entschädigungsanspruch im Handelsvertreterrecht, BB 1961, 1220; Werner/Machunsky Probleme und Voraussetzungen des Ausgleichsanspruchs des Vertragshändlers, BB 1983, 338; Westphal Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters bei Veräußerung des Unternehmerbetriebs, BB 1998, 1432; ders. Die HandelsvertreterGmbH: Renaissance mit Unterstützung des BFH? BB 1999, 2517; ders. Die Berechnung des Ausgleichsanspruchs in der Praxis in Saenger/Schulze Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, 2000, S. 30; Graf v. Westphalen Die analoge Anwendung des § 89b HGB auf Vertragshändlerverträge der Kfz-Branche, DB-Beilage 12/81 zu Heft 22/1981; ders. Handelsvertreterrecht und AGBGesetz, DB 1984, 2335 und 2392; ders. Der Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers in der KfzBranche gemäß § 89b HGB analog unter Berücksichtigung der neuesten BGH-Judikatur, DB Beilage Nr. 8/88 zu Heft 16/1988; ders. Scheinselbständigkeit nach § 2 Nr. 9 SGB VI und der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, ZIP 1999, 1083; ders. Ausgleichsanspruch des Versicherungsvertreters und Nichtanrechnung einer Alters- und Hinterbliebenenversorgung, DB 2000, 2255; Wiegand Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters bei nicht vom Unternehmer veranlaßter Eigenkündigung, BB 1964, 375; Winter Kein Ausgleichsanspruch beim Erlöschen des Vertrags durch Tod des Handelsvertreters, BB 1955, 496; Wittmann Zum Ausgleichsanspruch eines Tankstellenpächters, BB 1963, 1457; ders. Ausgleichsanspruch eines Tankstellenpächters, BB 1965, 473; Winter Ausgleichszahlungen an einen Handelsvertreter bei der Gewerbesteuer, GmbHR 1999, R 151; Wolff Auskunftsrecht des Handelsvertreters zur Berechnung des Ausgleichsanspruchs, BB 1978, 1246.

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§ 89b

1. Buch. Handelsstand

Übersicht Rn A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . I. Ausgleichsregelung als Ergebnis und Ausdruck eines gesetzgeberischen Kompromisses . . II. Historie . . . . . . . . . . . . III. Bedeutung des § 89b . . . . . IV. TB-Merkmale des § 89b . . . 1. Überblick . . . . . . . . . 2. Wenn und soweit . . . . . V. Separate Ermittlung des Ausgleichs in eigenständigen Verträgen . . . . . . . . . . . . . VI. Zweck des Ausgleichsanspruchs . . . . . . . . . . . VII. Wesensmäßige Besonderheiten bei Versicherungsvertretern . . B. Einzelne Anspruchsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . I. Anspruchsberechtigter . . . . 1. Ausgleichsberechtigte Personen . . . . . . . . . . 2. Ausgleichsrecht handelsvertreterähnlicher Vertriebsmittler, etwa Vertragshändler und Franchisenehmer? . . . . . . . . . . a) Handelsvertretergleiche oder -ähnliche Einbindung . . . . . . . . . . b) Vertragliche Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes . . . . c) Beispiele . . . . . . . . 3. Nicht ausgleichsberechtigte Personen . . . . . . . . . . II. Anspruchsverpflichteter . . . 1. Einleitung . . . . . . . . . 2. Anspruchsverpflichteter bei Betriebsveräußerung auf Unternehmerseite . . . . . III. Beendigung des Vertragsverhältnisses (Tatbestandsmerkmal 1) . . . . . . . . . . . . 1. Handelsvertretervertrag . . 2. Beendigung . . . . . . . . a) Kündigung . . . . . . . b) Beispielsfälle . . . . . . 3. Der Vertragsbeendigung gleichzustellende Konstellationen . . . . . . . . . . . IV. Werbung neuer Kunden oder Erweiterung bestehender Geschäftsverbindungen (Tatbestandsmerkmal 2) . . . 1. Kunde . . . . . . . . . . . 2. Neukunden . . . . . . . . 3. Werbung . . . . . . . . . . 4. Erweiterte Altkunden . . . 5. Geschäftsverbindung . . .

852

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1–27

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1 2–5 6–7 8–12 8–11 12

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13

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14–26

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27

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28–250 28–44

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29

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44 45–48 45–46

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49–57 50–51 52–54 53 54

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55–57

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58–85 59 60–63 64–69 70–72 73–85

Rn a) Mehrfachkunden . . . . . b) Potenzielle Mehrfachkunden . . . . . . . . . . c) Abriss der Geschäftsverbindung . . . . . . . . . . d) Beispiele für Bestehen oder Nichtbestehen einer Geschäftsverbindung . . . e) Langlebige Produkte ohne Nachkaufwahrscheinlichkeit . . . . . . . . . . . . f) Beweisfragen . . . . . . . V. Erhebliche Vorteile des Unternehmers (Tatbestandsmerkmal 3) 1. Vorteile . . . . . . . . . . . 2. Vorteilsprognose . . . . . . . 3. Prognosezeitraum . . . . . . 4. Prognosezeitpunkt . . . . . . 5. Vorteile und Dispositionsfreiheit . . . . . . . . . . . . 6. Beispielsfälle . . . . . . . . . a) Abwerben von Kunden durch den ausscheidenden HV – unerlaubte Wettbewerbstätigkeit des HV . b) Beendigung der Geschäftsverbindung zum Kunden . c) Betriebsstilllegung . . . . d) Betriebsveräußerung . . . e) Einbringung in eine Gesellschaft . . . . . . . . . . . f) Insolvenz . . . . . . . . . g) Kundenliste . . . . . . . . h) Mitbetreuen des Bezirks durch andere HV . . . . . i) Näheverhältnisse und Konzernfälle . . . . . . . j) Statistische Zwecke . . . . k) Übertragung des Vertriebs auf einen anderen Vertriebsmittler . . . . . . . . . . l) Untervertreter . . . . . . . 7. Erheblichkeit der Vorteile . . VI. Provisionsverluste (Tatbestandsmerkmal 4) . . . . . . . . . . . 1. Europarechtliche Präformation . . . . . . . . . . . . . 2. Geworbene Kunden . . . . . 3. Werbung als ausgleichsberechtigter Handelsvertreter 4. Geschäftsverbindung . . . . 5. Verluste . . . . . . . . . . . 6. Verlustprognose . . . . . . . a) Bei der Verlustprognose berücksichtigungsfähige Vergütungsbestandteile . . b) Beispiele . . . . . . . . . aa) Bestands- und Verwaltungsprovisionen . . . bb) Bezirksprovision . . .

Raimond Emde

74–77 78 79

80

81–84 85 86–113 87–90 91–93 94 95–96 97 98–112

99 100 101 102 103 104–106 107 108 109 110

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127 128–137 128–130 131

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter Rn cc) Boni . . . . . . . . . dd) Erweiterte Altkunden . ee) Festvergütung . . . . ff) Kostenerstattung . . . gg) Mindestvergütung . . hh) Superprovisionen . . . c) Überprüfung der vertraglichen Vereinbarung des verwaltenden Anteils . . . 7. Provisionsverlust aus bereits abgeschlossenen oder künftig zustande kommenden Geschäften . . . . . . . . . . . a) Bereits abgeschlossene Geschäfte . . . . . . . . . . b) Künftig zustande kommende Geschäfte . . . . . c) Dispositionsfreiheit des Unternehmers . . . . . . . d) Fallgruppen . . . . . . . . aa) Alter und Krankheit . bb) Nutzung des Kundenstammes durch den HV nach Vertragsende cc) Rotationsvertrieb . . . dd) Serienbelieferungsvertrag oder Bezugsvertrag . . . . . . . . ee) Sukzessivlieferungsvertrag . . . . . . . . ff) Tod des HV . . . . . gg) Vernachlässigung des Kundenstammes . . . VII. § 89b Abs. 1 Nr. 3: Billigkeitsgründe (Tatbestandsmerkmal 5) 1. Einführung . . . . . . . . . 2. Billigkeitserwägungen allein begründen keinen Ausgleichsanspruch . . . . . . . . . . . 3. Konkurrenz zum TB-Merkmal „Angemessenheit“ . . . . . . 4. Umfang der Billigkeitsprüfung 5. Kasuistik . . . . . . . . . . 6. Zeitpunkt der Billigkeitsprognose . . . . . . . . . . . 7. Ermessensausübung . . . . . 8. Vertragliche Regelung von Billigkeitsgründen . . . . . . 9. Sonderfall der Billigkeit: Anrechnung der Altersversorgung a) Meinungsstand . . . . . . b) Fazit . . . . . . . . . . . c) Unverfallbarkeit nach dem BetrAVG? . . . . . . . . . d) Anrechenbare Leistungen . 10. Beweislast . . . . . . . . . . VIII. Ausschlussfrist des § 89b Abs. 4 S. 2 (sechstes Tatbestandsmerkmal) . . . . . . . . . . . . 1. Zweck . . . . . . . . . . . . 2. Verlängerung der Frist . . . .

132 133 134 135 136 137

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142–153 143–144 145 146 147–153 148

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178–187 179 180–182

§ 89b Rn

a) Einleitung . . . . . . . . . b) Abreden über Verlängerung und Verkürzung der Frist . 3. Ausgleichsforderung unnötig 4. Beginn der Ausschlussfrist . . 5. Vorwegforderung . . . . . . 6. Form der Ausgleichsforderung 7. Beispiele . . . . . . . . . . . IX. Ausgleichshöchstgrenze (Siebtes Tatbestandsmerkmal) . 1. Berechnung der Höchstgrenze a) Berücksichtigungsfähige Provisionen . . . . . . . . b) Berechnungszeitraum . . . c) Rohausgleich und Höchstgrenze . . . . . . . . . . d) Überhangprovisionen . . . X. Ausgleichsausschluss nach § 89b Abs. 3 (Achtes Tatbestandsmerkmal) . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsnatur . . . . . . . . . 2. § 89b Abs. 3 Nr. 1: Ausgleichsausschluss bei Kündigung durch den HV . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . b) Kündigung des HV . . . . c) Begründeter Anlass . . . . aa) Verhalten des Unternehmers . . . . . . . bb) Beispiele . . . . . . . d) Frist zur Kündigungserklärung . . . . . . . . . e) Begründung und Nachschieben von Kündigungsgründen . . . . . . . . . . f) Kündigung wegen Alters oder Krankheit . . . . . . aa) Kündigung wegen Alters . . . . . . . . . bb) Krankheit . . . . . . cc) Unzumutbarkeit der Tätigkeitsfortsetzung . dd) Gesellschaft als HV . . ee) Begründungserfordernis? . . . . . . . . . . g) Der Eigenkündigung gleichstehende Fälle . . . . . . . 3. § 89b Abs. 3 Nr. 2: Kündigung des Unternehmers aus wichtigem Grund wegen schuldhaften Verhaltens des HV . . a) Wichtiger Grund . . . . . b) Analoge Anwendung . . . c) Schuldhaftes Verhalten des HV . . . . . . . . . . . . d) Ordentliche Kündigung trotz wichtigem Grund . . e) Beispiele . . . . . . . . . . f) Eintritt ausgleichswahrender Tatbestände während der Kündigungsfrist . . . .

Raimond Emde

180–181 182 183 184 185 186 187 188–198 189–198 189–194 195–196 197 198

199–249 203

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233–234

853

§ 89b

1. Buch. Handelsstand Rn

g) Einfluss einer ausgleichssperrenden Kündigungsberechtigung ohne Ausspruch der Kündigung . 4. Eintritt eines Dritten in das Vertragsverhältnis (§ 89 Abs. 3 Nr. 3) . . . . a) Überblick . . . . . . . . b) Zweck . . . . . . . . . c) Historie . . . . . . . . . d) Gestaltungsvarianten . . e) Eintrittsvereinbarung mittels AGB? . . . . . . f) Abgrenzung zu anderen Rechtsinstituten . . . . . g) Zwingende Natur (§ 89b Abs. 3 Nr. 3 Hs. 2) . . . h) Übertragung von Ausgleichsanwartschaften . XI. Mehrstufige Vertragsverhältnisse . . . . . . . . . . . . .

Rn 1. Handelsvertreterrecht . . . . a) Provisionseinnahmen . . . b) Anteil werbender, ausgleichspflichtiger Provision . . . . . . . . . . . . c) Werbung für Neukunden oder Erweiterung von Altkunden . . . . . . . . . . d) Mehrfach- oder Stammkundenquote . . . . . . . e) Vorteils- und Verlustprognose . . . . . . . . . aa) Unternehmervorteile . bb) Provisionsverluste . . f) Prognosezeitaum . . . . . g) Fluktuations- oder Abwanderungsquote . . . . . h) Abzinsung . . . . . . . . i) Billigkeitsabschlag . . . . j) Höchstbetragsberechnung . . . . . . . . . . . 2. Beispielsrechnung . . . . . . 3. Berechnung des Ausgleichs im Vertragshändlerrecht . . . a) Ausgleichsformel für das allgemeine Vertragshändlerrecht . . . . . . . . . . . b) Kfz-Vertragshändlerrecht . . . . . . . . . . . c) Ersatzteile . . . . . . . . . 4. Ausgleichsanspruch des Tankstellen-HV . . . . . . . . . . 5. Franchisenehmer . . . . . .

. 235–236

. 237–249 . 237 . 238 . 239 . 240–242 .

243

. 244–247 .

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249

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250

C. Zwingende Natur des Ausgleichsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . I. Umfang des Derogationsverbots . . . . . . . . . . . . II. Verbot der Derogation „im Voraus“ . . . . . . . . . . III. Zwingende Natur des Ausgleichs in Auslandssachverhalten und Grenzen der Rechtswahl . . . . IV. Einstandszahlungen/Vertretungskauf . . . . . . . . . . . . . . 1. Wirksamkeit der Einstandszahlung (Frage 1) . . . . . . 2. Einstandszahlungsabreden und § 307 BGB (Frage 2) . . . . . 3. Amortisation der Einstandszahlung (Frage 3) . . . . . . 4. Übergang der Ausgleichsanwartschaften (Frage 4) . . 5. Folgen der Unwirksamkeit (Frage 5) . . . . . . . . . . .

251–272 251–252 253–255

256 257–272 260–266 267 268–269 270–271 272

289–301 290

291

292–293 294 295–296 295 296 297 298 299 300 301 302–304 305–319

313 314–318 319 320–327 328

F. Konkurrenz unterschiedlicher Rechenansätze . . . . . . . . . . . . . . . .

329

G. Fälligkeit

. . . . . . . . . . . . . .

330

H. Erfüllungsort des Ausgleichsanspruchs

331

I. Verjährung . . . . . . . . . . . . . .

332

J. Vorauserfüllung des Ausgleichs . . . . 333–336 K. Zinsen

. . . . . . . . . . . . . . . .

337

D. Keine Wettbewerbsbeschränkung infolge der Ausgleichszahlung . . . . 273–274

L. Verwirkung . . . . . . . . . . . . . .

338

M. Aufrechnung . . . . . . . . . . . . .

339

E. Ausgleichsberechnung . . . . . . . I. Verteilung der Darlegungs- und Beweislast . . . . . . . . . . II. Berechnungsbeispiel nach Literatur und Rechtsprechung 1. Rohausgleichsberechnung . 2. Basis der Ausgleichsberechnung . . . . . . . . 3. Prognosezeitraum . . . . . 4. Abwanderungsquote . . . . 5. Abzinsung . . . . . . . . . 6. Umsatzsteuer . . . . . . . 7. Höchstbetragsberechnung . III. Eigener Ansatz zur Ausgleichsberechnung . . . . . . . . . .

N. Zurückbehaltungsrecht . . . . . . . .

340

854

. 275–328 . 276–278 . 279–288 . 280 . 281 . 282 . 283–285 . 286 . 287 . 288 . 289–328

O. Abtretung und Nachfolgebestimmung 341–342 I. Abtretung . . . . . . . . . . . 341 II. Nachfolgeregelung . . . . . . . 342 P. Pfändung

. . . . . . . . . . . . . .

343

Q. Anerkenntnis . . . . . . . . . . . . .

344

R. Der Ausgleichsanspruch und konkurrierende Ansprüche . . . . . I. § 354 HGB . . . . . . . . . . II. Karenzentschädigung (§ 90a Abs. 1) . . . . . . . . III. Schadenersatzansprüche . . . IV. Informationsrechte nach § 87c

Raimond Emde

. 345–349 . 345 . 346 . 347–348 . 349

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter Rn S. Prozessfragen . . . . I. Klage . . . . . II. Urteil . . . . . III. Prozessvergleich IV. Arrest . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . .

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. . . . .

. . . . .

T. Der Ausgleichsanspruch in der Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . I. Der Ausgleichsanspruch in der Insolvenz des Unternehmers . . . . . . . . . . . 1. Anspruchsentstehung . . . 2. Insolvenzrechtliche Einordnung des Anspruchs . . II. Der Ausgleichsanspruch in der Insolvenz des HV . . . . . . .

. 350–354 . 351 . 352 . 353 . 354 . 355–357

. 355–356 . 355 .

356

.

357

U. Rückforderung des gezahlten Ausgleichs durch den Unternehmer . . . 358–362 I. Zum Rechtsgrund . . . . . . . 358–360 II. Zur Höhe der Rückforderung . . . . . . . . . . . . . . 361–362 V. Steuer- und Bilanzrecht . . . . . . . . 363–367 I. Gewerbesteuerliche Erfassung des Ausgleichs beim HV . . . . 363–365 II. Ausgleichsrücklagen des Unternehmers in der Steuerbilanz und in der Handelsbilanz . . . 366–367 W. Der Ausgleichsanspruch des Bausparund Versicherungsvertreters . . . . . I. Einführung . . . . . . . . . . . II. Besonderheiten im Recht der VV . . . . . . . . . . . . . III. Zweck . . . . . . . . . . . . . IV. Anspruchsberechtigter . . . . . V. Anspruchsverpflichteter . . . . VI. Tatbestandsvoraussetzungen . . 1. Beendigung des Vertrages (Tatbestandsmerkmal 1) . . . 2. Neue oder erweiterte Versicherungsverträge (Tatbestandsmerkmal 2) . . . a) Neue Versicherungsverträge . . . . . . . . . . b) Erweiterung von Versicherungsverträgen . . . 3. Vorteile (Tatbestandsmerkmal 3) . . . . . . . . . 4. Provisionsverluste (Tatbestandsmerkmal 4) . . . a) Überblick . . . . . . . . . b) Provisionsverzichtsklausel c) Wirksamkeit der Provisionsverzichtsklausel . . . d) Keine Nachbestellungen . e) Einmalprovisionen . . . . f) Keine Provisionsverluste bei Verwaltungsprovisionen . g) Fallgruppen entgehender und damit ausgleichsrelevanter Provisionen . .

368–481 368 369 370 371 372 373–411 376

377–378 377 378 379–382 383–408 383 383–385 386 387 388–389 390–399

400–407

§ 89b Rn

Neugeschäfte . . . . . § 87 Abs. 3 Ziff. 1 . . § 87 Abs. 3 Ziff. 2 . . Fortsetzungen, Vertragserweiterungen und Summenerhöhungen . . . . . . . . . . ee) Superprovisionen . . . h) Prognosedauer . . . . . . 5. Billigkeit (Tatbestandsmerkmal 5) . . . 6. Ausgleichshöchstgrenze (Tatbestandsmerkmal 7) . . . VII. Die „Grundsätze“ der Versicherungswirtschaft . . . . . . 1. Zweck der Grundsätze . . . 2. Grundsätze als dispositive Berechnungsmethode . . . . 3. Unwirksamkeit der Grundsätze? . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsnatur der Grundsätze – Schätzungsgrundlage . . . . 5. Beweislast . . . . . . . . . . 6. Anspruchsberechtigung nach den Grundsätzen . . . . . . a) Die „Grundsätze-Sach“ . . aa) Der Ausgleichswert (Ziff. I der GrundsätzeSach) . . . . . . . . . bb) Beweislast . . . . . . cc) Prozentsatzberechnung nach Sparten . . . . . dd) Nichtberücksichtigung von Zuschüssen und zusätzlichen Vergütungen des Versicherungsunternehmens . . . . ee) Abzinsung . . . . . . ff) Multiplikatoren (Ziff. II der Grundsätze-Sach) . . . . . . b) Die „Grundsätze-Leben“ . aa) Systematik . . . . . . bb) Zweck der Grundsätze . . . . . . . . . cc) Geltungsbereich (Ziff. I der Grundsätze-Leben) . . . . . dd) Geltungsbereich (Ziff. I) . . . . . . . . ee) Die Bestimmung des Rohausgleichs (Ziff. II) . . . . . . . c) Die „Grundsätze Kranken“ aa) Ziff. I: Geltungsbereich . . . . . . . . bb) Ziff. II: Errechnung der Ausgleichszahlung cc) Berechnungsbeispiel . d) Grundsätze im Bausparbereich . . . . . . . . . .

Raimond Emde

aa) bb) cc) dd)

401 402 403

404–406 407 408 409 410–411 412–481 414–415 416 417 418 419 420–474 421–436

424–430 431 432

433 434

435–436 437–447 437–439 440

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444–447 448–453 449–451 452 453 454–461

855

§ 89b

1. Buch. Handelsstand Rn aa) Ziff. I: Ausgleichswert bb) Multiplikatoren (Ziff. II) . . . . . . . cc) Ziff. III: Treuebonus . dd) Fälligkeit (Ziff. V.) . . e) Grundsätze Finanzdienstleistungsbereich . . . . . . aa) Ziff. I: Ausgleichswert bb) Ziff. II: Multiplikatoren cc) Ziff. III: Treuebonus . dd) Fälligkeit (Ziff. V) . . f) Gemeinsame Regeln für alle Grundsätze . . . . . . aa) Überblick . . . . . . .

Rn

455–457

bb) Alters- und Hinterbliebenenversorgung . cc) Ausgleichshöchstgrenze dd) Ausspannung von Versicherungsverträgen . ee) Gutachterstelle . . . . 7. Ausgleichsberechnung nach § 89b direkt . . . . . . . . . a) Einleitung . . . . . . . . . b) Eigener Ansatz zur Ausgleichsberechnung im Versicherungsvertreter- und Bausparbereich . . . . . .

458–459 460 461 462–467 463–464 465 466 467 468–474 468–469

470 471 472 473–474 475–481 475–476

477–481

A. Einleitung I. Ausgleichsregelung als Ergebnis und Ausdruck eines gesetzgeberischen Kompromisses 1

§ 89b ist das Ergebnis zähen Ringens zwischen den Verbänden der HV einerseits und der organisierten Industrie andererseits; der gefundene Kompromiss hat alle Schwächen und Fehler eines solchen, so dass sich fast zwangsläufig ein Streit um den juristischen Gehalt entzündete. Er ist inzwischen zwar im Wesentlichen geklärt. Nicht aber sind es zahlreiche andere Streit- und Zweifelsfragen, die die Umsetzung des Gesetzes in die Praxis aufgeworfen hat. Sie haben ihre Ursache in der Häufung „subsumtionsunfähiger Tatbestandselemente“ 1, unbestimmter Rechtsbegriffe bis hin zum Ausweichen in Prognosen, die korrekt zu vollziehen nicht nur Richter und Beteiligte strapaziert, sondern geradezu den Anreiz gibt, darüber zu prozessieren.

II. Historie 2

Der Ausgleichsanspruch des HV war die Neuerung, die im Mittelpunkt der durch die Novelle von 1953 2 eingeleiteten Reform des HV-Rechts stand. Dabei konnte der Gesetzgeber 1953 auf Vorarbeiten der Akademie für deutsches Recht, insbesondere deren Entwurf des Jahres 1938, sowie ausländische Vorbilder (Artikel 418u des schweizerischen Obligationsrechts; österreichisches HV-Recht von 1921) zurückgreifen. Umstritten war seinerzeit etwa, ob für Versicherungsvertreter eine über § 89b Abs. 5 hinausgehende Sonderregelung gefunden werden sollte. Ihr Fehlen wird gelegentlich bedauert 3. Nicht einmal der, wohl miterstrebt gewesene, soziale Effekt wurde zunächst erreicht: den schlimmsten Mangel, die Versagung des Ausgleichs, wenn der HV seinerseits wegen Alters oder Berufsunfähigkeit das Vertragsverhältnis kündigen musste, zu beseitigen hat der Gesetzgeber durch eine abermalige Novelle im Jahre 1976 4 eingreifen müssen. 1 2 3

K. Schmidt DB 1979, 2357. Gesetz zur Änderung des HGB v. 06.08.1953, BGBl. I S. 771. Siehe etwa Küstner/Thume II, Rn 4; Hopt NJW 2005, 3123.

856

4

BGBl. I, S. 1197, in Kraft getreten am 1.7.1976.

Raimond Emde

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 89b

Infolge der EG-Richtlinie 1986 5 – deren Artt. 17–19, soweit sie zum Ausgleichsmodell 3 ausführen, ihr Vorbild in der seinerzeitigen Fassung des § 89b fanden – wurde § 89b nur marginal abgeändert, etwa hinsichtlich der Verlängerung der Ausschlussfrist und der Aufgliederung der Ausschlussgründe 6. Die Richtlinie überlässt es in ihrem Art. 17 den Mitgliedstaaten, entweder einen Ausgleichsanspruch gemäß Art. 17 Abs. 2 oder einen Schadensersatzanspruch gemäß Art. 17 Abs. 3 in die nationale Gesetzgebung aufzunehmen. Durch das Ausgleichsmodell soll der HV einen Anspruch gegen den Unternehmer erlangen, wenn und soweit er für den Unternehmer neue Kunden geworben und/oder die Geschäftsverbindungen mit bereits akquirierten Kunden wesentlich erweitert hat, infolge der Vertragsbeendigung Ansprüche auf Provision verliert und der Unternehmer aus den Geschäften mit diesen Kunden nach der Beendigung des Vertragsverhältnisses noch eine erhebliche Weile Vorteile zieht. Deutschland hat Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie umgesetzt und sich damit für das Ausgleichsmodell entschieden. Das Schadensersatzmodell ist in Art. 17 Abs. 3 der Richtlinie statuiert und gewährt dem HV Anspruch auf Ersatz des Schadens, der ihm durch die Beendigung des Vertragsverhältnisses mit dem Unternehmer entstanden ist. Diese Regelung wird als die am Wenigsten verständlichste Vorschrift der Richtlinie angesehen 7. Grund hierfür ist die Tatsache, dass Frankreich erst während der Beratung über den Erlass der Richtlinie auf die Aufnahme des Schadensersatzmodells bestand und es folglich an erläuternden Protokollen für das bessere Verständnis und die Auslegung der Vorschrift fehlt 8. Anders als das Ausgleichsmodell gemäß Art. 17 Abs. 2 Richtlinie nennt das Schadensersatzmodell gemäß Art. 17 Abs. 3 Richtlinie grundsätzlich keine Höchstgrenze. Auch erfolgt keine Differenzierung zwischen Alt- und Neukunden des HV. Kompensiert werden soll der verlorene Marktanteil des HV zum Zeitpunkt der Vertragsbeendigung 9. Frankreich hat das Schadensersatzmodell umgesetzt 10. England überlässt es den Parteien, ob sie sich für einen Schadenersatz- oder Ausgleichsanspruch entscheiden wollen. Für die Berechnung der Entschädigung nach dem Schadenersatzmodell fehlen oft zuverlässige Anhaltspunkte. In den Mitgliedsstaaten, in denen die Umsetzung der Richtlinie im Sinne einer Ausgleichslösung erfolgte, wird auf die deutschen Erfahrungen bei der Anwendung des § 89b zurückgegriffen. Obwohl der Ausgleich durch die EG-HV-Richtlinie 86/653/EWG präformiert ist, ge- 4 lang es auch wegen der o.g. Zweiteilung des Ausgleichsrechts nicht, einen einheitlichen europäischen Status herzustellen. Es ergeben sich zudem erhebliche Abweichungen bei der Bemessung der Höhe des Ausgleichs in den einzelnen EU-Ländern 11. In Belgien besteht etwa ein weiter Beurteilungsspielraum der Gerichte bei der Ermittlung der Höhe des Ausgleichs. Dänemark kennt keine dem deutschen Recht vergleichbare mathematische Berechnungsmethode. Französische Gerichte beziffern den Ausgleich meist pauschal in Höhe einer Zweijahresprovision 12. Britische Gerichte verneinen, abweichend von der deutschen Rechtsprechung, die HV-Eigenschaft eines Tankstellenpächters und damit sein Ausgleichsrecht 13. Ein Mittler, der für einen Hersteller von Fenstern warb, wurde als

5 6 7 8 9 10

Richtlinie 86/653/EWG, ABl. EG L 382 v. 31.12.1986, S. 17 ff. Zu Umsetzungsdefiziten des deutschen Gesetzgebers Thume BB 2004, 2473 ff. Kiene RIW 2007, 287. Fock Die europäische Handelsvertreterrichtlinie, 2000, S. 150; Kiene RIW 2007, 287. Kiene RIW 2007, 287 (288). Kiene RIW 2007, 287 (288).

11 12

13

Krusche EWS, 2001, 523. Klein RIW 2002, 348 (351); zum französischen Ausgleichsrecht auch Kiene RIW 2007, 287 ff. Gary Parks vs. Esso, Supreme Court of Judicature in the Court of Appeal, CHANI 98/1482/3; zitiert nach Sellhorst EWS 2001, 481.

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nicht ausgleichspflichtiger HV im Nebenberuf angesehen, da Fenster überwiegend nur einmal gekauft würden 14. Im Vertragshändlerrecht hat der Ausgleichsanspruch eine wechselhafte Geschichte. 5 Erstmals wurde er 1958 durch den BGH 15 zuerkannt. Ursprünglich wurde für die Analogie eine Schutzbedürftigkeit des Vertragshändlers gefordert. Sie wurde regelmäßig wegen des Handlungsungleichgewichts bei Abschluss des Vertragshändlervertrages bejaht 16. Im Jahr 1981 änderte der seit dem 01.01.1960 zuständige VII. Senat des BGH seine Rechtsprechung: Er forderte ein wirtschaftliches Ungleichgewicht als Analogievoraussetzung. Dies nahm er nur an, wenn der Vertragshändler im Wesentlichen ohne eigenen Kapitalansatz seiner Arbeit nachging 17. Da eine Tätigkeit des Vertragshändlers ohne eigenen Kapitaleinsatz praktisch ausgeschlossen war, konnte der Ausgleichsanspruch faktisch nicht mehr durchgesetzt werden 18. Nachdem die Zuständigkeit für die Vertriebsrechtsangelegenheiten auf den I. Senat des BGH überging, gab dieser 1977 das Kriterium der Schutzwürdigkeit als Voraussetzung einer analogen Anwendung auf 19. Im Verlauf der nächsten Jahre wurden die Anspruchsvoraussetzungen einer analogen Anwendbarkeit konkretisiert 20. Der heutige Entwicklungsstand wird unter Rn 30 ff, 305 ff wiedergegeben.

III. Bedeutung des § 89b 6

§ 89b zählt neben § 89a zu den wirtschaftlich und forensisch bedeutendsten Vorschriften des HV-Rechts 21. Ihre Prozessträchtigkeit hat mehrere Gründe. Zum einen sinkt nach Vertragsende die Hemmschwelle beider Parteien, insbesondere des wirtschaftlich meist unterlegenen HV, die Konfrontation und damit gerichtlichen Rechtsschutz zu suchen. Zum anderen sehen die Unternehmer zu diesem Zeitpunkt wenig Anlass, Zahlungen, vermeintlich ohne Gegenleistung, an den Mittler zu richten 22. Und schließlich sind die Voraussetzungen des § 89b häufig streitig und die Ausgleichsberechnung und -durchsetzung im Wege des „Postenprozesses“ 23 schwierig 24, was an der unnötig komplizierten Berechnung und dem „Hin und Her“ zahlreicher positiver und negativer Anspruchsvoraussetzungen und nicht zuletzt der Ausfüllung der Norm durch nicht kodifiziertes Richterrecht liegt 25. HV-Recht ist „Richterrecht pur“ 26. § 89b ist damit ein Geschenk für spezialisierte Anwälte und der Schrecken der meist zuständigen Kammern für Handelssachen. Die Rechtsunsicherheit des § 89b lässt den Ausgang jedes Prozesses im ungewissen 27. Martinek 28 bezeichnet den Ausgleich als Fehlentwicklung mit ärger-

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15 16 17 18

19 20

Colin Stewart Hunter vs. Zenith Windows, Urt. v. 13.06.1997, Case No. 507457; zitiert nach Sellhorst EWS 2001, 481. BGH BB 1958, 1457 ff = BGH NJW 1958, 1938 ff. Vgl. Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 469. BGHZ 34, 282. Siehe BGH VersR 1961, 401 ff; BGH BB 1962, 543 ff; BGH NJW 1964, 1952 ff; BGH WM 1975, 1240 ff. BGH NJW 1977, 896 ff. Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 470.

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Hopt § 89b Rn 1. Thume BB 2004, 2473. Hopt NJW 2005, 3123. BGH, Urt. v. 19.11.1970 – VII ZR 47/69, NJW 1971, 461 (463). Kritisch auch Thume BB 2004, 2473. Hopt NJW 2005, 3123. K. Schmidt Handelsrecht, § 27 V 2g. FS für Gerhard Lüke, 1997, 409 ff; ders ZHR 161 (1997), 67 ff; ähnlich Hirsch in: FS Tiburtius, 1964, 383 ff.

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lichen Ausmaßen und ein viel beklagtes Justizübel. Dem darf für die wenig schematisierte und lokal – nicht nur im Vertragshändlerrecht – verschieden gehandhabte Berechnungsweise zugestimmt werden, nicht aber für den Ausgleich dem Grunde nach. Ziel von Wissenschaft und Praxis sollte es sein, einfach handhabbare Berechnungs- 7 wege zu entwickeln. Schematisierungen sind angebracht, auch um zeit- und kostenintensive Beweiserhebungen zu vermeiden. Die Münchner Formel zum Vertragshändlerrecht 29 und die Entscheidung BGH, DB 2000, 967, welche für das Vertragshändlerrecht – entsprechendes gilt im HV-Recht – die Schätzung der Ausgleichshöhe nach § 287 ZPO zulässt, gehen in die richtige Richtung. Unter Rn 279 ff wird versucht grundsätzliche Regeln zur Ausgleichsberechnung zu entwickeln, welche die Entscheidung von Ausgleichsstreitigkeiten erleichtern sollen.

IV. TB-Merkmale des § 89b 1. Überblick. Für das Entstehen des Anspruchs müssen kumulativ sechs positive Tatbestandsmerkmale erfüllt sein, davon fünf materielle und ein formelles, wobei man sich bei einzelnen Merkmalen streiten kann, ob es sich um positive oder negative 30 TB-Voraussetzungen handelt. Dies gilt etwa für die Ausschlussfrist des § 89b Abs. 4, die als positives Tatbestandsmerkmal formuliert ist, ihrem üblichen Titel „Ausschlussfrist“ nach jedoch eher als negatives Tatbestandsmerkmal einzuordnen ist. Folgende positive Tatbestandsmerkmale müssen erfüllt sein: Erstens muss der HVVertrag beendet sein (1). Zweitens muss der HV dem Unternehmer neue Kunden zugeführt oder bereits bestehende Geschäftsverbindungen wesentlich erweitert haben (2). Drittens ist es erforderlich, dass der Unternehmer aus diesen neu geschaffenen Geschäftsverbindungen wahrscheinlich nach Auflösung des HV-Vertrages erhebliche Vorteile ziehen kann (3). Viertens muss der HV infolge der Beendigung des Vertrages Ansprüche auf Provision verlieren, die er bei Fortsetzung des Vertrages aus bereits abgeschlossenen oder künftig zustande kommenden Geschäften mit von ihm geworbenen Kunden hätte (4). Fünftens hat die Zahlung eines Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der dem HV entstehenden Provisionsverluste der Billigkeit zu entsprechen (5). Und sechstens muss der HV den Ausgleich innerhalb eines Jahres seit Beendigung des Vertrages gefordert haben (6). In dieser Reihenfolge werden die TB-Merkmale hier besprochen. Der Ausgleich kann damit niemals höher sein als die Vorteile des Unternehmers bzw. die Verluste des HV oder als es Billigkeitsgesichtspunkte zulassen 31. Darüber hinaus gibt es zwei negative Tatbestandsmerkmale, nach deren Eintritt der Ausgleich nicht oder nur in reduzierter Höhe entsteht. Erstens darf der zu leistende Ausgleich die Höchstgrenze des § 89b Abs. 2 nicht übersteigen (7). Zweitens darf keiner der Ausschlussgründe des § 89b Abs. 3 vorliegen (8). Der nach Ziffern 1–5 errechnete Ausgleich wird als sog. „Rohausgleich“ bezeichnet 32. Er wird durch die Ausgleichshöchstgrenze nach Ziffer 7 begrenzt und bildet den 29

LG München I, Beschl. v. 3.8.1998 – 15 KKO 23905/97; vgl. die ausführliche Wiedergabe bei Emde VersR 1999, 1474; Kainz/Lieber/ Puszkajler BB 1999, 434; Niebling Vertragshändlerrecht, 1999, S. 153 ff; mitgeteilt auch von Kümmel DB 1998, 2407; s. auch MDR 1998, 1489.

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Sog. „Ausschlusstatbestände“. Geßler Der Ausgleichsanspruch der Handelsund Versicherungsvertreter, Hamburg 1953, S. 79; Eberstein8, S. 115. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 6.

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zu zahlenden Ausgleich. Dem Höchstbetrag kommt also erst dann Bedeutung zu, wenn der ermittelte Rohausgleich die Höhe einer Jahresvergütung übersteigen sollte. Nur falls der Rohausgleich geringer ist als diese durchschnittliche Jahresprovision, wird vom Unternehmer der vollständige Rohausgleich geschuldet. Übersteigt der Rohausgleich hingegen den Höchstbetrag, muss der Unternehmer nur den Höchstbetrag leisten.

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2. Wenn und soweit. Fehlt auch nur eine der positiven TB-Voraussetzungen oder tritt eines der negativen TB-Merkmale ein, entsteht der Ausgleichsanspruch vollständig oder in Höhe der fehlenden TB-Voraussetzungen nicht. Dies zeigen insbesondere die Worte „wenn und soweit“ des § 89b Abs. 1: Aus dem TB-Merkmal „wenn“ folgt, dass die nachfolgend in § 89b Abs. 1 genannten TB-Voraussetzungen sämtlich vorliegen müssen. Das Merkmal „soweit“ dokumentiert, dass der Mangel eines Merkmals bei einzelnen Kunden nicht zum völligen Wegfall des Ausgleichs sondern nur zur Nichtberücksichtigung dieser Kunden führt. Der Ausgleich kann also niemals höher sein als die Vorteile des Unternehmers oder die Verluste des HV33. Damit wird zugleich in markanter Form zwischen Grund und Höhe unterschieden.

V. Separate Ermittlung des Ausgleichs in eigenständigen Verträgen 13

Ausgleichsansprüche für Produkte, deren Vertrieb auf eigenständigen Verträgen beruht, können separat ermittelt werden und müssen nicht als einheitlicher Anspruch geltend gemacht werden. Dies gilt etwa beim Tankstellen-HV für den Tankstelle, Waschstraße und Getränkemarkt betreffenden Ausgleich34.

VI. Zweck des Ausgleichsanspruchs 14

Der Zweck des Ausgleichsanspruchs ist umstritten. Praktische Bedeutung hat dieser Streit allerdings selten. Für seine Vermittlungstätigkeit erhält der HV Provision. Die vermittelnde Tätigkeit ist damit durch die Provision honoriert. Die Provision ist die Vergütung dafür, dass der HV den Einzelabschluss, nach welchem sie bemessen ist, zustande gebracht hat. Nicht entlohnt ist der Aufbau eines Kundenstammes ständig kaufender Stammkunden, mit denen der Unternehmer auch nach Vertragsbeendigung weiter Geschäfte tätigen kann 35. Ein solcher Erfolg kann schon mit der ersten Bestellung, dem ersten Auftrag in Gang gesetzt sein, wenn dessen Abwicklung den neuen Kunden ein für allemal als Geschäftspartner gewonnen hat. Meist wird es jedoch weiterer Bemühungen des HV um Nachbestellungen – die dann 15 wiederum nur je für sich verprovisioniert werden – bedurft haben. Am Ende steht dann eine Dauer versprechende Geschäftsverbindung, ein Ergebnis, das über die einzelnen vom HV erreichten Abschlüsse hinausgeht und das stets auf die werbende Tätigkeit des HV zurückzuführen sein muss. Diese Doppelung des Erfolgs ist es, die durch die Provision(en) für den einzelnen Abschluss oder die einzelnen Abschlüsse nicht abgegolten wird und (zunächst) unabgegolten bleibt. 33 34

Geßler, S. 79; Eberstein, S. 145. BGH, Urt. v. 12.02.2003 – VIII ZR 130/01, VersR 2003, 1530 = NJW-RR 2003, 821 (822) = MDR 2003, 882 = DB 2003, 2121 (LS) = WM 2003, 2095.

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BGH, Urt. v. 15.02.1965 – VII ZR 194/93, BGHZ 43, 154 (161f); K. Schmidt Handelsrecht, § 27 V 2c; Thume BB 2004, 2473; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 2; Hopt § 89b Rn 2.

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§ 87 Abs. 1 2. Alt. (Folgegeschäfte) vergütet den Aufbau des Kundenstammes nur 16 während der Vertragslaufzeit. Es handelt sich damit beim Ausgleich um eine kapitalisierte, im Gegenseitigkeitsverhältnis stehende 36 Restvergütung 37 für den Aufbau des Kundenstammes, deren Fälligkeit an besondere, in § 89b normierte Voraussetzungen gebunden ist und gleichzeitig stark durch Billigkeitsgesichtspunkte geprägt ist 38. Fraglich ist, ob der Ausgleich auch den Nachteil des HV ausgleichen will, der darin liegt, dass er den von ihm geschaffenenen Kundenstamm nach Vertragsende nicht mehr nutzen kann 39. Dafür spricht das TB-Merkmal „Provisionsverluste“ des § 89b, dagegen die Bestimmung des Ausgleichs als Vergütung für den Aufbau des Kundenstammes. Wenn man das Merkmal so versteht, dass der Nachteil fehlender Kundennutzung im konkreten Vertragsverhältnis ausgeglichen werden soll, ist dem zuzustimmen. Der Mittler darf den Kundenstamm aber anderweitig nutzen, wie der BGH für den Fall des Verkaufs der Kundendatei durch einen Vertragshändler 40 oder der nachvertraglichen Tätigkeit für einen Wettbewerber des Unternehmers anerkannt hat. In dieser Situation fehlen auch nicht Nachteile des Mittlers 41, weil sie in Form entgangener Vergütungen vermutet werden. Der Unternehmer hat also keinen Anspruch darauf, den Kundenstamm ohne störende Ansprüche des Mittlers zu nutzen 42. Die Rechtsnatur des Ausgleichs zeigt recht klar die Entscheidung BGH, LM Nr. 13a zu § 89b HGB: Selbst wenn der HV ohne Reinverdienst gearbeitet hat, kann ihm ein Ausgleichsanspruch zustehen. Es handelt sich beim Ausgleichsanspruch also nicht um einen Ersatz des infolge der Vertragsbeendigung entgehenden Gewinns sondern um eine vertragliche Gegenleistung, nicht anders als jeder andere handelsrechtliche Anspruch. Er steht damit auch anderen Vertriebsmittlern als HV zu, die in Ausführung ihrer Vertriebspflicht einen Kundenstamm werben und diesen dem Unternehmer übergeben. Den Zweck unterstreicht die wiederholte Erwähnung der Kunden, mit denen der HV eine Geschäftsverbindung aufgebaut haben muss. Da der Wert des übergebenen Kundenstamms erst zum Vertragsende im Wege einer Prognose geschätzt werden kann, ist die Vergütung für seinen Aufbau erst jetzt fällig. Der Ausgleich ist ein Vergütungsanspruch 43 sui generis. Die 4. Auflage 44 betonte, der 17 Kundenstamm sei während der Dauer des Vertragsverhältnisses beiden – dem Unternehmer und dem HV – zu Nutzen gewesen. Durch das Ende des Vertrages sei die Ausgewogenheit dieses Nutzungsverhältnisses zerschnitten worden 45. Der Unternehmer bleibe im Besitz des Kundenstammes, während der HV ihn nicht nur nicht behalte, sondern ihn dem Unternehmer zurück lasse, insofern er ihn nicht mehr wie bisher nutzen könne. Diese Einordnung als Wertausgleich 46 mit dem Zweck, die Wertsteigerung des Betriebes des Unternehmers auszugleichen, welche der HV durch Anbahnung fortdauernder Geschäftsverbindungen mit neuen Kunden bewirkt hat, indem diese Geschäftsverbindun-

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40

Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 2. Küstner/Thume II, Rn 16. BVerfG, Beschl. v. 22.08.1995 – I BvR 1624/92, NJW 1996, 381; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 2. So BGH, Urt. v. 28.06.2006 – VIII ZR 350/04, BB 2006, 1648 = WM 2006, 1919 = EWiR 2007, 203 (Klasen). BGH, Urt. v. 28.06.2006 – VIII ZR 350/04, BB 2006, 1648 = WM 2006, 1919 mit krit. Anm. Klasen EWiR 2007, 203. Entgegen Klasen verbietet der Geheimnisschutz nicht die Verwertung der Kundenliste durch einen

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Vertragshändler, weil es sich um eigene Kunden des Händlers handelt. Anders mglw. beim HV. So aber Klasen EWiR 2007, 203. BGH, Urt. v. 28.06.2006 – VIII ZR 350/04, BB 2006, 1648 = WM 2006, 1919. Für einen Vergütungsanspruch auch Karl Peer Günther Der Versicherungsvertreter und sein Ausgleichsanspruch, 2004, S. 49. 4. Aufl., § 89b Rn 2. Schröder DB 1958, 43; 1964, 323; vgl. auch Franta MDR 1953, 532. 4. Aufl., § 89b Rn 2.

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gen ein Aktivum des Unternehmens geworden sind, ist nicht völlig von der Hand zu weisen. Die Deutung betont aber zu wenig das Synallagma. Das Erklärungsmodell, der Ausgleich stelle einen kapitalisierten Anspruch auf Provisionen dar, welche dem HV ohne Rücksicht auf die Vertragsbeendigung zustehen würden, die jedoch infolge des Vertragsendes nicht mehr entstehen konnten 47 und sei damit Surrogat eines vom Gesetz „gekappten“ Provisionsanspruchs, wird dem Sinn und Zweck, der Eigenständigkeit des Anspruchs und seiner Normierung in separater Vorschrift nicht gerecht. Sofern dabei ausgeführt wird, der Ausgleich sei eine aus Zweckmäßigkeitsgründen in pauschalierter Form gewährte Abgeltung nachträglicher Provisionen, die der HV unter dem Gesichtspunkt des Kundenschutzes (§ 87 Abs. 1 S. 1, 2. Alt.) aus Nachbestellungen im Bereich seines ehemaligen Kundenstammes zu beanspruchen hätte, wenn nicht § 87 Abs. 1 die Nachbestellungsprovisionen auf Abschlüsse während der Vertragszeit begrenzte, ist hierauf zu erwidern: Der Ausgleich setzt keinesfalls voraus, dass dem HV Provisionen aus reinen Nachbestellungen i.S.d. § 87 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. entgehen, d.h. solchen, bei denen er untätig blieb. Auch Nachbestellungen, für die der HV sich erneut hätte einsetzen müssen sind ausgleichspflichtig. Solche Modelle stammen aus einer Zeit früher dogmatischer Deutungsversuche. Seinerzeit versuchte man die Ausgleichsvergütung dogmatisch an tradierte Ansprüche des HV, insbesondere die Provision, anzulehnen. Schon die zahlreichen positiven und negativen TB-Voraussetzungen des Ausgleichs, etwa der Unternehmervorteil, legen nahe, dass sich der Anspruch nicht mit dem von anderen TB-Voraussetzungen abhängigen Provisionsanspruch vergleichen lässt. Inhaltlich stimmt daher die nicht weniger als der Text des § 89b gewundene Definition des BGH und des BAG 48: Sinn des Ausgleichsanspruchs ist es, dem HV für einen auf seine Leistung zurückzuführenden, in Folge der Beendigung des Vertrags nicht mehr vergüteten Vorteil des Unternehmers, wie er in der Nutzung eines Kundenstammes liegt, eine weitgehend durch Billigkeitsgesichtspunkte bestimmte Gegenleistung zu verschaffen, so dass der HV mit dem Ausgleich für seine während der Vertragsdauer erbrachten, bis zur Vertragsbeendigung noch nicht abgegoltene Leistung eine zusätzliche Vergütung erhält. Die Betonung liegt auf „zusätzliche Vergütung“, die neben und unabhängig von anderen Vergütungsformen zu zahlen ist. Auf die individuelle Schutzbedürftigkeit des HV kommt es hingegen nicht an 49. Das schließt nicht aus, dass andere Motive mitbestimmend wirken können. So soll 18 der Ausgleich zugleich den Lebensunterhalt des HV in einer ggf. dem Vertragsende folgenden Zeit der Suche nach einer Nachfolgevertretung sichern 50. Gleichzeitig bildet der Ausgleich den „kleinen Kündigungsschutz“ des ansonsten 19 durch die kurzen Kündigungsfristen des § 89 schlecht abgeschirmten und wirtschaftlich dem Unternehmer meist unterlegenen HV. Insoweit ist der Schutzgedanke Teil des Normzweckes, jedoch kein TB-Merkmal. In seiner sozialen Stellung gleicht der HV häufig einem angestellten Verkäufer, nur dass er keinen Kündigungsschutz genießt. Besonders plastisch wird dies im Strukturvertrieb oder wenn der HV als „Finanzberater“ Versicherungen 51 vermitteln soll. Schon der fehlende Kündigungsschutz und die Bezahlung allein nach Erfolg erklärt, warum viele Außendienstler als Scheinselbständige in ein angebliches HV-Verhältnis gedrängt werden. Denn für die Unternehmer ist das Fehlen von Sozialversicherungsbeiträgen sowie die mangelnde Vergütungspflicht bei fehlendem Vermittlungs47 48

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Küstner/Thume II, Rn 47. BGH BB 1992, 596 = NJW-RR 1992, 421; NJW 1981, 1961; BGHZ 41, 292 (297); BAG DB 1986, 919 (920). AA Ouinke SchiedsVZ 2007, 246 (249). BVerfG NJW 1996, 381; Bälz NJW 2003,

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1559 (1562); Ouinke SchiedsVZ 2007, 246 (249); Bieder NJW 2007, 3473; Hopt § 89b Rn 2. Siehe etwa LG Mannheim, Beschl. v. 19.10. 2001 – 7 AktE 1/01, ZIP 2001, 2149 = EWiR 2002, 23.

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erfolg günstiger als ein Festgehalt für einen mit Kündigungsschutz versehenen Arbeitnehmer. Günther 52 verneint den Charakter des Ausgleichs als „kleinen Kündigungsschutz“ des Versicherungsvertreters. Dem ist die tatsächlich kündigungshemmende Wirkung entgegen zu halten. Sie erklärt die Suche der Unternehmer nach ausgleichsvernichtenden, wichtigen Kündigungsgründen i.S.d. § 89b Abs. 3 Nr. 2, wenn die Vertragsbeendigung beschlossen ist 53. Dieser Ausschluss des Ausgleichs bei verschuldeter außerordentlicher Kündigung spricht nur geringfügig die vorstehend diagnostizierte ratio, weil der HV nach einer solchen Kündigung nicht schutzwürdig ist. Gegen den Vergütungszweck streitet allerdings der Ausgleichsauschluss für nebenberufliche HV gem. § 92b, wohl aber auch gegen die Einordnung als „Sozialanspruch“, da der HV im Nebenberuf noch schutzbedürftiger als ein hauptberuflicher HV ist. Der Ausgleichsanspruch bildet daher keinen Sozialschutz des HV. Zweck der Bestimmung ist weder, dem HV einen Ersatz der fehlenden Altersversorgung zu bieten, dem verdienstvollen langjährigen HV eine auf Billigkeitserwägungen beruhende Leistungsprämie zu gewähren oder den wirtschaftlich schwachen HV zu schützen. Der Anspruch soll auch keinen Ausgleich für eine zu missbilligende Kündigung darstellen. Solchen sozialen Schutzgedanken trägt das Handelsrecht bei Lösung von Rechtsbeziehungen unter selbständigen Kaufleuten nicht Rechnung. Der Ausgleichsanspruch steht dem Mittler daher ohne Ansehen der Rechtsform zu, unter der das HV-Gewerbe betrieben wird, so insbesondere auch dem HV im Gewande der Handelsgesellschaft oder der juristischen Person. Er steht auch dem HV zu, der im Vergleich zum Unternehmer der sozial Stärkere ist 54. Auch die Höchstgrenze des Ausgleichs steht im Spannungsverhältnis zum Entgeltgedanken 55. Martinek 56 dürfte daher zuzustimmen sein, wenn er ein klareres gesetzgeberisches Bekenntnis zum Vergütungscharakter ohne Sozialschutz- und Versorgungsfunktion fordert 57. Die Anwartschaft auf den Ausgleich wird während der Vertragszeit begründet. Höhe und Fälligkeit sind in seiner Entstehung bedingt – aufschiebend bedingt bis zur Vertragsbeendigung und der Feststellbarkeit der in Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 umschriebenen Umstände, daneben auflösend bedingt durch das Wiederabwandern von Stammkunden während der Vertragszeit, das Fehlen der Billigkeit (Abs. 1 S. 1 Nr. 3) sowie die Tatbestände des Abs. 3 58 – und zugleich betagt: insgesamt aber schon vorher geschaffen. Das Entstehen des Ausgleichs ist damit eine „Chance“ 59. Der Ausgleichsanspruch ist ferner nicht ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung des Unternehmers 60. Zwar hat der Unternehmer durch die Beibringung neuer Kunden seitens des HV eine Wertsteigerung seines Gewerbebetriebes erfahren; indessen ist dieser Wertzuwachs auf Grund der vertraglichen Tätigkeit des HV erfolgt, also nicht sine causa 61. Zudem liegt der Rechtsgrund des ausgleichsbegründenden Provisionsverlustes in der jederzeit zulässigen Kündigung durch den Unternehmer (§ 89), beim Versicherungsvertreter auch in der Provisionsverzichtsklausel 62. Zudem würde ein dem Ausgleichsan52

53 54 55

56 57

Karl Peer Günther Der Versicherungsvertreter und sein Ausgleichsanspruch, 2004, S. 36 ff. Emde NJW 2005, 3694. OLG Karlsruhe JR 1958, 59 ff (62). Karl Peer Günther Der Versicherungsvertreter und sein Ausgleichsanspruch, 2004, S. 131. in: FS Lüke, S. 447. Emde NJW 2005, 3694.

58 59 60 61 62

Gegen die bedingte Natur Schuler NJW 1958, 1115; auch 4. Aufl., § 89b Rn 6. NJW 1977, 949 (950). So aber Sieg VersR 1964, 789; hiergegen Küstner/Thume II, Rn 52. Küstner/Thume II, Rn 52. Karl Peer Günther Der Versicherungsvertreter und sein Ausgleichsanspruch, 2004, S. 43; Emde NJW 2005, 3694.

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spruch nachzubildender Anspruch gemäß § 354 Abs. 1 geltend gemacht werden können, falls der HV auf Grund eines unwirksamen oder nachträglich angefochtenen Vertrages tätig geworden ist. Der Ausgleichsanspruch ist auch nicht gesellschaftsrechtlicher Natur – die Schaffung 24 des Kundenstammes ist nicht „gemeinsamer Zweck“ des HV-Vertrages, obwohl beide Vertragsteile ihn nutzen wollen: eben weil beide ihn je in verschiedener Richtung nutzen wollen –; er ist insbesondere kein dem auf Abschichtung wegen Liquidation einer Beteiligung verwandter Anspruch, bei welcher der Wert des Unternehmens zu aktivieren ist (§ 738 BGB). Auf Grund des HV-Vertrages ist der HV an dem Gewerbebetrieb des Unternehmers nicht beteiligt; dass dessen Chance und Risiko zugleich die seinigen sind, ist nicht Grund, sondern Folge des Vertragsverhältnisses, vermag daher auch keine irgendwie geartete partiarische Beteiligung darzustellen. Ein schadenersatzrechtlicher Charakter des Ausgleichs 63 ist abzulehnen 64, weshalb 25 auch eine compensatio lucri cum damno hinsichtlich der dem HV aus Anlass der Beendigung des Vertragsverhältnisses erwachsenen Vorteile nicht in Betracht kommt. Es ist nicht zu erkennen, worin die schadenersatz-, also ausgleichsbegründende Pflichtverletzung des Unternehmers liegen sollte. Die vom Unternehmer erklärte Kündigung ist ein rechtmäßiges Verhalten. Der Ausgleich schützt jedoch auch das Interesse des Unternehmers. Denn da der Aus26 gleich regelmäßig auf der Basis der Provisionen des letzten Vertragsjahres berechnet wird, wird der HV im letzten Jahr der Tätigkeit kaum Käufer auf Produkte eines eventuell vertretenen Wettbewerbers umleiten. Bei einem Verkauf der Produkte des auslaufenden Vertrages verdient er doppelt, einmal über die Provision und weiter über den Ausgleich. Es lohnt sich daher, dann allerdings regelmäßig gut vorbereitete, Versuche zur Abwerbung der Kunden erst nach Vertragsende zu beginnen 65. Anders gewendet: Der Ausgleich führt zu höheren Verkäufen des letzten Vertragsjahres, was auch im Interesse des Unternehmers liegt 66.

VII. Wesensmäßige Besonderheiten bei Versicherungsvertretern 27

Eine gesonderte Betrachtung erfordern Versicherungsvertreter. Sie werben keine „Stammkunden“, von denen Folgeaufträge oder Nachbestellungen zu erwarten wären. Folgerichtig gibt es für sie schon während der Vertragszeit keine provisionspflichtigen Folgegeschäfte i.S.d. § 87 Abs. 1 (§ 92 Abs. 3 S. 1). Allerdings erhalten sie im Zusammenhang mit den einmal vermittelten Versicherungsverträgen laufend Folgeprovisionen. Diese sind auch Vergütung für nachgehende Tätigkeiten (Inkasso der Versicherungsprämien, Beratung des Versicherungskunden, Mitarbeit bei der Abwicklung eintretender Versicherungsfälle), die dem Versicherungsvertreter – ein weiterer Unterschied zum WarenHV – obliegen und die sich aus der besonderen Natur des vermittelten Objekts erklären. Solche Tätigkeits„provisionen“ sind nicht ausgleichspflichtig Rn 390 ff). Daneben können die Folgeprovisionen aber auch je einen Anteil echter Vermittlungsprovision enthalten, dann nämlich, wenn diese nicht als sogenannte Einmalprovision aus 63 64

Merkel BB 1956, 420: „schadensersatzähnlich“. Karl Peer Günther Der Versicherungsvertreter und sein Ausgleichsanspruch, 2004, S. 36 ff.

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Vgl. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 114. OLG Köln, Urt. v. 7.12.2007 – 19 U 60/07; unveröffentlicht.

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Anlass des Abschlusses der Versicherung, sondern gleichsam ratenweise im Verbund und als Teil der Folgeprovisionen gezahlt wird. Hat der HV seine Vermittlungsprovision als Einmalprovision erhalten, so kann ihm durch die Beendigung des Vertragsverhältnisses nichts an Provision mehr entgehen; der Ausgleichsfall liegt insoweit nicht vor. Die Vermittlungsprovision als Anteil von Folgeprovisionen müsste dagegen, da bereits verdient, auch nach Vertragsbeendigung weiterhin an den HV abgeführt werden; ein Provisionsverlust durch die Beendigung des Vertragsverhältnisses wie beim WarenHV ist hier nur denkbar, wenn der HV im Vertrag auf diese Weiterzahlung nach Vertragsende verzichtet hat, und erst eine solche Provisionsverzichtsklausel löst dann die Ausgleichspflicht aus. Dem „Stammkundenvorteil“ des Unternehmers beim WarenHV entspricht hier die Schaffung des Bestandes an neuen Versicherungsverträgen, der das Risiko der Versicherungsfälle besser verteilen hilft und die Gewinnchancen des Versicherungsunternehmens damit erhöht. Vorstehenden Besonderheiten trägt § 89b Abs. 5 in freilich wenig transparenter Art und Weise 67 Rechnung 68.

B. Einzelne Anspruchsvoraussetzungen I. Anspruchsberechtigter Als erstes TB-Merkmal nennt § 89b Abs. 1 den Anspruchsberechtigten. Gemäß § 89b 28 Abs. 1 S. 1 ist „der Handelsvertreter“ anspruchsberechtigt. Wer HV ist bestimmt § 84 Abs. 1. Auf die dortigen Ausführungen darf verwiesen werden. 1. Ausgleichsberechtigte Personen. Anspruchsberechtigt sind beispielhaft: 29 – Einkaufsvertreter; – Versicherungsvertreter 69, soweit der Vertrag die anspruchsbegründende Provisionsverzichtsklausel für die Zeit nach Vertragsende enthält (Rn 383 ff); – Handelsvertretergesellschaften 70, auch eine HV-GmbH: Noch im Gesetzgebungsverfahren zur Novelle 1953 71 war allerdings vom Wirtschaftspolitischen Ausschuss des BT in seiner 202. Sitzung eine Fassung des § 89b vorgeschlagen worden, nach der einer GmbH kein Ausgleich zugestanden hätte 72. Der Vorschlag stieß jedoch im Ausschuss für Rechtswesen und Verfassungsrecht auf Kritik 73. Da man ihn rechtssystematisch für bedenklich hielt, unterblieb seine Umsetzung 74. Ein von der EG-Kommission im Januar 1979 entwickelter Richtlinienvorschlag eröffnete den Parteien in seinem Art. 33 lediglich die Möglichkeit, zu Lasten von Gesellschaften mit einem

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Höft VersR 1966, 105. Siehe hierzu im Grundsätzlichen Bruck/Möller Vor § 43, 370; Sieg VersR 1964, 789 – wenngleich mit schiefer bereicherungsrechtlicher Sicht –; OLG Stuttgart VersR 1957, 329 (332 ff) und namentlich OLG Frankfurt BB 1978, 728. Küstner/Thume II, Rn 75. Siehe etwa Emde Die HandelsvertreterGmbH, 1994, S. 77 ff; Emde GmbHR 1999, 1005 ff; Arndt DB 1999, 1789; Westphal BB 1999, 2517.

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BGBl. I 1953, 771. Vgl. Kurzprotokoll der 202. Sitzung des Ausschusses für Wirtschaftspolitik des Deutschen Bundestages v. 07.05.1953; Text auch wiedergegeben bei Emde GmbHR 1999, 1005 (1009). Stenographische Berichte, Band 17, S. 14.206 (14.207). Gessler Der Ausgleichsanspruch der Handels- und Versicherungsvertreter, 1953, S. 47, dort auch Wiedergabe des Gesetzgebungsvorschlages.

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Stammkapital von über 100.000 ERE 75 Vereinbarungen zum Ausschluss des sonst zwingenden Ausgleichsanspruches zu treffen 76. Der Vorschlag wurde weder in die endgültige EG-Richtlinie 1986 noch in das HGB übernommen. Wohl wegen des so im Gesetzgebungsverfahren zum Ausdruck gekommenen Willens, den Ausgleich auch einer Kapitalgesellschaft zukommen zu lassen, wurde ihre Ausgleichsberechtigung kaum bestritten. Dies wäre angesichts der vertrags- und nicht personenbezogenen Natur des Ausgleichs auch fernliegend 77. Da der Ausgleich eine vertragliche Gegenleistung ist, steht er als vertragsbezogener Anspruch allen HV, Gesellschaften wie natürlichen Personen, zu 78. Die Rechtsform hat auch bei Bestimmung der Billigkeit (§ 89b Abs. 1 Nr. 3) keine Bedeutung 79. Überlegungen, die Ausgleichsberechtigung auf wirtschaftlich abhängige Mittler zu beschränken oder sie den HV-Gesellschaften zu verweigern, sind abzulehnen 80. Das ergibt sich nicht nur aus dem vergütungsrechtlichen Charakter des Ausgleichs, sondern bereits aus der Vertrags- und nicht Personenbezogenheit des HV-Rechts 81; Vermittlungs- und Abschlussvertreter; Untervertreter: Passivlegitimiert ist der Vertragspartner des Untervertreters. Wer dies ist, hängt davon ab, ob die Untervertreter „echte“ oder „unechte“ sind. Beim echten Untervertretervertrag, der zwischen Haupt- und Unter-HV geschlossen wird, ist der HauptHV passiv legitimiert 82. Beim unechten HV-Vertrag ist Vertragspartner der Hauptvertreter. Er ist Ausgleichsschuldner des Untervertreters. Probleme bereiten Fälle, in denen der zwischen Unternehmer und Hauptvertreter bestehende HV-Vertrag ausgleichsschädlich, etwa durch Eigenkündigung des Hauptvertreters ohne begründeten Anlass, aufgelöst wird. Grundsätzlich kann sich in einem solchen Fall der Hauptvertreter nicht darauf berufen, ihm seien durch den Wegfall des eigenen Ausgleichsanspruchs keine Unternehmervorteile entstanden. Zur Begründung dieses Ergebnisses gibt es zwei Wege: Entweder könnte man die zum Verlust des Hauptvertreters führende Eigenkündigung wie eine willkürliche, ohne sachliche Rechtfertigung erfolgte Betriebseinstellung behandeln, die ausgleichsrechtlich unbedeutend bleibt. Zum anderen ließe sich argumentieren, die Fortsetzung des Hauptvertrages sei im Wege einer „als-ob-Betrachtung“ zu fingieren; Hauptvertreter: Der HV braucht die Vermittlungs- bzw. Abschlusstätigkeit nicht persönlich auszuüben. Ein Ausgleichsanspruch steht ihm auch zu, wenn er sich als Hauptvertreter zur Erfüllung seiner ihm aus dem HV-Vertrag obliegenden Pflichten Untervertreter bedient. Auch der HV auf einer höheren Vertriebsstufe mehrstufiger Vertriebsorganisationen übt eine ausgleichsfähige werbende Tätigkeit aus und, obwohl er i.d.R. keinen direkten Kontakt zum Kunden hat, keine nicht ausgleichsfähige verwaltende Aufgabe (siehe auch § 84 Rn 93); arbeitnehmerähnliche HV i.S.d. § 92a i.V.m. § 5 Abs. 3 ArbGG. Hierzu zählen EinfirmenHV, die während der letzten sechs Monate des Vertragsverhältnisses und bei Europäische Rechnungseinheiten. Vorschlag einer Richtlinie zur Koordinierung der Rechte der Mitgliedsstaaten die (selbstständigen) Handelsvertreter betreffend, Abl. EG C 13/2 v. 18.01.1977; geänderte Fassungen Abl. EG-Nr. C 56/5 v. 02.03.1979. Emde GmbHR 1999, 1005 (1010), mit zahlreichen Nachweisen. Emde GmbHR 1999, 1005 (1010), mit zahlreichen Nachweisen.

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Emde GmbHR 1999, 1005 (1010), mit zahlreichen Nachweisen. Karl Peer Günther Der Versicherungsvertreter und sein Ausgleichsanspruch, 2004, S. 63. Emde NJW 2005, 3694. BGH BB 1964, 823; Ordemann BB 1964, 1323 (1324); Küstner/Thume II, Rn 79.

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kürzerer Vertragsdauer während jener im Durchschnitt monatlich nicht mehr als € 1.000,00 aufgrund des Vertragsverhältnisses an Vergütung einschließlich Provision und Ersatz für im regelmäßigen Geschäftsbetrieb entstandene Aufwendungen erzielen 83. Für gerichtliche Auseinandersetzungen solcher HV ist nur die Zuständigkeit des ArbG gem. §§ 2 Abs. 1, 5 Abs. 3 ArbGG begründet. Bedeutung hat die Einordnung aber lediglich für die gerichtliche Zuständigkeit 84. Arbeitnehmerähnliche HV bleiben HGB-HV 85, solange die TB-Voraussetzungen des § 84 Abs. 1 erfüllt sind. Insbesondere sind sie ausgleichsberechtigt, sofern sie nicht als nebenberufliche HV i.S.d. § 92b einzuordnen sind 86. Arbeitnehmer, die materiellem Arbeitsrecht unterliegen und nicht ausgleichsberechtigt sind, werden solche Mittler nur, sofern sie persönlich abhängig, insbesondere nach Arbeitszeit und -ort weisungsgebunden sind. Ein bloß wirtschaftlich abhängiger HV muss auch seiner gesamten sozialen Stellung nach einem Arbeitnehmer vergleichbar sozial schutzbedürftig sein 87; – Erben eines HV sind ausgleichsberechtigt 88. Virulent wurde diese Frage beim Tod des HV (Rn 54). Zunächst wurde vertreten, nur der HV und nicht seine Erben sei anspruchsberechtigt. Die Grundsatzentscheidung des BGH vom 13.05.1957 89 stellte jedoch klar, dass auch die Witwe als Erbin anspruchsberechtigt ist. Die in der Entscheidung vertretene Einschränkung, nur Erben, denen gegenüber der HV unterhaltsverpflichtet ist, seien anspruchsberechtigt, lässt sich heute kaum mehr vertreten. Der Ausgleich ist ein vertraglicher Anspruch, der wie jeder andere Anspruch auf Rechtsnachfolger übergeht und auch keinem Abtretungsverbot unterliegt. Den Anspruch bei einigen Rechtsnachfolgern unter Billigkeitsgesichtspunkten zu kürzen, bei anderen jedoch nicht, steht im Widerspruch zum vertraglichen Charakter 90. Den Anspruchsberechtigten können daher nur allgemeine Billigkeitsgesichtspunkte entgegen gehalten werden, die auch gegenüber dem HV im Erlebensfall unmittelbar hätten geltend gemacht werden können 91. Das ergibt sich heute auch aus Art. 17 Abs. 4 EG-Richtlinie 1986, demzufolge der Anspruch auf Ausgleich auch entsteht, falls das Vertragsverhältnis durch Tod des HV endet; – Rechtsnachfolger des HV: Will ein HV den HV-Vertrag auf eine von ihm gegründete Gesellschaft überleiten, ist die ausgleichsrechtliche Folge schwierig. § 89b Abs. 1 begründet einen Ausgleichsanspruch nur für Kunden, die der HV neu geworben hat. Der Unternehmer, so Westphal 92, könne nach Vertragsbeendigung mit der GmbH einwenden, die Kunden seien nicht von der GmbH, sondern von der Vorgänger-Einzelfirma geworben worden. Der BGH habe in der Vergangenheit die Neukundenwerbung rein nach tatsächlichen Verhältnissen beurteilt 93. Die restriktive Rechtsprechung lasse vermuten, auch im Fall der Umwandlung würden die von der GmbH übernommenen Kunden nicht als neugeworben eingestuft. Kommt es zu einem Rechtsformwechsel nach dem UmwG, liegt eine identitätswahrende Umwandlung vor. Es existiert Identität zwischen Alt- und Neugesellschaft.

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Martinek/Flohr § 8 Rn 27. Die Vergütungsgrenze belief sich zunächst auf DM 500,–, seit dem 28.01.1968 dann auf 1000,– DM, seit dem 01.02.1976 auf DM 1500,– und seit dem 01.07.1979 auf DM 2000,–. BAG MDR 2003, 814 (815). BAG MDR 2003, 814 (815); Martinek/Flohr § 8 Rn 27. Küstner/Thume II, Rn 89.

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BGH DB 2003, 198 = MDR 2003, 285. BGH NJW 1957, 1029 = BGHZ 24, 214; Küstner/Thume II, Rn 91. BGHZ 24, 214 = NJW 1957, 1020. Im Ergebnis Küstner/Thume II, Rn 278. Küstner/Thume II, Rn 278. BB 1999, 2517 (2519 ff). BGH VersR 1984, 1067.

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Zweifel an der „Zurechnung“ des Vermittlungserfolges zugunsten der neugegründeten Gesellschaft bestehen nicht 94. Im Falle der Verschmelzung geht das Vertragsverhältnis mit allen Rechten und Pflichten auf die aufnehmende Gesellschaft über. Die Situation gleicht mithin der des Erbfalls (§ 1922 BGB), in der kein Zweifel besteht, dass der Erbe den Ausgleich einschränkungslos geltend machen kann. Liegt jedoch eine Neugründung außerhalb des UmwG vor, muss der HV-Vertrag auf die neugegründete Gesellschaft übertragen werden, um die Ausgleichsberechtigung der Gesellschaft zu sichern. Geschieht die Übertragung im Einverständnis mit dem Unternehmer, ist im Zweifel davon auszugehen, auch die erworbenen Ausgleichsanwartschaften sollten auf die GmbH übergehen. De facto liegt folglich ein einheitliches Vertragsverhältnis vor. Davon ist das OLG München 95 bei Fortsetzung eines mit einer HV-GmbH bestehenden Vertrages durch einen Gesellschafter als Einzelkaufmann ausgegangen. Um Streitigkeiten zu vermeiden sollte die ausgleichsrechtliche Behandlung der durch den Einzelkaufmann geworbenen Kunden als Neukunden der Gesellschaft ausdrücklich vereinbart werden 96. Da der Ausgleich abgetreten werden kann würde sich bei einer Abtretung die Frage stellen, ob die Person des Berechtigten für die Ausgleichshöhe eine Rolle spielt. Das ist – wie dargelegt – angesichts der Natur des Ausgleichs als vertraglicher Anspruch jedoch abzulehnen. Sähe man dies anders käme es für die Bestimmung der Ausgleichshöhe auf die Person des Abtretenden an (§ 404 BGB). – Unter § 2 Nr. 9 SGB VI fallende HV 97: – HV mit Eigengeschäft 98: Ob nicht nur für HV sondern auch für HV mit Eigengeschäft (gemischte Tätigkeit) hinsichtlich des Eigengeschäfts eine Ausgleichspflicht besteht, hängt davon ab, ob eine analoge Anwendung des HV-Rechts nach den unten Rn 30 ff näher ausgeführten Grundsätzen möglich ist. Davon ist auszugehen, wenn auch hinsichtlich des Eigengeschäfts eine handelsvertretergleiche Einbindung existiert, was angesichts des Statusvergleichs nahe liegt, wenn der Vermittler dasselbe Produkt einerseits als HV und andererseits als Vertragshändler veräußert, ohne dass sich der Charakter des Vertriebs im Verhältnis zu den Kunden wesentlich ändert.

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2. Ausgleichsrecht handelsvertreterähnlicher Vertriebsmittler, etwa Vertragshändler und Franchisenehmer? Anspruchsberechtigt können neben HV auch andere Vertriebsmittler sein. Die Ausschlussgründe des § 89b Abs. 3 gelten dann analog 99. Eine Analogie der gesamten Vorschrift 100 wird im ungeregelten HV-gleichen Vertriebsmittlerrecht zugunsten handelsvertreterähnlicher Vertriebsmittler befürwortet, wenn die nachfolgend genannten Analogiekriterien erfüllt sind, nämlich der Vertriebsmittler selbständig ist (1), sich die vertraglichen Beziehungen zwischen Unternehmer und Vertriebsmittler nicht in einer reinen Verkäufer-/Käuferbeziehung erschöpfen, der Vertriebsmittler vielmehr nach Gestaltung und/oder Handhabung des Vertrages durch Pflichten, wie sie in einer KäuferVerkäuferbeziehung nicht bestehen, auf Dauer so in die Absatzorganisation des Unternehmers eingegliedert ist, dass er wirtschaftlich in großem Umfang einem HV vergleich-

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Emde VersR 2001, 148 (161). Urt. v. 16.09.1987, HVR Nr. 639. Küstner/Thume I, Rn 311. Thume BB 1999, 2309 (2310); aA Graf v. Westphalen ZIP 1999, 1083. Küstner/Thume II, Rn 140.

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BGH BB 1993, 1312; OLG Celle, Urt. v. 19.04.2007 – 11 U 279/06, BB 2007, 1862 (1864) zu einem Franchisenehmer; Ulmer/ Brandner/Hensen AGB-Recht, Anh. § 310 Rn 968. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 28.

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bare Aufgaben zu erledigen 101, insbesondere den Absatz des Unternehmers laufend zu fördern hat sowie insgesamt den HV-typischen Bindungen unterliegt 102 (2) und schließlich eine vertragliche Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes besteht (3). a) Handelsvertretergleiche oder -ähnliche Einbindung. Siehe auch Vor § 84 Rn 281 ff. 31 Ob eine solche Einbindung vorliegt, ist im Wege eines Vergleiches der Stellung des HVähnlichen Mittlers zur Definition des § 84 Abs. 1 im Licht der Rechtsfolge des § 89b zu untersuchen. Grund der Ausgleichsleistung ist die Schaffung eines Kundenstammes in Ausübung einer Vertriebspflicht. Wer wie ein HV einer ständigen Vertriebspflicht (§ 84 Abs. 1) unterliegt und dem Unternehmer den Kundenstamm zugänglich macht ist regelmäßig einem HV vergleichbar eingebunden und damit ausgleichsberechtigt. Die hM 103 fordert für die Analogie oft mehr, als beim gesetzestypischen HV zur Ausgleichsgewährung erforderlich ist. HV-Recht ist weitgehend dispositiv. Ein HV-Vertrag kann sogar mündlich geschlossen werden (§ 85) und oft wird nicht mehr vereinbart, als dass der HV für den Unternehmer vermittelnd tätig sein soll. Die Rechtsfolge ergibt sich aus dem Gesetz, nämlich die Provisions- (§§ 87ff) und Ausgleichspflicht (§ 89b). Für die Ausgleichsberechtigung nicht gefordert wird beim HV jedoch das, was von vielen als Analogiekriterien für Vertragshändler, Franchisenehmer und auch Markenlizenznehmer verlangt wird, etwa die Zusicherung eines Alleinvertriebsrechts, die Gewährung eines Bezirksschutzes oder die Verpflichtung zur Lagerhaltung. Analogiebegründend muss in erster Linie sein, was in § 84 zur Statusfrage geregelt ist. Soweit der Vertriebsmittler selbständiger Gewerbetreibender ist und wie der HV einer ständigen Vertriebspflicht unterliegt (für den HV: mit der Vermittlung oder dem Abschluss von Geschäften betraut, beim HV-ähnlichen Mittler: mit dem Vertrieb betraut) ist vorrangiges Analogiekriterium die dann bestehende, einem HV vergleichbare Verpflichtung zum Vertrieb. Liegt sie vor, ergibt sich die Rechtsfolge aus der analogen Anwendung des § 89b. Allerdings lässt sich die Existenz der Vertriebspflicht häufig nur aus Indizien herleiten und hier gewinnt die vertragliche Vereinbarung HV-typischer Rechtspflichten und Rechtsfolgen, etwa eines vertraglich vereinbarten Wettbewerbsverbots, das eigentlich Rechtsfolge und nicht Rechtsgrund der Statusfrage ist, Bedeutung. Eine Vielzahl solcher Indizien deutet auf eine HVähnliche Einbindung hin. Die Vertriebspflicht bildet das wichtigste – aber nicht das einzige – Analogiekrite- 32 rium 104 (eingehend Vor § 84 Rn 289). Sie ist HV-typisch, weil leitbildprägend. Vor allem hält sie den Mittler zum Aufbau des Kundenstammes an, der nur durch den Ausgleich entlohnt wird. Der durch die Vertriebspflicht ausgeübte mittelbare Druck zum Aufbau

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OLG Celle, Urt. v. 19.04.2007 – 11 U 279/06, BB 2007, 1862 (1864) zum Franchisevertrag. Zum Vertragshändler: BGH, Urt. v. 13.06. 2007 – VIII ZR 352/04, MDR 2007, 1084 (Analogie dort verneint); BGH NJW 1962, 1107; BB 1967, 44; NJW 1984, 2101; BB 1988, 1770; OLG Saarbrücken, Urt. v. 29.11.2006 – 1 U 243/05, BeckRS 2007, 00760; OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.02.2007 – U (Kart) 22/06, BeckRS 2007, 07179; OLG Köln BB 1997, 2451; OLG Saarbrücken, Urt. v. 29.11.2006 – 1 U 243/05,

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BeckRS 00760; OLG München BB 1997, 595, Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 22; Martinek/Manderla § 14 Rn 29; Martinek/ Ullrich § 14 Rn 7; Westphal Vertriebsrecht II, 2000, Rn 131. Zum Franchisenehmer: LG Mainz, Urt. v. 20.06.2006 – 12 HKO 82/05, BeckRS 2007, 08487. Typisch Ulmer/Brandner/Hensen AGBRecht, Anh. § 310 Rn 968. BGH, Urt. v. 31.01.1991 – I ZR 142/89, BB 1991, 1210; Emde WRP 2003, 468 ff; Emde WRP 2006, 449; Ensthaler/Gesmann-Nuissl EuZW 2006, 167.

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des Kundenstammes (ein unmittelbarer Druck fehlt, weil nur eine Pflicht zum Vertrieb und nicht zum Aufbau eines Stammes von Wiederholungskäufern besteht) und die Gegenleistung in Form des Ausgleichs stehen im Synallagma. Anders gewendet: Beabsichtigte und von § 89b anerkannte Folge der Absatzpflicht ist der Aufbau des Kundenstammes. Der Vertriebsmittler wird zwar nicht vertragsbrüchig, wenn er keinen Kundenstamm generiert 105. Gelingt jedoch der durch die Absatzpflicht veranlasste und damit durch den Unternehmer fremdbestimmte Aufbau (Geschäftsbesorgung!), ist hierfür der Ausgleich zu leisten. Gleichwohl sind Weisungsgebundenheit und Interessenwahrungspflicht auch den meisten in den Analogiebereich fallenden Verträgen eigen und oft ausdrücklich versprochen. Ohne klare Abrede folgt die Interessenwahrungspflicht aus dem durch die ausdrückliche oder stillschweigende Vertriebspflicht indizierten vertriebsrechtlichen Kern des Vertrages und dürfte schon wegen der Verpflichtung des Mittlers zur Loyalität gegenüber dem Prinzipal stillschweigend vereinbart sein. Die Weisungsfolgepflicht resultiert bereits beim HV-Vertrag aus § 86 Abs. 1 (Interessenwahrungspflicht) 106, richtigerweise aber wohl aus §§ 675, 665 BGB 107. Diese Herleitung aus allgemeinem Zivilrecht zeigt, dass auch die Weisungsgebundenheit nicht HV-typisch ist und nicht allein analogiebegründend wirken kann. Ausgleichsrechtlich allenfalls unter dem Gesichtspunkt der „Sogwirkung der Marke“ 33 relevant ist die Identifikation des jeweiligen Produktes mit der Systemzentrale: Im Vertrieb aller Markenprodukte werden die Vertragswaren oft weniger mit dem Vertriebsmittler identifiziert, vielmehr mit der Marke der „Systemzentrale“. Die Stärkung des Markennamens als solches wird beim ausgleichsberechtigten HV nicht ausgeglichen. Im Gegenteil führt nach herrschender Ansicht ein starker Markenname zur Ausgleichsreduzierung unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit, Stichwort „Sogwirkung der Marke“. Die häufig auf Zufälligkeiten beruhende Bezeichnung des Vertrages als HV-, Vertrags34 händler- oder Franchisevertrag ist für die Rechtsfolge der Ausgleichsvergütung unerheblich. Entscheidend ist die einer Vertriebspflicht folgende Aufbauleistung des Vertriebsmittlers in Hinblick auf den Kundenstamm, in welchem Rechtskleid auch immer. Bei gleicher Verpflichtung zum Vertrieb dem HV einen Ausgleich zu gewähren, den mit höherem Risiko – weil mit eigenem Kapitaleinsatz – arbeitenden Vertragshändler, Franchisenehmer oder Markenlizenznehmer mit Vertriebspflicht jedoch nicht, ist schwer begründbar. Da den Vertragsparteien die Dispositionsbefugnis zur rechtlichen Einordnung des Vertrages fehlt 108 bestimmt nicht dessen Bezeichnung über seine Rechtsnatur. Bestimmend ist vielmehr der Typus sowie die tatsächliche Durchführung 109 (wobei im Zweifelsfall die letztere als Indiz für das Vereinbarte entscheidend ist) 110. Stumpf/Ströbl 111 und Rickmann 112, vertreten, aufgrund des durch die Kfz-GVO 35 1400/02 erleichterten Mehrmarkenvertriebs und dem Wegfall des Gebietsschutzes entfalle zukünftig ein Ausgleichsanspruch des Kfz-Vertragshändlers mangels wirtschaftlicher Abhängigkeit und wegen der weniger ausgeprägten Einbindung des Händlers in die 105 106 107

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Vertragsbrüchig wird er nur bei Untätigkeit. Küstner/Thume I, Rn 561; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 86 Rn 20. OLG München NJW-RR 2003, 401 (402); Ebenroth/Löwisch § 86 Rn 30; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 86 Rn 13; Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 31. Zum HV-Vertrag: BAG DB 1972, 2215; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 3; Wank EWiR 1997, 829.

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BGH ZIP 2000, 630 (631); OLG Bremen, Beschl. v. 28.01.2005 – 2 W 108/04, OLGR 2005, 432; Behrend NJW 2003, 1563 zum HV-Vertrag. BSG BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 29; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 35. MDR 2004, 1209. WuW 2003, 752 (759).

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Absatzorganisation des Herstellers 113. Auch nach Ansicht von Nolte 114 fehlt bei der Tätigkeit eines Vertragshändlers für eine Vielzahl unterschiedlicher Geschäftsherren die für die analoge Anwendung des § 89b auf Vertragshändler erforderliche Eingliederung. Dem kann nicht zugestimmt werden. Auch der gesetzestypische Mehrfirmen-HV als Analogieleitbild besitzt ein Ausgleichsrecht 115. Ebenso wenig aussagekräftig ist das Argument, nach Ausspruch der Kündigung hätten Händler im Geltungsbereich der Kfz-GVO 1400/2002 noch zwei Jahre Zeit, Kunden von dem gekündigten Produkt auf andere Produkte umzuleiten. Auch deshalb seien für Händler, die verschiedene Marken vertrieben, die Voraussetzungen für die entsprechende Anwendung des § 89b nicht mehr gegeben. Der BGH 116 hat bei Konkurrenztätigkeit lediglich eine Kürzung des Rohausgleichs von 25 % für zulässig gehalten. Außerdem hat der Vertragshändler kein Interesse an der vertragsbegleitenden Überleitung auf Konkurrenzprodukte. Denn bei einem Verkauf des auslaufenden Produkts erhält er nicht nur den Händlerrabatt sondern für Verkäufe des letzten Jahres auch einen Ausgleich, so dass er bei einem Verkauf des auslaufenden Produkts „doppelt“ verdient, während er bei einem Verkauf des fortlaufenden Konkurrenzproduktes nur einmal verdienen würde (Rn 26). b) Vertragliche Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes. Als drittes Ana- 36 logiekriterium muss die spätestens bei Vertragsende 117, meistens konkludent 118 durch als vertragsgemäß angesehene tatsächliche Handlungen begründete Verpflichtung des Mittlers hinzukommen, dem Unternehmer während oder zum Ende des Vertragsverhältnisses seinen Kundenstamm durch Übermittlung der Kundendaten so zu überlassen, dass dessen Vorteile bei Vertragsende gleich oder bald für den Unternehmer nutzbar sind 119. Die vertragliche Verpflichtung muss zumindest während der Vertragslaufzeit entstanden sein. Eine Einigung nach Vertragsende genügt nicht 120, es sei denn, sie enthält auch eine Einigung über die Zahlung eines Ausgleichsanspruches. Da beim HV-ähnlichen Mittler, nicht anders als beim HV selbst, die potentielle Möglichkeit der Nutzung des Kundenstammes genügt, kommt es nicht darauf an, ob die vertragliche Verpflichtung tatsächlich durchgesetzt, also erfüllt wird. Anderenfalls könnte der Unternehmer durch eine Verweigerung der Entgegennahme den Ausgleichsanspruch vernichten. Ggf. muss die Erfüllung gerichtlich durchgesetzt 121 oder ein ZBR geltend gemacht werden. Möglich ist auch, nach langer, unwidersprochener Nichtlieferung der Adressen, deren Lieferung vertragsbegleitend zugesagt wurde, von einer konkludenten Vertragsänderung auszugehen bzw. den Ein113

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Das kann nicht zutreffen, weil Exklusivität keine Ausgleichsvoraussetzung ist, auch nicht beim HV. Wer die Realitäten des Vertriebs und die rigiden Weisungen der Hersteller hinsichtlich der Ausgestaltung der Verkaufsstätten kennt, mag auch die Tatsachengrundlage bezweifeln. Nolte WRP 2005, 1124 (1129). Emde BB 2006, 1121 (1125). BB 1996, 2265 (2267). BGH NJW-RR 1992, 421 (423). BGH DB 1986, 1067 (1070); Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 23; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 23. BGH NJW 1983, 2877 (2878); BB 1993, 2399; NJW 1996, 2159 (2160); BGH, Urt. v. 28.06.2006 – VIII ZR 350/04, BB 2006, 1648 = WM 2006, 1919; OLG Düsseldorf,

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Urt. v. 28.02.2007 – U (Kart) 22/06, BeckRS 2007, 07179; OLG Saarbrücken NJW-RR 1999, 106; Urt. v. 29.11.2006 – 1 U 243/05, BeckRS 2007, 00760; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 23; BGHZ 29, 83 (90); 34, 282 (286); BGH NJW 1964, 1952; BGH NJW-RR 1994, 99; BGHZ 135, 14; BGH WM 1998, 1256; OLG Saarbrücken NJW-RR 1999, 106; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 23; Emde WRP 2003, 468 (475); aA K. Schmidt DB 1979, 2357 (2359 f); Eckert WM 1991, 1237 (1243 f); Küstner/ Thume Außendienstrecht Rn 1820. Westphal Vertriebsrecht II, Rn 179. Vgl. BGH NJW 2000, 1413; BGH BB 1993, 2401; Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 492.

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wand der Arglist oder fehlender Billigkeit zuzulassen. Die Einordnung hat beweisrechtliche Konsequenzen: Ordnet man die fehlende Bekanntgabe der Kundendaten trotz vertraglicher Verpflichtung als ein vom Unternehmer geltend zu machendes Gegenrecht (ZBR, Arglisteinwand, Entkräftung der Billigkeitsvermutung) ein, wäre der Unternehmer für diese Gegenrechte darlegungs- und beweisbelastet. Auch dann müsste der Mittler aber nach den Grundsätzen der primären und sekundären Darlegungslast zunächst hinreichend präzise vortragen, auf welche Weise er die Kundendaten übermittelt hat. Umgekehrt kann die faktische Weitergabe der Kundendaten eine konkludente Vereinbarung der Überlassung von Kundendaten darstellen 122. Daran ändert auch ein Schriftformerfordernis nichts. So ist es ausreichend, wenn eine solche Praxis über einen Zeitraum von 10 Jahren akzeptiert wird 123, wobei bereits zu einem früheren Zeitpunkt eine konkludente Abrede angenommen werden kann. Eine beständige Übermittlung von Kundendaten ohne Widerspruch des Herstellers begründet die Vermutung einer vertraglichen Verpflichtung 124. Die eindringliche Aufforderung des Herstellers, persönliche Daten weitgehend lückenlos zu übermitteln, steht einer echten Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes gleich 125. Datenschutzrechtliche Gründe stehen einer Nutzung durch den Hersteller nicht entgegen 126. Stimmt der HV-ähnliche Mittler einer Vertragsänderung zu, derzufolge zukünftig keine vertragliche Verpflichtung zur Überlassung des Kundenstammes besteht, ist ein solcher Verzicht regelmäßig gemäß § 242 BGB rechtsmissbräuchlich, falls kurz darauf eine ordentliche Kündigung erfolgt 127. Solange die Jahresfrist zur Geltendmachung des Ausgleichs noch nicht abgelaufen ist, könnte für den Zeitraum vor der Vertragsänderung ohnehin ein Ausgleich gefordert werden. Fehlt die vertragliche Verpflichtung zur Überlassung des Kundenstammes scheidet ein 37 Ausgleichsanspruch aus. Ist etwa aufgrund der Regelungen im Händlervertrag eine Weitergabe der Kundendaten an den Hersteller ausdrücklich ausgeschlossen und werden Kundendaten zu Marketingzwecken vom Händler ausschließlich an ein externes Marketingunternehmen übermittelt, welches diese Kundendaten nicht an den Unternehmer herausgibt, schuldet der Hersteller keinen Ausgleich 128. Eine Analogie soll ferner ausgeschlossen sein, wenn eine Löschungspflicht des Herstellers bezüglich der während der Vertragszeit überlassenen Kundendaten geregelt ist 129. Das ist abzulehnen. Es kommt angesichts der potentiellen Nutzungsmöglichkeit nicht darauf an, was der Hersteller nach Vertragsende mit den Kundendaten macht. Vor allem ist das Löschen kaum kontrollfähig und der Einwand des Herstellers zu antezipieren, die trotz Löschung verwendeten Daten stammten aus einer anderen Quelle. Auch ein mittelbarer wirtschaftlicher Zwang, der sich darin äußert, dass der Händler 38 eine Gutschrift nicht erhält, wenn er in einem Einzelfall Kundendaten nicht übermittelt, soll keiner vertraglichen Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes gleichstehen 130. Werden in Garantiefällen keine Kundendaten übermittelt, mangelt es ebenso an der vertraglichen Verpflichtung 131. Gleiches gilt, falls für Prämienaktionen lediglich 122 123 124 125 126 127 128

Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 488, 494. BGH ZIP 1985, 798. Niebling WRP 2001, 506 ff. Niebling WRP 2001, 506 ff. Niebling WRP 2001, 506 ff. Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 499. OLG Köln, Urt. v. 04.05.2001 – 19 U 13/01, VersR 2002, 1102.

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BGH BB 1996, 1459; Westphal Vertriebsrecht II, Rn 175. OLG Saarbrücken, Urt. v. 29.11.2006 – 1 U 234/05, BeckRS 2007, 00760; BGH NJW 1994, 657; BB 1997, 852; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rn 791. OLG Saarbrücken, Urt. v. 29.11.2006 – 1 U 234/05, BeckRS 2007, 00760.

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eine Seite des Kfz-Scheines ohne Kundendaten übermittelt werden braucht 132. Im Falle Toyota äußerte der BGH 133 wegen der Übermittlung der Kundendaten nur an ein Marketingunternehmen Zweifel, ob Toyota zur Zahlung eines Ausgleichs verpflichtet war. Auch entschied der BGH, bei Nichtigkeit eines Vertragshändlervertrages und der damit gem. § 139 BGB einhergehenden Nichtigkeit der vertraglichen Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes sei ein Ausgleichsanspruch unbegründet 134. Das gilt aber nur bei ursprünglicher Nichtigkeit: Wird ein durchgeführter Vertragshändlervertrag später nichtig, ist nach den Grundsätzen des faktischen Vertrages ein Ausgleich zu zahlen 135. Es genügt dann, dass der Vertrag tatsächlich durchgeführt wird, einschließlich der Überlassung der Kundendaten. In dieser Konstellation ist die rechtliche Nichtigkeit allenfalls im Rahmen der Billigkeitsprüfung zu berücksichtigen 136. Die Händlerverträge sind nicht von Anfang an unwirksam, sondern werden nach langjähriger Wirksamkeit frühestens mit Eintritt des Nichtigkeitsgrundes unwirksam 137. Insgesamt wird die Frage, ob die Nichtigkeit des Vertrages den Ausgleichsanspruch entfallen lässt, wechselnd beurteilt 138. Siegert 139 vertritt, die Pflicht zur Überlassung des Kundenstammes müsse im Einklang mit anderen Stimmen 140 durch das Kriterium der „Kausalität“ ergänzt werden, nach dem ein Ausgleich ausscheide, sofern der Hersteller den Vorteil der Neubestellung nicht der Leistung des Händlers verdanke. Das dürfte nach bisheriger Dogmatik eher abzulehnen sein. Denn die Kausalität des Händlers muss nur für die Neukundenwerbung bestehen und die Sogwirkung der Marke bewertet den Einfluss des Herstellers. Ob das TB-Merkmal der vertraglichen Verpflichtung zur Übertragung des Kunden- 39 stammes tatsächlich erforderlich ist, wird mit Recht bezweifelt 141. Noch die ältere Literatur stellte auf eine bloß tatsächliche Überlassung ab 142. Begründet wird das Bedürfnis nach dem Analogiekriterium damit, der Prinzipal eines HV könne den von jenem geworbenen Kundenstamm deshalb nutzen, weil ihm Namen und Adressen der Kunden bekannt seien. Denn der Prinzipal selbst schließe die Geschäfte, der HV vermittle sie nur. Beim Vertragshändler, Franchisenehmer und Markenlizenznehmer schließe dagegen der Vertriebsmittler die Verträge, so dass der Kundenstamm dem Unternehmer nicht notwendigerweise bekannt sei und der Unternehmer den Kundenstamm wegen fehlender Offenkundigkeit nicht ohne Mitteilung der Kundendaten nutzen könne. Dabei darf allerdings nicht außer Acht gelassen werden, dass nicht der Unternehmer sondern der Kunde darüber entscheidet, ob er an die Geschäftsbeziehung anknüpft. Regelmäßig ist davon auch ohne eine an die Vertragsbeendigung anschließende Initiative des Unternehmers bei einem bestimmten Prozentsatz der Kunden, der gemäß § 287 ZPO geschätzt oder durch Sachverständigengut132 133

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OLG Saarbrücken, Urt. v. 29.11.2006 – 1 U 234/05, BeckRS 2007, 00760. BGH v. 22.03.1994 – I ZR 113/81, NJW 1996, 2159; vgl. hierzu Niebling WRP 2002, 310 (311). BGH, Urt. v. 12.03.2003 – VIII ZR 221/02, BB 2003, 1089 (1090) = NJW-RR 2003, 894 = WM 2003, 2105. Semmler WRP 2007, 247 (255). BGH, Urt. v. 03.05.1995 – VIII ZR 95/94, BGHZ 129, 290 (294); BGH, Urt. v. 28.02.2007 – VIII ZR 30/06, DB 2007, 1020 (1023) = WRP 2007, 653 = ZIP 2007, 970 = WM 2007, 1042. Semmler WRP 2007, 247 (255). Für einen Ausgleichsanspruch: BGH, NJW

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1995, 1958; 1997, 655 (657); Hopt § 89b Rn 8; Ebenroth/Löwisch, § 89b Rn 38; aA BGH NJW-RR 2003, 894 (895). NJW 2007, 188 (192). OLG München, NJW-RR 1995, 1186 (1187); MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 89b Rn 23. LG Frankfurt am Main, Urt. v. 10.12.1999 – 3/8 28/199, n.v.; Emde WRP 2003, 468 (470). Schröder BB 1961, 809 (811); Kreifels/Lang NJW 1970, 1769 (1774); Sandrock in: FS Fischer, S. 657 f; K. Schmidt DB 1979, 2357 (2360); Graf v. Westphalen DB Beilage 23/1981, S. 12 ff.

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achten ermittelt werden kann, auszugehen. Im Ergebnis bedeutet die hM, dass der Hersteller, wie in der Toyota-Entscheidung des BGH 143 durch eine raffinierte Vertragsgestaltung 144 den Kundenstamm abweisen und damit de facto § 89b entgegen seiner zwingenden Natur vertraglich ausschließen kann. Im Fall Toyota schloss der Vertrag die Benennung der Kundennamen an den Unternehmer ausdrücklich aus. Die Vertragshändler waren zwar verpflichtet, eine Kundendatei zu führen und eine vom Hersteller bestimmte Marktanalysefirma für ein Kundenkontaktprogramm einzuschalten, aber dieser Firma war jede Weiterleitung der Namen an den Hersteller untersagt. Selbst die vereinzelte Weitergabe der Kundendaten durch das Marketingunternehmen soll nur zu einem Schadenersatzanspruch führen145. Das heißt, dass der Hersteller alle Vorteile aus dem Kundenstamm hat, wenn infolge der auch vom Händler aufgebauten Sogwirkung der Marke die Kunden zu einem vom Hersteller eingesetzten neuen Händler wechseln und er ihnen über die Marketingfirma Namen und Adresse des neuen Partners mitteilt. Zumindest bei verbundenen Unternehmen ist an einen Durchgriff zu denken146. Es sollte deshalb genügen, dass der Händler eingegliedert ist und infolge seiner Tätigkeit dem Unternehmer Vorteile durch einen treuen Kundenstamm entstehen 147. Zumindest in Höhe der „Sogwirkung der Marke“ müsste auch ohne Verpflichtung zur Benennung der Kunden ein Ausgleich entstehen. Nach dieser Ansicht genügt also die faktische Kontinuität der Kundenbeziehungen. Für den Bereich des anonymen Massengeschäfts wird diese Ansicht auch von den Instanzgerichten vertreten 148. Der Ausgleich ist Entgelt für den Aufbau des Kundenstammes, kein Adressenkauf 149. Die fehlende Bekanntheit der Namen und Adressen der Käufer mag gegebenenfalls im Rahmen der Billigkeit (§ 89b Abs. 4) berücksichtigt werden. Um die Analogie und damit das Ausgleichsrecht nicht evident werden zu lassen wird 40 eine vertragliche Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes in den gewöhnlich vom wirtschaftlich stärkeren Unternehmer vorformulierten Vertriebsverträgen kaum je ausdrücklich vereinbart 150. Deshalb genügt eine sich zumindest mittelbar151 aus den Vertragsgrundlagen ergebende, ggf. konkludent geregelte, die Übermittlung von Kundendaten einschließende Berichtspflicht oder ein Einsichtsrecht, um das dritte Analogiekriterium zu erfüllen 152. Bei der Frage, ob eine vertragliche Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes vorliegt, ist auch das Formulierungsrisiko des den Vertrag meist entwerfenden Unternehmers zu berücksichtigen, insbesondere § 242 BGB sowie die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB. Verbleiben Zweifel über die Existenz einer solchen vertraglichen Verpflichtung, ist die Wechselwirkung zwischen allgemeiner Beweislast des Klägers und diesem Formulierungsrisiko abzuwägen. Selbst auf der Basis der hM, die eine Überlassungspflicht fordert, ist der Zweck der ver41 einbarten Überlassungspflicht irrelevant 153. Er kann z.B. in der „Qualitätskontrolle“ lie143 144 145

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NJW 1996, 2159. K. Schmidt Handelsrecht, § 28 III 2 a cc. BGH, Urt. v. 17.04.1996, BB 1996, 1458; Urt. v. 26.11.1997 NJW-RR 1998, 390; Stumpf NJW 1998, 12 (14); Kirsch NJW 1999, 2779 (2780). Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rn 790. Kocher RIW 2003, 512 (517). LG Frankfurt am Main, Urt. v. 19.11.1999 – 3–8 O 28/99, bestätigt durch Vergleich vor dem OLG Frankfurt am Main v. 16.09. 2003 – 11 U 13/00, EWiR 2004, 68 (Albicker).

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Emde WRP 2003, 468 (470). Emde WRP 2003, 468 (470). Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rn 780. OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.02.2007 – U (Kart) 22/06, BeckRS 2007, 07179; Emde WRP 2003, 468 (470); Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 23. Emde WRP 2006, 449 (452); Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 491; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rn 783.

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gen. Entscheidend ist das Ergebnis: Der Zugriff des Unternehmers auf den ihm mitgeteilten Kundenstamm. Insbesondere darf sich die Überlassungspflicht konkludent oder mittelbar aus einer anderen Pflicht 154 ergeben, z.B. aus Bucheinsichtsrechten oder der Vorgabe, detaillierte Kundenlisten zur Abrechnung zu übermitteln. Folglich sind Mitteilungspflichten, die nicht auf den Zugriff zum Kundenstamm zielen, als analogiebegründende Überlassungspflicht anerkannt, etwa Berichtspflichten 155, Einsichtsrechte in Geschäftsunterlagen 156, Übersendung von mit Kundendaten versehenen Rechnungskopien 157, Verkaufsberichte 158, Gewährleistungsberichte 159, Kundendaten zu Marketingzwecken 160, Abrechnungsunterlagen 161, die Übermittlung von Garantiekarten vom Vertragshändler an den Hersteller/Importeur 162 oder die ständige Übermittlung der Kundendaten, sofern sie vom Unternehmer in irgendeiner Weise erwartet wurde 163. Eine tatsächliche Kenntnisnahmemöglichkeit – bei einem Anzeigen-HV etwa die Möglichkeit des Unternehmers, die Anzeigen zu lesen – ist keine vertragliche Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes, die allein analogiebegründend ist 164. Eine lückenlose Überlassung des Kundenstammes ist nicht erforderlich 165. So mögen etwa einzelne Kunden der Weitergabe widersprechen166. Vielmehr reicht es, wenn der Mittler diejenigen Kunden benannt hat, für die er einen Ausgleich fordert. Eine Schlechterfüllung der vertraglichen Pflicht zur Überlassung des Kundenstammes kann damit zwar Schadenersatzansprüche zur Folge haben. Der Ausgleich entfällt jedoch nicht dem Grunde nach sondern nur in der Höhe, und zwar hinsichtlich der Kunden, deren Daten nicht übermittelt wurden. Der Wille des Unternehmers, die Kundennamen zu erfahren, um den Kundenstamm zu nutzen, ist also keine TB-Voraussetzung 167. Das folgt schon aus dem Umstand, dass selbst beim HV die infolge der Kenntnis des Unternehmers von den Kundendaten gegebene potentielle Möglichkeit (Chance) 168 zur Nutzung des Kundenstammes genügt. Ob der Unternehmer die Chance tatsächlich ergreift ist unerheblich. Folglich besteht das Ausgleichsrecht des HV unabhängig davon, ob es ihm oder dem Unternehmer auf die Überlassung des Kundenstammes ankommt. Mehr als beim Leitbild ist auch bei dem ihm ähnlichen Absatzmittler nicht gefordert.

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Emde WRP 2006, 449 (452); Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 487. BGH NJW 2000, 1413; BGH NJW-RR 1994, 99f; BGH NJW 1983, 2241; Vogels/ Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 487 (490). BGH, Urt. v. 20.02.1981, BB 1981, 871; v. 16.01.1986, WM 1986, 530 (531); v. 12.01.2000, NJW 2000, 1413; Schultze/ Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rn 784; Vogels/ Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 487 (490); Westphal Vertriebsrecht II Rn 173. BGH NJW 1984, 1952 (1953); Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 490. BGH NJW 1984, 2102; BGH NJW 1983, 1789; Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 490. BGH NJW-RR 1983, 678 (680); Vogels/ Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 490.

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BGH NJW-RR 1994, 99 (100); Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 490. BGH, NJW 1984, 1789 (1790); Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 490. BGH VersR 2000, 487; BGH BB 2000, 60; OLG Köln, Urt. v. 25.04.1997, BB 1997, 2451; Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 490. Emde WRP 2003, 468 (475). BGH, Urt. v. 12.03.2003 – VIII ZR 221/02, BB 2003, 1089 (1090) = NJW-RR 2003, 894 = WM 2003, 2105. BGH NJW-RR 1994, 99; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 23; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 21. BGH, Urt. v. 06.10.1993, BB 1993, 2401 (2402); Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rn 782. Emde WRP 2006, 449 (452). Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rn 784; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 87.

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Inhaltlich setzt der Zugriff auf die Kundendaten lediglich die Mitteilung der Kundenadressen, bei Großunternehmen auch die Mitteilung des Ansprechpartners und der jeweiligen Niederlassung voraus. Die Konditionen der jeweiligen Geschäfte brauchen im Regelfall nicht mitgeteilt zu werden. Daraus erklärt sich auch, warum die der Ausgleichsberechnung dienenden Rabatte des Händlers jeweils bestritten werden. Es gibt aber Stimmen, nach denen die Analogie zum HV-Recht fordert, dass der Unternehmer gleich dem Prinzipal eines HV die wesentlichen Konditionen der Geschäfte, zumindest den Preisrahmen, kennen müsse.

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c) Beispiele. Die Ausgleichsberechtigung analog § 89b besteht etwa bei folgenden Vertriebsmittlern: – Vertragshändlern 169, insbesondere Kfz-Vertragshändler 170. Nach Ansicht von Siegert 171 steht der seit dem Grundsatzurteil des BGH vom 25.03.1982 172 anerkannten analogen Anwendung des § 89b auf Kfz-Vertragshändler die neue Kfz-GVO 1400/02 entgegen. Bereits mit Abschaffung regional begrenzter Alleinvertriebsrechte sei nach Ansicht von Teilen der Literatur der Analogie die Grundlage entzogen worden 173. Eine systematische Marktdurchdringung sei nicht mehr möglich 174. Angesichts der von Art. 5 Abs. 1 lit a, Art. 1 lit b GVO 1400/02 gewährten Möglichkeit des Mehrmarkenvertriebs könne der Hersteller nicht mehr darauf vertrauen, der Händler werde den Kunden Produkte der eigenen Marke veräußern 175. Dass bei der Ausgleichsberechnung nur Verkäufe der ausgleichsverpflichteten Marke Berücksichtigung fände, bilde kein Äquivalent. Auf Grund des Verbots, den Händler an einen bestimmten Standort zu binden, entfalle die Steuerbarkeit des Vertriebsnetzes. Nach Anpassung der Vertriebsnetze an die GVO 1400/02 könne kaum davon ausgegangen werden, dass die Aquiseleistung der Händler für eine Bindung des Kunden an den Hersteller kausal sei. Angesichts der Entkopplung von Service und Verkauf werde der Händler auch durch einen zuverlässigen Kundendienst kaum einen Kunden an sich binden. Siegert dürfte drei Dinge verkennen: Zum einen bildet bereits die den Händlern auferlegte Vertriebspflicht ein Indiz für die HVgleiche Einbindung. Sie ist in den Kfz-Händlerverträgen vorgeschrieben und ergibt sich mittelbar auch aus den zum Vertrieb anreizenden Vergütungsregelungen. Zum zweiten kann eine GVO als Gerichte nicht bindende kartellrechtliche Freistellung unterhalb des Gesetzesrangs mit anderen Regelungszweck nicht die zivilrechtliche Frage der Ausgleichsvergütung bestimmen, schon gar nicht angesichts des Vorrangs des Gesetzes (§ 89b analog) sowie des Derogationsverbotes des § 89b Abs. 4. Zum dritten ist eine engere Einbindung als im Kfz-Vertrieb kaum denkbar, wo angesichts der Detailverliebtheit der Regelungen schon von einer franchiseähnlichen Stellung der Vertragshändler ausgegangen wird. – Franchisenehmern 176. Beim Warenfranchising kommt zur Ermittlung des Rohausgleichs ein Teil der beim Weiterverkauf andernfalls verdienten Handelsspanne in 169

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BGH NJW 1982, 2819 f, BGH NJW 1983, 2877 (2878); BB 1993, 2399; NJW 1996, 2159 (2160); OLG Saarbrücken, Urt. v. 29.11.2006 – 1 U 243/05, BeckRS 2007, 00760; OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.02.2007 – U (Kart) 22/06, BeckRS 2007, 07179; OLG Köln ZIP 2002, 420 (426); Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 2; kritisch Kirsch NJW 1999, 2779 (Kommentar zu Kirsch bei Emde VersR 2001, 148 (163). Besonders plastisch: OLG Köln, Urt. v.

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15.11.2002 – 19 U 94/02, VersR 2003, 105. NJW 2007, 188 ff. NJW 1982, 2819 = BB 1982, 2067 m. Anm. Lang. Bechtold NJW 1983, 1393 (1397). Siegert NJW 2007, 188 (190). Siegert NJW 2007, 188 (190). Siehe BGH NJW-RR 1997, 170 (175); OLG Celle, Urt. v. 19.04.2007 – 11 U 279/06, BB 2007, 1862; OLG München, Urt. v.

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Betracht, wobei eine Reduzierung anhand einer üblichen HV-Provision bzw. unter Abzug der Erfüllungskosten erfolgt (i.E. Rn 328) 177. Beim Dienstleistungsfranchising ist der Ausgleichsanspruch gemäß § 287 ZPO anhand der in Zukunft fortwirkenden Förderleistungen des Franchisenehmers zu ermitteln 178. Kommissionsagenten. Markenlizenznehmern179. Service-Provider, die Netzkapazitäten von Netzbetreibern im eigenen Namen und auf eigene Rechnung vertreiben 180. U.U. zugelassenen Vertragswerkstätten 181 Besteht eine Vertriebspflicht für Ersatzteile ist auch das Werkstatt- bzw. Ersatzteilgeschäft ausgleichspflichtig 182. Die fehlende Bekanntgabe der Werkstattkunden ist irrelevant, da die Kundennamen im Kfz-Vertrieb komplett bekanntgegeben werden und niemand Teile für Kfz einer Marke kauft, der nicht zuvor ein Kfz dieser Marke erworben hat 183. Die vertragliche Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes ergibt sich als Annex aus der Verpflichtung zur Benennung der Kunden der Ware, etwa des Kfz 184; die Stammkundenquote darf gem. § 287 ZPO geschätzt werden. Das OLG Frankfurt am Main 185, bestätigt durch Nichtannahmebeschluss des BGH vom 14.11.2006 186, verneinte den Ausgleich wegen Fehlens werblicher Bemühungen (die Ersatzteile verkauften sich nach Ansicht des OLG „von selbst“), hielt solche werblichen Bemühungen allerdings für möglich, wenn auf dem Ersatzteilmarkt mit Verkauf von Identteilen ein Wettbewerb besteht. Dies ist eine Tatsachenfrage, die sich der Überprüfung durch den BGH entzog: Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision hat der BGH folgerichtig zurückgewiesen, weil weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgericht erfordere (§ 543 II S. 1 ZPO). Von einer näheren Begründung wurde gem. § 544 IV S. 2, 2. Halbs. ZPO abgesehen 187. Damit ist ein Ausgleichsanspruch im Ersatzteilgeschäft zumindest möglich, falls der Anspruchsteller werbende Bemühungen und damit einen Wettbewerb im Ersatzteilgeschäft nachweisen kann. 26.06.2002 – 7 U 5730/01, DB 2002, 2433; LG Mainz, Urt. v. 20.06.2006 – 12 HKO 82/05, BeckRS 2007, 08487; LG Hanau, Urt. v. 28.05.2002 – 6 O 106/01, unveröffentlicht; LG Berlin, v. 06.09.2004 – 101 O 23/04; LG Frankfurt, Urt. v. 10.12.1999 – 3/8 O 29/99; Kroll in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 497; Emde NJW 2003, 2593; Eckert WM 1991, 1237 ff; Köhler NJW 1990, 1689 ff; Matthießen ZIP 1988, 1089 (1095 f); Giesler NZS 1999, 483 f; Flohr DStR 1998, 572 ff; Flohr BB 2006, 389 (400); Martinek Franchising, S. 353 (366 ff); Niebling Vertragshändlerrecht, 1999, Rn 205 ff; Giesler ZIP 2000, 2098 ff; Giesler WM 2001, 1441 ff; Haager NJW 2002, 1463 (1471); Martinek ZIP 1988, 1362 (1378). Eckert WM 1991, 1237 (1246); aA Köhler NJW 1990, 1694. Martinek Franchising, S. 370.

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183 184

185 186 187

Emde WRP 2003, 468; Emde WRP 2006, 449; Prasse MDR 2008, 122 (127); aA Martinek/Wimmer-Leonhardt WRP 2006, 204 ff. Pollklesener DB 2003, 927. Niebling WRP 2006, 1334 (1335). Eingehend Emde GRUR 2006, 997 (1005); Hübsch/Hübsch WM Sonderbeilage Nr. 1/2005, S. 23; aA Wendel GRUR 2007, 748; Niebling WRP 2007, 1426 (1427). Eingehend Emde GRUR 2006, 997 (1005). Emde GRUR 2006, 997 (1005); Niebling Vertragshändlerrecht, 2. Aufl. 2003, Rn 292; aA jetzt Niebling WRP 2006, 1334 (1335). Urt. v. 17.05.2005 – 3–13 O 73/03. BGH, Beschl. v. 14.11.2006 – VIII ZR 147/05, BeckRS 2007, 13321. BGH, v. 14.11.2006 – VIII ZR 147/05, BeckRS 2007, 13321.

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§ 89b 44

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3. Nicht ausgleichsberechtigte Personen. Kein Ausgleichsrecht besitzen – nebenberufliche HV (§ 92b Abs. 1), dazu § 92b. An der Nichtgewährung des Ausgleichs an nebenberufliche HV ist rechtspolitisch Kritik geäußert worden. Specks 188 führt aus, der Wegfall des Ausgleichs sei ungerechtfertigt und nicht überzeugend zu begründen. Für diese These spricht, dass der nebenberufliche HV besonders schutzund seine Aufbauarbeit nicht weniger honorierungsbedürftig ist, sofern die TB-Voraussetzungen des § 89b gegeben sind. Der möglicherweise geringere Einsatz spiegelt sich in der reduzierten Ausgleichshöhe wieder. Auch im Hinblick auf Art. 3 GG spricht wenig für den Entzug des Ausgleichs. – angestellte Reisende 189. Begründung: § 89b sei eine auf die besonderen Verhältnisse des HV abgestellte Sondernorm, die auf Arbeitsverhältnisse nicht entsprechend angewandt werden könne. Diese Begründung überzeugt, weil der Angestellte Kündigungsschutz genießt und nicht nach Erfolg, insbesondere nicht für den Aufbau eines Kundenstammes bezahlt wird. – U.U. Peugeot-Vertragshändler 190.

II. Anspruchsverpflichteter 45

1. Einleitung. Nach § 89b Abs. 1 ist Schuldner des Ausgleichsanspruchs der „Unternehmer“. Wer Unternehmer ist, bestimmt § 84 Abs. 1 S. 1, nämlich außer dem HV mit Untervertretern, der selbst ein Unternehmer ist, auch jeder andere Unternehmer. Es wird auf die Kommentierung zu § 84 verwiesen. Passiv legitimiert ist damit jeder Dritte, mit dem ein HV-Vertrag geschlossen wurde. 46 Der Unternehmer kann sich ohne Zustimmung des HV seiner Verpflichtung nicht durch Übernahmevereinbarung mit einem Dritten, etwa dem Nachfolge-HV, entledigen. Der Unternehmer bleibt auch dann passiv legitimiert, wenn er mit dem Nachfolge-HV eine solche Übernahmevereinbarung gezeichnet hat. Ist der HV mit der ausschließlichen Übernahme der Schuld durch den Nachfolger einverstanden, kann eine solche Abrede wegen § 89b Abs. 4 nur nach Vertragsende geschlossen werden 191. Umgehungen ist nicht anders als bei Wettbewerbsverboten mit Durchgriffserwägungen zu begegnen: Übernimmt etwa eine GmbH die Geschäfte ihrer Tochtergesellschaft, einer KG, und beliefert sie Kunden mit Produkten, für welche die Tochtergesellschaft einem HV Provision zu zahlen hätte, so wäre es objektiv missbräuchlich, wenn sich die GmbH auf die rechtliche Selbständigkeit der Unternehmen beriefe 192. Die Mithaftung Dritter lässt die Schuld des Unternehmers daher nicht entfallen. Das gilt auch für gesetzliche Haftungstatbestände, etwa eine Konzernhaftung 193.

47

2. Anspruchsverpflichteter bei Betriebsveräußerung auf Unternehmerseite. Ist der Unternehmer eine juristische Person oder Gesamthandsgemeinschaft, berührt ein Gesellschafterwechsel (Share-deal) auf seiner Seite die Passivlegitimation nicht. Der HV-Vertrag 188

189

Der Ausgleichsanspruch des Versicherungsvertreters gem. § 89b HGB, Diss. Münster 2001/2002, erschienen in der Münsteraner Reihe, Heft 76, Karlsruhe 2002, S. 60 und 70. Küstner/Thume II, Rn 62; Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 20; BAG BB 1958, 775 = NJW 1958, 1365; OLG Düsseldorf NJW 1965, 2352.

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BGH, Beschl. v. 17.01.2006 – VIII ZR 232/04; hierzu Niebling WRP 2006, 1334 (1335). Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 9. OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.02.2000 – 16 U 32/99, OLGR 2000, 425 = GmbHR 2000, 1205. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 9.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 89b

wird unabhängig vom Gesellschafterwechsel fortgesetzt 194. Eine change of control-Klausel ist aber zulässig. Die davon zu unterscheidende Frage ist, ob der Gesellschafterwechsel dem HV einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung gibt, was bei erheblicher Interessenberührung der Fall sein kann. Veräußert der einzelkaufmännische Unternehmer seinen Betrieb, bleibt er solange Ausgleichsschuldner, als weder durch Gesetz noch Vertrag ein Übergang der Ausgleichsverpflichtung auf den Erwerber vorgesehen ist. § 613a BGB ist unanwendbar 195. Es bedarf einer ausdrücklichen Regelung, um den Erwerber zu verpflichten und/oder den veräußernden Unternehmer aus seiner Schuld zu entlassen. Ein Schuldübergang oder -beitritt kann konkludent vereinbart werden, etwa wenn der Vertrag mit dem Erwerber in identischer oder weitgehend identischer Form fortgesetzt wird 196. Ob der bisherige Unternehmer aus seiner Schuld entlassen wird, ist Auslegungsfrage. Regelmäßig wird der HV keinen Anlass haben, auf einen Schuldner zu verzichten. Ein entsprechender Wille darf daher nicht unterstellt werden. Ohnehin könnte eine dahingehende Einigung wegen § 89b Abs. 4 wohl nur nachvertraglich erfolgen. Durch die Veräußerung endet das Vertragsverhältnis mit dem HV also nicht, weder beim Asset- und erst recht nicht beim Share-deal. Der Unternehmer müsste es kündigen. Die Betriebsveräußerung führt auch nicht zu einer Situation, welche die analoge Anwendung des § 89b rechtfertigt. Sie stellt keine konkludente Kündigung dar, bilde jedoch mglw. für den HV einen begründeten Anlass zur ausgleichserhaltenden Kündigung i.S.d. § 89b Abs. 3 Nr. 1, falls eine Tätigkeit für den Vertragspartner infolge des Verkaufs ausscheidet. Sowohl die Kündigung des Unternehmers wie die aus begründetem Anlass des HV eröffnet den Ausgleichsanspruch. Ob dessen weitere Voraussetzungen gegeben sind, hängt in erster Linie daran, inwieweit der Unternehmer infolge der die Kündigung veranlassenden Betriebsveräußerung Vorteile aus dem Neukundenstamm erzielt (etwa Veräußerungsentgelt). Es spricht eine Vermutung dafür, dass ein Teil des Unternehmenskaufpreises zur Abgeltung des Kundenstammes gezahlt wurde. Überhaupt spricht eine Vermutung dafür, dass der Unternehmer seinen Betrieb nicht ohne Entgelt für den Kundenstamm veräußert. Der Unternehmer hat also aus der Geschäftsverbindung mit den vom HV geworbenen Kunden einen Vorteil. Wird kein Kaufpreis für die Übernahme des Kundenstammes bezahlt – etwa bei bloßer Übertragung des Anlagevermögens, das keine Sogwirkung auf die Kunden ausübt – scheidet ein Vorteil des Unternehmers aus der Veräußerung und damit ein Ausgleich aus, ebenso beim unentgeltlichen Betriebsübergang. Ein Schadenersatzanspruch ist denkbar, wenn der Veräußerer schuldhaft die Vereinbarung einer Gegenleistung unterlässt. Die gleichen Grundsätze gelten im Falle eines Verkaufs durch einen Insolvenzverwalter 197. Bei der Übertragung im Konzern ist ein Vorteil der Konzernmutter nicht ausreichend. Erheblich ist der Vorteil, sofern der Kundenstamm die Konditionen des Kaufs positiv beeinflusst hat. Schließt der HV mit dem Erwerber einen neuen HV-Vertrag, erleidet der HV gleichwohl aus der Beendigung des alten Vertrages Provisionsverluste 198. Der Ausgleich wird aber nicht unter Billigkeitsgesichtspunkte zu kürzen sein, falls der HV grundlos den Abschluss eines HV-Vertrages mit dem Erwerber ablehnt 199. Jedenfalls ist der Veräußerer selbst der Ausgleichsschuldner. Der Erwerber des Betriebes ist es nur (mitschuldend) unter den Voraussetzungen des §§ 25 oder aus einem speziellen Rechtsgrund (Schuldübernahme, Schuld194 195

196

Sturm/Liekefett BB 2004, 1009. Vgl. BGH NJW 1963, 101; Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 43; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 45. Siehe Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 43.

197 198 199

Hierzu OLG Karlsruhe, Urt. v. 22.08.2007 – 15 U 56/07, BeckRS 2007, 14360. Sturm/Liekefett BB 2004, 1009. AA Sturm/Liekefett BB 2004, 1009.

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1. Buch. Handelsstand

beitritt) 200. Ein automatischer Übergang des Vertragsverhältnisses auf den Betriebsnachfolger findet nicht statt. Jedoch kann ein Eintritt des Unternehmensnachfolgers in das Vertragsverhältnis mit dem HV vereinbart werden, weil hier die Sperre der Nichtübertragbarkeit der Dienstleistungspflicht nicht eingreift. Das Vertragsverhältnis setzt sich in diesem Fall bruchlos fort. Eine Kündigung durch den Abgeber des Betriebes erübrigt sich. Der Ausgleichsfall ist nicht gegeben. Werden HV-Verträge vom Erwerber nicht übernommen, sondern schließt dieser mit 48 den HV neue Verträge, ist lediglich der Veräußerer Schuldner des Ausgleiches 201. Dem kann der Veräußerer nicht entgegenhalten, dem HV entgingen aufgrund des mit dem Erwerber später separat geschlossenen Vertrages keine Provisionen, so dass die Anspruchsvoraussetzung des § 89b Abs. 1 Nr. 2 fehle. Rechtstechnisch ließen sich allerdings sowohl Ausgleichsansprüche gegen den Veräußerer wie – nach Beendigung des Neuvertrages – gegen den Erwerber begründen 202: Wird der Vertrag mit dem Veräußerer beendet, sei es infolge einer ausgleichsfreundlichen Kündigung durch den HV aus begründetem Anlass (§ 89b Abs. 3 Nr. 1) oder aufgrund der Kündigung des Veräußerers, entgehen dem HV infolge dieser Beendigung aus dem konkreten Vertragsverhältnis Provisionen 203. Sofern Kunden zugeführt wurden, ist also ein Ausgleich begründet 204. Die künftig aus dem Neuvertrag erzielten Provisionen können allenfalls unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit, vergleichbar der Situation nach Übernahme der Vertretung eines Wettbewerbers, anspruchsmindernd berücksichtigt werden, kaum jedoch zum völligen Wegfall des Ausgleiches führen, und zwar schon deshalb, weil sich nach Vertragsende des Erstvertrages noch überhaupt nicht feststellen lässt, ob sich solche Provisionen (und später ein Ausgleich) erzielen lassen (Rn 95) 205. Im Rahmen des Neuvertrages mit dem Erwerber sind die eingebrachten Kunden ausgleichspflichtige Neukunden, so dass auch hier ein Ausgleich zu zahlen ist, regelmäßig bemessen auf der Basis der Provisionseinnahmen des letzten Vertragsjahres dieses Vertragsverhältnisses. Dass der Übernehmer sie dem Verkäufer des Betriebes im Veräußerungsentgelt mit bezahlt hat, kann er dann dem HV nicht entgegenhalten, da er ja auch den weiteren Nutzen davon gehabt hat. Es verhält sich nicht anders als bei Übernahme jeder Vertretung, in die der HV Kunden einbringt 206. Ob der Erwerber einwenden darf, die Kunden seien vom HV im Rahmen eines anderen Vertrages geworben worden, ist zweifelhaft. Einen solchen Einwand kann auch ein später vertretener Wettbewerber nicht erheben, wenn der HV nach Beendigung des Erstvertrages mit einem Wettbewerber des zuerst vertretenen Unternehmers seinen Altkundenstamm für den neuen Unternehmer nutzt. Richtig ist daher auch im Rahmen des Neuvertrages allenfalls eine Kürzung unter Billigkeitsgesichtspunkten, die entfallen dürfte, sofern im Rahmen des Altvertrages niemals ein Ausgleich gefordert wurde. Unrecht geschieht dem Erwerber hierdurch nicht. Denn einen Ausgleich hat er nur zu zahlen, wenn im Rahmen des Neuvertrages auch Geschäfte geschlossen werden und er nach Beendigung des Neuvertrages Vorteile aus jenen Geschäften hat. Die mögliche Zahlung eines Ausgleiches durch einen Dritten, nämlich den Veräußerer, kann ihn ohnehin nicht entlasten.

200 201 202 203

Vgl. OLG Karlsruhe, Urt. v. 22.08.2007 – 15 U 56/07, BeckRS 2007, 14360. Schmitz ZIP 2003, 59. So auch Nocker Ausgleichsanspruch, Wien 2001, Rn 355 ff. Siehe auch Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 44.

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204 205 206

Nocker Ausgleichsanspruch, Wien 2001, Rn 356. Nocker Ausgleichsanspruch, Wien 2001, Rn 356. Nocker Ausgleichsanspruch, Wien 2001, Rn 356.

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III. Beendigung des Vertragsverhältnisses (Tatbestandsmerkmal 1) Erste materielle TB-Voraussetzung des Ausgleichsanspruchs ist die Beendigung des 49 HV-Vertrages (§ 89b Abs. 1: „nach Beendigung des Vertragsverhältnisses“). 1. Handelsvertretervertrag. Die Beendigung des HV-Vertrages setzt zunächst einmal 50 dessen Existenz voraus. Was ein HV-Vertrag ist, bestimmt sich nach den oben, § 84 dargestellten Maßstäben. Der nichtige Vertrag kann zwar streng genommen nicht beendet werden, weil er nie- 51 mals existierte. Die Ausgleichsberechtigung fordert aber lediglich ein tatsächlich in Vollzug gesetztes HV-Verhältnis ohne rechtswirksame Grundlage 207. Ein HV, der aufgrund eines nichtigen Vertrages tätig geworden ist, darf die vertragliche Vergütung für erbrachte Dienstleistungen jedenfalls bei wirtschaftlicher und sozialer Überlegenheit des Unternehmers 208, richtigerweise jedoch auch ohne eine derartige Überlegenheit, fordern. Zu der vertraglichen Vergütung zählt auch der Ausgleichsanspruch 209. Der Vertrag braucht also nicht rechtswirksam zu sein, müsste aber im Falle seiner Wirksamkeit einen HV-Vertrag darstellen. Dies begründet sich aus den Grundsätzen des faktischen Arbeitsverhältnisses 210. Der Unternehmer muss also trotz der Nichtigkeit einen Ausgleichsanspruch gem. § 89b zahlen, sofern alle TB-Voraussetzungen gegeben sind 211. Anderenfalls würde etwa der „bewucherte“ HV bestraft, der Unternehmer könnte u.U. kein besseres Geschäft machen, als z.B. einen gemäß § 138 BGB wegen Hungerprovision nichtigen Vertrages zu schließen. Ferner dürfte der Unternehmer die vom HV aufgebauten Geschäftsverbindungen nutzen, müsste den Ausgleich jedoch nicht zahlen 212. Eines Rückgriffs auf Vergütungsansprüche nach § 354 213 bedarf es daher nicht. Ebenso wie Provisionen für die Vergangenheit ist auch der Ausgleich gemäß § 89b eine Gegenleistung für den in der Vergangenheit tatsächlich aufgebauten Kundenstamm. War die Nichtigkeit vom Mittler hervorgerufen worden, begründet das einen Kündigungsgrund i.S.d. § 89a, worauf der Ausgleich analog § 89b Abs. 3 Nr. 2 entfällt. Es ist folgerichtig, im nichtigen Vertrag einen Ausgleich zu zahlen. Auch im Vertragshändlerrecht sollte dies trotz der Nichtigkeit der analogiebegründenden „Verpflichtung“ zur Übertragung des Kundenstammes gelten, weil es auf die tatsächliche Übertragung des Kundenstammes und nicht auf Wirksamkeit oder Unwirksamkeit der ohnehin nicht expressis verbis erforderlichen Verpflichtung zur Übertragung ankommt 214. Im Ergebnis wird der HV hinsichtlich seiner Leistungen so gestellt, als sei der Vertrag wirksam zustande gekommen. Das ist insbesondere in Fällen sachgerecht, in denen die Nichtigkeit nicht von ihm verursacht wurde.

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BGH, Urt. v. 24.02.1983 – I ZR 14/81, NJW 1983, 1727; BGH, Urt. v. 03.05.1995 – VIII ZR 95/94, BGHZ 129, 290 (293) = NJW 1995, 1958; BGH, Urt. v. 11.12.1996 – VIII ZR 22/96, ZIP 1997, 238; Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 38. BGH, Urt. v. 12.01.1970 – VII ZR 48/68, BGHZ 53, 152. BGH, Urt. v. 03.05.1995 – VIII ZR 95/94, BGHZ 129, 290 = WM 1995, 1235; Hübsch/Hübsch WM Sonderbeilage Nr. 1/ 2005, S. 12. OLG Düsseldorf HVR Nr. 607; Küstner/

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Thume I, Rn 385; Martinek/Flohr § 8 Rn 106; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 28. Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rn 802 verneint die Anwendung der Grundsätze zum faktischen Vertrag auf den Vertragshändler. BGH v. 03.05.1995, BGHZ 129, 290 (293) = NJW 1995, 1958; Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 28; § 89b Rn 38. BGH v. 03.05.1995, BGHZ 129, 290. So 4. Aufl., § 85 Rn 3. AA Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rn 802.

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2. Beendigung. Die Art der Beendigung ist im Rahmen des § 89b Abs. 1 grundsätzlich unerheblich. Sie hat nur Bedeutung bei der Prüfung der Ausschlussgründe gem. § 89b Abs. 3.

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a) Kündigung. Der naheliegenste, leitbildsetzende und häufigste anspruchseröffnende TB ist der der Kündigung. Gleich von welcher Seite und aus welcher Veranlassung: so jedenfalls, als Regel, sieht es die auf die Darlegungs- und Beweislast abstellende Fassung des Gesetzes, die in Abs. 3 den Ausgleich für gewisse Kündigungssituationen ausschließt und sodann mit Unterausnahmen von diesen Ausschlussgründen arbeitet: Die Kündigung des Vertrages durch den Unternehmer (ausgleichsfreundlich, solange ihr nicht ein wichtiger Grund wegen schuldhaften Verhaltens des HV zur Seite steht;) und die Eigenkündigung des HV, wenn sie, ausgleichswahrend, wegen Alters oder Krankheit oder deshalb erfolgt, weil das Verhalten des Unternehmers zur Lösung des Vertragsverhältnisses begründeten Anlass gegeben hat.

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b) Beispielsfälle. Diskutiert werden im Zusammenhang mit dem TB-Merkmal Vertragsbeendigung folgende Konstellationen: – Die Änderungskündigung stellt eine ausgleichsbegründende Vertragsbeendigung dar 215. Mit einer Änderungskündigung wird dem Gekündigten die Möglichkeit eingeräumt, einen Neuvertrag zu geänderten Bedingungen zu schließen, indem er die Bedingungen des Kündigenden zur Fortsetzung des Neuvertrages akzeptiert. Sie dient dazu, den Gekündigten, meist den HV, zu Vertragsänderungen zu bewegen. Der Gekündigte hat es in der Hand, ob er den Änderungsvorschlag annimmt und damit der Vertrag zu neuen Bedingungen fortsetzt wird oder ob er durch die Kündigung endet. Eine Änderungskündigung führt zur Vollbeendigung des Vertragsverhältnisses, falls der Gekündigte das Änderungsangebot nicht rechtzeitig annimmt. Dies gilt auch, wenn der Kündigende eine Änderungskündigung nur ausspricht, um abweichend von bisherigen vertraglichen Festsetzungen den zugewiesenen Bezirk oder Kundenkreis zu verkleinern oder den Provisionssatz herabzusetzen. Folge ist die Ausgleichspflicht des Unternehmers 216, sofern er der Kündigende ist oder der HV einen begründeten Anlass i.S.d. Abs. 3 Nr. 1 zur Eigenkündigung hatte. Nimmt der Gekündigte das Angebot auf Abschluss des Zweitvertrages rechtzeitig an, wird der Vertrag zu den neuen Bedingungen fortgesetzt. Der Altvertrag ist beendet; es liegt keine Kontinuität zwischen Alt- und Neuvertrag vor. Es stellt sich die Folgefrage, ob Basis dieser Ausgleichsberechnung lediglich die „Differenzprovision“ zwischen der aus dem – regelmäßig für den HV günstigeren – Altvertrag erzielten und der für den HV ungünstigeren Provision aus dem Neuvertrag bildet. Das dürfte bei Fortsetzung des Vertrages zu bejahen sein, weil in Höhe der auf den Neuvertrag zu leistenden Provisionen Provisionsverluste des HV fehlen. Bei Beendigung des sich anschließenden Zweitvertrages erfolgt die Ausgleichsberechnung lediglich unter Einbeziehung von Provision aus Geschäften mit während dieses Vertrages geworbenen Neukunden und erweiterten Altkunden. Denn der Altvertrag war beendet; der aus ihm zu zahlende Ausgleich war allein deshalb reduziert, weil ein Vorteil des HV aus weiter zu leistenden Provisionen bestand. Die in den Neuvertrag eingeführten Kunden sind keine ausgleichspflichtigen Neukunden. Sie haben bereits 215

BGH, Urt. v. 06.10.1999 – VIII ZR 125/98, BB 2000, 60 (62) m. Anm. Emde (zum Vertragshändlerrecht); OLG Köln, Urt. v. 10.05. 1989 – 13 U 50/89, VersR 1989, 1148; Küstner/Thume II, Rn 285; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 45.

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BGH, Urt. v. 06.10.1999 – VIII ZR 125/98, BB 2000, 60 (62) m. Anm. Emde (zum Vertragshändlerrecht); OLG Köln, Urt. v. 10.05. 1989 – 13 U 50/89, VersR 1989, 1148; Küstner/Thume II, Rn 285; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 45.

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zuvor mit dem Unternehmer Geschäfte getätigt und sind für ihn Altkunden. Gleichwohl kann die Berechnung zu erheblichen Abgrenzungsfragen führen: Da nach der Anlagerechtsprechung (Rn 95) der Ausgleich aus dem Erstvertrag nach den Verhältnissen bei dessen Beendigung zu bestimmen ist, entstehen Schwierigkeiten, weil die Provision aus dem Folgevertrag zum Zeitpunkt der Beendigung des Erstvertrages allenfalls geschätzt werden kann (s.a. Rn 57 „Bezirksänderung“). Kein Gegenargument sind scheinbare Ungerechtigkeiten bei Beendigung des Zweitvertrages kurze Zeit nach Ende des Erstvertrages und zu einem Zeitpunkt, zu dem der Ausgleichsverlust durch aus dem Zweitvertrag gezahlte Provisionen noch nicht amortisiert und die Beendigung des Zweitvertrages bei Ende des Erstvertrages nicht vorhersehbar war, mithin nach der „Anlagerechtsprechung“ ausgleichsrechtlich unberücksichtigt bleiben muss: Denn in diesem Fall erhält der HV einen Ausgleich aus dem Zweitvertrag. Besteht beim Zweitvertrag einer der Ausschlussgründe des § 89b Abs. 3 ist der Ausgleichswegfall gesetzlich gewollt. Allerdings hat der BGH 217 ausgesprochen, ein HV-Vertrag werde nicht schon dann beendet, wenn Unternehmer und HV bei Einigkeit über den grundsätzlichen Fortbestand des HV-Verhältnisses lediglich einen Vertrag durch einen anderen ersetzten. Diese Aussage des BGH kann jedoch bei der Änderungskündigung nicht gelten. Denn bei ihr ist als notwendiges Zwischenstadium eine Vertragsbeendigung gewollt. Entsprechend hat der BGH in seiner Entscheidung vom 06.10.1999 zum Vertragshändlerrecht 218 ausgesprochen, im Falle der Änderungskündigung, durch die der Hersteller den Vertrag beende, sei ein Ausgleichsanspruch dem Grunde nach gegeben. Da sich der Charakter einer Kündigung und ihrer Rechtsfolgen nicht danach bestimmt, ob nach der Änderungskündigung ein neuer Vertrag abgeschlossen wird oder nicht muss dieses Ergebnis in beiden Fällen gelten. Auch der Vergleich mit dem Fall der Insolvenz bestätigt diesen Befund: Setzt der HV seine Tätigkeit aufgrund einer mit dem Insolvenzverwalter getroffenen Absprache nach der Eröffnung des den Vertrag gem. §§ 116 S. 1, 115 Abs. 1 InsO 219 beendenden Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Unternehmers fort, liegt darin die Begründung eines neuen Vertragsverhältnisses. Aus dem Altvertrag wird ein Ausgleich fällig 220. Dieser Fall ist mit einer Änderungskündigung zu vergleichen, weil der Insolvenzverwalter den Zweitvertrag nicht im eigenen Namen schließt. Vielmehr wird – wie in der Konstellation der Änderungskündigung – der Zweitvertrag mit dem bisherigen Unternehmer geschlossen, unter zwischenzeitlicher automatischer Beendigung des ersten HV-Vertrages. Schließlich wird auch bei der Umwandlung des bestehenden hauptberuflichen HV-Vertrages in einen nebenberuflichen bei Ende des hauptberuflichen HV-Vertrages ein Ausgleich fällig 221. Diese Situation ist der der Änderungskündigung vergleichbar. – Der Aufhebungsvertrag stellt ebenfalls eine ausgleichsbegründende Vertragsbeendigung dar. Selbst wenn die Initiative zum Vertragsende vom HV ausgeht und er sich mit dieser Initiative eine Eigenkündigung erspart, gleicht der Auflösungsvertrag keiner ausgleichsschädlichen Eigenkündigung 222. Der Wunsch des HV nach einvernehmlicher Vertragsbeendigung kann auch nicht in eine konkludente Kündigung umgedeu217 218 219 220

Urt. v. 14.11.1966 – VII ZR 112/64, NJW 1967, 248, (249). VIII ZR 125/98, BB 2000, 60 (62) m. Anm. Emde. Küstner/Thume II, Rn 360; Emde/Kelm ZIP 2005, 58. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 41.

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OLG Nürnberg v. 18.09.1958 – III U 23/58, BB 1958, 1151; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 89b Rn 43. BGH, Urt. v. 10.12.1997 – 8 ZR 329/96, BB 1998, 390; v. 13.03.1969, BGHZ 52, 12 = NJW 1969, 1023.

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tet werden 223. Einigen sich Hersteller und Vertragshändler darauf, einen Vertragshändlervertrag durch einen neuen GVO-konformen Vertrag zu ersetzen, sollen dem Händler nach einer Ansicht keine Ausgleichsansprüche zustehen 224. Es fehle eine Teilbeendigung des Händlervertrags. Diese Ansicht ist zweifelhaft, da bei Aufhebung eine Vertragsbeendigung vorliegt. Die dargestellte Ansicht ließe sich nur vertreten, wenn im Rahmen des Neuvertrags die Ausgleichsanwartschaften des Altvertrags angerechnet würden. Dies wird allerdings immer wieder bestritten. Auch nach dieser Ansicht 225 steht jedoch bei Beendigung des Händlervertrags und Abschluss eines Werkstattvertrags dem ausgeschiedenen Händler ein Ausgleich zu. – Das Vertragsende infolge einer auflösenden Bedingung, etwa bei Erreichen einer Altersgrenze oder nach Nichterteilen einer Genehmigung stellt eine ausgleichsbegründende Vertragsbeendigung dar. – Eine Betriebseinstellung, gleich auf welcher Seite, beendet das Vertragsverhältnis nicht. Der Einstellende muss es, sein Vertragspartner kann es kündigen. Zwar ist diese Kündigung des Vertragspartners, u.U. sogar des Einstellenden, ausgleichsfreundlich (begründeter Anlass i.S.d. Abs. 3 Nr. 1). Trotzdem bringt die Einstellung des Betriebs des Unternehmers den Ausgleichsanspruch oft nicht zur Entstehung, weil es an der weiteren Voraussetzung künftiger Vorteile des Unternehmers aus der Nutzbarkeit des Kundenstammes zu fehlen pflegt. Eine Ausnahme besteht, wenn der Unternehmer einen wirtschaftlichen Vorteil erhält, etwa eine Stilllegungsprämie. Der Unternehmer ist nicht gehalten, eine unrentabel gewordene Produktion nur deshalb fortzusetzen, um dem HV Provisionschancen zu belassen. Dieser Grundsatz gilt deshalb auch für den Fall, dass die Produktion nur für die vom HV vertriebenen Artikel eingestellt wird, der Unternehmer für dessen Dienste keine Verwendung mehr hat und das Vertragsverhältnis kündigt 226. Erfolgt dagegen die Betriebs- oder Produktionsstilllegung und daraufhin die Kündigung des HV-Vertrages ohne irgend in der Sache, d.h. in wirtschaftlichen Gegebenheiten des Unternehmens liegende Gründe, etwa durch Liquidation der das Unternehmen betreibenden Gesellschaft infolge persönlicher Zwistigkeiten unter den Gesellschaftern, so steht das Ausbleiben jener künftigen „Vorteile“ der Ausgleichspflicht nicht entgegen. Denn auf den Wegfall der Nutzbarkeit des Kundenstammes kann der Unternehmer sich zum Nachteil des HV nicht berufen, falls er eine solche Konstellation ohne unternehmenspolitisch gerechtfertigten Grund herbeigeführt hat. Für die Berechnung des Ausgleichs muss daraufhin ein fortgesetzter Geschäftsbetrieb des Unternehmens unterstellt werden 227. – HV-Gesellschaft, Tod oder Wegfall eines Gesellschafters, Auflösung: Der Tod eines Gesellschafters führt weder bei der Kapital- noch bei der Personenhandelsgesellschaft (oHG oder KG, § 130 Abs. 3 Nr. 1) zur Auflösung. War der verstorbene Gesellschafter eine Schlüsselperson, aber auch nur dann 228, kann ein außerordentliches Kündigungsrecht des Unternehmers bestehen (§ 89a Rn 27 „Gesellschaftswechsel“) 229. Dieses führt jedoch nicht gem. Abs. 3 Nr. 2 zum Ausgleichsausschluss, weil das Ver-

223 224 225 226 227 228

Küstner/Thume II, Rn 386. Rickmann WuW 2003, 752 (761). Rickmann WuW 2003, 752 (761). BGH NJW 1959, 1964. Küstner Anm. zu LG Münster BB 1960, 1300 (1301); Schröder DB 1967, 2017. BGH, Urt. v. 16.03.1970, HVR Nr. 419; Emde Die Handelsvertreter GmbH, 1994,

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229

S. 129 f; Emde GmbHR 1999, 1005 (1014 ff); Westphal BB 1999, 2517 (2519); Küstner/Thume I, Rn 1917; Ebenroth/ Löwisch § 89a Rn 36. BGH EBE 1982, 132 (133); Emde Die Handelsvertreter GmbH, 1994, S. 129 f; Emde GmbHR 1999, 1005 ff; Küstner/Thume I, Rn 1919.

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sterben nicht schuldhaft erfolgt (Gegenansicht beim selbstbestimmten, nicht im schuldunfähigen Zustand begangenem Selbstmord vertretbar). Bei der Auflösung und Liquidation kommt es für den Ausgleichsauschluss auf den Grund der Liquidation an. Nach dem Auflösungsbeschluss wird von der Gesellschaft Vertragstreue erwartet; sie kann und muss den Vertrag fortführen. Nur wenn sie dies unterlässt, besteht ein ausgleichsvernichtender Grund zur außerordentlichen Kündigung (§ 89a Rn 27 „Auflösung“; § 89b Rn 232). Ein eventueller Ausgleich steht nur der (zu liquidierenden) Gesellschaft zu 230. Immerhin werden Unternehmer und Liquidator, bevor sie den HV-Vertrag fristlos kündigen, zweckmäßigerweise abwarten dürfen, ob die aufgelöste Gesellschaft nicht dennoch fortgeführt wird. Ist der mit der HV-Tätigkeit beauftragt gewesene Gesellschafter in der Gesellschaft verblieben bzw. führt er die bisher Agenturfirma allein fort, so kann der HV-Vertrag mit ihm weiterlaufen (woran der Unternehmer durchaus ein Interesse haben kann 231), und es ergeben sich ausgleichsrechtlich keine Probleme. Ist er es nicht, so wird die Gesellschaft dem Unternehmer einen anderen, geeigneten Gesellschafter für die vakant gewordene Funktion vorzuschlagen haben; einen Ausgleichsanspruch verliert sie nur dann, falls sie es daran fehlen lässt und der Unternehmer deshalb nach Abs. 3 Nr. 2 zur Kündigung schreitet. Erst wenn es bei der Auflösung der Gesellschaft verbleibt und daraufhin der HV-Vertrag gekündigt werden muss, entfällt jedwede Ausgleichsberechtigung aus dem HV-Verhältnis mit der Gesellschaft. Unterlassen die Liquidatoren die Kündigung während der Liquidationsphase, entsteht ein Ausgleichsanspruch in Folge des durch die Vollbeendigung eintretenden Vertragsendes nicht 232. Denn es darf der Gesellschaft nicht zum Vorteil gereichen, dass sie die ausgleichsvernichtende Eigenkündigung im Liquidationsverfahren vermied. Zum anderen ist § 89b Abs. 3 Nr. 1, der im Falle der Eigenkündigung den Ausgleich ausschließt, zu entnehmen, dass ein HV keinen Ausgleich erhalten soll, wenn die Vertragsbeendigung ohne weitere Einflussnahme des Unternehmers durch sein Verhalten eintritt 233. Daran wird selbstverständlich auch nichts dadurch geändert, dass der mit der Wahrnehmung der HV-Tätigkeit im HV-Vertrag besonders betraut gewesene Gesellschafter, im Einverständnis des Unternehmers, die Vertretung als nunmehriger Einzelkaufmann weiterführt. Die von ihm früher geworbenen Kunden gelten dann in Ansehung seines eigenen demnächstigen Ausgleichsanspruchs aus der unter neuem Vertrag weitergeführten Vertretung als (übernommene) Altkunden. – Insolvenz: Der HV-Vertrag endet gemäß §§ 116 S. 1 i.V.m. 115 Abs. 1 InsO automatisch mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Unternehmers, ohne dass es einer Kündigung bedarf 234, nicht jedoch bei Eröffnung des Verfahrens über das Vermögen des HV 235 (Rn 355 ff). – Beendigung eines Kettenvertrages: Schließt sich an einen Abschnitt ein neues „Kettenglied“ an, bleibt der Vertrag noch unbeendet. Er wird wie ein einheitlicher, sich bis dahin ständig fortsetzender Vertrag behandelt. Die Weigerung des HV, den Vertrag nach einem Kettenglied (Auslauftermin) nicht fortzusetzen, steht keiner ausgleichsschädlichen Eigenkündigung i.S.d. § 89b Abs. 3 Nr. 1 gleich, weil beide Parteien von vornherein die Beendigung zu einem bestimmten Zeitpunkt wollten 236 (Rn 225). Die

230 231 232

LG Düsseldorf NJW 1968, 1143. OLG Hamburg DB 1962, 1636. Emde Die Handelsvertreter-GmbH, S. 200; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 32; aA wohl Ahle DB 1963, 227 (229); Schuler JR 1957, 44 (47).

233 234 235 236

Emde S. 201; vgl. auch Schlegelberger/ Schröder § 89b Rn 32i. Emde/Kelm ZIP 2005, 58. Emde/Kelm ZVI 2004, 382. English Court of Appeal, Urt. v. 18.03.2004, (1) Cooper, (2) Watkins, (3) Bartle v. Pure

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Situation unterscheidet sich nicht von der nach Abschluss eines Aufhebungsvertrages, weil das von vornherein geplante Vertragsende auf beidseitigem Einverständnis beruht 237. Nur ausnahmsweise kann der Vertrag als solcher mit unbestimmter Laufzeit anzusehen sein. Allein dann steht die Nichtverlängerung durch den HV einer ausgleichsschädlichen Eigenkündigung gleich, die nur gerechtfertigt ist, wenn dem HV ein begründeter Anlass zur Seite steht 238. – Die Nichtverlängerung eines HV-Vertrages, etwa nach Ende einer Probezeit stellt eine ausgleichsbegründende Vertragsbeendigung dar 239. – „Ruhen“ des HV-Vertrages bzw. Freistellung: Hier ist durch Auslegung zu ermitteln, was die Parteien wollen. Wird der HV-Vertrag – was meist gewünscht ist – durch das „Ruhen“ nicht rechtstechnisch beendet, sondern ist lediglich eine Freistellung gewollt, führt erst die – möglicherweise – später eintretende rechtliche Beendigung des Vertrages zu einer Ausgleichsberechtigung. Wegen der fehlenden Provisionseinnahmen aus der Zeit der Inaktivität würde die Ausgleichsberechnung jedoch verfälscht, wenn man auf das letzte Vertragsjahr unter Einschluss der provisionsfreien Zeit der Inaktivität als Berechnungsgrundlage des Rohausgleiches abstellen würde. Für die Bestimmung des Rohausgleiches ist daher entweder auf die Provisionseinnahmen vor dem Ruhen oder auf den langfristigen Durchschnitt der Provisionen während der Vertragsjahre abzuheben – unter Einschluss der Ruhejahre. Immer ist zu prüfen, ob die Geschäftsverbindungen überhaupt noch bestehen, dem Unternehmer aus ihnen also Vorteile erwachsen. Da ein Ausgleich nur nach Beendigung eines HV-Vertrages gezahlt wird, muss der Ausgleich innerhalb eines Jahres nach Ende des HV-Vertrages gefordert und innerhalb der Verjährungsfrist des § 195 BGB geltend gemacht werden. Stichtag dafür ist das rechtliche Ende des HV-Vertrages, nicht das Datum der Freistellung. – Teilbeendigung des HV-Vertrages: Eine Teilbeendigung des HV-Vertrages ist quantitativ (Verkleinerung des Bezirks, des zugewiesenen Kundenkreises, beides auch im Gefolge bezirklicher Umdispositionen) oder qualitativ (Herabsetzung des Provisionssatzes) denkbar. Für die Frage des Ausgleichs kommt nicht nur die quantitative Teilbeendigung des Vertrages in Betracht 240, die für ihren Umfang die Ausgleichspflicht gleich einer Vollbeendigung auslöst, sondern auch die qualitative Teilbeendigung. Bei der Teilbeendigung – sofern sie überhaupt wirksam und zulässig ist (§ 89 Rn 25) – können sich ausgleichsrechtliche Probleme stellen. Der BGH hat diese Probleme – wohl zu Unrecht – als so gravierend empfunden, dass er eine Teilkündigungsklausel in einem Vertragshändlervertrag für unwirksam hielt 241, und zwar sowohl eine individualvertraglich wie mittels AGB vereinbarte. Die Teilkündigung ist danach regelmäßig unwirksam. Eine Teilkündigung kann nur dann in eine Änderungskündigung, durch die der Ausgleichsanspruch für den gesamten Vertrag begründet wird, umgedeutet werden, wenn sich der Wille zur Änderungskündigung eindeutig ermitteln lässt 242. Der Unternehmer muss eine Änderungskündigung aussprechen. Diese setzt sich aus einer Kündigung des Gesamtvertrages (= Folge: Ausgleichspflicht) und dem Angebot eines neuen, geänderten Vertrages zusammen. Unabhängig von dem Streit

237

Fishing (UK) Ltd., (2004) EWCA Civ. 375; zitiert nach RIW 2005, 67; aA wohl BGH v. 13.12.1995 – VIII ZR 61/95, BB 1996, 235; OLG Hamburg v. 07.05.1993 – 1 U 164/92 – unveröffentlicht, die allerdings einen begründeten Anlass des HV zur ausgleichserhaltenden Kündigung annahmen. Küstner/Thume II, Rn 357.

