Vertreibung aus dem Wissenschaftssystem: Gedenkbuch für die im Nationalsozialismus vertriebenen Gremienmitglieder der DFG 9783515119535

Die Verfolgung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern durch das NS-Regime und ihre Vertreibung aus Deutschland st

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German Pages 449 [454] Year 2018

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INHALTSVERZEICHNIS
EINLEITUNG
DIE GREMIENMITGLIEDER DER DFG
BIOGRAFISCHE PORTRÄTS DER NS-VERTRIEBENEN GREMIENMITGLIEDER DER DFG
PRÄSIDIUM
Fritz Haber
Heinrich Konen
HAUPTAUSSCHUSS
Gustav Radbruch
Eduard Schwartz
FACHAUSSCHUSS JURISPRUDENZ
Erwin Jacobi
Erich Kaufmann
Albrecht Mendelssohn Bartholdy
Arthur Nußbaum
Ernst Rabel
Heinrich Triepel
FACHAUSSCHUSS STAATSWISSENSCHAFTEN
Goetz Briefs
FACHAUSSCHUSS THEORETISCHE/PRAKTISCHE MEDIZIN
Martin Hahn
Erich Hoffmann
Leo von Zumbusch
FACHAUSSCHUSS PHILOSOPHIE
David Katz
Wolfgang Köhler
FACHAUSSCHUSS ALTE UND ORIENTALISCHE PHILOLOGIE
Werner Jaeger
Hermann Ranke
FACHAUSSCHUSS KUNSTWISSENSCHAFTEN
Adolph Goldschmidt
FACHAUSSCHUSS GEOLOGIE, MINERALOGIE UND GEOGRAPHIE
Alfred Philippson
Wilhelm Salomon-Calvi
Leo Waibel
FACHAUSSCHUSS CHEMIE
Ernst Berl
Carl Neuberg
Lothar Wöhler
FACHAUSSCHUSS PHYSIK
Wolfgang Gaede
FACHAUSSCHUSS MATHEMATIK
Issai Schur
FACHAUSSCHUSS BAUINGENIEURWESEN
Heinrich Spangenberg
FACHAUSSCHUSS HOCHBAU UND ARCHITEKTUR
Hans Poelzig
NS-VERFOLGTE, DER DFG ZUGEORDNETE ABGEORDNETE DES REICHSINNENMINISTERIUMS
ANHANG
TABELLEN
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
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Vertreibung aus dem Wissenschaftssystem: Gedenkbuch für die im Nationalsozialismus vertriebenen Gremienmitglieder der DFG
 9783515119535

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7 Karin Orth

Beiträge zur Geschichte der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Vertreibung aus dem Wissenschaftssystem Gedenkbuch für die im Nationalsozialismus vertriebenen Gremienmitglieder der DFG

Band 7 Franz Steiner Verlag

Vertreibung aus dem Wissenschaftssystem

beiträge zur geschichte der deutschen forschungsgemeinschaft herausgegeben von Rüdiger vom Bruch (†) und Ulrich Herbert

Band 7

Karin Orth

Vertreibung aus dem Wissenschaftssystem Gedenkbuch für die im Nationalsozialismus vertriebenen Gremienmitglieder der DFG

Franz Steiner Verlag

Gedruckt mit Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft Umschlagbild: Hauptausschusssitzung der Notgemeinschaft am 19. Oktober 1929 in Weimar. Unter den Anwesenden befinden sich mit Eduard Schwartz (stehend, 3. von rechts) und Heinrich Konen (stehend, 5. von links) auch zwei der in diesem Buch porträtierten Wissenschaftler. © DFG

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2018 Druck: Offsetdruck Bokor, Bad Tölz Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-11953-5 (Print) ISBN 978-3-515-11955-9 (E-Book)

INHALTSVERZEICHNIS EINLEITUNG ................................................................................................

7

DIE GREMIENMITGLIEDER DER DFG ..................................................

13

BIOGRAFISCHE PORTRÄTS DER NS-VERTRIEBENEN GREMIENMITGLIEDER DER DFG PRÄSIDIUM Fritz Haber ................................................................................................. Heinrich Konen .........................................................................................

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HAUPTAUSSCHUSS Gustav Radbruch ....................................................................................... Eduard Schwartz ........................................................................................

55 67

FACHAUSSCHUSS JURISPRUDENZ Erwin Jacobi ............................................................................................... Erich Kaufmann ......................................................................................... Albrecht Mendelssohn Bartholdy ............................................................. Arthur Nußbaum ....................................................................................... Ernst Rabel ................................................................................................. Heinrich Triepel .........................................................................................

79 90 102 114 124 136

FACHAUSSCHUSS STAATSWISSENSCHAFTEN Goetz Briefs ............................................................................................... 149 FACHAUSSCHUSS THEORETISCHE/PRAKTISCHE MEDIZIN Martin Hahn .............................................................................................. 161 Erich Hoffmann ......................................................................................... 169 Leo von Zumbusch .................................................................................... 176 FACHAUSSCHUSS PHILOSOPHIE David Katz ................................................................................................. 187 Wolfgang Köhler ........................................................................................ 202 FACHAUSSCHUSS ALTE UND ORIENTALISCHE PHILOLOGIE Werner Jaeger ............................................................................................. 217 Hermann Ranke ......................................................................................... 229

6

Inhaltsverzeichnis

FACHAUSSCHUSS KUNSTWISSENSCHAFTEN Adolph Goldschmidt ................................................................................. 241 FACHAUSSCHUSS GEOLOGIE, MINERALOGIE UND GEOGRAPHIE Alfred Philippson ....................................................................................... 255 Wilhelm Salomon-Calvi ............................................................................ 269 Leo Waibel ................................................................................................. 283 FACHAUSSCHUSS CHEMIE Ernst Berl ................................................................................................... 297 Carl Neuberg .............................................................................................. 310 Lothar Wöhler ............................................................................................ 325 FACHAUSSCHUSS PHYSIK Wolfgang Gaede ......................................................................................... 337 FACHAUSSCHUSS MATHEMATIK Issai Schur .................................................................................................. 349 FACHAUSSCHUSS BAUINGENIEURWESEN Heinrich Spangenberg ............................................................................... 363 FACHAUSSCHUSS HOCHBAU UND ARCHITEKTUR Hans Poelzig .............................................................................................. 377 NS-VERFOLGTE, DER DFG ZUGEORDNETE ABGEORDNETE DES REICHSINNENMINISTERIUMS ............................................... 389 ANHANG Tabellen ............................................................................................................ Abkürzungsverzeichnis ................................................................................... Quellen- und Literaturverzeichnis .................................................................. Abbildungsverzeichnis ....................................................................................

397 401 405 449

EINLEITUNG Die massenhafte Vertreibung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern durch das NS-Regime und ihre Flucht aus Deutschland sind sowohl von den Zeitgenossen als auch von der wissenschaftlichen Forschung als einschneidende Zäsur wahrgenommen und bewertet worden. Durch die historische Forschung zur Wissenschaftsemigration, die seit den 1990er Jahren einen enormen Aufschwung erlebt, sind viele grundlegende Daten und Fakten bekannt. Aufgrund der nationalsozialistischen Vertreibungspolitik verlor nahezu jeder fünfte wissenschaftliche Universitätsmitarbeiter seine Stelle und etwa ein Drittel der leitenden wissenschaftlichen Mitglieder der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft.1 Die Entlassungen betrafen insbesondere jüdische bzw. als „nichtarisch“2 oder „jüdisch versippt“ klassifizierte Forscherinnen und Forscher sowie Wissenschaftler, die als politische Gegner oder Kritiker des NS-Regimes galten. Die betroffenen Gelehrten hatten massive Konsequenzen zu erleiden, die vom Verlust der beruflichen Position und der materiellen Absicherung bis hin zum Verlust der Heimat oder sogar des Lebens reichten. Auch ein Teil derjenigen Wissenschaftler, die 1920 die Deutsche Notgemeinschaft gegründet und sie in den folgenden Jahren aufgebaut hatten, war von den nationalsozialistischen Zwangsmaßnahmen betroffen.3 Von den rund 300 Gelehrten, die zwischen 1920 und 1933 in einem der wissenschaftlichen Gremien der DFG tätig waren, fielen 29 der nationalsozialistischen „Säuberung“ der Hochschulen nach 1933 zum Opfer.4 Sie wurden als Juden bzw. „Nichtarier“ oder politische Gegner des NS-Regimes verfolgt und aus dem deutschen Wissenschaftssystem vertrieben. In der Weimarer Republik hatten sie sich in den wissenschaftlichen Spitzengremien der Forschungsgemeinschaft – im Präsidium, im Hauptausschuss oder in den Fachausschüssen  – für die Forschung und die Forschungsförderung engagiert und galten als die höchsten Repräsentanten ihres 1 2

3 4

Zu den Zahlen vgl. Krohn u. a. (Hg.): Handbuch, Sp. 68; Grüttner/Kinas: Vertreibung. Zum Verhältnis der Wissenschaftsemigration zur Emigration aus NS-Deutschland insgesamt vgl. zudem Möller: Exodus, S. 38–42. Der Begriff „Nichtarier“ wird hier als Bezeichnung für Personen genutzt, die sich selbst nicht als Juden verstanden, die aber aufgrund ihrer (teilweise) jüdischen Herkunft zum Objekt der NS-Politik wurden. Der Begriff verweist darauf, dass es sich um eine aufgezwungene Identität handelte. Alle Gremienmitglieder in der Anfangszeit der DFG waren Männer. Bis Kriegsende wurde keine einzige Frau in ein DFG-Spitzengremium berufen oder gewählt, sodass im Folgenden von „Wissenschaftlern“ gesprochen wird. Diese Zahl berücksichtigt nicht die kleine Gruppe der Reichstagsabgeordneten, die nicht von der wissenschaftlichen Community bestimmt, sondern vom Reichsinnenministerium der Notgemeinschaft zu Kontrollzwecken zugeordnet wurden. Zum Hintergrund, den Personen sowie ihrem Schicksal nach 1933 vgl. das Kapitel „NS-verfolgte, der DFG zugeordnete Abgeordnete des Reichsinnenministeriums“ in diesem Buch, S. 389–394.

8

Einleitung

jeweiligen Faches. Sie, wie die DFG-Gremienmitglieder der Weimarer Republik insgesamt, schufen die Fundamente, auf denen die Deutsche Forschungsgemeinschaft bis heute steht. Sie waren zudem national wie international bekannte und fachlich ausgewiesene Experten ihres Faches, wissenschaftliche Koryphäen. All dies verhinderte nicht, dass sie nach 1933 aus dem deutschen Wissenschaftssystem ausgeschlossen wurden und unter zum Teil massiven Repressalien zu leiden hatten. Nicht alle überlebten die NS-Verfolgung. Die rechtliche Grundlage für dieses Unrecht bildete eine Reihe von Gesetzen, von denen insbesondere das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, das sogenannte Berufsbeamtengesetz,5 vom 7. April 1933 und das sogenannte Reichsbürgergesetz vom 15. September 1935 sowie die entsprechenden Durchführungsverordnungen zu nennen sind. Sie führten zu den massiven Entlassungs- und Emigrationswellen der Jahre vor dem Zweiten Weltkrieg.6 Zentrales Element der Gesetze war die Definition von „jüdisch“ bzw. „nichtarisch“ auf der Grundlage der Religionszugehörigkeit der Großeltern. So legte das Berufsbeamtengesetz fest, dass jeder „nichtarisch“ sei, der mindestens einen Großelternteil hatte, welcher der jüdischen Religion angehörte. Das Gesetz war damit weitreichender als das Reichsbürgergesetz von 1935, das jede Person als „Jude“ klassifizierte, die von mindestens drei „der Rasse nach“ jüdischen Großeltern abstammte. Den „Volljuden“ wurden laut Gesetz auch sogenannte „Geltungsjuden“ gleichgestellt. Darunter wurden die von zwei „volljüdischen“ Großelternteilen abstammenden „Mischlinge“ gefasst, wenn sie jüdischer Konfession waren oder einen jüdischen Ehepartner hatten. Da die Gesetze die Religionszugehörigkeit der Großeltern zum Kriterium machten, konnten auch Katholiken, Protestanten oder Konfessionslose betroffen sein. Personen, die unter diese Klassifizierung fielen, waren aus dem Staatsdienst zu entlassen. Zunächst betraf dies nur die Beamten, dann auch (mit der 3. Durchführungsverordnung zum Berufsbeamtengesetz vom 6. Mai 1933 bzw. der 2. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 21. Dezember 1935) die Arbeiter und Angestellten in öffentlichen Einrichtungen sowie auch alle Statusgruppen des Lehrkörpers an den Hochschulen, einschließlich der Lehrbeauftragten. Ließ das Berufsbeamtengesetz 1933 noch Ausnahmen für vier Personenkreise zu, so entfielen diese durch das sogenannte Reichsbürgergesetz. Bis Ende 1935 wurden nun 5

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Der Name verweist darauf, dass das Gesetz das Beamtentum von liberalen, republikanischen und „jüdischen“ Personen säubern sollte, um dieses „wieder“ in eine staatstragende Elite umzubilden. Zu Hintergrund, Entstehung und Durchführung vgl. ausführlich Mommsen: Beamtentum, S. 39–61. Der folgende Abschnitt stammt aus meinem Buch: NS-Vertreibung, S.  10–13. Zum Hintergrund allgemein vgl. Friedländer: Reich; Grüttner/Kinas: Vertreibung, S.  133–138. Das Berufsbeamtengesetz wurde durch das Deutsche Beamtengesetz vom 27.1.1937 abgelöst, das bereits für die Zeit nach den „Säuberungen“ konzipiert war. Es bot nun für die Beamten sogar einen gewissen Schutz vor Entlassung bzw. Pensionierung. So konnten „nichtarische“ Beamte nicht mehr ohne Weiteres entlassen werden, wenn sich nach der Ernennung zum Beamten herausstellte, dass er oder sein Ehegatte „nicht deutschen oder artverwandten Blutes“ waren oder der Beamte eine solche Person ohne Genehmigung geheiratet hatte.

Einleitung

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auch diejenigen entlassen, denen bislang Schutz gewährt worden war: Beamte, die bereits vor dem 1. August 1914 verbeamtet worden waren, ehemalige „Frontkämpfer“, Beamte, deren Söhne oder Väter im Ersten Weltkrieg gefallen waren, und diejenigen, denen die entscheidende Behörde bei Vorliegen aller Voraussetzungen für ihre erste planmäßige Anstellung am 1. August 1914 und bei hervorragender Bewährung ein Verbleiben im Amt zugebilligt hatte. Bereits das Berufsbeamtengesetz von 1933 hatte eine Generalklausel zum Ausschluss politisch unerwünschter Personen enthalten. Nach § 4 konnten diejenigen entlassen werden, „die nach ihrer bisherigen politischen Tätigkeit nicht die Gewähr dafür bieten, dass sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat“ eintraten, und § 6 ließ zu, dass Beamte „zur Vereinfachung der Verwaltung“ ohne Angabe von Gründen in den Ruhestand versetzt werden konnten. Für die Hochschulen wurde dies durch die Reichshabilitationsordnung vom 13. Dezember  1934 nochmals bekräftigt. Danach konnte Hochschullehrern die Lehrbefugnis ganz oder teilweise entzogen werden, wenn es im Universitätsinteresse geboten erschien. Generell trennte die Reichshabilitationsordnung zwischen Habilitation und Dozentur und sicherte dem Reichserziehungsministerium (REM) so die Kontrolle über den Zugang des wissenschaftlichen Nachwuchses zu den Hochschulen. Doch nicht nur die künftigen Hochschullehrer unterlagen nun der rassistischen und politischen Überprüfung, sondern auch die bereits emeritierten Professoren. So wurde die Emeritierung durch das am 21. Januar 1935 in Kraft tretende Gesetz über die „Entpflichtung und Versetzung von Hochschullehrern aus Anlass des Neuaufbaus des Hochschulwesens“ vom 68. auf das 65. Lebensjahr vorverlegt und die Ausübung der Lehrbefugnis von der Erlaubnis des REM abhängig gemacht. Dieses prüfte ab Mai 1935, ob die Lehrtätigkeit „den heutigen Wünschen und Anforderungen entspricht“.7 Durch die neue Reichshabilitationsordnung vom 17. Februar 1939 wurde die politische und fachliche Überprüfung auch auf die Privatdozenten und nicht verbeamteten außerordentlichen Professoren ausgeweitet. Im Hinblick auf die Beamten erfolgte eine weitere Verschärfung 1937, da das Reichsinnenministerium und das REM nun festlegten, dass „jüdisch versippte“ Beamte, verbeamtete „Mischlinge I. Grades“ (also Personen, die laut Reichsbürgergesetz zwei „jüdische“ Großelternteile hatten) und die Ehepartner von „Mischlingen I. Grades“ in den Ruhestand zu versetzen seien. Ausnahmen galten nur noch, wenn der betreffende Beamte „nicht nur fachlich besonders tüchtig, sondern auch wegen besonderer Zuverlässigkeit, wegen schwerer Kriegsbeschädigung oder wegen besonderer Verdienste um die Partei oder sonstiger Verdienste der Belassung im Amt […] würdig ist“.8 Im Bereich der Wissenschaft führten die genannten Gesetze zu den drei großen Entlassungswellen der Jahre 1933/34, 1935/36 und 1937/38. 1939 kam die systematische „Säuberung“ der deutschen Wissenschaftslandschaft dann zu einem gewissen Stillstand, da die überwiegende Mehrzahl der (potenziell) Betroffenen nicht mehr im Amt war. Der erste und grundlegende Einschnitt fand jedoch 7 8

Verfügung REM vom 15.5.1935, zit. nach: Grüttner/Kinas: Vertreibung, S. 136. Brief des Reichsinnenministeriums an den Reichserziehungsminister vom 16.8.1937, zit. nach: Grüttner/Kinas: Vertreibung, S. 137.

10

Einleitung

bereits im Frühjahr 1933 statt. Mit dem Berufsbeamtengesetz und seinen Durchführungsbestimmungen endete das Zeitalter der Emanzipation: Zum ersten Mal seit der Reichsgründungszeit gab es in Deutschland wieder ein Sonderrecht für Juden.9 Die durch das NS-Regime gesetzte politische Zäsur bedeutete zugleich einen grundsätzlichen Bruch mit der bis dahin gültigen Wissenschaftstradition, denn es wurden diejenigen Prämissen aufgegeben, auf denen das Wissenschaftssystem bis dahin beruht hatte: Universalität, Internationalität und Freiheit der Wissenschaft. Die Idee zu dem vorliegenden Buch entstand im Zusammenhang mit meiner im Jahre 2016 erschienenen Untersuchung „Die NS-Vertreibung der jüdischen Gelehrten. Die Politik der Deutschen Forschungsgemeinschaft und die Reaktionen der Betroffenen“.10 Darin steht einerseits der Umgang der Forschungsgemeinschaft mit den jüdischen/„nichtarischen“ Wissenschaftlern zwischen 1920 und dem Beginn der 1960er Jahre im Zentrum der Analyse sowie andererseits die Frage, wie die betroffenen Forscher die NS-Verfolgung und den Ausschluss aus dem nationalen Wissenschaftssystem verarbeiteten. Um diese Frage zu beantworten, wurden einige Biografien von jüdischen/„nichtarischen“ DFG-Gremienmitgliedern sowie von DFG-Antragstellern exemplarisch untersucht und die Lebenswege von drei  – aus rassistischen Gründen  – vertriebenen Gremienmitgliedern (Carl Neuberg, Alfred Philippson und Heinrich Spangenberg) ausführlich vorgestellt. Die anderen aus rassistischen oder politischen Gründen vertriebenen Gremienmitglieder sind zwar erwähnt, doch konnten ihre Biografien nicht ausführlicher geschildert werden. Dies soll nun nachgeholt werden. In der vorliegenden Studie sollen so alle NS-vertriebenen DFG-Gremienmitglieder porträtiert, ihr wissenschaftliches Schaffen und nicht zuletzt ihre Tätigkeit für die Forschungsgemeinschaft gewürdigt werden.11 Das Buch versteht sich als Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte des frühen 20. Jahrhunderts und insbesondere zur Geschichte der Deutschen Forschungsgemeinschaft, deren 100. Jubiläum bald bevorsteht. Es ist auch den NS-vertriebenen Gremienmitgliedern zu verdanken, dass die Forschungsgemeinschaft zu dem werden konnte, was sie heute ist. DANK Ich danke dem Vorstand der Deutschen Forschungsgemeinschaft sehr herzlich für die Möglichkeit, das vorliegende Gedenkbuch schreiben zu können. Auch Marco Finetti, Jurij von Kreisler und Dr. Guido Lammers hatten daran wesentlichen Anteil, sodass ich auch ihnen herzlich danken möchte. Mein Dank gilt zudem Prof. Dr. Rüdiger vom Bruch, der das Manuskript kurz vor seinem Tod noch gelesen hat, und Prof. Dr. Ulrich Herbert, den Herausgebern der Buchreihe. 9 10 11

Vgl. Rürup: Schicksale, S. 54. Vgl. Orth: NS-Vertreibung. Eine Übersicht über die Namen, Lebensdaten sowie den Grund der Vertreibung der DFGGremienmitglieder findet sich in Tabelle 1 im Anhang.

Einleitung

11

Bedanken möchte ich mich auch bei Inken Kiupel, die das Manuskript kompetent und souverän lektoriert hat, und Aarne Partanen, der es Korrektur gelesen hat. Zudem haben sich Freunde und Kollegen bereitgefunden, die biografischen Porträts im Hinblick auf ihre fachwissenschaftliche Korrektheit zu prüfen. Ein herzliches Dankeschön geht an Prof. Dr. Wolfgang Soergel (Mathematik), Andrea von Hohenthal (Psychologie), Dr. Torsten Klein (Medizin), Dr. Gerhard Messner (Chemie), Ralf Müller (Architektur) und Dr. Dominik Reßing (Physik).

DIE GREMIENMITGLIEDER DER DFG GESAMTZAHL, VERTEILUNG UND NS-VERTREIBUNG In der Weimarer Republik waren nahezu 300 Gelehrte in einem der drei wissenschaftlichen Spitzengremien – dem Präsidium, dem Hauptausschuss und den Fachausschüssen – der Forschungsgemeinschaft tätig.1 Dem Präsidium gehörten – neben dem Politiker und Verwaltungsexperten Friedrich Schmidt-Ott – fünf Wissenschaftler an, dem Hauptausschuss 36 und den Fachausschüssen 258. Zieht man die Doppelmitgliedschaften ab, so ergibt sich eine Gesamtzahl von 291 Gelehrten, die sich in der Weimarer Republik in der Berliner Notgemeinschaft engagierten.2 Der Anteil der Ordinarien unter ihnen war hoch. Unter den 258 Fachausschussmitgliedern etwa befanden sich lediglich zwei außerordentliche Professoren, vier Honorarprofessoren und acht nicht habilitierte Wissenschaftler. Bei den Letztgenannten handelte es sich um Direktoren von Sternwarten (Fachausschuss Physik) oder Museen (Fachausschuss Kunstwissenschaften), zudem um einige Bergräte (Fachausschuss Bergbau und Hüttenwesen). Etwas mehr als 5 Prozent3 der Fachausschussmitglieder hatten also keine ordentliche Professur inne, die Ordinarien dominierten mit knapp 95 Prozent eindeutig. Nur in einer Hinsicht schotteten sich die Gremienmitglieder gänzlich ab, nämlich im Hinblick auf das Geschlecht. Alle Mitglieder der DFG-Gremien waren Männer. Bis Kriegsende wurde keine einzige Frau in ein DFG-Spitzengremium berufen oder gewählt. Das DFG-Präsidium bestand während der gesamten Weimarer Republik aus Friedrich Schmidt-Ott als Präsidenten und fünf Gelehrten: Der Münchner Mathematiker Walther von Dyck war erster und Fritz Haber zweiter Stellvertreter (seit 1928 hießen die Stellvertreter „Vizepräsidenten“), und 1929 wechselte der Bonner Physiker Heinrich Konen als „Vertreter der Katholiken und der besetzten Gebiete“ vom Hauptausschuss ins Präsidium. Als Vorsitzender des Hauptausschusses kam Adolf von Harnack hinzu, der 1929 altersbedingt ausschied und dem der Münchner Internist Friedrich von Müller nachfolgte (der bereits vorher Harnacks Stellvertreter im Hauptausschuss gewesen war). Als Mitglieder des Hauptausschusses benannte die Mitgliederversammlung bei der Gründung der Notgemeinschaft im Jahre 1920 elf Personen sowie elf

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Bei dem folgenden Text handelt es sich um ein gekürztes Kapitel aus meinem Buch: NSVertreibung, S. 46–61. Nicht mitgerechnet wurden die fünf Abgeordneten des Reichsinnenministeriums, da diese nicht von der wissenschaftlichen Community bestimmt wurden, sondern von der Politik, und auch nicht Schmidt-Ott, der nicht als Wissenschaftler tätig war. Bei elf Personen konnte nicht zweifelsfrei geklärt werden, welchen (professoralen) Status sie innehatten.

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Die Gremienmitglieder der DFG

Stellvertreter;4 hinzu kam Konen (der 1929 ins Präsidium wechselte). Bis 1929 blieb der Hauptausschuss nahezu unverändert in dieser Konstellation bestehen. Zwar begrenzte die Satzung die Amtszeit der Hauptausschussmitglieder auf drei Jahre, sie ermöglichte jedoch die Wiederwahl. Dies geschah auch regelmäßig: Die Mitgliederversammlung bestimmte die Mitglieder des Präsidiums und des Hauptausschusses jedoch nicht durch Wahl, sondern, so hieß es etwa im Protokoll der Mitgliederversammlung des Jahres 1927, durch „Zuruf “.5 So kam es nur dann zu personellen Veränderungen, wenn jemand erkrankte oder starb.6 Wie im Präsidium, so herrschte also auch im Hauptausschuss ein hohes Maß an Kontinuität, die personelle Zusammensetzung veränderte sich in den 1920er Jahren so gut wie nicht. Dieser Umstand sowie das hohe Lebensalter der Hauptausschussmitglieder waren ein Grund für die harsche Kritik an der Notgemeinschaft, die seit Ende der 1920er Jahre vor allem von dem preußischen Kultusminister Carl Heinrich Becker und dem Leiter der preußischen Hochschulabteilung Werner Richter geäußert wurde. Im Hauptausschuss herrsche, so monierte Becker im November 1928, „keine Selbstverwaltung, sondern eine Autokratie von Exzellenz SchmidtOtt“, der sich mit einer „Clique von alten Herren, die ein Durchschnittsalter von 68 ½ Jahren“ hätten, umgebe und „eifersüchtig darüber wache, daß keine jüngeren Kräfte aufkommen könnten“.7 Die Mitgliedschaft sei, so fasste es ein ministerieller Aktenvermerk zusammen, ein „Greisenprivileg“.8 Erst durch den politischen Druck von außen kam es 1929 zu einer erheblichen personellen Veränderung. Der Hauptausschuss wurde von elf auf 15  Vertreter erweitert, von denen fünf vom Innenministerium bestimmt und zehn von der Mitgliederversammlung gewählt werden sollten. Die Wiederwahl von mindestens drei der gewählten Mitglieder beschränkte man nun auf eine einzige Wahlperiode, wobei die ausscheidenden Mitglieder durch das Los bestimmt werden sollten.9 Die neue Regelung führte im November 1929 zu einem markanten 4

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Es handelte sich um von Harnack, Hergesell, Kehr, von Müller, Müller-Breslau, Nägel, Planck, von Rümelin, Schenck, Schwartz und Sievers sowie die elf Stellvertreter Bach, Brandi, Diels, Ritter von Hertwig, von Kries, Matschoß, Rehbock, Schwerd, Seeberg, Thilenius und Tillmann. Protokoll der Mitgliederversammlung 1927, zit. nach: Zierold: Forschungsförderung, S. 54. Vier Mal trat dieser Fall ein: Wilhelm Schulze ersetzte den 1922 verstorbenen Hermann Diels und Karl von Bach den 1925 verstorbenen Heinrich Müller-Breslau; 1928 folgte Ludwig Aschoff dem verstorbenen Johannes von Kries nach, und 1929 trat F. W. Otto Schulze die Nachfolge des erkrankten Karl von Bach an. Niederschrift Salomonsohn über eine Besprechung mit Becker und Richter im preußischen Kultusministerium am 29.11.1928, zit. nach: Zierold: Forschungsförderung, S. 109 f. Aktenvermerk des Ministeriums vom 26.9.1929, BArch, R 1501/126769a, fol. 302. Als die Notgemeinschaft im November 1927 ihre Mitglieder nach etwaigen die Notgemeinschaft betreffenden Wünschen fragte – insbesondere bezüglich der Zusammensetzung der Fachausschüsse –, regten einige die Hinzuziehung jüngerer Fachausschussmitglieder an. Vielen schien zudem eine neue Einteilung der Fachausschüsse sinnvoll, vgl. die Inhaltsangabe der Stellungnahme der Mitglieder der Notgemeinschaft zum Rundschreiben vom 21.11.1927, BArch, R 73/125, fol. 20–24, sowie die einzelnen Stellungnahmen in BArch, R 73/125. Ergänzung zu § 5 der Satzung von 1920, abgedruckt in: Zierold: Forschungsförderung, Fn. 1, 2 und 3, S. 545.

Gesamtzahl, Verteilung und NS-Vertreibung

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Wechsel: Elf Personen schieden aus,10 und die Mitgliederversammlung berief zehn Wissenschaftler erstmals zum Mitglied oder Stellvertreter.11 Hinzu kamen die fünf Abgeordneten, die allein das Reichsinnenministerium bestimmte. In den Fachausschüssen wirkten zwischen 1920 und 1933 258 Gelehrte. Die Gründungsversammlung hatte Präsidium und Hauptausschuss beauftragt, zunächst vorläufige Fachausschüsse einzurichten, wobei die Akademien der Wissenschaften und der Hochschulverband – zum Teil in Absprache mit Schmidt-Ott – die Mitglieder bestimmten.12 Doch ihre Amtszeit währte nur ein knappes Jahr. Im Frühjahr 1922 erfolgte dann erstmals eine Wahl der Fachausschussmitglieder durch die wissenschaftliche Community.13 Zudem erfolgte eine Neuaufteilung der Fachausschüsse, die dann bis 1933 bestehen blieb. Ab 1922 gab es 21 Fachausschüsse, die 150 Fächer repräsentierten, die Zahl der Fachausschussmitglieder stieg von 123 (1920/21) auf 137 (1933) Personen. Zwar schrieb die Satzung eine zweijährige (bzw. ab 1928 eine vierjährige) Amtszeit vor, doch fanden in der Weimarer Republik nur drei Wahlen statt, nämlich 1922, 1929 und 1933. In den ersten Jahren entfielen die Neuwahlen, da die Mitgliederversammlung die Amtszeit der bestehenden Fachausschüsse auf Vorschlag von Präsidium und Hauptausschuss immer wieder verlängerte. Diejenigen Mitglieder, die durch Arbeitsüberlastung, Krankheit oder Tod ausfielen, wurden ohne Wahlvorgang ersetzt. Erst die veränderte politische Konstellation und die Kritik an der Notgemeinschaft Ende der 1920er Jahre veranlassten das Präsidium, wieder eine Fachausschusswahl durchzuführen. Diese und die nachfolgenden Wahlen erfolgten durch eine geheime Briefwahl, wobei jeder Wahlberechtigte eine Stimme besaß und selbst über das Fach bestimmen konnte, in dem er wählte. Aktiv und passiv wahlberechtigt waren laut Wahlordnung die ordentlichen Professoren, die außerordentlichen Honorarprofessoren, Emeriti und Privatdozenten aller Hochschulen, die der Forschungsgemeinschaft angeschlossen waren, die ordentlichen, außerordentlichen und deutschen korrespondierenden Mitglieder der Akademien, die Direktoren und wissenschaftlichen Mitglieder der Kaiser-Wilhelm-Institute sowie solche Persönlichkeiten, denen das Präsidium und der Hauptausschuss, gegebenenfalls nach Hinzuziehung der Fachverbände, als „anerkannten Forschern“ das Wahlrecht verlieh.14 Es handelte sich um Personen mit akademischer Ausbildung, die zwar in der beruflichen Praxis standen, dem

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Es handelte sich um von Harnack, Hergesell, Ritter von Hertwig, Kehr, Planck, Rehbock, von Rümelin, Schwartz, Schwerd, Seeberg und Sievers. Es handelte sich um Bruns, Frings, Holthusen, von Köhler, Lietzmann, Meyer, Radbruch, Rogowski, Weber und Zenneck. Tabelle 3 im Anhang zeigt, welche Wissenschaftsorganisation für die Nominierung welcher Fachausschüsse zuständig war, wen diese zum Vorsitzenden bestimmten und wie viele Mitglieder der jeweilige Fachausschuss 1920/21 umfasste. Die Wahlordnung vom 9.12.1921 galt im Wesentlichen bis 1933; sie wurde lediglich 1928 leicht modifiziert, indem man die Wahlperiode von zwei auf vier Jahre ausdehnte. Zur Feststellung der „anerkannten Forscher“ befragte die Geschäftsstelle sämtliche Mitgliedsorganisationen der Notgemeinschaft, die wissenschaftlichen Fachverbände sowie die Fachausschüsse bzw. die Fachausschussvorsitzenden.

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Die Gremienmitglieder der DFG

Wissenschaftssystem aber weiter eng verbunden waren.15 Ihre Gesamtzahl betrug bei den Wahlen 1922 rund 1.500 und bei den Wahlen 1929 sowie 1933 jeweils knapp 1.000 Personen. Die Fachausschüsse wurden also nicht ausschließlich von den etablierten Weimarer Ordinarien bestimmt, sondern auch von Personen, die nicht zur akademischen Welt im engeren Sinne gehörten.16 Betrachtet man die Wahlen genauer, so ist festzustellen, dass im Grunde keine wirkliche Wahlmöglichkeit bestand. Es kam äußerst selten vor, dass zwei oder mehr Kandidaten zur Auswahl standen, und die Wahl des Jahres 1929 kann ohnehin nur als Farce bezeichnet werden. Die Fachausschusswahlen lassen sich vielmehr als eine durch einen demokratischen Wahlvorgang abgesicherte Berufung charakterisieren, die die etablierten Fachcommunitys vorab austariert und mit Spitzengremien der Notgemeinschaft, mit Präsidium und Hauptausschuss, vor allem aber mit Schmidt-Ott abgestimmt hatten. Der Wahlvorgang selbst zeigt jedoch, dass es nicht allein die etablierten Ordinarien waren, welche die Fachausschüsse bestimmten. Vielmehr öffnete sich die Notgemeinschaft bereits 1922 auch den Nichtetablierten, indem sie ihnen de facto das passive Wahlrecht zugestand, das jene in ganz erheblichem Maße auch wahrnahmen. Als zentrales Merkmal ist schließlich zu betonen, dass es trotz der Wahlen und trotz aller Kritik an diesen nicht zu markanten Veränderungen in der personellen Zusammensetzung der Fachausschüsse kam. In der Weimarer Zeit dominierte die Kontinuität. Den Vorsitzenden des jeweiligen Fachausschusses, dem  – nicht zuletzt für die Begutachtungspraxis – eine herausgehobene Position zukam, bestimmten die gewählten Mitglieder aus ihrem Kreise, meist in Rücksprache mit Schmidt-Ott. Ausschlaggebende Kriterien, um zum Vorsitzenden eines Fachausschusses zu avancieren, waren das (wissenschaftliche) Ansehen eines Forschers in der Fachcommunity, Erfahrung und Lebensalter sowie ein Berliner Wohnort, das heißt die Nähe zur Forschungsgemeinschaft. Darüber hinaus ist deutlich zu erkennen, dass sich auch bei den Vorsitzenden im Hinblick auf die Dauer der Amtsausübung ein einziges Muster abzeichnete: Konstanz. 16 der 21 Fachausschüsse hatten zwischen 1922 und 1933 nur einen einzigen Vorsitzenden.17 Festzuhalten ist abschließend, dass die Gremienmitglieder nicht zufällig zur Forschungsgemeinschaft stießen, sondern vielmehr in den jeweiligen Fachcom15

16 17

Darunter befanden sich etwa (promovierte) Mitarbeiter von Archiven, Bibliotheken und Museen, (Ober-)Ingenieure, Mitglieder von Versuchs- und Forschungsanstalten, Mitarbeiter von Landeswetter- und Sternwarten, Mitglieder von Vereinen für Landesgeschichte oder für Zoologische Gärten, Vorstandsmitglieder des Industrie- und Handelstags, (General-)Superintendenten, Pfarrer und Pater, Mitglieder von Studiengemeinschaften, (Ober-)Baudirektoren, (Ober-)Lehrer und Studienräte, (Reichs-)Gerichtsräte, Rechtsanwälte, Regierungsräte, Oberlandesgerichtspräsidenten, Geheime Justizräte, Ministerialräte, Staatsräte oder Minister. Ihre Zahl war nicht klein: 1922 handelte es sich um rund ein Fünftel (21,9  Prozent) der Wahlberechtigten, 1929 um 13,6 Prozent und 1933 um 11,9 Prozent der Wahlberechtigten. Durch ihre hohe Wahlbeteiligung stellten sie rund 15 Prozent der Wähler. Vgl. Tabelle 4 im Anhang, die einen Überblick über die Vorsitzenden der Fachausschüsse gibt. Die Position des Stellvertretenden Vorsitzenden, die erst seit 1928 vorgesehen war, wurde nicht immer besetzt. In einigen wenigen Fällen war auch das Amt des Vorsitzenden gelegentlich ein oder zwei Jahre vakant.

Gesamtzahl, Verteilung und NS-Vertreibung

17

munitys fest verankert waren. Sie wurden von den wichtigsten Institutionen des Wissenschaftssystems berufen oder von den Fachverbänden vorgeschlagen und von den Wahlberechtigten bestätigt, jedenfalls als Repräsentanten in die wissenschaftspolitisch höchst bedeutsamen Organe der Forschungsgemeinschaft entsandt. Vor diesem Hintergrund, hat auch die Aussage des Senats der Universität Gießen von 1927, die Mitglieder der Fachausschüsse seien „die anerkannten Führer der einzelnen Wissenschaftsgebiete“, einen wahren Kern.18 Von den insgesamt 291 Gremienmitgliedern der Weimarer Republik erlebten 240 den Beginn der NS-Herrschaft, 51 waren zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben. Wie viele dieser 240 Gelehrten wurden nach 1933 aus rassistischen und/oder politischen Gründen aus dem nationalen Wissenschaftssystem  – und der Forschungsgemeinschaft – ausgeschlossen? Viele Beispiele zeigen, dass der NS-Staat Wissenschaftler auf vielfältige Weise in ihrer beruflichen und/oder wissenschaftlichen Tätigkeit einschränken oder behindern konnte, ohne sie jedoch dauerhaft vom Hochschuldienst auszuschließen. Diese Fälle sind zu unterscheiden von jenen, in denen eine endgültige Vertreibung aus Forschung und Lehre erfolgte. Michael Grüttner und Sven Kinas haben eine überzeugende Definition des Begriffs „Vertreibung“ vorgenommen, der ich an dieser Stelle folgen möchte – nicht zuletzt, um eine Vergleichbarkeit der Daten zu gewährleisten.19 In Anlehnung an Grüttner und Kinas wird in der vorliegenden Studie unter Vertreibung das erzwungene Ende der Forschungs- und Lehrtätigkeit an der Hochschule nach 1933 aufgrund der veränderten politischen Verhältnisse verstanden,20 wobei sich drei Formen der Vertreibung unterscheiden lassen, nämlich Entlassungen, entlassungsähnliche Fälle und freiwillige Rücktritte mit politischem Hintergrund. Zu den Entlassenen werden Hochschullehrer gerechnet, die aufgrund einer formellen Entlassungsverfügung aus der Hochschule ausscheiden mussten. Hinzu kommen die entlassungsähnlichen Fälle, in denen die Hochschullehrer ohne formelle Entlassungsverfügung vertrieben wurden. Dabei handelte es sich um die unter politischen Vorzeichen erfolgten Zwangsemeritierungen, das von der Hochschule bzw. vom Kultusministerium erpresste „freiwillige“ Ausscheiden, Fälle, in denen bereits emeritierten Professoren aus politischen Gründen verweigert wurde, ihr Recht auf Fortsetzung der Lehrtätigkeit in Anspruch zu nehmen, sowie auch Fälle, in denen die Hochschullehrer einer sehr wahrscheinlichen oder unausweichlichen späteren Entlassung zuvorkamen. In der Regel geschah dies, wenn der Betroffene selbst oder seine Ehefrau jüdischer/„nichtarischer“ Herkunft war. Einige Gelehrte wählten in dieser Situation den Freitod; auch sie werden zu den entlassungsähnlichen Fällen gezählt. Unter einem freiwilligen Rücktritt mit politischem Hintergrund werden all diejenigen 18 19 20

Schreiben des Senats der Universität Gießen an Schmidt-Ott vom 7.12.1927, BArch, R 73/125. Vgl., auch zum Folgenden, Grüttner/Kinas: Vertreibung, S. 131–133. Von Vertreibung wird also nicht gesprochen bei Strafversetzungen an andere Hochschulen, bei kurzfristigen Entlassungen und beim Ausscheiden bei dienstlichen Verfehlungen, bei denen keine politischen und/oder antisemitischen Motive eine Rolle spielten.

18

Die Gremienmitglieder der DFG

Hochschuldozenten gefasst, die ihre akademische Berufstätigkeit aus freier (politischer) Entscheidung aufgaben, ohne dass beim Verbleib im Amt eine Entlassung zu erwarten gewesen wäre. Legt man die Definition von Grüttner und Kinas zugrunde, so wurden 29 der 240 wissenschaftlichen DFG-Gremienmitglieder nach 1933 vertrieben. Folgende Gelehrte wurden nach 1933 dauerhaft aus dem deutschen Hochschulsystem ausgeschlossen: Ernst Berl, Goetz Briefs, Wolfgang Gaede, Adolph Goldschmidt, Fritz Haber, Martin Hahn, Erich Hoffmann, Erwin Jacobi, Werner Jaeger, David Katz, Erich Kaufmann, Wolfgang Köhler, Heinrich Konen, Albrecht Mendelssohn Bartholdy, Carl Neuberg, Arthur Nußbaum, Alfred Philippson, Hans Poelzig, Ernst Rabel, Gustav Radbruch, Hermann Ranke, Wilhelm Salomon-Calvi, Issai Schur, Eduard Schwartz, Heinrich Spangenberg, Heinrich Triepel, Leo Waibel, Lothar Wöhler und Leo von Zumbusch. Die folgende Tabelle zeigt die Differenzierung nach den genannten Vertreibungskategorien und stellt den Vergleich mit den von Grüttner und Kinas für die Universitäten erhobenen Ergebnissen her. Vertreibungsquote (nach der Definition von Grüttner und Kinas) bei den 240 DFG-Gremienmitgliedern

bei den von Grüttner und Kinas untersuchten 15 Universitäten

abs.

%

abs.

%

Entlassung/Vertreibung (inkl. entlassungsähnliche Fälle)

28

11,66

901

20,70

– davon: Opfer der Rassenideologie

20

71,43

725

80,47

– davon: andere Gründe

8

28,57

176

19,53

von den Entlassenen sind emigriert

13

46,42

560

62,15

nicht emigriert

15

53,57

337

37,40

keine Informationen über Emigration

0

0

4

0,44

freiwilliger Rücktritt mit politischem Hintergrund

1

0,41

29

0,67

– davon sind emigriert

1

100,00

15

51,72

Vertreibung insgesamt

29

12,08

930

21,36

– davon: Opfer der Rassenideologie

20

68,96

725

77,95

– davon: andere Gründe

9

31,04

205

22,05

– davon: Deportation/Opfer der NS-Vernichtungspolitik

1

3,44

38

4,09

– davon: Suizide

1

3,44

36

3,87

– davon: Emigration

14

48,27

575

61,82

– davon: Verbleib in Deutschland

15

51,73

351

37,74

keine Informationen über Emigration

0

0

4

0,44

Gesamtzahl, Verteilung und NS-Vertreibung

19

Die Auswertung der Daten zeigt, dass die Vertreibungsquote unter den DFGGremienmitgliedern nur etwa halb so hoch war wie bei den 15 von Grüttner und Kinas untersuchten Universitäten. Wurden dort im Durchschnitt 21,36 Prozent des Lehrkörpers vertrieben, so verloren nur 12,08  Prozent der DFG-Gremienmitglieder (29 Personen) nach 1933 ihre Stellung als Hochschullehrer. Das heißt im Umkehrschluss: Den DFG-Spitzengremien gehörten in der Weimarer Republik nur relativ wenige jüdische/„nichtarische“ oder politisch unangepasste Wissenschaftler an. Geringere Anteile wiesen lediglich die Universitäten Münster (11,9  Prozent), Leipzig (11,8  Prozent), Greifswald (11,0  Prozent), Marburg (10,8 Prozent) und Tübingen (4,0 Prozent) auf, während bei den vergleichsweise liberalen Universitäten wie Frankfurt oder Berlin rund ein Drittel des Lehrkörpers aus dem Kreis derjenigen Personen stammte, die nach 1933 aufgrund der NSGesetze entlassen wurden.21 Die niedrige Quote von 12,08 Prozent bei der DFG kann als restriktive Haltung der Institution bzw. der wissenschaftlichen Community gegenüber jüdischen/„nichtarischen“ und/oder politisch unliebsamen Gelehrten interpretiert werden. Wer als Wissenschaftler jüdische Vorfahren hatte und/oder politisch als (links-)liberal oder demokratisch galt, hatte in der Weimarer Republik nur eine geringe Chance, in die Spitzengremien der Forschungsgemeinschaft aufzusteigen, deren Mitglieder ja als die Koryphäen ihres Faches galten. Sich an der Spitze eines Wissenschaftsgebiets zu etablieren, war für jüdische oder politisch unangepasste Wissenschaftler in der Weimarer Republik offenbar außerordentlich schwierig. Die wissenschaftliche Community dachte und handelte also insofern nationalkonservativ und auch antisemitisch, als sie nur sehr restriktiv zuließ, dass Juden bzw. Liberale oder Demokraten in ihren Kreis aufgenommen wurden. Der Zugang zu diesem war durch Vorurteile gegenüber diesen Kollegen beschränkt, wenn auch nicht hermetisch verschlossen. Vielmehr lässt sich von einer moderaten Inklusion sprechen. Wurde der Einlass gestattet und hatte sich ein jüdischer oder liberaler bzw. demokratischer Gelehrter nur lange genug im elitären Zirkel der Ordinarien aufgehalten und „bewährt“, so konnte dies auch bedeuten, dass der Aufstieg bis in die höchsten Spitzen von Wissenschaft oder Wissenschaftspolitik gelang und dass die Mitgliedschaft in einem DFG-Gremium gewährt wurde. Dies erklärt, warum sich unter den DFG-Gremienmitgliedern überhaupt jüdische bzw. politisch unangepasste Gelehrte befanden – wenn auch nicht viele.22 Im Folgenden soll die Gruppe der 29 von den Nationalsozialisten vertriebenen DFG-Gremienmitglieder genauer betrachtet werden. So ist zunächst zu fragen, in welchen DFG-Organen sie tätig waren. Im Präsidium waren Haber als „Nichtarier“ und Konen als Zentrumsabgeordneter betroffen, im Hauptausschuss Radbruch und Schwartz (beide aus politischen Gründen) und in den Fachausschüssen weitere 25 Personen. Lässt sich hier ein Zusammenhang zwischen Vertreibung und wissenschaftlichen Fachgebieten herstellen? Hatten bestimmte Fächer bzw. 21 22

Vgl. Grüttner/Kinas: Vertreibung, Tabelle 3, S. 140. Vgl. dazu ausführlich Orth: NS-Vertreibung, S. 73–87.

20

Die Gremienmitglieder der DFG

Fachausschüsse also besonders viele Vertreibungsfälle aufzuweisen?23 Interessant ist zunächst, dass neun Fachausschüsse gar nicht betroffen waren, nämlich die Fachausschüsse Theologie, Neuere Philologie, Geschichte, Völkerkunde, Biologie, Bergbau und Hüttenwesen, Maschinenbau, Elektrotechnik sowie Land- und Forstwirtschaft. In sechs Fachausschüssen wurde jeweils ein Mitglied vertrieben (Staatswissenschaften: Briefs; Kunstwissenschaften: Goldschmidt; Physik: Gaede; Mathematik: Schur; Bauingenieurwesen: Spangenberg; Hochbau und Architektur: Poelzig), in zwei Fachausschüssen waren es jeweils zwei Mitglieder (Philosophie: Katz und Köhler; Alte und Orientalische Philologie: Jaeger und Ranke) und in drei Fachausschüssen jeweils drei Mitglieder (Theoretische/Praktische Medizin: Hahn, Hoffmann und von Zumbusch; Geologie, Mineralogie und Geographie: Philippson, Salomon-Calvi und Waibel; Chemie: Berl, Neuberg und Wöhler). Die meisten Fälle von Vertreibung kamen im Fachausschuss Jurisprudenz vor: Hier wurden sechs Mitglieder aufgrund der NS-Gesetze entlassen, und zwar alle aus rassistischen Gründen (Jacobi, Kaufmann, Mendelssohn Bartholdy, Nußbaum, Rabel und Triepel). Noch geraume Zeit nach der NS-motivierten Umgestaltung der Notgemeinschaft vermerkte der neue DFG-Präsident Rudolf Mentzel, dass die Zusammensetzung der Fachausschüsse früher „zum Teil jüdisch und liberalistisch“ gewesen sei. Im Fachausschuss Jurisprudenz seien gar „von insgesamt 8 Mitgliedern nicht weniger als 5 Volljuden“ gewesen.24 Dies traf zwar nicht exakt zu, verweist aber in bezeichnender Weise auf Mentzels antisemitische Wahrnehmungsmuster. In seiner Aussage wird deutlich, welches Bild die Nationalsozialisten von der Berliner Notgemeinschaft  – und insbesondere vom Fachausschuss Jurisprudenz  – hatten: eine Hochburg von Liberalen und Juden, Gegner jedenfalls, die von der Wissenschaft und der Forschungspolitik auszuschließen waren. Die beschriebene Verteilung der Vertreibungsfälle bei den Fachausschüssen verweist bereits darauf, dass kein vertriebenes Gremienmitglied an einer landoder forstwirtschaftlichen, tierärztlichen oder Handelshochschule tätig war. Die große Mehrzahl der vertriebenen Gremienangehörigen (20 von 29) war vielmehr an einer Universität beschäftigt, sechs Wissenschaftler an einer Technischen Hochschule und drei an einem Kaiser-Wilhelm-Institut. Zudem: In welchen Städten arbeiteten die NS-vertriebenen Gremienmitglieder? Hier dominierte eindeutig Berlin. 13 vertriebene Gremienmitglieder kamen aus der Hauptstadt (acht von der Universität Berlin, drei von einem KWI in Berlin-Dahlem und zwei von der TH Berlin-Charlottenburg), vier aus Bonn, je drei aus Heidelberg und München (zwei von der Universität, einer von der 23

24

Bei der Einschätzung der Angaben ist auch die Größe des Fachausschusses zu berücksichtigen: Sechs FA hatten bis zu vier Mitglieder (Philosophie, Kunstwissenschaften, Bauingenieurwesen, Hochbau und Architektur, Bergbau und Hüttenwesen, Elektrotechnik), elf bis zu acht Mitglieder (Theologie, Jurisprudenz, Staatswissenschaften, Geschichte, Völkerkunde, Biologie, Geologie, Mineralogie und Geographie, Chemie, Physik, Mathematik, Maschinenbau) und vier bis zu 15 Mitglieder (Theoretische/Praktische Medizin, Alte und Orientalische Philologie, Neuere Philologie, Land- und Forstwirtschaft). Vermerk Mentzel vom 30.4.1935, zit. nach: Mertens: DFG-Forschungsförderung, S. 82 f.

Gesamtzahl, Verteilung und NS-Vertreibung

21

TH München), zwei aus Darmstadt und je einer aus Hamburg, Leipzig, Rostock und Karlsruhe. Im Hinblick auf den Vertreibungsgrund ist schließlich festzuhalten, dass 20 von 29 Gelehrten (68,96 Prozent) Opfer der Rassenideologie wurden. Sie wurden aus der Hochschule vertrieben, weil sie selbst oder ihre Vorfahren Juden waren oder weil sie als „jüdisch versippt“ galten. Es handelte sich um Ernst Berl (FA Chemie), Adolph Goldschmidt (FA Kunstwissenschaften), Fritz Haber (Präsidium), Martin Hahn (FA Theoretische/Praktische Medizin), Erwin Jacobi (FA Jurisprudenz), Werner Jaeger (FA Alte und Orientalische Philologie), David Katz (FA Philosophie), Erich Kaufmann (FA Jurisprudenz), Albrecht Mendelssohn Bartholdy (FA Jurisprudenz), Carl Neuberg (FA Chemie), Arthur Nußbaum (FA Jurisprudenz), Alfred Philippson (FA Geologie, Mineralogie und Geographie), Ernst Rabel (FA Jurisprudenz), Hermann Ranke (FA Alte und Orientalische Philologie), Wilhelm Salomon-Calvi (FA Geologie, Mineralogie und Geographie), Issai Schur (FA Mathematik), Heinrich Spangenberg (FA Bauingenieurwesen), Heinrich Triepel (FA Jurisprudenz), Leo Waibel (FA Geologie, Mineralogie und Geographie) und Lothar Wöhler (FA Chemie). Neun Gremienmitglieder wurden aus im engeren Sinne politischen Gründen von ihren Lehrstühlen vertrieben, nämlich Goetz Briefs (FA Staatswissenschaften), Wolfgang Gaede (FA Physik), Erich Hoffmann (FA Theoretische/Praktische Medizin), Wolfgang Köhler (FA Philosophie), Heinrich Konen (Präsidium/ Hauptausschuss), Hans Poelzig (FA Hochbau und Architektur), Gustav Radbruch (Hauptausschuss), Eduard Schwartz (Hauptausschuss) und Leo von Zumbusch (FA Theoretische/Praktische Medizin). Im Folgenden werden die Lebenswege dieser 29 Gelehrten beschrieben. Für die Rekonstruktion der Biografien sind die einschlägigen biografischen Nachschlagewerke und die vorliegende Forschungsliteratur ausgewertet sowie umfangreiche Recherchen im Internet durchgeführt worden. Hinzu kommt die Arbeit in den Archiven, von denen insbesondere die Universitäts- bzw. Hochschularchive zu nennen sind. Neben den Personalakten erwiesen sich persönliche Aufzeichnungen, Autobiografien und Nachlässe als besonders ergiebig. Zu fast allen Wissenschaftlern liegen derartige, äußerst aussagekräftige und zum Teil noch gänzlich unbekannte Quellenbestände vor, die eine sehr gute Grundlage bilden, um nicht nur ihren Werdegang zu rekonstruieren, sondern auch ihre jeweilige subjektive Perspektive nachzuzeichnen. Neben der Schilderung der zentralen Lebensstationen sollen die wissenschaftlichen Leistungen sowie ihre Tätigkeit in der Forschungsgemeinschaft beschrieben werden. Zudem ist zu rekonstruieren, wie sie aus dem deutschen Wissenschaftssystem vertrieben wurden. Die Werdegänge nach der Exklusion bilden einen weiteren Schwerpunkt der Darstellung: Entschieden die betroffenen Wissenschaftler, in die Emigration zu gehen? Welche Wege eröffneten sich dort, welche blieben verschlossen? Für diejenigen, die ihre Heimat nicht verließen, wird zu zeigen sein, welche Möglichkeiten sie in Deutschland fanden, ihren Lebensunterhalt zu sichern und/oder die wissenschaftliche Tätigkeit fortzusetzen. Zu fragen

22

Die Gremienmitglieder der DFG

ist zudem, wie die vertriebenen Gremienmitglieder die Grenzerfahrung, plötzlich nicht mehr Teil der wissenschaftlichen Community in Deutschland sein zu sollen – die meisten standen vor der Zerstörung ihres Lebenswerks –, verarbeiteten. Schließlich ist zu beschreiben, ob die vertriebenen Gremienmitglieder – sofern sie die NS-Verfolgung überlebten  – nach Kriegsende in das deutsche Wissenschaftssystem und in die Forschungsgemeinschaft zurückkehrten.

BIOGRAFISCHE PORTRÄTS DER NS-VERTRIEBENEN GREMIENMITGLIEDER DER DFG

PRÄSIDIUM Fritz Haber (1868–1934) Heinrich Konen (1874–1948)

Fritz

Haber

Fritz Haber, dessen Lebensgeschichte Margit Szöllösi-Janze brillant nachgezeichnet und analysiert hat, kam am 9. Dezember 1868 in Breslau in einer angesehenen jüdischen Bürgerfamilie zur Welt.1 Seine Mutter Paula, die Tochter eines Großkaufmanns, starb kurz nach seiner Geburt. Sein Vater Siegfried betrieb in Breslau eine Farben- und Chemikalienhandlung, gehörte dem Vorstand des „Kaufmännischen Vereins“ sowie der Breslauer Handelskammer an und engagierte sich als Stadtverordneter und unbesoldetes Mitglied des Senats. Nach dem Tod seiner Frau heiratete er ein zweites Mal, und so wuchs Fritz Haber mit drei Stiefschwestern auf. Er besuchte in seiner Geburtsstadt das Sankt Elisabethgymnasium, das er 1886 mit dem Reifezeugnis verließ. Da er später einmal das väterliche Geschäft übernehmen sollte, entschied er sich zu einem Chemiestudium und wählte als Studienorte die Berliner und die Heidelberger Universität sowie die Technische Hochschule Berlin. Unterbrochen wurde seine Ausbildung durch den Militärdienst, den er bei einem Feldartillerie-Regiment in Breslau ableistete. Seine mit „cum laude“ bewertete Promotion Über die Derivate des Piperonals erfolgte 1891 in Berlin bei August Wilhelm von Hofmann, betreut hatte sie aber vor allem Carl Liebermann an der Technischen Hochschule. Anschließend folgten einige kurz1

Dieser Beitrag stützt sich auf die grundlegende Forschungsliteratur über Haber. Zu nennen sind insbesondere folgende Publikationen: die entsprechenden Einträge in NDB und DBE; v. a. Szöllösi-Janze: Haber; Friedrich: Haber; Kaznelson (Hg.): Juden, S. 447 f.; Klee: Personenlexikon, S. 214; Rürup: Schicksale, S. 211–216; Stoltzenberg: Haber; Zierold: Forschungsförderung, S. 9 f. Zudem wurden folgende Quellen herangezogen: UAHU-B, PA Haber.

28

Präsidium

fristige Tätigkeiten in chemischen Industriebetrieben in Ungarn, Galizien und Niederschlesien, auch ein Volontariat im Unternehmen seines Vaters. Zudem verbrachte er ein Semester am Eidgenössischen Polytechnikum in Zürich, wo er sich bei Georg Lunge in erster Linie mit der chemischen Technologie beschäftigte. Dort lernte er mit Richard Willstätter2 und Ernst Berl zwei Männer kennen, mit denen er lebenslang befreundet war und die beide für die später ins Leben gerufene Notgemeinschaft eine wichtige Rolle spielten.3 Die Unstimmigkeiten mit dem Vater mögen mit ausschlaggebend dafür gewesen sein, dass sich Haber letztendlich gegen den Kaufmannsberuf und für eine akademische Laufbahn entschied. 1892 trat er jedenfalls eine Stelle als freier Mitarbeiter am Chemischen Institut der Universität Jena an und beschloss auch – vermutlich, um bessere Chancen in der Hochschullaufbahn zu haben4  –, sich evangelisch taufen zu lassen. 1894 wechselte er auf eine Assistentenstelle in der Physikalischen Chemie an der Technischen Hochschule Karlsruhe, wo sich Carl Engler und Hans Bunte als seine wichtigsten Lehrer und Mentoren erwiesen. Sie begleiteten auch seine Habilitation, die 1896 erfolgte. Die Habilitationsschrift behandelte Experimental-Untersuchungen über Zersetzung und Verbrennung von Kohlenwasserstoffen. Die TH Karlsruhe ernannte ihn zwei Jahre später zum außerordentlichen Professor für Technische Chemie und stellte ihm bald auch ein eigenes elektrochemisches Laboratorium zur Verfügung. Im Jahre 1901 heiratete der 32-Jährige Clara Immerwahr, die wie er in einer jüdischen Familie in Breslau geboren und aufgewachsen war, zum Protestantismus konvertiert war, ein Studium der Chemie absolviert und dieses mit der Promotion abgeschlossen hatte; dies war für Frauen in jener Zeit höchst ungewöhnlich.5 Ihr Sohn Hermann kam 1902 zur Welt. Im selben Jahr reiste Haber in die Vereinigten Staaten, und zwar im Auftrag der Deutschen Bunsengesellschaft, um dort einschlägige Industriebetriebe zu besuchen und sich über die Unterrichtsmethoden der amerikanischen Hochschulen zu informieren. 1906 schließlich stieg er in Karlsruhe zum Ordinarius für Physikalische Chemie und Elektrochemie auf. Ein Jahr zuvor war sein Lehrbuch Thermodynamik technischer Gasreaktionen erschienen, mit dem die Basis geschaffen war für seine später betriebenen thermochemischen Arbeiten. 1908 entdeckte er ein Verfahren, mit dem Stickstoff und Wasserstoff durch die Anwendung hohen Drucks und hoher Temperaturen mithilfe von Katalysatoren zu Ammoniak synthetisiert werden konnten. Carl Bosch und die BASF, mit denen Haber zusammenarbeitete, entwickelten diese Technik für die Handhabung in der industriellen Produktion fort. Das sogenannte Haber-Bosch-Verfahren ermöglichte die synthetische Herstellung von Ammoniak als Ersatz für Salpeter zur Herstellung von Düngemitteln und Sprengstoff – und machte Haber in der Wissenschaft wie in der Industrie berühmt. 2 3 4 5

Von ihrer Freundschaft zeugen etwa die zahlreichen, von Werner/Irmscher (Hg.): Haber, veröffentlichten Briefe. Berl ist ebenfalls in diesem Buch porträtiert, vgl. S. 297–309. Vgl. Klee: Personenlexikon, S. 214. Zu ihrer Biografie vgl. Leitner: Fall.

Fritz Haber

29

Nach den vielen Jahren in Karlsruhe wechselte Haber 1911 nach Berlin. Er übernahm dort als Direktor das im Aufbau befindliche Kaiser-Wilhelm-Institut (KWI) für Physikalische Chemie und Elektrochemie in Dahlem, das Kaiser Wilhelm II. 1912 offiziell eröffnete. Zudem erhielt er eine ordentliche Honorarprofessur an der Berliner Universität, und die Preußische Akademie der Wissenschaften ernannte ihn zum Mitglied. Haber war für den Direktorenposten im KWI prädisponiert, weil seine bisherige Laufbahn in besonderem Maße dem Ziel entsprach, das die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft mit dem Institut erreichen wollte, nämlich durch Grundlagenforschung auf dem Gebiet der Physikalischen Chemie der deutschen chemischen Industrie neue Impulse zu geben, um ihre Weltgeltung zu behaupten oder vielmehr auszubauen.6 Das Institut begann mit einem kleinen Mitarbeiterstab von fünf Wissenschaftlern und zehn Angestellten; hinzu kamen etliche unbezahlte Kräfte. Haber setzte zudem einiges daran, seinen Freund Richard Willstätter von Zürich, wo dieser inzwischen ein Ordinariat innehatte, nach Berlin zu holen.7 1912 gelang dies, und Willstätter übernahm die Leitung der Organischen Abteilung des neu errichteten Kaiser-Wilhelms-Instituts (KWI) für Chemie in unmittelbarer Nachbarschaft zu Habers KWI und zugleich eine ordentliche Honorarprofessur an der Berliner Universität. Nur ein Jahr später zog auch Albert Einstein von Zürich nach Berlin, um dort später zum ersten Direktor des 1917 gegründeten KWI für Physik bestellt zu werden. Auch mit ihm verband Haber eine persönliche Freundschaft und das wissenschaftliche Forschungsinteresse. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs widmete sich Haber mit seinem Institut kriegswichtigen Forschungsaufgaben und stellte es zudem in den Dienst der Obersten Heeresleitung. Er sah seine Aufgabe insbesondere im Bereich der Rohstoffversorgung, weil er davon überzeugt war, dass diese eine wichtige Rolle für die Kriegsführung spielen würde. Als wissenschaftlicher Berater für chemisch-technische Fragen in der Kriegsrohstoffabteilung des Kriegsministeriums arbeitete er an der Entwicklung und Herstellung von Ersatzstoffen und rohstoffsparenden Produktionsverfahren, beschäftigte sich insbesondere mit der Durchführung eines großtechnischen Verfahrens zur Ammoniaksynthese. Dies wurde insofern als besonders wichtig erachtet, als die hohe Nachfrage nach Stickstoff für Explosivstoffe und Dünger als äußerst kritisch für das Deutsche Reich galt, das vom Import abgeschnitten war. Ende des Jahres 1914 übernahm Haber die Leitung der Zentralstelle für Fragen der Chemie im Kriegsministerium und war hier für die Koordination der chemischen Kriegsführung verantwortlich. Er bemühte sich dabei, die durch den Krieg intensivierte Zusammenarbeit von Wissenschaft und Militär zu institutionalisieren. Sein Institut entwickelte im Rahmen institutionsübergreifender Gemeinschaftsarbeiten giftige Gaskampfstoffe, die erstmals am 22. April 1915 bei Ypern zum Einsatz kamen. Haber hatte den Einsatz geplant und geleitet, weil er glaubte, dass damit der Stellungskrieg überwunden und der Krieg 6 7

Vgl. Friedrich: Haber, S. 8 f. Vgl. z. B. Habers Briefe an Willstätter aus dem Jahre 1911, abgedruckt in: Werner/Irmscher (Hg.): Haber, S. 40–48.

30

Präsidium

schnell entschieden werden könnte. Konfrontiert mit der verheerenden Wirkung der Gaskampfstoffe, musste er zudem erleben, dass sich seine Frau wenige Tage nach dem ersten Einsatz das Leben nahm.8 Ohne Nachweis blieb die Vermutung, sie habe dies aus Protest gegen seine führende Rolle im Gaskrieg getan. Noch vor Kriegsende, im Jahr 1917, heiratete Haber erneut. Mit seiner zweiten Frau Charlotte Nathan hatte er einen Sohn, Ludwig, und eine Tochter, Eva.9 Im weiteren Verlauf des Krieges entwickelte sich Habers KWI zu einer zentralen Forschungsstätte für die Kampfstoffentwicklung und den Schutz gegen Kampfstoffe. Zahlreiche neue Gebäude kamen hinzu, und die Zahl der wissenschaftlichen Mitarbeiter stieg ebenso an wie die der Hilfskräfte, von denen zuletzt rund 2.000 Zuarbeit leisteten. Eng arbeitete er auch mit Willstätter zusammen, der sich bis zu seinem Lebensende „mit Herz und Kopf “ als Monarchist verstand10 und bei Kriegsbeginn den Aufruf „An die Kulturwelt“ unterzeichnet hatte, mit dem Deutschland gegen den Vorwurf der Kriegsschuld verteidigt werden sollte. Willstätter entwickelte seit Herbst 1915 auf Habers Bitte hin einen Atemeinsatz für Gasmasken, der bald zur Standardausrüstung des Heeres gehörte.11 Zu Kriegsende übernahm Haber zusätzlich zu seinen Aufgaben das Reichsamt für wirtschaftliche Demobilisierung, in dem er den gesamten Bereich der Chemie verantwortete. Aus gesundheitlichen Gründen musste er aber bereits im Januar 1919 ausscheiden. Nun wurde er auch aufgrund seines Engagements im Gaskrieg von den Alliierten als Kriegsverbrecher eingestuft und floh daraufhin in die Schweiz. Genau in demselben Zeitraum aber zeichnete man ihn für die Ammoniaksynthese mit dem Nobelpreis für Chemie aus, sodass die politischen Anschuldigungen in den Hintergrund traten. Im Sommer 1920 reiste Haber zusammen mit den anderen deutschen Nobelpreisträgern der Kriegszeit – Max von Laue, Max Planck, Johannes Stark und Richard Willstätter12 – nach Stockholm, um die Auszeichnung entgegenzunehmen. Für das KWI für Physikalische Chemie und Elektrochemie bedeutete das Kriegsende die Umstellung von der Kriegsforschung auf die Grundlagenforschung. Gleichwohl knüpfte man an die im Krieg gewonnene Expertise bei der Entwicklung und Herstellung von Kampf- und Explosivstoffen an und setzte so die Arbeiten an der Nutzung giftiger Gase für militärische und nun auch für zivile Zwecke fort, etwa in der Pharmakologie oder der Schädlingsbekämpfung. So beteiligte sich Haber an der Gründung der Deutschen Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung, die das Präparat Zyklon B entwickelte, das „im Dritten Reich eine todbringende Karriere“ machte.13 8 9 10 11 12 13

Vgl. Leitner: Fall, S. 214 f. Charlotte Haber schrieb später ihre Erinnerungen nieder, vgl. Haber: Leben. Willstätter: Leben, S. 24. Vgl. Brief des Königlich Preußischen Kriegsministers an Willstätter vom 13.2.1917, abgedruckt in: Willstätter: Leben, S. 238; Friedrich: Haber, S. 11 f. Willstätter hatte für seine Untersuchungen der Farbstoffe im Pflanzenreich, vor allem für die Erforschung des Chlorophylls, im November 1915 den Nobelpreis für Chemie erhalten. Szöllösi-Janze: Haber, S. 463. Zur Entwicklung giftiger Gase in Habers Institut nach Kriegsende vgl. ausführlich ebd., S. 447–480; Friedrich: Haber, S. 14 f.

Fritz Haber

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Kriegsniederlage und Wirtschaftskrise veranlassten Haber aber auch, sich anderen Vorhaben zuzuwenden, von denen das „Meergoldprojekt“ einmal mehr zeigte, dass er sich dem Staat zur Verfügung stellte – dieses Mal, um Deutschland aus der Notlage nach Kriegsende zu befreien.14 Seine Überlegungen gingen dahin, dass es möglich sein müsse, das vermeintlich im Ozean in großer Konzentration vorhandene Gold elektrochemisch herauszulösen. Mit diesem könne man dann, so die Hoffnung, die auf Deutschland lastenden Reparationen bezahlen. Haber stellte eine mit dieser Aufgabe betraute Arbeitsgruppe zusammen, die er zur Geheimhaltung verpflichtete und die das Vorhaben mit erheblichem Aufwand – eigens eingerichtete Schiffsexpeditionen brachten Proben aus den Weltmeeren heran  – betrieb. Nach einiger Zeit stellte sich freilich heraus, dass die anfangs angenommenen und in ersten Versuchen scheinbar bestätigten Werte um das 1000-fache zu hoch lagen. Eine rentable Gewinnung war nicht möglich. Habers Institut entwickelte sich in der Weimarer Republik – auch wenn nicht alle Vorhaben gelangen  – insgesamt äußerst erfolgreich. Dazu trug vor allem bei, dass Haber weiterhin als hervorragender Wissenschaftsorganisator und als Führungspersönlichkeit wirkte. Es gelang ihm, ausgezeichnete Mitarbeiter und Nachwuchskräfte ans Institut zu holen, die aufgrund der guten Arbeitsbedingungen in ihren jeweiligen Forschungsfeldern Höchstleistungen ablieferten. Gern hätte Haber auch gesehen, wenn Willstätter, der im Winter 1915 als Nachfolger seines Lehrers Adolf von Baeyer nach München gegangen war, wieder zurückgekehrt wäre.15 Doch dieser lehnte 1919/20 den Ruf nach Berlin ab und blieb in München. Seit 1931 arbeitete aber Willstätters Tochter Ida, die in Physik promoviert hatte, an Habers KWI. Bemerkenswert ist, dass dort nahezu jeder zweite der rund 60 beschäftigen Wissenschaftler aus dem Ausland kam, wobei nicht nur die Vereinigten Staaten vertreten waren, sondern mehr als zehn Länder. Das 14-tägig stattfindende Kolloquium entwickelte sich unter Habers Leitung zu einem Diskussionsforum über aktuelle Fragestellungen und Erkenntnisse in Chemie und Physik und genoss daher einen „geradezu legendären Ruf “.16 Viele Wissenschaftler, die am Institut arbeiteten und an den „Haber-Colloquien“ teilnahmen, begannen dort ihre wissenschaftliche Karriere und sind bis heute bekannt – so etwa Herbert Freundlich, der die nach Kriegsende neu eingerichtete Abteilung für Kolloidchemie leitete, Michael Polanyi, der 1923 die zweite Abteilung für Physikalische Chemie übernahm,17 oder James Franck, dem die ebenfalls neu eingerichtete Abteilung für Atomphysik unterstand. Franck, der 1920 einen Lehrstuhl in Göttingen übernahm, erhielt für seine in Berlin durchgeführten Experimente 1925 zusammen mit Gustav Ludwig Hertz den Nobelpreis für Physik.

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Vgl., auch zum Folgenden, ausführlich Szöllösi-Janze: Haber, S. 508–527. Vgl. z. B. Habers Briefe an Willstätter aus dem zweiten Halbjahr 1919, abgedruckt in: Werner/Irmscher (Hg.): Haber, S. 57–66. Rürup: Schicksale, S. 213. Vgl. auch Friedrich: Haber, S. 15–17. Zur Durchführung von Vakuumuntersuchungen Polanyis hatte Haber Mitte der 1920er Jahre bei der Notgemeinschaft Mittel zur Beschaffung von Apparaten beantragt und erhalten, vgl. HA-Liste 14/26, BArch, R 1501/116309, Bl. 148.

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Habers Wirkungskreis beschränkte sich zudem nicht auf sein Institut. Vielmehr beteiligte er sich kurz nach Kriegsende etwa an der Gründung der Technischen Nothilfe, die später in „Technisches Hilfswerk“ umbenannt wurde, und engagierte sich in der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, deren Wissenschaftlichem Rat er angehörte, in der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, die ihn 1926 in ihre Reihen aufnahm, und auch im Aufsichtsrat der IG Farben. Zudem strebte er nach Kriegsende eine Wiederaufnahme der internationalen Zusammenarbeit an. Habers langfristig wichtigstes Vorhaben aber bestand darin, eine von Wissenschaftlern selbst verwaltete Institution der Forschungsförderung zu schaffen, die nicht nur überregionalen Charakter haben, sondern auch alle wissenschaftlichen Fächer umfassen sollte. Dies war in Deutschland ein Novum. In vielen Zielvorstellungen wusste er sich mit dem preußischen Kultur- und Wissenschaftspolitiker Friedrich Schmidt-Ott einig, der in der letzten Kriegsphase zum Minister der geistlichen und Unterrichts-Angelegenheiten avanciert war. Es ging ihnen um die Schaffung einer von Staat und Industrie finanzierten, aber sich dennoch selbst verwaltenden Körperschaft.18 Bei der Durchsetzung des Vorhabens kam ihnen zugute, dass sie sich beide im Ersten Weltkrieg als außerordentlich aktive Wissenschaftsorganisatoren ausgezeichnet hatten und dass sie darüber hinaus über hervorragende Kontakte zu den Akademien, zur Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und zu den Hochschulen verfügten.19 Ihre Pläne trafen dort auf breite Zustimmung. Auch die Regierung zeigte sich dem Vorhaben gegenüber aufgeschlossen. Eine erste Besprechung beim Reichsinnenminister Erich KochWeser fand im Juni 1920 statt. Wichtig war, dass schon zu diesem Zeitpunkt die Kultusministerien der Länder beteiligt waren und einwilligten. So konnten die Pläne von Haber und Schmidt-Ott Realität werden: Am 30. Oktober 1920 wurde die „Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft“, deren Konstitution sich bereits seit Längerem abgezeichnet hatte, auch formal gegründet. Als eingetragener Verein20 (mit ausschließlich korporativen Mitgliedern) repräsentierte sie rund 60 Einrichtungen und damit nahezu alle etablierten wissenschaftlichen Institutionen der Weimarer Republik. Die enge Bindung an den Staat kam bereits in der Gründungsphase zum Ausdruck: Am 23. November 1920 lud Koch-Weser auf Veranlassung Schmidt-Otts die Mitglieder der Notgemeinschaft zu einem „Parlamentarischen Abend“ in den Plenarsaal des Reichstags ein, um diese den führenden Vertretern aus Politik und Wirtschaft vorzustellen. Wie hochrangig die Politik die neue Institution einstufte, wird am Kreis der Teilnehmer deutlich: Anwesend waren unter anderem der Reichspräsident, der Reichskanzler, der Reichsinnenminister, der Reichsfinanzminister sowie der preußische Kultusminister. 18 19 20

Der folgende Abschnitt stammt aus meinem Buch: NS-Vertreibung, S. 34–36. Zur Vorgeschichte der Gründung vgl. Marsch: Notgemeinschaft, S.  61–74; Nipperdey/ Schmugge: Jahre, S. 14–16; Zierold: Forschungsförderung, S. 4–18; Flachowsky: Notgemeinschaft, S. 62–67. Über die Rechtsform der Notgemeinschaft wurde auf der Gründungsversammlung lange debattiert. Gegen Habers Vorschlag, der eine Stiftung favorisierte, setzte sich Schmidt-Otts Vorschlag des eingetragenen Vereins durch, vgl. Flachowsky: Notgemeinschaft, S. 68 f.; Marsch: Notgemeinschaft, S. 74–77.

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Politiker wie Wissenschaftler verwiesen an diesem Abend darauf, dass die Förderung der Wissenschaft eine zentrale Voraussetzung für die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands sei. Im „Wettbewerb mit anderen Völkern, die über mehr Geld, über mehr Rohstoffe und über mehr ungebrochene Volkskraft verfügen,“ könne Deutschland, so Koch-Weser, nur durch „Veredelungsarbeit“ bestehen, die „in jeder Hinsicht abhängig ist von der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnis“.21 Und Haber betonte, „dass nur die Wissenschaft das tragende Fundament unserer wirtschaftlichen Zukunft abgeben kann“.22 Im Präsidium der Berliner Notgemeinschaft bekleidete Haber das Amt des zweiten Stellvertreters bzw. Vizepräsidenten. Das Gremium bestand insgesamt nur aus einer kleinen Zahl von Personen, und die Zusammensetzung änderte sich während der gesamten Weimarer Republik kaum. Es dominierte als Präsident Schmidt-Ott, und neben Haber amtierte der Münchner Mathematiker Walther von Dyck als erster Stellvertreter bzw. Vizepräsident. Hinzu kam der Vorsitzende des Hauptausschusses; bis 1929 war dies Adolf von Harnack und nach dessen altersbedingtem Ausscheiden Friedrich von Müller. 1929 wurde auch der Bonner Physiker Heinrich Konen, der ebenfalls in diesem Buch vorgestellt wird, ins Präsidium geholt, während er vorher dem Hauptausschuss zugeordnet war. SchmidtOtt und Haber hatten die Mitglieder des Präsidiums nicht zuletzt nach repräsentativen Kriterien ausgewählt: von Dyck und Müller standen für Süddeutschland, Konen für den Westen und die Katholiken, galt Bonn bzw. die Bonner Universität doch als Hochburg der Katholiken und des Zentrums. In den ersten Jahren bemühten sich Schmidt-Ott und Haber ganz um den Aufbau einer Geschäftsstelle und der Förderstrukturen. Die Gelder hierfür kamen vom Reichsinnenministerium und dem preußischen Kultusministerium, von amerikanischen Stiftungen wie insbesondere der Rockefeller Foundation und auch von der Industrie bzw. privaten Spendern; zu nennen sind hier insbesondere der Stifterverband der Notgemeinschaft sowie die Helmholtz-Gesellschaft zur Förderung der physikalisch-technischen Forschung.23 Auch der japanische Industrielle Hajime Hoshi, Besitzer eines pharmazeutischen Konzerns, stiftete bis Mitte der 1920er Jahre rund 72.000 Yen, um die naturwissenschaftliche Grundlagenforschung zu unterstützen. Bei einem seiner Besuche in Berlin sagte er dies Haber zu. In der Notgemeinschaft entstand der Hoshi- oder Japan-ChemieAusschuss, der die Gelder verwaltete und vergab und der aus sechs Personen bestand, darunter die vier Nobelpreisträger Fritz Haber, Otto Hahn, Max Planck und Richard Willstätter.24 Hoshi hatte Haber zudem nach Japan eingeladen. Auf einer Weltreise, die Haber 1924/25 unternahm, machte er in Japan Station, festigte dort die Kontakte und gehörte ein Jahr später zu den Mitbegründern und Kuratoriumsmitgliedern des Berliner Japaninstituts zur Pflege wissenschaftlicher

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Rede Koch-Weser am 23.11.1920, zit. nach: Flachowsky: Notgemeinschaft, S. 74. Rede Haber vom 23.11.1920, zit. nach: Zierold: Forschungsförderung, S. 576. Vgl. ausführlich Orth: NS-Vertreibung, S. 37–42. Vgl. Friese: Haber, S. 12; Zierold: Forschungsförderung, S. 88 f.

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wie auch kultureller Beziehungen zwischen beiden Ländern, das ein Jahr später mit dem Japanisch-Deutschen Kulturinstitut in Tokio seine Ergänzung fand.25 In der Gründungsphase der Notgemeinschaft blieben die insgesamt zur Verfügung stehenden Mittel allerdings weit unter den 80 Millionen RM, die Haber und Schmidt-Ott ursprünglich gefordert hatten. Überhaupt bestand die Tätigkeit der Notgemeinschaft in den Anfangsjahren mehr oder weniger in „forschungspolitischem Krisenmanagement“,26 und es drohte 1923/24 sogar die Gefahr, sie könne im Zuge von Sparmaßnahmen des Reiches aufgelöst werden. Die Institution musste sich also, wollte sie weiterbestehen, neue Aufgabenfelder erschließen und sich für staatliche und industrielle Kreise interessant machen. Vor diesem Hintergrund kam es zu einer Neuorientierung im Bereich der förderpolitischen Strategien, wie es Haber und Schmidt-Ott bereits 1921/22 erwogen hatten.27 Im Zentrum sollte nun nicht mehr allein die Abhilfe der akuten kriegsbedingten Not der Wissenschaft stehen, sondern vielmehr die Belebung „kollektiver“ Forschung, mit der sich die Notgemeinschaft stärker in den Dienst „nationalwichtiger“ Aufgaben stellen wollte.28 Die veränderte förderpolitische Konzeption fand ihren Niederschlag in einer von Schmidt-Ott verfassten und von Haber ergänzten Denkschrift vom 25. Mai 1925 mit dem programmatischen Titel „Forschungsaufgaben der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft im Bereich der nationalen Wirtschaft, der Volksgesundheit und des Volkswohls“.29 Die Denkschrift markiert insofern eine Zäsur, als Schmidt-Ott und Haber hier erstmals ein Konzept von aktiver, planender Forschungsförderung formulierten. Sie selbst wollten initiativ werden und Förderschwerpunkte setzen, anstatt die Forschung nur reaktiv, nach Antragslage zu unterstützen. Bezeichnend ist darüber hinaus, wo sie derartige Schwerpunkte lokalisierten. Mit der intendierten gezielten Förderung der Medizin sowie der natur- und technikwissenschaftlichen Forschung sollten Wissenschaftsfelder unterstützt werden, die von „nationalem“ Belang seien. Damit traf die Notgemeinschaft die dominante politische Strömung der Zeit und das Interesse des Staates. Tatsächlich bewilligte der Reichstag im März 1926 drei Millionen RM zur Finanzierung der bald so genannten Gemeinschaftsarbeiten. An den Gemeinschaftsforschungen, deren „vaterländische Ausrichtung“ letztlich auf autarkiewirtschaftliche und rüstungsrelevante Fragestellungen hinausliefen, waren neben dem Staat auch die Wirtschaft und das Militär interessiert; beide waren an entsprechenden Vorhaben auch mehr oder weniger direkt beteiligt.30 Der Notgemeinschaft schließlich verhalfen die Gemeinschaftsarbeiten zu einer eigen25 26 27 28 29 30

Zu den Instituten und Habers Rolle vgl. ausführlich Friese: Haber, S. 13–18. Ebd., S. 22– 27, ist auch die Rede abgedruckt, die Haber zur Eröffnung des Berliner Japaninstituts am 4.12.1926 hielt. Flachowsky: Notgemeinschaft, S. 75; vgl. auch Marsch: Notgemeinschaft, S. 97–99. Vgl. Schmidt-Ott: Erlebtes, S. 212; Szöllösi-Janze: Haber, S. 555–557. Schmidt-Ott: Erlebtes, S. 212. Die Denkschrift Schmidt-Otts vom 25.5.1925 sowie Habers Anlage zur vorstehenden Denkschrift sind abgedruckt in: Zierold: Forschungsförderung, S. 576–586. Vgl. dazu ausführlich Flachowsky: Notgemeinschaft, S. 85–92. Als hilfreich bei der Durchsetzung der Gemeinschaftsarbeiten erwies sich auch, dass 1923 die Kaiser-Wilhelm-Stiftung aufgelöst wurde.

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ständigen Profilbildung. Die Hinwendung zur gestaltenden Forschungsförderung im Bereich der „nationalen Wirtschaft, der Volksgesundheit und des Volkswohls“ sicherte den Fortbestand der Institution und bildete, wie Margit Szöllösi-Janze formuliert hat, „den Übergang von der Krisenbewältigung zur langfristig angelegten, fächer- und institutionenübergreifenden Förderung von Schwerpunktforschungen in politisch vorgegebenen Bereichen“.31 Sie kennzeichneten den entscheidenden Schritt auf dem Weg vom „Provisorium der Nothilfe“ zu einem „Pfeiler im deutschen Forschungssystem“.32 Seit Mitte der 1920er Jahre kristallisierten sich die folgenden Tätigkeitsbereiche der Notgemeinschaft heraus: die Bewilligung von Forschungsstipendien für junge Forscher, die Ermöglichung der Herausgabe von wissenschaftlichen Werken durch Druckkostenübernahme oder -zuschüsse, die Bereitstellung wissenschaftlicher Literatur und die Bibliotheksförderung sowie insbesondere die unmittelbare Unterstützung wissenschaftlicher Einzelforschung durch Apparate, Reise- oder Sachbeihilfen.33 Als wichtiger Schwerpunkt erwies sich dabei die Förderung der Gemeinschaftsarbeiten mit ihren „vaterländischen Aufgaben technisch-wissenschaftlicher Art“. Charakteristisch ist schließlich auch die Art und Weise, wie bzw. von wem Förder- und Forschungspolitik gestaltet wurden. Die Satzung vom Oktober 1920 hatte bereits die herausgehobene Stellung des Präsidenten festgeschrieben: Dem Präsidenten kamen als Vorstand des Vereins sehr weitreichende Kompetenzen und Befugnisse zu.34 Das Amt hatte zwischen 1920 und 1934 Schmidt-Ott inne. Ihn zeichneten exzellente Fähigkeiten als Wissenschaftspolitiker und -organisator, seine umfassenden Erfahrungen auf dem Gebiet der Kultusverwaltung, sein ausgeprägtes diplomatisches Geschick und seine verbindliche Wesensart aus. Durch seine langjährige Präsidentschaft erlangte die Notgemeinschaft ein hohes Maß an Kontinuität, was sich für die neu geschaffene Institution als großer Vorteil erwies. Gleichzeitig ist nicht zu übersehen, dass Schmidt-Ott die anderen zentralen Gremien der Notgemeinschaft  – Hauptausschuss, Fachausschüsse und Mitgliederversammlung – dominierte. Bereits nach relativ kurzer Zeit zeichnete sich also ab, dass Politik und Geschäfte der Notgemeinschaft ganz wesentlich von Schmidt-Ott und der kleinen Geschäftsstelle geprägt wurden.35 Einige Historiker haben dies als Folge von Schmidt-Otts dynamischer Persönlichkeit angesehen, der versuchte, alle Fäden in der Hand zu halten,36 andere 31 32 33 34

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Szöllösi-Janze: Umgestaltung, S. 72. Kirchhoff: Schwerpunktlegungen, S. 71 f. Vgl. ausführlich Zierold: Forschungsförderung, S. 67–102; Marsch: Notgemeinschaft, S. 101– 104; Nipperdey/Schmugge: Jahre, S. 39–47. Zu den Gemeinschaftsarbeiten vgl. Zierold: Forschungsförderung, S. 92 f.; sowie ausführlich Flachowsky: Notgemeinschaft, S. 81–85. Über die Befugnisse des Präsidenten war während der Gründungsversammlung im Zusammenhang mit der Frage über die Rechtsform der Notgemeinschaft diskutiert worden. Gegen Habers Vorschlag, der eine Stiftung und eine weniger dominierende Stellung des Präsidenten befürwortete, setzte sich Schmidt-Otts Vorschlag durch; vgl. Flachowsky: Notgemeinschaft, S. 68 f. Vgl. Flachowsky: Notgemeinschaft, S. 69; Szöllösi-Janze: Haber, S. 541; Marsch: Notgemeinschaft, S. 75 f.; Nipperdey/Schmugge: Jahre, S. 20. Vgl. Nipperdey/Schmugge: Jahre, S. 19.

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nannten seinen Führungsstil autoritär oder autokratisch. So schrieb Notker Hammerstein nicht zu Unrecht, die Notgemeinschaft sei unter Schmidt-Ott eine „quasi-monarchische[…] Institution“ gewesen.37 Jedenfalls führte Schmidt-Otts Auftreten und Handeln zu wachsenden Spannungen mit dem preußischen Kultusminister Carl Heinrich Becker und dem Leiter der preußischen Hochschulabteilung Werner Richter, die seit Ende der 1920er Jahre eskalierten. Die „Krise“ der Notgemeinschaft im Jahr 1929 ist vielfach beschrieben worden38 und resultierte primär aus der politischen Positionierung der Notgemeinschaft, nämlich inmitten des Spannungsfelds von Regierung, Parlament und den Ländern. Trotz aller Kritik an der Notgemeinschaft kam es 1929 letztendlich nur zu wenigen Veränderungen, vor allem blieb es bei Schmidt-Otts autoritärem Führungsstil, gegen den sich Haber gelegentlich (vergeblich) zu wehren versuchte. Manchmal harmonierten beide freilich auch. So schrieb Haber Anfang des Jahres 1926 seinem Freund Willstätter, dass Schmidt-Ott „wirklich Wert darauf legt, meine Meinung zu erfahren und im Rahmen seiner persönlichen Möglichkeiten bereit ist, mir eine gewisse Mitwirkung zu gestatten […]. Aber ich möchte es nicht darauf ankommen lassen, mit meinem Kollegen im Präsidium, dem hochvermögenden Herrn v. Dyck, zusammenzustoßen; denn der Hauptausschuß würde unbesehen diesem Manne beipflichten.“39 Tatsächlich war das Verhältnis zwischen Haber und von Dyck angespannt, nicht zuletzt aufgrund der antisemitischen Einstellung von Dycks. Bereits 1921 hatte dieser geschrieben, sein Eindruck von Haber sei „recht übel“. An dessen „Machthunger“ und der „entsetzliche[n] Cliquenwirtschaft in Berlin“ gehe „unser deutsches Wesen […] zu Grunde“.40 Die Zusammenarbeit zwischen den beiden DFG-Vizepräsidenten verbesserte sich im Laufe der Zeit nicht, und auch das Verhältnis zwischen Haber und Schmidt-Ott kühlte sich seit Mitte der 1920er Jahre deutlich ab.41 Nach der „Machtergreifung“ stellte sich dann vor allem von Dyck gegen Haber. Am 14. Mai 1933 schrieb er an Schmidt-Ott: „Sie wissen, dass ich die Wahl der beiden Herren [Haber und Konen], besonders die von Haber, nie für gut gehalten habe.“42 SchmidtOtt selbst benutzte noch in seinen Erinnerungen aus dem Jahre 1952 antisemitische Zuschreibungen: Haber sei der einzige „Nichtarier unter uns“ gewesen, und die Spannungen zwischen Haber und von Dyck beruhten „z. T. wohl auch auf Rassenunterschieden“.43

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Hammerstein: Forschungsgemeinschaft, S. 63. Vgl. z. B. Orth: NS-Vertreibung, S. 42–46; Nipperdey/Schmugge: Jahre, S. 25–39; SzöllösiJanze: Haber, S. 623–634; Zierold: Forschungsförderung, S. 108–137; Flachowsky: Notgemeinschaft, S. 94–102. Brief Haber an Willstätter vom 7.1.1926, zit. nach: Werner/Irmscher (Hg.): Haber, S. 102. Brief von Dyck an Felix Klein vom 22.1.1921, zit. nach: Hashagen: Walther von Dyck, S.  635 f., Hervorhebung im Original. Weitere Belege für die antisemitische Haltung von Dycks ebd., S. 635–640. Vgl. Szöllösi-Janze: Haber, S. 623 f. Brief von Dyck an Schmidt-Ott vom 14.5.1933, zit. nach: Schulze: Stifterverband, S.  85. Zum Verhältnis von Haber und von Dyck vgl. auch Szöllösi-Janze: Haber, S. 556. Schmidt-Ott: Erlebtes, S. 180.

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Zu Beginn der 1930er Jahre hatte Haber wissenschaftlich alles Erdenkliche erreicht: Er hatte über 200 Arbeiten veröffentlicht,44 zahlreiche Ehrendoktorwürden erhalten, war Mitglied u. a. der Wissenschaftlichen Akademien in Berlin, Göttingen, München, Petersburg und Stockholm sowie Nobelpreisträger. Gleichwohl war er zutiefst erschöpft und resigniert:45 herzkrank und depressiv, aufgerieben von familiären Zerwürfnissen (1927 war seine zweite Ehe zerbrochen46) und finanziellen Engpässen, ankämpfend gegen die autoritären Strukturen in der Forschungsgemeinschaft und der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, machtlos das Erstarken des Nationalsozialismus beobachtend. Bereits kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, aber noch vor dem sogenannten Berufsbeamtengesetz überlegte Haber, Deutschland zu verlassen. Ihm sei, so schrieb er im März 1933, „die Heimat verloren gegangen“, der seine Vorfahren und er selbst „nach ihren besten Kräften gedient“ hatten.47 Eine Zeitungsmeldung vom 1. April, dass der preußische Justizminister jüdischen Richtern das Betreten der Gerichtsgebäude untersagt habe, nahm er zum Anlass, Willstätter zu schreiben, in der Vorahnung, dass diese Politik auch bald sie betreffen könne. Er sah sehr klar, dass die Nationalsozialisten unter „jüdisch“ nicht die „Konfession, sondern die Abstammung“ verstanden.48 Als sich wenige Tage später mit dem Berufsbeamtengesetz die nationalsozialistische Gesetzgebung direkt gegen jüdische, „nichtarische“ und politisch missliebige Wissenschaftler richtete, versuchte Haber zunächst, seine von den Maßnahmen betroffenen Mitarbeiter, Freunde und Kollegen zu schützen bzw. für ihre Weiterbeschäftigung im Ausland zu sorgen. Er selbst schien geschützt, da er als Vorkriegsbeamter und Kriegsteilnehmer unter die Ausnahmeregelungen des Gesetzes fiel. Gleichwohl nahm Willstätter Kontakt nach England auf, um auszuloten, ob dort für Haber eine Stelle gefunden werden könne. Beide, Willstätter wie Haber, unterstützten auch Ernst Berl, der seit Ende des Ersten Weltkriegs an der TH Darmstadt lehrte und der im Frühjahr 1933 fest mit seiner Entlassung rechnete. Sie rieten ihm, in die Vereinigten Staaten zu gehen, und Haber vermittelte ein Gespräch mit Thomas S. Baker, dem Präsidenten des Carnegie Institute of Technology in Pittsburgh, Pennsylvania, der sich in der ersten Jahreshälfte 1933 in Deutschland aufhielt. Tatsächlich kam das Gespräch Anfang Juli zustande, und wenig später lag ein schriftliches Angebot für eine Forschungsprofessur vor. Am 1. September trat Berl die Stelle in Pittsburgh an.49 Haber selbst hatte Ende April „einen eindeutigen Trennungsstrich“ gezogen.50 Zu diesem Zeitpunkt legte er seine Ämter als KWI-Direktor, Hochschullehrer und Vorsitzender im Verband Deutscher Chemischer Vereine nieder und trat am 9. Mai als Vizepräsident der Forschungsgemeinschaft zurück. Gegenüber dem neu eingesetzten Kultusminister Bernhard Rust begründete er seinen Entschluss 44 45 46 47 48 49 50

Ein Publikationsverzeichnis findet sich bei: Szöllösi-Janze: Haber, S. 859–870. Zum Folgenden vgl. Szöllösi-Janze: Haber, S. 599–691. Aus der Sicht von Charlotte Haber vgl. Haber: Leben, S. 268–273. Brief Haber an Donnan vom 24.3.1933, zit. nach: Stoltzenberg: Haber, S. 604. Brief Haber an Willstätter vom 1.4.1933, zit. nach: Werner/Irmscher (Hg.): Haber, S. 128. Vgl. ausführlich den Beitrag über Ernst Berl in diesem Buch, S. 297–309. Rürup: Schicksale, S. 214.

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„aus dem Gegensatz der Tradition hinsichtlich der Forschung, in der ich bisher gelebt habe, zu den veränderten Anschauungen, welche Sie, Herr Minister, und Ihr Ministerium als Träger der großen derzeitigen nationalen Bewegung vertreten. Meine Tradition verlangt von mir in einem wissenschaftlichen Amte, dass ich bei der Auswahl von Mitarbeitern nur die fachlichen und charakterlichen Eigenschaften der Bewerber berücksichtige, ohne nach ihrer rassenmässigen Beschaffenheit zu fragen. Sie werden von einem Manne, der im 65. Lebensjahr steht, keine Änderung der Denkweise erwarten, die ihn in den vergangenen 39  Jahren seines Hochschullebens geleitet hat, und Sie werden verstehen, dass ihm der Stolz, mit dem er seinem deutschen Heimatlande sein Leben lang gedient hat, jetzt diese Bitte um Versetzung in den Ruhestand vorschreibt.“51 Das vielfach zitierte und abgedruckte Rücktrittsgesuch vom 30. April 1933 bezeichnet Margit Szöllösi-Janze zu Recht „als eines der wenigen Zeugnisse aufrechter Haltung deutscher Wissenschaftler zu Beginn der NS-Diktatur“.52 In Habers Leben markierte es freilich den Anfang vom Ende. Er verlor in den folgenden Wochen und Monaten „alles […], was ihm etwas bedeutete“: seine Mitarbeiter, sein Institut, seine Wissenschaft, seine Heimat und die vertrauten Lebensumstände.53 Bis zu seinem Tod neun Monate später irrte er durch Europa, schwer herzkrank, bespitzelt und denunziert, auf der verzweifelten Suche nach äußerer und innerer Ruhe. Er erstrebte sehnlich, im Ausland, in Japan, Frankreich, England, Palästina, eine Möglichkeit zur Forschung zu finden  – ein Ziel, das jedoch in Anbetracht der sogenannten Reichsfluchtsteuer, mit der die Nationalsozialisten auswanderungswilligen Juden/„Nichtariern“ ihr Vermögen abzupressen suchten, für ihn kaum finanzierbar und zudem nicht ohne Weiteres zu finden war. Darüber hinaus kamen viele Länder aus gesundheitlichen Gründen nicht infrage, und Haber war auch kaum noch in der Lage, wissenschaftlich zu arbeiten. Nach einer kurzen Erholungsphase im Herbst 1933 in Cambridge geriet er, wie er im Januar 1934 gegenüber Willstätter eingestand, „in eine Art Verfall“.54 Über einen Vortrag, den er am 23. Januar in Cambridge hielt, schrieb er, er „verblute in der Anstrengung“55 und wünsche sich nur noch „ein baldiges, anständiges und leichtes Ende“.56 Am 29. Januar 1934 reiste Fritz Haber zu einem Kuraufenthalt in die Schweiz und starb kurz nach seiner Ankunft in einem Basler Hotel an Herzversagen. Das, was sich nach dem 30. Januar 1933 ereignet hatte, brachte für den schwer kranken 65-Jährigen, so lässt sich wohl sagen, ein Übermaß an Leid und Sorge mit sich, dem Körper und Psyche nicht gewachsen waren.

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Brief Haber an Rust vom 30.4.1933, zit. nach: Zierold: Forschungsförderung, S. 151. Vgl. dazu auch Kinas: Massenentlassungen, S. 340 f. Szöllösi-Janze: Haber, S.  656. Das Folgende stammt aus meinem Buch: NS-Vertreibung, S. 107–109. Szöllösi-Janze: Haber, S. 679. Brief Haber an Willstätter vom 16.1.1934, zit. nach: Werner/Irmscher (Hg.): Haber, S. 140. Brief Haber an Weizmann vom 20.1.1934, zit. nach: Szöllösi-Janze: Haber, S. 691. Brief Haber an Schmitz, o. D. [23.1.1934], zit. nach: Szöllösi-Janze: Haber, S. 691.

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Habers Leben und Leistung fand kurz nach seinem Tod erste Würdigungen. Die Forschungsgemeinschaft veröffentlichte am 3. Februar 1934 einen Nachruf in der Deutschen Allgemeinen Zeitung,57 sein Kollege Max Bodenstein nannte ihn am 28. Juni in einer öffentlichen Sitzung der Preußischen Akademie der Wissenschaften „einen der Unseren“,58 und im Januar 1935 ehrte ihn die KaiserWilhelm-Gesellschaft mit einer Gedenkfeier im Harnack-Haus, an der trotz des politischen Drucks der nationalsozialistischen Machthaber einige seiner Weggefährten teilnahmen.59

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Der Nachruf in der Deutschen Allgemeinen Zeitung vom 3.2.1934 ist abgedruckt in: Zierold: Forschungsförderung, S.  154. Weitere Meldungen befinden sich in BArch, R  73/78, Bl. 13–20. Gedenkrede Max Bodenstein am 28.6.1934 in einer öffentlichen Sitzung der Preußischen Akademie der Wissenschaften, zit. nach: Rürup: Schicksale, S. 215. Zu dieser vgl. auch Heiber: Universität, Teil 1, S.  215–217; Schottlaender: Wissenschaft, S. 62 f.; Friedrich: Haber, S. 1 f.

Heinrich

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Heinrich Konen kam am 16. September 1874 in Köln in einer katholischen Familie zur Welt.1 Sein Vater war als Gymnasialoberlehrer beschäftigt, seine Mutter die Tochter eines Fruchthändlers. Heinrich Konen besuchte zunächst die städtische Elementarschule und wechselte 1884 auf das königliche Friedrich-WilhelmsGymnasium in Köln, das er Ostern 1893 mit dem Reifezeugnis verließ. Anschließend studierte er Physik und Mathematik sowie Geschichte und Literatur in Bonn. Er schloss das Studium zunächst mit dem Staatsexamen ab, da er Lehrer werden wollte, setzte es dann aber doch fort, um zu promovieren. Als Schüler von Heinrich Kayser, dem damals führenden Fachvertreter der Spektralanalyse, beschäftigte er sich in seiner Dissertation mit einem entsprechenden Thema, nämlich den Spektren des Jods. Im Vorwort dankte Konen seinem Lehrer Kayser für „das mir in so reichem Masse bewiesene Wohlwollen und für die freundliche Teilnahme, mit welcher er mich bei der Ausführung dieser Arbeit unterstützte“.2 Nach der Promotion arbeitete Konen zeitweise an einem Bonner Gymnasium als Hilfslehrer, vor allem aber als Assistent von Kayser am Physikalischen Institut der Universität Bonn. Kayser und Konen beschäftigten sich weiterhin mit der Spektralanalyse bzw. der spektroskopischen Forschung, deren Anfänge zwar auf 1

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Für die Durchsicht des Textes danke ich Dr. Dominik Reßing sehr herzlich. Zu Konens Biografie, seiner Vertreibung und zum Folgenden vgl. die entsprechenden Einträge in NDB und DBE; Höpfner: Universität, S. 487 f.; George: Neubeginn; Gerlach: Gedächtnisrede; ders.: Konen; zudem UABo, PF 77-382 und PA 4377. Konen: Spektren, S. 72. Zur spektroskopischen Forschung in dieser Zeit vgl. Gerlach: Gedächtnisrede, S. 6 f.

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das frühe 19. Jahrhundert zurückgingen, die aber noch immer am Anfang stand. Joseph von Fraunhofer hatte 1814 erstmals im Spektrum der Sonne auftretende dunkle Linien beobachtet, ohne freilich zu verstehen, woher diese kamen.3 Einige Jahrzehnte später entdeckten Robert Bunsen und Gustav Kirchhoff, dass es möglich ist, die Flamme eines Gasbrenners durch chemische Elemente zu verfärben. Konen gehörte dann, so beschrieb es sein Freund und Kollege Walther Gerlach, zu jener Generation Physiker, „welche die umfangreichen experimentellen Grundlagen über die Anregung von Spektren erbrachte“.4 Aus ihren Untersuchungen entwickelte sich die Spektroskopie, also experimentelle Verfahren, „die anhand des Spektrums (Farbzerlegung) von Lichtquellen untersuchen, wie elektromagnetische Strahlung und Materie in Wechselwirkung stehen.“5 Im Laufe der Zeit wurde dies zu einer wichtigen Analysemethode nicht nur in der Physik, sondern auch in der Chemie und Astronomie. Die spektroskopischen Beobachtungen erwiesen sich zudem als Grundlage der Quantenmechanik. Im Jahr 1900 legte Kayser den ersten Band des fundamentalen Handbuchs der Spectroscopie vor, dem bald ein zweiter folgte; im Vorwort zum zweiten Band dankte er u. a. Konen für seine Mitarbeit.6 Konen avancierte später zum Mitherausgeber und nach Kaysers Ausscheiden aus dem aktiven Dienst zum allein Verantwortlichen. Auch nach seiner Habilitation, die 1902 in Bonn erfolgte, beschäftigte Konen sich mit methodischen Untersuchungen über spektroskopische Lichtquellen. 1905 gab er mit seinem Kollegen und Freund August Hagenbach den Atlas der Emissionsspektren der meisten Elemente nach photographischen Aufnahmen mit erläuterndem Text heraus, der die spektroskopische Forschung und ihre spätere technische Anwendung entscheidend prägte. Im selben Jahr erging dann auch ein Ruf auf die außerordentliche Professur für Theoretische Physik an die Universität Münster, was insofern besonders hervorzuheben ist, als es in diesem Zeitraum noch kaum Ordinariate für Theoretische Physik gab. In Münster lernte Konen seine spätere Frau Maria Nacke kennen, deren Vater dort als Landgerichtsrat und Universitätsrichter tätig war. 1908 heirateten sie, und ihre beiden Kinder wurden 1909 bzw. 1911 geboren. In seiner Münsteraner Zeit machte Konen erstmals international von sich reden. Seine Beschäftigung mit der Bedeutung der Spektralanalyse für die Astrophysik führte dazu, dass er 1910 in die „International Union for Cooperation in Solar Research“ berufen wurde. Zudem konnte er eine längere Studienreise in die Vereinigten Staaten durchführen, wo er verschiedene Sternwarten erkundete. Nach der Rückkehr legte er einen 1912 publizierten Bericht Reisebilder von einer Studienreise durch Sternwarten und Laboratorien der Vereinigten Staaten vor.7 Bereits ein Jahr später erschien mit seinem Werk Das Leuchten der Gase und Dämpfe – mit besonderer Berücksichtigung der Gesetzmäßigkeiten in Spektren das erste Lehrbuch der Spektroskopie. Zusammen mit Niels Bohrs nahezu zeitgleich publiziertem Auf3 4 5 6 7

Vgl., auch zum Folgenden, www.chemie.de/lexikon/Spektroskopie.html [Zugriff 18.7.2016]. Gerlach: Konen, S. 485. www.chemie.de/lexikon/Spektroskopie.html [Zugriff 18.7.2016]. Kayser/Konen: Handbuch, Bd. 2, Vorwort Kayser, S. III. Vgl. Konen: Reisebilder.

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satz On the Constitution of Atoms and Molecules begann damit eine neue Phase in der Spektralanalyse. Beide erwiesen sich zudem als Meilensteine in der Entwicklung hin zur Quantenphysik. Nach dem Ersten Weltkrieg kehrte Konen als Nachfolger seines Lehrers Kayser nach Bonn zurück. Er übernahm dort im Sommer 1920 mit dem Ordinariat auch die Leitung des Physikalischen Instituts. Der Wechsel von Münster nach Bonn gestaltete sich allerdings schwierig. Es fiel zum einen nicht leicht, eine Wohnung zu finden, zum anderen hatte die Familie einige Schicksalsschläge zu verkraften. Konen hatte während des Ersten Weltkriegs die Fürsorge für seine beiden unverheirateten Schwägerinnen übernommen, von denen eine bei ihm im Haushalt lebte und dann an einer Krebserkrankung starb. Zudem musste sich seine Frau im Sommer 1920 zur Behandlung einer Depression in einem Sanatorium aufhalten, und auch sein Sohn war krank.8 Nach einigem Hin und Her bot die Universität der Familie schließlich eine Wohnung im Physikalischen Institut an, der Umzug konnte vonstattengehen, und auch der Gesundheitszustand von Konens Frau und Sohn besserte sich allmählich. Nun richtete sich Konen in Bonn ein. An der Universität baute er das Physikalische Institut weiter aus und setzte eine Reform der physikalischen Lehre durch. Dazu gehörte die Konzeption einer neuen Vorlesung für Experimentalphysik, die Einrichtung von systematischen Lehrveranstaltungen für fortgeschrittene Studenten sowie die Integration der Angewandten und Technischen Physik in den Lehrkanon. Als Voraussetzung für die Aufnahme einer Doktorarbeit wurde eine Prüfung obligatorisch. Zudem bemühte Konen sich um eine engere Verbindung von Physik und Medizin, da er die Anwendungsmöglichkeiten spektroskopischer Methoden auf medizinische Probleme erkannt hatte. Für den Ausbau des Physikalischen Instituts nahm er auch die Unterstützung der Berliner Notgemeinschaft in Anspruch. Seit 1920/21 profitierte er regelmäßig von den Geldern der Förderinstitution;9 er erhielt beispielsweise Mittel zur Beschaffung von Chemikalien oder von physikalischen Apparaten, darunter etwa ein Längenmessapparat oder eine Luftpumpe zur Untersuchung spektroskopischer Vorgänge bei der Kathodenzerstäubung. Auch stellte die Notgemeinschaft ein Spektralphotometer als persönliche Leihgabe aus dem Apparatebestand zur Durchführung von Untersuchungen auf dem Gebiet der Strahlenkunde bereit, und 1926/27 bewilligte der Fachausschuss Medizin Gelder für Untersuchungen Über die Physiologie und Pathologie vegetativer Gehirnzentren, die Konen zusammen mit dem Bonner Mediziner Dr. Herzfeld durchführte. In den akademischen Selbstverwaltungsgremien der Bonner Universität fungierte Konen als Dekan und 1929/30 sowie 1930/31 als Rektor.10 Schließlich ist auf seine Tätigkeit als Herausgeber wichtiger Grundlagenwerke zu verweisen. So setzte er die von Kayser begründete Reihe des Handbuchs der Spectroscopie fort, sodass bis 1934, zuletzt unter seiner Leitung, acht gewichtige Bände erscheinen konnten (der siebte Band etwa umfasste 1.473 Seiten). Zudem unterstützte er das 8 9 10

Brief Konen an den Rektor der Universität Bonn vom 23.7.1920, UABo, PA 4377. Vgl., auch zum Folgenden, Datenbank DFG-Geschichte. Zu seinen „Ansprachen an die Bonner Studenten“ vgl. Konen: Universitätsverfassung.

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von seinen Kollegen Hans Geiger und Karl Scheel vorangetriebene Vorhaben, ein Handbuch der Physik herauszugeben. Er selbst übernahm die Redaktion der Bände 18 bis 21 zur Optik und verfasste auch selbst einige Beiträge. In Anbetracht all dieser Aktivitäten kam Konen selbst kaum mehr zum experimentellen Arbeiten, doch leitete er die Nachwuchswissenschaftler an, die durch ihre Dissertationen das Forschungsgebiet weiter voranbrachten. Konen beschäftigte in diesem Zusammenhang auch die Frage von Lehre und Wissensvermittlung. Im Vorwort zu seinem Buch Physikalische Plaudereien benannte er dies explizit, indem er darauf verwies, dass er dafür seine „Erfahrungen als akademischer Lehrer herangezogen [habe], insbesondere meine Erfahrungen in den Examina. Zu jeder Wissenschaftslehre gehört nämlich auch ein System spezifischer Irrtümer, das nicht leicht besser erkannt wird in der Prüfung, die dem Prüfenden zeigt, wie sich das, was er gelehrt hat, in den Köpfen seiner Hörer widerspiegelt, also, welche Fehler er selbst bei seinem Vortrag gemacht hat.“11 Die Physikalischen Plaudereien gehören zu seinen nicht im engeren Sinne fachwissenschaftlichen Veröffentlichungen, von denen es einige gab. So erschien auch seine Rede über den Werdegang und die wissenschaftliche Leistung Hermann von Helmholtz’, die er im Dezember 1921 in der Universität Bonn hielt, später in gedruckter Form, und 1932 gab er eine Aufsatzsammlung zu Ehren des fünfzigsten Geburtstags von Georg Schreiber heraus, des Münsteraner Theologieprofessors und Reichstagsabgeordneten.12 Mit Schreiber war Konen auf vielfältige Weise verbunden. Beide gehörten dem Zentrum an und betätigten sich politisch, und zwar lokal wie überregional. 1920 war Konen als Vertreter des Zentrums in den westfälischen Provinziallandtag eingezogen, in den späteren 1920er Jahren gehörte er zusammen mit den Bonner Theologen Albert Lauscher und Fritz Tillmann zu einem Kreis von Professoren um Schreiber, dem man in der Politik wie in der Wissenschaftslandschaft großen Einfluss zumaß.13 Konen übte diesen insbesondere in den wissenschaftlichen Selbstverwaltungsorganisationen aus. Er gründete in den 1920er Jahren den reichsweiten Verband der physikalischen Institutsverbände und wurde in eine Vielzahl von Institutionen berufen bzw. gewählt: in das Kuratorium der physikalisch-technischen sowie der chemisch-technischen Reichsanstalt, in den Vorstand des Deutschen Museums in München, in den Senat der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und in die Berliner Forschungsgemeinschaft. Der Berliner Notgemeinschaft gehörte Konen seit 1920/21 an – zunächst dem Hauptausschuss und seit 1929 dem Präsidium.14 Die Väter der Forschungsgemeinschaft, Friedrich Schmidt-Ott und Fritz Haber, hatten bei der Gründung der Institution in vielerlei Hinsicht auf eine repräsentative Zusammensetzung der zentralen wissenschaftlichen Gremien geachtet, und Konen stand aus ihrer Sicht für den Westen des Reiches und die Katholiken, sodass er in den offiziellen Verlautbarungen sogar als „Vertreter der besetzten Gebiete“ bzw. als „Vertreter der 11 12 13 14

Konen: Plaudereien, Vorwort und Einleitung, S. VII. Vgl. Konen: Helmholtz; ders. (Hg.): Volkstum. Vgl. Höpfner: Universität, S. 487 f. Vgl. 1. Bericht der Notgemeinschaft, S. 8.

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Katholiken und der besetzten Gebiete“ firmierte.15 Die Mitglieder des Hauptausschusses hatten in Anbetracht des autokratischen Führungsstils von Präsident Friedrich Schmidt-Ott  – und entgegen ihrer in der Satzung festgeschriebenen Rechte  – in der Förderpolitik nur geringe Gestaltungsmöglichkeiten.16 Allerdings lassen sich in den überlieferten Dokumenten oder Berichten der Beteiligten immer wieder Hinweise finden, dass einzelne Personen zumindest Einfluss zu nehmen versuchten. So bezeugt Walther Gerlach, dass Konen vor allem an der Konzeption und Ausgestaltung der später so genannten Gemeinschaftsarbeiten mitwirkte.17 Mit diesem Format setzte die Notgemeinschaft seit Mitte der 1920er Jahre erstmals in ihrer Geschichte aktiv Förderschwerpunkte, anstatt die Forschung nur reaktiv, nach Antragslage zu unterstützen. Bezeichnend ist darüber hinaus, wo solche Schwerpunkte lokalisiert wurden. Mit der intendierten gezielten Förderung der Medizin sowie der natur- und technikwissenschaftlichen Forschung sollten Wissenschaftsfelder unterstützt werden, die von „nationalem Belang“ waren. Da die Notgemeinschaft damit die dominante politische Strömung der Zeit und das Interesse des Staates traf, bewilligte der Reichstag ihr im März 1926 drei Millionen RM zur Finanzierung solcher Forschungen. Die Gemeinschaftsarbeiten verhalfen andererseits der Notgemeinschaft zu einer eigenständigen Profilbildung, sodass sie sich zu einem „Pfeiler im deutschen Forschungssystem“ entwickeln konnte.18 Gleichwohl sah sich die Notgemeinschaft mit wachsender Kritik konfrontiert, die Ende der 1920er Jahre in eine regelrechte Krise mündete. Neben dem grundsätzlichen Misstrauen der Kultusministerien der Länder gegenüber der Notgemeinschaft, die sich ja als „Reichsorganisation der deutschen Wissenschaft“ verstand und damit föderale wissenschafts- und kulturpolitische Interessen berührte, kritisierte das preußische Kultusministerium vor allem, dass die aus staatlichen Mitteln finanzierte Notgemeinschaft keinen Einblick in die Vergabepraxis der ihr zur Verfügung gestellten Gelder gewährte. Zudem missfiel die autokratische Führung der Notgemeinschaft durch Schmidt-Ott und die Überalterung der Gremien. In Anbetracht dieser drastischen Kritik sah sich das DFG-Präsidium veranlasst, nach langer Zeit erstmals wieder eine Fachausschusswahl durchzuführen. Zunächst versuchte man freilich, Neuwahlen abzuwehren. Georg Schreiber etwa, den das Reichsinnenministerium zu Kontrollzwecken in den Hauptausschuss abgeordnet hatte, sah das monierte hohe Lebensalter der Gremienmitglieder als Vorteil an: Es handele sich, so äußerte er in der Sitzung des Hauptausschusses am 12. November 1927, um eine „Hindenburgfront des Alters“, und „jüngere Kräfte“ solle man höchstens „mit Vorsicht“ heranziehen.19 Konen argumentierte ähnlich. Zwar sei eine Neuwahl zuzugestehen, aber er erwartete davon „keine

15 16 17 18 19

Vgl. auch Zierold: Forschungsförderung, S. 47. Vgl. Orth: NS-Vertreibung, S. 48–51. Zum Folgenden ebd., S. 38–46. Vgl. Gerlach: Konen, S. 486. Kirchhoff: Schwerpunktlegungen, S. 71 f. So Schreibers Aussage in der Hauptausschusssitzung vom 12.11.1927, zit. nach: Zierold: Forschungsförderung, S. 113.

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wesentlichen Änderungen“.20 Die Hauptausschussmitglieder hatten ganz generell Bedenken gegen demokratische Wahlen, zumal diese ja auch „sehr schwierig und kostspielig“ seien. Am Ende jedoch beschlossen sie, einen Ausschuss einzurichten, der die späteren Wahlen vorzubereiten hatte, bei denen „namentlich auch jüngere Gelehrte herangezogen werden sollten“.21 Auch Konen wurde in den Ausschuss gewählt, dem Walther von Dyck vorstand, der Münchner Mathematiker und erste Stellvertreter der Notgemeinschaft. Tatsächlich fanden die Fachausschusswahlen statt, und auch im Hauptausschuss kam es zu erheblichen personellen Veränderungen. Im Präsidium hingegen zeitigte die Krise des Jahres 1929 fast keine Auswirkungen. Die Mitgliederversammlung im November bestätigte vielmehr die bereits amtierenden Mitglieder, sodass die einzige Neuerung darin bestand, dass Konen nun ins Präsidium wechselte und nicht länger dem Hauptausschuss angehörte. Mit der „Machtergreifung“ geriet Konen ins Visier der Nationalsozialisten. Dafür gab es mehrere Gründe. Aus der Sicht der Bonner NS-Aktivisten sprachen gegen ihn seine Mitgliedschaft im Zentrum und die Tatsache, dass er zu dem einflussreichen Kreis um Schreiber gehörte. Den Bonner Nazis war die führende Rolle der katholischen Hochschullehrer seit Langem ein Dorn im Auge. Auch dem Reichserziehungsministerium galten Bonn bzw. die Bonner Universität als Hochburg der Katholiken, des Zentrums und der Sozialdemokratie. Und nicht zuletzt ging das Gerücht, dass Konen die Hakenkreuzbeflaggung der Universität und den Hitlergruß verweigere und dass er Jude sei.22 Zur Vertreibung Konens von seinem Lehrstuhl kam es schließlich durch eine Denunziation: Ein ehemaliger Assistent am Physikalischen Institut, Paul Lueg, sowie eine Repetitorin für Philosophie und NSDAP-Parteigenossin, Therese Decker, die mit Lueg befreundet war, beschuldigten Konen der Unterschlagung und finanzieller Unregelmäßigkeiten und verwiesen auch auf seine politische Tätigkeit im Zentrum. Sie verbreiteten all diese Verleumdungen in anonymen Briefen an die Presse und wandten sich auch an die Staatsanwaltschaft, die ein Dienststrafverfahren veranlasste. Konen habe, so behaupteten Decker und Lueg, zu viel Kolleggeld gefordert und die Gebührenordnung bewusst umgangen. Er habe zudem die Teilnehmer an den Physikalischen Anfängerübungen in habgieriger Weise übervorteilt und nicht zuletzt einen gestifteten Quarzspektrografen über seinen Bruder verkauft und das Geld einbehalten.23 Konen wehrte sich gegen die Vorwürfe und konnte in Teilen nachweisen, dass es sich um gänzlich aus der Luft gegriffene Lügen handelte. Im Hinblick auf seine politische Haltung argumentierte er, er sei als Zentrumsmitglied 20 21 22 23

Protokoll der HA-Sitzung vom 4.7.1928, BArch, R  1501/126769a, Bl.  127. Das folgende Zitat ebd., Bl. 125. Brief von Dyck an die Mitglieder des Ausschusses vom 11.10.1928, BArch, R 1501/126769a, fol. 124. Vgl. Heiber: Universität, Teil II, Bd. 2, S. 663 f. und 669 f. Vgl. Stellungnahme Konen zu den Anschuldigungen von Decker und Lueg vom 18.9.1933, UABo, PA 4377. Das folgende Zitat ebd. Vgl. zu seiner Entlassung auch Höfner: Universität, S. 487 f.; Heiber: Universität, Teil I, S. 324.

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nie hervorgetreten, „ausser bei der Bekämpfung des Kommunistenaufstandes in Westfalen im Jahre 1920 oder in der Betätigung meiner Gegnerschaft gegen die mehrheitssozialistischen Unternehmungen auf dem Gebiet der Kulturpolitik“. Unmittelbar nach dem „Umschwung“ habe er es jedoch für „treu- und würdelos gehalten, […] den alten Freunden den Rücken zu kehren“. Zudem arbeite er gegenwärtig mit „langjährig bewährten Mitgliedern der NS-Partei“, insbesondere aus dem Kreise der Kollegen, der Studentenschaft und Angehörigen des Reichsluftfahrtministeriums „aufs vertrauensvollste“ zusammen. Doch seine Strategie lief ins Leere. Noch während des laufenden Verfahrens verfügte das Preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung Anfang März 1934 seine Entlassung aus politischen Gründen nach § 6 des sogenannten Berufsbeamtengesetzes.24 Konen konnte sich gegen diese Maßnahmen nicht wehren, zumal er seit Beginn der Schlammschlacht gegen ihn krank war und sich mehreren Operationen unterziehen musste; er selbst führte die Krankheit auf die emotionalen Belastungen zurück.25 Unterstützung erhielt er jedoch von seinem Schwiegersohn Wilhelm Breucker, der sich im August 1933, als Konen im Krankenhaus lag, und erneut im März 1934 an den Kurator der Universität wandte. Die Entlassung seines Schwiegervaters sei, so wandte Breucker ein, nicht aus politischen Gründen erfolgt, sondern aufgrund einer „tendenziösen Verbreitung“ von Gerüchten. Zudem werde auf diese Weise das Urteil im noch laufenden Dienststrafverfahren vorweggenommen. Dies könne nur als „Prämiierung des schmutzigsten Denunziantentums“ bezeichnet werden. Auch wenn sein Schwiegervater wohl nicht im Amt zu halten sei, so müsse doch zumindest die Pensionierung nach § 6 aufgehoben und in eine Emeritierung umgewandelt werden.26 Brisanz gewann die Angelegenheit insofern, als es sich bei Breucker um einen früheren Offizier und Adjutanten von Erich Ludendorff handelte,27 der nun der NSDAP angehörte und einige politisch nicht unwichtige Ämter bekleidete: So war er Vertrauensmann der Spionageabwehrstelle des Wehrkreiskommandos Münster, Referent im Stabe der SA-Brigade 171 und Kreiswirtschaftsberater der NSDAP-Kreisleitung Sieg. Als Therese Decker versuchte, ihn in das Verfahren hineinzuziehen, eskalierte die Auseinandersetzung, indem Breucker seinerseits ein Verfahren zu ihrem Parteiausschluss in Gang brachte. Für Konen änderte dies freilich nichts. Immerhin gestand das Reichserziehungsministerium zu, dass er die im Gang befindlichen Doktorarbeiten weiter betreuen dürfe.28 Zudem wurden die Ermittlungen 24 25

26 27 28

Mitteilung REM an Konen vom 6.3.1934, UABo5, PA 4377. Vgl. Brief Konen an den Kurator der Universität Bonn vom 21.4.1934, UABO, PA 4377. Trotz der Krankheit konnte er im Dezember 1933 die dritte Lieferung von Band 7 des Handbuchs der Spectroscopie abschließen. Im Vorwort findet sich freilich kein Hinweis auf seine aktuelle Situation, vgl. Kayser/Konen: Handbuch, Bd. 7, 3. Lieferung, Vorwort Konen, S. VII–IX. Brief Breucker an den Kurator der Universität Bonn vom 20.3.1934, UABo, PA 4377. Vgl. auch Brief Breucker an den Kurator der Universität Bonn vom 24.8.1933, ebd. Nach Kriegsende veröffentliche Breucker seine Erinnerungen an Ludendorff, vgl. Breucker: Tragik. Vgl. Mitteilung REM an Konen vom 2.5.1934, UABo, PA 4377.

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im Dienststrafverfahren im Frühjahr 1935 eingestellt, da kein Nachweis für ein Fehlverhalten gefunden werden konnte.29 Das Präsidium der Notgemeinschaft hatte das Verfahren gegen Konen und seine Entlassung von Berlin aus verfolgt, und von Dyck begrüßte die Vorgänge sogar. Am 14. Mai 1933 schrieb er an Schmidt-Ott: „Sie wissen, dass ich die Wahl der beiden Herren [Haber und Konen], besonders die von Haber, nie für gut gehalten habe.“30 Eine Stellungnahme von Schmidt-Ott zu Konens Vertreibung ist nicht bekannt. Nicht überliefert ist außerdem, ob und wie die Forschungsgemeinschaft im Frühjahr 1936 auf eine Anfrage des Münchner Reichsamtsleiters des NS-Dozentenbundes reagierte. Dieser wollte in Erfahrung bringen, was die Forschungsgemeinschaft über Konens Tätigkeit berichten könne, der, wie man in München höre, „in der Systemzeit ein führender Kopf in der Zentrumspolitik“ gewesen sei.31 Konen blieb auch nach der Vertreibung von der Hochschule in Bonn, lebte weiterhin in seiner Bad Godesberger Wohnung im Ortsteil Muffendorf. Nachdem er sich gesundheitlich einigermaßen erholt hatte, versuchte er, beruflich außerhalb der Universität Fuß zu fassen. Dies gelang ihm, da seine Kenntnisse und Fähigkeiten in der Industrie gebraucht wurden; zudem erfuhr er Hilfe von Seiten seines Schwiegersohns. Wilhelm Breucker stand hauptberuflich den Troisdorfer Werken der Dynamit Actien-Gesellschaft (vormals Alfred Nobel & Co.) als Direktor vor und sorgte dafür, dass sein Schwiegervater in der Firma eine Anstellung erhielt.32 Konen fertigte außerdem für andere Industriebetriebe Gutachten an. Bemerkenswert ist nicht zuletzt, dass er weiterhin publizieren konnte. So erschien sein erwähntes Buch Physikalische Plaudereien erst nach seiner Entlassung, nämlich im Jahr 1937. Ganz offensichtlich fand es Beachtung, denn 1941 kam bereits die dritte Auflage heraus. Soweit bekannt, war Konen nach der Exklusion aus dem nationalen Wissenschaftssystem und auch im Zweiten Weltkrieg keiner weiteren Verfolgung ausgesetzt. Noch vor dem 8. Mai 1945 und der Kapitulation Deutschlands begann Konen erneut, sich politisch und wissenschaftspolitisch zu betätigen. Die amerikanische Militärregierung, die im März 1945 in Bonn eine provisorische Stadtverwaltung eingerichtet hatte, bot ihm die Leitung an, da er politisch als unbedenklich galt und über weitreichende politische Beziehungen verfügte. Das zunächst „Fünferrat“ genannte Gremium, dem unter anderem der Bonner Ordinarius und Geologe Hans Cloos angehörte, der das Ressort Kultur verantwortete, sollte auch

29 30 31 32

Vgl. Urteil vom 1.4.1935 im Dienststrafverfahren gegen Konen, UABo, PA  4377; Heiber: Universität, Teil I, S. 182. Brief von Dyck an Schmidt-Ott vom 14.5.1933, zit. nach: Schulze: Stifterverband, S.  85. Zum Verhältnis von Haber und von Dyck vgl. auch Szöllösi-Janze: Haber, S. 556. Brief Reichsamtsleiter des NS-Dozentenbundes an die Notgemeinschaft vom 4.4.1936, HIA, Deutsche Forschungsgemeinschaft Collection, Box 3. Vgl. Brief Breucker an den Kurator der Universität Bonn vom 24.8.1933, UABo, PA 4377.

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für die Universität zuständig sein.33 Doch Konen lehnte ab, weil er sich auf den Wiederaufbau der Universität konzentrieren wollte, der sich in Ansätzen bereits abzeichnete. So konstituierte sich im April eine „Repräsentativ-Ausschuss“ genannte provisorische Universitätsleitung, die aus NS-unbelasteten und die Fakultäten repräsentierenden Hochschullehrern bestand. Als die Gruppe im Mai weitere vier Professoren aufnahm, stieß Konen zu ihr. Am 1. Juni 1945 bestätigte die Militärregierung das nun „Verwaltungsrat“ genannte Gremium. Theodor Brinkmann, der die Landwirtschaftliche Fakultät vertrat, übernahm die Präsidentschaft, Konen die Vizepräsidentschaft. Als Brinkmann wenig später zurücktrat, betraute die Militärregierung Konen mit der Leitung. Trotz aller Widrigkeiten gelang es dem Verwaltungsrat, den Vorlesungsbetrieb zum Wintersemester 1945/46 wieder aufzunehmen. Mit der offiziellen Wiedereröffnung der Universität avancierte Konen zum ersten Nachkriegsrektor. In seiner Eröffnungsrede am 17. November 1945 betonte er: „The opening of the University of Bonn is not only an inspiration for us but also for the whole of Western Germany; it is a signal, a hope, an incitement for everyone to do all he can in the work of reconstruction.“34 Der Wiederaufbau der Bonner Universität, den Konen als Rektor zu verantworten hatte, umfasste zunächst und in erster Linie bauliche und organisatorische Maßnahmen. Im Hinblick auf das Personal erwies sich zudem der Umgang mit den NS-Belasteten bzw. die Entnazifizierung der Hochschulmitarbeiter als zentrales Thema.35 Bereits im Mai kam von Konen eine erste Initiative zur Selbstreinigung. Er schlug vor, ein Gremium einzurichten, das er „Ehrenrat“ nannte und das alle ehemaligen Parteimitglieder unter den Professoren vorab überprüfen sollte. Eine Beteiligung der Militärregierung sah er nicht vor. Nach einigen Besprechungen und Beratungen richtete der Verwaltungsrat im Sommer 1945 schließlich zwei Gremien ein: eine sogenannte Nachrichtenkommission, die zunächst einmal entsprechende Informationen sammeln und zur Verfügung stellen sollte, sowie einen sogenannten Gutachterausschuss, der Stellungnahmen erarbeiten sollte, die als Grundlage für die Entscheidung in einem späteren Verfahren gedacht waren. Nun wandte sich Konen auch an den Militärgouverneur und führte die Vorstellungen des Verwaltungsrats zum weiteren Vorgehen aus. Demnach sollten alle SS-, SD- und Gestapomitglieder pauschal als nicht tragbar gelten, die NSDAP-Mitglieder hingegen individuell überprüft werden, wobei bis zum Abschluss des Verfahrens kein Gehalt auszuzahlen sei. Der Militärgouverneur billigte zwar die Vorgehensweise, machte aber gleichzeitig deutlich, dass er die Verantwortlichkeit nicht aus der Hand geben werde und dass allein die Alliierten darüber entscheiden würden, wer politisch als tragbar galt. Im Januar 1946 wurde dann das Entnazifizierungsverfahren zonenweit einheitlich geregelt. In Bonn dauerte es freilich noch einige Zeit, bis es Umsetzung fand. Das ursprüngliche Ziel der Universität, ihre Angelegenheiten intern zu regeln, war spätestens jetzt endgültig gescheitert, da sowohl die Militärregierung als auch Vertreter der 33 34 35

Zum Folgenden vgl. George: Neubeginn. Rede Konen anlässlich der Wiedereröffnung der Universität am 17.11.1945, zit. nach: George: Neubeginn, S. 223. Zum Folgenden vgl. ausführlich George: Neubeginn, S. 236–243.

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Stadt beteiligt waren. Gleichwohl lässt sich aus der Rückschau feststellen, dass die Entnazifizierung an der Universität Bonn während des Rektorats von Konen als Erfolg bewertet werden kann: Der Einfluss ehemaliger Nationalsozialisten blieb gering, und kein Exponent des Nationalsozialismus besetzte nach 1945 einen Lehrstuhl.36 Weniger beachtet wurde bislang, dass Konen sich zudem für die NS-Vertriebenen einsetzte und für ihre Rückkehr sorgte, wie das Beispiel von Alfred Philippson zeigt, dessen Lebensgeschichte ebenfalls in diesem Buch beschrieben ist. Der berühmte Geograf war im Sommer 1942 mit seiner Frau und Tochter nach Theresienstadt deportiert worden, was seinen Bonner Kollegen nicht verborgen geblieben war. Die Philippsons überlebten das Lager und den Holocaust und kehrten im Juli 1945 nach Hause zurück. Bemerkenswert ist, dass die Rückkehr von Bonn aus organisiert wurde. Der Bürgermeister der Stadt sowie Cloos hatten veranlasst, dass quer durch das zerstörte Europa von Bonn aus ein Bus nach Theresienstadt geschickt wurde, um die Philippsons sowie alle anderen aus Bonn stammenden Personen abzuholen. In Bonn wurde Philippson von Cloos in Empfang genommen, wenig später begrüßte ihn Konen. Konen sorgte in der Folgezeit zusammen mit Cloos auch dafür, dass Philippson das erhielt, was dieser selbst als das materiell Dringlichste erachtete: finanzielle Mittel für das Herrichten einer Wohnung und Briketts, für die Aufstellung seiner Privatbibliothek und die Anstellung einer wissenschaftlichen Hilfskraft. Zudem verlieh ihm die Universität Bonn 1946 den Titel „Dr. rer. nat. h. c.“ – wesentlichen Anteil daran hatte erneut Konen.37 Wie in den Jahren vor der NS-Herrschaft betätigte sich Konen nach 1945 erneut parteipolitisch. Kurz nach ihrer Gründung trat er der CDU bei, seit Oktober 1946 gehörte er dem Landtag als Abgeordneter an. Wenige Wochen später wurde er zum Kultusminister des Landes Nordrhein-Westfalen berufen. Konen zögerte zunächst, das Amt zu übernehmen, da er – wie er an Konrad Adenauer schrieb – zwar den Idealismus, nicht aber die erforderliche physische Konstitution besitze, beide Ämter – Rektorat und Kultusministerium – auszufüllen; diese Sorge teilten viele, sowohl in der Politik als auch in der Universität. Konen bat daher darum, einen anderen Kandidaten zu finden, trat das Amt dann aber doch an – nicht zuletzt, weil er glaubte, dass er „diese Geschäfte z. Zt. besser kann als alle meine Kollegen in Bonn und sehr viele Kollegen an anderen Orten“.38 So fungierte Konen nicht nur als Rektor, sondern von Dezember 1946 bis Dezember 1947 auch als Kultusminister in den Kabinetten von Rudolf Amelunxen und Karl Arnold. Als solcher setzte er sich besonders für die Belange der Forschung ein.39 Konens großes Vorhaben bestand darin, eine Nachfolgerorganisation der Berliner Notgemeinschaft zu schaffen. Er knüpfte mit seinen Überlegungen also 36 37 38 39

Vgl. George: Neubeginn, S. 244. Konen selbst erhielt 1947 die Ehrendoktorwürde der Medizinischen Fakultät seiner Universität, die damit sein Engagement in den 1920er Jahren für eine engere Verbindung der beiden Fächer Physik und Medizin honorierte. Brief Konen an Adenauer vom 6.12.1946, zit. nach: George: Neubeginn, S. 231. Der folgende Abschnitt stammt aus meinem Buch: Autonomie, S. 21–29.

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unmittelbar an seine wissenschaftspolitischen Erfahrungen aus der Weimarer Republik an, konzipierte die Einrichtung aber nachkriegsbedingt erst einmal zonal bzw. landesweit für Nordrhein-Westfalen. Der zunächst so genannte Landesforschungsrat sollte sich aus Vertretern des Kultusministeriums, des Finanzministeriums und der Wissenschaft zusammensetzen. Konen selbst wollte den Vorsitz führen und zudem auf der Grundlage von fachlichen Gutachten die letztendliche Entscheidung über die Mittelvergabe treffen. Sein Plan scheiterte jedoch an den Einwänden der Militärregierung, die – auf die Satzung der Berliner Forschungsgemeinschaft verweisend  – den Forschungsrat nicht einem Ministerium unterstellt sehen wollte.40 In modifizierter Form wurde dann am 11. Dezember 1947 die „Forschungsgemeinschaft des Landes Nordrhein-Westfalen“ gegründet; den Vorsitz führte für wenige Wochen Konens Freund Walter Gerlach.41 Aufgrund Konens langjähriger Tätigkeit in der Berliner Notgemeinschaft ist es nicht verwunderlich, dass sich die Forschungsgemeinschaft in NRW in einigen zentralen Punkten an der alten Forschungsgemeinschaft orientierte, wie jene etwa Fachausschüsse und Gutachten vorsah.42 Doch im Gegensatz zu jener dominierte in NRW das Kultusministerium. Es erhielt etwa ein Vetorecht bei der Geldvergabe, und im Falle der Auflösung sollte das Vereinsvermögen an das Kultusministerium fallen.43 Konen gehörte dem Vorstand an, allerdings in seiner Eigenschaft als Rektor der Universität Bonn. Doch Konens Forschungsgemeinschaft konnte sich nicht durchsetzen, und zwar nicht primär, weil sie mit der in Niedersachsen gegründeten Leibniz-Stiftung konkurrierte, die ganz ähnliche Ziele verfolgte. Vielmehr wurde der Wettbewerb zwischen beiden Gremien zugunsten einer überregionalen Institution der Forschungsförderung aufgehoben. Denn während Konen zunächst die über Niedersachsen hinausreichenden Ansprüche der Leibniz-Stiftung stets zurückgewiesen und im gleichen Atemzug betont hatte, dass sich die Landesforschungsgemeinschaft in NRW nicht von einer überregionalen Organisation werde „schlucken“ lassen,44 suchte man bald stärker nach Kompromissen. Insgesamt nahmen die Bestrebungen bald zu, eine länderübergreifende Förderorganisation zu schaffen. Denn in Anbetracht der politischen Entwicklung erschien das Denken in regionalen Maßstäben und damit auch das Konzept der Länderforschungsräte nicht mehr adäquat. Letztendlich setzte sich mit der Bonner „Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft“, die am 11. Januar 1949 in der Universität zu Köln gegründet wurde, ein anderes Modell der Forschungsförderung durch, das länderübergreifend angelegt war. In der Bonner Not- bzw. Forschungsgemeinschaft spielte Konen aber keine Rolle. 40 41 42 43 44

Vgl. Stamm: Staat, S. 76; Brautmeier: Forschungspolitik, S. 58 f. Vgl. Briefwechsel Gerlach mit dem Mathematiker Wilhelm Süss vom Sommer 1946, UAF, C 89/6, Bl. 16; Brief der Universität München an Gerlachs Frau, o. D. (1946), UAT, 201/884. Eine Abschrift der Satzung vom 9.10.1947 befindet sich in BArch, B 227/508. Vgl. Stamm: Staat, S. 76 f. Stamm datiert allerdings die Vereinsgründung auf Frühjahr 1947. Vgl. demgegenüber und mit genauen Belegen Brautmeier: Forschungspolitik, S. 59. So noch seine Aussage am 5.3.1948. Protokoll der Sitzung der Forschungsgemeinschaft am 5.3.1948, zit. nach Brautmeier: Forschungspolitik, S. 59.

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Konen gelang es nicht, seine Vorstellungen einer Förderorganisation in die Realität umzusetzen. Überhaupt agierte er als Kultusminister eher glücklos, hielt sich weitgehend zurück und trat im Kabinett kaum in Erscheinung. Bald schon opponierte seine eigene Partei gegen ihn  – auch Adenauer, der schließlich im Herbst 1947 nach einem Nachfolger für ihn suchte. Am 18. Dezember 1947 wurde Konen von Christine Teusch abgelöst. Er schied als Kultusminister aus, blieb aber Abgeordneter des Landtags. Nur wenige Wochen später endete auch Konens Amtszeit als Rektor der Universität Bonn.45 Schon länger hatte die Militärregierung Kritik am undurchsichtigen Immatrikulationsverfahren der Hochschule geübt. Im Herbst 1947 stellte sich heraus, dass die Universitätsleitung die Übersicht über die Zahl der immatrikulierten Studenten verloren hatte. Die Militärregierung aber forderte sowohl die Zahlen wie auch die Einhaltung des festgesetzten Numerus Clausus ein und beauftragte im November eine Kommission mit der Untersuchung der Angelegenheit. Ohne Konen zu informieren, befragte jene die Dekane und Prodekane sowie einige Studenten. Am Ende stellte sich heraus, dass die faktische Zahl der Studierenden deutlich höher lag als das Soll. Zu verantworten hatte dies auch Konen persönlich, da er als Rektor über ein eigenes Zulassungskontingent verfügte und die Zahl der Studenten formal dadurch reduziert hatte, dass er Examenskandidaten zwangsweise exmatrikulieren ließ, um sie sich gleichzeitig als Gasthörer (und damit außerhalb des festgesetzten Rahmens) einschreiben und registrieren zu lassen. Zudem monierte die Untersuchungskommission, dass die politische Überprüfung der Studierenden unzulänglich sei. Eine Stichprobe hatte ergeben, dass sich unter den 16 zugelassenen Studienbewerbern der Zahnärztlichen Abteilung vier ehemalige Wehrmachtsoffiziere, zwei NSDAP-Mitglieder und ein NSDAP-Anwärter, ein Mitglied der NS-Frauenschaft und ein SS-Anwärter befanden. Nun eskalierte der Konflikt zwischen dem Rektor und der Militärregierung, und am 1. April 1948 wurde Konen offiziell von allen Amtspflichten entbunden. Dies war zum einen ein schwerer Rückschlag für den Neubeginn der Universität Bonn, da sich diese Krise just zu einem Zeitpunkt ereignete, als sich die Verhältnisse allmählich wieder zu normalisieren schienen. Aber natürlich war dies auch ein gravierender Einschnitt für Konen selbst, „der wie kein anderer den Wiederaufbau der Universität vorangetrieben hatte“.46 Der Winter 1947/48 erwies sich in vielerlei Hinsicht als Zäsur. Binnen kurzer Zeit war Konen von zwei politisch bedeutsamen Ämtern entbunden worden, zudem erfuhr er nun, dass sein Sohn in sowjetischer Kriegsgefangenschaft gestorben war. Heinrich Konen zog sich nun ganz ins Privatleben zurück und starb wenige Monate später, am 31. Dezember 1948.

45 46

Zum Folgenden vgl. George: Neubeginn, S. 234 f. George: Neubeginn, S. 223.

HAUPTAUSSCHUSS Gustav Radbruch (1878–1949) Eduard Schwartz (1858–1940)

Gustav

Radbruch

Gustav Radbruch, der am 21. November 1878 in Lübeck zur Welt kam, stammte väterlicherseits aus einer niedersächsischen evangelischen Bauern- und Kaufmannsfamilie, die seit dem 13. Jahrhundert in Radbruch bei Lüneburg lebte.1 Sein Vater zog 1872 nach Lübeck, wo er fortan ein Agentur- und Kommissionsgeschäft betrieb und seine Frau kennenlernte. Mit zwei deutlich älteren Geschwistern wuchs Gustav Radbruch in einer gut situierten Familie auf und genoss eine breite humanistische Bildung. Auf dem Lübecker Katharineum lernte er Erich Mühsam und Thomas Mann kennen und studierte anschließend, den Erwartungen der Familie entsprechend, Jurisprudenz in München, Leipzig und Berlin. Er legte 1901 das Staatsexamen ab und absolvierte einen Teil des Referendardienstes beim Amtsgericht in Lübeck, entschied dann jedoch, da er sich mit der „Praxis nicht befreunden“ konnte, die wissenschaftliche Laufbahn einzuschlagen.2 1902 wurde er von Franz von Liszt mit einer Arbeit zur Kausalitätslehre in Berlin promoviert, und bereits ein Jahr später habilitierte er sich in Heidelberg mit der Schrift Über den strafrechtlichen Schuldbegriff. Dort lehrte er als Privatdozent, ab 1906 auch als Lehrbeauftragter der Handelshochschule in Mannheim. Seit jener Zeit gehörte 1

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Dieser Beitrag stützt sich auf die grundlegende Forschungsliteratur über Radbruch. Zu nennen sind insbesondere folgende Publikationen: die entsprechenden Einträge in NDB und DBE; Drüll: Gelehrtenlexikon; Mußgnug: Dozenten; dies.: Fakultät; Schumacher (Hg.): Republik, S. 446; Spendel: Radbruch; sowie Gottschalk: Jahre; Kaufmann: Radbruch; Kritische Justiz (Hg.): Juristen, S. 295–306; Moritz (Hg.): Radbruch; sowie Radbruch: Weg. Zudem wurden folgende Quellen herangezogen: UAH, PA 783, 5385 und 5386, PA Radbruch. Radbruch: Weg, S. 53.

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Radbruch auch zum Kreis um Max Weber. Zu wichtigen Gesprächspartnern wurden außerdem Heinrich Levy, Emil Lask, Karl und Gertrud Jaspers, Ernst Fuchs sowie Hermann und Thea Kantorowicz.3 Das Jahr 1910 erwies sich insofern als bedeutsamer Schritt in seiner Karriere, als er eine außerordentliche Professur für Strafrecht, Prozessrecht und Rechtsphilosophie in Heidelberg erhielt und nun auch seine viel beachtete und später in zahlreiche Sprachen übersetzte Studie Einführung in die Rechtswissenschaft erschien. Das Recht und seine Grundlagen philosophischer und politischer Art erschienen hier als Bestandteil der gesamten Kultur, zudem betonte Radbruch die Eigenart der juristischen Denkweise. Zum Sommerhalbjahr 1914 wechselte er auf eine außerordentliche Professur an die Albertus-Universität in Königsberg. Bei Kriegsbeginn schloss sich Radbruch dem Roten Kreuz an. Nach der militärischen Ausbildung in Heidelberg wurde er an die Front geschickt, doch auch hier war er publizistisch tätig und hielt Vorträge. Das Kriegsende erlebte er als Ordonnanzoffizier in Frankreich. Anschließend kehrte er in die Lehre und zu seiner Familie zurück. Nach einer gescheiterten Ehe, die 1907 geschlossen und 1913 geschieden worden war, heiratete er im November 1915 erneut. Mit seiner zweiten Frau Lydia Schenk, geschiedene Aderjahn, der Tochter eines Gutsbesitzers, hatte er zwei Kinder. Ihre Tochter Renate kam 1915, Sohn Anselm 1918 zur Welt. Von 1919 an lebte die Familie in Kiel, wo Radbruch eine außerordentliche Professur für Strafrecht und Rechtsphilosophie antrat, die nach einem Jahr in ein Ordinariat umgewandelt wurde. Neben seiner Aktivität in Forschung und Lehre engagierte er sich für die Erwachsenenbildung außerhalb der Hochschule. Bereits in Heidelberg hatte er Vorträge über die Strafrechtsreform in der Volkshochschule gehalten, in Kiel gehörte er zu den Mitbegründern der Volkshochschule und übernahm dort sogar die Leitung einer Abteilung.4 In Kiel hatten sich viele gegen Radbruchs Berufung gestellt, und zwar aufgrund dessen politischer Überzeugung und Tätigkeit. Schon früh hatte er mit der Sozialdemokratie sympathisiert, ohne dies jedoch öffentlich kundzutun, hätte dies doch seine berufliche Laufbahn gefährdet. In Heidelberg ließ er sich aber für die linksliberale Fortschrittliche Volkspartei in die Stadtverordnetenversammlung wählen, und im Dezember 1918 trat er der SPD bei. In den folgenden Jahren verlagerte sich seine berufliche Tätigkeit zunehmend in die Politik. Nachdem er im Zusammenhang mit einem Aufstandsversuch rechtsgerichteter Truppen infolge des Kapp-Putsches als Vermittler aufgetreten war, kam Radbruch 1920 in Kiel in Haft; ihm drohte sogar die Todesstrafe. Doch der Putsch scheiterte, und Radbruch kam wieder frei.5 Aufgrund seines Einsatzes für die Arbeiter, die sich den Putschisten entgegengestellt hatten, setzte ihn die SPD-Parteileitung kurze Zeit später auf den zweiten Platz der Wahlliste für die anstehende Reichstagswahl.

3 4 5

Vgl. Kaufmann: Radbruch, S. 48 f.; Kritische Justiz (Hg.): Juristen, S. 296. Vgl. Graue (Hg.): Radbruch. Radbruchs Vortrag zur Gründung der Kieler Volkshochschule (Volkshochschule und Weltanschauung) ist ebd., S. 113–126, abgedruckt. Vgl. aus Radbruchs Perspektive Radbruch: Kapp-Putsch.

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So zog Radbruch 1920 als Abgeordneter und einziger Jurist seiner Fraktion in den Reichstag ein. In den folgenden Jahren arbeitete er an den SPD-Parteiprogrammen von Görlitz und Heidelberg mit und versuchte, vor allem sozialpolitische Vorhaben  – etwa die Straflosigkeit bei Schwangerschaftsabbrüchen  – voranzubringen. Zudem sandte ihn das Reichsinnenministerium in die Berliner Notgemeinschaft. Seit der Gründung der Förderorganisation im Jahr 1920 gab es Pläne, dieser zur Kontrolle der Mittelvergabe einen parlamentarischen Ausschuss zuzuordnen.6 Präsident Friedrich Schmidt-Ott hatte diese Bestrebungen insofern unterlaufen, als er die drei ausgewählten Parlamentarier, die allesamt eine Professur bekleideten, kurzerhand den Fachausschüssen zuteilte. Neben Radbruch waren dies Otto Hoetzsch (Geschichte) und Georg Schreiber (Theologie). Da die Wahl der Fachausschüsse gerade abgeschlossen war, weihte er nur die unmittelbar Beteiligten ein: So bat er die Fachausschussvorsitzenden Harry Breßlau (Geschichte), Adolf Deißmamn (Theologie) und Josef Partsch (Jurisprudenz), „mit mir die Verantwortung zu übernehmen, daß die Zuwahl, die eigentlich durch die [Fachverbände] oder durch Kooptation des Ausschusses erfolgen müßte, als erfolgt angesehen wird“. Und weiter hieß es: „Im Interesse der diskreten Behandlung möchte ich Ihnen nahelegen, [die parlamentarischen Abgeordneten] im Einverständnis mit mir ohne weiteres als Mitglieder des Fachausschusses zu behandeln und zuzuziehen“.7 Die ausgewählten Vertreter seien schließlich „ja auch fachlich sehr geeignet“, und in der nächsten Sitzung werde man dann „offen über diese Dinge sprechen können“. Alle Beteiligten erklärten sich mit dem vorgeschlagenen Verfahren einverstanden.8 So gelangte Radbruch im Frühjahr 1921 in den Fachausschuss Jurisprudenz der Forschungsgemeinschaft. Bis 1924 blieben die drei Abgeordneten des Reichsinnenministeriums den Fachausschüssen zugeteilt, dann wechselten sie in den Hauptausschuss. Radbruchs Hauptbetätigungsfeld war freilich nicht die Notgemeinschaft. Vielmehr wurde er im Herbst 1921 nach einer aufsehenerregenden Parlamentsrede anlässlich des Deutschen Juristentags zum Reichsjustizminister berufen. Er übte dieses Amt im Kabinett von Joseph Wirth (Oktober 1921 bis November 1922) sowie im Kabinett von Gustav Stresemann (August bis November 1923) aus. Mit dem Ausscheiden aus dem Kabinett Stresemann deutete sich aber bereits Radbruchs Rückzug als hauptberuflicher Politiker an, den er einige Monate später mit der Wiederaufnahme der Lehrtätigkeit in Kiel endgültig vollzog. Aus der Rückschau des Jahres 1945 begründete er seinen Schritt damit, dass ihm sein wissenschaftlicher Beruf „immer höher gestanden hat als jede politische

6 7 8

Vgl. Orth: NS-Vertreibung, S. 50 f. Brief Schmidt-Ott an Deißmann vom 24.3.1921, BArch, R  73/120, fol.  114. Die beiden folgenden Zitate ebd. Vgl. z. B. Brief Deißmann an Schmidt-Ott vom 26.3.1921, BArch, R 73/120, fol. 113; Telegramm Schreiber vom 31.3.1921, ebd., fol.  112; Brief Schmidt-Ott an Schreiber vom 13.4.1921, ebd., fol. 100.

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Betätigung“.9 Auch aus der Notgemeinschaft schied er nun aus. 1926 übernahm er den Lehrstuhl für Strafrecht in Heidelberg. Gustav Radbruch wird bis heute als einer der einflussreichsten Rechtsphilosophen des 20.  Jahrhunderts, als bedeutender Strafrechtler und Rechtshistoriker geschätzt. Viel beachtet wurden seine 1914 publizierten Grundzüge der Rechtsphilosophie, die er 1932 in einer grundlegend überarbeiteten Fassung unter dem Titel Rechtsphilosophie neu herausbrachte. Sein vom Neukantianismus südwestdeutscher Prägung stark beeinflusstes Denken ging von einem grundlegenden Unterschied zwischen Sein und Sollen aus: „Wertbetrachtung und Seinsbetrachtung liegen“, so formulierte er in der Rechtsphilosophie, „als selbständige, je in sich geschlossene Kreise nebeneinander. Das ist das Wesen des Methodendualismus.“ Das Recht sei, so definierte er weiter, der „Inbegriff der generellen Anordnungen für das menschliche Zusammenleben“ und zugleich auch „die Wirklichkeit, die den Sinn hat, einem Werte zu dienen. Recht ist die Wirklichkeit, die den Sinn hat, dem Rechtswerte, der Rechtsidee zu dienen. […] Die Idee des Rechts kann […] keine andere sein als die Gerechtigkeit.“10 Für die Wissenschaftsdisziplinen bedeutete dies die Unterscheidung zwischen erklärenden Wissenschaften einerseits und philosophischen Wertlehren andererseits; zwischen ihnen stünden die wertbezogenen Kulturwissenschaften. Hier kann nicht der Ort sein, Radbruchs fachliche Leistungen noch einmal ausführlich zu würdigen, zumal sich bereits zahlreiche Abhandlungen mit seinem Werk oder einzelnen Elementen seines Werkes beschäftigt haben.11 Vielmehr soll beschrieben werden, wie Radbruch nach seiner Rückkehr in die Wissenschaft Mitte der 1920er Jahre weiterhin für die Republik und die Demokratie eintrat. So hielt er zum Verfassungstag der Weimarer Republik mehrmals große Reden (die vom 11. August 1928 stieß auf die größte publizistische Resonanz), schloss sich dem 1921/22 gegründeten Republikanischen Richterbund an und fungierte als Mitarbeiter bzw. Mitherausgeber der Zeitschrift der Vereinigung, Die Justiz.12 Zudem versuchte er, die Universitäten für die Republik zu gewinnen.13 Zusammen mit seinem Heidelberger Freund und Kollegen Gerhard Anschütz14 sowie dem Berliner Historiker Friedrich Meinecke lud er im Februar 1926 rund einhundert Professoren aus unterschiedlichen Fächern zu einer Tagung nach Weimar ein, die unter dem Motto „Die deutschen Universitäten und der heutige Staat“ stand. Ihre Absicht, so hieß es in der Einladung, gehe dahin, „Formen zu finden, 9 10 11

12 13 14

Radbruch: Weg, S. 74. So lehnte er auch 1928 die Anfrage Hermann Müllers ab, das Reichsjustizministerium erneut zu übernehmen. Radbruch: Rechtsphilosophie, S. 13, S. 38 und 34, Hervorhebungen im Original. Zum Methodendualismus bei Radbruch vgl. auch Klein: Denken, S. 84–86. Vgl. zuletzt etwa Borowski/Paulson/Adachi (Hg.): Natur; Höhlhubmer: Radbruch; Klein: Denken; Durth: Kampf; Scholler: Rechtsvergleichung; Kritische Justiz (Hg.): Juristen, S. 298–305, Hollerbach: Radbruch. Auch Stolleis: Geschichte, geht an zahlreichen Stellen auf Radbruch und sein Werk ein. Vgl. Göppinger: Juristen, S. 114, 379. Zum Folgenden vgl. ausführlich Döring: Kreis, S. 82–96. Zum Verhältnis der beiden vgl. Anschütz: Leben, S. 209, 266.

