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German Pages 204 Year 1995
ULRIKE HAAS-SPOHN Versteckte Indexikalität und subjektive Bedeutung
studia grammatica Herausgegeben von Manfred Bierwisch unter Mitwirkung von Hubert Haider, Stuttgart Paul Kiparsky, Stanford Angelika Kratzer, Amherst Jürgen Kunze, Berlin David Pesetsky, Cambridge (Massachusetts) Dieter Wunderlich, Düsseldorf
studia grammatica XXXVIII ike Haas-Spohn Versteckte Indexikalität und subjektive Bedeutung
Akademie Verlag
Autorin: Ulrike Haas-Spohn Friedrichstr. 28a D-33615 Bielefeld
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Haas-Spohn, Ulrike: Versteckte Indexikalität und subjektive Bedeutung / Ulrike Haas-Spohn. - Berlin : Akad. Verl., 1995 (Studia grammatica ; 38) Zugl.: Tübingen, Univ., Diss., 1994 I S B N 3-05-002833-5 NE: G T
ISSN 0081-6469 © Akademie Verlag GmbH, Berlin 1995 Der Akademie Verlag ist ein Unternehmen der VCH-Verlagsgruppe. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier. Das eingesetzte Papier entspricht der amerikanischen Norm ANSI Z.39.48 - 1984 bzw. der europäischen Norm ISO TC 46. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. All rights reserved (including those of translation into other languages). No part of this book may be reproduced in any form - by photoprinting, microfilm, or any other means - nor transmitted or translated into a machine language without written permission from the publishers. Druck: GAM Media GmbH, Berlin Bindung: Dieter Mikolai, Berlin Printed in the Federal Republic of Germany
Meinen Eltern gewidmet
Vorwort
Dieses Buch ist eine nur geringfügig veränderte Fassung meiner Doktorarbeit, die im Sommer 1994 von der Neuphilologischen Fakultät der Universität Tübingen angenommen wurde. Mein großer Dank gilt meinem Doktorvater Arnim von Stechow für die fachliche und menschliche Unterstützung, die er mir in den Jahren, in denen diese Arbeit entstanden ist, unbeirrt hat zuteil werden lassen. Danken möchte ich auch Irene Heim und Ede Zimmermann für ihre Kommentare, ihren Zuspruch und ihr Vorbild. Ede Zimmermanns Schriften zur Kontexttheorie und Uber Eigennamen haben entscheidend zur Klärung meiner eigenen Gedanken beigetragen, und Irene Heims Arbeiten zur Bedeutungstheorie und die Gespräche, die ich mit ihr führen konnte, haben meine Auffassungen ganz wesentlich geprägt. Von unschätzbarem Wert war die Hilfe meines Mannes Wolfgang Spohn. Im Anfangsstadium der Arbeit habe ich in langen Diskussionen mit ihm meine Ideen entwickeln und konkretisieren können; auch später hat er meine Arbeit in jedem Stadium kritisch begleitet. Dafür und für all die andere Hilfe, die ich von ihm erhalten habe, möchte ich ihm hier aus ganzem Herzen danken.
Bielefeld, im Mai 1995 Ulrike Haas-Spohn
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
9
Kapitel 1: Die Ausgangslage
15
1.1 Der Erkenntniswert notwendig wahrer Aussagen
.
16
1.2 Extension und Intension, Index, Kontext und Charakter
22
1.3 Der Inhalt von Überzeugungen
33
. . . .
1.4 Kontextveränderung und Propositionalkonzept
43
Kapitel 2: Zur formalen Struktur von Überzeugungsinhalten
57
2.1 Ein Zwischenresümee
.
57
2.2 Der Subjektparameter
.
62
2.3 Der Gegenwartsparameter .
76
2.4 Der Ortsparameter
81
Kapitel 3: Prädikate .
87
3.1 Der Charakter von „Wasser"
88
3.2 Inwiefern ist „ Wasser " versteckt indexikalisch?
95
3.3 Was ist ein möglicher Kontext?
99
3.4 Der Metaspracheneinwand
105
3.5 Wesentlichkeitskonventionen und versteckte Indexikalität
115
3.6 Andere Beispiele
120
3.7 Versteckte Indexikalität und starre Designation
126
3.8 DasInternalitätsproblemßirPrädikate
131
.
3.9 Formaler Charakter und subjektive Bedeutung
135
8
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 4: Eigennamen
147
4.1 Der Charakter von Namen und ihre versteckte Indexikalität
148
4.2 Leere und deskriptive Namen
157
4.3 Der deskriptive Gehalt von Namen und der Metaspracheneinwand
160
4.4 Das Informativitäts- und das Internalitätsproblem flir Namen
165
4.5 Namen als mehrdeutige Ausdrücke
170
4.6 Namen als offen indexikalische Ausdrücke: erste Variante .
176
4.7 Namen als offen indexikalische Ausdrücke: zweite Variante
182
Literaturverzeichnis .
195
Namensverzeichnis
199
Sachverzeichnis .
.
201
Einleitung
Ich möchte in dieser Arbeit einen individualistischen Bedeutungsbegriff explizieren und verteidigen. Wie kommt es, daß das ein Ziel ist, welches heutzutage auf weitverbreitete Skepsis stößt? Jede ernstzunehmende Theorie der sprachlichen Bedeutung muß zwei Intuitionen gerecht werden, die mit dem Bedeutungsbegriff verknüpft sind: Zum einen ist Bedeutung etwas Objektives, was sprachlichen Ausdrücken qua ihrer Zugehörigkeit zu einer Sprache zukommt, was sie mit der Welt und den darin vorkommenden Gegenständen verknüpft und was insbesondere ganzen Sätzen eine Wahrheitsbedingung verleiht. Zum anderen ist Bedeutung etwas Subjektives, etwas, das Sprachbenutzer mit sprachlichen Ausdrücken verbinden. Insbesondere versieht sie ganze Sätze mit einem Inhalt, der die Überzeugung charakterisiert, die jemand mit der Äußerung des Satzes ausdrückt und zu der jemand gelangt, wenn er den Satz hört und dem Sprecher glaubt. Die klassischen Bedeutungstheorien haben immer diese doppelte Aufgabe im Blick gehabt, zugleich aber ihre Grundbegriffe damit Uberfordert. Dies gilt schon für Freges Sinne sprachlicher Ausdrücke und insbesondere für Freges Gedanken, die Sinne von Behauptungssätzen. Einerseits definiert Frege den von einem Satz ausgedrückten Gedanken ausdrücklich als seine objektive Wahrheitsbedingung. Andererseits ist es dieser Gedanke, den jemand erfaßt, wenn er den Satz versteht, und der insofern dessen subjektive Bedeutung liefert. Carnaps Intensionen unterscheiden sich in dieser Hinsicht nicht von Freges Sinnen. Die Schwierigkeiten dieser Auffassung verdichten sich in der Frage, die ich das Informativitätsproblem nenne: Wie können zwei Aussagen mit den gleichen Wahrheitsbedingungen verschiedenen Informationsgehalt haben, wie können notwendig wahre Aussagen informativ sein, und wie ist es möglich, daß notwendig falsche Aussagen von rationalen Personen geglaubt werden? Schon für Frege war dieses Problem, speziell auf Identitätssätze bezogen, zentral, und seine Sinne sollten gerade einer Lösung dieses Problems dienen. Allerdings zeigte sich die Unvollständigkeit dieser Lösung in seiner Unfähigkeit, die Sinne von Eigennamen in nicht-subjektiver Weise anzugeben. Daß die klassischen Bedeutungstheorien durch diese Doppelaufgabe überlastet sind, wurde mit Kripkes Naming and Necessity (1972) endgültig offenkundig. Mit einer Untersuchung der Sinne oder Intensionen von Eigennamen machte Kripke klar, daß die Unterscheidung von Apriori und Aposteriori und die Unterscheidung von Notwendigkeit
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Einleitung
und Kontingenz logisch unabhängig sind. Wenn es die objektive Bedeutung eines Satzes ist, aufgrund derer er als notwendig oder kontingent zu beurteilen ist, und wenn es seine subjektive Bedeutung ist, aufgrund derer er für einzelne Subjekte a priori oder a posteriori, informativ oder nicht informativ ist, so fallen damit objektive und subjektive Bedeutung ebenso auseinander wie diese Unterscheidungen. Eine weitere Verschärfung der Problemlage entstand durch die Arbeiten von Putnam und Bürge. Es war bislang stets eine unausgesprochene Voraussetzung, daß subjektive Bedeutungen die psychischen Zustände und insbesondere die Überzeugungen von Personen intem charakterisieren sollten. In The Meaning of „Meaning " (1975) zeigte Putnam jedoch am Beispiel von Substanzwörtern, daß objektive Bedeutungen nichts sind, was durch die internen Zustände selbst kompetenter Sprecher festgelegt ist: objektive Bedeutungen sind nicht im Kopf. Unter der genannten Voraussetzung folgt auch daraus, daß die subjektiven Bedeutungen von Ausdrücken nicht mit ihren objektiven Bedeutungen gleichgesetzt werden dürfen. Darüber ging Bürge in seinem Individualista and the Mental (1979) noch hinaus, mit der Behauptung, auch Überzeugungen selbst seien nicht im Kopf. Hätte Bürge recht, so wären damit auch die subjektiven Bedeutungen von Äußerungen, die Überzeugungen, die Personen mit ihren Äußerungen ausdrücken, nicht intern oder, wie Bürge es nennt, individualistisch zu charakterisieren. Diese Schlußfolgerung möchte ich hier, wie gesagt, zurückweisen. Doch sind die Argumente von Putnam und Bürge im Kern richtig und daher ernst zu nehmen. Sie konfrontieren die Theorie der subjektiven Bedeutung mit einer zweiten Problematik, die ich das Internalitatsproblem nenne: Wie lassen sich die Überzeugungen, die Subjekte mit der Äußerung von Sätzen zum Ausdruck bringen, auf interne oder individualistische Weise angeben, also so, daß zwei materiell völlig gleichartige Personen sich auch hinsichtlich ihrer Überzeugungen und subjektiven Bedeutungen als gleichartig beschreiben lassen? Die Diskussion um den Individualismus findet nicht nur in der Sprachphilosophie statt, sondern in viel stärkerem Maße in der Philosophie des Geistes. Dort geht es allerdings weniger um die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke; Sinn und Möglichkeit individualistischer und antiindividualistischer Positionen werden vielmehr allgemein diskutiert, und die Debatte kreist um Begriffe wie den der mentalen Repräsentation oder den der Sprache des Geistes. Aus dieser Thematik werde ich mich in der vorliegenden Arbeit ganz heraushalten. Dem liegt die vielleicht naive Meinung zugrunde, daß vorderhand alle intuitive Plausibilität beim Individualismus liegt und es insofern beim Streit um Individualismus und Antiindividualismus nicht um das Für und Wider zweier gleichberechtigter Alternativen geht. Diese Intuition wird durch die Argumente von Putnam und Bürge erst einmal blockiert. Doch wenn sich ein konstruktiver Weg aufzeigen ließe, wie man die Einsichten von Putnam und Bürge bewahren und dennoch eine interne Beschreibung von subjektiven Bedeutungen geben kann, so wäre die intuitive Ordnung wieder hergestellt; das ist es, was ich hier leisten will. Die grundlegenden Ideen zur Lösung des Informativitäts- und Internalitätsproblems, auf denen meine Theorie der subjektiven Bedeutung aufbaut, finden sich bereits bei
Einleitung
11
Kaplan und Stalnaker. Kaplan behandelt in Demonstratives (1977) beide Probleme im Zusammenhang mit indexikalischen Ausdrücken wie „ich" und „dies". Aus der Untersuchung des Zusammenspiels von Kontextabhängigkeit und Modalität entwickelt er den Begriff des Charakters: Der Charakter eines Ausdrucks ist eine Funktion, die für jeden Kontext die Intension des Ausdrucks in diesem Kontext liefert, wobei Intensionen, wie gewohnt, Funktionen von möglichen Welten - oder von komplexeren Indizes - in geeignete Extensionen sind. Mittels des Charakterbegriffs gelingt es, Kripkes Unterscheidung von Notwendigkeit und Apriorität zu explizieren, allerdings nur in Bezug auf Sätze, die indexikalische Ausdrücke enthalten. Kaplan schlägt dann vor, die subjektive Bedeutung solcher Sätze mit ihrem Charakter gleichzusetzen; objektive Bedeutung hingegen kommt nur Äußerungen, also Sätzen in einem Kontext zu und besteht nach wie vor aus der Intension, die der Satz im fraglichen Kontext hat. Einen dem Charakter analogen zweidimensionalen - d.h. eine doppelte Abhängigkeit der Extension berücksichtigenden - Bedeutungsbegriff, nämlich den des Propositionalkonzepts, führt Stalnaker in Assertion (1978) zur Lösung von Freges Informativitätsproblem ein. Propositionalkonzepte geben, ähnlich wie Satzcharaktere, an, welche Propositionen - als Mengen möglicher Welten aufgefaßt - Äußerungen ausdrücken würden, wenn sie in anderen möglichen Kontexten stattfänden. Als mögliche Kontexte gelten dabei aber auch Situationen, in denen die Äußerungen einer ganz anderen Sprache als der betrachteten angehören; dies ist der Punkt, in dem Stalnakers Propositionalkonzept deutlich über Kaplans Charakter hinausgeht. Stalnaker betrachtet dabei nicht die Propositionalkonzepte selbst, sondern vielmehr nur ihre sogenannten Diagonalen als subjektive Bedeutungen. Dies ist wichtig, weil man damit wieder über einen eindimensionalen Bedeutungsbegriff verfügt, den man zur Charakterisierung von Überzeugungsinhalten verwenden kann. Ein weiterer zentraler Punkt von Stalnaker liegt in seiner holistischen Beschreibung subjektiver Bedeutung: was eine Äußerung für ein Subjekt bedeutet, hängt nicht nur von der Semantik des geäußerten Satzes ab, sondern auch von den schon bestehenden Überzeugungen des Subjekts. Daher definiert er Propositionalkonzepte nur für solche Kontexte, die das Subjekt gemäß seines Glaubenszustands für möglich hält. Er versteht sie also nicht als objektive semantische Eigenschaften von Sätzen, sondern bereits als subjektive Eigenschaften konkreter Satzvorkommen. Die Theorie, die ich hier entwickeln möchte, läßt sich nun ganz grob skizzieren: Ich setze voraus - was in der linguistischen Semantik selbstverständlich, in der sprachphilosophischen Diskussion aber nicht immer konkret berücksichtigt worden ist - , daß eine semantische Theorie für eine Sprache eine rekursive Bedeutungszuweisung liefern muß. Mithin geht es hier im Prinzip um eine rekursive Definition der Charaktere der gemäß der Syntax wohlgeformten Ausdrücke, wie sie Kaplan in seiner Logik der Demonstrativa vorgeführt hat. Dabei gehe ich vorläufig von der Hypothese aus, daß die Charakterfunktion einer Sprache die oben erwähnte Doppelfunktion des Bedeutungsbegriffs schon erfüllt: Einerseits ist sie eine objektive Eigenschaft, die Ausdrücken qua ihrer Zugehörigkeit zu einer Sprache zukommt und die ihren Bezug zur Welt in Abhängigkeit von Kontext und Index festlegt; andererseits soll sie das semantische Wissen repräsentieren, über das
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Einleitung
kompetente Sprecher der Sprache verfügen. Allerdings betrachte ich nicht dieses in der Charakterfunktion kodierte semantische Wissen als subjektive Bedeutung, sondern ähnlich wie Stalnaker - nur die Diagonale des Charakters. Um Stalnakers holistischem Ansatz Rechnung zu tragen, ist die Diagonale jedoch stets vor dem Hintergrund der Glaubensmenge des Subjekts zu betrachten. Die Glaubensmenge eines Subjekts steht dabei für die Gesamtheit seiner Überzeugungen. Aus der epistemischen Logik stammt das Verfahren, Glaubensmengen — und Glaubensinhalte ganz allgemein - als Mengen von Möglichkeiten aufzufassen: die Glaubensmenge eines Subjekts ist gerade die Menge derjenigen Möglichkeiten, die durch seine Überzeugungen nicht ausgeschlossen sind. Die Elemente dieser Glaubensmenge bezeichnet man auch als die doxastischen Alternativen des Subjekts. Natürlich wird zu erläutern sein, inwiefern sich Überzeugungsinhalte mittels doxastischer Alternativen auf interne Weise charakterisieren lassen. Die Diagonale eines Satzes ist nun als die Menge der Kontexte, in denen der Satz wahr ist, definiert. Daß die Diagonale eine Überzeugung des Subjekts darstellt und somit eine Obermenge seiner Glaubensmenge ist, ist jedoch nur dann eine sinnvolle Behauptung, wenn sich nachweisen läßt, daß man Glaubensmengen als Mengen von Kontexten konstruieren kann oder gar muß, daß also die doxastischen Alternativen einer Person die gleiche formale Struktur wie Kontexte haben. Um diesen Nachweis geht es im zweiten Kapitel; ich stutze mich dabei auf die Analyse von Überzeugungen de se, die Lewis in Attitudes de diclo and de se (1979b) vorbringt. Die Darstellung der Auffassung von Lewis und ihre Verteidigung bilden den Kern dieses zweiten Kapitels. Der springende Punkt für alles weitere liegt nun darin: Man kann nur dann hoffen, das Informativitätsproblem über einen Begriff der subjektiven Bedeutung zu lösen, der mit den Diagonalen von Charakteren arbeitet, wenn die fraglichen Charaktere keine konstanten Funktionen sind, wenn also die entsprechenden Sätze kontextabhängige Ausdrücke enthalten. Andernfalls laufen nämlich die für jeden Kontext gleiche Intension des Satzes und seine Diagonale auf dasselbe hinaus - was fatal wäre, da der Ausgangspunkt aller Überlegungen ja gerade war, daß die Intensionen von Sätzen ihren Informationsgehalt im allgemeinen nicht wiedergeben können. Klar ist also nur, daß der skizzierte Ansatz bei Sätzen, die offenkundig indexikalische Ausdrucke wie „ich" und „dies" enthalten, erfolgreich ist; dies hat Kaplan schon demonstriert. Ob er auch dann zum gewünschten Ergebnis führt, wenn man ihn auf die Probleme von Kripke und Putnam anwendet, in denen es um Substanzwörter und Eigennamen geht, ist hingegen alles andere als klar; dazu ist vielmehr erst zu zeigen, daß auch diese Ausdrücke kontextabhängig sind. Im dritten Kapitel werde ich mich mit Prädikaten im allgemeinen und mit Substanzwörtern im besonderen beschäftigen. Ich greife dort Putnams Rede von der versteckten Indexikalität auf und zeige, inwiefern sich diese versteckte Indexikalität als Kontextabhängigkeit im Sinne Kaplans rekonstruieren läßt. Substanzwörter haben demnach keinen konstanten Charakter, so daß die Strategie zur Lösung des Informativitätsproblems auch für sie funktioniert.
Einleitung
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Der so weit formulierte Begriff der subjektiven Bedeutung genügt allerdings noch nicht der Internalitätsbedingung; die Ausgangshypothese, daß Kaplans Charakterbegriff dadurch, daß er auch die versteckte Indexikalität abdeckt, der subjektiven wie der objektiven Bedeutung gerecht werden kann, läßt sich nicht halten. Um dem Internalitätsproblem zu begegnen, benötigt man einen noch abstrakteren Charakterbegriff, den ich den formalen Charakter nenne. In ihm wird Uber die betrachtete Sprache abstrahiert und die Sprache, der ein Ausdruck angehört, als Kontextparameter aufgefaßt; damit wird die Idee, die hinter Stalnakers Propositionalkonzept steht, aufgegriffen. Im Gegensatz dazu ist der formale Charakter aber systematisch und rekursiv für syntaktisch identifizierte Ausdrücke definiert. Doch im Gleichklang mit Stalnaker ist er ein rein subjektiver Begriff ; die objektive Bedeutung läßt sich aus ihm erst durch Spezifizierung der Kontextsprache gewinnen. Die oben gegebene Erklärung der subjektiven Bedeutung behält dann ihre Gültigkeit; das schon erwähnte holistische Element wird dabei unverzichtbar; und die traditionelle Kategorie des semantischen Wissens wird in dieser Betrachtungsweise keine Entsprechung mehr finden. Im vierten Kapitel wende ich die für Prädikate im Detail entwickelte Strategie auf die Analyse von Eigennamen an. Die Frage nach ihrer versteckten Indexikalität läßt sich dabei in völlig analoger Weise behandeln. Doch kommt bei Eigennamen gegenüber den Prädikaten noch ein weiteres Phänomen hinzu, nämlich das ihrer vielfachen Verwendbarkeit. Daher ist auch die überraschend komplexe Frage zu diskutieren, ob diese vielfache Verwendbarkeit als eine Form von Ambiguität oder eher als eine Form von offener Indexikalität zu verstehen ist. Zwei thematische Erweiterungen liegen besonders nahe, bleiben hier aber unausgeführt. Zum einen wäre die Semantik der Eigennamen natürlich in eine umfassende semantische Analyse der Nominalphrasen einzubetten - wozu man sich aber eingehend mit offener Indexikalität, mit anaphorischem Bezug, mit Quantoren und weiterem beschäftigen müßte. Daß diese Einbettung fehlt, wird sich am Ende des vierten Kapitels mit einigen offenen Fragen bemerkbar machen. Zum anderen scheint es, als ließe sich die ausführliche Beschäftigung mit subjektiven Bedeutungen und so auch mit Überzeugungen und ihren Inhalten unmittelbar für eine Semantik der Glaubenssätze nutzbar machen. In der Tat werde ich zu einer Explikation von de-dicto-Glaubenszuschreibungen gelangen; doch werde ich mich nicht weiter in die Problematik von Glaubenssätzen vertiefen. Die semantische Rekursion, soweit sie hier explizit gemacht wird, gelangt also Uber die Anfänge, nämlich Uber die Prädikation nicht hinaus. Ihre Fortsetzung, insbesondere in die angedeuteten Richtungen, bleibt noch zu liefern; erst damit wäre die vorgeschlagene Theorie der subjektiven Bedeutung umfassend begründet. Daß sie auf dem richtigen Wege ist, zeigt sich aber hoffentlich schon hier.
Kapitel 1
Die Ausgangslage
Die entscheidenden Stichworte sowohl hinsichtlich der Problemlage, auf die diese Arbeit reagiert, wie hinsichtlich der Weise, wie sie darauf reagieren will, sind in der Einleitung schon gefallen. Doch ist diese Ausgangslage noch viel präziser und gründlicher zu beschreiben; erst auf diesem Hintergrund kann das weitere Vorgehen verständlich werden. Der Abschnitt 1.1 fängt mit Freges Informativitätsproblem, unserem ersten Kernproblem, an. Er resümiert, inwiefern Frege und Russell es nicht hinreichend zu behandeln vermögen; und er führt die Verschärfungen ein, die es durch Kripkcs und Putnams Analyse der Eigennamen und Substanzwörter sowie durch Kaplans indexikalische Semantik erfahren hat. Es ist ein Aspekt des Begriffs der subjektiven Bedeutung, die mögliche Informativität von Aussagen zu erklären und ich werde die verschiedenen Fälle vorführen, in denen die Wahrheitsbedingungen, also die objektive Bedeutung von Aussagen diesen Aspekt nicht erfassen können. Nach dieser ersten Exposition wird im Abschnitt 1.2 zunächst die semantische Begrifflichkeit, die für eine exakte Formulierung der Probleme und ihrer Lösung nötig ist, explizit eingeführt. Dazu werden Carnaps Extensionen und Intensionen definiert und vor allem Kaplans Theorie der Kontextabhängigkeit knapp dargestellt. Zentral ist hier der Begriff des Charakters und all die daran hängende Begrifflichkeit, insbesondere der Begriff der Diagonalen. Der Abschnitt 1.3 vertieft die Problemlage. Ich gehe davon aus, daß der Begriff der subjektiven Bedeutung für eine interne Beschreibung von Überzeugungsinhalten geeignet sein muß, und erkläre, wieso dieser Zweck von objektiven Wahrheitsbedingungen nie erfüllt werden kann. In diesem Zusammenhang sind Quines Beispiel von Ortcutt, Kripkes Beispiel von Pierre und Burges Arthritis-Fälle relevant, die zeigen, daß nicht nur dere-, sondern auch de-dicto-Glaubenszuschreibungen keine internen Beschreibungen von Überzeugungsinhalten sind. Somit läßt sich auch die traditionelle Auffassung, wonach die subjektive Bedeutung mit der Interpretation der daß-Sätze in de-dicto-Glaubenszuschreibungen gleichzusetzen ist, nicht halten. Im Abschnitt 1.4 stelle ich Stalnakers Ansatz zur Beschreibung der subjektiven Bedeutung von Aussagen im Rahmen seiner Kontextveränderungstheorie dar. Dazu ist vor allem sein Begriff des Propositionalkonzepts nachzuvollziehen, der formaliter Kaplans Charakterbegriff ähnelt, von Stalnaker aber durchaus anders, wenn auch nicht sehr
1. Die
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Ausgangslage
durchsichtig, konzipiert ist. Dies ist wichtig, da meine weitere Strategie noch mehr von Stalnaker als von Kaplan inspiriert ist. Wie ich konkret weiter vorzugehen gedenke, läßt sich dann nach der Lagebeschreibung dieses Kapitels sehr gut zu Beginn des zweiten Kapitels umreißen.
1.1
Der Erkenntniswert notwendig wahrer Aussagen
Die Gleichsetzung von objektiver und subjektiver Bedeutung beinhaltet, daß die Wahrheitsbedingung einer Aussage auch ihren Informationsgehalt oder - in Freges Terminologie - ihren Erkenntniswert darstellt. Wenn eine Aussage wahr ist und eine Person die Bedeutung - also die Wahrheitsbedingung - der Aussage kennt, so setzt die Aussage die Person davon in Kenntnis, daß die Welt nur so beschaffen sein kann, daß sie der Wahrheitsbedingung der Aussage genügt. Daraus folgt, daß zwei Aussagen, die dieselben Wahrheitsbedingungen haben, auch den gleichen Erkenntniswert haben, und daß eine Aussage, die notwendigerweise wahr ist, Uberhaupt keinen Informationsgehalt hat, da sie die bestehenden Möglichkeiten für die Beschaffenheit der Welt nicht weiter einschränkt. Nun gibt es jedoch viele Aussagen, die gemäß einer naheliegenden semantischen Analyse notwendige Wahrheiten ausdrücken und die trotzdem informativ sein können, und viele Paare von Aussagen, denen man identische Wahrheitsbedingungen zuschreiben wollte und die dennoch nicht stets und für jede Person den gleichen Erkenntniswert haben. Herausragendes Beispiel hierfür sind die schon von Frege besprochenen Identitätsaussagen. Frege (1892) formuliert das Problem folgendermaßen 1 : ,/i = a und a = b sind offenbar Sätze von verschiedenem Erkenntniswert: a = a gilt a priori und ist nach Kant analytisch zu nennen, während Sätze von der Form a = b oft sehr wertvolle Erweiterungen unserer Erkenntnis enthalten und a priori nicht immer zu begründen sind. ... Wenn wir nun in der Gleichheit eine Beziehung zwischen dem sehen wollten, was die Namen ,/j" und „fc" bedeuten, so schiene a = b von a = a nicht verschieden sein zu können, falls nämlich a = b wahr ist. Es wäre hiermit eine Beziehung eines Dinges zu sich selbst ausgedrückt und zwar eine solche, in der jedes Ding mit sich selbst, aber kein Ding mit einem anderen steht."
Eine Identitätsaussage wie „der Abendstern ist der Abendstern" drückt etwas notwendig Wahres aus; sie ist uninformativ, hat keinerlei Erkenntniswert: niemand könnte bestreiten, niemand nicht glauben, daß der Abendstern - oder welches Ding auch immer mit sich selbst identisch ist. Anders verhält es sich mit „der Abendstern ist der Morgenstern": diese Aussage ist offenkundig informativ, es ist ohne weiteres möglich, nicht zu
1
S. 40. Die Seitenangaben zu Frege beziehen sich hier und im folgenden auf Frege (1980).
1.1 Der Erkenntniswert notwendig wahrer Aussagen
17
wissen oder nicht zu glauben, daß der Abendstern der Morgenstern ist. Doch zugleich sieht es so aus, als ob man mit „der Abendstern ist der Morgenstern" gar nichts anderes als mit „der Abendstern ist der Abendstern", also ebenfalls etwas notwendig Wahres aussage: „der Morgenstern" bezieht sich auf denselben Gegenstand wie „der Abendstern", nämlich auf den Planeten Venus, und somit wird von diesem wiederum gesagt, daß er mit sich selbst identisch sei. Frege selbst hat diesen scheinbaren Widerspruch dadurch zu lösen versucht, daß er zwischen dem Bezug - in seiner Terminologie: der Bedeutung - und dem Sinn sprachlicher Ausdrücke unterschied: Zwar bezeichnet sowohl „der Morgenstern" als auch „der Abendstern" den Planeten Venus, doch wird dieser Planet mit dem Ausdruck „der Morgenstern" auf eine andere Weise gegeben als mit dem Ausdruck „der Abendstern". Das heißt, der Sinn der beiden Ausdrücke ist verschieden, auch wenn ihr Bezug der gleiche ist. Dementsprechend ist auch der Sinn des Gesamtsatzes „der Abendstern ist der Abendstern" von dem Sinn des Satzes „der Abendstern ist der Morgenstern" verschieden, denn der Sinn des Ganzen ist eine Funktion der Sinne seiner Teile. Damit läßt sich dann erklären, wieso man die erste Aussage glaubt, ohne die zweite glauben zu müssen, wieso die zweite informativ und die erste uninformativ ist, denn es ist der Sinn einer Aussage, der ihren Erkenntniswert ausmacht und der geglaubt, gewußt, bezweifelt wird. Auch Russell (1905) hat sich mit dem Fregeschen Problem beschäftigt und eine eigene Lösung entwickelt. Russells Beispiel handelt von Georg IV, der wissen möchte, ob Scott der Autor von ,Waverley' ist, aber sich sicherlich nicht fragt, ob Scott Scott ist. Hinter Russells Überlegungen steht die Annahme, daß Ausdrücke, die das gleiche bezeichnen, füreinander substituiert werden können, ohne daß sich am Wahrheitswert des Satzes, in dem sie vorkommen, etwas ändert. Diesem Substitutionsprinzip scheinen nun Sätze wie „Georg IV wollte wissen, ob Scott der Autor von .Waverley' ist" oder „jeder weiß, daß der Abendstern der Abendstern ist" zu widersprechen. Russells Lösung lautet hier: Kennzeichnungen wie „der Autor von .Waverley'" sind überhaupt keine Individuenbezeichnungen, sondern Quantoren, und Sätze wie „Scott ist der Autor von .Waverley'" sind gar nicht von der Form „a = b'\ sondern vielmehr als „es gibt genau eine Person, welche Autor von .Waverley' ist, und diese ist identisch mit Scott" zu analysieren. Bei dieser Analyse gibt es keine Konstituente mehr, welche dem Ausdruck „der Autor von .Waverley'" entspräche, so daß das Problem der Substituierbarkeit verschwindet. Und die mögliche Informativität des Satzes wird gleichfalls augenfällig. Russell und Frege lösen das Problem der Identitätsaussagen, indem sie die naive semantische Analyse von Eigennamen und Kennzeichnungen, wonach deren Bedeutung in ihrem Bezug liegt, ablehnen. Dementsprechend sind dann Sätze der Form „a = b" nicht als notwendig wahr oder notwendig falsch zu betrachten; nur wenn „a" für den gleichen Namen oder die gleiche Kennzeichnung wie „b" (oder eine dazu logisch äquivalente) steht, hat man es mit einer Tautologie zu tun; ansonsten jedoch ergibt sich eine kontingente Aussage. Dies ist die Strategie, die Wahrheitsbedingungen von Aussagen so anzusetzen, daß sie auch den Erfordernissen genügen, die man an ihre subjektive Bedeutung stellen muß.
18
1. Die
Ausgangslage
Die Position von Frege und Russell und die damit verbundenen Analysen sind plausibel, solange man sich auf die Betrachtung von Kennzeichnungen beschränkt. Bei der Behandlung von Eigennamen jedoch ergeben sich Schwierigkeiten. Russell war gezwungen, umgangssprachliche Eigennamen als versteckte Kennzeichnungen zu betrachten, denn für echte Eigennamen a und b gibt es auch in seiner Sicht keinen Unterschied zwischen „a = a" und „a = b". Frege hatte das Problem zu sagen, was denn der Sinn eines Eigennamens sei. Problematisch war dies insofern, als Sinne in Freges Theorie etwas Objektives sein sollen, etwas, das von jedem, der die fragliche Sprache beherrscht, erfaßt wird. Doch kann der Sinn eines Eigennamens laut Frege bei verschiedenen Sprachbenutzern verschieden sein: 2 , 3 c i einem eigentlichen Eigennamen wie „Aristoteles" können freilich die Meinungen über den Sinn auseinandergehen. Man könnte z.B. als solchen annehmen: der Schüler Piatos und Lehrer Alexanders des Großen. Wer dies tut, wird mit dem Satze „Aristoteles war aus Stagira gebürtig" einen anderen Sinn verbinden als einer, der als Sinn dieses Namens annähme: der aus Stagira gebürtige Lehrer Alexanders des Großen."
Kripke (1972) hat in seinen Vorlesungen Uber Namen und Notwendigkeit deutlich gemacht, daß die Theorien von Frege und Russell und ganz allgemein alle Ansätze, die die Bedeutung von Eigennamen über Kennzeichnungen analysieren oder Uber Sinne, die Kennzeichnungen entsprechen, falsch sind. Der semantische Beitrag eines Eigennamens zu den Wahrheitsbedingungen eines Satzes, in dem er vorkommt, besteht immer nur darin, ein bestimmtes Individuum zu benennen, Uber das dann irgendwelche Aussagen gemacht werden, und nicht darin, kennzeichnende Beschreibungen für das Individuum zu liefern. Oder in Freges Terminologie: Eigennamen steuern zur Wahrheitsbedingung immer nur ihren Bezug und nicht irgendeinen Sinn bei. Analysiert man wie Frege und Russell etwa den Namen .Aristoteles" als „der Schüler Piatos, der Alexander den Großen unterrichtete", so muß man behaupten, daß der Satz „Aristoteles mochte Hunde" die gleiche Bedeutung, also die gleichen Wahrheitsbedingungen hat wie der Satz „der Schüler Piatos, der Alexander den Großen unterrichtete, mochte Hunde". Doch dies entspricht laut Kripke nicht den sprachlichen Intuitionen. Zwar sind beide Sätze de facto wahr, doch die Wahrheitsbedingung einer Aussage besagt ja nicht nur, wann das tatsächliche Geschehen die Aussage wahr macht, sondern auch, wann eine kontrafaktische Situation, ein kontrafaktischer Verlauf der Geschichte der Aussage genügen wUrde. Nun wäre der erste Satz aber nur in solchen kontrafaktischen Situationen wahr, in denen eine ganz bestimmte Person, nämlich, die, die wir „Aristoteles" nennen, Hunde mag. Der zweite Satz hingegen beschreibt solche Weltverläufe richtig, in denen irgendeine Person, die sowohl Schüler Piatos als auch Lehrer Alexanders des Großen war, Hunde mochte - wozu sogar Weltverläufe gehören können, in denen Aristoteles selbst nie Schüler Piatos oder Lehrer Alexanders war. Dies zeigt, daß der Name nicht mit der Kennzeichnung synonym sein kann; denn anders als die Kennzeichnung
2
Frege (1892), S. 42, Fußnote 2.
1.1 Der Erkenntniswert notwendig wahrer Aussagen
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bezeichnet er in allen kontrafaktischen Situationen stets dasselbe Individuum. Kripke spricht davon, daß Eigennamen starre Designatoren sind. Kripke begründet die These von der Starrheit vor allem mit dem Hinweis auf die Verwendung von Eigennamen in modaler und kontrafaktischer Rede. Wir empfinden nämlich ohne weiteres Sätze wie „Aristoteles hätte nicht in Stagira geboren sein können" oder „Aristoteles hätte Alexander nicht unterrichten müssen" oder „wenn Aristoteles nicht bei Plato studiert hätte,..." als sinnvolle Aussagen, selbst dann, wenn wir über Aristoteles lediglich wissen, daß er ein in Stagira gebürtiger Philosoph bzw. der Schüler Piatos und Lehrer Alexander des Großen war. Das aber heißt, daß wir, selbst wenn wir mit einem Eigennamen bestimmte Beschreibungen assoziieren, nicht so reden, als ob diese Beschreibungen die Bedeutung des Namens ausmachten. Keine der bekannten Kennzeichnungen für Aristoteles gibt bei intuitiver Betrachtung eine notwendige Eigenschaft von Aristoteles an; doch wenn man, wie Frege und Russell, die Kennzeichnung als Bedeutung des Namens betrachten wollte, müßte man solche Notwendigkeiten mitbehaupten. Wenn Namen starre Designatoren sind, so drücken Identitätsaussagen, in denen zwei Eigennamen vorkommen, entweder etwas notwendig Wahres oder etwas notwendig Falsches aus. Wenn Hesperos tatsächlich mit Phosphoros identisch ist, dann gibt es keine mögliche Situation, in der diese Identität nicht gilt. Die Wahrheitsbedingungen eines Satzes wie „Hesperos ist Phosphoros" können also seine mögliche Informativität nicht erklären und Freges Problem bleibt weiterhin ungelöst. Natürlich streitet auch Kripke nicht ab, daß solche Identitätsaussagen einen Erkenntniswert haben können, daß es eine empirische Entdeckung war, daß Hesperos gleich Phosphoros ist, und daß sich in einem gewissen Sinn auch das Gegenteil hätte herausstellen können. Und natürlich wäre es absurd zu behaupten, daß jemand, dem „Hesperos ist Phosphoros" etwas Neues sagt, diesen Satz nicht verstanden haben sollte. Daher scheint der Schluß unvermeidlich, daß sich objektive Bedeutung und subjektives Verständnis von Aussagen nicht gleichsetzen lassen - jedenfalls nicht bei Identitätsaussagen, die Eigennamen enthalten. Schwierigkeiten ergeben sich aber auch bei Sätzen, die keine Identitätssätze sind. Wenn Eigennamen starre Designatoren sind, so hat ein Satz, der aus einem anderen dadurch entsteht, daß ein darin vorkommender Eigenname durch einen anderen, bezugsgleichen ersetzt wird, die gleichen Wahrheitsbedingungen wie der Ausgangssatz - dies gilt zumindest für die meisten syntaktischen Konstruktionen. Dennoch können sie verschiedenen Erkenntniswert haben; man vergleiche etwa „Hesperos leuchtet heller als alle anderen Sterne am Abendhimmel" mit „Die Venus leuchtet heller als alle anderen Sterne am Abendhimmel". Dieses allgemeine Substitutionsproblem zeigt, daß Kripkes Namenssemantik weitreichende Folgen hat und sich die Frage nach der richtigen Analyse der subjektiven Bedeutung nicht nur bei Identitätsaussagen stellt. Laut Kripke sind nicht nur Eigennamen, sondern auch Substanzwörter, das heißt, Ausdrücke für natürliche Arten, chemische Substanzen oder Naturphänomene wie „Tiger", „Katze", „Wasser", „Gold", „Licht" oder „Wärme" starre Designatoren. 3 Die 3
Ich verwende hier „Substanzwort" als deutsche Entsprechung für das englische „natural land term".