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238 239 240 241 242

BGH, Urt. v. 19.05.1999 – VIII ZR 354/97, ZIP 1999, 1094 = EWiR 1999, 653 (Emde). Küstner/Thume II, Rn 347. AA 4. Aufl., § 89b Rn 23. BGH BB 2000, 60 mit Anm. Emde = EWiR 2000, 153. OLG Köln, Urt. v. 10.05.1989 – 13 U 50/89, VersR 1989, 1148.

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um Zulässigkeit oder Unzulässigkeit einer Teilkündigung sind deren ausgleichsrechtliche Folgen handhabbar: Auch nach einer Teilkündigung ist ein Ausgleich zu zahlen 243. Beispiele sind etwa die Kündigung des Vertriebs eines bestimmten Produktes, einer Marke (etwa Mini bei BMW) oder die Wegnahme einzelner Kunden 244, angeblich aber nicht die Wegnahme eines Versicherungsbestandes 245 (hier kommen aber Schadenersatzansprüche in Betracht 246). In der Prognosebetrachtung sind die aus dem neuen Vertrag zu erwartenden, wahrscheinlich reduzierten Provisionen mit ausgleichspflichtigen Kunden von den Provisionen zu subtrahieren, die zuvor mit ausgleichspflichtigen Kunden verdient wurden. Das Saldo bildet die entgangene Vergütung des HV. Aus den so bestimmten Provisionen des letzten „ungeteilten“ Vertragsjahres – bei Untypik eines längeren Zeitraums – ist der Rohausgleich zu berechnen und dann durch die Ausgleichshöchstgrenze der durchschnittlichen, nun entfallenden Provisionsspitze der letzten fünf Jahre zu begrenzen. Beweisschwierigkeiten des HV kann durch eine Schätzung nach § 287 ZPO begegnet werden. Diese Berechnungsweise setzt jedoch weitgehende Identität zwischen Alt- und Neuvertrag voraus. Fehlt es daran, ist nach Beendigung des Erstvertrages wohl ein vollständiger Ausgleich zu zahlen: Der Erstvertrag ist gänzlich beendet und dem HV entgehen infolge der Vertragsbeendigung alle Provisionen aus jenem Vertrag. Lediglich im Rahmen der Billigkeit kann geprüft werden, ob die Vorteile aus dem Neuvertrag ausgleichsreduzierend zu berücksichtigen sind, nicht anders als bei Aufnahme einer Konkurrenztätigkeit. Eine Bezirksverkleinerung muss wesentlich sein, um ausgleichsrechtliche Folgen auszulösen 247. Dem Ausgleich ist dann der Neukundenstamm aus dem abgetrennten Teilgebiet zugrunde zu legen. Das gleiche gilt für die Verkleinerung des zugewiesenen Kundenkreises, wie sie namentlich bei der sogenannten Bestandsübertragung auf einen anderen HV (zur Zulässigkeit eben), etwa wegen Überlastung des bisherigen, vorkommt. Keine Teilbeendigung in diesem Sinne ist eine bloße Verkleinerung des Sortiments 248. Wie schon in der Frage der Produktionseinschränkung, ist auch hier der Unternehmer in seinen unternehmerischen Entscheidungen grundsätzlich frei. Er braucht nicht einmal das Vertragsverhältnis zu kündigen. Würde der HV die Sortimentsverkleinerung zum Anlass nehmen, seinerseits zu kündigen, so beurteilt sich die Frage seiner Ausgleichsberechtigung nach den Maßstäben des Abs. 3 Nr. 1; hierbei wird das Ausmaß der Sortimentsverkleinerung ein gewichtiges Wort zu sprechen haben. Gleichfalls wird man eine Teilbeendigung dann annehmen müssen, wenn nicht das Sortiment als solches verkleinert, sondern das Vertretungsrecht des HV für bestimmte Sortimentsteile auf einen anderen HV übertragen wird 249. – Tod des HV 250: Er stellt eine ausgleichsbegründende Vertragsbeendigung dar. Dass der Tod des HV eine Beendigung des Vertragsverhältnisses i.S.d. § 89b darstellt, 243

244 245

Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 45; MünchKomm/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 52; Koller/Roth HGB, § 89b Rn 3; Niebling Vertragshändlerrecht, 1999, Rn 232; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rn 800; Emde VersR 2001, 148 (153). Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 45. BGH, Urt. v. 27.10.1993 – VIII ZR 46/93, BGHZ 124, 10; OLG Hamm VersR 1993, 833; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 45; MünchKomm/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 53.

246 247 248 249 250

Hübsch/Hübsch WM Sonderbeilage Nr. 1/ 2005, S. 12. OLG Nürnberg BB 1958, 1151. AA Ahle DB 1962, 1069. Ahle DB 1962, 1069. BGH, Urt. v. 13.05.1957 – II ZR 318/56, BGHZ 24, 214 = NJW 1957, 1020; BGH. Urt. v. 02.10.1958, NJW 1958, 1966; BGH v. 06.02.1964, BB 1964, 328; OLG Hamm NJW 1956, 350; OLG Frankfurt/Main v. 12.07.1960, NJW 1961, 514; Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 40.

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wurde anfangs bezweifelt 251 (Rn 29) und hierfür aus dem Wortlaut argumentiert, da das Gesetz in der Terminologie des BGB (§ 673) den Auftrag durch den Tod des Beauftragten nicht „beendet sein“, sondern „erlöschen“ lasse. Die Argumentation aus dem Wortlaut hat BGHZ 24, 217 widerlegt (auch die §§ 87 Abs. 3 und 88a sprechen von „Beendigung“ des Vertragsverhältnisses, obwohl darunter unbezweifelbar der Tod des HV als Endigungsgrund mitgemeint ist). Die Entstehungsgeschichte des Gesetzes und eine rechtsvergleichende Betrachtung beweisen, dass auch der Tod des HV den Ausgleichsanspruch – als vererblichen – auslöst. Anders liegt es nur in der Besonderheit, wenn der Vertrag bestimmt, im Falle des Todes des HV werde die Vertretung von seinem Erben (etwa von seiner Witwe) fortgeführt. Eine solche Regelung setzt den Normalfall der §§ 673, 675 BGB beiseite. Der Erbe ist gem. §§ 1922, 1967 BGB in die Dienstleistungsverpflichtung des HV kraft Gesetzes und kraft Bereitschaft des Unternehmers, die Erbringung der Dienste von der Person des ursprünglichen Vertragspartners losgelöst zu sehen und hierfür den noch unbekannten demnächstigen Erben im voraus zu akzeptieren, eingerückt; das Vertragsverhältnis setzt sich in der Person des Rechtsnachfolgers fort. Der Ausgleichsfall ist nicht gegeben. Die vom Verstorbenen geschaffenen Geschäftsverbindungen wachsen dem Rechtsnachfolger für dessen Ausgleich zu. Noch anders liegt es, wenn dem Erben – oder einem von ihnen oder der Witwe – lediglich die Option zur Fortsetzung des Vertrages eingeräumt worden ist. Meist wird dann aber der bisherige Vertrag fortgesetzt und mit dem Optierenden wird kein selbständiger Vertrag abgeschlossen 252. Nur im seltenen letztgenannten Fall ist der Ausgleichsanspruch aus dem Urvertrag, im Voraus unverzichtbar, entstanden, und es muss über seine Abwicklung eine besondere Abrede getroffen werden. – Umwandlung des HV-Vertrages in einen Vertrag anderer Rechtsnatur: Eine einverständliche Beendigung des HV-Vertrages liegt auch vor, wenn das Vertragsverhältnis umgewandelt wird: in ein Verhältnis auf der Basis eines (nunmehr) angestellten Reisenden 253, eines Anstellungsvertrages unter Betreuung mit sonstigen Aufgaben in der Organisation des Unternehmens, einer Tätigkeit als (nur noch) nebenberuflicher HV (§ 92b). Wird der HV-Vertrag derart abgeändert, etwa in einen Anstellungs- oder Vertragshändlervertrag, muss der HV-Vertrag denklogisch zuvor einverständlich oder durch Kündigung beendet werden. Dies führt zur Ausgleichsberechtigung. Die zur Beendigung leitende Erklärung liegt zumindest konkludent im Abschluss des den HVVertrag ersetzenden Neuvertrages. Zu prüfen sind aber die Provisionsverluste: Sie können fehlen, wenn der Vertrag in einen anderen Vertriebsvertrag umgewandelt wird 254. Die Geltendmachung steht unter der Frist des Abs. 4 S. 2, wenn nicht – wegen der Ungewissheit darüber, wie das neue Verhältnis sich anlassen wird – das einstweilige Ruhen des HV-Vertrages vereinbart, der Ausgleich gestundet oder schon jetzt auf ihn Verzicht geleistet wird. Dass letzteres ausnahmslos auf das Risiko des HV gehe, kann nicht angenommen werden. War der Verzicht im Hinblick auf erwartete höhere Vorteile aus dem neuen Vertragsverhältnis ausgesprochen worden und erfüllen diese Erwartungen sich nicht, so kann er unter den weiteren Voraussetzungen des § 812 Abs. 1 S. 1 Hs 2 BGB kondiziert werden. Der Kondiktionseffekt versetzt darauf die Ausgleichsberechtigung in den früheren Stand; er sperrt dem Unternehmer die Berufung auf eine

251

252 253

v. Brunn DB 1953, 1080; Görres DB 1955, 681; Winter BB 1955, 496; OLG München BB 1956, 833. AA 4. Aufl., § 89b Rn 25. Fall BAG NJW 1958, 1365 – Vorinstanz:

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254

BB 1957, 1275 –; Winterberg DB 1958, 521, 1163; Neflin DB 1958, 579; Schultze/ Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rn 799. Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rn 799.

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etwa versäumte Geltendmachungsfrist nach Abs. 4 S. 2 (kondiziert ist in diesem Falle nicht nur der Anspruchsverzicht, sondern auch die dem Unternehmer auf Grund des Abs. 4 S. 2 zugewachsene „Rechtsposition des Verwirkt-seins des Anspruchs“). Keinesfalls aber begänne die Frist des Abs. 4 S. 2 allgemein erst vom Ende des Anschlussrechtsverhältnisses ab zu laufen. Von der Umwandlung des Vertragsverhältnisses zu unterscheiden ist die bloße Ersetzung des bisherigen HV-Vertrages durch einen neuen. Hier ist das HV-Verhältnis als solches nicht beendet. Es entsteht kein Ausgleichsanspruch aus dem bisherigen Vertrag 255. Ausgenommen davon sind die Fälle, in denen die Absicht einer Änderungskündigung des Unternehmers ausgesprochen wird, mit der erreicht werden soll, dem HV abweichend von vertraglichen Festsetzungen den zugewiesenen Bezirk oder Kundenkreis zu verkleinern oder den Provisionssatz herabzusetzen, und daraufhin eine Vertragsänderung zu diesen eingeschränkten Konditionen zwecks Vermeidung der Änderungskündigung zustande kommt. Hier ist die Rechtslage die gleiche wie in der ausgesprochenen Änderungskündigung. So ist etwa die Herabstufung vom Kfz-Vertragshändler zum Werkstattbetrieb oder die Kündigung einer von mehreren durch den Händler vertretenen Marken eine den Ausgleichsanspruch begründende Beendigung des Vertragshändlerverhältnisses 256. – Untervertreter: Beschäftigt der HV eigene – selbständige – Untervertreter (§ 84 Abs. 3), so ist die Beendigung seines eigenen HV-Vertrages (Hauptvertrages) mangels entgegenstehender Bestimmung nicht zugleich Endigungsgrund für die Untervertreterverträge. Sie müssen von ihm gekündigt werden. Wegen der ausgleichsrechtlichen Folgen nach Abs. 3 s. Rn 250). – Zeitablauf: Hauptfall ist der vertragliche Endigungszeitpunkt für das HV-Verhältnis nach Erreichen einer bestimmten Altersgrenze oder eines Saisonvertrages 257. In Betracht kommen können ferner befristete Probeverträge – gleich aus welchen Gründen sie nicht verlängert oder in ein endgültiges Vertragsverhältnis übergeführt werden – und die sogenannte kommissarische Übertragung einer Vertretung durch einen bereits für einen anderen Bezirk oder anderen Kundenkreis tätigen HV, der vorübergehend einen vakanten Bezirk übernimmt. Die kommissarische Betrauung pflegt mit gesondertem Vertrag zu geschehen; dieser hat dann bei seiner Beendigung ausgleichsrechtlich sein gesondertes Schicksal. – „Kettenverträge“, d.h. mit kurzer Laufzeit abgeschlossene und jeweils mit gleicher Laufzeit verlängerte Verträge begründen nicht laufend Ausgleichsansprüche. Sie sind unbefristeten gleichzuachten258. 3. Der Vertragsbeendigung gleichzustellende Konstellationen. Grundsätzlich muss 55 der Vertrag rechtlich beendet sein, damit der Ausgleich fällig wird. Die bloße Tätigkeitseinstellung ohne Vertragsbeendigung steht dem nicht gleich 259. Einseitig vom Unternehmer vorgenommene Konditionsänderungen sind unwirksam, es sei denn, es lässt sich eine konkludente Vertragsänderung nachweisen. Einseitige Änderungen lassen die zuvor getroffene Regelung unberührt, auf deren Basis der Ausgleich berechnet wird. Ferner entsteht ein Schadenersatzanspruch, auch auf korrekte Ausgleichsberechnung. Beide Ansprüche verjähren gem. § 195 BGB. Da es sich jedoch um einen Dauerzustand handelt, spielt diese Verjährungsfrist kaum eine Rolle. Es fragt sich, ob der rechtlichen Vertragsbeendigung andere Fälle entsprechen, in 56 denen der HV-Vertrag fortbesteht, jedoch eine Situation eintritt, die einer Vertragsbeendigung gleichkommt. Der dann entstehende Ausgleichsanspruch könnte mit dem o.g. 255 256

BGH NJW 1967, 248. Ensthaler/Gesmann-Nuissl/Stopper DB 2003, 257 (264).

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Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 39. BGH VersR 1959, 129. Küstner/Thume II, Rn 266.

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Anspruch aus Vertrag und Delikt konkurrieren. Schadenersatzansprüche bieten keine hinreichende Kompensation, weil sie ein schuldhaftes Verhalten voraussetzen, welches schwer nachweisbar ist. Voraussetzung einer Entsprechung ist, dass die Situation einer Vertragsbeendigung i.S.d. § 89b Abs. 1 gleichgestellt werden kann. In der Sache handelt es sich um eine analoge Anwendung des § 89b Abs. 1. Der HV darf den Ausgleich fordern, sobald die Analogiesituation eintritt. Sofern das Vertragsverhältnis nach Eintritt der Analogiesituation ungekündigt fortbesteht, wird oft kein Ausgleich gefordert werden, um das Verhältnis zwischen den Vertragspartnern nicht durch die Ausgleichsforderung zu belasten. Kommt es später zur rechtlichen Beendigung des Vertrages, ist der HV nicht daran gehindert, den vollständigen Ausgleich einschließlich des durch die Analogiesituation zuvor fällig gewordenen Ausgleichsteils zu verlangen. Er ist unter Einschluss der Provisionen zu berechnen, die vor Eintritt der Analogiesituation erzielt wurden, sofern sie innerhalb des – bei Untypik des letzten Vertragsjahres möglicherweise mehrjährigen 260 – Provisionsbemessungszeitraums liegen. Die Rechte aus der unmittelbaren und analogen Anwendung des § 89b bestehen mithin alternativ. Der Ablauf der Ausschlussfrist oder der Eintritt der Verjährung seit dem Zeitpunkt des analogiebegründenden Umstand dürften nicht entgegen stehen, weil sie nur bei rechtlicher Beendigung des Vertrages gelten und die analoge Anwendung des § 89b Abs. 4 nicht gerechtfertigt ist, wenn auf der Basis der Analogie kein „Zwischenausgleich“ gefordert wurde. § 195 BGB ist ohnehin unmaßgeblich, da der Ausgleich mit der rechtlichen Beendigung erneut fällig wird. Ein analogiebegründender Umstand muss einem der anerkannten Beendigungsgründe 57 gleichstehen. Leitbild ist dabei die Kündigung des Unternehmers. Der zur Analogie leitende Sachverhalt gleicht ihr nur, sofern er auf einem Willensentschluss des Unternehmers beruht und damit einer vom Unternehmer veranlassten Kündigung ähnelt. Zudem muss er von einer gewissen Erheblichkeit sein. In diesem Zusammenhang werden folgende Analogiekonstellationen diskutiert: – Bezirksänderung/Bezirksrotation: Hat sich der Unternehmer vorbehalten, einen Bezirkstausch vorzunehmen, liegt im Moment der Rotation keine Vertragsbeendigung vor. Der Vertrag wird fortgesetzt, lediglich der zu bearbeitende Bezirk verändert. Die Bemessungsgrundlage der Provision wird jedoch u.U. in einer Weise verschlechtert, die einer teilweisen oder vollständigen Beendigung des HV-Vertrages nahe kommt. Wie dargestellt (Rn 56) kann der HV den Ausgleich sowohl zum Zeitpunkt der Rotation wie zum Zeitpunkt des rechtlichen Vertragsendes geltend machen: Zum einen könnte der HV zum Zeitpunkt des Bezirkstausches einen Ausgleich fordern. Der Vertrag besteht dann noch fort, lediglich wird das Bearbeitungsgebiet des HV geändert: Da der HV-Vertrag fortbesteht, kann § 89b allenfalls analog angewandt werden. Die Analogie ist gerechtfertigt, wenn der Eingriff einer Vertragsbeendigung vergleichbar ist. Es besteht eine Regelungslücke, weil § 89b nur den Fall der rechtlichen und nicht der faktischen Vertragsbeendigung erfasst. Wirtschaftlich steht die faktische Vertragsänderung jedoch der rechtlichen gleich. Die Interessenlage ist vergleichbar. Daher wird etwa bei einer wesentlichen Verkleinerung des HV-Bezirkes infolge des Bezirkstausches an eine Ausgleichsberechtigung gedacht 261. Den HV lediglich dadurch zu schützen, indem ihm die Bezirksänderung einen begründeten Anlass zur aus-

260

Da die Analogiesituation meist zu schlechteren Provisionen der letzten Jahre geführt hat, ist der Ausgleich bei Nichteinforderung des Zwischenausgleichs auf der Basis der Durchschnittsprovisionen eines längeren

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261

Zeitraums, meist eines Fünfjahreszeitraums, zu berechnen. OLG Nürnberg, Urt. v. 18.09.1958 BB 1958, 1151 = MDR 1959, 929; Küstner/Thume II, Rn 327.

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gleichserhaltenden Kündigung nach § 89b Abs. 3 S. 1 gibt 262, wäre kein ausreichendes Äquivalent. Der HV kann daher nach dem Bezirkstausch einen Ausgleich für die im Vergleich zum Neubezirk entgangenen Provisionen aus dem Altbezirk fordern. Die Ausschlussfrist des Abs. 4 soll den Anspruch nicht ausschließen 263. Basis der Berechnung des Zwischenausgleichs sind die Vorteile des Unternehmers bzw. die Verluste des HV, die sich aus dem Wegfall der Geschäftsverbindung in dem dem HV genommenen Bezirksteil ergeben 264. Sie liegen in Höhe der Differenz zwischen den Provisionen mit ausgleichspflichtigen Kunden im Altbezirk zu ausgleichspflichtigen Kunden im Neubezirk (Differenzbetrachtung, siehe auch Rn 54 „Teilbeendigung“). Die Berechnung des Rohausgleichs ist nicht unkompliziert, weil sich die Differenz zum Zeitpunkt des Analogieeintritts kaum bestimmen lässt. Denn die Provisionsverluste sind im Zeitpunkt des analogiebegründenden Umstandes zu errechnen. Dann sind jedoch die zu erwartenden Provisionen mit ausgleichspflichtigen Kunden im Neubezirk kaum bekannt und können allenfalls gem. § 287 ZPO geschätzt werden. Dem Ausgleichsanspruch kann nicht entgegen gehalten werden, die Bezirksverkleinerung bringe dem HV Vorteile, welche unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit zu berücksichtigen seien. Denn er könne den verbleibenden, kleineren Bezirk intensiver ausnutzen und erziele daher höhere Provisionseinnahmen. Zunächst einmal wäre dieser Umstand nur maßgeblich, wenn er zum Prognosezeitraum bereits absehbar ist (s.u.). Die durch eigene Leistungen des HV erzielten, vermuteten oder tatsächlich höheren Provisionen infolge intensivierter Bezirksbetreuung dürfen jedoch nicht ausgleichsmindernd wirken, da sie mit der Aufbauarbeit des HV am übergebenen Kundenstamm – die mit dem Ausgleich honoriert wird – in keinem Zusammenhang stehen. Unternehmer wie HV partizipieren an einer intensiveren Betreuung des Bezirkes, so dass sich Vor- und Nachteile beider Parteien aufheben. Weiter darf der HV einen Ausgleich zum Zeitpunkt der rechtlichen Beendigung des Vertrages fordern (Rn 56). Wurde der Ausgleich analog § 89b für die Bezirksverschlechterung bereits ausgeglichen, wird der Ausgleich auf der Basis des verbliebenen Bezirks berechnet 265. Schwieriger ist die Situation zu beurteilen, falls ein solcher „Teilausgleich“ noch nicht gezahlt wurde. Wie dargestellt wird durch die oben entwickelte Analogie das Recht des HV nicht ausgeschlossen, bei rechtlicher Beendigung des Vertrages einen Ausgleich auch für entgangene Provisionen aus den Altbezirken zu fordern, sofern sie bereits auf der Basis dieser Analogie ausgeglichen wurden. Der BGH 266 berechnet den Ausgleich aus den Provisionen mit den in den letzten zwölf Monaten geworbenen Kunden. Damit wären dem HV die Umsätze mit neugeworbenen Kunden des alten Bezirks abgeschnitten 267. Richtig ist es daher, den Rohausgleich auf Basis eines mehrjährigen Durchschnitts der Provisionen mit allen ausgleichspflichtigen Kunden unter Einschluss der ausgleichspflichtigen Kunden des Ursprungsbezirks zu bestimmen (Rn 56) 268. – Herabstufung des haupt- zum nebenberuflichen HV: Der nebenberufliche HV hat nach § 92 Abs. 1 kein Ausgleichsrecht. Wird der HV vom haupt- zum nebenberuflichen HV herabgestuft, was sich nach den tatsächlichen Verhältnissen bestimmt, kommt dies einer ausgleichsrechtlich relevanten (Teil-)Kündigung gleich. Allerdings

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263 264

Siehe BGH, Urt. v. 19.05.1999 – VIII ZR 354/97, ZIP 1999, 1094 = EWiR 1999, 653 (Emde). Vgl. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 73. Küstner/Thume II Rn 327.

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Küstner/Thume II Rn 328. BGH, Urt. v. 19.05.1999 – VIII ZR 354/97, ZIP 1999, 1094 = EWiR 1999, 653 (Emde). Zutreffend Thume BB 1999, 2309 (2312). Schaefer NJW 2000, 320.

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entfällt der Ausgleich nach § 92b Abs. 2 nur, wenn der HV nach der Herabstufung ausdrücklich als HV im Nebenberuf bezeichnet wurde. Wegnahme von Kunden: Die zur Bezirksreduzierung entwickelten Grundsätze gelten auch im Falle der Einschränkung des Kundenkreises infolge Vereinbarung oder faktischer Reduzierung 269. Diese Reduzierung muss so erheblich sein, dass sie sich wie eine Teilbeendigung auswirkt 270. Sitzverlegung des Kunden: Die Sitzverlegung eines Kunden führt nur dann zu einer der Teilkündigung entsprechenden Situation und damit zur analogen Anwendung des § 89b, falls sie vom Unternehmer veranlasst wurde. Sähe man dies anders, müsste auch der auf einem Willensentschluss des Kunden beruhende Abbruch der Geschäftsverbindung zum Unternehmer ausgleichsrechtlich einer Teilkündigung gleichstehen. Der HV soll allenfalls dann berechtigt sein, einen Ausgleichsanspruch zu fordern, wenn die Provisionseinbußen erheblich sind 271. Unberechtigte Kündigung des Herstellers und nachfolgende Tätigkeitseinstellung des Mittlers: Kündigt der Unternehmer den Vertriebsvertrag unwirksam, etwa mit einer unzulässig kurzen Frist, entstehen Schadensersatzansprüche des Mittlers. Als Schadensersatz darf der Ausgleichsanspruch in der Höhe gefordert werden, wie er bei fristgerechter Kündigung entstanden wäre. Dieser Ausgleich ist jedoch ein fiktiver und folglich schwer zu berechnen. Es ist daher ohne weiteres möglich, die tatsächliche Beendigung des Vertrages in Folge der unwirksamen Kündigung des Unternehmers einer rechtlich wirksamen Kündigung gleichzustellen. Der Mittler darf den Ausgleichsanspruch in der Höhe fordern, wie er entstanden wäre, wenn die tatsächlich in Folge der unberechtigten – und damit rechtlich wirkungslosen – Kündigung des Unternehmers erzwungene Tätigkeitseinstellung zu einer wirksamen Vertragsbeendigung geführt hätte, also per Stand der Tätigkeitseinstellung. Denn der Mittler darf den Unternehmer an dem von ihm Gewollten, der Kündigung zum verfrühten Zeitpunkt, festhalten, jedenfalls ausgleichsrechtlich. Verkleinerung der Produktpalette: Die vorstehenden Grundsätze gelten entsprechend 272, möglicherweise aber nicht, wenn sich im Zuge der Anpassung an veränderte Marktverhältnisse das Warensortiment verkleinert (Rn 54 „Teilbeendigung“) 273. Die Reduzierung des Warensortiments beruht auf einer Entscheidung des Unternehmers, die einer Teilkündigung gleichsteht. Anderenfalls könnte der Unternehmer durch eine faktische Verkürzung der Produktpalette (ggf. ihrem völligen Wegfall) eine kündigungsgleiche, jedoch ausgleichsneutrale Wirkung herbeiführen. Allerdings sind in diesem Fall die verbleibenden Unternehmervorteile fraglich. Wenn der Unternehmer bestimmte Produkte in Zukunft nicht mehr vertreiben will, verliert zwar der HV einen Teil seiner Provisionseinnahmen, dem Unternehmer entstehen aber keine erheblichen Vorteile, es sei denn, er erhält für die Einstellung des Produktes einen wirtschaftlichen Vorteil irgendeiner Art (Rn 47, 102). Übertragung von Versicherungsbeständen: Auch hier gelten die vorstehenden Grundsätze entsprechend 274. Der BGH hat allerdings die Ausgleichsklage eines Versicherungsvertreters, aus dessen Bestand Verträge übertragen wurden, abgewiesen 275.

Rickmann WuW 2003, 752 (762). BGH v. 27.10.1993, BB 1994, 99. OLG Nürnberg, Urt. v. 21.03.2001 – 12 U 4297/00, BB 2001, 1169. AA Küstner/Thume II, Rn 339.

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273 274 275

Rickmann WuW 2003, 752, (762). AA Küstner/Thume II, Rn 340. BGH v. 27.10.1993, BB 1994, 99 = ZIP 1994, 31.

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Begründung: Die Entstehung des Ausgleichsanspruches knüpfe an die rechtliche und nicht an die faktische Vertragsbeendigung an. Wirtschaftliche Erwägungen rechtfertigten keine abweichende Betrachtung. Der Versicherungsvertreter habe auch kein Recht auf Erhalt des von ihm vermittelten Versicherungsbestandes. Die Frage einer Entschädigung sei schadenersatzrechtlich zu lösen. Dieser Entscheidung ist aus den vorgenannten Gründen zu widersprechen. – Provisionsreduzierung: Im Grundsatz gilt auch für eine Provisionsreduzierung nichts Abweichendes 276. Wenn die Provision vertraglich fixiert ist, lässt sich ihre Herabsetzung nur im Wege der Änderungskündigung erreichen. Steht dem Unternehmer jedoch vertraglicher Freiraum bei ihrer Reduzierung zu (etwa dann, wenn eine Provisionsspanne vereinbart wurde), darf der Unternehmer auch ohne eine Änderungskündigung die Provision verringern. Hierdurch kann der Ausgleichsanspruch weitgehend entwertet und dem Unternehmer könnte nichts Besseres geraten werden, als ein bis zwei Jahre vor einer beabsichtigten Kündigung die Bemessungsgrundlage des Ausgleichs durch eine solche Provisionsreduzierung zu seinen Gunsten zu verringern. Es ist deshalb nur richtig, dass der Vorgang bei Erheblichkeit ausgleichsrelevant ist. Bei der Prognosebetrachtung muss geprüft werden, ob die Reduzierung von Dauer ist. Nur dann entsteht eine kündigungsgleiche Wirkung. Die Provisionsminderung infolge geringerer Umsätze ist kein ausgleichsrelevanter Vorgang 277, sofern sie nicht auf einem Verhalten des Unternehmers beruht, welches einer Kündigung vergleichbar ist.

IV. Werbung neuer Kunden oder Erweiterung bestehender Geschäftsverbindungen (Tatbestandsmerkmal 2) Der Unternehmer muss aus Geschäftsverbindungen mit „neuen Kunden“, die der HV 58 geworben hat, auch nach Vertragsbeendigung erhebliche Vorteile haben. Nur Kunden, zu denen eine Geschäftsbeziehung besteht, sind ausgleichsrechtlich relevant 278. 1. Kunde. Kunde ist, wer eine Bestellung, d.h. i.d.R. ein Angebot auf Abschluss eines 59 Kaufvertrages, für Produkte der vom HV vertriebenen Art aufgegeben hat, die zu einem Geschäftsabschluss geführt hat. Kunde wird man normalerweise durch Aufgabe einer Bestellung. Doch ist der Begriff wirtschaftlich zu fassen. Auch derjenige, zu dessen Beruf es gehört, Bestellungen, wenngleich formell im Namen und für Rechnung von Auftraggebern, so doch in eigener Entschließung zu vergeben (Architekt!), ist Kunde im Sinne des Ausgleichsrechts, sofern er einmal vom HV hierfür geworben worden ist. Deshalb ist es auch Werbung eines Kunden, wenn der Bezieherkreis einer solchen „Mittelstelle“ durch die Aktivitäten des HV erweitert wird. Ein HV, der für eine Genossenschaft tätig ist, gewinnt ein neues Mitglied zum Beitritt als Genosse: „Kunde“ ist auch der neugeworbene Genosse, falls er daraufhin seinen Bedarf bei der Genossenschaft deckt 279. Wenn das Gesetz von „Kunden“ in der Mehrzahl spricht, so ist das nur gattungsmäßig zu verstehen: es genügt unter Umständen ein einziger neuer Kunde; so namentlich bei

276 277 278

AA Küstner/Thume II, Rn 341. Küstner/Thume II, Rn 341. BGH, Urt. v. 07.05.2003 – VIII ZR 263/02, WM 2003, 2107; v. 12.02.2003 – VIII ZR 130/01, WM 2003, 2095; v. 10.07.2002 – VIII ZR 158/01; WM 2003, 499; VIII ZR

279

58/00, WM 2003, 491; v. 06.08.1997 – VIII ZR 92/96, WM 1998, 25; VIII ZR 150/96, WM 1998, 31; v. 12.09.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 m. Anm. Emde. LG Hamburg ZGenW 11, 464 und 12, 78.

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Werbung einer staatlichen oder halbstaatlichen zentralen Einkaufsstelle in einem früheren Ostblockstaat 280 oder bei Werbung eines Großkunden aus Anlass einer Messe, für deren alleinige Dauer der HV bestellt worden ist; überhaupt: eines Großabnehmers. Auch sonst darf der Ausdruck „Kunde“ nicht gepresst werden. Es braucht sich nicht um Abnehmer im engeren Sinne zu handeln. Gemeint ist hier der Geschäftspartner, so z.B. auch der Lieferant im Falle des Einkaufsvertreters, der Lizenzgeber bei der Vermittlung von Patentlizenzen usf. Im Übrigen kommt es gerade auf Kunden an. Dass der HV durch seine Tätigkeit den Firmenwert allgemein erhöht hat, beispielsweise durch Aufbau einer Vertriebsorganisation, die im Zeitpunkt der Beendigung des Vertragsverhältnisses (plötzlicher Tod des HV!) noch nicht zum Tragen durch Gewinnung von Kunden gekommen war, reicht allein nicht aus. 2. Neukunden. Ausgleichsrechtlich ist nur der Neukunde zu berücksichtigen 281. Das Stichwort „Neukundenwerbung“ ist irreführend. Der HV schuldet nämlich nicht die Werbung neuer Kunden. Er muss vielmehr neue Artikel verkaufen. Entscheidend ist damit nicht, ob der betreffende Kunde bei dem Unternehmer vor der mitursächlichen Tätigkeit des HV schon kaufte sondern ob er die betreffende Artikelgruppe bereits kaufte 282. Aber auch das gibt den TB noch nicht vollständig wieder. Denn der HV muss nicht notwendigerweise Kaufverträge vermitteln, sondern kann etwa auch Werkvertragsabschlüsse vermitteln, und das in beide Richtungen, nämlich zur Bedarfsdeckung des Unternehmers (klassischerweise „Einkaufsvertreter“ genannt) oder für den Bedarf des Kunden (klassischerweise als „Verkaufsvertreter“ bezeichnet). Richtigerweise wäre folglich von „Neuproduktevermittlung“ zu sprechen. Das HV-Recht ist sehr auf das Leitbild der Kaufvertragsvermittlung bezogen und bei der klassischen Apostrophierung als Neukundenwerbung soll es auch im Folgenden verbleiben. Neu sind Kunden, die mit dem Unternehmer vor Abschluss des HV-Vertrages nicht in 61 geschäftlichen Beziehungen der geworbenen Art standen, sondern dem Unternehmer erstmals vom HV in Erfüllung seiner vertraglichen Pflichten zugeführt wurden 283. Anders gewendet: Altkunden sind diejenigen Kunden, die zum Zeitpunkt des Vertragsbeginns bereits Produkte der vertriebenen Art bei dem Unternehmer kauften. Wirbt der HV daher einen Kunden, der zwar schon beim Unternehmer kaufte, jedoch nicht die nach dem HV-Vertrag zu vertreibenden Produkte sondern Artikel einer anderen Branche, so handelt es sich – bezogen auf die geworbenen Artikel – um einen Neukunden 284. Entscheidend für die Zugehörigkeit zur selben Branche ist die Substituierbarkeit der Produkte. Andererseits genügt es nicht, dass der Unternehmer innerhalb ein und derselben Branche oder einer ähnlichen Artikelgruppe nur das Sortiment vergrößert und der Kunde nunmehr auch für Artikel des erweiterten Sortiments gewonnen wird. Hier könnte dann höchstens der Fall der Intensivierung einer Altkundenbeziehung nach Abs. 1 S. 2 gegeben sein. Für die Eigenschaft als Neukunde dürfte es nicht auf die rechtliche Organisationsform des Kunden sondern die separierbare wirtschaftlich-faktische Einheit ankommen. Wird daher die weitgehend unabhängig handelnde Niederlassung eines Großkonzerns

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OLG Hamburg DB 1980, 972 (973); aA wohl BGH, Urt. v. 13.06.2007 – VIII ZR 352/04, MDR 2007, 1084 = EWiR 2007, 661 (Emde). Hopt § 89b Rn 14. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 80; Kiene VersR 2006, 1024 (1025).

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Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 80. BGH v. 28.04.1999, ZIP 1999, 1094; OLG Frankfurt/Main, Urt. v. 27.05.1966 – 3 U 263/65; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 5a.

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geworben, sind die mit ihr getätigten Geschäfte ausgleichsrelevant, selbst wenn andere Teilglieder des Konzerns bereits kauften. Die Provisionen mit diesen Kunden sind insoweit in die Ausgleichsberechnung einzubeziehen, als sie mit Produkten der neu geworbenen Branche erzielt wurden, aber eben nur diese Provisionen. Der Kunde muss für den Unternehmer neu sein, nicht für den HV. Bringt daher der 62 HV aus einer früheren oder anderen HV-Tätigkeit Kunden in das Vertragsverhältnis ein, handelt es sich dabei für den Unternehmer um Neukunden. Grundsätzlich sind alle vom Vertriebsmittler eingebrachten Kunden, die zuvor nicht die gleichen Artikel kauften, für den Unternehmer neu. Das kann von Bedeutung sein, wenn etwa ein Vertragshändler beim selben Unternehmer in ein HV-Verhältnis überwechselt und seinen Kundenstamm einbringt. Waren die Kunden bereits zuvor durch einen Vertragshändlerausgleich desselben Unternehmers bezahlt, steht einem erneuten Ausgleich der Billigkeitseinwand entgegen. Die Art und Qualität der Kunden ist unerheblich. Es müssen nur Dritte sein. Handelt 63 es sich bei einem Neukunden um einen solchen, der nach der Art des getätigten Geschäfts wirtschaftlich-faktisch mit einem Bestandskunden identisch ist, so fehlt es an einer Werbung dieses Kunden durch den HV. Die bloße Umorganisation des Kunden, z.B. durch Rechtsformwechsel oder Verschmelzung, führt nicht zur Neuwerbung, weil es zum einen an der für die Werbung erforderlichen Einwirkung auf die Entscheidungsfindung des Kunden mangelt 285 und es zum anderen nicht auf die rechtliche Organisationsform des Kunden sondern auf seine wirtschaftlich-faktische Identität ankommt. Der Kunde verliert seine Neukundeneigenschaft, wenn er von einem Bestandskunden übernommen wird 286. Lassen sich die mit dem übernommenen Kunden getätigten Geschäfte im Anschluss noch separieren, etwa weil die Lieferung an die selbständig agierende – übernommene – Niederlassung erfolgt, ist der Kunde jedoch wegen seiner wirtschaftlichfaktischen Selbständigkeit bei der Ausgleichsberechnung als Neukunde zu berücksichtigen. 3. Werbung. Geworben hat der HV die Kunden, falls die von ihm geforderte ver- 64 tragsgemäße Tätigkeit dem Unternehmer mindestens einen Neukunden zugeführt hat. Der Kunde muss durch den HV in seiner Eigenschaft als HV geworben werden. Dass der HV ihn in einer früheren Tätigkeit beim selben Unternehmer als angestellter Reisender oder als HV im Nebenberuf – denn dessen Tätigkeit ist nicht ausgleichsberechtigt, § 92b Abs. 1 S. 1 – gewonnen hat, reicht nicht aus 287. Auch muss eine für die Gewinnung des Kunden ursächlich werbende Tätigkeit des HV vorliegen, so dass es nicht genügt, wenn der Kunde auf Grund eigener Werbeaktion des Unternehmers, oder auf Empfehlung von dritter Seite, bereits zur Bestellung entschlossen ist und für diese den HV nur noch zwecks Empfangnahme und Weiterleitung einschaltet 288. Mitursächlichkeit genügt, wie bei §§ 84, 86 dargestellt, freilich auch hier. Das geht bis zu einer „virtuellen“ Mitursächlichkeit: ein Bezirksvertreterteam auf einer Messe mit turnusmäßiger Ablösung; die Zufälligkeit der Vermittlung durch den HV, der gerade „an der Reihe ist“, entscheidet nicht 289. Nicht einmal im öffentlichen Submissionswesen ist die kundenwerbende, den Unternehmer im Ausschreibungsverfahren bei der ausschreibenden Stelle einführende Tätigkeit des HV – bei aller Korrektheit des Zuschlags – ausgeschlossen 290. Dass es dem 285

286

Vgl. LG Görlitz, Urt. v. 25.05.1993 – 3 O 34/93, zitiert nach Küstner/Thume II, Rn 454. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 80.

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OLG Düsseldorf NJW 1965, 2352. OLG Karlsruhe BB 1960, 381. KG BB 1969, 1062. BGH NJW 1980, 1793.

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HV gelingt, einen zum Abspringen entschlossenen Altkunden bei der Stange zu halten, reicht jedoch nicht aus. Jeder Kunde, für den der HV eine Provision nach § 87 erhält, ist in diesem Sinne geworben 291. Ob gleiches für die Bezirksprovision gilt ist umstritten (Rn 131). Richtigerweise folgt aus dem Erfordernis des Geworbenseins durch den HV nicht, dass die Bezirksprovision (§ 87 Abs. 2) als Berechnungsgrundlage des Ausgleichsanspruchs ausscheidet, solange der jeweilige Bezirkskunde nur einmal vom HV geworben war 292. Zum Inhalt der zur Ausgleichspflicht führenden vertragsgemäßen und werbenden 65 Tätigkeit des HV vgl. § 84 Rn 47 ff, § 86 Rn 14 ff. Mitursächlichkeit des HV für die Vermittlung ist ausreichend 293 (§ 86 Rn 24). Eine Mitursächlichkeit des Unternehmers für die Werbung der Stammkunden schließt den Anspruch des HV also nicht aus 294. Ein in Ausführung eines Rahmenvertrages mit Sonderkonditionen für bestimmte Abnehmer (hier: Betriebsvereinbarung und Abrufschein) als „Abrufgeschäft“ getätigter Kauf beseitigt die Mitursächlichkeit des Mittlers für dieses Geschäft nicht, falls der Kunde zum Kauf noch nicht fest entschlossen war und der Mittler einen Rest an Überzeugungsarbeit leisten muss 295. Besondere Anstrengungen des HV sind nicht Anspruchsvoraussetzung 296. Der Mittler braucht nicht persönlich tätig zu werden. Es ist ausreichend, wenn der ein Vertriebssystem aufbauende oder führende Vertriebs- oder Strukturleiter über sog. „unechte“ Untervertreter kraft Weisungsbefugnis als „mittelbarer Täter“ vermittelt 297. Gleichzeitige oder zusätzliche Bemühungen des vertretenen Unternehmers schließen die Mitursächlichkeit des HV für die Kundenwerbung ebenfalls nicht aus, etwa gemeinsame Verkaufsgespräche beim Kunden oder das gemeinsame Auftreten auf Messeveranstaltungen. Auch wenn die Vermittlungstätigkeit des HV allein noch nicht zum Geschäftsabschluss geführt hat, sondern der potenzielle Kunde letztlich erst durch die Überzeugungskraft des Unternehmers zu einer Bestellung veranlasst wurde, ändert dies an der Mitursächlichkeit nichts. Die Mitursächlichkeit wird nicht dadurch aufgehoben, dass der Kunde auf Grund der Monopolstellung des Unternehmers 298 oder der „Sogwirkung“ einer bekannten Marke 299 über den HV eine Bestellung aufgegeben hat, solange der HV seine eigene hinzukommende Tätigkeit entfaltet hat, um die Bestellung hereinzuholen. Die Tatsache, dass der HV auf Grund des Bekanntheitsgrades eines Markenproduktes nur geringere Bemühungen entfalten muss, findet entweder bereits in einer vergleichsweise geringeren Provision – und damit auch einem geringeren Ausgleich – seinen Niederschlag oder die Tatsache wird im Rahmen des Billigkeitsabschlages berücksichtigt 300 (siehe dort). Nur wenn der Kunde zur Bestellung bereits fest entschlossen ist, fehlt es an der Mitursächlichkeit. Übergibt der Unternehmer dem HV zu Beginn seiner Tätigkeit Namen und Anschrif66 ten von Personen, die noch nicht beim Unternehmer bestellt haben, sind diese Personen, 291 292 293

294 295

Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 79. AA 4. Aufl., § 89b Rn 35 (49). OLG Saarbrücken, Urt. v. 05.02.2003 – 1 U 924/01 – 211, NJW-RR 2003, 900 = EWiR 2003, 825 (Emde); Kiene VersR 2006, 1024 (1025); Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 26; § 89b Rn 79. Kiene VersR 2006, 1024 (1025). BGH BB 1996, 2265; OLG Saarbrücken, Urt. v. 05.02.2003 – 1 U 924/01-211, NJW-RR 2003, 900 = EWiR 2003, 825 (Emde); Westphal Vertriebsrecht II, Rn 200.

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298 299 300

Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 79. BGHZ 56, 290 (293); 59, 87 (93); K. Schmidt Handelsrecht, § 27 I 2d; Emde MDR 1999, 1108 (1109); Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 36; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 84 Rn 56. OLG Nürnberg BB 1963, 1313; Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 79. OLG Hamburg DB 1980, 972 (973); Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 79. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 79.

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wenn der HV an ihrer ersten Bestellung mitgewirkt hat, ausgleichsrechtlich neu zugeführte Kunden. Denn (Alt)Kunde ist nur, wer zumindest einmal beim Unternehmer bestellt hat. Anders entschied das OLG Köln: Erhält der HV von einer Gesellschafterin des Unternehmers, für die der HV ebenfalls als Mittler tätig ist, eine Liste mit Namen ihrer Kunden, verbunden mit der Erlaubnis, die in der Kundenliste Genannten auf die Produkte des Unternehmers anzusprechen, so soll darin keine ausgleichspflichtige Werbung von Neukunden für den Unternehmer liegen. Jedenfalls entspräche die Zahlung eines Ausgleiches nicht der Billigkeit. Denn der HV greife ausschließlich auf den Kundenstamm der Gesellschafterin zurück. Dass eine Steigerung der bisherigen Umsätze auf seiner werbenden Tätigkeit beruht, habe der HV im Einzelnen darzulegen 301. Dem ist nur zuzustimmen, wenn es für den Kauf an jeder Mitursächlichkeit des HV fehlt. Nicht ausreichend ist, dass der HV einen Dritten für die Erzeugnisse interessiert (der 67 aber selbst nicht Kunde wird) und dieser Dritte seinerseits das Produkt weiterempfiehlt, so dass es zu Bestellungen (aber nicht über den HV) kommt. Hier mag allenfalls ein Provisionsanspruch aus dem Gesichtspunkt der mittelbaren Verursachung begründet sein; aber der engere Begriff eines „vom HV geworbenen Kunden“ ist für den Ausgleich nicht erfüllt 302. Wird der HV zunächst für ein später insolventes Unternehmen tätig und dann für den 68 Käufer des insolventen Unternehmens 303 liegt eine Neuwerbung vor. Der Erwerber kann sich nicht darauf berufen, die Adressen der Kunden vom Insolvenzverwalter erhalten zu haben. Denn durch die Existenz oder den Erhalt der Adressen entstand noch keine Geschäftsverbindung. Dem ist zuzustimmen: Der HV steht sich so, als sei er zu einem Konkurrenzunternehmen unter „Mitnahme“ der jenem noch nicht bekannten Geschäftsverbindungen gewechselt. Im Einzelfall mag ein „§ 242 BGB-Einwand begründet sein. Vermittelt der HV Geschäftsabschlüsse mit einer Einkaufsgenossenschaft, deren Namen ihm vom Unternehmer bekannt gegeben wurde, ist nur die Genossenschaft Kunde, nicht sind es ihre Mitglieder. Gelingt es dem HV, diese Mitglieder zu Kunden des Unternehmers zu machen, handelt es sich dabei um neu zugeführte Kunden. Möglicherweise verbietet es jedoch die wirtschaftlich-faktische Teilidentität mit den für das Mitglied der Genossenschaft bestimmten Lieferungen von einer Neukundenwerbung zu sprechen. Die Beweislast dafür, dass ein Kunde neu ist, trägt der HV. Er hat darzulegen und zu 69 beweisen, dass Kunden, die er in seine Ausgleichsberechnung einbezieht, dem Unternehmer während des HV-Vertrages neu zugeführt wurden. Lediglich dann, wenn der HV von Beginn der Tätigkeit des Unternehmers für diesen als HV tätig war (sog. „Mann der ersten Stunde“), kommt ihm als Beweiserleichterung der „Beweis des ersten Anscheins“ zu Gute. 4. Erweiterte Altkunden. Der Werbung eines Neukunden steht es gem. Abs. 1 S. 2 70 gleich, wenn der HV infolge seiner Tätigkeit bereits vorhandene Geschäftsverbindungen zu Kunden so wesentlich erweitert, dass dies wirtschaftlich der Werbung eines neuen Kunden entspricht. Es müssen also einerseits bereits vorhandene Kunden existieren, die Geschäftsverbindung zu ihnen muss wesentlich erweitert werden und jene Erweiterung muss auf einem Verhalten des HV beruhen, welches der Werbung eines Neukunden gleichsteht. Für die Gleichstellung spricht eine Vermutung, falls eine Erweiterung vor301

302

OLG Köln, Urt. v. 26.01.2001 – 19 U 113/00, OLGR Köln 2001, 205 = DB 2001, 1721 = BB 2001, 1601. BGH NJW 1959, 1677.

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LG Bielefeld v. 19.04.1985, HVR Nr. 608; aA OLG Karlsruhe, Urt. v. 22.08.2007 – 15 U 56/07, BeckRS 2007, 14360.

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liegt. Auch hier ist das Verbleiben im Rahmen der Branche entscheidend. Nicht vorausgesetzt wird, dass der Kunde Artikel ordert, die mit den bisher bezogenen in keinem Zusammenhang stehen 304. Vermehrte Bestellungen desselben, bisher bezogenen Artikels sind nicht zu verlangen; es genügt die „qualitative Erweiterung“, die sich auch auf andere, substituierbare Artikel derselben Branche erstrecken kann 305. Was für eine „wesentliche“ Erweiterung zu fordern ist, bleibt Tatfrage. Eine wesentliche Erweiterung der Geschäftsbeziehung liegt erst vor, wenn der Umsatz bei einzelnen Kunden um mindestens 100 % 306 – inflations- und preissteigerungsbereinigt 307 – erhöht wurde (Daumenregel). Ob unter diesem Schwellenwert eine wesentliche Erweiterung anzunehmen sein kann 308, ist fraglich. Auch bei geringen Umsatzzahlen ist keine größere Steigerung erforderlich 309, ebenso wenig bei einem Gesamtrückgang des Umsatzes 310. Die Umsatzsteigerung muss auf Vermittlungsbemühungen/der Tätigkeit des HV – also seiner vertraglich geschuldeten Tätigkeit – beruhen. Erhöhungen, die auf anderen Faktoren beruhen sind im Grundsatz unbeachtlich. Die Ursächlichkeit der Werbung des HV wird vermutet, wenn der Unternehmer nicht andere Ursachen subtantiiert darlegt 311. Bloße Steigerung des Erlösvolumens im Gefolge der Preisentwicklung bildet keine Intensivierung der Altkundenbeziehung. Bei der derzeit niedrigen Inflationsrate in den meisten Branchen wird man es jedenfalls bei kürzeren Vertragslaufzeiten bis hin zu fünf Jahren bei der Daumenregel der 100 %-Grenze belassen können, ohne sich der Mühe des Herausrechnens der inflationsbedingten Steigerung zu unterziehen 312. Bei längeren Vertragslaufzeiten ist das unzulässig: Thume 313 weist darauf hin, dass die Provision allein inflationsbedingt bei einem Anfangsumsatz von € 100.000,– unter Zugrundelegung einer jährlichen Preissteigerungsrate von 3 % im Verlauf von 20 Jahren um 75 % auf € 175.350,– anwächst. Bei diesen Zeiträumen spricht allerdings ohnehin der Beweis des ersten Anscheins für eine Neukundenwerbung. Regelmäßig ist die Steigerung anhand eines auf den einzelnen Kunden bezogenen Umsatzvergleiches zu bestimmen, also nicht etwa anhand der Erhöhung der Stückzahl, zumal sich die Produktpalette und damit auch die Portionierung ändern können. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Umsatz – wie meist – Provisionsberechnungsbasis ist. Ist ein anderer Faktor Provisionsbemessungsgrundlage, muss auf dessen Steigerung abgestellt werden. Nicht beizustimmen ist der Auffassung, der Fall einer zum Ausgleich berechtigenden Intensivierung der Geschäftsverbindung mit dem Altkunden fehle, sofern die vom HV erzielte Umsatzsteigerung durch Preisrückgänge wieder abgefangen werde, so dass im Ergebnis das Umsatzvolumen preismäßig auf demselben Niveau stehen geblieben sei. Der Unternehmer hat von der Steigerung des Umsatzes gleichwohl den Vorteil: wäre sie nicht gelungen, wäre das Umsatzvolumen mit diesem Kunden, statt auf der gleichen Höhe gehalten zu sein, noch zurückgegangen. Maßgeblich ist ein Vergleich zwischen den Verhältnissen bei Vertragsbeginn und Ver71 tragsende. Ausnahmsweise können die Verhältnisse bei Vertragsende, d.h. im letzten 304 305 306

So 4. Aufl., § 89b Rn 36; hiergegen Küstner/Thume II, Rn 476. BGH NJW 1971, 1611. BGH, Urt. v. 03.06.1971, BGHZ 56, 242 = NJW 71, 1611 = BB 71, 843 = DB 71, 1298 = VW 71. 1388 = HVR Nr. 444 = VersR 71, 737: OLG Hamm, Urt. v. 19.11.1992, OLGR 1993, 78; OLG Celle NJW 1968, 1141; Kiene VersR 2006, 1024 (1025); Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 81; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene, § 89b Rn 65.

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307 308 309 310 311 312

313

Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 81. Dafür Kiene VersR 2006, 1024 (1025). AA Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 81. AA Müller NJW 1997, 3423; Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 81. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 81. Das OLG Celle v. 25.01.1968, NJW 1968, 1141 hat in einem solchen Fall eine wesentliche Erweiterung angenommen. Küstner/Thume II, Rn 482.

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§ 89b

Vertragsjahr, untypisch sein. Dann ist es notwendig, nicht die Verhältnisse im letzten Vertragsjahr als Vergleichsgröße heranzuziehen, sondern die Entwicklung über einen längeren Zeitraum – meist einen fünfjährigen Zeitraum oder sogar die gesamte Vertragszeit – zu beobachten. Starke Schwankungen sind daher vor Durchführung des Vergleichs zu „glätten“, indem man diese Zeiträume entweder völlig unberücksichtigt lässt oder aber einen längeren Vergleichszeitraum heranzieht. Wegen der schwierigen Separierung der jeweiligen Provision und des wohl entgegenstehenden Wortlautes des § 89b Abs. 1 S. 2 dürfte die Ansicht 314 abzulehnen sein, derzufolge nicht der volle mit dem Altkunden getätigte Gesamtumsatz, sondern nur der über den vorgefundenen Umsatz hinausgehende Mehrumsatz ausgleichsfähig ist. Ausgleichsbegründend ist auch hier jede vertragsgemäße Tätigkeit des HV, welche zur 72 Zahlung der geschuldeten Vergütung führt. Ausreichend ist wie bei der Neukundenwerbung Mitursächlichkeit 315. Ob die Darlegung der Steigerung als solche ausreicht oder der HV auch darlegen sowie beweisen muss, dass die Steigerung aufgrund der von ihm geschuldeten Tätigkeit erfolgte, ist noch nicht ausdiskutiert. Es spricht einiges für eine vom Unternehmer zu entkräftende Vermutung, dass eine bewiesene Steigerung auf vertragsgemäßer Tätigkeit des HV beruhte. Für eine Darlegung der Steigerung genügt es nicht, wenn der HV lediglich eine Steigerung der Umsätze im Vertragsgebiet insgesamt behauptet, weil damit nichts über die Steigerung bei den ausgleichspflichtigen Kunden (Stammkunden, geworbene Kunden) ausgesagt wird. Jedenfalls bei Bestreiten des Unternehmers zählt zu einer substantiierten Darlegung die Behauptung einer Steigerung innerhalb der einzelnen Geschäftsverbindung. Spiegelbildlich darf der Unternehmer die Ausgleichsverpflichtung jedoch nicht einfach bestreiten, indem er vorträgt, die GesamtUmsätze seien gesunken, sofern bei einzelnen Kunden die Geschäftsverbindung nach den vorgenannten Maßstäben erweitert wurde. In der Kautalarpraxis hat sich eingebürgert, die vor Vertragsbeginn bestehenden Umsätze mit übergebenen Altkunden in einer Vertragsanlage festzuhalten, damit Streitigkeiten über die Ausgleichsberechtigung bei Erweiterung vermieden werden. Richtigerweise sollte dabei dargestellt werden, mit welchen Produkten diese Umsätze erzielt werden, um einen Streit über die – ausgleichspflichtige – Neu-Werbung auf andere, mit den bisher vertriebenen Produkten nicht im Zusammenhang stehende Produkte auszuschließen. Sofern der HV einen Altkunden für ein bisher nicht bezogenes eigenständiges Produkt wirbt liegt eine ausgleichspflichtige Neukundenwerbung vor (Rn 61). 5. Geschäftsverbindung. Der Unternehmer muss aus „Geschäftsverbindungen“ mit 73 neuen oder erweiterten Kunden nach Beendigung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile haben. Es muss eine nutzbare Geschäftsverbindung mit dem gewonnenen Kunden geschaffen worden sein. Sie sollte als Kundenbeziehung eine gewisse Dauer besitzen 316, also weitere Bestellungen erwarten lassen. Der Kunde muss m.a.W. als Mehrfach- oder Stammkunde anzusprechen sein. Diese zentrale Voraussetzung muss noch bei Beendigung des HV-Verhältnisses gegeben sein. Ob ein Kunde „neu“ ist, ob der Unternehmer nach Beendigung des HV-Vertrages durch Umdispositionen des Vertriebsweges noch „Vorteile“ von ihm hat, mag sich nach Kriterien des vorgegebenen oder bewahrten Marktanteils beurteilen: die Geschäftsbeziehung muss in jedem Falle zum Unternehmer selbst begründet gewesen sein und weiter Geschäfte einbringen.

314

OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.09.1996 – 16 U 41/95, zitiert nach Schultze/Wauschkuhn/ Spenner/Dau, Rn 807.

315 316

Küstner/Thume II, Rn 473. „Erkennbare Beständigkeit“: BGH LM § 89b HGB Nr. 47 – Reisebüro –.

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a) Mehrfachkunden. Eine Geschäftsverbindung besteht zu Mehrfachkunden. Sie bedarf einer gewissen Nachhaltigkeit 317. Ein Mehrfachkunde ist ein Kunde, von dem innerhalb eines überschaubaren, in seiner Entwicklung noch abschätzbaren Zeitraumes Folgebestellungen zu erwarten sind 318. Ein Kunde, der bei einem Mittler innerhalb der üblichen Wiederkaufsfrist ein weiteres Produkt erworben hat, wird auch in Zukunft ein Produkt des Unternehmers kaufen 319. Dabei genügt es, wenn der Kunde mehrere Käufe in einer einzigen Sammelbestellung zur selben Zeit tätigt 320. Es handelt sich um eine Zukunftsprognose. Das Verhältnis des Unternehmers zu einem neu zugeführten Kunden muss daher während des HV-Vertrages zu einem solchen von gewisser Dauer geworden sein, in welchem es (vermutlich) zu Nachbestellungen kommt. Nicht nötig ist, dass bereits in der Vergangenheit mehrere Geschäfte getätigt wurden. Ebenso ist nicht erforderlich, dass die Nachbestellungen bis ins letzte oder vorletzte Vertragsjahr hineinreichen, wenn gleichwohl eine Prognose spätere Nachbestellungen erwarten lässt 321. Auch der Abstand zwischen mehreren Käufen ist unerheblich, solange nach den Gegebenheiten der Branche mit Folgegeschäften gerechnet werden kann 322. Eine Geschäftsverbindung besteht nur mit Stamm- oder besser: Mehrfachkunden, grundsätzlich jedoch nicht mit Einmalkunden (zur Berücksichtigung potentieller Mehrfachkunden unter den Einmalkunden unten, Rn 78). Ein Kunde kann gleichzeitig oder nacheinander bei mehreren Unternehmern Mehrfachkunde sein 323. Wie allgemein die Kundeneigenschaft ist die Geschäftsverbindung nicht streng personenbezogen 324 sondern wirtschaftlich-faktisch zu bestimmen. Familien- und Betriebsangehörige des Mittlers sind in den Kreis ausgleichsbedürftiger Mehrfachkunden einzubeziehen. Eine familiäre oder betriebliche Bindung darf nicht überbewertet werden. Ist der Kunde mit dem Kfz zufrieden, bleibt die Vertragsbeziehung für den Unternehmer auch nach Ende des Mittlervertrages erhalten 325. Familienangehörige oder andere dem Erstkäufer nahe stehende Personen werden dem Erstkäufer mithin zugerechnet und mit ihm als Einheit behandelt. Es genügt also der Erstkauf des Ehemannes und ein Zweitkauf seiner Frau oder des gemeinsamen Kindes. Der Mehrfachkundeneigenschaft steht nicht entgegen, dass der Händler die Waren nicht direkt beim Hersteller, sondern bei einem anderen Vertragshändler bezogen hat 326. Ob Nachbestellungen zu erwarten sind, ist im Wege einer Prognose bei Vertragsende 75 nach den gewöhnlichen Umständen zu prüfen. Ungewöhnliche, nicht zu erwartende Ereignisse sind nicht zu antizipieren. So ist etwa nicht zu erwarten, das gekaufte, grundsätzlich ohne Nachbestellwahrscheinlichkeit erworbene Fertighaus werde durch einen Wirbelsturm oder Meteoriteneinschlag zerstört oder ein gewöhnlich zwanzig Jahre existierendes Elektrogerät werde ausnahmsweise schnell verschleißen. Selbst eine unter Umständen mehrjährige Zeitspanne fehlender Bestellungen unter76 bricht die Geschäftsverbindung nicht, wenn zwischen den einzelnen Aufträgen längere Zeiträume üblich sind. Mehrjährige Bestellintervalle können bei langlebigen Verbrauchsgütern – etwa Elektromaschinen – üblich sein und das Entstehen einer Geschäftsverbin317 318

319 320

321

BGH, Urt. v. 12.09.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 m. Anm. Emde Rn 41. BGH, Urt. v. 11.10.1990 – I ZR 32/98, NJW-RR 1991, 156; BGH, Urt. v. 25.10. 1984 – I ZR 104/82, NJW 1985, 859. BGH ZIP 1987, 1383 (1386). BGH, Urt. v. 05.06.1996 – VIII ZR 141/95, WM 1996, 1962; Hübsch/Hübsch WM Sonderbeilage Nr. 1/2005, S. 12. Küstner/Thume II, Rn 495.

900

322 323 324 325

326

Ahle DB 1963, 1703; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 82. BGHZ 42, 244 (247); BGH ZIP 1997, 1832 (1837); Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 82. So aber Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 82. OLG Saarbrücken, Urt. v. 05.02.2003 – 1 U 924/01-211, NJW-RR 2003, 900 = EWiR 2003, 825 (Emde). OLG Köln VersR 2002, 437 (438).

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dung nicht ausschließen, sofern mit weiteren Aufträgen des Kunden gerechnet werden kann. Der Nachweis der zu erwartenden Geschäftsverbindung gestaltet sich in solchen Konstellationen allerdings schwierig, falls Erfahrungswerte der Vergangenheit im konkreten Geschäftsverhältnis fehlen. Hier können branchenbezogene Statistiken gem. § 287 ZPO helfen. Die Rechtsprechung hat den Nachweis der ausgleichsbegründenden Umstände durch Statistiken, z.B. in den Tankstellenurteilen (Rn 320 ff), gestattet. Das Entstehen einer Geschäftsverbindung ist für jeden Kunden separat zu prüfen. 77 Selbst wenn nur zu einem Kunden eine Geschäftsverbindung nachweisbar ist, ist diese ausgleichspflichtig, falls der Unternehmer aus jener Geschäftsverbindung erhebliche Vorteile hat. Weder der Plural bei der Bezeichnung „neue Kunden“ in § 89b Abs. 1 Nr. 1 noch der Begriff der „erheblichen Vorteile“ fordert eine ohnehin kaum bestimmbare Mindestgröße des Kundenstammes oder eine bestimmte Anzahl von Wiederholungskäufen 327. Bei mindestens einem 328 Folgegeschäft der Vergangenheit oder bei Mehrfachkunden 329 spricht eine Vermutung für den Abschluss weiterer Geschäfte. Deshalb beschränkt sich die Ausgleichsberechnung häufig auf Kunden, die bereits in der Vergangenheit wiederholt gekauft haben, denn der HV ist für die Existenz der Geschäftsverbindungen als Ausgleichsvoraussetzung grundsätzlich beweispflichtig. b) Potenzielle Mehrfachkunden. Für die Ausgleichsfähigkeit ausreichend ist, dass der 78 Kunde vermutlich zukünftig Mehrfachkunde sein wird. Es sind also nicht lediglich bereits vorhandene Mehrfachkunden ausgleichspflichtig. Vielmehr sind alle Kunden – auch Einmalkunden – ausgleichspflichtig, von denen in Zukunft erwartet werden kann, dass zu ihnen Geschäftsverbindungen entstehen – sie also zu Mehrfachkunden werden330. Davon darf regelmäßig bei einem bestimmten Prozentsatz der Einmalkunden ausgegangen werden, der gem. § 287 ZPO branchenbezogen zu bestimmen ist, notfalls durch Sachverständigengutachten 331. Das OLG Saarbrücken 332 hat hierfür eine Berücksichtigung von 2/3 der um verwaltende Provisionen bereinigten Erträge des letzten Jahres aus Verkäufen an Einfachkunden für angemessen gehalten. Der vom BGH bereits in seinem Urteil vom 31.01.1991 333 angedeuteten Berücksichtigung potentieller Mehrfachkunden ist – wohl nicht nur bei häufig angeschafften langlebigen Wirtschaftsgütern 334 – zuzustimmen. Die Anerkennung eines ausgleichspflichtigen Provisionsanteils für zu erwartende Mehrfachkunden setzt aber voraus, dass aufgrund der Gegebenheiten während des bestehenden Vertrages hinreichend sichere, möglichst (aber nicht notwendig) auf den Einzelfall bezogene konkrete Anhaltspunkte für Folgegeschäfte mit bisherigen Einmalkunden innerhalb eines überschaubaren Zeitraumes bestehen. Davon kann bei Produkten, die nicht nur einmal gekauft werden als Vermutung ausgegangen werden. Diese Einmalkunden brauchen im Ausgleichsprozess nicht unbedingt namentlich benannt werden. Dass derartiges nicht zu fordern ist liegt im Wesen einer Prognose. Vielmehr kann aufgrund einer pauschalierenden, an der Entwicklung in der Vergangenheit ausgerichteten Betrachtungsweise abgeschätzt werden, wie viele der bereits geworbenen Kunden während des Prognosezeitraums Stammkunden geworden wären 335. Die bloße Chance

327 328 329 330 331

Küstner/Thume II, Rn 496. Siehe Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 82. OLG Frankfurt v. 19.06.1972, BB 1973, 212; Küstner/Thume II, Rn 495. Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rn 818. BGH v. 05.06.1996, ZIP 1996, 1299; 1997, 841; ebenso Westphal MDR 1996, 130; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 84.

332

333 334 335

OLG Saarbrücken, Urt. v. 05.02.2003 – 1 U 924/01-211, NJW-RR 2003, 900 = EWiR 2003, 825 (Emde). NJW-RR 1991, 1050 (1052). Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 84. OLG Köln BB 1997, 2452, Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 84.

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des HV, bei Fortbestand des Vertrages weitere Neukunden zu werben, ist hingegen nicht zu berücksichtigen 336. Der Münchner Formel des LG München I zum BMW-Vertrieb (Rn 215; Vertragshändlerrecht) ist beizupflichten, derzufolge auch (potenzielle) Einmalkunden ausgleichsrelevant sein können.

79

c) Abriss der Geschäftsverbindung. Ist die Geschäftsverbindung abgerissen, so dass bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise nicht mehr mit Nachbestellungen aus der laufenden Geschäftsverbindung zu rechnen ist, ohne dass Bemühungen erforderlich wären, die der Werbung eines Neukunden entsprechen, gilt der Kunde ausgleichsrechtlich als Neukunde, wenn er vom HV geworben wurde337. Neu kann daher ein früherer Kunde sein, der vor der Tätigkeit des HV abgesprungen und zu einem anderen Lieferanten übergegangen war, von dem HV aber für den Unternehmer wieder zurückgewonnen wurde, auch ein Kunde, der wegen eigenen Geschäftsrückganges längere Zeit keine Bestellung mehr aufgeben konnte, sofern der HV wirbt (also kein Neukunde bei selbständiger Rückkehr). Neukundenwerbung wurde etwa angenommen: Bei der Neuauflage eines zuletzt 1941 und dann erst wieder 1950 erschienenen Adressbuches, wenn die Geschäftsverbindungen mit den früheren Beziehern abgerissen waren 338; beim Abreißen von Geschäftsverbindungen in Folge eines HV-Wechsels oder bei einem Neuaufbau von Geschäftsbeziehungen, die in Folge des Krieges jahrelang still lagen 339. Ist der Kunde während der Vertragszeit des HV wieder abgesprungen und deckt er nunmehr seinen Bedarf nicht mehr beim Unternehmer unmittelbar, sondern an anderer Stelle, etwa beim Großhandel, so ist das in der unmittelbaren Geschäftsverbindung begründet gewesene Aktivum dann nicht entfallen, wenn der Kunde über seinen neuen Partner weiterhin die Ware des Unternehmers bezieht: ein erhalten gebliebener Marktanteil genügt hier, um die vom HV geschaffene, im fortdauernden Bestellinteresse wurzelnde Geschäftsverbindung in einer lediglich auf einen anderen Bezugsweg umgelenkten Gestalt lebendig zu erhalten 340. Bei selten gekauften Investitionsgütern ist auch nach einem längeren Intervall die Geschäftsbeziehung nicht abgerissen 341.

80

d) Beispiele für Bestehen oder Nichtbestehen einer Geschäftsverbindung. Wann eine Geschäftsverbindung entsteht, hängt von den Besonderheiten der jeweiligen Branche ab. Das Entstehen einer Geschäftsverbindung wurde angenommen bei: – Einem Autokauf ab einem Zweitkauf 342; – Abschluss eines auf Dauer angelegten Bezugsvertrages, etwa eines Sukzessivlieferungsvertrages 343; – Reisebüros bei einer größeren Zahl von Folgegeschäften 344; – Massenartikeln des täglichen Lebens erst nach einem längeren Zeitraum, gegebenenfalls nach Monaten oder Jahren.

81

e) Langlebige Produkte ohne Nachkaufwahrscheinlichkeit. Die Abgrenzung gegenüber dem Einmal-Kunden ist zunächst bei langlebigen Wirtschaftsgütern akut geworden. 336 337 338

339

Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 84. Eberstein, S. 135. OLG Nürnberg v. 19.09.1957, NJW 1957, 1720; ähnlich OLG Nürnberg BB 1964, 1400: 9 1/2jährige Unterbrechung. Ähnlich Eberstein, S. 132: zehnjährige Unterbrechung. OLG Düsseldorf v. 30.10.1958, NJW 1959, 204.

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340 340 342

343 344

Anders allerdings OLG Oldenburg BB 1963, 8. Eberstein, S. 132. BGH v. 26.02.1997 – 8 ZR 272/95, NJW 1997, 1503 und v. 31.01.1991 – I ZR 141/98, WM 1991, 1513. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 82. BGH v. 28.03.1974 – VII ZR 18/73, NJW 1974, 1242.

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Sie stellen nicht schon aus ihrer Eigenart heraus die Möglichkeit einer „Geschäftsverbindung“ in Frage. Es wird hier auf die Umstände des Falles ankommen. Bei bestimmten Artikeln und Abnehmern ist das Entstehen einer Geschäftsverbindung jdoch kaum möglich, weil sie nur einmal gekauft zu pflegen werden. Das trifft häufig zu beim Absatz langlebiger Gebrauchsgüter an private Letztverbraucher 345. Hier ist mit Nachbestellungen des Kunden typischerweise nicht zu rechnen. Der Kunde ist nicht „Stammkunde“ für spätere Käufe; reine Service-Leistungen lösen, wenn sie in Anspruch genommen werden, keine Vermittlungsprovision aus. Auch hier hängt es jedoch von den Besonderheiten des Einzelfalls ab, ob eine Geschäftsverbindung anzunehmen ist. Das Bestehen einer Geschäftsverbindung wurde verneint bei: 82 346 – Fertighäusern ; – Fenstern 347; – Lexika 348; – Grabsteinen im Verkauf an Hinterbliebene; – Ackerwagen für Bauern 349; – Strickapparaten 350. Für Möbelkäufe wurde die Nachkaufwahrscheinlichkeit als möglich bejaht 351. Auf 83 dem Gebiet hochtechnisierter Anlagegüter für die Bedürfnisse der gewerblichen Wirtschaft hat der Markt seine eigene, von Fall zu Fall sorgfältig zu analysierende Kundendynamik. Grenzfälle sind langlebige Elektroartikel, etwa Staubsauger, Waschmaschinen, Küchenherde, Kühlschränke. Allerdings kann auch bei „Einmalprodukten“ eine Geschäftsverbindung entstehen, 84 wenn sie wiederholt an Großhändler, die sie in hoher Stückzahl benötigen, veräußert werden. Es kommt also nicht auf das Produkt sondern den Käuferkreis an. Handelt es sich bei dem Abnehmer um jemanden, der diese gewöhnlich nur einmal erworbenen Gegenstände mehrfach erwirbt, z.B. den Eigentümer mehrerer Grundstücke bei Fertighäusern oder den gewerbsmäßig veräußernden Erwerber, ist das Entstehen von Geschäftsverbindungen möglich. Feste Regeln gibt es hier also nicht. f) Beweisfragen. Die Abgrenzung zwischen Stammkundschaft und Laufkundschaft 85 hat in Gewerbezweigen mit anonymen Massenumsätzen, im HV-Bereich, besonders bei Tankstellen und bei Lotto-/Toto-Annahmestellen, Schwierigkeiten bereitet (zu Tankstellen Rn 320 ff). Hier wird, wenn der HV (Tankstellenpächter, Lotto-/Toto-Einnehmer) nicht schlüssiges, beweismäßig nachprüfbares Zahlenmaterial beizubringen vermag, eine auf Statistiken beruhende Schätzung nach § 287 ZPO zulässig sein 352 oder eine demoskopische Beweiserhebung Klarheit zu schaffen haben 353.

345 346 347

348 349 350 351

Buchwald GmbH-Rundschau 1957, 102. Küstner/Thume II, Rn 487. Colin Stewart Hunter vs. Zenith Windows, Urt. v. 13.06.1997, Case No. 507457; zit. nach Sellhorst EWS 2001, 481. Küstner/Thume II, Rn 487. BGH v. 15.06.1959, NJW 1959, 1677 mit Anm. Schuler NJW 1959, 1677. KG IHV 1957, 623. OLG Hamm, DB 1979, 304 – Nachkäufe im Rahmen eines Einrichtungs„programms“.

352

353

BGH, Urt. v. 07.05.2003 – VIII ZR 263/02, WRP 2003, 979 (980) = NJW-RR 2003, 1340 = WM 2003, 2107 (Tankstellenvertreter). OLG Stuttgart DB 1980, 1539 (1540) für den selbständigen, innerhalb eines Warenhauskomplexes betriebenen und dem Betreiber mietweise überlassenen Verkaufsstand.

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V. Erhebliche Vorteile des Unternehmers (Tatbestandsmerkmal 3) 86

Der Unternehmer muss nach Beendigung des Vertragsverhältnisses aus den von dem HV geworbenen Geschäftsverbindungen „erhebliche Vorteile haben“. Der Gesetzgeber hat den Ausgleich dergestalt gewährt, dass er durch die beiden Faktoren der dem HV entgehenden Provisionen einerseits und der dem Unternehmer zugefallenen ferneren Nutzungsmöglichkeit und deren Vorteile andererseits bestimmt wird. Zwar müssen die Vorteile des Unternehmers nicht notwendig den Verlusten des HV entsprechen. Gleichwohl sind beide TB deutlich und bis in den Wortlaut des Gesetzes hinein aufeinander bezogen.

1. Vorteile. Einen Vorteil aus dem übernommenen Kundenstamm gewinnt der Unternehmer dann, wenn er die Geschäftsbeziehung mit dem Kunden über die Beendigung des HV-Vertrages hinaus nutzen und vielleicht sogar ausbauen kann. Davon, dass das mindestens für einen überschaubaren Zeitraum möglich bleiben werde, geht das Gesetz als Regel aus (Beweislast: Rn 276 ff); es liegt im Wesen der Geschäftsbeziehung. Doch lässt die Vermutung sich widerlegen. Der Vorteil ist von einem späteren Zeitpunkt ab nicht mehr gegeben, sofern die vom HV geworben gewesenen Kunden nach Beendigung des Vertragsverhältnisses wieder abspringen, wirtschaftlich schwach werden, keine erheblichen Bestellungen aufgeben, etwa weil der vom HV eingeführte patentierte Gegenstand durch neue Patente eines anderen Unternehmers überholt wird oder Modeware außer Mode kommt oder ein Konkurrent des Unternehmers günstiger anzubieten vermag. Ein erheblicher Vorteil des Unternehmers aus den angebahnten Geschäftsverbindungen liegt auch dann nicht mehr vor, wenn der Unternehmer aus allgemeinen wirtschaftlichen Gründen selbst nicht länger in der Lage ist, die vom HV angebahnten Verbindungen auszunutzen, oder wenn er zur Betriebseinstellung 354 oder -umstellung 355 genötigt ist. Ob der Unternehmer den ihm verbleibenden Kundenstamm an Neukunden effektiv 88 nutzt, ist unerheblich; es genügt die Chance 356, ihn nutzen zu können 357. Vorteile setzen nur die im konkreten Fall bestehende zumindest potenzielle Möglichkeit des Unternehmers voraus, die geschaffenen Geschäftsverbindungen nach Vertragsende auszunutzen. Der Vorteil liegt also regelmäßig im Fortbestand dieser Geschäftsverbindungen, der vermutet wird. Die Erheblichkeit des Unternehmervorteils richtet sich nach Umfang und Erwartung der Beständigkeit des vermittelten Neugeschäfts, keinesfalls nach dessen Verhältnis zum Gesamtgeschäft des Unternehmers 358. Nicht erforderlich ist eine bestimmte Art der Vorteilsnutzung. Insbesondere braucht der Unternehmer die Geschäftsverbindungen nicht tatsächlich auszuwerten. Ob er einen neuen HV einsetzt oder die Betreuung der Stammkunden in eigene Regie übernimmt, etwa durch angestellte Reisende, ist seine Sache. Mit dem Ausgleich wird nicht der Erfolg sondern die Chance der Nutzung des Kundenstammes durch den Unternehmer vergütet 359. Der HV hat wie bei allen gegenseitigen Geschäften seinen Teil getan, wenn er erfüllt. Ob sich für den Vertragspartner – hier: den Unternehmer – seine Erwartungen und Motive erfüllen, braucht den HV im Grundsatz nicht zu interessieren. Insbesondere sind Untätigkeit oder Unfähigkeit des Unternehmers keine ausgleichsausschließenden Umstände. Dies gilt aber nur begrenzt. Denn weil das TB-Merkmal „Vorteile“ existiert, muss es irgendwelche wirtschaftlichen Vorteile des Unternehmers geben. Da aber die potentielle Möglichkeit der Nutzung bei

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354 355 356

OLG Nürnberg BB 1962, 155 – aber wirtsch. Vorteil, etwa Stilllegungsprämie. BGH NJW 1959, 1964. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 87.

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357 358 359

LG Bielefeld BB 1972, 195. BGH, Urt. v. 12.09.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 Rn 47 m. Anm. Emde. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 87.

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Übergabe eines Kundenstammes und damit ein Vorteil in der Regel bestehen dürfte, muss der Unternehmer darlegen und beweisen, dass im konkreten Fall eine solche Nutzungsmöglichkeit nicht eintrat. Leitbildartiges Beispiel fehlender Vorteile bildet die Betriebseinstellung. Hier mangelt es nach den konkreten Verhältnissen des Einzelfalls an der potentiellen Nutzungsmöglichkeit. Ausbleibende Erfolge sind nur erheblich, soweit der Unternehmer nachweist, dass dies bereits bei Vertragsende absehbar war 360. Andere Vorteile als dieser „Regelvorteil“ aus den Geschäftsverbindungen führen ebenso zur Ausgleichspflicht, etwa der Erlös aus einer Unternehmensveräußerung (Rn 102). Es genügt jeder mittelbare Vorteil wirtschaftlicher Art 361. Der Mindestvorteil liegt in der ersparten Provision, die einem „billigeren“ Nachfolger nicht zu zahlen ist 362; dieser Vorteil besteht immer, was ebenfalls eine Vermutung für die Existenz von Vorteilen rechtfertigt. Hat der HV auch Leistungen – Courtage – von Dritten erhalten, begründen jene in der Regel keinen Vorteil des Unternehmers. Denn der Unternehmer erhält diese Leistungen nach Vertragsende nicht sondern allenfalls ein von ihm später eingesetzter Vertriebsmittler. Erspart sich der Unternehmer infolge dieser Drittleistungen eigene Leistungen an den Vertriebsmittler können Vorteile des Unternehmers vorliegen. Sie müssen jedoch vom ausscheidenden HV dargelegt werden, weil es sich um einen Ausnahmefall handelt. Hinsichtlich der Vorteile ist grundsätzlich auf die Neukunden abzustellen. Irgendeine 89 Art Differenzrechnung, ein Vergleich zwischen dem vom HV übernommenen und dem von ihm hinterlassenen Kundenstamm findet nicht statt 363. Das Risiko, dass Altkunden während der Vertragszeit abspringen, trägt der Unternehmer, so wie es im Blick auf den Ausgleichsanspruch das Risiko des HV ist, ob die von ihm geworbenen Kunden bis zum Ende der Vertragszeit treu bleiben. Wenn Altkunden abspringen, so kann das allenfalls im Rahmen der Billigkeit nach Abs. 1 S. 1 Nr. 3 ausgleichsmindernd wirken. Sind die neugeworbenen Kunden schon während der Vertragszeit nicht treu geblieben, so kann, falls dieser Umstand auf ein vom Unternehmer dem HV gegenüber zu vertretendes illoyales Verhalten zurückzuführen ist, kraft der daraus resultierenden Schadensersatzpflicht der HV verlangen, für den Ausgleichsanspruch so gestellt zu werden, als sei der Kunde mit den normalerweise zu erwarten gewesenen Abschlüssen beständig geblieben 364. Auch in anderer Beziehung ist für die Erheblichkeit des Unternehmervorteils der Wert des Neukundenstammes aus sich selbst heraus zu beurteilen. Relationen zum Gesamtumsatz oder Gesamtgewinn des Unternehmens haben als Maßstab auszuscheiden. Umsatz und Gewinn können sogar rückläufig gewesen sein: der Neukundenstamm hat sich dann verlustmindernd ausgewirkt, und der Nutzen aus ihm kann insoweit dennoch „erheblich“ gewesen sein 365. Dass der Unternehmer zwecks Pflege des Neukundenstammes seinerseits Aufwendungen hat, liegt in der Natur der ihm zufallenden Chance und kann daher die Erheblichkeit des Vorteils nicht schon in Frage stellen 366. Seine Aufwendungen können u.U. unter Billigkeitsgesichtspunkten auf die Höhe des Ausgleichsanspruchs Einfluss haben. Der Vorteil braucht nicht notwendig in der gleichen Art gegeben zu sein, wie er im 90 Falle einer – unterstellt – fortgesetzten Tätigkeit des HV sich dargeboten hätte. Ändert der Unternehmer nachträglich sein Vertriebssystem (Belieferung der Kundschaft nunmehr über Vertragshändler), nutzt er den Kundenstamm durch Umwandlung in ein Verarbeitungskontingent 367, gehen die übernommenen Stammkunden dazu über, nicht mehr 360 361 362 363

Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 87. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 88. BGHZ 55, 45 (49); Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 89. OLG Stuttgart VersR 1957, 329.

364 365 366 367

Schröder DB 1958, 44 ff (45). Hoffmann S. 43. BGH NJW 1957, 1028 u. VersR 1964, 1268; OLG Nürnberg NJW 1957, 1720. BGH NJW 1960, 1292.

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beim Unternehmer-Fabrikanten unmittelbar sondern dasselbe Produkt über den Großhandel zu beziehen 368: in jedem dieser Fälle bleibt dem Unternehmer der durch die übernommene Stammkundschaft repräsentierte Marktanteil in anderer Form erhalten. Das OLG Braunschweig 369 geht so weit, im Sinne einer von ihm entwickelten „Konzerntheorie“ auch die Nutzung des Kundenstammes durch eine Konzerngesellschaft, nachdem das Unternehmen in einen Konzern eingegliedert worden war, dem eingegliederten Unternehmer für die Ausgleichspflicht zuzurechnen 370.

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2. Vorteilsprognose. Die Vorteile aus dem Neukundenstamm hat das Gesetz zur Voraussetzung des Ausgleichsanspruchs in der Formulierung erhoben, dass der Unternehmer sie auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses „hat“. Das ist, streng genommen, ungenau ausgedrückt. Denn der Ausgleichsanspruch entsteht mit der Beendigung des Vertragsverhältnisses: in diesem Augenblick hat sich von den Vorteilen für den Unternehmer noch nichts verwirklicht. Gemeint sind also die Vorteile, die der Unternehmer in Zukunft haben wird, genauer: haben kann, als die Chance, sie zu realisieren. Diese Chance ist zunächst erst der Schätzung im Wege der Prognose zugänglich. Erforderlich ist, dass nach den objektiv zu bestimmenden, gegenwärtigen oder vergangenen Umständen des Einzelfalls oder Erfahrungssätzen 371 mit Vorteilen gerechnet werden kann. Anders gewendet: Eine bei Vertragsende vorgenommene Prognose aus der Sicht eines unbeteiligten Dritten muss ergeben, dass in der konkreten Situation üblicherweise erhebliche Vorteilen des Unternehmers zu erwarten sind. Ist dies der Fall, liegt die Beweislast für den fehlenden Eintritt der Vorteile beim Unternehmer. Ob Vorteile des Unternehmers eintreten ist folglich nicht anders als bei der Bestimmung der Provisionsverluste des HV (Rn 122) im Wege einer Prognose bei Vertragsende zu bestimmen. Dabei geben Schicksal und Entwicklung der Vergangenheit sowie Kenntnisse und Erfahrungen aus vergleichbaren Vertragsverhältnissen 372, Meinungsumfragen 373 und Statistiken 374 Anhaltspunkte für die Prognose. Bei der Prognosebetrachtung ist nicht nur das Verhalten eines durchschnittlichen Unternehmers in Betracht zu ziehen, sondern es sind ferner die konkreten Umstände des Einzelfalls. Eine etwa zu erwartende Betriebstilllegung oder Insolvenz ist bei der Prognose zu berücksichtigen. Welcher Art die zu erwartenden Vorteile des Unternehmers sind, bleibt unerheblich. Es müssen geldwerte Vorteile – gleich welcher Art – sein, da sie die Rechtsfolge – Ausgleichszahlungspflicht – begründen müssen. Der Begriff des Vorteils ist im denkbar weitesten Sinne zu verstehen. Wie skizziert genügen auch mittelbare Vorteile. Eine Begrenzung folgt eher aus dem TB-Merkmal der Provisionsverluste des § 89b Abs. 1 Nr. 2 als durch den Begriff des Vorteils des § 89b Abs. 1 Nr. 1. Der Vorteil kann längerfristig oder einmalig sein. Beispiele für einmalige Vorteile sind 92 der Erhalt eines nur einmal ausgekehrten wirtschaftlichen Werts, etwa einer Einmalzahlung, für längerfristige Vorteile laufende Gewinne aus der Fortsetzung der Geschäftsverbindung ohne Provisionszahlungspflicht. Der Vorteil muss Gegenleistung für bzw. Spiegelbild der Schaffung der Geschäftsverbindungen durch den HV sein 375. Eine allgemeine Werterhöhung des Unternehmens des Prinzipals oder die in dem Aufbau einer Vertriebsorganisation liegende Bereicherung des Unternehmers ist folglich nicht genügend, weil

368 369 370

OLG Frankfurt/Main BB 1973, 212. NJW 1976, 2022. Ähnlich auch Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 6 f (Stilllegung der Betriebsgesellschaft, Übernahme des Betriebs durch deren Muttergesellschaft).

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371 372 373 374 375

Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 33. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 33. AA Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 33. AA Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 33. Hopt § 89b Rn 15.

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der Ausgleich lediglich das zu Geschäftsverbindungen führende werbende Element honoriert. Zum Zeitpunkt der Prognose sicher zu erwartende Aufwendungen des Unternehmers können den Vorteil reduzieren. In der Regel wird es sich allerdings um „SowiesoAufwendungen“ handeln, die auch bei einer Fortsetzung des Vertrages angefallen wären und daher ebenso wenig anzurechnen sind wie im Rahmen des § 252 BGB allgemeine Geschäftskosten auf den Schadenersatzanspruch wegen entgangenen Gewinns eines konkreten Einzelgeschäftes 376. Die zu erwartenden Aufwendungen müssen daher konkret den vertraglichen Vorteilen zuzuordnen sein und erheblich sein. Ungewöhnlich hohe Kosten können auch unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit berücksichtigt werden 377. Die Bewertung des Unternehmervorteils rechnerisch korrekt vorzunehmen ist mit 93 erheblichen Schwierigkeiten verbunden und jedenfalls weit problematischer als die Ermittlung der Provisionsverluste des HV 378. Ausgangspunkt hätten die Unternehmergewinne aus den zu erwartenden Geschäften mit dem übernommenen Neukundenstamm in dem Prognosezeitraum zu sein. Aber schon das kann kaum behebbare Hindernisse bereiten, weil die vorausschauende Gewinnkalkulation eine innerbetrieblich gespaltene sein kann, die Gewinne aus „dem übernommenen Neukundenstamm“ sich deshalb nicht einwandfrei gesondert darstellen lassen, zumal wenn der HV für mehrere Sparten gleichzeitig tätig gewesen ist 379. Der Fall kann auch so liegen, dass ein Unternehmer zeitweise unterbeschäftigt oder erst im Aufbau begriffen ist, bisher nennenswerte Gewinne (noch) nicht erwirtschaftet hat und noch nicht abzusehen ist, wann solche in Zukunft erwirtschaftet werden können: gleichwohl besteht der Unternehmervorteil darin, dass jeder Umsatzzuwachs einen Teil der fixen Kosten tragen hilft 380. Den Zuwachs an goodwill des Unternehmens durch den Neukundenstamm zu ermitteln, dürfte noch weit schwieriger sein. Hinzu kommen Fallgestaltungen, auf die Schröder 381 aufmerksam macht und die einen Vorteil des Unternehmers dadurch bedingen, dass die Tätigkeit des HV ihm Neukunden zugeführt hat, mit denen Geschäftsverbindungen zu haben erst die Aufrechterhaltung von Beziehungen zu anderen Kunden überhaupt ermöglicht. Denn auch alle mittelbaren Vorteile sind hier einschlägig. Der Begriff „Vorteil des Unternehmers“ ist weit zu fassen 382. Die Praxis pflegt sich damit zu helfen, dass sie von der Faustregel ausgeht, der Unternehmervorteil bestehe mindestens in einem gleichhohen Prozentsatz vom Umsatz, wie ihn der HV als Provision zu beanspruchen gehabt hätte – m.a.W. in Höhe der erhaltenen Provision. Damit erübrigt sich jede weitere Erörterung, ob die Unternehmervorteile etwa höher gewesen sein können; solche höheren Unternehmervorteile hätten für die Ausgleichsberechnung bereits auszuscheiden: es käme dann nur noch darauf an, ob sie niedriger als die Provisionsverluste des HV sind. Das aber darzulegen wäre Sache des Unternehmers. Die obige Faustformel darf prima facie als zutreffend gelten, so dass der HV im Prozess mit der Berufung auf sie seiner Darlegungs- und Beweispflicht zunächst genügt und der Unternehmer ihre Geltung im konkreten Fall zu erschüttern hat. Schwierigkeiten scheint diese Handhabung bisher nicht gebracht zu haben. Der Unternehmer kann seinen Vorteil aus dem übernommenen Kundenstamm nicht dadurch herabdrücken, indem er eine Reduzierung um die dem Nachfolger-HV gezahlten Provisionen vornimmt 383. Sie gehören zu seinen normalen Vertriebskosten und sind im Preis einkalkuliert, ebenso wie die sonstigen Folgekosten für die Aufrechterhaltung des Vertriebssys-

376 377 378 379

BGH v. 15.10.1964, BB 1964, 1399 (1400). Vgl. Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 9 und Schröder DB 1962, 895 (897). Hoffmann S. 76. Küstner NJW 1969, 773.

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Hoffmann S. 76. Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 7. Reinicke NJW 1953, 1611. BGHZ 42, 244 (248); Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 9.

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tems. Hat der Unternehmer außerordentliche Aufwendungen, um im Konkurrenzkampf den Kunden zu halten (Rabatte), so würden sie allerdings seinen Vorteil mindern 384, vielfach aber auch schon die zu erwarten gewesene Provision des HV geringer erscheinen lassen.

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3. Prognosezeitraum. Ähnlich der Verlustprognose (Rn 122) ist im Wege der Vorteilsprognose über einen überschaubaren Zeitraum im Wege der Schätzung 385 zu ermitteln, wie lange der Unternehmer Vorteile aus den Geschäftsverbindungen haben wird. Zur Zeitdauer unten, Rn 282, 297. Als Grundlage gilt: Es muss sich um einen überschaubaren Zeitraum handeln. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls, insbes. die in der Vergangenheit gemachten Erfahrungen unter Berücksichtigung der Besonderheiten von Branche, Marktgegebenheiten und Konkurrenz anderer, auch neuer 386, Produkte, der üblichen Kundenfluktuation 387, der Lebens- bzw. Einsatzdauer des vertriebenen Produkts mit dem Zeitpunkt des Neubedarfs sowie wann unter Berücksichtigung von Art und Einsatz des HV 388 mit ausgleichspflichtigen Folgegeschäften gerechnet werden darf 389. Es soll die voraussichtliche Dauer der Geschäftsverbindungen und die Beständigkeit der Unternehmervorteile vorausgesagt werden 390. Die übliche Dauer der Geschäftsverbindungen darf nicht überschritten werden 391. Dazu gehört die Prüfung der Marktverhältnisse zum Zeitpunkt der Vertragsbeendigung und des betreffenden Wirtschaftszweigs 392. Der Prognosezeitraum wird kürzer anzusetzen sein, wenn die vom HV geschaffenen Kundenbeziehungen erfahrungsgemäß in kürzerer Zeit enden 393. Der Wiederholungsintervall für Folgegeschäfte („Nachbestellungen“) ist daher bei häufig wiederkehrenden Verkaufsgeschäften des täglichen Lebens kleiner zu bemessen als bei Geschäften über langlebige Wirtschaftsgüter 394. Beim Vertrieb langlebiger Wirtschaftsgüter mit hohem technischen Entwicklungsgrad wie Computeranlagen, Büromaschinen, Fotoausrüstungen für Spezialbedarf müssen einerseits die längeren Nachbestellfristen, andererseits die Veränderlichkeit der Marktsituation infolge der Rasanz der technologischen Entwicklung bedacht werden; auf einen längeren Prognosezeitraum von mehr als sieben Jahren wird man aber auch hier selten gehen können. Sukzessivlieferungsverträge, die bei Vertragsbeendigung noch nicht abgewickelt waren, werden eine Hinausschiebung des Beginnes des zu prognostizierenden Zeitraumes erfordern und, wenn der Kunde allgemein auf Sukzessivlieferungsbasis bestellte, auch ein späteres Ende des Prognosezeitraums. Im Ergebnis dürfte der Nachbestellrythmus für den Prognosezeitraum weniger

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Schröder § 89b Rn 9. BGH ZIP 1990, 1197 (1198); Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 35. BGH, Urt. v. 25.10.1984 – I ZR 104/82, NJW 1985, 859; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 34. OLG Köln VersR 1968, 966. BGH, Urt. v. 15.10.1992 – I ZR 173/91, NJW-RR 1993, 221; BGH, Urt. v. 19.05. 1999 – VIII ZR 354/97, ZIP 1999, 1094 (1098); Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 34; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89b Rn 41. BGH NJW 1985, 859; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 34. Bericht über die Anwendung von Artikel 17

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391 392

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der Richtlinie des Rates zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter, KOM(96) 364 endg, S. 3. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 34; MünchKomm/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 81f. Bericht über die Anwendung von Artikel 17 der Richtlinie des Rates zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter, KOM(96) 364 endg, S. 3. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 34. BGH, Urt. v. 12.09.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 m. Anm. Emde Rn 37; BGH NJW 1998, 66 (71).

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bedeutend sein, weil die Geschäftsbeziehung länger als der Nachkaufrythmus dauern kann. Dabei können auch längerfristige Prognosezeiträume angemessen sein, sofern sich über sie hinreichend sichere Aussagen treffen lassen 395. Das Argument, die voraussichtliche Dauer der Geschäftsverbindung mit den geworbenen Stammkunden dürfe nicht überschritten werden 396, ist nicht maßgeblich, weil schon aus Billigkeitserwägungen nur ein angemessener Zeitraum angesetzt werden darf 397 § 89b stellt auf die Vorteile des HV aus der Geschäftsverbindung und nicht auf die Lebensdauer des verkauften Produktes ab. Übermaßansprüche werden durch die Höchstgrenze verhindert. Der hierfür anzusetzende Zeitraum ist im Einzelfall zu bestimmen, wobei jedoch Schematisierungen, etwa aufgrund gerichtlicher Erfahrungen (siehe Münchner Formel, Rn 315) zulässig sind. Eine starre Grenze des Prognosezeitraums ist abzulehnen. Der Zeitraum bildet lediglich einen Richtwert, keine zwingende Zäsur 398. 4. Prognosezeitpunkt. Exakt wäre eine Prognose nur möglich, wenn und soweit die 95 tatsächliche Entwicklung in der nachvertraglichen Zeit datenmäßig vorliegt. So verfuhr die frühere Rechtsprechung. Nach der Rechtsprechung des BGH, basierend auf seinem Urteil vom 28.01.1965 399, waren in die Prognose alle bis zur richterlichen Entscheidung bereits eingetretenen Tatsachen einzustellen. Mit Urteil vom 06.08.1997 400 hat der BGH diese Rechtsprechung aufgegeben und entschieden, die Unternehmervorteile und Provisionsverluste seien unabänderlich im Zeitpunkt der Vertragsbeendigung (Bewertungsstichtag 401) im Wege einer in die Zukunft gerichteten Prognose zu ermitteln. Das gilt auch für einen Franchisevertrag 402; ebenso für den Vertragshändlervertrag 403. Da der Ausgleich mit Beendigung des HV-Verhältnisses entstehe und fällig werde, könne Grundlage seiner Berechnung nur eine zu diesem Zeitpunkt zu erstellende Prognose sein, die sich als richtig oder unrichtig erweise, aber nicht durch später eingetretene Umstände noch geändert werden könne. Solche Umstände könnten daher nur dann in die Prognose einfließen, wenn sie im Zeitpunkt der Vertragsbeendigung bereits abzusehen, also angelegt seien (sog. „Anlagerechtsprechung“). Die tatsächliche Entwicklung der Verhältnisse während des Prognosezeitraums könne nur insoweit berücksichtigt werden, als sie im Zeitpunkt der Vertragsbeendigung bereits vorhersehbar sei. Anderenfalls müsste auch die eine oder andere Partei Rückzahlungs- bzw. Nachzahlungsansprüche geltend machen können, falls sich die Prognose nachträglich als unzutreffend erweise. Diese Konsequenz werde jedoch allgemein abgelehnt. Die Prognose stellt damit die Vorhersage einer künftigen Entwicklung auf der Basis der in der Vergangenheit eingetretenen Tatsachen dar. Diese Fakten sind für die Prognose aber nur dann aussagekräftig, sofern sie auf Sachverhalten beruhen, die sich mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Zukunft reproduzieren. Die in die Prognose einzustellenden Umstände müssen ihrer Anlage nach bereits bei Vertragsende existieren. Die Prognose muss ergeben, wie lange und in welchem Umfang die 395 396 397 398

399

Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 34. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 34; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene Rn 81, 82. So Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 34; wie hier BGH NJW-RR 1993, 221. OLG Saarbrücken, Urt. v. 05.02.2003 – 1 U 924/01-211, NJW-RR 2003, 900 = EWiR 2003, 825 (Emde). BB 1965, 434; danach BGH v. 03.06.1971, BGHZ 56, 242 (246) = NJW 1971, 1611; BGH v. 31.01.1991, NJW-RR 1991, 1050.

400

401 402 403

NJW 1998, 71; ebenso OLG Koblenz, Urt. v. 22.03.2007 – 6 U 1313/06, NJW-RR 2007, 1044 (1045); OLG Düsseldorf OLGR 2000, 406 (410); OLG Celle, Urt. v. 19.04. 2007 – 11 U 279/06, BB 2007, 1862, 1864 zu einem Franchisevertrag. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 29. OLG Celle, Urt. v. 19.04.2007 – 11 U 279/06, BB 2007, 1862 (1864). Kritisch Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rn 825.

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Geschäfte zwischen Unternehmer und Neukunden voraussichtlich fortgesetzt werden. Dabei sind etwa die Besonderheiten der jeweiligen Branchen, die Marktgegebenheiten, Wettbewerbsbedingungen und die Kundenfluktuation zu berücksichtigen 404. Dies mutet dem Richter unter Umständen zu, bei der nachträglichen Berechnung des Ausgleichs sich sehenden Auges vor der Wirklichkeit zu verschließen und eine bei Vertragsende erstellte Prognose über die künftige Entwicklung der Verhältnisses, die sich zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung als unzutreffend herausgestellt hat, zugrunde zu legen, was mit dem Bestreben nach einer wirklichkeitsnahen Entscheidung gelegentlich nur schwer zu vereinbaren sein dürfte 405. Thume 406 spricht insoweit treffend von einer fotografischen Momentaufnahme. Alles 96 was auf ihr – auch im Hintergrund – sichtbar sei, könne als mit hinreichender Sicherheit vorhersehbare Entwicklung in die Prognose eingezogen werden, aber auch nur solche Umstände. Der langjährig säumige Unternehmer soll für seine Säumnis nicht belohnt werden, indem sich der Ausgleich gegenüber den nicht vorhersehbaren Verhältnissen bei Vertragsende reduziert. Umgekehrt kann der HV aber keinen „Nachschlag“ verlangen, wenn etwa die Abwanderungsquote unerwartet gering liegt. Die Dinge sollen bei Vertragsende abgewickelt werden und damit Rechtsfrieden eintreten. Zudem ist eine absolut verlässliche und sichere Vorhersage über die künftige Entwicklung unmöglich und mathematische Gerechtigkeit nicht erzielbar. Was bei Vertragsende allenfalls theoretisch denkbar, jedoch nicht hinreichend sicher abschätzbar ist, darf nicht in die Prognose einfließen 407. Die Leitentscheidung des BGH war dem Vernehmen nach auch innerhalb des BGH umstritten, wurde jedoch mit Mehrheit getroffen. Unvorhergesehene tatsächliche Entwicklungen, etwa eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage, können den Ausgleich mithin später nicht mehr beeinflussen, auch nicht unter Billigkeitsgesichtspunkten 408. Auch wenn die Parteien vor Gericht über den Ausgleich streiten, ist für die Prognose der Zeitpunkt der Vertragsbeendigung und nicht der letzten mündlichen Verhandlung maßgebend. Dies folgt schon daraus, dass Streitlust nicht belohnt und Gesetzestreue nicht bestraft 409 werden soll.

97

5. Vorteile und Dispositionsfreiheit. Der Unternehmer bleibt in seinen Dispositionen insoweit frei, als er aus wirtschaftlich vertretbaren Gründen betrieblich umdisponieren darf und dadurch der weiteren Ausnutzbarkeit des Kundenstammes den Boden entzieht. So wie er schon während der Dauer des HV-Vertrages nicht gehalten war, betrieblich vertretbare Dispositionen nur deshalb zu unterlassen, um dem HV nicht Provisionschancen zu nehmen (§ 86a Rn 42 ff), so ist er es um so weniger nach Vertragsbeendigung für den Ausgleich 410. Erlischt die Geschäftsverbindung mit dem Stammkunden jedoch durch willkürliche oder gar zwecks Minderung des Ausgleichs schikanös getroffene Maßnahmen des Unternehmers, so geht das nicht zu Lasten des ausgeschiedenen HV. Denn die Chance der Nutzbarkeit, die den Vorteil begründet, hätte ja weiterbestanden. Der Unternehmer kann, ausgleichsrechtlich gesehen, seinen Dispositionsspielraum zu Lasten des HV nicht weiter ausdehnen als er zur Zeit des Vertragsverhältnisses bestanden hatte. Insoweit entfaltet das Loyalitätsverhältnis (§ 86a Rn 28 ff) seine nachvertragliche Wirkung. Eine vollkommen willkürliche unternehmerische Maßnahme widerspricht den dem

404 405 406

BGH v. 15.10.1992, BB 1992, 2385 = MDR 1993, 224. Hübsch/Hübsch WM Sonderbeilage Nr. 1/ 2005, S. 13. In: Küstner/Thume II, Rn 1675.

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Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 30. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 31. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 31. BGHZ 49, 39.

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Unternehmer gegenüber dem HV obliegenden Treupflichten und begründet einen Schadenersatzanspruch in Höhe des positiven Interesses des HV, also in Höhe des zu erwartenden Ausgleichsanspruches. Angesichts der unternehmerischen Dispositionsfreiheit ist diese Grenze hoch und noch nicht überschritten, falls die Maßnahme lediglich sachlich geboten ist. Das verschleiert Steindorff ZHR 130 (1967), 87 ff, wenn er auf S. 90 zu der Folgerung gelangt, jede Beliebigkeit des Unternehmerverhaltens in der Verkürzung des Stammkundenvorteils zu Lasten des Ausgleichs durchschlagen zu lassen. Willkürlich ist beispielsweise eine Handhabung, welche vorhandene Lieferkapazitäten zu Lasten der „Vorteile“ und damit des Ausgleichs einseitig auf andere Vertretungen mit anderen Kunden verlagert 411. Vollends ist es für den Ausgleich unschädlich, wenn der Unternehmer die Verbindung zum Stammkunden geflissentlich einschlafen lässt, um den Anspruch aus § 89b die Grundlage zu entziehen. Der HV kann dem Unternehmer, der die bisher mit den Lieferaufträgen betriebene Branche aus wirtschaftlich gebotenen Gründen stillgelegt hat, nicht entgegenhalten, es wäre zur Erhaltung des Unternehmervorteils möglich gewesen, das Bestellinteresse des Kunden auf eine andere Branche des Unternehmers „umzupolen“. Nur willkürliche und grob unsachliches Verhalten braucht der HV nicht zu dulden; der Unternehmer schuldet dann gem. § 280 BGB Schadenersatz (§ 86a Rn 128). 6. Beispielsfälle. Ob Vorteile im vorgenannten Sinne vorliegen wird etwa in folgen- 98 den Fällen diskutiert: a) Abwerben von Kunden durch den ausscheidenden HV – unerlaubte Wettbewerbs- 99 tätigkeit des HV. War zum Datum der Prognose zu erwarten, dass der HV Kunden, zu denen eine Geschäftsverbindung besteht, abwerben wird, entstehen aus dieser Geschäftsverbindung keine Vorteile des Unternehmers 412. Die Abwerbung war bei Vertragsende zu erwarten, wenn der HV schon zu diesem Zeitpunkt Vorbereitungshandlungen für die Wettbewerbstätigkeit vorgenommen hat, etwa vor Vertragsende den Vertrag mit einem Wettbewerber geschlossen oder jenen Vertragsschluss vorbereitet hat. Dafür besteht eine Vermutung, welche der HV zu widerlegen hätte. In der Praxis wird Konkurrenztätigkeit jedoch häufig erst bei den Billigkeitserwägungen berücksichtigt. Eine Abwanderung von Kunden infolge aktiver Wettbewerbstätigkeit nach Vertragsende ist eine berücksichtigungsfähige „Anlage“ im Sinne der BGH-Rechtsprechung 413. Das zeigt bereits der Umstand, dass die Rechtsprechung beständig nachvertraglichen Wettbewerb mit einer Reduzierung des Ausgleichs in Höhe von 25 % beantwortet 414, diesen Wettbewerb also für berücksichtigungsfähig hält. b) Beendigung der Geschäftsverbindung zum Kunden. Kunden, von denen bei Ver- 100 tragsende abzusehen ist, dass sie als Stammkunden wegfallen, begründen keine Unternehmervorteile. Zweifelhaft ist, ob dem Unternehmer mittelbare Vorteile entstehen, wenn die vom HV geworbenen Kunden ihren Bedarf künftig beim Großhandel und nicht mehr beim Unternehmer decken, der Großhändler jedoch beim Unternehmer einkauft. Da der Begriff der Vorteile im weitesten Sinne zu verstehen ist, sollten die hierdurch beim Unternehmer eintretenden mittelbaren Vorteile genügen, sofern die bei Vertragsende vor411 412

LG Münster BB 1960, 1300. OLG Celle v. 26.06.1959, BB 1959, 1151; BGH v. 25.04.1960, NJW 1960, 1292; v. 22.09.1960, BB 1960, 1179; OLG Düsseldorf, OLGR 2000, 406 (411).

413 414

Emde EWiR 2000, 238. BGH, Urt. v. 05.06.1996 – VIII ZR 7/95, ZIP 1996, 1294 (1297).

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zunehmende Prognose die hinreichende Wahrscheinlichkeit aufzeigt, die über zwei Stufen erstreckte Geschäftsverbindung werde fortgesetzt 415. Problematisch ist der nächste Prüfungsschritt, nämlich entgangene Provisionsvorteile des HV, nur, falls die Kunden bereits vor Vertragsende dazu übergingen, beim Großhandel zu ordern416. Dann wäre von entgangenen Vorteilen ist auszugehen, wenn die Geschäfte mit dem Großhändler auch zu Gunsten des HV provisionspflichtig wären 417 und der Wechsel zum Großhandel bereits bei Vertragsende absehbar war. Die Vorteile entfallen, falls die Aufrechterhaltung der Geschäftsverbindung dem Unternehmer nicht zuzumuten ist, etwa weil ein wichtiger Grund für deren Beendigung existiert. Gedacht werden kann an in der Person des Kunden gelegene wichtige Gründe (z.B. Vertragsverletzungen, Zahlungsunfähigkeit).

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c) Betriebstilllegung. Es fehlen im Falle der Stilllegung des Betriebs des Unternehmers Unternehmervorteile, sofern bei oder nach Vertragsende kein Vorteil für den vom HV geworbenen Kundenstamm in das Unternehmervermögen fällt 418. Das gilt jedoch nicht, falls der Unternehmer oder der Insolvenzverwalter über das Vermögen des Unternehmers den Kundenstamm in irgendeiner Weise wirtschaftlich verwerten kann 419, etwa durch Verpachtung 420, Veräußerung oder Stilllegungsprämien 421. Wie ausgeführt ist für den Ausnahmefall entfallender Vorteile im Regelfall der Unternehmer beweispflichtig. Erhält der Unternehmer eine Entschädigung (Stilllegungsprämie) realisiert sich hierin ein Vorteil, der zur Ausgleichspflicht führt 422. Die Stilllegung und die Bemessung eventueller Vergütungen für die Stilllegung unterliegen der durch die Treupflicht begrenzten Dispositionsfreiheit des Unternehmers. Der BGH 423 hat hierzu judiziert, dem Unternehmer stehe das Recht zu, seinen Betrieb so einzurichten und gegebenenfalls umzugestalten, wie es ihm wirtschaftlich vernünftig und sinnvoll erscheine. Er dürfe sich lediglich nicht willkürlich und ohne vertretbaren Grund über die schutzwürdigen Belange seines HV hinwegsetzen. Werden diese Grenzen überschritten, ist der HV ausgleichsrechtlich als Mindestschaden so zu stellen, wie wenn die unzulässige Maßnahme nicht vorgekommen worden wäre (Rechtsgedanke der §§ 249, 242, 162 Abs. 1 BGB). Zu dieser Schadenersatzpflicht gibt es Parallelen im Gesellschaftsrecht: Die Nichtgeltendmachung eines Ausgleichanspruchs durch einen Gesellschafter des Mittlers kann ein zum Schadenersatz verpflichtender existenzvernichtender Eingriff in das Unternehmen des Mittlers sein, der zur unbegrenzten Haftung verpflichtet 424. Dieselben Grundsätze gelten, falls der Abbruch der Geschäftsverbindungen mit den Kunden auf die Produktionseinstellung des Unternehmers zurückzuführen ist, sofern diese Produktionseinstellung nicht nur willkürlich, sondern aus objektiv nachvollziehbaren wirtschaftlichen Gründen erfolgte.

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d) Betriebsveräußerung. Bei der Betriebsveräußerung liegt der – mittelbare – Vorteil für den Unternehmer in der Übertragungsmöglichkeit seines Kundenstamms. Ob sich die Übertragung des Kundenstamms tatsächlich im erzielten Kaufpreis niederschlägt, d.h., 415 416

417 418

419

Im Ergebnis: OLG Frankfurt v. 19.06.1972, BB 1973, 212. So der Fall OLG Oldenburg, Urt. v. 28.11.1962, BB 1963, 8 = HVR Nr. 284; Küstner/Thume II, Rn VII 23 ff. Küstner/Thume II, Rn VII 25. BGH v. 03.06.1971 – 7 ZR 23/70, BGHZ 56, 242 = NJW 1971, 1611; OLG Nürnberg BB 1962, 155; OLG München NJW-RR 1989, 163. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 90.

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420 421 422 423 424

Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 90; Hopt § 89b Rn 18. BGH NJW 1960, 1292; OLG Frankfurt BB 1985, 687; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 90. Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 6h. V. 09.11.1967, BGHZ, 49, 39 = NJW 1968, 394. BGH, Urt. v. 13.12.2004 – II ZR 206/2002, GmbHR 2005, 225 mit Kommentar Schröder.

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ob der Unternehmer gut oder schlecht verhandelt, spielt grds. keine Rolle, da die potentielle Möglichkeit der Verwertung des übergebenen Kundenstammes genügt. Es steht zu vermuten, dass der Aufbau des Kundenstammes durch den HV bei der Bemessung des an den Unternehmer gezahlten Kaufpreises Berücksichtigung fand 425. Der Gegenbeweis dürfte schwierig zu führen sein und es ist – Rechtsfolge: Schadenersatz – willkürlich, den Kundenstamm grundlos ohne Gegenwert aus der Hand zu geben 426. Viele Fälle können daher auf der Basis einer Wahlfeststellung entschieden werden, Ausgleichs- oder Schadenersatzanspruch. Veräußert der Unternehmer sein Unternehmen, ist daher für die beim Veräußernden verbleibenden Vorteile mindestens der Betrag maßgeblich, welchen der Unternehmer aus der Sicht eines objektiven Dritten bei Vertragsende unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls voraussichtlich als Erlös für die Überlassung des Kundenstamms erzielen kann 427. In dem Veräußerungserlös 428 oder den Pachteinnahmen 429 schlägt sich der Wert des Kundenstammes nieder. Auch in dieser Form hat der Unternehmer also den „Vorteil“ des Kundenstammes realisiert 430. Die Höhe des tatsächlich geleisteten Kaufpreises kann einen Anhalt für diesen Betrag geben 431. Bei Zweifeln ist zumindest der wirkliche Wert des Kundenstammes und nicht der vereinbarte Kaufpreis maßgeblich. Sonst könnten die Parteien des Kaufvertrages ihn zur Vereitelung des Ausgleichs so gestalten, dass der Kaufpreis nicht als Gegenleistung für den Kundenstamm belegt 432 oder in unangemessen geringer Höhe vereinbart wird. e) Einbringung in eine Gesellschaft. Bringt der Unternehmer, bisher Einzelkaufmann, 103 sein Unternehmen mit Kundenstamm als Sacheinlage in eine Gesellschaft ein, so besteht sein Vorteil in dem durch den Kundenstamm sich erhöhenden Wert seiner Beteiligung 433. f) Insolvenz. Die Unternehmervorteile entfallen, sofern kein Äquivalent für den Kun- 104 denstamm in das Vermögen des Unternehmers fällt. Grundsätzlich zieht der Unternehmer keine erheblichen Vorteile aus dem vom HV geschaffenen Kundenstamm, wenn sein Betrieb infolge der Insolvenz eingestellt oder liquidiert wird. Auch wenn der Mittler in Insolvenz fällt und daraufhin seinen Geschäftsbetrieb vor Vertragsende einstellt, kann ein Ausgleich entfallen, weil bei unterstellter Fortführung des Vertrages der Mittler keine Vergütung entsprechend § 89b Abs. 1 Nr. 2 erwirtschaftet hätte 434. Für die Provisionsverluste ist nicht die Vertragsbeendigung ursächlich, sondern die Insolvenz und die Einstellung des Geschäftsbetriebs. Der HV erhält keinen Ausgleichsanspruch. Es verwirklicht sich hierbei letztlich das unternehmerische Risiko, welches der HV zu tragen hat. Ein Ausgleichsanspruch kann nur entstehen, falls der Betrieb des insolventen Unternehmers fortgeführt wird oder ein anderer Vorteil existiert 435. Erhebliche Vorteile können sich zum einen dann ergeben, wenn der Insolvenzverwalter im Zuge des Insolvenzverfahrens weitere Geschäfte mit solchen Kunden des Unternehmers abschließt, die der HV geworben hat. Die resultierenden wirtschaftlichen Vorteile fließen allerdings nicht unmittelbar dem Unternehmer zu, wie es § 89b Abs. 1 Nr. 1 vorsieht. Vielmehr bereichern 425

426 427 428

OLG Hamburg v. 25.03.1958, VersR 1958, 688; OLG Nürnberg v. 22.09.1961, BB 1962, 155; Küstner/Thume II, Rn 528, Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 91; aA noch BGH v. 09.07.1962, BB 1962, 1101. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 91. OLG Düsseldorf, Urt. v. 02.11.2001 – 16 U 149/00, OLGR 2002, 164. BGH NJW 1960, 1292; OLG Nürnberg BB 1962, 155.

429 430 431 432 433 434 435

Schröder DB 1973, 221. Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 6 f und DB 1967, 2015. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 91. Küstner/Thume II, Rn 530. So eingehend für die verschiedenen Fallgestaltungen: Schröder DB 1973, 220 ff. Stumpf/Ströbl MDR 2004, 1209, 1211. Hoffstadt DB 1983, 645 (648); vgl. auch Sturm/Liekefett BB 2004, 1009.

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§ 89b

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sie die Insolvenzmasse und wirken sich daher in erster Linie positiv für die Insolvenzgläubiger aus, deren Aussicht auf Befriedigung aus der Insolvenzmasse sich verbessert. Rechtsträger bleibt jedoch auch in der Insolvenz der Unternehmer, so dass ihm der Vorteil zuzurechnen ist. Es liegt daher nicht nur ein mittelbarer Vorteil des Unternehmers vor, der auf die vom HV geschaffenen Geschäftsbeziehungen zurückzuführen ist und deshalb unter § 89b Abs. 1 subsumiert werden kann, sondern ein unmittelbarer 436. Zum anderen können sich erhebliche Vorteile aus einem Verkauf des Betriebs ergeben. Anspruchsvoraussetzung ist, dass der Insolvenzverwalter bei einem Verkauf des Betriebs wegen des Kundenstamms einen höheren Preis erzielt 437. Veräußert der Insolvenzverwalter das gesamte Unternehmen und führt der Übernehmende den Firmennamen sowie das Vertriebsnetz fort, so ist davon auszugehen, dass in dem Übernahmepreis auch ein Entgelt für den Kundenstamm enthalten ist 438. Auf Seiten des Insolvenzverwalters liegen aus diesem Grund erhebliche wirtschaftliche Vorteile im Sinne des § 89b Abs. 1 Nr. 1 vor 439. Die Ausgleichsansprüche sind stets einfache Insolvenzforderungen 440. Sie sind gegen den Insolvenzverwalter und nicht gegen den Erwerber des Unternehmens zu richten 441. Die Übertragung des Kundenstamms allein begründet noch keinen Ausgleichsanspruch gegen den Erwerber des Unternehmens, selbst wenn letzterer sämtliche Vorteile zieht 442. Um zu einem Ausgleichsanspruch gegen den Erwerber zu gelangen, muss der Erwerber als Rechtsnachfolger des Veräußerers in das Vertragsverhältnis mit dem HV eintreten 443, ein Fall des § 25 oder ein spezieller Rechtsgrund (Schuldbeitritt, Schuldübernahme) eingreifen 444. Ein Erwerber übernimmt auch sämtliche Kunden, die der HV für den mittlerweile insolventen Unternehmer geworben hatte. Diese Kunden sind als Neukunden i.S.d. § 89b Abs. 1 Nr. 1 anzusehen, wenn der HV mitursächlich für den Geschäftsschluss mit dem Erwerber wurde 445. Ein Ausgleichsanspruch ist auch dann zu bejahen, wenn ein HV für ein Unternehmen 105 Kunden geworben hat, dieses Unternehmen insolvent wird, der HV daraufhin für ein anderes Unternehmen tätig wird, welches im Zuge des Insolvenzverfahrens die geworbenen Kunden übernimmt, es aber sämtliche der übernommenen Kunden schon bei Beginn der Tätigkeit des HV aus einer vom Insolvenzverwalter erworbenen Liste kannte. Jene Kunden sind ebenfalls vom HV geworbene „Neukunden“ im Sinne des § 89b Abs. 1 Nr. 1, und mangels bestehender Geschäftsbeziehungen zum Drittunternehmen keine nicht ausgleichsberechtigten Altkunden.446 Obwohl diese Kunden ursprünglich für das insolvente Unternehmen geworben wurden, ist der Ausgleichsanspruch demzufolge gegen das „übernehmende“ Unternehmen zu richten. Die gegen den Erwerber gerichteten Ausgleichsforderungen sind weder Masseansprüche noch einfache Insolvenzforderungen, vielmehr sind sie außerhalb des Insolvenzverfahrens geltend zu machen und 436 437

438 439 440

441

Küstner/Thume II, Rn 64. OLG Saarbrücken, Urt. v. 4.12.1996 – 1 U 343/96-59, BB 1997, 1603 (1604); Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 90. OLG Karlsruhe, Urt. v. 22.08.2007 – 15 U 56/07, BeckRS 2007, 14360. OLG Karlsruhe, Urt. v. 27.12.1984 – 9 U 100/84, WM 1985, 235. OLG Saarbrücken, Urt. v. 04.12.1996 – 1 U 343/96-59, BB 1997, 1603 (1604); Thume BB 1997, 1604; Westphal Vertriebsrecht Rn 1302. OLG Saarbrücken, Urt. v. 04.12.1996 – 1 U 343/96-59, BB 1997, 1603 (1604).

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442 443

444 445 446

OLG Karlsruhe, Urt. v. 22.08.2007 – 15 U 56/07, BeckRS 2007, 14360. OLG Karlsruhe, Urt. v. 22.08.2007 – 15 U 56/07, BeckRS 2007, 14360; OLG Saarbrücken, Urt. v. 04.12.1996 – 1 V 343/96-59, BB 1997, 1603; Thume BB 1997, 1604. OLG Karlsruhe, Urt. v. 22.08.2007 – 15 U 56/07, BeckRS 2007, 14360. Thume BB 1997, S. 1604. LG Bielefeld, Urt. v. 19.04.1985 – 12b O 85/84, HVR 608; in diesem Sinne auch OLG Düsseldorf, Urt. v. 10.04.1992 – 16 U 31/91, OLGR Düsseldorf 1992, 312.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 89b

unterliegen nicht dessen Beschränkungen. Der Insolvenzverwalter kann mit dem HV eine Fortsetzung des durch die Insolvenz automatisch beendeten (Rn 355) Altvertrages vereinbaren. Bei strenger rechtlicher Trennung zwischen Alt- und Neuvertrag wäre der Ausgleichsanspruch aus dem beendeten Altvertrag gegen die Insolvenzmasse zu richten, und zwar dem Range nach als einfache Insolvenzforderung. Im fortgesetzten Vertrag könnte sich der Unternehmer oder Insolvenzverwalter nach dessen Beendigung auf den Standpunkt stellen, die im Rahmen des Erstvertrages geworbenen Kunden seien für den Zweitvertrag nicht ausgleichspflichtige Altkunden. Die Argumentation des HV, ausgleichsrechtlich seien sie im Neuvertrag Neukunden, weil sie der Unternehmer in diesem Vertragsverhältnis nicht kannte, verfängt möglicherweise nur bei einem Wechsel des Vertragspartners, dem die Kunden als zuvor völlig unbekannte Neukunden zugeführt werden. Hier jedoch besteht Identität zwischen altem und neuem Vertragspartner. In Frage steht lediglich die Diskontinuität des Vertrages. Es gibt mehrere Möglichkeiten, wie diese Frage gelöst werden kann. Eindeutig beantwortet ist die Frage, wenn sie vertraglich geregelt war oder sich aus der Historie der Vertragsverhandlungen erklärt. Man könnte vertreten, die Vertragsbeendigung sei gesetzliche Folge und damit das Entstehen des Ausgleiches als einfache Insolvenzforderung gewollt. Dieses Verständnis ginge zu Lasten des HV, ist aber immerhin annehmbar. Weiter könnte man entsprechend dem oben dargelegten Gedankengang die in den Neuvertrag eingebrachten Kunden für das zweite Vertragsverhältnis als Neukunden werten, und zwar trotz Identität des Vertragspartners. So wird beim Neuabschluss von HV-Verträgen mit Käufern des vertretenen Unternehmens geurteilt 447. Der Gedanke, der Ursprungsvertrag sei nicht beendet, sondern werde durch den Neuvertrag mitsamt den erworbenen Ausgleichsanwartschaften fortgesetzt, widerspricht wohl der von der InsO gewollten automatischen Beendigung des HV-Vertrages. Schließlich ließe sich an eine ergänzende Vertragsauslegung denken, der zufolge die Ausgleichsanwartschaften auf den Neuvertrag übergehen. Bei längerer Fortsetzung des Zweitvertrages ist dies ein gerechtes Ergebnis, weil es die Ausgleichsanwartschaften des HV sichert. Andererseits wird bei Beendigung des Zweitvertrages noch während der Insolvenz die Insolvenzmasse geschmälert, weil nun der vollständige Ausgleich Masseforderung ist. Der Grundsatz, dass der Erwerb eines Handelsunternehmens aus der Hand des Insol- 106 venzverwalters die Anwendbarkeit des § 25 Abs. 1 ausschließt, gilt auch gegenüber dem Anspruch eines HV aus § 89b 448. g) Kundenliste. Als mittelbarer Vorteil im Sinne des Ausgleichsrechts genügt etwa die 107 Überlassung einer Kundenliste durch den Unternehmer an eine nahestehende Person 449. h) Mitbetreuen des Bezirks durch andere HV. Besetzt der Unternehmer den Vertreter- 108 bezirk nicht wieder sondern lässt ihn von anderen HV mitbetreuen, ergibt sich daraus nicht ohne weiteres, dass bereits bestehende Geschäftsbedingungen beeinträchtigt werden oder künftige Vorteile entfallen 450. Davon wäre nur auszugehen, wenn der Unternehmer das Geschäft vollkommen einstellt. i) Näheverhältnisse und Konzernfälle. Grundsätzlich ist ein Vorteil des Unternehmers 109 persönlich erforderlich 451. Der Vorteil eines Konzernunternehmens ist im Allgemeinen 447 448 449

Vgl. Schmitz ZIP 2003, 59; Sturm/Liekefett BB 2004, 1009. LG Landau, Urt. v. 19.04.2007 – 4 O 334/06, NJOZ 2007, 3401. LG Stuttgart RIW 1999, 67.

450 451

LG Kaiserlautern v. 14.11.1955, HVR Nr. 81. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 94; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 6.

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1. Buch. Handelsstand

nicht ausreichend 452, sofern nicht im Einzelfall Durchgriffserwägungen angebracht sind. Fälle, in welchen der Unternehmer selbst keine Vorteile aus dem Aufbau des Kundenstammes erlangt, jedoch ein Konzernunternehmen und ein nahestehender Dritter, lassen sich wie folgt lösen: – Wird der Vertrieb von der bisherigen Muttergesellschaft, die Unternehmerin war, auf eine Tochtergesellschaft ausgegliedert, kommen der Muttergesellschaft über die Gewinne der Tochtergesellschaft im Vertrieb Vorteile aus dem Aufbau des Kundenstammes zugute, die ihr zuzurechnen sind (Rn 103) 453. Dafür dürfte eine Vermutung sprechen. Allerdings hat der BGH 454 die Übernahme des Kundenstammes durch eine Schwestergesellschaft und die dadurch entstehenden mittelbaren Vorteile des Unternehmers nicht als ausreichend angesehen, um Vorteile des Unternehmers zu begründen. Einem Erfahrungssatz, die weitere Nutzung des Kundenstammes durch ein Konzernunternehmen komme dem übertragenen Unternehmen in jedem Fall wirtschaftlich zugute, fehle es an hinreichenden tatsächlichen Grundlagen. Das ist problematisch und lädt zur Umgehung des Ausgleichs ein. Der BGH hat dies wohl gesehen und im entschiedenen Fall einen mittelbaren wirtschaftlichen Vorteil des Unternehmers bejaht: Ein Unternehmervorteil entstehe, weil die Kundenbeziehungen über die Konzernmutter als Dritte fortbestanden. Das war offensichtlich eine Einzelfallentscheidung. Es steht zu vermuten, dass die Rechtsprechung dem betroffenen Vertriebsmittler in vielen Fällen mit solchen Einzelfallerwägungen helfen wird. – Man denkt an einen Durchgriff nach § 242 BGB 455. Diesen Weg hat das OLG Braunschweig 456 gewählt: es komme nicht darauf an, ob der Geschäftsbetrieb mit samt dem geworbenen Kundenstamm entgeltlich veräußert werde. Sei ein Kundenstamm vorhanden und werde er von einer anderen Konzerngesellschaft genutzt, so werde dies als erheblicher Vorteil des Unternehmers gewertet. Das OLG Braunschweig befürwortet damit eine allerdings schwer zu präzisierende wirtschaftliche Betrachtungsweise. – Man postuliert eine Verpflichtung des den Vertrieb übernehmenden und damit aus dem Kundenstamm Vorteile ziehenden Konzernunternehmens zum Ausgleich der Vorteile gegenüber dem verbundenen, zuvor als Unternehmer tätigen Unternehmen nach § 812 BGB (Eingriffskondiktion) bzw. § 675 BGB oder den Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag. Häufig wird eine solche Zahlungspflicht sogar ausdrücklich vereinbart. Dieser gegen das den Vertrieb übernehmende Konzernunternehmen gerichtete Anspruch stellt dann den erheblichen Vorteil dar.

110

j) Statistische Zwecke. Als ausgleichsrechtlich relevanter Vorteil genügt die Möglichkeit, die Daten zu statistischen Zwecken zu nutzen 457.

111

k) Übertragung des Vertriebs auf einen anderen Vertriebsmittler. Überträgt der Unternehmer nach Beendigung des HV-Vertrages den Verkauf auf einen Vertragshändler oder Franchisenehmer, der die Produkte im eigenen Namen und nicht im Namen des Unternehmers verkauft, so langen die hierdurch entstehenden mittelbaren Vorteile des 452

453 454 455

OLG München NJW-RR 1989, 163; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 94; aA OLG Braunschweig NJW 1976, 2022. Küstner/Thume II, Rn 523. V. 30.01.1986, NJW 1986, 1931. Siehe Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 94.

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456 457

V. 03.04.1975, NJW 1976, 2022. BGH NJW 1982, 2819 (2820); BGH NJW 1983, 2877 (2879); Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 491.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

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Unternehmers durch Erhalt des Kaufpreises infolge des Verkaufes an Vertragshändler und Franchisenehmer, um ausgleichsbegründende Vorteile entstehen zu lassen. Denn bereits die potentielle Möglichkeit der Nutzung des Kundenstammes genügt für das Entstehen der Unternehmervorteile. Ob mit dem neuen Vertriebsmittler Mindestabnahmemengen vereinbart werden ist unerheblich 458. l) Untervertreter. Verlangt der Untervertreter vom Hauptvertreter einen Ausgleichs- 112 anspruch, kann sich der Hauptvertreter nicht mit dem Argument verteidigen, er habe die Hauptvertretung verloren und könne deshalb keine Vorteile aus den vom Untervertreter geworbenen Kundenbeziehungen erzielen 459, solange der Hauptvertreter für den vom Untervertreter gebildeten Kundenstamm irgendeine wirtschaftliche Gegenleistung erhält. Eine solche Gegenleistung bildet etwa der Ausgleichsanspruch, den der Hauptvertreter von seinem Unternehmer erhält, weil er die vom Untervertreter geschaffenen Kundenbeziehungen vergütet. Das gilt auch dann, wenn der Ausgleichsanspruch unter Billigkeitsgesichtspunkten wegen der Zahlung einer Altersrente durch den Unternehmer reduziert wird, solange er dem Grunde nach entstanden ist 460. Selbst wenn die Altersversorgung den Ausgleich gänzlich substituiert, ist darin der die Ausgleichsberechtigung des Untervertreters begründende „Vorteil“ aufrechterhalten. Denn die Altersversorgung wurde auch gewährt, um den HV von einer vorzeitigen Kündigung abzuhalten und damit zum nachhaltigen Aufbau eines Kundenstammes zu animieren. Der Untervertreter, der dem Hauptvertreter mit der Vermittlung von Aufträgen zugearbeitet hat und dem er den Untervertretervertrag kündigen muss, kann sich in diesem Fall darauf berufen, der Hauptvertreter, sein „Unternehmer“ (§ 84 Abs. 3), habe den Wert des ihm verschafften (und an den Hauptunternehmer weitergegebenen) Kundenstammes, für den er sonst weiterhin die Hauptprovision kassiert haben würde, durch seinen eigenen Ausgleich anderweit realisiert, mithin in anderer Form den Vorteil hieraus behalten. Zu Abs. 3 Rn 250. 7. Erheblichkeit der Vorteile. Die Vorteile des Unternehmers müssen „erheblich“ sein. 113 Fraglich ist, ob mit dem Wort „erheblich“ ein bestimmter Mindestvorteil gefordert wird. Das ist nach dem Gesetzeswortlaut und auch dem Text der EG-Richtlinie zwar anzunehmen. Die Schwierigkeit liegt jedoch in der Bildung eines Schwellenwertes. Dem TBMerkmal darf deshalb kein zu hohes Gewicht beigemessen werden. Es sollen lediglich Bagatellfälle ausgeschieden werden, die meist ohnehin nicht forensisch werden. Eine Daumenregel von 15.000 €, bei Kleinunternehmern aber auch geringere Beträge 461, wird man nicht bilden können und sie wäre auch ungerecht. Möglicherweise sind die „erheblichen“ Vorteile eher mit „nachhaltigen“ gleichzusetzen. Dann wäre das Wort eine Bestärkung des Tatbestandsmerkmals „Schaffung einer Geschäftsverbindung mit Mehrfachkunden“. Maßstab der erheblichen Unternehmervorteile ist nicht die Größe des Kundenstammes – auch ein Kunde allein kann einen erheblichen Vorteil bilden –, und auch nicht die Zahl der vermittelten oder voraussichtlich zustande gekommen Geschäfte 462 oder der Gesamtumsatz und der Gesamtgewinn des Unternehmers 463, sondern – wenn überhaupt (s.o.) – die Höhe des geldwerten Vorteils, welchen der Unterneh-

458

459 460

Hierauf hat allerdings der BGH v. 12.11. 1976 – I ZR 123/73, zitiert nach Küstner/ Thume II, Rn 545, abgestellt. BGH v. 13.03.1969 – VII ZR 174/66, BGHZ 52, 5. Küstner/Thume II, Rn 554.

461 462 463

Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 93. BGH v. 31.01.1991, BB 1991, 1210. BGHZ 42, 244 (247); BGH, ZIP 1990, 1197; BGH v. 31.01.1991, BB 1991, 1210; Hopt § 89b Rn 15.

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mer erlangt. Sogar eine Umsatzminderung schließt Vorteile des Unternehmers nicht aus 464, weil trotzdem neue Kunden geworben sein können. Bei einem Unternehmensverkauf sind Vorteile des Unternehmers erheblich, wenn der Kundenstamm die Höhe des Kaufpreises positiv beeinflusst hat 465.

VI. Provisionsverluste (Tatbestandsmerkmal 4) 114

Gemäß § 89b Abs. 1 Nr. 2 muss der HV infolge der Beendigung des Vertragsverhältnisses Ansprüche auf Provision verlieren, die er bei Fortsetzung desselben aus bereits abgeschlossenen oder künftig zustande kommenden Geschäften mit den svon ihm geworbenen Kunden erzielt hätte. Die entgangene Möglichkeit der Neukundenwerbung wird nicht ausgeglichen 466. Die Provisionsverluste brauchen nicht notwendigerweise den Vorteilen des Unternehmers zu entsprechen 467. Allerdings ist davon im Regelfall auszugehen.

115

1. Europarechtliche Präformation. Art. 17 Abs. 2 lit. a EG-Richtlinie 1986 sieht Provisionsverluste nur als einen besonderen Unterfall der Billigkeit an. Nach § 89b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ist der Provisionsverlust hingegen Anspruchsvoraussetzung. Eine richtlinienkonforme Auslegung des § 89b Abs. 1 – die allerdings nur im Ausnahmefall contra legem 468 erfolgen darf (Vor § 84 Rn 15) – führt daher dazu, innerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie – beim Warenvertreter – den Provisionsverlust nicht als zwingende Anspruchsvoraussetzung sondern nur als wesentliches Indiz für die Billigkeit einzuordnen.

116

2. Geworbene Kunden. Die in § 89b Abs. 1 Nr. 2 angesprochenen „geworbenen Kunden“ entsprechen den in § 89b Abs. 1 Nr. 1 apostrophierten „neuen Kunden, die der Handelsvertreter geworben hat“. Anders gewendet: Die Chancen, den Kundenstamm genutzt haben zu können (HV) entsprechen den Chancen ihn nutzen zu können (Unternehmer). Es handelt sich hüben und drüben, für das Vorher und das Nachher um denselben Kundenstamm, um dessen Nutzung und Nutzbarkeit es geht. Auch die Provisionsverluste des HV „aus den bereits abgeschlossenen oder künftig zustande kommenden Geschäften“ beziehen sich daher auf Geschäfte mit dem Neukundenstamm, den der HV dem Unternehmer hat zurücklassen müssen. Es kann auf das zu Rn 86 ff Gesagte verwiesen werden. Man hätte das TB-Merkmal „Neukundenwerbung“ als gemeinsames vor die Nrn. 1 und 2 des § 89b Abs. 1 ziehen können. Der HV, dem es gelungen ist, einen Altkunden für eine völlig neue Branche ein und desselben Unternehmers zu gewinnen, hat i.S.d. Ausgleichsrechts einen neuen Kunden gewonnen. Die Chance, derartiges auch bei unterstellter Fortdauer des Vertragsverhältnisses erreichen zu können, ist nicht ausgleichsfähig; hier entscheidet der bei Vertragsbeendigung vorhanden gewesene Kundenstamm in seiner festgelegten Kundenbezogenheit. Nicht anders muss die Chance für den Unternehmer, den übernommenen Kundenstamm nutzen zu können, angesetzt werden. Vergrößerte Bestellchancen des Unternehmers bei dem übernommenen Kundenkreis sind auch solche des HV. Er kann sie in seinen Provisionsverlust einbeziehen. Denn auch während des Bestehens des Vertrages hätte er von den gleichen, sich aufwärts entwickelnden Umsatzmöglichkeiten bei den von ihm geworbenen Kunden profitiert; dass die Vor-

464 465 466

BGH NJW 1990, 2890; Hopt § 89b Rn 15. Sturm/Liekefett BB 2004, 1009 ff. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 96.

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467 468

Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 96. Riesenhuber/Domröse RIW 2005, 47 (51).

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aussetzungen hierfür (technische Verbesserungen des vertriebenen Artikels, Aufnahme neuer Artikel in das Sortiment) vorab vom Unternehmer geschaffen worden sind, verschlägt nichts. Kunden, die ein echter Untervertreter für den HV geworben hat gelten als vom 117 Hauptvertreter geworben. Der Vermittlungserfolg wird ihm wirtschaftlich zugerechnet. Die Kundenwerbung braucht nicht allein und ausschließlich auf die Tätigkeit des HV zurückzugehen. Das TB-Merkmal ist nicht anders zu verstehen als der Begriff der Vermittlung in § 84 und der zur Provisionspflicht führenden Tätigkeit des § 87. Wie dort genügt Mitursächlichkeit zur Kundenwerbung. Man mag zwar bedauern, dass das Gesetz in allen drei Bestimmungen unterschiedliche Begriffe verwendet. Gemeint ist jedoch dasselbe. Auf die obigen Ausführungen kann verwiesen werden. 3. Werbung als ausgleichsberechtigter Handelsvertreter. Kunden, die der HV vor sei- 118 ner Tätigkeit für den Unternehmer in einem anderen Vertragsverhältnis – etwa als Angestellter oder freier Mitarbeiter – geworben hat, sind keine ausgleichspflichtigen, vom HV geworbenen Kunden 469. Denn es kommt nicht auf die Werbung durch die Person des späteren HV sondern darauf an, in welchem Vertragsverhältnis er warb. Entgegen der Formulierung des § 84 Abs. 1 ist das HV-Recht nicht personen- sondern vertragsbezogen. Schwierigkeiten bereiten jedoch die Fälle, in denen der spätere HV die Kunden vor seiner HV-Tätigkeit in einem handelsvertretergleichen Rechtsverhältnis anderer Natur – etwa einem Vertragshändler- oder Franchisevertrag – geworben hatte. Man könnte argumentieren, wegen der Rechtsähnlichkeit sowie der bei Existenz der Analogiekriterien eintretenden Substituierbarkeit der Verträge müssten die in diesem Rechtsverhältnis geworbenen Kunden als ausgleichspflichtig gelten. Trotz der damit verbundenen Härte spricht jedoch einiges dafür, solche Kunden nicht in die Ausgleichsberechnung einzubeziehen. Das ist Gegenstück dazu, dass auch bei Umwandlung etwa eines Vertragshändler- in einen HV-Vertrag ein Ausgleich zu leisten ist. Sofern nicht ausnahmsweise durch den HVVertrag – wirtschaftlich besehen – der Altvertrag fortgesetzt wurde und Ausgleichsanwartschaften (ausdrücklich oder konkludent) übergehen sollten gilt auch hier: Der alte Vertrag ist beendet und der Ausgleich hätte nach seinem Abschluss innerhalb eines Jahres geltend gemacht werden müssen. Der neue Vertrag setzt diesen Vertrag nicht fort, die im Rahmen des alten Vertrages geworbenen Ausgleichsanwartschaften sind verloren. Dieses Ergebnis ist aber diskussionswürdig. Die gleichen Grundsätze gelten beim Übergang vom nebenberuflichen HV – der gemäß § 92b nicht ausgleichsberechtigt ist – zum hauptberuflichen oder beim erstmaligen Hineinfallen des Vertrages in ausgleichsfähiges Recht. Die während beispielsweise der nebenberuflichen Tätigkeit geworbenen Kunden sind nicht ausgleichspflichtig und werden es auch dann nicht, wenn der HV später hauptberuflich tätig wird 470. 4. Geschäftsverbindung. Dass auch das Merkmal der Geschäftsverbindung für Abs. 1 119 S. 1 Nr. 2 in gleicher Weise wie für Abs. 1 S. 1 Nr. 1 gegeben sein muss, ergibt sich für das in Ansehung der Verluste des HV aufgestellte Kennzeichen der unterstellten „künftigen Geschäfte mit den von ihm geworbenen Kunden“ zwanglos. Ein Kunde, der, auch als neu geworbener, nicht als Stammkunde angesehen werden durfte, versprach keine „künftigen Geschäfte“. Eine Einschränkung ist hier lediglich zu machen bei dem Provisionsverlust aus bereits abgeschlossenen Geschäften, der praktisch nur durch Provisionsverzichtsklausel für den Fall einer bei Vertragsende noch ausstehenden Ausführung des 469

Küstner/Thume II, Rn 636.

470

Küstner/Thume II, Rn 640.

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Geschäfts bewirkt sein kann. Solche abgeschlossenen Geschäfte fallen zwar auch unter Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und begründen die Ausgleichsfähigkeit der aus ihnen verdienten, aber dennoch wieder entgehenden Provisionen; sie können jedoch auch mit einem „normalen“ Kunden, der nicht Stammkunde geworden zu sein braucht, getätigt sein. Da hier der Provisionsverlust ausschließlich auf dieses Geschäft als solches, nicht auf künftig zustande kommende bezogen ist, wäre es nicht sachgerecht, insoweit auf die Stammkundeneigenschaft abzustellen. Sonst gäbe es den Fall einer Provision, die trotz eigener erfolgreicher Vermittlungstätigkeit des HV weder aus dem HV-Vertrage verdient noch bei Ende des Vertragsverhältnisses ausgleichspflichtig wäre.

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5. Verluste. Die Verpflichtung zur Zahlung der Provision muss infolge der Vertragsbeendigung i.S. einer kausalen Verknüpfung entfallen 471. Bei Fortsetzung des Vertrages nicht geschuldete Provision führt zu keinem Provisionsverlust und ist nicht ausgleichsfähig 472. Dies gilt auch für freiwillig geleistete Vergütung. Provision die trotz der Vertragsbeendigung gezahlt ist entfällt nicht infolge des Vertragsendes und bedingt daher keinen Provisionsverlust. Sofern ein durchsetzbarer Provisionsanspruch existiert, besteht also keine Ausgleichspflicht 473. Enthält der HV-Vertrag die in Versicherungsvertreterverträgen häufig anzutreffende Provisionsverzichtsklausel, derzufolge nach Vertragsende keine Ansprüche auf Provisionen irgendwelcher Art entstehen, entfallen mit Vertragsende kraft Vereinbarung weitere Provisionsansprüche (Rn 383 ff). Der Verlust der Provision folgt dann aus dem Vertrag, sofern man die Klausel mit der herrschenden Ansicht 474 für wirksam hält. Der Ausgleichsanspruch kann jedoch nicht einseitig zunichte gemacht werden, indem der Unternehmer statt des Ausgleichs nach Vertragsbeendigung nicht mehr geschuldete Provisionen anbietet. Denn der Vertragsinhalt darf nicht einseitig durch den Unternehmer geändert werden, schon gar nicht nach Vertragsende. Provisionen entgehen dem HV auch, wenn er seine Tätigkeit nach Ende des HV-Ver121 trages als HV-ähnlicher Vertriebsvermittler, etwa als Vertragshändler, Franchisenehmer oder gar als angestellter Reisender fortsetzt. Der HV-Vertrag ist beendet und dem HV fließen infolgedessen keine Provisionen mehr zu (s.u. Rn 149).

122

6. Verlustprognose. Ob Provisionsverluste eintreten ist im Wege einer Prognose oder Hypothese bei Vertragsende zu bestimmen, ähnlich der Vorteilsprognose beim Unternehmer (Rn 91). In die Ausgleichsberechnung werden die Provisionen einbezogen, die der HV „bei (unterstellter) Fortsetzung“ des Vertragsverhältnisses gehabt „hätte“. Dies besagt ein Mehrfaches. Zum einen: Da die Abschlüsse als mit „vom Handelsvertreter geworbenen Kunden“ getätigt zu unterstellen sind, scheiden alle darüber hinausgehenden Chancen aus, bei Fortsetzung der HV-Tätigkeit weitere Kunden gewinnen und mit ihnen Abschlüsse vermitteln zu können 475. Abgeltungsfähig sind nur entgehende Abschlüsse mit dem bei Vertragsende vorhandenen, neu geworbenen Kundenstamm. Zum anderen: Die hierauf bezogene Chance ist eine solche, die als Provisionschance schon während der

471 472 473 474

Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 99. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 99. BGH ZIP 1996, 2165; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 96. OLG Frankfurt v. 18.02.1986, DB 1986, 1174; Sieg VersR 1964, 789; Küstner/Thume II, Rn 28; aA Graf v. Westphalen DB 2000, 2256.

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475

BGHZ 24, 223 (228); BGH v. 11.03.1958, BGHZ 29, 83 (92) = NJW 1959, 144 (146); BGH DB 1961, 269 – Gruppenversicherung –; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 5b; Reinicke NJW 1953, 1669.

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§ 89b

Vertragszeit gegeben war. Sie besteht in den Nachbestellungen und Folgeaufträgen, mit denen hätte gerechnet werden können, namentlich soweit sie sich in der Vergangenheit bereits verwirklicht hatte. Dabei ist ohne Belang, ob solche Nachbestellungen (Folgeaufträge) ohne weiteres Zutun des HV erfolgten (vgl. § 87 Abs. 1 S. 1, 2. Alt.) oder aber vom HV erneut, wenn auch nunmehr mit erleichtertem Zugang zu dem einmal geworbenen Kunden hereingeholt werden mussten 476. Deshalb ist auch Bezirksvertreterprovision ausgleichsfähig (s.u. Rn 131). Eben dieses gleiche Bild ist in die Zeit einer gedachten Fortsetzung des Vertrages zu projizieren. Keinen Unterschied macht es, ob die Folgeaufträge sich auf jeweils gleichbleibende Artikel bezogen. Gerade wenn der Kunde sich unter anderem für Neuheiten im Sortiment des Unternehmers interessiert gezeigt hatte, ist zu unterstellen, dass er auch in der Zukunft, Gleichheit der Branche vorausgesetzt, für weitere, inzwischen vom Unternehmer herausgebrachte Neuheiten zu interessieren gewesen wäre. Der Unterstellung bedarf es nicht einmal, wenn die Weiterentwicklung zeigt, dass der Kunde solche Neuheiten tatsächlich bestellt. Sowohl beim Unternehmer wie beim HV handelt es sich bei Vorteilen bzw. Verlusten 123 um Chancen (zugefallene beim Unternehmer; entgangene beim HV). Diese Chancen müssen, da der Ausgleich bei Beendigung des Vertragsverhältnisses entsteht und fällig wird, nach beiden Seiten gegebenenfalls gem. § 287 ZPO geschätzt werden. Zwar ist die Schätzungsgrundlage verschieden: Während der dem Unternehmer durch das Verbleiben des Neukundenstammes zufallende Vorteil selbst als Chance noch eine gegenwärtige reale Größe ist, stellt der Wegfall der Provisionen beim HV nur eine in der Zukunft gedachte dar. Er besteht in nichts anderem als in der hypothetischen Entwicklung, die die Provisionseinnahmen bei Fortbestand des geworbenen Kundenstammes genommen haben würden, wenn nicht die Beendigung des Vertragsverhältnisses dazwischen getreten wäre. Trotzdem kann der Zeitraum, auf den die Schätzung sich beziehen muss, für beide Teile nur der gleiche sein 477. Davon geht auch der BGH 478 aus. Im Wege einer „Als-obBetrachtung“ sind bei der Prognose die Fortsetzung des HV-Vertrages 479, die gleichbleibende – vertragsgemäße – Tätigkeit des HV sowie das gleichbleibende Bemühen um die geworbenen Kunden und um ausgleichspflichtige Folgegeschäfte 480 zu unterstellen. Die Verluste entsprechen den entgangenen Provisionseinkünften 481, und zwar summarisch wie nach dem Prognosezeitraum (s.o.). Die Prognose stellt – nicht anders als die Vorteilsprognose – die Vorhersage einer künftigen Entwicklung auf der Basis der in der Vergangenheit eingetretenen Tatsachen dar. Auch hier sind die Tatsachen nur dann aussagekräftig, wenn sie auf SV beruhen, die sich mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Zukunft wiederholen werden. Sie müssen ebenfalls in ihrer Anlage bereits bei Vertragsende existieren. Die Prognose muss ergeben, wie lange und in welchem Umfang die Geschäfte zwischen Unternehmer und Neukunden voraussichtlich fortgesetzt werden. Die zu erwartende Dauer der Geschäftsverbindung zwischen Unternehmer und Kunden hat also eine erhebliche Bedeutung für die Länge des Prognosezeitraums. Dabei sind die Besonderheiten der jeweiligen Branchen, die Marktgegebenheiten, Wettbewerbsbedingungen, die Kundenfluktuation und die Art der Tätigkeit des HV zu berücksichtigen 482. Auf die Ausführungen zur Vorteilsprognose kann verwiesen werden. 476 477 478 479

480

BGHZ 24, 223 (227 ff). Ähnlich Hoffmann S. 76. NJW 1961, 120. BGH ZIP 1997, 841 (843); BGH, Urt. v. 10.12.1997 – VIII ZR 329/96, ZIP 1998, 420; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 36. BGHZ 24, 214 (216/217); 223 (227); 30, 98

481 482

(103); BGH, NJW-RR 1998, 42 (43); Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 36. Hopt § 89b Rn 26; BGHZ 24, 227; 141, 252. BGH v. 15.10.1992, BB 1992, 2385 = MDR 1993, 224.