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um alle Elemente der Hochschullehrerschaft, die sich zur neuen Reichsverfassung bekennen, zusammenzufassen“.15 Am 23. und 24. April versammelten sich 64 Professoren in Weimar, und Wilhelm Kahl, Meinecke und Radbruch steuerten die zentralen Referate bei.16 Man konstituierte sich abschließend als „Weimarer Kreis“ ohne feste Organisationsform. Weitere Aktivitäten kamen jedoch nicht zustande, sodass Anschütz und Radbruch 1930 erneut aktiv wurden. In ihrem Aufruf hieß es u. a.: „Es muß der einem hemmungslosen Radikalismus immer mehr verfallenden Studentenschaft gezeigt werden, daß ihre Lehrer dem Sturm standhalten und zur Verfassung stehen, es muß besonders auch den zaghafteren Kollegen ein Beispiel dafür gegeben werden, daß jetzt nicht die Zeit zu vorsichtiger Zurückhaltung ist, und es muß vor der öffentlichen Meinung bekundet werden, daß der Gedanke des Volksstaates trotz aller Angriffe noch lebendig und mächtig ist und daß die Verfassung dieses Staates, mag sie auch in Einzelheiten verbesserungsbedürftig sein, in ihrer Geltung und Autorität mit aller Kraft gestützt werden muß“.17 Der Aufruf verhallte nahezu folgenlos, und der Weimarer Kreis zerfiel endgültig.18 Auch in der Forschungsgemeinschaft versuchte Radbruch, auf eine Demokratisierung der Strukturen hinzuwirken. Wie beschrieben, kam es dort durch den politischen Druck von außen 1929 zu einer erheblichen personellen Veränderung. Der Hauptausschuss wurde von elf auf 15 Mitglieder erweitert, von denen fünf das Innenministerium bestimmte und zehn die Mitgliederversammlung wählte. Die neue Regelung führte im November 1929 zu einem markanten Wechsel: Elf Personen schieden aus, und die Mitgliederversammlung berief zehn Wissenschaftler erstmals zu Mitgliedern oder Stellvertretern. Unter ihnen befand sich auch Radbruch, der auf diese Weise erneut zur Notgemeinschaft stieß, die er 1925/26 verlassen hatte. 1929 jedoch entsandte ihn die wissenschaftliche Community und nicht das Reichsinnenministerium. Eine der Hauptaufgaben des Hauptausschusses, dem er nun angehörte, bestand laut Satzung in der Finanzierung der einzelnen Forschungsvorhaben. In der Realität zeigte sich jedoch, dass eine Mitwirkung in Anbetracht des autokratischen Stils Schmidt-Otts kaum möglich war. Dies missfiel Radbruch. Anfang des Jahres 1930 wandte er sich daher an Schmidt-Ott, doch jener reagierte nur mit einem längeren ausweichenden Schreiben, das die angewandte Praxis verteidigte.19 Er setzte sich auch dafür ein, dass die in der Satzung festgeschriebenen Wahlen zu den Fachausschüssen tatsächlich stattfanden  – viele Jahre war dies umgangen worden. So drängte er im Frühjahr 1930 darauf, dass die Geschäftsstelle frühzeitig mit den Vorbereitungen der nächsten Wahlen beginnen solle, um eine „wirkliche Wahl“ zu gewährleisten.20 15 16 17 18 19 20

Das Einladungsschreiben wird bei Kahl/Meinecke/Radbruch: Universitäten, S. 2 f., zitiert. Vgl. Kahl/Meinecke/Radbruch: Universitäten. Brief Anschütz und Radbruch an zahlreiche Kollegen vom 26.11.1930, zit. nach: Döring: Kreis, S. 102. Vgl. auch Wolgast: Universität, S. 143. Das Schreiben Schmidt-Otts an Radbruch vom 4.3.1930 wird von Zierold: Forschungsförderung, S. 55, ausführlich zitiert. Protokoll der HA-Sitzung am 12.4.1930, BArch, R 73/100, fol. 15.

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In Heidelberg setzte sich Radbruch für den habilitierten Mathematiker, politischen Publizisten und Pazifisten Julius Gumbel ein, der ab Mitte der 1920er Jahre zur Zielscheibe nationalsozialistischer Attacken wurde.21 Als Gumbel auf einer Veranstaltung – die Deutsche Friedensgesellschaft erinnerte an den Kriegsausbruch zehn Jahre zuvor – vom „Felde der Unehre“ sprach, stellte ihn die Hochschule vom Dienst frei. Nach Aufhebung der Suspendierung und der Ernennung Gumbels zum außerordentlichen Professor besetzten die NS-Studenten kurzerhand die Universität, um ihrem Unmut Luft zu machen. Die Hochschulleitung ließ zwar räumen, entzog Gumbel aber zwei Jahre später die Lehrberechtigung. Anlass dazu bot eine seiner weiteren pazifistischen Äußerungen, der tatsächliche Grund lag aber nicht zuletzt darin, dass Gumbel Jude war. Radbruch fungierte beim Verfahren gegen Gumbel als der von der Fakultät bestellte Verteidiger und geriet so ebenfalls ins Visier der NS-Aktivisten. Aufgrund seiner politischen Haltung und Tätigkeit war Radbruch für die Nationalsozialisten eindeutig als politischer Gegner erkennbar und gehörte zu den ersten Hochschullehrern, die ihr Amt verloren. Für das Sommersemester 1933 hatte er eine Vorlesung für einen größeren Hörerkreis über „Die Staatsform der Demokratie“ angekündigt. Nach der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ hielt er dies jedoch nicht mehr für angebracht. In Absprache mit dem Dekan der Juristischen Fakultät bat er den Rektor am 24. März 1933, ihn von dieser, dann von allen seiner Vorlesungen zu entbinden.22 In demselben Zeitraum urteilte der Staatskommissar im Badischen Kultusministerium, Radbruch entspreche als früherer Reichsjustizminister und als SPD-Mitglied nicht mehr den Erfordernissen der neuen Zeit. Seine Entlassung erfolgte, wie er mündlich am 26. April 1933 erfuhr, zum 8. Mai nach § 4 des Berufsbeamtengesetzes. Am selben Tag wurden auch sein Haus durchsucht, Bücher und Briefe beschlagnahmt und sein Reisepass eingezogen. Auch die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, der er seit 1931 angehörte, schloss ihn aus. Im Mai 1933 teilte ihm Präsident Max Planck mit, dass er im Zuge der Neuordnung nicht als Senator bestätigt werden könne. Die Berliner Notgemeinschaft betrieb ihm gegenüber insofern keine Politik der Exklusion, als sich der Hauptausschuss selbst auflöste – ebenso wie das Präsidium. Denn Schmidt-Ott gelang es trotz aller Bemühungen nicht, die Forschungsgemeinschaft in ihrer bestehenden Form zu erhalten. Nachdem Innenminister Wilhelm Frick SchmidtOtt Anfang Mai 1933 nahegelegt hatte, sein Amt aus Altergründen zu verlassen, beschloss das Präsidium auf seiner Sitzung am 17. Mai zurückzutreten. Auch der Hauptausschuss vollzog diesen Schritt wenig später.23 Die Vertreibung aus dem nationalen Wissenschaftssystem führte jedoch nicht dazu, dass Radbruch resignierte. Vielmehr wolle er sich, so schrieb er am Tag, an dem er von seiner Entlassung erfuhr, an den Züricher Staats-, Verwaltungs21 22 23

Vgl. ausführlich Gottschalk: Jahre, S. 50–60. Vgl. Brief Radbruch an den Rektor vom 24.3.1933, zit. nach: Mußgnug: Dozenten, S. 48. Vgl. Brief Schmidt-Ott an RMdI vom 18.5.1933, BArch, R  1501/126769c, fol.  105; Brief Schmidt-Ott an die Mitglieder des HA vom 18.5.1933, ebd., fol. 107.

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und Kirchenjuristen Fritz Fleiner, „nach anderen Möglichkeiten umsehen, und zwar in erster Linie im Rahmen des akademischen Berufs, an dem ich mit ganzer Seele hänge“.24 Im November 1933 lud ihn die Universität in Kaunas zu einem einjährigen Aufenthalt ein, in dem er u. a. Vorlesungen über Strafrecht halten sollte. Radbruch stimmte zu und hatte bereits einen Vertrag unterschrieben, als sich herausstellte, dass er keine Ausreisegenehmigung erhalten würde. So trat eine andere Überlegung in den Vordergrund, die während seiner Gespräche mit Litauen von zwei Seiten an ihn herangetragen worden war: Zum einen hatte die Notgemeinschaft Deutscher Wissenschaftler im Ausland mit Sitz in Zürich,25 die über seine Kaunas-Pläne im Bilde war,26 Unterstützung angeboten, sollten sich jene zerschlagen. Für diesen Fall hatte sie Kontakte zum Academic Assistance Council, der wichtigsten Fluchthilfeorganisation in England, in Aussicht gestellt. Zum anderen erkundigte sich sein Kollege Albrecht Mendelssohn Bartholdy,27 der nach seiner Vertreibung aus Deutschland eine Stelle am Balliol College in Oxford gefunden hatte, ob er einer Einladung nach Oxford folgen würde. Als sich die Kaunas-Pläne zerschlugen und das Auswärtige Amt die Reise nach Oxford gestattete, ging Radbruch im April 1935 für ein Jahr an das University College in Oxford, finanziell unterstützt vom Academic Assistance Council. In jener Zeit stand er u. a. in engem Kontakt zu Mendelssohn Bartholdy sowie zu seinem ebenfalls vertriebenen Freund und Kollegen Hermann Kantorowicz, der in Cambridge lehrte. Im Oktober 1935 konnte Radbruch zudem an einem Kongress des Institut international de philosophie du droit et de sociologie juridique in Paris teilnehmen28 und einen rechtsphilosophischen Vortrag in Rom halten. Als späte Frucht seines Studienjahrs in Oxford kann das Buch Der Geist des englischen Rechts gelten, das rund ein Jahrzehnt später erschien.29 Von England aus wollte Radbruch nach Zürich gehen. Seit 1935 arbeitete er an der Schweizerischen Zeitschrift für Strafrecht mit und plante auch, in Zürich ein Habilitationsgesuch einzureichen. Zum Sommersemester 1937 bot man ihm einen dreistündigen Lehrauftrag über die Grundzüge der Rechtsphilosophie an.30 Doch der Druck, den das Reichserziehungsministerium auf ihn ausübte, war so groß, dass er das Angebot letztendlich ablehnte und in Deutschland blieb. Bis Kriegsende arbeitete er als Privatgelehrter. Dies war auch deshalb möglich, weil er nicht auf andere Einnahmen angewiesen war31 und die Universitätsbib-

24 25 26 27 28 29 30 31

Brief Radbruch an Fritz Fleiner vom 26.4.1933, in: Radbruch: Briefe II, S. 104. Zu dieser vgl. ausführlich Orth: NS-Vertreibung, S. 136–145. Zum Folgenden vgl. Vulpius: Radbruch, S. 33–36. Vgl. den Beitrag über Albrecht Mendelssohn Bartholdy in diesem Buch, S. 102–113. Vgl. Schumacher (Hg.): M. d. R., S. 446. Vgl. dazu Scholler: Rechtsvergleichung, S. 40–75; zu seiner wissenschaftlichen Tätigkeit in Oxford insgesamt vgl. ausführlich Vulpius: Radbruch, S. 36–136. Vgl. Brief des Dekans der Juristischen Fakultät an REM vom 21.1.1937, UAH, PA  5385, PA Radbruch. Sein Grundgehalt war um 25 Prozent verringert worden und die Kolleggelder entfielen; seit 1934 erhielt er drei Viertel seiner Pensionsansprüche. Vgl. Mußgnug: Dozenten, S. 115; dies.: Fakultät, Fn. 28, S. 263; Gottschalk: Jahre, S. 75–77.

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liothek benutzen konnte.32 Seine Schriften konnten sogar erscheinen, weil er in der Folgezeit nicht über politische Themen schrieb, sondern sich mit vermeintlich unpolitischen Dingen beschäftigte. Er erfülle, so rechtfertigte er dies für sich selbst und andere, „mit der Hingabe an das Kleine und Zeitferne eine Mission: denen, die nach uns kommen, zu zeigen, daß es auch in dieser Zeit noch Menschen gab, die der Wissenschaft um der Wissenschaft willen mit durstiger Wissbegierde dienten.“33 Ins Zentrum seiner Tätigkeit rückte zum einen die Rechtsgeschichte. Zu nennen sind insbesondere seine 1934 in Wien veröffentlichte Biografie über Paul Johann Anselm von Feuerbach und das 1938 publizierte Buch Elegantiae Juris Criminalis, in dem er Wendepunkte bzw. wichtige Abschnitte einer Geschichte der Verbrechen herausarbeitete und diese zugleich sozial-, kunst- und geistesgeschichtlich einordnete. Später griff er das Thema nochmals in seiner zusammen mit Heinrich Gwinner verfassten Geschichte des Verbrechens auf, in der sie das Verbrechen im Sinne einer historischen Kriminologie als sozialpathologische Erscheinung beschrieben. Während der inneren Emigration befasste er sich zudem intensiver mit Literatur und Kunst, verfasste einige kürzere Arbeiten wie Essays oder Aufsätze34 und beendete die kunstwissenschaftliche Dissertation seiner im März 1939 bei einem Lawinenunfall tödlich verunglückten Tochter. Er stand dabei in engem Kontakt mit ihrem Lehrer Harald Keller in München und betrachtete die Arbeit, die 1941 unter dem Titel Der deutsche Bauernstand zwischen Mittelalter und Neuzeit. Ein kunstgeschichtlicher Versuch erschien, abschließend als seinen „Befähigungsnachweis für Kunstgeschichte“.35 Zu nennen ist zudem das 1945 veröffentlichte, viel beachtete Buch Gestalten und Gedanken, in dem er sich u. a. mit Michelangelos Medici-Kapellen, mit Shakespeare und Goethe auseinandersetzte. Ein Beitrag über Theodor Fontane lag 1944 gesetzt vor, konnte aber wegen kriegsbedingtem Papiermangel erst nach Kriegsende gedruckt werden. Bis heute gelten Radbruchs Schriften zur Kunst- und Kulturgeschichte ebenfalls als meisterhaft, nicht zuletzt in Stil und Form.36 Bemerkenswert ist nicht zuletzt, dass Radbruchs Entlassung keinen vollständigen Bruch mit der Heidelberger Universität bedeutete. So beschloss die juristische Fakultät am 24. Mai 1933, Radbruch und den ebenfalls entlassenen Anschütz zur geplanten Nachfolge auf ihren Lehrstühlen zu konsultieren. Man einigte sich schnell, dass Karl Engisch Radbruchs Lehrstuhl übernehmen sollte. Dieser war jedoch fest in Gießen verankert und hatte zudem einen Ruf aus Marburg erhalten. Als Engisch im Dezember 1933 zu Gesprächen nach Heidelberg kam, traf auch er mit Radbruch zusammen, dem er versicherte, er wolle das Ordinariat nicht gegen 32

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Die Benutzung sei ihm, so der Direktor der Universitätsbibliothek, wie „jedem Volkgenossen gegen Zahlung der entsprechenden Gebühr zugänglich“. Der Kultusminister gestattete ihm am 20.5.1933 dann auch das Betreten der Magazinräume, was ihm kurzfristig verwehrt worden war. Vgl. Mußgnug: Dozenten, S. 127; dies.: Fakultät, Fn. 29, S. 263. Brief Radbruch an August und Hanna Grisebach vom 31.1.1938, in: Radbruch: Briefe II, S. 147. So schrieb er etwa den Artikel „Buch/Buchrolle“ für das Reallexikon für Kunstgeschichte, vgl. Mußgnug: Dozenten, S. 127. Brief Radbruch an Julius Federer vom 3.1.1944, in: Radbruch: Briefe II, S. 229. Vgl. z. B. Spendel: Radbruch, S. 390.

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dessen Wunsch übernehmen. Doch Radbruch war mit seinem Nachfolger ganz einverstanden. So wechselte Engisch zum 1. April 1934 nach Heidelberg und übernahm sogleich auch die Dekanatsgeschäfte. Als Dekan lud er Radbruch zu zahlreichen offiziellen Veranstaltungen der Fakultät ein, und jener nahm tatsächlich auch teil.37 Radbruch äußerte sich zudem zu Engischs Publikationen, sandte ihm seine Sonderdrucke oder besuchte von Engisch angeregte Treffen. Als jener 1938 einen Ruf nach Leipzig ausschlug, schrieb Radbruch, er freue sich darüber. „Sie wissen, wie schmerzlich mir der Verlust meines Lehrstuhls war, aber ich kann mir keinen Nachfolger denken, der mir lieber wäre als Sie, und ich freue mich der guten Beziehungen, die zwischen uns von vornherein und ununterbrochen bestanden haben und bestehen“.38 Darüber hinaus blieb Radbruch mit einigen Kollegen verbunden, die ebenfalls entlassen worden waren. Mit Walter Jellinek und Karl Geiler, die beide ebenfalls weiterhin in Heidelberg lebten, traf er sich regelmäßig, und der Freundeskreis verabschiedete auch diejenigen, die in die Emigration gingen, wie etwa Ernst Levy, der Anfang des Jahres 1936 über die Schweiz in die Vereinigten Staaten reiste. Radbruch schrieb ihm von Oxford aus: „Ich bewundere die Kraft und Umsicht, mit der Sie […] ein neues Leben beginnen, und glaube zuversichtlich, daß [es] zu neuen Erfolgen und einem neuen Glück führen muß“.39 In Verbindung blieb er auch mit Friedrich Darmstädter, der zunächst in Italien, dann in England lebte,40 Karl Jaspers, an dessen (bis heute unpublizierter) Festschrift zum 60. Geburtstag er mitschrieb, oder mit seinem nach Palästina emigrierten Schüler Walter Götz, dem er 1937 schrieb: „Sie dürfen, trotz allem Schweren in Ihrer neuen Heimat, glücklich sein, jung zu sein und am Anfang eines neuen Lebens zu stehen“.41 Die Verbindung zu seinem früheren Schüler Georg Dahm brach er hingegen ab, da sich dieser eindeutig auf die Seite der Nationalsozialisten gestellt hatte.42 In der letzten Kriegsphase erlebte Radbruch privat einen weiteren schweren Verlust. Sein Sohn erlag am 5. Dezember 1942 in Stalingrad seinen Verletzungen, die er sich kurz zuvor bei einem Granatenangriff zugezogen hatte. Radbruch hielt die Hoffnung auf eine, so schrieb er 1944 an seinen Kollegen Eduard Kohlrausch, „neue unvorstellbar andere Welt“ aufrecht.43 Während des Krieges gelte es, „sich mühsam zur Arbeit zu zwingen, ungewiß ob diese Arbeit in der kommenden Welt noch Geltung haben wird. Dennoch darf man die Hand nicht vom Pflug lassen.“44 Mit dem näher rückenden Kriegsende begannen die NS-vertriebenen Heidelberger Hochschullehrer, die nicht in die Emigration gegangen waren, über die künf37 38 39 40 41 42 43 44

Vgl. Mußgnug: Dozenten, S. 117. Brief Radbruch an Engisch vom 17.3.1938, in: Radbruch: Briefe II, S. 147. Brief Radbruch an Levy vom 26.2.1936, in: Radbruch: Briefe II, S. 132. Vgl. Mußgnug: Dozenten, S. 225. Brief Radbruch an Walter Götz vom 24.2.1937, in: Radbruch: Briefe II, S. 138. Vgl. ausführlich Gottschalk: Jahre, S. 63–66. Brief Radbruch an Eduard Kohlrausch vom 30.1.1944, in: Radbruch: Briefe II, S. 230. Brief Radbruch an Carl August Emge vom 14.10.1944, in: Radbruch: Briefe II, S. 236.

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tige Gestaltung der Universitäten nachzudenken, und ab Frühjahr 1945 traf man sich wöchentlich in der Wohnung von Radbruch. Am 5. April 1945 konstituierten sie sich unter dem Vorsitz des Theologen Martin Dibelius als „Dreizehnerausschuss zum Wiederaufbau der Universität“ Heidelberg, wobei sie „Wiederaufbau“ nicht nur bzw. nicht in erster Linie im organisatorischen Sinn verstanden; es ging ihnen vielmehr und vordringlich um einen geistigen Neuanfang.45 Am 23. Juli 1945 legten sie einen ersten Bericht über die politische Stellung der Mitglieder der juristischen Fakultät für die Militärregierung vor. Die am 3. Januar 1946 wiedereröffnete Heidelberger Hochschule rehabilitierte Radbruch schnell. Er hielt bei der Wiedereröffnung die Ansprache Erneuerung des Rechts und kehrte auf seinen Lehrstuhl, in die Lehre und in die Gremienarbeit zurück, obwohl es gesundheitlich nicht gut um ihn stand.46 Doch die „Wiederaufnahme der Lehrtätigkeit“, so erlebte er es, „die Arbeit als Dekan der Juristischen Fakultät, die Zusammenarbeit im Senat der Universität [gibt mir] neue Lebensfreude“. Er würde diese „als Glück bezeichnen […], wenn die Zeiten und die Zukunft für Deutschland nicht so düster wären“.47 Er leitete – inzwischen als Dekan tätig  – den Wiederaufbau der Juristischen Fakultät und fragte in dieser Funktion explizit auch die NS-Vertriebenen, ob sie bereit wären zurückzukehren. So sprach er mit Leopold Perels, der sich in Frankreich aufhielt,48 mit Friedrich Darmstädter, der in England lebte, oder mit Ernst Levy. Er versuchte auch, Jaspers zum Bleiben zu bewegen, als jener Ende 1947 einen Ruf nach Basel erhielt. Als Wissenschaftler empfahl Radbruch angesichts der Erfahrungen mit dem NS-Rechtssystem zur Abwehr gesetzlichen Unrechts die Anerkennung eines dem gesetzten Recht übergeordneten universalen (Natur-)Rechts. Die später sogenannte Radbruchsche Formel von 1946, die auf die obergerichtliche Rechtsprechung der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit einwirkte und die nach der Wiedervereinigung Deutschlands im Zusammenhang mit den sogenannten Mauerschützenprozessen eine intensive Wiederbelebung erfuhr,49 hat folgenden Wortlaut: „Der Konflikt zwischen der Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit dürfte dahin zu lösen sein, daß das positive, durch Satzung und Macht gesicherte Recht auch dann den Vorrang hat, wenn es inhaltlich ungerecht und unzweckmäßig ist, es sei denn, daß der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht, daß das Gesetz als ‚unrichtiges Recht‘ der Gerechtigkeit zu weichen hat.“50

45 46 47 48 49 50

Vgl. Mußgnug: Dozenten, S. 187; Wolgast: Universität, S. 167 f. Vgl. etwa den Erinnerungsbericht eines damaligen Hörers, in: Graue u. a. (Hg.): Radbruch, S. 6–8; sowie Kaufmann: Radbruch, S. 9 f. Radbruch litt an der Parkinson-Krankheit. Radbruch: „Lebensbeschreibung für die amerikanischen Behörden“, o. D., zit. nach: Mußgnug: Dozenten, S. 195. Vgl. Mußgnug: Dozenten, S. 222–225. Zum Folgenden vgl. ebd., S. 225–229 und 248–251. Vgl. Krohn u. a. (Hg.): Handbuch, S. 873; Kritische Justiz (Hg.): Juristen, S. 298. Zu seinem Einfluss auf den (bundes-)deutschen Strafvollzug vgl. ebd., S. 298–300 sowie Schäfer/Sievering (Hg.): Strafvollzug. Radbruch: Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht (1946), zit. nach: Hollerbach: Radbruch, S. 209 f. Vgl. dazu auch ausführlich Scholler: Rechtsvergleichung, S. 95–105.

Gustav Radbruch

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Auch hochrangige Politiker in der Sowjetischen Besatzungszone waren an seiner Einschätzung interessiert. 1947 verfasste er – als wohl prominentester Jurist aus dem Westen – für Otto Grotewohl eine Stellungnahme zum Verfassungsentwurf der SED. Er kritisierte daran u. a., dass das Dokument die Unabhängigkeit der Richter nicht garantiere und die Gewaltenteilung ablehne. Eine weiterführende Beziehung zur SED ergab sich danach nicht.51 Auch in der Politik engagierte sich Radbruch erneut.52 Auf einen Sozialismus christlicher Prägung hoffend, setzte er sich für die Gründung einer interkonfessionellen Partei ein. Diese wurde unter dem Namen „Christlich-Soziale Union“ Anfang November 1945 im evangelischen Gemeindehaus in der Heidelberger Altstadt gegründet. Radbruch und die Mitinitiatoren Emil Vierneisel und Hans Stakelbeck präsentierten dort das von ihnen erarbeitete Programm. Bei aller Ähnlichkeit zum Gründungsaufruf der Berliner CDU vom 26. Juni 1945 bestanden auch wesentliche inhaltliche Unterschiede. Radbruch aber engagierte sich langfristig weder in der Heidelberger Union noch schloss er sich der CDU an, sondern kehrte 1948 zur SPD zurück, aus der er zwischenzeitlich ausgetreten war. Er selbst begründete dies folgendermaßen: „Vielleicht ist die beste Antwort auf [die] Frage, daß ich mich wieder der SPD eingegliedert habe, der ich seit 1945 ferngeblieben war, einerseits weil ich zu Unrecht damals eine Politik im SED-Stil fürchtete und von der CDU das Bekenntnis zu einem christlichen Sozialismus erwartete – zwei Voraussetzungen, die sich als völlig irrig erwiesen haben –, andererseits weil ich parteilos stärker auf die Studentenschaft wirken zu können glaubte. In meiner Abschiedsvorlesung […] habe ich erklärt, daß in dieser Zeit der Entscheidungen mit jenem Nihilismus, der gleichzeitig alle Besatzungsmächte und alle Parteien ablehne, Schluß gemacht werden müsse, daß man zeigen müsse, wo man steht, und daß ich nunmehr deshalb in die SPD zurücktrete.“53 In der Heidelberger SPD meldete er sich im Zusammenhang mit der Diskussion über die Entnazifizierung zu Wort. So hielt er 1947 den bisherigen Verlauf für unzureichend und argumentierte, dass es sinnvoller sei, an den Hauptschuldigen und schwer Belasteten Exempel zu statuieren.54 Darüber hinaus beobachtete er die Nürnberger Prozesse und die Militärgerichtsprozesse in der amerikanischen Besatzungszone, die sogenannten Dachauer Prozesse, sehr genau55 und veröffentlichte 1948 zu51

52 53 54 55

Vgl. Amos: Entstehung, S. 78. Radbruchs Stellungnahme betraf den 2. Entwurf einer Verfassung für die DDR vom 14.11.1946. Ein Jahr später überlegten die Mitglieder des Verfassungsausschusses erneut, Kontakt zu westdeutschen Verfassungsexperten aufzunehmen, nicht zuletzt, um den gesamtdeutschen Charakter des Verfassungsentwurfs zu unterstreichen. Erneut dachte man an Radbruch. Doch keiner der in Erwägung gezogenen westdeutschen Juristen nahm an einer der Beratungen des Verfassungsausschusses teil, auch Radbruch nicht. Vgl., auch zum Folgenden, Reutter: Heidelberg, S. 204–208. Brief Radbruch an Hugo Marx vom 24.8.1948, in: Radbruch: Briefe II, S.  285 f. Zu Radbruchs Bedeutung für die SPD vgl. Vogel: Radbruch; Hollerbach: Radbruch, S. 215 f. Vgl. Reutter: Heidelberg, S. 179. Vgl. z. B. den Bericht Radbruchs vom 24.2.1949, UAH, PA 783, PA Radbruch, sowie Brief Radbruch an Geiler vom 11.4.1949, ebd., PA 5385, PA Radbruch.

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sammen mit dem evangelischen Prälaten Hermann Maas unter dem Titel Den Unvergessenen. Opfer des Wahns ein Gedenkbuch für die Opfer der Diktatur. Radbruchs Engagement für den Wiederaufbau der Wissenschaft wurde 1948 durch zahlreiche Ehrungen honoriert. Er erhielt die Ehrendoktorwürde der Universitäten Heidelberg und Göttingen, wurde in die Akademie der Wissenschaften zu Heidelberg und Bologna aufgenommen und zum Ehrenmitglied des Deutschen Juristentags ernannt. Zudem erschien zu seinen Ehren eine Festschrift, die ihm rund einhundert Gratulanten aus Wissenschaft und Politik zu seinem 70. Geburtstag übergaben.56 Im selben Jahr bat Radbruch um Emeritierung, da es ihm gesundheitlich zunehmend schlechter ging.57 In seiner Abschiedsvorlesung, die er im Sommer 1948 hielt, wandte er sich gegen eine nihilistische, aus den Erfahrungen des Nationalsozialismus erwachsene Haltung und appellierte an die Studierenden, „den wahren Rechtssinn in sich lebendig zu halten“.58 Ein Jahr später, am 23. November 1949, starb er an den Folgen eines Herzinfarkts.59 Sein Werk wurde von 1987 bis 2003 in einer Gesamtausgabe, die 20 Bände umfasst, herausgegeben – ein in der Rechtswissenschaft bis heute wohl einmaliges Unterfangen.

56 57 58 59

Vgl. Aktenvermerk über die Geburtstagsfeier Radbruchs vom 21.11.1948, UAH, PA 5385, PA  Radbruch. Vgl. auch Brief Radbruch an den Dekan der Juristischen Fakultät vom 26.11.1948, UAH, PA 783, PA Radbruch. Vgl. Emeritierungsgesuch Radbruch vom 29.1.1948, UAH, PA 5385, PA Radbruch. Abschiedsvorlesung Radbruch am 13.7.1948, zit. nach: Moritz (Hg.): Radbruch, S. 58, Hervorhebung im Original. Die Kondolenzschreiben sind gesammelt in UAH, PA 5386, PA Radbruch.

Eduard

Schwartz

Eduard Schwartz kam am 22. August 1858 in Kiel zur Welt und wurde evangelisch getauft.1 Seine Vorfahren waren seit vielen Generationen als Pastoren in Holstein tätig, doch sein Vater, Hermann Schwartz, schlug eine medizinisch-akademische Laufbahn ein und übernahm einen Lehrstuhl für Gynäkologie; er heiratete die Tochter eines Kollegen. Da er 1862 einen Ruf nach Göttingen annahm, besuchte Eduard Schwartz dort die Schule und begann nach Abschluss des Gymnasiums, auch in Göttingen zu studieren. Zunächst, so schrieb er aus der Rückschau, „zwischen Philologie und Sprachwissenschaft schwankend“, widmete er sich ab dem dritten Semester ganz der Philologie.2 Neben Göttingen zählten Bonn, Berlin und Greifswald zu seinen Studienorten, seine wichtigsten Lehrer waren Hermann Sauppe und Curt Wachsmuth in Göttingen, Hermann Usener und Franz Bücheler in Bonn, Theodor Mommsen in Berlin sowie Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff in Greifswald. Mit Letzterem, der nur zehn Jahre älter war als er selbst, verband ihn eine lebenslange, enge, wenn auch nicht spannungsfreie kollegiale Beziehung, die auf viele wie eine Freundschaft wirkte.3 1

2 3

Dieser Beitrag stützt sich auf die grundlegende Forschungsliteratur über Schwartz. Zu nennen sind insbesondere die folgenden Publikationen: die entsprechenden Einträge in NDB, DBE und BBKL; Baumgarten: Schwartz; Möllendorff: Schwartz; Rehm: Lebenswerk; Schreiber: Altertumswissenschaften; Unte: Schwartz; Schwartz: Lebenslauf. Zudem wurden folgende Quellen herangezogen: UAM, E-II-3097, PA Schwartz; BayHStA, MK 17968. Schwartz: Lebenslauf, S. 1. Zum Verhältnis der beiden Männer vgl. Möllendorff: Schwartz; Rehm: Lebenswerk, S. 9 f. Die Briefe von Wilamowitz an Schwartz haben Calder/Fowler (Hg.): Letters, S. 21–106, im Jahre 1986 veröffentlicht.

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Von Greifswald kehrte Schwartz nach Bonn zurück, um bei Usener zu promovieren. Die 1880 fertiggestellte Dissertation mit dem Titel De Diouysio Scytobrachione galt der Mythografie und folgte der zuerst von dem klassischen Philologen und Archäologen Carl Robert vorgenommenen „kritischen Bewertung der einzelnen Quellen für die Rekonstruktion eines Mythos sowie für das Erkennen seiner Entwicklung“.4 Usener regte auch Schwartz’ zweite Schrift an, die 1881 unter dem Titel De scholiis Homericis ad historiam fabularum pertinentibus erschien. Anschließend ermöglichten ihm ein Stipendium des Deutschen Archäologischen Instituts sowie die Unterstützung seines Vaters einige „Wanderjahre“,5 die ihn unter anderem nach Italien und nach Paris führten. 1884 in Bonn habilitiert, lehrte er dort als Privatdozent bis zu seinem Wechsel auf ein Extraordinariat nach Rostock im Jahre 1887. Ein halbes Jahr später gelangte er als Nachfolger von Friedrich Leo auf eine ordentliche Professur. Nun heiratete er auch. Mit seiner Frau Emma Blumenbach hatte er drei Söhne, Gerhard, Ivo und Gustav. In den Jahren bis zum Ende des Ersten Weltkriegs zog die Familie mehrfach um: 1893 folgte Schwartz einem Ruf nach Gießen, 1897 nach Straßburg, 1902 nach Göttingen, 1909 nach Freiburg und 1914 erneut nach Straßburg. Dort amtierte er 1915/16 auch als Rektor. Seine „Straßburgbegeisterung“ hielten viele Kollegen, darunter Wilamowitz-Moellendorff und dessen Schwiegervater Theodor Mommsen, die beide lange Zeit in Berlin lebten und lehrten, für eine „Verblendung“.6 Schwartz seinerseits fand, so kommentierte er aus der Rückschau, dies zeige „in erschütternder Weise, wie wenig Verständnis man in Berlin für die Aufgabe und Bedeutung der Straßburger Universität hatte. Nicht nur sie ist an dieser Verständnislosigkeit zugrunde gegangen, auch der Verlust des Elsasses ist zum guten Teil dadurch verschuldet“.7 Er hingegen fühlte sich verpflichtet, den aus seiner Sicht „immer mehr drohenden Niedergang der dortigen Universität aufzuhalten“.8 Es zog ihn wohl nicht zuletzt auch deshalb nach Freiburg und Straßburg, weil er die Gegend, insbesondere das Elsass, sehr mochte und in Straßburg weniger in die Lehre eingebunden war als an einer großen Universität wie etwa Göttingen. „Straßburg und das Elsaß waren mir“, so schrieb er 1932, „zur Wahlheimat geworden“, die Jahre dort die „glücklichsten meines Lebens“.9 Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs verließ Schwartz Straßburg fluchtartig und unter Zurücklassung eines großen Teils seines Besitzes. Nach einem kurzen Aufenthalt in Freiburg wurde er Ostern 1919 als Nachfolger von Otto Crusius 4 5 6 7 8 9

Unte: Schwartz [Zugriff 7.11.2016]; vgl. zudem ausführlich Rehm: Lebenswerk, S. 16 f. Schwartz: Lebenslauf, S. 2. Gustav Schwartz: Alles ist Übergang zur Heimat hin. Mein Elternhaus. Eduard Schwartz und die Seinen in ihrer Zeit 1897–1941, o. O. 1964, S. 98, zit. nach: Möllendorff: Schwartz, S. 477. So Schwartz in einem nachträglichen Kommentar o. D. zu einem Brief Mommsens an ihn aus dem Jahr 1885, zit. nach: Möllendorff: Schwartz, Fn. 26, S. 477. Schwartz: Lebenslauf, S. 16. Schwartz: Lebenslauf, S. 8 und 6. Vgl. auch Gustav Schwartz: Alles ist Übergang zur Heimat hin. Mein Elternhaus. Eduard Schwartz und die Seinen in ihrer Zeit 1897–1941, o. O. 1964, S. 28, zit. nach: Möllendorff: Schwartz, S. 478. Vgl. zudem Rehm: Lebenswerk, S. 12; Pfeiffer: Philologen, S. 134.

Eduard Schwartz

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nach München berufen. Noch Jahre später bewertete er den Ersten Weltkrieg als eine tief greifende Zäsur: „Dem durch den Verlust Straßburgs heimat- und amtlos gewordenen Flüchtling“ habe die Universität München, so schrieb er 1938, „eine neue bedeutende Stätte des Wirkens“ geboten, sodass er „ein neues Leben beginnen konnte“.10 In München blieb Schwartz dauerhaft  – auch nach seiner zum 1. April 1929 erfolgten Emeritierung.11 Die wissenschaftliche Leistung des klassischen Philologen ist vielfach gewürdigt worden.12 Er galt und gilt als einer der gründlichsten Kenner der antiken Mythografie, bedeutender Handschriftenforscher und hervorragender Editor. Sein wissenschaftlicher Weg führte über die Beschäftigung mit der griechischen Mythografie, Dichtung und Historiografie zur Apologetik und christlichen Geschichtsschreibung, von dort schließlich in die Kirchengeschichte des 4. bis 6. Jahrhunderts, und seine Arbeitsschwerpunkte verlagerten sich allmählich immer mehr in die Editionsphilologie. Nach seiner der Mythografie gewidmeten Dissertation hatte er sich zunächst vor allem mit antiken Handschriften befasst. Er gab von 1887 bis 1891 die Scholia in Euripidem heraus, 1888 die Schiften des Tatianos und 1891 die des Athenagoras und publizierte zudem rund 200 Artikel zu den griechischen Historikern, wobei es ihm wichtig war, hinter deren Schriften auch immer „lebendige Menschen“ zu porträtieren.13 In seiner Göttinger Zeit setzte er sich zudem mit dem Neuen Testament auseinander, was sich in zwei Schriften niederschlug (Über den Tod der Söhne Zebedaei sowie Zur Chronologie des Paulus). Anschließend befasste er sich vor allem mit dem spätantiken Geschichtsschreiber Eusebios und arbeitete einige Jahre an der textkritischen Aufbereitung von dessen Schriften. Die Ausgabe der Historia ecclesiastica des Eusebios wurde aus der Rückschau als „Höhepunkt seiner historiographischen Arbeiten“14 angesehen; die drei Bände erschienen zwischen 1903 und 1909. In engem, auch zeitlichem Zusammenhang standen seine Forschungen Zur Geschichte des Athanasios, von denen aus er sich dann den Quellen zur Kirchengeschichte zuwandte. Für seine kirchengeschichtlichen Studien lernte er Armenisch, Arabisch, Syrisch sowie Russisch und begann noch vor Beginn des Ersten Weltkriegs ein Editionsvorhaben, das später als „Monumentalwerk[…]“ bezeichnet wurde: die Herausgabe der griechischen und lateinischen Acta conciliorum oecumenicorum. Dies umfasste die Akten der Ökumenischen Konzilien von Ephesos 431, Chalkedon 451 und Konstantinopel 553. Sie erschienen in vielen Haupt- und Teilbänden und mit über 3.000 Seiten Text zwischen 1914 und 1940 – ein Teil mit Unterstützung der Berliner Notgemeinschaft. 10 11 12 13 14

Brief Schwartz an den Rektor der Universität München vom 2.9.1938, UAM, E-II-3097, PA Schwartz. Schwartz fühlte sich gegenüber der Universität München verpflichtet, bis zu seinem 70. Lebensjahr im Amt zu bleiben, vgl. Schwartz: Lebenslauf, S. 19. Zu seiner Münchner Zeit vgl. zudem Pfeiffer: Philologen, S. 133–139. Zum Folgenden vgl. v. a. Meier: Schwartz, S. 125 f.; Unte: Schwartz. Rehm: Lebenswerk, S. 63. Zum Folgenden vgl. ebd., S. 29–40. Unte: Schwartz [Zugriff 7.11.2016]. Zum Folgenden vgl. – neben Rehm: Lebenswerk, S. 41– 48 – ebd., dort auch das folgende Zitat.

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So erhielt Schwartz 1922/23 auf seinen Antrag hin Mittel für seine „Arbeiten an der altlateinischen Übersetzung der Akten des Konzils von Chalkedon“.15 Das Initiieren und die Durchführung von solch langfristigen Editionsvorhaben zeigen, dass Schwartz nicht nur als Forscher und Hochschullehrer wirkte, sondern sich auch als ausgezeichneter Organisator und Administrator erwies. Nach seinem Wissenschaftsverständnis gehörten Forschung und Editionen zusammen.16 Letztere galten ihm als grundlegend für die Altertumswissenschaft, glaubte er doch, die Zukunft der Erforschung der Antike liege allein in einer weit gefassten  – und das bedeutete alle Einzeldisziplinen der Altertumswissenschaften integrierenden  – Beschäftigung mit dem überlieferten Ursprungsmaterial. Insofern sah er es als vordringliche Aufgabe des Philologen an, die Quellen aufzubereiten und der Fachwelt zur Verfügung zu stellen, und zwar als möglichst vollständigen Corpus mit philologisch exakter Aufbereitung. Nur so könne die Altertumswissenschaft zu seriösen Ergebnissen gelangen. Das „Herausgeben“ sei, so Schwartz 1904, „das vornehmste und das schwerste Geschäft der historisch-philologischen Wissenschaft“.17 Dahinter stand die damals weit verbreitete Auffassung, ein direkter und umfassender Zugang zum Altertum sei möglich, und auch, dass die Antike durch die streng philologische Methode vollständig zu erforschen sei. Die in den folgenden Jahrzehnten zunehmende disziplinäre Ausdifferenzierung der Altertumswissenschaft, die nicht zuletzt aufgrund des immensen Materialzuwachses durch die betriebenen editorischen Großprojekte erfolgte, stellte dieses Verständnis dann infrage. Doch unabhängig davon gilt Schwartz, der jene Großvorhaben ganz wesentlich vorantrieb und meisterhaft zu Ende brachte, bis heute „als eine zentrale Figur unter den Textkritikern und Editoren der klassischen Philologie des 19. und 20. Jahrhunderts“, als herausragender Gelehrter und einer der wichtigsten Altertumsforscher seiner Zeit.18 Diese Einschätzung teilten bereits seine Zeitgenossen. Ein ministerieller Vermerk aus dem bayerischen Kultusministerium hielt fest, Schwartz sei „unbestritten [der] größte Graecist der Welt“.19 Schwartz’ wissenschaftliche Reputation erwies sich als grundlegend für seine Integration in die wissenschaftliche Fachwelt und ihre Institutionen. Er erhielt die Ehrendoktorwürde der Rechtswissenschaft, der Theologie sowie der Medizin und gehörte als Geheimer Rat den wissenschaftlichen Akademien Berlin, Heidelberg, München, Wien, Straßburg, Petersburg, Kopenhagen, Budapest und Stockholm an, stand der Bayerischen Akademie der Wissenschaften von 1927 bis 1930 als Präsident vor20 und gleichzeitig den wissenschaftlichen Sammlungen des bayeri15 16 17 18 19 20

Datenbank DFG-Geschichte sowie BArch Berlin, R  1501/116315. Schwartz beantragte 20.000 Mark, es ist jedoch unklar, ob die gesamte Summe bewilligt wurde. Zur Gesamtausgabe vgl. auch Pfeiffer: Philologen, S. 136. Vgl., auch zum Folgenden, Rehm: Lebenswerk, S. 62 f. Schwartz: Gegenwärtigkeiten, S. 294. Meier: Schwartz, S. 124; vgl. Unte: Schwartz [Zugriff 7.11.2016]. Zum Wert der Acta conciliorum oecumenicorum aus heutiger Sicht vgl. ebd. Vermerk o. D., BayHStA, MK 17968, fol. 121. Zu seiner Tätigkeit dort vgl. etwa das Dankesschreiben des Staatsministers für Unterricht und Kultus an Schwartz vom 3.12.1930, BayHStA, MK 17968, Bl. 62.

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schen Staates als Generaldirektor.21 Von 1920 bis 1927 sowie von 1934 bis 1940 wirkte er zudem als Sekretär der philologisch-philosophischen Klasse der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. In dieser Eigenschaft stellte er zusammen mit dem Münchner Mathematiker und DFG-Vizepräsidenten Walther von Dyck in den frühen 1930er Jahren bei der Berliner Notgemeinschaft beispielsweise auch einen Antrag auf Mittel zum Druck der Arbeit von Ferdinand Sommer über die Ahhijava-Urkunden.22 Doch Schwartz war bei der Notgemeinschaft nicht in erster Linie als Antragsteller bekannt, vielmehr er wirkte in ihr vor allem und in erster Linie als Mitglied des Hauptausschusses. Er gehörte diesem Gremium neun Jahre an, und zwar von 1920, dem Jahr der Gründung der Notgemeinschaft, bis 1929, dem „Krisenjahr“ der Forschungsgemeinschaft, in dem der politische Druck von außen zu der beschriebenen Veränderung in der personellen Zusammensetzung des Hauptausschusses führte.23 Auch Schwartz schied 1929 aus, zudem trat der 70-Jährige in demselben Jahre in den Ruhestand. Habituell und politisch war Schwartz fest im Kaiserreich verwurzelt, wie er selbst es empfand und mehrfach ausführte. In einem Zeitungsartikel schrieb er etwa 1931: „Als zwölfjähriger Bub half ich am 18. Januar 1871 in der Fensterreihe meines väterlichen Hauses in Göttingen die Lichter aufzustellen und anzuzünden zur Feier des Tages, der Deutschland wieder einen Kaiser gegeben hatte. Sechzigjährig fuhr ich am 15. November 1918 aus Straßburg, der Heimat meiner Wahl, hinaus, um den Einzug der Franzosen zu erleben; mein Leben schien auszulaufen in eine schrille Dissonanz.“24 Bei Kriegsende empfand er sich als „heimat- und amtlos gewordene[r] Flüchtling“25 und den Ersten Weltkrieg, vielmehr die Niederlage, zu der es seiner Meinung nach wegen der Revolution an der „Heimatfront“ gekommen war,26 zeitlebens als tiefen lebensgeschichtlichen Einschnitt: Das Leben derer, die den „großen Krieg erlebt […] haben, ist durch diesen wie durch einen Schnitt, der trennt, nicht durch eine Zäsur, die uns verbindet, in zwei Hälften geteilt, und dieser Schnitt heilt mit den Jahren nicht zu, sondern gräbt sich tiefer und tiefer“.27 Zu diesem Empfinden trug auch das familiäre Schicksal bei: Seine Söhne Gerhard und Ivo starben 1914 bzw. 1918 infolge der Kampfhandlungen, und sein Sohn Gustav kehrte als Invalide zurück.28 Die Verwurzelung im Kaiserreich, der Verlust seiner Wahlheimat Straßburg und der Tod seiner beiden Söhne bzw. die Verwundung Gustavs mündeten bei 21 22 23 24 25 26 27 28

Vgl. die entsprechenden Schreiben zur Wahl 1927 bzw. zur Ablösung 1930, UAM, E-II-3097, PA Schwartz. Vgl. Datenbank DFG-Geschichte; HA-Liste Nr. 6/1931–1932, BayHStA, MK 17968, Bl. 66 f. Vgl. das Kapitel „Die Gremienmitglieder der DFG – Gesamtzahl, Verteilung und NS-Vertreibung“ in diesem Buch, S. 13–22. Eduard Schwartz: Das Reich ist doch geblieben, in: Münchner Zeitung vom 18.1.1931, zit. nach: Schreiber: Altertumswissenschaften, S. 189. Brief Schwartz an den Rektor der Universität München vom 2.9.1938, UAM, E-II-3097, PA Schwartz. Vgl. Schreiber: Altertumswissenschaften, S. 189. Schwartz: Gegenwärtigkeiten, S. VIII. Vgl. Schwartz: Lebenslauf, S. 17; Vermerk o. D., BayHStA, MK 17968, fol. 121.

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Schwartz in eine Haltung der expliziten Ablehnung der Weimarer Republik. Häufiger äußerte er sich auch öffentlich in diesem Sinne. So sprach er in seiner Rede zur Reichsgründungsfeier an der Universität München am 17. Januar 1925 von einer „jämmerlichen Gegenwart, die zu Festen nicht begeistert“.29 Doch gerade aus diesem Grunde sei der „Gedenktag deutscher Größe“ so wichtig. Ihn nicht zu begehen wäre vielmehr „ein Verrat an der einzigen Wirklichkeit, die uns geblieben ist, an der Erinnerung“. Er gedachte zudem der großen Leistungen des „deutschen Herrenvolkes“, dem er die „Phrasen des welschen Unterdrückers“ entgegenstellte, und beklagte die „sittliche Fäulnis, die landfremdes Spekulantentum bis in die Kreise derer, die dem Volk ein Vorbild zu sein berufen sind, hineingeschleppt hat und deren giftige Dünste uns schier den Atem nehmen“. Schwartz vertrat dort wie an anderer Stelle eine deutschnationale und antirepublikanische Einstellung,30 die sich auch in seinem parteipolitischen Engagement niederschlug. Zunächst hatte er der Nationalliberalen Partei angehört und war von 1893 bis 1897 in Gießen und von 1906 bis 1909 in Göttingen in deren Vorstand aktiv. In Straßburg schloss er sich einem Kreis „deutsch gesinnter Elsässer“ an, stand der „Straßburger Gesellschaft für deutsche Kultur“ als zweiter Vorsitzender vor und verfasste eine Denkschrift über die „zu erstrebende politische Gliederung der Reichslande“, die er im Frühjahr 1916 in Berlin der „Deutschen Gesellschaft 1914“ vortrug und die auch in den entsprechenden politischen Kreisen Widerhall fand.31 Mit Kriegsende, Schwartz sprach vom „Zusammenbruch“, musste er seine politische Tätigkeit im Elsass einstellen und aus Straßburg fliehen. Zudem verließ er nun auch die Nationalliberale Partei, da sich diese, wie er sich ausdrückte, der „demokratischen Welle“ angeschlossen habe.32 In München angekommen, gründete er die republikfeindliche Deutschnationale Volkspartei in Bayern mit, der er bis 1931 angehörte, und sympathisierte zudem mit Alfred Rosenbergs „Kampfbund für deutsche Kultur“, der für nationalistische wie antisemitische Positionen stand.33 Laut der Aussage seines Sohnes Gustav lehnte Schwartz aber den Antisemitismus nationalsozialistischer Prägung ab: „Vater hat den politischen Antisemitismus, der schon jeher, schon im Kaiserreich eine Rolle spielte, auch im Reichstag vertreten war, abgelehnt, erst recht jegliche Rassentheorie, die er für unwissenschaftlichen Unfug hielt […]. Aber der jüdische, stets linksorientierte Einfluß in Presse und Parteien war ihm fatal. In Berufungen riet er zur Zurückhaltung – einer zieht den anderen nach sich“.34

29 30 31 32 33 34

Schwartz: Rede, S. 3. Die folgenden Zitate, ebd., S. 3, 8, 11 und 17. Vgl. ders.: Weltreich, S. 3. Vgl. ähnlich auch Schreiber: Alterumswissenschaften, S. 188. Schwartz: Lebenslauf, S. 17. Das folgende Zitat ebd., S. 18. Brief Schwartz an die gebildeten Wähler und Wählerinnen vom 19.2.1920, zit. nach: Schreiber: Altertumswissenschaften, S. 189. Vgl. Baumgarten: Schwartz, Sp. 1155. Gustav Schwartz: Alles ist Übergang zur Heimat hin. Mein Elternhaus. Eduard Schwartz und die Seinen in ihrer Zeit 1897–1941, o. O. 1964, S. 98, zit. nach: Schreiber: Altertumswissenschaften, Fn. 163, S. 212.

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Die nationalsozialistische „Machtergreifung“ begrüßte Schwartz wie viele seiner Kollegen, obgleich er kein Anhänger der Nationalsozialisten im engeren Sinne war. Auf seine als Emeritus ohnehin bereits eingeschränkte wissenschaftliche Tätigkeit hatte die politische Zäsur zunächst keinen Einfluss. Die zuständigen NS-Stellen stuften ihn und seine Frau als „arisch“35 und zudem als politisch „zuverlässig“ ein.36 So wundert es nicht, dass ihm das bayerische Kultusministerium zu seinem 75. Geburtstag im Sommer 1933 ganz routinemäßig gratulierte37 und ihm das Adlerschild des Deutschen Reiches38 sowie die Goethe-Medaille verlieh.39 Bald darauf jedoch schränkte man seine Rechte als Emeritus ein, insbesondere das Recht, weiter lehren zu dürfen. Nach seiner Entpflichtung hatte Schwartz weiterhin regelmäßig Lehrveranstaltungen angeboten, meist Vorlesungen gehalten. Im Sommerhalbjahr 1932 übernahm er zudem eine zweistündige Seminarübung für seinen Kollegen Albert Rehm,40 im Winterhalbjahr 1933/34 hielt er eine Vorlesung über hellenistische Ethik. Dies war seine letzte Lehrveranstaltung. Im Sommerhalbjahr 1934 listete das Vorlesungsverzeichnis zwar seinen Namen auf, jedoch ebenso den Vermerk: „liest nicht“. Dieser Eintrag findet sich auch in den folgenden Verzeichnissen; seit dem Winterhalbjahr 1935/36 kam die Bemerkung hinzu „von der Pflicht zu lesen entbunden (entpflichtet)“.41 Doch nicht Schwartz selbst hatte entschieden, aus der Lehre auszuscheiden, vielmehr unterband die Hochschulleitung, dass er weiter lehrte. Möglich wurde dies durch das Gesetz über die Entpflichtung und Versetzung von Hochschullehrern aus Anlass des Neuaufbaus des Hochschulwesens vom 21. Januar 1935, das unter anderem deshalb geschaffen worden war, um ältere Hochschullehrer, die sich aus der Sicht der Nationalsozialisten nicht mehr eigneten, aus dem Amt zu drängen. Seit diesem Zeitpunkt hing die Fortsetzung der Lehrtätigkeit bei den Emeriti von der Erlaubnis des Reichserziehungsministeriums ab. Schwartz wurde sie nicht gewährt.42 Er gehört daher im Sinne der von Michael Grüttner und Sven Kinas vorgeschlagenen Definition, der auch dieses Buch folgt, zu den NSvertriebenen Gelehrten. Es handelt sich um einen entlassungsähnlichen Fall, in dem der Hochschullehrer ohne formelle Entlassungsverfügung vertrieben wurde. Schwartz, dem bereits emeritierten Ordinarius, wurde aus politischen Gründen

35 36 37 38 39 40 41 42

Vgl. Fragebogen vom 8.8.1934 sowie Bestätigung Schwartz’ für seine eigene Person, o. D., UAM, E-II-3097, PA Schwartz. Vgl. Anfrage des Rektors der Universität München beim Ortsgruppenleiter der NSDAP in München vom 12.1.1938 über die politische Zuverlässigkeit der Eheleute Schwartz und die entsprechende Antwort, UAM, E-II-3097, PA Schwartz. Vgl. Brief des Ministeriums an Schwartz vom 21.8.1933, BayHStA, MK 17968, Bl. 83. Vgl. Mitteilung des Reichsinnenministeriums vom 1.9.1933 an die Staatskanzlei Bayern, UAM, E-II-3097, PA Schwartz. Vgl. Antrag vom 18.7.1933, BayHStA, MK 17968, Bl. 79. Vgl. die entsprechende Mitteilung in: UAM, E-II-3097, PA Schwartz. Vgl. Personen- und Vorlesungsverzeichnis der Ludwig-Maximilians-Universität München, Sommerhalbjahr 1932 – Winterhalbjahr 1939/40. Vgl. auch Brief Schwartz an den Rektor der Universität München vom 29.6.1935, zit. nach: Schreiber: Altertumswissenschaften, Fn. 126, S. 206.

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verweigert, sein Recht auf Fortsetzung der Lehrtätigkeit in Anspruch zu nehmen. Wenig später verhinderte das NS-Regime zudem, dass er erneut das Amt des Präsidenten der Bayerischen Akademie der Wissenschaften übernahm. Als dort Anfang des Jahres 1936 die Neubesetzung anstand, schlug die Gesamtsitzung der Akademie Schwartz vor, der das Amt bereits von 1927 bis 1930 ausgeübt hatte. Doch Reichserziehungsminister Bernhard Rust ernannte am 2. März 1936 Karl Alexander von Müller, den nationalsozialistisch ausgewiesenen Dekan der Philosophischen Fakultät, ohne den Vorschlag des Gremiums zu berücksichtigen. So wurde Schwartz seit 1935 trotz seiner deutschnationalen Einstellung aus dem deutschen Wissenschaftssystem ausgeschaltet, oder vielmehr gerade deswegen. Er galt, obwohl nationalkonservativ eingestellt, nicht als Anhänger der Nationalsozialisten, verstand sich auch selbst nicht als solcher. Sein Sohn kolportierte eine Aussage seines Vaters zum „Anschluss“ Österreichs, die dies auf den Punkt bringt: „Natürlich will ich, daß Österreich deutsch wird, aber ich will nicht, daß es nationalsozialistisch wird!“43 Schwartz ist insofern ein typisches Beispiel für die Verdrängung der nationalkonservativen alten Geheimräte aus dem nationalen Wissenschaftssystem, die den politischen Ansprüchen der neuen Machthaber nicht genügten. So urteilte auch das bayerische Kultusministerium über Schwartz: „Den Erfordernissen der nationalsozialistischen Wissenschaft hat er bei seinem Alter kaum mehr entsprechen können.“44 So wie Schwartz’ deutschnationale Einstellung „die nationalsozialistische Variante aus[schloß]“,45 schlossen umgekehrt die Nationalsozialisten ihn aus. 1936 konstatierte er, die Welt mute ihm zunehmend „fremder und freudeärmer“ an.46 Schwartz reagierte auf die Exklusion in mehrfacher Weise. Zum einen hielt er sich von den universitären Feierlichkeiten demonstrativ fern. Als zum Stiftungsfest 1935 der Philosophieprofessor Wolfgang Schultz, der gegen den Widerstand der Fakultät von Parteistellen durchgesetzt worden war, den Festvortrag halten sollte, blieben einige Hochschulangehörige, darunter Schwartz, der Veranstaltung fern. Schwartz schrieb an den Rektor, dass er sich rechtlich nicht verpflichtet fühle, „Gründe für mein Ausbleiben beim diesjährigen Stiftungsfest anzugeben, da das negative Recht des von den akademischen Pflichten entbundenen Emeritus mir umso mehr zustehen dürfte, als mir das positive Recht, Vorlesungen ohne besondere Einschränkungen zu halten, entzogen ist“.47 In seiner langen Amtszeit sei niemals „eine Persönlichkeit zum Ordinarius ernannt [worden], die die Facultät für wissenschaftlich unzulänglich erklärt hätte“. Die Ablehnung von Schultz sei 43 44 45 46 47

Gustav Schwartz: Alles ist Übergang zur Heimat hin. Mein Elternhaus. Eduard Schwartz und die Seinen in ihrer Zeit 1897–1941, o. O. 1964, S. 98, zit. nach: Schreiber: Altertumswissenschaften, S. 212. Vermerk o. D., BayHStA, MK 17968, fol. 121. Schreiber: Altertumswissenschaften, S. 212. So Schwartz im Vorwort zur 1936 erschienenen zweiten Auflage seines Buches Kaiser Constantin und die christliche Kirche, Schwartz: Kaiser, S. VIII. Brief Schwartz an den Rektor der Universität München vom 29.6.1935, zit. nach: Schreiber: Altertumswissenschaften, Fn. 126, S. 206.

Eduard Schwartz

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für ihn „nicht nur verständlich, sondern berechtigt“.48 Wenige Monate später blieb er erneut einer akademischen Feier fern und tat dies ganz lapidar auf einer Postkarte ohne Begründung kund: „Ich werde an der Feier nicht teilnehmen“.49 Zudem stellte er seine Mitwirkung im Gnomon, der renommiertesten Rezensionszeitschrift für Altertumswissenschaft, im Jahre 1934 ein. Und schließlich verwandte er sich für seine beiden Kollegen und früheren Schüler Kurt von Fritz und Rudolf Pfeiffer, die ebenfalls von den NS-Verfolgungsmaßnahmen betroffen waren. Von Fritz war 1934 von der Universität Rostock vertrieben worden, weil er sich geweigert hatte, den Eid auf Hitler abzulegen.50 Er zog nach München um und versuchte, seine Arbeiten in der dortigen Universitätsbibliothek fortzusetzen. Als ihm dies untersagt wurde, protestierte Schwartz – freilich vergeblich.51 Pfeiffer, der sich 1921 bei Schwartz habilitiert und 1929 dessen Lehrstuhl übernommen hatte, galt in der Definition der Nationalsozialisten als „jüdisch versippt“ und wurde aus diesem Grund 1937 aus dem Hochschuldienst entlassen.52 Schwartz und Rehm schrieben, auch im Namen anderer Kollegen, am 5. Juli 1937 an den Dekan und den Rektor und forderten, das Ordinariat zu erhalten und mit einem „ausgereiften Gelehrten von anerkannter Autorität“ zu besetzen. Maximilian Schreiber, der die Ereignisse genau rekonstruiert hat, vermutet dahinter eine ausgeklügelte Strategie, die Amtsenthebung Pfeiffers rückgängig machen zu können. Der Dekan lehnte das Gesuch ab, und der Rektor, der überzeugte Nationalsozialist Leopold Kölbl, leitete die Eingabe nicht, wie erbeten, an das Reichserziehungsministerium weiter. So versuchte Schwartz Pfeiffer, der nun die Emigration vorbereitete, durch ein äußerst positives Empfehlungsschreiben weiterzuhelfen. Darin hob er nicht nur dessen wissenschaftliche Leistungen hervor, sondern benannte auch die stattfindende politische „Säuberung“ der deutschen Hochschulen explizit: „Unter den Verlusten, die die klassische Philologie in Deutschland seit 1933 hat erleiden müssen, ist der Pfeiffers besonders schwer zu tragen und auf keine Weise zu ersetzen.“ Schwartz blieb von weiterer Verfolgung verschont. Weder das Ministerium noch die Universität sanktionierten, dass er von den akademischen Feierstunden fernblieb, auch nicht, dass er seine vertriebenen Kollegen unterstützte. Vielmehr übersandte die Universität zu seinem 80. Geburtstag erneut routinemäßig Glückwünsche des Rektorats,53 und das bayerische Kultusministerium stellte 1939 Überlegungen an, wie sein 60-jähriges Doktorjubiläum im Sommer 1940 zu

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Brief Schwartz an den Rektor der Universität München vom 29.6.1935, zit. nach: Schreiber: Altertumswissenschaften, S. 210. Postkarte Schwartz an das Rektorat vom 28.1.1936, zit. nach: Schreiber: Altertumswissenschaft, Fn. 146, S. 209. Vgl. ausführlich Bernard: Eid. Vgl. Schreiber: Altertumswissenschaften, S. 208 f. Vgl. ausführlich Schreiber: Altertumswissenschaften, S. 206–209. Die folgenden Zitate ebd., S.  207 und 208. Pfeiffer: Philologen, S.  133–139, der Schwartz porträtiert, erwähnt weder seine eigene Vertreibung noch, dass Schwartz sich für ihn einsetzte. Vgl. Brief des Rektorats der Universität München an Schwartz vom 22.8.1938, UAM, E-II3097, PA Schwartz.

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feiern sei.54 Dazu kam es jedoch nicht mehr, da Schwartz am 13. Februar 1940 an den Folgen einer Lungenentzündung starb. Nach seinem Tod erschienen zahlreiche Nachrufe, und Rehm stellte ein Verzeichnis seiner Schriften zusammen, das nahezu 400 Einträge umfasst und 1942 in den Sitzungsberichten der Philosophisch-Historischen Abteilung der Bayerischen Akademie der Wissenschaften erschien.55 Auch die einschlägigen Zeitschriften bzw. Jahrbücher der verschiedenen Akademien – etwa das Historische Jahrbuch, Die Antike, Historische Zeitschrift, Jahrbuch der Akademie zu Göttingen, Abhandlungen der Akademie zu Wien, Byzantinische Zeitschrift oder die Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften – würdigten ihn bzw. sein Lebenswerk. Nur die wichtigste Zeitschrift für die Altertumswissenschaften verzichtete darauf: Im Gnomon erschien kein Nachruf auf Eduard Schwartz.

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Vgl. Vormerkung betr. entpflichtete Professoren vom 2.12.1939, BayHStA, MK 17968, Bl. 112. Vgl. Rehm: Lebenswerk, S. 67–75.

FACHAUSSCHUSS JURISPRUDENZ Erwin Jacobi (1884–1965) Erich Kaufmann (1880–1972) Albrecht Mendelssohn Bartholdy (1874–1936) Arthur Nußbaum (1877–1964) Ernst Rabel (1874–1955) Heinrich Triepel (1868–1946)

Erwin

Jacobi

Erwin Jacobi kam am 15. Januar 1884 in Zittau, einer Kreisstadt in der Oberlausitz, als das älteste von vier Kindern zur Welt.1 Sein Vater Rudolf Jacobi besaß dort ein Warenhaus und stammte aus einer jüdischen Familie von Textilkaufleuten, die lange Zeit in Pfaffendorf in der Mark Brandenburg gelebt hatten. Seine Mutter Emma, geborene Smith, war die Tochter eines englischen Fabrikdirektors, der mit seiner Familie seit 1860 in der Lausitz lebte. Erwin Jacobi, der evangelisch getauft und erzogen wurde, besuchte in Zittau die Schule, ab 1894 das dortige Gymnasium. Schon als Kind erhielt er Geigenunterricht, und nach der Schule wollte er Musiker werden. Auf Druck der Eltern begann er jedoch im Jahre 1903 Rechts- und Staatswissenschaften zu studieren. In München, seinem ersten Studienort, belegte er zusätzlich Vorlesungen zur Kunst-, Musik- und Wirtschaftsgeschichte, nahm auch weiterhin Geigenunterricht. Zum Sommersemester 1904 wechselte er nach Leipzig, widmete sich dort stärker dem Jurastudium und besuchte vor allem Lehrveranstaltungen von Emil Albrecht von Friedberg, Otto Mayer, Rudolf Sohm und Adolf Wach.2 Im Jahr 1907 absolvierte er das Referendarexamen und stellte zudem seine Dissertation fertig, die der Kirchenrechtler von Friedberg betreut hatte. Die kanonische Arbeit Einfluss der Exkommunikation 1

2

Zu seiner Biografie, seiner Vertreibung und zum Folgenden vgl. die entsprechenden Einträge in BBKL, NDB, DBE und Catalogus Professorum [Leipzig]; Heinrichs u. a. (Hg.): Juristen; Göppinger: Juristen, Wer war wer in der DDR?; zudem Lambrecht: Entlassungen, S. 109–111; Otto: Eigenkirche; und UAL, PA 2472 und Nachlass Jacobi. Zu Jacobis Lehrern und Kollegen in diesen Jahren vgl. ausführlich Otto: Eigenkirche, S. 21–29.

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und der delicata mere ecclesiastica auf die Fähigkeit zum Erwerb und zur Ausübung des Patronatsrechts, die Jacobi seinen Eltern widmete, erschien ein Jahr später als eigenständige Schrift.3 Während der sich anschließenden vierjährigen Referendarszeit im sächsischen Staatsdienst setzte Jacobi auch seine Studien fort, die nach wie vor dem Kirchenrecht galten. Erneut konnte er in ein und demselben Jahr, nämlich 1911, zwei Qualifikationen erbringen: Er legte das Assessorexamen ab und reichte zudem die Habilitation ein. Die Habilitationsschrift erschien 1912 unter dem Titel Patronate juristischer Personen. Im gleichen Zeitraum schloss auch sein Kommilitone Walter Jellinek seine Habilitation an der Leipziger Juristenfakultät ab; beide sollte eine lebenslange Freundschaft verbinden.4 In den Jahren bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs war Jacobi als Privatdozent und „ständiger Hilfsarbeiter“ an dem von Wach gegründeten und geleiteten Institut für Rechtsgeschichte (seit 1914 hieß es Staatliches Forschungsinstitut für Rechtsgeschichte) beschäftigt, wobei sich Wach als Mentor und väterlicher Freund erwies. Jacobi publizierte erneut einige kleinere staatskirchenrechtliche Abhandlungen, wie zum Beispiel den Aufsatz Religiöse Kindererziehung nach sächsischem Recht, der 1913 in der Deutschen Zeitschrift für Kirchenrecht erschien. Zudem erstellte er gelegentlich Rechtsgutachten, etwa zu Fragen der Kirchensteuer. Dem wissenschaftlichen Schwerpunkt im Kirchenrecht entsprach im Privaten die enge Bindung an seine Leipziger Kirchengemeinde, die er als überzeugter lutherischer Christ pflegte. Auf den Beginn des Ersten Weltkriegs reagierte Jacobi, so sein Biograf Martin Otto, zwar nicht mit Begeisterung oder annexionistisch gestimmt, wohl aber patriotisch. Er habe, so schrieb er im Frühjahr 1915 an seinen früheren Förderer und Kollegen Ulrich Stutz, „durch unsere Mobilmachung gelernt, wie jede – auch die geistige – Arbeit sicherlich dem Pflichtbewusstsein und der inneren Fertigkeit zugutekommt und damit zum mindesten mittelbar auch für die Wehrhaftigkeit seines Volkes ihren Beitrag leistet“.5 Zunächst als Soldat eingezogen, erfolgte im Sommer 1915 die Beurlaubung vom Militärdienst bei gleichzeitiger Abkommandierung zum Ersatzbataillon eines Landwehr-Infanterie-Regiments. Wenige Monate später wurde Jacobi aufgrund einer Herzerkrankung als untauglich für den aktiven Soldatendienst erklärt und aus dem Heeresdienst entlassen. Neben der regulären universitären Lehr- und Forschungstätigkeit – 1917 publizierte er etwa Der Rechtsbestand der Deutschen Bundesstaaten6 – hielt er nun im Auftrag des Kultusministeriums auch Vorträge über Gewerbe- und Arbeitsrecht für Personen, die im sozialen Bereich tätig waren, wie etwa „Fabrikpflegerinnen“ oder „Arbeitsnachweisbeamte[…]“.7 Mitten im Krieg ernannte ihn die Universität Leipzig dann zum planmäßigen außerordentlichem Professor für Verwaltungsrecht und sächsisches Staatsrecht, und ein Jahr später gründete er eine Familie. Er

3 4 5 6 7

Jacobi: Einfluss. Vgl. Jacobi: In memoriam. Brief Jacobi an Stutz vom 2.3.1915, zit. nach: Otto: Eigenkirche, S. 30. Zur Publikation vgl. ausführlich Otto: Eigenkirche, S. 36–39. Jacobi: Einführung, Vorbemerkung, S. III.

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heiratete 1917 die ebenfalls aus Zittau stammende Nora Smith, eine diplomierte Handelslehrerin; ihren Sohn nannten sie Rudolf. Im letzten Kriegsjahr hielt sich Jacobi im Kriegsamt in Berlin auf, wo er Soldaten „vaterländischen Unterricht“ zu erteilten hatte. 1918 erhielt er das Kriegsverdienstkreuz. In der Weimarer Republik profilierte sich Jacobi vor allem auf dem Feld des Öffentlichen Rechts. Als Schüler und enger Mitarbeiter des liberalen Staatsrechtslehrers Otto Mayer, dem er 1916 zusammen mit seinem Leipziger Kollegen Richard Schmidt eine Festgabe zum 70. Geburtstag darbrachte8 und dessen Vertretung er 1918 übernahm, als jener in den Ruhestand trat, wies er in seiner erwähnten Studie über den Rechtsbestand der Deutschen Bundesstaaten auf die liberalen Elemente des konstitutionellen Staates hin, betonte freilich auch die Bedeutung Preußens.9 Er war zudem von der höchsten Autorität des Parlaments und der unbedingten Gesetzesgebundenheit der Exekutive überzeugt und erwies sich insgesamt insofern als unpolitischer Jurist, als es ihm in erster Linie auf den Rechtsstandpunkt ankam. So warfen ihm einiger Kritiker auch vor, er betreibe praxisfremde Begriffsjurisprudenz. 1920 avancierte Jacobi zum Ordinarius. Er nahm einen Ruf auf den Lehrstuhl für Öffentliches Recht an der Universität Greifswald an, kehrte jedoch bereits nach einem Semester nach Leipzig zurück – rückberufen als Nachfolger seines Lehrers Mayer.10 Als ordentlicher Professor für Öffentliches Recht, Kirchenrecht und Arbeitsrecht prägte er die Fakultät in den folgenden Jahren nachhaltig. Zum Kirchen- und Staatsrecht kam seit den 1920er Jahren mit dem Arbeitsrecht ein dritter Arbeitsschwerpunkt hinzu. 1921 wurde auf seine Initiative hin das Institut für Arbeitsrecht gegründet, das sich – als eines der ersten in Deutschland überhaupt – zum Zentrum der Arbeitsrechtslehre der Weimarer Republik entwickelte und bald auch international große Beachtung fand. Jacobi galt und gilt als Mitbegründer der Arbeitsrechtswissenschaft, die das Arbeits- und Sozialversicherungsrecht umfasste und sich im Laufe der Zeit zur selbstständigen rechtswissenschaftlichen Disziplin entwickelte. Dazu trugen Jacobis Publikationen erheblich bei. Als Standardwerk erwies sich seine Einführung in das Gewerbe- und Arbeiterrecht. Der 1919 erstmals veröffentlichte Grundriss ging auf seine Vorträge über Gewerbe- und Arbeitsrecht zurück, die er im Krieg gehalten hatte. Hörer waren dabei vor allem Personen, die mit dem Thema praktisch befasst waren und nicht studierten.11 1926 erschien bereits die 5. Auflage des Buches. Ein Jahr später lagen auch die Grundlehren des Arbeitsrechts vor, die Jacobi Adolf Wach widmete – als Dank, so schrieb er im Vorwort, „für die unendliche Förderung, die [dieser] mir, wie so vielen anderen, in wissenschaftlicher, beruflicher und menschlicher

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Vgl. Jacobi/Schmidt: Abhandlungen. Jacobi steuerte darin den ersten Teil über Die Träger der Sozialversicherung und ihre Angehörigen bei. Zu seiner Haltung gegenüber Preußen vgl. ausführlich Otto: Eigenkirche, S. 47–51. Zu seiner grundsätzlich positiven Haltung dem neuen Staat gegenüber vgl. Stolleis: Geschichte, S. 63 f. und 81. Vgl. dazu ausführlich Otto: Eigenkirche, S. 59–62. Vgl. Jacobi: Einführung, Vorbemerkung, S. III.

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Beziehung hat angedeihen lassen“.12 Nicht zuletzt sind die Schriften des Instituts für Arbeitsrecht an der Universität Leipzig zu nennen, die Jacobi herausgab und in denen bis 1933 32 Monografien erschienen, viele von seinen Schülern verfasst. Im Zusammenhang mit seinen arbeitsrechtlichen Studien legte er eine Definition des zentralen Begriffs „Betrieb“ vor, die sich im juristischen Kontext langfristig durchsetzte. Er verstand darunter eine „Vereinigung von persönlichen, sächlichen und immateriellen Mitteln zur fortgesetzten Verfolgung eines von einem oder mehreren Rechtssubjekten gemeinsam gesetzten technischen Zweckes“.13 In den 1920er Jahren übernahm Jacobi zudem Funktionen in der akademischen Selbstverwaltung, amtierte etwa 1925/26 als Dekan der Juristischen Fakultät und erstellte weiterhin gelegentlich Rechtsgutachten für Firmen, Verbände, die Industrie- und Handelskammer Leipzig oder die Betreiber der Leipziger Messe.14 Auch als Staatsrechtler war er weiterhin gefragt. So lud ihn der ebenfalls in diesem Buch beschriebene Heinrich Triepel ein, eines der Referate auf der zweiten Tagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer zu halten. Die Vereinigung, die Triepel 1922 ins Leben gerufen hatte, zielte darauf ab, unter den Bedingungen der Nachkriegszeit und der neuen Verfassung ein Forum gemeinsamer Beratung und des gegenseitigen fachlichen Austauschs zu schaffen. Die zweite Versammlung 1924 in Jena eröffnete Triepel mit einer Grundsatzrede zur Bedeutung des Öffentlichen Rechts, und Jacobi hielt zusammen mit seinem bekannten Kollegen Carl Schmitt einen Vortrag über Die Diktatur des Reichspräsidenten nach Art. 48 der Reichsverfassung.15 Darin argumentierten sie gegen die gängige Lehrmeinung, dass der Reichspräsident nicht befugt sei, mit Verweis auf die Notverordnung bzw. das Notverordnungsrecht Gesetze zu erlassen. Später freilich nahmen sie ihre Theorie wieder zurück. Unter der Leitung von Schmitt gehörte Jacobi zusammen mit Carl Bilfinger 1932 dann auch zu den Juristen, die die Reichsregierung im Verfahren gegen Preußen vor dem Staatsgerichtshof vertraten, in dem es um den sogenannten Preußenschlag ging.16 In seiner großen Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland charakterisiert Michael Stolleis Jacobi insgesamt als „loyale[n] Anhänger der republikanisch-parlamentarischen Demokratie, was eine ‚nationale‘ Grundierung keineswegs ausschloß“.17 Auf dem Höhepunkt seiner Karriere wurde Jacobi im Frühjahr 1933 in den Fachausschuss Jurisprudenz der Berliner Notgemeinschaft gewählt. Am 26. April teilte er dem Präsidenten Friedrich Schmidt-Ott mit, dass er bereit sei, die Wahl anzu-

12 13 14 15 16 17

Jacobi: Grundlehren, S. VI. Otto: Eigenkirche, nennt das Buch das „Hauptwerk“ Jacobis und widmet der Schrift bzw. ihrer Rezeption ein gesamtes Kapitel, S. 119–165. Jacobi: Betrieb, S. 9. Vgl. auch Heinrichs u. a. (Hg.): Juristen, S. 204; Nörr: Zwischen, S. 207. Vgl. die entsprechende Korrespondenz der Jahre 1926–1932, UAL, Nachlass Jacobi, 6/235. Vgl., auch zum Folgenden, ausführlich Gassner: Triepel, S. 140 f.; Otto: Eigenkirche, S. 86– 98; Stolleis: Geschichte, S. 114–116 und 188 f.; zum Verhältnis von Jacobi und Schmidt vgl. ebd., S. 107–114. Vgl. ausführlich Otto: Eigenkirche, S. 215–228; sowie Stolleis: Geschichte, S. 121 f. Stolleis: Geschichte, S. 160.

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nehmen.18 Im Fachausschuss sollte er für den Bereich Staats-, Verwaltungs- und Völkerrecht zuständig sein. Doch dazu kam es nicht, da er im selben Zeitraum von der Hochschule vertrieben wurde. Er galt nach § 3 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums als „Nichtarier“ oder „Mischling ersten Grades“, da seine Großeltern väterlicherseits der israelitischen Religionsgemeinschaft angehört hatten. Als bekannt wurde, dass Jacobis Entlassung bevorstand, berieten einige Freunde und Kollegen, was getan werden könne. So schrieb Triepel an Jellinek: „Von Jacobis Unglück habe ich gestern gehört. Der Fall gehört zu den vielen, die mich in letzter Zeit erschüttert haben. Sie vermuten mit Recht, dass ich im Augenblick schlechterdings nicht weiß, wie hier zu helfen ist. Aber dass irgendwie geholfen werden muß, ist sicher, und die Freunde müssen versuchen, einen Weg zu finden. Wenn Sie mich brauchen, stehe ich immer bereit.“19 Jacobis Entlassung erfolgte im Herbst 1933. Beruflich und privat bedeutete die Vertreibung eine drastische Zäsur. Soweit aus den überlieferten Quellen geschlossen werden kann, fand Jacobi eine ganz eigene Form, seinen Protest auszudrücken und einen Weg des Überlebens zu finden. So richtete er unmittelbar nach der Entlassung als Hochschullehrer in seiner Wohnung ein wissenschaftliches Privatseminar ein – ganz ähnlich, wie dies auch der in diesem Buch beschriebene Erich Kaufmann tat. Da es tatsächlich einige Studierende wagten, zu ihm zu kommen, konnte Jacobi seine Lehrtätigkeit fortsetzen, auch wenn er dies selbst, wie er nach Kriegsende schrieb, für „illegal“ hielt.20 Doch nicht nur Studenten und Nachwuchswissenschaftler hielten ihm zunächst die Treue, sondern auch einige Kollegen, die den Kontakt zu ihm nicht abbrachen.21 Zudem scheute sich Jacobi nicht, weiterhin am öffentlichen kulturellen Leben teilzunehmen,22 ebenso wie an privaten Konzerten im Freundesund Bekanntenkreis, bei denen er nach wie vor als Konzertmeister die erste Geige spielte.23 Zudem gehörte Jacobi seit September 1934 der „Gemeindebewegung Evangelische Volkskirche“ an, dem sächsischen Zweig der Bekennenden Kirche. Gemeinsam mit seiner Frau besuchte er die Treffen, bezog die Zeitschrift Sonntagsruf 18 19 20

21 22 23

Vgl. Brief Jacobi an Schmidt-Ott vom 26.4.1933, BArch, R 73/130, Bl. 185. Jacobi ist einer der ganz wenigen NS-vertriebenen DFG-Gremienmitglieder, der selbst keine Förderung bei der Notgemeinschaft beantragte, vgl. Datenbank DFG-Geschichte. Brief Triepel an Jellinek vom 18.10.1933, zit. nach: Otto: Eigenkirche, S. 239. Bescheinigung Jacobi für Rupprecht Heinze vom 19.1.1946, UAL, Nachlass Jacobi 7, 1/1, Bl. 8. Vgl. auch Bescheinigung Jacobi für Werner Sachse vom 27.5.1946, ebd., Bl. 25. Zum Privatseminar vgl. auch Brief Jacobi an Smend vom 7.12.1933, abgedruckt bei Otto: Eigenkirche, S. 242 f. Dies geht aus den Bescheinigungen hervor, die Jacobi nach Kriegsende für Kollegen ausstellte, vgl. UAL, Nachlass Jacobi, 7, 1/1. Vgl. z. B. die Einladung zur Aufführung eines Puppenspiels am 2.3.1938, UAL, Nachlass Jacobi, 5/1.1, Bl. 36. Weitere Beispiele werden auch von Otto: Eigenkirche, S. 246 f., angeführt. Vgl. Witkowski: Menschen, S. 341; vgl. auch Brief Friedrich Michael an Jacobi vom 25.9.1963, UAL, Nachlass Jacobi, 6/124.

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sowie die Rundbriefe24 und blieb auch weiterhin seiner Kirchengemeinde, der Thomas-Gemeinde, verbunden.25 Doch die Haltung der evangelischen Kirche zur „Judenfrage“ missfiel ihm immer mehr. Am 26. April 1937 wandte er sich an den Superintendenten der Leipziger Thomas-Gemeinde. Einleitend erläuterte er: „Ich bin, wie man heute sagt, Halbjude, gleich nach der Geburt ev-luth. getauft, ev-luth. erzogen, konfirmiert und getraut. Jetzt bin ich Mitglied Ihrer Thomas-Gemeinde und wende mich als solches an Sie.“ Klären wollte er die Frage, ob nicht die evangelische Kirche „das letzte Bollwerk des Judentums im Dritten Reich“ sein müsse oder doch zumindest „eine seelische Zufluchtsstätte für die heute vielfach so wenig mit christlicher Liebe behandelten nicht-arischen Christen“. Im Kern ging es ihm um die Frage: „Ist der getaufte Christ-gläubige Nichtarier nicht ebenso ‚des Glaubens Genosse‘ wie jeder getaufte Christ-gläubige Arier?“26 Eine Antwort auf sein Schreiben ist nicht überliefert. Im Gegensatz zu einigen seiner Verwandten plante Jacobi offenbar nicht, Deutschland zu verlassen und in die Emigration zu gehen.27 Vielmehr blieb er in Leipzig und konnte sich und seine Familie ernähren, da er als Ruhegehalt 80 Prozent seines Einkommens erhielt. Zudem arbeitete er als privater Rechtsgutachter. Für einige Leipziger Rechtsanwälte, vor allem für den beim Reichsgericht tätigen Rechtsanwalt Dr. D., fertigte er zahlreiche Gutachten an, die jene vor Gericht vorlegten. Man bedankte sich für Jacobis „wunderbare Arbeit“ und übersandte im Gegenzug „den üblichen Scheck“.28 Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs, der eine neue Stufe der Eskalation in der antisemitischen Judenpolitik der Nationalsozialisten bedeutete, verschärfte sich auch Jacobis Lage. Er musste sein Privatseminar einstellen und zog sich auch aus dem öffentlichen Leben mehr und mehr zurück. Neben der NS-Bedrohung gab es dafür auch private Gründe: Jacobis Eltern starben 1938 bzw. 1940, und sein Sohn Rudolf, der zwei Jahre nach Ende seiner Gymnasialzeit an Weihnachten 1939 einberufen worden war, kam am 20. September 1941 als Marineartillerie-Gefreiter bei einem Unfall ums Leben. Jacobi und seine Frau adoptierten später einen kleinen Jungen, den im November 1940 geborenen Hans-Christoph Jacobi.29 Hinzu kam, dass Jacobis Wohnung dreimal von Bomben getroffen wurde, das letzte Mal im Februar 1945.30 Zwar kam kein Familienmitglied zu Schaden, doch mehrten sich in der letzten Kriegsphase die Schikanen gegen ihn als „Mischling“, und die Angst nahm zu, deportiert und „in den Osten“ verschleppt bzw. zur Zwangsar24 25 26 27 28 29 30

Vgl. die Unterlagen in UAL, Nachlass Jacobi, 5/1.1. Vgl. z. B. die Einladungen des Bruderrats der Thomas- und Luthergemeinde Leipzig an Jacobi aus dem Jahre 1935, UAL, Nachlass Jacobi, 7, 5/1.1. Brief Jacobi an den Superintendenten der Thomas-Gemeinde in Leipzig vom 26.4.1937, UAL, Nachlass Jacobi, 6/220. Dies geht aus einem Brief der Rechtsanwältin M. C. an Jacobi vom 4.11.1936 hervor, UAL, Nachlass Jacobi, 7,6/17, Bl. 1–3. Brief Dr. D. an Jacobi vom 6.2.1939, Nachlass Jacobi, 2/3.14-2/3.18. Dort sind zahlreiche entsprechende Unterlagen versammelt. Vgl. Personalbogen Jacobi vom 7.3.1952, UAL, PA  2471, Bl.  1–4; Brief Jacobi an Eugen Rosenstock vom 8.11.1946, UAL, Nachlass Jacobi, 6/217. Vgl. Brief Jacobi an Giese vom 13.3.1946, UAL, Nachlass Jacobi, 6/203.

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beit herangezogen zu werden. Sein Schüler Erhard Pätzold berichtete nach 1945, dass eine Zwangsverpflichtung zur Arbeit in der Rüstungsindustrie in der Tat vorlag. Doch sei Jacobi nicht herangezogen worden, da einer seiner früheren Schüler die entsprechenden Unterlagen im Arbeitsamt habe verschwinden lassen.31 Letztendlich blieben Jacobi Deportation und Zwangsarbeit erspart.32 Das Kriegsende erlebte der 61-Jährige in Zittau bzw. in seinem Ferienhaus in Oybin, wohin die Familie nach der Ausbombung Zuflucht gefunden hatten. Nach Leipzig zurückgekehrt, wohnten sie zunächst notdürftig bei dem Strafrechtler Eberhard Schmidt, der 1935 nach Leipzig berufen worden und über Walter Jellinek auch zum Freund der Familie Jacobi geworden war.33 Erst 1947 lebten die Jacobis wieder in einer instandgesetzten eigenen Wohnung. Kurze Zeit nachdem die vorübergehend geschlossene Universität Leipzig wiedereröffnet worden war, trat die juristische Fakultät an Jacobi heran und bot ihm seinen alten Lehrstuhl an. Im Herbst 1945 kehrte er auf das Ordinariat für Öffentliches Recht, Kirchenrecht und Arbeitsrecht sowie als Direktor des Instituts für Arbeitsrecht an die Leipziger Hochschule zurück. Doch nicht nur die Universität Leipzig bemühte sich um ihn. Vielmehr ergingen in den ersten Jahren nach Kriegsende einige Berufungsanfragen bzw. Rufe, so etwa 1945/46 nach Jena34 und München,35 1946 nach Berlin36 und Köln,37 1947 nach Mainz38 und Frankfurt (dort fragte die Akademie der Arbeit an39) sowie 1948 nach Heidelberg.40 Jacobi zog das eine oder andere Angebot in Erwägung, zumal sich, so schrieb er im März 1946 an seinen früheren Schüler Hans Thieme, der nun in Bonn lebte und lehrte, die Verhältnisse in Leipzig außerordentlich veränderten. Gegen eine Übersiedlung in den Westen sprächen aber praktische Gründe.41 Letztendlich entschied sich Jacobi, in der SBZ bzw. DDR und ganz bewusst auch in Leipzig zu bleiben. Dort hatte er nahezu sein gesamtes erwachsenes Leben verbracht und sich eingebunden gefühlt, nicht zuletzt in die Kirchengemeinde und in die musisch31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41

Vortragsmanuskript Erhard Pätzold vom 18.1.1984 zum 100. Geburtstag von Jacobi, UAL, PA 2472. Zur NS-Politik gegenüber den „Mischlingen“ vgl. ausführlich Orth: NS-Vertreibung, S. 266– 276. Vgl. Brief Jacobi an Giese vom 13.3.1946, UAL, Nachlass Jacobi, 6/203. Vgl. den entsprechenden Schriftwechsel aus dem Winter 1945/46, UAL, Nachlass Jacobi, 1/5. Vgl. den entsprechenden Schriftwechsel aus dem Winter 1945/46, UAL, Nachlass Jacobi, 1/8. Vgl. Brief Stroux als Rektor der Universität Berlin an Jacobi vom 20.2.1946, UAL, Nachlass Jacobi, 1/2; Brief des Dekans der Berliner Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät vom 7.5.1946, ebd. Vgl. den entsprechenden Schriftwechsel aus den Jahren 1946–1948, UAL, Nachlass Jacobi, 1/6. Vgl. den entsprechenden Schriftwechsel aus dem Winter 1946/47, UAL, Nachlass Jacobi, 1/7. Vgl. den entsprechenden Schriftwechsel von Januar 1947, UAL, Nachlass Jacobi, 173. Vgl. den entsprechenden Schriftwechsel aus dem Jahre 1948, UAL, Nachlass Jacobi, 1/4. Vgl. Brief an Hans Thieme vom 13.3.1946, UAL, Nachlass Jacobi, 6/222.

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künstlerischen Kreise. Nach der Zäsur der nationalsozialistischen Verfolgung und mit Kriegsende wurden die alten Verbindungen allmählich reaktiviert. So berief etwa das Leipziger Gewandhaus Jacobi im Juli 1946 in sein Direktorium.42 Spätestens im Laufe jenes Jahres zeichnete sich ab, was Jacobi im Brief an Thieme als außerordentliche Veränderung der Verhältnisse charakterisiert hatte, nämlich der Umbau der Hochschulen in der SBZ in sozialistische Kaderschmieden. Viele bekannte Leipziger Gelehrte wie der Philosoph Hans-Georg Gadamer oder der Philosoph und Pädagoge Theodor Litt verließen daraufhin die Stadt gen Westen, während Jacobi als einer der wenigen Weimarer Vertreter der Rechtswissenschaften und als einziger Kirchenrechtler in der DDR blieb. Freilich brach er nicht mit den Kollegen im Westen, sondern hielt vielmehr den Kontakt zu vielen aufrecht, auch durch gelegentliche Besuche. Im November 1955 reiste er beispielsweise nach Heidelberg, um an der Beerdigung seines Freundes Walter Jellinek teilzunehmen und in der universitären Gedenkfeier eine Rede zu halten.43 Hin und wieder übernahm er zudem Beiträge oder Rezensionen für westdeutsche Zeitschriften.44 Nicht zuletzt ist hervorzuheben, dass Jacobi der einzige aus der Gruppe der NS-vertriebenen DFG-Gremienmitglieder war, der nach Kriegsende in der DDR lebte. Alle anderen wohnten, sofern sie das Kriegsende überhaupt erlebten, in der Bundesrepublik – oder sie blieben in den Ländern, in denen sie nach der NS-Vertreibung Zuflucht gefunden hatten. Jacobis Verhältnis zur SBZ bzw. DDR und seine politische Haltung sind nicht einfach zu beurteilen. Betrachtet man die Rahmendaten seiner weiteren Laufbahn, so schien er sich mit dem neuen Regime arrangiert zu haben bzw. bereit zu sein, am Aufbau eines sozialistischen deutschen Staates und Wissenschaftssystems mitzuarbeiten.45 So gehörte er zwar nicht der SED, wohl aber dem Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) und dem Kulturbund an.46 Des Weiteren arbeitete er 1948 auch im Verfassungsausschuss des Deutschen Volksrats mit, dessen Aufgabe darin bestand, die Verfassung der zukünftigen DDR zu entwerfen. 1947 avancierte er zudem als Nachfolger von Gadamer zum Rektor der Universität Leipzig, und in sein Amtsjahr 1947/48 fiel ein großer Teil der Umgestaltung im Sinne eines sozialistischen Hochschulmodells. Nach Ablauf seiner Amtszeit als Rektor fungierte Jacobi zudem als Dekan der Juristischen Fakultät,47 und zwar ein ganzes Jahrzehnt lang bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1958. Er gehörte als korrespondierendes Mitglied der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin und als ordentliches Mitglied bzw. phasenweise als Sekretär 42 43 44 45 46 47

Vgl. die entsprechenden Unterlagen in UAL, Nachlass Jacobi, 6/85 und 86. Vgl. Jacobi: In memoriam. So fragte Smend Jacobi am 18.10.1963, ob er ein Buch für die Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht besprechen wolle. Der Brief befindet sich in UAL, Nachlass Jacobi, 6/232. Vgl. Lambrecht: Entlassungen, S.  110; Vortragsmanuskript Erhard Pätzold vom 18.1.1984 zum 100. Geburtstag von Jacobi, UAL, PA 2472. Vgl. Personalbogen Jacobi vom 7.3.1952, UAL, PA 2472, Bl. 1–4. Er wurde zudem beauftragt, ab Sommersemester 1948 zusammen mit Wolfgang Abendroth die Leitung eines Instituts für Politik, ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zu übernehmen. Die entsprechende Beauftragung befindet sich in UAL, PA 2472, Bl. 34. Nachdem Abendroth Leipzig verlassen hatte, kam die Tätigkeit aber offenbar zum Erliegen.

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der Sächsischen Akademie der Wissenschaften an, publizierte auch in der entsprechenden Akademie-Reihe. So erschien dort 1958 beispielsweise sein Beitrag Freie Wahlen und geheime Abstimmung in der bürgerlichen Demokratie.48 Zudem beschäftigte er sich mit zentralen, den Aufbau des Staates betreffenden Themen bzw. Institutionen, publizierte 1956 etwa einen Beitrag über die Ausbildung und Qualifizierung der Arbeiter in den volkseigenen Betrieben und 1957 ein Buch über die Konfliktkommissionen in der DDR.49 Nicht zuletzt bildete Jacobi einen beträchtlichen Teil der ersten Professorengeneration der Staats- und Rechtswissenschaften in der DDR aus; viele wurden von ihm oder unter seinem Dekanat promoviert.50 Auch in seinen öffentlichen Reden und Ansprachen verhielt er sich dem Staat gegenüber loyal. So betonte er, als er sich 1946 im Mitteldeutschen Rundfunk über die Veränderungen an der Leipziger Juristenfakultät und dem Institut für Arbeitsrecht äußerte, dass das Neue an der gesellschaftlichen Entwicklung der tief greifende Wandel in der sozialen Struktur des Volkes sei, nicht hingegen die Methoden des Arbeitsrechts und auch nicht die Zusammenarbeit des Instituts mit Gewerkschaften, Arbeitsbehörden, Unternehmern, Arbeitern und Angestellten in „gemeinschaftlichen Übungen“, die er vielmehr seit 1921 durchführe.51 In seinen Reden, mit denen er als Dekan die Studienanfänger begrüßte, sprach er beispielsweise über den Aufbau des Sozialismus in der DDR oder über Wissenschaft im Dienst unseres ganzen deutschen Volkes.52 1953 ehrte die Universität Jacobi mit einer Auszeichnung zum 1. Mai und hielt dabei fest: „Als Dekan der Juristenfakultät hat er hervorragenden Anteil am Aufbau der neuen Fakultät und sich stets als verständnisvoller Förderer der jugendlichen wissenschaftlichen Kader erwiesen.“53 Betrachtet man die Beurteilungen genauer, so fällt auf, dass Jacobi aber nicht in allen Punkten den Vorstellungen der Kaderabteilung der Universität entsprach. Dies sei an einem längeren Zitat aus einer Beurteilung vom Dezember 1952 verdeutlicht. Einleitend heißt es dort: „Prof. Jacobi ist ein alter, angesehener bürgerlicher Professor, der auf dem Gebiet des Staats- und Verwaltungsrechts und des Arbeitsrechts in Deutschland eine anerkannte Stellung einnimmt.“54 Er sei einerseits „ein loyaler Bürger der DDR, der den demokratischen Maßnahmen in der DDR im allgemeinen positiv“ gegenüberstehe. Er erkenne die SED als „die entscheidende und vorwärtstreibende Kraft in der DDR an“, seine Zusammenarbeit mit der FDJ sei „sehr gut“, und auch die Studierenden unterstütze er, wobei 48 49 50 51 52 53 54

Jacobi: Wahlen. Vgl. Jacobi: Ausbildung; ders.: Konfliktkommissionen. Vgl. Vortragsmanuskript Erhard Pätzold vom 18.1.1984 zum 100. Geburtstag von Jacobi, UAL, PA 2472. Manuskript Jacobi für den Mitteldeutschen Rundfunk vom 3.4.1946 zum Thema Altes und Neues an der Leipziger Juristenfakultät und dem Institut für Arbeitsrecht, UAL, Nachlass Jacobi, 2/2.27. Manuskripte der Reden aus den Jahren 1952, 1954, 1955 befinden sich in UAL, Nachlass Jacobi, 2/2.35. Bericht Universitätsverwaltung „Betr.: Auszeichnung des Kollegen Prof. Dr. Erwin Jacobi anlässlich des 1. Mai“ vom 29.4.1953, UAL, PA 2472. Beurteilung Jacobi durch die Kaderabteilung der Universität vom 21.12.1952, UAL, PA 2472. Die folgenden Zitate ebd.

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er auch dem „Ausschluß von Studienbummelanten und Feinden unseres Staates […] im allgemeinen zu[stimme], obwohl er mit der Schärfe des Maßstabes nicht einverstanden“ sei. Andererseits habe er, seiner bürgerlichen Herkunft entsprechend, „gewisse Vorbehalte“, sodass er beispielsweise für staatliche Maßnahmen öffentlich keine Partei ergreife. Auch beziehe er zur „Frage der Verteidigung der DDR […] keine klare Stellung“. Seine Haltung sei vielmehr „durch pazifistische Tendenzen bestimmt“, wie auch „die bürgerliche Rechtsstaats-Ideologie“ noch sehr stark wirke. „Das Verhältnis Gesellschaft/Individuum hat er nicht verstanden. In diesem Sinne ist auch seine Einstellung zur Sowjetunion. Er erkennt die Sowjetunion als Großmacht an, die entscheidend die Weltpolitik bestimmt. Er erkennt auch die großen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leistungen der Sowjetmenschen an. Bei einer Reihe von Fragen ist er jedoch nicht einverstanden, insbesondere bei solchen, die die persönlichen wirtschaftlichen und politischen Freiheiten der Bürger betreffen. Die verbrecherischen Absichten des USA- und westdeutschen Imperialismus unterschätzt er. Den Prozess der Faschisierung und der Aufhebung der Gesetzlichkeit in Westdeutschland zur Vorbereitung eines neuen Weltkrieges erkennt er nicht genügend. In dieser Hinsicht ist er mit objektivistischen Tendenzen behaftet.“ Der Tenor der Beurteilung änderte sich im Laufe der Jahre kaum. 1957 ergänzte die Kaderabteilung noch, dass Jacobi es ablehne, „eine Zeitung zu lesen, da alle unsere Zeitungen – wie er sagt – parteilich Stellung nehmen und nicht alles bringen.“55 Obwohl Jacobi repräsentative Ämter des Wissenschaftssystems bekleidete und nach außen Loyalität zeigte, vielleicht in den ersten Jahren auch tatsächlich bereit war, am Aufbau der DDR und ihres Wissenschaftssystems mitzuwirken, gab es ganz offensichtlich auch unübersehbare Differenzen.56 Jacobi wandte sich jedenfalls zunehmend (wieder) der Kirche und dem Kirchenrecht zu. 1948 wurde er in die Synode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens berufen, gehörte diesem Gremium ein Jahrzehnt lang bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1958 an und arbeitete dort vor allem im Rechtsausschuss mit. 1956 ernannte man ihn zudem zum Domherrn des Stiftes Wurzen. Auch wissenschaftlich rückte das Thema Kirche und Kirchenrecht seit Ende der 1940er Jahre (erneut) in den Fokus seiner Forschungen, wobei er sich vor allem mit der aktuellen politischen Situation auseinandersetzte. 1951 erschien sein Aufsatz Staat und Kirche nach der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik in der Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht, einige Jahre später sein Beitrag Staat und Kirche in der Sowjetunion in der Gesellschafts- und sprachwissenschaftlichen Reihe der Wissenschaftlichen Zeitschrift der Karl-Marx-Universität Leipzig. Jacobi hatte sich nicht zuletzt für diese Arbeit intensiv mit dem Marxismus-Leninismus auseinandergesetzt und auch die russische Sprache so weit gelernt, dass er sie lesen konnte. Während der Artikel von 1951 eine eher positivistische Beschreibung 55 56

Beurteilung Jacobi durch die Kaderabteilung der Universität vom 24.10.1957, UAL, PA 2472. Vgl. auch Vortragsmanuskript Erhard Pätzold vom 18.1.1984 zum 100. Geburtstag von Jacobi, UAL, PA 2472. Vgl. auch Lambrecht: Entlassungen, S. 110.

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des Verhältnisses von Staat und Kirche in der DDR darstellte, bezog er in der Beschreibung der kirchlichen Rechtsverhältnisse in der Sowjetunion auch politisch Stellung.57 Er bekannte, kein Marxist zu sein, und stellte fest, dass die „Grundeinstellung der Sowjetregierung unverändert religionsfeindlich“58 und ihr Ziel das „Absterben der Religionen“ sei. Vom Standpunkt des Marxismus-Leninismus sei dies „verständlich“, doch würde diese Auffassung verkennen, „daß der Christ seinen Glauben nicht nur durch Wort und Sakrament, sondern auch durch die Tat bezeugen soll“. Abschließend hielt er fest, dass der Christ im Fortbestand der Religionen in der Sowjetunion „eine Auswirkung der vom Marxismus verneinten Gotteskraft“ sehen muss, „die die Religionen und Kirchen auch beim Übergang zu Sozialismus und Kommunismus weiter erhält“. Die vergleichsweise kritische Auseinandersetzung mit der Lage der Kirche und der Religion in der Sowjetunion blieb nicht unwidersprochen. Trotz aller Kritik an seiner Person bzw. an seinem Werk war Jacobi Mitte bzw. Ende der 1950er Jahre ein hoch angesehenes Mitglied der wissenschaftlichen Community – im Osten wie im Westen. Sein 70. Geburtstag im Jahre 1954 wurde mit einem Festakt begangen, und auch zu seinem 80. Geburtstag 1964 erhielt er zahlreiche Gratulationsschreiben  – auch von Kollegen aus der Bundesrepublik, darunter beispielsweise Ernst-Wolfgang Böckenförde, Walter Jellinek, Werner Heisenberg (der Mitte der 1920er Jahre in Leipzig gelehrt und mit Jacobi musiziert hatte), Hans Carl Nipperdey, Rudolf Smend oder Hans Thieme.59 Die Theologische Fakultät der Universität Leipzig verlieh ihm 1954 die Ehrendoktorwürde, und anlässlich seines 50-jährigen Doktorjubiläums zwei Jahre später stellten Karl Bönninger, Heinz Such und Rudolf Arzinger als „Vertreter der sozialistischen Rechtswissenschaft“ eine Festschrift für ihn zusammen, was in der DDR eher ungewöhnlich war; diese enthielt auch eine Bibliografie seiner Werke.60 1959 schließlich, Jacobi befand sich bereits seit einem Jahr im Ruhestand, erhielt er zur 550-Jahr-Feier der Universität Leipzig den Vaterländischen Verdienstorden in Silber.61 Am 5. April 1965 starb Erwin Jacobi 81-jährig in Leipzig.

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Vgl. ausführlich Otto: Eigenkirche, S. 359–363. Jacobi: Staat und Kirche, zit. nach: Otto: Eigenkirche, S. 360. Die folgenden Zitate nach: ebd., S. 361. Die Briefe aus dem Jahr 1954 befinden sich in UAL, Nachlass Jacobi, 1/14, die Briefe aus dem Jahr 1964 ebd., 1/18. Festschrift für Erwin Jacobi, S. 10; die Bibliografie ebd., S. 479–484. Jacobi verschickte die Schrift an zahlreiche Kollegen; die entsprechende Korrespondenz befindet sich in UAL, Nachlass Jacobi, 1/12. Vgl. das Schreiben betr. Auszeichnung mit dem Vaterländischen Verdienstorden in Silber 1959, UAL, Nachlass Jacobi, 1/11.

Erich

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Erich Kaufmann wurde am 21. September 1880 in Demmin, das zum pommerischen Regierungsbezirk Stettin gehörte, geboren und evangelisch getauft.1 Seine Mutter kam aus einer Kaufmannsfamilie, sein Vater war als Rechtsanwalt und Notar in Demmin, dann als Justizrat in Berlin tätig. Dort wuchs Erich Kaufmann mit einem jüngeren Bruder auf und legte 1898 das Abitur am Französischen Gymnasium ab. Anschließend widmete er sich, wie er 1906 in einem Lebenslauf schrieb, „während acht Semestern juristischen und philosophischen Studien“,2 vor allem in Berlin, aber auch in Heidelberg und Freiburg. Nach der Ersten Juristischen Staatsprüfung, die er im November 1902 in Berlin bestand, schickte man ihn als Referendar an das Amtsgericht Trebbin im Kreis Teltow. Zum Sommersemester 1903 schrieb er sich zudem als Hörer an der Universität Halle ein. Dort stellte er, nachdem er von Herbst 1903 bis Herbst 1904 seiner militärischen Dienstpflicht beim 10. Königlich-Bayerischen Feldartillerie-Regiment in Erlangen nachgekommen war, seine Dissertation fertig, die im Jahre 1906 unter dem Titel Studien zur Staatslehre des monarchischen Prinzips erschien. Es handelte sich um eine ideen1

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Dieser Beitrag stützt sich auf die grundlegende Forschungsliteratur über Kaufmann. Zu nennen sind insbesondere folgende Publikationen: die entsprechenden Einträge in NDB und DBE; Degenhardt: Machtstaat; Häberler/Kilian/Wolff (Hg.): Staatsrechtslehrer, S. 200–217; Göppinger: Juristen, S.  342 f.; Heinrichs (Hg.): Juristen, S.  693–704; Mosler: Kaufmann; Partsch: Rechtsberater; Rozek: Kaufmann; Rürup: Schicksale, S. 239–242; Verfolgte Berliner Wissenschaft, S. 126. Zudem wurden folgende Quellen herangezogen: Kaufmann: Lebenslauf, in: ders.: Studien, S. 103 f.; UAHU-B, PA Kaufmann. Kaufmann: Lebenslauf, in: ders.: Studien, S. 103, Hervorhebung im Original.

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geschichtliche Erforschung des modernen Staates, die stark von seinem Staatsrechtslehrer Georg Jellinek beeinflusst und von Edgar Loening betreut worden war.3 Anschließend am Landgericht I in Berlin tätig, ließ er sich erneut zeitweise beurlauben, um weiterhin auch wissenschaftlich arbeiten zu können. Unter der Ägide Albert Hänels habilitierte sich Kaufmann 1908 in Kiel mit einer rechtsvergleichenden Studie über Auswärtige Gewalt und Kolonialgewalt in den Vereinigten Staaten von Amerika. Nach einigen Jahren als Privatdozent ernannte ihn die Universität Kiel 1912 zum außerordentlichen Professor, und ein Jahr später erlangte er eine ordentliche Professur in Königsberg. Seit Beginn des Ersten Weltkriegs diente Kaufmann als Offizier der Artillerie, er wurde auch an der Front eingesetzt. Zum Hauptmann der Reserve befördert und mit dem Eisernen Kreuz 1. Klasse ausgezeichnet, wurde er so schwer verwundet, dass er im September 1917 aus dem Militärdienst ausschied. Doch das Jahr 1917 erwies sich nicht nur deshalb als Zäsur. Vielmehr heiratete er im selben Jahr Hedwig Pankok, die ihn im Lazarett als Schwester gepflegt hatte,4 und erhielt zudem einen Ruf an die renommierte Berliner Universität. Dort vertrat er gemeinsam mit dem ebenfalls in diesem Buch vorgestellten Heinrich Triepel unter anderem das Völkerrecht. Beide orientierten sich, so Frank Degenhardt, der Kaufmanns Völkerrechtskonzept wissenschaftsgeschichtlich untersucht hat, an einem „tradierten Völkerrechtsverständnis von Willenstheorie und Souveränitätsdogma […], flankiert von deutschnationaler politischer Prägung“.5 Robert Kempner schrieb in einem Nachruf auf seinen Lehrer Kaufmann, dieser habe „uns Studenten durch seine bellizistischen Auffassungen im Völkerrecht [schockiert], die im krassen Gegensatz zu den friedensfördernden Völkerrechtlern wie Quide, Schücking und Wehberg standen“.6 Gegen diese durch Kaufmann und Triepel repräsentierte Ausrichtung des Faches ging die im Dezember 1918 u. a. von Sozialdemokraten, Liberalen und Zentrumsmitgliedern gegründete Deutsche Liga für Völkerbund Anfang des Jahres 1919 vor, indem sie versuchte, mit dem Marburger Völkerrechtler Walther Schücking einen Vertreter der Friedensbewegung nach Berlin zu berufen. Der erste Vorsitzende der Liga, der Zentrumspolitiker Matthias Erzberger, schrieb an das Preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, die Liga wolle Triepels und Kaufmanns wissenschaftliche Qualitäten nicht bezweifeln. Sie seien aber „nicht geeignet, für sich allein die akademische Jugend Berlins in den Geist eines neues Zeitalters der Völkerrechtsbeziehungen einzuführen; zum

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Vgl. Rozek: Kaufmann, S. 202–204; Stolleis: Geschichte, Fn. 14, S. 76. Vgl. Masur: Herz, S. 138. Degenhardt: Machtstaat, S. 110. Zu ihrer politischen Haltung vgl. auch Stolleis: Geschichte, S. 81. Triepel und Kaufmann arbeiteten auch an anderer Stelle eng zusammen und gehörten beide ähnlichen Zirkeln an, etwa der Staatswissenschaftlichen Gesellschaft, vgl. Gassner: Triepel, S. 119–121. Robert Kempner: Nachruf auf Erich Kaufmann, in: Allgemeine jüdische Wochenzeitung vom 24.11.1972, S. 4, zit. nach: Degenhardt: Machtstaat, S. 1.

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mindesten bedürften sie einer Ergänzung durch einen so absolut anders gerichteten Geist, wie es Schücking ist“.7 Es folgte eine längere Kontroverse zwischen Kaufmann bzw. Triepel und dem zum Reichsminister avancierten Erzberger, die Anfang Juni 1919 damit endete, dass der preußische Kultusminister Konrad Haenisch (SPD) gegenüber Erzberger feststellte, dass in Berlin kein weiterer Bedarf an Professoren des öffentlichen Rechts bestehe. Schücking wurde also nicht nach Berlin berufen, und Triepel wie auch Kaufmann behielten ihre Lehrstühle. Während Triepel dauerhaft in Berlin blieb, wechselte Kaufmann 1920 nach Bonn. Dies überraschte seine Kollegen und führte in der Juristischen Fakultät zu Unmut, galt das Ordinariat in Berlin doch als Krönung einer Universitätskarriere. Viele vermuteten, dass Kaufmann hoffte, in Bonn ruhiger arbeiten zu können.8 Er las dort jedenfalls Deutsches Reichs- und Landesstaatsrecht sowie Allgemeine Staatslehre, manchmal kamen Spezialvorlesungen über den Versailler Vertrag hinzu. Gelegentlich äußerte sich Kaufmann auch zu grundlegenden Fragen seines Faches. So hielt er 1926 in Münster auf der dritten Tagung der 1922 von Triepel gegründeten Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer zusammen mit Hans Nawiasky das Referat über Die Gleichheit vor dem Gesetz im Sinne des Art. 109 der Reichsverfassung. Im Kern ging es dabei um die Frage, ob und wie der Gleichheitssatz auch gegenüber dem Gesetzgeber gelten sollte. Kaufmann formulierte, die Unterscheidungen des Gesetzgebers müssten „dem inneren Wesen der Ordnung des betreffenden Lebensverhältnisses gerecht werden“.9 Die Forderung, auch der Gesetzgeber müsse an den Gleichheitssatz gebunden sein, führte er später nochmals in seiner Schrift über Die Problematik des Volkswillens (1931) aus.10 Seit Beginn der Weimarer Republik war Kaufmann zudem als Rechtsberater gefragt. 1918 ließ er sich von seinem Berliner Lehrstuhl beurlauben und erstellte einen Gesamtbericht über die Verwaltung des besetzten Belgiens. In den folgenden Jahren wirkte er als Gutachter und Rechtsbeistand bei internationalen Verhandlungen und Abkommen für die Reichsregierung sowie als Vertreter in Schiedsgerichten und vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag.11 Die Universität Bonn stellte ihn für diese Tätigkeiten weitgehend frei, freilich nur auf Druck des Auswärtigen Amtes.12 1927 ging Kaufmann dann hauptamtlich als Rechtsberater des Auswärtigen Amtes nach Berlin, während seine Bonner Professur ruhte.

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Eingabe der Liga an das Preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 21.1.1919, zit. nach: Degenhardt: Machtstaat, S. 110. Zu der sich anschließenden Kontroverse vgl. ebd., S. 110–112. Vgl. auch Marcon/Strecker/Randecker (Hg.): Jahre, S. 341; Gassner: Triepel, S. 94–98. Vgl. Grüttner: Berliner Universität, S. 117. Kaufmann: Die Gleichheit vor dem Gesetz (1926), zit. nach: Heinrichs u. a. (Hg.): Juristen, S. 679. Vgl. auch Gassner: Triepel, S. 287 f. und 367; Rozek: Kaufmann, S. 208, sowie vor allem Stolleis: Geschichte, S. 189–192. Vgl. Kaufmann: Problematik. Zu Rolle und Bedeutung des Rechtsberaters vgl. Partsch: Rechtsberater, S. 223–226. Zu den Konflikten vgl. ausführlich Degenhardt: Machtstaat, S. 112–115.

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In den folgenden Jahren entwickelte sich Kaufmann zu einem viel beschäftigten Völkerrechtspraktiker, der national und international großes Ansehen genoss. Anfangs widmete er sich vor allem Rechtsproblemen im Verhältnis Deutschlands mit seinen östlichen Nachbarn, insbesondere mit Polen und der Tschechoslowakei, aber auch mit Ungarn, Jugoslawien und Rumänien. Im Zusammenhang mit dem sogenannten Dawes-Plan vom 16. August 1924, der die Reparationszahlungen Deutschlands an die Siegermächte des Ersten Weltkriegs regelte, ging es dann auch um das Verhältnis zu anderen Staaten. Kaufmann fertigte zahlreiche Gutachten an, bereitete die Vertragsverhandlungen vor und wirkte an ihnen mit, trat als Regierungs- oder Parteivertreter in den gemischten Schiedsgerichten auf und vertrat das Deutsche Reich, die Freie Stadt Danzig und – in dem Verfahren über die geplante Zollunion mit dem Deutschen Reich  – auch Österreich vor dem Ständigen Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Sein Kollege Rudolf Smend schrieb in einer Festschrift für Erich Kaufmann im Jahre 1950, dass dessen völkerrechtspraktische Arbeit in der Weimarer Republik „die praktische Bewährung des bisherigen theoretischen Lebenswerks“ gewesen sei.13 Kaufmanns Biograf Jochen Rozek deutete diese Tätigkeit dahingehend aus, dass Kaufmann die Institutionen und die Mechanismen der Streitschlichtung, die das Völkerrechtssystem bereitstellte, „als Chance zur Durchsetzung nationaler Interessen des geschwächten deutschen Staates“ begriff.14 Seit Mitte der 1920er Jahre versuchte Kaufmann, an die Berliner Hochschule zurückzukehren, da er ohnehin in Berlin lebte und gern weiter lehren wollte. Das Auswärtige Amt unterstützte ihn und wirkte in seinem Sinne auf das preußische Kultusministerium ein. Doch die Juristische Fakultät widersetzte sich, weil man Kaufmann den Wechsel nach Bonn wenige Jahre zuvor noch nachtrug. Nach einigem Hin und Her konnte sich die Fakultät zwar insofern durchsetzen, als Kaufmann kein Ordinariat erhielt. Doch 1927 ernannte man ihn zum Honorarprofessor und erteilte ihm einen Lehrauftrag für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie.15 Damit hatte er – so Smend aus der Rückschau – ein „loseres Verhältnis zur Fakultät“.16 Im selben Jahr bestellte ihn auch die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zum Wissenschaftlichen Berater sowie zum Wissenschaftlichen Mitglied des Kaiser-Wilhelm-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerecht, und 1929 avancierte er zum Mitherausgeber des nun gegründeten Institutsorgans, der Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. Nachdem sich Kaufmann viele Jahre als Völkerrechtspraktiker und Wissenschaftler profiliert hatte,

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Smend: Werk, S. 396. Rozek: Kaufmann, S. 208. Zur Kontroverse um seine Berufung bzw. Ernennung vgl. Degenhardt: Machtstaat, S. 115– 118; Grüttner: Berliner Universität, S. 117 f.; Lösch: Geist, S. 59 f., 81 f. und 88–91. Smend: Geschichte, S. 124. Zum Honorarprofessor ernannte die Fakultät Personen, die – ohne vorher dem Lehrkörper der Universität angehört zu haben  – die wissenschaftliche Leistung und das Profil eines Ordinarius vorweisen konnten und die Gewähr boten, sich für die Fakultät einzusetzen. Es handelte sich in jedem Fall um eine besondere Auszeichnung, die nur selten vergeben wurde.

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schlug ihn die Vereinigung der Deutschen Staatsrechtlehrer als Kandidaten für die im Frühjahr 1933 stattfindende Fachausschusswahl der Berliner Notgemeinschaft vor. Nach der erfolgten Wahl in den Fachausschuss Jurisprudenz sollte er zusammen mit Triepel den Unterausschuss Staats-, Verwaltungs- und Völkerrecht verantworten. Einige Jahre zuvor hatte die Notgemeinschaft bereits Mittel zum Druck seines Werkes Abhandlungen aus dem öffentlichen Recht bzw. der von ihm mitherausgegebenen Zeitschrift für Verwaltungsgerichtsbarkeit, Verwaltungsarchiv, zur Verfügung gestellt.17 Politisch hatte sich Kaufmann nach Ende des Ersten Weltkriegs vom überzeugten Monarchisten zum Vernunftrepublikaner gewandelt, der mit deutschnationalen Positionen sympathisierte. In seiner Person zeigten sich, so Michael Stolleis, viele Facetten: „die des Idealisten, des protestantischen Preußen und Nationalisten“, der zudem und vor allem aber auch „aktiver Völkerrechtler und Völkerverständiger“ war.18 Nach der „Machtergreifung“ habe Kaufmann, so beschrieb es der Berliner Historiker Gerhard Masur in seinen Lebenserinnerungen, zunächst „gute Worte für die ‚völkische‘ Bewegung“ gefunden.19 Doch unabhängig davon, ob dem tatsächlich so war, und auch unabhängig von Kaufmanns politischer Einstellung war offensichtlich, dass die Nationalsozialisten ihn aus seinen Ämtern zu vertreiben trachteten.20 Sein Wirken als amtlicher Rechtsberater endete mit dem 30. Januar 1933, die Exklusion aus dem wissenschaftlichen Feld begann wenig später mit dem sogenannten Berufsbeamtengesetz. Das Gesetz klassifizierte Kaufmann, der der evangelischen Kirche angehörte, als „Nichtarier“, da er  – ebenso wie seine evangelische Frau – jüdische Vorfahren hatte. Er selbst erklärte auf die entsprechende universitäre Anfrage hin, dass seine vier Großeltern der jüdischen Religion angehörten, aber „der Rasse nach volljüdischer Abstammung“ seien.21 Hinzu kam, dass Kaufmann aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit als Rechtsberater des Auswärtigen Amtes als prominenter Repräsentant der Weimarer Republik galt – und damit in der NS-Zeit als politisch unerwünscht. Doch es gelang zunächst nicht, ihn nach dem Berufsbeamtengesetz zu entlassen, da er als Weltkriegsteilnehmer und Vorkriegsbeamter unter die Ausnahmeregelungen des Gesetzes fiel. So suchte man nach anderen Wegen, ihn aus dem Amt zu drängen. Ein erster Angriff erfolgte am 15. Juni 1933, indem die Berliner Hochschulverwaltung die Zahlung für seinen Lehrauftrag einstellte. Es gelang Kaufmann aber, dies rückgängig zu machen.22 Seit Ende des Jahres 1933 intrigierte dann insbesondere sein Kollege Carl Schmitt gegen ihn, obwohl zwischen beiden in früheren Jahren ein gutes Verhältnis bestanden hatte. So war es auf Schmitts Ein17 18 19 20 21 22

Vgl. Datenbank DFG-Geschichte. Stolleis: Geschichte, S. 176; vgl. Lösch: Geist, S. 202. Masur: Herz, S. 138. Kurz vor der „Machtergreifung“ war Kaufmann noch als deutscher Regierungsvertreter vor dem Haager Gericht im Steuerstreit um den Fürsten Pleß tätig gewesen. Das Verfahren wurde jedoch nicht beendet. Erklärung Kaufmann vom 16.12.1934, UAHU-B, PA Kaufmann, Bd. 1, Bl. 34. Vgl. Lösch: Geist, S. 155.

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fluss zurückzuführen, dass der Staatssekretär im preußischen Kultusministerium, Wilhelm Stuckart, dem Leiter der Universitätsabteilung am 3. Januar 1934 mitteilte, dass es auf „jeden Fall dringend erwünscht“ sei, „K. aus Berlin zu entfernen, damit die Spannungen zwischen Schmitt und ihm beseitigt werden“.23 Zudem: „Die besonderen Aufgaben, die Kaufmann [während der Weimarer Republik] zu erfüllen hatte, sind heute erledigt; soweit dies nicht der Fall ist, können sie von dem Völkerrechtler Bruns erledigt werden. Ich halte es daher für richtig, daß Kaufmann aus Berlin nach seiner Heimatuniversität Bonn zurückversetzt wird“.24 Kurze Zeit später trafen sich Vertreter des Reichsfinanzministeriums, des Kultusministeriums und des Auswärtigen Amtes, um über Kaufmanns Fall zu beraten. Während das Auswärtige Amt unter Hinweis auf Kaufmanns Verdienste auf eine möglichst wohlwollende Regelung drängte, wollte das Kultusministerium ihn möglichst nicht nur aus Berlin, sondern ganz aus dem Hochschuldienst entfernen. Man musste jedoch eingestehen, dass es „an einer gesetzlichen Handhabe [fehlt], ihn in den Ruhestand zu versetzen, da er geschützter Jude ist“.25 Auch Kaufmann selbst wehrte sich, verlangte im Herbst 1934 die „Wiederaufnahme als aktiver Professor an der Universität Berlin“.26 Nun griff Schmitt erneut ein und verhinderte einen Lehrauftrag, der Kaufmann als Resultat einer Art Vergleich zugestanden werden sollte. In seinem denunziatorischen Brief vom Dezember 1934 an das Kultusministerium schrieb Schmitt: „Prof. Kaufmann ist zweifellos ein ganz ungewöhnliches Beispiel jüdischer Anpassung. Er ist Volljude, aber es ist ihm gelungen, sein Judentum, das auf manche besonders aufreizend wirkt, gegenüber anderen mit größtem Erfolg zu verbergen und durch lautes Bekenntnis zum Deutschtum zahlreiche Schüler und Hörer bis in das Jahr 1934 hinein in dem Glauben zu halten, daß er rein deutscher Herkunft ist. Für deutsches Empfinden ist eine solche ganz auf Verschweigung der Abstammung und Tarnung angelegte Existenz schwer begreiflich. Sie muß unvermeidlich zu moralisch unmöglichen Situationen führen […]. Die große advokatische Begabung Prof. Kaufmanns steht hier nicht zur Beurteilung. Jedenfalls hat er auch außerhalb der deutschen Jugendbildung genügend Betätigungs- und Erwerbsmöglichkeiten. Es kommt ihm aber offensichtlich darauf an, gerade auf das deutsche Geistesleben Einfluß zu nehmen und auf die deutsche Jugend in seinem Sinne einzuwirken. Das ist ein typisches Beispiel sog. geistiger Assimilanten, das sich vor der Machtergreifung Adolf Hitlers hemmungslos betätigen konnte. […] Jeder deutsche Student, dem ein solcher Mann vom Staat als Lehrer des Rechts für die wichtigsten Gebiete vorgesetzt würde, müßte entweder dessen Tarnungskunst erliegen, oder aber, wenn er die Tarnung durchschaut, an den fundamentalsten Grundsätzen des

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Brief Stuckart an Haupt vom 3.1.1934, zit. nach: Lösch: Geist, S. 202. Zu den Spannungen zwischen Schmitt und Kaufmann vgl. ebd., Fn. 375, S. 201 f., sowie Degenhardt: Machtstaat, S. 119–121. Zit. nach: Jasch: Kultusministerium, Fn.  148, S.  56. Zum Folgenden vgl. Lösch: Geist, S. 201–207; Degenhardt: Machtstaat, S. 121–124. Brief Kasper an Eckhardt vom 23.10.1934, zit. nach: Lösch: Geist, S. 204. Brief Kaufmann an den Kultusminister vom 7.11.1934, zit. nach: Lösch: Geist, S. 205.

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Nationalen Sozialismus irre werden.“27 Schließlich fand man folgenden Weg, um Kaufmann von der Hochschule zu vertreiben: Er wurde formal an die Universität Berlin versetzt, gleichzeitig von seinen Verpflichtungen entbunden28 und von der Universität Bonn zum 1. November 1934 vorläufig und zum 31. März 1935 endgültig emeritiert. Zudem verlor er seine Stellung und seine Funktionen im Kaiser-Wilhelm-Institut und musste als Mitherausgeber der von ihm betreuten Zeitschriften – dem Verwaltungsarchiv, der Niemeyer-Zeitschrift sowie der Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht  – ausscheiden.29 Binnen zweier Jahre war die Exklusion im Frühjahr 1935 vollzogen. In der Folgezeit zog sich der 54-Jährige mehr und mehr in sein Haus in BerlinNikolassee zurück und verzichtete darauf, das Arbeitszimmer zu nutzen, das ihm das Kaiser-Wilhelm-Institut zugestanden hatte. In den ersten Jahren nach der Exklusion gelang es ihm, weiterhin wissenschaftlich tätig zu sein. So konnte er im Sommer 1935 an der Haager Akademie für Völkerrecht Vorträge über die Règles générales du droit de la paix halten. Die Reise war genehmigt worden, da der NS-Dozentenbund befunden hatte, Kaufmann sei zwar „Nichtarier“, gelte jedoch in der internationalen, völkerrechtlich interessierten Öffentlichkeit „als deutscher Nationalist und hat sich insbesondere um die Rechtsstellung der deutschen Volksgruppen vor dem Jahre 1933 nichtabzustreitende [sic] Verdienste erworben“. Auch ein Jahr später, als Kaufmann an der Tagung des Institut de Droit international in Madrid teilnehmen wollte, äußerte der NS-Dozentenbund keine Bedenken.30 Doch der Gauhauptstellenleiter der NSDAP intervenierte: Kaufmann sei „Nichtarier […]. Wir sind daher nicht in der Lage, die Gewähr für seine politische Zuverlässigkeit übernehmen zu können.“31 So konnte Kaufmann zwar nicht nach Madrid reisen, wohl aber seine an der Haager Akademie gehaltenen Vorträge im Recueil des Cours der Akademie veröffentlichen. Die Publikation gilt heute als „seine wohl am meisten systematische Arbeit und letzte große zusammenhängende Darlegung der Probleme von Staat und Recht“.32 Auch die Ministerien wandten sich zunächst weiterhin an ihn – freilich nicht offiziell. Das Reichsfinanzministerium etwa beauftragte ihn nicht unmittelbar, sondern verwies die Interessenten direkt an ihn, die wiederum seine Gutachten dem Ministerium vorlegten. Auch das Auswärtige Amt fand bis 1938 versteckte Wege, seinen Rat einzuholen.33 Zudem führte Kaufmann, wie auch der in diesem Buch beschriebene Erwin Jacobi, weiterhin Lehrveranstaltungen durch. Er lud die ihm treu 27 28 29 30 31 32 33

Brief Schmitt an das Ministerium vom 14.12.1934, zit. nach: Lösch: Geist, S. 207. Vgl. Brief des preußischen Kultusministers an Kaufmann vom 9.11.1934, UAHU-B, PA Kaufmann, Bd. 1, Bl. 27, sowie Brief Kaufmann an den Rektor der Universität vom 16.11.1934, ebd., Bl. 30 f. Vgl. Göppinger: Juristen, S. 388. Stellungnahme NS-Dozentenbund vom 7.4.1936, UAHU-B, PA Kaufmann, Bd. 2, Bl. 12. Brief NSDAP-Gauhauptstellenleiter an die Universität Berlin vom 3.7.1936, UAHU-B, PA Kaufmann, Bd. 2, Bl. 14. Heinrichs u. a. (Hg.): Juristen, S. 702; vgl. ähnlich auch Partsch: Rechtsberater, S. 227. Vgl. Degenhardt: Machtstaat, S. 127.

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gebliebenen Schüler in sein Haus nach Nikolassee ein, um mit ihnen Grundfragen des Faches zu erörtern. 1938 wurden die sogenannten Nikolasseer Seminare jedoch verboten.34 Im Februar 1938 nahm Kaufmann an der Feier zum 70. Geburtstag von Heinrich Triepel teil, die fast zu einer Art Abschiedsfeier geriet,35 denn er begann nun, seine Auswanderung vorzubereiten. So fragte Kaufmann bei dem langjährigen Richter und ehemaligen Präsidenten des Ständigen Internationalen Gerichtshofs, Cecil Hurst, an, welche Möglichkeiten einer akademischen Beschäftigung für ihn in England bestünden. Hurst leitete das Schreiben an die wichtigste Fluchthilfeorganisation in Großbritannien weiter, die Oxford Society for the Protection of Science and Learning. Doch es erging kein Angebot.36 Nach dem Novemberpogrom 1938 fühlte sich Kaufmann so bedroht, dass er entschied, zusammen mit seiner Frau Berlin zu verlassen. 1939 emigrierten die Kaufmanns über Amsterdam nach Den Haag – mit offizieller Genehmigung und Einrichtung eines Kontos, auf das die Emeritibezüge gezahlt wurden. Auch jetzt hielt Erich Kaufmann noch Vorträge, und zwar in Brüssel, Leiden, Amsterdam und Den Haag. Als die Wehrmacht dann die Niederlande besetzte und die jüdischen Flüchtlinge in akute Gefahr gerieten, versuchte Kaufmann, seine Kontakte in die politischen Kreise hinein zu nutzen, um dadurch sein Überleben zu sichern.37 So wandte er sich 1941 an das Reichsinnenministerium, an den Reichsminister und Chef der Reichskanzlei, Heinrich Lammers, sowie an den Botschafter und Begründer des Kreisauer Kreises, Helmuth James Graf von Moltke, mit der Bitte, er möge von der drohenden Zwangsausbürgerung verschont werden. Lammers bat Reichsinnenminister Wilhelm Frick „um wohlwollende Prüfung des Anliegens“ und verwies auf „die Verdienste, die sich Professor Kaufmann als Vertreter des Deutschen Reiches in internationalen Rechtsstreitigkeiten erworben hat“.38 Auch andere setzten sich für Kaufmann ein, doch Frick lehnte – mit Verweis auf Hitlers Willen – ab. Mit der Zwangsausbürgerung wurde auch die Überweisung der Emeritibezüge eingestellt. Doch als die Deportationen in die Vernichtungslager begannen, erging eine Weisung des für die „Judenfrage“ zuständigen Unterstaatssekretärs Martin Luther an den Vertreter des Auswärtigen Amtes in den Niederlanden, „daß von einer Zwangsverschickung und Vermögenseinziehung des Juden Kaufmann einstweilen abgesehen werden möge“.39 Der Reichskommissar für die besetzten Niederlande, Arthur Seyß-Inquart, bestätigte dies im Juni 1942. Holländische Freunde und

34 35 36 37 38 39

Vgl. Rürup: Schicksale, S.  240; Partsch: Rechtsberater, S.  227; Degenhardt: Machtstaat, S. 125 f.; Stolleis: Geschichte, S. 257. Nach Kriegsende und anlässlich Kaufmanns 80. Geburtstags veröffentlichten die Teilnehmer ihre Erinnerungen an den Nikolassee’er Kreis. Vgl. Gassner: Triepel, S. 103 f. Vgl. Degenhardt: Machtstaat, S. 127 f. Zum Folgenden vgl. Degenhardt: Machtstaat, S. 128 f. Schreiben Lammers vom 14.12.1941, zit. nach: Degenhardt: Machtstaat, S. 129. Fernschreiben Luther vom 3.1.1942, zit. nach: Degenhardt: Machtstaat, S. 129. Vgl. Rürup: Schicksale, S. 240.

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Kollegen halfen Kaufmann und seiner Frau wenig später, in den Untergrund zu gehen.40 So konnten sie überleben.41 Unmittelbar nach Kriegsende versuchte Kaufmann, nach Deutschland zurückzukehren. Im April 1946, kurz nach der Wiederaufnahme des Postverkehrs mit Deutschland, schrieb er aus Amsterdam: „Wir sind ja hier noch ‚feindliche Ausländer‘ und so ist unser Vermögen […] und meine Bibliothek beschlagnahmt. […] Unsere Sehnsucht nach der Heimat ist groß, trotz aller Nachrichten über die dortigen Schwierigkeiten. Wir werden schon durchkommen. Ich will trotz allem wieder an die Arbeit“.42 Wenige Monate später gelang die Rückkehr. Einige Universitäten wie Bonn, Frankfurt am Main, Marburg, München und Tübingen boten ihm eine Professur an, und er entschied sich für das Ordinariat für Internationales Recht und Verfassungsrecht sowie Rechtsphilosophie an der Universität München. Dort war er auch Direktor des Instituts für Völkerrecht und baute als Dekan die Juristische Fakultät mit auf. Zudem engagierte er sich schon bald wieder in der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die 1949 in Bonn erneut gegründet worden war. Kaufmann wurde dort in den ersten Fachausschuss der Nachkriegsgeschichte gewählt43 und gehörte damit zu den wenigen DFG-Gremienmitgliedern, die vor 1933 und nach 1949 in der Forschungsgemeinschaft aktiv waren: Es handelte sich insgesamt lediglich um 16 Professoren.44 Zwei von ihnen – Erich Kaufmann und Hermann Ranke – waren in der NS-Zeit vertrieben worden. Auch nach der Fusion zwischen Notgemeinschaft und Deutschem Forschungsrat zur Deutschen Forschungsgemeinschaft 1951 und der dadurch bedingten Neuwahl der Fachausschüsse wurde Kaufmann von der Community im Amt bestätigt. Seine Tätigkeit als Fachgutachter endete 1955. Zu diesem Zeitpunkt war Kaufmann bereits fünf Jahre emeritiert. Gleichwohl blieb er weiterhin in der Lehre tätig, nämlich als Honorarprofessor in Bonn. Seit 1950 gehörte er zudem wieder der Max-Planck-Gesellschaft an, nun als Wissenschaftlicher Berater und Mitherausgeber der Zeitschrift des inzwischen in Heidelberg ansässigen Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. Auch wenn er dort ein eigenes Arbeitszimmer hatte und sich an den Arbeitssitzungen des Instituts beteiligte, lag der Schwerpunkt seiner Tätigkeit seit 1950 doch wieder eindeutig in der Rechtspraxis. Schon bald nach Kaufmanns Rückkehr nach Deutschland hatten verschiedene Regierungsstellen seinen Rat er40 41 42 43 44

Was genau und wie dies geschah, ist nicht bekannt, da aus naheliegenden Gründen keine Quellen überliefert sind. Auch über die Zeit bis 1945 liegen keine weiteren Quellen vor. Kaufmanns Bruder Franz Herbert, der bis 1935 als Oberregierungsrat beim Reichssparkommissar tätig gewesen war, wurde hingegen im Februar 1944 im KZ Sachsenhausen ermordet. Brief Kaufmann an Küpper vom 1.4.1946, zit. nach: Degenhardt: Machtstaat, Fn. 1, S. 203. Er wurde mit 7 von 31 Stimmen auf den ersten Platz gewählt, vgl. Niederschrift über die Ergebnisse der im Juli 1949 durchgeführten Wahl vom 19.8.1949, BArch 1789 K, Nr. 38. Dies ist in Anbetracht der Tatsache, dass bereits in der Weimarer Zeit der Altersdurchschnitt der Gremienmitglieder sehr hoch war, nicht verwunderlich. Tatsächlich lebten von den 291 Weimarer Gremienmitgliedern bei der Wiedergründung der Bonner Notgemeinschaft im Januar 1949 nur noch 91, von denen die meisten inzwischen hochbetagt waren, vgl. ausführlich Orth: NS-Vertreibung, S. 378 f.

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fragt – so etwa die bayerische Landesregierung, der Länderrat der süddeutschen Länder, das Stuttgarter Büro für Friedensfragen und die bizonalen Stellen in Frankfurt am Main. Nach Gründung der Bundesrepublik bot man ihm dann Aufbau und Leitung einer neuen Rechtsabteilung des zu schaffenden Auswärtigen Amtes an, was Kaufmann jedoch ablehnte, da er unabhängig sein wollte. So wurde im Herbst 1950 in der „Dienststelle für auswärtige Angelegenheiten“ im Bundeskanzleramt, die vor der Einrichtung des Auswärtigen Amtes für die Außenbeziehungen der Bundesrepublik zuständig war, eine Position geschaffen,45 die auf ihn zugeschnitten war, und zwar die des „juristischen Beraters für völkerrechtliche Angelegenheiten im Bundeskanzleramt“ (später dann im Auswärtigen Amt). Die Position des Rechtsberaters, die nur für die Zeit des Wiederaufbaus bestehen sollte, war dem Staatssekretär des Auswärtigen Amtes unmittelbar unterstellt. Kaufmann wirkte so an allen großen Verträgen und Verhandlungen mit, die die Bundesrepublik in die veränderte internationale Welt einfügten. Er wurde etwa damit betraut, die Verhandlungen mit der Alliierten Hohen Kommission über die Beendigung des Kriegszustands zu führen oder die Verhandlungen über Teile des Überleitungsvertrags, insbesondere über Restitutionen und Reparationen.46 Später war er beteiligt an den Verhandlungen hinsichtlich der Londoner Schuldenkonferenz, über den Beitritt zum Brüsseler Pakt oder bei den Ausgleichsverhandlungen mit Belgien und den Niederlanden. Zudem fragten andere Ministerien Kaufmann um Rat, insbesondere die Ressorts der Justiz, des Inneren, des Verkehrs, der Finanzen und der gesamtdeutschen Angelegenheiten.47 Als Kaufmann 1958 mit 78 Jahren ausschied, wurde das Amt nicht wieder besetzt. Das Lebenswerk Kaufmanns, der in der Forschung als der „Typ des rechtsstaatlich gesonnenen Konservativen“ charakterisiert worden ist,48 spiegelt die Entwicklung des deutschen Staatsrechts im 20.  Jahrhundert wider. Dies zeigt sich auch in seinen Schriften, die die Bereiche öffentliches Recht, Rechtsphilosophie und Völkerrecht umfassen.49 Zu seine bekanntesten – und zum Teil höchst umstrittenen – Arbeiten der Jahre vor dem Ersten Weltkrieg gehören Das Wesen des Völkerrechts und die clausula rebus sic stantibis. Rechtsphilosophische Studie zum Rechts-, Staats- und Vertragsbegriff (1911), der Artikel Verwaltung, Verwaltungsrecht in Stengel-Fleischmanns Wörterbuch des deutschen Staats- und Verwaltungsrechts (1914)50 sowie Bismarcks Erbe in der Reichsverfassung (1917). Im Wesen des Völkerrechts stilisierte Kaufmann den siegreichen Krieg zu einem sozialen Ideal und zu einer Probe der Leistungsfähigkeit eines Staates. Dies wurde von vielen als „offene Leugnung 45 46 47 48 49

50

Zum Folgenden vgl. Partsch: Rechtsberater, S. 230–236. Vgl. Kaufmann: Rechtsgutachten; ders.: Abgeltung. Vgl. Kaufmann: Realitäten. Heinrichs u. a. (Hg.): Juristen, S. 183. Vgl. auch Kaznelson (Hg.): Juden, S.  600, 618 f. und 624 f. Zu seinem Schaffen und Wirken als Völkerrechtler bis in die 1930er Jahre vgl. ausführlich die wissenschaftsgeschichtliche Studie von Degenhardt: Machtstaat. Zum Folgenden vgl. Heinrichs u. a. (Hg.): Juristen, S. 693–702; Mosler: Kaufmann. Smend: Geschichte, S. 124, bezeichnet den Beitrag als wesentlichen Beitrag zur „begrifflichen Grundlegung des staats- und verwaltungsrechtlichen Denkens“.

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des Völkerrechts, als Apologie des imperialistischen Großmachtstrebens und als unerträglicher wilhelminischer Machtstaatsmonismus empfunden“.51 Auch sein Artikel über Verwaltung, Verwaltungsrecht schrieb gegen die Demokratie bzw. gegen „westliche“ Ideen an und plädierte für den nicht parlamentarischen Konstitutionalismus; Bismarcks Erbe in der Reichsverfassung galt lange Zeit als „verfassungspolitische Kampfschrift“.52 Nach Ende des Ersten Weltkriegs und der Revolution akzeptierte Kaufmann jedoch den eben noch bekämpften Parlamentarismus und setzte sich als Vernunftrepublikaner für eine parlamentarische Gestaltung der Verfassung ein. 1919 legte er die Publikation Grundfragen der künftigen Reichsverfassung vor und arbeitete zusammen mit Heinrich Triepel in einem Ausschuss des Vereins „Recht und Wirtschaft“, der einen Entwurf zur Reichsverfassung vorlegte.53 In den 1920er Jahren galt Kaufmann zusammen mit Günther Holstein und Rudolf Smend als Protagonist der sogenannten „geisteswissenschaftlichen Richtung“ der Weimarer Staatsrechtslehre54 und formulierte 1921 mit der Schrift Kritik der neukantischen Rechtsphilosophie. Eine Betrachtung über die Beziehungen zwischen Philosophie und Rechtswissenschaft seine philosophisch grundierte Kritik an der zeitgenössisch vorherrschenden Tendenz der Rechtswissenschaft in Richtung eines „anschauungslosen, damit letztlich richtungs- und verantwortungslosen Denken[s]“.55 Nach Kriegsende nahm Kaufmann erneut zu zentralen Fragen der Gegenwart Stellung – so etwa mit den Veröffentlichungen Freilassung und Heimschaffung der Kriegsgefangenen (1947), Satzung der Vereinigten Nationen (1948), Deutschlands Rechtslage unter der Besatzung (1948) oder Grundbegriffe und Grundtatsachen der Demokratie (1950). 1960 erschienen dann anlässlich seines 80. Geburtstags seine Gesammelten Schriften in drei Bänden. Kaufmann schrieb dazu ein Vorwort, in dem er sein rechtswissenschaftliches Grundverständnis formulierte: Die „Erkenntnis, daß alles geschriebene Recht auf ‚vorgegebenen‘ allgemeinen Kategorien und Rechtsprinzipien beruht und nur auf dieser Grundlage so gesetzt wie ausgelegt werden kann, führte mich zu der Einsicht, daß der Gedanke des Naturrechts, den die historische Schule und der Rechtspositivismus als überholt und überlebt ansahen, als das ‚Wissen von einer höheren Ordnung‘ etwas Ewiges und Unvermeidliches ist“.56 In der Bundesrepublik wurde Kaufmann mit zahlreichen Auszeichnungen bedacht. Zu Ehren seines 70. Geburtstags erschien die Festschrift Um Recht und Gerechtigkeit, überreicht von „Freunden, Verehrern und Schülern“,57 er erhielt die 51 52 53 54 55 56 57

Rozek: Kaufmann, S. 204. Rozek: Kaufmann, S. 206. Vgl. auch Heinrichs u. a. (Hg.): Juristen, S. 697. Vgl. dazu ausführlich auch Gassner: Triepel, S. 104–119. Vgl. ausführlich Rennert: Staatsrechtslehre. Heinrichs u. a. (Hg.): Juristen, S. 699. Vgl. ähnlich auch Smend: Geschichte, S. 124; Gassner: Triepel, S. 275; Rozek: Kaufmann, S. 207; Nörr: Zwischen, S. 7 f. Kaufmann: Vorwort zu seinen Gesammelten Schriften, zit. nach: Mosler: Kaufmann, S. 236 f. Um Recht und Gerechtigkeit, Vorwort. Die Festschrift enthält auch ein Verzeichnis der Schriften und Aufsätze Kaufmanns, vgl. ebd., S. 401 f. Vgl. auch Degenhardt: Machtstaat, S. 215–219.

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Ehrendoktorwürde der Universitäten Kiel und München, war Ehrenpräsident der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Mitglied mehrerer wissenschaftlicher Akademien und des Institut de Droit international sowie des Ordens Pour le Mérite für Wissenschaft und Künste, als dessen Kanzler er zeitweise (1959 bis 1963) wirkte. Zudem verlieh ihm die Bundesregierung das Große Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband, und im Jahr 1960 zeichnete ihn die Max-PlanckGesellschaft mit der Harnack-Medaille aus. Erich Kaufmann, der sein letztes Lebensjahrzehnt in Heidelberg verbracht hatte, starb am 5. November 1972 im 93. Lebensjahr in Karlsruhe.

Albrecht

Mendelssohn Bartholdy

Albrecht Mendelssohn Bartholdy kam am 25. Oktober 1874 in Karlsruhe zur Welt und wurde evangelisch getauft.1 Er entstammte einer international bekannten Familie von Bankiers, Gelehrten und Künstlern, die wie kaum eine andere nicht nur die künstlerische und bürgerlich-liberale Tradition des deutschen Geisteslebens, sondern auch die Integration der Juden in die deutsche Gesellschaft verkörperte. Sein Urgroßvater Moses Mendelssohn hatte „dem Gedanken einer Emanzipation der Juden den Weg gebahnt“,2 sein Großvater Felix Mendelssohn Bartholdy sich unauslöschlich in das Musikleben eingeschrieben.3 Seinen Vater Karl Mendelssohn Bartholdy, der in Freiburg eine Professur für Geschichte innehatte, lernte Albrecht Mendelssohn Bartholdy jedoch nur als Kranken kennen, da dieser an einer Variante von Schizophrenie litt und im Mai 1874 in ein psychiatrisches Krankenhaus in Görlitz gebracht wurde. 1876 in eine Schweizer Anstalt 1

2 3

Dieser Beitrag stützt sich auf die grundlegende Forschungsliteratur über Mendelssohn Bartholdy. Zu nennen sind insbesondere folgende Publikationen: die entsprechenden Einträge in NDB, DBE und Catalogus Professorum [Leipzig]; Heinrichs u. a. (Hg.): Juristen, Göppinger: Juristen; Gantzel-Kress: Mendelssohn Bartholdy; dies.: Institut; Kaznelson (Hg.): Juden, S.  381, 626, 959; Lackmann: Mendelssohn Bartholdy; Lorenz/Berkemann: Juden, Bd.  5, Fn 2, S.  670; Löwisch: Mendelssohn Bartholdy; Morstein Marx: Mendelssohn Bartholdy; Nicolaysen: Mendelssohn Bartholdy; ders.: Verfechter; Vagts: Mendelssohn Bartholdy. Zudem wurden folgende Quellen herangezogen: SAH, Hochschulwesen Personalakten, 361-6, I 46, PA Mendelssohn Bartholdy. Nicolaysen: Mendelssohn Bartholdy, S. 5. Zur Geschichte der Familie Mendelssohn (Bartholdy) vgl. Gantzel-Kress: Beitrag; Lackmann: Glück.

Albrecht Mendelssohn Bartholdy

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verlegt, wo ihn der Sohn regelmäßig besuchte, starb Karl Mendelssohn Bartholdy im Jahre 1897.4 So wuchs Albrecht Mendelssohn Bartholdy in einem von Frauen dominierten Haushalt auf und wurde von Großmutter, Großtante und seiner Mutter Mathilde, geborene von Merkl, erzogen.5 Als Kind erhielt er Privatunterricht und wechselte dann zum humanistischen Großherzoglichen Gymnasium in Karlsruhe, wo er 1892 das Abitur ablegte. Trotz seiner Neigung und Begabung zur Musik, Religion und zum literarischen Schreiben studierte Albrecht Mendelssohn Bartholdy von 1892 bis 1897 Rechtswissenschaft in Heidelberg, München und vor allem in Leipzig. Dort besuchte er insbesondere die Lehrveranstaltungen von Karl Heinrich Degenkolb und Adolf Wach. Letzterer galt damals als einer der bedeutendsten Rechtswissenschaftler – er war zudem ein enger Freund von Karl Mendelssohn Bartholdy und hatte dessen Schwester Lili geheiratet.6 Wach war also nicht nur Albrecht Mendelssohn Bartholdys Lehrer, sondern auch sein Onkel. Wach betreute seine 1897 abgeschlossene Dissertation (Beiträge zur Auslegung des § 72 der Civil-Prozess-Ordnung) und seine Habilitationsschrift, die sich mit den Grenzen der Rechtskraft beschäftigte und die Entwicklung sowie die Grundlinien des französischen, angloamerikanischen und deutschen Rechts nachzeichnete. Sie erschien Ende des Jahres 1900 als eigenständige Schrift. Zunächst blieb Albrecht Mendelssohn Bartholdy als Privatdozent mit der Venia Legendi für Zivilprozessrecht, Strafprozessrecht und Internationales Recht an der Leipziger Juristenfakultät und vertrat u. a. seinen erkrankten Lehrer Degenkolb. Wach war und blieb sein Mentor und eine Art Ersatzvater, war er doch zugleich Onkel, Doktor- und Habilitationsvater und seit Frühjahr 1905 auch sein Schwiegervater: Im März 1905 heiratete Albrecht Mendelssohn Bartholdy Dorothea Wach (die meist Dora genannt wurde), seine 1875 geborene Cousine, die Tochter von Adolf Wach und seiner Frau Lili. 1916 bzw. 1920 adoptierten die Mendelssohn Bartholdys zwei kleine Mädchen, Lea und Brigitte. Einen Monat nach der Hochzeit wurde der 30-Jährige zum außerordentlichen Professor in Leipzig ernannt, wenig später erhielt er einen Ruf auf das Ordinariat für Zivilprozessrecht und Bürgerliches Recht an der Universität Würzburg, das er im Oktober 1905 antrat. Er profilierte sich in der Folgezeit vor allem als Spezialist für das englische Recht, da ihn das angelsächsische Verständnis von Recht und Politik sowie der englische Parlamentarismus faszinierten. Er vertiefte sein Wissen durch zahlreiche Studienaufenthalte in England, die sich in entsprechenden Arbeiten niederschlugen, wie beispielsweise den Studien über Englisches Richtertum im Court of Criminal Appeal, Englisches Recht (beide 1909) oder De[n] Kriegsbegriff des englischen Rechts (1915). Bald galt er als der beste Kenner des englischen Rechts in Deutschland. Dies wusste die Universität Würzburg sehr zu schätzen, sodass sie sich bemühte, ihn zu halten, als 1914 bzw. 1917 Rufe nach Frankfurt resp. Göttingen ergingen. So ernannte man ihn zum Königlichen Geheimen Hofrat, erweiterte seinen Interessen entsprechend seine Professur um internationales, ins4 5 6

Vgl. Lackmann: Mendelssohn Bartholdy, S. 21–27. Vgl. Gantzel-Kress: Beitrag, S. 170; Nicolaysen: Mendelssohn Bartholdy, S. 5–7. Zum Verhältnis Wachs zur Familie Mendelssohn Bartholdy und insbesondere zu Albrecht Mendelssohn Bartholdy vgl. Gantzel-Kress: Beitrag, S. 173 f.

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besondere englisches Recht und richtete eine unter seiner Leitung stehende und mit Sondermitteln ausgestattete Abteilung für Englisches Recht am Juristischen Seminar ein. Mendelssohn Bartholdy betätigte sich jedoch nicht nur wissenschaftlich, sondern auch politisch  – etwa in der Deutsch-Englischen Verständigungskommission  – und vor allem künstlerisch. Schon als Student hatte er intensiv am musikalischen und kulturellen Leben der Stadt Leipzig teilgehabt, zudem selbst Gedichte verfasst, Lieder komponiert und Konzerte als Pianist gegeben.7 In Würzburg setzte er seine künstlerische Betätigung fort, musste dort allerdings erst entsprechende Strukturen bzw. Institutionen schaffen. So gehörte er 1912 zu den Mitbegründern der Würzburger Volkskonzerte, übernahm bei einigen Vorstellungen auch persönlich die Klavierbegleitung und veranstaltete das erste Mainfränkische Musikfest, das im Februar 1914 unter der Leitung seines Freundes, des Komponisten und Dirigenten Max Reger, stattfand. Nach dessen Tod im Mai 1916 organisierte Albrecht Mendelssohn Bartholdy 1916/17 die Würzburger Reger-Gedächtniskonzerte und die ersten Reger-Festspiele in Jena. Am Ersten Weltkrieg nahm Mendelssohn Bartholdy nicht als Soldat teil. Als Zivilist half er bei der Suche nach Vermissten und engagierte sich in der Betreuung von Invaliden und insbesondere von Kriegsgefangenen, auch von ausländischen. Dafür kritisierte man ihn öffentlich. Zudem lehrte er weiterhin in Würzburg sowie teilweise auch in Frankfurt und legte einige Publikationen vor, so etwa Der Gegensatz zwischen deutscher und englischer Kriegsauffassung und seine künftige Überwindung im Völkerrecht (1917) oder Bürgertugenden in Krieg und Frieden (1917). Der letztgenannten Veröffentlichung lagen fünf Reden zugrunde, die Albrecht Mendelssohn Bartholdy Ende des Jahres 1916 im Frankfurter Freien Deutschen Hochstift vorgetragen hatte und in denen er Heimatliebe, Rechtlichkeit, Gemeinsinn und Beständigkeit als zentrale Tugenden des Bürgertums beschrieb.8 Darin zeigte sich einmal mehr sein großbürgerlich-intellektuelles Liberalismusverständnis und seine Haltung als Humanist und Pazifist. Seine demokratische Grundüberzeugung  – er sympathisierte parteipolitisch mit der Sozialdemokratie  – durchzog auch seine 1919 vorgelegte Schrift Der Volkswille, in der er die Leitlinien einer demokratischen Verfassung skizzierte, wobei er betonte, dass die parlamentarische Demokratie nur in einem Klima der „Offenheit im Öffentlichen“ gedeihen könne.9 Unter den Professoren gehörte er, so fasste es sein Biograf Rainer Nicolaysen treffend zusammen, zu den „wenigen entschiedenen Verfechtern der Weimarer Demokratie, die er auch auf ausländischen Parketten wirkungsvoll zu repräsentieren wusste“.10 Vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg rief er in Vorträgen 7 8 9 10

Zu seinem künstlerischen Schaffen vgl. Vagts: Mendelssohn Bartholdy, S. 203 f.; Morstein Marx: Mendelssohn Bartholdy, S.  54–56; Lackmann: Mendelssohn Bartholdy, S.  19–21, 55–59. Vgl., auch zum Folgenden, Heinrichs u. a. (Hg.): Juristen, S. 183. Vgl. Gantzel-Kress: Beitrag, S. 172; Vagts: Mendelssohn Bartholdy, S. 209. Heinrichs u. a. (Hg.): Juristen, S. 183. Nicolaysen: Mendelssohn Bartholdy, S. 2.

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und Schriften zu internationaler Verständigung auf und setzte sich dafür ein, Konflikte gewaltfrei durch einen Völkerbund bzw. eine internationale Schiedsgerichtsbarkeit zu regeln. Auch die innenpolitische Demokratisierung war ihm ein Anliegen. Mendelssohn Bartholdy war aufgrund seiner politischen Haltung in der Tat eine Ausnahmeerscheinung unter den Weimarer Gelehrten – ähnlich wie auch der in diesem Buch beschriebene Gustav Radbruch. Seit 1917 gehörte Mendelssohn Bartholdy der „Arbeitsgemeinschaft für Politik des Rechts“ an, der sogenannten Heidelberger Vereinigung, einer Gruppe von Intellektuellen, die sich als Antichauvinisten verstanden und sich zum Ziel gesetzt hatten, gegen den Vorwurf der Kriegsschuld anzugehen. Sie stellten zudem Überlegungen zur Konzeption eines Völkerbundes an und sammelten Argumente für einen „Rechtsfrieden“, den sie klar von einem „Gewaltfrieden“ unterschieden.11 1918 legte er die Publikation Der Völkerbund vor, ein Jahr später erfolgte die Berufung in die deutsche Delegation bei den Versailler Friedensverhandlungen.12 Dort verfasste Mendelssohn Bartholdy im Mai 1919 zusammen mit Hans Delbrück, Max Graf Montgelas und Max Weber das sogenannte Professorengutachten, d. h. die deutschen Alternativvorschläge zu Artikel 231 des Versailler Friedensvertrags, in dem die Alleinschuld Deutschlands für den Ersten Weltkrieg festgehalten worden war. Nun beauftragte man ihn auch gemeinsam mit dem Theologen und Orientforscher Johannes Lepsius und dem Historiker und Leiter der Bibliothek des preußischen Landtags, Friedrich Thimme, mit der Bearbeitung und Herausgabe der Akten des Auswärtigen Amtes zur Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs, die ganz explizit die alliierte Kriegsschuldthese entkräften sollte. Beide Berufungen zeigen, dass Mendelssohn Bartholdy in Deutschland zu den hoch angesehenen und international ausgewiesenen Gelehrten der Weimarer Republik zählte. Seine nun einsetzende Beschäftigung mit der Kriegsursachenforschung, die mit wissenschaftlichen Mitteln eine Friedenspolitik unterstützen wollte, mündete später in die Friedensforschung. Im Editionsvorhaben zu den Akten des Auswärtigen Amtes kamen die wissenschaftlichen Ansätze freilich kaum zum Tragen, eben weil es sich in erster Linie um ein politisch motiviertes Vorhaben handelte. So erwiesen sich die Arbeitsbedingungen als schwierig: Das Auswärtige Amt griff zensierend ein, und die Herausgeber drohten mehrfach mit Rücktritt. Das 40-bändige Werk Die Große Politik der Europäischen Kabinette 1871–1914 erschien zwischen 1922 und 1927 und geriet am Ende eher zu einem „Kompromiß mit der Staatsraison als zu einem Zeugnis schonungsloser wissenschaftlicher Offenlegung“.13 Als die Reihe herauskam, arbeitete Mendelssohn Bartholdy bereits in Hamburg. Bereits während des Ersten Weltkriegs hatte die Freie und Hansestadt Kon11 12 13

Vgl. Vagts: Mendelssohn Bartholdy, S. 208. Vgl., auch zum Folgenden, ausführlich Nicolaysen: Mendelssohn Bartholdy, S. 17–19; Kaznelson (Hg.): Juden, S. 626. Gantzel-Kress: Institut, S. 916; vgl. ähnlich Vagts: Mendelssohn Bartholdy, S. 209–211 und Nicolaysen: Mendelssohn Bartholdy, S.  19; Kaznelson (Hg.): Juden, S.  381; Lackmann: Glück, S.  411 f. Zudem gab Mendelssohn Bartholdy (zeitweise) folgende Bände bzw. Reihen (mit)heraus: Handbuch der Politik, Handbuch des Abrüstungsproblems sowie Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Weltkriegs.