20
1. Die
Ausgangslage
objektive Bedeutung solcher Prädikate läßt sich ebenfalls nicht Uber die Beschreibungen analysieren, die man gewöhnlich mit ihnen verbindet; „ T i g e r " ist nicht gleichbedeutend mit „Raubkatze von gelber Färbung mit schwarzen Querstreifen", „ G o l d " nicht mit „gelblich glänzendes, weiches Edelmetall" und „Licht" nicht mit „was die Umgebung sichtbar macht". Beschreibungen dieser Art geben nämlich meistens keine wesentlichen Eigenschaften der Art, der Substanz oder des Phänomens an. Doch o b etwas unter ein Substanzwort fällt oder in einer kontrafaktischen Situation darunter fallen würde, hängt nicht von seinen Oberflächeneigenschaften ab, sondern nur davon, ob es die erforderlichen wesentlichen Eigenschaften aufweist: für Substanzwörter ist die Voraussetzung charakteristisch, daß die Dinge oder Phänomene, auf die sie angewendet werden, jeweils eine natürliche Art bilden, etwas, das sich durch tieferliegende strukturelle Eigenschaften von anderen Dingen abgrenzt. Fände man zum Beispiel irgendwo auf der Erde Gesteinsschichten, die ein Material enthielten, welches genauso aussähe w i e Gold, sich auch genauso verarbeiten ließe wie Gold, von dem sich aber bei genauer Analyse herausstellen würde, daß es von anderer chemischer Beschaffenheit als Gold ist, so würden wir dieses Material nicht „ G o l d " nennen; es wäre kein Gold. Oder man stelle sich vor, in den Gegenden, in denen Gold geschürft wird, würden spezielle Eigenschaften der Atmosphäre optische Täuschungen hervorrufen, die dazu führen, daß wir Gold als gelblich sehen; und auf einmal würden diese speziellen atmosphärischen Zustände verschwinden und wir sähen, daß Gold in Wirklichkeit blau ist. W i r würden in dieser Situation sicherlich nicht sagen, daß es kein Gold gibt, sondern vielmehr, daß wir einer Täuschung erlegen sind und daß Gold eben nicht gelb ist. Unterstellen wir, daß unsere chemische Theorie stimmt, daß Gold das Element mit der Ordnungszahl 79 ist und daß dies wesentlich für Gold ist. Dann gibt es keine mögliche Situation, in der Gold nicht das Element mit der Ordnungszahl 79 ist. Dementsprechend ist die Identitätsausssage „Gold ist das Element mit der Ordnungszahl 7 9 " eine notwendig wahre Aussage. Notwendig wahr - oder notwendig falsch, falls unsere derzeitigen Theorien darüber falsch sind - sind auch Sätze wie „Wasser ist H2O" oder „Photonenstrahlen aus einem bestimmten Energieband sind Licht". Wieder haben wir es mit Identitätsaussagen zu tun, deren objektive Bedeutung sie als notwendig wahr ausweist, die jedoch in ganz auffälliger Weise als informative Aussagen zu betrachten sind. Das Fregesche Problem und das daran geknüpfte allgemeine Substitutionsproblem tauchen also auch bei Sätzen mit Substanzwörtern auf: auch deren Wahrheitsbedingung kann nicht mit ihrer subjektiven Bedeutung, ihrem Erkenntniswert gleichgesetzt werden. Eine weitere Variante von Freges Problem diskutiert Kaplan (1977), der Identitätssätze betrachtet, die sogenannte indexikalische Ausdrücke enthalten. Das sind Ausdrücke wie „ich", „hier", „jetzt", „gestern", „dies", „da", „dieser Stuhl da", Ausdrücke, deren Bedeutung sich nur dann angemessen beschreiben läßt, wenn man ihren Äußerungskontext, die Situation, in der sie geäußert werden, berücksichtigt. So bezieht sich „ i c h " immer auf den Sprecher, auf den, der „ich" äußert, „hier" auf den Ort und „jetzt" auf die Zeit der Äußerung; und was der Bezug von „dies" oder „da" ist, hängt davon ab, auf
1.1
Der Erkenntniswert notwendig wahrer Aussagen
21
welchen Gegenstand bzw. auf welchen Ort der Sprecher bei der Äußerung von „dies" oder „da" hinweist. Indexikalische Sätze, das heißt, Sätze, die indexikalische Ausdrücke enthalten, sind für sich genommen nicht wahr oder falsch; erst wenn man sie in einem bestimmten Kontext betrachtet und der Bezug der indexikalischen Ausdrücke damit festgelegt ist, kann man ihnen Wahrheitsbedingungen zuordnen. Wenn zum Beispiel der Satz „jetzt scheint hier die Sonne" am 20. März 1990 um zehn Uhr morgens in Schwabing geäußert wird, so machen genau solche Weltverläufe diese Äußerung wahr, in denen am 20. März 1990 um zehn Uhr morgens in Schwabing die Sonne scheint; der Satz „jetzt scheint hier die Sonne" für sich genommen hingegen macht keine bestimmte Aussage und hat insofern auch keine bestimmten Wahrheitsbedingungen. Auch indexikalische Ausdrücke erweisen sich nun als starre Designatoren. Dies wird — ähnlich wie bei den Eigennamen - deutlich, wenn man sich modales und kontrafaktisches Reden vor Augen führt: Äußerungen von Sätzen wie „wenn ich jetzt nicht sprechen würde,..." oder „ich könnte jetzt nicht hier sein" machen nämlich guten Sinn; sie können daher nicht gleichbedeutend mit den Aussagen „wenn der Sprecher zur Äußerungszeit nicht sprechen würde,..." bzw. „der Sprecher könnte zur Äußerungszeit nicht am Äußerungsort sein", welche (zumindest in einer Lesart) offenkundig Widersprüchliches behaupten. Die mit einem indexikalischen Ausdruck verknüpfte Kennzeichnung, seine deskriptive Bedeutung, geht also nicht in den Inhalt, in die Wahrheitsbedingung einer indexikalischen Äußerung ein; diese Kennzeichnung legt vielmehr für den jeweiligen Kontext seinen Bezug fest, und dieser Bezug ist dann Bestandteil der Wahrheitsbedingung. Dies aber heißt nichts anderes, als daß indexikalische Ausdrücke starre Designatoren oder, um mit Kaplan zu sprechen, direkt referentiell sind. Aus der direkten Referentialität folgt wiederum, daß Identitätsaussagen mit indexikalischen Ausdrücken notwendig wahr oder notwendig falsch sind. Man betrachte etwa eine Äußerung von „der dort ist der da", bei der der Sprecher bei der Äußerung von „der dort" auf eine Person zeigt, die zwei Tische weiter einen Kaffee trinkt, und bei der Äußerung von „der da" auf das Bild eines berühmten Schauspielers, das in der Zeitung, die der Sprecher gerade durchgeblättert hat, abgedruckt ist. Diese Äußerung ist genau dann wahr, wenn der abgebildete Schaupieler die Person ist, auf die der Sprecher zeigt. Wenn dies aber der Fall ist, wenn sich also „der da" und „der dort" tatsächlich auf die gleiche Person beziehen, so gibt es keine mögliche Situation, in der diese Äußerung falsch ist, da ein Individuum in keiner möglichen Situation von sich verschieden ist; damit ist natürlich nicht bestritten, daß eine andere Äußerung desselben Satzes in einem anderen Kontext falsch sein kann. Umgekehrt ist die Äußerung, falls sie falsch ist, notwendig falsch. Gleiches gilt für Äußerungen von Sätzen wie „ich bin Franz Xaver Kroetz". Nur wenn Franz Xaver Kroetz diesen Satz äußert, ist seine Äußerung wahr, und notwendig wahr. Ist jemand anderes der Sprecher, so sagt er mit seiner Äußerung etwas notwendig Falsches. Doch sind solche Sätze zweifelsohne informativ; andernfalls bräuchte sich zum Beispiel Franz Xaver Kroetz nie vorzustellen. Somit erklären auch in diesen Fällen die Wahrheitsbedingungen der Äußerung nicht ihre potentielle Informativität.
22
1. Die
Ausgangslage
Die Betrachtung indexikalischer Ausdrücke macht es erforderlich, neue semantische Unterscheidungen einzuführen. So wurde zum Beispiel die deskriptive Bedeutung eines indexikalischen Ausdrucks von der Bedeutung einzelner Vorkommen des Ausdrucks unterschieden. Es war die Rede von der Wahrheitsbedingung von Äußerungen; doch könnte man auch so etwas wie die Bedeutung indexikalischer Sätze beschreiben wollen. Um diese und andere Unterscheidungen exakt formulieren zu können, werde ich im nächsten Abschnitt die formale Begrifflichkeit einfuhren, in deren Rahmen sich die weiteren Überlegungen abspielen sollen. Das Problem, das starre Designatoren für die Gleichsetzung von subjektiver mit objektiver Bedeutung bilden, läßt sich dann weiter präzisieren.
1.2
Extension und Intension, Index, Kontext und Charakter
In der Absicht, Freges Theorie von Sinn und Bedeutung zu verbessern, hat Carnap (1947) die Rede von Extension und Intension in systematischer Weise eingeführt. Sie bildet auch heute noch die Grundlage der formalen Semantik. Die Extension eines Ausdrucks ist das, was hier der Bezug genannt wurde, und was bei Frege die Bedeutung des Ausdrucks hieß. Bislang war hauptsächlich die Rede vom Bezug, also der Extension von Individuentermen, das heißt von Namen, Kennzeichnungen und Pronomina; diese ist einfach der von ihnen bezeichnete Gegenstand. 4 Bei der Extension von Prädikaten ist deren Stelligkeit zu berücksichtigen: die Extension eines einstelligen Prädikats ist die Menge der Gegenstände, auf die das Prädikat zutrifft, die Extension eines «-stelligen Prädikats die Menge der n-Tupel von Gegenständen, auf die das Prädikat zutrifft. Die Extension eines Satzes ist sein Wahrheitswert; die Wahrheitswerte werden oft auch als die Zahlen 0 und 1 notiert, dabei steht 0 für den Wert falsch und 1 für den Wert wahr. Wenn ein Ausdruck in einer syntaktischen Konstruktion vorkommt, in der man ihn durch einen extensionsgleichen Ausdruck ersetzen kann, ohne daß sich dadurch die Extension der Gesamtkonstruktion ändert, so sagt man, daß es sich um eine extensionale Konstruktion handelt oder, daß der Ausdruck in einem extensionalen Kontext steht. Extensionale Konstruktionen zeichnen sich also dadurch aus, daß in ihnen das extensionale Kompositionalitätsprinzip gilt: die Extension des Gesamtausdrucks ist durch die Extensionen seiner Teile und die Art ihrer Verknüpfung festgelegt. Der Begriff der Intension soll als Explikat des intuitiven Bedeutungsbegriffs dienen und Freges Begriff des Sinns ersetzen. Intensionen werden als Funktionen konstruiert,
4 Für die Kennzeichnungen gilt das natürlich nur, wenn man sie nicht wie Russell als Quantoren, sondern wie Frege und Carnap als Individuenbezeichnungen analysiert.
1.2
Extension und Intension, Index, Kontext und Charakter
23
die möglichen Welten Extensionen zuordnen. Dahinter steht der bereits erwähnte Gedanke, daß die Bedeutung eines Ausdrucks festlegt, worauf der Ausdruck sich unter verschiedenen Umständen bezieht oder beziehen würde, und daß insbesondere die Bedeutung von Sätzen festlegt, was der Fall sein muß, damit der Satz wahr wird. Die Intension eines Satzes wird daher als eine Funktion von möglichen Welten in Wahrheitswerte konstruiert, als eine Funktion, die den Welten, in denen der Satz wahr ist, den Wert 1 zuweist, und den Welten, in denen er falsch ist, den Wert 0. Mathematisch gesehen sind Satzintensionen dann charakteristische Funktionen auf der Menge der möglichen Welten; man kann deshalb die Intension eines Satzes einfach mit der Menge der Welten, die den Wert 1 erhalten, gleichsetzen. Diese Menge ist die Wahrheitsbedingung des Satzes oder, wie man auch sagt, die vom Satz ausgedrückte Proposition. Die Menge aller Welten heißt die notwendige Proposition, die leere Menge die unmögliche Proposition. Eine Proposition, die weder notwendig noch unmöglich ist, heißt kontingent. Die Intensionen «-stelliger Prädikate sind Funktionen, die jeder möglichen Welt diejenige Menge von w-Tupeln von Gegenstanden zuordnen, die in der Welt in der Extension des Prädikats liegen. Die Intensionen einstelliger Prädikate heißen auch Eigenschaften; bei mehrstelligen Prädikate werde ich analog dazu von mehrstelligen Eigenschaften sprechen. Intensionen von Individuentermen sind Funktionen, die einer möglichen Welt dasjenige Individuum zuordnen, welches der Term in dieser Welt bezeichnet; man nennt sie auch Individuenkonzepte. Ein Individuenterm, dessen Intension eine konstante Funktion ist, also jeder möglichen Welt dasselbe Individuum zuordnet, ist dann in Kripkes Terminologie ein starrer Designator.5 In den meisten formalen Logiksprachen sind Variablen die Standardbeispiele für starre Designatoren. In der Umgangssprache sind, wenn Kripke recht hat, Eigennamen starre Designatoren, die Intensionen von Kennzeichnungen hingegen sind in der Regel nicht konstante Individuenkonzepte. Darauf, wie der Begriff des starren Designators für Substanzwörter zu explizieren ist, werde ich später, im Abschnitt 3.7, ausführlich eingehen.
^ Genau genommen unterscheidet Kripke (1972, S. 269f.) zwischen starren und strikt starren Designatoren. E n starrer Designator bezeichnet dasselbe Objekt in allen Welten, in denen dieses Objekt existiert; strikt starr heißt ein Designator, der ein Objekt starr bezeichnet, welches in allen Welten, also notwendigerweise existiert. Die von Eigennamen bezeichneten Objekte existieren in aller Regel nicht notwendigerweise; insofern könnte man auch Zweifel an der Notwendigkeit von Identitätsaussagen mit Egennamen haben. Wenn man jedoch der Meinung ist, daß ein Satz wie etwa „Hesperos ist identisch mit Phosphoros" aus solchen Gründen keine notwendige Wahrheit ausdrücken kann, so muß man aber jedenfalls zugeben, daß der Satz „wenn Hesperos existiert, dann ist Hesperos mit Phosphoros identisch" notwendig wahr ist. Die Frage, ob ein starrer Designator auch in den Welten etwas bezeichnet, in denen der sonst bezeichnete Gegenstand nicht existiert, will ich hier nicht erörtern; die dahinter stehende Problematik ist komplex, wird hier aber nicht relevant. Daher nehme ich für alles weitere einfach an, daß seine Intension für diese Welten nicht definiert und insofern bloß partiell ist, ohne auf die Konsequenzen daraus weiter einzugehen. Die gleiche Annahme soll mutatis mutandis auch für die gleich zu erklärenden Charaktere gelten.
24
1. Die
Ausgangslage
Bei einer Reihe von syntaktischen Konstruktionen ist nicht die Extension der Teilausdrücke, sondern erst deren Intension zur Bestimmung der Extension des Gesamtausdrucks hinreichend. Hier können also nur intensionsgleiche Ausdrücke füreinander ersetzt werden, ohne daß sich die Extension des Gesamtausdrucks ändert. Beispiele sind die Einbettung von Sätzen unter modale Ausdrücke wie „können", „müssen", „es ist notwendigerweise der Fall, daß", „es ist möglicherweise der Fall, daß" und auch die umgangssprachliche „wenn ..., dann ..." - Konstruktion. Man nennt solche Konstruktionen intensionale Konstruktionen oder sagt, daß sie intensionale Kontexte bilden. In intensionalen Konstruktionen gilt das intensionale Kompositionalitätsprinzip, wonach die Intension eines komplexen Ausdrucks durch die Intensionen seiner Teile und der Art ihrer Verknüpfung bestimmt ist.6 Der Begriff der Intension kodiert, wie gesagt, die Idee, daß die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks angibt, wie seine Extension von der Beschaffenheit der Welt abhängt. Doch zeigt sich bei genauerer Betrachtung gleich, daß eine Relativierung von Extension und Wahrheit auf Welten nicht immer hinreicht. Es gibt nämlich Ausdrücke und Sätze, deren Extension nicht nur mit der Welt, sondern auch mit der Zeit oder dem Ort variiert. So ist zum Beispiel die Extension der Kennzeichnung „der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland" zum einen abhängig von der möglichen Welt - in der wirklichen Welt ist ihre Extension Helmut Kohl, wenn jedoch die SPD die letzten Bundestagswahlen gewonnen hätte, so wäre es Rudolf Scharping; gleichzeitig aber variiert die Extension dieser Kennzeichnung mit der Zeit - sie ist in der wirklichen Welt im Jahre 1970 Willy Brandt, im Jahre 1990 Helmut Kohl, und im Jahre 1998 in einer möglichen Welt, in der die SPD die nächsten Wahlen gewinnt, Rudolf Scharping. Die Extension des Satzes „es regnet" hängt sowohl von der Zeit als auch vom Ort ab; dieser Satz ist an manchen Orten zu manchen Zeitpunkten wahr, zu anderen Zeiten und an anderen Orten falsch. Diese Beobachtungen legen nahe, Intensionen allgemein nicht einfach als Funktionen von möglichen Welten, sondern als Funktionen von komplexeren Indizes zu konstruieren, etwa von Indizes, die Tripel aus einer Welt w, einer Zeit t und einem Ort p sind. Man kann dann auch für temporale und lokale Konstruktionen rekursive semantische Regeln formulieren, analog zu den Regeln für modale Einbettungen: So wie man sagen konnte, daß ein Satz der Form „es ist notwendigerweise der Fall, daß " in einer Welt w genau dann wahr ist, wenn der eingebettete Satz in allen Welten w' wahr ist, so kann man nun sagen, daß ein Satz der Form „immer oder „manchmal " genau dann an einem Index < w, t,p> wahr ist, wenn der eingebettete Satz 0 für alle Zeiten t' bzw.
6
Zwar sind intensionale Konstruktionen als solche definiert, in denen die Extension der Gesamtkonstruktion - und nicht ihre Intension - von der Intension des eingebetteten Teilausdrucks abhängt. In einer rekursiven Semantik muß man jedoch die Extension einer intensionalen Konstruktion für jede mögliche Welt definieren, weil diese Konstruktion ja wieder in einen intensionalen Kontext eingebettet werden kann. Eine intensionale Konstruktion ist dann in mindestens einer Welt intensional, das heißt, ihre Extension hängt in mindestens einer Welt von der Intension ihrer Teilausdrücke ab. Dies bedeutet aber, daß auch ihre Intension von den Intensionen ihrer Teile bestimmt ist, wie es das intensionale Kompositionalitätsprinzip verlangt.
1.2
Extension und Intension, Index, Kontext und Charakter
25
für eine Zeit V an < w, t\p > wahr ist, und daß ein Satz der Form „überall " genau dann am Index wahr ist, wenn für alle Orte p' an < w, t,p' > wahr ist. Für die Analyse indexikalischer Ausdrücke ist eine solche Indexerweiterung aber noch nicht hinreichend. Will man Indexikalität semantisch beschreiben, so muß man vielmehr die Extension von Ausdrücken zusätzlich vom Äußerungskontext abhängig machen. Daß dies eine andere Abhängigkeit als die eben besprochene Indexabhängigkeit ist, wird durch einen Vergleich indexikalischer mit nicht-indexikalischen Sätzen deutlich. Betrachten wir die Sätze „am 20. März 1990 scheint in Schwabing die Sonne", irgendwann geäußert, und „jetzt scheint hier die Sonne", am 20. März 1990 in Schwabing geäußert. In einem klaren Sinne, so Kaplan (1977, 1979), sagen beide Äußerungen dasselbe, haben sie denselben Inhalt: beide sind eben gerade in solchen Welten wahr, in denen am 20. März 1990 in Schwabing die Sonne scheint. Diese Wahrheitsbedingung wird durch die Indexabhängigkeit der Extension wiedergegeben. Daß die erste Äußerung diese Wahrheitsbedingung hat, ist offenkundig; daß sie auch der zweiten Äußerung zukommt, ist jedoch erst klar, wenn der Bezug ihrer indexikalischen Ausdrücke durch den Kontext festgelegt ist. Daraus ergibt sich, daß die Intensión eines sprachlichen Ausdrucks im allgemeinen erst durch den Kontext seiner Äußerung gegeben ist und daß seine Extension somit einer doppelten Abhängigkeit vom Kontext wie vom Index unterliegt. Kaplan spricht hier auch davon, daß man einen Unterschied zwischen Äußerungssituationen und Auswertungssituationen machen muß. Ferner zieht Kaplan aus der Notwendigkeit dieser Unterscheidung den Schluß, daß man auch zwei Sinne von sprachlicher Bedeutung auseinanderhalten muß: erstens den Inhalt oder, wie wir sagen, die Intensión, die ein sprachlicher Ausdruck in einem Kontext hat, und zweitens den sogenannten Charakter des Ausdrucks; dieser ist eine Funktion von Kontexten in Intensionen, eben die Funktion, die jedem Kontext die Intensión zuordnet, die der Ausdruck in diesem Kontext hat. Neben der oben gegebenen intuitiven Begründung gibt es theoretische Argumente, die zeigen, daß man nur, wenn Kontext und Index auseinandergehalten werden, in systematischer, das heißt rekursiver Weise Wahrheitsbedingungen für indexikalische Sätze formulieren kann: Vorderhand sieht es ja so aus, als ob durch die Einführung komplexer Indizes - jedenfalls dann, wenn man diese noch um den Sprecher s als zusätzlichem Parameter erweitert - die Behandlung indexikalischer Ausdrücke bereits ermöglicht würde, da diese Indizes ja gleichzeitig als Äußerungskontexte dienen könnten. Man würde dann sagen, daß ein Satz wie „ich singe jetzt" genau dann an einem Index wahr ist, wenn s zu t in w singt, oder ein Satz wie „es regnet jetzt hier" genau dann am Index
wahr ist, wenn es zu / an p in w regnet. Solche semantischen Regeln ließen sich jedoch nicht in angemessener Weise verallgemeinern. Ein Problem, das man bekommt, ist das folgende 7 :
7
Die Argumentation findet sich sinngemäß in Kaplan (1979), S. 82f.
26
1. Die Ausgangslage
Man betrachte den Satz „ich bin jetzt hier". Es gehört zur Bedeutung dieses Satzes, daß jede Äußerung von ihm etwas Wahres aussagt, und eine semantische Theorie sollte dies widerspiegeln. Die skizzierten semantischen Regeln könnten das aber nur dann leisten, wenn man von vorneherein nur solche Quadrupel als mögliche Indizes zuließe, die Äußerungskontexte sind, für die also gilt, daß sich s in w zu / an p befindet; nur dann wäre der Satz an jedem Index < w, s, t, p > wahr. Doch würden diese Regeln das gleiche für den Satz „ich bin immer hier" liefern: Seine Wahrheitsbedingung besagt, daß er genau dann an einem Index wahr ist, wenn für alle V gilt, daß „ich bin hier" an < w, s, t\p > wahr ist. Doch wenn nur Indizes, die Kontexte sind, in Betrachtung kommen, so wird auch der eingebettete Satz und damit der Gesamtsatz an jedem Index wahr. Intuitiv wissen wir jedoch, daß Äußerungen von „ich bin immer hier" in der Regel falsch und mit Sicherheit nicht immer wahr sind. Lewis (1980) bringt das Problem, das aus der Identifizierung von Kontext und Index entsteht, auf den folgenden Punkt. Zum einen gibt es indexikalische Ausdrücke, deren Bezug durch die im Kontext spezifizierten Parameter gegeben ist. Zum andern gibt es Operatoren, die bestimmte Parameter des Indexes .verschieben', Temporaloperatoren, die die Zeitkomponente verschieben, Modaloperatoren, die die Weltkomponente verschieben, lokale Operatoren, die den Ortsparameter verschieben; solche Operatoren erfordern, die Wahrheit von eingebetteten Sätzen an Indizes mit verschobenen Parametern auszuwerten. Wenn nun Kontexte die Rolle von Indizes übernehmen sollen, so ergibt sich eine inadäquate Behandlung dieser Operatoren. Denn dann sind es Kontextparameter, die von solchen Operatoren verschoben werden. Die Verschiebung eines Kontextparameters führt jedoch nicht unbedingt wieder zu einem möglichen Kontext, das heißt, zu einer Situation, in der der fragliche Sprecher zum fraglichen Zeitpunkt am fraglichen Ort spricht. Und man darf solche Verschiebungen auch nicht auf mögliche Kontexte einschränken; wir hatten ja gerade gesehen, daß man andernfalls Äußerungen von „ich bin immer hier" - und entsprechend von „ich bin notwendigerweise jetzt hier" oder „ich bin jetzt überall" - nicht als falsch bewerten kann. Wenn man umgekehrt Indizes die Rolle von Kontexten zuweist, so wird man den indexikalischen Ausdrücken nicht gerecht. Denn indexikalische Ausdrücke wären dann am jeweiligen Index auszuwerten. Doch können diese Ausdrücke in Operatoren eingebettet vorkommen, die die Indexparameter verschoben haben; und dann wären sie, unangemessenerweise, an diesen verschobenen Parametern auszuwerten. Aus solchen Überlegungen ergibt sich, daß man Kontext und Index streng auseinanderhalten muß. Davon zu unterscheiden ist die weitergehende Frage der Doppelindizierung, die Frage, ob gewisse Parameter doppelt, im Kontext wie im Index, vorkommen müssen. In der Tat wurde dies nicht allgemein angenommen. Kriterium dafür, welche Parameter der Index enthalten muß, ist vielmehr, welche intensionalen Operatoren es gibt und welche Parameter durch diese Operatoren verschoben werden; Kriterium dafür, welche Parameter im Kontext benötigt werden, ist, welche indexikalischen Ausdrücke
1.2
Extension und Intension, Index, Kontext und Charakter
27
die Sprache enthält und auf welche Aspekte des Kontexts sie sich beziehen. 8 Viele meinen etwa (zum Beispiel Lewis (1980)), daß ein Sprecherparameter nur im Kontext, aber nicht im Index nötig sei, da es keine Operatoren gebe, welche den Sprecher verschieben. Daß man de facto manche Parameter sowohl im Kontext als auch im Index braucht, läßt sich also erst durch konkrete semantische Analysen begründen. Zum ersten Mal wurde die Notwendigkeit einer solchen Doppelindizierung für den Zeitparameter von Kamp (1971) in seinen Untersuchungen zur Semantik von „jetzt" erkannt.,Jetzt" bezieht sich immer auf den Äußerungszeitpunkt; dafür braucht man einen festen, unverschobenen Zeitparameter. Gleichzeitig aber braucht man für komplexe Sätze, in denen zusätzlich noch andere Temporaloperatoren vorkommen, einen weiteren, eben einen verschiebbaren Zeitparameter. Ein Satz wie etwa „einst werden alle, die jetzt Gutes tun, belohnt werden" ist eben nur dann in einem Kontext und an einem Index wahr, wenn es eine zukünftige Index-Zeit V gibt, zu der alle, die zur Kontext-Zeit t Gutes tun, belohnt werden - und nicht wenn diejenigen zu V belohnt werden, die zu t' Gutes tun, oder die irgendwann Gutes tun (wie man den Satz ohne , jetzt" lesen könnte). Es ist nun an der Zeit, eine Reihe von Begriffen, die für die Semantik kontextabhängiger Ausdrücke wichtig sind, explizit einzuführen und sich auf eine Notation festzulegen. Die folgenden Definitionen orientieren sich weitgehend an Zimmermann (1991) eine der umfassendsten Darstellungen der Theorie der Kontextabhängigkeit. Den Charakter eines Ausdrucks a werden wir von nun an mit II a II bezeichnen; II II ist also die Funktion, die es rekursiv zu definieren gilt, wenn man die Semantik einer Sprache beschreiben will. K sei die Menge der möglichen Kontexte', k, k\ k" usw. stehen für Elemente von K. I sei die Menge der möglichen Indizes , i, i', i" usw. stehen für Elemente von /. Ein Paar aus einem Ausdruck a und einem Kontext k heißt Äußerung (von a); wenn a ein Satz ist, so heißt auch Aussage. Die einzelnen Parameter eines Kontexts k werden mit w^, Sk, Pk, h usw. bezeichnet, die Parameter eines Index entsprechend mit vv„ /,, p, usw. Welche Parameter Kontexte und Indizes genau enthalten sollen, wird noch im einzelnen diskutiert werden. Doch wollen wir hier bereits die allgemein übliche Voraussetzung machen, daß Äußerungskontexte spezielle Auswertungssituationen sind, daß also Kontexte mindestens so spezifisch sind wie Indizes; das bedeutet, daß alle Parameter des Index auch Parameter des Kontexts sind. Wenn k ein Kontext ist, so bezeichne i(k) den Index, den man durch Streichen der rein kontextuellen Parameter aus k erhält - falls es solche gibt. Die Intension eines Ausdrucks a im Kontext k, das heißt, die Intension der Äußerung < a, k > , ist II a II (k). Die oben definierten Begriffe des Individuenkonzepts, der Ei8
Das heißt nicht, daß man Kontexte als Tupel definieren muß, die für jeden indexikali sehen Ausdruck einen entsprechenden Parameter bereitstellen. Es heißt vielmehr nur, daß die Kontextparameter so anzusetzen sind, daß die in ihnen kodierte Information spezifisch genug ist, um alle anderen Aspekte, die für die Interpretation indexikalischer Ausdrücke relevant werden könnten, mitzuliefern. Zum Beispiel ist es hinreichend, Kontexte als Tripel aus Sprecher s, Welt w und Zeit t zu definieren, da man den Äußerungsort p dann als den Ort, an dem s sich in w zu / aufhält, mitgegeben hat.
28
1. Die Ausgangstage
genschaft und der Proposition sind entsprechend als Funktionen von Indizes statt einfach nur von Welten umzudeuten. Insbesondere sind also von nun an Propositionen als Mengen von Indizes definiert. In der praktischen Anwendung drücken Äußerungen von Sätzen allerdings in der Regel Propositionen aus, bei denen nur der Weltparameter relevant ist, und Zeit- und Ortparameter leer laufen, weil sie entweder gebunden oder durch die Werte der entsprechenden Kontextparameter belegt sind. Insofern werde ich weiterhin auch Mengen von möglichen Welten als Propositionen bezeichnen. Es wird aus dem jeweiligen Zusammenhang heraus klar werden, was genau gemeint ist, und der Unterschied ist ohnehin meistens unwichtig.9 Die Extension eines Ausdrucks a im Kontext k am Index i ist II a II (k) (i). Ein Satz ist genau dann wahr in k an i, wenn II 0 II (k) (i) = 1 ist. Ferner wollen wir sagen, wann eine Aussage < , k>, das heißt, der Satz im Kontext k wahr ist. Dies soll dann der Fall sein, wenn die von < fc > ausgedrückte Proposition an k selbst gilt, wenn also II II (*) (i(k)) = 1. Ein Individuenterm a heißt starr oder direkt referentiell, wenn für jedes k gilt, daß II a II (k) (i) = II a II (k) (i1) für alle i und V (für die II a II (k) definiert ist). Starre Ausdrücke haben in jedem Kontext eine konstante Intension.10-11 Ein Ausdruck heißt indexikalisch oder kontextabhängig, wenn es zwei Kontexte k und k' gibt, so daß II a II (k) * II a II (k'). Ein Ausdruck a heißt absolut, wenn II a II (k) = II a II (k') für alle Kontexte k und k\ Absolute Ausdrücke sind nicht kontextabhängig, sie haben in jedem Kontext die gleiche Intension. Ein Individuenterm heißt absolut starr, wenn er starr und absolut ist. Absolut starre Ausdrücke sind in ihrer Extension weder kontext- noch indexabhängig.
9 Siehe auch Kaplan (1977, S. 546). Die Seitenangaben zu Kaplan (1977) beziehen sich immer auf die 1989 veröffenüichte Version. 10 Diese Definition entspricht Kripkes Begriff von Starrheit. Kaplan würde die Einschränkung auf Indizes, an denen der Gegenstand, den a bezeichnet, existiert, nicht unterschreiben. Für Kaplan ist der Bezug eines starren oder direkt referentiellen Ausdrucks ganz und gar indexunabhängig, das heißt, es ist stets ein und derselbe Gegenstand, auch an Indizes, in denen es diesen Gegenstand gar nicht gibt (vgl. Kaplan 1977, S. 492-494 und 497). Wie schon gesagt (vgl. Fußnote 5 auf S. 23), werde ich den Unterschied zwischen den Auffassungen von Kaplan und Kripke nicht weiter erkunden, und die Partialität der obigen Definition nicht weiter emst nehmen. 11 Genau genommen, möchte Kaplan einen Unterschied zwischen Starrheit und direkter Referentialität machen. Dieser Unterschied läßt sich allerdings mit dem formalen Apparat der Möglichen-Welten-Semantik nicht erfassen, sondern kommt erst zum Vorschein, wenn man mit strukturierten Propositionen arbeitet. Dann kann man nämlich sagen, daß der Beitrag eines direkt referentiellen Terms zur Proposition, die ein diesen Term enthaltender Satz ausdrückt, nur der bezeichnete Gegenstand selbst ist, der Beitrag eines Ausdrucks, der nur starr, aber nicht direkt referentiell ist, hingegen in einer komplexen Bedingung besteht, welche in jeder Welt den gleichen Gegenstand festlegt (vgl. Kaplan 1977, S. 494-497). Allerdings habe ich nirgends finden können, welche theoretische Rolle die direkte Referentialität über die Starrheit hinaus spielen soll. Daher unterscheide ich hier zwischen diesen beiden Begriffen nicht.
1.2
Extension und Intension, Index, Kontext und Charakter
29
Ein Individuenausdruck heißt deskriptiv, wenn er absolut, aber nicht starr ist. Deskriptive Ausdrücke sind nur index-, aber nicht kontextabhängig. 12 Kaplan hat einen Operator definiert, den sogenannten dthat-Operator - hier durch V symbolisiert - , der vorhandene Indexabhängigkeiten auf den Äußerungskontext bezieht, das heißt, die Parameter des Index durch die entsprechenden Parameter des Kontexts ersetzt; er ist durch II V a II (k) (i) = II a II (k) (i(k)) definiert. Der dthat-Operator macht zum Beispiel aus deskriptiven indexikalische Kennzeichnungen; so hat etwa „V der Äußerungsort" den gleichen Charakter wie „hier". Mittels des dthat-Operators läßt sich auch der Unterschied zwischen der sogenannten attributiven und der sogenannten referentiellen Lesart von Kennzeichnungen explizieren: Attributiv gelesen, erhält etwa die Kennzeichnung „der Erfinder des Blitzableiters" den Charakter II (der Erfinder des Blitzableiters) a(tr ll (k)(i) = das Individuum aus w,-, das in w, den Blitzableiter erfunden hat. Referentiell gelesen, läßt sie sich so verstehen: II (der Erfinder des Blitzableiters) re f II (k)(i) - II V (der Erfinder des Blitzableiters) a ttr H (£)('") = das Individuum aus w d a s in w* den Blitzableiter erfunden hat. Danach ergibt sich also die referentielle Lesart einer Kennzeichnung gerade durch Anwendung des dthatOperators auf ihre attributive Lesart; die referentielle Lesart wird dadurch als eine direkt referentielle - im oben definierten Sinn - gedeutet. Diese Deutung erfaßt vielleicht nicht genau das, was Donnellan, der Erfinder der Unterscheidung, im Sinn hatte (für Donnellan können referentiell gebrauchte Kennzeichnungen auch auf Individuen zutreffen, die die kennzeichnende Eigenschaft gar nicht haben, vgl. Donnellan 1966). Dennoch ist sie eine in der linguistischen Literatur durchaus übliche Explikation dieses Begriff (vgl. Heim 1991a, Abschnitt 1.3), an die ich mich im weiteren halten werde. Komplementär zum dthat-Operator verhält sich der sogenannte Diagonaloperator A, dessen Nützlichkeit für die Sprachphilosophie besonders von Stalnaker (1978) propagiert worden ist. Für uns wird er eine wesentliche Rolle spielen, weshalb die mit ihm zusammenhängende Notation und Terminologie hier gleich vollständig eingeführt sei. Stalnakers Gebrauch schwankt zwischen einem syntaktischen und einem semantischen Diagonaloperator; wir werden beide benötigen. Das eigentliche Gegenstück zum dthat-Operator, der ja ein Ausdruck der Objektsprache ist, ist der syntaktische Diagonaloperator A. Er zieht vorhandene Kontextabhängigkeiten in den Index hinein; er verwandelt also Kontextparameter in Indexparameter. Dies geht natürlich nur, wenn man die oben genannte Voraussetzung, daß Kontexte mindestens so spezifisch sind wie Indizes, auch umdrehen darf, wenn man also annimmt, daß Kontexte und Indizes in der Tat strukturell gleich sind. Unter dieser Annahme ist A dann durch II A a II (k) (i) = II a II (i) (i) semantisch erklärt. Die Anwendung von A auf ei-
12 Der Begriff der Starrheit und alle über ihn definierten Begriffe, sind hier nur für Individuenterme, und nicht für alle Arten von Ausdrücken erklärt. Was mit der Starrheit von Prädikaten gemeint sein könnte, ist nämlich vorderhand gar nicht klar; ich werde diesen Punkt jedoch ausführlich im Abschnitt 3.7 diskutieren.