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§ 89b 124

1. Buch. Handelsstand

Ausgangspunkt der Prognose sind die ausgleichspflichtigen Provisionen des letzten Vertragsjahres mit neu geworbenen oder erweiterten Altkunden, zu denen Geschäftsbeziehungen hergestellt wurde. Verlief das letzte Vertragsjahr atypisch, muss auf einen längeren, gegebenenfalls mehrjährigen Zeitraum zurückgegriffen werden. Meist wird in Anlehnung an die Höchstgrenze des § 89b Abs. 4 von einem fünfjährigen Zeitraum ausgegangen. Nur vertragsgemäß verdiente Provisionen sind ausgleichspflichtig: Soweit dem HV bereits während der Vertragsbeziehung keine Provisionen für bestimmte Geschäfte zustanden, dürfen sie nicht in die Verlustprognose einfließen. Begab sich der HV etwa vertraglich des Kundenschutzes nach § 87 Abs. 1 S. 1, 2. Alt., sind Provisionen für reine, tätigkeitslose Nachbestellungen, die er danach schon während bestehenden Vertragsverhältnisses nicht zu beanspruchen gehabt hätte, nicht durch Beendigung desselben eingebüßt 483. Ein Ausgleich wäre dann nur in Ansehung derjenigen Nachbestellungen gegeben, für die der HV schon während der Vertragszeit erneut hatte tätig werden müssen und für die daher auch in der nachvertraglichen Zeit eine gleich erneute (und gleich erfolgreiche) Tätigkeit unterstellt werden darf. Bei gleichbleibenden Provisionsbestimmungen steht zu vermuten, dass die in der Vergangenheit erzielten Provisionen mit ausgleichspflichtigen Kunden auch in der Zukunft hätten erzielt werden können. Eine zu erwartende Provisionskürzung ist grundsätzlich nicht ausgleichsmindernd zu berücksichtigen. Das OLG Karlsruhe 484 entschied jedoch, der wegen einer Provisionskürzung kündigende HV hätte sich im Falle der Fortsetzung des Vertrages ebenso wie die anderen HV des Unternehmers eine Provisionsherabsetzung gefallen lassen müssen. Deshalb sei im Rahmen der Verlustprognose der niedrigere Provisionssatz maßgeblich. Dabei war verkannt worden, dass eine einseitige Befugnis zur Kürzung nicht vorbehalten worden war (weshalb der ausgeschiedene HV eine Reduzierung seiner entgangenen Provisionschancen unter Zugrundelegung des herabgesetzten Provisionssatzes mit Wirkung für den Ausgleich nicht hinzunehmen brauchte, selbst wenn die anderen HV sich der Herabsetzung fügten 485). Eine einseitige Herabsetzung des Provisionssatzes durch den Unternehmer war also nicht gestattet (zur Zulässigkeit in AGB Vor § 84 Rn 33), lediglich eine einverständliche Vereinbarung oder eine Änderungskündigung. Jene hätte allerdings ebenfalls zur Ausgleichspflicht geführt. Auch wegen § 162 Abs. 2 BGB wird man den Einwand des Unternehmers nicht gelten lassen können, er habe eine Provisionsherabsetzung beabsichtigt, es sei denn, sie ist sicher durchsetzbar, wovon aber kaum jemals ausgegangen werden kann. Die Provisionskürzung ist daher im Rahmen der Verlustprognose nicht ausgleichsmindernd zu berücksichtigen und die Begründung des OLG Karlsruhe ein Zirkelschluss. Beachtlich wäre nur eine zulässige Herabsetzung des Provisionssatzes, von welcher angenommen werden muss, der Unternehmer würde von ihr, bei gedachter Fortsetzung des Vertragsverhältnisses, nach den dann gegebenen Umständen mit Sicherheit zulässigerweise Gebrauch gemacht haben, nachdem sie schon vorher zu seiner Disposition gestanden hatte. Dafür ist der Unternehmer beweispflichtig. Hat der Unternehmer sich im Vertrag mit dem Ausgeschiedenen – wirksam – gleichlautend die Befugnis vorbehalten, den Provisionssatz einseitig herabzusetzen, und nimmt er späterhin bei allen anderen, in seinen Diensten verbliebenen HV eine Herabsetzung des (einheitlichen) Provisionssatzes einheitlich vor, so ist eine solche Maßnahme wohl auch für den Ausgeschiedenen als geschehen zu unterstellen.

483 484

Schlegelberger/Schröder Rn 16a. OLG Karlsruhe v. 27.03.1981, BB 1982, 274.

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485

Küstner/Thume II, Rn 807.

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§ 89b

Da die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses während des Prognosezeitraums ange- 125 nommen wird, spielen Umstände, die eine Fortsetzung ausschließen würden grundsätzlich keine Rolle. Weder der Tod des HV (s.u. Rn 153) noch sein sich verschlechternder Gesundheitszustand während des Prognosezeitraums können sich daher auf die Verlustprognose auswirken, wegen der Anlagerechtsprechung Rn 95 auch dann nicht, falls sich diese Umstände tatsächlich realisieren. Die „Als-ob-Betrachtung“ geht auch nicht soweit, dass die Werbung weiterer Neukunden unterstellt und damit den vermutlich entgangenen Provisionen der Zukunft ein (geschätzter) Prozentsatz zusätzlicher Provisionen hinzuaddiert wird, der im Prognosezeitraum mit (vermutlich) geworbenen Neukunden erzielt worden wäre 486. Es mangelt einerseits an einer Geschäftsverbindung mit neuen Kunden, die der HV geworben hat (§ 89b Abs. 1 Nr. 1) und zum anderen wird nur der Verlust aus den vom HV geworbenen Kunden, also Bestandskunden, ersetzt (§ 89b Abs. 1 Nr. 2). Deshalb kann der mit der Vertragsbeendigung tatsächlich eintretende Provisionsverlust höher liegen als der bei der Ausgleichsprognose zu berücksichtigende. Die „Als-obBetrachtung“ führt nicht dazu, dass der HV einen Ausgleich für Geschäfte mit Produktgruppen erhält, mit welchen bislang keine Geschäfte getätigt worden. Allerdings kann eine entsprechende Vereinbarung getroffen werden. Denn § 89b Abs. 4 verbietet keine Vereinbarung, die den Ausgleichsanspruch erweitert. Wie der HV die Provision während der Vertragslaufzeit verwendete ist für die Ver- 126 lustprognose unerheblich 487. Entscheidend ist der Provisionseingang bei ihm, nicht die Art und Weise des Verbrauchs. Selbst wenn die Provision während des laufenden Vertrages gepfändet 488, verschenkt oder an einen Dritten abgeführt wurde, leitet ihr Wegfall infolge des Vertragsendes zum Provisionsverlust. Auch ersparte Kosten dürfen im Rahmen der Verlustprognose nicht zu Lasten des HV abgezogen werden 489. Nicht anders als ein Schadenersatzanspruch nach § 252 BGB wird der Ausgleichsanspruch auf der Basis der Roherträge berechnet. Geschäftskosten sind „Sowieso-Kosten“, die gerade aus den entgangenen Provisionen und nach Vertragsende ihrem Surrogat, dem Ausgleichsanspruch, bedient werden sollen. Für die Ermittlung der Höhe der Provisionsverluste ist es daher irrelevant, welcher Teil der dem HV zugeflossenen Provisionen ihm als Gewinn verblieben ist. Dies gilt sogar dann, wenn der HV – wie etwa zu Beginn seiner Tätigkeit – nach Abzug seiner Aufwendungen überhaupt keinen Gewinn erzielt hat oder bei gedachter Vertragsfortsetzung erzielen würde 490 z.B. weil die Kosten seine Einnahmen aus den Provisionen überstiegen. Auch würden Ausgleichsprozesse unnötig kompliziert, wollte man es auf einen Streit um die Höhe der Gewinnquote ankommen lassen. a) Bei der Verlustprognose berücksichtigungsfähige Vergütungsbestandteile. Um- 127 stritten ist, welche Vergütungsbestandteile in die Verlustprognose einfließen, etwa nur Abschluss- bzw. Vermittlungsprovisionen oder auch Bezirksprovisionen, Inkasso- und andere Verwaltungsprovisionen. In die Verlustprognose eingestellt wird die dem HV entgehende Vergütung, die ihm bei Vertragsfortsetzung für seine vertraglich geschuldete Tätigkeit zu leisten wäre 491. Daraus, dass das Gesetz von dem Verlust von „Provisionen“ 486

487 488 489

BGHZ 24, 223 (228); BGH v. 11.03.1958, BGHZ 29, 83, 92 = NJW 1959, 144 (146); BGH DB 1961, 269 – Gruppenversicherung –; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 5b; Reinicke NJW 1953, 1669. BGH v. 23.01.1964, BB 1964, 409. Küstner/Thume II, Rn 698. BGH, Urt. v. 12.02.2003 – VIII ZR 130/01,

490 491

VersR 2003, 1530 = NJW-RR 2003, 821 (825) = MDR 2003, 882 = DB 2003, 2121 (LS) = WM 2003, 2095. BGH BB 1960, 1261; aA OLG Bremen BB 1966, 877. BGHZ 59, 125 (127); BGH, DB 1961, 269; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 97.

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spricht, darf nicht der Schluss gezogen werden, andere im Vertrage vorgesehene Formen der Vergütung des HV seien vom Ausgleich ausgeschlossen. Entscheidend ist nur, ob sie nur, ob es sich um Provisionen für Geschäfte mit vom HV (irgendwann) geworbenen Kunden handelt. Nicht ausgleichspflichtige Vergütungen sind aus der Ausgleichsbemessungsgrundlage herauszurechnen. b) Beispiele

128

aa) Bestands- und Verwaltungsprovisionen. Der BGH vertritt, nur Provisionsverluste aus Abschluss- oder Vermittlungsprovisionen seien in die Rohausgleichsberechnung einzubeziehen 492, nicht jedoch Bestands- oder Verwaltungsprovisionen 493. Enthielten Abschlussprovisionen einen verwaltenden Anteil müsse dieser durch kalkulatorische Ermittlung aus einem Gesamtprovisionssatz herausgerechnet werden 494. Nur der nach der Herausrechnung verbleibende „Abschlusskern“ dürfe in den Rohausgleich (also den Ausgleich vor der Begrenzung durch die Höchstgrenze) einbezogen werden. Der Ausgleich sei Entgelt für den Aufbau des Kundenstammes. Die Herstellung eines Kundenstammes sei das Ergebnis der Vermittlungs- und Abschlusstätigkeit des HV, so dass auch nur die hierauf entfallenden Provisionen ausgleichpflichtig würden. Berechtigt stellt sich jedoch die Frage, ob ein Abzug für verwaltende Tätigkeiten angemessen ist, zumal die Feststellung des verwaltenden Anteils in der Praxis zu Schwierigkeiten führt. Jede werbende Tätigkeit setzt einen bestimmten Anteil verwaltender Tätigkeit voraus. Ohne Verwaltung und Organisation gibt es keinen Verkauf. Der HV muss – um überhaupt werbend tätig werden zu können – zuvor oder zugleich verwaltend tätig sein. So lange der Schwerpunkt der Tätigkeit werbend bleibt – falls nein würde es wahrscheinlich schon an einer HV-Tätigkeit fehlen –, sollte daher auf einen Abzug verwaltender Provisionsanteile bei der Ausgleichsberechnung verzichtet werden. Der Wortlaut des § 89b Abs. 1 Nr. 2 fordert nichts Gegenteiliges: Auch verwaltende Provision wird für den Geschäfte mit geworbenen Kunden geleistet. In diese Richtung zielen die Entscheidungen des BGH zum Tankstellenbereich, in denen etwa das Lagern der Kraftstoffe, das Inkasso wie die Auslieferung als Teil der verwaltenden Tätigkeit für ausgleichspflichtig gehalten wurde, weil anderenfalls ein Verkauf der Kraftstoffe unmöglich sei 495. Der BGH hat es jedoch abgelehnt, diese Rechtsprechung auf den Bereich des Versicherungsvertreterrechts zu übertragen und sie dürfte sich auch nicht ohne weiteres in andere Vertriebsbranchen übernehmen lassen 496. Auch das Urteil des BGH vom 24.06.1971 497 gibt einen Fingerzeig. Dort war der HV vorwiegend mit dem Aufbau einer Verkaufsorganisation, der Einstellung von HV und deren Einarbeitung beschäftigt. Der BGH stellte fest, ein Unternehmervorteil könne darin bestehen, dass die Tätigkeit des Hauptvertreters im Wesentlichen

492

493

BGH v. 04.05.1959, BGHZ 30, 98, 100 = NJW 1959, 1430; v. 01.12.1960, BB 1961, 189; v. 15.02.1965, NJW 1965, 1134; BGH BB 1971, 105 und 843; OLG Celle, BB 1970, 227; ebenso 4. Aufl., § 89b Rn 54; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 97. Beim Versicherungsvertretervertrag: BGH, Urt. v. 22.12.2003 – VIII ZR 117/03, MDR 2004, 402 = NJW-RR 2004, 469 = ZIP 2004, 1319 = EWiR 2004, 387 (Küstner) = WM 2004, 1483; zust. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 97.

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494 495

496 497

BGH v. 04.05.1959, NJW 1959, 1430. BGH, Urt. v. 10.07.2002 – VIII ZR 58/00, BB 2002, 2151 = DB 2002, 2321 = NJW-RR 2002, 1548 = EWiR 2002, 1011 (Albicker) = WM 2003, 491 = VersR 2003, 242; BGH, Urt. v. 25.9.2002 – VIII ZR 253/99, ZIP 2003, 34 (38) = DB 2003, 146 = NJW 2003, 290 = WM 2003, 504 = MDR 2003, 279 = EWiR 2003, 435 (Just). AA Thume BB 1999, 2309 (2312). BGHZ 56, 290 = NJW 1971, 1610.

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§ 89b

diese Aufgaben umfasse. Bewegt man sich im Rahmen der (noch) hA, die verwaltende Provisionen für im Rahmen der Verlustprognose nicht berücksichtigungsfähig und folglich für nicht ausgleichspflichtig hält so gilt: Der Anteil ausgleichspflichtiger werbender in Relation zu nicht ausgleichspflichtiger 129 verwaltender Provisionen darf im Wege der Schätzung nach § 287 ZPO festgestellt werden. Es bedarf also nicht in jedem Fall einer Beweisaufnahme. Zweifelhaft ist, ob der Anteil der Verwaltungsleistungen daran gemessen werden kann, welche Kosten aufzubringen wären, um diese Leistungen von Dritten erbringen zu lassen und deshalb zu untersuchen ist, welche Verwaltungstätigkeiten dem HV nach dem Agenturvertrag oblagen (z.B. Inkasso, Schadensfallbearbeitung, Telefondienste etc.). Nach dieser Ansicht wäre, ggf. unter Zuhilfenahme von Sachverständigen, zu ermitteln, wie teuer die verwaltende Tätigkeit durch professionelle Anbieter (Inkassobüro, Callcenter etc.) wäre. Schließlich müssten diese Kosten ins Verhältnis mit den Folgeprovisionen gesetzt werden. Daraus ergäbe sich die Quote, nach der sich die Folgeprovision aus Verwaltungs- und Vermittlungsprovision zusammensetzt. Das Problem dieses Berechnungsweges ist, dass Unternehmer dem HV nicht immer eine marktgerechte Vergütung für die verwaltenden Aufgaben zahlen. Auch wäre die Einzelvergabe nur der verwaltenden Tätigkeit teurer als die mit dem Vertrieb kombinierte Verwaltung. Der Bereich der Vermittlungsprovision würde also durch den Abzug der marktgerechten Vergütung zu stark reduziert. Die Münchner Formel des LG München I (Rn 315) hat für den Vertragshändlerbereich einen Abzug von 1/3 verwaltenden und nichthandelsvertretertypischen (vertragshändlertypischen) Anteils angenommen. Diese auf § 287 ZPO beruhende Schätzung von Sachkennern lässt sich nicht auf den HV-Bereich übertragen, und zwar bereits deshalb nicht, weil hier – natürlich – kein Abzug für HV-untypische Tätigkeiten in Betracht kommt. Urteile der Gerichte variieren zwischen 10 498 und 15 % Abzug 499. Der BGH 500 hat zur Beweislast festgestellt, der Unternehmer müsse den höheren Verwaltungsanteil darlegen und beweisen, wenn er vertraglich keine Aufteilung der Provision in verwaltende und werbende Provision vorgenommen habe, wobei allerdings die Wirksamkeit solcher Aufteilungen problematisch ist (Rn 138). Da der Unternehmer die Provisionssätze vorgebe – so der BGH –, müsse er über Erfahrungswerte verfügen, wie sich die Provision aufteile. In der Praxis wird häufig überhaupt kein Abzug für verwaltende Tätigkeiten vorgenommen. Werbenden Charakter haben ferner: 130 – Provisionsteile, die der HV zur Vergütung echter Untervertreter aufwendet 501 (zwh., da insoweit auch werbende Tätigkeit entlohnt wird); – Inkassoprovisionen 502; – Delkredereprovisionen 503; – Bestandspflege 504;

498 499 500 501 502

BGH v. 28.04.1988 – I ZR 66/87, NJW-RR 1988, 1061 = BB 1988, 2199. BGH v. 03.06.1971, NJW 1971, 1611 = BB 1971, 843. BGH v. 28.04.1988 – I ZR 66/87, NJW-RR 1988, 1061 = BB 1988, 2199. BGH v. 07.03.1985 – I ZR 204/82 – HVR Nr. 605. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 97; aA BGHZ

503

504

30, 98; BGH BB 1971, 105 und 843; 4. Aufl., § 89b Rn 54. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 97; aA BGHZ 30, 98; BGH BB 1971, 105 und 843; 4. Aufl., § 89b Rn 54. BGH, Urt. v. 01.06.2005 – VIII ZR 335/04, VersR 2005, 183, 1284; aA BGHZ 30, 98; BGH BB 1971, 105 und 843; 4. Aufl., § 89b Rn 54.

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§ 89b

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– Stornoabwehr 505; – die Bearbeitung von Schadensfällen 506; – die Kontaktpflege und die Kundenbetreuung 507.

131

bb) Bezirksprovision. Umstritten ist ferner, ob Bezirksprovisionen ausgleichspflichtig sind. Dies wird teilweise verneint 508, was jedoch als generelles Prinzip unzutreffend ist. Richtig ist lediglich, dass Bezirksprovisionen für Geschäfte mit Kunden, die nicht vom HV als Erstkunden geworben wurden, bei der Berechnung des Ausgleichsanspruchs unberücksichtigt bleiben 509. Das ist jedoch keine Besonderheit der Bezirksprovision, weil jede Provision nicht ausgleichspflichtig ist, wenn sie aus Geschäften mit vom HV nicht geworbenen Kunden stammt. Ausgleichspflicht besteht jedoch, wenn der Bezirkskunde vom HV geworben wurde. Der HV hat dann eine Geschäftsverbindung gebildet. Der Unternehmer hat aus jener Geschäftsverbindung mit vom HV geworbenen Kunden Vorteile (§ 89b Abs. 1 Nr. 1); dem HV entgehen infolge der Beendigung des Vertragsverhältnisses Ansprüche auf Provisionen – hier Bezirksprovisionen – aus Geschäften mit von ihm geworbenen Kunden. § 89b Abs. 1 Nrn. 2 und 3 fordern lediglich, dass die Kunden vom HV geworben sind, und zwar zum Erstgeschäft. Wenn sie dann weitere Geschäfte tätigen und diese mittels Bezirksprovision vergütet werden, bleibt dafür die Erstwerbung des HV ursächlich. Dass jedes Einzelgeschäft vom HV geworben wurde, verlangt § 89b Abs. 1 nicht, was übrigens auch bei Folgegeschäften nicht der Fall ist. Bezirksprovisionen sind daher ausgleichspflichtig 510. Jede andere Ansicht würde eine vernünftige und handhabbare Ausgleichsberechnung erschweren. Bei Bezirkskunden scheidet ein Ausgleichsanspruch also nur für solche Kunden aus, die der HV nicht für das erste Geschäft geworben hat (oder die Geschäftsbeziehung nicht wesentlich erweitert hat), etwa dann, wenn ein HV Bezirksprovision für Kunden erhält, die ein Vorgänger, ein anderer HV oder der Unternehmer warb.

132

cc) Boni. Boni und Prämien sind in die Verlustprognose und damit in die Ausgleichsberechnung einzubeziehen. Sofern sie keine klare, zu verwaltenden Tätigkeiten leitende Zweckbestimmung enthalten, muss der Unternehmer im Falle einer Auseinandersetzung im Einzelnen darlegen, welche Zweckbestimmung vorgesehen war 511. Es obliegt dem Unternehmer, dazulegen, dass die gezahlten Vergütungen – auch Boni – nicht zur Abgeltung der werbenden Tätigkeit gedacht sind. Auch „einmalige“ Boni- und Rabatte sind ausgleichspflichtig, weil eine Vermutung dafür besteht, dass in der Vergangenheit gezahlte Boni oder Rabatte auch in der Zukunft – nach Vertragsende – geleistet werden würden. „Einmalige“ Aktionen wiederholen sich in regelmäßigem Abstand, also auch in der Zukunft. Ausgleichspflichtig sind etwa: Boni für Vorführwagen, Ausstellungsraum,

505 506 507 508

BGH, Urt. v. 01.06.2005 – VIII ZR 335/04, VersR 2005, 183, 1284. BGH, Urt. v. 01.06.2005 – VIII ZR 335/04, VersR 2005, 183, 1284. BGH, Urt. v. 01.06.2005 – VIII ZR 335/04, VersR 2005, 183, 1284. Küstner/Thume II, Rn 664; Schlegelberger/ Schröder § 89b Rn 5c und 13e; 4. Aufl., § 89b Rn 35, 49: Ausgleichsfähig seien, wenn der Bezirkskunde geworben wurde, Folgeaufträge nur insoweit, als sie die be-

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509 510 511

stehende Geschäftsbeziehung so wesentlich erweitert hätten, dass das Ergebnis der Gewinnung eines neuen Kunden gleichkomme (Abs. 1 S. 2), und auch nur im Umfang dieser Erweiterung. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 97. Im Ergebnis OLG Düsseldorf v. 30.10.1958, BB 1959, 8 = NJW 1959, 105. Vergleiche BGH, Urt. v. 12.02.2003 – VIII ZR 130/01, VersR 2003, 1530 = NJW-RR 2003, 821 (825); Emde BB 2005, 389 (398).

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§ 89b

Werbung und Beschäftigung angestellter Verkäufer. Nicht ausgleichspflichtig bleiben nach h.M. Boni für und Kosten für das Überführen und Herrichten der Ware, Zulassungskosten 512, Gewährleistungen, Kulanzen sowie Skonto 513, obwohl auch die so entlohnten Tätigkeiten Vorbedingungen des Vertriebs sind. dd) Erweiterte Altkunden. Einzubeziehen in die ausgleichspflichtigen Verluste des 133 HV sind ferner Provisionen, die er aus Geschäften im Bereich der Intensivierung des Altkundenverhältnisses hätte ziehen können. Abs. 1 S. 2 ist zwar seinem Wortlaut nach auf Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bezogen. Trotzdem gilt er auch hier. Andernfalls wäre die Gleichgewichtigkeit des Ausgleichsverhältnisses in diesem Punkte durchbrochen. ee) Festvergütung. Hat der Unternehmer neben der Provision eine feste Vergütung 134 versprochen, so ist jene insoweit in die Verlustprognose einzustellen, als sie für Geschäfte mit neu geworbenen oder erweiterten Stammkunden gezahlt wird 514. Dieser Verwendungszweck wird vermutet. Nicht einzubeziehen ist der Vergütungskern, der nicht für Geschäfte mit solchen Kunden geleistet wird. Die fehlende Ausgleichspflicht hat die die Provisionsbestimmungen des Vertrages formulierende Partei darzulegen und zu beweisen. Eine Ansicht, welche die Ausgleichspflichtigkeit von Festvergütungen ablehnt, wäre eine Einladung zur Auslagerung des variablen Vergütungsteils in ein Festgehalt. Hingegen ist Festvergütung, die nicht für Geschäfte mit ausgleichspflichtigen Kunden geleistet wird, nicht in die Verlustprognose einzustellen 515. Für die Gegenansicht, die keinerlei Festvergütung in die Verlustprognose einfließen lassen will spricht der Wortlaut des § 89b Abs. 1 Nr. 2, demzufolge der HV Ansprüche auf „Provisionen“ verlieren muss, die er bei Fortsetzung desselben aus „bereits abgeschlossenen oder künftig zustande kommenden Geschäften mit den von ihm geworbenen Kunden hätte“. Nach dem Gesetzeswortlaut ist Provision nur eine variable Vergütung i.S.d. § 87 ff. Auch spricht der Gegensatz zu § 89b Abs. 2 gegen die Ausgleichspflichtigkeit des festen Vergütungsteils 516. Denn nach dieser Norm ist die Höchstgrenze – im Umkehrschluss jedoch nicht der Rohausgleich selbst – unter Einbeziehung sonstiger Vergütungen und nicht nur der Provisionen berechnet. ff) Kostenerstattung. Nicht in die Verlustprognose einbezogen werden eindeutig 135 bestimmten Kosten zuzuordnende Auslagenerstattungen des Unternehmers, z.B. für Angestellte des HV. Denn diese Leistungen erhalten keine Vergütung für werbende Tätigkeiten und damit auch nicht für den Aufbau des Kundenstammes 517. Voraussetzung der Nichteinbeziehung ist aber immer, dass es sich um eine Kostenerstattung für spezifizierte Kosten handelt und nicht um eine allgemeine Kostenpauschale. Denn sonst würde auch hier zur Verlagerung der Provision in eine allgemeine Kostenpauschale eingeladen. gg) Mindestvergütung. Bei Gewährung einer Mindestvergütung gilt das gleiche. In 136 jedem Fall ist der für Geschäfte mit ausgleichspflichtigen Kunden gezahlte variable Vergütungsanteil in die Verlustprognose einzuführen. 512 513

514

OLG München, Urt. v. 16.01.2002 – 7 U 4312/00, NJOZ 2002, 1419. Vgl. Urt. v. 05.06.1996 – VIII ZR 7/95, WM 1996, 1558; VIII ZR 141/95, WM 1996, 1962; v. 26.02.1997 – VIII ZR 272/95; WM 1997, 1485; Hübsch/Hübsch WM Sonderbeilage Nr. 1/2005, S. 23. BGH, Urt. v. 15.02.1965 – VII ZR 194/63, BGHZ 43, 154 = NJW 1965, 1134; Bericht

515 516 517

über die Anwendung von Artikel 17 der Richtlinie des Rates zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen HV, KOM(96) 364 endg., S. 3. So aber wohl Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 97. AA BGH v. 15.02.1965, NJW 1965, 1134. BGH v. 16.03.1989, NJW-RR 1989, 863.

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hh) Superprovisionen. Hierbei handelt es sich um Provisionsbestandteile, die dem HV für den Vermittlungserfolg unechter Untervertreter gewährt werden: Der Hauptvertreter erhält eine an den Vermittlungserfolg seiner Untervertreter angelehnte Vergütung. Nur soweit die Superprovisionen verwaltende Anteile enthalten, etwa Führungsprovisionen, sind sie nicht anrechnungsfähig 518. Bei mehrstufigen HV-Verhältnissen kann fraglich sein, ob die gezahlten Superprovisionen noch eine Leistung für die werbende Tätigkeit des HV darstellen oder lediglich eine ausgleichsunfähige Vergütung für verwaltende Tätigkeit des HV 519. Beweispflichtig für den verwaltenden Charakter der Vergütung und damit für die Ausgleichsunfähigkeit ist der Unternehmer, welcher den Vergütungscharakter bestimmt.

138

c) Überprüfung der vertraglichen Vereinbarung des verwaltenden Anteils. Wenn im HV-Vertrag ungeregelt bleibt, in welchem Umfang durch die Provision nicht ausgleichsfähige verwaltende Tätigkeiten vergütet werden, muss der Unternehmer im Falle einer Auseinandersetzung im Einzelnen darlegen, welche Aufteilung der Provision angemessen ist 520. Der Anteil der Abschluss- und Vermittlungsprovision an der Folgeprovision ist umso größer, je geringer dessen Verwaltungsaufgaben sind 521. Eine vollständige Derogation der Vermittlungsprovisionen bzw. deren vollständige Ersetzung durch Verwaltungsprovisionen ist mit der zwingenden Natur des Ausgleichs nach § 89b Abs. 4 S. 1 unvereinbar 522. Eine solche Regelung wäre eine unzulässige, unmittelbar auf den Ausgleichsausschluss zielende und keine zulässige, nur reflexartig den Ausgleich reduzierende Gestaltung. Nimmt der Vertrag eine Aufschlüsselung in werbende und verwaltende Provision vor, so ist jene auf Plausibilität zu überprüfen 523. Die Bezeichnung als „Verwaltungsprovision“ ist dabei für ihre wahre Einordnung irrelevant 524. Der Unternehmer stellt häufig die Verträge, der HV akzeptiert sie als die wirtschaftliche schwächere Partei ohne Hinterfragen. Die Aufschlüsselung braucht daher nicht dem tatsächlichen Anteil der Verwaltungsprovision zu entsprechen 525. Der Unternehmer hat im Hinblick auf die bei Vertragsende drohende Ausgleichsforderung ein Interesse an einem möglichst hohen verwaltenden Anteil. Formularbücher sehen deshalb Klauseln vor, mit denen ein untypisch hoher Anteil verwaltender Provision im Vertrag bestimmt werden soll. Eine Klausel, nach der 50 % der Provision „für verwaltende Tätigkeiten“ gezahlt werde, enthält nur vordergründig eine der Vertragsfreiheit unterliegende Vereinbarung darüber, welche Provisionen der HV für bestimmte Tätigkeiten erhält. Tatsächlich hat sie, so der BGH 526,

518 519 520

521 522

523

Küstner/Thume II, Rn 794; Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 97. Vgl. Küstner/Thume II, Rn 1107. BGH, Urt. v. 12.02.2003 – VIII ZR 130/01, VersR 2003, 1530 = NJW-RR 2003, 821 (825) = MDR 2003, 882 = DB 2003, 2121 (LS) = WM 2003, 2095; Emde BB 2005, 389 (398). Trinkhaus S. 260. BGH, Urt. v. 14.06.2006 – VIII ZR 261/04, DB 2006,1953 = NJW-RR 2006, 1542 im Anschluss an BGH WM 2006, 1788, Urt. v. 10.07.2002 – VIII ZR 58/00, DB 2002, 2321 = WM 2003, 491. BGH, Urt. v. 22.12.2003 – VIII ZR 117/03,

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MDR 2004, 402 = NJW-RR 2004, 469 = ZIP 2004, 1319 = EWiR 2004, 387 (Küstner) = WM 2004, 1483. BGH, Urt. v. 14.06.2006 – VIII ZR 261/04, NJW-RR 2006, 1542 (1543). Küstner/Thume II, Rn 784. BGH, Urt. v. 10.07.2002 – VIII ZR 58/00, BB 2002, 2151 = DB 2002, 2321 = NJW-RR 2002, 1548 = EWiR 2002, 1011 (Albicker) = WM 2003, 491 = VersR 2003, 242; BGH, Urt. v. 25.09.2002 – VIII ZR 253/99, ZIP 2003, 34 (38) = DB 2003, 146 = NJW 2003, 290 = WM 2003, 504 = MDR 2003, 279 = EWiR 2003, 435 (Just); zuvor OLG Hamm EWiR 1999, 1127 (von Manteuffel/Evers).

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keine Auswirkungen auf die Höhe und die Abrechnung der an ihn zu zahlenden Provision. Ihr Zweck und ihre Wirkung bestehe ausschließlich darin, den Ausgleichsanspruch zu beschränken, weshalb sie gegen die in § 89b Abs. 4 S. 1 geregelte zwingende Natur des Ausgleichs verstoße. § 89b Abs. 4 S. 1 verbiete nicht nur Abreden, durch die der Ausgleichsanspruch ganz ausgeschlossen werde, sondern ferner solche, durch die er nur im Ergebnis mehr oder weniger eingeschränkt werde. Zwar dürfen die Parteien die Provision nach § 87 frei aushandeln, auch wenn sich die Vereinbarung – mittelbar – auf die Höhe des Anspruches auswirkt. Eine solche Klausel hat jedoch keine Auswirkung auf die Höhe und die Abrechnung der an den Kläger zu zahlenden Provision, sondern Bedeutung ausschließlich für die spätere Berechnung des Ausgleichs. Sie enthält keine Vereinbarung über die Art verwaltender Tätigkeiten sondern nimmt eine rechtliche Bewertung vor, indem sie festlegt, dass der hierauf entfallene Teil der Vergütung bei einer späteren Ermittlung des Ausgleichsanspruchs unberücksichtigt bleibt. Deshalb ist es schwierig, den werbenden und verwaltenden Provisionsanteil abstrakt mittels AGB zu bestimmen. Dies kann meist nur konkret-individuell geschehen 527. Für das Versicherungsvertreterrecht hat der BGH mit Urteilen vom 01.06.2005 528 139 sowie vom 22.12.2003 529 geklärt, wer im Rahmen der Ausgleichsberechnung die Darlegungs- und Beweislast für die Höhe des verwaltenden Anteils trägt. In seinem Urteil vom 22.12.2003 530 hatte der BGH zunächst ausgeführt, sofern der Versicherungsvertretervertrag gesonderte Provisionen für werbende und verwaltende Provisionsteile vorsehe und diese Aufteilung plausibel sei, trage der HV für eine vom Vertragstext abweichende Verteilung werbender und verwaltender Provisionsteile die Beweislast. Fehle eine solche Aufteilung und werde lediglich eine „Einheitsprovision“ gewährt, trage der Versicherer die Beweislast. Denn ihm sei auf der Grundlage von Erfahrungswerten zumutbar, anzugeben, zu welchen Teilen die einheitliche Provision zur Abgeltung einerseits werbender Vertragsvermittlung und andererseits verwaltender Tätigkeit bestimmt sein solle 531. Gibt es eine eindeutige und klare Verteilung der vereinbarten Provision zwischen werbenden und verwaltenden Tätigkeiten im Vertrag trägt also der Versicherungsvertreter die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die im Vertrag versprochene Provision der eindeutigen Bezeichnung zuwider tatsächlich nach Art und Umfang der ihm übertragenen Aufgaben ganz oder teilweise ein Entgelt für seine Abschluss- oder Vermittlungstätigkeit darstellt 532. Dies gilt jedenfalls, wenn die vom Versicherer vorgenommene Aufteilung zwischen verwaltender und werbender Provision plausibel ist. Dafür sprachen folgende Umstände: – Die im Vertrag als Verwaltungsprovision bezeichneten Vergütungsbestandteile bezogen sich nicht nur auf die von dem HV selbst geworbenen, sondern in nahezu gleicher Höhe auch auf die ihm übertragenen Verwaltungsbestände, so dass in der Verwaltungsprovision keine „versteckten“ Provisionen für werbende Tätigkeit enthalten sein konnten. – Die Verwaltungsprovisionen für die vom HV vermittelten Verträge wurden auch an dessen Nachfolger in voller Höhe ausgezahlt, der die Bestände nicht geworben hatte.

527 528 529

530

Graf v. Westphalen NJW 2003, 1988. VIII ZR 335/04, VersR 2005, 1283. BGH, Urt. v. 22.12.2003 – VIII ZR 117/03, MDR 2004, 402 = NJW-RR 2004, 469 = ZIP 2004, 1319 = EWiR 2004, 387 (Küstner) = WM 2004, 1483. BGH, Urt. v. 22.12.2003 – VIII ZR 117/03,

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MDR 2004, 402 = NJW-RR 2004, 469 = ZIP 2004, 1319 = EWiR 2004, 387 (Küstner) = WM 2004, 1483. BGH, Urt. v. 01.06.2005 – VIII ZR 335/04, VersR 2005, 1283 (1286). Bereits BGHZ 55, 45 (52) = VersR 1971, 265 (266).

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– Die Provisionssätze der Abschlussprovision (zwischen 30 und 75 %) überstiegen den Prozentsatz der Verwaltungsprovision (weit überwiegend 5 bis 7 %) erheblich. Eine solche Provisionsstruktur – so der BGH – sei typisch für eine Einmalprovision, durch die Vermittlungsleistungen vollständig abgegolten würden. Die Plausibilitätsprüfung durch den BGH zeigt, dass das Urteil ihren positiven Aus140 gang fordert, damit die Abrede unbeanstandet bleibt 533. Der Schwerpunkt der Begründung des Urteils liegt daher nicht in der eher beliebigen vertraglichen Vereinbarung sondern in ihrer Plausibilität. Küstner betont in einer Besprechung des Urteils, damit sei der von „interessierter Seite“ vertretenen Ansicht ein Riegel vorgeschoben, einen Anteil werbender Provision von 90–95 % an der Gesamtprovision anzunehmen 534. In seinem Urteil vom 1. Juni 2005 535 ergänzte der BGH, fehle eine vertragliche Vereinbarung des werbenden und verwaltenden Anteils, wende sich die Beweislast. Der Versicherer sei für die Höhe des verwaltenden Anteils beweispflichtig. Das Gericht hat – ggf. unter Beiziehung eines Sachverständigen – die möglicherweise 141 von der Vertragsregelung abweichende tatsächliche Höhe des verwaltenden Anteils zu ermitteln. Um die Praktikabilität zu gewährleisten, sollte derjenige, der einen höheren Anteil als 10 % verwaltender Provision behauptet, hierfür beweispflichtig sein, selbst wenn der Vertrag es anders bestimmt. An die vertraglichen Regelungen sind die Parteien allerdings gebunden, falls die Regelungen – beweispflichtig ist der Formulierende, im Zweifel der Unternehmer – Ausdruck eines Gleichgewichts der Verhandlungskräfte sind und auf tatsächlichen Anhaltspunkten beruhen. Auch können bestimmte Branchen einen höheren Anteil verwaltender Provisionen rechtfertigen, was dem jeweiligen Gericht häufig als Sachkenner bekannt ist.

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7. Provisionsverlust aus bereits abgeschlossenen oder künftig zustande kommenden Geschäften. Gemäß § 89b Abs. 1 Nr. 2 setzt die Ausgleichsberechtigung Provisionsverluste entweder aus bereits abgeschlossenen Geschäften oder aus künftig zustande kommenden Geschäften voraus. Ein Provisionsverlust der zweiten Alt. ist der Regelfall.

143

a) Bereits abgeschlossene Geschäfte. Wenn das Gesetz Provisionen „aus bereits abgeschlossenen Geschäften“ für ausgleichsfähig erklärt, so sollte das nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um einen im System irregulären Ausnahmefall handelt. Grundsätzlich gilt: Was als Provision verdient ist – also nicht als bloße Chance der Verdienbarkeit infolge der Vertragsbeendigung verlustig geht –, ist nicht selbst „Ausgleich“ oder Teil hiervon. Beides schließt einander aus. Hineinzurechnen sind sie nur, soweit derartige Provisionen auch während des Prognosezeitraums erneut zu erwarten sind. Zu keinen Provisionsverlusten führen alle Provisionsforderungen, die zwar erst nach Vertragsbeendigung entstehen, aber auf Abschlüsse oder abschlussentscheidende Tätigkeit vor Vertragsbeendigung zurückgehen und darin ihre Entstehungsgrundlage haben. Soweit dem HV nach § 87 Abs. 1 nachvertraglich fällige Provisionen zustehen, weil der HV das Geschäft vor Vertragsschluss vermittelt, eingeleitet oder so vorbereitet hat, dass der Abschluss überwiegend auf seine Tätigkeit zurückzuführen (Überhangprovision) 536, und das Geschäft innerhalb einer angemessenen Frist nach Beendigung des Vertrages abgeschlossen wird, entgehen dem HV keine Provisionen; ebenso wenig wenn die TB-Voraussetzungen des § 87 Abs. 3 Nr. 2 eingreifen. Der HV hat sie auf Grund erbrachter Tätigkeit zu beanspruchen; über sie ist abzurechnen, wann immer sie nach Vertrags533 534

Emde BB 2005, 389 (398). Küstner EWiR 2004, 387.

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VIII ZR 335/04. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 96.

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beendigung (noch) anfallen; hier ist nicht eine bloße Chance verloren gegangen. Weiter gilt dies für die Sukzessivlieferungsverträge und Schadensersatzansprüche wegen Provisionsschmälerung, die der HV aus Vertragsverstößen des Unternehmers geltend macht. Sie treten voll an die Stelle der durch Abschlüsse während der restlichen Vertragszeit verdienbar gewesenen Provisionen; der HV kann sie sich nicht zweimal, als Schadensersatz und über den Ausgleich, abgelten lassen (wohl aber erweitert sich ggf. ein Schadensersatzanspruch als solcher, wenn und soweit unterstellt werden kann, die illoyal während der Vertragszeit geschmälerten Provisionen hätten, nicht geschmälert, auch noch nach Vertragsende die Chance fortgesetzten Anfalls eröffnet). Verluste aus bereits abgeschlossenen Geschäften kann der HV bei gesetzestypischen 144 Verträgen nicht erleiden. Denn er erlangt gemäß § 87 Abs. 1 für alle während des Vertragsverhältnisses abgeschlossenen Geschäfte einen Provisionsanspruch. Das TB-Merkmal hat damit nur Bedeutung, sofern vom Gesetz abweichende Regelungen im HV-Vertrag getroffen wurden 537, was mittels AGB problematisch ist 538. Der vom Gesetz mit den bei Vertragsbeendigung „bereits abgeschlossenen Geschäften“ erfasste Fall ist deshalb in erster Linie derjenige, in welchem der HV auf die Provisionen, soweit sie nach Maßgabe des § 87a bei Vertragsende wegen der erst ausstehenden Abwicklung des Geschäfts noch nicht endgültig entstanden sind, oder auf an sich nach § 87 Abs. 3 zustehende Überhangprovisionen vertraglich im Voraus Verzicht geleistet hat. Solche Provisionsverzichtsklauseln sind im Versicherungswesen nicht selten (Rn 383 ff). Sie sind aber auch bei Warenvertretern denkbar. Der Provisionsverlust, der hier ausnahmsweise nicht im Verlust einer künftigen Provisionschance besteht, soll ebenso wie dieser ausgleichsfähig sein. Küstner 539 vertritt, dem HV stehe aus bereits abgeschlossenen Geschäften auch dann ein Ausgleich zu, falls es sich um Einmalgeschäfte mit längerem Ausführungszeitraum handele, bei denen sich das Auftragsvolumen zum Vorteil des vertretenen Unternehmers erweitere. Diese Auffassung dürfte nur haltbar sein, wenn es sich bei der Erweiterung nach dem Maßstab des § 89b Abs. 1 Nr. 1 um eine „Geschäftsverbindung“ handelt, der Kunde also zu einem Mehrfachkunden wird. Denn zu den Verlusten aus bereits abgeschlossenen oder künftig zustande kommenden Geschäfte müssen kumulativ die Voraussetzungen des § 89b Abs. 1 Nr. 1 treten. Es muss also eine Geschäftsverbindung entstehen. Schwer begründbar wäre es, bei bereits abgeschlossenen oder künftig zustande kommenden Geschäften an das Merkmal der Geschäftsverbindung unterschiedliche Maßstäbe anzulegen, weil das TB-Merkmal in beiden Alternativen vorausgesetzt wird. b) Künftig zustande kommende Geschäfte. Regelfall des Provisionsverlustes sind ent- 145 gehende Chancen künftiger Abschlüsse. Künftig zustande kommende Geschäfte sind solche, welche der Unternehmer nach Beendigung des HV-Vertrages mit vom HV geworbenen Kunden schließt und für welche dem HV gemäß §§ 87 ff oder den Provisionsbestimmungen des Vertrages Provision gebührt. c) Dispositionsfreiheit des Unternehmers. Provisionsverlusten entsprechen diejenigen 146 Fälle, in denen Provisionen des HV durch illoyale Handlungsweise des Unternehmers – willkürliches Durchkreuzen der Geschäftsbeziehung mit einem Neukunden – schon in

537 538

Küstner/Thume II, Rn 681; Hopt § 89b Rn 24. Siehe etwa BGH, Urt. v. 10.12.1997 – VIII ZR 107/97, NJW-RR 1998, 629.

539

Küstner/Thume II, Rn 688.

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der Vergangenheit geschmälert gewesen waren. Dafür war der Unternehmer schadensersatzpflichtig geworden. Er hatte den HV so zu stellen, als sei die Provision verdient worden; ein verdienbar gewesener Ausgleich aus illoyal geschmälerten Provisionen ist Bestandteil seiner Schadensersatz- und Ausgleichspflicht. Damit gelten auch bei den Provisionsverlusten die oben, Rn 97, dargelegten Grundsätze zu Dispositionsfehlern. Vgl. auch § 86a Rn 42 ff, 128.

147

d) Fallgruppen. Diskutiert wird das Eintreten von Provisionsverlusten insbesondere in folgenden Fallgruppen:

148

aa) Alter und Krankheit. Alter und (vermutliche) Krankheit des HV während des Prognosezeitraums führen nicht zu einem Entfallen der Provisionsverluste, selbst wenn der HV nach Vertragsende aufgrund mangelnder Gesundheit nicht mehr im Stande gewesen wäre, den ihm zugewiesenen Bezirk zu betreuen 540.

149

bb) Nutzung des Kundenstammes durch den HV nach Vertragsende. Dem Erfordernis der Kausalität der Vertragsbeendigung für die Provisionsverluste ist genügt, wenn der HV infolge der Beendigung des Vertragsverhältnisses Provisionen verliert, die er in eben dieser seiner Eigenschaft verdient haben würde. Macht sich der HV den Kundenstamm dadurch zunutze, dass er ihn nunmehr als Großhändler selbst beliefert, so vermag das die Unterstellung des Provisionsverlustes als Folge der Beendigung des Vertragsverhältnisses nicht zu entkräften: zu der Großhändlertätigkeit – mit der Belastung durch Anlaufrisiken und Anlaufkosten! – wäre es ja nicht gekommen, wenn das Vertragsverhältnis hätte fortbestehen können. Immerhin sollte einer solchen Nutzung des Kundenstammes in anderer Form durch das Billigkeitsmoment (Abs. 1 S. 1 Nr. 3) Rechnung getragen werden können, entgegen gelegentlichen Ansätzen in der Rechtsprechung 541. Dabei ist vorausgesetzt, dass der Kundenstamm wenigstens im Marktanteil des Unternehmers verblieben ist, d.h. der ehemalige HV als nunmehriger Großhändler von seinem früheren Unternehmer bezieht. Ist auch das nicht der Fall (auch der Unternehmer ist nur Großhändler, und der ehemalige HV jetzt sein Konkurrent), dann besteht ein Ausgleichsanspruch allerdings schon deshalb nicht, weil der „Vorteil“ des Kundenstammes für den Unternehmer entfallen ist. Gleiches gilt bei nachvertraglicher Tätigkeit des HV für einen anderen Unternehmer (Wettbewerbstätigkeit). Die dem HV von einem Wettbewerber des Erstunternehmers nach Vertragsende vergütete Tätigkeit und Nutzung des bisherigen Kundenstammes lässt Verluste des HV nicht entfallen. Denn die „Als-obBetrachtung“ bezieht sich auf den beendeten Vertrag und Verluste aus dem Erstvertrag werden durch Gewinne aus einem Zweitvertrag nicht aufgehoben 542. Sofern die Umwerbung des HV allerdings so erfolgreich war, dass die Geschäftsverbindungen des Unternehmers zu den Kunden abreißen, fehlt es an Unternehmervorteilen (Rn 100). In der Regel wird nachvertraglicher Wettbewerb des HV nur im Rahmen der Billigkeit berücksichtigt und dort üblicherweise mit einem Billigkeitsabschlag von rund 25 %. Das gleiche Kausalitätsproblem war das der Entscheidung BGHZ 52, 5. Dort war ein Untervertreter, dem der Hauptvertreter nach seinem (des Hauptvertreter) eigenen Ausscheiden aus dem Hauptvertreterverhältnis den Untervertretervertrag gekündigt hatte und daraufhin ausgleichspflichtig geworden war, in der Folgezeit in ein unmittelbares Vertragsverhältnis

540

OLG Celle v. 25.01.1968, NJW 1968, 1141 = BB 1969, 558; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 99.

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541 542

OLG Köln VersR 1968, 966 (968). AA wohl BGHZ 52, 5 (12).

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zum Hauptunternehmer getreten und hatte denselben Kundenkreis aus seiner früheren Untervertretung weiter betreut. Der BGH verneinte einen Verlust an Provisionen aus dem ehemaligen Untervertreterverhältnis. Hiergegen mit Recht Schröder 16, der zwar zum gleichen Ergebnis, aber auf dem Wege der Billigkeit gelangt. Wird der HV nach Beendigung seiner Tätigkeit für den Unternehmer als angestellter Reisender tätig, steht ihm bei Vorliegen der übrigen Anspruchsvoraussetzungen nach Beendigung des HV-Vertrages ein Ausgleichsanspruch zu. Provisionsverluste scheiden nicht aus, weil er als Reisender den Kundenstamm nutzen kann 543. Angesichts der fehlenden Ausgleichsberechtigung als angestellter Reisender ist dies offfensichtlich. Der Reisende nutzt den Kundenstamm nämlich nicht selbst sondern für den Unternehmer als dessen Angestellter. Der HV-Vertrag ist beendet, der HV erhält keine Provision mehr. Aus der Beendigung seines HV-Vertrages erleidet der ehemalige HV daher Provisionsverluste, weil er seinen Kundenstamm nicht mehr für seine HV-Tätigkeit nutzen kann und diesen vielmehr seinem ehemaligen Unternehmer und nunmehrigen Arbeitgeber endgültig zur weiteren Nutzung überlassen hat. Genauso wenig wie Kunden als neu geworben gelten, sofern sie nicht in Ausführung des HV-Vertrages sondern eines Vertrages als angestellter Reisender geworben wurden, kann eine nachvertragliche Tätigkeit als Reisender anspruchsausschließend wirken. Dies gilt im Grundsatz auch für eine nachvertragliche Tätigkeit als HV-ähnlicher Vertriebsmittler. Ist der HV-Vertrag beendet, schließt sich die Ausgleichspflicht als gesetzliche Folge an. Es ist also nicht lediglich ein „Differenzausgleich“ in Höhe der Spanne zwischen alter und neuer Vergütung fällig. Falls die neue Tätigkeit bei Vertragsende noch nicht in ihrem Kern angelegt war und daher nicht in die Prognose einbezogen werden darf, ergibt sich dies bereits aus der fehlenden Vorhersehbarkeit zum Prognosezeitpunkt, dem Vertragsende (Rn 95). Allenfalls ist an eine Kürzung unter Billigkeitsgesichtspunkten zu denken. Sähe man dies anders bliebe die Aufbauarbeit am Kundenstamm ohne Gegenleistung. cc) Rotationsvertrieb. Im Rotationsvertrieb wird der HV während der Vertragsdauer 150 in wechselnden Bezirken tätig. Der HV wirbt dabei Geschäftsverbindungen, wenn er für ihr Entstehen mitursächlich wird, weil er oder der später in den Bezirk wechselnde HV einen Folgekauf vermittelt. Hinsichtlich der Tätigkeit des HV in seinem vorletzten Bezirk fehlen jedoch Provisionsverluste des HV nach Vertragsende, weil der HV wegen des Wechsels in einen neuen Bezirk nicht mit Folgegeschäften aus dem Altbezirk rechnen kann. Das gleiche gilt auch für den dem HV zuletzt zugewiesenen Bezirk, falls das Vertragsende mit einem bevorstehenden Wechsel zusammen fällt. Der BGH hat in zwei Urteilen vom 25.10.1984 544 sowie vom 28.04.1999 545 angenommen, der Rotationsvertrieb könne einen Verstoß gegen den Unabdingbarkeitsgrundsatz des § 89b Abs. 4 S. 1 darstellen. Deshalb müsse fingiert werden, der HV dürfe das von ihm im letzten Jahr seiner Tätigkeit beworbene Gebiet weiter betreuen, mit der Folge der Ausgleichspflichtigkeit der dort geworbenen Neukunden. Das Urteil des BGH aus 1999 bespricht Thume 546 kritisch. Wenn der Ausgleich auf der Basis der Stammkunden des dem „rotierenden“ Mittler zuletzt zugewiesenen Bezirks zu berechnen sei, schneide der BGH dem HV die Berufung auf die Neukundenwerbung aus den früher von ihm betreuten Gebieten ab. Darin liege ein Verstoß gegen die zwingende Natur des Ausgleichs (§ 89b Abs. 4 S. 1).

543 544 545

AA wohl BGHZ 52, 5 (12). NJW 1985, 859. BGH v. 28.04.1999, BGHZ 141, 248 = BB 1999, 1399 = EWiR 1999, 653 (Emde).

546

BB 1999, 2309 (2313).

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Deshalb müsse die Kundenwerbung aus den früheren Jahren berücksichtigt werden. Wenn sich der Umsatz mit Neukunden des im letzten Vertragsjahrs bearbeiteten Bezirks gegen Null entwickelt, tendiert nach dem Judiz des BGH auch der Ausgleich gegen Null, unabhängig davon, wie viele Neukunden der HV dem Unternehmer zuvor zuführte 547. Der BGH schließt auch Ausgleichsansprüche aufgrund wesentlicher Umsatzerweiterungen nach § 89b Abs. 1 Nr. 2 praktisch aus, weil beim Rotationsvertrieb nur jährliche Steigerungen berücksichtigt werden sollen und der BGH die Ausgleichsfähigkeit erweiterter Altkunden nur annimmt, sofern die Erweiterung mindestens 100 % beträgt 548. Die Berechnungsweise des BGH gibt dem HV damit nur einen Ausgleich für die im letzten Jahr geworbenen Neukunden im letzten Bezirk, was bei langjährigem Vertragsverhältnis eine wesentliche Verkürzung des Ausgleichs darstellen kann. Möglicherweise ist es daher richtiger, sämtliche vom HV in allen Bezirken geworbene Kunden als ausgleichspflichtige Neukunden anzusehen 549. Dass dann wegen der bei wechselnden Bezirken hohen Neukundenquote ein ungerechtfertigt hoher Ausgleich zu zahlen ist, kann kaum eingewandt werden. Zum einen würde dies auf dem vom Unternehmer gewählten System beruhen und wäre Gegenleistung für die beschwerliche Werbung in ständig wechselnden, unbekannten Bezirken. Zum anderen sind Kollegen des HV zuvor oder danach in diesem Bezirk tätig gewesen, und sie konnten die geworbenen Kunden für den Unternehmer ausnutzen. Ein ungewöhnlich hoher Ausgleich dürfte sich auch deshalb kaum realisieren, weil die Neukundenaquise in wechselnden Bezirken nicht einfach ist: Wurde derselbe Bezirk zuvor von einem anderen HV erfolgreich betreut, so dürften weniger Neukunden zu werben sein. Vor allem aber wird der Ausgleich durch die Höchstgrenze beschnitten und kann daher keine unangemessene Höhe einnehmen. Problematisch ist allerdings, dass dem HV infolge des Vertragsendes aufgrund des Wechsels keine Verluste aus den verlassenen Bezirken entstehen. Diese Verluste sind jedoch bereits durch den Bezirkswechsel entstanden und bei Vertragsende endgültig auszugleichen (§ 89b analog). Selbst nach dem BGH ist bei der gebotenen Fortsetzungsprognose („Als-ob-Betrachtung“) eine Fortführung der Tätigkeit des HV im zuletzt bearbeiteten Gebiet zu unterstellen 550.

151

dd) Serienbelieferungsvertrag oder Bezugsvertrag. In Rahmenverträgen, bei denen Vertragsparteien aus dem Rahmenvertrag selbst nicht auf die Erbringung künftiger Leistungen klagen können, entsteht die Provisionspflicht nach § 87 Abs. 1 erst bei Abschluss des in ihrer Ausfüllung gezeichneten Einzelgeschäftes 551. Mit Vertragsende entgehen dem HV daher Ansprüche auf künftige Provisionen aus den noch nicht gezeichneten Einzelverträgen.

152

ee) Sukzessivlieferungsvertrag. Hier sind die nach Vertragsende ausgeführten Teillieferungen als Überhangprovisionen provisionspflichtig, weil sie im Rahmen eines einheitlichen provisionspflichtigen Geschäfts erfolgten. Der HV erleidet insoweit keine Provisionsverluste 552. 547 548 549 550 551

Schaefer NJW 2000, 320. Schaefer NJW 2000, 320. Emde EWiR 1999, 653 (654). Emde VersR 1999, 1464 (1473). OLG Koblenz, Urt. v. 26.04.2007 – 6 U 529/06, BeckRS 2007, 17218. Der BGH hat in seinem Urt. v. 18.11.1957 (BB 1957, 1250 = NJW 1958, 180) allerdings eine Vergütungspflicht nach § 354 erwogen.

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552

Das OLG Celle (Urt. v. 13.11.1969, BB 1970, 227) hat in der Vermittlung eines langfristigen Sukzessivlieferungsvertrages durch den HV kurz vor Vertragsende, der Überhangprovisionen auslöst, eine Vertragsverletzung des HV gesehen. Dem entgegnet Küstner zutreffend, der Unternehmer habe diesen Vertrag nicht schließen müssen sondern hätte ihn auf einen kürzeren Zeitraum

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ff) Tod des HV. Die „Als-ob-Betrachtung“ hinsichtlich der Provisionsverluste wird 153 auch vorgenommen, wenn der HV gestorben ist. Dies ist seit dem Urteil des BGH vom 13.05.1957 553 anerkannt. Streng logisch sind die diesem Ergebnis entgegenstehenden, von Schuler 554 und anderen vorgebrachten Zweifel angesichts des Gesetzeswortlauts allerdings nicht auszuräumen. Die entgehenden Provisionschancen würden sich damit auf die Provision einschränken, die durch schlichte Nachbestellungen ohne eigene neue Kontaktaufnahme mit dem Kunden angefallen wäre. Für den Fall des Todes des HV hat der BGH 555 das Dilemma dadurch aufzulösen versucht, indem er erwägt, das Gesetz habe mit seiner hypothetischen Formel nicht nur die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses, sondern zugleich auch die Fortsetzung der Vermittlertätigkeit des HV im Rahmen eines solchen fortgesetzten HV-Verhältnisses unterstellen wollen. Aus dem Wortlaut rechtfertigt sich das zwar nicht zwingend. Trotzdem – und obwohl BGHZ 30 98 diese zweigestufte Unterstellung wieder in Zweifel zieht – ist damit eine praktisch befriedigende Lösung beschritten worden. Das Ausgleichsrecht wäre sonst gerade für einen seiner wichtigsten und unter sozialem Gesichtspunkt dringlichen Anwendungsfälle seiner Effizienz beraubt. Für den Fall der Berufsunfähigkeit hat denn auch das OLG Celle 556 die gleiche Folgerung wie schon der BGH für den Fall des Todes des HV gezogen. Vom Gesichtspunkt der Ursächlichkeit aus ist kein Unterschied zu machen zwischen dem Eintritt des Todes (der Berufsunfähigkeit) während einer nach Kündigungsausspruch auslaufenden Vertragszeit oder in der Zeit nach Beendigung derselben. Eine „Unterbrechung des Kausalzusammenhanges“ gibt es hier also nicht. Dergleichen wäre nicht einmal im Billigkeitswege nach Abs. 1 S. 1 Nr. 3 beachtlich 557. Was, wenn es während der Vertragszeit eingetreten wäre, den Ausgleichsanspruch begründet haben würde, kann ihn nicht deshalb entfallen lassen, weil es sich nach Ende der Vertragszeit verwirklicht – nachdem der Ausgleichsanspruch entstanden ist und den HV in Ansehung seiner Provisionschancen so stellen soll, als habe der Vertrag fortbestanden. Den Ausgleich beispielsweise dem Fiskus als gesetzlichem Erben zukommen zu lassen, erschien noch der 4. Aufl.558 zu Unrecht befremdlich; ebenso einem jeden „Zufallserben“ aus der entfernteren Verwandtschaft oder einem beliebigen Vermächtnisnehmer, dem der HV den Ausgleich vermächtnisweise hätte zuwenden wollen. Zumindest ist jedem Erben der Ausgleichsanspruch wenigstens insoweit zu geben, als er ihn zur Befriedigung der Nachlassgläubiger benötigt 559. gg) Vernachlässigung des Kundenstammes. Eine mangelnde oder ausbleibende Betreuung des Kundenstammes durch den Unternehmer spielt im Rahmen der Verlustprognose keine Rolle, selbst wenn sie zum Zeitpunkt der Vertragsbeendigung bereits angelegt

553 554 555

556 557

begrenzen können. Die Werbung eines Geschäftes ist zudem keine Vertragsverletzung sondern Vertragspflicht. II ZR 19/57, BGHZ 24, 223, NJW 1957, 1028. JR 1958, 94. BGHZ 24. 214 (223) – Witwe; s.a: OLG Hamm NJW 1956, 350 – Kinder, Lebensgefährtin. NJW 1968, 1141. AA Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 18d für den Fall, dass der HV nach Vertragsbeendigung stirbt.

558 559

Rn 72. Für die Heranziehung zur Nachlaßkonkursmasse Schröder KTS 1960, 149. Die Ausgleichsberechtigung gehört zu den Grundlagen des Kredits des HV als Kaufmann; der Ausgleichsanspruch kann als künftiger abgetreten und verpfändet, auch gepfändet werden. Daran, dass diese Kreditgrundlage ihnen nicht durch den Tod des HV entzogen werde, haben die Gläubiger des HV ein legitimes Interesse.

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war 560. Umstände, welche vom Unternehmer selbst herbeigeführt wurden, mindern den Ausgleich des HV ohnehin nicht (§§ 162 Abs. 2, 242 BGB), vor allem wenn sie schuldhaft herbeigeführt wurden (§ 280 BGB). Mangelnder Service des Nachfolgers soll dennoch in die Verlustprognose einfließen 561, was jedoch gleich doppelt inkonsequent ist: Zum einen fällt dieser dem Risikobereich des Unternehmers zu, zum anderen war er bei Vertragsende meist nicht angelegt. Vielmehr steht zu diesem Zeitpunkt zu vermuten, der Unternehmer werde den Bezirk ordnungsgemäß betreuen bzw. betreuen lassen, wie es ein sorgfältig handelnder Unternehmer zu tun pflegt.

VII. § 89b Abs. 1 Nr. 3: Billigkeitsgründe (Tatbestandsmerkmal 5) 154

Gemäß § 89b Abs. 1 Nr. 3 muss die Zahlung eines Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände der Billigkeit entsprechen. Dies ist bei der Auslegung aller TB-Merkmale des § 89b zu beachten 562.

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1. Einführung. Dass der Ausgleich, wenn die Voraussetzungen des Vorteils des Unternehmers und des Provisionsverlustes des HV gegeben sind, „unter Berücksichtigung aller Umstände der Billigkeit“ entsprechen muss, ist zunächst und zuvorderst ein Element des Anspruchsgrundes. Durch die Verzahnung mit dem zusätzlichen „soweit“ in dem Bedingungssatz, der sich auf alle drei folgenden Anspruchsvoraussetzungen des Abs. 1 S. 1 bezieht, wird die Billigkeit auch zur Messlatte für die Höhe des Anspruchs. Der Billigkeitsgrundsatz dient dazu, allen Umständen Rechnung zu tragen, die bei der abstrakten Berechnung der Höhe des dem Unternehmer verbleibenden Vorteils und der dem HV entstandenen Verluste, mithin des Rohausgleiches, nicht verwertet werden konnten 563. Die Zahlung eines unangemessen hohen Ausgleichs soll verhindert werden. Obwohl als positives TB-Merkmal formuliert handelt es sich bei der Billigkeit um einen negativen Ausschlusstatbestand, mit welchem die Zahlung in Fällen gehindert werden soll, in denen sie mit Treu und Glauben unvereinbar ist. § 89b Abs. 1 Nr. 3 enthält damit einen Grundsatz, der § 242 BGB wiederholt 564 und bestärkt. Seine Aufnahme in § 89b führt dazu, dass er gem. § 89b Abs. 4 zwingend ist, was allerdings ebenfalls ohne wirkliche Bedeutung ist, da auch von § 242 BGB regelmäßig nicht abgewichen werden darf. Das Merkmal dient dazu, ein bei Vertragsende noch bestehendes Ungleichgewicht auszugleichen. Der Billigkeitsgrundsatz bildet damit ein Auffangkriterium, das sich als notwendig erwies, weil der Gesetzgeber ahnte, mit welcher Fülle nicht voraussehbarer Unwägbarkeiten seine Neuschöpfung belastet sein werde. Damit ist zugleich der Ausgangspunkt für eine rechtssystematische Standortbestimmung der Billigkeitskomponente gegeben. Sie steht zunächst in einer Reihe mit den beiden anderen, tatbestandlich ausgeformten Anspruchsvoraussetzungen. Deshalb ist sie fähig, aus sich heraus den Ausgleich zu sperren. So liegt es, wenn der Beurteiler zu der Überzeugung gelangt, ein Ausgleichsanspruch sei wegen fehlender Billigkeit in keinem Falle gegeben, wie hoch auch immer er sich errechnen möge. Derartige Konstellationen sind denkbar 565. Lässt sich das im konkreten 560

561 562 563

LG Bielefeld, Urt. v. 17.02.1971, BB 1972, 195; Küstner/Thume II, Rn 734; Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 36. BGH v. 15.11.1984, BB 1985, 352 = NJW 1995, 860; zweifelhaft. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 102. BGH, Urt. v. 28.10.1957, BGH BB 1957,

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1161 – insoweit in NJW 1958, 23 nicht abgedruckt. OLG München, Urt. v. 09.07.1964, BB 1965, 345; best. durch BGH v. 23.05.1966, BB 1966, 794. Siehe den Fall BGH NJW 1958, 1966.

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Falle nicht sicher sagen, so ändert sich der Stellenwert des Billigkeitserfordernisses. Es ist dann den beiden anderen tatbestandlichen Erfordernissen nicht mehr gleichgeordnet. Vielmehr ist die Billigkeit („in der Regel“ 566) in Beziehung zu setzen zu dem, was nach Errechnung des Ausgleichs auf der Grundlage des Unternehmervorteils und der HV-Verluste sich als der an sich zu zahlende Wertausgleich darstellen würde, und es ist zu fragen, ob gerade dieser Ausgleich (noch) „billig“ ist, ggf. mit welcher Quote oder mit welchen rechnerischen Abstrichen er (nur) zuerkannt werden darf. Den Fall der globalen Versagung des Ausgleichs aus Billigkeitsgründen ausgeklammert, müssen deshalb zunächst die Voraussetzungen „Vorteil des Unternehmers“ und „Verluste des HV“ erfüllt sein, ehe eine Prüfung am Maßstab der Billigkeit zum Zuge kommen kann. Die Billigkeit kann vor allem nicht einen fehlenden Vorteil des Unternehmers oder einen nicht feststellbaren Provisionsverlust des HV substituieren oder das Fehlen anderer TB-Merkmale ersetzen 567, ebenso wenig wie § 242 BGB. Die Zuerkennung eines Ausgleichs allein aus dem Gesichtspunkt der Billigkeit ist unzulässig 568 (Rn 158). § 242 BGB gibt keinen selbständigen Anspruch auf den Ausgleich. Ebenso wenig ist eine auf Billigkeitserwägungen begründete Überschreitung der Höchstgrenze der ermittelten Unternehmervorteile/ HV-Nachteile oder der Höchstgrenze des Abs. 4 569 gestattet. Nicht geeignet ist das Billigkeitskriterium auch dazu, einen nur gering sich errechnenden Ausgleich aufzustocken 570, etwa mit der Begründung, der HV habe doch seine Gesundheit im Dienste seines Unternehmers bei allem (vielleicht aus Gründen der Konjunktur) nur gering gebliebenen Erfolg der Neukundenwerbung aufgeopfert. Der Grundsatz gibt daher keine von anderen TB-Merkmalen freie Anspruchsberechtigung mit Alleinstellung. Die Billigkeit muss zusätzlich zu den übrigen TB-Merkmalen des § 89b vorliegen, da es sich um eine von drei materiellen Anspruchsvoraussetzungen handelt. Ob der Billigkeitsgrundsatz zu einer Erhöhung des Ausgleichs führen kann 571, erscheint fraglich, weil der Billigkeitsgesichtspunkt nur eines von mehreren TB-Merkmalen ist. Die Billigkeit muss zu den beiden anderen TB-Voraussetzungen des Abs. 1 als selbständige, dritte, in der Abschlussphase der Beurteilung hinzutreten. Sie bleibt ihnen „nachgeschaltet“. Ihr Fehlen wiederum sperrt den Ausgleich nur insoweit, als die beiden anderen Voraussetzungen real gegeben, nicht bloß unterstellbar wären; insofern bleibt ihre Sperrwirkung – Billigkeit ist stets eine konkrete – subsidiär. Dass die Billigkeit und ihre Erörterung, sofern ihr Fehlen nicht ausnahmsweise von vornherein zur Verneinung des Ausgleichsanspruchs führt, erst zum Zuge kommen kann, wenn die beiden anderen, objektivierten Voraussetzungen des Ausgleichs gegeben sind, wird auch durch die Formulierung des Gesetzes belegt. Danach muss (nicht „der Ausgleich“, sondern) „die Zahlung des Ausgleichs“ der Billigkeit entsprechen. Die fehlende Billigkeit soll die Zahlung hintanhalten. Sie ist Korrektiv gegenüber einer Gelagertheit des konkreten Falles, die ohne Berücksichtigungsfähigkeit von Bedenken aus fehlender Billigkeit – und vorbehaltlich der Ausschlussgründe des Abs. 3 und einer etwaigen Verwirkung nach Abs. 4 S. 2 – den Ausgleich als zahlbar, „liquide“ erscheinen ließe. Nicht auf der Billigkeit, sondern auf dem Fehlen der Billigkeit liegt, so gesehen, der Akzent des Gesetzes. Damit ist nicht gesagt, dass der Billigkeitsgesichtspunkt stets nur zu einer Herabsetzung 156 des Ausgleichs führen könne. Die Billigkeit hat „alle Umstände zu berücksichtigen“ oder 566 567 568

BGH NJW 1965, 1134. BGH v. 27.10.1993, BB 1994, 99 = ZIP 1994, 31; Küstner/Thume II, Rn 1048. BGH, Urt. v. 11.12.1996, NJW 1997, 655; Küstner/Thume II, Rn 1058; Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 102.

569 570 571

Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 103. OLG Bremen BB 1957, 430. So Küstner/Thume II, Rn 1060.

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„das gesamte Vertragsverhältnis nach Wesen und Inhalt einschließlich aller Gründe der Beendigung des Vertragsverhältnisses“ 572. Daraus folgt: Die Gesamtwürdigung aller für die Billigkeitswertung erheblichen Umstände kann auch solche Momente einbeziehen, die dem Ausgleich förderlich sind und die mindestens die ausgleichsabträglichen Momente aufzuwiegen vermögen. Es kann also durchaus sein, dass das Billigkeitsurteil durch eine „Saldierung“ andere, negative Billigkeitsmomente aufwiegt 573. Mithin kann das Vorliegen eines für den HV sprechenden Billigkeitsmerkmals andere Abzugsposten nivellieren 574. Dann entscheidet eine Gesamtabwägung 575. Davon kann etwa bei Zahlung des Ausgleichsanspruchs durch den ausgeschiedenen HV 576 ausgegangen werden. Fehlt es an billigkeitsreduzierenden Umständen kann die Billigkeit den Ausgleich hingegen nicht erhöhen. Die TB-Voraussetzung „Billigkeit“ gilt bei allen Vertriebsverträgen, HV-Verträgen, 157 auch innerhalb von Versicherungsvertreterverträgen 577, sowie innerhalb aller Verträge HV-ähnlicher Vertriebsmittler, etwa bei Vertragshändler- und Franchiseverträgen.

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2. Billigkeitserwägungen allein begründen keinen Ausgleichsanspruch. Allein Billigkeitserwägungen – unter Außerachtlassung der Unternehmervorteile und der Provisionsverluste des HV – begründen den Ausgleichsanspruch nicht. Das in der Praxis früher zu beobachtende Verfahren, ohne nähere Untersuchung von dem Höchstsatz des Abs. 2 auszugehen und hiervon einen „Billigkeitsabschlag“ vorzunehmen 578 widerspricht dem Gesetz. Richtig der BGH 579 und die oberlandesgerichtliche Rechtsprechung 580. Der gesetzliche Höchstsatz steht stets am Ende, nie am Anfang der Überlegungen, die auf einen Ausgleich hinführen. Wenn der BGH gelegentlich 581 Formulierungen verwendet hat, die der oben bekämpften Fehldeutung des Gesetzes Vorschub geleistet haben könnten, so steht das seiner sonstigen klaren Linie deshalb nicht entgegen, weil an der zitierten Stelle der TB nicht mitgeteilt worden ist. Der damals entschiedene Fall könnte so gelegen haben, dass der nach Abs. 2 Nr. 1 u. 2 ermittelte Ausgleich über dem Höchstsatz des Abs. 2 lag und nunmehr die Billigkeitserwägungen einzusetzen hatten, die bei der konkreten Lage des Falles teils zugunsten, teils zu Lasten des HV in die Waagschale fielen, dergestalt, dass die letzteren den Ausgleich unter den Höchstsatz herabdrücken konnten. Alsdann war in der Tat die Frage, ob die dem HV günstigen Billigkeitsmomente es nicht gleichwohl gestatteten, den Höchstsatz auszuschöpfen 582.

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3. Konkurrenz zum TB-Merkmal „Angemessenheit“. Nach Sinn und Zweck handelt es sich bei § 89b Abs. 1 Nr. 3 scheinbar um eine Wiederholung des § 89b Abs. 1 erster Hs., demzufolge ein „angemessener“ Ausgleich zu zahlen ist 583. Dem Merkmal der Angemessenheit kommt daneben – jedenfalls für die Praxis – nur ein geringer Anwen572 573 574 575 576

577 578

Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 17a. Vgl. OLG Bremen BB 1966, 877; Schultze/ Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rn 782. BGH VersR 1961, 52 (53); Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 102. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 102. LG Bielefeld, Urt. v. 17.02.1971, BB 1972, 195; OLG Hamm v. 18.12.1978 – 18 U 68/78. Küstner/Thume II, Rn 1051; aA Sieg VersR 1964, 789. Beklagt von Höft in der Anm. zu BGH VersR 1971, 265 (270).

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Ständig: BGHZ 29, 83 (94); in scharfer Akzentuierung BGHZ 55, 45 (54/55); BGH DB 1981, 1772. Etwa: OLG Celle BB 1970, 227 (228); OLG Hamburg DB 1980, 972 (973). So in der Entscheidung VersR 1961, 52 (53). Was der BGH aaO zur Erörterung gestellt wissen wollte. Küstner/Thume II, Rn 12 weisen darauf hin, dass das Merkmal der Angemessenheit in Literatur und Rechtsprechung kaum in Erscheinung tritt.

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dungsbereich zu 584. Es sollte in den meisten Fällen eher überlesen werden. In Schrifttum und Rechtsprechung bereitet dieser Punkt, soweit er überhaupt angesprochen wird, Probleme. Das Gesetz verwendet zwei sich scheinbar deckende Kriterien: Angemessenheit (des Ausgleichs) und Billigkeit (der Ausgleichszahlung), erstere in den Eingangsworten des § 89b und sich damit auf alle weiteren Einzelelemente der Anspruchsvoraussetzungen beziehend, letztere als die Nr. 3 der in Abs. 1 S. 1 durch Nummerierung hervorgehobenen Anspruchsvoraussetzungen. Ihr Verhältnis zueinander ist schon bei der Schaffung der Vorschrift unscharf geblieben, der Grund der Doppelung in der Unsicherheit des Gesetzgebers über die Billigkeit der eigenen Schöpfung zu vermuten. Die Abgrenzung ist für die Praxis weitgehend bedeutungslos 585. Wollte man abgrenzen, könnte an folgende Deutung gedacht werden: Die Billigkeit ist in erster Linie ein Element des Anspruchsgrundes. Daneben und mittelbar steuert sie auch die Anspruchshöhe, etwa durch die volle Anrechnung von im Billigkeitswege anrechenbaren Vorteilen, oder sonst durch Bestimmung eines quotierten Billigkeitsabschlags. Darüber, ob die Zahlung eines Ausgleichs überhaupt der Billigkeit entspricht, kann deshalb ggf. im Verfahren über den Grund des Anspruchs entschieden werden 586, beispielsweise für die Frage, ob ein nicht zu den nächsten Angehörigen zählender Erbe des verstorbenen HV anspruchsberechtigt ist, ob eine vom Unternehmer gewährte Altersversorgung dem Ausgleich entgegensteht und dergleichen. Die Angemessenheit hat es im Schwerpunkt mit der Höhe des Ausgleichs zu tun. Billigkeit dient der Gerechtigkeit des Einzelfalles; Angemessenheit ist stärker an allgemeingültigen Maßstäben orientiert und blickt auf den Vollzug des Ausgleichs. Zutreffend dürfte es daher sein, das Merkmal der „Angemessenheit“ den TB-Merkmalen der Ziffern 1–3 des § 89b Abs. 1 nachzuordnen. Zunächst müssen die TB-Merkmale dieser Ziffern erfüllt sein. Dann ist zu prüfen, ob die Höhe des Ausgleichs noch anmessen ist. Die Angemessenheit wird – ebenso wie die Billigkeit – durch die Erfüllung der TBMerkmale der Ziffern 1–3 des § 89b Abs. 1 indiziert. Für dieses Verständnis spricht der § 89b Abs. 1, demzufolge der Ausgleich angemessen sein muss, wenn und soweit die TBVoraussetzungen der Ziffern 1–3 des § 89b Abs. 1 erfüllt sind. Die Angemessenheit bringt zum Ausdruck, dass eine ausschließlich mathematische Bestimmung des Ausgleichs weder zu leisten noch zu fordern ist. Selbst wenn es das Korrektiv der Billigkeit nicht gäbe, bliebe dergleichen auf schwankendem Grund durch die Unsicherheit der Prognose, die für die künftigen „Vorteile des Unternehmers“ (Abs. 1 S. 1 Nr. 1) und die künftigen, zudem nur gedachten Provisionsverluste des HV (Abs. 1 S. 1 Nr. 2) angestellt werden muss. Damit aber enthält die Betonung der Angemessenheit zugleich die materiell-rechtliche Ermächtigung und Begrenzung für das in dieser Beziehung obwaltende prozessuale Schätzungsermessen des Richters nach § 287 Abs. 2 ZPO. Sie ermächtigt zur Beschränkung der Prognose auf ein Schätzungsverfahren, auch wo die Prognose den Anspruchsgrund betrifft (was die Anwendbarkeit des § 287 Abs. 2 ZPO zweifelhaft machen würde), und sie begrenzt die Prognose auf den jeweils „angemessen“ überschaubaren Zeitraum. Daneben ist die Angemessenheit der gesetzliche Ort für die Art und Weise der Ausgleichsleistung. Auch aus ihr ist abzuleiten, dass der Ausgleich in Kapital 584

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Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 127; aA Hopt § 89b Rn 46, der die Abgrenzung v. Billigkeitsmerkmal allerdings für schwierig hält. Ein Streit über die methodische Bedeutung der Abgrenzung ist praktisch folgenlos, vgl. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 127. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 127; aA Hopt § 89b Rn 46, der die Abgrenzung v. Billig-

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keitsmerkmal allerdings für schwierig hält. Ein Streit über die methodische Bedeutung der Abgrenzung ist praktisch folgenlos, vgl. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 127. BGH NJW 1967, 2153 (2154); richtig insoweit auch OLG Stuttgart DB 1980, 1539 (1540).

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und in einer Summe gefordert werden kann: das Gesetz bestimmt das auffälligerweise nicht, braucht es aber in Hinblick auf die volle Fälligkeit in einem Betrag auch nicht, da Ansprüche ohne Fälligkeitsbestimmung im Zweifel sofort in voller Höhe fällig sind. Der Grundsatz des Ausgleichs in Kapital ist auch völlig unbestritten. Damit hängt dann die Notwendigkeit einer ggf. vorzunehmenden „angemessenen“ Abzinsung zusammen. Endlich bildet die Angemessenheit neben § 287 ZPO den Ansatzpunkt für die Geltung der „Grundsätze zur Errechnung der Höhe des Ausgleichsanspruchs (§ 89b)“ (Rn 412 ff) in der Versicherungswirtschaft oder anderer Schematisierungen (Rn 289 ff), insofern diese Grundsätze, den besonderen Schwierigkeiten bei der Anwendung des gesetzlichen Bemessungsmaßstabs unter den Verhältnissen der Versicherungswirtschaft Rechnung tragend, den „angemessenen Ausgleich“ global zu ermitteln unternehmen. Die Grundsätze gelten allerdings nur bei nachvertraglicher Vereinbarung (Rn 416).

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4. Umfang der Billigkeitsprüfung. Unter Billigkeitsgesichtspunkten kann der Ausgleichsanspruch eingeschränkt (arg. „soweit“) werden oder u.U. überhaupt entfallen (arg. „wenn“) 587, ggf. bis auf „Null“. Angesichts der zweistufigen Ausgleichsberechnung (erste Stufe: Bestimmung des Rohausgleichs, zweite Stufe: Begrenzung des Rohausgleichs durch die Ausgleichshöchstgrenze) ist strittig, ob Billigkeitsgesichtspunkte lediglich den auf erster Stufe zu errechnenden Rohausgleich oder den auf zweiter Stufe stehenden, durch die Höchstgrenze des § 89b beschränkten Endausgleich reduzieren. Dies ist von entscheidender Bedeutung. Denn wenn Billigkeitsgesichtspunkte nur bei der Berechnung des Rohausgleichs berücksichtigt werden dürfen, kann es selbst nach erheblichem Billigkeitsabzug geschehen, dass der HV im Ergebnis nicht schlechter gestellt ist als ohne Billigkeitsabzug. Dies ist immer dann der Fall, wenn der Rohausgleich die Höchstgrenze weit übersteigt. Das ist kein Zeichen mangelnder Bedeutung der Billigkeitsmomente sondern einer besonderen Geschäftstüchtigkeit des HV, der so viele Stammkunden geworben hat, dass die Höchstgrenze auf beträchtlichem Niveau liegt. Die wirtschaftlichen Vorteile seines – auch dem Unternehmer zugute kommenden – Erfolges dürfen dem HV nicht deshalb entzogen werden, weil einzelne Billigkeitsmomente gegen ihn sprechen. Dies ist ein Gebot der Gerechtigkeit. Denn sonst würde der besonders tüchtige HV mit einem weit über der Höchstgrenze valutierendem Ausgleich von der Begrenzung besonders schwer getroffen. Richtigerweise erfolgt deshalb der Abzug des Billigkeitsabschlags von dem Rohausgleich, nicht von dem bereits durch die Höchstgrenze gekappten Ausgleichsanspruch 588. Nach dem Wortlaut des Gesetzes sind „alle“ Umstände im Rahmen der Billigkeits161 prüfung zu berücksichtigen. Das ist allerdings strittig. Einigkeit dürfte darüber bestehen, dass sachfremde und willkürliche Umstände keine billigkeits- und damit abwägungserheblichen Tatsachen bilden 589. Einschränkend sind nach einer Ansicht nicht alle erdenklichen Umstände im Rahmen der Billigkeitsprüfung zu berücksichtigen, sondern – da es sich um einen vertraglichen Anspruch handelt – nur jene, die einen unmittelbaren, engen Bezug zum Vertragsverhältnis aufweisen (sog. vertragsbezogene Umstände) 590, etwa vertragliche Risikoverteilung, Vertragsbestimmungen, Einsatz des HV, sein Erfolg oder die ihm gewährte Vergütung 591. Vertragsfremde Umstände, insbesondere personen587 588

Küstner/Thume II, Rn 1059. BGHZ 55, 45 (55); BGH NJW-RR 1993, 221; BGH ZIP 1997, 238 (239); BGH EBE 1999, 13 (16); BGH EBE 2000, 109 (111); Westphal Vertriebsrecht I, Rn 710; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 102.

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Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 104; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 102. Hopt § 89b Rn 33; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 66. Siehe Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 104.

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bezogene Umstände 592, sind bei der Prüfung nach der Billigkeit außer Betracht zu lassen 593. Die bewusst weitgehende Fassung des Gesetzes („unter Berücksichtigung aller Umstände“), solle nicht zu uferlosen Erörterungen einladen sondern verlange eine dahingehende Einschränkung. Billigkeitsrelevant im Hinblick auf den Ausgleich könnten immer nur Umstände sein, die mit der Einbindung des HV in die Gegebenheiten zusammenhingen, aus denen der Ausgleich vom Gesetz gewährt werde 594. Folglich sollen Alter, Krankheit, Vermögenslage der Parteien, Zahl der Kinder etc. als billigkeitsbestimmende Faktoren ausscheiden 595. Hopt 596 entnimmt solches dem Schutzzweck der Norm. An dieser Ansicht ist richtig, dass Umstände, die in einem unmittelbaren Bezug zum Vertragsverhältnis stehen, eher geeignet sind, Billigkeitsmomente zu konkretisieren 597. Andere Tatsachen sind hiervon aber nicht per se ausgeschlossen, jedoch eher weniger geeignet. Da Billigkeitsgesichtspunkte jedoch einen Auffangtatbestand bilden, kommt eine starre Beschränkung der abwägungsrelevanten Tatsachen nicht in Betracht. Vielmehr sind alle Umstände im Einzelfall gegeneinander abzuwägen. Daher hat der BGH 598 ausgeführt, auch vertragsfremde Umstände müssten im Rahmen der Billigkeit beachtet werden. Die Tendenz der Rspr. dürfte dahin gehen, wenig griffige und vertragsfremde Billigkeitserwägungen nicht in die Abwägung einzubeziehen und den Ausgleich als vertragliche Gegenleistung des Unternehmers von solchen Billigkeitserwägungen zu befreien. Dem ist in der Tendenz zuzustimmen. Umstände aus der Zeit nach Vertragsende können nur Bedeutung gewinnen, wenn sie bei Vertragsende bereits angelegt waren (Rn 95). 5. Kasuistik. Durch Fallgruppenbildung ist die Rechtsprechung zur Billigkeit zuneh- 162 mend präziser geworden. Gleichwohl fordert auch der Billigkeitsgrundsatz keine mathematische Präzision sondern die Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls 599. „Ja“ bedeutet: regelmäßig billigkeitsrelevant; „Nein“: regelmäßig nicht billigkeitsrelevant. – Ablehnung eines Folgevertrages: Regelmäßig Nein. Lehnt der HV das mit einer Änderungskündigung verbundene Angebot auf Abschluss eines Neuvertrages ab, so bleibt dies ausgleichsrechtlich irrelevant 600. Der HV ist grundsätzlich nicht dazu verpflichtet, einen geänderten Vertrag zu akzeptieren. A.A. war das OLG Karlsruhe 601 bei Ablehnung einer Reduzierung des Provisionssatzes von 3,3 % auf 2 % und Annahme dieses Angebotes durch alle übrigen HV. Das Urteil ist – wie Thume 602 ausführt – kaum vertretbar. Eine Billigkeitskürzung kommt nur in Betracht, wenn der HV nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB verpflichtet gewesen wäre, den Änderungswünschen des Unternehmers zuzustimmen, die im Folgevertrag umgesetzt werden sollten 603. Obwohl Mitwirkungspflichten zur Vertragsänderung in der Regel von deren Zumutbarkeit abhängen sollen, werden sie nur im engen Grenzen angenommen, weil sonst der Inhalt der Privatautonomie ausgehöhlt und die wirtschaftlichen Kalkulatio592 593 594 595 596 597 598

OLG Celle, Urt. v. 19.04.2007 – 11 U 279/06, BB 2007, 1862 (1864). Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 66. Küstner BB 1963, 1147/1148; Meyer BB 1955, 298; Noetzel S. 1326. Hopt § 89b Rn 33. Hopt § 89b Rn 33. Vgl. Küstner/Thume II, Rn 1074. Urt. v. 20.11.2002, NJW 2003, 1244 (1246); Urt. v. 23.05.1966, BGHZ 45, 268 (273); ebenso Küstner/Thume II, Rn 1067; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 104.

599 600 601 602 603

Küstner/Thume II, Rn 1059. OLG Nürnberg, Urt. v. 03.11.1982, HVR Nr. 571 = VW 1983, 549. Urt. v. 27.03.1981, BB 1982, 274. Küstner/Thume II, Rn 1151. OLG Nürnberg HVR Nr. 571, 4; OLG Hamm HVR Nr. 511, 4; Martinek/Semler/ Habermeier, § 15 Rn 31; Semmler WRP 2007, 247 (255).

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nen der Vertragsparteien frustiert werden. Einer Verpflichtung des Mittlers, die zur Umsetzung einer neuen GVO angebotenen Folgeverträge anzunehmen, führt nicht zu einem Billigkeitsabschlag 604 (s.u. Rn 226); Abspringen von Altkunden: Nein. Nachdem für die Beurteilung des Unternehmervorteils keine „Differenzrechnung“ aus einem Vergleich des übernommenen mit dem abgegebenen Kundenstamm stattfindet, verbietet sich auch eine Billigkeitskorrektur durch Gegenrechnung des Abspringens von Altkunden während der Vertragszeit, außer wenn dies darauf beruht, dass der HV die Betreuung der Altkunden zugunsten der Bemühungen um Neukunden einseitig vernachlässigt hätte 605. Auch sonst begründet vom HV nicht zu vertretenes Abspringen von Kunden einen ausgleichmindernden Billigkeitseinwand nicht 606; Alter des HV: Nein 607; Anziehungskraft: Nein, etwa wenn eine neueröffnete Tankstelle als solche schon in gewissem Grade Kunden anzieht 608. Zur Sogwirkung der Marke s.u.; Arglistiges Verhalten des HV, etwa bei Vertragsschluss 609. Ja. Es verliert aber seine Bedeutung, wenn der Unternehmer in Kenntnis dieses Verhaltens den Vertrag fortsetzt 610; Aufhebungsvertrag ersetzt Eigenkündigung: Ja, wenn ein Aufhebungsvertrag dem HV eine ausgleichsschädliche Eigenkündigung erspart 611. Dabei wird man jedoch auch die Motive des Unternehmers berücksichtigen müssen. Hatte dieser ebenfalls ein Interesse an der Vertragsbeendigung, kommt eine Ausgleichskürzung nicht in Betracht; Außerordentlicher Kündigungsgrund: Ja, falls der Unternehmer einen Grund gehabt hätte, das Vertragsverhältnis wegen schuldhafter Pflichtverletzung des HV aus wichtigem Grunde zu kündigen (Abs. 3 Nr. 2), dem Ausspruch der Kündigung aber der Tod des HV zuvorgekommen ist 612. Hier ist zwar der Ausgleichsanspruch zunächst entstanden. Wohl aber widerspräche es der Billigkeit, ihn bestehen zu lassen, nur weil die bereits begründete „Ausgleichsentzugslage“, die mit fristloser Kündigung (§ 89a) jederzeit hätte aktualisiert werden können, durch das Zufallsmoment des Ablebens des HV nicht mehr wirksam geworden ist. Ähnlich liegt es in der vom BGH 613 behandelten Konstellation, in der ein für eine fristlose Kündigung geltend gemachter wichtiger Grund vom Gericht zwar nicht als „wichtig“ genug anerkannt wird, die Kündigung daraufhin als befristete Geltung behält, der Ausgleichsanspruch also gewahrt bleibt, das Gericht aber gleichwohl den Kündigungsgrund als ein zu missbilligendes Verhalten des HV einstuft; Bestechungsgelder, Zahlung durch den HV für die Werbung von Kunden: Nein 614. Dies gilt jedenfalls, sofern der Unternehmer das Verhalten billigte und die Schmiergelder dem HV wieder erstattet hat 615;

Semmler WRP 2007, 247 (256 mwN). Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 10. Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 18c. Küstner/Thume II, Rn 1080; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 108. OLG Celle BB 1959, 898. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 110. Herbert BB 1997, 1317 (1318); Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 110.

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So OLG Celle v. 18.04.2002 – 11 U 210/01, OLGR 2002, 262. BGH NJW 1958, 1966. BGH DB 1981, 1722; WM 1974, 867 (869, 870); VersR 1972, 534. BGH v. 26.11.1976, BB 1977, 564. BGH NJW 1977, 671.

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§ 89b

– Bezirksgeschäfte/Direktgeschäfte: Nein. Hält man Bezirksprovisionen zutreffend für ausgleichspflichtig, so spielt es keine Rolle, ob ihre Einbeziehung in die Berechnung des Rohausgleichs oder der Höchstgrenze zu einem höheren Ausgleich als ihre Nichteinbeziehung führt 616. Der BGH 617 hat der Einbeziehung von Vergütungen für Direktgeschäfte ausgleichsreduzierende Wirkung beigemessen, das OLG Düsseldorf 618 jedoch die gegenteilige Meinung vertreten; – Dauer der Tätigkeit des HV: Nein. Weder kurze noch lange Tätigkeit darf zu Lasten des HV gewertet werden 619. Selbst bei vergleichsweise kurzer Vertragsdauer können erhebliche Ausgleichsbeträge entstehen 620. Die Rechtsprechung ist so unterschiedlich, wie es die Gesichtspunkte sind, die sich in Richtung des Für und des Wider anführen lassen. Bei einer langen Vertragsdauer kann aus Billigkeitsgründen zugunsten des HV ins Feld geführt werden, dass er seine Lebensarbeit mit dem Werk des Unternehmers verbunden habe, bei einer kurzen Vertragsdauer – insbesondere im Falle des Einführungsvertreters –, dass der HV noch nicht Gelegenheit genug gehabt habe, seine Investitionen, Mühewaltung und Kosten durch Provisionen hereinzuholen 621. Die umgekehrte Erwägung für den Fall einer langjährigen Vertragsdauer findet sich in BGHZ 55, 45 (56), wo zugleich auf ein früheres Urteil vom 12.12.1963 – VII ZR 47/62 – verwiesen wird. Danach soll der HV, der viele Jahre, ja Jahrzehnte für den Unternehmer erfolgreich tätig gewesen sei, eben dadurch bereits genug Gelegenheit gehabt haben, aus der Summe seiner Provisionseinnahmen sich für seine Investitionen zwecks Gewinnung der neuen Kunden ausreichend bezahlt zu machen; ein Ausgleich komme unter solchem Blickpunkt möglicherweise nicht mehr in Betracht (zwh). Ähnlich z.T. die Literatur 622, auch das OLG Karlsruhe 623. Für einen Billigkeitsabschlag auch Schröder 624, den langjährigen und gut verdienenden HV in den Blick nehmend. Eine nähere Befassung mit der vorgenannten Entscheidung des OLG Karlsruhe ergibt, dass das Billigkeitsurteil gegen den HV stark auf die besondere Lage des Falles mit einer Reihe von singulären Umständen abgestellt ist. Die langjährige Dauer des Vertragsverhältnisses wird dort nicht einmal als besonders signifikant gewertet. Die Entscheidung mag das Richtige getroffen haben. Sie steht aber keinesfalls für das, wofür sie in Anspruch genommen wird. Das Argument der langjährigen „Amortisation“ der in den Kundenstamm investierten Bemühungen des HV würde ohnehin voraussetzen, dass dieser Kundenstamm als solcher und im Wesentlichen lange Jahre hindurch bestanden hat. Auf einen HV, der erst gegen Ende seiner Tätigkeit durch steten Aufbau den Kundenstamm auf das volle Ausmaß gebracht hat, träfe der Ausgangspunkt schon deshalb nicht zu. Zum andern liegt es in der Natur der Sache, dass die Bearbeitung des einmal gewonnenen Kunden für die Folgetätigkeit mit der Dauer der Jahre an Schwierigkeit abnimmt, weil hier die Kundentreue sich günstig für den HV aus616 617 618 619

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Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 118. BGH v. 28.10.1957, NJW 1958, 23. V. 30.10.1958, NJW 1959, 104. BGHZ 55, 45 (56); BGH ZIP 1997, 238 (239); Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 111; aA OLG München, Urt. v. 21.12.2005 – 7 U 2941/05, DB 2006, 1371. Siehe etwa den bei Kjellegaard Jensen RIW 2006, 280 (285 f) wiedergegebenen Fall des Obersten Gericht des westlichen Teils Dänemarks v. 14.01.2004, Ugeskrift for Retsvaesen (UfR) 2004.1157V.

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BGH, Urt. v. 11.12.1996 – VIII ZR 22/96, WM 1997, 235; BB 1957, 1161, VersR 1961, 52 (53); OLG Stuttgart BB 1957, 562; Hübsch/Hübsch WM Sonderbeilage Nr. 1/2005, S. 16; Schröder DB 1958, 43 (46); Schuler NJW 1958, 1115. Bruck/Möller Anm. 378 Vor § 43 bis 48 VVG. OLG Karlsruhe BB 1957, 561 (vollständiger Abdruck JR 1958, 59). Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 18.

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wirkt. Ihn dafür mit einer Kürzung des Ausgleichs „bestrafen“ zu wollen, wäre nicht nur nicht billig, sondern geradezu unbillig. Dem Billigkeitsabschlag oder Billigkeitsausschluss steht im übrigen entgegen, dass auch der Unternehmer während der Dauer des Vertrages die langjährigen Vorteile aus den vom HV geschaffenen neuen Kundenverbindungen gehabt und genossen hat, so dass die Billigkeit des Ausgleichs sich wiederum auf die Verschiebung des Wertes „Kundenstamm“ in der Zukunft und seine fernere alleinige Nutzbarkeit durch den Unternehmer einengt. Jedenfalls hat der BGH 625 als Regel zum Ausdruck gebracht, dass der langjährige HV für die Bemessung des Ausgleichs besser gestellt werden müsse als derjenige, der erst wenige Jahre für den Unternehmer tätig gewesen sei. Man könnte auch vertreten, wenn es dem HV innerhalb einer kurzen Vertragsdauer gelinge, einen Kundenstamm aufzubauen, sei dies ein ausgleichserhöhender Umstand. Damit spielt weder lange noch kurze Vertragsdauer eine Rolle. Entscheidend sind die Vorteile des Unternehmers infolge des aufgebauten Kundenstammes, die bei kurzer oder langer Vertragsdauer gleich hoch sein können. Sogar bei nur dreimonatiger Tätigkeit kann ein Ausgleichsanspruch bestehen 626; Einstandszahlung (Rn 257 ff): Nein, gleich ob sie der HV (allenfalls positives Billigkeitsmerkmal) oder im Wege der Schuldübernahme der Unternehmer trägt 627. Gleiches gilt für die fehlende Einstandszahlung. Eine Einstandszahlung ist nach dem Gesetz nicht geschuldet und folglich billigkeitsirrelevant; Erbe: Nein 628. Die Person des Anspruchstellers ist irrelevant. Auch ein entfernter Erbe braucht sich keinen Billigkeitsabschlag gefallen zu lassen. Der Unternehmer kann dem Ausgleichsbegehren der Witwe auch nicht entgegensetzen, der HV habe zu Lebzeiten an den Provisionen so gut verdient, dass es ihm zuzumuten gewesen wäre, eine andere Alterssicherung für seine Witwe aufzubauen 629; Ersatzvertrag: Nein. Wurde dem HV für den gekündigten Vertrag ein Ersatzvertrag angeboten, etwa ein Vertrag mit dem Erwerber des vertretenen Unternehmens, und lehnt er grundlos den Vertragsschluss mit diesem Erwerber ab, soll das nach einer Ansicht eine Kürzung des Ausgleichs rechtfertigen 630. Dies ist jedoch im Ergebnis fragwürdig, weil der HV keinen anderen Vertragspartner oder Vertrag akzeptieren muss; Erwerbsfähigkeit des HV: Nein 631; Erwerbsmöglichkeiten, weitere des HV 632, etwa infolge des Fortbestandes einer weiteren Vertretung bzw. der Aufnahme einer neuen 633 oder seiner Tätigkeit als Großhändler 634: Nein. Es ist irrelevant, ob der HV neben seiner HV-Tätigkeit andere Erwerbsmöglichkeiten besitzt. Der Mehrfirmenvertreter ist hinsichtlich des Ausgleichs kein HV minderen Rechts; Exportschwierigkeiten: Nein 635; BGHZ 55, 45 (56) und auch in dem dort zitierten Urt. v. 12.12.1963 – VII ZR 47/62. LG Freiburg v. 28.05.1999 – 12 O 140/98, NJW-RR 2000, 110. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 117. AA Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 18d für den Fall, dass der HV nach Vertragsbeendigung stirbt. BGH NJW 1958, 1966 (1967). Stumpf/Ströbl MDR 2004, 1209 (1211);

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Sturm/Liekefett BB 2004, 1009 (1015); OLG Hamm HVR Nr. 511. Küstner/Thume II, Rn 1080. BGH, Urt. v. 28.10.1957, BB 1957, 1161 = VersR 1957, 775; Küstner/Thume II, Rn 1080. BGH, Urt. v. 31.05.1965, HVR Nr. 325. OLG Köln, Urt. v. 29.04.1968, VersR 1968, 966. Küstner/Thume II, Rn 1087.

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– Fehlende außerordentliche Kündigung des Unternehmers nach Einsatzunfähigkeit des HV in Folge eines Verkehrsunfalls: Mglw. Ja 636; – Fehlende Kundenbesuche des HV: Ja 637, wenn es sich um eine Nachlässigkeit handelt; – Fehlender Vermittlungserfolg: Nein. Ein mangelnder Vermittlungserfolg muss nicht auf einer Pflichtverletzung des HV beruhen. Er ist nur im Falle einer solchen Pflichtverletzung billigkeitsrelevant 638. Zudem wirkt er sich bereits bei der Berechnung des Rohausgleichs aus und kann daher regelmäßig nicht erneut unter dem Kriterium der Billigkeit der Berücksichtigung finden. Das OLG Karlsruhe hat einen solchen Abzug jedoch anerkannt 639; – Fixum: Ja, wenn zusätzlich zu der ausgleichsrelevanten Provision ein üblicherweise nicht geschuldeter Festbetrag gezahlt wurde und der Unternehmer diesen folglich „überobligationsmäßig“ leistete 640. Ein überdurchschnittlich hohes Fixum kann hierzu gehören 641. Großzügigkeit darf im Rahmen der Billigkeitserwägungen honoriert werden. Voraussetzung ist, dass es sich wirklich um einen Akt der Freizügigkeit und nicht etwa um eine Entschädigung für besondere Mühe, etwa unübliche Erschwernisse bei der HV-Tätigkeit, handelte. Sonst aber kommt es entscheidend darauf an, wofür das Fixum gezahlt wird. Wenn mit ihm dem HV Kosten vergütet werden, die er nach dem Gesetz (§ 87d) selbst zu tragen hätte, so ist das ein zusätzliches Einkommen (garantiertes Einkommen), welches ausgleichsmindernd wirkt 642. Wurde es einem Einführungsvertreter zur besseren Bewältigung einer ersten „Durststrecke“ als zusätzliche Vergütung gezahlt, wird es aber weiter gewährt, wenn die Provisionseinnahmen inzwischen einkömmlich fließen, dann wirkt es als Entlastung des HV von seinem eigenen unternehmerischen Risiko 643 und führt unter Billigkeitsgesichtspunkten ebenfalls zu einer Minderung des Ausgleichs 644. Endet dagegen das Vertragsverhältnis vor Abschluss der „Durststrecke“, so ist der Gesichtspunkt, den Ausgleich wegen des Fixums aus Billigkeitsgründen herabzusetzen, nicht mehr gegeben. Die Zahlung eines Fixums ist eher ein Problem der Berechnung des Ausgleichs und weniger ein solches der Billigkeit. Ein Problem der Berechnung des Ausgleichsanspruchs ist die Zahlung des Fixums deshalb, weil streitig werden kann, ob das Fixum bei den Provisionsverlusten des HV zu berücksichtigen ist (siehe dort). Eine ausgleichsmindernde Berücksichtigung des Festbetrages dürfte ausgeschlossen sein, sofern das Fixum Provisionscharakter hat und damit erfolgsabhängig ist 645, etwa eine Saldierung der Festvergütung mit den Provisionsansprüchen erfolgt. Das LG Bonn 646 hat Aufbauzuschüsse von DM 63.000,00 bei einem Ausgleich von DM 7.300,00 zu einer Kürzung von 1/12 des Ausgleichsbetrages veranlasst. Dem HV sei das unternehmerische Risiko der Vertragsjahre abgesichert worden. Das LG Düsseldorf 647 hat die Ausgleichsklage des Versicherungsvertreters abgewiesen, weil die erfolgsunabhängigen Festbezüge das

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AA BGH v. 09.04.1964, VersR 1964, 676 (677). OLG Köln v. 29.04.1968, VersR 1968, 966. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 112. V. 11.04.1957, BB 1957, 561. BGH NJW 1967, 249; OLG München BB 1961, 651; OLG Celle BB 1962, 156; OLG Nürnberg VersR 1976, 467; Hopt § 89b Rn 35. OLG München NJW 1957, 1767; 1961, 1072; OLG Celle BB 1962, 156.

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BGH VersR 1966, 1182 (1184). BGH VersR 1966, 1182 (1184). OLG München NJW 1957, 1767 (1768); OLG Nürnberg VersR 1976, 467; OLG Celle BB 1962, 156. Küstner/Thume II, Rn 1097. Urt. v. 07.03.1979 – 12 O 181/77. V. 05.03.1981, VersR 1981, 979.

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2,5fache des Ausgleichs erreichten. Provisionsunabhängige feste Zuzahlungen des Versicherers lassen auch nach Ansicht des LG Stuttgart 648 den Ausgleich entfallen. Würden Fixzahlungen nach Ablauf einer Einstiegsphase gezahlt, führe diese Zahlung dazu, dass dem HV das Unternehmerrisiko abgenommen werde, ohne dass sich solches aus den Schwierigkeiten der Anlaufzeit rechtfertigen lasse. Zuschüsse zu den Büro-, Organisations- wie Altersvorsorgekosten könnten den Ausgleich durchaus mindern oder ausschließen. Denn das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung werde unangemessen zu Gunsten des HV gestört, erhielte er neben den Versorgungsleistungen auch noch einen Ausgleich 649. Auch kann zu prüfen sein, ob die Festbezüge eine Vorwegerfüllung des Ausgleichsanspruchs darstellen. Das ist im Regelfall zu verneinen. Beweispflichtig für eine Vorwegerfüllung ist der Unternehmer, und zwar auch dann, wenn es eine entsprechende Vertragsbestimmung gibt (diese ist meist leicht eingefügt und lässt sich vom Unternehmer als wirtschaftlich Stärkeren durchsetzen). Eine Schematisierung dahin, dass Festvergütungen anteilig bewertet werden, etwa ein vor 10 Jahren gezahltes Fixum mit 10 %, das vor 9 Jahren gezahlte Fixum mit 20 %, progressiv steigend bis zum Fixum des letzten Vertragsjahres mit 100 %, ist als zu starr abzulehnen 650; Förderungsprogramme: Nein, auch nicht wegen des erleichterten Zugangs zum Kunden dank staatlicher Förderungsprogramme 651. Diese Erleichterung trifft Unternehmer wie HV; Gesundheitszustand des HV: Nein 652; Größere oder geringere Intensität der Bemühungen, die der HV für den Erfolg seiner Tätigkeit einzusetzen hatte: Nein 653; Großfamilie: Nein, jedenfalls nach heutigem Verständnis 654; Grund der Vertragsbeendigung: Je nach den Verhältnissen des Einzelfalls. Im Allgemeinen ist er kein billigkeitsrelevanter Umstand, solange er nicht so erheblich war, dass er zum Ausgleichswegfall nach § 89b Abs. 3 Nr. 2 führt. Es muss sich um Evidenzfälle handeln. Die fahrlässig verschuldete Herbeiführung der Vertragsbeendigung durch den HV rechtfertigt keine Heranziehung der Billigkeit zugunsten der Ausgleichspflicht des Unternehmers. Weder ist das der Fall bei der selbstverschuldeten Krankheit, noch bei dem Tod des HV durch verschuldeten Verkehrsunfall 655: in beiden Fällen liegt im Allgemeinen keine Verletzung von Vertragspflichten vor, sondern allenfalls auf seiten des HV ein Verschulden gegen sich selbst. Abs. 3 Nr. 2 ist abschließend. Diese Beispiele spielen sich außerhalb der vertraglichen Sphäre im persönlichen Bereich ab und geben deshalb dem Unternehmer so wenig ein Recht, aus Billigkeitsgründen weniger zahlen zu müssen, als wenn jene Ereignisse den HV unverschuldet getroffen hätten Ja, wenn z.B. eine Kündigung „überfallartig“ nach langjähriger loyaler Zusammenarbeit ausgesprochen worden ist 656 oder in der Absicht, die Vertretung einer dem Unternehmer nahestehenden Person zuzuschanzen 657, oder sonstige grob unsachliche Beweggründe. Siehe auch oben, „außerordentlicher Kündigungsgrund“; LG Stuttgart VersR 2000, 972. LG Stuttgart VersR 2000, 972. Vgl. hierzu LG Bremen v. 01.07.1975, VersR 1975, 1099. OLG Celle NJW 1968, 1141. Küstner/Thume II, Rn 1080. Bedenklich insoweit OLG Hamburg DB 1963, 1214; auch OLG Nürnberg NJW

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1957, 1720 (1722) und OLG Karlsruhe BB 1957, 561. AA BGHZ 43, 159 (162). BGH v. 06.02.1964, BGHZ 41, 129 (131, 132) = NJW 1964, 915. BGH VersR 1961, 222. Amtliche Begründung S. 33.

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– Höhere Gewinne des HV als des Unternehmers: Nein 658. Auch der gut verdienende HV erhält einen Ausgleich 659. Das folgt schon aus dem Charakter des Ausgleichs als vertragliche Gegenleistung; – Inaktivität des HV: Ja 660. Allerdings berücksichtigt bereits die Berechnung des Ausgleichs eine reduzierte Tätigkeit des HV im letzten Vertragsjahr. Der Abzug ist daher je nach SV-Gestaltung sehr vorsichtig auszuüben 661; – Insolvenz, Erwerb aus der: Nein. Erwirbt ein Käufer das vertretene Unternehmen im Wege der Einzelrechtsübertragung aus der Insolvenz, so wird hierdurch der HV-Vertrag mit dem Veräußerer nicht berührt. Wird er beendet, so besteht eine Vermutung dafür, mit dem Kaufpreis sei auch der durch den HV aufgebaute Kundenstamm bezahlt worden. Der HV bleibt deshalb ausgleichsberechtigt. Allerdings wird diskutiert, ob der Erwerb aus der Insolvenz unter Billigkeitsgesichtspunkten ausgleichsmindernd wirkt. Grundsätzlich handelt es sich hierbei um eine Frage der wirtschaftlichen Lage der Parteien, die bei Billigkeitserwägungen nur ausnahmsweise eine Rolle spielen darf. Sturm/Liekefett 662 vertreten folgende Lösung: Kann die Insolvenz des Unternehmers durch die Betriebsveräußerung noch abgewendet werden, da sie bislang lediglich drohte, solle dies im Einzelfall Einfluss auf die Höhe des Ausgleichsanspruchs haben. Begründet wird dies mit der Treuepflicht gegenüber dem Unternehmer; – Kaufverhalten, verändertes: regelmäßig Nein 663 (es wird aber sehr auf den Einzelfall ankommen); – Kinderzahl des HV: Nein; – Konjunktur/wirtschaftliche Lage: Nein. Die allgemeine wirtschaftliche Lage bei oder vor Vertragsende hat als vertragsfremder Umstand regelmäßig keinen Einfluss auf die Ausgleichshöhe. Ob der Einwand des Unternehmers, die konjunkturelle Situation habe den Verkauf des HV unterstützt bzw. die derzeitige wirtschaftliche Situation erlaube keine dem Bemessungszeitraum vergleichbaren Verkäufe zu berücksichtigen ist, wird unterschiedlich beurteilt. Dies ist mglw. eine Frage fehlender Vorteile. Jedoch wird die entsprechende Zukunftsprognose und ihre Anlage bei Vertragsende durch den beweispflichtigen Unternehmer kaum zu führen sein 664. Der insbesondere bei umfangreichen Geschäften infolge der Wiedervereinigung erhobene Einwand konjunktureller Unterstützung untypischer Geschäftsverläufe ist kaum erheblich, weil Mitursächlichkeit der Tätigkeit des HV für den Aufbau des Kundenstammes genügt und stärkende Faktoren – wie die konjunkturelle Situation – damit ausgleichsrechtlich irrelevant sind. Entscheidend ist der Aufbau des Kundenstammes, der durch mitverursachende Faktoren für den Unternehmer keinen geringeren Wert hat. Untypik des Bemessungszeitraums ist durch dessen Erstreckung auf mehrere Jahre zu begegnen. Das OLG Düsseldorf 665 hat einer rückläufigen Konjunkturentwicklung in Folge von Massenentlassungen und Einführung von Kurzarbeit bei einem Umsatzrückgang von mehr als 60 % ausgleichsmindernde Wirkung zuerkannt. Hier stellt sich die Frage, wer die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des vertretenen Unternehmens verursacht hat und ob sie überhaupt zu Lasten des HV gereichen können, da beim Unternehmer die Möglichkeit der Ausnutzung des Kundenstammes genügt;

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BGH, Urt. v. 29.10.1964, unveröfftl.; zitiert nach Küstner/Thume II, Rn 1069. Küstner/Thume II, Rn 1088; aA Schlegelberger/Schröder § 89b Anm. 18. BGH BB 2000, 736 m. Anm. Emde.

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Siehe Emde VersR 2001, 148 (161). Sturm/Liekefett BB 2004, 1009 (1016). Küstner/Thume II, Rn 1087. Küstner/Thume II, Rn 1134. Urt. v. 08.02.1977, HVR Nr. 504.

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– Konkurrenztätigkeit des HV nach Vertragsende: Nach hM Ja 666. Die Rechtsprechung geht etwa im Bereich des Kfz-Vertragshändlerrechts von einer regelmäßigen Minderung von 25 % unter Billigkeitsgesichtspunkten aus, wenn der nach Vertragsende vertretene Wettbewerber eine Sogwirkung auf den bisherigen Kundenstamm ausübt 667. Ein Abzug unter Billigkeitsgesichtspunkten in Höhe von 25 % sei auch nicht zu beanstanden, falls der Händler anschließend als freier Händler importierte Fahrzeuge der Beklagten verkaufe und weiterhin die Wartung dieser Fahrzeuge durchführe. Noch mehr als bei dem anschließenden Vertrieb eines Konkurrenzproduktes besteht bei jener Situation die Gefahr, dass der Mittler frühere Käufer der Marke an sich binde und demzufolge der Unternehmer ausgleichspflichtige Vorteile nur im verminderten Umfang aus von den von dem Mittler hergestellten Geschäftsverbindungen ziehen könne 668. Es ist bereits fraglich, ob es in einem solchen Falle nicht schon am Vorteil des Unternehmers, den Kundenstamm weiter nutzen zu können 669, fehlt, möglicherweise sogar am Provisionsverlust des HV; auf die Billigkeit käme es nicht mehr an. Nicht die Tatsache, dass der HV es dem bisherigen Unternehmer „sauer macht“, den Kundenstamm zu halten, ist zu missbilligen 670, und noch weniger rechtfertigt die bloße Möglichkeit, dass der HV in seiner neuen Tätigkeit die früheren Kunden für sich gewinnen könne 671 schon einen Billigkeitsabschlag. Nur ein unfaires Vorgehen, das gegen die Regeln des lauteren Wettbewerbs verstößt, würde eine andere Beurteilung rechtfertigen. Sonst aber büßt der HV seinen Ausgleich erst ein, wenn und soweit es ihm tatsächlich gelungen ist, die bisherigen Kunden zu sich „herüberzuziehen“ – dann jedoch nicht aus dem Gesichtspunkt der Billigkeit, sondern weil es am verbliebenen Vorteil für den Unternehmer fehlt. Will der Unternehmer, dass der HV nach seinem Ausscheiden sich einer Nutzung des Kundenstammes in der Arbeit an einem neuen Platz bei der Konkurrenz enthält, so mag er mit ihm ein Wettbewerbsverbot vertraglich ausmachen 672 und hat alsdann – und neben dem Ausgleich – die in § 90a zwingend vorgeschriebene Karenzentschädigung zu zahlen. Dass der HV sich einen Billigkeitsabschlag gefallen lassen müsse, weil er in seinem neuen Wirkungskreis die beim früheren Unternehmer erworbenen Kenntnisse und Erfahrungen nutzbringend verwerten könne 673, ist ebenso wenig überzeugend: gerade diesen Vorteil hat der HV sich ja selbst erarbeitet. Auch dass der Unternehmer Provision an den Nachfolger zahlen muss, ist kein den Ausgleich mindernder Billigkeitsgesichtspunkt. Das gehört zu der ihm zugefallenen Nutzung des Kundenstammes und den auf ihr ruhenden Lasten 674. Damit ist der HV nach Vertragsende grundsätzlich frei, Wettbewerb auszuüben (Rückschluss aus § 90a). Über den Umweg der Billigkeit darf kein „verstecktes Wettbewerbsverbot“ postuliert werden 675. Nach der Wertung des § 90a darf dem HV nur bei Zahlung einer Karenzentschädigung nachvertraglicher Wettbewerb untersagt werden. Fehlt eine solche Karenzentschädigung, soll er nicht über eine Reduzierung des Ausgleichs mittelbar für seine nachvertragliche Tätigkeit belastet werden. Denn der Unternehmer erhält bei Vertragsende einen Kundenstamm, für den der Aus-

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BGH BB 1966, 1410; DB 1981, 1772; OLG Celle BB 1959, 1151. BGH v. 26.02.1997 – VIII ZR 272/95, BB 1997, 852 = ZIP 1997, 841; Rickmann WuW 2003, 752 (762). OLG Köln VersR 2002, 437 (438); OLG Celle BB 1959, 1151. So Eberstein, S. 135.

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So aber OLG Celle BB 1959, 1151. So aber BGH DB 1981, 1772. Vgl. OLG Celle VersR 1965, 235. So Schuler aaO S. 1116. BGH v. 06.02.1964, VersR 1964, 378 = BB 1964, 1399 (1400); Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 9. Puszkajler BB-aktuell 37/2000, S. IV.

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gleich zu zahlen ist. Die Leistung des HV wird nicht geringer, falls er nachvertraglichen Wettbewerb ausübt. Nur wenn bereits bei Vertragsende abzusehen ist, dass Kunden des Unternehmers in Folge der Wettbewerbstätigkeit nicht mehr bei dem Unternehmer kaufen werden, sind sie bei der Berechnung des Rohausgleichs nicht mehr zu berücksichtigen. Es ist allerdings zuzugeben, dass diese Prognose bei Vertragsende schwer zu treffen ist. Eine Herabsetzung kommt nicht in Betracht, sofern bei Vertragsbeendigung eine Konkurrenztätigkeit nicht zu erwarten war 676. Dies ergibt sich daraus, dass nur bei Vertragsende zu antizipierende Umstände in die Prognoseentscheidung über die Höhe des Ausgleichs einfließen dürfen; Unzulässige Konkurrenztätigkeit des HV vor Vertragsende: Ja, außer wenn der Einsatz für den Unternehmer dessen ungeachtet besonders erfolgreich gewesen ist 677; Kosten: Nein. Die auf der Vertretung liegenden ersparten Kosten können eine Reduzierung des Ausgleichs billigkeitshalber nur rechtfertigen, sofern sie außergewöhnlich hoch waren – der BGH 678 hält Kostensätze von bis zu 50 % für nicht außergewöhnlich, das OLG Celle 679 einen solchen von 75 % jedoch im Billigkeitswege für durchschlagend –, und auch dann nur zu einem den gewöhnlichen Kostensatz übersteigenden Anteil 680. Thume 681 lehnt eine schematische Berücksichtigung ab einem bestimmten Prozentsatz ab. Der BGH hat in mehreren Urteilen 682 eine Ausgleichsminderung angenommen, wenn die ersparten Kosten besonders hoch waren und damit erhebliche Einsparungen des HV eintraten. Die fehlende Berücksichtigung ersparter Kosten folgt schon daraus, dass der Ausgleich nicht den Verlust des „Reinverdienstes“ des HV kompensiert sondern eine Gegenleistung für den Aufbau des Kundenstammes bildet. Regelmäßig wird man keinen Abzug für ersparte Kosten vornehmen können, da der Gesetzgeber einen solchen Abzugsposten – obwohl er naheliegend war – nicht vorgesehen hat. Die Gegenleistung für den Aufbau des Kundenstammes hat der Unternehmer unabhängig davon erhalten, ob Kosten erspart werden und im Übrigen könnten nur Kosten abgezogen werden, die sich auf den Aufbau dieses Kundenstammes im letzten Vertragsjahr bezogen. Selbst in einem solchen Ausnahmefall verdienen nur diejenigen Kosten Berücksichtigung, die mit ausgleichsfähigen Provisionen in Zusammenhang stehen, also nur ein Abzug für die auf die ausgleichspflichtige, werbende Tätigkeit des HV entfallenen Kosten, nicht jedoch für die nicht ausgleichsfähigen verwaltenden Provisionsbestandteile 683; Kündigungsfrist, besonders lange: Wohl eher nein 684. Es fragt sich immer, in wessen Interesse sie vereinbart wurde und wen sie möglicherweise behindert. Außerdem führt auch die langjährige Enthaltsamkeit bei der Ausübung eines Kündigungsrechts nicht zur Ausgleichsreduzierung; langjährige Betriebstreue: Ja 685;

Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 519. BGH VersR 1960, 846. BGHZ 41, 129 (135) und DB 1971, 1798. NdsRpfl. 1959, 109 (111). OLG Celle NJW 1968, 1141. in: Küstner/Thume II, Rn 1113. BGH, Urt. v. 12.02.2003 – VIII ZR 130/01, VersR 2003, 1530 = NJW-RR 2003, 821 (825) = MDR 2003, 882 = DB 2003, 2121

683 684

685

(LS) = WM 2003, 2095; v. 06.02.1964, VersR 1964, 378 und v. 22.12.1960, VersR 1961, 222; zust. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 113. Küstner/Thume II, Rn 1119. AA BGH, Urt. v. 01.10.1970, RVR 1971, 45 mit Anm. Küstner; Schultze/Wauschkuhn/ Spenner/Dau, Rn 863. OLG München, Urt. v. 21.12.2005 – 7 U 2941/05, DB 2006, 1371.

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– Mehrvertretereigenschaft: Nein 686: Repräsentiert der HV – zulässigerweise – einen Wettbewerber des Unternehmers dürfte die daraus resultierende geringere verbleibende Arbeitskraft oft bereits die ausgleichspflichtigen Provisionen reduzieren 687, es sei denn, der HV hat darüber die Wahrnehmung seiner HV-Pflichten vernachlässigt 688; – Modetrends: Nein 689; – Nachvertragliche Tätigkeit des HV: Nein 690, zumal der HV ohnehin als Mehrfirmenvertreter tätig sein dürfte. Deshalb ist nicht relevant der Umstand, dass aus einer nach Ausscheiden übernommenen anderweiten Vertretung bessere Verdienste anfallen als aus der bisherigen, außer der Unternehmer hat dem HV diese neue Vertretung verschafft 691. Zur Vertretung von Wettbewerbern „Konkurrenztätigkeit“; – Person des Anspruchsberechtigten 692, etwa Erbe 693 oder HV: Nein. Begreift man den Ausgleich als vertraglichen Anspruch, dürfte der Person des Anspruchstellers nur geringe Bedeutung zukommen, zumal eine Abtretung oder Rechtsnachfolge die Person des Gläubigers verändern kann. Es kann auch keine Bedeutung haben, ob der HV Maßnahmen zur Versorgung seiner Erben hätte treffen können, denn dies hat nichts mit seiner Aufbauarbeit zu tun 694; – Provisionshöhe: Überdurchschnittlich hohe Provisionen: Nein, es sei denn, sie sind völlig unüblich („unüblich hohe Provisionszahlungen“), erst recht nicht bei nachhängenden Provisionen aus § 87 Abs. 3 695. Sie begründen als solche noch keinen Billigkeitsabschlag 696. Entweder beruhen sie auf überdurchschnittlichen Abschlüssen, dann hat auch der Unternehmer davon den Vorteil gehabt; oder sie beruhen auf einem überdurchschnittlich hohen Provisionssatz. Aber diesen zugestanden zu haben war alleinige Entschließung des Unternehmers, der damit wiederum seinem eigenen Interesse (besondere Verhältnisse der zu übertragenden Vertretung, Anreiz für den HV) gedient haben dürfte und diese Entschließung jetzt nicht nachträglich mit Billigkeitsabschlag am Ausgleich korrigieren kann. Die Höhe der erzielten Provisionseinkünfte spielt auch unter dem Gesichtspunkt ihrer unterschiedlichen Berechnungsweise (brutto: netto) keine Rolle. Sie sind für den Ausgleich als Bruttoprovisionen zugrunde zu legen; der Unternehmer kann nicht eine Korrektur durch Billigkeitsabzug an Ausgleich verlangen, weil er das Nettoprinzip für das sachgerechtere hält; – Provisionszahlungen, nachvertragliche: Ja bei Provisionen, die dem HV ausnahmsweise für Geschäfte zugesagt worden waren, die mit bestimmten Kunden erst nach Vertragsende zustande kommen 697. Möglicherweise fehlt es dann schon an Provisionsverlusten; 686

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OLG Nürnberg, Urt. v. 19.09.1957, NJW 1957, 1720; Schneider MDR 1970, 976 (977); Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 116; der Unternehmer mag das im Vertrage abbedingen; aA OLG Frankfurt Urt. v. 03.06.1966, HVR Nr. 365. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 114. OLG Köln VersR 1968, 966 (968). Küstner/Thume II, Rn 1087. OLG Düsseldorf v. 08.05.1956 – 2U 114/55; ebenso BGH v. 31.05.1965, HVR Nr. 325. Schuler NJW 1958, 1116. BGH, Urt. v. 13.05.1957, BGHZ 24, 214 = NJW 1957, 1029.

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Höft VersR 1965, 553; Küstner/Thume II, Rn 1075; aA Schiefelbein VersR 1965, 552. BGH v. 02.10.1958, NJW 1958, 1966. So allerdings OLG Karlsruhe JR 1958, 59 ff (62) – insoweit in BB 1957, 561 nicht abgedruckt. Anders Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 18. Als Sonderanerkennung für die frühere Zuführung dieses Kunden: BGH, Urt. v. 6.7.1964 – VII ZR 49/63 –, zitiert bei v. Gamm NJW 1979, 2492.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

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– Provisionszahlungen an einen nachfolgenden Vertriebsmittler: Nein 698. Zum einen hat der ausscheidende HV durch den Aufbau des Kundenstammes die Grundlage für die Provisionsverdienste seines Nachfolgers gelegt. Zum anderen ist der Ausgleich durch die Tätigkeit des Ausscheidenden verdient. Wie der Unternehmer im Anschluss an diese Tätigkeit den Kundenstamm verwertet bleibt für die Billigkeit ohne Belang. Die Zahlung einer Vergütung an den Nachfolgevertreter ist Folge dieser Verwertung und damit ein Beweis für die Aufbauarbeit des Vorgängers; – Rentenalter des Mittlers: Nein 699; – Schadenersatz, den der HV anlässlich der Vertragsbeendigung von Dritten erhält: Nein 700; – Schädigung des Goodwill des Unternehmers: Ja 701; – Schätzung der Stammkundenquote nach § 287 ZPO: Nein. Da der Unternehmer selbst die Geschäfte mit den geworbenen Kunden schließt, kennt er den Kundenstamm. Anders als im Vertragshändlerrecht braucht ihm der Kundenstamm daher nicht bekannt gegeben werden, damit ein Ausgleich entsteht. Jedoch gibt es auch im HV-Vertrieb Branchen, in welchen von HV „anonyme“ Geschäfte geschlossen werden, etwa im Tankstellenvertrieb 702. Der Unternehmer kennt die Kunden dieser HV jedenfalls bei Bargeschäften nicht. Gleichwohl kann hier ein HV-Ausgleich entstehen, weil die Stammkundenquote anhand statistischer Daten nachgewiesen werden kann (§ 287 ZPO). Jedoch hat der BGH 703 diskutiert, ob in einem solchen Fall eine Kürzung des Ausgleichs unter Billigkeitsgesichtspunkten in Frage kommt, dies jedoch offen gelassen. Tatsächlich ist eine solche Auffassung abzulehnen. Wenn der Rohausgleich gemäß § 287 ZPO (hoffentlich hinreichend präzise) geschätzt wird, darf diese Schätzung zu keiner weiteren Reduzierung unter Billigkeitsgesichtspunkten führen. Den Kundenstamm kann der Unternehmer jedenfalls dann ausnutzen, wenn das bisherige Geschäftslokal fortgeführt wird, wie z.B. bei dem Offenhalten einer Tankstelle; – Schuldhaftes Verhalten von Angestellten des HV: Ja 704; – Selbstmord des HV: Grundsätzlich Nein 705. Die Rechtsprechung ist hier aber ambivalent. Ursprünglich waren Zweifel in der Richtung entstanden, ob der Selbstmord überhaupt als ein dem natürlichen Tod gleichwertiger Vertragsbeendigungstatbestand und damit als ausgleichsbegründend anzuerkennen sei, oder ob er nicht vielmehr auf der Ebene der Eigenkündigung des HV gesehen werden müsse und damit dem Ausgleich entgegenstehe (Abs. 3 Nr. 1). Der BGH hatte in BGHZ 41, 129 (131) den Selbstmord der vom HV ausgesprochenen Kündigung gleichgestellt wissen wollen. In

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Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 117. OLG Celle, Urt. v. 19.04.2007 – 11 U 279/06, BB 2007, 1862 (1864). BGHZ 41, 292; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 119. Sturm/Liekefett BB 2004, 1009 (1015). BGH NJW 1985, 862; NJW 1998, 66; 1998, 71; NJW-RR 2002, 1548; OLG Köln OLGR Köln 2003, 170; VersR 2001, 1234; Westphal OLGR-Kommentar 12/2002, K 35; Küstner/Thume I, Rn 131; Semmler Die Rechtsstellung des Tankstellenhalters zwischen Handelsvertreter und Vertragshändler, Baden-Baden 1995; Heyer Rechtsfragen an

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Tankstelle und Garage, Würzburg 1964; Rehbinder Der Tankstellenvertrag im Blickfeld der Rechtstatsachenforschung, Berlin 1971; aA English Court of Appeal, Entsch. v. 23.07.1999, ZEuP 2002, 823 m. Anm. Westphal. Urt. v. 15.10.1964, BB 1964, 1399 m. Anm. Wittmann. BGH v. 05.02.1959, BGHZ 29, 275 (280) = NJW 1959, 878; es schließt als solches auch bei Kündigung des Vertrages durch den Unternehmer den Ausgleichsanspruch noch nicht aus, Abs. 3 Nr. 2. AA BGH, Urt. v. 30.06.1966, BB 1966, 876.

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einer späteren Entscheidung 706 hat er den früheren, allerdings nur obiter ausgesprochenen Standpunkt nicht mehr beibehalten, im Selbstmord grundsätzlich, nicht anders als im natürlichen Tod, einen gesetzlichen Vertragsendigungsgrund gesehen und eine Korrektur nur noch aus dem Gesichtspunkt der Billigkeit zugelassen. Dem wird, nachdem die Novelle 1976 der Kündigung des HV infolge Alters oder Krankheit die ausgleichsentziehende Wirkung genommen hat, beizustimmen sein. Es widerspricht der Einordnung als vertraglicher Anspruch (4. Aufl.: der Menschenwürde), die Durchführung des höchstpersönlichen Entschlusses, aus dem Leben zu scheiden, in Beziehung zu dem rein vermögensrechtlichen Vertragsverhältnis zu setzen und ihn materialisierend in eine Freistellung des Unternehmers von der Ausgleichspflicht umzumünzen. Sollte ein Billigkeitsabschlag anzuerkennen sein, wird es entscheidend auf Umstände und Hintergründe ankommen. Leichtsinn in Verbindung mit Nachlassen der Arbeitsintensität und dadurch hervorgerufener Ausweglosigkeit der wirtschaftlichen Situation sind anders zu gewichten als familiäre Verwicklungen oder Anlage zu Depressionen; – Sogwirkung der Marke: Nach hM ja. Insbesondere im Kfz-Vertrieb ist ein Abzug unter dem Gesichtspunkt der Sogwirkung der Marke anerkannt. Die Rechtsfigur ist aber nicht auf diesen Bereich begrenzt. Vielmehr kann auch im HV-Recht der Abzug berechtigt sein. Bestimmte Markenartikel haben einen hohen Bekanntheitsgrad, so dass nach Vorstellung der Rechtsprechung die Marke bestimmte Kunden anzieht und die Werbebemühungen des HV geringer sind. Deshalb soll vom Rohausgleich ein Abzug vorgenommen werden. Besonders häufig ist aber der Abzug im Kfz-Bereich, und zwar zwischen 5 und 30 %, je nach Bekanntheit der Marke. Für das prestigeträchtige Fabrikat BMW wird ein Abzug von 30 % befürwortet, für Mitsubishi von 20 % 707, für Citroen zwischen 10 708 und 25 %, für Fiat 10 % 709, für Renault 10 % 710 und für Peugeot 15 % 711. Ein solcher Abzug ist regelmäßig jedoch ungerechtfertigt, schon wegen der Wertung des § 90a 712. Gerechtfertigt kann er in erster Linie sein, wenn der Unternehmer die Marke durch eigene Anstrengungen stärkt. Damit stellt sich die Frage einer Abzugsfähigkeit in dem Ausgleichsverhältnis zwischen A- und B-Händlern. Denn es sind nicht die A-Händler, welche die Marke stärken sondern es ist der Hersteller. Entweder wird – wofür eine Vermutung spricht 713 – die Sogwirkung der Marke bereits bei der Provisionsbemessung berücksichtigt – nämlich durch ein geringeren Provisionssatz als bei anderen Artikeln 714 – oder die Sogwirkung existierte bei Vertragsschluss noch nicht. Dann aber kann sich der HV auf eine vom Unternehmer zu wiederlegende Vermutung berufen, der HV habe am Aufbau des Markennamens mitgewirkt und deshalb den ungekürzten Ausgleich verdient. Die Sogwirkung der Marke wirkt sich nicht aus, falls der Mittler für die Teilhabe an den Vorteilen der Marke mit seiner (ggf. zeitanteiligen) Eintrittsgebühr bereits eine Vergütung gezahlt hat 715. Ein Abzug unter Billigkeitsgesichtspunkten für die Sogwirkung 706 707 708 709 710 711

BGH NJW 1966, 1964. BGH, Urt. v. 22.03.2006 – VIII ZR 173/04. OLG Köln, Urt. v. 02.03.2001 – 19 U 120/00; Urt. v. 23.02.1996 – 19 U 114/95. BGH NJW 1996, 2301; LG Bremen, Urt. v. 11.05.2006 – 12 O 297/05. BGH NJW 1997, 1505. OLG Saarbrücken, Urt. v. 05.02.2003 – 1 U 924/01-211, NJW-RR 2003, 900 = EWiR 2003, 825 (Emde).

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Puszkajler BB-aktuell 37/2000, IV. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 121. Ensthaler/Gesmann-Nuissl/Stopper DB 2003, 257 (266); Emde VersR 2004, 1499 (1517); Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 121. Bodewick BB 1997, 637 (643); Flohr DStR 1998, 572 (574).

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der Marke in Höhe von 25 % ist nicht zu beanstanden, wenn der Kfz-Händler anschließend als freier Händler importierte Fahrzeuge der Beklagten verkauft und weiterhin die Wartung dieser Fahrzeuge durchführt 716. Ein Abzug für die Sogwirkung der Marke kommt aber nicht in Betracht, sofern der Vertragshändler Verkäufe nur unter Gewährung ungewöhnlich hoher Rabatte tätigen kann 717. Die Sogwirkung von Lage, Markt oder Preis unterliegt dem Kernbereich tatrichterlichen Schätzungsermessens und kann von Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob der Tatrichter ausreichende Feststellung zu den für seine Schätzung maßgeblichen Umständen getroffen hat 718; Soziale Lage: Grundsätzlich Nein. Für besonders gelagerte Ausnahmefälle hat der BGH 719 die Berücksichtigung der sozialen Lage des HV nicht grundsätzlich ausschließen zu wollen erklärt, auch die wirtschaftliche Lage beider Parteien unter Billigkeitsgesichtspunkten insoweit ins Spiel gebracht, als die Zahlung eines größeren Ausgleichsbetrages die Weiterführung des Betriebes beim Unternehmer gefährden würde; Tod: Grundsätzlich Nein. Diskutiert wird dieses, wenn der HV durch seinen Tod einer fristlosen Kündigung zuvorkam oder wenn die Umstände des Todes – Überlassen des Steuers an eine alkoholisierte 19jährige – möglicherweise eine Verletzung des HV-Vertrages darstellen könnten. Der BGH hat in diesem Fall den Ausgleichsanspruch gleichwohl gewährt, weil es sich nicht um eine Pflichtwidrigkeit gerade gegenüber dem Unternehmer handelt 720; Umsatzrückgang: Nein, es sei denn, es liegt eine bewusste und schuldhafte Vernachlässigung der Vermittlungsbemühungen vor. Der Umsatzrückgang findet schon und nur bei der Berechnung des Rohausgleichs Berücksichtigung, weil er die im Bemessungszeitraum erzielten Provisionen reduziert. Der Verlust von Kunden, die nicht ausgleichspflichtig sind – etwa nicht erweiterte Altkunden – ist auch unter Billigkeitsgesichtspunkten irrelevant, weil solche Kunden in die Berechnung des Rohausgleichs keinen Eingang gefunden haben 721. Insbesondere spielt ein geringfügig rückläufiger Umsatz keine Rolle 722; Umsatzerhöhung, fehlende: Nein. Es ist unschädlich, wenn die Umsätze des HV in der Vertragszeit insgesamt sich nicht erhöht haben (solange jedenfalls ein Neukundenzugang zu verzeichnen ist) oder sogar geringfügig rückläufig gewesen sind 723; Umsatzsteigerung, geringere als bei anderen HV: Nein 724. Anders wiederum, wenn diese Verhältnisse auf einen geringeren als den geschuldeten Einsatz des HV zurückzuführen sind 725; Untervertreter, Beschäftigung von: Nein. Ob der HV Untervertreter beschäftigt, ist unter Billigkeitsgesichtspunkten irrelevant. Dem HV obliegt die Organisation seiner Tätigkeit und damit die Entscheidung, ob er Angestellte oder Untervertreter beschäfOLG Köln VersR 2002, 437 (438). OLG Köln, Urt. v. 15.11.2002 – 19 U 94/02, VersR 2003, 105. BGH, Urt. v. 04.05.2005 – VIII ZR 123/04, NJW-RR 2005, 1157; BGH, Urt. v. 12.09. 2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 m. Anm. Emde Rn 54. NJW 1965, 1134 (1136) unter Bezugnahme auf ein früheres Urt. v. 29. 10. 1964 – VII ZR 86/63. BGHZ 41, 129.

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BGH VersR 1971. 265 (268); BGH, Urt. v. 29.03.1990, BB 1990, 1366; BGH v. 18.02. 1982, NJW 1982, 1814. OLG Köln v. 29.04.1968, VersR 1968, 966 (969). OLG Köln VersR 1968, 966 (969); anders bei erheblichem Gesamtumsatzrückgang, BGH VersR 1964, 1268. BGH v. 19.01.1970. OLG Karlsruhe JR 1958, 59 ff (63) – insoweit in BB 1957, 561 nicht abgedruckt.

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tigt. Entscheidet er sich für die Tätigkeit von Hilfskräften, übernimmt er das unternehmerische Risiko und dieser Umstand darf nicht billigkeitsreduzierend wirken; Unüblich hohe Provisionszahlungen oder für den HV besonders günstige Vertragsbestimmungen: Ja 726. Im Zweifel ist von der Angemessenheit des gezahlten Entgelts auszugehen 727; Treueverhältnis zwischen den Parteien: Nein, es ist dem Vertrag wesensimmanent 728; Verkauf der Kundenkartei: Ja 729. Hat ein Vertragshändler dem Hersteller die Daten der von ihm neu geworbenen Kunden bekannt gemacht, wird der Ausgleich nicht völlig unter Billigkeitsgesichtspunkten ausgeschlossen, weil der Vertragshändler die Kundenkartei auch einem Dritten übertragen hat, welcher zu dem Hersteller möglicherweise in Konkurrenz tritt. Infolge dieser Übertragung entfallen auch nicht sämtliche Vorteile des Herstellers. Der Fall ist nicht anders zu beurteilen, als wenn der Vertragshändler nach Vertragsende selbst im Wettbewerb zu dem Hersteller tritt. Der Konkurrenztätigkeit ist daher lediglich bei der Prognose der Unternehmervorteile und der Nachteile des Vertragshändlers sowie unter dem Gesichtspunkt des Billigkeitsabzugs Rechnung zu tragen; Verletzung von Vertragspflichten durch eine Partei, etwa infolge eines schuldhaftes Verhalten des HV 730 oder seiner Angestellten 731: Ja. Vertragswidriges Verhalten des HV gibt dem Unternehmer das Recht zur außerordentlichen Kündigung, die gemäß § 89b Abs. 3 zum Ausgleichswegfall führt. Erreicht die Vertragswidrigkeit nicht diese Schwelle, bleibt der Ausgleich grundsätzlich erhalten. Jedoch ist es nicht ausgeschlossen, unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit eine Reduzierung herbeizuführen, weil vertragswidriges Verhalten nicht belohnt werden soll. Das gilt insbesondere für die Verletzung der Vertriebspflicht durch den HV. Hat der Unternehmer den HV-Vertrag nicht außerordentlich gekündigt, wäre hierzu jedoch berechtigt gewesen, kann entweder der Ausgleich analog § 89b Abs. 3 Nr. 2 ausgeschlossen sein 732 – was im Bereich der EG-Richtlinie 1986 zunehmend bestritten wird (Rn 230) – oder der Billigkeitsgrundsatz ausgleichsbeschränkend wirken; Verlust von Kunden: Nein. Er wird bereits bei der Berechnung des Rohausgleichs berücksichtigt und kann daher nicht erneut im Rahmen der Billigkeitserwägung Maßstab sein, sofern keine außergewöhnlichen Umstände – etwa bewusste Vernachlässigung der Vermittlungsbemühungen (s.o.) – vorliegen 733. Der Verlust von nicht ausgleichspflichtigen Altkunden ist ohnehin nicht billigkeitsrelevant. Was den Ausgleich nicht erhöht kann ihn auch nicht reduzieren; Vertragsbegleitende Tätigkeit für andere Unternehmer: Nein 734. Der HV unterliegt keinem Verbot einer Zweittätigkeit, lediglich einem Wettbewerbsverbot für Produkte gleicher Art. Allenfalls vertragswidrige Wettbewerbstätigkeit darf gleich einem „puni-

BGH, Urt. v. 15.02.1965, BGHZ 43, 154 (159) = NJW 1965, 1134; BGHZ 45, 268; Hopt § 89b Rn 35; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 118, 125. BGH EBE 2000, 109 (112); Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 118, 125. Küstner/Thume II, Rn 1073. BGH, Urt. v. 28.06.2006 – VIII ZR 350/04, BB 2006, 1648. BGH, Urt. v. 17.10.1984 – I ZR 95/82, WM 1985, 469; Urt. v. 02.10.1958, NJW 1958,

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1966; Hübsch/Hübsch WM Sonderbeilage Nr. 1/2005, S. 16. BGH, Urt. v. 05.02.1959, BGHZ 29, 275 = NJW 1959, 878. Urt. v. 02.10.1958, NJW 1958, 1966. OLG Schleswig v. 01.11.1957, BB 1958, 246; OLG Stuttgart v. 26.03.1957, VersR 1957, 329. OLG Nürnberg v. 19.09.1957, NJW 1957, 1720.

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tive damage“ unter Billigkeitsgesichtspunkten berücksichtigt werden, weil vertragswidriges Verhalten keine Belohnung verdient. Zwar stehen dem Unternehmer Schadenersatzansprüche zu. Jene lassen sich jedoch nur schwer nachweisen; – Werbemaßnahmen des Unternehmers: Nein 735, es sei denn, die Werbung erreicht ein außergewöhnliches Maß, welches die sonst billigerweise zu erwartende Förderung der Tätigkeit des HV überstieg, und kommt dem HV nachweisbar zugute 736. Hohe Werbeaufwendungen des Unternehmers werden zudem zu einer vergleichsweise geringen Provisionshöhe und damit zu einem reduzierten Ausgleich führen, so dass eine Berücksichtigung der Billigkeitsgesichtspunkte zu einem doppelten Abzug leiten würde 737. Bei Beteiligung des Mittlers an Werbeaufwendungen ist ein Billigkeitsabschlag ausgeschlossen; – Werkstatttätigkeit des Vertragshändlers nach Vertragsende: Nein. Der Ausgleich eines nach Vertragsbeendigung als Werkstatt tätigen Händlers ist nicht zu kürzen, weder um 10 % noch um 50 % 738. Der Ausgleich wird lediglich für die Vertriebsbemühungen und nicht für die Tätigkeit im Werkstattbereich gezahlt. Was den Ausgleich nicht erhöht darf ihn auch nicht reduzieren. Neuwagen- und Werkstattgeschäft sind gegenständlich nicht substituierbar. Wie bei einer Konkurrenztätigkeit wird jedoch die Nutzung des Kundenstammes für vergleichbare Produkte gefordert. Zudem ist das Werkstattgeschäft Folge des Verkaufs. Entfällt der Verkauf, reduziert sich auch das Werkstattgeschäft als „after-sale-Tätigkeit“ erheblich; – Wirtschaftliche Lage der Parteien 739: Ja, im Ausnahmefall und wenn sie in Zusammenhang mit dem HV-Vertrag steht 740, etwa durch seine Ausführung mitbestimmt wurde. Ansonsten kann dieser Umstand als vertragsfremder nur in Ausnahmefällen 741 eine von vielen Ermessenserwägungen sein, und dies meist zugunsten des HV. Denn eine günstige wirtschaftliche Situation des HV darf die ihm vertraglich zugesagte Gegenleistung nicht mindern, ebenso wenig wie bei anderen Gegenleistungen eine solche Kürzung nach § 242 BGB in Frage kommt. Thume 742 weist darauf hin, dass bei Berücksichtigung der wirtschaftlichen Lage der aufgrund der selben Umstände verdiente Ausgleich unter Billigkeitsgesichtspunkten reduziert werden müsste, wenn der HV selbst vermögenslos war, sein Rechtsnachfolger – etwa sein Erbe – jedoch nicht 743. Von der Person des Empfängers kann der Inhalt einer vertraglichen Vergütung nicht abhängig sein, jedenfalls dann nicht, wenn dies nicht ausdrücklich bestimmt wurde. Noch prägnanter: Bei völlig identischen Umständen müsste einem weniger vermögendem HV der Ausgleich ungekürzt ausgezahlt, seinem vermögenden Kollegen jedoch gekürzt gezahlt werden. Nicht ausgleichsreduzierend wirkt eine nicht durch den HV-Vertrag hervorgerufene wirtschaftliche Überlegenheit 735 736

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OLG Köln VersR 1968, 966 (969), OLG Schleswig BB 1958, 246. BGH v. 28.10.1957, BGHZ 56, 242 (245) = NJW 1957, 1767; BGH NJW 1979, 651; OLG Köln v. 29.04.1968, VersR 1968, 966; OLG Celle v. 25.01.1968, NJW 1968, 1141; OLG Schleswig v. 01.11.1957, BB 1958, 246. BGH v. 04.06.1975, EBE 1975, 351 (354); OLG Karlsruhe v. 23.03.1960, BB 1960, 381; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 18. So aber Rickmann WuW 2003, 752 (762). BGH, Urt. v. 15.02.1965, NJW 1965, 1134 (1136); OLG Karlsruhe BB 1957, 561; LG Hamburg, Urt. v. 05.11.1954, MDR

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1955, 44; Noetzel NJW 1958, 1326; Neflin DB 1962, 1531; zweifelnd OLG Köln, Urt. v. 29.04.1968, VersR 1968, 966; aA Franta MDR 1953, 532. LG Hamburg, Urt. v. 05.11.1954, MDR 1955, 44. In diese Richtung BGH, Urt. v. 29.10.1964, unveröfftl.; zitiert nach Küstner/Thume II, Rn 1077. In: Küstner/Thume II, Rn 1078. Bei einer Abtretung nach Vertragsende wird es hier allerdings immer auf die Person des vertragsausführenden HV ankommen.

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des HV 744, die nicht durch für den HV besonders vorteilhafte Vertragsbedingungen hervorgerufen wurde; – Wunsch des HV nach Vertragsbeendigung: Ja 745 (dort Abzug von 3/4 des Ausgleichs; zweifelhaft 746); – Zeitaufwendige Tätigkeit: Regelmäßig Nein, abhängig von den Umständen des Einzelfalls 747, zumal sich bereits die Höhe der Provision und damit des Ausgleichs am voraussichtlichen Arbeitseinsatz orientieren dürfte 748.

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6. Zeitpunkt der Billigkeitsprognose. Ob die Zahlung des Ausgleiches der Billigkeit entspricht ist im Wege einer zukunftsbezogenen Prognose bei Vertragsende zu bestimmen. Welcher Zeitpunkt für die Billigkeitsprognose maßgeblich ist, ist unsicher. Zum Teil wird vertreten 749, auch nach Vertragsende eintretende Umstände, etwa ein nachvertraglicher Prozessbetrug oder eine Drohung, seien in die Billigkeitserwägungen einzubeziehen. Der BGH hat ausgesprochen, bei der Berechnung des Rohausgleiches dürften nur solche Umstände in die Zukunftsprognose einfließen, die zum Zeitpunkt der Vertragsbeendigung bereits abzusehen seien (Rn 95) 750. Das könnte dafür sprechen, sämtliche Umstände, die in die Billigkeitsprognose einfließen, müssten schon im Zeitpunkt der Vertragsbeendigung absehbar sein. Es ist aber gut vertretbar, bei der Bewertung der Billigkeit abweichend zu dem für den Prognosezeitpunkt Vertretenem nicht nur zum Zeitpunkt des Vertragsendes absehbare Umstände und damit einen umfangreicheren Tatsachenkreis in die Abwägung einzubeziehen als bei der vorgeschalteten Berechnung des Rohausgleichs. Denn die Billigkeit dient der Nivellierung von Ungerechtigkeiten im Lichte aller Tatsachen und damit gleichsam als „letzter Rettungsanker“.

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7. Ermessensausübung. § 89b Abs. 1 Ziff. 3 setzt eine Ermessensentscheidung und eine Ermessensausübung voraus. Insbesondere bei dem Abzug des Anwartschaftsbarwerts der Altersversorgung (Rn 166 ff) wird jedoch oft ohne Einzelfallerwägungen vorgegangen, was eine unzulässige geltungserhaltende Reduktion der nach BGH-Rechtsprechung 751 unzulässigen Anrechnungsklausel bedeutet. Der BGH 752 hat im Rahmen einer von § 850c Abs. 4 ZPO vorgeschriebenen Billigkeitsabwägung ausdrücklich die Ermessensausübung anhand der Umstände des Einzelfalls gefordert und im Leitsatz ausführt, ermessensfehlerhaft sei eine Billigkeitsabwägung, wenn dieselbe Berechnungsformel unterschiedslos auf verschiedenartige Fallgestaltungen angewendet werde. Diese Entscheidung, die eine tatsächliche Ermessensausübung fordert, wird man mit aller Vorsicht auf das Ausgleichsrecht übertragen können. 744 745 746 747 748 749

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OLG Karlsruhe, Urt. v. 11.04.1957, BB 1957, 561. OLG Celle, Urt. v. 12.04.2002, OLGR 2002, 262. Küstner/Thume II, Rn 1086a. OLG Hamburg, Urt. v. 05.06.1963, DB 1963, 1214; Küstner/Thume II, Rn 1071. BGH, Urt. v. 15.12.1978, BB 1979, 288 = DB 1979, 543. OLG München, Urt. v. 21.12.2005 – 7 U 2941/05, DB 2006, 1371; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 1037; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 103. BGH v. 06.08.1997 – VIII ZR 92/96, NJW 1998, 71; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 105.

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Urt. v. 20.11.2002 – VIII ZR 211/01 (OLG Köln), DB 2003, 144 = MDR 2003, 277 = WM 2003, 691 = EWiR 2003, 231 (Emde) = VersR 2003, 368; Urt. v. 20.11.2002 – VIII ZR 146/01, ZIP 2003, 264 = MDR 2003, 278 = WM 2003, 687 = EWiR 2003, 229 (Küstner) = VersR 2003, 323; zsf. Graf v. Westphalen, NJW 2003, 1988 f; ebenso OLG München, Urt. v. 13.03.2003 – 29 U 2509/02, NJW-RR 2003, 1286. BGH, Beschl. v. 05.04.2005, VII ZB 28/05, WM 2005, 1186; zuvor bereits BGH, Beschl. v. 21.12.2004, WM 2005, 293.

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§ 89b

8. Vertragliche Regelung von Billigkeitsgründen. Gelegentlich werden bei Abschluss 165 des HV-Vertrages oder später Vereinbarungen getroffen, welche Umstände im Rahmen der Billigkeitsprüfung erheblich sein sollen 753. Gemäß § 89b Abs. 4 ist der Ausgleich insoweit zwingend, als er nicht im Voraus ausgeschlossen werden kann. Die Parteien können deshalb nicht bindend regeln, welche Elemente im Rahmen der Billigkeitsprüfung anspruchsmindernd berücksichtigt werden dürfen. Solche Abreden dürfen, nicht anders als bei wichtigen Kündigungsgründen, die vom Gesetz vorgesehenen Billigkeitsgründe nur konkretisieren, nicht jedoch über den gesetzlichen Rahmen ausweiten. Das gilt jedoch nur, soweit sie zu einer Reduzierung des Ausgleichs führen. Die Erweiterung des Ausgleichs unter Billigkeitsgesichtspunkten ist jederzeit zulässig, da § 89b Abs. 4 nur eine Reduzierung des Ausgleichs verbietet. Ob die unwirksame Billigkeitsabrede – was der BGH annimmt 754 – faktisch die Billigkeitsgesichtspunkte konkretisiert, erscheint mehr als fraglich 755. Allenfalls kann eine solche Klausel ein Indiz – mehr aber nicht – dafür geben, welche Umstände den Parteien bedeutsam erschienen, aber nur dann, wenn die Regelung Ausdruck eines gerechten Interessenausgleichs ist und nicht einseitig von einer Partei gestellt wurde. Fast immer wird dieses Indiz von zweifelhaftem Wert sein, weil die vertragstellende Partei – meist der Unternehmer – die Umstände definiert und die Definition lediglich den Wunsch einer Partei und nicht die Einigung beider Parteien aufzeigt. 9. Sonderfall der Billigkeit: Anrechnung der Altersversorgung a) Meinungsstand. Da für einen Ausgleichsanspruch nach § 89b keine Rückstellun- 166 gen vorgenommen werden dürfen (Rn 366), für die Altersversorgung jedoch Pensionsrückstellungen gem. § 6a EStG 756, haben sich viele Unternehmer, insbesondere Versicherer, dazu entschieden, die steuerlich vorteilhafte Altersversorgung 757 zu gewähren. Das macht wirtschaftlich nur Sinn, wenn diese Altersversorgung nicht zusätzlich zum Ausgleich sondern an seiner Stelle gezahlt wird. Deshalb hat die Diskussion um den Abzug des Anwartschaftsbarwertes der Altersversorgung von dem zu leistenden Ausgleich eine besondere Bedeutung erlangt. Der Abzug wird von der Praxis sowie der überwiegenden Lehre mit dem Grundsatz der Billigkeit begründet: Neben dem Ausgleich begründete Versorgungsleistungen des Versicherers sollen ausgleichsersetzende Funktion einnehmen („funktionelle Verwandtschaft“ zwischen Ausgleich und Altersversorgung) 758. Die Altersversorgung nehme im Wesentlichen den praktischen Zweck einer Ausgleichszahlung wahr. Eine doppelte Belastung des Unternehmers durch die freiwillige Finanzierung einer Altersversorgung und die Ausgleichszahlung sei wirtschaftlich ungerechtfertigt und

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BGH, Urt. v. 17.11.1983, BB 1984, 168; v. 20.11.2002, NJW 2003, 1241; Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 106. BGH, Urt. v. 20.11.2001 – VIII ZR 211/01, DB 2003, 144 = EWiR 2003, 231 (Emde); ebenso Küstner/Thume II, Rn 1063. Emde EWiR 2003, 231 (232). BFH, Urt. v. 24.01.2001 – I R 39/00, DB 2001, 1227 = BB 2001, 1241; Löwe/Schneider ZIP 2003, 1129 (1130). Siehe Löwe/Schneider ZIP 2003, 1129.