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takt mit ihm aufgenommen, um ihm die Leitung eines zu gründenden Deutschen Instituts für Ausländisches Recht anzubieten. Im Grunde ging es dabei um die Schaffung einer Institution, die die Hamburger Kaufmannschaft in Fragen der ausländischen Kriegsgesetzgebung beraten sollte. Doch der Kriegsverlauf bzw. das Kriegsende machten die Pläne zunichte. Als dann im Mai 1919 die Hamburger Universität gegründet wurde, war in der Juristischen Fakultät das Ordinariat für Zivilrecht, Auslandsrecht und Internationales Privat- und Prozessrecht gleichsam für ihn reserviert, zumindest stand nur sein Name auf der Berufungsliste. Im Sommer 1920 übersiedelte Mendelssohn Bartholdy von Würzburg nach Hamburg, im Wintersemester nahm er die Vorlesungen auf. Der Lehrstuhl war nach seinen Wünschen ausgerichtet und mit außergewöhnlichen Privilegien ausgestattet, um ihn langfristig an Hamburg und an die junge Hochschule zu binden. Zudem fanden die Pläne, ein eigenes Institut zur Erforschung ausländischer Rechtssysteme bzw. zur Kriegsursachenforschung einzurichten, ihre Fortsetzung. Dass sie weiterverfolgt wurden, war unter anderem auch der Grund, weshalb Mendelssohn Bartholdy 1922 einen Ruf an die renommierte Berliner Juristenfakultät ablehnte; hinzu kam sicherlich auch, dass er der Hauptstadt gegenüber einige Vorurteile pflegte, die in der Aussage gipfelten: „Berlin verdirbt den Charakter“.14 In Hamburg entstand mit dem 1921 eröffneten Archiv für Friedensverträge ein erstes Provisorium der geplanten Institution. Untergebracht war es auf dem Kösterberg-Anwesen der Familie Warburg in Blankenese, wo auch die Familie Mendelssohn Bartholdy zunächst wohnte (später zogen sie nach Ohlstedt). Aus dem Archiv ging das im Winter 1923 mit einem Festakt offiziell eröffnete und in der Hamburger Innenstadt eingerichtete Institut für Auswärtige Politik hervor, das unter seinem Direktor Mendelssohn Bartholdy einen Beitrag zur Aufklärung der Kriegsursachen und zur Wiederherstellung gleichrangiger wissenschaftlicher Auslandsbeziehungen leisten sollte. Als Organ des Instituts diente die Zeitschrift Europäische Gespräche. Hamburger Monatshefte für auswärtige Politik, die Paul Marc redaktionell betreute. Da das Institut eng mit der Person Mendelssohn Bartholdys verbunden war, etablierte sich in der Stadt bald die Bezeichnung „das Mendelssohn-Institut“.15 Die Einrichtung war als selbstständiges Forschungsinstitut konzipiert,16 das als rechtsfähige Stiftung unter der Aufsicht des Hamburger Senats in der Hamburger Universität eine Sonderstellung einnahm. Mendelssohn Bartholdy leitete es ehrenamtlich und in Personalunion mit seinem Lehrstuhl; die Finanzmittel kamen überwiegend, aber nicht ausschließlich aus staatlichen Mitteln. So finanzierte die 14 15 16

Die Aussage wird vielfach zitiert, z. B. von Lackmann: Mendelssohn Bartholdy, S. 17, der dort den Hintergrund ausführlich erläutert. Vgl. Vagts: Mendelssohn Bartholdy, S.  211; Nicolaysen: Mendelssohn Bartholdy, S.  22; Lackmann: Glück, S. 420. Zum Institut und zum Folgenden vgl. Gantzel-Kress: Institut; Lackmann: Mendelssohn Bartholdy, S. 33–36. Zur Gründung vgl. den Briefwechsel zwischen Mendelssohn Bartholdy und der Hamburger Universitätsverwaltung, SAH, Hochschulwesen, 361-6, I 46, PA Mendelssohn Bartholdy, Bd. 2, Bl. 46–53 sowie insbesondere die Vereinbarung vom 6.12.1922, ebd., Bl. 53.

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Stadt Hamburg die Mitarbeiterstellen, während einige Wissenschaftsorganisationen und Privatpersonen, etwa die Bankiersfamilie Warburg, den Sachetat stellten. Wissenschaftsgeschichtlich handelte es sich um das erste politikwissenschaftliche Forschungsinstitut in Deutschland und damit um einen institutionellen Vorläufer für die erst nach dem Zweiten Weltkrieg an den deutschen Universitäten sich entwickelnde Politikwissenschaft, zudem um eine der ersten Institutionen der Friedensforschung überhaupt. Ähnliche Institutionen entstanden zeitgleich in England und den USA. Das Hamburger Institut unterschied sich von diesen allerdings durch die implizit vorhandene Erwartung, mit der dort betriebenen Forschung die Kriegsschuldthese wissenschaftlich widerlegen zu können.17 Vom liberal-demokratischen Denken inspiriert und aus den gesellschaftlichen Reformansätzen nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs hervorgegangen, war die Arbeit des Instituts auch von der Hoffnung getragen, man könne durch politische Bildung einen Beitrag zur Erziehung der Bürgerinnen und Bürger leisten, gleichsam von Untertanen zu mündigen Staatsbürgern. Ganz ähnliche Ziele verfolgte die 1920 gegründete Deutsche Hochschule für Politik in Berlin, mit der das Hamburger Institut in Kontakt stand, auch wenn die Schwerpunkte in Berlin nicht wie in Hamburg auf der Forschung, sondern auf der Bildung lagen. Auch zu dem 1926 gegründeten Berliner Institut für ausländisches und internationales Privatrecht der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft bestanden Verbindungen, zumal Mendelssohn Bartholdy mit dessen Leiter Ernst Rabel, der ebenfalls in diesem Buch vorgestellt wird, befreundet war. Mendelssohn Bartholdy galt seit seiner Würzburger Zeit als der beste Kenner des anglo-amerikanischen Rechtssystems und interessierte sich in den 1920er Jahren zudem für rechtspolitische Fragen, etwa für die nun viel diskutierte Reform des Zivilprozesses18 oder das Urheberrecht.19 Zu einem seiner wichtigsten Themen aber wurde das Verhältnis von Recht und Frieden, das für ihn in einem unauflöslichen Zusammenhang stand. In Hamburg avancierte er durch seine rege nationale und internationale publizistische und Vortragstätigkeit zu einem bekannten Repräsentanten und Verteidiger der Weimarer Demokratie. Ende der 1920er bis Anfang der 1930er Jahre reiste er häufiger in die Vereinigten Staaten, und zwei amerikanische Universitäten, Harvard und Chicago, zeichneten ihn mit der Ehrendoktorwürde aus. Er selbst gab seiner Amerika-Sympathie unter anderem dadurch Ausdruck, dass er die Hamburger Gesellschaft der Freunde der Vereinigten Staaten gründete, die die Zeitschrift Hamburg-Amerika-Post herausgab.20 Außerdem sorgte er für die Errichtung der sogenannten Amerika-Bibliothek, einer Spezialbibliothek für amerikanisches Recht und politische Wissenschaft im Rechtshaus der Universität, die im Sommer 1931 Eröffnung feierte. Auf dem 17 18 19 20

Vgl. Heiber: Universität, Teil II, Bd. 1, S. 101. Vgl. Heinrichs u. a. (Hg.): Juristen, S. 183; Morstein Marx: Mendelssohn Bartholdy, S. 54. So gab er seit 1928 mit Otto Opet und Julius Magnus die in jenem Jahr gegründete Zeitschrift Archiv für Urheber-, Film- und Theaterrecht heraus. Vgl. Heinrichs u. a. (Hg.): Juristen, S. 202; Göppinger: Juristen, S. 382. Vgl. Vagts: Mendelssohn Bartholdy, S. 221 f.; Nicolaysen: Mendelssohn Bartholdy, S. 25.

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Höhepunkt seiner Karriere und seines Schaffens lehnte er verschiedene auswärtige Rufe und Berufungsanfragen ab, bot ihm Hamburg doch hervorragende und ganz auf ihn zugeschnittene Arbeitsbedingungen. Er selbst aber verstand sich nicht als Hamburger, sondern vielmehr „als im umfassenden Sinne Liberaler, als Europäer in weltbürgerlicher Absicht, doch zugleich als deutscher Patriot“.21 Die Reichsregierung ernannte ihn aufgrund seines Renommees 1925 zum ersten deutschen Richter am Internationalen Schiedsgericht in Den Haag, das mit der Auslegung des Dawes-Plans bzw. seit 1929 des Young-Plans beauftragt worden war,22 und entsandte ihn 1931 in die Bundesversammlung des Völkerbundes. Seit Mitte der 1920er Jahre gehörte Mendelssohn Bartholdy auch der Berliner Notgemeinschaft als Gremienmitglied an. Im Fachausschuss Jurisprudenz kümmerte er sich vor allem um Anträge aus den Bereichen Rechtsangleichung, Rechtstatsachenforschung einschließlich internationalem Recht sowie Auslandsrecht. 1925 zunächst als Fachgutachter kooptiert, wurde er in den beiden folgenden Fachausschusswahlen von der Fachcommunity im Amt bestätigt. 1929 avancierte er zudem zusammen mit DFG-Präsident Friedrich Schmidt-Ott zum Mitglied des deutschen Rhodes-Komitees, das diejenigen deutschen Studierenden auswählte, die ein Studienstipendium in Oxford erhielten.23 Er selbst hatte seit 1921/22 von der Forschungsförderung profitiert: Die Berliner Notgemeinschaft hatte Mittel zum Druck der Rheinischen Zeitschrift für Zivil- und Prozeßrecht gewährt, die von unterschiedlichen Herausgebern beantragt worden waren, so zunächst von Adolf Wach, dann von Mendelssohn Bartholdy und seinem Hamburger Kollegen Maximilian Pagenstecher sowie von Ernst Rabel.24 Allerdings lehnte der Fachausschuss im Frühjahr 1926 einen Antrag Mendelssohn Bartholdys auf einen Druckkostenzuschuss für die Verkürzte Ausgabe der Aktensammlung des Auswärtigen Amtes mit der Begründung ab, dass es nicht Sache der Notgemeinschaft sei, „Ausgaben dieser Art“ zu unterstützen.25 Die Notgemeinschaft bewilligte aber Druckkosten für die in der Reihe Beiträge zum Zivilprozess erscheinende und von Mendelssohn Bartholdy betreute Habilitationsschrift Klagbarkeit, Prozessanspruch und Beweis im Licht des internationalen Rechts von Magdalene Schoch. Seiner Ansicht nach handelte es sich um „eine ganz aussergewöhnliche Leistung, die auch dem Ansehen der deutschen Wissenschaft im Ausland zugute kommen wird, da sie das Problem der Qualifikation zum ersten Mal sowohl für die Scheidung von materiellem Recht und Prozessrecht, als auch für die Lehre vom öffentlich-rechtl. Prozessan-

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Nicolaysen: Mendelssohn Bartholdy, S. 2. Vgl. auch Gantzel-Kress: Institut, S. 917; Lackmann: Mendelssohn Bartholdy, S. 36–40. Zur Europa-Konzeption Mendelssohn Bartholdys vgl. Duve: Mendelssohn Bartholdy; Vagts: Mendelssohn Bartholdy, S. 214 f. Vgl. Brief Mendelssohn Bartholdy an die Hochschulbehörde vom 30.7.1925, SAH, Hochschulwesen, 361-6, I 46, PA Mendelssohn Bartholdy, Bd. 1, Bl. 10. Vgl. Brief Mendelssohn Bartholdy an die Hochschulbehörde vom 25.9.1919, SAH, Hochschulwesen, 361-6, I 46, PA Mendelssohn Bartholdy, Bd. 4, Bl. 5. Vgl. BArch, R 1501/116318 sowie Datenbank DFG-Geschichte. Vgl. Brief Notgemeinschaft an das Mecklenburg-Schwerinsche Ministerium für Unterricht vom 15.9.1926, SAH, Hochschulwesen, 361-6, I 46, PA  Mendelssohn Bartholdy, Bd.  1, Bl. 45.

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spruch nutzbar macht“.26 Mendelssohn Bartholdy hatte bereits früh und öffentlich die bürgerliche Frauenbewegung unterstützt, sich etwa für das Frauenwahlrecht eingesetzt, die Propaganda gegen die Suffragetten bekämpft und zudem Studentinnen besonders gefördert. So holte er Schoch, die bereits in Würzburg Vorlesungen bei ihm gehört hatte, als seine Lehrstuhlassistentin nach Hamburg. Schoch, die das Institut mit aufbaute und an den Zeitschriften Europäische Gespräche und Hamburg-Amerika-Post mitarbeitete, war schließlich die erste Frau, die in der hamburgischen Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät habilitierte.27 Bereits in den 1920er und frühen 1930er Jahren war Mendelssohn Bartholdy antisemitisch motivierten Angriffen ausgesetzt. Als ihn die Universität Bonn 1925 an die Juristische Fakultät berufen wollte, protestierte beispielsweise der dort lehrende Staatsrechtler Carl Schmitt mit einem Sondergutachten, sodass eine Kampfabstimmung nötig wurde, die gegen Mendelssohn Bartholdy ausfiel. In seinem Tagebuch nannte Schmitt seinen Kollegen einen „widerlichen, feigen, dilettantischen Juden“ und „Schöngeist“.28 Mendelssohn Bartholdy selbst machte keinen Hehl daraus, aus einer jüdischen Familie zu stammen, war im Gegenteil stolz auf diese. So eröffnete er beispielsweise die erste Hauptversammlung der Deutschen Vereinigung des Weltbundes für internationale Freundschaftsarbeit der Kirchen 1931 mit einer persönlichen Ansprache, in der er darauf verwies, dass er kein „sogen. hundertprozentiger evangelischer Christ“ sei. Auf „seine jüdischen Vorfahren sei er ebenso stolz wie andere auf die ihren; ihre Herabsetzung empfinde er als Beleidigung, gegen die er sich stets wenden werde. Gleicher Stolz beseele ihn im Hinblick auf seine evangelischen Voreltern, die einst der reformierten Gemeinde in Frankfurt a. M. angehört hätten und deren Nachkommen als evangelische Theologen im Badischen wirkten.“29 Auch Teile der Hamburger Studenten griffen ihn an. Als er 1932 gegen den Rechtsruck und die NS-Orientierung vieler Studenten öffentlich Stellung nahm, indem er den „Geist der nationalen Jugend, die nach Aufrüstung und neuen Kriegen schreit“, geißelte, protestierte der AStA, der sich mehrheitlich aus Nationalsozialisten und Korporierten zusammensetzte. Rektor Albert Wigand nahm jedoch nicht ihn in Schutz, sondern den AStA.30

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Mendelssohn Bartholdys Stellungnahme wurde in der HA-Liste zitiert, HA-Liste 4/1932– 1933, BArch R 73/116, fol. 106. Zur Biografie von Schoch vgl. Nicolaysen: Recht; Stiefel/Mecklenburg: Juristen, S.  145 f.; Gantzel-Kress: Institut, Fn.  51, S.  936. Zum Verhältnis beider vgl. auch Morstein Marx: Mendelssohn Bartholdy, S. 53 f.; Lackmann: Mendelssohn Bartholdy, S. 57–59. So Schmitts Tagebucheintrag vom 24.11.1925, zit. nach: Nicolaysen: Mendelssohn Bartholdy, S. 25. So zitierten die Hamburger Nachrichten vom 2.6.1931 Mendelssohn Bartholdy. Eine Ausgabe mit dem Artikel „Verquickung der Völker“ befindet sich in SAH, Hochschulwesen, 361-6, I 46, PA Mendelssohn Bartholdy, Bd. 5. Vgl. auch Lackmann: Glück, S. 413. Bericht Hamburger Echo vom 22.6.1932, SAH, Hochschulwesen, 361-6, I 46, PA  Mendelssohn Bartholdy, Bd. 5. Dort sind auch verschiedene andere Zeitungsartikel gesammelt, die über die Auseinandersetzung berichten.

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Die „Machtergreifung“ erlebte Mendelssohn Bartholdy nicht in Hamburg, sondern in den USA, wo er sich anlässlich einer längeren Vortragsreise aufhielt. Um Stellungnahme zu den Ereignissen in Deutschland gebeten, warnte er jedoch nicht vor den Nationalsozialisten, sondern versuchte, die „amerikanische öffentliche Meinung darüber aufzuklären, daß die Reichsregierung die Lage durchaus bemeistert und daß die Greuelmeldungen ausnahmslos lächerliche Erfindungen“ seien.31 „In Bezug auf die Aussenpolitik habe ich“, so berichtete er dem Auswärtigen Amt im März 1933, „besonders darauf insistiert, dass sie keine Abenteuer sucht, keinen Krieg provoziert, bemerkenswerte Kontinuität“ habe.32 Nach Deutschland zurückgekehrt, nahm Mendelssohn Bartholdy die Wahl zum Fachgutachter der Berliner Notgemeinschaft an, die im Frühjahr stattgefunden und zu der ihn die Vereinigung deutscher Zivilprozessrechtslehrer als Kandidaten vorgeschlagen hatte.33 Ganz offenbar ging er wie viele davon aus, dass der Nationalsozialismus eine schnell vorübergehende Erscheinung sei. Hinzu kam sein fast „irrationaler Glaube an die Vernunft“, der „einer Art Realitätsbeschwörung“ gleichkam.34 Er jedenfalls konnte die Irritationen, die seine Äußerungen in den USA ausgelöst hatten, nicht nachvollziehen. Sehr schnell wurde dann jedoch deutlich, dass die neuen Machthaber ihn nicht länger dulden würden, galt er doch in nahezu jeglicher Hinsicht als NSGegner: als Repräsentant der Weimarer Republik, als Demokrat, als Pazifist und anglophiler Friedensforscher und als „Nichtarier“. Im August 1933 teilte ihm der Präses der Landesunterrichtsbehörde mit, dass seine Versetzung in den Ruhestand nach § 6 des sogenannten Berufsbeamtengesetzes beabsichtigt sei; er habe drei Tage Zeit, sich dazu zu äußern. Dies tat Mendelssohn Bartholdy nicht.35 Er wurde beurlaubt und zum 31. Dezember 1933 zwangsweise in den Ruhestand versetzt. Gleichzeitig erfolgte die Exklusion aus den wissenschaftlichen Fachgesellschaften und -zeitschriften. So forderte Otto Koellrutter, Parteigenosse und Mitherausgeber des renommierten Archivs für öffentliches Recht, ihn „unter Hinweis auf arische Prinzipien“ aus dem Herausgeberkreis zu entlassen.36 Der dort ebenfalls tätige Heinrich Triepel (auch er wird in diesem Buch beschrieben) protestierte, äußerte sein Missfallen über die Behandlung Mendelssohn Bartholdys und warnte den Verleger: „Ich fürchte, dass die Konzession, die Sie machen zu müssen glauben, der erste Schritt auf einer abschüssigen Bahn sein wird. Es werden noch andere Zumutungen kommen, die dann freilich die Mehrzahl der Herausgeber 31 32 33 34 35 36

Bericht der Hamburger Nachrichten vom 29.3.1933, SAH, Hochschulwesen, 361-6, I 46, PA Mendelssohn Bartholdy, Bd. 5. Brief Mendelssohn Bartholdy an das Auswärtige Amt vom 23.3.1933, SAH, Hochschulwesen, 361-6, I 46, PA Mendelssohn Bartholdy, Bd. 1, Bl. 73. Vgl. Brief Mendelssohn Bartholdy an die Notgemeinschaft vom 1.6.1933, BArch, R 73/130, Bl. 172. Gantzel-Kress: Institut, S. 917. Vgl. ähnlich auch Vagts: Mendelssohn Bartholdy, S. 222 f.; Lackmann: Mendelssohn Bartholdy, S. 50 f. Vgl. den Brief des Präses der Landesunterrichtsbehörde, Abteilung Hochschulwesen, an Mendelssohn Bartholdy vom 23.8.1933, SAH, Hochschulwesen, 361-6, I 46, PA Mendelssohn Bartholdy, Bd. 6, Bl. 74. Gassner: Triepel, S. 166. Zum Folgenden vgl. ebd., S. 166 f.; Stolleis: Geschichte, S. 301–303.

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nicht mehr wird mitmachen können.“37 Bereits einige Jahre zuvor hatte es eine ähnliche Situation gegeben. Als Mendelssohn Bartholdy 1926 wegen einer von ihm als nachteilig empfundenen Änderung des Titelblatts seinen Rücktritt ankündigte, bat Triepel ihn eindringlich, Herausgeber zu bleiben, damit die Neutralität der Zeitschrift gewahrt werden könne. „Gerade in der Gegenwart“ könnte, so schrieb Triepel, „Ihr Ausscheiden auch politisch in einem falschen Sinne gedeutet werden […], so etwa, als ob in politischer Beziehung das Archiv einen Frontwechsel vornehmen wollte. Ich habe mich immer bemüht, […] das Archiv in seiner politischen Haltung so neutral wie möglich zu halten, und dass Ihr Name auf dem Titelblatt mit Männern anderer Richtung verbunden war, gab davon Zeugnis.“38 1926 hatte sich Mendelssohn Bartholdy überzeugen lassen, 1933 hing die Entscheidung nicht von ihm ab, sondern er wurde ausgeschlossen. Nach 30  Jahren endete seine Mitarbeit im Sommer 1933. Ihn kränkte insbesondere, dass sich Verleger Oscar Siebeck, mit dem er jahrzehntelang fast freundschaftlich verbunden war, dem Druck beugte. Nicht diesem teilte er daher seinen Rücktritt mit, sondern Triepel: „Zwölf Pfennige ist mir Herr Dr. Siebeck wirklich nicht mehr wert“.39 Ein halbes Jahr später trat er nach einem ebenso langwierigen wie verletzenden Intrigenspiel auch von der Leitung seines Hamburger Instituts zurück.40 Auch seine Versuche, die Stellen der ebenfalls betroffenen Mitarbeiter zu retten, scheiterten. Tief verletzten ihn die Reaktionen der allermeisten Kollegen bzw. das Ausbleiben derselben: „Was er mit am peinlichsten verspürte, war […] die ihm von den juristischen Kollegen gezeigte kalte Schulter.“41 Vor der Zerschlagung seines Lebenswerks stehend und seiner materiellen Existenzgrundlagen beraubt, wandte sich Mendelssohn Bartholdy im November 1933 an William E. Dodd, den amerikanischen Botschafter in Berlin. Dieser hielt in seinem Tagebuch fest, er „begreife nicht, wieso die Hitlerregierung es sich leisten kann, ihn zu entlassen“, und versuchte zu helfen, indem er an das New Yorker Carnegie-Institut schrieb und um Unterstützung bat.42 Zudem half die Verwandtschaft: Adolf Wach bot an, dass die Familie in seinem Landhaus in der Schweiz wohnen könnte, bis sich für den Schwiegersohn ein Erwerb als Schriftsteller würde finden lassen.43 Dann jedoch zeichnete sich ab, dass Mendelssohn 37 38 39 40 41 42 43

Brief Triepel an Siebeck vom 22.7.1933, zit. nach: Gassner: Triepel, S. 167. Brief Triepel an Mendelssohn Bartholdy vom 19.12.1926, zit. nach: Gassner: Triepel, S. 166. Brief Mendelssohn Bartholdy an Triepel vom Juli 1933, zit. nach: Gantzel-Kress: Institut, Fn. 26, S. 934. Vgl. auch Stolleis: Geschichte, S. 302. Vgl. ausführlich Gantzel-Kress: Institut, S. 918–921. Zur weiteren Geschichte des 1937 nach Berlin verlegten Instituts vgl. ebd., S. 923–927; Heiber: Universität, Teil II, Bd. 1, S. 101; Stolleis: Geschichte, S. 395. Alfred Vagts: Erinnerungen an Mendelssohn Bartholdy, o. D. [1968], FZG, LBI, Kleine Sammlung, AR 3505, VII, S. 34. Einige wenige Briefe von Kollegen, die sich an ihn wandten, werden von Gantzel-Kress: Institut, Fn. 28, S. 934, genannt bzw. zitiert. Dodd: Diplomat, S. 77. Dies geht aus einem Antrag Mendelssohn Bartholdys hervor, der der Landesunterrichtsbehörde vorlag. Vgl. Bericht vom 17.2.1934, SAH, Hochschulwesen, 361-6, I 46, PA Mendelssohn Bartholdy, Bd. 6, Bl. 82.

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Bartholdy weiter als Wissenschaftler würde arbeiten können. Das Angebot, ein Senior Fellowship anzutreten, kam nicht von einer amerikanischen Hochschule (er vermutete, weil man ihm in den USA seine Äußerungen vom Frühjahr 1933 nicht verzieh44), sondern von der Universität in Oxford. Zum 1. Oktober 1934 übernahm Mendelssohn Bartholdy ein Stipendium für Arbeiten auf dem Gebiet des internationalen Privatrechts am Balliol College. Die Stelle umfasste keine Lehrverpflichtung und wurde vom College sowie vom Cecil Rhodes Trust finanziert. Die Familie lebte in Clifton Hampden, einem kleinen Ort nahe Oxford. In der Folgezeit versuchte Mendelssohn Bartholdy, seine Forschung wieder aufzunehmen, beschäftigte sich mit dem Verhältnis der deutschen Gesellschaft zum Krieg, reiste 1936 erneut in die USA und engagierte sich nach wie vor in der Forschungsförderung. So gehörte er – wie schon seit Langem – auch weiterhin dem Auswahlausschuss der Rockefeller Foundation an, der die Stipendiaten in den Sozialwissenschaften auswählte, und korrespondierte gelegentlich auch noch mit der Forschungsgemeinschaft.45 Zudem versuchte er, anderen aus Deutschland bzw. von der Hochschule vertriebenen Kollegen zu helfen, wie etwa dem ebenfalls in diesem Buch vorgestellten Gustav Radbruch. Radbruch konnte auf seine Vermittlung hin seit April 1935 für ein Jahr am University College in Oxford arbeiten.46 Deutlich war aber auch, dass Albrecht Mendelssohn Bartholdy in England kein Neuanfang gelang. Im regen Briefwechsel etwa mit seinem früheren Hamburger Mitarbeiter Alfred Vagts, der 1933 in die USA emigriert war, versuchte er das, was ihm in Deutschland angetan worden war, in irgendeiner Form zu verarbeiten. Vagts hielt in seinem Tagebuch fest, dass Mendelssohn Bartholdy „voller Erzählungen, viel Muffiges darunter [aus] seiner letzten Hamburger Zeit“ gewesen sei, „wo ihn alle – mit Ausnahme von Schoch – im Stich gelassen haben“.47 Zudem hätte er „Heimweh im Herzen, Heimweh bis zurück in die Schuljahre in Karlsruhe“ gehabt.48 Die Zerstörung seines Lebens(werks) ließ sich nicht überwinden. Am 26. November 1936 starb Alfred Mendelssohn Bartholdy. Sein Tod an Magenkrebs im Alter von 62 Jahren kam für die engeren Freunde überraschend.49 Er starb, so nannten sie es, einen „vorzeitigen Tode“,50 „weil er die innere Verwun-

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Vgl. Brief Mendelssohn Bartholdy an Vagts vom 3.6.1934, FZG, LBI, Kleine Sammlung, AR 3505,II, 9/1. Vgl. Brief Mendelssohn Bartholdy an Fehling vom 10.9.1934, zit. nach: Mertens: Würdige, S. 171. Vgl. auch ebd., Fn. 84 S. 83. Vgl. den Beitrag über Gustav Radbruch in diesem Buch, S. 55–66. Tagebucheintragung Vagts vom 26.4.1935, FZG, LBI, Kleine Sammlung, AR 3505,II,20/2. Vgl. auch den dort gesammelten Briefwechsel zwischen Mendelssohn Bartholdy und Vagts aus den Jahren 1935 und 1936. Alfred Vagts: Erinnerungen an Mendelssohn Bartholdy, o. D. [1968], FZG, LBI, Kleine Sammlung, AR 3505,VII, S. 41. Vgl. Nicolaysen: Mendelssohn Bartholdy, S. 28; Vagts: Mendelssohn Bartholdy, S. 225. Alfred Vagts: Erinnerungen an Mendelssohn Bartholdy, o. D. [1968], FZG, LBI, Kleine Sammlung, AR 3505,VII, S. 42.

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dung nicht zu überleben“ vermochte,51 „sich verzehrend im Warten auf Hitlers Sturz von innen oder außen“.52 An seiner Beerdigung nahm aus Hamburg allein Magdalene Schoch teil, die die Reise trotz der Androhung, sie riskiere damit ihre Stellung, unternommen hatte. Wenig später gab sie ihre Stellung in Hamburg auf und entschied sich für ein ungewisses Exil in den USA.53 Auch Dora Mendelssohn Bartholdy kehrte nicht nach Deutschland zurück. Sie lebte bis zu ihrem Tode im August 1949 in Oxford. Eines jedoch konnte der Nationalsozialismus Mendelssohn Bartholdy nicht nehmen: sein Werk, die über 450 Veröffentlichungen, welche die Forschung kurz-, mittel- und langfristig prägten. Sein letztes Buch, The War and German Society, erschien 1937 posthum in New York als letzter Band der seinerzeit von Mendelssohn Bartholdy betreuten Serie der internationalen Buchreihe Economic and Social History of the World War. Der Herausgeber der Gesamtreihe gab dem Buch den sprechenden Untertitel The Testament of a Liberal.54

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Morstein Marx: Mendelssohn Bartholdy, S. 53. Gantzel-Kress: Institut, S. 917. Vgl. Stiefel/Mecklenburg: Juristen, S. 146, sowie ausführlich Nicolaysen: Recht, S. 11–18. Vgl. Nicolaysen: Mendelssohn Bartholdy, S. 30. Ähnlich auch Morstein Marx: Mendelssohn Bartholdy, S. 59; Vagts: Mendelssohn Bartholdy, S. 225; Lackmann: Glück, S. 486; ders.: Mendelssohn Bartholdy, S. 60–64.

Arthur

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Arthur Nußbaum wurde am 31. Januar 1877 in Berlin geboren und gehörte, ebenso wie seine Eltern Bernhard und Bernadine Nußbaum, der israelitischen Glaubensgemeinschaft an.1 Er besuchte in seiner Geburtsstadt die Schule, schloss 1894 das Friedrichs-Werder-Gymnasium mit der Reifeprüfung ab und studierte dann in Berlin Rechtswissenschaft. 1897 legte er das Referendarexamen ab und trat im Dezember desselben Jahres als Referendar in den preußischen Justizdienst ein. Gleichzeitig setzte er seine Studien fort, die 1898 in die Promotion mündeten. In der Dissertation, die er seinen Eltern widmete, beschäftigte sich Nußbaum mit dem Thema Haftung für Hülfspersonen nach gemeinem und Landesrecht.2 Nach der Promotion arbeitete er als Rechtsanwalt und unterzog sich 1904 zudem dem Assessorexamen. Zwei Jahre später, als sich seine berufliche Position zu etablieren begann, gründete er eine Familie und heiratete Gertrude Eyck; ihre drei Töchter kamen zwischen 1907 und 1914 zur Welt. Kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs habilitierte sich Nußbaum an der Berliner Universität und lehrte seitdem als Privatdozent Handels-, Bank- und Börsenrecht, ohne jedoch seine Tätigkeit als selbstständiger Rechtsanwalt mit eigener Praxis aufzugeben. Als im Juni 1914 der Rektor der Handelshochschule Berlin 1

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Zu seiner Biografie, seiner Vertreibung und zum Folgenden vgl. die entsprechenden Einträge in NDB und DBE; zudem Cheatham u. a.: Nussbaum; Domke: Nussbaum; ders.: In Memoriam; Ehrenzweig: Nussbaum; Göppinger: Juristen, S. 306; Hopt: Nußbaum; Kaznelson (Hg.): Juden, S. 639; Mann: Nußbaum; Stiefel/Mecklenburg: Juristen, S. 62–64; Verfolgte Berliner Wissenschaft, S. 128; und UAHU-B, PA Nußbaum. Vgl. Nußbaum: Haftung.

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anfragte, ob er vertretungsweise Vorlesungen übernehmen könne, zögerte Nußbaum aufgrund seiner großen Arbeitsbelastung: Er sei als Anwalt sowie Gutachter tätig und müsse zudem seinen „literarischen Verpflichtungen“ nachkommen.3 Letztendlich ließ er sich dann aber doch umstimmen und nahm die zusätzliche Lehrtätigkeit auf. Am Ersten Weltkrieg nahm er nicht als aktiver Soldat teil, sondern setzte seine berufliche Tätigkeit fort. Die politische Lage bezog er allerdings in seine Lehre ein. So hielt er etwa im Sommersemester 1916 eine Vorlesung über Hypothekenwesen unter Berücksichtigung der Kriegsverhältnisse.4 Von Beginn seiner Laufbahn an war Nußbaum in gleichem Maße praktisch wie wissenschaftlich tätig und versuchte daher, die Praxis mit der Theorie zu verbinden. Dies zeigte sich bereits in seinen frühen Publikationen, die er nach der Promotion verfasste – darunter auch kriminalpsychologische Skizzen – oder in dem bekannt gewordenen Aufsatz Neuere Entwicklungen und Aufbau des Schiedsgerichtswesens in der Zeitschrift für deutschen Zivilprozess. Es ging ihm darum, seine in der Praxis gewonnenen Erfahrungen zu reflektieren und in einen wissenschaftlichen Kontext zu stellen. Die Wendung zur Empirie ist nicht allein für ihn charakteristisch, sondern zeichnete viele jüdische Rechtswissenschaftler nach der Jahrhundertwende aus.5 Viel Beachtung fand Nußbaums 1913 erschienenes Lehrbuch Deutsches Hypothekenwesen, das er einige Jahre später nochmals völlig überarbeitete und unter dem Titel Lehrbuch des Deutschen Hypothekenwesens nebst einer Einführung in das Allgemeine Grundbuchrecht neu herausgab.6 Auch dieses Lehrbuch bezog das praktische Rechts- und Wirtschaftsleben mit ein. Nach Nußbaums Verständnis trug nur ein Zusammengehen von Theorie und Praxis den sich verändernden Bedingungen des Rechtslebens Rechnung. Und so formulierte er in der Vorrede zum Hypothekenlehrbuch ganz programmatisch: „Das vorliegende Buch ist aus dem Wunsch hervorgegangen, einen praktischen Beitrag zur Reform des juristischen Unterrichts zu liefern. Trotz allen Methodenstreits ist man sich im wesentlichen darüber einig geworden, daß der Jurist seinen Aufgaben mit den Mitteln, die ihm Dogmatik und Konstruktion an die Hand geben, nicht mehr gerecht zu werden vermag; es bedarf auch einer gründlichen Kenntnis der wirtschaftlichen und sonstigen tatsächlichen Verhältnisse, soweit sie das Recht berühren.“7 Im Laufe der Zeit entwickelte Nußbaum einen eigenen Ansatz, für den er den Begriff „Rechtstatsachenforschung“ prägte. Die grundlegende Schrift erschien 1914: Die Rechtstatsachenforschung. Ihre Bedeutung für Wissenschaft und Unterricht. Dort führte er einleitend aus, Rechtstatsachenforschung sei „die systematische Untersuchung der sozialen, politischen und anderen tatsächlichen Bedingungen, 3 4 5 6 7

Brief Nußbaum an den Rektor der Handelshochschule Berlin vom 18.6.1914, UAHU-B, PA Nußbaum. Vgl. die entsprechenden Unterlagen in UAHU-B, PA Nußbaum. Vgl. Heinrichs u. a. (Hg.): Juristen, S. 173. Vgl. Nußbaum: Hypothekenwesen. Zum Buch vgl. auch Nörr: Zwischen, S. 73–77; Cheatham u. a.: Nussbaum, S. 2. Die überarbeitete Version erschien 1921, 1929 wurde das Buch ins Spanische übersetzt. Nußbaum: Hypothekenwesen (1913), Vorrede, S. V.

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auf Grund derer einzelne rechtliche Regeln entstehen, und die Prüfung der sozialen, politischen und sonstigen Wirkungen jener Normen“.8 Heutzutage wird die Rechtstatsachenforschung leicht modifiziert definiert als „angewandte empirische Rechtssoziologie auf dem Gebiete des gesamten Zivilrechts einschließlich des dazugehörigen Verfahrens“.9 Mit Nußbaums Rechtstatsachenforschung begann, so ist von heute aus zu sehen, „ein neues Kapitel der deutschen Jurisprudenz“, da der Ansatz „eine soziologisch und wirtschaftlich untermauerte Rechtslehre“ einführte, die sich gegen die etablierte Dogmatik stellte.10 Der Gedanke, „daß die Praxis, das ‚Rechtswesen‘, die Entwicklung des Rechts zu gestalten vermag und daß umgekehrt das Recht eben diesen Bedürfnissen der Praxis sich anzupassen hat“,11 brachte eine grundlegende Neuerung, sodass die Rechtstatsachenforschung auch als „genialer Auftakt zur neuen Zeit des Rechtsrealismus“ angesehen12 und Nußbaum als einer der ersten deutschen Rechtssoziologen bezeichnet wird.13 Auch wenn Nußbaum die Rechtstatsachenforschung nicht als Ersetzung, sondern als Ergänzung der juristischen Dogmatik verstand,14 so grenzte er sich von jener doch klar ab. So schrieb er 1919 im Vorwort zu einer Studie über Das Nießbrauchrecht des BGB unter den Gesichtspunkten der Rechtstatsachenforschung: „Was wir in Lehrbüchern, Kommentaren, Monographien […] finden, ist zu einem beträchtlichen Teile gegenstandslos und überflüssig, während die für das Leben wirklich wichtigen Dinge durchweg zu kurz kommen […]. Nur die Erforschung der Rechtswirklichkeit kann dazu verhelfen, den ungeheuren Ballast, den die dogmatische Rechtslehre mit sich führt, endlich als solchen zu erkennen und seinem verdienten Schicksal zu überliefern“.15 Die Rechtstatsachenforschung lieferte so auch und gerade wichtige Erkenntnisse für diejenigen, die in der Praxis standen, wie etwa Richter bzw. Politiker. Diese fragten Nußbaum gelegentlich auch unmittelbar um Rat oder zogen ihn bei Entscheidungen und Gesetzesvorbereitungen hinzu. In den folgenden Jahren entwickelte Nußbaum seinen Ansatz fort, zum einen durch eigene Veröffentlichungen, zum anderen indem er entsprechende Untersuchungen anregte und für deren Publikation sorgte. So eröffnete er die Reihe Beiträge zur Kenntnis des Rechtslebens mit zwei eigenen Studien, weitere sieben folgten bis 1933, wobei es sich bei diesen überwiegend um einschlägige Dissertationen seiner Schüler handelte.16 Seit 1926 gab Nußbaum zudem die Reihe Gesellschafts8 9

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Nußbaum: Rechtstatsachenforschung, S. 67. Röhl: Dilemma S. 22, Hervorhebung im Original. Zu Nußbaums Intention vgl. ebd., S. 22– 24; Hartwieg: Rechtstatsachenforschung, S.  21–26; Rehbinder: Nußbaum, S.  10–12. Zur Rechtstatsachenforschung im Allgemeinen sowie zu ihrer Entwicklung in der Bundesrepublik vgl. Röhl: Dilemma; Hartwieg: Rechtstatsachenforschung. Stiefel/Mecklenburg: Juristen, S. 64. Mann: Nußbaum, S. 577. Ehrenzweig: Nussbaum, S. 649; vgl. ähnlich auch Cheatham u. a.: Nussbaum, S. 2–4. Vgl. z. B. Heinrichs u. a. (Hg.): Juristen, S. 211; ähnlich auch Hopt: Nußbaum, S. 547. Vgl. Heinrichs u. a. (Hg.): Juristen, S. 173. Nußbaum: Das Nießbrauchrecht (1919), zit. nach: Rehbinder: Nußbaum, S. 10. Vgl. Nörr: Zwischen, Fn. 10, S. 34; Rehbinder: Nußbaum, S. 13. Eine Liste der neun Bände der Reihe findet sich ebd., Fn. 20, S. 13 f.

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rechtliche Abhandlungen heraus17 und veranlasste als Mitherausgeber des Archivs für die civilistische Praxis ab 1925 den Abdruck mehrerer entsprechender Untersuchungen.18 1921 ernannte die Juristische Fakultät der Berliner Universität Nußbaum zum außerordentlichen Professor; seine Lehrtätigkeit an der Handelshochschule Berlin stellte er daraufhin ein. Zudem wandte er sich nun ganz der Wissenschaft zu – nicht zuletzt auch deshalb, weil er der Fakultät zusagen musste, seine Tätigkeit als Anwalt aufzugeben.19 Nußbaum erhielt ein beamtetes Extraordinariat und damit eine Position, die eine Besonderheit der Berliner Universität darstellte. Die Berliner beamteten außerordentlichen Professoren waren im Unterschied zu den nicht beamteten außerordentlichen Professoren beim Staat angestellt, unterrichteten aber anders als die Ordinarien lediglich ein kleines Sonderfach, bekamen ein geringeres Gehalt und waren korporationsrechtlich schlechter gestellt als jene.20 Im Jahr seiner Ernennung zum beamteten außerordentlichen Professor wurde Nußbaum auch als Gremienmitglied in die Berliner Notgemeinschaft berufen. Der Verband der deutschen Hochschulen sandte ihn im Frühjahr 1921 als Repräsentant der Rechtswissenschaft in den ersten Fachausschuss der Notgemeinschaft.21 Als außerordentlicher Professor gehörte Nußbaum damit zu den wenigen DFG-Gremienmitgliedern, die kein Ordinariat innehatten. Als ein Jahr später die juristischen Fachverbände die Kandidaten für die im Frühjahr  1922 stattfindenden Wahlen zu den Fachausschüssen nominierten, befand sich Nußbaum nicht unter den Auserwählten – vielleicht gerade weil er keine ordentliche Professur innehatte. Er wurde jedenfalls nicht als Kandidat aufgestellt und schied im April 1922 als Gremienmitglied der Forschungsgemeinschaft wieder aus, ohne die Position in der Weimarer Republik noch einmal einzunehmen.22 Die Frage, warum Nußbaum kein Ordinariat erhielt, ist nicht eindeutig zu klären. Einerseits ist er sicherlich ein typisches Beispiel für die „ursprüngliche Verund spätere Behinderung der Ordinarienlaufbahn von jüdischen Gelehrten“.23 Andererseits lehnte er selbst einen 1923 ergangenen Ruf auf ein Ordinariat nach Frankfurt am Main ab. Der Grund für seine Absage bestand darin, dass er Berlin nicht verlassen wollte, da er sich mit seiner Geburtsstadt auf vielfache Weise verbunden fühlte: familiär, beruflich und in der jüdischen Gemeinde. Nußbaum setzte sich auch für die Bürgerrechte der Juden und ihre gesellschaftliche Gleichstellung ein. So gehörte er etwa dem Vorstand des Central-Vereins deutscher 17 18 19 20 21 22 23

Eine Liste der 23 Bände der Reihe findet sich bei Rehbinder: Nußbaum, Fn. 21, S. 14 f. Vgl. Röhl: Dilemma, S. 6; Rehbinder: Nußbaum, S. 15. Vgl. Rehbinder: Nußbaum, S. 13. Nußbaum, der Handels-, Bank- und Börsenrecht lehrte, verdiente jedoch mehr als viele Ordinarien, vgl. Lösch: Geist, S. 58 und Fn. 236, S. 58. Zum Zustandekommen des ersten Fachausschusses und zum Übergang vom jenem zu den gewählten Fachausschüssen seit 1922 vgl. ausführlich Orth: NS-Vertreibung, S. 52–61 sowie S. 437–439. Auch eigene Anträge stellte Nußbaum nicht, weder als Gremienmitglied noch später; vgl. Datenbank DFG-Geschichte. Lösch: Geist, S. 170. Vgl. auch ebd., S. 87.

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Staatsbürger jüdischen Glaubens an, der seit 1893 bestand und in dem sich vor allem assimilierte bürgerlich-liberale Juden engagierten. In seiner Begründung für die Ablehnung des Rufes nach Frankfurt klang diese Verbundenheit mit seiner Heimatstadt an. Er trug vor, dass er seine Arbeit nur in Berlin leisten könne, da er auf zahlreiche nur dort vorhandene öffentliche und private Bibliotheken angewiesen sei und sein im Laufe der Jahrzehnte geschaffenes „weitverzweigtes Netz persönlicher Beziehungen zu Behörden, Verbänden und Sachverständigen aller Art“ nur dort bestehe.24 Tatsächlich war der Ruf gegen seinen Willen ergangen und auch entgegen der Berufungsvorschläge aus Frankfurt. Ausschlaggebend waren vielmehr – so macht es eine ministerielle Begründung deutlich –, „dass hochschulpolitische Erwägungen allgemeiner Art es notwendig gemacht hätten, dem betreffenden Herrn einen Ruf auf eine vakante Stelle zu geben; es hätte öffentlich konstatiert werden müssen, dass Herr Nussbaum ordinabel sei“.25 Gleichwohl: Nachdem oder weil er den Ruf abgelehnt hatte, erging kein zweiter mehr. Nußbaum blieb in Berlin und in der Position des außerordentlichen Professors. Die damit einhergehende geringere Lehrbelastung dürfte mit ein Grund dafür gewesen sein, dass er zahlreiche Publikationen vorlegen konnte, die das breite Spektrum von Wirtschaftsrecht,26 Geld, Aktienrechtsreform27 und Privatrecht umfassten. Zu nennen sind etwa Das neue deutsche Wirtschaftsrecht (1920), ein Überblick über die Entwicklung der Kriegs- und Nachkriegswirtschaft,28 Geld in Theorie und Praxis des deutschen und ausländischen Rechts (1925), Vertraglicher Schutz gegen Schwankungen des Geldwertes (1928), Aktionär und Verwaltung (1928) oder Deutsches Internationales Privatrecht. Unter besonderer Berücksichtigung des österreichischen und schweizerischen Rechts (1932). Seine Bücher waren nicht zuletzt auch „wegen der praktischen Brauchbarkeit“ beliebt.29 Zudem avancierte Nußbaum in den 1920er Jahren zum ständigen Mitarbeiter des Zentralblatts für Handelsrecht und vor allem zum Herausgeber des vierbändigen Internationalen Jahrbuchs für Schiedsgerichtswesen in Zivil- und Handelssachen. Fast wichtiger als die Herausgabe an sich war, dass das Jahrbuch in Kooperation mit der American Arbitration Association entstand. In der Einführung zum ersten Band wies Nußbaum darauf hin, dass das Jahrbuch „das erste Werk sein [dürfte], welches nach langen, schweren Jahren wieder auf einer unbeschränkten und planmäßigen internationalen Zusammenarbeit beruht“.30 Die englische Übersetzung des ersten Bandes erschien im Jahre 1928.31 Nußbaum wurde so auch international bekannt, er intensivierte die Kon24 25 26 27 28 29 30 31

Brief Nußbaum, o. D., zit. nach: Lösch: Geist, Fn. 388, S. 88. So wird die Aussage des Dekans der Frankfurter Rechtswissenschaftlichen Fakultät in der ministeriellen Begründung vom 13.7.1923 wiedergegeben, zit. nach: Lösch: Geist, S. 87. Zur Entwicklung des Wirtschaftsrechts nach dem Ersten Weltkrieg vgl. Stolleis: Geschichte, S. 228 f. Vgl. dazu Hopt: Nußbaum, S. 556 f. Vgl. Nörr: Zwischen, S. 168, Cheatham u. a.: Nussbaum, S. 4. Kaznelson (Hg.): Juden, S. 639. Vgl. zudem Cheatham u. a.: Nussbaum, S. 4 Nußbaum (Hg.): Jahrbuch, Bd.  1, S.  4. Zu diesem Forschungsfeld Nußbaums vgl. Hopt: Nußbaum, S. 559 f. Die Übersetzung trug den Titel International Yearbook of Civil and Commercial Arbitration. Vgl. dazu ausführlich Domke: Nussbaum, S. 8 f.

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takte während einer Studienreise in die Vereinigten Staaten im Jahre 1930 und durch eine Reihe von Gastvorlesungen, die er Anfang des Jahres 1933 in Den Haag hielt. Ende der 1920er bzw. Anfang der 1930er Jahre nahm Nußbaum zudem seine Lehrtätigkeit für die Berliner Handelshochschule wieder auf, wo er Bürgerliches Recht las. Möglicherweise stellte dies eine Reaktion auf seinen misslungenen Versuch dar, nun doch zum ordentlichen Professor an der Berliner Universität ernannt zu werden. Die Fakultät wies sein Ansinnen jedoch mit dem Argument zurück, dass das Aufrücken eines Extraordinarius grundsätzlich ausgeschlossen sei und aktuell keine Vakanz bestehe, auch wenn Nußbaums wissenschaftliche Leistung „zur Begründung eines Ordinariats an sich durchaus geeignet“ sei.32 Immerhin gewährte man ihm wenig später den Zugang zur sogenannten Engeren Fakultät, einem Gremium, das die Fakultätsgeschäfte wesentlich bestimmte.33 Nußbaum und sein Kollege Hans Peters waren die einzigen außerordentlichen Professoren, die 1932 in dieses Gremium gewählt wurden.34 Zudem teilte ihm die Fakultät im Wintersemester 1931/32 erstmals eine Hilfskraft zu. Für das Sommerhalbjahr 1933 hatte Nußbaum zehn Unterrichtsstunden angekündigt und kam dieser Verpflichtung nach der „Machtergreifung“ auch nach. Es ist nicht bekannt, dass antisemitisch motivierte Pöbeleien seine Vorlesungen störten oder gar sprengten. Im April teilte er auf die im Zusammenhang mit dem sogenannten Berufsbeamtengesetz ergangene Anfrage mit, er sei jüdischer Abstammung und gehöre der jüdischen Religionsgemeinschaft an. Im Unterschied zu anderen jüdischen/„nichtarischen“ Professoren konnte er nicht auf die Ausnahmeregelungen des Gesetzes hoffen, die viele zunächst vor der Entlassung schützten. Nußbaum hatte weder Frontdienst geleistet noch vor Kriegsbeginn den Status eines Beamten innegehabt. Einige ihn unterstützende Kollegen in der Fakultät argumentierten, er habe sich bereits im Mai 1914 habilitiert, müsse daher einem Vorkriegsbeamten gleichgestellt werden und habe sich zudem in hervorragender Weise bewährt.35 Andererseits weitete die Fakultät – wahrscheinlich mit antisemitischer Intention – die angeordneten Neuwahlen von sich aus auch auf die Vertreter der Extraordinarien und der Privatdozenten aus. Von den amtierenden Vertretern wählte sie zwar Hans Peters wieder, der vom Berufsbeamtengesetz nicht betroffen war, nicht aber Nußbaum.36 Mit Erlass vom 14. September 1933 wurde Nußbaum nach § 3 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums als Jude bzw. „Nichtarier“ in den Ruhestand versetzt.37 Nußbaum nahm dies zunächst nicht hin. Er wandte sich vielmehr direkt an den Minister, bat um Überprüfung der Entscheidung und stritt um die Frage, ob bzw. in welcher Höhe 32 33 34 35 36 37

Brief Heymann an Windelband vom 28.7.1928, zit. nach: Lösch: Geist, S. 88. Zur Engeren Fakultät vgl. Lösch: Geist, S. 54–56. Nußbaum hatte ebenso wie einer seiner Kollegen im zweiten Wahlgang zwei Stimmen erhalten und kam dann durch Losentscheid in das Gremium. Vgl. Lösch: Geist, Fn. 227, S. 56. Vgl. Lösch: Geist, S. 216 f. Vgl. Lösch: Geist, S. 161. Vgl., auch zum Folgenden, Lösch: Geist, S. 217–219.

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seine Bezüge zu zahlen seien. Er legte ein umfangreiches, seine Position unterstützendes Rechtsgutachten, das Hans Peters und (der ebenfalls in diesem Buch beschriebene) Heinrich Triepel angefertigt hatten, sowie eine Stellungnahme des Dekans bei.38 Die Intervention hatte freilich nicht den gewünschten Erfolg. Anfang des Jahres 1934 reiste Nußbaum in die Vereinigten Staaten, um eine Gastprofessur für Öffentliches Recht an der New Yorker Columbia University wahrzunehmen. Die Einladung hatte Karl N. Llewellyn ausgesprochen, der in jenem Zeitraum als der führende Vertreter des legal realism galt – einer Schule, die in den 1930er Jahren den Diskurs der amerikanischen Rechtssoziologie dominierte.39 Die Vermittlung bzw. Finanzierung kam durch die Notgemeinschaft Deutscher Wissenschaftler im Ausland mit Sitz in Zürich zustande. Diese war im April 1933 von dem NS-vertriebenen Frankfurter Mediziner Philipp Schwartz unter dem Namen „Zentralberatungsstelle für deutsche Gelehrte“ gegründet worden. Auf eine (kürzlich wiederentdeckte) Notiz über ihre Gründung, die Schwartz am 16. Mai 1933 in der Neuen Zürcher Zeitung veröffentlichen ließ, meldeten sich innerhalb weniger Wochen mehrere Hundert vertriebene Gelehrte.40 Schwartz hielt ihre Namen fest und führte darüber hinaus eine Fragebogenaktion durch, um weitere Daten und Informationen über die entlassenen Kollegen zu sammeln. Daraus entstand eine Kartothek, die die Grundlage für die später publizierte und häufig zitierte List of Displaced German Scholars bildete,41 auf der auch Nußbaum stand. Die Züricher Notgemeinschaft arbeitete eng mit den entsprechenden internationalen Fluchthilfeorganisationen zusammen, unter anderem mit dem amerikanischen Emergency Committee in Aid of Displaced Foreign Scholars, das seit Mai 1933 bestand. Zunächst konnten 36 Stipendien vergeben werden, darunter zwei für Juristen. Eines erhielt der Münchner Anwalt und Privatdozent Karl Löwenstein, der auf diese Weise nach Yale gehen konnte, das andere Nußbaum für die Columbia University. Dies ist insofern bemerkenswert, als Nußbaum bereits fast 60 Jahre alt war und die Unterstützung in aller Regel deutlich jüngeren NS-Vertriebenen zugutekam. Für Nußbaum sprach jedoch, dass seine Rechtsgutachten in den USA bekannt waren,42 vor allem seine seit 1926 bestehende Kooperation mit der American Arbitration Association. Durch die Herausgabe des Internationalen Jahrbuches für Schiedsgerichtswesen in Zivil- und Handelssachen galt er in den USA als der „Pioneer of International Commercial Arbitration“.43 Den vierten Band des Jahrbuchs stellte Nußbaum 1934 an der Columbia University fertig.44 Unterstützt 38 39 40 41

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Vgl. den Schriftwechsel zwischen Nußbaum, dem Minister sowie dem Verwaltungsdirektor der Universität Berlin zwischen Herbst 1933 und März 1934, UAHU-B, PA Nußbaum. Vgl. Röhl: Dilemma, S. 7. Vgl. Hürlimann: Vermächtnis. 1936 veröffentlichte Schwartz bzw. die Notgemeinschaft Deutscher Wissenschaftler im Ausland mit finanzieller Unterstützung der Rockefeller Foundation die sogenannte Notgemeinschaftsliste (Schwartz: Protokoll, S. 255) als List of Displaced German Scholars (and Supplementary). Ein Wiederabdruck erfolgte 1987 in: Strauss u. a. (Hg.): Emigration. Vgl. Stiefel/Mecklenburg: Juristen, S. 63. Domke: Nussbaum, S. 8. Vgl. Nußbaum (Hg.): Jahrbuch, Bd. 4, Vorwort.

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hatte ihn dabei Wilhelm Haudek, der in Berlin lange Zeit als Assistent der Juristischen Fakultät gearbeitet und eine der Töchter Nußbaums geheiratet hatte.45 Haudek stammte aus Wien, wurde 1931 in Berlin von Martin Wolff promoviert und 1933 ebenfalls aus rassistischen Gründen vertrieben. Mit Unterstützung der Züricher Notgemeinschaft emigrierte er zusammen mit seiner Frau in die USA und half dort einige Zeit seinem Schwiegervater, bis er seine Forschungsarbeiten an der Yale University fortsetzte.46 Noch plante Nußbaum nicht, dauerhaft in den USA zu leben. Bei seiner Abreise nach New York war seine Familie in Berlin geblieben, wo die Töchter studierten, und er selbst ging davon aus, nach Ablauf der Gastprofessur im Sommer 1935 nach Hause zurückzukehren.47 Doch bald zeichnete sich ab, dass die Vertreibung von der Universität mit der Exklusion aus der gesamten nationalen Fachcommunity einherging. So musste er 1934 aus dem Herausgeberkreis des Archivs für die civilistische Praxis ausscheiden und seine Mitarbeit am Zentralblatt für Handelsrecht einstellen.48 Die amerikanische Community hingegen schätzte seine Arbeit und bot ihm, als die Gastprofessur im Sommer 1935 auslief, eine Stelle an. Nußbaum akzeptierte und holte nun auch seine Frau und die Töchter nach. Die Entscheidung, Deutschland zu verlassen bzw. in die Emigration zu gehen, war gefallen. 1939 ernannte ihn die Columbia University zum Research Professor of Public Law, 1940 nahm er die amerikanische Staatsbürgerschaft an und glich die Schreibweise seinen Namens an: Aus Nußbaum wurde Nussbaum. Obwohl Nussbaum Mitte der 1930er Jahre bereits in höherem Lebensalter stand und anfangs mit erheblichen Sprachschwierigkeiten zu kämpfen hatte, gelang es ihm, seine Forschungen in den USA fortzusetzen und zahlreiche Publikationen vorzulegen, darunter nicht weniger als 17 Monografien. Der Grund lag wohl auch darin, dass Nussbaum sich keinen neuen Denkstil aneignen musste. Vielmehr konnte er mit seiner eigenen, in Berlin entwickelten juristischen Denkund Arbeitsweise gut an die in den USA verbreiteten Fachdiskurse anknüpfen – wie insbesondere an die ältere Schule der sociological jurisprudence sowie die etwas jüngere des legal realism, die seit Beginn der 1930er Jahre die amerikanische Diskussion beherrschten. Zudem passten einige seiner Themen – wie etwa Geld und Inflation – gut zu den amerikanischen Forschungsfeldern bzw. -interessen. Hatte er in der Weimarer Republik untersucht, welche Folgen der Versailler Vertrag auf die Geldwirtschaft hatte, so erwies er sich in den USA dann vor dem Hintergrund der Erfahrung mit der großen Depression und der Geldkrise als einer der ersten Experten auf diesem Gebiet.49 Durch die Kenntnis zweier Rechtssysteme avancierte er zudem zum anerkannten Fachmann auf dem Gebiet der Rechts45 46 47 48 49

Vgl., auch zum Folgenden, Stiefel/Mecklenburg: Juristen, S. 122; Lösch: Geist, S. 237 f. Vgl. Nußbaum (Hg.): Jahrbuch, Bd.  4, Vorwort. Haudek studierte an der Yale University amerikanisches Recht und arbeitete dann als Wirtschaftsanwalt in New York. Vgl. Brief Nußbaum an den Verwaltungsdirektor der Berliner Universität vom 9.4.1934, UAHU-B, PA Nußbaum. Letzteres bestand in dieser Form nicht weiter, sondern verschmolz mit der Hanseatischen Rechts- und Gerichtszeitschrift, vgl. Göppinger: Juristen, S. 376 und 381. Vgl. Stiefel/Mecklenburg: Juristen, S. 64; zudem Cheatham u. a.: Nussbaum, S. 5.

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vergleichung.50 So gab er beispielsweise ab 1951 die Bilateral Studies in Private International Law der Parker School of Foreign and International Law der Columbia University heraus.51 Zu seinen wichtigen amerikanischen Veröffentlichungen gehören Money in the law (1939), Principles of private international law (1942), A concise history of the law of nations (1947) und A history of the dollar (1957). 1951 trat Nussbaum in den Ruhestand. Weder zu diesem Zeitpunkt noch vorher plante er, nach Deutschland zurückzukehren – dies machte er auch in dem 1957 von New York aus angestrengten Wiedergutmachungsverfahren deutlich.52 Er hatte sich in den USA eingelebt und im neuen Umfeld offenbar berufliche Inspiration gefunden. So schrieb er etwa 1942 in der Einleitung zu Principles of private international law, dass die Auseinandersetzung mit den USA und dem amerikanischen Rechtssystem „meant to me more than an increment of knowledge. The new atmosphere gave rise to fresh shoots of thought.“53 Und sein Buch über die Geschichte des Dollars leitete er mit den Worten ein: „The research involved gave rise to a desire on my part to reach a fuller understanding of the spirit of this great, free, and hospitable country.“54 1948 schließlich schrieb er aus Anlass der Erneuerung des von den Nationalsozialisten aberkannten Doktordiploms an seinen früheren Berliner Kollegen Hans Peters, der nun als Dekan der Juristischen Fakultät vorstand: „Die Notwendigkeit, mich [in den USA] in einer völlig, aber auch völlig fremdartigen Umgebung zurechtzufinden, ist mir zum Heile ausgeschlagen“.55 Die Vereinigten Staaten im Allgemeinen und die Columbia University im Besonderen waren, so nahmen er selbst und andere es wahr, sein „academic home“ geworden.56 Seine Integration in die Fachcommunity ist auch daran zu ermessen, dass er 1951 einen Eintrag in das Who’s who in America erhielt und ihm zum 80. Geburtstag 1957 ein Heft der Columbia Law Review gewidmet wurde. Der Band enthielt auch eine Bibliografie seiner Werke, unter denen sich fünf Lehrbücher, 22 Monografien und 108 Abhandlungen befinden – einige wurden ins Spanische, Deutsche, Japanische oder Persische übersetzt.57 Trotz alledem gibt es Hinweise darauf, dass Nussbaum weiterhin sehr er an seiner alten Berliner Heimat hing. Die Weggefährten berichteten etwa, dass seine Wohnung „die Atmosphäre und die Tradition des alten Westens an der Spree mit den Biedermeier-Möbeln und den Berliner Kupferstichen“ verkörperte.58 Es hätte Nussbaum sicher auch gefallen, dass die Juristische Fakultät der Freien Universität

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Zu seinem Wirken in den USA vgl. auch Rehbinder: Nußbaum, S. 16; Cheatham u. a.: Nussbaum, S. 5–7. Vgl. zur Reihe auch Cheatham u. a.: Nussbaum, S. 6. Vgl. Brief Nussbaum an die Verwaltung der Universität Berlin vom 18.10.1954, UAHU-B, PA Nußbaum. Nussbaum: Principles, S. X. Zu diesem Werk vgl. auch Cheatham u. a.: Nussbaum, S. 5. Arthur Nussbaum: A History of the Dollar, Vorwort, zit. nach: Hopt: Nußbaum, S. 548. Brief Nussbaum an Peters, o. D. [Frühjahr 1948], zit. nach: Lösch: Geist, S. 219. Domke: In Memoriam, S. 665. Vgl. Columbia Law Review, Bd. 57, S. 11–15. Mann: Nußbaum, S. 577. Vgl. ähnlich auch Ehrenzweig: Nussbaum, S. 649.

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Berlin im Herbst 1964 ein Institut für Rechtssoziologie und Rechtstatsachenforschung einrichtete, das auf seiner Tradition der Rechtstatsachenforschung basierte.59 Doch die Gründung erlebte er nicht mehr: Kurze Zeit später, am 22. November 1964, starb Arthur Nussbaum im Alter von 87 Jahren in New York.

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Vgl. Rehbinder: Nußbaum, S. 9.

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Rabel

Ernst Rabel kam am 28. Januar 1874 in Wien als Sohn des promovierten, aus Austerlitz in Mähren stammenden königlich-kaiserlichen Hof- und Gerichtsadvokaten Albert Rabel und seiner Frau Berta, geborene Ettinger, zur Welt.1 Er wuchs in einer katholischen, liberalen und großbürgerlichen Familie auf und erhielt als Kind Musikunterricht von Anton Bruckner, sodass er später ausgezeichnet Klavier spielte. In seiner Heimatstadt besuchte er das Gymnasium und studierte dort seit 1891 Rechtswissenschaft. 1893 legte er die erste Staatsprüfung ab, setzte jedoch das Studium fort. Im Dezember 1895 wurde er mit einer Arbeit über das österreichische Urheberrecht an der Universität Wien promoviert, die der Rechtshistoriker Ludwig Mitteis betreut hatte, um dann nach einem Studienaufenthalt in Paris und einer kurzen Tätigkeit als Rechtsanwalt in den Referendardienst zu gehen.2 1899 holte ihn sein Lehrer, der inzwischen in Leipzig

1

2

Dieser Beitrag stützt sich auf die grundlegende Forschungsliteratur über Rabel. Zu nennen sind insbesondere folgende Publikationen: die entsprechenden Einträge in NDB, DBE und Catalogus Professorum [Leipzig]; Fischer u. a. (Hg.): Exodus, S.  133–135; Göppinger: Juristen, S.  357; Heinrichs u. a. (Hg.): Juristen, S.  571–593; Kaznelson (Hg.): Juden, S. 603 f., 659 f.; Kunze: Rabel; Lösch: Geist, S. 366–372; Rheinstein: Rabel; Rürup: Schicksale, S. 297–301; Schottlaender: Wissenschaft, S. 128; Stiefel/Mecklenburg: Juristen, S. 53 f.; Stolleis (Hg.): Juristen, S. 508 f.; Utermark: Rechtsgeschichte. Zudem wurden folgende Quellen herangezogen: UAHU-B, PA Pabel; AMPG, Abt. II, Rep. 1A, PA Rabel, und Abt. Va, Rep. 12, Sammlung Ernst Rabel. Er arbeitete in der Anwaltskanzlei seines Vaters und zudem einer anderen Wiener Kanzlei.

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unterrichtete, an seinen Lehrstuhl.3 Drei Jahre später habilitierte sich Rabel mit einer rechtsgeschichtlichen Studie über Die Haftung des Verkäufers wegen Mangels im Rechte. Geschichtliche Studien über Haftungserfolg.4 Als Privatdozent für Römisches und Deutsches Zivilrecht legte er in den folgenden Jahren einige Publikationen zur Rechtsgeschichte vor, die teilweise rechtsvergleichend vorgingen. Die Juristenfakultät der Universität Leipzig ernannte ihn 1904 zum außerordentlichen Professor für Römisches und Deutsches Zivilrecht, und bereits zwei Jahre später erhielt er einen Ruf auf das Ordinariat für Römisches Recht und Schweizer Zivilrecht an der Universität Basel. Dort publizierte er 1907 die bekannt gewordene Studie Unmöglichkeit der Leistung und gab seit 1908 zusammen mit seinem Kollegen Josef Kohler die Rheinische Zeitschrift für Zivil- und Prozessrecht heraus, in der es vor allem um den Vergleich von deutschem und französischem Recht ging. In Basel wirkte er zudem als Richter am Obergericht. Nach einem einjährigen Aufenthalt an der Universität Kiel lehrte Rabel seit 1911 Römisches Recht, Deutsches Zivilrecht und Rechtsvergleichung an der Universität Göttingen. In demselben Jahr lernte Rabel, der gern zum Bergsteigen ging, in Bozen bei der Rückkehr von einer Dolomitentour seine spätere Frau Anni Weber kennen.5 Trotz des Konfessionsunterschieds – sie gehörte der evangelischen, er der katholischen Kirche an – heirateten sie ein Jahr später. Ihre Tochter Elisabeth (Lili) kam 1913, ihr Sohn Friedrich Karl im Jahr 1914 zur Welt. Bis zum Ersten Weltkrieg beschäftigte sich Rabel vor allem mit rechtshistorischen Themen, wobei er ein weites Spektrum abdeckte: römisches, griechisches und griechisch-ägyptisches Recht einschließlich der juristischen Papyruskunde,6 mittelalterliches deutsches Recht sowie die Entwicklung des deutschen Rechts vom 17. bis zur Schwelle des 19.  Jahrhunderts. Als sein Hauptwerk aus jener Phase gilt die 1915 veröffentlichte Studie Grundzüge des römischen Privatrechts, in der er in umfassender Weise das spätklassische Privatrecht beschrieb.7 Bereits in den frühen Publikationen ging Rabel häufig rechtsvergleichend im historischen Sinne vor. Die bekanntesten Beispiele hierfür sind neben seiner Habilitationsschrift zwei Aufsätze mit dem Titel Nachgeformte Rechtsgeschäfte, die 1906 bzw. 1907 in der Romanistischen Abteilung der Zeitschrift der Savigny Stiftung für Rechtsgeschichte erschienen. Darin stellte er die Verbindungen zwischen den antiken römischen und den griechisch-hellenistischen Geschäftsformen dar. Mitten im Ersten Weltkrieg, an dem er nicht als Soldat teilnahm, wechselte Rabel von Göttingen nach München, wo er erneut nicht nur als Hochschullehrer, sondern auch als Richter am Oberlandesgericht tätig war. Bemerkenswert ist zu-

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Zu Mitteis’ Einfluss auf Rabel vgl. auch Stolleis (Hg.): Juristen, S. 508; Heinrichs u. a. (Hg.): Juristen, S. 573 f. Vgl. Rabel: Haftung. Angekündigt waren mehrere Bände, es erschien jedoch nur der erste Teil. Vgl. Heinrichs u. a. (Hg.): Juristen, S. 587 f. Vgl. Rabel: Papyrusurkunden. Zu seinem Wirken als Rechtshistoriker vgl. Heinrichs u. a. (Hg.): Juristen, S. 573–577; Kaznelson (Hg.): Juden, S. 603 f.; Kunkel: Rabel.

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dem, dass es ihm gelang, die Gründung eines eigenständigen Instituts für Rechtsvergleichung durchzusetzen. Bis dahin waren derartige Forschungseinrichtungen lediglich für die Naturwissenschaften geschaffen worden, doch Rabel konnte plausibel machen, dass auch die Rechtswissenschaft für ihre Forschung besonderer Institute bedürfe.8 Für die Erforschung ausländischer Rechtssysteme spreche, so warb er, auch die praktische Bedeutung der Kenntnisse etwa für Staats- und Handelsverträge. Rabel leitete das Institut zehn Jahre und baute es in diesem Zeitraum zu einem auch international anerkannten Zentrum für rechtsvergleichende Forschung aus. Er selbst, 1922 mit dem Titel „Geheimer Justizrat“ geehrt, beschäftigte sich zunehmend mit der Trias Rechtsvergleichung, Rechtsvereinheitlichung und internationales Privatrecht.9 Im Frühjahr 1926 wechselte Rabel nach Berlin, und zwar als Gründungsdirektor des neu errichteten Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft.10 Es hatte seinen Sitz im Berliner Schloss, wo auch das im gleichen Zeitraum gegründete Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches Recht und Völkerrecht residierte. Neben der Leitung des Instituts übernahm Rabel eine ordentliche Professur für Römisches Recht, Bürgerliches Recht und Ausländisches Recht sowie Rechtsvergleichung an der Universität Berlin. Die Lehre allerdings lag Rabel nicht sehr, und viele Studierende hörten nicht gern bei ihm, da er sehr hohe Anforderungen stellte. Sein Assistent Max Rheinstein beschrieb aus der Rückschau, dass Rabel auf „die Begrenztheit studentischer Aufnahmefähigkeit […] bewußt keine Rücksicht“ genommen habe.11 Andererseits zog er wissenschaftlich interessierte Studierende an, die er, ebenso wie seine Institutsmitarbeiter, besonders förderte. Viele bekleideten später Lehrstühle im In- oder Ausland oder übernahmen wichtige politische Ämter. Zu nennen sind etwa Ernst von Caemmerer, Konrad Duden, Felix Eckstein, Walter Hallstein, Max Rheinstein, Hans Rupp, Gerhard Schröder, Eduard Wahl, Wilhelm Wengler oder Konrad Zweigert. Auch Ludwig Raiser gehörte zu ihnen, der spätere Präsident der Bonner Forschungsgemeinschaft, den Rabel 1927 an sein KWI holte und mit dem er zwei Jahre später gemeinsam publizierte.12 Kontakte bestanden auch zu dem 1923 gegründeten Hamburger Institut für Auswärtige Politik, das sein Freund Albrecht Mendelssohn Bartholdy leitete (der ebenfalls in diesem Buch beschrieben wird),

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Vgl. Rheinstein: Rabel, S. 1 f.; Kunze: Rabel, S. 33–37. Vgl. ausführlich Heinrichs u. a. (Hg.): Juristen, S. 578–585; zum Verhältnis von Rechtsvergleichung und internationalem Privatrecht bzw. zu Rabels Bedeutung vgl. Nörr: Zwischen, S. 102–104; Kunze: Rabel, S. 22–26. Die Geschichte des Instituts bis 1945 ist durch die Arbeit von Kunze: Rabel, umfassend dargestellt worden. Max Rheinstein: Gedächtnisrede für Geheimrat Dr. Ernst Rabel, in: JR 1956, S.  136, zit. nach: Fischer u. a. (Hg.): Exodus, S. 133. Vgl. ähnlich auch Heinrichs u. a. (Hg.): Juristen, S. 589 f. Vgl. Rabel/Raiser: Entscheidung. Zu dieser Arbeit vgl. auch Heinrichs u. a. (Hg.): Juristen, S. 582. Zur Nachwuchsförderung unter Rabel und den genannten Personen vgl. ausführlich auch Kunze: Rabel, S. 131–145.

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und an seinem Institut forschten zahlreiche internationale, vor allem amerikanische Wissenschaftler.13 Rabel wirkte in den folgenden Jahren nicht nur als Forscher, sondern vor allem auch als Wissenschaftsorganisator. So baute er etwa eine bedeutende Fachbibliothek für rechtsvergleichende Forschung auf und initiierte die Institutszeitschrift Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht.14 Binnen kurzer Zeit nannte man sie Rabels Zeitschrift. Hinzu kamen weitere Herausgeberschaften – er gab seit 1926 die Romanistische Abteilung der Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte15 heraus oder die Entscheidungssammlung Die deutsche Rechtsprechung auf dem Gebiete des Internationalen Privatrechts. Das Institut beteiligte sich zudem unter seiner Leitung an einigen großen Vorhaben der Rechtsvergleichung – wie etwa der Sammlung europäischer und außereuropäischer Privatrechtsquellen (Zivilgesetze der Gegenwart) oder dem Rechtsvergleichenden Handwörterbuch16 –, und Rabels Mitarbeiter fertigten Gutachten für Gerichte, Unternehmen, Verbände und staatliche Stellen an, berieten nicht zuletzt auch die Regierung.17 Rabel übernahm darüber hinaus zentrale Ämter in der wissenschaftlichen Selbstverwaltung. So fungierte er 1932 bis 1933 als Dekan der Juristischen Fakultät der Berliner Universität,18 als Vorsitzender der Konferenz der Juristischen Fakultäten in Deutschland sowie auch als Gremienmitglied der Notgemeinschaft. Seit Beginn seiner Tätigkeit in Berlin gehörte er dem Fachausschuss Jurisprudenz für den Bereich Römisches und Bürgerliches Recht an und stellte seither auch Anträge – etwa für Mittel zum Druck des von ihm im Auftrag des Kuratoriums der Savigny-Stiftung herausgegebenen Interpolationsindex zu den Digesten Justinians oder der Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht.19 1928 stieg Rabel zum Vorsitzenden des Fachausschusses auf und traf in dieser Funktion gelegentlich mit Präsident Friedrich Schmidt-Ott und den Mitarbeitern der Geschäftsstelle zusammen, um einschlägige Themen zu beraten  – etwa die Größe, Bezeichnung und Zusammenstellung des juristischen Fachausschusses. So ging es bei einer entsprechenden Erörterung im Juli 1931 beispielsweise um die nächsten Fachausschusswahlen, genauer: um die Frage, wer die Kandidaten für jene aufstellen sollte. Von einer Befragung der Fachverbände wie in den Wahlen zuvor riet Rabel ab: „Wir haben im Ausschuss selbst gewesene und jetzige Vorsitzende von

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Vgl. Kunze: Rabel, S. 65–71; Stiefel/Mecklenburg: Juristen, S. 59; Heinrichs u. a. (Hg.): Juristen, S. 211. Zur Atmosphäre im Institut aus der Sicht eines ehemaligen Schülers vgl. ebd., S. 588–590. Diese setzte die Rheinische Zeitschrift für Zivil- und Prozessrecht fort, die sich bereits als Forum für die Unterrichtung über ausländische Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur sowie rechtsvergleichende Forschung etabliert hatte. Vgl. Göppinger: Juristen, S. 383; Heinrichs u. a. (Hg.): Juristen, S. 588; Rheinstein: Rabel, S. 3. Zu diesen Vorhaben vgl. ausführlich Kunze: Rabel, S. 146–155. Vgl. Fischer u. a. (Hg.): Exodus, S. 134; Rheinstein: Rabel, S. 2; ausführlich und die Veränderungen nach 1933 analysierend Kunze: Rabel, S. 71–88. Zu seinem Wirken dort vgl. Lösch: Geist, S. 78 f., 112 und 149–151. Vgl. Datenbank DFG-Geschichte.

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Fachausschuss Jurisprudenz

Fachverbänden, die wegen ihrer hochwissenschaftlichen Anlage in erster Reihe in Betracht kommen würden.“20 Er schlug vielmehr vor, einen Ad-hoc-Ausschuss einzurichten, der die Kandidaten bestimmen und zudem auch eine Ausarbeitung zur Ausweitung des Fachausschusses und eine neue Facheinteilung vorlegen solle. Im Raume stand, dass die aktuell amtierenden Fachausschussmitglieder – sollte der Vorschlag nicht Gehör finden – ihr Amt zur Verfügung stellen würden, auch wenn sie „weit entfernt“ seien, „Rücktritts-‚Drohungen‘ auszusprechen“.21 Doch Schmidt-Ott konnte das Vorhaben abwenden, sodass sich die Fachverbände, wie in den Wahlen zuvor, an der Nominierung der Kandidaten beteiligten. Rabel selbst etwa wurde von der Vereinigung deutscher Rechtshistoriker vorgeschlagen und trat auch nicht zurück. Nicht zuletzt sind Rabels internationale Funktionen hervorzuheben. Seit 1925 war er als Vorsitzender der Internationalen Vereinigung für vergleichende Rechtswissenschaften und als Richter am Internationalen Gerichtshof in Den Haag für deutsch-polnische Prozesse tätig. Er war zudem beteiligt an der Rechtsprechung der gemeinsamen Schiedsgerichte, die für Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit dem Versailler Vertrag gebildet worden waren, amtierte als Mitglied der ständigen Schiedskommissionen für Norwegen und Italien (1919– 1936), Deutschland und Italien (1928–1935) sowie als Mitglied des Deutsch-Italienischen Schiedsgerichts (1921–1927).22 Aus seiner Sicht lag es auch nahe, als Folge der zunehmenden internationalen Kontakte und der zunehmenden internationalen Verflechtung die ausländischen Rechtssysteme im Hinblick auf die Wirtschaft intensiver als bislang zu untersuchen. Die Untersuchung des Rechts im privaten Rechtsverkehr bedeutete für ihn jedoch nicht nur Vergleich von Gesetzesparagrafen, sondern vielmehr eine Untersuchung, „welche Lösungen sich aus der Gesamtheit des ganzen vollen Rechtslebens in dem einen und dem anderen Staat in den gleichen Lebensfragen ergeben und warum und mit welchem Erfolg sie sich ergeben“.23 Mit der Methode der dogmatischen oder systematischen Vergleichung (Rabel selbst prägte diese Begriffe) untersuchte bzw. verglich er die tatsächlich geltenden Rechte.24 Diese hatte er zunächst in einigen Aufsätzen dargelegt bzw. angewandt, dann jedoch vor allem in seinem Buch Das Recht des Warenkaufs ausgeführt, das bis heute als eine seiner wichtigsten Arbeiten gilt. In der Studie, deren erster Band 1936 erschien, stellte Rabel die Vereinbarungen beim Warenkauf in den privatrechtlichen Systemen aller Staaten zusammen. Dies war die Voraussetzung für Arbeiten an einer Kodifikation des internationalen Kaufrechts, mit der Rabel sich nachdrücklich beschäftigte – seit 1927 unter anderem als Mitglied des Rates und des Exekutivausschusses am Institut für Vereinheitli-

20 21 22 23 24

Brief Rabel an Schmidt-Ott vom 15.7.1931, BArch, R 73/130, Bl. 244. Aktennotiz der Geschäftsstelle der Notgemeinschaft betr. „Befragung der Verbände zur Fachauschuß-Neuwahl / Besprechung mit GR. Rabel“ vom 24.7.1931, BArch, R 73/130, Bl. 243. Vgl. auch Rabel: Rechtsvergleichung. So Rabels Definition, zit. nach: Stolleis (Hg.): Juristen, S. 508. Vgl. Stolleis (Hg.): Juristen, S. 508; Kaznelson (Hg.): Juden, S. 659 f.; Heinrichs u. a. (Hg.): Juristen, S. 585 f.; Kunkel: Rabel.

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chung des Privatrechts in Rom, das die italienischen Regierung dem Völkerbund gestiftet hatte.25 Anfang der 1930er Jahre hatte Rabel das Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht zur Weltgeltung gebracht, und er stand auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Auf die nationalsozialistische „Machtergreifung“ reagierte er, so kann man aus den wenigen überlieferten Quellen schließen, eher abwartend bzw. defensiv. Ein Beispiel: Am 2. März 1933 fand im Senatssaal der Berliner Universität die lange anberaumte Tagung der Reichsfakultätenkonferenz statt,26 auf der Rabel als Dekan der Berliner Juristenfakultät den Vorsitz führte. Es ging vor allem um die Erfahrungen mit der zuvor durchgeführten Studienreform, dann aber auch um die allgemeine Politik. Die entsprechende Aussprache fand zwar keinen Niederschlag im offiziellen Tagungsprotokoll, aber Wolfgang Kunkel, der Vertreter der Göttinger Fakultät, berichtete in seinen Erinnerungen darüber. Die Erörterung der Lage mündete, so hielt er fest, in den Vorschlag, „namens der juristischen Fakultäten eine Adresse an Hitler zu richten, in der die Erwartung ausgesprochen werden sollte, daß er die rechtsstaatliche Ordnung respektieren werde“. Zunächst habe der Vorschlag viele Befürworter gefunden, doch als sich jemand bereit erklärte, ihn in die Tat umzusetzen, sei die Stimmung gekippt. Den Ausschlag hierfür gab Rabels Votum, der „dringend vor einem solchen impulsiven Schritt [warnte], der auch sehr unerwünschte Folgen haben könne. Man müsse die Entwicklung abwarten.“27 Diese Haltung war ganz typisch für weite Teile des konservativen Bürgertums. Für viele war aber erstaunlich, dass Rabel wenige Tage nach der Reichsfakultätenkonferenz sein Amt als Dekan vorzeitig aufgab: Er trat am 7. März 1933 zurück, obwohl sich die Amtszeit bis Oktober 1933 erstreckte. Anschließend nahm er noch einige Zeit an den Fakultätssitzungen teil, die nun sein Nachfolger Ernst Heymann leitete. Zudem legte er sein Amt als Vorsitzender des DFGFachausschusses Jurisprudenz nieder. Ohne eine Begründung anzuführen, teilte er Präsident Schmidt-Ott im Mai lediglich mit, dass die Fachausschussmitglieder auf seinen Vorschlag hin Heinrich Triepel zum Vorsitzenden gewählt hatten. Von der Wahl eines stellvertretenden Vorsitzenden glaubte der Fachausschuss „im Augenblick absehen zu sollen“.28 Der Rückzug von den wissenschaftspolitischen Ämtern kann als eine Reaktion auf die antisemitische Politik der Nationalsozialisten gedeutet werden, die auch ihn betraf. Rabel selbst gehörte zwar der katholischen Glaubensgemeinschaft an, seine Großeltern aber der israelitischen. Dies wussten viele nicht, und es ging sogar das Gerücht, dass auch seine Kinder dies erst nach der „Machtergreifung“ erfahren hätten.29 Die Nationalsozialisten stuften Rabel jedenfalls als „Nichtarier“ ein, und er selbst erklärte später auf die entsprechende Anfrage, dass 25 26 27 28 29

Vgl. ausführlich Heinrichs u. a. (Hg.): Juristen, S. 581 f. Zum Folgenden vgl. Lösch: Geist, S. 149–151 und 367 f. Kunkel: Professor, S. 112. Brief Rabel an Schmidt-Ott vom 22.5.1933, BArch, R 73/130, Bl. 177. Vgl. z. B. Lösch: Geist, S. 174.

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seine vier Großeltern „alle volljüdischer Abstammung“ seien und der jüdischen Religion angehörten.30 Zunächst schützten ihn die Ausnahmeregelungen des Berufsbeamtengesetzes vor der Entlassung, galt er doch als „Altbeamter“. Viele seiner Mitarbeiter mussten im Frühjahr 1933 jedoch das Institut verlassen, darunter Max Rheinstein oder Felix Eckstein, für die er sich vergeblich einsetzte. Zwei Jahre später war er selbst von einer Denunziation betroffen. Der Dekan der Juristischen Fakultät beantragte beim Reichserziehungsministerium die sofortige Beurlaubung von Rabel und von dessen Kollegen Martin Wolff, weil es „eine schwere Belastung für die deutsche Studentenschaft“ sei, „wenn zwei wichtige Ordinariate von Nichtariern versehen“ würden.31 Wenige Wochen später beurlaubte der Reichs- und Preußische Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung Rabel mit Wirkung zum 1. Oktober 1935 vom Lehramt; für die Dauer der Beurlaubung stünden ihm zudem keinerlei akademischen Rechte zu.32 Im Zuge der sogenannten Nürnberger Gesetze erfolgte dann zum Ende des Jahres 1935 die endgültige zwangsweise Versetzung in den Ruhestand. Auch Rabels Bitte um die Umwandlung in eine Emeritierung lehnte das Ministerium ab.33 Noch ein Jahr konnte Rabel als Direktor seines Instituts tätig sein. Im Dezember 1936 forderte ihn dann die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft auf, seinen Rücktritt zu erklären, „da es für den Staat nicht tragbar ist, daß an der Spitze eines KWI eine Persönlichkeit steht, die auf Grund der Nürnberger Gesetze in den Ruhestand versetzt“ wurde.34 Als Rabel am 15. Februar 1937 als Direktor ausschied, dankte ihm Max Planck als KWG-Präsident in formvollendeter Weise für seine „aufopferungsvolle und hervorragende Tätigkeit“ und sicherte ihm zu, er könne mit Zustimmung des Ministeriums seine Forschungen im Institut als Privatperson fortsetzen. Man werde „alles“ tun, um ihm „ein stilles Weiterarbeiten“ zu ermöglichen.35 Rabel, der vor der Zerstörung seines Lebenswerks stand, nahm dieses – aus heutiger Sicht fast zynisch anmutende – Angebot nicht in Anspruch. Sein Ausscheiden aus dem Institut bedeutete auch das Ende seiner Herausgeberschaft in der Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht. Im Vorwort zum folgenden 11. Jahrgang schrieb der neue Instituts- und Redaktionsleiter Ernst Heymann, dies sei nicht der Ort, Rabels große Verdienste zu würdigen, dankte ihm aber immerhin für seine erfolgreiche langjährige Tätigkeit.36 Auch als Herausgeber der Romanistischen Abteilung der Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte fungierte Rabel nicht mehr.37 Doch zeitgleich zur Exklusion aus 30 31 32 33 34 35 36 37

Brief Rabel an den Verwaltungsdirektor vom 18.10.1935, UAHU-B, PA Rabel, Bd. 2, Bl. 10. Brief des Dekans der Juristischen Fakultät an das REM vom Mai 1935, zit. nach: Rürup: Schicksale, S. 299. Vgl. auch Lösch: Geist, S. 362 f. und 368 f. Mitteilung des Reichs- und Preußischen Ministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung an Rabel vom 22.7.1935, UAHU-B, PA Rabel, Bd. 2, Bl. 9. Vgl. den Briefwechsel zwischen Rabel und dem Ministerium vom Dezember 1935, UAHU-B, PA Rabel, Bd. 1, Bl. 72–75. Vermerk KWG vom Dezember 1936, zit. nach: Rürup: Schicksale, S. 299. Zu seiner Vertreibung vom Institut vgl. auch Kunze: Rabel, S. 165–168. Brief Planck an Rabel vom Februar 1937, zit. nach: Rürup: Schicksale, S. 300. Zur Entwicklung des Instituts unter Heymann vgl. ausführlich Kunze: Rabel, S. 170–228. Vgl. Göppinger: Juristen, S. 383.

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der deutschen Fachcommunity würdigte ihn die griechische. 1935 erhielt er das Komturkreuz des griechischen Erlöserordens und 1937 die Ehrendoktorwürde der Universität Athen. Nach der Vertreibung von seinen Ämtern blieb Rabel in Berlin. Mutmaßlich gab erst die Reichspogromnacht den Ausschlag für seine Pläne, Deutschland zu verlassen. Im März 1939 wollte er in die Niederlande fahren, um von dort aus nach Rio de Janeiro in Brasilien zu reisen. In Anbetracht seines Lebensalters von Mitte 60 komme dort, so teilte er dem Ministerium mit, eine „öffentliche Lehrtätigkeit […] nicht mehr in Betracht“. In demselben Brief wies er auch darauf hin, dass seine unverheiratete Tochter und seine Frau zunächst in Berlin bleiben würden.38 Die zur Stellungnahme aufgeforderte Fakultät wies das Ministerium darauf hin, dass die Gefahr bestehe, dass Rabel im Falle einer Auswanderung das Ansehen „unserer Wissenschaft im Ausland schädigen könnte“. Durch die Auswanderung würden andererseits manche „Nachrichtenquellen über die deutschen Verhältnisse für ihn abgeschnitten, und er wird bei seinem Verhalten im Ausland auf seine in Deutschland zurückgelassene Frau und Tochter um so mehr Rücksicht nehmen müssen, als diese ohne Gewährung seines bisherigen Einkommens ihr Leben hier nicht fristen können“.39 So war die Fakultät also nicht einmal dazu bereit, wenigstens Rabels Ausreisepläne vorbehaltlos zu unterstützen, ja sie setzte sogar seine Familie als Druckmittel ein. Letztendlich aber genehmigte das Ministerium die Ausreise, und Rabel reiste im Mai 1939 in die Niederlande. Der Beginn des Zweiten Weltkriegs verhinderte dann die Weiterreise nach Rio de Janeiro, aber Rabel gelang es, sich nach Amerika einzuschiffen. Es dauerte freilich noch einige Zeit, bis die Familie wieder zusammenkam: Seine Frau verließ Berlin Ende August 1939 und reiste über Belgien in die USA, sein Sohn folgte 1940 und seine Tochter im April 1941.40 Rabels Aufenthalt in den Vereinigten Staaten ermöglichte zunächst das in Philadelphia ansässige American Law Institute, das bereits seit den 1920er Jahren in Kontakt zu Rabels KWI gestanden hatte und ihm nun ein Forschungsstipendium gewährte. Geplant war, ein Forschungsvorhaben über Kollisionsrecht durchzuführen, an dem neben Rabel auch Max Rheinstein arbeiten sollte, der bereits 1933 in die Emigration gegangen war und seit 1938 am American Law Institute arbeitete.41 1940 nahmen Rabel und Rheinstein die Arbeit auf, doch sie kamen aufgrund einer zu unterschiedlichen Konzeption nicht sehr weit.42 So wechselte Rabel an die Law School der University of Michigan in Ann Arbor, die ihn zum Research Associate ernannte. Man stellte ihm ein kleines Arbeitszimmer und 38 39 40 41 42

Brief Rabel an das REM vom 7.3.1939, UAHU-B, RA Rabel, Bd.  1, Bl.  96. Vgl. zudem Lösch: Geist, S. 370–372. Stellungnahme der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät vom 27.4.1939, UAHU-B, PA Rabel, Bd. 2, Bl. 16. Vgl. eidesstattliche Erklärung Lili Rabel vom 20.2.1951, AMPG, Abt. II, Rep. I A, PA Rabel. Zu seiner Biografie vgl. Rürup: Schicksale, S. 305–308. Vgl. Stiefel/Mecklenburg: Juristen, S. 65.

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eine Schreibkraft zur Verfügung, bezahlte allerdings nur ein Forschungsstipendium und keine reguläres Gehalt. Als dieses auslief, finanzierte die Harvard Law School ein weiteres Forschungsstipendium. Seine Freunde mussten – so berichtete Rheinstein 1958 – „jedes Jahr neu, sozusagen mit dem Hut in der Hand bei Stiftungen und reichen Leuten herumgehen, um erneut das Geld für ein weiteres Jahr zusammenzubetteln“.43 Rabel schlug sich in den USA also mit dürftigen Zuwendungen und Stipendien durch, die nur ein kärgliches Leben ermöglichten.44 Mehrere Gründe sind dafür anzuführen, dass es ihm nicht gelang, eine gesicherte Stelle zu finden. Zum einen ist der vergleichsweise späte Zeitpunkt der Ausreise zu nennen, zudem sein fortgeschrittenes Lebensalter von 65 Jahren, mit dem er die Berufungsgrenze bereits überschritten hatte. Schließlich ist seine berufliche Position in Deutschland anzuführen: die Leitung eines weltbekannten Forschungsinstituts, in dem er vornehmlich als Wissenschaftsorganisator wirkte. Vergleichbare Positionen in den USA waren entweder bereits besetzt oder wurden innerhalb nationaler Netzwerke vergeben, zu denen Rabel keinen Zutritt hatte. So blieben ihm adäquate Stellen verschlossen, aber auch andere, die unter seiner Qualifikation lagen. Zumindest Rheinstein hatte den Eindruck, dass sich die amerikanischen Universitäten davor scheuten, galt Rabel doch als „Weltkapazität“. Rabel sei „erstens zu alt und zweitens zu groß“ gewesen, als dass eine amerikanische Universität es gewagt hätte, ihm eine „kleine Stellung und das kleine Gehalt anzubieten“. Sein früherer Lehrer sei daher, so Rheinstein weiter, einer der „tragischsten Fälle“, die er kenne. So rückte Rabel in den USA nicht in eine einflussreiche Stellung ein, konnte auf die amerikanische Rechtswissenschaft keinen nachhaltigen Einfluss nehmen oder eine Schule ausprägen. Nur gelegentlich nahm er an Konferenzen teil – etwa im Herbst 1942, als er sich einer Gruppe von Juristen anschloss, die im Rahmen des American Law Institute Fragen einer internationalen Menschenrechtserklärung erörterten. In mehreren, je dreitätigen Treffen ging es um Themen wie persönliche, politische und soziale Rechte, Rechtsgleichheit und Strafmaße.45 Insgesamt jedoch wurde Rabel im amerikanischen Exil nicht heimisch, lebte vielmehr gesellschaftlich und wissenschaftlich fast isoliert. „Wirklich Fuß fassen“, so bilanzierte Rheinstein, „konnte er hier nicht mehr, und das Leben, das er hier führte, war im bescheidensten Rahmen“.46 Nichtsdestotrotz – oder gerade deshalb – konzentrierte sich Rabel auf seine Forschung. Im Mittelpunkt stand nun ganz das vergleichende internationale Privatrecht, über das er vier gewichtige Bände schrieb, die unter dem Titel The Conflict of Laws. A Comparative Study seit 1945 erschienen. Die Veröffentlichung 43 44 45 46

Gespräch Irmgard Bach mit Prof. Dr. Max Rheinstein, Universität Chicago, o. D. [1958], ARB, WO01726. Dort auch die folgenden Zitate. Vgl. Fischer u. a. (Hg.): Exodus, S. 135; Krohn u. a. (Hg.): Handbuch, S. 881. Vgl. Stiefel/Mecklenburg: Juristen, S. 179. Gespräch Irmgard Bach mit Prof. Dr. Max Rheinstein, Universität Chicago, o. D. [1958], ARB, WO01726. Vgl. ähnlich auch Krohn u. a. (Hg.): Handbuch, S. 881; Fischer u. a. (Hg.): Exodus, S.  135; Kinas: Massenentlassungen, S.  402; Stiefel/Mecklenburg: Juristen, S.  56; Rürup: Schicksale, S. 300.

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von The Conflict of Laws, die in der amerikanischen Fachwelt gut aufgenommen wurde, mag mit ein Grund dafür gewesen sein, dass Rabel 1951 einen Eintrag in das Who’s who in America erhielt.47 Bald nach Ende des Zweiten Weltkriegs nahm Rabel wieder Kontakt zu seiner alten Heimat und zu seinem Institut auf, das 1944 von Berlin nach Tübingen evakuiert worden war.48 1948 akzeptierte er die Ernennung zum Auswärtigen Wissenschaftlichen Mitglied der im selben Jahr gegründeten Nachfolgeorganisation der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, der von Otto Hahn geleiteten MaxPlanck-Gesellschaft. Zudem bemühten sich einige seiner früheren Schüler und Institutsmitarbeiter  – insbesondere Max Rheinstein, Eduard Wahl und Ludwig Raiser – ihrerseits darum, Rabel nach Deutschland zurückzuholen bzw. ihm dort eine angemessene Stellung zu verschaffen.49 Die Initiative ging von Rheinstein aus, der in den USA seine berufliche Karriere hatte nahtlos fortsetzen können und der bei Kriegsende international und auch in Deutschland als ausgewiesener Kenner auf dem Gebiet der zivilrechtlichen Rechtsvergleichung galt. Im Sommer 1949 wandte sich Wahl, der in der NS-Zeit vom KWI-Mitarbeiter zum Ordinarius aufgestiegen war und nach Kriegsende als Dekan der Juristischen Fakultät der Universität Heidelberg amtierte, an den Generalsekretär der Max-Planck-Gesellschaft, Ernst Telschow. Auch im Namen von Rheinstein fragte er, „ob nicht die Möglichkeit bestünde, für Rabel in Deutschland eine angemessene Versorgung zu erwägen, damit er seine letzten Lebensjahre hier noch der deutschen Forschung zur Verfügung stellen kann. In der Tat schiene mir eine solche Lösung im Falle Rabel nicht nur eine Pflicht der Dankbarkeit, sondern ein wirklicher Gewinn.“50 Raiser, der inzwischen einen Lehrstuhl in Göttingen innehatte, sich seit 1949 forschungspolitisch in der Bonner Notgemeinschaft engagiert hatte und Anfang der 1950er Jahre zum DFG-Präsidenten avanciert war, trat direkt an Hahn heran. Rabel kehre, so schrieb er ihm, „als ein alter, verbitterter und hinsichtlich seiner wirtschaftlichen Zukunft verzweifelter Mann nach Deutschland“ zurück. Er überlege daher, mit einigen Freunden und Kollegen „hier in Deutschland eine Art Hilfskommittee zu gründen, um aus freiwilligen Beiträgen ehemaliger Schüler und Freunde die Versorgung Rabels und seiner Frau sicherzustellen“. Dies sei „ein einigermassen waghalsiges Unternehmen“, zudem habe er gehört, dass bei der MPG Verhandlungen „wegen irgendwelcher Pensionsleistungen schweben“. Dies wolle er gern in Erfahrung bringen, ehe er selbst eigene Schritte unternehme.51 Zum Dritten intervenierte Hans Dölle für Rabel. Dölle hatte nach Stationen in Bonn und an der Reichsuniversität Straßburg 1946 Rabels ehemaliges KWI für ausländisches und internationales Privatrecht übernommen  – die Community wählte ihn 1949 in den Fachausschuss Rechtswissenschaften der Bonner Notge-

47 48 49 50 51

Vgl. Stiefel/Mecklenburg: Juristen, S. 210. Zur Verlagerung des Instituts vgl. Kunze: Rabel, S. 226–228. Das Folgende nach Orth: NS-Vertreibung, S. 364 f. Brief Wahl an Telschow vom 5.7.1949, AMPG, Abt. II, Rep. I A, PA Rabel. Brief Raiser an Hahn vom 6.6.1950, AMPG, Abt. II, Rep. I A, PA Rabel.

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meinschaft.52 Michael Schüring, der die Vergangenheitspolitik der Max-PlanckGesellschaft untersucht hat, charakterisiert seine Haltung im Nationalsozialismus als „mehr als bloße Mitläuferschaft“.53 Gleichwohl oder gerade deshalb regte Dölle im Sommer 1950 an, Rabel solle die Direktion seines alten Instituts wieder übernehmen oder dort doch zumindest eine Anstellung erhalten. Rabel sei, so schrieb Dölle an Hahn, von diesem Angebot „aufs Äusserste überrascht“ gewesen, es scheine ihm aber aus vielen Gründen unmöglich zu sein, es anzunehmen. Gleichwohl erkenne er die freundliche Gesinnung, die aus diesem Angebot spreche, dankbar an.54 Keiner der vorgebrachten Vorschläge wurde Realität. Gleichwohl ist es wichtig, auf die Aktivitäten von Rheinstein, Wahl, Raiser und Dölle hinzuweisen, da sich diese, wie Michael Schüring zu Recht betont, „von der üblichen Zaghaftigkeit der Rehabilitierungsbemühungen“ deutlich abhoben.55 Raisers Motivation lagen wohl drei Elemente zugrunde: seine Dankbarkeit für den früheren Lehrer, die von ihm empfundene moralische („menschliche“) Pflicht, etwas an den Vertriebenen „wiedergutzumachen“, sowie die Wertschätzung für Rabels wissenschaftliche Leistung. Als Rabel im Sommer 1950 mit seiner Frau nach Tübingen zurückkehrte, mussten sie sich in räumlich und finanziell beengten Verhältnissen einrichten, da es ihm zunächst nicht gelang, seine Pensionsansprüche durchzusetzen. Die MPG gewährte ihm eine einmalige Zahlung von 3.000 DM als „Notstandsbeihilfe im Zusammenhang mit Ihrer Rückkehr nach langjähriger Emigration“56 und versuchte, das Unrecht wenigstens symbolisch wiedergutzumachen. So ernannte man Rabel im Jahr seiner Rückkehr zum Wissenschaftlichen Mitglied des MPI für ausländisches und internationales Privatrecht57 und wählte ihn später zum Vorsitzenden der Geisteswissenschaftlichen Sektion der Max-Planck-Gesellschaft. Auch die Forschungsgemeinschaft verlieh ihm ein Ehrenzeichen.58 Doch es blieb unklar, ob Rabel dauerhaft in Tübingen bleiben würde. Gefragt, ob er nach Berlin kommen würde, antwortete Rabel, auch dies sei ihm recht. „München wäre uns das liebste, falls dort eine vernünftige Unterkunft zu erreichen ist. Aber wir gehen überallhin, wo Sie meinen, daß ich von Nutzen sein könnte“.59 Zunächst jedoch blieb er in Tübingen, lehrte hier (und später auch in Berlin) als Honorarprofessor und arbeitete vor allem am zweiten Band des Warenkaufs, den er aufgrund der NS-Vertreibung aus Deutschland nicht hatte fertigstellen können.60 52 53 54 55 56 57 58 59

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Vgl. Niederschrift über die Ergebnisse der im Juli 1949 durchgeführten Wahl vom 19.8.1949, BArch 1789 K, Nr. 38, sowie DFG-Gremiendatenbank. Schüring: Kinder, S. 195. Brief Dölle an Hahn vom 10.7.1950, AMPG, Abt. II, Rep. 1A, PA Rabel. Schüring: Kinder, S. 193. Schüring bezieht sich hier auf das Angebot Dölles. Brief Puhl an Rabel vom 30.5.1952, AMPG, Abt. II, Rep. 1A, PA Rabel. Vgl. Brief Hahn an Rabel vom 18.10.1950, AMPG, Abt. II, Rep. 1A, PA Rabel. Vgl. Schüring: Kinder, S. 194; Rürup: Schicksale, S. 300. Brief Rabel an (den als Berater für Rechtsangelegenheiten im UN-Hochkommissariat für Deutschland tätigen) Gerhart Husserl vom 7.4.1951, AMPG, Abt. Va, Rep. 12, Sammlung Ernst Rabel. Vgl. auch Brief Wengler, inzwischen Prodekan der Berliner Juristenfakultät, an Husserl vom 27.7.1951 und Brief Wengler an Rabel vom 7.9.1951, ebd. Vgl. Dölle: Vorwort, in: Rabel: Recht, S. III.

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Seine finanzielle Lage besserte sich etwas, als sich die MPG 1951 bereit erklärte, Vorschusszahlungen zu leisten, die erst dann eingestellt wurden, als er Emeritenbezüge nach dem Wiedergutmachungsgesetz erhielt.61 Dölle hielt zudem daran fest, Rabel an sein Institut zu holen, verhandelte mit ihm und der MPG darüber und sagte Hilfe bei der Wohnungssuche in Hamburg zu, wohin das Institut umziehen sollte. Gegebenenfalls sollte Rabel vorher eine Wohnung in Rom nehmen und am dortigen rechtsvergleichenden Institut arbeiten.62 1954 feierte Rabel seinen 80. Geburtstag, und das Jahr stand ganz im Zeichen der Anerkennung und Ehrung: Er wurde zum Ehrenmitglied der American Foreign Law Association und der Münchener Juristischen Studiengesellschaft, zum Ehrenpräsidenten der Deutschen Gesellschaft für Rechtsvergleichung und zum Mitglied der Rechtsvergleichenden Institute in Mexiko und Cordoba (Argentinien) sowie zum Mitglied der Akademien der Wissenschaften zu Bologna und zu Turin ernannt, erhielt die Ehrendoktorwürde der Universität Löwen, den Ames-Preis der Havard Law School – die höchste Auszeichnung für rechtswissenschaftliche Leistungen in den USA –, den Antonio-Feltrinelli-Preis für Rechtswissenschaften der Accademia Nazionale dei Lincei in Rom sowie das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern. Seine Schüler würdigten den Geburtstag, indem sie ihm eine Festschrift darbrachten.63 1955 folgte schließlich noch das Ehrenabzeichen der KWG/MPG für über 25-jährige Mitgliedschaft.64 Hahn konnte die Auszeichnung nicht persönlich überreichen, da sich Rabel längere Zeit in den USA aufhielt. Im Mai 1955 kehrte er mit seiner Frau aus den USA nach Europa zurück, genauer: in die Schweiz, wo sie zunächst in Engelberg lebten.65 Am 7. September 1955 starb Ernst Rabel in einem Züricher Krankenhaus. Auch nach seinem Tod sorgten Rabels ehemalige Schüler und Mitarbeiter dafür, dass sein Name bzw. sein Werk nicht in Vergessenheit geriet. So erschien 1958 der zweite Band seines Warenkaufs, den er nicht mehr hatte vollenden können. Mitarbeiter des 1956 nach Hamburg übersiedelten MPI für ausländisches und internationales Privatrecht stellten ihn fertig.66 Zudem sorgte u. a. Dölle dafür, dass die Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht seit 1961 auch offiziell Rabels Zeitschrift hieß, und Hans Georg Leser und Julius Wolff gaben zwischen 1965 und 1971 Rabels Gesammelte Aufsätze in vier Bänden heraus. 61 62 63

64 65 66

Vgl. Vermerk Pfuhl vom 20.5.1955, AMPG, Abt. II, Rep. 1A, PA Rabel. Vgl. Brief Dölle an die MPG vom 17.11.1953, AMPG, Abt. II, Rep. 1A, PA  Rabel; Brief Telschow an Rabel vom 20.4.1955, ebd. Vgl. Festschrift für Ernst Rabel. Den ersten Band gaben Hans Dölle, Max Rheinstein und Konrad Zweigert zum Thema Rechtsvergleichung und internationales Privatrecht heraus, den zweiten Band Wolfgang Kunkel und Hans Julius Wolff zu den Themen Geschichte der antiken Rechte und allgemeine Rechtslehre. In Bd. 1, S. 685–704, findet sich ein Verzeichnis der Schriften Rabels. Ein weiteres findet sich in: Rabel: Gesammelte Aufsätze, Bd.  3, S. 731–755. Vgl. Brief Hahn an Rabel vom 15.7.1955, AMPG, Abt. II, Rep. 1A, PA Rabel. Vgl. Brief Dölle an MPG vom 27.7.1955, AMPG, Abt. II, Rep. 1A, PA Rabel. Vgl. Dölle: Vorwort, in: Rabel: Recht, S. III.

Heinrich

Triepel

Heinrich Triepel stammte aus einer wohlhabenden und gebildeten Familie.1 Seine Mutter Mathilde Marie Henriette Triepel, geborene Kurz, kam aus Aarau in der Schweiz, wo ihr Vater, ein Sinologe und Literaturhistoriker, als Professor an der Kantonsschule unterrichtete. Sein Vater Gustav Adolf Triepel war als Prokurist und Teilhaber eines Exportgeschäfts in Paris tätig gewesen und hatte dann in Leipzig ein Agentur-, Kommissions- und Lotteriegeschäft übernommen. Dort kam Heinrich Triepel am 12. Februar 1868 zur Welt. Evangelisch getauft, wuchs er mit drei Geschwistern auf, besuchte zunächst die Teichmannsche Privatschule, dann die humanistische Thomasschule, wo er 1886 das Abitur ablegte. Zum Studium der Rechtswissenschaft und Kameralistik ging er nach Freiburg im Breisgau und hörte dort u. a. bei Karl von Amira, Heinrich Rosin und Gustav Friedrich Eugen Rümelin. Zudem schloss er sich einer Studentenverbindung an, dem Corps Suevia. Nach einigen Semestern wechselte er an die renommierte Juristenfakultät der Universität Leipzig und studierte dort u. a. bei Karl Binding, Emil Albert Friedberg, Rudolph Sohm und Bernhard Winscheid. 1890 legte er das Erste Staatsexamen ab, im Jahr darauf wurde er mit der staatsrechtsgeschicht-

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Dieser Beitrag stützt sich auf die grundlegende Forschungsliteratur über Triepel. Zu nennen sind insbesondere folgende Publikationen: die entsprechenden Einträge in DBE und Catalogus Professorum [Leipzig]; Bilfinger: Triepel; Häberle/Kilian/Wolff (Hg.): Staatsrechtslehrer, S.  128–145; Hollerbach: Leben; Gassner: Triepel; Lösch: Geist, S.  376–378; Marcon/ Strecker/Randecker (Hg.): Jahre, S. 339–348. Zudem wurden folgende Quellen herangezogen: UAHU-B, PA Triepel.

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lich ausgerichteten Studie Das Interregnum promoviert.2 Betreut hatte die Arbeit Karl Binding, den Triepel später als seinen „Lehrer und väterlichen Freunde“ bezeichnete und dem er eines seiner Bücher widmete.3 Nach Abschluss der Promotion arbeitete Triepel sowohl an der Hochschule als auch in der Praxis. Bis 1894, dem Jahr, in dem er die Zweite Juristische Staatsprüfung absolvierte, war er zum einen als Rechtsreferendar am Amtsgericht sowie am Landgericht Leipzig und als Assessor bei dem Rechtsanwalt und Notar Heinrich Erler, anschließend als Gerichtsassessor und Hilfsrichter am Leipziger Landgericht tätig. Zum anderen konnte er 1893 seine Habilitation abschließen und hatte seitdem die Position eines Privatdozenten inne, seit 1899 die eines außerordentlichen Professors für Staatsrecht. In jenen Zeitraum fiel auch die Familiengründung. Am 10. August 1894 heiratete er Maria Sophia Ebers, die Tochter des Ägyptologen und Schriftstellers Georg Ebers. Ihre beiden Töchter kamen 1896 und 1902 zur Welt. Mit der Jahrhundertwende erlangte Triepel das Ordinariat. Gerhard Anschütz nachfolgend, trat er die ordentliche Professur für Allgemeines und Deutsches Staatsrecht, Völkerrecht und Einleitung in die Staatswissenschaft an der Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Tübingen an. Später wurde die Lehrverpflichtung um Kirchen- und Verwaltungsrecht erweitert, zudem sollte Triepel nach Bedarf auch über württembergisches Staatsrecht lesen. Neben seiner Tätigkeit als Hochschullehrer und zeitweise auch als Dekan der Staatswissenschaftlichen Fakultät übernahm er zudem die Betreuung der Herausgabe der Werke des 1821 verstorbenen Natur- und Völkerrechtlers Georg Friedrich von Martens (Recueil Martens). Nach einem knappen Jahrzehnt in Tübingen – 1901 hatte ihm die Staatswissenschaftliche Fakultät die Ehrendoktorwürde verliehen  – wechselte Triepel 1909 nach Kiel, wo er Staats-, Verwaltungs-, Kirchen- und Völkerrecht lehrte und sich ebenfalls in den hochschulpolitischen Gremien engagierte. Darüber hinaus unterrichtete er Völkerseerecht an der Kaiserlichen Marineakademie.4 Zu seinen Kieler Schülern zählten auch Prinz Adalbert von Preußen, der Sohn des Kaisers, sowie der Sohn des Prinzen Heinrich von Preußen, der Privatunterricht bei ihm erhielt. Zum Wintersemester 1913 nahm Triepel einen Ruf nach Berlin an, wo er ein halbes Jahr später durch kaiserliche Verfügung in den Rang eines Geheimen Justizrats erhoben wurde.5 Zu Kriegsbeginn stellte er sich dem Kriegsmarineamt freiwillig zur Verfügung und bot seine Mitarbeit in Fragen des See- und Kriegs2 3 4

5

Vgl. Bilfinger: Triepel, S. 5. Zu dieser Arbeit vgl. ebd.; ausführlich Gassner: Triepel, S. 202– 209. Triepel: Völkerrecht, Vorwort, S. VI. Er ersetzte dort den Kieler Strafrechtler und Rechtsphilosophen Moritz Liepmann, der jedoch gegen seine Absetzung protestierte. Im Zuge der sich anschließenden Kontroverse legte Triepel eine umfangreiche Erklärung vor, in der er darauf verwies, dass der Stellenwechsel von Alfred von Tirpitz, zu dieser Zeit Staatssekretär im Reichsmarineamt, veranlasst worden war. Zur Juristischen Fakultät aus der Sicht eines Zeitgenossen und Kollegen Triepels vgl. Smend: Geschichte, passim.

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rechts an. Er arbeitete in der Folgezeit einige Gutachten aus, bescheinigte u. a. die völkerrechtliche Unbedenklichkeit des U-Boot-Krieges oder der Torpedierung des britischen Hilfskreuzers Lusitania am 7. Mai 1915.6 Seine nationale und antipazifistische Haltung brachte er auch öffentlich zum Ausdruck. So unterzeichnete er die „Intellektuelleneingabe“ vom 20. Juni 1915, mit der 1.347 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens – darunter 351 Hochschullehrer – die Professorenschaft und breitere Teile der Öffentlichkeit für die annexionistische Kriegsführung gewinnen wollten. Bei der Eingabe handelte es sich im Wesentlichen, so charakterisiert Triepels Biograf Ulrich M. Gassner ihren Inhalt, um eine „Paraphrase der Kriegszielschrift“ des Alldeutschen Verbandes vom September 1914.7 Im Juli 1917 unterschrieb Triepel zudem einen Entschluss der Berliner Professoren, der für eine Verschiebung der preußischen Wahlreform, die auf das allgemeine, direkte, geheime und gleiche Stimmrecht zielte, nach dem Krieg plädierte. Als die Mehrheit des Reichstags wenig später eine Friedensresolution annahm, die sich zum Verständigungsfrieden bekannte, protestierte er zusammen mit zahlreichen Hochschullehrern. Im Frühsommer 1918 fertigte Triepel dann zwei Denkschriften für den Generalquartiermeister Erich Ludendorff an, die für einen „Siegfrieden“ gegenüber Polen plädierten. Die erste Schrift über die „Gestaltung unserer Ostgrenze“ stützte den Plan der Obersten Heeresleitung, die deutsche Ostgrenze aus Sicherheitsgründen bis zu einer militärisch haltbaren Linie zu verschieben und dieses Gebiet einzudeutschen. Im zweiten Gutachten über die ehemaligen russischen Staatsländereien und Donationsgüter hielt Triepel deren Enteignung gegen Entschädigung bei der Schaffung eines polnischen Grenzstreifens für rechtlich zulässig.8 Auch zu der sich abzeichnenden Niederlage nahm er öffentlich Stellung. Zusammen mit zahlreichen anderen namhaften Gelehrten der Berliner Universität unterzeichnete er den „Aufruf deutscher Hochschullehrer“, der zur Unterstützung der Deutschnationalen Volkspartei aufforderte. „Der Aufruf machte“, so fasste ihn Michael Grüttner zusammen, „die Sozialdemokratie für die Probleme des Landes verantwortlich und verband eine eindeutige Absage an die Demokratie mit einer antikapitalistischen Phraseologie“.9 1918/19 trat Triepel von der Deutschen Reichspartei in die DNVP über.10 Zudem schaltete er sich aktiv in die Diskussionen um die in Vorbereitung befindliche Weimarer Verfassung ein, indem er in einem Ausschuss des Vereins „Recht und Wirtschaft“ mitarbeitete, der einen Entwurf zur Reichsverfassung vorlegte. In seinen Lehrveranstaltungen hielt sich Triepel jedoch offenbar mit politischen Meinungsäußerungen zurück.11 Sein Schüler Theodor Eschenburg berichtete zumindest aus der Rückschau, dass er sich „in seiner Vorlesung loyal [verhielt]. Er übte Kritik an der Verfassung, aber mied feindselige Bemerkungen“. Dennoch habe man, so Eschenburg, „sehr deutlich seine innere Ablehnung“ ge6 7 8 9 10 11

Vgl. Gassner: Triepel, S. 176; Stolleis: Geschichte, S. 63. Gassner: Triepel, S. 174 f. Vgl. Gassner: Triepel, S. 178. Grüttner: Berliner Universität, S. 19. Vgl. Gassner: Triepel, S. 171. Vgl. Grüttner: Berliner Universität, S. 146.

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spürt.12 Doch da seine Zugehörigkeit zum nationalkonservativen Lager und seine Unterstützung der Deutschnationalen bekannt waren, versuchte die im Dezember 1918 u. a. von Sozialdemokraten, Liberalen und Zentrumsmitgliedern gegründete Deutsche Liga für Völkerbund, gegen ihn vorzugehen. Im Januar 1919 richtete der erste Vorsitzende, der Zentrumspolitiker Matthias Erzberger, damals Staatssekretär in der Reichsregierung, im Namen der Liga eine Eingabe an das Preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, die forderte, den Völkerrechtler Professor Walther Schücking – und mit ihm einen Vertreter der Friedensbewegung – nach Berlin zu berufen. Triepel und sein Kollege Erich Kaufmann (dessen Biografie ebenfalls in diesem Buch beschrieben ist), deren wissenschaftliche Qualitäten die Liga nicht bezweifelte, seien „nicht geeignet, für sich allein die akademische Jugend Berlins in den Geist eines neues Zeitalters der Völkerrechtsbeziehungen einzuführen; zum mindesten bedürften sie einer Ergänzung durch einen so absolut anders gerichteten Geist, wie es Schücking ist“.13 Es folgte eine längere Kontroverse zwischen Triepel bzw. Kaufmann und dem zum Reichsminister avancierten Erzberger, die Anfang Juni 1919 damit endete, dass der preußische Kultusminister Konrad Haenisch (SPD) gegenüber Erzberger feststellte, dass kein Bedarf an weiteren Rechtsprofessoren im öffentlichen Recht an der Universität Berlin bestehe. Schücking wurde nicht nach Berlin berufen, und Kaufmann bzw. Triepel behielten ihre Lehrstühle. In den 1920er Jahren prägte Triepel die Juristische Fakultät der Berliner Universität nachhaltig – sein Kollege Rudolf Smend nannte ihn aus der Rückschau die „geistig und sittlich überragende Figur des Fachs“.14 Mit zahlreichen anderen Berliner Professoren war er befreundet, etwa mit dem Germanisten Julius Petersen, dem Ordinarius für Philosophie und Ästhetik Max Dessoir oder dem Psychiatrieprofessor Karl Bonhoeffer. 1926 übernahm Triepel das Amt des Rektors der Berliner Universität, nachdem er zuvor bereits als Dekan, Prodekan und Senator gewirkt hatte. Viel beachtet wurden seine beiden Rektoratsreden Staatsrecht und Politik sowie Die Staatsverfassung und die politischen Parteien,15 sein Grußwort im Namen aller deutschen Universitäten und Hochschulen aus Anlass der 450-JahrFeier der Universität Tübingen am 25. Juli 1927 in der Tübinger Stiftskirche sowie sein Vortrag Internationale Regelung der Staatsangehörigkeit im Rahmen der Hauptversammlung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in München im Jahre 1928. National und international übertrug man Triepel aufgrund seines wissenschaftlichen Renommees wichtige Ämter: 1923 hielt er als erster Deutscher eine Vorlesung an der Haager Akademie für Völkerrecht, und 1926 wurde er als deutsches Mitglied in den nach Artikel 13 des deutsch-niederländischen Schiedsgerichts- und Ver12 13 14 15

Eschenburg: Universitätsleben, S. 37. Eingabe der Liga an das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 21.1.1919, zit. nach: Degenhardt: Machtstaat, S. 110. Vgl. auch Marcon/Strecker/Randecker (Hg.): Jahre, S. 341. Smend: Geschichte, S. 123. Vgl. zu beiden ausführlich Hollerbach: Leben, S. 429–434; Eschenburg: Universitätsleben, S. 37.

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gleichsvertrags vorgesehenen Ständigen Vergleichsrat entsandt. 1928 wurde er zusammen mit Gerhard Anschütz als unabhängiger Sachverständiger in den Verfassungsausschuss der Länderkonferenz berufen, der auf Veranlassung der Regierung zur Vorbereitung einer Revision der Weimarer Verfassung eingerichtet worden war.16 1931 schließlich war er das einzige juristische Mitglied der Historischen Reichskommission, die sich unter dem Vorsitz des Berliner Historikers Friedrich Meinecke das Ziel gesetzt hatte, die Geschichte des Deutschen Reiches von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart zu erforschen.17 Erwähnenswert ist nicht zuletzt, dass sich Triepel in der Kirchengemeinde engagierte: Er war Mitglied der Gemeindevertretung Berlin-Grunewald und der Kreissynode der Evangelischen Kirche in Berlin. Triepel wird als einer der wichtigsten Staats- und Völkerrechtler des 20. Jahrhunderts angesehen, da seine Werke zum Staats- und Völkerrecht den wissenschaftlichen Diskurs prägten, zugleich aber auch über das Fach hinaus wirkten.18 Von seinen zahlreichen Veröffentlichungen sind insbesondere zu nennen: Völkerrecht und Landesrecht (1899), Die Reichsaufsicht (1917), Virtuelle Staatsangehörigkeit (1921), Die Staatsverfassung und die politischen Parteien (1930) und Die Hegemonie. Ein Buch von führenden Staaten (1938). Seit 1901 gab er zudem eine Edition von Dokumenten zum Staats-, Verwaltungs- und Völkerrecht heraus. Jenseits der spezifischen Erkenntnisse und Ergebnisse des jeweiligen Werkes19 ist hervorzuheben, dass es u. a. Triepel zu verdanken ist, dass ein Paradigmenwechsel von einem formalen zu einem materialen Verfassungsverständnis gelungen ist. So formulierte er 1926 in einem Aufsatz für die Deutsche Juristenzeitung: „Es ist die Herrschaft des Wahns, daß die Form alles, der Inhalt nichts bedeute, daß die Form des Gesetzes jeden Gesetzesinhalt heilige, daß der Gesetzgeber durch Anwendung einer Form jeder Gefahr eines Rechtsbruchs entgehen könne. Es gilt diesen Wahn zu zerstören.“20 Triepels Schüler identifizierten aus der Rückschau drei Grundthemen seines Lebenswerks: das Völkerecht, Theorie und Praxis der Staatenverbindung (insbesondere des Bundesstaates) sowie die Rechtsstaatlichkeit der Verfassungsordnung. Wenn es über diese hinaus eine übergreifende Zielsetzung in Triepels Werk gab, dann, so Carl Bilfinger, sei es der Umstand gewesen, dass es „immer wieder auf die Frage nach Recht und Wirklichkeit“ zurückkam. Juristische und soziologische Denkweisen mischten sich dabei in charakteristischer Weise.21

16 17 18 19 20 21

Vgl. Anschütz: Leben, S. 296–301. Triepel wurde Mitglied des Unterausschusses für die territoriale Neugliederung des Reiches. 1930 endete die Arbeit des Verfassungsausschusses ohne nennenswerte Ergebnisse. Vgl. Goetz: Reichskommission, S. 543. Zu seinem Werk vgl. ausführlich Hollerbach: Leben, S.  423–429. Auch bei Stolleis: Geschichte, wird sein Werk beschrieben und gewürdigt. So begründete etwa das Buch Völkerrecht und Landesrecht die sogenannte dualistische Lehre im Völkerrecht; vgl. dazu ausführlich Gassner: Triepel, S. 446–459. Heinrich Triepel: Das Abdrosselungsgesetz, in: Deutsche Juristenzeitung 1926, zit. nach: Bilfinger: Triepel, S. 2. Vgl. auch ausführlich Gassner: Triepel, S. 230–290. Bilfinger: Triepel, S. 2. Vgl. auch Hollerbach: Leben, S. 424–427.

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Triepel, mit diversen Ehrungen und Auszeichnungen für sein wissenschaftliches Werk bedacht,22 verstand sich in der Tat nicht nur als Theoretiker, sondern blieb Zeit seines Lebens auch der juristischen Praxis und der Rechtspolitik zugewandt. So beobachtete er die Verfassungspraxis der Weimarer Epoche, um sich gelegentlich in Tageszeitungen zu aktuellen politischen Themen zu äußern,23 oder er stellte sich als Gutachter in staatsrechtlichen Fragen zur Verfügung. Hinzu kamen seine Funktionen in den juristischen Fachgesellschaften: Seit 1921 gehörte er der Ständigen Deputation des Vereins „Deutschen Juristentag“ als Mitglied an, und 1931 stieg er zum ersten Vorsitzenden auf.24 Ebenfalls 1921 avancierte er zum Gremienmitglied der Berliner Notgemeinschaft. Er fungierte als Fachgutachter im Fachausschuss Jurisprudenz und verantwortete dort den Unterausschuss Staats-, Verwaltungs- und Völkerrecht. Die Community bestätigte ihn in allen Wahlen der Weimarer Republik, und von 1929 bis 1933 amtierte er als stellvertretender Vorsitzender des Fachausschusses. Mitte der 1920er Jahre wurde Triepel dann zum wissenschaftlichen Berater des Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht ernannt, dem seit der Eingliederung in die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft 1924 sein Freund und Kollege Viktor Bruns als Direktor vorstand. Bis kurz vor seinem Tod publizierte Triepel auch selbst Aufsätze in der dort herausgegebenen Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht.25 Schließlich ist sein Engagement für die auf seine Initiative hin im Oktober 1922 ins Leben gerufene Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer zu nennen.26 Die Vereinigung zielte darauf, unter den Bedingungen der Nachkriegszeit und der neuen Verfassung ein Forum gemeinsamer Beratung und gegenseitigen fachlichen Austauschs zu schaffen. Smend meinte darüber hinaus, dass Triepel mit der Vereinigung den Kreis der Fachgenossen vor einem „ihre fachliche Autorität und Glaubwürdigkeit bedrohenden Zerfall in streitende politische Parteien“ gerettet habe.27 In der Eröffnungsansprache zur zweiten Tagung der Vereinigung im Jahre 1924 machte Triepel eine der Grundprämissen der Einrichtung deutlich, dass nämlich sowohl „der Auslegung des geltenden Rechts“ als auch „den Vorschlägen für die Entwicklung unseres öffentlichen Rechts die Rechtsidee und, was dasselbe ist, die Gerechtigkeit“ zugrunde gelegt werden müsse. Zudem gebe es ein Recht zur Mahnung und zur öffentlichen Stellungnahme – dies könne unter Umständen sogar „heilige Pflicht“ sein.28 Ganz ähnlich formuliert er 1926: „Wer der Göttin der Gerechtigkeit dient, soll ihren Thron auch vor den Angriffen eines machtlüsternen Gesetzgebers schützen, der sich vermißt, stärker zu sein als das 22 23 24 25 26 27 28

Eine Übersicht findet sich bei Marcon/Strecker/Randecker (Hg.): Jahre, S. 344 f. Vgl. das Verzeichnis seiner Beiträge bei Marcon/Strecker/Randecker (Hg.): Jahre, S. 347 f. Zu seinem Wirken in der Ständigen Deputation vgl. Hollerbach: Leben, S. 422. Interessant auch der Bericht von Gerhard Anschütz, der ebenfalls berufen wurde, vgl. Anschütz: Leben, S. 294 f. Vgl. Bilfinger: Triepel, S. 1. Zu dieser vgl. ausführlich Stolleis: Geschichte, S. 186–202. Smend: Geschichte, S. 123 f. Eröffnungsansprache Triepel zur 2. Tagung der Vereinigung 1924, zit. nach: Hollerbach: Leben, S. 422.

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Recht, das auch ihn bindet.“29 Die Staatsrechtslehrervereinigung tagte bis 1932 jährlich, wobei neben innerfachlichen Themen gelegentlich auch die aktuelle politische Situation erörtert wurde. Als Vernunftrepublikaner gehörte Triepel zum nationalkonservativen Lager, ohne dabei extreme Positionen einzunehmen bzw. mitzutragen. So trat er etwa im Winter 1929/30 aus der DNVP aus, weil er „der radikalen Richtung Hugenbergs nicht Folge leisten“ wollte.30 Er sympathisierte vielmehr mit der von dem DNVPDissidenten Gottfried Treviranus gegründeten Volkskonservativen Vereinigung, die sich im Gegensatz zu Hugenberg ausdrücklich zur geltenden Verfassung und zu Reichskanzler Heinrich Brüning bekannte. Triepel sagte im April 1933 von sich, er sei „schon immer ein christlicher Konservativer gewesen“.31 So begeisterte er sich nach der „Machtergreifung“ nicht für den Nationalsozialismus. Doch als er am 2. April 1933 in der bürgerlich-national ausgerichteten Deutschen Allgemeinen Zeitung öffentlich zu den politischen Ereignissen Stellung nahm, bezeichnete er diese als Revolution: „Denn der tiefste Sinn der Bewegung und zugleich das, was ihr allein die Legitimation verleiht, ist die Auflehnung der deutschen Seele gegen den zweifachen Druck, der auf dem deutschen Volke lastet, gegen die Ketten, die seiner freien Bewegung im Leben der Völker geschmiedet worden sind, und gegen alles Undeutsche, was die Reinheit seiner geistigen Haltung getrübt hat oder zu trüben droht.“32 Das Ermächtigungsgesetz vom März 1933 beurteilte er in demselben Aufsatz als Verfassungsbruch und revolutionären Akt zugleich: „Der Inhalt des Gesetzes steht unzweifelhaft zu den Grundgedanken der Weimarer Verfassung in vollem Widerspruch. Denn wenn ein verfassungsänderndes Gesetz das ganze System des in einer Verfassungsurkunde vorgezeichneten konstitutionellen Lebens auf vier Jahre in Schlummer versetzt  – wobei so gut wie sicher ist, daß das Schlummernde nicht wieder geweckt werden wird –, so ist dies in sich ein revolutionärer Akt. Und doch ist er in formeller Legalität vor sich gegangen, woran auch die Tatsache nichts ändert, daß sich ein Teil der dem Gesetz Zustimmenden nur unter dem Druck der Besorgnis vor illegaler Revolution oder Bürgerkrieg zur Zustimmung bereitgefunden hat.“ In der Folgezeit trat Triepel weder der NSDAP oder ihren Gliederungen bei noch schloss er sich, wie viele seiner Kollegen, der Akademie für deutsches Recht an. Zudem versuchte er, sich den Bestrebungen zu widersetzen, die Staatsrechtslehrervereinigung gleichzuschalten,33 und die Ständige Deputation des Deutschen Juristentages weiterzuführen. Darüber habe er, so schrieb er nach Kriegsende, „lange und widerwärtige Auseinandersetzungen mit dem NS-Rechtswahrerbund gehabt“.34 Triepel war nicht bereit, sein wissenschaftliches Denken und sein 29 30 31 32 33 34

Zit. nach: Bilfinger: Triepel, S. 1. Lebenslauf Triepel, o. D., zit. nach: Gassner: Triepel, S. 181 f. Brief Triepel an Otto Koellreutter vom 18.4.1933, zit. nach: Gassner: Triepel, S. 170. Triepel: Revolution, S. 116. Das folgende Zitat ebd., S. 117. Zu seiner Haltung vgl. Gassner: Triepel, S. 186 f. 1938 wurde diese aufgelöst; vgl. Stolleis: Geschichte, S. 199–202, 311–315. Brief Triepel an den Rektor der Universität Berlin vom 3.1.1946, UAHU-B, PA Triepel, fol. 47.

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Handeln als Hochschullehrer einer politischen Prämisse unterzuordnen. Bereits früher hatte er sich in diesem Sinne geäußert. Häufig zitiert sind die Worte, mit denen er 1927 den Rektormantel an seinen Nachfolger übergab: „Dieser Mantel ist schwer, und das ist gut, man kann ihn nicht so leicht nach dem Winde hängen.“35 Am 7. März 1933 forderte er auf der Sitzung der im Sommer 1932 gegründeten Rechtsschutzgemeinschaft der deutschen Juristischen Fakultäten, dass deren Aufgaben fortgesetzt werden müssten, nämlich „sich da einzusetzen, wo immer im öffentlichen Leben durch Gesetzgeber oder Behörden, durch Interessenverbände oder Parteien der Rechtsgedanke bedroht oder erschüttert wird“, sowie „die Freiheit der Lehre und Forschung der deutschen Hochschulen und ihrer Mitglieder gegenüber staatlichen Eingriffen oder parteipolitischen Angriffen zu wahren“.36 Sein Wissenschaftsideal zusammenfassend, schrieb er in ähnlichem Sinne im Oktober 1942 an seinen Berliner Fakultätskollegen Heinrich Titze: „Vor langen Jahren nannte ein großer Rechtsgelehrter die Jurisprudenz eine Magd des Rechts; aber diese Magd, sagte er, trage eine Königskrone. Wiederholt hat es Zeiten gegeben, in denen man der Rechtswissenschaft ihre Krone hat rauben, sie zur bloßen Magd und nicht nur zur Magd des Rechts, sondern zur Dienerin maßloser Willkür hat erniedrigen wollen. Nichtswürdig waren diese Männer, die sich solcher räuberischer Gewaltthat fügten. Ein Rechtslehrer ist nicht nur ein Künder des Rechts, sondern auch Priester der Göttin Gerechtigkeit, deshalb ist sein, wie des Richters Amtskleid nicht die Uniform des Beamten, sondern der priesterliche Talar. Den Rechtslehrer in seiner priesterlichen Stellung antasten, heißt ein Sakrileg begehen, und der Rechtslehrer, der sich dem widerstandslos beugt, begeht einen Verrat an der Gottheit.“37 1933 sah Triepel keinen Grund, von seinen Ämtern zurückzutreten und nationalsozialistisch gesinnten Kollegen das Feld zu überlassen. Er nahm im Frühjahr 1933 die Wahl zum Fachgutachter der Berliner Forschungsgemeinschaft an (und stieg nun sogar zum Vorsitzenden auf 38) und hielt weiterhin seine Lehrveranstaltungen ab. Als sich Anschütz am 31. März 1933 von seinem Lehramt entbinden ließ, weil er die nötige „Verbundenheit mit dem jetzt im Werden begriffenen neuen deutschen Staatsrecht zur Zeit nicht aufbringen“ konnte,39 zeigte sich Triepel „befremdet“.40 Er selbst sah dazu keine Veranlassung. Anschütz vermutete, dass es Triepel leichter fallen mochte, „das neuste Staatsrecht zu dozieren als mir“, eben weil dieser „immer viel weiter rechts gestanden“ habe als er selbst. Unabhängig davon, ob dies zutraf oder nicht  – eindeutig war, dass die neuen 35 36 37 38 39 40

Die Worte werden von Bilfinger: Triepel, S.  13, zitiert. Vgl. Hollerbach: Leben, S.  420; Smend: Geschichte, S. 124. Zit. nach: Marcon/Strecker/Randecker (Hg.): Jahre, S. 343. Brief Triepel an Titze vom 23.10.1942, zit. nach: Gassner: Triepel, S. 189. Vgl. Brief Triepel an die Notgemeinschaft vom 17.4.1933, BArch, R  73/130, Bl.  186. Zur Wahl vorgeschlagen hatte ihn die Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer. Anschütz zitiert sein Emeritierungsgesuch vom 31.3.1933 in seiner Autobiografie. Anschütz: Leben, S. 328. Notiz Anschütz, o. D. [Oktober 1933], zit. nach: Gassner: Triepel, Fn. 204, S. 101. Das folgende Zitat ebd.

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Machthaber nicht duldeten, dass Triepel weiterhin an der Hochschule tätig war. Das Reichserziehungsministerium entband ihn im Frühjahr 1935 von seinen amtlichen Verpflichtungen, ohne in irgendeiner Weise in Aussicht zu stellen, die Entpflichtung hinauszuschieben. Dies unterschied Triepels Fall von vielen anderen, in denen Professoren trotz des Erreichens der Altersgrenze weiterhin lehren durften. Triepel hingegen galt als „alter Geheimrat“, der nicht mehr den Erfordernissen der neuen Zeit entsprach und aus diesem Grunde nicht mehr lehren sollte. Hinzu kam ein antisemitisches Motiv, denn Triepel galt aufgrund seiner Ehefrau in der Definition der Nationalsozialisten als „jüdisch versippt“.41 Er selbst fasste die Gründe für seine Vertreibung nach Kriegsende folgendermaßen zusammen: „Während der nationalsozialistischen Ära bin ich unbillig behandelt worden. Obwohl die Amtszeit der meisten meiner Altersgenossen von der Regierung über die Altersgrenze hinaus verlängert worden ist, bei manchen sogar sehr erheblich, sind die zu meinen Gunsten aus der Mitte der Fakultät an die Regierung gerichteten Anträge wiederholt brüsk abgelehnt worden. Als Begründung diente meine ‚jüdische Versippung‘ – ich bin nämlich mit der Tochter des aus jüdischer Familie stammenden bekannten Aegyptologen und Romanschriftstellers Georg Ebers verheiratet – andererseits die Tatsache, dass ich mehrmals mich für jüdische Schüler und Kollegen verwendet habe.“42 Triepel setzte sich in der Tat nicht nur für ein jüdisches Mitglied der Historischen Reichskommission ein,43 sondern ebenso für mindestens drei der in diesem Buch vorgestellten DFG-Gremienmitglieder, die aus rassistischen Gründen von der Hochschule vertrieben wurden: Für Arthur Nußbaum, der nach seiner Vertreibung die Entscheidung bezüglich der Ruhegehaltsberechtigung grundsätzlich prüfen lassen wollte, verfasste Triepel ein unterstützendes Rechtsgutachten, er protestierte gegen die Entlassung von Albrecht Mendelssohn Bartholdy aus dem Herausgebergremium des Archivs für öffentliches Recht (dem auch er angehörte), und er sagte den Schülern Erwin Jacobis Unterstützung zu, die gegen dessen Vertreibung von der Hochschule vorgehen wollten. An Jacobis Freund Walter Jellinek schrieb er: „Sie vermuten mit Recht, dass ich im Augenblick schlechterdings nicht weiß, wie hier zu helfen ist. Aber dass irgendwie geholfen werden muß, ist sicher, und die Freunde müssen versuchen, einen Weg zu finden. Wenn Sie mich brauchen, stehe ich immer bereit.“44 Triepel erhielt die Mitteilung über seine eigene Zurruhesetzung am 11. März 1935 und informierte daraufhin den Dekan, dass er die für das Sommersemester angekündigten Vorlesungen nicht halten werde.45 Auch aus dem Justizprüfungs41 42 43 44 45

Vgl. auch Heiber: Universität, Teil II, Bd. 2, S. 432. Seine „jüdische Versippung“ war auch der Grund dafür, dass er das Corpsband seines alten Corps Suevia nicht mehr tragen durfte, was ihn offenbar sehr traf, vgl. Gassner: Triepel, S. 192 und 194. Brief Triepel an die Universitätskasse vom 28.12.1945, UAHU-B, PA Triepel, Bl. 45. Es lässt sich wohl nicht mehr klären, ob – wie Triepel erwähnte – die Fakultät tatsächlich Anträge zu seinen Gunsten an die Regierung stellte oder dies auf Triepels Wunsch hin unterließ. Vgl. Marcon/Strecker/Randecker (Hg.): Jahre, S. 343. Brief Triepel an Jellinek vom 18.10.1933, zit. nach: Otto: Eigenkirche, S. 239. Vgl. Mitteilung Reichs- und Preußischer Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung an Triepel vom 23.7.1935, UAHU-B, PA Triepel, Bl. 36. Vgl auch Brief Triepel an

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amt beim Kammergericht musste er nun ausscheiden.46 Da die Entscheidung des Reichserziehungsministeriums endgültig war, endete seine Tätigkeit an der Hochschule im Winter 1934/35 nach über 40 Dienstjahren. Nur die ritualisierten Schreiben der Universität zu besonderen Festtagen erreichten ihn weiterhin, so etwa im Februar 1938 zu seinem 70. Geburtstag, drei Jahre später zu seinem 50-jährigen Doktorjubiläum oder im Februar 1943 zu seinem 75. Geburtstag.47 Nach der Vertreibung von der Universität lebte Triepel zusammen mit seiner Frau weiterhin in Berlin. Er ging keiner anderen Berufstätigkeit nach, sondern setzte vielmehr seine wissenschaftliche Tätigkeit als Privatgelehrter fort. Zum Forschen nutzte er seine private Bibliothek, musste jedoch 1937  – offenbar von finanziellen Sorgen bedrückt48 – einen großen Teil seiner Bücher an die Universität Greifswald verkaufen. Gleichwohl gelang es ihm, einige größere Arbeiten fertigzustellen. Von keinem Publikationsverbot betroffen, konnte er diese sogar veröffentlichen. So erschien 1938 Die Hegemonie. Ein Buch von führenden Staaten49 und 1942 Delegation und Mandat im öffentlichen Recht.50 Zudem nahm Triepel bis 1944 am wissenschaftlichen Fachdiskurs teil, besprach in jenem Jahr beispielsweise die Studie Das europäische Gleichgewicht. Politische Idee und staatsmännisches Handeln von Eberhard von Vietsch in Band XII der Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht und unterstützte seine Schüler. So riet er etwa im Herbst 1943 Carl Bilfinger dazu, die Nachfolge von Viktor Bruns anzutreten und das Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht als Direktor zu übernehmen.51 Doch gesundheitliche Probleme hinderten Triepel zunehmend am Arbeiten. So musste er sich Anfang des Jahres 1943 einer Augenoperation unterziehen, ohne dass dies zu einer wesentlichen Besserung führte. Der Hochbetagte suchte nun zunehmend Trost in der Religion. So hatte er bereits 1940 an seine Tochter geschrieben: „Religiös bin ich stets gewesen, habe nur äusserlich niemals viel Worte darüber gemacht. Wenn man alt wird, thut man ganz von selbst mehr Blicke in sich hinein als früher.“52 Eine weitere Verschlechterung der Lebensumstände trat 1944 ein. Triepels Berliner Wohnung wurde im Februar 1944 durch

46 47 48 49 50 51 52

der Kurator der Universität vom 28.5.1938, ebd., Bl. 40. Darin schrieb er, er komme für das Treuedienst-Ehrenzeichen deshalb nicht in Betracht, „da ich nach meiner Emeritierung im Lehrbetrieb nicht mehr tätig gewesen bin“, ebd. Triepel war zum 1.1.1934 zum Mitglied des auf drei Jahre gebildeten Prüfungsamts bestellt worden. Auch wurde ihm 1936 die Ehrenmitgliedschaft der im Juni 1933 gegründeten Deutschen Gesellschaft für Wehrpolitik und Wehrwissenschaften angetragen, vgl. Marcon/Strecker/ Randecker (Hg.): Jahre, S. 344. Vgl. Brief Triepel an den Kurator der Universität vom 28.5.1938, UAHU-B, PA  Triepel, Bl. 40, sowie Brief Triepel an die Universitätskasse vom 29.10.1945, ebd., Bl. 44. Zu diesem Werk vgl. Bilfinger: Triepel, S. 9–11; Stolleis: Geschichte, S. 330 und 388 f. Die Monografie Vom Stil des Rechts konnte er fertigstellen, erlebte die Veröffentlichung jedoch nicht mehr. Ein Schriftenverzeichnis findet sich bei Marcon/Strecker/Randecker (Hg.): Jahre, S. 344–348. Vgl. Bilfinger: Triepel, S. 1. Brief Triepel an seine Tochter vom 15.4.1940, zit. nach: Gassner: Triepel, S. 192.

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einen Luftangriff vollständig zerstört. Glücklicherweise hatten sich weder er noch seine Frau zu jenem Zeitpunkt in der Wohnung befunden. Sie hielten sich vielmehr in ihrem Ferienhaus in Untergrainau bei Garmisch auf, das sie 1927 gekauft und seither als Ferienresidenz der Familie genutzt hatten. Nach der Zerstörung ihrer Berliner Wohnung blieb das Ehepaar in Bayern.53 Ein Jahr später hatte sich Triepels Augenleiden derart verschlechtert, dass er sich einer weiteren Operation am rechten Auge unterziehen musste. Die Operation misslang jedoch, sodass er ab dem Frühjahr 1945 nahezu blind war und weder arbeiten noch reisen konnte. Dies erwies sich auch insofern als dramatisch, als die Berliner Universität kurz nach Kriegsende die Zahlung seiner Bezüge einstellte, weil – so die Begründung – Bezüge nur diejenigen erhalten würden, die in Berlin lebten. Die entsprechende Mitteilung bedeutete für Triepel, wie er am 28. Dezember 1945 an die Universitätskasse schrieb, „nicht weniger als ein Todesurteil“.54 Weder der Verweis auf seinen jahrzehntelangen Dienst als Hochschullehrer noch die Einschaltung des Rektors55 änderten etwas an der Haltung der Universität, sodass das Ehepaar in eine höchst prekäre Lage geriet. Erst durch die Vermittlung von Heinrich Mitteis, der nach Kriegsende zur Juristischen Fakultät der Berliner Universität stieß und Triepel gut kannte (Mitteis besaß ebenfalls ein Gartenhäuschen in Untergrainau), kam eine Lösung in Sicht.56 Triepel erhielt seit Sommer 1946 eine „Forschungsbeihilfe“ von 600 RM57 und schloss zudem einen Dienstvertrag mit der bayerischen Betreuungsstelle für Hochschullehrer des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus ab, der ihm für „Arbeiten wissenschaftlicher und kultureller Natur“ eine Monatsvergütung von 150 RM zusicherte. Schon zuvor hatte er für den bayerischen Ministerpräsidenten Wilhelm Hoegner (SPD) ein Gutachten über die Gestaltung der Beziehungen zwischen Bayern und dem neu zu schaffenden Bund erstellt. Doch Triepel konnte aufgrund seines Augenleidens kaum noch arbeiten. Er starb am 23. November 1946 in Untergrainau an den Folgen eines Herzinfarkts.58

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Zu seiner letzten Lebensphase vgl. auch Gassner: Triepel, S. 196–201. Brief Triepel an die Universitätskasse vom 28.12.1945, UAHU-B, PA  Triepel, Bl.  45. Vgl. auch den Briefwechsel seit Herbst 1945, in dem Triepel seine prekäre finanzielle Lage schilderte, ebd., Bl. 44 und 44R. Vgl. Brief Triepel an den Rektor der Universität Berlin vom 3.1.1946, UAHU-B, PA Triepel, Bl. 47. Vgl. Brief Mitteis an den Rektor der Universität Berlin vom 24.6.1946, UAHU-B, PA Triepel, Bl. 57. Vgl. Notiz Universitätskasse vom 23.11.1946, UAHU-B, PA Triepel, Bl. 58. Mit Triepels Tod wurde die Zahlung der Forschungsbeihilfe eingestellt, was für seine Frau eine Katastrophe bedeutete. Erneut intervenierte Mitteis, sodass sie einmalig 500 RM und für die Bearbeitung des wissenschaftlichen Nachlasses „bis auf weiteres“ monatlich 250 RM erhielt, vgl. die Unterlagen in UAHU-B, PA Triepel, Bl. 58–61.

FACHAUSSCHUSS STAATSWISSENSCHAFTEN Goetz Briefs (1889–1974)

Goetz

Briefs

Gottfried Anton – genannt Goetz – Briefs wurde am 1. Januar 1889 in Eschweiler bei Aachen als viertes von neun Kindern der Eheleute Franz Briefs und Anna Briefs-Viethen geboren und katholisch getauft.1 Briefs Söhne berichteten in den 1980er Jahren, dass die Familie ihres Vaters in bescheidenen sozialen und eher ärmlichen Verhältnissen lebte, ihre Großmutter auf einem Bauernhof nahe der französischen Grenze groß geworden war und ihr Großvater in einer Drahtfabrik gearbeitet hatte.2 Gleichwohl konnte Briefs nach Ende der Schule ein Studium aufnehmen, da eine kinderlose, vermögende Tante die benötigten Gelder zur Verfügung stellte. Er begann 1908 an der Universität München mit den Fächern Philosophie und Geschichte, wechselte bald jedoch zur Nationalökonomie. Sein Lehrer Lujo Brentano weckte schon früh sein Interesse an der Betriebswirtschaft und der Gewerkschaftsbewegung und damit an Themen, die sein späteres wis1

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Dieser Beitrag stützt sich auf die grundlegende Forschungsliteratur über Briefs. Zu nennen sind insbesondere folgende Publikationen: die entsprechenden Einträge in DBE und BBKL; Amstad: Werk; Brenninkmeijer: Unternehmer; Goldschmidt: Briefs; Klein-Zirbes: Beitrag; Streithofen/Voss: Einleitung; Weber: Briefs; Wilke: Briefs. Zudem wurden folgende Quellen herangezogen: UAF, B 24/404, PA Briefs; UATU-B, PA Briefs, Wiedergutmachungsakte und Biografische Sammlung: Briefs. Die PA der TH Berlin-Charlottenburg ist nicht überliefert, aber offenbar lagen dem Entschädigungsamt Berlin Mitte der 1950er Jahre Dokumente aus dieser vor, die im Wiedergutmachungsverfahren herangezogen wurden. Das oben gezeigte Porträtfoto wurde leicht retuschiert, indem handschriftlich auf dem Bild aufgebrachte Pfeile entfernt wurden. Vgl. Klein-Zirbes: Beitrag, S. 15 (Klein-Zirbes stützt seinen Beitrag auf Informationen von Briefs’ Kindern und Neffen); Brenninkmeijer: Unternehmer, S. 4.

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Fachausschuss Staatswissenschaften

senschaftliches Schaffen prägen sollten. Nach einer Zwischenstation in Bonn ging Briefs nach Freiburg, wo er sein Studium 1911 mit einer mit „summa cum laude“ bewerteten Promotion über Das Spirituskartell. Eine wirtschaftspolitische Untersuchung abschloss. Karl Diehl und Gerhart von Schulz-Gaevernitz gehörten zu seinen wichtigsten Förderern. Nach einem Studienaufenthalt an der London School of Economics habilitierte er sich bereits 1913 in Freiburg. Zwei Jahre später erschien die Habilitationsschrift mit dem Titel Untersuchungen zur klassischen Nationalökonomie mit besonderer Berücksichtigung der Durchschnittsprofitrate. Der Erste Weltkrieg unterbrach Briefs Lehrtätigkeit als Privatdozent. Er meldete sich im Sommer 1914 freiwillig, wurde aber wegen eines Augenleidens nicht zum Militärdienst zugelassen. Im November 1915 berief ihn das Preußische Ministerium des Inneren ein und übertrug ihm die Organisation und Leitung des die Ernährungslage und Ernährungsfragen betreffenden Nachrichtendienstes;3 im Mai 1916 wechselte er in das neu gegründete Kriegsernährungsamt. Diese Position beibehaltend, übernahm er im Winter 1916 zusätzlich die Vertretung des volkswirtschaftlichen Lehrstuhls von August Skalweit an der Universität Gießen, die ihn 1917 zum außerordentlichen Professor ernannte. Im Sommer 1918 ging er erneut hauptamtlich zurück nach Berlin, und zwar als Referent für volkswirtschaftliche Fragen im Kriegsministerium. Ab November 1918 arbeitete er dann als Referent, Abteilungsleiter und zuletzt als stellvertretender Gruppenchef im Reichsamt für die wirtschaftliche Demobilisation, darüber hinaus wurde er mit besonderen Aufgaben betraut. So schickte man ihn im Dezember 1918 nach Köln, um den später sich als gegenstandslos erweisenden Gerüchten nachzugehen, der dortige Oberbürgermeister Konrad Adenauer wolle das linke Rheinufer als Pufferstaat zu Frankreich vom Deutschen Reich abtrennen.4 Zudem setzte sich Briefs für das Betriebsrätegesetz ein und gehörte der vorbereitenden Kommission für den entsprechenden Gesetzentwurf von 1920 an.5 Seine Kontakte zu Werner Sombart, Max Scheler, Ernst Troeltsch, Adolf von Harnack und Walther Rathenau rührten aus dieser Zeit. Schließlich erhielt er das Angebot, in der Reichskanzlei eine Stelle als Abteilungsleiter und Referent für innere Politik zu übernehmen.6 Doch Briefs entschied sich gegen Berlin und für Freiburg bzw. die wissenschaftliche Laufbahn. Im Mai 1919 kehrte er als außerplanmäßiger Professor nach Baden zurück. In demselben Jahr heiratete er. Mit seiner Frau Anna Stefanie Weltmann, einer Lehrerin, hatte er vier Kinder, die zwischen 1920 und 1925 zur Welt kamen.7

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Vgl., auch zum Folgenden, Beurlaubungsgesuch Briefs vom 11.4.1917 an die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Universität Freiburg für das kommende Sommersemester, UAF, B 24/404, PA Briefs. Vgl. Brenninkmeijer: Unternehmer, S. 5. Vgl. Weber: Briefs, S. 237 f.; Wilke: Briefs, S. 337 f. Vgl. den Brief der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät an das Badische Ministerium des Kultus und Unterrichts vom 20.5.1919, UAF, B 24/404, PA Briefs. Vgl. auch KleinZirbes: Beitrag, S. 19 f. Karteikarte, BArch, R 4901/13260, Bl. 1032.

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Nach dem Ersten Weltkrieg setzte sich Briefs, der nun auch die neu gegründete Zeitschrift Deutsche Monatshefte für christliche Kultur und Politik mit herausgab, kritisch mit dem Kapitalismus und Marxismus auseinander, wobei er in seinen Überlegungen von der sozialen Lage der Arbeiter, den Sorgen und Nöten der Lohnarbeiterschaft ausging. Sein Schüler Ferdinand Hermens charakterisierte dies folgendermaßen: „Sein Mitgefühl für die Arbeiter und ihre berechtigten Forderungen war […] stark […], aber sobald der Sozialismus eine marxistische Schlagseite aufwies, war er sich voll bewußt, daß es sich hier um eine ‚säkularisierte Religion‘ handelte“, mit der Briefs aus prinzipiellen Gründen keinen Kompromiss schließen wollte.8 Zudem interessierte er sich in den 1920er Jahren für die Geschichte und Theorie der Gewerkschaften und setzte sich vor allem mit den sozialphilosophischen Strömungen der Zeit auseinander – vor allem mit Oswald Spengler. 1920 erschien im Freiburger Herder Verlag seine viel beachtete Studie Der Untergang des Abendlandes. Christentum und Sozialismus – eine Auseinandersetzung mit Oswald Spengler. In der Untersuchung, die Briefs seiner Frau widmete, analysierte er die Auswirkungen von Industrialisierung, Urbanisierung und kapitalistischer Wirtschaftsweise: „Die Last der Arbeitsintensität, der Minderbewertung als Mensch und als soziale Gruppe, der Nichtgewährung gleicher staatsbürgerlicher Rechte traf […] Schichten, die durchgängig in der ersten, höchstens der zweiten Generation vom Lande stammten. Eine ungeheure Binnenwanderung hatte den schnellen Aufschwung des deutschen Kapitalismus begleitet; was zuwächst an Menschen, […] wandert zur Industriestadt, zur Großstadt. Eine Entwurzelung von Millionen landsässigen, einfachen Volkes im kurzen Verlauf von 30–40 Jahren!“9 Die „Entwurzelung von Millionen industrieller stadt- und großstadtsässig gewordener Landbevölkerung“ bedeute zugleich „Auflösung des Gemeinschaftsbewußtseins und Zersetzung des Gemeinschaftsempfindens, Heimatlosigkeit, Verblassen der inneren Bindungen, Verbitterung und Haß gegen die kalte unfaßbare Macht, die stärkste Arbeitsleistung verlangt und dabei der Seele und dem Herzen alles nimmt, woran ein Mensch für sich und vor seiner Umwelt Stütze und Halt findet“. Vor diesem Hintergrund formulierte Briefs das Theorem der Grenzmoral, das eine Übertragung von Lehren der ökonomischen Grenznutzenschule auf den Bereich von Moral und Ethos darstellte und das auf die „tendenziell eher absinkende Geschäftsmoral“ im freien Wettbewerb hinwies: „Unter ‚Grenzmoral‘ verstehe ich die Moral der am wenigsten durch moralische Hemmungen im Konkurrenzkampf behinderten Sozialschicht, die aufgrund ihrer Mindestmoral unter übrigens gleichen Umständen die stärksten Erfolgsaussichten hat und somit die übrigen konkurrierenden Gruppen bei Strafe der Ausschaltung vom Wettbewerb zwingt, allmählich in Kauf und Verkauf sich dem jeweiligen tiefsten Stand der So-

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So Ferdinand Herens 1994 in seinem Beitrag Begegnungen und Gespräche mit Goetz Briefs, zit. nach: Klein-Zirbes: Beitrag, S. 23. Vgl. auch Amstad: Werk, S. 50–56. Briefs: Untergang, S. 65 f. Das folgende Zitat ebd., S. 67. Vgl. auch Laudatio des Dekans der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften, Prof. Scheidl, anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde am 7.7.1967, UATU-B, Biografische Sammlung: Briefs.

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zialmoral (der ‚Grenzmoral‘) anzugleichen. Das gilt ‚tendenziell‘.“10 Da sich ein wenig ausgeprägtes sozial-moralisches Verantwortungsgefühl als Wettbewerbsvorteil erweise und der Konkurrenzdruck das Individuum zwinge, sich diesem zu nähern, bleibe – so Briefs Schlussfolgerung – dem Menschen in der kapitalistischen Gesellschaft letztendlich keine Wahl. Die „gute Moral“ werde von einer „niederen“ verdrängt, sodass die eigenen Interessen ins Zentrum rücken. Die alleinige Rückbindung menschlichen Handelns an das Selbstinteresse, die Briefs in vielen Schriften problematisierte, erklärte er jedoch nicht individualpsychologisch, sondern als Ergebnis der historischen Entwicklung des Kapitalismus: „Der historische Durchbruch der liberal-individualistischen Wirtschaftsordnung stieß auf die Fülle der vorkapitalistischen Gemeinschaftsgebilde, die nach einem traditionellen und integrierten Ethos lebten. Die bei ihnen geltende Gemeinschaftsmoral, wenn auch schon häufig zersetzt, hatte nun den Druck der ungehemmt sich regenden privaten Selbstinteressen. Mit diesen ging, wie die Dinge lagen, die Prämie des Erfolgs. So konnte es nicht ausbleiben, daß langsam oder schneller jene ethischen Normen an Geltung verloren, die innerhalb der Gemeinschaftsformen lebendig waren. Mit ihrer Erosion verfielen die Gemeinschaften selbst.“11 Ein Jahr nach dem Erscheinen des Buches wechselte Briefs an die Universität Würzburg, die ihn 1922 zum Ordinarius ernannte,12 kehrte aber bereits 1923 nach Freiburg zurück, wo er den Lehrstuhl von Gerhart von Schulze-Gaevernitz übernahm und seine Bekanntschaft mit Edmund Husserl, Joseph Geyser und Martin Heidegger intensivierte. Als wichtige Veröffentlichungen jener Jahre gelten seine Kritik sozialer Grundprinzipien (1922/23) sowie Das gewerbliche Proletariat (1926).13 Bei Letzterer handelt sich um einen Beitrag zu Max Webers Grundriss der Sozialökonomik, in dem Briefs, ausgehend von den Eigengesetzlichkeiten betrieblicher Vorgänge und der Wechselbeziehung zwischen gesellschaftlicher und betrieblicher Ordnung, den Charakter des Betriebs als „besondere Gestalt sozialer Einheiten“ definierte.14 Unternehmer und Arbeitnehmer könnten nur, so Briefs weiter, in dieser sozialen Einheit des Betriebs verstanden werden.15 In demselben Jahr, in dem das Buch erschien – später folgten englische und franzö-

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Briefs: Untergang, Fn. 1, S. 5. Zum Theorem der Grenzmoral und zum Folgenden vgl. ausführlich Goldschmidt: Briefs, S. 2–9; Weber: Briefs, S. 240 f.; Streithofen/Voss: Einleitung, S. 12; Amstad: Werk, S. 153–161; Broermann/Herder-Dorneich (Hg.): Verantwortung, S. X und 141–171. Briefs: Schriften, Bd. 1, S. 65. Zu seinen Würzburger Lehrveranstaltungen aus der Sicht der Studenten vgl. Broermann/ Herder-Dorneich (Hg.): Verantwortung, S.  IX. In seiner Würzburger Zeit lehnte Briefs einen Ruf an die TH Karlsruhe ab, vgl. Laudatio des Dekans der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften, Prof. Scheidl, anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde am 7.7.1967, UATU-B, Biografische Sammlung: Briefs. Zu seiner Beschäftigung mit dem Proletariat vgl. ausführlich Amstad: Werk, S. 78–97. Streithofen/Voss: Einleitung, S. 13. Vgl. Brenninkmeijer: Unternehmer, S. 26–28. Vgl. Brenninkmeijer: Unternehmer, S.  26. Brenninkmeijers Studie greift diese Facette auf und untersucht, welche Rolle der Unternehmer in Briefs’ Denken und seinen Studien spielt.