30
1. Die
Ausgangslage
nen indexikalischen Ausdruck ergibt dessen deskriptive Umschreibung; zum Beispiel ist „A hier" gleichbedeutend mit „der Äußerungsort". Auch unter der Annahme der strukturellen Gleichheit von Kontexten und Indizes ist der syntaktische Diagonaloperator auf diese Weise nur partiell definiert. Denn daß Äußerungskontexte spezielle Auswertungssituationen sind, bedeutet ja, daß K eine Teilmenge von I ist, und zwar eine echte, d.h. daß K C /. 1 3 Daraus folgt, daß für eine Äußerung < a, k > II A a II (k) nicht für alle Indizes i aus /, sondern nur für solche aus K wohldefiniert ist. Der semantische Diagonaloperator - er sei durch ö symbolisiert - ordnet jedem Charakter einen in der Regel bloß partiellen Charakter zu. Wenn also x e i n e Funktion von K x / in eine Menge von Extensionen ist und insofern der Charakter eines sprachlichen Ausdrucks sein könnte, dann ist ö(%) als diejenige Funktion definiert, für die b{x)(k)(i) = %(i)(i). Formal ergibt sich daraus, daß b(%) auf K H / x K D / definiert ist. Aber da wir immer unter der Voraussetzung stehen, daß Äußerungskontexte spezielle Auswertungssituationen sind, ist die Definition von ö(x) nur für den Fall sinnvoll, daß KQI. Falls also K eine echte Teilmenge von I ist, ist b(x) ein nur auf K x K definierter partieller Charakter. Natürlich gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen syntaktischem und semantischem Diagonaloperator; es gilt stets II Aa II = 8(11 a II). Die beiden Operatoren zu unterscheiden, ist also weniger aus inhaltlichen, sondern eher der formalen Explizitheit wegen angezeigt; und ich werde mir erlauben, gelegentlich einfach von dem Diagonaloperator zu reden. Schließlich benötigen wir den Begriff der Diagonale: Für jeden Ausdruck a sei die Diagonale d(a) von a als die Funktion definiert, die jedem kB K II a II (k) (i{k)), die Extension von a im Kontext k, zuordnet. Diagonalen sind also Funktionen von Kontexten in Extensionen. Ist 4> ein Satz, so entspricht d() offenbar der Menge der Kontexte, in denen wahr ist; wir werden im weiteren auch zwischen der Darstellung der Diagonale als Funktion und der als Menge hin und her wechseln. Die Menge aller Kontexte nennen wir die tautologische Diagonale, die leere Menge die kontradiktorische Diagonale; eine Diagonale, die weder tautologisch, noch kontradiktorisch ist, heißt informativ. Wenn die Voraussetzung für die Definition der Diagonaloperatoren erfüllt ist, wenn also K Q I , so gilt natürlich d ( a ) = 6(11 a II) (k*) für irgendeinen Kontext k' (auf den es nicht ankommt). Allerdings ist d(a) auch dann erklärt, wenn diese Voraussetzung nicht erfüllt ist. Auch auf der Ebene des Charakters gilt ein Kompositionalitätsprinzip, welches besagt, daß der Charakter eines komplexen Ausdrucks eine Funktion der Charaktere seiner Teile ist. Es stellt sich nun die Frage, ob es Konstruktionen gibt, die charakterial sind, das heißt, deren Extension nicht durch die Extension und auch nicht durch die Intension, sondern erst durch den Charakter ihrer Teile festgelegt ist. Kaplan (1977) nennt solche Konstruktionen Monster und er behauptet, daß es in der natürlichen Sprache keine Mon3
C symbolisiert immer die echte Teilmengenrelation, C die echte oder unechte.
1.2
Extension und Intension, Index, Kontext und
Charakter
31
ster gibt, daß syntaktische Konstruktionen immer höchstens intensional sind. Die einzige Möglichkeit, in der natürlichen Sprache eine charakteriale Konstruktion zu bilden, besteht in der Verwendung von Anführungszeichen. So hängt zum Beispiel, wenn für einen Hörer in einer Kontextmenge R kein konstantes Propositionalkonzept festlegt, so heißt dies ja, daß der Bezug der Ausdrücke in für den Hörer von den Kontextwelten in R abhängt. Da man außerdem davon auszugehen hat, daß der Hörer nicht weiß, welche der Kontextwelten in R die tatsächliche ist, weiß er dann also nicht, welche Proposition von ausgedrückt wird. Doch bringt das Propositionalkonzept andererseits ein bedingtes Wissen des Hörers zum Ausdruck, das sich - wenn wir den Unterschied zwischen Propositionalkonzepten und partiellen Charakteren kurz vernachlässigen - folgendermaßen bechreiben läßt: Der Hörer weiß, daß die Äußerung von die Proposition II
, so daß 5 in w auf einer Zeitbombe sitzt, und diese steht sicherlich nicht im Widerspruch zur subjektiven Bedeutung von „Dieser Mann sitzt auf einer Zeitbombe", die wir hier mit der Menge aller Paare < w, s > so daß 5 in w einen Mann sieht, der auf einer Zeitbombe sitzt, gleichsetzen können. 6 An diesem Beispiel läßt sich noch eine weitere Bedingung verdeutlichen, die man an jede Erklärung der subjektiven Bedeutung von Äußerungen mit „ich" stellen muß. Eine Äußerung mit „ich" ist nämlich im Prinzip immer anders zu deuten als die entsprechende Äußerung, bei der „ich" durch eine Kennzeichnung oder durch einen Namen der Person ersetzt wird. Denn wenn jemand sagt: „Ich sitze auf einer Zeitbombe", so kann das, was er dabei denkt, für sein Handeln in ganz anderer Weise relevant sein als das, was er denkt, wenn er sagt „Dieser Mann sitzt auf einer Zeitbombe". Falls seine sonstigen Überzeugungen gleich sind, wird er nämlich im einen Fall aufspringen und hinausstürzen, im anderen Fall in Spannung verharren. Will man diese unterschiedlichen Handlungsfolgen erklären, muß man ceteris paribus offenbar auf verschiedene Überzeugungen und mithin auf verschiedene subjektive Bedeutungen dieser beiden Sätze rekurrieren. Auch diese Bedingung wird von der Diagonale als subjektiver Bedeutung erfüllt. Ein weiterer Aspekt des Internalitätsproblems, der sich für Äußerungen mit „ich" ergeben kann, zeigt sich an einem anderen Beispiel von Kaplan (1977, S. 531): Castor und Pollux sind eineiige Zwillinge; sie sind sogar - diese Annahme ist uns mittlerweile vertraut - psychisch völlig gleichartig. Castor ist eine halbe Stunde früher geboren als
6
So in etwa würde Lewis diesen Satz analysieren (vgl. Lewis 1979b, Abschnitt XIII und XIV).
66
2. Zur formalen Struktur von
Überzeugungsinhalten
Pollux. Wenn Castor nun sagt: „Ich bin älter als mein Bruder", so sagt er etwas Wahres; wenn Pollux dasselbe sagt, so sagt er etwas Falsches. Dennoch würde man sagen wollen, daß beide Äußerungen die gleiche subjektive Bedeutung haben, daß Castor und Pollux bei diesen Äußerungen dasselbe denken. Wären die subjektiven Bedeutungen gleich der objektiven, so hätte Castors Äußerung eine andere Bedeutung als die von Pollux; die eine sagt, daß Castor älter ist als Pollux, die andere das Umgekehrte. Die Diagonalen jedoch liefern eine interne Charakterisierung, wonach beide dasselbe glauben, nämlich die Menge aller Paare , so daß 5 in w älter ist als s' Bruder. Der unterschiedliche Wahrheitswert der beiden Äußerungen bleibt dennoch erhalten: Castor hat recht und Pollux unrecht, weil - mit wo als wirklicher Welt - in dieser Menge enthalten ist, < wo, Pollux > hingegen nicht. Das Informativitätsproblem löst sich in gleicher Weise auf. Da wir hier nur die Sprecherbedeutung betrachten, ist der Name etwas irreführend, aber das Problem, das dahinter steht, ist nichtsdestoweniger akut. Wenn Heimson sagt: „Ich bin Hume", so ist die objektive Bedeutung seiner Äußerung die unmögliche Proposition, wenn Hume sagt: „Ich bin Hume", so ist es die notwendige. Intuitiv jedoch glauben sowohl Heimson als auch Hume etwas Informatives, nämlich jemand zu sein, der mit Hume identisch ist, oder einfach, Hume zu sein, also die Menge aller Paare < w, s >, so daß j in w Hume ist. 7 Diese Menge ist gerade die von „Ich bin Hume" ausgedrückte Diagonale, und sie ist, wie erwünscht, informativ. Den im Kapitel 1 erarbeiteten Herausforderungen kann unsere Theorie der subjektiven Bedeutung also angemessen begegnen, zumindest im Fall von „ich"-Äußerungen. Die gerade diskutierten Beispiele haben bereits gezeigt, daß die objektive Bedeutung von „ich"-Äußerungen als subjektive Bedeutung nicht in Frage kommt. Zu dem gleichen Ergebnis führen uns die folgenden grundsätzlicheren Überlegungen. Machen wir uns zunächst klar, wie es überhaupt zugehen kann, daß eine Person andere Gegenstände als sich selbst in ihren doxastischen Alternativen hat. Das mag vorderhand rätselhaft erscheinen, denn in einem gewissen Sinn weiß derjenige, der „ich" äußert, ja immer, worauf sich seine Äußerung bezieht - im Gegensatz etwa zum Hörer, dem es passieren kann, daß er den Sprecher gar nicht sieht und seine Stimme nicht erkennt. Doch entspricht diesem Wissen nur die Tatsache, daß die doxastischen Alternativen einer Person a immer ihrem Selbstbild entsprechen müssen, das heißt, daß die Glaubensmenge von a nur solche Paare < w, s > enthält, bei denen s in w all die Eigenschaften hat, die a in der wirklichen Welt zu haben glaubt. Dies schrankt zwar die Menge der doxastischen Alternativen von a beträchtlich ein, aber keineswegs so weit, daß nur a selbst in diesen Alternativen vorkommen kann; das wäre allenfalls dann der Fall, wenn a's Selbstbild alle wesentlichen Eigenschaften von a umfassen würde. In einem tieferen Sinn braucht a somit nicht zu wissen, wer sie ist; die späteren Beispiele werden das noch illustrieren. Eine Person kann also verschiedene Individuen in ihren doxastischen Alternativen haben, was ausschließt, daß die objektive Bedeutung von „ich"-Äußerungen auch ihre subjektive ist. Denn in die objektive Bedeutung einer „ich"7
Daß diese Menge nicht dasselbe ist wie die Menge aller Paare < w, Hume >, so daß Hume in w existiert, wird im vierten Kapitel, bei der Analyse von Eigennamen deutlich werden.
2.2
Der Subjektparameter
67
Äußerung geht immer ein und dasselbe Individuum, der jeweilige Sprecher ein; eine Variation in den doxastischen Alternativen läßt sich damit nicht darstellen. Entscheidend ist hier aber eine stärkere Behauptung, nämlich daß sich die subjektive Sprecherbedeutung von „ich"-Äußerungen überhaupt nicht als Proposition, das heißt als eine Menge möglicher Welten repräsentieren läßt, oder daß, anders ausgedrückt, de-seÜberzeugungen, Überzeugungen, die eine Person über sich selbst hat, keine propositionalen Einstellungen sind. Erst damit ist gezeigt, daß eine feinere Individuierung doxastischer Alternativen unumgänglich ist, und unsere Theorie, die ja von solch einer feineren Individuierung ausging, gerechtfertigt. Wie diese Behauptung zu begründen ist, ist klar: Es gilt intuitiv überzeugende Beispiele zu finden, in denen eine Person sich darüber im Unklaren ist, welche von zwei Personen in ein und derselben Welt sie ist, in denen ihre Glaubensmenge also für irgendein w mindestens zwei verschiedene Paare < w, s > und < w, s' > enthält. Denn offenkundig könnte man in einem solchen Fall mittels Welten allein nicht die zwei doxastischen Alternativen der Person unterscheiden - die Welten sind ja die gleichen, nur die Perspektiven oder Rollen, die die Person in ihnen hat, sind verschieden. Solche Beispiele illustrieren dann auch den vorhergehenden schwächeren Punkt, daß eine Person überhaupt verschiedene Individuen als doxastische Alternativen haben kann. Lewis (1979b, S. 535) hat ein Beispiel von Perry (1977, S. 492) so abgewandelt, daß es diese Möglichkeit demonstriert: Rudolf Lingens hat sich in der Bibliothek von Stanford verirrt. Er leidet an schwerem Gedächtnisverlust; er weiß nicht, wie er heißt, wo er ist, wie er an den Ort kam, an dem er sich befindet. Lingens liest viele Bücher und findet in der Bibliothek auch eine Biographie von Rudolf Lingens, in der unter anderem steht, daß Lingens sich in der Bibliothek von Stanford verirrt hat und sich dort im sechsten Stock befindet; um herauszukommen, muß er einfach die Treppe nach unten gehen. Ferner kommt ihm die Biographie von Adolf Dingens in die Hände, einem Mann, der auch an Gedächtnis verlust leidet und sich gleichfalls in einer Bibliothek verirrt hat, nämlich in der von Widener. Dingens befindet sich dort in einem der Untergeschosse, und um aus der Bibliothek herauszukommen, muß er die Treppe nach oben gehen. Lingens selbst hat nun aufgrund seiner Wahrnehmung und seiner Lektüre die Hypothese gebildet, daß er einer dieser beiden Männer sein muß. Er hat aber noch nicht genügend Information, um zu wissen, welcher von beiden er ist, und so weiß er auch nicht, ob er die Treppe hinauf- oder hinuntergehen muß, um den Ausgang zu finden. Erst wenn er eine dieser beiden Alternativen realisiert, wird er wissen, ob er Rudolf Lingens oder Adolf Dingens ist. Wenn man nun Lingens' Überzeugung, daß er entweder Lingens oder Dingens ist, mittels einer Proposition beschreiben wollten, also davon ausginge, daß seine Glaubensmenge einfach nur mögliche Welten enthält, wie könnte man dann das zusätzliche Wissen beschreiben, das Lingens erwirbt, wenn er die Treppe hinuntergeht? Welche Welten sollten aus Lingens' Glaubensmenge herausfallen, wenn ihm klar wird, daß er Lingens in Stanford und nicht Dingens in Widener ist - wo es doch ein und dieselbe Welt ist, in der diese beiden Personen unter Amnesie leiden und sich in Bibliotheken verirrt haben? Man bedenke, daß es nicht richtig wäre zu sagen: Bevor Lingens die Treppe hinunterging und den Ausgang fand, enthielt seine Glaubensmenge Welten wie w, in denen Lingens in
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2. Zur formalen Struktur von
Überzeugungsinhalten
Stanford und Dingens in Widener ist, und Welten wie w', in denen Dingens in Stanford und Lingens in Widener ist; nachdem er den Ausgang gefunden hat, fallen hingegen alle Welten der Art w' aus seiner Glaubensmenge heraus. Dies ist nämlich insofern unzutreffend, als Lingens doch bereits vorher weiß, daß Lingens in Stanford und Dingens in Widener ist - diese Information hat er ja den beiden Biographien, die er gelesen hatte, entnommen. Kein Problem, Lingens' Wissenszuwachs zu erklären, haben wir hingegen, wenn wir seine doxastischen Alternativen als Paare aus Welten und Individuen auffassen: Wenn Lingens noch nicht weiß, ob er Lingens oder Dingens ist, enthält seine Glaubensmenge sowohl Paare < w, Lingens >, als auch Paare < w, Dingens > - für alle w, die mit seinen Überzeugungen kompatibel sind; wenn er jedoch den Ausgang gefunden hat, werden alle Paare der Form < w, Dingens > aus seiner Glaubensmenge eliminiert. Noch deutlicher wird die Tatsache, daß man de-se-Überzeugungen nicht mittels Mengen von Welten beschreiben kann, anhand eines weiteren Beispiels von Lewis (1979b, S. 521f.): In einer möglichen Welt w leben zwei Götter, Zeus und Jahwe. Zeus wohnt auf dem kältesten Berg in w und schleudert von dort Blitze, wohingegen Jahwe auf dem höchsten Berg sitzt und Manna herabwirft. Die beiden Götter sind propositional allwissend, sie wissen ganz genau, in welcher von allen möglichen Welten sie sich befinden; ihre Glaubensmenge, modellierte man sie als eine Menge von Welten, ist die Einermenge von w. Dennoch sind Zeus und Jahwe nicht wirklich allwissend: keiner von beiden weiß, ob er auf dem höchsten oder auf dem kältesten Berg sitzt, ob er Blitze schleudert oder Manna wirft; keiner von beiden weiß, wer er ist. (Die Götter haben nicht nur allumfassendes propositionales Wissen; falls sie ihr Wissen durch so etwas wie Wahrnehmung erwerben, so muß auch diese allumfassend sein, damit sie nicht Uber ihre Wahrnehmung ihre Perspektive auf die Welt und damit ihren Ort in der Welt ermitteln können.) Es gibt also noch etwas zu wissen für Zeus und Jahwe, nämlich wer sie sind. Aber diese Information kann offenkundig nicht propositional sein; sie ist ja durch eine Reduzierung ihrer Glaubensmenge nicht zu erfassen, wenn diese nur noch ein Element enthält. Auch bei dieser Geschichte verschwinden die Probleme, wenn man Glaubensmengen als Mengen von doxastischen Alternativen auffaßt: Zeus und Jahwe glauben zunächst nur {< w, Zeus >,< w, Jahwe >}, aber wenn sie erfahren, wer sie sind, reduziert sich Zeus' Glaubensmenge auf {< w, Zeus >}, und Jahwes auf {< w, Jahwe >}. Die Geschichten, die da immer als Beispiele herhalten müssen, handeln von ungewöhnlichen Personen mit ungewöhnlichen epistemischen Zuständen. Doch ist das nicht wesentlich. Wir selbst eigneten uns auch für solche Geschichten, wenn wir aufhörten, uns für einzigartig zu halten, wenn wir also in unserer Glaubensmenge mögliche Welten zuließen, in denen sich die Geschichte unseres Sonnensystems an anderer Stelle im Universum duplizierte. Denn in solchen möglichen Welten gäbe es zu jedem Erdenmenschen immer einen für ihn ununterscheidbaren Doppelgänger und damit zwei doxastische Alternativen in einer Welt. Daß Einstellungen de se nicht als propositionale Einstellungen verstanden werden können, wird in Lewis (1979b) ausführlich begründet; seine wichtigsten Argumente habe ich eben dargelegt. Von Lewis stammt auch der Vorschlag, statt Mengen von Welten
2.2
Der Subjektparameter
69
Mengen von möglichen Individuen zur Repräsentation des Inhalts von Einstellungen zu verwenden. Da Lewis in seinem ontologischen Rahmen voraussetzt, daß jedes Individuum nur in einer Welt existieren kann (und in anderen Welten höchstens sogenannte Gegenstücke (counterparts) hat), kann er Einstellungsinhalte einfach als Mengen von Individuen repräsentieren; denn in diesem Rahmen entspricht jedem Individuum s genau ein Paar < w, s >, worin w die Welt ist, in der s existiert. Ich möchte mich hier jedoch nicht auf Lewis' anti-haecceitistische Ontologie festlegen und auch nicht auf all die verwickelten Begründungen einlassen, die er in (1986), Teil 4, dafür vorbringt. Vielmehr will ich den vorderhand natürlichen, wenn vielleicht auch naiven Standpunkt einnehmen, wonach ein mögliches Individuum durchaus in mehreren möglichen Welten existieren kann. Wenn also < w, j > eine doxastische Alternative eines Subjekts ist, so kann für eine andere Welt w' auch eine seiner doxastischen Alternativen sein. Daher müssen wir Einstellungsinhalte hier als Mengen von Welt-Individuum-Paaren repräsentieren. Mengen von Welt-Individuum-Paaren kann man auch als einstellige Eigenschaften betrachten. Eine Eigenschaft wird ja gewöhnlich (vgl. S. 23) als eine Intension eines einstelligen Prädikats, das heißt als die Funktion repräsentiert, die jeder Welt w die Menge derjenigen Individuen zuordnet, denen in w diese Eigenschaft zukommt. Jeder Menge von Welt-Individuum-Paaren entspricht genau eine solche Eigenschaft und vice versa. Denn ist Zeine Menge von Welt-Individuum-Paaren und die Funktion /durch J{w) { s l < w , i > e Z } definiert, so ist / offenbar gerade eine Eigenschaft; und umgekehrt ist für jede Eigenschaft/die Menge Z = { < w, s > I s E / v v ) } gerade eine Menge von Welt-Individuum-Paaren. Lewis redet daher auch davon, daß Überzeugungen de se als Selbstzuschreibungen von Eigenschaften aufzufassen sind: daß eine Menge von möglichen Individuen bzw. Welt-Individuum-Paaren den Glaubensinhalt einer Person a repräsentiert, heißt, daß a sich selbst die durch diese Menge festgelegte Eigenschaft zuschreibt. Propositionaler Glaube ergibt sich dann einfach als ein Spezialfall von Selbstzuschreibung. Gemäß Lewis ist er durch eine Menge von Individuen repräsentiert, die für jede Welt w entweder jedes oder gar kein Individuum aus w enthält, und gemäß unserer Vorgehensweise durch eine Menge von Welt-Individuum-Paaren, die für jede Welt w entweder für jedes in w existierende s oder für keines das Paar < w, s > enthält. Dementsprechend wäre also etwa die subjektive Bedeutung von „Schnee ist weiß" - wenn man wiederum von den Hintergrundannahmen abstrahiert - die Menge aller Paare < w, s >, so daß in w Schnee weiß ist. Hier ist deutlich zu sehen, daß in einem solchen Fall .y für die Bestimmung der Menge völlig irrelevant ist, das heißt, daß die Perspektive des Sprechers in den subjektiven Inhalt seiner Äußerung nicht eingeht. Diese Überlegungen zeigen, daß es kein Problem ist, propositionalen und nicht-propositionalen Glauben einheitlich mittels Eigenschaften zu behandeln. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit werden wir allerdings sehen, daß de facto alle Überzeugungen oder jedenfalls alle subjektiven Bedeutungen eine irreduzibel perspektivische oder de-se-Komponente haben, so daß der propositionale Glaube praktisch bedeutungslos wird. Ziehen wir ein kurzes Zwischenresümee: Wenn wir die subjektive Bedeutung einer Äußerung mit der Diagonalen des geäußerten Satzes identifizieren, so erhalten wir ein
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2. Zur formalen Struktur von
Überzeugungsinhalten
Ergebnis, welches sich inhaltlich mit Lewis' Vorschlag deckt, Überzeugungen allgemein als Selbstzuschreibungen von Eigenschaften zu analysieren. 8 Wir haben dafür auf zweierlei Weise argumentiert. Zum einen haben wir gezeigt, daß unser Vorschlag die Probleme, die man mit der subjektiven Bedeutung von „ich"-Äußerungen hat, löst, und zum anderen, daß doxastische Alternativen auf jeden Fall etwas feiner Individuiertes sein müssen als mögliche Welten. Dafür, daß diese feinere Individuierung nur mittels WeltIndividuum-Paaren zu leisten ist, hatten wir nicht weiter argumentiert. Doch ist dies jedenfalls der nächst einfache Weg, nachdem mögliche Welten allein es nicht tun; und all unsere Beispiele haben gezeigt, daß der Weg natürlich und gangbar ist. Er ist aber nicht unumstritten; es finden sich auch ganz andere Behandlungen der anstehenden Probleme. Daher will ich abschließend auf alternative Theorien Uber die Bedeutung von Äußerungen mit „ich" bzw. Uber Einstellungen de se zu sprechen kommen; sie gliedern sich in drei verschiedene Typen. Erstens gibt es Ansätze, die zwar wie Lewis davon ausgehen, daß die subjektive Bedeutung einer „ich"-Äußerung eine Eigenschaft ist, die aber die systematische Zuordnung von Eigenschaften zu Äußerungen nicht vermittels Diagonalisierung darstellen. Solche Theorien werden u. a. von von Stechow (1982, 1984) und Chierchia (1989) vertreten. Bei von Stechow ist die Grundidee, grob gesagt, Glauben ganz allgemein als de-re-Einstellung zu strukturierten Propositionen zu analysieren und den subjektiven Glaubensinhalt mit der de-se-Einstellung zu identifizieren, die der de-re-Einstellung zugrunde liegt. Bei Chierchia wird, ebenfalls grob gesagt, „ich" als durch einen X-Operator gebundene Variable behandelt, und damit der Satz, der „ich" enthält, semantisch als Eigenschaft interpretiert. Sowohl bei von Stechow als auch bei Chierchia steht allerdings die Interpretation von Glaubenssätzen, insbesondere von de-se-Glaubenszuschreibungen im Vordergrund, wohingegen ich mich in dieser Arbeit auf einfache, uneingebettete Sätze beschränke. Ein Vergleich mit meinem Ansatz ist daher vorderhand schwer durchzuführen. Eine zweite Familie von Theorien ist zwar wie Lewis der Auffassung, daß der Inhalt einer de-se-Überzeugung keine Proposition sein kann, doch wird die subjektive Bedeutung der entsprechenden Äußerung nicht mit einer Eigenschaft oder der Diagonale des geäußerten Satzes, sondern mit seinem ganzen Charakter identifiziert; prominenteste Vertreter dieser Theorie sind Kaplan (1977) und Perry (1977, 1979). Doch wie ist diese Auffassung motiviert? Charaktere kodieren natürlich mehr Information als die ihnen entsprechenden Diagonalen, aber es ist nicht klar, ob diese zusätzliche Information für die Beschreibung von subjektiver Bedeutung jemals relevant wird. Um das zu zeigen, müßte man nämlich Beispiele für zwei Äußerungen finden, die gleiche Diagonalen, aber verschiedene Charaktere haben und denen zudem intuitiv verschiedene subjektive Bedeutun-
8 Lewis (1979b) argumentiert nur dafür, daß nicht Propositionen, sondern Eigenschaften den Gegenstand von Überzeugungen bilden, formuliert aber keinen expliziten Mechanismus, der jeder Äußerung die von ihr ausgedrückte Eigenschaft zuordnen würde. Doch gibt es in Lewis (1983, S. 230) - in der ersten Nachbemerkung zu „General Semantics" - einen Hinweis darauf, daß unsere Diagonalisierungsmethode in seinem Sinn sein könnte. Dort sagt Lewis nämlich, daß es dem Leser von „Attitudes de dicto and de se" nicht entgehen wird, daß er die Eigenschaften, die ein Subjekt sich selbst zuschreibt, als Mengen von solchen Gegenständen konstruiert, die er an anderer Stelle als Kontexte betrachtet, und daß man sich diese Übereinstimmung bei der semantischen Analyse von de-se-Zuschreibungen zunutze machen könnte.
2.2
Der Subjektparameter
71
gen zuzuordnen wären. 9 Derartige Beispiele werden allerdings weder von Kaplan noch von Perry diskutiert. Im Gegenteil, wie wir oben bereits gesehen haben, lassen sich alle Fälle, die Perry (1977, 1979) oder Kaplan (1977) zur Stützung ihrer Theorie heranziehen, auch mit der schwächeren Annahme behandeln, daß es die Diagonale, und nicht der Charakter einer Äußerung ist, welcher ihrer subjektive Bedeutung ausmacht. Im übrigen stehen Perry und Kaplan mittlerweile selbst nicht mehr hinter ihrer ursprünglichen Auffassung. Perry (1988) geht dazu über, die subjektive Bedeutung einer Äußerung mit der Proposition, daß die Äußerung wahr ist, zu identifizieren; diese ist natürlich sinngemäß dasselbe wie die Diagonale der Äußerung, auch wenn Perry im Rahmen seiner Situationssemantik Propositionen auf andere Weise konstruiert als wir. Kaplan (1989) hingegen bezweifelt, daß sich die Charaktertheorie zu einer allgemeinen Theorie der subjektiven Bedeutung erweitern läßt, da sie seiner Meinung nach das Informativitätsproblem für Namen nicht lösen kann; Eigennamen sind für Kaplan nämlich keine kontextabhängigen Ausdrücke. Die dritte Theorie ist die von Stalnaker (1981), welches seine ausführlichste Auseinandersetzung mit de-se-Einstellungen ist. Die Methode der Diagonalisierung ist ihm dort genau so wichtig wie in seinen anderen Schriften, und darin sind wir ihm gefolgt. In anderer Hinsicht aber will er konservativ bleiben und setzt sich gerade dadurch am stärksten von Lewis' Ansatz ab. Denn unbeeindruckt von den Argumenten von Lewis, Perry
9 Wir wollen versuchen, zwei Sätze und ' zu konstruieren, denen die gleiche Diagonale, aber unterschiedliche Charaktere zugeordnet sind. Nehmen wir an, daß es tatsächlich einen semantischen Unterschied zwischen dem referentiellen und dem attributiven Gebrauch von Kennzeichnungen gibt und daß dieser Unterschied sich, wie schon auf S. 29 erläutert, in folgender Weise als Unterschied zwischen einer kontext- und einer indexabhängigen Lesart der Kennzeichnung deuten läßt: II (der P\ef II (k) (i) = der Gegenstand aus w^, der in w^P ist, II (der PJattr" (k) (i) = der Gegenstand aus vv(, der in wtP ist. (Hier steht P für ein einstelliges Prädikat und es wird vorausgesetzt, daß es in jeder Welt genau einen Gegenstand gibt, welcher P ist.) Ein Satz wie (a) hätte dann die beiden Lesarten (b) und (c) und diese die Charaktere II (b) II und II (c) II, wie in (d) und (e) definiert: (a) (b) (c) (d)
Der Erstbesteiger des Mount Everest ist Neuseeländer. (Der Erstbesteiger des Mount EveresfVef ist Neuseeländer. (Der Erstbesteiger des Mount Everest) attr ist Neuseeländer. II (b) II (k) (i) = 1 gdw. dasjenige Individuum aus w^, welches in w^ als erster den Mount Everest bestiegen hat, in >v, Neuseeländer ist. (e) II (c) II (k) (i) = 1 gdw. dasjenige Individuum aus welches in w, als erster den Mount Everest bestiegen hat, in Wj Neuseeländer ist. II (b) II und II (c) II sind also verschieden, doch (b) und (c) haben die gleiche Diagonale, die Ersetzung von w, durch Wy(- läuft ja beide Male auf dasselbe hinaus. Unsere Theorie würde hier also voraussagen, daß der Unterschied zwischen referentieller und attributiver Lesart einer Kennzeichnung nur ein Unterschied in der objektiver Bedeutung, nicht aber in der subjektiven Bedeutung ist; die Theorie von Kaplan und Perry hingegen würde auch eine Verschiedenheit der subjeküven Bedeutungen implizieren. Ich will an dieser Stelle nicht entscheiden, welches die intuitiv adäquatere Vorhersage ist, denn dazu wäre eine wesentlich ausführlichere Diskussion des gesamten Problembereichs der Interpretation von Kennzeichnungen im allgemeinen und der referentiell/attributiv-Unterscheidung im besonderen nötig. Das Beispiel sollte hier nur veranschaulichen, daß mein Vorschlag für die Analyse der subjektiven Bedeutung sich auch empirisch von Kaplans und Perrys Charaktertheorie unterscheidet.
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2. Zur formalen Struktur von
Überzeugungsinhalten
und Kaplan hält er an der Auffassung fest, daß sich alle Überzeugungen, auch solche über die eigene Person, als Einstellungen zu Propositionen analysieren lassen. Diese Meinung gilt es als letzte zu prüfen. 10 Stalnaker befaßt sich ebenfalls mit Lingens' schwerem Gedächtnisverlust. In seiner Variante entnimmt Lingens der Biographie von Lingens unter anderem, daß Lingens der Vetter eines berüchtigten Spions namens Ortcutt ist. Nun steht er irgendwo in der Bibliothek von Stanford und fragt sich: „Bin ich Lingens? Bin ich der Vetter eines berüchtigten Spions?" - was ihm, soviel ist klar, eine ernsthafte Frage sein kann. Nach Stalnaker ist der Inhalt von Lingens Überzeugungen folgendermaßen zu beschreiben: In allen Welten, die mit dem, was Lingens glaubt, kompatibel sind, gibt es genau eine Person, welche „Lingens" heißt und alle die Eigenschaften hat, die ihr von der Biographie, die Lingens gelesen hat, zugeschrieben werden; dazu gehört unter anderem die Eigenschaft, der Vetter eines Spions zu sein. Ferner gibt es in allen diesen Welten genau eine Person, welche in einer Bibliothek sitzt, an Gedächtnisverlust leidet, gerade eine Biographie über eine Person namens „Lingens" gelesen hat und sich nun fragt: „Bin ich der Vetter eines Spions?" Diese beiden Personen sind aber nur in manchen, keinesfalls in allen Welten miteinander identisch. Wenn Lingens dann eine positive Antwort auf seine Fragen erhält, so werden dadurch all die Welten aus seiner Glaubensmenge eliminiert, in denen der, der „Lingens" heißt, und der, der sich eine Frage stellt, verschieden sind. Stalnakers Vorschlag läuft also darauf hinaus - seltsamerweise findet sich dieses Ergebnis bei ihm nur in Umschreibungen - , die subjektive Bedeutung von „ich" in Äußerungen oder Gedanken durch Kennzeichnungen wie „der, der diese Äußerung macht" oder „der, der diesen Gedanken denkt" auszudrücken. Das klingt einerseits unanfechtbar; auch bei uns ließe sich ja der Charakter von „ich" wie seine Diagonale kurz als „der Sprecher" beschreiben. Andererseits fragt sich, wie „diese Äußerung" in „der, der diese Äußerung macht" zu verstehen ist und ob auf diese Weise de-se-Einstellungen tatsächlich propositional dargestellt werden können. Die Beurteilung dieser Frage wird dadurch erschwert, daß sich Stalnaker in einem ganz anderen Denkrahmen bewegt. Der grundlegende Unterschied liegt in der Auffassung vom Verhältnis von Semantik und Pragmatik, welche für Stalnaker zwei ganz verschiedene Gebiete sind. Neben der schon kritisch erwähnten Unvergleichbarkeit von Charakteren und Propositionalkonzepten folgt daraus ein ontologischer Unterschied. Unsere Grundentitäten sind Sätze und Kontexte, und Äußerungen werden dadurch definiert; Stalnakers Grundentitäten sind hingegen Sätze, mit denen die Semantik sich beschäftigt, und Äußerungen, um die es in der Pragmatik geht. Diese zwei ontologischen Gerüste sind sicherlich austauschbar, zumindest dann, wenn Stalnaker noch eine Relation hinzunimmt, die sagt, welche Sätze bei welchen Äußerungen geäußert werden. Doch erklärt dieser Unterschied, daß wir gegen Stalnaker nicht einwenden können, daß eine
10 Auch Boer und Lycan (1980) scheinen hinsichtlich de-se-Eänstellungen eine konservative Auffassung zu vertreten; sie argumentieren jedenfalls dafür, daß das de-se-Problem nur ein Spezialfall des de-re-Problenas ist. Sie sagen allerdings wenig darüber, wie man de-re-Einstellungen analysieren sollte, und sie diskutieren auch nicht explizit die Frage, ob es möglich ist, alle Überzeugungen als propositionale Einstellungen zu behandeln.