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Grundlegend BGHZ 45, 268 = BGH, BB 1966, 794 = DB 1966, 1130; OLG München, Urt. v. 30.06.2005 – 23 U 2382/05, VersR 2006, 1122 (1123); bestätigt durch Nichtannahmebeschluss des BGH v. 30.5. 2006 – VIII ZR 201/05; OLG München, Urt. v. 21.12.2005 – 7 U 2941/05, VersR 2006, 1124 (1126); Fuchs-Baumann DB 2001, 2131; siehe auch Thume BB 2002, 1325 (1326); kritisch Graf v. Westphalen BB 2001, 1593.

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unbillig 759. Teilweise wird der Abzug auch mit dem Gesichtspunkt des „Vorteilsausgleichs“ begründet. Es gebe zwar im Ausgleichsrecht keine allgemeine „Vorteilsausgleichung“, auch nicht unter Billigkeitsgesichtspunkten, wenn die im Gefolge der Vertragsbeendigung dem HV zufallenden Vorteile mit dem Vertragsverhältnis nicht in Zusammenhang stehen. Die Altersversorgung hänge jedoch mit dem Vertragsverhältnis auf das engste zusammen. Anlass zur Diskussion gaben die Altersversorgungen von Versicherungsvermittlern. Das Problem ist jedoch nicht auf diesen Bereich begrenzt. Vielmehr handelt es sich um ein allgemeines, welches jeden Mittler treffen kann, dem der Unternehmer eine Altersversorgung gewährt. Dabei stehen sich zwei Gesichtspunkte gegenüber: Einerseits soll der Mittler keinen ungerechtfertigten Vorteil erhalten, andererseits der Unternehmer nicht doppelt zahlen. Diskutiert wird bereits, ob die Altersversorgung überhaupt zu den im Rahmen der Billigkeit berücksichtigungsfähigen Umständen gehört 760. Wie ausgeführt sind vor allem solche Umstände berücksichtigungsfähig, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem HV-Vertrag stehen. Da die Altersversorgung als Teil des Leistungs-Gegenleistungsverhältnisses gewährt wird, dürfte sie mit dem HV-Vertrag in einem solchen unmittelbaren Zusammenhang stehen 761. Das gilt allerdings nur für Anwartschaften, welche während der Tätigkeit als HV erworben wurden. War der HV zuvor als Angestellter tätig und hatte Anwartschaften aus einem Angestelltenversorgungswerk erworben, sind diese nicht anrechnungsfähig. Nach dem Urteil des BGH vom 23.05.1966 762 sollen allerdings auch solche Zahlungen ausgleichsmindernd wirken. Eine Anrechnung der Alters- bzw. Hinterbliebenenversorgung kommt auch in Betracht, wenn der Unternehmer die Altersversorgung nach Fälligkeit nicht aus eigenen Mitteln zahlt. Er kann das Versorgungsrisiko auch an Dritte übertragen. Es genügt daher, wenn dieser Dritter (z.B. ein Versicherungsunternehmen) auf Grund der Beiträge des Unternehmers die Versorgungsleistungen erbringt. Auch eine erhebliche Differenz zwischen Vertragsende und Fälligkeit stört die Billig167 keit des Abzuges nicht. Im Grundsatz gilt: Es entspricht i.d.R. der Billigkeit, dass der Kapitalwert der vom Unternehmer finanzierten Altersversorgung mit dem Ausgleichsanspruch des HV verrechnet wird, sofern Ausgleichsanspruch und Altersversorgung gleichzeitig fällig werden 763. Tritt die Fälligkeit der Altersversorgung 12 Jahre nach Vertragsende ein, bestehen gegen die Anrechnung ebenfalls keine Bedenken 764. In seinem Urteil v. 17.11.1983 765 hatte der BGH die Anrechnung des Anwartschaftsbarwertes einer Altersversorgung, die erst 24 Jahre nach Vertragsbeendigung fällig wurde, nicht beanstandet. 1994 verneinte der BGH die Anrechnung bei einer Fälligkeitsdifferenz von 21 Jahren 766. Aufgrund der langen Wartezeit sei kein funktionaler Zusammenhang mit dem Ausgleich erkennbar 767. Das abweichende Urteil aus 1994 begründete der BGH mit der Erwägung, die Parteien des Jahres 1983 hätten vertraglich vereinbart, die Altersversorgung sei auf den Ausgleich anzurechnen. Hieran fehle es im Fall des Jahres 1994. Der BGH wollte also von der Altentscheidung abgrenzen, ohne ausdrücklich von ihr abzuweichen 768. Dies zeigen auch die unten näher dargestellten BGH-Urteile v. 20.11.

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BGH BB 1966, 794 = DB 1966, 1130. Vgl. Küstner/Thume I Rn 1174. Vgl. Küstner/Thume I Rn 1174. DB 1966, 1130 (1132). OLG München, Urt. v. 30.06.2005 – 23 U 2382/05, VersR 2006, 1122 ff bestätigt durch Nichtzulassung der Revision durch den BGH am 30.05.2006 – VIII ZR 201/05.

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OLG München, Urt. v. 21.12.2005 – 7 U 2941/05, VersR 2006, 1123 (1126). DB 1984, 556. BGH NJW 1994, 1350. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 109 nimmt einen Zehnjahreszeitraum als zulässige Grenze an. Emde EWiR 2001, 765 (766).

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2002 769, bei denen teilweise ebenfalls eine Fälligkeitsdifferenz von 20 Jahren vorlag. Es entspricht in der Regel der Billigkeit, Abzüge in Höhe der vom Unternehmer geleisteten Zuschüsse für die Lebensversicherung des HV vorzunehmen, wenn der bei Ausscheiden 46 Jahre alte HV 17 Jahre für den Unternehmer tätig war, die Lebensversicherung bereits 12 Jahre bestanden hat und nach weiteren 14 Jahren zur Auszahlung fällig wird, der Versicherungsvertreter sich freiwillig zum Abschluss der Lebensversicherung entschlossen hat und nach Beendigung des HV-Vertrages eine Veräußerung oder Beleihung der Lebensversicherung möglich ist 770. Eine in AGB getroffene Anrechnungsabrede, nach der der Anwartschaftsbarwert der 168 Altersversorgung generell und zwingend vom Ausgleichsanspruch abgezogen wird, ist unwirksam 771. Eine solche Klausel verstößt gegen § 89b Abs. 1 S. 1 Nr. 3, Abs. 4 i.V.m. § 307 BGB 772, da sie den Abzug des Anwartschaftsbarwertes bindend und ohne Berücksichtigung von Einzelfallmomenten vorschreibt. Eine differenzierte, von § 89b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 zwingend vorgeschriebene Billigkeitsabwägung ist damit ausgeschlossen. Im Einzelfall kann z.B. eine lange zeitliche Differenz zwischen Vertragsbeendigung und Fälligkeit des Versorgungsanspruchs die Anrechnung verbieten. Die nach dispositivem Recht unter Billigkeitskriterien vorgenommene Anrechnung reduziert den Ausgleich nicht, falls der Rohausgleich weit oberhalb der Ausgleichshöchstgrenze valutiert. Billigkeitskriterien beschneiden lediglich den Rohausgleich. Die Klausel schreibt den Abzug jedoch nicht vom Rohausgleich sondern vom tatsächlich zu zahlenden und durch die Höchstgrenze beschnittenen Ausgleich vor. Im Ergebnis kann ein Abzug des Barwertes nur akzeptiert werden, wenn ihn § 89b gestattet. Jede Ausgleichszahlung steht unter dem Vorbehalt der Billigkeit. Die individuell unter Billigkeitsgesichtspunkten vorgenommene Reduzierung des Rohausgleiches durch den Anwartschaftsbarwert der Altersversorgung sei, so judizierte der BGH, nicht zu beanstanden. Damit wurde im Einzelfall eine Anrechnung der Altersversorgung unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit gestattet. Die Würdigung der im Rahmen der Billigkeit zu berücksichtigenden Umstände ist aber im Wesentlichen Sache des Tatrichters. Zudem entschied der BGH, die in einer Anrechnungsvereinbarung enthaltene Formulierung „diese Regelung beruht auf der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs“ verstoße gegen das Transparenzgebot, sofern die Klausel nicht dieser Rechtsprechung entspricht 773. Im Ergebnis nahm der BGH durch die individuelle 769

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Urt. v. 20.11.2002 – VIII ZR 211/01 (OLG Köln), DB 2003, 144 = MDR 2003, 277 = WM 2003, 691 = EWiR 2003, 231 (Emde) = VersR 2003, 368; Urt. v. 20.11.2002 – VIII ZR 146/01, ZIP 2003, 264 = MDR 2003, 278 = WM 2003, 687 = EWiR 2003, 229 (Küstner) = VersR 2003, 323; zusammenfassend Graf v. Westphalen NJW 2003, 1988 f. OLG München, Urt. v. 21.07.2004 – 7 U 1800/04, VersR 2005, 687. Urt. v. 20.11.2002 – VIII ZR 211/01 (OLG Köln), DB 2003, 144 = MDR 2003, 277 = WM 2003, 691 = EWiR 2003, 231 (Emde) = VersR 2003, 368; Urt. v. 20.11.2002 – VIII ZR 146/01, ZIP 2003, 264 = MDR 2003, 278 = WM 2003, 687 = EWiR 2003, 229 (Küstner) = VersR 2003, 323; zusammenfassend Graf v. Westphalen NJW 2003,

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1988 f; ebenso OLG München, Urt. v. 13.03.2003 – 29 U 2509/02, NJW-RR 2003, 1286; Vorinstanzen: OLG Köln, Urt. v. 17.08.2001 – 19 U 206/00, VersR 2001, 1377 = OLGR Köln 2001, 402 m. Anm. Emde VersVerm 2001, 440; OLG Celle, Urt. v. 16.05.2002 – 11 U 193/01, VersR 2002, 976; ebenso OLG Celle, Urt. v. 13.01.2005 – 11 U 171/04, OLGR 2005, 166; OLG München, Urt. v. 22.03.2001 – 29 U 4997/00; DB 2001, 1666 = BB 2001, 1666 = EWiR 2001, 765 (Emde); zuvor LG München I, Urt. v. 10.08.2000 – 12 O 3779/00, DB 2000, 2423 = EWiR 2000, 1019 (v. Hoyningen-Huene) = VersR 2001, 55 m. Anm. Küstner. So bereits Küstner VersR 2001, 58. Urt. v. 20.11.2002 – VIII ZR 146/01, ZIP 2003, 264 = MDR 2003, 278 = WM 2003,

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Billigkeitskorrektur das, was er zuvor im Rahmen der Klauselkontrolle gab. Seine Rechtsprechung hat zu erheblicher Kritik geführt. § 89b gehe von der Fälligkeit des Ausgleichs im Moment der Vertragsbeendigung aus 774. Der HV erhalte hier und jetzt, mit Vertragsbeendigung, eine Barzahlung in erheblicher Höhe. Die Dispositionsfreiheit bei der Verwendung des Ausgleichs sei ein Wert für sich. Die Anrechnung der Altersversorgung dagegen zwinge den HV in das Korsett der monatlichen Teilleistung, die zudem wegen der erheblichen Fälligkeitsdifferenz oft erst Jahre später oder bei Tod des HV oder Widerruf der Versorgungszusage 775 gar nicht fällig werde. Der HV könne, anders als es das gesetzliche Leitbild vorsehe, nicht sofort über den Ausgleich verfügen, die endgültige Höhe bleibe unbestimmt, weil der HV nicht wisse, wie lange er lebe und Zahlungen erwarten dürfe. Möglicherweise wird man die Regeln über die Vorauserfüllung des Ausgleichs auf die Anrechnung anwenden müssen. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Unternehmer vor Vertragsbeendigung Beiträge zur Altersversorgung einzahlte, insbesondere bei einer anderen Gesellschaft. Die AGB „mit der Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs verzichtet der HV auf 169 die unternehmerfinanzierte Altersversorgung“ verstößt hingegen nach Ansicht des BGH nicht gegen die zwingende Natur des Ausgleichs (§ 89b Abs. 4), weil der Ausgleich selbst unberührt bleibt und lediglich die Altersversorgung entfällt. § 89b Abs. 4 verbiete Vereinbarungen, durch die der Ausgleich von anderen als den gesetzlichen Voraussetzungen abhängig gemacht werde. Dagegen verstoßen Abreden, die sich nur mittelbar auf den Ausgleich auswirken, nicht gegen § 89b Abs. 4 776. Die Frage, welchen Anspruch der HV wähle, stelle eine nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu treffende Entscheidung dar, berühre aber die Rechtsposition des Ausgleichs nicht 777. Auch ein Verstoß gegen § 307 BGB scheide aus 778. Einen Widerspruch zur BGH-Rechtsprechung über die Unwirksamkeit einer formularmäßig vereinbarten Anrechnung der Altersversorgung fehle. Es gehe bei der Klausel nicht um die Anrechnung eines bestehenden Anspruchs auf den Ausgleich. Vielmehr habe der Unternehmer eine Gestaltung gewählt, welche die Altersversorgung unter der auflösenden Bedingung der Nichtgeltendmachung des Ausgleichs begründe. Der Umstand, dass bei Beendigung des Vertragsverhältnisses in vielen Fällen die Höhe des Ausgleichs noch nicht feststehe, so dass der HV bei Ausgleichsforderung u.U. die für ihn günstigere Altersversorgung verliere, stelle keine unangemessene Benachteiligung dar. Mit der Jahresfrist des § 89b Abs. 4 S. 2 stehe ein ausreichender Zeitraum zur Verfügung, sich über die Höhe und den Umfang des Ausgleichs im Klaren zu werden. Ohne eine solche Klausel besteht kein Wahlrecht des HV zwischen Ausgleich und Altersversorgung, weil der Ausgleich nur belastet mit der Billigkeitskürzung entsteht 779. In der Literatur werden zur Anrechnung der Altersversorgung unterschiedliche An170 sätze vertreten: Thume 780 meint, eine Betriebsrente habe die gleiche Zielrichtung wie der Ausgleich. Sie stelle ein freiwillig vom Versicherungsunternehmen gewährtes Entgelt für dessen Dienstleistung dar 781. Ihre Zahlung einerseits und des vollen Ausgleichs anderer-

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687 = EWiR 2003, 229 (Küstner) = VersR 2003, 323. Emde VersVerm 2001, 440 ff. Einen solchen Widerruf behalten sich die Unternehmer häufig vor, etwa bei wesentlicher Änderung der steuerrechtlichen Bewertung der Altersversorgung. BGH, Urt. v. 21.05.2003 – VIII ZR 57/02, DB 2003, 1568, 1569 = MDR 2003, 1122 = WM 2003, 2110.

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BGH, Urt. v. 21.05.2003 – VIII ZR 57/02, DB 2003, 1568, 1569 = MDR 2003, 1122 = WM 2003, 2110. BGH, Urt. v. 21.05.2003 – VIII ZR 57/02, DB 2003, 1568, 1569 = MDR 2003, 1122 = WM 2003, 2110. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 109. BB 2002, 1325. Thume BB 2002, 1325 (1326).

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seits führe zu einer unbilligen Doppelbelastung des Unternehmers 782. Wegen der Schwierigkeiten der Ausgleichsberechnung hätten sich die beteiligten Verkehrskreise auf die Grundsätze zur Ausgleichsberechnung geeinigt. Nach ihnen sei die Altersversorgung auf den Ausgleich anzurechnen. Die Anrechnung habe sich über die Jahrzehnte zu einer handelsrechtlichen Verkehrssitte entwickelt 783. Die zwingende Natur des Ausgleichs stehe einem solchen Handelsbrauch nicht entgegen. Auch durch die formularmäßige Vereinbarung der Anrechnung ändere sich der Rechtscharakter als Handelsbrauch nicht, so dass die §§ 307 ff BGB nicht entgegenständen 784. Selbst langjährige Fälligkeitsdifferenzen zwischen Vertragsbeendigung und späterer Auszahlung der Altersversorgung begründeten aufgrund jenes Handelsbrauchs keine Unwirksamkeit 785. Evers/Kiene 786 vertreten, eine anspruchsmindernde Berücksichtigung der Altersversorgung im Rahmen der Billigkeit gemäß § 89b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 könne nur unter dem Gesichtspunkt einer „besonders günstigen Vertragsbedingung“ erfolgen. Eine solche sei die Altersversorgung, wenn sie dem HV als gesetzlich oder vertraglich nicht geschuldeter Vorteil zugewandt werde. Leistungen des Unternehmers auf die Altersversorgung dürften regelmäßig nicht als besonders günstige Vertragsbedingung angesehen und damit anspruchsmindernd berücksichtigt werden. Eine besonders günstige Vertragsbedingung liege dann vor, wenn dem Beitrag des Unternehmers auf die Altersversorgung keine Leistung des HV gegenüberstehe 787. Existiere ein Gegenseitigkeitsverhältnis oder eine auch nur konditionale Verknüpfung zwischen Versorgungszusage und Gegenleistung des HV, komme eine Anrechnung nicht in Betracht. Zahlungen des Unternehmers für die Altersversorgung des HV, die letzterer durch Betriebstreue, Pensum- bzw. Staffelprovisionen oder Unterschreitung einer bestimmten Stornoquote verdient habe, dürften nicht ausgleichsmindernd wirken. Daran ist zutreffend, dass häufig bei der Provisionsbemessung bereits die Leistung einer Altersversorgung reduzierend berücksichtigt wird und der HV damit seine Altersversorgung selbst erwirtschaftet 788. Ob nachvertragliche Umstände die Anrechnung ausschließen können, ist umstritten. 171 Zu denken ist etwa an den die Auszahlung der Altersversorgung hindernden Tod des HV kurze Zeit nach seinem Ausscheiden. Möglicherweise steht schon die Anlagerechtsprechung (Rn 95) entgegen. Billigkeitsgesichtspunkte sollen aber die umfassende Berücksichtigung aller Tatsachen ermöglichen, also mglw. auch solcher nachvertraglicher Umstände. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der Unternehmer seine Leistungen zur Altersversorgung zum Zeitpunkt des Todes bereits erbracht hat, jedenfalls sofern es sich um eine Fremdversicherung handelt. Der Tod des HV kann folglich nur dann zu einem Entfallen der Verpflichtung des Unternehmers aus der Altersversorgung und zu einem Wiederaufleben der Ausgleichsverpflichtung führen, wenn der Unternehmer keine finanziellen Nachteile erleidet. Solche Nachteile entstehen oft, weil die Altersversorgung von einer selbständigen Gesellschaft erbracht wird, der Unternehmer erbrachte Prämien also nicht zurückerhält. b) Fazit. Nach Ansicht der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist im Zeitpunkt der 172 Vertragsbeendigung zu saldieren. Der bei Vertragsende 789 bestehende Barwert der Versorgungsleistungen ist dem Ausgleichsanspruch des HV gegenüber zu stellen. Bleibt der

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Thume BB 2002, 1325 (1327). Thume BB 2002, 1325 (1327). Thume BB 2002, 1325 (1328). Thume BB 2002, 1325 (1330). DB 2002, 1309 ff.

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Evers/Kiene DB 2002, 1309 (1310). Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 109. BGH, Urt. v. 14.06.2006 – VIII ZR 271/04, WM 2006, 1788 (1790).

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nach versicherungsmathematischen Grundsätzen ermittelte Barwert höher als der Ausgleich, so schuldet der Unternehmer dem HV keinen Ausgleich. Beweispflichtig für die Höhe des Barwertes ist der Unternehmer. Hinsichtlich der Beweisverteilung gilt der allgemeine Grundsatz, dass die Zahlung des Rohausgleichs der Billigkeit entspricht. Jedoch soll hiervon bei der Anrechnung der Altersversorgung eine Gegenausnahme existieren, nach der die Anrechnung des Anwartschaftsbarwerts regelmäßig billig sein soll (Rn 177) 790. Damit müsste der HV die Unbilligkeit der Anrechnung und möglicherweise auch die steuerlichen Vorteile des Unternehmers darlegen und beweisen. Jedenfalls hinsichtlich der steuerlichen Interna des Unternehmers kann dem wegen der notwendigerweise bestehenden Unkenntnis des Mittlers kaum zugestimmt werden. Der Abzug des Anwartschaftsbarwertes darf jedoch nicht „schematisch“ erfolgen. Die Umstände des Einzelfalls müssen immer im Blick bleiben und eine Ermessensentscheidung getroffen werden. Das Nichtausüben des Ermessens begründet einen Ermessensfehler, weil es einer nicht gestatteten geltungserhaltenden Reduktion der vom BGH für unwirksam gehaltenen Anrechnungsklausel gleichkommt. Verhindert der Unternehmer das Entstehen des ungekürzten Ausgleichs durch eine ordentliche Kündigung ohne Angabe von Gründen 15 Monate vor einem Zeitpunkt, zu dem ein Abzug des Barwerts der Altersversorgung vertraglich nicht mehr gestattet wäre, so ist der Abzug wegen der allzeitigen Zulässigkeit der ordentlichen Kündigung zwar nicht nach § 162 BGB unzulässig, darf jedoch unter Billigkeitsgesichtspunkten gemäß § 89b Abs. 1 Nr. 3 allenfalls teilweise erfolgen 791.

173

c) Unverfallbarkeit nach dem BetrAVG?. Die Substitution des Ausgleichs durch eine betriebliche Altersversorgung kann risikoreich sein. Derartige Altersversorgungen könnten unter das BetrAVG fallen. Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung sind grundsätzlich gemäß § 1b BetrAVG unverfallbar. Dies gilt gemäß § 17 Abs. 1 S. 2 BetrAVG auch für HV 792 sowie Versicherungsvertreter 793. Das LG München I 794 hat deshalb eine Klausel über die Widerruflichkeit der Versorgungszusage gemäß § 307 BGB für unzulässig gehalten, nach der die Versorgungszusage widerrufen werden konnte, wenn Gründe vorlagen, die eine außerordentliche Kündigung gestatteten und die Widerruflichkeit nicht lediglich auf schwerste Verfehlungen beschränkt war. § 1b BetrAVG ist zwingend. Zwar wird § 1b BetrAVG in § 17 Abs. 3 BetrAVG nicht 174 genannt. Denn in § 17 Abs. 3 S. 3 BetrAVG ist lediglich die Abweichung zu Ungunsten von Arbeitnehmern verboten worden. Der HV ist aber kein Arbeitnehmer. Lediglich die §§ 1 bis 16 BetrAVG gelten gemäß § 17 Abs. 1 BetrAVG entsprechend für Personen, die nicht Arbeitnehmer sind. Dabei handelt es sich aber wohl um ein Redaktionsversehen. Auch im Arbeitsrecht ist umstritten, unter welchen Voraussetzungen die Widerruflichkeit zulässig ist. Ursprünglich hatte die Rechtsprechung den vom Arbeitgeber ausgesprochenen Widerruf stets zugelassen, sofern er ausdrücklich vorbehalten war 795. Später wurde

790 791 792

OLG München, Urt. v. 21.07.2004, VersR 2005, 687. OLG Celle, Urt. v. 13.01.2005 – 11 U 171/04, OLGR 2005, 166. OLG München, Urt. v. 30.06.2005 – 23 U 2382/05, VersR 2006, 1122 (1123); bestätigt durch Nichtannahmebeschluss des BGH v. 30.05.2005 – VIII ZR 201/05; Martinek/ Flohr § 13 Rn 21; Blomeyer/Otto3 § 17 Rn 93; Küstner BB 1976, 1485.

962

793 794

795

Blomeyer/Otto aaO, § 17 Rn 93; LG Aachen v. 25. April 1975, BB 1976, 249. Urt. v. 10.08.2000, DB 2000, 2423; im Ergebnis auch OLG München, Urt. v. 30.06.2005 – 23 U 2382/05, VersR 2006, 1122 (1123); bestätigt durch Nichtannahmebeschluss des BGH v. 30.05.2006 – VIII ZR 201/05. Blomeyer/Otto3 Anhang § 1 Rn 439.

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§ 89b

die Zulässigkeit auf die Fälle beschränkt, in denen eine einseitige Lösung auch ohne Widerrufsvorbehalt anerkannt wird 796. Dies sind insbesondere die Fälle des „Wegfalls der Geschäftsgrundlage und der unzulässigen Rechtsausübung“ 797. Außerdem besteht ein Widerrufsrecht bei erheblichen Treupflichtverletzungen des Arbeitnehmers 798. In Fallen einer ausgleichsvernichtenden Kündigung wird also regelmäßig auch ein Widerruf der Versorgungszusage gestattet sein. Ferner kann der Widerruf für diese Fälle vertraglich vereinbart werden. Zwischen selbstständigen Kaufleuten gelten arbeitsrechtliche Grundsätze nicht ohne 175 weiteres. Möglicherweise wird man daher den Widerruf einer Versorgungszusage in einem HV-Vertrag zulassen müssen, wenn auch ein Ausgleich gemäß § 89b Abs. 3 Nr. 2 entfallen würde. Nur auf diese Weise kann die nötige Konkordanz zwischen dem Ausgleichsrecht und dem Substitut des Ausgleichs, der Versorgungszusage, hergestellt werden. § 89b Abs. 3 Ziff. 2 wäre bei diesem Verständnis im Ergebnis lex specialis. Für diese Diagnose dürfte die Entscheidung des BGH vom 21. Mai 2003 799 sprechen. Dort hat der BGH ausgeführt, die AGB „mit der Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs verzichtet der HV auf die unternehmerfinanzierte Altersversorgung“ verstoße nicht gegen die zwingende Natur des Ausgleichs oder gegen § 307 BGB. Der Ausgleich bleibe unberührt und lediglich die Altersversorgung entfalle. Der Unternehmer habe eine Gestaltung gewählt, welche die Altersversorgung unter der auflösenden Bedingung der Nichtgeltendmachung des Ausgleichs begründe. Dies sei kein Fall des § 307 BGB. Der BGH hat die auflösende Bedingung mithin nicht an den Regelungen des BetrAVG gemessen. Also wird er in diesen kein Problem gesehen haben. Häufig wird dergestalt geregelt, dass das Recht auf die Altersversorgung unter den gleichen Voraussetzungen entsteht und entfällt wie der Ausgleichsanspruch. Damit wird die funktionelle Verwandtschaft zwischen Ausgleich und Altersversorgung betont. Der Verpflichtete orientiert sich hinsichtlich des Entfallens des Ausgleichs an der gesetzlichen Leitentscheidung zum Ausgleichsrecht, nämlich § 89b Abs. 3 Nr. 2. Dies ist auch im Lichte des § 307 BGB billig 800, wie die gesetzliche Leitentscheidung zeigt. Was das Gesetz für den Fall der Ausgleichszahlung als billig ansieht, muss entsprechend für die ausgleichsvertretende Leistung, nämlich die Versicherungsleistung, gelten. d) Anrechenbare Leistungen. Umstritten ist, ob es für die Anrechnung auf die Höhe 176 der Auszahlungen an den HV oder die tatsächlichen Aufwendungen des Unternehmers für die Altersversorgung ankommt. Wie dargelegt hat der BGH 801 eine Anrechnung des Anwartschaftsbarwerts auf den Ausgleichsanspruch nicht beanstandet. Er hat jedoch nicht ausgeführt, eine solche Anrechnung müsse zwingend erfolgen. Vielmehr sei es Aufgabe des Tatrichters darüber zu entscheiden, was der Billigkeit entspreche. Küstner 802 vertritt, maßgeblich seien die Vorteile des HV und nicht die tatsächlichen Aufwendungen des Unternehmers. Insbesondere steuerliche Vorteile, welche der Unternehmer aufgrund 796 797 798 799 800 801

Blomeyer/Otto aaO. Blomeyer/Otto aaO. Blomeyer/Otto Rn 474. 8 AZR 57/02, VersR 2002, 1253 = DB 2003, 1568. LG Potsdam, Urt. v. 09.04.2008 – 52 O 9/07, unveröffentlicht. BGH, Urt. v. 20.11.2002 – VIII ZR 211/01 (OLG Köln), DB 2003, 144 = MDR 2003, 277 = WM 2003, 691 = EWiR 2003, 231 (Emde) = VersR 2003, 368; Urt. v. 20.11.

802

2002 – VIII ZR 146/01, ZIP 2003, 264 = MDR 2003, 278 = WM 2003, 687 = EWiR 2003, 229 (Küstner) = VersR 2003, 323; zusammenfassend Graf v. Westphalen NJW 2003, 1988 f; ebenso OLG München, Urt. v. 13.03.2003 – 29 U 2509/02, NJW-RR 2003, 1286. In: Küstner/Thume II, Rn 1234; ebenso Küstner VersR 2004, 157 ff; VersR 2004, 977.

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§ 89b

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der von ihm finanzierten Altersversorgung erlange 803, müssten außer Betracht bleiben. Der BGH hat in seinem Urteil vom 23.05.1966 804 festgestellt, steuerliche Vorteile, die der Unternehmer aus der Finanzierung ziehe, seien nicht zu Gunsten des HV zu saldieren. Entscheidend sei, was dem HV durch die Versorgungsbezüge an Vorteilen zufließe. Jedoch hat der BGH ausgeführt, auch die tatsächlichen Aufwendungen des Unternehmers könnten Einfluss auf die Höhe des Ausgleichsanspruchs haben, wenn sich dies aus besonderen Gründen als billig erweisen sollte. Tatsächlich gibt es Argumente dafür, bei der Billigkeitsprüfung auch die Höhe der wirklichen Aufwendungen des Unternehmens zu berücksichtigen. Der Ausgleich ist grundsätzlich neben einer Altersversorgung zu zahlen. Da im Rahmen der Billigkeit „alle Umstände“ zu prüfen sind, können dies auch steuerliche Vorteile des Unternehmers sein. Löwe/Schneider 805 vertreten demgemäß, eine die Anrechnung gebietende, unbillige Doppelbelastung des Unternehmers mit Ausgleich und Altersversorgung fehle in Höhe der steuerlichen Ersparnis des Unternehmers durch Pensionsrückstellungen gem. § 6a EStG 806. Angerechnet werden dürften allenfalls die Aufwendungen, welche der Unternehmer nach Abzug der durch sie gebildeten Steuervorteile real entstünden. Dass der BGH in seiner Leitentscheidung zur Anrechnung der Altersversorgung 807 die Berücksichtigung steuerlicher Vorteile nicht thematisiert habe, beruhe wohl darauf, dass in der dortigen Tatsacheninstanz nichts Entsprechendes vorgetragen worden sei. Der BGH habe in seiner Entscheidung vom 17.11.1983 808 ausdrücklich eine Begründung der Versorgungsanwartschaft durch den Unternehmer mit eigenen Mitteln gefordert. Damit sei der billigkeitsbegründende Umstand nicht die spätere Auszahlung der Versorgung, sondern deren Begründung, was eine Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen des Unternehmers unter Einschluss ihm zufallender steuerlicher Vorteile voraussetze. Die Pensionsrückstellung nach § 6a EStG samt der internen Nettoverzinsung führe zur Selbstfinanzierung des Rentenbarwerts. Auch Ziffer V Nr. 1 der Grundsätze der Versicherungswirtschaft, nach denen die unter Billigkeitsgesichtspunkten anzurechnende Altersversorgung „aus einer durch Beiträge des Versicherungsunternehmers aufgebauten Alters- und Hinterbliebenenversorgung“ entstehen muss, stelle auf den Aufbau der Versorgung durch Beiträge ab. Eine Ansammlung von Steuerrückstellungen ohne eigene finanzielle Beiträge sei kein Beitrag in diesem Sinn 809. Löwe/ Schneider führen aus, dass selbst bei einem 90jährigen Rentner die Selbstfinanzierungsquote über 100 % liegt. Eigene Leistungen des Unternehmers, welche die Anrechnung rechtfertigten, fehlten deshalb. HV sollten zukünftig geltend machen, Basis der Anrechnung sei nicht der nach versicherungsmathematischen Grundsätzen ermittelte Barwert/ Kapitalwert des Versorgungsanspruchs, sondern nur ein um die Selbstfinanzierung gekürzter Basiswert 810. Der Unternehmer sei zur Vorlage der Daten verpflichtet. Unterlasse er die Bekanntgabe, dürfe er nicht anrechnen 811. Das OLG Celle 812 hingegen sprach sich gegen die Berücksichtigung steuerlicher Vorteile aus. Der Umstand, dass der Versicherer durch die Einrichtung der Altersversorgung erhebliche steuerliche Vorteile erziele, könne ihm nicht zum Nachteil gereichen. Entscheidend sei lediglich, was dem HV durch die Versorgungsbezüge an Vorteilen zufließe. Deren Umfang werde durch die Steuervergünstigungen nicht berührt. Diese Ansicht teilt das OLG München: Ein durch

803 804 805 806 807 808

Zu ihnen etwa Otto DB 2004, 1900. DB 1966, 1130. ZIP 2003, 1129; VersR 2004, 1518. Löwe/Schneider ZIP 2003, 1129 (1130). BGH VersR 1984, 184. VersR 1984, 184.

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809 810 811 812

Löwe/Schneider VersR 2004, 1518 (1520). Löwe/Schneider ZIP 2003, 1129 (1134). Löwe/Schneider ZIP 2003, 1129 (1134). Urt. v. 16.05.2002 – 11 U 193/01, VersR 2002, 976 (979).

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§ 89b

Steuervorteile erreichter „gewisser Selbstfinanzierungseffekt“ sei hinzunehmen. Für den HV ist entscheidend, dass ihm durch die Versorgungsbezüge ein Vorteil zufließe 813. Welcher Ansicht zuzustimmen ist, ist schwer zu bestimmen. Stellt man auf den Erfüllungsgedanken ab, wird man auf das vom HV tatsächlich Erhaltene rekurrieren. Sieht man dagegen die Leistung des Unternehmers im Vordergrund, kommt es auf dessen tatsächlichen Vermögensverlust an. Wahrscheinlich sind beide Elemente zu berücksichtigen, da es das eine nicht ohne das andere gäbe 814. Bedenkenswert ist möglicherweise auch der Vergleich zum Erbfall: Günther 815 weist darauf hin, inkonsequenterweise entfalle die Altersversorgung beim Tod des HV, während der Ausgleich auch an dessen Erben zu leisten sei. Der Ausgleich entfällt unter Billigkeitsgesichtspunkten, obwohl jede Altersversorgung an die Erben fehlt. Damit rechtfertigt nicht nur das vom HV Erhaltene, sondern das vom Versicherer Geleistete den Verlust des Ausgleichs. Wenn aber das Geleistete mitbestimmend ist, stellt sich die Frage nach der Folge. Der Versicherer leistet wenig, wenn infolge der mit der Altersversorgung verbundenen Steuervorteile der Ausgleich für ihn aufwandsneutral entfällt 816. Auch die Rechtsprechung beurteilt die starre Anrechnung des Anwartschaftsbarwerts z.T. zurückhaltender: Nach Ansicht des OLG München kann eine dem HV vom Versicherungsunternehmen finanzierte Altersversorgung ungeachtet der Unwirksamkeit einer Regelung über die „starre“ Anrechnung der Altersversorgung auf den Ausgleichsanspruch 817 gleichwohl auf diesen angerechnet werden, wenn und soweit die ungekürzte Zuerkennung des Ausgleichs nach den Vorstellungen der Parteien sowie ihrem Verhalten während und nach der Beendigung des HVVerhältnisses und unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls unbillig wäre. In die Billigkeitserwägungen seien jedoch insbesondere die Dauer der Tätigkeit des Versicherungsvertreters, die eingeräumte Wahlmöglichkeit, die Finanzierung der Altersversorgung durch das Versicherungsunternehmen, die Zeitdifferenz zwischen Ausscheiden und Fälligkeit des Versorgungsanspruch, die Doppelbelastung der Versicherung bei etwaigen Steuervorteilen, die langjährige Betriebstreue sowie die Ersparnisse eigener Aufwendungen für die Altersvorsorge einzubeziehen 818. 10. Beweislast. Der nach Abs. 1 S. 1 Nr. 1 u. 2 berechnete Ausgleich trägt die Vermu- 177 tung seiner Billigkeit in sich 819. Die Beweislast ist im Gedanken des Wertausgleichs vorgegeben. Erst das Fehlen der Billigkeit macht die Voraussetzung des Abs. 1 S. 1 Nr. 3 relevant. Demjenigen, der seine Erhöhung oder Reduzierung unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit behauptet, obliegt folglich die Darlegungs- und Beweislast für die Billigkeitserwägungen (Regel-Ausnahmeverhältnis).

813

814 815

816 817

OLG München, Urt. v. 21.12.2005 – 7 U 2941/05, VersR 2006, 1123 = DB 2006, 1371. Emde BB 2005, 389 (397). Der Versicherungsvertreter und sein Ausgleichsanspruch, 2004, S. 128; ebenso. Emde VersVerm 2001, 441. Emde NJW 2005, 3694. Urt. v. 20.11.2002 – VIII ZR 211/01 (OLG Köln), DB 2003, 144 = MDR 2003, 277 = WM 2003, 691 = EWiR 2003, 231 (Emde) = VersR 2003, 368; Urt. v. 20.11.2002 –

818 819

VIII ZR 146/01, ZIP 2003, 264 = MDR 2003, 278 = WM 2003, 687 = EWiR 2003, 229 (Küstner) = VersR 2003, 323; zusammenfassend Graf v. Westphalen NJW 2003, 1988 f. OLG München, Urt. v. 21.12.2005 – 7 U 2941/05, DB 2006, 1371. BGH DB 1977, 720 (721); Schneider MDR 1970, 976; Saenger DB 2000, 129 (132); Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 103; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 17.

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VIII. Ausschlussfrist des § 89b Abs. 4 S. 2 (sechstes Tatbestandsmerkmal) 178

Die sechste positive und erste formelle Anspruchsvoraussetzung ist die Beachtung der Ausschlussfrist des § 89b Abs. 4 Satz 2. Damit ist eine gesetzliche Ausschlussfrist gesetzt. Sie gilt auch im Franchise- und Vertragshändlerrecht 820. Dem Wortlaut des Gesetzes nach handelt es um ein positives TB-Merkmal, der üblichen Bezeichnung mit „Ausschlussfrist“ nach jedoch um ein negatives. Gemäß § 89b Abs. 4 S. 2 muss der Ausgleichsanspruch innerhalb eines Jahres nach der Vertragsbeendigung geltend gemacht werden. Durch die EG-Richtlinie 1986 und das Durchführungsgesetz vom 23.10.1989 wurde die Frist von drei Monaten auf ein Jahr verlängert. Die Rechtswirkung der Fristversäumnis wird vom Gericht nicht erst, wie bei der Verjährung, auf Einrede hin berücksichtigt; sie greift, sofern der TB der Fristversäumnis sich aus dem Zusammenhang des Tatsachenvortrags der Parteien ergibt, auch dann durch und ist demgemäß vom Gericht („von Amts wegen“) 821 zu beachten, wenn der Unternehmer sich nicht darauf berufen hat. Da es sich bei der Ausschlussfrist um ein TB-Merkmal handelt, muss der HV zur Wahrung der von Amts wegen zu prüfenden Ausschlussfrist vortragen, es sei denn, die Klage wurde bereits innerhalb der Jahresfrist eingereicht 822. Ohne einen solchen Vortrag wäre die Klage unschlüssig. Nach Ende der Ausschlussfrist kann der Anspruch nicht mehr gefordert werden. Die Parteien dürfen sich jedoch einvernehmlich auf eine Verlängerung der Frist einigen 823. Eine Verkürzung der Frist vor Vertragsende scheitert an Abs. 4 S. 1, kann jedoch nach Vertragsende individualvertraglich vereinbart werden 824.

179

1. Zweck. Zweck der Ausschlussfrist ist es, dem Unternehmer möglichst schnell nach Beendigung des HV-Vertrages Gewissheit zu geben, ob der HV den Ausgleich beansprucht oder nicht 825. Dies ist angesichts seiner Höhe verständlich, letztlich aber ein Fremdkörper im System des Ausgleichsanspruchs bzw. des Schuldrechts überhaupt. Realistischerweise darf auch kein Unternehmer mit einem Verzicht des HV rechnen. 2. Verlängerung der Frist

180

a) Einleitung. Unkenntnis oder unverschuldete Fristversäumnis verlängern die Frist nicht 826. Der Unternehmer braucht den HV auch nicht auf die Frist hinzuweisen 827. Gedanken, nach schuldloser Versäumung der Ausschlussfrist gleichwohl einen Ausgleichsanspruch zuzubilligen 828, sind im Grundsatz abzulehnen. Die Ausschlussfrist dient der Rechtssicherheit und soll nach ihrem Ablauf klare Verhältnisse schaffen. Dies würde verhindert, wenn sie in vielen Fällen unmaßgeblich sein sollte. Bei erstmaliger prozessualer Geltendmachung soll aber § 270 Abs. 3 ZPO anwendbar sein 829. Einzelfälle können über § 242 BGB gelöst werden 830. Die Ausschlussfrist ist gem. § 242 BGB daher nur unmaßgeblich, wenn das Berufen auf sie eine Treuwidrigkeit darstellt, die nicht allein in der Erwartung des HV liegen kann, der Unternehmer werde das Vertragsverhältnis fortsetzen 831. Nach Ansicht des OLG Karlsruhe kann eine Berufung des Insolvenzverwalter auf die Ausschlussfrist ausnahmsweise gegen § 242 BGB verstoßen, sofern der Ver820 821 822 823 824 825

Westphal Vertriebsrecht II, Rn 267. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 72; Röhricht/ Graf v. Westphalen/Küstner § 89b Rn 95. BGH NJW 1980, 456. AA Küstner/Thume II, Rn 422; Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 72. AA wohl Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 72. BGH v. 29.04.1968, NJW 1968, 1419; v. 09.07.1962, NJW 1958, 23.

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826 827 828 829 830 831

Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 73. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 73. Trinkhaus S. 430, Fn 361. BGHZ 50, 86 (89); Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 74. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 72. BGH v. 18.09.1986, BB 1987, 22.

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§ 89b

walter den HV mehrfach ausdrücklich gebeten hat, weiterhin für den Insolvenzschuldner tätig zu sein.832 Dieser Auffassung ist der BGH im Revisionsverfahren entgegen getreten. Danach ist eine Berufung auf die Ausschlussfrist insbesondere deshalb nicht treuwidrig, weil die Entscheidung des HV, die Forderung nicht anzumelden, auf dessen eigenen wirtschaftlichen Erwägungen beruht.833 Der Insolvenzverwalter kann sich weiterhin auf die Ausschlussfrist berufen, falls er bloß allgemein die Weiterführung des Betriebs ankündigt und alle für das Unternehmen tätige Personen zur Mitarbeit auffordert.834 Immer aber ist zu prüfen, ob das Berufen des Insolvenzverwalters auf die Ausschlussfrist § 242 BGB widerspricht, weil er den HV von der Geltendmachung abhielt. Da die Ausschlussfrist des Abs. 4 S. 2 scharf von der Verjährung unterschieden ist, 181 sind die Fristvorschriften der ZPO 835 sowie die BGB-Verjährungsvorschriften 836, auch über Hemmung und Unterbrechung, nicht anwendbar, jedoch §§ 130–132 BGB 837. Da es sich um eine materielle, nicht um eine prozessuale Frist handelt, ist auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach den Regeln der ZPO nicht möglich. Der BGH 838 hat in einem Erbfall wegen der durch den Erbfall eingetretenen Ungewissheit über die Erbumstellung § 211 BGB = § 207 BGB a.F. angewandt, wonach die Verjährung eines Anspruches, der zu einem Nachlass gehört, nicht vor Ablauf von sechs Monaten nach dem Zeitpunkt vollendet wird, in welchem die Erbschaft von den Erben angenommen wird. Eine Verhinderung in der rechtzeitigen Geltendmachung durch höhere Gewalt (§ 206 BGB) vermag den Eintritt der Verwirkungsfolge des Abs. 4 S. 2 gleichfalls nicht hintanzuhalten, jedoch mglw. § 242 BGB (Rn 180). b) Abreden über Verlängerung und Verkürzung der Frist. Das Gesetz sagt nichts dar- 182 über, ob die Frist zwingend sei. Dass sie nicht vertraglich im Voraus verkürzt werden kann, ergibt sich aus Abs. 4 S. 1. Nach Beendigung des Vertragsverhältnisses getroffen, liefe das nach Ablauf der vereinbarten Frist auf einen Erlassvertrag hinaus; gegen einen solchen bestünden rechtlich keine Bedenken (Rn 253 ff). Eine Verlängerung – im Voraus oder nach Beendigung des Vertragsverhältnisses – lässt die Frage nach der Schutzwürdigkeit der Interessen aufwerfen, die hier betroffen sind. Die Jahresfrist zur Geltendmachung des Ausgleichs soll dem Unternehmer dienen und ihm möglichst bald Klarheit verschaffen, ob er mit Ausgleichsansprüchen zu rechnen hat. Ihn durch zwingende Normen zu seinem eigenen Schutz begünstigt zu sehen widerspräche der Tendenz des Gesetzes. Man wird deshalb die vertragliche Verlängerung zulassen müssen. Wird die Verjährungsfrist erreicht, muss diese zugleich verlängert werden, wobei regelmäßig von einer stillschweigenden Verlängerung auszugehen ist (Grenze: § 202 BGB). Ältere Auffassungen, die eine Verlängerung der Frist ausschlossen 839, sind mit Streichung des § 225 S. 1 BGB und der Einführung des § 202 BGB überholt. 3. Ausgleichsforderung unnötig. Der Forderung nach Ausgleich bedarf es nicht, 183 wenn der Unternehmer den Ausgleich bereits dem Grunde nach anerkannt hat (Parallele zur Selbstmahnung) 840. Sofern das Anerkenntnis nach Ablauf der Ausschlussfrist erfolgt, 832

833 834 835

OLG Karlsruhe zur Dreimonatsfrist des § 89b Abs. 4 a.F. HGB, Urt. v. 27.12.1984 – 9 U 100/84, WM 1985, 235 (236); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene, § 89b Rn 41. BGH, Urt. v. 18.09.1986 – I ZR 24/85, HVR 649. BGH, Urt. v. 18.09.1986 – I ZR 24/85, HVR 649. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 72.

836 837 838 839 840

Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 72. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 74. Urt. v. 15.12.1978, BB 1979, 288 = DB 1979, 543. Dazu 4. Aufl., § 89b Rn 109. BGH, Urt. v. 14.06.2006 – VIII ZR 261/04, NJW-RR 2006, 1542 (1543); v. 28.01.1965 – 7 ZR 120/63, BB 1965, 434 = VersVerm 1965, 98.

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muss ihm auch der Wille zu entnehmen sein, sich nicht auf die Ausschlussfrist berufen zu wollen. Dies wiederum setzt Kenntnis vom Verstreichen der Frist voraus. Das Anerkenntnis muss hinreichend deutlich erfolgen, was theoretisch auch konkludent geschehen kann. Gefordert werden darf dann der anerkannte Betrag, der in Höhe des Anerkenntnisses auch ein Anerkenntnis dem Grunde nach enthält. Dagegen ist der HV der Notwendigkeit einer Geltendmachung innerhalb der Jahresfrist nicht überhoben, falls er eine zum Zwecke des Ausgleichs geleistete Zahlung des Unternehmers entgegengenommen hat, sie aber nicht für ausreichend hält, selbst wenn er erst später zu dieser Überzeugung gelangen sollte. Der Fristbeginn wird dadurch nicht hinausgeschoben. Die Gefahr einer Fehleinschätzung in dieser Beziehung geht also zu seinen Lasten; er muss rechtzeitig, und sei es vorsorglich, seinen Restanspruch geltend machen. Die bloße freiwillige Teilzahlung des Unternehmers reicht also nicht 841. Die freiwillige Zahlung dürfte jedoch ausreichend sein, wenn ihr deutlich der Wille zum Anerkenntnis zu entnehmen ist. Erklärt der Unternehmer eine Änderungskündigung und akzeptiert der HV ungünstigere Vertragsbedingungen schuldet der Unternehmer für den beendeten Vertrag einen Ausgleich. Die Ausschlussfrist des § 89b Abs. 4 ist nicht gehemmt, solange das neue, geänderte Vertragsverhältnis andauert 842. Es empfiehlt sich daher eine vertragliche Regelung 843. Für den Verzicht auf den Ausgleich des HV – der nach Vertragsende möglich ist – sollte ihm eine Mindestkündigungsfrist eingeräumt werden, die ihm eine hinreichend lange Verdienstchance als Äquivalent für den Verlust des Ausgleiches gewährt.

184

4. Beginn der Ausschlussfrist. Die Frist beginnt in jedem Falle erst mit der Beendigung des Vertragsverhältnisses 844, also am Tag nach der rechtlichen Beendigung des HVVertrages 845. Für die Fristberechnung gelten die §§ 186 ff BGB 846. Ist der Vertrag nur faktisch beendet, beginnt die Frist erst mit der späteren rechtlichen Vertragsbeendigung zu laufen 847. Dies gilt im Grundsatz auch im spiegelbildlichen Fall, in welchem der Vertrag zunächst rechtlich beendet aber faktisch fortgeführt wird. Jedoch wird in diesem Fall meist eine konkludente Einigung über die Fortsetzung desselben Vertragsverhältnisses liegen. Erfolgt die Geltendmachung gerichtlich durch Klage oder im Mahnverfahren, so genügt zur Wahrung der Frist die Einreichung der Klageschrift 848 oder des Mahnantrags bei Gericht, §§ 167; 691 Abs. 2 ZPO. Nicht jedoch gilt das gleiche für die Einreichung des Gesuchs um Prozesskostenhilfe für eine Klage; hier müsste das Gesuch dem Unternehmer schon binnen der Jahresfrist vom Gericht zur Kenntnis gebracht sein, um die Geltendmachungsfrist zu wahren, sofern die Geltendmachung nicht schon außergerichtlich zuvor erfolgt sein sollte.

185

5. Vorwegforderung. Entgegen dem Wortlaut des § 89b Abs. 4 S. 2, demzufolge der HV den Ausgleich nach Beendigung des Vertragsverhältnisses geltend zu machen hat, wird heute allgemein vertreten, der HV könne den Ausgleich bereits vor Vertragsbeendigung fordern 849, sofern das Vertragsende absehbar ist 850. Damit ist die Forderung zumindest zulässig, sobald (im Fall der Vertragsbeendigung durch befristete Kündigung) die Kündigung ausgesprochen ist. Dem sollte im Falle des auf bestimmte Dauer eingegangenen Ver841

842

843 844

LG Münster, Urt. v. 13.07.2001 – 22 U 61/01, VersR 2002, 53; Küstner/Thume II, Rn 429. OLG Nürnberg v. 18.09.1958, BB 1958, 1151; OLG Stuttgart v. 29.11.1967, RVR 1968, 89. Küstner/Thume II, Rn 701. BGH VersR 1959, 669 (670) – insoweit in NJW 1959, 1677 nicht abgedruckt.

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845 846 847 848 849 850

Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 73. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 73. BGH v. 15.06.1959, NJW 1959, 1675. BGH NJW 1980, 456. BGH v. 12.06.1963, BGHZ 40, 18; KG v. 22.12.1959, NJW 1960, 361. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 74.

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§ 89b

tragsverhältnisses die Geltendmachung innerhalb derjenigen Zeitspanne gleichstehen, in der sonst der Vertrag zu seinem vereinbarten Endtermin hätte gekündigt werden müssen. Die Geltendmachung braucht in allen diesen Fällen nach förmlichem Vertragsende nicht wiederholt zu werden. Denn die Frist setzt lediglich die höchstmögliche Spanne, sagt aber nichts darüber aus, ob schon vorher der Ausgleich gefordert werden darf. Der Unternehmer weiß auch in dieser Situation um die Ausgleichsforderung. Zudem ist das Verlangen auch noch innerhalb der Jahresspanne nach Vertragsende beim Unternehmer präsent (Dauerzustand), so dass die Forderung zu diesem Zeitpunkt vorliegt (Fortwirkung der Forderung). Ein Eingang innerhalb der Jahresfrist wird folglich nicht gefordert. 6. Form der Ausgleichsforderung. Die Ausgleichsforderung ist kein höchstpersön- 186 liches Rechtsgeschäft. Sie kann auch in Vollmacht für einen Dritten vorgenommen werden 851 oder gegenüber dem Empfangsvertreter des Unternehmers erfolgen 852. Eine bestimmte Form der Forderung ist nicht vorgeschrieben 853. Es genügt jede (text)schriftliche oder mündliche Erklärung, aus der der Unternehmer entnehmen kann, dass ein Ausgleich verlangt werde. Auf die Formulierung kommt es nicht an 854. Nicht genügt die Erklärung, dass man „sich weitere Schritte vorbehalte“ 855. Die mündliche Geltendmachung genügt also, ist jedoch aus Beweisgründen kaum ratsam. Insbesondere muss der Anspruch nicht schriftlich oder gerichtlich gefordert werden 856. Es genügt jede Art der außergerichtlichen Geltendmachung. Der Ausgleich muss jedoch hinreichend deutlich angefordert werden 857. Weder braucht § 89b genannt zu werden noch muss die Forderung ausdrücklich als solche nach Ausgleich apostrophiert werden. Eine Bezifferung der Ausgleichsforderung wird gleichfalls nicht verlangt 858, ebenso wenig die Angabe der ungefähren Ausgleichshöhe. In der Rechtsprechung war anfänglich noch verlangt worden, der beanspruchte Betrag müsse in einer wenigstens ungefähren Höhe beziffert werden 859. Wie Fritz 860 dargelegt hat, ist eine solche ungefähre Bezifferung ohne wirklichen Wert. Der HV müsste alsdann den Vorbehalt einer höheren Bezifferung machen, wodurch das Anliegen des Unternehmers, einen Anhalt für seine Kalkulation zu gewinnen, nicht erfüllt ist; schon der Vorbehalt, aber auch die vorsorgliche Nennung einer höheren Ziffer würde für den HV die Gefahr einer negativen Feststellungsklage des Unternehmers mit entsprechenden Kostenrisiken heraufbeschwören, noch ehe das Material für eine endgültige Bezifferung überhaupt aufbereitet sein kann. Der Unternehmer kann den Ausgleich des HV selbst errechnen (er besitzt – wie § 87c zeigt – die Informationshoheit) und ist insoweit nicht schutzwürdig. Der Benachrichtigungszettel eines Einschreibens ersetzt aber nicht den Zugang des Geltungsmachungsschreibens 861, es sei denn, über den Inhalt des Schriftstückes war kein Zweifel erlaubt. Zudem kann eine treuwidrige Annahmeverweigerung vorliegen; der Zugang wird nach den insoweit geltenden Grundsätzen fingiert. 851 852 853

854 855

Küstner/Thume II, Rn 447. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 74. BGH, Urt. v. 29.04.1968 – VII ZR 8/66, BGHZ 50, 86 (88) = NJW 1968, 1419; Urt. v. 09.07.1962 – VII ZR 49/61, DB 1962, 1404; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 74. BGHZ 50, 86 (88). BGH BB 1969, 1371 (die Entscheidung ist allerdings für den dort zugrunde liegenden TB nicht überzeugend, weil v. Unternehmer zuvor schriftlich erklärt worden war, dass „ein Ausgleichsanspruch nicht bestehe“, und der HV dem ausdrücklich, unter Vorbe-

856 857 858

859 860 861

halt weiterer Schritte, widersprochen hatte). BGH v. 28.10.1957, NJW 1958, 23; v. 04.05.1959, NJW 1959, 1430. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 74. BGH v. 09.07.1962, BB 1962, 1101 = BGH DB 1962, 1404; OLG Düsseldorf v. 08.02. 1977, HVR Nr. 504; KG v. 22.12.1959, NJW 1960, 630. OLG Stuttgart VersR 1957, 329; Frankfurt/M. NJW 1960, 630. Fritz NJW 1960, 1653. BGH, Urt. v. 18.12.1970, VersR 1971, 262.

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§ 89b 187

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7. Beispiele. Eine wirksame Forderung liegt beispielsweise in folgenden Fällen vor: Bei Forderung nach „Entschädigung für die Vertragsbeendigung“ oder dem Verlangen nach einer Kündigungsentschädigung. Es muss nur klar sein, dass eine Kompensation für das Vertragsende gefordert wird. Einzelheiten sind eine Frage der Auslegung.

IX. Ausgleichshöchstgrenze (Siebtes Tatbestandsmerkmal) 188

Gemäß § 89b Abs. 2 beträgt der Ausgleich höchstens eine Jahresprovision oder eine sonstige Jahresvergütung, berechnet aus dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre der Tätigkeit des HV. Die Höchstgrenze ist eine reine Rechengröße, die vom Gesetzgeber nach Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit „gegriffen“ werden musste. Die Amtliche Begründung schweigt. Dass der zahlenmäßige Schnitt auf den Betrag einer Jahresprovision festgelegt wurde, folgt keiner inneren Notwendigkeit. 1. Berechnung der Höchstgrenze

189

a) Berücksichtigungsfähige Provisionen. Für die Ausgleichshöchstgrenze maßgeblich sind die vom HV verdienten und ihm geschuldeten Provisionen, unabhängig davon, ob sie ihm tatsächlich gezahlt wurden, verjährt oder einredebehaftet sind. BGHZ 56 242, 250 hat die sozialpolitischen Intentionen des Gesetzgebers wohl richtig gedeutet: dass, wenn schon eine Höchstgrenze festzusetzen sei, das (durchschnittliche) Jahresgesamteinkommen des HV und nicht nur das durchschnittliche Jahreseinkommen aus den Neukundenprovisionen diesen Höchstsatz bilden soll. Art. 17 Abs. 2b der EG-Richtlinie 1986 in seiner deutschen und französischen Fas190 sung stellt allerdings auf den tatsächlichen Empfang der Vergütung ab 862, und scheinbar nicht auf die geschuldete Vergütung im vorgenannten Sinne. Da der englische Text jedoch die Auffassung, es komme auf das Geschuldete an, nicht ausschließt, erscheint dieses Verständnis der Bemessungsgröße auch im Anwendungsbereich der EG-RL zutreffend: Wollte man (nur) auf den tatsächlichen Geldzufluss abstellen, würde derjenige Unternehmer bevorzugt, der Zahlungen ungerechtfertigt zurückhält. Maßgeblich sind also alle von dem HV während des Bezugszeitraumes verdienten Provisionen sowie diejenigen, die ihm bei rechtmäßiger Handhabung der Vereinbarung bzw. der gesetzlichen Bestimmungen hätten zufließen müssen 863. Bei einer Herabsetzung oder Erhöhung des Provisionssatzes während der Vertragsdauer sind pro rata temporis die nach den jeweils geltenden Provisionssätzen tatsächlich verdienten Provisionen maßgeblich. Folglich ist bei einer Erhöhung oder Reduzierung des Provisionssatzes der erhöhte oder verringerte Betrag nicht etwa auf den gesamten Zeitraum hochzurechnen 864. In die für die Berechnung des Provisionsdurchschnitts zugrundezulegende Masse sind 191 sämtliche 865 dem HV aufgrund des HV-Vertrages geschuldete Vergütungen einzuwerfen, die in dem Zeitraum, von welchem auszugehen ist, verdient worden sind. Das sind die Jahresbruttoprovisionen einschließlich Umsatzsteuer. So in eingehenden, auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift einbeziehenden Darlegungen: Geßler BB 1957, 1164. Ihm hat sich die Rechtsprechung angeschlossen 866. Insbesondere sind nach der wohlbedacht 862 863 864 865

Thume BB 2004, 2473 (2475). OLG Nürnberg, Urt. v. 03.11.1982, HVRNr. 511; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 131. Küstner/Thume II, Rn 1514; aA OLG Karlsruhe, Urt. v. 12.06.1984, Justiz 1984, 340. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 133.

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866

BGHZ 29, 93 und seitdem ständig; BGHZ 56, 242 (250); OLG Düsseldorf BB 1959, 8; OLG Celle NdsRpfl. 1959, 109 u. BB 1970, 227; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 133.

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§ 89b

weiten Fassung des Gesetzes hier nun alle Provisionseinnahmen des HV aus seiner Tätigkeit für den Unternehmer überhaupt, unter Einschluss von mit Altkunden verdienter Provisionen 867, Bezirksprovisionen 868, ebenso Inkasso-, Delkredere-, Verwaltungs- 869 und Bestandspflegeprovisionen 870, Kundenschutz-, Regaldienstprovision, Spesenzuschüsse, Boni und Kostenerstattungspauschalen, selbst in Form anrechenbarer Sachleistungen und Schadenersatzansprüche für entgangene Vergütungen 871 auch Provisionsgarantien einzubeziehen. Es gehören hierzu auch die noch nach Vertragsbeendigung anfallenden Provisionen, etwa weil das vermittelte Geschäft erst jetzt ausgeführt wird oder weil ein Sukzessivlieferungsgeschäft oder der Fall des § 87 Abs. 3 vorliegt (Rn 198). Eine Begrenzung auf die im Bezugszeitraum realiter zugeflossenen, d.h. ausgezahlten Provisionen ergibt sich nicht aus dem Gesetz 872. Es wäre auch kein innerer Grund hierfür einzusehen. Erhöht sich durch solche Einrechnung die Höchstsumme des Abs. 2, so hat, falls sie den Ausgleichsanspruch bisher beschnitten hatte, für diesen eine Nachberechnung zu erfolgen. Weil es nur auf die verdienten, nicht auf die realiter zugeflossenen Provisionen ankommt, sind in die hier erörterte Masse ferner einzuwerfen diejenigen Provisionen, die im Erfassungszeitraum des Abs. 2 zwar verdient worden sind, auf die der Anspruch inzwischen aber verjährt ist 873. Einen Auskunftsanspruch insoweit nach § 87c erkennt der BGH nicht zu (§ 87c Rn 11). Einleuchtend ist das nicht unbedingt. Für einen eingetretenen Ausgleichsfall sind diese Provisionen in dem zeitlich eingegrenzten Rahmen des Abs. 2 eben doch noch relevant. Auch über die muss deshalb Auskunft verlangt werden können, und zwar im vollen Modus des § 87c. Jedenfalls stünde ein Auskunftsanspruch aus § 242 BGB zu 874. Nicht gesondert ausgewiesene Geschäftskosten werden nicht von der Höchstgrenzenberechnung ausgenommen 875. Denn sonst würden HV in kostenintensiven Branchen oder HV, die in der Einführungsphase besonders hohe Geschäftskosten haben, benachteiligt 876. Dafür streitet der Gesetzeswortlaut, der von einer Jahresprovision und Jahresvergütung spricht, welche die gesamten Bezüge des HV umfasst. Außerdem erleichtert diese Auffassung die Errechnung des Ausgleichs, weil Beweiserhebungen über die Höhe der Nettoprovision vermieden werden 877. Der Ausgleich soll in Anlehnung an das bisherige Einkommen des HV bemessen wer- 192 den. Wollte man die o.g. Provisionen unberücksichtigt lassen, würde dies dem Schutzzweck des § 89b nicht gerecht 878. Damit wird nicht nur die Ausgleichsberechnung von dem oben wiedergegebenen Streit über die Ausgleichsfähigkeit verwaltender Anteile und die mögliche Auslagerung von Vergütungsbestandteilen in diese entlastet. Nur nicht leistungsbezogene Vergütungsbestandteile sind von der Höchstgrenzenberechnung auszuklammern, z.B. die o.g. gesondert ausgewiesene Erstattungen von Einzelaufwendungen. Nicht berücksichtigt werden etwa konkrete Erstattungsleistungen für genau bestimmte 867 868 869

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BGH, Urt. v. 03.06.1971, NJW 1971, 1611 = DB 1971, 1298. BGH DB 1957, 1148; VersR 1960, 676 und BB 1971, 105; Küstner/Thume II, Rn 1548. BGH, Urt. v. 04.06.1975, EBE 1975, 351 (354); OLG Nürnberg v. 18.01.1984, HVRNr. 583. BGH BB 1971, 105; OLG Karlsruhe BB 1982, 274; anders OLG Celle NJW 1968, 1141. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 133. Bruck/Möller Vor § 43, 384. BGH NJW 1982, 235. Vgl. RGZ 108, 7 und 158, 379; BGHZ 10,

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387; 55, 203; 58, 239; 61, 183 und NJW 1957, 1026 und 1962, 731. BGH, Urt. v. 11.12.1958, BGHZ 29, 93 = NJW 1959, 144; Urt. v. 18.06.1959, BB 1959, 718 = NJW 1959, 1490; Urt. v. 06.02.1964, VersR 1964, 378 (379); Urt. v. 19.11.1970, BGHZ 55, 45 = NJW 1971, 462. Küstner/Thume II, Rn 1565. Geßler Der Ausgleichsanspruch der Handels- und Versicherungsvertreter, 1953, S. 81/82. BGH, Urt. v. 19.11.1970, BB 1971, 105 = VersR 1971, 265.

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Kosten, z.B. für Mietkosten durch den Unternehmer 879 sowie von Kosten für Untervertreter 880. Wenn jedoch der HV echte Untervertreter aus eigenen Provisionseinnahmen vergütet, werden diese Provisionseinnahmen in die Höchstgrenzenberechnung einbezogen. Zu Unrecht kürzt Schröder 881 die dem Hauptvertreter gezahlten Provisionen bei Berechnung des Höchstsatzes um diejenigen Provisionen, die er an Untervertreter hat zahlen müssen, sofern der Einsatz von Untervertretern im Vertrage vorgesehen war oder der Vertrag seinem gesamten Inhalt nach hiervon ausging. Insofern käme dann wieder ein Nettoprinzip zum Durchbruch. Schröder rechtfertigt das mit der Erwägung, der Hauptvertreter werde für seine persönliche Tätigkeit nur mit der Spitze nach Abzug der dem Untervertreter zustehenden Provisionen entschädigt, und auf diese seine persönliche Tätigkeit komme es an. Selbst wenn man dem zustimmen wollte: dabei bliebe unberücksichtigt, dass der Hauptvertreter in aller Regel mit Beendigung seines eigenen Vertragsverhältnisses seinen Untervertretern kündigen muss und ihnen dadurch ausgleichpflichtig wird. Wenn aber für die Untervertreter die Höchstsätze des Abs. 2 gelten, sie also unter Umständen bis auf diese Höchstgrenze mit ihren Ausgleichsansprüchen heraufgehen können, erscheint es nicht folgerichtig, den Hauptvertreter für seinen eigenen Ausgleich, der die Ausgleichsforderungen der Untervertreter mit abzudecken hat, auf die Berechnungsart nach der persönlichen Tätigkeit gleich einem Untervertreter zu verweisen. Der Unternehmer darf Provisionseinnahmen nicht in konkreten Kostenerstattungen 193 „verstecken“, um auf diese Weise die Rohausgleichsberechnung oder die Höchstgrenze zu reduzieren. Er ist beweispflichtig, dass bestimmte Vergütungen lediglich Aufwandserstattungen sind. Daher wird eine Nichtberücksichtigung nur in Frage kommen, sofern konkrete Geschäftsunkosten erstattet werden, die nicht üblicherweise durch die Provision abgedeckt werden und die Provision marktüblich ist. Aber selbst dann bestehen Bedenken gegen die Nichtberücksichtigung, weil sich Verhandlungsgeschick des HV in der Vergütungs- und Erstattungsfrage gegen ihn wenden kann. Allgemeine Kostenerstattungspauschalen sind – wie skizziert – der für die Höchstgrenzenberechnung maßgeblichen Vergütung zuzurechnen und damit im Rahmen der Höchstgrenze berücksichtigungsfähig. Sie lassen sich nicht hinreichend präzise einzelnen Kostenpositionen zuordnen und vertreten damit die Provision, aus welcher der HV sonst die allgemeinen Geschäftsunkosten begleicht. Zudem wäre Missbrauch Tür und Tor geöffnet. Dabei ist unerheblich, ob sie der HV tatsächlich zur Deckung seiner Geschäftskosten benötigt 882. Zahlt der Unternehmer Vergütungen nicht aus, sondern verrechnet sie mit einer Ein194 standszahlung oder Ansprüchen aus einer Abwälzungsvereinbarung, die durch einen Provisionseinbehalt oder eine niedrigere Provision ausgeglichen wird, so kann die Frage entstehen, ob die Ausgleichshöchstgrenze aus den niedrigeren, tatsächlich ausgezahlten oder den höheren Provisionen mit den auf die Tilgung der Einstandzahlung entfallenden Anteil zu berechnen sind. Sofern dem HV mit dem Bezirk als Gegenleistung für die Einstandszahlung oder Abwälzungsvereinbarungen ein geldwerter Vorteil zugeflossen ist, muss der Ausgleich aus den niedrigeren, tatsächlich ausgezahlten Provisionen berechnet werden. Fehlt ein solcher Geldwert, ist der höhere Betrag maßgeblich. Für das Fehlen eines Geldwertes gelten die unter Rn 260 genannten Beweisgrundsätze. Endet das Vertragsverhältnis vorzeitig wegen eines vom Unternehmer verschuldeten Grundes, der zu einer Schadenersatzpflicht des Unternehmers führt, so hat der HV für die Zeit bis zum 879

880

Küstner/Thume II, Rn 1567; Schlegelberger/ Schröder § 89b, Rn 23b; Geßler b.b., 1957, 1464. Küstner/Thume II, Rn 1568; Schlegelberger/ Schröder § 89b Rn 23b.

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Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 23. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 133.

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Ende der ordentlichen Kündigungsfrist oder bis zum Ablauf des befristeten Vertragsverhältnisses Anspruch auf Schadenersatz nach § 89a Abs. 2: Solche Schadenersatzansprüche vertreten die während der restlichen Vertragszeit entgehenden Provisionen und sind daher regelmäßig in die Höchstgrenzenberechnung einzubeziehen. Im Vertragshändler- und Franchiserecht ist umstritten, ob HV-untypische, vice versa: eigenhändlertypische, Vergütungsbestandteile die Höchstgrenze erhöhen 883. Das muss sicher für die Vergütungsbestandteile gelten, die gerade für die eine Einbindung begründenden Tätigkeiten gezahlt werden. Welche das sind hätte ggf. der Unternehmer darzulegen, ebenso wie bei der Abgrenzung zwischen werbenden und verwaltenden Anteilen. Überhaupt spricht auch hier der Wortlaut für die Einbeziehung aller händlertypischen Vergütungsbestandteile bei der Berechnung der Höchstgrenze, nicht anders als bei den verwaltenden Anteilen. Die Münchner Formel zum BMW-Vertrieb kann wohl nicht für das Gegenteil in Anspruch genommen werden. Sie nimmt „wegen der gebotenen Analogie zum HV-Recht“ lediglich einen Abzug von 30 % für „verwaltende Anteile“ vor, nicht jedoch für händleruntypische Vergütungsbestandteile 884. Gegen die angedachte Einbeziehung der händlertypischen Vergütungsbestandteile würde nur der Gedanken sprechen, dass auch insoweit eine Analogie zum HV-Recht zu ziehen ist, weil anderenfalls der HVähnliche Vermittler einen höheren Ausgleich als ein HV mit vergleichbarer Tätigkeit erhielte. Aber die Risiken des Vertragshändlers oder Franchisenehmers mit Eigengeschäft beim Aufbau des Kundenstammes sind größer als die des HV. Wenn der Mittler daher einen Ausgleich erzielen soll, der seinem tatsächlichen, vertragsbegleitenden Verdienst entspricht, streitet dies für die höchstgrenzenerweiternde Einbeziehung Nicht-HV-typischer Vergütungsbestandteile. Verwaltende Anteile erhöhen auch hier die Höchstgrenze 885. b) Berechnungszeitraum. Hat der HV-Vertrag fünf Jahre bestanden, bildet die durch- 195 schnittliche Jahresprovision oder Jahresvergütung (Vertragshändler, Franchisenehmer) aus dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre der Tätigkeit des HV – nicht der Kalenderjahre 886 – die Höchstgrenze. War die Vertragsdauer kürzer, so ist der Durchschnitt aus diesem kürzeren Zeitraum zu errechnen. Hat der HV nur zwei Jahre gearbeitet, so ist der Durchschnitt dieser beiden Jahre zu bilden. Betrug die Vertragsdauer weniger als ein Jahr, ist umstritten, ob die Monatsprovisionen der Tätigkeiten auf ein volles Jahr hoch zu rechnen sind, bei dreimonatiger Tätigkeit also zu vervierfachen sind. Nach hA 887 ist dies der Fall. Eine Mindermeinung hält lediglich die tatsächlich während der kürzeren Vertragsdauer gezahlten Provisionen für maßgeblich 888. Der Wortlaut des Gesetzes spricht 883

Für den Abzug der nicht HV-typischen Vergütungsbestandteile, also die Nichtberücksichtigung der händlertypischen Vergütungsteile bei der Höchstgrenze: BGH Urt. v. 7.11.1991 – I ZR 51/90, NJW-RR 1992, 421 (423) = WM 1992, 825; BGH BB 1977, 511; Küstner/von Manteuffel BB 1988, 1972 (1976); Ensthaler/Funk/Stopper Handbuch des Automobilvertriebsrechts, II Rn 77, S. 209; Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 3 Rn 540 („allenfalls“); Martinek/Ullrich § 20 Rn 93; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rn 910; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 168; zum Franchiserecht: Rauser in: Metzlaff (Hrsg.), Praxishandbuch Franchising, 2003, § 16

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886 887 888

Rn 277. Gegen einen Abzug Genzow Rn 171. LG München I Beschl. v. 03.08.1998 – 15 HKO 23905/97. Genzow Vertragshändlervertrag, Rn 171; Ensthaler/Funk/Stopper Handbuch des Automobilvertriebsrechts, II Rn 77, S. 209; Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 3 Rn 540; Martinek/Ullrich § 20 Rn 93; Stumpf/Jaletzke/Schultze Rn 814. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 131. Hopt § 89b Rn 49; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 24. Küstner/Thume I, Rn 1519; 4. Aufl., § 89b Rn 89; Matthies DB 1986, 2063 (2065).

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eher für die Minderansicht, weil nach ihm bei kürzerer als fünfjähriger Tätigkeit ausdrücklich der Durchschnitt – nicht der Jahresdurchschnitt – während der Dauer der Tätigkeit maßgeblich sein soll. Berechnungszeitraum sind die Tätigkeitsjahre des HV vor der Vertragsbeendigung, nicht vor der Kündigungserklärung. Zwar ist erfahrungsgemäß davon auszugehen, dass das letzte Vertragsjahr schlechter als die übrigen Jahre verläuft. Der fünfjährige Bemessungszeitraum bietet jedoch einen hinreichenden Ausgleich für diesen Umstand und nivelliert damit Exendenten. Verlaufen die letzten fünf Jahre außergewöhnlich untypisch, kann über den Gesetzeswortlaut hinaus ggf. gem. § 242 BGB auf einen längeren Zeitraum abgestellt werden. Da der fünfjährige Bemessungszeitraum jedoch recht gestreckt ist, sind solche Ausnahmefälle kaum vorstellbar. Wird der HV vor der rechtlichen Beendigung des HV-Vertrages freigestellt und kann keine Provision mehr verdienen, bleibt der diesermaßen atypisch verlaufende Zeitraum der Tätigkeitseinstellung bei der Berechnung der Höchstgrenze außer Betracht. Vielmehr sind die letzten fünf Jahre vor der faktischen Einstellung der Tätigkeit Bemessungsgrundlage 889. Die Darstellung der Höchstgrenze erfordert substantiierten Vortrag beider Parteien, 196 da sich keine Partei auf bloßes Bestreiten beschränken kann. Da jede Partei die verdienten Provisionen kennt, muss eine Partei nach substantiiertem Vortrag der anderen zur Ausgleichshöchstgrenze ebenso substantiiert erwidern (sekundäre Behauptungslast). Daran wird es häufig fehlen, so dass der subtantiierte Vortrag einer Partei unstreitig werden kann. Letztlich obliegt es dem Unternehmer die Höchstgrenze nachzuweisen, da sie zu seinem Vorteil gereicht. Das gilt nicht im Vertragshändlerrecht, wo der Unternehmer die Höhe der Höchstgrenze nicht kennt. Hier obliegt es dem Händler, subtantiiert auszuführen und die Höchstgrenze auf Bestreiten zu beweisen, wobei das Gericht die Höchstgrenze aber ggf. schätzen muss und eine Klage nicht einfach wegen mangelndem Vortrags des Händlers zur Höchstgrenze abweisen darf.

197

c) Rohausgleich und Höchstgrenze. Die Ausgleichshöchstgrenze bildet keine Bemessungsgrundlage des Ausgleichs 890. Vielmehr muss zunächst nach den oben dargestellten Maßstäben der Rohausgleich bestimmt werden, der dann durch die Ausgleichshöchstgrenze beschnitten wird, falls der Rohausgleich die Höchstgrenze überschreitet. Liegt der Rohausgleich unterhalb der Höchstgrenze, hat die Höchstgrenze keinerlei Bedeutung 891 und der Rohausgleich ist der zu zahlende Ausgleich. Der Rohausgleich wird dann geringer sein als eine durchschnittliche Jahresvergütung, sofern die vom HV neu zugeführten Kunden oder intensivierten Altkunden nur zu einem geringen Teil der Gesamtprovision beigetragen haben oder die Stammkundenquote niedrig liegt. Umgekehrt wird der Rohausgleich eine Jahresvergütung übersteigen, wenn nur ein geringer Bestand an Altkunden vorhanden war. Da der Rohausgleich unterhalb der Ausgleichshöchstgrenze liegen kann, wäre eine Ausgleichsforderung, die allein auf die Höchstgrenze abstellt, unsubstantiiert und als Klage unschlüssig 892. Die oft erhobene Forderung nach dem Höchstausgleich des § 89b Abs. 2 entspricht allerdings einem Bedürfnis der Praxis nach Vereinfachung der Ausgleichsberechnung. Gewisse Schematisierungen sind daher ausdrücklich zu begrüßen,

889 890

Begründung der 4. Aufl., die sich auf die Amtliche Begründung S. 36 stützt: Die gegenteilige Ansicht dürfte dem Gesetzeswortlaut nicht entsprechen; sie wäre auch sachlich wenig gerechtfertigt. Küstner/Thume II, Rn 1521; Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 131. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 130.

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891 892

Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 130. BGH, Urt. v. 15.10.1992, BB 1992, 2385 = MDR 1993, 224; Urt. v. 27.02.1981, DB 1981, 1772 = MDR 1981, 906; Urt. v. 22.05.1981, NJW 1982, 235; Urt. v. 11.12. 1958, BGHZ 29, 83 = NJW 1958, 144; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 130.

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schon um Ausgleichsstreitigkeiten innerhalb angemessener Zeit und ohne vielfache Beweiserhebung abschließen zu können (Rn 275). d) Überhangprovisionen. Überhangprovisionen, die dem HV erst nach Vertragsbeendi- 198 gung zufließen, sind in die Berechnung der Ausgleichshöchstgrenze einzubeziehen 893 (s.o.). Der Ausgleichsanspruch schließt sie nicht aus 894. Würde man die Überhangprovisionen unberücksichtigt lassen, bliebe der HV bei kurzer Vertragsdauer und einem branchenbedingt hohem Anteil an Überhangprovisionen benachteiligt. Maßgeblich sind daher auch insoweit nicht die während des Vertrages gezahlten Provisionen, sondern die aufgrund der Tätigkeit des HV in den letzten fünf Jahren verdienten Provisionen. Umgekehrt sind aber Überhangprovisionen, die außerhalb des 5-Jahres-Zeitraumes verdient, aber erst innerhalb des 5-Jahres-Zeitraumes ausbezahlt wurden, nicht in die Ausgleichshöchstgrenze einzubeziehen, da sie nicht auf einer Tätigkeit innerhalb des 5-Jahres-Zeitraumes beruhen. Die Berechnung der Ausgleichshöchstgrenze ist damit, worauf Küstner 895 hinweist, kompliziert. In der Praxis wird eine solche Ausdifferenzierung nicht betrieben.

X. Ausgleichsausschluss nach § 89b Abs. 3 (Achtes Tatbestandsmerkmal) § 89b Abs. 3 hat den Billigkeitsgesichtspunkt des Abs. 1 S. 1 Nr. 3 in drei TB konkreti- 199 siert, die den Ausgleich kraft Gesetzes und von vornherein nicht zur Entstehung gelangen lassen. In allen Fallgestaltungen wirkt deshalb die Billigkeit in die Behandlung auftauchender Einzelfragen 896 hinein, zumal die Ausschlusstatbestände schon als solche mehr oder weniger stark mit werthaltigen Rechtsbegriffen arbeiten. Die „harte“ Ausschlussregelung tritt neben die „weiche“ Billigkeitsregelung des § 89b Abs. 1 Nr. 3 897. Die Norm nennt als negative Tatbestandsmerkmale die vom Unternehmer zu beweisenden Gründe, bei deren Eintritt der Ausgleichsanspruch ausnahmsweise nicht entsteht. Es handelt sich um – die Kündigung durch den HV, es sei denn, dass ihm ein Verhalten des Unternehmers hierzu begründeten Anlass gegeben hat oder dem HV eine Fortsetzung seiner Tätigkeit wegen seines Alters oder wegen Krankheit nicht zugemutet werden kann (§ 89b Abs. 3 Nr. 1); – die Kündigung des Unternehmers wegen schuldhaften Verhaltens des HV (§ 89b Abs. 3 Nr. 2); – die Vereinbarung zwischen dem Unternehmer und HV, aufgrund der ein Dritter anstelle des HV in das Vertragsverhältnis eintritt (§ 89b Abs. 3 Nr. 3). Die Existenz eines Ausschlussgrundes allein genügt. Die Ausschlussgründe brauchen 200 nicht kumulativ sondern nur alternativ vorzuliegen. Im Falle der Anfechtung werden die Ausschlussgründe des Abs. 3 analog angewandt. 201 Das bedeutet: Der Ausschlussgrund der Nr. 1 kann nicht durch eine Anfechtung umgangen werden: Hat der anfechtende HV einen begründeten Anlass zur Anfechtung, etwa im Falle einer Anfechtung nach § 123 BGB, bleibt der Ausgleich erhalten. Der Ausgleich entfällt nach Nr. 2, wenn der HV als Anfechtungsgegner einen wichtigen Grund zur Anfechtung wegen schuldhaften Verhaltens gesetzt hat, wobei leitbildartig ebenfalls an den Fall des § 123 BGB gedacht werden kann. 893 894

BGH, Urt. v. 23.10.1996 – VIII ZR 16/96, NJW 1997, 316 = WM 1997, 232. Flohr BB 2007, 1866; aA zu einem Franchisevertrag OLG Celle, Urt. v. 19.04.2007 – 11 U 279/06, BB 2007, 1862 (1864).

895 896 897

Küstner/Thume II, Rn 1535. Vgl. BGH DB 1976, 384. K. Schmidt Handelsrecht, § 27 V 2 f.

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Verstärkt ist die Tendenz der Gerichte zu beobachten, Ausgleichsklagen unter Berufung auf die Ausschlussgründe des § 89b Abs. 3 abzuweisen. Damit wird ein mühseliges Beweisverfahren über die Ausgleichsberechnung obsolet. Darauf sollte mit die Ausgleichsberechnung vereinfachenden Formeln reagiert werden, nicht mit derartiger schutzzweckwidriger Nothilfe (dazu unten).

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1. Rechtsnatur. Die Ausschlussgründe sind besonders geregelte Fälle des Billigkeitsgrundsatzes 898. § 89b Abs. 3 ist als anschließende Ausnahmeregelung eng auszulegen 899. Eine Analogie ist damit kaum möglich 900. Die entsprechende Anwendung des Abs. 3 als Teil der Gesamtanalogie des § 89b auf HV – ähnliche Vertriebsmittler ist allerdings anerkannt 901. Das gilt auch für Nr. 3 902. Für eine analoge Anwendung des Ausschlusstatbestandes besteht i.d.R. kein Bedürfnis, weil besondere Umstände des Einzelfalls, die nicht die Voraussetzung für einen Ausschluss nach § 89b Abs. 3 erfüllen, im Rahmen der weichen Billigkeitsabwägung nach § 89b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 zu berücksichtigen sind 903, bei der alle Umstände relativierend gegenüber gestellt werden 904. Folglich können vergleichbare Fälle unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit Berücksichtigung finden, was letztlich auf dasselbe hinaus läuft. Jedoch ist auch hier der enge Ausnahmecharakter der Ausschlusstatbestände zu berücksichtigen. Liegt einer der Ausschlussgründe des Abs. 3 vor, brauchen die TB-Voraussetzungen des Abs. 1 nicht mehr fest- gestellt zu werden 905. 2. § 89b Abs. 3 Nr. 1: Ausgleichsausschluss bei Kündigung durch den HV

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a) Allgemeines. Gem. § 89b Abs. 3 Nr. 1 entfällt der Ausgleich, wenn der HV das Vertragsverhältnis gekündigt hat (Grundsatz). Der Ausgleich entfällt nicht, falls ein Verhalten des Unternehmers zur Kündigung des HV begründeten Anlass gab oder dem HV eine Fortsetzung seiner Tätigkeit wegen seines Alters oder wegen Krankheit nicht zugemutet werden kann (Ausnahme). Aus diesem Regel-Ausnahme-Verhältnis ergibt sich trotz des Ausnahmecharakters des § 89b Abs. 3 – sie legt eigentlich eine Beweislast des Unternehmers für das Eingreifen der Ausnahme nahe – die Verteilung der Beweislast. Grundsätzlich ist eine Eigenkündigung des HV ausgleichsschädlich, es sei denn, der HV beweist einen Ausnahmetatbestand 906. Vor dem Hintergrund des Normzwecks des § 89b ist die Vorschrift wenig verständlich. 205 Sie beschränkt die Dispositionsmöglichkeiten des HV 907. Die Vorteile des Unternehmers aus dem vom HV aufgebauten Kundenstamm werden nicht geringer, nur weil der HV kün898

899 900

BGH, Urt. v. 07.03.1957, BGHZ 24, 30 = NJW 1957, 871; BGH, Urt. v. 05.02.1959, BGHZ 29, 275 = NJW 1959, 878; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 47. Bieder NJW 2007, 3471 (3472); Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 47. BGH, Urt. v. 28.02.2007 – VIII ZR 30/06, DB 2007, 1021; BGH, Urt. v. 06.02.1964 – VII R 100/62, BGHZ 41, 129 (131); v. 30.06.1966 – VII ZR 124/65, BGHZ 45, 385 (387); v. 13.03.1969 – VII ZR 48/67, BGHZ 52, 12 (14) = NJW 1969, 1023; v. 03.05.1995 – VIII ZR 95/94, BGHZ 129, 290 (294); Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 47; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 153; Hopt § 89b Rn 69.

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901

902 903

904 905 906 907

BGH, Urt. v. 07.07.1983, BB 1984, 166; v. 29.04.1993, BB 1993, 1312; Schultze/ Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rn 936; Martinek/Ullrich § 20 Rn 96. Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rn 936. BGH, Urt. v. 28.02.2007 – VIII ZR 30/06, DB 2007, 1020 (1022) mit zust. Anm Bieder NJW 2007, 3471 (3472); BGH, Urt. v. 13.03.1969 – VII ZR 48/67, BGHZ 52, 12; v. 16.02.2000 – VIII ZR 134/99, NJW 2000, 1866. Bieder NJW 2007, 3471 (3472). Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 47. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 48. Saenger DB 2000, 129.

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digt. Hieran ändert auch nichts, dass der HV die Folgen einer Kündigung ohne Anlass tragen muss 908. Unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 GG ist die Verfassungsmäßigkeit der Norm in Frage gestellt worden. Mit Beschluss vom 22.08.1995 909 hat das BVerfG entschieden, die Bestimmung verstoße nicht gegen die Artt. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 und 3 GG. Der Ausgleichsanspruch sei kein reiner Vergütungsanspruch, sondern werde durch Billigkeitsgesichtspunkte bestimmt. Auch den als schutzwürdig erkannten Interessen des Unternehmers an einer Fortsetzung der Zusammenarbeit dürfe der Gesetzgeber Bedeutung beimessen. Diskutiert wird auch ob die Gedanken des BVerfG 910 zu § 90a (§ 90a Rn 4) entsprechend gelten. Dagegen könnte der erheblichere Eingriff durch ein Wettbewerbsverbot im Verhältnis zum bloßen Verlust des Ausgleichs sprechen 911. b) Kündigung des HV. Eine Kündigung des HV ist jede auf die Vertragsbeendigung zie- 206 lende Willenserklärung, gleich ob sie eine ordentliche oder außerordentliche sein soll 912. c) Begründeter Anlass. Die Eigenkündigung ist gem. § 89b Abs. 3 Nr. 1 nicht aus- 207 gleichsschädlich, wenn ein Verhalten des Unternehmers zu ihr begründeten Anlass gab. Ein begründeter Anlass liegt zumindest vor, sofern ein wichtiger Grund zur Kündigung existierte, jedoch auch dann, wenn kein wichtiger Grund vorlag. Begründeter Anlass ist damit zunächst alles, was einen wichtigen Kündigungsgrund des HV wegen eines Verhaltens des Unternehmers abbilden würde (§ 89a Rn 11 ff). Spiegelbildlich bedeutet dies, dass wenn der HV einen begründeten Anlass zur ausgleichserhaltenden Kündigung nach § 89b Abs. 3 Nr. 2 geltend machen kann, er nicht notwendigerweise auch einen mit einer höheren Schwelle versehenen „wichtigen Grund“ zur außerordentlichen Kündigung nach § 89a besitzt 913. Jedoch kann auch ein „Minus“ gegenüber dem wichtigen Grund einen begründeten Anlass darstellen. Immer ist aber erforderlich, dass der begründete Anlass in einem Verhalten des Unternehmers seinen Ursprung findet. Verschulden des Unternehmers ist nicht vorausgesetzt. Entscheidend ist eine solche „Begründetheit“ des durch das Verhalten des Unternehmers gegebenen Anlasses zur Kündigung, dass dem HV bei der Abwägung, ob er sein Vertragsverhältnis lösen oder aber es durchhalten solle, das letztere als das weniger zumutbare erscheinen darf. Einfacher formuliert: Ein begründeter Anlass zur Kündigung besteht nur, wenn der HV durch ein Verhalten des Unternehmers in eine für ihn nach Treu und Glauben nicht haltbare Lage kommt 914. Dies wird in der Regel nicht anzunehmen sein, soweit sich der Unternehmer lediglich vertragskonform verhalten hat und ihm die Situation des HV nicht zuzurechnen ist 915. Objektiv vertragswidrig braucht das Verhalten des Unternehmers nicht zu sein 916; es kann sich in den Grenzen einer nicht verbotenen Rechtswahrnehmung bewegen 917, nur muss dann das Verbleiben im Vertrag für den HV geradezu unzumutbar sein. Noch weniger muss es sich deshalb um einen zur fristlosen Kündigung berechtigenden Grund handeln, wenn nur dem HV nicht zuzumuten ist, das Vertragsverhältnis über die normale Kündigungsfrist hinaus fortzusetzen. Die Kündigung braucht also nicht als fristlose ausgesprochen zu werden: dem HV kann gleichwohl ein begründeter Anlass zur Kündigung aus Verhalten des Unternehmers zur Seite stehen. Sogar ein rechtmäßiges 918, unverschuldetes 919 bzw. vertragsgemäßes Verhalten des Unternehmers 908 909 910 911 912 913

Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 48. I BvR 1624/92, NJW 1996, 381. BVerfG, Beschl. v. 07.02.1990 – I BvR 26/84, NJW 1990, 1469. Eberstein, S. 149. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 49. BGH, Beschl. v. 21.02.2006 – VIII ZR 61/04, BB 2006, 905.

914 915 916 917 918 919

OLG Köln, Urt. v. 15.12.2006 – 19 U 93/06, BeckRS 2007, 00089. OLG Köln, Urt. v. 15.12.2006 – 19 U 93/06, BeckRS 2007, 00089. Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 26. OLG Bamberg NJW 1958, 1830. Behrend NJW 2003, 1563 (1565). BGH, Urt. v. 13.03.1969 – VII ZR 174/66,

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mag dem HV einen begründeten Anlass zur Kündigung oder vorzeitigen Auflösung geben, etwa die Einstellung bestimmter Produktlinien durch den Unternehmer. In dem Fall NJW 1976, 671 hat der BGH eine schwierige Wirtschaftslage des Unternehmens als ausgleichserhaltenden Kündigungsgrund angesehen, die zu breiteren Erörterungen in der Öffentlichkeit geführt hatte und darauf Vermittlungseinbußen des HV nach sich zog. Die Entscheidung ist nicht unbedenklich. Wirtschaftliche Schwierigkeiten eines Unternehmens werden sich fast stets auf ein wie immer gedachtes „betriebliches Verhalten“ des Unternehmers (so der BGH) ursächlich zurückführen lassen, wenn man darunter auch ein Unterlassen begreift und im übrigen Mitursächlichkeit genügen lässt: vorwerfbar braucht das Tun oder Unterlassen ja nicht zu sein. Der BGH lässt denn auch den Gesichtspunkt des Unternehmerverhaltens alsbald in den Hintergrund treten, um statt dessen in dezidierten Ausführungen auf die Frage abzustellen, ob es dem HV zuzumuten sei, angesichts seiner sinkenden Provisionseinnahmen das Vertragsverhältnis mit dem „ins Gerede“ geratenen Unternehmer fortzusetzen. Damit aber macht man die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Unternehmens und den daraus resultierenden Einkommensrückgang des HV für diesen zu einem zentralen Grund, das Vertragsverhältnis aufzukündigen und trotzdem den Ausgleichsanspruch zu wahren. Das wiederum verbietet die vom Gesetz geforderte Voraussetzung des „Verhaltens des Unternehmers“; mindestens wird sie dadurch verundeutlicht. Der HV teilt für seine Provisionschancen grundsätzlich das wirtschaftliche Schicksal seines Unternehmers. Gehen die Provisionseinnahmen so zurück, dass sich ihm die Frage stellt, ob es noch lohne, für das Unternehmen weiter tätig zu sein, so hat er die Möglichkeit zu kündigen. Sache seiner Entschließung ist es dann, ob er zur Kündigung schreiten und seinen Ausgleich verlieren will – vielleicht wird der Ausgleich demnächst ohnehin nicht mehr gegeben sein, falls der Unternehmer den Betrieb einstellen muss –, oder ob er weiter tätig bleiben will in der Erwartung, dass die Verhältnisse sich wieder bessern werden oder die angeblichen Schwierigkeiten in Wahrheit gar nicht bestehen. Das Risiko einer Fehlbeurteilung ist ihm als Kaufmann nicht abzunehmen. Nicht anders als bei der Bestimmung des wichtigen Grundes ist das Verhalten beider 208 Parteien zu berücksichtigen 920. Da es sich um eine Tatsachenfrage handelt, ist die Frage, ob ein begründeter Anlass vorlag, in der Revisionsinstanz nur darauf überprüfbar, ob das Berufungsgericht den rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend bestimmt hat und keine wesentlichen Tatumstände außer Acht gelassen hat 921. Der Begriff des schuldhaften Verhaltens soll dabei weit ausgelegt werden 922. Das ist nicht auf den ersten Blick verständlich, weil es sich – wie die Worte „es sei denn“ zeigen – um eine Ausnahme von der Ausnahme handelt, die ihrerseits eng auszulegen sein müsste. Dass bereits das Entfallen des Ausgleichsanspruchs die Ausnahme sein soll und der Wegfall häufig als ungerecht empfunden wird – wie die Auseinandersetzung um die Verfassungsmäßigkeit des Wegfalls dokumentiert – mag die dogmatisch umstrittene weite Auslegung rechtfertigen 923, zumal die Ausnahme der Ausnahme wieder als Regelfall eingeordnet werden könnte. Die Auslegung allerdings mit dem Grundsatz der Billigkeit zu begründen 924 erscheint zweifelhaft. Auch Tatsachen, die als wichtige Kündigungsgründe bereits verwirkt sind, können in 209 einer Gesamtschau aller Umstände einen begründeten Anlass darstellen 925. Der HV darf

920 921

BGHZ 52, 5 (7); BGH ZIP 1996, 330 (331); Behrend NJW 2003, 1563 (1565); Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 52. BGH, Urt. v. 04.04.1960, VersR 1960; v. 22.09.1960, BB 1960, 1179. BGH, Urt. v. 26.01.1984 – I ZR 188/81, BB 1984, 1893.

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922 923 924 925

BGH, Urt. v. 13.03.1969 – VII ZR 174/66, BGHZ 52, 5 = BB 1969, 610. Vgl. Küstner/Thume II, Rn 1365. BGH, Urt. v. 28.11.1975, BB 1976, 332 = DB 1976, 384. OLG Stuttgart, Urt. v. 07.05.1985 – 10 U 135/74, HVR Nr. 609.

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einzelne Kündigungsgründe hinnehmen. Wenn sie insgesamt nicht mehr hinnehmbar sind, hat er infolge des Zeitablaufs zwischen Tatsacheneintritt und Kündigungserklärung möglicherweise keinen wichtigen Kündigungsgrund mehr, jedoch zumindest einen begründeten Anlass zur Kündigung 926. Da der begründete Anlass weniger als ein wichtiger Kündigungsgrund ist, entfällt der Ausgleich nicht, sofern der HV unberechtigt aus wichtigem Grund außerordentlich kündigt, jedoch tatsächlich ein begründeter Anlass zur Kündigung im Sinne des § 89b Abs. 3 Nr. 1 vorlag 927. Allerdings stellt die unberechtigte fristlose Kündigung eine Vertragsverletzung des HV da, auf die der Unternehmer seinerseits mit einer gemäß § 89b Abs. 3 Nr. 2 ausgleichsvernichtenden außerordentlichen Kündigung antworten darf 928. Nicht ganz konsequent hat der BGH 929 ausgeführt, der Unternehmer dürfe sich nicht darauf berufen, er habe ausgleichsvernichtend kündigen dürfen, es tatsächlich jedoch unterlassen. Der BGH meinte, nach dem Wortlaut des § 89b Abs. 3 Nr. 2 werde der Ausgleichsanspruch nur ausgeschlossen, wenn der Unternehmer tatsächlich kündige. Die Möglichkeit einer Kündigung reiche nicht. Man kann sich deshalb fragen, ob der HV nicht, falls er aus begründetem Anlass außerordentlich kündigte, beweisen muss, dass gerade für eine außerordentl. Kündigung ein begründeter Anlass vorlag. Er fehlt, wenn eine Abmahnung erforderlich war und nicht erfolgte. In der außerordentlichen Kündigung des HV ohne Kündigungsgrund liegt eine Vertragsverletzung, die zum Schadenersatz in Höhe des dem Unternehmer aus dem Durchschnitt der vergangenen Monate vermittelten Umsatz liegt. Mit diesem Gegenanspruch darf er gegen den Ausgleichsanspruch aufrechnen. Als Gestaltungshinweis kann dem Unternehmer daher im Fall einer außerordentlichen Kündigung nur geraten werden, selbst fristlos zu kündigen. War die außerordentliche Kündigung des HV berechtigt, hat dies keine Folgen. Blieb sie jedoch unberechtigt, füllte jedoch den Begriff des begründeten Anlasses aus, so verliert der HV durch diese Kündigung des Unternehmers gem. § 89b Abs. 3 Nr. 2 den Ausgleich. Der Nachteil des Unternehmers liegt allerdings darin begründet, dass er den HV im Falle der unberechtigten außerordentlichen Kündigung nicht mehr auf Erfüllung in Anspruch nehmen kann. Dafür gewinnt er jedoch den korrespondierenden Schadenersatzanspruch. aa) Verhalten des Unternehmers. Die ausgleichserhaltende Kündigung muss wegen 210 eines Verhaltens des Unternehmers erklärt worden sein. Das Erfordernis eines Unternehmerverhaltens soll zum Ausdruck bringen, dass keine Umstände, die außerhalb des Einflussbereiches des Unternehmers liegen, wie etwa höhere Gewalt, den HV zu einer ausgleichswahrenden Kündigung berechtigen. Dem Unternehmer sind alle in seiner Sphäre liegenden Umstände zuzurechnen, wobei diese Umstände weit auszulegen sind 930. Das „Verhalten“ des Unternehmers kann in einem Tun oder einem Unterlassen bestehen 931. Trotz der Formulierung „Anlass gegeben hat“ ist nicht zu fordern, dass das Verhalten des Unternehmers kausal für die Kündigung des HV gewesen sein muss. Der BGH lässt es genügen, wenn objektiv ein Verhalten des Unternehmers vorgelegen hat, aus dem der HV einen begründeten Anlass für seine Kündigung hätte herleiten können 932. Die wirklichen Motive der Kündigung sind daher unerheblich. Gegen ein solches Verständnis spricht zwar der Wortlaut der Norm, für die Ansicht jedoch der Vergleich mit der bisherigen Rechtsprechung zu § 89b Abs. 3 Nr. 2 (s.u.), die ebenfalls keine Kausalität für 926

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Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 52 lässt eine ausgleichserhaltende Kündigung auch zu, wenn die Vertragsfortsetzung dem HV nicht unzumutbar ist. BGH, Urt. v. 07.06.1984, NJW 1984, 2529. BGH, Urt. v. 07.06.1984, NJW 1984, 2529. BGH, Urt. v. 07.06.1984, NJW 1984, 2529.

930

931 932

BGHZ 52, 5 (8); BGH, Urt. v. 28.11.1975 – I ZR 138/74, NJW 1976, 671; Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 52. Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 26. BGHZ 40, 13 (16); BGH VersR 198, 1091 (1092).

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die Kündigung des Unternehmers forderte. Mit dem Vordringen der gegenteiligen Ausfassung zu § 89b Abs. 3 Nr. 2 wird die Diskussion zu § 89b Abs. 3 Nr. 1 neue Nahrung erhalten. Zu weit geht es aber, es genügen zu lassen, dass der begründete Anlass erst während der Kündigungsfrist eintrat 933. Der Unternehmer würde der Kündigungsfrist beraubt, da der HV erst ab Eintritt des begründeten Anlasses mit Kündigungsfrist kündigen dürfte, sofern der begründete Anlass nicht zugleich einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung konstituiert. Vielmehr muss er zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung vorliegen. Etwas anderes ist nur im Fall der Eigenkündigung wegen Alters und Krankheit zu vertreten, bei der es dem HV möglich sein muss auf den Zeitpunkt der vermutlichen Tätigkeitsunfähigkeit zu kündigen. Da der HV Treuund Rücksichtnahmepflichten unterliegt hat er das mildeste Mittel zu wählen. Er darf nicht sogleich aus begründetem Anlass kündigen wenn es mildere Mittel gibt. Ggf. muss er zunächst versuchen, einen Konflikt durch eine Abmahnung zu beseitigen 934.

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bb) Beispiele. Die Beurteilung der Zumutbarkeitsgrenze kann von HV zu HV, selbst bei äußerlicher Gleichheit des der Kündigung zugrunde gelegten Anlasses, verschieden ausfallen; es wird stets auf die Würdigung der Umstände des einzelnen Falles ankommen 935. Einen begründeten Anlass bilden folgende Fälle: 212 – Außervertragliches Verhalten: Auch außervertragliches Auftreten des Unternehmers kann einen begründeten Anlass geben, falls es das Vertrauensverhältnis zerstört. Dieses ist beispielsweise angenommen worden, wenn der Vorstand einer AG mit der Ehefrau eines HV ein ehebrecherisches Verhältnis führte 936. – Bezirksverkleinerung: Ja, und zwar selbst dann, wenn der Unternehmer zur Verkleinerung des Bezirks vertraglich berechtigt war 937. In Ausnahmefällen kann allerdings eine sachlich gerechtfertigte Verkleinerung des Bezirks das ausgleichserhaltende Kündigungsrecht ausschließen 938. – unberechtigter Direktvertrieb durch den Unternehmer 939. – Irrtum über den begründeten Anlass: Fraglich ist, ob ein begründeter Anlass auch dann vorliegt, wenn der HV aus einer Maßnahme des Unternehmers falsche Rückschlüsse ziehen musste (Zweifelsfall) 940. Das Vorliegen eines begründeten Anlasses ist aus der Sicht eines verständigen Beobachters in der Lage des Mittlers zu beurteilen 941. Es ist zu fragen, ob die Voraussetzungen, von denen der HV ausging, einen begründeten Anlass gegeben hätten, sofern sie tatsächlich vorgelegen hätten. Darüber hinaus ist zu prüfen, ob auch ein vernünftiger, gerecht und billig denkender Beobachter in der Lage des HV diese Situation in der gleichen Weise eingeschätzt hätte, der Irrtum also unvermeidlich gewesen ist. Nach Ansicht Saengers 942 spricht hierfür der Beweis des ersten Anscheins, falls sich der HV vor der Kündigung zum Zwecke einer einvernehmlichen Lösung an den Unternehmer gewandt habe. Dann treffe den Unternehmer die Beweislast dafür, dass er dem HV alle zur objektiven Beurteilung der Situa933 934 935 936 937

So Küstner/Thume II, Rn 1382; Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 53. Behrend NJW 2003, 1563 (1565); Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 52. BGH VersR 1960, 462. OLG Düsseldorf, Urt. v. 14.11.1963, BB 1964, 1120. OLG Bamberg, Urt. v. 30.05.1958, NJW 1958, 1830; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/ Dau, Rn 942.

980

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OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.06.1955, HVRNr. 77. BGH, Urt. v. 10.02.1993, NJW-RR 1993, 678; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rn 942. Hierzu: Saenger DB 2000, 129. Saenger DB 2000, 129. Saenger DB 2000, 129.

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tion erforderlichen Kenntnisse übermittelt habe. In Fällen, in welchen nachweislich beide Parteien Anlass zur Eigenkündigung gesetzt hätten, vermöge die Ausschlussregel bereits von ihrem Schutzzweck her keine Anwendung zu finden 943. Kleinere Auseinandersetzungen und Meinungsverschiedenheiten: Ja 944. Das dürfte jedoch zu weit gehen, weil sich solche Auseinandersetzungen möglicherweise sogar provozieren lassen 945. Kündigung, grundlose außerordentliche Kündigung des Unternehmers 946: Ja. Nach Ansicht von Ströbl/Faatz 947 soll abweichendes gelten, wenn der Unternehmer auf Grund der Änderung einer freistellenden GVO zur Kündigung gezwungen war. Kündigung des Hauptvertretervertrages: Dem Untervertreter gibt die Kündigung des Hauptvertretervertrages gegenüber seinem Unternehmer (= HV des Hauptvertreterverhältnisses) einen begründeten Anlass zur ausgleichserhaltenden Kündigung, sofern der HV dem Untervertreter keine Fortsetzung des Vertrages zu annehmbaren Bedingungen anbieten kann 948. Mangelhafte Ausführung von Bestellungen und damit eintretende Provisionsminderungen: Ja 949. Eine einzelne Schlechtlieferung ist hierfür allerdings nicht ausreichend 950. Der BGH hat eine Schlechtlieferungsquote von 16 % in einem Verkaufszeitraum und 44 % in einem weiteren als ausreichend angesehen 951. Nachträgliches Entstehen einer Konkurrenzsituation: Ja. Vertritt der HV zwei Unternehmen, die sich zunächst nicht als Wettbewerber gegenüber standen und erweitert eines dieser Unternehmen sein Sortiment in das Gebiet des anderen Unternehmens hinein, so entsteht nachträglich eine Wettbewerbssituation. Der HV muss diese Wettbewerbssituation auflösen, indem er einem der Unternehmen kündigt, weil er sonst gegen das vertragsimmanente Wettbewerbsverbot verstieße. Wem der HV kündigt, obliegt im Falle einer ordentlichen Kündigung ihm. Gegenüber dem sein Sortiment erweiternden Unternehmen kann sich der HV auf einen begründeten Anlass zur ausgleichserhaltenden Kündigung berufen 952. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Erweiterung des Sortiments durch den gekündigten Unternehmer rechtmäßig war. Produktionseinschränkung 953 Provisionsherabsetzung: Ja, selbst wenn der Unternehmer wegen der wirtschaftlichen Lage zu ihr gezwungen war 954. Die einseitige Provisionsreduzierung ist unwirksam. Sie bildet eine Rechtsanmaßung des Unternehmers, welche ebenfalls einen begründeten Anlass setzt. Saenger DB 2000, 129. LG Koblenz, Urt. v. 16.02.1993 – 4 HO 22/91, EWiR § 89b 1/93, 467 (Hartel). Dem LG Koblenz ging es darum, seiner zuvor in einem Vorlagebeschluss an das BVerfG (LG Koblenz, Beschl. v. 10.09.1991, BB 1991, 2032 = DB 1991, 2032) geäußerte Ansicht, in jedem Fall der Eigenkündigung des HV sei ein Ausgleichsanspruch durchzusetzen, nahe zu kommen. Seinen eigenen Beschluss hat das LG Koblenz dann mit weiterem Beschl. v. 04.08.1992 (DB 1992, 2182) aufgehoben und im späteren abschließenden Urt. zu dieser Angelegenheit eine verfassungskonforme Auslegung des § 89b Abs. 3 Nr. 1 vorgenommen.

946 947 948

949 950 951 952 953 954

BGH; Urt. v. 01.12.1993, BB 1994, 833, BGH, Urt. v. 27.05.1974, WM 1974, 867. WRP 2006, 1199 (1204), zweifelh. BGH, Urt. v. 13.03.1969, BGHZ 52, 5 = BB 1969, 510; BGH, Urt. v. 23.05.1984, BB 1985, 226. OLG Celle, Urt. v. 29.11.1961, DB 1962, 94; Küstner/Thume II, Rn 1405. Küstner/Thume II, Rn 1407. BGH, Urt. v. 06.02.1986 – I ZR 92/84, WM 1986, 622. BGH, Urt. v. 06.11.1986, BB 1987, 221 = DB 1987, 531. BGH, Urt. v. 29.05.1967, NJW 1967, 2153. Küstner/Thume II, Rn 1421.

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– Schlechtlieferungen des Unternehmers, besonders wenn sie sich häufen und dadurch das Festhalten der Kunden an der Geschäftsverbindung gefährden 955. – Teilkündigung: Einseitig durch „Teilkündigung“ verfügte Verkleinerung des Bezirks 956 oder Herabsetzung des Provisionssatzes, selbst wenn derartige Maßnahmen als einseitige dem Unternehmer nach dem Vertrag an sich gestattet waren. – Überspannte Berichtsforderungen, etwa die Forderung nach täglichen oder meist auch wöchentlichen Berichten 957. – Umsatzsteigerung: Ultimatives Verlangen einer auch bei größter Anstrengung nicht hereinzuholenden Umsatzsteigerung 958. – Unberechtigte Nichtzahlung der Provision. – Ungerechtfertigte Vorwürfe des Unternehmers 959. – Untervertreter: Siehe auch Rn 250. In einem mehrstufigen Vertriebssystem kann der begründete Anlass nicht nur im Verhalten des Hauptvertreters sondern auch im Verhalten des „Hauptunternehmers“ (Herstellers) zu finden sein 960. Unterlässt es der Hauptvertreter nach Kündigung des Hauptvertrages dem Untervertreter eine Vertragsfortsetzung zu angemessenen Konditionen anzubieten, so liegt ein begründeter Anlass zur Kündigung durch den Untervertreter vor 961. Dies gilt angeblich auch, falls Motiv der Kündigung war, den Untervertreter unmittelbar für den Hersteller tätig werden zu lassen. Der Ausgleichsanspruch mag dann aber unter Billigkeitsgesichtspunkten gekürzt werden 962. – Vertragsverstöße wie z.B. ständige Nachlässigkeiten in der Provisionsabwicklung oder unbegründete fristlose Kündigung 963. – Verweigerung des Anspruchs aus § 85 auf Aufnahme des Inhalts des HV-Vertrages in eine vom Unternehmer zu unterzeichnende Urkunde trotz mehrfacher Aufforderung: Ja 964. Die Urkunde muss sämtliche vertragliche Absprachen enthalten einschließlich ihrer Anlagen 965. Einem solchen Kündigungsrecht kann allerdings entgegenstehen, dass der HV bereits mehrere Jahre für den Unternehmer tätig war, ohne in dem Fehlen einer Vertragsurkunde einen Anlass zur Kündigung zu sehen. – Vollmacht: Willkürlicher Widerruf einer erteilten Vollmacht. Das Gleiche gilt wenn sie vertraglich zugesichert oder erforderlich war 966. – Weisungen: Versuche des Unternehmers, die Unabhängigkeit des HV durch „Weisungen“ ungebührlich einzuschränken 967. – Wegfall eines Hauptlieferanten des Unternehmers 968. – Zahlungsschwierigkeiten des Unternehmers 969. 955 956 957 958 959 960

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OLG Celle DB 1962, 94. OLG Bamberg NJW 1958, 1830. Küstner/Thume II, Rn 1398 ff. OLG Nürnberg BB 1964, 866. OLG Karlsruhe, Urt. v. 24.10.1972 – 8 U 45/72, HVR-Nr. 472. BGH Urt. v. 13.03.1969, BB 1969, 510; Hopt § 89b Rn 59; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/ Dau, Rn 943. BGH Urt. v. 23.05.1984, BB 1985, 226; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rn 943. Hopt § 89b Rn 59; Schultze/Wauschkuhn/ Spenner/Dau, Rn 943.

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963 964 965 966 967

968 969

BGH NJW 1967, 248. BGH, Beschl. v. 21.02.2006 – VIII ZR 61/04, BB 2006, 905. BGH, Beschl. v. 21.02.2006 – VIII ZR 61/04, BB 2006, 905. OGH, Urt. v. 16.12.1948, MDR 1949, 81; Küstner/Thume II, Rn 1417. OLG Oldenburg DB 1964, 105: wöchentliche Kundenbesuchsberichte zwecks reiner Tätigkeitskontrolle. OLG Köln, Urt. v. 09.08.2002 – 19 U 59/02, VersR 2003, 642. BGH, Urt. v. 29.05.1967, NJW 1967, 2153.

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§ 89b

Keinen begründeten Anlass bilden folgende Konstellationen: 213 – Insolvenz: Dem HV gibt die eigene Insolvenz keinen begründeten Anlass zur ausgleichserhaltenden Kündigung i.S.d. § 89b Abs. 3 Nr. 1 970. Erforderlich wäre, dass ein Verhalten des Unternehmers den begründeten Anlass setzte. Die Insolvenz des HV ist jedoch kein Verhalten des Unternehmers. Allenfalls könnte ein zur Insolvenz des HV führendes Verhalten des Unternehmers, etwa Zahlungseinstellung, einen solchen Anlass bilden. Die Insolvenz kann auch nicht einer ausgleichserhaltenden Eigenkündigung wegen Alters oder Krankheit (§ 89b Abs. 3 Nr. 1) im Wege der Analogie gleichgestellt werden. Hiergegen spricht sowohl die mangelnde Vergleichbarkeit der Fälle wie das Verbot der Analogie einer Ausnahmebestimmung. – Die Reduzierung des Bestandes an Bausparern um 5,6 % 971. – Wenn sich der Prinzipal vertragskonform verhalten hat 972. – Wirtschaftliche Gründe allein 973. Das gilt insbesondere, falls sich der Prinzipal vertragskonform verhalten hat und ihm die schlechte wirtschaftliche Situation des HV nicht zuzurechnen ist 974. Der HV hat die wirtschaftlichen Konsequenzen seines Handelns grundsätzlich selbst zu tragen 975. d) Frist zur Kündigungserklärung. Auch bei Vorliegen eines dem Unternehmer zu- 214 rechenbaren Umstandes, der dem HV begründeten Anlass zur Kündigung bzw. vorzeitigen Auflösung gibt, ist es erforderlich, dass dieser Umstand innerhalb angemessener Zeit nach Kenntnis zur Kündigung führt. Die Monatsfrist bei der außerordentlichen Kündigung gem. § 89a kann als Leitbild dienen 976 (§ 89a Rn 35 ff). e) Begründung und Nachschieben von Kündigungsgründen. Der HV braucht sich 215 nicht darauf zu berufen, dass er aus begründetem Anlass kündigt. Es genügt die tatsächliche Existenz des begründeten Anlasses 977. Es verhält sich insoweit nicht anders als bei der Kündigung aus wichtigem Grund, wo es ebenfalls genügt, dass der Kündigungsgrund objektiv vorliegt. Eine Pflicht zu Benennung des Kündigungsgrundes leitet sich auch nicht aus dem Umstand her, dass für den Unternehmer bei einer ordentlichen Kündigung nicht sofort und ohne weiteres erkennbar ist, ob sich der kündigende HV auf einen ausgleichswahrenden Kündigungsgrund beruft. Der Unternehmer gewinnt hinreichende Klarheit, indem der HV den Ausgleich innerhalb der Ausschlussfrist des § 89b Abs. 4 S. 2 geltend machen muss. Deshalb kann der begründete Anlass auch mit ausgleichswahrender Wirkung nachgeschoben werden, sofern nur der Grund bei Ausspruch der Kündigung objektiv bereits gegeben war. Beispiel: er war dem kündigenden HV lediglich noch nicht bekannt. Das Gegenteil anzunehmen hieße denjenigen Unternehmer privilegieren, der es verstanden hat, den Grund seinem HV erfolgreich zu verheimlichen. Das Nachschieben ist nicht einmal auf die Jahresfrist des Abs. 4 S. 2 begrenzt 978, sondern innerhalb der Schranken des § 242 BGB auch später, insbesondere im Prozess, noch zulässig. 970 971 972 973 974 975

Emde/Kelm ZVI 2004, 382 (384). LG Hannover, Urt. v. 21.03.2001 – 23 O 3005/00. OLG Köln, Urt. v. 15.12.2006 – 19 U 93/06, BeckRS 2007, 00089. OLG München NJW-RR 1998, 1563. OLG Köln, Urt. v. 15.12.2006 – 19 U 93/06, BeckRS 2007, 00089. OLG Köln, Urt. v. 15.12 2006 – 19 U 93/06, BeckRS 2007, 00089.

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Großzügiger Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 53: Nur Verwirkungsgrundsätze maßgeblich. BGH, Urt. v. 12.06.1963 – VII ZR 72/61, BGHZ 40, 13 = NJW 1963, 2068; BGH, Urt. v. 23.05.1984, BB 1985, 226 = VersR 1984, 1091. BGH aaO; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/ Dau, Rn 945.

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f) Kündigung wegen Alters oder Krankheit. Gemäß § 89b Abs. 3 Nr. 1, 2. Alt. ist die Kündigung des HV ausnahmsweise ausgleichserhaltend, wenn er nachweisen 979 kann, dass er wegen Alters oder Krankheit kündigte. Nicht erforderlich ist, dass die Kündigung ausdrücklich wegen Alters oder Krankheit erklärt wird 980. Vielmehr kommt es auf die objektive Lage im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kündigungserklärung an. Auf diesen Zeitpunkt ist abzustellen, weil der HV mit langer ordentlicher Kündigungsfrist sonst niemals ordentlich und ausgleichserhaltend zum Zeitpunkt der vermutlichen Unzumutbarkeit – etwa dem Erreichen des 65. Lebensjahrs – kündigen dürfte. Die maßgeblichen Gründe können im Prozess nachgeschoben werden 981. Hat sich die Krankheit zu einem wichtigen Grund verdichtet, darf der HV gem. § 89a kündigen. Sofern das Alter oder die Krankheit eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zulassen, sollte die ausgleichserhaltende Kündigung ordentlich erklärt werden. Fehlt es nämlich an einem wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung riskiert der HV, dass der Unternehmer seinerseits kündigt und der HV hierdurch gemäß § 89b Abs. 3 Nr. 2 seinen Ausgleich verliert. Paradigma einer solchen außerordentlichen Kündigung ist etwa ein Vertrag mit zehnjähriger Laufzeit, wenn sich der HV nach fünf Jahren infolge Alters oder Krankheit nicht mehr im Stande fühlt, den Vertrag fortzusetzen 982.

217

aa) Kündigung wegen Alters. Leitbildartig wird man davon ausgehen können, dass einem HV mit Erreichen des üblichen Rentenalters eine ausgleichserhaltende Kündigung wegen Alters möglich ist 983. Hierbei ist eine generalisierende Betrachtungsweise nach Ansicht vieler angebracht. Zwar heißt es häufig, dass man so alt ist wie man sich fühlt, nur lässt sich das gefühlte Alter von außen schlecht beurteilen. Ausreißer nach unten werden daher auch über das TB-Merkmal „Krankheit“ berücksichtigt werden können. Die früher geltende Unzumutbarkeitsgrenze bei Frauen mit Erreichen des 60. Lebensjahres und bei Männern mit 65. Lebensjahr 984 wird man heute auf das geltende Rentenalter heraufsetzen müssen. Nach den Verhältnissen des Einzelfalls mag der HV aber auch früher zu alt für eine anstrengende Reisetätigkeit sein. Nach Ansicht anderer wird man nicht darauf abheben können, wieweit dem HV die Fortsetzung seiner Tätigkeit trotz vorgerückter Lebensjahre noch zumutbar sei oder nicht, und hierfür Gesichtspunkte der individuellen körperlichen Rüstigkeit, der Möglichkeit einer organisatorischen Entlastung im Betrieb der Agentur und den Vergleich mit anderen HV in gleicher Lage heranziehen dürfen. Der Wortlaut des Gesetzes, der die Zumutbarkeit auf beide TB, Alter wie Krankheit, in gleicher Weise bezieht, stützt aber gerade diese Deutung. Auch ist nicht zu verkennen, dass es für einen selbständigen Gewerbetreibenden ebenso wenig wie für einen freiberuflich Tätigen eine „Altersgrenze“ gibt. Diejenigen, die die individuellen Altersbeschwerden ausblenden, argumentieren wie folgt: das Abstellen auf die individuelle Leistungsfähigkeit würde zu schwer erträglichen Nachteilen für den HV führen, zu dessen Schutz, nicht zuletzt aus sozialen Erwägungen, die Erhaltung des Ausgleichs trotz der Eigenkündigung aus Altersgründen im Jahre 1976 doch gerade Gesetz geworden sei. Dass man sich mit dem Rentenalter ohne Nachweis einer verminderten, die Fortsetzung der Berufstätigkeit unzumutbar machenden Leistungsfähigkeit zur Ruhe setzen dürfe, mache die Rechtsfolgen der Zurruhesetzung berechenbar für den, der sich hierzu ent979 980

Schröder DB 1976, 1269 (1271); Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 56. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 57; aA Schröder DB 1976, 1269 (1270); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 138; Küstner/Thume II, Rn 1446a.

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Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 57; aA MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 168. Küstner/Thume II, Rn 1447. Vgl. FG Düsseldorf DB 1980, 2418. Küstner/Thume II, Rn 1448 f.

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schließe. Der HV dagegen, der zwar nach Maßgabe der allgemeinen gesetzlichen oder vertraglichen Kündigungsfrist jederzeit auch ohne Begründung ausscheiden dürfe, der aber zur Erhaltung seines Ausgleichsanspruchs die Kündigung aus Gründen des Alters ausspreche und dem sein Unternehmer in der Zumutbarkeitsfrage entgegentrete, müsste den darüber entstehenden Prozess um den Ausgleich auf sein Risiko führen. Das Urteil über die Zumutbarkeit hänge weitgehend von Unwägbarkeiten ab. Käme das Gericht zu der Auffassung, dem HV sei trotz Erreichen des Rentenalters die Fortsetzung seiner Tätigkeit noch zuzumuten, bliebe der Ausgleich verloren. Ein Rückgängigmachen der Kündigung sei ihm ebenso rechtlich versperrt, wie es vorher keine rechtliche Möglichkeit für ihn gegeben habe, die Kündigung unter die Bedingung zu stellen, dass das Gericht den Kündigungsgrund des Alters anerkennen werde. Ein solches Ergebnis wäre nicht tragbar. Die Zumutbarkeit der Fortsetzung des Vertragsverhältnisses wegen Alters könne nicht daran gemessen werden, ob der HV gesundheitlich noch in der Lage ist, seine Tätigkeit auszuüben. Dafür existierten (Umkehrschluss!) die ausgleichserhaltenden Kündigungsgründe der Krankheit oder des Gebrechens. Dem ist zu erwidern, dass sämtliche vorgenannten Risiken auch bestehen, falls man den Sachverhalt unter das TB-Merkmal Krankheit fasst. Erreicht der HV eine vertragliche Altersgrenze, besteht auch ein Kündigungsrecht 985. Dann wird der Vertrag meist aber bereits infolge dieser Befristung aufgelöst, was zur Fälligkeit des Ausgleichs führt. bb) Krankheit. Krankheit ist ein objektivierbares Datum, das sich in Verbindung mit 218 der Zumutbarkeitsfrage durch Begutachtung verifizieren lässt. Sie ist ein dauernder Zustand, der dem HV die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses auf einen längerfristigen (Leitbild: ordentliche Kündigungsfrist oder mindestens 6 Monate) oder einen unbestimmten Zeitraum hin unmöglich macht. Der Gesetzgeber hat bei dem Kündigungsgrund „Krankheit“ nicht von „Berufsunfähigkeit“ gesprochen, so nahe das vielleicht gelegen hätte. Sicherlich wird die Berufsunfähigkeit stets auch dem Krankheitsbegriff genügen und die Fortsetzung der Tätigkeit unzumutbar machen. Ist der HV erkrankt, aber nicht berufsunfähig, und entschließt er sich gleichwohl, zu kündigen und damit die Vertretung aufzugeben, so vermag er das mit ausgleichswahrender Wirkung nur, wenn ihm die Fortsetzung der Tätigkeit wegen dieser seiner Erkrankung nicht mehr zumutbar ist. Der HV darf nicht jede beliebige Erkrankung, selbst eine von längerer Dauer, zum Anlass einer Kündigung nehmen, um damit einen Ausgleichsanspruch liquide zu stellen; will der Unternehmer einen – kürzeren oder längeren – Ausfall des HV nicht hinnehmen, mag er seinerseits kündigen und schafft so die Grundlage für den Ausgleichsanspruch. Dem HV gibt die Erkrankung einen ausgleichswahrenden Kündigungsgrund erst dann, wenn ihre zeitliche Dauer nicht absehbar oder überbrückbar ist und dadurch zu einer auch mit Ersatzkräften nicht behebbaren nachhaltigen Verhinderung in der HV-Tätigkeit führt. Vorübergehende Erkrankungen, deren Ende mittelfristig absehbar ist, rechtfertigen deshalb keine ausgleichserhaltende Kündigung wegen Krankheit 986. Grundsätzlich kommt es auf den objektiven TB an, jedoch besehen aus der Sicht eines objektiven Dritten in der Lage des HV. Maßgeblich sind damit die objektiven Umstände oder das, was der HV – aus der Warte des Dritten besehen – in unvermeidbarem Irrtum dafür hält, nicht ein privat-ärztliches Gutachten 987. Die Definition des BGH in seinem Urteil vom 29.04.1993 988 lautet: Eine Krankheit liegt dann vor, wenn eine Störung des gesundheitlichen Zustandes schwerwiegend und von nicht absehbarer Dauer ist und sie dadurch zu 985 986

Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 59. BGH NJW-RR 1993, 996 (997); Küstner/ Thume II, Rn 1452; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 60.

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OLG München, Urt. v. 06.06.1984 – 7 U 5785/83, bestätigt durch BGH, Beschl. v. 15.05.1985 – I ZR 174/84. NJW-RR 1993, 996 = MDR 1993, 853.

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einer auch mit Ersatzkräften nicht behebbaren nachhaltigen Behinderung der Absatztätigkeit für den Unternehmer führt. Allerdings wird man ergänzen müssen, dass gerade bei Ein-Personen-Vertretungen wegen des persönlichen Charakters der Tätigkeit (§§ 613, 664 BGB) eine Ersatzkraft oft weder dem HV noch dem Unternehmer zumutbar ist. Die Frage, ob eine solche, die Tätigkeit hindernde Krankheit vorliegt, ist nach dem Pflichtenkreis des konkreten Vertrages zu bestimmen. Die Regelungen des Schwerbehindertengesetzes sind nicht maßgeblich 989. Ebensowenig muss Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit vorliegen 990. Eine Schwerbehinderung stellt aber ein Indiz für den ausgleichserhaltenden Kündigungsgrund wegen Krankheit dar. Den Beweis einer ausgleichserhaltenden Kündigung wegen Krankheit wird der HV in erster Linie durch Vorlage ärztlicher Atteste und Sachverständigengutachten führen müssen 991. Im Zweifelsfall ist ein gerichtlicher Gutachter zu bestellen oder eine amtsärztliche Untersuchung 992 maßgeblich 993. Die Ursachen der Krankheit oder eine eventuelle Mitverursachung des HV sind unerheblich 994, können jedoch im Rahmen der Billigkeit berücksichtigt werden oder zu einem Schadenersatzanspruch führen, mit dem aufgerechnet werden kann 995. Insbesondere kommt es nicht darauf an, ob die Krankheit verschuldet ist, es sei denn, das schuldhafte Verhalten stellt einen Verstoß gerade gegen die Vertragspflichten des HV dar, dergestalt, dass der Unternehmer dies hätte zum Anlass nehmen können, das Vertragsverhältnis von sich aus mit ausgleichssperrender Wirkung zu kündigen (Abs. 3 Nr. 2). Wenn dann der HV krankheitshalber kündigt, kann der Unternehmer ihm ausnahmsweise den Ausgleich im Billigkeitswege (Abs. 1 S. 1 Nr. 3), ggf partiell, aus der Hand schlagen. Die Anwendung des Billigkeitsgrundsatzes wird durch Abs. 3 Nr. 1 nicht ausgeschlossen. Art. 18 lit. b der EG-Richtlinie kennt neben den TB-Merkmalen Alter und Krankheit 219 noch den Begriff des Gebrechens. Eine eigenständige Bedeutung hat dieses TB-Merkmal nicht, weshalb seine Umsetzung in deutsches Recht unterblieb 996. Zumindest wird eine europarechtskonforme Auslegung dazu führen, dass ein Gebrechen entweder unter den Begriff des Alters oder der Krankheit zu fassen ist. Fraglich ist, ob eine Offenbarungspflicht über eine ausgleichserhaltende Krankheit bei 220 Vertragsschluss besteht. Das ist im Grundsatz zu bejahen, weil der Unternehmer sachgerecht und informiert entscheiden muss, ob er den HV beschäftigt. Ob man jedoch so weit gehen darf wie das OLG München 997, bei fehlender Aufklärung des HV über eine Krankheit die Zahlung des Ausgleichs nach Treu und Glauben oder wegen unzulässiger Rechtsausübung zu verweigern, ist fraglich. Denn der Unternehmer erhält auch in diesem Fall einen aufgebauten Kundenstamm und schuldet dafür nach § 242 BGB eine Gegenleistung.

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cc) Unzumutbarkeit der Tätigkeitsfortsetzung. Die weitere Tätigkeit muss dem HV unzumutbar geworden sein. Unzumutbarkeit liegt vor, falls der HV bei objektiver Würdigung seine Vertragspflichten binnen angemessener Zeit nicht mehr oder nur noch mit überobligationsmäßigem Einsatz erfüllen kann 998. Überobligationsmäßig wäre der Einsatz, wenn die Tätigkeit des HV zu einer weiteren Verschlechterung seines Gesundheits989 990 991 992 993

BGH, Urt. v. 29.04.1993, NJW-RR 1993, 996. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 60. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 61. Eberstein, S. 124. OLG München v. 06.06.1984 – 7 U 5785/83, bestätigt durch BGH, Beschl. v. 15.05.1985 – I ZR 174/84.

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Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 60; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 171. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 60. Ankele DB 1989, 2211. Urt. v. 16.09.1997, HVR Nr. 639. Schröder DB 1976, 1269 (1271); Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 61.

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§ 89b

zustandes führen würde 999. Dabei kommt es auf die Verhältnisse des konkreten Vertrages an. Die Fortsetzung eines HV-Vertrages kann dem HV unzumutbar sein, eines anderen Vertrages jedoch nicht. Der Mehrfirmen-HV braucht deshalb weder alle HVVerträge zu kündigen 1000 noch braucht er generell erwerbsunfähig sein 1001. Es genügt vielmehr die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des konkreten HV-Vertrages. Die Auswahl wird ihm freistehen müssen. Sonst könnte jeder Unternehmer den HV auf die Kündigung eines anderen von mehreren HV-Verträgen verweisen. Der HV muss seine berufliche Tätigkeit auch nicht vollkommen aufgeben 1002. Alle Umstände des Einzelfalles müssen geprüft werden, etwa Umfang der Reisetätigkeit, die Tätigkeit von Angestellten, die Größe des Bezirks und die technischen Hilfsmittel. Ein allzu strenger Maßstab ist dabei nicht angebracht. Erkrankt der HV nach erklärter Kündigung in der Kündigungsfrist so schwer, dass ihm eine Fortsetzung seiner Tätigkeit nicht zumutbar ist, kann er erneut ausgleichswahrend kündigen. Beispielfälle: 222 Unzumutbarkeit bejaht: – Bei einem Schmuck-HV, wenn ihm das Ein- und Ausladen des Kollektionskoffers unmöglich wird 1003. dd) Gesellschaft als HV. § 89b Abs. 3 Nr. 1, 2. Alt. ist auf die natürliche Person 223 bezogen. Nur eine solche kann „alt und krank“ werden 1004. Daraus hat der Verfasser 1005 die Konsequenz gezogen, eine GmbH dürfe nicht ausgleichserhaltend kündigen. Im Grundsatz ist dies richtig. Jedoch hat das KG 1006 zu einer Personengesellschaft als HV entschieden, sie könne ausgleichserhaltend kündigen, wenn dem maßgeblichen Gesellschafter aus alters- und krankheitsbedingten Gründen eine weitere Wahrnehmung der ihm obliegenden Vermittlungstätigkeit unzumutbar sei. Dem ist trotz des Ausnahmecharakters der Norm für den Fall zuzustimmen, dass die Gesellschaft wirtschaftlich-faktisch eine Ein-Personen-Gesellschaft ihres Gesellschafters darstellt und die Tätigkeit einer anderen Person für den Unternehmer eine Vertragsverletzung wäre 1007. Der Grundsatz gilt auch für die GmbH 1008 und jede Gesellschaft. Denn auch bei ihr wäre die Veränderung der wirtschaftlich-faktischen Identität eine Verletzung der §§ 613, 664 BGB und de facto ist der Gesellschaftsmantel eine bloße Umhüllung des Alleingesellschafters. Strenger war das OLG München 1009. Es verneinte die ausgleichserhaltende Kündigung, es sei denn, es wurde ausdrücklich oder konkludent im Vertrag vereinbart, dass die GmbH den Vertrag durch diese Person erfüllen muss. Der Vertrag müsse mit der betroffenen Person „stehen und fallen“. Sofern der Vertrag nicht auf die Person eines bestimmten geschäftsführenden Gesellschafters abstelle, dürfe die Organisation der HV-GmbH keine rechtlich ausschlaggebende Bedeutung einnehmen. In der Sache widerspricht dieses Urteil nicht der hier eingenommenen Ansicht, weil in den Fällen wirtschaftlich-faktischer Identität 999 1000 1001 1002 1003 1004 1005

1006

Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 61. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 62. Schröder DB 1976, 1269 (1271). BGH v. 29.04.1993, NJW-RR 1993, 996. BGH v. 03.05.1995 – VIII ZR 95/94, BGHZ 129, 290 = NJW 1995, 1958. Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89b Rn 86. Emde S. 85; GmbHR 1999, 1005 (1011); ebenso Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rn 949. V. 22.02.1985 – 14 U 1051/84, HVR

1007

1008 1009

Nr. 659; aA jedoch OLG Hamm v. 12.07. 1982 – 18 U 5/82, HVR Nr. 569. Arndt DB 1999, 1789; Westphal BB 1999, 2517 (2518); Thume BB 1999, 2309 (2314); Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 58; dieser Gedanke ist unabhängig von der Rechtsform, weil es nicht auf das rechtstatsächliche Kleid ankommt. Küstner/Thume II, Rn 1470. Urt. v. 04.12.2002 – 7 U 3474/02, NJW-RR 2003, 541.

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ebenfalls keine Austauschbarkeit des für die GmbH Tätigen gestattet ist (konkludente Abrede, §§ 613, 664 BGB, siehe Vor § 84 Rn 41 ff). Das Urteil des KG 1010 lässt sich auch nicht mit der Erwägung relativieren, es handle sich um eine Personengesellschaft, während im anderslautenden Urteil des OLG Hamm 1011 über die Verhältnisse einer GmbH entschieden wurde. Bei der Personengesellschaft des KG handelte es sich nämlich um eine GmbH & Co. KG, die ursprünglich als GmbH gegründet worden war. Es würde auch wenig Sinn machen, die GmbH zuvor auf den Weg eines Rechtsformwechsels zu einer Personengesellschaft zu verweisen, damit sie ausgleichserhaltend kündigen dürfte.

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ee) Begründungserfordernis? Der Kündigungsausspruch muss den Grund – Alter bzw. Krankheit – nicht nennen, um den Ausgleichsanspruch wahren zu können 1012. Darin läge ein Widerspruch zu der Möglichkeit, den ausgleichswahrenden Kündigungsgrund – nachschieben zu können. Dabei ist unerheblich, ob in diesem Fall die Umstände dem kündigenden HV bei Kündigungsausspruch bekannt oder unbekannt waren 1013. Der HV gibt durch die Nichtbenennung nicht zu erkennen, dass er den Fall der Unzumutbarkeit (wegen Krankheit) oder der gesetzlich zu unterstellenden Unzumutbarkeit (wegen Alters) nicht als gegeben ansieht. Allerdings schuldet der HV dem Unternehmer Ersatz des Schadens, den er durch die Nichtbenennung erleidet, etwa Prozesskosten, die bei rechtzeitiger Benennung vermieden worden wären.

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g) Der Eigenkündigung gleichstehende Fälle. § 89b Abs. 3 S. 1 ist eine Ausnahmebestimmung, die wie alle Ausschlussgründe eng auszulegen ist 1014. Deshalb kann im Regelfall eine Beendigung des Vertrages auf andere Weise als durch Eigenkündigung nicht einer ausgleichsvernichtenden Eigenkündigung gleichgestellt werden. Der Kündigung gleichgestellt werden soll die Ablehnung der Verlängerung eines mit Verlängerungsmöglichkeit abgeschlossenen Vertrages 1015, wohl auch das Herbeiführen einer dem Vertrage beigegebenen auflösenden Bedingung 1016. Hinsichtlich der Ablehnung des Verlängerung ist allerdings fraglich, ob der Fall der Befristung nicht eher einer Kündigung des Unternehmers ähnelt, wenn dieser den Vertrag mit der Befristung formuliert hat. Soweit der BGH die Ablehnung der Verlängerung eines HV-Vertrages einer Eigenkündigung gleichgestellt 1017 wird die Entscheidung in der Literatur zu Recht abgelehnt 1018. Es dürfte sich um eine unzulässige Analogie handeln 1019. Es steht keiner Eigenkündigung gleich, falls – der HV sich weigert, einen nach fester Befristung abgelaufener Vertrag auf Verlangen des Unternehmers zu erneuern, obwohl ihm das zu den bisherigen oder unwesentlich veränderten Bedingungen zumutbar gewesen wäre 1020; 1010

1011 1012 1013 1014

V. 22.02.1985 – 14 U 1051/84, HVR Nr. 659; aA jedoch OLG Hamm v. 12.07. 1982 – 18 U 5/82, HVR Nr. 569. OLG Hamm v. 12.07.1982 – 18 U 5/82, HVR Nr. 569. AA Schröder DB 1976, 1269; 4. Aufl., § 89b Rn 94. Vgl. BGH NJW 1963, 2068. BGH v. 30.06.1966 – VIII ZR 124/65; BGHZ 45, 385 = NJW 1966, 1965; v. 13.03.1969 – VII ZR 48/67, BGHZ 52, 12 (14) = BB 1969, 640; BGHZ 129, 290 (294) v. 10.12.1997 – VIII ZR 329/96, BB 1998, 390.

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1015

1016 1017

1018 1019 1020

BGH v. 13.12.1995 – VIII ZR 61/95, NJW 1996, 884; ebenso LG Frankfurt/Main WRP 2004, 1506 mit zust. Anm. Wendel. Schröder DB 1962, 896. BGH v. 13.12.1995 – VIII ZR 61/95, NJW 1996, 884; ebenso LG Frankfurt/Main WRP 2004, 1506 mit zust. Anm. Wendel. Thume BB 1998, 1425 (1429); Küstner/ Thume II, Rn 1361. Siehe etwa Wendel WRP 2004, 1507 (1510), der selbst aber aA ist. So allerdings Schröder KTS 1960, 149 und DB 1962, 896.

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§ 89b

– die Initiative zu einem Aufhebungsvertrag vom HV ausgeht 1021. Die Gegenansicht 1022 will solche Fälle der Eigenkündigung durch den HV gleichstellen. Die Frage ist dann, wie man daraufhin die Begrenzung vorzunehmen habe. Ist Initiative des HV schon die vorsorglich gehaltene Anfrage, ob der Unternehmer bereit sei, in eine einverständliche Aufhebung einzuwilligen, man selbst wolle jedoch nicht von sich aus kündigen – der Unternehmer hatte daraufhin sich einverstanden erklärt? Soll es einen Unterschied machen, ob die Einigung auf Grund von Gegenvorschlägen des Unternehmers nach längerem Aushandeln schließlich zu anderen Bedingungen zustande kommt als denjenigen, die der HV zunächst vorgeschlagen hatte? Das Gesetz kennt keine Unterscheidung nach „Initiativen“. Im Übrigen können die hinter einer einverständlichen Vertragsaufhebung stehenden Anlässe den Ausgleich immer noch im Billigkeitswege (Abs. 1 S. 1 Nr. 3) beeinflussen 1023; – der HV Selbstmord begeht 1024. Zwar ist eine Analogie bei einer Ausnahmevorschrift zulässig, soweit die ihr zugrunde 226 liegende Wertung ihrem Sinne nach auch für einen nicht geregelten SV gilt 1025. Jedoch ist eine enge Auslegung geboten 1026. Eine Analogie ist damit nur in Ausnahmefällen möglich 1027. § 89b Abs. 3 Nr. 2 erlaubt den Umkehrschluss, dass der Gesetzgeber den Ausgleich in Konstellationen, in denen die zur Kündigung berechtigenden Umstände dem HV nicht vorzuwerfen sind oder gar nicht aus seiner Sphäre stammen, nicht – jedenfalls nicht zwingend vollständig – ausschließen will 1028. Berücksichtigt das Gesetz diese Merkmale bereits dergestalt, dürfen die selben Umstände nicht herangezogen werden, um die wertungsmäßige Vergleichbarkeit der Ablehnung eines Vertragsangebots mit der Eigenkündigung des HV zu begründen 1029. Es fehlt eine planwidrige Gesetzeslücke, weil nach dem gesetzlichen Wertungsplan analogiefähigen Umständen bei der Billigkeitsprüfung Rechnung getragen werden soll 1030. Die Ausschlussgründe sind nur eine spezielle Ausprägung des Billigkeitsgrundsatzes. Er steht also für vergleichbare Fälle als Auffangtatbestand zur Verfügung 1031. Die vom BGH angenommene Analogie im Falle der verweigerten Fortsetzung eines Kettenvertrages begründet kein anderes Ergebnis. Denn der Kettenvertrag führt den ursprünglichen Vertrag mit praktisch unveränderten Bedingungen fort, so dass die Ablehnung der Fortführung in diesem Fall mglw. einer 1021

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1023 1024

BGH v. 13.03.1969 – VII ZR 48/67, BGHZ 52, 12 = BB 1969, 460; BGH v. 28.02.2007 – VIII ZR 30/06, DB 2007, 1020 (1022) = WRP 2007, 653 = ZIP 2007, 970 = WM 2007, 1042; LG Hamburg v. 01.10.1969, HVR Nr. 403; aA LG Saarbrücken v. 03.02. 1975, VW 1976, 1061. Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 28a sowie in KTS 1960, 148 (149) und in DB 1962, 896. BGHZ 52, 15. BGH, Urt. v. 06.02.1964, BGHZ 41, 129 = BB 164, 328 jedenfalls wenn der HV nicht mit unmittelbarem oder bedingtem Vorsatz in den Tod geht. Diese ohnehin kaum praktische Einschränkung wird sich heute angesichts der engen Auslegung des § 89b Abs. 3 Nr. 1 nicht mehr aufrechterhalten lassen; siehe Küstner/Thume II, Rn 1480. Deshalb hat der BGH in seinem Urt. v. 30.06.1966,

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1028 1029 1030 1031

BB 1966, 876 einschränkend entschieden, die entsprechende Anwendung des § 89b Abs. 3 Nr. 1 auf den Selbstmord sei nur dann gerechtfertigt, wenn hierfür einleuchtende Gesichtspunkte sprächen. Davon könne jedoch keine Rede sein, weil sowohl die Gründe, aus denen sich ein Mensch das Leben nehme, als auch das Maß seiner Verantwortlichkeit für einen solchen Schritt zu unterschiedlich seien. Semmler WRP 2007, 247 (252). Semmler WRP 2007, 247 (252). AA Ströbl/Faatz WRP 2006, 1199 (1201) unter Hinweis auf BGH NJW 1996, 848 sowie NJW 1999, 2668. Bieder NJW 2007, 3471 (3472). Bieder NJW 2007, 3471 (3472). Semmler WRP 2007, 247 (252). Semmler WRP 2007, 247 (253).

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Eigenkündigung gleichgestellt werden könnte 1032. Diskutiert wird die analoge Anwendung insbes. für diesen Fall der Ablehnung eines Folgevertrages. Bereits nach der nahezu einhelligen Auffassung der früheren Rspr. und Literatur zum HV-Recht konnte die Ablehnung eines Folgevertrages durch einen gekündigten HV keiner ausgleichsausschließenden Eigenkündigung im Sinne des § 89b Abs. 3 Nr. 1 gleichgestellt werden 1033. Zur Begründung wurde darauf verwiesen, dass die Ausschlussgründe des § 89b Abs. 3 wegen ihres abschließenden Ausnahmecharakters eng auszulegen und nicht analogiefähig seien 1034. Vor allem für den Ausschlussgrund der Eigenkündigung aus § 89b Abs. 3 Nr. 1 sei eine Analogie abzulehnen, weil die Regelung gravierend in die Dispositionsfreiheit des HV eingreife 1035. Sie werde daher sogar in ihrem unmittelbaren Anwendungsbereich immer wieder als verfassungswidrig angesehen 1036. Aus diesem Grund dürften andere Beendigungsgründe nicht von der Regelung des § 89b Abs. 3 Nr. 1 erfasst werden, selbst wenn sie von dem HV veranlasst oder verursacht worden seien. Dies gelte etwa für die Vertragsbeendigung wegen selbstverschuldeten Todes des HV, die einvernehmliche Vertragsaufhebung auf Initiative des HV oder die Ablehnung eines Verlängerungsangebotes des vertretenen Unternehmers für einen auslaufenden oder gekündigten HV-Vertrag. Lediglich die Ablehnung der Verlängerung eines HV-Vertrages mit Verlängerungsoption 1037 oder eines Kettenvertrages 1038 wurde ausnahmsweise einer Eigenkündigung gleichgestellt (s.o.). Abgrenzend hat der BGH 1039 bestätigt, dass die Ablehnung der Vertragsfortführung mit geänderten Bedingungen durch einen HV oder Vertragshändler nach einer Änderungskündigung des Unternehmers einer Eigenkündigung des HV oder Vertragshändlers i.S.d. § 89b Abs. 3 Nr. 1 nicht gleichsteht. Auf die Gründe, die den Unternehmer zur Änderungskündigung veranlasst haben, kommt es ebenso wenig an wie auf die Frage, ob die angebotene Vertragsänderung für den HV oder Vertragshändler zumutbar war. Diese Gesichtspunkte können – so auch der BGH – nur im Rahmen der allgemeinen Billigkeitsprüfung nach § 89b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 Berücksichtigung finden 1040. Eine Gegenansicht 1041 wird für den Fall der flächendeckenden Strukturkündigung eingenom1032 1033

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Semmler WRP 2007, 247 (253). Semmler WRP 2007, 247 (248); Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 51; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 1121; Hopt § 89b Rn 54. BGH NJW 1984, 2529; 1989, 35 (36); 1995, 1958; 2000, 1866 (1867); Hopt § 89b Rn 69; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 47; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 89b Rn 153; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89b Rn 80; Martinek/ Semler § 15 Rn 37. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 48; Küstner/ Thume II, Rn 1958. Moritz DB 1987, 875 (879); Haas BB 1991, 1441; BB 1992, 941; Noetzel DB 1993, 1557 (1559); Retzer BB 1993, 668, 963; Laber DB 1994, 1275 (1278); aA BVerfG, NJW 1996, 381. Hopt § 89b Rn 54; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 157; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89b Rn 83; aA Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 51. BGH NJW 1996, 848; 1999, 2668; Hopt § 89b Rn 54; aA Ebenroth/Löwisch

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§ 89b Rn 51; Thume BB 1998, 1425 (1429). BGH, Urt. v. 28.02.2007 – VIII ZR 30/06, DB 2007, 1020 = WRP 2007, 653 = ZIP 2007, 970 = WM 2007, 1042; ebenso OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 17.01.2006 – 11 U 34/05 (Kart); v. 01.02.2006 – 21 U 21/05; v. 05.04.2006 – 21 U 10/05 –; OLG Köln, Urt. v. 31.03.2006 – 19 U 139/05 –; OLG Saarbrücken, Urt. v. 22.03.2006; OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 01.02. 2006 – 21 U 23/05, OLGR 2006, 736; aA Ströbl/Faatz WRP 2006, 1199 (1201): planwidrige Regelungslücke wegen Einführung der GVO 1400/02. Dem widerspricht bereits, dass ein Teil der Hersteller bei der Wiedereinführung der GVO 1400/02 ihre Händlerverträge nicht kündigte, siehe Emde GRUR 2006, 997. BGH, Urt. v. 28.02.2007 – VIII ZR 30/06, DB 2007, 1020; Semmler WRP 2007, 247 (252). Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rn 960.

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§ 89b

men, weil der Hersteller, etwa im Falle der Kündigung nach Änderung der Freistellungsvoraussetzungen einer GVO keine dauerhafte Kündigung erstrebe. Aber auch hier handelt es sich richtigerweise bei der Kündigung um ein Verhalten aus der Risikosphäre des Unternehmers. Diese Allokation der Risikobereiche darf nicht gewendet werden. Endet ein HV-Vertrag auf Grund einer Kündigung des Unternehmers und lehnt der HV den Abschluss eines Folgevertrages ab, greift nicht der Ausschlusstatbestand des § 89b Abs. 3 Nr. 1 sondern der des § 89b Abs. 3 Nr. 2 ein. Eine analoge Anwendung des § 89b Abs. 3 Nr. 1 auf diesen Fall ist abzulehnen 1042. Der Fall der Kündigung durch den Unternehmer ist in § 89b Abs. 3 Nr. 2 ausdrücklich und abschließend geregelt. § 89b Abs. 3 Nr. 1 regelt die Kündigung durch den HV. Deshalb verbietet sich eine analoge Anwendung des § 89b Abs. 3 Nr. 1 auf eine Kündigung des Unternehmers. Die eigens hierfür geschaffene Bestimmung des § 89b Abs. 3 Nr. 2 bewirkt eine Sperre gegenüber einer analogen Anwendung des § 89b Abs. 3 Nr. 1 auf Fälle, in denen eine Kündigung des Unternehmers vorliegt 1043. Der Ausgleichsanspruch ist selbst dann nicht ausgeschlossen, wenn eine Vertragsaufhebung auf die Initiative des HV zurückgeht 1044. Erst recht gilt dies, wenn die Vertragsbeendigung – wie nach einer Kündigung des Unternehmers – nicht auf die Initiative des HV zurückgeht. Sachlich liegt der Fall einer Änderungskündigung nahe. Bei jener steht es dem HV aber frei, ob er sich für die angebotene Fortsetzung des Vertragsverhältnisses entscheidet. Ausgleichsrechtlich ist dies irrelevant 1045. Der Händler kann auch nicht gezwungen werden, Verträge mit völlig abweichenden Bestimmungen zu akzeptieren 1046. Die Gleichstellung zwischen ausgleichsschädlicher Eigenkündigung und Ablehnung des Folgevertrages kommt überhaupt nur in Betracht, sofern der Folgevertrag keine zusätzlichen Änderungen oder Ungewissheiten für den Mittler mit sich bringt 1047. Die Ablehnung eines Folgevertrages z.B. mit einem geänderten Margensystem kann folglich unter keinen Umständen einer Eigenkündigung gleichgestellt werden. Dem Mittler muss ausreichend Zeit gewährt werden, um den Folgevertrag zu prüfen, weshalb er einen zu kurz vor dem Vertragsende übermittelten Vertrag ablehnen darf 1048. Die Beweislast für ein unverändertes Angebot trifft den Hersteller 1049. Eine Reduzierung des Ausgleichs unter Billigkeitsgesichtspunkten dürfte entweder gering ausfallen wenn nicht sogar ausscheiden 1050, jedenfalls soweit der Folgevertrag über die Umsetzung des Änderungsbe-

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BGH, Urt. v. 28.02.2007 – VIII ZR 30/06, DB 2007, 1021. BGH, Urt. v. 28.02.2007 – VIII ZR 30/06, DB 2007, 1020 (1022). BGH v. 13.03.1969 – VII ZR 48/67, BGHZ 52, 12 = BB 1969, 260; BGH v. 28.02.2007 – VIII ZR 30/06, DB 2007, 1020 (1022). BGH, Urt. v. 06.10.1999 – VIII ZR 125/98; BGH v. 28.02.2007 – VIII ZR 30/06, DB 2007, 1020 (1022). Emde BB 2005, 389 (400). OLG Frankfurt am Main OLGR 2006, 736 (738); OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 01.02.2006 – 21 U 21/05; OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 05.04.2006 – 21 U 10/05; LG Frankfurt am Main, Urt. v. 26.07.2006 – 3/13 O 127/04; LG Saarbrücken, Urt. v. 19.01.2005 – 7 I O 56/04; unveröffentlicht; Schönbohm WRP 2004, 695 (699);

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LG Saarbrücken, Urt. v. 13.11.2001 – 7 II O 128/00. LG Saarbrücken, Urt. v. 19.01.2005 – 7 I O 56/04; OLG Saarbrücken, Urt. v. 22.03. 2006 – 1 O 74/05-26; LG Frankfurt am Main, Urt. v. 03.03.2005 – 3/10 O 129/04; LG Frankfurt am Main, Urt. v. 03.03.2005 – 3/10 O 134/04; vgl. Semmler WRP 2007, 247 (250). LG Frankfurt am Main, Urt. v. 25.05.2005 – 3 – 13 O 138/04; Semmler WRP 2007, 247 (250), Fn 34. OLG Düsseldorf, HVR Nr. 130; Hopt § 89b Rn 34; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 115; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 89b Rn 121; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89b Rn 55; Küstner/Thume II Rn 1150; aA Schultze/ Wauschkuhn/Spenner/ Dau, Rn 962.