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sische Übersetzungen – nahm er einen Ruf an die Technische Hochschule Berlin Charlottenburg an.16 Die Beschäftigung mit den Gewerkschaften und der Betriebssoziologie prägten die folgenden Jahre. So erschien nun sein Beitrag über Gewerkschaftswesen und Gewerkschaftspolitik im Handwörterbuch der Staatswissenschaften, und 1928 gründete er zusammen mit Paul Riebensahm das Institut für Betriebssoziologie und soziale Betriebslehre, das in der deutschen Hochschullandschaft ein Novum darstellte und sich als Ausgangspunkt betriebssoziologischer Forschungen in Deutschland erweisen sollte.17 Briefs hob zurückblickend auch die besondere Form der Lehrveranstaltungen hervor: „Die Übungen und Seminare zur Betriebssoziologie waren wertvolle Aussprache mit der jungen Generation kommender Ingenieure, die schon Betriebserfahrung aus der Werkstattpraxis mitbrachten – so konnten Lehrer und Schüler in fruchtbarer Gegenseitigkeit voneinander lernen.“18 Briefs und Riebensahm ließen sich zudem von der Entwicklung in den Vereinigten Staaten inspirieren und beantragten bei der Berliner Forschungsgemeinschaft 24.000 RM für eine Reise in die USA zu „Forschungen über die soziologischen und industrie-pädagogischen Probleme der amerikanischen Betriebsführung“.19 Ihre Studienreise führte sie in Betriebe entlang der Ostküste und durch den Mittleren Westen.20 Darüber hinaus nahm Briefs in den späten 1920er Jahren Lehraufträge an der Berliner Handelshochschule sowie Gastprofessuren an den Universitäten Wien, Bern und Salzburg wahr, engagierte sich im sogenannten Königswinterer Kreis – einer Gruppe von katholischen Sozialwissenschaftlern, die sich monatlich in Königswinter trafen, um über Sozialpolitik in Zeiten der Weltwirtschaftskrise zu diskutieren.21 Auch gehörte er der Kommission zur Arbeitslosigkeitsversicherung beim Deutschen Arbeitsministerium an, und zweimal trug man ihm einen Posten im Kabinett der Weimarer Republik an. Doch Briefs verließ die akademische Welt nicht und begann, nachdem 1931 sein Aufsatz Betriebssoziologie im Handwörterbuch der Soziologie erschienen und eine Studienreise nach Spanien abgeschlossen war, an einer groß angelegten Studie über Sozialpolitik zu arbeiten.22 16

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Die Entlassung aus dem badischen Staatsdienst erfolgte zum 1.10.1926, UAF, B  24/404, PA Briefs. Sein Nachfolger in Freiburg wurde Walter Eucken. Briefs hatte zudem einen Ruf an die Universität Wien erhalten, vgl. Laudatio des Dekans der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften, Prof. Scheidl, anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde am 7.7.1967, UATU-B, Biografische Sammlung: Briefs; Wilke: Briefs, S. 340. Zu diesem Institut vgl. v. a. Wilke: Briefs; Streithofen/Voss: Einleitung, S.  13 f.; Amstad: Werk, S. 97–103. Zit. nach: Laudatio des Dekans der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften, Prof. Scheidl, anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde am 7.7.1967, UATU-B, Biografische Sammlung: Briefs. Datenbank DFG-Geschichte, vgl. zudem BArch, R 1501/126776. Vgl. Dankesrede Briefs anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde am 7.7.1967, UATU-B, Biografische Sammlung: Briefs. Vgl. Klein-Zirbes: Beitrag, S.  24; Broermann/Herder-Dorneich (Hg.): Verantwortung, S. 571–585. Vgl. Amstad: Werk, S. 105–120.

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Zum Zeitpunkt der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ war Briefs als Mitbegründer der Betriebssoziologie und bedeutender Gewerkschaftstheoretiker bekannt, zudem als Hochschullehrer, der stark von der katholischen Soziallehre beeinflusst war.23 Die neuen Machthaber identifizierten ihn daher  – aufgrund seiner wissenschaftlichen Schwerpunktsetzungen – eindeutig als Gegner des NSRegimes. Auch ein Teil der Studenten protestierte gegen ihn. Sie kritisierten im Sommer 1934, seine Vorlesung zur Volkswirtschaftslehre sei „mehr kritisch als aufbauend“, jedenfalls nicht nationalsozialistisch. Dies könne „gleichgültige Studenten“ in eine falsche Richtung lenken, seine „zustimmenden Hörer“ seien ohnehin „Juden, Halbjuden und ein Teil der als Hörer zugelassenen Offiziere“.24 Die Reichsstudentenführung urteilte: „Politisch unser gefährlichster Mann, da er in sehr geschickter Weise seine alten liberalistischen Theorien vertritt und, wie man zugeben muss, leider nicht ohne Erfolg bei den jüngeren Semestern. Ehemaliger Zentrumsmann mit jesuitisch-dialektischen Methoden.“25 Briefs stand seit Beginn der NS-Herrschaft im Visier der NS-Aktivisten. Gleichwohl bedeutete dies nicht, dass auch die wissenschaftliche Community ihn gezielt ausschloss. Vielmehr wurde Briefs bei den Wahlen zu den Fachausschüssen der Forschungsgemeinschaft im Frühjahr 1933 – zum ersten Mal im Laufe seiner Karriere – in den Fachausschuss 3 (Staatswissenschaften) gewählt. Zuständig war er dort für den Unterausschuss Allgemeine Nationalökonomie unter besonderer Berücksichtigung der Soziologie; zur Wahl vorgeschlagen hatte ihn der Verein für Sozialpolitik. Doch sein eigener Antrag auf eine Reisebeihilfe für einen mehrmonatigen Aufenthalt in England und den Vereinigten Staaten zu Untersuchungen über die gegenwärtige Wirtschaftspolitik traf auf Skepsis. Der Antragsteller wolle, so die Fachgutachter, die „antiindividualistischen wirtschaftspolitischen Strömungen“ am Beispiel der praktischen Wirtschaftspolitik der verschiedenen Länder verfolgen. Der Fachausschuss hege aber Zweifel, ob die Förderung „einem Gegenwartsbedürfnis“ entspreche, und lehnte den Antrag ab.26 Im Sommer 1934 spitzte sich Briefs’ Situation an der Hochschule zu. Aus einem Bericht des Berliner Rektors Achim von Arnim an das Reichserziehungsministerium geht hervor, dass NS-orientierte Studenten versuchten, ihn tätlich anzugreifen;27 zudem stand offenbar eine Verhaftung durch die Gestapo unmittelbar bevor.28 Briefs entschloss sich daher, Deutschland zu verlassen, und nutzte im Spätsommer 1934 einen familiären Italien-Aufenthalt, um in die Vereinigten Staaten zu fliehen.

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Zu seinem christlichen Sozialdenken vgl. Amstad: Werk, S. 173–203. Brief des Rektors der TH Berlin-Charlottenburg an das REM vom 24.7.1934, zit. nach: Heiber: Universität, Teil 2, Bd. 2, S. 30. Gutachten der Reichsstudentenführung, o. D., zit. nach: Wiedergutmachungsbescheid vom 31.5.1957, UATU-B, PA Briefs, Wiedergutmachungsakte. HA-Liste 1/1934–1935, BArch, R 73/118, fol. 80; Datenbank DFG-Geschichte. Der Brief des Rektors der TH Berlin-Charlottenburg an das REM vom 24.7.1934 wird von Heiber: Universität, Teil 2, Bd. 2, S. 30, zitiert. Vgl. Weber: Briefs, S. 238 f.; Streithofen/Voss: Einleitung, 15.

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Durch seine guten Beziehungen zur angloamerikanischen Fachcommunity, die nicht zuletzt auf seine früheren Forschungsaufenthalte zurückgingen, gelang es Briefs, in den USA, eine Gastprofessur an der Catholic University of America in Washington, D. C., zu übernehmen, sodass er im November 1934 seine Familie in die USA nachholen konnte.29 Er war zu diesem Zeitpunkt Mitte 40 und schien daher gute Chancen zu haben, im Exil Fuß zu fassen und seine wissenschaftliche Karriere fortzusetzen bzw. eine neue beginnen zu können.30 Doch zunächst dominierten, wie Briefs rückblickend berichtete, die Schwierigkeiten: Ohne abgesicherte Position musste die Familie mit einem bescheidenen und unsicheren Einkommen kalkulieren, zumal sie keine finanziellen Reserven besaß. Briefs besserte die Einkünfte mit Vorträgen, Artikeln und Sachverständigengutachten auf, die Arbeit an seinem Buch über Sozialpolitik stagnierte jedenfalls.31 Spätestens Anfang des Jahres 1936 entschied sich Briefs, dauerhaft in den USA leben zu wollen. Vom preußischen Kultusministerium vor die Wahl gestellt, entweder nach Deutschland zurückzukehren oder entlassen zu werden, blieb er in den Vereinigten Staaten. Im Frühjahr 1936 wurde er aus dem deutschen Staatsdienst suspendiert. Ein Jahr später konnte Briefs von der Gastprofessur an der Catholic University auf eine feste Professorenstelle an der Georgetown University in Washington, D. C., wechseln. Nun nahm er die amerikanische Staatsbürgerschaft an. Bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1962 blieb Briefs auf seiner Stelle in Washington. Von 1938 bis 1948 hielt er zudem für die jeweilige Summer School der Columbia University Vorlesungen; während des Krieges arbeitete er zudem als Berater für das Office of Strategic Services.32 Die Erfahrungen mit dem amerikanischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem sowie mit den amerikanischen Gewerkschaften beeinflussten Briefs’ Schaffen – insbesondere seine Gewerkschaftstheorie – maßgeblich. Er selbst war sich dessen bewusst, wie er 1960 ausführte: „Ich kam in den Vereinigten Staaten mit einer Wirtschaftswissenschaft in Berührung, die weitab von allem lag, was ich auf deutschen Hochschulen gelernt hatte. Die Erfahrungen mit dem New Deal, die Invasion von Keynes, der Einfluß und die persönliche Bekanntschaft mit dem humanistisch und europäisch geschulten Schumpeter – das und anderes mehr bot das neue geistige Klima, mit dem ich mich auseinanderzusetzen hatte.“33 Galt er in den 1920er Jahren noch als Fürsprecher der Gewerkschaft, so wandelte sich Briefs in den USA zu deren Kritiker; vor allem die deutschen Gewerkschaften charakterisierte er als äußerst starr. Zu seinen wichtigsten Veröffentlichungen in diesem Bereich zählen Zwischen Kapitalismus und Syndikalismus (1952) und Die Gewerkschaften zwischen Gestern und Heute (1955). 1956 fasste er seine Überlegungen nochmals in einem Bei29 30 31 32 33

Vgl. Klein-Zirbes: Beitrag, S. 26. Vgl. zu dieser Alterskohorte der USA-Emigranten Krohn u. a. (Hg.): Handbuch, S. 554 und 897. Vgl. eidesstattliche Erklärung Briefs vom 12.7.1960, zit. nach: Klein-Zirbes: Beitrag, S. 32 f. Vgl. Krohn u. a. (Hg.): Handbuch, S. 554. Briefs’ Rede anlässlich der Verleihung des Ehrendoktorats 1960 in München, zit. nach: Weber: Briefs, S. 239. Vgl. auch Streithofen/Voss: Einleitung, S. 15.

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trag (Theorie der Gewerkschaften) für das Handwörterbuch der Staatswissenschaften zusammen.34 Als zentrales Ergebnis seiner Überlegungen ist die später so genannte dynamische Gewerkschaftstheorie anzusehen, die zwischen der „klassischen“ Gewerkschaft des Wirtschaftsliberalismus und der „befestigten“ Gewerkschaft unterschied. Die „befestigten Gewerkschaften“ bzw. „established labour unions“ hätten sich, so sein zentrales Argument, von ihrer Kernaufgabe, dem Verhandeln kollektiver und für die Arbeitnehmer gerechter Löhne, zunehmend entfernt und die Lebenswirklichkeit der Arbeiter aus den Augen verloren. Sie hätten sich zu einem unflexiblen Verband entwickelt, was letztendlich die gesamte Gesellschaft betreffe. „Keine Demokratie kann übersehen, daß ziffernmäßig starke Verbände, auch wenn sie primär im Wirtschaftlichen verankert sind, politisch relevant sind“.35 Die Macht der Verbände könne so groß werden, dass jeder Wille zur Veränderung, jeder Mut zum Widerstand verloren gehe: „Die Forderung an die Verbände, in ihrer Politik das Gesamtinteresse zu wahren, übersieht, daß selbst bei gutem Willen […] ihre Struktur und Funktion es schwer, wenn nicht unmöglich machen, zur Idee der Gesamtverantwortung für das Gemeinwohl durchzudringen“. Doch Briefs Arbeiten zielten nicht auf die Institution Gewerkschaft. Vielmehr gründete sein wissenschaftliches Lebenswerk, so sein Biograf Wilhelm Weber, auf einer sozialphilosophischen oder anthropologischen Basis: „Der in Wirtschaft, Gesellschaft und Staat lebende, wirkende und denkende Mensch ist für Briefs das entscheidende Subjekt aller gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen und Tatbestände, auch wenn er dieses Subjekt im Prozeß der ‚Verfestigung‘ immer mächtigerer Verbände […] in großer Sorge mehr und mehr an die Peripherie oder in Nischen und kleiner werdende Leerräume des Geschehens zurückgedrängt sah.“36 Briefs sah in der Würde, Freiheit und Unabhängigkeit der Person das höchste Ziel, an dem sich Wirtschaft und Politik orientieren müssten. Daher lehnte er „kollektivistische[…] Heilslehren“ ab. Sein Ideal einer gerechten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung lag vielmehr „in der Mitte zwischen Liberalismus und Kollektivismus“.37 Nach Kriegsende besuchte Briefs Deutschland häufiger. Anlass zu seiner ersten Reise bot die Heirat seines ältesten Sohnes im Herbst 1948 in Karlsruhe.38 Seine Frau erlebte die Hochzeit ihres Sohnes nicht mehr. Sie war 1946 gestorben, und Briefs machte für ihren Tod die Emigration und die „damit verbundenen seelischen Aufregungen“ verantwortlich.39 Er selbst heiratete im Mai 1951 ein zweites Mal und hatte mit seiner neuen Frau Elinor Struve eine weitere Tochter.40 34 35 36 37 38 39 40

Vgl. zu diesem Bereich in Briefs’ Werk ausführlich Amstad: Werk, S. 121–152. Zit. nach Klein: Spielräume [Zugriff 18.7.2016]. Dort auch das folgende Zitat. Zur Sozialphilosophie Briefs’ vgl. auch Weber: Briefs, S. 244 f.; ausführlich Amstadt: Werk, S. 28–76. Weber: Briefs, S. 240. Streithofen/Voss: Einleitung, S. 17. Vgl. Klein-Zirbes: Beitrag, S. 33. Seine beiden Töchter heirateten 1945 und 1949 in den USA. Eidesstattliche Erklärung Briefs vom 12.7.1960, zit. nach: Klein-Zirbes: Beitrag, S. 32. Die Tochter wurde am 7.6.1953 geboren. Vgl. Wiedergutmachungsbescheid vom 31.5.1957, UATU-B, PA Briefs, Wiedergutmachungsakte.

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Doch nicht nur die Familie verband Briefs mit Deutschland. Er wollte zudem den Staat nicht aus der Verantwortung für seine Vertreibung aus der Hochschule entlassen und stellte im Januar 1954 einen Antrag auf Wiedergutmachung.41 Diesen lehnte das Entschädigungsamt zunächst aus formalen Gründen ab, sodass er im Frühjahr 1956 erneut einen Antrag einreichte. Der endgültige Bescheid lag ein Jahr später vor. Darin wurde seine politische NS-Verfolgung anerkannt, ohne die er ansonsten bis 1951 „im Amt verblieben wäre“. So erhielt Briefs rückwirkend zum 1. April 1951 „als Ruhegehalt die Emeritenbezüge“, zudem eine Entschädigung und nicht zuletzt das Recht, die Amtsbezeichnung „emeritierter ordentlicher Professor der Technischen Universität Berlin“ zu führen.42 Schließlich ist Briefs’ Interesse an der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik zu nennen. Unmittelbar nach Kriegsende sprach er sich in der amerikanischen Öffentlichkeit entschieden gegen die Demontage deutscher Betriebe aus43 und schaltete sich dann in den folgenden Jahren immer wieder in die Diskussionen über die bundesdeutsche Gesellschafts- und Sozialpolitik ein. Er hielt zahlreiche Gastvorlesungen und Vorträge, nahm an Podiumsdiskussionen teil und steuerte Zeitungsartikel in der Tagespresse bei – unter anderem in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Bald gehörte er zum Umfeld von Konrad Adenauer, Ludwig Erhard sowie Heinrich Lübke und hielt engen Kontakt zu den Gewerkschaften, insbesondere zu den Vorsitzenden Hans Böckler und Walter Freitag. Zudem engagierte er sich im Bund Katholischer Unternehmer und in der von Alexander Rüstow ins Leben gerufenen Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft.44 Die Entstehung der sozialen Marktwirtschaft in der Bundesrepublik bewertete Briefs als „epochales Ereignis“,45 sah er doch wesentliche seiner wirtschaftsethischen Ordnungsvorstellungen in diesem Konzept verwirklicht. Als überzeugter Katholik verstand er die soziale Marktwirtschaft als Synthese aus Ordoliberalismus und christlicher Soziallehre. Vor diesem Hintergrund plädierte er auch für eine aktive Sozialpolitik des Staates, warnte aber zugleich vor einer Überlastung des Systems durch diese, nicht zuletzt durch ihre „Nebenwirkungen“, die zu „Verkrustung und Versteifung der Sozialgebilde“ führen könnten und die Bürokratie wachsen ließen.46 Verschiedene Personen versuchten, Briefs ganz nach Deutschland zurückzuholen. Adenauer etwa regte eine Einladung an und wünschte, Briefs würde sich als bekannter katholischer Sozialpolitiker in der Bundesrepublik engagieren, und Rüstow schrieb 1956 für die Forschungsgemeinschaft, man warte „nur auf 41 42 43 44 45 46

Vgl., auch zum Folgenden, die Wiedergutmachungsakte in UATU-B, PA Briefs. Wiedergutmachungsbescheid vom 31.5.1957, UATU-B, PA Briefs, Wiedergutmachungsakte. Vgl. Brenninkmeijer: Unternehmer, S. 9. Vgl. Klein-Zirbes: Beitrag, S. 35. Rüstow war 1949 aus dem türkischen Exil zurückgekehrt und übernahm 1950 als Ordinarius den Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an die Universität Heidelberg. Brenninkmeijer: Unternehmer, S.  13. Zu Briefs’ Beitrag zur Grundlegung der sozialen Marktwirtschaft vgl. auch Klein-Zirbes: Beitrag, S. 115–132. Goetz Briefs: Betriebssoziologie (1931), zit nach: Klein-Zirbes: Beitrag, S. 100.

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seine Rückkehr, um ihn [in den mit der Rentenreform befassten DFG-Senatsausschuss] zu kooptieren, und auch andere Gremien warten dringend auf ihn. Es liegt also auch rein sachlich im dringendsten Interesse unserer westdeutschen Sozialpolitik, daß alles geschieht, um ihm eine möglichst umgehende Rückkehr zu ermöglichen“.47 Im Zusammenhang mit einer Ehrung, welche die Universität Freiburg anlässlich von Briefs’ 50-jährigem Habilitationsjubiläum vorbereitete,48 hieß es schließlich, dass dessen aktuelle Beschäftigung mit dem Zusammenhang zwischen Produktivitätsentwicklung und Lohnpolitik für die Bundesrepublik eine „eminent praktische Bedeutung“ habe. Mit einer Rückkehr könne daher für die Universität ein hervorragender Gelehrter gewonnen werden, aber auch darüber hinaus bestehe „ein allgemeines öffentliches Interesse seitens der Wirtschaftspolitik an der Rückführung von Briefs in sein ehemaliges Heimatland“.49 Briefs akzeptierte zwar die ihm angetragene Freiburger Honorarprofessur, kehrte aber weder in die Forschungsgemeinschaft noch dauerhaft nach Deutschland zurück. Sein Lebensmittelpunkt blieb Amerika, wobei er nun häufig auch nach Italien reiste. In seiner letzten Lebensphase hielt er sich häufig in Rom auf, um dort in der Bibliothek des Camposanto Teutonico, der Bibliothek des deutschen Priesterkollegs auf dem alten Friedhof der in Rom verstorbenen deutschen Pilger, zu arbeiten. Bis zu seinem Tod blieb er als Wissenschaftler aktiv. Sein Lebenswerk umfasst über 350 wissenschaftliche Titel mit nahezu 5.500 Druckseiten,50 er gehörte vielen wissenschaftlichen Vereinigungen in Deutschland wie in den Vereinigten Staaten an und erhielt zahlreiche Auszeichnungen – so etwa die AdenauerMedaille, das Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, das Große Verdienstkreuz mit Stern und die Ehrendoktorwürde des St. Mary’s College in Kalifornien sowie der Hochschulen Freiburg, Mailand, München, St. Gallen, Berlin51 und Georgetown. Sein 80. Geburtstag wurde 1969 mit einem großen Festakt in Bonn begangen, an dem auch Heinrich Lübke und Ludwig Erhard teilnahmen und bei dem ihm seine Freunde und Kollegen die 36 Beiträge und fast 700 Seiten umfassende Festschrift Soziale Verantwortung überreichten.52 Goetz Briefs starb am 16. Mai 1974 mit 85 Jahren in Rom und fand seine letzte Ruhestätte auf dem dortigen Camposanto Teutonico.

47 48 49 50 51 52

Brief Rüstow an das Landesverwaltungsamt Berlin vom 14.7.1956, zit. nach: Klein-Zirbes: Beitrag, S. 36. Angeregt hatte dies Hans Dichgans, CDU-Politiker und Mitglied des Bundestags, vgl. Brief Dichgans an den Rektor der Universität Freiburg vom 27.7.1962, UAF, B 24/404, PA Briefs. Antrag der Fakultät für Rechts- und Staatswissenschaften der Universität Freiburg an das Kultusministerium Baden-Württemberg vom 3.4.1963, UAF, B 24/404, PA Briefs. Vgl. Weber: Briefs, S.  240. Eine Zusammenstellung der Werke findet sich bei Brenninkmeijer: Unternehmer, S.  238–290; Klein-Zirbes: Beitrag, 145–148, sowie Broermann/Herder-Dorneich (Hg.): Verantwortung, S. 679–696. Vgl. Rede des Rektors der TU Berlin F.-W. Gundlach sowie Laudatio des Dekans der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften, Prof. Scheidl, anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde am 7.7.1967, UATU-B, Biografische Sammlung: Briefs. Vgl. Broermann/Herder-Dorneich (Hg.): Verantwortung.

FACHAUSSCHUSS THEORETISCHE/PRAKTISCHE MEDIZIN

Martin Hahn (1865–1934) Erich Hoffmann (1868–1959) Leo von Zumbusch (1874–1940)

Martin

Hahn

Martin Hahn kam am 17. April 1865 in einer wohlhabenden jüdischen Kaufmannsfamilie zur Welt.1 Er war eines der sieben Kinder von Therese und Albert Hahn, die 1854 in Berlin geheiratet hatten. Seinem 1824 in Breslau geborenen Vater, der ein weitverzweigtes Geschäft für Röhrenwalzwerke und Kunstwollhandel führte, war dort der Aufstieg vom kleinen Ladenbesitzer zum Großindustriellen gelungen.2 Die Familie wohnte in der Bellevuestraße nahe dem Potsdamer Platz, und die Söhne besuchten das renommierte Königliche Wilhelms-Gymnasium zu Berlin. Martin Hahn verließ das Gymnasium Ostern 1884 mit dem Reifezeugnis und studierte anschließend an den Universitäten Heidelberg, München, Berlin und Freiburg Medizin. Während seiner Studienzeit – spätestens aber 1885/86 – trat er zum Protestantismus über,3 legte in München 1886 das Physikum und 1889 das Staatsexamen ab. Seine von Wilhelm von Ziemssen betreute und mit „magna cum laude“ bewertete Dissertation aus demselben Jahr trug den Titel Zur Aetiologie und Pathogenese der Arteriosclerose.

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Für die Durchsicht der Texte zum FA Medizin danke ich Dr. Torsten Klein sehr herzlich. Zu Hahns Biografie, seiner Vertreibung und zum Folgenden vgl. Schulz: Leben; Wilmanns u. a. (Hg.): Kampf; Neumann-Redlin von Meding: Porträt; Kaznelson (Hg.): Juden, S. 486; und UAHU-B, PA Hahn. Zur Familie vgl. Schulz: Leben, S. 4–7; Wilmanns u. a. (Hg.): Kampf, S. 33–38. So der Eintrag im Meldebogen der Stadt München 1885, vgl. Wilmanns u. a. (Hg.): Kampf, S.  39. Vgl. zudem auch das Studien- und Sittenzeugnis der Universität Freiburg vom 12.11.1896, UAF, B 44/71/692.

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Fachausschuss Theoretische/Praktische Medizin

In den Quellen findet sich kein Hinweis, dass Hahn plante, als praktischer Arzt tätig zu werden. Vielmehr galt sein Hauptinteresse der Forschung, vor allem dem zu diesem Zeitpunkt höchst aktuellen Feld der Bakteriologie. 1889 konnte er eine Assistentenstelle bei Robert Koch, dem Pionier der Mikrobiologie und Begründer der modernen Bakteriologie, am Hygiene-Institut der Berliner Universität antreten, das zu diesem Zeitpunkt erst seit vier Jahren bestand. Hier sammelte er erste Erfahrungen mit der bakteriologischen Forschung. Nach einer kurzen Zwischenstation am Pathologischen Institut bei Ernst Leopold Salkowski ging er 1891 nach Bern und arbeitete dort Marcel von Nencki zu, der sich in der Tuberkulin-Forschung einen Namen gemacht hatte. Als dieser 1891 einen Ruf nach St. Petersburg an das neu gegründete Kaiserliche Institut für Experimentelle Medizin annahm, folgte ihm Hahn. Während seines Aufenthalts in Russland erhielt er gute Einblicke in die dortigen wirtschaftlichen, sozialen und medizinischen Verhältnisse, die er später zu Papier brachte.4 In St. Petersburg beteiligte sich Hahn als Gastwissenschaftler der Physiologisch-Chemischen Abteilung des Kaiserlichen Instituts unter anderem an Experimenten von Iwan Petrowitch Pawlow, in denen es um die Folgen des Anlegens der sogenannten Eck’schen Fistel, einer Verbindung der Pfortader mit der unteren Hohlvene, für den Organismus des Hundes ging.5 Mit der deutsch-russischen Gesellschaft war er nicht nur durch seinen Beruf verbunden, sondern auch durch den Verein Deutscher Ärzte und die örtliche Kunstszene, die ihn sehr beeindruckte. Russland erwies sich für ihn aber auch deshalb als prägende Erfahrung, weil er hier erstmals als praktischer Arzt arbeitete, und zwar im Zusammenhang mit einer Choleraepidemie, die insbesondere die südlichen Landesteile Russlands zu Beginn der 1890er Jahre heimsuchte. Im Sommer 1892 bat der Ölmagnat Emanuel Nobel das Petersburger Institut um Unterstützung, um die Seuche in seinem Unternehmen unter Kontrolle zu bringen. Einige Ärzte erklärten sich dazu bereit, darunter Hahn, der sechs Wochen an der Wolga und am Kaspischen Meer eingesetzt war und insbesondere die Überwachung der Belegschaft in Nobels Firmen und die hygienische Kontrolle der Öltanker übernahm. Hahn berichtete später, sie hätten die Sterberate tatsächlich deutlich senken können.6 1893 kehrte Hahn nach Deutschland zurück und überprüfte zunächst als Regierungskommissar im Auftrag des preußischen Kultusministeriums die Schutzmaßnahmen gegen Cholera in Stettin. Hintergrund war der Ausbruch der Krankheit in Hamburg 1892, der dazu führte, dass auch andere Städte ihre Sicherheitsvorkehrungen überprüfen ließen. Anschließend verbrachte er einige Zeit am organisch-chemischen Laboratorium Carl Liebermanns in Berlin und am Pathologischen Institut in Halle, um im Herbst 1894 erneut nach München überzusiedeln. Dort trat er eine Assistentenstelle am Hygiene-Institut von Max von Pettenkofer an, das 1894 Hans Buchner übernahm. Seine 1895 fertiggestellte Ha-

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Die Berichte wurden kürzlich veröffentlicht, vgl. Wilmanns u. a. (Hg.): Kampf, S. 128–234. Vgl. dazu ausführlich Schulz: Leben, S. 12 f.; Wilmanns u. a. (Hg.): Kampf, S. 47–50. Vgl. Hahns Bericht über die Choleraepidemie 1892, abgedruckt in Wilmanns u. a. (Hg.): Kampf, S. 153–171.

Martin Hahn

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bilitationsschrift beschäftigte sich mit der Beziehung der Leucocyten zur baktericiden Wirkung des Blutes. 1901 wurde Hahn zum außerordentlichen Professor ernannt. Hahn blieb bis 1911 an der Universität in München, unterrichtete zudem zeitweise an der dortigen Technischen Hochschule. Hier hielt er – als erster Dozent in Deutschland – Vorlesungen über Gewerbehygiene,7 legte einige Veröffentlichungen zur Cholera und zu den Wegen ihrer Bekämpfung vor 8 und führte zudem bakteriologische und immunologische Untersuchungen durch. Schließlich entwickelte er – so beschrieb es der Mediziner Eberhard Neumann-Redlin von Meding, der Hahns Biografie würdigte – „eine Methode zur Gewinnung von Zellstoffen aus dem Zytoplasma einer Zelle und lieferte Erkenntnisse zur Anwendung dieser Methode bei Hefezellen, bei Zellen höherer Pflanzen bis hin zum Nachweis eines proteolytischen Enzyms im Hefepresssaft“.9 Besonders erwähnenswert ist seine Beteiligung an der fundamentalen Entdeckung der „zellfreien Gärung“ durch den Hefepresssaft, die dem Botaniker Eduard Buchner im Münchner Labor seines Bruders Hans gelang.10 Sie leitete eine Umwälzung in der Zellforschung ein und stellte den Ausgangspunkt der Enzymforschung dar – hierfür erhielt Eduard Buchner 1907 den Chemie-Nobelpreis. Hahn nutzte seine Münchner Zeit auch weiterhin für ausgiebige Reisen, die dem Ziel dienten, einerseits als praktischer Arzt gegen grassierende Seuchen vorzugehen, andererseits aber auch, um als Wissenschaftler Material für seine Studien zu sammeln. So hielt er sich 1901 vier Monate in Indien auf, wo die Pest wütete,11 1904 erneut in Russland, um einer Verbreitung der Cholera von Persien nach Südrussland vorzubeugen. 1910 bereiste er mehrere Wochen Deutsch-Ostafrika, galt die Kolonie doch als idealer Ort zum Studium der Entstehungsbedingungen von Epidemien und zur Erprobung ihrer Bekämpfung. Erst mit 46 Jahren gelangte Hahn auf eine ordentliche Professur. 1911 erhielt er einen Ruf an die Universität Königsberg, um bereits ein Jahr später als Ordinarius für Hygiene und Leiter des Hygiene-Instituts an die Universität Freiburg zu wechseln. In seiner Antrittsrede vom 18. Juli 1912 thematisierte er die Grenzen und Ziele der Sozialhygiene. Er führte aus, dass eine wichtige Aufgabe von Staat und Gesellschaft darin bestehe, „jedem Staatsangehörigen nach Möglichkeit denjenigen Platz im Leben zu sichern […], den er nach Maßgabe seiner geistigen und körperlichen Kräfte verdient. So muß es auch das Ziel aller kulturellen Bestrebungen sein, jeden einzelnen in der Erreichung jenes Platzes, den er aufgrund seiner körperlichen und geistigen Anlagen verdient, nach Möglichkeit zu fördern und der Hygiene würde, wenn wir sie, wie notwendig, als Teil unserer Kulturbestrebungen auffassen, die Aufgabe zufallen, den Einzelnen und damit die Gesamtheit vor denjenigen gesundheitlichen Gefahren zu bewahren, die ihn in der Erreichung 7 8 9 10 11

Zur Entwicklung der Gewerbehygiene vgl. Wilmanns u. a. (Hg.): Kampf, S. 16–19. Vgl. Hahns Publikationsliste, die in Wilmanns u. a. (Hg.): Kampf, S. 240–249, abgedruckt ist. Neumann-Redlin von Meding: Porträt, S. 1. Zur Zusammenarbeit Hahns mit den Buchner Brüdern vgl. Schulz: Leben, S. 25–29; Wilmanns u. a. (Hg.): Kampf, S. 73 f. und 91–93; Kaznelson (Hg.): Juden, S. 486. Zu dieser Reise vgl. Schulz: Leben, S. 38.

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dieses hochgesteckten Zieles beeinträchtigen könnten.“12 Er sprach sich zudem für die Verbesserung der Volksernährung und Schulbildung, für körperliche Ertüchtigung und Selbstverantwortlichkeit und „wider die Bakteriophobie“ aus. In der Folgezeit arbeitete Hahn intensiv an einer Schutzimpfung gegen die Cholera und beschäftigte sich weiterhin mit Fragen der Immunologie, zudem mit dem relativ jungen Feld der Rassenhygiene. Hier vertrat er eine vergleichsweise kritische Position, fühlte er sich doch in erster Linie seinem ärztlichen Eid verpflichtet, sodass er die Vorstellung einer höher- oder minderwertigen „Rasse“ und den völkischen Gedanken der „Auslese“ ablehnte.13 Dass er sich mit dem Thema auseinandersetzte, lag zum einen daran, dass dieses in sein Fachgebiet, die Hygiene, fiel und die „Rassenhygiene“ nun zunehmend den Anspruch erhob, in jenem die Leitdisziplin zu bilden. Zum anderen galt Freiburg in jenen Jahren als eine, wenn nicht als die Hochburg der Erforschung der „Rassenhygiene“ und „Rassenanthropologie“. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs meldete sich Hahn freiwillig zum Kriegsdienst. Als Korps- und Armeehygieniker an der Westfront sowie in Polen, Rumänien und Russland eingesetzt, kümmerte er sich vor allem um die flächendeckende Impfung der Truppen gegen Typhus, Cholera und Ruhr.14 Selbst an Ruhr und Fleckfieber erkrankt, schied er im November 1918 als Generaloberst und Träger des Eisernen Kreuzes 1. und 2. Klasse aus dem Militärdienst aus. 1922 wechselte Hahn nach Berlin – als Ordinarius für Hygiene an die Berliner Universität und als Leiter des Hygiene-Instituts, das sich unter Robert Koch, Max Rubner und Carl Flügge zu einem bedeutenden wissenschaftlichen Zentrum entwickelte hatte. Hahn setzte hier seine Studien fort, interessierte sich nach wie vor für die Anwendung der wissenschaftlichen Forschungsergebnisse in der ärztlichen Praxis. Er arbeitete weiterhin an einer Schutzimpfung gegen Cholera, beschäftigte sich zudem intensiv mit der Syphilis und dabei vor allem mit der Frage, wie sich diese von der Mutter auf das ungeborene Kind übertrug bzw. wie die Lues connata, die angeborene Syphilis, geheilt werden könne. In diesem Zusammenhang stand auch die von ihm initiierte „Lues-Suchreaktion“ für Schwangere bis zum fünften Schwangerschaftsmonat, die in Berlin eingeführt wurde.15 Auch in der universitären Lehre, auf die Hahn großen Wert legte, achtete er auf eine praxisnahe Ausbildung, die Exkursionen zu verschiedenen Gesundheitseinrichtungen einschloss, so etwa zur Geschlechtskrankenfürsorgestelle in Berlin, zu Textilfabriken in der Lausitz oder zum tropenmedizinischen Institut in Hamburg. Er selbst wurde als Sachverständiger vor Gericht gehört, etwa in einem 1930/31 stattfindenden Prozess, der die aufsehenerregende Lübecker Impfkatastrophe verhandelte. Aufgrund einer Verunreinigung waren im Lübecker Krankenhaus 200 von 256 geimpften Neugeborenen an Tuberkulose erkrankt, 77 von ihnen starben. In seiner Stellungnahme, die die Mängel klar benannte, forderte Hahn indirekt, der Staat müsse 12 13 14 15

Hahn: Antrittsvorlesung, zit. nach: Wilmanns u. a. (Hg.): Kampf, S. 94. Zu Hahns Position vgl. Wilmanns u. a. (Hg.): Kampf, S.  94–99; weniger genau hingegen Schulz: Leben, S. 110. Vgl. Schulz: Leben, S. 58 f. Neumann-Redlin von Meding: Porträt, S. 2. Vgl. auch Schulz: Leben, S. 81–84.

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im Gesundheitsbereich mehr Kontrolle ausüben.16 Dies stand ganz im Einklang mit seinem ausgeprägten sozialen Bewusstsein, das die Notlagen der städtischen Arbeiter wahrnahm und zu bekämpften suchte. So zielten seine Arbeiten zur Gewerbehygiene, in denen es unter anderem um Themen wie Sterilisation und Desinfektion ging, auf bessere arbeits- und wohnhygienische Lebensbedingungen der Arbeiterschaft, zudem verfasste er eine Reihe von entsprechenden Mitteilungen für die Gesundheitsorgane, die Ärzteschaft und auch die Bevölkerung selbst, etwa Empfehlungen zur Lebensmittelerhaltung oder zur besseren Ernährung. Auch die Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit, die vor allem in den sozialen Unterschichten bis Anfang des 20. Jahrhunderts zum Teil noch sehr hohe Raten aufwies, lag ihm besonders am Herzen.17 In den entsprechenden Publikationen bezog er erneut gegen die „Rassenhygieniker“ Stellung, die in derartigen Bemühungen eine Bedrohung der Volksgesundheit sahen, da die Auslese der Stärkeren verhindert und die Fortpflanzung der Schwachen und Kränklichen befördert werde. Hahns berufliche Position ging mit dem Engagement in diversen Institutionen einher. Er gehörte dem Reichsgesundheitsrat und dem preußischen Landesgesundheitsrat an, stand Regierungen und Gerichten als Gutachter zur Verfügung, amtierte 1927 als Sprecher der preußischen Hygiene-Professoren, war unter anderem Mitglied der Berliner Medizinischen Gesellschaft, der ärztlichen Prüfungskommission, des Wissenschaftlichen Senats für das Heeressanitätswesen und des Senats der Kaiser-Wilhelm-Akademie für das militärärztliche Bildungswesen. In dieser Funktion unterrichtete er Ende der 1920er Jahre auch Sanitätsoffiziere in Fortbildungslehrgängen. 1924 erhielt er den Titel „Geheimer Rat“, und 1929 wählte ihn die wissenschaftliche Fachcommunity in den Fachausschuss Theoretische Medizin der Notgemeinschaft. Seit Beginn der NS-Herrschaft stand Hahn unter Beschuss. Obwohl er seiner Heimat eng verbunden und patriotisch gestimmt war, nahmen ihn die Rechten als Kosmopolit, Russland-Hörigen oder als „Weltjuden“ wahr, der über keine nationale Loyalität verfüge. Auch seine Äußerungen zur Sozial- bzw. Gewerbehygiene erschienen verdächtig, beinhalteten seine Aussagen zwar nicht explizit, doch häufig de facto eine politische Dimension, da sie auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam machten und sozialpolitische Handlungsanweisungen zumindest implizierten. Obwohl Hahn sich selbst als „Experten“ und „unpolitischen Professor“ verstand und keiner Partei angehörte, schien er mit der Sozialdemokratie zu sympathisieren. Im Hygiene-Institut kam es am 9. März 1933 zu einer ersten erregten Auseinandersetzung über die Parteizugehörigkeit der Mitarbeiter bzw. ihrer Haltung zum Nationalsozialismus. Anlass dazu bot die Tatsache, dass auf dem Dach des Gebäudes nationale Flaggen, vermutlich auch eine Hakenkreuzflagge, gehisst wurden. Hahn nahm dazu keine Stellung, schaltete sich weder zustimmend noch ablehnend ein. Knapp zwei Wochen später erfolgte der erste unmittelbare Angriff. Erich Heide, einer der Institutsassistenten, der aktiv für 16 17

Vgl. Schulz: Leben, S. 91 f.; Wilmanns u. a. (Hg.): Kampf, S. 110 f. Vgl. Schulz: Leben, S. 50 f.; Wilmanns u. a. (Hg.): Kampf, S. 99–101.

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Fachausschuss Theoretische/Praktische Medizin

den Nationalsozialismus eintrat, denunzierte Hahn beim Landeskriminalamt, indem er der Leitung des Hygiene-Instituts vorwarf, das bakteriologische Untersuchungsmaterial nicht oder nur unzureichend zu sichern. Seine Vorwürfe reproduzierten zahlreiche antijüdische Klischees. Noch am selben Tag verständigte das Landeskriminalamt das Preußische Ministerium für Wissenschaft und Bildung. Im entsprechenden Bericht hieß es: „Im Institut arbeiten neben zwei Christen etwa 10 Juden als Professoren oder Assistenten. Den wissenschaftlichen Mitarbeitern seien alle Bakterienkulturen, die im Hause gezüchtet werden, ohne Kontrolle zugänglich. Es handele sich dabei um Pest-, Cholera-, Typhus- und andere gefährliche Seuchenerreger. […] Dr. Heide, der Nationalsozialist ist, gab der Befürchtung Ausdruck, daß die im Institut beschäftigten Herren Beziehungen zur KPD hätten und dieser bei der Unmöglichkeit einer Kontrolle im Hause die gemeingefährlichen Bakterien als Kampfmittel für ihre illegale Tätigkeit zugänglich machen könnten.“18 Hahn musste auf Weisung der Universität eine Untersuchung durchführen, die vordergründig folgenlos blieb. Nach den Bestimmungen des kurze Zeit später in Kraft tretenden Berufsbeamtengesetzes galt Hahn als „volljüdisch“ und daher als zu entlassen. Davor schützten ihn als „Altbeamten“ und Kriegsteilnehmer zunächst die Ausnahmeregelungen des Gesetzes. Doch bemerkenswert und in der Literatur selten erwähnt ist,19 dass Hahn diese nicht in Anspruch nahm. Vielmehr zog er aus den veränderten politischen Bedingungen eine ähnliche Konsequenz wie Fritz Haber, indem er von sich aus darum bat, in den Ruhestand versetzt zu werden. Am 20. April 1933 legte er zunächst seinen Sitz im Senat der Berliner Universität und den Vorsitz in der Ärztlichen Prüfungskommission nieder,20 um damit, so begründete er seinen Schritt, der Aufforderung der Deutschen Rektorenkonferenz, die „nichtarischen“ Senatsmitglieder sollten ihre Ämter zur Verfügung stellen, nachzukommen. „Nach meiner persönlichen Auffassung ist die Beteiligung an der Selbstverwaltung [aber]“, so Hahn weiter, „ein so integrierender Bestandteil der Ehrenrechte der Ordinarien, daß es mit der Stellung eines so alten Universitäts-Dozenten, wie ich es bin, mir nicht vereinbar erscheint, wenn er dieses Ehrenrechtes entkleidet vor der akademischen Jugend Vorlesungen halten soll.“21 18 19 20

21

Bericht des Landeskriminalamts an das Preußische Ministerium für Wissenschaft und Bildung vom 20.3.1933, zit. nach: Wilmanns u. a. (Hg.): Kampf, S. 118. Vgl. Schulze: Leben, S. 103. Vgl. jedoch Kinas: Massenentlassungen, S. 340. Das Folgende stammt aus meinem Buch: NS-Vertreibung, S. 109–111. Vgl. Brief Hahn an den Dekan der Medizinischen Fakultät Hermann Gocht vom 20.4.1933, UAHU-B, PA Hahn, Bd. 3, Bl. 14. Hahn legte auch seine weiteren Ämter (seine Mitgliedschaft im Akademischen Ausschuss für Leibesübungen, im Beirat des Instituts für Leibesübungen und im Studentenwerk) nieder, vgl. ebd.; Gocht schrieb ihm zwei Tage später: „Sie wissen, dass wir alle in der Fakultät diesen Ihren Entschluss tief bedauern, denn wir haben in den langen Jahren gemeinsamer Arbeit die ganze Bedeutung und Wichtigkeit Ihres Urteils nicht allein in jeder Fakultäts- und Senatssitzung hochgeschätzt.“ Brief Gocht an Hahn vom 22.4.1933, ebd., Bd. 3, Bl. 17. Brief Hahn an Rust vom 25.4.1933, UAHU-B, PA Hahn, Bd. 1, Bl. 75. Die Beurlaubung wurde zum 2.5.1933 ausgesprochen.

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Er bat Rust daher am 25. April 1933 darum, ihn bis zu seiner am 1. Oktober 1933 anstehenden Emeritierung zu beurlauben. Hahn unterzeichnete den Brief – dies ist im Vergleich zu vielen anderen Schriftwechseln dieser Zeit bzw. in Anbetracht der universitären Gepflogenheiten sehr hervorzuheben – weder mit „Heil Hitler“ noch mit einer anderen akademischen oder bildungsbürgerlichen Grußformel, sondern allein mit seinem Namen. Damit drückte er auch symbolisch seine Distanz zum Regime und seinen Widerstand aus. Dass er sich nicht an der Auswahl seines Nachfolgers beteiligen wollte, begründete er wenig später damit, dass er sich nicht mehr als „vollkommen kompetent unter den jetzigen Umständen bezeichnen [könne], wo rein politische Gesichtspunkte anscheinend auch für viele Gelehrte massgebend sind, um die ich mich nie gekümmert habe“.22 Hahn, der zum 1. Oktober 1933 offiziell emeritiert wurde, legte seine Professur also selbst nieder. Gleichwohl wird er zu den NS-Vertriebenen gerechnet. Denn in Anlehnung an Michael Grüttner und Sven Kinas wird in der vorliegenden Studie unter Vertreibung das erzwungene Ende der Forschungs- und Lehrtätigkeit an der Hochschule nach 1933 aufgrund der veränderten politischen Verhältnisse verstanden, wobei neben den Entlassungen und den entlassungsähnlichen Fällen auch freiwillige Rücktritte als Vertreibung verstanden werden. Hahn kam seiner unausweichlichen späteren Entlassung schlicht zuvor. Konsequenterweise trat Hahn auch von seinem Amt in der wissenschaftlichen Selbstverwaltung zurück. Die Fachgemeinschaft der Hygieneprofessoren und die Gesellschaft für Gewerbehygiene hatten ihn im Herbst 1932 erneut als Kandidaten für die Fachausschusswahl der Notgemeinschaft vorgeschlagen, und die wissenschaftliche Community wählte ihn im Frühjahr 1933 – wie in der Wahl zuvor und ohne erkennbares Ressentiment  – zum Fachgutachter; möglicherweise war er sogar als Vorsitzender des Fachausschusses im Gespräch.23 Doch er nahm die Wahl nicht an.24 In der aus Protest gegen die antisemitische Politik des Ministeriums erfolgten Niederlegung seiner Ämter kamen zwei miteinander verflochtene Gründe zum Tragen: Sie widersprach zum einen der auf vielen Dienstjahren beruhenden Berufsehre des Geheimrats und zum anderen der eigenen wissenschaftspolitischen Tradition, die sich grundsätzlich von derjenigen der neuen Machthaber unterschied. Aus diesem Grunde weigerte sich Hahn auch im Frühsommer 1933, die Wahl zum Fachgutachter der Forschungsgemeinschaft anzunehmen. Hahn war zu Beginn der NS-Herrschaft 68 Jahre alt und stand damit am Ende seiner akademischen Laufbahn. Dies mag ein weiterer Grund für seinen Entschluss gewesen sein, um seinen Rücktritt nachzusuchen. Wichtiger jedoch scheint, dass er auf diese Weise seine grundsätzliche Ablehnung des Nationalsozialismus demonstrieren konnte. Mit der Niederlegung seiner Ämter  – und seiner Begründung – zeigte Hahn, dass er sich nicht zum Objekt und Opfer der Nationalso22 23 24

Brief Hahn an Gocht vom 10.6.1933, UAHU-B, PA Hahn, Bd. 3, Bl. 60. Hahn erklärte sich dann zwar doch bereit, die Fakultät zu beraten, weigerte sich aber, dies schriftlich zu tun. Vgl. Brief Knoop an Trendelenburg vom 25.4.1933, BArch, R 73/130, fol. 373. Im Sommer 1933 bestellte die DFG-Geschäftsstelle Paul T. Uhlenhuth als Ersatz, vgl. Liste der gewählten Fachausschussmitglieder, o. D. [Sommer 1933], BArch, R 73/136, fol. 78.

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zialisten machen ließ. Dies kommt auch darin zum Ausdruck, dass er zumindest versuchte, diejenigen seiner Mitarbeiter zu unterstützen, die ebenfalls von der Vertreibung bedroht waren. So bat er den Dekan der Medizinischen Fakultät, sich dieser anzunehmen, da sie nach der jahrelangen wissenschaftlichen Tätigkeit nicht mehr in die Praxis zurückkehren könnten und „als Nichtarier auch in anderen städtischen und staatlichen Institutionen nicht aufgenommen werden“.25 Die Fakultät half jedoch nicht. Ob Hahn plante, Deutschland zu verlassen und dauerhaft in einem anderen Land zu leben, ist nicht bekannt. Aufgrund der überlieferten Quellen lässt sich lediglich rekonstruieren, dass er nach seiner Beurlaubung einige ausgedehnte Reisen unternahm und dass er 18 Monate nach seinem Beurlaubungsgesuch, am 4. November 1934, in Berlin starb und auf dem Friedhof Lindenstraße in Wannsee bestattet wurde. Die Todesursache ist nicht eindeutig anzugeben. Vermutlich starb er an einer Bronchitis, zumal er an einer chronischen Erkrankung dieser Art – und an einer Herzinsuffizienz – litt.26 Immer wieder ist zudem vermutet worden, dass auch „eine psychische Komponente wegen der Umstände seiner Emeritierung“ mit eine Rolle gespielt haben mag.27 Aus seiner Personalakte ist jedenfalls ersichtlich, dass er sich Mitte März 1933 durch seinen „Gesundheitszustand genötigt [sah], eine längere Urlaubsreise in den Süden“ anzutreten und dass er sich im Mai 1933 in Karlsbad aufhielt.28 Die Todesanzeige vom 11. November 1934 benannte einen Tod „nach kurzer, schwerer Krankheit“.29 Noch über seinen Tod hinaus machte Hahn deutlich, dass er nicht bereit war, das NS-Regime in irgendeiner Weise zu unterstützen. So legte er in seinem Testament fest, dass seine aus einigen Tausend Bänden bestehende Bibliothek nicht in NS-Deutschland bleiben solle. Er vermachte seine Bücher vielmehr der neu errichteten Universität Istanbul,30 die am 1. November 1933 mit einem Festakt eröffnet worden war und zahlreichen NS-vertriebenen Gelehrten eine neue Wirkungsstätte bot. Einer von ihnen war sein früherer Schüler Julius Hirsch. Hirsch berichtete Hahn seit Herbst 1933 regelmäßig aus Istanbul, unter anderem auch von den nicht einfachen Startbedingungen. In der Anfangsphase mangelte es an vielem; Fachbücher etwa waren in der Medizinischen Fakultät kaum vorhanden. So beschloss Hahn, seine Privatbibliothek nicht den Nazis zu überlassen, sondern sie der Universität Istanbul zu schenken, und nach seinem Tod sorgte Hirsch dafür, dass die Bücher tatsächlich dort eintrafen und genutzt wurden.

25 26 27 28 29 30

Brief Hahn an den Dekan der Medizinischen Fakultät vom 10.6.1933, UAHU-B, PA Hahn, Bd. 3, Bl. 60. Vgl. Schulz: Leben, S. 104; Wilmanns u. a. (Hg.): Kampf, S. 106. Neumann-Redlin von Meding: Porträt, S. 37. Brief Hahn an den Verwaltungsdirektor der Universität Berlin vom 10.3.1933, UAHU-B, PA Hahn, Bd. 1, Bl. 71. Die Reise wurde am 29.3.1933 genehmigt, ebd., Bl. 73. Todesanzeige vom 11.11.1934, zit. nach: Schulz: Leben, S. 104. Zur Situation der NS-Vertriebenen in der Türkei sowie zum Folgenden vgl. Orth: NS-Vertreibung, S. 148–186, zu Hahns Testament, ebd., S. 153 f.

Erich

Hoffmann

Erich Hoffmann wurde am 25. April 1868 in Witzmitz im Kreis Regenwalde (Pommern) geboren und evangelisch getauft.1 Seine Mutter stammte aus einer Lehrerfamilie, sein Vater war als Pfarrer und ebenfalls als Lehrer beschäftigt. Zur Familie gehörten später noch sieben weitere Kinder. Bedingt durch die häufigen Versetzungen seines Vaters verbrachte Hoffmann seine Kindheit an verschiedenen Orten, in Witzmitz, Neuwied am Rhein, Altdöbern in der Lausitz, Kottbus und Berlin. Den ersten Schulunterricht erhielt er von seinem Vater,2 später besuchte er öffentliche Schulen, zuletzt ein Gymnasium in Berlin, das er 1887 mit dem Reifezeugnis verließ. Er trat anschließend in die militärärztliche Akademie in Berlin ein, wo er von 1887 bis 1893 Medizin studierte, wollte er doch die Laufbahn eines Sanitätsoffiziers einschlagen. In seinen Lebenserinnerungen betonte Hoffmann, dass sie an der Akademie keinen „besonderen Unterricht“ erhalten hätten, es habe sich vielmehr um ein medizinisches Studium im Rahmen der Berliner Universität gehandelt, das sie gemeinsam mit anderen „Zivilstudierenden“ absolvierten.3 Anders als jene erhielten die Akademiemitglieder aber zusätzlich eine militärische Ausbildung. Hoffmann betätigte sich in seiner Jugend und als junger Erwachsener zudem als Turner, Leichtathlet und Bergsteiger. 1

2 3

Zu seiner Biografie, seiner Vertreibung und zum Folgenden vgl. die entsprechenden Einträge in NDB und DBE; zudem Höpfner: Universität, S.  309–313; Heiber: Universität, Teil 1, S. 275; Zoske: Hoffmann; und Hoffmann: Wollen; ders.: Ringen; UABo, MF-PA 135, PA 8256, PA 3340. Vgl. Hoffmann: Wollen, S. 15. Hoffmann: Wollen, S. 65.

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Im Juli 1891 legte er die mündliche Doktorprüfung ab. Die ein Jahr später veröffentliche und mit „summa cum laude“ bewertete Dissertation trug den Titel Ueber einen sehr jungen Anadidymus des Hühnchens. Nach dem Staatsexamen 1893 war Hoffmann als Assistenz-, Ober- und Stabsarzt in Posen, Bromberg und Berlin tätig und nahm zudem regelmäßig an Schießübungen und Manövern teil. Nach zehn Jahren schied Hoffmann jedoch aus dem Militärdienst aus, um die akademische Laufbahn einzuschlagen. Er habe dies, so schrieb er rückblickend, trotz der finanziellen Einbußen und trotz der großen Unsicherheit getan, „um das große Ziel einer deutschen Professur zu erreichen“.4 Dies gelang ihm wenige Jahre später. Zunächst habilitierte er sich in Berlin, legte eine Arbeit über syphilitische Gefäßerkrankungen vor und hielt am 29. Juli 1904 seine Antrittsvorlesung. Anschließend war er als Oberarzt an der Berliner Charité tätig, erhielt 1905 eine Titularprofessur, um dann 1908 als Extraordinarius nach Halle zu wechseln.5 Zwei Jahre später ging er als Leiter der Hautklinik nach Bonn, wo er 1913 Antonie Brüggemann, die Tochter eines Gymnasialdirektors, heiratete. Den Ersten Weltkrieg verbrachte Hoffmann weitgehend in Bonn. Unmittelbar bei Kriegsbeginn wurde er eingezogen und als Chefarzt dem erweiterten Garnisonslazarett in Bonn zugewiesen, um Anfang des Jahres 1915 ein Kriegslazarett in Zabern zu übernehmen. Doch bereits nach einem Monat schied er krankheitsbedingt aus und kehrte, aus dem Militärdienst entlassen, auf seinen Bonner Lehrstuhl zurück. Dort arbeitete er in der Folgezeit daran mit, „den Aufstieg unseres Faches zum Ordinariat durchzusetzen“.6 Dies gelang, und Hoffmann erhielt am 22. Juni 1918 die erste ordentliche Professur für Dermatologie der Bonner Universität. Auf dieser Position blieb er bis zu seiner Vertreibung von der Hochschule 16 Jahre später. Als Wissenschaftler wurde Erich Hoffmann dadurch bekannt, dass er zusammen mit dem Zoologen Fritz Schaudinn, der das Institut für Protistenkunde7 am Kaiserlichen Gesundheitsamt leitete, im Jahre 1905 an der Berliner Charité den Syphilis-Erreger (Spirochaeta pallida) entdeckte.8 Bis zu diesem Zeitpunkt waren rund 20 Versuche unternommen worden, die Erreger dingfest zu machen – doch alle misslangen. Zuletzt hatte sich der Zoologe John Siegel im Februar 1905 um die Entdeckung bemüht und berichtet, als Erreger der Syphilis ein einzelliges Urtierchen (Protozoon) ausgemacht zu haben, das er Cytorhyctes luis nannte. Vergleichbare Erreger hatte er bereits für die Maul- und Klauenseuche wie auch für Pocken und Scharlach dokumentiert. Aufgrund der großen Bedeutung, die diese Entdeckung gehabt hätte, beauftragte das Kaiserliche Gesundheitsamt Schaudinn und Hoffmann, Siegels Befunde zu überprüfen. Aufgrund ihrer Nachprüfung konnten sie Anfang März nicht nur Siegels Ergebnisse verwerfen, sondern sie 4 5 6 7 8

Hoffmann: Wollen, S. 163. Zu seiner Zeit in Halle vgl. Hoffmann: Wollen, S. 228–233. Hoffmann: Wollen, S. 259. Als Protisten bezeichnet man eine Gruppe nicht näher verwandter einzelliger Lebewesen. Vgl. v. a. Zoske: Hoffmann. Aus Hoffmanns Perspektive vgl. Hoffmann: Wollen, S. 174–187 und 192–194.

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entdeckten dabei auch den tatsächlichen Erreger. Dies machte vor allem (den 1906 verstorbenen) Schaudinn berühmt, während Hoffmann aus der Rückschau betonte, dass sie beide gleichen Anteil an der Entdeckung gehabt hätten.9 Die Grundlagen für die Identifizierung des Erregers hatte Hoffmann durch seine wissenschaftliche Tätigkeit in den Jahren zuvor geschaffen, und er beschäftigte sich auch weiterhin mit dem Thema. Für die entsprechenden Untersuchungen erhielt er zwischen 1923 und dem Beginn der 1930er Jahre regelmäßig Unterstützung von der Berliner Notgemeinschaft – so etwa Sachbeihilfen für „Experimentelle Arbeiten auf dem Gebiete der Syphilisforschung“, Reisekosten für eine Reise „nach Singapur, Java und Sumatra zu Forschungen über die Tropensyphilis“ oder Mittel zum Druck des von ihm herausgegebenen Werkes „Veröffentlichungen von Tafeln über Erkrankungen an Syphilis und Tuberkulose“.10 Hoffmann wirkte jedoch nicht nur auf dem Gebiet der experimentellen Syphilisforschung, sondern leistete auch für die frühe Diagnose und die Heilung der Krankheit umfassende Pionierarbeit. Darüber hinaus betätigte er sich auf dermatologischem Gebiet. Er fungierte ab 1908 als Schriftleiter der Dermatologischen Zeitschrift und arbeitete, so fasste sein Biograf Horst Zoske zusammen, „über die Histologie der Haut, insbesondere der Muttermale, der Dermatofibrosarkome, der Naevoepitheliome und über Sklerödem, über Teermelanome und über Pigmentierungen“.11 Die Fachcommunity honorierte seine Leistungen, indem sie ihn 1933 in die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina aufnahm und als Fachgutachter in die Notgemeinschaft sandte. Von der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft zur Wahl vorgeschlagen, war er seit 1929 im Fachausschuss  4b (Praktische Medizin) für den in jenem Jahr eingerichteten Unterausschuss Dermatologie zuständig. 1933 folgte ihm Leo von Zumbusch nach, dessen Biografie ebenfalls in diesem Buch vorgestellt wird. Politisch galt Hoffmann als deutschnational eingestellt. Dies drückte sich auch hochschulpolitisch aus, wie im Herbst 1929 seine Äußerungen zu der Frage zeigten, ob der aus Zürich stammende Mediziner Bruno Bloch auf den Lehrstuhl für Dermatologie an der Berliner Universität berufen werden sollte. Die Medizinische Fakultät befürwortete dies zwar aus fachlichen Gründen, hielt ihn aber aufgrund seiner politischen Haltung für nicht geeignet. Hoffmann unterstützte dieses Argument. Er suchte eigens das Ministerium in Berlin auf und erklärte, „daß in der dermatologischen Fachgemeinschaft schwerste Besorgnisse vor der Übertragung großer preußischer Ordinariate an Ausländer“ bestünden. Bloch sei Vertrauensmann der französischen Dermatologen, habe „enge Verbindungen zur nunmehr französischen Universität Straßburg und dulde, daß sein Oberarzt in der Kriegsschuldfrage in schärfster antideutscher Weise“ Stellung nehme.12 Hoffmanns Einschätzung nahm das Ministerium zum Anlass, eine eigene Untersu9 10 11 12

Vgl. Hoffmann: Wollen, S. 196–199. Vgl. Datenbank DFG-Geschichte. 16 Bewilligungen sind dort nachgewiesen. Zoske: Hoffmann, S. 407. Aktenvermerk des Ministerialrats E. Wende vom 14.10.1929, zit. nach: Grüttner: Berliner Universität, S. 112. Zum Folgenden vgl. ebd.

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chung anzustellen. Diese führte schließlich dazu, dass die Fakultät ihre negative Einschätzung revidierte, und Bloch erhielt den Ruf. Am Ende aber scheiterte die Berufung an finanziellen Problemen. Hoffmanns deutschnationale Haltung äußerte sich auch darin, dass er wenige Jahre später die nationalsozialistische „Machtergreifung“ begrüßte und Ende Februar 1933 einen pronazistischen Aufruf der Bonner Hochschullehrer für Hitler unterzeichnete.13 Doch kurze Zeit später kam es zu Querelen um seine Person.14 Hoffmann, den seine Kollegen als schwierige Persönlichkeit mit großem Geltungsbedürfnis und poetischen Ambitionen wahrnahmen, erregte sich über die Bestellung eines kaum bekannten, aber mit der NSDAP sympathisierenden Facharztes zum Beauftragten für die Neuordnung der Dermatologie an der Bonner Hochschule und geriet mit dem ebenfalls neu ernannten NSDAP-Vertrauensmann in der Fakultät, Walter Blumberg, aneinander. Dieser und einige enge Mitarbeiter Hoffmanns, ebenfalls Parteimitglieder, begannen, ein Dossier über Hoffmann zusammenzustellen, das bald größeren Umfang annahm. Sie führten an, er habe den „Deutschen Gruß“ verboten und auch Uniformen im Hörsaal, da diese unhygienisch seien und die Patienten erschrecken könnten.15 Zudem gaben sie an, er habe sich antinazistisch geäußert. Zitiert wurden vor allem zwei Sätze: „Weiße Weste und Braunhemd stehen sich nun einmal gegenüber“ und „Dass sich kein Jude findet, der den Hitler mal abknallt; es gibt doch auch schneidige Juden.“16 Auch Eva Glees, eine als „nichtarisch“ klassifizierte Bonner Medizinstudentin, die nach Kriegsende ihre Erinnerungen festhielt, beschrieb Ähnliches. Sie berichtete zudem, dass sie nach ihrem Examen, das sie im November 1933 ablegte, große Schwierigkeiten hatte, einen Doktorvater zu finden  – niemand wollte eine „jüdische“ Doktorandin betreuen. Hoffmann hingegen habe sie angenommen. Glees charakterisierte ihn aus der Rückschau daher als „sehr deutschnational, aber auch sehr mutig“.17 Die bislang wiedergegebenen Anwürfe gegen Hoffmann sind keineswegs außergewöhnlich, sondern vielmehr typische Argumentationsstrategien von NS-Sympathisanten, um einen politisch unliebsamen Professor zu denunzieren und von der Hochschule zu verdrängen. In Hoffmanns Fall kam jedoch noch eine weitere Komponente hinzu, die bei keinem anderen der in diesem Buch vorgestellten Vertriebenen eine Rolle spielte: Seine Kontrahenten unterstellten mehr oder weniger offen, er sei psychisch krank. So hieß es im Herbst 1933, an Hoffmann falle „die Labilität seines Gemütszustandes [auf], der gewöhnlich zwischen himmelhochjauchzend mit Redeschwall und zu 13 14 15 16 17

Vgl. Hoffmann: Ringen, S. 14. Vgl. Heiber: Universität, Teil 2, Bd. 1, S. 23. Vgl. zum Folgenden Höpfner: Universität, S.  310 f.; Heiber: Universität, Teil 1, S.  275 f., sowie aus Hoffmanns Sicht Hoffmann: Ringen, S. 27–36. Dies berichtete Hoffmann auch in seinen Lebenserinnerungen, vgl. Hoffmann: Ringen, S. 21. Aktenvermerk Blumenberg vom 18.12.1933, UABo, PA 3340. Glees: Erinnerungsbericht [Zugriff 31.1.2013]. In seinen 1949 veröffentlichten Erinnerungen beschrieb Hoffmann die Vertreibung der jüdischen Kollegen sehr genau, vgl. Hoffmann: Ringen, S. 14–20.

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Tode betrübt mit Wortkargheit“ schwanke.18 Ein halbes Jahr später brachte man vor, dass Hoffmann, dessen „vaterländische Gesinnung“ außer Frage stehe, „bei zyklisch auftretenden Erregungszuständen, wie sie bei ihm nach Ueberarbeitung, bei schlechtem körperlichen Befinden oder bei Durchquerung von wissenschaftlichen Zielen ausgelöst werden, sich gerne einmal über seine tatsächliche Meinung hinaus oder sogar ihr direkt entgegen oppositionell im Ausdruck vergreift oder seine Ausdrucksweise exzessiv steigert“.19 Hinzu kam, dass Blumberg das verleumderische Sammelsurium nicht nur an den Dekan der Medizinischen Fakultät schickte, sondern auch an Leonardo Conti, den von Hermann Göring eingesetzten „Kommissar zur besonderen Verwendung“ im preußischen Innenministerium, der zuvor das Sanitätswesens der SA und der NSDAP aufgebaut hatte. Die Denunziation wuchs sich nun zu einer regelrechten Schlammschlacht aus, zu der auch Hoffmann beitrug, der wortgewaltig alle Anschuldigungen bestritt. Auch nachdem Hoffmann im Februar 1934 beurlaubt worden war, kam der Streit nicht zum Erliegen. Doch wenige Monate später stimmte Hoffmann dem ihm nahegelegten Entpflichtungsantrag zu, zumal er zum 30. September 1934 auch regulär emeritiert worden wäre. Hoffmann wurde also nicht aus parteipolitischen Gründen von der Hochschule vertrieben. Vielmehr stand er als Nationalkonservativer oder Deutschnationaler dem Nationalsozialismus näher als viele andere Professoren, die sich für „unpolitisch“ hielten, und begrüßte zudem die „Machtergreifung“. Offenbar befürwortete er jedoch nicht alle Maßnahmen des neuen Regimes, insbesondere nicht im Bereich der Hochschule. Aus der Sicht der neuen Machthaber galt Hoffmann wie viele andere Professoren als ein „alter Geheimrat“, als Angehöriger einer untergegangenen Zeit – hier zeigte sich auch ein Generationenkonflikt. Darüber hinaus aber lag seiner Vertreibung ein hochschulpolitisches Machtgerangel zugrunde. Die NS-Aktivisten warfen ihm  – wie vielen anderen aus politischen Gründen vertriebenen Hochschullehrern – politische Unzuverlässigkeit vor, setzten Gerüchte in Umlauf, verbanden dies mit fachlicher und persönlicher Herabsetzung, Ehrverletzung und Hetze. Darin unterschied sich die Kampagne nicht von anderen. Außergewöhnlich an Hoffmanns Fall ist aber, dass man ihm zudem die psychische Zurechnungsfähigkeit absprach. Im Herbst 1934 hatte Hoffmann seinem Ausscheiden aus dem Hochschuldienst zugestimmt. Möglicherweise war dafür das Angebot des Reichserziehungsministeriums ausschlaggebend, ihn zum Mitglied des Frankfurter Chemotherapeutischen Forschungsinstituts Georg-Speyer-Haus zu machen. Dies geschah auch, und Hoffmann erhielt sogar „eine Jahresentschädigung von 5.000 M[ark]“,20 aber er gehörte weder, wie gelegentlich zu lesen ist, dem Vorstand an,21 noch siedelte 18 19 20 21

Brief Blumenberg an Achelis vom 30.11.1933, UABo, PA 3340. Brief Prof. Heuck an den an Dekan der Medizinischen Fakultät vom 5.1.1934, UABo4, PA 3340. Vorstandsprotokoll vom 19.7.1934, GSHA. Vgl. auch Hoffmann: Ringen, S. 34. Dies wird von Höpfner: Universität, S.  311, angegeben. Die Vorstandsprotokolle vom 19.7.1934 und vom 15.5.1935 belegen jedoch, dass Hoffmann im Georg-Speyer-Haus keine

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er nach Frankfurt über. Vielmehr richtete er sich in seiner Bonner Privatwohnung ein – er behandelte dort seine Patienten22 und in seinem Privatlabor setzte er seine Forschungen fort. Er beschäftigte sich nach eigenen Angaben nun vor allem mit der „Virus- und Geschwulstforschung“ sowie „dem Studium der Herkunft seltener Muttermäler“23 und stellte erste Ergebnisse auf internationalen Kongressen vor.24 Dies jedoch wurde Ende der 1930er Jahre unterbunden. Entsprechende Anträge Hoffmanns lehnte der Rektor der Universität Bonn nun ab. Als Begründung griff er dabei auf die Unterstellung zurück, Hoffmann sei psychisch krank. Es hieß nun, Hoffmann werde allgemein „als manisch-depressive Persönlichkeit angesehen“,25 er leide „an einer krankhaften Selbstüberheblichkeit“26, und es bestehe „ein leichter Grad manisch-depressiven Irreseins“.27 Hoffmann sei jedenfalls ungeeignet, die deutsche Wissenschaft und deutsche Interessen im Ausland zu vertreten. Im Einvernehmen mit dem Dekan und dem NS-Dozentenbundführer stimmte der Rektor im Juni 1939 dann auch dem Vorschlag des Reichserziehungsministeriums zu, Hoffmann den Reisepass zu entziehen. So blieb Hoffmann bis Kriegsende auf seine berufliche Tätigkeit und seine Bonner Privatpraxis verwiesen.28 Nach Kriegsende bot der 77-Jährige der Universität Bonn an, erneut Vorlesungen zu halten. Nach der Befreiung der Universität „von Nazielementen“ bestehe für ihn „kein Grund mehr zur Abkehr“, er sei vielmehr zur „kollegialen Mitarbeit“ bereit und betrachte die gefallenen „beleidigende Worten […] als ungeschehen“. Der Dekan müsse jedoch die „leidige Angelegenheit“ bereinigen, damit seine Vorträge „zum Besten der lernenden Jugend gehalten werden können“.29 Seine wiederholten Angebote, reguläre Veranstaltungen anzubieten oder einzuspringen  – als ein Kollege plötzlich erkrankte, wollte er eine Stegreifvorlesung über „die Geisteskrankheiten berühmter Männer“ halten  –, nahm die Medizinische

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wichtige Rolle spielte, auch nicht dem Vorstand angehörte. Vgl. GSHA sowie Mitteilung des dortigen Archivs an mich vom 23.8., 24.8. und 9.9.2010. Bereits in früheren Jahren hatte Hoffmann in einer Privatpraxis Patienten behandelt, vgl. z. B. für seine Berliner Zeit Hoffmann: Wollen, S. 225 f., für die Zeit nach der Vertreibung ders.: Ringen, S. 37–46. Hoffmann: Ringen, S. 45. Zudem unternahm Hoffmann mehrere längere Reisen bzw. Vortragsreisen, etwa nach Brasilien, in die USA und nach Afrika, vgl. Hoffmann: Ringen, S. 68–87, 101–140, 154–171, 180–202. Brief Leiter der Dozentenschaft an den Rektor der Universität Bonn vom 17.12.1937, UABo, PA 3340. Brief Rektor der Universität Bonn ans REM vom 5.10.1939, UABo, PA 3340. Brief Rektor der Universität Bonn an den Dekan der Medizinischen Fakultät vom 2.4.1938, UABo, PA 3340. In den überlieferten Quellen findet sich kein Hinweis, dass er während des Krieges weiter verfolgt worden wäre. Brief Hoffmann an den Dekan der Medizinischen Fakultät vom 26.1.1946, UABo, MF-PA 135.

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Fakultät nicht an,30 und auch das Rektorat widerstand seinem Drängen, die Intrige der 1930er Jahre noch einmal aufzurollen, um die Anschuldigungen gegen ihn aus der Welt zu schaffen. Einmal mehr verwies man dabei auf Hoffmanns Geisteszustand. So hieß es in einem Aktenvermerk des Dekans der Medizinischen Fakultät vom 21. Februar 1947, Hoffmann bringe „in seiner bekannten Art lauter ungereimtes Zeug vor. Bei allen seinen Ausführungen fällt die auffällige Gedankenflucht wieder auf, so dass man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, dass er wieder einen manischen Schub habe“.31 Die Bonner Universität konnte sich letztendlich nicht durchringen, Hoffmann zu rehabilitieren. Doch sein Lebenswerk wurde auf andere Weise gewürdigt. Hoffmann war Mitglied bzw. Ehrenmitglied in mehr als 40 ärztlichen Gesellschaften und Akademien, unter anderem in der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, in der MaxPlanck-Gesellschaft oder in der Japanischen Akademie der Wissenschaften.32 Die Freie Universität Berlin und die Università degli studi di Catania verliehen ihm 1950 bzw. 1955 die Ehrendoktorwürde, 1953 erhielt er das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland. Bis zu seinem Lebensende blieb Hoffmann als Wissenschaftler und Autor aktiv. 20 seiner insgesamt fast 500 Publikationen schrieb er zwischen seinem 85. und 90. Lebensjahr. Die Veröffentlichungen beschränkten sich nicht auf sein engeres Fach, sondern er äußerte sich zu vielen Fragen allgemeinmedizinischer, gesellschaftlicher oder (hochschul-)politischer Relevanz.33 Zudem sind seine Gedichtbände und seine Lebenserinnerungen zu nennen, die 1948 und 1949 in zwei Bänden erschienen. Erich Hoffmann starb am 8. Mai 1959 in Bonn.

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Aktennotiz vom 5.3.1946, UABo, MF-PA 135. Aus der Notiz geht auch hervor, dass sich ein Student mit den Worten gegen das Ansinnen Hoffmanns verwahrt habe, er sei doch an der Universität „und nicht auf dem Jahrmarkt“, ebd. Aktenvermerk des Dekans der Medizinischen Fakultät vom 21.2.1947, UABo, MF-PA 135. Kontakte nach Japan hatte Hoffmann während einer längeren Vortragsreise nach Java, Japan und China im Laufe des Jahres 1930 geknüpft, zu dieser vgl. Hoffmann: Wollen, S. 320–377. So verfasste Hoffmann 1945 mehrere Denkschriften, u. a. über die Bedeutung und Wiedererrichtung der Universität vom 1.6.1945, Zur schnellen Eröffnung der Universität Bonn vom 12.6.1945 und Zur Freiheit der Forschung vom 10.7.1945. Diese befinden sich in UABo, MF-PA 135. Vgl. auch Hoffmann: Ringen, S. 277 f.

Leo

von Zumbusch

Leo Zumbusch kam am 28. Juni 1874 in Wien als siebtes Kind des Bildhauers und Akademieprofessors Caspar Zumbusch (seit 1888 Ritter von Zumbusch) zur Welt und wurde katholisch getauft.1 Nach dem Schulbesuch und dem sogenannten Freiwilligen-Jahr im österreichischen Heer studierte er ab 1893 in seiner Heimatstadt Zoologie, um nach einem Semester zur Medizin zu wechseln; 1898 legte er die Doktorprüfung in diesem Fach ab. Nun schloss sich eine gradlinige Karriere an: Zumbusch arbeitete zunächst als Volontärarzt an der I. Medizinischen Klinik, dann an der II. Chirurgischen Klinik der Universität Wien und ging im Jahre 1900 als Assistent an die Klinik für Dermatologie und Syphilidologie, die seit 1902 von Gustav Riehl geleitet wurde und um die Jahrhundertwende als wichtigste Schule der sich in den Anfängen befindenden Dermatologie im deutschsprachigen Raum galt.2 1906 habilitierte er sich für Dermatologie und Syphilidologie und heiratete die Grafikerin und Bildhauerin Nora Exner,3 die älteste Tochter des Juristen und Rechtsprofessors Adolf Exner. Nachdem Zumbusch 1906 und 1907 eine Vertretung des Dermatologischen Lehrstuhls der Universität Graz wahrgenommen hatte, leitete er seit 1908 als Primararzt die Abteilung für Hautund Geschlechtskrankheiten in der Krankenanstalt Rudolfsstiftung in Wien und erhielt 1912 eine außerordentliche Professur an der dortigen Universität. 1 2 3

Zu seiner Biografie, seiner Vertreibung und zum Folgenden vgl. die entsprechenden Einträge in NDB und DBE; zudem Klee: Kulturlexikon, S. 621; Grüttner: Lexikon, S. 189; Ehrenberg: Ritter; und UAM, E-II-3689, PA Zumbusch; BayHStA, MK 44567. Vgl. Ehrenberg: Ritter, S. 14 und 43. Zu ihrem künstlerischen Schaffen vgl. Severit (Hg.): Das alles war ich, S. 115 f.

Leo von Zumbusch

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Zum 1. November 1913 wechselte Zumbusch an die Münchner LudwigMaximilians-Universität, um dort als außerordentlicher Professor für Haut- und Geschlechtskrankheiten die Leitung der universitären Dermatologischen Poliklinik zu übernehmen. Im Ersten Weltkrieg diente er einige Zeit in einem österreichischen Feldlazarett und kehrte 1915, vom bayerischen Ministerium angefordert und in das deutsche Heer übernommen, in seine Münchner Position zurück; zudem leitete er als Stabsarzt der Reserve die Hautstation des Reservelazaretts in der Münchner Kolumbusschule. Nach Kriegsende schloss sich Zumbusch den Freikorpsverbänden an und war 1919 als Mitglied des Freikorps Epp an der Niederschlagung der Münchner Räterepublik beteiligt.4 Zudem gehörte er dem Stahlhelm, dem Bund der Frontsoldaten sowie der Deutschnationalen Volkspartei an, Letzterer bis 1932. Zumbusch fühlte sich politisch dem nationalpatriotischen, konservativen und antikommunistischen Lager zugehörig. Im Unterschied zu vielen anderen ähnlich gesinnten Hochschullehrern der Weimarer Republik setzte er seine Überzeugung auch in handfeste Taten um und band sich zudem parteipolitisch. Zu Beginn der 1920er Jahre hatten sich in Deutschland die Dermatologie und Venerologie als eigenständige universitäre Fächer etabliert, sodass die medizinischen Fakultäten separate Lehrstühle schufen.5 In München erhielt Zumbusch 1922 das neu eingerichtete Ordinariat für Dermatologie; mit dieser Position und dem Titel „Geheimer Medizinalrat“ 1924 erreichte er die höchste Stufe der universitären Laufbahn. Hatte er sich zu Beginn seiner Ausbildung noch vor allem mit physiologisch-chemischen Themen beschäftigt, untersuchte er seit seiner Zusammenarbeit mit Riehl dermatologische Krankheitsbilder und machte sich darin bald einen Namen.6 So prägte er die Begriffe Lichen albus (für eine erworbene, chronisch entzündliche Bindegewebserkrankung mit phasenhaftem Krankheitsverlauf) oder Psoriasis pustulosa generalisata (für eine Sonderform der Schuppenflechte, welche die gesamte Hautoberfläche befällt; bis heute wird diese Variante der Hauterkrankung als „Typ Zumbusch“ bezeichnet). Er beschäftigte sich zudem mit der Schmetterlingsflechte (Lupus erythematodes acutus), einer seltenen Autoimmunerkrankung, mit der Pathologie und Therapie von Verbrennungen, mit parasitären Hautkrankheiten und mit den Pemphigus-Erkrankungen, d. h. blasenbildenden Hauterkrankungen, bei denen sich Abwehrstoffe gegen körpereigenes Gewebe richten. Zu seinen wichtigsten Werke zählen die für Ärzte und Studierende konzipierten Handbücher Therapie der Hautkrankheiten (1908) bzw. Die Haut- und Geschlechtskrankheiten (2. Auflage 1935), der Atlas der Syphilis (1922) sowie der zu-

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Vgl. Grüttner: Lexikon, S. 189. Zumbuschs späterer Schwiegervater, Friedrich von Müller, berichtete in seinen Lebenserinnerungen, dass sowohl er selbst als auch Zumbusch Anfang April 1919 von den Aufständischen als Geiseln verhaftet werden sollten, was aber nicht geschah. Vgl. Müller: Lebenserinnerungen, S. 211. Vgl. Ehrenberg: Ritter, S.  18. Zur Geschichte der Dermatologie in München vgl. ebd., S. 87–91. Zum Folgenden vgl. Ehrenberg: Ritter, S. 45 f., 49, 54, 58 f., 119.

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sammen mit Riehl erstellte Atlas der Hautkrankheiten (2. Auflage 1926).7 Zudem gehörte Zumbusch zu den Mitherausgebern der Münchner Medizinischen Wochenschrift, die im Julius Friedrich Lehmann-Verlag erschien, der schon früh völkische und rassistische Literatur veröffentlichte. Zudem leistete Zumbusch als Arzt und Wissenschaftler einen Beitrag zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten.8 1922 heiratete Zumbusch in zweiter Ehe die 1898 geborene Lotte Johanna Müller, mit der er später fünf Kinder hatte. Seine erste Frau war 1915 an den Folgen einer Infektion gestorben, die sie sich bei der Pflege von Kriegsversehrten zugezogen hatte.9 Seine zweite Frau war die Tochter des Münchner Internisten und Ordinarius Friedrich von Müller, der von 1929 bis 1933 dem Hauptausschuss der Berliner Forschungsgemeinschaft vorstand.10 Mit seinem neuen Schwiegervater verstand er sich im Hinblick auf Hochschule und Klinikum, aber auch politisch gut. Müller hatte einen Lehrstuhl an der Münchner Universität inne, leitete die II. Medizinische Klink (links der Isar) und vertrat politisch – wie Zumbusch – eine nationalkonservative Position. Die ältere Forschungsliteratur nahm an,11 Müller habe 1934 auf politischen Druck hin als langjähriger Präsident der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte zurücktreten müssen, da sein politisches Selbstverständnis nicht mehr der seit 1933 erfolgten „völkischen“ Ausrichtung der Akademie entsprochen habe. Doch Müller wurde nicht von der Hochschule vertrieben, sondern bot vielmehr auch nach seiner planmäßigen Emeritierung im Jahre 1934 weiterhin jedes Semester eine Vorlesung an12 und setzte sich erst kurz vor seinem Tod im Jahre 1941 endgültig zur Ruhe. Anfang der 1930er Jahre hatte der knapp 60-jährige Zumbusch sozial und gesellschaftlich eine etablierte Position als Klinikleiter, Arzt, Wissenschaftler und Familienvater erreicht, und die Jahre 1932 und 1933 erwiesen sich als Krönung seiner Karriere.13 Zumbusch stand von Oktober 1932 bis Oktober 1933 der Universität München als Rektor vor,14 wurde Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, und im Frühjahr 1933 wählte man ihn in den Fach7 8 9 10 11 12

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Zu seinen Werken aus medizinischer Sicht vgl. ausführlich Ehrenberg: Ritter, S. 63–76. Vgl. dazu Ehrenberg: Ritter, S. 77–85. Vgl. Severit (Hg.): Das alles war ich, S. 132. Zu seiner Biografie vgl. UAM, E-II-2512, PA von Müller. Zur Heirat seiner Tochter mit Zumbusch vgl. auch Müller: Lebenserinnerungen, S. 202 und 216. Vgl. z. B. NDB; Dumesnil/Schadewaldt: Ärzte, S.  304 f.; Sigerist: Ärzte, S.  411–429, v. a. S. 428; Ehrenberg: Ritter, S. 22; auch Müller: Lebenserinnerungen, v. a. S. 219–247. Vgl. z. B. Brief des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus an den Rektor der Universität München vom 30.4.1940, BayHStA, MK 17873, Bl. 286; Müller: Lebenserinnerungen, S. 248. Für die Akademie ist zudem gezeigt worden, dass der Präsidentenwechsel von Müller zu seinem Nachfolger Karl Haushofer als Versuch zu verstehen ist, den drohenden finanziellen Zusammenbruch der Akademie abzuwenden. Denn die Akademie rechnete damit, dass sie mit Haushofer als Präsidenten Zuschüsse des Propaganda- und Innenministeriums erhalten werde. Vgl. Michels: Akademie, S. 110 f. Vgl. ähnlich auch Ehrenberg: Ritter, S. 108. Anlässlich des Amtsantritts hielt er am 26.11.1932 die Rede „Über den Schmerz“, die ein Jahr später publiziert wurde, vgl. Zumbusch: Schmerz. Zur Abgabe der Amtsgeschäfte vgl. Schreiben Staatsminister Schemm an Zumbusch vom 10.11.1933, BayHStA, MK 44567. Sein Nachfolger wurde der Forstwissenschaftler Karl Escherich (vgl. Heiber: Universität,

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ausschuss 4b (Praktische Medizin) der Notgemeinschaft. Dort verantwortete er als Nachfolger von Ernst Hoffmann, der ebenfalls in diesem Buch beschrieben wird, den Unterausschuss Dermatologie. Am 20. April 1933 schrieb er an den Präsidenten der Notgemeinschaft Friedrich Schmidt-Ott, er nehme die Wahl sehr gern an: „Es ist selbstverständlich, dass ich bestrebt sein werde, nach Möglichkeit dafür zu sorgen, dass die Mittel zweckentsprechend verwendet werden.“15 Zudem versicherte er wenig später, dass er zum Vorsitzenden und zum Stellvertreter des Fachausschusses diejenigen „Herren, welche die Stelle bis jetzt inne hatten“, wählen werde.16 In seiner Position als Rektor hatte Zumbusch die politische Ausrichtung der Universität in den ersten Monaten nach der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ zu gestalten und sich auch zu den nicht selten gewalttätigen Aktionen der Studenten zu verhalten, die sich gegen die tatsächlichen oder vermeintlichen Gegner des neuen Regimes richteten. So bat ihn die Studentenschaft am 11. April 1933, bei der von ihr organisierten und später so genannten Bücherverbrennung als Redner zur Verfügung zu stehen. Dies lehnte Zumbusch zwar ab,17 aber er schloss sich ihrem Aufruf zur Kundgebung an und forderte am 2. Mai den gesamten Lehrkörper der Universität auf, die Vorlesungen ausfallen zu lassen. Zudem rief er die „Herren Kollegen“ ausdrücklich dazu auf, an der „feierlichen Verbrennung am Königsplatz“ geschlossen teilzunehmen.18 Die Rede am 10. Mai hielt dann Karl Gegenbach, der Führer der Studentenschaft der Münchner Universität und der Deutschen Studentenschaft im Kreis Bayern. Trotz seiner nationalkonservativen Haltung verhielt sich Zumbusch den neuen Machthabern gegenüber eher zurückhaltend,19 da er die von diesen und weiten Teilen der Studentenschaft geforderte politische Universität ablehnte: „Da ich Alter und akademische Erfahrung für mich habe“, schrieb er, „halte ich mich für verpflichtet, darauf hinzuweisen, dass die Deutsche Wissenschaft ihre Geltung auf der Welt unrettbar verlieren wird, wenn bei Berufungen Grundsätze gelten, durch welche nur Mediocritäten zu ihren Behütern und Bewahrern bestellt werden. Auch am deutschen Volk wird es sich schwer rächen, wenn schlechte Professoren schlechte Ärzte heranziehen.“20 Schon bald geriet Zumbusch ins Visier der NS-Aktivisten der Münchner Universität, unter ihnen auch Angehörige seiner eigenen Klinik. Besonders

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Teil II, Bd. 1, S. 282), der von 1929 bis 1933 für die Notgemeinschaft im FA 11 (Biologie), Unterausschuss Angewandte Zoologie, tätig war. Brief Zumbusch an Schmidt-Ott vom 20.4.1933, BArch, R 73/130, Bl. 356. Brief Zumbusch an die Notgemeinschaft vom 13.6.1933, BArch, R 73/130, Bl. 356. Vgl. Schreiber: München, S. 647. Klee: Kulturlexikon, S. 621, geht davon aus, dass er bei der Bücherverbrennung als Redner aufgetreten ist. Schreiben des Rektors an sämtliche Dozenten und Professoren vom 2.5.1933, zit. nach: Schreiber: München, S. 647. Vgl. Babaryka: Institut, S. 104; ähnlich auch Schreiber: München, S. 651, und Böhm: Selbstverwaltung, S. 530. Zum Folgenden vgl. ebd., S. 530 f.; Ehrenberg: Ritter, S. 22 f. Brief Zumbusch, o. D. [vermutlich 1933], zit. nach: Ehrenberg: Ritter, S. 112. Der erste Teil des Briefes, auf dem Adressat und Datum stehen, ist nicht überliefert.

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exponierte sich einer seiner Oberärzte, Franz Wirz, der sich später entschloss, hauptamtlich für die NSDAP tätig zu werden. Doch dieser handelte nicht allein, sondern gemeinsam mit Gustav Borger, dem Vertrauensmann der NSDAP an der Medizinischen Fakultät München, und Walter Schultze, dem Leiter der Gesundheitsabteilung im bayerischen Innenministerium. So geriet Zumbusch in ein hochschulpolitisches Ränkespiel, das sich über mehrere Monate hinzog und in dem die NS-Aktivisten alle Register zogen. Schon bald waren sowohl das Rektorat als auch das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus mit dem Vorgang befasst, und spätestens im Herbst 1935 schaltete sich auch das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung ein.21 Auf politischer Ebene hielt man Zumbusch vor,22 er sei zwar deutschnational, doch gehe ihm jegliches „soziales Denken und Fühlen“ ab. Als Nationalsozialist könne er keinesfalls bezeichnet werden, er habe sich vielmehr der „Bewegung“ gegenüber distanziert oder gegnerisch geäußert. In seiner Rektoratsrede etwa sei er „kaum auf unseren Führer eingegangen“, habe dessen Namen nicht einmal erwähnt, sondern nur vom Reichskanzler gesprochen. Zudem habe er sich über das geforderte „Mitmarschieren bei dem Marsch am 1. Mai zur Theresienwiese“ beschwert, dieses zudem als „nicht standesgemäß“ bezeichnet. Einer seiner Ärzte bezeugte, er habe nach der Morgenvisite gesagt, dass „hoffentlich Hugenberg den dummen Hitler an die Wand drücken werde“ und dass der bayerische Kultusminister „doch nur als Kuli die Befehle von Berlin“ ausführe. Auch in seinen Handlungen spiegele sich die gegnerische Position. So habe er vielfach den „deutschen Gruß“ nicht erwidert und es abgelehnt, eine Versammlung der NSDAP im großen Hörsaal stattfinden zu lassen. Zudem beschäftige er in der Klinik Juden, habe einen jüdischen Arzt aus Wien mitgebracht und als Oberarzt eingesetzt. Nicht zuletzt toleriere er Mitarbeiter, die sich in linken Parteien betätigten. Seine Vorzimmerdame beispielsweise gehöre der SPD oder gar der KPD als Funktionärin an und nehme sich alles Mögliche heraus, was er dulde. Behauptet wurde auch, Zumbusch habe Gelder veruntreut, sich privat bereichert und betreibe Vetternwirtschaft. Seine Privatwäsche etwa werde in der städtischen Wäscherei, welche die Klinikwäsche besorge, kostenlos gebügelt, seine Frau und/oder seine Schwiegermutter lasse öfter „Wurstwaren und Mineralwasser“ und/oder „Kirchweihnudeln“ aus der Klinikküche holen und bezahle nicht oder nur den Selbstkostenpreis, Krankenschwestern müssten ohne Vergütung sein jüngstes Kind und/oder seine Nichte betreuen und verpflegen, und er benutze für seine Privatpraxis Salben und Verbandsstoffe aus der Klinik. Überhaupt herrsche dort Misswirtschaft:23 Gel21 22

23

Vgl. Brief REM an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus vom 30.9.1935, BayHStA, MK 44567. Die folgende Passage stützt sich, sofern nicht anders angegeben, vor allem auf drei Dokumente: Mitteilung Staatsministerium für Unterricht und Kultus an den Rektor der Universität München vom 21.1.1935, UAM, E-II-3689, PA Zumbusch; Bericht des „Beamten der politischen Polizei“, Einhauser (70 Seiten) vom 5.6.1935, ebd., sowie die Stellungnahme der Dozentenschaft der Universität München, Dr. Führer (52 Seiten) vom 7.9.1935, BayHStA, MK 44567. Die Zitate stammen aus diesen Dokumenten. Ehrenberg: Ritter, S.  101–107, ging diesen Vorwürfen detailliert nach und zeichnete ein gänzlich anderes, nämlich positives Bild von Zumbuschs Tätigkeit als Klinikleiter.

Leo von Zumbusch

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der würden ohne sachlich richtige Begründung verausgabt, der von Zumbusch durchgesetzte Neubau der Dermatologischen Klinik sei viel zu teuer und die Klinik sowieso nur zur Hälfte belegt.24 Schließlich habe er seinem zeitweise im Krankenhaus beschäftigten Schwager, Professor Hermann Siemens,25 nach dessen Berufung nach Holland noch mehrere Monate Gehalt gezahlt. Schließlich griff man ihn als Arzt und Hochschullehrer, zudem auch persönlich an: So habe er Patienten behandelt, ohne die erforderliche Weiterqualifikation als Facharzt zu besitzen. Er leiste wissenschaftlich nichts mehr, keine einzige seiner Arbeiten würde noch für eine Dissertation oder Habilitation ausreichen. Er bilde zudem keinen wissenschaftlichen Nachwuchs heran, nur einer seiner Assistenten, bezeichnenderweise sein Schwager, sei zum Ordinarius bestellt worden. Auch habe Zumbusch von der Berliner Notgemeinschaft 1927 ein Stipendium von 200 RM monatlich für (einen nicht näher bezeichneten) Dr. Diez erhalten,26 der sich jedoch nicht mit dem beantragten Thema befasse. Zumbusch halte ihn aber auch gar nicht zur Arbeit an, da er mit der Familie Diez befreundet sei. Ergebnisse lägen noch immer nicht vor, obwohl Zumbusch der Notgemeinschaft regelmäßig berichte, dass die Arbeiten wertvoll seien und gut vonstattengingen. Moniert wurde auch, dass seine Lehre nicht zeitgemäß sei. Seine universitären Veranstaltungen entsprächen vielmehr „der alten Wiener Schule“, nicht aber den neuen Erfordernissen. Gerade weil Zumbusch ein „guter rhetorischer Lehrer“ und bei den Studierenden beliebt sei,27 stelle er eine große Gefahr für die Hochschule und für die Erziehung der Jugend dar. Und nicht zuletzt führten die NS-Sympathisanten zahlreiche Bespiele an, die Zumbuschs „Unwahrhaftigkeit“ und sein „Intrigenspiel“ demonstrieren sollten. Die Ausführungen zeigen, dass es in der Kampagne nicht ausschließlich um Zumbuschs Haltung zum Nationalsozialismus ging. Vielmehr konnten ihn seine Kontrahenten nicht eindeutig – etwa durch die Zugehörigkeit zu einer demokratischen Partei oder dem Zentrum – als entschiedenen politischen Gegner des Nationalsozialismus identifizieren.28 Die Vorhaltungen der NS-Sympathisanten waren daher viel weiter gespannt, umfassten die gesamte Palette möglicher Verleum24 25 26

27 28

Zum Klinikneubau, der von anderen als erforderlich angesehen wurde, vgl. Ehrenberg: Ritter, S. 18 f. und 95–98. Siemens war ebenfalls mit einer Tochter von Müllers verheiratet, vgl. Ehrenberg: Ritter, S. 19 f. In der Datenbank zur DFG-Geschichte sind für Zumbusch zwei bewilligte Sachbeihilfen aus dem Jahr 1925/26 verzeichnet: eine für „Untersuchungen über Jodabscheidung im Urin“ und eine für „Untersuchungen über die chemische Zusammensetzung der Haut“. Zumbusch hatte 3.000 Mark für Apparate, Material und wissenschaftliche Hilfskräfte beantragt, es ist jedoch unklar, ob die gesamte Summe bewilligt wurde. Vgl. Datenbank DFG-Geschichte sowie BArch, R 1501/116318. Auch Ehrenberg: Ritter, S. 39–41, führt einige Quellen an, aus denen hervorgeht, dass die Studenten Zumbusch als Lehrer mochten und schätzten. In einem Wiedergutmachungsverfahren nach 1945 wurde Zumbusch als solcher porträtiert, vgl. z. B. Antragsentwurf Rechtsanwalt Georg Hohmann vom 6.9.1946, UAM, E-II-3689, PA Zumbusch. Ein Teil der Forschungsliteratur ist dieser Meinung gefolgt, so z. B. Ehrenberg: Ritter, S. 20–22, 108–113.

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Fachausschuss Theoretische/Praktische Medizin

dungen. Die Angriffe fanden auf politischer, wirtschaftlicher, wissenschaftlicher und persönlicher Ebene statt, und sie reichten von (angeblichen) banalen Verfehlungen im Alltag bis hin zu (aus NS-Sicht) schwerwiegenden politischen Vergehen bzw. unterstelltem wissenschaftlichen Fehlverhalten. Das Sammelsurium von Behauptungen, Unterstellungen, Gerüchten und Halbwahrheiten erwies sich durch die Art und Weise, wie es vorgebracht wurde, vor allem aber durch die Macht der veränderten politischen Umstände als höchst explosive Mischung. Ein ganz ähnliches Muster zeigte sich auch bei den Intrigen, die die NS-Aktivisten gegen die in diesem Buch beschriebenen DFG-Gremienmitglieder Erich Hoffmann oder Wolfgang Gaede anzettelten. Aus der Sicht der neuen Machthaber galten diese Männer als „alte Geheimräte“ der Weimarer Republik, als Angehörige einer untergegangenen Zeit, die keine Berechtigung mehr haben sollten, an der Hochschule zu forschen und vor allem die Studierenden zu unterrichten. Die Denunziationskampagne zielte gegen Zumbusch als Wissenschaftler und Arzt, vor allem aber auch als Leiter einer großen öffentlichen Einrichtung. Durch die Veränderung der politischen Verhältnisse konnte vieles, was zuvor als normal und üblich galt, nun anders ausgelegt und in den Schmutz gezogen werden. Zumbuschs Stellung bot aufgrund der veränderten politischen Machtkonstellation keinen Schutz mehr, und er selbst konnte dem zunehmenden Druck nicht lange standhalten. Ähnlich wie Gaede oder Hoffmann wehrte er sich zwar gegen alle Bezichtigungen mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln,29 doch ohne Erfolg. Zumbusch wurde zum Wintersemester 1935/36 in den Ruhestand versetzt,30 und zwar nach § 6 des sogenannten Berufsbeamtengesetzes, das zuließ, dass Beamte „zur Vereinfachung der Verwaltung“ ohne Angabe von Gründen entlassen werden konnten. Die Vertreibung von der Universität und aus der Klinik hatten für Zumbusch und seine Familie erhebliche Auswirkungen, so auch finanzieller Art. Das Ruhegehalt lag deutlich unter den bisherigen Bezügen, zudem fielen die Examens- und Kolleggelder fort, und die Familie musste aus der Dienstwohnung ausziehen. Lotte von Zumbusch berechnete nach Kriegsende, dass die zur Verfügung stehenden Gelder von etwa 38.000 RM im Jahre 1930 auf unter 12.000 RM sanken.31 Gleichwohl herrschte keine existenzielle Bedrängnis, da die Familie über Vermögen verfügte und auf das familieneigene Gut in Risting am Chiemsee übersiedeln konnte.32 29 30

31 32

Vgl. v. a. Erklärung Zumbusch vor der Bayerischen Politischen Polizei am 4.2.1935, BayHStA, MK 44567. Vgl. Mitteilung Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus an den Rektor der Universität München vom 17.4.1936, UAM, E-II-3689, PA Zumbusch. Darin hieß es, Zumbusch sei mit einer Verfügung des REM vom 15.10.1935 in den Ruhestand versetzt worden. Dies sei aus „Zuständigkeitserwägungen“ zurückgenommen worden, die Versetzung in den Ruhestand werde nunmehr vom Reichsstatthalter in Bayern erneut ausgesprochen. Vgl. Brief Lotte von Zumbusch an den Rektor der Universität München vom 2.4.1948, UAM, E-II-3689, PA Zumbusch. Das folgende Zitat ebd. Vgl. Ehrenberg: Ritter, S. 24 f. Ehrenberg stützt sich vor allem auf Aussagen von Zumbuschs Kindern.

Leo von Zumbusch

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Nach seiner Vertreibung von der Hochschule führte Zumbusch weder seine wissenschaftliche Tätigkeit fort noch behandelte er als Arzt Patienten. Dies mag daran gelegen haben, dass er aus ökonomischen Gründen nicht gezwungen war, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Dennoch setzten ihm die Vertreibung und die ihr zugrunde liegende Kampagne schwer zu. Aus seiner Sicht beruhte die Entlassung „auf einer Reihe niedrigster und in die rein persönliche Sphäre reichender Denunziationen“.33 Zumbusch hatte – wie seine Frau es formulierte – durch die Vertreibung aus der akademischen Welt „seine Lebensstellung“ verloren: die Position, auf die er jahrzehntelang zielstrebig hingearbeitet und die ihm gesellschaftliche Anerkennung und Wertschätzung gebracht hatte, in der er sich fest verankert wähnte. Er stand in einem Lebensalter von Anfang 60 vor den Trümmern seines Lebenswerks. Die Vertreibung von der Hochschule und aus der Klinik bedeutete daher eine scharfe Zäsur. Lotte von Zumbusch machte nach Kriegsende die „schweren Aufregungen der Kämpfe von 1932–1935“ sogar für seinen Tod verantwortlich.34 Leo von Zumbusch starb wenige Jahre nach seiner Vertreibung, nämlich am 30. März 1940 in Rimsting an einem inoperablen Kardiakarzinom, einem bösartigen Tumor am Mageneingang.35 An seiner Beerdigung nahm kein einziger Vertreter der Universität München teil.36

33 34 35 36

Antragsentwurf Rechtsanwalt Georg Hohmann vom 6.9.1946, UAM, E-II-3689, PA  Zumbusch. Brief Lotte Zumbusch an den Rektor der Universität München vom 2.4.1948, UAM, E-II3689, PA Zumbusch. Vgl. auch Ehrenberg: Ritter, S. 25. Vgl. Ehrenberg: Ritter, S. 26. Dies geht aus einer Anfrage hervor, die sich in Zumbuschs Personalakte befindet, vgl. UAM, E-II-3689, PA Zumbusch.

FACHAUSSCHUSS PHILOSOPHIE David Katz (1884–1953) Wolfgang Köhler (1887–1967)

David

Katz

David Katz kam am 1. Oktober 1884 in einer jüdisch-orthodoxen Familie zur Welt.1 Er war das zweitjüngste Kind von fünf Söhnen und drei Töchtern des Kaufmanns Isaak Katz und seiner Frau Mathilde. In seiner Geburtsstadt Kassel besuchte er seit seinem fünften Lebensjahr die Volksschule und wechselte dann zum Realgymnasium.2 Schon als Schüler gab er Nachhilfe in Latein und Mathematik und konnte seine Unterrichtsmaterialien sogar als Repetitorien zu diesen beiden Fächern veröffentlichen. Die Publikation wurde bis in die 1920er Jahre hinein mehrfach aufgelegt. Da die Familie nicht wohlhabend war, sollte David Katz wie alle Geschwister die Schule vor dem Abitur verlassen, um eine Stelle anzutreten. Doch er konnte seine Eltern davon überzeugen, dass es sinnvoll sei, den Abschluss zu machen. Im März 1902 legte er die Reifeprüfung ab und immatrikulierte sich sogleich, erst 17-jährig, an der Universität Göttingen 1

2

Für die Durchsicht der Texte zum FA Philosophie danke ich Andrea von Hohenthal sehr herzlich. Zu Katz’ Biografie, seiner Vertreibung und zum Folgenden vgl. die entsprechenden Einträge in NDB, DBE und Catalogus Professorum [Rostock]; zudem Berger: Katz; Buddrus/Fritzlar: Professoren, S.  217–219; Grassel: Entwicklung, S.  155–158; Kaznelson (Hg.): Juden, S. 286; Kirsten: Leben; Perleth: Katz; ders.: Eckpfeiler; Riedmann: Rosa Katz; Wolfradt u. a. (Hg.): Psychologinnen, S.  228–230; und David Katz: Fünf Jahrzehnte im Dienst der psychologischen Forschung. Autobiographische Aufzeichnungen und Bibliographie, in: Sonderdruck der Zeitschrift Psychologische Beiträge, Bd. 1, Heft 3, o. J. [nach 1953], S. 470–491 (eine Kopie befindet sich in: UAR, PA Katz); Katz: [Autobiography]; Katz, Rosa: [Lebenserinnerungen]; Katz, Theodor: Katz; ders.: Erinnerungen; zudem UAR, PA  Katz, und KB, Acc. 1997/90 (Nachlass David und Rosa Katz). Zu seiner Schulzeit vgl. Katz: [Autobiography], S. 190 f.

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Fachausschuss Philosophie

für die mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer mit dem Ziel, später einmal an einer Höheren Schule zu unterrichten. Während des Studiums erhielt er eine finanzielle Unterstützung von der jüdischen Gemeinde sowie von zwei seiner älteren Brüder, die nach Südafrika ausgewandert waren.3 Bereits in seinem ersten Semester kam David Katz in Kontakt zur Psychologie. Zum einen nahm er als Versuchsperson an einem psychologischen Experiment teil, zum anderen hörte er bei Julius Baumann die Vorlesung Über die Unsterblichkeit der Seele. Beides regte ihn an, so berichtete er aus der Rückschau, die Psychologievorlesungen von Georg Elias Müller zu besuchen,4 der damals als einer der bedeutendsten Experimentalpsychologen galt. Als Müllers Schüler lernte Katz in erster Linie, methodisch experimentell zu arbeiten. Dies sollte seine spätere wissenschaftliche Arbeitsweise prägen. Wie Müller beeinflusste ihn auch der Philosoph Edmund Husserl sowie der Physiologe Ewald Hering – mit allen dreien blieb Katz noch lange nach dem Abschluss seines Studiums verbunden.5 1906 erschien seine von Müller betreute und mit „valde laudabile“ bewertete Dissertation Die Psychologie des Vergleichs im Gebiete der Zeiterlebnisse sowie auch eine zweite Schrift, eine Studie über Kinderzeichnungen. Katz hatte dafür Kinder nach Modellen zeichnen lassen und versucht, mit der Analyse dieser Zeichnungen Formen der kindlichen Auffassung und Darstellung zu erfassen, wobei ihn insbesondere Fragen der Farbkonstanz interessierten.6 Nach Ableistung des Militärdienstes ging Katz für kurze Zeit nach München, wo er vor allem Veranstaltungen des Philosophen und Psychologen Theodor Lipps besuchte, dann nach Würzburg an das von Oswald Külpe geleitete Institut für Psychologie und schließlich zurück nach Göttingen als Müllers Assistent. 1911 legte er eine von den Gutachtern Müller und Husserl als hervorragend beurteilte Habilitationsschrift vor, die sich mit der Farbwahrnehmung beschäftigte (Die Erscheinungsweisen der Farben und ihre Beeinflussung durch die individuelle Erfahrung 7). Neben sinnespsychologischen Fragen beschäftigte sich Katz in Göttingen auch mit der Entwicklungspsychologie, der Tierpsychologie (hierbei arbeitete er eng mit Géza Révész zusammen, mit dem er zeitlebens befreundet blieb8) sowie der pädagogischen Psychologie. Daraus resultierte eine weitere Veröffentlichung, nämlich eine Studie über die psychologischen Grundlagen des Mathematikunterrichts, die in dem Sammelband Abhandlungen über den mathematischen Unterricht in Deutschland erschien, 1913 herausgegeben von dem bekannten Göttinger Mathematiker Felix Klein. Im Laufe der Zeit entwickelte Katz einen ganz eigenen Forschungsansatz, der aus der Auseinandersetzung mit der streng experimentellen Methodik Müllers, den theoretischen Ansätzen Herings sowie Husserls Phänomenologie entstand. Er blieb einerseits der experimentellen Tradition verpflich3 4 5 6 7 8

Vgl. Katz, Theodor: Erinnerungen, S. 35. Vgl. Katz: Jahrzehnte, S. 470. Vgl. Katz: Jahrzehnte, S. 472–474; Brief Husserl an Katz vom 1.4.1925, KB, Acc. 1997/90, 14a/21, oder die Briefe Müllers an Katz vom 23.9.1930 und 15.9.1933, ebd., 18/5. Vgl. Katz: Jahrzehnte, S. 471 f. Zur Einordnung dieser Studie aus heutiger Sicht vgl. Volke: Leitphänomene, v. a. S. 86–96. Vgl. Kaznelson (Hg.): Juden, S. 289.

David Katz

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tet, überwand aber die streng physikalische und physiologische Orientierung der damaligen Psychologie und stellte das Erleben der Phänomene durch den Menschen in den Mittelpunkt. Neben der Forschung hatte sich Katz auch um die Studierenden zu kümmern. So betreute er unter anderem Rosa Heine, die seine spätere Ehefrau werden sollte.9 Sie war 1885 als Tochter eines deutschen Ingenieurs und einer russischen Mutter in Odessa geboren worden und hatte in Alexandria (wo ihr Vater am Suezkanal tätig war) sowie in Odessa zunächst die Schule, dann die Universität besucht. 1907 wechselte sie, um ihre psychologischen Kenntnisse zu erweitern, nach Göttingen zu Müller und lernte dort Katz kennen. 1913 wurde sie mit einer gedächtnispsychologischen Arbeit (Über Wiedererkennen und rückwirkende Hemmung) promoviert, um dann als Lehrerin am Vorzeigeinternat der Reformpädagogik, der Odenwaldschule, tätig zu werden. Als Jüdin russischer Herkunft musste Rosa Heine diese Stelle mit Beginn des Ersten Weltkriegs aufgeben.10 Sie geriet dadurch in eine finanziell prekäre Situation und ging nach Berlin, wo sie bei Verwandten unterkommen konnte und sich mit Hilfstätigkeiten (unter anderem als Lehrerin, als Übersetzerin für die russische Botschaft und als Betreuerin russischer Soldaten) über Wasser hielt. Trotz aller Einschränkungen setzte sie ihre wissenschaftliche Tätigkeit fort und beschäftigte sich mit der Literaturwissenschaft und der Parapsychologie. David Katz hatte sich zu Beginn des Krieges freiwillig gemeldet. Er erhielt eine Kurzausbildung in der Pflege von Verwundeten und tat dann in einem Lazarettzug Dienst, der verletzte Soldaten von der Front zurücktransportierte. Ende 1914 erkrankte er und kurierte sich in Göttingen aus. Anfang 1915 erneut eingezogen, meldete er sich im Frühjahr 1916 freiwillig an die Front und wurde als Artillerist einem Schallmesstrupp zugeteilt, der in Russland und Nordfrankreich zum Einsatz kam.11 Bereits im September 1917 schrieb er in einem Feldpostbrief an einen Bekannten, er wünsche, dass „ein glücklicher Friede bald einkehr[t], damit alle zur friedlichen gewohnten Arbeit zurückkehren können“.12 Noch vor Kriegsende, im Frühjahr 1918, wurde er von der Front abgezogen und an die „Forschungsstelle für Ersatzglieder“ der Technischen Hochschule Hannover abkommandiert. Er wirkte dort als psychologischer Sachverständiger bei der Konstruktion und Auswahl von Prothesen für, wie es zeitgenössisch hieß, „Verkrüppelte und bei der Einübung Verkrüppelter auf ihre Prothesen“.13 9 10 11 12 13

Vgl. Katz, Rosa: [Lebenserinnerungen], S. 105. Zum Folgenden vgl. ebd., S. 103 f.; ausführlich Riedmann: Rosa Katz, S. 18–38. Dies ging mit einer heftigen, auch juristisch ausgetragenen Auseinandersetzung mit dem Leiter der Schule, Paul Geheeb, einher, vgl. ausführlich Riedmann: Rosa Katz, S. 30 f. Sein Militärpass befindet sich in: KB, Acc. 1997/90, 5/2. Briefkarte Katz an Hermann Cohen vom 14.9.1917, KB, Acc. 1997/90, 6/1. Der Wortlaut der Abkommandierung wurde am 12.12.1951 in einem Antrag des Vorstands des Philosophischen Seminars II der Universität München zitiert, in dem es um die Wahl von Katz zum korrespondierenden Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften ging, UAR, PA Katz, Bl. 67. Die Beschäftigung mit Problemen des Prothesenbaus und der Psyche der Amputierten nannte Katz: Jahrzehnte, S. 477, die „Psychologisierung des Prothesenbaus“. Vgl. dazu auch Volke: Leitphänomene, S. 100 f.

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Mit Kriegsende kehrte Katz auf seine Assistentenstelle an der Universität Göttingen zurück, die ihn im Oktober 1918 zum apl. Professor ernannte. Kurze Zeit später feierten David Katz und Rosa Heine die lange geplante Hochzeit. Sie fand nach jüdischem Ritus am 30. Januar 1919 in Berlin statt. Anlässlich der 500-Jahr-Feier der Gründung der Universität Rostock wurden drei Professuren neu geschaffen, darunter eine für Pädagogik und Philosophie.14 Katz erhielt die Stelle und trat das Extraordinariat zum Oktober 1919 an. In den folgenden Jahren legte er den Schwerpunkt in Forschung und Lehre auf die Psychologie, die sich unter seiner Leitung zu einem anerkannten Fach an der Universität entwickelte. Aufgrund seines Erfolgs bemühte sich die Universitätsleitung, ihn in Rostock zu halten. Als er 1923 einen Ruf an die Handelshochschule Mannheim erhielt, ernannte man ihn zum ordentlichen Professor und Leiter des nun endlich gegründeten Psychologischen Instituts (Planungen bestanden seit 1919). Die Zahl der dortigen Mitarbeiter stieg stetig an, sodass dort 1932 neun ordentliche und zehn außerordentliche Mitglieder arbeiteten; hinzu kamen Gastwissenschaftler aus Japan und Skandinavien.15 Katz betreute in seiner Rostocker Zeit rund 30  Nachwuchswissenschaftler, deren Dissertationsthemen ein weites Spektrum umfassten. Daneben fungierte er zeitweise als Dekan der Philosophischen Fakultät und engagierte sich, da viele Studierende Lehrer werden wollten, für die (Fort-)Bildung von Lehrern. Katz knüpfte in Rostock an seine Forschungen in Göttingen an und weitete sein Interessengebiet aus. Jedoch blieb er immer den experimentellen bzw. empirischen Methoden verpflichtet. In diesem Zusammenhang ist auch sein großes Interesse an den für die Experimente benötigten Apparaten zu nennen, die er zum Teil selbst entwickelte. Zwei seiner Erfindungen ließ er sich patentieren.16 Zu seinen wichtigsten Forschungsgebieten jener Jahre gehörten die Entwicklungsund Kinderpsychologie; viele Studien führte er zusammen mit seiner Frau durch. So erschien 1925 ihr eher populärwissenschaftlicher Ratgeber Die Erziehung im vorschulpflichtigen Alter. Als Grundlage hierfür dienten ihnen ihr „wissenschaftliches Tagebuch“, psychologisch-pädagogische Notizen über die Entwicklung ihrer beiden kleinen Söhne Theodor und Gregor, die 1920 bzw. 1922 zur Welt gekommen waren. In der Einleitung schrieben sie, dass sie „keine Sammlung pädagogischer Rezepte“ vorgelegen wollten, sondern vielmehr „pädagogische Erwägungen allgemeinerer Natur“, die Eltern „zum Nachdenken“ anregen sollten.17 Zudem bot das Buch eine Einführung in das Erziehungssystems von Maria Montessori, 14 15 16 17

Zur Vorgeschichte vgl. Grassel: Entwicklung, S. 155 f. Eine derartige Ausweisung der Lehrstühle war für die Zeit durchaus typisch, vgl. Geuter: Professionalisierung, S. 92. Zu den japanischen Wissenschaftlern vgl. Kirsten: Leben, S. 339. Einige Studenten hielten den Kontakt zu Katz aufrecht, vgl. z. B. den Briefwechsel zwischen Katz und Taro Takamasa aus Tokio, KB, Acc. 1997/90, 25/1. Es handelte sich dabei um einen Perkussionsapparat, den er für Untersuchungen über den Vibrationssinn brauchte, und ein Gerät zur Aufzeichnung der Handbewegungen beim Schreiben, einen sogenannten Skriptochronographen. Katz, David und Rosa: Die Erziehung im vorschulpflichtigen Alter, 1925, S. 9 f., zit. nach: Berger: Katz, S. 75. Vgl. auch Katz, Rosa: [Lebenserinnerungen], S. 112 f.

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gehörte das Ehepaar doch zu den Befürwortern der zu diesem Zeitpunkt noch sehr umstrittenen Montessori-Pädagogik. Bekannt wurde dann vor allem die 1927 publizierte Studie Gespräche mit Kindern. David und Rosa Katz hatten dafür die „Tagebuchmethode“ fortgeführt und 154 Gespräche mit ihren beiden Söhnen aufgezeichnet.18 Das Novum bestand darin, dass sie die kindlichen Äußerungen nicht – wie damals üblich – nur auf Laut- oder Silbenebene untersuchten, sondern ganze Dialoge in ihrem Kontext betrachteten und auf ihren Sinn hin analysierten. Zudem führte David Katz Untersuchungen im Bereich der Sinnes- und Wahrnehmungspsychologie durch, insbesondere zum Tast- und Vibrationssinn sowie zur Farbwahrnehmung. Er zeigte dabei, dass optische und taktile Abbilder als selbstständige Phänomene und nicht bloße Effekte eines äußeren Reizes untersucht werden müssen. Auch seine Erlebnisse und Erfahrungen im Ersten Weltkrieg beschäftigten ihn weiterhin. So wertete er seine Tätigkeit an der „Forschungsstelle für Ersatzglieder“, die er in Rostock fortführte, wissenschaftlich aus und trug seine Ergebnisse – Psychologische Erfahrungen mit Amputierten – 1921 auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie vor.19 Zudem widmete er sich der Psychologie des Hungers und des Appetits und legte dabei ebenfalls die Erfahrungen der Frontsoldaten zugrunde,20 die in weitreichendere Schlussfolgerungen im Hinblick auf eine allgemeine Bedürfnispsychologie mündeten. Mit seinen Experimenten zur (Tier-)Sozialpsychologie konnte Katz an seine Göttinger Zeit anknüpfen. International Beachtung fand vor allem die Studie eines norwegischen Doktoranden, Thorleif Schjelderup-Ebbe, über die Hackordnung der Hühner. Katz fügte der Dissertation unter dem Titel Tierpsychologie und Soziologie des Menschen eine Anlage hinzu, in der er auf „die weitgehende Parallelität, die sich statistisch und dynamisch im Verhalten tierischer und menschlicher Gruppen ergibt“, aufmerksam machte.21 Heute werden solche Schlussfolgerungen zwar als unzutreffend bzw. überbewertend angesehen, doch bemerkenswert für die damalige Zeit war, dass Katz das Potenzial und den Erkenntnisgewinn der Sozialpsychologie überhaupt sah und darüber hinaus für sozialpsychologische Experimente plädierte: „Daß das Verhalten des Menschen in höchstem Maße durch die Gruppe, der sie angehören, mitbestimmt wird, ist zur Genüge bekannt, in Zukunft sind die näheren Bedingungen hierfür möglichst auch experimentell zu erfassen“.22 18 19

20 21 22

Vgl. Katz/Katz: Gespräche (die Gespräche mit den Söhnen sind dort, S. 41–210, auch abgedruckt). Vgl. zudem Katz: Jahrzehnte, S. 478; Katz, Rosa: [Lebenserinnerungen], S. 116– 118. Vgl. Geuter: Professionalisierung, Fn. 2, S. 486. 1921 erschien der Beitrag von Katz als Beiheft der Zeitschrift für angewandte Psychologie. Im Vorwort beschrieb Katz, dass er die Versuche nach seiner Übersiedlung nach Rostock fortführen konnte, vgl. Katz: Psychologie des Amputierten, Vorwort. Vgl. z. B. Brief Willy Scholz an Katz vom 6.6.1932, KB, Acc. 1997/90, 24/2. David Katz: Tierpsychologie und Soziologie des Menschen, 1922, S. 253 f., zit. nach: Kirsten: Leben, S. 338. David Katz: Tierpsychologie und Soziologie des Menschen, 1922, zit. nach: Grassel: Entwicklung, S. 156.

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Die Untersuchungen mit Tieren stellten eine Besonderheit der Universität Rostock auch insofern dar, als sich dort die einzige deutsche psychologische Tierstation befand.23 In Anbetracht der finanziellen Notlage der Hochschulen nach Ende des Ersten Weltkriegs wurden die Gelder für den Unterhalt der Station von anderer Seite bereitgestellt, nämlich von der Berliner Notgemeinschaft.24 Katz erhielt sowohl für die Station als auch für seine anderen Untersuchungen seit 1921 regelmäßig Fördergelder aus Berlin.25 1932/33 etwa befürwortete der Fachausschuss die Bereitstellung der beantragten Mittel für die Fortsetzung der begonnenen Untersuchungen, da diese „bereits wertvolle Ergebnisse gezeitigt haben“.26 Doch Katz profitierte nicht nur von der Notgemeinschaft, sondern engagierte sich auch in ihr. Seit 1929 war er als Fachreferent für Psychologie im Fachausschuss Philosophie tätig.27 Katz gehörte nicht nur zur nationalen Community der Psychologen, sondern pflegte auch internationale Kontakte. Besondere Verbindungen bestanden zu William Stern in Hamburg, Edgar Rubin in Kopenhagen, Jean Piaget in der Schweiz, Charlotte und Karl Bühler in Wien, Otto Klineberg in New York sowie zu den Berliner Gestaltpsychologen um Wolfgang Köhler (der ebenfalls in diesem Buch vorgestellt wird). Katz stand der Gestaltpsychologie nahe, auch wenn er nicht als einer ihrer Vertreter galt. Er selbst bezeichnete das Verhältnis als „herzlich[…]“28 und steuerte gelegentlich Beiträge zu Köhlers Zeitschrift Psychologische Forschung bei. 1928 luden Katz und seine Frau die Wahrnehmungs- und Gestaltpsychologen zu einer Tagung nach Rostock ein, an der neben Köhler auch Fritz Heider, Kurt Lewin, Heinz Werner, Albert Michotte, Edgar Rubin und Max Wertheimer teilnahmen. Vorlesungsreisen führten ihn in den späten 1920er und frühen 1930er Jahren nach Amsterdam, Budapest,29 Kopenhagen30 und in die Vereinigten Staaten. In Maine nahm er 1929 eine Gastprofessur wahr, lehnte eine ebenfalls ausgesprochene Einladung von der Columbus University in Ohio aber ab, um die Arbeit am Rostocker Institut nicht zu lange zu unterbrechen.31 Katz fungierte zudem als Herausgeber und (seit 1930) als Redakteur der Zeitschrift für 23 24 25 26 27 28 29 30 31

Katz’ Mitarbeiter führten neben den lern- und sozialpsychologischen Versuchen mit Hühnern auch Wahrnehmungsexperimente zum Hören oder Riechen mit Hunden durch. Vgl. Datenbank DFG-Geschichte; auch Grassel: Entwicklung, S.  157; Katz: Jahrzehnte, S. 479. Vgl. Datenbank DFG-Geschichte; z. B. Antragsliste Katz vom 6.5.1921, BArch, R 73/142, Bl.  9; HA-Liste Nr.  4/28–29, ebd., R  73/108, fol.  235; HA-Liste Nr.  2/1931–1932, ebd., R 73/114, fol. 21. HA-Liste 4/1932–1933, BArch R 73/116, fol. 194 f. Vgl. Brief der Notgemeinschaft an Katz vom 10.4.1929, KB, Acc. 1997/90, 5/2. Katz: Jahrzehnte, S. 480. Vgl. auch Ash: Institut, S. 119.; Jaeger: Gestaltpsychologie, S. 25; Grassel: Entwicklung, S. 157; Metzger: Gestalttheorie, S. 669. Zu seiner Reise nach Budapest vgl. Brief des Vizebürgermeisters von Budapest Andreas Liber an Katz vom 30.8.1932, KB, Acc. 1997/90, 17/6; diverse Zeitungsartikel vom September 1932, in denen über seine Vorträge berichtet wird, UAR, PA Katz, Bl. 73. Dort nahm er 1932 am Internationalen Psychologenkongress teil. Vgl. das entsprechende Telegramm der Ohio State University, KB, Acc. 1997/90, 19/7; Katz: Jahrzehnte, S. 479.

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Psychologie und arbeitete im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Psychologie und im Vorstand der Internationalen Gesellschaft für Psychologie mit. All dies zeigt, dass er in der Weimarer Republik fest in die Netzwerke der Fachcommunity eingebunden war und national wie international als renommierter Wissenschaftler galt. Im Frühjahr 1933 setzte eine antisemitisch motivierte Hetzkampagne gegen David und Rosa Katz ein. Der Leiter der Hochschulgruppe Rostock des NS-Studentenbundes, Werner Trumpf, wandte sich am 30. März an den mecklenburgischen Staatskommissar und späteren Reichsstatthalter Friedrich Hildebrandt und forderte die „sofortige Entfernung“ von Katz, da dieser „Jude und Mitglied des Konsumvereins“ sowie marxistisch eingestellt sei. „Es erscheint unmöglich, daß ein jüdisch-marxistischer Professor die zukünftigen Lehrer der höheren mecklenburgischen Schulen in Pädagogik lehrt“.32 Wenige Tage später, am 4. und 5. April, brachte auch der Niederdeutsche Beobachter die Forderung nach Amtsenthebung vor. Als Grund führte man an, Katz sei „Angehöriger der zionistischen Loge ‚Esra‘“ und seine Frau eine „polnische Jüdin“, die Kontakte zur KPD habe, als Spionin für die Sowjetunion arbeite und im Mittelpunkt einer zionistischen Bewegung stehe, die von Rostock aus ganz Mecklenburg umspanne. Aus den Artikeln ging auch hervor, dass Trumpf bei Katz zu Hause erschienen war, um ihm „zwecks Vermeidung von Unruhen“ anzuraten, seine Tätigkeit an der Universität „für die Zeit des Boykotts gegen die Juden“ einzustellen. Katz habe dem Folge geleistet.33 Am 7. April trat der Leiter des Referats Universität und Hochschulen im Mecklenburgischen Staatsministerium, Otto Dehns, an die Universität heran und bat darum, „für schleunige Übermittlung des ihm fernmündlich in Aussicht gestellten Urlaubsgesuchs zu sorgen, damit eine amtliche Maßnahme vermieden werde“.34 Tatsächlich war Katz einen Tag zuvor einbestellt und gezwungen worden, ein Urlaubssemester zu beantragen. Am 8. April beurlaubte ihn das Ministerium „sofort bis auf weiteres“.35 Eine Entlassung nach dem Berufsbeamtengesetz hatte nicht ausgesprochen werden können, da Katz als Weltkriegsteilnehmer unter die Ausnahmeregelungen des Gesetzes fiel. In Rostock war von diesem Gesetz nur ein einziger Professor unmittelbar betroffen, nämlich der Zahnmediziner Hans Moral, der im Frühjahr 1933 entlassen wurde und sich wenige Monate später das Leben nahm.36 Die geringe Zahl der Vertreibungen ist dadurch zu erklären, dass die Universität Rostock schon in der Weimarer Republik eine antisemitische Personalpolitik verfolgt

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Brief Leiter der Hochschulgruppe Rostock des NS-Studentenbundes, Werner Trumpf, an Hildebrandt vom 30.3.1933, zit. nach: Buddrus/Fritzlar: Professoren, Fn. 5, S. 217. Die Zeitungsartikel befinden sich in UAR, PA Katz. Die entsprechende Notiz vom 7.4.1944 befindet sich auf einem Zeitungsausschnitt aus dem Niederdeutschen Beobachter vom 4.4.1933, der in der Personalakte liegt, UAR, PA Katz. Brief Mecklenburg-Schwerinisches Ministerium für Unterricht an Katz vom 8.4.1933, KB, Acc. 1997/90, 5/2. Vgl. Buddrus/Fritzlar: Professoren, S. 20.

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hatte. Der Anteil der jüdischen Gelehrten am Gesamtlehrkörper und auch der Anteil jüdischer Studenten lag daher deutlich unter dem anderer Universitäten.37 Katz reagierte auf die Welle des Antisemitismus, die ihm und seiner Familie entgegenschlug, in mehrfacher Weise. Er wehrte sich gegen die Verleumdungen und reichte gleichzeitig mit seinem „Gesuch“ um Beurlaubung eine eidesstattliche Erklärung ein, um die Vorwürfe gegen ihn und seine Frau zu widerlegen.38 Zudem kämpfte er für die Fortsetzung seiner Tätigkeit in der Zeitschrift für Psychologie. Der Verlag J. A. Barth hatte ihn im Mai 1933 aufgefordert, „mit Abschluss des 129. Bandes Ihre Tätigkeit als Mitherausgeber dieser Zeitschrift einzustellen“.39 Doch Katz verweigerte dies, seinen Rückhalt in der Fachcommunity und bei der Forschungsgemeinschaft betonend: Gerade sei er zum Fachreferenten der Notgemeinschaft wiedergewählt worden. Im Frühjahr 1933 fanden dort ja die Wahlen zu den Fachausschüssen statt, und Katz war erneut als Fachvertreter bestätigt worden. Schließlich beugte er sich jedoch dem Druck, zumal die Angriffe weiterhin stattfanden und nun auch sein Haus durchsucht wurde.40 Im Frühsommer gab Katz seine Mitherausgeberschaft und die Redaktionstätigkeit in der Zeitschrift für Psychologie auf und legte seine Ämter in der wissenschaftlichen Community nieder, eben weil sich diese schnell und eindeutig hinter die neue Regierung stellte. So nahm er die Wahl zum Fachreferenten der Notgemeinschaft nicht an41 und legte auch sein Amt in der Deutschen Gesellschaft für Psychologie nieder. Auch dort hatte die Selbstgleichschaltung, wie Susanne Guski-Leinwand gezeigt hat, rasch eingesetzt. So forderte das Vorstandsmitglied Walther Poppelreuter im März 1933, den für April 1933 geplanten 13. Kongress der Gesellschaft ohne Juden abzuhalten. Aus Protest traten Katz und Stern von ihren Ämtern zurück.42 Nur sehr wenige Wissenschaftler – wie Köhler oder sein Lehrer Müller43 – traten für Katz ein, ohne dass dies freilich zu einer Veränderung seiner Lage führte. Vielmehr verstummten die Angriffe nicht, sodass Katz und seine Frau sich schließlich entschieden, nach beruflichen Alternativen außerhalb Deutschlands zu suchen. 37 38 39 40 41 42 43

Vgl. Kirsten: Katz, S. 339. Vgl. eidesstattliche Erklärung Katz vom 6.4.1933, UAR, PA Katz, Bl. 75. Vgl. auch Stellungnahme Katz vom 12.7.1933, ebd., Bl. 84. Brief Verlag Barth an Katz vom 11.5.1933, KB, Acc. 1997/90, 3/4. Das Folgende geht aus dem Brief Verlag Barth an Katz vom 22.5.1933, ebd., hervor. Vgl. Katz, Theodor: Katz, S. 36 f. So kam es, dass Wolfgang Köhler zum Gremienmitglied der Berliner Notgemeinschaft avancierte; er übernahm kommissarisch Katz’ Amt. Vgl. ausführlich den Beitrag über Wolfgang Köhler in diesem Buch, S. 202–214. Zu den Ereignissen vgl. Guski-Leinwand: Wissenschaftsforschung S.  213–221; Jaeger: Gestaltpsychologie, S. 33. Müller, der sich als Nationalsozialist verstand, wandte sich an Hildebrandt, wies auf Katz’ Verdienste hin und trat für dessen Wiedereinsetzung in sein Amt ein. Der Brief Müllers an Hildebrandt vom 30.7.1933 wird von Grassel: Entwicklung, Fn.  31, S.  157, referiert. Vgl. Brief Müller an Katz vom 15.9.1933, KB, Acc. 1997/90, 18/5. Auch der frühere Führer des Schallmesstrupps Nr. 46, bei dem Katz während des Ersten Weltkriegs Dienst tat, setzte sich für ihn ein, vgl. Brief T. Lehmann an den Rektor der Universität Rostock vom 7.8.1933, UAR, PA Katz, Bl. 88.

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Im August teilte Katz dem Rektor der Universität Rostock mit, dass ihn die Psychologische Abteilung der Universität Manchester eingeladen habe, im kommenden Semester Vorlesungen zu halten sowie Forschungsarbeiten im Psychologischen Institut durchzuführen.44 Doch er durfte nicht reisen, was Katz aus der Rückschau mit dem Satz kommentierte: „[Man] meinte es mit der Vernichtung ernst“.45 Bei der einige Wochen später dann doch gestatteten Ausreise spielte möglicherweise die Intervention des Prodekans der Philosophischen Fakultät, Wilhelm Schüssler, eine Rolle,46 sicher aber auch der Umstand, dass Katz am 4.  September 1933 mit Wirkung zum 1. Januar 1934 in den dauernden Ruhestand versetzt wurde.47 Das Kultusministerium hatte nun einen Weg gefunden, die Entlassung durchzusetzen: Es umging die Ausnahmeregelungen des Berufsbeamtengesetzes, die Katz bislang vor der Vertreibung geschützt hatten, indem es den Lehrstuhl für Psychologie kurzerhand für überflüssig erklärte.48 Damit verlor Katz seine Stelle endgültig. Sein Lehrstuhl wurde kurzfristig von Hans Keller kommissarisch vertreten und blieb dann, als jener im Winter 1933/34 nach Berlin wechselte, unbesetzt. Ein Psychologiestudium konnte in Rostock anschließend bis 1945 nur fragmentarisch und mit einem Schwerpunkt auf Rassenpsychologie absolviert werden.49 Durch die NS-Vertreibungspolitik verlor das Fach Psychologie, das 1932/33 an 15 deutschen Universitäten gelehrt wurde, insgesamt rund ein Drittel aller Ordinarien.50 Katz kam Anfang Oktober 1933 in England an und arbeitete, unterstützt vom Academic Assistance Council,51 zunächst als Honorary Research Fellow an der Universität Manchester, während seine Frau mit den Kindern in Rostock blieb. Das Ehepaar sah zu diesem Zeitpunkt die Zukunft der Familie weder in Deutschland noch in England, favorisierte vielmehr Schweden, mit dem sich beide in mehrerer Hinsicht verbunden fühlten. Zudem wussten sie, dass in Stockholm eine Stiftungsprofessur für Pädagogik und Psychologie ausgeschrieben werden sollte.52 Insgesamt dominierte freilich die Unsicherheit über die Zukunft. Seinem 44 45 46 47 48 49 50 51 52

Vgl. Brief Katz an den Rektor der Universität Rostock vom 2.8.1933, UAR, PA Katz, Bl. 87. Zudem bestanden Überlegungen, nach Jerusalem zu gehen, vgl. Brief Martin Buber an Katz vom 21.10.1933, KB, Acc. 1997/90, 5/1. Katz: Jahrzehnte, S. 480. Vgl. Brief Schüssler an das Innenministerium vom 14.9.1933, UAR, PA Katz, Bl. 93. Vgl. Brief Katz an das Mecklenburg-Schwerinische Ministerium vom 13.9.1933, KB, Acc. 1997/90, 5/2. Vgl. Brief des Ministeriums an die Universität Rostock vom 19.9.1933, UAR, Phil. Fak. 197. Vgl. Grassel: Entwicklung, S. 158; Geuter: Professionalisierung, Fn. 27, S. 490. Vgl. Geuter: Professionalisierung, S. 100 und 132 f. Zur Situation der vertriebenen Psychologen in der Emigration vgl. Krohn u. a. (Hg.): Handbuch, S. 723, sowie den Beitrag von Mitchell G. Ash in jenem Handbuch. Vgl. Brief Academic Assistance Council an Katz vom 12.12.1935, KB, Acc. 1997/90, 5/2; Katz: Jahrzehnte, S. 480. Vgl. Riedmann: Rosa Katz, S. 55. Einige Referenzen von Kollegen (darunter Müller, Husserl, Carl Stumpf und Eduard Spranger) vom Herbst 1934, die für die Bewerbung geschrieben wurden, befinden sich in KB, Acc. 1997/90, unsignierte Box.

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Kollegen und Freund Albert Michotte schrieb Katz: „my future destiny is fully indeterminate“.53 1935 erhielt Katz die Möglichkeit, als Honorary Research Fellow an die Universität London zu wechseln und im Laboratorium von Cyril Burt zu arbeiten. Da sich die finanzielle Situation etwas besserte und eine Schule für die Söhne gefunden werden konnte, siedelte nun die gesamte Familie nach England über.54 Angeregt durch die ihm von Julian Huxley, dem Direktor des Londoner Zoologischen Gartens, gebotenen Forschungsmöglichkeiten setzte Katz zusammen mit seiner Frau seine tierpsychologischen Studien fort. Sie weiteten ihr Interesse dabei auch auf anthropologische Fragestellungen aus. Drei viel beachtete Publikationen entstanden in diesem Kontext: Some problems concerning the feeding behaviour of monkeys (1936), Behaviour of monkeys under light of poor visibility (1937) sowie Animals and Men. Studies in Comparative Psychology (1937). Während seiner Londoner Zeit war Katz auch beratend für die British Research Association of Flour Millers tätig. In einem seiner Aufträge ging es um den Glutengehalt des Mehls bzw. ob Bäcker diesen ertasten konnten, in einem anderen um die Gründe für den festgestellten Rückgang des Brotkonsums in England. Im Frühjahr 1937 erhielt Katz, nachdem er einige Monate zuvor eine Stelle an der Universität Istanbul abgelehnt hatte,55 endlich den ersehnten Ruf auf die Professur für Psychologie an der Universität Stockholm.56 Es handelte sich um eine neu geschaffene Position – die erste dieser Art in Schweden überhaupt; bis dahin war die Psychologie dort von der Pädagogik mit vertreten worden. Auch für Rosa Katz konnte eine Stelle gefunden werden: Sie übernahm freiberuflich die Abteilung für Kinderpsychologie am Psychologischen Institut, sodass das Ehepaar seine Zusammenarbeit fortsetzen konnte. Dass Stockholm aus ihrer Sicht nicht eine weitere Station im Exil sein sollte, sondern eine dauerhafte Lösung, zeigt die Tatsache, dass sie bereits im Sommer 1937 die schwedische Staatsbürgerschaft annahmen.57 53 54 55 56

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Brief Katz an Michotte vom 4.3.1934, KB, Acc. 1997/90, 17/29. Vgl. ähnlich auch Katz, Rosa: [Lebenserinnerungen], S. 120; Katz: Jahrzehnte, S. 480. Vgl. Katz, Rosa: [Lebenserinnerungen], S. 119; Katz, Theodor: Katz, S. 37. Zum Folgenden vgl. Katz: Jahrzehnte, S. 481–483. Vgl. Brief Rektorat der Universität Istanbul an Katz vom 22.9.1936, KB, Acc. 1997/90, 28/11. Katz wurde berufen, nachdem Adhémar Gelb, der 1933 als Jude von seinem Ordinariat für Philosophie und als Direktor des Psychologischen Seminars der Universität Halle entlassen worden war, erkrankte und starb, vgl. Riedmann: Rosa Katz, S. 55; Müssener: Emigration, Fn. 486, S. 471. Vgl. Brief Deutsche Gesandtschaft Stockholm an Katz vom 8.7.1937, KB, Acc. 1997/90, 6/9. Anlässlich der Übersiedlung nach Stockholm bedankte sich Katz nochmals bei der Universität Manchester: „Manchester with its fog is in the reputation of being a glommy town, but for me it will be for ever the bright spot in the darkest days of my life. My warmest thanks to you and to all those of the staff of the University who have been so kind and humane to me.“ Brief Katz an den Vizekanzler der Universität Manchester vom 21.2.1937, KB, Acc. 1997/90, 28/15.

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Schweden wurde für Rosa und David Katz wie für viele aus Deutschland stammende jüdische/„nichtarische“ Emigranten zu einer neuen Heimat58 – auch wenn die schwedische Gesellschaft nicht frei von Antisemitismus war. So wurde auch Katz mit antisemitischen Pöbeleien empfangen: Zum einen erschien eine von einem Stockholmer Arzt herausgegebene Broschüre mit dem Titel Die skandalöse Katz-Ernennung. Beitrag zur Geschichte der Judaisierung der schwedischen Kultur,59 zum anderen veranstaltete die Stockholmer Studentengruppe der schwedischen Nationalsozialisten eine öffentliche Kundgebung, um gegen die Amtseinsetzung von Katz zu protestieren. Die Gruppe versammelte sich auf einem Marktplatz, forderte lauthals, „schwedische Lehrer für schwedische Studenten“ einzusetzen, und einer hielt eine Rede gegen die „Verjudung“ der Stockholmer Universität.60 Auch versuchte man, Katz’ Antrittsrede im Audimax der Universität zu sprengen.61 Dies gelang aber nicht, und Katz ging am Ende indirekt auf die Störer ein, indem er mit dem Hinweis schloss, dass die phänomenologische Methode, über die er gesprochen hatte, besonders charakteristisch für die Psychologie sei. „Sie macht die wichtigsten Feststellungen über die Gegenstände des Bewusstseins, und sie befreit sie von allen aus Vorurteilen geborenen Einstellungen.“62 Nachdem die anfänglichen Turbulenzen, die sowohl in Rostock als auch in den niederländischen Emigrantenzirkeln registriert wurden,63 ausgestanden waren, konnten Katz und seine Frau ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit ungestört nachgehen. Neben dem Aufbau des Instituts beschäftigte sich Katz in den folgenden Jahren gelegentlich erneut mit der Tierpsychologie bzw. der Frage nach Ähnlichkeiten und Unterschieden zwischen menschlichen und tierischen Wahrnehmungen. In seinen Vorlesungen zu diesem Thema zog er vor allem die Experimente mit Schimpansen heran, die Wolfgang Köhler im Ersten Weltkrieg auf Teneriffa durchgeführt hatte.64 Im Zentrum seiner Beschäftigung standen jedoch

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Zur Geschichte des Exils bzw. der Emigration in Schweden vgl. Müssener: Emigration; ders.: Exil. Für zahlreiche weitere Informationen und unser Gespräch während meines Archivaufenthalts in Schweden danke ich Helmut Müssener sehr herzlich. Zur schwedischen Flüchtlingspolitik von 1930–2000 vgl. nun auch: Byström/Frohnert (Hg.): State. Auf Schwedisch lautet der Titel: Den skandalösa Katzutnämningen. Bidrag till historien om den svenska kulturens judaisering. Ein Foto des Titelblatts ist abgedruckt in: Berger: Katz, S. 76. Artikel [einer Rostocker Zeitung] Stockholmer Studenten gegen den Juden Katz vom 2.3.1937; ein Ausschnitt des Artikels befindet sich in: KB, Acc. 1997/90, 26. Vgl. Katz, Theodor: Katz, S.  38. Katz, Rosa: [Lebenserinnerungen], S.  120, erwähnt die antisemitischen Vorfälle nicht, wohl aber David Katz, vgl. Katz: Jahrzehnte, S. 483. Manuskript „Antrittsvorlesung Stockholm“, o. D., KB, Acc. 1997/90, 15/4. Vgl. den Artikel [einer Rostocker Zeitung] Stockholmer Studenten gegen den Juden Katz vom 2.3.1937. Ein Ausschnitt des Artikels befindet sich in: KB, Acc. 1997/90, 26. Zu den Niederlanden vgl. Brief Stern (der in die Niederlande geflohen war) an Katz vom 3.1.1938 , KB, Acc. 1997/90, 24a/13. Der Brief ist auch abgedruckt in: Lück/Katz: Psychologen, S. 147 f. Vgl. Vorlesungsmanuskript Katz vom Frühjahr 1938, KB, Acc. 1997/90, Box 7. Vgl. zudem den Verlagsvertrag zwischen Katz und dem Benno Schwabe Verlag in Basel vom 7.3.1944 über die Publikation Mensch und Tier, ebd. 17/24. Zu den Schimpansen-Experimenten vgl. den Beitrag über Wolfgang Köhler in diesem Buch, S. 202–214.

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Themen der pädagogischen Psychologie,65 der Intelligenzdiagnostik und der Gestaltpsychologie. In seinem 1944 erschienenen Buch Gestaltpsychologie machte er seine Position zu dieser noch einmal deutlich, indem er den Ansatz würdigte, aber auch auf seine Grenzen hinwies. Daneben veröffentliche er eine Reihe von Lehrbüchern, von denen vor allem das über 500 Seiten starke Kleine Handbuch der Psychologie zu nennen ist, das sich bald zu einem Standardwerk der Psychologie entwickelte.66 Katz blieb auch nach der Vertreibung aus Deutschland in die internationalen Netzwerke der Fachcommunity eingebunden. Er korrespondierte mit zahlreichen Psychologen in Schweden und anderen Ländern, u. a. mit den früheren Kollegen in Manchester und London sowie insbesondere mit den aus Deutschland vertriebenen Wissenschaftlern, die ebenfalls in die Emigration gegangen waren.67 Gelegentlich bot man ihm sogar eine Professur an: Abraham Fraenkel etwa fragte im Frühsommer 1937, ob er eine Stelle in Jerusalem annehmen würde, und Max Wertheimer stellte im August 1940 eine Position an der New School for Social Research in Aussicht.68 Doch Katz lehnte ab, da er in Stockholm ausgezeichnete Arbeitsbedingungen hatte und sich dem Lande sehr verbunden fühlte. So unterstützte er die Regierung während des Zweiten Weltkriegs, indem er einen Auftrag der Armeeverwaltung annahm und eine „appetitpsychologische Untersuchung an Soldaten“ durchführte69 – und möglicherweise auch dadurch, dass er Kontakt herstellte zwischen dem deutschen Widerstand und der britischen Gesandtschaft in Stockholm (dies berichtete zumindest sein Sohn aus der Rückschau70). Hervorzuheben ist zudem, dass sich Katz auch für andere Flüchtlinge einsetzte. 1938 gründeten einige jüdische Emigranten, darunter viele Akademiker, in Stockholm mit der sogenannten Emigrantenselbsthilfe71 eine Gruppe, die die Hilfsangebote der jüdischen Gemeinde Stockholms ergänzen wollte. Konkret ging es um ganz praktische Dinge wie kostenlose Übersetzungen und Sprachkurse sowie Hilfe bei der Wohnungssuche, vor allem aber sollte ein kulturelles Angebot geschaffen werden. Den Gründungsaufruf unterzeichnete auch Katz, der in der Folgezeit den Vorsitz des Ausschusses für Kulturarbeit übernahm. 65 66 67

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Vgl. Müssener: Emigration, S. 433 f. Eine Liste der schwedischen Publikationen des Ehepaars findet sich ebd., S. 727 f. Vgl. Perleth: Katz, S. 115; Kirsten: Katz, S. 340; Berger: Katz, S. 77. Vgl. z. B. Brief Lewis B. Namier aus Manchester an Katz vom 20.1.1939, KB, Acc. 1997/90, 19/1; Brief Sir Julian Sorell Huxley aus London vom 7.11.1942, ebd., 14a/23; Brief Charlotte Bühler aus Paris an Katz, o. D. [Sept. 1937], ebd., 5/17; Brief Wertheimer aus New York an Katz vom 16.8.1940, ebd., 29/19. Vgl. Brief Fraenkel an Katz vom 7.5.1937, KB, Acc. 1997/90, 9/4; Brief Wertheimer an Katz vom 16.8.1940, ebd., 29/19. Dies geht aus einem Brief Katz an die Statens Arbetsmarknadskommission vom 10.5.1946, KB, Acc. 1997/90, 24a/11, hervor. Vgl. auch Brief Ars Militärutredning an Katz vom 18.6.1946, ebd., 29/25. Berichte von Soldaten, die an der Untersuchung teilnahmen, an Katz aus den Jahren 1941–1944 befinden sich in ebd., 24a/9. Vgl. Katz, Theodor: Katz, S. 107. Zum Folgenden vgl. Müssener: Exil, S. 111–113.

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Binnen kurzer Zeit traten der Vereinigung 700 Personen bei. Doch ihre Aktivitäten blieben überschaubar, da insbesondere die jüdische Gemeinde Bedenken äußerte und eine Aufsplitterung der Hilfsarbeit befürchtete. Doch kulturelle Veranstaltungen wie Konzerte, kleine Theateraufführungen und Klubabende mit Vorträgen fanden regelmäßig statt, und die Programme zeigen, wie sehr sich die Emigranten der deutschen Kultur verpflichtet fühlten. Rosa und David Katz engagierten sich zudem in einem philosophischen Diskussionskreis, dem später so genannten Sonntagskreis,72 der 1940 aus einem Skatklub entstanden war und dem auch die Physikerin Lise Meitner angehörte. Hier wurden aktuelle Themen aus den Bereichen Philosophie, Volkswirtschaft, Naturwissenschaft, Politik und Ethik vorgestellt und diskutiert. Beide Kreise konservierten ein Stück weit, so fasste Helmut Müssener, der die Geschichte des Exils bzw. der Emigration in Schweden beschrieben hat, treffend zusammen, das „gutbürgerliche[…] Deutschland aus der Zeit vor 1918, das in Schweden eine neue Heimat gefunden hatte“. Im Laufe der Zeit und mit der fortschreitenden Assimilation nach Kriegsende nahm die Zahl der Aktivitäten freilich immer weiter ab, und zunehmend rückte das gesellige Beisammensein in den Vordergrund. Nach Kriegsende erhielt Katz erneut ein Stellenangebot aus Jerusalem73 und eines aus London.74 Auch einige frühere Kollegen aus Deutschland meldeten sich. So bat Günther Jacoby ihn im Namen der Philosophischen Fakultät der Universität Greifswald 1947 um Unterstützung bei der Suche nach einem Ordinarius, der dort ein Institut für Psychologie aufbauen sollte,75 und der Reformpädagoge Wilhelm Flitner fragte an, ob Katz auf eine Professur nach Hamburg zurückkehren würde. Katz wertete dies als „ein schönes Zeichen guten Willens“, wollte eine Zusage aber von dem konkreten Angebot abhängig machen. Zudem: „Die wichtigste [Bedingung] wäre, dass ich allen massgeblichen Kreisen, d. h. auch den Studenten willkommen wäre. Es dringen alle möglichen Gerüchte über die Stimmung der Bevölkerung in Deutschland zu uns, und leider kommt auch die Behauptung immer wieder, dass der Antisemitismus noch sehr lebendig sei und das besonders in den Kreisen der Studenten. Sollte das wirklich zutreffend sein, so käme eine Rückkehr für mich gar nicht in Frage.“76 Ganz ähnlich reagiert er auf die Kontaktaufnahme aus Rostock. Er stellte von Anfang an klar, dass zunächst eine vollständige Rehabilitierung erfolgen, dass das erlittene Unrecht anerkannt werden müsse. Er sei, so schrieb er nach Rostock, 1933 in den Ruhestand versetzt worden, „weil ich Nicht-Arier war. Es wäre wichtig, wenn das offiziell ausgesprochen würde, und ich wundere mich eigentlich ein wenig darüber, dass meine alte Universität in dieser Hinsicht nichts getan hat, um mich zu rehabilitieren – ei-

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Vgl. ausführlich Müssener: Exil, S. 185 f. Das folgende Zitat ebd., S. 186. Vgl. Brief Prof. Bonaventura aus Jerusalem an Katz vom 4.3.1946, KB, Acc. 1997/90, 14a/5; Brief Schwabe an Katz vom 27.6.1951, ebd. Im Jahre 1951 folgte ein weiteres Angebot. Brief Universität London an Katz vom 29.5.1947, KB, Acc. 1997/90, 28/13. Brief Jacoby an Katz vom 16.10.1947, KB, Acc. 1997/90, 20/9. Brief Katz an Flitner vom 20.3.1947, KB, Acc. 1997/90, 8/9.

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gentlich handelt es sich ja dabei um die Rehabilitierung der Universität“.77 Das wenig später ausgesprochene Angebot auf Wiedereinsetzung auf seinen alten Lehrstuhl honorierte Katz entsprechend: „Ich erkenne den Schritt, den die Fakultät damit getan hat, um ein mir von nationalsozialistischer Seite zugefügtes Unrecht wieder gut zu machen, mit warmer Dankbarkeit an.“78 Gleichwohl folgte er dem Ruf nicht. Vielmehr nahm er 1950 eine Gastprofessur an der Universität Berkeley in den USA wahr und hielt dort die Hitchcock Foundation Lectures,79 um dann im Folgejahr in Stockholm den 13. Internationalen Kongress für Psychologie auszurichten.80 Als Präsident des Kongresses ermunterte er die deutschen Psychologen, sich zu ihrer Tradition zu bekennen. Sie sollten sich nicht „durch den Eindruck der totalen Niederlage dazu verleiten zu lassen, totale Amerikanisten zu werden, etwa den Amerikanern in der Faktorenanalyse – so gewiß diese von Deutschland und England herstammt – den Rang abzulaufen und den hunderttausend Faktorenanalysen, die es schon gab, die hunderttausendunderste hinzufügen zu wollen.“ Vielmehr sollten die deutschen Psychologen, „unbeirrt und unerschrocken, ihre beste eigene Tradition“, die in der Phänomenologie und der Charakterologie zu suchen sei, hochhalten und weiterverfolgen.81 Im Sommer 1949 reiste Katz erstmals zurück nach Deutschland, um einen Vortrag zu halten. Am 18. Juni sprach er in der Universität Hamburg über „Mensch und Tier – ein psychologischer Vergleich“.82 Wie sehr ihn die Rückkehr in seine alte Heimat aufwühlte, machte er zu Beginn des Vortrags deutlich: „Mehr als 16 Jahre sind vergangen, seitdem ich zum letzten Mal zu deutschen Studenten gesprochen habe. Sie können sich denken, dass es selbst für einen Psychologen, der es gelernt haben soll, sich von seinen Gefühlen zu distanzieren, nicht so leicht ist, der Gefühle ganz Herr zu werden, die ihn bei dieser Gelegenheit bestürmen.“ Gleichwohl wolle er nicht belehren. „Ich betrachte es nicht als eine Aufgabe eines ehemaligen deutschen Professors, zu den aktuellen Fragen Stellung zu nehmen. Die Probleme, mit denen Sie zu kämpfen haben, können Sie nur selbst lösen.“ Katz akzeptierte in den folgenden Jahren zudem, dass ihn die Deutsche Gesellschaft für Psychologie zum Ehrenmitglied und die Bayerische Akademie der Wissenschaften zum korrespondierenden Mitglied der philosophisch-historischen Klasse ernannte.83 Nach seiner Emeritierung von finanziellen Nöten

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Brief Katz an Brünning vom 17.3.1948, UAR, PA Katz, Bl. 74. Brief Katz an Kleinknecht vom 7.7.1948, UAR, PA Katz, Bl. 77. Die Vortragsmanuskripte befinden sich in: KB, Acc. 1997/90, 6/3 und 4/1. Die Unterlagen befinden sich in: KB, Acc. 1997/90, 25/10. Katz’ Aussage auf dem Kongress 1951 wird bei Balmer (Hg.): Tradition, S. 142 f., zitiert. Das Vortragsmanuskript befindet sich in: KB, Acc. 1997/90, 12/1. Dort auch die folgenden Zitate. Vgl. Brief Wellek an Katz vom 3.4.1950, KB, Acc. 1997/90, 29/7; Antrag Vorstand des Philosophen Seminars II der Universität München auf Wahl von Katz zum korrespondierenden Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften vom 12.12.1951, UAR, PA  Katz, Bl. 67.

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bedrängt,84 willigte er schließlich im Frühjahr 1952 ein, bis zur Klärung seiner Wiedergutmachungsansprüche eine Honorarprofessur in Hamburg zu übernehmen.85 Er hielt sich zusammen mit seiner Frau seit Sommer 1952 einige Monate in der Hansestadt auf und kehrte an Weihnachten nach Stockholm zurück. Kurze Zeit später, am 2. Februar 1953, starb David Katz dort an den Folgen eines Herzinfarkts. Er wurde auf einem der jüdischen Friedhöfe in Stockholm bestattet. Rosa Katz und ihr Sohn Theodor kümmerten sich in den folgenden Jahren um die Neuauflagen bzw. Übersetzungen seiner Werke.86 Rosa Katz selbst konnte zudem noch einige Jahre lang wissenschaftlich tätig sein und besuchte Deutschland, – auch Rostock – regelmäßig.87 Sie starb am 26. März 1976 in Stockholm.

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Dies geht aus diversen Briefen und Unterlagen aus dem Zeitraum seit 1950 hervor, vgl. z. B. Brief Katz an den Verlag Benno Schwabe vom 12.5.1952, KB, Acc. 1997/90, 24a/21; Brief Katz an Hediger vom 2.1.1952, ebd., 14a/6; Brief Katz an Weil vom 6.10.1952, ebd., 29/6. Vgl. Brief Hansestadt Hamburg an Katz vom 3.3.1952, KB, Acc. 1997/90, unsignierte Box 3. Wenige Monate zuvor hatte Katz Antrag auf Wiedergutmachung gestellt und angekündigt, seinen Wohnsitz nach Hamburg zu verlegen, vgl. Brief Katz an das BMI vom 14.9.1951, KB, Acc. 1997/90, unsignierte Box 3, Kladde „Ersatz-Ansprüche“. Im Herbst wurde ihm eine Wiedergutmachung zugesprochen und die Höhe so berechnet, als habe er 1949 regulär die Emeritierung erreicht, vgl. Wiedergutmachungsbescheid vom 10.11.1952, ebd. Insgesamt publizierte David Katz 33 Bücher und 196 Artikel, wobei viele Arbeiten in andere Sprachen übersetzt wurden. Ein Schriftenverzeichnis befindet sich in: Catalogus Professorum [Rostock]. Vgl. Kirsten: Katz, S. 341; Katz, Rosa: [Lebenserinnerungen], S. 122 f. Zu ihrem Wirken in Schweden vgl. zudem Müssener: Exil, S. 279.