2.2
Der Subjektparameter
73
Äußerung ein Satz in einem Kontext sei und daß daher mit „diese Äußerung" schon auf das Subjekt der Äußerung Bezug genommen sei. Ist eine Variation dieses Einwands einschlägig? Stalnaker scheint die in „ich" liegende indexikalische Bezugnahme auf „diese Äußerung" lediglich zu verschieben und so Uber eine alte Einsicht von Reichenbach (1947, Kap. VII, § 50) nicht hinauszugelangen, wonach sich indexikalische Ausdrücke als ,token reflexives' darstellen lassen. Aber auch dieser Einwand trifft nicht. Denn es ist daran zu erinnern, daß Stalnaker all seine pragmatischen Überlegungen auf Kontextmengen relativiert, die nicht mehr an Möglichkeiten unterscheiden, als für die jeweiligen Zwecke relevant ist. Darin kann sehr wohl nur die jeweils gerade getätigte Äußerung vorkommen und keine andere; „diese Äußerung" sagt dann so viel wie „die einzige Äußerung". Wenn wir uns nun aber in unseren Rahmen zurückbegeben, so ist klar, daß diese Antwort nicht hinreicht. Dann bleibt nur noch übrig, „diese Äußerung" ebenfalls deskriptiv zu deuten, etwa als „eine Äußerung, die von einer so-und-so gearteten Person in einer so-und-so gearteten Situation gemacht wird", wobei das „so-und-so" eben für die Überzeugungen des Sprechers Uber sich, seine Situation und seine Äußerung steht. Läßt sich Stalnakers Theorie, so verstanden, in unserem Rahmen halten? Vorderhand ja. Betrachten wir noch einmal die obige Dingens-Version des Lingens-Beispiels, mit der ja schon die Unreduzierbarkeit von de-se-Einstellungen gezeigt sein sollte. Stalnaker würde diesen Fall wohl so analysieren: In jeder Welt der Glaubensmenge von Lingens gibt es eine Person x, die „Lingens" heißt, die-und-die Eigenschaften hat und sich in Stanford befindet, eine Person y, die „Dingens" heißt, die-und-die Eigenschaften hat und sich in Widener befindet, und eine Person z, die die-und-die Eigenschaften hat, sich in einer Bibliothek in der-und-der perzeptiven Situation befindet und sich nun etwa die Frage „Bin ich Lingens?" stellt; die von x, y und z angenommenen Eigenschaften seien kurz mit P, Q und R bezeichnet. Lingens glaubt also, daß es x, y und z gibt, so daß Px, Qy und Rz und z = x oder z = y. Daher lassen sich vorderhand vier Arten von Welten in seiner Glaubensmenge unterscheiden: (a) solche, in denen es x, y und z gibt, so daß Px, Rz, z-x,Qy und auch Ry, (b) solche, in denen es x, y und z gibt, so daß Px, Rz, z = x,Qy und nicht Ry, (c) solche, in denen es x, y und z gibt, so daß Qy, Rz, z = y, Px und auch Rx, und (d) solche, in denen es x, y und z gibt, so daß Qy, Rz, z = y, Px und nicht Rx. Dabei ist zu beachten, daß die Welten der Art (a) und der Art (c) dieselben sind; daß in einer (a)-Welt z mit x identisch ist, heißt ja nur, daß es dort jemanden gibt, dem sowohl P wie R zukommt, und jemanden, dem sowohl Q wie R zukommt; und solche Personen gibt es in den (c)-Welten genauso. Nunmehr gibt es eine gute Antwort auf die Frage, welche Welten aus Lingens' Glaubensmenge herausfallen, wenn er erfährt, daß er Lingens ist: nämlich genau die der Art (d) (nicht hingegen die (c)-Welten, die ja gleich den (a)-Welten sind). War demnach unsere obige Schlußfolgerung voreilig? Nicht wirklich. In der Tat haben wir oben nicht bedacht, daß Lingens einfach dadurch, daß er sich „Bin ich Lingens?" fragt oder irgendetwas anderes denkt, eine Beschreibung von sich hat, die er nicht automatisch auch von anderen hat, nämlich als einer, der sich „Bin ich Lingens?" fragt oder das-und-das denkt. Zudem kann sich daran die übrige perzeptive Situation einhaken, da doch der eine, der das-und-das denkt, auch der ist, der die-und-die Wahrnehmungen hat. Dieser Umstand
74
2. YMT formalen Struktur von
Überzeugungsinhalten
bringt eine fast unvermeidliche Asymmetrie in die Personen, die in den Welten in Lingens' Glaubensmenge existieren, und genau auf dieser Asymmetrie baut Stalnakers Position auf. Sie ist aber nur fast unvermeidlich. Nehmen wir an, Lingens' Glaubensmenge bestünde von vornherein nur aus den (a)- oder (c)-Welten. Das ist recht phantastisch; Lingens müßte dafür nicht nur nicht ausschließen, sondern sogar annehmen, daß sich sein amnesischer Leidensbruder dort in der anderen Bibliothek in der gleichen perzeptiven Situation befindet und auch fragt: „Bin ich Lingens?" Aber unmöglich ist es gewiß nicht; neben Amnesie gibt es ja auch Telepathie und sonstige wundersame Dinge. Und dann scheint es endgültig keine Antwort mehr auf die Frage zu geben, von welcher Proposition Lingens Kenntnis erlangt, wenn er die Information erhält, daß er Lingens ist. Einen letzten Ausweg sieht Stalnaker aber auch hier noch, nämlich den zu sagen, daß die (a)- und die (c)-Welten irgendwie doch nicht dieselben sind; denn dann würde diese Information doch die (c)-Welten ausschließen. Diese Zuflucht ergreift Stalnaker explizit bei Lewis' Zwei-Götter-Beispiel, bei dem sie vielleicht leichter zu verstehen ist. Wie erinnerlich haben darin Zeus und Jahwe vollständiges propositionales Wissen, sie halten also nur noch eine Welt für möglich; gleichwohl sollen sie nicht wissen, wer sie sind. Das heißt, Zeus weiß nicht, ob er Zeus oder Jahwe ist, ob er auf dem kältesten oder auf dem höchsten Berg sitzt; und wenn er den Satz „Ich bin Zeus" äußert, so weiß er nicht, daß er es ist, der den Satz äußert. Wie kann Stalnaker den Wissenszuwachs repräsentieren, den Zeus hätte, wenn er erführe, daß er Zeus ist? In seiner Stellungnahme sagt Stalnaker dazu, daß man in diesem Fall Zeus' ursprünglichen Glaubenszustand doch nicht bloß durch eine einzige mögliche Welt repräsentieren dürfte; vielmehr enthielte Zeus' Glaubensmenge zwei Welten w und w', die sich qualitativ nicht im geringsten unterscheiden, die aber doch insofern verschieden sind, als in w Zeus auf dem höchsten Berg sitzt, in w' hingegen Jahwe - wobei Jahwe aber in w' die gleichen Eigenschaften hat wie Zeus in w. Stalnaker nimmt hier also insofern einen haecceitistischen Standpunkt ein, als er an die Existenz von verschiedenen, aber ununterscheidbaren Gegenständen und Welten glaubt, daran, daß die Frage nach der Identität von Gegenständen über verschiedene Welten hinweg keine Frage der qualitativen Eigenschaften allein ist. Dadurch kann Stalnaker Zeus' Erkenntniszuwachs als Ausschluß der Welt w' repräsentieren und so seiner Auffassung treu bleiben, daß sich de-se-Überzeugungen propositional darstellen lassen. Allerdings gibt Stalnaker selbst zu, daß es keinen großen Unterschied macht, ob man von verschiedenen, aber ununterscheidbaren Welten oder von verschieden zentrierten Welten spricht - wobei zentrierte Welten gerade unsere Welt-Individuum-Paare < w , s > sind. Für jede Zentrierung s der Welt w in der Lewis'schen Glaubensmenge einer Person a kann man in Stalnakers Rahmen eine Variante w' von w annehmen, die sich qualitativ in keiner Weise von w unterscheidet, in der aber a gleich s ist. Der sachliche Unterschied zwischen Lewis' und Stalnakers Methode scheint somit zu verschwinden. Stalnaker sieht aber dennoch einen Vorteil in seiner Methode: Objektive und subjektive Bedeutung sind bei Lewis wohl unterschieden; doch ist der Informationsgehalt einer Äußerung bei Lewis auf einzelne Subjekte relativiert und von Subjekt zu Subjekt verschieden. Stalnaker kann hingegen ebenfalls zwischen objektiver Bedeutung und Informationsgehalt unterscheiden, da er aber den Informationsgehalt einer Äußerung als eine Menge von Welten auffaßt, bleibt dieser für verschiedene Subjekte immer der gleiche -
2.2
Der Subjektparameter
75
zumindest dann, wenn diese verschiedenen Subjekte hinreichend ähnliche Hintergrundannahmen haben. Stalnaker meint, daß seine Theorie damit eine einfachere und direktere Beschreibung von Kommunikation liefert: Wenn a im Kontext k einen Satz 0 mit dem Informationsgehalt A äußert, und b diese Äußerung hört und versteht, so kommt zu b's Überzeugungen gerade die Menge A hinzu - falls A eine Menge von Welten ist. Wenn hingegen die subjektive Bedeutung von für a die Diagonale d( h gerade mit dem Zeitintervall gleichzusetzen, das die Produktion von in wodurch s^ in Anspruch nimmt. Wir setzen vielmehr nicht einmal voraus, daß 0 in Wjt zu fy von s^ überhaupt geäußert wird. Wie auch Kaplan (1977,S. 522) betont, sind Äußerungen als Paare von Kontexten und Sätzen abstrakte Gebilde, und keine konkreten Ereignisse. Die einzige Bedingung, die wir an einen Kontext k = < w*, stt, tk> stellen, ist die, daß s* in w^ zu existiert. Und wenn wir einen Satz in einem Kontext k betrachten, so heißt dies, daß wir angeben, was die Bedeutung von (p wäre, wenn 0 in k geäußert würde. Indizes i sind nunmehr Paare < vv„ i, >; im Index benötigen wir, wie im Abschnitt 1.2 schon pauschal erwähnt, den Zeitparameter für die Semantik der temporalen Quantoren. So ist etwa „immer", grob gesagt, mittels der Regel holen. Insofern habe ich es vorgezogen, auch bei der Behandlung von Einstellungen de nunc die Vorschläge von Lewis (1979b) aufzugreifen.
23
79
Der Gegenwartsparameter
II immer II ( k ) ( < w,, /,>) = 1 gdw. II II ( k ) ( < w„ t >) = 1 für alle Zeiten t zu analysieren. Im Zusammenspiel mit den Tempora ergeben sich jedoch auch für temporale Quantoren zusätzliche Komplikationen. Daher werde ich auch auf sie nicht weiter eingehen. A l s erstes ist die Regel für die Interpretation der Prädikate umzuschreiben; sie lautet nun: II P II (k) (i) = {x I x hat in w, zu /¿die Eigenschaft
P}^
Die Regeln für die Interpretation der Prädikation und für die Deutung von „ich" können wir von oben Ubernehmen, wir müssen nur bedenken, daß k nun für < wk, s^, tk> und i für < w „ /,> steht: II aPW (k) II ich II (k)
( 0 = 1 gdw. II a II (k) (i)
(i)
e
II P II (*)
(i),
= sk.
„Jetzt" behandeln wir als Satzadverb, das heißt, wenn ein Satz ist, so ist auch „jetzt " ein Satz und es gilt: II jetzt II (k) (/) = 1 gdw. II II (jfc) (< Wj, tk>)
= 1.
Für die Interpetation von „jetzt" ist es wichtig, daß die Äußerungszeit nicht generell mit der Zeit gleichgesetzt wird, die das Äußern von „jetzt" oder „jetzt in Anspruch nehmen würde. Denn jetzt kann sich ja - j e nach Kontext - auf verschieden große Zeitintervalle beziehen - die natürlich alle die tatsächliche oder kontrafaktische Produktionszeit umfassen müssen. Analog zu ,jetzt" können wir auch andere Zeitbezeichnungen behandeln (immer unter der Voraussetzung, daß wir hier die Komplikationen, die sich durch das Tempus ergeben, vernachlässigen). So ist etwa „morgen" zu deuten als: II morgen II ( k ) ( i ) = 1 gdw. II
) = 1, wobei i m0 rgen der Tag ist, der auf den Tag folgt, an dem sich tk befindet. Betrachten wir als erstes Beispiel den Satz (2): (2)
Ich sitze jetzt auf einer Zeitbombe.
12 Nicht alle Prädikate sind zeitabhängig; so hängen zum Beispiel alle abstrakten oder mathematischen Prädikate nicht von der Zeit - und auch nicht von der Welt - ab: II eine gerade Zahl sein II (k) (i) = {x I x ist eine gerade Zahl}. Es ist mir nicht klar, ob es auch Prädikate gibt, die nicht zeit-, aber trotzdem weltabhängig sind. Dies müßten Prädikate sein, in deren Extension sich Gegenstände befinden, die zwar nicht in allen Welten existieren, aber in den Welten, in denen sie existieren, immer existieren.
80
2. Zur formalen Struktur von
Überzeugungsinhalten
II jetzt (ich auf einer Zeitbombe sitzen) II (k) (< w„ /,•>) = 1 gdw. II ich auf einer Zeitbombe sitzen II (k) (< w„ tk>) = 1 gdw. II ich II (k) (< w„ tk>) E II auf einer Zeitbombe sitzen II (k) (< w „ tk>) = 1 gdw. skE. {x\ x sitzt in w, zu tk auf einer Zeitbombe}. Nehmen wir an, (2) werde in einem Kontext geäußert, der aus der wirklichen Welt vv°, David Kaplan und dem 20. Juli 1978, 12 Uhr mittags besteht. Dann ist die objektive Bedeutung dieser Äußerung die Menge aller Welten, in denen David Kaplan am 20. Juli 1978 um 12 Uhr mittags auf einer Zeitbombe sitzt. Die subjektive Bedeutung der Äußerung ist jedoch die Diagonale von (2), welche die Menge aller Kontexte < wk, sk, tk> ist, in denen der Sprecher des Kontexts in der Welt des Kontexts zur Zeit des Kontexts auf einer Zeitbombe sitzt: d(ich sitze jetzt auf einer Zeitbombe) = {k I II jetzt (ich auf einer Zeitbombe sitzen) II (k) (i(k)) = 1} = {< wk, sk, tk> I sksitzt in wk zu tk auf einer Zeitbombe}. Unsere Theorie besagt also, daß David Kaplan - wenn er Satz (2) zum besagten Zeitpunkt ernsthaft und aufrichtig äußerte - sich die Eigenschaft zuschriebe, zu diesem Zeitpunkt als dem dann gegenwärtigen auf einer Zeitbombe zu sitzen. Dies steht in Einklang mit den oben angestellten Überlegungen. Auch für einen Satz wie (3) erhalten wir das gewünschte Ergebnis: (3)
Jetzt ist es vier Uhr nachts am 20. Juli 1978.
Wir nehmen an, daß dieser Satz sich aus dem Satzadverb ,jetzt" und dem Satz „vier Uhr nachts am 20. Juli 1978 sein" zusammensetzt; dabei gilt: II vier Uhr nachts am 20. Juli 1978 sein II (k) (i>) = 1 gdw. /, = vier Uhr nachts am 20. Juli 1978. Die Diagonale von (3) ist damit genau das, was wir aufgrund der obigen Diskussion des Beispiels von O'Leary wünschen, nämlich: d(jetzt (vier Uhr nachts am 20. Juli 1978 sein)) = {k I II jetzt (vier Uhr nachts am 20. Juli 1978 sein) II (k) (i(k)) = 1} = {< wk, sk, tk > I II vier Uhr nachts am 20. Juli 1978 sein II (< wk, Sk, h > ) (< wk, tk>) = 1} = {< wk, Sjt, tk> I tk = vier Uhr nachts am 20. Juli 1978}. Das heißt, O'Leary glaubt zur fraglichen Zeit, daß der gerade gegenwärtige Zeitpunkt vier Uhr nachts am 20. Juli 1978 ist.
2.4
2.4
Der Ortsparameter
81
Der Ortsparameter
In diesem Abschnitt wollen wir Äußerungen betrachten, die den Ausdruck „hier" enthalten, und uns über einen weiteren Parameter, den Ortsparameter p, Gedanken machen. Denn er ist zwar nicht unter der erkenntnistheoretischen Perspektive, die ich hier einnehme, diskutiert worden; doch war er immer ein plausibler Kandidat für einen Kontextparameter. Ist es also angebracht, die Elemente von Überzeugungsmengen und damit auch Kontexte als Quadrupel < w, s, t, p > zu konstruieren, wobei p für den Ort der Äußerung steht? Und ist es sinnvoll, Indizes als Tripel < w , t , p > aufzufassen, die neben einem Welt- und einem Zeit- auch einen Ortsparameter enthalten? Es ist klar, daß auch bei Äußerungen mit „hier" subjektive und objektive Bedeutung auseinanderfallen: Während O'Leary im Kofferraum schläft, wird sein Wagen gestohlen. Die Diebe fahren zum Haus ihres Auftraggebers, öffnen den Kofferraum, verbinden O'Leary die Augen und bringen ihn ins Gartenhaus. Der Auftraggeber ist Daniels, ein Mann, den O'Leary kennt und für einen guten Freund hält. Daniels hat O'Leary entfuhren lassen, um von seiner Familie Lösegeld zu erpressen. Während O'Leary allein im leeren Gartenhaus sitzt, denkt er: „Hier ist es aber ungemütlich". Da er aber niemals auf den Gedanken käme, daß es sein Freund Daniels war, der ihn entfuhren ließ, glaubt er natürlich nicht: „In Daniels Gartenhaus ist es ungemütlich". Wenn wir jedoch davon ausgehen, daß „hier" sich stets auf den Äußerungsort bezieht und dieser im betrachteten Fall das Innere von Daniels Gartenhaus ist, so haben beide Äußerungen die gleiche objektive Bedeutung. Daß sich die subjektive Bedeutung von Äußerungen mit „hier" nicht mit ihrer objektiven Bedeutung zu decken braucht, ist natürlich noch kein zwingender Grund dafür, die Elemente von Überzeugungsmengen feiner zu strukturieren und um einen Parameter p für den Ort der Äußerung anzureichern. In der Tat ist leicht einzusehen, daß es eine zwingende Begründung wie für den Subjekt- und den Gegenwartsparameter für den Ortsparameter nicht gibt. Im Falle von „ich" und „jetzt" hatten wir nämlich gesehen, daß sich keine Kennzeichnung angeben läßt, die generell die subjektive Bedeutung dieser Ausdrücke wiedergeben könnte. Im Falle von „hier" ist eine solche Kennzeichnung jedoch unschwer zu finden; die subjektive Bedeutung von „hier" läßt sich einfach als „der Ort, an dem ich mich jetzt befinde" analysieren, und somit kann man p als „der Ort, an dem sich s zu t in w befindet" definieren. Den Äußerungsort als weiteren Parameter in den Kontext und den Glaubensinhalt einzuführen, ist somit nicht unumgänglich. Dennoch gibt es wenigstens zwei Gründe dafür, es trotzdem zu tun. Der eine Grund liegt in der Unbestimmtheit der Kennzeichnung, die den Äußerungsort spezifiziert. Genau genommen gibt es nämlich viele Orte, an denen sich der Sprecher zur Äußerungszeit befindet, und insofern ist „der Ort, an dem sich s in w zu t befindet" gar keine echte Kennzeichnung. Betrachten wir das Beispiel von O'Leary: Was ist eigentlich der Ort, an dem O'Leary zum fraglichen Zeitpunkt „Hier ist es aber ungemütlich" äußert? Ist es das Gebiet, das von O'Leary zu t in w eingenommen wird, oder vom Gar-
82
2. Zur formalen Struktur von
Überzeugungsinhalten
tenhaus oder von Daniels gesamten Anwesen? Wenn man daran festhalten will, daß „hier" sich immer auf den Äußerungsort bezieht, so darf man ähnlich wie bei „jetzt" nicht darauf insistieren, daß der Äußerungsort immer mit der räumlichen Ausdehnung des Sprechers zusammenfällt; er kann vielmehr eine mehr oder weniger große Umgebung des Sprechers umfassen. Diese Unbestimmtheit verschwindet erst dann, wenn klar ist, welche Sorte von Raumgebiet jeweils als Äußerungsort zählen soll. Dies kann eine kleine Stelle im Körper sein - „hier tut es weh" - oder ein ganzes Land - „hier darf man auf den Autobahnen so schnell fahren, wie man will". Um welche Gebietssorte es jeweils geht, läßt sich nur aus weiteren Merkmalen des Kontexts, zu denen nicht zuletzt die Intentionen des Sprechers gehören, entnehmen. Diese Kontextabhängigkeit dürfte allerdings nur sehr schwer in allgemeinen Regeln zu fassen sein. Wenn Kontexte aber einen gesonderten Ortsparameter enthalten - wenn man also Kontexte als Quadrupel < w*, t^Pk> konzipiert, so daß Sk in Wk zu tk existiert und der Raum, den in w* zu ^ einnimmt, Teil von pk ist - , so entfällt dieses Problem, ähnlich wie bei der Äußerungszeit; denn dann muß der jeweils intendierte Ort durch diesen Ortsparameter explizit angegeben werden. Dieses Problem darf man auf keinen Fall mit dem zusätzlichen Problem der Vagheit des Äußerungsortes verwechseln. Die Grenzen der Körperstelle, an der es weh tut, wie auch die Grenzen der Bundesrepublik Deutschland sind in der Tat unscharf; und so ist auch fast jede Ortsbezeichnung vage. Der Ortsparameter soll aber nicht diese Vagheit auflösen; da könnte man zu Recht einwenden, daß Vagheit ein so allgemeines Problem ist, daß es nicht sinnvoll wäre, es hier in speziellen Fällen mit speziellen Methoden zu behandeln. Vielmehr soll der Ortsparameter die vorgängige Frage lösen, ob „hier" gerade die hiesige Körperstelle, das hiesige Zimmer, das hiesige Gebäude oder gar das hiesige Land, etc. bezeichnet; und dies ist keine Frage der Vagheit. Ein anderer Grund könnte sich dann ergeben, wenn Indizes einen Ortsparameter enthalten. Es scheint nämlich ein allgemein anerkanntes Prinzip zu sein, daß alle Indexparameter auch Parameter des Kontexts sein sollten (vgl. Zimmermann 1991, S. 169). Dieses Prinzip leitet sich unter anderem daraus ab, daß man bei der Wahrheitsdefinition für Äußerungen < , k > auf i(k), den Index des Kontexts k, zurückgreifen muß; und wenn alle Parameter des Index auch Kontextparameter sind, so läßt sich i{k) einfach als die Folge der Indexparameter von k bestimmen, die durch die entsprechenden Kontextparameter aus k belegt sind. Es ist allerdings einzuräumen, daß es kein wirkliches Problem wäre, i(k) auch dann zu definieren, wenn nur in i, aber nicht in k ein Ortsparameter p vorkommt. Dies führt uns zu der Frage, ob Indizes einen Ortsparameter enthalten sollten. Im Abschnitt 1.2 (S. 26) hatten wir gesagt, daß in den Index all diejenigen Parameter gehören, die durch Operatoren verschoben werden können. Eines unserer Beispiele war der Ausdruck „überall", von dem wir sagten, daß er als ein Operator zu analysieren sei, welcher den Ortsparameter verschiebe. Wir sagten, daß ein Satz wie „Überall regnet es" folgendermaßen zu deuten sei: II Uberall (regnen) II (k) (< w,, = 1 gdw. II regnen II (k) (< w,, p>) = 1 für alle Orte p
83
2.4 Der Ortsparameter
Damit haben wir „überall" analog zu dem temporalen Quantor „immer" gedeutet. Ebenso können wir, wenn Indizes (und Kontexte) einen Ortsparameter enthalten, „hier" analog zu, jetzt" deuten: II hier
)
= 1.
Auf die gleiche Weise wie „hier" ließen sich auch alle anderen Adverbiale, die einen Ort bezeichnen, behandeln; auch sie belegen den Auswertungsparameterp mit dem Ort, den sie (im jeweiligen Kontext) bezeichnen. Diese Analysen setzen jedoch voraus, daß man Prädikaten - jedenfalls solchen, die sich mit Ortsbestimmungen kombinieren lassen - ihre Extensionen nicht nur relativ zu Welten und Zeiten, sondern auch relativ zu Orten zuordnet. Wir hätten also semantische Regeln der folgenden Art: II regnen II ( k ) (i) = {< vv„ i,, p(> I in w, regnet es zu i, an p,}, II schlafen II (fc) (i) = {x I x schläft in w,- zu f, an /?,}, II sehen II ( k ) (i) = {< x, y > I x sieht y in w, zu i, an /?,}. Hier tun sich jedoch Probleme auf. Betrachten wir die Extension von „sehen" Was soll es heißen, daß x y an pi sieht? Müssen sich dazu x und y an p, befinden? Intuitiv kann ein Satz wie „Hans sah Peter auf dem Marktplatz" doch sowohl heißen, daß Peter sich auf dem Marktplatz befand, während Hans ihn sah - etwa vom Balkon eines der umliegenden Häuser aus - , oder daß Hans sich auf dem Marktplatz befand, als er Peter sah. Dies deutet darauf hin, daß Ortsbestimmungen nicht ganze Satzbedeutungen modifizieren, sondern Argumente des Verbs lokalisieren, (vgl. hierzu auch (Herweg/Wunderlich 1991) Von dieser Auffassung wären nur Sätze auszunehmen, die man mithilfe von nullstelligen Prädikaten wie „regnen" analysiert; da solche Prädikate keine lokalisierbaren Argumente haben, bleibt ja gar nichts anderes übrig, als Ortsbestimmungen in solchen Sätzen als Satzadverbien zu behandeln. Ein weiteres Problem, das in die gleiche Richtung weist, ergibt sich aus der Wahrheitsdefinition für Äußerungen, die ja bekanntlich lautete: Eine Äußerung < ,k> ist genau dann wahr, wenn 0 an k und i(k) wahr ist (vgl. S. 28). Diese Definition läuft darauf hinaus, alle in
) = 1 gdw. II hier (jetzt (regnen) II (k) (i(k)) = 1. Dies ist sicherlich ein intuitiv adäquates Ergebnis. Doch wenn wir im Sinne der obigen Regeln alle Prädikate als ortsabhängig deuten, so erhalten wir das gleiche Ergebnis auch für Sätze wie „Hans schläft" oder „Hans sieht Peter". Das ist jedoch intuitiv unan-
84
2. Zur formalen Struktur von
Überzeugungsinhalten
gemessen: „Hans schläft" bedeutet in einem Kontext k nicht dasselbe wie „Hans schläft hier", und „Hans sieht Peter" nicht dasselbe wie „Hans sieht Peter hier"; „Hans schläft" heißt höchstens so viel wie „Hans schläft irgendwo (nämlich da, wo er ist)". Aus diesen Gründen sollten wir davon ausgehen, daß höchstens einige wenige, nullstellige Prädikate wie „regnen", „schneien", usw. ortsabhängige Extensionen haben. Alle anderen Prädikate sollten nur zeit- und weltabhängig interpretiert werden. Das aber heißt, daß sich Ortsbestimmungen höchstens im Zusammenhang mit solchen nullstelligen Prädikaten als Satzadverbien, die den Ortsparameter belegen oder abquantifizieren, analysieren lassen. In der Kombination mit Verben wie „schlafen" oder „sehen" hingegen funktionieren sie eher wie Prädikate bzw. Quantoren. Der Satz „Hans schläft hier" wäre danach als „Hans schläft und Hans befindet sich hier" zu analysieren, der Satz „Hans sieht Peter auf dem Marktplatz" als „Hans sieht Peter und Hans befindet sich auf dem Marktplatz" oder als „Hans sieht Peter und Peter befindet sich auf dem Marktplatz" und ein Satz wie „Hans kennt überall ein gutes Restaurant" als „Für jeden O r t p gilt: es gibt.*: Hans kennt x, x ist ein gutes Restaurant und x befindet sich an p". Schließlich ist zu bedenken, daß Ortsbezeichnungen und lokale Quantoren sogar als Argumente von Verben auftreten können; so drücken zum Beispiel „wohnen", „sich befinden" oder das intransitive „stecken" zweistellige Relationen zwischen Gegenständen und Orten aus. In solchen Sätzen wie „Hans wohnt hier" oder „der Teufel steckt überall" lassen sich also die Ausdrücke „hier" und „überall" ohnehin nicht als Satzadverbien behandeln. Von Stechow hat erwähnt (im Gespräch), daß sich die unterschiedliche Behandlung der Ortsbestimmungen vermeiden ließe, wenn man Verben wie „regnen" analog zu Verben wie „schlafen" analysiert, wenn man also „regnen" nicht als null-, sondern als einstelliges Prädikat und somit als persönliche Konstruktion behandelt; „es regnet" wird dann als „es gibt ein x. x ist ein Regen" gedeutet. Man braucht nun „hier" oder „überall" nicht mehr als Satzadverbien aufzufassen, vielmehr interpretiert man „es regnet hier" oder „es regnet überall" als „es gibt ein x. x ist ein Regen und x ist hier" bzw. als „für jeden Ort p gilt: es gibt ein x. x ist ein Regen und x ist an p". „Regnen" muß damit nicht mehr als ortsabhängiges Prädikat aufgefaßt werden, und die Gründe für einen Ortsparameter im Index entfallen. Ein Problem dieser Auffassung liegt allerdings darin, daß „es regnet" danach nicht als „es regnet hier", sondern als „es regnet irgendwo" zu verstehen wäre. Halten wir fest, daß wir bislang zwar Gründe, aber keineswegs zwingende Gründe für Ortsparameter im Kontext und im Index gefunden haben. Dies schließt natürlich nicht aus, daß bei einer umfassenderen Analyse der Ortsbestimmungen in der einen oder anderen Richtung noch bessere Gründe zutage treten. Doch wollen wir uns hier in diese Frage nicht weiter vertiefen. Das Ziel dieses Abschnitts ist vielmehr nur vorzuführen, daß sich unsere Theorie der subjektiven Bedeutung mit den aufgezeigten Möglichkeiten verträgt. Wir wollen dazu abschließend einige Beispiele untersuchen. Betrachten wir zunächst O'Learys Äußerung von (4): (4)
Hier ist es ungemütlich.
2.4
85
Der Ortsparameter
Ich gehe davon aus, daß in ( 4 ) „hier" Argument von „ungemütlich sein" ist, das heißt II ungemütlich sein II ( k ) (i) = {p I p ist ein Ort und es ist in w, zu
an p ungemütlich}.
( 4 ) erhält also die folgenden Wahrheitsbedingungen: II ungemütlich sein (hier) II (k) ( i ) = 1 gdw. II hier II ( k ) ( i ) E. II ungemütlich sein II (k) ( i ) = g d w . es in w, zu i, an pk ungemütlich ist. D i e subjektive Bedeutung von ( 4 ) ist die Diagonale von (4). Es gilt: d(es ist hier ungemütlich) = { £ I II ungemütlich sein (hier) II (k) (i(k))
= 1} =
zu tk ist es in w* an pk ungemütlich}.
{< wie, st, tk. P*t>l
W i r müssen hierbei Glaubensmengen als Mengen von Quadrupeln
auf-
genau dann Element der
Überzeugungsmenge einer Person a in einer Welt w ° zu einer Zeit f und an einem Ort p° ist, wenn a es in w° zu f an p° für möglich hält, daß w die wirkliche W e l t ist, t die gegenwärtige Zeit, sie die Person s zu t in w und p der Ort, an dem sie sich zu t in w befindet. W e n n O ' L e a r y nichts anderes als d(4) glaubte, so hieße das dann, daß er sich für eine Person hält, die sich gerade an einem ungemütlichen Ort befindet. Dies ist ein intuitiv erwünschtes Resultat. Praktisch dasselbe Ergebnis bekommen wir aber auch dann, wenn wir Kontexte und die Elemente von Glaubeninhalten weiterhin nur als Tripel < w , s , t > betrachten und „hier" als „der Ort an dem sich s in w zu t befindet" definieren. 3(4) wäre dann nämlich { < Wk, Sk, t k > I zu tk ist es in w * am Ort, an dem sich s* zu f^in
wk
befindet,
ungemütlich}, und auch das zu glauben, hieße, sich die Eigenschaft zuzuschreiben, sich gerade an einem ungemütlichen Ort zu befinden. A l s zweites Beispiel wollen wir den Satz (5) betrachten: (5)
Es regnet hier.
Wenn w i r „regnen" als ortsabhängiges, nullstelliges Prädikat analysieren, so ist d(5) {k I II hier ( r e g n e n ) II (k) (i(k)) = 1 } = {< wk, sk, tk, pk> I zu tk regnet es in wk an
pk}\
wenn wir „regnen" w i e oben skizziert als einstelliges Prädikat behandeln, so ist d(5) {k I II es gibt x. x ist ein Regen und x ist hier II ( k ) ( i ( k ) ) = 1 } = {< w^ Sk, tk, pk>
I es gibt zu tk in wk an pk einen R e g e n } .
86
2. Zur formalen Struktur von Überzeugungsinhalten
D i e beiden Resultate sind identisch und besagen, daß, w e r ( 5 ) glaubt, sich die Eigenschaft zuschreibt, sich gegenwärtig an einem Ort zu befinden, an dem es regnet. Die Varianten, die sich ergeben, wenn wir den Äußerungsort definitorisch einführen, wollen w i r uns hier ersparen. M i t dieser Diskussion der Ortsbestimmungen will ich es bewenden lassen; es ging, w i e gesagt, nur darum zu demonstrieren, daß unserer Theorie der subjektiven Bedeutung aus dieser Ecke keinerlei Widrigkeiten entgegenstehen. D a wir es im weiteren Verlauf dieser Arbeit aber nicht einmal indirekt mit Ortsbestimmungen zu tun haben werden, wollen wir fürderhin weder im Kontext noch im Index einen Ortsparameter berücksichtigen.
Kapitel 3
Prädikate
Der subjektive Gehalt einer Äußerung speist sich nach der bislang entwickelten Sichtweise aus zwei Quellen: erstens aus dem spezifisch semantischen Wissen des Subjekts, welches in seiner Kenntnis der Charakterfunktion der fraglichen Sprache besteht, und zweitens aus anderen, empirischen Annahmen des Subjekts, welche in seiner Glaubensmenge zusammengefaßt sind. Diese Sichtweise hat sich bei der Behandlung indexikalischer Ausdrücke wie „ich", „jetzt" und „hier" bewährt. Ich will nun untersuchen, inwieweit sie sich auf andere Ausdrücke übertragen läßt. Zunächst beschäftige ich mich mit Substanzwörtern, also mit Prädikaten, die natürliche Arten bezeichnen, und zwar anhand des schon klassischen Beispiels „Wasser". Putnams Ideen folgend expliziere ich im Abschnitt 3.1 den Charakter von „Wasser" und argumentiere im Abschnitt 3.2, daß dieser Charakter als variabel aufzufassen ist. Putnams Begriff der versteckten Indexikalität von Substanzwörtem läßt sich somit in der Tat als Indexikalität im eingangs definierten Sinn explizieren. Der klassische Charakterbegriff erfährt dabei bereits eine gewisse Dehnung, die es erlaubt, das Informativitätsproblem für Äußerungen mit Substanzwörtern mittels der Diagonalisierungsmethode zu lösen. Im Abschnitt 3.3 diskutiere ich die Frage nach dem Definitionsbereich des Charakters von Substanzwörtern. Diese Frage ist nicht trivial, und erst mit ihrer Beantwortung ist mein Charakterbegriff vollständig erklärt. Im Abschnitt 3.4 setze ich mich dann mit einem naheliegenden und zumeist für schlagend gehaltenen Einwand gegen die Art von Bedeutungsanalyse, die ich hier vorschlage, auseinander; ich werde aber nachweisen können, daß dieser Einwand mich nicht zu treffen vermag. Im Abschnitt 3.5 geht es darum, die Ergebnisse zur Semantik von Substanzwörtern für alle Prädikate zu verallgemeinern. Das sehr abstrakte Schema, das sich dabei ergibt, wird im Abschnitt 3.6 vor allem an Funktionsprädikaten und an leeren Prädikaten weiter exemplifiziert. Im Abschnitt 3.7 will ich klären, wie sich der Begriff der versteckten Indexikalität und der Begriff der starren Designation zueinander verhalten, und dabei die weitverbreitete Meinung zurechtrücken, der eine Begriff sei lediglich die Kehrseite des andern. Im Abschnitt 3.8 wird sich jedoch herausstellen, daß wir mit den so weit entwickelten Methoden das Internalitätsproblem für Prädikate noch nicht lösen können. Um auch ihm Rechnung zu tragen, ist eine weitergehende Umdeutung des Charakterbegriffes nötig, begleitet von einer neuen Auffassung bezüglich des Verhältnisses von semantischem und empirischem Wissen. Diese neue Sichtweise und den Begriff der subjektiven Bedeutung, der sich daraus ergibt, will ich im abschließenden Abschnitt 3.9 erläutern.
88
3.1
3. Prädikate
Der Charakter von „Wasser"
In „Die Bedeutung von .Bedeutung'" ging es Putnam darum zu zeigen, daß Bedeutungen nicht im Kopf sind: daß die Extensionen vieler sprachlicher Ausdrücke nicht von psychischen Zuständen im engeren Sinn bestimmt werden und Bedeutungen insofern nicht mit den Überzeugungen kompetenter Sprachbenutzer identifiziert werden können. Wir haben Putnams Argumentation dafür bereits im Abschnitt 1.3 dargestellt. In ihrem Zentrum stand das Beispiel von der Zwillingserde, auf der es kein Wasser gibt, sondern eine andere Substanz, die auch „Wasser" genannt wird und die zwar die gleichen Oberflächeneigenschaften hat wie Wasser, jedoch eine andere chemische Struktur, nämlich X Y Z statt H2O. Wir wollen uns nun Putnams positive Überlegungen zur Bedeutung von „Wasser" genauer anschauen. Wenn die Bedeutung von „Wasser" nicht mit den Eigenschaften gleichgesetzt werden kann, die kompetente Sprecher mit „Wasser" assoziieren, wie sonst ist sie zu beschreiben? Da wir davon ausgehen, daß der grundlegende Begriff der Bedeutungstheorie der Begriff des Charakters ist, ist unser Ziel also eine Definition des Charakters von „Wasser". Welche Bedingungen muß eine solche Definition laut Putnam erfüllen? Wir erinnern uns, daß Putnam Uber die Extension von „Wasser" folgende Behauptungen macht: In jener als tatsächlich vorgestellten Welt w*, in der es nicht nur die Erde und uns Deutsche, sondern auch die Zwillingserde und die Zwillingsdeutschen gibt, bezeichnet das Wort „Wasser" auf der Erde die Menge aller Flüssigkeitsansammlungen, welche die chemische Struktur H2O aufweisen, auf der Zwillingserde hingegen die Menge aller Flüssigkeitsansammlungen, welche die chemische Struktur XYZ aufweisen. In dem Sinne, in dem „Wasser" bei den Deutschen auf der Erde verwendet wird, - im Sinne von „Wasser^" - ist das, was die Zwillingsdeutschen „Wasser" nennen, kein Wasser, und in dem Sinne, in dem „Wasser" auf der Zwillingserde verwandt wird, - im Sinne von „Wasserz" - ist das, was wir auf der Erde „Wasser" nennen, kein Wasser; „Wassero" und „Wasserz" haben verschiedene Extension. Das gilt auch für vergangene Zeiten, in denen weder auf der Erde noch auf der Zwillingserde die Chemie so weit entwickelt war, daß man H2O von X Y Z hätte unterscheiden können; auch im Jahre 1750 bestand die Extension von „Wasser D " aus H 2 0 - und die von „Wasser z " aus XYZ-Ansammlungen (vgl. Putnam 1979, S. 32-35). Aus der Tatsache, daß „Wassern" und „Wasserz" in w* verschiedene Extensionen haben, folgt natürlich, daß die beiden Wörter nicht die gleiche Intension haben; ihre Intensionen - als extensionsbestimmende Funktionen betrachtet 1 - liefern j a zumindest
1 Wir verwenden „Intension" hier stets in dem eingangs definierten Sinn, wonach Intensionen Funktionen von möglichen Welten bzw. möglichen Indizes in Extensionen sind. Dies ist nicht der Sinn, in dem, Jntension" bei Putnam verwendet wird; er gebraucht diesen Begriff eher in einem vagen, vortheoretischen Sinn, den man vielleicht als „diejenigen Aspekte der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke, die über deren Extension hinausgehen" umschreiben könnte.