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darfs einer solchen auslösenden GVO hinausgeht 1051. Ein Billigkeitsabschlag ist nur möglich, wenn es sich bei dem abgelehnten Folgevertrag um eine nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB geforderte Vertragsanpassung handelt 1052, was regelmäßig auszuschließen ist. Wird nach einer außerordentlichen Kündigung wegen schuldhaften Verhaltens des HV – meist im Interesse des HV – eine Aufhebungsvereinbarung geschlossen, bleibt der Ausgleich ausgeschlossen 1053. 3. § 89b Abs. 3 Nr. 2: Kündigung des Unternehmers aus wichtigem Grund wegen schuldhaften Verhaltens des HV

227

a) Wichtiger Grund. Der Begriff des wichtigen Grundes ist der gleiche wie in § 89a 1054, so dass insbesondere wegen der Kasuistik auf die dortigen Erläuterungen verwiesen werden kann. Der Grund braucht bei der Kündigung nicht genannt zu werden 1055. Wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung eines HV-Vertrages i.S.d. § 89b Abs. 3 Nr. 2 ist jeder während der Vertragsdauer eintretende 1056 tatsächliche oder rechtliche Umstand bzw. jedes Ereignis oder Verhalten, welcher/welches bei Beachtung aller Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung von Wesen und Zweck des HV-Vertrages sowie der durch den Vertrag begründeten beidseitigen Rechte und Pflichten dem kündigenden Vertragspartner die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zu dem im ursprünglichen Vertrag vorgesehenen oder einem durch fristgerechte Kündigung nach § 89 herbeizuführenden Vertragsende unzumutbar macht, weil es trotz Beachtung des Grundsatzes der Vertragstreue Treu und Glauben sowie der Billigkeit widerspricht, den Kündigenden am Vertrag festzuhalten (§ 89a Rn 11 ff) 1057. Ein Schaden braucht dem Unternehmer nicht entstanden zu sein 1058. Ergänzend kann auf die Ausführungen zu § 89a verwiesen werden.

228

b) Analoge Anwendung. Mehrfach ist versucht worden, die Vorschrift analog anzuwenden, etwa wenn der Unternehmer nach Ablauf einer festen Vertragslaufzeit eine Verlängerung ablehnt, weil ein wichtiger Grund zur Kündigung vorliegt 1059, eine Kündigungserklärung unterbleibt, obwohl ein wichtiger Grund tatsächlich vorlag 1060 oder der HV-Vertrag einverständlich aufgehoben wird, obwohl ein wichtiger Grund wegen schuldhaften Verhaltens des HV existierte 1061; mit Wirkung für den Ausgleich aber auch die dem Unternehmer nach dem Vertrage gestattete einseitige Verkleinerung des Bezirks oder Kundenkreises, falls er eine solche Maßnahme wählt (und sie gestattet ist), statt zur frist1051

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OLG Köln OLGR 2006, 651 (654); OLG Köln, Urt. v. 31.03.2006 – 19 U 139/05; vgl. Semmler WRP 2007, 247 (251); aA LG Frankfurt am Main, Urt. v. 26.07.2006 – 3–13 O 127/04: Billigkeitsabschlag von 5 %. OLG Nürnberg HVR Nr. 571, 4; OLG Hamm HVR Nr. 511, 4; Martinek/Semmler § 15 Rn 31. OLG Hamm v. 03.07.1997, NJW-RR 1988, 54. BGH VersR 2000, 582 = BB 2000, 736 (m. Anm. Emde); v. 21.03.1985, HVR Nr. 600; BGH I ZR 172/74 v. 11.07.1975, zitiert bei v. Gamm NJW 1979, 2194; v. 21.11.1960, VersR 1961, 51; OLG Düsseldorf v. 12.09.1972, HVR Nr. 464; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 63; aA noch die

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Vorinstanz zu BGH, VersR 2000, 582, nämlich das OLG Bamberg NJW-RR 1999, 1195 mit krit. Anm. Emde EWiR 1999, 891. BGHZ 24, 30. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 67. OLG Düsseldorf, Urt. v. 02.11.2001 – 16 U 149/00, OLGR 2002, 164. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 63. BGH v. 07.03.1957, BGHZ 24, 30 = NJW 1957, 871; OLG München NJW 1958, 873; OLG Stuttgart BB 1960, 957; Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 64. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 65. OLG Nürnberg v. 19.12.1958, BB 1959, 318 = VersR 1959, 307; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 64.

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losen Kündigung zu schreiten. Der BGH 1062 will das gleiche Ergebnis, da er eine analoge Anwendung des Abs. 3 S. 2 auf solche Fälle wegen des Ausnahmecharakters der Bestimmung ablehnt, nur im Wege der Billigkeitsklausel des Abs. 1 S. 1 Nr. 3 erreichen. Man kann sich darüber streiten, ob in diesen Fällen eine Analogie angebracht ist oder ob der Ausschluss auf dem Billigkeitsgrundsatz beruht 1063. Eine Erweiterung des Ausschlusstatbestandes im Wege einer Analogie dahingehend, dass der Ausgleichsanspruch gemäß § 89b Abs. 3 Nr. 2 auch dann entfällt, wenn ein Kündigungsgrund i.S.d. Vorschrift zwar nicht vorliegt, der Unternehmer aber für seine Kündigung andere vernünftige Gründe hat und eine Fortsetzung des Vertrages zu geänderten Bedingungen angeboten hat, kommt nicht in Betracht 1064. c) Schuldhaftes Verhalten des HV. § 89a gestattet die außerordentliche Kündigung 229 bereits bei bloßer Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung. Die Voraussetzungen des Ausgleichausschlusses nach § 89b Abs. 3 Nr. 2 sind strenger: Zum Ausgleichsausschluss kommt es nur, sofern die Kündigung wegen „schuldhaften Verhaltens“ des HV erklärt wird. Eine außerordentliche Kündigung ohne schuldhaftes Verhalten wirkt ausgleichserhaltend 1065. Sowohl wichtiger Grund wie schuldhaftes Verhalten des HV sind vom Unternehmer nachzuweisen 1066. Folglich genügt es nicht, wenn der Kündigungsgrund nur aus der Sphäre des HV stammt 1067, von ihm aber nicht verschuldet ist. Fahrlässigkeit des HV ist gem. § 276 BGB ausreichend 1068. Der Schuldvorwurf muss den HV aber persönlich treffen 1069, wobei ein Organisations-, Auswahl- oder Überwachungsverschulden ausreicht 1070. § 278 BGB ist nicht anwendbar (s.u.) 1071. Das Gesetz spricht nicht von „vertreten-müssen“. Ein schuldhaftes Verhalten von Angestellten, überhaupt: von Erfüllungsgehilfen des HV (z.B. Untervertreter 1072) genügt nicht 1073, sondern kann allenfalls zu einer Herabsetzung des Ausgleichs im Billigkeitswege führen. Der Grundsatz, dass ein Verschulden von Hilfspersonen nicht geeignet ist, den Ausgleichsanspruch nach § 89b Abs. 3 Ziff. 2 auszuschließen, greift aber dann nicht ein, wenn ein Dritter, etwa ein Familienangehöriger 1074, der nicht Vertragspartner ist, nach dem übereinstimmenden Willen der Beteiligten ausschließlich als HV für den Unternehmer tätig sein soll. In einem solchen Fall kann sich der HV nicht darauf berufen, dass der Dritte nur sein Erfüllungsgehilfe gewesen sei 1075. Wird bei Vertragsschluss ein Dritter vorgeschoben kommt es auf das Verschulden der Person an, die den Vertrag tatsächlich ausführt 1076. Daher lässt sich eine Spaltung der Verantwortlichkeit nicht schon erreichen, indem der HV aus Gründen 1062 1063

1064 1065 1066 1067 1068

1069

BGHZ 52, 12 (15); deutlicher in LM § 89b HGB Nr. 5. So der Weg des BGH v. 06.02.1964, BGHZ 41, 129 = NJW 1964, 915; BGH v. 12.04. 1973, BB 1973, 815. BGH, Urt. v. 28.02.2007 – VIII ZR 30/06, DB 2007, 1021. BGH v. 16.02.2000 – VIII ZR 134/99, NJW 2000, 1866. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 66, 67. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 63. BGH, Urt. v. 13.07.1972 – VII ZR 166/71, WM 1972, 1095 (1096); Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 67. BGH, Urt. v. 18.07.2007 – VIII ZR 267/05, ZIP 2008, 80; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 67.

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OLG Celle BB 1958, 894; Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 67. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 67; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 5; § 89b Rn 30; aA Hirsch JR 1960, 60. OLG Hamm MDR 1959, 1016. BGHZ 29, 275. BGH, Urt. v. 18.07.2007 – VIII ZR 267/05, ZIP 2008, 80. BGH, Urt. v. 18.07.2007 – VIII ZR 267/05, ZIP 2008, 80; BGH, Urt. v. 23.01.1964 – VII ZR 172/62, VersR 1964, 428. BGH, Urt. v. 23.01.1964 – VII ZR 126/62, VersR 1964, 428; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 67.

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der Tarnung vor seinen Gläubigern sein Agenturgeschäft nach außen unter der Firma seiner Ehefrau laufen lässt, während er selbst als deren „Angestellter“ es in Wahrheit weiter betreibt; alsdann soll unverändert auf sein Verschulden für die anspruchszerstörende Berechtigung zur fristlosen Kündigung abzustellen sein 1077. Zur Behandlung von Umgehungsfällen § 86 Rn 126.

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d) Ordentliche Kündigung trotz wichtigem Grund. Die bisher herrschende Meinung 1078 ließ den Ausgleich entfallen, sobald die Kündigung des Unternehmers nicht auf dem wichtigen Grund beruhte. Ihr genügte das objektive Vorliegen eines wichtigen Grundes und gegebenenfalls das Nachschieben von Kündigungsgründen in einem Gerichtsverfahren 1079, was konsequenterweise sogar eine Rückforderung des Ausgleichs nach Zahlung zulässt, falls der Unternehmer erst nach Leistung des Ausgleichs Kenntnis des Kündigungsgrundes erlangt (zum Rückforderungsanspruch siehe Rn 358 ff). Das bedeutete, dass die Kündigung nicht als fristlose ausgesprochen werden musste. Es genügte eine jede, auch befristete Kündigung (etwa um den HV nicht in seinem Fortkommen zu hindern, oder weil für den Unternehmer nicht sofort Ersatz zur Verfügung steht 1080), wenn nur ein wichtiger Grund wegen schuldhaften Verhaltens des HV vorlag, der, zum Kündigungsausspruch hinzukommend, den Unternehmer zur fristlosen Lösung des Vertragsverhältnisses berechtigen konnte. Art. 18 EG-Richtlinie fordert jedoch, dass der Unternehmer den Vertrag „wegen“ eines schuldhaften Verhaltens des HV kündigte. Es entspricht daher innerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie sowohl dem Ausnahmecharakter des § 89b Abs. 3 Nr. 2 wie der erforderlichen europarechtskonformen Auslegung, dass die außerordentliche Kündigung kausal durch das schuldhafte Verhalten verursacht worden sein muss 1081. Zudem: Spricht der Unternehmer in Kenntnis des wichtigen Grundes eine ordentliche Kündigung aus, ohne zum Ausdruck zu bringen, dass er eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses eigentlich für unzumutbar hält, so gibt er damit regelmäßig zu erkennen, dass er den Vertragsverstoß des HV nicht als so schwerwiegend empfunden hat, als dass ihm die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar erscheint 1082. Ein Nebeneinander der „Kündigung“ und des „schuldhaften Verhaltens“ sowie ein Zusammenführen beider TB-Voraussetzungen im Prozess oder ein Nachschieben wichtiger Kündigungsgründe trotz fehlender außerordentlicher Kündigung 1083 ist daher im Anwendungsbereich der EG-Richtlinie unzulässig. Dem Unternehmer ist zu raten, trotz vorheriger ordentlicher Kündigung aus wichtigem Grund zu kündigen, um die Anspruchsvoraussetzungen des § 89b Abs. 3 Nr. 2 herbeizuführen 1084. Jedoch kann das schuldhafte Verhalten im Rahmen des auch in der EG-Richtlinie anerkannten Billigkeitsgrundsatzes zu berücksichtigen sein und gegebenenfalls zu einer Ausgleichsreduzierung auf Null führen 1085, z.B. wenn der HV heimlich einen Wett1077 1078

1079 1080 1081

BGH DB 1964, 582. BGH v. 07.03.1957 – II ZR 261/55, BGHZ 24, 30 = NJW 1957, 871; v. 12.06.1963 – VII ZR 72/61, BGHZ 40, 13 = NJW 1963, 2069; v. 06.07.1967 – VII ZR 35/65, BGHZ 48, 222 = NJW 1967, 2154. Vgl. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 66. OLG Düsseldorf BB 1956, 376. OLG Koblenz, Urt. v. 22.03.2007 – 6 U 1313/06, NJW-RR 2007, 1044 = EWiR 2007, 525 (Döpfer) in Abweichung von BGH, NJW 1967, 2154 und BGH, NJW 2000, 1866 (1868).

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1082

1083 1084 1085

OLG Koblenz, Urt. v. 22.03.2007 – 6 U 1313/06, NJW-RR 2007, 1044, 1045 = EWiR 2007, 525 (Döpfer). AA Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 66. Döpfer EWiR 2007, 526; Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 66. OLG München, Verfügung v. 29.11.2005 – 23 U 4612/05, unveröffentlicht; Döpfer EWiR 2007, 526; Küstner/Thume II, Rn 1309; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 65.

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bewerber des Unternehmers vertritt 1086. Der Berücksichtigung aller Umstände im Rahmen der Billigkeitsprüfung steht die EG-Richtlinie nicht entgegen (Art. 17 Abs. 2 lit. a, 2. Spiegelstrich). Es widerspricht der Billigkeit, dem HV einen Ausgleich zuzusprechen, nur weil der Unternehmer die verbotene Konkurrenztätigkeit des HV bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht bemerkt hat 1087. Fraglich ist aber, ob die von der bisher h.A. abweichende Meinungsgruppe auch außerhalb des auf den Waren-HV beschränkten Anwendungsbereichs der HV-Richtlinie Geltung beanspruchen kann. Auf der Basis der hM darf der Unternehmer den wichtigen Grund auch nachschieben. 231 Das kann geschehen: während der laufenden Kündigungsfrist (hier als nachgeholte sofortige Kündigung) als auch im Streit um den Ausgleich nach Vertragsende, sofern der Unternehmer erst jetzt von dem vertragswidrigen Verhalten des HV Kenntnis erlangt hat und dieses Verhalten vor oder nach Ausspruch der ursprünglichen Kündigung in der Zeit bis Vertragsende betätigt worden war. Auch eine solche nachträgliche Geltendmachung sperrt dann in analoger Anwendung des Abs. 3 Nr. 2 den Ausgleich 1088. Eine Abmahnung ist in dieser Situation nicht erforderlich. Der Unternehmer kann nicht mittels Abmahnung eine Vertragsbeendigung androhen, weil der Vertrag bereits beendet ist und der HV kann deswegen auch nicht durch vertragskonformes Verhalten nach Abmahnung das Vertrauen in seine Loyalität und pflichtgemäßes Verhalten wiederherstellen. Auch braucht der Unternehmer die wichtigen Gründe nicht binnen der üblichen Überlegungsfrist von einem Monat nachzuschieben. Vielmehr gilt § 195 BGB. Im Einzelfall können Verwirkungsgrundsätze eingreifen 1089. Vor Ablauf der Verjährung ist eine Verwirkung jedoch kaum denkbar. e) Beispiele. In folgenden Fällen wird der Ausgleichsausschluss aufgrund einer vom 232 Unternehmer erklärten außerordentlichen Kündigung wegen schuldhaften Verhaltens des HV diskutiert: „Ja“ bedeutet Ausgleichsauschluss, „Nein“ keinen Ausgleichsausschuss. – Fälschung der Unterschrift eines Kunden auf einem Versicherungsantrag durch den Versicherungsvertreter: Ja 1090. – Geringerer Pro-Kopf-Umsatz des HV im Vergleich zu anderen HV: Nein, solange keine Pflichtverletzung vorliegt. So können etwa in ländlichen Räumen mit anderen Fahrtwegen und in einem größeren Bezirk andere Pro-Kopf-Umsätze als in günstiger oder schlechter erschlossenen Bezirken erzielt werden 1091. – Insolvenz des Vertriebsmittlers: Regelmäßig Nein. Die Insolvenz des HV/Vertragshändlers berechtigt den Unternehmer zwar zur fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund gemäß § 89a Abs. 1. Der Ausgleichsanspruch entfällt nach § 89b Abs. 3 S. 2 gleichwohl nur dann, wenn der Unternehmer darlegt und erforderlichenfalls beweist, dass der Insolvenzgrund auf ein schuldhaftes Verhalten des HV/Vertragshändlers zurückzuführen ist 1092. Solch ein schuldhaftes Verhalten des HV ist oft zu bejahen, 1086 1087 1088 1089 1090 1091

OLG München, Verfügung v. 29.11.2005 – 23 U 4612/05, unveröffentlicht. OLG München, Verfügung v. 29.11.2005 – 23 U 4612/05, unveröffentlicht. BGHZ 48, 222. OLG Saarbrücken, Urt. v. 25.01.2006 – 1 U 101/05-35. OLG München, Urt. v. 01.07.2003 – 23 U 1637/03, VersR 2004, 470. OLG Celle v. 08.10.1958, HVR Nr. 217 Rn 1341.

1092

OLG München, Urt. v. 26.04.2006 – 7 U 5350/05, DB 2006, 1371; ebenso früher OLG Hamm, Beschl. v. 09.06.2004 – 35 W 5/04, NJW-RR 2004, 1554 sowie OLG München, Urt. v. 24.11.2004 – 7 U 1518/04, BB 2005, 406 = EWiR 2005, 601 (Pütz); siehe auch Emde/Kelm ZVI 2004, 382; Emde BB 2005, 396.

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wenn über das Vermögen des HV das Insolvenzverfahren eröffnet wird. Der HV hat die eigene Insolvenz üblicherweise zu vertreten, wofür eine Vermutung spricht. Allerdings ist hier ebenso wie bei der Unternehmerinsolvenz eine unverschuldete Insolvenz denkbar, falls die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung auf Umstände zurückzuführen sind, die nicht der Risikosphäre des HV zuzurechnen sind.1093 Nach der Rechtsprechung des BGH ist es sogar denkbar, dass der Ausgleichsanspruch trotz verschuldeter Insolvenz des HV bestehen bleibt, wenn im Rahmen der Billigkeitserwägungen gemäß § 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 festzustellen ist, dass sich die schlechten Vermögensverhältnisse des HV nicht nachteilig, sondern eventuell sogar förderlich auf das HV-Verhältnis ausgewirkt haben. Es fehlt dann an der Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Vertrages.1094 Die Beweislast für das Verschulden als Ausschlussgrund trägt der Unternehmer. Unterlassene Kündigung im Rahmen der Liquidation einer HV-Gesellschaft: Ist der HV eine Gesellschaft, so bleibt es Sache des Liquidators, das HV-Verhältnis zu beenden. Würde er die Kündigung verzögern, gäbe er damit dem Unternehmer einen Grund, wegen (insoweit) schuldhafter Verletzung der dem HV obliegenden Pflichten aus wichtigem Grunde seinerseits zu kündigen. In beiden Fällen ist dem Ausgleichsanspruch die Grundlage entzogen (Abs. 3 Nr. 2). Eine Analogie zum Recht auf Kündigung wegen eingetretener „Berufsunfähigkeit“ des HV verbietet sich, da dieser Kündigungsgrund dem berufsunfähig gewordenen HV aus sozialen Gründen zugestanden worden ist: die Gesellschaft, die nach Auflösung ihre Eigenschaft als werbende eingebüßt hat, ist zwar damit unfähig zur Erfüllung ihrer „Berufs“aufgaben geworden, aber einen sozialen Schutz kann sie nicht beanspruchen. Zudem erfolgt die Liquidation freiwillig, die Berufsunfähigkeit nicht. Restrukturierung des Vertriebsnetzes auf Grund wirtschaftlicher und rechtlichen Notwendigkeiten: Nein 1095. Übernahme weiterer Vertretungen: Übernahme zusätzlicher Vertretungen ohne Genehmigung des Unternehmers: Ja, wenn die Zustimmung vertraglich vereinbart war 1096. Ohne eine solche vertragliche Vereinbarung ist der HV frei in der Übernahme zusätzlicher Vertretungen, sofern keine Wettbewerbstätigkeit vorliegt. Umsatzrückgang: Nein. Der bloße Umsatzrückgang lässt keinen Rückschluss auf ein schuldhaftes Verhaltes des HV zu 1097. Der Umsatzrückgang muss also durch den HV verschuldet sein, was der Unternehmer nachzuweisen hat 1098. Unberechtigte Kündigung des HV mit anschließender Kündigung des Unternehmers: Ja 1099.

1093 1094 1095 1096

1097

1098

Küstner/Thume7 II, Rn 368. BGH, Urt. v. 03.05.1995 – VIII ZR 95/94, BGHZ 129, 290 (294 f). BGH, Urt. v. 28.02.2007 – VIII ZR 30/06, DB 2007, 1021. OLG Bamberg, Urt. v. 26.04.1979 – 1 U 10/79, BB 1979, 1000; OLG Nürnberg v. 13.12.1962, BB 1963, 203. OLG Düsseldorf v. 16.12.1975, HVR Nr. 478; LG Wuppertal v. 11.01.1955, HVR Nr. 75; LG Stuttgart v. 19.04.1968, HVR Nr. 378. BGH v. 04.07.1960, VersR 1960, 707; OLG

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Karlsruhe v. 28.10.1975; VW 1978, 195 = HVR Nr. 495; v. 01.12.1970, BB 1971, 888; v. 11.04.1957, BB 1957, 561; OLG Nürnberg v. 28.02.1963, BB 1963, 447; OLG Stuttgart v. 09.06.1960, BB 1960, 956; OLG Frankfurt v. 31.01.1967, DB 1967, 329; OLG Köln v. 04.03.1970, MDR 1970, 594. LG Hannover, Urt. v. 26.01.2004 – etwa: Geschäftsnummer 21 O 152/03, r+s 2004, 351; bestätigt durch OLG Celle Beschl. v. 20.04.2004, etwa: Gesch-Nr. 11 U 61/04, r+s 2004, 349.

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– Verschulden von Angestellten oder Untervertretern: Es führt regelmäßig nicht zum Ausgleichsausschluss, da ein schuldhaftes Verhalten des HV selbst vorausgesetzt wird 1100. Jedoch soll das Verschulden von Angestellten unter Billigkeitsgesichtspunkten die Höhe des Ausgleichs beeinflussen. § 278 BGB ist damit nicht anwendbar 1101. Auch ein Verschulden echter Untervertreter ist unmaßgeblich. Eigenes Verschulden kann jedoch die mangelnde Überwachung der Mitarbeiter darstellen. Eine Ausnahme hat der BGH gebildet, falls der HV-Vertrag nur zum Zwecke des Ausschlusses von gegen den Ehemann als wirtschaftlich Vertragsführenden gerichteter Pfändungen Dritter mit dessen Ehefrau abgeschlossen wurde. Wirtschaftlich besehen sei der Ehemann Vertragspartner, so dass auch sein Verhalten zum Ausgleichsausschluss führen könne 1102. Führt also der Angehörige in Wahrheit den Vertrag, kommt es auf sein Verschulden an 1103. – Wettbewerbsverstoß: Ja. Er wird regelmäßig schuldhaft erfolgen und führt daher zum Ausgleichsausschluss 1104. – Wettbewerbstätigkeit von Angehörigen: Sofern der HV auf sie bei Vertragsschluss nicht hinwies und auch nicht für eine ausreichende räumliche Trennung der Bürowelten gesorgt hat (Unterlassen: Organisationsverschulden) 1105, kann die verheimlichte Tätigkeit das Vertrauen entfallen lassen und ein schuldhaftes Verhalten des HV konstituieren 1106. Eine fehlende Trennung der Büros legt etwa bei einer Bürogemeinschaft vor 1107, es sei denn, der Unternehmer hat ausdrücklich – nach umfassender Aufklärung – seine Zustimmung erteilt. f) Eintritt ausgleichswahrender Tatbestände während der Kündigungsfrist. Es kann 233 sein, dass zunächst eine Kündigung mit ausgleichssperrender Wirkung ausgesprochen worden ist – sei es vom HV nach Abs. 3 Nr. 1, sei es vom Unternehmer Abs. 3 Nr. 2 –, und dass bis zum Wirksamwerden der Kündigung, d.h. während des auslaufenden Vertragsverhältnisses ein Umstand eintritt, der sich als ausgleichswahrend hätte auswirken können. Beispiel: der HV stirbt, er erkrankt so nachhaltig, dass ihm bei ungekündigtem Vertragsverhältnis eine Fortsetzung der Tätigkeit nicht mehr hätte zugemutet werden können oder es wird ein Aufhebungsvertrag geschlossen; oder der Unternehmer verhält sich nunmehr so, dass er dadurch dem HV, unterstellt man das Vertragsverhältnis als ungekündigt, begründeten Anlass zur Kündigung gegeben hätte. Von diesen drei Fällen kann der letztgenannte allerdings nur bei voraufgegangener normaler (befristeter) Eigenkündigung des HV praktisch werden. Grundsätzlich sind zwei Lösungswege denkbar: Die eine Ansicht stellt auf die zum Ausschluss führende Kündigungserklärung des HV ab und lässt den Ausgleich entfallen 1108. Die andere Ansicht betont den tatsächlichen Beendigungsgrund, der nicht zum Ausgleichsausschluss führt 1109. Es handelt sich um einen Fall überholender Kausalität. Da der Gesetzestext auf die Kündigungserklärung als ausgleichsausschließenden Umstand abhebt, spricht im Grundsatz mehr für die Ansicht der1100 1101

1102 1103 1104 1105

BGH v. 05.02.1959, BGHZ 29, 275 = NJW 1959, 878. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 67; Schlegelberger/Schröder § 89a Rn 5; § 89b Rn 30; aA Hirsch JR 1960, 60. BGH v. 23.01.1964, BB 1964, 409 = VersR 1964, 428. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 67. BGH NJW 1984, 2101; Hopt § 89b Rn 67. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 67.

1106 1107

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1109

Küstner/Thume II, Rn 1345. Siehe OLG Düsseldorf v. 13.02.1969, VW 1969, 566; BGH v. 20.01.1969, VersR 1969, 372. OLG Hamm NJW-RR 1988, 45; Küstner/ Thume II, Rn 1787 ff; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 50; MünchKomm/v. HoyningenHuene § 89b Rn 156. OLG Frankfurt/Main, Urt. v. 12.07.1960, NJW 1961, 514.

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jenigen, die den Ausgleich ausschließen wollen. Wird ein Aufhebungsvertrag nach ausgleichsfeindlicher Kündigung geschlossen, hat der Unternehmer wenig Anlass durch den Aufhebungsvertrag einen Ausgleich wieder aufleben zu lassen, den er bei normalem Fortgang der Dinge nicht zahlen müsste. Kündigt der HV nach einer ausgleichsfeindlichen Vertragsbeendigung grundsätzlich ausgleichswahrend gem. Abs. 3 Nr. 1 aus begründetem Anlass wird ihm nach einer Ansicht in Parallele zum Nachschiebungsrecht des Unternehmers die Möglichkeit eröffnet, seinen Ausgleichsanspruch zu retten, indem er nun ausgleichswahrend kündigen darf. Die ursprüngliche, ohne rechtfertigenden Anlass ausgesprochene Eigenkündigung des HV soll dem Unternehmer keinen Freibrief geben, sich während der restlichen Zeit des Vertrages so zu verhalten, dass er dem HV jetzt einen Anlass zur Kündigung gäbe, ohne einen Ausgleich befürchten zu müssen, und dies nur deshalb, weil eine Kündigung schon ausgesprochen vorliegt. Letztgenannter Auffassung widerspricht, dass spätere Ereignisse den einmal begründeten Ausgleichsausschluss nicht entfallen lassen. Vor vertragswidrigem Verhalten des Unternehmers schützt den HV Schadenersatz sowie § 89a. Der Fall des dazwischentretenden Ablebens des HV ist für eine Situation entschieden 234 worden, in der der HV ebenfalls ohne begründeten Anlass gekündigt hatte 1110. Das Urteil sieht den Ausgleichsanspruch als durch den Tod wieder gewahrt an. Konow ist im Einklang mit dem oben, Rn 233 genannten Grundsatz in seiner Urteilsanmerkung aaO mit Recht der gegenteiligen Meinung. Hier hat das Ende des bereits auslaufenden Vertragsverhältnisses sich durch den Tod des HV auf einen früheren Zeitpunkt vorverschoben. Der Verlust des Ausgleichs war bereits durch den Kündigungsausspruch präfixiert. Was der Tod bewirkt, beschränkt sich darauf, das weitere Aushalten-müssen des Vertragsverhältnisses bis zum Ende der Kündigungsfrist gegenstandslos zu machen. Weitere Wirkungen hat er nicht. Der HV, der die Anwartschaft auf den Ausgleich bereits durch seine Eigenkündigung eingebüßt hatte, erwirbt ihn für seine Erben nicht dadurch erneut, dass das Zufallsmoment seines Todes dazwischentritt. Nichts anderes kann für eine nunmehrige Erkrankung des HV rechtens sein. Erst recht gilt das für das Ableben und die Erkrankung Gesagte, wenn eine Kündigung durch den Unternehmer nach Abs. 3 Nr. 2 unter Einräumung einer Kündigungsfrist voraufgegangen oder das Vertragsverhältnis einverständlich mit einer Auslauffrist aufgehoben worden war, obwohl der Unternehmer nach Abs. 3 S. Nr. 2 hätte kündigen können und der Tod bzw. die Erkrankung nunmehr während der Frist eintritt. Der Ausgleich bleibt versagt.

235

g) Einfluss einer ausgleichssperrenden Kündigungsberechtigung ohne Ausspruch der Kündigung. Das Problem stellt sich zunächst dann, wenn der Unternehmer nach Abs. 3 Nr. 2 hätte kündigen können, aber der Tod des HV der Kündigung zuvorkommt, oder wenn der Unternehmer, etwa um es im Interesse des HV nicht zu einer Kündigung kommen zu lassen, sich zu einer einverständlichen Lösung des Vertrages bereit findet und der HV stirbt, ehe die Einigung hierüber vollzogen worden ist. Der die Kündigung verhindernde Tod des HV lässt zwar den Ausgleichsanspruch als solchen entstehen; die „kündigungsträchtige“ Lage allein vermag hieran nichts zu ändern. Eine befriedigende Lösung ist hier nur durch Versagung des Ausgleichs unter dem Billigkeitsgesichtspunkt des Abs. 1 S. 1 Nr. 3 möglich (Rn 230) 1111. Ebenso liegt es, wenn eine beabsichtigte, die Kündigung nach § 89a im Interesse des HV (oder des Unternehmers, der eine geräumigere Umstellungsfrist erreichen will) vermeidende einverständliche Aufhebung des Vertrages durch den dazwischen tretenden Tod des HV nicht mehr zur Sprache kommt. Der BGH will sogar gegenüber einer einverständlichen Lösung des Vertragsverhältnisses, die 1110

OLG Frankfurt/Main NJW 1961, 514.

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1111

BGH NJW 1958, 1966.

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nicht zur Vermeidung einer Kündigung nach § 89a erfolgt ist, weil Gründe hierfür zunächst nicht bekannt waren, ein „Nachschieben“ später bekannt gewordener wichtiger Kündigungsgründe aus Verschulden des HV zulassen, offenbar mit Wirkung gegen den daraufhin streitig gewordenen Ausgleichsanspruch (Rn 230) 1112. Hat wiederum der Unternehmer mit wichtigem, vom HV verschuldeten Grunde ge- 236 kündigt, so soll der Ausgleichsanspruch auch dann versagt bleiben, wenn der HV seinerseits schon vorher wegen Verhaltens des Unternehmers begründeten Anlass gehabt hätte, die Kündigung auszusprechen 1113. Denn selbst, so die Begründung, wenn der HV diese vorher gegeben gewesene, den Ausgleichsanspruch wahrende Kündigungsmöglichkeit wahrgenommen und (befristet) gekündigt hätte, würde er dadurch nicht den „Freibrief“ gewonnen haben, sich nunmehr in der Zeit bis zum Auslaufen des Vertragsverhältnisses so zu verhalten, dass er dem Unternehmer Grund gab, das Vertragsverhältnis aus wichtigem Grund mit sofortiger Wirkung unter den Voraussetzungen des Abs. 3 Nr. 2 zum Erlöschen zu bringen 1114. Dies ist in Hinblick darauf, dass der Unternehmer im spiegelbildlichen Fall Ausgleichsausschlussgründe nachschieben darf (Rn 230, 235) problematisch. 4. Eintritt eines Dritten in das Vertragsverhältnis (§ 89 Abs. 3 Nr. 3) a) Überblick. Gemäß § 89b Abs. 3 Nr. 3 entfällt der Ausgleichsanspruch, sobald der 237 HV sich mit dem Unternehmer darüber einigt, dass ein Dritter in das Vertragsverhältnis eintritt. Dieser Ausgleichsausschlussgrund ist wenig praktisch, möglicherweise deshalb, weil Anwälte wegen der vielen Zweifelsfragen bei seiner Anwendung von der Wahl des in dieser Norm gewiesenen Weges abraten. Die Vorschrift wird als methodisch unglücklich und ungenau bezeichnet 1115 und engt die Möglichkeiten des HV zum Verkauf seiner Vertretung ein 1116. Der Gesetzgeber hat tief in die Gestaltungsfreiheit der Parteien eingegriffen, weil der HV damit sein Unternehmen nicht „preisgünstig“ an einen Dritten veräußern kann. Die Höhe des Kaufpreises muss zumindest die Höhe des Ausgleichsanspruches erreichen, weil dieser nach § 89b Abs. 3 Ziff. 3 in Folge des Verkaufes verloren geht 1117. Der HV hat keine gute Verhandlungsposition. Wegen der Notwendigkeit der Mitwirkung des Unternehmers bei der Übernahme der Handelsvertretung hat jener eine starke Stellung, die er gegenüber dem Nachfolger zum Ausdruck bringen wird. Letzterer wird wiederum versuchen, die ihm vom Unternehmer aufgrund seiner Verhandlungsstärke aufgezwungenen nachteiligen Übernahmebedingungen durch entsprechende Vereinbarungen mit dem ausscheidenden HV zu kompensieren 1118. § 89b Abs. 3 Nr. 3 könnte zu einem untragbaren Ergebnis führen: Der Unternehmer braucht keinen Ausgleich an den austretenden HV zu leisten. Er darf aber vom neu eintretenden HV Einstandszahlungen fordern, so dass der austretende HV leer ausgeht 1119. Die Höhe des Kaufpreises muss zumindest die Größe des Ausgleichsanspruches erreichen, weil dieser nach § 89b Abs. 3 Nr. 3 in Folge des Verkaufes verloren geht 1120. Deshalb wird vorgeschlagen, die Wirksamkeit einer nach Vertragsbeendigung geschlossenen Nachfolgevereinbarung davon abhängig zu machen, ob der Abfindungsanspruch zum Vorteil des 1112

1113 1114 1115 1116

Wie der kurze Bericht über das Urt. – VII ZR 75/75 v. 18.12.1975 – VW 1976, 517 erschließen lässt. OLG Hamburg JR 1961, 22. OLG Hamburg JR 1961, 22. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 68. Ensthaler BB-Special 3/2007, 1; Ensthaler/ Würmann BB 2008, 230, 231.

1117 1118 1119 1120

Ensthaler BB-Spezial 3/2007, 1; Ensthaler/ Würmann BB 2008, 230, 232. Ensthaler BB-Special 3/2007, 1; Ensthaler/ Würmann BB 2008, 230, 231. Ensthaler/Würmann BB 2008, 230, 232. Ensthaler BB-Special 3/2007, 1; Ensthaler/ Würmann BB 2008, 230, 231.

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Unternehmers beeinträchtigt wird 1121. Der ausscheidende HV stehe auch nach der Beendigung des Vertragsverhältnisses wegen der Zustimmungsbedürftigkeit in Abhängigkeit zum Unternehmer. Interessengerecht sei eine Regelung, die den Verlust des Ausgleichsanspruchs davon abhängig mache, dass bei der Unternehmensnachfolge der Unternehmer den verdienten Abfindungsanspruch nicht „kassiert“ 1122. Leitbild sei die Kfz-GVO 1400/02. Bei ihr bedürfe die Vertragsübernahme nicht mehr der Zustimmung des Herstellers.

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b) Zweck. Zweck der Norm soll sein, dass der HV von seinem Nachfolger ein Entgelt für die Übertragung der Vertretung erhalten wird. Es soll verhindert werden, dass der HV „doppelt kassiert“ und zusätzlich zu dem vom Dritten geleisteten Entgelt einen Ausgleich vom Unternehmer erhält 1123. § 89b Abs. 3 Nr. 3 hat die Funktion einer Billigkeitsschranke 1124. Die Norm dient nicht dem Schutz des Unternehmers vor Doppelbelastung, sondern soll aus Billigkeitsgründen eine Doppelzahlung an den HV unterbinden 1125. Ob der HV tatsächlich eine Vergütung von dem Dritten erhält ist für den Ausschlusstatbestand unerheblich 1126. Darin liegt eine gewisse Ungerechtigkeit und ein Widerspruch zum Normzweck. Gerade bei Übergang des Vertrages zwischen Verwandten fehlt häufig eine solche Kompensation. Erfolgt keine Zahlung vom Nachfolger, sollte vereinbart werden, dass der Ausgleich nur in der Höhe ausgeschlossen ist, in welcher der HV von seinem Nachfolger tatsächlich Geld erhält 1127. Zumindest de lege ferenda müsste der Ausgleichsausschluss auf die Konstellation beschränkt werden, in der der Erst- von dem Zweitvertreter eine Kompensation für den Ausgleichsverlust erhält.

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c) Historie. § 89b Abs. 3 Nr. 3 wurde aus dem französischen in das deutsche Recht überführt 1128 und entspricht Art. 18 EG-Richtlinie 1129. Abweichend von der Rechtslage in Deutschland kennt das französische Recht aber das Recht des HV, einen Nachfolger zu präsentieren (Art. 13c des Transformationsgesetzes vom 25.06.1991; Art. L 134-13 al. 3 und Art. L 134-16 C. CuM.) 1130. Der agent commercial kann daher sowohl während der Vertragslaufzeit dem Unternehmer einen Nachfolger vorschlagen, als auch, wie im deutschen Recht, bei Vertragsbeendigung eine Nachfolgevereinbarung eingehen. Beschränkt ein HV-Vertrag jenes Recht des HV, so stellt dies eine nachteilige Abweichung dar und gilt als nicht vereinbart. Im Gegensatz zur deutschen Regelung greift der Ausschluss des Ausgleichs allerdings nur bei einer entgeltlichen Übertragung des Kundenstammes ein 1131. Jedoch waren bereits vor Einführung der Vorschrift Abreden über die Nachfolge von HV auch in Deutschland gängig 1132, entsprechend heute üblicher Praxis 1133. Vor Kodifizierung des § 89b Abs. 3 Nr. 3 war strittig, ob bei Vorliegen einer Nachfolgevereinbarung der alte Vertrag endete und ein neuer Vertrag begründet wurde oder ob der bisherige Vertrag weitergeführt wurde 1134. Seit der Normierung ist anerkannt, dass trotz Übernahme des HV-Vertrages eine Vertragsbeendigung im Sinne des § 89b Abs. 1 Nr. 1 vorliegt. 1121 1122 1123 1124 1125 1126

Ensthaler BB-Special 3/2007, 1, Ensthaler/ Würmann BB 2008, 230, 231. Ensthaler BB-Special 3/2007, 1; Ensthaler/ Würmann BB 2008, 230, 231. Kiene NJW 2006, 2007 (2008); Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 68. Kiene NJW 2006, 2007 (2008); Kiene RIW 2006, 344 (345). Kiene NJW 2006, 2007 (2008). Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 68.

1000

1127 1128 1129 1130 1131 1132 1133 1134

Westphal Vertriebsrecht I, Rn 1170. Kiene RIW 2006, 344; Hankele DB 1987, 569; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 177. Vgl. Ensthaler BB-Special 3/2007, 1. Kiene RIW 2006, 344 (348). Kiene RIW 2006, 344 (350). Kiene RIW 2006, 34; Kiene NJW 2006, 2007. Kiene NJW 2006, 2007. Kiene NJW 2006, 2007.

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d) Gestaltungsvarianten. Grundsätzlich sind mehrere Gestaltungsvarianten denkbar: 240 – Vereinbarung zwischen Unternehmer und HV mit Zustimmung des Eintretenden; – Vereinbarung zwischen Unternehmer und Eintretendem mit Zustimmung des HV; – Dreiseitiger Vertrag zwischen Unternehmer, HV und Eintretendem 1135. Mit Zustimmung des Unternehmers ließe sich das Ergebnis auch gesellschaftsvertrag- 241 lich erreichen: Der Alt-HV nimmt seinen Nachfolger in eine OHG auf, auf die der Vertrag übergeleitet wird und scheidet dann aus. Der Nachfolger wird durch Anwachsung alleiniger Vertragspartner. Der Gesetzeswortlaut („eintritt“) geht einerseits vom Fortbestehen des Altvertrages 242 unter Ausscheiden des bisherigen Vertragspartners aus, andererseits bestimmt er, dass die Vereinbarung nicht vor Vertragsende getroffen werden darf. Man könnte sich fragen, ob bei einem „Eintritt“ eine zur Ausgleichspflicht führende Vertragsbeendigung vorliegt. Wäre dies zu verneinen, würde kein Ausgleich entstehen und die Vorschrift wäre überflüssig. Das Ausscheiden des bisherigen Vertragspartners ist jedoch für ihn eine Vertragsbeendigung 1136, und diese ist bei der Regelung des zulässigen Termins der Vereinbarung gemeint. Das scheinbar Unvereinbare, nämlich einerseits Eintritt in ein bestehendes Vertragsverhältnis und Vertragsende andererseits ist daher derselbe Sachverhalt, lediglich aus der Warte verschiedener Personen betrachtet: Für den ausscheidenden HV endet der Vertrag, weshalb ihm grundsätzlich ein Ausgleich zustände. Aus Sicht des Unternehmers wird der Vertrag fortgesetzt. § 89b Abs. 3 Ziff. 2 verhindert den möglichen Streit über die Ausgleichsberechtigung und bestimmt das Entfallen des Ausgleichs (Rn 239). Die Nachfolgevereinbarung des § 89b Abs. 3 Ziff. 3 ist daher nicht von der Absprache der Parteien zu separieren, in der es zu keiner Vertragsbeendigung im Sinne des § 89b Abs. 1 Ziff. 1 kommt und der Vertrag ohne eine solche Identität übergeht 1137. Beide Fälle sind von § 89b Abs. 3 Ziff. 3 erfasst. Deshalb und weil die Vorschrift auch den Fall ergreift, in welchem der Altvertrag mit dem Dritten nicht fortgesetzt, sondern mit ihm ein Neuvertrag geschlossen wird, ist sie erforderlich. Stets findet auf Seiten des HV eine Auswechslung statt 1138. Durch den Gesetzeswortlaut „anstelle“ wird deutlich, dass mit § 89b Abs. 3 Nr. 3 keine Vereinbarung gemeint ist, bei der ein weiterer HV hinzutritt 1139. § 89b Abs. 3 Nr. 3 geht davon aus, dass der neu eintretende HV zu gleichen oder ähnlichen Konditionen in den Vertrag eintritt 1140. Dies bringt der 2. Hs des § 89b Abs. 3 Nr. 3 zum Ausdruck, demzufolge „die Vereinbarung nicht vor Beendigung des Handelsvertretervertrages getroffen werden“ kann. Der Gesetzgeber geht also von einem Übergang des Vertrages in identischer Form aus. Gleichwohl wird die Eintrittsvereinbarung auch Regelungen zur Abänderung des Vertrags umfassen dürfen 1141. Folglich muss sich auch nicht aus der Vereinbarung ergeben, dass sämtliche Rechte und Pflichten auf den Dritten als Nachfolger des HV übergehen 1142. e) Eintrittsvereinbarung mittels AGB? Die zum Ausgleichsausschluss führende Zustim- 243 mungserklärung des HV soll – wie bereits die BR-Drucks.1143 zum Gesetz bemerkte – nur individualvertraglich 1144 und unter maßgeblicher Beteiligung des ausscheidenden HV 1145 1135 1136 1137 1138

1139

Küstner/Thume II, Rn 1499. BGH, Urt. v. 14.04.1988 – I ZR 122/96, NJW 1989, 35. AA Kiene NJW 2006, 2010. Kiene NJW 2006, 2007; Küstner NJW 1990, 304 (305); Ankele DB 1989, 2211 (2213); Thume BB 1991, 490. Kiene NJW 2006, 2007; Oetker Handelsrecht, 3. Aufl. 2000, S. 148.

1140 1141 1142 1143 1144 1145

BT-Drucksache 11/3077 v. 07.11.1988, S. 9. Kiene NJW 2006, 2007; Westphal Vertriebsrecht I, S. 231. AA Kiene NJW 2006, 2007. BR-Drs. 339/88. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 68. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 69.

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erfolgen dürfen. Die eine AGB-Zustimmung ablehnende Ansicht betont die Schutzbedürftigkeit des HV, wird jedoch mglw. den Bedürfnissen vielgliedriger Vertriebssysteme, insbesondere im Versicherungsbereich, nicht gerecht. Allerdings besteht auch nach dieser Ansicht die Möglichkeit einer Abwälzungsvereinbarung zwischen Unternehmer und Nachfolger nach Kündigung des Vorgänger-HV oder bilateraler Vereinbarung zwischen Nachfolger und Vorgänger. Durch AGB darf aber vorweg das Recht zur – separat durchzuführenden – Übertragung zugebilligt werden, wie es die Kfz-GVO 1400/2002 sogar vorschreibt.

244

f) Abgrenzung zu anderen Rechtsinstituten. Die Eintrittsvereinbarungen nach § 89b Abs. 3 Nr. 3 sind von anderen Rechtsinstituten abzugrenzen. Nach einer Ansicht handelt es sich bei der Abrede gem. Abs. 3 um eine Vertragsübernahme, wie der Wortlaut des Art. 18 lit. c HV-Richtlinie dokumentiere1146. Wegen fehlender Beendigung des HV-Verhältnisses würde der Ausgleichsanspruch aus diesem Grunde ohnehin nicht entstehen1147. Die Formulierung des Gesetzes, welches von einer „Beendigung“ des Vertrages spreche, sei Ausdruck einer unpräzisen Umsetzung der HV-Richtlinie bei fehlendem Systemverständnis des deutschen Gesetzgebers 1148. Der Wortlaut des Gesetzes beruhe auf der Historie: Man ging davon aus, dass eine Beendigung des ursprünglichen HV-Vertrages erforderlich war 1149. Es handelt sich aber auch nicht um einen Vertragsbeitritt, weil der Unternehmer keinen zusätzlichen HV gewählt hat, sondern der Alt-HV gegen einen NeuHV ausgewechselt wird 1150. Bei der Schuldersetzung wird ein altes Schuldverhältnis aufgehoben und durch ein neu begründetes, nicht notwendigerweise inhaltsgleiches Schuldverhältnis ersetzt (Novation). § 89b Abs. 3 Nr. 3 geht von der Beendigung des alten Vertragsverhältnisses und des Beginns eines neuen aus. Der Vertrag zwischen Nachfolger und Unternehmer hebt den Neuvertrag jedoch nicht auf. Vielmehr geschieht dies infolge der zumindest rechtstechnisch separaten Eintrittsvereinbarung. Alt- und Neuvertrag verbindet daher keine konditionale Verknüpfung. Eine Novation ist damit abzulehnen 1151. Nachfolgevereinbarungen i.S.d. Abs. 3 Nr. 3 sind von sog. Abwälzungsabreden zwi245 schen Unternehmer und eintretendem HV zu unterscheiden 1152. Bei den Abwälzungsvereinbarungen handelt es sich um rein zweiseitige Verträge, in denen sich der eintretende HV verpflichtet, den vom Unternehmer an den bisherigen HV zu zahlenden Ausgleichsanspruch auszugleichen (häufig auch als „Eintrittsgeld“ bezeichnet). Solche Vereinbarungen zwischen Parteien, an welchen der den Ausgleich verlierende HV nicht beteiligt ist, führen nicht zum Ausgleichsausschluss. Ihre Rechtmäßigkeit ist anerkannt 1153. Die Höhe des Abwälzungsbetrages orientiert sich an der Höhe des Ausgleichsanspruches des ausscheidenden HV 1154. Praktiziert werden drei Varianten 1155: Die Zahlung des Ausgleichs durch den Nachfolger an den ausscheidenden HV mit schuldbefreiender Wirkung zugunsten des Unternehmers, die (Einmal)Zahlung des Unternehmers an den ausscheidenden HV mit Refinanzierung durch den eintretenden HV und schließ-

1146

1147 1148 1149 1150

Thume BB 1991, 490 (492); Ensthaler/ Würmann BB 2008, 230 (233); MünchKomm/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 183. Thume BB 1991, 490 (492); MünchKomm/ v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 183. Thume BB 1991, 490 (492); MünchKomm/ v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 183. Ensthaler/Würmann BB 2008, 230 (233). Kiene NJW 2006, 2007 (2008).

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1151 1152 1153 1154 1155

Kiene NJW 2006, 2007 (2008). Kiene NJW 2006, 2007 (2008); Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 69. BGH NJW 1959, 1964; Kiene NJW 2006, 2007 (2009); Schröder DB 1969, 291. BGH NJW 1983, 1727; Kiene NJW 2006, 2007 (2009). Kiene NJW 2006, 2007 (2009) = Kiene RIW 2006, 344 (345).

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 89b

lich der teilweise Provisionseinbehalt bei dem eintretenden HV. Die Wirksamkeit dieser Abwälzungsvereinbarung orientiert sich an den unten wiedergegebenen Maßstäben für Einstandszahlungen (Rn 257 ff). Ähnlich grenzt sich der Vertretungskauf von der Einstands- oder Nachfolgeverein- 246 barung ab. Anders als bei der Eintritts-/Nachfolgevereinbarung des § 89b Abs. 3 Nr. 3 wird das Rechtsverhältnis des Unternehmers und des ausscheidenden HV von dem Vertretungskauf nicht berührt 1156 und der Vorgänger ist an dem Vertretungskauf ebenfalls unbeteiligt. Bei der Abwälzungsvereinbarung wird der geschuldete Ausgleichsanspruch von einem Dritten, meist dem nachfolgenden HV, übernommen (auf ihn „abgewälzt“), mit der Folge, dass dieser Ausgleichsanspruch weiterhin besteht. Der Zahlende tritt bei der Abwälzungsvereinbarung nicht in den HV-Vertrag ein 1157. Bei der Nachfolgevereinbarung des § 89b Abs. 3 Nr. 3 wird der Ausgleichsanspruch jedoch ausgeschlossen 1158. Das separiert beide Rechtsinstitute. Die Einstandsvereinbarung verspricht ebenfalls eine Zahlung für die Übernahme einer 247 Handelsvertretung. Sie erfolgt aufgrund der Erwartung des HV, mit dem Unternehmer eine synallagmatische Beziehung einzugehen. Jedoch besteht kein rechtlicher, innerer Zusammenhang zwischen dieser Zahlung und einem evtl. von dem Unternehmer an den ausscheidenden HV zu leistenden Ausgleichsanspruch 1159. Eine dritte Partei muss bei dem Abschluss der Einstandsvereinbarung weder direkt noch indirekt beteiligt sein. Der Kaufpreis sollte sich danach richten, welchen Wert die Vertretung für den neuen HV hat 1160. Eine für alle Fälle eingreifende rechtsdogmatische Einordnung des Geschehens nach Nr. 3 wird sich nicht leisten lassen. In den meisten Fällen dürfte eine rechtsgeschäftliche Vertragsübernahme vorliegen 1161, jedenfalls dann, wenn der Vertrag ohne Beendigung von dem Vorgänger auf den Nachfolger übergeht. Wird der Vertrag jedoch beendet und dann mit dem Nachfolger neu geschlossen, fehlt eine vollständige oder weitgehende Vertragsidentität. Der Neuvertrag substituiert den Altvertrag nicht. Beide Verträge sind eigenständige Rechtsverträge ohne direkten Zusammenhang. Lediglich die von dem HVVertrag zu unterscheidende Nachfolgevereinbarung bringt diesen Fall in den Anwendungsbereich des § 89b Abs. 3 Ziff. 3. g) Zwingende Natur (§ 89b Abs. 3 Nr. 3 Hs. 2). Da es sich bei der Vereinbarung um 248 eine ausgleichsbeschränkende Abrede handelt, darf sie gemäß § 89b Abs. 3 Nr. 3 Hs 2 nicht vor Vertragsende geschlossen werden. Die mit Abs. 4 S. 1 identische 1162 Formulierung erstaunt auf den ersten Blick, weil die Vereinbarung über den „Übergang“ des Vertrages denklogisch vor Vertragsende getroffen werden muss. Denn nach Vertragsende könnte kein HV-Vertrag übergehen 1163. Gemeint ist jedoch, dass die Vereinbarung zur sofortigen, unbefristeten Beendigung des HV-Vertrages gegenüber dem Alt-HV führen muss 1164. Würde § 89b Abs. 3 Nr. 3 Hs 2 fehlen, könnte der Unternehmer den HV bei Abschluss eines HV-Vertrages verpflichten, seine Handelsvertretung an einen vom Unternehmer zu benennenden Dritten zu übertragen 1165. Der HV soll die Möglichkeit haben, sich den wirtschaftlichen Wert des Ausgleichsanspruchs zu erhalten, indem er sich mit dem Nachfolger über einen zu zahlenden Betrag einigt 1166. Für den Nachfolger besteht 1156 1157 1158 1159 1160 1161

Kiene NJW 2006, 2007 (2009). Kiene RIW 2006, 344 (346). Kiene NJW 2006, 2007 (2009). Kiene NJW 2006, 2007 (2009) = Kiene RIW 2006, 344 (346). Kiene NJW 2006, 2007 (2009). Kiene NJW 2006, 2007 (2011).

1162 1163 1164 1165 1166

Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 70. Siehe Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 70. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 70. Kiene RIW 2006, 344 (345) = NJW 2006, 2007 (2008). Kiene RIW 2006, 344 (345).

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das Interesse am Abschluss einer Nachfolgevereinbarung und der Überlassung eines bereits akquirierten Kundenstamms und darin, ohne langwierige Gebietsauswahl oder eine Zielgruppenanalyse von den Daten des Vorgängers zu profitieren und die Handelsvertretung nach seinen Bedürfnissen auszugestalten 1167.

249

h) Übertragung von Ausgleichsanwartschaften. Wenn eine Identität des Vertrages vorliegt müssen dem Unternehmer auch erworbene Ausgleichsanwartschaften des AltHV zugerechnet werden. Dies wird z.T. bestritten, wohl zu Unrecht: Nach dieser Ansicht sollen dem Übernehmer die vom Erst-HV geworbenen Kunden ausgleichsrechtlich nur dann als Neukunden zugerechnet werden, wenn derartiges ausdrücklich mit dem Unternehmer vereinbart wurde 1168. Dieses Ergebnis sieht Kiene 1169 als für die Abwälzungsvereinbarung und den Vertretungskauf für richtig an, nicht jedoch für die hier behandelte Nachfolgevereinbarung. Es widerspreche dem Gedanken der Gesamtheit der Nachfolge, bei einer Nachfolgevereinbarung keine umfassende Rechtsnachfolge anzunehmen 1170. Für diese Ansicht lässt sich immerhin anführen, dass bei der Abwälzungsvereinbarung und dem Vertretungskauf der Ausgleichsanspruch nicht gem. § 89b Abs. 3 Ziff. 3 entfällt, jedoch bei der Nachfolgevereinbarung. Der Unternehmer wäre also ungerechtfertigt bereichert, falls der Nachfolge-HV keinen Ausgleich erhielte. Bestimmt der Vertrag einen Übergang mit allen Rechten und Pflichten, besteht kein Zweifel an dem Übergang der Ausgleichsanwartschaften.

XI. Mehrstufige Vertragsverhältnisse 250

Erhält der Hauptvertreter einen Ausgleich von seinem Unternehmer, so steht der Ausgleich für den „Vorteil“, den er, vom Untervertreter her gesehen, aus der künftigen Nutzbarkeit des durch den Untervertreter geschaffenen Kundenstammes zieht. Die Lage ist insoweit die gleiche wie bei einer entgeltlichen Unternehmensveräußerung; er hat den Untervertreter hieran zu beteiligen. Erhält der Hauptvertreter keinen Ausgleich, so kommt es darauf an, auf welche Weise das Hauptvertreterverhältnis sein Ende gefunden hat. Das Risiko der Unternehmensinsolvenz, der Produktionseinschränkung, der Betriebsstilllegung aus wirtschaftlich gebotenen Gründen hat der Untervertreter genauso zu tragen wie der Hauptvertreter. Entfällt der Ausgleich des Hauptvertreters gemäß § 89b Abs. 3, hat dies keine unmittelbaren Auswirkungen auf den Ausgleichsanspruch des Untervertreters gegen den Hauptvertreter. Da die Beendigung des Hauptvertrages dem Hauptvertreter keinen Grund zur fristlosen Kündigung wegen eines schuldhaften Verhaltens des Untervertreters i.S.d. § 89b Abs. 3 Nr. 2 gibt, bleibt der Hauptvertreter dem Untervertreter zur Ausgleichszahlung verpflichtet. Erhält der Hauptvertreter jedoch wegen fehlender Ausgleichszahlung keinen wirtschaftlichen Vorteil aus der Vertragsbeendigung und fehlt auch ein anderer, unter Umständen mittelbarer Vorteil, so verbleiben beim Hauptvertreter keine Vorteile. Der Ausgleich entsteht nicht. Verliert der Hauptvertreter seinen Ausgleichsanspruch, weil er selbst gekündigt hatte, ohne durch ein Verhalten des Unternehmers dazu begründetermaßen veranlasst gewesen zu sein, so ist der Fall, dass er nunmehr seinem eigenen Untervertreter kündigt, unter dem Gesichtspunkt der künftig nicht mehr gegebenen „Vorteile“ aus der Nutzbarkeit des vom Untervertreter 1167 1168

Kiene NJW 2006, 2007 (2008). BGH, Urt. v. 01.05.1984 – I ZR 36/82, NJW 1985, 58 = DB 1984, 2507, Westphal MDR 2005, 421; MünchKomm/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 184; Ebenroth/

1004

1169 1170

Löwisch § 89b Rn 68, aA Küstner BB 1990, 1714. Kiene VersR 2006, 1024 (1029 f). Kiene VersR 2006, 1024 (1029).

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geschaffenen Kundenstammes gleich demjenigen einer unternehmerisch nicht gebotenen Betriebseinstellung – Einstellung des „Betriebes“ des Hauptvertreters – zu behandeln 1171. Der Hauptvertreter darf sich nicht ohne einen sachlichen Grund über die schutzwürdigen Belange des Untervertreters hinwegsetzen. Entfällt der Ausgleich infolge einer außerordentlichen Kündigung des Unternehmers wegen schuldhaften Verhaltens des HV, so begründet das zum Ausgleichswegfall führende schuldhafte Verhalten des Hauptvertreters auch ein Verschulden gegenüber dem Untervertreter. Dieser kann entgangenen Gewinn bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist fordern und zudem selbst aus wichtigem Grund, zumindest aber ausgleichserhaltend mit begründetem Anlass, kündigen. Der Hauptvertreter kann sich nicht darauf berufen, für den Kundenstamm keinen wirtschaftlichen Vorteil zu erhalten (Wegfall der Unternehmervorteile). Im Wege des Schadenersatzes ist der Untervertreter so zu stellen, als würde der Hauptvertreter einen Ausgleich erhalten. Der Hauptvertreter kann dem Untervertreter den Ausgleich nicht dadurch entwinden, dass er es durch schuldhafte Verletzung seiner eigenen Vertragspflichten zur Beendigung des Hauptvertretervertrages und damit zur Einstellung seines „Betriebes“ kommen lässt: er hat den Untervertreter daraufhin so zu stellen, als sei das Hauptvertreterverhältnis nicht oder doch nur so gekündigt worden, dass ihm (dem Hauptvertreter) der eigene Ausgleich erhalten blieb, an welchem der Untervertreter nunmehr partizipieren würde. Etwas anderes gilt, wenn der Hauptvertreter beweisen kann, dass der Vertrag mit dem Untervertreter ausgleichsvernichtend beendet worden wäre, etwa infolge einer Eigenkündigung des Untervertreters ohne begründeten Anlass. Ein solcher Beweis wird kaum gelingen. Löst man auch diesen Fall über die Grundsätze der willkürlichen Vertragsbeendigung, entfällt der Ausgleich ebenfalls nicht 1172. So sind auch die Fälle des § 89b Abs. 3 Nr. 3 zu lösen: Erhält der Hauptvertreter von dem Dritten einen Kaufpreis, ist dies ein wirtschaftlicher Vorteil, der auch in der Aufbauarbeit des Untervertreters wurzelt und zur Ausgleichsberechtigung führt. Unterlässt es der HV, ein solches Honorar zu vereinbaren, sind diese Fälle wie bei einer Betriebseinstellung zu beurteilen. Außerdem könnte man auch hier an einen Schadenersatzanspruch des Untervertreters denken. Wird der HV-Vertrag zwischen Untervertreter und Unternehmer oder einem neuen Hauptvertreter fortgesetzt, so gelten die Grundsätze zum Unternehmenskauf entsprechend.

C. Zwingende Natur des Ausgleichsanspruchs I. Umfang des Derogationsverbots Gemäß § 89b Abs. 4 ist der Ausgleichsanspruch vor Vertragsbeendigung zwingend. 251 Bei Vereinbarung deutschen Rechts kann er nur unter den Voraussetzungen des § 92c (siehe dort) derogiert werden, auch bei Vereinbarung eines Auslandsrechts ist gegenüber Waren-HV mit Tätigkeit innerhalb der EU zwingend ein Ausgleich zu leisten (§ 92c Rn 54 ff). In anderen Fällen kann er wirksam nicht vor der rechtlichen Vertragsbeendigung ausgeschlossen oder reduziert werden. Dies beruht auf der an deutsches Recht angelehnten europäischen HV-Richtlinie 1986. Die Artt. 17, 19 der EG-HV-Richtlinie 1986 (Art. 19, 17) verbieten Abweichungen vom Ausgleichsrecht, die zum Zeitpunkt, zu dem sie ins Auge gefasst werden, zum Nachteil des HV wirken. Die Parteien dürfen keine Abweichung vereinbaren, von der sie nicht wissen, ob sie sich bei Beendigung des Ver-

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Küstner/Thume II, Rn 1512.

1172

Küstner/Thume II, Rn 1514.

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tragsverhältnisses für den HV als nachteilig erweisen wird 1173. Eine Abweichung von der gesetzlichen Regel ist nur zulässig, falls sicher ist, dass sie sich bei Vertragsende nicht als für den HV nachteilig erweisen wird. Ein solcher Nachteil kann etwa bei italienischen Tarifverträgen zwischen Gewerkschaften der HV und der Unternehmer eintreten. Der bloße Umstand, dass der Tarifvertrag für den HV vorteilhaft sein kann, genügt nicht für den Nachweis fehlenden Nachteils. Die HV-Richtlinie zum Ausgleich ist zwar zwingend und legt einen Rahmen fest. Sie enthält jedoch keine detaillierten Angaben zur Methode der Ausgleichsberechnung. Nationale Gesetzgeber sowie Parteien haben innerhalb des für sie geltenden Rahmens Gestaltungsspielraum 1174. Das Verbot betrifft alle Abreden über Grund und Höhe des Anspruchs, welche die Rechte des HV in irgendeiner Weise, etwa materiell-rechtlich, beweisrechtlich oder prozessual, beinträchtigen können 1175, überhaupt sie irgendwie zu Lasten des HV modifiziert. Hierunter fallen deshalb Abreden, die zum Gegenstand haben: eine quantitative Eingrenzung, eine Beschränkung der Vererblichkeit, eine dem HV nachteilige, von der gesetzlichen abweichende Berechnungsart, einen über den gesetzlichen hinausgeschobenen Fälligkeitszeitpunkt, eine Verkürzung der Verjährung, eine Abrede über die zwingende Abgeltung durch eine demnächst zu gewährende Alterssicherung (dazu Beispiele Rn 255). Solche Abreden sind gem. § 134 BGB unwirksam 1176. Den Ausgleich erhöhende oder verbessernde Abreden sind jederzeit zulässig 1177, etwa die Vereinbarung eines Mindestbetrages des zu zahlenden Ausgleichs, eine Berechnungsklausel, welche den Ausgleich nicht reduziert 1178, Erleichterungen an Darlegung, Beweisführung und Durchsetzung des Ausgleichs 1179 oder eine Regelung, mit welcher der Unternehmer sich verpflichtet, bei Vertragsbeendigung einen Ausgleich in Höhe einer durchschnittlichen Jahresprovision, berechnet aus den letzten fünf Vertragsjahren, zu zahlen. Bei AGB wird die Unwirksamkeit auch aus § 307 BGB hergeleitet1180. Denn der Ausgleich bildet ein wesentliches sich aus dem Vertriebsvertrag ergebendes Recht. Ob § 89b Abs. 4 oder § 307 BGB vorrangig ist mag diskutiert werden. Die Rechtsfolgen dürften sich in Hinblick auf § 139 BGB oder § 306 BGB nicht unterscheiden: Schon um des Schutzes des Mittlers wegen muss sich die Nichtigkeit auf den Ausgleichsausschluss begrenzen. Der Ausschluss des Ausgleiches ist insbesondere auch beim Vertragshändler 1181 und Franchisenehmer unzulässig. Sofern er mittels AGB erfolgt liegt eine unangemessene Benachteiligung nach § 307 BGB vor: Denn die analoge Anwendung des § 89b wird etwa in Fällen des Subordinationsfranchising nicht in Zweifel gezogen 1182. Verboten sind nicht nur den Ausgleich vollkommen ausschließende Regelungen, son252 dern auch ihn beschränkende. Der HV kann folglich auch keinen Teilverzicht erklären. Er darf auch nicht einseitig vor Vertragsende auf den Ausgleichsanspruch verzichten, selbst wenn er hierfür eine Gegenleistung erhält 1183. Abreden, die einen unterhalb des § 89b liegenden Ausgleich versprechen und einen darüber hinausgehenden Ausgleich 1173 1174 1175 1176

1177 1178

EuGH, Urt. v. 23.03.2006 – Rs. C-465/04, RIW 2006, 459 (462). EuGH, Urt. v. 23.03.2006 – Rs. C-465/04, RIW 2006, 459 (462). BGH NJW 1967, 248; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 137. BGH, Urt. v. 13.01.1972 – VII ZR 81/70, BGHZ 58, 60 = NJW 1972, 477; Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 140. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 138. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 190; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 138; Küstner/Thume II, Rn 1588.

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Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 138. BGH, Urt. v. 26.11.1984, BB 1985, 218; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rn 978. OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.02.2007 – U (Kart) 22/06, BeckRS 2007, 07179. OLG München, Urt. v. 26.06.2002 – 7 U 5730/01, BB 2002, 2521. Martin DB 1966, 1837; Küstner/Thume II, Rn 1584.

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ausschließen, sind – soweit sie den Ausgleich ausschließen – nichtig. Der HV kann jedoch nach seiner Wahl jederzeit die beschränkende Leistung als Mindestausgleich oder auch allein fordern und auch innerhalb unverjährter Zeit den gesetzlichen Ausgleich nachfordern. Der Unternehmer darf sich lediglich nicht auf ihre beschränkende Wirkung berufen. Es handelt sich um eine „halbseitige“ Nichtigkeit 1184. Bei AGB steht dies in Einklang mit § 306 Abs. 1 BGB. Bei Individualvereinbarungen ist entgegen § 139 BGB zu vermuten, der Unternehmer wolle jedenfalls einen Mindestausgleich versprechen. Eine Gesamtnichtigkeit widerspräche dem Schutzzweck des Abs. 4. Regelungen über nicht in § 89b niedergelegte Rechte, die sich nur mittelbar auf den Ausgleich auswirken, verstoßen nicht gegen § 89b Abs. 4 1185, sofern keine objektive Umgehung des § 89b vorgesehen ist. Hierzu zählen etwa Abreden über die Berechnung der Provision 1186, die wie z.B. der Verzicht auf Provision für Nachbestellungen – § 87 Abs. 1 – schon für die Vertragszeit oder die Vereinbarung einer Einmalprovision oder eines reduzierten Provisionssatzes nur mittelbar ausgleichsbeschränkende Wirkung haben bzw. Regelungen über die Konkretisierung fristloser Kündigungsgründe 1187.

II. Verbot der Derogation „im Voraus“ „Im Voraus“ besagt, dass eine den Ausgleich ausschließende oder einschränkende 253 Abrede, also ein völliger oder teilweiser Verzicht, nach Entstehung des Ausgleichsanspruchs zulässig bleibt. Der Anspruch entsteht – und wird fällig – mit dem Zeitpunkt der Beendigung des Vertragsverhältnisses. Die Vereinbarung über den Ausgleichsanspruch kann damit frühestens zum Zeitpunkt der vollständigen und rechtlichen Vertragsbeendigung getroffen werden 1188. Für den Zeitpunkt entscheidend ist die rechtliche Vertragsbeendigung, nicht die tatsächliche. Wenn der HV also freigestellt wird, obwohl der Vertrag fortdauert, ist ein Verzicht erst nach Ablauf der Freistellungsperiode zum Vertragsende möglich 1189. Auch die Einrede der Arglist kann regelmäßig nicht geltend gemacht werden. Nach einer Ansicht 1190 soll allerdings der Berufung des HV auf die Unwirksamkeit der getroffenen Abrede mit dem Einwand der Arglist begegnet werden können, wenn er sie in voller Freiheit getroffen hat und nicht durch eine starke Stellung des Unternehmers hierzu bewogen worden ist. Das ist generell abzulehnen und verwässert den Schutz des HV. Anlässlich der rechtlichen Vertragsbeendigung getroffene Abreden sind wirksam 1191. 254 Sie dürfen vorher ausgehandelt werden, wenn die bindende Erklärung des HV erst bei Vertragsende wirksam wird 1192. Es ist zu prüfen, zu welchem Zeitpunkt die Verzichts-

1184 1185

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1187

BGH, Urt. v. 11.10.1990, NJW-RR 1991, 156. BGH, Urt. v. 21.05.2003 – VIII ZR 57/02, DB 2003, 1568 (1569) = MDR 2003, 1122 = WM 2003, 2110; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 139. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 194; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 139, § 87 Rn 60; Schlegelberger/Schröder, § 87 Rn 57a. BGH NJW-RR 1992, 1059 (1062); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 198; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 139.

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BGH NJW 1967, 248; WM 1986, 392 (393); Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 135; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 34a; BGH, Urt. v. 05.12.1968, BB 1969, 107; Küstner/Thume II, Rn 1605. BGH, Urt. v. 29.03.1990, NJW 1990, 2889 m. Anm. Küstner/von Manteuffel EWiR, § 89b HGB 1/90, 797. KG, Urt. v. 08.07.1960, NJW 1961, 124 (125); Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 34a. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 136. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 136.

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erklärung des HV beim Unternehmer eingeht: ist der Verzicht in einem Angebot auf Abschluss eines Aufhebungsvertrages enthalten, so ist der für die Wirksamkeitsprüfung maßgebliche Zeitpunkt jener des Zugangs des Angebotes beim Unternehmer 1193. Bei einer Kündigung ist ebenfalls der Zeitpunkt des Zugangs beim Unternehmer maßgeblich. Nur bei einer – wirksamen – außerordentlichen Kündigung ist deshalb der schon in der Kündigungserklärung enthaltene Verzicht des HV wirksam, weil der Vertrag mit Zugang der Erklärung endet. Er kann bereits in der Kündigungserklärung enthalten sein. Bei der ordentlichen Kündigung ist der Verzicht hingegen erst mit Ablauf der Kündigungsfrist gestattet. Auch wenn ein HV-Vertrag durch einen anderen ersetzt wird und im Zusammenhang damit ausgleichsbeschränkende Abreden getroffen werden, sind diese Abreden unwirksam 1194, es sei denn, die „Ersetzung“ erfolgt mit sofortiger Wirkung. Nach Beendigung des HV-Vertrages oder in einer Aufhebungsvereinbarung, die zum Zwecke der sofortigen Vertragsbeendigung geschlossen wird, darf der HV auf den Ausgleich verzichten 1195. Der VIII. Zivilsenat des BGH 1196 ließ den Ausschluss des Ausgleichs zu, falls der HV schon vor dem rechtlichen Vertragsende seine Tätigkeit im Einvernehmen mit dem Unternehmer auf Grund des Kündigungsausspruchs endgültig eingestellt hatte. Begründet wurde dies mit der faktischen Vertragsbedingung. Demgegenüber hat der I. Zivilsenat des BGH 1197 die Wirksamkeit einer Vereinbarung abgelehnt, in welcher der Vertriebsvertrag zu einem späteren Zeitpunkt aufgehoben und der Mittler mit sofortiger Wirkung freigestellt wurde. Maßgeblich sei der Zeitpunkt der rechtlichen und nicht der faktischen Vertragsbeendingung. Durch die strenge Fristenregelung soll verhindert werden, dass der wirtschaftlich meist unterlegene HV 1198 von dem Unternehmer zu ihm benachteiligenden Abreden in der Hoffnung auf Vertragsfortsetzung bei gleichzeitiger Drohung der Kündigung bestimmt wird 1199. Diese Gefahr besteht fort, solange das Vertragsverhältnis andauert, auch wenn es sich nach einer Kündigung seinem bereits bestimmten Ende nähert. Richtigerweise dürfte die Gefährdung sogar andauern, bis alle wesentlichen Ansprüche mit Ausnahme des Ausgleichs geregelt sind (zum Parallelproblem bei § 90a Rn 10 ff). Dies wird besonders deutlich im Fall einer Änderungskündigung des Unternehmers oder wenn der HV sonst hoffen kann, doch noch eine Fortdauer des HV-Verhältnisses zu erreichen 1200. Auch bei Vertragsschluss wird der HV regelmäßig geneigt sein, auf einen in ferner Zukunft möglicherweise fälligen Ausgleich zu verzichten, wenn er auf diese Weise die Vertretung erhält. Das Ausgleichsrecht wäre also lex imperfecta, würde es die Regelung über die zwingende Natur des Ausgleichs nicht geben. Deshalb wird die Ansicht der 4. Aufl.1201 aufgegegeben, derzufolge der Ausgleich derogiert werden durfte, falls der HV kündigte und das Ende des Vertragsverhältnisses nicht nur fest-, sondern unmittelbar bevorstand. In diesem Fall sollte es nach der 4. Aufl. nicht auf ein Abwartenmüssen bis zum Zeitpunkt der Vertragsbeendigung ankommen. Das Schutzbedürfnis des-

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1196

BGH, Urt. v. 10.07.1996 – VIII ZR 261/95, NJW 1996, 2867. BGH, Urt. v. 12.12.1985 – I ZR 62/83; BGH v. 14.11.1966, NJW 1967, 148. BGH, Urt. v. 10.07.1996 – VIII ZR 261/95, NJW 1996, 2867; BGHZ 51, 184 (188); BGH, Urt. v. 14.04.1988 – I ZR 122/86, WM 1988, 1207; v. 29.03.1990 – I ZR 2/89, HVR-Nr. 693; OLG Köln, Urt. v. 20.01.2006 – 19 U 124/05. Urt. v. 30.12.1970, BGHZ 55, 124 = BB 1971, 104.

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1200 1201

BGH, Urt. v. 29.03.1990, BB 1990, 1366; kritisch Schultze/Wauschkuhn/Spenner/ Dau, Rn 987. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 135. BGH, Urt. v. 10.07.1996 – VIII ZR 261/95, BB 1996, 1734 = MDR 1990, 793; KG NJW 1961, 124; Hübsch/Hübsch WM Sonderbeilage Nr. 1/2005, S. 19. BGH, Urt. v. 29.03.1990 – I ZR 289/88, JURIS. § 89b Rn 106.

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sen, der in Kürze gehe, weil er gehen wolle, sei nicht größer als zum Zeitpunkt des rechtlichen Vertragsendes. Zum mindesten spreche nach der 4. Aufl. ein Bedürfnis dafür, die Abrede über einen Ausgleichsverzicht zuzulassen für den Fall, dass HV und Unternehmer im Einvernehmen das Vertragsverhältnis für einen demnächstigen Zeitpunkt beenden. Alsdann sollte eine globale Regelung – etwa unter Einbeziehung von Wettbewerbsabreden nach § 90a – getroffen werden können, anstatt das förmliche Vertragsende abzuwarten. Die Zulässigkeit einer solchen Abrede wurde (um Umgehungen zu vermeiden) begrenzt auf eine Zeitspanne, die der gesetzlichen oder der vertraglichen Kündigungsfrist entsprach. Nur für den Fall einer vom Unternehmer ausgesprochenen Kündigung sollte es bei dem Zeitpunkt des rechtlichen Vertragsendes als Wirksamkeitszeitpunkt bleiben. Beispiele: 255 – Abtretungsverbot in Hinblick auf den Ausgleichsanspruch: es ist wirksam 1202. – Altersversorgung: Die AGB „mit der Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs verzichtet der HV auf die unternehmerfinanzierte Altersversorgung“ verstößt nicht gegen die zwingende Natur des Ausgleichs (§ 89b Abs. 4), weil der Ausgleich selbst unberührt bleibt und lediglich die Altersversorgung entfällt 1203: Die Frage, welchen Anspruch der HV wählte, stelle eine nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu treffende Entscheidung dar, berühre aber die Rechtsposition des Ausgleichs nicht. Auch ein Verstoß gegen § 307 BGB scheide aus. Einen Widerspruch zur BGH-Rechtsprechung über die Unwirksamkeit einer formularmäßig vereinbarten Anrechnung der Altersversorgung (Rn 168) fehle. Es gehe bei der Klausel nicht um die Anrechnung eines bestehenden Anspruchs auf den Ausgleich. Vielmehr habe der Unternehmer eine Gestaltung gewählt, welche die Altersversorgung unter der auflösenden Bedingung der Nichtgeltendmachung des Ausgleichs begründe. Der Umstand, dass bei Beendigung des Vertragsverhältnisses in vielen Fällen die Höhe des Ausgleichs noch nicht feststehe, so dass der HV bei Ausgleichsforderung u.U. die für ihn günstigere Altersversorgung verliere, stelle keine unangemessene Benachteiligung dar. Mit der Jahresfrist des § 89b Abs. 4 S. 2 stehe ein ausreichender Zeitraum zur Verfügung, sich über die Höhe und den Umfang des Ausgleichs im klaren zu werden. – Anerkenntnis: Dass der Ausgleichsanspruch erst nach Anerkenntnis fällig wird, widerspricht § 89b Abs. 4 1204. – Benennung wichtiger Kündigungsgründe: Werden wichtige Gründe zur Kündigung des HV-Vertrages so bestimmt, dass sie über die von § 89a gestattete Konkretisierung hinausgehen und eine außerordentliche Kündigung auch gestatten, wenn kein wichtiger Grund vorliegt, ist nicht nur § 89a sondern auch § 89b Abs. 3 Nr. 2, Abs. 4 verletzt, sofern die Kündigung auch in Fällen erleichtert wird, die ein schuldhaftes Verhalten des HV konstituieren. Meist ist dann bereits die Kündigung unwirksam, so dass der HV-Vertrag unbeendet bleibt. – Beschränkung der Vererblichkeit: Sie ist unwirksam 1205. – Die Erweiterung der Ausschlussgründe des § 89b Abs. 3 ist unwirksam 1206. – Erlass: Vor Vertragsende ist er unwirksam. Nach Vertragsende darf er vereinbart werden.

1202 1203

Küstner/Thume II, Rn 1601. BGH, Urt. v. 21.05.2003 – VIII ZR 57/02, DB 2003, 1568 (1569) = MDR 2003, 1122 = WM 2003, 2110.

1204 1205 1206

OLG Oldenburg, Urt. 12.10.1972, BB 1973, 1281. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 137. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 47.

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– Fälligkeitsabreden zum Nachteil des HV können gegen § 89b Abs. 4 verstoßen 1207. So ist die Vereinbarung einer Auszahlung in drei Jahresraten unwirksam 1208. – Gegenleistungen des HV: Gesetzesuntypische Abreden über vom HV zu erbringende Gegenleistungen können gegen Abs. 4 verstoßen 1209, sofern sie objektiv eine ausgleichsbeeinträchtigende Funktion haben. Ob das der Fall ist, hängt von dem jeweiligen Sachverhalt ab. Diskutiert werden in diesem Zusammenhang etwa Einstandszahlungen. – Höhe der Provision: Da die Höhe der Provisionen frei vereinbart werden darf, verstoßen Abreden über die Provisionshöhe nicht gegen den Unabdingbarkeitsgrundsatz des § 89b Abs. 4. Zwar kann nicht ausgleichspflichtig werden, was nicht als Provision verdient ist. Es gibt jedoch keine für die Berechnung des Ausgleichs zugrunde zu legende Mindestprovision. Mittelbar benachteiligende Abreden über die Provisionshöhe sind daher zulässig, sofern sie in erster Linie das Leistungs-Gegenleistungsverhältnis für Vermittlungs- und Abschlussbemühungen des HV bestimmen und nicht den Ausgleich unmittelbar ausschließen oder reduzieren sollen (Rn 252). Die Grenze verläuft zwischen unzulässigen, unmittelbar den Ausgleich beschränkenden Abreden und zulässigen, den Ausgleich lediglich mittelbar beschränkenden Vereinbarungen. Thume 1210 nennt beispielhaft den zulässigen Ausschluss des Provisionsanspruches für Nachbestellungen von Kunden. – Provisionsverzichtsklausel: Sie ist nach hM wirksam (Rn 387). – Prozessuale Durchsetzung: Nicht sicher zu beurteilen sind Abreden über die prozessuale Durchsetzung. Schiedsvereinbarungen sind zulässig, sofern sie nicht prohibitiv wirken, was leider bei gegenüber Kleinvertretern verwendeten Schiedsklauseln Motiv ihrer Verwendung ist. Die Vereinbarung eines Anerkenntnisses des Unternehmers als Klagvoraussetzung ist hingegen unwirksam 1211. – Rotationsvertrieb: Als dem Rechtsgedanken des § 89b Abs. 4 widersprechend hat der BGH den Ausschluss des HV-Ausgleichs im Rotationsvertriebssystems angesehen, bei welchem der HV in wechselnden Bezirken eingesetzt war und wo er wegen des Ausschlusses der Folgeprovisionen aus der Tätigkeit im letzten Bezirk und in Folge des zu erwartenden Bezirkswechsels keine Provisionsverluste aus diesem Bezirk erleiden konnte 1212. – Tod des HV: Unwirksam ist auch die Klausel, beim Tod des HV könne kein Ausgleichsanspruch von Dritten, insbesondere von Angehörigen des HV, geltend gemacht werden 1213. – Vergleich: Ein Vergleich über den Ausgleich verstößt vor Vertragsende gegen Abs. 4 1214, sofern sich der HV auf einen Betrag unterhalb des nach § 89b Geschuldetem vergleicht. Das gilt angesichts des apodiktischen Wortlauts und der fehlenden Beratungspflicht des Gerichts auch für einen Prozessvergleich 1215, wobei allerdings eine Klage und ein Vergleich vor Fälligkeit des Ausgleichs – Vertragsende – kaum 1207 1208

1209 1210 1211

Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 137. AA OLG Oldenburg, Urt. 12.10.1972, BB 1973, 1281; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/ Dau, Rn 992. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 137. Küstner/Thume II, Rn 1590. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 137; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 192.

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1212

1213 1214 1215

BGH, Urt. 25.10.1984, NJW 1985, 859; v. 28.04.1999, NJW-RR 1999, 2686, BB 1999, 1399. Küstner/Thume II, Rn 1601. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 142. AA Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 142, 166.

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besonders wahrscheinlich sind. Der Widerspruch zwischen „Dürfen“ und „Wollen“ wird z.T. wie folgt gelöst: Wegen des zwingenden Charakters des § 89b erfasst ein vor Vertragsende geschlossener Vergleich „über alle gegenseitigen Ansprüche“ im Zweifel nicht den Ausgleichsanspruch 1216. – Einer Verkürzung der Verjährungsfrist steht § 89b Abs. 4 nicht entgegen, sofern die Frist zur Geltendmachung des Ausgleichsanspruches von einem Jahr gewahrt bleibt 1217.

III. Zwingende Natur des Ausgleichs in Auslandssachverhalten und Grenzen der Rechtswahl Grundsätzlich können die Parteien des HV-Vertrages das anwendbare Recht gemäß 256 Art. 27 Abs 1 EGBGB ausdrücklich oder stillschweigend und auch nach Abschluss des Vertrages (Art. 27 Abs. 2 EGBGB) frei wählen 1218. Die Grenzen dieser Rechtswahl werden bei § 92c Rn 53 ff diskutiert 1219. Das Schutzbedürfnis des HV und die regelmäßig stärkere Stellung des Unternehmers sind zu berücksichtigen.

IV. Einstandszahlungen/Vertretungskauf Nicht selten wird vereinbart, dass der Nachfolger eines HV dem Unternehmer die 257 Ausgleichslast abnimmt. Durch interne Erfüllungsübernahme gegenüber dem Unternehmer ist das immer möglich; durch formelle Schuldübernahme allerdings (wegen Abs. 4 S. 1) nur nach geschehener Entlassung des Vorgängers aus seinem Vertrag, d.h. mit Inkrafttreten der Übernahme der Vertretung, vorher nur durch Schuldbeitritt neben dem demnächst ausgleichsverpflichteten Unternehmer 1220. Der BFH definiert die Einstandszahlung als Gegenleistung des HV für die ihm vom Geschäftsherrn verschaffte – rechtlich verfestigte – wirtschaftliche Chance, Provisionseinnahmen zu erzielen 1221. Die Diskussion um die Zulässigkeit von Einstandszahlungen für den Kauf von Handelsvertretungen im Spannungsverhältnis zum Verbot ausgleichsbeschränkender oder -ausschließender Vereinbarungen ist ein durch den Erfindungsreichtum der im Vertriebsrecht tätigen Berater geborenes Thema (vgl. bereits Abs. 3 Nr. 3, Rn 237 ff). Ein HV scheidet aus und sein Nachfolger erwirbt die Vertretung vom Unternehmer. Er erwirbt also für Geld die Möglichkeit, durch eigene Arbeit das durch Kaufpreiszahlung verlorene Geld zurück zu gewinnen. Einstandszahlungen sind insbesondere bei der Vergabe lukrativer Vertretungen beliebt 1222. Ohne Ausgleichsanspruch gäbe es kaum Einstandszahlungsabreden 1223, was ihre Intention offen legt: Da der Ausgleich zwingend ist, versuchen Unternehmer eine ausschlussgleiche Wirkung herbeizuführen, indem HV für den Kauf der Vertretung ein Kaufpreis in Rechnung gestellt wird, der in seiner Höhe in etwa dem geschätzten Ausgleichsanspruch – der Sicherheit halber meist einer Jahresbruttoprovision 1224 – ent1216 1217

1218

Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 166. Küstner/Thume II, Rn 1602; aA OLG Celle, Urt. v. 19.09.1978, HVR-Nr. 559; offengelassen v. BGH in seinem Urt. v. 12.10.1979, BGHZ 1971, 169 = NJW 1980, 286. Siehe etwa Mankowski MDR 2002, 1352 (1353).

1219 1220 1221 1222 1223 1224

Siehe bereits Emde MDR 2002, 190 ff. BGH VersR 1964, 791. BFH, Urt. v. 18.01.1989 – X R 10/86, BFHE 156, 157. Budde DB 2005, 2177. Westphal MDR 2005, 421 (422). Westphal MDR 2005, 421 (422).

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spricht. Wirtschaftlich auf dasselbe hinaus läuft die Zahlung eines geringeren Provisionssatzes, als er dem ausgeschiedenen HV gewährt wurde 1225, entweder zum Zwecke der Amortisierung des vom Unternehmer vorgelegten Ausgleichs oder durch Zuwendung der Provisionsdifferenz an den Vorgänger zwecks ratenweiser Tilgung des zunächst offen gebliebenen Ausgleichsanspruchs 1226. Dann dient die Provisionsdifferenz dazu, den an den Vorgänger gezahlten Ausgleich dem Nachfolger aufzubürden 1227. Geschieht dies verdeckt, lässt sich das Gewollte kaum nachweisen – was zu dem an Unternehmer gerichteten Gestaltungshinweis einlädt, diese Variante zu wählen. Eine weniger verschleierte Alternative ist es, wenn der Unternehmer den schon an den Vorgänger gezahlten Provisionssatz beibehält und lediglich einen Teil der dem Nachfolger zu zahlenden Provision einbehält, bis der an den Vorgänger geleistete Ausgleich abgedeckt ist 1228. Besonders deutlich wird die Zielrichtung, falls der Kaufpreis bis zum Zeitpunkt der Ausgleichsfälligkeit gestundet und dann mit dem Ausgleichsanspruch verrechnet werden soll (Darlehensmodell) 1229. Rechtlich ist dieser Fall aber nicht anders zu beurteilen als eine Einstandszahlung ohne Verrechnungsabrede, denn Erfüllung der Einstandszahlungsabrede (direkte Zahlung) und Erfüllungssurrogat (Aufrechnung) sind gleich zu behandeln. Es dürfte also falsch sein, Aufrechnungssituationen an § 89b Abs. 4 scheitern zu lassen und Zahlungssituationen nicht. Diese Überlegungen lassen es angezeigt sein, die Zulässigkeit der Einstandszahlung auf Fälle zurückzuführen, in denen die Abrede als Investitionsentscheidung auch ohne das Motiv, den Ausgleichsanspruch auszuschließen, getroffen worden wäre, nämlich wenn eine geldwerte Vertretung erworben wird. Von dem dem § 89b Abs. 3 Nr. 3 zugrunde liegenden Sachverhalt der meist dreiseiti258 gen Eintrittsvereinbarung zwischen Unternehmer, Vorgänger und Nachfolger unterscheidet sich die Einstandszahlung dadurch, dass der Zahlungsfluss vom Nachfolger an den Unternehmer und nicht an den ausscheidenden HV erfolgt. Zudem ist der Vorgänger-HV weder an dem Vertretungskauf noch an einer Abwälzungsvereinbarung beteiligt (siehe Rn 245 ff). Die Höhe des an den Unternehmer geleisteten Kaufpreises ist unabhängig von der Höhe des zukünftig bei Vertragsende des Nachfolgers zu erwartenden Ausgleichsanspruches. Bei der Abwälzungsvereinbarung orientiert sich die Höhe des Kaufpreises dagegen an dem vom Unternehmer dem Vorgänger-HV geschuldeten Ausgleichsanspruch oder einer mit ihm getroffenen Abrede über die Ersetzung dieses Ausgleichs durch eine Zahlung in anderer Höhe. Auch kann es vorkommen, dass der Unternehmer den Nachfolger verpflichtet, direkt mit schuldbefreiender Wirkung für den Unternehmer an den Vorgänger-HV zu zahlen. Allerdings werden sowohl beim Vertretungskauf wie auch bei der Abwälzungsvereinbarung meist dieselben, nachfolgend angesprochenen Punkte streitig. Zum ersten fragt sich, ob die Vereinbarung eines Kaufpreises überhaupt wirksam ist 259 oder ob sie eine Umgehung der nach § 89b Abs. 4 zwingenden Bestimmungen über den Ausgleich darstellt (Wirksamkeitsproblematik). Zweitens ist fraglich, ob Einstandszahlungen mittels AGB getroffen werden dürfen. Drittens entstehen Streitigkeiten, falls der HV-Vertrag zu einem Zeitpunkt beendet wird, zu dem sich die Einstandszahlung noch nicht amortisiert hat und der HV Rückzahlung des noch nicht amortisierten Teiles fordert 1230. Wenn die Kaufpreisabrede wirksam sein sollte, fragt sich viertens, ob sie 1225 1226

1227 1228

Küstner/Thume II, Rn 192. Fälle OLG Koblenz, Urt. v. 22.03.2007 – 6 U 1313/06, NJW-RR 2007, 1044 (1046); OLG Hamm BB 1980, 1819. Semler BB 2005, 965. Siehe Westphal MDR 2005, 421.

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Siehe den Fall des OLG Saarbrücken, Urt. v. 14.12.1978, HVuHM 1979, 204; Küstner/Thume II, Rn 221; Westphal MDR 2005, 421. Küstner/Thume II, Rn 193.

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inzident dazu führt, dass die vom Vorgänger geworbenen Kunden bei der Ausgleichsberechnung wie Neukunden des Käufers zu behandeln sind (inzidente Neukundenabrede). Fünftens ist zu prüfen, ob eine eventuelle Unwirksamkeit der Klausel nur dazu führt, dass der Unternehmer bei Vertragsende nicht mit einer versprochenen und gestundeten Einstandszahlung gegen den Ausgleichsanspruch aufrechnen darf oder ob die Unwirksamkeit den Unternehmer auch an der Einforderung des vereinbarten Einstandspreises hindert. Muss der Unternehmer bei Vertragsende eine vom HV geleistete Einstandssumme zurückzahlen, sofern den HV ein Verschulden an dem Vertragsende nicht trifft, obliegt ihm der Nachweis für das Verschulden des HV 1231. 1. Wirksamkeit der Einstandszahlung (Frage 1). Im Ausgangspunkt darf der Unter- 260 nehmer einen Kaufpreis (Einstandszahlung) für die Vertretung fordern 1232. In der Rechtsprechung, auch der des BGH 1233, werden Einstandszahlungen grundsätzlich anerkannt 1234. Schwierig ist jedoch die Grenzziehung, wann im Spannungsverhältnis zur zwingenden Natur des Ausgleichs Unwirksamkeit eintritt. Der Gesetzgeber geht in § 89b Abs. 3 Ziff. 3 davon aus, dass der Nachfolge-HV an seinen Vorgänger für die Übernahme der Vertretung ein Entgelt leisten darf 1235. Daraus lässt sich zweierlei entnehmen: Zum einen ist der Verkauf von Handelsvertretungen zulässig. Zum anderen sieht der Gesetzgeber den möglichen Wert einer Handelsvertretung. Wie ausgeführt regelt § 89b Abs. 3 Ziff. 2 jedoch die Zahlung des Kaufpreises an den Vorgängervertreter und nicht den Unternehmer. Wirtschaftlich führt diese Zahlung jedoch zu einem identischen Ziel, weil der Unternehmer infolge der Ausschlusswirkung des Abs. 3 keinen Ausgleich mehr leisten muss. Daraus lässt sich die Zulässigkeit einer Kaufpreisabrede zwischen Unternehmer und eintretendem HV ableiten: Die Parteien müssen nicht die „Umgehungskonstruktion“ der Zahlung über den Vorgänger wählen. Ohnehin müsste es ein ausdrückliches Verbot der Konstruktion geben, sollte es unzulässig sein (Art. 2 Abs. 1 GG). Die Wirksamkeit ist allerdings an Bedingungen geknüpft: Sie setzt zunächst voraus, dass für den Kaufpreis tatsächlich etwas Geldwertes übergeben werden 1236. Geldwert kommt der Vertretung nicht allein deshalb zu, weil bei Vertragsende – möglicherweise – ein Ausgleich zu zahlen ist. Diesen braucht der HV nicht vorweg im Wege einer Einstandszahlung zu entgelten, weil der Ausgleich durch eigene Leistung (Aufbau des Kundenstammes) erworben wird. Wirtschaftlich würde es sich um einen Ausgleichsausschluss handeln, der den Schutzbereich des § 89b Abs. 4 berührt, nach Ansicht von Budde sogar den des § 138 BGB 1237. Fehlt ein geldwerter Vorteil, zahlt der HV den Einstand, ohne eine Gegenleistung zu erhalten. Dies ist tatsächlich ein Fall des § 138 BGB 1238. Dagegen lassen sich mit dieser Norm nachteilige Investitionsentscheidungen des HV nicht überprüfen, sofern bei Unterzeichnung ein geldwerter Vorteil lag. Den HV mag das Geleistete im Nachhinein reuen. Solange der Ermessensspielraum zur Sittenwidrigkeit nicht über-

1231

1232

1233 1234

OLG München NJW-RR 1998, 174 = EWiR 1997, 661 (Sellhorst); Ebenroth/ Löwisch § 89 Rn 35. Emde VersR 2004, 1499, 1515 (1516); Emde EWiR 2005, 471 (472); Schultze/ Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rn 993. Urt. v. 24.02.1983 – I ZR 14/81, MDR 1983, 727. OLG Koblenz, Urt. v. 22.03.2007 – 6 U 1313/06, NJW-RR 2007, 1044 (1046);

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OLG Düsseldorf, Urt. v. 16.03.2001 – 16 U 86/99, HVR-Nr. 1424. Westphal MDR 2005, 421 (422). BGH, Urt. v. 24.02.1983 – I ZR 14/81, MDR 1983, 727 (728); Emde VersR 2004, 1499 (1515/1516); Emde EWiR 2005, 471 (472); Kiene NJW 2006, 2007 (2009); Kiene VersR 2006, 1024 (1027). Budde DB 2005, 2177 (2181). Kiene VersR 2006, 1024 (1027).

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schritten wurde tritt jedoch keine Nichtigkeit ein. Der HV ist aber berechtigt, den HVVertrag einschließlich der Regelung über den Kaufpreis (bei getrennten Verträgen liegt im Zweifel Einheitlichkeit im Sinne des § 139 BGB vor) gemäß § 123 BGB anzufechten, falls die bei Vertragsschluss genannten Umsatzzahlen deutlich – im entschiedenen Fall etwa 10 % – von den tatsächlichen Umsatzzahlen abweichen 1239. Schwierig zu beurteilen ist die Frage der Beweislastverteilung für den geldwerten Vorteil. Nach allgemeinen Grundsätzen liegt die Beweislast beim Anspruchsteller. Fordert der Unternehmer den Kaufpreis, so ergibt sich sein Anspruch aus dem geschlossenen Vertrag. Für den gegen den vertraglichen Anspruch gerichteten Einwand nach § 138 BGB ist der HV darlegungsund beweispflichtig. Jedoch kommen dem HV Beweiserleichterungen zugute. Einen materiellen Wert wird die Vertretung typischerweise nur repräsentieren, wenn ein Bezirk mit zahlreichen Altkunden übergeben wird, übergebene Altkunden ausgleichsrechtlich als Neukunden vereinbart werden 1240 oder der HV Bezirksvertreter wird (Anscheinsbeweis). In anderen, von der Typik her keinen Geldwert nahe legenden Fällen muss der Unternehmer nachweisen, dass ein solcher existiert. Wird der HV nicht Bezirksvertreter, so erhält er Provision nur für von ihm vermittelte Geschäfte und Folgegeschäfte, also für eigene Tätigkeit. Diese Provision/Gegenleistung steht im Synallagma zur Vermittlungspflicht. Der HV muss grundsätzlich nicht dafür zahlen, dass er für eigene Tätigkeit eine Provision erhält. Bei Folgegeschäften wirkt die ursprüngliche Vermittlungsbemühung nach. Also erhält der HV auch bei Folgegeschäften Provision für eigene Tätigkeit. Nur dann, wenn die selbst erarbeitete Provision über der Marktprovision liegt, kann ein Kaufpreis berechtigt sein 1241. Wirtschaftlich besehen wurde dem Unternehmer ein Darlehen gewährt. Es spricht ein Anscheinsbeweis dafür, die Vertretung repräsentiere nur in den oben genannten, einen Gegenwert nahe legenden Fällen einen reellen, im Synallagma zum Kaufpreis stehenden Wert 1242. Vertretbar ist es ferner, die Beweislast zum Nachteil des Unternehmers umzukehren, wenn er eine Verrechnung des Kaufpreises mit dem fällig werdenden Ausgleichsanspruch vorsieht. Denn diese Gestaltung spricht für eine Umgehung des Ausgleichs und berührt den Schutzbereich des § 89b Abs. 4. Der Unternehmer muss das Umgehungsindiz widerlegen. In anderen Situationen hat der Unternehmer die Werthaltigkeit des verkauften Unternehmens nachzuweisen, wofür auch eine Verteilung der Beweislast nach Gefahrensphären spricht. Typischerweise ist der eintretende HV dem Unternehmer wirtschaftlich unterlegen und auf die Verwertung seiner Arbeitskraft angewiesen. Er unterscheidet sich damit von einem typischen Unternehmenskäufer durch seine Schutzbedürftigkeit. Der Unternehmer als „Verkäufer“ kann als Sachnächster am ehesten zur Werthaltigkeit vortragen. Dass der Unternehmer dem Vorgänger-HV einen Ausgleich gezahlt hat, beweist nicht, dass der Kundenstamm auch für den Nachfolgevertreter Geldwert hat. Denn je nach Vertragsgestaltung mag der von dem Vorgänger aufgebaute Kundenstamm zwar für den Unternehmer einen Gegenwert haben, weil er ihn ausnutzen kann, nicht jedoch für den HV. Der Unternehmer tut also gut daran, den Wert zu dokumentieren. Es genügt kaum, dass die Angemessenheit des Kaufpreises von beiden Parteien im HV-Vertrag versichert wird. Diese Versicherung kann infolge eines durch den Unternehmer ausgeübten wirtschaftlichen Drucks unrichtig sein. Die Höhe des zulässigen Einstandspreises lässt sich nicht generell feststellen. Über 261 Wirksamkeit und Unwirksamkeit entscheidet die Relation zwischen Einstandszahlung und Gegenwert. Nur so ist es zu erklären, warum das OLG Celle 1243 die Einstandszah1239 1240

OLG Karlsruhe, Urt. v. 16.12.1998 – 1 U 50/98, HVR Nr. 976. OLG München, Urt. v. 20.10.2004, NJWRR 2005, 1062 = EWiR 2005, 471 (Emde).

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1241 1242 1243

Küstner/Thume I, Rn 226. Emde EWiR 2005, 471 (472). Urt. v. 13.12.2001 – 11 U 90/01, HVRNr. 1038; Küstner/Thume II, Rn 226.

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lung in Höhe einer Jahresdurchschnittsprovision für unangemessen hielt, das OLG Düsseldorf 1244 diesen Einstandspreis jedoch unbeanstandet ließ. Küstner 1245 meint, es bedürfe keines unangemessen hohen Übernahmepreises, damit der Ausgleich umgangen werde. Die Unwirksamkeit trete bereits ein, falls der neue HV mit einer durchschnittlichen Jahresprovision belastet werde, wohl weil auch hier infolge der Anlehnung an den Ausgleich eine Umgehung seiner zwingenden Natur nahe liegt. Tatsächlich dürfte die Vereinbarung eines Kaufpreises in dieser Höhe ein Indiz geben, nicht mehr. Denn der Kaufpreis kann auch bei dieser Bemessung zutreffend ermittelt worden sein. Die den Kaufpreis rechtfertigende Gegenleistung des Unternehmers muss nicht in der 262 Überlassung eines Kundenstamms liegen. Vielmehr wird ein geldwerter Vorteil – je nach Sachverhaltsgestaltung – auch in folgenden Fällen angenommen: – bei Übernahme einer Alleinvertretung, deren Gegenstand die Vermittlung von bereits gut eingeführten Produkten mit einer erheblichen „Sogwirkung der Marke“ bilden 1246; – bei langfristiger und fester Vertragsdauer 1247; – einem Kündigungsverzicht des Unternehmers für einen längeren Zeitraum 1248; – unüblich hohen Provisionssätzen 1249. Die Diskussion weist Parallelen zu der bei der Vorausabgeltung des Ausgleichs 1250 auf, die nur anerkannt wird, sofern der HV eine Vorausleistung erhält, die oberhalb der üblichen Gegenleistung – der Provision – liegt; – Vereinbarung der Altkunden als ausgleichsrechtliche Neukunden 1251; – Wenn dem HV ein angemessener Gegenwert mit der Vertretungsübernahme zufließt 1252; – beim Kauf einer gut eingeführten Bezirksvertretung. Er wird in folgenden Fällen verneint: 263 – falls als Gegenleistung lediglich eine Alleinvertretung versprochen wird 1253; – bei fehlendem Kundenstamm 1254; – wenn der HV ein Jahr lang umsonst arbeiten müsste 1255; – Bei einem unangemessen hohen Übernahmepreis, so dass dieser auf eine Umgehung des Ausgleichsanspruchs hinausliefe 1256;

1244 1245 1246 1247

1248 1249

1250 1251

Urt. v. 16.03.2001 – 16 U 186/99, HVRNr. 946. Küstner/Thume II, Rn 224. Döpfer HVR 3/2003, 17; Küstner/Thume II, Rn 226. OLG Düsseldorf, Urt. v. 24.01.2003 – 16 U 66/02; Küstner/Thume II, Rn 226; Westphal MDR 2005, 421 (423) bei Kontrolle nach § 307 BGB. Küstner/Thume II, Rn 226. Küstner/Thume II, Rn 226; Westphal MDR 2005, 421 (423) bei Kontrolle nach § 307 BGB. Westphal MDR 2005, 421 (424). OLG München, Urt. v. 20.10.2004 – 7 U 3194/04, HVR Nr. 1124 = BB 2005, 630 m. Anm. Semler BB 2005, 630 = EWiR 2005, 471 (Emde) = NJW-RR 2005, 1062 =

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DB 2005, 2189 m. Anm. Budde; Küstner/ Thume II, Rn 226, Semler BB 2005, 965; aA Westphal MDR 2005, 421 (423/424) da ein Ausgleich wegen Abspringens der Altkunden auch dann nicht sicher sei. OLG Schleswig, Urt. v. 18.02.2000 – 14 U 18/99, HVR-Nr. 998. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 1186; LG Paderborn v. 19.02. 1987 – 5 S 284/86, HVR Nr. 623; aA OLG Stuttgart v. 27.08.1998 – 11 U 153/97, HVR Nr. 999; Döpfer HVR 3/2003, 17. Küstner/Thume II, Rn 226. OLG Celle v. 14.12.2000 – 11 U 61/00, HVR Nr. 940; v. 13.12 2001 – 11 U 90/01 – HVR Nr. 1038; Küstner/Thume II, Rn 226. BGH, Urt. v. 24.02.1983 – I ZR 14/81, MDR 1983, 727.

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– Wenn die Parteien nicht vereinbaren, dass die übernommenen Altkunden für den zahlenden HV ausgleichsrechtlich als Neukunden gelten 1257. Gegen die Nichtigkeit spricht jedoch, dass übernommene Kunden mangels ausdrücklicher Abrede ohnehin nicht ausgleichspflichtig wären 1258, die beanstandete Klausel also dispositives Recht spiegelt 1259. Nach der Logik dieser Ansicht müsste jede Einstandsabrede ohne Vereinbarung der Neukundeneigenschaft des übernommenen Kundenstamms nichtig sein, was der Rechtsprechung des BGH 1260 widersprechen dürfte, die keine derartige Einschränkung kennt. Entscheidend sind letztlich immer die Verhältnisse des Einzelfalles. Es lässt sich nicht 264 sagen, dass generell bei einer bestimmten Gestaltung der Abrede immer der geldwerte Vorteil fehlt oder besteht. Ein solcher Vorteil kann z.B. eine Neukundenregelung sein 1261, muss es aber nicht. Gemäß §§ 242 BGB, 307 BGB unwirksam ist eine Vereinbarung, die keine Regelung für eine Rückzahlung des Einstandes im Fall einer kurz nach Vertragsschluss eintretenden Vertragsbeendigung trifft, etwa für den Fall der schuldhaften Herbeiführung eines wichtigen Grundes zur außerordentlichen Kündigung durch den Unternehmer. Diejenigen, die Wirksamkeit annehmen, jedoch eine Verpflichtung zur Teilrückzahlung im Wege ergänzender Vertragsauslegung postulieren 1262, tragen Unsicherheit in das Vertragsverhältnis und schützen den HV nicht hinreichend. Der Unternehmer wird schadenersatzpflichtig, so dass er gemäß § 280 BGB die noch nicht amortisierte Einstandszahlung des HV ausgleichen müsste. In all diesen Konstellationen kommt es zu einer Störung des Äquivalenzverhältnisses. Durch die kürzere Dauer des Vertrages wird dem Nachfolge-HV die Möglichkeit genommen, den entgeltlich übernommenen Kundenstamm wirtschaftlich sinnvoll zu verwerten. Es empfiehlt sich deshalb, eine Regelung entweder zur Rückzahlungspflicht für den Fall der vorzeitigen Kündigung durch den Unternehmer oder für den Fall der außerordentlichen Kündigung durch den HV zu treffen bzw. die ordentliche Kündigung des Unternehmers für bestimmte Zeit auszuschließen (für den Fall der berechtigten außerordentlichen Kündigung durch den HV müsste eine Teilrückzahlungsabsprache getroffen werden). Auch kann im Vertrag festgehalten werden, über welchen Zeitraum der Nachfolge-HV nach Ansicht der Parteien den ihm entgeltlich überlassenen Kundenstamm bis zur Amortisation nutzen und was geschehen sollte, falls sich die Erwartungen zur Vertragsdauer nicht erfüllen. Jene Abrede ist nur bedeutsam, sofern sie die tatsächlichen Verhältnisse widerspiegelt. Hat die Stundung der Einstandszahlung kündigungshemmende Wirkung, kann hierin 265 eine unbillige Beschränkung des nach § 89a Abs. 1 S. 2 unabdingbaren Rechts auf außerordentliche Kündigung liegen 1263, z.B. wenn infolge einer solchen Kündigung der gestundete Kaufpreis sofort fällig gestellt wird. Folge ist die Unwirksamkeit der Vereinbarung über die Einstandszahlung. Bleibt für die Stundung kein anerkennungswertes Interesse der Parteien zu erkennen, liegt eine Kündigungsbeschränkung vor, und zwar jedenfalls dann, wenn die Rückzahlung auch für den Fall eine Kündigung aus wichtigem Grund wegen schuldhaften Verhaltens des Unternehmers vorgesehen ist. Jeder HV wird es sich 1257

1258 1259 1260

OLG München, Urt. v. 20.10.2004 – 7 U 3194/04, BB 2005, 630 m. Anm. Semler BB 2005, 965 = EWiR 2005, 471 (Emde) = NJW-RR 2005, 1062; aA Westphal MDR 2005, 421 (422). BGH NJW 1985, 58. Emde EWiR 2005, 472. BGH, Urt. v. 24.02.1983 – I ZR 14/81, MDR 1983, 727 (728).

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1261 1262

1263

Semler BB 2005, 965. BGH, Urt. v. 10.06.1968 – VII ZR 48/66, JR 1969, 419; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 11. Küstner/Thume II, Rn 222; Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 11; MünchKomm/ v. Hoyningen-Huene § 89a Rn 84.

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zweimal überlegen, ehe er kündigt, sollte an die Kündigung die Verpflichtung zur Tilgung der Einstandszahlung oder ein Wegfall des Ausgleichs geknüpft sein. Entsprechend hat das OLG Düsseldorf 1264 – obwohl es grundsätzlich die Zulässigkeit einer Einstandszahlung befürwortete – in ihr eine gegen § 89a Abs. 1 S. 2 verstoßende Kündigungserschwerung gesehen. Das Verbot treffe nicht nur vertragliche Regelungen, nach denen lediglich bestimmte, von den Parteien festgelegte Sachverhalte als wichtiger Kündigungsgrund gelten sollen. Die Vereinbarung einer Einstandszahlung sei geeignet, das Recht des HV zur Kündigung aus wichtigem Grund zu beschränken, falls sie vorsehe, dass dem Unternehmer für den Fall einer vom HV ausgesprochenen vorzeitigen Kündigung der noch nicht durch Provisionseinbehalte getilgte Teil der Einstandssumme zustehen solle. Damit sehe sich der HV nach einer vorzeitigen Kündigung der Fälligkeit der gesamten noch offenen Kaufpreisforderung gegenüber, ohne die Möglichkeit zu gewinnen, diese Kosten aus vermittelten Geschäften mit den von seinem Vorgänger übernommenen oder den von ihm selbst neu geworbenen Kunden zu bestreiten. Es bestehe die Gefahr, dass der HV die Kündigung allein im Hinblick auf die Zahlungspflicht unterlasse. Rechtsprechung und Literatur zu dem Thema „Einstandszahlungen“ sind wechsel- 266 haft. Der BGH stellte am 24. Februar 1983 1265 die grundsätzliche Gültigkeit der Einstandszahlungsabrede fest. Etwas anderes könne aber gelten, falls der HV einen so unangemessenen hohen Übernahmepreis zu zahlen habe, dass dies auf eine Umgehung des unabdingbaren Ausgleichsanspruchs hinausliefe. Wann diese Grenze überschritten ist bestimmte der BGH nicht. Ein geldwerter Vorteil des HV, der einen Einstandspreis rechtfertige, soll nach Ansicht des OLG München 1266 die Vereinbarung bilden, die übernommenen Altkunden würden mit der Zahlung des Einstands als vom HV geworbene Neukunden („Neukundenklausel“) gelten. Eine solche Klausel kann erforderlich sein, da der BGH in seiner Entscheidung vom 10. Mai 1984 1267 feststellte, trotz einer vom HV geleisteten Zahlung für übernommene Altkunden dürften diese bei der Ausgleichsberechnung nur dann berücksichtigt werden, wenn die Vertragsparteien regelten, die übernommenen Altkunden sollten als Neukunden gelten. In einem weiteren Urteil lehnte das OLG München 1268 die Wirksamkeit einer Einstandszahlungsabrede ab: Die Klägerin, deren HV der Beklagte war, forderte von dem HV DM 17.000,00 noch offene Einstandszahlung. Im HV-Vertrag hatte sich der Beklagte verpflichtet, für die Handelsvertretung einen Kaufpreis von DM 100.000,00 zu leisten, der ratierlich durch Einbehalt von 1/4 der Provision ausgeglichen werden sollte. Vorgesehen war dieser Einstand zur hälftigen Tilgung des dem Vorgänger-HV von der Klägerin geleisteten Ausgleichsanspruchs in Höhe von DM 200.000,00. Die Parteien vereinbarten weiter, der vom Vorgänger aufgebaute Kundenstamm solle nicht als vom beklagten Nachfolger geworben i.S.d. § 89b Abs. 1 Nr. 1 gelten. Das OLG hielt die Einstandszahlungsabrede für unwirksam. Der Ausgleich sei gem. § 89b Abs. 4 zwingend. Das Verbot ausgleichsschädlicher Vereinbarungen i.S.d. §§ 307 BGB, 89b Abs. 4 erfasse nicht nur die quantitative Beschränkung des Ausgleichs, sondern auch alle sonstigen, von der gesetzlichen Regelung zum Nachteil des HV abweichenden Übereinkünfte. Zwar stelle eine Einstandszahlung als solche noch keinen Ver1264 1265 1266

Urt. v. 07.07.2000 – 16 U 186/99, HVR Nr. 946. I ZR 14/81, HVR Nr. 574. Urt. v. 04.12.1996 – 7 U 3915/96, HVR Nr. 829. Für den spiegelbildlichen Fall fehlender Vereinbarung nahm das OLG München v. 20.10.2004, BB 2005, 630 Unwirksamkeit an.

1267 1268

I ZR 36/82, HVR Nr. 578. OLG München, Urt. v. 20.10.2004 – 7 U 3194/04, BB 2005, 630 m. Anm. Semler BB 2005, 965 = EWiR 2005, 471 (Emde) = NJW-RR 2005, 1062 = DB 2005, 2189 m. Anm. Budde DB 2005, 2177.

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stoß gegen § 89b Abs. 4 dar. Zur Unwirksamkeit führe aber die Regelung, der vom Vorgänger aufgebaute Kundenstamm solle bei der Berechnung des Ausgleichs nicht als vom Nachfolge-HV geworben gelten. Da nur neu geworbene Kunden zum Ende des HV-Vertrages ausgleichspflichtig blieben, zahle der HV den Ausgleich des Vorgängers, ohne eine über den ihm bereits kraft Gesetzes (§ 89b Abs. 1 Nr. 1: Ausgleich nur für „neue Kunden“) zustehenden Ausgleich für neu geworbene Kunden reichende Gegenleistung zu erhalten. Der Vertrag bleibe jedoch im Übrigen nach § 306 Abs. 1 BGB wirksam. Budde 1269 widerspricht dem OLG München. Die Unwirksamkeit dürfe nicht aus dem Fehlen der Neukundenklausel hergeleitet werden. Dieses Fehlen gebe lediglich die Gesetzeslage wieder 1270. Das OLG – so Budde – gehe offensichtlich bei einem Vertretungskauf von der stillschweigenden Vereinbarung einer solchen Neukundenregelung aus 1271. Damit werde die Einstandszahlung wirtschaftlich uninteressant 1272. Denn der Unternehmer zahle zweimal einen Ausgleich, einmal an den ausgeschiedenen HV, der den Kundenstamm akquirierte, und ein zweites Mal an den Neu-HV bei Beendigung des Vertrages 1273. Die Fälle seien über § 138 BGB, bei Falschangaben des Unternehmers über § 311 Abs. 2 BGB oder § 123 BGB zu lösen 1274. Auch könne über eine ergänzende Vertragsauslegung oder den WGG korrigierend eingegriffen werden. Eine Nichtigkeit gemäß § 89b dürfe nur angenommen werden, sofern die Einstandszahlung in keinem vernünftigen Verhältnis zu den Provisionseinnahmen aus dem übernommenen Kundenstamm stehe und bis zum Ende des Vertrages gestundet sei 1275. Das OLG Hamm 1276 entschied, das gesetzliche Leitbild der Risikoverteilung im HV-Recht werde unangemessen i.S.d. § 307 BGB zu Lasten des HV verschoben, wenn sich der HV mit einem wesentlichen Beitrag an den „Vorhaltekosten“ des Unternehmers beteiligen müsse. Zumindest müsse gefordert werden, dass die Zahlungspflicht des HV durch „hinreichend gewichtige Vorteile austariert“ werde oder sonst anerkennenswerte Interessen des Verwenders für die Beibehaltung der beanstandeten Klausel stritten 1277. Allerdings hat das OLG Stuttgart 1278 den vom HV erhobenen Anspruch auf Rückzahlung des auf ihn abgewälzten Ausgleichsanspruchs für den Vorgänger aus ungerechtfertigter Bereicherung des vertretenen Unternehmens mit der Begründung abgelehnt, bei der Einräumung eines Alleinvertretungsrecht des HV ständen Leistung und Gegenleistung nicht in einem auffälligen Missverhältnis. Durch die Einräumung einer Alleinvertretungsberechtigung des HV im Vertretungsbezirk erhalte dieser die Möglichkeit, den Altkundenstamm des Unternehmers zu nutzen. Das LG Stuttgart judizierte mit Urteil vom 09. Februar 1998 1279, die formularmäßige Verpflichtung eines HV zur Zahlung eines Preises für die Übernahme einer Alleinvertretung sei wegen Verstoßes gegen die guten Sitten gemäß § 138 BGB unwirksam, falls ihr keine angemessene Gegenleistung gegenüberstehe. Mit Urteil vom 14. Dezember 2000 1280 hat das OLG Celle bei einem Einstandsgeld in der Größe einer

1269 1270

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Budde DB 2005, 2177. Budde DB 2005, 2177 (2180); zweifelhaft da das Gesetz keine Regelung über die Leistungen der Parteien im Falle eines „Vertretungskaufs“ enthalten. So tatsächlich OLG München v. 08.08. 2001, HVR-Nr. 991. Budde DB 2005, 2177, 2180. Wirtschaftlich dürfte diese Diagnose unzutreffend sein: Denn der Einstandspreis ist von der „doppelten Ausgleichszahlung“ abzuziehen. Es kommt also auf die Höhe

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1274 1275 1276 1277 1278 1279 1280

des Einstandspreises an, ob ein wirtschaftliches Interesse besteht. DB 2005, 2177 (2181). DB 2005, 2177 (2181). OLG Hamm v. 10.12.1987, 18 U 10/87. OLG Frankfurt DB 1987, 2518 = HVR Nr. 622. Urt. v. 27.08.1998 – 11 U 153/97, HVR Nr. 999. 5 KfH O 139/97, unveröffentlicht, zitiert nach Döpfer HVR 3/2003, 17. 11 U 61/00, HVR Nr. 940.

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Jahresprovision angenommen, eine derartige Höhe erscheine als Gegenleistung allein für die Chancen aus der Übernahme der Vertretung unangemessen hoch, wenn man sich vor Augen halte, dass der HV bei gehaltenen Umsätzen ein Jahr lang umsonst für den Unternehmer arbeiten müsse. Das OLG Schleswig 1281 sah in einem unangemessen hohen Übernahmepreis eine Umgehung des § 89b Abs. 4. In dem vom OLG entschiedenen Fall war die Werthaltigkeit der Vertretung zweifelhaft, da das Verkaufsgebiet längere Zeit brach lag, also kein Kundenstamm übergeben wurde, und die tatsächlichen Provisionseinkünfte im ersten Vertragsjahr nur 15 % der Einstandszahlung erreichten. Auch das OLG Celle 1282 entschied, die Vereinbarung einer auf die Umgehung des gesetzlichen Ausgleichsanspruchs hinauslaufenden hohen Einstandssumme verstoße gegen § 89b Abs. 4 S. 1. Dieser Beurteilung stand nicht entgegen, dass der HV wählen konnte, die Einstandssumme durch den fortlaufenden Einbehalt von 20 % seiner Provision abzutragen, statt sich jene bis zur Beendigung des HV-Vertrages stunden zu lassen. Das Wahlrecht zur Art der Erfüllung sei faktisch eingeschränkt: Jeder wirtschaftlich denkende HV, der einen Bezirk neu übernehme, werde sich für die Stundung bis zum Vertragsende entscheiden. Auch der fortlaufende Einbehalt von 20 % der Provision habe zur Folge, dass der HV etwa ein Jahr umsonst für den Unternehmer arbeiten müsse und ein durchsetzbarer Ausgleichsanspruch lediglich dazu dienen würde, diese Provisionsverluste zu kompensieren. Das OLG Frankfurt 1283 hielt die in AGB enthaltene Klausel des HV-Vertrages, nach der der HV für den Erhalt von Alleinvertriebsrechten innerhalb eines Vertragsgebietes DM 70.000,00 zu zahlen hatte, gemäß § 307 Abs. 1 BGB für unwirksam: Es fehle an einer angemessenen Gegenleistung des Unternehmers. Einstandszahlungen, wie sie etwa beim Franchising üblich seien, zählten nicht zum gesetzlichen Leitbild des HV. Nach dem OLG Düsseldorf 1284 bildet die Verpflichtung zur Einstandszahlung keinen Verstoß gegen § 307 BGB. Der HV erhalte für die Einstandszahlungen eine nicht unerhebliche Gegenleistung in Form einer hohen Provision und einer langen Vertragsdauer. 2. Einstandszahlungsabreden und § 307 BGB (Frage 2). Zu einzelnen Entscheidun- 267 gen siehe Rn 266. Umstritten ist, ob sich Einstandszahlungsabreden auch anhand des §§ 307 BGB kontrollieren lassen. Der BGH hat dies verneint 1285, das OLG München bejaht, das Ergebnis jedoch auch mit § 89b Abs. 4 begründet 1286, so dass die Entscheidung bei Vorliegen einer Individualvereinbarung nicht anders ausgefallen wäre. Auch das OLG Frankfurt 1287 und das OLG Düsseldorf 1288 nahmen eine Prüfung nach § 307 BGB vor 1289. Eine Inhaltskontrolle scheitert nach Ansicht des BGH an § 307 Abs. 3 BGB, da die Einstandszahlungsvereinbarung unmittelbar den Preis regelt, den der HV für die Vertretungsrechte zu zahlen habe. Es handele sich mithin um eine kontrollfreie Hauptleistung. Westphal 1290 bezweifelt dieses Ergebnis. Die §§ 84 ff sähen keine Verpflichtung des HV vor, sich mit einer Vorleistung in den Vertrag einzukaufen 1291. Westphal und die vorgenannten OLG befürworten damit die Einordnung der Einstandszahlung als kontrollfähige Preisnebenabrede. Da in dem Verstoß gegen die zwingende Natur des Aus1281 1282 1283 1284 1285 1286

Urt. v. 18.02.2000 – 14 U 18/99, HVR Nr. 998. Urt. v. 13.12.2001 – 11 U 90/01, HVR Nr. 1038. Urt. v. 26.11.1986, NJW-RR 1987, 548. Urt. v. 24.01.2003 – 16 U 66/02. BGH, Urt. v. 09.12.1992 – VIII ZR 23/92, MDR 1993, 1060. OLG München, Urt. v. 20.10.2004 –

1287 1288 1289 1290 1291

7 U 3194/04, BB 2005, 630 m. Anm. Semler BB 2005, 965 und Emde EWiR 2005, 471 (472). Urt. v. 26.11.1986, NJW-RR 1987, 548. Urt. v. 24.01.2003 – 16 U 66/02. Ebenso Ebenroth/Löwisch § 84 Rn 51. MDR 2005, 421 (423). So OLG Frankfurt, Urt. v. 14.05.1987 – 16 U 79/86, DB 1987, 2518.

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gleichs (§ 89b Abs. 4) zugleich eine Abweichung vom gesetzlichen Leitbild liegt, wäre der Einstandszahlungsabrede gemäß § 307 Abs. 1 BGB die Wirksamkeit zu versagen, falls sie den HV unangemessen benachteiligt. In der Sache wird sich das Prüfungsergebnis nach § 307 BGB dem bei einer Individualvereinbarung nähern, weil eine unangemessene Benachteiligung bei Fehlen einer reellen Gegenleistung anzunehmen sein dürfte. Eine unangemessene Benachteiligung vermutet Westphal etwa bei bloßer Einräumung eines Alleinvertriebsrechts, da dem HV in diesem Fall nur eine nicht hinreichend konkrete Chance eingeräumt werde, Provisionen durch die alleinige Tätigkeit im Bezirk zu verdienen 1292. Das Alleinvertriebsrecht sage noch nichts darüber aus, ob bereits ein Kundenstamm vorhanden sei, mit welchem der HV unmittelbar bei Beginn seiner Tätigkeit Provisionen erzielen könne. Westphal vertritt deshalb, bei Fehlen eines Altkundenstammes werde die formularmäßige Einstandszahlungsklausel nicht zu retten sein 1293. Nach Übernahme eines Altkundenstammes stelle sich die Frage, ob die Provisionen in einem angemessenen Verhältnis zur Einstandszahlung stünden.

268

3. Amortisation der Einstandszahlung (Frage 3). Wird der HV-Vertrag kurze Zeit nach Vertragsschluss aufgelöst und war es dem HV nicht möglich, die geleistete Einstandszahlung zu amortisieren, muss der Unternehmer damit rechnen, dass Gerichte den HV von einer Restzahlung des Einstands freistellen werden bzw. dass der Mittler die Rückzahlung seiner bereits geleisteten Einstandszahlung aus § 812 BGB oder aus einer mittels ergänzender Vertragsauslegung 1294 gefundenen Rückzahlungsklausel verlangen kann. Sieht ein HV-Vertrag eine Einstandszahlung vor, die über eine gewisse Zeit nach und nach mit der Provision verrechnet werden soll, ohne dass geregelt ist, was insofern bei nur kurzer Dauer des Vertrages gelten soll, so enthält der Vertrag eine Lücke, welche durch ergänzende Vertragsauslegung zu schließen ist 1295. Eine ausreichende Mindestlaufzeit wird als wesentliche Geschäftsgrundlage und Mindestinhalt einer Abwälzungsvereinbarung angesehen 1296. In einem solchen Fall ist darauf abzustellen, welche Vorstellungen die Parteien mit der Einstandszahlung darüber verbanden, wie der HV die ihm eingeräumten Möglichkeiten wirtschaftlich nutzen könne, und ob sich diese Erwartung während der Laufzeit des Vertrages verwirklichen ließe 1297. Bereits der BGH hatte mit Urteil vom 10. Mai 1984 1298 auf eine teilweise Erstattung der geleisteten Zahlung erkannt. Auch das OLG Stuttgart entschied mit Urteil vom 13. Mai 1992 1299, der Unternehmer sei im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zur Erstattung eines Anteils der geschuldeten Einstandszahlung des HV verpflichtet, sofern dem HV die Nutzung des übernommenen Kundenstamms in dem vertraglich vorausgesetzten Ausmaß nicht möglich sei. Das OLG München 1300 nahm an, eine Einstandszahlungsabrede, die keine Regelung für den Fall treffe, dass der Vertrag vor Amortisation der Abstands durch Kündigung des vertretenen Unternehmers beendet werde, enthalte eine Regelungslücke. Sie führe dazu, dass der HV nach Produktionsstopp des Unternehmers eine vertragliche Kompensation erhalte, die ihm die volle Amortisation der geleisteten Einstandszahlung 1292 1293 1294 1295

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Westphal MDR 2005, 421 (423). Westphal MDR 2005, 421 (423). Kiene VersR 2006, 1024 (1031). BGH, MDR 1968, 917 (918); OLG Koblenz, Urt. v. 22.03.2007 – 6 U 1313/06, NJW RR 2007, 1046 = EWiR 2007, 525 (Döpfer). Schröder DB 1969, 291 (294); Kiene VersR 2006, 1024 (1031).

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OLG Koblenz, Urt. v. 22.03.2007 – 6 U 1313/06, NJW-RR 2007, 1046 = EWiR 2007, 525 (Döpfer); BGH NJW 1985, 58 (59). I ZR 36/82, HVR Nr. 587. 4 U 238/91, HVR Nr. 883. Urt. v. 04.12.1996 – 7 U 3915/96, HVR Nr. 829.

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ermögliche. Nach Ansicht des OLG Düsseldorf 1301 entfällt die Zahlungspflicht nach den Grundsätzen des WGG, wenn der HV-Vertrag vor vollständiger Amortisation der Einstandszahlung beendet wird. Der BGH 1302 gab einer Klage auf Rückzahlung zwei Jahre nach dem Vertretungskauf statt: Die kurze Dauer des Vertrages habe dem Nachfolge-HV die Möglichkeit genommen, den übernommenen Kundenstamm auszunutzen. Eine Berufung auf die getroffene Abrede sei mit Treu und Glauben unvereinbar. Das LG Konstanz 1303 bestätigte diese Rechtsprechung: Es entspreche Treu und Glauben, den HV so zu stellen, als wenn es nicht zu einem kurzfristigen Vertragsende gekommen wäre. Auch das OLG Hamm 1304 gab einer Rückzahlungsklage statt. Es könne nach den Umständen des Falles nicht zweifelhaft sein, dass dem Kläger mit der Übernahme einer Bezirksvertretung die Chance eingeräumt werden sollte, den Einstandspreis zu amortisieren. Weniger schützend judizierte das LG Waldshut-Tiengen 1305: Ein HV hatte sich bei Vertragsschluss verpflichtet, für die Übernahme des Kundenstammes einen Betrag von DM 69.000,00 brutto („Kaufpreis“) zu leisten. Die Tilgung sollte durch Kürzung der Provisionen in den folgenden fünf Jahren um 20 % erfolgen. Als Gegenleistung für den Übernahmebetrag wurden die in der Kundenliste aufgeführten Kunden als vom HV neu geworbene Kunden vereinbart, wodurch auch Altkunden in die Ausgleichsberechnung einflossen. Der Unternehmer rechnete gegen den unstrittigen Ausgleichsanspruch des Mittlers mit einem noch offenen Kaufpreisanteil auf. Das LG urteilte: Wird ein HV-Vertrag vorzeitig durch ordentliche Kündigung beendet, so ist der HV zur Zahlung des vertraglich vereinbarten Übernahmebetrages verpflichtet, sofern er als Äquivalent einen HV-Ausgleich erhält. Die Anrechnungsanrede sei wegen des ausgleichsrechtlichen Erwerbs der Altkunden billig. Sie könne auch nicht im Wege ergänzender Vertragsauslegung oder nach den Grundsätzen des WGG beiseite geschoben werden, und zwar selbst im Falle einer Vertragsbeendigung vor Ablauf der vereinbarten Fünfjahresfrist. Eine Parallele hat die Diskussion zur Rückzahlung eines Kaufpreises für eine Handelsvertretung im Franchiserecht, wo die Rückzahlungspflicht von Eintrittsgeldern der Franchisenehmer strittig ist. Eine solche Rückzahlungspflicht wird dort etwa aus cic (jetzt: § 311 Abs. 2 BGB) 1306, ergänzender Vertragsauslegung, den Grundsätzen zum Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) oder § 812 BGB hergeleitet (Vor § 84 Rn 366) 1307. Nicht klar ist, wie eine angemessene Mindestlaufzeit zu bemessen ist. Auch dies hängt 269 von dem einzelnen Vertrag und der Höhe des gezahlten Betrages ab. Eine Rückzahlung erfolgt im Verhältnis zwischen zu erwartender Vertragslaufzeit und tatsächlicher Vertragslaufzeit 1308. Nach einer Ansicht ist der Zeitraum, in welchem der Einstand sich amortisieren soll, gleichzusetzen mit dem Zeitraum, über den er ratierlich bezahlt werden soll 1309. Die zu erwartende Vertragslaufzeit sollte sich in erster Linie an der Höhe der Einstandszahlung orientieren. Pro Jahr Vertragslaufzeit kann eine Amortisation allenfalls in Höhe von 50 Prozent des Gewinns des HV erfolgen. Beträgt der Gewinn des HV (nicht die Provision!) daher EUR 50.000 und die Einstandszahlung ebenfalls EUR 50.000 so ist eine Amortisation frühestens nach zwei Jahren anzunehmen. So ist auch 1301 1302 1303 1304 1305 1306

Urt. v. 07.07.2000 – 16 U 186/99, HVR Nr. 946. Urt. v. 29.06.1959, HVR Nr. 209 = MDR 1959, 823. Urt. v. 27.02.1976 – 2 HKO 178/75. Urt. v. 20.12.1996 – 35 O 35/96. Urt. v. 16.11.2000 – 3 HKO 46/00, NJW-RR 2001, 1546. Vgl. OLG München, Urt. v. 24.04.2001 –

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5 U 2180/00, BB 2001, 1759 m. Anm. Böhner BB 2001, 1749. Siehe etwa Giesler WM 2001, 1441. Kiene VersR 2006, 1024 (1031). OLG Koblenz, Urt. v. 22.03.2007 – 6 U 1313/06, NJW-RR 2007, 1046 = EWiR 2007, 525 (Döpfer); BGH, NJW 1985, 58 (59).

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das OLG Stuttgart 1310 verfahren. Sind Unternehmer und Versicherungsvertreter von einer Vertragslaufzeit von 5 Jahren ausgegangen und endete das Vertragsverhältnis bereits nach 2 1/2 Jahren, so wurde dem Versicherungsvertreter ein Erstattungsanspruch in Höhe der Hälfte der geleisteten Abwälzungssumme zugesprochen. Diesen Interessenausgleich wird man auch bei Nachfolgevereinbarungen (§ 89b Abs. 3 Ziffer 3) anwenden können, wobei jedoch der dort dem Nachfolger ggf. zustehende Ausgleichsanspruch dem Gewinn des HV zuzurechnen ist 1311. In diesen Fällen eine ergänzende Vertragsauslegung regelmäßig auszuschließen 1312 erscheint unangemessen. Es empfiehlt sich, eine (wirksame) Regelung zur Rückzahlung zu vereinbaren 1313. Damit wären allerdings die wirtschaftlichen Risiken der Insolvenz des Unternehmers noch nicht abgesichert.

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4. Übergang der Ausgleichsanwartschaften (Frage 4). Ob der gekaufte Kundenstamm infolge des Kaufvertrages automatisch ausgleichsrechtlich zum Neukundenstamm wird, wird kontrovers diskutiert. Einige Autoren verlangen für die Zurechnung der Altkunden als Neukunden im Sinne des § 89b Abs. 1 S. 1 keine besondere Vereinbarung. Diese Einstufung ergäbe sich infolge der Nachfolgevereinbarung von selbst 1314. Andere hingegen fordern für die Zurechnung der Kunden als Neukunden eine ausdrückliche Abrede in der Nachfolgevereinbarung 1315: Die Übernahme der Ausgleichslast durch den Nachfolger berechtige jenen nicht zu der Folgerung, damit würden die vom Vorgänger geworbenen und durch den Ausgleich erfassten Geschäftsverbindungen in der Person des Nachfolgers wiederum zu „neuen“ und seien dessen eigenem Ausgleichsanspruch zusätzlich zugrunde zu legen 1316. Der neue HV trete zwar in die Position des alten HV ein. Jedoch umfasse diese Übernahme keine nach Vertragsende entstehenden Forderungen wie den Ausgleichsanspruch 1317. Die bloße Chance auf eine spätere Vergütung könne nicht als Rechtsposition an einen Nachfolger übertragen werden. Auch nach dieser den Ausgleich einschränkenden Ansicht können die vom Vorgänger geworbenen Kunden jedoch als erweiterte Altstammkunden ausgleichsfähig werden1318. Nach Auffassung von Thume 1319, der sich auf BGH v. 05.06.1996 1320 beruft, sei in der Rechtsprechung eine Tendenz erkennbar, den Altkundenstamm des ausscheidenden HV dem neuen HV bei der Berechnung seines Ausgleichsanspruchs nicht zuzuerkennen. Kiene 1321 verneint den automatischen Übergang der Ausgleichsanwartschaften bei Abwälzungsvereinbarungen sowie beim Vertretungskauf. Bei der Nachfolgevereinbarung i.S.d. § 89b Abs. 3 Nr. 3 unter

1310 1311 1312 1313 1314

1315

Urt. v. 13.05.1992 – 4 U 238/91, VertRLF 2. Vgl. Kiene VersR 2006, 1024 (1032). Vgl. Kiene VersR 2006, 1024 (1032). Döpfer HVR 3/2003, 20. Mittelbar OLG München, Urt. v. 20.10. 2004, BB 2005, 630 = NJW-RR 2005, 1062 = EWiR 2005, 471 (Emde), siehe die Diagnose von Budde DB 2005, 2177 ff; Ankele Handelsvertreterecht, LoseblattKommentar, 13. Lieferung Sep. 2000, § 89b Rn 216; Martinek/Semler1 S. 257. Wauschkuhn BB 1996, 1517 (1519); Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rn 974; v. Hoyningen-Huene Die kaufmännischen Hilfspersonen, 1996, S. 475; Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 68; Thume BB 1991,

1022

1316

1317 1318 1319 1320 1321

490 (493); Hopt § 83b Rn 12; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer § 89b Rn 24; MünchKomm/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 186; Hiekel Der Ausgleichsanspruch des HV und des Vertragshändler, 1985, S. 58. 4. Aufl., § 89b Rn 24; OLG Hamm BB 1980, 1819; LG Bielefeld BB 1972, 195; aM Sieg VersR 1964, 791. Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 89b Rn 33. Schultze/Wauschkuhn/ Spenner/Dau, Rn 974. VersR 2006, 1024 (1026). VersR 1996, 1011. Kiene VersR 2006, 1024 (1028).

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 89b

Beteiligung des Nachfolgevertreters sollen die Ausgleichsanwartschaften jedoch übergehen 1322. Diese Ansicht ist auf den ersten Blick konsequent, weil der Unternehmer nur bei Nachfolgevereinbarungen, die in den Anwendungsbereich des § 89b Abs. 3 Ziff. 3 fallen, aus der Verpflichtung entlassen wird, dem Altvertreter einen Ausgleich zu zahlen. Dagegen spricht folgendes: Nach § 89b scheitert das Entstehen eines Ausgleichsanspruchs beim Nachfolger am Mangel einer Neukundenwerbung. Eine solche existiert nur, wenn der Kunde vom eintretenden HV während der Vertragslaufzeit für den Unternehmer neu geworben wurde und zum Zeitpunkt des Vertragsbeginns noch nicht Kunde des Unternehmers war. Weder wurden aber bei Zahlung eines Kaufpreises dem Unternehmer vom Nachfolgevertreter neue Kunden zugeführt; diese waren vielmehr schon vor Beginn des Vertragsverhältnisses mit dem Nachfolger Kunden des Unternehmers, noch wurden diese Kunden vom Nachfolger neu geworben. Ohne ausdrückliche Vereinbarung bleibt es bei jenem Grundsatz. Es handelt sich letztlich um eine Frage der (ergänzenden) Vertragsauslegung 1323, die sich am einzelnen Vertrag orientiert. Dies gilt sowohl bei Abwälzungsvereinbarung, Vertretungskauf wie bei der auch unter Beteiligung des Altvertreters zustande kommenden Nachfolgevereinbarung. Sie korreliert mit der oben dargestellten Frage, ob ein Geldwert übertragen wurde (Rn 260). Liegt in der Vereinbarung über den Kaufpreis regelmäßig der Kauf von Neukunden, so ist die Übertragung eines geldwerten Gegenwertes eher anzunehmen. Diese Auslegung kann daher auch im Interesse des Unternehmers sein, wenn er die Wirksamkeit der Vereinbarung vorträgt. Vielleicht wird man vor dem Hintergrund der Wertung des § 89b Abs. 3 Ziff. 3 sagen können, dass bei der Nachfolgevereinbarung eher eine Vermutung für den Übergang der Ausgleichsanwartschaften besteht als bei Abwälzungsvereinbarungen und Vertretungskauf. Als Grundsatzentscheidung zu dieser Frage wird meist das Urteil des BGH vom 271 10.05.1984 1324 verstanden 1325. Hier judizierte der BGH, die den Unternehmer entlastende, zwischen HV-Vorgänger und -nachfolger vereinbarte Zahlung des Ausgleichs führe nicht dazu, dass bei Beendigung des Nachfolgervertrages der Unternehmer dem Nachfolger einen Ausgleich für vom Vorgänger geworbene Kunden schulde. Jene Entscheidung gibt jedoch nicht mehr als einen Hinweis. Es ist unsicher, ob sich die Entscheidung auf Abreden zwischen Unternehmer und Mittler übertragen lässt 1326. Sie ermöglicht im Einzelfall kein sicheres Ergebnis, weil jeder Fall abweichend beurteilt werden kann. Richtig erscheint folgendes: Der Kaufpreis wird für die Verdienstmöglichkeit gezahlt, regelmäßig also für die Provisionen. Hat diese Verdienstmöglichkeit Geldwert, ist der Vertrag wirksam. Hingegen zahlt der Nachfolgevertreter nicht für die ausgleichsrechtliche Einbeziehung des Kundenstammes. Daher kann ohne besondere Anhaltspunkte im Vertrag nicht davon ausgegangen werden, die gekauften Kunden seien ausgleichsrechtlich Neukunden des Nachfolgevertreters. Hat der HV für die Provision erheblich zu viel gezahlt, bleibt die Vereinbarung sittenwidrig und widerspricht dem Rechtsgedanken des § 89b Abs. 4. Ohnehin dürfte es schwierig sein, den Wert des erst bei Vertragsende zu bestimmenden Ausgleichsanspruchs bei der Prüfung des LeistungsGegenleistungsverhältnisses zu antezipieren, da sich nicht voraussagen lässt, wie viele der gekauften Kunden bei Vertragsende überhaupt noch Stammkunden sein werden oder ob andere Ausgleichsvoraussetzungen (§ 89b Abs. 3!) fehlen. Allerdings mag über dieser

1322 1323 1324

Kiene VersR 2006, 1024 (1030). Kiene VersR 2006, 1024 (1030). BGH DB 1984, 2507 = NJW 1985, 58.

1325 1326

Kiene VersR 2006, 1024 (1028). Zutreffend Schultze/Wauschkuhn/Spenner/ Dau, Rn 997.

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Ergebnis diskutiert werden. Der BGH 1327 hat an eine ergänzende Vertragsauslegung gedacht. Das OLG München 1328 nahm nach Übersendung einer Rechnung des Unternehmers in Höhe von 142.500,00 € als Ablösesumme für die Übernahme des HV-Gebietes eine ergänzende Vertragsauslegung vor und unterstellte, durch die Zahlung sollten die vom HV bereits übernommenen Altkunden bei der Berechnung des künftigen Ausgleichs Neukunden gleichgestellt werden. Das LG Bielefeld 1329 verneinte die ergänzende Vertragsauslegung. Die Begründung des LG Bielefeld, die Gleichstellung der Alt- und Neukunden widerspreche dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes, welches ausschließlich auf „den neuen Kunden, die der HV geworben hat“ abstelle, überzeugt jedoch wenig: Es geht nicht nur um eine Anwendung des § 89b sondern um die Feststellung, was über die Rechte des § 89b hinausgehend zwischen den Parteien vereinbart war. Wird dem einen Kaufpreis zahlenden HV-Nachfolger für den Fall des Vertragsendes ein Mindestausgleich versprochen, kommt eine Anpassung dieses Mindestbetrages nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, etwa wegen eines „heruntergewirtschafteten“ Bezirks, regelmäßig nicht in Betracht 1330. Das LG Koblenz entschied, der Unternehmer habe die Möglichkeit einer negativen Umsatzentwicklung bewusst in Kauf genommen. Dem ist zuzustimmen, weil der Mindestausgleich als Gegenleistung für den vom eintretenden HV gezahlten Kaufpreis und nicht den zu diesem Zeitpunkt nicht bestimmbaren Wert des Bezirks bei Vertragsende geleistet wird. Der Kaufpreis ist jedoch Äquivalent für den Bezirk zum Zeitpunkt der Übernahme vom Nachfolger und nicht zum Zeitpunkt der Übergabe vom Nachfolger an den Unternehmer, so dass der Zustand beim letztgenannten Termin unbeachtlich bleibt.

272

5. Folgen der Unwirksamkeit (Frage 5). Nach Ansicht des OLG München 1331 führt die Unwirksamkeit der Einstandszahlung dazu, dass der Unternehmer keinen Einstandspreis fordern darf. Das ist konsequent, weil ohne die Abrede über den Einstandspreis keine Anspruchsgrundlage für dessen Zahlung besteht. Die Unwirksamkeit führt auch nicht dazu, dass der HV die übergebene Vertretung „herausgeben“ muss. Es gelten vielmehr die Regeln der §§ 89, 89a. Denn nach der Gesetzestypik erwirbt der HV die Vertretung auch ohne Kaufpreis. Die Unwirksamkeit beschränkt sich also nicht nur darauf, die Aufrechnung gegen den Ausgleichsanspruch auszuschließen. Vielmehr ist der Unternehmer daran gehindert, die Einstandszahlung selbst zu verlangen. Die Entscheidung erging zu einem AGB-Sachverhalt, wurde jedoch in erster Linie mit dem Verstoß gegen die zwingende Natur des Ausgleichs nach § 89b Abs. 4 S. 1 begründet. Sie hätte daher – wie oben Rn 267 bereits ausgeführt – zu einem Individualvertrag nicht anders ergehen können. Andere Bestimmungen des HV-Vertrages sollen jedenfalls bei AGB nach § 306 Abs. 1 BGB von der Unwirksamkeit nicht erfasst werden 1332. So ist wegen des Schutzzweckes auch im Bereich des § 139 BGB zu entscheiden. Folge der Unwirksamkeit der Einstandszahlungsabrede ist ein Recht des HV auf Rückzahlung einer geleisteten Einstandszahlung. Das Rückforderungsrecht verjährt gem. § 195 BGB. Es ist fraglich, wie ein Gericht nach Ablauf der Verjährungsfrist entscheidet (§ 199 Abs. 3 BGB?). Möglicher1327

1328 1329 1330

Urt. v. 10.05.1984, DB 1984, 2507 = NJW 1985, 58; Vorinstanz OLG Hamm v. 21.01. 1982, DB 1982, 1167. Urt. v. 08.08.2001 – 7 U 5118/00, HVR Nr. 991. Urt. v. 17.02.1971, BB 1972, 195. LG Koblenz, Urt. v. 08.10. 1990, HVR Nr. 703.

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1331

1332

Urt. v. 20.10.2004 – 7 U 3194/04, BB 2005, 630 = NJW-RR 2005, 1062 mit Anm. Semler BB 2005, 965 und Emde EWiR 2005, 471. Urt. v. 20.10.2004 – 7 U 3194/04 BB 2005, 630 mit Anm. Semler BB 2005, 965 und Emde EWiR 2005, 471.

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§ 89b

weise gibt die tatsächliche, von den klassischen Umgehungsfällen (Aufrechnung des Einstandspreises gegen den Ausgleich) abweichende Zahlung auch ein Indiz für die Werthaltigkeit des Kaufpreises.

D. Keine Wettbewerbsbeschränkung infolge der Ausgleichszahlung Zu diskutieren ist, ob der HV nach Zahlung des Ausgleichs daran gehindert ist, zu 273 dem leistenden Unternehmer in nachvertraglichen Wettbewerb zu treten. Im Versicherungsvertreterrecht wird erörtert, ob sich ein Unterlassungsanspruch aus § 3 UWG i.V.m. Ziffer VII etwa der Grundsätze Sach ergibt. Nach Ziffer VII der Grundsätze „Sach“ wird bei der Befriedigung des Ausgleichsanspruches davon ausgegangen, dass der wirtschaftliche Vorteil des ausgeglichenen Bestandes dem Versicherungsunternehmen verbleibt und vorausgesetzt, dass der HV keine Bemühungen anstellt oder unterstützt, die zu einer Schmälerung des Bestandes führen, für den er einen Ausgleich erhalten hat. Eine ähnliche spezielle Regelung gibt es außerhalb des Versicherungsvertreterrechts nicht. Nach hM regelt Ziffer VII der Grundsätze jedoch kein Wettbewerbsverbot 1333. Dies folge zum einen daraus, dass ein Wettbewerbsverbot für seine Wirksamkeit einer schriftlichen Vereinbarung und der Aushändigung einer vom Unternehmer unterzeichneten, die vereinbarten Bestimmungen aufnehmenden Urkunde an den HV bedürfe (§ 90a). Die Grundsätze hätten allenfalls empfehlenden Charakter, ohne den Versicherungsvertreter unmittelbar zu verpflichten. Auch fehle es an der Zahlung einer Karenzentschädigung. Ein ausgeschiedener Versicherungsvertreter, dem ein Ausgleich gezahlt wurde, unterliegt damit grundsätzlich keinem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot 1334, ebenso wenig jeder andere HV 1335. Mit der Zahlung des Ausgleichs erhält der Unternehmer kein ausschließliches Nutzungsrecht am Kundenstamm 1336. Es bleibt ihm vielmehr unbenommen, für einen konkurrierenden Unternehmer vermittelnd tätig zu werden, und zwar beim Versicherungsvertreter auch im Hinblick auf die Vermittlung von Verträgen mit Versicherungsnehmern, die er für das ausgleichsverpflichtete Unternehmen zuvor geworben hatte 1337. Umstritten ist weiter, ob es dem HV wirksam untersagt werden kann, zugunsten kon- 274 kurrierender Unternehmen Verträge auszuspannen, die ihm vom bisher vertretenden Unternehmen nach den „Grundsätzen“ ausgeglichen wurden. Die Rechtsprechung vertritt hierzu überwiegend die Auffassung, ein solcher Unterlassungsanspruch bestehe in der Regel nicht, es sei denn, der ausgeschiedene Agent verstieße bei seiner nachvertraglichen Tätigkeit gegen § 3 UWG und bediene sich unlauterer Mittel. So hat das OLG Karlsruhe in seinem Urteil vom 20.03.1986 1338 entschieden, dem HV stehe es grundsätzlich frei, in den Kundenkreis des Versicherers einzudringen, sofern er nicht die während seiner Tätigkeit erworbenen Kenntnisse in einer gegen das Gesetz oder die guten Sitten verstoßenen Weise erlangt habe und die Werbung im Kundenkreis nicht durch besondere Umstände als sittlich anstößig gekennzeichnet werde. Eine nachvertragliche, zu Lasten des bisherigen Unternehmens gehende Tätigkeit sei wettbewerbsrechtlich nur dann zu beanstanden, wenn der bisherige Vermittler sich bei dem „Kampf um die Kundschaft“ unlauterer Mittel bediene. Dabei gewinne selbst das planmäßige, also zielbewusste und systematische Abwerben von Kunden erst durch den Einsatz solcher verwerflicher Mittel

1333 1334 1335

Küstner/Thume II, Rn 2099. Küstner/Thume II, Rn 2100. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 19.