Wolfgang

Köhler

Wolfgang Köhler kam am 21. Januar 1887 in Reval, das damals zu Russland gehörte, als zweiter Sohn von Dr. Franz Köhler und seiner Frau Wilhelmine zur Welt und wuchs mit insgesamt sechs Geschwistern auf.1 Seine Mutter stammte aus einer baltendeutschen Pfarrersfamilie, und die familiären Wurzeln seines Vaters, ebenfalls Sohn eines Pfarrers, lagen in Thüringen und Sachsen. Der Vater stand der traditionsreichen, bereits 1319 gegründeten Ritter- und Domschule in Reval als Direktor vor. Er wechselte 1893, als die russische Regierung die deutschen Schulen in Estland auflöste, nach Wolfenbüttel, wo er als Direktor im örtlichen Lehrerinnenseminar und als Hilfsarbeiter in der Herzog August Bibliothek tätig wurde. Seine Söhne besuchten in Wolfenbüttel das Gymnasium. Während sich der ältere Bruder Wilhelm anschließend der Kunstgeschichte zuwandte, nahm Wolfgang Köhler 1905 ein Studium der Philosophie, Geschichte und Naturwissenschaften in Tübingen auf. 1906 wechselte er nach Bonn, belegte dort Psychologie, Mathematik und Philosophie und ging 1907 nach Berlin, wo er Vorlesungen in Psychologie, Philosophie und Naturwissenschaften hörte. Zu seinen wichtigsten Lehrern gehörte neben dem Physiker Max Planck der Psychologe Carl Stumpf, der als einer der Pioniere für empirische Methoden in der experimentellen Psy1

Dieser Beitrag stützt sich auf die grundlegende Forschungsliteratur über Köhler. Zu nennen sind insbesondere folgende Publikationen: die entsprechenden Einträge in NDB und DBE; Ash: Gestalt psychology; ders.: Institut; ders.: Psychologie, S. 858; Jaeger: Einleitung; ders.: Gestaltpsychologie; ders.: Köhler; Lück: Hintertreppe, S. 164–173; Sherrill: Köhler; Wolfradt u. a. (Hg.): Psychologinnen, S. 246 f. Zudem wurden folgende Quellen herangezogen: UAHU-B, UK K 221, PA Köhler.

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chologie galt.2 Die Psychologie, für die Köhler sich besonders interessierte, war lange Zeit als Teilgebiet der Philosophie gelehrt worden und begann sich erst seit Ende des 19. Jahrhunderts allmählich als eigenständiges Fach zu etablieren.3 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts dominierte dort mit dem Behaviorismus eine Denkrichtung, die sich durch eine naturwissenschaftlich ausgerichtete, experimentelle und auf objektiver Verhaltensbeobachtung basierende Methode auszeichnete, die insbesondere von Iwan P. Pawlow und John B. Watson entwickelt worden war. Dass und wie Naturwissenschaft und Psychologie zusammen zu denken seien, legte Köhler in seiner 1909 vorgelegten und von Stumpf betreuten Dissertation Akustische Untersuchungen dar. Der Psychologe müsse, so hieß es dort, „umso eher für Augenblicke Physiker werden, je mehr er von der Überzeugung durchdrungen [sei], daß nichts seine Wissenschaft so aufhält, als wenn Bewußtseinsvorgänge wie physikalische Gegenstände behandelt werden“.4 1910 erhielt Köhler, von Stumpf empfohlen, eine Stelle als Assistent von Friedrich Schumann am Frankfurter Psychologischen Institut der Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften (die Akademie ging in der 1914 gegründeten Universität Frankfurt auf), wo er sich bereits ein Jahr später habilitierte. Im Psychologischen Institut traf er mit Max Wertheimer5 und Kurt Koffka6 zusammen – gemeinsam begründeten sie die Gestaltpsychologie als neuen Teilbereich der Psychologie. Der Begriff geht zurück auf den 1890 veröffentlichten Aufsatz Über Gestaltqualitäten des Philosophen Christian von Ehrenfels. Köhler, Koffka und Wertheimer konzipierten die Gestaltpsychologie auch gegen den Ansatz von Wilhelm Wundt, einem Pionier der experimentellen Psychologie, der 1879 das erste entsprechende universitäre Institut in Deutschland gegründet hatte und aus ihrer Perspektive die Bestandteile des menschlichen Bewusstseins „like the elements of a chemical compound“ analysierte.7 Sie hingegen gingen davon aus, dass menschliches wie auch tierisches Verhalten einer Entwicklung unterliege, ein dynamischer Prozess sei, und verstanden die Erlebens- und Verhaltensprozesse des Menschen gleichzeitig als Ganzheit. Ihre zentrale Definition lautete: „‚Gestalten‘ nennt man nach v. Ehrenfels diejenigen psychischen Zustände und Vorgänge, deren charakteristische Eigenschaften und Wirkungen aus artgleichen Eigenschaften und Wirkungen ihrer sogenannten Teile nicht zusammensetzbar sind.“8 Die Gestaltpsychologen formulierten als Erste, dass die menschliche Wahrnehmung die Objekte der Umgebung wie Figuren, Felder oder Sinneinheiten  – in ihrer Diktion: die Gestalten oder Ganzheiten – nicht rein mechanisch abbildet, son2 3 4 5 6 7 8

Zu Stumpf und seinem Wirken in Berlin vgl. ausführlich Ash: Institut, S. 114 f. Vgl., auch zum Folgenden, ausführlich Balmer (Hg.): Tradition, S. 27–81. Wolfgang Köhler: Akustische Untersuchungen, zit. nach: Bergius: Köhler [Zugriff 20.9.2016]. Zu seiner Biografie vgl. Ash: Gestalt psychology, S.  103–108; Jaeger: Gestaltpsychologie, S. 12–15. Zu seiner Biografie vgl. ausführlich Ash: Gestalt psychology, S. 108–111; Jaeger: Gestaltpsychologie, S. 11 f. www.newworldencyclopedia.org/entry/Wolfgang_Köhler [Zugriff 21.9.2016]. Köhler, Gestalten, S. IX. Zum Ansatz vgl. ausführlich Ebisch: Gestaltpsychologie, S. 166– 168; Ash: Gestalt psychology, v. a. S. 103–200; Jaeger: Gestaltpsychologie; Metzger: Gestalttheorie, S. 659–668.

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dern bereits strukturiert. Das Auge nimmt etwa Punkte, die auf einer imaginären kreisförmigen Linie angeordnet sind, als Kreis wahr, auch wenn keine Kreislinie gezeichnet ist. Kurzum: „Their radically different approach regarded perception, learning, and cognition as structured wholes rather than the sum of individual components connected by association.“9 Den frühen Gestaltpsychologen ging es darum, diese Grundannahmen experimentell nachzuweisen. Dabei unternahm Köhler den Versuch, die Entwicklung menschlicher Wahrnehmungs- und Denkprozesse durch die Beobachtung von Menschenaffen zu ergründen. Dazu kam es, weil er 1913 zum Direktor der Anthropoiden-Forschungsstation der Preußischen Akademie der Wissenschaften auf Teneriffa bestellt worden war. Die Anregung zur Errichtung der Station war einige Jahre zuvor von dem Neurophysiologen Max Rothmann gekommen, der an der Tierärztlichen Hochschule Berlin mit Hunden, Kapuzineraffen und Schimpansen gearbeitet hatte. Aufgebaut und unterhalten wurde die Einrichtung durch die Zuwendungen des 1908 verstorbenen Berliner Bankiers Albert Samson.10 Die Akademie hatte den Standort auf den Kanarischen Inseln ausgewählt, weil sie ihn als idealen Kompromiss zwischen dem notwendigen europäischen Umfeld für die Forschung und den klimatischen Lebensbedingungen für die Menschenaffen ansah. Ins Kalkül schloss man sicherlich auch ein, dass die Tiere vergleichsweise einfach gekauft werden konnten: Auf dem afrikanischen Kontinent gefangen, brachten Schiffe sie direkt auf die Insel. Stumpf hatte für den Direktorenposten zunächst seinen Schüler Oskar Pfungst ins Auge gefasst, der bereits erste Versuche mit Affen im Berliner Zoo angestellt hatte. Als dieser ablehnte, schlug er (in dieser Reihenfolge) Köhler, Wertheimer und (den ebenfalls in diesem Buch vorgestellten) David Katz vor. Letztendlich erhielt Köhler die Stelle. Im Dezember 1913 kamen er und seine Frau – Köhler hatte sich 1912 mit Thekla Gelb verheiratet – auf Teneriffa an. Köhler und seine Frau planten zunächst, ein Jahr auf der Insel zu bleiben. Doch Ausbruch und Verlauf des Ersten Weltkriegs verhinderten die Rückreise, sodass sich ihr Aufenthalt auf sieben Jahre bis 1920 erstreckte. Über die Frage, ob Köhler auf Teneriffa während des Ersten Weltkriegs nicht nur als Wissenschaftler arbeitete, sondern auch als Spion, kam es in den 1990er Jahren zu einer Forschungskontroverse zwischen Ronald Ley und Marianne Teuber.11 Bereits die Zeitgenossen hatten derartige Vermutungen geäußert. So schrieb Köhler am 15. Juli 1914 in einem Brief an seinen früheren Wolfenbüttler Lehrer Hans Geitel, der ihn früh gefördert hatte und zu dem der Kontakt nicht abgebrochen war: „Nicht ein Spanier, sondern ein Engländer hat es […] fertig gebracht, hier herumzuerzählen, die Affen seien nur ein Vorwand für uns, Spionage zu treiben, wo etwa ein Zeppelin landen könnte! Indessen nimmt das niemand ernst und wir erfreuen uns sogar besonderen Schutzes der Behörden dank angelegentlicher Empfehlung durch das 9 10 11

www.newworldencyclopedia.org/entry/Wolfgang_Köhler [Zugriff 21.9.2016]. Vgl. Jaeger: Gestaltpsychologie, S. 16 f. Letzteres wurde von Ley angeführt, der sich aber vornehmlich auf Erinnerungsberichte stützte. Vgl. zusammenfassend zu den Positionen Ley: Köhler; Teuber: Founding, S. 573 f.

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Auswärtige Amt in Berlin“.12 Auch wenn es während des Krieges auf den Kanaren allein aufgrund der geografischen Lage durchaus Spionage gab, so ist es doch eher unwahrscheinlich, dass Köhler sich beteiligte.13 Die von Eugen und Rose Teuber aufgebaute Anthropoiden-Forschungsstation14 beherbergte seit 1912 neun Schimpansen, die aus der deutschen Kolonie Kamerun stammten. Mit sieben von ihnen (zwei starben bald) führte Köhler in den ersten Jahren seines Aufenthalts verschiedene Untersuchungen durch.15 Später kamen Experimente mit Hühnern16 und  – was in der Forschung lange Zeit wenig beachtet wurde – mit einem Orang-Utan-Weibchen hinzu.17 Dies war in mehrerlei Hinsicht außergewöhnlich. Zum einen wurde psychologische Forschung bis dahin kaum an Primaten betrieben. Köhler und sein amerikanischer Kollege Robert Mearns Yerkes,18 der ebenfalls mit Orang-Utans arbeitete, gehörten zu den ersten Wissenschaftlern, die dies taten, während die Behavioristen ihre Untersuchungen zumeist mit Hunden (Pawlow) oder Katzen (Edward Lee Thorndike) durchführten. Zum anderen stellten Köhler und Yerkes durch ihre Experimente eine direkte Abstammungslinie zwischen Menschen und Menschenaffen her, übertrugen also Darwins Abstammungslehre auf die Psychologie. Die Untersuchung, wie die Schimpansen schwierige Situationen lösten, sollte Aufschluss über kognitive Prozesse der Tiere, aber auch des Menschen geben. „Wir wissen“, so formulierte Köhler sein Erkenntnisinteresse, „daß es sich [bei den Schimpansen] um Wesen handelt, welche dem Menschen in mancher Hinsicht näher stehen als sogar den übrigen Affenarten“. Sie zeigen „eine solche Fülle menschlicher Züge im sozusagen alltäglichen Verhalten, daß sich die Frage von selbst ergibt, ob diese Tiere auch in irgendeinem Grade verständig und einsichtig zu handeln vermögen, wenn die Umstände intelligentes Verhalten erfordern. Diese Frage drückt das erste […] Interesse an etwaigen Intelligenzleistungen der Tiere aus; der Verwandtschaftsgrad von Anthropoide und Mensch soll auf einem

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Brief Köhler an Geitel vom 15.7.1914, zit. nach: [Briefe von Wolfgang] Köhler an Hans Geitel, S. 46–49, hier S. 47. Vgl. auch Teuber: Founding, S. 573. Zu Geitel und der Freundschaft zwischen ihm und Köhler vgl. Jaeger: Einleitung, S. 11; ders.: Gestaltpsychologie, S. 7 f. Vgl. Neisser: Köhler, S. 188 f.; Ash: Gestalt psychology, S. 161. Wolfgang Metzger, Köhlers ehemaliger Mitarbeiter, berichtete (ohne Hinweis auf nähere Umstände oder Quellen), Köhler sei auf Teneriffa während des Krieges interniert gewesen, vgl. Metzger: Gestalttheorie, S. 668. Zum Folgenden sowie zur Anthropoiden-Station und ihrer Entstehungsgeschichte insgesamt vgl. Teuber: Founding; Jaeger: Gestaltpsychologie, S. 15–19. Vgl. Köhler: Intelligenzprüfungen, S.  3–5. Woher die Tiere stammten, erwähnte Köhler nicht, aber er beschrieb jeden einzelnen Schimpansen genau. Zu seinen Forschungen auf Teneriffa vgl. auch Neisser: Köhler, S. 189 f. Vgl. Ash: Gestalt psychology, S. 163–166. Die Experimente fanden seit Sommer 1916 statt. Zwei Orang-Utans trafen zu diesem Zeitpunkt nach langer Reise auf Teneriffa ein; die niederländische Regierung hatte sie 1915 in Holländisch-Indien eingefangen. Ein Tier starb bereits nach zwei Monaten. Beide standen brieflich miteinander in Kontakt, vgl. Ash: Gestalt psychology, S. 162 f. Ursprünglich hatte Yerkes die Forschungsstation 1915 besuchen wollen, doch dies verhinderte der Krieg, vgl. Teuber: Founding, S. 567; Köhler: Intelligenzprüfungen, S. 194.

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Gebiet festgestellt werden, das uns besonders wichtig erscheint, auf dem wir aber den Anthropoiden noch wenig kennen“.19 Ins Zentrum der Beobachtungen geriet bald das Thema Lernen. Köhler und auch Yerkes griffen den Begriff der Anpassungsfähigkeit auf, der ebenfalls von Darwin stammte, und verstanden darunter nicht nur äußere, morphologische Veränderungen, sondern auch und in erster Linie eine Veränderung des Verhaltens, also: Lernen. Während die Behavioristen die Versuchstiere in der Regel relativ unnatürlichen Situationen aussetzten, um ihre Lern- und Konditionierungsexperimente durchzuführen, ließ Köhler die Schimpansen mit Dingen arbeiten, die ihnen möglichst bekannt waren und aus ihrem natürlichen Umfeld stammten. Er wollte mit seinen Versuchen ihr Problemlösungsverhalten etwa durch den Gebrauch von Werkzeugen zeigen, um so zu demonstrieren, dass sie ihr Verhalten auf – so sein Begriff – „Einsicht“ gründeten, dass sie also in der Lage seien, durch Nachdenken zu lernen. Eine Versuchsanordnung bestand etwa darin, Bananen so weit über dem Schimpansengehege auszulegen, dass die Tiere diese nicht erreichen konnten. Zu beobachten war dann, dass sie, um an die Nahrung zu gelangen, Kisten übereinander stapelten und darauf kletterten. Zudem nutzten sie Stöcke, die sie ggf. auch ineinander steckten und verlängerten, um an das Obst heranzukommen. Köhler fand auch heraus, dass die Schimpansen Holzstücke bearbeiteten, um damit Türschlösser zu öffnen. Sie gebrauchten also Werkzeuge, wobei Köhler den Werkzeuggebrauch definierte als „Einschalten eines materiellen Zwischengliedes“ in die Kette der Einzelverhalten, um zu einem bestimmten Ziel zu gelangen.20 Wichtiger noch als das Problemlösungsverhalten an sich war für Köhler die Beobachtung, dass sich die Tiere auf Anhieb zielgerichtet verhielten, nachdem sie zuvor die Lage nur betrachtet hatten. Er deutete dies als „einsichtig“ – auf das Erkennen eines Problems folgt ein lösungsorientiertes Verhalten. Dies ist insofern besonders hervorzuheben, als bis dahin angenommen worden war, dass Tiere nur durch Konditionierung bzw. durch Versuch und Irrtum agierten. Insbesondere Thorndike und Pawlow argumentierten, dass Assoziationslernen die einzige Art sei, wie Tiere Probleme lösten. Köhler jedoch zog aus seinen Untersuchungen den prägnanten Schluss: „Die Schimpansen zeigen einsichtiges Verhalten von der Art des beim Menschen bekannten.“21 Seine Erkenntnisse veröffentlichte er 1917 in der Studie Intelligenzprüfungen an Anthropoiden, die 1921 in zweiter Auflage erschien und 1925 ins Englische übersetzt wurde (The Mentality of Apes).22 Köhler beschäftigte sich später nicht mehr mit Menschenaffen, wohl auch deshalb, weil die Experimente bereits früh ihren Reiz für ihn verloren hatten. 19 20 21 22

Köhler: Intelligenzprüfungen, S. 1. Köhler: Intelligenzprüfungen, S. 18. Köhler: Intelligenzprüfungen, S.  191. Später wurde argumentiert, es sei möglich gewesen, dass sich die Tiere beobachtet hatten und das Verhalten imitierten, vgl. www.newworldency clopedia.org/entry/Wolfgang_Köhler [Zugriff 21.9.2016]. Vgl. Köhler: Intelligenzprüfungen. Die Studie von Yerkes (The Mental Life of Monkeys and Apes. A Study of Ideational Behavoir) erschien 1916 und lag Köhler nach Abschluss seiner eigenen Arbeit vor, vgl. ebd., S. 194.

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Geitel gegenüber gestand er am 10. Dezember 1915 ein: „Übrigens wäre es mir nicht unlieb, wenn ich in absehbarer Zeit die Schimpansen anderen Händen anvertrauen könnte. Zwei Jahre jeden Tag Affen; man wird schon selber schimpansoid; und das wissenschaftlich Unangenehme: Es fällt einem nicht leicht mehr etwas an den Tieren auf.“23 Der sich hier ausdrückende latente Überdruss mag auch ein Grund dafür gewesen sein, dass Köhler seine Beobachtungen über das Orang-Utan-Weibchen – die Experimente fanden im Sommer 1916 statt – nicht zu einer Studie ausarbeitete und veröffentlichte.24 Auch das Buch über die Schimpansen, das heute als wegweisend gilt, wurde zunächst nur wenig rezipiert. Erst in den 1950er Jahren gewannen seine Ansätze wieder großes Gewicht, und ab den späten 1960er Jahren bestätigte die britische Anthropologin Jane Goodall die von ihm beschriebenen Leistungen der Schimpansen in freier Wildbahn. Die Preußische Akademie der Wissenschaften gab nach Ende des Ersten Weltkriegs die Anthropoiden-Forschungsstation auf Teneriffa aus Geldmangel auf. Köhler und seine Familie, zu der nun drei Kinder gehörten – ein weiteres kam 1923 zur Welt – reisten 1920 nach Berlin zurück, und die Schimpansen kamen in den dortigen Zoo. In der alten Heimat konnte sich Köhler, der seit 1917 mehrfach ernsthaft erkrankt war, nicht nur erholen, sondern auch wieder mit anderen Themen und Dingen befassen. Im Wintersemester 1920/21 vertrat er seinen Lehrer Stumpf und folgte dann einem Ruf auf eine ordentliche Professur für Psychologie an die Universität Göttingen. Doch bereits nach einem Semester kehrte er nach Berlin zurück, um als Stumpfs Nachfolger das Ordinariat für Psychologie und Philosophie und zugleich das Psychologische Institut der Universität als Direktor zu übernehmen. Ähnlich wie der in diesem Buch beschriebene klassische Philologe Werner Jaeger gehörte Köhler in Berlin mit 35 Jahren zu den „[j]ugendliche[n] Ordinarien“, die eine „seltene Ausnahme“ darstellten.25 Zurück in Deutschland, lebte die Zusammenarbeit mit Wertheimer, der bis 1929 in Berlin und dann als Schumanns Nachfolger in Frankfurt am Main lehrte, und mit dem in Gießen tätigen Koffka wieder auf. Sie nahm bald institutionalisierte Formen an. So gründeten die drei Wissenschaftler 1921 zusammen mit dem Neurologen Kurt Goldstein und dem Psychiater Hans Walter Gruhle die Zeitschrift Psychologische Forschung, die sich als bedeutendstes Publikationsorgan gestalttheoretischer Forschungsarbeiten erweisen sollte.26 Darüber hinaus veranstalteten sie zusammen mit Kurt Lewin,27 ebenfalls ein Stumpf-Schüler und seit 23 24 25

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Brief Köhler an Geitel vom 10.12.1915, zit. nach: [Briefe von Wolfgang] Köhler an Hans Geitel, S. 58. Das Manuskript Intelligenzprüfungen am Orang befindet sich in Köhlers Nachlass im Archiv der American Philosophical Society in Philadelphia und wurde erst 1988 veröffentlicht, und zwar in [Briefe von Wolfgang] Köhler an Hans Geitel, S. 132–183. Grüttner: Berliner Universität, S. 135. Jaeger: Gestaltpsychologie, S. 23 f., wies darauf hin, dass die Berufung nach Göttingen nur pro forma erfolgte und Köhler dort wahrscheinlich nicht lehrte. Nur so habe man Köhler dann als Nachfolger von Stumpf nach Berlin berufen können; eine Hausberufung galt auch damals als unüblich. Vgl. Ash: Institut, S. 118–120; Jaeger: Gestaltpsychologie, S. 25 f. Zu dessen Biografie und Wirken vgl. Jaeger: Gestaltpsychologie, S. 27–31.

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1921 außerordentlicher Professor am Berliner Institut, regelmäßig eine Diskussionsrunde, in der neue Vorhaben angeregt und vorliegende Ergebnisse besprochen wurden. Die bald so genannte Berliner Schule der Gestaltpsychologie übertrug die Grundprinzipien des Ansatzes auf eine Vielzahl von psychologischen Fragestellungen und zog Studierende aus der ganzen Welt an.28 Zwischen 1922 und 1935 gingen aus ihr 33 Dissertationen hervor, und den Nachwuchswissenschaftlern erschien das Institut rückblickend als „Paradies“. Auch in den Dienstbesprechungen seien „alle Assistenten […] als gleichberechtigte Mitsprecher und Mitberater“ akzeptiert gewesen.29 Bereits 1920 war Köhlers Buch Die physischen Gestalten in Ruhe und im stationären Zustand erschienen, das auf Teneriffa entstanden war und das er Carl Stumpf widmete.30 Er wollte darin zeigen, „that Gestalten could occur in purely physical settings, and specifically in the electrochemical systems that he assumed must exist in the brain“. Seine Abhandlung stellte die Grundlegung dessen dar, was man später „psychophysical isomorphism“ oder Isomorphie nannte. Sie erwies sich insofern als naturphilosophische Untersuchung, als sie eine Beziehung zwischen dem subjektiven Erleben und der Welt der physischen Objekte herstellte. Das Berliner Institut war in den 1920er Jahren weltweit anerkannt und galt als Vorbild für moderne experimentelle Psychologie. Dies honorierte auch die Fachcommunity. So unterstützte die Berliner Notgemeinschaft Köhler, stellte 1924/25 zwei große „Teilkreise mit Rahmengestell und 24 Kontaktanordnungen als persönliche Leihgaben aus dem Apparatebestand […] zur Durchführung von Nachwirkungen von Wahrnehmungen und Entstehung von Gedächtnisspuren“ bereit und 1926/27 einen „Photometer […] zur Durchführung von Untersuchungen über Probleme aus der psychologischen Optik (u. a. Untersuchung des Weberschen Gesetzes bei gewissen theoretisch wesentlichen Gesamtkonstellationen)“.31 Auch international stieß die Gestaltpsychologie auf große Aufmerksamkeit. So konnte Koffka 1922 einen Aufsatz über die Gestaltpsychologie im Psychological Bulletin veröffentlichen, der Fachzeitschrift der American Psychological Association, der das Konzept dem amerikanischen Fachpublikum vorstellte. 1924 erschien die englische Übersetzung seiner 1921 abgeschlossenen Publikation Die Grundlagen der psychischen Entwicklung, in der er eine Entwicklungspsychologie des Kindes auf gestalttheoretischer Grundlage beschrieb. Zudem erschienen nun Überblickswerke zur Gestaltpsychologie auf Englisch, nämlich 1929 Köhlers Buch Gestalt Psychology32 und 1935 Koffkas Studie Principles of Gestalt Psychology. Hinzu kamen Köhlers Vortragsreisen, die ihn 1924 nach Großbritannien, 1929 nach Frankreich, 1930 nach Spanien, Argentinien, Uruguay und 1932 nach Brasilien, 28 29 30 31 32

Vgl. ausführlich Ash: Gestalt psychology, v. a. S. 203–322; ders.: Institut; Metzger: Gestalttheorie, S. 668 f.; Jaeger: Gestaltpsychologie, S. 24. So Köhlers damaliger Assistent, Wolfgang Metzger, 1972, zit. nach: Grüttner: Berliner Universität, S. 144. Vgl. Köhler: Gestalten, Vorwort. Zu der Studie vgl. ausführlich Ash: Gestalt psychology, S. 176–186; Neisser: Köhler, S. 189–191. Das folgende Zitat ebd., S. 190. Datenbank DFG-Geschichte. 1933 erschien die deutsche Übersetzung unter dem Titel Psychologische Probleme.

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in die Niederlande und nach Dänemark führten. Auf seinen Reisen versuchte Köhler ganz bewusst, anders aufzutreten als viele andere deutsche Gelehrte, die von der andauernden Vormachtstellung der deutschen Wissenschaft ausgingen und sich im Ausland entsprechend verhielten.33 Er glaubte, einen regelrechten Typus ausmachen zu können, nämlich den „eines unbeherrschten, aufdringlichen, schulmeisterlichen Gesellen […], der über maßlosem Lernen im Einzelnen an seiner Menschlichkeit Schaden genommen hat“.34 All dies trug maßgeblich zum Renommee der Gestaltpsychologie in der internationalen Fachcommunity und insbesondere in den USA bei. Ab 1924 lehrte und forschte Koffka dauerhaft in den Vereinigten Staaten, und auch Köhler erhielt Einladungen. So nahm er 1925/26 eine Gastprofessur an der Clark University, 1934/35 an der Harvard University und 1935 an der University of Chicago wahr. Bereits während seines ersten USA-Aufenthalts boten ihm vier amerikanische Universitäten (darunter Harvard und Yale) Gastprofessuren oder Lehrstühle an,35 die Köhler jedoch ablehnte, und 1928 ernannte ihn die American Academy of Arts and Sciences zum Mitglied. In jenem Jahr wurde Köhler zudem noch einmal Vater. Er hatte sich im Sommer 1927 ein zweites Mal verheiratet, mit der 1899 geborenen Schwedin Lili von Hůrleman. Im Frühjahr 1933 avancierte Köhler zum Gremienmitglied der Berliner Notgemeinschaft. Er übernahm kommissarisch das Amt des Fachreferenten für die Psychologie im Fachausschuss Philosophie. Dass ein Ersatzkandidat einspringen musste, war nötig geworden, weil der gewählte Fachvertreter, David Katz, die Wahl nicht angenommen hatte. Er wurde im Frühjahr 1933 als Jude von seinem Lehrstuhl in Rostock vertrieben und hatte, als die Wahlergebnisse zu den DFGFachausschüssen vorlagen, bereits entschieden, Deutschland zu verlassen.36 Köhler kann jedoch nicht als Profiteur und antisemitischer Nutznießer jener Situation angesehen werden. Vielmehr war er zahlreichen jüdischen bzw. nach der „Machtergreifung“ als „nichtarisch“ klassifizierten Wissenschaftlern seit Langem kollegial und freundschaftlich verbunden – genannt seien hier nur Katz selbst, Koffka, Lewin oder Wertheimer. Außerdem gehörten der Berliner Schule der Gestaltpsychologie viele jüdische und/oder demokratisch gesinnte Mitarbeiter und Studenten an. Der Rektor der Berliner Universität beschrieb das Psychologische Institut daher als „kleines Zentrum jüdischer und sozialistischer Studenten“.37 Doch nicht nur das ist hervorzuheben. Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass Köhler offen Distanz zum Nationalsozialismus demonstrierte. So verweigerte er

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Zum damaligen Verhalten vieler deutscher Wissenschaftler im Ausland vgl. Grüttner: Berliner Universität, S. 64. Reisebericht Köhler vom 22.4.1926, zit. nach: Grüttner: Berliner Universität, S. 64. Vgl. Grüttner: Berliner Universität, S. 65. Zu den Hintergründen vgl. ausführlich den Beitrag über David Katz in diesem Buch, S. 187– 201. Bericht Rektor der Universität Berlin an das Ministerium vom 8.3.1934, UAHU-B, UK K 221, PA Köhler, Bd. 2, Bl. 18.

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lange Zeit, den Beamteneid auf Hitler abzulegen,38 und machte im Herbst 1933 in einer von rund 200 Studierenden besuchten Vorlesung deutlich, dass er die nationalsozialistische Weltanschauung nicht teilte. Zu Beginn seines Vortrags sagte er: „Ich habe Sie soeben beim Eintreten in einer Form begrüßt, die die Regierung vorgeschrieben hat. Einen Anlaß, weshalb das nicht geschehen sollte, vermag ich nicht zu sehen. Indessen muß ich eine Bemerkung dazu machen: Ich bin Professor der Philosophie dieser Universität, und dieser Umstand verpflichtet mich auch, nämlich zur Aufrichtigkeit gegen Sie, meine Hörer. Ein Professor, der Sie in Wort und Tat über seine Gesinnung täuschen wollte, hätte hier keinen Platz. Sie könnten ihn nicht mehr achten: von Philosophie und wichtigen Menschendingen dürfte er fortan kein Wort mehr zu Ihnen reden. Deshalb sage ich: Die Form meines Grußes war bis vor kurzem das Zeichen einer ganz bestimmten Gruppe von Anschauungen auf politischem Gebiet […]. Wenn ich ehrlich bleiben und von Ihnen geachtet werden will, muß ich also erklären, daß ich zwar bereit bin, in jener Form zu grüßen, daß ich aber nicht alle die Anschauungen teile, als deren Äußerung der Gruß zu gelten pflegt oder doch pflegte. Diese Erklärung werden die Nationalsozialisten unter Ihnen besonders begrüßen. Vornehme und saubere Art unter den Deutschen ist eines der Ziele, für welche sich die Nationalsozialisten mit aller Kraft einsetzen. Ich bin kein Nationalsozialist. Aber aus demselben Bedürfnis, vornehm und sauber zu verfahren, habe ich Ihnen gesagt, was der deutsche Gruß in meinem Fall bedeutet und was er nicht bedeutet. Ich erwarte von Ihnen, daß Sie meine Motive respektieren.“39 Darüber hinaus sprach er sich gegen die antisemitische Politik der Nationalsozialisten insbesondere im Bereich der Hochschulen aus und äußerte diesen Protest auch öffentlich. Die Deutsche Allgemeine Zeitung druckte am 28. April 1933 an prominenter Stelle ein Gespräch mit Köhler ab, in dem er sich gegen alle Maßnahmen aussprach, die „plötzlich die Existenz von ganz Unschuldigen zerstören“ und welche die „bedeutenden, vornehmen Menschen unter den deutschen Juden schwer verletzen“. Er könne der Meinung nicht zustimmen, „dass jeder Jude, als Jude, eine niedere, minderwertige Form von Menschtum darstellt“.40 Die Forschung hat diese Aussage und seine Haltung im Allgemeinen zu Recht als couragiert und – insbesondere für die Gesamtgruppe der Weimarer Gelehrten – ganz außergewöhnlich bezeichnet.41 Er war einer der ganz wenigen (nichtjüdischen)

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Vgl. Brief Bieberbach an Köhler vom 6.3.1935, UAHU-B, UK K 221, PA  Köhler, Bd.  2, Bl. 31. Daraufhin kam Köhler der Aufforderung nach und legte den Eid ab, vgl. Brief Deutsches Konsulat an den Rektor der Universität Berlin vom 19.3.1935, ebd., Bl. 32. Die zitierte Passage der Vorlesung, die Köhler am 3.11.1933 hielt, hat ein Student mitgeschrieben. Sie ist abgedruckt in: Graumann (Hg.): Psychologie, S. 307. Zu seinem Verhalten im Institut insgesamt vgl. auch Henle: Man, S. 530. Dort befindet sich auch eine englische Übersetzung der zitierten Passage. Wolfgang Köhler: Gespräche in Deutschland, in: Deutsche Allgemeine Zeitung vom 28.4.1933, S. 2. Ein Faksimile befindet sich in: Graumann (Hg.): Psychologie, S. 305 f. Vgl. Ash: Institut, S. 122; ders.: Psychologie, S. 858; Geuter: Professionalisierung, S. 102; ders.: Psychologie, S. 96; Gallin: Midwives, S. 99; Henle: Man, S. 529–532; Jaeger: Gestaltpsychologie, S. 33; Kinas: Massenentlassungen, S. 367 f.

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Hochschullehrer und der einzige Psychologie-Professor überhaupt, der öffentlich gegen die Entlassung jüdischer/„nichtarischer“ Wissenschaftler Stellung nahm. Mitchell G. Ash hat in einer genauen Analyse zudem deutlich gemacht, dass Köhler gleichzeitig auch die Ambivalenz der nichtjüdischen, akademisch gebildeten oberen Mittelschicht Weimars gegenüber den Juden zum Ausdruck brachte.42 Denn Köhler verwies im selben Gespräch mit der Deutschen Allgemeinen Zeitung auch darauf, dass keiner derjenigen Deutschen, die der NS-Bewegung fernstanden (und von denen viele Professoren seien), „das Vorhandensein eines Judenproblems in Deutschland [leugnet]; die meisten von ihnen glauben, daß die Deutschen das Recht haben, die Zusammensetzung ihres Volkskörpers zu kontrollieren und den zu groß gewordenen Anteil von Juden an der Führung aller wesentlichen Angelegenheiten des Volkes durch weise Regelung zu beschränken“. Und er schloss seine Ausführungen mit dem Hinweis, dass das sogenannte Berufsbeamtengesetz „von entschiedenen, aber zugleich behutsamen Händen geformt“ worden sei. Sicherlich waren derartige Aussagen, die das Primat der NSDAP im Bereich des Politischen anerkannten, auch durch taktische Überlegungen motiviert, sprach Köhler doch nicht als Privatperson, sondern als Leiter eines Instituts, das im Visier der nationalsozialistischen Aktivisten stand. Köhlers Worte wurden auch in der englischsprachigen Presse wahrgenommen. Sowohl die Londoner Times als auch die New York Times berichteten über den Artikel, und Köhler fasste seine Position in einem Interview mit dem Berliner Korrespondenten der New York Times nochmals zusammen, das am 7. Juni 1933 erschien. Erneut nahm er hier zum Berufsbeamtengesetz Stellung und empfahl der NS-Regierung, sie solle dieses als eine Variante der traditionellen proportionalen Verteilung der höheren Beamtenstellen nach Religionszugehörigkeit darstellen. Ein solcher Schritt „would have a most tranquilizing effect on the outside world, and would win over to our new government the adherence of a multitude of German citizens, including some of the most valuable“. Eine Abschrift schickte er an das Auswärtige Amt mit der Erläuterung, er habe das Gespräch geführt, um „den sonst üblichen Verzerrungen und falschen Wiedergaben der Auslandspresse“ vorzubeugen.43 Für amerikanische Leser war schwer zu unterscheiden, ob Köhler aus Kalkül oder aus Überzeugung so sprach, und viele (amerikanische) Kollegen zeigten sich irritiert – so auch Koffka. In einem Brief an eine seiner Studentinnen schrieb er: „The article is extremely well written, if anything could have any effect at all it would be this cautious, and yet brave appeal. What startled me is the introduction, in which he praises the achievement of the New Regime in rather glowing terms. I do not know whether this is just politics in order to give more weight to his defense of liberals and Jews, or whether it represents his own opinion“.44 Köhler konnte sich in einem persönlichen Gespräch erklären und die Irritation ausräumen. An den amerikanischen Philosophen Ralph 42 43 44

Zum Folgenden vgl. Ash: Institut, S. 120–122. Die Zitate stammen aus Wolfgang Köhler: Gespräche in Deutschland, in: Deutsche Allgemeine Zeitung vom 28.4.1933, S. 2, Faksimile in: Graumann (Hg.): Psychologie, S. 305 f. Brief Köhler an das Auswärtige Amt vom 4.6.1933, zit. nach: Ash: Institut, S. 121. Brief Koffka an Mary Harrower vom 10.5.1933, zit. nach: Ash: Institut, S. 122.

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Barton Perry schrieb er im Frühjahr 1933: „As to myself, my patriotism expects the Germans to behave better than any other people. This seems to me a sound form of patriotism. Unfortunately it is very different from current nationalism, which presupposes that the own people are right and do right whatever they are and do.“45 Und im März 1934 erläuterte er Perry, warum er auf seinem Posten blieb: „Good work is being done in Berlin, as though we had to do what the emigrants are no longer able to do in Germany. Unfortunately, my assistants have been in serious danger several times because of political denunciations – a denunciation a month is more or less our current rate; as yet, however, it has always been possible to save them.“46 Trotz der taktischen Zugeständnisse begann bald ein Kesseltreiben gegen Köhler. Mitchell G. Ash hat seinen „zähen Kampf gegen Angriffe der NS-Studentenschaft und Karrieristen in der eigenen Fakultät“ detailliert beschrieben.47 Auch seine Stellung als DFG-Fachgutachter wurde angegriffen. So favorisierte die Deutsche Gesellschaft für Psychologie statt seiner den in Göttingen lehrenden Psychologen Narziß Ach und bezichtigte Köhler „einer illoyalen Handlungsweise“.48 Köhler wies die Vorwürfe zurück und bat den DFG-Präsidenten, gegenüber dem Fachverband klarzustellen, dass die Entscheidung, ihn als Fachgutachter zu berufen, von der Forschungsgemeinschaft getroffen worden sei – sich also schützend vor ihn zu stellen. Eine Reaktion von Schmidt-Ott ist nicht überliefert. Die Attacken der NS-Aktivisten, die im November 1933 begannen und dann rasant an Zahl und Ausmaß zunahmen – im Dezember 1933 wurde das Kolloquium des Instituts erstmals gestürmt, im Februar 1934 eine Durchsuchung der Räumlichkeiten angedroht, die im April durchgeführt wurde – führten dazu, dass Köhler, der bereits seit dem Erscheinen seines Artikels in der Deutschen Allgemeinen Zeitung mit einer Verhaftung rechnete, im Mai 1934 seinen Rücktritt ankündigte. Nun schaltete sich das Auswärtige Amt ein, das zu seinen Gunsten intervenierte. Ein vertraulicher Bericht nannte die Gründe. Dort hieß es, die Gestaltpsychologie genieße im Ausland hohes Ansehen, und viele ihrer Vertreter seien aufgrund des Berufsbeamtengesetzes entlassen worden und ins Ausland gegangen. Köhler sei der einzige Vertreter, der sich noch in Deutschland befinde, werde aber von Amerika umworben. Noch habe er alle Angebote abgelehnt. „Vom Standpunkt der deutschen Kulturpolitik […] würde ein Weggang Professor Köhlers ein empfindlicher Schlag sein. […] Die materiellen und psychologischen Folgen würden der deutschen Reputation, und nicht nur der wissenschaftlichen, zur Last 45 46 47

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Brief Köhler an Perry vom 1.4.1933, zit. nach: Henle: Man, S. 529. Brief Köhler an Perry vom März 1934, zit. nach: Henle: Man, S. 531. Ash: Psychologie, S.  858. Vgl. ders.: Institut, S.  120–130; Geuter: Professionalisierung, S. 100 f.; Henle: Man, S. 530–534; Kinas: Massenentlassungen, S. 382 f. Diese Arbeiten stützen sich v. a. auf Köhlers Personalakte, vgl. UAHU-B, UK K 221, PA  Köhler, aus der die Vorgänge und die beteiligten Personen (von Seiten der Universität sind v. a. Rektor Eugen Fischer und sein Stellvertreter Ludwig Bieberbach zu nennen) gut zu rekonstruieren sind. Brief Köhler an Schmidt-Ott vom 5.11.1933, BArch, R 73/130, fol. 481. Zudem versicherte er seine Bereitschaft, das Amt auszufüllen und die ihm inzwischen vorliegenden Anträge zu begutachten.

Wolfgang Köhler

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fallen, während das Ausland eine wissenschaftliche Kapazität gewänne“.49 Die Intervention des Auswärtigen Amtes bewirkte zunächst, dass sich die Situation etwas beruhigte und Köhler nicht zurücktrat. Aber er nahm im Oktober 1934 eine Einladung als William James Lecturer an der Harvard University an und entschied ein Dreivierteljahr später, als und weil die Angriffe gegen sein Institut wieder aufwallten, Deutschland endgültig zu verlassen. Noch im Mai 1935 hatte er nur zögerlich auf ein Stellenangebot des angesehenen Swarthmore College, einer Quäkerschule in der Nähe von Pennsylvania, reagiert. Im Juli schrieb er, dass sich seine Lage geändert habe: „This measure of the government is morally equivalent to my dismissal.“50 Ganz ähnlich schrieb er im gleichen Zeitraum an seinen Freund Donald K. Adams und erläuterte, dass er ohne seine Assistenten – die meisten von ihnen waren bereits entlassen – nicht weiterarbeiten wolle und könne: „I could not possibly remain as director without the help of my young friends“. Er habe zwar noch ein Gespräch mit dem Ministerium. „But there is not a chance in hundred for me staying in Germany. […] My deepest anxiety refers to the assistents. I am not yet sure whether I shall be able to place them somewhere.“51 Das Swarthmore College bot Köhler eine Gastprofessur ab September 1935 an, die mit der Unterstützung der Rockefeller Foundation und des Emergency Committee in Aid of Displaced Foreign Scholars realisiert werden konnte. Köhler akzeptierte und beantragte im August 1935 seine Emeritierung, die das Ministerium zu Ende September aussprach.52 Mit seinem Ausscheiden war die Berliner Schule der Gestaltpsychologie endgültig zerschlagen, waren doch seine jüdischen bzw. als „nichtarisch“ klassifizierten Kollegen und Assistenten bereits entlassen worden. Die nicht von den antisemitischen Maßnahmen des NS-Regimes betroffenen (Nachwuchs-)Wissenschaftler konnten ihre Arbeiten nicht fortführen; kaum einer fand eine Stelle an einem anderen Psychologischen Institut Deutschlands.53 Als Köhler in die Vereinigten Staaten übersiedelte, lebten dort bereits  – wenn auch weit verstreut – viele der engsten Weggefährten54 und zudem sein Bruder. Wilhelm Köhler, der 1924 eine außerordentliche Professur für Kunstgeschichte in Jena angetreten hatte, lehrte seit 1934 an der Harvard University in Cambridge, Massachusetts, und übernahm 1941 als Senior Fellow die Leitung der kunstgeschichtlichen Studien an einem nun eingerichteten Forschungszentrum in Dumbarton Oaks in Washington, D. C., Kurt Koffka forschte seit 1927 bis zu seinem Tod 1941 am Smith College in Northampton, Massachusetts, Max Wertheimer seit 1933 an der New School for Social Research in New York und Kurt Lewin 49 50 51 52 53 54

Vertrauliche Aufzeichnung Auswärtiges Amt vom 17.4.1934, zit. nach: Ash: Institut, S. 127. Brief Köhler an Frank Aydelotte vom 13.7.1935, zit. nach: Ash: Institut, S. 128. Brief Köhler an Donald K. Adams [Sommer 1934], zit. nach: Henle: Man, S. 534. Es handelt sich also um einen freiwilligen Rücktritt mit politischem Hintergrund, vgl. Kinas: Massenentlassungen, S. 382 f. Zur materiellen Unterstützung in den USA vgl. Ash: Psychologie, S. 859; ders.: Institut, S. 127 f. Vgl. Ebisch: Institut, S. 166 f. Zur Gestaltpsychologie im Exil vgl. ausführlich Metzger: Gestalttheorie, S. 670–678.

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zunächst an der Cornell University in Ithaca, seit 1935 dann an der University of Iowa City. Direkt am Swarthmore College arbeiteten drei Mitglieder der Berliner Schule: Edwin B. Newman, Karl Duncker und Hans Wallach. Ins Zentrum seines Forschungsinteresses stellte Köhler in den folgenden Jahren das Bemühen, seine Hypothese des psychophysischen Isomorphismus experimentell zu verifizieren. Er und Wallach führten Untersuchungen zu den figuralen Nachwirkungen durch, in denen sie zumindest einen indirekten Beleg für die früheren Annahmen sahen.55 Große Aufmerksamkeit fand auch Köhlers grundlegende philosophische Studie The place of value in a world of facts, in der er sich gegen den vermeintlich zersetzenden Positivismus aussprach, dem er eine sinnstiftende Theorie der Werthandlungen entgegensetzen wollte.56 Köhler konnte in den Vereinigten Staaten seine Karriere nahezu bruchlos fortsetzen.57 Er blieb bis zu seiner Emeritierung am Swarthmore College und hatte dort kaum Lehrverpflichtungen, sodass er sich ganz der Forschung widmen konnte. Nach seiner Emeritierung arbeitete er ein Jahr in Princeton, um dann am Dartmouth College in New Hampshire in der Nähe seines Landsitzes zu forschen. Nach Kriegsende kehrte er gelegentlich nach Europa und in die Bundesrepublik zurück, um Gastvorträge zu halten.58 Eine dauerhafte Rückkehr plante er jedoch nicht, nahm vielmehr 1946 die amerikanische Staatsbürgerschaft an. In den folgenden Jahren erhielt Köhler in den USA wie auch in Deutschland die höchsten Ehrungen und Auszeichnungen, die sein Fach  – in Deutschland wie in den Vereinigten Staaten – vergab. Hinzu kamen Ehrendoktorwürden der Universitäten Chicago, Freiburg, Münster, Pennsylvania, Tübingen und Uppsala sowie der Colleges Kenyon und Swarthmore. 1958/59 fungierte er als Präsident der American Psychological Association, galt seit 1959 als Emeritus der Freien Universität Berlin und wurde 1967 anlässlich seines 80. Geburtstags mit dem Ehrenvorsitz der Deutschen Gesellschaft für Psychologie geehrt. Ein halbes Jahr später, am 11. Juni 1967, starb Wolfgang Köhler in Enfield, New Hampshire.

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Vgl. Jaeger: Gestaltpsychologie, S. 36 f.; Neisser: Köhler, S. 193. Das Buch erschien 1938 und stellte eine überarbeitete Version seiner William James Lectures dar; die deutsche Fassung erschien, übersetzt von Mira Koffka, 1968 unter dem Titel Werte und Tatsachen. Vgl. Gallin: Midwives, S. 99; Neisser: Köhler, S. 194. So hielt er 1957/58 als Gastprofessor in Edinburgh die Gifford Lectures (Psychology and Physics / The Psychology of Values). Eine Bibliografie seiner Werke befindet sich in: Köhler: The selected papers, edited by Mary Henle, S. 437–445.

FACHAUSSCHUSS ALTE UND ORIENTALISCHE PHILOLOGIE Werner Jaeger (1888–1961) Hermann Ranke (1878–1953)

Werner

Jaeger

Werner Jaeger kam am 30. Juli 1888 als einziges Kind der protestantischen Eheleute Karl August und Helene Jaeger in Lobberich am Niederrhein nahe der niederländischen Grenze zur Welt.1 Sein Vater war als leitender Angestellter in der lokalen Textilfabrik beschäftigt. Werner Jaeger besuchte zunächst die Katholische Höhere Knabenschule und wechselte 1902 auf das ebenfalls katholisch geprägte Kempener Gymnasium.2 Schon früh förderte ihn sein Großvater mütterlicherseits, der mit ihm englische und französische Belletristik sowie auch Autoren der Antike und wissenschaftliche Abhandlungen über die Antike las – etwa von Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff.3 Sein auf diese Weise gewecktes Interesse an der Antike mündete in den Entschluss, Philosophie und Altphilologie zu studieren. Er nahm in Marburg sein Studium auf, wo in jenen Jahren eine neukantianische Interpretation Platons vorherrschte. Durch die Beschäftigung mit Platon, so schrieb Jaeger später, „vollzog sich in mir die Wendung zur griechischen Philosophie“.4 Nach einem Semester wechselte er zum Winter 1907 an die 1

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Dieser Beitrag stützt sich auf die grundlegende Forschungsliteratur über Jaeger. Zu nennen sind insbesondere folgende Publikationen: die entsprechenden Einträge in NDB, DBE und BBKL; Calder: Jaeger; Irmscher: Jaeger; Meis/Optendrenk (Hg.): Jaeger; Schadewald: Gedenkrede; Schalliol: Jaeger; Shook: Jaeger; Schmidt (Hg.): Briefe, S. 205–221. Zudem wurden folgende Quellen herangezogen: UAHU-B, PA Jaeger. Einige autobiografische Ausführungen finden sich in Jaeger: Scripta Minora, Bd. 1, S. IX–XXVIII und in: Jaeger: Entwürfe. Zu seiner Schulzeit vgl. Meis/Optendrenk (Hg.): Jaeger, S. 36–38; Schadewald: Gedenkrede, S. 170 f. und 723; Calder: Jaeger, S. 345 f. Vgl. Jaeger: Scripta Minora, Bd. 1, S. X und XII; Jaeger: Entwürfe, S. 109–111. Jaeger: Scripta Minora, Bd. 1, S. XIII.

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Berliner Universität, die nicht zuletzt wegen Wilamowitz als Zentrum der Altertumswissenschaft in Deutschland galt. Bald gehörte Jaeger Wilamowitz’ engerem Schülerkreis an. Auch nach dem Tod seines Vaters 1909 konnte Werner Jaeger das Studium fortsetzen,5 das er 1911 mit der Promotion abschloss. Seine Arbeit – Emendationum Aristotelearum specimen  – beschäftigte sich mit der Metaphysik von Aristoteles.6 Anders als die Forschung vor ihm glaubte Jaeger allerdings nicht, dass es sich bei dieser um ein einheitliches Werk handele. Vielmehr seien es verschiedene, zu unterschiedlichen Zeiten entstandene Vorträge und Reden, an denen die Fortentwicklung seines Denkens veranschaulicht werden könne. Jaeger war so in der Lage, zu zeigen, dass die „Brüche und Widersprüche in der Philosophie des Aristoteles ihr immanent u[nd] hermeneutisch nicht zu überwinden“ seien. Die Arbeit galt als ebenso ungewöhnlich wie grundlegend und erhielt ein „summa cum laude“, was in der Klassischen Philologie an der Berliner Universität seit über 40 Jahren nicht mehr vorgekommen war. Zu Jaegers Mentoren gehörten Hermann Diels, Eduard Norden, Johannes Vahlen, der Philosoph Adolf Lasson und in erster Linie Wilamowitz, mit dem er in späteren Jahren freundschaftlich verkehrte.7 Wilamowitz war es auch, der ihm nach der Promotion die Edition des Contra Eunomium von Gregor von Nyssa übertrug, des griechischen Bischofs und Kirchenlehrers aus dem 4. Jahrhundert vor Christus. Diels vermittelte ihm 1912 den Auftrag, in der Schriftenreihe der Bibliotheca Teubneriana einen Aristoteles-Band zu bearbeiten. Die ersten Jahre nach Abschluss der Promotion verbrachte Jaeger auf Reisen, hielt sich zum Studium von Handschriften der antiken Philosophen in der Schweiz, in Österreich und vor allem in Rom auf. 1913 stellte er seine 1914 veröffentlichte Habilitationsschrift Nemesius von Emesa. Quellenforschungen zum Neuplatonismus und seinen Anfängen bei Poseidonios fertig, die sich mit dem Werk des griechischen Philosophen und Bischofs Nemesios von Emesa in Syrien beschäftigte. Seine 1913 gehaltene Probevorlesung handelte vom Ziel des Lebens in der griechischen Ethik von der Sophistik bis Aristoteles. Die Habilitation und das Jahr 1914 markierten nicht nur beruflich den Beginn der Etablierung, sondern auch privat. Am 28. März 1914 heiratete Jaeger Theodora Dammholz, genannt Dora, die Tochter eines promovierten Oberstudienrats, und bald gehörten drei Kinder zur Familie. Anders als seine Altersgenossen zog man Jaeger im Sommer jenes Jahres nicht zum Kriegsdienst ein, da er aus gesundheitlichen Gründen als dienstuntauglich galt. So konnte er 1914 einen Ruf der Universität Basel auf eine Professur der griechischen Sprache und Literatur annehmen. Bei der Berufung hatten Diels und Wilamowitz ihren Einfluss gel5 6 7

Vgl. Jaeger: Entwürfe, S. 112. Calder: Jaeger, S. 350, berichtet, dass er von mütterlicher Unterstützung und Stipendien lebte. Vgl., auch zum Folgenden, Schalliol: Jaeger [Zugriff 7.9.2016]; dort auch das folgende Zitat. Vgl. zudem Schmidt (Hg.): Briefe, S. 206. Zu ihrem Verhältnis vgl. Schadewald: Gedenkrede, S. 711 und 713 f.; Calder: Jaeger, S. 348 f. Die Gedenkrede, die Jaeger 1932 zum Tode seines Lehrers am 25.9.1931 hielt, ist abgedruckt in: Schmidt (Hg.): Briefe, S. 107–115.

Werner Jaeger

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tend gemacht, die ihn als ihr größtes Nachwuchstalent betrachteten. Jaeger blieb drei Semester in der Schweiz, um 1915 als Ordinarius auf eine höher dotierte Stelle nach Kiel zu wechseln. Er folgte hier dem Papyrologen Siegfried Sudhaus nach, der an der Front in Flandern gefallen war. Nach Kriegsende lehnte Jaeger einen Ruf nach Hamburg ab, da ihm der damalige Staatssekretär im preußischen Kultusministerium und spätere Kultusminister Carl Heinrich Becker einen Lehrstuhl in Berlin in Aussicht stellte. Er nutzte zunächst ein in Kiel ausgehandeltes Forschungssemester für eine Studienreise nach Skandinavien8 und konnte 1921 tatsächlich in die Hauptstadt zurückkehren. Das Berliner Ordinariat erwies sich als Krönung seiner Laufbahn: Er folgte seinem Lehrer Wilamowitz nach (viele hatten ihn schon früher als dessen „Kronprinz“ bezeichnet9) und hatte nun einen der renommiertesten altphilologischen Lehrstühle der Welt inne.10 Beachtenswert ist dabei nicht zuletzt, dass er im Jahr 1921 erst Anfang 30 war, sodass er in Berlin zu den „jugendliche[n] Ordinarien“ zählte,11 von denen es nicht viele gab. Sein Schüler Wolfgang Schadewaldt beschrieb aus der Rückschau, „der persönliche Zauber des jugendlichen Professors“ habe ihn und seine Kommilitonen von Anfang an für den Neuankömmling eingenommen.12 Aufgrund seiner persönlichen Wirkung und seiner „geradezu charismatischen Lehre“ bildete Jaeger in Berlin eine regelrechte Schule aus.13 Dazu trug auch bei, dass seine Schüler ihre Arbeiten in der von ihm herausgegebenen Reihe Neue Philologische Untersuchungen veröffentlichten.14 Trotz der Anforderungen in Lehre und Verwaltung legte Jaeger auch eigene Veröffentlichungen vor, so etwa 1921 und 1922 die beiden Bände der Ausgabe von Gregor von Nyssas Werk Contra Eunomium. 1923 folgte seine Abhandlung Aristoteles. Grundlegung einer Geschichte seiner Entwicklung, die auf große Resonanz stieß und die Aristoteles-Forschung lange Jahre prägte.15 Sie wurde später ins Englische, Spanische und Italienische übersetzt. Seit Mitte der 1920er Jahre interessierte sich Jaeger neben genuin altphilologischen Fragestellungen zunehmend auch für bildungspolitische Themen. Dies war nicht zuletzt durch die politischen Umbrüche – die letzte Kriegsphase, die Kriegsniederlage, die Novemberrevolution und die folgenden Krisenjahre – bedingt, die er wie viele Weimarer Ordinarien als existenzielle Bedrohung der bürgerlichen Kultur erfuhr. Bereits im Sommer 1917 schrieb er: „Von Woche zu Woche reißt dieser Krieg tiefer die Fundamente auf, darauf das Leben bisher gebaut war“.16 Und 8 9 10 11 12 13 14 15 16

Zu dieser vgl. Meis/Optendrenk (Hg.): Jaeger, S. 46 f. Schadewald: Gedenkrede, S. 708. Vgl. Calder: Jaeger, S. 353; Schmidt (Hg.): Briefe, S. 206 f. Grüttner: Berliner Universität, S. 135. Schadewald: Gedenkrede, S. 708; ähnlich auch Calder: Jaeger, S. 354. Calder: Jaeger, S. 353. Vgl. auch Schadewald: Gedenkrede, S. 717; Ludwig: Amtsenthebung, S. 167. Die Reihe wurde 1926 ins Leben gerufen, 1973 erfolgte ein Neudruck. Vgl. Schadewald: Gedenkrede, S. 712; Calder: Jaeger, S. 349 f.; Irmscher: Jaeger, S. 5. Brief Jaeger an Wilamowitz vom 24.7.1917, zit. nach: Calder: Jaeger, S. 351.

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1925 hielt er fest: „Wir sind dem Sinn und Ursprung der Kultur tief entfremdet“. Durch „Überhandnahme des Materialismus und Spiritismus“ seien „geistige Individualität und freie seelische Entfaltung“ vernichtet, an deren Stelle „rationalistische[…] Entleerung und Abplattung des Lebens“ getreten seien. „Beide Mächte unserer Zeit, die Überzivilisation und die Zivilisationsflucht, vernichten in ihrer letzten Übersteigerung die Kultur“.17 Vor diesem Hintergrund ist es zu verstehen, dass Jaeger das humanistische Gymnasium bewahren wollte – und die Universität vor weitreichenden Reformen.18 Doch nicht die aktuelle Bildungs- oder Wissenschaftspolitik standen im Fokus seines Interesses, sondern der Versuch, mit seinen Forschungen den Wert der Antike für die aktuelle Gesellschaft zu bestimmen.19 Die antike Erbschaft habe, so verstand er es, eine einheitliche westliche Kultur geprägt. Intensiv beschäftigte ihn die Frage, wie die dem Griechentum inhärenten Kräfte auf die Kultur einwirkten: zunächst auf die griechische Gesellschaft selbst, dann auch – über die Römer – auf andere Kulturen. Auch im Christentum sei der griechische Bildungsgedanke fortgesetzt worden, wenn auch in eigenständiger Weise. So interpretierte er letztendlich die abendländische Geschichte als beständiges Wiederaufleben der griechischen Bildungsidee. Seine Überlegungen zusammenfassend, erschien 1934 der erste Band seines Hauptwerks Paideia. Die Formung des griechischen Menschen. Unter dem Begriff „Paideia“ verstand Jaeger die griechische Bildung und Kultur schlechthin, die im „Griechentum“ ihren Ursprung habe.20 Bildung sei den Griechen nicht nur abstrakte Idee, sondern erwachse aus der „Einsicht in die Gesetzmäßigkeiten des menschlichen Wesens, aus denen daher Normen für die persönliche Führung der Seele und für den Aufbau der Gemeinschaft“ abzuleiten seien. Das „höchste Kunstwerk, das es zu bilden gelte, sei der Mensch“. Doch die Formung des Menschen war aus dieser Perspektive immer an die Gemeinschaft gebunden, und „Humanitas“ bedeutete für Jaeger die „Erziehung des Menschen zu seiner wahren Form, dem eigentlichen Menschsein“ als „allgemeingültiges und verpflichtendes Bild der Gattung“.21 Darüber hinaus folgerte er, dass der „erzieherische Gehalt der Antike“ für die Gegenwart nutzbar gemacht werden könne und müsse. Die Zukunft der Jugend solle durch „Wahrheit, Bildung, Werte und eine zentrale Perspektive“ gewährleistet werden: „Unser deutsches Wort Bildung bezeichnet das Wesen der Erziehung am anschaulichsten im griechischen, platonischen Sinne. Es enthält in sich die Beziehung auf das künstlerisch Formende, Plastische wie auf das dem Bildner innerlich vorschwebende normative Bild, die ‚Idea‘ oder den ‚Typos‘. Überall, wo später dieser Gedanke in der Geschichte wieder auftaucht, ist er ein Erbe der Griechen“.

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Werner Jaeger: Antike und Humanismus (1925), in: ders.: Reden, S. 103–157, hier S. 104. Zur Wirkung der politischen Umbrüche auf Jaeger vgl. auch Schadewald: Gedenkrede, S. 709, sowie Calder: Jaeger, S. 351. Vgl. Jaeger: Stellung. Vgl. Schadewald: Gedenkrede, S. 715 f.; Calder: Jaeger, S. 355 f.; Blum: Humanismus, S. 568. Vgl. Blum: Humanismus, S. 568. Dort auch die folgenden Zitate. Jaeger: Paideia, Bd. 1, S. 12 f. Dort auch die folgenden Zitate.

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Mit der Paideia formulierte Jaeger die Grundlagen für einen neuen Humanismus, der nach dem Humanismus der Renaissance und dem Neuhumanismus der Goethezeit als „Dritter Humanismus“ bezeichnet wurde – ein Terminus, den Jaegers Freund, der Berliner Philosoph Eduard Spranger, prägte. Der Dritte Humanismus wollte das Wesen der Antike als „lebendige Kraft“ wiederentdecken.22 Das dort formulierte Humanismusverständnis war – so fasste Schadewaldt 1962 zusammen  – dadurch charakterisiert, dass es die „menschheitliche griechische Wertewelt als ein System sinnvoll wirkender, bildender Kräfte in die Geschichte Europas hinein entwarf. Es war […] eine „Historisierung der humanen Wertewelt oder auch eine Humanisierung unserer europäischen Historie“.23 Jaegers Sichtweise auf die Antike traf aber auch auf gewichtige Einwände und wurde später als ebenso generalisierend wie idealisierend kritisiert.24 Um Jaeger gruppierten sich bald ähnlich gesinnte Kollegen. Seit 1926 veranstalteten sie alle zwei Jahre eine Fachtagung der Altertumswissenschaftler, die zunächst in Weimar, dann in Naumburg stattfand, und schufen mit der Zeitschrift Gnomon ein neues Rezensionsorgan für die gesamte klassische Altertumswissenschaft. Die Zeitschrift entwickelte sich zum renommiertesten Fachjournal der Altphilologie. Darüber hinaus lebte die Gesellschaft für antike Kultur, die Jaeger 1924 mit gegründet hatte, auf. Sie richtete sich nicht primär an die akademische Welt, sondern an einen größeren Leserkreis, dem Erkenntnisse über das künstlerische Schaffen und das kulturelle Wirken der Griechen und Römer vermittelt werden sollte. Als stellvertretender Vorsitzender gab Jaeger die zugehörige Zeitschrift Die Antike. Zeitschrift für Kunst und Kultur des Klassischen Altertums heraus. Nach Diels’ Tod und der 1924 erfolgten Wahl in die Preußische Akademie der Wissenschaften übernahm er zudem die Betreuung der Edition des Corpus Medicorum Graecorum und gründete 1925 zusammen mit Emil Kroymann den Deutschen Altphilologenverband. Jaeger trug also wesentlich zur Professionalisierung seines Faches bei – organisatorisch und wissenschaftlich. Aus der Rückschau betrachtet war er es, der die „beiden Richtungen der historischen Altertumswissenschaft und die der idealistisch-hegelianischen Geisteswissenschaft zusammenführte, […] den Grund [legte] für seine spätere Konzeption der Klassischen Altertumswissenschaft als philologisch fundierte Geistesgeschichte“.25 Die Fachcommunity honorierte Jaegers Leistungen und entsandte ihn als ihren Repräsentanten in die Forschungsgemeinschaft. Eduard Meyer, der langjährige Vorsitzende des Fachausschusses Alte und Orientalische Philologie, 22 23 24

25

Näf: Perikles, S.  187. Zum Dritten Humanismus und zu seinem Werk Paideia vgl. auch Schmidt (Hg.): Briefe, S. 208–214. Schadewaldt: Gedenkrede, S. 718. Insbesondere Bruno Snell äußerte sich 1935 äußert kritisch, vgl. Schmidt (Hg.): Briefe, S.  208 und 216 f. Zur Rezeption des Werkes insgesamt vgl. Blum: Humanismus, S.  568; Calder: Jaeger, S. 355 f., und Schmidt (Hg.): Briefe, S. 213–216. Aus der Sicht der DDR galt der Dritte Humanismus als Ausdruck „spätbürgerlicher Ideologie“, Irmscher: Jaeger, S. 4. Schadewald: Gedenkrede, S. 724. Zur Bedeutung Jaegers für die Klassische Philologie vgl. Hentschke/Muhlack: Einführung, S. 128–135.

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berichtete dem DFG-Präsidenten im November 1924, dass die Mitglieder des Fachausschusses dem Vorschlag zugestimmt hatten, anstelle des verstorbenen Franz Boll und des erkrankten Georg Wissowa die „Herren Jaeger und Heinze zu kooptieren“.26 Schmidt-Ott kam dem nach, nicht aber, ohne vorher die Mitglieder des Hauptausschusses zu informieren. Zwar lege die Satzung fest, so schrieb er ihnen am 17. November, dass über die Zusammensetzung der Fachausschüsse die Mitgliederversammlung entscheide, doch habe diese den Hauptausschuss ermächtigt, notwendige Ergänzungen vorbehaltlich späterer Bestätigung vorzunehmen. Er bitte nun um das Einverständnis für die Zuwahl von Jaeger (für Boll) bzw. Heinrich Heinze (für Wissowa).27 Da dieses Verfahren  – die Kooptation der Gremienmitglieder  – für die Notgemeinschaft in den 1920er Jahren nicht unüblich war und auch in diesem Fall niemand Einwände äußerte, übernahm Jaeger die Funktion des Fachvertreters im Dezember 1924. Zuständig für den Unterausschuss „Griechische Kultur außer Archäologie“, übte er das Amt bis 1931 aus – zuletzt als stellvertretender Vorsitzender. Er selbst beantragte 1926/27 Mittel zum Druck der von ihm herausgegebenen Kritischen Ausgabe der Metaphysik des Aristoteles. Der Antrag wurde befürwortet.28 Jaegers wissenschaftliche Leistung und seine etablierte Position im Fach wurden auch im Ausland zur Kenntnis genommen, nicht zuletzt, da er selbst schon seit Ende des Ersten Weltkriegs den Kontakt vor allem zu Kollegen in England29 und in den USA suchte. Die Universitäten Manchester, Cambridge und Harvard zeichneten ihn in den 1920er bzw. 1930er Jahren mit der Ehrendoktorwürde aus, 1932 erfolgte eine Einladung für ein Sather Professorship of Classical Literature nach Berkeley, und 1934 lud ihn der Senat der Universität St Andrews in Schottland ein, die Lord Gifford Lectures zu halten.30 Dies ist insofern besonders hervorzuheben, als es sich um eine große Ausnahme handelte. Von Kriegsende bis zum Beginn der 1930er Jahre war kein deutscher Philologe zu Gastvorlesungen ins Ausland eingeladen worden. Dies lag weniger an den häufig nicht ausreichenden Sprachkenntnissen, sondern vielmehr an der politischen Nachkriegssituation und am distanzierten Verhältnis zu den deutschen Philologen. Die Einladung Jaegers stellte also eine besondere Auszeichnung dar und markiert aus der Rückschau den Beginn einer neuen Phase der Wissenschaftsbeziehungen zwischen der deutschen und der internationalen Klassischen Philologie.31 Anfang des Jahres 1934 hielt Jaeger auch Gastvorlesungen in Schottland und im Winter desselben Jahres in Kalifornien.

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Brief Meyer an Schmidt-Ott vom 16.11.1924, BArch, R 73/120, Bl. 56. Vgl. Brief Schmidt-Ott an die Mitglieder des HA vom 17.11.1924, BArch, R 73/120, Bl. 54. Vgl. Datenbank DFG-Geschichte. Vgl. hierzu Meis/Optendrenk (Hg.): Jaeger, S. 47 f. Zu seinen Auslandskontakten insgesamt vgl. ebd., S. 39–49. Vgl. Brief Jaeger an das Ministerium vom 17.2.1934, UAHU-B, PA Jaeger. Die Sather Lectures waren nach einer wohlhabenden Mäzenin benannt. Zu Jaegers USA-Aufenthalt vgl. Meis/Optendrenk (Hg.): Jaeger, S. 48 f. Vgl. Ludwig: Amtsenthebung, S. 172.

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Jaegers Haltung zum Nationalsozialismus wird unterschiedlich bewertet. Ein Teil der Forschung verweist auf Jaegers Distanz zu jeglicher Form von Politik, insbesondere aber zum Nationalsozialismus,32 während Beat Näf und Volker Losemann betonen, dass es in seinem Werk und seiner Tätigkeit durchaus Elemente gab, die sich mit der NS-Ideologie vereinbaren ließen.33 So formulierten die Leitsätze des Deutschen Altphilologenverbands vom 30. September 1933, an denen Jaeger mitgearbeitet hatte, ganz im Sinne der neuen Machthaber: „Das Ziel aller deutschen Erziehung ist der deutsche Mensch als Glied der Volksgemeinschaft.“34 Zudem beteiligte sich Jaeger mit einem eigenen Beitrag  – Die Erziehung des politischen Menschen in der Antike  – am ersten, 1933 erschienenen Band der Zeitschrift Volk im Werden, die der nationalsozialistische Pädagoge und Rektor der Universität Frankfurt am Main, Ernst Krieck, herausgab. Der Aufsatz kann als theoretische Begründung Jaegers wissenschaftspolitischer Ansichten verstanden werden, in dem er zu belegen versuchte, dass seine Auffassung von Humanismus im Sinne einer Erziehung zum heroisch-politischen Menschen zu der neuen politischen Ära passe und geeignet sei, die Gymnasien zu einer Stätte der humanistisch-politischen Bildung für den neuen Staat zu machen.35 Dies trug er im Juli 1933 auch dem preußischen Kultusminister Bernhard Rust vor. Offenbar hoffte er, seine Lesart des Humanismus im Nationalsozialismus zur Geltung bringen zu können – ob aus „Fachopportunismus, aus Geltungssucht und Machttrieb oder aus Idealismus und Erziehungsabsicht“, sei dahingestellt.36 Seine Bemühungen hatten jedoch keinen Erfolg. Bald kam es auch zu einer Kontroverse mit Krieck. Obwohl einzelne Facetten des Dritten Humanismus der NS-Ideologie einverleibt wurden,37 lehnten die Nationalsozialisten Jaeger doch insgesamt ab, weil sie in ihm einen Vertreter einer bürgerlichen, intellektualistischen Denkweise und einer untergegangenen Zeit sahen. Zudem gab es antisemitisch motivierte Vorbehalte. Jaeger hatte sich im Winter 1931 von seiner Frau scheiden lassen und einen Monat später erneut geheiratet.38 Seine 1911 geborene zweite Frau Ruth Heinitz war die Tochter von Dr. Georg Heinitz, dem Gründungsdirektor und langjährigen Heimleiter der Mosseschen Erziehungsanstalt für Knaben und Mädchen, eines überkonfessionellen Wai-

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Vgl. Solmsen: Jaeger, S. 280. Vgl. Näf: Perikles, S. 187–191; Losemann: Nationalsozialismus, S. 97 f. und 106. Vgl. ähnlich auch Calder: Jaeger, S. 345 und 356 f.; Schmidt (Hg.): Briefe, S. 219–221; Irmscher: Jaeger, S. 4. Leitsätze des Deutschen Altphilologenverbands vom 30.9.1933, zit. nach: Näf: Perikles, S. 191. Vgl. zum Folgenden ebd., S. 187–191; Losemann: Nationalsozialismus, S. 86 f. Calder: Jaeger, S. 357, bewertet dies als Einwilligung Jaegers, „für das neue Regime gegenüber seinen Berufsgenossen als Sprachrohr zu fungieren“. Vgl. Ludwig: Amtsenthebung, S. 168; Losemann: Nationalsozialismus, S. 86; Calder: Jaeger, S. 357. Schmidt (Hg.): Briefe, S. 220. Vgl. Losemann: Nationalsozialismus, S. 97 f. und 106. Die Scheidung nahm Wilamowitz Jaeger so übel, dass er mit ihm brach, vgl. Calder: Jaeger, S. 360.

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senhauses mit angeschlossener Schule in Berlin-Wilmersdorf. Sie stammte aus einer konfessionellen „Mischehe“, gehörte ihre Mutter doch der evangelischen, ihr Vater der jüdischen Religionsgemeinschaft an. Die Nationalsozialisten luden den Begriff „Mischehe“ jedoch rassistisch auf, und so galt Ruth Jaeger seit 1933 als „Halbjüdin“, ihre 1935 geborene Tochter als „Mischling 2. Grades“. Vermutlich gab die nationalsozialistische Kategorisierung seiner Frau und seiner Tochter als „nichtarisch“ und die daraus erwachsende Bedrohung den Ausschlag für Jaegers Entschluss, in die USA auszuwandern.39 Aus der Rückschau des Jahres 1960 schrieb er: „Wegen des allgemeinen Unheils in Deutschland habe ich im Jahr 1936 meine Heimat und meinen Berliner Lehrstuhl verlassen, um nach Amerika zu emigrieren.“40 1936 folgte Jaeger – gegen den vielstimmigen Widerstand aus der Berliner Fakultät, aber unter Duldung der NS-Regierung – der ein Jahr zuvor ausgesprochenen Berufung nach Chicago und wurde Nachfolger des bekannten amerikanischen Klassischen Philologen Paul Shorey. Zum 30. September wurde er auf eigenen Wunsch hin aus dem preußischen Landesdienst entlassen.41 Er blieb bis zu seinem Lebensende in den USA. Jaeger gilt heute als der „berühmteste“ Emigrant aus dem Kreise der Klassischen Philologen, die in die Vereinigten Staaten gingen, und zugleich als der einzige, der bruchlos von einem deutschen Lehrstuhl auf einen ausländischen wechselte.42 Zunächst von seinen Lehrverpflichtungen befreit, um die Gifford Lectures in St Andrews in Schottland halten und eine Monografie über Diokles von Karystos fertigstellen zu können, lehrte er als Professor der Klassischen Philologie in Chicago ab Herbst 1937 vor allem Gräzistik. Im April 1939 schlug er die Laurence-Professur für Philosophiegeschichte des Altertums an der Cambridge University in England aus und nahm stattdessen einen Lehrstuhl an der Harvard University in Cambridge, Massachusetts, an. Damit ging die Leitung des Institute for Classical Studies einher, das die Universitätsleitung eigens für ihn eingerichtet hatte, damit er die kritische Ausgabe der Werke Gregors von Nyssa fortsetzen konnte, an der er mit Unterbrechungen seit 1908 gearbeitet und von der er zu Beginn der 1920er Jahre zwei Bände vorgelegt hatte. Jaeger organisierte das Vorhaben arbeitsteilig. Er selbst übernahm nur einen Band, der 1952 vorlag, während ein Stab von amerikanischen Nachwuchswissenschaftlern den Großteil der Schriften bearbeitete. Nach Jaegers Tod führte sein früherer Schüler Herrmann Langerbeck die Ausgabe in Deutschland fort.

39 40 41 42

Vgl. Kinas: Massenentlassungen, S.  356; ähnlich auch der Eintrag in BBKL [Zugriff 30.8.2016] sowie Ludwig: Amtsenthebung, S.  168. In Berlin folgte ihm Johannes Stroux nach. Jaeger: Opera, S.  vi f.; Übersetzung d. Verf.; im Original heißt es: „in publica Germaniae calamitate anno 1936 patriam et cathedram meam in Universitate Berolinensi reliqui, ut in Americam emigrarem.“ Vgl. Brief REM an Jaeger vom 12.6.1936, UAHU-B, PA Jaeger. Ludwig: Amtsenthebung, S. 167. Vgl. Schadewald: Gedenkrede, S. 727.

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Darüber hinaus publizierte Jaeger in den USA 1938 seine Sather-Vorträge (Demosthenes, The Origin and Growth of his Policy) sowie das Buch Diokles von Karystus. Die griechische Medizin und die Schule des Aristoteles. Größere Aufmerksamkeit erhielt jedoch die Veröffentlichung zweier weiterer Bände der Paideia, die 1943 und 1944 in New York und 1944 und 1947 auf Deutsch in Berlin erschienen; später folgten weitere Auflagen des umfangreichen Werkes sowie Übersetzungen ins Englische, Spanische und Italienische.43 Bei der 1939 erfolgten Übersetzung des ersten Bandes der Paideia ins Englische wurde der Untertitel dem neuen Umfeld angepasst. Aus der Formulierung „Die Formung des griechischen Menschen“ wurde: „Ideals of Greek Culture“. Zwar hatte das Werk in den einschlägigen wissenschaftlichen Kreisen weniger Einfluss, da es nicht besonders intensiv rezipiert wurde. Gleichwohl gilt es „magna opera“.44 In den späteren Jahren seines Aufenthalts in den USA wandte sich Jaeger vermehrt theologischen Fragestellungen zu. So erschien 1947 The Theology of the Early Greek Philosophers und 1961 The Early Christianity and Greek Paideia, das 1963 auch auf Deutsch veröffentlicht wurde. Jaeger widmete sich in der neuen Heimat neben der Forschung auch weiterhin der Lehre. Er hielt regelmäßig eine Vorlesung über die Erziehung und Bildung in der Antike, die viele Studierende besuchten, nicht zuletzt, da diese im Rahmen des General Education Program der Harvard University stattfand.45 Darüber hinaus bot er regelmäßig ein Seminar für die fortgeschrittenen Studenten an und unterrichtete vor allem während des Krieges auch die Undergraduates; über seine Emeritierung hinaus und noch bis zu seinem 72. Lebensjahr blieb er in der Lehre aktiv. Die von ihm vermittelte detaillierte Textinterpretation und seine Vorlesungen nannten die amerikanischen Studenten  – trotz oder wegen seines eher monologischen Vortragsstils  – „the Berlin method“.46 Gleichwohl konnte oder wollte Jaeger in den USA nicht mehr schulbildend wirken.47 Zwar habe er, so berichtete Jaeger im Mai 1958 in einem Interview, gern unterrichtet, gerade auch die Undergraduates, die „im Ganzen interessanter waren“ als die fortgeschrittenen Studierenden, die „keine grundsätzlichen Fragen mehr stellten“. Doch insgesamt, so Jaeger weiter, kommen „die Dinge […], wenn sie wirklich Kraft gewinnen, […] letzten Endes aus dem Inneren der Menschen und nicht durch einen Dozenten. Es war eine gewisse […] Skepsis erwachsen hinsichtlich des ganzen Universitätsbetriebes, wie er geworden war. Es sind dieselben Schlagworte, die Sie drüben in Deutschland gehört haben, über Spezialisierung, Technisierung und so weiter. Das waren die Klagen – und der Sinn der Dinge schien verloren zu gehen. […] 43 44 45 46 47

Ein ungekürzter Nachdruck der drei Bände mit 1.398 Seiten erschien 1989 in Berlin. Ludwig: Amtsenthebung, S.  168, Hervorhebung im Original. Vgl. auch Shook: Jaeger, S. 1220. Vgl. Jaegers Beschreibung im Interview mit Irmgard Bach am 21.5.1958 in Cambridge/USA, ARB, WO01721. Zit. nach: Ludwig: Amtsenthebung, S. 169. Vgl. zudem Calder: Jaeger, S. 360 f. Vgl. Calder: Jaeger, S. 358; Ludwig: Amtsenthebung, S. 169. Zum Einfluss der deutschen Emigranten auf die amerikanische Klassische Philologie insgesamt vgl. ebd., S. 173; Losemann: Nationalsozialismus, S. 43–46; zu Jaegers Einfluss in den USA auch Schmidt (Hg.): Briefe, S. 208.

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Ich lebe also in diesem meinem Alter hauptsächlich der Förderung der wissenschaftlichen Studien von Studenten. Ich habe die Doktoranden und ich versuche, sie auf die Probleme hinzuführen, wie sie mir aufgegangen sind, oder [rege sie an], ihre eigenen zu lösen.“48 Vielleicht war aber auch Jaegers Ethos der Menschenbildung nicht gut vereinbar mit der US-amerikanischen Gesellschaft und ihrem traditionellen Anspruch auf individuelle Glücksverwirklichung. William M. Calder, sein Schüler aus jenen Jahren, berichtete jedenfalls, dass Jaeger zunehmend in eine isolierte Position geraten sei: „Zuletzt bestand seine Art der Anpassung in Resignation.“49 Dies lag auch daran, dass eine altphilologische Wissenschaftstradition an den allermeisten amerikanischen Universitäten wenig ausgeprägt war und das Fach einen eher marginalen Status besaß. Hinzu kamen Ressentiments anderer Art. So scheiterte die für Ende 1942 vorgesehene Nominierung Jaegers als zweiter Vizepräsident der American Philological Association, der er seit 1936 angehörte, an kriegsbedingten Vorbehalten gegenüber einem vormals deutschen Staatsangehörigen. Doch insgesamt genoss Jaeger in den USA und unter seinen Kollegen hohes Ansehen,50 was sich nicht zuletzt darin zeigte, dass 1958 der 63. Band der Harvard Studies in Classical Philology ihm zu seinem 70. Geburtstag gewidmet wurde.51 Jaeger plante nach Kriegsende nicht, nach Deutschland zurückzukehren, obgleich zahlreiche Kontakte bestanden und er in seinem letzten Lebensjahrzehnt jährlich einmal in die alte Heimat reiste.52 Er besuchte regelmäßig seine Geburtsstadt53 und seinen nun in Tübingen lebenden Freund Eduard Spranger. Die dortige Universität verlieh ihm 1958 zu seinem 70. Geburtstag die Würde eines Ehrendoktors der Theologie. Das Verzeichnis der wissenschaftlichen Institutionen, die ihn zum Mitglied ernannten, ist beeindruckend umfangreich. Dazu gehörten unter anderem der Preußische Beirat für Bibliotheksangelegenheiten, die Preußische Akademie der Wissenschaften, die Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt, die Bayerische Akademie der Wissenschaften, die Heidelberger Akademie der Wissenschaften, die British Academy, die Königlich Dänische Akademie der Wissenschaften, die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften, die American Academy of Arts and Sciences sowie die American Philological Association. Auch die Liste der Auszeichnungen und Ehrendoktorwürden ist lang.

48 49 50 51 52 53

Interview Irmgard Bach mit Jaeger am 21.5.1958 in Cambridge/USA, ARB, WO01721. Bei den zitierten Äußerungen handelt es sich um eine von mir angefertigte Transkription des Interviews. Calder: Jaeger, S. 359. Vgl. Ludwig: Amtsenthebung, S. 168 f. Vgl. Harvard Studies, Vol. LXIII. Der Band enthält auch eine Liste der Publikationen Jaegers seit 1911, vgl. ebd., S. 1–14. Vgl. Schadewald: Gedenkrede, S. 722 und 727. Vgl. Meis/Optendrenk (Hg.): Jaeger, S. 20–26.

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Im Mai 1958 gab Jaeger einer deutschen Journalistin von Radio Bremen, Irmgard Bach, ein längeres Interview.54 Bach fragte einleitend, ob der Anfang in den USA besonders schwierig gewesen sein. Jaeger antwortete daraufhin: „Ja und nein. Die Philologie ist natürlich nicht das tägliche Brot der Amerikaner im Ganzen gesehen“, aber es gebe auch in den USA Universitäten mit hervorragender Tradition auf allen Gebieten der Klassischen Philologie. Hier seien vor allem die von den Pilgervätern und ihrer theologischen und klassischen Bildung geprägten Universitäten in den New-England-Staaten zu nennen. Die Umstellung habe daher weniger Schwierigkeiten bereitet, als man denken könnte, zumal er der englischen Sprache mächtig gewesen sei. Zudem sei ja auch sein Forschungsbereich vom Gegenstand her international – im Gegensatz etwa zur Rechtswissenschaft. Zudem habe in Harvard ein ihm sympathischer Grundsatz gegolten: „Wir wollen hier keine Gelehrten ausbilden, sondern Menschen bilden.“ Im Laufe des Gesprächs ging es dann um die Beziehungen zu Deutschland nach der Vertreibung. Nun holte Jaeger länger aus, und seine Ausführungen sollen hier ausführlicher zitiert werden, da sie zum Kern seines Selbstverständnisses als (vertriebener deutscher) Gelehrter führten. Brachen die Beziehungen zu Deutschland, so fragte Irmgard Bach, nach seinem Weggang ab? Jaeger: „Äußerlich … menschlich ja. Nach meinem Weggang war zunächst einmal ein Vakuum, nicht von mir aus, aber es war ein spürbares Vakuum. Man versteht ja im Grunde. Aber – innerlich? Nein! Denn ein Gelehrter meiner Art und Tradition hat seine Wurzeln doch natürlich in der europäischen und besonders in der deutschen Kulturüberlieferung. Und ich habe es auch nicht als meine Aufgabe betrachtet, das hier in Amerika möglichst zu vergessen. Ich habe immer angenommen, das, was ich […] beizutragen habe […], könne nur liegen in einer Wirksammachung dessen, was ich besaß und mitbrachte. Die Anpassung kommt von selbst. Die muss ja da sein, um es den Leuten zu bringen und fassbar zu machen. […] Ich habe das Gefühl, dass dadurch es mir erleichtert worden ist, hier auch innerlich Fuß zu fassen, dass ich zu spüren glaubte, dass Amerika schon vor dem Krieg, aber besonders seit dem Krieg und nachher immer stärker sich mit Europa verbunden und mit ihm durchdrungen hat, sodass von einer Isolation Amerikas heute ernstlich nicht die Rede sein kann. Mich persönlich betrifft das natürlich in hohem Maße. Ich bin seit 1950 regelmäßig in Europa gewesen, auch in Deutschland, habe meine Freunde und Verwandten dort besucht und bin wochenlang dort gewesen, ohne zu lehren […]. Aber dort zu sein, war mir wesentlich. Natürlich auch in anderen Ländern, Italien, Griechenland und in Frankreich und England. Damit ist für mich persönlich die Einheit der westlichen Zivilisation hergestellt, von der ich mein Leben lang gelebt und gezehrt habe, und ich könnte es mir gar nicht anders denken. Nun ist es auch äußerlich wieder möglich, dort zu sein, und natürlich haben sich allerlei Beziehungen lebhafter Art daraus ergeben [vor allem in wissenschaftlicher Hinsicht]. Das gehört wesentlich zu meinem Leben 54

Vgl. Interview Irmgard Bach mit Jaeger am 21.5.1958 in Cambridge/USA, ARB, WO01721. Die folgenden Zitate ebd. Bei den zitierten Äußerungen handelt es sich um eine von mir angefertigte Transkription des Interviews.

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dazu und wird immer so bleiben. Insofern, glaube ich, erfüllen natürlich die Deutschen, die aus Deutschland weggegangen sind, eine wichtige Funktion in dem Leben der Wissenschaft, aber auch in dem Austausch der Kulturen. Sie sind vielleicht doch in höherem Grade als die meisten anderen Gelehrten […] dazu bestimmt, von Natur bestimmt, jetzt als ein solches Band zu wirken und sozusagen in dem Ganzen der westlichen Kultur zu leben […]. Ihre Existenz kann nicht rein lokal werden. In meinem Fall hängt das ja eng auch mit dem Wesen der humanistischen Tradition und Aufgabe zusammen, liegt meiner Natur vollkommen und befriedigt in hohem Grade.“ Werner Jaeger starb am 19. Oktober 1961 in Boston, Massachusetts.55

55

Seine Frau Ruth lebte noch einige Jahrzehnte länger und starb am 18.5.1992 in Watertown.

Hermann

Ranke

Hermann Ranke kam am 5. August 1878 in einem schwäbischen Pfarrhaus in Balgheim/Nördlingen zur Welt.1 Seine Kindheit und Jugend verbrachten er und seine beiden Geschwister in Lübeck, wohin sein Vater, der nach dem Tod seiner ersten Frau ein zweites Mal geheiratet hatte, als Hauptpastor der St. Marien-Kirche versetzt worden war. Ranke verließ das Lübecker Gymnasium 1897 und folgte zunächst dem väterlichen Vorbild, indem er ein Studium der evangelischen Theologie aufnahm. Nach einigen Semestern in Göttingen und Greifswald wechselte er 1899 nach München und zur Ägyptologie bzw. zu den orientalischen Sprachen. Er hörte bei Karl Dyroff und lernte semitische Sprachen bei Fritz Hommel, der auch seine 1902 fertiggestellte Promotion über Die Personennamen in den Urkunden der Hammurabi-Dynastie betreute. Die folgenden drei Jahre verbrachte Ranke in den Vereinigten Staaten. Ein Stipendium ermöglichte ihm, als Harrison Research Fellow in den Assyriologischen und Ägyptischen Abteilungen des Museums der University of Pennsylvania in Philadelphia zu arbeiten.2 Er nutze die Zeit zudem, um seine Dissertation zu einer größeren Abhandlung auszuweiten, die er im Jahre 1905 unter dem Titel Early Babylonian Personal Names from the Published Tablets of the socalled Hammurabi-Dynasty publizierte. Hinzu kam ein Jahr später die für die Namenskunde und für die Rechtsgeschichte wichtige Studie Babylonian Legal and Business Documents from the Time of the First Dynasty of Babylon chiefly 1 2

Zu Rankes Biografie und zum Folgenden vgl. die entsprechenden Einträge in NDB und DBE; zudem Heidelberger Akademie (Hg.): Reich, S. 59–64; Mußgnug: Dozenten, S. 100– 102; Eckart u. a. (Hg.): Universität, S. 398; und UAH, PA 600 und PA 5400, PA Ranke. Vgl. Lebenslauf Ranke, o. D., UAH, PA 5400, PA Ranke.

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from Sippar. Noch bevor das Buch erschien, kehrte Ranke nach Deutschland zurück, erhielt er doch das Angebot, eine Stelle in der Ägyptischen Abteilung der Königlichen Museen in Berlin anzutreten. Nun heiratete der 28-Jährige auch: Seine Frau Marie Stein, die Tochter eines promovierten Gymnasialdirektors aus Oldenburg, hatte eine künstlerische Ausbildung in Düsseldorf, München, Berlin und Paris durchlaufen und war eine bekannte Malerin und Grafikerin; das Paar hatte zwei Söhne und eine Tochter. Beruflich folgten für Ranke erfolgreiche und wissenschaftlich produktive Jahre. Er beschäftigte sich mit Erschließungsfragen zur altägyptischen Sprachüberlieferung, editierte die Ägyptischen Texte und übersetzte die Studie History of Egypt des prominenten Orientalisten und Archäologen James H. Breasted ins Deutsche. 1910 habilitierte sich Ranke für Ägyptologie in Berlin, und bereits ein  Jahr später erhielt er eine etatmäßig außerordentliche Professur in Heidelberg.3 Er nahm nun auch an mehreren Grabungen und Feldforschungen teil. So beteiligte er sich 1912/13 an Ausgrabungen der Deutschen Orientgesellschaft unter Ludwig Borchardt in Amarna, bei der auch die Büste der Nofretete gefunden wurde, und leitete 1913/14 eine Expedition der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, der er seit 1913 als außerordentliches Mitglied angehörte, in Mittelägypten – unter anderem in der koptischen Nekropole von Karara und am Amun-Tempel von El Hibe. Viele Funde aus seinen Grabungen kamen in die von ihm aufgebaute Ägyptische Sammlung des Heidelberger Ägyptologischen Instituts. Seine Tätigkeit wurde durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen, an dem er aktiv und mit dem Eisernen Kreuz 2. Klasse ausgezeichnet teilnahm; zuletzt hatte er den Rang eines Leutnants inne. In den 1920er Jahren erreichte Ranke eine etablierte Position im akademischen Feld. 1922 wandelte die Universität Heidelberg seine Professur in ein (persönliches) Ordinariat für Ägyptologie um;4 1924 lehnte er einen Ruf an die Universität Bonn ab. Einige renommierte Einrichtungen nahmen ihn nun als (korrespondierendes) Mitglied auf – so etwa die Heidelberger Akademie der Wissenschaften, die Freiburger Wissenschaftliche Gesellschaft, die Kommission für das Deutsche Institut für Ägyptische Altertumskunde in Kairo und das Deutsche Archäologische Institut. Seine Stellung honorierend, schickte ihn die Preußische Akademie der Wissenschaften zudem als Gutachter für den Bereich Alte und Orientalische Philologie in den ersten Fachausschuss der Berliner Notgemeinschaft. Auch in den folgenden Jahren, bei den Wahlen zu den Fachausschüssen der Forschungsgemeinschaft 1922, 1929 und 1933, bestätigte die Fachcommunity Ranke, sodass er sein Amt als Fachvertreter ab 1921 kontinuierlich ausübte. Im Fachausschuss Alte und Orientalische Philologie tätig, verantwortete er den Unterausschuss As3 4

Zur Situation der Altertumswissenschaften in Heidelberg vor 1933 vgl. Eckart u. a. (Hg.): Universität, S. 391–397. Ranke hatte nun ein Extraordinariat inne, das er als persönliches Ordinariat verwaltete, vgl. Mußgnug: Dozenten, S. 217. 1928 wurde er planmäßiger außerordentlicher Professor mit der Amtsbezeichnung und den akademischen Rechten eines ordentlichen Professors, vgl. Eckart u. a. (Hg.): Universität, S. 396.

Hermann Ranke

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syrische und Ägyptische Kultur (seit 1929 Ägyptische Kultur). Nach den Wahlen des Frühjahrs 1933 schrieb er an den Präsidenten der Notgemeinschaft Friedrich Schmidt-Ott, er nehme die Wahl in den Fachausschuss wie immer und „mit herzlichem Dank“ an und bestätige erneut den bisherigen Vorsitzenden und dessen Stellvertreter.5 Auch er selbst profitierte von der Förderung der Forschungsgemeinschaft. Diese stellte 1925/26, 1926/27 und 1927/28 Mittel zum Druck der von ihm herausgegebenen Ägyptischen Personennamen bereit  – eine Publikation, die nach dem Urteil der Fachvertreter „unerlässlich“ und „sehr wertvoll[…]“ sei.6 Tatsächlich galten die beiden Bände der Ägyptischen Personennamen jahrzehntelang als Standardwerk. Mit der Arbeit daran hatte er bereits im Zusammenhang mit dem Wörterbuch der ägyptischen Sprache begonnen. Diese Sammlung bildete die Grundlage für den ersten, rund 12.000 Namen umfassenden Band der Personennamen. Zu jedem Eintrag fügte Ranke Ergänzungen zu Form, Inhalt und Geschichte des Namens hinzu. 1925 bewilligte der Fachausschuss zudem „auf das wärmste“ eine Beihilfe für eine Reise nach Ägypten, zumal auch das Badische Unterrichtsministerium 1.000 RM in Aussicht stellte.7 Ranke beabsichtigte, dort eine größere Darstellung der Geschichte der ägyptischen Kultur für das Handbuch des klassischen Altertums zum Abschluss zu bringen, weitere Recherchen am Personenwörterbuch durchzuführen und eine Untersuchung über die sogenannten Dekansterne zu beginnen. Ende der 1920er Jahre nahm er an einer Grabung in Merimde Beni Salame teil und arbeitete anschließend das auf den Forschungsexpeditionen gesammelte Material auf. Zudem überarbeitete er Mitte der 1920er Jahre Adolf Ermans 1885/1887 veröffentlichtes Grundlagenwerk Ägypten und ägyptisches Leben im Altertum und übersetzte das Gilgamesch-Epos ins Deutsche. Betrachtet man lediglich die äußeren Umstände, so bedeutete die nationalsozialistische „Machtergreifung“ keine Veränderung in Rankes Laufbahn. Er lehrte, publizierte und reiste zunächst weiterhin, nahm 1932/33 beispielsweise eine Gastprofessur an der Universität von Wisconsin in Madison wahr, kam nach der Rückkehr seinen regulären Lehrverpflichtungen nach und stellte für die Heidelberger Akademie einen Antrag bei der Forschungsgemeinschaft. Es ging um Mittel zur Herausgabe des nachgelassenen Werkes von Luise Klebs, Die Reliefs und Malereien des neuen Reiches. Nach Meinung der Gutachter handelte es sich um eine „unentbehrliche Ergänzung“ zweier schon früher erschienener Bände über ägyptische Reliefs und Malereien des alten und mittleren Reiches, von denen die Notgemeinschaft die Herausgabe des Bandes von 1922 bereits unterstützt hatte. Die Heidelberger Akademie betrachte es „als Ehrenpflicht, die Veröffentlichung ins Werk zu setzen“, könne aber nicht die gesamte Summe bereitstellen.8 5 6 7 8

Brief Ranke an Schmidt-Ott vom 28.4.1933, BArch, R 73/130, Bl. 499. HA-Liste 6/25 vom 29.7.1925, BArch, R 1501/116317, Bl. 138; vgl. auch Datenbank DFGGeschichte. HA-Liste 9/25 vom 21.9.1925, BArch, R 1501/116317, Bl. 178; vgl. auch Datenbank DFGGeschichte. BArch R 73/115; vgl. zudem Datenbank DFG-Geschichte.

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Zahlreiche Dokumente in seiner Personalakte belegen jedoch, dass Rankes Position in Heidelberg wankte. Zum einen war seine Gesundheit stark angegriffen;9 die intensive Reisetätigkeit der Jahre zuvor forderte offenbar ihren Tribut. So wurde er auf ärztlichen Rat hin von Dezember 1934 bis zum Ende des Wintersemesters von den Vorlesungsverpflichtungen befreit. Interessant ist, dass der entsprechende interne Vermerk des Kultusministeriums nicht nur Rankes Krankheit notierte, sondern auch festhielt, dass er mit einer „nichtarischen“ Frau verheiratet sei.10 Im Vordergrund der sich mehr und mehr abzeichnenden Intrige standen jedoch zunächst nicht antisemitische Motive. Primär ging es weiterhin um seinen angegriffenen Gesundheitszustand, der sich nicht besserte, sondern eher verschlechterte. Im Herbst 1935 musste sich Ranke einer Operation unterziehen, dann starb sein Sohn durch Suizid, was bei den Hinterbliebenen eine schwere Krise auslöste.11 Das Ministerium fragte schließlich bei der Universität an, ob Ranke nicht aus gesundheitlichen Gründen aus dem Amt entlassen werden könne. Der Dekan der Philosophischen Fakultät, Hermann Güntert, brachte nun auch ein neues Argument vor, dass nämlich auch in Anbetracht der „verhältnismäßig zurückgetretenen Bedeutung seines Faches (Ägyptologie) im allgemeinen Lehrbetrieb der Fakultät“ eine Emeritierung infrage komme.12 Hier wird sichtbar, dass es auch darum ging, das Fach zurückzudrängen, da die Ägyptologie nicht in das weltanschauliche Raster der Nationalsozialisten passte. Die Versuche, Ranke aus vorgeblich gesundheitlichen Gründen zu entlassen, misslangen jedoch, da der Amtsarzt keine dauerhafte Krankheit bescheinigte. Im Frühsommer 1937 leitete man dann ein Disziplinarverfahren „wegen Begünstigung eines Fahnenflüchtlings“ gegen ihn ein. Der Rektor der Universität Heidelberg schrieb am 1. Juni 1937 in einem „streng vertraulichen“ Gutachten, dass das Ehepaar Ranke einen Freund ihres verstorbenen Sohnes unterstütze, der, „da er zum Heer hätte einrücken sollen, fahnenflüchtig“ geworden sei.13 Überhaupt bestehe schon seit 1933 der Eindruck, „dass Ranke in verhaltener Gegnerschaft zum nationalsozialistischen Staat“ stehe. Nun überwachte und durchsuchte die Gestapo Rankes Haus, fand dabei Rundschreiben der „Schwarzburg-Verbindung“, in denen die politischen und vor allem kirchenpolitischen Maßnahmen des Nationalsozialismus „in abfälliger Weise kritisiert“ wurden. Zwar seien sie „vorsichtig gehalten“, zeigten aber „deutlich die Haltung verbissener politischer Gegnerschaft gegen Bewegung und nationalsozialistischen Staat“, also die teilweise „staatsfeindliche Gesinnung der Verfasser“. Daher dürfe jetzt Rankes „politische Unzuverlässigkeit und Gegenhaltung, die bisher schon vermutet war, als festgestellt gelten. Seine Stellung als Lehrer an einer deutschen Hochschule ist zur 9 10 11 12 13

Vgl. die Schreiben in UAH, PA 600 und PA 5400, PA Ranke. Vgl. Mußgnug: Dozenten, S. 101. Vgl. Brief Dekan der Philosophischen Fakultät an den Rektor der Universität Heidelberg vom 19.3.1936, UAH, PA 600, PA Ranke. Brief Dekan der Philosophischen Fakultät an den Rektor der Universität Heidelberg vom 19.3.1936, UAH, PA 600, PA Ranke. Gutachten Rektor der Universität Heidelberg vom 1.6.1937 und Schreiben vom 3.6.1937 und vom 5.6.1937, UAH, PA 600, PA Ranke. Das Folgende, auch die folgenden Zitate, ebd.

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Unmöglichkeit geworden.“ Ranke wurde nun polizeilich vernommen, dann untersagte ihm das Ministerium die Ausübung der Dienstgeschäfte. Auf seine Nachfrage hin präzisierte man, dass das Verbot für die gesamte Tätigkeit innerhalb der Universität gelte, die Benutzung der Universitätsbibliothek jedoch möglich sei.14 Zwar musste das Disziplinarverfahren mangels Beweisen eingestellt werden,15 doch verfügte das Ministerium Ende November 1937 Rankes endgültige Zurruhesetzung nach § 6 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums.16 Dieser Paragraf ließ zu, dass Beamte „zur Vereinfachung der Verwaltung“ ohne Angabe von Gründen entlassen werden konnten. Ausschlaggebend dafür war auch, das seine Frau als „nichtarisch“ galt. Bereits der erste Satz des Rektoratsgutachtens vom 1. Juni 1937 lautete: „Ranke ist mit einer Halbjüdin verheiratet.“17 Ranke blieb nach der Vertreibung aus seinem Institut nicht in Heidelberg, sondern nutzte seine guten Kontakte in die Vereinigten Staaten, um dort weiterhin lehrend und forschend tätig sein zu können. Im Frühjahr 1938 reiste er mit ministerieller Genehmigung zusammen mit seiner Frau nach Wisconsin, um dort Gastvorlesungen zu halten. Nach einem kurzen Zwischenaufenthalt in Deutschland nahm er dann eine Einladung der University of Philadelphia an, wo er seit Herbst 1939 als Gastkurator der Ägyptischen Sammlung arbeitete. Während seine Frau im Mai 1940 nach Deutschland zurückkehrte  – über die Gründe hierfür schweigen die Quellen –, blieb Ranke bis Mai 1942 in den USA. Seine Versuche, vorher die Heimreise anzutreten, scheiterten an äußeren Umständen, sodass das Ministerium mehrfach den weiteren Auslandsaufenthalt genehmigte. Dies sicherte die Gehaltszahlungen und damit das Überleben der Familie in Deutschland.18 Anlässlich Rankes Rückkehr nach Deutschland im Frühjahr 1942 erstattete die Abteilung Ausland des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda Bericht über seinen dortigen Aufenthalt:19 Ranke, so hieß es, habe während seines Aufenthalts in den USA in Kontakt zum deutschen Konsulat in Philadelphia und zur Botschaft in Washington gestanden und „wiederholt um Weisung für sein Verhalten“ gebeten. Überhaupt habe er sich „niemals als Emigrant gefühlt“ 14 15 16 17

18 19

Vgl. Brief Universitätsverwaltung an Ranke vom 2.5.1937, UAH, PA 5400, PA Ranke. Vgl. Mitteilung Badischer Reichsstatthalter vom 23.3.1938, UAH, PA 5400, PA Ranke. Vgl. Brief Minister des Kultus und des Unterrichts an den Rektor der Universität Heidelberg vom 16.8.1937, UAH, PA 600, PA Ranke. 1939 schloss ihn auch die Heidelberger Akademie der Wissenschaften aus. Gutachten Rektor der Universität Heidelberg über Ranke vom 1.6.1937, UAH, PA 600. Vgl. auch Stammkarte Ranke, UAH, PA  5400, PA  Ranke. Dort ist eingetragen, seine Ehefrau Marie Stein sei „nicht arisch“. Sein Lehrstuhl blieb formell vakant, ab dem Sommersemester 1938 übernahm sein Schüler Siegfried Schlott die Vertretung, vgl. Eckart u. a. (Hg.): Universität, S. 406. Vgl. Mußgnug: Dozenten, S. 134. Vgl. Gutachten der Abteilung Ausland des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda vom 14.10.1942, UAH, PA 5400, PA Ranke. Die folgenden Zitate ebd. Vgl. auch Mußgnug: Dozenten, S. 134 f. Offenbar wurden im Zuge der Haft 1941 auch Rankes Manuskripte und Bücher beschlagnahmt, vgl. ebd., S. 178.

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und sich „den Amerikanern gegenüber als loyaler Anhänger des Dritten Reiches“ gezeigt. Er sei zudem von der amerikanischen Geheimpolizei überwacht worden und nach Kriegsausbruch zwischen den USA und Japan zwei Wochen inhaftiert gewesen. Kurzum: Er stünde „gesinnungsmäßig auf dem Boden des Dritten Reiches“. Es sind keine Quellen überliefert, die Rankes eigene Perspektive, d. h. seine Sicht auf das NS-Regime bzw. auf sein Selbstverständnis in den Vereinigten Staaten dokumentieren. Es kann aber vermutet werden, dass sein – möglicherweise tatsächlich angepasstes – Verhalten in den USA und auch seine Rückkehr nach Heidelberg damit zu tun hatten, dass seine Frau und seine Kinder, denen als „jüdische Mischlinge“ NS-Verfolgung oder gar Vernichtung drohten, dort lebten. Politik und Verfolgungsmaßnahmen gegen die als „jüdische Mischlinge“ und „jüdisch versippt“ klassifizierten Menschen waren während der NS-Herrschaft alles andere als einheitlich.20 Weder gelang es den Nationalsozialisten, die Begriffe eindeutig zu definieren, noch konnten sich die verschiedenen Akteure mit ihren unterschiedlichen Interessen auf ein gemeinsames Vorgehen einigen. Die radikalen Rassisten drängten darauf, Mischehen zwischen Juden/„Nichtariern“ und Christen/„Deutschblütigen“ zwangsweise zu scheiden oder beide Partner wie Juden einzustufen sowie alle „jüdischen Mischlinge“, zumindest aber die „I. Grades“, wie Juden zu behandeln. Hingegen betonten die gemäßigteren Vertreter, dass die „Halbjuden“ zur Hälfte ja auch „deutschblütig“ seien und dieser (Bluts-) Teil erhalten werden müsse. Hinzu kam die bis in höchste Parteikreise hinein anzutreffende Furcht vor Protesten oder Solidaritätsbekundungen der nichtjüdischen Verwandten, zum Teil auch außenpolitische Rücksichtnahme und nicht zuletzt die Unsicherheit, wie mit den „jüdischen Mischlingen“ und „jüdisch Versippten“ in den militärischen und künstlerischen Eliten umzugehen sei. So war die NS-Politik gegen die „Mischlinge“ und die „jüdisch Versippten“ von einer Ambivalenz zwischen Ausgrenzungspraktiken einerseits und Integrationstendenzen andererseits geprägt. Die Betroffenen erlebten dies als permanente Verunsicherung. Viele versuchten, sich der Mehrheitsgesellschaft anzupassen und sich möglichst unauffällig zu verhalten. Aus den überlieferten Quellen ist nicht ersichtlich, dass der als „jüdisch versippt“ geltende Ranke nach seiner Rückkehr nach Deutschland  – er wurde im Mai 1942 dem Rücktransport des deutschen Gesandtschaftspersonals zugeteilt – weiteren Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt war. Auch das badische Kultusministerium sah keinen Anlass, ihm den Zutritt zum Heidelberger Ägyptologischen Institut zu verwehren. Der Entscheidung lag das oben zitierte Gutachten der Abteilung Ausland des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda sowie die Tatsache zugrunde, dass Rankes zweiter Sohn 1941 an der Ostfront gefallen war.21 So konnte Ranke in der Folgezeit als Privatgelehrter in seinem Institut arbeiten. Die Vertreibung von der Hochschule 1937 stellte also einerseits eine einschneidende Zäsur in seinem wissenschaftlichen Schaffen und seiner beruflichen Laufbahn dar. Andererseits konnte er seine Tätigkeit fortsetzen: zunächst 20 21

Vgl. hierzu ausführlich Orth: NS-Vertreibung, S. 266–275. Mitteilung Badischer Kultusminister an den Rektor der Universität Heidelberg vom 7.5.1943, UAH, PA 5400, PA Ranke.

Hermann Ranke

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in den USA, seit 1942/43 erneut in Heidelberg. Er konnte als Privatgelehrter wirken und musste trotz aller Einschränkungen keinen anderen Beruf ergreifen, um den Lebensunterhalt seiner Familie zu sichern, auch zuletzt deshalb, weil er für seine Forschung nicht – wie die Natur- oder Technikwissenschaftler – auf ein Laboratorium oder teure Gerätschaften angewiesen war. Darüber hinaus gelang es ihm offenbar, sich von den psychischen Belastungen – der eigenen Entlassung aus dem Hochschuldienst, dem Tod seiner beiden Söhne, der Sorge um Frau und Tochter – so weit freizumachen, dass Raum und Muße für die wissenschaftliche Tätigkeit blieben. Vielleicht bedeutete die Konzentration auf das Fachliche, die Versenkung in den wissenschaftlichen Gegenstand umgekehrt aber auch eine Möglichkeit, den Bedrängnissen der Zeit zumindest geistig zu entfliehen. Die wissenschaftliche Betätigung konnten die Nationalsozialisten Ranke nicht nehmen, und seine Frau und Tochter blieben vor weiterer NS-Verfolgung verschont – zumindest wurden sie nicht deportiert oder zur Zwangsarbeit verschleppt. Seine Frau konnte vielmehr ihren künstlerischen Neigungen weiter nachgehen, und anlässlich ihres 70. Geburtstags im Sommer 1943 fand sogar eine öffentliche Feierstunde statt, über die die Heidelberger Neuesten Nachrichten am 15. Juni 1943 berichteten. Der Zeitungsartikel beschrieb ausführlich die Ausbildung der Künstlerin und wies auf die Ausstellungen ihrer Radierungen in Berlin, Bremen und Stuttgart hin. Dass sie als „Halbjüdin“ galt, fand keine Erwähnung.22 Das Kriegsende erlebten Ranke und seine Frau in Bollschweil bei Freiburg. Bereits kurze Zeit später, im Sommer 1945, bat Karl Heinrich Bauer, der Rektor der Universität Heidelberg, Ranke, an seine alte Wirkungsstätte zurückzukehren.23 Ranke bedankte sich wenig später: „Ich freue mich, daß die Universität Heidelberg sich ihrer alten Mitglieder erinnert, und bin bereit, die zwischen jetzt und 1937 liegende Zeit wie einen bösen Traum anzusehen, den man am liebsten […] vergessen möchte.“ Er wolle auch seine Vorlesungen gern wiederaufnehmen,24 sehe aber die Wiederaufnahme der Lehrtätigkeit als Emeritus nicht als ausreichende Wiedergutmachung an.25 Die Auseinandersetzung über diese Frage, was als angemessene Wiedergutmachung anzusehen sei, zog sich über fast ein Jahr hin, in dem Ranke bereits vergütete Lehraufträge wahrnahm. Im Mai 1947 erging dann der Entscheid, der ihm „ausnahmsweise“ die akademischen Rechte und Pflichten eines aktiven ordentlichen Professors mit Sitz und Stimme in der Fakultät „bis auf Weiteres“ zuerkannte.26 Die Universität bemühte sich zudem, ein Haus in Heidelberg zu finden, während das Ehepaar erst einmal an seinem 22 23 24 25 26

Eine Kopie des Zeitungsartikels vom 15.6.1943 befindet sich in UAH, PA 5400, PA Ranke. Vgl. Brief Rektor der Universität Heidelberg an Ranke vom 14.8.1945 und Brief Ranke an den Rektor der Universität Heidelberg vom 25.9.1945, UAH, PA 600, PA Ranke. Das folgende Zitat ebd. Vgl. Brief Ranke an den Dekan der Philosophischen Fakultät vom 17.11.1945, UAH, PA 600, PA Ranke. Vgl. Brief Ranke an den Dekan der Philosophischen Fakultät vom 23.7.1946, UAH, PA 600, PA Ranke. Mitteilung des Präsidenten des Landesbezirks Baden, Abteilung Kultus und Unterricht, vom 12.5.1947, UAH, PA 600, PA Ranke. Zudem ging es darum, was aus Rankes Stelle nach sei-

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Fachausschuss Alte und Orientalische Philologie

Hauptwohnsitz in Bollschweil festhielt. Zudem nahm nun auch die Heidelberger Akademie der Wissenschaften ihren 1939 ausgesprochenen Ausschluss zurück. Als Dekan der Philosophischen Fakultät hatte Ranke, der im Frühjahr 1947 für einen erkrankten Kollegen einsprang,27 einen aufmerksamen Blick für diejenigen Kollegen, die ebenfalls unter der NS-Verfolgung gelitten hatten. So musste er Arnold Bergstraesser, mit dem er in den 1940er Jahren in den USA zusammengetroffen war, zwar schreiben, dass die Mittel für dessen frühere Heidelberger Professur nahezu aufgebraucht seien. Doch er versicherte ihm in einem sehr persönlich gehaltenen Brief, „daß wir Sie nicht vergessen haben und im stillen weiter zu den unseren rechnen“.28 Für Marie Baum setzt er sich aktiv ein. Diese hatte Ende der 1920er Jahre als Dozentin für soziale Fürsorge und Wohlfahrtspflege am Institut für Sozial- und Staatswissenschaften an der Universität Heidelberg gewirkt und war 1933 als „Nichtarierin“ verfolgt und von der Hochschule vertrieben worden. Im Herbst 1945 bot ihr die Universität Heidelberg erneut einen Lehrauftrag an. Ranke hielt die Bezahlung jedoch für nicht angemessen und wies das Ministerium darauf hin, dass Baum zu den Pionieren der praktischen Sozialfürsorge und Wohlfahrtspflege gehöre. Die Universität schulde ihr großen Dank, dass sie trotz ihres Alters – Baum war Jahrgang 1874 – und in schwierigen Zeiten wieder zu lehren bereit sei. Das finanzielle Angebot sei „einer solchen Persönlichkeit gegenüber weder mit der Würde der Universität noch der Unterrichtsverwaltung vereinbar“.29 Das Ministerium wies dies mit scharfen Worten zurück: Bei der Ausgabe von Staatsgeldern sei in Rechnung zu stellen, „daß wir einen schweren Krieg verloren haben. Für Leute ohne diese Verantwortung ist es leicht, die Maßnahmen der Universitätsverwaltung zu kritisieren […]. Der Ton des Schreibens ist […] unangebracht“. Ob Ranke sich davon beeindrucken ließ, ist nicht bekannt. Baum nahm jedenfalls mehrere Lehraufträge wahr und wurde zu ihrem 70. Geburtstag im Frühjahr 1949 mit der Ehrenbürgerwürde der Universität Heidelberg ausgezeichnet.30 Im Jahr seiner 1948 erfolgten Emeritierung, in dem auch Rankes Abhandlung Meisterwerke ägyptischer Kunst erschien, lag erneut eine Einladung der Universität Philadelphia vor,31 sodass er zusammen mit seiner Frau ein weiteres Mal in die Vereinigten Staaten reiste. Im Sommer 1950 kehrten sie nach Bollschweil zurück, und Ranke nahm seine Lehrtätigkeit in Heidelberg wieder auf. Von diesem Zeitpunkt an engagierte er sich auch erneut im Fachausschuss der Bonner Notgemeinschaft. Er sprang zunächst als Ersatzmann für einen Kollegen ein, der in

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ner Vertreibung geworden war. Der Senat ging 1945 von einer Lehrstuhlverteilung aus, vgl. Mußgnug: Dozenten, S. 202 und 217. Vgl. Mitteilung Rektor Universität Heidelberg vom 17.5.1947, UAH, PA 5400, PA Ranke. Vgl. auch Eckart u. a. (Hg.): Universität, S. 425. Brief Ranke an Bergstraesser 1947, zit. nach: Mußgnug: Dozenten, S. 231. Brief Ranke vom 4.7.1947, zit. nach: Mußgnug: Dozenten, S.  212. Das folgende Zitat stammt aus einem Brief des Ministeriums an Ranke, zit. nach: ebd. Geplant war zunächst die Verleihung der Ehrendoktorwürde, was jedoch aus zeitlichen Gründen nicht gelang, vgl. Mußgnug: Dozenten, Fn. 99, S. 213. Vgl. Brief Ranke an den Rektor der Universität Heidelberg von 24.8.1948, UAH, PA 600, PA Ranke.

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die Vereinigten Staaten wechselte, um dann kurze Zeit später selbst zu pausieren, da er eine Gastprofessur an der Faruq-Universität in Alexandria wahrnahm.32 Gerhard Hess, der Rektor der Universität Heidelberg und spätere Präsident der Forschungsgemeinschaft, würdigte das Engagement des über 70-Jährigen: „Ich bin keines Nationalismus verdächtig, wenn ich Ihnen sage, dass es mich auch sehr erfreut, dass das Ansehen der deutschen Wissenschaft in Aegypten durch Ihre Tätigkeit sich so sichtbar vermehrt. Was aber dem Jüngeren vor allem in Ihren Zeilen als Ansporn und Vorbild entgegentritt, ist die Begeisterung und die Heiterkeit, mit der Sie Ihrer gewiss nicht leichten Aufgabe gerecht werden.“33 Im Sommer 1951 kehrte Ranke nach Bollschweil und auch in das Amt des DFG-Gutachters zurück, in dem ihn die Community in der nächsten Fachausschusswahl bestätigte. Doch Ranke konnte in der Folgezeit aus gesundheitlichen Gründen weder seiner Gutachter- noch seiner Lehrtätigkeit nachgehen, sondern musste wiederholt eine Klinik aufsuchen. Er starb am 22. April 1953 in Freiburg, wo er zuletzt auch gewohnt hatte.

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Vgl. Briefwechsel Ranke und Zierold vom Dezember 1950, BArch, 1790 K, Nr. 1. Brief Hess an Ranke, o. D. [Sommer 1950], UAH, PA 5400, PA Ranke.

FACHAUSSCHUSS KUNSTWISSENSCHAFTEN Adolph Goldschmidt (1863–1944)

Adolph

Goldschmidt

Adolph Goldschmidt stammte aus einer hanseatischen Bankiersfamilie jüdischen Glaubens und wurde 1863 in Hamburg als das älteste Kind von sieben Geschwistern geboren.1 Zu seiner Herkunftsfamilie hielt er Zeit seines Lebens engen Kontakt, vielleicht auch, weil er selbst nicht heiratete und keine eigene Familie gründete. Gemäß dem Wunsch seines Vaters, des Bankiers und Kaufmanns Martin Meyer Goldschmidt, absolvierte er das Realgymnasium des Hamburger Johanneums und von 1881 bis 1884 eine dreijährige kaufmännische Lehre – zunächst im Bankhaus der Familie, dann in London.2 Doch er folgte dem väterlichen Vorbild nicht. Schon in seiner Jugendzeit hatte Goldschmidt Zeichenunterricht bei dem Maler Hans Bartels erhalten,3 und 1884 nahm er ein Studium der Kunstwissenschaft, Germanistik und Archäologie auf. Zwei Jahre blieb er in Jena und beschäftigte sich dort unter anderem mit der Inventarisation von Denkmälern. Das Sommersemester 1886 verbrachte er in Kiel, wo er erstmals näher mit mittelalterlichen Schnitzaltären in Berührung kam, und wechselte zum Winter 1886 nach Leipzig. 1

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Dieser Beitrag stützt sich auf die grundlegende Forschungsliteratur über Goldschmidt. Zu nennen sind insbesondere folgende Publikationen: die entsprechenden Einträge in NDB, DBE und Catalogus Professorum [Halle]; Wendland: Handbuch, S. 211–218; Heise (Hg.): Goldschmidt; Brush: Shaping, S. 88–100 und 133 f.; dies.: Goldschmidt; Kaznelson (Hg.): Juden, S. 109; Kultermann: Geschichte, S. 183–186; Schulze: Kunstwissenschaftler, S. 363– 369; Noll: Goldschmidt; Wendland: Handbuch, S.  217 f.; www.goldschmidt-zentrum.de [Zugriff 5.7.2016]. Zudem wurden folgende Quellen herangezogen: UAHU-B, PA  Goldschmidt; UBB, Nachlass Goldschmidt; Goldschmidt: Lebenserinnerungen. Vgl. Kultermann: Geschichte, S. 184; Brush: Goldschmidt, S. 245. Vgl. Schulze: Kunstwissenschaftler, S. 363.

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Fachausschuss Kunstwissenschaften

Nach einigen Unterbrechungen seiner Studien4 wurde er 1889 in Leipzig mit einer Arbeit über Die Lübecker Malerei und Plastik bis 1530 promoviert. Die Arbeit war von Anton Springer betreut worden, der Goldschmidts Interesse auf das Mittelalter gelenkt hatte.5 In Leipzig lernte Goldschmidt unter seinen Kommilitonen Max J. Friedländer, Paul Clemen und Gustav Pauli kennen, die später einflussreiche Positionen in der Kunstgeschichte bzw. der Museumslandschaft besetzen sollten. Mit ihnen verband Goldschmidt eine lebenslange Freundschaft, wie auch mit Aby Warburg, den er bereits in seiner Hamburger Schulzeit kennengelernt hatte. Nach Abschluss der Promotion führte Goldschmidt mehrere Studienreisen nach Skandinavien, Großbritannien, Belgien, in die Niederlande und nach Frankreich durch und verbrachte längere Zeit in Süditalien, um seinen Interessen für die Antike und den Orient, Byzanz und das Normannentum nachzugehen. Auf den Reisen sammelte er Materialien, die in seine von Hermann Grimm begleitete und 1892 an der Universität Berlin abgeschlossene Habilitation einflossen. Die Habilitationsschrift, eine vorwiegend ikonografische Untersuchung, erschien 1895 unter dem Titel Der Albani-Psalter in Hildesheim und seine Beziehungen zur symbolischen Kirchenskulptur des 12. Jahrhunderts.6 Von 1893 bis 1903 lehrte Goldschmidt als Privatdozent Kunstgeschichte in Berlin; er war der erste Mediävist im Fach. Entgegen der Konvention betreute er bereits zu diesem Zeitpunkt Dissertationen – zu seinen ersten Schülern gehörten die bekannten Mediävisten Arthur Haseloff und Georg Swarzenski.7 In dieser Zeit schloss er zudem Freundschaft mit dem in Berlin lehrenden Schweizer Kunsthistoriker Heinrich Wölfflin,8 mit dem Museumsdirektor Wilhelm von Bode sowie dessen Kurator Wilhelm Vöge.9 Spätestens seit der Jahrhundertwende versuchte Goldschmidt, auf eine ordentliche Professur zu wechseln. Seine von Carl Justi und Georg Löschcke unterstützte Bewerbung auf ein Ordinariat an der Universität Bonn scheiterte jedoch im Jahr 1900 an einer antisemitischen Intrige.10 1904 erging dann ein Ruf an die Vereinigte Friedrichs-Universität Halle-Wittenberg, und zwar auf das neu geschaffene Ordinariat für Kunstgeschichte, dem ersten Lehrstuhl auf diesem Gebiet in ganz Deutschland.11 Erneut tauchten antisemitische Ressentiments auf. An der Universität in Halle, einer evangelisch-lutherischen Hochschule, durften bis zu 4 5 6 7 8 9 10 11

Goldschmidt war einige Zeit krank und musste zur Kur in die Schweiz und nach Italien reisen. Zudem legte er in jenem Zeitraum als externer Kandidat eine Ergänzungsprüfung am Gymnasium in Ratzeburg ab. Vgl. Brush: Shaping, S. 90. Die wichtigste Besprechung kam von Vöge, vgl. Brush: Shaping, S. 93. Zur Einordnung vgl. auch Noll: Goldschmidt, S. 168 f. Vgl. Brush: Shaping, S. 97. Ausdruck dieser Freundschaft sind zahlreiche Briefe, die die beiden zwischen 1901 und 1943 wechselten, vgl. UBB, NL 20: Nachlass Goldschmidt, a 1-2961, 260–292. Vgl. Brush: Goldschmidt, S. 246. Zum Vergleich von Goldschmidt und Vöge vgl. dies.: Shaping, S. 88–90. Vgl. Wendland: Handbuch, S. 211; Michels: Kunstwissenschaft, S. 181; aus Goldschmidts Sicht Goldschmidt: Lebenserinnerungen, S. 113–117. Vgl., auch zum Folgenden, Schulze: Kunstwissenschaftler, S. 363–369.

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diesem Zeitpunkt nur Protestanten unterrichten. Um Goldschmidt berufen zu können, hatte der Rektor beim preußischen König und damaligen Kaiser, Wilhelm II., einen Dispens einholen müssen.12 Und auch Goldschmidt, bereits ein Jahr zuvor mit dem Titel „außerordentlichen Professor“ ausgezeichnet, zögerte, nach Halle zu gehen – zumindest beschrieb er dies in seinen Lebenserinnerungen. Er fühlte sich wegen der reichen Museums- und Bibliothekslandschaft, aber auch wegen seiner Schüler und Freunde an Berlin gebunden. Ein Argument gab schließlich den Ausschlag für Halle: Entscheidend war, so Goldschmidt aus der Rückschau, „natürlich der endgültige Stellungswechsel zu einem Ordinarius“.13 So wurde er an der Universität Halle der erste jüdische Professor auf dem Gebiet der Geisteswissenschaften und der erste jüdische Ordinarius in Kunstgeschichte überhaupt.14 Den Statuswechsel vom außerordentlichen Professor zum Ordinarius markierte er auch in seiner Privatsphäre: So nahm er sich erstmals in seinem Leben eine eigene Wohnung (vorher hatte er nur in möblierten Zimmern gewohnt), richtete diese standesgemäß ein, und Freunde und Verwandte brachten Geschenke, „als wäre es meine Hochzeit“.15 Goldschmidt widmete sich zunächst dem Aufbau des Instituts. Bald jedoch engagierte er sich auch für das Kulturleben der Stadt,16 beteiligte sich beispielsweise an der Wiederbelebung des nahe gelegenen Lauchstädter Theaters, dem einzigen original erhaltenen Theatergebäude der Goethezeit, an dem dann Bühnenstücke von Goethe, Schiller, Kleist und Hauptmann wie auch antike Komödien gespielt werden konnten. Zudem interessierte er sich für die zeitgenössische Kunst in Thüringen und Halle (die Stadt zog ihn beim Ankauf moderner Kunst hinzu) und gründete 1908 den Deutschen Verein für Kunstwissenschaft mit, der bestrebt war, einen wissenschaftlich fundierten Überblick über die Denkmäler in Deutschland zu erstellen. Binnen kurzer Zeit beriefen ihn die historische Kommission der Provinz Sachsen und die Museumsdeputation der Stadt zum Mitglied. Goldschmidt fühlte sich gut integriert und betonte aus der Rückschau, dass er in Halle „nie das geringste von Antisemitismus“ gespürt habe, wobei die „gesellschaftlichen Kreise sehr voneinander getrennt“ gewesen seien und Juden „nur bei kleinen Kaufleuten vorkamen“.17 Mit den anderen Professoren habe er jedenfalls in guter Beziehung gestanden. Erwähnenswert ist zudem, dass er eine Reihe von Schülern um sich sammelte, sodass die Ursprünge der später so genannten Goldschmidt-Schule in Halle lagen. Als Wölfflin 1912 Berlin verließ,18 trat Goldschmidt seine Nachfolge an. Wölfflin schrieb ihm im Dezember 1911: „Lieber Freund & College, zu meiner 12 13 14 15 16 17 18

Vgl. auch Goldschmidt: Lebenserinnerungen, S. 126. Goldschmidt: Lebenserinnerungen, S. 122. Bis 1933 hatten nur drei Juden ein Ordinariat in der Kunstgeschichte erlangt: Neben Goldschmidt waren dies sein Schüler Erwin Panofsky sowie Paul Frankl, der 1921 ebenfalls nach Halle berufen wurde. Vgl. Michels: Kunstwissenschaft, S. 180. Goldschmidt: Lebenserinnerungen, S. 125. Vgl., auch zum Folgenden, www.goldschmidt-zentrum.de [Zugriff 5.7.2016]. Goldschmidt: Lebenserinnerungen, S. 126. Zu Wölfflins Wirken in Berlin vgl. Kultermann: Geschichte, S. 170 f.

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großen Freude bringt Ihnen heutige Karte die Bestätigung, daß mein Lehrstuhl in Ihre Hände übergeht. So kann ich ruhig von Berlin scheiden.“19 Bevor der Wechsel vonstattengehen konnte, gab es erneut antisemitisch motivierte Einwände. Man forderte Goldschmidt auf, sich taufen zu lassen, was jener jedoch ablehnte. Überliefert ist der Text des Telegramms, das er nach Berlin sandte: „Bleibe Jude, bleibe Halle“.20 Ohne die Religionszugehörigkeit zu wechseln, kam Goldschmidt schließlich doch nach Berlin. Dort weitete er seine in Halle begonnenen Arbeiten und seinen Schülerkreis aus, sodass sich sein Institut zum wichtigsten und größten im deutschsprachigen Raum entwickelte.21 Er engagierte sich ab 1912 zudem als Mitherausgeber des Jahrbuchs der Preußischen Kunstsammlungen und übernahm wiederholt den Vorsitz der Berliner Kunstgeschichtlichen Gesellschaft. Hinzu kamen Mitgliedschaften in der Preußischen Akademie der Wissenschaften, der Society of Antiquaries in London und im Deutschen Archäologischen Institut. Im Ersten Weltkrieg beteiligte sich Goldschmidt an der Inventarisation von Kunstdenkmälern in Belgien, und 1915 erhielt er den Titel „Geheimer Regierungsrat“. In den 1920er und frühen 1930er Jahren intensivierte Goldschmidt seine Kontakte in die USA und las sowohl 1927/28 als auch 1930/31 als Gastprofessor an der Harvard University. Auch nach seiner 1929 erfolgten Emeritierung22 blieb er – zumindest zunächst – ein anerkanntes und geehrtes Mitglied der wissenschaftlichen Community. 1931 und 1936 erhielt er die Ehrendoktorwürde der Universitäten Princeton und Harvard, 1933 den Adlerschild des Deutschen Reiches. Goldschmidt war einer der ersten deutschen Kunsthistoriker, die sich aufs Mittelalter spezialisierten.23 Besonders intensiv beschäftigte er sich mit der niederdeutschen und niederländischen Malerei vom Spätmittelalter bis in die Barockzeit, mit der Buchmalerei und der byzantinischen und mittelalterlichen Plastik, insbesondere der Elfenbeinschnitzerei. So publizierte er 1914 den ersten von drei Inventarbänden der mittelalterlichen Elfenbeine, die bis dahin kaum nachgewiesen waren. Aus den späten Jahren seines Schaffens sind vor allem das Corpus der mittelalterlichen Bronzetüren (von Richard Hamann herausgegeben) sowie die Publikationen über die Buchmalerei der Karolinger und der Ottonen zu nennen.

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Postkarte Wöllflin an Goldschmidt vom 9.12.1911, UBB, NL 20: Nachlass Goldschmidt, a 1-2961, 275. Brush: Goldschmidt, S. 247, betont, dass Wölfflin großen Einfluss auf Goldschmidts Berufung hatte. Zit. nach: Schulze: Kunstwissenschaftler, S.  368. In seinen Lebenserinnerungen, S.  172, schrieb Goldschmidt, dass er befürchtet habe, in Berlin mehr als in Halle mit Antisemitismus in Berührung zu kommen. Die Befürchtung sei jedoch nicht zutreffend gewesen. Vgl. Brush: Goldschmidt, S. 247; Kultermann: Geschichte, S. 184. Vgl. Brief des Ministeriums an Goldschmidt vom 6.5.1929, UAHU-B, PA  Goldschmidt, Bd. 2, Bl. 16. Vgl., auch zu Folgenden, Brush: Shaping, S.  133 f.; dies.: Goldschmidt, S.  249–252. Eine Zusammenstellung seiner Werke und Beiträge findet sich ebd., S. 255–257, sowie bei Wendland: Handbuch, S.  212 f. Vgl. auch www.goldschmidt-zentrum.de/schriften.html [Zugriff 5.7.2016] sowie Goldschmidt: Lebenserinnerungen, Anhang X, S. 465–479.

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Insgesamt legte er rund 170 Publikationen vor, darunter eine Reihe umfangreicher Bände. Goldschmidt interessierte sich nicht nur für die Kunstwerke an sich, sondern auch für ihre Entstehungsbedingungen, sodass er Datierungs- und Einordnungsfragen sowie den Prozessen des Formwandels großen Wert beimaß. Viele bewunderten zudem seine Materialkenntnis und die Art und Weise, wie Goldschmidt die Kunstwerke beschrieb bzw. dies vermittelte: „Denken Sie, Sie seien eine Fliege und kröchen quer über die Figur hinweg. Beschreiben Sie den Weg dieser Fliege über alle Höhen und Tiefen des Gewandes!“24 Goldschmidts Bedeutung als Kunsthistoriker wird daher vor allem darin gesehen, dass er die Kunstgeschichte, die zu Beginn seines Studiums noch kaum als Wissenschaft anerkannt war,25 „zu einer objektiven oder exakten Wissenschaft“ ausgestaltet hat.26 In den 1920er und 1930er Jahren galt er jedenfalls als „the world’s foremost authority on medieval art“,27 „a giant among the founders of medieval art history“.28 Goldschmidt war nicht nur als Forscher anerkannt, sondern auch bei den Studierenden als ausgezeichneter Lehrer beliebt.29 Durch seine sachliche und präzise Arbeit an den Kunstwerken wie auch durch die Einordnung der Objekte in ihren historischen Zusammenhang gab er den Nachwuchswissenschaftlern ganz neue Impulse. Als Hochschullehrer betreute er insgesamt 96 Dissertationen und vier Habilitationen.30 Von der „Goldschmidt-Schule der Kunstgeschichte“ wird jedoch nicht nur aufgrund der großen Zahl der Arbeiten gesprochen, sondern vor allem wegen der großen wissenschaftlichen Leistung seiner Schüler. Aus seiner Schule stammte ein großer Teil der Kunsthistoriker und Museumsbeamten, die später nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern tätig wurden.31 Goldschmidt prägte die Kunstgeschichte bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein maßgeblich. Die Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler schätzten Goldschmidt nicht nur fachlich, sondern auch menschlich. So schrieb ihm Albert Erich Brinckmann im April 1905, er sei seit einigen Wochen wieder in Berlin „und es tut mir sehr leid, ihre Vorlesungen entbehren zu müssen. An Haseloff habe ich mich nicht näher angeschlossen; ich möchte nicht nur einen Lehrer

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Vgl. www.goldschmidt-zentrum.de/goldschmidt.html [Zugriff 5.7.2016]. Über seinen Stil zu lehren, der sich von dem seines Vorgängers Wölfflin sehr unterschied, sind verschiedene Anekdoten überliefert. Einige werden bei Kultermann: Geschichte, S. 185, wiedergegeben. Vgl. Brush: Goldschmidt, S. 255. Zur Geschichte der Kunstgeschichte vgl. Kultermann: Geschichte. So der entsprechende Eintrag in: NDB [Zugriff 5.7.2016]. Vgl. ähnlich auch Kultermann: Geschichte, S. 183 f.; Brush: Goldschmidt, S. 249; dies.: Shaping, S. 92; Noll: Goldschmidt, S. 163. Eine Zusammenstellung der Würdigungen seiner Person und seiner Leistungen findet sich bei Wendland: Handbuch, S. 214–217. Vgl. auch Noll: Goldschmidt, S. 177 f. Brush: Shaping, S. 133. Brush: Goldschmidt, S. 255. Vgl. z. B. Brush: Goldschmidt, S. 254; Noll: Goldschmidt, S. 174 f. Vgl. Brush: Shaping, S. 134; dies.: Goldschmidt, S. 246 f. Vgl. Kaznelson (Hg.): Juden, S. 109.

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sondern auch einen Menschen haben.“32 Für seine Schüler war Goldschmidt der „Meister der Kunstwissenschaft“33 und ihr „väterliche[r] Berater“.34 Ihre Sympathie fand beispielsweise in einer Festschrift zu seinem 60. Geburtstag Ausdruck, die mit folgender Widmung begann: „Dem Lehrer und Menschen widmen alte und junge Schüler dies Buch als Zeichen ihrer Dankbarkeit und Treue“.35 Darüber hinaus verkörperte Goldschmidt wie kaum ein anderer Kunsthistoriker eine internationale Ausrichtung; er stand gleichsam für eine „grenzenlose“ Kenntnis der Kunstwerke und Denkmäler. Wie sein Freund Aby Warburg bereiste er die USA intensiv und widmete sich vor allem der Kunst der „Ureinwohner“. Während seiner Forschungsreisen suchte er planmäßig die meisten Kunstsammlungen und neu gegründeten bzw. gerade entstehenden Museen auf, sodass er eine umfassende Kenntnis auch der amerikanischen Privatsammlungen erwarb. Für das Wissen um die Existenz von Kunstschätzen waren seine auf Reisen gemachten „Entdeckungen“ von großer Bedeutung, wie etwa anhand des Corpus der mittelalterlichen Elfenbeine gezeigt werden kann. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Goldschmidt, den man zu Recht als „Brückenbauer und Türöffner in die kunsthistorischen Schatz- und Wunderkammern der Neuen Welt“ bezeichnet hat,36 als erster deutscher Kunsthistoriker zu Vorträgen in die USA eingeladen und übertrug so „die Tradition der deutschen Kunstgeschichte nach Amerika“.37 Sein Ansehen in der englischsprachigen Gelehrtenwelt wuchs zunehmend. Goldschmidts Schüler Panofsky, der bald nach der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ nach Amerika emigrierte,38 beschrieb aus der Rückschau die Gründe für die Anerkennung, die sein Lehrer in den USA erfuhr: „Was ihm die Herzen der Amerikaner gewann, und was sie unmittelbarer verstanden als seine Landsleute, war die ihm eigentümliche Verbindung von Autorität und Bescheidenheit, die ruhige Distinktion seiner Erscheinung, seine entzückende Selbstironie, und die völlige Abwesenheit des Überheblich-Doktrinären.“39 Der Kontakt zu Arthur Kingsley Porter und Paul Sachs in Harvard ermöglichte schließlich die beiden oben erwähnten Vortragsreisen durch die USA von 1927 bis 1928 und von 1930 bis 1931. Seine Gastprofessuren in Harvard sind auch insofern beson32 33 34 35

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Brief Albert Brinckmann an Goldschmidt vom 4.4.1905, UBB, NL 20: Nachlass Goldschmidt, a 1-2961, 8. Festschrift Adolph Goldschmidt zum 60. Geburtstag, S. V. Vgl. auch Noll: Goldschmidt, S. 175. Festschrift Adolph Goldschmidt zum 60. Geburtstag, S. VII. Festschrift Adolph Goldschmidt zum 60. Geburtstag, o. S. Im Anhang findet sich sowohl eine Bibliografie der Schriften Goldschmidts (S. 139–142) als auch eine Bibliografie der Doktordissertationen (S. 143–148) bis 1923. Beide Listen wurden 1935 ergänzt, vgl. Festschrift Adolph Goldschmidt zu seinem siebenzigsten Geburtstag, S. 171–172 und 173 f. Die letzte dort aufgelistete Dissertation wurde 1932 abgeschlossen, vgl. ebd., S. 174. www.goldschmidt-zentrum.de/person.html [Zugriff 15.7.2016]. Kultermann: Geschichte, S. 185 f. In den 1920er und frühen 1930er Jahren wurden die Vortragsreisen der deutschsprachigen Kunsthistoriker vor allem von der Carl-Schurz-Gesellschaft finanziert, vgl. Michels: Kunstwissenschaft, S. 43. Vgl. Michels: Kunstwissenschaft, S. 20; Brush: Shaping, S. 149. Zit. nach: Kultermann: Geschichte, S. 186.

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ders hervorzuheben, als ein regelmäßiger Austausch zwischen Berlin und Harvard in der Zwischenkriegszeit trotz vieler Bemühungen nicht zustande kam.40 Vor dem Hintergrund seiner wissenschaftlichen Reputation verwundert es nicht, dass die Fachcommunity Goldschmidt in die Forschungsgemeinschaft entsandte. Dem Fachausschuss Kunstwissenschaften gehörte er seit 1922 an, seit 1929 amtierte er als stellvertretender Vorsitzender. Für seine Forschungen bewilligte ihm die Notgemeinschaft im November 1925 eine Beihilfe für eine Reise nach Frankreich und Spanien zur „Vervollständigung des Materials für den IV. Band der vom Verein für Kunstwissenschaft veröffentlichten Elfenbeinstrukturen“.41 Die Arbeiten zu Spanien setzte in den späten 1920er Jahren sein Doktorand Hellmut Schlunk fort, den die Notgemeinschaft ebenfalls förderte. Die Gutachter hielten fest, dass es sich bei den Forschungen über die westgotische Kunst in Spanien um eine Fortsetzung der Untersuchungen handele, die Goldschmidt mithilfe der Notgemeinschaft 1925 begonnen hatte. Im Hinblick auf die „neuerdings auf dem Gebiet der Gotenforschung zwischen der deutschen und spanischen Wissenschaft angeknüpften Beziehungen“ erscheine die Fortführung der Arbeiten Goldschmidts als besonders erwünscht, sodass der Antrag „aufs wärmste“ zu befürworten sei.42 Nach seiner Emeritierung 1929 blieb Goldschmidt nicht nur in der Lehre aktiv, sondern auch engagiert in der Berliner Notgemeinschaft und anerkannt in der Fachcommunity. So war er es, der 1930 in der Festschrift anlässlich des 70.  Geburtstags von Friedrich Schmidt-Ott (Aus fünfzig Jahren deutscher Wissenschaft. Die Entwicklungen ihrer Fachgebiete in Einzeldarstellungen) den Beitrag zur Kunstgeschichte schrieb. Er nahm darin zugleich auch Stellung zum Stand der kunsthistorischen Forschung, verankerte diese innerhalb der Geisteswissenschaften: „Schließlich mündet ja überhaupt jede Kunstgeschichte in die Geschichte des Geistes. Ein Werturteil über die einzelnen Phasen und Richtungen verbietet sich daher auch; sie alle haben ihre Bedeutung in der Kunstforschung.“43 Zudem wandte er sich gegen eine zu starke Ausdifferenzierung und plädierte für eine große Offenheit der Methoden: So „wird dasjenige Werk der Kunstgeschichte in erster Reihe stehen, das neben seinem bestimmten Standpunkt doch Kenntnis der übrigen Anschauungsweisen bezeugt und ihre wertvollen Resultate sich zu eigen gemacht hat“. Zu Beginn des Jahres 1933 legten Goldschmidts Schülerinnen und Schüler, die in den Jahren 1922 bis 1933 bei ihm gehört und promoviert hatten, zum 70.  Geburtstag ihres Lehrers eine weitere Festschrift vor. Sie wollten ihm mit der Gabe sagen, „daß wir bei jeglicher Arbeit den Stolz und die Verpflichtung 40 41 42 43

Vgl. Grüttner: Universität, S. 63. HA-Liste vom 6.11.1925, BArch, R 1501/116317, fol. 200. Vgl. auch Datenbank DFG-Geschichte. HA-Liste Nr. 5/28-29, BArch, R 73/108, fol. 156. Adolph Goldschmidt: Kunstgeschichte, in: Aus fünfzig Jahren deutscher Wissenschaft. Die Entwicklungen ihrer Fachgebiete in Einzeldarstellungen, zit. nach: Goldschmidt: Lebenserinnerungen, Fn. 308, S. 293. Das folgende Zitat ebd.

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fühlen, ‚Goldschmidt-Schüler‘ zu sein. Mit Ihnen, hochverehrter und lieber Herr Geheimrat, verbinden uns heute und immer unzerstörbare Anhänglichkeit und aufrichtiger treuer Dank.“44 Die Übergabe fand am 13. Januar im Rahmen einer feierlichen Festsitzung zu Ehren Goldschmidts in der Kunstgeschichtlichen Gesellschaft statt. Max J. Friedländer begrüßte, die Schüler überreichten neben der Festschrift auch einen von ihnen gesammelten Fonds von 11.500 RM, der „dem Jubilar nach freiem Ermessen zur Verfügung stehen soll“.45 Nach den Festvorträgen sprach schließlich auch der Präsident der Notgemeinschaft Friedrich Schmidt-Ott ein Grußwort, in dem er Goldschmidt für die Zusammenarbeit mit der Notgemeinschaft dankte und insbesondere dessen internationale Wirkung durch seine Tätigkeit in den USA hervorhob.46 Wenige Wochen später, als im Frühjahr 1933 die Wahlen zu den Fachausschüssen der Notgemeinschaft stattfanden, bestätigte die wissenschaftliche Community Goldschmidt erneut in seinem Amt.47 Trotz des politischen Machtwechsels sahen die Fachvertreter keinen Anlass, Goldschmidt nicht zu wählen bzw. einen „arischen“ Kunsthistoriker zu bevorzugen. Auch der langjährige Vorsitzende des Fachausschusses Kunstwissenschaften, Theodor Wiegand, glaubte, dass sich trotz der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ zumindest in der Notgemeinschaft nichts geändert habe und die gewählten jüdischen/„nichtarischen“ Kollegen daher auch weiterhin ihr Amt versehen würden. So ging er wie selbstverständlich davon aus, dass Goldschmidt wie in den Jahren zuvor erneut das Amt des stellvertretenden Vorsitzenden übernehmen werde und informierte Schmidt-Ott am 25. April 1933 entsprechend.48 Doch Goldschmidt lehnte ab. Aufgrund der veränderten politischen Verhältnisse nahm er die Wahl in den Fachausschuss nicht an49 und drückte auf diese Weise seinen Protest gegen die politische Entwicklung und die neuen Machthaber aus. Auch der im Herbst 1933 stattfindende Internationale Kunsthistorikerkongress in Stockholm wurde zum Schauplatz einer Demonstration gegen die „gleichgeschaltete“ Kunstgeschichte. Das Auswärtige Amt entsandte die dem Regime verbundenen Ordinarien Albert Erich Brinckmann und Wilhelm Pinder, doch proklamierte der Kongress Goldschmidt zum Ehrenpräsidenten und ehrte ihn mit langanhaltenden Beifallsbekundungen.50

44 45 46 47 48 49 50

Festschrift Adolph Goldschmidt zu seinem siebenzigsten Geburtstag, Vorwort. Der Band wurde 1935 publiziert. Goldschmidt: Lebenserinnerungen, Fn. 365, S. 342. Vgl. Goldschmidt: Lebenserinnerungen, Fn. 365, S. 342. Goldschmidt wurde mit 118:89 Stimmen gewählt, vgl. den entsprechenden Eintrag in der Wahlliste, BArch, R 73/136, fol. 86–92. Zum Hintergrund vgl. ausführlich Orth: NS-Vertreibung, S. 75–87. Vgl. Brief Wiegand an Schmidt-Ott vom 25.4.1933, BArch, R 73/131, fol. 28. Vgl. den entsprechenden Eintrag in der Liste der neu gewählten Fachausschussmitglieder, BArch, R 73/136, fol. 38–47. Vgl. Michels: Kunstwissenschaft, S. 147 f. In einem Brief an seine Schwester schrieb Goldschmidt, ihm sei das „natürlich etwas peinlich“ gewesen, Brief Goldschmidt an seine Schwester Marie vom 11.9.1933, abgedruckt in: Goldschmidt: Lebenserinnerungen, S. 350.

Adolph Goldschmidt

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In den Jahren 1933 bis 1939 wurde nahezu das gesamte Personal der Neueren Kunstgeschichte der Berliner Universität ausgetauscht. Goldschmidt entzog man Ende 1935 aufgrund des Reichsbürgergesetzes die Lehrbefugnis und vertrieb ihn damit aus dem nationalen Hochschulsystem. Doch die Vertreibung von der Berliner Universität bedeutete für Goldschmidt nicht das Ende seiner wissenschaftlichen Tätigkeit. Der 73-Jährige trat vielmehr kurze Zeit nach Entzug der Lehrbefugnis eine mehrmonatige Reise in die Vereinigten Staaten an, die er ja bereits in frühen Jahren bei zahlreichen Aufenthalten als Gastwissenschaftler kennen gelernt hatte. So kehrte er 1936/37 nach Amerika zurück, um an verschiedenen Universitäten und Museen Gastvorträge zu halten und zu lehren. Anlass zu seiner Reise bot die Einladung der Harvard University, die ihm anlässlich ihrer 300-Jahr-Feier die Ehrendoktorwürde verlieh. Goldschmidt hielt zudem am Institute of Fine Arts der New York University Vorlesungen51 und traf zahlreiche amerikanische Kollegen und Freunde sowie solche Wissenschaftler, die in der Frühphase der NS-Herrschaft aus Deutschland in die Vereinigten Staaten geflohen waren.52 Viele versuchten, ihn zum Bleiben zu bewegen. So bot man ihm unter anderem an, das neu gegründete Center for Byzantine Studies in Dumbarton Oaks in Washington, D. C., zu leiten. Goldschmidt lehnte das Angebot jedoch aufgrund seines hohen Alters und seiner Schwerhörigkeit ab. Zudem wollte er den preußischen Staat in die Pflicht nehmen: „Wer weiß, wie lange ich noch nützlich sein kann? Wenn ich zu alt werde, müßten mich die Amerikaner am Leben erhalten, die doch gar keine Verpflichtung gegen mich haben. Der preußische Staat, dem ich seit mehr als vierzig Jahren gedient habe, schuldet mir [hingegen] eine Pension.“53 Goldschmidt kehrte 1937 nach Berlin zurück, um hier seine Privatstudien in verschiedenen Bibliotheken und Museen fortzusetzen. Zunächst empfand er, so schrieb er zumindest aus der Rückschau des Jahres 1943, die Situation als recht erträglich: „In den Bibliotheken und Museen wurde ich freundlich behandelt, in der Universität hatte ich weiter mein eigenes Arbeitszimmer, in der [Preußischen] Akademie [der Wissenschaften] war die Stimmung noch durchaus die alte, ich hatte meinen Jahresvortrag wie immer zu halten, man blieb mit den Mitgliedern mit ganz geringer Ausnahme in freundlichem Kontakt.“54 In Berlin fühlte er sich geistig, wissenschaftlich und emotional zu Hause  – trotz der sich ständig verschlechternden Arbeits- und Lebensbedingungen. Wie viele andere der in diesem Buch beschriebenen vertriebenen Hochschullehrer setzte sich auch Goldschmidt für verfolgte Kollegen und Nachwuchswissenschaftler ein. Einige seiner Schüler hatten nun keine Möglichkeit mehr, sich zu habilitieren, eben weil sie von ihm ausgebildet worden waren.55 Und so nutzte 51 52 53 54 55

Zu Goldschmidts USA-Reise 1936/37 vgl. auch Kultermann: Geschichte, S. 217; Michels: Kunstwissenschaft, S. 50. Zur Kunstgeschichte im amerikanischen Exil insgesamt vgl. Michels: Kunstwissenschaft. So eine Aussage Goldschmidts, o. D., zit. nach: Kultermann: Geschichte, S. 186; vgl. ähnlich auch Goldschmidt: Lebenserinnerungen, S. 385–387. Goldschmidt: Lebenserinnerungen, S. 385. Vgl. Michels: Kunstwissenschaft, Fn. 363, S. 66.

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Goldschmidt sein Renommee in den USA für sie bzw. für bedrohte Kollegen. Er machte etwa seinen Einfluss geltend, um seinen Freund Jacob Rosenberg in Harvard unterzubringen.56 1935 hielt Goldschmidt zudem vor dem jüdischen Kulturbund in Berlin, der zu diesem Zeitpunkt noch zugelassen war, eine Gedenkrede für den am 8. Februar 1935 verstorbenen Max Liebermann.57 In der Rede kam auch sein eigenes Selbstverständnis zum Ausdruck – als Jude und als Kunsthistoriker. Liebermann, so sagte er, „ist ein Stolz der Juden“, doch gebe es für den Maler „– und das ist auch meine Meinung – keine spezielle jüdische Kunst“. Ende der 1930er Jahre musste Goldschmidt erfahren, dass man ihn nach und nach aus den ihm so wichtigen wissenschaftlichen Vereinen, Kommissionen und auch aus der Preußischen Akademie der Wissenschaften ausschloss.58 Schließlich verbot man ihm sogar, die staatlichen Bibliotheken und Museen weiterhin zu benutzen. Als das Reichserziehungsministerium am 8. Dezember 1938 die den vertriebenen jüdischen/„nichtarischen“ Professoren und Dozenten „ausnahmsweise“ erteilte Genehmigung, „privat in Hochschulinstituten, Bibliotheken usw. wissenschaftlich weiterzuarbeiten oder diese Einrichtungen zu benützen“, zurückzog,59 wurde „die Fortsetzung meiner Arbeit einfach abgeschnitten […]. Da ich außerdem erwarten musste, dass ich über kurz oder lang auch gezwungen sein würde, meine Wohnung aufzugeben, so sagte ich mir, dass der Augenblick gekommen wäre, mich um das Verlassen Deutschlands zu bemühen“.60 Anfang des Jahres 1939 konnte Goldschmidt mit Unterstützung des Frankfurter Sammlers Robert von Hirsch, der im Schweizer Exil lebte, aus Berlin nach Basel fliehen. Die Schweiz sollte ursprünglich nur eine Zwischenstation auf dem Weg nach Amerika sein. Viele Freunde, Kolleginnen und Kollegen, die dort lebten, bestärkten ihn in diesen Plänen: „With all my heart“, so schrieb Eleanor C. Marquard im April 1940 aus Princeton, „like so many others of your friends, I wish you were here where we could see and talk with you. We all still hope the day may come when you will again come to Princeton.“61 Ähnlich äußerte sich auch sein ehemaliger Schüler Helmut von Effra: „Wie sehr wünschen doch alle, die Sie kennen und schätzen, dass Sie hier in Amerika wären.“62 Die Fülle derartiger 56 57 58 59 60 61 62

Vgl. Brush: Shaping, S. 149. Weitere Beispiele nennt Michels: Kunstwissenschaft, S. 74. Die Rede ist abgedruckt in: Verfolgte Berliner Wissenschaft, S.  176 f. Das folgende Zitat ebd., S. 176. Zu seinem Selbstverständnis als Kunsthistoriker vgl. auch Noll: Goldschmidt, S. 164 f. Vgl. Goldschmidt: Lebenserinnerungen, S. 395. So das Gesetz zum Ausschluß von Juden an den deutschen Hochschulen vom 8.12.1938, DWEV, S. 550. Goldschmidt: Lebenserinnerungen, S.  398. Zur Reichspogromnacht aus seiner Sicht vgl. ebd., S. 396 f. Brief Eleanor C. Marquard an Goldschmidt vom 9.4.1940. UBB, NL 20: Nachlass Goldschmidt, a 1-2961, 157. Brief Helmut von Effra an Goldschmidt vom 24.6.1940, UBB, NL 20: Nachlass Goldschmidt, a 1-2961, 50. Zu den USA-Plänen vgl. auch Goldschmidt: Lebenserinnerungen, S. 403–405, 406–408, 416 f. und 420.

Adolph Goldschmidt

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Briefe bringt die Wertschätzung klar zum Ausdruck, die die amerikanischen Kollegen und viele frühere Schüler, die nun in den USA lebten, Goldschmidt entgegenbrachten. Sie hätten „den Meister“ gern bei sich gehabt und sorgten sich um sein Wohlergehen im fernen, von den Kriegsereignissen und der Judenverfolgung geprägten Europa. Doch die Schweiz erwies sich als Goldschmidts dauerhaftes Exilland.63 Im Sommer 1941 hatte er sich entschieden, in Basel zu bleiben, wie aus einem Brief an den Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung hervorgeht. Er wolle „für den Rest meines Lebens dauernd in der Schweiz bleiben“ und bat um die entsprechende Genehmigung.64 Schon zu diesem Zeitpunkt war er auf finanzielle Unterstützung angewiesen, die von Hirsch sowie amerikanische Stifter und Freunde bereitstellten. So konnte Goldschmidt in Basel auch seine wissenschaftliche Tätigkeit fortsetzen. Eine enge Verbindung bestand zum Basler Kunstmuseum, in dem Goldschmidt einen Arbeitsplatz erhielt und seine Bibliothek aufstellen konnte. Neben der wissenschaftlichen Arbeit beschäftigte sich Goldschmidt im Schweizer Exil mit der Niederschrift seiner Lebenserinnerungen. Die dort vorgenommene Lebensbilanz stellte auch ein Thema der Briefe dar, die er mit seinem um ein Jahr jüngeren Freund Heinrich Wölfflin wechselte. Zu Goldschmidts 80. Geburtstag schrieb Wölfflin: „Wie vieles löst sich in Nebel auf, was man früher für wichtig und wesentlich nahm!“65 Die Korrespondenz mit der Familie,66 den Freunden, Kollegen und Schülern nahm einen großen Teil von Goldschmidts Zeit ein. Sehr häufig ging es darin um die aktuelle politische Lage und das Schicksal derjenigen, die vor den Nazis nicht hatten fliehen können. Lotte und Heinz Rosenberg schrieben im Sommer 1940, sie könnten „die herrliche Gegend“ um Beverly Hills „nicht genießen, weil man jetzt in Gedanken so beschwert ist, und gar nicht los kommt von dem Weltgeschehen. Wir hoffen so sehr, dass es Ihnen gut geht, und Sie die Möglichkeit und Stimmung haben zu arbeiten.“67 Und Hanns Swarzenski meldete sich mit einem „etwas schlechten Gewissen“ vom Strandurlaub. „Denn der quälende Gedanke, wie das in der Welt alles weiter gehen soll und ob wirklich alles, was das Leben uns erst lebenswert macht, in Zukunft wirklich nur noch in

63 64 65

66 67

Zu den in Basel veröffentlichen Publikationen Goldschmidts vgl. Schefold: Emigranten, S. 9. Brief Goldschmidt an REM vom 21.6.1941, UAHU-B, PA Goldschmidt, Bd. 2, Bl. 53. Brief Wölfflin an Goldschmidt vom 12.1.1943, UBB, NL 20: Nachlass Goldschmidt, a 1-2961, 292. Es handelt sich dabei um den letzten (überlieferten) Brief Wölfflins an Goldschmidt; ihre Korrespondenz hatte 1901 begonnen. Mit dem Bericht über seinen 80. Geburtstag endet Goldschmidts Autobiografie, vgl. Goldschmidt: Lebenserinnerungen, S. 430–434. Auch in der Autobiografie nahm seine Familie einen großen Raum ein, vgl. z. B. für den Lebensabschnitt der Emigration Goldschmidt: Lebenserinnerungen, S.  398–402, 412 und 429 f. Brief von Lotte und Heinz Rosenberg an Goldschmidt vom 7.6.1940, UBB, NL 20: Nachlass Goldschmidt, a 1-2961, 186.