3.1
Der Charakter von „Wasser"
89
für ein Argument, nämlich für w*, unterschiedliche Werte. Putnam sagt aber noch mehr Uber die Intension von „Wasser", nämlich daß sie in einem gewissen Sinne starr sei: „Wasser" bezeichnet in anderen möglichen Welten nur solche Gegenstände, die in den wesentlichen Eigenschaften dem gleichen, was in der wirklichen Welt in der Extension von Wasser liegt. Wenn es tatsächlich der Fall ist, daß die Flüssigkeitsansammlungen, die sich in w* in der Extension von „Wasser^" befinden, die molekulare Struktur H2O haben, dann sind nur solche Welten mögliche Welten, in denen Wassero ebenfalls H2O ist. Anders gesagt: Wenn es eine wesentliche Eigenschaft von Wassern ist, H2O zu sein, dann ist die Intension von „ W a s s e r s t H2O" die Menge aller möglichen Welten, „Wassero ist H2O" drückt dann eine metaphysisch notwendige Wahrheit aus. Analoges gilt für Wasserz und XYZ; mithin ist es sogar unmöglich, daß Wassern Wasserz ist (vgl. Putnam 1979, S. 42-45). Wie steht es nun mit dem Charakter von „Wasser"? Putnam selbst spricht in „Die Bedeutung von .Bedeutung'" nicht vom Charakter sprachlicher Ausdrücke, und er ist auch in der Sache nicht bemüht, den Charakter von „Wasser" zu beschreiben. Das ist insofern nicht verwunderlich, als Putnam seine Gedanken entwickelte, bevor Kaplans Charaktertheorie ausformuliert war. Dennoch können wir einige von Putnams Feststellungen Uber das semantische Verhalten von „Wasser" auch als Aussagen über den Charakter von „Wasser" interpretieren. Putnam spricht explizit von der Indexikalität von „Wasser" und anderen Substanzwörtern; dabei verwendet er „Indexikalität" allerdings nicht genau in dem von uns eingangs definierten technischen Sinn: „Unsere These läßt sich mit der Aussage zusammenfassen, daß Wörter wie „Wasser" eine unbemerkt gebliebene indexikalische Komponente haben: Wasser ist etwas, das in einer bestimmten Ähnlichkeitsrelation zum hiesigen Wasser steht. Wasser, das anderswo, anderswann oder gar in einer anderen möglichen Welt existiert, muß, um Wasser zu sein, mit unserem Wasser flüssidentisch sein." (Putnam 1979, S. 46; Kursives wie im Original.)
Putnam will allerdings einen Unterschied zwischen offen indexikalischen Ausdrücken wie „ich",, jetzt", „dies" und den versteckt indexikalischen Substanzwörtern machen: „Die Aussage, daß natürliche Prädikate wie „Wasser" indexikalisch sind, läßt jedoch zwei Möglichkeiten offen: Zum einen kann man sagen, das erddeutsche „Wasser" und das zwerddeutsche „Wasser" hätten dieselbe Bedeutung und aber verschiedene Extension (was man normalerweise über die Vorkommnisse von „ich" in verschiedenen Idiolekten sagen würde), und damit die These aufgeben, Bedeutung (Intension) bestimme Extension; oder man kann, wie wir es getan haben, sagen, daß bei natürlichen Prädikaten ein Extensionsunterschied ipso facto einen Bedeutungsunterschied ausmacht, und damit die Lehre aufgeben, daß Bedeutungen Begriffe oder irgendwie geartete geistige Entitäten sind." (Putnam 1979, S. 47; Kursives wie im Original.2)
Dieses Zitat macht - neben anderen Bemerkungen, vgl. etwa S. 46 oder S. 90 deutlich, daß Putnam die Kontextabhängigkeit offenkundig indexikalischer Wörter wie
2 „Twin earth" ist hier mit „Zwerde" statt mit „Zwillingserde" und „natural kind word" mit „natürliches Prädikat" statt mit „Substanzwort" übersetzt.
3. Prädikate
90
„ i c h " mithilfe eines erweiterten Indexbegriffs beschreiben würde. Im Abschnitt 1.2 ( v g l . S. 2 5 f f . ) haben wir jedoch gesehen, daß dieses Verfahren zu unerwünschten Resultaten führt. W i r sollten uns hier also überlegen, wie Putnams Ausführungen zu rekonstruieren sind, wenn man die Unterscheidung von Index und Kontext und von Charakter und Intension zur Verfügung hat. M a n müßte das, was Putnam im letzten Zitat meint, dann wohl so formulieren: „Daß Substanzwörter wie „Wasser" indexikalisch sind, läßt zwei Möglichkeiten offen: Zum einen kann man sagen, das deutsche und das zwillingsdeutsche Wort „Wasser" hätten denselben Charakter, aber verschiedene Extension und verschiedene Intension - was man normalerweise über verschiedene Vorkommnisse von „ich" sagen würde. (Man könnte dann weiterhin die These vertreten, daß die Bedeutimg, also der Charakter eines Substanzworts seine Extension bestimme und daß Bedeutungen geistige End täten seien - bei „ich" und anderen offenkundig indexikalischen Wörtern sagt man ja auch, daß der Charakter in Abhängigkeit von Kontext und Index die Extension fesüegt und daß der Charakter das beschreibt, was kompetente Sprecher über die Bedeutimg von „ich" wissen.) Oder man kann sagen, daß bei Substanzwörtern ein Extensionsunterschied ipso facto einen Charakterunterschied ausmacht, und damit die Lehre aufgeben, daß Bedeutungen (Charaktere) irgendwie geartete geistige Entitäten sind." Betrachten wir diese beiden Möglichkeiten, die Indexikalität von „ W a s s e r " zu beschreiben, etwas eingehender. Der erste Vorschlag scheint darauf hinauszulaufen, „Wasser^" und „Wasser^" als ein und dasselbe W o r t und Deutsch und Zwillingsdeutsch als ein und dieselbe Sprache aufzufassen; die unteren Indizes D und Z hätten dann nur die Funktion, verschiedene V o r kommen von „Wasser" auseinanderzuhalten — ungefähr so, w i e man in „ d a s j schmeckt besser als das2" durch Indizierung zwei verschiedene V o r k o m m e n von „das" markiert. W i e genau aber sollte der Charakter des deutsch-zwillingsdeutschen Wortes „ W a s s e r " dann aussehen? V o n welchem Merkmal des Äußerungskontexts würde die Intension von „ W a s s e r " abhängen? Man könnte versucht sein zu sagen, es sei der Ort der Äußerung: W i r d „ W a s s e r " auf der Erde geäußert, so bezeichnet es in jeder möglichen W e l t diejenigen Flüssigkeitsansammlungen, deren chemische Struktur H2O ist; wird es auf der Zwillingserde geäußert, so bezeichnet es in jeder W e l t die Flüssigkeitsansammlungen, deren chemische Struktur X Y Z ist; und so weiter. Diese Idee könnte man aus der Kursivsetzung von „ h i e s i g " im ersten Zitat ableiten. Doch ist klar, daß sie nichts taugt. Denn nach Putnam täuscht sich der Erdling, der auf die Zwillingserde fährt und auf die Flüssigkeit, die er in einem See wahrnimmt, deutend sagt: „ D a s ist Wasser". Er sagt mit dieser Äußerung etwas Falsches, weil er sich als Erdling mit „Wasser" nur auf die Dinge beziehen kann, die in den wesentlichen Hinsichten irdischem Wasser gleichen. D i e Idee hätte ferner die absurde Konsequenz, daß ein Satz w i e „da drin ist Wasser", auf der Erde über ein Glas irdisches Wasser geäußert, wahr wäre, jedoch falsch würde, wenn man dieses Glas auf die Z w i l lingserde transportierte und den Satz dort erneut, mit dem gleichen Bezug von „da", äußerte. „Wasser" funktioniert eben nicht w i e „hier''. Diese Überlegung macht klar, daß der Kontextparameter, mit dem die Intension von „Wasser" variieren könnte, die Sprachgemeinschaft selbst sein müßte: D i e Extension von „ W a s s e r " am Kontext k und am Index i ist die M e n g e aller Flüssigkeitsansammlungen,
3.1 Der Charakter von „Wasser"
91
deren chemische Struktur H2O ist, wenn der Sprecher in k der deutschen Sprachgemeinschaft angehört, und die Menge aller Flüssigkeitsansammlungen, deren chemische Struktur XYZ ist, wenn der Sprecher in k zur zwillingsdeutschen Sprachgemeinschaft gehört, und so weiter. Damit wird dann der Satz „dies ist Wasser" falsch, wenn der Erdling Oskar ihn auf der Zwillingserde Uber die Flüssigkeit im See äußert, und der Satz „da drin ist Wasser" wahr, wenn Oskar ihn auf der Zwillingserde Uber das mitgebrachte Glas äußert. Werden die Sätze hingegen unter den gleichen Umständen von Zwillingsoskar geäußert, so erhalten sie die entgegengesetzten Wahrheitswerte. Diese Sichtweise, die man der Kursivsetzung von „unser" im ersten Zitat entnehmen könnte, führt jedoch ebenfalls zu absurden Konsequenzen. Putnam verdeutlicht das anhand eines parallel aufgebauten und offenkundig kontraintuitiven Beispiels: Nehmen wir an, auf der Zwillingserde bezeichne das Wort „Buche" Ulmen und das Wort „Ulme" Buchen; und nehmen wir ferner an, daß die Eigenschaften, die ich mit „Ulme" und „Buche" verbinde, die gleichen sind - weil ich über Ulmen und Buchen nur weiß, daß sie Laubbäume sind - und daß dasselbe für meinen zwillingsirdischen Doppelgänger gilt. In diesem Fall würde man dennoch nicht sagen wollen, daß mein deutsches Wort „Ulme" die gleiche Bedeutung hat wie sein zwillingsdeutsches Wort „Ulme", nämlich die, Ulmen zu bezeichnen, wenn es von einem Sprecher des Deutschen geäußert wird, und Buchen zu bezeichnen, wenn es von einem Sprecher des Zwillingsdeutschen geäußert wird. Man würde vielmehr sagen, das zwillingsdeutsche Wort „Ulme" habe dieselbe Bedeutung wie das deutsche Wort „Buche" und das zwillingsdeutsche „Buche" dieselbe Bedeutung wie das deutsche „Ulme". Was in diesem Beispiel offenkundig ist, trifft in gleicher Weise auf unser WasserBeispiel zu. Es ist sozusagen bloß ein Zufall, daß das Deutsche und das Zwillingsdeutsche das gleiche Wort für ihre verschiedenen Flüssigkeiten haben. Dies zeigt sich besonders deutlich, wenn wir zwillingsdeutsche Sätze ins Deutsche übersetzen. Wenn Zwillingsoskar etwa sagt: „Wasser ist gut gegen Durst", so dürften wir das natürlich nicht mit „Wasser ist gut gegen Durst" übersetzen, sondern allenfalls durch so etwas wie „Zwillings-Wasser ist gut gegen Durst". Daß die Sichtweise, die wir gerade ausprobieren, seltsam ist, war eigentlich von vorneherein klar. Denn was soll es heißen, die Sprache festzuhalten, die Sprachgemeinschaft aber als Kontextparameter zu variieren? Wenn ein Wort - so sagt unsere Intuition ja eher - in zwei verschiedenen Sprachgemeinschaften, aber nicht in sonstwie als verschieden zu beschreibenden Kontexten unterschiedliche Bedeutung hat, so handelt es sich ipso facto auch um zwei verschiedene Sprachen. Sprache und Sprachgemeinschaft lassen sich nicht so leicht auseinanderdividieren; „Wasser" funktioniert nicht wie ein auf eine Sprachgemeinschaft bezogenes „wir". Ein Punkt ist dabei aber noch nicht ganz klar. Was ist hier unter einem Wort im Gegensatz zu zwei verschiedenen Wörtern zu verstehen? In phonetisch-syntaktischer Hinsicht lassen sich „Wassero" und „Wasserz" sicherlich als dasselbe Wort verstehen; die Voraussetzung des ganzen Beispiels war ja, daß das Deutsche und das Zwillingsdeutsche in dieser Hinsicht identisch sind. Doch mit diesem Identitätskriterium für Wörter liefe unsere Analyse der Indexikalität von „Wasser" darauf hinaus, nicht mehr die Bedeutung von Wörtern einer bestimmten Sprache zu beschreiben, sondern bloß mögliche Bedeu-
3.
92
Prädikate
tungen für rein phonetisch-syntaktisch individuierte Wörter anzugeben. Und damit hätten wir auch zugegeben, daß es uns nicht gelungen ist, „Wassero" und „Wasserz" mit der gleichen Bedeutung, das heißt, demselben Charakter zu versehen und so auch im semantischen Sinne als dasselbe Wort zu erweisen. In diesem Sinne müssen wir sie also auf jeden Fall als verschiedene Wörter betrachten.3 Den Unterschied zwischen einer rein phonetisch-syntaktischen und einer zudem semantischen Charakterisierung von Wörtern und Sprachen werden wir allerdings im Abschnitt 3.9 erneut aufgreifen. Betrachten wir nun die zweite Möglichkeit, die Indexikalität von „Wasser" auszubuchstabieren, nämlich davon auszugehen, daß bei Substanzwörtern ein Extensionsunterschied bereits einen Bedeutungsunterschied ausmacht. Wie genau könnte der Charakter von „Wassern" und „Wasserz" dann aussehen? Wir müssen hier jedenfalls verlangen, daß es mindestens einen Kontext k gibt, so daß II Wasser^ II (k) * II Wasser z II (k). Aufgrund der vorstehenden Überlegungen wissen wir aber, daß die Intension von „Wassern" und „Wasserz" nicht vom Kontext im engeren Sinn abhängen darf, also weder vom Sprecher bzw. seiner Sprachgemeinschaftszugehörigkeit noch vom Äußerungsort; und daß sie auch nicht von der Äußerungszeit abhängt, war so offenkundig, daß es keiner Diskussion bedurfte. Sie kann demnach höchstens mit der Welt des Kontexts variieren. Denn Erde und Zwillingserde liegen in ein und derselben möglichen Welt w*, aber „Wassero" bezeichnet in jeder möglichen Welt H2O, „Wasserz" hingegen XYZ. Wie also sollen wir in diesem Fall die allgemeine Regel für den Charakter von „Wassern" und „Wasserz" formulieren? Lesen wir dazu noch einmal bei Putnam nach. Wir finden dort die folgende Erläuterung der Bedeutung von „Wasser" und seiner Indexikalität: „Eine zu einer beliebigen möglichen Welt gehörende Entität ist genau dann Wasser, wenn sie damit, was wir in der wirklichen Welt alles „Wasser" nennen, flüssidentisch ist." (Putnam 1979, S. 44.)
Putnam intendiert dies nicht als eine Bedeutungsdefinition, das heißt, er würde nicht sagen, „Wasser" sei mit „das, was wir in der wirklichen Welt ,Wasser' nennen" synonym. Für ihn stellt dies nur eine Form der Festlegung der Bedeutung mittels einer ostensiven Definition dar, ähnlich wie wir durch eine Kennzeichnung den Bezug eines Namens festlegen können, ohne daß der Name dann mit dieser Kennzeichnung synonym wäre. Wir werden Putnams Gründe für diese eingeschränkte Sichtweise im Abschnitt 3.4 eingehend diskutieren. Doch zunächst wollen wir sehen, wie weit wir kommen, wenn wir das Zitat gleichwohl zum Ausgangspunkt einer Definition des Charakters von „Wasser" nehmen. Es läßt sich zunächst einmal in folgender Weise umformulieren: II Wasser II (k) (/) =
w, I x ist flüssidentisch mit dem, was wir in w^ alles „Wasser" nennen}.
3 Wir können auch nicht sagen, daß „Wasser" im Deutsch-Zwillingsdeutschen ambig wäre. Denn dies würde einschließen, daß die Sprecher des Deutsch-Zwillingsdeutschen die Freiheit haben, dieses oder jenes mit „Wasser" zu meinen. Diese Freiheit haben sie aber nicht; sie sind an ihre jeweilige Sprachgemeinschaft gebunden.
3.1 Der Charakter von „Wasser"
93
An dieser Definition wollen wir im Kern festhalten. Doch bedarf sie diverser Verfeinerungen, die wir in diesem und den folgenden Abschnitten diskutieren wollen. 4 Als erstes sollten wir klarstellen, welches Wort „Wasser" wir hier beschreiben wollen, das deutsche oder das zwillingsdeutsche, und wir sollten dementsprechend auch explizit machen, wer „wir" ist. Wir wollen die Definition ja nicht so verstehen, daß „wir" sich einfach auf eine den Sprecher in k umgebende Personengruppe bezieht; denn es ist klar geworden, daß die Intension nicht mit dem Sprecher variieren darf. Wir wollen vielmehr, daß „wir" sich, wenn es um das deutsche Wort „Wasser" geht, auf die deutsche Sprachgemeinschaft bezieht, wenn es um das zwillingsdeutsche Wort „Wasser" geht, hingegen auf die zwillingsdeutsche Sprachgemeinschaft, usw. Als nächstes sollten wir den Ausdruck „etwas , Wasser' nennen" zumindest vorläufig spezifizieren. Mit der Definition ist natürlich nicht gemeint, daß x Wasser ist, wenn es mit etwas, was irgendwelche Deutschen zufällig und womöglich fälschlicherweise einmal „Wasser" genannt haben, flüssidentisch ist; vielmehr beziehen wir uns auf typische oder paradigmatische Anwendungsfälle. Dies führt zu der folgenden Reformulierung: II Wasserp II (k) (i) = {x I x besteht in w, aus der gleichen Flüssigkeit wie das, worauf im Deutschen in w-tt typischerweise „Wasser" angewandt wird}, bzw. II Wasser^ II {k) (i) = {* I x besteht in w, aus der gleichen Flüssigkeit wie das, worauf im Zwillingsdeutschen in w* typischerweise „Wasser" angewandt wird}. Die genauere Erläuterung dessen, was hier „typischerweise anwenden" heißen soll, liefe in etwa darauf hinaus, Putnams wiederholte Äußerungen auszuführen, daß man die Bestimmung der Extension soziolinguistisch und unter Berücksichtigung der sprachlichen Arbeitsteilung untersuchen müsse. Hier wäre also im Detail auf die sogenannte kausale Referenztheorie einzugehen. Nun bestimmt aber die historische Überlieferung, die kausale Vorgeschichte der Wortverwendung nicht für sich schon den Bezug eines Wortes; die Kausalketten laufen immer durch den Filter aktueller Sprachkonventionen. Insofern wäre hier auch auf die Theorie sprachlicher Konventionen genauer einzugehen. Da schließlich die Sprachkonventionen von den Intentionen all der einzelnen Sprecher kaum abzutrennen sind, kommen auch diese noch ins Spiel. Über all das ist sehr viel und sehr viel Lehrreiches geschrieben worden. Die Sprecherintentionen wurden in der Folge von Grice (1957) einer intensiven Analyse unterzogen (vgl. insbesondere Bennett 1976). Sprachkonventionen wurden in der Folge von Austin (1962) sprechakttheoretisch genauer beschrieben und durch Lewis (1969) theoretisch analysiert. Und die kausale Referenztheorie wurde in der Folge von Kripke (1972)
4
Darauf, daß Putnam mit „Wasser" ein Konünuaüvum als Beispiel gewählt hat, wollen wir nicht weiter eingehen; das würde nur von der Hauptsache ablenken. Wir werden „Wasser" durchweg als Prädikat behandeln, welches auf einzelne Wasserportionen zutrifft.
94
3. Prädikate
und Putnam (1975a, Kap. 11-13) ausgeführt, mit am detailliertesten wohl durch Devitt (1981). Doch brauchen wir uns in all das glücklicherweise nicht zu vertiefen. Wir werden hier lediglich immer wieder vom In-einer-Sprache-so-und-so-Heißen oder zum Beispiel von der deutschen „Wasser"-Rede oder ausführlicher vom kausal-intentionalen Komplex der deutschen „Wasser"-Rede usw. sprechen; damit beziehen wir uns immer auf die Gesamtheit der empirischen Tatsachen, die dafür verantwortlich ist, daß etwas in einer Sprache so und so, also zum Beispiel im Deutschen „Wasser" heißt, und die eben in der erwähnten Literatur näher erforscht wird. Dies ergibt natürlich nur dann Sinn, wenn eine Sprache, zum Beispiel das Deutsche oder das Zwillingsdeutsche, nicht als ein abstraktes Zeichensystem aufgefaßt wird, sondern als ein konkretes historisches Gebilde, welches eben all diese an den einzelnen Wörtern hängenden kausal-intentionalen Komplexe umfaßt. Damit hier keine Verwirrung entsteht, gilt es, zwei verschiedene linguistische Aufgaben strikt auseinanderzuhalten. Eine Aufgabe ist es, eine rekursive Semantik, eine rekursive Theorie der subjektiven und der objektiven Bedeutung zu liefern, welche - wenn wir hier den richtigen Ansatz gewählt haben - in der Definition des Charakters der Ausdrucke einer Sprache besteht; dies ist die Aufgabe, die wir uns vorgenommen haben. Eine andere Aufgabe ist es zu klären, worin die Referenzbeziehung empirisch besteht, welche Tatsachen vorliegen müssen, damit etwas in einer Sprache so und so heißt; um diese empirische Referenztheorie geht es in der genannten Literatur. Doch hängen die beiden Aufgaben zusammen. Falls nämlich die obige Definition des Charakters von „Wasser" in die richtige Richtung geht, so geht die Bewältigung der zweiten Aufgabe in die der ersten Aufgabe, eben in die Charakterfunktion ein; dies ist es, was sich hinter „im Deutschen typischerweise anwenden" verbirgt. Doch müssen wir deswegen die zweite Aufgabe hier nicht durchführen; für unsere Theorie ist es lediglich entscheidend, daß wir im weiteren zu einem angemessenen Verständnis dieses Zusammenhangs zwischen rekursiver Semantik und empirischer Referenztheorie gelangen. Betrachten wir aber erst, was uns die obige Definition bezüglich der Extension und der Intension von „Wasser" liefert. Genau das, was wir wünschen: Wenn w* = w* und wenn die Flüssigkeit, die wir im Deutschen typischerweise „Wasser" nennen, in w* tatsächlich die molekulare Struktur H2O hat, so bezeichnet „Wassern", in w* geäußert, in jeder möglichen Welt (also auch in w*) die Menge aller Flüssigkeitsansammlungen x, deren molekulare Struktur H2O ist. Und wenn die Flüssigkeit, die unsere Zwillinge typischerweise „Wasser" nennen, in w* tatsächlich die molekulare Struktur XYZ hat, so bezeichnet „Wasser^", in w* geäußert, in jeder möglichen Welt die Menge aller Flüssigkeitsansammlungen x, deren molekulare Struktur XYZ ist. Wenn also Oskar auf die Zwillingserde fährt und dort über die Flüssigkeit x, die sich in einem See befindet, sagt: „Dies ist Wasser", so sagt er etwas Falsches, denn es gilt: II dies ist Wasserp II (k) (i) = 1 gdw. x E II Wasser^ II (k) (/) gdw. xE. {y I y besteht in w, aus der gleichen Flüssigkeit wie das, worauf im Deutschen in w/c typischerweise „Wasser" angewendet wird} gdw.
3.2
95
Inwiefern ist „Wasser" indexikalisch?
x in vv/molekulare Struktur H2O hat. Ebenso ergibt sich, daß „Wasser ist H2O" in Wahrheit ausdrückt, denn es gilt
w* geäußert eine notwendige
II Wasser D ist H 2 0 II (k) (/) = 1 gdw. {x I x besteht in w, aus der gleichen Flüssigkeit wie das, worauf im Deutschen in Wk typischerweise „Wasser" angewendet wird} C I x hat in w, die molekulare Struktur H2O} gdw. {x I x besteht in w,aus einer Flüssigkeit, die die molekulare Struktur H2O hat} C {x I x hat in w, die molekulare Struktur H2O}, und diese Beziehung gilt für alle Welten w,. Schließlich gibt die Definition Putnams Intuition wieder, daß „Wasser" starr ist. Was Starrheit in Bezug auf Prädikate genau heißen könnte und ob sie hier eine wesentliche Rolle spielt, haben wir noch gar nicht diskutiert; das tun wir erst im Abschnitt 3.7, wenn es die Schlußfolgerungen aus dem „Wasser"-Beispiel zu verallgemeinem gilt. Doch können wir der obigen Definition entnehmen, daß „Wasser^" in einer möglichen Indexwelt w, nur solche Gegenstände bezeichnet, die in ihren wesentlichen Eigenschaften dem gleichen, was in der Kontextwelt w^ Wasser ist; und dies entspricht Putnams Erläuterung der Starrheit von Prädikaten.
3.2
Inwiefern ist „Wasser" versteckt indexikalisch?
Die fürs weitere entscheidende Frage liegt nun darin, ob sich mit dem oben angegebenen Charakter von „Wassero" und von „Wasserz" das Informativitätsproblem auf unsere Weise, das heißt Uber die Diagonalisierungsmethode lösen läßt. Das ist bisher nicht beantwortet, und es ist nicht ohne weiteres klar. Denn allgemein wissen wir, daß die Diagonalisierungsmethode bei absoluten Charakteren versagt; wenn die Intension von „Wassere", und auch die von „H2O", nicht mit dem Kontext variiert, so drückt „Wasser^ ist H2O" nicht nur in jedem Kontext die notwendige Proposition aus; auch seine Diagonale wäre tautologisch und damit nicht informativ. Eine informative Diagonale ergibt sich mithin nur, wenn „Wasser^" indexikalisch ist. Doch sagt uns die obige Definition selbst noch nicht, ob „Wasser^" absolut oder indexikalisch ist; sie läßt sich so oder so interpretieren. Wir müssen sie also weiter spezifizieren. Wie eben erläutert, ist mit der typischen Anwendung von „Wasser" im Deutschen, mit der deutschen „Wasser"-Rede der kausal-intentionale Komplex gemeint, der die Referenzbeziehung für „Wasser" im Deutschen ausmacht. Die deutsche „Wasser"-Rede existiert also nur in möglichen Welten, in denen dieser kausal-intentionale Komplex exi-
96
3. Prädikate
stiert. Die Frage ist nun, wie dieser Komplex - der nur einer unter unzähligen ist, die das Deutsche insgesamt ausmachen - genau abzugrenzen ist. So pauschal gestellt, verstrickt man sich mit dieser Frage allerdings in unauflösbare Vagheiten. Zum Beispiel haben de facto alle tatsächlichen, vergangenen und gegenwärtigen Sprecher des Deutschen an diesem Komplex teil; in all diesen Personen hat sich der Gebrauch von „Wassero" etabliert und fortgepflanzt. Doch ist die Existenz keines einzigen Deutsch-Sprechers wesentlich für die Existenz der deutschen „Wasser"-Rede. Es hätte sogar zur Zeit der großen Pest die überlebende Hälfte gestorben und die dahingeraffte Hälfte am Leben geblieben sein können; auch das hätte der Existenz der deutschen „Wasser"-Rede keinen Abbruch getan. Wenn hingegen Europa damals restlos entvölkert worden wäre, so wäre die historische Kontinuität hinreichend unterbrochen gewesen, um auch die deutsche „Wasser"-Rede an der Fortexistenz zu hindern. In den von diesen klaren Fällen gesetzten Grenzen bleibt allerdings ein großer Vagheitsspielraum offen. Eine andere Vagheit liegt in den typischen Anwendungsfällen von „Wassern". Zum Beispiel gilt der Rhein als der deutsche Fluß. Insofern wird „Wasser D " typischerweise auf den Inhalt des Rheins angewandt; dieser ist ein Teil des insgesamt weit verstreuten kausalen Ursprungs, an dem sich die deutsche „Wasser"-Rede entzündet hat. Doch ist er kein wesentlicher Teil. Die deutsche Geschichte hätte von Anfang an in etwas östlicheren Grenzen verlaufen können, so daß die Deutschen den Rhein allenfalls gelegentlich gesehen hätten. Oder es hätten im 18. Jahrhundert alle Deutsch-Sprecher ohne Ausnahme nach Amerika ausgewandert sein können. Dann wäre vielleicht der Mississippi der deutsche Fluß geworden; und jedenfalls wären alle typischen Anwendungsfälle von „Wassern" durch andere ersetzt. Doch wäre der kausal-intentionale Komplex der deutschen „Wasser"-Rede auch unter dieser Völkerwanderung derselbe geblieben. Ein klarer Fall hingegen, in dem diese Rede ihre Identität geändert hätte, läge dann vor, wenn sich unter den Deutschen der Gebrauch von „Wasser" Uber die Jahrhunderte so verschoben hätte, daß sie nun zu Bier statt Wasser „Wasser" sagen, wenn sich also die typischen Anwendungsfälle für „Wasser" nicht mehr im Rhein, sondern etwa auf dem Nockherberg fänden. Jedenfalls liegt auch hier zwischen den klaren Fällen ein weites Feld der Vagheit. Die Vagheiten der Identitätsbedingungen der deutschen „Wasser"-Rede können und wollen wir insgesamt nicht beheben. Für das Informativitätsproblem ist davon aber nur ein Aspekt von Bedeutung, den wir jetzt klären müssen; er ist ein Teilaspekt der zweiten gerade angesprochenen Vagheitsform. Die Frage ist nämlich, ob wir den kausalen Ursprung, an dem die deutsche „Wasser"-Rede anhebt, eben all die typischen Wasser-Portionen als Bestandteil des kausal-intentionalen Komplexes dieser Rede auffassen sollen oder nicht. Wenn wir es tun, so ist der oben angegebene Charakter von „Wassern" absolut. Denn nehmen wir an, daß die typischen Wasser-Portionen in der tatsächlichen Kontextwelt aus H2O bestehen, und stellen wir uns eine andere mögliche Kontextwelt wk< vor, in der es nur X Y Z und kein H2O gibt. Da die typischen Wasser-Portionen H2O sind, existieren sie also nicht in wp. Da wir sie im Moment aber als Bestandteil der deutschen „Wasser"Rede auffassen, gibt es also in wk< auch keine deutsche „Wasser"-Rede. Somit denotiert „Wassern" nicht nur in allen Indexwelten w, H2O, sofern es in der gegebenen Kontextwelt Wh H2O denotiert; es kann auch in anderen Kontextwelten nur H2O denotieren, oder
3.2
Inwiefern ist „Wasser" indexikalisch?
97
das Deutsche existiert dort gar nicht. Das genau heißt es, daß „Wassern" einen absoluten Charakter hat. 5 Die andere Alternative ist, daß die typischen Wasser-Portionen nicht selbst Bestandteil der deutschen „Wasser"-Rede sind, sondern daß der Komplex, der diese Rede ausmacht, auf seiner kausalen Basis gewissermaßen nur aufruht. Dann könnte man diese kausale Basis von Kontextwelt zu Kontextwelt, etwa von H2O zu XYZ verändern, ohne daß die deutsche „Wasser"-Rede ihre Identität verlieren müßte. Auf diese Weise gewinnen wir Spielraum für einen variablen Charakter von „Wasser^"; „Wassero" wäre dann indexikalisch. Für welche Alternative sollen wir uns entscheiden? Was Putnam sagen würde, ist mir nicht klar. Da er gar nicht in der Charakter-Begrifflichkeit denkt, stellt er sich die Frage nicht explizit, und man kann seine Äußerungen so und so wenden. Im analogen Fall der Eigennamen hat Kaplan (1977) eine dezidierte Meinung, nämlich daß sie absolut starr sind; das heißt, sobald sich der Bezug eines Namens, der kausale Ursprung der Verwendung dieses Namens ändert, hat man auch schon ein anderes Wort im semantischen Sinne. Ein Grund für diese Auffassung liegt sicherlich darin, daß Eigennamen und auch Substanzwörter wie „Wasser" dem üblichen Verständnis nach nicht indexikalisch sind; sie ähneln gar nicht den typischen Beispielen für Indexikalität. Diese Intuition bewegt auch Bürge (1982), S. 104ff. Doch steht diese Intuition gar nicht im Widerspruch zur Indexikalität von „Wassern" Sinne unserer Definition von S. 28. Denn es ist hier die Unterscheidung zwischen offener und versteckter Indexikalität zu beachten. Diese läßt sich in unserem theoretischen Rahmen so explizieren: Wenn die Intension eines Ausdrucks mit der Kontextwelt w^ variiert, so ist er versteckt indexikalisch; wenn sie hingegen mit den anderen Kontextparametern Sk, h und p^ variiert, so ist er offen indexikalisch. Der gewohnte Sinn von Indexikalität, auf den Bürge sich bezieht, ist nur die offene Indexikalität. Wenn wir hingegen „Wasser^" als indexikalisch annehmen, so wäre es nur versteckt und nicht offen indexikalisch. Wir teilen also diese Intuition und können sie sogar explizieren; aber sie hilft uns nicht bei unserer Entscheidung. Ein entscheidendes Argument haben wir aber im Grunde schon geliefert, nämlich daß die eine Alternative unsere schon in anderen Fällen bewährte Lösung des Informativitätsproblems zuläßt, während bei der anderen Alternative nicht nur unsere Lösung versagt, sondern Uberhaupt kein ausgeführter Lösungsvorschlag in Sicht ist. Ein verwandtes Argument hat mit dem Analytizitätsbegriff zu tun. Im Abschnitt 1.2 (vgl. S. 31) haben wir gesagt, daß ein Satz einer Sprache genau dann analytisch ist, wenn sein Charakter für jeden Kontext und für jeden Index, für den er definiert ist, den Wahrheitswert „wahr" liefert; damit konnten wir der Intuition von Kripke (1972, S. 264) Rechnung tragen, daß ein Satz gerade dann analytisch sei, wenn er a priori und notwendig ist. Wenn wir nun „WasserD", und auch „H2O", einen absoluten Charakter zuwei-
5
Sein Charakter ist auch nur partiell, nämlich nur für solche Kontextwelten definiert, in denen die deutsche „Wasser"-Rede und das Deutsche überhaupt existiert. Doch ist der Charakter gemäß obiger Definition in jedem Fall partiell, wie immer man die deutsche „Wasser"-Rede versteht. Insofern braucht uns diese Tatsache jetzt nicht beschäftigen. Wir werden im nächsten Abschnitt noch auf sie zurückkommen.
98
3. Prädikate
sen, so ergibt sich die kontraintuitive Konsequenz, daß der Satz „Wasser ist H2O" im Deutschen analytisch ist. Die Intuition ist ja, daß er (bzw. eine Äußerung von ihm in unserer Welt) nur notwendig ist - dem haben wir schon Rechnung getragen - und ansonsten einen anderen Status hat als etwa der Satz .Junggesellen sind unverheiratet". In Ermangelung anderer Argumente scheinen mir dies Uberzeugende Gründe zu sein. Doch ist damit, daß wir „Wasser^" nun als versteckt indexikalisch auffassen, die Natur der deutschen „Wasser"-Rede eher wieder ins Dunkle gerückt. Denn wie soll man es verstehen, daß diese Rede Uber verschiedene Kontextwelten hinweg dieselbe bleibt, obwohl ihr Bezug, ihr kausaler Ursprung sich ändert? Die deutsche „Wasser"-Rede bleibt, so denke ich, dann dieselbe, wenn all die mit dem Wort „Wasser" verknüpften Reaktionsmuster der Deutsch-Sprecher gegenüber ihrer Umwelt und Kommunikationsmuster der Deutsch-Sprecher untereinander gleich bleiben. Dies ist gerade dann der Fall, wenn die kausale Basis der deutschen „Wasser"-Rede in den möglichen Kontextwelten in einer Weise verändert wird, die für die gesamte deutsche Sprachgemeinschaft zu dem Zeitpunkt, zu dem wir sie betrachten, nicht bemerkbar ist. Denn wenn eine solche Änderung von den Deutsch-Sprechern nicht bemerkt werden kann, so kann sie offenbar auch nicht ihre mit „Wasser" verknüpften Reaktions- und Kommunikationsmuster berühren. Wenn hingegen eine Änderung von einer kausalen Basis zur andern von den Deutsch-Sprechern im Prinzip bemerkt werden kann, sie aber über die neue Basis, die neuen typischen Anwendungsfälle genauso reden wie über die alten, so haben sich auch die Reaktionsmuster der Deutsch-Sprecher verändert; auf etwas merklich Verschiedenes, das sie in der alten Kontextwelt nicht „Wasser" genannt hätten, wenden sie in der neuen Kontextwelt „Wasser" an. An Beispielen wird der Punkt vielleicht klarer. Betrachten wir die heutige deutsche Sprachgemeinschaft, unsere tatsächliche Kontextwelt W)., in der Wasser H2O ist, und eine andere w*'. Wenn w a u s Wk entsteht, indem man alles H2O in Wjt durch Bier ersetzt, und wenn nun die Deutschen in wp über all das Bier mit „Wasser" reden, so hätte sich ganz offenkundig auch ihre „Wasser"-Rede geändert; denn jedermann, vom Kind bis zum Greis, kann H2O und Bier auseinanderhalten und hat demnach in w^. andere Reaktionsweisen als in wk. Wenn w^ aus Wf. entsteht, indem man alles H2O in wjc durch eine Flüssigkeit ersetzt, die genauso schmeckt, sich genauso anfühlt, etc. wie H2O, die also für den Laien von H2O ununterscheidbar ist und die sich aber zum Beispiel unter der Elektrolyse ganz anders verhält als H2O, so muß die deutsche „Wasser"-Rede in vv^auch eine andere sein als in w^; denn entweder haben die Chemiker andere Reaktionsweisen, indem sie zu dem neuen Stoff in w? „Wasser" sagen, was sie in Wk nicht getan hätten; oder die Kommunikationsmuster sind andere, indem die Chemiker in Wk< zwar unverändert reagieren, aber nun unter den Deutschen kein Gehör mehr haben, so daß der neue, für die allermeisten ununterscheidbare Stoff in w^ als „Wasser" gilt, egal was die Chemiker sagen. Erst wenn der Stoff, der in w d a s H2O aus w^, ersetzt, für alle Laien, alle Chemiker und sogar für alle Hochenergiephysiker von H2O nicht unterscheidbar ist, kann mit der deutschen „Wasser"-Rede in w^ alles so sein wie in w^ Da dieser letzte Fall möglich ist, könnte es sich in diesem Sinne noch herausstellen, daß Wasser nicht H2O, sondern jener andere Stoff ist - genauso wie es sich vor 250 Jahren noch hätte herausstellen können, daß Wasser nicht H2O, sondern Putnams XYZ
3.3
Was ist ein möglicher
Kontext?
99
ist. 6 Genau solche Fälle sorgen dafür, daß die Diagonale von „Wasser ist H2O" informativ war und immer noch ist; für manche Kontextwelten, zum Beispiel für unser w^, wird sie wahr, und für andere Kontextwelten, zum Beispiel das letzterwähnte w^, wird sie falsch. Und genau darin liegt unsere Lösung des Informativitätsproblems.
3.3
Was ist ein möglicher Kontext?