1336 1337 1338

Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 19. Küstner/Thume II, Rn 2100. Versicherungsvermittlung 1986, 282.

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1. Buch. Handelsstand

oder durch die Verfolgung zu missbilligender Ziele den Charakter wettbewerbsrechtlicher Sittenwidrigkeit. Auch das OLG Hamm hat in einem Urteil vom 12.01.1989 1339 vertreten, eine Ausgleichszahlung führe nicht zu einer Wettbewerbsbeschränkung. Eine solche widerspräche der gesetzlichen Wertung der §§ 89b und 90a. Nach diesen Normen würden die Ausgleichszahlung sowie die nachvertragliche Wettbewerbsabrede unabhängig voneinander geregelt. Die strengen Anforderungen zur Wettbewerbsabrede des § 90a würden unterlaufen, falls sämtliche Verträge, für die eine Ausgleichszahlung erfolge, automatisch einem Wettbewerbsverbot unterlägen. Es erscheine widersprüchlich, wenn ein HV, der aus eigenem Verschulden seinen Ausgleichsanspruch verliere und deshalb nicht ausgleichsberechtigt sei, keinem Wettbewerbsverbot unterläge, wohl aber derjenige, dem seinerseits zu Unrecht gekündigt worden sei, der sich aber dann unter Hinnahme der Kündigung mit einem Ausgleichsanspruch begnüge. Das ist auch für Sachverhalte außerhalb des Versicherungsvertreterrechts überzeugend. Der BGH judizierte in seinem Urteil vom 28.01.1993 1340, es entspräche den Grundsätzen des Leistungswettbewerbs und widerspreche nicht der Berufsauffassung eines ordentlichen Kaufmanns, wenn ein ausgeschiedener HV in Konkurrenz zu dem früher von ihm vertretenen Unternehmen auch hinsichtlich dessen Kunden trete. Es stehe dem HV nach Beendigung des HV-Verhältnisses frei, dem Unternehmer, für den er bis dahin tätig gewesen sei, auch in dem Bereich Konkurrenz zu machen, in dem er ihn vorher vertreten habe. Der HV, dem nicht auch ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot auferlegt worden ist, bleibt deshalb berechtigt, nach Vertragsende Kunden des bisherigen Geschäftsherren zu bewerben 1341. Die Gegenauffassung zu Ziffer VII der Grundsätze wird vom OLG Köln vertreten. In seinem Urteil vom 03.04.1981 1342 hat es einem HV im Wege der einstweiligen Verfügung aufgegeben, es zu unterlassen, Versicherungsnehmer, die er früher wegen bestehender Versicherungsverträge zu betreuen gehabt hatte, unmittelbar oder mittelbar zu veranlassen, die bei dem Versicherungsunternehmen bestehenden Versicherungsverträge aufzukündigen und neue Verträge bei einem anderen Versicherungsunternehmen abzuschließen. Sähe man dies anders, würde Ziffer VII leer laufen. Es stelle für die Versicherung einen erheblichen Vorteil dar, dass sich Versicherungsverhältnisse mehr oder weniger automatisch verlängern, sofern sie nicht rechtzeitig gekündigt werden. Es werde auf ein gewisses Behaarungsvermögen spekuliert. Deshalb würden Verträge so gestaltet, weil sie auf diese Art praktisch zu Dauerverträgen werden. Dass dies für die Versicherung eine wesentliche Rolle spiele, ergebe sich aus den Bestimmungen über den Ausgleichswert, der der Berechnung des Ausgleichsanspruchs eines ausscheidenden Versicherungsvertreter nach den Grundsätzen zugrundegelegt werde. Dort würden unter Ziffer 1b. bb Provisionen für Versicherungsverträge mit nur einjähriger Laufzeit in der Regel nicht berücksichtigt, falls sie ohne Verlängerungsklausel abgeschlossen seien. Es werde schon daraus klar, dass die Tatsache der Verlängerungsklausel einen entscheidenden Wert für die Versicherung darstelle, der auch deshalb bei der Bemessung des Ausgleichsanspruchs berücksichtigt werde. Damit sei es dem HV nicht schlechthin untersagt, mit Kunden des Unternehmers in Verbindung zu treten. Er dürfe ihnen z.B. andere Versicherungsverträge als die bestehenden und sich automatisch verlängernden anbieten. Die herrschende Meinung wird durch folgende Erwägungen unterstützt: Gemäß § 89b Abs. 4 ist der Ausgleichsanspruch zwingend und dessen Voraussetzungen in § 89b abschließend bestimmt. Eine Regelung wie Ziffer VII der Grundsätze, die den Ausgleich unter den Vorbehalt fehlender

1339 1340 1341

BB 1989, 1221. NJW 1993, 1786 (1787). OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.03.2003 –

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16 U 139/02, OLGR Düsseldorf 2003, 252. VW 1981, 1067.

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Wettbewerbstätigkeit stellt, wäre eine Beschränkung des Ausgleichs. Sie verstößt daher wohl gegen § 89b Abs. 4. Dies dürfte auch der Judikatur des BGH 1343 entsprechen, der in seinen Urteilen zur Anrechnung der Altersversorgung auf den Ausgleichsanspruch in Klauseln, die eine ausnahmslose Anrechnung der Altersversorgung auf den Ausgleichsanspruch postulierten, eine solche Einschränkung sah (Rn 168). Selbst wenn man daher die Ausgleichsberechnung nach den Grundsätzen für zulässig hält, weil sie als eine nach § 287 ZPO vorgenommene antizipierte Schätzung von Sachkennern darstellen 1344, dürfte die Beschränkung der Ziffer VII – die außerhalb der Ausgleichsberechung im eigentlichen Sinne steht – unwirksam sein.

E. Ausgleichsberechnung Ausgleichsprozesse sind aufwendig und die Ausgleichsberechnung schwierig 1345. 275 Angesichts der Vielzahl strittiger Einzelpositionen, denen umfangreiche Beweiserhebungen folgen und der solchen Verfahren eigenen materiell-rechtlichen wie prozessualen Fallstricke 1346 sind sie forensisch unbeliebt. Da gerade von Unternehmern alles streitig gestellt wird, was streitig gestellt werden kann, werden Vertriebsmittlerstreitigkeiten zu Punktesachen. Dieses Problem ist teilweise durch die Rechtsprechung verursacht worden. Sie sollte sich mehr auf Vermutungen und Schätzungen stützen, wie es etwa bei der Anwendung der Abwanderungsquote (meist jährlich 20 % oder gestaffelt nach Jahren zu unterschiedlichen Sätzen) oder der Abzinsung (Methoden Gillardon 1347, Hoffmann 1348; reziproke Zinses-Zins-Formel 1349) seit Jahrzehnten ohne Beanstandung geschieht. Das gilt insbesondere für den Anteil verwaltender oder HV-untypischer Vergütungsanteile. Die Verfahren könnten dann durchentschieden werden. Bislang gilt: Nur bei sorgfältiger Buchführung 1350 oder unter Nutzung der zur Vorbereitung einer Ausgleichsklage nach einer starken Meinungsgruppe 1351 nicht gegebenen Informationsrechte aus § 87c 1352 kann der HV alle Informationen zur Begründung seines Ausgleichsanspruch zusammenstellen. Der materiell-rechtliche Schutzgedanke des § 89b hat sein verfahrensrechtliches Pendant bisher nicht gefunden 1353. Wohl keine andere Nation führt ihre Ausgleichsstreitigkeiten mit einem derartigen, mathematische Scheingenauigkeit vorspiegelnden Umstand. Vordringlichste Aufgabe des Ausgleichsrechts ist die Entwicklung einer §§ 89b, 1343

1344 1345 1346 1347

1348

Urt. v. 20.11.2002 – VIII ZR 211/01 (OLG Köln), DB 2003, 144 = MDR 2003, 277 = WM 2003, 691 = EWiR 2003, 231 (Emde) = VersR 2003, 368; Urt. v. 20.11.2002 – VIII ZR 146/01, ZIP 2003, 264 = MDR 2003, 278 = WM 2003, 687 = EWiR 2003, 229 (Küstner) = VersR 2003, 323; zusammenf. Graf v. Westphalen NJW 2003, 1988 f. Vgl. OLG Düsseldorf VersR 1979, 831; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 154. BGH, Urt. v. 19.11.1970 – VII ZR 47/69, NJW 1971, 461 (463). Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 5. BGH, Urt. v. 06.08.1997 – VIII ZR 92/95, WM 1998, 25; VIII ZR 150/96, WM 1998, 31. BGH, Urt. v. 10.10.1991 – III ZR 308/89,

1349 1350 1351

1352

1353

BGHZ 115, 307; v. 08.07.1998 – VIII ZR 142/97. BGH, Urt. v. 08.10.1990 – I ZR 269/88, WM 1991, 602. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 5. OLG Celle, Beschl. v. 20.04.2004, r+s 2004, 349 (350); aA OLG Hamburg, Urt. v. 19.06.1991 – 5 U 12/90; unveröffentlicht; OLG Hamm OLGR 1996, 54; Ebenroth/ Löwisch § 87c Rn 4; einschränkend Rn 10: nur ergänzender Auskunftsanspruch gem. § 87c Abs. 3 HGB. Schon deshalb zu Unrecht, weil sich die Bemessungsgrundlage und Ausgleichshöchstgrenze durch verheimlichte Provisionen erhöhen. Siehe bereits Emde RIW 2003, 505 (506).

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287 ZPO ausfüllenden Formel, die eine Deduktion der Ausgleichshöhe aus meist unstrittigen Daten zulässt und es Gerichten erlaubt, Ausgleichsstreitigkeiten mit Vermutungen und Beweislastverteilungen ohne vermeidbare Beweiserhebungen zu entscheiden 1354. Ausgleichsurteile fordern keine mathematische Präzision 1355; gerechte Entscheidungen entziehen sich einer Zahlenspielerei. Das Rechtsstaatsgebot ruft nach unkom- plizierter Durchsetzung des Anspruchs sowie der Vorhersehbarkeit des Ergebnisses. Die zum BMW-Vertrieb entwickelte Münchner Formel des LG München I 1356 oder die Grundsätze in der Versicherungswirtschaft weisen den richtigen Weg 1357, zumindest als Schätzgrundlagen anerkannter Sachkenner nach § 287 ZPO 1358. Ohne derartige „Schablonen“ zur Ausgleichsberechnung wäre die Praxis in Teilbereichen des Vertriebsrechts überfordert: So ist es im Versicherungsvertreterrecht kaum gelungen, außerhalb der „Grundsätze“ 1359 prozesssichere Ausgleichsberechnungen zu etablieren. Klagen, die den Ausgleich von Versicherungsvertretern jenseits der Grundsätze darstellen, sind meist unschlüssig 1360. Die HV-Richtlinie 1986 steht dem nicht entgegen. Sie schreibt keinen präzisen Berechnungsweg vor. Die nachfolgende Erläuterung beruht auf praktischen Erfahrungen und berücksichtigt, dass der auf Ausgleich beklagte Unternehmer meist besser als der HV über die Kundenbeziehungen informiert ist. Wie von § 87c vorausgesetzt besitzt er als Vertragsschließender die Informationshoheit. Er darf daher nicht durch leicht hingeworfenes Bestreiten eine Ausgleichsklage zu Fall bringen.

I. Verteilung der Darlegungs- und Beweislast 276

Grundsätzlich ist der Mittler für alle anspruchsbegründenden Umstände darlegungswie beweispflichtig 1361. Hierbei kommen ihm allerdings gewichtige Beweiserleichterungen zugute. Sie tragen der Beweisnot Rechnung, in die er sonst fast stets geraten müsste. Ferner steht dem Gericht nach § 287 ZPO ein weiter Ermessensspielraum bei der Schätzung der Ausgleichshöhe zu 1362, welchen es orientiert an den Anspruchsvoraussetzungen des § 89b auszuüben hat. Ausgleichsstreite dürfen auf der Basis von Generalisierungen, etwa Statistiken 1363, entschieden werden. Schwer verständlich ist hingegen, warum etwa über den Anteil HV-untypischer Vergütungsbestandteile im Vertragshändlerrecht kos1354 1355 1356

1357

1358 1359 1360 1361

Emde BB Heft 34/2004, S. IX. Thume BB-aktuell 3/2005, S. IV. Beschl. des LG München I v. 03.08.1998 – 15 KKO 23905/97; vgl. die ausführliche Wiedergabe bei Emde VersR 1999, 1474; Kainz/Lieber/Puszkajler BB 1999, 434; Niebling Vertragshändlerrecht, 1999, S. 153 ff; mitgeteilt auch von Kümmel DB 1998, 2407; s. auch MDR 1998, 1489. Kritisch jedoch Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 129 (Auch er sieht in ihr jedoch einen „Anhaltspunkt“); OLG München v. 16.01. 2002 – 7 U 4312/00; wiedergegeben bei Emde VersR 2004, 1499 (1516). Küstner VersR 2002, 513 (514). Kommentierung der Grundsätze bei Küstner/Thume II, Kapitel XVIII. Küstner BB-aktuell 3/2005, S. IV. BGH, Urt. v. 19.11.1970 – VII ZR 47/69,

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BGHZ 55, 45; Urt. v. 28.04.1988, NJW-RR 1988, 1061; Eberstein8 S. 125; Hübsch/Hübsch WM Sonderbeilage Nr. 1/2005, S. 14; Schultze/Wauschkuhn/ Spenner/Dau, Rn 1018; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 1344; Glanegger/Ruß HGB, § 89b Rn 33; Koller/ Roth § 89b Rn 3; Röhricht/Graf v. Westphalen/ Küstner, § 89b Rn 109; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 226; Küstner/ Thume II, Rn 1754. BGH v. 15.10.1964; BGHZ 42, 244; Thume BB 1999, 2309 ff; Emde VersR 2001, 148 (163f); Hopt § 89b Rn 22; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 90; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 20b. Hopt § 89b Rn 22.

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tenintensive Gutachten gefertigt werden müssen 1364, während andererseits Fluktuationsquote oder Abzinsung gem. § 287 ZPO geschätzt werden dürfen. Die vollständige Aufklärung aller für die Ausgleichsberechnung maßgeblichen Umstände durch Beweiserhebung dürfte mit Schwierigkeiten verbunden sein, die in keinem Verhältnis zur Bedeutung der jeweils streitigen Einzelpositionen stehen1365. Das Ausgleichstreite unter Anwendung von Formeln entschieden werden dürfen hat Puszkajler, seinerzeit Vorsitzender Richter einer Kammer für Handelssachen des LG München I, in Verteidigung der Münchner Formel zum Vertragshändlerrecht zutreffend bemerkt 1366: Anhand des Gesetzes könne der Ausgleich als Prognoseentscheidung für die Zukunft nicht exakt bestimmt werden. Die von der Rechtsprechung anerkannte Praxis beruhe auf Konventionen, mit denen man dem Anliegen der gesetzlichen Regelung zu genügen versuche. Es gehe eher um eine informierte Schätzung 1367 als um eine mathematisch fehlerlose Berechnung. Der Vorteil der Pauschalierung liege in der Vorhersehbarkeit. Weder die Feststellung, Ausgangspunkt der Ausgleichsberechnung seien die Vergütungen des letzten Vertragsjahres noch zahlreiche weitere von der Rechtsprechung herausgebildete und heute scheinbar selbstverständliche Prüfungspunkte ergäben sich aus dem Gesetz. Nach hA muss der Richter greifbare Anhaltspunkte für eine an den TB-Merkmalen 277 der Norm angelehnte Schätzung kennen. Allein aufgrund von Billigkeitserwägungen darf er keinen Ausgleich zusprechen. Dass hierbei gleichwohl kein zu strenger Maßstab anzulegen ist, hat der BGH in einem zu wenig beachteten Judiz 1368 zum Vertragshändlerrecht – es gilt entsprechend für Ausgleichsprozesse der HV – klargestellt: Auch wenn der Sachverhalt nicht in vollem Umfang erschöpft sei, bleibe zu prüfen, inwieweit er hinreichende Grundlage für die Schätzung eines in jedem Fall zu leistenden Mindestausgleichs biete. Eine Klage dürfe nicht abgewiesen werden, solange genügend Anhaltspunkte für eine solche Bewertung nach § 287 ZPO existierten. Jene seien der unstrittige Bruttoeinkaufsumsatz, die Rabatte sowie der Stammkundenanteil, welcher Rückschlüsse auf den Stammkundenumsatzanteil zulasse. Anlass zu einer Schätzung besteht insbesondere, falls der Unternehmer seine Informationsrechte nach § 87c nicht erfüllt, etwa Abrechnungen verweigert 1369. Der HV darf sich auf Anscheinsbeweise und Vermutungen stützen 1370, die seine Darlegungs- und Beweislast erleichtern: Ohne solche Beweiserleichterungen würde er in Beweisnot geraten. Datenschutzrechtliche Gründe gegen die Weitergabe der von ihm zur Ausgleichsbegründung mitzuteilenden Daten an den Unternehmer bestehen nicht 1371, ebenso wenig existiert ein Verbot gerichtlicher Verwertung der Daten im Ausgleichsprozess. Die Darlegungs- und Beweislastverteilung wird gewöhnlich wie folgt gesehen. „HV“ 278 bedeutet „Beweislast beim HV“, „Unternehmer“ „Beweislast beim Unternehmer“: 1364

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In die falsche Richtung weist daher BGH, Urt. v. 22.02.2006 – VIII ZR 173/04, NJW-RR 2006, 1328 = WM 2006, 759 = WRP 2006, 759. AA Intveen BB 1999, 1881 (1885); Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rn 928. Siehe etwa Puszkajler BB-aktuell 37/2000, S. IV. Gegen eine zu großzügige Handhabung des § 287 ZPO Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 5. BGH, Urt. v. 12.01.2000 – VIII ZR 19/99, DB 2000, 967 = WM 2000, 877; zustimmend Hübsch/Hübsch WM Sonderbeilage

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Nr. 1/2005, S. 14. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 165 meint, sollte das Urt. dahin zu verstehen sein, dass es die Darlegungslast des Anspruchstellers für die seinen Anspruch rechtfertigenden, in der Vergangenheit liegenden Tatsachen erleichtern und § 287 ZPO über die reine Prognose Anwendung finden solle, sei dem BGH nicht zuzustimmen. OLG Düsseldorf OLGR 1993, 197; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 171. Küstner/Thume II, Rn 1754. So aber Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 8.

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– Abwanderung des Kundenstammes: Unternehmer (siehe „Vorteile des Unternehmers“ sowie „Provisionsverluste“). Auf den Abzug einer Abwanderungsquote kann verzichtet werden, wenn der Mittler beweist, dass der Umsatz mit Stammkunden über einen längeren Zeitraum (3–5 Jahre) einen gleich hohen Anteil am Gesamtumsatz erzielte 1372. – Analogievoraussetzungen bei HV-ähnlichen Mittlern: Vertriebsmittler1373. – Änderung der Bestimmungen des HV-Vertrages während des Prognosezeitraums: Unternehmer 1374. – Änderung der Unternehmergewinne/Provisionsverluste während des Prognosezeitraums im Vergleich zur Zeit vor Vertragsende: derjenige, der sich auf eine Berücksichtigung der nach Vertragsende eingetretenen Entwicklung beruft, regelmäßig der Unternehmer 1375. Er muss beweisen, dass sie bereits bei Vertragsende abzusehen war 1376, weil in die Prognose einzubeziehende Umstände bei Vertragsende vorhersehbar gewesen sein müssen (Anlagerechtsprechung, Rn 95) 1377. – Ausgleichserhaltende Kündigung des HV wegen Alters und Krankheit: HV 1378. – Ausgleichshöchstgrenze, Erreichen: Unternehmer 1379. Nicht statthaft ist es, einfach die Höchstgrenze des § 89b Abs. 2 als Ausgleich zu fordern 1380. Sie bildet eine Begrenzung und nicht den Regelausgleich. Anderes gilt im Vertragshändlerrecht. Hier muss der Händler subtantiiert zur Ausgleichshöchstgrenze vortragen. Denn der Unternehmer kann sie nicht kennen. – Ausgleichsrelevante Provisionen während des Bemessungszeitraums (bei typischem Verlauf die letzten zwölf Monate vor Vertragsende): HV 1381. Eine Beweiserleichterung soll nicht eingreifen 1382. – Begründeter Anlass zur ausgleichserhaltenden Kündigung durch den HV i.S.d § 89b Abs. 3 Nr. 1: HV 1383. – Betriebsveräußerung: Hat der Unternehmer seinen Betrieb stillgelegt, veräußert oder verpachtet, ist es seine Sache, darzutun, aus welchen (betriebsbedingten) Gründen das geschehen ist – der HV wäre damit überfordert –, ggf., dass er für die Stilllegung keine Stillegungsprämie erhalten hat, und im Falle der Betriebsveräußerung oder

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BGH, Urt. v. 26.02.1997 (Renault), BB 1997, 852 (853); hierzu Intveen BB 1999, 1881 (1885); Creutzig DAR 1999, 16; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rn 918 f. Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rn 1018. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 37. BGH, Urt. v. 06.02.1986 – I ZR 92/84, WM 1986, 622; BGH NJW-RR 1991, 156 (157); Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 37, 173. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 173. BGH, Urt. v. 06.08.1997, NJW 1998, 71; ebenso OLG Düsseldorf OLGR 2000, 406 (410). Schröder DB 1976, 1269 (1271); Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 48, 56. OLG Frankfurt HVR Nr. 954; Glanegger/ Ruß HGB, § 89b Rn 33; Hopt § 89b

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Rn 51; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 89b Rn 147; aA (Beweislast beim HV) Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 172: Der HV wird jedoch keinen Anlass haben, einen ausgleichsmindernden Umstand auch nur darzulegen. BGH, Urt. v. 11.12.1996, NJW 1997, 655; OLG Saarbrücken v. 04.12.1996 – 1 U 343/96, BB 1997, 1603 m. Anm. Thume; Küstner/Thume II, Rn 1058; Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 102; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 89b Rn 109. BGH NJW 1971, 463; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 1344; Martinek/Schwab § 17 Rn 25; Glanegger/Ruß HGB, § 89b Rn 33. BGH NJW 1971, 462; Glanegger/Ruß HGB, § 89b Rn 33. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 48, 172; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 26.

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Betriebsverpachtung, welche Gegenleistung bzw. Pachterlöse ihm hierfür zugeflossen sind oder noch zufließen. Billigkeit: Hier trägt derjenige die Beweislast, der sich auf Billigkeitsmomente stützen will 1384, für ausgleichsmindernde Umstände also der Unternehmer 1385. Die Billigkeit ist bei Vorliegen der Tatbestände des Abs. 1 S. 1 Nr. 1 u. 2 indiziert, die Deckungsgleichheit der geringeren von beiden Ausgangspositionen mit den Anforderungen der Billigkeit mithin vermutet 1386. Billigkeitsmomente, die diesen niedrigeren Wert anderweit herabzusetzen geeignet sind, hat der Unternehmer darzutun, wogegen dem HV der Beweis von Billigkeitsumständen obliegt, die im Wege der „Saldierung“ die absenkende Wirkung der vom Unternehmer vorgebrachten Momente abzufangen vermögen. Erweiterung von Altkundenbeziehungen: HV 1387. Die Erweiterung kann nur unter konkretem Vortrag zu ihrem Umfang bei jedem einzelnen Kunden bewiesen werden 1388. Solange der Unternehmer die Zahlen des HV nicht bestreitet, genügt letztgenannter seiner Darlegungslast, falls er – nicht anders als bei den Neukundenumsätzen – ohne Aufgliederung nach einzelnen Kunden pauschal die erzielten Provisionen mit allen erweiterten Altkunden vorträgt. Freiwilligkeit von Leistungen: Es besteht zugunsten des HV die Vermutung, der Unternehmer habe erbrachte Leistungen in Ausführung einer vertraglichen Verpflichtung erbracht und jene seien daher ausgleichsrelevant. Sonst wäre eine Auslagerung von Vergütungsbestandteilen in „freiwillige“ Leistungen die Folge. Geltendmachungsfrist des § 89b Abs. 4 S. 2, Einhaltung: HV 1389. Herstellung geschäftlicher Beziehungen zwischen Kunden und Unternehmer – Neukundenwerbung: HV 1390. Zu unterscheiden ist erstens die Neukundeneigenschaft und zweitens die Werbung des Neukunden durch den HV. Die Stellungnahmen in der Literatur beziehen sich überwiegend auf den zweiten Punkt. Die Neukundeneigenschaft wird sich meist aus Abrechnung oder Buchauszug nachweisen lassen. Ein das Produkt erstmalig bewerbender HV kann sich auf die Vermutung stützen, als „Mann der ersten Stunde“ sei der gesamte bei Vertragsende vorhandene Kundenstamm „neugeworben“ 1391. Das soll auch gelten, sofern der Mittler jahrelang tätig war1392. Löwisch relativiert diese Beweiserleichterung zu sehr, wenn er ausführt, der HV

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Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 171; Glanegger/Ruß HGB, § 89b Rn 33; Hopt § 89b Rn 44. BGHZ 45, 385 (387); 73, 99 (105); BGH ZIP 1990, 1197; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 171; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 20b. BGH NJW 1990, 2891; Urt. v. 23.02.1967 – VII ZR 269/64; BGH DB 1977, 721; Küstner/Thume II, Rn 1776; Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 171; Glanegger/Ruß HGB, § 89b Rn 33; Hopt § 89b Rn 44. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 1344; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 169; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner, § 89b Rn 109. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 169. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 172. OLG Koblenz, Urt. v. 22.03.2007 – 6 U 1313/06, NJW-RR 2007, 1044 (1045);

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Eberstein8 S. 125; Küstner/Thume II, Rn 1754; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 168; Glanegger/Ruß HGB, § 89b Rn 33; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 63; Röhricht/Graf v. Westphalen/ Küstner § 89b Rn 109. BGH, Urt. v. 12.01.2000 – VIII ZR 19/99, EBE 2000, 85 (86) = ZIP 2000, 540; OLG Düsseldorf v. 06.06.1986, HVR-Nr. 641, Nr. 504; OLG Köln HVR-Nr. 979; OLG Celle, Urt. v. 19.04.2007 – 11 U 279/06, BB 2007, 1862 (1864) (zu einem Franchisevertrag); Westphal Vertriebsrecht I, Rn 1346; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 169; Hopt § 89b Rn 22. OLG Düsseldorf, Urt. v. 08.02.1977, HVR Nr. 504; kritisch Schultze/Wauschkuhn/ Spenner/Dau, Rn 1022.

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müsse dann die Kundenwerbung nachweisen, lediglich nicht die Neukundeneigenschaft 1393. Denn die Kundenwerbung ist noch schwerer zu belegen als die bloße Neukundeneigenschaft (letztere ergibt sich u.U. aus Abrechnung oder Buchauszug). Der Vortrag muss zur Art und Weise der Werbung ausführen 1394. Nach Ansicht von Eberstein 1395 spricht für die Neukundenwerbung die Lebenserfahrung, nach Ansicht der 4. Aufl.1396 besteht die Vermutung, der gesamte Neukundenzuwachs sei der Werbetätigkeit des HV zu verdanken, sofern der Unternehmer mit ihr „zufrieden“ war – wobei die Zufriedenheit als innere Tatsache allerdings kaum einem Beweis zugänglich bleibt. Von einer derartigen Zufriedenheit müsste ein Gericht wohl mangels entgegenstehender subtantiierter Bekundungen des Unternehmers während der Vertragslaufzeit ausgehen. Klarer ist Schwab 1397: Zu Gunsten des HV werde die Neukundenwerbung vermutet, wenn die Aufnahme der Geschäftsbeziehung während der Dauer des HV-Vertrages erfolgte. Dem ist zuzustimmen. Ein Zirkelschluss ist hingegen die Vermutung von Hoyningen-Huenes 1398: Es gelte der Beweis des ersten Anscheins, die seit Beginn der HV-Tätigkeit geworbenen Kunden seien Neukunden (was sonst?). Die Vermutung greift nicht ein, wenn der Erst-HV das später von ihm repräsentierte Unternehmen einschließlich Kundenstamm an den Unternehmer zu einem Kaufpreis veräußert hat, der einen Anteil für die Übertragung des Kundenstammes enthielt. In einem solchen Fall trifft ihn die volle Darlegungs- und Beweislast für die Aquise eines jeden von ihm nach Übertragung des Unternehmens als HV angeblich geworbenen Neukunden 1399. Im anonymen Massengeschäft kann die Akquisition von Kunden durch Vorlage nachvollziehbaren Zahlenmaterials/Statistiken ohne Nennung der Kundendaten bewiesen werden 1400, sofern sie sich anders nicht belegen lässt. Paradigma sind die Tankstellen-HV. Umstritten ist, ob der HV die geworbenen Kunden schon bei Klagerhebung namentlich bezeichnen muss 1401 oder – etwa im Vertragshändlerbereich – jedes Geschäft und einen Erstkauf durch Belege (etwa Rechnungen) nachweisen muss 1402: Das dürfte nur bei Bestreiten des Unternehmers und angesichts der im HV-Vertrieb bestehenden Kenntnis des Unternehmers von den Kundennamen (die z.T. auch im Analogiebereich existiert) allenfalls im Vertragshändler – und Franchisegeschäft erforderlich sein. Der HV genügt also seiner Darlegungslast, wenn er die Summe der ausgleichsrelevanten Provisionen vorträgt oder behauptet, sämtliche Provisionen seien ausgleichsrelevant 1403. Bleibt der Vortrag des Mittlers unbestritten, die nicht nach Kunden separierten Vergütungen seien mit neugeworbenen Stammkunden oder erweiterten Altkunden erzielt, ist kein detaillierterer Vortrag notwendig 1404.

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Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 169. OLG Koblenz, Urt. v. 22.03.2007 – 6 U 1313/06, NJW-RR 2007, 1044 (1045). Eberstein8, S. 125. 4. Aufl., § 89b Rn 118 mit weiteren Nachweisen. In: Martinek § 17 Rn 28. MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 63. OLG Köln, Urt. v. 04.11.2002 – 19 U 77/02, NJW-RR 2003, 538 (539/540). Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 170; Hopt § 89b Rn 22. Dafür: BGH, Urt. v. 15.10.1964, BB 1964,

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1399; OLG Celle v. 29.03.1963, BB 1963, 711; LG Hamburg v. 04.11.1955, HVRNr. 190; Küstner/Thume II, Rn 1756; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 1344. Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rn 1019; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 168; Hollmann BB 1985, 1023 (1032). Niebling WRP 2005, 717 (720) hält dies für den Vertragshändlerbereich wohl für erforderlich, jedoch – zu Recht – für außerordentlich lästig. Martinek/Schwab § 17 Rn 26; ablehnend Westphal Vertriebsrecht I, Rn 1345. Martinek/Schwab § 17 Rn 26.

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Nach Bestreiten hat der HV zumindest eine Aufgliederung nach Kunden vorzunehmen, wobei sich die Subtantiierungslast auch an der Informationsdichte der vom Unternehmer geleisteten Abrechnungen und Informationen orientieren dürfte 1405. In diese Richtung entschied auch der BGH: Trage der Mittler vor, namentlich benannte Kunden seien von ihm geworben, ist der Gegenvortrag des Unternehmers nicht erheblich, „einige“ Kunden hätten auch bei anderen Mittlern gekauft. Der Repräsentant brauche nicht nachzuweisen, dass alle von ihm angeführte Kunden erstmals bei ihm und nicht bei konkurrierenden Mittlern kauften. Dies sei Aufgabe des Prinzipals, dem jener Nachweis weniger Probleme bereite 1406. Der Gegenbeweis des Unternehmers, die Geschäftsverbindungen wären auch ohne die Tätigkeit des HV entstanden, ist irrelevant 1407. HV-untypische Vergütungsbestandteile im Vertragshändlervertrag: Hier gilt das zum werbendem Anteil Gesagte entsprechend. Die Unternehmer bestreiten häufig diesen Anteil. Da sie – insbesondere im Kfz-Vertragshändlerrecht – jedoch die Definitionshoheit besitzen, sind sie für die Höhe des Vergütungsanteils HV-untypischer Vergütungsbestandteile beweispflichtig 1408. Wären die Anteile ausgewiesen, unterläge dies einer AGB-Kontrolle. Dem können Unternehmer nicht entgehen, indem sie auf eine Separierung verzichten. Es gilt das unten zur Beweislast bei werbender Provision Gesagte entsprechend. Kundennamen: HV 1409. Kündigung des HV-Vertrages: HV 1410. Mehrfachkundeneigenschaft – Folgegeschäfte: HV 1411. Sofern der Unternehmer nicht bestreitet genügt der HV seiner Begründungslast, indem er lediglich die Gesamtumsätze aller ausgleichspflichtigen Mehrfachkunden ohne Separierung nach einzelnen Kunden darlegt 1412. Zu fordern, schon bei Klagerhebung ein Folgegeschäft für jeden einzelnen Kunden vorzutragen 1413, geht zu weit und entspricht nicht der forensischen Praxis. War und ist es dem HV ohne Verschulden unmöglich, die Stammkundeneigenschaft nachzuweisen, weil allein der Unternehmer die maßgeblichen Informationen besitzt, so wendet sich die Beweislast. Dies hat etwa das OLG Düsseldorf 1414 angenommen, wenn der HV in wechselnden Bezirken eingesetzt war und deshalb nicht wissen konnte, ob die von ihm geworbenen Kunden nach seiner Umsetzung weitere Bestellungen aufgaben. Bei mindestens einem Folgegeschäft der Vergangenheit besteht eine Vermutung für den Abschluss weiterer Geschäfte und damit für die Mehrfachkundeneigenschaft. Provisionsverluste: Grundsätzlich ist der HV beweispflichtig 1415. Es entspricht jedoch dem Regelfall, dass eine Vertragsbeendigung zu Provisionsverlusten führt. Deshalb streitet eine Vermutung für Einbußen in Höhe der Provisionseinnahmen der letzten

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Wäre man anderer Ansicht sollte man jedenfalls bei der Zubilligung der Auskunftsrechte des HV in Ausgleichstreitigkeiten großzügig sein. BGH DB 2000, 967. Küstner/Thume II, Rn 1761. BGH, Urt. v. 05.06.1996 – VIII ZR 141/95, NJW 1996, 2298 (2300); Schultze/ Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rn 1023. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 1344. Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 32b. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 1344; Eben-

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roth/Löwisch § 89b Rn 169; Hopt § 89b Rn 22. BGH, Urt. v. 12.01.2000 – VIII ZR 19/99, EBE 2000, 85 (86) = ZIP 2000, 540; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 169. Dafür Westphal Vertriebsrecht I, Rn 1344. Urt. v. 30.04.1993 – 16 U 30/92; zust. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 169. BGH, Urt. v. 28.04.1988, NJW-RR 1988, 1061; Eberstein8, S. 125; Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 170; Hopt § 89b Rn 30.

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zwölf Monate vor Vertragsende 1416. Die nötigen Anhaltspunkte für eine Analyse des Schwundes von Kunden durch Abwanderung sind vom Unternehmer beizubringen 1417. Möglicherweise muss im Vertragshändler- und Franchiserecht der Mittler Anhaltspunkte zur Abwanderung vortragen, soweit der Unternehmer diese Zahlen nicht kennt. Denn die nachvertraglichen Verhältnisse, zu welchen der Unternehmer vortragen könnte, sind für die bei Vertragsende aufzustellende Prognose irrelevant. Nach der HV-Richtlinie (Art. 17 Abs. 2 lit. a) bilden Provisionsverluste einen Unterfall der Billigkeit. Möglicherweise gelten deshalb die Beweisgrundsätze der Billigkeit. Ursächlichkeit der Werbung des HV für eine Umsatzsteigerung der Altkunden: HV. Sie wird vermutet, falls der Unternehmer nicht andere Ursachen subtantiiert darlegt 1418, wobei diese Beweiserleichterung vielleicht aber nicht für Bezirksvertreter mit Direktgeschäften des Unternehmers gelten dürfte. Verjährung: Verjährungseintritt: Unternehmer. Der HV hätte eine rechtserhebliche Unterbrechung der Verjährung zu beweisen. Verkaufsfördernder, also werbender, Charakter von Boni und Gratifikationen: Der Unternehmer besitzt die Definitionshoheit und muss den nicht werbenden Charakter beweisen. Es gilt das zur Abgrenzung zwischen werbenden und verwaltenden Provisionsbestandteilen Ausgeführte entsprechend. Die dort angesprochene Beweisfrage setzt sich hier unter anderem Titel fort. Vertragliche Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes: Der HV-ähnliche Mittler muss die vertragliche Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes darlegen und beweisen. Bei der Nichtübermittlung der Kundendaten trotz dieser Verpflichtung handelt es sich um ein Gegenrecht (ZBR, Billigkeitseinwand), für das grundsätzlich der Unternehmer beweispflichtig ist. Der Mittler muss zwar nach den Grundsätzen zur sekundären Darlegungslast zur Art und Weise der Übermittlung hinreichend präzise vortragen. Nach subtanziertem Vortrag des Mittlers obliegt aber dem Unternehmer der Beweis der fehlenden Übermittlung. Gegenteiliges ließe sich nur annehmen, wenn man den Mittler auch für die Erfüllung (§§ 362, 363 BGB) für beweispflichtig halten wollte. Vertragswidriges und unter Billigkeitsgesichtspunkten ausgleichsmindernd zu berücksichtigendes bzw. zur ausgleichsvernichtenden außerordentlichen Kündigung des Unternehmers berechtigendes Verhalten des HV während des Prognosezeitraums: Unternehmer 1419. Verwirkung: Der Unternehmer hätte die Voraussetzungen einer Verwirkung aus sonstigem Grunde zu beweisen. Voraussichtliche Beendigung des HV-Vertrages während des Prognosezeitraumes: Unternehmer 1420: Es handelt sich um einen Fall alternativer Kausalität. An den Beweis des Unternehmers sind höchste Anforderungen zu stellen. Vorteile des Unternehmers/Fortbestehen der vermittelten Geschäftsbeziehung nach Vertragsende: Grundsätzlich liegt die Beweislast beim HV 1421. Jedoch besteht die VerOLG Köln VersR 1986, 966; Glanegger/ Ruß HGB, § 89b Rn 33. Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 15; Urt. des OLG Koblenz v. 05.04.1957 – 2 U 351/56 –, zitiert bei Koch DB 1957, 423. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 81. Nach Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 36 unwiderlegbare Vermutung.

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Hopt § 89b Rn 22; nach Ansicht von Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 36 wird der Fortbestand des HV-Vertrages während des Prognosezeitraums unwiderlegbar vermutet. Eberstein8, S. 125; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 170; Hopt § 89b Rn 22; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 20b.

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mutung, dass die einmal begründete Geschäftsverbindung mit dem Kunden auch über die Zeit nach Beendigung des Vertragsverhältnisses Bestand haben werde 1422. Der Unternehmer hat die gegen ihn sprechende tatsächliche Vermutung der Fortdauer der Vorteile aus dem übernommenen Kundenstamm zu erschüttern. Er muss deshalb detailliert darlegen, welche Kunden weshalb nicht mehr beliefert werden 1423. Zu denken ist etwa an eine Einstellung des Geschäftsbetriebs des Kunden oder des Unternehmers 1424, Abwerbung 1425 etc. Freilich muss der HV zunächst substantiiert darlegen, dass und welche neuen Geschäftsverbindungen (oder nachhaltige Intensivierung der Geschäftsbeziehung zu einem Altkunden) er durch seine Werbetätigkeit geschaffen hat; dadurch genügt er seiner Darlegungslast. Es obliegt dem Unternehmer jene Vermutung zu entkräften. Deshalb soll auch ein Auskunftsrecht des HV zur nachvertraglichen Entwicklung des Kundenstammes fehlen1426. Ferner wird angenommen, die Unternehmervorteile valutierten mangels greifbarer, entgegenstehender Anhaltspunkte 1427 zumindest in Höhe der Provisionsverluste des HV 1428. Denn der Unternehmer wird durch die Vertragsbeendigung von der Pflicht zur Provisionszahlung befreit. Die an den HV-Nachfolger gezahlten Provisionen sind nicht gegenzurechnen, da sie im Rahmen der Prognose, welche Provisionen bei Fortführung des Vertrages zu leisten wären, unberücksichtigt bleiben. – Werbende Provision: Wenn ungeregelt bleibt, in welchem Umfang Provisionen auf werbende und verwaltende Tätigkeiten entfallen, muss der Unternehmer darlegen, welche Teilung angemessen ist 1429. Der BGH hat bereits in den Tankstellenurteilen 1430 den Mineralölunternehmen die Darlegungs- und Beweislast für einen geringeren als den vom Tankstellenvertreter behaupteten Prozentsatz verwaltender Tätigkeiten auferlegt, weil in den dortigen Verträgen jeweils nur eine Einheitsprovision ohne wirksame Aufteilung auf werbende und verwaltende Tätigkeit vorgesehen war und die Mineralölunternehmen, die jeweils den Vertragsinhalt vorgegeben hatten, über Erfahrungswerte verfügen mussten, welcher Anteil der einheitlichen Provision zur

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BGH, Urt. v. 11.10.1990, NJW-RR 1991, 156; BGH, Urt. v. 25.10.1984, NJW 1985, 859; v. 20.11.1969, MDR 1970, 581 – die dort und von MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 83 für langlebige Verbrauchsgüter gemachte Einschränkung verkennt, dass die Aussicht auf Nachbestellungen bereits bei der Frage der Stammkundeneigenschaft geprüft sein muss; OLG Koblenz HVR Nr. 123; OLG Frankfurt/ Main BB 1973, 212; LG Hamburg MDR 1955, 44; Eberstein8, S. 125; Martinek/ Schwab § 17 Rn 29; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 1347; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 37, 84, 168; Glanegger/Ruß HGB, § 89b Rn 33; Röhricht/Graf v. Westphalen/ Küstner § 89b Rn 109. Koch DB 1957, 423; Küstner/Thume II, Rn 1759. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 84. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 84. Eberstein, S. 157. BGH NJW 1998, 73; Hopt § 89b Rn 30.

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BGH NJW 1990, 2891 (2889); BB 1959, 864; OLG Düsseldorf, Urt. v. 08.02.1977, HVR Nr. 504; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rn 878; Martinek/Schwab § 17 Rn 32; Glanegger/Ruß HGB, § 89b Rn 33; Hopt § 89b Rn 22; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 90. BGH, Urt. v. 12.02.2003 – VIII ZR 130/01, VersR 2003, 1530 = NJW-RR 2003, 821 (825) = MDR 2003, 882 = DB 2003, 2121 (LS) = WM 2003, 2095; BGH NJW 1996, 2300; DB 1989, 170; Glanegger/Ruß HGB, § 89b Rn 33; Hopt § 89b Rn 30; aA für einen Versicherungsvertretervertrag BGH, Urt. v. 22.12.2003 – VIII ZR 117/03, MDR 2004, 402 = NJW-RR 2004, 469 = ZIP 2004, 1319 = EWiR 2004, 387 (Küstner) = WM 2004, 1483. Grundlegend BGH v. 28.04.1988 – I ZR 66/87 unter II 2; zuletzt BGH v. 10.07.2002 – VIII ZR 158/01, VersR 2003, 767 sub II 2.

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Abgeltung verwaltender Tätigkeiten bestimmt sein sollte. Nimmt der HV von sich aus einen Abzug für verwaltende Tätigkeit vor, besteht grundsätzlich die Vermutung seiner Angemessenheit: Der BGH hat die Behauptung des HV genügen lassen, der Verwaltungskostenanteil betrage nicht mehr als 10 % und dem Unternehmer den Gegenbeweis der Unrichtigkeit auferlegt 1431. Der HV genügt seiner Darlegungslast hinsichtlich des verwaltenden Provisionsanteils, sofern er den Anteil der auf verwaltende Tätigkeiten entfallenden Folgevergütung auf der Grundlage seiner praktischen Erfahrung schätzt 1432. Sofern der Vertrag keine klare Abgrenzung vorsieht, wie die einzelnen Tätigkeiten der Provision zuzuordnen sind, muss der Unternehmer „im Falle einer Auseinandersetzung um die Auslegung des von ihm geschaffenen Vertrages im Einzelnen darlegen, welche Aufteilung der Provision nach dem Vertrag angemessen ist, wenn seine Beurteilung von der seines Vertragspartners abweichen will“ 1433. Die zum Gegenvortrag vorgebrachte Aufzählung der verwaltenden Tätigkeiten durch den Unternehmer wird von der Rechtsprechung als kein ausreichender Vortrag angesehen. Er muss vielmehr eine plausible Gewichtung der verwaltenden Tätigkeiten im Verhältnis zum Umfang oder zur Bedeutung der werbenden Aufgaben darlegen 1434. Zu dem Fall vertraglicher Aufteilung auf werbende und verwaltende Provisionsbestandteile vgl. oben, Rn 138 ff. – Wichtiger Grund zur ausgleichsvernichtenden Kündigung sowie schuldhaftes Verhalten des HV i.S.d. § 89b Abs. 3 Nr. 2: Unternehmer 1435. Aus der Pflichtverletzung dürfte sich das schuldhafte Verhalten des HV ergeben. Ist die Pflichtverletzung unstrittig und lediglich das schuldhafte Verhalten strittig, so wird der HV die möglichen Entschuldigungsgründe beweisen müssen 1436.

II. Berechnungsbeispiel nach Literatur und Rechtsprechung 279

Die Höhe des Ausgleichs („und soweit“) wird bestimmt durch die drei ihn konstituierenden Elemente des Abs. 1 S. 1: Unternehmervorteile, Provisionsverluste des HV, Billigkeit. Bei der Berechnung des Ausgleichs ist in der Reihenfolge der Absätze, Sätze und Ziffern des § 89b vorzugehen 1437. Auch hier gilt, wie schon beim Grund des Anspruchs, dass jede der oben genannten drei Messgrößen den Ausspruch über die Höhe selbständig steuert. Der Ausgleich ist der Höhe nach (nur) begründet, „soweit“ eine jede von ihnen es zulässt: höher als die niedrigste kann er im Endergebnis nicht sein. Der unter dem Prinzip der niedrigsten Bestimmungsgröße ermittelte Ausgleich unterliegt sodann, und zwar immer noch im Zusammenhang des Abs. 1, dem Urteil über seine Angemessenheit. Die Angemessenheit hat es – neben ihrer Bedeutung als Richtschnur für das im Vollzug des ersten Schrittes nahezu unausweichliche richterliche Schätzungsermessen – zu tun mit der Form der Abgeltung: sie ist als Einmalzahlung zu erbringen. Deshalb ist eine Abzinsung vorzunehmen. Erst wenn auch dieser zweite Schritt getan ist und damit die Ausgangsgrößen für den angemessenen 1431

1432

1433

Urt. VIII ZR 90/96, VIII ZR 91/96; VIII ZR 92/96, VersR 1997, 1396 = NJW 1998, 71 = ZIP 1997, 1839; VIII ZR 150/96, NJW 1998, 66 = ZIP 1997, 1832. BGH, Urt. v. 28.04.1988, WM 1988, 1204 (1206); Urt. v. 05.06.1996, NJW 1996, 2298 (2300); Urt. v. 06.08.1997, NJW 1998, 66. BGH, Urt. v. 28.04.1988, WM 1988, 1204 (1206).

1036

1434 1435

1436 1437

BGH, Urt. v. 06.08.1997, NJW 1998, 66. BGH, Urt. v. 13.12.1995 – VIII ZR 61/95, HVR-Nr. 872; BGH, Urt. v. 06.02.1986 – I ZR 92/84; Küstner/Thume II, Rn 1782; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 66; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 32b. BGH, Urt. v. 27.11.1963 – VII ZR 90/62; Küstner/Thume II, Rn 1782. Hübsch/Hübsch WM Sonderbeilage Nr. 1/2005, S. 11.

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§ 89b

Ausgleich feststehen, greift die Höchstgrenze des Abs. 2 ein. Sie modifiziert den Ausgleich gegebenenfalls neben der Billigkeit und ein zweites Mal. Beide Effekte können – müssen aber nicht – sich summieren. Es kann sein, dass der nach Abs. 1 unter Einschluss von Billigkeitsrestriktionen ermittelte, abgezinste Kapitalbetrag über dem Höchstsatz liegt: dann setzt dieser den Endbetrag weiter herab. Es mag auch sein, dass der nach Abs. 1 unter Einschluss von Billigkeitsrestriktionen ermittelte, abgezinste Kapitalbetrag den Höchstsatz unterschreitet, dann bleibt es hierbei; der Höchstbetrag kommt nicht zum Tragen. 1. Rohausgleichsberechnung. Nach tradiertem, schon um eigene Nuancen angerei- 280 chertem Verständnis (zum eigenen Ansatz unten, Rn 289 ff) berechnet sich der Ausgleich wie folgt 1438: 2. Basis der Ausgleichsberechnung. Berechnungsgrundlage für den Rohausgleich bil- 281 den nach ständiger Rechtsprechung die Provisionen, welche der HV in den letzten zwölf Monaten seiner Tätigkeit erzielt hat, bei kürzerer Vertragsdauer in diesem Zeitraum und dann hochgerechnet auf ein volles Jahr 1439. Dabei sind nur Vermittlungs- bzw. Abschlussprovisionen mit Stammkunden, die auf Geschäften mit Neukunden bzw. intensivierten Altkunden beruhen, in die Ausgleichsberechnung einzubeziehen. Einbezogen werden auch Überhangprovisionen aus Geschäften, die vor Beendigung des HV-Vertrages abgeschlossen, jedoch erst nach Beendigung ausgeführt wurden 1440. Addiert werden wohl 1/3, nach anderer Ansicht sogar 2/3 1441 der um verwaltende Provisionen bereinigten Erträge des letzten Jahres aus Verkäufen an Einfachkunden, von denen erwartet werden kann, dass sie zukünftig Stammkunden werden (potentielle Stammkunden). Nach der in der 4. Aufl.1442 vertretenen Ansicht ging die 12-Monats-Basis davon aus, dass die Kunden ihre Nachbestellungen in Abständen von wenigstens 12 Monate aufzugeben pflegten. Das sei weder individuell immer gegeben noch nach der Art der Objekte (langfristige Gebrauchsgüter!) immer möglich. Kämen Kunden mit länger als 12monatigen Nachbestellintervallen in Betracht, so müssten sie von der vorstehenden Methode der jährlichen Degression ausgenommen werden. Für sie sei je eine Sonderstaffel aufzustellen, die, bei gleicher Abwanderungsquote (oder einer für sie speziell ermittelten, abweichenden), mit Provisionsverlusten im jeweiligen Intervallsprung arbeite. Diese Ansicht wird aufgegeben. Sie wird in der Praxis auch nicht mehr vertreten und erschwert die Ausgleichsberechnung unnötig. Die Provisionen des letzten Vertragsjahres bleiben allerdings unmaßgeblich, sofern die Umsatzentwicklung in diesem Zeitraum untypisch verlaufen ist. Dann muss auf vorhergehende repräsentative Jahre, ggf. auf einen längerfristigen Jahresdurchschnitt, zurückgegriffen werden 1443. Bestand das HV-Verhältnis kürzer als ein Jahr, so sind nur Provisionen zu berücksichtigen, die dem HV während der Vertragsdauer zugeflossen sind. Die Provisionen sind als brutto entgehende ausgleichsfähig. 1438

1439

Hopt § 89b Rn 29; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 129; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 148 ff; siehe ferner die Darstellung des Verfassers in der Anm. zu OLG München, Urt. v. 22.03.2001, 29 U 4997/00, EWiR 2001, 765. Zur Berechnung des Ausgleichsanspruchs eines Markenlizenznehmers Emde WRP 2003, 468 (475 f); ablehnend zu dessen Ausgleichsberechtigung Martinek/WimmerLeonhardt WRP 2006, 204 ff. BGHZ 135, 23; 141, 252; OLG Köln VersR 1968, 966; OLG Schleswig VersR 1958,

1440

1441

1442 1443

315; Küstner NJW 1969, 771; Hoffmann S. 73, 74; Hopt § 89b Rn 29. BGH, Urt. v. 23.10.1996 – VIII ZR 16/96, BGHZ 133, 391 = WM 1997, 232; Hübsch/ Hübsch WM Sonderbeilage Nr. 1/2005, S. 17. OLG Saarbrücken, Urt. v. 05.02.2003 – 1 U 924/01-211, NJW-RR 2003, 900 = EWiR 2003, 825 (Emde). § 89b Rn 85. BGHZ 29, 83 (91); BGH, ZIP 1999, 1094 (1096); Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 89.

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Insbesondere mindern ersparte Geschäftsunkosten den Provisionsverlust nicht. Sie sind nicht abzusetzen. Die Unterscheidung zwischen Brutto- und Nettoprovision kennt das Gesetz nicht 1444. Deshalb ist auch unerheblich, ob der HV aus den Abschlüssen mit dem Neukundenstamm einen Reinverdienst erzielt hat oder nicht 1445. Allenfalls aus dem Gesichtspunkt der Billigkeit (Abs. 1 S. 1 Nr. 3) käme eine Berücksichtigung übermäßig hoher und nunmehr ersparter Unkosten in Betracht. Nach dem Bruttoprinzip darf die in der Provision enthaltene Mehrwertsteuer nicht außer Ansatz bleiben 1446.

282

3. Prognosezeitraum. Als nächstes ist festzustellen, für welche Zeit nach Vertragsbeendigung der HV aus dem von ihm geschaffenen Kundenstamm noch hätte Vorteile ziehen können (Prognosezeitraum, s.o.). Bei einem nachgewiesenen Vorkauf innerhalb des Prognosezeitraums kann von einer Nachbestellung ausgegangen werden1447. Überwiegend wird im HV-Recht als Prognosezeitraum eine Spanne von drei bis fünf Jahren angenommen. Der Bericht der Kommission über die HV-Richtlinie 1986 diagnostiziert einen Zeitraum von zwei bis drei Jahren 1448. Dabei tendiert die Rechtsprechung dahin, den Prognosezeitraum eher am oberen Rand dieser Spanne anzusetzen, nämlich bei vier bis fünf Jahren. Die gemäß dem oben genannten ersten Berechnungsschritt ermittelten Provisionen sind mit der Anzahl der Jahre des Prognosezeitraums zu multiplizieren. Mit dem Prognosezeitraum wird die Spanne erfasst, während derer die Vertragsbeziehung mit einem neuen Kunden erwartungsgemäß durchschnittlich fortgeführt wird. Die Dauer des Prognosezeitraumes ist nach den Verhältnissen des Einzelfalls zu bestimmen. Hierbei ist die Entwicklung der Geschäftsverbindungen im Zeitraum vor der Vertragsbeendigung Prognosemaßstab 1449. Längere Prognosezeiträume führen im Falle der Orientierung am Nachkaufzyklus zu einer geringeren Ausgleichsbemessungsgrundlage, weil innerhalb des Basisjahrs weniger Geschäfte getätigt werden. Ein längerer Prognosezeitraum leitet also nicht automatisch zu einem höheren Ausgleich. Bei der Untersuchung, wie lange Vorteile aus der Geschäftsverbindung zu ziehen sind, wird weiter die Höhe der Abwanderungsquote (dazu im folgenden) ein maßgeblicher Faktor sein. Ist die Abwanderungsquote erheblich, reduziert sich der Prognosezeitraum. Fraglich ist nur, ob deshalb schematisch so berechnet werden kann, indem bei einer Abwanderungsquote von jährlich 10 % ein zehnjähriger Prognosezeitraum und bei einer Abwanderungsquote von 5 % ein zwanzigjähriger Prognosezeitraum anzusetzen ist. Diese Kalkulation ist schon deshalb mathematisch nicht korrekt, weil ein jährlicher Abzug von 10 % von dem Ausgangswert zu einer sich absolut pro Jahr reduzierenden Kürzung führen würde, was bis zur völligen Auszehrung des Kundenstammes zu einem enorm langen Prognosezeitraum leitet. Damit würden entgegen dem Grundsatz, dass eine überschaubare und abschätzbare Zeitspanne zu Grunde gelegt werden soll, selbst kurze Vertragsverhältnisse erhebliche Prognosezeiträume nach sich ziehen, wobei allerdings die Ausgleichshöchstgrenze eine korrigierende Funktion einnähme. Der BGH hat eine solche Berechnungsweise abgelehnt 1450. Die Multiplikation der Zahl der Jahre des Prognosezeitraums mit der Prozentzahl der jährlichen Abwande1444

1445 1446 1447

BGHZ 29, 83 (92 ff) und seither ständig; OLG Düsseldorf BB 1959, 8; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 11b; aA Habscheid FS Schmidt-Rimpler 361; Eberstein BB 1957, 1059. BGH NJW 1961, 120. BGHZ 61, 112. BGH, Urt. v. 02.07.1987, ZIP 1987, 1383 (1386); Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rn 817.

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1448

1449 1450

Bericht über die Anwendung von Artikel 17 der Richtlinie des Rates zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter, KOM(96) 364 endg, S. 3. BGH v. 27.10.1960, NJW 1961, 120. BGH v. 28.04.1999 – VIII ZR 354/97; ebenso OLG Celle, Urt. v. 01.02.2001, OLGR 2001, 168; Urt. v. 18.04.2002 – 11 U 120/01.

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rungsquote muss also nicht 100 % ergeben. Deshalb ergibt sich etwa im Falle einer Abwanderungsquote von nur bis zu 5 % nicht automatisch ein Prognosezeitraum von 20 Jahren 1451. Der BGH 1452 hat es etwa gebilligt, dass sich bei Multiplikation des Prognosezeitraums mit der Prozentzahl der jährlichen Abwanderungsquote nur eine Abwanderung von insgesamt 54 % ergab. Oft wird eine gegriffene Abwanderungsquote von 20 % 1453 angenommen. Ist die Geschäftsverbindung durch langfristige Rahmenverträge gesichert, wird gleichwohl eher ein längerer Prognosezeitraum anzunehmen sein 1454. Die Erstreckung des Prognosezeitraums ist aus der Entwicklung der Vergangenheit abzuschätzen. Aus ihr lassen sich Rückschlüsse auf die Zukunft ziehen (§ 287 ZPO). Entscheidend dürfte der ausgleichsfähige Kundenstamm des letzten Vertragsjahres und seine Bestandsfähigkeit sein. Hierfür ist es irrelevant, wie schnell der Mittler diesen Kundenstamm aufgebaut hat. Denn auch dann, wenn es sich nicht um langjährige Stammkunden handelt, können die Kundenbeziehungen bestandskräftig sein und einen ausgedehnten Prognosezeitraum rechtfertigen. Ohnehin wäre der Unternehmer für eine Abwanderung des Kundenstammes beweispflichtig (Rn 278). Der regelmäßige Prognosezeitraum beträgt vier Jahre. Trägt keine Partei subtantiiert etwas Abweichendes vor, dürfte dieser Regelprognosezeitraum maßgeblich sein 1455. Erweisen sich die Geschäftsbeziehungen als besonders dauerhaft, ist ein gestreckterer Prognosezeitraum angemessen. Richtigerweise ist eher auf den Bestand der Geschäftsbeziehung und nicht auf die Lebensdauer des vertriebenen Produktes (Produktzyklus) abzustellen. Das zeigt bereits der Umstand, dass auch im Tankstellenvertrieb ein mehrjähriger Prognosezeitraum angenommen wird, obwohl eine Benzinfüllung oft nur wenige Tage reicht. Gleiches gilt beim Vertrieb verderblicher Waren. Die Lebensdauer kann aber einen Anhalt auf den Prognosezeitraum geben, weil sich erst nach Ablauf des Produktzyklus herausstellt, ob der Kunde zu seinem Stammkunden wird 1456. Beide Indizien führen daher oft zum selben Prognosezeitraum. Abweichungen von diesem Regelprognosezeitraum sollte die sich auf eine Abweichung berufende Partei beweisen müssen. In verschiedenen Branchen sind etwa folgende Prognose-zeitraume angenommen worden: – zwischen zwei Jahren und fünf Jahren 1457; – 4 Jahre 1458; – 4 Jahre bei der Vermittlung von Bausparverträgen, weil der Kläger nichts vorgetragen hatte, was eine Abweichung von jener Regelprognosezeit rechtfertigte 1459; – 4 Jahren bei einem Franchisevertrag 1460; – 5 Jahre 1461; – 5–8 Jahre im Kfz-Vertragshändlerrecht wegen der möglicherweise gesteigerten Lebensdauer der Kfz 1462. Auch nach früherer Rechtslage (Prognosezeitraum 5 Jahre) 1451 1452 1453

1454 1455 1456 1457 1458

OLG Celle, Urt. v. 16.05.2002 – 11 U 193/01, VersR 2002, 976 (978). BGH, Urt. v. 28.04.1999 – VII ZR 354/97, VersR 1999, 1238 (1240). OLG Celle, Urt. v. 19.04.2007 – 11 U 279/06, BB 2007, 1862 (1864) zu einem Franchisevertrag. Küstner/Thume II, Rn 766. OLG Celle, Urt. v. 16.05.2002, VersR 2002, 976 (978). MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 82, Hopt § 89b Rn 16. OLG Köln VersR 1968, 966. BGH v. 03.06.1971, BB 1971, 843 = NJW

1459 1460 1461

1462

1970, 1611; v. 28.06.1973, DB 1973, 1740 – insoweit in BGHZ 61, 112 nicht abgedruckt – = NJW 1973, 1747. OLG Celle, Urt. v. 16.05.2002, VersR 2002, 976 (978). OLG Celle, Urt. v. 19.04.2007 – 11 U 279/06, BB 2007, 1862 (1864). OLG Köln v. 29.04.1968, VersR 1968, 966; OLG Frankfurt v. 08.12.1970, HVR Nr. 428. BGH, Urt. v. 22.02.2006 – VIII ZR 173/04, NJW-RR 2006, 1328 = WM 2006, 759 = WRP 2006, 759.

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blieben aber sechs Jahre zurückliegende Erstkäufe ausgleichsrelevant, weil der 5-Jahreszeitraum lediglich einen Richtwert aber keine zwingende Zäsur bildete 1463; – 8 Jahre 1464. Das OLG Bamberg hielt den achtjährigen Prognosezeitraum wegen der Langlebigkeit des Wirtschaftsgutes und des daraus folgenden, sich gleichfalls über einen erheblichen Zeitraum erstreckenden Bedarfs an Reparaturen, Ersatzteilen und Zubehör für angemessen; – 13 Jahre bei Gabelstaplern mit nämlicher Lebensdauer 1465; – 20 Jahre 1466 bei einem Lotto-Toto-Unternehmer. Der BGH hat von der Provision des letzten Vertragsjahres für jedes Folgejahr eine Provisionsminderung von 5 % angesetzt und kam zu dem Ergebnis, die Vorteile der HV-Tätigkeit würden erst 20 Jahre nach Vertragsbeendigung enden. Hierbei dürfte es sich eher um einen Ausnahmefall handeln.

283

4. Abwanderungsquote. Des Weiteren ist zu beachten, dass der Kundenstamm einer Fluktuation unterliegt und pro Jahr Kunden ihre Geschäftsbeziehungen zum Unternehmer lösen. Wie unter Rn 278 sowie 298 ausgeführt, lässt es der BGH 1467 zu, dass auf den Abzug einer Abwanderungsquote verzichtet wird, sofern der Umsatz mit Stammkunden über einen längeren Zeitraum einen gleich bleibenden Anteil am Gesamtgeschäft ausmacht. Der Rohausgleich wird dann ermittelt, indem der ausgleichsrelevante Umsatz mit neu geworbenen oder erweiterten Stammkunden (ohne potenzielle Stammkunden) schlicht mit dem Prognosezeitraum multipliziert wird. Das gilt auch außerhalb de KfzVertragshändlerrechts. Das Umsatzvolumen aus dem Ausgangszeitraum darf also nicht ohne weiteres für die ganze Prognosedauer als unveränderte Größe angesetzt werden. Es ist daher eine Abwanderungsquote aus der Zeit vor Vertragsbeendigung zu ermitteln, wobei nicht die Abwanderung von Kunden nach Kopfzahl, sondern die Umsatzminderung pro abgewandertem Kunden entscheidend ist. Die Berücksichtigung einer Abwanderungsquote unterliegt tatrichterlichem Schätzungsermessen 1468. Vorrangig vor einer Schätzung ist eine konkrete Berechnung anhand der Verhältnisse des Einzelfalls 1469. Damit wäre die Höhe der Abwanderungsquote nicht ohne arbeitsintensive Berechnung bestimmbar, was geradezu nach Schematisierungen ruft. Anhand dieser Grundlagen kann der Provisionsverlust des HV errechnet werden. Er beträgt für das 1. Jahr nach Beendigung des HV-Verhältnisses die ermittelte Jahresprovision abzüglich der Abwanderungsquote. Für das 2. Jahr nach Vertragsbeendigung berechnet sich der Provisionsverlust, indem von dem des 1. Jahres erneut die Abwanderungsquote abgezogen wird. Auch für das 3. Jahr und die nachfolgenden Jahre wird jeweils der Provisionsverlust des Vorjahres abzüglich der Abwanderungsquote zugrunde gelegt und zwar für so viele Jahre, wie der HV aus dem von ihm geschaffenen Kundenstamm noch hätte Vorteile ziehen können. Schließlich sind die Provisionsverluste der einzelnen Jahre zusammenzuziehen. Als Ergebnis erhält man den gesamten Provisionsverlust des HV. Beispiel: 284 Der HV hat in den letzten zwölf Monaten seiner Tätigkeit für den Unternehmer insgesamt 50.000,00 € an Provisionen durch Geschäftsvermittlungen an Neukunden ver1463

1464 1465 1466

OLG Saarbrücken, Urt. v. 05.02.2003 – 1 U 924/01-211, NJW-RR 2003, 900 = EWiR 2003, 825 (Emde). OLG Bamberg v. 24.10.1983, 4 O 186/82. Horn ZIP 1988, 137 (142); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 82. BGH v. 04.06.1975, WM 1975, 931.

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1467 1468 1469

BGH, Urt. v. 26.02.1997 (Renault), BB 1997, 852 ff = NJW 1997, 1503 (1505). BGH, Urt. v. 12.09.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 Rn 50 m. Anm. Emde. Hübsch/Hübsch WM Sonderbeilage Nr. 1/2005, S. 14.

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dient. Der Prognosezeitraum ist auf vier Jahre festzusetzen, wobei die Abwanderungsquote mit 25 % angemessen ist: Damit beträgt der Provisionsverlust für das 1. Jahr nach Vertragsbeendigung: 50.000,00 € ./. 25 % (12.500,00 €) = € 37.500,00 für das 2. Jahr nach Vertragsbeendigung: 37.500,00 € ./. 25 % (9.375,00 €) = € 28.125,00 für das 3. Jahr nach Vertragsbeendigung: 28.125,00 € ./. 25 % (7.031,25 €) = € 21.093,75 für das 4. Jahr nach Vertragsbeendigung: 21.093,75 € ./. 25 % (5.273,44 €) = € 15.820,31 Provisionsverluste insgesamt: € 102.539,06. Teilweise werden auch jedes Jahr 20–25 % der insgesamt ausgleichsfähigen Provisionen, hier € 12.500,00, abgezogen, was zu einem geringeren Ausgleich führen würde. Die dem Nachfolger des HV gegenüber bestehende Provisionsverpflichtung ist bei der Berechnung des Ausgleichsanspruchs nicht zu berücksichtigen, selbst wenn aus den ausgleichspflichtigen Geschäften nach Abzug des Ausgleichsanspruchs und möglicher Provisionsverpflichtungen des Nachfolgers Verluste entstehen können 1470. Allgemeine, für alle HV-Verträge geltende Erfahrungswerte zur Abwanderungsquote 285 fehlen 1471. Die Kundenfluktuation kann aus der durchschnittlichen Abwanderungsquote der Vergangenheit ermittelt werden. Es besteht die Vermutung, auch in Zukunft werde eine der Vergangenheit entsprechende Zahl von Kunden abwandern 1472, es sei denn, zum Zeitpunkt des Vertragsendes ist eine abweichende Entwicklung konkret vorhersehbar 1473. Wenn in der Vergangenheit keine Fluktuation zu beobachten war, ist auch in der Zukunft von ihrem Fehlen auszugehen, es sei denn, es bestehen im Prognosezeitraum Anhaltspunkte für das Abspringen einzelner oder aller Kunden (im letztgenannten Fall kann der Ausgleich auf Null reduziert werden). Derartige Anhaltspunkte mögen etwa bestehen, falls bei Vertragsende eine Konkurrenztätigkeit abzusehen ist1474. Wurde mit dem HV kein nachvertragliches Wettbewerbsverbot vereinbart ist nicht allein deshalb eine höhere Abwanderungsquote anzusetzen 1475. Auch darf wegen der gebotenen „Alsob-Betrachtung“ 1476 der Wegfall der Bezirksbetreuung durch den HV nicht zu einer höheren Abwanderungsquote führen 1477. Das OLG Köln 1478 hat in einer beispielgebenden Analyse die durchschnittliche Quote der jährlichen Abwanderung für einen Beobachtungszeitraum von 5 Jahren im dortigen Fall auf insgesamt 20 % ermittelt. Um die Abwanderungsquote müsste demnach das zuletzt errechnete Jahresprovisionsvolumen im Fortschreiten der Prognoselaufdauer degressiv gekürzt werden 1479. Die Summe der sich so errechnenden degressiven Jahresbeträge ergibt dann den Provisionsverlust. Ein Ausgleich durch Unterstellung möglich gewesener Neuzugänge findet nicht statt. Der 1470 1471 1472

1473 1474

BGH, Urt. v. 12.09.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 Rn 48 m. Anm. Emde. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 83. BGH NJW-RR 1991, 1050 (1052); BGH ZIP 1997, 841 (845); 1832 (1837); 1839 (1844); Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 83. BGH NJW 2000, 109; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 83. BGH Urt. v. 15.09.1999 NJW-RR 2000, 109; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rn 894.

1475 1476

1477 1478 1479

Emde EWiR 2000, 237 (238); Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 83. Prognose der Entwicklung, wie sich die Verhältnisse entwickelt hätten, wenn der Vertrag durch den bisherigen HV fortgesetzt worden wäre. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 83. VersR 1968, 966 ff. Küstner Anm. zu OLG Karlsruhe BB 1982, 274.

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BGH 1480 hat eine schematische Abwanderungsquote von jährlich 20 % innerhalb eines Prognosezeitraumes von vier Jahren nicht anerkannt, sofern das beklagte Unternehmen detailliert und unter Beweisantritt vorgetragen habe, der Umsatz mit den vom Kläger geworbenen Kunden sei schon im ersten Jahr der Vertragsbeendigung auf die Hälfte zurückgegangen. Diese Entscheidung ist heute wohl überholt, weil es auch für die Abwanderung nur auf eine Prognose bei Vertragsende ankommen kann (Rn 95 f). Andererseits hat er mehrfach gem. § 287 ZPO geschätzte Abwanderungsquoten von z.B. 10, 20 1481 und 25 % gebilligt und ausgeführt, die Ermittlung der Abwanderungsquote sei in erster Linie Aufgabe des Tatrichters 1482. Zum Teil wurde eine Abwanderung von 25 % in den ersten drei Jahren und von 10 % in den letzten beiden Jahren unbeanstandet gelassen1483. Man wird also sagen können, dass Vermutungen wie schematische Abwanderungsquoten zulässig sind, sofern nicht eine Partei die Vermutung durch subtantiierten Gegenvortrag widerlegt. Diese trägt dann allerdings für die Widerlegung die Beweislast. Die Abwanderungsquote wird nicht um eine Zuwanderungsquote potenzieller Stammkunden bereinigt. Deren Zahl wurde bereits mittels einer Erhöhung der Ausgleichsbemessungsgrundlage berücksichtigt 1484.

286

5. Abzinsung. Von dem so bestimmten Betrag ist eine Abzinsung vorzunehmen 1485. Sie rechtfertigt sich daraus, dass dem HV mit dem Ausgleichsanspruch eine Einmalzahlung zufließt, die er ohne Beendigung des Vertrages als Provision über einen längeren Zeitraum verteilt erhalten hätte. Diesem Zinsvorteil und Kapitalisierungseffekt ist durch einen Zinsabzug Rechnung zu tragen. Die Zinssätze werden sich an der Zinsniveau des Kapitalmarktes zu orientieren haben. In der Vergangenheit ist wiederholt mit festen Zinssätzen abgezinst worden. Das OLG Köln 1486 hat sie über die dortige Prognosedauer von fünf Jahren mit 20 % angenommen; vermutlich – die Gründe sagen das nicht – = 5 × jährlich 4 %. Das OLG Celle BB 1970, 227 rechnet konkret und gelangt zu einem Abzins von 10 % für eine vierjährige Prognosedauer 1487, in einer anderen Entscheidung von 15 % bei 4-jährigem Prognosezeitraum 1488, das OLG Frankfurt/Main nimmt eine Abzinsung von 16 % 1489 vor. Die Suche nach festen Zinssätzen dient der Rechtssicherheit, führt aber zu Ungerechtigkeiten in untypischen Hoch- und Niedrigzinssatzphasen. Ein für alle Fälle einheitlicher Satz wird sich nicht finden lassen. Der Tatrichter kann unter den in der Praxis gebräuchlichen Abzinsungsmethoden frei wählen 1490. Eben hier liegt die Bedeutung des Erfordernisses des „angemessenen“ Ausgleichs. Zu berücksichtigen ist insbesondere, dass die Provisionsverluste sich auf den Prognosezeitraum ungleichmäßig verteilen können, 1480 1481

1482 1483

1484 1485

V. 15.09.1999 – VIII ZR 137/98, NJW-RR 2000, 109. BGH, Urt. v. 06.08.1997, NJW 1998, 66 (71); v. 10.07.2002, NJW-RR 2002, 1548 (1553); v. 22.03.2006, WM 2006, 1403 (1407). Etwa BGHZ 59, 125 = NJW 1972, 1664. BGH, Urt. v. 05.06.1996 (Fiat/Lancia), BB 1996, 2265; v. 05.06.1996 (Volvo), BB 1996, 1683; OLG Saarbrücken, Urt. v. 05.02.2003, NJW-RR 2003, 900 (902). Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rn 896. BGH, Urt. v. 08.11.1990 – I ZR 269/88, NJW-RR 1991, 484; BGH ZIP 1997, 1832 (1838); Westphal Vertriebsrecht I, Rn 707; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 128.

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Urt. v. 29.04.1968, VersR 1968, 966 (967). OLG Celle BB 1970, 227; v. 16.05.2002 – 11 U 193/01, VersR 2002, 976; Zustimmend Graf v. Westphalen/Westphal Handbuch des Handelsvertreterrechts in EUStaaten und der Schweiz, Länderteil Deutschland, Rn 708. OLG Celle, Urt. v. 19.04.2007 – 11 U 279/06, BB 2007, 1862, 1864 zu einem Franchisevertrag. OLG Frankfurt, Urt. v. 08.12.1970 – V U 94/70. BGH, Urt. v. 12.09.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 Rn 51 m. Anm. Emde.

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§ 89b

was einem gleichbleibenden Abzinsungssatz entgegensteht. Hier wird nur individuell vorgegangen werden können. Derzeit wird eine Abzinsung von rund 10 % über den gesamten Prognosezeitraum zu rechtfertigen sein 1491. Die Praxis nimmt häufig eine Abzinsung nach Gillardon 1492 oder Hoffmann 1493 vor. Die Abzinsung nach Hoffmann geschieht wie folgt: (100 mal abzuzinsender Betrag) : (100 + [Prozentsatz mal Anzahl der Jahre des Prognosezeitraums]). Nach Gillardon wird bei einem fünfjährigen Prognosezeitraum (60 Monate) wie folgt abgezinst: 52,9907 : 60. Abgezinst wird vom Rohausgleich und nicht von der Ausgleichshöchstgrenze. Denn würde von der Ausgleichshöchstgrenze abgezinst, könnte sie niemals erreicht werden. Die vom Gesetz vorgesehene Ausgleichshöchstgrenze wäre Makulatur 1494. Selbst wenn der Ausgleich erst lange Zeit nach Beendigung des HV-Verhältnisses, z.B. nach mehrjährigem Prozess, zur Auszahlung gelangt, ist eine Abzinsung vorzunehmen 1495. Als Kompensation sind auf den abgezinsten Ausgleichsbetrag seit dem auf die Vertragsbeendigung folgenden Tag (meist höhere) Fälligkeits- und Verzugszinsen zu leisten. Eine Abzinsung ist auch dann angebracht, falls die Ausgleichszahlung in Raten erfolgt. Der abgezinste Provisionsverlust ist schließlich noch um Billigkeitsgesichtspunkte zu korrigieren. Der sich so ergebende Betrag bildet den Rohausgleich. 6. Umsatzsteuer. Der Ausgleich kann aus den Brutto- 1496 oder Nettoprovisionen 287 errechnet werden. Nur soweit er aus den Nettoprovisionen errechnet wurde darf nach Abschluss der Berechnung erneut Umsatzsteuer aufgeschlagen werden 1497. Wenn diese Leistungen für den Auftraggeber steuerfrei erbracht werden, etwa weil sich der Leistungserfolg der Vermittlungsleistungen im Ausland verwirklichte (§ 4 Nr. 5 lit. c UStG) darf der Ausgleichsanspruch nach der Beendigung des Vertragsverhältnisses nicht mit Umsatzsteuer belastet werden 1498. Maßgeblich für die Höhe der Umsatzsteuer ist der zum Datum der Fälligkeit des Ausgleichs geltende Umsatzsteuersatz. Unterliegt die Besteuerung des Ausgleichsanspruchs einem höheren Steuersatz als dem im Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs geltenden, hat der Mittler gegen den Hersteller unter den Voraussetzungen des § 29 UStG einen Anspruch auf Ausgleich der umsatzsteuerrechtlichen Mehrbelastung. Dieser Anspruch ist vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machen 1499. 7. Höchstbetragsberechnung. Gem. § 89b Abs. 2 erreicht der Ausgleich höchstens 288 eine nach dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre der Tätigkeit des HV berechnete Jahresprovision oder sonstige Jahresvergütung. Dieser Höchstbetrag dient der Begrenzung des nach § 89b Abs. 1 ermittelten Rohausgleichs. Dem Höchstbetrag kommt damit nur 1491

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So auch MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 89b Rn 149 in seinem Berechnungsbeispiel. Gillardon Multifaktoren, Bretten 1976; siehe etwa OLG Saarbrücken, Urt. v. 05.02.2003 – 1 U 924/01-211, NJW-RR 2003, 900 = EWiR 2003, 825 (Emde); ebenso die Münchner Formel gem. Beschl. des LG München I v. 03.08.1998, 15 HK O 23905/97. BGH, Urt. v. 10.10.1991 – III ZR 308/89, BGHZ 115, 307 (310) = NJW 1991, 3274; OLG Düsseldorf, Urt. v. 17.12.1999, OLGR 2000, 354 (357); Schultze/Wauschkuhn/ Spenner/Dau, Rn 905; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 128. AA Küstner/Thume II, Rn 776: Abzinsung

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von den Provisionsverlusten des HV vor Berücksichtigung der Unternehmervorteile, weil bei den Unternehmervorteilen ein Kapitalisierungseffekt in Folge der Vertragsbeendigung nicht eintritt. Der BGH hat in seiner Entscheidung v. 08.11.1990, BB 1991, 368 = DB 1991, 1325 die Abzinsung von der Höchstgrenze vorgenommen. BGH ZIP 1997, 1832 (1838); Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 128; aA 4. Aufl., § 89b Rn 88. Dafür Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 98. Küstner/Thume II, Rn 1746 ff. BFH BB 1998, 2297 = DB 1998, 2403. OLG Köln, Urt. v. 01.03.2002 – 19 U 182/01, OLGR Köln 2002, 221 = VersR 2002, 886.

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§ 89b

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Bedeutung zu, wenn er niedriger als der Rohausgleich ist und diesen deshalb der Höhe nach begrenzt. Falsch ist es, Billigkeitsabzüge vom Höchstbetrag vorzunehmen 1500. Eine Reduzierung unter Billigkeitsgesichtspunkten erfolgt ausschließlich vom Rohausgleich.

III. Eigener Ansatz zur Ausgleichsberechnung 289

1. Handelsvertreterrecht. Über die dargestellten Vermutungen und Beweiserleichterungen hinaus wird hier die folgende Formel vorgeschlagen, welche der Entlastung von Ausgleichsstreitigkeiten und damit letztlich den Interessen aller Beteiligten dient. Der Gegenbeweis divergierender Daten steht jeder Partei frei. Ein solcher Beweis kann – nicht nur im anonymen Massengeschäft – auf Durchschnitts-, Erfahrungswerte und statistisches Material gestützt werden, an Hand dessen abweichende Zahlen geschätzt werden können (§ 287 ZPO) 1501.

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a) Provisionseinnahmen. Ausgangspunkt der Berechnung des Rohausgleichs sind – wie dargelegt – bei typischem Geschäftsverlauf dieser Zeit alle Provisionen für Geschäfte mit sämtlichen Kunden, die der HV in den letzten zwölf Monaten seiner Tätigkeit verdient hat, unter Einschluss etwa von Bezirks- 1502 sowie Verwaltungsprovisionen. Generell hat der HV die Höhe dieser Provisionen darzulegen und zu beweisen (s.o.). Ihre absolute Höhe dürfte meist – sogar bezogen auf die einzelnen Kunden – nicht streitig sein, weil sie sich aus den nach § 87c Abs. 1 vom Unternehmer zu erteilenden Abrechnungen oder dem Buchauszug – so sie/er richtig sind/ist 1503 – ergeben. Aus den so bestimmten Gesamtprovisionen lässt sich in den nachfolgend beschriebenen Schritten der Ausgleichsanspruch errechnen. Der Unternehmer kann die von ihm in die Abrechnung oder den Buchauszug eingestellten Zahlen nicht bestreiten. Mit der Abrechnung stellt der Unternehmer fest, welche Provision zur Auszahlung vorgesehen ist. Die Abrechnung ist ein Anerkenntnis des Unternehmers i.S.d. § 781 BGB 1504, welches gemäß § 782 BGB nicht der Schriftform bedarf 1505. Für die Abrechnung spricht zugunsten des HV – nicht aber zu seinen Lasten – die Vermutung ihrer Vollständigkeit und Richtigkeit 1506, weshalb der Unternehmer eine von ihm behauptete Unrichtigkeit der Daten beweisen müsste. Der Buchauszug enthält zwar keine Entscheidung, ob ein in ihn aufgenommenes Geschäft provisionspflichtig ist 1507 sondern besagt nur, dass es provisionspflichtig sein kann. Soweit sich jedoch dem Auszug der hinreichend deutliche Wille des Unternehmers entnehmen lässt, ein bestimmtes Geschäft zu verprovisionieren (davon ist meist bei Fehlen eines Vorbehaltes auszugehen), ist dies – ebenso wie bei der Abrechnung – ein Anerkenntnis des Unternehmers. Legt der HV die in diesen Informationsträgern genannten Daten der Ausgleichsberechnung zugrunde, steht die Höhe des Ausgleichs fest, falls ent-

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BGHZ 55, 45 (55); BGH NJW-RR 1993, 221; BGH ZIP 1997, 238 (239); BGH EBE 1999, 13 (16); BGH EBE 2000, 109 (111); Westphal Vertriebsrecht I, Rn 710; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 102. BGH, Urt. v. 12.02.2003 – VIII ZR 130/01, VersR 2003, 1530 = NJW-RR 2003, 821 (822) = MDR 2003, 882 = DB 2003, 2121 (LS) = WM 2003, 2095. AA Küstner/Thume II, Rn 664; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 5c und 13e.

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Eine bewusst falsche Darstellung des Unternehmers wäre (versuchter) (Prozess-) Betrug. OLG Karlsruhe HVR Nr. 445; OLG München, VersR 1961, 1090; Küstner/Thume I, Rn 1425; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 629; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 3c. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 629. Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 38. Küstner/Thume I, Rn 1489.

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§ 89b

sprechend dem hier vertretenen Weg berechnet wird. Von den Provisionsabrechnungen und dem Buchauszug abweichender Vortrag bleibt dem Mittler unbenommen, da er nicht an die nach § 87c vom Unternehmer angegebenen Zahlen gebunden ist. Der HV – so die hier eingenommene Ansicht – darf zur Vorbereitung einer Ausgleichsklage, notfalls im Wege der Stufenklage (erste Stufe: Information, zweite Stufe: Ausgleich), einen Buchauszug oder andere Kontrollmittel des § 87c HGB fordern 1508, was angesichts der Prozesswirtschaftlichkeit – Beweiserhebungen werden überflüssig – auch im Interesse der Gerichte liegen dürfte (§ 87c Rn 11 ff). Jedenfalls wäre ein Auskunftsrecht nach §§ 259, 260 BGB 1509 oder § 242 BGB 1510 gegeben. Nur wenn eine Stufenklage zugelassen wird kann der HV die Verjährung des Ausgleichsanspruchs während eines langjährigen Streits um die Erfüllung der Informationsrechte aus § 87c verhindern. In Ermangelung präziserer Daten kann die Gesamtprovisionshöhe aus lückenhaft übermittelten oder für Zeiträume außerhalb der genannten Zwölfmonatsspanne erteilten Provisionsrechnungen geschätzt werden, sofern der HV plausibel macht, warum die Abrechnungen nicht vollständig vorhanden, sie jedoch typisch sind und der Unternehmer – was ihm angesichts seiner Buchführungspflicht möglich sein dürfte – nicht subtantiiert bestreitet 1511. Die Provisionen der letzten zwölf Monate als Rechenbasis werden jedoch regelmäßig bekannt sein. b) Anteil werbender, ausgleichspflichtiger Provision. Der Abzug eines verwaltenden 291 Anteil von dieser Gesamtprovision sollte nicht anerkannt werden, sofern der HV-Vertrag nicht – wirksam (Rn 138 ff) – eine Separierung werbender und verwaltender Provisionsanteile vornimmt, für deren Angemessenheit jedoch der der Provisionsberechnung näher stehende Unternehmer darlegungs- und beweisbelastet bleibt. Allenfalls ist über einen Abzug für „verwaltende Tätigkeiten“ von 10 % nachzudenken. Für einen höheren Abzug verwaltender Vergütungsanteile wäre der Unternehmer beweispflichtig. Die Vermutung spricht daher für keinen Abzug, höchstens einen solchen von 10 %. c) Werbung für Neukunden oder Erweiterung von Altkunden. Der HV muss die Wer- 292 bung von Neukunden und/oder die Erweiterung bestehender Altkundenbeziehungen darlegen und beweisen. Nur mit solchen Kunden erzielte Provision ist ausgleichsrelevant. Die sich aus den Abrechnungen ergebende absolute Provisionshöhe mit allen Kunden ist nach bisheriger Dogmatik (Rn 281) für sich besehen kein ausgleichserheblicher Umstand. Den erteilten Abrechnungen oder dem Buchauszug lässt sich jedoch ohne Aufarbeitung kaum entnehmen, welche Kunden ausgleichspflichtige neugeworbene Stammkunden oder erweiterte Altstammkunden sind. Das wirkt prohibitiv. Für den HV ist die Neukundenwerbung schwierig zu beweisen 1512. In der Regel gelingt dies nur durch Zeugen-

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OLG Hamburg, Urt. v. 19.06.1991 – 5 U 12/90; unveröffentlicht; Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 4; einschränkend Rn 10: nur ergänzender Auskunftsanspruch gem. § 87c Abs. 3 HGB; Martinek/Schwab § 17 Rn 20. Ablehnend BGH NJW 1996, 2100; OLG Celle, Beschl. v. 20.04.2004, r+s 2004, 349 (350) (Buchauszug); LG Hamburg, Beschl. v. 10.11.1998 – 325 O 257/98 – unveröffentl.; Wolff BB 1978, 1246; Emde MDR 1999, 1108 (1111); Emde NJW 2000, 796; Eberstein8, S. 125; Westphal Vertriebs-

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recht I, 1998, Rn 1224; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 164; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 4. Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 4. BGH, Urt. v. 10.03.1969 – VII ZR 246/59, BB 1960, 796; Heymann/Sonnenschein/ Weitemeyer § 89b Rn 79. BAG DB 1998, 1719 (zu einem Arbeitsvertrag). Der Verfasser hat Rechtsstreitigkeiten erlebt, in welchen HV ihre Ausgleichsklagen zurücknehmen mussten, weil sie die

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beweis der Kunden 1513. Eine solche Beweisaufnahme kompliziert und verlängert das Ausgleichsverfahren. Langjährige Streitigkeiten mit umfangreichen Beweisaufnahmen ändern am wirtschaftlichen Ergebnis meist wenig (= Scheinpräzision), vor allem dann nicht, wenn selbst nach einer für den HV ungünstig verlaufenen Beweisaufnahme der Rohausgleich noch immer die Ausgleichshöchstgrenze übersteigt und damit exakt das zu zahlen ist, was auch ohne Beweis zu leisten gewesen wäre. Die Gerichte prüfen zu wenig, ob Beweisangebote trotz Schätzmöglichkeit im Lichte der Ausgleichshöchstgrenze relevant sind. Zu Gunsten des HV sollte die Vermutung eingreifen, dass ein Kunde zum einen Neukunde ist, wenn er erstmals nach längerer Vertragsdurchführung in den Abrechnungen oder dem Buchauszug genannt wird und dass dieser Neukunde zum anderen von dem HV geworben wurde 1514. Das hilft jedoch nicht bei Kunden, die schon direkt nach Vertragsbeginn in Abrechnung oder Buchauszug bezeichnet werden und ebenso wenig nach kurzer Vertragsdauer. Deshalb sollte der Anteil der vom HV geworbenen Neukunden und erweiterten Altkunden gestaffelt nach Vertragsdauer wie folgt angenommen werden: Nach sechs Monaten: 5 % dem ersten Vertragsjahr: 10 % dem zweiten Vertragsjahr: 20 % dem dritten Vertragsjahr: 30 % dem vierten Vertragsjahr: 40 % dem fünften Vertragsjahr: 50 % der nach obigen Maßstäben ermittelten Gesamtprovision aus Geschäften mit allen Kunden. Bei weniger als sechs Monaten Vertragsdauer wird der HV den Vollbeweis der Neu293 kundenwerbung bzw. der Erweiterung der Altkunden führen müssen. Wird der Vertrag über mehr als fünfzehn Jahren durchgeführt, ist zu vermuten, alle Kunden seien neugeworben oder erweitert. Diese Vermutung trägt der Lebenserfahrung Rechnung, ein Teil der Geschäftsverbindungen beruhe auf der Tätigkeit des HV 1515. Derjenige, der von dieser Vermutung abweicht ist hierfür beweisbelastet. Dem Unternehmer wird es meist leichter als dem HV fallen, nachzuweisen, dass er schon vor Beginn des HV-Vertrages Geschäfte mit den im Streite stehenden Kunden getätigt hat 1516. Nur auf sein subtantiiertes Bestreiten hin ist daher Beweis über die Altkundeneigenschaft aufzunehmen 1517. Zum Gegenbeweis braucht der Unternehmer lediglich Dokumente zu früheren Lieferungen an den Kunden, etwa Rechnungen, vorzulegen, was angesichts der heutigen EDV, der ohnehin bestehenden Verpflichtung des Unternehmers, für die Informationsrechte nach § 87c solche Daten zu sichern und der Aufbewahrungsfristen für Handelsbücher kaum ein Problem darstellt. Außerdem befindet sich der Unternehmer regelmäßig in Kontakt zu den Kunden und kann sich von ihnen leichter als der dem Geschäft nun fern stehende HV eine Bestätigung geben lassen.

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ausgleichsrelevanten Tatsachen nicht über die verdienten Gesamtprovisionen hinaus subtantiieren konnten. Der allerdings oft den Kunden und damit dem mit ihnen in Geschäftsbeziehung stehenden Unternehmer missfällt.

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Martinek/Schwab § 17 Rn 28. Eberstein8, S. 125. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 169. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 169.

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d) Mehrfach- oder Stammkundenquote. Der Stammkundenanteil darf durch den 294 Tatrichter geschätzt werden 1518. Es sollte die Vermutung eingreifen, der Anteil der für Geschäfte mit Mehrfachkunden gezahlten Vergütung betrage 50 % des Umsatzes des nach den Maßstäben zu 3. bezifferten Provisionen mit ausgleichspflichtigen Kunden (Stammkundenquote). Dann und bei Wegfall einer Abwanderungsquote könnte möglicherweise die Vermutung entfallen, aus bisherigen Einmalkunden würden während des Prognosezeitraums ein Teil Mehrfachkunden und deshalb seien 2/3 der um verwaltende Provisionen bereinigten Erträge des letzten Jahres aus Verkäufen an Einfachkunden zu addieren 1519. Eine solche Quote ist angemessen, zumal auch bei einem Teil der bisherigen Einmalkunden als ausgleichspflichtige sog. „potentielle Mehrfachkunden“ erwartet werden kann, dass sie zu Stammkunden werden 1520. Dies entspricht sehr der Münchner Formel zum Vertragshändlerrecht, in der die Vorsitzenden Richter der Kammern für Handelssachen des LG München I von einer regelmäßigen Stammkundenquote der BMW-Händler zwischen 30 und 60 % ausgingen. Einer solchen Schätzung kommt ferner die Rechtsprechung des BGH nahe: Der BGH entschied, für die Schlüssigkeit des Vortrags eines Vertriebsmittlers reiche es, eine Stammkundenquote von 80 % vorzutragen, sofern der Hersteller diesen Vortrag nicht dezidiert bestreite 1521. Also ist ein pauschaler Vortrag mit geschätzten Stammkundenzahlen zulässig und entsprechendes gilt für eine solche Vermutung. Derjenige, der sich auf eine Abweichung von der Vermutung beruft, ist für sie beweispflichtig. Häufig werden die Parteien aber nicht abweichen wollen. Denn die Annahme trägt einen erheblichen Gerechtigkeitsgehalt in sich und vermeidet Beweisaufnahmen. e) Vorteils- und Verlustprognose aa) Unternehmervorteile. Die gemäß § 89b Abs. 1 Nrn. 1 und 2 erforderliche Pro- 295 gnose kann im Wege der Schätzung erfolgen 1522. Wie dargelegt besteht die Vermutung, der Unternehmer werde geschaffene Geschäftsverbindungen fortsetzen 1523. Zudem valutiert der Unternehmervorteil mindestens in Höhe der Provisionen (Rn 278 „Provisionsverluste“). Diese Faustformel darf prima facie als zutreffend gelten, so dass der HV im Prozess mit der Berufung auf sie seiner Darlegungs- und Beweispflicht zunächst genügt und der Unternehmer ihre Geltung im konkreten Fall zu erschüttern hat. Vorteile des Unternehmers werden weiter angenommen, weil jeder wirtschaftlich denkende 1518

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BGH, Urt. v. 07.05.2003 – VIII ZR 263/02, WRP 2003, 979 (980) = NJW-RR 2003, 1340 = WM 2003, 2107. OLG Saarbrücken, Urt. v. 05.02.2003 – 1 U 924/01-211, NJW-RR 2003, 900 = EWiR 2003, 825 (Emde). BGH ZIP 1996, 1229; 1997, 841; ebenso Westphal MDR 1996, 130; Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 84. BGH DB 2000, 967. Dabei handelt es sich um ein Urt. des BGH zum Vertragshändlerrecht. Der Unternehmer eines Vertragshändlers ist aber nicht in gleicher Weise über die Kundenbeziehungen informiert wie der Prinzipal des HV, der die Geschäfte selbst schließt. Umso mehr muss die v. BGH befürwortete Beweiserleichterung in das Handelsvertreterrecht Eingang finden.

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Etwa Verlängerungen und Summenerhöhungen bei einem Versicherungsvertretervertrag, siehe BGH DB 2000, 967. BGH, Urt. v. 11.10.1990, NJW-RR 1991, 156; BGH, Urt. v. 25.10.1984, NJW 1985, 859; v. 20.11.1969, MDR 1970, 581; OLG Koblenz HVR Nr. 123; Eberstein8, S. 125; Martinek/Schwab § 17 Rn 29; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 1347; Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 37, 84, 168; Glanegger/Ruß HGB, § 89b Rn 33; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 89b Rn 109; einschränkend MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 83: Vermutung nur bei längerer Geschäftsbeziehung, im Verlauf derer es immer wieder zu Nachbestellungen kam.

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Unternehmer sie aus einem überlassenen Kundenstamm ziehen wird. Der Unternehmer müsste fehlende Vorteile darlegen und beweisen.

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bb) Provisionsverluste. Seine Provisionsverluste trägt der HV durch Bezifferung der nach den vorgenannten Maßstäben bestimmten, mit ausgleichspflichtigen Kunden erzielten Provisionseinnahmen des letzten Vertragsjahres vor. Typischerweise entstehen Provisionsverluste infolge des Vertragsendes (Rn 278). Deshalb streitet zugunsten des HV eine Vermutung für Einbußen in Höhe der Provisionseinnahmen der letzten zwölf Monate vor Vertragsende 1524. Sieht man Provisionsverluste – jedenfalls beim Waren-HV – im Einklang mit dem Wortlaut des Art. 17 Abs. 2 lit. a der EG-Richtlinie 1986 lediglich als Unterfall der Billigkeit an, müsste der Unternehmer mglw. auch deshalb mangelnde Provisionsverluste darlegen und beweisen, weil eine Vermutung für die Billigkeit spricht. Der HV hat aber gleichwohl die Berechnungsgrundlage seines Ausgleichs, die entgangenen Provisionen, nach den oben wiedergegebenen Maßstäben darzulegen. Gegenbeweis ist auch hier zulässig.

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f) Prognosezeitaum. Trägt keine Partei zur Dauer der Geschäftsbeziehungen Abweichendes vor, dürfte ein Regelprognosezeitraum von vier Jahren angemessen sein 1525. Ein solcher Prognosezeitraum ist – wie oben entwickelt – häufig in der Rechtsprechung anerkannt worden. Das ist für den Unternehmer eher günstig, sieht man auf die im Kfz-Vertragshändlerrecht meist angenommene Prognosedauer von fünf 1526 oder acht 1527 Jahren.

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g) Fluktuations- oder Abwanderungsquote. Die Münchner Formel des LG München I verzichtet völlig auf den Abzug einer Fluktuationsquote voraussichtlich nach Vertragsende abwandernder Kunden. Es ist mithin zweifelhaft, ob eine solche Kürzung überhaupt sinnvoll ist, da ihre Höhe zu erheblichem Streit führt und Ausgleichsprozesse belastet. Da bei der Berechnung des Ausgleichs zu unterstellen ist, dass es dem Mittler gelungen wäre, aus einem Teil der Einmalkunden während des Prognosezeitraums Stammkunden zu werben, sollte überlegt werden, ob im Einklang mit der Münchner Formel nicht gänzlich auf eine Abwanderungsquote verzichtet werden kann, da im Rahmen der Prognose davon ausgegangen werden kann, dass die Abwanderung der bisherigen Mehrfachkunden durch die potenziellen Mehrfachkunden ausgeglichen wird 1528. Der BGH 1529 hat ausgeführt, auf den Abzug für die Abwanderungsquote könne (nur) verzichtet werden, falls der Umsatz eines Händlers mit Mehrfachkunden über einen längeren Zeitraum einen annähernd gleich bleibenden Anteil am gesamten Neuwagenumsatz bildete. Diese wohl auch für die Ausgleichsberechnung anderer Mittler maßgebliche Forderung nach langjähriger Kontinuität ist nicht auf dem ersten Blick plausibel. Denn gerade dann, wenn der Händler – etwa nach kurzer Vertragsdauer – lediglich im letzten Vertragsjahr besonders viele Mehrfachkunden warb, darf im Rahmen der Prognose zum Vertragsende nicht antizipiert werden, dass von jenen Mehrfachkunden ein höherer Prozentsatz abwandert, als wenn jene Kunden z.B. bereits vor fünf Jahren ihren Zweitkauf vornah1524 1525 1526

OLG Köln VersR 1986, 966; Ruß HKHGB § 89b Rn 33. OLG Celle, Urt. v. 16.05.2002, VersR 2002, 976 (978). Etwa OLG Saarbrücken, Urt. v. 05.02.2003 – 1 U 924/01-211, NJW-RR 2003, 900 = EWiR 2003, 825 (Emde); OLG Köln VersR 1968, 966; Horn ZIP 1988, 137 (142); Graf v. Westphalen DB Beil. 8/1988, 8; Hopt § 89b Rn 16.

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BGH, Urt. v. 22.02.2006 – VIII ZR 173/04, NJW-RR 2006, 1328 = WM 2006, 759 = WRP 2006, 759. Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 536. Urt. v. 26.02.1997 (Renault), NJW 1997, 1503 (1505); zustimmend OLG Saarbrücken NJW-RR 2003, 900.

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

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men. Das Erfordernis langjähriger Tätigkeit benachteiligt Mittler mit kurzer Vertragslaufzeit, die im letzten Vertragsjahr einen besonders hohen Anteil von Mehrfachkunden geworben hatten. Zumindest müsste mit dem OLG Saarbrücken1530 ein Anteil potentieller Mehrfachkunden unter den Einfachkunden der Ausgleichsbemessungsgrundlage nivellierend hinzugesetzt werden. Denn eine Steigerung der Mehrfachkunden wäre auch in Zukunft anzunehmen. Solange eine Abwanderungsquote vorgenommen wird muss der Anteil potentieller Stamm- unter den Einfachkunden der Ausgleichsbemessungsgrundlage (Basisprovisionen) zugerechnet werden. Will man nicht vollkommen auf den Abzug der Abwanderungsquote verzichten, erscheint eine Standardfluktuationsquote von 25 % pro Jahr angemessen. Der BGH hat verschiedentlich ausgesprochen, er werde in diesem Punkt gem. § 287 ZPO vorgenommene Schätzungen erster Instanz dulden 1531. Auch hier trägt jene Partei die – dann ins Einzelne gehende – Darlegungs- und Beweislast, die von dieser Vermutung abweichen will 1532. Beide Rechenwege, mit oder ohne Abwanderungsquote, werden unten beispielhaft vorgestellt. h) Abzinsung. Die Höhe der Abzinsung regelt sich nach dem zur Zeit der Ausgleichs- 299 fälligkeit geltenden Zinsniveau. Derzeit sollte über den gesamten Prognosezeitraum eine Abzinsung von 10 % vermutet werden 1533. Die Abzinsung nach Gillardon oder Hoffmann ist ebenfalls möglich. i) Billigkeitsabschlag. Sofern keine besonderen billigkeitsrelevanten Umstände vorge- 300 tragen sind, ist ein Billigkeitsabschlag nicht vorzunehmen. Beweispflichtig für die Berechtigung eines Billigkeitsabschlags ist – wie dargelegt – der Unternehmer. j) Höchstbetragsberechnung. Der Höchstbetrag des Ausgleichs ergibt sich wiederum 301 aus den Abrechnungen (§ 87c Abs. 1) oder dem Buchauszug (§ 87c Abs. 2) und ist nach den oben zu den Provisionen genannten Maßstäben zu ermitteln. Der Inhalt der Kontrollmittel ist zugunsten des HV als zutreffend zu vermuten (Rn 290). In die Höchstbetragsberechnung sind die gesamten Provisionseinnahmen einzubeziehen, ohne Abzug eines verwaltenden Anteils 1534. Die Bestimmung des Höchstbetrages ist daher einfacher als die Bestimmung der auf ausgleichspflichtige Kunden entfallenden Provisionen. Beweispflichtig ist der Unternehmer. Der HV braucht zum Höchstbetrag nicht einmal vorzutragen. Er riskiert aber eine teilweise Klagabweisung, wenn der Unternehmer einen unterhalb der Höchstgrenze liegenden Ausgleich beweisen kann. 2. Beispielsrechnung. Es ergibt sich folgende Formel: 302 Ohne Abzug einer Fluktuationsquote: Ausgleichspflichtige Bruttoprovisionen (im 303 Zweifel: Gesamtprovisionen der letzten zwölf Monate 1535) × 0,5 (regelm. Stammkundenquote) × 0,05–1,0 (Anteil neugeworbener Kunden, Rn 292) × 0,9 (regelm. Abzinsung) × 4 (Prognosezeitraum) = Brutto-Rohausgleich. Der Brutto-Rohausgleich wird durch die 1530 1531

1532

NJW-RR 2003, 900. Siehe etwa die Tankstellenurteile des BGH: Urt. v. 10.07.2002 – VIII ZR 58/00, BB 2002, 2151 = DB 2002, 2321 = NJW-RR 2002, 1548 = EWiR 2002, 1011 (Albicker) = WM 2003, 491; BGH, Urt. v. 25.09.2002 – VIII ZR 253/99, ZIP 2003, 34 (38) = DB 2003, 146 = NJW 2003, 290 = WM 2003, 504 = MDR 2003, 279. BGH, NJW-RR 2000, 109 = EWiR 2000, 237 (Emde).

1533

1534

1535

OLG Celle, Urt. v. 16.05.2002 – 11 U 193/01, VersR 2002, 976; Graf v. Westphalen/Westphal Handbuch des Handelsvertreterrechts in EU-Staaten und der Schweiz, Länderteil Deutschland, Nr. 708. BGH, Urt. v. 04.06.1975, EBE 1975, 351 (354); OLG Nürnberg v. 18.01.1984, HVRNr. 583. Bei Untypik dieses Zeitraumes eine längere Spanne, meist fünf Jahre.

Raimond Emde

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§ 89b

1. Buch. Handelsstand

Brutto-Höchstgrenze beschnitten. Auf das Hinzusetzen von 2/3 der Einfachkunden des letzten Vertragsjahres als potentielle Mehrfachkunden 1536 kann eventuell bei Verzicht auf die Abwanderungsquote verzichtet werden. Ein Kompromiss wäre das Hinzusetzen von 1/3 der Einfachkunden des letzten Vertragsjahres. Wenn man eine jährliche Fluktuationsrate von 25 % abziehen will, so ergibt sich fol304 gende Ausgleichsberechnung: Die ausgleichspflichtigen Provisionen der letzten 12 Monaten der Tätigkeit werden nach der Formel „Ausgleichspflichtige Bruttoprovisionen (im Zweifel: Gesamtprovisionen) × 0,5 (regelm. Stammkundenquote) plus (eventuell) 2/3 der Einfachkunden des letzten Vertragsjahres als potentielle Mehrfachkunden × 0,05 –1,0 = Rechenposten für die Abwanderungsquote“ bestimmt. Unterstellt man, dass sich als Ergebnis die Summe von 50.000,00 € ergibt, wird wie folgt weitergerechnet: Der Regelprognosezeitraum beträgt vier Jahre, die Abwanderungsquote 25 % (s.o.): Provisionsverlust für das 1. Jahr nach Vertragsbeendigung: 50.000,00 € ./. 25 % (12.500,00 €) = € 37.500,00 Provisionsverlust für das 2. Jahr nach Vertragsbeendigung: 37.500,00 € ./. 25 % (9.375,00 €) = € 28.125,00 Provisionsverlust für das 3. Jahr nach Vertragsbeendigung: 28.125,00 € ./. 25 % (7.031,25 €) = € 21.093,75 Provisionsverlust für das 4. Jahr nach Vertragsbeendigung: 21.093,75 € ./. 25 % (5.273,44 €) = € 15.820,31 Rohausgleich insgesamt: € 102.539,06. Hiervon ist eine zehnprozentige Abzinsung vorzunehmen. Der so errechnete Rohausgleich wird durch die gem. Rn 301 bestimmte Ausgleichshöchstgrenze begrenzt 1537. 3. Berechnung des Ausgleichs im Vertragshändlerrecht. Das Vertragshändlerrecht ist nicht durch eine EU-Richtlinie präformiert. Es differiert daher innerhalb der EU-Staaten. Belgien hat den Vertragshändlerausgleich gesetzlich vorgeschrieben. Kontrovers diskutiert wird der Ausgleich des Vertragshändlers in den Niederlanden, Griechenland, Finnland, Schweiz, Frankreich und England. In Dänemark hat der oberste Gerichtshof die analoge Anwendung des HV-Ausgleichs verneint, während er in Spanien und Österreich durch höchstrichterliche Entscheidungen bejaht wurde 1538. Bei vielen Vertragshändlerverträgen, zu denen ein Ausgleich zugesprochen wird, handelt es sich de facto bereits um Franchisefälle 1539. Voraussetzung des Vertragshändlerausgleichs ist – wie dargelegt – die Erfüllung der 306 unter Rn 30 ff dargestellten Analogievoraussetzungen. Ein Vertragshändler erhält einen Ausgleich nur für die einem HV in vergleichbarer Position zu zahlenden Vergütungsbestandteile. Zur Berechnung des Rohausgleichs muss der Rabatt also auf die einem HV gewährte Provision zurückgeführt werden. Vergütungsbestandteile für nicht HV-typische Tätigkeiten sind vor Beginn der Ausgleichsberechnung zu eliminieren, insbesondere für das Absatz-, das Lager- sowie das Kreditrisiko. Für die Rückführung des Rabattes eines Vertragshändlers auf das Niveau einer HV307 Provision sind im Wesentlichen vier Berechnungsmethoden anerkannt:

305

1536

1537

So OLG Saarbrücken, Urt. v. 05.02.2003 – 1 U 924/01 – 211, NJW-RR 2003, 900 = EWiR 2003, 825 (Emde). Kommentar zu dieser Formel bei Eberstein S. 146 Fn. 146.

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1538 1539

Kocher RIW 2003, 512 (515). K. Schmidt Handelsrecht, § 28 III 2a.

Raimond Emde

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 89b

– In einer zweistufigen Vorgehensweise wird in einem ersten Rückführungsschritt der dem Händler eingeräumte Rabatt durch Reduzierung der händlertypischen Bestandteile auf das Niveau eines HV zurückgeführt. Dann werden in einem zweiten Rückführungsschritt die der Provision des HV für verwaltende Tätigkeiten entsprechenden Vergütungsanteile ausgesondert, so dass die für die werbende, vermittelnde Tätigkeit gewährte Vergütung übrig bleibt 1540. – Eine zweite Bestimmungsmethode vergleicht die dem Vertragshändler gewährte Vergütung mit den Provisionen, die dem HV in vergleichbarer Stellung gewährt werden. Diese sind dann nach Kürzung um ihre verwaltenden Anteile für die Ausgleichsberechnung maßgeblich 1541. – Eine dritte Ansicht geht von der ungekürzten Händler-Bruttospanne aus. Der dem Händler gewährte Bruttorabatt wird also ohne Abzug von Rabatten oder Preisnachlässen der Ausgleichsberechnung zu Grunde gelegt 1542. Begründung: Die Gewährung von Rabatt durch den Händler mindere zwar den Gewinn des Händlers, nicht jedoch den Vorteil, welchen der Hersteller aus dem übertragenen Kundenstamm erziele 1543. – Die vierte Methode berechnet den Ausgleich aus dem vom Vertragshändler tatsächlich erzielten Rohertrag, also der Differenz zwischen dem Händlereinkaufspreis und den hierauf entfallenden Einnahmen des Händlers, reduziert durch Preisnachlässe oder Rabatte, die der Händler gewähren muss. Der Vertragshändler habe die Möglichkeit, durch eigenständige Preiskalkulation am Preiswettbewerb teilzunehmen; durch Preisnachlässe verwirkliche sich sein Absatzrisiko, welches ihn im Gegensatz zum HV treffe 1544. Richtig dürfte im Ausgangspunkt die vierte Variante, die sogenannte Rohertrags- 308 methode, sein. Es sind im Anschluss jedoch händleruntypische Bestandteile von dem so ermittelten Rohertrag abzuziehen. Fraglich bleibt allerdings, ob die angeblich im Vergleich zur Provision des HV den Rabatt des Händlers erhöhenden Risiken immer sehr erheblich sind: Bei schnelllebigen und modischen Produkten kann das Absatzrisiko höher einzuschätzen sein als bei eingeführten Markenartikel 1545. Es besteht nicht, wenn in periodischen Abständen eine Rücknahmepflicht des Herstellers vereinbart ist 1546. Das Lagerrisiko fängt der Vertragshändler in der Regel durch eine Versicherung der Lagerbestände auf. Dann bestimmen häufig die Höhe der Versicherungsprämien die Größe des Lagerrisikos 1547. Die Art des Käuferkreises kann sich auf das Kreditrisiko auswirken, etwa soweit der Vertragshändler stets mit ihm bekannten Leasinggebern zusammenarbeitet 1548. Zur Berechnung des Kreditrisikos können gegebenenfalls in der Branche übliche Wertberichtigungen herangezogen werden 1549. Regelmäßig dürfte dieser Abzugsposten einen geringen Betrag ausmachen, da die Händlerspanne durch den erheblichen Wettbewerb oft bereits auf das Niveau eines HV herabgesetzt ist. Hier kann eine Kontrollrechnung helfen: Ergibt sich, dass vergleichbare Provisionen eines HV nicht niedriger liegen als die nach der Rohertragsmethode berechnete Händlerspanne oder diese Händlerspanne sogar übersteigen sind keine Abzüge für HV-untypische Leistungen vorzunehmen. 1540 1541

1542 1543 1544

Küstner/v. Manteuffel BB 1988, 1972. BGH, Urt. v. 02.07.1987, WM 1987, 1462; Graf v. Westphalen DB 1988, Beilage 8, 6; Horn ZIP 1988, 137 (141); Küstner/v. Manteuffel BB 1988, 1972 (1978). OLG Köln OLGR 1996, 177. OLG Köln OLGR 1996, 177 (179). BGH ZIP 1996, 1299 (1230); BGH BB 1997, 852.

1545 1546 1547 1548 1549

Westphal Vertriebsrecht II, Rn 238. Westphal Vertriebsrecht II, Rn 239. Westphal Vertriebsrecht II, Rn 240. Westphal Vertriebsrecht II, Rn 243. Westphal Vertriebsrecht II, Rn 243; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rn 845.

Raimond Emde

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§ 89b

1. Buch. Handelsstand

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Ausgleichspflichtig ist der Gesamtkaufpreis des Produkts einschließlich des vom Hersteller gelieferten Zubehörs. Vergütungen aus Verkäufen an die Unterorganisation sind in die Ausgleichsbemessungsgrundlage einzubeziehen, sofern der Händler nicht nur als selbständiger Zwischenhändler sondern mit Kontroll- und Aufsichtsbefugnissen ausgestattet aufgetreten ist 1550. Hat der Haupthändler gegenüber seinem Unterhändler Unterstützungs- und Betreuungspflichten, steht dem Haupthändler bei Beendigung seines Vertrages ein Ausgleichsanspruch für mit den Unterhändlern abgeschlossene Geschäfte zu 1551. Es kommt für die Ausgleichsverpflichtung nicht darauf an, ob die Vertragsprodukte direkt beim Unternehmer oder etwa einem anderen Vertragshändler bezogen wurden 1552. Dementsprechend hat der BGH in seiner Honda-Entscheidung 1553 eine Klausel für unwirksam gehalten, der zufolge nur beim Hersteller erworbene Lagerwaren nach Vertragsende vom Hersteller zurückgekauft werden. Die Klausel erschwere Käufe von Vertragswaren bei anderen Händlern (Querlieferungen) entgegen Art. 6 und 9 GVO 1475/95. Vor diesem Hintergrund wird man vertreten können, dass innerhalb eines einheitlichen Vertriebsnetzes auch eine Querlieferung dem Netzoberen, dem Unternehmer, zuzurechnen ist und eine Mehrfachkundeneigenschaft begründet. Verkaufsfördernde Boni, Prämien oder Rabatte steigern die Handelsspanne und müssen bei der Berechnung des Rohertrags berücksichtigt werden 1554. Das gilt insbesondere für Neuzulassungsboni 1555. Wenn Ausgangspunkt der Ermittlung des individuellen Rohertrages die Differenz zwischen Händlerverkaufs- und -einkaufspreis ist, müssen Zulassungsboni ausgleichserhöhend einbezogen werden. Es handelt sich bei diesen Boni auch nicht um allein händlertypische Rabattanteile und gleichfalls nicht um Vergütungen, die Händlern nur für verwaltende Tätigkeiten gewährt werden und deshalb berücksichtigungsunfähig sind. Sie stellen vielmehr eine Vergütung für die einem HV vergleichbare werbende Tätigkeit des Händlers dar. Ausgleichspflichtig sind auch Geschäfte mit einer Leasinggesellschaft, welcher der Hersteller in einem Großabnehmerabkommen besondere Einkaufskonditionen gewährt. Auch hier muss der Mittler vor Geschäftsabschluss einen Rest an Überzeugungsarbeit leisten. Denn das Leasingunternehmen könnte bei einem anderen Händler oder Hersteller kaufen 1556. Im Falle eines Verkaufs an eine Leasinggesellschaft ist in der Regel nicht diese sondern der Leasingnehmer Kunde des Händlers und damit bei der Ermittlung des ausgleichsrechtlich relevanten Mehrfachkundenumsatzes zu berücksichtigen 1557. Der Prognosezeitraum beträgt zwischen 5 und 8 Jahren 1558 (6 Jahre 1559). Nicht aus310 gleichsfähig sind regelmäßig Vergütungen mit Kunden, die nach 11 oder 12 Jahren einen Zweitkauf tätigen 1560. 1550

1551

1552 1553

1554

BGH NJW 1996, 2298 (2301); BGH, Urt. v. 02.07.1987 – I ZR 188/85, NJW-RR 1988, 42. OLG Köln, Urt. v. 09.07.1995 – 25 U 20/84; Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 511. OLG Köln VersR 2002, 437 (438). BGH, Urt. v. 20.07.2005 – VIII ZR 121/04, ZEP 2005, 1785 = WM 2005, 2002 = NJW – RH 2005; 1496 = EWIR 2005, 815 (Emde) = NJW 2006, 46. Vogels/Köhnen in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 515; Genzow Rn 165.

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1555 1556

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1560

OLG Köln VersR 2002, 437 (438). OLG Saarbrücken, Urt. v. 05.02.2003 – 1 U 924/01-211, NJW-RR 2003, 900 = EWiR 2003, 825 (Emde). OLG Köln, Urt. v. 15.11.2002 – 19 U 94/02, VersR 2003, 105. BGH, Urt. v. 22.02.2006 – VIII ZR 173/04, NJW-RR 2006, 1328 = WM 2006, 759 = WRP 2006, 759. OLG Saarbrücken, Urt. v. 05.02.2003 – 1 U 924/01-211, NJW-RR 2003, 900 = EWiR 2003, 825 (Emde). OLG Saarbrücken, Urt. v. 05.02.2003 – 1 U 924/01-211, NJW-RR 2003, 900 = EWiR 2003, 825 (Emde).

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 89b

Ersatzteile, die ein Vertragshändler in seinen Verkaufsräumen veräußert sind ebenso 311 ausgleichspflichtig 1561 wie in dessen Werkstatt eingebaute Teile 1562. Die vertragliche Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes ergibt sich als Annex aus der Verpflichtung zur Benennung der Kunden der Ware, etwa des Kfz 1563. Zur Berechnung des Ausgleichsanspruchs im Ersatzteilgeschäft Rn 319. Ein Abzug für die Sogwirkung der Marke wurde früher regelmäßig in Höhe von 312 25 % anerkannt. Heute wird eher die 10 %-Marke erreicht bzw. es wird gar kein Abzug anerkannt 1564. Die Begründung für diese Entwicklung liegt auf der Hand. Jede Marke besitzt eine gewisse Sogwirkung. Ist die Marke bekannt, bleibt die Handelsmarge geringer, bei unbekannten Produkten liegt sie entsprechend höher. Zudem wird gerade im Kfz-Bereich der gesamte Markt durch ein Oligopol von Herstellern mit starkem Markennamen dominiert, die den Kunden mit ihrem unterschiedlichen Image je nach persönlicher Erwartungshaltung ansprechen. Folglich ist bereits in der Händlermarge die Sogwirkung der Marke hinreichend berücksichtigt. Sie darf kein zweites Mal mindernd zum Abzug gebracht werden 1565. a) Ausgleichsformel für das allgemeine Vertragshändlerrecht. In Variation der oben 313 Rn 302 ff zum HV-Recht dargelegten Formel halte ich für das Vertragshändlerrecht folgende Formel für richtig: Brutto-Händlerrabatt (Differenz zwischen An- und Verkaufspreis der letzten zwölf Vertragsmonate brutto) × 0,5 (regelmäßig vermutete Stammkundenquote) plus (eventuell) 2/3 der Einfachkunden des letzten Vertragsjahres als potentielle Mehrfachkunden × 7/10 (= Berücksichtigung eines Abschlags von 30 % für HV-untypische und verwaltende Tätigkeit) × 0,05 bis 1,0 (Neukundenanteil) 1566 × 0,9 (regelmäßiger Abzinsungsbetrag v. 10 %) × 5 (Regelprognosezeitraum 5 Jahre) × (0,7–0,9 = Billigkeitsabschlag nach § 89b Abs. 1 Ziff. 3, zwischen 30 und 10 %) = Brutto-Rohausgleich. Dieser Rohausgleich wird durch die Bruttohöchstgrenze des Ausgleichs begrenzt 1567. Auch im Vertragshändlerrecht ist ein Brutto-Betrag einschließlich Umsatzsteuer geschuldet 1568. Auf das Hinzusetzen von 2/3 der Einfachkunden des letzten Vertragsjahres als potentielle Mehrfachkunden kann möglicherweise bei Streichung der Abwanderungsquote verzichtet werden. Ein Kompromiss wäre das Hinzusetzen von 1/3 der Einfachkunden des letzten Vertragsjahres.

1561 1562

1563

1564 1565 1566

Emde GRUR 2006, 997 (1003). Emde GRUR 2006, 997 (1004); Graf v. Westphalen DB Beilage 8/1988, 7; OLG Köln – 25 U 20/84, zitiert nach Graf v. Westphalen DB Beilage 8/1988, 7 Fn 152; aA BGH NJW-RR 1988, 42 (44) = ZIP 1987; 1383. Emde GRUR 2006, 997 (1005); Niebling Vertragshändlerrecht, 2. Aufl. 2003, Rn 292. Ensthaler/Gesmann-Nuissl/Stopper DB 2003, 257 (265). Ensthaler/Gesmann-Nuissl/Stopper DB 2003, 257 (266). Es wird vermutet, dass der Neukundenanteil an den Gesamtprovisionen nach sechs Monaten 5 Prozent, nach dem ersten

1567

1568

Vertragsjahr 10 Prozent, nach dem zweiten Vertragsjahr 20 Prozent, nach dem dritten Vertragsjahr 30 Prozent, nach dem vierten Vertragsjahr 40 Prozent und nach dem fünften Vertragsjahr 50 Prozent der ermittelten Gesamtprovision beträgt; Gegenbeweis bleibt zulässig. Eine weitere, ebenso sehr handhabbare Formel entwickelt für den Ausgleich eines Peugeot-Vertragshändlers das OLG Saarbrücken, Urt. v. 05.02.2003 – 1 U 924/01211, NJW-RR 2003, 900 = EWiR 2003, 825 (Emde). BGH, Urt. v. 11.12.1958, BB 1959, 7; Urt. v. 28.06.1973, BB 1973, 1092; v. 05.06. 1996, BB 1996, 1683; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rn 875.

Raimond Emde

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§ 89b

1. Buch. Handelsstand

Eine abweichende Formel mit zu hoher Abwanderungsquote bildet Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rn 901 ff.: Er bezieht im ersten Jahr 20 %, im zweiten 40 %, im dritten 60 % und im vierten Jahr 80 % des Ausgleichsbemessungsbetrages in die Ausgleichsberechnung ein, wobei auch er den Bemessungsbetrag aus den auf HV-Niveau reduzierten Rabatten des letzten Vertragsjahres (neugeworbene Stammkunden, erweiterte Altstammkunden, potentielle Stammkunden) errechnet. Dieser Betrag wird dann von ihm nach Hoffmann oder Gillardon abgezinst, um Billigkeitsgesichtspunkte vermindert und den Ausgleichshöchstbetrag begrenzt.

314

b) Kfz-Vertragshändlerrecht. Ein üblicher Kfz-Vertragshändlervertrag führt zur Ausgleichspflicht des Herstellers 1569. Die turnusmäßige Novellierung der kartellrechtlichen GVOs ändert an der Ausgleichspflicht nicht: Sie hat kartellrechtliche und keine zivilrechtliche 1570 und damit ausgleichsrechtliche Bedeutung. Angeblich größere Freiheit im Vertrieb unter einer GVO beseitigt die Ausgleichspflicht nicht. Eine Ausgleichspflicht besteht auch bei völliger Freiheit von wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen, zumal die wettbewerbsbeschränkenden Abreden der Händlerverträge nur im Interesse der Hersteller in die Verträge eingefügt werden 1571. Im Falle eines Verkaufs an eine Leasinggesellschaft soll in der Regel nicht diese sondern der Leasingnehmer Kunde des Händlers und damit bei der Ermittlung des ausgleichsrechtlich relevanten Mehrfachkundenumsatzes zu berücksichtigen sein 1572. Auch bei der Werbung weiterer Vertragshändler durch ein regionales Vertriebszentrum soll der Ausgleichsanspruch auf der Basis der Verkäufe des geworbenen Vertragshändlers an Endverbraucher berechnet werden, nicht auf der Basis der Verkäufe an die geworbenen Vertragshändler 1573. Es soll mithin darauf ankommen, ob die Abkäufer des Vertragshändlers Mehrfachkunden sind und nicht die geworbenen Vertragshändler. Dies ist problematisch 1574, insbesondere im Verhältnis zwischen A- und B-Händlern. Denn die B-Händler sind durchweg Mehrfachkunden und es kann für die Ausgleichsberechnung keine Rolle spielen, ob sie die Fahrzeuge weiterveräußern oder nicht. Außerdem hat der A-Händler keine Kenntnis über das Ob und Wie der Weiterveräußerung und kann daher die Ausgleichsvoraussetzung „Mehrfachkundeneigenschaft“ nicht beweisen. Ehegatten und Abkömmlinge des Erstkäufers sind bei der Bestimmung des Mehrfachkunden „ein Kunde“1575, ebenso wie auch Geschäftsführer und „seine“ GmbH 1576. Nach der auf andere Kfz-Vertragshändlerfälle übertragbaren, für den BMW-Vertrieb 315 entworfenen Münchner Formel 1577 in ihrer Beschlussfassung vom 3.8.1998 errechnet 1569 1570

1571

1572 1573

OLG Köln VersR 2003, 105 mit eher launigen Worten. BGH, Urt. v. 28.06.2005 – KZR 26/04, WRP 2006, 109 (111) = GRUR Int. 2006, 57. Deshalb hat etwa das OLG Köln in seinem Urt. v. 05.05.2006 – 19 U 202/05 keine Bedenken gehabt, den Ausgleich auch nach Einführung der neuen Kfz-GVO 1400/02 nach den bisherigen Maßstäben zu bestimmen. OLG Köln, Urt. v. 15.11.2002 – 19 U 94/02, VersR 2003, 105. LG Hamburg – 418 O 90/97, unveröffentlicht; vgl. BGH v. 02.07.1987, NJW-RR 1988, 42.

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1574 1575 1576 1577

Emde VersR 1999, 1174. BGH, Urt. v. 05.06.1996 – VIII ZR 7/95, NJW 1996, 2302, 2305. Niebling WRP 2001, 506 ff. Kritisch zur Münchner Formel: OLG Frankfurt, Urt. v. 23.05.2005 – 5 U 94/05; OLG München, Beschl. v. 16.01.2002 – 7 U 4312/00; OLG Saarbrücken, Urt. v. 05.02. 2003 – 1 U 924/01 – 211, NJW-RR 2003, 900 = EWiR 2003, 825 (Emde), die aber Teilaspekte der Formel akzeptieren; Intveen BB 1999, 1881 (1885); Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rn 923 ff.

Raimond Emde

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 89b

sich der Vertragshändlerausgleich wie folgt: HVK (1) ./. WAP (2) + B/R (3) × 7/10 (4) × Pr. d. StK (5) × 5 (6) × 0,7 (7) × 52,9907 : 60 (8) × 0,19 (Umsatzsteuer, siehe 9) + Verzugszinsen ab Fälligkeit (10). Zur Erläuterung der verwendeten Begriffe: 1. HVK = erzielter Netto – Händlerverkaufspreis für verkaufte Produkte an Endkunden (unter Berücksichtigung der gewährten Nachlässe / Rabatte / Skonti) des letzten Jahres vor Vertragsbeendigung. 2. WAP = Werksabgabepreis (ohne Berücksichtigung der vom Hersteller gewährten Rabatte, Boni und Prämien), bezogen auf das letzte Vertragsjahr für alle verkauften Produkte. 3. B/R = alle vom Hersteller gewährten Boni, Rabatte u.ä. 4. 7/10 = Berücksichtigung eines Abschlags von 30 % für verwaltende Tätigkeit 1578. Für einen höheren Anteil wäre der Unternehmer darlegungs- wie beweispflichtig. Denn der BGH hat in den Tankstellenurteilen 1579 den Mineralölunternehmen die Darlegungs- und Beweislast für einen geringeren als den vom Tankstellenvertreter behaupteten Prozentsatz verwaltender Tätigkeit auferlegt, weil in den dortigen Verträgen jeweils nur eine Einheitsprovision ohne Aufteilung auf werbende und verwaltende Tätigkeit vorgesehen war und das Mineralölunternehmen, welches jeweils den Vertragsinhalt vorgegeben hätte, über Erfahrungswerte verfügen musste, welcher Anteil der einheitlichen Provision zur Abgeltung verwaltender Tätigkeit bestimmt sein sollte. 5. Pr. D. StK = Prozentualer Stammkundenanteil. Das LG München I ist aber gemäß § 287 ZPO von einem regelmäßigen Stammkundenanteil zwischen 30 % und 60 % ausgegangen. Diese Schematisierung wird man auf andere Fälle übertragen können. 6. Prognosezeitraum: 5 Jahre, nach neuerer Rechtsprechung 5–8 Jahre 1580. 7. Billigkeitsabschlag nach § 89b Abs. 1 Ziff. 3, vor allem Berücksichtigung eines prozentualen Abschlags wegen „Sogwirkung der Marke“; das LG München wird insoweit kein Gutachten einholen, vielmehr nach § 287 ZPO schätzen, wobei von einem grundsätzlichen Abzug von einem Drittel (= 0,7) für die Marke BMW ausgegangen wird. Bei Vorliegen besonderer Umstände kann hiervon abgewichen werden. 8. Abzinsung nach Gillardon. 9. Berücksichtigung der Mehrwertsteuer. 10. Verzinsung ab Fälligkeit 1581, wobei streitig sein kann, ob Fälligkeit der Ausgleichszahlung vor Kenntnis des Unternehmers von den Berechnungsgrundlagen des Ausgleichs angenommen werden kann. Denn anders als der Unternehmer eines HV kennt der Unternehmer eines Vertragshändlers die Berechnungsgrößen des Ausgleichs nicht notwendigerweise, insbesondere zur Höhe der Rabatte. Das OLG München1582 kritisiert an der Münchner Formel, dass die Boni, die Bemes- 316 sung des Verwaltungsanteiles und des Prognosezeitraumes wie auch die Ermittlung des Billigkeitsabschlages nicht auf den konkreten Einzelfall bezogen vorgenommen werden. Ob dies nach § 287 ZPO tatsächlich notwendig ist, erscheint zweifelhaft. Die Ergebnisse werden nicht sehr weit auseinander fallen, wie auch das OLG München betont. Es ist daher praktikabler, wenn der Verwaltungsanteil pauschal mit 30 % in Abzug gebracht wurde, wobei die Parteien den Nachweis erbringen könnten, dass im konkreten Fall von einem anderen Abzug ausgegangen werden muss1583. Ein weiteres Problem der Münchner Formel ist die fehlende Berücksichtigung des im Kfz-Händlerrecht besonders erheblichen Anteils potentieller Mehrfachkunden, die das OLG Saarbrücken 1584 zutreffend 1578

1579

So auch OLG Saarbrücken, Urt. v. 05.02. 2003 – 1 U 924/01-211, NJW-RR 2003, 900 = EWiR 2003, 825 (Emde); Ensthaler/ Gesmann-Nuissl/Stopper DB 2003, 257 (265). v. 28.04.1988 – I ZR 66/87 unter II 2; zuletzt BGH v. 10.07.2002 – VIII ZR 158/01, VersR 2003. 767 sub II 2.

1580

1581 1582 1583 1584

BGH, Urt. v. 22.02.2006 – VIII ZR 173/04, NJW-RR 2006, 1328 = WM 2006, 759 = WRP 2006, 759. BGH BB 1991, 368/369. Beschl. v. 16.01.2002 – 7 U 4312/00. Niebling Vertragshändlerrecht, 2. Aufl., Rn 261. OLG Saarbrücken, Urt. v. 05.02.2003 –

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mit 2/3 der um verwaltende Anteile (30 %) gekürzten Erlöse aus Geschäften mit Einfachkunden des letzten Vertragsjahres bemessen hat. Dieser Betrag wäre der Ausgleichsbemessungsgrundlage zuzusetzen, sofern man die potentiellen Mehrfachkunden nicht bereits durch den nach der Renault-Entscheidung zulässigen Verzicht auf die Abwanderungsquote (Rn 278, 283, 298) ausgeglichen sieht. Die Ausgleichsbessungsgrundlage ergibt sich dann aus der Summe der Mehrfachkundenerträge sowie des genannten Anteils von 2/3 der um verwaltende Anteile gekürzten Einfachkundenerträge des letzten Vertragsjahres. Die Bemessung der Ausgleichshöchstgrenze des § 89b Abs. 2 nimmt die Münchner 317 Formel wie folgt vor: (durchschnittlicher jährlicher HVK der letzten fünf Jahre abzüglich durchschnittlicher jährlicher WAP der letzten fünf Jahre + durchschnittliche jährliche Boni/Rabatte der letzten fünf Jahre) mal 7/10. Dabei soll wegen der gebotenen Analogie zum HV-Recht auch bei der Ermittlung der Kappungsgrenze der Verwaltungsanteil von 3/10 mindernd berücksichtigt werden, da nur der werbende Anteil der Boni/Rabatte der HV-Provision entsprechen sollen. Weichen die Verkaufszahlen der letzten vier Jahre vor dem letzten Vertragsjahr nicht außergewöhnlich von denen des Vertragsjahres aus, so wird in fast allen Fällen die Höchstsummenbegrenzung greifen. Wauschkuhn 1585 stellt eine abweichende Berechnungsweise dar: er geht von einem fünfjährigen Prognosezeitraum und Vergütungsverlusten von 75% des Ausgleichsbemessungsbetrages (auf HV-Niveau reduzierte Rabatte der letzten 12 Monate aus Geschäften mit neu geworbenen Stammkunden, erweiterten Altstammkunden sowie potentiellen Stammkunden) im ersten Jahr, 50% im zweiten, 25% im dritten und jeweils 10% im vierten und fünften Jahr aus. Danach bestimmt sich der ausgleichspflichtige Verlust bei einem Bemessungsbetrag von EUR 200.0000 wie folgt: Provisionsverlust für das 1. Jahr nach Vertragsbeendigung: EUR 150.000,00 Provisionsverlust für das 2. Jahr nach Vertragsbeendigung: EUR 100.000,00 Provisionsverlust für das 3. Jahr nach Vertragsbeendigung: EUR 50.000,00 Provisionsverlust für das 4. Jahr nach Vertragsbeendigung: EUR 20.000,00 Provisionsverlust für das 5. Jahr nach Vertragsbeendigung: EUR 20.000,00 Rohausgleich insgesamt: EUR 340.000,00 Dieser Betrag wird dann nach Gillardon oder Hoffmann abgezinst und ggf. durch die Ausgleichshöchstgrenze begrenzt. Umsätze im Gebrauchtwagen- und Vorführwagengeschäft bleiben bei der Ausgleichs318 berechnung unberücksichtigt 1586. Bei der Bestimmung der Höhe des Kfz-Händlerausgleichs ist deshalb häufig streitig, was ein Neu- und was ein Gebrauchtwagen ist. Im Rahmen einer Klage auf Minderung, also in anderem Zusammenhang, hat das OLG Naumburg entschieden 1587, der Eigenschaft als Neuwagen stehe entgegen, dass der Wagen für einen Tag auf den Händler zugelassen war. Auf den Bereich der Ausgleichsermittlung dürfte sich dieses Urteil nicht übertragen lassen.

319

c) Ersatzteile. Die Berechnung des Ausgleichsanspruchs kann auch im Teilegeschäft an Hand der Münchner Formel zum BMW-Vertrieb 1588 erfolgen, auch bei anderen Mar-

1585 1586

1 U 924/01-211, NJW-RR 2003, 900 = EWiR 2003, 825 (Emde). In Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rn 902. Niebling WRP 2001, 506 ff.

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1587 1588

Urt. v. 02.09.1999 – 12 U 19/99, NJW-RR 2001, 461. Ablehnend zur Münchner Formel OLG Frankfurt, Urt. v. 23.05.2005 – 5 U 94/05.

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§ 89b

ken 1589. Danach ergibt sich folgender Rechenweg: (Netto-Händlerverkaufspreis für verkaufte Produkte an Endkunden des letzten Vertragsjahres) – (Werksabgabepreis aller im letzten Vertragsjahr verkauften Produkte) + (alle vom Hersteller gewährten Boni, Rabatte u.ä.) × (prozentualer Stammkundenanteil, wobei gem. § 287 ZPO von einem regelmäßigen Stammkundenanteil zwischen 30 % und 60 % ausgegangen wird) plus (eventuell) 2/3 der Einfachkunden des letzten Vertragsjahres als potentielle Mehrfachkunden × 7/10 (= Berücksichtigung eines Abschlags von 30 % für verwaltende Tätigkeit) × 5–8 (= Prognosezeitraum: 5–8 Jahre) × (0,7–0,9 = Billigkeitsabschlag nach § 89b Abs. 1 Ziff. 3, zwischen 30 und 10 %) × 0,8831783 (Abzinsung nach Gillardon) × 1,19 (für 19 % Umsatzsteuer) + (Fälligkeits- und Verzugszinsen). 4. Ausgleichsanspruch des Tankstellen-HV. Der Halter einer Tankstelle, auch einer 320 Selbstbedienungstankstelle, ist HV 1590. Um ausgleichsberechtigt zu sein, muss er Neukunden geworben haben. Die Schwierigkeit der Ausgleichsberechnung beleuchten für Tankstellen bereits früh Veith DB 1963, 1277 und BGH NJW 1965 248, 249. Die für die Neukundenwerbung mitursächliche Vermittlungstätigkeit liegt bei einer Selbstbedienungstankstelle darin, dass der HV die Tankstelle offen und die Vorrichtungen zur Abgabe von Kraftstoffen betriebsbereit hält. Werbende Provisionsanteile sind auch die für das Offenhalten der Tankstelle, die Aufrechterhaltung der Verkaufsbereitschaft einschließlich der dazu erforderlichen Tätigkeiten, die Lagerhaltung und Auslieferung sowie das Inkasso geleistete Vergütungen. Ohne eine Inkassotätigkeit ist eine Verkaufstätigkeit nicht denkbar. Der Ansatz verwaltender Provisionen mit 10 % für das Tankstellen- 1591 sowie das mit dem Tankstellengeschäft verbundene Shop-Geschäft und 50 % für die Autowaschanlage ist nicht zu beanstanden. In die Ausgleichsberechnung ist die gesamte Provision einzubeziehen, nicht nur der Vergütungsanteil, der nach Abzug der Betriebsund Personalkosten als Gewinn verbleibt. Sofern in dem Vertrag ungeregelt bleibt, in welchem Umfang Provisionen und verwaltende Tätigkeiten vergütet werden, muss der Unternehmer im Falle einer Auseinandersetzung im Einzelnen darlegen, welche Aufteilung der Provision angemessen ist 1592. Der Berechnung des Ausgleichsanspruchs wird die letzte Jahresprovision aus Geschäf- 321 ten mit geworbenen Stammkunden oder erweiterten Altstammkunden zugrunde gelegt 1593. Inhaber einer Kundenkarte des Mineralölkonzerns sind durch den TankstellenHV geworbene Kunden, weil der Inhaber der Karte nicht verpflichtet wird, Leistungen des Mineralölkonzerns in Anspruch zu nehmen (es bedarf also einer gesonderten Werbung um das Einzelgeschäft). Wer bei einer Tankstelle neuer Kunde wird, braucht nicht auch für die Mineralölgesellschaft ein „neuer“ Kunde zu sein. Es ist deshalb kein Umsatzanteil für solche Stammkunden abzuziehen, die zuvor an anderen Tankstellen des Mineralölunternehmens getankt haben 1594, es sei denn, diese Zahl lässt sich konkret bestimmen. Mehrfachkunden sind die Personen, die zwar keine Stammtankstelle im 1589 1590

1591

1592

Emde VersR 2001, 148 (164); GRUR 2006, 997 (1006); Emde BB 2007, 2480. Siehe BGH NJW 1985, 862; NJW 1998, 66; 1998, 71; BGH, Urt. v. 12.09.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 m. Anm. Emde. BGH, Urt. v. 10.07.2002 – VIII ZR 158/01, WM 2003, 499; KG, Urt. v. 21.05.2007 – 23 U 87/05, NJOZ 2007, 3163. BGH, Urt. v. 12.02.2003 – VIII ZR 130/01, VersR 2003, 1530 = NJW-RR 2003, 821,

1593

1594

825 = MDR 2003, 882 = DB 2003, 2121 (LS) = WM 2003, 2095. BGH, Urt. v. 07.05.2003 – VIII ZR 263/02, WRP 2003, 979 = NJW-RR 2003, 1340 = WM 2003, 2107; BGH, Urt. v. 12.09.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 m. Anm. Emde. BGH, Urt. v. 07.05.2003 – VIII ZR 263/02, WRP 2003, 979 = NJW-RR 2003, 1340 = WM 2003, 2107; Veith DB 1963, 1277.

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eigentlichen Sinne frequentieren, aber dennoch eine Mindestzahl an Tankvorgängen bei einer Tankstelle ausführen. Sie werden wie Stammkunden behandelt, wenn sie die erforderliche Mindestzahl an Tankvorgängen erreichen. Für die Stammkundeneigenschaft nicht erforderlich ist, dass der gesamte Kraftstoffbedarf oder ein bestimmter Prozentsatz desselben bei einer Tankstelle gedeckt wird 1595. Der Tankstellenhalter hat die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen des § 89b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 3 und damit für die auf Geschäfte mit Stammkunden entfallenden Anteile des Umsatzes bzw. der Provisionseinnahmen 1596. Angesichts des im Tankstellenbereich typischen anonymen Massengeschäfts erleichtert der BGH die Darlegungslast. Der HV muss den Stammkundenumsatz nicht durch Vorlage von Kundenlisten mit Namen und Anschriften darlegen. Vielmehr können die ausgleichsrelevanten Daten durch die Verwertung statistischen Materials gewonnen werden, etwa die MAFO-Studie, sowie durch Artikel aus Fachzeitschriften. Auf diese Weise darf der Stammkundenanteil geschätzt werden 1597. Voraussetzung einer auf statistisches Material gestützten Schätzung ist jedoch das Fehlen einer zumutbaren Möglichkeit, die Zahlungsvorgänge an der Tankstelle auszuwerten und die Stammkundenanteile auf dieser Grundlage zu schätzen. Das Mineralölunternehmen darf einer auf Statistiken beruhenden Schätzung des Tankstellen-HV eine auf einer Auswertung der Zahlungsvorgänge beruhende eigene Schätzung des Stammkundenanteils entgegenhalten 1598. Soweit der BGH darauf hingewiesen hat, dass sich in Zukunft eine Heranziehung des weniger aussagekräftigen statistischen Materials erübrigen kann, betrifft diese in erster Linie Kunden, die mit weit verbreiteten Kreditkarten oder vergleichbaren Karten (EC-Karten) bezahlen. Für diese Zahlungsvorgänge werden Belege ausgedruckt, die zumindest die Kartennummer und die Tankmenge ausweisen und die mit Hilfe eines Datenverarbeitungsprogramms daraufhin ausgewertet werden können, ob mit diesen Karten in einem bestimmten Zeitraum mehrfach getankt wurde. Der Tankstellen-HV besitzt aber derzeit meist keine zumutbare Möglichkeit, die Kartenumsätze auszuwerten, um auf dieser Grundlage den Stammkundenumsatzanteil der Tankstelle schätzen zu können. Denn die für eine Auswertung der elektronisch erfassten Zahlungsvorgänge geeignete Software ist bislang nicht Bestandteil der für die Buchhaltung von Tankstellen verwendeten EDV-Programme oder ohne unverhältnismäßigen Aufwand zu beschaffen. Auf Grund von Kassendaten über die Kartenkunden darf der Stammkundenanteil an dem Gesamtumsatz an Hand des Stammkundenanteils unter den Kartenkunden geschätzt werden 1599. Die der Gegenrechnung des Unternehmers zugrunde liegenden Zahlen müssen auf Bestreiten durch einen Sachverständigen auf Richtigkeit und Vollständigkeit geprüft werden 1600. Möglicherweise muss der Tankstellen-HV seinen Ausgleich konkret an Hand der Zahlungsvorgänge mit Kreditkarten oder vergleichbaren Karten (EC-Karten) für die Ausgleichsberechnung auswerten, sofern der Umsatzanteil der Kreditkartengeschäfte an der Tankstelle mehr als 50 % erreicht. Eine nur mit Statistiken begründete Stammkundenquote reicht nicht aus, wenn der Gesamtumsatz der Kar-

1595 1596

1597

KG, Urt. v. 21.05.2007 – 23 U 87/05, NJOZ 2007, 3163. BGH, Urt. v. 07.05.2003 – VIII ZR 263/02, WM 2003, 2107; v. 10.07.2002 – VIII ZR 158/01, WM 2003, 499; VIII ZR 58/00, WM 2003, 491; v. 06.08.1997 – VIII ZR 150/96, WM 1998, 31; 12.09.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 m. Anm. Emde. BGH, Urt. v. 07.05.2003 – VIII ZR 263/02,

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1598 1599 1600

WRP 2003, 979 (980) = NJW-RR 2003, 1340 = WM 2003, 2107. BGH, Urt. v. 12.09.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 m. Anm. Emde. KG, Urt. v. 21.05.2007 – 23 U 87/05, NJOZ 2007, 3163, DB 2007, 1355. BGH, Urt. v. 12.09.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 Rn 32 m. Anm. Emde.

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tenzahler 53,4 % beträgt 1601. Das LG Bochum 1602 forderte bei Existenz einer Diskette mit den Buchungsvorgängen eine konkrete Berechnung. Nach der MAFO-Studie übersteigt der prozentuale Anteil von Stammkunden 73 % 322 nicht. Gemäß einer vom KG 1603 verwendeten Studie zum Tankverhalten sind 78 % der Tankkunden als „Stammtanker“ anzusehen, weitere 19 % als „Mehrfachkunden“. Dabei liegen die Stamm-Mehrfachkundenanteile in den alten etwas höher als in den neuen Bundesländern (80 % und 19 % in Westdeutschland gegenüber 73 % und 23 % in Ostdeutschland). Welcher Stammkundenanteil der Ausgleichsberechnung zugrunde zu legen ist war bis zur Entscheidung des BGH v. 12.09.2007 – VIII ZR 194/06 umstritten: Vertreten wurde, Stammkunden seien Kunden, die mindestens 3 1604, 4 1605, 6 (LG Hamburg), 8 1606 oder 12 Mal 1607 im Jahr an derselben Tankstelle tankten oder einkauften. Der BGH 1608 ließ bereits früher die Feststellung, wer mindestens 12 Mal im Jahr an einer Tankstelle tanke, sei Stammkunde, unbeanstandet. Nach der aktuellen BGH-Rechtsprechung steht fest, dass die Stammkundeneigenschaft vorliegt, sobald innerhalb eines Jahres 4 Tankvorgänge – also durchschnittlich wenigstens einmal pro Quartal – festzustellen sind 1609. Diese Annahme gründet sich u.a. darauf, dass es Tankkunden gibt, die weniger als 5 000 km pro Jahr mit ihrem Pkw fahren. Dies gilt etwa für Mütter, die einen Zweitwagen fahren und den Pkw nahezu ausschließlich zum Einkaufen am Ort und zum Transport der Kinder am Wohnort nutzen. Wenig-Fahrer sind zudem ältere Autofahrer, die erfahrungsgemäß nur eine geringe Fahrleistung pro Jahr erreichen. Tankt ein solcher Kunde ausschließlich an 2 Tankstellen am Ort, so tankt er an jeder der beiden Stationen ca. 3 Mal pro Jahr. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass moderne Dieselfahrzeuge mit größeren Tanks nicht mehr so häufig Tankstellen aufsuchen müssen. Wer mit einer Tankfüllung 1000 km fahren kann, wird in der Regel nicht öfter als 12 Mal im Jahr sein Auto betanken 1610. Auf Urlaubs- oder Krankheitszeiten der Stammkunden kommt es nicht an 1611. Es ist also maßgeblich, wie oft ein Kunde tatsächlich getankt hat und nicht wie oft er getankt hätte, wenn er daran nicht – etwa durch Urlaub oder Krankheit – gehindert gewesen wäre 1612. Den Stammkunden hinzuzusetzen sind alle Stationskreditkunden 1613; abzuziehen der 323 Durchschnittswert des Anteils der tankfremden Geschäfte 1614. Für die Stammkundeneigenschaft ist es nicht erforderlich, dass der Kunde spätestens nach 30 Tagen wieder zu einer bestimmten Tankstelle zurückkehrt 1615. Kartenwechsler sind nicht zu berücksichtigen, weil keinerlei nachvollziehbare Schätzgrundlagen über ihren Anteil an den Kunden vorliegen 1616. Autobahntankstellen pflegen regelmäßig einen geringeren Stammkundanteil zu haben (Gegenbeweis etwa wegen Pendlern zulässig). Nicht diskutiert wird, ob 1601 1602 1603 1604 1605 1606 1607

1608 1609

KG, Urt. v. 15.05.2006 – 23 U 95/05. Urt. v. 08.02.2006 – 13 O 104/03. KG, Urt. v. 24.03.2003 – 23 U 10568/99. KG, Urt. v. 24.03.2003 – 23 U 10568/99. KG, Urt. v. 21.05.2007 – 23 U 87/05, NJOZ 2007, 3163, DB 2007, 1355. LG Bochum, Urt. v. 08.02.2006 – 13 O 104/03. LG Frankfurt, Urt. v. 13.03.2006 – 3/15 O 22/04; OLG Frankfurt am Main, Hinweisbeschl. v. 10.10.2006 – 5 U 66/06. BGH, Urt. v. 10.07.2002 – VIII ZR 158/01, WM 2003, 499. BGH, Urt. v. 12.09.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 Rn 42 m. Anm. Emde.

1610 1611 1612 1613 1614 1615 1616

KG, Urt. v. 21.05.2007 – 23 U 87/05, NJOZ 2007, 3163. BGH, Urt. v. 12.09.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 Rn 43 m. Anm. Emde. BGH, Urt. v. 12.09.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 Rn 43 m. Anm. Emde. KG, Urt. v. 21.05.2007 – 23 U 87/05, NJOZ 2007, 3163, DB 2007, 1355. KG, Urt. v. 21.05.2007 – 23 U 87/05, NJOZ 2007, 3163, DB 2007, 1355. BGH, Urt. v. 12.09.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 Rn 41 m. Anm. Emde. KG, Urt. v. 21.05.2007 – 23 U 87/05, NJOZ 2007, 3163, DB 2007, 1355.

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nicht auch hier mit dem OLG Saarbrücken 1617 ein Anteil potentieller Mehrfachkunden von 2/3 der um verwaltende Anteile (30 %) gekürzten Erlöse aus Geschäften mit Einfachkunden des letzten Vertragsjahres hinzuzusetzen ist. Die so ermittelte Jahresprovision aus Geschäften mit Stamm- und Mehrfachkunden 324 wird mit der Anzahl der Jahre des Prognosezeitraums multipliziert und eine Abwanderungsquote abgezogen. Auch die Abwanderungsquote kann nach § 287 ZPO geschätzt werden. Bei als Tankstellenhalter tätigen HV wird von einem Prognosezeitraum von fünf Jahren und einer jährlichen Stammkundenabwanderungsquote von 20 % ausgegangen 1618. In der Praxis wird ferner bei der Berechnung des Abwanderungsverlustes eine vereinfachte Methode angewandt, bei der der im Laufe eines Prognosejahres eingetretene Abwanderungsverlust so behandelt wird, als sei er bereits vollständig bei Beginn der Prognosejahres eingetreten. Bei einer 20 %igen Abwanderungsquote ergibt sich hiernach für das erste Jahr ein Provisionsverlust von 80 % der letzten Jahresprovision, für das zweite Jahr ein Verlust von 60 % und in den beiden folgenden Jahren ein Verlust von 40 % bzw. 20 %, so dass sich der Gesamtverlust auf 200 % summiert. Bei einer Vertragslaufzeit von mehr als fünf Jahren und einem jährlichen Abwanderungsverlust von 20 % ist kein Anteil von Altstammkunden zu berücksichtigen. Ein Abzug für die Sogwirkung der Marke ist nicht anzuerkennen, da der Tankstellenmarkt durch große Konzerne dominiert wird. Das KG 1619 erkannte einen Billigkeitsabschlag von 10 % an, und zwar bei einer deutschlandweit bekannten und eingeführten Kraftstoffmarke. Umfragen haben zudem ergeben, dass die Kunden ihre Stammtankstelle vor allem nach dem Standort (Nähe von Wohnsitz oder Arbeitsplatz) und nach dem Service des Tankstellenhalters (Schnelligkeit, freundliche Ansprache und Bedienung) auswählen. Beispielhaft sei nur auf die von der Total Deutschland GmbH in Auftrag gegebene Studie der Gesellschaft für Konsumforschung hingewiesen, nach der 43 % der Kunden ihre Tankstelle nach dem Standort – nach seiner Erreichbarkeit und Nähe von Wohnsitz oder Arbeitsplatz – auswählen. Hervorzuheben ist, dass der Tankstellenhalter zur Förderung der Marke vertraglich verpflichtet ist. Er wirkt daher am Aufbau und Erhalt einer etwaigen Sogwirkung der Marke mit. Nach aA ist eine Sogwirkung der Marke großer Mineralölunternehmen anspruchsmindernd zu berücksichtigen 1620. Der BGH 1621 beanstandete einen Billigkeitsabschlag in Höhe von 50 %. Bei einem Tankstellen-Shop scheidet ein Abzug unter dem Gesichtspunkt „Sogwirkung der Marke“ aus, da es eine Sogwirkung der Marken an einem Tankstellen-Shop nicht gibt. Im Shop werden keine Eigenmarken verkauft. Nach Ansicht des KG soll eine Abzinsung von pauschal 10 % über den gesamten Prognosezeitraum nicht zu beanstanden sein 1622. Demnach errechnet sich der Ausgleichsanspruch eines Tankstellen-HV beispielsweise 325 wie folgt 1623: Letzte Jahresprovision EUR 241.500,00 EUR 24.150,00 – 10 % für werbende Tätigkeit 1624 Saldo EUR 217.350,00 1617

1618

1619 1620

OLG Saarbrücken, Urt. v. 05.02.2003 – 1 U 924/01-211, NJW-RR 2003, 900 = EWiR 2003, 825 (Emde). BGH, Urt. v. 10.07.2002 – VIII ZR 158/01, WM 2003, 499; KG, Urt. v. 24.03.2003 – 23 U 10568/99; KG, Urt. v. 21.05.2007 – 23 U 87/05, NJOZ 2007, 3163. KG, Urt. v. 21.05.2007 – 23 U 87/05, NJOZ 2007, 3163. BGH, Urt. v. 07.05.2003 – VIII ZR 263/02,

1060

1621 1622 1623 1624

WRP 2003, 979 = NJW-RR 2003, 1340 = WM 2003, 2107. BGH, Urt. v. 10.07.2002 – VIII ZR 158/01, WM 2003, 499. KG, Urt. v. 21.05.2007 – 23 U 87/05, NJOZ 2007, 3163. Siehe etwa BGH, Urt. v. 12.09.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 m. Anm. Emde. BGH, Urt. v. 12.09.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 Rn 49 m. Anm. Emde.