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der Erinnerung bestehen soll, verlässt einen doch nie ganz!“68 Auch wenn das Kriegsgeschehen und die nationalsozialistische Judenverfolgung selten explizit benannt wurden, so schwang der Terror des NS-Regimes fast in jedem Brief mit. Goldschmidts Briefwechsel, der von außen betrachtet „Leibnizsche Dimensionen“ annahm69 – in seinem Nachlass lagern allein aus der Exilzeit rund 300 Briefe, die er als Reaktion auf die seinen erhalten hat –, zeigt zum einen seine intensive Verbundenheit mit den früheren Schülern und Kollegen und zum anderen, dass er aus dieser Kraft gegen die Bedrängnis schöpfte. Als weiteres Schutzschild erwies sich die Niederschrift seiner Autobiografie sowie die wissenschaftliche Arbeit, der er sich in Basel und bis kurz vor seinem Tod widmete. Auch er selbst stellte diesen Zusammenhang her: „Nach dem Anbruch der Hitler-Regierung mit ihren Aufregungen besonders für die Juden, dem Verlassen Deutschlands, der alten Heimat, und dem mannigfaltigen und oft sehr tragischen Schicksal naher Verwandter und Freunde war das beste Mittel zur Fernhaltung schmerzlicher Gedanken die Arbeit“.70 So verbrachte Goldschmidt die letzten Jahre seines Lebens trotz der Vertreibung von der Hochschule, aus dem deutschen Wissenschaftssystem und aus seiner Heimat weder einsam noch verbittert. Sein Tod hatte allerdings eine in Anbetracht der nationalsozialistischen Judenverfolgung nahezu makaber zu nennende Komponente. Denn Goldschmidt starb durch Gas. Eine alte Bekannte, die ihn besucht und – da die Haushälterin erkrankt war – Kaffee für ihn gekocht hatte, vergaß, in der Küche den Gashahn richtig abzustellen, sodass Adolph Goldschmidt wenige Tage vor seinem 81. Geburtstag, am 5. Januar 1944, durch eine Gasvergiftung ums Leben kam.71

68 69 70 71

Brief Hanns Swarzenski an Goldschmidt vom 18.8.1940, UBB, NL 20: Nachlass Goldschmidt, a 1-2961, 227. Brief Hans Huth an Goldschmidt vom 24.11.1940, UBB, NL 20: Nachlass Goldschmidt, a 1-2961, 98. Goldschmidt: Lebenserinnerungen, S. 18 f. Hervorhebung im Original. Vgl. Goldschmidt: Lebenserinnerungen, S. 435 f.

FACHAUSSCHUSS GEOLOGIE, MINERALOGIE UND GEOGRAPHIE Alfred Philippson (1864–1953) Wilhelm Salomon-Calvi (1868–1941) Leo Waibel (1888–1951)

Alfred

Philippson

Alfred Philippson wurde am 1. Januar 1864 als sechstes Kind von Mathilde und Ludwig Philippson in Bonn in eine jüdische Familie hineingeboren; seine Geschwister waren deutlich älter als er.1 Sein Vater war fast 30 Jahre in Magdeburg als Rabbiner tätig, musste sich dann jedoch aus gesundheitlichen Gründen pensionieren lassen und zog 1862 mit seiner Familie nach Bonn. Dem bildungsbürgerlichen Hintergrund der Familie entsprechend, besuchte Alfred Philippson das Königliche Gymnasium in Bonn. Nach dem Abitur im März 1882 studierte er zunächst in seiner Heimatstadt, dann in Leipzig Geografie, Geologie, Mineralogie und Nationalökonomie. Sein wichtigster Lehrer war Ferdinand von Richthofen, den man zur damaligen Zeit als den führenden deutschen Geografen ansah und dem Philippson 1883 von Bonn nach Leipzig folgte. Dort wurde er 1886 mit der morphologischen Arbeit Studien über Wasserscheiden zum Dr. phil. promoviert. Anschließend ging Philippson für ein Semester nach München, um bei Karl Alfred von Zittel Paläontologie zu studieren. Hier plante er zudem seine erste große Forschungsreise, die ihn auf von Richthofens Rat hin nach Griechenland führte. Das dort erhobene Material bildete die Grundlage für Philippsons Habilitationsschrift, die er 1891 in Bonn einreichte; kurzer Zeit später erschien die Studie unter dem Titel Versuch einer Landeskunde auf geologischer Grundlage.

1

Bei dem folgenden Text handelt es sich um ein gekürztes Kapitel aus meinem Buch: NSVertreibung, S. 243–265 und 383–387.

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Die Habilitation stellte für Philippson auch in privater Hinsicht eine Zäsur dar, da seine Mutter zu dieser Zeit starb und er eine eigene Familie gründete. Im Februar 1892 heiratete er Lina Simoni; ihre vier Kinder wurden zwischen 1893 und 1899 geboren. Alfred Philippson setzte währenddessen seine Forschungsreisen fort: Er bereiste – zum Teil im Auftrag der Gesellschaft für Erdkunde in Berlin  – Nordgriechenland und Konstantinopel (1893), die Ägäischen Inseln (1896) und Russland (1897). Später folgten weitere Expeditionen ins westliche Kleinasien und durch viele andere Länder Europas bis hin zum Ural. Im Zentrum seiner Reise- und Forschungstätigkeit standen das östliche Mittelmeer, Griechenland, das westliche Kleinasien, später Italien sowie auch das Rheinland. Nach der Rückkehr von seiner ersten großen Griechenlandreise im Jahre 1888 hatte Philippson geplant, sich bei seinem inzwischen in Berlin tätigen Lehrer von Richthofen zu habilitieren. Dieser lehnte jedoch ab. Denn von Richthofens eigene Position innerhalb der Philosophischen Fakultät war umstritten, da sein Wechsel nach Berlin auf Druck des zuständigen Referenten im preußischen Kultusministerium, Friedrich Theodor Althoff, und gegen den Willen der Fakultät zustande gekommen war. Er befürchtete daher, dass die Habilitation seines Schülers nicht durchzusetzen sei, zumal es sich um einen Juden handelte. Die antijüdische Position innerhalb der Fakultät repräsentierte vor allem der Historiker Heinrich von Treitschke, der im Berliner Antisemitismusstreit die Zurückdrängung des gesellschaftlichen Einflusses der Juden gefordert hatte. Dagegen hatte unter anderem Alfred Philippsons Vater Position bezogen. Aufgrund dieser Umstände versuchte Philippson, sich an einer süddeutschen Hochschule zu habilitieren, doch weder Tübingen, Heidelberg noch Karlsruhe zeigten Interesse. Die Universität Erlangen nahm dann zwar das Habilitationsgesuch an, verfolgte das Verfahren aber nicht weiter, da der Referent aus der Mineralogie dem Bewerber die geologische Sachkenntnis absprach. Philippson fragte nun Althoff um Rat, den er persönlich kannte, da dieser 1870/71 im Hause seiner Eltern zur Miete gewohnt hatte.2 Auf dessen Anraten reichte er schließlich ein weiteres Habilitationsgesuch in Bonn ein, obgleich er aufgrund der dort bestehenden disziplinären Rivalitäten zwischen den Geografen und den Geologen Schwierigkeiten befürchtete. Während der Geograf Johannes Rein Philippson unterstützte, versuchten Hugo Laspeyres (Mineralogie) und Clemens Schlüter (Geologie, Paläontologie), die Habilitation zu verhindern. Zunächst hieß es, die eingereichten Schriftstücke genügten den „gesetzlichen Anforderungen“ nicht,3 dann bewerteten Laspeyres und Schlüter die Arbeit im Hinblick auf den geologischen Ertrag als äußerst gering. Gleichwohl wurde die Habilitation letztendlich zugelassen, da sich Philippson „nur um die Venia legendi für die eigentlichen geographischen Gebiete“ und nicht für das

2 3

Vgl. Philippson: Wie ich zum Geographen wurde, S. 38. Mitteilung der Philosophischen Fakultät der Universität Bonn an Philippson vom 11.6.1891, zit. nach: Böhm (Hg.): Beiträge, S. 209.

Alfred Philippson

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Fach Geologie bewerbe.4 Der eigentliche Grund dürfte aber wohl gewesen sein, dass Althoff Philippsons Habilitation durchgesetzt hatte.5 Bei Philippsons Habilitation zeigten sich also mehrere Konfliktlinien: Zum einen ging es um die Frage, wer über den Zugang zur Fakultät entschied, nämlich diese selbst oder aber das preußische Kultusministerium in Person von Althoff. Zum anderen ging es um den Disziplinenbildungsprozess der Geografie, die ihren Eigenwert in Abgrenzung von der Geologie erst durchsetzen musste. In diesem Zusammenhang spielten überdies innerfachliche Auseinandersetzungen und Netzwerke der verschiedenen Schulen eine wichtige Rolle. Und schließlich zeigte sich auch, dass Antisemitismus ein wichtiger Faktor war. In der Person von Philippson bündelten sich diese Konfliktlinien: Als Geograf, Jude und Richthofen-Schüler hatte er es schwer, Zugang zum Kreis derjenigen zu bekommen, die als künftige Professoren in Betracht kamen. Dass die Habilitation schließlich angenommen wurde, empfand Philippson wie eine Erlösung: Mit der Habilitation war „mir die Pforte der akademischen Laufbahn geöffnet“, man „kann sich denken, wie ich aufatmete und welches Glücksgefühl mich erfüllte, wie vom Rande eines Abgrundes gerettet!“6 Doch Philippson blieb noch 13 Jahre Privatdozent in Bonn. Auch wenn man berücksichtigt, dass es zu dieser Zeit in der Geografie nur eine geringe Anzahl von Lehrstühlen gab, so ist die Zeitspanne auffällig lang – vor allem im Vergleich zu anderen nichtjüdischen Wissenschaftlern. Die materiellen Sorgen, die den inzwischen verheirateten Familienvater in seiner Zeit als Privatdozent bedrückten, milderte Althoff etwas ab, indem er Philippson ab 1899 aus Sondermitteln des Ministeriums einen jährlichen Zuschuss in Höhe eines Assistentengehalts zahlte. Bestehen blieb jedoch die berufliche und die wissenschaftliche Zurückweisung durch die Universität, die von Richthofen zu Recht auf die antijüdische Haltung der meisten deutschen Universitäten zurückführte. „Es ist mein bleibender Kummer“, so schrieb er Anfang des Jahres 1904 an Philippson, „dass ich machtlos bin, um die beklagenswerthen Vorurtheile zu überwinden, welche bisher im Wege standen.“7 Wenig später jedoch gelang es ihm, seinen Schüler für ein frei werdendes Ordinariat in Bern zu empfehlen. Als man Philippson dann berief, war dies in von Richthofens Worten „die Stunde des Sieges“,8 und Philippson fühlte sich und seine Familie „im letzten Moment gerettet“. Ihr Leben schien nun „nach menschlicher Voraussicht sicher gestellt!“9

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Gutachten Hugo Laspeyres (Mineralogie), o. D., zit. nach: Böhm (Hg.): Beiträge, S. 211. Vgl. ähnlich auch das Gutachten von Clemens Schlüter (Geologie, Paläontologie), ebd. Vgl. Mehmel: Philippson; Böhm (Hg.): Beiträge, S. 209, sowie Böhm/Mehmel: Einleitung, S.  XXXIV. Vgl. zudem Philippson: Wie ich zum Geographen wurde, S.  452, und Brief Philippson an Althoff vom 21.11.1891, auszugsweise abgedruckt in: Böhm (Hg.): Beiträge, S. 212. Philippson: Wie ich zum Geographen wurde, S. 452 f. Vgl. auch ebd., S. 451. Brief von Richthofen an Philippson Anfang des Jahres 1904, zit. nach: Böhm (Hg.): Beiträge, S. 213. Vgl. auch Briefe von Richthofen an Philippson vom 18.3.1899, 9.2.1900 und 27.1.1902, abgedruckt in: ebd., S. 359–363. Brief von Richthofen an Philippson vom 22.10.1904, zit. nach: Böhm (Hg.): Beiträge, S. 213. Philippson: Wie ich zum Geographen wurde, S. 455.

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Gleichwohl war Philippson bestrebt, nach Deutschland zurückzukehren; dies gelang ihm 1906. Bei seinem Wechsel nach Halle in demselben Jahr offenbarten sich erneut judenfeindliche Ressentiments, die zum Teil in der universitären Verwaltung, zum Teil im Ministerium lokalisiert werden können. Die Berufungsliste der Fakultät, auf der Philippson aufgrund seiner herausragenden wissenschaftlichen Leistungen auf dem ersten Platz geführt wurde, lehnte der Kurator der Universität mit dem Argument ab, dass nach den Universitätsstatuten nur Hochschullehrer evangelischer Konfession zuzulassen und anzustellen seien. Der zuständige Fachreferent im Ministerium brachte die Diskrepanz auf den Punkt: „Gegen Philippson spricht eigentlich nur sein Judentum.“ Und weiter hieß es: „Bei den ausgezeichneten Leistungen Philippsons möchte ich über das Bedenken, dass er Jude ist, hinwegsehen und seine Berufung befürworten.“10 Diesem Votum schloss sich schließlich auch der Kultusminister an. Die Berufung sei zu befürworten, da Philippson „ein Mann von sehr maßvoller Gesinnung [sei], der sich trotz seiner jüdischen Abstammung dem deutschen Wesen völlig angepaßt“ habe.11 Letztendlich wurde also sowohl von der Fakultät als auch von ministerieller Seite die wissenschaftliche Leistung höher bewertet als die Religion des künftigen Lehrstuhlinhabers. Als Philippson die ordentliche Professur in Halle antrat, wurde er jedoch offenbar ohne größere Vorbehalte in das informelle Netzwerk der dortigen Ordinarien wie auch in die lokalen wissenschaftlichen Foren aufgenommen. 1911 wechselte Philippson schließlich als Ordinarius in seine Heimatstadt Bonn und leitete dort das Geografische Seminar (später: Institut) bis zu seiner Emeritierung 1929. Bei seiner Rückkehr nach Bonn zog Philippson in sein Elternhaus in der Königstraße. Er heiratete 1919 erneut, seine erste Frau war 1906 gestorben. Seine zweite Frau, Margarete Kirchberger, hatte bei ihm studiert, war ab Oktober 1914 als seine Assistentin am geografischen Seminar beschäftigt und wurde im Frühjahr 1917 von ihm promoviert.12 Als ausgebildete Geografin und Landschaftsfotografin begleitete Margarete Kirchberger ihren Mann auf zahlreichen Forschungsreisen. Philippsons wissenschaftliches Renommee zeigte sich unter anderem in zahlreichen Auszeichnungen und Mitgliedschaften, darunter auch in internationalen Körperschaften: Er gehörte ab 1896 der Königlichen Niederländischen Gesellschaft für Erdkunde an, ab 1899 der Griechisch Polytechnischen Gesellschaft und ab 1900 als Korrespondierendes Mitglied dem Kaiserlichen Archäologischen Institut.

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Notiz Elster, o. D., zit. nach: Böhm (Hg.): Beiträge, S. 215. Stellungnahme Kultusminister Konrad von Studt, o. D., zit. nach: Böhm (Hg.): Beiträge, S. 216. Margarete Kirchberger, geboren am 28.3.1882 in Niederlahnstein, stammte aus einer jüdischen Kaufmannsfamilie und studierte nach dem Abitur Geografie, Geologie, Physik und Chemie in Berlin, seit Oktober 1912 in Bonn. Zu ihrer Biografie vgl. die Angaben in: Kirchberger: Nordwestabfall, S. 44, sowie Kuhn (Hg.): Frauenstudium, S. 156–159.

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Neben Forschung und Lehre engagierte sich Philippson, 1915 mit dem Titel „Geheimer Regierungsrat“ ausgezeichnet, in den 1920er Jahren auch wissenschaftspolitisch, unter anderem in der Notgemeinschaft. So wurde er 1921 in den Fachausschuss Geographie der Notgemeinschaft gewählt, dem er von 1924 bis 1927 vorstand. Außerdem wirkte er von 1921 bis 1925 als Vorsitzender des Zentralausschusses des Deutschen Geographentages und gründete 1921 den Verband Deutscher Hochschullehrer der Geographie, den er bis Ende der 1920er Jahre wesentlich mitgestaltete. Von den Zeitgenossen wurde er bereits 1906 als „Meister der modernen Landeskunde“ bezeichnet,13 und heute gilt er als einer der „letzten markanten Mitgestalter“ der klassischen Periode der deutschen Geografie.14 Erwähnenswert ist seine auf vielen Forschungsreisen erprobte Zusammenarbeit mit Altertumswissenschaftlern, insbesondere mit Theodor Wiegand, dem zeitweiligen Direktor des Deutschen Archäologischen Instituts, der in der Notgemeinschaft von 1920 bis 1933 dem Fachausschuss Kunstwissenschaften vorstand. Durch sein wissenschaftspolitisches Engagement war Philippson maßgeblich am Aufbau und an der Ausgestaltung der deutschen Hochschulgeografie beteiligt. Ihm wird ein maßgeblicher Anteil daran zugeschrieben, dass sich die Geografie, zunächst eine Hilfswissenschaft der Geschichte, zum eigenständigen Universitätsfach entwickeln konnte.15 Spätestens seit dem Ersten Weltkrieg war Philippson ein akzeptiertes Mitglied der Community. Erst in den späten 1920er Jahren kam es häufiger zu verdeckten oder offenen Angriffen gegen ihn, in denen sich wissenschaftliche Querelen und antisemitische Ressentiments mischten.16 Nach der „Machtergreifung“ mehrten sich die Attacken. Vom Berufsbeamtengesetz war Philippson zunächst als bereits emeritierter Professor und „Altbeamter“ nicht betroffen. Auch erhielt er noch im Mai 1933 zusammen mit seinen beiden Studienfreunden Erich von Drygalski und Sven Hedin die Goldene Ferdinand-von-Richthofen-Medaille für hervorragende Verdienste auf dem Gebiet der geografischen Forschung. Obwohl der an der TH Braunschweig tätige Geograf Ewald Banse bei der Gesellschaft für Erdkunde in Berlin und beim Kultusministerium gegen die Verleihung an Philippson protestierte, wurde die Auszeichnung nicht zurückgenommen.17 Man umging dies mit 13 14 15 16 17

Berufungsliste der Philosophischen Fakultät der Universität Halle 1906, zit. nach: Böhm (Hg.): Beiträge, S. 214. Lehmann/Troll: Philippson, S.  205. Vgl. ähnlich auch Gutzmer: Die Philippsons, S.  118; Kaznelson (Hg.): Juden, S. 385; Linke: Philippson, S. 58. Vgl. Höpfner: Universität, S.  50; Lehmann/Troll: Philippson, S.  207; Linke: Philippson, S. 58; Mehmel: Philippson, S. 354–356. Vgl. Böhm/Mehmel: Einleitung, S. XIII, sowie Sandner: Zusammenhänge. Eine weitere Denunziation von Seiten der Community erfolgte im Sommer 1935. Der Geograf Siegfried Passarge, seit 1933 „Reichsobmann für Geographie“ im Nationalsozialistischen Lehrerbund, mit dem Philippson in den späten 1920er Jahren eine fachwissenschaftliche Kontroverse ausgetragen hatte, bezeichnete diesen und zwei weitere Geografen als die „jüdisch-demokratische Entente“, die alle geografischen Lehrstühle besetzt hätten, Brief Passarge an das Reichserziehungsministerium vom 29.7.1935, zit. nach: Sandner: Zusammenhänge, S. 40. Zu den fachwissenschaftlichen Kontroversen vgl. ebd., S. 35–39.

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dem Argument, dass die Ehrung bereits vor dem Sieg der Nationalsozialisten bei der Reichstagswahl beschlossen worden sei. 1933 stand die Fachgesellschaft also noch hinter Philippson. So ist es wohl auch zu erklären, dass er bis Mitte der 1930er Jahre weiterhin Aufsätze in den führenden deutschen Fachzeitschriften publizieren konnte.18 Philippson selbst ahnte, dass dies nicht von Dauer sein würde. So schrieb er am 24. September 1935 über einen seiner Beiträge, der in einem Sammelband erscheinen sollte: „Diese meine kleine Arbeit wird wohl die letzte sein, die von mir gedruckt wird.“19 Als Ende 1938 den „nichtarischen“ Wissenschaftlern verboten wurde, Vorträge zu halten, Schriften zu veröffentlichen sowie Institute und Bibliotheken zu benutzen, versuchte Philippson von zu Hause aus und mittels seiner privaten Bibliothek, das Manuskript seines Buches über Die griechischen Landschaften fertigzustellen. Die wissenschaftliche Würdigung seiner Tätigkeit fand ab Mitte der 1930er Jahre nur noch im Ausland statt: 1934 ernannte ihn die Griechische Akademie der Wissenschaften in Athen und im Sommer 1936 die Geographische Gesellschaft Bern zum Mitglied, im Juli 1935 erhielt er die Jovan Cvijic-Medaille der Geographischen Gesellschaft Belgrad, und seine Aufsätze erschienen nun in den Niederlanden. In Deutschland hingegen spitzte sich die Lage zu. 1935 fiel Philippson unter die sogenannten Nürnberger Gesetze, 1938 entzog man ihm den Reisepass. 1941 beschlagnahmte die Gestapo sein Haus und wies ihm, seiner Frau und seiner Tochter Dora eine Wohnung in der Bonner Gluckstraße zu, in der die Philippsons dann zusammen mit drei anderen namhaften jüdischen Familien lebten. Von der Deportation der Bonner Juden im Februar 1942, die im Kloster zur Ewigen Anbetung in Endenich ghettoisiert wurden, blieben sie kurze Zeit verschont. Ihre Verschleppung nach Theresienstadt erfolgte Mitte Juni 1942. Philippson ist der einzige Wissenschaftler aus der Gruppe der DFG-Gremienmitglieder, der in ein NS-Lager deportiert wurde. Seine Biografie zeigt jedoch auch, dass sich zahlreiche Personen – Kollegen im In- und Ausland sowie Verwandte, die im Ausland lebten bzw. denen in den 1930er Jahren die Emigration gelungen war – bemühten, die Verschleppung zu verhindern und sein Leben zu retten. Zu nennen sind insbesondere sein Neffe Ernst Alfred Philippson, seine Nichte Paula, der Bruder seiner zweiten Frau sowie die Geografen Erich von Drygalski, Sven Hedin, Carl Troll und Leo Waibel (der ebenfalls in diesem Buch vorgestellt wird). Bis Anfang der 1940er Jahre plante Philippson offenbar nicht, sein Heimatland zu verlassen. Erst im Mai 1941 fragte er bei seinem in den USA lebenden Neffen Ernst Alfred sowie bei Waibel nach, ob für ihn, seine Frau und seine Tochter Dora eine Möglichkeit bestünde, in den USA eine Existenz aufzubauen. Waibel und Philippsons Verwandte versuchten daraufhin alles, um die Emigration der Familie zu ermöglichen. Neben dem National Refugee Service und dem Emergency Committee in Aid of Displaced Foreign Scholars wandten sie sich an die amerikanischen geografischen Gesellschaften, so etwa an die Association of 18 19

Vgl. Lehmann/Troll: Philippson, S. 210. Brief Philippson an Wiegand vom 24.9.1935, zit. nach: Gutzmer: Die Philippsons, S. 57.

Alfred Philippson

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American Geographers, die American Geographical Society sowie das Departement für Geologie und Geografie der Universität Harvard. Als später eine Ausreise in die Schweiz als realistischere Variante erschien, verhandelten sie mit dem Verband der Schweizerischen Geographischen Gesellschaften, dem Jewish Joint Distribution Committee sowie der jüdischen Auswanderungshilfsorganisation HICEM. Es gelang jedoch letztendlich nicht, seine Ausreise zu erreichen. Die wissenschaftlichen Institutionen lehnten Philippsons Übersiedlung bzw. Anstellung wegen seines hohen Lebensalters ab, hinzu kamen finanzielle Engpässe und bürokratische Hürden. Ende 1941 bzw. Anfang 1942, als Philippson bereits in der Gluckstraße untergebracht war, unternahmen seine Kollegen einen neuen Vorstoß. Nun ging es allerdings nicht mehr um die Emigration, sondern darum, seine Deportation zu verhindern. Carl Troll schrieb Weihnachten 1941 an den Berliner Ordinarius für Geografie, Oskar von Niedermayer, der seit 1937 das dortige Institut für Allgemeine Wehrlehre leitete, und bat ihn, sich beim Reichsführer der SS, Heinrich Himmler, für Philippson einzusetzen.20 Niedermayer wies dies mit dem Argument zurück, er habe seit 1938 keinen Kontakt mehr zu Himmler, nannte aber andere Ansprechpersonen: „Ob Sie nicht doch Sven Hedin mobilisieren sollten? Oder die Deutsche Geogr.-Gesellschaft? Hier könnte einmal der Obergeschaftlhuber Schm.-O. was sagen!“21 Es ist nicht überliefert, ob sich Troll an die Deutsche Geographische Gesellschaft oder an Schmidt-Ott wandte. Unabhängig davon ist jedoch interessant, dass die wissenschaftliche Fachcommunity, hier repräsentiert durch Niedermayer, ihre eigenen Körperschaften  – namentlich die Deutsche Geographische Gesellschaft sowie die Berliner Notgemeinschaft – für so einflussreich hielt, die Deportation Philippsons verhindern zu können. Als machtlos gegenüber dem NS-Regime sah man sie offenbar nicht an. Zu Hedin hatte Troll bereits im März 1941 Kontakt aufgenommen. Warum erschien es den Beteiligten sinnvoll, diesen einzuschalten? Der 1865 in Stockholm geborene schwedische Geograf und Entdeckungsreisende Sven Hedin galt und gilt als der bekannteste Asienforscher seiner Zeit.22 Nach dem Studium mit Philippson und von Drygalski bei von Richthofen hatte er zahlreiche Expeditionen nach Zentralasien durchgeführt, über die er nicht nur wissenschaftliche Abhandlungen verfasste, sondern auch populäre Darstellungen. Nach der Rückkehr von einer seiner Forschungsreisen traf er mit Hitler zusammen, den er sehr schätzte. Seit der Jahrhundertwende hatte sich Hedin immer wieder zu politischen Themen geäußert, vor einer Bedrohung Schwedens durch Russland gewarnt und die Weltgeltung der „Germanen“ betont. Aus seiner Sicht war Deutschland zur führenden Macht in Europa berufen, und er glaubte, Hitler könne nach der Niederlage des Ersten Weltkriegs Deutschlands Ansehen in der Welt wiederher20 21 22

Vgl. Brief Troll an Niedermayer vom 25.12.1941, zit. nach: Böhm (Hg.): Beiträge, S. 219 f. Vgl. auch Brief Troll an Friedrich Metz, o. D. [Juli 1942], auszugsweise abgedruckt in: Böhm (Hg.): Beiträge, S. 222–224. Brief Niedermayer an Troll, o. D. [nach 25.12.1941], zit. nach: Böhm (Hg.): Beiträge, S. 221. Zu Hedins Biografie und seinem Verhältnis zu Deutschland bzw. zum Nationalsozialismus vgl. ausführlich Mehmel: Hedin. Zum Folgenden vgl. ebd.

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stellen und Skandinavien vor der befürchteten sowjetischen Invasion schützen. Insofern befürwortete er den Nationalsozialismus und die deutsche Expansionspolitik. Trotz der guten Kontakte zu Hitler und anderen führenden Nationalsozialisten  – und im Gegensatz zu seiner eigenen Wahrnehmung  – konnte er die deutsche Außenpolitik jedoch nicht beeinflussen. Hitler verehrte Hedin zwar als Asienforscher und Abenteuerschriftsteller, sah aber keinen außenpolitischen Berater in ihm. So wurde Hedin in NS-Deutschland vielfach geehrt und ausgezeichnet und warb im Gegenzug durch öffentlichkeitswirksame Auftritte für den Nationalsozialismus – etwa durch seine Ansprache „Sport als Erzieher“ bei den Olympischen Sommerspielen 1936 oder durch seine Rede beim ersten Treffen der pronazistischen Reichsvereinigung Schweden-Deutschland im März 1939 in Stockholm. Hedins Deutschlandbild wies verklärte, romantisierte Züge auf, aber den rassistischen Antisemitismus der Nationalsozialisten teilte er nicht. Dazu mag beigetragen haben, dass er selbst im NS-Sinne als „nichtarisch“ galt.23 Jedenfalls nutzte er seinen Einfluss auf Hitler und hohe Parteifunktionäre gelegentlich, um zugunsten von NS-Verfolgten zu intervenieren – so auch im Fall von Philippson. Im März 1941 hatte Troll Hedin erstmals über Philippsons Lage berichtet.24 Hedin mobilisierte daraufhin das wissenschaftliche Netzwerk der Geografen und erreichte, dass zahlreiche Fachgesellschaften – etwa die Geographischen Gesellschaften Berlin, Köln, München, Königsberg, Prag, Bern, Zürich sowie der Verband der Schweizerischen Geographischen Gesellschaften  – schriftlich darum baten, Philippson nicht zu deportieren. Hedin selbst wandte sich mit diesem Anliegen am 3. Januar 1942 persönlich an Reichsinnenminister Wilhelm Frick: „Wenn Sie, hochverehrter Herr Reichsminister, veranlassen wollten, dass es Philippson gestattet werden könnte, fortwährend in Bonn zu bleiben und dort seine Tage zu enden, würde ich Ihnen zu ewiger Dankbarkeit verpflichtet sein.“25 Nur zwei Tage später berichtete der Deutsche Generalkonsul in Zürich dem Auswärtigen Amt, dass die Schweizer Geografen eine Hilfsaktion für Philippson planten, um diesem den Aufenthalt in der Schweiz zu ermöglichen.26 Das vom Auswärtigen Amt eingeschaltete Reichssicherheitshauptamt stellte am 26. Januar 1942 klar: Philippson komme „nach den Richtlinien zur technischen Durchführung der Evakuierung auf Grund seines hohen Alters für eine Abschiebung in den Osten nicht in Betracht“. Sein Verbleib in Bonn oder eine Auswanderung könne aber nicht erlaubt werden, vielmehr sei beabsichtigt, „die über 65 Jahre alten, im Reichsgebiet ansässigen Juden in einem Altersghetto zusammenzuziehen“.27

23 24 25 26 27

Vgl. Kaznelson (Hg.): Juden, S. 385. Vgl. Brief Troll an Metz, o. D. [Juli 1942], auszugsweise abgedruckt in: Böhm (Hg.): Beiträge, S. 222–224. Vgl. auch Mehmel: Philippson, S. 374. Brief Hedin an Frick vom 3.1.1942, zit. nach: Böhm/Mehmel: Einleitung, S.  XX f., hier S. XXI. Vgl. Brief Generalkonsul in Zürich an das Auswärtige Amt vom 5.1.1942, zit. nach: Mehmel: Philippson, S. 375. Brief Adolf Eichmann an das Auswärtige Amt vom 26.1.1942, zit. nach: Mehmel: Philippson, S. 375 f.

Alfred Philippson

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Am 8. Juni 1942 wurde Philippson mit seiner Frau und seiner Tochter von Bonn nach Köln in ein Sammellager gebracht und am 14. Juni nach Theresienstadt verschleppt.28 Darüber waren von Drygalski in München,29 Troll und einige seiner Bonner Institutskollegen sowie die dortige Universitätsleitung genau informiert. Noch am gleichen Tag trafen sich die Bonner Geografen, um zu beraten, was nun „noch unternommen werden könnte“,30 und sie verhandelten anschließend sowohl mit dem Rektor als auch mit der Gestapo, um zumindest das Manuskript über Griechenland in Sicherheit bringen, an dem Philippson seit 1935 arbeitete. Zwar war dieses nicht aufzufinden, aber sie erreichten, dass das Geographische Institut die Erlaubnis erhielt, die Privatbibliothek und zahlreiche weitere Materialien Philippsons zu übernehmen. Wahrscheinlich wären die Bücher sonst versteigert worden – so wie das meiste, was sich in Philippsons Haus befand. Zudem beschlossen sie, erneut Hedin einzuschalten, der sich zu diesem Zeitpunkt in Deutschland aufhielt. Als dieser am 1. Juli mit Frick sprach, war Philippson jedoch bereits deportiert. Auffällig ist zum einen, wie genau Philippsons Verschleppung in seinem näheren beruflichen Umfeld bekannt war. Zum anderen zeigen die zeitgenössischen Aussagen auch, dass man offenbar nicht mit Philippsons Rückkehr rechnete, und zwar weder die Universität, welche die Zahlung von Philippsons Versorgungsbezügen zu Ende Juni 1942 einstellte, noch seine Kollegen. Troll berichtete im Sommer 1942, dass er „den ganzen Nachlaß [!] an Büchern, Karten, Bildern, Tagebüchern, Zeitschriften, Manuskripten etc. in der Wohnung übernommen und in unserem Institut zu treuen Händen sichergestellt“ habe,31 und von Drygalski bot an, Philippsons bereits erwähntes Manuskript über Griechenland fertigzustellen32 – ganz offensichtlich davon ausgehend, dass Philippson selbst dazu nicht mehr in der Lage sein würde. In Theresienstadt wurden Dora, Margarete und Alfred Philippson zunächst in ein Massenquartier eingewiesen. Das Leben des fast 80-jährigen Philippson war aufs Äußerste bedroht, und er kam aufgrund seines angegriffenen Gesundheitszustands bald in das sogenannte Lagerkrankenhaus.33 Mitte September 1942 bestellte ihn jedoch die Lagerkommandantur ein, und man fragte ihn nach seinem Verhältnis zu Hedin; daraufhin musste er diesem schreiben, dass es ihm wohl ergehe. Kurz drauf erhielt Philippson den „Prominentenstatus A“. Den so klassifizierten Gefangenen und ihren Familienangehörigen – es handelte sich um weniger als 0,5 Prozent aller Häftlinge – gestand die Lagerleitung Privilegien wie 28 29 30 31 32 33

Vgl. Neugebauer: Dokument, S. 163. Vgl. Brief Hedin an Troll vom 2.7.1942, auszugsweise abgedruckt in: Lehmann/Troll: Philippson, S. 212. Lehmann/Troll: Philippson, S. 211. Zum Folgenden vgl. ebd., S. 211 f.; sowie Brief Troll an Friedrich Metz, o. D. [Juli 1942], auszugsweise abgedruckt in: Böhm (Hg.): Beiträge, S. 222– 224. Brief Troll an Friedrich Metz, o. D. [Juli 1942], zit. nach: Böhm (Hg.): Beiträge, S. 222–224, hier S. 224. Vgl. Brief Hedin an Troll vom 2.7.1942, auszugsweise abgedruckt in: Lehmann/Troll: Philippson, S. 212. Vgl. Dora Philippson: Bericht, S. 309. Zum Folgenden ebd., S. 318 f.

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bessere Unterkünfte und die Befreiung von der Arbeitspflicht zu; zudem durften sie häufiger Briefe schreiben. Am wichtigsten jedoch war, dass sie vor der Deportation in die Vernichtungslager geschützt waren – freilich konnte die SS den „Prominentenstatus“ jederzeit wieder entziehen. Bei den meisten der rund 200 „Prominenten“ handelte es sich um bekannte Künstler, hochrangige Militärangehörige, Politiker, Wissenschaftler, Adlige oder Industrielle. Ihre Haftbedingungen unterschieden sich grundlegend von denen der anderen circa 35.000 Häftlinge. Die Bevorzugung, die Philippson ab September 1942 erfuhr – er erhielt nun mit seiner Frau und seiner Tochter ein eigenes, mit ein wenig Mobiliar ausgestattetes Zimmer –, war ausschlaggebend dafür, dass er Theresienstadt überleben konnte. Dora Philippson schrieb im Frühjahr 1945: „Dieses eigene Zimmer vor allem war die Rettung meines Vaters, der so überaus infektionsgefährdet ist und den Läusewinter in Normalubikation sicher nicht überstanden hätte.“34 Dass Philippson diese Privilegien gewährt wurden, verdankte er dem erneuten Eingreifen Sven Hedins, der möglicherweise sogar – dies vermutet zumindest Hans Günther Adler – in einem Brief an Hitler seine Stellung zu Deutschland von Philippsons Schicksal abhängig gemacht hatte.35 Sein Handeln gründete auf seiner wissenschaftlichen und freundschaftlichen Verbundenheit mit Philippson. Astrid Mehmel konnte zeigen, dass Hedin sich in anderen Fällen, in denen er um Hilfe für einen Deportierten gebeten wurde, zwar ebenfalls engagierte, aber nicht mit dem Nachdruck, mit dem er sich für Philippson einsetzte.36 Wenn Philippson geschont werden könne, so schrieb Hedin im März 1942 an Fricks Generalreferenten, „würde ich mich glücklich schätzen, denn er ist als Forscher erstklassig und seit 53 Jahren mein guter Freund“.37 Durch den „Prominentenstatus“ waren die Philippsons in Theresienstadt also geschützt und privilegiert. Zudem schickte Hedin Lebensmittelpakete, und Philippson durfte sich auch einige Bücher und Fachzeitschriften vom Geographischen Institut der Universität Bonn und von seinen Bonner Kollegen schicken lassen. Dies ist insofern bemerkenswert, als dies ja auch bedeutete, dass sowohl das Institut als auch die Bonner Geographen weiterhin mit Philippson in Kontakt standen. Zudem berichtete Hedin den Kollegen in Deutschland und der Schweiz sowie Waibel in den USA darüber, wie es Philippson ging. Gleichwohl war Hedins Schutz nicht unbegrenzt. Am 20. April 1945 erhielten die Philippsons den Befehl der SS-Lagerleitung „zur Teilnahme an der vorbereiteten, ins Ausland bestimmten Reisegruppe“.38 Philippson war bewusst, dass diese Mitteilung das Todesurteil bedeutete, nämlich die Deportation in ein Vernichtungslager. Doch bevor es dazu kam, zog die SS aus Theresienstadt ab. Das Lager wurde Anfang Mai der Roten 34

35 36 37 38

Dora Philippson: Bericht, S. 318. Vgl. auch Brief Philippson an Hedin vom 23.7.1943, in dem er über seinen angegriffenen Gesundheitszustand berichtete, RA, Sven Hedin Archive, box 487, sowie Brief Philippson an von Drygalski vom 15.11.1945, auszugsweise abgedruckt in: Böhm/Mehmel: Einleitung, Fn. 39, S. XXII. Vgl. Adler: Theresienstadt, S. 311. Vgl. Mehmel: Briefe. Brief Hedin an Fricks Generalreferenten, o. D. [März 1942], zit. nach: Mehmel: Briefe, S. 44. Befehl vom 20.4.1945, zit. nach: Böhm/Mehmel: Einleitung, S. XXIV.

Alfred Philippson

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Armee übergeben, die es wegen sich ausbreitender Seuchen unter Quarantäne stellte. Am 10. Juli 1945 kehrten die Philippsons nach Bonn zurück. Auf Hedins Wunsch hin sollte Philippson in Theresienstadt ermöglicht werden, seine Studie über Griechenland fertigzustellen.39 Für Philippson hatte diese eine besondere Bedeutung, da er seit Mitte der 1930er Jahre an ihr arbeitete und das Buch sein Lebenswerk werden sollte. Während der Novemberpogrome 1938 hatte er das Manuskript daher, Konfiszierung oder Vernichtung befürchtend, zu einer befreundeten Professorenfamilie gebracht. Marie Kahle, die Frau des Bonner Theologen und Orientalisten Paul Kahle, der 1939 aus politischen Gründen entlassen wurde und mit seiner Familie nach Großbritannien emigrierte,40 nahm es einige Tage in ihre Obhut.41 Als Philippson 1942 nach Theresienstadt deportiert wurde, versuchten seine Kollegen, den Text sicherzustellen, doch er war nicht aufzufinden. Nach Kriegsende stellte sich heraus, dass Philippson selbst das Manuskript noch rechtzeitig vor seiner Verschleppung an Kollegen und Verwandte geschickt hatte.42 Erst nach Kriegsende konnten die einzelnen Teile wieder zusammengeführt und – wie noch ausgeführt wird – publiziert werden. Da Philippson in Theresienstadt also weder sein Manuskript über Griechenland noch andere wissenschaftliche Hilfsmittel zur Verfügung standen, entschied er, seine Lebenserinnerungen niederzuschreiben: „Hier in Theresienstadt, entfernt von allen meinen Aufzeichnungen und von allen literarischen Hilfsquellen, konnte ich nur aus meinem Kopf niederschreiben, es konnten nur Erinnerungen sein!“43 Es waren jedoch offenbar nicht nur „die Umstände“, durch die er „gezwungen“ war, seine Autobiografie zu verfassen, sondern, wie er ursprünglich formulierte, „weil ich nicht anders konnte“.44 Darauf wird noch zurückzukommen sein. Philippson begann am 15. Oktober 1942 mit der Niederschrift, also kurz nachdem die SS ihm den „Promintenstatus“ zugebilligt hatte, und beendete sie Ende 1944.45 Der Text folgt dem klassischen Muster einer Autobiografie und schildert die typischen Phasen eines bildungsbürgerlichen Werdegangs. Ungewöhnlich  – und Philippsons Profession geschuldet  – ist, dass die einzelnen Kapitel umfangreiche Exkurse zu topografischen, geografisch-historischen, verkehrspolitischen und naturwissenschaftlichen Themen enthalten. Zudem erstaunt die große Detailtreue und Präzision der Beschreibung sowie der Umfang: Das handschriftliche Originalmanuskript umfasst rund 1.000 Seiten. Der für den heutigen Leser jedoch sicherlich bemerkenswerteste Umstand besteht darin, dass 39 40 41 42 43 44 45

Vgl. Böhm/Mehmel: Einleitung, XXII. Vgl. Kahle: Bonn. Vgl. Kahle: Flucht, S. 13–15; Neugebauer: Pogrom, S. 198 f. Vgl. die entsprechende, von Philippson angefertigte Liste der Empfänger, abgedruckt in: Böhm/Mehmel: Einleitung, S. XXIX f. Philippson: Wie ich zum Geographen wurde, S. 4. Philippson: Wie ich zum Geographen wurde, Fn. 2, S. 3. Einige Ergänzungen fügte Philippson nach der Befreiung an, vermutlich im März 1945, also noch in Theresienstadt, einige weitere nach der Rückkehr nach Bonn, vgl. Böhm/Mehmel: Einleitung, S. XXIV.

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der Text unter den Bedingungen der Lagerhaft entstand, diese aber mit nahezu keinem Wort erwähnt wird. Vielmehr endet die Lebensbeschreibung im Jahre 1911. Philippson schrieb also weder über Theresienstadt, noch thematisierte er die nationalsozialistische Judenverfolgung im Allgemeinen. Nur an einigen wenigen Stellen wird der Holocaust benannt. Ein Beispiel: „Der preussisch-deutsche Patriotismus – nicht Chauvinismus – war mir nicht nur durch Familien-Tradition und Vorbild anerzogen, sondern durch dieses frühe Erleben eines grossen nationalen Aufschwunges [in Folge des Krieges 1870/71] in mir unverlierbar befestigt, er hat auch den deutschen Antisemitismus überlebt. (Als ich dies schrieb, waren mir die Massenmorde der Nazis noch nicht bekannt!)“46 Die Bemerkung in der Klammer fügte Philippson jedoch erst nach Kriegsende ein.47 Dass Philippson die Haftbedingungen in Theresienstadt nicht beschrieb, lag zum einen daran, dass er ja befürchten musste, die SS werde seine Niederschrift überprüfen und ihm den „Promintenstatus“ aberkennen, sollte er die Realität des Lagers dokumentieren. So ist es wohl auch zu erklären, dass die Briefe, die Philippson und Hedin zwischen 1942 und 1945 wechselten, keinen Hinweis auf die Lagerrealität enthalten, sondern ganz konventionell gehalten sind. Meist ging es um gesundheitliche Probleme und Altersbeschwerden, gemeinsame Bekannte und Kollegen sowie um die eigenen (früher durchgeführten oder für die Zukunft geplanten) wissenschaftlichen Vorhaben. Doch die Niederschrift der Lebenserinnerungen scheint eine weitere Funktion erfüllt zu haben. Philippson konnte auf diese Weise der bedrückenden Gegenwart wenigstens gedanklich entrinnen und zudem eine Verbindung zu seinem früheren Leben herstellen. Die Trennung von diesem empfand er als „das Bedrückendste, was wir hier [in Theresienstadt] erleben, dass wir isoliert sind von allen Beziehungen des alten Wirkens unseres früheren Lebens!“ Die Beschäftigung mit der eigenen Biografie durchdrang die „Isolierschicht“,48 die „Abschliessung von der Welt“,49 die Theresienstadt für ihn bedeutete. In diesem Sinne kann wohl auch Philippsons ursprüngliche Erklärung gelesen werden, er habe seine Lebenserinnerungen niedergeschrieben, „weil ich nicht anders konnte“.50 Er musste über sein Leben schreiben, weil er sonst von der Lagerrealität – Hunger, bedrängende Enge, Seuchen, Tod – überwältigt worden wäre. Philippson setzte sich gegen die Bedrohung seiner realen Existenz schreibend zur Wehr, vergewisserte sich seiner selbst in der Verfertigung seiner Lebensgeschichte und in der Darstellung seiner selbst als wissenschaftlich tätiger Geograf und preußischer Hochschullehrer. Aus diesem Grund endete die Autobiografie nicht 1944, mit seiner aktuellen Lebenssituation als Häftling in Theresienstadt, sondern 1911. Das in diesem Jahr angetretene Ordinariat in Bonn markierte „den Gipfel meiner Lebenskurve“51 und symbolisiert 46 47 48 49 50 51

Philippson: Wie ich zum Geographen wurde, S. 156. Philippson: Wie ich zum Geographen wurde, Fn. 62, S. 156. Rede Philippsons anlässlich seines 80. Geburtstags am 1.1.1944 in Theresienstadt, abgedruckt in: Philippson: Wie ich zum Geographen wurde, S. 761 f., hier S. 761. Philippson: Wie ich zum Geographen wurde, S. 194. Philippson: Wie ich zum Geographen wurde, Fn. 2, S. 3. Philippson: Wie ich zum Geographen wurde, S. 757.

Alfred Philippson

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zugleich sein Selbstverständnis. Daran schreibend festzuhalten, ermöglichte ihm zu überleben. Die Beschäftigung mit seiner eigenen Autobiografie und der Frage, wie er zu dem wurde, was er in seiner Wahrnehmung nach wie vor war – nämlich Geograf, nicht KZ-Häftling –, kam eine identitätsstabilisierende Funktion zu. Er überlebte aber auch deshalb, weil Freunde und Kollegen, allen voran Sven Hedin, intervenierten und seine Besserstellung durchsetzten. Die wissenschaftlichen und freundschaftlichen Netzwerke, die bis weit vor die Jahrhundertwende zurückreichten und im Laufe der Jahrzehnte tragfähig geworden waren, hatten also auch nach 1933 Bestand, sie reichten in das NS-Lager und boten selbst dort noch Schutz. Alfred Philippson kehrte mit seiner Frau und seiner Tochter im Juli 1945 aus Theresienstadt nach Bonn zurück. Bemerkenswert ist, dass die Rückkehr von Bonn aus organisiert worden war. Der Bürgermeister der Stadt Bonn sowie der Geologe Hans Cloos hatten veranlasst, dass quer durch das zerstörte Europa von Bonn aus ein Bus nach Theresienstadt geschickt wurde, um die Philippsons sowie alle anderen aus Bonn stammenden Personen abzuholen.52 In Bonn wurde Philippson von Cloos und Troll in Empfang genommen und wenig später vom Rektor der Universität Bonn, Heinrich Konen, begrüßt (Letzterer wird ebenfalls in diesem Buch beschrieben). Konen sorgte in der Folgezeit zusammen mit Troll und Cloos dafür, dass Philippson das erhielt, was dieser selbst als das materiell Dringlichste erachtete: finanzielle Mittel für das Herrichten einer Wohnung und Briketts, für die Aufstellung seiner Privatbibliothek und die Anstellung einer wissenschaftliche Hilfskraft. In anderer Hinsicht konnten sie nichts für ihn tun: Philippson litt sehr darunter, dass er seine Kinder, die vor dem NS-Regime in Frankreich bzw. den Niederlanden Zuflucht gefunden hatten und nach Kriegsende nicht zurückkehren mochten, nicht sehen konnte. Auch eine materielle Entschädigung erhielt Philippson nicht, noch konnte er bis zu seinem Lebensende in sein Haus zurückkehren, das ihm so viel bedeutete. Wie sehr ihn empörte, als Bittsteller auftreten zu müssen, geht aus einer Denkschrift über die Lage der jetzt in Deutschland lebenden Juden hervor, die er im Oktober 1945 dem Bonner Oberbürgermeister und der UNRRA übergab.53 Trotz der misslichen Umstände, trotz der Haftzeit und seines hohen Alters nahm Philippson bald nach seiner Rückkehr seine wissenschaftliche Tätigkeit wieder. Er lehrte erneut, hielt die Lehrveranstaltungen in Anbetracht seiner angegriffenen Gesundheit sogar bei sich zu Hause ab. Darüber hinaus begann er wieder, wissenschaftlich zu schreiben und zu veröffentlichen. Seine größte Anstrengung galt jedoch dem Abschluss seiner großen Studie Die griechischen Landschaften, die in vier Doppelbänden zwischen 1950 und 1955 erschien. Nach seiner Rückkehr musste Philippson realisieren, dass er während der NSZeit nicht nur als Person „aus der deutschen Geographie u. der Wissenschaft überhaupt“ ausgeschlossen worden war, sondern dass die Community auch seine 52 53

Vgl. Lehmann/Troll: Philippson, S. 213; vgl. Brief Philippson an Hedin vom 29.5.1946, RA, Sven Hedin Archive, box 487. Die Denkschrift ist abgedruckt in: Philippson: Wie ich zum Geographen wurde, S. 763–767.

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wissenschaftlichen Arbeiten ignoriert hatte. Sie sind, so schrieb er am 9. Mai 1947 seinem Kollegen, dem Geografen Hans Mortensen, „meist totgeschwiegen worden […], wo sie sachlich hätten zitiert werden müssen, oder mein geistiges Eigentum [ist] geplündert worden […], ohne mich zu nennen“. Er war in einer Zeit wissenschaftlichen „Angriffen“ ausgesetzt, „in der ich nicht nur mundtot, daher wehrlos, sondern nach dem KZ Theresienstadt verschleppt war, wo ich schon als tot gelten konnte“.54 Während Philippson nach 1945 die Konfrontation mit denjenigen Kollegen suchte, die ihn derartig angegriffen bzw. missachtet hatten, setzten sich die meisten Mitglieder der wissenschaftlichen Community mit dem eigenen Handeln bzw. den Unterlassungen während der NS-Zeit nicht auseinander. Man fand nicht einmal geeignete Worte für das, was Philippson angetan worden war. Philippson habe, so hieß es etwa, in der „Verbannung“ gelebt,55 ein „gütiges Geschick“ habe ihn nach „schweren Leiden und Entbehrungen […] wieder nach Bonn und zu unserer Universität zurückgeführt“.56 Andererseits würdigte im gleichen Zeitraum nicht nur die bundesdeutsche Gesellschaft, sondern auch die wissenschaftliche Community sein Lebenswerk: 1947 durfte sich Philippson in das Goldene Buch der Stadt Bonn eintragen, und 1952 erhielt er das Große Bundesverdienstkreuz. Zudem verlieh ihm die Universität Bonn 1946 den Titel „Dr. rer. nat. h. c.“ – wesentlichen Anteil daran hatte erneut Konen –, und 1947 erhielt er die Gustav-Steinmann-Medaille, den Forschungspreis der Geologischen Vereinigung. Philippsons Verbundenheit mit der akademischen Welt und vor allem mit seiner Heimatuniversität Bonn wurde weder durch die Versuche, sein wissenschaftliches Werk „totzuschweigen“, noch durch Theresienstadt grundsätzlich erschüttert. Er empfinde, so schrieb er anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde 1946 an Konen, tiefe Dankbarkeit für das Glück, „von der heimischen Hochschule, der ich, zuerst als Student, dann als Dozent, während 50 Jahren meines Lebens angehört habe, nunmehr, nach Jahren der Entrechtung, wieder in ihren Reihen als nützliches Mitglied ehrenvoll bewillkommnet zu sein […] und von den massgebenden Beurteilern als nützlicher Mitstrebender im Dienste der Wissenschaft und der Lehre anerkannt zu werden. […] Ich fühle mich am Ende meines Lebens und bei der furchtbaren Zerstörung und Zerrüttung der Vaterstadt und der Universität enger mit dieser verbunden als je zuvor.“57 Kurze Zeit später erkrankte Philippson so sehr, dass er das Haus kaum noch verlassen konnte. Der 89-Jährige starb am 28. März 1953, seine Frau nur 13 Tage später.

54 55 56 57

Brief Philippson an Hans Mortensen vom 9.5.1947, zit. nach: Böhm/Mehmel: Einleitung, S. XV. Lehmann/Troll: Philippson, S. 209. Entwurf eines Briefes des Geographischen Instituts an Philippson vom 20.10.1946, UABo, PA Philippson. Brief Philippson an Konen vom 22.10.1946, UABo, PA Philippson.

Wilhelm

Salomon-Calvi

Wilhelm Salomon kam am 15. Februar 1868 als Sohn eines jüdischen Fabrikanten in Berlin zur Welt.1 Nach dem Schulbesuch studierte er Geologie und Mineralogie in Berlin und Leipzig sowie an den „Alpenuniversitäten“ Zürich und München, galt das besondere Interesse des passionierten Bergsteigers doch dem Hochgebirge. In Zürich förderte ihn besonders der Geologe Albert Heim und in München August Rothpelz. Im Laufe seines Studiums beschäftigte er sich intensiv mit dem Camonica-Tal und dem Adamello-Massiv im italienischen Teil der Ostalpen, das er auch in seiner 1890 in Leipzig von dem Geologen Hermann Credner sowie dem Mineralogen und Petrografen Ferdinand Zirkel betreuten Promotion beschrieb. Die Arbeit trug den Titel Geologische und petrographische Studien am Monte Aviólo im italienischen Antheil der Adamellogruppe. Auch privat spielte diese Alpenregion für Salomon eine besondere Rolle, da er am Fuße des Adamello-Stocks in einem Dorf namens Edolo Anfang der 1890er Jahre seine spätere Frau Rosalie Calvi kennenlernte. Im Jahr 1892 starb seine Mutter, und Salomon trat nun zum Katholizismus über, dem religiösen Bekenntnis seiner Frau. Einige Jahre nachdem auch seine Frau verstorben war, nahm er deren Geburtsnamen als Zweitnamen an.

1

Zu seiner Biografie und zum Folgenden vgl. den entsprechenden Eintrag in DBE; zudem Becke: Grußworte; Drüll: Gelehrtenlexikon, S. 230 f.; Eckart u. a. (Hg.): Universität, S. 1181– 1189; Heidelberger Akademie der Wissenschaften (Hg.): Reich, S.  73–78; Mußgnug: Dozenten, S. 73–75 und 143 f.; Pfannenstiel: Gedenkrede; Widmann: Exil, S. 158 f. und 287; Wurm: Salomon-Calvi; und UAH, PA 2549 und PA 5580.

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Bis kurz vor der Jahrhundertwende lebte die Familie, zu der vier Kinder gehörten, in Pavia, wo Salomon-Calvi eine Assistentenstelle am Mineralogischen Institut der Universität innehatte und sich 1895 habilitierte. Zwei Jahre später kehrte er nach Deutschland zurück und arbeitete zunächst als Assistent bei Harry Rosenbusch, einem der Begründer der modernen Petrografie, am MineralogischGeognostischen Institut der Universität Heidelberg. Noch im selben Jahr erfolgte die Umhabilitation mit einer zweiten Schrift, die bereits in Italien entstanden war und sich mit Alter, Lagerungsform und Entstehungsart der periadriatischen granitischkörnigen Massen beschäftigte. 1899 erhielt er in Heidelberg eine außerordentliche Professur für Paläontologie und Stratigrafie, die in den folgenden Jahren mehrfach umgewandelt und umbenannt wurde. 1913 schließlich stieg er als Nachfolger Rosenbuschs zum Ordinarius für Geologie auf und wurde 1921 zum ersten Direktor des Geologisch-Paläontologischen Instituts bestellt. Unter seiner Leitung blühte dieses auf. Es zeichnete sich sowohl als praktische Ausbildungsstätte für angehende Geologen und Bergingenieure aus, die in großer Zahl nach Heidelberg kamen, als auch als wissenschaftliches Zentrum, das international Beachtung fand. Salomon-Calvi galt und gilt als der Begründer der Geologie an der Universität Heidelberg, die sich nach der Jahrhundertwende als Disziplin von der Mineralogie löste.2 Diese Entwicklung zeigt sich auch in der Forschungstätigkeit Salomon-Calvis, in der sich gleichsam ein Teil der Geschichte der geologischen Wissenschaft spiegelt. Salomon-Calvi trug zur Entwicklung der geologischen Forschung in ihrer ganzen Breite bei, von der Mineralogie, über die Petrografie und die allgemeine wie auch die angewandte Geologie bis hin zur Paläontologie.3 Mit seinem Wechsel nach Heidelberg kam mit Südwestdeutschland eine weitere Forschungsregion hinzu. So entstanden einige Arbeiten zur dortigen morphologischen Entwicklung – insbesondere des Odenwalds und des Kraichgaus –, und er untersuchte die Heidelberger Gegend im Hinblick auf ihre Geologie, Hydrologie, Heilquellen und Bodenschätze wie zum Beispiel Kalisalz oder Erdöl.4 1918 führte er Bohrungen am südlichen Neckarufer durch und stieß dabei auf eine heilsame Radium-Sol-Quelle, die lange Zeit genutzt werden konnte und erst Ende der 1950er Jahre versiegte. Zudem gehören zwei bedeutsame Vorhaben der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, die der Geologe leitete, in diesen Zusammenhang: die Bergung und Erschließung von Fossilien, die in dem kleinen Ort Mauer an der Elsenz gefunden wurden (bekannt ist bis heute der Unterkiefer des sogenannten Homo heidelbergensis), sowie die Erstellung des Oberrheinischen Fossilienkatalogs in Zusammenarbeit mit der Paläontologischen Abteilung des Badischen Landesmuseums in Karlsruhe. Salomon-Calvi war also in mehrfacher Hinsicht eng mit der Region sowie der Universität und der Stadt Heidelberg verbunden, wie umgekehrt auch diese ihn 2 3 4

Vgl. Becke: Grußworte, S. 246. Vgl. Wurm: Salomon-Calvi, S. 142 f. Zur Würdigung seiner wissenschaftlichen Tätigkeit insgesamt vgl. ebd., S. 142–145, sowie Pfannenstiel: Gedenkrede, S. 254–258. Derartige Untersuchungen regte Salomon-Calvi 1907 in einer Denkschrift an den badischen Staat an, vgl. Becke: Grußworte, S. 246; Pfannenstiel: Gedenkrede, S. 253.

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schätzten. So verlieh ihm der badische Staat den Titel eines „Geheimen Hofrats“ sowie das Ritterkreuz 1. Klasse vom Zähringer Löwen, die Stadt Heidelberg ernannte ihn im Frühjahr 1926 zum Ehrenbürger, und die Universität setzte einiges daran, ihn dauerhaft zu halten und die an ihn ergangenen Rufe nach Hannover, Leipzig und München abzuwehren. Dass Salomon-Calvi sich auch bei den Studenten großer Beliebtheit erfreute, zeigt eine Festschrift, die seine Schüler ihm zu seinem 65. Geburtstag im Februar 1933 darbrachten. Über die entsprechende Feier berichtete das Heidelberger Tageblatt ebenso wohlwollend wie ausführlich.5 Nicht nur in der Stadt und Universität Heidelberg nahm Salomon-Calvi spätestens seit dem Ersten Weltkrieg einen etablierten Platz ein, sondern auch in der nationalen und internationalen Wissenschaftscommunity der Geologen. Er gehörte 1910 zu den Mitbegründern der Geologischen Vereinigung, war lange Zeit Vorstand des Oberrheinisch-Geologischen Vereins Heidelberg-Mannheim sowie des Naturhistorisch-medizinischen Vereins Heidelberg und fungierte als Leiter und Mitherausgeber diverser geologischer Zeitschriften. 1916 wählte ihn die Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften zum ordentlichen Mitglied, ab 1919 gehörte er zudem als korrespondierendes Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und ab 1928 der Königlichen Akademie der Wissenschaften und der Künste in Barcelona an. In jeder Hinsicht im wissenschaftlichen Feld ausgewiesen, stieg Salomon-Calvi schließlich auch zum Repräsentanten der Community auf. Nach rund 30 Jahren Hochschuldienst wählte diese ihn im Frühjahr 1933 in den DFG-Fachausschuss Geologie. Der Vorschlag kam von der Deutschen Geologischen Gesellschaft,6 und die Wahl erfolgte ohne erkennbare Ressentiments – Salomon-Calvi zögerte nicht, sie anzunehmen.7 Die „Machtergreifung“ änderte nichts daran, dass sich Salomon-Calvi als heimatverbundener Patriot fühlte, der sich nicht scheute, seine Wissenschaft in den Dienst des Vaterlandes zu stellen. Im Ersten Weltkrieg hatte er sich bei den Kämpfen vor Verdun als beratender „Kriegsgeologe“ an die Front begeben und zudem mehrere kleinere Schriften für diejenigen Geologen verfasst, die sich an der Front mit Wasser- und Stollenbaufragen zu befassen hatten. Schließlich unterrichtete er, da die meisten Studenten eingezogen waren, am Heidelberger Gymnasium Geologie, Mineralogie und Geografie. Auch zu Beginn der 1930er Jahre bekannte er sich zu einem einigen und starken Vaterland. So beklagte er als Festredner zum Reichsgründungstag am 18. Januar 1933 „die Zersplitterung […], die der Partikularismus nicht nur äusserlich, sondern auch innerlich in Deutschland [hervorgebracht hat]. Er war der Krebsschaden, der eine machtvolle Zusammenfassung der 5 6 7

Vgl. den Artikel im Heidelberger Tageblatt vom 20.2.1933. Ein Exemplar befindet sich in UAH, PA 2549. Die Festschrift erschien als Sonderband der Geologischen Rundschau. Vgl. Brief der Deutschen Geologischen Gesellschaft an die Notgemeinschaft vom 7.10.1932, BArch, R 73/131, fol. 120. Vgl. Brief Salomon-Calvi an die Notgemeinschaft vom 22.4.1933, BArch, R 73/131, fol. 114. In den 1920er Jahren hatte er mehrfach Anträge bei der Notgemeinschaft eingereicht, die auch bewilligt wurden, vgl. Datenbank DFG-Geschichte.

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deutschen Kräfte verhinderte.“8 Wenige Wochen später, am 2. Mai 1933, eröffnete Salomon-Calvi seine Sommervorlesung mit der Feststellung, dass sich seit dem Ende des Wintersemesters „in unserem Vaterlande ein Umschwung von grösster historischer Bedeutung ereignet“ hat. Er habe in seiner Rede am 18. Januar von einer „versteinerte[n] Rechtsordnung [gesprochen], die zu beseitigen nur die Not verstünde. Seitdem hat diese Not eine nationale, zielbewusste und energische Regierung entstehen lassen; und ihre erste wahrhaft historische Tat war die Vereinheitlichung Deutschlands. Der Natter der Zwietracht ist damit der Kopf zertreten. Aber noch harrt unser Volk des Wiederaufbaues“. Alle Universitätsangehörigen, Professoren wie Studenten, so forderte er, müssten mit allen Kräften an diesem mitarbeiten, einerseits durch die „Erforschung der wissenschaftlichen Wahrheit“, andererseits aber auch, indem „wir […] unsere Wissenschaften in den Dienst des Landes stellen“. Er vertraue darauf, „dass Sie sehr bald merken werden, dass sich von der Geologie zur Wirtschaft, ja selbst zur Verteidigung des Landes im Kriege tausendfältige Fäden knüpfen“.9 Kurz vor dieser Rede hatte das NS-Regime mit dem Berufsbeamtengesetz weitreichende Maßnahmen zum Ausschluss jüdischer/„nichtarischer“ Wissenschaftler von den Hochschulen ergriffen, und Salomon-Calvi hatte beim Rektor der Universität besorgt nachgefragt, ob er als Katholik von den angekündigten Maßnahmen der Reichsregierung betroffen sei. Er schloss den Brief mit einem Appell: „Ich bitte Sie, wenn Sie es irgend ermöglichen können, mir diese Demütigung zu ersparen“.10 Nur wenige Tage später füllte er den „Arierfragebogen“ aus. Im Begleitschreiben erklärte er, dass er aus Zeitgründen nicht alle Vornamen seiner Großeltern habe feststellen können. „Worauf es Ihnen ankommt, ist ja aber nur die Feststellung, dass sie ihrer Konfession nach sämtlich Juden waren, während ich selbst in jungen Jahren katholisch wurde. Hochachtungsvoll, Geheimer Hofrat Prof. Dr. Wilhelm Salomon-Calvi, Ritter des Zähringer Löwenordens I. Klasse, Ehrenbürger von Heidelberg“.11 Die angedrohte Entlassung wurde zunächst ausgesetzt, da Salomon-Calvi als „Altbeamter“ unter die Ausnahmeregelungen des Berufsbeamtengesetzes fiel.12 Doch die Bedrohung bestand fort, wie der Geologe an den antisemitischen Maßnahmen des NS-Regimes sowie nicht zuletzt an der Vertreibung zahlreicher Gelehrter und Kollegen sah, von denen viele in die Emigration gingen. Im Gegensatz zu anderen Betroffenen spielte er jedoch nicht mit dem Gedanken, sein Heimatland zu verlassen. Vielmehr hielt er an seinen Pflichten fest, tat nach wie 8

9 10 11 12

Manuskript der Vorlesung vom 2.5.1933, UAH, PA 2549. Salomon-Calvi bezog sich darin auf seine Rede vom 18.1.1933. Diese trug den Titel: Die Bedeutung der Bodenschätze und Bodenreformen für Deutschlands politische, kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung. Vgl. dazu auch Heiber: Universität, S. 286. Manuskript der Vorlesung vom 2.5.1933, UAH, PA 2549. Brief Salomon-Calvi an den Rektor vom 6.4.1933, zit. nach: Mußgnug: Dozenten, S. 73. Arierfragebogen vom 13.4.1933, UAH, PA 5580. Vgl. Brief des Engeren Senats der Universität an Salomon-Calvi vom 28.4.1933, UAH, PA 5580.

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vor an der Hochschule Dienst und begutachtete auch weiterhin Anträge der Notgemeinschaft.13 Darüber hinaus betonte er gegenüber dem Rektorat nochmals seine vaterländische Gesinnung und wies auf seine Verdienste in der „Kriegsgeologie“ im Ersten Weltkrieg hin.14 Er konnte sich auch lange nicht entschließen, einen (vermutlich im zweiten Halbjahr 1933) ergangenen Ruf der Land- und forstwirtschaftlichen Hochschule Ankara anzunehmen.15 Dies wurde ihm jedoch sowohl von universitärer als auch von ministerieller Seite mit Nachdruck nahegelegt. So befürwortete der Vizekanzler der Universität, der aktive Nationalsozialist und Geologe Hans Himmel gegenüber dem Ministerium „wärmstens“, SalomonCalvi nach Ankara zu „entlassen“.16 Letztendlich gab Salomon-Calvi dem politischen wie dem universitären Druck nach und nahm im Juni 1934 zeitgleich mit seiner zum 1. Oktober 1934 erfolgten Emeritierung den Ruf nach Ankara als Ordinarius der Geologie und Mineralogie an.17 Seine Verabschiedung erfolgte äußerlich so, als handelte es sich um eine ganz normale universitäre Angelegenheit. Salmon-Calvi versicherte dem badischen Minister, „daß ich die Tätigkeit in Ankara an einer Hochschule mit deutscher Unterrichtssprache und nur deutschen Professoren als ein Mittel betrachte, für unser Vaterland kulturell zu wirken und, soweit es in meinen Kräften steht, dem deutschen Namen Ehre zu machen“.18 Der Kanzler der Universität dankte ihm im Namen des Rektors „herzlichst“ für die langjährige Mitarbeit in Lehre und Forschung. „Ihrer neuen Tätigkeit in Ankara, wohin Sie einem ehrenvollen Rufe folgen, erhoffe ich einen ebensolchen Erfolg wie hier in Heidelberg. Ihnen persönlich wünsche ich gute Gesundheit und einen angenehmen Aufenthalt in der Türkei.“19 Bereits auf dem Weg in die Türkei antwortete Salomon-Calvi, er bedanke sich seinerseits „für die freundliche Gesinnung und schließe mit dem Wunsche, dass unser geliebtes Vaterland bald wieder machtvoll dastehen und alle gegenwärtigen Schwierigkeiten überwinden möge! Heil Hitler!“20 Bei Salomon-Calvis Wechsel nach Ankara handelte es sich aber keineswegs um eine normale universitäre Angelegenheit, sondern um eine aus rassistischen Gründen erfolgte Vertreibung. Der 66-Jährige, der 37 Jahre in Heidelberg gewirkt hatte, verließ die Stadt und die Universität unter Zwang und gegen seinen Willen. Er ahnte vielleicht auch, dass es sich um einen endgültigen Abschied handelte. Zumindest brachte er dies im informelleren Kreis der Schüler und Kollegen zum 13

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Die DFG-Geschäftsstelle hatte am 26.5.1934 um ein Gutachten zum Antrag eines Herrn Dr. Benrath aus Königsberg gebeten, das Salomon-Calvi am 28.5. fertigstellte und wie gewünscht an den FA-Vorsitzenden Gottlob Linck weiterleitete. Am 8.6.1934 trafen die beiden Stellungnahmen wieder bei der DFG ein. Vgl. Förderantrag Benrath, BAL, R 73/10240. Brief Salomon-Calvi an Rektor Groh vom 14.10.1933, zit. nach: Eckart u. a. (Hg.): Universität, S. 1184. Vgl. Widmann: Exil, S. 158. Stellungnahme Himmel vom 16.5.1934, zit. nach: Mußgnug: Dozenten, S. 74. Vgl. Brief Salomon-Calvi an Rektor Groh vom 21.6.1934, UAH, PA 5580. Brief Salomon-Calvi an den badischen Minister des Kultus, Unterrichts und der Justiz vom 5.7.1934, UAH, PA 5580. Brief Kanzler Stein an Salomon-Calvi vom 29.8.1934, UAH, PA 5580. Brief Salomon-Calvi („aus Milano“) an Rektor Groh vom 26.8.1934, UAH, PA 5580.

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Ausdruck: „Meine Heidelberger Zeit“, so schrieb er kurz vor seiner Abreise an den Dekan seiner Fakultät, „ist das wesentliche Stück meines Lebens. Daran kann weder das, was vorausging, noch das, was folgen soll, etwas ändern. Es schmerzt mich, meine Alma Mater zu verlassen, es schmerzt mich, so vielen lieben Freunden den Abschiedsgruß zu entbieten.“ Sollte es ihm nicht beschieden sein, bald zurückzukehren, „dann werde ich wenigstens für unser gemeinsames Vaterland das Leben opfern. Denn es ist ja klar, daß man bei geologischen Reisen in Kleinasien Unfälle und Krankheiten in den Kauf nehmen muß und dass auch jüngere diesen zum Opfer fallen können. Dann ist es eben Schicksal“.21 Innerhalb kurzer Zeit brachen die Verbindungen nach Heidelberg ab. Die Stadt löschte seinen Namen aus der Liste der Ehrenbürger, zum 31. Dezember 1935 entzog ihm die Universität als bereits emeritiertem „nichtarischem“ Ordinarius die Lehrbefugnis, und die Heidelberger Akademie strich ihn 1937 aus ihren Listen.22 Den Ruf nach Ankara hatte die Notgemeinschaft Deutscher Wissenschaftler im Ausland mit Sitz in Zürich vermittelt.23 Gegründet hatte diese der Mediziner Philipp Schwartz, den die Universität Frankfurt am Main im Frühjahr 1933 als „Nichtarier“ vertrieben hatte und der daraufhin zu seinen Schwiegereltern nach Zürich geflohen war. Ende Mai erhielt die Züricher Beratungsstelle eine Postkarte, die vermutlich von dem damaligen Prediger der jüdischen Gemeinde Bern, Josef Messinger, stammte und den Rat gab, die Beratungsstelle solle sich mit dem Genfer Pädagogikprofessor Albert Malche in Verbindung setzen, der in Istanbul eine Universitätsreform vorbereite; dort wären „einige Kapazitäten“ unterzubringen.24 Schwartz stellte die Verbindung her und fuhr Anfang Juli 1933 nach Istanbul. Dort traf er mit Malche und einigen Mitgliedern des türkischen Unterrichtsministeriums zusammen – darunter auch mit dem Unterrichtsminister Resid Galip –, um über die Möglichkeit des Einsatzes von entlassenen deutschen Professoren in der Türkei zu beraten. Die Besprechung im Juli markierte den Beginn der Emigration vertriebener deutscher Wissenschaftler in die Türkei, die bald einen enormen Umfang erreichte. Dass die Vermittlung so problemlos zustande kam, ist vor dem Hintergrund zu erklären, dass die türkische Regierung und vor allem Kemal Atatürk selbst in den späten 1920er Jahren beabsichtigten, die universitäre Landschaft der Türkei

21

22 23 24

Brief Salomon-Calvi an den Dekan der Naturwissenschaftlich-mathematischen Fakultät vom 11.7.1943, zit. nach: Mußgnug: Dozenten, S.  74 f. Auch Adolf Wurm, der seinen Lehrer kurz vor dessen Abreise besuchte, berichtete, dass Salomon-Calvi „der Abschied von seiner geliebten Arbeitsstätte und von einem großen Freundes- und Bekanntenkreis nicht leicht geworden ist“, Wurm: Salomon-Calvi, S. 142. Vgl. auch Heidelberger Akademie (Hg.): Reich, S. 77. Salomon-Calvi betreute von Ankara aus den Fossilienkatalog weiter und steuerte von dort aus 1936 das Vor- und Nachwort bei. Bei dem folgenden Abschnitt handelt es sich um einen gekürzten Text aus meinem Buch: NS-Vertreibung, S. 136–179. Postkarte aus Bern an Schwartz, o. D.; ein Faksimile ist abgedruckt in: Widmann: Exil, S. 235.

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grundlegend neu zu gestalten.25 Im Kern ging es dabei um die Reform der Istanbuler Universität, des sogenannten Hauses (oder Tores) der Wissenschaften (Darülfünun), und um den Aufbau einer (landwirtschaftlichen) Hochschule in Ankara. Die geplante Veränderung im Hochschulsektor stand im unmittelbaren Zusammenhang mit der angestrebten und seit der Gründung der Türkischen Republik 1923 intensiv betriebenen Umstrukturierung des Landes, die darauf zielte, eine an westeuropäischen Standards orientierte Industriegesellschaft zu schaffen. Ein wichtiges Element dabei war die Einrichtung von sogenannten Modelloder Mustereinrichtungen  – wie zum Beispiel von Universitäten, Krankenhäusern oder Landwirtschaftsinstituten – sowie die Anwerbung bzw. Anstellung von ausländischen, vor allem von deutschen Fachkräften und Wissenschaftlern, die jene aufbauen und leiten sollten. Dass Unterstützung ausgerechnet in Deutschland gesucht wurde, lässt sich durch die jahrzehntelange Zusammenarbeit zwischen den beiden Staaten, insbesondere auf militärischem Gebiet und in der Medizin, erklären. So war bereits im Ersten Weltkrieg eine Reihe von deutschen Professoren in Istanbul tätig. Im März 1928 kam eine deutsche Kommission aus Landwirtschaftsexperten nach Ankara, und 1933 entstand dort das Hohe Landwirtschaftliche Institut (Yüksek Ziraat Enstitüsü) mit den drei Fakultäten Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Veterinärmedizin. Ein Jahr zuvor hatte die türkische Regierung zudem Albert Malche gebeten, einen Reformvorschlag für das Haus bzw. Tor der Wissenschaften in Istanbul auszuarbeiten, und sie ergriff nach Beginn der NS-Herrschaft die Gelegenheit, die von ihren Stellen suspendierten deutschen Gelehrten in die Türkei zu holen, um von ihrem Wissen und ihren Erfahrungen zu profitieren. Atatürk beabsichtigte zudem, eine türkische Fach- und Führungselite ausbilden zu lassen, welche die geplanten Mustereinrichtungen nach einer ersten Startphase selbst leiten sollte. Den deutschen Professoren und Experten kam die Aufgabe zu, die Modellinstitute einzurichten und einen Stamm von Fachkräften heranzubilden. Mithilfe der ausländischen Experten strebte die türkische Regierung also gleichsam einen Innovationsschub an, wollte den Fachkräften jedoch keine dauerhafte neue Heimat bieten. Denn die Türkei verstand sich nicht als Einwanderungsland und gewährte den vertriebenen deutschen Wissenschaftlern auch nicht aus humanitären Gründen Exil, sondern aus Nützlichkeitserwägungen. Insofern beschränkte sie den Aufenthalt der ausländischen Experten von vornherein auf drei bis fünf Jahre. Über diesen Zeitraum liefen auch die Arbeitsverträge der vertriebenen deutschen Professoren, die die türkische Botschaft in Genf ausfertigte. Die Gelehrten verpflichteten sich darin, in der Lehre und in der Ausbildung tätig zu werden, die türkische Sprache zu lernen und innerhalb der Vertragszeit Vorlesungen in der Landessprache zu halten, türkische Fach- und Lehrbücher zu schreiben sowie die türkischen Assistenten an ihren wissenschaftlichen Forschungsvorhaben zu beteiligen. Der Arbeitsvertrag beinhaltete auch das Verbot, sich in der Türkei politisch zu betätigen. Atatürks Vision von der Modernisierung des Landes nach westli25

Zur türkischen Hochschulgeschichte vgl. Bozay: Exil, S. 28–32; Widmann: Exil, S. 28–34; Erichsen: Emigration, S. 80 f.

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chem Vorbild  – auch und gerade im Bereich der Wissenschaft  – wurde bereits von den Zeitgenossen gesehen und anerkannt. Fritz Haber jedenfalls bescheinigte Atatürk im Oktober 1933, die Universität Istanbul mithilfe entlassener jüdischer Wissenschaftler aus Deutschland zu einem „Licht im Osten“ zu machen.26 Vor diesem Hintergrund ist die Tätigkeit von Schwartz und der Züricher Zentralberatungsstelle einzuordnen, die sich als sehr erfolgreich erwies. Schwartz konnte bereits bei seinen ersten Verhandlungen in Istanbul im Juli 1933 rund 30 Gelehrte vermitteln. Insgesamt waren es über 200 vertriebene Wissenschaftler, die durch die Tätigkeit der Züricher Institution in Istanbul und Ankara eine neue Arbeitsstelle fanden. Im Herbst 1933 trafen die ersten vertriebenen Gelehrten mit ihren Familien in Istanbul ein: „Man sah sie, etwa 150 Menschen, überall, am Taximplatz, in der Istiklal caddesi, in den Moscheen, Museen, auf Schiffen, auf den Inseln und vor allem an den Badestränden. Sie kamen direkt aus Deutschland, wo sie, verachtet und verfolgt, ihre oft alten Patrizierhäuser verließen, oder aus bescheidenen Boardinghäusern Englands, aus übervölkerten, billigen Pariser Pensionen, in welchen sie als verdrängte Emigranten weilten. Nun lebten sie, in glücklicher Erregung, von einem gastfreundlichen Volk umgeben, frei, als verehrte, ja verwöhnte Einwanderer.“27 Für viele andere war die Ankunft aber auch ein Schock: „We newcomer, with the shock of exile in our bones, found ourselves surrounded by intrigues in a strange culture.“28 Aus der Sicht der meisten Professoren der Weimarer Republik erschien die Türkei in den 1930er Jahren insgesamt „weit hinten“,29 als exotisch oder unkultiviert, jedenfalls als sehr fremd. Da die deutschen Professoren für Atatürks Modernisierungspläne eine äußerst wichtige Rolle spielten, wurden sie von Beginn an privilegiert. Seit dem Zeitpunkt ihrer Ankunft in der Türkei genossen sie eine herausgehobene gesellschaftliche Position. Ernst E. Hirsch, der in Istanbul den Lehrstuhl für Handelsrecht übernahm, hat dies – und auch insbesondere die Diskrepanz zu dem gerade erlebten diskriminierenden Ausschluss aus dem deutschen Wissenschaftssystem – in seinen Erinnerungen festgehalten. Am 28. Oktober 1933 lud die türkische Regierung die aus Deutschland in die Türkei berufenen Professoren zum Empfang anlässlich des zehnten Jahrestags der türkischen Republik ein: „Da stand ich nun, ein in der deutschen Heimat als Jude mißachteter, wegen seiner ‚minderwertigen‘ Rasse aus seinen Ämtern verjagter, unter Aufgabe von Heim und Herd ins ausländische Exil emigrierter Refugié ‚weit hinten in der Türkei‘, inmitten eines von Kristall, Alabaster, Marmor, Intarsien strotzenden, mit kostbaren Möbeln, Teppichen und Gemälden ausgestatteten ehemaligen Thronsaales als ein zu den oberen Tausenden gerechneter deutscher Professor! Es war eine Sternstunde.“30 Mit der Neugründung der Universität Istanbul (Istanbul Üniversitesi) wurden 26 27 28 29 30

Brief Haber an Weizmann vom 5.10.1933, zit. nach: Szöllösi-Janze: Haber, S. 688. Schwartz: Notgemeinschaft, S. 69. Erinnerungsbericht Arthur von Hippel, zit. nach Reisman: Modernization, S. 260. Hirsch: Zeiten, S. 191. Hirsch: Zeiten, S. 191. Vgl. Schwartz: Notgemeinschaft, S. 68.

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65 Ordinariate eingerichtet, die sich, bezogen auf die Herkunft, auf 27 türkische und 38 ausländische (meist deutsche) Lehrstuhlinhaber verteilten.31 Bis in die 1940er Jahre hinein war die Hälfte der Professuren mit vertriebenen deutschen Hochschullehrern besetzt, sodass die Istanbul Üniversitesi als die weltweit größte Emigranten-Universität der 1940er Jahre anzusehen ist. Die Anstellung und Beschäftigung der vertriebenen deutschen Professoren traf jedoch nicht überall auf Zustimmung. Ablehnung erfuhren die akademischen Emigranten in Istanbul und Ankara etwa bei den antimodernistischen türkischen Kräften sowie insbesondere bei denjenigen, die zuvor die Bildungselite gestellt hatten. Hinzu kam, dass die Exilprofessoren finanziell besser gestellt waren als ihre türkischen Kollegen. Salomon-Calvi bezog zudem ein Ruhegehalt der Universität Heidelberg, das freilich um zehn Prozent gekürzt worden war.32 Vielfach beschrieben wurde schließlich, dass sich der Unterrichtsstil der (meisten) deutschen Professoren grundlegend von dem der türkischen Hochschullehrer unterschied, was bei diesen zu Irritationen führte. Die Studenten reagierten auf die ungewohnten Methoden nach kurzer Zeit meist positiv. Für Ilhan Akipek, später selbst Ordinarius, repräsentierten sein Lehrer Ernst E. Hirsch und dessen Lehrmethoden die bewunderte „German Hochkultur“. Coskum Özdemir erinnerte sich daran, dass die deutschen Exilprofessoren – er nannte sie „the world famous scientists“ – insbesondere die Fähigkeit auszeichnete, auf die Studenten einzugehen und ihnen, nicht zuletzt durch ihr eigenes Vorbild, „the pleasure and the love of science“ zu vermitteln, während viele türkische Professoren sich gegenüber den Studenten „hard and cruel“ verhalten hätten.33 In der rückblickend sicherlich verklärt beschriebenen Haltung der deutschen Gelehrten gegenüber den Studierenden scheint etwas wider, was zum zentralen Bestandteil ihres Selbstverständnisses gehörte, nämlich zum einen die als unerlässlich erachtete enge Verbindung zwischen einem Professor und seinen Studenten, zum anderen die – zumindest nach außen propagierte – Hingabe an die Wissenschaft. Die türkischen Ordinarien teilten diesen Habitus nicht, und viele beobachteten den Umgang der deutschen Professoren mit den Studierenden sehr skeptisch. All dies führte zu Unmut und Irritationen bei einigen (früheren) türkischen Hochschullehrern und vielen Angehörigen der Regierungsopposition. Missgunst und Kritik an der kemalistischen Regierung mischten sich mit zum Teil antisemitischen Tendenzen bzw. der insgesamt in der Türkei verbreiteten minderheitenfeindlichen Stimmung der 1930er Jahre. Ein weiterer Konfliktherd bestand zwischen den deutschen Professoren und der türkischen Bürokratie. Viele Reibungspunkte ergaben sich aus dem schlichten Umstand, dass die angestrebten modernen Strukturen ja erst geschaffen werden mussten, und zwar vielfach gegen den zähen Widerstand der türkischen Verwaltung oder einzelner Regierungsvertreter. Die Exilprofessoren sahen sich zudem 31 32 33

Vgl. Verein Aktives Museum (Hg.): Haymatloz, S. 31; Schwartz: Notgemeinschaft, S. 69 f. Vgl. Mußgnug: Dozenten, S. 115. Interview mit Ilhan Akipek 2009, zit. nach Tomenendal u. a.: Émigrés, S. 77 (Hervorhebung im Original); vgl. Bericht Coskum Özdemir vom 3.2.2005, zit. nach: Reisman: Modernization, S. 136.

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damit konfrontiert, dass es an den grundlegenden Voraussetzungen für den Lehrbetrieb fehlte und an Forschung gar nicht zu denken war. All dies erforderte jede Menge Geduld und Improvisationstalent, was nicht allen deutschen Hochschullehrern eigen war. Viele Ordinarien der Weimarer Republik stellten sich nur mit großer Mühe auf den neuen Berufsalltag ein, und ihr Lebensalter – die meisten von ihnen waren über 50 Jahre alt, Salomon-Calvi fast 70 – erleichterte die Umstellung nicht. Die Exilprofessoren trafen in der Türkei nicht nur auf ebenfalls vertriebene Kollegen aus Deutschland, sondern auch auf  – nicht jüdische, nicht vertriebene  – deutsche Professoren, die in den 1930er Jahren von ihren Heimatuniversitäten in die Türkei entsandt worden waren, um dort im Zuge der deutschen auswärtigen Kultur- bzw. Wirtschaftspolitik einige Zeit zu arbeiten.34 Die sogenannten Reichsprofessoren arbeiteten zunächst vor allem in Ankara. Als erster Rektor des dort am 30. Oktober 1933 eröffneten Hohen Landwirtschaftlichen Instituts (Yüksek Ziraat Enstitüsü, YZE) amtierte beispielsweise der Leipziger Agrarwissenschaftler Friedrich Falke, der in der Berliner Notgemeinschaft von 1920 bis 1933 dem Fachausschuss Land- und Forstwirtschaft vorgestanden hatte. Falke schloss die Verhandlungen mit dem türkischen Landwirtschaftsministerium im Januar 1933 ab, und das sächsische Unterrichtsministerium beurlaubte ihn für seine Tätigkeit in Ankara zunächst bis Juni 1934, dann bis Juli 1939. Zu seinen ersten Aufgaben gehörte es, weitere deutsche Gelehrte für die verschiedenen Wissenschaftszweige der geplanten landwirtschaftlichen Hochschule in Ankara auszuwählen. Es sollte sich dabei um „erstklassige“ Professoren und keinesfalls „nur“ um Assistenten handeln, denn nur wenn ein erstklassiger Apparat geschaffen werden könne, würden – so das Argument der deutschen auswärtigen Kulturpolitiker – „die Wünsche der Italiener, Russen u. a., die auch allzu gern die Schule mit Lehrkräften beschicken würden, zum Schweigen gebracht werden“.35 Die Reichsprofessoren, die überwiegend nur bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs in der Türkei blieben, erhielten in familiären oder anderen Notfällen finanzielle Unterstützung des Staates und wurden auch im Hinblick auf die Forschungsförderung weiterhin zum deutschen Wissenschaftssystem gerechnet. So erhielten einige von ihnen für ihre in der Türkei betriebenen Forschungen eine Unterstützung von der Forschungsgemeinschaft bzw. vom Reichsforschungsrat. Bei der Gründung des YZE 1933 kamen alle 25 der dort beschäftigten Professoren aus Deutschland. Mit einer Ausnahme handelte es sich um – nicht jüdische, nicht vertriebene – Reichsprofessoren, die von ihren Heimatuniversitäten für ihre Tätigkeit in der Türkei beurlaubt worden waren.36 Die Ausnahme stellte Salomon-Calvi dar, der im Oktober 1934 seine Tätigkeit als Hochschullehrer in Ankara aufnahm und das Institut für Geologie und Mineralogie aufbauen sollte. Bereits 1934/35 wurde ihm der Lehrstuhl für Geologie an der Istanbul Üniversi34 35 36

Vgl. Widmann: Exil, S. 133; Erichsen: Emigration, S. 73. Beschluss des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten in Ankara vom 6.2.1933, HstADD, 11125, Nr. 10281/138, PA Falke. Vgl. Möller: Universität, S. 260. Vgl. Widmann: Exil, S. 37–41.

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tesi angeboten, den er jedoch auf Bitten des türkischen Landwirtschaftsministers ausschlug. Der Grund dafür lag darin, dass die türkische Regierung beabsichtigte, Ankara zum zweiten wissenschaftlichen Zentrum des Landes auszubauen. Im Zuge dieser Pläne eröffnete man im Laufe der späteren 1930er Jahren weitere wissenschaftliche Institute und „Modelleinrichtungen“: 1935 etwa das HygieneInstitut, das sogenannte staatliche Musterkrankenhaus, die Oper, das Institut für Bodenforschung und die Fakultät für Sprache, Geschichte und Geografie, 1936 das staatliche Konservatorium und 1938 die Hochschule für politische Wissenschaften, an der der spätere Regierende Bürgermeister von Berlin, Ernst Reuter, zukünftige Politiker und Beamte nach Prinzipien der modernen Kommunalverwaltung ausbildete.37 Geplant war zudem, eine geologische Landesanstalt einzurichten, zu deren Leiter man Salomon-Calvi bestellte. So widmete sich Letzterer seit 1936 dem Aufbau der Landesanstalt, während ihm am YZE ein Reichsprofessor nachfolgte. Vor allem in Ankara trafen die vertriebenen deutschen Gelehrten also mit früheren Kollegen zusammen, die nicht entlassen worden waren, sondern sich mit Billigung und im Auftrag des NS-Staates in der Türkei befanden und dem Nationalsozialismus mehr oder weniger nahestanden. Sie arbeiteten mit den Reichsprofessoren in denselben Instituten, gehörten denselben Universitätsgremien an, trafen sich zudem in den privat organisierten wissenschaftlichen bzw. gesellschaftlichen Zirkeln und tauschten sich dort auch über – vermeintlich – gemeinsame Anliegen aus. Friedrich Falke erkundigte sich beispielsweise anlässlich seiner für 1937 anstehenden Entpflichtung als Ordinarius der Universität Leipzig bei den beiden Emigranten Salomon-Calvi und Walter Dix,38 in welcher Höhe der „Auslandsaufenthalt“ in der Türkei auf deren „Ruhegehaltsbezüge“ angerechnet werde.39 Den prinzipiellen Unterschied zwischen ihm und den beiden Emigranten schien er nicht bemerkt zu haben. Für die vertriebenen Gelehrten der Weimarer Republik im türkischen Exil lässt sich zeigen, dass es den meisten trotz aller Belastungen offensichtlich gelang, ihre wissenschaftliche Tätigkeit fortzusetzen. Dies umfasste die Lehre, aber auch die Forschung. Zum Teil waren sie dazu durch ihre Arbeitsverträge verpflichtet, zum Teil aber ließen sie sich durch das neue Umfeld zu neuen Themen und Fragen anregen. Viele bezogen jedenfalls aus diesem ihre Forschungsgegenstände, und die Türkei bot ihnen neue fachliche Perspektiven, die sich in dieser Form in Deutschland nicht eröffnet hätten. Die Forschungsergebnisse fanden zudem durch deutsch-türkische Fachzeitschriften, die neu gegründeten türkischen wissenschaftlichen Vereine und Gesellschaften, die Vorstellung der Forschungsergebnisse auf Fachkongressen sowie nicht zuletzt durch die Korrespondenz mit 37 38 39

Zu Reuter vgl. u. a. Walter: Emigration, S. 226–228; Verein Aktives Museum (Hg.): Haymatloz, S. 196–209; Widmann: Exil, S. 161–167; zuletzt Möckelmann: Wartesaal. Dix war 1935 als ordentlicher Professor für Pflanzenbau nach politischen Angriffen vorzeitig von der Universität Kiel emeritiert worden und nach Ankara emigriert. Dies geht hervor aus einem Brief Falkes aus Ankara an das Ministerium für Volksbildung in Dresden vom 25.7.1936, HstADD, 11125, Nr. 10281/138, PA Falke.

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Fachausschuss Geologie, Mineralogie und Geographie

vertriebenen Wissenschaftlern, die in andere Länder emigriert waren, Eingang in den internationalen wissenschaftlichen Diskurs. Einige Emigranten arbeiteten und publizierten im türkischen Exil im Wesentlichen allein, andere zusammen mit den neuen Kollegen, das heißt mit türkischen (Nachwuchs-)Wissenschaftlern, und einige auch mit den früheren Kollegen, den nicht vertriebenen, nicht jüdischen deutschen Reichsprofessoren. Insofern gibt es einige Hinweise darauf, dass sich die in der Weimarer Republik etablierten Forschungstraditionen durch das neue Umfeld veränderten. Salomon-Calvi ist hierfür ein gutes Beispiel. Er veröffentlichte zwar nicht gemeinsam mit türkischen Wissenschaftlern, wählte aber seine Forschungsgegenstände aus dem neuen Lebensumfeld. Bereits kurz nach seiner Ankunft in der Türkei im Herbst 1934 begab er sich auf ausgedehnte geologische Forschungsreisen nach Anatolien und legte 1936 sein Buch Geologische Beobachtungen über die Türkische Republik vor. In einer Arbeit über die Wasserverhältnisse in Ankara schrieb er zu seiner Motivation, die Forschungsreisen trotz aller Beschwerlichkeiten durchzuführen und die Ergebnisse zu publizieren: So sei ihm klar geworden, dass der Geologie in der Türkei besonders wichtige praktische Aufgaben gestellt seien, von denen die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung des Landes wesentlich abhinge: „Es scheint mir, als ob nicht nur für Ankara, sondern für das ganze Land das wirklich aufzusuchende Gold das unterirdische Wasser ist.“40 In den folgenden Jahren publizierte er mehrere geologische Fachkataloge, etwa über die Wasservorräte, die Heilquellen und die Erdbeben in der Türkei,41 und suchte zudem in Nordanatolien nach Erdölvorkommen. In diesen Studien – insgesamt veröffentliche Salomon-Calvi in der Türkei 37 Arbeiten42 – wird sein Streben deutlich, die wissenschaftlichen Ergebnisse seiner Forschungen für das Land nutzbar zu machen, das ihm nicht nur Exil gewährte, sondern auch eine Möglichkeit bot, seine wissenschaftliche Tätigkeit fortzusetzen. Tatsächlich erwies sich ein Teil der Arbeiten als grundlegend für die türkische Siedlungspolitik.43 Die deutschen Emigranten in der Türkei – und insbesondere die Juden/„Nichtarier“ unter ihnen  – standen von Beginn an unter Beobachtung und Bespitzelung. In den späten 1930er Jahren intensivierte sich die NS-Überwachung. Im November 1938 starb Atatürk, der die Modernisierung des Landes vorangetrieben und die deutschen Professoren gezielt privilegiert hatte. Die späten 1930er Jahre erwiesen sich aber vor allem aus zwei Gründen als Einschnitt: zum einen, weil sich nach der Annexion Österreichs, des „Sudetenlandes“ und der Besetzung der Tschechoslowakei die politische Situation zuspitzte und zahlreiche Juden und NS-Gegner aus diesen Ländern nun emigrierten und zum Teil in der Türkei Zuflucht suchten. Zum anderen verstärkte sich in der Türkei im Zuge eines sich radikalisierenden Nationalismus die bereits vorher vorhandene antijüdische Stimmung – nicht zuletzt durch die von deutscher Seite geförderte Übersetzung und 40 41 42 43

So Salomon-Calvi in einer Arbeit über die Wasserverhältnisse von Ankara, zit. nach: Wurm: Salomon-Calvi, S. 144. Vgl. Widmann: Exil, S. 287. Vgl. Widmann: Exil, Fn. 265, S. 159. Vgl. Mußgnug: Dozenten, S. 181.

Wilhelm Salomon-Calvi

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Verbreitung antisemitischer Schriften. Viele der Wissenschaftler, die bereits seit 1933/34 in der Türkei lebten, nahmen das Auslaufen ihres ersten Arbeitsvertrags zum Anlass, das Land zu verlassen, da sie sich mit dem Leben dort nicht hatten arrangieren können oder wollen. Soweit aus den Quellen ersichtlich, plante Salomon-Calvi zu diesem Zeitpunkt nicht, die Türkei zu verlassen. Gleichwohl stellte auch für ihn das Jahr 1938 einen Einschnitt dar. Nach Atatürks Tod standen für den geplanten Ausbau der geologischen Landesanstalt keine Mittel mehr zur Verfügung, und in Anbetracht der Finanzierungsschwierigkeiten kamen die Pläne für deren weiteren Ausbau dann ganz zum Erliegen. Salomon-Calvi wechselte daher 1938 als Direktor in das unabhängige Institut für Lagerstättenforschung in Ankara, an dessen Entwicklung er maßgeblich teilhatte. 1938/39 gerieten die Exilprofessoren darüber hinaus direkt ins Visier der Nationalsozialisten. Zwar hatten die reichsdeutschen Stellen – die Botschaft bzw. die Konsulate sowie die NS-Organisationen  – sie seit Beginn ihrer Einreise in die Türkei überwacht und bespitzelt. Im Mai 1938 trat jedoch insofern eine Verschärfung ein, als das Deutsche Generalkonsulat nun einen Fragebogen an alle Emigranten verschickte, der nach der „arischen“ Herkunft bzw. nach „nichtarischer Versippung“ fragte. Zudem interessierte die deutschen Behörden, ob die Exilprofessoren in Verbindung mit dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums in den Ruhestand versetzt worden waren. Ein Jahr später, im Mai 1939, ließ das Reichserziehungsministerium überdies die türkische Hochschullandschaft inspizieren. Beabsichtigt war, die dortige Berufungspolitik im Sinne einer an den deutschen Interessen ausgerichteten auswärtigen Kultur- und Wirtschaftspolitik zu beeinflussen. Konkret wollte das Reichserziehungsministerium erreichen, die Zahl der Reichsprofessoren in der Türkei zu erhöhen und die dort tätigen Emigranten durch „arische“ und regimetreue Wissenschaftler zu ersetzen. Ein Mitarbeiter des Ministeriums, der Oberregierungsrat und Sonderreferent für Ostfragen Dr. Herbert Scurla, hielt sich zu diesem Zweck vom 11. bis 25. Mai 1939 in Ankara und Istanbul auf und fasste die Ergebnisse seiner Gespräche mit türkischen Politikern, deutschen Botschaftsangehörigen und zahlreichen Reichsprofessoren in einem Bericht zusammen (Über die Tätigkeit deutscher Hochschullehrer an türkischen wissenschaftlichen Hochschulen). Zur unmittelbaren Bedrohung für die aus Deutschland geflohenen Personen wurde der NS-Staat schließlich im Frühjahr 1941. Im Zuge des sogenannten Balkanfeldzugs besetzte die Wehrmacht im April 1941 Jugoslawien sowie Griechenland, und die deutschen Truppen marschierten an der bulgarisch-türkischen Grenze auf. Da die türkische Regierung einen deutschen Angriff befürchtete, ließ sie die Grundnahrungsmittel rationieren und gab Lebensmittelkarten aus. In den Großstädten ging die Umstellung auf die Kriegswirtschaft zudem mit nächtlicher Verdunkelung sowie Luftschutzübungen einher. Viele Exilprofessoren fürchteten, erneut vor den Nationalsozialisten fliehen zu müssen. Aufgrund der Quellenlage lässt sich nicht sagen, ob dies auch auf Salomon-Calvi zutraf. Nachweisbar ist aber, dass das Reichserziehungsministerium im Februar desselben Jahres einen erneuten Vorstoß unternahm und sowohl die Deutsche Botschaft als auch die

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Universität Heidelberg aufforderte, über seine politische Einstellung Auskunft zu geben. Während die Botschaft in Ankara betonte, dass der Geologe in der Türkei „wissenschaftlich einen sehr guten Ruf “ genieße und es „keinerlei Anlaß zu Beanstandungen hinsichtlich seiner politischen Haltung“ gebe und auch der Heidelberger NS-Dozentenbund nichts Negatives vorbringen konnte,44 schrieb Salomon-Calvis Nachfolger in Heidelberg, Julius Wilser, dass der „Volljude“ Salomon-Calvi „vor dem Umbruch offensichtlich jüdische Personen besonders gefördert“ habe.45 Rektor Wilhelm Groh berichtete dem Reichserziehungsministerium am 14. Mai 1941 zusammenfassend, dass Salomon-Calvi „politisch öffentlich nicht hervorgetreten ist. Wohl aber hat er seine jüdischen Rassegenossen während ihres Studiums besonders gefördert und auch mit ihnen in Heidelberg, wie mir bekannt wurde, während seiner Tätigkeit in Ankara Verbindungen unterhalten.“ Zwar sei anzunehmen, dass er sich „gegenüber dem 3. Reich loyal“ verhalte, eine Rückkehr nach Deutschland sei „jedoch aus verschiedenen Gründen unerwünscht“.46 Möglicherweise hatte Salomon-Calvi selbst darum gebeten, seine Heimatstadt noch einmal besuchen zu können – er starb jedoch am 15. Juli 1941 an den Folgen eines Schlaganfalls. Sein Grab befindet sich auf dem christlichen Friedhof in Ankara-Cebeci.

44 45 46

Im entsprechenden Brief an den Rektor vom 23.4.1941 hieß es, Salomon-Calvi sei politisch nie in Erscheinung getreten. Er habe viele populäre Fachvorträge gehalten und der Turnbewegung nahegestanden, UAH, PA 5580. Brief Wilser an den Rektor und den Dekan der Naturwissenschaftlich-mathematischen Fakultät vom 12.3.1941, UAH, PA 5580. Brief Groh an den Reichserziehungsminister vom 14.5.1941, UAH, PA 5580.

Leo

Waibel

Leo Waibel wurde am 22. Februar 1888 im badischen Kützbrunn nahe Tauberbischofsheim geboren und katholisch getauft.1 Die Volksschule besuchte er  in Kützbrunn und in Handschuhsheim, wohin sein Vater, ein Lehrer, versetzt wurde, dann das Gymnasium im nahe gelegenen Heidelberg. 1907 wechselte er an die dortige Universität, studierte zunächst Biologie und Zoologie, dann Geografie und Naturwissenschaften. Nach einem Aufenthalt in Berlin, wo er vor allem bei dem Geografen und Geologen Albrecht Penck studierte, stellte er 1911 seine Dissertation in Heidelberg fertig, die der renommierte Geograf Alfred Hettner betreut hatte und die sich mit den Lebensformen und Lebensweisen der Waldtiere im tropischen Afrika beschäftigte.2 Unmittelbar anschließend konnte er an einer wissenschaftlichen Expedition der Deutschen Kolonialgesellschaft teilnehmen, die nach Kamerun führte und von Franz Thorbecke geleitet wurde. Dieser hatte als Assistent am Geografischen Seminar der Universität Heidelberg gewirkt und war 1908 als Dozent an die Handelshochschule Mannheim gewechselt. Waibels Aufgabe in Kamerun bestand darin, Tiere und Pflanzen zu beobachten bzw. zu sam1

2

Zu seiner Biografie und zum Folgenden vgl. UABo, PA 11071, den entsprechenden Eintrag in DBE; zudem Böhm (Hg.): Beiträge, S.  15–18 und 228–241; Broek: Waibel; Höpfner: Universität, S.  433–436; Kohlhepp: Bedeutung; Landmann: Anmerkungen; Pfeifer (Hg.): Symposium; Schenk (Hg.): Waibel; Troll: Waibel; Wenig (Hg.): Verzeichnis, S.  325; und Waibel: Forscher. Der Untertitel lautete: Versuch einer geographischen Betrachtungsweise der Tierwelt auf physiologischer Grundlage. Zum Geografischen Seminar unter Hettner vgl. Eckart u. a. (Hg.): Universität, S. 1213–1216.

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meln, wobei ihn zunehmend die Frage beschäftigte, wie brachliegende Flächen für die Landwirtschaft genutzt wurden. Dieses Thema ließ ihn auch in späteren Jahren nicht mehr los. Seine erste Forschungsreise musste er im Mai 1912 jedoch vorzeitig abbrechen, da er an einer schweren Ruhr erkrankte. Nach Heidelberg zurückgekehrt, veröffentliche Waibel mehrere Aufsätze, die in der Deutschen Kolonialzeitung erschienen, um bereits Anfang des Jahres 1914 erneut nach Afrika zu reisen. Die Expedition stand unter der Leitung von Fritz Jaeger, ebenfalls ein Hettner-Schüler, und führte im Auftrag des Reichskolonialamts nach Deutsch-Südwestafrika. Der Beginn des Ersten Weltkriegs unterbrach die Forschungsreise. Ende August 1914 wurden die Expeditionsteilnehmer zur Kaiserlichen Schutztruppe eingezogen, und Waibel nahm mit einer Feldkompanie an mehreren Gefechten teil.3 Nach der Kapitulation der Schutztruppe im Juli 1915 aus dem Militärdienst entlassen, standen die Wissenschaftler in der Folgezeit zwar unter Hausarrest, konnten ihre Feldforschung aber fortsetzen und sich ab Ende 1915 sogar wieder relativ frei bewegen. Als zwei Jahre später die finanziellen Mittel zur Neige gingen, quartierte Waibel sich in Windhuk ein, um Daten der dort betriebenen Hauptwetterwarte zusammenzutragen und auszuwerten. Erst nach Kriegsende kehrte Waibel nach Deutschland zurück, um hier seine wissenschaftliche Laufbahn fortzusetzen. 1920 trat er eine Stelle als Assistent bei Franz Thorbecke in Köln an, wertete die in Deutsch-Südwestafrika zusammengetragenen Materialien aus und publizierte erneut mehrere Aufsätze. Zudem besuchte er Seminare des Wirtschaftshistorikers und -geografen Bruno Kuske, der wenige Jahre später der Notgemeinschaft als Parlamentarier zugewiesen werden sollte und der  – für einen Universitätsprofessor der ersten Hälfte des 20.  Jahrhunderts ungewöhnlich – der SPD angehörte. 1922 legte Waibel seine Habilitationsschrift vor, die auf den meteorologischen Daten aus Windhuk beruhte und den Titel Winterregen in Südwestafrika trug. Nach Abschluss des Habilitationsverfahrens wechselte er als Privatdozent und Oberassistent zu seinem früheren Lehrer Penck nach Berlin, wo er sich umhabilitierte. Bei Penck lernte er auch seine spätere Frau Else Michaelis kennen, die bei jenem als Privatsekretärin arbeitete. Sie heirateten am 11. November 1922 in Berlin-Wilmersdorf und zogen bereits ein halbes Jahr später nach Kiel, da Waibel dort einen Lehrstuhl für Geografie übernehmen konnte. In Kiel beschäftigte sich Waibel vor allem mit den Tropen und Subtropen des amerikanischen Kontinents und setzte sich intensiv mit Siegfried Passarges Landschaftskunde auseinander. Vor dem Hintergrund der so gewonnenen Überzeugung, dass bei allen kulturellen Phänomenen es die Menschen seien, die sich der Landschaft bewusst oder unbewusst anzupassen hätten, entwickelte er – auch zusammen mit seinen Schülern, vor allem mit Wilhelm Credner und Gottfried Pfeifer  – für die Geografie bislang neuartige Methoden, die bald als Grundlagen der sich entwickelnden und ausdifferenzierenden Wirtschaftsgeografie gal-

3

Vgl. Auflistung der Militärdienstzeiten vom 17.8.1924, UABo, PA 11071, Bl. 43. Waibel tat als „Kaiserlicher Reiter“ Dienst und hatte den Rang eines Unteroffiziers inne, vgl. ebd.

Leo Waibel

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ten.4 Im Fachausschuss Geographie der Notgemeinschaft, dem Waibel seit 1924 angehörte,5 war er daher insbesondere für den Unterausschuss Menschengeographie, einschl. Wirtschaftsgeographie (1933 umbenannt in Anthropogeographie, einschl. Wirtschaftsgeographie) zuständig. Er übte dieses Amt bis zur faktischen Auflösung der Fachausschüsse aus6 und erhielt in den 1920er Jahren auch mehrfach Zuwendungen der Notgemeinschaft für seine eigenen Forschungen.7 So finanzierte diese beispielsweise einen Teil der Forschungsreise, die ihn 1925/26 in den Südwesten der USA, nach Arizona, sowie nach Mexiko, genauer nach Chiapas, Sinaloa und Sonora führte.8 In den Publikationen, die Waibel nach der Rückkehr vorlegte, entwickelte er das einflussreiche und bis heute gebräuchliche Konzept der „Wirtschaftsformation“. Der Begriff beschreibt, so eine aktuelle Definition, „das spezifische räumliche Anordnungsmuster der zu einem Wirtschaftszweig gehörenden Objekte und der raumwirksamen Prozesse zwischen diesen Objekten. [Die Wirtschaftsformation] stellt den räumlichen Verbund eines charakteristischen Bündels von Wirtschaftstätigkeiten dar, die auf eine dominierende Wirtschaftsaktivität ausgerichtet sind und deren Interaktionen überwiegend auf eine Region als räumlichen Funktionskomplex beschränkt sind.“9 Zum Winter 1929 wechselte Waibel an die Universität Bonn und übernahm dort Alfred Philippsons renommierten Lehrstuhl. Philippson, dessen Lebensgeschichte in diesem Buch ebenfalls beschrieben ist, war zum 31. März 1929 entpflichtet worden, vertrat seinen Lehrstuhl dann aber noch ein Semester, bis Waibel ihm zum 1. Oktober 1929 nachfolgte. In Bonn formulierte Waibel seine Thesen aus und wurde, so die Einschätzung seines dortigen Nachfolgers Carl Troll aus dem Jahre 1970, zum „bahnbrechenden Anreger der modernen Wirtschaftsgeographie, ganz besonders der Landwirtschaftsgeographie“.10 Seine Leistung bestand vor allem darin, dass es ihm gelang, Theorie und praktische Feldforschung zusammenzuführen und darüber hinaus wirtschaftswissenschaftliche mit naturkundlich-geografischen Ansätzen zu verbinden.11 Erneut erwies sich dabei die Zusammenarbeit mit den Wirtschaftswissenschaftlern als bedeutsam, zu denen Waibel – wie zu seiner Kölner Zeit – den Kontakt suchte. So arbeitete er in

4 5 6 7 8 9 10 11

Vgl. Troll: Waibel, S.  222; Broek: Waibel, S.  289. Zu Waibels „Schule“ vgl. Pfeifer (Hg.): Symposium, S. 5–25; Schenk (Hg.): Waibel, S. 105–122 und 144–159. In jenem Jahr wurde der FA in 12a (Geologie und Mineralogie) und 12b (Geographie) geteilt. Vgl. etwa die Briefe Waibels an die Notgemeinschaft vom 19.4.1933 und vom 12.6.1933, BArch, R 73/131, Bl. 106 und 100. In der Datenbank DFG-Geschichte sind vier Reisebeihilfen verzeichnet, die Waibel zwischen 1923/24 und 1926/27 erhielt. Vgl. den Briefwechsel der Notgemeinschaft mit dem Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom Frühjahr 1926, UABo, PA 11071, Bl. 62–83. http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/wirtschaftsformation.html [Zugriff 7.1.2016]. Vgl. auch Broek: Waibel, S. 289; Troll: Waibel, S. 225; Pfeifer (Hg.): Symposium, S. 26–41. Troll: Waibel, S. 225; vgl. auch Höpfner: Universität, S. 434, der zudem von einer „wesentlichen Neuorientierung“ der Bonner Geografie spricht, ebd. S. 433. Vgl. Höpfner: Universität, S. 434; Broek: Waibel, S. 292; Troll: Waibel, S. 230.

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Bonn unter anderem eng mit Theodor Brinkmann zusammen, der den Lehrstuhl für Landwirtschaftliche Betriebslehre innehatte und 1921/22 im Fachausschuss Land- und Forstwirtschaft der Notgemeinschaft tätig gewesen war. Politisch war Waibel deutschnational eingestellt.12 Diese Haltung zeigte sich insbesondere in seinen kolonialpolitischen Ansichten und auch darin, dass er seine Wissenschaft in den Dienst der Nation stellte und bei seinen Forschungen ein besonderes Augenmerk auf die deutschen Siedler und deren „Leistungen“ richtete. So schrieb er im Februar 1926 in einem Zwischenbericht an die Notgemeinschaft über seine Tätigkeit in Mexiko, dass auf den dortigen Kaffeeplantagen „die Deutschen die Hauptarbeit geleistet haben und den wichtigsten Kulturfaktor darstellen“. Insofern sei seine „Schilderung der hiesigen Verhältnisse zugleich ein Beitrag zur Erforschung des Deutschtums im Auslande“.13 Mit vielen Fachkollegen seiner Zeit teilte Waibel die Überzeugung, dass die Geografie in der Lage sei und sein müsse, an der praktischen Lösung „nationaler Fragen“ mitzuwirken. Seinen Antrag auf Beurlaubung von den Lehrverpflichtungen im Winter 1934/35, um die Studie über Die Stellung der Tropen in Weltwirtschaft und Welthandel abzuschließen, begründete Waibel beispielsweise damit, dass dies „im nationalen Interesse“ liege. Es sei „der tiefere Sinn dieses Buches […], eine wirtschaftsgeographische Begründung unseres Kolonialwillens zu geben“.14 Im Vorwort des 1937 veröffentlichten Werkes, das er Franz Thorbecke widmete, bekräftigte er diese Haltung: „Die große Bedeutung der Tropen als ‚Zukunftsraum der Menschheit‘ ist für uns Deutsche, denen man den tropischen Kolonialbesitz geraubt hat, eine bittere und schmerzhafte Erkenntnis, und das um so mehr, als heute nur noch die Tropen – wenn wir von Südwestafrika absehen  – als koloniales Betätigungsfeld für uns offenstehen. Das deutsche Kolonialproblem ist im Grunde ein Tropenproblem! Von dieser Erkenntnis und Überzeugung ausgehend, ist das vorliegende Werk entstanden. Ich will zeigen, was die Tropen in ihren verschiedenen Teilen für uns und für andere Länder der gemäßigten Zone bedeuten, was wir und andere Völker hinsichtlich der Erschließung der Tropen geleistet haben, und so von einem höheren Standpunkt aus auf die deutsche Kolonialfrage hinweisen. Den materiellen Tropenbesitz hat man uns genommen, den geistigen kann uns niemand rauben!“15 Und die über 400 Seiten umfassende Untersuchung schloss er mit den Sätzen: Im „tropischen Afrika und besonders auch in den ehemaligen deutschen Kolonien [liegen] große Räume brach und harren der Bearbeitung. Möchte man dem deutschen Volke, das in der kurzen Zeit von 1885–1913 soviel zur Erschließung des tropischen Afrika beigetragen hat, bald wieder die Gelegenheit geben, 12 13 14 15

Vgl. Böhm (Hg.): Beiträge, S. 230 f.; Höpfner: Universität, S. 434. 1934 legte Waibel auch den Diensteid auf Hitler ab, vgl. Vereidigungsnachweis vom 7.8.1934, UABo, PA  11071, Bl. 135. Bericht Waibel an die Notgemeinschaft vom 20.2.1926, UABo, PA 11071, Bl. 72. Vgl. auch seinen Bericht vom 6.7.1926, ebd., Bl. 80–83. Vgl. auch Schenk (Hg.): Waibel, S. 64. Antrag Waibel vom 31.8.1934 an das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung in Berlin, UABo, PA 11071, Bl. 188. Waibel: Rohstoffgebiete, S. 14.

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auf eigenem Grund und Boden sich an der weiteren Kultivierung dieses großen Tropenraumes neben den anderen europäischen Kolonialmächten zu beteiligen. In Afrika ist Raum für alle!“16 Die politische Zäsur des Jahres 1933 bedeutete für Waibel keinen beruflichen Einschnitt – zumindest keinen, der sich in den Quellen niedergeschlagen hätte. Vier Jahre später jedoch versetzte ihn das Reichserziehungsministerium in den Ruhestand.17 Man wandte dazu § 6 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums an, nach dem Beamte „zur Vereinfachung der Verwaltung“ ohne Angabe von Gründen in den Ruhestand versetzt werden konnten. Wie in vielen anderen Fällen hatte die Entlassung jedoch einen politisch-rassistischen Hintergrund: Das Ministerium suspendierte ihn vom Dienst, weil seine Frau als „nichtarisch“ galt. Sie selbst gehörte der evangelischen Kirche an, ihre Eltern und Großeltern hingegen waren Juden. Waibel hatte dies bei der entsprechenden Überprüfung 1937 angegeben, die stattfand, als das Reichsinnenministerium und das Reichserziehungsministerium festlegten, dass „jüdisch versippte“ Beamte, beamtete „Mischlinge I. Grades“ und die Ehepartner von „Mischlingen I. Grades“ in den Ruhestand zu versetzen seien. Für die Vertreibung spielte auch eine Rolle, dass Waibel sich trotz seiner deutschnationalen Einstellung nicht systemkonform oder gar pronazistisch verhielt. Auf dem 25. Deutschen Geographentag im Frühjahr 1934 sprach er sich beispielsweise zusammen mit einigen Kollegen gegen die Gleichschaltungspläne der regimetreuen Fachvertreter aus, darunter Ludwig Mecking, Hans Mortensen und Hans Schrepfer. Zudem kritisierte er während der Veranstaltung Schrepfers Vortrag „Raum, Rasse und Volk“, plädierte dafür, den Begriff „Rasse“ in der geografischen Forschung nicht zu verwenden: „Rasse ist ein biologischer Begriff, Rassenforschung ist daher Gegenstand der Biologie, und zwar die Untersuchung der Verbreitung der Rassen. Wir Geographen müssen natürlich die Ergebnisse der Rassenforschung übernehmen und die Verbreitung der Rassen geographisch zu deuten versuchen, aber wir können auf dem Gebiete der Rasse selbst keine Forschung betreiben. Unser Untersuchungsgegenstand ist das Verhältnis von Volk und Raum, da können wir selbständige Forschungsarbeit leisten und hier liegen seit Jahrzehnten unsere Aufgaben.“18 In der sich anschließenden Kontroverse warf Schrepfer Waibel eine Gegnerschaft zum „Fundament der heutigen Staatsidee“ vor. Bald galt Waibel als untragbarer Hochschullehrer. Als er sich beispielsweise im August 1935 um ein Forschungsstipendium für seinen ausscheidenden Assistenten Wilhelm Müller bemühte, urteilte der zuständige Referent im Reichserziehungsministerium, es handele sich um einen typischen Fall, wie ein „an sich guter 16 17 18

Waibel: Rohstoffgebiete, S. 415. Mitteilung REM an Waibel vom 9.7.1937, UABo, PA 11071, Bl. 193. Die Versetzung in den Ruhestand erfolgte zum 1.10.1937. Verhandlungen und Wissenschaftliche Abhandlungen des 25. Deutschen Geographentages zu Bad Nauheim, 22. bis 24. Mai 1934, Breslau 1935, zit. nach: Böhm (Hg.): Beiträge, S. 231. Das folgende Zitat ebd. Vgl. auch Höpfner: Universität, S. 434.

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Mann [Müller] im Bannkreis eines ausgesprochen negativ eingestellten Lehrers (Institutschef Waibel ist mit einer Jüdin verheiratet und demgemäß eingestellt) ins falsche Fahrwasser gerät“.19 Folgerichtig erhielt Müller zwar das Stipendium, sollte aber nach Münster versetzt und damit Waibels Einfluss entzogen werden. Erneut schlossen sich Streitigkeiten und Verunglimpfungen an, die sich über ein Jahr hinzogen. Anfang des Jahres 1937 kam eine fakultätsinterne Auseinandersetzung hinzu,20 in der sich Waibel gegen die Anfeindungen von zwei NS-Aktivisten, des Dozentenführers Kurt Chudoba und des Chemikers Eduard Hertel, zur Wehr zu setzen hatte. Waibel wies in diesem Streit vielfach auf seine „nationale Gesinnung“ hin, die insbesondere in seinen Forschungsarbeiten und Veröffentlichungen zum Ausdruck komme.21 Die Querelen trugen mit zu Waibels rassistisch motivierter Vertreibung von der Hochschule im Sommer 1937 bei. Er selbst zog aus der Exklusion zwei Konsequenzen: Zum einen siedelte die Familie – das Ehepaar hatte im März 1933 einen kleinen Jungen adoptiert – im September 1937 von Bonn nach Berlin um.22 Anschließend nahm Waibel die Einladung eines befreundeten Kollegen zu einer Forschungsreise an,23 zumal ihm das Ministerium die Teilnahme an dem im Juli 1938 in Amsterdam stattfindenden Internationalen Kongress für Geographie und der sich anschließenden Exkursion nach Niederländisch-Indien nicht gestattet hatte. Zwar gelte, so hieß es, Waibel als Autorität auf dem Gebiet der kolonialen Geographie, doch sei zu bedenken, dass er „auf Grund seiner Verehelichung mit einer Volljüdin zum 1. Oktober d. J. seine Pensionierung erhielt, auf Grund dessen seine Einstellung zum Nationalsozialismus sicherlich alles andere als bejahend sein dürfte. Bisher hat sich Prof. W. politisch vollkommen indifferent verhalten.“24 Statt nach Amsterdam und Niederländisch-Indien brach Waibel Ende des Jahres 1937 zu einer Forschungsreise nach Mexiko, Guatemala und Honduras auf. Er kehrte im Sommer 1938 nach Berlin zurück, erlebte dort die Reichspogromnacht, um im März 1939 erneut eine Forschungsreise anzutreten. Auf Einladung seines früheren Schülers Karl J. Pelzer begab er sich in die USA,25 wo er sich auch bei Beginn des Zweiten Weltkriegs noch aufhielt. Waibel beschloss, nicht nach Deutschland zurückzukehren. 19 20 21 22 23 24 25

Notiz Panzer, o. D. [Herbst 1935], zit. nach: Böhm (Hg.): Beiträge, S. 232. Hervorhebung im Original. Diese werden von Böhm (Hg.): Beiträge, S. 232–240, ausführlich geschildert. Vgl. auch Troll: Waibel, S. 226 f. Stellungnahme Waibel vom 31.5.1937, zit. nach: Böhm (Hg.): Beiträge, S.  236–238, hier S. 237. Hervorhebung im Original. Vgl. auch Stellungnahme Waibel vom 2.5.1937, abgedruckt in: Böhm (Hg.): Beiträge, S. 400 f.; Höpfner: Universität, S. 434 f. Vgl. Mitteilung Waibel an den Kurator der Universität Bonn vom 19.9.1937, UABo, PA 11071, Bl. 204; Übersicht über die persönlichen Angelegenheiten, ebd., Bl. 131. Vgl. Mitteilung Waibel an den Rektor der Universität Bonn vom 19.9.1937, UABo, PA 11071, Bl. 207. Brief der Dozentenschaft der Universität Bonn an den Rektor der Universität Bonn vom 27.7.1937, UABo, PA  11071, Bl.  202. Vgl. Antrag Waibel an das Reichs- und Preußische Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 12.7.1937, ebd., Bl. 201. Vgl. Brief Waibel vom 23.4.1939 an Troll, abgedruckt in: Böhm (Hg.): Beiträge, S. 403 f.

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Dass Waibel in den USA bleiben und dort seinen Beruf weiter ausüben konnte, lag nicht zuletzt an Isaiah Bowman, dem renommierten amerikanischen Geografen. Bowman war in zahlreichen nordamerikanischen und internationalen Fachverbänden aktiv, hatte dort vielfach Leitungsfunktionen eingenommen und stand seit 1935 der John Hopkins University in Baltimore als Präsident vor. Seit Kriegsbeginn koordinierte er zudem als Sonderbeauftragter des amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt ein großes Forschungsvorhaben, in dem „geographic studies of localities throughout the world suitable for development by European settlers“ durchgeführt werden sollten und das unter anderem von der Refugee Economic Corporation, einer Flüchtlingsorganisation, finanziell unterstützt wurde.26 Waibel erschien Bowman als prädestiniert für die Untersuchung dieser Fragen, erhielt einen Forschungsauftrag für die Region Zentralamerika und arbeitete seit 1939 als Research Associate im Gebäude der American Geographical Society in New York an dem später so genannten Projekt „M [Migration]“: Siedlungspotentiale Mittelamerikas für die eventuelle Immigration aus Europa nach Beendigung des Kriegs, das aus innen- und außenpolitischen Gründen der Geheimhaltung unterlag und tatsächlich bis 1975 unter Verschluss blieb.27 1941 wechselte Waibel als Gastprofessor auf eine auf fünf Jahre befristete Stelle an die University of Wisconsin in Madison, wo er zum Teil weiter am Projekt M arbeitete. Unter seinen Schülern befanden sich auch einige junge Brasilianer, die Waibel vorschlugen, sein Wissen und seine Erfahrungen für Brasilien nutzbar zu machen. 1946 lud ihn die staatliche Organisation geografischer Landesforschung in Rio de Janeiro, das Conselho Nacional de Geografia, ein, als technischer Berater nach Brasilien zu kommen. Von 1946 bis 1950 übte er diese Tätigkeit aus, wobei er den Status eines Universitätsprofessors innehatte, ohne jedoch in die Lehre eingebunden zu sein. Seine Aufgabe bestand, so schrieb er seinem früheren Schüler Pfeifer, in einer systematischen Untersuchung „der ‚pioneer belts‘ Brasiliens. In einer Weise habe ich eine historische Sendung hier zu erfüllen: ich soll der Verwaltung zeigen, dass die Geographie nicht nur ein akademisches Lehrfach ist, sondern auch eine große praktische Bedeutung hat für die Landesplanung, Siedlungsmöglichkeiten etc.“28 Seine Tätigkeit umfasste vor allem zwei agrar- und siedlungsgeografische Arbeitsbereiche, nämlich Landnutzung und Agrarkolonisation, und er organisierte sie ähnlich wie in früheren Zeiten. So führte er jedes Jahr zwei ausgedehnte Reisen durch, um seine Feldforschung dann am Schreibtisch auszuwerten und die Ergebnisse zu veröffentlichen. Ab 1946 beteiligte sich Waibel an einem weiteren Vorhaben der angewandten Geografie, nämlich an der Standortsuche für eine neue Hauptstadt Brasiliens, die im zentralbrasilianischen Hochland errichtet werden sollte. Bei allen Studien, die er 26 27 28

Broek: Waibel, S. 290. Vgl. Kohlhepp: Bedeutung, S. 13. Brief Waibel an Pfeifer vom 26.12.1946, zit. nach: Kohlhepp: Bedeutung, S. 15. Vgl. auch Waibels Beitrag „Die Pionierzonen Brasiliens“, in: Waibel als Forscher und Planer in Brasilien, S. 77–104. Zur Einschätzung von Waibels Tätigkeit in Brasilien und zum wissenschaftlichen Ertrag seiner dortigen Forschungen vgl. ausführlich Kohlhepp: Bedeutung, S. 14–32; Schenk (Hg.): Waibel, S. 47–61; Pfeifer (Hg.): Symposium, S. 120–128.

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in Brasilien durchführte, leitete Waibel auch jüngere Mitarbeiter und Nachwuchswissenschaftler an. So trug er, auch wenn er keine universitären Lehrveranstaltungen abhielt, mittel- und langfristig zur Ausbildung einer ganzen Generation brasilianischer Geografen bei.29 Waibel hatte zu Beginn des Zweiten Weltkriegs entschieden, in den USA zu bleiben. Dass er vorhatte, sich dort langfristig einzurichten, ist unter anderem daran zu ersehen, dass er bereits nach wenigen Monaten beantragte, seinen Wohnsitz dauerhaft ins Ausland verlegen zu dürfen. Doch das Ministerium lehnte ab und stellte zudem die Zahlung seiner Pension zum 1. Mai 1940 ein.30 Waibel geriet dadurch nicht in existenzielle Not, da er zu diesem Zeitpunkt bereits für die Hopkins University tätig war. Für seinen Integrationswillen spricht auch, dass er mit dem Projekt M seine Forschung ganz bewusst in den Dienst der amerikanischen Regierung stellte und dass er zudem bei Kriegsende die amerikanische Staatsbürgerschaft annahm.31 Doch obwohl Waibel in den USA eine neue Heimat, in Baltimore aufgeschlossene Kollegen und zudem ein Forschungsfeld fand, das seinen Interessen und seinen Fähigkeiten entsprach, stand die Entwicklung in NS-Deutschland auch weiterhin im Zentrum seiner Aufmerksamkeit. Seine Sorge galt in erster Linie seiner Frau, den verfolgten Verwandten und den ebenfalls von der Hochschule vertriebenen Kollegen. Als Waibel im März 1939 zu seiner Forschungsreise nach Amerika aufgebrochen war, hatte noch kein unmittelbarer Anlass für seine Frau bestanden, ihn zu begleiten. Doch der Kriegsbeginn bedeutete für die deutschen Juden eine dramatische Verschlechterung ihrer rechtlichen, politischen und sozialen Lage, sodass Waibel alles daran setzte, seine Frau nach Amerika nachzuholen. Allerdings gelang dies zunächst nicht. Erst 1940 konnte Else Waibel Deutschland verlassen und über Italien zu ihrem Mann nach Amerika ausreisen. Aus den vorliegenden Quellen ist nicht ersichtlich, ob sie ihren Adoptivsohn bei sich hatte; über sein weiteres Schicksal ließ sich nichts in Erfahrung bringen. Rekonstruieren lässt sich hingegen, dass Else Waibel auf der Flucht von ihrer Schwester begleitet wurde. Waibel konnte beide Frauen vor der NS-Verfolgung schützen.32 Darüber hinaus bemühte sich Waibel, die Rettungsversuche für Alfred Philippson zu unterstützen, den das NS-Regime ebenfalls aus rassistischen Gründen verfolgte.33 Bis Anfang der 1940er Jahre hatte Philippson offenbar nicht geplant, seine Heimatstadt Bonn zu verlassen. Erst im Mai 1941 fragte er bei seinem in den USA lebenden Neffen Ernst Alfred Philippson sowie bei Waibel nach, ob für ihn, seine Frau und seine Tochter Dora eine Möglichkeit bestünde, in den USA eine Existenz aufzubauen. Waibel und Philippsons Verwandte versuchten 29 30 31 32 33

Broek: Waibel, S. 291; Troll: Waibel, S. 227 f.; Pfeifer (Hg.): Symposium, S. 120 und 126 f. Vgl. Brief Waibel an den Rektor der Universität Bonn vom 7.4.1949, UABo, PA  11071; Kohlhepp: Bedeutung, S. 14. Vgl. Brief Waibel an Philippson vom 14.5.1946, abgedruckt in: Böhm (Hg.): Beiträge, S. 419 f., hier S. 419. Beide Frauen nahmen in den USA keine Berufstätigkeit auf und blieben von Waibel finanziell abhängig; zudem nahmen beide 1945 die amerikanische Staatsbürgerschaft an. Vgl. den Beitrag über Alfred Philippson in diesem Band, S. 255–268.

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nun beharrlich, die Emigration möglich zu machen,34 wobei Waibel vor allem die amerikanischen Fachgesellschaften ansprach  – insbesondere die Association of American Geographers, die American Geographical Society sowie das Departement für Geologie und Geographie der Universität Harvard. Die Aktivitäten der Verwandten, Freunde und Kollegen konnten Philippsons Deportation nach Theresienstadt nicht verhindern. Gleichwohl erreichte Philippsons langjähriger Kollege und Freund, der schwedische Geograf und Entdeckungsreisende Sven Hedin, der über gute Kontakte zur Spitze des NS-Regimes verfügte, dass der hochbetagte Geograf dort den „Prominentenstatus“ erhielt, der ihn schützte und der ihm letztendlich das Leben rettete. Zudem schickte Hedin Lebensmittelpakete35 und berichtete den Kollegen in Deutschland, der Schweiz sowie Waibel in den USA darüber, wie es Philippson ging.36 So war Waibel die ganze Zeit über Philippsons Schicksal informiert und erfuhr nach Kriegsende auch, dass dieser überlebt hatte und nach Bonn zurückgekehrt war. Im Mai 1946 schrieb er an ihn, er sei „froh, daß Sie und Ihre Familie die Zeit des Grauens und Schreckens überstanden und in Ihrer alten Heimat wieder eine gesicherte und halbwegs befriedigende Existenz gefunden haben. Vor allem freut es mich, daß die Universität Bonn Sie durch die Verleihung des Ehrendoktors rehabilitiert und dadurch das an Ihnen begangene Unrecht wenigstens moralisch wieder gut zu machen versucht hat. Die vielen Toten allerdings werden nicht wieder aufstehen, und das deutsche Volk wird für die vielen Schandtaten, die in seinem Namen begangen wurden, für lange Zeit schwer büßen müssen.“37 Nach Kriegsende war Waibels Haltung zu der Frage, wo er, seine Frau und seine Schwägerin langfristig leben sollten, höchst ambivalent. Die unmittelbare Zukunft wollte Waibel zunächst weiter in Brasilien verbringen. Er fühlte sich verpflichtet, seinen Vertrag zu erfüllen, zudem faszinierten ihn das Land wie auch die Möglichkeit, seine Wissenschaft in den Dienst der dort greifenden Veränderung zu stellen.38 An Troll schrieb er in diesem Sinne: „Hier in Brasilien ist die Landnahme noch in vollem Gang, und Besiedlung und Kolonisation können von der Geographie her entscheidend beeinflußt werden. Weiter ist die brasilianische Kulturlandschaft so komplex und heterogen, daß man immer wieder von neuem überrascht ist; ohne genaue Kenntnis europäischer Kulturlandschaften ist 34 35 36

37 38

Zum Folgenden vgl. Mehmel: Philippson, S. 372–374; Böhm/Mehmel: Einleitung, S. XVI–XX. Vgl. die Postkarten und Briefe Philippsons an Hedin vom 16.9.1943, 15.10.1943, 17.3.1944, 2.4.1944 und 15.9.1944, in denen er sich für dessen Pakete bedankt, RA, Sven Hedin Archive, box 487. So schrieb Hedin Philippson, dass sich von Drygalski, Voseler und Tiessen nach ihm erkundigt hätten, vgl. Brief Hedin an Philippson vom 16.12.1942, RA, Sven Hedin Archive, box 487, sowie Brief Waibel an Hedin vom 23.11.1942, ebd. In diesem Brief wird auch deutlich, dass Waibel (wohl durch andere Geografen) von Hedins Intervention vom September 1942 wusste, durch die Philippson den „Prominentenstatus“ erhielt. Brief Waibel an Philippson vom 14.5.1946, zit. nach: Böhm (Hg.): Beiträge, S. 419 f., hier S. 419. Vgl. auch Brief Troll an Waibel vom 17.9.1945, abgedruckt in: ebd., S. 414 f. Vgl. Waibels Rede „Was ich in Brasilien lernte“ zu seiner Verabschiedung im August 1950, abgedruckt in: Waibel als Forscher und Planer in Brasilien, S. 105 und 117; Kohlhepp: Bedeutung, S. 31.

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ihr Verständnis unmöglich.“39 Philippson vertraute er darüber hinaus an: „Wie Sie sich denken können, habe ich zur Zeit keine Lust, nach Deutschland zurückzukehren, auch nicht, wenn ich nicht vertraglich hier für 2 Jahre gebunden wäre. Die Universität Bonn hat mir soviele Jahre zu Unrecht ‚Urlaub‘ gegeben, sie kann mich nun auch ruhig einige Jahre rechtlich beurlauben, zumal ich hier draußen eine wichtige Mission zu erfüllen habe.“40 Doch die Frage, wohin er nach Ende seiner brasilianischen Beratertätigkeit gehen sollte, blieb bestehen: „Das große Problem für uns ist natürlich: zurück in die Staaten oder nach Deutschland?“41 Für die USA sprach, dass er sich dort inzwischen heimisch fühlte und das Land ihm und seiner Frau Schutz vor Antisemitismus, Ausschreitungen und Lebensbedrohung geboten hatte. Ob sie sich in Deutschland wieder würden sicher fühlen können, erschien ihnen ungewiss. Waibel sprach dies Philippson gegenüber offen aus und fragte ihn um Rat: „Das große Problem für uns ist: wie stellen sich die Bonner und die Deutschen im Allgemeinen zur Rückkehr von Juden? Die jüngsten Ereignisse in München beweisen klar, daß sich nichts geändert hat. Wie ist es aber im mehr liberalen Rheinland? Glauben Sie, daß wir, vor allem meine Frau und meine Schwägerin, dort freundlich aufgenommen oder mit scheelen Augen angesehen würden? Ich wäre Ihnen außerordentlich dankbar, wenn Sie mir hierüber rücksichtslos offen Ihre Meinung mitteilen würden.“42 Andererseits sprach gegen die USA ein gewichtiges Argument, dass nämlich die finanzielle Absicherung im Alter nicht gewährleistet war, und diese Sorge trieb den mittlerweile über 60-Jährigen zunehmend um. Sollte er dieser Überlegung mehr Gewicht einräumen als der Angst, dass sich in Deutschland nichts geändert haben könnte? „Wenn ich nach Deutschland zurückkehre, verliere ich die amerikanische Staatsbürgerschaft automatisch nach 2 Jahren. Dieser Schritt muß also wohl überlegt sein. In zwei Jahren, wenn mein Kontrakt hier abgelaufen ist, werde ich versuchen, nach Deutschland zu kommen und dann auf Grund eigener Anschauung eine Entscheidung zu treffen.“43 Mit dem nahenden Vertragsende setzte sich Waibel verstärkt mit der Option der Rückkehr nach Deutschland auseinander, zumal er und seine Frau ein „großes Verlangen [haben], unsere Verwandten und alten Freunde nach so vielen Jahren wieder zu sehen“.44 Einen Ruf an die Universität Heidelberg, der 1948 erging, schlug er zwar aus,45 forderte aber nun seinen Bonner Lehrstuhl zurück.46 Sein 39

40 41 42 43 44 45 46

Brief Waibel an Troll vom 7.6.1949, zit. nach Troll: Waibel, S. 229. Zu seiner Tätigkeit in Brasilien vgl. zudem den Band Waibel als Forscher und Planer in Brasilien, der seine vier wichtigsten Aufsätze zu Brasilien enthält. Dort befindet sich auch ein Verzeichnis sämtlicher Schriften Waibels, ebd., S. 181–121. Brief Waibel an Philippson vom 12.1.1947, zit. nach: Böhm (Hg.): Beiträge, S. 420. Brief Waibel an Philippson vom 26.8.1949, zit. nach: Böhm (Hg.): Beiträge, S. 421. Brief Waibel an Philippson vom 26.8.1949, zit. nach: Böhm (Hg.): Beiträge, S. 422. Brief Waibel an Philippson vom 12.1.1947, zit. nach: Böhm (Hg.): Beiträge, S. 420. Brief Waibel an Philippson vom 26.8.1949, zit. nach: Böhm (Hg.): Beiträge, S. 422. Vgl. Broek: Waibel, S. 290; Höpfner: Universität, S. 435. Nach Waibels Absage 1948 sollte sein Schüler Wilhelm Credner den Lehrstuhl erhalten, der jedoch überraschend starb, sodass dann Pfeifer zum Zuge kam, vgl. Eckart u. a. (Hg.): Universität, S. 1239 f. Vgl. Eckart u. a. (Hg.): Universität, S. 1238 f.

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dortiger Nachfolger Troll versuchte demgegenüber die Einrichtung eines zweiten (Extra-)Ordinariats, das mit Waibel besetzt werden sollte, durchzusetzen47 – eine für Waibel wenig attraktive Variante, die er „unerhört“ fand.48 Die Pläne zerschlugen sich jedoch ohnehin nach der Währungsreform aus finanziellen Gründen. Als sein Vertrag in Brasilien im Sommer 1950 auslief, übernahm Waibel daher erst einmal eine Professur an der Universität Minnesota in Minneapolis, die aber aufgrund ihrer Befristung ebenfalls keine langfristige Perspektive eröffnete. Weiterhin beriet er sich mit Philippson, ob er nach Deutschland zurückkehren sollte, und auch mit seinem früheren Schüler Gottfried Pfeifer, der inzwischen auf den Lehrstuhl in Heidelberg gerückt war, den er selbst 1948 nicht hatte übernehmen wollen. Durch Pfeifer habe er, so schrieb er am 7. August 1950 an Philippson, „viel über Deutschland gelernt. Er ist der einzige von meinen Schülern und Bekannten, der seelisch unter dem, was die Nazis verbrochen haben, leidet, eine Verantwortung fühlt und fast verzweifelt in die Zukunft sieht. Er hat uns in unserem Beschluß bestärkt, vorläufig nicht nach Deutschland zurückzukehren. Aber wir planen nächsten Sommer einen vorübergehenden Besuch, und dieses Mal wird hoffentlich nichts dazwischen kommen.“49 Anfang August 1951 reisten Waibel und seine Frau dann tatsächlich nach Deutschland. Nun sollten auch die finanziellen Angelegenheiten endgültig geregelt werden. Waibel beabsichtigte, einen Antrag auf Wiedergutmachung zu stellen, und wollte die Nachzahlung seiner Bezüge erreichen  – nicht zuletzt, um seine Frau im Falle seines Todes finanziell abzusichern.50 Die Universität begann daraufhin (erneut) zu prüfen, ob das ihm „zugefügte Unrecht“ dadurch wiedergutgemacht werden könne, dass er seinen Lehrstuhl zurückerhielt.51 Bereits im Mai 1951 hatte das nordrhein-westfälische Kultusministerium zugesagt, seinen Aufenthalt in Bonn für ein Jahr zu finanzieren. Nach einigem Hin und Her stellte die Universität für die „Überbrückung der ersten Zeit“ 1.000 DM aus einem „Wiederaufbaufonds“ zur Verfügung, doch sollte die Summe mit den eventuell nachzuzahlenden Versorgungsbezügen ausgeglichen werden.52 Waibel wollte seinen Aufenthalt in Deutschland auch dazu nutzen, sein in Brasilien zusammengetragenes Material auszuwerten. Er stellte daher gegenüber der Universität und dem Ministerium klar, dass er keine Lehrveranstaltungen abhalten würde. Pfeifer vertraute er an, er wolle mit 63 Jahren nicht mehr lehren, weder in den USA noch in Deutschland, sondern „schreiben, und immer wieder schreiben, damit ich noch die Brasilienernte einbringen kann“.53 Auch in diesem 47 48 49 50 51 52 53

Vgl. Brief Troll an den Kultusminister des Landes NRW vom 10.7.1947, UABo, PA 11071, Bl. 225. Brief Waibel an Philippson vom 26.8.1949, zit. nach: Böhm (Hg.): Beiträge, S. 422. Brief Waibel an Philippson vom 7.8.1950, zit. nach: Böhm (Hg.): Beiträge, S. 423. Vgl. Brief Waibel an Troll vom 30.3.1947, abgedruckt in: Böhm (Hg.): Beiträge, S. 420, sowie Brief Waibel an den Rektor der Universität Bonn vom 7.4.1949, UABo, PA 11071. Bericht an den Kultusminister des Landes NRW vom 11.8.1951, UABo, PA 11071. Notiz Rektor der Universität Bonn an die Hauptverwaltung vom 13.8.1951, UABo, PA 11071. Brief Waibel an Pfeifer vom 19.6.1951 aus Minneapolis, zit. nach: Kohlhepp: Bedeutung, S. 34.

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Brief klingt an, dass sich Waibel große Sorgen um seine Zukunft machte. Bereits seit längerer Zeit war er gesundheitlich stark angegriffen. Seine Forschungsreisen hatten meist unter sehr einfachen Bedingungen stattgefunden und schon in früheren Jahren ihren Tribut gefordert. So litt Waibel seit den späten 1920er Jahren an verschiedenen Tropenkrankheiten wie Ruhr und Malaria, die auch nach der Rückkehr von den Expeditionen noch Auswirkungen zeitigten. Ein amtsärztliches Zeugnis aus dem Sommer 1927 hielt fest, dass die dauerhaften Beschwerden, die ihn plagten, „hauptsächlich einer nervösen Erschöpfung [entspringen], wie sie bei Tropenreisenden nach Malaria, Ruhrerkrankungen einzutreten pflegt“.54 Hinzu kamen seit den späten 1930er Jahren die psychischen Belastungen: der Schock der Vertreibung von der Hochschule, die Auswirkungen der in dieser Zeitphase erlittenen Kränkungen, die Sorge um seine zunächst in Deutschland zurückgebliebene Frau und auch die kraftraubende Neuorientierung in der Emigration.55 Mit zunehmendem Alter belastete ihn nicht zuletzt die ungeklärte finanzielle Absicherung seiner selbst, seiner Frau und seiner Schwägerin im nicht mehr fernen Ruhestand. Und auch die Expeditionen fielen ihm zunehmend schwerer. An Pfeifer schrieb er, die Forschungsreisen in Brasilien hätten ihn „in ungewöhnlicher Weise angestrengt“.56 Und in seinem Tagebuch hielt er am 22. Februar 1948 fest: „Ich bin heute 60 Jahre alt und weiß nicht, ob ich mich freuen oder traurig sein soll. […] Wäre ich in Deutschland geblieben, so würden heute meine Schüler sich um mich versammeln, mir wahrscheinlich eine Festschrift überreichen und mich in akademischer Weise feiern. Stattdessen sitze ich hier einsam in einem Hotelzimmer, ich weiß nicht, wer außer meinen Familienangehörigen an mich denkt und was in Deutschland vor sich geht. All unsere persönlichen Schicksale sind so belanglos geworden vor der Not der Zeit […]. Ich hoffe, ich kann meine Reisen hier in Brasilien programmmäßig durchführen und dann in Muße einige Bücher vollenden, an denen ich schon lange arbeite“.57 Waibel gelang es jedoch nicht, seine „Brasilienernte“ einzubringen. Kurz nachdem er mit seiner Frau in Deutschland angekommen war, fuhr er von Bonn aus nach Heidelberg, um seine beiden Schwestern und Pfeifer zu besuchen. Leo Waibel starb dort am 4. September 1951 an einem Herzschlag; er wurde im Familiengrab der Waibels auf dem Friedhof in Handschuhsheim begraben. Seine Frau entschied sich, nach Amerika zurückzukehren.58

54 55 56 57 58

Amtsärztliches Zeugnis vom 23.8.1927, zit. nach: Landmann: Waibel, S.  93. Vgl. Pfeifer (Hg.): Symposium, S. 1. Vgl. Kohlhepp: Bedeutung, S. 33. Diese Einschätzung beruht auf der Auswertung von Waibels Tagebuch, das Kohlhepp vorlag. Brief Waibel an Pfeifer vom 1.11.1949, zit. nach: Kohlhepp: Bedeutung, S.  33. Vgl. auch Brief Waibel an Philippson vom 26.8.1949, abgedruckt in: Böhm (Hg.): Beiträge, S. 421 f., hier S. 421. Tagebucheintrag vom 22.2.1948, zit. nach: Schenk (Hg.): Waibel, S. 7. Nach dem Tod ihres Mannes musste Else Waibel noch einige Zeit mit der Universität über die Auszahlung der zugesagten Gelder streiten, vgl. ihre Korrespondenz mit dem Rektorat nach September 1951, UABo, PA 11071.

FACHAUSSCHUSS CHEMIE Ernst Berl (1877–1946) Carl Neuberg (1877–1956) Lothar Wöhler (1870–1952)

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Ernst Berl kam am 7. Juli 1877 als siebter und jüngster Sohn eines jüdischen Industriellen in Freudenthal (Österreichisch-Schlesien) zur Welt.1 Sein Vater betrieb dort einige Sägewerke, und seine Mutter führte den Haushalt, in dem die Religion eine wichtige Rolle spielte.2 Nach dem Ende seiner Schulzeit studierte Berl Chemie an der Technischen Hochschule Wien und schloss 1898 seine Ausbildung als Chemie-Ingenieur ab. Nach Ableistung des Wehrdienstes ging er nach Zürich, um hier sein Studium fortzusetzen und die wissenschaftliche Laufbahn einzuschlagen. 1901 erfolgte die Promotion und 1904 die Habilitation, er arbeitete als Assistent bei den renommierten Professoren Alfred Werner, der 1913 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet wurde, bei Richard Lorenz sowie dem Direktor des technisch-chemischen Laboratoriums des Eidgenössischen Polytechnikums Zürich, Georg Lunge. Die enge Zusammenarbeit mit Letzterem 1

2

Für die Durchsicht der Texte zum FA Chemie danke ich Dr. Gerhard Messner sehr herzlich. Zu Berls Biografie und zum Folgenden vgl. den entsprechenden Eintrag in DBE; Deichmann: Flüchten; Kaznelson (Hg.): Juden; sowie Fetting: Berl-Institut; Wehefritz: Wegbereiter; Winnacker: Mut, S. 41–63. Die PA in UAD, TH 25/01, Nr. 39-7, PA Berl, enthält nur wenige Dokumente der Nachkriegszeit. Aussagekräftig sind jedoch der Nachlass von Walter und Ernst Berl, DEA, EB 2003/004, sowie Dokumente aus dem Nachlass von Prof. Dr. Karl Winnacker im Besitz von Prof. Dr. Albrecht Winnacker. Ich möchte Herrn Prof. Dr. Albrecht Winnacker und Herrn Prof. Dr. Ernst-Ludwig Winnacker sehr herzlich dafür danken, dass sie mir die Dokumente aus dem Nachlass zugänglich gemacht haben. Herrn Prof. Dr. Albrecht Winnacker danke ich zudem für unser Gespräch am 20.1.2011 in Heidelberg über Ernst Berl und seine Schüler. Vgl. Rede Berl vom 30.6.1945, DEA, EB 2003/004.

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prägte seinen weiteren beruflichen Weg und die Auswahl seiner Forschungsgebiete. Zu Beginn seiner Karriere untersuchte Berl vor allem die chemischen Elementarprozesse beim Bleikammerverfahren zur Herstellung von Schwefelsäure und beschäftigte sich mit der technischen Verwendung des Naturstoffs Cellulose. In seiner Züricher Zeit lernte er zudem drei Personen kennen, mit denen ihn eine lebenslange Freundschaft verbinden sollte: Max Isler,3 der zunächst bei ihm studierte, sowie die beiden Chemiker Fritz Haber, den Gründervater der Deutschen Forschungsgemeinschaft (der ebenfalls in diesem Buch porträtiert ist), und Richard Willstätter, der für die DFG ebenfalls eine wichtige Rolle spielte. Jahrzehnte später schrieb Berl: „Ich habe sehr viele Bekannte, aber nur sehr wenige Freunde. Die Finger einer Hand reichen reichlich aus, um deren Zahl zu bemessen.“4 Als Lunge 1907 erkrankte, übernahm Berl kommissarisch dessen Aufgaben. Er wurde als Lunges Nachfolger gehandelt, und in diesem Zeitraum erging auch ein Ruf an die Technische Hochschule Bergen in Norwegen. Doch Berl entschied sich gegen die wissenschaftliche Laufbahn und wechselte 1910  – von Isler begleitet – in die Industrie. Er übernahm die Position des Chefchemikers in einem belgischen Unternehmen für Kunstseide, das zum damaligen Zeitpunkt zu den größten weltweit zählte. Dort, in Tubize, gründete Berl wenig später auch eine Familie. 1912 heiratete er Margarete Karplus, die er bereits seit seiner Jugendzeit kannte. Ihre beiden Söhne Herbert und Walter Georg (benannt nach Berls Lehrer Georg Lunge5) wurden 1913 und 1917 geboren. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs wurde Berl eingezogen und dem österreichisch-ungarischen Kriegsministerium zugeordnet. Er fungierte zunächst als leitender Chemiker in der Explosivstoffabteilung, um dann an die Spitze der gesamten österreichisch-ungarischen Munitionsindustrie zu treten.6 In dieser Position zeichnete er verantwortlich für den Ausbau von Salpetersäure- und Sprengstofffabriken sowie für die Sprengstoffversorgung der österreichisch-ungarischen Armee. Bei Kriegsende übernahm Berl als Betriebsleiter eine Sprengstofffabrik in Blumau, folgte jedoch nach kurzer Zeit einem Ruf an die Technische Hochschule Darmstadt. Im Frühjahr 1919 kehrte Berl, inzwischen Anfang Vierzig, als ordentlicher Professor der Technischen Chemie und Leiter eines Instituts für chemische Technologie und Elektrochemie an die Hochschule zurück. „Ich freue mich ungemein“, so schrieb er am 5. Mai 1919 an Isler, „nach 9 Jahren intensivster, industrieller Tätigkeit wiederum in das alte gewohnte Fahrwasser zurückkehren zu können.“7 Er widmete sich in den folgenden Jahren dem Aufbau und der Ausgestaltung 3 4 5 6 7

Max Isler wurde 1888 in Wohlen in der Schweiz geboren und studierte Chemie in Zürich. Nach der Promotion 1912 arbeitete er als Assistent bei Richard Willstätter, 1910 wechselte er in eine belgische Firma, seit 1915 war er in schweizerischen Industriebetrieben tätig. Brief Berl an Isler vom 5.11.1933, Nachlass Prof. Dr. Karl Winnacker. Vgl. Brief Berl an Isler vom 15.7.1919, Nachlass Prof. Dr. Karl Winnacker. So seine eigene Angabe, vgl. Berl: Explosives, S. 609. Vgl. zudem die Briefe, die Berl zwischen August 1914 und Dezember 1918 an Isler schrieb, Nachlass Prof. Dr. Karl Winnacker. Brief Berl an Isler vom 5.5.1919, Nachlass Prof. Dr. Karl Winnacker.

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des zu diesem Zeitpunkt noch in den Kinderschuhen steckenden Faches Chemische Technik, wozu neben Forschen und Unterrichten auch das Verfassen von Lehrbüchern gehörte. Zu erwähnen sind insbesondere das bald als Standardwerk geltende Handbuch Chemisch-technische Untersuchungsmethoden, an dem Berl bereits mit Lunge gearbeitet hatte und das Anfang der 1930er Jahre in fünf Bänden erschien, das Taschenbuch für die anorganisch-chemische Großindustrie, das ebenfalls von Lunge begonnen worden war, sowie das dreibändige Grundlagenwerk Chemische Ingenieur-Technik. Hinzu kam eine große Zahl von Patentschriften, von denen viele in Berls Darmstädter Privatlabor entstanden. Seine Publikationen und seine gesamte Forschungstätigkeit zeichneten sich durch eine enge Verbindung von Theorie und Praxis aus. Darüber hinaus wirkte er auf eine Zusammenarbeit von Chemikern, Physikern und Ingenieuren hin, um so die chemische Technologie in allen chemischen, physikalischen und technischen Facetten zu durchdringen und in ihren allgemeinen verfahrenstechnischen Voraussetzungen zu erfassen. Dies bestimmte auch seine Art zu lehren. Er glaube, so schrieb er im Frühjahr 1930 an Isler, „dass man heute Technische Chemie doch ganz anders lehren muss, als ehedem, und dass jedes Institut dieser Art wesentlich so gestaltet werden muss, dass der Studierende die modernen Fortschritte des Apparatewesens, besonders im Hinblick auf Hochdruck, Materialkunde etc. kennen lernen müsste. […] Ich bin unbescheiden genug in Anspruch zu nehmen, dass an einer Technischen Hochschule das Schwergewicht der Ausbildung bei der Technischen Chemie liegen sollte“.8 Bemerkenswert ist zudem die Art und Weise, wie der Chemiker mit seinen Studenten, Diplomanden und Doktoranden umging. Berl stellte an sie hohe Ansprüche, beteiligte sie aber, sofern sie diese erfüllten, eng an seinen eigenen Untersuchungen, gab Publikationen gemeinsam mit ihnen heraus9 und förderte die bedürftigen unter ihnen auch materiell.10 Er verhielt sich also ganz so, wie er selbst es bei seinem Lehrer Lunge erlebt hatte. Zu seinen weit gespannten Forschungsschwerpunkten gehörten Kunstseide und verwandte Gebiete, Adsorptionsstoffe und -vorhänge, Verbrennung und Oxydation im Motor, Chemie der Brennstoffe, Schwefelsäure, Flotation, Katalyse, anorganische Probleme, Korrosion sowie nicht zuletzt Analysemethoden im Laboratorium.11 Aus heutiger Sicht gilt Berl als Gründer und „Wegbereiter einer modernen Chemischen Technologie“12 – eine Einschätzung, die bereits die Zeitgenossen teilten. Berl galt schon in den 1920er Jahren als Pionier der chemischen Verfahrenstechnik und etablierte sich schnell in seinem akademischen Feld.13 Dies 8 9

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Brief Berl an Isler vom 9.3.1930, Nachlass Prof. Dr. Karl Winnacker. Dies ist anhand des Schriftenverzeichnisses, das bei Wehefritz: Wegbereiter, S. 46–101, abgedruckt ist, deutlich zu sehen. Zum Verhältnis von Berl und seinen Studenten vgl. auch den Bericht des Fachschaftsleiters Chemie der TH Darmstadt vom 4.7.1933, UAD, TH 25/01, Nr. 319/3, PA Jonas, Sonderakte. Vgl. Protokoll der Besprechung zwischen Berls Studenten und dem Rektor der TH Darmstadt am 5.5.1933, DEA, EB 2003/004. Vgl. Fetting: Ernst Berl-Institut, S. 2. Winnacker: Entwicklung, S. 105. So boten einige Universitäten Berl einen Lehrstuhl an, vgl. z. B. Briefe Berl an seinen Bruder vom 18.10.1919 und vom 30.3.1926, DEA, EB 2003/004.

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lässt sich auch daran ablesen, dass er in den 1920er Jahren mehrfach eine Unterstützung für seine Forschungsarbeiten von der Notgemeinschaft erhielt14 und 1932 als Nachfolger des verstorbenen Fritz Förster in den Fachausschuss Chemie aufrückte.15 Drei Fachverbände  – der Verband der Laboratoriumsvorstände an den deutschen Hochschulen, die Deutsche Chemische Gesellschaft sowie der Verein Deutscher Chemiker – nominierten ihn wenig später als Kandidaten für die anstehende DFG-Fachausschusswahl,16 und Berl wurde im Frühjahr 1933 ohne jegliche Komplikation in das DFG-Gremium gewählt. Für die wissenschaftliche Community spielte die Tatsache, dass Berl Jude war, offenbar keine Rolle, zumindest wirkte sie sich bei der Wahl nicht exkludierend aus. Weder verhinderte die DFG-Geschäftsstelle, namentlich Präsident Friedrich Schmidt-Ott, dass Berl als jüdischer Wissenschaftler auf die Wahlliste gesetzt wurde, noch sah die wissenschaftliche Community der Chemiker irgendeinen Grund, ihn nicht zu wählen und einen „arischen“ Forscher zu bevorzugen. Doch Berl nahm die Wahl nicht an, da er im gleichen Zeitraum entschied, Deutschland aufgrund der veränderten politischen Situation zu verlassen. An Isler schrieb er, er empfinde die „Machtergreifung“ als stünde er im Zentrum eines „Erdbeben[s]“.17 Im Unterschied zu anderen, ebenfalls vom Berufsbeamtengesetz betroffenen Wissenschaftlern wartete Berl die drohende Entlassung durch das NS-Regime nicht ab und nahm auch die im Gesetz formulierten Ausnahmeregelungen nicht in Anspruch, die ihm als hochdekoriertem Weltkriegsteilnehmer18 unter Umständen ermöglicht hätten, zunächst im Amt zu bleiben.19 Vielmehr reichte der Chemiker Anfang April 1933 ein Rücktrittsgesuch ein – dem später ein zweites folgte20 – und kam damit seiner Suspendierung zuvor.21 Zunächst erhielt Berl auf sein Schreiben keine Antwort und nahm daher am ersten Tag des beginnenden Semesters seine Lehrtätigkeit auf. Wegen der angeb14 15 16

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Vgl. Datenbank DFG-Geschichte. Vgl. Brief des Verbands der Laboratoriumsvorstände an den deutschen Hochschulen an die Notgemeinschaft vom 14.10.1932, BArch R 73/131, Bl. 173, sowie den 11. Bericht der Notgemeinschaft 1931/32, S. 95. Vgl. Brief des Verbands der Laboratoriumsvorstände an den deutschen Hochschulen an die Notgemeinschaft vom 14.10.1932, BArch R  73/131, Bl.  173, Brief des Vereins Deutscher Chemiker e. V. an die Notgemeinschaft vom 6.2.1933, ebd., R 73/131, Bl. 167, sowie Vorschläge der Fachverbände für die Neuwahl der FA 1933, ebd., R 73/130, fol. 16. Brief Berl an Isler vom 1.9.1933, Nachlass Prof. Dr. Karl Winnacker. 1916 hatte Berl das Ritterkreuz des Franz-Josef-Ordens erhalten und war bei Kriegsende in den Rang eines Hauptmanns aufgestiegen. Die Ausnahmeregelungen boten keine Rechtsgarantie, wie das Beispiel der aus politischen oder „rassischen“ Gründen unliebsamen Hochschullehrer zeigt, die das NS-Regime kurzerhand nach § 6 des Berufsbeamtengesetzes („zur Vereinfachung der Verwaltung“) entließ. Wann genau Berl das erste Schreiben abschickte, ist unklar; das zweite ist auf Ende April datiert, vgl. Brief Berl an Willstätter vom 14.7.1933, DEA, EB 2003/004, sowie Brief Berl an Isler vom 5.5.1933, Nachlass Prof. Dr. Karl Winnacker. Im Sinne der – auch diesem Buch zugrunde liegenden – Definition von Michael Grüttner und Sven Kinas handelt es sich also um einen entlassungsähnlichen Fall. Die folgende Passage stammt aus meinem Buch: NS-Vertreibung, S. 78–85.