In Anbetracht der vorangehenden Überlegungen dürfte die folgende Formulierung des Charakters von „Wasser" im Deutschen die durchsichtigste sein: II Wassern I' (&) ( 0 = {•* I besteht in w, aus der gleichen Flüssigkeit wie die Dinge, die in w* den kausalen Ursprung der deutschen „Wasser"-Rede bilden} Diese Formulierung bringt klarer zum Ausdruck, daß der kausale Ursprung des Gebrauchs von „Wasser" mit der Kontextwelt variieren kann und daß wir nur den Überbau zu dieser Basis als deutsche „Wasser"-Rede betrachten; nur er muß durch alle Kontextwelten hindurch festgehalten werden. Wir werden zwar auch weiterhin oft einfach nur davon sprechen, daß etwas in einer Sprache so und so heißt, aber das ist immer nur als Abkürzung für eine komplexere Wendung der obigen Art zu verstehen. Im nächsten Abschnitt werden wir uns mit möglichen Bedenken gegen diese Analyse der Bedeutung von „Wasser" beschäftigen. Um dies sinnvoll tun zu können, müssen wir allerdings zuerst klären, was überhaupt der Definitionsbereich des Charakters von „Wasser" sein soll, was also in Bedeutungsregeln wie der obigen unter einem möglichen Kontext zu verstehen ist. Bisher sind wir ja mit Kaplan davon ausgegangen, daß jedes Tripel < w S k , h > , bei dem s^ in w^ zu i* existiert, als möglicher Kontext zählt und daß für jeden Ausdruck a der Charakter von a für alle möglichen Kontexte definiert ist. Wir haben bereits darauf hingewiesen (vgl. Abschnitt 2.3, S. 78), daß wir hier einen recht abstrakten Kontextbegriff verwenden und daß unsere Kontexte genau genommen nicht mit möglichen Äuße-
6 Daß Putnam der Anschaulichkeit halber das Zwillingsdeutsche auf eine Zwillingserde in einer fernen Galaxie in unserer Welt verlegt, zieht eine gewisse Verwirrung nach sich. So bringt er nämlich gerade kein Beispiel für die versteckte Indexikalität von „Wasser". Denn Putnams zwillingsdeutsche „Wasser"Rede kann nicht die deutsche „Wasser"-Rede sein; keine Sprache auf einer fernen Galaxie könnte ohne galaktische Reisen der Deutschen das Deutsche sein. Die Intension von „Wasser^" besteht deswegen bei dieser Kontextwelt einfach aus H2O. Wenn wir hingegen Putnams XYZ-Geschichte in einer kontrafaktischen Welt auf unsere Erde verlegen, so wären das dort die Deutschen mit der deutschen „Wasser"-Rede und diese Kontextwelt eine, die die Indexikalität von „Wasser^" demonstriert. Die beiden Fälle sind also zu unterscheiden; der Unterschied wird in anderem Zusammenhang, im Abschnitt 3.8, noch einmal relevant werden.
100
3. Prädikate
rungssituationen gleichgesetzt werden können. W i r wollen als erstes diesen Punkt etwas genauer erörtern. Kaplan betont, daß man, um den Inhalt eines Ausdrucks a in einem Kontext k zu bestimmen, nicht voraussetzen darf, daß a in k tatsächlich geäußert wird ( v g l . etwa Kaplan 1979, S. 91, oder 1989, S. 584). Eine solche Voraussetzung würde Charaktere zu partiellen Funktionen machen: man müßte jetzt davon sprechen, daß k einen m ö g l i c h e n Kontext für einen Ausdruck
a darstellt - nämlich genau dann, wenn a in k geäußert wird
- und dürfte II a II (k) dann nur noch für die für a möglichen K o n t e x t e k definieren. W e n n man, w i e Kaplan (1977, S. 91), zudem davon ausgeht, daß z w e i verschiedene Sätze und ip nie im gleichen Kontext geäußert werden können - weil man und ip nicht gleichzeitig äußern kann, sich aber mit der Äußerungszeit auch die Äußerungssituation ändert - , so ergibt sich, daß die Definitionsbereiche der Charaktere verschiedener Sätze stets disjunkt sind. Diese Annahme ist allerdings nur plausibel, wenn man K o n t e x t e wirklich als Äußerungssituationen begreift. Läßt man einen abstrakteren Kontextbegriff zu, bei dem die Kontextzeit nicht mit der Zeit, die die Äußerung in Anspruch nimmt, zusammenfallen muß ( v g l . Abschnitt 2.3, S. 78), so ergibt sich auf jeden Fall die schwächere Konsequenz, daß die Definitionsbereiche zweier Sätze nie identisch sind, da keine z w e i verschiedenen Sätze und i¡> immer nur in den gleichen möglichen Kontexten geäußert werden. In beiden Fällen wäre es jedoch unmöglich, einen sinnvollen B e g r i f f der logischen Folgerung oder auch der Synonymie zu formulieren. Logische Wahrheit war j a als Wahrheit in allen Kontexten eines jeden Modells definiert, und dementsprechend folgt ein Satz ip genau dann logisch aus einem Satz
wenn in j e d e m Modell ip in allen Kontexten
wahr ist, in denen wahr ist. Und zwei Ausdrucke a und ß sind genau dann in einem M o d e l l synonym, wenn sie in jedem Kontext dieses Modells die gleiche Intensión haben. W e n n man nun den Charakter eines Ausdrucks nur für die Kontexte definieren wollte, in denen der Ausdruck geäußert wird, so könnte es gemäß der gerade gegebenen Definition keine zwei verschiedenen, aber synonymen Ausdrücke a und ß geben. Ähnliches gilt für die logische Folgerung: Es könnte nie der Fall sein, daß ein Satz ip gemäß der obigen Definition aus einem Satz logisch folgt, weil es stets Kontexte gäbe, an denen zwar genau dann folge, wenn in j e d e m Modell ip an all den Kontexten wahr ist, an denen wahr ist und die im gemeinsamen Definitionsbereich der Charaktere von und ip liegen. (Dann darf man natürlich nicht w i e Kaplan annehmen, daß ip und ip nie im gleichen Kontext geäußert werden.) Doch wäre dies sichcrlich keine nützliche und intuitiv adäquate Definition, genauso wenig, w i e es angemessen wäre, Synonymie von zwei Ausdrücken als Intensionsgleichheit in allen Kontexten, in denen beide Ausdrücke geäußert werden, zu definieren. O b zwischen zwei Sätzen eine Folgerungsbeziehung besteht, oder o b zwei Ausdrücke die gleiche Bedeutung haben, hat eben intuitiv gesehen nichts damit zu tun, o b und w o die Sätze oder die Ausdrücke geäußert werden. Es gibt somit gute Gründe für Kaplans Auffassung, den Charakter v o n a auch für K o n t e x t e zu erklären, an denen a nicht geäußert wird. Doch hat diese Sichtweise auch ihre wunden Punkte. S o führt sie zum Beispiel dazu, daß zwar der Satz „Ich existiere
3.3
Was ist ein möglicher Kontext?
101
jetzt" an jedem Kontext, also a priori wahr ist, nicht aber der Satz „Ich spreche jetzt". Denn II ich existiere jetzt II (k) (i(k)) ist genau dann wahr, wenn zu in w¿ existiert, und das ist für jedes k der Fall - mögliche Kontexte waren ja gerade Uber diese Bedingung definiert; II ich spreche jetzt II (k) (i(k)) hingegen ist wahr, wenn s^ zu in w¿t spricht - was nicht für alle k gilt, da wir Kontexte zulassen, in denen Uberhaupt keine Äußerungen gemacht werden. Die Intuition, daß „Ich existiere jetzt" a priori wahr ist, basiert nun aber doch gerade auf dem Wissen, daß man diesen Satz nicht falsch äußern kann. 7 Doch ebenso weiß jeder kompetente Sprecher des Deutschen, daß „Ich spreche jetzt" nicht falsch geäußert werden kann. 8 Insofern erscheint es etwas willkürlich, den Kontextbegriff so zu gestalten, daß nur der erste, nicht aber der zweite Satz als a priori wahr gilt. Wir werden uns dennoch in diesem Punkt an Kaplan halten und von möglichen Kontexten nur verlangen, daß zu h in existiert; das Argument hinsichtlich der logischen Folgerung und der Synomymie scheint mir den gerade diskutierten Einwand deutlich zu überwiegen. Wenn wir hier also den Charakter eines Ausdrucks a an einem Kontext k auswerten, so heißt das streng genommen nicht, daß wir die Intensión der Äußerung von a in k betrachten, sondern vielmehr, daß wir fragen, welchen Inhalt a hätte, wenn a. von s/c zu ijt wk geäußert würde. Wir betrachten also, wenn man so will, gar nicht den Kontext k, sondern einen kontrafaktischen Kontext, der wie k ist, bis auf den möglichen Unterschied, daß in ihm a tatsächlich geäußert wird, (und den sich daraus ergebenden Unterschieden, wie zum Beispiel, daß s¿ die Sprache, zu der a gehört, in w¿zu so weit beherrscht, daß man Uberhaupt sagen kann, er habe in dieser Sprache eine Äußerung getan). In einem anderen Punkt unterscheidet sich jedoch unsere Auffassung von möglichen Kontexten vom Kontextbegriff Kaplans. Wir werden nämlich davon ausgehen, daß die Charakterfunktion einer Sprache nur für solche Kontexte definiert ist, in denen die Sprache selbst existiert; diese Annahme brauchen wir, um aus Definitionen wie der des Charakters von „Wasser" Sinn zu machen. Denn was wäre gemäß unserer obigen Bedeutungsregel die Intensión von „Wasser" in einem Kontext, in dessen Welt es das Deutsche beziehungsweise die deutsche „Wasser"-Rede nicht gibt? Die Kennzeichnung „die Dinge, die in w¡. den kausalen Ursprung der deutschen ,Wasser'-Rede bilden" würde in diesem Fall nichts bezeichnen und das würde bedeuten, daß die Intensión von „Wasser" an einem solchen Kontext k ,leer\ also eine Funktion wäre, die jedem Index i die leere Menge zuordnet: da es in vv¿ kein Ding gäbe, welches am kausalen Ursprung der deutschen „Wasser"-Rede stehen könnte - weil
7
Kaplan argumentiert genau so bezüglich des Satzes „Ich bin jetzt hier": „Consider the sentence (1) / am here now. ... Intuitively (1) is deeply, and in some sense universally, true. One need only understand the meaning of (1) to know that it cannot be uttered falsely." (Kaplan, 1977, S. 82) 8 Man könnte hier einwenden, daß man Sätze auch äußern kann, ohne sie laut, also sprechend zu äußern; auch das bloße Denken eines Satzes sollte als eine Äußerung des Satzes gelten. (Diesen weiten Äußerungsbegriff haben auch wir bisher verwendet.) Dann wäre intuitiv nicht jede Äußerung von „Ich spreche jetzt", aber jede Äußerung von „Ich denke jetzt" wahr - jedenfalls unter der Annahme, daß Sprechen immer Denken voraussetzt.
102
3.
Prädikate
es die deutsche „Wasser"-Rede in W)t nicht gibt - gäbe es auch in keinem vv, etwas, was die gleiche Flüssigkeit sein könnte. Dieses Ergebnis erscheint mir intuitiv unangemessen. In Kontexten, in denen die deutsche „Wasser"-Rede nicht existiert, hat „Wasser" keine leere Intension, sondern gar keine; für solche Kontexte ist der Charakter von „Wasser" nicht definiert. Wir sollten das obige Resultat vielmehr für einen anderen Fall reservieren: nämlich für Kontexte, in denen zwar die deutsche „Wasser"-Rede existiert, aber keinen realen Ursprung hat, weil die Deutschen, die dort das Wort „Wasser" verwenden, irgendwie einer kollektiven Halluzination erlegen sind; nur bei solchen Kontexten erscheint es angebracht zu sagen, daß „Wasser" dort eine leere Intension hat, sozusagen einen mythischen Begriff bezeichnet.9 Wir können in diesem Zusammenhang auch nicht den oben beschrittenen Ausweg nehmen und die Charakterdefinition für „Wasser" kontrafaktisch deuten, das heißt so, daß sie für Kontexte, in denen das Deutsche nicht existiert, sagt, was die Intension von „Wasser" wäre, wenn es das Deutsche dort gäbe. Denn dieser kontrafaktischen Redeweise läßt sich im allgemeinen kein hinreichend präziser Sinn verleihen. Betrachten wir etwa einen Kontext in einer Welt, in der es auf einem Planeten H2O, auf einem anderen XYZ gibt, in der aber weder das Deutsche noch das Zwillingsdeutsche existiert. Wenn es in dieser Welt das Deutsche gäbe, was wäre dann dort der kausale Ursprung der deutschen „Wasser"-Rede? Würde das Deutsche auf dem einen oder auf dem anderen Planeten gesprochen werden? Auf diese Frage gibt es keine vernünftige Antwort. 10 Natürlich gibt es auch Kontexte, für die klar wäre, worauf sich die deutsche „Wasser"-Rede bezöge, wenn sie dort nur existierte. Doch indem man sich auf eine solche kontrafaktische Deutung der Charakterdefinition einläßt, begibt man sich auf eine schiefe Ebene, auf der man zwischen den harmlosen und den hoffnungslosen Fällen keinen Halt mehr findet. Eine klare Linie ist hier nur dadurch zu gewinnen, daß man auf den kontrafaktischen Ausweg verzichtet und von vorneherein nur Kontexte, in denen es das Deutsche gibt, als mögliche Kontexte für „Wasser" zuläßt. Kaplan lehnt jedoch eine derartige Beschränkung explizit ab: „Given an interpreted language, a sentence is valid, if it exprcsses a truth in every context, including those contexts in which the language doesn't or couldn't exist, or doesn't or couldn't have that interpretation " (Kaplan 1989, S. 613)
Mit dieser Aussage wollen wir uns im Rest dieses Abschnitts beschäftigen. Kaplan diskutiert die Frage allerdings nicht mit Bezug auf die Semantik von Substanzwörtern,
9 E n e kollektive Halluzination von Wasser ist schwer vorstellbar. Doch liefert die Geschichte genügend Beispiele für Arten mythischer Entitäten, die für real gehalten wurden und werden.
Vgl. etwa Quines Frage, welcher Nationalität Bizet und Verdi wären, wenn sie die gleiche hätten (Quine 1952, S. 14f.). Man darf diese Frage nicht mit der Frage verwechseln, wie wir das Deutsche querweltein identifizieren können. Diese Frage können wir durch Stipulation beantworten; wir können zum Beispiel einfach sagen, daß iv eine Welt sei, in der das Deutsche auf der Zwillingserde gesprochen wird. Wir können aber nicht durch Stipulation entscheiden, was unter bereits gemachten kontrafaktischen Annahmen weiterhin der Fall ist.
3.3
Was ist ein möglicher
103
Kontext?
sondern in einem Abschnitt, in dem er sich mit Russells logischen Eigennamen beschäftigt ( v g l . Kaplan 1989, S. 610ff.). Für den gegenwärtigen Zusammenhang liegt darin aber kein relevanter Unterschied. Logische Eigennamen sind erstens Namen, die etwas bezeichnen müssen; doch muß das, was sie bezeichnen, nicht in allen Welten existieren. Man könnte die Annahme, daß logische Eigennamen etwas bezeichnen müssen, zunächst folgendermaßen rekonstruieren: Wenn „ a " ein logischer Eigenname ist, so ist für alle k und für alle i II a II ( k ) ( 0 stets ein Gegenstand aus w^ und somit ist „a existiert" an allen Kontexten, also a priori wahr; denn es gilt, daß II a existiert II ( k ) (i(k))
= 1 gdw. II a II ( k ) (i(k))
in wj. exi-
stiert. Daß ein logischer Eigenname „ a " keinen notwendigerweise existierenden Gegenstand bezeichnet, würde hingegen heißen, daß II a II (k) (i) nicht in allen Indexwelten w¡ existiert, daß also eine Äußerung von „a existiert" keine notwendige Proposition ausdrückt; denn es gilt, daß II a existiert II ( k ) (i) = 1 gdw. II a II ( k ) ( i ) in w, existiert. Insofern gleichen logische Eigennamen genau dem indexikalischen „ich". Logische Eigennamen sollen jedoch zweitens nicht indexikalisch sein. Denn mit einem logischen Eigennamen „ a " beziehe ich mich auf einen Gegenstand, mit dem ich direkt bekannt bin und über den ich mich nicht täuschen kann; und dann kann ,/i" nur diesen Gegenstand bezeichnen und seinen Bezug nicht von Kontext zu Kontext wechseln. Da ein logischer Eigenname zudem, wie jeder Eigenname, starr ist, heißt dies, daß er absolut starr ist; es gilt also II a II (k) (i) = a für alle k und i im Definitionsbereich von II a II.
Diese Rekonstruktion birgt jedoch ein Problem. Denn wenn man, w i e Kaplan, davon ausgeht, daß alle Indexweiten - jedenfalls alle, in denen es mindestens einen Sprecher gibt - auch mögliche Kontextwelten sind, so stellt sich die Frage, was „ a " bezeichnet, wenn es in einem Kontext in einer W e l t geäußert wird, in der a nicht existiert. O d e r anders gefragt: W i e kann jede Äußerung eines logischen Eigennamens etwas bezeichnen, wenn das, was der Name bezeichnet, nicht notwendigerweise existiert? Zur Veranschaulichung dient Kaplan das folgende Beispiel: Angenommen, ich nenne einen bestimmten Schmerz, zu dem ich in einer direkten Bekanntschaftsrelation stehe, „ N i x o n " . Daß ich diesen Schmerz habe, ist keine notwendige Wahrheit; es gibt Welten, in denen Nixon nicht existiert. Wenn ich in einer solchen W e l t „ N i x o n " äußerte, welchen dort existierenden Gegenstand würde meine Äußerung bezeichnen? Da N i x o n dort nicht existiert, kann es nicht Nixon sein. Und da „ N i x o n " absolut starr ist, kann es auch nichts anderes sein. In der Tat haben wir hier einen offenen Widerspruch, der durch die folgenden vier Annahmen erzeugt wird: (1)
„ N i x o n " bezeichnet in jedem Kontext nicht nur irgendeinen Gegenstand, sondern stets denselben, nämlich Nixon.
(2)
Nixon existiert in jedem möglichen Kontext.
(3)
Nixon existiert nicht in allen möglichen Welten.
(4)
Jede mögliche W e l t (in der wenigstens ein Sprecher existiert) ist W e l t eines möglichen Kontexts.
3.
104
Prädikate
Kaplans Ausweg aus diesem Dilemma besteht darin, die Annahme (2) aufzugeben. Seiner Meinung nach ist es also falsch, logische Eigennamen so zu analysieren, daß sie in jedem Kontext einen dort existierenden Gegenstand bezeichnen, und die Intuition irrig, daß ,/z existiert" für einen logischen Eigennamen „a" a priori wahr ist. Daß ein logischer Eigenname einen bestimmten Gegenstand bezeichnet, ist für ihn vielmehr eine vorweg gegebene Tatsache der betrachteten Sprache, die in all den möglichen Kontexten nicht mehr realisiert zu sein braucht, sondern in sie hineingetragen werden kann: ,J see here a reaffinnation of the importance of ... the distinction between what exists at a given point and what can be .carried in' to be evaluated at that point, though it may exist only elsewhere. My .Circumstances of Evaluation' 11 evalúate Contents that may have no native existence at the circumstance but can be expressed elsewhere and carried in for evaluation. What is crucial to the puzzle about „Nixon" is that my ,Contexts of Use' are also points of evaluation." (Kaplan 1989, S. 613)
Nach Kaplan wäre also der Charakter eines logischen Eigennamen ,/J" so zu beschreiben: II a II (k) (i) = a für alle k und i im Definitionsbereich von II a II, wobei a allerdings nur im tatsächlichen Kontext ko und nicht unbedingt in den anderen möglichen Kontexten existieren muß. Hingegen läuft die Forderung, daß für eine Sprache nur solche Kontexte in Frage kommen, in denen diese Sprache auch existiert, für ihn darauf hinaus zu analysieren, wie die Ausdrücke der Sprache im jeweiligen Kontext zu ihrer Intensión und so auch zu ihrer Extension kommen; und diese Analyse rechnet er der Metasemantik, wie er es nennt, und nicht der Semantik, der sein Interesse gilt, zu. Diese Gleichsetzung leuchtet mir allerdings nicht ein. Unsere Unterscheidung zwischen rekursiver Semantik und empirischer Referenztheorie im Abschnitt 3.1 (S. 94) entspricht in etwa Kaplans Unterscheidung zwischen Semantik und Metasemantik. An dieser Stelle hatte ich den Unterschied und den Zusammenhang zwischen diesen beiden Aufgaben dargelegt. Danach wird die empirische Referenztheorie bei der rekursiven Semantik zwar vorausgesetzt. Doch heißt dies natürlich nicht, daß sich rekursive Semantik auf empirische Referenztheorie reduziert; die rekursive Semantik kann sich auf den empirischen Referenzbegriff stützen, auch ohne ihn aufzuklären. In der Tat sehe ich die Nixon-Geschichte anders. An der ersten und dritten der obigen Annahmen läßt sich nicht rütteln, da vorausgesetzt war, daß es um einen logischen Eigennamen geht, der einen nicht notwendigerweise existierenden Gegenstand bezeichnet. Doch verschwindet der Widerspruch auch dann, wenn man die vierte Annahme aufgibt und nur solche Welten als mögliche Kontextwelten für „Nixon" zuläßt, in denen das Wort „Nixon" mit seiner gegebenen Interpretation und damit auch der Gegenstand Nixon selbst existiert. Dieser Ausweg aus dem Dilemma ist nicht unplausibel. Gewiß sind logische Eigennamen seltsame Ausdrücke, und man kann sich schon darüber streiten, ob es sie in den natürlichen Sprachen überhaupt gibt oder ob sie nicht eine Erfindung der Philosophen sind. Wenn man aber einmal davon ausgeht, daß es sie gibt, daß es also Dinge gibt, mit denen ich unmittelbar bekannt bin und Uber die ich mich nicht täuschen kann, und daß ich 11
Das sind unsere Indizes.
3.4 Der Metaspracheneinwand
105
diesen Dingen einen Namen geben kann, was soll es dann heißen, solche Namen in Kontexten zu verwenden, in denen es diese Dinge weder gab noch gibt? Wenn ich diesen einen bestimmten Schmerz „Nixon" nenne, wie könnte eine Äußerung von „Nixon" in einer Welt, in der ich diesen Schmerz nie hatte oder habe, ihn bezeichnen? Mir scheint es hier viel plausibler zu sein zu sagen, daß in einem solchen Kontext eine Äußerung des Zeichens „Nixon" einfach nicht die Äußerung desselben Wortes im semantischen Sinne ist und nicht sein kann. Dieser Ausweg hat auch keine kontraintuitiven Konsequenzen. Denn es ist wichtig, sich klarzumachen, daß das Dilemma ausschließlich für absolute Namen entsteht, da wir nur für diese annehmen, daß das tatsächliche Denotat zur Bedeutung und so zum Wort selbst dazugehört. Die Forderung, daß die Charakterfunktion einer Sprache nur für solche Kontexte definiert ist, in denen die Sprache existiert, hat also nur bei einem absoluten Namen die weitergehende Konsequenz, daß in jeder möglichen Kontextwelt auch sein Denotat existieren muß. Aus dieser Konsequenz ist aber kein Einwand zu konstruieren, da wir später dafür argumentieren werden, daß gewöhnliche Eigennamen, ebenso wie Substanzwörter, keine absoluten, sondern versteckt indexikalische Ausdrucke sind. Hier wird schließlich eine weitere Meinungsverschiedenheit mit Kaplan und sogar ein Vorteil unseres Auswegs sichtbar. Gewöhnliche Eigennamen haben nach Kaplan ebenso einen konstanten Charakter wie logische Eigennamen. Und da natürlich für einen gewöhnlichen Eigennamen die zweite Annahme, daß sein Denotat a priori existiert, von vorneherein unplausibel ist, ist es für Kaplan nur konsequent, diese zweite Annahme durchweg fallen zu lassen. Mit dieser Gleichbehandlung von gewöhnlichen und logischen Eigennamen kann er jedoch der erkenntnistheoretischen Eigenart logischer Eigennamen nicht mehr gerecht werden; er kann den Unterschied nicht nachvollziehen, daß die apriorische Existenz des Denotats bei gewöhnlichen Eigennamen zu verneinen, bei logischen Eigennamen hingegen wegen der direkten Bekanntschaft mit dem Denotat zumindest plausibel ist. Bei uns wird sich dieser Unterschied hingegen im Unterschied zwischen versteckt indexikalischen und absoluten Eigennamen niederschlagen. Die analogen Betrachtungen gelten entsprechend auch für Prädikate. Sie zeigen, daß uns Kaplans ablehnende Haltung nicht zu verunsichern braucht; im Gegenteil, sie stützen eher unsere Annahme, daß als mögliche Kontexte für Äußerungen in einer gegebenen Sprache nur solche Kontexte zuzulassen sind, in deren Welt diese Sprache existiert.
3.4
Der Metaspracheneinwand
Kehren wir wieder zu unserer Definition des Charakters von „Wasser" zurück: II Wassero II (k) (i) = {jc I j*: besteht in w, aus der gleichen Flüssigkeit wie die Dinge, die in w* den kausalen Ursprung der deutschen „Wasser"-Rede bilden}.
106
3.
Prädikate
Hier fällt auf, daß in der Erläuterung der Bedeutung von „Wasser" das Wort „Wasser" selbst vorkommt. Gegen Bedeutungsregeln dieser Art gibt es einen Standardeinwand, dem wir uns als nächstes zuwenden müssen. Er besagt, daß solche Regeln darauf hinauslaufen, objektsprachliche Aussagen als metasprachliche Aussagen umzudeuten, und daß dies inadäquat sei; ich nenne diesen Einwand daher den Metaspracheneinwand. In unserem konkreten Fall sieht das Argument so aus: Wenn wir behaupten, daß „Wasser", grob gesagt, dasselbe bedeutet wie „das, was im Deutschen .Wasser' heißt", dann müßten wir auch sagen, daß ein Satz wie „Wasser ist gut gegen Durst" dasselbe bedeutet wie „Das, was im Deutschen , Wasser' heißt, ist gut gegen Durst". Ersteres ist jedoch, intuitiv gesehen, eine objektsprachliche Aussage Uber Wasser, zweiteres hingegen eine metasprachliche Aussage Uber „Wasser", und deshalb kann unsere Bedeutungserklärung nicht stimmen. Der Metaspracheneinwand findet sich schon bei Frege. In seiner „Begriffsschrift" von 1879 hatte er nämlich das Gleichheitszeichen noch als Relation zwischen Namen für Gegenstände analysiert (Frege 1879, §9), um auf diese Weise das Informativitätsproblem für Identitätsausssagen aufzulösen. Doch in „Über Sinn und Bedeutung" (1892) kritisiert er diese Analyse: „Was man mit a = b sagen will, scheint zu sein, daß die Zeichen oder Namen ,A" und „b" dasselbe bedeuten, und dann wäre eben von jenen Zeichen die Rede; es würde eine Beziehung zwischen ihnen behauptet. Aber diese Beziehung bestünde zwischen den Namen oder Zeichen nur, insofern sie etwas benennen oder bezeichnen. Sie wäre eine vermittelte durch die Verknüpfung jedes der beiden Zeichen mit demselben Bezeichneten. Diese aber ist willkürlich. Man kann keinem verbieten, irgendeinen willkürlich hervorzubringenden Vorgang oder Gegenstand zum Zeichen für irgendetwas anzunehmen. Damit würde dann ein Satz a = b nicht mehr die Sache selbst, sondern nur noch unsere Bezeichnungsweise betreffen; wir würden keine eigentliche Erkenntnis darin ausdrücken." (Frege 1892, S. 40f.)
In Putnam (1988) findet sich eine andere Version des Metaspracheneinwands: Wenn man - um für den Augenblick zu Putnams dortigem Beispiel Uberzugehen - sagt, daß „Ulme" „das, was im Deutschen ,Ulme' heißt" bedeutet, so müßte man auch behaupten, daß es analytisch wahr sei, daß eine Ulme das ist, was im Deutschen „Ulme" heißt. Putnam hält dies für absurd: „no philosopher ... has ever maintained that it is analytic that elms are called by the name ,elm"' (S. 27). Er meint, daß es für die Sprecher einer Sprache lediglich sehr wichtig, aber eben nicht analytisch sei, was in dieser Sprache wie heiße: „An important part of the purpose of the notion of meaning is precisely to abstract away from the phonetic shape of the name. To say that the phonetic shape of the name (,elm\ or ,Ulme\ or ,orme') is essential to the meaning is to confuse precisely what we want to abstract away from in meaning talk." (Putnam, 1988, S. 27)
Eine besonders häufig anzutreffende Konkretisierung des Metaspracheneinwands besagt, daß Sätze aus verschiedenen Sprachen gemäß ,metasprachlichen' Bedeutungstheorien nie bedeutungsgleich sein könnten und es insofern unmöglich wäre, eine Sprache in eine andere korrekt zu übersetzen - ein Ergebnis, das gewiß niemand ernsthaft verteidi-
3 .4 Der Metaspracheneinwand
107
gen wollte. Diese Konkretisierung nenne ich das Übersetzungsargument. Putnam (1988, S. 27) zieht es zur Verdeutlichung seines Standpunkts in der folgenden Form heran: Intuitiv gesehen bedeutet Satz (5) im Deutschen dasselbe wie Satz (6) im Englischen: (5) (6)
Ich trinke gerne Wasser. I like to drink water.
Gemäß unserer Definition des Charakters von „Wasser" wäre jedoch (5) als (7) zu analysieren und in Analogie dazu (6) als (8): (7)
Ich trinke gerne das, was im Deutschen ,Wasser' heißt.
(8)
I like to drink what is called ,water' in English.
Die englische Übersetzung von (7) ist aber nicht (8), sondern (9): (9)
I like to drink what is called ,Wasser' in German.
(9) ist offenbar nicht synonym mit (8); also bedeutet auch (7) nicht dasselbe wie (8), und somit ordnet unsere Bedeutungstheorie anscheinend auch (5) und (6) verschiedene Bedeutungen zu. Das Übersetzungsargument läßt sich auch mit dem ersten Einwand Putnams kombinieren: Wenn „Wasser" „das, was im Deutschen ,Wasser' heißt" bedeutet, dann müßte nicht nur „Wasser ist das, was im Deutschen , Wasser' heißt" eine analytisch wahre Aussage sein, sondern auch seine englische Übersetzung „Water is what is called , Wasser' in German". Dies scheint jedoch ein besonders absurdes Ergebnis zu sein, da man schwerlich behaupten kann, daß dieser Satz jedem kompetenten Sprecher des Englischen als wahr einleuchten muß. Das Übersetzungsargument kommt oft auch in individuell gewendeter Form vor und besagt dann, daß man Sprechern verschiedener Sprachen gemäß metasprachlichen Bedeutungstheorien nie die gleichen Überzeugungen zuschreiben kann: Wenn ein Sprecher des Deutschen (5) äußert, so würde man sagen wollen, daß er ceteris paribus damit den gleichen Gedanken ausdrückt wie ein Sprecher des Englischen, der (6) äußert; doch müßte man ihnen mit einer metasprachlichen Analyse die verschiedenen Gedankeninhalte (7) und (8) zuschreiben. Der Metaspracheneinwand gilt, insbesondere in seiner Konkretisierung durch das Übersetzungsargument, als durchschlagender Einwand gegen jeden Versuch, Bedeutungen von Ausdrücken unter Bezugnahme auf die Ausdrücke selbst zu erklären. 12 Insofern wurde diese vorderhand naheliegende Strategie zur Lösung des Informativitätsproblems kaum ernsthaft weiterverfolgt. Ich möchte jedoch im folgenden zeigen, daß die hier vertretene Analyse der Bedeutung von „Wasser" entgegen allem Anschein keine meta12 Es wird daher in der Regel auch nur sehr kurz und nebenhin abgehandelt. Vgl. neben Putnam (1988, S. 27) etwa Loar (1986, S. 101) und Salmon (1986, S. 72). E n e etwas ausführlichere Diskussion findet sich in Bürge (1979, S. 96-99).
108
3.
Prädikate
sprachliche Bedeutungstheorie ist, die von den geschilderten Einwänden getroffen würde. Sie impliziert nicht, daß ein Satz wie (5) als Aussage über „Wasser" und nicht über Wasser zu deuten ist. Sie macht deutlich, daß es keineswegs absurd, sondern im Gegenteil in einer Lesart sogar richtig ist, den Satz „Wasser ist das, was im Deutschen ,Wasser' heißt" - und ebenso seine englische Übersetzung „Water is what is called .Wasser' in German" - als analytisch wahre Aussagen zu verstehen. Und sie erlaubt nicht nur, sondern erklärt in gewisser Weise sogar, daß (5) und (6) synonym sind. Fangen wir mit Putnams ersten Punkt an. Wieso erscheint es Putnam so absurd, daß es analytisch sei, daß Wasser das ist, was im Deutschen „Wasser" heißt? Er nimmt dabei anscheinend wieder an, daß mit „Bedeutung" Intensionen gemeint seien; jedenfalls scheint er sich gegen die folgende Bedeutungsregel zu wenden: Eine Flüssigkeitsansammlung x liegt in der Welt w genau dann in der Extension von „Wasser", wenn x in w im Deutschen von w „Wasser" heißt. Eine solche Bedeutungsregel würde es zur wesentlichen Eigenschaft von Wasser machen, im Deutschen „Wasser" genannt zu werden: für jede Welt gälte, daß Wasser dort genau das ist, was im dortigen Deutschen „Wasser" heißt. Und das ist in der Tat absurd; es widerspricht ja gerade der Putnam zu verdankenden Einsicht, daß „Wasser" sich in jeder möglichen Welt auf dasselbe, nämlich auf H2O bezieht. Natürlich könnte es Welten geben, in denen der Ursprung der deutschen „Wasser"-Rede ein anderer ist als in der wirklichen Welt, etwa XYZ statt H2O. Ebenso könnte es Welten geben, in denen das Deutsche sich ganz anders entwickelt hat als in der wirklichen Welt und in denen die Deutschen Bier „Wasser" oder Wasser ganz anders nennen. Klar ist allerdings auch, daß das nicht unsere Beschreibung der Bedeutung von „Wasser" ist. Zwei Punkte sind hier ganz wesentlich: Der erste wichtige Punkt ist, daß wir in unserer Charakterdefinition nicht vom Deutschen in w, oder in w^ reden, sondern vom Deutschen, wie es tatsächlich zum betrachteten Zeitpunkt ist. Die deutsche Sprache ist ein komplexer und gewiß reichlich unscharf individuierter Gegenstand, der einer Entwicklung unterliegt, zu verschiedenen Zeiten also verschieden ist, und der in hohem Maße kontingent, in anderen möglichen Welten also anders ist. Die Charakterfunktion läßt sich allerdings sinnvoll nur als eine begreifen, die einen bestimmten, von vorneherein fixierten (Bedeutungs-)Zustand der deutschen Sprache beschreibt.13 In unserer Definition ist somit unter dem Deutschen ein solcher Zustand des Deutschen zu verstehen, der im Definiendum wie im Definiens als fester Parameter vorkommt und nicht an verschiedenen Indizes oder Kontexten betrachtet wird. Dies heißt insbesondere, daß wir, wenn wir vom Deutschen in anderen Kontexten reden, damit nicht das Deutsche, wie es sein könnte, sondern genau seinen vorneweg fixierten Zustand meinen. Dieser Punkt wird später erneut zum Tragen kommen. Ich erwähne ihn hier schon, weil er der Kritik an unserer Definition begegnet, die sich aus der Intuition speist, daß sprachliche Zeichen doch arbiträr seien; auf diese Intuition beruft sich ja auch das obige Zitat von Frege. Gewiß könnte die deutsche Sprache ein anderes Wort für Wasser und 13 E n Bedeutungswandel in der deutschen Sprache ist demnach durch eine zeitliche Änderung der Charakterfunktion zu beschreiben. Wir werden auf diesen Sachverhalt später noch einmal zu sprechen kommen (vgl. S.113f).
3.4 Der Metaspracheneinwand
109
„Wasser" für eine andere Sache verwenden. Aber der heutige tatsächliche Zustand des Deutschen könnte es nicht; er wäre sonst nicht der heutige tatsächliche Zustand. 14 Der zweite wichtige Punkt ist, daß gemäß unserer Regel Wasser in w, nicht das ist, was in w, im Deutschen im nunmehr präzisierten Sinne „Wasser" heißt, sondern das, was dem gleicht, was in w* am Ursprung der deutschen „Wasser"-Rede steht. Der Witz unserer Regel liegt ja gerade darin, daß wir damit sowohl Putnams Intuition erfassen, daß „Wasser" in dem Sinn ein starrer Designator ist, daß es sich in jeder möglichen Welt auf dieselbe Substanz bezieht, als auch seine Intuition, daß „Wasser" ein versteckt indexikalischer, also kontextabhängiger Ausdruck ist. Unsere Bedeutungsregel für „Wasser" sagt also keineswegs, daß es eine wesentliche Eigenschaft von Wasser ist, im gegebenen Zustand des Deutschen „Wasser" zu heißen; es könnte stattdessen das ununterscheidbare XYZ so heißen. Sie sagt nur, daß, wenn wir hier in dieser Welt von Wasser reden, Wasser in allen Welten mit dem identisch ist, von dem wir hier reden. Mit anderen Worten: Unserer Bedeutungsregel zufolge ist die Kennzeichnung „das, was im Deutschen , Wasser' heißt" referentiell und nicht attributiv zu deuten. In der attributiven Lesart wäre der Satz „Wasser ist das, was im Deutschen ,Wasser' heißt" in der Tat nicht analytisch. 15 In der referentiellen Lesart hingegen ist er analytisch - jedenfalls wenn unsere Beschreibung der versteckten Indexikalität von „Wasser" im Abschnitt 3.2 richtig ist. In dieser Lesart macht er nämlich nur die Kontextabhängigkeit von „Wasser" explizit und behauptet in jedem Kontext k nur die Selbstidentität dessen, was in k im Deutschen „Wassel" genannt wird. Wenn es also um die Intension von „Wasser" geht, so ist für sie das Wort „Wasser" selbst gar nicht wesentlich. Insofern trifft uns Putnams Vorwurf nicht, daß man doch nicht zum Bestandteil der Bedeutung machen dürfe, wovon man gerade abstrahieren wolle. Und die Fregesche Grundintuition des Metaspracheneinwands, daß man doch über die Sache und nicht über die Wörter reden wolle, bleibt bei uns unverletzt; in der referentiellen Lesart redet man mit „das, was im Deutschen ,Wasser' heißt" ebenso Uber die Sache wie mit „Wasser" selbst. Das härteste Argument gegen metasprachliche Ansätze ist zweifelsohne das Übersetzungsargument. Doch wird sich auch seine Überzeugungskraft mit der Aufklärung einiger versteckter Ambiguitäten auflösen; und wir werden schließlich zeigen können, daß der deutsche Satz (5) und der englische Satz (6) gemäß unserer Theorie tatsächlich synonym sind. Schauen wir uns dazu das Übersetzungsargument und die Sätze (5) - (9) noch einmal genau an. Eine erste Verwirrung rührt daher, daß in ihm zwei verschiedene Übersetzungsbegriffe durcheinander gehen. Unsere Frage war, ob (5) und (6) gleichbedeutend oder synonym sind. Im Rahmen unserer Theorie ist dabei der Begriff der Bedeutungsgleichheit oder Synonymie offenbar am sinnvollsten als Charaktergleichheit zu explizie-
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„Tatsächlich" ist hierbei natürlich indexikaiisch und nicht redundant zu verstehen.