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– 10 % Laufkundenprovisionsanteil EUR 21.735,00 (Stammkundenquote 90 %) 1625 Insgesamt EUR 195.615,00 Gesamtprovisionsverlust 200 % (jährliche Abwanderungsquote 20 % = 20 % + 40 % + 60 % + 80 % = 200 %1626) EUR 391.230,00 1627 (Der BGH akzeptierte auch Provisionsverluste von 150 %.) abgezinst mit 8 % auf 4 Jahre mit Abzinsungsfaktor 0,735 1628 EUR 287.554,05 zuzüglich. 19 % Mehrwertsteuer EUR 54.635,26 insgesamt EUR 342.189,31 Ein Abzug von 20 % von dem Stammkundenumsatz kommt nicht in Frage, wenn die- 326 ser auf der Grundlage der konkret erfassten Umsätze der Stationskunden und nicht auf der Basis statistischer Erhebungen geschätzt wird 1629. Der so berechnete Ausgleich wird durch die Höchstgrenze beschränkt. Die OLG Hamburg und Düsseldorf kritisierten bislang die Schätzung nach § 287 327 ZPO: Durch die statistischen Daten werde nichts über die Kundenstruktur der einzelnen Tankstelle ausgesagt. Diese Bedenken überzeugen nicht, da die Rechtsprechung gem. § 287 Abs. 2 ZPO schon früh die Verwendung statistischen Materials als Schätzgrundlage zur Höhe des Ausgleichs gebilligt hat. Deshalb wird, wenn der Tankstellenpächter nicht schlüssiges, beweismäßig nachprüfbares Zahlenmaterial beizubringen vermag, notfalls eine demoskopische Beweiserhebung Klarheit zu schaffen haben 1630. Anderenfalls wäre der Ausgleich im anonymen Massengeschäft kaum durchsetzbar. Den Bedenken der OLG wird Rechnung getragen, indem die statistischen Materialien nur als Ausgangspunkt der Schätzung nach § 287 Abs. 2 ZPO herangezogen werden. Das Gericht hat dann in einem zweiten Schritt zu überprüfen, ob die konkreten Verhältnisse an der Tankstelle des jeweiligen Klägers es rechtfertigen, von dem auf alle Tankstellen bezogenen statistischen Material auszugehen, oder ob der Anteil an Stammkunden eher zu reduzieren oder zu erhöhen sei. Eine Reduzierung kann etwa bei Autobahntankstellen infrage stehen, zudem mag der allgemeine Eindruck des Kunden, etwa hinsichtlich der Sauberkeit der Tankstelle oder der Freundlichkeit der Mitarbeiter eine Rolle spielen. Ausgleichsansprüche des Tankstellen-HV für Tankstelle, Waschstraße und Getränkemarkt können separat ermittelt werden und müssen nicht als ein einheitlicher Anspruch geltend gemacht werden 1631. Wirtschaftliche Verluste bei der Führung des Geschäftsbetriebs schließen den Ausgleichsanspruch nicht aus. Nur ausnahmsweise können besonders hohe, den Verdienst schmälernde Betriebskosten, welche der HV nach Vertragsbeendigung erspart, zur Kürzung eines Ausgleichsanspruchs unter Billigkeitsgesichtspunkten

1625

1626 1627 1628

Im Fall BGH, Urt. v. 12.09.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 m. Anm. Emde bestimmte das OLG Hamburg als Vorinstanz den Stammkundenanteil mit 53,82 %. BGH, Urt. v. 12.09.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 Rn 50 m. Anm. Emde. BGH, Urt. v. 10.07.2002 – VIII ZR 158/01, WM 2003, 499. Oder Gillardon vgl. BGH, Urt. v. 12.09. 2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 Rn 51 m. Anm. Emde.

1629 1630

1631

BGH, Urt. v. 12.09.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 Rn 45 m. Anm. Emde. OLG Stuttgart DB 1980, 1539 (1540) für den selbständigen, innerhalb eines Warenhauskomplexes betriebenen und dem Betreiber mietweise überlassenen Verkaufsstand. BGH, Urt. v. 12.02.2003 – VIII ZR 130/01, VersR 2003, 1530 = NJW-RR 2003, 821 (822) = MDR 2003, 882 = DB 2003, 2121 (LS) = WM 2003, 2095.

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führen 1632. Gewinne aus dem „Shop-Geschäft“ des Tankstellen-HV erhöhen den Ausgleich nicht. § 89b ist weder direkt oder analog anwendbar 1633. Auch aus der Einheitlichkeit des Shop-Vertrages mit dem Minerälöl-HV-Vertrag folge keine Erstreckung des Ausgleichs auf das Shop-Geschäft. Der Tankstellenpächter verkaufe die im Shop angebotenen Waren im eigenen Namen und auf eigene Rechnung. Eine HV-gleiche Einbindung in das Vertriebssystem des Unternehmens fehle, weil der Pächter seine Bezugsquellen selbst bestimmen könne 1634. Ob in Fällen, in denen der Tankstellen-HV an das vom Mineralölunternehmen vorgegebene Warensortiment tatsächlich gebunden ist, ein Ausgleichsanspruch in Betracht kommt, ist noch offen 1635. Das ist anzunehmen, falls dem HV das Warenangebot vorgeschrieben wird und damit eine HV-gleiche Einbindung in das Vertriebssystem des Unternehmers vorliegt 1636. Der Bezirksleiter eines Mineralölunternehmens ist Empfangsvertreter für die Entgegennahme der Ausgleichsforderung gemäß § 89b Abs. 4 S. 2 1637.

328

5. Franchisenehmer. Franchisenehmer sind ausgleichsberechtigt 1638. Teilweise wird gegen den Ausgleichsanspruch eingewandt, die maßgebliche Ursache für die Bildung des Kundenstammes setze der Franchisegeber durch seine Entwicklungsleistung 1639. Der Einfluss des Franchisenehmers trete dahinter zurück. Auch wird eingewandt, § 89b stelle eine auf das HV-Recht bezogene Vergütungsregelung dar; sie beruhe auf dem Umstand, dass der HV mit von ihm geworbenen Kunden keinen Vertrag eingehe und damit gegen sie keinen Vergütungsanspruch erwerbe 1640. Dies ist nicht überzeugend, weil der durch den Ausgleich vergütete Aufbau des Kundenstammes infolge der Vertriebspflicht sich beim Franchise-, Vertragshändler- und HV-Vertrag gleicht. Viele Franchisegeber sichern sich langfristig gute Standorte, indem sie diese dauerhaft anmieten und an den Franchisenehmer untervermieten. Die Laufzeit der Untermietverhältnisse entspricht der des Franchisevertrages, da dann dem Franchisegeber mit Vertragsende der Kundenstamm, den der ausgeschiedene Franchisenehmer generiert habe, automatisch zufällt1641. Ein Franchisenehmer, der einen Standort neu aufgebaut hat, wird regelmäßig dem Franchisegeber erhebliche Vorteile nach der Vertragsbeendigung hinterlassen, falls der Franchisegeber 1632

1633

1634 1635 1636 1637 1638

BGH, Urt. v. 12.02.2003 – VIII ZR 130/01, VersR 2003, 1530 = NJW-RR 2003, 821 (825) = MDR 2003, 882 = DB 2003, 2121 (LS) = WM 2003, 2095. BGH, Urt. v. 22.10.2003 – VIII ZR 6/03, BB 2004, 461; OLG München, Urt. v. 20.12.2002 – 23 U 3887/02, NJW-RR 2003, 537; LG Düsseldorf, Urt. v. 13.12. 2005 – 35 O 21/05, BeckRS 2007, 15608. LG Düsseldorf, Urt. v. 13.12.2005 – 35 O 21/05, BeckRS 2007, 15608. Hübsch/Hübsch WM Sonderbeilage Nr. 1/2005, S. 21. Thume BB 2007, 1752. BGH, Urt. v. 28.11.2001 – VIII ZR 38/01, MDR 2002, 345 = NJW 2002, 1041. Siehe BGH NJW-RR 1997, 170 (175); OLG Celle, Urt. v. 19.04.2007 – 11 U 279/06, BB 2007, 1862; OLG München, Urt. v. 26.06. 2002 – 7 U 5730/01, DB 2002, 2433; LG Mainz, Urt. v. 20.06.2006 – 12 HKO

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1639 1640 1641

82/05, BeckRS 2007, 08487; LG Hanau, Urt. v. 28.05.2002 – 6 O 106/01, unveröffentlicht; LG Berlin, v. 06.09.2004 – 101 O 23/04; LG Frankfurt, Urt. v. 10.12.1999 – 3/8 O 29/99; Kroll in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 497; Emde NJW 2003, 2593; Eckert WM 1991, 1237 ff; Köhler NJW 1990, 1689 ff; Matthießen ZIP 1988, 1089 (1095 f); Giesler NZS 1999, 483 f; Flohr DStR 1998, 572 ff; Flohr BB 2006, 389 (400); Martinek Franchising, S. 353 (366 ff); Niebling Vertragshändlerrecht, 1999, Rn 205 ff; Prasse MDR 2008, 122 ff; Giesler ZIP 2000, 2098 ff; Giesler WM 2001, 1441 ff; Haager NJW 2002, 1463 (1471); Martinek ZIP 1988, 1362 (1378). Giesler/Nauschütt/Höpfner § 7 Rn 47. Kroll in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 473. Prasse MDR 2008, 122 (123).

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den Standort weiterführt oder an einen anderen Franchisenehmer übergibt1642. Das ist insbesondere der Fall, wenn der Franchisegeber den Hauptmietvertrag des Franchisebetriebs hält. Auch ansonsten wird er regelmäßig von der jahrelangen Kundenbindung profitieren1643. Die Argumentation, der Kundenstamm „klebe“ stets an der Marke, weshalb dem Franchisenehmer wegen der „Sogwirkung der Marke“ kein Ausgleichsanspruch zustehe, verfängt nicht1644. Sofern die Kunden namentlich beim Franchisenehmer erfasst sind, hat der Franchisegeber Zugriff auf die Kundendaten. Aber auch im anonymen Massengeschäft, das häufig im Einzelhandel besteht, ist kein Grund erkennbar, der es dem Franchisenehmer verwehren würde, einen Ausgleichsanspruch auch ohne vertragliche Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstammes zu erhalten1645. Einen Ausgleichsanspruch gibt es sowohl beim Waren-Franchising wie beim Dienleistungs-Franchising1646. Ausgangspunkt der Berechnung des Ausgleichsanspruches des Franchisenehmers sind wie beim Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers die Roherträge aus Geschäften mit neu geworbenen Stammkunden, denen erweiterte Altstammkunden (Erweiterung inflationsbereinigt um ca. 100 %) gleichstehen. Hinzu treten auch hier die Geschäfte mit einem Teil der Einfachkunden, von denen die Zuwanderung zu Mehrfachkunden angenommen werden kann. Von der Berücksichtigung dieses Einfachkundenanteils darf nur abgesehen werden, sofern auf den Abzug einer Abwanderungsquote verzichtet wird (Rn 313). Sofern das letzte Vertragsjahr nicht untypisch verlief sind nur die Geschäfte dieses Basisjahres Grundlage der Ausgleichsberechnung. Nur der Vergütungskern, der auch einem HV gewährt worden wäre, ist ausgleichsfähig. Von den Rabatten des Basisjahres abzuziehen sind HV-untypische Vergütungsbestandteile und wie beim HV verwaltende Vergütungsbestandteile 1647. Der so errechnete Wert ist, nicht anders als beim HV, unter gleichzeitigem Abzug der Abwanderungsquote, mit der Zahl der Jahre des Prognosezeitraums zu prognostizieren. Die Zahl der Jahre entspricht vermutungsweise dem bei HV üblichen Vierjahreszeitraum (Rn 297). Kroll nennt einen Prognosezeitraum von 2 bis 4 Jahren 1648. Die Abwanderungsquote liegt zwischen 10 und 30 % 1649, so dass man wie beim HV von einer vermuteten Abwanderungsquote von 25 % ausgehen darf. Die Sogwirkung der Marke ist unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit abzugsfähig 1650. Etwas anderes gilt dann, wenn der Vertriebspartner durch eine Eintrittsgebühr die Nutzung der Markennamen bezahlt hat 1651. Die Abzinsung dürfte auch im Franchisebereich regelmäßig bei 10 % liegen 1652. Die Höchstgrenze des Ausgleichs bestimmt sich nach den im Durchschnitt der letzten 5 Jahre erzielten Gewinnen, wobei auch hier umstritten ist, ob ein Abzug für HV-untypische und verwaltende Vergütungsbestandteile vorzunehmen ist 1653. Den Ausgleich eines Franchisenehmers bestimmte das LG Hanau 1654 wie folgt: Basis der Ausgleichsberechnung seien die einem HV in vergleichbarer Situation gezahlten Provisionen. Das Gericht wisse, dass HV in ähnlichen Situationen etwa zehn Prozent des

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Prasse NJW 2008, 122 (126). Giesler/Nauschütt/Kroll Kap. 7 Rn 78; Prasse NJW 2008, 122 (126). Prasse NJW 2008, 122 (126). Prasse NJW 2008, 122 (126). Prasse NJW 2008, 122 (126). Kroll in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 501. Kroll in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 503. Kroll in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 504.

1650 1651 1652 1653

1654

Kroll in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 505. Kroll in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 505. Kroll in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 506. Für einen Abzug verwaltender Vergütungsbestandteile, Kroll in: Giesler, Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 4 Rn 508. Urt. v. 28.05.2002 – 6 O 106/01, unveröffentlicht.

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Umsatzes als Provision gezahlt werde. Diesen Prozentsatz schätze das Gericht gemäß § 287 ZPO, ohne ein Gutachten einzuholen. Unter Berücksichtigung einer üblicherweise anzusetzenden Abwanderungsquote von 20 %, eines Prognosezeitraumes von 4 Jahren und einer Abzinsung von 8 % ergäbe sich der vom Gericht zugebilligte Ausgleichsanspruch.

F. Konkurrenz unterschiedlicher Rechenansätze 329

Unterschiedliche Rechenansätze bei der Ausgleichsberechnung führen ggf. zu unterschiedlichen Ergebnissen. So hat der BGH im Vertragshändlerrecht in seiner RenaultEntscheidung verschiedene Rechenwege für zulässig gehalten 1655; im Tankstellen-HVRecht das Nebeneinander einer statistischen Schätzung und einer Hochrechnung des Unternehmers aus den Geschäften mit einem Ausschnitt der Kunden 1656. Für diese Fälle gibt es keine Spezialität eines Rechenweges. Vielmehr besteht Anspruchskonkurrenz. Es gilt das, was in allen Fällen einer Anspruchskonkurrenz Recht ist: Der Anspruchsteller kann sich auf die für ihn günstigste Anspruchsgrundlage stützen (Wahlkonkurrenz). Im Zweifel muss das Gericht diejenige Rechenweise wählen, die zum plausibelsten, angemessensten und billigsten Rechenergebnis führt 1657.

G. Fälligkeit 330

Der Ausgleichsanspruch wird mit Vertragsende fällig. Endet der Vertrag zum 31. Dezember eines Jahres, tritt Fälligkeit nach am nächsten Tag, dem 1. Januar des Folgejahres, ein (§ 187 Abs. 1 BGB) 1658. Das Verlangen nach dem Ausgleich bzw. die Geltendmachung ist keine Fälligkeitsvoraussetzung 1659. Vielmehr ist das Nichtverlangen innerhalb des ersten Jahres nach Vertragsende Ausschlussgrund: Der Ausgleich entfällt, wenn die Forderung nicht binnen eines Jahres nach Vertragsende gestellt wird. § 89b Abs. 1 stellt ausdrücklich auf die Beendigung des Vertragsverhältnisses als Zeitpunkt, nach dem der Ausgleich „verlangt“ werden kann, ab. Dies und der Umstand, dass der Unternehmer den Ausgleich eigenständig berechnen kann, spricht dafür, dass bereits die Beendigung des Vertragsverhältnisses und nicht erst das Verlangen fälligkeitsbegründender Umstand ist. Als bloße Erwerbschance ist der Ausgleich vor Fälligkeit nicht in ein Vermögensverzeichnis 1660 aufzunehmen und fällt nicht in den Zugewinnausgleich 1661. Im Bereich des Tankstellenvertriebs führt die Vertragsbeendigung noch nicht zur Fälligkeit des Ausgleichsanspruchs, weil der Unternehmer die Tankstellenkunden nicht kennt und den Ausgleich daher nicht berechnen kann. Der HV soll vielmehr seine Ansprüche erst beziffern und geltend machen müssen, um Fälligkeit herbeizuführen 1662. Tatsächlich 1655 1656 1657 1658

1659

Urt. v. 26.02.1997 – VIII ZR 272/05, NJW 1997, 1503. BGH, Urt. v. 12.09.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 m. Anm. Emde. Vgl. BGH, Urt. v. 12.09.2007 – VIII ZR 194/06, BB 2007, 2475 m. Anm. Emde. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 12; mit Vertragsende: BGH, Urt. v. 05.12.1968 – VII ZR 102/66, BGHZ 51, 184; BGH, Urt. v. 29.03.1990 – I ZR 2/89, ZIP 1990, 1197. OLG Köln v. 29.04.1968 – 13 U 74/67,

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1660 1661

1662

VersR 1968, 966; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 89b Rn 97; Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 12. OLG Hamm, BB 1979, 1579; Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 13. BGH, Urt. v. 09.03.1977 – IV ZR 166/75, BGHZ 68, 163 (168); Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 13. KG, Urt. v. 21.05.2007 – 23 U 87/05, NJOZ 2007, 3163.

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brauchen nur die Ausgleichsbemessungsgrundlagen mitgeteilt werden. Nach Ablauf einer angemessenen Berechnungsfrist von zwei bis vier Wochen tritt dann Fälligkeit ein. Gleiches gilt in anderen Bereichen, in denen der Unternehmer die Ausgleichsdaten nicht kennt, etwa im Vertragshändler- und Franchiserecht.

H. Erfüllungsort des Ausgleichsanspruchs Nach hM besteht der Erfüllungsort für die Zahlung des Ausgleichsanspruch am Sitz 331 des Unternehmers 1663. Zu der hier vertretenen Auffassung siehe Vor § 84 Rn 381 ff). Da der HV den Schwerpunkt seiner Dienstleistung am Sitz seiner Niederlassung erbringt, ist dort regelmäßig ein Einheitserfüllungsort zu finden 1664. Es lässt sich gut vertreten, dass die eigentlich als rein prozessuale Regel entstandene Legaldefinition des Art. 5 Abs. 1 lit. b VO (EG) Nr. 44/2001 auch außerhalb ihres Anwendungsbereiches Ausdruck einer generellen, materiell-rechtlichen Regel ist 1665.

I. Verjährung Der Ausgleichsanspruch ist eine gesetzlich geordnete Nachwirkung des HV-Vertra- 332 ges 1666 und verjährt wie alle Ansprüche aus dem Vertragsverhältnis nach § 195 BGB binnen drei Jahren (Vor § 84 Rn 528 ff). Für den Beginn der Frist ist gem. § 199 BGB der Schluss des Jahres maßgeblich, in dem der Anspruch entsteht und der HV von der Entstehung des Ausgleichsanspruchs erfährt. Der Ausgleich des HV ist bei Vertragsbeendigung auch fällig (Rn 330). Dass er in aller Regel noch nicht sofort beziffert werden kann, steht nicht entgegen; Bezifferbarkeit ist keine Voraussetzung der Fälligkeit; sie könnte höchstens für die Frage des Verzuges 1667 eine Rolle spielen. Es ist zweifelhaft, ob die Verjährung gehemmt ist, bis eine Antwort des Unternehmers auf die Anmeldung der Ansprüche vorliegt. Verkürzungen der Verjährungsfrist sind regelmäßig problematisch, falls sie zu einer unter einem Jahr liegenden Verjährungsfrist führen. Trotz des Unterschiedes zwischen materiell-rechtlichen Ausschlussfristen und Verjährungsfristen soll in der Verkürzung der Verjährungsfrist auch eine Reduzierung der gem. § 89b Abs. 4 zwingenden Forderungsfrist liegen, sofern die Verjährungsfrist auf weniger als ein Jahr reduziert wird. Reduzierungen der Verjährungsfrist sind erst unproblematisch, wenn sie mindestens ebenso lang wie die Forderungsfrist des § 89b Abs. 4 sind: In der Verkürzung der Verjährungsfrist auf ein Jahr ab Fälligkeit und Kenntnis von der Entstehung des Anspruchs liegt deshalb keine Verkürzung der zwingenden Frist für die Geltendmachung des Ausgleichs nach § 89b Abs. 4 S. 2. Der gleichzeitige Ablauf von Verjährungs- und Geltungsmachungsfrist des Ausgleichs hindert den HV nicht, die Geltungsmachungsfrist auszuschöpfen. Er wird lediglich gezwungen, den Anspruch so geltend zu machen, indem zugleich die Verjährung unterbrochen wird 1668. Die Verjährung des Ausgleichsanspruchs wird nicht schon durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens gehemmt, wohl aber durch die Anmeldung einer Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle (§ 209 Abs. 2 Nr. 2 BGB). Die Verjährung läuft unabhängig von der Frist zur Geltendmachung nach Abs. 4 S. 2. Ihr durch § 195 BGB festgelegter Lauf überlagert sich mit der Geltendmachungsfrist 1663 1664 1665 1666

BGH NJW 1988, 966. Siehe bereits Emde RIW 2003, 505. Emde RIW 2003, 505. Bruck/Möller Vor § 43, 370.

1667 1668

Dazu BGHZ 80, 269 (276). KG, Urt. v. 02.05.2002 – 2 U 7/01, VersR 2002, 1554 (1555).

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nur insoweit, als die Geltendmachungsfrist in das Vertragsjahr nach Vertragsende hineinragt, nämlich für den in das neue Kalenderjahr hineinragenden Rest der Geltendmachungsfrist. Um die Verjährung zu vermeiden, muss der HV innerhalb der Verjährungsfrist eine die Verjährung unterbrechende weitere Handlung – Klage, Mahngesuch – vornehmen, falls es nicht zu einer Vereinbarung über den Ausgleich oder mindestens zu einer Anerkennung des Ausgleichsanspruchs durch den Unternehmer kommt. Eine ggf. konkludente Anerkennung dem Grunde nach, und selbst unter Vorbehalt der Höhe, genügt, um die Verjährung zu unterbrechen 1669.

J. Vorauserfüllung des Ausgleichs 333

Die häufig gebrauchte Vokabel von der Vorauserfüllung des künftigen Ausgleichsanspruchs während der Vertragszeit ist irreführend. Der Ausgleichsanspruch ist vor Vertragsbeendigung noch gar nicht entstanden, nicht einmal als bedingter. Er kann deshalb nicht im Voraus erfüllbar sein. Worum es geht sind vertragliche Abreden über eine Anrechenbarkeit gewisser Leistungen auf den künftigen Ausgleich, die, um die Ausgleichsbelastung zeitlich zu verteilen, schon während der Vertragszeit vom Unternehmer erbracht werden sollen. Es wäre etwa an eine Anrechnung unter Billigkeitsgesichtspunkten zu denken. So wird z.B. von einer Abschlagszahlung 1670 gesprochen. § 89b Abs. 4 schließt eine solche „Vorauserfüllung“ des Ausgleichs nicht aus 1671. Derartiges wird gelegentlich in der Form praktiziert, dass dem HV für die Gewinnung neuer Kunden Sonderzuschläge zur Provision gezahlt werden1672 oder ihm eine sonstige Vergütung unter dem Titel einer Gegenleistung für die erfolgreiche Arbeit am goodwill des Unternehmens zufließt; wobei dann – wegen Abs. 4 unwirksam aber möglicherweise billigkeitsrelevant – vertraglich festgelegt zu werden pflegt, dass alles dies auf einen etwaigen künftigen Ausgleichsanspruch angerechnet werden solle. Solche Abreden haben für den HV durchaus Vorteile. Sie entheben ihn im Umfange der erfolgten Unternehmerleistungen des Risikos, dass ein Ausgleichsanspruch u.U. nicht entstehen kann, weil der Unternehmer in Insolvenz fällt oder den Betrieb aufgibt oder die Produktion umstellt. Neflin 1673 weist mit Recht darauf hin, dass in derartigen Fällen auch eine Rückforderung aus dem Gesichtspunkt der Bereicherung wegen Wegfalls des mit der Leistung verfolgten Zweckes ausscheide, da dieses Risiko in aller Regel vom Unternehmer gerade bewusst übernommen sein werde. Für den Unternehmer ergibt sich ein steuerlicher Vorteil, weil die laufenden Zahlungen steuerlich berücksichtigungsfähige Betriebsausgaben bilden, während Rückstellungen für den Ausgleich nicht gebildet werden können1674. Vorfälligkeitsabreden können also getroffen werden, sofern sie weder nach Grund oder Höhe zu einer Beschränkung des Ausgleichs (Abs. 4) führen und der HV an einer eventuellen berechtigten Nachforderung nicht gehindert ist. Wird nach Beendigung des Vertragsverhältnisses streitig, ob die Vorwegleistung insgesamt eine den gesetzlich berechneten Ausgleich erreichende Abgeltung nach dem nunmehrigen Stand der Dinge darstelle, so hat der Richter zu entscheiden, der ggf. die Erfüllung des gesetzlichen Ausgleichs mit dem im Vorwege Erbrachten verneint und das Gezahlte nur als Teilerfüllung zur Anrechnung bringt. Denn 1669 1670 1671

BGH VersR 1974, 571; st. Rspr. seit RGZ 63, 382 (389). Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 141. Zuschläge zur Provision: BGHZ 58, 60 (64); OLG München NJW 1961, 1072 – dort allerdings nicht ganz korrekt mit dem Gesichtspunkt des Billigkeitsausschlusses

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1672 1673 1674

verquickt –; ferner OLG Koblenz, Urt. v. 05.04.1957 – 2 U 555/56 –, zit. bei Seydel DB 1957, 476; Westphal MDR 2005, 421. Eberstein, S. 161. DB 1962, 1531. Eberstein, S. 163.

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wenn die Parteien den Ausgleichsanspruch gem. Abs. 4 im Voraus nicht ausschließen können, so dürfen sie auch im Voraus nicht wirksam bestimmen, was als angemessene Ausgleichsleistung anzusehen sei. Doch wird in der Annahme einer echten Vorwegerfüllung einige Zurückhaltung gebo- 334 ten sein 1675. Bedingung einer Vorauserfüllung ist immer, dass der HV wertmäßig einen Ausgleich erhält, den er auch ohne die Abrede fordern könnte. Da die Erfüllung vom Unternehmer zu beweisen ist, gilt dies auch für die Werthaltigkeit der Vorauserfüllung. Leitentscheidung ist das Urteil des BGH vom 13. Januar 1972 1676. Der BGH bestätigte zum einen die grundsätzliche Zulässigkeit von Vorauserfüllungsabreden. Die Vorauserfüllungsabrede stehe jedoch im Spannungsverhältnis zum Unabdingbarkeitsgrundsatz. In dem vom BGH entschiedenen Fall wurde eine Grundprovision von 3,75 % sowie eine Sondervergütung in Höhe von 0,75 % zur Vorauserfüllung des Ausgleichs gezahlt. Der Unternehmer war jedoch jederzeit zur Unterbrechung der Zahlung der Sondervergütung berechtigt. Eine Rückzahlungsverpflichtung des HV im Fall des Nichtentstehens eines Ausgleichsanspruches wurde ausgeschlossen. In dieser Entscheidung erkannte der BGH die Vorauserfüllungsabrede nur an, wenn die ausgleichserfüllende Leistung zusätzlich zur Provision gezahlt und eindeutig als Vorauszahlung auf den Ausgleich gekennzeichnet wurde. Im entschiedenen Fall hielt der BGH eine unzulässige Ausgleichsumgehungsabsicht für wahrscheinlich, wofür folgende Indizien sprachen – keine Zurückzahlungspflicht bei nicht oder nur im geringeren Umfang entstehenden Ausgleichsanspruch; – Zahlung der Sondervergütung in Höhe von 0,75 % auch für Geschäfte mit nicht ausgleichsfähigen Altkunden; – Recht zur jederzeitigen Einstellung der Zahlung der Sondervergütung. Nach Ansicht des BGH wäre die Anrechnungsvereinbarung nur dann unbedenklich 335 gewesen, falls der HV im Falle des Nichtentstehens des Ausgleichsanspruches zur Rückzahlung der Sondervergütung verpflichtet gewesen wäre, auch ohne die getroffene Abrede keine höhere Provision vereinbart worden wäre, der Unternehmer nachweise, dass die vereinbarte Vergütung über dem Üblichen liege und im Einzelfall keine besonderen Umstände vorlägen, welche zur einer Überschreitung des üblichen Provisionssatzes führen könnten. Dem BGH ist teilweise zu widersprechen: Nicht erforderlich dürfte sein, dass sich der 336 Unternehmer für den Fall des Nichtentstehens des Ausgleich nach § 89b – etwa im Fall der Eigenkündigung des HV – ein Rückforderungsrecht vorbehält, damit die Klausel über die Vorauserfüllung wirksam ist 1677. Dem Unternehmer ist es nicht verwehrt, den Ausgleich selbst für Fälle zu versprechen, in denen er nach dem Gesetz nicht entstehen würde. Gleiches gilt für die Vorauserfüllungsabrede: Der Unternehmer braucht sich kein Rückzahlungsrecht für Fälle vorzubehalten, in denen der Ausgleich nicht entsteht, wenn er bereit ist, den (vorauserfüllten) Ausgleich selbst in dieser Situation zu leisten. Das Vorauserfüllungsversprechen kann auch für den HV Vorteile haben, weil für ihn die Gefahr entfällt, dass sein Ausgleichsanspruch, etwa auf Grund der Ausschlusstatbestände des Abs. 3 oder mangels Vorliegens sämtlicher Anspruchsvoraussetzungen, erst gar nicht entsteht. Es muss dem Unternehmer überlassen werden, auf welche Geschäfte er die Sondervergütung zahlt. Folglich darf es keine Rolle spielen, dass die Sondervergütung auch für Geschäfte mit nicht ausgleichspflichtigen Kunden geleistet wird. Denn auch durch eine an keinerlei 1675 1676

Schröder DB 1962, 898. BGH v. 13.01.1972, BGHZ 58, 60 (64) = DB 1972, 328.

1677

So aber: Küstner/Thume II, Rn 1618.

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Kundengeschäfte geknüpfte Einmalzahlung könnte der Ausgleich vorauserfüllt werden. Dann muss dies umso eher gelten, wenn die auf den Ausgleich anzurechnende Zahlung jedenfalls teilweise für Geschäfte mit ausgleichspflichtigen Kunden ausgeführt wird. Schließlich kann auch die „Warnfunktion“ der Rückzahlungspflicht das Erfordernis nicht rechtfertigen. Zwar mag es sein, dass weniger HV einen Vertrag mit einer die Rückzahlung bestimmenden Klausel unterzeichnen würden. Der Unternehmer kann aber deshalb nicht gezwungen werden völlig auf die Einstandszahlung zu verzichten sondern er muss auch eine – zudem für den HV günstige – Kompromissfassung vorschlagen können, die zwar die Einstandszahlung verspricht, jedoch eine Rückzahlung bei Nichtentstehung des Ausgleichs nicht vorsieht. Immer muss die Vorauserfüllung eine zusätzliche, ausgleichsvertretende Leistung sein 1678. Dem HV dürfen also infolge der Vorauserfüllung weder Provisionen noch Ausgleich oder andere Leistungen vorenthalten werden 1679. Die Zahlung auf den Ausgleich muss zusätzlich zur Provision geleistet und regelmäßig eindeutig als Vorauszahlung für den Ausgleichsanspruch gekennzeichnet sein 1680. Eine etwa gewährte Zusatzprovision muss so hoch bemessen sein, dass sie die normale Geschäftsprovision über das branchenübliche Maß hinaus sichtbar steigert. Sie hat regelmäßig in der Abrechnung gesondert zu erscheinen, darf nicht mit einer reinen Bezirksprovision gekoppelt sein (weil das ihren Zweck verunklaren würde) und hat dem HV schon in der Form, wie sie vereinbart ist, unübersehbar zum Bewusstsein zu bringen, dass hier eine Sondervergütung mit dem Zweck gewährt werde, das spezifische, mit der neuen Geschäftsverbindung geschaffene Aktivum über die Vermittlung des konkreten Auftrages hinaus angemessen abzugelten. Meist scheitert die Wirksamkeit der Abrede spätestens daran, dass sich die übliche Provision nicht feststellen lässt 1681. Weder die HV-Verbände noch die Handelskammern verfügen über ausreichend gesicherte Provisionsstatistiken. Zudem gibt es auch bei identischen Produkten erhebliche Provisionsspannen 1682. Der Ausgleich ist damit nicht stets bei besonders guter Bezahlung des HV vorauserfüllt 1683. Sonst würde Verhandlungsgeschick des HV bestraft und er würde einen Teil seiner Provision selbst bezahlen. Wird der zur Vorauserfüllung dienende Teil einer Leistung neben der Provision geleistet, muss einerseits eine zumindest stillschweigende Abgrenzungsabrede dergestalt getroffen werden, dass der hierfür bezeichnete Teil der Vorauserfüllung des Ausgleichs dienen soll und andererseits der zur Vorauserfüllung dienende Teil zusätzlich zur marktüblichen Provision geleistet wird. Fehlt das erste TB-Merkmal, so mangelt es an der erforderlichen Voraussehbarkeit für den HV. Fehlt das zweite TB-Merkmal, scheitert die Abrede an § 89b Abs. 4. Da sich die beiden Merkmale selten beweisen lassen werden, ist eine Vorauserfüllungsabrede für den Unternehmer mit Risiken behaftet. Der BGH hat im Urteil vom 1. Oktober 1970 1684 eine Vorauserfüllung abgelehnt, weil es an einer hinreichend deutlichen Parteivereinbarung fehlte. Ist die Vorauserfüllungabrede wirksam, so sind bei der Bestimmung eines (Rest)ausgleichs nur die Provisionen, nicht jedoch die zusätzlich zur Vorauserfüllung erbrachten Leistungen in die Berechnung des Rohausgleichs einzubeziehen. Die Vorauserfüllungsleistungen dürfen auch nicht in die Berechnung des Höchstbetrages einfließen. Ist die Vorauserfüllungsabrede unwirksam, darf der Unternehmer das zur Vorauserfüllung Geleistete weder nach § 812 BGB noch den Grundsätzen des WGG herausverlangen. Das Gezahlte ist Teil des geschuldeten Entgelts1685. 1678 1679 1680 1681 1682 1683

Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 141. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 141. BGH NJW 1972, 477. Westphal MDR 2005, 421. Westphal MDR 2005, 421 (422). Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 34;

1068

1684 1685

Schulter DB 1967, 1303 (1305); Ahle DB 1962, 1329. BGH, Urt. v. 01.10.1970, NJW 1970, 1513. BGH, Urt. v. 13.01.1972, BB 1972, 193; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rn 1001.

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§ 89b

K. Zinsen Der Ausgleichsanspruch wird nach §§ 286, 288 BGB, § 352 verzinst. Auf den Aus- 337 gleichsanspruch sind seit Fälligkeit gem. §§ 352, 353 Fälligkeitszinsen in Höhe von 5 % zu zahlen 1686. Seit Verzugseintritt sind Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz (Verbraucher) oder in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz (Unternehmer) zu leisten (§ 288 BGB). Regelmäßig dürfte der kaufmännische Zinssatz von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 288 Abs. 2 BGB eingreifen. Es handelt sich bei dem Ausgleich um eine Entgeltforderung i.S.d. § 288 Abs. 2 BGB (Entgelt für die Überlassung des Kundenstammes). Eine kalendermäßige Bestimmtheit des Ausgleichs nach § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB dürfte ausscheiden, weil die Fälligkeit nicht vertraglich bestimmt ist. Jedoch werden oft die Voraussetzungen des § 286 Abs. 2 Ziff. 2 BGB vorliegen, weil der Leistung eine Kündigung vorauszugehen hat und sich mit der Kündigungsfrist eine angemessene Zeit für die Leistung in der Weise bestimmen lässt, dass sie sich von dem Ereignis an nach dem Kalender berechnen lässt. Bei Vertragshändlern kann der Unternehmer den Ausgleichsanspruch nicht berechnen, ohne durch den Händler über die geschlossenen Geschäfte sowie den Verkaufspreis informiert zu werden. Deshalb tritt dort Verzug nicht vor Mitteilung der Daten sowie nach einer angemessenen Bearbeitungszeit ein.

L. Verwirkung Der Ausgleich kann neben dem Sonderfall der Verfristung nach Abs. 4 S. 2 auch mit- 338 tels einer aus § 242 BGB herzuleitenden Verwirkung ausgeschlossen sein 1687. Es gelten die allgemeinen Verwirkungsgrundsätze. Das OLG Düsseldorf 1688 hat ausgeführt, die Verwirkung sei ein außerordentlicher Rechtsbehelf, der strengen Anforderungen unterliege. Jeder Schuldner müsse im Regelfall bis zum Ablauf der Verjährungsfrist mit der Geltendmachung des Anspruches rechnen. Reiner Zeitablauf und längere Untätigkeit des Gläubigers allein genügten nicht, um Verwirkung anzunehmen. Vielmehr müssten besondere Umstände hinzutreten, aufgrund derer sich das späte Geltendmachen als Verstoß gegen Treu und Glauben darstelle. Selbst wenn dem HV daher ein Teilbetrag, etwa berechnet nach den Grundsätzen in der Versicherungswirtschaft, gezahlt wird, ist er binnen der Verjährungsfristen nicht daran gehindert, den ihm zustehenden Restbetrag zu fordern 1689. Um Verwirkung anzunehmen müssen sowohl ein Zeit- wie ein Umstandsmoment vorliegen. Vor Ablauf der einjährigen Anmeldefrist kann eine Verwirkung nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen, weil der Unternehmer jederzeit mit einer Anmeldung des Ausgleichs rechnen muss. Das Umstandsmoment müsste also entsprechend stark sein, womit kaum zu rechnen ist. Auch vor Ablauf der Verjährungsfrist ist der Verwirkungseintritt schwer vorstellbar 1690. Dem HV muss eine angemessene Überlegungsfrist zugebilligt werden, die das Gesetz in § 195 BGB bestimmt und die früher gem. § 88 a.F. sogar vier Jahre betrug. Während dieser Überlegungsfrist ist dem Unternehmer auch 1686 1687

1688

Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 14. Schmidt BB 1965, 732 (733); Hopt § 89b Rn 80; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 38; aA (Verwirkung generell ausgeschlossen) Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 16. OLG Düsseldorf, Urt. v. 10.10.1958, HVRNr. 184; LG Hannover, Urt. v. 14.09.1972,

1689 1690

RVA 1973, 101; OLG Stuttgart, Urt. v. 26.03.1957, VersR 1957, 329; OLG Karlsruhe, Urt. v. 11.04.1957, BB 1975, 561. AA LG Münster, Urt. v. 29.08.2002; zitiert nach Küstner/Thume II, Rn 1657. Hopt § 89b Rn 80.

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§ 89b

1. Buch. Handelsstand

ein „Hin und Her“ des HV zumutbar und es ist dem HV sogar zuzubilligen, widersprüchliche Signale an den Unternehmer zu senden. Denn schließlich muss der HV nicht in jedem Stadium exakt wissen, was er will. Voraussetzung wäre also, dass sich der Unternehmer nach dem Gesamtbild des Verhaltens des HV schon vor Ablauf der Verjährung darauf eingestellt hatte, der HV werde den Ausgleichsanspruch nicht oder nicht mehr verfolgen. Wohl nur theoretisch wäre das schon vor Ablauf der einjährigen Geltendmachungsfrist vorstellbar. Praktisch hingegen hätte man sich allenfalls Fälle vorzustellen, in denen der HV zwar den Anspruch zunächst geltend gemacht hat, aber im Weiteren jenes den Unternehmer in Sicherheit wiegende Verhalten betätigt. Es könnte beispielsweise darin liegen, dass der HV mit steigendem Lauf der Verjährungsfrist untätig bleibt und dem Unternehmer gegenüber – oder Dritten gegenüber in einer Weise, dass er annehmen musste, es werde dem Unternehmer zur Kenntnis gelangen – zu erkennen gibt, er sei an der Weiterverfolgung des Ausgleichs nicht mehr interessiert, etwa weil ihm das Prozessrisiko zu groß erscheine. Wenn dann hinzukommt, dass der HV wusste oder sich hätte sagen müssen, das Unternehmen würde durch Rücklagen zum Zwecke des Ausgleichs existenznotwendiger Betriebsmittel beraubt (die der Unternehmer, in Sicherheit gewiegt, nun nicht mehr vornimmt), dann kann unter derartigen Umständen einmal der höchst seltene Fall der Verwirkung schon vor Ablauf der Verjährung gegeben sein. Das einfache Untätigbleiben des HV reicht nicht aus 1691. Dafür ist die Ausschlussfrist bereits zu kurz und gerade auf die notwendige schnelle Abwicklung von Ansprüchen unter Kaufleuten zugeschnitten 1692. Im Fall des OLG Stuttgart 1693 war die Klageerhebung sieben Monate, im Fall des OLG Karlsruhe 1694 elf Monate nach Ablehnung des zuvor geltend gemachten Ausgleichs durch den Unternehmer erfolgt. Beide Gerichte missbilligten mit Recht den Standpunkt des LG Wuppertal 1695, welches den Abs. 4 S. 2 dahin missverstanden hatte, nach Ablehnung des geltend gemachten Ausgleichsanspruchs habe der HV nur noch weitere drei Monate Frist (heute Jahresfrist), um bei Meidung der Verwirkungsfolge den Anspruch einzuklagen.

M. Aufrechnung 339

Gegen oder mit dem Ausgleichsanspruch kann aufgerechnet werden 1696. Ein vertragliches Aufrechnungsverbot verstößt nicht gegen den Unabdingbarkeitsgrundsatz 1697, da § 89b Abs. 4 die Aufrechnung nicht garantiert. Umstritten ist, ob nach Ablauf der einjährigen Ausschlussfrist noch aufgerechnet werden darf, wenn sich die Forderungen während des Laufs der Ausschlussfrist aufrechenbar gegenüberstanden 1698. Da der Zweck der Ausschlussfrist über den einer Verjährungsfrist hinausgeht, spricht einiges für die Ansicht, die Aufrechenbarkeit sei nach Ablauf der Ausschlussfrist ausgeschlossen. Andererseits ist es – nicht anders als bei der Ausschlussfrist – Zweck der Verjährungsfristen, Rechtsklarheit zu schaffen und § 390 S. 2 BGB hat für diesen Fall entschieden, dass die Aufrechnung gestattet ist. 1691 1692 1693 1694 1695 1696

OLG Stuttgart VersR 1957, 329; OLG Karlsruhe BB 1957, 561. OLG Stuttgart VersR 1957, 329. OLG Stuttgart VersR 1957, 329. OLG Karlsruhe BB 1957, 561. NJW 1956, 594. Küstner/Thume II, Rn 1660; Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 15.

1070

1697 1698

Küstner/Thume II, Rn 1666. Dafür: BGH v. 30.01.1958, BB 1958, 304; dagegen: BGH BB 1987, 22; OLG München v. 30.04.1958, BB 1958, 389; LAG Düsseldorf v. 17.08.1965, DB 1965, 1407.

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§ 89b

N. Zurückbehaltungsrecht Auch das ZBR ist nicht durch § 89b Abs. 4 gehindert. Beide Parteien können daher 340 das kaufmännische oder nichtkaufmännische Zurückbehaltungsrecht bei Eingreifen seiner TB-Voraussetzungen nach den allgemeinen Grundsätzen ausüben 1699. Insbesondere ist der HV/Vertragshändler berechtigt, nach § 273 Abs. 1 BGB die Nutzung der Daten der geworbenen Kunden durch den Unternehmer von der Zahlung des Ausgleichsanspruchs nach § 89b abhängig zu machen. Die Geltendmachung dieses ZBR lässt den gesetzlichen Ausgleichsanspruch grundsätzlich nicht entfallen 1700. Konsequenterweise müsste sich dieser Anspruch auf Unterlassung der Datenverwertung auch im Wege der einstweiligen Verfügung durchsetzen lassen.

O. Abtretung und Nachfolgebestimmung I. Abtretung Dass der Ausgleichsanspruch erst mit der Vertragsbeendigung zur Entstehung gelangt, 341 weil er in ihr seinen Entstehungsgrund hat, hindert nicht, ihn als künftigen schon während der Vertragszeit abzutreten und zu verpfänden (§ 1204 Abs. 2 BGB), so wie er auch schon während der Vertragszeit als künftiger gepfändet werden kann 1701. Die Abtretung des Ausgleichs vor oder nach Vertragsende ist also gestattet 1702. § 89b Abs. 4 steht nicht entgegen 1703. Analog der Diskussion zur Unzulässigkeit der Abtretung von Bankdarlehen könnte darüber nachgedacht werden, ob § 90 ein mittelbares Abtretungsverbot begründet. Jedenfalls an einen Wettbewerber des Unternehmers dürften die vertraulichen Ausgleichsdaten nicht bekannt gemacht werden. Erst recht dürfte ein solcher Wettbewerber keine Auskünfte zur Berechnung des Ausgleichs fordern. Sieht man in dem Ausgleich eine soziale Schutzvorschrift zu Gunsten des HV oder seinen Zweck darin, dem HV eine Altersversorgung zu bieten, so schließt diese „persönliche Zweckbestimmung“ des Ausgleichs die Abtretung nicht aus. Eine formularmäßige Globalabtretung aller Ansprüche aus Warenlieferungen und Leistungen, insbes. aus Kfz-Verkäufen, Finanzierungsanträgen, Leasinganträgen, etc. gegen alle Kunden bzw. Schuldner mit dem Anfangsbuchstaben A bis T erfasst auch den Vertragshändlerausgleich. Die Abtretung ist hinreichend bestimmt 1704. Dies gilt auch für den HV-Ausgleich.

II. Nachfolgeregelung Vertragliche Bestimmungen, die den Fall einer Nachfolge in das HV-Verhältnis im 342 Voraus regeln, sind zulässig, aber immer nur in den durch die Unwirksamkeit des Vorausverzichts auf den Ausgleichsanspruch (Abs. 4 S. 1) gezogenen Grenzen. So kann im Vertrag vorgesehen sein, dass der HV die Vertretung mit Einverständnis des Unternehmers auf einen Dritten übertragen darf 1705, dafür dann allerdings gehalten sei, den 1699 1700 1701 1702

Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 15. OLG München, Urt. v. 26.04.2006 – 7 U 5350/05, DB 2006, 1371. Schuler NJW 1958, 1115. OLG Frankfurt/Main, Urt. v. 05.07.2005 – 5 U 146/03, WM 2005, 2134; Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 13.

1703 1704 1705

Küstner/Thume II, Rn 1664. OLG Frankfurt/Main, Urt. v. 05.07.2005 – 5 U 146/03, WM 2005, 2134. Schlegelberger/Schröder § 86 Rn 14.

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Nachfolger die Rechte und Pflichten aus dem Vertrage voll übernehmen zu lassen („ihn in den Vertrag eintreten zu lassen“). Die ausgleichsrechtliche Lage ist hier nur bei ausdrücklicher Vereinbarung dahin zu beurteilen, dass der Nachfolger dem Unternehmer die Ausgleichslast bei Eintritt des Nachfolgefalles in der einen oder anderen Form abzunehmen hat – der Unternehmer kann das unschwer durchsetzen, da er es in der Hand hat, seine Zustimmung zur Übertragung der Vertretung zu versagen. Nicht aber ist dadurch, entgegen einem Urteil des LG Frankfurt/Main 1706, der Unternehmer im Voraus von der Pflicht zur Zahlung des Ausgleichs gegenüber dem abgebenden HV befreit worden. Dies wäre nach Abs. 4 S. 1 unwirksam; das Bedenken wäre auch nicht mit der Annahme einer Nichtbeendigung des HV-Verhältnisses dank der „Fortdauer des bestehen gebliebenen Handelsvertretervertrages als solchen“ auszuräumen 1707. Ebenso ist nicht anzunehmen, dass diese Rechtslage einer Fortdauer des Vertragsverhältnisses unter Hinderung des Ausgleichsanspruchs gegeben sei, wenn der HV sich aus Altersgründen zurückziehe und die Vertretung im Einverständnis mit dem Unternehmer auf seinen Sohn überträgt. Der Vater mag nach seinem Ausscheiden auf einen Ausgleich verzichten gegen die Zusage, dass die von ihm neu geschaffenen Geschäftsverbindungen den vom Sohn zu schaffenden für dessen demnächstigen eigenen Ausgleich hinzuzurechnen seien. So etwas ist statthaft und würde, wenn zwischen Vater und Unternehmer getroffen, im Zweifel über § 328 BGB auch unmittelbar zugunsten des Sohnes wirken.

P. Pfändung 343

Der Ausgleichsanspruch kann im Wege der Zwangsvollstreckung gemäß § 829 ZPO durch einen Gläubiger des HV gepfändet werden 1708. Die zur Pfändung erforderliche Bestimmtheit ist auch vor Vertragsende gegeben, wenn die Pfändungsunterlagen den Ausgleichsanspruch als „künftigen Ausgleichsanspruch gemäß § 89b“ bezeichnen. Der HV behält trotz der Pfändung die volle Verfügungsbefugnis über den Vertrag und kann ausgleichsvernichtend kündigen. Auf das der Forderung zugrundeliegende Rechtsverhältnis, den HV-Vertrag, erstreckt sich die Pfändung nicht 1709. Eine Schadenersatzpflicht des HV wegen des Ausgleichsausschlusses besteht gegenüber den Gläubigern nur, falls der Gläubiger nachweist, dass der HV einen ausgleichsvernichtenden Umstand herbeiführte, um den Gläubiger zu schädigen oder seine Befriedigung zu hindern 1710.

Q. Anerkenntnis 344

Der Ausgleichsanspruch darf anerkannt werden. Ein vorprozessuales Anerkenntnis kann kondiziert werden, wobei sich jedoch die Beweislast umkehrt 1711.

1706 1707 1708

V. 09.01.1979 – 3/5 O 58/78. So aber LG Frankfurt am Main v. 09.01. 1979 – 3/5 O 58/78. BGH NJW 1964, 1622.

1072

1709 1710 1711

Küstner/Thume II, Rn 1669. Küstner/Thume II, Rn 1669. Hopt § 89b Rn 81.

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§ 89b

R. Der Ausgleichsanspruch und konkurrierende Ansprüche I. § 354 HGB § 89b ist lex specialis und verdrängt § 354. Fraglich ist jedoch, ob gem. § 354 eine 345 Vergütung für den Aufbau des Kundenstammes zu zahlen ist, wenn ein Ausgleich nicht fällig wird. Dies ist regelmäßig abzulehnen, da auch die negativen TB-Merkmale des § 89b eine Aussage über die Umstände treffen, unter denen eine Vergütung für den Aufbau des Kundenstammes zu zahlen ist. Entfällt der Ausgleich z.B. wegen Eingreifens eines Ausschlussgrundes gem. § 89b Abs. 3 dürfte auch über § 354 kein Ausgleich fällig werden.

II. Karenzentschädigung (§ 90a Abs. 1) Die Karenzentschädigung des § 90a Abs. 1 darf neben dem Ausgleichsanspruch 346 gefordert werden 1712. Die Zahlung eines Ausgleichs hat keine Wettbewerbsbeschränkung zur Folge (Rn 273), so dass ein Wettbewerbsverbot – wie die Existenz des § 90a beweist – gesondert zu vergüten ist. Beide verfolgen verschiedene Zwecke. Eine Anrechnung der Ausgleichszahlung auf die Karenzentschädigung und umgekehrt findet nicht statt.

III. Schadenersatzansprüche Hat der HV den Vertrag aus wichtigen Grund wegen eines schuldhaften Verhaltens 347 des Unternehmers gekündigt, könnte sich eine Schadenersatzverpflichtung des Unternehmers aus § 89a Abs. 2 ergeben (§ 89a Rn 59 ff) 1713. Der Verletzung anderer Vertragspflichten des Unternehmers kann eine Schadenersatzverpflichtung aus § 280 BGB folgen (§ 86a Rn 126 ff). Schadenersatz- und Ausgleichsanspruch stehen in Konkurrenz und sind nebeneinander zu befriedigen. Die Zahlung des Ausgleichs kann sich nicht mindernd auf den Schadenersatzanspruch auswirken, etwa unter dem Gesichtspunkt der Vorteilsausgleichung 1714. Die Fälligkeit des Ausgleichs nach Vertragsende ist der Regelfall. Deshalb ist die durch die Vertragsverletzung eintretende Kündigung mit Ausgleichsfolge kein Vorteil, weil sie auch zu einem späteren Zeitpunkt eintreten könnte. Es kann nicht vermutet werden, dass der Ausgleich später ausnahmsweise entfallen wäre. Der Ausgleich wäre – wie zu vermuten steht – in jedem Fall zu zahlen und ist kein durch die zum Schadenersatz verpflichtende Handlung entstandener Vorteil 1715. Ein aus Anlass der Vertragsbeendigung gezahlter Schadenersatzanspruch ist auch nicht abzutreten 1716. Soweit die zum Schadenersatz verpflichtende Handlung zu einem geringeren Aus- 348 gleichsanspruch führt, kann dieser Schaden in Form einer Erhöhung des Ausgleichs geltend gemacht werden 1717. Hat der HV infolge der Pflichtwidrigkeit des Unternehmers außerordentlich gekündigt und fordert Zahlung entgangener Provisionens sowie den Ausgleichsanspruch, wäre die Ausgleichsklage streng genommen unbegründet. Denn der HV erhält wegen des Grundsatzes der Naturalrestitution bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist Schadenersatz in Provisionshöhe und ihm entgeht deshalb bei Ver1712 1713

1714

Küstner/Thume II, Rn 1716. Siehe etwa OLG Karlsruhe, Urt. v. 17.09. 2003 – 1 U 9/03, NJW-RR 2004, 191 = EWiR 2004, 557 (Emde). Küstner/Thume II, Rn 1733; Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 18.

1715 1716

1717

Küstner/Thume II, Rn 1733. BGH, Urt. v. 09.04.1964 – VII ZR 123/62, BGHZ 41, 292 = NJW 1964, 1622; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 4. BGH, Urt. v. 12.01.1970, BGHZ 53, 150 = DB 1970, 339.

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§ 89b

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tragsende – zunächst – keine Vergütung 1718. Gleichwohl ist der Ausgleich zum Zeitpunkt des Vertragsendes nicht deshalb ausgeschlossen, weil zunächst Schadenersatz geleistet wird 1719: Schadenersatzansprüche sind keine Provisionen. Schadenersatz und Ausgleich betreffen unterschiedliche Sachverhalte und Zeiträume 1720. Dem HV kann nicht zugemutet werden, den Ausgleich trotz der Vertragsbeendigung auf der Basis von Umständen zum Zeitpunkt des möglicherweise Jahre später eintretenden ordentlichen Vertragsendes zu berechnen, zumal wenn zwischenzeitlich Verjährung eintreten könnte und jene Umstände noch unbekannt sind. Auch müsste der HV den Nachteil einer Vernachlässigung des Kundenstammes durch den Unternehmer tragen. Der Ausgleich darf nicht reduziert werden, weil der Unternehmer eine Vertragsverletzung begangen hat. Es bleibt daher bei dem Grundsatz der Ausgleichsberechnung bei Wirksamwerden der außerordentlichen Kündigung des HV ohne Berücksichtigung der zu leistenden Schadenersatzbeträge als Vorteile. Da der Ausgleich eine vertragliche Gegenleistung für den Aufbau des Kundenstammes ist, braucht sich der HV Leistungen, welche er aus Anlass der Vertragsbeendigung von Dritten erhält, nicht auf den Ausgleich anrechnen zu lassen 1721. Ein Versicherungsvertreter muss sich folglich auf seinen Anspruch auf Ersatz unfallbedingten Dienstausfalls nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung eine Berufsunfähigkeitsrente nicht anrechnen lassen, die er von dem HV-Versorgungswerk erhält, wenn die Rente gemäß dem HV-Vertrag an die Stelle eines Ausgleichsanspruchs tritt 1722. Nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung sind nur Vorteile anrechenbar, die dem Geschädigten in adäquatem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zugeflossen sind. Hieran mangelt es, weil die Rente nur den dem HV ohnehin zustehenden Ausgleich substituiert. Auch ein Dritter braucht sich die Zahlung des Ausgleichs nicht als Vorteil anrechnen lassen, wenn die pflichtwidrige Handlung – etwa ein tödlicher Unfall – zur Zahlung des Ausgleichs an die Erben führt 1723.

IV. Informationsrechte nach § 87c 349

Die Rechte aus § 87c dürfen auch zur Kontrolle anderer als Provisionsansprüche ausgeübt werden 1724, auch des Ausgleichs 1725. Der HV braucht zu ihrer Kontrolle also nicht auf die §§ 242 1726, 259, 260 BGB auszuweichen 1727 (§ 87c Rn 11 ff). Beide Ansprüche können nebeneinander oder im Stufenverhältnis gestaffelt geltend gemacht werden. Deshalb ist auch bei der Ausgleichsklage eine vorgeschaltete Informationsklage – selbst eine Buchauszugsklage 1728 – zulässig, da die Entwicklung der Geschäftsverbindun1718 1719 1720 1721 1722

1723 1724

1725

Küstner/Thume II, Rn 1729. AA Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 18. Siehe Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 18. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 4. OLG München, Urt. v. 02.02.2000 – 7 U 4410/99, VersR 2001, 1429; Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 4. Küstner/Thume II, Rn 1734. So aber (für den Buchauszug) OLG Nürnberg BB 1999, 150 = EWiR 1998, 951 (v. Manteuffel/Evers). OLG Hamburg, Urt. v. 19.06.1991 – 5 U 12/90; unveröffentlicht; Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 4; einschränkend Rn 10: nur ergänzender Auskunftsanspruch gem. § 87c

1074

1726

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1728

Abs. 3. Für den Buchauszug ablehnend OLG Celle, Beschl. v. 20.04.2004, r+s 2004, 349 (350). OLG Hamburg, Urt. v. 12.4.2000 – 8 U 198/99, OLGR 2000, 465; OLG Hamm, Urt. v. 15.12.2000 – 35 U 77/99, VersR 2001, 1154. So jedoch BGH NJW 1996, 2100; LG Hamburg, Beschl. v. 10.11.1998 – 325 O 257/98 – unveröffentl.; Wolff BB 1978, 1246; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 1224; Emde MDR 1999, 1108 (1111); Emde NJW 2000, 796; Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 4. OLG Hamm OLGR 1996, 54.

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§ 89b

gen des Unternehmers für die Ausgleichshöhe entscheidend ist 1729. Das ist insbesondere deshalb zutreffend, weil nach Ansicht des BGH 1730 ein Teilurteil über den Ausgleich unzulässig sein soll. Wenn die ausgleichsrelevante Provision aber erst nach Erteilung des Buchauszuges feststeht, handelt es sich bei der zuvor erhobenen Ausgleichsklage um eine demnach unzulässige Teilklage. Zudem müsste der HV bis zum Entscheid über die Buchauszugsklage die Verjährung seiner Ausgleichsforderung befürchten, ein Ergebnis, welches ihm nicht zugemutet werden kann. Die Bezifferung darf bis zur ausgeurteilten Informationspflicht vorbehalten bleiben 1731. Der Nachteil der Kombination liegt darin, dass der Prozess über den Ausgleich durch den Streit über den auf erster Stufe geltend gemachten Informationsanspruch mit ggf. Beweiserhebung und Vollstreckung verzögert wird. Jede Partei muss der anderen die für die Ausgleichsberechnung erheblichen Umstände offenbaren, sofern sie auf die Ausgleichsberechnung mehr als unerheblichen Einfluss haben. Tut sie dies nicht, ist das eine Schlechterfüllung des Schuldverhältnisses und berechtigt zu Schadenersatzansprüchen. So hat etwa das OLG Düsseldorf 1732 das Verschweigen der Konkurrenztätigkeit eines HV als zum Schadenersatz verpflichtende Handlung angesehen und einem Rückforderungsanspruch des Unternehmers stattgegeben. Dieser Gedanke gilt nicht nur für nachvertragliche Umstände.

S. Prozessfragen Siehe zunächst Vor § 84 Rn 419 ff. Ausgleichsstreitigkeiten sind schiedsfähig. Beklag- 350 ter einer Ausgleichsstreitigkeit ist der Unternehmer, sofern es sich nicht um eine Widerklage oder Aufrechnung handelt. Der allgemeine Gerichtsstand des Unternehmers liegt gem. § 12 ZPO an dessen ggf. ausländischem Sitz. Zum Gerichtsstand des Vermögens (§ 23 ZPO) Vor § 84 Rn 481 ff, 519 ff. Außer an den Gerichtsstand der Widerklage, der eine bereits in Deutschland rechtshängige Klage des Unternehmers gegen den HV voraussetzt, ist deshalb vor allem an den Gerichtsstand des Erfüllungsortes gemäß § 29 ZPO 1733 zu denken. Der Erfüllungsort bestimmte sich gemäß § 29 ZPO nach den oben dargestellten Regeln. Nach der hier vertretenen Ansicht liegt er am Sitz des HV. Die hM nimmt den Erfüllungsort des Ausgleichs am Sitz des Unternehmers an. Einen Einheitserfüllungsort am Sitz des Unternehmers gibt es nur im Anwendungsbereich der VO (EG) Nr. 44/2001 und auch dort nur als prozessuale Regelung (Rn 331):

I. Klage Der Klageantrag darf als sogenannter „unbezifferter Leistungsantrag“ gestellt wer- 351 den 1734. Das gilt auch für den Vertragshändler, da auch bei ihm die Bemessung des Aus1729

1730 1731 1732

1733

Westphal Vertriebsrecht I, Rn 1338; aA möglicherweise Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 51. BGH, Urt. v. 29.05.1967, NJW 1967, 2153; zustimmend Martinek/Schwab § 17 Rn 34. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 164. OLG Düsseldorf, Urt. v. 30.04.1993 – 39 O 145/92, zitiert nach Küstner/Thume II, Rn 1678. BGH NJW 1988, 966 = ZIP 1988, 436, dazu EWiR 1988, 489 (v. Hoyningen-

1734

Huene), Westphal Vertriebsrecht I, Rn 1330, 1355; Niebling Vertragshändlerrecht, 1999, Rn 343. BGH NJW 1992, 311; BGH BB 1997, 2607; OLG Bamberg EWiR 1999, 891 (Emde); OLG Düsseldorf, Urt. v. 08.02. 1977, HVR-Nr. 504; Emde VersR 2001, 148 (161); Martinek/Schwab § 17 Rn 33; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rn 1015; Westphal Vertriebsrecht I, Rn 1343; Westphal Vertriebsrecht II,

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§ 89b

1. Buch. Handelsstand

gleichs von der Billigkeit und damit von einem unbestimmten Rechtsbegriff abhängt 1735. Bei einem solchen Antrag wird die Höhe des Ausgleichs dem Ermessen des Gerichts anheimgestellt und lediglich ein Mindestbetrag oder die ungefähre Größenordnung angegeben 1736. Erforderlich ist aber immer, dass sich der geforderte Mindestbetrag aus dem Antrag oder jedenfalls aus den Gründen ergibt 1737; die Berechnungsgrundlagen sind in der Begründung offen zu legen (Begründungserfordernis des § 253 ZPO). Bei der Bestimmung der Rechtsmittelbeschwer können sich aus der unbezifferten Fassung Probleme ergeben 1738. Zudem müssen die zur Ermittlung des Anspruchs erforderlichen Tatsachen vollständig wiedergegeben werden 1739. Eine Feststellungsklage ist nur zulässig, falls keine Leistungsklage möglich ist. Davon kann im Regelfall jedoch nicht ausgegangen werden 1740, weil die Bezifferung des Ausgleichs aus den dem HV vorliegenden Provisionsabrechnungen möglich sein muss. Ist dies nicht der Fall, weichen HV entweder auf ihr Buchauszugsrecht (s.o.) aus oder notfalls auf die Informationsrechte aus § 242 BGB 1741 und §§ 259, 260 BGB 1742, sofern sie entschuldigt über die Höhe des Ausgleichs keine Kenntnis haben. Auch bei der Ausgleichsklage ist eine vorgeschaltete Informationsklage – etwa eine Buchauszugsklage 1743 – zulässig, da die Entwicklung der Geschäftsverbindungen des Unternehmers für die Ausgleichshöhe entscheidend ist 1744 (Rn 349). Die Einforderung des Ausgleichs im Mahnverfahren hindert den HV nicht, die gerichtliche Feststellung des Fortbestandes des Vertrages zu suchen. Es fehlt an der Identität der Streitgegenstände beider Verfahren 1745. Allerdings kann ein widersprüchliches Verhalten vorliegen, welches möglicherweise zeigt, dass der Händler die Kündigung akzeptiert 1746.

II. Urteil 352

Ein Grundurteil über die Berechtigung des HV-Ausgleichs ist zulässig 1747. Es soll nach Ansicht des OLG Frankfurt am Main 1748 bereits zulässig sein, wenn Unternehmervorteile und Provisionsverluste mit hoher Wahrscheinlichkeit in irgendeiner Höhe bestehen, obgleich der Hersteller etwaige Mehrfachkundenverträge bestreitet. Jedoch ist davon nach

1735

1736 1737 1738 1739 1740 1741

1742

Rn 699; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 164; Hopt § 89b Rn 81; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 222; Baumbach/Hartmann ZPO, § 253 Rn 59; umfassend zum unbezifferten Klagantrag Ruttloff VersR 2008, 50. Stumpf/Jaletzke/Schultze Rn 869; aA Vogels/Köhnen in: Giesler Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 3 Rn 531. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 1343; Baumbach/Hartmann ZPO, § 253 Rn 59. Ruttloff VersR 2008, 50. Ruttloff VersR 2008, 50. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 164. BGH ZIP 1998, 2152 (2154); Ebenroth/ Löwisch § 89b Rn 164. BGH, Urt. v. 10.03.1969 – VII ZR 246/59, BB 1960, 796; Heymann/Sonnenschein/ Weitemeyer § 89b Rn 79. So jedoch Schlegelberger/Schröder § 87c Rn 4.

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1743

1744

1745 1746 1747

1748

BGH, Urt. v. 04.11.1998 – VIII ZR 248/97, ZIP 1998, 2152 (2153); OLG Hamm, OLGR 1996, 54; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 164, der aaO allerdings systemwidrig ein Informationsrecht allein zu dem Zweck der schlüssigen Darlegung des Ausgleichsanspruchs verneint. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 1338; aA möglicherweise Ebenroth/Löwisch § 87c Rn 51. OLG Saarbrücken NJW-RR 1998, 1191. Emde VersR 1999, 1464 (1472). OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 17.01. 2006 – 11 U 33/05; wohl auch BGH, Urt. v. 28.02.2007 – VIII ZR 30/06, NJW 2007, 3493 (3496); Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rn 1016; aA Westphal Vertriebsrecht I, Rn 1348; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 166. Urt. v. 17.01.2006 – 11 U 33/05 –.

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§ 89b

Ansicht des BGH 1749 wegen der erheblichen Verzögerung und Verteuerung des Rechtsstreits nur zurückhaltend Gebrauch zu machen. Außerdem müssen sämtliche Voraussetzungen des Ausgleiches bewiesen sein1750. Ein Teilurteil über eine Mindesthöhe des Ausgleichsanspruchs soll hingegen unzulässig sein, weil die Billigkeitsprüfung erst vorgenommen werden könne, sobald sämtliche für den Anspruch maßgebenden Tatsachen und der sich daraus ergebende rechnerische Ausgleichsbetrag festgestellt seien 1751. Nicht anders als ein Schadenersatzanspruch sei der Ausgleichsanspruch damit einheitlich und unteilbar. Auch bestehe die Gefahr widersprechender Entscheidungen. Diese Auffassung begegnet Bedenken. Auch eine Teilklage müsste danach unzulässig sein, ebenso die Aufrechnung gegen eine nicht exakt den Ausgleich erreichende Forderung. Sofern jedoch die Berechnungsgrundlagen der Teilklage und der hiermit abgegoltene Betrag sich aus der Begründung ergeben, dürfte eine Teilklage und auch ein Teilurteil gestattet sein. Ob dieses Verfahren zweckmäßig ist, ist eine andere Frage. Ein Teilurteil über den von einem HV geltend gemachten Ausgleichsanspruch ist aber unzulässig, wenn der HV darüber hinaus im selben Rechtsstreit Provisionsansprüche geltend macht, das Gericht über die Provisionsansprüche aber noch nicht entschieden hat 1752. Denn es besteht die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen. Eine Unabhängigkeit von Ausgleichs- und Provisionsanspruch kann nur bejaht werden, falls auch die Gerichte höherer Instanz zu dem Ergebnis kommen, dass Ausgleichsansprüche bereits dem Grunde nach nicht bestehen. Anderenfalls wird die Höhe des Ausgleichs aber zumindest mittelbar durch die Höhe der in der Vergangenheit erzielten Provisionen mit bestimmt (s. etwa § 89b Abs. 2).

III. Prozessvergleich Ein Prozessvergleich über den Ausgleich ist zulässig 1753. Ein Vergleich über den Aus- 353 gleich vor Vertragsende verstößt aber gegen Abs. 4 1754, sofern sich der HV auf einen Betrag unterhalb des von § 89b Gewährten vergleicht (Rn 255). Das gilt angesichts des apodiktischen Wortlauts und der fehlenden Beratungspflicht des Gerichts auch für einen Prozessvergleich 1755, wobei allerdings eine Klage und ein Vergleich vor Fälligkeit des Ausgleichs – Vertragsende – kaum besonders wahrscheinlich ist.

IV. Arrest Die beabsichtigte Liquidation des Unternehmers soll keinen Arrestgrund dar- 354 stellen 1756. Anderes gilt aber in der Sondersituation eines ausländischen Gesellschafters und Geschäftsführers bei beharrlicher Verweigerung „vernünftiger wirtschaftlicher Sicherungsinteressen“ 1757. 1749 1750

1751

BGH, Urt. v. 29.05.1967, NJW 1967, 2153; zustimmend Martinek/Schwab § 17 Rn 34. BGH, Urt. v. 29.05.1967, BB 1967, 776 = NJW 1967, 2153; v. 11.03.1982, NJW 1982, 1757; v. 13.12.1995, BB 1996, 235; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau, Rn 1016. Dazu zählen beim HV-ähnlichen Mittler die Analogievoraussetzungen, siehe Wauschkuhn a.a.O. OLG München, Urt. v. 15.01.1992, NJW-

1752 1753 1754 1755 1756 1757

RR 1992, 1191; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 166. OLG Celle, Urt. v. 19.04.2007 – 11 U 240/06, OLGR 2007, 790. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 166. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 142. AA Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 142, 166. OLG München v. 15.01.1992, NJW-RR 1998, 1563. LG Stuttgart v. 13.07.1998, RIW 1999, 67.

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§ 89b

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T. Der Ausgleichsanspruch in der Insolvenz I. Der Ausgleichsanspruch in der Insolvenz des Unternehmers 355

1. Anspruchsentstehung. Der Ausgleichsanspruch des § 89b Abs. 1 setzt voraus, dass das Vertragsverhältnis zwischen HV und Unternehmer beendet ist. Diese Voraussetzung ist gegeben, da der HV-Vertrag ipso iure mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens endet (§§ 116 Satz 1, 115 Abs. 1 InsO) 1758.

356

2. Insolvenzrechtliche Einordnung des Anspruchs. Der Ausgleichsanspruch gemäß § 89b Abs. 1 ist für gewöhnlich nur einfache Insolvenzforderung 1759. Er stellt nur dann eine vorab zu befriedigende Masseforderung dar, falls ein vom Insolvenzverwalter erst nach Verfahrenseröffnung mit dem HV abgeschlossenes Vertragsverhältnis beendet wird 1760. Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens können die gegen den Insolvenzschuldner gerichteten Ausgleichsansprüche nur noch gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend gemacht werden.

II. Der Ausgleichsanspruch in der Insolvenz des HV 357

Die TB-Voraussetzungen des Ausgleichsanspruchs nach § 89b werden im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des HV nicht immer erfüllt sein. Der Ausgleichsanspruch nach § 89b setzt voraus, dass das Vertragsverhältnis beendet wurde. Im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des HV erfolgt keine ipso iure Beendigung des HV-Vertrages wie im Falle der Unternehmerinsolvenz. Der Unternehmer hat aber die Möglichkeit, den Vertrag ordentlich oder aus wichtigem Grund zu kündigen. Das Vertragsverhältnis kann zudem nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens im gegenseitigen Einvernehmen aufgehoben oder durch Erreichen der Altersgrenze beendet worden sein.1761 Die ordentliche Kündigung (§ 89) des Unternehmers ohne wichtigen Grund führt gem. § 89b Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2 zu seiner Ausgleichspflicht. Die außerordentliche Kündigung des Unternehmers gemäß § 89a wäre nur dann ausgleichsschädlich, wenn er sich auf einen wichtigen Grund wegen schuldhaften Verhaltens des HV berufen könnte (§ 89b Abs. 3 Nr. 2). Dazu oben, Rn 227 ff. Dem HV gibt die eigene Insolvenz keinen begründeten Anlass zur ausgleichserhaltenden Kündigung i.S.d. § 89b Abs. 3 Nr. 1 Rn 213). Gerät der HV nach einer bereits erklärten Kündigung, jedoch vor Vertragsbeendigung in Insolvenz und stellt daraufhin seinen Geschäftsbetrieb vor Vertragsbeendigung ein, entfällt ein Ausgleichsanspruch, weil bei unterstellter Fortführung des Vertrages der HV keine Rabatte entsprechend § 89b Abs. 1 Nr. 2 erwirtschaftet hätte 1762. Für die Provisionsverluste ist nicht die Vertragsbeendigung ursächlich, sondern die Insolvenz und die Einstellung des Geschäftsbetriebs. Der nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandene Ausgleichsanspruch fällt gemäß § 35 InsO zu Gunsten der Gläubiger in die Insolvenzmasse 1763. Er ist kein insolvenzfreies Vermögen des HV. Gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO kann der Unternehmer gegen Forderungen des insolven1758 1759 1760 1761

Emde/Kelm ZIP 2005, 58 (62); Küstner/ Thume II, Rn 360. Emde/Kelm ZIP 2005, 58 (63); Ruß in: HK-HGB § 89b Rn 6. Westphal Vertriebsrecht I, Rn 1303. Emde/Kelm ZVI 2004, 382 (384); Küstner/ Thume I, Rn 1384.

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1762 1763

Stumpf/Ströbl MDR 2004, 1209 (1211) für den Vertragshändlervertrag. Emde/Kelm ZVI 2004, 382 (384); Küstner/Thume I, Rn 1384; aA: Ruß in: HKHGB, § 89b Rn 7, unter Hinweis darauf, dass im Fall der Kündigung durch den Unternehmer wegen der Insolvenz des HV

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§ 89b

ten HV mit dem Ausgleichsanspruch aufrechnen, sofern der Ausgleich vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. Diese Voraussetzung ist selbst dann gegeben, wenn das Insolvenzverfahren vor der Vertragsbeendigung eröffnet wurde. Der Ausgleich ist zwar erst nach Verfahrenseröffnung entstanden, aber in insolvenzrechtlicher Hinsicht bereits vorher erworben 1764. Denn der TB, aus dem der Ausgleichsanspruch hervorgeht, ist im HV-Vertrag zu sehen, und dieser wurde vor Beginn des Insolvenzverfahrens abgeschlossen 1765.

U. Rückforderung des gezahlten Ausgleichs durch den Unternehmer I. Zum Rechtsgrund Erfolgte die Ausgleichszahlung, obwohl eine der TB-Voraussetzungen des § 89b nicht 358 erfüllt war, kann der Unternehmer den Ausgleich nach den in Anspruchskonkurrenz stehenden §§ 812, 826 1766, 242 BGB, WGG 1767 bzw. einem aus Treupflichten begründeten vertraglichen Rückzahlungssanspruch (ggf. nach § 280 BGB) rückfordern 1768. Denkbar ist dies insbesondere in folgenden Konstellationen: – es stellt sich nach Vertragsende das Fehlen eines TB-Merkmals des § 89b heraus, insbesondere; • es fehlen Unternehmervorteile; • es findet sich nach Vertragsende ein wichtiger Kündigungsgrund, der zur Kündigung ohne Abmahnung berechtigt hätte (Ausgleichsausschlussgrund) 1769; • es mangelt an der Billigkeit der Ausgleichsvergütung, wobei sich mangelnde Billigkeit auch aus nachvertraglichen Umständen, etwa aus nachvertraglichem Wettbewerb oder einer anderen wettbewerbswidrigen Verhaltensweise – etwa der Nutzung der Geschäftsgeheimnisse des bisherigen Unternehmers 1770 – ergeben kann. Ein Problem der Rückforderung ist die für die Ausgleichshöhe erforderliche Vorteils- 359 prognose bei Vertragsende: Liegt der Rückforderungsgrund in Umständen begründet, die sich erst nach Vertragsende manifestieren, etwa in nachvertraglichem Wettbewerb des

1764

1765 1766

das Ende des Vertragsverhältnisses und demzufolge auch die Anspruchsentstehung erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen. Hier wird offenbar verkannt, dass gemäß § 35 InsO gerade auch der Neuerwerb des Gemeinschuldners zum Schutz der Gläubiger in die Insolvenzmasse fällt. Zum alten Recht und dieser früher umstrittenen Frage vgl. nur: 4. Aufl., § 89b Rn 20. Ebenroth/Boujong/Joost/Löwisch § 89b Rn 15; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene, § 89b Rn 40; So auch die ältere Rechtsprechung zu § 55 Nr. 2 KO. Vgl. etwa OLG Karlsruhe, Urt. v. 27.12.1984 – 9 U 100/84, WM 1985, 235; LG Osnabrück, Urt. v. 16.02.1994 – 8 O 280/93, HVR 782; Hoffstadt DB 1983, 645 (648). BGH, Urt. v. 09.11.1961, MDR 1962, 295. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 32.

1767 1768

1769

1770

Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 32. OLG Düsseldorf, Urt. v. 30.04.1993 – 39 O 145/92, zitiert nach Küstner/Thume II, Rn 1678. Etwa OLG Düsseldorf, Urt. v. 30.04.1993 – 39 O 145/92, zitiert nach Küstner/Thume II, Rn 1678 bei verheimlichter Wettbewerbstätigkeit). Wie oben dargestellt genügt es für den Ausgleichsauschluss nach § 89b Abs. 2 Ziff. 2, wenn objektiv ein wichtiger Grund wegen schuldhaften Verhaltens des Unternehmers zu bejahen ist. Hilfsweise ergibt sich dies aus dem Billigkeitsgrundsatz. In dem Verfahren LG Braunschweig – 81 AR 943/05 haben die Parteien in dieser Sachverhaltsvariante in einem vorgeschalteten Mediationsverfahren einen Vergleich geschlossen.

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HV und deshalb entfallender Billigkeit oder Unternehmervorteile – ist ein Rückforderungsrecht problematisch. Denn ein Rückforderungsrecht des Unternehmers oder ein gegen den HV gerichteter Nachzahlungsanspruch, insbesondere aus § 812 BGB, scheiden aus, wenn zum Zeitpunkt des Vertragsendes Vorteile prognostiziert werden durften 1771. Wie ausgeführt (Rn 95) vertrat der BGH in seiner Entscheidung vom 06.08.1997 1772, Unternehmervorteile und Provisionsverluste seien durch eine Prognose zu ermitteln, die zum Zeitpunkt der Beendigung des HV-Vertrages (bei optimaler Kenntnis) erfolgen müsse. Die tatsächliche Entwicklung der Verhältnisse während des anschließenden Prognosezeitraums könne nur berücksichtigt werden, soweit sie zum Zeitpunkt der Vertragsbeendigung abzusehen sei. Das Urteil ergreift seinem Wortlaut nach zwar nicht alle TBVoraussetzungen des § 89b sondern nur die Vorteils- und Verlustprognose. Es dürfte aber auch für die übrigen TB-Merkmale gelten. Zweifelhaft kann dies allenfalls bei Billigkeitserwägungen sein, die eine umfassende Abwägung und ein vollständiges Korrektiv ermöglichen sollen. In den insoweit maßgeblichen Fällen wird sich allerdings bereits ein Schadenersatzanspruch oder ein aus Treupflichten (§ 242 BGB) begründeter vertraglicher Rückforderungsanspruch darstellen lassen. Die zum Ausgleichsauschluss oder zur Ausgleichsreduzierung leitenden Umstände müssen daher – um ein Rückforderungsrecht zu begründen – aus der Sicht eines perfekt informierten, objektiven Dritten bei Vertragsende vorhersehbar gewesen und nur deshalb nicht in die Prognose eingeflossen sein, weil sie dem Unternehmer ohne Tatsachenblindheit verborgen blieben. Leitbild ist der vom HV verheimlichte, unzulässige Wettbewerb 1773. Waren dem Unternehmer die die Rückforderung begründenden Umstände zum Zeitpunkt der Zahlung des Ausgleichs bekannt, kann die Rückforderung ausnahmsweise nach § 814 BGB ausgeschlossen sein. Allenfalls in Evidenzfällen wäre eine Anpassung nach den §§ 242 BGB, 826 BGB oder den Grundsätzen des WGG denkbar. Es gilt daher: Fehlte bereits im Zeitpunkt des Vertragsendes (Prognosezeitpunkt) ein TB-Merkmals oder existierte ein Ausschlussgrund (Paradigma vertragsbegleitender, aber unerkannter Wettbewerb) bzw. war das Fehlen oder die Existenz absehbar (etwa: bei Vertragsende sichtbarer nachvertraglicher Wettbewerb) und blieb dieser Umstand dem Unternehmer ohne Rechtsblindheit unerkennbar, ist eine Pflicht zur Rückzahlung eines Teils oder des ganzen Ausgleichs vertretbar. Die Anlagerechtsprechung (Rn 95) steht nicht entgegen. Das teilweise oder vollständige Zahlungsverweigerungsrecht war von vornherein angelegt. Auch nachvertraglicher Wettbewerb des HV kann zum Zeitpunkt des Vertragsendes angelegt sein, etwa infolge einer bereits vor Vertragsende erfolgten, aber zunächst unbekannten Unterzeichnung des HV-Vertrages mit einem Wettbewerber oder anderen Vorbereitungshandlungen 1774. Die Entscheidung des BGH vom 06.08.1997 1775, mit der die Anlagerechtsprechung 360 begründet wurde, betraf einen Sachverhalt, in welchem der Ausgleich noch nicht gezahlt worden war und in welchem um ihn bis zur Entscheidung prozessiert wurde. Es lässt sich nicht ausschließen, dass die Gerichte einen „rigorosen Schlussstrich“ um Ausgleichsstreitigkeiten ziehen wollen, in welchen der Unternehmer vorprozessual einen Ausgleich gezahlt hat. Dafür könnten sie sich auf die Ansicht von Küstner stützen, nach Leistung 1771

1772

BGH, Urt. v. 06.08.1997 – VIII ZR 92/96; NJW 1998, 71; Hopt § 89b Rn 16; Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 32. In dieser Entscheidung dürfte aber eine grundsätzliche Anerkennung eines Rückzahlungsanspruches zu finden sein. BGH, Urt. v. 06.08.1997 – VIII ZR 92/96, NJW 1998, 71.

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1774 1775

OLG Düsseldorf, Urt. v. 30.04.1993 – 39 O 145/92, zitiert nach Küstner/Thume II, Rn 1678. Siehe bereits Emde EWiR 2000, 238. NJW 1998, 71.

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des Ausgleichs bestehe kein Rückforderungsrecht des Unternehmers 1776. Eine Kondiktion der Zahlung scheide dann aus. Das Gegenargument lautet wie folgt: Es darf keinen Unterschied machen, ob der Ausgleich bereits gewährt wurde oder über ihn zur Zeit des Rückforderungsverlangens noch gestritten wird. Anderenfalls würde der Unternehmer benachteiligt, der leistet, ohne die Gerichte zu bemühen 1777. Allenfalls liegt, wollte man in der Zahlung ein bewusstes Anerkenntnis des Unternehmers sehen 1778, die Beweislast für die Voraussetzungen der Kondiktion beim HV. Diese Beweislastverteilung ergibt sich jedoch bereits aus § 812 BGB, weil derjenige, der rückfordert, die Anspruchsvoraussetzungen des § 812 BGB darlegen und beweisen muss. Außerdem fehlt fast durchweg ein Anerkenntnis im Bewusstsein aller relevanten Tatsachen.

II. Zur Höhe der Rückforderung Eine Folgefrage ist, in welcher Höhe zurückgefordert werden kann. Eine vorherseh- 361 bare nachvertragliche Konkurrenztätigkeit des HV sowie die Mitnahme seiner Kunden zu einem Konkurrenzunternehmer, der vergleichbare Produkte vertreibt, wird regelmäßig eine Minderung oder den Wegfall von Unternehmervorteilen und/oder Provisionsverluste zur Folge haben 1779. Der BGH hat für eine solche Wettbewerbstätigkeit einen Abzug von 25 % unbeanstandet gelassen 1780 und dabei den weiten Ermessensspielraum des Tatrichters betont. Sofern sich der Anteil der abgeworbenen Kunden nicht konkret feststellen und sich eine Alternativberechnung des Ausgleichs ohne den abgeworbenen Kundenkreis nicht durchführen lässt, könnte an eine Rückforderung von 25 % des Ausgleichs als Schätzgröße nach § 287 ZPO gedacht werden. Das AG Walsrode 1781 hat im Falle nachvertraglichen Wettbewerbs eine Rückforderung von einem Sechstel des gezahlten Ausgleichs für angemessen gehalten. Die Parteien hatten sich bei Ausgleichszahlung darauf geeinigt, dass der HV eine Tätigkeit in seinem bisherigen Versicherungsbestand unterlassen sollte. Der Ausgleich war zudem nach einem Schreiben des Versicherers in der Erwartung gezahlt worden, dass der HV alles unterlasse, was zu einer Schmälerung seines Bestandes führen könnte. Das AG unterstellte, eine Schmälerung des Bestandes um 30 % innerhalb von 20 Monaten könne nur auf eine Abwerbung des alten VV zurückzuführen sein. Diesen Erfahrungssatz habe der HV nicht wiederlegt. Die Frage der Rückforderung des Ausgleichs infolge nachvertraglichen Wettbewerbs 362 hat im VV-Recht in den „Grundsätzen“ eine Sonderregelung erfahren. Denn gemäß Ziffer VII der Grundsätze Sach-, Leben- und Kranken sowie Ziffer VIII zu den Grundsätzen Bauspar- und Finanzdienstleistungen setzt die Zahlung des Ausgleichs durch das Unternehmen voraus, dass der HV die Versicherungsverträge, für die er abgefunden wurde, unangetastet lässt. Dies ist nicht nur ein Gebot der Fairness; die Nichtbeachtung kann zu einem Rückforderungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung führen. Der Rückforderungsanspruch – so Küstner 1782 – ließe sich damit rechtfertigen, dass der Ausgleich 1776 1777 1778

Küstner/Thume II, Rn 1677. Vgl. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 31. Diese Einordnung dürfte zweifelhaft sein, weil sich der Unternehmer mit der Zahlung nicht zu Umständen erklärt, über die er im Leistungszeitpunkt keine Kenntnis hat. Hätte er Kenntnis wäre der Rückforderungsanspruch mglw. gem. § 814 BGB ausgeschlossen.

1779 1780 1781 1782

Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 114. BGH, Urt. v. 05.06.1996 – VIII ZR 7/95, ZIP 1996, 1294 (1297). Urt. v. 21.01.1983 – 7 C 604/82, wiedergegeben bei Müller-Stein VW 1998, 260. In: Küstner/Thume II, Rn 2111. Hopt Handelsvertreterrecht, 3. Aufl. 2003, 2. Teil, B I 1 „Hinweise zur Anwendung der „Grundsätze Sach“.

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dem ausgeschiedenen VV gerade deshalb gezahlt werde, da ihm die bereits verdiente Provision für diesen Bestand infolge der Vertragsbeendigung verloren gehe, während der Versicherer den Bestand fortan nutzen könne. Wenn dieser Tatbestand durch den ausgeschiedenen VV „auf den Kopf“ gestellt werde, indem er den Bestand einem anderen Unternehmen zuführe, während das bisher vertretene Unternehmen den Bestand verliere, könne es als gerechtfertigt angesehen werden, dass der HV dem zuvor vertretenen Unternehmen den Ausgleich ganz oder teilweise zurückzahlen müsse. Nicht anders als im Fall rechtskräftiger Titel kann auch aus einer sittenwidrigen Täuschung nach § 826 BGB ein Korrekturrecht jeder Seite folgen. Ferner muss jede Partei die für die Ausgleichsberechnung erheblichen Umstände der anderen Seite offenbaren, sofern sie auf die Ausgleichsberechnung wesentlichen Einfluss haben (§ 242 BGB). Unterlässt sie dies, liegt hierin eine Schlechterfüllung des nachvertraglichen Schuldverhältnisses. Sie berechtigt zu Schadenersatzansprüchen. So hat das OLG Düsseldorf 1783 das Verschweigen der Konkurrenztätigkeit eines HV als zum Schadenersatz verpflichtende Handlung angesehen und einem Rückforderungsanspruch des Unternehmers stattgegeben. Das ergibt sich auch aus dem Billigkeitsgrundsatz, der bei heimlichem Wettbewerb ein Rückforderungsanspruch begründet, falls der Unternehmer bei offenem Wettbewerb außerordentlich gekündigt hätte. Aus der Heimlichkeit dürfen dem Unternehmer keine Nachteile entstehen. Hat der Unternehmer den Vertrag gekündigt, werden in diesem Fall bereits die TB-Voraussetzungen des § 89b Abs. 3 Nr. 2 erfüllt sein: Wie dargestellt lässt die herrschende Meinung 1784 den Ausgleich selbst dann entfallen, wenn die Kündigung des Unternehmers nicht auf dem wichtigen Grund beruhte. Ihr genügt das objektive Vorliegen eines wichtigen Grundes und ggf. das Nachschieben von Kündigungsgründen in einem Gerichtsverfahren 1785. Jedenfalls ergibt sich dies aus Billigkeitsgesichtspunkten 1786.

V. Steuer- und Bilanzrecht I. Gewerbesteuerliche Erfassung des Ausgleichs beim HV 363

Streitig ist, ob der HV mit dem ihm gezahlten Ausgleich gewerbesteuerpflichtig ist. Der BFH hat das in ständiger Rechtsprechung bejaht 1787. Wenn der HV mit der Beendigung des Vertragsverhältnisses zugleich seinen Betrieb aufgibt ist der BFH der Auffassung, der Ausgleich stelle eine einmalige, besondere betriebliche Einnahme dar; er sei nicht dem Veräußerungsgewinn bei Aufgabe des Betriebs gleichzuachten. In der Entscheidung DB 1973, 2073 hebt der BFH auf die zivilrechtliche Betrachtung ab, wonach der Ausgleich sogar auf der Ebene des laufenden Gewinnes stehe insofern, als er im Sinne einer zusätzlichen Vergütung für in der Vertragszeit geleistete und nach Vertragsende fortwirkende Dienste bezahlt werde. Die letztgenannte Entscheidung ist gegen einen Versicherungsvertreter ergangen. Insoweit wäre die Begründung, wenn sie den Ausgleich als Ersatz für die vom Provisionsverzicht betroffenen, bereits verdient gewesenen Provisionsteile hätte in den Blick nehmen wollen, unter zivilrechtlichem Aspekt vertretbar. Die Beurteilung ist damit wieder auf die steuerrechtliche Frage zurückverwiesen, ob der Aus1783 1784

Urt. v. 30.04.1993 – 39 O 145/92, zitiert nach Küstner/Thume II, Rn 1678. BGH v. 07.03.1957 – II ZR 261/55, BGHZ 24, 30 = NJW 1957, 871; v. 12.06.1963 – VII ZR 72/61, BGHZ 40, 13 = NJW 1963, 2069; v. 06.07.1967 – VII ZR 35/65, BGHZ 48, 222 = NJW 1967, 2154.

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1785 1786 1787

Vgl. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 66. OLG München, Verfügung v. 29.11.2005 – 23 U 4612/05, unveröffentlicht. BB 1965, 281 und 1969, 483.

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gleich ein Veräußerungsgewinn (hier: Aufgabegewinn) sei – der der Gewerbesteuer nicht unterliegt, weil die Gewerbesteuer anders als die Einkommensteuer eine Sachsteuer ist, die auf dem lebenden Unternehmen lastet –, oder aber laufender Gewinn, „Gewerbeertrag“ im Sinne des § 7 des Gewerbesteuergesetzes – so der BFH –. Die Frage wird im ersteren Sinne zu beantworten sein. Der Ausgleich wird gerade dafür gezahlt, dass der HV die Vertretung aufgibt oder auf Grund einer nicht aus wichtigem Grunde ausgesprochenen Kündigung des Unternehmers aufzugeben gezwungen ist. Sie ist nicht der „letzte Akt der Einnahmen aus dem Gewerbebetrieb“ in der Formulierung des BFH, sondern hat dessen Einstellung zur Voraussetzung, wie ja auch die tatsächliche Beendigung der Tätigkeit unabhängig von dem rechtlichen Ende des HV-Vertrages u.U. die Möglichkeit eröffnet, ohne Rücksicht auf die Beschränkung des § 89b Abs. 4 S. 1 gültige Vereinbarungen über die Zahlung des Ausgleichs zu treffen. Der Ausgleich ist keine nachgeholte Vergütung für geleistete Dienste, die „an sich“ schon während der Vertragszeit, hier: während des Betriebs des Gewerbes hätten honoriert werden und deshalb als laufende Gewinne hätten anfallen müssen. Er ist Vergütung für das, was der HV mit der Beendigung des Vertrages aufgibt, um es dem Unternehmer zu übergeben. Gegen die Rechtsprechung des BFH hatte sich Widerstand der Instanzgerichte erhoben 1788. In beiden letztgenannten Fällen wurde Revision eingelegt. Der BFH hat jedoch an seiner Rechtsprechung festgehalten 1789 – und dies, obwohl er den verbleibenden Widerspruch zu seiner Rechtsprechung in der Frage der Passivierbarkeit der Rücklagen für den Ausgleichsanspruch erkennt und offen ausspricht. Der Ausgleichsanspruch ist Teil der Gegenleistung für den Vermittlungserfolg des HV. 364 Wenn diese Leistungen für den Auftraggeber steuerfrei erbracht werden, etwa weil sich der Leistungserfolg der Vermittlungsleistung im Ausland verwirklicht (§ 4 Nr. 5 lit c UStG) wird der Ausgleichsanspruch nach der Beendigung des Vertragsverhältnisses nicht mit Umsatzsteuer belastet 1790. Auf die von einem HV gezahlte Ablösesumme des dem Vorgänger-HV zustehenden 365 Ausgleichsanspruchs durch Vereinbarung mit dem Unternehmer findet die zwingende typisierende Regelung des § 7 Abs. 1 S. 3 EStG zur betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer des Geschäfts- oder Firmenwerts keine Anwendung. Die auf das erworbene Recht vorzunehmende AfA bemisst sich nach der im Schätzungswege für den konkreten Einzelfall zu bestimmenden betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer 1791.

II. Ausgleichsrücklagen des Unternehmers in der Steuerbilanz und in der Handelsbilanz Der Unternehmer wird bestrebt sein, für eine etwaige spätere Ausgleichsverpflichtung 366 Rücklagen in seine Bilanz einzustellen. Über die Berechtigung hierzu sind der BFH für die Steuerbilanz und der BGH für die Handelsbilanz gegenteiliger Auffassung. Der BFH vertritt, auch hier in ständiger Rechtsprechung seit BStBl. III 1958, S. 110 Nr. 68 1792 den Standpunkt, Rückstellungen in der Steuerbilanz seien nicht zulässig 1793. Die etwaigen 1788 1789 1790 1791 1792

Finanzgerichte Berlin DB 1978, 1312 und Karlsruhe DB 1979, 2349. DB 1981, 920. BFH BB 1998, 2297 = DB 1998, 2403. BFH, Urt. v. 12.07.2007 – X R 5/05, BeckRS 2007, 24003071. Vgl. etwa BFH, Urt. v. 24.01.2001 –

1793

I R 39/00, DB 2001, 1227 = BB 2001, 1241. AA FinG Düsseldorf DB 1980, 2418 unter dem Gesichtspunkt der nach der Novelle von 1976 – die bisherigen Urteile des BFH liegen vorher – nunmehr gegebenen besseren Konkretisierbarkeit.

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künftigen Ausgleichsverpflichtungen seien weder ausreichend konkretisiert noch konkretisierbar, um eine gegenwärtige Last des Unternehmers darstellen zu können. Im Übrigen sei der Ausgleich, wenn er gezahlt werde, eine Gegenleistung für das Wirtschaftsgut „Kundenstamm“, gehöre also zu dessen Anschaffungskosten und rechtfertige schon deshalb keine Rückstellung; anderenfalls müsste ja auch jenes Wirtschaftsgut demnächst aktiviert werden. Gewiss lässt sich nicht leugnen, dass der Ausgleichsanspruch erst mit der Vertrags367 beendigung entsteht, nämlich nur nach Maßgabe des dann (noch) vorhandenen Kundenstammes aus den Neuwerbungen des HV, und auch nur für die weitere Ausnutzung künftiger Nachbestellchancen dieses Kundenstammes durch den Unternehmer (womit der Verlust der Provisionschancen für den HV in der Regel parallel geht). Vorher ist er in der Tat kaum konkret zu fassen oder war es jedenfalls nicht bis zum Erlass der Novelle von 1976. Seitdem ist die Konkretisierbarkeit immerhin deutlicher geworden. Denn nunmehr kann mindestens eine altersbedingte, ausgleichswahrende Kündigung durch den HV einigermaßen fest in Rechnung gestellt werden. Doch selbst abgesehen hiervon: Auch die Möglichkeit eines künftigen, noch nicht, auch nicht bedingt entstandenen Anspruchs kann Rückstellungen in der Bilanz rechtfertigen. Dem lässt sich dann jedenfalls nicht mit der Erwägung des BFH entgegentreten, der Ausgleich sei seinem Wesen nach eine Gegenleistung für ein Wirtschaftsgut, und Rückstellungen hierfür seien nichts als die Bereitstellung der Anschaffungskosten. Eine solche Betrachtung verkennt, dass dem Unternehmer der Kundenstamm, wenn er ihm vorteilbringend zufällt, in jedem Falle nach Vertragsbeendigung zufällt, auch wenn ein Ausgleich nicht gezahlt werden muss. Der Ausgleich ist also bilanzmäßig gesehen das Risiko der Minderung dieses Vorteils, den der Unternehmer als Aktivum nicht einmal dann würde bilanzieren dürfen, wenn er tatsächlich anfällt: einer Minderung, die sogar in bar realisiert werden muss und der in der Bilanz kein aktivierbarer Posten gegenübersteht. Aus diesen Gründen werden Rückstellungen entgegen der Auffassung des BFH anzuerkennen sein. Um so weniger wird sich die Passivierbarkeit von Ausgleichsrückstellungen in der Handelsbilanz bezweifeln lassen. Der BGH hält sie für zulässig. Die dafür in der Entscheidung BB 1966, 915 gegebene Begründung – der Ausgleichsanspruch sei (und werde laufend) schon während der Vertragszeit aus den Tatsachen heraus verwirklicht, die damals gesetzt worden seien – überzeugt zwar nicht. Gegen eine solche Betrachtungsweise hat sich mit Recht schon Schröder 1794 gewandt. Richtig bleibt vielmehr nur die freilich knappe Erwägung des BGH, der Unternehmer müsse mit dem Ausgleich rechnen.

W. Der Ausgleichsanspruch des Bauspar- und Versicherungsvertreters I. Einführung 368

Versicherungsvermittler sind gemäß § 89b Abs. 5 ausgleichsberechtigt, wenn sie HV i.S.d. § 84 sind 1795. Gemäß § 89b Abs. 5 S. 1 errechnet sich der Ausgleichsanspruch des Versicherungsvertreters (VV) in entsprechender Anwendung des § 89b Abs. 1, 3 und 4. Auch dem VV steht damit nach Vertragsende ein Ausgleichsanspruch zu. Die Ausgleichsgewährung ist allerdings nach der HV-Richtlinie 1986 nicht zwingend, weil der VV – anders als der Warenvertreter – gem. Art. 1 Abs. 2 HV-Richtlinie von ihr nicht erfasst wird. So wird etwa einem VV in Ungarn kein Ausgleichsanspruch 1796 gezahlt. Gemäß 1794 1795

BB 1954, 763. Küstner/Thume II, Rn 75.

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1796

Pajor-Bytomski RIW 2005, 263 (269).

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§ 89b Abs. 5 i.V.m. § 89b Abs. 4 S. 1 ist der Ausgleich des VV allerdings nach deutschem Recht zwingend.

II. Besonderheiten im Recht der VV Ausgleichsrechtlich ist der Versicherungsvertreter das „Aschenputtel“ des Vertriebs- 369 rechts. Die gegenüber dem Warenvertreter auf das dreifache angehobene Höchstgrenze des Ausgleichs verschleiert dies eher. Sie wird fast nie erreicht. Tatsächlich liegt der Ausgleichsanspruch des Versicherungsvertreters im Vergleich zu dem eines über einen vergleichbaren Zeitraum tätigen Warenvertreters oft erschreckend niedrig. Die Berechnung ist selbst nach den „Grundsätzen der Versicherungswirtschaft“ äußerst kompliziert. Die Bezifferung erfolgt PC-gestützt meist durch die Versicherer. Wegen der weitgehenden Kontrollunfähigkeit – auf die Hilfe der Verbände der Versicherungsvertreter bei der Überprüfung wird oft verzichtet – werden die nach den Grundsätzen der Versicherungswirtschaft (Rn 412 ff) unter Außerachtlassen der Vermittlungsbemühungen aus der Struktur eines Generalvertreters bestimmten, sehr niedrigen Ausgleichssummen akzeptiert. Die geringen Ausgleichssummen finden in den tatsächlichen Verhältnissen ihren Grund: Die Vermittlung von Versicherungsverträgen besitzt rechtliche Eigenarten. Es gibt keine Werbung von „Stammkunden“; an deren Stelle tritt für die Anwendung des § 89b die Schaffung eines Bestandes von neuen (meist längerfristigen) Versicherungsverträgen. Der Ausgleich – obwohl mit dieser Maßgabe dem des Waren-HV in den Rahmen formal gleicher Voraussetzungen eingespannt – soll deshalb nicht den Zweck haben, ein dem Unternehmer zur alleinigen Nutzung zugefallenes, bisher gemeinsam genutztes Aktivum „Stammkundschaft“ abzugelten. Er verlagert sich nach der hM vielmehr auf die Entschädigung für infolge der Beendigung des HV-Verhältnisses entgehende Provisionen aus den laufenden Versicherungsverträgen. Da der Verlust dieser Provisionen in erster Linie auf einer Provisionsverzichtsklausel für den Fall der Beendigung des HV-Vertrages beruht (Rn 383 ff), der Verzicht also ein bedingter ist, entspricht dem bedingten Verzicht ein vor Vertragsbeendigung bedingt entstandener Ausgleichsanspruch. Der Ausgleich soll die Rest-Gegenleistung für die Vermittlungsdienste des HV darstellen, die sich in pauschalierter Form unter Einbeziehung der Maßstäbe der Vorteile des Versicherungsunternehmens und der Billigkeit bemisst. Nach dem Wortlaut des Abs. 5 zwingend ist dieses Verständnis nicht. Es ist auch nicht auf den ersten Blick einsichtig, warum § 89b Abs. 5 nur etwas substituieren soll, worauf ohnehin ein Recht besteht, nämlich die nachvertraglich fälligen Provisionen aus den langfristigen Versicherungsverträgen. Es ist zu fragen, ob die entgehenden laufenden Provisionen aus den Versicherungsverträgen den Aufbau des Gesamtbestandes hinreichend honorieren. Für die hM spricht allerdings der Wortlaut des Abs. 5: Der Vorteil des Unternehmers muss aus neuen Versicherungsverträgen entstehen. Abgestellt wird mithin auf den einzelnen Vertrag. Aus diesem müssen Vorteile entstehen, etwa durch weitere Provisionseinnahmen. Die 2. Alt. des Abs. 1 Nr. 2 geht damit im Rahmen des Abs. 5 ins Leere, weil den dort angesprochenen Provisionsverlusten des VV aus künftig zustande kommenden Geschäften mit geworbenen Kunden keine Vorteile des Unternehmens entsprechen. Dieser enge Anwendungsbereich hat die Rspr. zur Nothilfe in Form der Erweiterungsrechtsprechung (Rn 404) bestimmt. Was der VV mit dem Waren-HV ausgleichsrechtlich teilt, ist der Bereich der entgehenden Chancen an Provision für die den ursprünglichen Versicherungsvertrag verlängernden oder aufstockenden sog. Folgeverträge. Die Chance solcher Folgeverträge war, den Nachbestellungen eines Stammkunden vergleichbar, mit der Vermittlung des Erstvertrages verbunden und hätte ohne Beendigung des HV-Verhältnisses beiden Teilen zur Nutzung offengestanden. Für

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den HV, dem sie nunmehr entgeht, handelt es sich um bloße Möglichkeiten künftigen Provisionserwerbs. Sie hatten sich bis zur Beendigung des HV-Verhältnisses noch nicht so weit konkretisiert, dass ein hierauf sich richtender Ausgleich schon vorher als bedingter Anspruch angesehen werden könnte.

III. Zweck 370

Der Ausgleichsanspruch des VV ist ein durch Billigkeitsgesichtspunkte modifizierter Vergütungsanspruch, der nach Vertragsende an die Stelle bereits verdienter Ansprüche auf Vermittlungsprovision tritt 1797. Anders als der Ausgleichsanspruch des Warenvertreters stellt der Ausgleich des VV damit keine zusätzliche Vergütung dar, sondern erhält lediglich bereits verdiente und infolge der Vertragsbeendigung entfallene Ansprüche 1798. Dieser Provisionsverlust soll durch den Ausgleich möglichst weitgehend aufgefangen werden 1799. Verdiente Provision entgeht dem HV infolge des Vertragsendes jedoch regelmäßig nur bei Vereinbarung einer Provisionsverzichtsklausel (s.u. Rn 383 ff). Ohne eine solche Klausel würde der HV unter Umständen noch jahrelang Folgeprovisionen erhalten, nämlich dann, wenn nach den vertraglichen Bestimmungen die Zahlung von Folgeprämien bei langjähriger Gebundenheit des Versicherungsnehmers zu Folgeprovisionen führt. Eine solche langjährige Vertragsabwicklung soll durch die Verzichtsklausel und ihre kausale Folge, die Zahlung des Ausgleichs, verhindert werden.

IV. Anspruchsberechtigter 371

Anspruchsberechtigt ist jeder HV i.S.d. § 84 Abs. 1, solange er nicht nebenberuflich tätig ist. Es gelten die allgemeinen Grundsätze zur Anspruchsberechtigung nach § 89b. Der Versicherungsmakler i.S.d. §§ 93 HGB, 652 BGB ist nicht anspruchsberechtigt.

V. Anspruchsverpflichteter 372

Anspruchsverpflichteter ist der Unternehmer i.S.d. § 84 Abs. 1 S. 1, also das Versicherungsunternehmen, mit welchem der VV den Versicherungsvertretervertrag geschlossen hat. Auch hier gelten die allgemeinen Grundsätze zur Anspruchsberechtigung nach § 89b.

VI. Tatbestandsvoraussetzungen 373

Nicht anders als beim Warenvertreter müssen auch beim VV sechs positive und zwei negative Tatbestandsmerkmale erfüllt sein, damit eine Anspruchsberechtigung besteht. Dabei handelt es sich um die folgenden positiven Merkmale: – der HV-Vertrag muss beendet sein (Tatbestandsmerkmal 1). – Der HV muss dem Versicherer neue Versicherungsverträge vermittelt oder bereits bestehende Versicherungsverträge wesentlich erweitert haben (Tatbestandsmerkmal 2, siehe § 89b Abs. 5). 1797 1798

Küstner/Thume II, Rn 51. Küstner/Thume II, Rn 1579.

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1799

Küstner/Thume II, Rn 1580.

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– Es ist erforderlich, dass der Unternehmer aus diesen neu vermittelten Versicherungsverträgen voraussichtlich nach Auflösung des HV-Vertrages erhebliche Vorteile ziehen kann (Tatbestandsmerkmal 3). – Der HV muss infolge der Beendigung des Vertrags Ansprüche auf Provision verlieren, die er bei Fortsetzung des Vertrages aus jenen Versicherungsverträgen hätte (Tatbestandsmerkmal 4). – Die Zahlung eines Ausgleichs hat unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der dem HV entstehenden Provisionsverluste, der Billigkeit zu entsprechen (Tatbestandsmerkmal 5). – Der HV muss den Ausgleich innerhalb eines Jahres seit Beendigung des Vertrages gefordert haben (Tatbestandsmerkmal 6). Darüber hinaus gibt es zwei negative TB-Merkmale, nach deren Eintritt der Ausgleich 374 nicht oder nur in reduzierter Höhe entsteht: – Der zu leistende Ausgleich darf die Höchstgrenze des § 89b Abs. 5 S. 2 nicht übersteigen (Tatbestandsmerkmal 7). – Keiner der Ausschlussgründe des § 89b Abs. 3 darf vorliegen (Tatbestandsmerkmal 8). Sofern nachfolgend nichts Abweichendes ausgeführt wurde gelten die allgemeinen, 375 zum Warenvertreter beschriebenen Grundsätze. Daher nur ergänzend: 1. Beendigung des Vertrages (Tatbestandsmerkmal 1). Es gilt im Wesentlichen das 376 oben Rn 52 ff Gesagte. Der Bezirksverkleinerung oder Bezirksumgliederung entspricht in der Versicherungsvermittlung als der rechtlichen Vertragsbeendigung nahekommender faktischer Eingriff die Übertragung des Versicherungsbestandes auf einen anderen VV. Sie könnte deshalb, sofern sie auf Grund vertraglicher Gestattung vom Versicherungsunternehmen einseitig vorgenommen wird oder im beiderseitigen Einvernehmen geschieht, den Ausgleichsanspruch insoweit entstehen lassen, als der Eingriff erheblich wäre. Der BGH 1800 hingegen hat die Ausgleichsklage eines VV, dessen Bestand Verträge entzogen wurden, abgewiesen. Der Ausgleichsanspruch verbinde sich mit der rechtlichen und nicht der faktischen Vertragsbeendigung. Es könnte aber ein Schadenersatz für die Bestandsentziehung geschuldet sein1801. Dadurch können sowohl entgangene Provisionen wie ein entgangener Ausgleich kompensiert werden. Geht das Versicherungsunternehmen dazu über, in einer bestimmten Sparte Versicherungen nicht mehr abzuschließen, steht dies einer Teil-Stilllegung des Produktionsbetriebes beim Waren-HV gleich. Der VV mag sich entscheiden, ob er das Vertragsverhältnis kündigen will. Für den Ausgleich kommt es im Weiteren darauf an, ob der Versicherer für seine Maßnahme ein Äquivalent erhalten hat (dann Vorteile des Unternehmers). Zudem dürfte bei Fehlen eines sachlichen Grundes ein Schadenersatzanspruch eingreifen. 2. Neue oder erweiterte Versicherungsverträge (Tatbestandsmerkmal 2). a) Neue Versicherungsverträge. Neu ist jeder vor Vertragsbeendigung vermittelte Ver- 377 sicherungsvertrag, der ein neues Wagnis deckt. Die Neuheit bezieht sich nicht personenbezogen auf den Versicherungsnehmer 1802 sondern sachbezogen auf das zu versichernde 1800

BGH, Urt. v. 13.5.1957 – II ZR 318/56, BGHZ 24, 214; BGH v. 2.10.1958, NJW 1958, 1966; v. 6.2.1964, BB 1964, 328; v. 27.10.1993, BB 1994, 99; s.a. OLG Hamm, NJW 1956, 350; OLG Frank-

1801 1802

furt a.M. v. 12.7.1960, NJW 1961, 514. Hübsch/Hübsch, WM Sonderbeil. 1/2005, S. 12. Vgl. BGHZ 59, 125 (131).

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Risiko bzw. den abzuschließenden Vertrag 1803. Soweit nicht zulässigerweise abweichende Bestimmungen im VV-Vertrag getroffen wurden, setzt die Neuheit voraus, dass der Vertrag aufgrund einer „Tätigkeit“ des VV i.S.d. § 92 Abs. 3, also eigenen Vermittlungsbemühungen, vermittelt wurde.1804 Auf den VV übertragene Bestände bilden deshalb für ihn bei einer Ausgleichsberechnung unmittelbar nach § 89b und nicht nach den Grundsätzen der Versicherungswirtschaft keine ausgleichsrelevanten Neuverträge 1805. In die Ausgleichsberechnung können Verträge aus übertragenen Beständen nur insofern einbezogen werden, als der VV sie wesentlich erweitert hat oder falls sie kraft Vereinbarung ausgleichsrelevant werden, etwa dann, wenn sich die Ausgleichsberechnung, von dem VV nach Vertragsende akzeptiert, nach den Grundsätzen der Versicherungswirtschaft bestimmt. Angeblich soll der VV beweisen müssen, welcher Teil der in die Ausgleichsberechnung eingeflossenen Beträge auf übertragenen Beständen beruht und welcher nicht 1806. Zum Beweis der Erweiterung wird sich der VV auf statistische Aussagen durchschnittlicher Verläufe und Bestandsveränderungen stützen können. Die entsprechenden Informationen könnte er auch dem Buchauszug entnehmen. Die Grundsätze sehen nach Ablauf bestimmter Fristen die ausgleichsrechtliche Berücksichtigung übertragener Bestände vor (dazu unten). Wie beim Waren-HV reicht mitwirkende Kausalität des VV für die Vermittlung. Ob bereits vor Abschluss des Versicherungsvertrages Geschäftsbeziehungen zwischen Versicherungsnehmer und Versicherungsunternehmen bestanden, ist für die Einordnung als „neu“ unerheblich 1807. Es kommt auf die Neuheit des Vertrages und nicht des Kunden an. Ausgleichspflichtig ist deshalb auch die Vermittlung eines Vertrages mit einem Altkunden über ein anderes Risiko als das bisher versicherte. Das ist dann nicht etwa der Fall des Abs. 1 S. 2 – in die Parallele des Abs. 5 umgedacht –: Ein solcher Fall läge vielmehr dann vor, wenn der mit dem Altkunden bestehende Vertrag so wesentlich erweitert wird, beispielsweise durch Einbeziehung verwandter Risiken oder – nicht nur inflationsbedingte – Aufstockung auf höhere Deckungssumme unter entsprechend wesentlicher Erhöhung der Prämie, dass die hierauf gerichtete erfolgreiche Vermittlung wirtschaftlich der Vermittlung eines neuen Vertrages mit dem Altkunden gleichkommt 1808. Auch wenn der VV den erneuten Abschluss eines abgelaufenen Versicherungsvertrages zu den gleichen Bedingungen zustande bringt, hat er einen „neuen“ Vertrag vermittelt 1809. Neu ist ferner ein Versicherungsvertrag, der erst nach Beendigung des HV-Vertrages abgeschlossen, jedoch noch vom ausgeschiedenen HV herbeigeführt wurde 1810. Gleiches gilt für Versicherungsverträge, die vom VV vor Vertragsbeendigung eingeleitet und so vorbereitet wurden, dass der nach Vertragsbeendigung erfolgte Abschluss überwiegend auf die Tätigkeit des VV zurückzuführen ist und innerhalb angemessener Frist nach der Beendigung des HV-Vertrages zustande kommt 1811. Verlängert sich ein vom VV nicht vermittelter jedoch verwalteter Vertrag aufgrund einer Verlängerungsklausel automatisch, weil eine Kündigung nicht erfolgt ist, ohne dass eine Tätigkeit des VV für die Verlängerung ursächlich wurde, so handelt es sich um keine Vermittlung eines neuen Versicherungsvertrages 1812. 1803 1804 1805 1806 1807 1808

Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 144; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 41. Küstner/Thume II, Rn 607. Küstner/Thume II, Rn 611. OLG München, Urt. v. 21.12.2005 – 7 U 2941/05, VersR 2006, 1123 (1125). Küstner/Thume II, Rn 607. Bruck/Möller Vor § 43, 375 (dort ist das Erfordernis „wesentlich“ bei einer

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Prämienerhöhung von 25 % als erfüllt angesehen). Küstner/Thume II, Rn 608; Hopt § 89b Rn 88; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 40; aA Geßler, S. 88. Küstner/Thume II, Rn 609. Küstner/Thume II, Rn 610. Küstner/Thume II, Rn 608; Hopt § 89b Rn 88.

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b) Erweiterung von Versicherungsverträgen. Gemäß § 89b Abs. 5 S. 1 steht die 378 wesentliche Erweiterung eines bestehenden Versicherungsvertrages durch den VV der Vermittlung eines neuen Vertrages gleich, falls die Vertragserweiterung wirtschaftlich der Vermittlung eines Neuvertrages entspricht. Die Vertragserweiterung muss „wesentlich“ sein. Das ist der Fall, wenn sie sich wirtschaftlich für den Versicherer aufgrund des zusätzlichen Beitrags- oder Prämienaufkommens wie der Neuabschluss eines Vertrages auswirkt 1813. Die wesentliche Erweiterung eines bestehenden Versicherungsvertrags entsteht beispielsweise durch Erweiterung nicht selbst vermittelter Verträge, etwa durch Erhöhung der Versicherungssumme, Einbeziehung weiterer Risiken 1814, Ausweitung der Versicherungsleistungen oder Einbeziehung verwandter Risiken 1815. Generelle Aussagen dazu, wann eine Wesentlichkeit vorliegt, werden sich nicht treffen lassen. Deshalb kann die Aussage 1816, eine Erhöhung der Prämieneinnahmen um mehr als 25 Prozent stelle eine wesentliche Erhöhung dar, eher als willkürlicher Schwellenwert angesehen werden. Im Recht des Warenvertreters wird sogar eine Erweiterung um 100 % gefordert. Zum Beweis der Erweiterung darf sich der VV außer auf den Buchauszug auf statistische Aussagen stützen. 3. Vorteile (Tatbestandsmerkmal 3). Ein ausgleichsrelevanter Vorteil des Unterneh- 379 mers liegt vor, wenn sich für ihn bei Beendigung des VV-Vertrages erhebliche Vorteile daraus ergeben, dass der VV während des Vertragsverhältnisses neue Versicherungsverträge vermittelt hat 1817. Nicht anders als beim Warenvertreter sind die Vorteile im Wege einer Prognose bei Vertragsende zu bestimmen, jeder Vorteil im weitesten Sinne ist maßgeblich. Es gelten die unter Rn 86 ff dargestellten Grundsätze. Der Vorteil des Versicherers aus den vermittelten Neuverträgen, liegt in der Erweiterung der Gewinnchancen durch den größeren Bestand an Versicherungsverträgen dank der damit verbundenen besseren Streuung der einzelvertraglichen Risiken auf eine vergrößerte Zahl von Versicherungskunden in Form des durch den VV vermittelten und bei Vertragsende noch existenten Bestand 1818. Auch wenn es kein Recht des VV am Behalt seines Bestands geben sollte 1819 und der Versicherer angeblich Bestände auf andere VV übertragen darf (zwh. § 92 Rn 80), sind vor Vertragsende an andere VV übertragene Bestände in die Vorteilsprognose einzubeziehen. Jede gegenteilige Ansicht würde eine rechtzeitige Auslagerung des Bestandes vor Vertragsende provozieren. Zu einem Unternehmervorteil führen lediglich Verträge, die vom anspruchstellenden VV in vertragsgemäßer Ausführung des HV-Vertrages vermittelt wurden. In gleicher Weise wie beim Waren-HV ist auf die Zahl der vermittelten Neuverträge, 380 nicht dagegen auf eine Differenzrechnung, d.h. einen Vergleich zwischen dem Volumen des beim HV laufenden Versicherungsbestandes zu Beginn und bei Beendigung seines HV-Verhältnisses 1820, die Gesamtlage des Unternehmens, den Gesamtschadensverlauf 1813

1814 1815 1816

1817

Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 145; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer § 89b Rn 106; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 89b Rn 239. Küstner/Thume II, Rn 612; Küstner VersR 2002, 980. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 145. Möller Recht und Wirklichkeit der Versicherungsvermittlung, S. 859; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 239. Küstner/Thume II, Rn 615.

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OLG Stuttgart, Urt. v. 26.03.1957, VersR 1957, 329 (330); OLG Nürnberg v. 22.09. 1961, BB 1962, 155; Geßler S. 89; Küstner/ Thume II, Rn 617. Siehe etwa die zum Versicherungsmakler ergangene Entscheidung BGH, Urt. v. 13.01.2005 – III ZR 238/04, VersR 2005, 550, die wie selbstverständlich von einem Recht zur Übertragung der Betreuung von Versicherungsverträgen ausgeht. OLG Stuttgart VersR 1957, 329.

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oder die Entwicklung des Gesamtbestandes aller HV 1821 abzustellen. Insbesondere ist irrelevant, ob der Umfang des Gesamtbestandes des Versicherers rückläufig ist 1822. Denn ohne die erfolgreiche Tätigkeit des anspruchsberechtigten VV wäre die Gesamtbilanz in jedem Fall schlechter 1823. Einen gängigen Abgang im Versicherungsbestand muss der Versicherer hinnehmen; nur einen überdurchschnittlichen, vom HV durch schlechte Bestandspflege verschuldeten Abgang könnte er im Billigkeitswege einem Ausgleichsanspruch entgegensetzen, und im Übrigen, anlangend das Prämienaufkommen, nur dessen gravierendes Absinken. Ein ungünstiger Risikoverlauf mindert den Vorteil des Versicherers nur dann, wenn er speziell die vom HV vermittelten Verträge betrifft, und auch nur dann, wenn er gerade darauf beruht, dass der VV pflichtwidrig überwiegend oder sogar ausschließlich Verträge mit schlechten Risiken hereingebracht hatte, die nicht als regional typisch angesprochen werden müssen. Denn ein regional bedingtes Risikogefälle ist dem Versicherungsunternehmen bekannt und muss von ihm bei Vergabe eines Bezirks einkalkuliert werden, so dass er das verwirklichte Risiko nicht auf den HV in Gestalt der Kürzung des Ausgleichs abwälzen kann. Ein generell ungünstiger Risikoverlauf im Gesamtgeschäft des Versicherers wirkt sich in keinem Falle mindernd auf die Ausgleichsberechtigung aus. Deshalb ist es – außer im Fall der Erweiterung oder der Vermittlung von Verträgen 381 über neue Risiken an Bestandskunden (Rn 377) – auch irrelevant, wie sich während der Vertragszeit ein an den VV übertragener Bestand entwickelt hat 1824, weil die Vorteilsprognose an die Vermittlung neuer Versicherungsverträge und nicht an das Abspringen von Altkunden anknüpft. Lediglich in Evidenzfällen kann die Gesamtlage des Unternehmens oder die Entwicklung des an den VV übertragenen Bestandes die Ausgleichshöhe unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit oder durch Aufrechnung mit einem Schadensersatzanspruch beeinflussen 1825, wobei allerdings außerhalb der eigentlichen Vertragsbeziehung stehende Umstände eher weniger geeignet erscheinen, die Höhe des Ausgleichs zu beeinflussen. Für den Schadensersatzanspruch gedacht werden könnte an Situationen, in welchen der VV bewusst schlechte Risiken vermittelt hat 1826. Zwar mögen die Unternehmervorteile in diesen Fällen geringer sein als bei anderen Verträgen. Der VV hat jedoch dazu beigetragen, das Risiko auf eine größere Zahl von Verträgen zu verteilen. Eine ausgleichsrechtlich relevante Separierung in HV, die gute oder schlechte Verträge vermittelt haben, kommt nicht in Betracht. Der Unternehmervorteil ist weit zu fassen. Es gehören nicht nur die auf Grund der 382 Provisionsverzichtsklausel ersparten Vermittlungs-Folgeprovisionen des ausgeschiedenen VV hierzu. Auch die Chance, durch einen in den Versicherungsvertrag eingebauten Automatismus in Gestalt laufend indexierter Anpassung an bestimmte Verhältnisse demnächst zu höheren Prämieneinnahmen zu kommen, ist mitzuzählen; ebenso die Chance, dass Versicherungsverträge mit einer bestimmten, in Prozentsätzen ausdrückbaren Wahrscheinlichkeit späterhin aufgestockt werden, ohne dass ein Nachfolge-HV werbend tätig geworden ist. In den erstgenannten und in den letztgenannten Fällen entspricht der Unternehmervorteil dem Provisionsverlust des HV. Automatische Vertragserweiterungen nach Beendigung des Versicherungsvertrages infolge sogenannter „Dynamisierungen“ führen deshalb zu einem Unternehmervorteil (Rn 404). Beispiel ist die Anpassung der Versicherungssumme und damit der Prämienentwicklung an die Einkommenssituation 1821 1822 1823 1824 1825

Küstner/Thume II, Rn 618. Küstner/Thume II, Rn 618. Küstner/Thume II, Rn 619. Küstner/Thume II, Rn 621. OLG Stuttgart, Urt. v. 26.03.1957, VersR

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1957, 329 (330), Küstner/Thume II, Rn 621, Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 10, 18; Schröder BB 1954, 477; Franta MDR 1953, 530. Küstner/Thume II, Rn 623.

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des Versicherungsnehmers, die Kostenentwicklung, der Umsatz oder die Zahl der Beschäftigten 1827. Meist entsprechen die Unternehmervorteile den Provisionsverlusten des VV (Rn 383 ff). 4. Provisionsverluste (Tatbestandsmerkmal 4) a) Überblick Wie beim Warenvertreter ist auch beim VV Anspruchsvoraussetzung, dass ihm in- 383 folge der Vertragsbeendigung Verluste in Form der für werbende Tätigkeit gezahlten Provisionen entstehen (§ 89b Abs. 1 Nr. 2). Nur für nach Vertragsende entgehende Provisionen steht dem VV ein Ausgleich zu. Provisionsverluste treten hinsichtlich aller Provisionen ein, die nach dispositivem Recht oder Vertrag infolge des Vertragsendes entfallen. Wenn der VV sämtliche verdienten Provisionen schon vertragsbegleitend erhalten hat, bleibt kein Raum für einen Ausgleichsanspruch 1828. Wird, wie vor allem in der Schadensversicherung, die Vergütung für den Vermittlungserfolg ratenweise in die Folgeprovisionen verlagert, so würde der HV sie als solche nach Vertragsende weiterhin beanspruchen können, da sie ja bereits vorher verdient waren. Im Gegensatz zu werbenden, für die Vermittlung geleisteten Provisionen oder Provisionsbestandteilen führen nach Vertragsende fortbezahlte Verwaltungsprovisionen wegen der Ausgleichsunfähigkeit verwaltender Provisionen hingegen zu keinem Provisionsverlust (Rn 128 ff, 390 ff). Da jedoch die meisten Folgeprovisionen keinen 1829 oder nur einen geringen Anteil werbender Provision enthalten und nur solche Folgeprovisionen (auch als Bestandspflegeprovisionen bezeichnet) nach Vertragsende entgehen können fehlen meist Provisionsverluste des VV. Zumindest sind sie nicht sehr erheblich. Hinsichtlich der werbenden Provisionen gilt: Von einem Provisionsverlust ist nach dispositiven Recht nur auszugehen, soweit dem VV nach Vertragsende solche werbenden Provisionen zu zahlen sind. Das ist bei der Folgeprovision der Fall, soweit sie werbende Anteile enthält, was in erster Linie für die unten, Rn 404 sowie § 92 Rn 53 ff genannten Provisionen für den Abschluss eines in engem wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Erstvertrag stehenden Zweitvertrages (Erweiterungsrechtsprechung; insbesondere bei Gruppenverträgen, Vertragserweiterungen, Vertragsverlängerungen und Dynamikprovisionen) gilt. Bei diesen Verträgen überwiegt der werbende Provisionscharakter. b) Provisionsverzichtsklausel Der VV erleidet einen Provisionsverlust auf Grund der Vertragsbeendigung wohl nur dann, wenn er im Vertrag auf die nach Vertragsende anfallenden Provisionen verzichtet hat. Daraufhin ist diese Provisionsverzichtsklausel die Grundlage für den Ausgleichsanspruch. Das gleiche gilt, wenn im System der Einmalprovision (Rn 388 f) eine solche Provisionsverzichtsklausel ausbedungen worden ist und im Zeitpunkt der Vertragsbeendigung die Provision nicht fällig war, etwa weil das Wirksamwerden des Versicherungsverhältnisses bis zur Zahlung der ersten Prämie noch ausstand oder die Einmalprovision in Raten gezahlt werden sollte. Provisionsverluste treten also erst ein, wenn nachvertragliche Provisionen mittels der 384 Provisionsverzichtsklausel ausgeschlossen werden, der zufolge jeder Provisionsanspruch mit Vertragsbeendigung entfällt. Der Ausgleichsanspruch tritt dann als Surrogat an die Stelle der bereits dem Grunde nach infolge der erfolgreichen Vertragsvermittlung 1827 1828

Küstner/Thume II, Rn 630. Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 144.

1829

Hopt § 89b Rn 91.

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verdienten zukünftige Provisionsansprüche, deren Fälligkeit durch die Provisionsverzichtsklausel gehindert wird. Ohne die Provisionsverzichtsklausel würde der VV nach Vertragsende weiterhin – oft langjährig – die o.g. Provisionen erhalten. Der Ausgleichsanspruch kompensiert jene Provisionsverluste. Eine Parallele zum Sukzessivlieferungsvertrag des Warenvertreters, bei welchem dem HV ohne Provisionsverzicht infolge fortlaufender Provisionszahlungen nach Vertragsende ebenfalls keinen Anspruch auf Provisionen verlieren würde, ist gegeben 1830. Eine Provisionsverzichtsklausel enthalten heute praktisch alle VV-Verträge. Demzu385 folge entsprechen nachvertraglich fortlaufende Provisionen im Versicherungsvertrieb keinem Handelsbrauch 1831. Ohne diese Klausel wäre die Abwicklung des HV-Vertrages bei langjährigem Fortlaufen der vermittelten Versicherungsverträge, insbesondere nach Dynamisierungen, zu kompliziert. Auch würden die resultierenden Rechtsstreitigkeiten, möglicherweise mit Erben des VV, zu Problemen bei der Berechnung des Ausgleichsanspruchs und seiner Durchsetzung führen, jedenfalls betrachtet aus der Warte der Versicherer 1832. Die Versicherer bevorzugen daher die Provisionsverzichtsklausel, welche jahrelange Auseinandersetzungen mit dem VV – ggf. unter druckartigem Einsatz der Kontrollrechte des § 87c 1833 – verhindert. Denkbar – jedoch seltener – ist eine Provisionsverzichtsklausel auch außerhalb des Versicherungsvertriebs (Rn 144).

386

c) Wirksamkeit der Provisionsverzichtsklausel. Die Provisionsverzichtsklausel soll wirksam sein 1834. Nach Ansicht von Graf von Westphalen 1835 widerspricht die Provisionsverzichtsklausel – vereinbart als AGB – § 92 Abs. 4. Nach dieser Norm hat der VV Anspruch auf Provision, sobald der Versicherungsnehmer die Prämie gezahlt hat, aus der die Provision nach dem Vertragsverhältnis berechnet wird. Eine Abweichung von dieser Norm benachteilige den VV unangemessen i.S.d. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Zum Teil wird die Provisionsverzichtsklausel sogar als sittenwidrig bezeichnet 1836. Dem wird entgegnet 1837, der Gesetzgeber sei bei der Regelung in § 89b Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 selbst von der Wirksamkeit einer Provisionsverzichtsklausel ausgegangen. Denn ohne eine solche Klausel gäbe es jedenfalls dann, wenn der Vermittlungserfolg durch gleich bleibende Provisionen in Abhängigkeit von der Laufzeit des vermittelten Versicherungsvertrages vergütet wird, mangels entstehender Provisionsverluste keinen Ausgleichsanspruch des VV. § 89b Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 lässt sich schon vom Wortlaut her keine Aussage über Wirksamkeit oder Unwirksamkeit einer Provisionsverzichtsklausel entnehmen. Umgekehrt kann die Wirksamkeit nicht aus der gegenüber dem Warenvertreter auf das dreifache angehobenen Ausgleichshöchstgrenze des VV hergeleitet werden 1838, weil diese zum ersten selten erreicht wird, zum zweiten eine gesetzliche Entscheidung ist, die mit der Frage der Wirksamkeit einer Provisionsverzichtsklausel keinerlei Verbindung hat und drittens ein ausgleichsbegrenzendes TB-Merkmal kaum Anlass sein kann, andere den VV benachteiligende Regelungen zu rechtfertigen. Teilweise wird die Unwirksamkeit auch aus dem Missverhältnis zwischen dem infolge der Provisionsverzichtsklausel zu zahlen1830 1831 1832 1833

1834

Küstner/Thume II, Rn 45. OLG Düsseldorf DB 1956, 1132; Hopt § 92 Rn 5. Küstner/Thume II, Rn 819. Siehe Emde MDR 2003, 1151 (1152); Emde MDR 1999, 1108; Emde EWiR 2001, 731; 1999, 327. BGHZ 30, 107; OLG Frankfurt, Urt. v. 18.02.1986, DB 1986, 1174 = BB 1986, 697; Sieg VersR 1964, 789; Hopt § 92

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1835 1836

1837 1838

Rn 5; Küstner/Thume II, Rn 28; aA Graf v. Westphalen DB 2000, 2256. DB 2000, 2555 (2556). Siehe Nachweise bei Möller in: Bruck/ Möller, Kommentar zum VVG, Anm. 369, S. 849 Vor §§ 43–48 VVG; Küstner/Thume II, Rn 818. Fuchs-Baumann DB 2001, 2133 (2135); Küstner/Thume II, Rn 817. So aber Küstner/Thume II, Rn 817.

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den Ausgleich und der ohne Provisionsverzichtsklausel zu leistenden Provision hergeleitet 1839. Da Prüfungsmaßstab der Unwirksamkeit in VV-Verträgen – die immer AGB sind – vor allem § 307 BGB bleibt, fragt sich zunächst, ob die Höhe des Ausgleiches kontrollfreie Preisnebenabrede ist. Dies ist nicht der Fall, da sich die Höhe aus dem Gesetz ergibt und einschränkende Abreden unwirksam sind. Das gleiche gilt aber nicht für die Provisionshöhe, deren Umfang als Hauptleistung kontrollfrei ist. Daraus ist zu schließen: Die Provision – auch nachvertragliche – darf infolge der Provisionsverzichtsklausel beschränkt werden. Der Ausgleich wird durch die mittelbare Berührung (Rn 252) nicht begrenzt, sondern es werden durch die Provisionsverzichtsklausel erst die TB-Voraussetzungen seiner Fälligkeit hervorgerufen. Aus der Reduzierung der Provisionen kann kein Unwirksamkeitsgrund hergeleitet werden, solange nicht die Sittenwidrigkeitsschranke des § 138 BGB erreicht ist. Davon ist regelmäßig nicht auszugehen. Die Provisionsverzichtsklausel dürfte daher in aller Regel wirksam sein. Eine gegenteilige Ansicht könnte man nur einnehmen, sofern man die Fortzahlung nachvertraglicher Provisionen trotz kompensierenden Ausgleichs als in AGB dispositionsfestes gesetzliches Leitbild ansähe (hierzu Vor § 84 Rn 33 „Provisionsregelungen“). Ernsthafte Zweifel an der Wirksamkeit sind bislang in der Rechtsprechung nicht geäußert worden. d) keine Nachbestellungen Die Tätigkeit des VV führt regelmäßig – anders als die des Warenvertreters – nicht 387 zu laufenden Nachbestellungen 1840 und damit nicht zu entfallenden Provisionen aus solchen Nachbestellungen. Den Ausgleich erhöhende Folgegeschäfte infolge des Vertragsendes und aus ihnen entgehende Provision scheiden mithin meist aus und sie wären nach dem Wortlaut des Abs. 1 auch nicht ausgleichsfähig (Rn 369). Versicherungsverträge pflegen für das selbe versicherte Risiko nur einmal geschlossen zu werden: Entweder wird der vermittelte Altvertrag verlängert – dann handelt es sich um keine „Nachbestellung“ – oder es wird ein neues Risiko versichert, was ebenfalls nicht als Nachbestellung der gleichen Art angesehen werden kann. Vielmehr sind neue Vermittlungsbemühungen des VV erforderlich, um ein in der Regel anderes Risiko zu versichern 1841. Auch daher sind die ausgleichsbegründenden Provisionsverluste des VV geringer als jene des Warenvertreters. e) Einmalprovisionen. Provisionsverluste reduzierend wirkt ferner der Umstand, dass 388 Versicherungsprovisionen, wie vor allem in der Lebensversicherung und in der Krankenversicherung üblich 1842, oft als Einmalprovisionen bei Zahlung der ersten Prämie geleistet werden, was zulässig ist 1843. Der BGH lässt offen, ob § 87b Abs. 3 auf Versicherungsverträge Anwendung findet. § 87b Abs. 3 sei jedoch abdingbar. Es sei daher gestattet, Provisionen für die Vermittlung eines Dauerschuldverhältnisses mit einer Einmalprovision abzugelten und zu vereinbaren, dass die nach dem ersten Jahr gezahlten Folgeprovisionen allein für die Betreuung und Bestandspflege, also verwaltende Tätigkeiten, geleistet werden 1844. Bei Vertragsende ist deshalb die gesamte (Einmal-)provision bereits verdient. Die Vertragsbeendigung führt zu keinem Provisionsverlust, weil die (Einmal-)provision bereits zuvor gezahlt wurde. Einmalprovisionen werden insbesondere 1839

1840 1841

Siehe Ebenroth/Löwisch § 89b Rn 143; Küstner VersR 2001, 513 (519); Fuchs-Baumann DB 2001, 2131 (2133). Höft VersR 1976, 205; VersR 1966, 104 ff; VersR 1967, 524; Küstner/Thume II, Rn 26. Küstner/Thume II, Rn 26.

1842 1843 1844

BGHZ 30, 98 (106); OLG Stuttgart VersR 1957, 329 (332). BGH, Urt. v. 01.06.2005 – VIII ZR 335/04, VersR 2005, 1283 (1285). BGH, Urt. v. 01.06.2005 – VIII ZR 335/04, VersR 2005, 1283 (1285).

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im Bereich besonders bestandskräftiger, langfristiger Verträge geleistet, bei denen eine kurzfristige Beendigung des Vertrages unwahrscheinlich ist 1845. Sind sie vor Vertragsende fällig, entgehen dem VV infolge der Vertragsbeendigung keine Provisionen. Langfristige Verträge bilden regelmäßig Lebensversicherungsverträge 1846. Vermittelt der VV hingegen wenig bestandsfeste Verträge, muss der Versicherer die Provisionsbelastung auf die gesamte Vertragsdauer in Form von Folgeprovisionen verteilen 1847. Weniger bestandskräftig sind z.B. die industrielle Feuer-, die Transport-, Maschinen- und Kfz-Versicherung 1848. Nur falls die Einmalprovision nicht in einer, sondern in mehreren Raten gezahlt wird, können dem VV infolge des Vertragsendes Provisionen entgehen 1849. Selbst bei Zahlung von Folgeprovisionen sind jene häufig nur noch Entlohnung für die ausgleichsunfähige, verwaltende Bestandspflegetätigkeit, siehe Rn 383, 390 ff. Auch im Bausparwesen herrscht das System der Einmalprovision für die Vermittlung 389 eines Bausparvertrages vor. Bei der gerade hier häufigen Erweiterung (Aufstockung) des Urvertrages ist der zu fordernde enge wirtschaftliche Zusammenhang mit dem Ursprungsvertrag (Rn 404) nicht immer leicht zu erkennen. Der BGH gestattet eine Überbrückung der Beweisschwierigkeiten durch Auswerten statistischen Materials und äußerstenfalls durch richterliche Schätzung nach § 287 ZPO. So BGHZ 59, 125 (130); im dortigen Fall wurde eine vom Berufungsgericht angenommene Quote von 50 % der insgesamt auf dieselben Objekte abgeschlossenen Folgeverträge gebilligt 1850. Jedenfalls muss es sich um die Befriedigung desselben Bausparbedürfnisses handeln 1851. Folgeverträge aus steuerlichen Gründen, zur Finanzierung einer nachträglich geplanten Einliegerwohnung, zur Ablösung einer Hypothek (anders, wenn eine Zwischenfinanzierung für die ursprüngliche Bauplanung abgelöst werden soll), stellen den engen wirtschaftlichen Zusammenhang nicht her; ebenso keine Folgeverträge mit Verwandten des Bausparers (sogenannte Verwandtenverträge 1852), auch sofern sie für dasselbe Objekt abgeschlossen werden 1853. Typische Fälle sind dagegen die Aufstockung des Bausparvertrages im Hinblick auf gestiegene Baukosten, erhöhte qualitative Ansprüche des Bausparers an das Bauvorhaben oder eine erweiterte Bauplanung wegen inzwischen vergrößerten Familienstandes.

390

f) Keine Provisionsverluste bei Verwaltungsprovisionen. Ausgleichsfähig sind nur für die Neuvermittlung eines VV-Vertrages dem VV geschuldeten Abschluss- bzw. Vermittlungsprovisionen, soweit sie durch die Vertragsbeendigung entfallen. Nur sie führen also zu ausgleichsrechtlich relevanten Provisionsverlusten. Das folgt aus Abs. 5, nach dem Unternehmervorteile und damit Provisionsverluste (TB-Merkmal „desselben“ in Abs. 1 Nr. 2, übersetzt in den VV-Vertrieb: „derselben“) nur aus der „Vermittlung“ entstehen können. Es ergibt sich des Weiteren daraus, dass Verwaltungsprovisionen als Entgelt für laufende Tätigkeiten immer nur vertragsbegleitend gezahlt wird, so dass wegen des Wegfalls ihrer Fälligkeit nach Vertragsende Provisionsverluste fehlen. Dies betrifft sowohl ratierlich fällig werdende Abschlussfolgeprovisionen für bereits vermittelte Versicherungsverträge als auch Abschlussprovisionen für Vertragsverlängerungen bzw. Anschlussverträge. Hinsichtlich des werbenden Anteils werden zum Teil Prozentsätze bis 95%

1845 1846 1847 1848 1849 1850

Küstner/Thume II, Rn 847. Küstner/Thume II, Rn 848. Küstner/Thume II, Rn 848. Küstner/Thume II, Rn 849. Küstner/Thume II, Rn 863. Nach LG Heilbronn DB 1980, 1819 ein „Erfahrungswert“ (hiergegen Küstner Bei-

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1851 1852 1853

heft 12 zu BB 1981, Heft 10, S. 8); vgl. auch OLG Celle, Urt. v. 16.05.2002, 11 U 193/01, VersR 2002, 976 (977). BGHZ 34, 310 (319); 59, 125. BGHZ 59, 125 (131). OLG Stuttgart VersR 1972, 44 mit zustimmender Anm. Höft.

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angenommen 1854. Nicht ausgleichsfähig sind hingegen Verwaltungsprovisionen 1855. Verwaltungsprovisionen des VV sind damit ebenso ausgleichsunfähig wie die des Warenvertreters 1856. Dies gilt für alle Arten von Verwaltungsprovisionen, etwa solche für die Betreuung und Erhaltung des Bestandes, das Inkasso und die Schadensregulierung sowie die Stornoabwehraufgaben 1857. Auch hier kann vertraglich Abweichendes vereinbart werden. Die Grundsätze der Versicherungswirtschaft für die Sachversicherung verzichten wegen der schwierigen Separierung auf eine Unterscheidung zwischen Vermittlungs- oder Abschlussprovisionen einerseits und Verwaltungsprovisionen andererseits, sofern dem VV nach dem Vertrag gleich bleibende, laufende Folgeprovisionen zu zahlen sind, ohne dass für die erfolgreiche Vermittlung eines Versicherungsvertrages eine Abschlussprovision als Einmalprovision oder eine erhöhte Erstprovision geleistet wird 1858. Hinsichtlich der Aufteilung der gezahlten Gesamtprovisionen in Vermittlungs- und Abschlussprovision gelten die allgemeinen Maßstäbe und Beweislastgrundsätze (Rn 128 ff, 138 ff), und zwar sowohl bei Einmal- wie Folgeprovisionen. Bei der für die Bestandspflege 1859, die Stornoabwehr, die Bearbeitung von Schadensfällen, die Kontaktpflege, die Kundenbetreuung, die Schadensfallerledigung sowie die Führung von unechten Untervertretern gezahlten Provisionen handelt es sich um verwaltende Provisionen 1860, vorbehaltlich einer Falschbenennung. Denn die Bestandspflege bezieht sich auf bereits abgeschlossene Versicherungsverträge 1861. Für den TankstellenHV hatte der BGH entschieden, Provisionen etwa für die Lagerhaltung seien werbende Provisionen 1862. Dies gilt dort, weil die Lagerhaltung geeignet ist, Kundenbindungen zu erzeugen, die sich nach dem Ausscheiden des Tankstellenvertreters in Folgegeschäften des Mineralunternehmens mit dem vom Tankstellen-HV geworbenen Kunden niederschlagen kann. Der Tankstellen-HV ist jedoch Warenvertreter. Grundlage der Ausgleichsberechnung bleiben bei ihm die Unternehmervorteile und Provisionsverluste aus Folgegeschäfte, welche der Unternehmer während eines bestimmten Zeitraums nach Beendigung des HVVerhältnisses voraussichtlich mit solchen Kunden abschließen wird, die der frühere HV für ihn als Stammkunden geworben hat. Der VV hat gem. § 89b Abs. 5 jedoch regelmäßig keinen Anspruch auf Ausgleich der Folgegeschäfte – ausgenommen Verlängerungen oder Summenerhöhungen – weil solche Folgegeschäfte typischerweise fehlen (Rn 387). Werbende Tätigkeiten des VV in Hinblick auf das Zustandekommen künftiger Folge1854

1855 1856

1857 1858 1859

Vgl. Küstner VersR 2002, 520; Küstner VW 2003, 61, der selbst abweichender Ansicht ist. OLG München, Urt. v. 10.03.1993, BB 1993, 1754; Küstner/Thume II, Rn 40, 828. BGH, Urt. v. 19.11.1970, BB 1971, 105 = VersR 1971, 265; Höft VersR 1966, 104 ff; 1970, 97 ff, Küstner/Thume II, Rn 830; aA Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 11, 41c; Schröder in: FS für Nipperdey, 1965, S. 750. Küstner/Thume II, Rn 828. Küstner/Thume II, Rn 829. BGH, Urt. v. 01.06.2005 – VIII ZR 335/04, VersR 2005, 1283 (1284); BGHZ 30, 98; BGHZ 34, 310 – BausparkassenHV –; BGH VersR 1963, 556; DB 1971, 185; OLG Celle, Urt. v. 11.03.1961 – 3 U 116/60; BAG, Urt. v. 21.05.1985 – 3 AZR 283/83,

1860 1861

1862

BB 1986, 1017 = DB 1986, 919; Küstner/ Thume II, Rn 966; Höft VersR 1966, 104 ff; ders. 1970, 97 ff; Bruck/Möller Vor § 43, 377; Hoffmann S. 55 ff. Gegenteiliger Meinung sind Schröder 11, 41c ff und FS Nipperdey (1965) 715 ff; Leuze Recht des Versicherungsvertreters (1953) S. 22 ff; aA Karl Peer Günther Der Versicherungsvertreter und sein Ausgleichsanspruch, 2004, S. 108; hierzu Emde NJW 2005, 3694. BGH, Urt. v. 01.06.2005 – VIII ZR 335/04, VersR 2005, 1283 (1284). Klingmüller Anm. zu KG, Urt. v. 06.03. 1964, VersR 1961, 1295; Küstner/Thume II, Rn 967. BGH v. 06.08.1997 – VIII ZR 150/96, VersR 1997, 1398.

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verträge mit von ihm geworbenen Kunden sind daher für seinen Ausgleichsanspruch grundsätzlich ohne Bedeutung 1863. Paradigma der Verwaltungsprovision ist die meist ungenau als „Bestandspflegeprovi391 sion“ titulierte Provision, die nach hM den weit überwiegenden Teil der Folgeprovision einnimmt. Der VV ist meist (nicht notwendig) mit der aus der Langfristigkeit des vermittelten Vertrages sich ergebenden Service- und Inkassotätigkeit betraut. Sie besteht in der Beratung des Versicherungskunden, dem Inkasso – sofern das Versicherungsunternehmen kein Zentralinkasso eingeführt hat – und der Mitarbeit bei der Abwicklung von Versicherungsfällen, insbesondere Schadensfällen. Eine solche „Bestandspflege“ ist von der werbenden Tätigkeit zu unterscheidet; sie wird auch bei Gewährung einer Einheitsprovision wirtschaftlich betrachtet besonders vergütet, aber gleichwohl als Provision apostrophiert. Sie sollte korrekterweise als „Verwaltungsprovision“ oder „Bestandspflegeprovision“ bezeichnet werden, wird aber häufig ungenau und verkürzend als Inkassoprovision benannt. Die Bestandspflegeprovision (Verwaltungsprovision) ist mit dieser ihrer Zwecksetzung nicht ausgleichsfähig 1864. Gegen die Ausgleichsfähigkeit spricht, dass die Verwaltungsprovision, anders als die Vermittlungsprovision, ein Entgelt für laufend geleistete Arbeit und folglich nicht für die „Vermittlung“ des Abs. 5 darstellt. Sie ist ausschließlich tätigkeitsbezogen, nicht erfolgsbezogen. Der HV hat während seiner Vertragszeit bei der Bestandspflege nicht mehr und nicht weniger getan als sein Nachfolger tun muss und wofür die Verwaltungsprovision an diesen nunmehr weitergezahlt wird 1865. Der Kern der Schwierigkeit wird dadurch hervorgerufen, dass bei den Folgeprovisionen, die nicht, neben einer Einmalprovision für die Vermittlung, fernere reine Verwaltungsprovision, sondern zugleich laufende Vermittlungs-(Teil-)Provision und laufende Verwaltungsprovision sind, die beiderseitigen Anteile ununterschieden in einem einheitlichen Provisionssatz zusammengefasst werden. Alsdann ist im Streitfalle der in dem Provisionssatz enthaltene, allein ausgleichsfähige Anteil an Vermittlungsprovision – der nunmehr in gleicher Weise und auf Grund der Provisionsverzichtsklausel weggefallen sein muss wie der Verwaltungsprovisionsanteil ohnehin wegfällt – durch Schätzung gem. § 287 ZPO auf betriebskalkulatorischer Grundlage zu ermitteln. Maßgeblich für die Aufteilung zwischen verwaltendem und werbendem Teil der Pro392 vision sind Art und Höhe des Risikos 1866, Höhe des Jahresbeitrages 1867, Umfang der Verwaltungstätigkeit 1868, Inkassotätigkeit des VV 1869; Relation zwischen aufgewendeter Zeit für verwaltende und werbende Tätigkeit 1870. Anhand einer Analyse kann festgestellt werden, in welchem zeitlichen Verhältnis der Verwaltungsaufwand zum werbenden Aufwand steht. Allerdings hilft eine solche Analyse in der Praxis wenig. Denn meist wird streitig sein, ob die jeweils vorgenommene Tätigkeit Teil der werbenden oder verwaltenden Tätigkeit ist, zumal häufig auch verwaltende Tätigkeit die werbende vorbereitet. 1863

1864

BGH v. 22.12.2003, VersR 2004, 376; BGH v. 06.08.1997 – VIII ZR 150/96, VersR 1997, 1398. BGH, Urt. v. 01.06.2005 – VIII ZR 335/04, VersR 2005, 1283 (1284); BGHZ 30, 98; BGHZ 34, 310 – BausparkassenHV –; BGH VersR 1963, 556; DB 1971, 185; OLG Celle, Urt. v. 11.03.1961 – 3 U 116/60; BAG, Urt. v. 21.05.1985 – 3 AZR 283/83, BB 1986, 1017 = DB 1986, 919; Küstner/Thume II, Rn 966; Höft VersR 1966, 104 ff; ders. 1970, 97 ff; Bruck/Möl-

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1865 1866 1867 1868 1869 1870

ler Vor § 43, 377; Hoffmann S. 55 ff. Gegenteiliger Meinung sind Schlegelberger/ Schröder § 89b Rn 11, 41c ff und FS Nipperdey (1965) 715 ff; Leuze Recht des Versicherungsvertreters (1953) S. 22 ff. BGHZ 30, 98 (102); BGH DB 1971, 185. Küstner/Thume II, Rn 881. Küstner/Thume II, Rn 881. Küstner/Thume II, Rn 881. Küstner/Thume II, Rn 881. Küstner/Thume II, Rn 962.