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lich irregulär abgehaltenen Vorlesung kam es in den nächsten Wochen zu einer heftigen Auseinandersetzung mit seinen beiden Kollegen Karl Jonas und Lothar Wöhler.22 Mit Wöhler, der ebenfalls in dieser Studie vorgestellt wird, hatte sich Berl zu Beginn seiner Darmstädter Zeit freundschaftlich verbunden gefühlt.23 Doch spätestens seit Beginn der 1930er Jahre traten zwischen beiden Unstimmigkeiten über fachliche und organisatorische Fragen auf, die vor allem den Aufbau des Chemiestudiums und die Anteile der jeweiligen fachlichen Schwerpunkte der Professoren betrafen.24 Im Frühjahr 1933 eskalierte die Situation und führte zu einem Streit, der die Studenten, die Professorenschaft, das Dekanat und das Rektorat wochenlang beschäftigte. Dies bestärkte Berl in seinen Überlegungen, mit seiner Familie Deutschland zu verlassen  – zumindest für einige Zeit. Die Situation sei für ihn, so schrieb er im Mai 1933 an seinen Heidelberger Kollegen Karl Freudenberg, „unerträglich“ geworden, sodass er gebeten habe, in den Ruhestand versetzt zu werden. „Darauf warten zu müssen, bis man mir den Stuhl vor die Tür setzt oder etwa es erleben zu sollen, dass ein irregeleiteter Student gegen die Abhaltung der Vorlesung protestiert u. a. m. Das war für mich zu viel.“25 Der 55-Jährige begann nun, gezielt und systematisch nach beruflichen Alternativen zu suchen. So wandte er sich Rat suchend an einige renommierte Kollegen in Deutschland – unter anderem an Freudenberg, Hermann Staudinger und Heinrich Wieland sowie an Fritz Haber und Richard Willstätter. Zudem bat er Kollegen im Ausland um Unterstützung bei der Suche nach einer Anstellung. Er korrespondierte unter anderem mit Frederick Lindemann und Robert Robinson in England, mit Cohen in Holland und mit Paul Karrer in der Schweiz.26 An Karrer schrieb er: „Ich würde sehr gerne mit meiner Familie nach der Schweiz, die mir durch 11 Jahre eine zweite Heimat war, zurückkehren. Ich würde mich sehr freuen, wenn ich die mir so liebgewordene akademische Tätigkeit, wenn auch in wesentlich kleinerem Umfange, fortsetzen könnte.“27 Haber war es schließlich, der dem Freund ein Gespräch mit Thomas S.  Baker vorschlug, dem Präsidenten des Carnegie Institute of Technology in Pittsburgh, Pennsylvania, der sich in der ersten Jahreshälfte 1933 in Deutschland aufhielt und der sich dann nach 22

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Vgl. dazu die Dokumente in UAD, TH 25/01, Nr. 319/3, PA Jonas, Sonderakte, und UAD, TH 25/01, Nr. 693/1, PA Wöhler. Ein Teil der Dokumente befindet sich in Kopie auch in: DEA, EB 2003/004. Vgl. auch Willstätter: Leben, S. 167 f.; Hanel: Normalität, S. 100–102. Offenbar hielt Berl seine Lehrveranstaltungen zwei Wochen lang ab, dann untersagte ihm das Rektorat „die Weiterführung jeglicher Amtsgeschäfte“, Protokoll der Besprechung zwischen Berls Studenten und dem Rektor der TH Darmstadt am 5.5.1933, DEA, EB 2003/004. Vgl. Brief Berl an seinen Bruder vom 18.10.1919, DEA, EB 2003/004. Vgl. Hanel: Normalität, S. 100. Brief Berl an Freudenberg vom 18.5.1933, DEA, EB 2003/004. Vgl. zudem Brief Berl an Isler vom 12.4.1933, Nachlass Prof. Dr. Karl Winnacker. Zum Folgenden vgl. Wehefritz: Wegbereiter, S. 23 f. Vgl. Walter Berl: Remembrances, Vortrag am 31.3.1977 auf dem Treffen der Berl-Schüler in dem von Fritz Fetting geleiteten Institut für Chemische Technologie der TH Darmstadt, Kopie in: DEA, EB 2003/004. Bei Cohen ließ sich nicht klären, ob es sich um Ernest Julius Cohen (1869–1944) oder Sir Robert Waley Cohen (1877–1952) handelte. Brief Berl an Karrer vom 27.5.1933, DEA, EB 2003/004.

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der ersten Entlassungswelle durch das Berufsbeamtengesetz darum bemühte, vertriebene Forscher nach Pittsburgh zu holen. Insbesondere Chemiker, Verfahrenstechniker und Ingenieure waren für ihn bzw. sein Institut wichtig, bildete Pittsburgh doch Anfang der 1930er Jahre den Mittelpunkt des amerikanischen Kohlebergbaus und der davon abhängigen Industrien. Das Carnegie Institute galt als führende Institution für Kohleforschung in den USA. Berl passte also gut zum Forschungsprofil des Instituts. Hinzu kam, dass Berl und Baker sich persönlich kannten und schätzten. Berl hatte 1924 das Carnegie Institute erstmals besucht und im November 1931 einen Vortrag auf der dortigen International Conference on Bituminous Coal and Petroleum gehalten; Baker wiederum hatte Berl noch im Februar 1933 in Darmstadt besucht. Anfang Juli kam es zu dem durch Haber vermittelten Gespräch, und wenig später lag ein schriftliches Angebot für eine Forschungsprofessur vor. Am 1. September trat Berl die Stelle in Pittsburgh an, wobei er zu diesem Zeitpunkt noch davon ausging, dass er nach einem Jahr zurückkehren würde.28 De facto jedoch blieb Berl bis an sein Lebensende in Pittsburgh. Ernst Berl gehörte also zu denjenigen jüdischen/„nichtarischen“ Wissenschaftlern, die bereits kurz nach ihrer Vertreibung von der Hochschule NS-Deutschland verließen und in der Emigration ihre Berufstätigkeit fortsetzen konnten. Insofern handelt es sich um eine typische Emigrationsgeschichte. Ungewöhnlich sind jedoch die Begleitumstände der Vertreibung, genauer die Reaktionen von Berls Mitarbeitern. Zwischen April und Juli 1933 bemühten sich die Studenten und Doktoranden des Instituts für chemische Technologie und Elektrochemie intensiv darum, Berl in Darmstadt zu halten, ihn als Lehrer und Betreuer ihrer Arbeiten nicht zu verlieren. Aus einigen Dokumenten soll etwas ausführlicher zitiert werden, um das besondere Verhältnis zwischen Ernst Berl und seinen Schülern zu beschreiben. Am 27. April schrieb Alfred Schmidt im Namen der Schüler und Assistenten an Berl: „Mit tiefstem Bedauern haben wir von Ihrem Schreiben Kenntnis genommen, in dem Sie von Ihrem Rücktritt mitteilen. […] Jeder einzelne von uns fühlt sich für die reiche Belehrung und die persönliche Hingabe, mit der Sie für unser aller Wohl eingetreten sind, zu tiefstem und herzlichstem Dank verpflichtet. Aus dem Gefühl heraus, dass Ihr Rücktritt für die Hochschule und unsere chemische Wissenschaft, vor allem aber für Ihre Schüler einen allzu schmerzlichen Verlust bedeutet, bitten wir Sie ergebenst, die Gründe, die Sie zu diesem Schritt bewogen haben, nochmals zu überprüfen und Ihre Tätigkeit der Hochschule zu erhalten. Seien Sie überzeugt davon, dass die gesamte Darmstädter Hochschule und diejenigen Kreise unseres Staates, die der Hochschule nahestehen, zu Ihrer Tätigkeit als Lehrer und Freund der Jugend mit aufrichtiger Bewunderung emporblicken. Ihre dankbaren Schüler.“29 16 Nachwuchswissenschaftler unterschrieben den 28 29

Vgl. Brief Berl an Isler vom 25.7.1933, Nachlass Prof. Dr. Karl Winnacker. Berls Versetzung in den Ruhestand trat zum 1.10.1933 in Kraft. Brief Alfred Schmidt im Namen der Schüler an Berl vom 27.4.1933, Kopie in: DEA, EB 2003/004. Den Brief (das Original befindet sich im Nachlass Prof. Dr. Karl Winnacker) unter-

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Brief. Als sich in den folgenden Wochen abzeichnete, dass die Situation nicht zu ändern war, verhandelten sie mit dem Studentenvertreter im hessischen Ministerium, Heinz Hackert, mit dem Rektor der TH Darmstadt August Thum und dem Staatspräsidenten Ferdinand Werner.30 Sie betonten diesen gegenüber, dass Berl „im wahrsten Sinne ein Erzieher der deutschen Jugend“ sei,31 und suchten zu erreichen, dass dieser wenigstens die Erlaubnis erhielt, noch die kurz vor dem Abschluss stehenden Arbeiten zu betreuen. Dem wurde tatsächlich stattgegeben, wenn auch vage und zeitlich auf ein Semester begrenzt. Im Sommer 1933 stand fest, dass Berl nicht in Darmstadt bleiben würde. Seine Schüler schrieben ihm zu seinem 56. Geburtstag am 7. Juli 1933: „Mit besonderer Herzlichkeit gedenken wir in diesem Jahr Ihres Geburtstages und bringen Ihnen unsere aufrichtigen und besten Glückwünsche dar. Die Förderung, die Sie jedem Einzelnen von uns während seiner Arbeit zuteil werden liessen, und die gütige Hilfsbereitschaft, mit der Sie uns auch jetzt noch zur Verfügung standen, verpflichtet uns zu grösster Dankbarkeit. [… Wir] hoffen, dass wir in irgendeiner Weise vielleicht später Gelegenheit bekommen werden, diesem Gefühl der Dankbarkeit Ausdruck geben zu können, denn das, was Sie für uns als Ihre Schüler und Mitarbeiter getan haben, wird unvergessen bleiben.“32 Berl antwortete seinen „treuen Mitarbeiter[n]“ einen Tag später: „Zu den geistigen Gütern, welche den materiellen unendlich überlegen sind, gehört in erster Linie die Freundschaft. […] Ich empfinde […] sehr wohl, wie viel Freundschaft mir gerade in den letzten Monaten […] entgegengebracht worden ist.“33 Berls Schüler brachten ihrem Lehrer Hochachtung und Wertschätzung entgegen, empfanden ihm gegenüber Loyalität und enge Verbundenheit. Er war aus ihrer Sicht „kein bequemer Lehrer“, vielmehr musste man sich seine „persönliche Anteilnahme […] mit Fleiß und Ausdauer verdienen“. Hatte man diese jedoch errungen, so „ließ er sich in seiner Hilfsbereitschaft und Fürsorge von niemandem übertreffen“. Für seine Schüler war Berl „der Meister“.34 Im Gegensatz zu vielen Studenten und Nachwuchswissenschaftlern, die nach der „Machtergreifung“ ihre jüdischen/„nichtarischen“ Hochschullehrer verhöhn-

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zeichneten K. Andress, Walter G. Kunze, Ernst Weingaertner, Willi Forst, Otto Saffe, Hugo Nees, Fritz Rau, A. Schmidt, Erich Boye, Hans Biebesheimer, Lother Reinhard, Bernard Schmitt, F. Heinrich Roth, Georg Gerhard, Karl Winnacker und M. E. Weitz. Mindestens fünf Besprechungen fanden am 5.5. und am 6.5.1933 statt. Die Protokolle befinden sich in: DEA, EB 2003/004; vgl. auch Wehefritz: Wegbereiter, S. 22 f.; Hanel: Normalität, S. 100–102 und 118 f. Protokoll der Besprechung zwischen Berls Studenten und dem Rektor der TH Darmstadt am 5.5.1933, DEA, EB 2003/004. Vgl. Brief der Schüler an Berl zu dessen 56. Geburtstag am 7.7.1933, DEA, EB 2003/004, Hervorhebung von mir. Der Brief ist unterzeichnet von K. Andress, A. Kruger, G. Gerhard, H. Schulz, H. Nees, Fritz Rau, K. Winnacker, M. E. Weitz, F. Heinrich Roth, H. Biebesheimer, Anton Müller, J. Gundermann, Lothar Reinhard, Charles Carpenter, W. Foerster, Ernst Weingaertner und Bernhard Schmitt. Brief Berl an seine Mitarbeiter vom 8.7.1933, Nachlass Prof. Dr. Karl Winnacker, Hervorhebung von mir. Winnacker: Entwicklung, S. 106.

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ten und drangsalierten, versicherten Berls Schüler dem „Meister“ ihre Loyalität. Dies ist besonders hervorzuheben, eben weil derartige Solidaritätsbekundungen von Studenten für die von den NS-Rassegesetzen bedrohten Professoren so selten vorkamen. Michael Grüttner hat gezeigt, dass nationalsozialistisches Gedankengut in der deutschen Studentenschaft bereits vor 1933 weit verbreitet war, und die Studenten in der Spätphase der Weimarer Republik daher als „nationalsozialistische Avantgarde“ bezeichnet.35 Bedenkt man dies, so ist das Verhalten der Darmstädter Chemiestudenten als außergewöhnlich einzuschätzen. Sie versuchten nicht nur, Berl zum Bleiben zu bewegen, sondern sie machten ihr Anliegen auch öffentlich. Es ist bereits erwähnt worden, dass sich die Nachwuchswissenschaftler im Rektorat der TH Darmstadt und im hessischen Kultusministerium für ihren Lehrer einsetzten und erreichten, dass er weiterhin prüfen und Abschlussarbeiten betreuen durfte. Am 28. April schrieb Karl Winnacker zudem im Namen der anderen an den Rektor der TH Darmstadt: „Wir bitten Eure Magnifizenz und den hohen Senat der Technischen Hochschule, Herrn Professor Berl zur Zurücknahme seines Rücktrittsgesuchs zu bewegen und seine wertvolle Schaffenskraft der Hochschule zu erhalten“.36 Einen Tag später baten sie das Chemische Institut, „auch von Seiten der [chemischen] Abteilung Schritte zu unternehmen, die geeignet sind, Herrn Professor Dr. Berl zur Zurücknahme seines Gesuchs zu bewegen“.37 Wenige Tage später schließlich verfassten sie ein „Vertrauliches Rundschreiben“, in dem sie darüber informierten, dass Berl um seine sofortige Versetzung in den Ruhestand gebeten habe. „Als seine Schüler halten wir es für unsere Pflicht, die Tätigkeit von Herrn Professor Berl an der Hochschule unserer chemischen Industrie für die Ausbildung ihres Nachwuchses zu erhalten. Wir möchten deshalb bitten, auch Ihrerseits beim Hessischen Kultusministerium auf die Bedeutung hinzuweisen, die Herr Professor Berl als Lehrer und Forscher für die chemische Wissenschaft und Industrie hat.“38 Diesen Brief verschickten sie am 6. Mai 1933 an 88 hochrangige Personen bzw. Institutionen, die in der chemisch-technischen wissenschaftlichen Community bzw. der chemischen Industrie eine bedeutende Position innehatten, darunter Firmen wie BASF, Bosch, Borsig oder Dynamit-Nobel/Troisdorf sowie Verbände wie die Deutsche BunsenGesellschaft, die Deutsche Chemische Gesellschaft oder den Verein Deutscher Ingenieure.39 Berl war von diesem Schritt tief berührt. Er zweifle nicht, so schrieb er am 5. Mai an Isler, dass dem Rücktrittsgesuch stattgegeben werde, „wiewohl meine eigenen Schüler in einer geradezu ausgezeichneten Weise zu mir hielten bzw. halten.“40 Und Freudenberg berichtete er: „Das Erfreuliche an der Sache ist, 35 36 37 38 39 40

Grüttner: Studenten, S. 19. Brief Karl Winnacker im Namen der Schüler und Assistenten an den Rektor der TH Darmstadt vom 28.4.1933, Kopie in: DEA, EB 2003/004. Brief Alfred Schmidt im Namen der „Assistenten und Schüler“ Berls an die Abteilung für Chemie der TH Darmstadt vom 29.4.1933, Kopie in: DEA, EB 2003/004. „Vertrauliches Rundschreiben“ vom 6.5.1933, gez. Schmidt, Kopie in: DEA, EB 2003/004. Die Adressatenliste liegt dem „Vertraulichen Rundschreiben“ vom 6.5.1933 bei, DEA, EB 2003/004. Brief Berl an Isler vom 5.5.1933, Nachlass Prof. Dr. Karl Winnacker.

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dass meine Mitarbeiter in wundervoller Treue zu mir halten und Gott und die Welt in Bewegung setzen, um den Prozess umkehrbar zu gestalten. Wenige von meinen engeren Kollegen glaubten bei diesem Anlass ihr schmutziges Süppchen kochen zu können. Die Studentenschaft hat aber die Sache durchschaut und entsprechende Massnahmen getroffen. Also auch hier eine schöne Disproportionierung. Ein mittlerer Zustand zerlegt sich einerseits in Beweisen der Treue und Anhänglichkeit, andrerseits in Äusserungen widerwärtiger Gegensätzlichkeit einzelner ‚Kollegen‘.“41 Am 11. Mai ging das Schreiben der Darmstädter Studenten bei der Forschungsgemeinschaft ein.42 Eine handschriftliche Notiz auf dem Dokument belegt, dass es Schmidt-Ott vorlag. Es sei ihm jedoch, so der Vermerk, „nicht möglich“, etwas zu tun. Wie Schmidt-Ott und die Notgemeinschaft, so scheinen auch die anderen um Hilfe gebetenen Personen nichts veranlasst zu haben. In den überlieferten Akten findet sich jedenfalls nur ein einziges Antwortschreiben, das zudem nicht Unterstützung, sondern Abwehr formuliert. Alwin Mittasch, der Leiter des Ammoniaklaboratoriums Oppau der BASF, teilte am 11. Juni 1933 mit, er habe dem Wunsch nicht entsprochen, „da ich mir von einer derartigen Kundgebung einzelner, dem Hessischen Kultusministerium unbekannter Männer nicht viel versprochen habe“; eine „gemeinsame Eingabe“ wäre sinnvoller gewesen.43 Der Protest von Berls Schülern verhallte also. Doch es ist bemerkenswert, dass es ihn überhaupt gab. Vor dem Hintergrund des besonderen Verhältnisses zwischen Berl und seinen Schülern ist es verständlich, dass die Verbindung auch nach 1933 nicht abbrach. Karl Winnacker wirkte sogar daran mit, dass Berl den ersten Teil der dreibändigen Chemischen Ingenieur-Technik noch 1935 im Springer Verlag herausgeben konnte. Im Vorwort schrieb er: „Ohne die hingebende Hilfe seines früheren Assistenten und Mitarbeiters, des Herrn Dr. Karl Winnacker, Frankfurt a. M.-Höchst, hätte der Herausgeber die Arbeiten an dem Werke nicht vollenden können. Ihm sei auch an dieser Stelle der herzlichste Dank gesagt.“44 Im Herbst 1933 trat Berl seine Stelle als Professor und Leiter des Research Laboratory of Applied Chemistry des Carnegie Institute of Technology in Pittsburgh an.45 Er selbst zweifelte zunächst, ob es ihm gelingen werde, sich in den USA zurechtzufinden. So schrieb er kurz vor seiner Abreise an Baker: „Ich glaube sagen zu sollen, dass ich die Schwierigkeiten, in vorgerückten Jahren einen neuen Wirkungskreis in gänzlich verändertem Milieu zu schaffen, nicht eben gering erachte. […] Wir bitten Sie schon jetzt, in manchen Dingen etwas Geduld mit uns 41 42 43 44 45

Brief Berl an Freudenberg vom 18.5.1933, DEA, EB 2003/004. Das Schreiben befindet sich in: BArch, R 73/131, fol. 158. Das folgende Zitat ebd. Brief Mittasch an Schmidt vom 11.6.1933, DEA, EB 2003/004. Berl: Ingenieur-Technik, Vorwort. Für diesen Hinweis danke ich Herrn Prof. Dr. Albrecht Winnacker sehr herzlich. Berl verließ mit seiner Frau und dem Sohn Walter Darmstadt am 31.8. (sein Sohn Herbert studierte zu diesem Zeitpunkt in Wien) und reiste über London in die USA, vgl. Brief Berl an Isler vom 1.9.1933, Nachlass Prof. Dr. Karl Winnacker.

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zu haben. Wir sind von dem Wunsch beseelt, das Beste zu leisten, müssen aber gewiss vorher vorhandene Hindernisse, wie ungenügende Kenntnis der Sprache u. a. m. aus dem Weg räumen.“46 Überrascht war Berl zunächst von der Freundlichkeit, mit der das Carnegie Institute ihn willkommen hieß,47 und schon im Herbst berichtete er Haber bzw. Isler, er fühle sich „überaus wohl“48 und fange an, sich „in dem neuen Nest heimisch zu fühlen“.49 Dazu trug bei, dass er besser mit der englischen Sprache zurechtkam, als er befürchtet hatte,50 vor allem aber, dass er sich in die Arbeit stürzen konnte. Seine Tätigkeit an der Hochschule erwies sich, wie Berl sehr klar sah,51 als ein wesentliches Mittel, um die Veränderungen zu bewältigen. Auch die amerikanischen Kollegen registrierten seine Bereitschaft, sich einzufügen. Berl passe sich, so bemerkte Baker schon im März 1934, „in bewundernswürdiger Weise an unsere Institution an und hat großen Erfolg“.52 Von den Plänen des Frühjahrs 1933, nach einem Jahr wieder nach Deutschland zurückzukehren, nahm der Chemiker wohl relativ bald Abstand. Er knüpfte vielmehr in Pittsburgh an seine in Darmstadt betriebenen Forschungen an und engagierte sich ebenfalls erneut in der Lehre – etwa indem er sich maßgeblich am Aufbau eines Graduate Program in Chemical Engineering beteiligte. Bald fühlte er sich auch wieder imstande, sich der „Wissenschaftspflege“53 zu widmen, und nahm seine umfangreiche Korrespondenz mit den Kollegen im In- und Ausland wieder auf, die kurzfristig zum Erliegen gekommen war.54 Auch den deutschen Kollegen schrieb Berl zunehmend auf Englisch; seit Ende der 1930er Jahre benutzte er die englische Sprache sogar in den Briefen an die Freunde und an seine Söhne. Auch dies mag als Indiz gelten für sein Bestreben, in den USA heimisch zu werden. Das deutlichste Zeichen setzte Berl jedoch damit, dass er im September 1938 einen Einbürgerungsantrag für sich und seine Familie stellte und darüber hinaus der neuen Wahlheimat seine Dienste anbot: „I feel a strong obligation to put my services, if they are desired, at the disposition of the government of this country.“ Der Chemiker verwies dabei explizit auf seine Tätigkeit im Ersten Weltkrieg und seine Forschungen „in the 46

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Brief Berl an Baker vom 20.7.1933, zit. nach: Walter Berl: Remembrances, Vortrag am 31.3.1977 auf dem Treffen der Berl-Schüler in dem von Fritz Fetting geleiteten Institut für Chemische Technologie der TH Darmstadt, Kopie in DEA, EB 2003/004; vgl. auch Brief Berl an Isler vom 1.9.1933, Nachlass Prof. Dr. Karl Winnacker. Vgl. Brief Berl an Isler vom 22.9.1933, Nachlass Prof. Dr. Karl Winnacker. Brief Berl an Haber vom 26.10.1933, DEA, EB 2003/004. Brief Berl an Isler vom 5.11.1933, Nachlass Prof. Dr. Karl Winnacker. Vgl. Brief Berl an Mittasch vom 12.12.1933, DEA, EB 2003/004. Vgl. z. B. Brief Berl an Isler vom 22.12.1933, Nachlass Prof. Dr. Karl Winnacker. Ähnlich äußerte sich Berl auch gegenüber Mittasch und Haber, vgl. Brief Berl an Mittasch vom 12.12.1933, DEA, EB 2003/004, und Brief Berl an Haber vom 26.10.1933, ebd. Brief Baker an das Emergency Committee vom 3.3.1934, zit. nach: Deichmann: Flüchten, S. 190. Brief Berl an Mittasch vom 21.3.1934, DEA, EB 2003/004. Ein großer Teil der Korrespondenz ist in DEA, EB 2003/004, archiviert; einige Dokumente befinden sich seit 2013 auch in den United States Holocaust Memorial Museum Archives, Ernst Berl papers.

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field of explosives and poison-gas defense“.55 Bald nachdem Deutschland Polen überfallen hatte, erneuerte Berl – nun Bürger „of this wonderful country“56 – sein Angebot und führte als Begründung an, dass er Deutschland und vor allem die dortigen militärischen und industriellen Verhältnisse gut kenne: „It may be that this knowledge could be of some help. […] I would be very much honored if the federal government would make use of these facts.“57 Tatsächlich berief ihn das Ministry of Supply im Frühjahr 1940 in das Explosives Advisory Committee, was Berl gern akzeptierte: „I want to do my share.“58 Nach dem Kriegseintritt der USA im Jahre 1941 kam der Studien- und Forschungsbetrieb in Pittsburgh weitgehend zum Erliegen, da viele Dozenten und Studenten eingezogen wurden. Obwohl Berl 1942 das Rentenalter erreicht hatte, blieb er weiterhin im Amt. Jeder habe, so sein Selbstverständnis, in diesen harten Zeiten seine ganze Aktivität „without any restriction at the disposition of the nation“ zu stellen.59 Auch in den frühen 1940er Jahren erwies sich die Tätigkeit in Lehre und Forschung erneut als Mittel, mit emotionalen Belastungen umzugehen. Doch nun ging es nicht mehr um die Bewältigung der Unsicherheit angesichts der neuen Lebenssituation, sondern darum, die Sorge um die in Deutschland und Österreich zurückgebliebenen Familienangehörigen in Schach zu halten. Er sei, so schrieb Berl an einen ebenfalls in den USA lebenden Verwandten, sehr unglücklich, nichts von der Familie zu hören: „Um diese Einflüsse trauriger Gedanken etwas in den Hintergrund zu drängen, belade ich mich mit dem Höchstmaß ertragbarer Arbeit.“60 Als Berl im Juni 1945 aus den Diensten des Carnegie Institute ausschied, verabschiedete er sich mit einer Rede, in der er die Grundüberzeugungen seines Lebens zusammenfasste. Sein erster Satz galt dem Dank an die Vereinigten Staaten: „We feel much gratitude to this country, which has given shelter to us and our sons.“ Einen breiten Raum nahm dann die Beschreibung seiner wissenschaftlichen Tätigkeit als Chemiker ein, die für ihn Forschung und Lehre gleichermaßen umfassten: „I have always felt that teaching and research is not a profession, but a mission.“ Zudem gedachte Berl seiner verstorbenen Lehrer und Freunde, von denen er namentlich Alfred Werner, Georg Lunge, Fritz Haber und Richard Willstätter nannte, die sein Leben so entscheidend geprägt hätten. In viel höherem Maße gelte dies auch für seine Eltern und seine Frau. Doch nicht allein Menschen hätten seinen Lebensweg beeinflusst, sondern auch „happy accidents, or one could say that my guardian angel told me what to do“. Dieser 55 56 57 58 59 60

Brief Berl an George S. Messersmith, Assistant Secretary of State vom 28.9.1938, DEA, EB 2003/004. Brief Berl an Mittasch vom 7.6.1939, DEA, EB 2003/004. Brief Berl an George S. Messersmith, Assistant Secretary of State, vom 21.3.1939, DEA, EB 2003/004. Brief Berl an Robert Robertson vom 26.3.1940. Vgl. Brief Berl an George S. Messersmith vom 25.6.1940, DEA, EB 2003/004. Brief Berl an (seinen Verwandten) Otto Marburg vom 27.7.1942, DEA, EB 2003/004. Brief Berl an Marburg vom 6.2.1942, DEA, EB 2003/004. Vgl. auch Brief Berl an Marburg 23.12.1942, ebd., sowie die Briefe Berl an Isler vom 12.10.1938 und vom 27.4.1942, Nachlass Prof. Dr. Karl Winnacker.

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habe ihm beispielsweise 1910 geraten, nicht Lunge nachzufolgen, sondern von Zürich nach Belgien und in die Industrie zu wechseln. Auch 1933 habe „sein Schutzengel“ eine entscheidende Rolle gespielt: „Knowing Germany and other countries, I foresaw the development which finally took place. Here again the angel did his work“.61 Insofern hatte, so verstand Berl es, „der Engel“ ihn und seine Familie vor dem Tod bewahrt, denn fast alle Familienangehörigen waren von den Nationalsozialisten ermordet worden: „We are very sad. We have lost alltogether 12 members of our family out of 16. Those 12 were murdered in german and polish concentration camps.“62 Das Wissen um den Holocaust und die Ermordung seiner Verwandten bestärkten Berl in seiner Dankbarkeit gegenüber Amerika und seiner Identifikation mit der neuen Heimat. An Isler schrieb er im Sommer 1945: „Ich bin voll und ganz Bürger dieses Landes geworden“,63 und es sei nur natürlich, „dass wir den amerikanischen Sehwinkel voll und ganz annehmen, um so mehr, als wir den sicheren Verlust von Mitgliedern unserer Familie zu beklagen haben. Zwei von diesen sind am Leben. […] Ich brauche nicht zu sagen, wie sehr mich all die Geschehnisse im Innersten aufwühlen. Was ich mit meinen schwachen Kräften tun kann, […] wird geschehen.“ So habe er die „fixe Idee, mein Elternhaus, sofern es noch besteht, in ein Asyl für vom Schicksal Schwerbetroffene umzuwandeln“, und bereits Kontakt mit der tschechischen Regierung aufgenommen.64 Wahrscheinlich gelang es nicht, die Pläne umzusetzen, denn neun Monate nach Kriegsende, am 16. Februar 1946, verstarb Ernst Berl. Die Verhältnisse in Deutschland und die dort herrschende Not hatte Berl bis zu seinem Tode ebenso genau wie distanziert beobachtet. Nach seiner Einschätzung sei es sei zum „ersten Mal seit dem 30jährigen Krieg, dass die Deutschen spüren, was es heißt, Krieg zu machen und die Konsequenzen selbst zu verspüren“.65 Gleichwohl sei es eine Pflicht zu helfen und die früheren Konflikte ruhen zu lassen. So beabsichtige er, an die ehemaligen Darmstädter Kollegen Lebensmittelpakete zu schicken, und zwar auch an seinen Widersacher des Jahres 1933, Lothar Wöhler, zu dem „less agreable connections existed but the frictions are forgotten now“.66 Auch der Kontakt zu seinen Darmstädter Schülern lebte nach Kriegsende wieder auf. Zahlreiche der früheren Studenten nutzten nun die Möglichkeit, Briefe vergleichsweise unkompliziert ins Ausland zu schicken. Sie wandten sich an den früheren „Meister“, um zu berichten, wie es ihnen selbst und den anderen ergangen war, und natürlich auch, um sich nach ihm zu erkundigen. Viele Briefe erreichten Berl vor seinem Tod allerdings nicht mehr. Sie befinden sich heute – zusammen mit der großen Zahl von Kondolenzschreiben – in seinem Nachlass, den seine Söhne viele Jahre später aufbereitet und den Archiven übergeben ha61 62 63 64 65 66

Rede Berl vom 30.6.1945, DEA, EB 2003/004. Brief Berl an H. Umstätter vom 22.10.1945, DEA, EB 2003/004; vgl. auch Brief Berl an Marburg vom 15.1.1946, ebd. Brief Berl an Isler vom 24.8.1945, DEA, EB 2003/004. Brief Berl an Isler vom 31.5.1945, Nachlass Prof. Dr. Karl Winnacker. Brief Berl an Marburg, 13.1.1946, DEA, EB 2003/004. Brief Berl an Kraft vom 4.2.1946, DEA, EB 2003/004.

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ben. Die Erinnerung an Ernst Berl wurde jedoch nicht nur in seiner Familie bewahrt, sondern auch durch die früheren Kollegen und Schüler. So war es Clemens Schöpf, einer seiner Darmstädter Kollegen, der im Februar 1946 einen Nachruf schrieb und dafür sorgte, dass das Rektorat der Technischen Hochschule diesen in verschiedenen Zeitungen drucken ließ.67 Schöpf benannte darin explizit die Gründe, warum Berl Deutschland hatte verlassen müssen: Er sei 1933 aus seinem Schaffen „herausgerissen“ worden und habe frühzeitig klar erkannt, „was seine Freunde nicht glaubten wollten, dass für ihn als Juden nun kein Bleiben mehr war“. 1951 würdigte Karl Winnacker Berls Lebenswerk in der Zeitschrift für alle Gebiete der Chemischen Technik und des Chemie-Ingenieurwesens,68 und im gleichen Jahr wurde das Treffen der Berl-Schüler ins Leben gerufen. Die meisten von Berls Studenten hatten nach Abschluss des Studiums eine Stelle in der chemischen Industrie angetreten und standen daher beruflich weiterhin in Kontakt. Am Rande einer großen internationalen chemisch-technischen Fachmesse, der ACHEMA, verbrachten einige einen Abend zusammen, um die Erinnerungen an die Studentenzeit aufleben zu lassen und „mancherlei Anekdote über den verstorbenen, alten Herren“ auszutauschen.69 Sie beschlossen zudem, sich im Folgejahr erneut zu treffen und möglichst viele der früheren Kommilitonen einzuladen. Tatsächlich fand die Zusammenkunft der Berl-Schüler nicht nur im nächsten Jahr statt, sondern von 1951 bis in die späten 1970er Jahre; zum Teil kamen über 50 Berl-Schüler zusammen.70 Dass es dabei auch darum ging, die Erinnerung an den früheren „Meister“ wachzuhalten, belegen beispielsweise das Album „Berl-Anekdoten und -Geschichten“,71 das sie 1976 anlässlich des 30. Todestages von Berl anfertigten.72

67

68 69 70 71 72

Vgl. Brief Schöpf an das Rektorat der TH Darmstadt vom 23.2.1946, UAD, TH 25/01, Nr. 39-7. Dort befindet sich auch der von Schöpf verfasste Nachruf, aus dem das folgende Zitat stammt. Der Nachruf wurde in folgenden Zeitungen gedruckt: Darmstädter Echo, Frankfurter Rundschau, Rhein-Neckar-Zeitung und Neue Zeit, vgl. die entsprechende Korrespondenz des Rektorats vom März 1946, UAD, ebd.; zu Berls und Schöpfs Zusammenarbeit in Darmstadt vgl. Wehefritz: Wegbereiter, S. 134–139. Vgl. Winnacker: Entwicklung. Rundbrief Wilhelm Herbert, o. D., DEA, EB 2003/00. Das Folgende ebd. Zahlreiche Dokumente über diese Treffen befinden sich im Nachlass von Prof. Dr. Karl Winnacker. Zusammengestellt wurde es von H. Bausch, B. Schmitt und E. Weingaertner; ein Exemplar befindet sich im Nachlass von Prof. Dr. Karl Winnacker. Auch spricht die Tatsache dafür, dass die Berl-Schüler den Kontakt zu Berls Witwe und zu dessen Söhnen herstellten bzw. aufrechterhielten. 1977 luden sie Walter G. Berl nach Darmstadt und in das ehemalige Institut seines Vaters ein, das zu diesem Zeitpunkt von Fritz Fetting geleitet wurde und heute „Ernst-Berl-Institut für Technische und Makromolekulare Chemie“ heißt. Walter G. Berl, inzwischen selbst renommierter Chemiker an der Hochschule und Mitglied der Washington Academy of Sciences, hielt dort einen Vortrag, in dem es um seinen Vater und dessen Zeit in Darmstadt, aber auch um dessen Vertreibung von der Hochschule ging. Eine Kopie befindet sich in DEA, EB 2003/00. Herrn Fritz Fetting danke ich für den Bericht über dieses Treffen.

Carl

Neuberg

Carl Neuberg kam am 29. Juli 1877 in einer wohlhabenden jüdischen Bürgerfamilie zur Welt.1 Sein Vater war Textilkaufmann, und er hatte zwei jüngere Schwestern, von denen eine bereits wenige Monate nach der Geburt starb. 1892 zog die Familie nach Berlin um, wo Neubergs Vater einen Tuch- und Textilgroßhandel eröffnete. Er selbst besuchte ein humanistisches Gymnasium und studierte nach dem Abitur 1896 zunächst kurze Zeit Astronomie, dann Chemie, Medizin und Naturwissenschaften in Würzburg und Berlin. 1900 wurde er mit einer Arbeit über die Chemie des Glycerinaldehyds in Berlin promoviert. Zu seinen wichtigsten Lehrern und Förderern gehörten der Chemiker Alfred Wohl, der Nobelpreisträger für Chemie des Jahres 1902, Emil Fischer, sowie der Mediziner und Physiologische Chemiker Ernst Salkowski. Bei Letzterem hatte Neuberg bereits 1898 als Assistent in der Chemischen Abteilung des Pathologischen Instituts der Berliner Charité gearbeitet, und hier blieb er nahezu zehn Jahre beschäftigt. Seine Interessens- und Forschungsgebiete jener Zeit lagen im biologisch-medizinischen Grenzgebiet der Chemie, im Versuch, physiologische und pathologische Aspekte der Chemie zu verbinden. Seine Habilitation an der Berliner Universität, die den Stoffwechsel der Kohlenhydrate und der Proteine untersuchte, erfolgte 1903 für das Fach Chemie, und seine Antrittsvorlesung thematisierte die Bildung von Zucker aus Eiweiß. Drei Jahre später gründete der 29-Jährige die im Verlag von Ferdinand Springer erscheinende Biochemische Zeitschrift, die in den Folgejahren rasch großen Zulauf erhielt. Die von Neuberg nahezu allein geleistete Redak1

Bei dem folgenden Text handelt es sich um ein gekürztes Kapitel aus meinem Buch: NSVertreibung, S. 193–221.

Carl Neuberg

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tionsarbeit trug wesentlich zu seinem Bekanntheitsgrad in dem sich langsam etablierenden Feld der Biochemie bei. Aufgrund seiner wissenschaftlichen Leistungen ernannte die Berliner Universität Neuberg 1906 zum planmäßigen außerordentlichen Professor, doch ein Ordinariat blieb ihm verwehrt. Als Erklärung hierfür sind zu Recht die weit verbreiteten antijüdischen Ressentiments der deutschen Hochschulverwaltungen angeführt worden, doch spielte sicherlich auch eine Rolle, dass sich die Biochemie in jenen Jahren erst zu einem eigenständigen Fach im Grenzgebiet zwischen Chemie, Biologie und Medizin entwickelte und kaum über Lehrstühle verfügte.2 Neuberg selbst stellte zwischen beiden Gründen eine Verbindung her: „Unter den obwaltenden Umständen“, so schrieb er 1927 – und meinte damit die judenfeindliche Einstellung der meisten deutschen Universitäten –, „ist den jüdischen Naturforschern in der Mehrzahl der Fälle nur eine einzige Möglichkeit offengeblieben, sich nach ihren Befähigungen zu betätigen und oft unter großen Hemmnissen sowie schweren Entbehrungen den von ihnen als richtig erkannten Weg zu gehen. Sie bestand darin, außerhalb der offiziell anerkannten und durch bestehende Institutionen beschützten Bereiche sich neue Gebiete der Forschung zu suchen und hier, so wie im alltäglichen Leben mittelalterlichen Abgeschiedenseins oft an der Peripherie der Städte, auf Grenzgebieten eine sorgenvolle und ungewisse wissenschaftliche Existenz sich zu gründen.“3 Kurz nach der Ernennung zum außerordentlichen Professor gründete Neuberg eine eigene Familie: Er heiratete am 21. Mai 1907 Franziska Helene (Hela) Lewinski, die 1884 als Tochter eines wohlhabenden Rechtsanwalts und hohen Beamten in Posen geboren worden war. Ihre beiden Töchter Irene Stephanie und Marianne kamen 1908 bzw. 1911 zur Welt. Hela Neuberg erwies sich zudem als Hauptstütze ihres Mannes bei der Herausgabe der Biochemischen Zeitschrift, indem sie einen Teil der Redaktions- und Korrekturarbeiten übernahm. Kurz nach seiner Heirat konnte Neuberg sich auch beruflich etablieren. Ende des Jahres 1909 übernahm er die Leitung der Chemischen Abteilung des Tierphysiologischen Instituts der Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin, um dort – so beschrieb der Direktor des Instituts Nathan Zuntz die Aufgaben Neubergs  – die Wirkung der „mannigfachen in der Pflanzennahrung vorkommenden komplizierten Verbindungen und das Schicksal derselben im Körper“ zu untersuchen.4 Mit der neuen Position verband sich zudem eine Honorardozentur und ein Lehrauftrag für Tierchemie an der Berliner Universität. Neuberg beschäftigte sich in den Folgejahren vor allem mit biochemischen Vorgängen bei Gärungsprozessen.5 Mit dem von ihm beschriebenen Reaktionsschema der alkoholischen Gärung konnte erstmals ein biologischer Prozess in seinem chemischen Ablauf charakterisiert werden; dies gilt bis heute als Meilenstein auf dem Weg zur detaillierten Darstellung biologischer Abläufe. Ein weiteres Arbeitsgebiet bestand in der Ge2 3 4 5

Vgl. Deichmann: Biologie, S. 713–715. Neuberg: Anteil, S. 448. Nathan Zuntz über die Aufgaben Neubergs, zit. nach: Conrads/Lohff: Neuberg, S. 21. Zum Folgenden vgl. den Eintrag zu Neuberg in: NDB; Fischer u. a.: Exodus, S. 323 f.; Rürup: Schicksale, S. 279; Kaznelson (Hg.): Juden, S. 442 f.

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winnung von Glycerin nach dem sogenannten Abfangverfahren und die Isolierung des Fructose-6-Phosphats im Zuckerstoffwechsel („Neuberg-Ester“, 1916). Hinzu kam die Beschäftigung mit der katalytischen Wirkung verschiedener Strahlungsarten, mit chemischen Analysen von Mineralwässern, den Auswirkungen des Höhenklimas auf den menschlichen Körper und der Wirkung chemischer Substanzen auf bösartige Geschwulste. In späteren Jahren untersuchte Neuberg unter anderem die Zuckerphosphorsäuren sowie die enzymatische Überführung anorganischen Phosphats in organische Verbindungen und erforschte die Löslichmachung schwerlöslicher organischer Verbindungen in der Natur mithilfe der Hydrotropie, also der Steigerung der Wasserlöslichkeit von schwerlöslichen organischen Verbindungen. Aufgrund seiner herausragenden Untersuchungen ernannte ihn die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft 1913 zum Wissenschaftlichen Mitglied und Leiter der Chemischen Abteilung des neu gegründeten Kaiser-Wilhelm-Instituts für experimentelle Therapie in Berlin-Dahlem unter dem Direktor August von Wassermann. Der 37-Jährige bezog 1914 mit seiner Familie eine neu gebaute Stadtvilla in unmittelbaren Nähe seiner Arbeitsstätte und wohnte nicht weit von Fritz Haber und Richard Willstätter. Neuberg gab sich in der Folgezeit jedoch nicht mit seiner Position zufrieden, sondern drängte die Generalverwaltung der KGW, ein eigenständiges KWI für Biochemie mit ihm als Direktor einzurichten. Unterstützung erhielt er dabei von seinem Vetter Oskar Neuberg, der als Gewerbedirektor ein chemisches Unternehmen leitete und Mittel für das geplante KWI in Aussicht stellte. Im Ersten Weltkrieg beteiligte sich der Biochemiker, der wegen einer krankhaften Störung des Gleichgewichtsorgans als nicht kriegstauglich galt, zunächst an der Erforschung militärisch notwendiger Ausrüstungsgegenstände, beispielsweise eines Gasschutzgeräts für Pferde. Zudem erstellte er Gutachten über die biologische Wirksamkeit von chemischen Kampfstoffen, untersuchte Mittel zur Seuchenbekämpfung und beschäftigte sich mit der Herstellung sowie dem medizinischen und pharmazeutischen Einsatz von Ersatzstoffen in der Kriegstechnik. Durch die Entwicklung eines Verfahrens zur Massenproduktion von Glycerin leistete er einen wichtigen Beitrag zur deutschen Explosivstoff-Produktion.6 Schließlich wurde er in den Rang eines Sachverständigen für den Einsatz von Glycerin-Ersatzstoffen erhoben und nahm als solcher an verschiedenen Inspektionsreisen an die Front teil. Für seinen Kriegseinsatz wurde er mit drei Eisernen Kreuzen ausgezeichnet. Nach Ende des Ersten Weltkriegs erfuhr Neuberg in vielerlei Hinsicht eine Anerkennung seiner wissenschaftlichen Leistungen. Ihn erreichten die Rufe verschiedener Universitäten, doch Neuberg, der gern in Dahlem bleiben wollte, schlug diese aus, zumal die Berliner Universität, die ihn zu halten suchte, ihn nun zum ordentlichen Honorarprofessor ernannte. Zudem entschied die KWG 1920 – nachdem der Erste Weltkrieg und die Nachkriegszeit die vor allem von Neubergs Vetter betriebene Errichtung eines eigenen KWI für Biochemie ver6

Vgl. Rürup: Schicksale, S. 276.

Carl Neuberg

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hindert hatten  – immerhin Wassermanns KWI für experimentelle Therapie in „Kaiser-Wilhelm-Institut für experimentelle Therapie und Biochemie“ umzubenennen und Neuberg zum Zweiten Direktor zu bestellen. Im Kuratorium des KWI saß auch der Präsident der Notgemeinschaft Friedrich Schmidt-Ott. Darüber hinaus erwählte die wissenschaftliche Community der Chemiker Neuberg 1921 zu einem ihrer wissenschaftspolitischen Repräsentanten. Der Fachausschuss Chemie wünsche, so schrieb der Vorsitzende Alfred Stock am 22. Februar 1921 an Schmidt-Ott, sich „durch Zuwahl der Herren Nernst und Neuberg zu ergänzen“, sodass neben der organischen und der anorganischen Experimentalchemie auch die wichtigen Gebiete der Theoretischen Chemie und der Physiologischen Chemie durch Sachverständige vertreten seien.7 Schmidt-Ott schloss sich dem Votum an, sodass Neuberg in den Fachausschuss berufen wurde und dort den Unterausschuss „Biochemie und Kolloidchemie“ verantwortete. In dieser Funktion wurde er in jeder Fachausschusswahl der Weimarer Republik bestätigt. Schließlich erhielt Neuberg 1922 eine ordentliche Professur für Biochemie, die die Landwirtschaftliche Hochschule Berlin zu jenem Zeitpunkt für ihn schuf. In demselben Jahr ernannte ihn die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina zum Mitglied und 1925, nach dem Tod Wassermanns, wurde Neuberg endlich alleiniger Direktor des nun „KWI für Biochemie“ genannten Instituts. In dieser Position verzichtete er darauf, weiterhin Anträge bei der Notgemeinschaft einzureichen. Er wolle sie „deshalb nicht in Anspruch nehmen“, so begründete er im März 1926 seine Bitte an den Generaldirektor der KWG Friedrich Glum um einen außerordentlichen Materialzuschuss, „weil ich es für richtig halte, als Mitglied des Fachausschusses Chemie keinerlei Anforderungen in eigenem Interesse geltend zu machen“.8 Mitte der 1920er Jahre entwickelte sich Neubergs KWI „zu einem weltweit anerkannten Zentrum der biochemischen Forschung“.9 Zwischen 1924 und 1935 arbeiteten und publizierten dort über 80 Forscher, darunter zahlreiche ausländische Stipendiaten aus insgesamt 18 Ländern10 sowie eine große Zahl von Nachwuchswissenschaftlern. Unter diesen befand sich auch Neubergs Tochter Irene, die nach dem Studium der Chemie und Physik an der Landwirtschaftlichen Hochschule und der Universität in Berlin seit 1930 am KWI ihres Vaters promovierte. Im Oktober 1932 schloss sie ihre Dissertation ab und meldete zudem ein erstes Patent an. Bis Mitte der 1930er Jahre veröffentlichte das KWI für Biochemie nahezu 400 Studien, an der Hälfte hatte sich Neuberg selbst beteiligt. Hinzu kamen die wissenschaftlichen Erträge aus der Biochemischen Zeitschrift, die sich bald nach der Gründung 1906 zu einem internationalen Forum der Biochemie entwickelt hatte. Neuberg versuchte zudem, sich und sein Institut innerhalb der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft weiter zu verankern, etwa durch die 7 8 9 10

Brief Stock an Schmidt-Ott vom 22.2.1921, BArch, R 73/120, fol. 139. Anfang März schrieb Neuberg an Schmidt-Ott, er nehme die Wahl an, BArch, ebd., fol. 117. Brief Neuberg an Glum vom 20.3.1926, zit. nach: Conrads/Lohff: Neuberg, S. 94. Die Datenbank zur DFG-Geschichte weist Neuberg zwischen 1922 und 1926 in sechs Fällen als Bezieher einer Sachbeihilfe aus; danach sind keine Einträge mehr verzeichnet. Rürup: Schicksale, S. 276. Zahlen nach: Conrads/Lohff: Neuberg, S. 90.

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Erweiterung der Arbeitsgebiete seines Instituts oder die Einrichtung neuer Abteilungen (etwa der Abteilung für Tabakforschung). Er wandte dabei „moderne“ Methoden an, indem er die Expansion durch eine Kooperation mit der Regierung und mit Industriebetrieben absicherte. Die praxisnah und anwendungsorientiert erwirtschafteten Mittel flossen in das KWI zurück und kamen dort der Grundlagenforschung zugute. Neuberg trug, so lässt sich zusammenfassen, in erheblichem Maße zur Etablierung der Disziplin Biochemie bei und stand Ende der 1920er Jahre „at the zenith of his fame. Unnumerable honors had been bestowed upon him. He was one of the ‚Big Three‘ in German biochemistry“.11 Nur privat hatte er einen schweren Schicksalsschlag zu verkraften: Seine Frau starb mit 45 Jahren am 24. März 1929 an Leukämie. Beruflich genoss Neuberg als einer der Begründer der modernen Biochemie großes wissenschaftliches Ansehen, auch international. Er wurde bis Mitte der 1930er Jahre mit rund 20 wissenschaftlichen Auszeichnungen bedacht, 25-mal für den Nobelpreis vorgeschlagen, und er kam fünfmal in die engere Wahl.12 Zu betonen ist, dass er diese berufliche, wissenschaftliche und forschungspolitische Stellung erreicht hatte, obwohl er keinen Hehl daraus machte, dass er Jude war. Der Biochemiker gehörte vielmehr zu den politisch selbstbewussten liberalen Juden. Er war gläubig, aber nicht orthodox, richtete seinen Tagesablauf und seine Lebensplanung also nicht an den Vorschriften des Talmuds aus. Gleichwohl verfügte er über detaillierte Kenntnisse der jüdischen Geschichte, der jüdischen Traditionen und der Heiligen Schrift. Sein Schüler David Nachmansohn beschrieb seine Einstellung zum Judentum folgendermaßen: „Although completely unorthodox he was a straight and proud Jew. He was full of scorn and contempt for Jews who tried to hide their origin.“13 Der Stolz auf seine jüdische Abstammung und sein Selbstbewusstsein als Jude mögen der Grund für sein Engagement im Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens gewesen sein, der auf eine Symbiose oder Koexistenz von Judentum und deutscher Nation zielte und dem es daher um die Bekämpfung des Antisemitismus sowie um die Anerkennung der Juden als gleichberechtigte deutsche Staatsbürger ging. Möglicherweise übte Neuberg sogar ein Amt im Hauptvorstand des Centralvereins aus; 1927 verfasste er jedenfalls für die Zeitung des Centralvereins einen Artikel über die Rolle und Bedeutung jüdischer Wissenschaftler für die biochemische Forschung. Neuberg selbst betonte, dass seine Identität auf drei Säulen ruhte: „Deutsches Nationalgefühl, jüdisches Stammesbewußtsein und westelbischer Heimatstolz.“14 Als Wissenschaftler verstand er sich als humanistisch gebildeter Naturwissenschaftler und Grundlagenforscher, fest verankert in der deutschen (Wissenschafts-)Kultur.

11 12 13 14

Nachmansohn: Proceedings, S.  80. Die beiden anderen waren Otto Meyerhof und Otto Warburg. Vgl. ausführlich Conrads/Lohff: Neuberg, S. 163–171. Nachmansohn: Proceedings, S. 81. Brief Neuberg an Wieland vom 3.2.1948, zit. nach: Conrads/Lohff: Neuberg, S. 128.

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Das Berufsbeamtengesetz betraf Neuberg zunächst nicht, da ihn sein Status als „Frontkämpfer“ und „Altbeamter“ schützte. Als deutscher Beamter und mehrfach ausgezeichneter Weltkriegsteilnehmer fühlte er sich vor Übergriffen der Nationalsozialisten sicher. Zudem hielt auch er, wie so viele, den Nationalsozialismus 1933 für eine kurze Episode und erwartete, dass die liberalen politischen Kräfte bald wieder die Oberhand gewinnen würden. Für die im Frühjahr 1933 stattfindenden Fachausschusswahlen der Notgemeinschaft nominierten drei Fachverbände Neuberg als Kandidaten, nämlich die Deutsche Chemische Gesellschaft, die Deutsche Bunsen-Gesellschaft sowie der Verband der Laboratoriumsvorstände an den deutschen Hochschulen. Wie bei den Wahlen zuvor, so bestätigte ihn die wissenschaftliche Community auch im Frühjahr 1933. Doch Neuberg war unsicher, ob er in Anbetracht der politischen Veränderungen die Wahl in den Fachausschuss annehmen sollte, und fragte den Vorsitzenden Alfred Stock, der ihn wiederum an Schmidt-Ott verwies. SchmidtOtt jedoch reagierte nicht. Erst nach einigen Wochen antwortete er. Er bat Neuberg darum, der Notgemeinschaft weiterhin hilfreich zur Seite zu stehen, eine endgültige Mitteilung über die „Gestaltung“ der Fachausschüsse müsse er sich aber „noch vorbehalten“.15 Ob Schmidt-Ott einen zweiten Brief schrieb oder Neuberg persönlich traf, ist nicht überliefert. Aus den Akten geht aber hervor, dass Neuberg die Wahl in den Fachausschuss schließlich annahm. In demselben Zeitraum sah sich Neuberg mit antisemitischen Angriffen in seinem eigenen KWI konfrontiert. Diese gingen von dem Laboratoriumsdiener und Mechaniker Kurt Delatrée-Wegner aus, der wenige Monate nach der „Machtergreifung“ in die NSDAP eingetreten und als Obmann der nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation (NSBO) für das KWI für Biochemie zuständig war. Im Mai 1933 kündigte er an, das Institut „judenrein“ machen zu wollen, innerhalb kurzer Zeit kam es zu Anfeindungen und Streitigkeiten. Die wissenschaftlichen Mitarbeiter warfen Delatrée-Wegner Lügenhaftigkeit, Verleumdungen, Diebstahl und Überheblichkeit vor, sodass Neuberg ihn zunächst verwarnte, dann beurlaubte. Als Delatrée-Wegner kurze Zeit später einen Mitarbeiter tätlich angriff, entließ Neuberg ihn fristlos. In der politisch aufgeheizten Stimmung des Frühjahrs 1933 führte dies dazu, dass die Bezirksleitung Brandenburg für den Arbeitsfrieden Neuberg vorlud und ihm mit Haft drohte, sollte er den Mechaniker nicht wieder einstellen. Doch Neuberg nahm die Entlassung nicht zurück, sodass Delatrée-Wegner zu anderen Mitteln griff. Neuberg habe gesagt, so behauptete er nun, Hitler sei ein „Elefant im Porzellanladen“. Anfang des Jahres 1934 wurde gegen Neuberg ein Ermittlungsverfahren wegen Beleidigung eingeleitet. Der Symbolgehalt der Affäre – ein Jude maßregelt und entlässt einen NSBOObmann fristlos – und insbesondere Neubergs unnachgiebige Haltung führten dazu, dass die ohnehin vorhandene Absicht, ihn von der Hochschule und aus der nationalen wissenschaftlichen Community auszuschließen, Auftrieb erhielt. Daran änderte auch nichts, dass das Ermittlungsverfahren im April 1934 eingestellt werden musste, da es keinen Anlass zu einem Dienststrafverfahren gab. Im Früh15

Brief Schmidt-Ott an Neuberg vom 26.6.1933, BArch, R 73/131, fol. 154.

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jahr 1934 teilte das Reichserziehungsministerium Neuberg mit, dass ihm nach § 6 des Berufsbeamtengesetzes die Lehrbefugnis als ordentlicher Honorarprofessor der Universität Berlin entzogen und er als Professor der Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin zum 30. September in den Ruhestand versetzt sei.16 Parallel dazu zeichnete sich auch ab, dass er seinen Direktorenposten in der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft verlieren würde. Die Personalpolitik der Generalverwaltung – und nicht zuletzt auch die des Präsidenten Max Planck – gegenüber ihren jüdischen/„nichtarischen“ Mitgliedern war in den ersten Jahren der NSHerrschaft durch die Strategie geprägt, die rassistischen NS-Bestimmungen auf der unteren und mittleren Ebene unmittelbar und bis auf wenige Ausnahmen konsequent anzuwenden, um so wenigstens einige Eliteforscher in der Institution halten zu können. So intervenierte Planck am 24. Juli 1934 zugunsten von Neuberg bei Reichserziehungsminister Bernhard Rust.17 Das Schreiben macht deutlich, dass es ihm nicht allein um Neubergs Person ging, sondern dass er (auch) fürchtete, der Ruf der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft könne durch dessen Entlassung – und die anderer weltberühmter Koryphäen – Schaden nehmen und die Rockefeller Foundation könne aus demselben Grund ihre Unterstützung einstellen. Neuberg hatte von dieser noch im März 1934 eine Beihilfe von 9.200 RM für sein KWI erhalten.18 Während man also Neuberg und andere herausragende Direktoren zunächst zu schützen versuchte, wurden andere KWG-Mitarbeiter schon früh entlassen. Dies betraf die jüngeren, nicht etablierten Nachwuchswissenschaftler, wie etwa Neubergs Tochter Irene.19 Obwohl sich die Generalverwaltung und auch Planck persönlich für Neuberg einsetzten, zeichnete sich bereits im April 1934 ab, dass der Biochemiker nicht zu halten war. Neuberg nahm den Ausschluss jedoch nicht kampflos hin. Aus einer Aktennotiz des Generalsekretärs der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, Ernst Telschow, vom 20. April 1934 geht zum einen hervor, dass er in seinen Gesprächen mit der Generalverwaltung Forderungen aufstellte: Im Falle seines Rücktritts sollten, so drängte Neuberg, seine Assistenten ihren Arbeitsplatz behalten, und er selbst verlangte für sich einen Arbeitsplatz im Torgebäude des Instituts. Zum anderen bot er im Sommer 1934 der NS-Regierung seine Dienste an, wohl um die drohende Entlassung doch noch abzuwenden. Er habe, so schrieb er am 4. Juli 1934 in einem streng vertraulichen Brief an Glum, durch seine wissenschaftlichen Beziehungen die Möglichkeit, eine Fabrik in Straßburg zu besuchen, um dort Einblicke in einen technischen Prozess zu gewinnen, „der von wirtschaftlicher wie kriegstechnischer Bedeutung ist. Es handelt sich um die Gewinnung von Butylalkohol und Aceton – letzteres ist Ausgangsmaterial für Kautschuk und Gaskampfstoffe“.20 Glum leitete den Brief drei Tage später an das Reichswehrmi16 17 18 19 20

Vgl. Brief Neuberg an den Rektor der Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin vom 28.5.1934, UAHU, PA Neuberg, Bd. 1, fol. 121. Am 31.5.1934 verabschiedete sich Neuberg persönlich, ebd. Das Schreiben ist abgedruckt in: Verfolgte Berliner Wissenschaft, S. 93–95. Vgl. Mertens: Würdige, S. 231. Zur Biografie von Irene Neuberg vgl. Rürup: Schicksale, S. 280–282. Brief Neuberg an Glum vom 4.7.1934, zit. nach: Conrads/Lohff: Neuberg, S. 126.

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nisterium weiter, wies darin auch explizit auf Neubergs „nichtarische“ Abstammung und die politischen Schwierigkeiten bei Behörden und Parteiorganisationen hin, in denen sich dieser befand. Das Reichswehrministerium griff Neubergs Vorschlag nicht auf. Als Neuberg erkannte, dass er die Suspendierung nicht verhindern konnte, bemühte er sich darum, den Rechten eines ordentlichen Professors entsprechend emeritiert zu werden, die Zwangspensionierung also wenigstens in eine Emeritierung umzuwandeln. Seine Anstrengungen scheiterten jedoch. Er wurde nicht als Emeritus eingestuft und zum 1. Oktober 1934 auch als Direktor des KWI für Biochemie in den Ruhestand versetzt.21 Die KWG hatte bereits längere Zeit nach einem Nachfolger für Neuberg gesucht, nicht zuletzt, um die Bestrebungen des Reichsgesundheitsamts abzuwehren, das KWI für Biochemie der Behörde anzugliedern. Charakteristisch für Neuberg ist, dass er sich in der Interimszeit nicht zurückzog, sondern im Gegenteil einwilligte, nach seiner Entlassung die Geschäfte seines KWI weiterhin kommissarisch zu führen. In den 19 Monaten seiner Tätigkeit als kommissarischer Geschäftsführer versuchte er, von der Rockefeller Foundation Finanzmittel zu erlangen in der Hoffnung, sich damit eine vom staatlichen Einfluss unabhängige Arbeitsmöglichkeit am Institut zu erhalten. Er versuchte, von Planck endlich einen dauerhaften Arbeitsplatz im Institut zugesichert zu bekommen,22 zumal das Reichserziehungsministerium im Oktober 1934 erlaubt hatte, dass er in seinem alten Institut „weiterhin privatim arbeiten kann, falls seinem Amtsnachfolger dies ebenfalls genehm ist“.23 In den Berufungsvereinbarungen legte Adolf Butenandt als designierter Nachfolger jedoch Wert darauf, dass Neuberg „in Zukunft in keiner Beziehung zum Institut mehr stehen“ solle und dass eine eventuelle Weiterbeschäftigung Neubergs nicht aus seinem Institutsetat bezahlt werde.24 Als Butenandt im Mai 1936 die Leitung des KWI für Biochemie antrat, bedeutete dies de facto das Ende von Neubergs langjähriger Tätigkeit dort. Er hatte weder seine Mitarbeiter schützen können noch erhielt er den erbetenen Arbeitsplatz. Mit dem Verlust der institutionellen Position und des Arbeitsplatzes ging zudem die Exklusion aus den wissenschaftlichen Netzwerken einher. Im August 1935 kündigte der Springer Verlag die Zusammenarbeit mit Neuberg auf. Somit endete mit Band 279 die Herausgeberschaft der von ihm gegründeten und jahrezehntelang redaktionell betreuten Biochemischen Zeitschrift. Neuberg erhielt lediglich eine Abfindung von 17.500 RM sowie die Zusicherung, dass die Bände künftig den Zusatz „begründet von C. Neuberg“ tragen würden.25 Im Sommer 1936 bestand für ihn kurzfristig die Aussicht, in einem nicht staatlichen Forschungsinstitut unterzukommen. Glum stellte den Kontakt zur 21 22 23 24 25

Das entsprechende Schreiben Neubergs an Planck mit der Bitte um (vorzeitige) Emeritierung als Direktor des KWI ist abgedruckt in: Verfolgte Berliner Wissenschaft, S. 96. Neuberg schrieb in dieser Angelegenheit mehrmals an Planck, der jedoch nicht antwortete. Vgl. auch Brief Neuberg an Barger vom 1.2.1935, zit. nach: Schüring: Kinder, S. 66. Brief REM an Planck vom Oktober 1934, zit. nach: Verfolgte Berliner Wissenschaft, S. 97. Berufungsvereinbarungen Butenandt, zit. nach: Conrads/Lohff: Neuberg, S. 119. Dies wird detailliert beschrieben bei Conrads/Lohff: Neuberg, S. 38–53.

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Firma Hoffmann-LaRoche her, die zu jenem Zeitpunkt plante, ein Forschungslabor im südbadischen Grenzach-Whylen einzurichten, dessen Leitung Neuberg hätte übernehmen können.26 Als sich auch dies zerschlug, gründete er zusammen mit dem pharmazeutischen Chemiker und Privatdozenten Theodor Sabalitschka (der im Frühjahr 1936 aus politischen Gründen die Lehrbefugnis der Universität Berlin verloren hatte) in Berlin-Steglitz ein Privatlabor, das sie „Biologisch-chemisches Forschungsinstitut“ nannten. Neuberg brachte Teile seiner Privatbibliothek, seines Mobiliars sowie seine Präparatesammlung in Steglitz unter und versuchte nun von hier aus, seine Forschungen fortzuführen. Trotz der eingeschränkten Möglichkeiten gelang es ihm sogar, einige Veröffentlichungen vorzulegen. Aufgrund der Radikalisierung der antisemitischen NS-Politik Ende der 1930er Jahre versuchten einige Kollegen, Neuberg zur Emigration zu bewegen. Während Planck Neuberg riet, in Deutschland zu bleiben (es ging dem KWGPräsidenten primär darum, den durch das Abwandern jüdischer/„nichtarischer“ Wissenschaftler entstehenden Schaden für das Ansehen der deutschen Wissenschaft im Allgemeinen und der KWG im Besonderen zu begrenzen), mahnte ihn Walter Nernst, der 1921 mit Neuberg in den Fachausschuss Chemie der Notgemeinschaft aufgenommen worden war, Deutschland möglichst bald zu verlassen.27 Im Juni 1938 bot zudem der Präsident der Hebrew University in Jerusalem, Judah Leon Magnes, Neuberg die Leitung des Chemischen Laboratoriums in der dortigen Abteilung für Krebsforschung an.28 Doch er blieb in Deutschland, auch wenn sich seine Lebensumstände weiter verschlechterten. Im Herbst 1938 musste er sein Haus in Dahlem deutlich unter Wert verkaufen, um die „Judenvermögensabgabe“ bezahlen zu können,29 und ließ nach dem Auszug seine restlichen Möbel und seine Bibliothek einlagern. 1938/39 war er gänzlich ausgeschlossen. Symbolisch steht hierfür, dass der Biochemischen Zeitschrift seit 1939 der Zusatz „begründet von C. Neuberg“ fehlte. 1938/39 befand sich Neuberg in einer verzweifelten Lebenslage: institutionell und wissenschaftlich abgetrennt von der deutschen wissenschaftlichen Community der (Bio-)Chemiker, seines Vermögens und seines Hauses beraubt, gesellschaftlich und sozial an den Rand gedrängt. Hinzu kam, dass fast alle Mitglieder seiner engeren Familie nicht mehr in Deutschland waren: Seine Frau war bereits 1929 verstorben, und seine beiden Töchter lebten Ende der 1930er Jahre in den Vereinigten Staaten. Außer Neuberg lebte von der engeren Familie 1938/39 nur noch seine jüngere Schwester Anna in Deutschland (deren Kinder wiederum waren nach Palästina bzw. Uruguay emigriert).

26 27 28 29

Vgl. Brief Glum an Neuberg vom 17.6.1936, AMPG, II. Abt., Rep. 1A, PA Neuberg. Vgl. Brief Neuberg an Butenandt vom 7.3.1947, auszugsweise abgedruckt in: Fischer u. a.: Exodus, S. 279. Vgl. Vermerk Generalverwaltung KWG vom 28.11.1938, AMPG, II. Abt., Rep. 1A, PA Neuberg. Brief Carl Neuberg an Ernst Neuberg vom 6.2.1948, zit. nach: Conrads/Lohff: Neuberg, S. 68.

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Nach der Reichspogromnacht stellte der Biochemiker erstmals Überlegungen an, selbst ins Ausland zu gehen, und nahm Kontakte zu Kollegen und früheren Schülern auf. Am 19. April 1939 schrieb er an Kurt Jacobsohn, den er zehn Jahre zuvor promoviert hatte, der auf seine Empfehlung hin anschließend an einem großen privat finanzierten Forschungsinstitut in Lissabon die Leitung des biochemischen Laboratoriums übernommen hatte und der seit 1935 an der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Lissabon arbeitete: „Trauernd wird bemerkt, daß Sie Ihrem alten Lehrer immer noch nicht eine Laboratoriumsdienerstelle verschafft haben. Der Wunsch nach einer ist durchaus ernst, da es ihm hier nicht zum besten geht.“30 Jacobsohn konnte jedoch nicht helfen, und wenige Tage später stellte Neuberg den Antrag, nach Palästina reisen zu dürfen.31 Der Entschluss, Deutschland tatsächlich zu verlassen, fiel jedoch erst im August 1939, und auch wohl nur deshalb, weil man ihn vor dem Ausbruch eines Krieges gewarnt hatte bzw. vor den Folgen, die dies für die deutschen Juden haben würde. In der Rückschau schrieb Neuberg jedenfalls: „Am 15. August 1939 legten mir meine Freunde in den Potsdamer Militärkreisen nahe, das Land sofort zu verlassen.“32 Die (nicht näher bezeichneten) Freunde hatten für Neuberg auch einen Pass besorgt, sodass er am 16. oder 19. August 1939 Berlin Richtung Amsterdam verlassen konnte. Kurz vor seiner Abreise hatte er noch die ihm leihweise für die „Steglitzer Bäckerei“ überlassenen Gerätschaften an Butenandt zurückgegeben. Materiell besaß Neuberg zu diesem Zeitpunkt fast nichts mehr. In Amsterdam kam er mit zwei Handkoffern und ein wenig Geld an. Während seines etwa fünf Monate dauernden Aufenthalts in den Niederlanden konnte Neuberg im Laboratorium für Organische Chemie von Johan Pieter Wibaut, der das Institut für Organische Chemie an der Universität Amsterdam leitete, arbeiten. Er finanzierte seinen Lebensunterhalt durch den Verkauf von Patenten bzw. Beteiligungen an den mit diesen erwirtschafteten Gewinne, hinzu kam die von einem Verwandten gewährte Unterstützung. Die Niederlande boten jedoch keine Sicherheit vor dem Zugriff der Nationalsozialisten. Wenige Wochen, bevor die deutschen Truppen am 10. Mai 1940 die Niederlande überfielen, flüchtete Neuberg weiter nach Palästina. Er hatte geplant, dass seine Schwester Anna ihn begleiten sollte, doch bürokratische Widerstände verhinderten dies. Bei der Flucht halfen erneut Verwandte, die die Überfahrt finanzierten, sowie Kollegen, in diesem Fall französische Biochemiker, die das Transitvisum besorgten. Neuberg fuhr am 20. Februar 1940 von Amsterdam nach Marseille und ging dort an Bord eines französischen Truppentransportschiffs, das Richtung Beirut fuhr. Dann reiste er weiter nach Jerusalem, wo er Anfang März 1940 eintraf.

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Brief Neuberg an Jacobsohn vom 19.4.1939, zit. nach: Conrads/Lohff: Neuberg, S. 127. Zur Biografie von Jacobsohn vgl. Rürup: Schicksale, S. 231–233. Dies geht aus einem Brief des Reichserziehungsministeriums an den Kurator der Universität Berlin vom 11.5.1939 hervor, UAHU, PA Neuberg, Bd. 3, fol. 9. Brief Neuberg an Thomas vom 21.12.1949, zit. nach: Conrads/Lohff: Neuberg, S. 130. Vgl. auch Brief Neuberg an Telschow vom 30.3.1948, AMPG, II. Abt., Rep. 1A, PA Neuberg.

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Zum 1. August 1940 übernahm Neuberg in Jerusalem eine Professur sowie eine bereits 1938 für ihn vorgesehene Stelle und schloss einen zunächst auf zwei Jahre befristeten Arbeitsvertrag mit der Universität Jerusalem ab. Aber er konnte sich von Beginn an nicht recht mit den Umständen arrangieren: „Leidliche Arbeitsbedingungen, knapp ausreichendes Gehalt, aber praktisch keinen Etat.“33 Schon bald zog er das vorliegende Angebot der New York University in Betracht, eine Forschungsprofessur für ihn einzurichten, zumal er auf diese Weise seinen in Amerika lebenden Töchtern und Enkelkindern hätte näher sein können. Schließlich vereinbarte Neuberg mit der Hebrew University in Jerusalem einen auf ein Jahr befristeten Wechsel nach New York. Nach rund zehn Monaten, am 20. November 1940, verließ der Biochemiker Jerusalem wieder. Das Ziel seiner Reise war New York, und der Krieg erzwang eine höchst umständliche Route: „In abenteuerlicher Fahrt, die fast 3 Monate dauerte, reiste ich per Maultier, Schubkarren, Auto und schließlich Schiff ueber Transjordanien, Iraq, Iran, Ceylon, Niederlaendisch Indien, Neu-Guniea, Hawaii nach Californien, wo ich am letzten Januartag 1941 von meiner in Los Angeles lebenden Tochter in Empfang genommen wurde und schliesslich nach New York expedierte.“34 Bereits im Februar 1941 trat Neuberg die Forschungsprofessur an der New York University an. Der 64-Jährige sah sich jedoch damit konfrontiert, dass die Professur nur grundfinanziert war (und zwar durch die Spende eines Verwandten, Walter Neuberg). Da die Mittel kaum zum Leben reichten, musste er weitere Stellen annehmen. In den Folgejahren arbeitete er – zur Rückkehr nach Jerusalem konnte er sich nicht entschließen – nebenbei als zum Teil freiberuflicher, zum Teil angestellter Gutachter und Berater für diverse Industrieunternehmen, womit er sich sehr schwertat, und übertrug zudem weitere Patentrechte an Industriebetriebe, lebte zum Teil also von der industriellen Verwertung seiner Forschungsarbeiten. Zu den materiellen Einschränkungen im Privaten kam hinzu, dass auch für seine wissenschaftlichen Studien kein Etat zur Verfügung stand. Hierfür sowie für die Gehälter seiner Assistenten musste er vielmehr Mittel bei Firmen, privaten Stiftungen und staatlichen Organisationen einwerben. Nach mehrmaliger Verlängerung endete Neubergs Forschungsprofessur an der New York University Ende des Jahres 1948. Obwohl er selbst seine Tätigkeit gern fortgesetzt hätte, zur Not auch auf einer unbezahlten Stelle als Research Professor, sollte er nun altersbedingt und endgültig ausscheiden. Nach einigem Hin und Her fand die Fakultät aber doch zumindest einen angemessenen Titel für ihn, und zwar den eines „Research Professor Emeritus“. Damit verband sich zwar keine Finanzierung oder Altersversorgung, aber es stellte eine besondere Auszeichnung dar. Die Universität vergab den Titel nur selten und im Falle von Neuberg, so der Dekan der Fakultät, „only and definitively for merit“.35 Für Neuberg bedeutete das Ende seiner Tätigkeit an der New York University jedoch, dass er sich in einem Alter von über 70 erneut um eine Stelle bemühen musste, um 33 34 35

Brief Neuberg an Thomas vom 21.12.1949, zit. nach: Conrads/Lohff: Neuberg, S. 134. Brief Neuberg an Telschow vom 30.3.1948, AMPG, II. Abt., Rep. 1A, PA Neuberg. Zit. nach: Rürup: Schicksale, S. 278.

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seinen Lebensunterhalt zu sichern. Nach eigenem Bekunden lebte er zu diesem Zeitpunkt „von der Hand in den Mund“.36 Darüber hinaus ging es dem Biochemiker um die Aufrechterhaltung der Anbindung an eine wissenschaftliche Institution und die Möglichkeit, seine Laborstudien fortsetzen zu können. So schrieb er Ende des Jahres 1948: „Was ich eigentlich brauche ist mehr eine akademische Adresse.“37 Kurze Zeit später konnte tatsächlich ein passendes Arrangement gefunden werden, und erneut bewerkstelligten dies Kontakte, die in der Weimarer Ära ihren Ursprung hatten. Anfang des Jahres 1949 kam Neuberg als Adjunct bzw. später Visiting Professor an das Polytechnic Institute of Brooklyn, in dem Hermann Mark das Institute of Polymer Research leitete.38 Neuberg und Mark kannten einander aus der gemeinsam verbrachten Dahlemer Zeit, da Mark bis 1925 bei Reginald Oliver Herzog am Kaiser-Wilhelm-Institut für Faserstoffchemie als Doktorand und Habilitand tätig gewesen war. Er übernahm dann eine Professur in seiner Geburtsstadt Wien und flüchtete nach dem „Anschluss“ Österreichs über die Schweiz und Kanada nach New York. Hier machte Mark am Polytechnic Institute of Brooklyn Karriere und vermittelte Neuberg Ende der 1940er Jahre die genannte Position. Auf dieser konnte Neuberg weitere sechs Jahre lang experimentell tätig sein. Der Biochemiker war dort in die fachlichen Netzwerke eingebunden und fand in den frühen 1950er Jahren wieder Anschluss an die internationale Forschungscommunity der Naturwissenschaftler. Im Frühjahr 1950 zahlte ihm die Max-Planck-Gesellschaft bis zur Klärung seiner Ansprüche im Rahmen der bundesdeutschen Wiedergutmachung einen Vorschuss.39 Dies sowie die ihm im Frühjahr 1954 zugestandene Pension40 milderten seine finanziellen Nöte erheblich. 1955 schied der Biochemiker aus dem Polytechnic Institute of Brooklyn aus. Anlässlich seines Abschieds fand zu seinen Ehren das internationale Symposium „Current Peptide and Proteine Research“ statt. Neuberg wechselte anschließend in das Labor der Biochemischen Abteilung des New York Medical College, wo er bereits seit 1951 immer wieder gearbeitet hatte. Hier forschte er noch ein weiteres Jahr, bis zu seinem Tod im Jahre 1956. Neuberg hatte in den Vereinigten Staaten zwar die Möglichkeit, wissenschaftlich tätig zu sein, doch die Sorge um sein finanzielles Auskommen bedrückte den bei seiner Ankunft in New York 64-Jährigen schwer. Abgemildert wurden die materiellen Nöte zwar durch die symbolische Wertschätzung als herausragender 36 37 38 39 40

Brief Neuberg an Butenandt vom 25.9.1947, zit. nach: Schüring: Kinder, S. 147. Brief Neuberg an Mark vom 29.12.1948, zit. nach: Conrads/Lohff: Neuberg, S. 149. Zu Marks Biografie und zum Folgenden vgl. Rürup: Schicksale, S. 226; Deichmann: Biologen, S. 717. Vgl., auch zum politischen Hintergrund, Schüring: Kinder, S. 150–152. Vgl. Wiedergutmachungsbescheid vom 7.5.1954, AMPG, II. Abt., Rep. 1A, PA  Neuberg. Dem Antrag hatte Neuberg am 23.9.1952 eingereicht, ebd. Ihm ging es vor allem um eine Entschädigung für die Zeit von der Emigration bis zum Beginn der Zahlung seiner Pension, vgl. Vermerk Telschow vom 12.8.1952, ebd. Zahlreiche Dokumente in seiner PA  handeln davon, etwa welche Höhe die Zahlung der Versorgungsbezüge haben soll, wie die Zahlungen nach USA transferiert werden können usw.

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Forscher, die er in Form zahlreicher Auszeichnungen und Ehrungen erhielt, sowie durch die Integration in die verschiedenen biochemischen Netzwerke, Laboratorien und Forschungsverbünde, in denen er in den letzten 15 Jahren seines Lebens arbeiten konnte. Doch Neuberg betrachtete die amerikanischen Verhältnisse gleichwohl mit großer Skepsis. Das Leiden bzw. die Kritik an der „Neuen Welt“ bestimmte seine letzte Lebensphase. So blieb er an Deutschland orientiert oder vielmehr an seinem Bild von Deutschland, wie dieses bis 1933 ausgesehen hatte. Nach Kriegsende spielte er vielfach mit dem Gedanken, in seine Heimat zurückzukehren, und reiste zu Beginn der 1950er Jahre auch mehrmals für einige Wochen nach Deutschland. Die erste Reise fand 1951 statt, zwei weitere folgten 1952 und 1953.41 Neuberg kehrte jedoch nicht zurück, sondern nahm ein Jahr nach Kriegsende die amerikanische Staatsbürgerschaft an. Dies hatte zum einen familiäre Gründe: Seine beiden Töchter und die Enkelkinder lebten in den USA, ein enges Verhältnis verband ihn, auch wissenschaftlich, mit seiner Tochter Irene,42 und er selbst hatte hier 1950 ein zweites Mal geheiratet (die Ehe hielt allerdings nur wenige Jahre).43 Zum anderen konnte er das selbst erlittene Unrecht und den Holocaust nicht vergessen, für den in seiner eigenen Familie das Schicksal seiner ermordeten Schwester Anna stand. „Meine einzige Schwester ist […] von den Nazis umgebracht [worden]. Umso seltsamer berührt es mich, dass, wie ich es immer vorausgesagt habe, trotz aller militärischen Niederlagen, die deutsche Mentalität siegreich geblieben ist.“44 Er sah dies vor allem im Umgang der deutschen Behörden mit den Vertriebenen und den Überlebenden des Holocaust bestätigt, denen rasche und unbürokratisch gewährte Wiedergutmachung versagt wurde: „Was uns alle, aber auch massgebliche Amerikaner verstimmt, ist der voellige Mangel an Wiedergutmachungswillen […, das] Fehlen jedes primitiven Gefuehls fuer Unrecht bei deutschen Behoerden“.45 Verstärkt wurde dieser Eindruck dadurch, dass viele deutsche Wissenschaftler, die sich zum Teil als Mitläufer, zum Teil als aktive Nationalsozialisten entpuppt hatten, nach Kriegsende nicht zur Rechenschaft gezogen wurden. Sie verblieben vielmehr in ihren etablierten Positionen, während zahlreiche aus Deutschland vertriebene Gelehrte auch nach 1945, so nahm Neuberg es wahr, „hungern und erwerbslos“ waren. Auch wenn ihn die deutsche Entwicklung intensiv beschäftigte, so kehrte er aber auch deshalb nicht 41

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Erste Überlegungen dazu stammten bereits aus dem Jahr 1949, vgl. Brief Neuberg an Hahn vom 24.6.1949, AMPG, II. Abt., Rep. 1A, PA Neuberg. Die erste Reise fand dann im Oktober 1951 statt, und hier besprach sich Neuberg auch mit Telschow über die Rechte, die sich aus Neubergs ehemaligen Angestelltenvertrag mit der KWG ergaben, vgl. Brief Neuberg an Telschow vom 22.11.1951, AMPG, II. Abt., Rep. 1A, PA Neuberg, sowie Vermerk Telschow vom 27.9.1951, ebd. Phasenweise arbeitete, publizierte und wohnte sie mit ihrem Vater zusammen. Neuberg hatte Hilde Unger während seines Aufenthalts in Palästina kennengelernt und bemühte sich nach Kriegsende um Einreisevisa für sie und ihre Tochter. Beide kamen 1945 nach New York und Hilde Unger führte Neuberg den Haushalt. Brief Neuberg an Frank vom 27.12.1946, zit. nach: Conrads/Lohff: Neuberg, S. 155. Brief Neuberg an Anschütz vom 1.2.1949, zit. nach: Conrads/Lohff: Neuberg, S. 155. Das folgende Zitat ebd.

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nach Deutschland zurück, weil ihn von dort keine offizielle und explizite Rückkehraufforderung erreichte. Die Max-Planck-Gesellschaft ernannte ihn 1948 lediglich zum auswärtigen Mitglied und unterstützte seine Arbeit 1952 mittels einer Forschungsbeihilfe zur freien Verfügung in Höhe von 3.600 DM.46 Hinzu kam, ebenfalls 1952, eine Weihnachtszuwendung von insgesamt 432,50 DM.47 Die offizielle Politik der Kaiser-Wilhelm- bzw. Max-Planck-Gesellschaft gegenüber den vertriebenen Wissenschaftlern bedeutete freilich nicht, dass nach Kriegsende nicht einzelne Mitarbeiter Kontakt zu den früheren Kollegen aufnahmen oder sie gar zur Rückkehr nach Deutschland bewegen wollten. Im Falle von Carl Neuberg sind insbesondere Otto Warburg, Adolf Windau, Eduard Hofman, Heinrich Wieland oder Richard Kuhn zu nennen. Den komplizierten Annäherungsprozess zwischen Neuberg und seinen früheren Kollegen hat Michael Schüring am Beispiel von dessen Korrespondenz mit Adolf Butenandt analysiert. In dem sich allmählich intensivierenden Briefwechsel versprach Butenandt seinem Vorgänger, sich um dessen Pensionsansprüche zu kümmern, und lud ihn darüber hinaus ein, nach Berlin und ins KWI für Biochemie zurückzukehren. Er erwies sich also als ein wichtiger Fürsprecher für Neubergs Ansprüche gegenüber der Kaiser-Wilhelm- bzw. Max-Planck-Gesellschaft. Umgekehrt erkannte Butenandt in Neuberg einen wichtigen Vermittler für den Aufbau von Kontakten zu amerikanischen (Bio-)Chemikern in Industrie und Wissenschaft. Im Grunde aber ging es Neuberg um Anerkennung und Butenandt um politische Absolution. Sichtbar wird jedenfalls „das sorgsam austarierte Austauschverhältnis von symbolischem Kapital zwischen den Gelehrten auf beiden Seiten des durch die NS-Zeit entstandenen Grabens“.48 Dies ermöglichte auch, dass Neuberg wenige Jahre vor seinem Tod den großen Verdienstorden der Bundesrepublik erhielt. Er selbst hatte dies Butenandt in einem Brief nahegelegt, und dieser setzte sich tatsächlich beim Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft, Otto Hahn, dafür ein.49 Neuberg nahm die Verleihung des Ordens als besondere Auszeichnung an, doch sie bedeutete für ihn nicht die ersehnte Rehabilitierung. Mehrfach hatte Neuberg gegenüber Butenandt zum Ausdruck gebracht, dass es ihm um die Wiederherstellung seines Status als KWI-Direktor ging. Am 12. November 1953 schrieb er: „Kaum jemand erinnert sich, dass ich 1906 den Begriff ‚Biochemie‘ eingefuehrt habe, aber ich freue mich, dass er in Ihrer Arbeitsstaette verankert und zu hoechstem Ansehen gestiegen ist. Unter normalen Verhaeltnissen waere ich emeritierter Direktor und nicht pensioniert, da ich ein unbescholtener Beamter mit 39 ½ Dienstjahren gewesen bin, letzteres durch officielle Einberechnung der Kriegszeit, die mir vielleicht als einzigem Deutschen 3 eiserne Kreuze (1. und 2. Klasse an der Front, 2. Klasse am weissen Band wegen der Glycerinarbeiten in der Heimat) eintrug. Emeritierung hat ausser materieller

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Vgl. Brief Puhl an Neuberg vom 27.9.1952, AMPG, II. Abt., Rep. 1A, PA Neuberg,und Brief Telschow an Neuberg vom 22.8.1952, ebd. Vgl. Brief Telschow an Neuberg vom 16.12.1952, AMPG, II. Abt., Rep. 1A, PA Neuberg. Schüring: Kinder, S. 366 und S. 315–321; vgl. zudem Schüring: Predecessor, S. 411–418. Vgl. Schüring: Kinder, S. 318.

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eine ideelle Bedeutung.“50 Der letzte Satz trifft den Kern von Neubergs Anliegen. Zwar gestand man ihm, wie beschrieben, 1954 eine Pension im Rahmen der Wiedergutmachung zu, nicht jedoch Emeritierungsbezüge. Dies bedeutete einen materiellen Verlust von rund einem Viertel, vor allem aber eine erneute Demütigung: Einmal mehr blieb die Anerkennung als Emeritus aus, und damit auch seine Rehabilitierung. Doch genau darum ging es Neuberg – im Sommer 1934 wie auch 20 Jahre später: um die Würdigung, die Biochemie begründet zu haben und als deutscher Beamter wie Wissenschaftler ehrenhaft seinen Dienst verrichtet zu haben. Am 12. April 1955 fragte er Butenandt ganz offen, ob er nicht offiziell als „emeritierter Direktor des K. W. I. für Biochemie“ anerkannt werden könne.51 Diesem Wunsch entsprach die Max-Planck-Gesellschaft bis zu seinem Tode am 30. Mai 1956 nicht.

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Brief Neuberg an Butenandt vom 12.11.1953, AMPG, II. Abt., Rep. 1A, PA Neuberg. Vgl. auch Proctor: Butenandt, S. 32. Brief Neuberg an Butenandt vom 12.4.1955, zit. nach Proctor: Butenandt, S. 32.

Lothar

Wöhler

Lothar Wöhler wurde am 27. Oktober 1870 in Bernburg (Saale) als Sohn eines Kaufmanns geboren und evangelisch getauft.1 Nach dem Besuch des Bernburger Realgymnasiums wurde er zu seiner „praktischen Ausbildung“ zunächst in den Kaufmannsberuf geschickt.2 Nach kurzer Zeit entschloss sich Wöhler jedoch, das Studium der Chemie aufzunehmen. Er studierte seit 1893 einige Semester an der Technischen Hochschule in Karlsruhe und wechselte dann zur RuprechtKarls-Universität nach Heidelberg. Nach der 1897 abgeschlossenen Promotion, in der er sich mit dem Verhalten von Argon und der Durolcarbonsäure beschäftigt hatte, kehrte er als Assistent an die TH Karlsruhe zurück. Hier traf er mit dem ebenfalls in diesem Buch vorgestellten Fritz Haber zusammen, mit dem er lange Zeit befreundet war. Seine 1902 abgeschlossene Habilitationsschrift widmete sich 1

2

Zu seiner Biografie und zum Folgenden vgl. die entsprechenden Einträge in DBE; Hessische Biographie; zudem Deichmann: Flüchten, S. 115 und 124 f.; Maier: Waffe, S. 144 und 491; Dipper u. a.: TH Darmstadt, S. 93 f.; und Wöhler: Beobachtungen; Wöhler de Gainza: Confesión; zudem UAD, TH 25/015, Nr. 693/1, PA Wöhler, und UAD, TH 25/01, Nr. 319/3, PA  Jonas, Sonderakte. Die Quellenlage zu seiner Person ist insgesamt schlecht. Seine im Universitätsarchiv Darmstadt bewahrte Personalakte besteht nur aus wenigen Dokumenten, ein Wiedergutmachungsverfahren strengte Wöhler nach Kriegsende nicht an, und er schrieb auch keine Lebenserinnerungen nieder. Allerdings tat dies zu Beginn der 1980er Jahre seine in Buenos Aires lebende Tochter. Aufgrund der Quellenlage lassen sich nicht einmal alle zentralen Rahmendaten seiner Biografie exakt rekonstruieren und ebenso wenig die genauen Umstände für sein Ausscheiden aus der Hochschule im Sommer 1933; in einigen Punkten bleibt man auf Mutmaßungen angewiesen. Wöhler: Lebenslauf, in: ders.: Beobachtungen, S. 42. Zum Folgenden vgl. ebd.

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der Pseudokatalytischen Sauerstoffaktivierung des Platins. Als Privatdozent und außerordentlicher Professor lehrte und forschte Wöhler weiterhin in Karlsruhe,3 wobei er sich insbesondere mit der Chemie von Explosivstoffen auseinandersetzte. Seine Entdeckung des Bleiazids als Initialsprengstoff wurde 1907 patentiert. Ein Jahr später heiratete er Erna Amalie Kretzschmar, Tochter eines Kapitäns, der seinen Lebensunterhalt als Kaiserlich-Chinesischer Torpedodirektor verdiente. Aus ihrer Ehe gingen zwei Kinder hervor: Sohn Ernst Friedrich kam im Januar 1910 zur Welt, Tochter Platina im Juni 1914. Der ungewöhnliche Name führte, wie Wöhlers Tochter in ihrer Autobiografie berichtete, bei der Eintragung in die entsprechenden staatlichen und kirchlichen Register zu Irritationen, die die Familie zerstreute, indem sie den Namen als den einer peruanischen Tante ausgab. Tatsächlich stellte er eine Reminiszenz an die wissenschaftlichen Arbeiten ihres Vaters mit Platin dar.4 Im April 1911 hatte Wöhler den Ruf auf das Ordinariat für Anorganische und Physikalische Chemie an der TH Darmstadt angenommen, fungierte dort zudem als Direktor des Instituts für Anorganische Chemie. Nach zwei Jahren legte er das zu jenem Zeitpunkt viel beachtete Kurze Lehrbuch der anorganischen Chemie mit einer Skizzierung der organischen Chemie als Anhang vor; zu seinen Forschungsschwerpunkten zählten die Anorganische Chemie im Allgemeinen sowie die Platinmetalle und die Knallsäure im Besonderen. Wie viele seiner Kollegen engagierte sich Wöhler nicht parteipolitisch, verstand sich aber als Patriot und wurde auch von den Studenten als „sehr national gesinnter Mann“ wahrgenommen.5 So unterzeichnete er im Sommer 1914 die „Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reiches“, die, gegen England gerichtet, die Einheit von Heer, Volk und Wissenschaft in Deutschland postulierte und neben dem „Aufruf an die Kulturwelt“ als eines der bekanntesten Dokumente für die militaristische Einstellung deutscher Akademiker gilt. Am Krieg selbst nahm Wöhler nicht als Soldat teil. Er blieb vielmehr an der TH Darmstadt und wirkte hier weiter als Hochschullehrer, zwischen 1916 und 1919 zudem als Dekan. Gleichwohl stellte er seine wissenschaftliche Expertise in den Dienst des Krieges. So gehörte er seit Frühjahr 1917 dem Fachausschuss 2 der Kaiser-Wilhelm-Stiftung für kriegstechnische Wissenschaft an,6 der sich mit chemischen Kampfstoffen (oder in der zeitgenössischen Formulierung mit „Pulver, Sprengstoff, Gaskampfstoff“) beschäftigte. Fritz Haber, der den Fachausschuss leitete, hatte Wöhlers Berufung veranlasst, um sich mit ihm – galt er doch als Spezialist auf dem Gebiet der Initialzündung – zusätzliche Kompetenz zur Seite zu stellen.7 Auch in seinen öffentlichen Äußerungen machte Wöhler 3 4 5 6 7

Zum außerordentlichen Professor war Wöhler im August 1905 ernannt worden; er leitete unter Carl Engler die Anorganische Abteilung des Instituts. So jedenfalls der Bericht von Wöhler de Gainza: Confesión, S. 11. Brecht: Wie ich studierte damals, S. 67; vgl. Bericht des Fachschaftsleiters Chemie der TH Darmstadt vom 4.7.1933, UAD, TH 25/01, Nr. 319/3, PA Jonas, Sonderakte. Vgl. Brief Wöhler an das Rektorat der TH Darmstadt vom 26.5.1917, UAD, TH 25/015, Nr. 693/1, PA Wöhler. Vgl. Maier: Waffe, S. 491; vgl. auch Szöllösi-Janze: Haber, S. 364.

Lothar Wöhler

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deutlich, dass die Chemie für die Kriegsführung eine zentrale Rolle spielte. Dies brachte er beispielsweise im Sommer 1918 in einem Vortrag („Die Anwendung flüssiger Luft im Kriege“) anlässlich der Gründung der „Vereinigung von Freunden der Technischen Hochschule zu Darmstadt“ zum Ausdruck, den er in seiner Funktion als Dekan der Abteilung Chemie hielt. Nach Kriegsende engagierte sich Wöhler im Fachausschuss Chemie der neu gegründeten Notgemeinschaft8 und bald auch wieder in den universitären Gremien: Von 1919 bis 1921 und von 1927 bis 1928 fungierte er als Dekan der Abteilung Chemie, Elektro- und Gerbereichemie und Pharmazie, und in den Jahren von 1929 bis 1931 übernahm er das Amt des Rektors der TH Darmstadt. In seiner ersten Antrittsrede, die den Titel „Darmstadt und die Chemie“ trug,9 ging er ausführlich auf die Geschichte der Chemie und die Errungenschaften früherer Chemiker ein. Er plädierte für die „sorgfältige Pflege der Ausbildungsmöglichkeit“ an der Technischen Hochschule und schloss die Rede mit dem Gelöbnis, die Chemie in den Dienste der Überwindung der Wirtschaftskrise zu stellen: „Wir aber, Lehrer und Studierende, ein einiges Ganzes in unserer Technischen Hochschule, geloben von neuem durch opferfreudige Pflichttreue in unserem kleinen, aber bedeutenden Wirkungskreise, mitzuhelfen, an der Heilung der gegenwärtigen Wirtschaftskrise im Dienste Deutschlands, unseres schönen Hessenlandes und besonders unseres lieben Darmstadt“. Wöhler bekannte sich zudem explizit zur „unpolitischen“ Hochschule: „Es ist meine Überzeugung seit langem und heute mehr denn je: unsere Hochschulen werden in allen Teilen […] unpolitisch bleiben müssen, oder sie werden verlieren vom alten hohen Ansehen in dieser Welt“.10 Dass viele Studenten diese Meinung nicht teilten, nahm Wöhler durchaus zur Kenntnis. Doch er versuchte, ihrem Verhalten die politische Stoßrichtung abzusprechen: „Unsere akademische Jugend ist hie und da als reaktionär verschrien – ganz und gar mit Unrecht. Sie ist sozial bis auf die Knochen, aber auch national bis ins Mark, und so wird es alle Zeit bleiben, weil es ein natürliches Recht der Jugend ist, mit den Enterbten des Glücks warm zu fühlen, das Vaterland aber, vom hohen Werte des Staatsgedankens durchglüht, heißen Herzens überall zu suchen. Dies aber hat mit Parteipolitik natürlich nichts zu tun“. Solche Aussagen und das Bekenntnis zur unpolitischen Hochschule konnten gleichwohl als Kritik an der Politisierung und Radikalisierung weiter Teile der Studentenschaft verstanden werden, und nur wenig später, im Sommer 1933, versetzte der hessische Reichsstatthalter den 62-Jährigen tatsächlich in den Ruhestand.11 8 9 10 11

Zu Beginn der 1920er Jahre erhielt Wöhler auch einige Male eine Bewilligung von der Notgemeinschaft, vgl. Datenbank DFG-Geschichte. Die Rede ist nachzulesen unter: http://tudigit.ulb.tu-darmstadt.de/show/tua-rere-1930/0014. Die folgenden Zitate ebd. [Zugriff: 28.10.2015]. Bericht des Rektors Dr. L. Wöhler über das Studienjahr 1929/30, zit. nach: Hanel: Normalität, S. 79. Das folgende Zitat ebd. Vgl. Brief des hessischen Reichsstatthalters an Wöhler vom 7.6.1933, UAD, TH 25/015, Nr. 693/1, PA Wöhler; vgl. auch den Brief des Verwaltungsdirektors der TH Darmstadt vom 11.11.1952.

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Mehrere Faktoren waren für Wöhlers Vertreibung von der Hochschule ausschlaggebend. Wöhler stand im Frühjahr 1933 im Mittelpunkt einer studentischen Kampagne gegen unliebsame Professoren, er litt an einer Erkrankung des Herzens, und vor allem galt er im Sinne der Nationalsozialisten als „nichtarisch“. Im Juli 1933 legte der Leiter der Fachschaft Chemie dem Rektorat einen fast 20 Seiten starken Bericht vor, in dem er im Namen der Studenten über die unhaltbaren Zustände an den Chemischen Instituten klagte. Die Einschätzung, dass dort zahlreiche Konflikte schwelten, teilte auch der Rektor der TH Darmstadt, der von einer dort herrschenden „Zerrissenheit“ sprach.12 Die Studenten machten dafür einen Teil der Lehrenden verantwortlich, und im Zentrum des Unmuts stand Wöhler.13 Dieser habe, so beschwerten sie sich, in den letzten Jahren wenig Anteil an den Arbeiten des Instituts genommen, „war im Laboratoriumsunterricht der Studenten selten oder nie zu sehen“. Die wenigen, ihm verbliebenen Diplomanden und Doktoranden seien nicht von ihm, sondern von Assistenten betreut worden, von denen Wöhler aber zwei „besonders tüchtige“ entlassen habe. Die von ihm vermittelten Lehrinhalte, etwa das physikalische Praktikum oder die Vorlesung über Theoretische Chemie, seien zudem „vollkommen veraltert und schwach besucht“. Auch bei den Prüfungen verhalte sich der Chemiker nicht fair. So bewerte er bei den Vorexamen in Anorganischer Chemie nicht die Leistung der Prüflinge, sondern deren nationale Gesinnung, die er an den zur Schau gestellten Kriegsauszeichnungen bemesse. Vor der Tür des Prüfungsraums sei es daher „zu einem lebhaften Leihhandel mit Kriegsdekorationen“ gekommen.14 Eine als besonders wichtig erachtete „persönliche Fühlungnahme mit den Studierenden“ bestehe nicht, Wöhler sei vielmehr geradezu „unsozial“ und überheblich. „Alle diese Tatsachen charakterisieren Herrn Professor Wöhler, der mit jüdischer Konfession geboren war, als einen Dozenten, der weder in fachlicher noch in menschlicher Beziehung sich das Vertrauen der Studenten erwerben konnte.“ Ähnlich scharf kritisieren die Studenten auch Karl Jonas, der eine außerordentliche Professur für Cellulosechemie innehatte. Als beliebt galten hingegen Karl Kunz, außerplanmäßiger Professor der Chemie, Clemens Schöpf, der Direktor des Instituts für Organische Chemie, und der ebenfalls in diesem Buch vorgestellte Ernst Berl. Obgleich Schöpf „ein durchaus unpolitischer Mensch, wie die meisten Professoren kein Nationalsozialist“ und Berl Jude sei, gingen die Studenten gern zu ihnen – besonders zu Berl, da dieser als der „namhafteste Technologe“ Deutschlands und ausgewiesener Kenner seines Faches galt. Unter ihm sei das Institut aufgeblüht. Er habe stets 30 bis 40 Diplom- und Doktorkandidaten, und „in seinem Kreis [herrscht] ein ausgezeichneter Geist der Zusammenarbeit und Kameradschaft“.

12 13 14

Vgl. Protokoll der Besprechung zwischen Berls Studenten und dem Rektor der TH Darmstadt am 5.5.1933, DEA, EB 2003/004. Vgl. auch Hanel: Normalität, S. 101 f. und 117 f. Vgl. Bericht des Fachschaftsleiters Chemie der TH Darmstadt vom 4.7.1933, UAD, TH 25/01, Nr. 319/3, PA Jonas, Sonderakte. Die folgenden Zitate, soweit nicht anders angegeben, ebd. Brecht: Wie ich studierte damals, S. 66.

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Nicht nur aus studentischer Sicht bestand offenbar ein Gegensatz zwischen Berl auf der einen, Jonas und Wöhler auf der anderen Seite. Vielmehr war es zwischen den drei Männern schon seit längerer Zeit immer wieder zu Auseinandersetzungen über fachliche und organisatorische Fragen gekommen, die vor allem den Aufbau des Chemiestudiums und die Anteile der jeweiligen fachlichen Schwerpunkte der Professoren betrafen. Im Frühjahr 1933 erreichte der Konflikt seinen Höhepunkt.15 Kurz nach Bekanntwerden des Berufsbeamtengesetzes hatte Berl seinen Rücktritt angekündigt.16 Da er auf sein Schreiben zunächst keine Antwort erhielt, nahm er zu Beginn des Semesters seine Lehrtätigkeit auf, woraufhin ihm Wöhler und Jonas vorwarfen, dies sei nicht rechtmäßig. Der Streit eskalierte schnell und beschäftigte die Professorenschaft, das Dekanat, das Rektorat und auch die Fachschaft wochenlang.17 Letztere fühlte sich in ihrem Urteil über Wöhler bestätigt und beschloss, dem Hochschullehrer „ihr Vertrauen“ zu entziehen, das nach ihrer Einschätzung „für die weitere Abwicklung eines erfolgreichen Lehr- und Forschungsbetriebes dringendste Voraussetzung ist“. Darüber hinaus bat sie das Rektorat, Wöhler „im Sinne des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums mit sofortiger Wirkung in den Ruhestand zu versetzen“.18 Wöhler konnte sich gegen die studentischen Vorwürfe auch deshalb schlecht zur Wehr setzen, weil es um seinen Gesundheitszustand nicht gut bestellt war. Seit Mitte der 1920er Jahre litt er an verschiedenen Erkrankungen der Atemwege und des Herzens, musste sich gelegentlich für längere Zeit vom Dienst abmelden und ein Sanatorium aufsuchen.19 So bat er beispielsweise im Sommer 1932 darum, von der Pflicht entbunden zu werden, in den beiden folgenden Semestern die im Lehrplan vorgesehenen Vorlesungen „Theoretische Chemie I und II“ zu halten. Er leide an einem „Brustkorb-Krampf “ und müsse sich für fünf Wochen zur Kur nach Bad Nauheim begeben.20 Ein knappes Jahr später, am 23. Mai 1933, suchte Wöhler um seine Emeritierung nach. Er fügte dem Schreiben an das Rektorat zwei ärztliche Atteste vom 11. Juli 1932 und vom 22. Mai 1933 bei, die ihm mit großer Dringlichkeit zur körperlichen Schonung rieten und eine Beurlaubung von zwei Jahren für angemessen hielten.21 Anders als vorgeschlagen bat 15

16 17 18 19 20 21

Berl hatte Wöhler noch zu Beginn seiner Darmstädter Zeit als seinen Freund bezeichnet, vgl. Brief Berl an seinen Bruder vom 18.10.1919, DEA, EB 2003/004. In der Folgezeit schien sich das Verhältnis der beiden Männer jedoch verschlechtert zu haben, vgl. Bericht des Fachschaftsleiters Chemie der TH Darmstadt vom 4.7.1933, UAD, TH 25/01, Nr. 319/3, PA Jonas, Sonderakte, sowie Protokoll der Besprechung zwischen Berls Studenten und dem Rektor der TH Darmstadt am 5.5.1933, DEA, EB 2003/004. Vgl. dazu den Beitrag über Berl in diesem Band, S. 297–309. Zu den Querelen im Einzelnen vgl. Hanel: Normalität, S. 100 f. Bericht des Fachschaftsleiters Chemie der TH Darmstadt vom 4.7.1933, UAD, TH 25/01, Nr. 319/3, PA Jonas, Sonderakte. Dort heißt es auch, man habe den am 26.5.1933 gefassten Beschluss Wöhler mitgeteilt, der daraufhin am 29.5.1933 von sich aus zurückgetreten sei. Dies geht aus seiner PA hervor, UAD, TH 25/015, Nr. 693/1, PA Wöhler. Antrag Wöhler an die Abteilung für Chemie vom 14.7.1932, UAD, TH 25/015, Nr. 693/1, PA Wöhler. Vgl. Brief Wöhler an Rektorat TH Darmstadt vom 23.5.1933, UAD, TH 25/015, Nr. 693/1, PA Wöhler.

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Wöhler jedoch nicht um eine zeitlich begrenzte Beurlaubung, sondern um seine Emeritierung zum 1. Oktober 1933. Er begründete diesen Schritt damit, dass er sich im Jahr zuvor nicht – wie von den Ärzten angemahnt – habe schonen können. Vielmehr sei er durch den Tod seines Kollegen und Abteilungsvorstehers am Chemischen Institut, Professor Moldenhauer, sogar deutlich stärker belastet gewesen. Die Mehrbelastung habe eine akute Herzschwäche und einen Schwindelanfall ausgelöst, sodass an eine weitere Berufstätigkeit nicht zu denken sei. Durch seine Emeritierung habe die Hochschule zudem die Möglichkeit, beide Lehrstühle, also den seinen sowie den Moldenhauers, neu zu besetzen und die Physikalische Chemie wie auch die Anorganische Chemie neu auszurichten. Nur so ließen sich, so Wöhlers Ansicht, die „Verhältnisse, wie sie im Verlaufe von Jahrzehnten aus persönlichen Gründen sich hier ergeben haben, organisch und sachlich zweckmässig ändern“.22 Wöhlers Entschluss, um seine Emeritierung nachzusuchen, resultierte zum einen aus den geschilderten Umständen des Frühjahrs 1933: den Querelen mit den Kollegen, seinem angeschlagenen Gesundheitszustand, der Tatsache, dass ihm ohnehin nur noch wenige Jahre bis zu seiner regulären Emeritierung verblieben wären, sowie der studentischen Kampagne, die überdies einen antisemitischen Grundton aufwies. Zum anderen kam er mit seinem Rücktrittsgesuch seiner Entlassung zuvor, die durch die nationalsozialistischen „Rassegesetze“ mit großer Wahrscheinlichkeit erfolgt wäre. Denn jene klassifizierten den Chemiker als „nichtarisch“, da seine Mutter, wie aus der Autobiografie seiner Tochter hervorgeht, der jüdischen Religionsgemeinschaft angehört hatte und sich erst kurz vor ihrer Hochzeit hatte taufen lassen. Bei Wöhlers Frau verhielt es sich ähnlich. Auch ihre Mutter stammte aus einer jüdischen Familie und hatte sich als Jugendliche taufen lassen.23 Nach dem Berufsbeamtengesetz galt Wöhlers „nichtarische“ Herkunft als Entlassungsgrund. Zwar sah eine der vier Ausnahmeregelungen vor, dass Beamte, die diesen Status vor dem 1. August 1914 innegehabt hatten, von der Suspendierung ausgenommen werden sollten. Hierauf hätte sich Wöhler berufen können. Offenbar tat er dies aber nicht, und vermutlich hätte dies auch nichts bewirkt. Denn die Ausnahmeregelungen boten keine Rechtsgarantie, wie das Beispiel der – aus politischen oder „rassischen“ Gründen – unliebsamen Hochschullehrer zeigt, die das NS-Regime im Zweifelsfall kurzerhand nach Paragraf 6 des Berufsbeamtengesetzes („zur Vereinfachung der Verwaltung“) entließ. Wöhler wurde jedenfalls zum 16. Juni 1933 in den Ruhestand versetzt, formal „auf sein Nachsuchen“ hin.24 Im Sinne der – auch diesem Buch zugrunde liegenden – Definition von Michael Grüttner und Sven Kinas handelt es sich freilich um eine Vertreibung, präziser: um einen entlassungsähnlichen Fall.25

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Brief Wöhler an Rektorat TH Darmstadt vom 23.5.1933, UAD, TH 25/015, Nr.  693/1, PA Wöhler. Wöhler de Gainza: Confesión, S. 23. Brief des hessischen Reichsstatthalters an Wöhler vom 7.6.1933, UAD, TH 25/015, Nr. 693/1, PA Wöhler; vgl. auch Brief Wöhler an Rektor Thum vom 22.6.1933, ebd. Vgl. ähnlich auch Deichmann: Flüchten, S. 115 und 124.

Lothar Wöhler

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Nach seiner Zurruhesetzung sorgte Wöhler zunächst dafür, dass sein Sohn und seine Tochter Deutschland verließen, da ihm die politische Situation zu unsicher und eine berufliche Perspektive der als „Mischlinge“ eingestuften Kinder nicht gewährleistet schien. Platina Wöhler de Gainza berichtet in ihren Lebenserinnerungen, dass die Mitteilung ihres Vaters, die Familie sei „nichtarisch“, auf sie und ihren Bruder geradezu verstörend gewirkt habe.26 Sie hätten von den jüdischen Wurzeln der beiden Großmütter bis zu diesem Zeitpunkt nichts gewusst, seien zudem protestantisch und national erzogen worden und nicht zuletzt von Hitler und der NS-Bewegung begeistert gewesen. Ihr Bruder habe ganz verzweifelt auf das Ansinnen der Eltern, die Kinder ins Ausland zu schicken, reagiert, da er kurz vor Abschluss seines juristischen Staatsexamens stand, während sie selbst dieser Vorstellung durchaus etwas habe abgewinnen können. Welchen Weg Ernst Friedrich Wöhler einschlug, ist nicht genau zu rekonstruieren. Aus den überlieferten Quellen geht aber hervor, dass es ihm gelang, sein Studium und seine Promotion abzuschließen und dass er – zumindest nach Kriegsende – in Südafrika lebte, wo er zu Beginn der 1950er Jahre die deutsche Schule in Pretoria leitete.27 Platina Wöhler wurde von ihren Eltern 1934 zunächst nach England geschickt und besuchte dann auf deren Anraten eine Hotelfachschule in der Schweiz. Nach einer ersten beruflichen Station in Italien schickten die Eltern sie im Frühsommer 1939 nach Argentinien, wo ein Bruder ihrer Mutter als Rechtsberater des UnileverKonzerns in finanziell gut gestellten Verhältnissen lebte. Sie absolvierte in Buenos Aires eine Ausbildung als Krankenschwester und war später als Übersetzerin tätig.28 Lothar Wöhler und seine Frau hegten, sofern die überlieferten Quellen eine Aussage erlauben, keine Pläne, selbst ins Ausland zu gehen. Vielmehr blieben sie in Deutschland, und sie scheinen das Kriegsende ohne weitere NS-Verfolgung erlebt zu haben – zumindest findet sich weder in den Akten noch in den Lebenserinnerungen ihrer Tochter ein Hinweis darauf. Aus diesen lässt sich schließen, dass es dem Ehepaar vor und während des Krieges zumindest finanziell nicht schlecht ging. Dafür war ausschlaggebend, dass die Hochschule den Chemiker „unter Belassung der vollen ruhegehaltfähigen letzten Dienstbezüge als Ruhegehalt“ in den Ruhestand versetzt hatte.29 So beschrieb Platina Wöhler unter anderem, dass ihre Eltern in der Vorkriegszeit in die Schweiz oder nach Italien fahren konnten, um Urlaub zu machen und bei dieser Gelegenheit auch ihre Tochter sehen zu können.30 26 27 28 29 30

Vgl. Wöhler de Gainza: Confesión, S. 23. Die Mitteilung wird hier auf das Jahr 1934 datiert. Zum Folgenden vgl. ebd., S. 22–24. Vgl. Todesanzeige Wöhler, UAD, TH 25/015, Nr. 693/1, PA Wöhler. Vgl. Wöhler de Gainza: Confesión, S. 36. Brief des hessischen Reichsstatthalters an Wöhler vom 7.6.1933, UAD, TH 25/015, Nr. 693/1, PA Wöhler. Vgl. Wöhler de Gainza: Confesión, S. 25 und 32. An anderer Stelle schreibt sie, ihre Eltern hätten sich durch große Geldsummen und ihr Stillhalten ein gewisses Maß an Sicherheit bewahren können, vgl. ebd., S. 55.

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Ob Lothar Wöhler nach dem Ausschluss aus der Hochschule einer Berufstätigkeit nachging, ist auf Grundlage der überlieferten Quellen nicht nachweisbar und aufgrund seiner Lebensumstände sowie seines Alters auch eher unwahrscheinlich.31 Doch er bot nach Kriegsbeginn, inzwischen in Stuttgart wohnend,32 seine Rückkehr an die Hochschule an. Diese war jedoch nicht erwünscht.33 1944 gab Wöhler an, er sei als „Sachverständiger der Sprengstoffchemie und besonders als Spezialist der Initialzündung für die Kriegsindustrie beratend tätig“. Womöglich dienten diese Angaben aber allein dem Zweck, seinen Antrag an das Fernsprechamt Stuttgart auf „Wiederanschluss an das öffentliche Fernsprechnetz für den Fall einer Zerstörung“ zu begründen. Der Rektor der TH Darmstadt konnte jedenfalls Wöhlers Sachverständigentätigkeit nicht bestätigen34 und empfahl ihm, „sich mit derjenigen Stelle in Verbindung zu setzen, von der Sie mit Kriegsaufträgen betraut sind“.35 Erst in der letzten Kriegsphase und in der Nachkriegszeit scheint das Ehepaar Wöhler in bedrängte Lebensumstände geraten zu sein. Platina Wöhler de Gainza beschrieb zumindest, dass die Wohnung ihrer Eltern zweimal durch Bomben zerstört worden sei und sie in einer Notunterkunft hätten unterkommen müssen. Später lebten sie in Neuhausen (Filder), einem Dorf in der Nähe von Esslingen, in ebenfalls bedrängten und ärmlichen Verhältnissen, die der allgemeinen Nachkriegssituation geschuldet waren.36 Auch Wöhlers früherer Darmstädter Kollege Ernst Berl, der im Sommer 1933 in die USA emigriert war und die Situation in Deutschland weiterhin sehr genau im Blick behalten hatte, registrierte nach 1945 die Notlage vieler ehemaliger Studenten und Kollegen. Vor diesem Hintergrund wollte Berl die früheren Konflikte ruhen lassen und beabsichtigte, Lebensmittelpakete zu schicken  – auch an Wöhler, seinen Widersacher des Frühjahrs 1933, zu dem „less agreable connections existed but the frictions are forgotten now“.37 Unterstützung erhielt das Ehepaar Wöhler aber vor allem durch seine Tochter, die im Mai 1948 aus Argentinien zurückkehrte. Platina Wöhler blieb über drei Jahre in Deutschland, arbeitete in Esslingen als Dolmetscherin bei der amerikanischen Besatzungsbehörde und sorgte für ihre inzwischen hochbetagten Eltern.38 Erst

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34 35 36 37 38

In der „Hessischen Biografie“ wird angegeben, der Chemiker habe nach der Versetzung in den Ruhestand eine „Tätigkeit in der Industrie in Stuttgart (Sprengstoffherstellung)“ ausgeübt; eine Quelle wird jedoch nicht angegeben. Dies geht aus einem Brief des Rektors an Wöhler vom 27.10.1940 hervor, in dem dieser Wöhler zum 70. Geburtstag gratulierte, vgl. UAD, TH 25/015, Nr. 693/1, PA Wöhler. Dies geht aus einem Schreiben des hessischen Reichsstatthalters an den Rektor der TH Darmstadt vom 11.3.1940 hervor, UAD, TH 25/015, Nr.  693/1, PA  Wöhler. Darin heißt es, Wöhler und einige andere Professoren seien darüber in Kenntnis zu setzen, dass auf ihre Meldung hin eine Möglichkeit für eine Wiederverwendung zur Zeit nicht vorhanden sei. Vgl. den Briefwechsel Wöhlers mit dem Rektor der TH Darmstadt vom Januar 1944, UAD, TH 25/015, Nr. 693/1, PA Wöhler. Brief des Rektors an Wöhler vom 21.1.1944, UAD, TH 25/015, Nr. 693/1, PA Wöhler. Vgl. Wöhler de Gainza: Confesión, S. 62 f. und 69. Brief Berl an Kraft vom 4.2.1946, DEA, EB 2003/004. Vgl. Wöhler de Gainza: Confesión, S. 76 und 83.

Lothar Wöhler

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Ende des Jahres 1951 verließ sie Deutschland erneut, um sich in Buenos Aires niederzulassen und dort eine eigene Familie zu gründen. Lothar Wöhler starb ein halbes Jahr später, am 7. Mai 1952, in Backnang39 – seine Frau zog bald darauf zu ihrer Tochter nach Argentinien.

39

Vgl. Todesanzeige Wöhler, UAD, TH 25/015, Nr. 693/1, PA Wöhler.

FACHAUSSCHUSS PHYSIK Wolfgang Gaede (1878–1945)

Wolfgang

Gaede

Wolfgang Gaede wurde am 25. Mai 1887 in Lehe bei Bremerhaven geboren.1 Sein Vater Karl Gaede war ein preußischer Oberst, der sich auch mit der Konstruktion von U-Booten und Luftschiffen beschäftigte, seine Mutter Amalie die Tochter eines Hofgerichtsadvokaten aus Freiburg im Breisgau. Dort lernten sich seine Eltern kennen, als sein Vater im nahe gelegenen Breisach stationiert war. Kurze Zeit nach der Hochzeit wurde Karl Gaede nach Lehe versetzt, wo Wolfgang Gaede und seine jüngere Schwester zur Welt kamen. Evangelisch getauft, besuchte er in Lehe die Schule und nahm 1896 das Studium auf. Zunächst studierte er Medizin, dann Physik  – beides in Freiburg. Für seine bei dem Physiker Franz Himstedt angefertigte und 1902 veröffentlichte Dissertation Über die Änderung der specifischen Wärme der Metalle mit der Temperatur erhielt er den Preis der Freiburger Jubiläumsstiftung, und Himstedt bot ihm eine Assistentenstelle an. In der Folgezeit interessierte sich Gaede vor allem für die Verstärkung hochfrequenter Schwingungen – ein damals sehr aktuelles Forschungsgebiet – und musste sich daher auch mit der Vakuumerzeugung beschäftigen. In jener Zeit waren die zur Verfügung

1

Für die Durchsicht des Textes danke ich Dr. Dominik Reßing sehr herzlich. Zu Gaedes Biografie, seiner Vertreibung und zum Folgenden vgl. die entsprechenden Einträge in NDB und DBE; zudem Seidl: Säuberungen, S.  473–475; Kleiner: Spruchkammerverfahren, S.  20 f.; Kind/Mühe: Naturforscher, S.  20–26; Unzeitig: Wissenschaft; Hoffmann: Gaede; Wolf: Gaede; Sommerfeld: Gaede; Justi: Hochvakuumtechnik; und Gaede: Gaede; zudem UAF, B  24/912, PA  Gaede; KIT-A, Biografische Sammlung 28002/134; DMMA, NL 10, 002, Nachlass Gaede; GA, Nachlass Gaede.

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Fachausschuss Physik

stehenden Vakuumpumpen noch unausgereift,2 sodass Gaede zahlreiche Experimente anstellte, um die bestehenden Probleme zu beheben. So erfand er im Sommer 1905 die sogenannte rotierende Quecksilberluftpumpe, die im September desselben Jahres auf der 77. Versammlung der Deutschen Naturforscher und Ärzte in Meran vorgestellt wurde und große Aufmerksamkeit erregte. Gaede produzierte und verkaufte nun einige Pumpen,3 und bald war die Nachfrage so groß, dass er sich entschloss, für Herstellung und Vertrieb der später so genannten Gaede-Pumpen mit der in Köln ansässigen Firma Leybold zu kooperieren, die physikalische, für Lehrzwecke bestimmte Apparate produzierte. Deren Inhaber und Geschäftsführer Alfred Schmidt hatte er in Meran kennengelernt. Im Laufe des Jahres 1906 handelten sie einen Lizenzvertrag aus, der zum Fundament einer langjährigen Zusammenarbeit wurde.4 Bereits ein Jahr später verkaufte Leybold Pumpen im Wert von rund einer halben Million Mark.5 Gaede selbst richtete in Freiburg ein privates Laboratorium ein, in dem er seine Experimente fortsetzte. Diese beschäftigten ihn so sehr, dass er 1907 seine Assistentenstelle aufgab, ohne freilich den Kontakt zur Universität abzubrechen. Vielmehr schloss er im Jahr 1909 seine Habilitation ab, die sich mit der äußeren Reibung der Gase beschäftigte. In seinem Labor, für das Leybold Drehbänke und Fräsmaschinen zur Verfügung stellte, arbeiteten neben zwei Mechanikern auch einige Studenten, denen er handwerkliche Fertigkeiten und technisches Spezialwissen vermittelte. Er selbst beschäftigte sich in den folgenden Jahren weiterhin mit der Optimierung der rotierenden Quecksilberluftpumpe, sodass er im Herbst 1907 auf dem Jahrestreffen der Naturforscher und Ärzte in Dresden eine verbesserte Version vorstellen konnte. Darüber hinaus setzte er seine Experimente mit anderen Vakuumpumpen fort. 1912 lag eine Molekularluftpumpe und 1915 eine Quecksilberdiffusionspumpe vor.6 Diese erwiesen sich ebenfalls als viel beachtete technische Errungenschaften, die von der Fachwelt entsprechend honoriert wurden. Die Universität Freiburg ernannte Gaede 1913 zum außerordentlichen Professor und übernahm sein Labor als Technisch-Physikalisches Institut der Universität.7 In demselben Jahr verlieh ihm das Franklin Institute of the State of Pennsylvania die Elliot Cresson Medal in Gold. Im Ersten Weltkrieg stellte man Gaede als kriegsuntauglich vom Militärdienst zurück8 und setzte ihn als wissenschaftlichen Mitarbeiter des Generalstabs ein. Für seine Tätigkeit dort nutzte er weiterhin sein Forschungsinstitut, das zeitweise 2 3 4 5 6 7 8

Vgl. Unzeitig: Wissenschaft, S. 11–31. Vgl. Unzeitig: Wissenschaft, S. 214 f.; Gaede: Gaede, S. 29. Vgl. Zusammenstellung, o. D., GA, Ordner 1, 1878 – Juni 1945. Der Vertrag wurde später mehrfach verändert, vgl. Entwurf eines Vertrags vom Oktober 1933, GA, Ordner 1B, sowie Unzeitig: Wissenschaft, S. 215–222. Vgl. Lebenslauf Gaede, o. D., UAF, B 24/912, PA Gaede. Zur Funktionsweise der Pumpen vgl. Unzeitig: Wissenschaft, S. 54–64. Vgl. Unzeitig: Wissenschaft, S. 220 f. Hintergrund war eine in seiner Jugend schlecht verheilte Unterarmfraktur, vgl. Unzeitig: Wissenschaft, S. 52.

Wolfgang Gaede

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nach Berlin verlegt wurde. Zusammen mit seinen Mechanikern beschäftigte er sich mit der (Weiter-)Entwicklung verschiedener Objekte, so etwa mit steuerbaren Lenkbomben, einer Geheimtinte für Spionagezwecke, Brand- und Leuchtbandgeschossen, Benzinpumpen für Flugzeuge sowie der Telefonverstärkung.9 Darüber hinaus engagierte er sich freiwillig in der Krankenpflege.10 In der letzten Kriegsphase sowie der unmittelbaren Nachkriegszeit versuchten einige Technische Hochschulen – darunter Berlin, Stuttgart, Darmstadt und Karlsruhe –, Gaede für sich zu gewinnen. Den 1917 von der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg ergangenen Ruf11 lehnte er ab, da er keine Garantie für einen Institutsneubau erhielt.12 Möglicherweise spielten auch die „vielen Streiks und politischen Unruhen in Berlin“ eine Rolle, wie es seine Schwester rückschauend berichtete.13 1919 entschied er sich für Karlsruhe, nicht zuletzt, da die Hochschule ihm Räume für ein Privatlabor zusicherte und er sich offenbar besonders geehrt fühlte, die indirekte Nachfolge von Heinrich Hertz anzutreten. Auch als Ordinarius in Karlsruhe setzte Gaede seine experimentellen und theoretischen Studien zur Vervollkommnung der Diffusionspumpe fort, ebenso seine Zusammenarbeit mit der Firma Leybold, die in den 1920er Jahren weltweit rund 2.000 Diffusionspumpen jährlich verkaufte. Andererseits sah sich Gaede auch vor neue Herausforderungen gestellt. Zum einen musste er sich gegen einige Patentanfechtungen zur Wehr setzen (er besaß rund 30 Patente in Deutschland, zudem weitere im Ausland),14 zum anderen hatte er in sehr viel größerem Umfang als bislang Lehrveranstaltungen abzuhalten. Dies bereitete ihm große Mühe. Eine chronische Halserkrankung, die wahrscheinlich auf eine Quecksilbervergiftung zurückging, erschwerte ihm das Sprechen; zudem hatte er, darin waren sich Freunde und Bekannte einig, „nur wenig Veranlagung zum Lehrer. Eine große Menge von Studenten machte ihn befangen, die Lehrtätigkeit machte ihm wenig Freude.“15 In seinem Fokus stand ganz und gar die Forschung. In dieses Bild passt auch, dass er nicht heiratete und keine Familie gründete. Zunächst führte seine früh verwitwete Mutter seinen Haushalt, dann seine Schwester, die ihm auch in der Forschung zuarbeitete und sich selbst als seine wissenschaftliche Assistentin bezeichnete.16 Die Entwicklung neuer und vor allem wirksamer Geräte zur Erzeugung und Messung des Hochvakuums stand zeitlebens im Zentrum von Gaedes Tätigkeit 9 10 11 12 13 14 15 16

Vgl. Unzeitig: Wissenschaft, S. 64–67; Hoffmann: Gaede, S. 96; Zusammenstellung, o. D., GA, Ordner 1, 1878 – Juni 1945. Vgl. Ausweiskarte „Freiwillige Krankenpflege“ für Gaede, DMM1, NL 10, 001, Nachlass Gaede. Gaede wurde für diese Tätigkeit mehrfach mit Verdienstkreuzen ausgezeichnet. Vgl. Mitteilung Gaede an den Prorektor der Universität Freiburg vom 20.6.1917, UAF, B 24/912, PA Gaede. Vgl. Unzeitig: Wissenschaft, S. 67. Gaede: Gaede, S. 54. Zum Folgenden vgl. ebd. Vgl. Unzeitig: Wissenschaft, S. 68–70 und 110 f. Wolf: Gaede, S. 20; Unzeitig: Wissenschaft, S. 73. Vgl. ähnlich auch Gaede: Gaede, S. 45. Vgl. eidesstattliche Erklärung Hannah Gaede, 1947, im Spruchkammerverfahren gegen Stark, zit. nach: Kleinert: Spruchkammerverfahren, S. 21.

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(neben den bereits genannten Pumpen ist auch die 1935 von ihm entwickelte Gasballastpumpe zum Absaugen von Dämpfen zu nennen). Insofern galt er zwar nicht als Grundlagenforscher, wohl aber als „ein Spezialist höchsten Ranges“,17 beeinflussten seine Erfindungen doch Wissenschaft und Technik maßgeblich: Sie stellten eine „grundsätzlich neue Etappe der Vakuumphysik“ dar.18 Die Deutsche Physikalische Gesellschaft und die Deutsche Gesellschaft für technische Physik ernannten ihn 1929 zum Ehrenmitglied, die Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen entsandte ihn 1920/21 in den Fachausschuss Physik, Geophysik, Astrophysik der Notgemeinschaft,19 und zwischen 1922 und 1937 wurde er sieben Mal für den Nobelpreis vorgeschlagen.20 Seit 1930 gehörte Gaede der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina an, und im Frühsommer 1933 reiste er nach England, um die Duddell Medal der Physical Society in Empfang zu nehmen. Im gleichen Zeitraum, in dem sich Gaede in England aufhielt, wurde seine Vertreibung von der Hochschule betrieben.21 Ihr lag die Denunziation einiger seiner Mitarbeiter zugrunde, unter denen sich neben einem Laboranten und dem Vertrauensmann der Studentenschaft mit Karl Rückert und Wilhelm von Meyeren auch zwei seiner Assistenten befanden. Sie warfen ihm Veruntreuung von Universitätsmitteln und politische Unzuverlässigkeit vor 22 und brachten dabei zahlreiche Einzelheiten vor. So habe Gaede das Physikalische Institut der TH Karlsruhe für private Zwecke benutzt, ja dieses sei geradezu „eine Filial-Werkstätte“ der Firma Leybold.23 Zudem habe er die Entfernung eines „selbstgefertigten Hakenkreuzes aus Sperrholz im Übungssaal des Physikalischen Instituts“ angeordnet, das ohne seine Erlaubnis im Mai 1933 angebracht worden war, und nehme einen am Institut angestellten Mechaniker in Schutz, der zeitweise der KPD angehört habe. Er selbst sei Mitglied des republikanischen Akademikerbundes und darüber hinaus mit den früheren badischen Ministern Heinrich Köhler und Adam Remmele persönlich bekannt, die durch ihre Parteimitgliedschaft im Zentrum bzw. in der SPD als Gegner des Nationalsozialismus galten. Nicht zuletzt hielt man ihm vor, er habe sich verschiedentlich antinazistisch geäußert. Man kolportierte 17 18 19 20 21 22 23

Sommerfeld: Gaede. Hoffmann: Gaede, S. 95. Zur Würdigung seiner Leistungen vgl. auch Kind/Mühe: Naturforscher, S. 22–25; Wolf: Gaede, S. 6–20. Zur Hochvakuumtechnik und den Hochvakuumpumpen aus fachlicher Sicht vgl. Justi: Hochvakuumtechnik. Gaede erhielt von der Notgemeinschaft zudem einige Sachbeihilfen, so etwa 1921 Mittel zur Beschaffung von Maschinen und Werkzeugen und 1922/23 Mittel zur Beschaffung eines Scheibenfräsers, vgl. Datenbank DFG-Geschichte. Vgl. Unzeitig: Wissenschaft, S.  94. Vgl. zudem Brief Graetz an Gaede vom 27.12.1924, DMMA, NL 10, 002, Nachlass Gaede. Eine Chronologie der Ereignisse ist zusammengestellt in: GA, Ordner 1A. Die Anschuldigungen diverser Personen wurden zwischen Mai und September 1933 vorgebracht. Kopien des Verfahrens gegen Gaede befinden sich in: GA, Ordner 1A. Die folgenden Zitate, sofern nicht anders angegeben, ebd.; vgl. insbesondere auch das Protokoll der Vernehmung Gaedes vom 18.10.1933, ebd. Vgl. dazu die Stellungnahme der Firma Leybold, o. D. [Oktober 1933], GA, Ordner 1B.

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Gaedes Aussagen, die Nazis seien „Kindsköpfe“ und Hitler ein „größenwahnsinnig“ gewordener „kleiner Parteimann“. Er könne die NS-Bewegung, besonders „das arische Prinzip“, nicht ernst nehmen, der Antisemitismus sei Ausdruck des Neides und Hasses der weniger Begabten. Die Juden seien im Allgemeinen intelligenter als die Deutschen, was man in der Wirtschaft und der Wissenschaft sehen könne  – das Judentum habe jedenfalls „große Männer hervorgebracht“. Schließlich habe er sich nach der „Machtübernahme“ ganz opportunistisch verhalten: Er „macht [nun] nur noch in Nationalismus. Dieses überlaute Gebahren reizt machmal zum Ekel.“ Gaede bezeichnete die Beschuldigungen als „vollkommen haltlose Verdächtigungen“24 und wollte Strafanzeige stellen. Besonders empörte ihn die Tatsache, dass sich unter den Denunzianten seine beiden Assistenten befanden, die er seit vielen Jahren gefördert hatte. Er vermutete, es handele sich um ein „wahrscheinlich lange vorbereitetes Assistentenkomplott über alle deutschen Hochschulen hinweg“25 oder um eine „Stellenjägerei übelster Art“.26 In allen nun stattfindenden Vernehmungen wies er die Anschuldigungen zurück und bestritt mit Nachdruck, sich antinazistisch geäußert zu haben.27 Gleichwohl beurlaubte ihn das badische Kultusministerium am 13. September 1933 nach § 4 des Berufsbeamtengesetzes, nach dem diejenigen Beamten entlassen werden konnten, „die nach ihrer bisherigen politischen Tätigkeit nicht die Gewähr dafür bieten, dass sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat“ eintraten. Gaede schaltete daraufhin einen Rechtsanwalt ein, der mit der NSDAP sympathisierte28 und der im Folgenden die Strategie verfolgte, den Physiker als „unpolitischen Gelehrten“ und „weltfremden Professor“ darzustellen: Gaede sei „eine harmlose, geradezu kindlich naive Persönlichkeit, wie man sie auch heute noch in Gelehrtenkreisen ab und zu findet. Mit Politik hat sich Gaede nie befasst, er versteht von Politik rein gar nichts; vielleicht weniger wie ein Kind“.29 Gaede verlange, so der Anwalt weiter, dass die Verdächtigungen gegen ihn ausgeräumt werden, denn er habe „nie anders als national gedacht und gefühlt und stehe aus innerer Überzeugung auf dem Boden der nationalen Regierung“.30 Schon zu diesem Zeitpunkt ließ Gaede über seinen Anwalt aber auch erkennen, dass er an seinem „Lehramt an der TH keineswegs klebe“.31 Er habe dieses nur „aus Idealis24 25 26 27 28 29 30 31

Schreiben Rechtsanwalt K. G. an den Leiter der Hochschulabteilung des Ministeriums des Kultus, Unterrichts und der Justiz vom 18.9.1933, GA, Ordner 1A. Brief Gaede an Dunkel vom 26.12.1933, GA, Ordner 1B. Brief Gaede an Dunkel vom 8.10.1933, GA, Ordner 1A. Vgl. z. B. Protokoll der Befragung Gaedes am 18.10.1933, GA, Ordner 1A. Vgl. Unzeitig: Wissenschaft, S. 77. Schreiben Rechtsanwalt K. G. an den Leiter der Hochschulabteilung des Ministeriums des Kultus, Unterrichts und der Justiz vom 18.9.1933, GA, Ordner 1A. Das folgende Zitat ebd. Dies äußerte Gaede auch selbst: Er halte die Voraussetzungen des § 4 BBG keineswegs für gegeben und „stehe auf dem Boden der nationalen Regierung“, Aussage Gaede vom 14.9.1933, GA, Ordner 1A. Schreiben Rechtsanwalt K. G. an den Leiter der Hochschulabteilung des Ministeriums des Kultus, Unterrichts und der Justiz vom 18.9.1933, GA, Ordner 1A. Die beiden folgenden Zitate ebd. An Dunkel schrieb Gaede ganz ähnlich. Im Falle der Zurruhesetzung „erhalte ich

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mus für die Jugend“ übernommen, und es habe „immer ein Opfer bedeutet, da er ohne dieses Amt den ihn beschäftigenden, wichtigen und grossen Problemen noch in ganz anderer Weise hätte nachgehen können“. Neben dem juristischen Beistand suchte Gaede Unterstützung auch bei Kollegen, unter anderem bei Philipp Lenard und Johannes Stark,32 die als Vertreter einer Deutschen Physik galten. Beide traten im Herbst 1933 für ihn ein, wenn auch mit unterschiedlichen Argumenten. Als Präsident der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt (PTR) wandte sich Stark am 22. September 1933 an den badischen Kultusminister Otto Wacker, um sich für Gaede zu verwenden, von dem er fachlich sehr viel hielt.33 „Und wenn ich mich nicht überzeugt hätte, daß Gaede im Grunde seines Herzens national gesinnt ist und sich tatsächlich als Antisemit bewährt hat, so würde ich seiner Beurlaubung und Entlassung zustimmen.“34 Ganz entgegengesetzt argumentierte Lenard in einem Brief an den zuständigen Ministerialrat Eugen Fehrle: Gaede sei eine „sehr hervorragende Zierde“ der TH Karlsruhe. Allerdings sei der „geradezu unvermeidlich gewordene Juden-Umgang auch bei Prof. Gaede stark wirksam geworden“. Gaede sei „deutsch-national“ eingestellt, „freilich mit der entsetzlichen Harmlosigkeit, die früher besonders den militärischen Kreisen im politischen Denken eigen war. […] Im Übrigen scheinen November-Männer sowie ‚begabte‘ Juden beobachtenswerte Naturgegenstände für ihn gewesen zu sein.“35 Andere Kollegen bzw. Institutionen verwiesen auf Gaedes „nationale Haltung“, vor allem aber auf seine Leistungen. So überbrachte Max von Laue am 20.  September 1933 im Namen der Deutschen Physikalischen Gesellschaft die Glückwünsche zum 25. Jubiläum der Gaede-Pumpe mit dem Hinweis, dass Gaedes „Erfindungen den Fortschritt der Wissenschaft in einem Masse gefördert [haben], das nur von wenigen anderen Erfindungen erreicht wird“.36 Der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für technische Physik, der Gaede als Ehrenmitglied angehörte, betonte in einem Brief an Wacker, Gaede sei „uns als Mann von durchaus nationaler Gesinnung und vornehmer Denkart bekannt“.37 Hinzu komme die große Bedeutung seiner Erfindungen für die physikalische Forschung,

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¾ des Ruhegeldes und brauche nicht mehr zu arbeiten, kann mich also ganz den Erfindungen widmen“, Brief Gaede an Dunkel vom 15.9.1933, GA, Ordner 1A. Zum langjährigen freundschaftlichen Verhältnis von Lenard und Stark vgl. Kleinert: Spruchkammerverfahren, S.  17; zum Verhältnis Lenard und Gaede vgl. Eckart u. a. (Hg.): Universität, S.  1093; zum Verhältnis Stark und Gaede vgl. Kind/Mühe: Naturforscher, S.  25; Hoffmann: Gaede, S. 96; Brief Gaede an Dunkel vom 21.9.1933, GA, Ordner 1A. In der eidesstattlichen Erklärung von Hannah Gaede, 1947, im Spruchkammerverfahren gegen Stark, zit. nach: Kleinert: Spruchkammerverfahren, S. 21, hieß es, Gaede sei für Stark „das Ideal eines genialen Erfinders und Konstrukteurs innerhalb der reinen Experimentalphysik“ gewesen. Brief Stark an Wacker vom 22.9.1933, GA, Ordner 1A. Brief Lenard an Fehrle vom 22.9.1933, GA, Ordner 1A. Brief Laue für die Deutsche Physikalische Gesellschaft an Gaede vom 20.9.1933, GA, Ordner 1A. Brief der Deutschen Gesellschaft für technische Physik an den badischen Minister des Kultus und Unterrichts vom 21.9.1933, GA, Ordner 1A.

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für die wirtschaftliche Technik in Deutschland und nicht zuletzt für die deutsche Wirtschaft. Selbst der Reichsstatthalter gestand zu, dass Gaede durch seine Erfindungen „tausenden deutschen Arbeitern Verdienst und Brot verschafft“ habe und weiterhin „als Erfinder der Volksgemeinschaft nützen und zur Hebung unseres Wirtschaftslebens beitragen“ könne.38 Auch die Geschäftsstelle der Notgemeinschaft, die Gaede im Herbst 1933 Rat suchend konsultierte, sagte Unterstützung zu,39 und schließlich erhielt er im Dezember 1933 eine der höchsten naturwissenschaftlich-technischen Auszeichnungen in Deutschland: den Wernervon-Siemens-Ring. Die Initiative hierzu war ebenfalls von Stark ausgegangen, der als Vorsitzender des Stiftungsrats der Siemens-Ring-Stiftung Gaede vorgeschlagen hatte.40 Für Gaede selbst bedeutete die Verleihung des Werner-von-SiemensRings „in der Zeit meiner Bedrängnis […] eine sehr große moralische Stütze“.41 Trotz dieser Interventionen beruhigte sich die Situation nicht. Vielmehr hatte die Staatsanwaltschaft im Oktober 1933 ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der Untreue gegen Gaede eingeleitet, und möglicherweise drohte sogar die Verschleppung in ein Konzentrationslager.42 Erst allmählich schien sich ein Kompromiss abzuzeichnen. Stark und Dunkel versuchten, Gaede an einer anderen Hochschule unterzubringen, möglichst in Köln, wo ein Lehrstuhl für Technische Physik zu besetzen war.43 Ende des Jahres 1933 wandte sich Stark „in Anbetracht der großen Bedeutung des Falles“ erneut an das badische Kultusministerium:44 Eine Entlassung Gaedes würde in den „weitesten nationalen Kreisen Deutschlands nicht verstanden und im Ausland vor allem von den Juden mit Hohngelächter aufgenommen werden.“ Aber Gaede würde wohl aus dem badischen Staatsdienst ausscheiden und „einem Ruf anderwärts folgen“.45 Doch Gaede selbst konnte sich mit derartigen Plänen nicht anfreunden und argumentierte, dass mit einer Versetzung offenbar würde, „daß die Regierung sich scheut, die Kesseltreiberei und Verläumdung moralisch minderwertiger Assistenten restlos zu verurteilen. Das liegt aber nicht im Interesse des dritten Reiches! Meine Wiedereinsetzung muß bedingungslos sein […]. Auf Kompromisse lasse ich

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Stellungnahme des Reichsstatthalters von Anfang 1934, zit. nach: Seidl, Säuberungen, S. 475. Vgl. Brief Gaede an Dunkel vom 13.11.1933, GA, Ordner 1B. Dieses Amt hatte Stark als Präsident der PTR inne; Gaede fuhr am 14.12.1933 nach Berlin, um sich bei Stark zu bedanken, vgl. Hoffmann: Gaede, S. 97. Brief Gaede an Stark vom 29.11.1934, BArch, R  1519/65, fol.  266, sowie Brief Gaede an Dunkel vom 30.12.1934, GA, Ordner 1, 1878 – Juni 1945. Vgl. auch Kleinert: Spruchkammerverfahren, S. 20 f.; Hoffmann: Gaede, S. 97–99. Dies gab zumindest Gaedes Schwester in ihrer eidesstattlichen Erklärung aus dem Jahr 1947 zu Protokoll. Darin hieß es, Stark habe sie und ihren Bruder im Dezember 1933 „von der uns damals drohenden Gefahr unserer Verschickung in ein Konzentrationslager […] bewahrt“, eidesstattliche Erklärung Hannah Gaede, 1947, im Spruchkammerverfahren gegen Stark, zit. nach: Kleinert: Spruchkammerverfahren, S. 21. Diese Überlegungen brachte offenbar Dunkel ins Spiel, vgl. Hoffmann: Gaede, S. 97. Brief Stark an Fehrle vom 13.11.1933, GA, Ordner 1B. Brief Stark an Fehrle vom 14.12.1933, GA, Ordner 1B.

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mich selbstverständlich nicht ein.“46 Gaedes Haltung bewirkte letztendlich, dass sowohl Lenard als auch Stark ihre Unterstützung einstellten.47 Stark begründete dies Anfang des Jahres 1934 gegenüber dem Leybold-Geschäftsführer Manfred Dunkel folgendermaßen: Es sei ihm nicht mehr möglich, „an einer Berufung Gaedes nach Köln mitzuwirken. Nachdem ich mich für Gaede an mehreren Stellen mit Erfolg eingesetzt habe, ist es mir vielleicht gestattet, offen folgende Hinweise zu geben. Gegen die Fortsetzung der Lehrtätigkeit Gaedes an einer Hochschule oder Universität bestehen schwerwiegende Bedenken: 1. ist der Unterricht Gaedes nach dem Urteil der Studierenden unzureichend, 2. ist die Zusammenarbeit Gaedes mit Ihrer Firma enger als sie nach den allgemein gültigen Vorschriften für Beamte zulässig ist.“48 Im Frühjahr 1934 wurde Gaede dann endgültig entlassen. Man versetzte ihn nach § 6 des Berufsbeamtengesetzes bei vollen Pensionsansprüchen in den Ruhestand. Doch dies stellte Gaede nicht zufrieden. An Stark schrieb er, dass ihn die Pensionierung nach § 6 zwar in „gesellschaftlicher Hinsicht rehabilitiert“. Gleichwohl bedeute sie „für mich persönlich eine schwere Kränkung, weil sie als ein Sieg der moralisch minderwertigen Assistenten gegen meine Person auszulegen ist“.49 Mit dem Ausschluss aus der Hochschule brachen Gaedes Kontakte zur wissenschaftlichen Community nicht gänzlich ab. So besuchte er offenbar weiterhin gelegentlich die Kolloquien seines Nachfolgers am Physikalischen Institut der TH Karlsruhe,50 und einige Fachzeitschriften wie die Zeitschrift für technische Physik oder die Elektrotechnische Zeitschrift würdigten seine wissenschaftlich-technischen Leistungen anlässlich seines 60. bzw. 65. Geburtstags, ohne dabei die Vertreibung von der Hochschule zu erwähnen.51 Das Deutsche Museum, das schon seit vielen Jahren Gaedes Pumpen und seine ursprünglichen Versuchsaufbauten ausstellte, berief ihn 1935 in seinen Verwaltungsbeirat,52 und die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft nahm ihn 1937 als förderndes Mitglied auf. Gaede widmete sich nach der Vertreibung von der Hochschule noch intensiver als zuvor der lange bestehenden Zusammenarbeit mit der Industrie. Bereits während der Intrige hatte er berufliche Alternativen außerhalb der Hochschule 46 47 48 49 50 51 52

Brief Gaede an Stark vom 24.3.1934, BArch, R 1519/65, fol. 258R f., Hervorhebung im Original. Vgl. ähnlich auch Brief Gaede an Fehrle vom 23.12.1933, GA, Ordner 1B, und Brief Gaede an Dunkel vom 26.12.1933, ebd. In einem Brief an den Reichsstatthalter begründete Lenard dies damit, dass er nun sehe, dass Gaede „einem so ungeeigneten Dozenten der Theorie wie Herrn Weizel Teile des Unterrichts ganz überlassen hat“. Brief Lenard an den Reichsstatthalter vom 25.11.1933, GA, Ordner 1B. Brief Stark an Dunkel vom 6.1.1934, zit. nach: Hoffmann: Gaede, S. 97. Vgl. zudem Karte Gaede an Dunkel vom 11.1.1934, GA, Ordner 1B. Brief Gaede an Stark vom 5.4.1934, BArch, R 1519/65, fol. 261. Vgl. Wolf: Gaede, S. 21. Vgl. Justi: Hochvakuumtechnik. 1943 hieß es in der Zeitschrift für technische Physik über Gaede, es werde „wenige Physiker geben, welche von so entscheidendem Einfluß auf die Industrie ihres Vaterlandes gewesen sind“, zit. nach Unzeitig: Wissenschaft, S. 91. Vgl. Brief Deutsches Museum an Gaede vom 19.2.1935 und Brief Gaede an das Deutsche Museum vom 28.2.1935, DMMA, NL 10, 0022, Nachlass Gaede.

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in Erwägung gezogen. Im Herbst 1933 hatte Stark angeboten, ihn an die PTR zu holen,53 und auch Siemens äußerte Interesse.54 Vor allem aber verhandelte Gaede mit Leybold. Mehrere Besprechungen fanden im Herbst 1933 statt,55 in denen man überlegte, wie eine Kooperation aussehen könnte, sollte das Ministerium die Entlassung aussprechen. Unmittelbar nachdem diese dann erfolgt war, schrieb Dunkel an Gaede, er wisse nicht, ob er „kondolieren oder gratulieren“ solle. Nach all den Ereignissen sei die Tätigkeit als badischer Professor und vor allem der Umgang mit den Assistenten wohl kaum noch vorstellbar. Vielmehr sei zu begrüßen, „dass Sie nunmehr, ungehindert durch die Hochschultätigkeit, sich ganz Ihren wissenschaftlichen Arbeiten widmen können“.56 Ähnlich äußerte sich Stark: „Nachdem aber nunmehr die Entscheidung gefallen ist, möchte ich Sie eigentlich beglückwünschen. Es wird wahrscheinlich für Sie persönlich, wie für Ihre wissenschaftlich-technischen Arbeiten von Vorteil sein, dass Sie nicht mehr die Last des Unterrichts zu tragen haben.“57 Seit dem Sommer 1934 arbeitete Geade in seinem privaten Labor in Karlsruhe und experimentierte mit den Vakuumpumpen und Vakuummessgeräten. Die hier entwickelten Instrumente schickte er anschließend nach Köln, wo Leybold sie zu Prototypen weiterentwickelte, zur Serienreife brachte, vermarktete und zu recht guten Preisen verkaufte. Davon profitierten Leybold wie Gaede.58 An der Kooperation mit Leybold kann gezeigt werden,59 wie diese zu technisch-wissenschaftlichen Innovationen führte. Lange Zeit ging die Wissenschaftstheorie von einem linearen Modell der Innovation aus und nahm einen geradlinigen Weg des technischen Fortschritts in einzelnen, klar voneinander getrennten und aufeinander folgenden Phasen an. Am Anfang stand demnach die naturwissenschaftliche Grundlagenforschung, dann folgte die angewandte Forschung, dann Entwicklung, dann Produktion, schließlich die Vermarktung. Die neuere Wissenschaftstheorie geht hingegen davon aus, dass die Schritte weder eindeutig zu trennen sind noch strikt nacheinander erfolgen. Vielmehr entsteht – so das heutige Verständnis – die Innovation im Zusammenspiel und im Austausch zwischen den beteiligten Personen und dem Ineinandergreifen der Phasen. Dafür sind die Vakuumpumpen, die im Austausch zwischen Gaede und den Praktikern bei Leybold perfektioniert wurden, ein geradezu idealtypisches Beispiel. Anfang des Jahres 1940 zog Gaede mit seinem Labor nach München um. Er selbst stellte explizit einen Bezug zur militärischen Offensive der deutschen 53 54 55 56 57 58 59

Vgl. Brief Gaede an Dunkel vom 21.9.1933, GA, Ordner 1A. Als Stark später seine Unterstützung für Gaede einstellte, kamen auch diese Pläne zum Erliegen. Vgl. Brief Lenard an Fehrle vom 23.1.1934, GA, Ordner 1B. Vgl. Vermerk über eine Unterredung am 2.11.1933 in Köln zwischen Gaede und Dunkel, GA, Ordner 1B. Brief Dunkel an Gaede vom 11.4.1934, GA, Ordner 1B. Brief Stark an Gaede vom 12.5.1934, BArch, R 1519/65, fol. 263. Die Zusammenarbeit zwischen Gaede und Leybold und die daraus resultierenden guten Erträge sind gut dokumentiert durch die Unterlagen des Gaede-Archivs in der Gaede-Stiftung in Köln. Vgl. ausführlich Unzeitig: Wissenschaft, S. 212–228.

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Wehrmacht im Westen her, indem er den Umzug damit begründete, dass Karlsruhe und insbesondere sein in der Nähe des Flughafens angesiedeltes Labor im „Operationsgebiet“ und im Wirkungsbereich der „französischen Batterien“ lägen. Zudem erfordere der Beginn des Krieges, so schrieb er am 5. Januar 1940 an Dunkel, unbedingt „die Intensivierung kriegswichtiger Erfindertätigkeit im Sinne der Landesverteidigung“,60 sodass die Nähe zur Technischen Hochschule und dem Deutschen Museum München sinnvoll sei. Zudem sei zu erwägen, auch das Labor von Leybold nach München zu verlegen und mit seinem Privatlabor zusammenzulegen. Diese Pläne wurden allerdings nicht Realität. Gaede und Leybold blieben bei dem gefundenen Arrangement und standen in regem Briefkontakt. Aus diesem geht auch hervor, dass Gaede während des Krieges im Kontakt zur Wehrmacht stand. Offenbar interessierte sich das Oberkommando der Wehrmacht für seine Experimente, und ab 1942 führte er dann tatsächlich Versuche für die Kriegsmarine durch. Es ging dabei um eine als „geheime Kommandosache“ eingestufte Aufdeckung eines optischen Geheimzeichenverfahrens,61 über das allerdings nichts weiter bekannt ist. Nach einem Bombenangriff im Jahr 1943 verlegte Leybold die Verwaltung der Firma nach St. Andreasberg im Harz,62 und am 12. Juli 1944 wurde Gaedes Labor in München durch einen Bombenangriff völlig zerstört. Die Überlegungen, das Labor nach Überlingen am Bodensee oder zurück nach Karlsruhe zu verlegen, zerschlugen sich in Anbetracht des zusammenbrechenden NS-Regimes.63 Nur sechs Wochen nach Kriegsende nahm der neue Rektor der TH Karlsruhe, Rudolf Plank, Kontakt zu Gaede auf, um ihn nach Karlsruhe und auf den Lehrstuhl für Experimentalphysik zurückzuholen.64 Doch der Brief traf zu spät ein. Wolfgang Gaede war am 24. Juni 1945 an den Folgen einer Diphtherie gestorben. Seine Schwester ließ ihn auf dem Waldfriedhof in München beerdigen. Die Grabrede hielt sein Kollege Arnold Sommerfeld, den er in seiner Münchner Zeit kennengelernt hatte.65

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Brief Gaede an Leybold vom 5.1.1940, GA, Ordner 3. Zum Folgenden vgl. ebd. Dies geht aus einem Briefwechsel des Jahres 1942 zwischen Gaede und Prof. O. Scherzer hervor, DMMA, NL 10, 002, Nachlass Gaede; vgl. zudem Unzeitig: Wissenschaft, S. 91. Vgl. Korrespondenz Gaede und Leybold vom Frühjahr und Sommer 1943, DMMA, NL 10, 001, Nachlass Gaede. Vgl. Wolf: Gaede, S. 21. Vgl. Brief Plank an Gaede vom 22.6.1945, KIT-A, Biografische Sammlung 28002/134. Vgl. auch Brief Plank an das badische Ministerium für Kultus und Unterricht vom 9.8.1945, Kopie in: GA, Ordner 1, Dokumente 24.6.1945–1950. Vgl. Sommerfeld: Gaede; Brief H. Gaede an Plank vom 3.8.1945, KIT-A, Biografische Sammlung 28002/134.

FACHAUSSCHUSS MATHEMATIK Issai Schur (1875–1941)

Issai

Schur

Issai Schur kam am 10. Januar 1875 als Sohn des jüdischen Großkaufmanns Moses Schur und seiner Frau Golde in der damals russischen Kleinstadt Mogilew am Dnepr zur Welt.1 Mit 13 Jahren schickten ihn seine Eltern zu seiner älteren Schwester, die mit ihrem Mann in Libau an der Ostsee (später Liepāja in Lettland) lebte. Schur lernte dort die deutsche Sprache, die im Kurland weit verbreitet war, und besuchte das deutschsprachige Nicolai Gymnasium. Er schloss als bester Schüler seines Jahrgangs mit Auszeichnung ab, um dann von 1884 bis 1901 Physik und vor allem Mathematik in Berlin zu studieren. Dort wurde Ferdinand Georg Frobenius, der im Kaiserreich als die wichtigste Persönlichkeit unter den Berliner Mathematikern und zudem als Vordenker auf den Gebieten von Algebra und Gruppentheorie galt, zu seinem einflussreichsten Lehrer und Mentor. Er bewertete Schurs 1901 vorliegende Dissertation, die den Titel Ueber eine Klasse von Matrizen, die sich einer gegebenen Matrix zuordnen lassen trug, mit „summa cum laude“. Als weitere Prüfer fungierten Lazarus Fuchs für das Hauptfach Mathema-

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Für die Durchsicht des Textes danke ich Herrn Prof. Dr. Wolfgang Soergel (Mathematisches Institut der Universität Freiburg) sehr herzlich. Dieser Beitrag stützt sich auf die grundlegende Forschungsliteratur über Schur. Zu nennen sind insbesondere folgende Publikationen: die entsprechenden Einträge in NDB und DBE; Blatt: Schur; Brauer: Gedenkrede; Kaznelson (Hg.): Juden, S.  394 f.; Haubrich: Frobenius; Ledermann: Schur, S.  97 f.; Bergmann/ Epple (Hg.): Mathematiker, S. 148; O’Connor/Robertson: Schur; Pinl/Furtmüller: Mathematicians, S. 178; Vogt: Schur. Zudem wurden folgende Quellen herangezogen: UAHA-B, PA Schur.