Eine kleine Subtilität ist hierbei, daß Putnam genau genommen nicht von diesem Satz, sondern von dem Satz „Wasser heißt im Deutschen .Wasser'" spricht - siehe das erste der obigen Zitate. Putnams Satz ist nur mit der attributiven, aber nicht mit der referentiellen Lesart unseres Satzes äquivalent. Insofern hat Putnam uneingeschränkt recht, wenn er seinen Satz als nicht analytisch bezeichnet.
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3. Prädikate
ren. Folglich sind wir an Übersetzungen nur insoweit interessiert, als sie charaktererhaltend sind; Ausdrücke der einen Sprache sind in charaktergleiche Ausdrücke der anderen Sprache zu übersetzen. Wenn Putnam nun die unmittelbar einleuchtende Behauptung aufstellt, daß nur (9), aber nicht (8) eine Übersetzung von (7) sei, so verwendet er dabei allerdings einen anderen, strengeren Übersetzungsbegriff. Übersetzungen scheinen danach so etwas wie Carnaps intensionale Isomorphie 16 , erweitert auf die Charakterebene, also sozusagen eine charakteriale Isomorphie erfüllen zu müssen - was heißt, daß jeder Teilausdruck eines komplexen Ausdrucks der einen Sprache möglichst in einen charaktergleichen Teilausdruck der anderen Sprache zu Ubersetzen ist. 17 Legt man diesen schärferen Übersetzungsbegriff zugrunde, so hat Putnam recht; ,„ Wasser'" und „,water" 1 und ebenso „das Deutsche" und „English" haben ja nicht einmal dieselbe Extension, geschweige denn den gleichen Charakter. Aus diesem strengeren Kriterium allein läßt sich aber kein Strick für eine metasprachliche Bedeutungstheorie drehen; denn es läßt offen, ob (7) mit (8) nicht ebenso wie mit (9) im schwächeren Sinne synonym, d.h. charaktergleich ist. Man will ja auch nicht sagen, daß .Junggeselle" und „unverheirateter Mann" nicht synonym wären, bloß weil nur „Junggesellen sind neurotisch" die korrekte deutsche Übersetzung von „Bachelors are neurotic" ist, „unverheiratete Männer sind neurotisch" hingegen nur eine Paraphrase und keine Übersetzung. Doch auch wenn man von dem schärferen Übersetzungskriterium absieht, bleibt der Eindruck zurück, daß (8) und (9) nicht synonym sind. Hier kommt aber noch eine zweite, uns schon bekannte Verwirrung ins Spiel, nämlich die Ambiguität von referentieller und attributiver Lesart der Kennzeichnungen „what is called ,water' in English" und „what is called , Wasser' in German" in (8) und (9). Der Eindruck rührt zweifelsohne von der attributiven Lesart her. Legt man hingegen jeweils die referentielle Lesart an - und nur diese gibt unsere Theorie angemessen wieder - , so gerät die Intuition hinsichtlich des Verhältnisses von (8) und (9) ins Schwanken. So weit ging es mir nur darum, dem Übersetzungsargument seine vordergründige Schlagkraft zu nehmen. Die Frage der Synonymie von (6) mit (5) bzw. von (8) mit (7) oder (9), jeweils referentiell gelesen, ist allerdings immer noch offen. Daher will ich nun in einem zweiten Schritt zeigen, daß unsere Definition des Charakters von „Wasser" II Wasserp II (k) (i) = {x\ x besteht in w, aus der gleichen Flüssigkeit wie die Dinge, die in w;t den kausalen Ursprung der deutschen „Wasser"-Rede bilden}. und die ihr entsprechende Definition des Charakters von „water", nämlich
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Vgl. Carnap (1947), S. 56-64.
Im übrigen ist anzumerken, daß es in literarischen Übersetzungen nachgerade geboten ist, die direkte Rede in der einen Sprache in die direkte Rede in der anderen Sprache und mithin (7) gerade in (8) und nicht in (9) zu übersetzen. Dies zeigt, daß es noch ein anderes Kriterium für Übersetzungen gibt, nämlich die Gleichheit der Verstandnisanforderungen an die Leser der verschiedenen Sprachen.
3.4 Der Metaspracheneinwand
II waterg II (k) (i) =
111 I x besteht in w, aus der gleichen Flüssigkeit wie die Dinge, die in Wjt den kausalen Ursprung der englischen „water"Rede bilden}
dieselbe Funktion definieren und daß somit (5) und (6) charaktergleich sind. Zunächst einmal sieht es so aus, als ob aus den Überlegungen des vorangehenden Abschnitts folgte, daß die Charaktere von „Wasser" und „water" höchstens im gemeinsamen Definitionsbereich Ubereinstimmen können, nämlich in den Kontexten, in denen das Deutsche und das Englische existieren; nur bei Kontexten, in denen es sowohl die englische „water"-Rede als auch die deutsche „Wasser"-Rede gibt, läßt sich sinnvoll danach fragen, ob beide den gleichen kausalen Ursprung haben. Insofern scheint Charaktergleichheit von „Wasser" und „water" höchstens unter dieser zusätzlichen Einschränkung vorliegen zu können. Wir werden allerdings gleich sehen, daß diese Einschränkung in Wahrheit leer ist. Betrachten wir jedoch zunächst einmal nur solche Kontexte, in denen sowohl das Englische als auch das Deutsche existieren, und zwar, wie oben bereits betont, in der Weise, wie sie derzeit tatsächlich beschaffen sind. In der wirklichen Welt, davon gehen wir aus, bestehen die typischen Anwendungsfälle für das deutsche „Wasser" und das englische „water" aus der gleichen Substanz, nämlich aus H2O. Doch wir könnten uns täuschen. Es könnte sein, daß der kausale Ursprung von „Wasser" in einer anderen Substanz besteht als der von „water", daß sich also das Deutsche in gewisser Weise zum Englischen ebenso verhält wie zu Putnams fiktivem Zwillingsdeutschen. Indem wir die Möglichkeit einer solchen Täuschung zulassen, scheinen wir jedoch zuzugeben, daß es Kontextwelten gibt, in denen der kausale Ursprung der deutschen „Wasser"-Rede und der der englischen „water"-Rede verschieden sind. Daraus folgt weiter, daß „Wasser" und „water" verschiedenen Charakter haben. Haben wir uns damit selbst widerlegt? Nein; die Schlußkette ist fehlerhaft. Das heutige Verhältnis zwischen dem Deutschen und dem Englischen unterscheidet sich nämlich in einer wesentlichen Hinsicht von dem zwischen dem Deutschen und dem Zwillingsdeutschen in Putnams Geschichte. Dort war ja vorausgesetzt, daß zwischen Erde und Zwillingserde keinerlei Kontakt bestanden hatte, bevor eines Tages die irdischen Besucher mit ihrem Raumschiff auf der Zwillingserde landeten und dann herausfanden, daß die Flüssigkeit, die dort „Wasser" genannt wird, kein Wasser ist. Anders verhielte es sich, wenn der Kontakt zwischen Erde und Zwillingserde schon hergestellt worden wäre, lange bevor irgendjemand in der Lage war, H2O und XYZ zu unterscheiden. Wenn sich derweil ein kultureller Austausch zwischen Erde und Zwillingserde entwickelt hätte, so hätten sich im Lauf der Zeit die beiden kausal-intentionalen Komplexe des Deutschen und des Zwillingsdeutschen so weit verschränkt, daß auch XYZ-Ansammlungen zu paradigmatischen Anwendungsfällen des deutschen Wortes „Wasser" und umgekehrt ^O-Ansammlungen zu paradigmatischen Anwendungsfällen des zwillingsdeutschen „Wasser" geworden wären; das Deutsche und das Zwillingsdeutsche wären so, aufgrund ihrer sonstigen völligen Gleichheit, zu einer Sprache verschmolzen. Wenn man nun eines Tages entdeckt hätte, daß auf der Zwillingserde eine andere Substanz Russe und Seen füllt als auf der Erde, so hätte man daraus nur den Schluß gezogen, daß „Wasser" offenbar kein Substanzbegriff im eigentli-
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3. Prädikate
chen Sinne ist, sondern so funktioniert wie Putnams „Jade"-Beispiel: Wie „Jade" zwei verschiedene Materialen, nämlich Jadeit und Nephrit bezeichnet, so stünde dann „Wasser" für zwei verschiedene Substanzen, die eben im Universum in verschiedenen Gegenden vorkommen. Der springende Punkt ist nun, daß heute zwischen dem Deutschen und dem Englischen gerade ein solcher althergebrachter kultureller Austausch besteht. Wir übersetzen das englische „water" in das deutsche „Wasser" und umgekehrt. Und weil diese Übersetzungspraxis lange etabliert ist, ist unsere „Wasser"-Rede sozusagen an die englische „water"-Rede angekoppelt, sind die typischen Anwendungsfälle für das deutsche Wort „Wasser" um die Fälle erweitert, die für die Engländer typische Anwendungen für „water" sind; und vice versa. In dem problematischen Fall, wo die Substanz, die im Sprachgebiet des Englischen die Bedingungen der englischen „water"-Rede erfüllt, eine andere ist als die Substanz, die im Sprachgebiet des Deutschen die Bedingungen für die deutsche „Wasser"-Rede erfüllt, ergäbe sich also, daß sowohl „Wasser" wie „water" Uber zwei verschiedene Substanzen reden, aber eben beide über dieselben. 18 Daher dürfen wir schließen, daß die Charaktere von „Wasser" und „water" zumindest für die Kontexte, in denen beide Sprachen in der heutigen Weise existieren, dieselben Intensionen ergeben. Die eben angestellten Überlegungen mögen paradox wirken. Sie laufen ja auf die Behauptung hinaus, daß Synonymie im Sinne von Charaktergleichheit bei einer Übersetzung anfänglich gar nicht zu realisieren ist, sondern durch eine längere wechselseitige Übersetzungspraxis erst hergestellt wird. Aber genau besehen ist das keineswegs paradox. Es scheint mir vielmehr in der unausweichlichen Konsequenz von Putnams Beobachtung zu liegen, daß viele unserer Prädikate versteckt indexikalisch sind; und nur diesen gilt diese Behauptung. Nunmehr erweist sich auch die oben erwähnte Einschränkung als leer; der Charakter von „Wasser" und der von „water" haben nicht nur im gemeinsamen Definitionsbereich den gleichen Verlauf, sie haben auch denselben Definitionsbereich und sind mithin in der Tat identisch. Denn wir betrachten ja die deutsche „Wasser"- und die englische „water"Rede heute, also zu einem Zeitpunkt, zu dem sie seit langem ineinander übersetzt sind, zu dem also der am deutschen „Wasser" hängende kausal-intentionale Komplex und der am englischen „water" hängende schon längst zu einem einzigen verschmolzen sind. Das heißt aber, daß der heutige Zustand des Deutschen als solcher gar nicht ohne die Ankoppelung ans Englische existieren könnte und vice versa; in jedem Kontext, in dem das heutige Deutsch existiert, existiert mithin auch das heutige Englisch und vice versa. Diese Überlegungen machen schließlich auch klar, daß mit dem Satz „Wasser ist das, was im Deutschen ,Wasser' heißt" auch der Satz „Wasser ist das, was im Englischen ,water' heißt" analytisch wahr ist, jedenfalls in der referentiellen Lesart. Der intuitive Vorbehalt, den man dagegen verspüren mag, löst sich auf, wenn man sich klar macht, daß Analytizitat in einer Sprache hier nur Wahrheit allein aufgrund der Charakterfunktion für diese Sprache bedeutet und nicht heißt, daß jeder kompetenter Sprecher die Wahrheit
Die Symmetrie des Austauschs ist hierfür wesentlich. Wäre etwa nur das Englische ins Deutsche übersetzt, so wäre nur der deutsche Sprachgebrauch an den englischen angekoppelt, der englische aber nicht an den deutschen.
3.4 Der Metaspracheneinwand
113
eines analytischen Satzes gleich einsehen müßte; in der Tat würde man damit viel zu hohe Anforderungen an Sprachkompetenz stellen. Auf diesen wichtigen Punkt werden wir in den Abschnitten 3.8 und 3.9 noch ausführlich zurückkommen. Damit ist, so dürfen wir schlußfolgern, der Metaspracheneinwand in jeder Hinsicht entkräftet. Soll damit überhaupt bestritten werden, daß unsere Theorie als eine metasprachliche zu klassifizieren ist? Nein. Ihr metasprachlicher Charakter wird besonders deutlich, wenn wir unsere Explikation subjektiver Bedeutung, also die Diagonale statt wie bisher die gesamte Charakterfunktion betrachten. Denn gemäß der obigen Charakterdefinition läßt sich die Diagonale von „Wasser" ebenfalls grob als „das, was im Deutschen , Wasser' heißt" beschreiben. Darin bezieht sich „im Deutschen" wiederum fest auf den betrachteten Zustand des Deutschen; doch ist die Kennzeichnung ansonsten attributiv zu verstehen — die Diagonalisierung hat ja gerade den Effekt, referentiell in attributiv gelesene Kennzeichungen zu verwandeln. Und was wir für die referentielle Lesart erfolgreich bestreiten konnten, trifft nun auf die attributive Lesart zu: der kausal-intentionale Komplex des „Wasser"-Heißens einschließlich des Wortes „Wasser" selbst gehören nun zum Informationsgehalt und nicht bloß zu den kontextuellen Bedingungen der Kennzeichnung. Doch ist das als solches nicht zu beanstanden, sondern nur, wenn sich zeigen ließe, daß dieser metasprachliche Zug zu unerwünschten Konsequenzen führt; und diese haben wir so weit vollständig zurückgewiesen. Außerdem ist vorgreifend anzumerken, daß wir unsere endgültige Explikation von subjektiver Bedeutung nicht aus der obigen Charakterdefinition, sondern erst aus einer weiteren Modifikation im Abschnitt 3.9 herleiten werden, wenn wir uns nach der jetzigen Auseinandersetzung mit dem Informativitätsproblem dem Internalitätsproblem zuwenden. Dort können wir die metasprachliche Beschaffenheit dieser Explikation noch auf eine andere Weise begründen und auch die oben erwähnte individuell gewendete Variante des Übersetzungsarguments zurückweisen. In den nächsten beiden Abschnitten wollen wir uns aber erst überlegen, wie sich unsere Feststellungen Uber die Bedeutung von „Wasser" auf andere Prädikate verallgemeinern und übertragen lassen und wie sich mithin Substanzwörter von anderen Begriffen unterscheiden. Zuvor sei aber noch eine Beobachtung festgehalten, die sich an unsere obigen Überlegungen unmittelbar anschließt. Für unsere Widerlegung des Übersetzungsarguments war es j a ganz wesentlich, daß wir darin auf das heutige Deutsch und das heutige Englisch Bezug genommen haben; sie hätte nicht funktioniert, wenn wir einen Zeitpunkt betrachtet hätten, zu dem das Deutsche vom Englischen, so wie vom Zwillingsdeutschen, getrennt war - wenn es je einen solchen Zeitpunkt gegeben hat. Hieran zeigte sich noch einmal die schon auf S. 108 festgestellte Notwendigkeit, die Charakterfunktion für eine Sprache jeweils auf einen bestimmten Zeitpunkt (und auf eine bestimmte mögliche Welt) zu relativieren, auch wenn wir diese Relativierung in der Notation unterschlagen haben. Daraus ergibt sich dann die Möglichkeit, Bedeutungswandel durch eine zeitliche Änderung der Charakterfunktion zu beschreiben. Bedeutungswandel ist nicht unser Thema; aber da es ein interessantes Thema wäre, möchte ich wenigstens zwei Aspekte anmerken, die sich hier für versteckt indexikalische Substanzwörter ergeben:
114
3.
Prädikate
Erstens haben unsere Überlegungen klar gemacht, daß sich der Charakter eines solchen Substanzworts gewissermaßen schon durch Reisen verändert, das heißt durch einen erweiterten Weltbezug der fraglichen Sprachgemeinschaft; denn dadurch verändert sich einfach die Gesamtheit der paradigmatischen Anwendungsfälle. Zweitens ist klar, daß der Charakter eines Substanzworts sich dadurch verändert, daß sich das einschlägige Unterscheidungsvermögen in der Sprachgemeinschaft verfeinert (oder auch verliert). Nehmen wir etwa an, daß sich H2O und XYZ erst durch Elektrolyse und durch keine vorher bekannte Methode unterscheiden lassen. Fürs Deutsche Do vor der Entdeckung der Elektrolyse kann man sich also mögliche Kontexte vorstellen, in denen die Deutschen aus irgendwelchen Gründen ab einem bestimmten Zeitpunkt massiv mit XYZ-Ansammlungen in Berührung kommen. Diese XYZ-Ansammlungen werden dann unter der Hand zu paradigmatischen Anwendungsfällen von „Wasser". Und somit bezeichnet „Wasser" in Do in einem solchen Kontext beide Substanzen. Das Deutsche Di nach der Entdeckung der Elektrolyse kann man ebenfalls in solche Kontexte bringen. Da aber nun das Verhalten unter der Elektrolyse zu einem von mehreren Kriterien für paradigmatische Anwendungsfälle von „Wasser" geworden ist - was nicht heißt, daß es eine analytische Bedingung für Wasser ist - , können all die neuen XYZ-Ansammlungen dort nicht mehr unter die paradigmatischen Anwendungsfälle von „Wasser" geraten. Und somit bezeichnet „Wasser" in Di auch in einem solchen Kontext nur H2O und nicht XYZ. Der Charakter unserer versteckt indexikalischen Substanzwörter hängt also zumindest davon ab, wie die Ausdehnung unseres Weltbezugs und die Verfeinerung unseres Unterscheidungsvermögens ineinandergreifen. Ganz sicherlich wird unser Unterscheidungsvermögen dabei auch von unserer wissenschaftlichen Theoriebildung bestimmt. Dies gibt noch zu einer letzten wissenschaftstheoretischen Anmerkung Anlaß: Ein wesentliches Anliegen von Putnam (1979) lag ja darin, von einer empiristischen oder operationalistischen zu einer realistischen Wissenschaftsphilosophie zurückzukehren. Dazu begründet er ausführlich an immer wieder neuen Beispielen, daß sich die Bedeutung vieler wissenschaftlicher und anderer Begriffe entgegen anderen Lehren nicht ändern, selbst wenn sich unsere Theorien über die von diesen Begriffen bezeichneten Dinge verändern. Diese Begründung scheint mittlerweile weitgehend akzeptiert zu sein. Heißt dies aber, daß die von Putnam kritisierten Autoren 19 sich einfach geirrt haben, daß die Meinung, die Bedeutung wissenschaftlicher Begriffe hänge von den sie enthaltenden Theorien ab, einfach falsch ist? Nicht unbedingt. Denn wenn Putnam von Bedeutung redet, so meint er Intension; und dann haben auch wir ihm recht gegeben. Aber wenn man in der angegriffenen Meinung unter Bedeutung Charakter - oder auch die Diagonale des Charakters, die wir ja mit der subjektiven Bedeutung identifizieren - versteht, so hätte er nicht mehr recht; denn wenn die obigen Beobachtungen stimmen, ändert sich der Charakter eines Substanzworts sehr wohl, auch wenn seine Intension unverändert bleibt. Ich will nicht analysieren, ob die Philosophen, die Putnam kritisiert, einen solchen Ausweg im Sinn gehabt haben oder akzeptieren könnten; aber ich wollte wenigstens anmer-
19 Putnam (1979) nennt selbst keine Namen, doch ist klar, daß er vor allem den logischen Empirismus, wie ihn Rudolf Carnap und viele andere vertreten haben, aber auch Positionen wie die von Thomas Kuhn und von Paul Feyerabend kritisieren möchte.
3.5
Wesentlichkeitskonventionen
und versteckte
Indexikalität
115
ken, daß unser Rahmen eine Möglichkeit eröffnet, die entgegengesetzten Positionen in dieser wichtigen Frage vereinbar zu machen.
3.5
Wesentlichkeitskonventionen und versteckte Indexikalität
So weit haben wir unsere im Abschnitt 3.1 gewonnene Definition des Charakters von „Wasser" im Deutschen erläutert und verteidigt. In diesem und im nächsten Abschnitt soll diskutiert werden, inwieweit sich die „Wasser"-Beobachtungen auf andere Prädikate verallgemeinern lassen. Fassen wir dazu unsere Beobachtungen noch einmal kurz zusammen. Wir hatten zwei Faktoren ausgemacht, die die Intension des deutschen Wortes „Wasser" bestimmen: zum einen die „Wasser"-Rede des Deutschen und zum anderen die Beschaffenheit der Welt. Die „Wasser"-Rede des Deutschen - zu einer bestimmten Zeit t grenzt die Intension von „Wasser" dadurch ein, daß sie fixiert, welche Dinge in einer Kontextwelt w^ als typische Anwendungsfälle von „Wasser" im Deutschen gelten. Zum heutigen Zeitpunkt etwa bestehen die Kriterien für typische Anwendungsfälle von „Wasser" nicht nur darin, daß sie unter bestimmten Bedingungen durchsichtig, flüssig und durstlöschend sind, sondern auch darin, daß sie sich bei Elektrolyse wie H2O verhalten; „Wasser" könnte sich im heutigen Deutsch weder auf Bier, noch auf Speiseeis, noch auf neue XYZ-Ansammlungen beziehen. In gewisser Weise liefert die deutsche „Wasser"Rede also so etwas wie einen deskriptiven Gehalt von „Wasser"; dieser deskriptive Gehalt ist jedoch nicht als Intension zu rekonstruieren, sondern als Bedingung an mögliche Charakterfunktionen für „Wasser". Innerhalb der so gezogenen Grenzen ist dann die Intension von „Wasser" erst mit der Beschaffenheit der Welt, eben mit der tatsächlichen Art der Flüssigkeit, aus denen die typischen Anwendungsfälle von „Wasser" bestehen, vollends festgelegt. Und gerade weil da noch ein echter Spielraum für Variationen bleibt, ist „Wasser" versteckt indexikalisch. Daß dieser Spielraum besteht, haben wir mit Putnam immer als intuitiv einleuchtend angenommen. Der Frage, wo er herrührt, sind wir noch nicht nachgegangen. Die pauschale Antwort ist natürlich, daß auch er in der Bedeutung von „Wasser" im Deutschen, in der deutschen „Wasser"-Rede begründet liegt. Doch haben wir den Aspekt, der dafür zuständig ist, bisher noch nicht hervorgehoben: der Spielraum rührt ja offenbar daher, daß die deutsche „Wasser"-Rede Annahmen darüber enthält, welche Art von Eigenschaften wesentlich dafür sind, Wasser zu sein, daß es physikalische Struktur- und nicht etwa Oberflächeneigenschaften sind, die darüber entscheiden, ob etwas Wasser ist oder nicht, daß also, kurz gesagt, „Wasser" im Deutschen ein Substanzwort ist; diesen Aspekt wollen wir die deutsche Wesentlichkeitskonvention für „Wasser" nennen. Genauer gesagt, rührt der Spielraum daher, daß die deutsche Wesentlichkeitskonvention für „Wasser" nur festlegt, welche Art von Eigenschaft für Wasser wesentlich ist - nämlich seine physikali-
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3. Prädikate
sehe Struktur und es der Welt Uberläßt, welche Eigenschaft dieser Art es am Ende ist zum Beispiel H2O. Mithin sind es zwei Aspekte der deutschen „Wasser"-Rede, die den Charakter von „Wasser" festlegen. Zum einen bestimmt sie für jede Kontextwelt, welche Dinge darin als typische Anwendungsfälle von „Wasser" gelten können. Zum andern wird durch die deutsche Wesentlichkeitskonvention für „Wasser" aus diesen typischen Anwendungsfällen in der Kontextwelt eine Intensión, d.h. für jede Indexwelt eine Extension projiziert. In der Tat scheint für jedes Prädikat eine solche Wesentlichkeitskonvention bestehen zu müssen, die seine kontextabhängige oder -unabhängige Intensión festlegt und die sich insofern unmittelbar in seinem Charakter niederschlägt. Diese Beobachtung legt das folgende allgemeine Schema für den Charakter von einstelligen Prädikaten im Deutschen nahe20: II P IId (k) (1) = {x \ x hat in w¡ die Eigenschaften, die gemäß der deutschen Wesentlichkeitskonvention für „Pl in w^für das P-Sein der Gegenstände wesentlich sind, auf die im Deutschen in vv¿typischerweise „P" angewandt wird}. Es ist nur umständlich, aber nicht schwierig, dieses Schema auf mehrstellige Prädikate zu übertragen. Natürlich ist dieses Schema für sich genommen inhaltsleer und zirkulär. Denn einerseits soll der Charakter von „P" für den Kontext k die von ,J>i in k ausgedrückte Eigenschaft liefern; andererseits ist im Definiens von dieser Eigenschaft gerade unter dieser Bezeichnung die Rede. Außerdem gehört diese Eigenschaft selbst zu den für sie wesentlichen Eigenschaften. Davon wird das Schema allerdings nicht entwertet. Inwiefern seine Spezialisierung für „Wasser" informativ ist, hatten wir schon gesehen. Auch im folgenden, wenn es darum geht, seine Tragweite zu erläutern und anhand anderer Beispiele zu konkretisieren, wird es sich als nützliche Richtschnur erweisen. Zunächst bedarf es allerdings einer terminologischen Präzisierung. Unser Gebrauch von „wesentlich" im obigen Schema ist nämlich nicht ganz der übliche. In der Tat sind drei verschiedene Verwendungen von „wesentlich" zu unterscheiden. In der ersten üblichen Verwendung steht es für eine Relation zwischen Gegenständen und Eigenschaften: Eine Eigenschaft Q ist für einen Gegenstand a genau dann wesentlich, wenn a ohne Q nicht existieren könnte, wenn also der Satz „wenn a existiert, so hat a die Eigenschaft Q" notwendig wahr ist. Man redet auch davon, daß ein Gegenstand durch seine wesentlichen Eigenschaften konstituiert wird. Zum Beispiel sind für jeden einzelnen Menschen sowohl sein Mensch-Sein als auch die Eigenschaft, die biologischen Eltern zu haben, die er hat, wesentlich.
20 Nunmehr wird der Index ,JD" fürs Deutsche an der Charakterfunküon selbst angebracht. Dies ist auch korrekt; wir wollen ja letztlich die Charakterfunktion für die gesamte deutsche Sprache oder einen Zustand derselben erklären. Da es sich bisher nur um einige Wörter drehte, ging es noch an, ihre Sprachzugehörigkeit durch einen Index an ihnen selbst zu markieren.
3.5
Wesentlichkeitskonventionen
und versteche
Indexikalität
117
Zum zweiten wird „wesentlich" als Eigenschaft von Eigenschaften verwandt: Eine Eigenschaft Q ist genau dann wesentlich, wenn sie für jeden möglichen Gegenstand, auf den sie zutrifft, wesentlich ist, wenn also der Satz , jedes Q ist notwendigerweise Q' notwendig wahr ist. Zum Beispiel ist Mensch-Sein eine wesentliche Eigenschaft; jeder auch nur mögliche Mensch ist notwendigerweise ein Mensch. Wesentliche Eigenschaften in diesem Sinne heißen auch konstitutiv; sie konstituieren Gegenstände. Die erste Verwendung würde sich auf die zweite reduzieren, wenn nur wesentliche Eigenschaften für einen Gegenstand wesentlich sein können. Ob dem aber tatsächlich so ist oder ob es vielmehr Eigenschaften gibt, die auf manche ihrer Instantiierungen notwendigerweise und auf andere nur kontingenterweise zutreffen, können wir hier offen lassen. In der obigen allgemeinen Charakterdefinition für Prädikate liegt jedoch keine dieser beiden Bedeutungen von „wesentlich" vor. Vielmehr haben wir darin „wesentlich" auf eine dritte Weise, nämlich als Relation zwischen Eigenschaften verwandt: Die Eigenschaft Q ist genau dann für die Eigenschaft P wesentlich, wenn ein Gegenstand nur dann P sein kann, wenn er auch Q ist, wenn also der Satz „jedes P ist Q' notwendig wahr ist. Daß es fürs Wasser-Sein wesentlich ist, aus H2O zu bestehen, heißt also nichts anderes, als daß nichts Wasser sein kann, was nicht die Molekularstruktur H2O hat. Wenn Q für P und P für Q wesentlich ist, dann und nur dann dürfen wir davon reden, daß es sich bei P und Q um dieselbe Eigenschaft handelt. Insofern also fürs Wasser-Sein nichts weiter wesentlich ist, als aus H2O zu bestehen, ist Wasser-Sein und Aus-H^-Bestehen ein und dieselbe Eigenschaft. Im Falle von Wasser bzw. H2O treffen zwei Begriffe von Wesentlichkeit zusammen. Zum einen ist es fürs Wasser-Sein wesentlich, aus H2O zu bestehen. Zum anderen ist das Aus-H20-Bestehen eine wesentliche Eigenschaft schlechthin; keine einzelne Wasseroder H20-Ansammlung könnte existieren, ohne aus H2O zu bestehen. Dieses Zusammentreffen hat, wie wir noch sehen werden, für eine beträchtliche Verwirrung gesorgt. Doch ist es nur zufällig und ganz nebensächlich. Zum Beispiel ist es vorderhand plausibel - wir werden darauf zurückkommen - , daß es fürs Junggeselle-Sein wesentlich ist, männlich und unverheiratet zu sein. Und auch wenn jeder einzelne Junggeselle wesentlich männlich ist, so ist er doch nicht wesentlich unverheiratet und Junggeselle; unverheiratet oder ein Junggeselle zu sein, sind eben keine wesentlichen Eigenschaften. Ebenso ist es in unserer Welt dafür, an Masern zu leiden, wesentlich, mit einem bestimmten Virus infiziert zu sein. Doch ist es keine wesentliche Eigenschaft, an Masern zu leiden - was sich auch daran zeigt, daß jeder, der es tut, es im Laufe seiner Existenz nur für kurze Zeit tut. Als nächstes ist die Wesentlichkeitskonvention für „Wasser" noch genauer zu beschreiben, auch zwecks weiterer Veranschaulichung dieses Begriffs. Wir hatten gesagt, daß sie festlegt, daß in jedem Kontext k die fürs Wasser-Sein wesentlichen Eigenschaften Struktureigenschaften sind; der Charakter von „Wasser" ordnet dann jedem Kontext k und jedem Index i die Menge derjenigen x aus w, zu, die die gleiche materielle Struktur haben wie die typischen Anwendungsfälle von „Wasser" in wk- Diese Formulierung scheint vorauszusetzen, daß die typischen Anwendungsfälle von „Wasser" in w¿ tatsächlich von einer bestimmten materiellen Beschaffenheit sind, da man sonst gar nicht von der gleichen Struktur sprechen könnte. Doch was ist, wenn diese Voraussetzung nicht
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3. Prädikate
erfüllt ist? Es ist j a sicherlich nicht so, daß „Wasser" in einem solchen Kontext als sinnlos zu betrachten wäre. Vielmehr reagiert die deutsche Wesentlichkeitskonvention für „Wasser", wie wir sie hier verstehen, in solchen Fällen flexibel und paßt ihre Annahmen so weit wie möglich der neuen Situation an. Zwei Fälle, die auch Putnam (1979), S. 5557, schon kurz diskutiert, lassen sich hier unterscheiden. Zum einen können die Annahmen der Wesentlichkeitskonvention für „Wasser" insofern verletzt sein, als die typischen Anwendungsfälle nicht von einer einheitlichen Struktur sind, sondern in zwei oder auch mehr Arten zerfallen, die sich jeweils durch eine andere interne Struktur auszeichnen. Zum Beispiel hätte sich herausstellen können, daß Wasser sowohl als H2O wie als X Y Z vorkommt. Oder wir können uns einen Kontext vorstellen, in d e m die weitere Entwicklung der Physik zeigt, daß es zwei verschiedene Arten von H 2 0 - A n s a m m l u n g e n gibt. 2 1 Im ersten Beispiel gäbe es dann zwei Sorten Wasser. Und im zweiten Beispiel wäre es zwar nach wie vor fürs Wasser-Sein wesentlich, aus H2O zu bestehen; aber es gäbe dann zwei Sorten von H2O und insofern auch von Wasser. Die nächstliegende Modifikation der Annahme, daß Wasser eine Substanz ist, ist dann, d a ß es eben aus zwei Substanzen besteht. Und die deutsche Wesentlichkeitskonvention für „Wasser" würde dann sagen, daß Wasser sich eben durch eine disjunktive wesentliche Eigenschaft auszeichnet, daß es also fürs Wasser-Sein wesentlich ist, aus der einen oder der anderen oder beiden Substanzen zu bestehen. Genau dieses scheint in dem von Putnam erwähnten Fall von „Jade" (vgl. Putnam 1979, S. 56) geschehen zu sein, als man entdeckte, daß die typischen Anwendungsfälle von „Jade" in zwei Klassen ganz verschiedener Mineralien zerfielen, nämlich in Jadeit und Nephrit. Zum anderen - und das ist die drastischere Verletzung der in der Wesentlichkeitskonvention f ü r „Wasser" liegenden Annahmen - könnte der Kontext so sein, daß die typischen Anwendungsfälle von „Wasser" überhaupt keine einheitliche oder in einige Klassen zerlegbare materielle Struktur aufweisen. Das Chaos hätte unmittelbar unterhalb der Oberflächenmerkmale von Wasser ausbrechen können. Dann würde die Wesentlichkeitskonvention für „Wassef" vermutlich diese oberflächlichen Eigenschaften für die wesentlichen Eigenschaften von Wasser erklären. Oder es könnten sich die subatomaren Verhältnisse als total chaotisch herausstellen. Dann wäre es gemäß der Wesentlichkeitskonvention fürs Wasser-Sein zwar nach wie vor wesentlich, aus Wasserstoff- und Sauerstoffatomen zu bestehen; doch wären dann Wasserstoff und Sauerstoff selbst keine Substanzen und nur durch ihre chemischen Eigenschaften wesentlich charakterisiert. Mit all diesen Beispielen und Erwägungen soll demonstriert werden, daß die deutsche Wesentlichkeitskonvention für „Wasser" nicht darauf angewiesen ist, daß sich ihre Annahme, Wasser sei eine einzige Substanz, als richtig herausstellt. Vielmehr sind in dieser Konvention verschiedene, mehr oder weniger entlegene Rückfallpositionen eingeschlossen, die j e nach den kontextuellen Erfordernissen mobilisiert werden. In der obigen allgemeinen Charakterdefinition soll sich diese Vielfalt an Reaktionsmöglichkeiten darin verstecken, daß dort von den Eigenschaften die Rede ist, die gemäß der deutschen Wesentlichkeitskonvention in Huflars P-Sein wesentlich sind. Natürlich wird es für immer
In gewisser Weise wird diese Möglichkeit ja durch die Entdeckung von Isotopen realisiert.
3.5
Wesentlichkeitskonventionen
und versteckte Indexikalität
119
merkwürdigere Kontexte zunehmend vage und spekulativ, wie die Deutschen mit ihren Wesentlichkeitskonventionen darauf reagieren würden. Das tut unseren Ausführungen allerdings keinen Abbruch; wir haben in Bezug auf unsere Wesentlichkeitskonventionen einschließlich ihrer Rückfallpositionen in einem beträchtlichen Maße klare Intuitionen. Was ergibt sich nun aus dem obigen allgemeinen Schema in Bezug auf die versteckte Indexikalität von Prädikaten? In abstracto ist die Sachlage relativ klar. Da gemäß dem obigen Schema die Abhängigkeit vom Kontext k nur über die Kontextwelt w* entstehen kann, kommt Indexikalität darin nur als versteckte vor. 22 Demnach ist ein Prädikat genau dann versteckt indexikalisch, wenn sein Charakter ihm in einen Index bei zwei verschiedenen Kontextwelten zwei verschiedene Extensionen zuweist; der Nachweis der versteckten Indexikalität läuft letztlich immer Uber ein Beispiel für eine solche Sachlage. Unsere obigen Erläuterungen legen nahe, daß diese Situation genau dann vorliegt, wenn die für das Prädikat bestehende Wesentlichkeitskonvention nicht schon von sich aus all die Eigenschaften, die für die von ihm ausgedrückte Eigenschaft wesentlich sind, sondern nur die Art solcher Eigenschaften festlegt und es mithin der Kontextwelt überläßt, welche Eigenschaften dieser Art tatsächlich die wesentlichen sind. Dies ist in der Tat richtig. Bloß darf man es nicht so verstehen, daß die Wesentlichkeitskonvention immer nur über die Art der wesentlichen Eigenschaften Auskunft gibt. Zum Beispiel ist es sicherlich analytisch, daß Füchsinnen Füchse (im geschlechtsneutralen Sinne) sind; die Wesentlichkeitskonvention für „Füchsin" legt dies also schon von sich aus ohne Zutun des Kontexts und somit für alle Kontexte fest. Das Beispiel läßt sich noch verstärken: Es erscheint plausibel anzunehmen, daß es analytisch ist, daß Füchsinnen genau die weiblichen Füchse sind; in diesem Fall legt die Wesentlichkeitskonvention mithin von sich aus schon nicht nur notwendige, sondern auch hinreichende Bedingungen für „Füchsin" fest. Gleichwohl hat die Bestimmtheit der Wesentlichkeitskonvention in beiden Beispielen offenkundig nicht die Folge, daß „Füchsin" nicht indexikalisch wäre. Im Gegenteil, es sind eben auch die Prädikate „Fuchs" und „weiblich" versteckt indexikalisch. Und weil das so ist, verträgt sich im einen Fall die Indexikalität von „Füchsin" mit der analytischen Wahrheit von „Füchsinnen sind Füchse", während im andern Fall aus der analytischen Äquivalenz von „Füchsin" und „weiblicher Fuchs" die Indexikalität von „Füchsin" sogar zwingend folgt. 23 Die Indexikalität eines Prädikats verliert sich mithin erst dann, wenn eine Äquivalenz der Form „alle und nur die Ps sind Q" analytisch wahr ist und wenn das mehr oder weniger komplexe Prädikat „Q" dabei die von ihm ausgedrückte Eigenschaft selbst in mc/i/-indexikalischer Weise bezeichnet, wenn also die Wesentlichkeitskonvention für „P" 22
Doch heißt das nur, daß wir mit diesem Schema offen indexikalische Prädikate wie „vergangen" oder .Einheimischer" etc. nicht betrachten. 23
Allgemein ist festzuhalten, daß aus der Analytizität der universellen Implikation „alle P sind Q" und der Indexikalität oder Nicht-Indexikalität des einen Prädikats nichts über die Indexikalität oder Nicht-Indexikalität des anderen Prädikats folgt. Wenn wir zum Beispiel davon ausgehen, daß es analytisch ist, daß Haferflocken gerade flach gepreßte Haferkörner sind, so ist es auch analytisch, daß Haferflocken flach sind. Gleichwohl ist dann „Haferflocke" indexikalisch, weil „Haferkorn" indexikalisch ist, und „flach" absolut, weil solche direkt wahrnehmbaren Formen keine verborgene Natur haben. Für den umgekehrten Fall, in dem „P" absolut und „ß" indexikalisch ist, habe ich allerdings kein Beispiel gefunden.