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Außerdem brauchen die Verhältnisse bei einem VV nicht notweniger Weise die eines anderen zu treffen. Unerheblich für die Zuweisung zu Vermittlungs- oder Verwaltungsprovisionen ist die 393 Bezeichnung der Provision 1871. Sie besitzt keinen genügenden Unterscheidungswert, da es in manchen Versicherungszweigen üblich ist, dass in der als Verwaltungs- und Inkassoprovision bezeichneten Vergütung Teile einer Gegenleistung für die Vermittlungs- und Abschlusstätigkeiten enthalten sind 1872. Ob und in welchem Umfang dies ggf. anzunehmen ist, bedarf im Einzelfall der tatrichterlichen Feststellung 1873. Auch werden Folgeprovisionen häufig als Inkassoprovisionen tituliert, selbst wenn der VV neben dem Inkasso andere Verwaltungsaufgaben wahrnimmt 1874. Die Bezeichnung als werbende oder verwaltende Provision beruht z.T. auf betrieblicher Übung bei den einzelnen Unternehmen 1875. Unklarheiten bei der Terminologie durch die begriffsbestimmenden Unternehmen gereichen nicht zu ihrem Vorteil, da im Zweifel die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB zu ihren Lasten anzuwenden ist. Die Neigung der VV geht dahin, in den Folgeprovisionen nur geringe Anteile verwaltender Provisionen zu sehen, die der Versicherer dahin, den Anteil vermittelnden Entgelts eher zu reduzieren 1876. Aus der steuerlichen Behandlung der Provision darf kein Rückschluss auf die Einord- 394 nung als werbende oder verwaltende Provision gezogen werden 1877. Nach § 4 Nr. 11 UStG sind die Umsätze der VV insoweit steuerfrei, als sie tätigkeitsbezogen und für den Beruf charakteristisch, also berufstypisch sind. Bloße Hilfsgeschäfte sind von der Steuerbefreiung ausgeschlossen. Im Versicherungsvertrieb sind auch Verwaltungs- und Bestandspflegeleistungen des VV berufstypisch, die durch Verwaltungs- oder Bestandspflegeprovisionen vergütet werden 1878. Auch Entgelte, die ein VV für Bestandspflegemaßnahmen bezieht, die seiner selbständigen gewerblichen Vertretertätigkeit hinzuzurechnen sind, bleiben in diesem Sinne berufstypisch 1879. Diese Abgrenzung gilt aber nur im Steuerrecht (s.o.). Jede nach der Erstprovision geleistete Folgeprovision enthält meist auch einen Teil 395 (werbender) Abschlussprovision 1880. Deren Höhe ist zu bestimmen. Sieht der VV-Vertrag gesonderte Provisionen für werbende und verwaltende Provisionsteile vor und ist diese Aufteilung plausibel, trägt der HV für eine vom Vertragstext abweichende Verteilung werbender und verwaltender Provisionsteile die Beweislast 1881. Fehlt eine solche Aufteilung und wird lediglich eine „Einheitsprovision“ gewährt, belastet den Versicherer die Beweislast 1882. Diskutiert wird allerdings, ob die Folgeraten mit zunehmendem Abstand von der Vermittlungstätigkeit allmählich mehr dem Charakter der Verwaltungsprovision 1871

1872 1873 1874 1875 1876 1877 1878 1879

BGH, Urt. v. 04.05.1959, BGHZ 30, 98 = NJW 1959, 1430; Küstner/Thume II, Rn 852. BGH, Urt. v. 01.06.2005 – VIII ZR 335/04, VersR 2005, 1283 (1285). BGH, Urt. v. 01.06.2005 – VIII ZR 335/04, VersR 2005, 1283. Küstner/Thume II, Rn 852. Küstner/Thume II, Rn 854. Küstner/Thume II, Rn 858. BGH, Urt. v. 01.06.2005 – VIII ZR 335/04, VersR 2005, 1283 (1284). BGH, Urt. v. 01.06.2005 – VIII ZR 335/04, VersR 2005, 1283 (1284). BGH DB 1961, 1603; HFR 1963, 68; FG Hannover DStR 1999, 219.

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1881

1882

Küstner/Thume II, Rn 854. BGH, Urt. v. 21.03.1963, VersR 1963, 556, OLG Celle v. 11.03.1961 – 3 U 116/60, unveröffentlicht; Amtliche Begründung zu § 89b, BT-Drucksache 1/3856, derzufolge in der Inkassoprovision ein Teil der Abschlussprovision enthalten ist. BGH, Urt. v. 22.12.2003 – VIII ZR 117/03, MDR 2004, 402 = NJW-RR 2004, 469 = ZIP 2004, 1319 = EWiR 2004, 387 (Küstner) = WM 2004, 1483. BGH, Urt. v. 22.12.2003 – VIII ZR 117/03, MDR 2004, 402 = NJW-RR 2004, 469 = ZIP 2004, 1319 = EWiR 2004, 387 (Küstner) = WM 2004, 1483.

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§ 89b

1. Buch. Handelsstand

zuneigen 1883. Dafür spricht der zeitliche Abstand zur Vermittlungstätigkeit, dagegen, dass sich der Wert dieser Vermittlungstätigkeit angesichts der Bestandskraft des Vertrages mit wachsender Vertragsdauer erhöht, also mit jeder Folgeprovision auch eine Rate der sich zunehmend erhöhenden Vermittlungsprovision gezahlt wird. Bestimmt der VV-Vertrag, dass der VV bereits im ersten Versicherungsjahr keine Abschluss- oder Verlängerungsprovision, sondern nur Verwaltungsprovision erhält, so müssen in jenen „Verwaltungsprovisionen“ Entgelte für die Vermittlung enthalten sein, die ggf. geschätzt werden. Mit den Worten des BGH 1884 wäre diese Aufteilung nicht plausibel. § 87b Abs. 3, demzufolge bei Gebrauchs-, Überlassungs- und Nutzungsverträgen von bestimmter Dauer die Provision vom Entgelt für die gesamte Vertragsdauer und bei unbestimmter Dauer die Provision vom Entgelt bis zu dem Zeitpunkt zu berechnen ist, zu dem erstmals von dem geworbenen Kunden gekündigt werden kann, lässt sich kein Hinweis entnehmen, ob die nach dem ersten Jahr gezahlten Folgeprovisionen vermittelnden oder verwaltenden Charakter tragen. Eine vollständige Derogation des Anspruchs auf Vermittlungsprovision bzw. deren vollständige Ersetzung durch eine Verwaltungsprovision ist mit der zwingenden Natur des Ausgleichs nach § 89b Abs. 4 S. 1 unvereinbar 1885. Bei gleich bleibenden Provisionen soll in jeder einzelnen Provisionsrate anteilig eine 396 Abschlussvergütung enthalten sein, was allerdings kaum auf den in § 354 Abs. 1 enthaltenen Grundsatz, ein Kaufmann erbringe seine Dienste nicht umsonst 1886, sondern eher auf den Erfahrungssatz, dass der Unternehmer den Abschluss besonders langfristiger Verträge honorieren will, gestützt werden kann. Bei erhöhter Erstprovision und niedrigeren Folgeprovisionen vertritt der BGH, die 397 Folgeprovision sei ausschließlich Verwaltungsprovision 1887. Diese Aussage kann jedoch nicht für alle Fälle richtig sein. Es gibt auch hier Mischtypen; bei ihnen ist die erhöhte Erstprovision nicht Einmalprovision, sondern ihrerseits erst Teilabgeltung, und die Folgeprovisionen enthalten weitere, die Bestandskraft honorierende Vergütungsteile für die Vermittlung. Auch das entbehrt vielfach einer Erkennbarkeit aus dem HV-Vertrag. Es kommt auf die Verhältnisse des Einzelfalls an. Doch hat die Rechtsprechung Anhaltspunkte für die Beurteilung herausgearbeitet. Ist die Erstprovision gegenüber den Folgeprovisionen nur geringfügig höher, so muss in den Folgeprovisionen ein Vermittlungsprovisionsanteil enthalten sein, sofern der Versicherer die Erstprovision normalerweise nicht erhöht, sondern sie als höhere nur in Anbetracht des besseren Risikos im konkreten Falle gewährt hat. So etwa beim Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, der das kombinierte Geschäft (für Mitglieder und für Nichtmitglieder) betreibt und für den der Abschluss mit einem Mitglied wegen der geringeren Storno- und Schadensanfälligkeit das Risiko ein „besseres“ ist als bei Abschlüssen mit Nichtmitgliedern 1888. Sonst aber weist eine höhere Erstprovision, und namentlich eine deutlich höhere, auf den Charakter als Einmalprovision hin, die die Folgeprovisionen als reine Verwaltungsprovisionen erschei-

1883 1884

1885

In diese Richtung Küstner/Thume II, Rn 882. BGH, Urt. v. 22.12.2003 – VIII ZR 117/03, MDR 2004, 402 = NJW-RR 2004, 469 = ZIP 2004, 1319 = EWiR 2004, 387 (Küstner) = WM 2004, 1483. BGH, Urt. v. 14.06.2006 – VIII ZR 261/04, DB 2006, 1953 im Anschluss an BGH WM 2006, 1788, Urt. v. 10.07.2002 – VIII ZR 58/00, DB 2002, 2321 = WM 2003, 491.

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1886 1887

1888

So aber Küstner/Thume II, Rn 868. BGH, Urt. v. 04.05.1959, BGHZ 30, 98 = NJW 1959, 1430 für die Krankenversicherung; ebenso OLG Stuttgart, Urt. v. 26.03. 1957, VersR 1957, 329 Für die Krankenversicherung bei der Erstprovision von 40 % des Jahresbeitrages und einer Folgeprovision von 15,5 % des Jahresbeitrages. BGH VersR 1963, 556 (Tierversicherung).

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Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 89b

nen lässt 1889. Das KG 1890 bejaht einen Anteil von Abschlussprovision in der Folgeprovision von 15 % der Jahresprämie. Das Gericht wertete die Bestandspflege als Teil der Vermittlungstätigkeit und konnte damit einen höheren Anteil werbender gegenüber verwaltender Tätigkeit begründen 1891. Gegen einen Anteil von Abschlussprovision in der Folgeprovision spricht, wenn die Folgeprovision in derselben Höhe einem den Bestand übernehmenden VV gezahlt ist, wie sie auch an den abgebenden Altvertreter geleistet wurde, der den Vertrag warb 1892. Wird an den Nachfolgevertreter eine reduzierte Folgeprovision gezahlt, bleibt es bei der Vermutung, sie enthalte einen Anteil werbender Provision. Bei der Hausrat-, Feuer- und Einbruch-Diebstahlversicherung wird im ersten Vertragsjahr eine Provision von 90 % der durch den Versicherungsnehmer gezahlten Jahresprämie an den VV ausgezahlt. Die Folgeprovisionen belaufen sich durchgehend nur noch auf 15 % der Jahresprämie, bei der Rechtsschutzversicherung auf 10 % 1893. In der Schadensversicherung besteht die Vermutung, dass bei erhöhter Erstprovision die im zweiten Jahr gezahlte Provision einen Teil Vermittlungsentgelt enthält 1894. Dies gilt, obwohl die Verwaltungstätigkeit des VV in der Schadensversicherung umfangreicher ist als in der Lebensversicherung, weil sich die Bearbeitung von Schadensfällen arbeitsintensiver als die bloße Bestandspflege bei Lebensversicherungen gestaltet 1895. Sofern die Folgeprovision Vermittlungsprovision enthält, resultieren Provisionsverluste nur aus der in der Folgeprovision anteilig enthaltenen, infolge der Vertragsbeendigung entgehenden werbenden Provision 1896. Bestimmt der VV-Vertrag, ein nicht verdienter Provisionsteil müsse vom VV zurückgezahlt werden, falls die der Bemessung der Erstprovision zugrunde gelegte Versicherungsdauer nicht erreicht wird, spricht dies für einen Anteil werbender Provision in den Folgeprovisionen 1897. Nicht überzeugend für eine Einordnung eines Falles von erhöhter Erstprovision in die Ausnahmekategorie der Folgeprovisionen mit fortgesetztem Vermittlungsprovisionsanteil ist die Entscheidung des KG VersR 1964, 1295 1898. Versicherungen mit erheblicher Laufzeit, die schon während der Dauer des Vertrags- 398 verhältnisses jahrelang bestanden und im Gefüge der Folgeprovisionen auch die Vermittlungsvergütung laufend abgeworfen haben, können bei Beendigung des Vertragsverhältnisses für ihre voraussichtliche Dauer unter Umständen noch weiterer, erheblich hinausgeschobener Befristung unterliegen. Es wäre zu bedenken, ob nicht in einem solchen Falle die ursprüngliche Vermittlung 399 längst abgegolten ist und die Folgeprovisionen in steigendem Grade den Charakter einer reinen Vergütung für die verwaltende Tätigkeit angenommen haben. Die Antwort wird man nur einzelbezogen finden können. g) Fallgruppen möglicherweise entgehender und damit ausgleichsrelevanter Provisio- 400 nen. Voraussetzung der Ausgleichsberechtigung ist immer, dass dem VV die nachfolgend genannten Provisionen infolge der Vertragsbeendigung entgehen. Das setzt – wie oben Rn 384 dargestellt – in der Regel eine Provisionsverzichtsklausel voraus. 1889 1890 1891

1892

BGHZ 30, 98 (106). Urt. v. 06.03.1964, VersR 1964, 1295 mit Anm. Klingmüller. Kritisch Klingmüller VersR 1964, 1298 mit der Begründung, die Bestandspflege könne sich schon begrifflich allein nur auf bereits abgeschlossene Versicherungsverträge beziehen. LG Berlin, Urt. v. 01.11.1932, JRPV 1933, 30. Küstner/Thume II, Rn 901.

1893 1894 1895 1896 1897 1898

Küstner/Thume II, Rn 884. Küstner/Thume II, Rn 885. Küstner/Thume II, Rn 888. Küstner/Thume II, Rn 916. Trinkhaus S. 253 ff; anderer Ansicht Küstner/Thume II, Rn 896. KG VersR 1964, 1295 (mit ablehnender Anm. Klingmüller) auf Grund tatbestandlich unrichtig eingeschätzter Bedeutungslosigkeit des Verwaltungsanteils.

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401

aa) Neugeschäfte. Die Möglichkeit mit Neugeschäften Provisionen zu erzielen, bleibt wie beim Warenvertreter bei der Bestimmung der Provisionsverluste außer Betracht. Aus infolge der Vertragsbeendigung entgehendem Neugeschäft folgen daher keine Provisionsverluste.

402

bb) § 87 Abs. 3 Nr. 1. Gemäß § 87 Abs. 3 Nr. 1 erhält der VV Provision, wenn der HV-Vertrag vor dem Abschluss des Versicherungsvertrages beendet wird, dem VV aber gleichwohl der Hauptverdienst an diesem Abschluss zukommt, weil er den Vertrag vermittelt oder so vorbereitet hat, dass er überwiegend auf seine Tätigkeit zurückzuführen ist. Weitere Voraussetzung ist, dass der Abschluss innerhalb einer angemessenen Frist nach Vertragsbeendigung erfolgt. Wurde eine Provisionsverzichtsklausel vereinbart, verliert der VV diese Provision.

403

cc) § 87 Abs. 3 Nr. 2. Der VV erhält gem. § 87 Abs. 3 Nr. 2 nach vertragliche Provision, wenn ihm oder dem Unternehmer vor Beendigung des HV-Vertrages das Angebot des Dritten zum Abschluss des Geschäftes zugegangen ist. Auch die hierdurch entstehenden Provisionen entfallen infolge einer Provisionsverzichtsklausel, was zur Ausgleichsberechtigung führt.

404

dd) Fortsetzungen, Vertragserweiterungen und Summenerhöhungen. Die in der Praxis bedeutendste Fallgruppe entgehender Provisionen bilden solche für Fortsetzungen, Vertragserweiterungen, -ergänzungen und Summenerhöhungen, die in engem wirtschaftlichem Zusammenhang mit dem Ursprungsvertrag stehen, nach Beendigung des Vertragsverhältnisses vorausschaubar anfallen und dann provisionspflichtig gewesen wären („Erweiterungsrechtsprechung“, siehe auch § 92 Rn 53 ff)1899. Solche Anschlussgeschäfte (Zweitverträge) im Nachgang zu einem vom VV vermittelten und abgeschlossenen Erstgeschäft lösen trotz des Grundsatzes, dass der VV nur für eigene Tätigkeit Provision erhält (§ 92 Abs. 3), einen Provisionsanspruch des VV ohne neues Tätigwerden aus, sofern die Anschlussverträge mit dem Erstgeschäft in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen 1900. Die Anschlussgeschäfte führen zu einer Provisionsberechtigung, weil sie als noch auf der Tätigkeit des VV für den Urabschluss beruhend angesehen werden 1901. Die Tätigkeit des Erstgeschäfts färbt auf das Zweitgeschäft ab. Der Begriff der „Erweiterungsrechtsprechung“ wurde gebildet, weil trotz prima vista fehlender – gemäß § 92 Abs 3 allein provisionspflichtiger – Tätigkeit des VV beim Zustandekommen des Anschlussvertrages (besonders deutlich wird dies, falls der Zweitvertrag nach Beendigung des VV-Vertrages zustande kam) Tätigkeitsprovision zu leisten ist. In der Sache handelt es sich um eine Billigkeitsrechtsprechung. Die Chance solcher Folgeverträge war, den Nachbestellungen eines Stammkunden vergleichbar, mit der Vermittlung des Erstvertrages verbunden und hätte ohne Beendigung des HV-Verhältnisses beiden Teilen zur Nutzung offen gestanden. Erforderlich ist aber immer, dass der neue Versicherungsvertrag „automatisch“ aufgrund des Erstvertrages zum Folgevertrag führt. Nur dann wirkt die provisionsbegründende (§ 92 Abs. 3) Tätigkeit des VV, die zum Abschluss des Erstund damit mittelbar zum Abschluss des Zweitvertrages führte, fort. Abschlüsse von Ver1899 1900

Küstner VersR 2002, 980. BGHZ 59, 125, 130 (für Bausparverträge); BGHZ 34, 310 (319); BGH Urt. v. 19.11.1970 – VII ZR 47/69, BGHZ 55, 45 (46) = NJW 1971, 462; BGH Urt. v. 03.04.1996 – VIII ZR 54/95, MDR 1996,

1100

1901

696; MünchKommHGB/v. HoyningenHuene § 92 Rn 16; Koller/Roth/Morck § 92 Rn 4; aA Ebenroth/Löwisch § 92 Rn 7. Hopt § 92 Rn 4.

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§ 89b

wandten begründen keine derartigen Folgegeschäfte. Denn für diese Abschlüsse würde der VV, auch wenn er nicht ausgeschieden wäre, ohne eigene neue Vermittlungstätigkeit keine Provisionen beanspruchen können 1902. Es muss sich um eine Fortsetzung und Erweiterung der ursprünglichen Versicherung handeln, die mit dieser in engem wirtschaftlichen Zusammenhang steht, nach Beendigung des Vertragsverhältnisses vorausschaubar anfällt und dann provisionspflichtig gewesen wäre. Ein solcher Fortsetzungs- und Erweiterungsvertrag wird nach Art von „Nachbestellungen“ in die Ausgleichsbemessungsgrundlage einbezogen 1903. Der enge wirtschaftliche Zusammenhang wird angenommen, falls sich die nach seinem Ausscheiden zustande gekommenen Versicherungsverträge bei natürlicher Betrachtungsweise als Fortsetzung (Verlängerung) oder Erweiterung (Summenerhöhung) der vom VV zuvor vermittelten Verträge darstellen, jene Erweiterungen sowie Summenerhöhungen aus diesen Verträgen hervorgegangen sind und das gleiche Versicherungs- bzw. Bausparbedürfnis betreffen 1904. Dagegen sind andere Zweitabschlüsse nach Beendigung des Vertragsverhältnisses nicht zu berücksichtigen 1905, wenn sie nicht mehr demselben Versicherungs- und Bausparbedürfnis dienen. Entscheidendes Abgrenzungskriterium zwischen Ergänzungsvertrag und bloßem Zweitvertrag ist nicht die äußere Form der Vertragsgestaltung, sondern das Vorliegen des engen wirtschaftlichen Zusammenhangs 1906. Ob die Fortsetzung oder Erweiterung in Form eines äußerlich selbständigen Vertrages erfolgt, ist unerheblich 1907. Ein solcher Zusammenhang ist insbesondere bei Erhöhungen dynamischer Lebensversicherungen anzunehmen. Denn bereits der ursprüngliche Versicherungsvertrag umfasst die jährlichen Summen- und Beitragserhöhungen, die lediglich auflösend bedingt sind durch nach dem Erhalt der Erhöhungsmitteilung fristgerechten Widerspruch des Kunden oder durch die Nichtzahlung des erhöhten Beitrages. Die Dynamikprovision ist eine verzögert ausgezahlte Abschlussprovision für eine Erhöhung der Lebensversicherung, die – wenn auch widerruflich – schon mit dem Versicherungsvertrag eingereicht wurde 1908. In Betracht kommen weiter: Aufstockung der Versicherungssumme (um etwa in der Krankenversicherung gestiegene Behandlungskosten aufzufangen), Anschlussverträge nach Ablauf der ursprünglich abgeschlossenen Versicherung (wenn die Bedingungen im wesentlichen die gleichen geblieben sind); ferner in der sogenannten echten Gruppenversicherung die Einbeziehung eines neuen Gruppenmitglieds durch schlichte Nachmeldung seitens des Versicherungskunden (etwa des Betriebsinhabers, der mit einer Gruppenpensionsversicherung seine Belegschaft so versichert hat, dass Neuzugänge automatisch in den Versicherungsschutz einbezogen sind). Zu Beispielen im Bausparbereich Rn 389, siehe auch § 92 Rn 53. Solche Folgeverträge stehen im engen wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Ursprungsvertrag, so dass sie ebenfalls provisionspflichtig sind. Die Abgrenzung, wann eine Fortsetzung oder Erweiterung und der erforderliche enge wirtschaftliche Zusammenhang vorliegt, ist schwierig 1909. Zu statistischen Erleichterungen Rn 389, 480. Es dürfen nach hM keinesfalls sämtliche Zweit- und weiteren Folgeverträge einbezogen werden, sondern nur solche, die 1902 1903

1904

OLG Stuttgart, Urt. v. 22.02.1971 – 5 U 89/70, VersR 1972, 44 (45). BGHZ 34, 310; 59, 125 – beide Entscheidungen ergangen für BausparkassenHV –; BGH VersR 1963, 556 und DB 1969, 1980. BGH, Urt. v. 23.02.1961 – VII ZR 237/59, BGHZ 34, 310 = BB 1961, 381; OLG Celle, Urt. v. 16.05.2002 – 11 U 193/01, VersR 2002, 976 m. Anm. Küstner in VersR 2002, 980 und Thume VersR 2002, 981; siehe auch Küstner/Thume II, Rn 923.

1905

1906

1907 1908 1909

BGHZ 34, 310 (319); BGHZ 59, 125 (130); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 241. BGHZ 34, 310 (319); BGHZ 59, 125 (130); MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene § 89b Rn 241. BGHZ 34, 310, 319. OLG Köln, Urt. v. 15.08.2003 – 19 U 219/ 02, OLGR 2003, 326 = VersR 2004, 908. Küstner/Thume II, Rn 924.

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§ 89b

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die vom BGH festgelegten Voraussetzungen erfüllen 1910. Die gegenteilige Auffassung würde dazu führen, dass ebenso wie beim Waren-HV auf die geworbenen Kunden abgestellt werden würde (also die Geschäftsverbindung entlohnt) und nicht auf die vom VV vermittelten Verträge. Dann wäre § 89b Abs. 5 überflüssig, weil die Geschäftsverbindung zum Kunden das entscheidungserhebliche Kriterium und nicht einsichtig wäre, warum das Gesetz gerade die Anspruchsvoraussetzung der Geschäftsverbindung durch eine andere ersetzen wollte 1911. Der wirtschaftliche Zusammenhang zwischen Erst- und Zweitvertrag kann bestehen, 405 wenn ein abgelaufener Vertrag erneuert wird (also nicht bloß auf Grund einer Verlängerungsklausel sich automatisch mangels Kündigung verlängert); die Versicherungssumme nachträglich und situationsbedingt aufgestockt wird, beispielsweise in der Krankenversicherung, um Kostensteigerungen in der Heilbehandlung aufzufangen oder in einen Tarif mit größerem Leistungsumfang überzusteigen; oder – in der Gruppen-Lebensversicherung für die Angehörigen eines Betriebes –, der Versicherungsumfang sich durch Neuzugänge im Betrieb auf Grund schlichter Nachmeldung ohne weiteres erhöht. Ob die Fortsetzung oder Erweiterung in Form eines äußerlich selbständigen Vertrages erfolgt, ist nicht entscheidend 1912. Insbesondere sind solche Ausgleichsberechtigungen auch im System der Einmalprovision möglich und nicht einmal selten. Nur darf die Fortsetzung oder Erweiterung, wenn sie sich verwirklicht hat, nicht ausschließlich durch erneute Vermittlungsbemühungen des Nachfolge-HV zustande gekommen, d.h. die Abschlussneigung durch jenen beim Versicherungskunden erst wachgerufen worden sein. Denn alsdann steht dem Nachfolger die Provision für die Fortsetzung bzw. Erweiterung des Vertrages allein zu (während sonst eine fortwirkende Mitursächlichkeit der Werbung des Versicherungskunden aus dem Urvertrag für die Ausgleichsfähigkeit des Folgevertrages genügt 1913). Auch sind Anpassungen von Versicherungssummen und Prämien als Folge bloßer Anpassungs- oder Indexklauseln im Vertrag (gleitende Neuwertversicherung!) nicht ausgleichsfähig, da sie nicht „Späterfolg“ der seinerzeitigen Vermittlungsbemühungen des HV, sondern mit der Vermittlung des ursprünglichen Vertrages und dessen Inhalt bereits gesetzt gewesen sind, also seinerzeit honoriert wurden. Man wird möglicherweise differenzieren und dem VV einen Ausgleich dann zusprechen müssen, wenn er Verträge mit und ohne Steigerungsklauseln zu unterschiedlichen Tarifen anbieten konnte und den Abschluss des Vertrages mit Klausel zum höheren Tarif erreicht hat. Doch dürfte der HV für einen dahingehenden Vermittlungserfolg bereits mit der höheren Vermittlungsprovision bedacht sein, die sich gerade in der Schadensversicherung mit Vermittlungs-Folgeprovisionen in entsprechend höherem Ausgleich niederschlägt. Beispiele für ein gleiches Versicherungs- bzw. Bausparbedürfnis, d.h. für die Aus406 gleichsfähigkeit („Ja“ bedeutet Identität, „Nein“ fehlende Identität): Aufstockung einer Lebensversicherung infolge höherer Einnahmen: Ja, Erhöhung einer Versicherungssumme wegen erhöhter Erbschaftsteuer bei Änderung der Erbfolge: Ja, Aufstockung einer Krankenversicherung durch Geburt eines weiteren Kindes: Ja, Abschluss einer Lebensversicherung allein aus steuerlichen Gründen: Nein, Höher- oder Umstufung in der Krankenversicherung: Ja, Bausparabschluss zwecks Abdeckung höherer Kosten für den Grunderwerb oder Neubau im Bausparbereich: Ja, Ausnutzung steuerlicher Vorteile durch Folgeverträge: Nein, bei Bausparabschluss Erwerb eines weiteren Grundstücks: Nein, Reparatur- oder Instandhaltungskosten oder Renovierung im Bausparbereich: Nein, 1910 1911

OLG Celle, Urt. v. 16.05.2002 – 11 U 193/01, VersR 2002, 976. OLG Celle, Urt. v. 16.05.2002 – 11 U 193/01, VersR 2002, 976.

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1912 1913

BGHZ 34, 310 (319). BGHZ 59, 125 (127).

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Ablösung einer auf dem Grundstück lastenden Hypothek: Nein, Ausbau des Dachbodens: Nein, Bauplatzkauf: Ja, Umbau bzw. Modernisierung: unter Umständen Ja, zusätzlicher Kauf einer Eigentumswohnung: Nein. ee) Superprovisionen. Superprovisionen, die einem VV für die Überwachung ihm 407 unterstellter echter oder unechter Untervertreter gezahlt werden sind ausgleichsfähig, sofern sie dem VV infolge des Vertragsendes entgehen. Solche Provisionsformen sind im Versicherungsvertrieb besonders häufig, weil er angesichts der Vielzahl der für ein Versicherungsunternehmen tätigen Vermittler ausnehmend hierarchisch gegliedert ist. Superprovisionen sind lediglich insoweit nicht ausgleichsfähig, als sie für verwaltende und organisatorische Aufgaben gewährt werden 1914. Von dem werbenden Charakter ist beim überwiegenden Anteil der Superprovision auszugehen. Für die Beweislast hinsichtlich des verwaltenden Anteils dieser Superprovisionen gelten die oben Rn 128 ff, 138 ff dargestellten Kriterien. Da der Unternehmer als die Vergütung bestimmende und vertragsformulierende Partei zur Aufteilung in werbende und verwaltende Anteile am besten vortragen und sie auch beweisen kann, sollte eine Vermutung für den werbenden Charakter der Superprovisionen sprechen. Zu den vom VV selbst vermittelten Versicherungsverträgen zählen damit auch Verträge, die von seinen Angestellten oder echten Untervertretern vermittelt wurden. Nicht ausgleichsfähig sind Superprovisionen, falls der Ausgleich nach den „Grundsätzen“ berechnet wird (Rn 369, 428, 455, 463). h) Prognosedauer. Nicht anders als beim Warenvertreter muss im Wege einer Pro- 408 gnose die künftige Laufzeit der vom VV vermittelten Versicherungsverträge abgeschätzt werden, um die Höhe der Provisionsverluste zu ermitteln 1915. Dabei gelten generell die für Waren-HV dargelegten Grundsätze, jedoch modifiziert durch die Besonderheiten des Versicherungsvertriebs. Ein kurzer Prognosezeitraum führt dazu, dass der VV kein ausreichendes Äquivalent für die entgehenden Provisionen erhält; ein zu langer dazu, dass immer noch fiktive Provisionszahlungen in die Ausgleichsberechnung einfließen würden, obwohl die entgehenden Provisionen längst abgegolten sind 1916. Die Prognose auf den voraussichtlichen Vorteil des Versicherungsunternehmens und die voraussichtlichen Provisionsverluste des HV richtet sich darauf, welche Bestandsdauer bei den ausgleichspflichtigen Versicherungsverträgen als wahrscheinlich zugrunde zu legen sind. Dabei können das versicherte Risiko oder Alter und Beruf des Versicherungsnehmers eine Rolle spielen. So ist es wenig wahrscheinlich, dass ein 80-Jähriger Versicherungsnehmer seine Kfz-Haftpflichtversicherung noch mehr als fünf Jahre fortführen wird. Wahrscheinlicher ist es, dass ein 35jähriger Beamter mit neugebautem Einfamilienhaus seine Hausrat- und Wohngebäudeversicherung noch in zehn Jahren benötigen wird. Auf diese Weise lassen sich konkrete Anhaltspunkte für jeden einzelnen Vertrag finden, die in die Ermittlung der Restlaufzeit einfließen. Aber auch generelle Gesichtspunkte, wie die durchschnittliche Dauer von Versicherungsverträgen in den einzelnen Sparten, die Lebenserwartung der versicherten Personen etc. stellen zu berücksichtigende Faktoren dar. In der Sach-, Haftpflicht- und Krankenversicherung kommen nur Verträge mit ein- oder mehrjähriger Laufzeit und Verlängerungsklausel in Betracht. Für deren wahrscheinliche Bestandsdauer müssen Erfahrungswerte oder Statistiken (§ 287 ZPO) des jeweiligen Versicherungszweiges herangezogen werden. Das gilt auch für die Prognose hinsichtlich der zu erwartenden ausgleichsfähigen Fortsetzungen und Erweiterungen. Letzterer Punkt hat insbesondere

1914 1915

Küstner/Thume II, Rn 957. Küstner/Thume II, Rn 882.

1916

Küstner VersR 2002, 519.

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im Bausparwesen die Rechtsprechung beschäftigt 1917. Das OLG Stuttgart hat den Jahresdurchschnitt der Provisionseinnahmen des HV aus Zweitverträgen für die letzten drei Jahre des HV-Verhältnisses zugrundegelegt und, nachdem es den Anteil der ausgleichsfähigen unter den Zweitverträgen mit 50 % geschätzt hatte, die darauf entfallenden Provisionen mit dem Faktor 4 multipliziert, indem es die Wahrscheinlichkeit eines künftigen Anfalles solcher ausgleichsfähigen Zweitverträge – bedingt durch Anlass und durch Motivierbarkeit des Bausparkunden – auf die Dauer von vier Jahren nach Ende des HVVerhältnisses begrenzte 1918. In die gleiche Richtung gehen LG München I BB 1981, 513 m. Anm. Brych und LG Heilbronn BB 1980, 1819; auch dort ist der Prognosezeitraum gleichfalls auf vier Jahre veranschlagt worden. Die Regelprognosedauer sollte daher auch im Versicherungsvertrieb vier Jahre betragen. Ein etwa mit Statistiken geführter Gegenbeweis ist zulässig. Längere Prognosezeiträume wurden in den Entscheidungen des BGH vom 04.06.1975 1919 sowie des OLG Bamberg vom 24.10. 1983 1920 angenommen. Teilweise werden sogar Prognosezeiträume von 15 bis 43 Jahren für zutreffend gehalten 1921. Für längere Prognosezeiträume sprechen die Erwägungen, die zu der gegenüber Warenvertretern angehobenen Höchstgrenze geführt haben (Rn 410). Da jedoch trotz der oft langjährigen Bestandskraft von Versicherungsverträgen die Vertragsfortsetzung nur für eine überschaubare und in ihrer Entwicklung noch abschätzbare Zeitspanne unterstellt werden darf 1922, ist von einem Prognosezeitraum von höchstens vier bis fünf Jahren auszugehen 1923. Auch ein Prognosezeitraum von bis zu 12 Jahren begegnet Bedenken 1924.

409

5. Billigkeit (Tatbestandsmerkmal 5). Auch hier gelten grundsätzlich die unter Rn 154 ff gebildeten Maßstäbe. Ergänzend: Eine Altersversorgung (Rn 166 ff) wird häufig in Gestalt einer sog. Provisionsrente gewährt. Ihre Höhe errechnet sich auf der Basis des bei Vertragsende maßgebenden Provisionssatzes in Verbindung mit der Laufzeit der vermittelten Versicherungsverträge. Sie ist nicht Folgeprovisionsabgeltung, zumal sie gerade voraussetzt, dass Folgeprovisionen in der Zeit nach Vertragsende nicht zustehen; sie steht deshalb neben dem Ausgleichsanspruch, auf den sie mit ihrem Kapitalwert unter Billigkeitsgesichtspunkten anrechenbar ist. Weil für die Festsetzung der Provisionsrente indessen die wirkliche Laufzeit der vermittelten Verträge, und nicht nur die prognostizierbare, wie beim Ausgleich, zugrunde gelegt wird und deshalb deren Dauer abgewartet werden muss, ist eine endgültige Entscheidung über einen nach Billigkeit etwa verbleibenden Restausgleich bei Vertragsende noch nicht möglich. Daher ist eine Prognose vorzunehmen. Unzulässig wäre eine Praxis, die so verfährt, dass der Ausgleich zunächst unter Außerachtlassung des Billigkeitsgesichtspunktes errechnet und ein etwaiger Rest bis zum völligen Auslaufen der Provisionsrente gestundet wird.

410

6. Ausgleichshöchstgrenze (Tatbestandsmerkmal 7). Gemäß § 89b Abs. 5 i.V.m. Abs. 2 beträgt der Ausgleichsanspruch des VV höchstens drei Jahresprovisionen oder Jahresvergütungen. Bei kürzerer Vertragsdauer ist der Durchschnitt während der Tätigkeitsdauer maßgebend. Abweichend zum Warenvertreter berechnet sich der Jahresdurch-

1917 1918

1919

Hierzu OLG Stuttgart VersR 1972, 44 m. Anm. Höft. OLG Stuttgart VersR 1972, 44 m. Anm. Höft. Der BGH hat dieses Verfahren im Revisionsurt. BGHZ 59, 125 (130) gebilligt. I ZR 130/73, BB 1975, 1409 = WM 1975, 931.

1104

1920 1921 1922 1923 1924

4 U 186/82, nicht veröffentlicht, zitiert nach Küstner VersR 2002, 519. Küstner VersR 2002, 518. Küstner VersR 2002, 518. Küstner VersR 2002, 518. OLG München, Urt. v. 21.12.2005 – 7 U 2941/05, VersR 2006, 1123 (1125).

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schnitt aus den letzten fünf Tätigkeitsjahren des VV. Da der Ausgleich des VV hauptsächlich die Funktion hat, anders als beim Waren-HV, eine bereits verdiente, nur infolge Provisionsverzichts nicht mehr zur Entstehung gelangende Vermittlungsprovision abzugelten, erschien dem Gesetzgeber das Modell der Begrenzung des Ausgleichs auf den einfachen Jahresbetrag des Provisionseinkommens (Abs. 2) nicht übertragbar. Denn nicht nur ist die Laufdauer der vom Verzicht betroffenen Folgeprovisionen in den meisten Fällen erheblich länger. Vor allem muss der VV bei der Eigenart der Versicherungsvermittlung schon für die Zahlbarkeit der Provision, nachdem er den Vertrag vermittelt hat, von vornherein mit längeren als bloßen Jahresfristen rechnen 1925, ein Umstand, der ihn besonders in der Anfangsperiode seiner Tätigkeit im Vergleich zum Waren-HV erheblich schlechter dastehen lässt. Das Gesetz hat deshalb die Höchstgrenze auf das Einkommen des HV aus drei Jahresprovisionen oder Jahresvergütungen festgesetzt. Im Übrigen aber gilt alles, was zum Höchstbetrag nach Abs. 2 unter Rn 188 ff ausgeführt ist. Auch für die Höchstgrenze des Ausgleichs des VV sind die gesamten Bruttoprovisio- 411 nen maßgebend, die ihm in den letzten fünf Tätigkeitsjahren zugeflossen sind. Maßgebend ist das Dreifache der nach dem Modus des Abs. 2 zu errechnenden Jahresbruttoprovision (Einjahresprovision nach dem Durchschnitt der letzten fünf Vertragsjahre nicht etwa die Summe der Bruttoprovisionen aus den letzten drei Jahren vor Vertragsbeendigung) 1926. Auch sind in die Ausgangsmasse für diese Berechnung alle Provisionen des HV einzurechnen, eingeschlossen die Verwaltungsprovisionen 1927 Superprovisionen sowie Provisionen aus bei Vertragsbeginn übernommenen Beständen 1928 und wiederum eingeschlossen Verwaltungsprovisionen für den übernommenen Versicherungsbestand 1929. Allgemeine Kosten des VV sind nicht abzuziehen. Soweit die Kosten jedoch durchlaufende Posten sind, etwa Provisionen, die an Untervertreter weiterzuleiten sind, bleiben sie in der Berechnung der Ausgleichshöchstgrenze unberücksichtigt 1930.

VII. Die „Grundsätze“ der Versicherungswirtschaft Die sogenannten Grundsätze der Versicherungswirtschaft, insbesondere die Grund- 412 sätze Sach, Leben, Kranken, Bauspar und Finanzdienstleistungen, sind in den letzten Jahren infolge mehrerer Urteile des BGH verstärkt in den Fokus der Diskussion geraten. Angesichts der schwierigen Ausgleichsberechnung des VV und der wenig einheitlichen Maßstäbe hierzu haben sich die beteiligten Verbände auf Maßstäbe zur Ausgleichserrechnung geeinigt, welche die Ausgleichsberechnung vereinfachen sollen. Folge dieser Vereinbarungen war die Aufstellung der „Grundsätze“, und zwar getrennt nach Sparten. Tatsächlich ist eine solche Vereinfachung und vor allem Standardisierung Folge der Einführung der Grundsätze geworden. Ebenso ist es aber eine Folge der Grundsätze, dass sich – anders als etwa beim Warenvertreter – keine Standards etabliert haben, wie der Ausgleich des VV aus § 89b Abs. 5 direkt zu ermitteln wäre (dazu Rn 475 ff). Die Dogmatik der Ausgleichsberechnung des VV außerhalb der Grundsätze hinkt deshalb der Ausgleichsberechnung des Warenvertreters um mindestens zwei Jahrzehnte hinterher 1931. 1925 1926 1927 1928

Siehe Küstner/Thume II, Rn 1581. Hopt § 89b Rn 94. BGH DB 1971, 185. Leuze Das Recht des Versicherungsvertreters, Heft 6 der Schriftenreihe des Wirtschaftsverbandes Versicherungsvermittlung, S. 27; Möller, Recht und Wirtlichkeit der Versicherungsvermittlungen, Anm. 384,

1929 1930

1931

S. 873; Geßler S. 81, Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 42. Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 42. Möller Anm. 384, S. 873; Schlegelberger/ Schröder § 89b Rn 23c; Küstner/Thume II, Rn 1582; Lohmüller VW 1955, 151. Siehe Emde VersVerm 2001, 440 ff.

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Zunächst wurden die Grundsätze im Schadensbereich (Grundsätze Sach) entwickelt. Anlass war die kaum durchführbare Aufteilung in ausgleichsfähige Abschluss- und nicht ausgleichsfähige Verwaltungsprovisionen 1932. Deshalb wurden 1958 zwischen dem Gesamtverband der Versicherungswirtschaft und dem seinerzeitigen Verband der bevollmächtigten Generalagenten und Assekuradeure 1933 die Grundsätze Sach vereinbart. Dem traten später der damalige Wirtschaftsverband Versicherungsvermittlung 1934 und 1968 der jetzt mit dem BVK zusammengeschlossene Verband der Versicherungskaufleute (VVK) bei. Heute unterstützen alle Spitzenverbände der Versicherungswirtschaft die Grundsätze Sach, die mehrfach geändert und auf den neuesten Stand gebracht wurden 1935. 1961 erkannte der BGH 1936 die Ausgleichsberechtigung von Versicherungs- und Bausparkassenverträgen auch außerhalb der Schadensversicherung an. Zuvor hatte man in diesen Bereichen wegen der üblicherweise gezahlten Einmalprovision einen Ausgleichsanspruch abgelehnt, so dass kein Anlass für die Einführung ausgleichserläuternder Grundsätze bestand. Der BGH urteilte, dem VV entgingen infolge der Provisionsverzichtsklausel auch Abschlussprovisionen aus nach seinem Ausscheiden zustande gekommenen Versicherungsverträgen, wenn sich diese Verträge bei natürlicher Betrachtungsweise als Fortsetzung oder Erweiterung der von ihm zuvor vermittelten Verträge darstellten (Rn 404 ff). Damit wurde es notwendig, auch für die mit Einmalprovisionen entlohnten Versicherungssparten, insbesondere die Lebens- und Krankenversicherung, Grundsätze zur Berechnung zu vereinbaren. Im Bereich der Lebensversicherung tragen die Grundsätze der Rechtsprechung des BGH allerdings nur unvollkommen Rechnung 1937. Nach den Grundsätzen steht einem VV der Ausgleich nur zu, soweit in seinem Bestand dynamisierte Verträge enthalten sind. Ausgleichspflichtig sind – wie dargestellt (Rn 404 ff) – jedoch auch Vertragserweiterungen und Summenerhöhungen. Die Grundsätze „Leben“ und die Grundsätze „Kranken“ folgen ihrer Konzeption den Grundsätzen „Sach“ 1938. Am 27.08.1984 wurden dann zwischen dem Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute (BVK), dem Verband der privaten Bausparkassen sowie den Bundesgeschäftsstellen der Landesbausparkassen die Grundsätze für den Bausparbereich vereinbart, die zum 01.10.1984 gültig wurden.

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1. Zweck der Grundsätze. Zweck der Grundsätze war es zum einen, die Ausgleichsberechnung der VV zu vereinfachen. Zum anderen sollte ein angemessener, also ein billiger, Ausgleich bestimmt werden. Ob dieses zweite Ziel erreicht wurde, ist umstritten. Ein solcher Streit ist einem Kompromiss 1939 immanent. Dem Kompromisscharakter der Grundsätze entspricht es, dass sie nur einheitlich als Ganzes angewendet werden können 1940, nicht anders als z.B. die VOB. Sind etwa zwischen dem VV und der Versicherung für die Berechnung der Höhe des Ausgleichs die Grundsätze einvernehmlich zugrunde gelegt worden und haben die Parteien zu erkennen gegeben, dass sie jene als angemessenen und der Billigkeit entsprechenden Ausgleich der unterschiedlichen Interessen akzeptieren, ist es dem VV verwehrt, bei der Berechnung des Ausgleich lediglich die für ihn günstigen Regelungen der Grundsätze heranzuziehen 1941. Billigkeitsgesichts1932 1933 1934 1935 1936

Höft ZVersWiss 1976, 439 (446, 451); Küstner/Thume II, Rn 1842. Heute: Bundesverband der Geschäftsstellenleiter und Assekuranz (VGA). Heute: BVK. Vgl. Küstner/Thume II, Rn 1842. BGH, Urt. v. 23.02.1961 – VII ZR 237/59, BGHZ 34, 310.

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1937 1938 1939 1940 1941

Küstner/Thume II, Rn 1843. Küstner/Thume II, Rn 1845. Zum Kompromisscharakter der Grundsätze Küstner/Thume II, Rn 1850. Küstner/Thume II, Rn 1850. OLG München, Urt. v. 21.12.2005 – 7 U 2941/05, DB 2006, 1371 = VersR 2006, 1124.

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punkte sind ergänzend anwendbar 1942, obwohl oder gerade weil sie in den Grundsätzen nicht erwähnt werden. Die Grundsätze gelten nur für den hauptberuflichen VV und nicht für Versicherungsmakler 1943. Für die Versicherer soll die Anwendung der „Grundsätze“ zu einer erheblichen finanziellen Entlastung in Ausgleichsfällen geführt haben. Denn ein nach den Grundsätzen bestimmter Ausgleich kann selbst unter optimalen Voraussetzungen kaum die Höhe der Höchstgrenze erreichen. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass ohne die Grundsätze vielen VV eine Berechnung des Ausgleichs kaum möglich wäre. Gleichwohl kann der Ausgleich auch nach § 89b direkt (Rn 475 ff) errechnet werden. 415 Da die Grundsätze den gesetzlichen Ausgleichsanspruch wegen dessen zwingender Natur nicht ausschließen können, bleibt eine Ausgleichsberechnung aus § 89b direkt möglich, faktisch jedoch (noch) die Ausnahme 1944. Eine solche Ausgleichsberechnung ist tatsächlich schwierig und gelingt dem anspruchstellenden VV meist nicht. Die jahrelange Anwendung der Grundsätze hat die Entstehung einer unmittelbar aus § 89b abgeleiteten Ausgleichsberechnung erschwert, anders als im Bereich der Warenvertreter, bei denen sich gewisse Üblichkeiten etabliert haben 1945. Insbesondere die Abgrenzung zwischen verwaltenden und vermittelnden Provisionsanteilen bei der Ausgleichsberechnung wurde kaum fortgebildet, weil es auf diese Abgrenzung im Rahmen der Grundsätze nicht ankommt 1946. Es gibt hierzu also wenig Rechtsprechung. Zu einer Formel für die Ausgleichsberechnung unmittelbar aus Abs. 5 Rn 477 ff. 2. Grundsätze als dispositive Berechnungsmethode. Die Grundsätze sind empfehlende 416 Vereinbarungen 1947. Kein VV kann gezwungen werden, den Ausgleich nach den Grundsätzen zu berechnen. Die zwingende Vereinbarung der Grundsätze wäre wegen Verstoßes gegen § 89b Abs. 4 unwirksam 1948. Es lässt sich nicht im Voraus bestimmen, was ein „angemessener“ Ausgleich ist 1949. Nur im Falle einer – wegen § 89b Abs. 4 wirksam lediglich nachvertraglich möglichen – Vereinbarung können die Grundsätze als eine von zwei Möglichkeiten zur Ausgleichsberechnung herangezogen werden. Die Geltung der Grundsätze nach Vertragsende kann durch die Parteien vereinbart werden 1950, auch konkludent 1951. Die Unwirksamkeit der zwingenden Vereinbarung der Grundsätze folgt auch aus den Urteilen des BGH über die Anrechnung des Barwerts der Altersversorgung auf den Ausgleichsanspruch 1952. In diesen Urteilen hatte der BGH die in den Grundsätzen vorgesehene zwingende Anrechnung der vom Unternehmer gewährten Altersversorgung für unwirksam gehalten, gleichwohl jedoch im Einzelfall den Abzug des Anwartschaftsbarwerts der Altersversorgung unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit nicht bean-

1942 1943 1944

1945 1946 1947

Küstner/Thume II, Rn 1850. Küstner/Thume II, Rn 1850. Nach Ansicht von Küstner in: Küstner/ Thume II, Rn 1852 sollte eine Ausgleichsberechnung außerhalb der Grundsätze die absolute Ausnahme darstellen. Emde VersVerm 2001, 440 ff. Küstner/Thume II, Rn 1853. OLG Köln, Urt. v. 05.06.1974, BB 1974, 1093 = VersR 1974, 995; OLG Frankfurt, Urt. v. 21.11.1995 – 8 O 110/95 – NJW-RR 1996, 548 und v. 30.06.2000 – 10 O 217/99, unveröffentlicht; Küstner/Thume II, Rn 1854.

1948 1949 1950 1951 1952

OLG Celle, Urt. v. 16.05.2002, VersR 2002, 976 (977). OLG München, Urt. v. 21.12.2005 – 7 U 2941/05, VersR 2006, 1124 (1125). OLG München, Urt. v. 21.12.2005 – 7 U 2941/05, VersR 2006, 1124 (1125). OLG München, Urt. v. 21.12.2005 – 7 U 2941/05, VersR 2006, 1123 (1125). BGH, Urt. v. 20.11.2002 – VIII ZR 211/01, VersR 2003, 368 = DB 2003, 144 = EWiR 2003, 231 (Emde); VIII ZR 146/01, VersR 2003, 323 = ZIP 2003, 264 = MDR 2003, 278 = EWiR 2003, 229 (Küstner).

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standet. Bei diesem Verständnis handelt es sich bei den Grundsätzen allenfalls um eine Option zur Berechnung. Auch der Versicherer braucht sich nicht auf eine von § 89b abweichende Ausgleichsberechnung verweisen zu lassen. Wegen des Vereinfachungseffekts der Ausgleichsberechnung fragt sich, wer sich über den nachvertraglichen Vereinbarungszwang mehr freuen kann, die Versicherer oder der darlegungs- und beweisbelastete VV. Allerdings wird dem VV mit einer unmittelbar aus § 89b hergeleiteten Berechnung nicht mehr zugemutet als dem Warenvertreter 1953, der gleichfalls für alle anspruchsbegründenden Umstände darlegungs- wie beweispflichtig ist und nach einer Meinungsgruppe die geworbenen Kunden und die ihm entgehenden Provisionen bereits bei Klageerhebung namentlich bezeichnen muss 1954. Beide Parteien müssen also nach Vertragsende mit der Berechnung nach den Grundsätzen einverstanden sein. Jenes Einverständnis kann sich konkludent aus übereinstimmendem Prozessverhalten ergeben. So steht etwa § 89b Abs. 4 Satz 1 der Berechnung des Ausgleichsanspruchs des VV anhand der Grundsätze nicht entgegen, wenn die Parteien die Berechnung auf dieser Basis nach Vertragsende bestätigt und einvernehmlich akzeptiert haben 1955.

417

3. Unwirksamkeit der Grundsätze? Da VV-Verträge immer AGB sind, ist Prüfungsmaßstab auch § 307 BGB. Einen Versicherer mit nur einem VV gibt es nicht. Das OLG Celle 1956 hat die Grundsätze als mit § 307 BGB unvereinbar angesehen. Die Grundsätze nähmen die Berechnung nach gänzlich anderen Kriterien als § 89b Abs. 5 vor, weshalb gerade dann, wenn der VV nur kurze Zeit für den Versicherer tätig gewesen sei, sich die Anwendung der „Grundsätze“ nachteilig gegenüber der üblichen Berechnungsweise auswirken könne. Setze man einen hohen Anteil werbender und einen geringen Anteil verwaltender Provisionen sowie einen langen Prognosezeitraum an, könne die Ausgleichsberechnung auf der Basis der unmittelbaren Anwendung des § 89b Abs. 5 zu einem für den VV günstigeren Ergebnis als auf Basis der Grundsätze führen. Richtigerweise folgt die Unwirksamkeit bereits aus ihrer im Widerspruch zu § 89b Abs. 4 (zwingende Natur) stehenden ausgleichsbeschränkenden Wirkung. Sie können daher nur individualvertraglich und nachvertraglich vereinbart werden.

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4. Rechtsnatur der Grundsätze – Schätzungsgrundlage. Die Grundsätze sind aus wirtschaftlichen Erwägungen gefasst worden. Sie geben keine Rechtsauffassung der beteiligten Verbände wieder und können weder Rechtsanwender noch Gerichte binden. Sie bilden auch keinen Vertrag zugunsten Dritter, und zwar bereits deshalb nicht, weil die empfehlenden Verbände Verbandsmitgliedern keine Rechte und Pflichten zuweisen können 1957. Ferner handelt sich bei den Grundsätzen wohl um keinen Handelsbrauch 1958. Angesichts der Diskussion um ihre Rechtsnatur spricht wenig für ihre Ein-

1953 1954 1955 1956 1957

Emde BB 2006, 1121 (1122). OLG Celle, Urt. v. 29.03.1963, BB 1963, 711. OLG München, Urt. v. 21.12.2005 – 7 U 2941/05, DB 2006, 1371. OLG Celle, Urt. v. 16.05.2002, VersR 2002, 976 (977). Küstner/Thume II, Rn 1854; Schlegelberger/Schröder § 89b Rn 43; anderer Ansicht BAG, Urt. v. 21.05.1985, DB 1996, 919 (920) (Ausgleichsberechtigung aus dem

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Gesichtspunkt des Vertrags zu Gunsten Dritter). AA OLG München, Urt. v. 21.12.1973, VersR 1974, 288; LG München, Urt. v. 30.09.1975, VersR 1976, 467; LG München, Urt. v. 10.03.1975, VersR 1975, 736; LG Wiesbaden, Urt. v. 21.11.1974, VersR 1975, 145; LG Frankfurt, Urt. v. 19.09. 1974, VW 1974, 1280; LG München, Urt. v. 04.07.1974, VersR 1975, 81; LG München, Urt. v. 22.03.1973 – 4 HK O 292/72,

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ordnung als Handelsbrauch. Auch dürfen sich Handelsbräuche gegen zwingendes Gesetzesrecht – hier: das Verbot des Vorausverzichts nach Abs. 4 S. 1 – nicht bilden. Zwar mag angesichts der Häufigkeit der Ausgleichsberechnung auf ihrer Basis noch von einer allgemeinen, nahezu ausnahmslos erfolgten tatsächlichen Übung gesprochen werden. Die freiwillige Anerkennung durch die maßgeblichen Handelskreise ist jedoch zweifelhaft. Möglicherweise handelt es sich um im Rahmen des § 287 ZPO maßgebliche Schätzwerte anerkannter Sachkenner 1959 bzw. um einen Ausdruck der Vorstellungen der beteiligten Wirtschaftskreise zur Höhe eines angemessenen Ausgleichs 1960. Das Problem der Anerkennung als gemäß § 287 ZPO maßgebliche Schätzwerte ist das Spannungsverhältnis zur zwingenden Natur des Ausgleichs. Wie oben dargestellt darf niemand gezwungen werden, den Ausgleich nach den Grundsätzen zu berechnen. Würden sie wider Willen einer der Parteien gemäß § 287 ZPO als Schätzgrundlage herangezogen, widerspräche dies möglicherweise § 89b Abs. 4 1961. Sähe man die Grundsätze als „antizipiertes Sachverständigengutachten“ i.S.d. § 287 ZPO an, könnte dies eine unzulässige geltungserhaltende Reduktion der unwirksamen Ausgleichsberechungsvereinbarung bilden. Man entzöge dem nach § 307 BGB geschützten VV mit der einen Hand (§ 287 ZPO) das, was man ihm zuvor mit der anderen Hand (§ 89b Abs. 4 HGB, § 307 BGB) gegeben hätte. Schließlich nehmen die Grundsätze die Berechnung abweichend von den gesetzlichen Maßstäben vor: Sie verzichten beispielsweise auf eine Abgrenzung der werbenden von verwaltenden Provisionsanteilen, während gemäß § 89b Abs. 5 nur werbende Provisions-

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unveröffentlicht; LG Hamburg, Urt. v. 01.07.1971, VersR 1972, 742; gegen einen Handelsbrauch OLG Frankfurt, Urt. v. 17.02.1970, DB 1970, 228 = NJW 1970, 418 = VersR 1970, 271 und v. 22.10.1985, BB 1986, 896 = VersR 1986, 388; Thume BB 2002, 1325; Martin VersR 1970, 796; Oswald VersR 1979, 509; Küstner/Thume II, Rn 1856; offen gelassen v. OLG München, Urt. v. 21.12.2005 – 7 U 2941/05, VersR 2006, 1124 (1125). BAG, Urt. v. 21.05.1985, DB 1986, 919 (920); OLG Frankfurt, Urt. v. 09.05.1986, VW 1986, 894; OLG Düsseldorf, Urt. v. 04.07.1979, VersR 1979, 837; OLG München, Urt. v. 10.05.1988, VersR 1988, 1069; OLG Düsseldorf, Urt. v. 05.03.1981, VersR 1981, 979; v. 05.10.1979, VersR 1980, 186; OLG Düsseldorf, Urt. v. 04.07.1979 – 3 U 15/79, VersR 1979, 837; OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.04.1997 – 16 U 119/95, OLGR 1996, 259; OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 09.05.1986 – 10 U 48/85, VersR 1986, 815; OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 30.06.2000 – 10 U 217/99, VW 2001, 1048, OLG Hamburg, Urt. v. 26.03. 1992 – 8 U 97/90, VersR 1993, 476 und OLG Saarbrücken, Urt. v. 18.05.1988 – 1 U 144/86, VW 1988, 1375; LG Hannover, Urt. v. 04.07.1979, VW 1979, 1270;

1960 1961

v. 16.11. 1976, VW 1978, 558 und v. 04.03. 1976, BB 1976, 664 mit Anm. Küstner; LG Bielefeld, Urt. v. 28.06.1982 – 16 O 192/81, VW 1983, 251; LG Dortmund, Urt. v. 25.08.1999 – 10 O 95/99; LG Düsseldorf, Urt. v. 05.10.1979 – 9 O 129/79, VersR 1980, 186; LG Düsseldorf, Urt. v. 05.03. 1981 – 34 O 73/79, VersR 1981, 979; LG Frankfurt a.M., Urt. v. 02.05.2001 – 3/9 O 47/99; LG Hamburg, Urt. v. 01.07.1971 – 28 O 138/70, VersR 1972, 742; LG Köln, Urt. v. 04.11.1982 – 91 O 170/82, VW 1983, 250; LG Köln, Urt. v. 09.01.2003 – 2 O 305/99, LG München I, Urt. v. 10.05. 1988 – 5 HKO 905/88, VersR 1988, 1069; LG Osnabruck, Urt. v. 04.12.2001 – 14 O 366/00; LG Stuttgart, Urt. v. 23.09.1974 – 2 KfH O 107/73, VersR 1975, 1005; LG Wiesbaden, Urt. v. 31.10.1984 – 12 O 78/84, VW 1985, 411; LG Wiesbaden, Urt. v. 29.07.1999 – 2 O 235/97. Das OLG Düsseldorf VersR 1979, 831 betont, dass die Grundsätze „auf kompetentester Sachkunde beruhen und deshalb die Vermutung der Gerechtigkeit und Billigkeit für sich haben“, LG Düsseldorf VersR 1980, 186. Martin VersR 1970, 796. Emde BB 2006, 1121 (1122).

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anteile ausgleichspflichtig sind 1962. Der Unternehmer braucht jedoch ohne vertragliche Abrede keine verwaltenden Anteile zu zahlen, die er nach dem Gesetz nicht schuldet 1963. Deshalb ist fraglich, ob das Gericht den Ausgleich auf der Basis der Grundsätze nach § 287 ZPO schätzen darf, falls der VV nicht genügend Daten zur unmittelbaren Anwendung des § 89b Abs. 5 vorträgt.

419

5. Beweislast. Für die ausgleichsbegründenden Umstände trägt der VV grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast. Einzelheiten Rn 276 ff.

420

6. Anspruchsberechtigung nach den Grundsätzen. Hinsichtlich der Person des Anspruchsstellers und ihrer Auswirkungen auf die Ausgleichsberechtigung gelten die vorgenannten Maßstäbe. Der Ausgleichsanspruch ist auch nach den Grundsätzen ein mit Vertragsende fälliger Vergütungsanspruch, der grundsätzlich in vollem Umfange vererblich und von der Rechtsform des VV unabhängig 1964 ist. Ausgleichsberechtigt sind allein HV i.S.d. §§ 84 ff, die in den von den Grundsätzen erfassten Sparten tätig sind. Sofern eine in den Grundsätzen nicht geregelte Sparte betroffen sein sollte wäre der Ausgleich nach Abs. 5 zu bestimmen. Eine Analogie zu anderen Grundsätzen dürfte eher abzulehnen sein. Angestellte Versicherungsvermittler (Reisende) sind nicht anspruchsberechtigt 1965. Nebenberuflich tätige VV bleiben auch nach den Grundsätzen nicht ausgleichsberechtigt. Das Kriterium fehlender Nebenberuflichkeit kann bei der Mehrbranchentätigkeit eines VV zu Schwierigkeiten führen. Beispiele bilden das Reisebüro, welches auch Reiserücktrittskosten- und Gepäckversicherungen vermittelt oder ein Kfz-Händler, der die Vermittlung einer Kfz-Haftpflichtversicherung übernimmt 1966. Besteht die Aufgabe des Vermittlers in der Vermittlung von Finanzdienstleistungen generell für Versicherungsunternehmen, Bausparkassen und andere Unternehmen, die sich mit Finanzdienstleistungen im weitesten Sinne befassen, ist der VV in Hinblick auf seine gesamte berufliche Tätigkeit hauptberuflich tätig. Der Einwand eines von mehreren Unternehmen, der VV sei nebenberuflich tätig, bleibt damit unbeachtlich 1967.

421

a) Die „Grundsätze-Sach“. Die Grundsätze-Sach erklären sich – wie die übrigen Grundsätze – weitgehend aus ihrem Wortlaut. Ob ein Ausgleich dem Grunde nach zu zahlen ist regeln die Grundsätze nicht. Ebenso wenig werden Ausschlussgründe geregelt. Es gilt insoweit § 89b. Allerdings sollten die TB-Voraussetzungen des § 89b Abs. 1 dem Streit entzogen werden, weil die Grundsätze die Berechnung der dort wiedergegebenen, unbestimmten TB-Merkmale regeln und eine Vermutung für den Eintritt begründen. Die Präambel der Grundsätze-Sach lässt hinsichtlich der Provisionsverluste (§ 89b Abs. 1 Nr. 2) zwar eine gegenteilige Deutung zu. Tatsächlich besteht jedoch eine Spezialität der Grundsätze gegenüber den TB-Merkmale der „Provisionsverluste“ (§ 89b Abs. 1 Nr. 2) und der Vorteile des Unternehmers (§ 89b Abs. 1 Nr. 1). Nach den Grundsätzen-Sach berechnet sich auch der Ausgleich für die Tätigkeit bei 422 der Vermittlung von Verkehrsserviceversicherungen, mit der Abweichung, dass anstelle

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1963

Siehe im Einzelnen Küstner/Thume II, Rn 829, sowie OLG München, Urt. v. 10.03.1993, BB 1993, 1754. Garde VW 1959, 100; Küstner/Thume II, Rn 1863; KG VersR 1964, 1295 mit ablehnender Anm. Klingmöller VersR 1964, 1298.

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1964 1965 1966 1967

Küstner/Thume II, Rn 1884. Küstner/Thume II, Rn 1874. Küstner/Thume II, Rn 1879. Küstner/Thume II, Rn 1880.

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der in Ziffer I der Grundsätze-Sach vorgesehenen 50 % (Rechtsschutzversicherung) lediglich ein Ausgleichswert von 25 % in Ansatz gebracht wird. Die Außendienstverbände und der GDV haben mit Wirkung zum 01.10.1990 vereinbart, dass auch im Bereich der Vertrauensschaden- und Kautionsversicherung Ausgleichsfälle nach diesen Grundsätzen geregelt werden. In der Kautionsversicherung soll die Berechnung nach einem Ausgleichswert gemäß Ziffer I 3 der Grundsätze-Sach von 40 % und der Maßgabe durchgeführt werden, dass als Berechnungsbasis für die Ausgleichshöhe die Werte der dem VV in den letzten drei Tätigkeitsjahre ratierlich gezahlten Provisionen für abgerufene Bürgschaften herangezogen werden 1968. Die Systematik der Grundsätze-Sach ist einfach. Sie wurde Beispiel der nachfolgenden 423 Grundsätze, die ihr in der Konzeption entsprechen. Auszugehen ist von einem Ausgangswert, der nach Ziff. I der Grundsätze berechnet wird. Dieser Ausgangswert, den es so oder ähnlich bezeichnet in allen Grundsätzen gibt, ist Basis der weiteren Ausgleichsberechnung. Der Ausgleichswert wird mit einer unter Ziff. II bestimmten Zahl multipliziert („Multiplikatoren“). Das Rechenergebnis ist der Rohausgleich. Jener wird gemäß Ziff. III durch die Höchstgrenze des Ausgleichs in Höhe einer Dreijahresprovision oder Jahresvergütung (§ 89b Abs. 5) begrenzt. Die Grundsätze verweisen hier auf das Gesetz. Die Regelung der Ziff. IV über die Anspruchsberechtigung von Erben ist überflüssig, weil sie sich aus der ständigen Rechtsprechung ergibt, nach der auch der Erbe eines HV anspruchsberechtigt ist. Ziff. V bestimmt, dass der kapitalisierte Barwert einer Altersoder Hinterbliebenenversorgung abzuziehen ist. Diese Klausel ist unwirksam 1969, weil sie den zwingenden Ausgleich unabhängig von Billigkeitserwägungen des Einzelfalls in jedem Fall begrenzt. Dies ist allerdings unschädlich, da die Grundsätze ohne nachvertragliche Einigung nicht binden. Gemäß Ziff. VI der Grundsätze-Sach kann jede Partei die bei dem Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft bestehende Gutachterstelle anrufen. Faktisch hat diese Bestimmung kaum Bedeutung, da in der Regel die ordentlichen Gerichte zur Klärung eines Streites angerufen werden. Nach Ziff. VII der Grundsätze-Sach wird bei Zahlung des Ausgleichs vorausgesetzt, dass der VV keine Bemühungen anstellt oder unterstützt, die zu einer Schmälerung des ausgleichspflichtigen Bestandes führen (dazu Rn 273 f). Gemäß Ziff. VIII gelten die Grundsätze nicht für die Lebens- und Krankenversicherung. Nach Ziff. VIII sind die Grundsätze-Sach in der Transportversicherung einschließlich Nebenzweigen und in der Einheitsversicherung nur gegenüber ausschließlich auf ein Versicherungsunternehmen reversierten VV anzuwenden. aa) Der Ausgleichswert (Ziff. I der Grundsätze-Sach). Die Basis der Berechnung des 424 Ausgleichs nach den Grundsätzen bildet – wie skizziert – der Ausgleichswert. Maßgeblich ist der neue Bestand an Versicherungsverträgen zum Zeitpunkt der Vertragsbeendigung, der auf die werbende Tätigkeit des VV zurückgeht 1970. Um den ausgleichsrelevanten Tätigkeitserfolg des VV zu messen, muss sein Versicherungsbestand bewertet werden 1971. Nach den Grundsätzen handelt es sich bei dem Ausgleichsanspruch des VV um eine Bestands- nicht um eine Kundenvergütung 1972. Stornierte Versicherungsverträge bleiben unberücksichtigt 1973. Irrelevant ist die Höhe der Schadensquote 1974. Um den

1968 1969 1970 1971

Küstner/Thume II, Rn 1848. BGH, Urt. v. 20.11.2002, DB 2003, 144 = EWiR 2003, 231 (Emde). Küstner/Thume II, Rn 1901. Küstner/Thume II, Rn 26.

1972 1973 1974

Küstner VersR 2002, 513 (516); Küstner/ Thume II, Rn 28. Schäfer VersVerm 1983, 86 (87); Küstner/ Thume II, Rn 1901. Küstner/Thume II, Rn 1901.

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Bestand festzustellen, wird die nach dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre der Tätigkeit des VV oder bei kürzerer Vertragsdauer nach dem Durchschnitt der Gesamtdauer der Tätigkeit des VV verdiente Brutto-Jahresprovision mit dem vom VV aufgebauten Versicherungsbestand festgestellt. Die Berechnung des Ausgleichswertes erfolgt aus dem vor der Vertragsbeendigung liegenden Zeitraum von fünf Vertragsjahren nicht von fünf Kalenderjahren 1975. In die Berechnung nicht einbezogen werden. 425 – Abschlussprovisionen (erstjährige Provisionen abzgl. der Inkassoprovision), ausgenommen die Abschlussprovision für eine Versicherung mit gleich bleibenden, laufenden Provisionen; – Provisionen für Versicherungsverträge mit unterjähriger Laufzeit sowie für einjährige Versicherungsverträge ohne Verlängerungsklausel, es sei denn, dass letztere mindestens dreimal hintereinander verlängert worden sind; – An Untervertreter abzugebende Provisionen, wenn und soweit die Untervertreter auf das ausgleichspflichtige Versicherungsunternehmen reversiert sind; – Überweisungs- und Führungsprovisionen aus Beteiligungsgeschäften sowie Maklercourtagen. Provisionen aus übertragenen Versicherungsbeständen werden nur mit einem Teil426 betrag in die Ausgleichsberechnung einbezogen. Sie werden zu 33 1/3 % einbezogen, sofern die Bestände vor mehr als zehn Jahren übertragen wurden und zu 66 2/3 %, wenn die Übertragung vor mehr als fünfzehn Jahren erfolgte und mit 100 %, falls die Übertragung vor mehr als zwanzig Jahren erfolgte. Bei der Kraftverkehrsversicherung findet eine volle Anrechnung schon nach zehn Jahren statt. Von der so ermittelten Jahresprovision sind in den verschiedenen Versicherungssparten unterschiedliche Prozentsätze zwischen 25 und 50 % in Ansatz zu bringen. Zuschüsse und sonstige zusätzliche Vergütungen des Versicherungsunternehmens, wie z.B. Bürozuschüsse, Ersatz von Porti, Telefon- und Reklameaufwendungen bleiben bei der Errechnung des Ausgleichswertes unberücksichtigt. Neu vermittelte Versicherungsverträge sind nur insoweit ausgleichsfähig, als der Vermittlungserfolg nicht bereits durch eine Einmalprovision bzw. eine erhöhte Erstprovision vergütet wurde 1976. Wurde der Vermittlungserfolg bereits vollständig vergütet, fehlt es an entgehenden Provisionen der Zukunft und damit an einer Ausgleichsberechtigung. Mangelt es an einer Honorierung des Vermittlungserfolges durch eine Einmalprovision, erfolgt die Vergütung jedoch in der Zukunft durch fortlaufende Vermittlungsprovisionen, weil es an einer Provisionsverzichtsklausel fehlt, so entsteht ebenfalls kein im Rahmen des „Ausgleichswertes“ zu berücksichtigendes Provisionsaufkommen 1977. Der Ausschluss erstjähriger Abschlussprovisionen gem. Ziffer I 1 b) aa) der Grund427 sätze-Sach erfolgt, um die Aufteilung der Folgeprovisionen in Abschluss- und Verwaltungsanteile zu vermeiden. Der Verlustberechnung sollen nur gleich hohe Folgeprovisionen zugrunde gelegt werden. Würde die erhöhte Erstprovision einbezogen, müssten auch Beträge in die Ausgleichsberechnung einbezogen werden, für die sich bei Vertragsbeendigung keine Verluste ergeben. Denn derartige erhöhte Erstprovisionen wiederholen sich nach Vertragsende nicht. Unbeachtlich ist hingegen, ob in der laufenden Inkassoprovision anteilig eine Abschlussfolgeprovision enthalten ist. Durch diese Pauschalierung soll der Streit über den Anteil werbender- oder verwaltender Provisionsteile vermieden werden 1978. Nachvertraglich entstehende Provisionsansprüche – also Überhangprovisio1975 1976

Küstner/Thume II, Rn 1906. Küstner/Thume II, Rn 1902.

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1977 1978

Küstner/Thume II, Rn 1902 f. Küstner/Thume II, Rn 1913.

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nen – sind in die Verlustberechnung nicht einzubeziehen, wie sich aus Ziffer I 1 b) aa), zweiter Hs. der Grundsätze Sach ergibt, in der es heißt, dass die Regelung des § 87 Abs. 3 unberührt bleibt 1979. Die Vertragsbeendigung führt insoweit nicht zu Provisionsverlusten 1980. Provisionen für Verträge mit unterjähriger Laufzeit sowie für einjährige Versicherungsverträge ohne Verlängerungsklausel bleiben unberücksichtigt, weil der nachvertragliche Provisionsverlust umso geringer ist, je kürzer die vereinbarte Laufzeit eines vermittelten Versicherungsvertrages bleibt 1981. Zugleich gibt die Klausel dem VV einen Anreiz, möglichst mehrjährige Versicherungsverträge zu vermitteln. Werden diese Versicherungsverträge mindestens dreimal hintereinander verlängert, wird unterstellt, dass sie wie mehrjährige Verträge behandelt werden sollen 1982. Untervertreterprovision für „unechte Untervertreter“, also solche, bei denen der Ver- 428 trag zwischen Versicherungsunternehmen und Untervertreter geschlossen wurde, wird nicht in die Ausgleichsberechnung einbezogen. Provisionen, welche der VV an echte Untervertreter, also HV, deren HV-Vertrag mit dem Hauptvertreter gezeichnet wurde, aus eigenen Provisionen zu zahlen hat, fallen nicht unter diese Regelung. Dies ist folgerichtig, weil der Hauptvertreter gegenüber dem Untervertreter entweder – bei Bestehen einer Provisionsverzichtsklausel – ausgleichspflichtig ist oder ihm Folgeprovisionen zu leisten hat 1983. Überweisungs- und Führungsprovisionen sind bei der Ausgleichsberechnung auszuklammern, da es sich hierbei ausschließlich um Verwaltungsprovisionen handelt 1984. Solche Provisionen kommen insbesondere bei der Mitversicherung vor, bei der mehrere Versicherungsunternehmen sich ein versichertes Risiko teilen und eine Versicherung die Verwaltung und Abwicklung übernimmt, die auf den VV delegiert wird 1985. Übertragene Bestände sind nicht ausgleichspflichtig, weil sie nicht vom VV geworben 429 wurden 1986. Andererseits hat der VV in dem angegebenen Zeitablauf seit der Bestandsübertragung vermehrt Arbeit mit diesem Bestand, die auch bei der Ausgleichsberechnung berücksichtigt werden soll. Gem. § 89b Abs. 5 S. 1 steht es ausgleichsrechtlich der Vermittlung eines neuen Versicherungsvertrages gleich, wenn der VV einen bestehenden Vertrag so wesentlich erweitert, dass dies wirtschaftlich der Vermittlung eines neuen Versicherungsvertrages entspricht. Der Bestand wächst dem VV allmählich zu 1987 Nach den Erfahrungen ist davon auszugehen, dass zum einen die Erhaltung eines übertragenen Bestandes erhebliche Mühe erfordert und dem Aufbau eines eigenen Kundenstammes gleichsteht. Dies ist bei der Ausgleichshöhe zu berücksichtigen. Zum anderen kann der VV gemäß § 89b Abs. 5 nach wesentlicher Erweiterung eines bestehenden – also übernommenen – Bestandsvertrages einen Ausgleich fordern. Die zeitliche Staffel der Ziffer I 2 der Grundsätze-Sach trägt dem Rechnung und benennt jeweils den Zeitraum zwischen der Bestandsübertragung und der Fälligkeit des Ausgleichsanspruchs. Die Gesamtdauer der Tätigkeit des VV ist hingegen irrelevant 1988. Umstritten ist, ob der Bestand in seinem Umfang zum Zeitpunkt der Bestandsübertragung oder bei Vertragsbeendigung anzusetzen ist. Richtig ist folgendes: Gemäß Ziffer I 1 lit a. der Grundsätze-Sach bleibt für die Ausgleichsberechnung die durchschnittliche Jahresbruttoprovision aus den letzten fünf Jahren der Tätigkeit des VV maßgeblich. Dies gilt auch bei der Bestimmung der Provisio-

1979 1980 1981 1982 1983 1984

Küstner/Thume II, Rn 1914. Küstner/Thume II, Rn 1914. Küstner/Thume II, Rn 1915. Küstner/Thume II, Rn 1915. Küstner/Thume II, Rn 1918. Küstner/Thume II, Rn 1919.

1985 1986 1987 1988

Küstner/Thume II, Rn 1919. OLG München, Urt. v. 21.12.2005 – 7 U 2941/05, VersR 2006, 1124 (1125). Küstner/Thume II, Rn 1926. Küstner/Thume II, Rn 1927.

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nen aus übertragenen Versicherungsbeständen gemäß Ziffer I 2 der Grundsätze-Sach. Allerdings wird hier nur ein bestimmter Prozentsatz der Durchschnittsprovisionen aus den letzten fünf Jahren angesetzt, nämlich zwischen 33 1/3 und 100 %. Maßgeblich sind also die Durchschnittsprovisionen des übertragenen Bestandes aus den letzten fünf Jahren. Damit kommt es weder auf den Zeitpunkt der Bestandsübertragung noch auf den Zeitpunkt des Vertragsendes an, sondern auf den Durchschnittswert. Der erhöhte Prozentsatz ist jeweils von dem maßgeblichen Datum an zu berechnen. 430 Endet der HV-Vertrag beispielsweise nach 10 1/2 Jahren sind die übertragenen Bestände des letzten halben Jahres der Vertragsdauer mit 33 1/3 % anzusetzen. Endet der Vertrag nach 15 1/2 Jahren, so sind die übertragenen Bestände fünf Jahre lang mit 33 1/3 % in die Ausgleichsberechnung einzubeziehen, für ein halbes Jahr mit 66 2/3 Prozent. Endet der HV-Vertrag sechs Monate nach Ablauf des Zwanzigjahreszeitraumes sind die Provisionszuflüsse aus den übertragenen Beständen in den letzten sechs Monaten in vollem Umfang anzusetzen 1989. Umstritten ist, ob der übertragene Bestand bei Vertragsende noch vorhanden sein muss, um in die Ausgleichsberechnung einzufließen. Beweispflichtig für ihm zum Vorteil gereichende Bestandsveränderungen ist im Grundsatz der VV. Im Einzelfall kann es zu einer Beweislastverteilung nach Gefahrensphären kommen 1990 oder ein Auskunftsrecht des VV nach § 87c oder § 242 BGB bestehen. Für eine Berücksichtigung eventueller Veränderungen spricht, dass die Pflege des Bestandes durch den VV Berücksichtigung finden sollte. Wie sehr sich der VV um den übertragenen Bestand gekümmert hat ergibt sich – auch – aus dem übergebenen Endbestand bei Vertragsende. Andererseits kann die Höhe der Provisionen aus dem Bestand durch Umstände außerhalb des Einflussbereichs des VV gemindert oder erhöht werden, etwa infolge von Indexanpassungen, Bestandsangleichungen, Bestandswegnahmen (Rn 376) u.a.1991. Der Wortlaut der Grundsätze spricht eher dafür, dass die Provisionen aus übertragenen Beständen in Höhe des maßgeblichen Prozentsatzes vollkommen einbezogen werden und nicht nur in Höhe des bei Vertragsende vorhandenen Bestandes. Auch würde das Ziel der Grundsätze, die Ausgleichsberechnung zu vereinfachen, verfehlt, wollte man nur die bei Vertragsende noch vorhandenen Bestandsprovisionen berücksichtigen. Die Gesamtprovisionen lassen sich relativ einfach errechnen. Der zusätzliche Abzugsfaktor „verlorener Bestandsteile“ würde die Ausgleichsberechnung erschweren. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass dem VV eine Kontrollrechnung nur schwer möglich ist. Die Berechnung kann meist nur durch die mit EDV ausgestattete Versicherung – oder einen Verband der VV, dann allerdings erst nach Auskunftserteilung durch den Versicherer – erfolgen. Der genannte Abzugsfaktor erschwert die Kontrolle zusätzlich. Im Ergebnis spricht viel dafür, Bestandseinbußen nicht zu Lasten des VV zu berücksichtigen. Ganz sicher gilt dies für Bestandseinbußen, für die der VV nichts kann, etwa weil der übertragene Bestand überaltert ist oder infolge eines Maklereinbruchs reduziert wird 1992.

431

bb) Beweislast. Der VV muss beweisen, dass: – Versicherungsverträge von ihm geworben wurden, d.h. der Bestand durch ihn aufgebaut wurde 1993; – der Bestand bei Vertragsende noch vorhanden ist, sowie – die Höhe des übergebenen Bestandes 1994.

1989 1990 1991

Küstner/Thume II, Rn 1934. Küstner/Thume II, Rn 1945. Küstner/Thume II, Rn 1940.

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1992 1993 1994

Küstner/Thume II, Rn 1943. Küstner/Thume II, Rn 1944. Küstner/Thume II, Rn 1945.

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cc) Prozentsatzberechnung nach Sparten. Von dem gemäß den eben dargestellten 432 Maßstäben berechneten Provisionsaufkommen ist nach den unterschiedlichen Versicherungssparten ein differierender Prozentsatz in die Ausgleichsberechnung einzubeziehen, nämlich zwischen 25 % in der Einheitsversicherung und 50 % in der Sach-, Haftpflicht-, Unfall- und Rechtsschutzversicherung. Der Ausgleichsanspruch des VV soll Provisionsverluste aus nachvertraglichen Provisionen ausgleichen. Sind in bestimmten Sparten die Verträge sehr langlebig, entstehen höhere Provisionsverluste. Die maßgeblichen Prozentsätze von 50, 35 und 25 % für die unterschiedlichen Sparten beruhen einerseits auf Erfahrungswerten hinsichtlich der Bestandsfestigkeit und andererseits auf der unterschiedlichen Aufteilung werbender und verwaltender Provisionsanteile in den verschiedenen Sparten 1995. dd) Nichtberücksichtigung von Zuschüssen und zusätzlichen Vergütungen des Ver- 433 sicherungsunternehmens. Gemäß der Ziffer I 4 der Grundsätze-Sach sind Zuschüsse und sonstige zusätzliche Vergütungen des Versicherungsunternehmens, wie z.B. Bürozuschüsse, Ersatz von Porti, Telefon- und Reklameaufwendungen bei der Errechnung des Ausgleichswertes nicht zu berücksichtigen. Gemeint sind Zuschüsse, die ergänzend zur Provision gezahlt werden. Bei diesen Vergütungen handelt es sich um zusätzliche Vergütungen, weil sie über die eigentliche Vermittlungs- und Abschlussprovision hinaus gezahlt werden, ohne im Zusammenhang mit einem bestimmten Tätigkeitserfolg zu stehen 1996. Von der Provision selbst darf kein Abzug effektiver „Zuschussanteile“ der Gesamtprovision vorgenommen werden. Anderenfalls besteht die Gefahr der Auslagerung werbender Provisionsanteile in Zuschüsse und der Vereinfachungsgedanke der Berechnung nach den Grundsätzen würde verfehlt. Eine solche Verlagerung kann zudem § 89b Abs. 4 widersprechen. Beweispflichtig für das Fehlen des Zuschusscharakters ist der Unternehmer, der die Aufteilung der Provisionen vornimmt und über Erfahrungswerte verfügen muss 1997. Zuschüsse im vorgenannten Sinne sind: – Einarbeitungs- und Aufbauzuschüsse, insbesondere in der Anfangstätigkeit des VV, in der häufig noch keine Provisionen verdient werden 1998. Hingegen handelt es sich bei den „Zuschüssen“ in Wahrheit um ausgleichsfähige Provisionen, wenn sie Entgeltcharakter in Hinblick auf den Vermittlungserfolg haben 1999. Der BGH hat in seinem Urteil vom 15.02.1965 2000 ein Fixum bei der Ermittlung der Provisionsverluste nach § 89b Abs. 1 Nr. 2 in die Ausgleichsberechnung einbezogen, weil dieses Fixum als Gegenleistung für Geschäfte mit den vom HV geworbenen Kunden anzusehen war. – Überbrückungszuschüsse beim Übergang von der Angestelltentätigkeit zu der eines HV 2001. – Einarbeitungs- und Aufbauzuschüsse 2002. ee) Abzinsung. Eine Abzinsung 2003 des nach den Grundsätzen berechneten Aus- 434 gleichsanspruchs kommt nicht in Betracht. Die Kompromissfassung der Grundsätze sieht 1995

2001

1996

2002

Küstner/Thume II, Rn 1960. Küstner/Thume II, Rn 1966. 1997 Giesler/Emde Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 704 ff. 1998 Küstner/Thume II, Rn 1964. 1999 Küstner/Thume II, Rn 1967. 2000 VII ZR 1994/63, BGHZ 43, 154 = NJW 1965, 1134.

Küstner/Thume II, Rn 1965. Küstner/Thume II, Rn 1966. 2003 Zur Abzinsung generell: Giesler/Emde Praxishandbuch Vertriebsrecht, 2005, § 2 Rn 1043 ff.

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eine solche Abzinsung nicht vor. Es kann als sicher angesehen werden, dass sie ein Abzinsungserfordernis bestimmt hätte, sofern es die beteiligten Verbände für richtig gehalten hätten 2004. Wollte man im Wege der „ergänzenden Vertragsauslegung“ ein Abzinsungserfordernis hinzudenken, wäre weiteren Ergänzungen Tür und Tor geöffnet, ohne dass eine Grenze ersichtlich wäre. Es liegt keine Lücke vor, die durch eine ergänzende Vertragsauslegung zu schließen wäre.

435

ff) Multiplikatoren (Ziff. II der Grundsätze-Sach). Der nach Ziffer I errechnete Ausgleichswert ist in verschiedenen Versicherungssparten mit bestimmten Multiplikatoren zu multiplizieren. Der Wortlaut der Grundsätze sieht unterschiedliche Multiplikatoren für den Tod des VV und den Erlebensfall vor. Durch Schreiben des Gesamtverbandes vom 06.04.1995 haben jedoch der GDV und BVK gemeinsam die Auffassung vertreten, dass es sachlich gerechtfertigt sei, wenn beim Tod des VV bzw. im Erbfall bei der Berechnung des Ausgleichsanspruchs die Multiplikatoren für den Erlebensfalls zugrunde gelegt werden. Dieses Verständnis steht allein im Einklang mit der vollen Vererbbarkeit des Ausgleichsanspruchs. Zudem wird im Rundschreiben des Gesamtverbandes vom 14.11.1972, Ziff. 1, empfohlen zu prüfen, inwieweit eine Erhöhung des Multiplikators bei einer Tätigkeitsdauer bis zu einschließlich vier Jahren bzw. einer Tätigkeitsdauer vom beginnenden fünften Jahr an bis zum neunten Jahr in Betracht kommen kann, um Ungerechtigkeiten bei kurzer Vertragsdauer entgegenzuwirken. Im Schreiben des GDV vom 14.11. 1972 wird es in Ziffer 3 ferner für richtig gehalten, eine Tätigkeit des VV für das ausgleichsverpflichtete Unternehmen als Angestellter im Versicherungsaußendienst bei Anwendung der Multiplikatorenstaffel unter Ziffer II mit zu berücksichtigen 2005. Den Anwendungsbereich dieses Schreibens wird man auf die Tätigkeit des späteren VV als einziger Außendienstmitarbeiter einer Einfirmen-Generalagentur des Versicherungsunternehmens (mittelbare Tätigkeit für das Unternehmen) ausdehnen dürfen. Probleme entstehen ferner, wenn Bestände infolge des Rechtsformwechsels eines HV-Vertrages in eine Gesellschaft eingebracht werden 2006. Es stellt sich die Frage, welche Multiplikatoren für die Vertragsdauer angewandt werden. Dies hängt davon ab, ob der vom Einzelkaufmann begonnene Vertrag durch die Gesellschaft fortgeführt wird. Die in Ziffer II 2 im Bereich der Kraftfahrzeugversicherung niedergelegten Höchst436 beträge bezüglich der Multiplikatorenstaffel sind infolge der Aufhebung der Tarifverordnung vom 20.11.1967 im Jahre 1994 gegenstandslos geworden. Die 2/8-, 3/8- und 4/8Regelung sowie die Ausklammerung der zusätzlichen Verwaltungsentgelte wurden also bedeutungslos 2007. b) Die „Grundsätze-Leben“

437

aa) Systematik. Die Präambel der Grundsätze-Leben entspricht im Wesentlichen der der Grundsätze-Sach. Die Berechnung des Ausgleichsanspruchs ist vorwiegend in den Ziffern I bis III der Grundsätze-Leben geregelt. Ziffer I bestimmt, welche Provisionen ausgleichspflichtig sind. Ziffer II regelt die Errechnung des Rohausgleichs und enthält damit den Kern der Ausgleichsberechnung. Ziffer III bestimmt, dass die Höhe des Ausgleichsanspruchs insgesamt eine Dreijahresprovision oder Jahresvergütung nicht übersteigen darf (Ausgleichshöchstgrenze).

2004 2005

Küstner/Thume II, Rn 1973. Küstner/Thume II, Rn 1980.

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2006 2007

Küstner/Thume II, Rn 1886 ff. Küstner/Thume II, Rn 1976.

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Gemäß Ziffer I der Grundsätze Leben gelten die Grundsätze nur für dynamische 438 Lebensversicherungen. Hierbei handelt es sich um solche Versicherungen, deren Bedingungen ein Anwachsen von Beitrag und Leistung in regelmäßigen Zeitabständen von Anbeginn oder aufgrund einer späteren, vom VV bewirkten Vereinbarung vorsehen. Ausgleichspflichtig wird die Dynamisierung aber nur, soweit der VV diese Versicherung selbst vermittelt hat, bei der Beendigung des VV-Vertrages die Voraussetzungen für künftige Erhöhungen erfüllt sind und die Versicherung zum letzten Erhöhungszeitpunkt tatsächlich angepasst worden ist. Die Ausgleichszahlung setzt voraus, dass der VV während der Dauer des VV-Vertrages bei Erhöhung dynamischer Lebensversicherungen jeweils einen vertraglichen Anspruch auf eine zusätzliche Vermittlungsprovision hätte. Eine Ausgleichszahlung entfällt, wenn der VV beim Abschluss der dynamischen Lebensversicherungen eine entsprechend erhöhte Erstprovision erhalten hat, durch die der in künftigen Erhöhungen fortwirkende Vermittlungserfolg vereinbarungsgemäß bereits voll abgegolten worden ist. Für dynamische Gruppenversicherungen, Gruppenversicherungen mit Andienungspflicht und dynamische Risikoversicherungen gelten die Grundsätze nicht. Auch alle übrigen Lebensversicherungen fallen nicht unter die Grundsätze. Gemäß Ziffer II der Grundsätze werden Versicherungen mit dynamischen Lebensver- 439 sicherungen gemäß Ziffer I mit drei Faktoren multipliziert. Den ersten Faktor bildet der mit dem VV für Erhöhungen von dynamischen Lebensversicherungen vereinbarte Provisionssatz. Der zweite Faktor wird in den Grundsätzen bestimmt. Der dritte Faktor ist bei einer Tätigkeit des VV bis zum neunten Jahr 1, ab dem zehnten Jahr 1,25 und ab dem zwanzigsten Jahr 1,5. Ziffer IV bestimmt, dass auch Erben des VV anspruchsberechtigt sind. Ziffer V regelt die Berücksichtigung der Alters- und Hinterbliebenenversorgung in der von den Grundsätzen-Sach bekannten Weise. Ziffer VI gibt das Recht auf Anrufung einer Gutachterstelle. Ziffer VII regelt wie bei den Grundsätzen Sach die Ausspannung von Versicherungsverträgen. bb) Zweck der Grundsätze. Die Grundsätze-Leben haben die Ausnahmerecht- 440 sprechung des BGH 2008 in die Ausgleichsberechnung standardisierende Grundsätze übertragen. Nach dieser Rechtsprechung steht dem VV ein Ausgleichsanspruch für nachvertragliche Ergänzungs- und Nachtragsverträge zu, die aus den Ursprungsverträgen hervorgegangen sind, sofern sich die Ergänzungs- und Nachtragsverträge bei natürlicher Betrachtungsweise als Fortsetzung oder Erweiterung des Ursprungsvertrages darstellen und mit ihm in einem engen wirtschaftlichen Zusammenhang stehen, d.h. das gleiche, also identische Versicherungsbedürfnis betreffen, welches dem Ursprungsvertrag zugrunde lag (Rn 404 ff). Typischerweise war bei Lebensversicherungsverträgen außerhalb der Ausnahmerechtsprechung ein Ausgleichsanspruch ausgeschlossen, weil es selbst bei Vereinbarung einer Provisionsverzichtklausel keine entgehenden nachvertraglichen Provisionen gab. Denn in der Lebensversicherung wurde der Vermittlungserfolg des VV regelmäßig durch Einmalprovisionen vergütet 2009. Die Umsetzung dieser Ausnahmerechtsprechung ist allerdings nicht vollkommen geglückt. Denn die Grundsätze gelten nicht für alle Lebensversicherungen, bei denen die Ausnahmerechtsprechung zu einem Provisionsverlust führen kann, sondern lediglich für dynamische Lebensversicherungen (Ziffer I). Im Bereich anderer Lebensversicherungen ist also entweder eine analoge Anwendung der Grundsätze angezeigt oder eine Ausgleichsberechnung unmittelbar auf

2008

BGH, Urt. v. 23.02.1961 – VII ZR 237/59, BGHZ 34, 310.

2009

Küstner/Thume II, Rn 1987.

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der Basis des § 89b, sofern die Voraussetzungen der Ausnahmerechtsprechung greifen und eine Provisionsverzichtsklausel existiert. Die analoge Anwendung wird auch deshalb nahe liegen, weil es in Ziffer I Nr. 2 S. 2 heißt, dass dann, wenn für dynamische Gruppen- und Risikoversicherungen und Gruppenversicherungen mit Andienungspflicht ein Ausgleichsanspruch erhoben wird, die Gutachterstelle gemäß Ziffer VI der GrundsätzeLeben angerufen werden kann, um eine Regelung nach billigem Ermessen zu erreichen. Die Grundsätze gehen also selbst von einer Ausgleichsberechtigung in anderen Fällen aus.

441

cc) Geltungsbereich (Ziff. I der Grundsätze-Leben). Der Geltungsbereich wird in den Grundsätzen definiert. Unmittelbar sind die Grundsätze nur in diesem Geltungsbereich anwendbar. Als „antizipiertes Sachverständigengutachten“ können sie möglicherweise auch im Bereich anderer Lebensversicherungen von den Gerichten entsprechend angewandt werden, nämlich als Schätzgrundlage. Das ist wie ausgeführt immer dann der Fall, wenn bei solchen Versicherungen die Voraussetzungen der Ausnahmerechtsprechung vorliegen. Ausgeschlossen ist die Anwendung der Grundsätze insbesondere, sofern der VV eine erhöhte Erstprovision erhalten hat 2010. Die Grundsätze Leben verzichten – anders als die übrigen Grundsätze – auf die Be442 stimmung von Multiplikatoren in Ziff. II. Ziff. I bestimmt den Geltungsbereich. Ziff. II enthält die Berechnung des Rohausgleichs, Ziff. III regelt die Ausgleichshöchstgrenze.

443

dd) Geltungsbereich (Ziff. I). Gemäß Ziff. I.1 gelten die Grundsätze nur für dynamische Lebensversicherungen. Dynamische Lebensversicherungen i.S.d. Grundsätze sind Lebensversicherungen, deren Versicherungsbedingungen ein Anwachsen von Beitrag und Leistung in regelmäßigem Zeitabstand von Anbeginn oder aufgrund einer späteren, vom VV bewirkten Vereinbarung vorsehen, soweit der VV diese Versicherungen selbst vermittelt hat, sie bei der Beendigung des VV-Vertrages die Voraussetzungen für künftige Erhöhungen erfüllen und zum letzten Erhöhungszeitpunkt tatsächlich angepasst worden sind. Eine Ausgleichszahlung setzt voraus, dass der VV während der Dauer des VV-Vertrages bei Erhöhung dynamischer Lebensversicherungen einen Anspruch auf zusätzliche Vermittlungsprovision hat. Eine Ausgleichszahlung entfällt, wenn der VV beim Abschluss der dynamischen Lebensversicherung eine entsprechend erhöhte Erstprovision erhalten hat, durch die der in künftigen Erhöhungen fortwirkende Vermittlungserfolg vereinbarungsgemäß bereits voll abgegolten worden ist. Gemäß Ziffer I.2 gelten die Grundsätze nicht für dynamische Gruppenversicherungen, Gruppenversicherungen mit Andienungspflicht und dynamische Risikoversicherungen. Falls für derartige Lebensversicherungen ein Ausgleichsanspruch erhoben wird, kann die Gutachterstelle gemäß Ziffer VI der Grundsätze Leben angerufen werden, um eine Regelung nach billigem Ermessen zu treffen. Alle übrigen Lebensversicherungen fallen nicht unter die Grundsätze (Ziffer I 3).

444

ee) Die Bestimmung des Rohausgleichs (Ziff. II). Ausgangsbasis des Rohausgleichs sind die Versicherungssummen der dynamischen Lebensversicherungen, welche in Ziff. I. genannt sind. Maßgebend ist die Versicherungssumme zur Zeit der Beendigung des Vertretervertrages. Die Summe der so ermittelten Versicherungen wird mit bestimmten Faktoren multipliziert. Der erste Faktor ist der mit dem VV für Erhöhungen von dynami-

2010

Vgl. Küstner/Thume II, Rn 1997.

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schen Lebensversicherungen vereinbarte Provisionsersatz. Der zweite Faktor beträgt je nach dem Jahr, in dem der VV-Vertrag beendet wurde: 1975 0,11 1976 0,10 1977 0,09 1978 0,09 1979 0,09 1980 ff 0,08 Praktisch ist nur noch der Faktor für die Jahre seit 1980, also 0,08. Mit diesem Fak- 445 tor wird die verbleibende Laufzeit der dynamischen Lebensversicherungsverträge nach der Beendigung des Vertretervertrages und der geschätzte Umfang der Erhöhung berücksichtigt, der stets von den Umständen abhängt, die von den Beteiligten nicht beeinflusst werden können 2011. Bei der Bestimmung dieses Faktors sollen die Lebensversicherer von einer durchschnittlichen Anpassungsquote von 90 % ausgegangen sein, wobei Storno, Rückkauf und vorzeitiger Verfall mit je 1,5 des Bestands berücksichtigt wurden 2012. Ein Zustand, der mit dem Faktor 0,08 bewertet werden kann, tritt statistisch besehen ein, wenn sich die Zahl der Zu- und Abgänge von dynamischen Lebensversicherungen deckt 2013. Langjährig tätige VV erhalten zudem eine Belohnung für ihre Vertragstreue. Unter 446 dem Gesichtspunkt der Billigkeit wird der Ausgleichswert mit einem dritten Faktor multipliziert. Bei einer Tätigkeit bis zum neunten Jahr einschließlich beträgt er 1, ab dem zehnten Jahr 1,25 und ab dem 20. Jahr 1,5. Unter Ziff. II wird geregelt, dass bei der Berechnung der Tätigkeitsdauer geprüft werden sollte, ob eine vorausgegangene und ununterbrochene Tätigkeit als Angestellter im Außendienst mitberücksichtigt werden kann. Eine Tätigkeit als nebenberuflicher VV soll hingegen unberücksichtigt bleiben. Die Differenzierung wird nicht auf dem ersten Blick verständlich. Die Grundsätze rücken insoweit von dem Prinzip ab, dass ein Ausgleich nur für die HV-Tätigkeit selbst gezahlt wird, nicht hingegen für die Tätigkeit als Angestellter. Für die Errechnung des Provisionssatzes ist nur der für die Erfüllung maßgebliche Provisionssatz einzubeziehen 2014. Das Ergebnis ist die Ausgleichszahlung in Euro. Gemäß Ziff. III der Grundsätze darf 447 die Höhe des Ausgleichsanspruchs insgesamt drei Jahresprovisionen oder Jahresvergütungen nicht übersteigen. Dies entspricht § 89b Abs. 5. c) Die Grundsätze Kranken. Die Grundsätze Kranken gelten seit dem 1. November 448 1976. Auch im Krankenversicherungsbereich erfolgt die Vergütung der VV üblicherweise in Form von Einmalprovisionen. Dies schließt grundsätzlich einen Ausgleichsanspruch aus 2015. Ziff. I der Grundsätze Kranken regelt den Geltungsbereich. Gemäß Ziff. II wird die Höhe der Ausgleichszahlung bestimmt. Ziff. III begrenzt den Ausgleichsanspruch im Einklang mit § 89b Abs. 5 auf insgesamt drei Jahresprovisionen oder Jahresvergütungen. aa) Ziff. I: Geltungsbereich. Gemäß Ziff. I gelten die Grundsätze Kranken nur für 449 Aufstockungsfälle in der privaten Krankenversicherung. Ein Aufstockungsfall ist die

2011 2012 2013

Küstner/Thume II, Rn 2001. Küstner/Thume II, Rn 2002. Küstner/Thume II, Rn 2002.

2014 2015

Küstner/Thume II, Rn 2000. Küstner/Thume II, Rn 2011.

Raimond Emde

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§ 89b

1. Buch. Handelsstand

unter Einschaltung eines Vermittlers erfolgte Erhöhung des für eine Person und das gleiche Risiko bestehenden Versicherungsschutzes, die über die Wiederherstellung des bisherigen Verhältnisses zwischen den gestiegenen Heilbehandlungskosten und den Versicherungsleistungen bzw. zwischen dem durchschnittlichen Entgelt und dem Krankenhaustagegeld hinausgeht. Nicht erfasst werden damit von den Grundsätzen: 450 – die Abwicklung zusätzlicher Risiken durch Erweiterung eines Krankenversicherungsvertrages. Sie fallen nicht unter die Ausnahmerechtsprechung des BGH vom 23. Februar 1961 und vom 6. Juni 1972, weil es sich um Versicherungsverträge handelt, die neue Risiken betreffen 2016. Auch wird nicht das gleiche Versicherungsbedürfnis befriedigt. Der neue Vertrag versteht sich damit bei natürlicher Betrachtungsweise lediglich als Fortsetzung oder Erweiterung des Ursprungsvertrages 2017. – Beitragsanpassungsklauseln: Beitragsanpassungsklauseln sind Indexklauseln, die einen stabilen Versicherungsschutz sicherstellen. Es handelt sich um eine Anpassung des vom Versicherungsnehmer zu leistenden Entgelts für Veränderungen der Heilbehandlungskosten 2018. Die Möglichkeit einer Anpassung ergibt sich, wenn der tatsächliche den kalkulierten Schadensaufwand des Krankenversicherungsvertrages um einen bestimmten Prozentsatz übersteigt 2019. Die Beitragsanpassungsklausel behandelt also keine Erweiterung des eigentlichen Vertragsvolumens, sondern passt das Leistungsversprechen des Versicherungsnehmers lediglich den gestiegenen Kosten an. Von Dynamisierungsklauseln unterscheiden sie sich, indem die Dynamisierungsklausel den Versicherungsschutz erhöht, während durch Beitragsanpassungsklauseln der vereinbarte Versicherungsschutz sichergestellt wird, ohne dass eine Vertragserweiterung vorliegt 2020. Für den Versicherer kommt es zu keiner Verbesserung des Versicherungsschutzes. Die Beitragsanpassungsklausel hat auch keine provisionsrechtlichen Konsequenzen 2021. – Leistungsanpassungsklausel: Sie sollen die ursprüngliche Relation zwischen dem Bedarf des Versicherungsnehmers einerseits und der Bedarfsdeckung des Versicherungsunternehmens andererseits wiederherstellen, falls diese Relation durch steigende Heilbehandlungskosten verloren geht. Die Leistungsanpassungsklauseln geben dem Versicherungsunternehmen das Recht, gegen Erhebung entsprechender Mehrprämien die für die vereinbarten Leistungen geltenden Höchstgrenzen bezüglich der zu erbringenden Leistung anzuheben. Auf diese Weise soll die bei Abschluss des Versicherungsvertrages bestehende Relation zwischen entstehenden Kosten und zu erbringenden Leistungen wiederhergestellt werden 2022. Im Gegensatz zu Verträgen mit Beitragsanpassungsklauseln kann der Versicherungsnehmer, wenn das Versicherungsunternehmen von einer Leistungsanpassungsklausel Gebrauch macht, verlangen, die Anpassung ganz oder teilweise rückgängig zu machen. Bei der Beitragsanpassungsklausel besteht ein solches Anspruchsrecht des Versicherungsnehmers nicht 2023. Leistungsanpassungsklauseln fallen nicht unter die Ausnahmerechtsprechung des BGH. Sie führen zu keinem Provisionsanspruch des VV 2024. Folglich kommt es auch zu keinem Provisionsverlust bei Vertragsende 2025.

2016

2021

2017

2022

Küstner/Thume II, Rn 2014. Küstner/Thume II, Rn 2014. 2018 Küstner/Thume II, Rn 2015. 2019 Küstner/Thume II, Rn 2015. 2020 Küstner/Thume II, Rn 2017.

1120

Küstner/Thume II, Rn 2017. Küstner/Thume II, Rn 2019. 2023 Küstner/Thume II, Rn 2019. 2024 Küstner/Thume II, Rn 2020. 2025 Küstner/Thume II, Rn 2020.

Raimond Emde

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 89b

– Die Einbeziehung weiterer Personen: Bei Ausdehnung des Krankenversicherungsvertrages auf weitere Familienangehörige fehlt ebenfalls ein enger wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen dem Ursprungsvertrag und dem Folgevertrag. Beide Verträge betreffen nicht das gleiche Versicherungsbedürfnis 2026. Die Einbeziehung einer weiteren Person fällt nicht unter das gleiche Versicherungsbedürfnis 2027. Enthält der Krankenversicherungsvertrag weder eine Beitrags- noch eine Leistungs- 451 anpassungsklausel, kann eine Anpassung des Versicherungsvertrages an eine eingetretene Kostensteigerung nur durch eine Aufstockung erfolgen 2028. Denkbar sind sowohl eine Höherstufung in dem bisher verwendeten Tarif oder die Umstufung in Tarife, die höhere Leistungen vorsehen 2029. Derartige Aufstockungen sind provisionspflichtig 2030. Die Ausgleichspflichtigkeit ergibt sich aus der Ausnahmerechtsprechung des BGH (Rn 404 ff): Es handelt sich bei der Aufstockung um eine zusätzliche ergänzende Versicherung des gleichen Risikos, die in einem engen wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Ursprungsvertrag steht, aus diesem Ursprungsvertrag hervorgegangen ist, das gleiche Versicherungsbedürfnis betrifft und sich bei natürlicher Betrachtungsweise lediglich als Erweiterung des Ursprungsvertrages darstellt 2031. Die nach Vertragsende vorgenommene Aufstockung erfordert regelmäßig Vermittlungsbemühungen des Vertreternachfolgers. Wie ausgeführt genügt Mitursächlichkeit des ausgeschiedenen VV, um eine ausgleichspflichtige Tätigkeit des VV anzunehmen 2032. Ziff. I der Grundsätze fingiert, dass die Tätigkeit des ausgeschiedenen VV, der den betreffenden Vertrag vermittelt hat, im Lichte der Bemühungen des neuen VV i.d.R. nur als begrenzt mitursächlich für den neuen Versicherungsschutz angesehen wird. Da jedoch Mitursächlichkeit des ausgeschiedenen VV für seine Ausgleichsberechtigung genügt, wäre selbst eine begrenzte Mitursächlichkeit ausreichend, um den Ausgleichsanspruch des ausgeschiedenen VV zu begründen. bb) Ziff. II: Errechnung der Ausgleichszahlung. Die in Ziff. II festgelegten vier Fak- 452 toren berücksichtigen die Bestandszusammensetzung, den Umfang der darin enthaltenen Aufstockungsfälle und den Grad der Mitursächlichkeit des ausgeschiedenen VV in Hinblick auf die ausgleichsrelevanten Aufstockungsfälle 2033. Zur Errechnung der Ausgleichszahlung wird von der durchschnittlichen selbst vermittelten Gesamtjahresproduktion in Monatsbeiträgen ausgegangen, wobei die letzten fünf Jahre, und bei kürzerer Vertretertätigkeit dieser kürzere Zeitraum, zugrunde gelegt werden. Der Betrag der somit ermittelten durchschnittlichen Gesamtjahresproduktion aus dem Bestand wird mit bestimmten Faktoren multipliziert. Der erste Faktor ist der mit dem VV für Geschäft aus dem Bestand während seiner Tätigkeit vereinbarte Provisionssatz. Der zweite Faktor berücksichtigt die Bestandszusammensetzung und damit die möglichen Auswirkungsfälle, die für einen Ausgleichsanspruch in Betracht kommen. Der Faktor beträgt 0,2. Der dritte Faktor bemisst die Mitursächlichkeit der Tätigkeit des ausgeschiedenen VV für eine spätere Aufstockung. Er lautet 0,4. Unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit wird die langjährige Vertragstreue des VV mit einem vierten Faktor belohnt, allerdings nur für VV, die in der Krankenversicherung ausschließlich für ein Unternehmen tätig waren. Der Faktor 4 beträgt

2026

2030

2027

2031

Küstner/Thume II, Rn 2021. Küstner/Thume II, Rn 2021. 2028 Küstner/Thume II, Rn 2023. 2029 Küstner/Thume II, Rn 2023.

Küstner/Thume II, Rn 2024. Küstner/Thume II, Rn 2023. 2032 Küstner/Thume II, Rn 2025. 2033 Küstner/Thume II, Rn 2028.

Raimond Emde

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§ 89b – – – – – –

1. Buch. Handelsstand

im 1. bis 3. Jahr = 0,7 im 4. bis 6. Jahr = 1,0 im 7. bis 9. Jahr = 1,6 im 10. bis 12. Jahr = 2,5 im 13. bis 15. Jahr = 3,5 ab dem 16. Jahr = 4,0. Das Ergebnis ist der Ausgleich in Euro.

453

cc) Berechnungsbeispiel. Nach 20-jähriger Vertragsdauer wird der Vertrag mit einem Krankenversicherungsvertreter beendet. Die durchschnittliche, aus den letzten Vertragsjahren berechnete Jahresproduktion belief sich auf EUR 12.000 in Monatsbeiträgen. Die Monatsproduktion erreichte also durchschnittlich EUR 1.000. Die Provision betrug fünf Monatsbeiträge. Der Ausgleichsanspruch errechnet sich wie folgt: a) Faktor 1 = 5,0 × EUR 12.000,00 = EUR 60.000,00 b) Faktor 2 = 0,2 × EUR 60.000,00 = EUR 12.000,00 c) Faktor 3 = 0,4 × EUR 12.000,00 = EUR 4.800,00 d) Faktor 4 = bei mehr als 16-jähriger Vertragsdauer = 4 × 4.800,00 EUR = EUR 19.200,00 Der Ausgleichsanspruch beträgt EUR 19.200,00 2034.

454

d) Grundsätze im Bausparbereich. Die Grundsätze im Bausparbereich gelten seit dem 1. Oktober 1984 (Ziff. IX der Grundsätze). Gerade im Bausparbereich wurde die Frage der Vertragserweiterungen und Summenerhöhungen fast immer streitig 2035. Ihr Aufbau gleicht den seit 1996 geltenden Grundsätzen für Finanzdienstleistungen. Ziff. I der Grundsätze im Bausparbereich bestimmt den Ausgleichswert, der die Bemessungsgrundlage der Ausgleichsberechnung regelt. Ziff. II nennt die Multiplikatoren, mit denen der Ausgleichswert der Ziff. I zu multiplizieren ist. Ziff. III der Grundsätze bezeichnet einen Treuebonus für langjährige Tätigkeit des VV, der allerdings nur zugunsten hauptberuflicher VV eingreift.

455

aa) Ziff. I: Ausgleichswert. Gemäß Ziff. I 1 ist der Bemessungsgrundlage der Ausgleichsberechnung die durchschnittliche Jahresprovision der letzten vier Jahre aus dem eingelösten Geschäft abzüglich etwa vereinbarter Verwaltungsprovision und abzüglich etwa nicht verdienter Einarbeitungsprovision bzw. Garantieprovision. Einarbeitungsprovisionen sind Zahlungen, denen nicht in gleicher Höhe Provisionsansprüche aus vermittelten Verträgen gegenüberstehen 2036. Maßgeblich ist die Jahresprovision der letzten vier Vertragsjahre, also nicht Kalenderjahre 2037. Bei kürzerer Tätigkeit ist der Durchschnitt aus diesem Zeitraum maßgeblich. Als Verwaltungsprovisionen gelten Vergütungen, welche der VV für das Neugeschäft von Vermittlern erhält, die dem VV nicht organisatorisch zugeordnet sind oder zu deren Vermittlung er akquisitorisch nicht beiträgt. Diese Definition der Verwaltungsprovisionen lässt offen, ob sie abschließend ist oder ob auch andere, nach allgemeinen Maßstäben als Verwaltungsprovisionen anerkannte Provisionen abzuziehen sind. Für den Abzug anderer Provisionen spricht die Einheitlichkeit

2034 2035

Küstner/Thume II, Rn 2033. Küstner/Thume II, Rn 1846.

1122

2036 2037

Küstner/Thume II, Rn 2037. Küstner/Thume II, Rn 2036.

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§ 89b

des HV-Rechts. Gegen den Abzug streitet der Vereinfachungsgedanke der Grundsätze. Die Grundsätze sollen die Ausgleichsberechnung gerade von der schwierigen Abgrenzung zwischen werbenden und verwaltenden Provisionen befreien. Es darf daher von dem abschließenden Charakter der Definition ausgegangen werden 2038. Gemäß Ziff. I 2. der Grundsätze sind diejenigen Folgeverträge auszugleichen, bei 456 denen derselbe VV einen Erst(vor-)vertrag vermittelt hat und die mit dem Erst(vor-)vertrag in einem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen und demselben Bausparbedürfnis dienen. Um schwierige und zeitraubende Einzelermittlungen zu vermeiden, wird der Anteil des ausgleichspflichtigen Folgegeschäfts mit einem Mittelsatz von 20,25 % des Ausgangswertes nach Ziff. I 1 pauschal festgelegt. Die Bestimmung dieses Mittelsatzes resultiert aus Ermittlungen bei öffentlichen und privaten Bausparkassen 2039. Dabei ergab sich, dass das Gesamtfolgegeschäft rund 45 % beträgt, und das darin ausgleichsfähiges Folgegeschäft mit 20,25 % enthalten ist. Der Mittelsatz von 20,25 % bildet eine feste Berechnungsgröße. Sie kann nicht unter Billigkeitsgesichtspunkten herauf- oder herabgesetzt werden 2040. Insbesondere bei kurzzeitig tätigen VV übersteigt dieser Satz in aller Regel den Satz des wirklichen ausgleichspflichtigen Folgegeschäfts erheblich. Um gleichwohl einen einheitlichen Mittelsatz für alle VV anwenden zu können, setzen die höheren Multiplikatoren der Ziff. II erst nach längerer Tätigkeitsdauer ein und bleiben in den ersten drei Jahren unter dem Faktor 1. Diese Ausgleichsberechnung gilt auch für wesentliche Teilgebietskündigungen (Be- 457 zirks- oder Bestandsverkleinerung), wobei die spätere Berücksichtigung einer Alters- oder Hinterbliebenenversorgung unberührt bleibt. Damit erkennen die Grundsätze im Bausparbereich die Ausgleichsberechtigung bei Bezirks- und Bestandsverkleinerung und Teilkündigungen an. Eine Berücksichtigung von Billigkeitsgesichtspunkten ist wie bei jeder Ausgleichsberechnung zulässig 2041. bb) Multiplikatoren (Ziff. II). Der nach Ziff. I errechnete Ausgleich soll unter dem 458 Gesichtspunkt der Billigkeit entsprechend der Dauer der hauptberuflichen selbstständigen Tätigkeit des VV für das Bausparunternehmen mit folgenden Faktoren multipliziert werden: Tätigkeitsdauer Multiplikator ab dem 1. Jahr 0,20 ab 2 Jahren 0,40 ab 3 Jahren 0,70 ab 4 Jahren 1,00 ab 5 Jahren 1,30 ab 6 Jahren 1,60 ab 7 Jahren 1,90 ab 8 Jahren 2,20 ab 9 Jahren 2,50 ab 10 Jahren 3,00 ab 12 Jahren 4,00

2038

So wohl auch Küstner/Thume II, Rn 2038. 2039 Küstner/Thume II, Rn 2040.

2040 2041

Küstner/Thume II, Rn 2040. Küstner/Thume II, Rn 2040.

Raimond Emde

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§ 89b

1. Buch. Handelsstand

459

Durch diese Multiplikatorenstaffel wird der Vertragsdauer einerseits und dem mit längerer Vertragsdauer allmählich umfangreicher werdenden Folgegeschäft Rechnung getragen 2042. Die bei kurzer Vertragsdauer geringen Multiplikatoren sollen ein Äquivalent für den relativ hohen Bewertungsfaktor des ausgleichspflichtigen Folgegeschäfts bilden (s.o.).

460

cc) Ziff. III: Treuebonus. Ab einer Dauer des hauptberuflichen VV-Vertrages von 15 Jahren erhält der VV bei seinem Ausscheiden neben dem Ausgleichsanspruch einen Treuebonus. Dieser beträgt 10,125 % der gemäß Ziff. I 1 ermittelten Bemessungsgrundlage und verdoppelt sich gemäß Ziff. II auf 20,25 % bei einem hauptberuflichen HV-Verhältnis von 19 Jahren bei derselben Bausparkasse. Vorausgesetzt wird lediglich, dass sich die Tätigkeit auf die gleiche Bausparkasse bezieht. Der Treuebonus honoriert also die Unternehmenstreue 2043. Veränderungen hinsichtlich des zu bearbeitenden Bezirks oder der zu betreuenden Kunden sind also irrelevant. Der Treuebonus knüpft allein an die Länge des HV-Vertrages und nicht an die Kundenzahl an. Wird der Bezirk während des Vertrages verkleinert, ist für den Treuebonus gleichwohl die gesamte Vertragsdauer zugrunde zu legen 2044. Der Treuebonus ist zusätzlich zu dem nach Multiplikation mit den Multiplikatoren errechneten „Grundausgleich“ zu zahlen. Auch der Treuebonus ist Teil des Ausgleichsanspruchs. Er unterfällt damit der Steuerfreiheit des § 4 Nr. 11 EStG 2045. Der Text dieser Ziff. III der Grundsätze ist insoweit missverständlich, als der VV den Treuebonus bei seinem Ausscheiden „neben dem Ausgleichsanspruch“ erhalten soll 2046.

461

dd) Fälligkeit (Ziff. V.). Gemäß Ziff. V der Grundsätze im Bausparbereich und ebenso der Grundsätze im Finanzdienstleistungsbereich ist der Ausgleichsanspruch innerhalb von zwei Monaten nach Vertragsbeendigung, frühestens zwei Monate nach Geltendmachung, fällig. Diese Regelung dürfte der zwingenden Natur des Ausgleichs (§ 89b Abs. 4) widersprechen. Nach dispositivem Recht ist der Ausgleich schon bei Vertragsende fällig. Abweichende Vereinbarungen sind unwirksam. Der Ansicht von Küstner 2047, der die Regelung gleichwohl für wirksam hält, ist daher zu widersprechen. Küstner meint, gemäß § 271 Abs. 1 BGB trete die Fälligkeit des Ausgleichs nur im Zweifel sofort nach Vertragsende ein. Abweichende Vereinbarungen seien damit zulässig.

462

e) Grundsätze Finanzdienstleistungsbereich. Die Grundsätze im Finanzdienstleistungsbereich gelten seit dem 01.10.1996 (Ziffer IX der Grundsätze). Ihr Aufbau gleicht den Grundsätzen im Bausparbereich: In Ziffer I der Grundsätze wird der Ausgleichswert bestimmt, Ziffer II regelt die Multiplikatoren, Ziffer III den Treuebonus. Die Ziffern IV bis IX gleichen im Aufbau den übrigen Grundsätzen. Der Begriff der Finanzdienstleistung ist weit zu fassen 2048. Er umfasst – außer der Vermittlung von Bauspar- und Versicherungsverträge – alle Dienstleistungen, die ein VV im Auftrage, im Namen und auf Rechnung eines Bausparunternehmens aufgrund einer vertraglichen Verpflichtung erbringt 2049.

2042

2046

2043

2047

Küstner/Thume II, Rn 2043. Küstner/Thume II, Rn 2045. 2044 Küstner/Thume II, Rn 2045. 2045 Küstner/Thume II, Rn 2047.

1124

Küstner/Thume II, Rn 2047. Küstner/Thume II, Rn 2048. 2048 Küstner/Thume II, Rn 2072. 2049 Küstner/Thume II, Rn 2072.

Raimond Emde

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 89b

aa) Ziff. I: Ausgleichswert. Gemäß Ziff. I 1 ist Ausgangspunkt für die Berechnung 463 des Ausgleichsanspruchs die durchschnittliche Jahresprovision der letzten vier Jahre aus dem Finanzdienstleistungsgeschäft abzüglich etwa vereinbarter Verwaltungsprovisionen und abzüglich etwa nicht verdienter Einarbeitungsprovisionen bzw. Garantieprovisionen. Bei kürzerer Tätigkeit ist der Durchschnitt aus diesem Zeitraum maßgeblich. Der Begriff der Verwaltungsprovisionen wird für den Bereich des Finanzdienstleistungsbereiches – wie bei den Grundsätzen im Bausparbereich – in Ziff. I 1 definiert: Als Verwaltungsprovisionen gelten Vergütungen, die VV für das Neugeschäft von Vermittlern erhalten, welche den VV organisatorisch nicht zugeordnet sind oder zu deren Vermittlung sie akquisitorisch nicht beitragen. Wie oben dargestellt ist diese Definition abschließend. Andere Provisionsteile, die üblicherweise als Entgelt für verwaltende Tätigkeiten angesehen werden, gelten daher für den Bereich der Grundsätze im Finanzdienstleistungsbereich nicht als Verwaltungsprovisionen. In Ziff. I 2 wird das ausgleichspflichtige Folgegeschäft definiert. Um schwierige und 464 zeitraubende Ermittlungen zu vermeiden, wird der Anteil des ausgleichspflichtigen Folgegeschäfts mit einem Mittelsatz von 10 % des Ausgangswertes nach Ziffer I 2 pauschal festgelegt. Diese Pauschalisierung erleichtert die Berechnung des Ausgleichs. Das Verfahren soll – wie bei den Grundsätzen im Bausparbereich – auch für Teilvertragsbeendigungen (etwa: Bezirks- und Bestandsverkleinerungen) gelten, wobei die spätere Berücksichtigung einer Alters- und Hinterbliebenenversorgung unberührt bleibt. bb) Ziff. II: Multiplikatoren. Ziff. II bestimmt die Multiplikatoren, und zwar in 465 Übereinstimmung mit dem Wortlaut der Grundsätze im Bausparbereich. Gemäß Ziff. II ist der nach Ziff. I errechnete Ausgleichswert um – wie die Grundsätze betonen – dem Gesichtspunkt der Billigkeit (§ 89b Abs. 1 Nr. 3) Rechnung zu tragen – entsprechend der Dauer der hauptberuflichen selbstständigen Tätigkeit des VV für „das Bausparunternehmen“ (gemeint ist: den Finanzdienstleister) in der von den Grundsätzen Bausparbereich bekannten Weise zu multiplizieren. Ab dem ersten Jahr der Tätigkeit des VV beträgt der Multiplikator 0,20, ab dem zweiten Jahr 0,40, ab dem dritten Jahr 0,70 etc. Nach 12 Jahren wird der höchste Multiplikator von 4,00 erreicht. Die Multiplikatoren sollen den Ausgleich mit zunehmender Vertragsdauer erhöhen. Dafür gibt es zwei Gründe: Die Vorteile des Unternehmens steigern sich mit zunehmender Tätigkeitsdauer des VV. Spiegelbildlich erhöhen sich die Verluste des VV bei Vertragsende. Ob dies eine Frage der Billigkeit ist, mag bezweifelt werden. Für den Berechnungsmodus ist diese Frage unerheblich. cc) Ziff. III: Treuebonus. Ab einer Dauer des hauptberuflichen HV-Vertrages von 466 15 Jahren erhält der VV bei seinem Ausscheiden neben den gemäß Ziff. I 2 errechneten Ausgleichsanspruch einen Treuebonus. Dieser beträgt 10,125 % der gem. Ziff. I 1 ermittelten Bemessungsgrundlage und verdoppelt sich auf 20,25 % ab einem hauptberuflichen HV-Vertrag von 19 Jahren bei derselben Bausparkasse. Mit diesem Treuebonus soll der VV zum einen motiviert werden, den Vertrag mit einem Unternehmen über einen möglichst langen Zeitraum laufen zu lassen. Zum anderen erhöhen sich seine Verluste bei Vertragsende und vergrößern sich die Vorteile des Unternehmers, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt ein Treuebonus gerechtfertigt ist. Der Ansatz von 10 % des Ausgangswertes für das ausgleichspflichtige Folgegeschäft soll – ebenso wie beim Ausgleichsanspruch im Bausparbereich – auf entsprechenden Erhebungen beruhen 2050. Küstner 2051 2050

Küstner/Thume II, Rn 2085.

2051

In: Küstner/Thume II, Rn 2085.

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weist darauf hin, dass bei diesem Berechnungsmodus regelmäßig die Ausgleichshöchstgrenze nicht erreicht wird. Das beruht nach seiner Interpretation darauf, dass für den Ausgleichsanspruch nur das ausgleichspflichtige Folgegeschäft in Betracht kommt, welches mit 10 % des Ausgleichswertes anzusetzen ist und nicht die im Durchschnitt der letzten vier Vertragsjahre insgesamt zugeflossenen Vermittlungsprovisionen.

467 468

dd) Fälligkeit (Ziff. V). Die Fälligkeitsregel gleicht der der Grundsätze im Bausparbereich. Auch sie dürfte der zwingenden Natur des § 89b widersprechen. f) Gemeinsame Regeln für alle Grundsätze

aa) Überblick. Soweit in den jeweiligen Grundsätzen nichts Abweichendes geregelt wurde, gelten für die Ausgleichsberechnung nach den Grundsätzen die allgemeinen Regeln. Die spezielleren Normen gehen den allgemeineren vor. Deshalb bildet sich – falls die Geltung der Grundsätze wirksam vereinbart wurde – folgende Rangfolge: – Grundsätze; – § 89b Abs. 5 i.V.m. den speziell für Versicherungs- und Bausparvertretern herausbearbeiteten Maßstäben zur Ausgleichsberechnung; – Allgemeines Ausgleichsrecht (§ 89b Abs. 1–4). Der nach den Grundsätzen errechnete Ausgleichsanspruch unterliegt der Billigkeits469 prüfung 2052. Hierauf weisen die Grundsätze ausdrücklich hin. Er trägt – nicht anders als der Ausgleich sonst – die Vermutung der Billigkeit in sich 2053. Die Präambel etwa der Grundsätze Sach bestimmt in Abs. 3 S. 3 ausdrücklich, dass es bei Anwendung der Grundsätze keiner besonderen Prüfung der Billigkeit bedarf, weil die Grundsätze für den Normalfall davon ausgehen, dass der Billigkeitsgrundsatz gewahrt bleibt. Dies ist Ausdruck einer allgemeinen Regel. Ohne gravierende Umstände kann der nach den Grundsätzen errechnete Ausgleich mithin unter Billigkeitsgesichtspunkten nicht reduziert werden.

470

bb) Alters- und Hinterbliebenenversorgung. Sämtliche Grundsätze regeln in ihren Ziffern V bzw. VI, dass eine vom Unternehmer aufgebaute und finanzierte Altersversorgung bei der Ausgleichsberechnung zu berücksichtigen ist. Diese Regel ist vom BGH wegen Verstoßes gegen § 89b Abs. 4 für unwirksam erklärt worden, weil sie die Anrechnung eines Anwartschaftsbarwertes der Altersversorgung zwingend ohne die im Einzelfall gebotene Ermessensausübung vorschreibt. Auf die Ausführungen zu Rn 168 wird verwiesen.

471

cc) Ausgleichshöchstgrenze. Die Grundsätze Sach, Leben und Kranken bestimmen in Einklang mit § 89b Abs. 5, dass die Höhe des Ausgleichsanspruchs insgesamt drei Jahresprovisionen oder Jahresvergütungen nicht übersteigen darf. Diese Regelung fehlt in den später entwickelten Grundsätzen für den Bauspar- und Finanzdienstleistungsbereich, weil sie sich ohnehin aus § 89b Abs. 5 S. 2 i.V.m. Abs. 2 S. 1 ergibt.

472

dd) Ausspannung von Versicherungsverträgen. Gemäß Ziff. VII der Grundsätze Sach-, Leben- und Kranken oder Ziff. VIII der Grundsätze Bauspar- und Finanzdienstleistungen wird davon ausgegangen, dass der wirtschaftliche Vorteil des ausgeglichenen Bestandes

2052

Küstner/Thume II, Rn 2090.

1126

2053

Küstner/Thume II, Rn 2090.

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§ 89b

dem Versicherer verbleibt und deshalb vorausgesetzt wird, dass der VV keine Bemühungen anstellt oder unterstützt, die zu einer Schmälerung des Bestandes führen, für den er einen Ausgleich erhalten hat. Zu den Einzelheiten dieser Vorschrift wurde oben Rn 273 f im Zusammenhang mit der Frage ausgeführt, ob der Ausgleich zu einem Wettbewerbsverbot des HV führt. Wie ein Rückschluss aus § 90a zeigt, ist dies nicht der Fall. Jedoch kann nachvertraglicher Wettbewerb des VV gemäß dem Billigkeitsgrundsatz zu einer Reduzierung des Ausgleichs führen. Für den Grundsatz ist damit daran festzuhalten, dass eine bloße Wettbewerbstätigkeit – auch wenn sie den ausgeglichenen Bestand berührt – dem VV nicht verboten ist. Da eine gewisse Berührung des Bestandes Folge jeder Wettbewerbstätigkeit ist, kann nicht jede unerhebliche Berührung des Bestandes ausgleichsrechtliche Folgen haben. ee) Gutachterstelle. Gemäß Ziffer VI der Grundsätze, Sach-, Leben- und Kranken 473 sowie der Ziffer VII der Grundsätze Bauspar- und Finanzdienstleistung kann jeder der Parteien zur Herbeiführung einer den Umständen des Einzelfalls gerecht werdenden Regelung die Gutachterstelle anrufen, sofern im Einzelfall die Auffassung besteht, eine andere Regelung als in den Grundsätzen niedergelegt erscheine angemessen. Die Gutachterstelle wird aber nur tätig, wenn beide Parteien ihrer Inanspruchnahme zustimmen. Die Gutachterstelle ist kein Schiedsgericht 2054. Ein solches wäre ohne schriftliche Vereinbarung auch nicht zuständig (§ 1027 Abs. 1 ZPO). Nach dem Wortlaut der Grundsätze soll die Gutachterstelle nur bei Eintritt „besonderer Umstände“ tätig werden, „die nach Auffassung eines der Betroffenen eine andere Regelung zur Errechnung des Ausgleichsanspruchs gerechtfertigt erscheinen lassen“. Da die Gutachterstelle über besondere Umstände entscheiden soll, genügt die Behauptung solcher besonderen Umstände. Damit wird ausgedrückt, dass im Regelfall der nach den Grundsätzen errechnete Ausgleich angemessen ist. Küstner 2055 nennt folgende Beispiele: Es ist streitig, ob der Mittler überhaupt selbstständiger VV ist, die Erben eines VV fordern den Ausgleich und der Versicherer lehnt dies wegen des angeblich entfernten Verwandtschaftsgrades zu dem Erblasser ab, die Höhe des Multiplikators ist streitig, der Umfang der für die Bemessung maßgeblichen übertragenen Bestände, die Anrechnung des Anwartschaftsbarwertes einer Altersversorgung etc. Tatsächlich hat die Gutachterstelle eine eher geringe Bedeutung. Fühlen sich VV durch eine Ausgleichsberechnung benachteiligt, werden sie – jedenfalls wenn Anwälte tätig werden – meistens den ordentlichen Rechtsweg beschreiten. Die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte wird durch die Gutachterstelle nicht aus- 474 geschlossen 2056. Die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte ist nicht erst dann eröffnet, falls die von der Gutachterstelle getroffenen Feststellungen offenbar unbillig sind und damit den in § 319 BGB niedergelegten Grundsatz des billigen Ermessens verletzen 2057. Offenbare Unbilligkeit liegt beispielsweise dann vor, wenn die Gutachterstelle die vertraglich getroffene Vereinbarung unberücksichtigt lässt, die Interessen einer Partei bevorzugt und die Grundsätze von Treu und Glauben verletzt, wobei auf den Zeitpunkt der gutachterlichen Feststellung abzustellen ist 2058. Denn die Grundsätze können ohne individualvertragliche und ausdrückliche nachvertragliche Vereinbarung – die bloße Bezugnahme auf die Grundsätze reicht nicht – den ordentlichen Rechtsweg zwischen den Parteien nicht ausschließen.

2054

Küstner/Thume II, Rn 2114. Küstner/Thume II, Rn 2120. 2056 Küstner/Thume II, Rn 2113. 2055

2057

So aber möglicherweise Küstner/Thume II, Rn 2123. 2058 Küstner/Thume II, Rn 2123.

Raimond Emde

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§ 89b

1. Buch. Handelsstand

7. Ausgleichsberechnung nach § 89b direkt

475

a) Einleitung. Nicht sicher geklärt ist, wie die Ausgleichsberechnung nach § 89b direkt erfolgt. Teils wird die Ausgleichsberechnung analog den Grundsätzen zur Ausgleichsberechnung des Warenvertreters vorgenommen: Aus den Provisionen des letzten Vertragsjahres wird nach Abzug eines verwaltenden Anteils und nach Abzug einer Abwanderungsquote auf die Provisionsverluste geschlossen. Daraus folgt der Ausgleichsrohbetrag. Dieser Ausgleichsrohbetrag wird dann abgezinst, etwa nach Gillardon. Der Unternehmervorteil soll dem so errechneten Provisionsverlust entsprechen. Diese Berechnung trage die Vermutung der Billigkeit in sich und der so bestimmte Rohausgleich werde lediglich durch die Ausgleichshöchstgrenze des § 89b Abs. 5 S. 2 beschnitten. Es ist fraglich, ob tatsächlich so gerechnet werden darf. Wie ausgeführt fehlen beim 476 VV regelmäßig infolge der Vertragsbeendigung eintretende Provisionsverluste. Ausgleichspflichtig sind nur die infolge der Provisionsverzichtsklausel entgehenden nachvertraglichen Folgeprovisionen, die jedoch aufgrund der Vereinbarung von Einmalprovisionen oder wegen des weit überwiegend verwaltenden Charakters der der Erstprovision nachfolgenden Provisionen in der Regel lediglich bei Dynamisierung und mit dem Erstvertrag verwandten Verträgen auftreten. Die beim Warenvertreter existierende Vermutung, von den Provisionen der Vergangenheit könne auf die zukünftig entgehenden Provisionen geschlossen werden, ist beim VV schon deshalb zweifelhaft, weil die Provisionen der Vergangenheit im weitaus größten Umfang nicht ausgleichspflichtige Einmalprovisionen enthalten. Dem VV entgehen infolge der Provisionsverzichtsklausel in erster Linie Abschlussprovisionen aus nach seinem Ausscheiden zustande gekommenen Versicherungsverträgen, wenn sich diese Verträge bei natürlicher Betrachtungsweise als Fortsetzung (Verlängerung) oder Erweiterung (Summenerhöhung) der von ihm zuvor vermittelten Verträge darstellten, jene Erweiterungen sowie Summenerhöhungen aus diesen Verträgen hervorgegangen sind und das gleiche Versicherungs- bzw. Bausparbedürfnis betreffen 2059 (Rn 404 ff). Die Ausgleichsberechnung würde also verfälscht, falls man aus den in der Vergangenheit erzielten auf die entgehenden Provisionen der Zukunft schließen würde. Eine recht plastische Darstellung der Ausgleichsberechnung nach § 89b gibt das Urteil des OLG Celle vom 16.05.2002 2060.

477

b) Eigener Ansatz zur Ausgleichsberechnung im Versicherungsvertreter- und Bausparbereich. Ziel der Ausgleichsberechnung ist die Bestimmung der vermutlich dem VV in Zukunft entgehenden Provisionen. Das sind die nachvertraglichen Provisionen, etwa aus solchen Folgeverträgen, die mit dem Erstvertrag in einem engen wirtschaftlichen Zusammenhang stehen und demselben Bedürfnis dienen 2061. Hierbei handelt es sich um Folgeverträge, die sich als Fortsetzung (Verlängerung) oder Erweiterung (Summenerhöhung) bereits vermittelter Erstverträge darstellen (Rn 404 ff). Ohne Schematisierungen wäre die Ausgleichsberechnung nicht handhabbar. Dies gilt gerade für die VV, welche die Berechnung nicht PC-gestützt vornehmen können.

2059

BGH, Urt. v. 23.02.1961 – VII ZR 237/59, BGHZ 34, 310 = BB 1961, 381; OLG Celle, Urt. v. 16.05.2002 – 11 U 193/01, VersR 2002, 976 m. Anm. Küstner in VersR 2002, 980 und Thume VersR 2002, 981; siehe auch Küstner/Thume II, Rn 923.

1128

2060 2061

Urt. v. 16.05. 2002 – 11 U 193/01, VersR 2002, 977. OLG Celle, Urt. v. 16.05.2002, 11 U 193/01, VersR 2002, 976 (977).

Raimond Emde

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

§ 89b

Nach der hier vorgeschlagenen Formel sind Ausgleichsbemessungsgrundlage alle Fol- 478 geprovisionen des letzten Vertragsjahres aus neu vermittelten oder wesentlich erweiterten Versicherungsverträgen. Verlief das letzte Vertragsjahr untypisch, ist auf den Durchschnitt dieser Provisionen aus einem längeren Zeitraum, etwa einem Fünfjahreszeitraum, abzustellen. Übertragene Bestände bleiben bei der Ausgleichsberechnung grundsätzlich außer Betracht, es sei denn, die einzelnen Verträge sind vom VV so erweitert worden, dass dies wirtschaftlich der Vermittlung eines neuen Versicherungsvertrages entspricht (§ 89b Abs. 5 S. 1, 2. Hs) 2062. Entsprechend der zum Warenvertreter zu Rn 292 dargelegten Vermutung sollte nach sechsmonatiger Vertragsdauer von einem Neukundenanteil von 5 % der Folgeprovisionen, nach dem ersten Vertragsjahr von 10 %, nach dem zweiten Vertragsjahr von 20 %, dem dritten Vertragsjahr von 30 %, dem vierten Vertragsjahr von 40 % und im fünften Vertragsjahr von 50 % ausgegangen werden. Bei Anwendung dieser Vermutung ist auch der Anteil erweiterter Altverträge abgegolten. Streit über den Neuanteil wird es oft nicht geben, weil nur für „neue“ Versicherungsverträge Folgeprovision geleistet wird. Bei Folgeprovisionen handelt es sich um die Vergütung des VV für die fortlaufende 479 Betreuung von Versicherungsverträgen, also die für Folgegeschäfte oder Zweitverträge gezahlten Provisionen (siehe auch Rn 383, 395 ff). Neben der einmaligen, nicht ausgleichspflichtigen (weil nach Vertragsende nicht entgehenden) Vermittlungsprovision erhält der VV gleich bleibende und von der Höhe der Versicherungsprämie abhängige Folgeprovisionen, und zwar für die gesamte Laufzeit des provisionspflichtig vermittelten neuen Vertrages. Jene Folgeprovisionen enthalten ausgleichspflichtige, werbende Provisionsbestandteile (Rn 395 ff). Endet der VV-Vertrag vorzeitig, also ehe der vermittelte neue Versicherungsvertrag seinerseits endet, verliert der VV infolge einer mit dem Unternehmer vereinbarten Provisionsverzichtsklausel diejenigen Folgeprovisionen, welche er im Zeitpunkt der Vertragsvermittlung zwar bereits in vollem Umfang für die gesamte künftige Laufzeit des neu vermittelten Versicherungsvertrages dem Grunde nach erworben hatte und die ihm bei Fortsetzung des Vertrages weiterhin zufließen würden 2063. Die Folgeprovisionen werden auch als Abschlussfolgeprovisionen 2064 bezeichnet, also Provisionen, die der Erstprovision folgen. Teilweise wird der Begriff Bestandsprovision verwendet, was den verwaltenden Anteil betont. Folgeprovisionen werden insbesondere im Sachbereich gezahlt, aber auch als Provisionen für dynamisierte Lebensversicherungsverträge, bei denen sich das Vertragsvolumen durch Anpassung an die Geldentwicklung automatisch erweitert oder die Erweiterung eines ursprünglich abgeschlossenen Versicherungsvertrages, weil dieser für den ursprünglich beabsichtigten Zweck nicht mehr ausreicht und deshalb auch nach der Beendigung des VV-Vertrages erweitert wird. Der Anteil der ausgleichspflichtigen, gemäß Rn 404 ff in engem wirtschaftlichen 480 Zusammenhang mit dem Ursprungsvertrag stehenden und damit ausgleichspflichtigen Verträge sollte mit 50 % der gesamten Folgeprovisionen des Ausgleichsbemessungsjahres (meist des letzten Vertragsjahres, s.o.) vermutet werden 2065.

2062

OLG München, Urt. v. 21.12.2005 – 7 U 2941/05, VersR 2006, 1124 (1125). 2063 Küstner VersR 2002, 517. 2064 Zutreffend die Terminologie des OLG Stuttgart, Urt. v. 22.02.1971 – 5 U 89/70, VersR 1972, 44. 2065 BGHZ 59, 125 (130); OLG Stuttgart VersR

1972, 44 mit Anm. Höft; LG Heilbronn BB 1980, 1819 (hiergegen Küstner Beiheft 12 zu BB 1981, Heft 10, S. 8); das OLG Celle (Urt. v. 16.05.2002 – 11 U 193/01, VersR 2003, 976, 977) geht von einem Anteil von 45 % der zu berücksichtigenden Folgeverträge an den gesamten Folgeverträgen aus

Raimond Emde

1129

§ 90 481

1. Buch. Handelsstand

Der verwaltende Anteil ist im VV-Recht wegen der hohen Bestandspflegeprovision als Vermutung mit weiteren 50 % anzusetzen 2066. Deshalb muss von dem bis hierher errechneten Zwischenergebnis ein nicht ausgleichsfähiger, verwaltender Anteil von 50 % abgezogen werden. Der verbleibende Betrag ist mit der Zahl 4 für den vierjährigen Prognosezeitraum zu multiplizieren (Rn 408) und mit 10 % abzuzinsen. Das OLG Celle 2067 hat eine Abzinsung von jährlich 4 % für angemessen gehalten. Dieser Rohausgleich begründet für sich die Vermutung der Billigkeit (Rn 177). Es ist dann zu überprüfen, ob der so errechnete Betrag die Ausgleichshöchstgrenze des § 89b Abs. 5 überschreitet (Rn 410 f). Der so vermutete Ausgleichsbetrag kann widerlegt werden. Allerdings trägt auch hier diejenige Partei die Beweislast, die einen höheren oder niedrigen Ausgleich als nach dieser Vermutung errechnet behauptet.

§ 90 Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse Der Handelsvertreter darf Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, die ihm anvertraut oder als solche durch seine Tätigkeit für den Unternehmer bekanntgeworden sind, auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses nicht verwerten oder anderen mitteilen, soweit dies nach den gesamten Umständen der Berufsauffassung eines ordentlichen Kaufmannes widersprechen würde.

Schrifttum Mautz/Löblich Nachvertraglicher Verrat von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, MDR 2000, 67.

und vereinfacht die Ausgleichsberechnung, indem es eine Quote von Folgeverträgen von 20,25 % an den gesamten jährlichen Abschlussprovisionen annimmt. Dies entspricht der Abwanderungsquote nach den Grundsätzen im Bausparbereich. VersR 1972, 74. Nach Ansicht von Höft (VersR 1972, 74) besteht gegenüber der Vermutung prozentualer Anteile der Folgeverträge am gesamten Neugeschäft Skepsis. 2066 OLG Hamm, Urt. v. 08.12.1994, VersR

1130

1995, 658 = VersVerm 1995, 376 m. Anm. Hoheisel/Wesemann r+s 1995, 279: Urt. v. 28.04.1986, VersR 1987, 155; LG München I, Urt. v. 30.03.1994, VW 1994, 708; AG München, Urt. v. 13.08.1993, BB 1993, 2270 = VW 1994, 708; LG Hagen, Urt. v. 11.03.1985, VersR 1986, 144 (zum Makler). 2067 OLG Celle, Urt. v. 16.05.2002 – 11 U 193/01, VersR 2002, 976 (978).

Raimond Emde

§ 90 481

1. Buch. Handelsstand

Der verwaltende Anteil ist im VV-Recht wegen der hohen Bestandspflegeprovision als Vermutung mit weiteren 50 % anzusetzen 2066. Deshalb muss von dem bis hierher errechneten Zwischenergebnis ein nicht ausgleichsfähiger, verwaltender Anteil von 50 % abgezogen werden. Der verbleibende Betrag ist mit der Zahl 4 für den vierjährigen Prognosezeitraum zu multiplizieren (Rn 408) und mit 10 % abzuzinsen. Das OLG Celle 2067 hat eine Abzinsung von jährlich 4 % für angemessen gehalten. Dieser Rohausgleich begründet für sich die Vermutung der Billigkeit (Rn 177). Es ist dann zu überprüfen, ob der so errechnete Betrag die Ausgleichshöchstgrenze des § 89b Abs. 5 überschreitet (Rn 410 f). Der so vermutete Ausgleichsbetrag kann widerlegt werden. Allerdings trägt auch hier diejenige Partei die Beweislast, die einen höheren oder niedrigen Ausgleich als nach dieser Vermutung errechnet behauptet.

§ 90 Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse Der Handelsvertreter darf Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, die ihm anvertraut oder als solche durch seine Tätigkeit für den Unternehmer bekanntgeworden sind, auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses nicht verwerten oder anderen mitteilen, soweit dies nach den gesamten Umständen der Berufsauffassung eines ordentlichen Kaufmannes widersprechen würde.

Schrifttum Mautz/Löblich Nachvertraglicher Verrat von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, MDR 2000, 67.

und vereinfacht die Ausgleichsberechnung, indem es eine Quote von Folgeverträgen von 20,25 % an den gesamten jährlichen Abschlussprovisionen annimmt. Dies entspricht der Abwanderungsquote nach den Grundsätzen im Bausparbereich. VersR 1972, 74. Nach Ansicht von Höft (VersR 1972, 74) besteht gegenüber der Vermutung prozentualer Anteile der Folgeverträge am gesamten Neugeschäft Skepsis. 2066 OLG Hamm, Urt. v. 08.12.1994, VersR

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1995, 658 = VersVerm 1995, 376 m. Anm. Hoheisel/Wesemann r+s 1995, 279: Urt. v. 28.04.1986, VersR 1987, 155; LG München I, Urt. v. 30.03.1994, VW 1994, 708; AG München, Urt. v. 13.08.1993, BB 1993, 2270 = VW 1994, 708; LG Hagen, Urt. v. 11.03.1985, VersR 1986, 144 (zum Makler). 2067 OLG Celle, Urt. v. 16.05.2002 – 11 U 193/01, VersR 2002, 976 (978).

Raimond Emde

§ 90

Siebenter Abschnitt. Handelsvertreter

Übersicht Rn A. Zweck und Gegenstand . . . . . . . . .

1

B. Genese und europarechtliche Präformation

2

C. Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . .

3

D. Treupflichten

. . . . . . . . . . . . . .

4

E. Tatbestandsmerkmale . . . . . . . . . . I. Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse II. Anvertraut/Bekanntgeworden . . .

5–10 5–9 10

Rn H. Widerspruch zur Berufsauffassung eines ordentlichen Kaufmanns . . . . . . . . I.

Zurechnung des Geheimnisverrats des HV zum Unternehmer? . . . . . . . . .

14

J. Folgen einer Verletzung des Geheimnisschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . 15–17 K. Verfahrensrechtliche Durchsetzung

. . .

18 19 20

F. Umfang des Geheimnisschutzes . . . . .

11

L. Abweichende Vereinbarungen . . . . . .

G. Zeitliche Geltung

12

M. Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . .

13

A. Zweck und Gegenstand § 90 handelt von den Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen des Unternehmers. Zwangs- 1 läufig wird der HV im Verlauf der Vertragsbeziehung Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse des Unternehmers erfahren. Am häufigsten gilt dies für die Kalkulation der Preise sowie den Rabattrahmen. Bereits aufgrund der Interessenwahrungs- und Treuepflicht des § 86 schuldet er deren Geheimhaltung 1. § 90 stellt klar, dass die Geheimhaltungspflicht nicht nur vertragsbegleitend besteht sondern auch nach Vertragsende fortbesteht 2. Das ergäbe sich allerdings auch aus den nachwirkenden Treupflichten. In der Sache handelt es sich daher bei § 90 um einen Merkposten. Der materielle Inhalt würde bereits aus § 86 und den nachwirkenden Treupflichten folgen. Die Vorschrift steht im Spannungsverhältnis zu § 90a: Grundsätzlich ist der HV frei, nachvertraglichen Wettbewerb auszuüben. Nur darf er dabei keine Geschäftsgeheimnisse des Unternehmers verwenden. Ohne Nutzung irgendwelcher Erkenntnisse aus dem Vorvertrag ist aber kaum ein Nachfolgevertrieb möglich. Geschützt sein kann daher nur spezielles Wissen aus dem Altvertrag, kein allgemeines Vertriebswissen. Vertragsbegleitend wird eine bewusste Preisgabe von Geschäftsund Betriebsgeheimnissen kaum sehr oft vorkommen, da mit der Schädigung des Unternehmers der HV sich in seinen Provisionsaussichten selbst benachteiligen würde. Nachvertraglich sieht es häufig anders aus: Hier ist § 90 eine der am meisten verletzten Vorschriften des HV-Rechts. Umso mehr kann während der Vertragszeit eine Fahrlässigkeit durch unbedachte Preisgabe eine Rolle spielen. Auch sie macht schadensersatzpflichtig.

B. Genese und europarechtliche Präformation § 90 wurde erst durch die Novelle 1953 in das HGB eingefügt. Zuvor war in den 2 §§ 84 ff keine vergleichbare Bestimmung enthalten. Die Verschwiegenheitspflicht des HV wurde jedoch aus der ihm obliegenden Treuepflicht hergeleitet. § 90 hat keine Entsprechung in der HV-Richtlinie 1986.

1

Prasse in: Praxishandbuch Vertriebsrecht, § 2 Rn 252; Genzow in: Ensthaler, § 90 Rn 1; Hopt § 90 Rn 1; Röhricht/Graf v. Westphalen/Küstner § 90 Rn 1.

2

Ebenroth/Löwisch § 90 Rn 1.

Raimond Emde

1131

§ 90

1. Buch. Handelsstand

C. Geltungsbereich 3

Normadressat ist wie bei allen Vorschriften der §§ 84 ff „der Handelsvertreter“. Ein (ehemals) bestehender HV-Vertrag wird vorausgesetzt 3, zumindest aber ein faktisch durchgeführter. Die Bestimmung ist Ausdruck der Treupflicht und damit eines allgemeinen Rechtsgedankens. § 90 gilt deshalb entsprechend für die HV-ähnlichen Vertragshändler 4, Franchisenehmer und Kommissionsagenten 5.

D. Treupflichten 4

Wie unter Rn 1 erläutert, schuldet der HV nicht nur Geheimnisschutz sondern aufgrund seiner Interessenwahrungspflicht auch Loyalität und Verschwiegenheit. Selbst wenn daher die Qualität eines Geschäftsgeheimnisses noch nicht erreicht ist, muss der HV schweigen, falls die Interessenwahrungspflicht dies fordert, weil nach den konkreten Verhältnissen des Einzelfalls die Interessen des Unternehmers die des HV überwiegen oder den Interessen des HV gleichwertig sind. Das betrifft etwa Tatsachen, deren Bekanntwerden für den Unternehmer nachteilig wären 6, auch wenn sie privater Natur sind 7 oder Umstände des Vertragsverhältnisses, die noch nicht die Qualität eines Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisses erreichen. Hier zeigt sich der Unterschied zu § 90, der nur Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse schützt. Anders gewendet: Gemäß § 90 sind nur Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse geschützt, während die aus der Interessenwahrnehmungspflicht hergeleitete Schweigepflicht auch andere Umstände schützt.

E. Tatbestandsmerkmale I. Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse 5

Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse sind nach einer viel verwendeten Definition Tatsachen oder Rechte, welche in einem Zusammenhang zu dem Gewerbe des Unternehmers stehen und nur einem eng begrenzten Personenkreis bekannt sind, also nicht offenkundig sind, und nach dem erklärten oder den Umständen nach zu vermutenden Willen des Unternehmers nicht bekannt werden sollen 8. Relevant wird eher die letztgenannte Fallgruppe der „vermuteten Geheimnisse“, da die ausdrückliche Bezeichnung als Geheimnis selten ist. Falsch an dieser Definition ist, dass der Unternehmer frei bezeichnen kann, was ein Geschäftsgeheimnis ist. Tatsächlich ist der Begriff objektiv aus der Warte eines verständigen Dritten zu bestimmen, wobei allerdings auch den subjektiven Befindlichkeiten des Unternehmers und einem angemessenen Ermessensspielraum Rechnung getragen werden muss. Würde man allein auf die Bezeichnung als Geschäftsgeheimnis

3 4

5 6

Ebenroth/Löwisch § 90 Rn 3. Ulmer Der Vertragshändler, S. 397 Fn 14; MünchkommHGB/v. Hoyningen-Huene § 90 Rn 6; aA wo