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tik, Max Planck für das Nebenfach Physik und Carl Stumpf für das Nebenfach Philosophie. Schur widmete die Arbeit „Meiner lieben Mutter“.2 In den Quellen ist kein Hinweis darauf zu finden, dass für Schur eine andere als die akademische Laufbahn infrage kam. Schon als Student gehörte er dem Mathematischen Verein der Universität Berlin an, er trat nach der Promotion 1901 in die neu gegründete Berliner Mathematische Gesellschaft ein und arbeitete weiterhin bei Frobenius. Bereits 1903 lag seine Habilitationsschrift Über die Darstellung endlicher Gruppen durch gebrochene lineare Substitutionen vor. Drei Jahre später heiratete Schur die Ärztin Regina Frumkin, die aus dem litauischen Kaunas stammte und in Berlin Medizin studiert hatte. Ihr erstes Kind, ein 1907 geborener Sohn, erhielt Frobenius zu Ehren den Vornamen Georg; vier Jahre später kam ihre Tochter Hilde zur Welt. Schurs Jahre als Privatdozent endeten 1913, als er eine außerordentliche Professur erhielt und in der Nachfolge von Felix Hausdorff an die Universität Bonn wechselte. Frobenius versuchte, seinen Schüler nach Berlin zurückzuholen. Nicht zuletzt auf sein Betreiben hin stand Schur nicht weniger als neun Mal auf einer Berufungsliste der Berliner Fakultät und damit häufiger als irgendein anderer Mathematiker zuvor oder danach.3 Schur sei, so Frobenius, „ein Gelehrter von dem umfassendsten und eindringlichsten Wissen und zugleich einer der produktivsten und ideenreichsten Mathematiker“4 – für weniger renommierte Lehrstühle sei er „viel zu gut“.5 Schur sollte, so wünschte es sich Frobenius, „mal mein Nachfolger in Berlin“ werden. Erst 1916 kam Schur tatsächlich zurück nach Berlin, wenn auch nicht als Nachfolger seines Lehrers, sondern als Inhaber einer außerordentlichen Professur. Als Frobenius im August 1917 starb, setzte die Fakultät zwei seiner Schüler, Schur und Constantin Carathéodory, zwar gemeinsam auf den ersten Platz, doch Letzterer erhielt schließlich den Lehrstuhl.6 Erst 1919 stieg Schur zum Ordinarius der Berliner Universität auf. Er war der einzige jüdische Ordinarius im Naturwissenschaftlich-Mathematischen Bereich der Philosophischen Fakultät, die sich zu Beginn der 1930er Jahre aus 21 Ordinariaten und elf Extraordinariaten zusammensetzte.7 Die Berliner Universität entwickelte sich nach Ende des Ersten Weltkriegs zu einem Zentrum mathematischer Forschung, das viele Studenten anzog, auch wenn Göttingen unangefochten das Mekka der Mathematiker und Physiker war und blieb.8 Schur, der zum guten Ruf der Berliner Mathematiker wesentlich bei2 3 4 5

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Schur: Klasse. Sein Vater war zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben. Vgl. Biermann: Mathematik, S. 139. So Frobenius 1914, zit. nach: Biermann: Mathematik, S. 139. Brief Frobenius an Gnehm vom 27.6.1913, zit. nach: Stammbach: Vorlesung, S. ix. Es ging hier um die Besetzung eines Lehrstuhls in Zürich. Das folgende Zitat ebd. Die Briefe, die Frobenius Schur nach Ende des Ersten Weltkriegs schrieb und in denen es meist um persönliche Angelegenheiten ging, unterzeichnete er meist mit „Ihr alter Freund“. Einige Briefe sind abgedruckt in Joseph u. a. (Hg.): Studies, S. lxii–lxvi. Vgl. Vogt: Schur, S. 218. Vgl. Grüttner: Berliner Universität, S. 180. Vgl. Rowe: Mathematics, S. 22 f.; Bergmann/Epple (Hg.): Mathematiker, S. 30.

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trug, gehörte während der Weimarer Republik der akademischen Community als „highly respected member“ an9 und war insgesamt „gut in das Berliner Leben integriert“.10 Zusammen mit anderen Mathematikern gründete er 1918 die Mathematische Zeitschrift, zu deren Schriftleitung er fortan gehörte, und mit den Berliner Kollegen gab er, ebenfalls seit 1918, die Schriften des Mathematischen Seminars und des Instituts für Angewandte Mathematik der Universität Berlin heraus. Als weiteres Indiz für Schurs Integration in das wissenschaftliche Feld sind seine Mitgliedschaften in den wissenschaftlichen Akademien zu werten. Er gehörte der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, der Preußischen Akademie der Wissenschaften sowie den Akademien der Wissenschaften Leipzig, Halle, Göttingen und Leningrad an. Die Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen berief ihn zudem in die 1920/21 erstmals eingerichteten Begutachtungsgremien der Berliner Notgemeinschaft. Unter dem Vorsitz von Felix Klein gehörte Schur zu den fünf Mitgliedern des Fachausschusses 5 (Mathematik, Astronomie, Geodäsie). Im Frühjahr 1921 hatten sich die Fachausschüsse konstituiert. Ihre wichtigste Tätigkeit bestand in der Begutachtung von Anträgen, wobei zunächst nur wenige eingingen. So lagen dem Fachausschuss Physik, Geophysik, Astrophysik bis Mai 1921 nur zwei Anträge vor,11 dem Fachausschuss Mathematik, Astronomie, Geodäsie sogar nur ein einziger Antrag auf Einzelförderung. Die geringe Zahl der eingegangenen Anträge zeige, so schrieb Schur dem Präsidium der Notgemeinschaft in Vertretung des erkrankten Vorsitzenden Klein, dass „das Bestehen der NG [Notgemeinschaft] nur allmählich in weiteren Kreisen bekannt wird“. In der „bestimmten Erwartung, daß in der nächsten Zeit noch weitere Anträge von Einzelforschern eingehen werden“, beantragte der Fachausschuss „für diesen Zweck einen Kredit von M 50.000 zur eigenen Verfügung“. Zwei große Fragezeichen am Rande des Dokuments zeigen, dass die Geschäftsstelle dieser Argumentation nicht folgen wollte.12 Die Datenbank der Forschergruppe DFG-Geschichte weist aus, dass die 1921 vergebenen Mittel in allen Fachausschüssen tatsächlich überwiegend auf Druckkostenzuschüsse und die Beschaffung von Material bzw. Apparaten entfielen und nicht auf Einzelvorhaben. Erst Mitte der 1920er Jahre änderte sich dies. Mit der Umstrukturierung der Fachausschüsse nach den Wahlen 1922 avancierte Ludwig Bieberbach zum Vorsitzenden des Fachausschusses  15 (Mathematik); er hatte dieses Amt bis zur Auflösung der Fachausschüsse inne. Schur wurde 1922 nicht in seinem Amt bestätigt und schied als Fachreferent aus. Gleichwohl blieb er der Notgemeinschaft verbunden. So berichtete die Göttinger Mathematikerin Emmy Noether Schur im Frühjahr 1927 beispielsweise, dass sie „eine Eingabe an die Notgemeinschaft“ gemacht habe und ihm „sehr dankbar [wäre,] wenn Sie sich etwas darum kümmern könnten, dass die Angelegenheit

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Ledermann: Schur, S. 97. Vogt: Schur, S. 219. Vgl. Richter: Forschungsförderung, S. 15. Zusammenstellung „Etat des Fachausschusses V für das Jahr 1921/22“ vom 14.5.1921, BArch, R 73/140, fol. 4.

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sich wirklich schnell erledigt. Wer ist übrigens Physik-Referent? Ich werde danach gefragt.“13 In der Forschung beschäftigte sich Schur vor allem mit der Darstellungstheorie der Gruppen  – eine Theorie, die in den Jahren vor der Jahrhundertwende entstanden war und insbesondere auch von Frobenius vorangetrieben wurde.14 An der raschen Entwicklung zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte Schur großen Anteil, sodass er heute gemeinsam mit Frobenius als einer der wichtigsten Vertreter der Berliner „algebraic tradition“ gilt.15 Um seine fachlichen Leistungen angemessen zu würdigen, sei im Folgenden ein längerer Auszug aus der zusammenfassenden Betrachtung des Mathematikhistorikers Jürgen Blatt zitiert: Schurs „überragende, bis heute nachwirkende mathematische Bedeutung liegt v. a. auf dem Gebiet der Darstellungstheorie von Gruppen, also (im einfachsten Fall) der Erforschung der Eigenschaften einer Gruppe durch ihr Bild bei einer verknüpfungstreuen Abbildung (eines Homomorphismus) in der Gruppe der invertierbaren linearen Abbildungen (der Automorphismen) eines endlichdimensionalen Vektorraums (der nichtsingulären Matrizen) in sich. Anknüpfend an die Arbeiten seines Lehrers Frobenius, gelang S[chur] die vollständige Charakterisierung aller Darstellungen einer endlichen Gruppe. Er prägte in seiner Habilitationsschrift den Begriff des heute nach ihm benannten ‚Schurschen Multiplikators‘ einer Gruppe, mit der er zum Teil den 45 Jahre später von Samuel Eilenberg und Saunders Mac Lane eingeführten Begriff der Kohomologie von Gruppen vorwegnahm. Bei Symmetriegruppen spricht man heute von einem ‚Schur-Ring‘, im Zusammenhang mit zentral-einfachen Algebren vom ‚Schur-Index‘. Durch die Erkennung fundamentaler Zusammenhänge, die Prägung zentraler Begriffe und die Entwicklung verallgemeinerungsfähiger Methoden wurde S[chur] zum Wegbereiter wichtiger Anwendungen wie der Analyse von Symmetrien in Geometrie und Physik (Quantenmechanik, Quantenfeldtheorie), sogar auch von solchen, die mit Strukturen behandelt werden müssen, die allgemeiner sind als der Gruppenbegriff (Hopfalgebren, Tensorkategorien). So bewies S[chur] die als ‚Schursches Lemma‘ bekannte Aussage, wonach in einer absolut irreduziblen Darstellung eine mit allen Bildern einer Gruppe vertauschbare Matrix ein Vielfaches der Einheitsmatrix ist. Weitere Arbeitsgebiete waren Zahlentheorie, algebraische Gleichungen, Funktionentheorie, Integralgleichungen.“16 Insgesamt veröffentlichte Schur fast 90 Arbeiten, seine Gesammelten Abhandlungen gaben seine beiden Schüler Alfred Brauer und Hans Rohrbach 1973 heraus.17

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Brief Noether an Schur vom 14.5.1927, zit. nach: Joseph u. a. (Hg.): Studies, S. lxvi. Soweit bekannt, erhielt er für seine eigenen Forschungsvorhaben keine Förderung von der Notgemeinschaft, vgl. Datenbank DFG-Geschichte. Zur Entwicklung der Darstellungstheorie vgl. Alten u. a. (Hg.): Jahre, S. 537–541. Haubrich: Frobenius, S. 83. Zu Schurs Leistungen vgl. ebd., S. 88 f. Blatt: Schur, S. 760. Zu seinem Lebenswerk vgl. auch Ledermann: Schur, S. 98–103. Vgl. Schur: Abhandlungen. Auch die Vorlesungen über Invariantentheorie wurden später von seinem Schüler Helmut Grunsky publiziert, vgl. Schur: Vorlesungen.

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Schur zeichnete sich jedoch nicht nur durch seine herausragenden Forschungsleistungen aus, sondern auch durch seine Lehrtätigkeit,18 aus der eine regelrechte Schule erwuchs.19 Viele Schüler blieben nach der Promotion in der Wissenschaft und setzten den Forschungsansatz ihres Lehrers fort. Während seiner Berliner Zeit betreute er 22 Promotionen, darunter vier von Frauen.20 Zu ihnen gehörten Dora Prölß und Hildegard Ille, die 1922 bzw. 1924 die ersten Frauen waren, die in Berlin in Mathematik promoviert wurden.21 Zudem war Schur über den engeren Kreis des Seminars hinaus bekannt. So erinnerte sich sein Schüler Walter Ledermann: „Schur’s lectures were exceedingly popular. I remember attending his algebra course which was held in a lecture theatre filled with about 400 students. Sometimes when I had to be content with a seat at the back of the lecture theatre, I used a pair of opera glasses to get at least a glimpse of the speaker.“22 Ähnliches berichtete Brauer: „Als Dozent war Schur hervorragend. Seine Vorlesungen waren äußerst klar, aber nicht immer leicht und erforderten Mitarbeit. […] Es galt damals als selbstverständlich, daß jeder Student, der sich nur irgendwie für Mathematik interessierte, wenigstens eine der Schur’schen Vorlesungen hörte, auch wenn sein Hauptinteresse auf anderen Gebieten lag. […] Im Wintersemester 1930 war die Zahl der Studenten, die Schurs Zahlentheorie belegen wollten, so groß, dass der zweitgrößte Hörsaal der Universität mit etwas über 500 Sitzen zu klein war.“23 Nach 1933 wurde Schur als Jude aus dem nationalen Wissenschaftssystem vertrieben. Antisemitische Ressentiments gab es freilich schon lange zuvor. So ist offensichtlich, dass es ungewöhnlich lange dauerte, bis Schur eine Professur bzw. ein Ordinariat erhielt,24 obwohl er fachlich bestens ausgewiesen war und sich sein Förderer Frobenius mehrfach und mit Nachdruck für ihn einsetzte. Frobenius wusste, welche Motive den Vorbehalten gegen seinen Schüler zugrunde lagen, und sprach dies in seiner Stellungnahme zu einer Bewerbung Schurs nach Zürich auch aus: „Schur ist ein fast übertrieben bescheidener, einfacher feiner Mensch aus sehr guter Familie (Südrussland). Er sowohl wie seine Frau, die Medizin studiert hat, würden sehr gut in die Züricher Verhältnisse passen. […] Als Jude und Russe

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Zu den Vorlesungen, die Schur in Berlin hielt, vgl. Biermann: Mathematik, S. 139; Ledermann: Schur, S. 104 f.; Haubrich: Frobenius, S. 87; Brauer: Gedenkrede, S. XI. Vgl. Ledermann: Schur, S. 103 f. Eine Liste der Namen der Doktorandinnen und Doktoranden ist in Ledermann: Schur, S. 103, abgedruckt. Vgl. Haubrich: Frobenius, S. 87. Hinzu kamen sechs weitere Arbeiten, die er aufgrund seiner Entlassung nicht zu Ende betreuen konnte. Die letzte Doktorandin, die bei Schur abschloss, war Rose Peltesohn, die später nach Palästina emigrierte, vgl. Pinl/Furtmüller: Mathematicians, S. 175. Ledermann: Schur, S. 105. Brauer: Gedenkrede, S.  XI. Zu weiteren Berichten von ehemaligen Schülern über Schurs Vorlesungen in Berlin vgl. Joseph u. a. (Hg.): Studies, S. xxxi–xxxv. Dies betonen auch Biermann: Mathematik, S. 139; Bergmann/Epple (Hg.): Mathematiker, S. 55; Rowe: Mathematics, S. 22 und Vogt: Schur, S. 219.

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hat er leider wenig Aussicht, an einer preussischen Universität anzukommen.“25 Schur verschwieg seine Zugehörigkeit zur israelitischen Religionsgemeinschaft nicht, sodass viele Kollegen und Studenten wussten, dass er Jude war.26 Gegen Ende der Weimarer Republik kam es dann häufiger zu antisemitischen Angriffen, die sich zu diesem Zeitpunkt noch auf verbale Attacken beschränkten. Ein Vorfall ereignete sich im Sommersemester 1931: Ein Mathematikstudent berichtete nach Kriegsende, dass während einer Vorlesung Schurs, der „bekanntlich Jude [war], plötzlich die Türen mit dem Geschrei ‚Juden raus‘ aufgerissen wurden. Als die Schreier weitergestürmt waren, gab es eine ebenso aufgeregte wie ehrliche Sympathiekundgebung der Hörer für Schur, und dieser fuhr aufgewühlt, aber beherrscht, mit seiner Vorlesung fort. Solche Ereignisse steigerten sich.“27 Mit Beginn der NS-Herrschaft wurde Schur, der seit 40 Jahren in Berlin lebte und als einer der bedeutendsten Mathematiker seiner Generation vermeintlich fest in die wissenschaftliche Community eingebunden war, binnen kurzer Zeit aus dem nationalen Wissenschaftssystem ausgeschlossen. Im April 1933 beurlaubte ihn der Preußische Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung nach dem Gesetz zum Berufsbeamtentum zum Ende jenes Monats. Allerdings musste das Ministerium die Beurlaubung kurze Zeit später wieder zurücknehmen, da Schur als „Altbeamter“ unter die Ausnahmeregelungen des Gesetzes fiel.28 Doch die Schikanen bestanden fort. So konnte Schur im Wintersemester 1933/34 zwar wieder lehren, aber er durfte nur bestimmte Vorlesungen halten – vor allem nicht mehr jene, die in den Jahren zuvor so viele Studenten angezogen hatten.29 Gleichwohl hoffte Schur, so berichtete sein Schüler Max Pinl von einem Gespräch im Januar 1935, dass „the good relationship between himself and his student audience would remain invariant under all the transformations to come“.30 Nur am Rande sei auf das Wortspiel aufmerksam gemacht: Invarianten unter Transformationen waren ein wesentlicher Teil von Schurs Forschungsgebiet. Die endgültige Vertreibung von der Berliner Universität erfolgte wenig später. Im Sommer 1935 gab Schur dem Druck nach und reichte ein Gesuch um vorzeitige Entpflichtung ein.31 Gleichwohl handelte es sich im Sinne der Definition von Michael Grüttner und Sven Kinas, die auch diesem Buch zugrunde liegt, um eine Vertreibung. Zu den Entlassenen werden nicht nur diejenigen Lehrenden gerechnet, die aufgrund einer formellen Entlassungsverfügung aus der Hochschule aus25 26 27 28 29 30 31

So eine Aussage von Frobenius aus dem Jahre 1910, zit. nach: Frei/Stammbach: Mathematiker, S. 18. Auf dem Deckblatt seiner Dissertation war angegeben „Issai Schur aus Russland“, Schur: Klasse. So gab Schur auch in seinem der Dissertation angefügten Lebenslauf an, er gehöre der jüdischen Religion an, vgl. Schur, Klasse, S.  76. 1930 war Schur zudem im Adressbuch der Jüdischen Gemeinde Berlin verzeichnet, vgl. Vogt: Schur, Fn. 11, S. 232. Bericht Hans Reichardt, zit. nach: Vogt: Schur, S. 222. Vgl. Stammkarte, UAHA-B, PA Schur, sowie die entsprechenden Dokumente des Ministeriums ebd., fol. 123 f. Vgl. Schappacher: Nazi era, S. 127; Brauer: Gedenkrede, S. VI. Pinl/Furtmüller: Mathematicians, S. 178. Vgl. Brief Schur an den Dekan der Philosophischen Fakultät vom 29.8.1935, UAHA-B, PA Schur, Fakultätsakten, fol. 11.

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scheiden mussten, sondern auch die entlassungsähnlichen Fälle. Dabei handelte es sich um die unter politischen Vorzeichen erfolgten Zwangsemeritierungen und um Fälle, in denen die Hochschullehrer einer sehr wahrscheinlichen oder unausweichlichen späteren Entlassung zuvorkamen. In der Regel geschah dies, wenn der Betroffene selbst oder seine Ehefrau jüdischer/„nichtarischer“ Herkunft war. Schließlich ist das von der Hochschule bzw. vom Kultusministerium erpresste „freiwillige“ Ausscheiden zu nennen – eine Variante, zu der auch Schurs Vertreibung zu rechnen ist. Er wurde mit Ablauf des Monats September 1935 endgültig von den amtlichen Verpflichtungen entbunden und verlor zum Ende jenes Jahres die Lehrbefugnis.32 Nur in finanzieller Hinsicht erwies sich Schurs Vorgehen als vorteilhaft, hätte man ihn doch nur wenig später nach dem Reichsbürgergesetz mit deutlich geringeren Bezügen pensioniert.33 Bereits beim ersten Versuch des NS-Regimes im April 1933, ihn aus dem nationalen Wissenschaftssystem auszuschließen, hatte Schur an berufliche Alternativen außerhalb Deutschlands gedacht – zumindest hatte er diese nicht ausgeschlossen. So berichtete der Prager Mathematiker Karl Löwner, der zuvor in Berlin gearbeitet hatte, im Sommer 1933 einem amerikanischen Kollegen: „Professor Schur I found to be quite depressed. […] In spite of his difficult situation, Schur has been working hard and has completed several of his investigations which will appear in the Berichten of the Berlin academy. He has assured me that he feels energetic and would gladly receive a call from a foreign country. […] Can’t you do something for him in America?“34 Im gleichen Zeitraum beriet die Rockefeller Foundation, wie mit den Hilferufen aus Deutschland umzugehen sei. Hinsichtlich der Unterstützung von entlassenen Mathematikern hieß es, Schur sei fachlich zwar der beste, aber für eine Stelle zu alt.35 Diese Einschätzung teilten andere Mathematiker, die sich in der Flüchtlingshilfe engagierten und nach beruflichen Alternativen für ihre NS-vertriebenen Kollegen suchten. So urteilte der dänisch-amerikanische Mathematiker Hans Frederick Blichfeldt im September 1933 über Schur: „He is perhaps too old to be translated to a country whose language and customs are so different from those of Germany.“36 Auch in England gab es Versuche zu helfen. So wollte sich der ebenfalls vertriebene Walter Ledermann an der schottischen Universität St Andrews, von der er selbst ein Stipendium erhalten hatte, für seinen Lehrer verwenden.37 Schließ32 33 34 35 36

37

Vgl. die entsprechenden Mitteilungen des Ministeriums und der Universität an Schur vom 28.9.1935, 16.12.1935, 23.12.1935 und 22.2.1936, UAHA-B, PA Schur, fol. 125 f., 134 und 142. Vgl. Kinas: Massenentlassungen, S. 385. Brief Karl Löwner aus Prag an Prof. Silvermann vom 2.8.1933, zit. nach: Siegmund-Schultze: Mathematiker, S. 312 f. Vgl. Siegmund-Schultze: Mathematiker, S. 161 f. Brief Blichfeldt an Oswald Veblen vom 4.9.1933, zit. nach: Siegmund-Schultze: Mathematiker, S. 129 f. Zur Emigration von verfolgten Mathematikern (insbesondere in die USA) vgl. neben der Arbeit von Siegmund-Schultze auch die frühe Übersicht (1942) von Dresden: Migration. Vgl. O’Connor/Robertson: Schur.

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lich lag eine Einladung aus den USA vor. Die University of Wisconsin in Madison bot Schur am 29. August 1933 für das Akademische Jahr 1933/34 eine Gastprofessur an.38 Doch Schur lehnte ab. Seine Schüler glaubten aus der Rückschau, dass der Grund für die Ablehnung darin lag, dass „er sich nicht mehr kräftig genug fühlte, in einer anderen Sprache Vorlesungen zu halten“.39 Ausschlaggebend war jedoch, dass das Ministerium Schur gerade in jenem Zeitraum, als die Einladung erging, mitteilte, dass „Maßnahmen irgendwelcher Art aufgrund des Beamtengesetzes bei Ihnen nicht getroffen werden“ und dass seine im April verhängte Beurlaubung zum Oktober 1933 aufgehoben werde.40 Als die Vertreibung zwei Jahre später endgültig feststand, intensivierten sich die Bemühungen um eine berufliche Alternative. In der Schweiz versuchten Schurs Kollegen Heinz Hopf und George Pólya, eine Einladung an die Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) Zürich zu erreichen.41 Mit Pólya, der dort eine Professur innehatte, war Schur seit längerer Zeit befreundet. Zudem hatten sie sich zu Beginn der 1930er Jahre häufiger getroffen, da Schur gelegentlich in die Schweiz reiste, um seine Tochter Hilde zu besuchen, die 1932 einen in Bern lebenden Arzt geheiratet hatte. Mitte Dezember 1935 lud das Mathematische Seminar der ETH Schur schließlich zu Gastvorlesungen ein. Er verbrachte dort 1936 fast den gesamten Monat Februar und hielt Vorlesungen über sein Spezialgebiet, die Darstellungstheorie. Die Vorträge wurden im selben Jahr von Eduard Stiefel, einem Assistenten des Züricher Mathematischen Seminars, publiziert.42 Vor seiner Rückkehr nach Berlin besuchte Schur seine in Bern lebende Tochter und seine Schwester, die in Karlsruhe wohnte. Pólya schrieb er aus Bern, er nehme von der Schweiz „schweren Herzens Abschied“.43 Nach Deutschland zurückgekehrt, sah sich Schur mit weiteren Demütigungen konfrontiert, die auf den gänzlichen Ausschluss aus dem deutschen Wissenschaftssystem zielten und zum Teil von den unmittelbaren Kollegen ausgingen. Eine Verleumdung kam von Ludwig Bieberbach, der in der Weimarer Republik mit Schur zusammengearbeitet und publiziert hatte, sich nach 1933 jedoch als Begründer einer „Deutschen Mathematik“, NS-Aktivist und Antisemit hervortat. Sven Kinas, der die nationalsozialistischen Massenentlassungen an der Berliner Universität untersucht hat, bezeichnet ihn als eine Art „Großinquisitor

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Vgl. Telegramm der University of Wisconsin vom 29.8.1933, abgedruckt in: Joseph u. a. (Hg.): Studies, S. lxx. Brauer: Gedenkrede, S. VI; vgl. ähnlich auch: Ledermann: Schur, S. 98. Brief des Preußischen Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung an Schur vom 11.9.1933, abgedruckt in: Joseph u. a. (Hg.): Studies, S. lxx f. Vgl. zudem Brief Schur an das Ministerium vom 15.9.1933 sowie Brief Schur an die University of Wisconsin vom 15.9.1933, abgedruckt in: ebd., S. lxxi f. Zum Folgenden vgl. Stammbach: Vorlesung, S. xiii–xv; Frei/Stammbach: Mathematicians, S. 86–89. Diese wurde 2004 neu herausgegeben, vgl. Stammbach: Vorlesung, S. 1–66. Zu Stiefel vgl. ebd., S. xvi–xix. Brief Schur an Pólya vom 26.2.1936, zit. nach: Stammbach: Vorlesung, S. xiii. Pólya ging 1940 in die USA, vgl. Dresden: Migration, S. 426.

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der Universität“.44 So machte Bieberbach als Dekan der neu gebildeten Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät im Februar 1936 auch beim Reichserziehungsministerium auf Schurs Züricher Aufenthalt aufmerksam: „Da mir von einer Genehmigung dieser Gastvorlesungen nichts bekannt geworden ist, bitte ich um Feststellung, ob diese Genehmigung etwa auf einem anderen Wege nachgesucht und erteilt worden ist.“ Tatsächlich lagen jedoch sowohl Schurs Antrag als auch die Genehmigung des Ministeriums vor.45 Auch in der Preußischen Akademie der Wissenschaften löste Bieberbach Schurs Ausschluss aus. Schur hatte als Mitglied der Physikalisch-Mathematischen Klasse regelmäßig vorgetragen, auch nach 1933 noch, so etwa am 21. März 1935, am 7. Mai 1936 und am 11. März 1937.46 Am 29. März 1938 notierte Bieberbach in einem Zirkular der Akademie: „Ich wundere mich, dass Juden noch den akademischen Kommissionen angehören.“47 Der Greifswalder Mathematiker und NS-Aktivist Theodor Vahlen, der zusammen mit Bieberbach die Zeitschrift Deutsche Mathematik herausgab,48 schrieb zwei Tage später: „Ich beantrage Änderung.“ Der letzte Eintrag des Zirkulars stammte von Planck, der am 3. April festhielt: „Ich werde die Angelegenheit erledigen.“ Dies führte zu Schurs Ausschluss, der formal dadurch erfolgte, dass er selbst seinen Austritt erklärte. Die Deutsche Mathematiker-Vereinigung (DMV) gestaltete den Ausschluss ihrer jüdischen/„nichtarischen“ bzw. politisch missliebigen Mitglieder noch zielgerichteter. Im Unterschied etwa zur Deutschen Physikalischen Gesellschaft, die ihre Mitglieder aufforderte, selbst zu entscheiden, ob ihr Austritt erforderlich sei oder nicht, versuchte der DMV-Vorstand, die betreffenden Personen zu identifizieren, und erstellte entsprechende Listen. Dann legte man den Betroffenen nahe auszutreten, sonst müsse das Erlöschen der Mitgliedschaft bekannt gegeben werden.49 Schur kam der Weisung nach und beendete 1938 seine Mitgliedschaft in der Institution, der er seit 1901 angehört hatte.50 Damit war Schur Ende des Jahres 1938 nicht nur von der Hochschule vertrieben, sondern auch aus den fachlichen Zirkeln und Netzwerken der Mathematiker ausgeschlossen – nicht zuletzt auch aus der Schriftleitung der von ihm mitbegründeten und jahrelang als Mitherausgeber betreuten Mathematischen Zeitschrift.

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Kinas: Massenentlassungen, S.  382. Zu seinem dortigen Vorgehen vgl. ausführlich ebd., S. 381–386. Brief Bieberbach an REM vom 20.2.1936, UAHU-B, PA Schur, Fakultätsakten, fol. 12, sowie Mitteilung REM an Bieberbach vom 25.3.1936, ebd., fol.  3. Zu Bieberbachs Handeln in jenem Zeitraum vgl. auch Schappacher: Nazi era, S. 129–134. Vgl. Vogt: Schur, S. 225. Ein Faksimile des Zirkulars befindet sich in: Siegmund-Schultze: Mathematiker, S. 70. Die folgenden Zitate, soweit nicht anders angegeben, ebd.; vgl. zudem auch Siegmund-Schultze: Landau, S. 169. Zu Vahlen vgl. Grüttner: Lexikon, S. 176 f.; Schappacher: Nazi era, S. 132. Die Zeitschrift Deutsche Mathematik erschien von 1936 bis 1943. Vgl. Bergmann/Epple (Hg.): Mathematiker, S. 208. Vgl. Bergmann/Epple (Hg.): Tradition, S. 35.

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Abschließend soll Schurs Reaktion auf die Exklusion betrachtet werden. Offensichtlich ist zunächst, dass er versuchte, denjenigen seiner Schüler zu helfen, die von den Maßnahmen des NS-Regimes ebenfalls betroffen waren. Für Menahem Max Schiffer etwa, dessen Dissertation Schur aufgrund seiner eigenen Entlassung nicht weiter betreuen konnte, arrangierte er ein Treffen mit einer Vertreterin des English-Jewish Emergency Council, die Schiffer ein Stipendium an der Hebrew University in Jerusalem anbieten konnte.51 Für Robert Remak schrieb er im Sommer 1936 ein Gutachten, in dem er diesen „ohne Zweifel [einen] führenden Gelehrten auf dem schönen und wichtigen Gebiet der Geometrie der Zahlen“ nannte.52 Dem Sohn seines Freundes Hans Jacob Reissner, Eric Reissner, der an der TH Berlin Bauingenieurwesen studierte, vermittelte er in demselben Zeitraum ein Stipendium an der Mathematik-Abteilung des Massachusetts Institute of Technology.53 Während Schiffer und Reissner emigrierten und ihre wissenschaftliche Karriere fortsetzen konnten, überlebte Remak die Shoah nicht.54 Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass Schur sich weiterhin öffentlich zu seinem Judentum bekannte. Zum Tod seines langjährigen Freundes und Kollegen Edmund Landau im Februar 1938, der ebenfalls aus rassistischen Gründen seinen Lehrstuhl verloren hatte, schrieb Schur einen Nachruf für die Jüdische Rundschau55 und hielt zudem die Grabrede bei der Beisetzung auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee.56 Wie er selbst mit den erlittenen Demütigungen umging, lässt sich nur erahnen, da keine persönlichen Schriftstücke überliefert sind, die unmittelbar darüber Auskunft geben könnten. Allerdings liegt ein Bericht über Schurs letzte Lebensphase von seinem langjährigen Schüler Alfred Brauer vor. Brauer, der nach 1933 ebenfalls als Jude verfolgt wurde, hatte bei Schur studiert, promoviert und habilitiert. Bernhard Neumann, ebenfalls Schurs Schüler, bezeichnete ihn als „Schur’s long-time assistent, very closely linked“57 und Schur selbst schrieb in einem Empfehlungsschreiben am 28. März 1938: „Herr Dr. Alfred Brauer steht mir seit bald 20 Jahren außerordentlich nahe. Ich halte ihn für einen der wertvollsten Menschen, mit denen mich das Leben zusammengeführt hat, und schätze ihn in gleicher Weise als treuen Freund und Mitarbeiter, als ausgezeichneten Lehrer und Forscher.“58 51 52 53 54 55 56 57 58

Vgl. Siegmund-Schultze: Mathematiker, S. 110. Das Treffen fand in Schurs Wohnung statt. Gutachten Schur vom 10.7.1936, zit. nach: Siegmund-Schultze: Mathematiker, S. 121 f. Schur hatte Eberhard Hopf darum gebeten, der ab 1931 als Assistenzprofessor an der Mathematischen Fakultät des Massachusetts Institute of Technology arbeitete. Vgl. Bericht Eric Reissner, abgedruckt in: Siegmund-Schultze: Mathematiker, S. 94. Zu Remaks Ermordung vgl. Schappacher: Nazi era, S. 127 f. Nachruf vom 1.3.1938, Faksimile in: Siegmund-Schultze: Landau, S. 165. Vgl. Brauer: Gedenkrede, S.  VII. Zudem versuchte er (vergeblich), Landaus Bibliothek an die mit Landau verbundene Universität in Jerusalem zu vermitteln. Vgl. Siegmund-Schultze: Landau, S. 171 f.; zu Landau vgl. Schappacher: Nazi era, S. 128–131. Bericht Bernhard Neumann, 2002, zit. nach: Joseph u. a. (Hg.): Studies, S. xxxii. Zu Alfred (und seinem Bruder Richard) Brauer vgl. Pinl/Furtmüller: Mathematicians, S. 158. Empfehlungsschreiben Schur für Brauer vom 28.3.1938, abgedruckt in: Joseph u. a. (Hg.): Studies, S. lxxv f., hier S. lxxv.

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Brauer erinnerte sich nach Kriegsende, dass Schur bereits von der ersten Beurlaubung im April 1933 tief getroffen war: „Äußerlich war Schur völlig ruhig und gefaßt, aber innerlich wurde seine Arbeitskraft durch dieses Ereignis aufs stärkste vermindert.“59 Der Ausschluss von der Hochschule bedeutete für beide, dass das wissenschaftliche Arbeiten nicht oder nur noch eingeschränkt möglich war. Brauer berichtete, dass sie sich zunächst noch mit der Hilfe von Hans Rohrbach, der 1932 von Schur promoviert worden war und nach 1933 weiterhin als Assistent an der Berliner Universität arbeitete, Bücher aus der Seminarbibliothek beschaffen konnten. Als Rohrbach 1936 nach Göttingen wechselte, „waren wir von der mathematischen Welt mehr und mehr abgeschlossen“.60 Häufig besuchte Brauer Schur in jenen Jahren zu Hause: „Die ständigen neuen Bestimmungen, die das Leben aller deutschen Juden mehr und mehr erschweren sollten, führten bei Schur zu schweren Depressionen. Er befolgte alle diese Gesetze aufs Genaueste. Aber trotzdem geschah es einige Male, dass er, als er mir auf mein Klingeln die Wohnungstür öffnete, erleichtert ausrief: ‚Ach, Sie sind es und nicht die Gestapo.‘ Häufig war es unmöglich, mit ihm über Mathematik zu sprechen.“61 Im Sommer 1938 traf eine Gestapo-Vorladung ein, die Schur jedoch zunächst nicht zu Gesicht bekam, da seine Frau fürchtete, er werde sich, wie er mehrfach angekündigt hatte, in einem solchen Falle das Leben nehmen. Um ihn zu schützen, ließ seine Frau den Suizidgefährdeten in ein Sanatorium bringen, überbrachte der Gestapo ein ärztliches Attest und versuchte verzweifelt  – aber letztendlich erfolgreich –, die benötigten finanziellen Mittel für die Emigration zusammenzubekommen. Unmittelbar nach dem Novemberpogrom, am 15. November, ließ Schur, der weiterhin – wie ein ärztliches Attest belegt – an „sehr schwere[n] Depressionszustände[n], die das Schlimmste befürchten“ ließen, und den Folgen einer akuten Lungenblutung litt,62 über seine Rechtsanwälte die Verlegung seines Wohnsitzes in die Schweiz und nach Palästina beantragen. Ende Februar 1939 genehmigte das Reichserziehungsministerium dies unter der Voraussetzung, dass der Mathematiker „in der Schweiz eine wissenschaftliche Lehrtätigkeit nicht ausüben“ werde.63 Anfang des Jahres 1939 verließen Schur und seine Frau Deutschland. Sie reisten zunächst in die Schweiz, um ihre Tochter und die Enkel zu besuchen, und erreichten im Mai Palästina.64 Sie wurden von den früheren Schülern und Kollegen empfangen, die ebenfalls dorthin geflohen waren, und bezogen eine Wohnung in Tel Aviv. Schur war noch immer schwer krank, hatte keine Kraft mehr zum Forschen und war zu einem fachlichen Gespräch kaum mehr in der 59 60 61 62 63 64

Brauer: Gedenkrede, S. V. Brauer: Gedenkrede, S. VII. Brauer: Gedenkrede, S. VII. Zum Folgenden vgl. ebd., S. VII f. Ärztliche Bescheinigung für Schur vom 23.9.1938. Eine Abschrift befindet sich in UAHU-B, PA Schur, fol. 48. So die Mitteilung des Reichserziehungsministeriums an Schur vom 28.2.1939, UAHU-B, PA Schur, fol. 54. Zur Situation der nach Palästina emigrierten Mathematiker vgl. Siegmund-Schultze: Mathematiker, S. 109–111.

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Lage. Er erschien seinen Schülern als „broken in mind and body“.65 Schiffer kam von Jerusalem nach Tel Aviv, um den früheren Lehrer zu besuchen: „I was really shocked at our first meeting. He was in a terrible state of depression, fear and despair. He told me of his experiences during the last few years. Many colleagues and former friends had cut off all contact with him. […] The height of despair came by the end of 1938 with the infamous pogrom“.66 Offenbar beschäftigte sich Schur aber weiterhin mit seinem Fach, zumindest konnte er sich nicht von seinen Büchern trennen: „Als er später von Israel aus seine Bibliothek notgedrungen zum Verkauf anbieten mußte, und das Institute for Advanced Studies in Princeton sich für das Jahrbuch interessierte, sandte Schur noch wenige Wochen vor seinem Tode ein Telegramm, daß das Jahrbuch nicht verkauft werden sollte. Erst nach Schurs Tod erwarb das Institut sein Exemplar.“67 Brauer, der inzwischen in den USA lebte und forschte, gelang es schließlich, seinen Lehrer noch einmal für einen Vortrag zu gewinnen.68 Während der Vorlesung im Mathematischen Seminar der Universität in Jerusalem erlitt Schur einen Schwächeanfall. Kurze Zeit später starb er in Tel Aviv an seinem 66. Geburtstag, am 10. Januar 1941, an einem Herzschlag.69

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O’Connor/Robertson: Schur. Vgl. auch Brauer: Gedenkrede, S.  VIII; Ledermann: Schur, S. 98. Vortrag Schiffer in Tel Aviv, Mai 1986, zit. nach: Vogt: Schur, S. 231. Brauer: Gedenkrede, S. XIII. Zum Verbleib von Schurs anderen Büchern, die er mit nach Tel Aviv nehmen konnte, vgl. Joseph u. a. (Hg.): Studies, S. xliii f. Eine erste Einladung zum Gastvortrag an die Hebrew University war bereits 1939 ergangen, vgl. Brief Rektor Fraenkel an Schur vom 5.11.1939, abgedruckt in: Joseph u. a. (Hg.): Studies, S. lxxxiv f.; vgl. auch Brief Brauer an Schur, o. D. [1939], abgedruckt in: ebd., S. lxxxvi f. Regina Schur lebte bis zu ihrem Tode 1965 bei ihrem Sohn, der im Krieg in der britischen Armee gedient hatte und nach Kriegsende als Versicherungsmathematiker die Nationalversicherung Israels verantwortete. Vgl. Schur: Vorlesungen, Vorwort, S. VII. Zu Georg Schur vgl. Siegmund-Schultze: Mathematiker, Fn. 44, S. 19.

FACHAUSSCHUSS BAUINGENIEURWESEN Heinrich Spangenberg (1879–1936)

Heinrich

Spangenberg

Heinrich Spangenberg wurde am 5. Januar 1879 als Sohn von Katharine Sophie und Julius Otto Spangenberg, der bei den Sächsischen Staatseisenbahnen als Baurat beschäftigen war, in Pirna an der Elbe geboren und evangelisch getauft.1 Er hatte eine Schwester und einen 13 Jahre jüngeren Bruder. 1888 zog die Familie nach Dresden um, wo Heinrich Spangenberg das Realgymnasium besuchte. Obwohl sein Vater 1896 starb, konnte er die Schule beenden und studieren. Er schloss das Studium des Bauingenieurwesens an der TH Dresden im Jahre 1902 mit Diplom ab und trat dann als Regierungsbauführer in den Verwaltungsdienst der Sächsischen Staatsbahnen ein. 1906 wechselte Spangenberg zu dem führenden Betonbauunternehmen Dykerhoff & Widmann, bei dem er bis 1920 bleiben sollte. Er leitete zunächst als Technischer Direktor den Karlsruher Standort des Unternehmens, nach 1914 die Niederlassungen in Dresden, Berlin und Leipzig. Bei der Umwandlung der Firma in eine Aktiengesellschaft 1907 wurde Spangenberg in den Vorstand berufen. Unter seiner Leitung entstanden zahlreiche Industrieanlagen und Brücken (beispielsweise eine vier Gleise umfassende Eisenbahnbrücke über den Neckar bei Bad Cannstatt) sowie repräsentative Hochbauten wie etwa die Garnisonskirche in Ulm oder die Empfangshalle des Karlsruher Hauptbahnhofs. Spangenberg veröffentlichte zudem zahlreiche Artikel über die Konstruktion seiner Bauten und meldete auch einige Patente an. Im Jahre 1913 heiratete er Elisabeth West, die Tochter des Senatspräsidenten beim Oberlandes1

Bei dem folgenden Text handelt es sich um ein leicht gekürztes Kapitel aus meinem Buch: NS-Vertreibung, S. 118–132.

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Fachausschuss Bauingenieurwesen

gericht in Karlsruhe; 1914 bzw. 1916 kamen die beiden Söhne Eberhard und Berthold zur Welt. Zum Sommersemester 1920 folgte Spangenberg einem Ruf der TH München als ordentlicher Professor für Eisenbeton- und Massivbrückenbau und Leiter des Bautechnischen Laboratoriums in der Nachfolge von Karl Hager. Die Familie siedelte von Dresden in den Münchner Stadtteil Bogenhausen um und befreundete sich hier mit dem in München lehrenden Nobelpreisträger Richard Willstätter. Dieser spielte für die Berliner Notgemeinschaft eine wichtige Rolle, und er zog nach seinem Rückzug von der Universität 1925 zudem in die unmittelbare Nachbarschaft der Spangenbergs. Bei der Gründung der Notgemeinschaft berief man Spangenberg als Vorsitzenden in den Fachausschuss Bauingenieurwesen, und die wissenschaftliche Gemeinschaft bestätigte ihn in dieser Funktion in allen nachfolgenden Wahlen zu den Fachausschüssen.2 Außerdem engagierte er sich im Deutschen Ausschuss für Eisenbeton, wo er entscheidend an der Neufassung der DIN 1075 mitarbeitete, der Berechnungsgrundlage für massive Brücken. Er war Mitglied des Ständigen Ausschusses der Internationalen Vereinigung für Brückenbau und Hochbau und der Preußischen Akademie für Bauwesen sowie im Vorstand des Deutschen Verbands für die Materialprüfung der Technik. An der TH München entwickelte Spangenberg neuartige Bemessungsverfahren (etwa für rechteckige Stahlbetonquerschnitte bei exzentrischem Kraftangriff), widmete sich jedoch vor allem Entwürfen und Berechnungen für praktische Bauvorhaben.3 Zu nennen sind etwa das Walchenseekraftwerk oder die Flusskraftwerke an der Mittleren Isar. Besonders bekannt wurden Spangenbergs Brückenbauten, unter anderem die Lechtalbrücke bei Augsburg, die Donaubrücke in Ulm und insbesondere die 1929 fertiggestellte Hochbrücke über die Ammer bei Echelsbach.4 Diese galt bis in die 1960er Jahre hinein als eine der am weitesten gespannten Stahlbeton-Bogenbrücken Deutschlands.5 Spangenberg wirkte beim Bau als technischer Berater und ließ ein Verfahren anwenden, das er selbst einige Jahre zuvor entwickelt hatte und das die bis dahin verwendete Bauart, die auf den böhmischen Ingenieur und Wiener Professor Joseph Melan zurückging, perfektionierte.6 Melan hatte als Erster eine Stahlbeton-Bauweise beschrieben, bei der das über tiefe Schluchten besonders komplizierte und teure Traggerüst durch einen Stahlgerüst-Bogen ersetzt wurde, den man anschließend mit Beton ummantelte. Spangenberg erweiterte die Anwendung dieser Bauweise auf große

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Vgl. z. B. Vermerk über die Neuwahl der Fachausschüsse, o. D. [Frühsommer 1933], BAL, R  73/136, fol.  38–47; Brief Spangenberg an die Notgemeinschaft vom 24.6.1933, BAL, R 73/132, fol. 9; Brief Mörsch an Spangenberg vom 22.3.1930, DMMA, NL 129/001. Zudem erhielt Spangenberg 1922/23 auf seinen Antrag hin nicht unerhebliche Fördermittel von der Notgemeinschaft, vgl. R 1501/116307/4 sowie Datenbank DFG-Geschichte. Eine Liste der Veröffentlichungen sowie der Entwürfe und der ausgeführten Bauten von 1879 bis 1936 befinden sich in DMMA, NL 129/001. Ein Album, das Aufnahmen von Bau und Fertigstellung zeigt, befindet sich in DMMA, NL 129/003. Vgl. Deutscher Ausschuß für Stahlbeton (Hg.): Jahre, S. 56. Vgl., auch zum Folgenden, ausführlich Stegmann: Spangenberg, S. 625.

Heinrich Spangenberg

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Bogentragwerke. Er ließ zunächst den Stahlgerüstbogen mit Kies belasten und diesen Ballast dann Schritt für Schritt durch eine gleichschwere Betonummantelung ersetzen. Dadurch wurde verhindert, dass sich das Bogengerüst während des Betoniervorgangs ungleichmäßig verformte. Diese Vorgehensweise erwies sich als sehr erfolgreich und wurde nach den Konstrukteuren „Melan-SpangenbergVerfahren“ genannt und bis in die 1980er Jahre angewandt.7 Spangenberg erhielt ein Jahr nach Fertigstellung der Ammerbrücke und „in Anerkennung seiner hervorragenden Verdienste um die Konstruktion und Ausführung weitgespannter Massivbrücken“ die Ehrendoktorwürde der TH Darmstadt.8 Im gleichen Zeitraum lud man ihn zu einer Vortragsreise an die lettische Universität Riga sowie zu Gastvorlesungen über die neuesten technisch-wissenschaftlichen Entwicklungen des Konstruktiven Ingenieurbaus an die TH Moskau ein. Im Sommer 1932 erging zudem ein Ruf an die TH Berlin-Charlottenburg, den Spangenberg aber nicht annahm, da die TH München, die ihn halten wollte, seine Forderungen nach einer besseren Ausstattung des Lehrstuhls mit Räumen und Hilfskräften erfüllte.9 Drei Jahre später endete Spangenbergs berufliche Laufbahn. Für Spangenbergs Vertreibung von der TH München war ein ganzes Bündel von Faktoren ausschlaggebend. Zum einen wurde er aus politischen Gründen denunziert. Der Anlass war eine ihm zugeschriebene Äußerung am Rande der erwähnten Fachtagung der Internationalen Vereinigung für Brückenbau und Hochbau im April 1934 in Italien. Der Dortmunder Fabrikant Moritz Klönne, der ebenfalls der deutschen Delegation angehörte, beteuerte, Spangenberg habe bei einem abendlichen Gespräch in geselliger Runde die Bewaffnung der SS als „Aufrüstung“ bezeichnet und prophezeit, dass Frankreich sich dies nicht mehr lange werde gefallen lassen.10 Spangenberg versuchte, die Situation zu deeskalieren. Er legte dar, dass es sich um ein Missverständnis handle, kam Klönnes Forderung, er müsse aus der Vereinigung austreten, nach11 und besprach sich vertraulich mit dem Rektor der TH München Anton Schwaiger. Dieser wollte die Angelegenheit zunächst tatsächlich intern behandeln, ohne das Kultusministerium zu informieren,12 forderte Spangenberg dann jedoch auf, einen Bericht für die

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So ein Zeitungsbericht aus dem Jahre 1984, als die Brücke renoviert wurde, DMMA, NL 129/003 Brief Kayser an Spangenberg vom 11.3.1930, DMMA, NL 129/001. Vgl. Briefe Spangenberg an den Rektor der TH München vom 18.8.1932 und vom 10.12.1932, HATUM, PA Spangenberg. Die Vereinbarung über die neue Ausstattung vom 28.10.1932 befindet sich in DMMA, NL 129/001. Einige Jahre zuvor hatte Spangenberg aus ähnlichen Gründen ein Angebot aus der Industrie abgelehnt. Vgl. den Briefwechsel von Spangenberg mit dem Direktor der Rheinischen Elektrizitäts-A. G. aus dem Jahre 1923/24, DMMA, NL 129/001. Brief Klönne an Spangenberg vom 19.4.1934, DMMA, NL 129/001. Vgl. Heiber: Universität, Teil 1, S. 304. Vgl. Brief Klönne an Spangenberg vom 3.5.1934 und Briefe Spangenberg an Klönne vom 6.5.1934 und vom 8.5.1934, DMMA, NL 129/001. Vgl. Brief Schwaiger an Spangenberg vom 2.7.1934, DMMA, NL 129/001.

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Bayerische Politische Polizei anzufertigen,13 da ein anderes Delegationsmitglied (möglicherweise auch Klönne selbst) dort Anzeige erstattet hatte.14 Im Zuge der Ermittlungen wurden Klönne, Spangenberg und weitere Delegationsmitglieder befragt, ohne dass der Sachverhalt hätte geklärt werden können.15 Gleichwohl leitete das bayerische Kultusministerium im Juni 1935 in dieser Sache ein Disziplinarverfahren gegen Spangenberg ein, und der zuständige Staatsrat im bayerischen Kultusministerium, Ernst Boepple, der sich 1923 an Hitlers Putschversuch beteiligt hatte und später Staatssekretär im Generalgouvernement wurde, beurlaubte ihn vom Dienst.16 Im gleichen Zeitraum wurde Spangenberg zudem Opfer einer Intrige. Der selbstständige Münchner Chemiker Dr. Wilhelm Sieber, der für Spangenberg bzw. das Bautechnische Laboratorium in den 1920er und frühen 1930er Jahren zahlreiche Aufträge ausgeführt hatte, wandte sich im November 1934 an Boepple und schlug vor, die Leitung des Bautechnischen Laboratoriums ihm zu übertragen. An der Spitze des Labors müsse, so behauptete Sieber, erstens ein promovierter Chemiker stehen, der zweitens „wirklich nationalsozialistisch gesinnt[…]“ sei und der drittens auch redlich von den Einkünften leben wolle.17 All dies treffe, so suggerierte Sieber, auf Spangenberg nicht zu. Dieser hatte in der Tat weder eine chemische Ausbildung absolviert, noch war er promoviert, politisch galt er als nicht zuverlässig  – Boepple bereitete ja genau zu diesem Zeitpunkt das Disziplinarverfahren wegen „antideutscher“ Äußerungen gegen Spangenberg vor. Haltlos war jedoch die Unterstellung, dass Spangenberg Nebeneinkünfte als Gutachter bei Brückenbauten bezog. Auch in diesem Fall versuchte Spangenberg, durch zahlreiche Briefe, Berichte und Gespräche die Anschuldigungen zu entkräften und die Situation zu klären. Sachlich entbehrten, so legte er dar, Siebers Anwürfe jeder Grundlage: Das Bautechnische Laboratorium müsse selbstredend von einem Bauingenieur und Hochschullehrer geführt werden, und allein Siebers bedrängte finanzielle Lage könne dessen „unglaubliches Vorgehen“ erklären.18 In der Auseinandersetzung wurde zudem offenbar, dass Sieber nicht allein gehandelt hatte. Spangenberg ging letztendlich von einem universitätsinternen Komplott aus, in dessen Mittelpunkt er den Gebietsleiter der bayerischen Dozentenschaft und Privatdozenten für Wasserbau, Otto Streck, vermutete.19 Weder diese Annahme noch der Vorfall insgesamt wurden aufgeklärt. 13 14 15 16 17 18 19

Vgl. Brief Schwaiger an Spangenberg vom 5.6.1934, DMMA, NL 129/001. Vgl. den Bericht vom 28.6.1934, ebd. Vgl. Brief Schwaiger an Spangenberg vom 2.7.1934, DMMA, NL 129/001. Vgl. z. B. den zusammenfassenden Bericht Spangenbergs für Schwaiger vom 29.6.1934, DMMA, NL 129/001. Vgl. Brief Regierung von Oberbayern an Spangenberg vom 12.6.1935, DMMA, NL 129/001; Pabst: Universität, S. 253. Brief Sieber an Boepple vom 6.11.1934, SAM, Spruchkammerakten, K 1327 Lutz Pistor. Brief Spangenberg an den Dekan der Fakultät für Bauwesen vom 22.12.1934, SAM, Spruchkammerakten, K 1327 Lutz Pistor. Vgl. den Briefwechsel Spangenberg und Sieber vom Februar und März 1935, DMMA, NL 129/001. Zu Streck vgl. Pabst: Universität, S. 262 f.

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Darüber hinaus schien Spangenberg den ehrgeizigen Plänen des jungen NSKarrieristen Lutz Pistor im Wege gestanden zu haben. Pistor, Jahrgang 1898, hatte bei Spangenberg Bauingenieurwesen studiert und war nach dem Studienabschluss als leitender Konstrukteur in der Bau- bzw. Zementindustrie tätig, zuletzt als Leiter der Technischen Abteilung der Portland Zement-Werke Heidelberg. Zum 1. Januar 1935 berief die TH München Pistor auf den Lehrstuhl für Statik der Hochbaukonstruktionen. Dieses Datum markierte den Beginn einer steilen Karriere innerhalb der Hochschule: Bereits 1938 übernahm der 40-Jährige das Amt des Rektors der TH München, das er bis Kriegsende innehatte.20 Es kann nur spekuliert werden, ob Pistor bereits 1935 plante, an die Spitze der Hochschule zu gelangen. Er wird jedoch als „besonders ehrgeiziger und in seinem Karrierestreben rücksichtsloser“ junger Professor beschrieben,21 der nach seinem Wechsel nach München gezielt Beziehungen zu den wichtigsten lokalen NS-Funktionären, insbesondere zu den Gauleitern Adolf Wagner und Paul Giesler, aufbaute, ohne dass er sich vor 1933 politisch hervorgetan hätte. Auch sein Parteieintritt am 1. Mai 1933 weist darauf hin, dass er opportunistisch und karriereorientiert handelte. Martin Pabst deutet in seiner Studie über die TH München im Nationalsozialismus Pistors Aufstieg zum Rektor als Folge der guten Kontakte, die dieser zum jeweiligen Münchner Gauleiter und zu den entscheidenden Personen im bayerischen Kultusministerium unterhielt. Möglicherweise waren diese auch ausschlaggebend dafür, dass Pistor 1936 auf Spangenbergs renommierten und gut ausgestatteten Lehrstuhl wechselte. Heinrich Spangenbergs Sohn Berthold ging jedenfalls nach dem Krieg davon aus, dass Pistor seinem Vater den Lehrstuhl und die Leitung des Bautechnischen Laboratoriums „abjagen“ wollte und zu diesem Zweck Klönne, Streck und Boepple eingespannt hatte.22 Inwieweit dies zutraf, ist aufgrund der überlieferten Dokumente nicht nachzuweisen. Diese belegen jedoch, dass Pistor einen Teil von Spangenbergs Lehrveranstaltungen übernahm, als dieser sich im Frühjahr 1935 krank meldete.23 Des Weiteren lässt sich daraus rekonstruieren, dass Boepple Spangenberg im Herbst 1935 aufforderte, das Vertretungsangebot Pistors anzunehmen und seine Vorlesungen nicht wiederaufzunehmen,24 und schließlich, dass Pistor nach der kurz darauf erfolgten Verlängerung von Spangenbergs Beurlaubung die Vertretung des Lehrstuhls vollständig übernahm und im Frühjahr 1936 die Nachfolge seines ehemaligen Lehrers antrat.25 Zwei Jahre später wurde der 40-Jährige zum Rektor der TH München ernannt. Während Anton Schwaiger (1933–1935) als politisch gemäßigter 20 21 22 23 24 25

Pistor wurde 1948 im Spruchkammerverfahren als Mitläufer eingestuft; Protokoll der öffentlichen Sitzung am 11.10.1948, SAM, Spruchkammerakten, K 1327 Lutz Pistor. Pabst: Universität, S. 260. Zum Folgenden vgl. ebd., S. 260–262. Brief Berthold Spangenberg an die Studentenvertretung der TU München vom 9.5.1985, DMMA, NL 129/002. Vgl. ähnlich auch die Aussage des ehemaligen Betriebsrats der TH München vom 25.5.1948, SAM, Spruchkammerakten, K 1327 Lutz Pistor. Vgl. Brief Spangenberg an den Rektor der TH München vom 18.11.1935, HATUM, PA Spangenberg. Der entsprechende Brief von Boepple an das REM vom 6.11.1935 wird von Pabst: Universität, S. 254, zitiert. Vgl. Pabst: Universität, S. 254.

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Rektor galt, charakterisiert Pabst dessen Nachfolger Wolfgang Schmidt (1935– 193826) und eben Pistor (1938–1945) als „Führerrektoren“ – Rektoren also, die aus politischen Gründen eingesetzt wurden, häufig aus dem Kreis der gerade erst berufenen und vergleichsweise jungen Professoren stammten, dem NS-Regime nahestanden und eine nationalsozialistische Ausrichtung der Hochschule garantieren sollten. Pistor zeigte sich jedenfalls bestrebt, die TH München „in eine nationalsozialistische Musterhochschule zu verwandeln“.27 Ein weiterer Faktor, der zu Spangenbergs Vertreibung von der Hochschule beitrug, bestand darin, dass er aus der Sicht und in der Terminologie der Nationalsozialisten als „jüdisch versippt“ galt. Drei der vier Großeltern seiner Frau gehörten der israelitischen Glaubensgemeinschaft an, während Elisabeth Spangenberg selbst katholisch getauft war.28 Anton Schwaiger berichtete 1949 in seinem „Gesuch um Wiederaufnahme in den Lehrkörper der TH München“, Boepple habe ihm 1933 eine Namensliste von Professoren übersandt, die entlassen werden sollten, darunter einige aus politischen, andere aus disziplinarischen Gründen sowie Wilhelm Credner und Spangenberg „wegen jüdischer Versippung“.29 Er selbst habe Begründungen für die Entlassungen finden und diese durchsetzen sollen. Einige Münchner Professoren bezeugten Schwaigers Darstellung.30 Quellenkritisch ist anzumerken, dass alle Aussagen im Kontext von Schwaigers Spruchkammerverfahren entstanden, in dem es diesem primär darum ging, als politisch unbelastet eingestuft zu werden, um wieder auf seine Professur zurückkehren zu können. Er musste sich also als Rektor präsentieren, der von 1933 bis 1935 unter Druck und Zwang, jedenfalls nach Weisung Boepples bzw. des Ministeriums gehandelt hatte. Doch seine Darstellung hat auch einen wahren Kern. Belegt ist zumindest, dass das bayerische Kultusministerium bereits im Sommer 1934 eine Überprüfung der „Arischen Abstammung der Ehefrauen der Hochschulprofessoren“ durchführte.31 Der Rektor der TH München ließ die entsprechenden Fragebögen ausfüllen und sandte sie am 14. August 1934 an das Ministerium zurück; Spangenberg hatte dort angegeben, dass seine Frau „nicht arisch“ sei.32 Als Entlassungsgrund  galt 26 27 28 29 30

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Schmidt, Jahrgang 1891, wurde 1937 als Fachspartenleiter für Treibstoffe in den Reichsforschungsrat berufen. Zu seiner Biografie vgl. Flachowsky: Notgemeinschaft, Anhang. Pabst: Universität, S. 259. Zum Folgenden vgl. ebd., S. 260–262. Vgl. Erklärung Spangenbergs zur „Arischen Abstammung der Ehefrauen der Hochschulprofessoren“ vom 4.8.1934, HATUM, PA Spangenberg. Gesuch Schwaiger vom 22.5.1949 um Wiederaufnahme in den Lehrkörper der TH, SAM, Spruchkammerakten, K 1727 Anton Schwaiger. Vgl. die eidesstattlichen Erklärungen der Professoren Ossana, Zenneck, Vorhoelzer, Krell und Föppl, die dem Bericht von Schwaigers Rechtsanwalt beilagen, Bericht Rechtsanwalt A. R. betr. Anton Schwaiger als Rektor der TH München an den Generalkläger vom 30.10.1950, SAM, Spruchkammerakten, K 1727 Anton Schwaiger. Vgl. die Aussage des ehemaligen Betriebsrats der TH München K. D. vom 25.5.1948, SAM, Spruchkammerakten, K 1327 Lutz Pistor. Die ministerielle Entschließung ist auf den 20.6.1934 datiert. Dies geht aus dem Antwortschreiben des Rektors der TH München vom 14.8.1934 hervor, HATUM, I 14 c/RA. C. 42. Erklärung Spangenbergs zur „Arischen Abstammung der Ehefrauen der Hochschulprofessoren“ vom 4.8.1934, HATUM, PA Spangenberg. Vgl. Brief des Rektors der TH München an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus vom 14.8.1934, HATUM, I 14 c/RA. C. 42.

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dies jedoch erst seit Frühjahr 1937, nachdem das Reichsinnenministerium und das Reichserziehungsministerium im April festgelegt hatten, dass „jüdisch versippte“ Beamte (bis auf wenige Ausnahmen) aus dem Amt zu entfernen seien. In der Folge führte dies zur dritten großen Welle der Vertreibungen.33 Im Sommer 1934 hingegen mussten diejenigen Hochschullehrer, die mit einer jüdischen/ „nichtarischen“ Frau verheiratet waren, noch nicht befürchten, zwangsläufig aus dem Dienst entfernt zu werden. Das DFG-Gremienmitglied Walther Spielmeyer etwa,34 Neuropathologe, Psychiater und ab 1917 Leiter der Histologie-Abteilung in der neu errichteten Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie (KaiserWilhelm-Institut) sowie Honorarprofessor der Universität München, hatte bei der Überprüfung des Sommers 1934 ebenfalls angegeben, seine Frau sei „zwar evangelisch, aber nichtarischer Abstammung“.35 Obgleich er wie Spangenberg als „jüdisch versippt“ galt (und wie dieser denunziert wurde36, zudem auch dem NSRegime kritisch gegenüberstand37), blieb er bis zu seinem überraschenden Tod an einer Lungenentzündung am 6. Februar 1935 im Amt.38 Im Falle von Spangenberg erwies sich jedoch die „jüdische Versippung“ als weiterer, gewichtiger Faktor in der Intrige um seine Entlassung. Als letztes Element des Ursachenbündels kam hinzu, dass Spangenberg erkrankte. Der 54-Jährige erlitt im Herbst 1933 einen Zusammenbruch und begab sich einige Wochen später in die Kuranstalt Obersendling. Diese attestierte im Januar 1934 eine „nervöse[…] Erkrankung“, hielt aber eine Genesung binnen eines Monats für wahrscheinlich.39 Spangenbergs Gesundheitszustand besserte sich jedoch nicht nachhaltig. In den folgenden zwei Jahren musste er sich vielmehr wiederholt stationär behandeln lassen,40 und die Ärzte diagnostizierten nun eine

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Vgl. Grüttner/Kinas: Vertreibung, S. 137. Zu seiner Person und zum Folgenden vgl. den entsprechenden Eintrag in: DBE; Weber: Rüdin, S. 196 f.; Weber/Burgmair: Spielmeyer; Burgmair u. a. (Hg.): Kraepelin, Fn. 7, S. 357 f., sowie BayHStA, MK 35739, PA  Spielmeyer; AMPG, Abt. II, Rep. 1A, PA  Spielmeyer; MPIPHA, PA Spielmeyer. „Fragebogen über die arische Abstammung der Ehefrau“ vom 23.7.1934, BayHStA, MK 35739, Hervorhebung im Original. Spielmeyer hatte dies bereits im Herbst 1933, als er selbst überprüft wurde, angegeben, vgl. Fragebogen Spielmeyer vom 15.11.1933, ebd. In einem Brief des Deutsch-Kanadiers C. Reichner an das bayerische Kultusministerium hieß es, in Nordamerika werde antideutsche Propaganda verbreitet und der Name, der am meisten genannt würde, sei der von Walther Spielmeyer, vgl. Brief Reichner an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus vom 7.12.1934, BayHStA, MK 35739. In Spielmeyers PA ist nicht ersichtlich, dass Nachforschungen aufgenommen wurden. Vgl. vor allem Weber/Burgmair: Spielmeyer, S. 217 f. Spielmeyer selbst trug sich seit Herbst 1933 mit dem Gedanken, Deutschland zu verlassen, da er, wie er Freunden gegenüber offenbarte, den Nationalsozialismus ablehnte, vgl. Weber: Rüdin, S. 196 f. Attest der Kuranstalt Obersendling vom 4.1.1934, HATUM, PA Spangenberg. Vgl. Brief Spangenberg an den Rektor der TH München vom 18.11.1935, HATUM, PA Spangenberg. Spangenbergs Sohn gab 1956 an, sein Vater habe sich im Herbst 1934 zudem einer schweren Augenoperation unterziehen müssen, die zu der schweren seelischen Belastung geführt habe, vgl. Bericht Berthold Spangenberg vom 6.8.1056, DMMA, NL 129/001.

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„exogene Depression“.41 Spangenberg war seit Herbst 1933 nicht mehr dazu in der Lage, kontinuierlich seinen Beruf auszuüben, sodass er bei den Lehrveranstaltungen auf Vertreter wie Pistor angewiesen war. Ebenso wenig konnte er sich gegen Klönnes oder Siebers Anschuldigungen wehren, wie er dies im Vollbesitz seiner Kräfte wohl getan hätte.42 Aus dem Bericht der Kuranstalt Obersendling geht auch hervor, dass sein Zustand stark vom Verlauf der Intrige gegen ihn abhing. So glaubten die Ärzte im Oktober 1935, dass er bald aus dem Sanatorium entlassen werden und seinen Beruf wieder aufnehmen könne. Die kurze Zeit später verkündete Entscheidung des Kultusministeriums, Spangenbergs Beurlaubung bis zum Abschluss des Disziplinarverfahrens zu verlängern, löste dann jedoch eine drastische Verschlechterung seines Zustands aus. Mitte November 1935 konnte von einer Entlassung aus dem Sanatorium keine Rede mehr sein.43 Nach Einschätzung der Ärzte war es im Gegenteil nun ganz unbestimmt, wann bzw. ob er überhaupt wieder voll arbeitsfähig sein würde. Vor diesem Hintergrund suchte Spangenberg am 21. November 1935 um seine Versetzung in den Ruhestand nach.44 Martin Pabst zufolge entschied sich Spangenberg nicht nur wegen seiner Krankheit zu diesem Schritt, sondern auch deshalb, weil der Generalstaatsanwalt eine Einstellung des Disziplinarverfahrens für den Fall einer Versetzung in den Ruhestand avisiert hatte.45 Einige Kollegen Spangenbergs glaubten ohnehin, dass dieser sich „aus Klugheit ins Sanatorium zurückgezogen“ habe, um sich dem aus politischen Gründen angezettelten Disziplinarverfahren zu entziehen.46 Aufgrund der überlieferten medizinischen Atteste und der Briefe Elisabeth Spangenbergs an ihren Schwager, in denen der Krankheitsverlauf detailliert berichtet wird, besteht jedoch kein Zweifel, dass Heinrich Spangenberg an einer Depression litt. Offenbar hatte der Bauingenieur eine – wodurch auch immer bedingte – Anfälligkeit für die Ausbildung psychischer Erkrankungen. Zumindest war er bereits mit Mitte Zwanzig in eine Kuranstalt eingewiesen und dort nahezu ein Jahr nervenärztlich behandelt worden. Als Krankheitsursache galt zu diesem Zeitpunkt eine „hochgradige […] Erschöpfungs-Neurose“.47 Auch in späteren Jahren fühlte sich Spangenberg häufig von der Last der Arbeit überwältigt.48 Unter dem äußeren 41 42

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Bericht des Vorstands der Kuranstalt Obersendling vom 13.11.1935, DMMA, NL 129/001. Vgl. z. B. Brief Spangenberg an den Dekan der Fakultät für Bauwesen vom 22.12.1934, SAM, Spruchkammerakten, K 1327 Lutz Pistor. Darin schrieb Spangenberg, er behalte sich vor, Sieber wegen der Verdächtigungen gegen ihn zur Rechenschaft zu ziehen, sobald er wieder gesund sei. Vgl. Bericht des Vorstands der Kuranstalt Obersendling vom 13.11.1935, DMMA, NL 129/001. Vgl. Brief Spangenberg an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus vom 21.11.1935, HATUM, PA Spangenberg. Vgl. Pabst: Universität, S. 253. Dies berichtete Elisabeth Spangenberg über ein Gespräch mit Kollegen ihres Mannes, Brief Elisabeth Spangenberg an ihren Schwager Bernhard Spangenberg vom 28.11.1935, DMMA, NL 129/001. Ärztliche Bescheinigung Dr. F. R., Nervenarzt, Bad Königsbrunn vom 20.1.1906, DMMA, NL 129/001. Vgl. z. B. Brief Elisabeth Spangenberg an ihren Schwager Bernhard Spangenberg vom 27.4.1936, DMMA, NL 129/001.

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Druck von politischer Verleumdung, universitätsinternen Machenschaften, Rivalität und Rassismus kam dann Anfang bzw. Mitte der 1930er Jahre die Depression erneut zum Durchbruch. Ein Faktor allein hätte für die Vertreibung Spangenbergs von der TH München vermutlich nicht ausgereicht. Nimmt man jedoch die beschriebenen Umstände zusammen – politische Denunziation, universitätsinterne Intrige, rassistische Verfolgung, die Machtgelüste eines jungen NS-Karrieristen – so zeichnet sich in der Summe ein regelrechtes Komplott ab, das in die erzwungene Versetzung in den Ruhestand mündete. Zudem führte es Spangenberg in die Depression, aus der er sich nicht mehr befreien konnte. Der äußere und innere Druck war schließlich offenbar so stark, dass Spangenberg nicht nur in die Vertreibung aus seiner beruflichen Position einwilligte, sondern dass er auch entschied, sich das Leben zu nehmen. Elisabeth Spangenbergs Korrespondenz erlaubt einen Einblick in die verzweifelte letzte Lebensphase ihres Mannes. Im Nachlass von Heinrich Spangenberg liegen zum einen über 50 Postkarten, die Elisabeth Spangenberg von Beginn der 1920er bis Ende der 1930er Jahre von Richard Willstätter erhielt, zum anderen zehn Briefe, die sie zwischen November 1935 und Mai 1936 an ihren Schwager Bernhard schrieb, den jüngeren Bruder ihres Mannes.49 Willstätter und die Familie Spangenberg tauschten seit Beginn ihrer Bekanntschaft in den frühen 1920er Jahren regelmäßig Kartengrüße aus – anlässlich von Geburts- und Festtagen, bei wissenschaftlichen Ehrungen und Auszeichnungen lud man sich gegenseitig ein und sandte Karten aus dem Urlaub. Der Kontakt intensivierte sich, als Willstätter nach dem Rücktritt von seiner Professur 1925 in die Nähe der Familie Spangenberg zog. So veränderten sich auch Stil und Inhalt der Post- und Grußkarten. Die konventionell gehaltenen Anteile traten zunehmend hinter die persönlichen zurück. Richard Willstätter wandte sich nun vor allem an Elisabeth Spangenberg und berichtete etwa von den Heiratsplänen seiner Tochter, beschrieb, wie wichtig ihm die Reisen mit seinem Freund Fritz Haber, dem Gründervater der Forschungsgemeinschaft, seien, erzählte von der Anstrengung und der Freude des Forschens und beklagte nicht selten auch seine Einsamkeit. Auch wenn Elisabeth Spangenbergs Briefe nicht überliefert sind, so lässt sich doch aus Willstätters Antworten schließen, dass dieser um Heinrich Spangenbergs Situation wusste. „Ich hoffe herzlichst“, so schrieb er zum Beispiel im Herbst 1933, „dass es Ihnen nach den Krisen recht gut geht.“50 Der halböffentliche Charakter der Postkarte mag verhindert haben, dass sich Willstätter ausführlicher äußerte. Heinrich Spangenbergs Krankheit belastete auch seine Frau schwer. Sie sei „kaputt“, so schrieb sie am 28. November 1935 an ihren Schwager, „eigentlich schon den ganzen Sommer über“.51 Schwer zu ertragen war die Abhängigkeit 49 50 51

Sowohl die Postkarten als auch die Briefe befinden sich in DMMA, NL 129/001. Postkarte Willstätter an Elisabeth Spangenberg vom 7.9.1933, DMMA, NL 129/001. Brief Elisabeth Spangenberg an ihren Schwager Bernhard Spangenberg vom 28.11.1935, DMMA, NL 129/001.

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von der wenig durchschaubaren Position des Ministeriums und die Unsicherheit über den weiteren Verlauf der Krankheit. Heinrich Spangenbergs Zustand wechselte in jenen Wochen häufig von relativer Ruhe „zu hellichter Verzweiflung“.52 Hinzu kam, dass während Spangenbergs Krankheit weder Kolleggelder gezahlt wurden, noch Einnahmen aus dem Bautechnischen Laboratorium eingingen, sodass sich die Situation der Familie auch finanziell verschlechterte. Spangenbergs mussten ab Sommer 1935 äußerst sparsam leben und einen Teil ihrer Wohnung untervermieten. Dies, vor allem aber die Krankheit ihres Mannes versuchte Elisabeth Spangenberg zu verheimlichen. „Fern stehende Menschen können sich ja gar nicht in eine solche Lage hineindenken“, ein Kollege ihres Mannes, dem sie sich anvertraute, sei etwa „sehr erstaunt [gewesen], als ich ihm den wahren Sachverhalt erzählte“.53 Inständig bat sie ihren Schwager am 10. Dezember 1935, keine weiteren Gespräche mehr mit dem Ministerium zu führen. Man müsse vielmehr „in Geduld u. Fassung dem entgegensehen, was das Schicksal bringt“. Es sei schon zu viel geredet worden und ihre einzige „Rettung“ sei: „Alleinsein, niemanden sehen müssen, nicht reden.“54 Heinrich Spangenbergs Zustand hatte sich zu diesem Zeitpunkt nicht verändert, und seine Frau berichtete resigniert, sie wage nicht mehr zu hoffen, da die Hoffnung auch früher immer nur getrogen habe. „Solange aber der Zustand so ist, daß Heinrich keine Entschlüsse fassen, nicht arbeiten u. sich nicht von seinen Gedankengängen losreißen kann, bleibt der Zustand für uns alle gleich trostlos.“ Der Arzt habe erneut bestätigt, dass „das Zusammenklappen immer wieder durch äußere, unangenehme Dinge hervorgerufen würde, in unserem Fall, da die schlimmen Dinge ja nicht aus der Welt zu räumen sind, noch lange dauern kann.“55 Im Februar 1936 beschloss Elisabeth Spangenberg zu handeln. Sie habe, so berichtete sie ihrem Schwager, „Heinrich kurzer Hand aus dem Sanatorium herausgeholt“, auch wenn die Kuranstalt dies zunächst nicht befürwortet habe. „Nun wollen wir sehen, wie es daheim geht.“ Nach Weisung des Arztes unterzog sich Spangenberg zu Hause einem täglichen Programm aus Spaziergängen, Wasseranwendungen und einer viertelstündigen Lektüre. „Ich weiß nicht, ob ich es durchhalten kann“, so Elisabeth Spangenbergs Bericht, „immer nur klagen zu hören, ist nicht leicht“. Doch dies sei besser, als allein und einsam zu sein.56 Zunächst schien es, als erhole sich der Kranke. „Heinrich hat sich ganz gut eingewöhnt“, so schrieb Elisabeth Spangenberg am 1. März, und sie meinte, ein wenig Besserung erkennen zu können, auch wenn etwa zum Lesen eines Buches „noch jeder Entschluß“ fehle. Zudem bedrückte sie weiterhin und verstärkt die Angst, 52 53 54 55 56

Brief Kuranstalt Obersendling an Bernhard Spangenberg vom 29.11.1935, DMMA, NL 129/001. Brief Elisabeth Spangenberg an ihren Schwager Bernhard Spangenberg vom 28.11.1935, DMMA, NL 129/001. Brief Elisabeth Spangenberg an ihren Schwager Bernhard Spangenberg vom 10.12.1935, DMMA, NL 129/001. Brief Elisabeth Spangenberg an ihren Schwager Bernhard Spangenberg vom 10.12.1935, DMMA, NL 129/001. Brief Elisabeth Spangenberg an ihren Schwager Bernhard Spangenberg vom 25.2.1936, DMMA, NL 129/001.

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jemand könne bemerken, wie es um ihren Mann stand. Ihre „Hauptangst“ sei, „irgend jemandem zu begegnen. Unsere Bekannten muss ich alle fernhalten.“57 Wenige Wochen später zeigte sich jedoch, dass es Heinrich Spangenberg nicht besser, sondern im Gegenteil dramatisch schlechter ging. Mitte April kehrte der 57-Jährige dann von einem Spaziergang, den er allein unternommen hatte, nicht nach Hause zurück. In dieser „fürchterlichsten Nacht […] können wir“, so schrieb Elisabeth Spangenberg am 12. April an ihren Schwager, „nichts anderes tun als warten“.58 Zwei Wochen lang herrschte Ungewissheit. Am 27. April fand man schließlich Heinrich Spangenbergs Hut und Spazierstock beim Kraftwerk Neufinsing am Mittlere-Isar-Kanal59 und am 30. April seine Leiche.60 Heinrich Spangenberg hatte sich das Leben genommen. Biografische Betrachtungen rücken meist und aus guten Gründen die Lebensgeschichte eines einzelnen Menschen in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Hier jedoch soll mit einigen wenigen Sätzen auf das weitere Schicksal von Elisabeth Spangenberg eingegangen werden, weil ihr Leben ebenso tragisch endete wie das ihres Mannes und ihr Tod mit dem seinen eng verbunden war – diese Deutung drängt sich zumindest auf. Elisabeth Spangenbergs Situation spitzte sich nach dem Frühjahr 1936 weiter zu. Die angespannte finanzielle Lage verschärfte sich, da das Ministerium bei der Berechnung der Witwenpension Spangenbergs Dienstjahre in der Industrie nicht – wie 1920 zugesichert – berücksichtigte.61 Zudem war Elisabeth Spangenberg als „Nichtarierin“ von den antisemitischen Maßnahmen der Nationalsozialisten unmittelbar bedroht, und schließlich konnte sie den Tod ihres Mannes und mehr noch die Umstände, die zu diesem geführt hatten, nicht überwinden. Aus Richard Willstätters Grußkarten – die letzte kam am 6. August 1938 aus Paris – sprach die Sorge um ihren angegriffenen Zustand,62 und bereits im Juni 1936 hatte sie ihrem Schwager gegenüber eingestanden, sie habe „keine Kräfte mehr“.63 Am 5. Februar 1939 beendete auch Elisabeth Spangenberg ihr Leben von eigener Hand.

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Brief Elisabeth Spangenberg an ihren Schwager Bernhard Spangenberg vom 1.3.1936, DMMA, NL 129/001. Brief Elisabeth Spangenberg an ihren Schwager Bernhard Spangenberg vom 12.4.1936, DMMA, NL 129/001. Vgl. Brief Elisabeth Spangenberg an ihren Schwager Bernhard Spangenberg vom 27.4.1936, DMMA, NL 129/001. Vgl. Sterbeurkunde Heinrich Spangenberg, Amtsgericht Erding vom 1.5.1936, DMMA, NL 129/001. Vgl. Brief Elisabeth Spangenberg an das bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus vom 1.11.1936, DMMA, NL 129/001, sowie Brief Elisabeth Spangenberg an ihren Schwager Bernhard Spangenberg vom 9.10.1936, ebd. Vgl. z. B. die Postkarten von Willstätter an Elisabeth Spangenberg vom 31.8.1936 und vom 28.12.1936, DMMA, NL 129/001. Brief Elisabeth Spangenberg an ihren Schwager Bernhard Spangenberg vom 26.6.1936, DMMA, NL 129/001.

FACHAUSSCHUSS HOCHBAU UND ARCHITEKTUR Hans Poelzig (1869–1936)

Hans

Poelzig

Hans Poelzig kam am 30. April 1869 in Berlin zur Welt.1 Seine Mutter, Gräfin Clara Henriette Maria von Poelzig, war mit einem Engländer, George Acland Ames, verheiratet, der die Vaterschaft von Hans Poelzig jedoch nicht anerkannte und sich drei Monate nach der Geburt scheiden ließ. So kam dieser zu Pflegeeltern und wuchs bei dem Kantor Emil Liese und seiner Frau in Stolpe bei Wannsee auf. Das Verhältnis zu den Pflegeeltern scheint herzlich gewesen zu sein, erst als Heranwachsender erfuhr er von seiner Herkunft.2 Von 1879 bis 1888 besuchte Poelzig, in einer Schülerpension wohnend, das humanistische Gymnasium in Potsdam, um anschließend an der Architektur-Fakultät der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg zu studieren. Besonders beeindruckte ihn Carl Schäfer, ein in Deutschland wichtiger Vertreter der „Historismus“ genannten Architekturströmung, den er später seinen „unvergeßliche[n] Lehrer“ nannte;3 1893 und 1894 arbeitete er zudem im Ar1

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Ich danke Herrn Ralf Müller (Freiburg) sehr herzlich für die Durchsicht des Textes. Dieser Beitrag stützt sich auf die grundlegende Forschungsliteratur über Poelzig. Zu nennen sind insbesondere folgende Publikationen: die Einträge in NDB und DBE; Durth: Architekten, S. 56–60 und 92; Frank: „Fall Poelzig“; Heuss: Poelzig; Mayer: Studien; Müller (Hg.): Geschmack; Pehnt: Kerl; Pehnt: Wille; Pehnt/Schirren (Hg.): Poelzig; Posener: Jahrhundert, S. 167–184; Posener: Lehrer; Posener: Poelzig; Posener (Hg.): Poelzig; Schirren (Hg.): Poelzig, S. 19–24; Schirren: „Stoffwechsel“; Teut: Architektur, S. 31–52. Zudem wurden folgende Quellen herangezogen: UATU-B, Biografische Sammlung, Poelzig. Vgl. Pehnt: Wille, S.  12. Eine Zeichnung Poelzigs von seinem Pflegevater ist ebd., S.  13, abgedruckt. Rede Poelzig vom 5.6.1931, zit. nach Teut: Architektur, S. 32.

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chitekturbüro von Hugo Hartung, einem früheren Assistenten Schäfers. Nach Abschluss des Studiums und Ableistung des Militärdienstes in Neuruppin schloss sich die obligatorische Referendarzeit an, die er im Preußischen Ministerium für öffentliche Arbeiten verbrachte. 1898 erhielt er eine erste Auszeichnung als Architekt, nämlich den zweiten Preis im Schinkel-Wettbewerb des Berliner Architekten- und Ingenieur-Vereins für den Entwurf eines Stadthauses, das sich noch sehr an Schäfer und dessen neogotischem Stil orientierte. Mit dem Ablegen der zweiten Staatsprüfung stieg er 1899 vom Regierungsbauführer zum Regierungsbaumeister auf und heiratete in demselben Jahr Maria Voss; bald gehörten drei Söhne und eine Tochter zur Familie. Nicht zuletzt durch die Protektion eines Ministerialbeamten im preußischen Kultusministerium4 konnte Poelzig im Jahr 1900 an die Königlich-Preußische Kunst- und Gewerbeschule in Breslau wechseln, die dem preußischen Kultusministerium unterstand. Er unterrichtete dort die neu eingerichtete Klasse für architektonisches Zeichnen und Kunsttischlerei. 1903 übernahm er den Direktorenposten der Einrichtung, die seit 1911 „Königlich-Preußische Akademie für Kunst und Kunstgewerbe“ hieß. Als Leiter strukturierte Poelzig den Lehrbetrieb neu, förderte vor allem das Zusammenwirken der einzelnen Lehrwerkstätten bei gemeinsamen Aufgaben wie zum Beispiel dem Ausbau des Rathauses in Löwenberg. In seiner Breslauer Zeit erhielt Poelzig zudem als Architekt verschiedene Bauaufträge, etwa für Einfamilienhäuser und größere Wohnanlagen, Um- oder Ausbauten von Kirchen oder städtischen Einrichtungen. Er baute mehrere große Geschäftshäuser und Industrieanlagen in Breslau, Posen sowie Luban und beteiligte sich zudem am Wettbewerb für das Berliner Opernhaus (1912) und an der Breslauer Jahrhundertausstellung (1913). 1916 wechselte er als Stadtbaurat für das Hochbauwesen nach Dresden, da ihn die Aussicht reizte, an der baulichen Umgestaltung der barocken Kernstadt mitzuwirken.5 Zudem leitete er dort ein Kolleg für architektonisches Entwerfen an der Technischen Hochschule. Viele Entwürfe der Dresdener Zeit wurden zwar kriegsbedingt nicht ausgeführt, aber gleichwohl von den Fachkollegen wahrgenommen, von denen ihn nun einige als „genialischen Barockmeister“ bezeichneten.6 Zudem gehörte er zu denjenigen Architekten, die der Deutsche Werkbund mitten im Ersten Weltkrieg einlud, an einem engeren Wettbewerb teilzunehmen, in dem es um ein Kulturzentrum in Istanbul ging, das symbolisch die guten Beziehungen Deutschlands zum Bündnispartner Türkei ausdrücken und daher „Haus der deutsch-türkischen Freundschaft“ heißen sollte. Poelzigs Entwurf von 1916 wurde zwar nicht realisiert,7 doch erwiesen sich die Kontakte nach Istanbul nach 1933 als bedeutsam. Darauf wird zurückzukommen sein. Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs orientierte sich Poelzig Richtung Berlin – nicht zuletzt aus privaten Gründen. Er hatte sich mit seiner (als psychisch 4 5 6 7

Vgl. Pehnt: Wille, S. 19; Schirren: „Stoffwechsel“, S. 19. Vgl. Müller (Hg.): Geschmack, S. 65. Zu seiner Tätigkeit in Dresden vgl. auch Posener: Lehrer, S. 369. Müller (Hg.): Geschmack, S. 51; vgl. ebd., S. 65. Die Skizze ist in Pehnt: Wille, S. 29, abgedruckt.

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labil beschriebenen) Frau auseinander gelebt und eine heimliche Liaison mit der deutlich jüngeren, 1894 in Hamburg geborenen Bildhauerin Marlene Moeschke begonnen, die 1917 ein Stipendium der Berliner Akademie antrat und die Poelzig auf einem Ball kennenlernte.8 Im August 1918 schrieb er ihr: „Jedes irgendwie wirtschaftlich günstige Angebot nach Berlin würde ich annehmen, um mit einem Schlage aus den bisherigen Verhältnissen rauszukommen“.9 Es gelang ihm 1918/19, ohne dass er seine Tätigkeit in Dresden zunächst einstellte, in Berlin einen Auftrag zu erhalten: den Umbau des ehemaligen Zirkus Schumann zum Großen Schauspielhaus. Es galt dabei, die Vision des Theaterregisseurs Max Reinhardt umzusetzen, dem – inspiriert von den Reformbestrebungen des Volkstheaters der Vorkriegszeit – ein „Theater der Fünftausend“ vorschwebte: „Festspiele für die ganze Nation, zugleich Vergnügen und zugleich Gottesdienst“ sollten nach Reinhardts Vorstellungen hier inszeniert werden.10 Das binnen eines Jahres fertiggestellte Gebäude erregte in der Stadt großes Aufsehen, wobei es neben Stimmen, die es überschwänglich als zukunftsweisendes Symbol feierten, auch solche gab, die eine vergangenheitsbezogene Bautradition kritisierten. Für Poelzig bedeutete es jedenfalls einen Karriereschub und die Rückkehr in seine Heimatstadt Berlin. 1920 ernannte man ihn zum Vorsteher eines Berliner „Meisterateliers für Architektur“, nahm ihn in den Senat der Preußischen Akademie der Künste auf, und zum 1. November 1923 berief ihn die TH Berlin-Charlottenburg als Nachfolger von German Bestelmeyer auf die ordentliche Professur für Architektur.11 In demselben Jahr erfolgte auch privat eine Veränderung: Seine erste Frau willigte in die Scheidung ein, sodass Poelzig und Marlene Moeschke Anfang des Jahres 1924 heiraten konnten; aus der Ehe gingen drei Kinder hervor. Zu den wichtigsten beruflichen Wirkungsstätten Poelzigs gehörten in den späteren 1920er Jahren Berlin, Stuttgart und Frankfurt am Main. In Berlin erhielt er den Auftrag zur Neugestaltung des Scheunenvierteles, er realisierte 1928/29 das Kino Babylon am Bülowplatz und von 1929 bis 1931 das Haus des Rundfunks. In Stuttgart beteiligte er sich 1927 mit einem Einfamilienhaus am Bau der dortigen Weißenhof-Siedlung, und in Frankfurt am Main baute er von 1928 bis 1931 das Verwaltungsgebäude der I. G. Farben; für dessen Innenausbau zeichnete Marlene Poelzig verantwortlich. Poelzig baute in jenem Jahrzehnt vor allem „kolossal“ zu nennende Gebäude: So handelte es sich bei dem Verwaltungsgebäude der I. G. Farben, das als „Haus der zweitausend Fenster“ gefeiert oder geschmäht wurde, um das größte zeitgenössische Verwaltungsgebäude Europas.12 Der Architekturhistoriker und -kritiker Wolfgang Pehnt nannte Poelzig treffend 8 9 10 11 12

Vgl. Müller (Hg.): Geschmack, Fn. 16 und 17, S. 65. Brief Poelzig an Moeschke vom 5.8.1918, zit. nach: Müller (Hg.): Geschmack, S. 65. Manuskript Reinhardt, o. D., zit. nach: Müller (Hg.): Geschmack, S. 68. Ein Foto des Gebäudes nach dem Umbau befindet sich bei Pehnt: Wille, S. 30. Vgl. auch Schirren: „Stoffwechsel“, S. 24; Posener: Lehrer, S. 369. Das Meisteratelier führte Poelzig fortan nebenamtlich weiter. Vgl. Pehnt: Wille, S.  10. Das folgende Zitat ebd.; zum I. G.-Farben-Gebäude vgl. Mayer: Studien, S. 35 f.; Meißner u. a. (Hg.): Poelzig-Bau; Pehnt/Schirren (Hg.): Poelzig, S. 112–125.

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einen „Baumeister der Superlative, der große Massen bewegt[e], Baumassen und Menschenmassen“. Offensichtlich ist auch, dass Poelzig nicht auf einen bestimmten Stil festgelegt war, sondern viele verschiedene Stilrichtungen nutzte und sich auch ganz verschiedenen Bauwerken widmete. Er plante und realisierte moderne Fabrikhallen und Vergnügungsstätten, Kirchen, städtische Einrichtungen und Bürotrakte, Einfamilienhäuser oder ganze Wohnquartiere. Manche seiner Gebäude wiesen klare Linien und die schmucklose Architektur der Bauhaus-Schule auf, andere zeichneten sich durch ein Übermaß ornamentaler Elemente aus. Durch seine Vielseitigkeit (oder Uneindeutigkeit) hatte Poelzig in der zeitgenössischen Architekturszene daher eine gewisse Sonderstellung inne, und sein Schaffen wird heutzutage als avantgardistisch und traditionell zugleich bezeichnet. Durch sein – so heißt es aus der Rückschau des Jahres 2003 – „vordergründig dissonant erscheinende[s] Werk“ ziehe sich aber als „roter Faden“ eine „Gratwanderung zwischen Kunstanspruch, Inszenierungslust und kommerziellem Denken“.13 Jedenfalls gilt er als einer der bedeutendsten deutschen Architekten des 20. Jahrhunderts. Zudem war Poelzig nicht nur als Architekt bekannt, sondern auch als Künstler, als Maler und Gestalter von Theater- und Filmkulissen; viele dieser Arbeiten entstanden gemeinsam mit seiner zweiten Frau.14 Zusammen mit ihr gehörte er phasenweise auch der zeitgenössischen Avantgarde-Szene an, die mit Astrologie, Chiromantie, Spiritismus, Hypnose und Hellseherei experimentierte.15 Als „Genie der Geselligkeit“16 inszenierte er zudem „Poelzigfeste“ und immer wieder auch sich selbst.17 Ausstellungen seiner Werke und seines Schaffens wurden in den 1920er Jahren in Berlin, Kiel, Erfurt und Breslau gezeigt, und 1931 richtete die Preußische Akademie der Künste die Ausstellung „Poelzig und seine Schüler“ aus. Schon früh hatte sich Poelzig auch in den Vereinigungen der Architekten und Künstler engagiert, besaß er doch „eine gewisse Leidenschaft für das Mitwirken, Mitbestimmen, Mitmischen“.18 So gehörte er 1907 zu den Mitbegründern des Deutschen Werkbundes, der wirtschaftskulturellen Vereinigung von Künstlern, Architekten, Unternehmern und Sachverständigen, und 1910 zu den Mitbegründern des Schlesischen Bundes für Heimatschutz. Außerdem schloss er sich dem Dürerbund und dem Deutschen Bund für Heimatschutz an, Ende 1918 auch dem Berliner Arbeitsrat für Kunst, einer Vereinigung revolutionärer Maler und Bildhauer. Aus dem Arbeitsrat trat er aber bereits im April 1919 wieder aus. Von 1919 bis 1922 amtierte er dann als Erster Vorsitzender des Deutschen Werkbundes und von 1926 bis 1933 als Vorstandsmitglied des Bundes Deutscher Architekten. Zudem gehörte Poelzig der als avantgardistisch angesehenen Architektenvereinigung Der Ring an, in deren Zentrum Hugo Häring und Ludwig Mies van der Rohe standen. Ende der 1920er Jahre verließ er den „Ring“ und schloss sich der 13 14 15 16 17 18

Müller (Hg.): Geschmack, S. 64. Vgl. Mayer: Studien, S. 32 f. Zu Poelzigs Schaffen als Maler vgl. Pehnt/Schirren (Hg.): Poelzig, S. 160–143. Vgl. Pehnt: Wille, S. 36–38. Pehnt: Wille, S. 41. Vgl. Schirren: „Stoffwechsel“, S. 15. Pehnt: Wille, S. 41.

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Vereinigung Der Block an. Diese war 1928 von Architekten wie Paul SchultzeNaumburg, Paul Schmitthenner und Paul Bonatz gegründet worden, die sich einer eher traditionellen, der Heimatschutzarchitektur verbundenen Bauweise verpflichtet fühlten. Poelzig wechselte also gewissermaßen die Seiten, was öffentlichkeitswirksam dadurch markiert wurde, dass er – auf Betreiben Schmitthenners und Bonatz’ – 1929 den Titel eines „Dr.-Ing.“ ehrenhalber der TH Stuttgart erhielt. Auf dem Berliner Bundestag des Bundes Deutscher Architekten hielt Poelzig am 5. Juni 1931 die programmatische Rede „Der Architekt“19, in der einmal mehr seine Überzeugung zum Ausdruck kam, dass die Menschheit unter der Führung der Architektur, die „unmittelbar die göttliche Ordnung ausdrücke“, gesunden könne,20 und am 30. Mai 1932 wählte ihn die Preußische Akademie der Künste zum Stellvertretenden Präsidenten. Ende der 1920er bzw. Anfang der 1930er Jahre stand der 60-Jährige auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass die Fachcommunity ihn auch als ihren Vertreter in die Notgemeinschaft entsandte. 1932 nominierte der Bund Deutscher Architekten Poelzig als Kandidaten für die 1933 stattfindende Fachausschusswahl der Notgemeinschaft.21 Die Wahl erfolgte ohne erkennbare Komplikation, sodass Poelzig im Frühjahr 1933 in den Fachausschuss 17 (Hochbau und Architektur) einrückte. Interessanterweise übertrug man ihm sogleich die Funktion des Ersten Vorsitzenden. Den Vorsitzenden des jeweiligen Fachausschusses, dem  – nicht zuletzt für die Begutachtungspraxis  – eine herausgehobene Position zukam, bestimmten die gewählten Mitglieder aus ihrem Kreise, meist in Rücksprache mit dem Präsidenten der Notgemeinschaft, Friedrich Schmidt-Ott. Ausschlaggebende Kriterien, um zum Vorsitzenden eines Fachausschusses zu avancieren, waren das (wissenschaftliche) Ansehen eines Forschers in der Fachcommunity, Erfahrung und Lebensalter sowie ein Berliner Wohnort, also die Nähe zur Forschungsgemeinschaft. Darüber hinaus ist deutlich zu erkennen, dass sich bei den Vorsitzenden im Hinblick auf die Dauer der Amtsausübung ein einziges Muster abzeichnete: Kontinuität. 16 der 21 Fachausschüsse hatten zwischen 1922 und 1933 nur einen einzigen Vorsitzenden. Nur der Fachausschuss Hochbau und Architektur, dem Poelzig angehörte, fügt sich nicht in dieses Bild. Es handelte sich zum einen um einen kleinen Fachausschuss mit nur fünf Mitgliedern. Zum zweiten amtierten – ganz im Gegensatz zu den anderen Fachausschüssen – nahezu alle Fachvertreter auch als Vorsitzende: German Bestelmeyer hatte das Amt von 1920/21 bis 1927 inne, Emil Rüster von 1929 bis 1930, Paul Bonatz von 1931 bis 1932 und Hans Poelzig seit 1933. Einzig für das fünfte Mitglied, Fritz Schumacher, traf dies nicht zu.22 Die Bestimmung 19 20 21 22

Die Rede ist abgedruckt in: Teut: Architektur, S. 31–52. Manuskript Poelzig, o. D., zit. nach: Müller (Hg.): Geschmack, S. 64. Vgl. den entsprechenden Eintrag in der Vorschlagsliste, BArch, R 73/130, Bl. 36–47. Zum Hintergrund und zum Folgenden vgl. Orth: NS-Vertreibung, S. 59 f. Schumacher gehörte dem FA von 1928 bis 1933 an; möglicherweise ging seine Berufung 1928 auf einen Wunsch der TH Stuttgart zurück. Diese hatte Ende 1927 vorgeschlagen,

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des Vorsitzenden regelten die Fachausschussmitglieder zudem im Vergleich zu anderen Fachausschüssen eher informell, auf eine fast freundschaftliche Weise. So schrieb Paul Bonatz am 2. Mai 1933 an Poelzig: „Lieber Poelzig! Schumacher, HH, und ich sind der Meinung, daß der Vorsitzende des FA das in Berlin ansässige Mitglied des FA sein müsse. Wir bitten Dich beide, das Amt zu übernehmen und der NG zu berichten. Ich bin bereit, das Amt des Stellvertr. zu übernehmen. Herzliche Grüße, Dein P. Bonatz.“23 Insgesamt besaß die Notgemeinschaft im Allgemeinen bzw. das Amt des Fachausschussvorsitzenden im Besonderen in der Fachcommunity offenbar keinen besonders hohen Stellenwert. Diese interessierte sich für die wissenschaftliche Selbstverwaltung und die Forschungsförderung weniger, da, so begründete Bestelmeyer dies gegenüber Schmidt-Ott, „der Ehrgeiz und die Tätigkeit der Architekten im freien Beruf auf ganz andere Ziele als wissenschaftliche Forschung gerichtet ist“.24 Noch ein anderer Umstand ist bemerkenswert. Poelzig gehörte zwar in den späten 1920er Jahren zu den erfolgreichsten und bekanntesten Architekten seiner Generation,25 doch sein beruflicher Erfolg endete zu Beginn der 1930er Jahre – genau zu dem Zeitpunkt, als er zum Fachreferenten der Notgemeinschaft avancierte. Trotz der Teilnahme an zahlreichen Wettbewerben erhielt Poelzig seit 1932 keine Aufträge mehr.26 Dies lag zum einen an der wirtschaftlichen Situation: Die Weltwirtschaftskrise legte auch das Baugewerbe lahm.27 Hinzu kam, dass man Poelzig nicht eindeutig einer Richtung zuordnen konnte. Die Neue Sachlichkeit, zu der er sich zeitweilig als einer der Architekten des „Rings“ zu bekennen schien, lehnte ihn als Romantiker ab, während die rechte Presse seine Bauten als „seelenlose, nüchterne Zweckbuden“ etikettierte.28 In der Endphase Weimars hatte seine Sonderstellung manchmal insofern einen Vorteil beinhaltet, als er etwa bei Wahlen in den Fachvereinigungen der einzige Kandidat war, auf den sich die immer stärker verfeindeten Gruppierungen im Sinne eines Kompromisses einigen konnten. Zu Beginn der NS-Herrschaft galt er jedoch eindeutig als Repräsentant

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neben Bonatz und Rüster auch Schumacher hinzuzuziehen, vgl. Inhaltsangabe der Stellungnahme der Mitglieder der Notgemeinschaft zum Rundschreiben vom 21.11.1927, BArch, R 73/125, fol. 23. Brief Bonatz an Poelzig vom 2.5.1933, BArch, R  73/132, fol.  23. Vgl. auch Brief Poelzig an Schmidt-Ott vom 5.5.1933, ebd., Bl. 22, sowie Notiz Schumacher vom 20.4.1933, ebd., Bl. 25. Brief Bestelmeyer an Schmidt-Ott vom 27.1.1922, BArch, R 73/123, fol. 178. Auch Poelzig stellte offenbar keine Anträge bei der DFG, vgl. Datenbank DFG-Geschichte. In einem Nachruf nach seinem Tod hieß es, er gehöre zu den meistgenannten Architekten „der letzten Jahrzehnte vor dem nationalen Umbruch“. Zentralblatt der Bauverwaltung 56 (1936), S. 589. Eine Kopie befindet sich in: UATU-B, Biografische Sammlung, Poelzig. Vgl. das chronologische Verzeichnis seiner Werke in: Pehnt/Schirren (Hg.): Poelzig, S. 212– 251. Vgl. ausführlich Mayer: Studien, S. 24–31. So ein Artikel im Völkischen Beobachter vom 4.1.1933, zit. nach: Frank: „Fall Poelzig“, S. 93.

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der Weimarer Republik und eines liberalen Bürgertums, obgleich er in den Umgangsformen keinen bürgerlichen Habitus pflegte; viele bezeichneten ihn vielmehr als „den Kerl“.29 Politisch vertrat Poelzig zudem eine bürgerlich-nationale Position der Mitte. Er stellte sich dem Nationalsozialismus nicht (begeistert) zur Verfügung, sondern verhielt sich zurückhaltend, dabei den unpolitischen Charakter von Kunst und Architektur betonend. Er empfand sich, so Pehnt, „weder als Gesellschaftsreformer noch als Menschenerlöser, sondern als ein der Kunst verpflichteter Baumeister“30 und verurteilte andere Künstler, die ihren politischen Standpunkt öffentlich vertraten, wie etwa Käthe Kollwitz und Heinrich Mann, die als Mitglieder der Akademie der Künste 1933 einen Appell zugunsten einer Einheitsfront von SPD und KPD unterschrieben. Poelzig hingegen fand, die Akademie müsse ein Haus der Kunst bleiben und dürfe nicht zu einem der Politik werden.31 Sein Freund und späterer Biograf Theodor Heuss schrieb: „Zu allen Parteifragen im engeren Sinne blieb Poelzig von souveräner Gleichgültigkeit“.32 Seit Anfang des Jahres 1933 mehrten sich die Angriffe der rechten Presse gegen Poelzig. Sie rechnete ihn dem „Kulturbolschewismus“ und der Avantgarde zu, bezeichnete ihn als „Kommunisten und Judenförderer“.33 Hinzu kamen in der Presse verhandelte Streitereien um Abrechnungen beim Bau des Rundfunkhauses sowie um eine politisch nicht genehme Ausstellung belgischer Kunst, die er als Vizepräsident der Akademie mit verantwortet hatte; man warf ihm Planungsfehler und finanzielle sowie steuerliche Unregelmäßigkeiten vor. In der Hetzkampagne ging es nicht zuletzt auch um seine Teilnahme an Architekturwettbewerben für den Sowjetpalast in Moskau und ein Theater für Musikalische Massenaufführungen in Charkow 1930/31.34 Dass diese Entwürfe ganz seinen anderen Bauvorhaben jener Phase entsprachen und dass er argumentierte, er halte es für seine Pflicht, „in einer Zeit, in der ein großer Teil der deutschen Industrie durch Aufträge der Sowjet-Regierung beschäftigt werde, […] einen Bauplan der Sowjetregierung zu begutachten“,35 wurde ebenso verschwiegen wie seine 1930 öffentlich geäußerten Proteste gegen Massenerschießungen in der Sowjetunion. In der bereits aufgeheizten Stimmung übernahm Poelzig am 1. Januar 1933 als Kompromisskandidat kommissarisch die Direktion der Vereinigten Staatsschulen für Freie und Angewandte Kunst in Berlin, nachdem der langjährige Leiter Bruno Paul als „jüdischer Akademieprofessor“ diffamiert worden war und sein Amt niedergelegt hatte. Dies führte zu einer neuen Presseattacke, vor der Poelzig kapitulierte. Er stimmte auf Druck des Kampfbundes für Deutsche Kultur seiner Entlassung zum 10. April 1933 zu und gab in jenen Tagen auch seine Ämter in 29 30 31 32 33 34 35

Pehnt: Wille, S. 10; ders.: Kerl. Pehnt: Wille, S. 38 f. Vgl. Posener: Poelzig, S. 251; Pehnt: Wille, S. 41. Heuss: Poelzig, S. 38. So kommentierte der Völkische Beobachter seine Wahl zum Stellvertretenden Präsidenten der Preußischen Akademie der Künste am 31.5.1932, zit. nach: Frank: „Fall Poelzig“, S. 91. Vgl. dazu Frank: „Fall Poelzig“, S. 99 und 105; Pehnt: Kerl, S. 19; Mayer: Studien, S. 42–48. Aussage Poelzig, Berliner Zeitung am Mittag vom 27.12.1932, zit. nach: Frank: „Fall Poelzig“, S. 110.

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der Akademie, im Deutschen Werkbund und im Bund Deutscher Architekten auf. Einzig die Position des Vorsitzenden im Fachausschuss der Notgemeinschaft nahm er Anfang Mai an. Die Querelen fanden mit der Ämterniederlegung kein Ende. In der Folgezeit berichtete die rechte Presse, Poelzig sei jüdischer Herkunft, und die Akademie der Künste schaltete zur Klärung dieser Frage im Sommer 1933 den „Sachverständigen für Rasseforschung“ im Reichsinnenministerium ein. Vehement setzte sich Poelzig zur Wehr.36 Zudem wurde er Mitte der 1930er Jahre von der Hochschule vertrieben. Das Reichserziehungsministerium emeritierte ihn nach dem Gesetz über die Entpflichtung und Versetzung von Hochschullehrern aus Anlass des Neuaufbaus des Hochschulwesens zum 31. März 1935. Immerhin erlaubte man ihm zunächst noch, weiter Lehrveranstaltungen abzuhalten.37 Seine Lehrtätigkeit endete jedoch im Frühjahr 1936. Poelzigs Versuch, seiner misslichen Lage zu entgehen, führte ihn in die Türkei. Vermutlich seit 1934 arbeitete er an einem Beitrag für einen internationalen Architekturwettbewerb, in dem es um ein Theater und ein Konservatorium in Istanbul ging.38 Er knüpfte also an seine früheren Verbindungen in die Türkei an, die aus der Zeit des Ersten Weltkriegs rührten, als er an dem erwähnten ArchitekturWettbewerb um die Errichtung eines „Hauses der deutsch-türkischen Freundschaft“ teilgenommen hatte. Den direkten Kontakt vermittelte 1934 sein Freund, der Berliner Stadtbaurat Martin Wagner, der wegen seiner SPD-Mitgliedschaft 1933 aus dem Amt entlassen worden und nach Istanbul emigriert war.39 Ende Januar 1935 wurde Poelzigs Entwurf mit dem ersten Preis ausgezeichnet, und man bot ihm zudem eine Professur an der Akademie der Schönen Künste in Istanbul an; er sollte die Leitung der baukünstlerischen Akademie übernehmen, um die Reform des Architekturunterrichts voranzutreiben. Jenseits der persönlichen Netzwerke spielte für die Einladung eine entscheidende Rolle, dass die türkische Regierung und vor allem Kemal Atatürk selbst seit Gründung der Türkischen Republik 1923 anstrebten, das Land grundlegend umzustrukturieren, um eine an westeuropäischen Standards orientierte Industriegesellschaft zu schaffen.40 Den Kemalismus zeichnete gleichzeitig auch eine rigide „Türkisierungspolitik“ gegenüber Minderheiten aus, wie am Beispiel der türkisch-jüdischen Gemeinden gut gezeigt werden kann.41 Ein wichtiges Element der intendierten Modernisierung auch und gerade des Wissenschaftssystems42 36 37 38 39 40 41 42

Dies ist als antisemitisch bezeichnet worden, vgl. Pehnt: Wille, S. 41 f. Poelzig ist zuletzt im „Personal- und Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1935/36 und Sommersemester 1936“ aufgeführt, vgl. UATU-B, Karteikarte Poelzig. Vgl. Pehnt/Schirren (Hg.): S. 249. Vgl. Durth: Architekten, S. 93. Zu Wagner in der Türkei vgl. Neumark: Zuflucht, S. 118 f.; zur Zusammenarbeit Wagners und Poelzigs in Berlin vgl. Schirren: „Stoffwechsel“, S. 26 f.; Posener: Jahrhundert, S. 172 f. Das Folgende stammt aus meinem Buch: NS-Vertreibung, S. 136–145. Vgl. Guttstadt: Türkei, S. 75–104. Im Kern ging es dabei um die Reform der Istanbuler Universität, des sogenannten Hauses (oder Tores) der Wissenschaften (Darülfünun) und um den Aufbau einer (landwirtschaftli-

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war die Einrichtung von sogenannten Modell- oder Mustereinrichtungen (wie zum Beispiel Universitäten, Krankenhäusern oder Landwirtschaftsinstituten) sowie die Anwerbung bzw. Anstellung von ausländischen und vor allem deutschen Fachkräften und Wissenschaftlern, die jene aufbauen und leiten sollten. Ab 1926 wurden auch Architekten ins Land geholt. Zu nennen ist etwa der Österreicher Ernst Egli, der bald Chef der Bauabteilung im Unterrichtsministerium und ab 1930 Leiter der Architekturfakultät an der Akademie der Schönen Künste in Istanbul wurde.43 Atatürk selbst forderte bei den neu gebauten Gebäuden Modernität ein; insbesondere Schulhäuser sollten zum emanzipatorischen Symbol des türkischen Erneuerungswillens werden. Dass die Türkei Unterstützung insbesondere in Deutschland suchte, lässt sich durch die jahrzehntelange Zusammenarbeit zwischen den beiden Staaten – insbesondere auf militärischem Gebiet und in der Medizin – erklären.44 So war bereits im Ersten Weltkrieg eine Reihe von deutschen Professoren in Istanbul tätig, und 1932 bat die türkische Regierung den Genfer Pädagogikprofessor Albert Malche, einen Reformvorschlag für die in Istanbul bestehende Hochschule, das Haus (oder Tor) der Wissenschaften, auszuarbeiten. Nach Beginn der NSHerrschaft ergriff sie dann die Gelegenheit, die von ihren Stellen suspendierten deutschen Gelehrten in die Türkei zu holen, um von ihrem Wissen und ihren Erfahrungen zu profitieren. Die entlassenen Professoren und die ausländischen (meist deutschen) Experten waren als Gutachter, Wissenschaftler, Hochschullehrer, Reformer oder Künstler in der Türkei willkommen und arbeiteten in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen: in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Medizin, im gesamten Kulturbetrieb, zudem in der Stadtplanung und im Städtebau. So sollte Poelzig in Istanbul das Theater und das Konservatorium bauen und die dortige baukünstlerische Akademie leiten; andere bekannte deutschsprachige Architekten, die in der Türkei konstruierten und bauten, waren etwa Margarete Schütte-Lihotzky, Bruno Taut, Herbert Eichholzer, Clemens Holzmeister oder Robert Vorhoelzer.45 Carl Ebert, Eduard Zuckmayer, Ernst Praetorius und andere waren an maßgeblicher Stelle an der Herausbildung einer modernen türkischen Musik- und Theaterkultur beteiligt, und der spätere Regierende Bürgermeister von Berlin, Ernst Reuter, bildete an der Fakultät für Politische Wissenschaften in Ankara zukünftige Politiker und Beamte nach Prinzipien der modernen Kommunalverwaltung aus.46 Die deutsche Seite begrüßte die Mitarbeit der deutschen Experten, weil sich das NS-Regime zunächst erhoffte, durch gute Kontakte zur Türkei einen Verbün-

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chen) Hochschule in Ankara. Vgl. Bozay: Exil, S. 28–32; Widmann: Exil, S. 28–34; Erichsen: Emigration, S. 80 f. Vgl. Krohn u. a. (Hg.): Handbuch, S. 694. Vgl. Widmann: Exil, S. 33–41; Guttstadt: Türkei, S. 157–159; Erichsen: Emigration, S. 80 f. Zu den deutschsprachigen Architekten in der Türkei vgl. ausführlich Nicolai: Moderne; Reisman: Modernization, S. 43–60; Reisman/Capar: Gifts, S. 20–22; (zu Vorhoelzer) Cremer: Jahre. Zu Reuter vgl. u. a. Walter: Emigration, S. 226–228; Verein Aktives Museum (Hg.): Haymatloz, S. 196–209; Widmann: Exil, S. 161–167; zuletzt Möckelmann: Wartesaal.

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deten gegen die Sowjetunion zu gewinnen. Aus strategischen und nicht zuletzt auch handelspolitischen Interessen war das NS-Regime zu Zugeständnissen bereit. Daher wurden auch keine größeren Anstrengungen unternommen, die Tätigkeit der als Juden/„Nichtarier“ vertriebenen Wissenschaftler oder solcher Gelehrter, die politisch als NS-Gegner galten, in der Türkei zu behindern oder gänzlich zu unterbinden. Die türkischen Pläne konnten mithilfe der Notgemeinschaft Deutscher Wissenschaftler im Ausland mit Sitz in Zürich umgesetzt werden, die seit Sommer 1933 wohl über 200 vertriebene Wissenschaftler und Experten nach Istanbul und Ankara vermittelte – darunter auch den in diesem Buch beschriebenen Wilhelm Salomon-Calvi. Vor diesem Hintergrund ist es zu verstehen, dass Poelzig für die Türkei und umgekehrt die Türkei für Poelzig interessant war. Im Zuge der Berufungsverhandlungen – zunächst ging es um einen dreijährigen Vertrag – reiste er zweimal in die Türkei, und zwar genau in jener Phase, in der ihn das Reichserziehungsministerium emeritierte, freilich ohne ihn zunächst ganz von der Lehre auszuschließen. Erst im Frühjahr 1936 endete Poelzigs Lehrtätigkeit. Es sind keine Dokumente überliefert, die erklären, aus welchen Gründen dies geschah. Das Ende seiner Tätigkeit an der Hochschule ist daher nicht einfach zu kategorisieren. Verweigerte das Reichserziehungsministerium ihm aus politischen Gründen, weiterhin in der Lehre tätig zu sein – nicht zuletzt, da sein Institut als liberal galt?47 Oder wollte er dies selbst nicht mehr? Hatten die Attacken der Jahre zuvor seiner Gesundheit so weit zugesetzt, dass er nicht mehr lehren mochte oder konnte? Oder legte er keinen Wert mehr darauf, weil er bereits seine Übersiedlung nach Istanbul plante? Diese Pläne hätte er jedoch sicher nicht verfolgt, hätte er weiterhin in Deutschland bauen können. Wie ist sein „Fall“ also zu bewerten? Handelt es sich um ein von der Hochschule bzw. vom Reichserziehungsministerium erpresstes „freiwilliges“ Ausscheiden aus der Lehre, um eine Emeritierung mit politischem Hintergrund oder um einen freiwilligen Rücktritt mit politischem Hintergrund? Poelzigs Situation zeigt exemplarisch, wie schwierig es im Einzelfall sein kann, die Komplexität einer Lebensgeschichte in formale Raster zu zwingen. Ähnliches gilt für seine Türkei-Pläne. Poelzig sah die geplante Tätigkeit in Istanbul sicherlich einerseits als Chance an – wobei seine Überlegungen, in die Türkei zu gehen, weniger politisch motiviert waren, als vielmehr auf der Einsicht beruhten, dass es für ihn kaum noch eine Möglichkeit geben würde, in Deutschland zu bauen und als Hochschullehrer tätig zu sein. Genauso offensichtlich war andererseits jedoch, dass er seine Heimat nicht verlassen wollte. Zeit seines Lebens war Deutschland sein Bezugspunkt gewesen  – auch architektonisch. Schon als Student und junger Architekt unternahm Poelzig Studienreisen fast ausschließlich in den deutschen Sprachraum, pilgerte auch später nicht – wie viele seiner Kollegen – in die USA, um sich von der dortigen Architektur inspirieren zu lassen. Auch am Wettbewerb um das „Haus der Freundschaft“ in Istanbul nahm er

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Vgl. Durth: Architekten, S. 57.

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1916 teil, ohne den Ort zu besichtigten, an dem jenes errichtet werden sollte.48 Hinzu kam seine Angst vor der Umstellung, die in der Fremde notwendig sein würde, vor den sprachlichen Schwierigkeiten, vor dem Verlust der Freunde und des Berliner Lebens. Für ihn stellte die Emigration so etwas wie eine „innere Unmöglichkeit“ dar.49 Von seinem zweiten Türkei-Besuch kehrte Poelzig Ende des Jahres 1935 gesundheitlich stark angegriffen nach Berlin zurück. Seine tiefe Resignation und Erschöpfung rührten daher – so deutet es sein früherer Schüler Julius Posener –, dass er darunter litt, „dass für seine Vorstellungen in Deutschland kein Raum mehr war – und für ihn kein Raum außerhalb Deutschlands“.50 Poelzigs Biograf Theodor Heuss formulierte es so: „Er nahm den Abschied sehr ernst und starb.“51 Dies geschah am 14. Juni 1936.

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Vgl. Pehnt: Wille, S. 16. So berichtete Joachim Matthaei 1951 von einem Gespräch mit Poelzig Ende März 1936, zit. nach: Posener (Hg.): Poelzig, S. 257. Vgl. auch Pehnt: Kerl, S. 20. Posener: Poelzig, S. 258. Zur Sicht von Poelzigs Schülern vgl. Posener: Lehrer; ders.: Jahrhundert, S. 167–213; Speer: Erinnerungen, S. 27 und 31. Zu Poelzig als Lehrer vgl. Pehnt/ Schirren (Hg.): Poelzig, S. 172–181. Heuss: Poelzig, S. 108.

NS-VERFOLGTE, DER DFG ZUGEORDNETE ABGEORDNETE DES REICHSINNENMINISTERIUMS Rudolf Hilferding (1877–1941) Otto Hoetzsch (1876–1946) Bruno Kuske (1876–1964) Julius Moses (1868–1942) Georg Schreiber (1882–1963)

NS-VERFOLGTE, DER DFG ZUGEORDNETE ABGEORDNETE DES REICHSINNENMINISTERIUMS Abschließend soll auf die NS-verfolgten Mitglieder der Notgemeinschaft eingegangen werden, die nicht von der wissenschaftlichen Community, sondern vom Reichsinnenministerium in die Gremien entsandt wurden. Aufgrund dieses Sonderstatus werden sie hier nicht zu den anderen 29 NS-vertriebenen DFG-Gremienmitgliedern gerechnet.1 Gleichwohl sollen ihre Biografien und ihre Schicksale nach 1933 an dieser Stelle kurz skizziert werden. Es handelt sich um Rudolf Hilferding, Otto Hoetzsch, Bruno Kuske, Julius Moses und Georg Schreiber. Bereits in den ersten Verhandlungen um die Zuweisung von staatlichen Geldern an die Berliner Notgemeinschaft hatte das Reichsinnenministerium darauf gedrängt, einen parlamentarischen Ausschuss einzurichten, der die Mittelvergabe beaufsichtigen sollte. Doch Friedrich Schmidt-Ott, Präsident der Notgemeinschaft, konnte das Kontrollgremium abwehren: „Um einem parlamentarischen Ausschuß für die Notgemeinschaft zu entgehen“, so schrieb er Ende März 1921 in einem streng vertraulichen Brief an den Fachgutachter Erich Marcks, „habe ich Vereinbarung in dem Sinne getroffen, daß 3 Parlamentarier in die Fachausschüsse gewählt werden sollen.“2 Man einigte sich auf drei Abgeordnete, die neben ihrem politischen Amt eine Professur innehatten: Otto Hoetzsch (Geschichte), Georg Schreiber (Theologie) und Gustav Radbruch (Rechtswissenschaft). Da die Wahl der Fachausschüsse jedoch gerade abgeschlossen war, teilte Schmidt-Ott sie kurzerhand den Fachausschüssen zu und weihte nur die unmittelbar Beteiligten ein: So bat er die Fachausschussvorsitzenden Harry Breßlau (Geschichte), Adolf Deißmann (Theologie) und Josef Partsch (Jurisprudenz), „mit mir die Verantwortung zu übernehmen, daß die Zuwahl, die eigentlich durch die [Fachverbände] oder durch Kooptation des Ausschusses erfolgen müßte, als erfolgt angesehen wird“. Und weiter hieß es: „Im Interesse der diskreten Behandlung möchte ich Ihnen nahelegen, [die parlamentarischen Abgeordneten] im Einverständnis mit mir ohne weiteres als Mitglieder des Fachausschusses zu behandeln und hinzuzuziehen“.3 Die ausgewählten Vertreter seien schließlich „ja auch fachlich sehr geeignet“, und in der nächsten Sitzung werde man dann „offen über diese Dinge sprechen können“. Alle Beteiligten erklärten sich mit dem vorgeschlagenen Verfahren einverstanden.4 1 2 3 4

Das Folgende nach Orth: NS-Vertreibung, S. 49–51. Brief Schmidt-Ott an Marcks vom 29.3.1921, BArch, R 73/120, fol. 111. Das folgende Zitat ebd. Brief Schmidt-Ott an Deißmann vom 24.3.1921, BArch, R  73/120, fol.  114. Die beiden folgenden Zitate ebd. Vgl. z. B. Brief Deißmann an Schmidt-Ott vom 26.3.1921, BArch, R 73/120, fol. 113; Telegramm Schreiber 31.3.1921, ebd., fol. 112; Brief Schmidt-Ott an Schreiber vom 13.4.1921, ebd., fol. 100.

392

NS-verfolgte, der DFG zugeordnete Abgeordnete des Reichsinnenministeriums

Die drei der Notgemeinschaft 1921 zugeordneten Reichstagsabgeordneten blieben bis 1924 den Fachausschüssen zugeteilt und wechselten dann in gleicher Funktion in den Hauptausschuss. In der „Krise“ des Jahres 1929 wurde die Zahl der Abgeordneten auf fünf erhöht. Hoetzsch und Schreiber gehörten weiterhin zu den Abgesandten, neu hinzukamen der Berliner Sozialdemokrat Julius Moses, der Kölner Wirtschaftshistoriker und -geograf Bruno Kuske sowie der an der TH Berlin lehrende Maschinenbauingenieur und langjährige Direktor des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI), Conrad Matschoß. Von 1921 bis 1929 waren also Hoetzsch, Schreiber und Radbruch sowie Rudolf Hilferding, der 1925 Radbruch ablöste, für die Notgemeinschaft tätig, von 1929 bis 1933 Hoetzsch, Schreiber, Moses, Kuske und Matschoß.5 Nach 1933 blieb nur Matschoß unbehelligt, alle anderen wurden verfolgt. Gustav Radbruch wird in diesem Buch ausführlich vorgestellt, die Lebenswege der anderen sollen hier zumindest kurz beschrieben werden.6 Rudolf Hilferding, der von 1925 bis 1929 der Notgemeinschaft zugeordnet war, wurde 1877 in Wien als Sohn eines jüdischen Kaufmanns geboren und arbeitete nach dem Medizinstudium in Berlin als Lehrer, Schriftsteller und vor allem als Journalist und Redakteur für sozialdemokratische Zeitschriften. Seit 1924 war er für die SPD im Reichstag tätig und übte zweimal das Amt des Reichsfinanzministers aus. Nach der „Machtergreifung“ floh er über die Schweiz nach Frankreich, wo er verhaftet und an die Gestapo ausgeliefert wurde. Er starb am 12. Februar 1941 nach schweren Misshandlungen in dem Pariser Gefängnis La Santé. Der 1876 in Leipzig geborene Otto Hoetzsch hatte nach dem Studium der Geschichte, der Staatswissenschaften und der Kunstgeschichte 1913 ein neu geschaffenes Extraordinariat für osteuropäische Geschichte und Landeskunde an der Universität Berlin erhalten. Sein Interesse an Osteuropa und Russland äußerte sich auch darin, dass er die Deutsche Gesellschaft zum Studium Osteuropas gründete und Mitte der 1920er Jahre die Zeitschrift Osteuropa ins Leben rief, sich zudem für russische Emigranten einsetzte. Für die Deutschnationale Volkspartei gehörte er seit 1920 dem Reichstag an, und das Innenministerium sandte ihn 1921 in die Notgemeinschaft. Er übte dort sein Amt bis 1933 aus. Aus der Sicht der Nationalsozialisten galt er trotz seiner Mitgliedschaft in der Deutschnationalen Volkspartei als Sympathisant Russlands, sodass er zum 1. September 1935 zwangsweise emeritiert wurde. Hoetzsch blieb in Deutschland, kehrte nach Kriegsende trotz erheblicher gesundheitlicher Probleme ins Lehramt zurück und starb am 27. August 1946 in Berlin.

5 6

Während Matschoß und Radbruch zeitweise auch von der wissenschaftlichen Community in den Hauptausschuss geschickt wurden, waren die anderen ausschließlich vom Ministerium entsandt. Zum Folgenden vgl. die entsprechenden Einträge in NDB; DBE; zudem Schumacher (Hg.): Republik.

NS-verfolgte, der DFG zugeordnete Abgeordnete des Reichsinnenministeriums

393

Bruno Kuske, 1876 in Dresden geboren, studierte Nationalökonomie, Geschichte, Geografie und Völkerkunde und habilitierte sich 1908 an der Handelshochschule Köln für das damals neue Fach Wirtschaftsgeschichte. Die Dozentur wurde später in eine Professur für Wirtschaftsgeschichte und -geografie an der Universität Köln überführt. Das Reichsinnenministerium entsandte Kuske, der seit 1919 der SPD angehörte, von 1929 bis 1933 in die Notgemeinschaft. Als Hochschullehrer wurde er 1933 für einige Monate suspendiert, konnte dann aber in sein Amt zurückkehren. Im Sommer 1944 verhaftet, musste er einige Zeit Zwangsarbeit leisten. Nach Kriegsende war Kuske nicht mehr als Professor tätig, sondern bei der Provinzialregierung der Nordrheinprovinz bzw. später als Obmann der Landesarbeitsgemeinschaft für Raumforschung angestellt. Er starb 1964 in Köln. Julius Moses, 1868 in Posen als Sohn eines jüdischen Schneiders geboren, war nach dem Medizinstudium als praktischer Arzt in Berlin tätig. Moses, Sozialist und SPD-Mitglied, gehörte seit 1920 dem Reichstag an und entwickelte sich Mitte der 1920er Jahre zu einem der entschiedensten Kritiker der Forschungspolitik der Notgemeinschaft, da sich jene seit diesem Zeitraum in den Dienst „der nationalen Wirtschaft, der Volksgesundheit und des Volkswohls“ stellte. Mehrere besonders drastische Fälle machte Moses im Vorwärts publik.7 Auch in den Haushaltsdebatten des Sommers 1929, in denen die Förderpraxis der Notgemeinschaft vielfach auf der Tagesordnung stand, machte er sich über einige besonders skurril anmutende Bewilligungen in den Geisteswissenschaften lustig und monierte, dass Wissenschaftler mit einer explizit antisemitischen und nationalsozialistischen Haltung gefördert würden, nicht aber Gelehrte, die sich mit soziologischen Fragstellungen oder Arbeitsrecht beschäftigten. Von 1929 bis 1933 entsandte ihn das Reichsinnenministerium dann direkt in die Notgemeinschaft. Kurz nach der „Machtergreifung“ kam Moses in Haft. Wieder entlassen, ging er nicht in die Emigration, sondern blieb in Berlin. 1938 wurde ihm die Approbation entzogen, und im Juli 1942 erfolgte die Deportation nach Theresienstadt. Dort starb Julius Moses am 24. September 1942. Der 1882 in Rüdershausen geborene Georg Schreiber studierte Philosophie, Theologie, Geschichte, Germanistik sowie Rechtswissenschaft und wurde 1905 zum katholischen Priester geweiht. 1917 übernahm er, inzwischen zum päpstlichen Prälaten ernannt, das Ordinariat für Kirchengeschichte und historische Caritaswissenschaft an der Universität Münster. Als Mitglied der Zentrumspartei wirkte er seit 1920 im Reichstag als einflussreicher Abgeordneter insbesondere im Haushaltsausschuss. Dies und sein Interesse an Wissenschafts- und Forschungspolitik veranlassten das Reichsinnenministerium, ihn von 1921 bis 1933 in die Notgemeinschaft abzuordnen. Als Zentrumsabgeordneter und Exponent der Weimarer Kulturpolitik im Visier der Nationalsozialisten, floh er im Frühjahr 1933 ins Ausland, kehrte jedoch wieder nach Deutschland zurück, um zum 1. April 1935 zwangsweise an die Theologische Fakultät der Staatlichen Akademie Braunsberg/ 7

Vgl. Orth: NS-Vertreibung, S. 43 f.

394

NS-verfolgte, der DFG zugeordnete Abgeordnete des Reichsinnenministeriums

Ostpreußen versetzt zu werden. Ein Jahr später erfolgte – formal auf seinen eigenen Antrag hin – die vorzeitige Emeritierung. Schreiber konnte zwar weiterhin wissenschaftlich tätig sein, war aber Überwachung und Verfolgung ausgesetzt, sodass er mehrfach fliehen und im Versteck leben musste. Nach Kriegsende kehrte er auf seinen Lehrstuhl nach Münster und in die Wissenschaftspolitik zurück. Er starb am 24. Februar 1963.

ANHANG

TABELLEN Tabelle 1: Die vertriebenen DFG-Gremienmitglieder (nach Gremien) Nachname

Vorname

Lebensdaten

Gremium

Grund der Vertreibung

Haber

Fritz

1868–1934

Präsidium

rassistisch

Konen

Heinrich

1874–1948

Präsidium

politisch

Radbruch

Gustav

1878–1949

Hauptausschuss

politisch

Schwartz

Eduard

1858–1940

Hauptausschuss

politisch

Jacobi

Erwin

1884–1965

FA 2 Jurisprudenz

rassistisch

Kaufmann

Erich

1880–1972

FA 2 Jurisprudenz

rassistisch

Mendelssohn Bartholdy

Albrecht

1874–1936

FA 2 Jurisprudenz

rassistisch

Nußbaum

Arthur

1877–1964

FA 2 Jurisprudenz

rassistisch

Rabel

Ernst

1874–1955

FA 2 Jurisprudenz

rassistisch

Triepel

Heinrich

1868–1946

FA 2 Jurisprudenz

rassistisch

Briefs

Goetz

1889–1974

FA 3 Staatswissenschaften

politisch

Hahn

Martin

1865–1934

FA 4 Theoretische/Praktische Medizin

rassistisch

Hoffmann

Erich

1868–1959

FA 4 Theoretische/Praktische Medizin

politisch

Zumbusch

Leo von

1874–1940

FA 4 Theoretische/Praktische Medizin

politisch

Katz

David

1884–1953

FA 5 Philosophie

rassistisch

Köhler

Wolfgang

1887–1967

FA 5 Philosophie

politisch

Jaeger

Werner

1888–1961

FA 6 Alte und Orientalische Philologie

rassistisch

Ranke

Hermann

1878–1953

FA 6 Alte und Orientalische Philologie

rassistisch

Goldschmidt

Adolph

1863–1944

FA 9 Kunstwissenschaften

rassistisch

Philippson

Alfred

1864–1953

FA 12 Geologie, Mineralogie und Geographie

rassistisch

SalomonCalvi

Wilhelm

1868–1941

FA 12 Geologie, Mineralogie und Geographie

rassistisch

398 Waibel

Tabellen

Leo

1888–1951

FA 12 Geologie, Mineralogie und Geographie

rassistisch

Berl

Ernst

1877–1946

FA 13 Chemie

rassistisch

Neuberg

Carl

1877–1956

FA 13 Chemie

rassistisch

Wöhler

Lothar

1870–1952

FA 13 Chemie

rassistisch

Gaede

Wolfgang

1878–1945

FA 14 Physik

politisch

Schur

Issai

1875–1941

FA 15 Mathematik

rassistisch

Spangenberg

Heinrich

1879–1936

FA 16 Bauingenieurwesen

rassistisch

Poelzig

Hans

1869–1936

FA 17 Hochbau und Architektur

politisch

HA=Hauptausschuss FA=Fachausschuss (Genannt ist die Bezeichnung der Fachausschüsse von 1920/21 bis 1933. Der FA 4 wurde 1922 in 4a Theoretische Medizin und 4b Praktische Medizin, der FA 12 1924 in 12a Geologie und Mineralogie und 12b Geographie geteilt. Zudem hieß der FA 2 ab 1926 Rechtswissenschaft und der FA 3 ab 1933 Wirtschaftswissenschaften.)

Tabelle 2: NS-verfolgte, der DFG zugeordnete Abgeordnete des Reichsinnenministeriums Nachname

Vorname

Lebensdaten

Der Notgemeinschaft zugeordnet

Grund der Vertreibung

Hilferding

Rudolf

1877–1941

1925–1929

rassistisch/politisch

Hoetzsch

Otto

1876–1946

1921–1933

politisch

Kuske

Bruno

1876–1964

1929–1933

politisch

Moses

Julius

1868–1942

1929–1933

rassistisch/politisch

Schreiber

Georg

1882–1963

1921–1933

politisch

399

Tabellen

Tabelle 3: Die ersten Fachausschüsse der Notgemeinschaft 1920/211 Name des FA

Berufende Organisation

Vorsitzender

1

Staatswissenschaften

Preußische Akademie der Wissenschaften

Werner Sombart

4

2

Alte und Orientalische Philologie

Preußische Akademie der Wissenschaften

Eduard Meyer

7

3

Geschichte

Bayerische Akademie der Wissenschaften

Harry Breßlau

7

4

Biologie

Bayerische Akademie der Wissenschaften

Karl Ritter von Goebel

6

5

Mathematik, Astronomie, Geodäsie

Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen

Felix Klein

5

6

Physik, Geophysik, Astrophysik

Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen

Carl Runge

8

7a

Mineralogie, Geographie, Geologie

Sächsische Akademie der Wissenschaften in Leipzig

Gottlob Linck

4

7b

Völkerkunde, Prähistorie, Anthropologie

Verband der Deutschen Hochschulen Carl Meinhof

6

8

Neuere Philologie

Sächsische Akademie der Wissenschaften in Leipzig

Edward Schröder

6

9

Philosophie

Heidelberger Akademie der Wissenschaften

Heinrich Maier

3

10

Kunstwissenschaften

Heidelberger Akademie der Wissenschaften

Theodor Wiegand

8

11

Theologie

Verband der Deutschen Hochschulen Adolf Deißmann (ev.) Albert Maria Ehrhard (kath.)

8

12

Jurisprudenz

Verband der Deutschen Hochschulen Josef Partsch

9

13

Medizin

Verband der Deutschen Hochschulen Arthur Heffter

7

14

Chemie

Verband der Deutschen Hochschulen Alfred Stock

9

15

MaschinenIngenieurwesen

Verband der Deutschen Hochschulen Enno Heidebroek

3

16

Bergbau u. Hüttenwesen

nicht bekannt

7

17

Elektrotechnik

Verband der Deutschen Hochschulen Hans Goerges

2

18

Bauingenieurwesen

Verband der Deutschen Hochschulen Heinrich Spangenberg

3

19

Hochbau und Architektur

nicht bekannt

German Bestelmeyer

2

20

Landwirtschaft und Forstwirtschaft

nicht bekannt

Friedrich Falke

9

1

Zusammenstellung nach: BArch, R 73/119, fol. 9–119.

Fritz Wüst

Zahl der Mitglieder

400

Tabellen

Tabelle 4: Die Vorsitzenden der Fachausschüsse 1920/21 bis 1933 Name des FA2

Vorsitzender

1a

Ev. Theologie

Adolf Deißmann (1920/21–1933)

1b

Kath. Theologie [1 a/b seit 1924]

Albert Maria Ehrhard (1920/21–1932), Max Meinertz (1933)

2

Jurisprudenz

Josef Partsch (1920/21–1924), Ernst Rabel (1928–1932), Heinrich Triepel (1933)

3

Staatswissenschaften

Max Sering (1922–1928), Karl Diehl (1929–1932), Kurt Wiedenfeld (1933)

4a

Theoretische Medizin

Martin Benno Schmidt (1922–1933)

4b

Praktische Medizin [4 a/b seit 1922]

Ludolf von Krehl (1922–1933)

5

Philosophie

Heinrich Maier (1920/21–1933)

6

Alte und Orientalische Philologie

Eduard Meyer (1920/21–1929), Enno Littmann (1931–1933)

7

Neuere Philologie

Edward Schröder (1920/21–1933)

8

Geschichte

Albert Brackmann (1922–1933)

9

Kunstwissenschaften

Theodor Wiegand (1920/21–1933)

10

Völkerkunde

Carl Meinhof (1920/21–1933)

11

Biologie

Karl Ritter von Goebel (1920/21–1932), Richard Hesse (1933)

12a

Geologie und Mineralogie

Gottlob Linck (1920/21–1933)

12b Geographie [12 a/b seit 1924]

Alfred Philippson (1924–1927), Erich von Drygalski (1928–1933)

13

Chemie

Alfred Stock (1920/21–1933)

14

Physik

Max von Laue (1922–1933)

15

Mathematik

Ludwig Bieberbach (1922–1933)

16

Bauingenieurwesen

Heinrich Spangenberg (1920/21–1933)

17

Hochbau und Architektur

German Bestelmeyer (1920/21–1927), Emil Rüster (1929–1930), Paul Bonatz (1931–1932), Hans Poelzig (1933)

18

Bergbau und Hüttenwesen

August Schwemann (1922–1933)

19

Maschinenbau

Enno Heidebroek (1920/21–1925), Carl Kutzbach (1926–1933)

20

Elektrotechnik

Hans Goerges (1920/21–1933)

21

Land- und Forstwirtschaft

Friedrich Falke (1920/21–1933)

2

Der FA 2 hieß seit 1926 Rechtswissenschaft, der FA 3 seit 1933 Wirtschaftswissenschaften. Der FA 21 wurde 1933 geteilt in a) Landwirtschaft, b) Forstwirtschaft, c) Tierheilkunde.

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS AAoB ABAW ABBAW AMPG AMUH a. o. Prof. ARB AUW BArch BArch-FA BArch-MA BayHStA BBG BEG BMAt BMBW BMFT BMVg BMwF BWGöD

DAI DDP DEA DFG DFGA DFR DMMA DMV DNVP DVL DWEV

Arbetarrörelsens Arkiv och Bibliotek, Stockholm Archiv der Bayerischen Akademie der Wissenschaften Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft Archiv und Museum der Universität Hohenheim außerordentlicher Professor Archiv Radio Bremen Archiwum Uniwersytetu Wroclawskiego Bundesarchiv Bundesarchiv-Filmarchiv, Berlin Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg Bayerisches Hauptstaatsarchiv Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums (Berufsbeamtengesetz) Bundesentschädigungsgesetz Bundesministerium für Atomfragen/Atomkernenergie Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft Bundesministerium für Forschung und Technologie Bundesministerium der Verteidigung Bundesministerium für wissenschaftliche Forschung Bundeswiedergutmachungsgesetz für den öffentlichen Dienst (Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für Angehörige des öffentlichen Dienstes) Deutsches Archäologisches Institut Deutsche Demokratische Partei Deutsche Nationalbibliothek, Deutsches Exilarchiv 1933–1945 Deutsche Forschungsgemeinschaft Deutsche Forschungsgemeinschaft, Archiv Deutscher Forschungsrat Deutsches Museum München, Archiv Deutsche Mathematiker-Vereinigung Deutschnationale Volkspartei Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt Deutsche Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung. Amtsblatt des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung und der Unterrichtsverwaltungen der Länder

402

Abkürzungsverzeichnis

ERP ETH

European Recovery Program Eidgenössische Technische Hochschule Zürich

FA FhG FZG

Fachausschuss Fraunhofer Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung e. V. Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg

GA GSHA

Gaede-Archiv in der Gaede-Stiftung, Köln Georg-Speyer-Haus, Archiv

HA HAAc HATUM HStADD

Hauptausschuss Hochschularchiv der RWTH Aachen Hochschularchiv der TU München Hauptstaatsarchiv Dresden

IFU JKI

Institut für Forst- und Umweltpolitik der Universität Freiburg Julius-Kühn-Institut

KB KIT-A KWG KWI

Kungliga biblioteket – Sveriges nationalbibliotek, Stockholm Karlsruher Institut für Technologie, KIT-Archiv Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft Kaiser-Wilhelm-Institut

LAB

Landesarchiv Berlin

MPG MPI MPIPHA

Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e. V. Max-Planck-Institut Max-Planck-Institut für Psychiatrie, Historisches Archiv

NG NHH NLSW NRW NV

Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft Niedersächsisches Hauptstaatsarchiv Hannover Niedersächsisches Landesarchiv-Staatsarchiv Wolfenbüttel Nordrhein-Westfalen Normalverfahren

PA PTR

Personalakte Physikalisch-Technische Reichsanstalt

RA REM RLM RM RMdI RSHA

Riksarkivet, Stockholm Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung Reichsluftfahrtministerium Reichsmark Reichsminister/Reichsministerium des Innern Reichssicherheitshauptamt

Abkürzungsverzeichnis

SAH SAM SBB SPD SV

Staatsarchiv Hamburg Staatsarchiv München Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Handschriftenabteilung Sozialdemokratische Partei Deutschlands Schwerpunktverfahren

TH

Technische Hochschule

UA UABo UABS UAD UADD UAF UAFfm UAH UAHU-B UAJ UAK UAKö UAL UAM UAR UAS UAT UATU-B UAWü UBB UniAH UNRRA

Universitätsarchiv Universitätsarchiv Bonn Universitätsarchiv Braunschweig Universitätsarchiv Darmstadt Universitätsarchiv Dresden Universitätsarchiv Freiburg Universitätsarchiv Frankfurt Universitätsarchiv Heidelberg Universitätsarchiv HU Berlin Universitätsarchiv Jena Universitätsarchiv Konstanz Universitätsarchiv Köln Universitätsarchiv Leipzig Universitätsarchiv der LMU München Universitätsarchiv Rostock Universitätsarchiv Stuttgart Universitätsarchiv Tübingen Universitätsarchiv der Technischen Universität Berlin Universitätsarchiv Würzburg Universitätsbibliothek Basel Universitätsarchiv der Technischen Universität Hannover United Nations Relief and Rehabilitation Administration

WRK

Westdeutsche Rektorenkonferenz

YZE

Yüksek Ziraat Enstitüsü (Hohes Landwirtschaftliches Institut)

403

QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS UNVERÖFFENTLICHTE QUELLEN Dokumente in Privatbesitz Heinz Anstock: Erinnerungen; Privatbesitz Familie Wiesener Nachlass Prof. Dr. Karl Winnacker im Besitz von Prof. Dr. Albrecht Winnacker

Archive 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20.

Arbetarrörelsens Arkiv och Bibliotek, Stockholm (AAoB): Helmut Müsseners Arbeitsmaterial Archiv der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (ABAW): Mitgliederkartei, Nachlass Julius Speer Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (ABBAW): Astrophysikalisches Observatorium, Personal- und Besoldungsakten Archiv Radio Bremen (ARB): Gespräche mit vertriebenen Wissenschaftlern Archiv und Museum der Universität Hohenheim (AMUH): Personal- und Besoldungsakten Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft (AMPG), Nachlässe: Adolf Butenandt, Friedrich A. Paneth, Erich Regener. Personalakten: Carl Neuberg, Friedrich A. Paneth, Ernst Rabel, Erich Regener, Walther Spielmeyer. Sammlung: Ernst Rabel Archiwum Uniwerstytetu Wroclawskiego (AUW): Personal- und Besoldungsakten Bayerisches Hauptstaatsarchiv (BayHStA): Staatsministerium für Unterricht und Kultus, Personal- und Besoldungsakten Bundesarchiv, Berlin (BArch): Ehemaliges BDC, NS 8, NS 15, NSDAP-Mitgliederkartei und -Reichskartei, R 26/III, R 73, R 1501, R 1519, R 4901 Bundesarchiv, Koblenz (BArch): Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, Bundesministerium für Forschung und Technologie, Deutsche Forschungsgemeinschaft, Nachlass Ludwig Raiser, Nachlass Alexander Rüstow, Nachlass Eduard Spranger Bundesarchiv-Filmarchiv, Berlin, Fehrbelliner Platz (BArch-FA): „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“ Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg (BArch-MA): RL 3/56 Deutsche Forschungsgemeinschaft, Archiv (DFGA): General- und Förderakten Deutsche Nationalbibliothek, Deutsches Exilarchiv 1933–1945 (DEA): Nachlass Ernst und Walter Berl Deutsches Museum München, Archiv (DMMA): Nachlass Wolfgang Gaede, Nachlass Heinrich Spangenberg Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (FZG): Albrecht Mendelssohn Bartholdy, Materialien Gaede-Archiv in der Gaede-Stiftung, Köln (GA): Nachlass Wolfgang Gaede sowie Unterlagen und Dokumente zu Wolfgang Gaede Goerg-Speyer-Haus, Archiv (GSHA): Unterlagen zur Erich Hoffmann und Otto Riesser Hauptstaatsarchiv Dresden (HStADD): Personal- und Besoldungsakten Hochschularchiv der RWTH Aachen (HAAc): Personal- und Besoldungsakten, Akten betreffend Ehrenbürgerwürde und Ehrenmitgliedschaft

406

Quellen- und Literaturverzeichnis

21. Hochschularchiv der TU München (HATUM): Personal- und Besoldungsakten, Akten betreffend Vollzug des Berufsbeamtengesetzes 22. Hoover Institution Archives (HIA): Deutsche Forschungsgemeinschaft Collection 23. Institut für Forst- und Umweltpolitik der Universität Freiburg (IFU): Sammlung Speer 24. Julius Kühn-Institut (JKI), Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, Archiv: Unterlagen Hans Zeumer 25. Karlsruher Institut für Technologie, KIT-Archiv (KIT-A): Personal- und Besoldungsakten, Biografische Sammlung 26. Kungliga biblioteket  – Sveriges nationalbiblioteket Stockholm (KB), Handschriftenabteilung: Nachlass David und Rosa Katz 27. Landesarchiv Berlin (LAB): Nachlass Ernst Reuter 28. Max-Planck-Institut für Psychiatrie, Historisches Archiv (MPIPHA): Personalakte Walther Spielmeyer 29. Niedersächsisches Hauptstaatsarchiv Hannover (NHH): Personal- und Besoldungsakten 30. Niedersächsisches Landesarchiv-Staatsarchiv Wolfenbüttel (NLSW): Personal- und Fürsorgeakten Kurt Eisenmann 31. Riksarkivet, Stockholm (RA): Sven Hedin Archive 32. Staatsarchiv Freiburg (SAF): Wiedergutmachungsakte Gertrud Gurlitt 33. Staatsarchiv Hamburg (SAH): Universität I, II und III, Hochschulwesen I, II und III, Personal- und Besoldungsakten 34. Staatsarchiv München (SAM): Spruchkammerakten 35. Staatsbibliothek zu Berlin, Preussischer Kulturbesitz, Handschriftenabteilung (SBB): Nachlass Ferdinand Sauerbruch 36. Universitätsarchiv Bonn (UABo): Personal- und Besoldungsakten, Akten der Fakultäten 37. Universitätsarchiv Braunschweig (UABS): Personal- und Besoldungsakten, Akten der Hochschulverwaltung 38. Universitätsarchiv Darmstadt (UAD): Personal- und Besoldungsakten 39. Universitätsarchiv Dresden (UADD): Personal- und Besoldungsakten, Professorenkatalog, Biografische Sammlung, Nachlass Erich Trefftz 40. Universitätsarchiv Frankfurt (UAFfm): Personal- und Besoldungsakten 41. Universitätsarchiv Freiburg (UAF): Akademische Quästur, Deutsche Forschungsgemeinschaft, Generalia naturwissenschaftlich-mathematische Fakultät, Nachlass Wilhelm Süss, Nachlass Wilibald Gurlitt, Personal- und Besoldungsakten, Reinigungsausschüsse und -akten, Verwaltungsakte Burgunderstraße 30 42. Universitätsarchiv Heidelberg (UAH): Akademische Quästur, Generalia Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft und Deutsche Forschungsgemeinschaft, Personal- und Besoldungsakten 43. Universitätsarchiv HU Berlin (UAHU-B): Personal- und Besoldungsakten 44. Universitätsarchiv Jena (UAJ): Personal- und Besoldungsakten 45. Universitätsarchiv Köln (UAKö): Personal- und Besoldungsakten, Nachlass Otto Veit 46. Universitätsarchiv Konstanz (UAK): Nachlass Gerhard Hess 47. Universitätsarchiv Leipzig (UAL): Personal- und Besoldungsakten, Nachlass Erwin Jacobi 48. Universitätsarchiv der LMU München (UAM): Personal- und Besoldungsakten, Akten des akademischen Senats 49. Universitätsarchiv Rostock (UAR): Personal- und Besoldungsakten, Psychologisches Institut, Rektorat 50. Universitätsarchiv Stuttgart (UAS): Personal- und Besoldungsakten, Zeitungsausschnittsammlung, Universitätsgeschichtliche Sammlung, Gedenkreden, Nachlass Erich Regener 51. Universitätsarchiv der Technischen Universität Berlin (UATU-B): Personalkartei, Personalund Besoldungsakten 52. Universitätsarchiv der Technischen Universität Hannover (UniAH): Personal- und Besoldungsakten

Gedruckte Quellen, Erinnerungsberichte und Literatur bis 1945

407

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ABBILDUNGSVERZEICHNIS © © © © © © © © © © © © © © © © © © © © © © © © © © © © © ©

DFG (Umschlag) Deutsches Historisches Museum, Berlin .......................................................................... ullstein bild ....................................................................................................................... Deutsches Historisches Museum, Berlin .......................................................................... Seminar für Klassische Philologie, Universität Göttingen .............................................. Universitätsarchiv Leipzig ................................................................................................ Orden Pour le mérite für Wissenschaften und Künste .................................................... Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz / A. Claussen, Altona ............... Arthur Nussbaum, Schwad 02 14 25, Abraham Schwadron Portrait Collection, The National Library of Israel ......................................................... Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin, Porträtsammlung: Ernst Rabel ......................................................................................... Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin, Porträtsammlung: Heinrich Triepel / Atlantic Photo Co. Berlin SW ............................ Universitätsarchiv Freiburg ............................................................................................... Wikimedia commons / Neumann-Meding ..................................................................... Universitätsarchiv Bonn/Dorothea Bleibtreu .................................................................. Porträtsammlung des Münchner Stadtmuseums / Hilsdorf, Theodor ........................... Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Sammlung Voit / Max Voit ............................................................................................... ullstein bild ....................................................................................................................... Orden Pour le mérite für Wissenschaften und Künste .................................................... Universitätsarchiv Heidelberg .......................................................................................... Bildarchiv der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin ............................... Archiv des Geographischen Instituts der Universität Bonn ............................................ Universitätsarchiv Heidelberg / Robert Herbst, Heidelberg ........................................... Leibniz-Institut für Länderkunde ..................................................................................... Universitätsarchiv Darmstadt, UA Darmstadt 919 Nr. 1, Privatfoto .............................. Archiv der Max-Planck-Gesellschaft, Berlin-Dahlem ...................................................... Universitätsarchiv Darmstadt, UA Darmstadt 909 Nr. 2, Nachlassfragment ................. Stadtarchiv Karlsruhe ........................................................................................................ Bildarchiv des Mathematischen Forschungsinstituts Oberwolfach / Konrad Jacobs ................................................................................................................... Deutsches Museum München .......................................................................................... ullstein bild / Frieda Riess ................................................................................................

S.  27 S.  40 S.  55 S.  67 S.  79 S.  90 S. 102 S. 114 S. 124 S. 136 S. 149 S. 161 S. 169 S. 176 S. 187 S. 202 S. 217 S. 229 S. 241 S. 255 S. 269 S. 283 S. 297 S. 310 S. 325 S. 337 S. 349 S. 363 S. 377

Auszüge aus den Gesprächen mit Prof. Dr. Werner Jaeger (im Beitrag über Werner Jaeger) und Prof. Dr. Max Rheinstein (im Beitrag über Ernst Rabel) mit freundlicher Genehmigung von Radio Bremen; 1959.

b e i t r äg e z u r g e s c h i c h t e d e r d e u t s c h e n f o r s c h u ng s g e m e i n s c h a f t

Herausgegeben von Rüdiger vom Bruch (†) und Ulrich Herbert.

Franz Steiner Verlag

ISSN 1861–1478

1.

Isabel Heinemann / Patrick Wagner (Hg.) Wissenschaft – Planung – Vertreibung Neuordnungskonzepte und Umsiedlungspolitik im 20. Jahrhundert 2006. 222 S., kt. ISBN 978-3-515-08733-9 „[Der] Band zeigt, welch hohes Maß an empirischer Dichte und analytischer Differenzierung die Forschung in diesem Bereich inzwischen erreicht hat – und er weist auch eine wichtige Perspektive künftiger Forschung auf, nämlich die konsequente Kontextualisierung der für Europa gewonnenen Erkenntnisse im globalen Rahmen.“ Christoph Jahr, Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus 25, 2009

2.

Wolfgang U. Eckart (Hg.) Man, Medicine and the State The Human Body as an Object of Government Sponsored Medical Research in the 20th Century 2006. 297 S. mit 4 Tab., kt. ISBN 978-3-515-08794-0 „Therefore, the present volume is a very welcome and important contribution to 20th century medical history. It enriches not only medical research but is also helpful for teaching students and confronting them with the historical issues of a core problem of medical ethics. The book is a good read and its value is supported by a well-done biographical index. Every history of medicine library should have it.“ Cay-Rüdiger Prüll, History and Philosophy of the Life Sciences 29, 2007/2 „Nicht nur ein verdienstvolles, sondern auch ein umfassendes und herausragendes Buch zur Geschichte der Forschung am und mit Menschen.“ Heiner Fangerau, Zeitschrift für Genozidforschung 117, 2007

3.

Michael Zimmermann (Hg.) Zwischen Erziehung und Vernichtung Zigeunerpolitik und Zigeunerforschung im Europa des 20. Jahrhunderts 2007. IV, 591 S. mit 10 Abb., geb. ISBN 978-3-515-08917-3 „Die Herausgabe des Bandes ist äußerst verdienstvoll und sehr zu begrüßen, zumal es sich nicht nur auf die Rekonstruktion der Geschehnisse und die Ursachenforschung beschränkt, sondern auch auf die Selbstreflexion und auf das Verstehen von Entwicklungen ‚langer Dauer‘, auf eine Archäologie der Moderne, zielt. Er beleuchtet nicht nur einen wichtigen Bereich der Geschichte der Deutschen Forschungsgemeinschaft, sondern betrachtet auch in einer bis dahin nicht gekannten Breite die Zigeunerpolitik und Zigeunerforschung in Europa des 20. Jahrhunderts. Insofern ist das Buch eine unentbehrliche Informationsquelle und Arbeitgrundlage für künftige Forschungen zu diesem Thema.“ Hubert Kolling, Geschichte, Politik und ihre Didaktik 2008/1–2

4.

Karin Orth / Willi Oberkrome (Hg.) Die Deutsche Forschungsgemeinschaft 1920–1970 Forschungsförderung im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik 2010. 549 S., kt. ISBN 978-3-515-09652-2 „Insgesamt bietet der Sammelband auf breiter Quellenbasis eine beeindruckende Fülle neuer Erkenntnisse zur DFGGeschichte. Die zahlreichen, qualitativ überzeugenden Beiträge regen zur vertiefenden Lektüre der Ergebnisse der Forschergruppe an, die als Monographien und Sammelbände bereits vorliegen oder noch erscheinen werden.“ Florian Schmaltz, Neue Politische Literatur 56, 2011

5.

Helmuth Trischler / Mark Walker (Hg.) Physics and Politics Research and Research Support in Twentieth Century Germany in International Perspective 2010. 285 S. mit 2 Abb. und 7 Tab., kt. ISBN 978-3-515-09601-0

6.

Mark Walker / Karin Orth / Ulrich Herbert / Rüdiger vom Bruch (Hg.) The German Research Foundation 1920–1970 Funding Poised between Science and Politics 2013. 515 S., kt. ISBN 978-3-515-10195-0

Alexander von Schwerin

Strahlenforschung Bio- und Risikopolitik der DFG, 1920–1970

StuDien zur GeSchichte Der DeutSchen ForSchunGSGemeinSchaFt – banD 10 Der autor Alexander v. Schwerin ist Wissenschafts- und Technikhistoriker und hat über Genetik und Humangenetik im Nationalsozialismus gearbeitet. Seine Forschungsschwerpunkte sind Risikopolitik in der Bundesrepublik sowie die Geschichte der Molekularbiologie und Biotechnologie. Er unterrichtet an der TU Braunschweig Wissenschafts-, Technik- und Pharmaziegeschichte und ist Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte.

Die Strahlenforschung hat das 20. Jahrhundert geprägt. Strahlen kamen in Wissenschaft, Medizin, Industrie und Rüstung zur Anwendung. Was waren die Entstehungsbedingungen und wer die Akteure dieser Schlüsseltechnologie? Welche Rolle spielte dabei die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), eine der einflussreichsten deutschen Wissenschaftsorganisationen? Unabhängig vom politischen System förderte die DFG das Bestreben, die Naturkraft der Strahlen zu bändigen, zu steigern und nutzbar zu machen. Ob es um die Krebsbekämpfung, die UV-Bestrahlung von Stadtkindern, die Erzeugung von radioaktiven Stoffen, das nationalsozialistische Atomprogramm, den Strahlenschutz im Kalten Krieg oder die Entstehung der Molekularbiologie aus dem Kapital des Atomzeitalters ging – die Geschichte der Strahlenforschung deckt eine weitgehend unbekannte Seite der DFG auf: die Entwicklung der DFG zu einer bio- und risikopolitischen Institution. auS Dem inhalt Einleitung | Biopolitik des Mangels: Die 1920er Jahre | Gefahren der Technik: 1927 bis 1937 | Hygiene der Leistungssteigerung: 1933 bis 1949 | Risikopolitik des Überflusses: 1949 bis 1969 | Schluss: Die DFG als staatsnahe Institution

505 Seiten mit 19 Fotos, 3 Abbildungen und 16 Tabellen 978-3-515-10633-7 kart. 978-3-515-11017-4 e-book

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Die Verfolgung von Wissenschaftlerinnen und

Gegner des NS-Regimes verfolgt und aus dem

Wissenschaftlern durch das NS-Regime und ihre

deutschen Wissenschaftssystem vertrieben.

Vertreibung aus Deutschland stellen eine einschneidende Zäsur dar. Auch ein Teil derjenigen

Karin Orth rekonstruiert die Biografien der

Gelehrten, die 1920 die Notgemeinschaft der

vertriebenen Gremienmitglieder und würdigt

Deutschen Wissenschaft – die Vorgängerin der

ihre wissenschaftlichen Leistungen sowie ihre

Deutschen Forschungsgemeinschaft – gegrün-

Tätigkeit für die DFG – denn auch ihnen ist

det und in den folgenden Jahren aufgebaut

zu verdanken, dass die Deutsche Forschungs-

hatten, war davon betroffen. Von den rund

gemeinschaft zu dem werden konnte, was

300 DFG-Gremienmitgliedern der Weimarer

sie heute ist. Orth leistet mit diesem Band

Republik fielen 29 nach 1933 der national-

einen Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte des

sozialistischen „Säuberung“ der Hochschulen

frühen 20. Jahrhunderts und insbesondere zur

zum Opfer. Sie wurden als Juden oder politische

Geschichte der DFG.

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