120
3.
Prädikate
für sich allein schon alle fürs P-Sein wesentlichen Eigenschaften festlegt. Dies ist jedenfalls bei mathematischen Prädikaten wie z.B. „Primzahl" der Fall, aber auch bei geometrischen Prädikaten wie „dreieckig", die auch auf empirische Gegenstände Anwendung finden; daß viele Beispiele durchaus problematisch sind, werden wir später noch sehen. Wenn die Wesentlichkeitskonvention für „P" in dieser Weise spezifisch ist und ,,P' absolut macht, so müßte sich aus dem obigen Charakterschema auch die Bezugnahme auf die Kontextwelt w* herauskurzen. Dies ist in der Tat der Fall. Denn erstens ist es dann nicht nötig, darin die Berufung auf die Wesentlichkeitskonvention für „P* auf w* zu relativieren. Und zweitens läuft dann die Bezugnahme auf die typischen Anwendungsfälle von „P" leer; die typischen Anwendungsfälle von sind dann einfach Gegenstände, die die Eigenschaft P haben, und haben nicht mehr die regulative Funktion, daß an ihnen das Wesen von Ps vollends zu ermitteln wäre.24»25
3.6
Andere Beispiele
Der letzte Abschnitt enthielt so weit reichlich abstrakte Feststellungen, die uns für konkrete Einzelfälle eine gewisse Leitlinie, aber letztlich doch nur eine begrenzte Hilfestellung liefern. Allerdings führt uns die Diskussion von Einzelfällen leicht ins Uferlose: weil die Wesentlichkeitskonventionen vielgestaltig sind und so immer neue Betrachtungen erfordern, weil sie aber auch oft vage und unbestimmt sind und so die Diskussionen nicht zu einer Entscheidung kommen lassen, und weil die Prädikate vernetzt sind und man so von den Wesentlichkeitskonventionen für die einen auf die der anderen verwiesen wird. Zudem tritt man mit den interessantesten Beispielen, etwa mit phänomenalen oder anderen psychologischen Prädikaten, in philosophisch ganz umstrittene Gebiete ein. Daher will ich, nachdem wir mit „Wasser" ein Substanzwort schon ausführlich besprochen haben, nur kurz auf andere, philosophisch eher unverfängliche Beispiele eingehen. Daß Substanzwörter, deren wesentliche Eigenschaften gerade in ihrer inneren materiellen Struktur liegen - Putnams Standardbeispiele sind physikalische Substanzwörter wie 24
Daraus folgt, daß die im Abschnitt 3.3 diskutierte Einschränkung des Definitionsbereichs des Charakters bei absoluten Prädikaten, aber auch nur bei ihnen, nicht nötig ist; ihre Wesentlichkeitskonvention legt dann die Intension auch für Kontexte fest, in denen die betrachtete Sprache nicht existiert. 25 Hier schließt sich noch eine interessante Folgerung aus dem obigen Charakterschema an, nämlich daß es bei einem versteckt indexikalischen Prädikat ,/*' zum deutschen Apriori gehört, d.h. in allen Kontexten, in denen das Deutsche existiert, wahr ist, daß die meisten der Anwendungsfälle von d.h. die meisten der Dinge, von denen die Deutschen glauben, sie seien P, auch tatsächlich P sind; nur das kann ja das Ergebnis dieser regulativen Funktion der Anwendungsfälle von ,/*' sein. Diese nicht unplausible Folgerung überträgt sich allerdings nicht auf nicht-indexikalische Prädikate, für die man sie vielleicht noch eher erwartet hätte. Davidson (1983) kommt zu sehr ähnlichen Schlußfolgerungen, allerdings auf ganz anderem Wege, nämlich mittels seiner Interpretationstheorie und dem dafür wesentlichen sogenannten .Principle of Charity'. Wie sich meine Argumentation zu der Davidsons verhält, sei hier nicht weiter untersucht.
3.6
Andere Beispiele
121
„Wasser", „Gold" und „Aluminium", biologische Substanzwörter wie „Tiger", „Katze", „Buche" und „Zitrone", aber auch Verben wie „wachsen" - , allesamt versteckt indexikalisch sind, scheint allgemein akzeptiert zu sein. Und zu Recht. Ein Substanzwort „P" wäre nämlich nur dann nicht indexikalisch, wenn die Wesentlichkeitskonvention für „P" die fürs P-Sein wesentlichen internen Struktureigenschaften bereits vollständig formulieren würde. Dies aber hieße, daß die exakte Kenntnis der fürs P-Sein wesentlichen Eigenschaften zum Bestandteil der deutschen „P"-Rede geworden sein müßte; und das bedeutete wiederum, daß die deutsche Sprachgemeinschaft sich im Besitz letztgültigen Wissens Uber die Beschaffenheit von Ps befinden müßte. Doch ist dies nicht der Fall; über die Beschaffenheit der Welt können wir uns womöglich immer täuschen, und jedenfalls nähern wir uns ihr mit unseren wissenschaftlichen Theorien nur immer weiter an, ohne je sicher sein zu können, sie vollständig erfaßt zu haben. Darüber, wie weit sich die versteckte Indexikalität Uber Substanzwörter hinaus erstreckt, findet man hingegen in der Literatur wenig Übereinstimmung. 26 Putnam selbst hat da eine extreme Position inne; er reklamiert für fast alle Prädikate versteckte Indexikalität. Insbesondere behauptet er, daß auch Wörter, die Artefakte bezeichnen, - wie „Bleistift", „Tisch", „Teller" - indexikalisch sind (1979, S. 57). Überlegen wir uns, ob wir diese Behauptung in unserem Rahmen nachvollziehen können, indem wir Putnams Argumente für die Indexikalität von „Bleistift" betrachten - das Beispiel, das er am ausfuhrlichsten diskutiert (S. 57-59). Putnam nimmt zunächst an, daß das Gegenteil von versteckt indexikalischen Prädikaten Prädikate sind, die sich Uber eine Konjunktion (oder ein Bündel) von Eigenschaften definieren lassen, die also mit einer Beschreibung synonym sind; er spricht hier auch von monokriterialen Wörtern. Außerdem nimmt er an, daß sich nur fUr monokriteriale, nicht aber für versteckt indexikalische Prädikate analytische Äquivalenzen formulieren lassen, also allgemeine Aussagen der Form „Ps sind ßs", die nicht nur notwendig, sondern auch a priori sind (er spricht hier von metaphysischer und von epistemischer Notwendigkeit). An diesen Annahmen merkt man, wie sehr Putnam noch von den Meinungen, die er angreifen will, geprägt ist. Jedenfalls machen unsere bisherigen Ausführungen schon klar, daß sich beide Annahmen nicht halten lassen. Dies zeigt gerade die obige Diskussion von „Füchsin", dessen englische Entsprechung „vixen" von Putnam als ein Beispiel für ein deskriptives, monokriteriales und damit nicht indexikalisches Prädikat angeführt wird: „Füchsinnen sind weibliche Füchse" war gerade eine analytische Definition oder Äquivalenz, deren Definiendum deswegen ebenso indexikalisch ist wie ihr Definiens. Putnams Annahme, daß sich nur absolute Prädikate definieren lassen, ist also in der trivialen Weise einzuschränken, daß sich nur für absolute Prädikate Definitionen angeben lassen, die ihrerseits keine indexikalischen Prädikate enthalten.27 Doch wollen wir Put-
26 27
Vgl. dazu etwa den Überblick in Abbott (1989).
Daraus ergibt sich eine weitere Kritik an einem anderen Beispiel Putnams: Wir können .Junggeselle" nicht als „unverheirateter Mann" delinieren, jedenfalls dann nicht, wenn wir „Mann" als biologisches Prädikat auffassen. Denn sonst würde sich die Indexikalität von „Mann" auf .Junggeselle" übertragen. Doch wenn wir auf der Zwillingserde ein scheinbar genaues Abbild unserer Gesellschaft mit all unseren Bräuchen fänden, aber entdeckten, daß wir es dort mit Robotern und nicht mit biologischen Lebewesen zu tun
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3.
Prädikate
nams Annahmen im Moment so stehen lassen, um seiner Argumentation besser folgen zu können. Sie läuft folgendermaßen: Wenn „Bleistift" ein absolutes Prädikat wäre, so müßte diesen Annahmen zufolge die Bedeutung von „Bleistift" die Formulierung analytischer Wahrheiten Uber Bleistifte gestatten, wie etwa „Bleistifte sind Artefakte" und „Bleistifte sind normalerweise zum Schreiben da"; in der Tat müßten sich hinreichend viele solcher Aussagen zu einer analytischen Äquivalenz zusammenfügen. Die vorgebliche analytische Wahrheit solcher Aussagen trachtet nun Putnam dadurch zu untergraben, daß er von einer dieser Aussagen, nämlich von „Bleistifte sind Artefakte", zeigt, daß sie nicht a priori wahr ist. Dazu konstruiert er das folgende Beispiel: Stellen wir uns vor, wir würden eines Tages herausfinden, daß die typischen Anwendungsfälle für unser Wort „Bleistift" Lebewesen sind, die sich fortpflanzen, heranwachsen usw. Wenn dies eine mögliche Kontextwelt für das deutsche Wort „Bleistift" ist, so ist jedenfalls an diesem Kontext der Satz „Bleistifte sind Artefakte" nicht wahr; und damit, so Putnams erste These, ist dieser Satz nicht a priori und a fortiori nicht analytisch wahr. Putnam tut so, als sei damit auch schon die versteckte Indexikalität von „Bleistift" gezeigt. Vollständig wird das Argument allerdings erst mit einer zweiten These, die Putnam ebenfalls vertritt: nämlich daß Bleistifte, wenn sie in der tatsächlichen Kontextwelt Artefakte sind, dies auch notwendigerweise sind, daß also die vorgestellte Welt - als Indexwelt - dann keine mögliche Welt wäre, in der Bleistifte Lebewesen sind, sondern lediglich eine, in der Lebewesen einer bestimmten Gattung irrtümlicherweise für Bleistifte gehalten würden. Daraus folgt dann in der Tat die versteckte Indexikalität von „Bleistift" 28 - und analog dazu die von Prädikaten für Artefakte ganz allgemein: „Bleistift" bezeichnet an jedem Kontext k und Index i gerade die Gegenstände, die in w, die gleiche Natur haben wie das, was in w^ „Bleistift" heißt - wobei „Natur" nicht als interne Struktur im biologischen oder physikalischen Sinn zu verstehen ist, sondern so weit, daß auch künstliches Hergestellt-Sein zur Natur zählt. Putnams Argumentation für die Indexikalität von „Bleistift" und anderen Artefaktprädikaten ist insbesondere von Schwartz (1978) kritisiert worden. Schwartz weist zunächst darauf hin, daß das Argument ohne die zweite These nicht auskommt. Und diese ist ihm suspekt; das heißt, er stellt die notwendige Wahrheit von „Bleistifte sind Artefakte" am haben, so würden wir dort dennoch von Junggesellen reden wollen; das heißt, wir würden diejenigen Roboter, die dort die gleiche soziale Rolle haben wie unsere unverheirateten Männer als .Junggesellen" bezeichnen. Mit solchen Geschichten verteidigt jedenfalls Schwartz (1980, S. 188-189) die meines Erachtens plausible Absolutheit von .Junggeselle", welches sich dann gerade nicht mit indexikalischen Prädikaten definieren ließe. 28
Man muß hier aufpassen: Daraus, daß der Satz „Bleistifte sind Artefakte" notwendig, aber nicht analytisch ist, folgt nur die versteckte Indexikalität dieses Satzes und damit die von mindestens einem der beiden darin vorkommenden Prädikate, aber nicht die von „Bleistift" Sie folgt noch nicht einmal daraus, daß im einen Kontext ,3Ieistifte sind Artefakte" und im andern Kontext „Bleistifte sind Lebewesen" notwendig wahr ist; dazu benötigte man, genau genommen, eine weitere Prämisse, etwa die sicherlich plausible Annahme, daß in beiden Kontexten Artefakte notwendigerweise keine Lebewesen sind. Doch folgt die versteckte Indexikalität von „Bleistift" auch direkt aus der Konstruktion des Beispiels; denn darin wird ja eine Index weit vorgestellt, in der „Bleistift" je nachdem, ob man von unserer tatsächlichen Welt oder von jener Welt selbst als Kontextwelt ausgeht, zwei verschiedene Extensionen hat.
3.6
Andere Beispiele
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einen Kontext und die von „Bleistifte sind Lebewesen" am andern Kontext in Frage. Wenn unsere paradigmatischen Anwendungsfälle von „Bleistift" Artefakte sind, schließt dies dann tatsächlich die Möglichkeit natürlich entstandener statt künstlich hergestellter Bleistifte aus? Könnte es nicht dennoch in einer anderen möglichen Welt Dinge geben, die zum Beispiel als Früchte auf Bäumen wachsen oder wie bei Putnam Fischen gleich aus Eiern heranreifen und die gleichwohl als Bleistifte zu klassifizieren wären? Und wenn unsere paradigmatischen Anwendungsfälle von „Bleistift" tatsächlich Lebewesen wären, würden wir dann Dinge in einer anderen Welt, die die gleichen Formen und die gleiche Funktion wie unsere Bleistifte haben, wirklich nicht als Bleistifte betrachten, sondern stattdessen sagen, daß Dinge nur Bleistifte sein können, wenn sie die gleiche biologische Struktur wie unsere Bleistifte haben, auch wenn sie womöglich zu einer gänzlich verschiedenen Form und Funktion mutiert sind? Könnte es sich mit den Bleistiften nicht vielmehr wie mit den Schwämmen verhalten? Unsere paradigmatischen Anwendungsfälle von „Schwamm" - im Sinn von „Waschutensil" - bestehen ja sowohl aus Artefakten wie aus gewachsenen, wenngleich toten Organismen, und mithin können Schwämme beides sein. 29 Schwartz räumt selbst ein, daß hier am Ende Intuition gegen Intuition steht und daß die Intuitionen nicht so klar und eindeutig sind wie im Fall von „Wasser" oder anderen echten Substanzwörtern. Doch neigt sich seine - und auch meine - Intuition eher gegen Putnam und der Ansicht zu, daß für Bleistifte allein Oberflächenmerkmale wie ihre Form und ihre Funktion wesentlich sind, daß darin also der Inhalt der Wesentlichkeitskonvention für „Bleistift" liegt. Danach hätte sich Putnam mit „Bleistifte sind Artefakte" einfach auf den falschen, weil unerheblichen Beispielssatz konzentriert; er hätte besser sein anderes Beispiel „Bleistifte sind normalerweise zum Schreiben da" betrachten sollen. Aber auch wenn man Schwartz' Intuition nicht folgt, so zeigt unsere Diskussion immerhin, welche Art von Überlegungen anzustellen sind, um herauszufinden, ob „Bleistift" versteckt indexikalisch ist oder nicht. In der Tat zieht Schwartz aus der Tatsache, daß die für Bleistifte wesentlichen Formund Funktionseigenschaften Oberflächenmerkmale sind, den Schluß, daß diese Merkmale Bleistiften analytischerweise zukommen und daß „Bleistift" mithin nicht indexikalisch, sondern absolut ist. Hinter diesem Schluß steckt jedoch Schwartz' Zweiteilung in „natural kinds" und „nominal kinds" und die Ansicht, daß nur Substanzwörter, also nur Prädikate, die für irgendeine wissenschaftlich zu erforschende Natur stehen, versteckt indexikalisch sind. Daß diese Putnam extrem entgegengesetzte Ansicht richtig ist, ist allerdings noch keineswegs klar. Diese Frage will ich nun anhand von Funktionswörtern, also von Prädikaten, deren wesentliche Eigenschaften Funktionseigenschaften sind, erörtern. Was soll es heißen, daß ein F u n k t i o n s w o r t i n d e x i k a l i s c h ist? In Analogie zu den Substanzwörtern wäre dies gerade dann der Fall, wenn die Wesentlichkeitskonvention f ü r n u r festlegen würde, daß die fürs P-Sein wesentlichen Eigenschaften funktionale Eigenschaften sind, ohne aber genau zu sagen, welche davon wesentlich sind. Die Be-
29
Das Beispiel stammt aus Abbott (1989), S. 280.
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3.
Prädikate
deutungsregel für „P" wäre also nicht einfach II P IID (£) (') = {x \ x hat in w, die Funktion F}, sondern vielmehr II P l b (k) (i) = {x\ x hat in w, die gleiche Funktion wie die Dinge, auf die im Deutschen und in w* typischerweise angewandt wird}, wobei sich diese Funktion eben von Kontextwelt zu Kontextwelt ändern kann. Dies liefe darauf hinaus, daß in der deutschen Sprachgemeinschaft als ein Funktionswort anerkannt ist, bei dem es aber eine offene Frage ist, welche Funktion Ps tatsächlich haben. Dies ist sicherlich eine Möglichkeit, die nicht von vorneherein auszuschließen ist, wie das folgende Beispiel zeigt: Nehmen wir an, wir fänden unter den Ausgrabungen von einer längst ausgestorbenen Kultur haufenweise gleichartig, aber sehr seltsam geformte Gegenstände, die wir - vielleicht weil noch eine gewisse mündliche Überlieferung existiert - „Schiamis" nennen und die - so viel glauben wir aufgrund unserer Forschungen schon zu wissen - in jener Kultur einem bestimmten, uns freilich noch völlig unbekannten Zweck gedient haben müssen. Wir identifizieren also Schiamis anhand ihrer Form, doch nur in Ermangelung besserer Indizien; auf die Form kommt es letztendlich nicht an, sondern nur auf die Funktion. Demnach ist etwas nur dann ein mögliches Schiami, wenn es die gleiche Funktion hat wie unsere typischen Schlami-Beispiele aus den Ausgrabungen; und so scheint „Schiami" ein Beispiel für ein versteckt indexikalisches Funktionswort zu sein. 3 0 Wenn Schwartz sich also allein auf die These stützte, daß nur Substanzwörter versteckt indexikalisch sein können, so wäre seine Schlußfolgerung nicht korrekt. Im Fall von „Bleistift", und auch den meisten anderen Funktionswörtern, ist Schwartz aber dennoch recht zu geben. Denn „Bleistift" könnte sich nur dann wie „Schiami" als versteckt indexikalisch erweisen, wenn sich die deutsche Sprachgemeinschaft Uber die Funktion von Bleistiften in Unkenntnis befinden oder gar täuschen könnte. Ist es denkbar, daß keiner von uns je einen Bleistift zum Schreiben benutzte, noch benutzen wollte, sondern dies nur fälschlicherweise von allen andern glaubt? In Anbetracht dessen, daß jeder diese Überzeugung vor allem durch taglichen schreibenden Umgang mit Bleistiften gebildet hat, scheint mir diese Frage zu verneinen zu sein. Vielmehr scheint diese Überzeugung ein gemeinsames Wissen darzustellen, ohne welches die deutsche „Bleistift"-Rede nicht die wäre, die sie ist. Mithin ist es analytisch, daß Bleistifte normalerweise zum Schreiben da sind, und insofern ist „Bleistift" wohl in der Tat nicht indexikalisch. 31 Einen anderen interessanten Anwendungsfall unseres Charakterschemas bilden leere Prädikate. Auch hier gibt es solche, die versteckt indexikalisch sind, und solche, die absolut sind. Ein Beispiel für ein leeres Prädikat ist „Einhorn"; es gibt in unserer Welt keine Einhörner. In der Tat bilden Einhörner, wie Kripke (1972), S. 763, schreibt, eine mythologische Spezies. „Einhorn" ist also wie „Tiger" ein versteckt indexikalisches Substanz-
30
Putman (1982) argumentiert in ähnlicher Weise, daß Wörter wie „Schaluppe", „Spiel" oder „Scherz", die für uns nicht indexikalisch sind, für den mit unseren Gebräuchen noch nicht vertrauten Anthropologen vom Mars versteckt indexikalisch sind. Den gleichen Punkt macht auch Kornblith (1980). 31
Auf die Frage, was Bleistifte von anderem Schreibzeug unterscheidet, gehen wir besser nicht mehr ein. Klar ist nur, daß wir mit der Antwort, es seien ihre Graphitminen, wieder eine versteckte Indexikalität hineinschmuggeln würden.
3.6 Andere Beispiele
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wort; das Wesen der Einhörner entscheidet sich an den tatsächlichen typischen Anwendungsfällen von „Einhorn". Da es diese aber nicht gibt, gibt es nichts, was Einhörnern wesentlich wäre; von keinem möglichen Gegenstand läßt sich sagen, daß er die gleiche Natur habe wie diese nicht existenten Anwendungsfälle. Mithin sind Einhörner unmögliche Gegenstände; sie existieren in keiner möglichen Indexwelt. Diese Schlußfolgerung gilt allgemein; jedes versteckt indexikalische leere Prädikat ist notwendigerweise leer. Gleichwohl sind Kontextwelten denkbar, in denen „Einhorn" nicht leer ist, in denen sich also herausstellt, daß es sich beim Mythos von Einhörnern nicht um Märchen, sondern um Sagen handelt, die etwa Uber eine lange mündliche Überlieferung auf eine ausgestorbene Spezies zurückgehen. In solchen Kontextwelten gibt es, wie Kripke betont, Einhörner nicht deswegen, weil es darin Dinge gibt, die so aussehen, wie Einhörner immer beschrieben werden, sondern deswegen, weil darin unsere „Einhorn"-Rede einen realen kausalen Ursprung hat. Und wenn es in der Kontextwelt Einhörner gibt, so existieren sie natürlich auch in vielen Indexwelten. All diese modalen Aussagen ergeben sich unmittelbar aus unserer Explikation von versteckter Indexikalität durch unser Charakterschema, und sie decken sich voll mit dem, was Kripke Uber Einhörner gesagt hat (was damals noch so ungewöhnlich klang, daß er sich in seinen Addenda zu näheren Erläuterungen genötigt fühlte). Vergleichen wir dies mit „Hexe", einem anderen leeren Prädikat. Da hat es vor nicht allzu langer Zeit noch viele typische Anwendungsfälle gegeben. Wäre „Hexe" versteckt indexikalisch oder gar ein Substanzwort, so müßten jedenfalls die meisten dieser Anwendungsfälle Hexen sein, deren Natur im Rahmen der Wesentlichkeitskonvention fUr „Hexe" noch zu bestimmen wäre. Daß es nach heutigem Verständnis keine Hexen gibt, ließe sich dann nur dadurch erklären, daß „Hexe" seitdem seinen Charakter verändert hat. Eine bessere Erklärung ist, daß die Wesentlichkeitskonvention für „Hexe" schon spezifisch genug ist, um die Existenz von Hexen auszuschließen. So liegt es nahe zu sagen, daß es analytisch ist, daß Hexen gerade mit dem Teufel verbündete Frauen sind. Das heißt noch nicht, daß „Hexe" nicht indexikalisch wäre. Vielmehr wäre „Hexe" danach ebenso indexikalisch wie „Frau"; und die Frage, ob „Teufel" versteckt indexikalisch ist, erörtern wir besser nicht. Aber es ist bestimmt genug, um, wie wir es heute tun, aus der Nicht-Existenz des Teufels auf die Nicht-Existenz von Hexen zu schließen. Und es eröffnet die Möglichkeit, daß Hexen, im Gegensatz zu Einhörnern, nur kontingenterweise nicht existieren; wenn es in anderen Indexwelten den Teufel geben kann, so kann es dort auch Hexen geben. Allgemein gilt jedenfalls, daß absolute Prädikate auch kontingent leer sein können. Absolute Prädikate können aber noch auf eine andere Weise leer sein. Betrachten wir etwa runde Quadrate. Es gibt keine runden Quadrate, ebenso wie Hexen. Es gibt sie sogar notwendigerweise nicht, ebenso wie Einhörner. Und es ist nicht einmal ein möglicher Kontext vorstellbar, in dem es runde Quadrate gibt. „Rundes Quadrat" ist eben nicht indexikalisch, und es ist analytisch wahr, daß es sie nicht gibt. Zu den analytisch leeren Prädikaten gehören unserer Theorie zufolge allerdings auch fiktionale Prädikate. Wenn Stanislaw Lern etwa in einem seiner Romane Kurdel erfindet, gigantische Tiere mit einem phantastischen Innenleben, so ist es ebenfalls analytisch, daß es keine Kurdel gibt. Denn „Kurdel" ist wie „Einhorn" notwendigerweise leer. Zudem
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3.
Prädikate
gehört es aber zur deutschen „Kurdel"-Rede, daß Kurdel fiktiv sind, d.h. eine Tierart bilden, die Lern für seine Science Fiction erfunden hat; ihre Nicht-Existenz ist nicht etwas, was noch zu ermitteln oder zu widerlegen wäre. Mithin ist kein Kontext denkbar, in dem die deutsche „Kurdel"-Rede sich doch auf existierende Lebewesen bezieht. Das bedeutet aber, daß „Kurdel" nicht nur im tatsächlichen Kontext, sondern in allen Kontexten notwendigerweise, d.h. analytisch leer ist. Auf der subjektiven Ebene kann es sich gleichwohl anders verhalten. Ein Leser von Lern könnte sich unsicher sein, ob Lern nicht vielleicht persönliche Erlebnisse schildert; und wem Kurdel überhaupt kein Begriff sind, braucht, wenn er nun von ihnen hört, nicht zu wissen, daß es sich bei ihnen um fiktive Gegenstände handelt. Mit den Methoden des Abschnitts 3.9 werden wir die subjektive Gewißheit oder Ungewißheit Uber die Existenz von Kurdeln auch darstellen können. Das verträgt sich aber sehr wohl damit, daß auf der kollektiven Ebene der deutschen Sprachgemeinschaft solche Offenheit nicht besteht; hier läßt sich meines Erachtens nur feststellen, daß „Kurdel" analytisch leer ist. 32 Dies hat die unannehmbare Konsequenz, daß alle fiktionalen Prädikate, also z.B. „Kurdel" und „Sandwurm", miteinander synonym sind. Ich ziehe daraus den umgekehrten Schluß, daß unser theoretischer Rahmen sich für die Behandlung der fiktionalen Rede noch nicht eignet. Das ist aber im Grunde nicht verwunderlich. Denn auch wenn wir ausführlich von möglichen Kontexten und von möglichen Indizes reden und dabei phantastische Fälle erörtern, so dient das alles nur dem Zweck darzustellen, wie wir als Subjekte und als Sprachgemeinschaft über die Wirklichkeit reden und was wir Uber die Wirklichkeit glauben. In der Tat wäre es wohl nicht richtig, die Überzeugung, daß Kühe Säugetiere sind, und die Überzeugung, daß Kurdel Säugetiere sind, gleich zu behandeln, wenn erstere unter der Annahme steht, daß Kühe tatsächlich existieren, und zweitere im Wissen darum gehegt wird, daß Kurdel fiktive Gegenstände sind. In welcher Weise fiktionale Überzeugungen zu behandeln wären, ist nicht unser Thema; es möge hier die Feststellung genügen, daß unsere Theorie sozusagen immer noch zu realitätsverhaftet ist, um der fiktionalen Rede gerecht zu werden.
3.7
Versteckte Indexikalität und starre Designation
Versteckte Indexikalität ist gerade von Putnam, der sie entdeckt hat, mit einigen irreführenden Assoziationen versehen worden. Im vergangenen Abschnitt haben wir schon zwei falsche Annahmen von Putnam kritisiert. Ein schwerer wiegendes Mißverständnis 32
Natürlich kann es auch auf der kollektiven Ebene Ungewißheit geben. Das Einhorn-Beispiel hatte ich gerade als solch einen Fall dargestellt, in dem es unklar ist, ob unsere „Einhorn"-Rede auf Sagen oder Märchen beruht. Ob das aber eine korrekte Darstellung ist, ist allerdings selbst nicht so klar. Man wird eher zugestehen müssen, daß die Grenze zwischen liktionaler und nicht-fiktionaler Rede vage und „Einhorn" ein Fall solcher Vagheit ist. Das ändert aber nichts daran, daß klare Fälle fiküonaler und nicht-fiktionaler Prädikate in unserem Rahmen so zu beschreiben sind, wie ich es gerade getan habe.
3.7
Versieche lndexikalitäl und starre Designation
127
haben wir aber noch gar nicht thematisiert. Denn bisher habe ich nur von der versteckten Indexikalität von Prädikaten geredet und es bewußt vermieden, von Prädikaten als starren Designatoren zu sprechen. Bei Kripke finden wir jedoch, auch wenn es um Prädikate geht, nur den Begriff des starren Designators und nicht den der versteckten Indexikalität. Doch Putnam tut so, als handle es sich hierbei um dasselbe Phänomen: „Jedenfalls dürfte klar sein, daß Kripkes These von der Starrheit natürlicher Prädikate und unsere These von ihrer Indexikalität zwei Seiten einer Münze sind." (Putnam, 1979, S. 47)
Daher ist es wichtig und lehrreich, abschließend aufzuklären, wie sich diese beiden Begriffe zueinander verhalten. Der Begriff des starren Designators wurde von Kripke zunächst für Individuenbezeichnungen eingeführt und zwar innerhalb eines rein intensionalen Rahmens, in dem von Charakteren noch nicht die Rede war; demnach ist eine Individuenbezeichnung a genau dann ein starrer Designator, wenn a in jeder möglichen Welt den gleichen Gegenstand bezeichnet (vgl. Kripke 1972, S. 269). Im Rahmen der Charaktertheorie hatten wir das dahingehend rekonstruiert, daß a genau dann ein starrer Designator ist, wenn es für jeden Kontext k, für den II a II (k) (i(k)) definiert ist, einen Gegenstand x gibt, so daß II a II (k) (0 = x für alle Indizes /, für die dieser Ausdruck definiert ist (vgl. S. 28). Auf die Frage, ob II a II (k) (i) definiert ist, wenn der Gegenstand x in w, nicht existiert, geben Kaplan und Kripke verschiedene Antworten. Kripke würde sagen, daß a an einem solchen gar nichts bezeichnet. Nach Kaplans Verständnis hingegen ist eine starre oder - wie er es zu nennen vorzieht - direkt referentielle Individuenbezeichnung gänzlich indexunabhängig und bezeichnet, wenn sie am gegebenen Kontext Uberhaupt einen Gegenstand bezeichnet, diesen an jedem Index i, auch wenn er in w,gar nicht existiert. Wir haben uns hier hinsichtlich dieser beiden Möglichkeiten nicht festgelegt, da es für unsere Überlegungen keinen Unterschied machte (vgl. aber die Diskussion im Abschnitt 3.3); aber sie wird gleich noch relevant. Indexunabhängigkeit oder starre Designation ist für Kaplan das entscheidende Merkmal deiktischer Ausdrücke. Er definiert sie als kontext-, aber nicht indexabhängige Ausdrücke und verbindet damit die empirische Behauptung, daß einfache indexikalische Individuenbezeichnungen in der natürlichen Sprache wie „du", „ich", „dies" etc. in diesem Sinne deiktisch sind.33 Das gleiche gilt für demonstrative Kennzeichnungen, die Kaplan mittels des dthat-Operators analysiert: II V a II (k) (i) war gleich II a II (k) (i(k)) und somit starr. Die Starrheit all dieser Ausdrücke rührt daher, daß der Kontext jeweils bereits den bezeichneten Gegenstand liefert, so daß für eine Variation Uber die Indizes gar kein Spielraum mehr bleibt. Daß bei den Standardbeispielen indexikalischer Ausdrücke Kontextabhängigkeit durchweg Indexunabhängigkeit nach sich zieht, mag ein Grund für Putnams Behauptung
33
Vgl. dazu auch Zimmermann (1991), S. 164, der die weitergehende These aufstellt, daß alle lexikalischen Grundeinheiten starr oder absolut sind, daß Lexeme also nie sowohl kontext- wie indexabhängig sind. Wenn unsere Analyse von Prädikaten stimmt, so ist diese These allerdings nicht zu halten; wir werden gleich noch sehen, daß manche Prädikate kontext- und indexabhängig sind.
128
3.
Prädikate
gewesen sein, daß seine These von der Indexikalität natürlicher Prädikate und Kripkes Starrheitsthese zwei Seiten einer Münze sind. Doch ist es mitnichten offenkundig, ob und inwiefern sich diese Behauptung von Individuenbezeichnungen auf Prädikate übertragen läßt. Offensichtlich ist vielmehr erst einmal, daß eine direkte Anwendung der obigen Definition von starrer Designation auf Prädikate wenig sinnvoll ist: Würde man sagen, daß ein Prädikat „P" genau dann ein starrer Designator ist, wenn es für jeden Kontext k eine Extension E gibt, so daß II P II (k) (i) = E für alle Indizes /, so müßte ja ein starres Prädikat in jeder Indexwelt die gleiche Extension haben. Diese Bedingung wird von fast keinem Prädikat für kontingente Gegenstände erfüllt, und jedenfalls nicht von all den Beispielen, die Putnam und Kripke anführen und die wir hier diskutiert haben. Die Einsicht darin, daß sich der Begriff des starren Prädikats nicht auf diese einfache Weise definieren läßt, hat in der Literatur im wesentlichen zwei alternative Explikationsversuche hervorgebracht. Der erste stammt von Cook (1980) und besagt, daß ein Prädikat genau dann starr ist, wenn seine Intensión eine wesentliche Eigenschaft darstellt. Der zweite geht davon aus, daß das Denotat eines Prädikats nicht eine Menge von Individuen, sondern ein abstrakter Gegenstand, nämlich eine Art (kind) oder eine Eigenschaft ist und daß ein Prädikat genau dann starr ist, wenn es in jeder Welt die gleiche Art oder die gleiche Eigenschaft bezeichnet. Diese Position wird z.B. von Donnellan (1983, S. 90f.), Boer (1985, S. 133f.), und Linsky (1984) vertreten. Schauen wir uns diese Alternativen etwas genauer an: Cook geht von der folgenden, mit der obigen äquivalenten Formulierung von Kripkes Starrheit aus: Eine Individuenbezeichnung a ist genau dann starr, wenn für alle Kontexte k gilt: wenn x - II a II (k) (w) für eine mögliche Welt w, so x = II a II (k) (w1) für alle möglichen Welten w', in denen x existiert. Die unmittelbare Parallele dazu lautet: Ein Prädikat „P" ist genau dann starr, wenn für alle Kontexte k und alle Gegenstände x gilt: wenn x E II P II (k) (w) für eine mögliche Welt w, so i E II P II (k) (w1) für alle möglichen Welten w', in denen x existiert. Wenn „P" starr ist, kann also kein P existieren, ohne P zu sein; das heißt, „P" ist gerade dann starr, wenn es in jedem Kontext eine wesentliche Eigenschaft im auf S. 117 erläuterten, nicht-relationalen Sinne ausdrückt. Daß diese Explikation der Starrheit von Prädikaten Kripkes Intentionen entspricht, belegt auch das folgende Zitat: „It should be clear ... that ,pain' is a rigid designator of the type, or phenomenon, it designates: if something is a pain it is essentially so, and it seems absurd to suppose that pain could have been some phenomenon other than the one it is" (Kripke 1972, S. 337).
Die Angemessenheit von Cooks Ausdehnung des Begriffs der Starrheit zeigt sich auch an der Tatsache, daß danach eine Individuenbezeichnung a gerade dann starr ist, wenn das Prädikat „= a sein" starr ist. 34
34
Cooks Übertragung funktioniert nicht, wenn man von Kaplans Starrheit ausgeht, wonach eine Individuenbezeichnung dann starr ist, wenn sie in allen Indexwelten dasselbe Ding bezeichnet, egal ob es dort existiert oder nicht; zumindest ist nicht ersichtlich, wie dieser Begriff in Cooks Weise auf Prädikate übertragen werden kann. Da wir am Ende Cook folgen, scheint mir das eher gegen Kaplans und für Kripkes Auffassung zu sprechen.
3.7
Versteche lndexikalität und starre Designation
129
Boer (1985), S. 132, weist jedoch darauf hin, daß sich ein wichtiges Argument Kripkes mittels Cooks Explikation von Starrheit nicht mehr als gültig erweisen läßt: Kripke behauptet ja, daß aus der tatsächlichen Wahrheit von Identitätsaussagen zwischen starren Designatoren bereits deren notwendige Wahrheit folgt (und aus der tatsächlichen Falschheit die notwendige Falschheit). Für starre Individuenbezeichnungen ist dies unmittelbar einsichtig. Kripke (1972, S. 331 ff.) führt dieses Argument aber auch wiederholt in Bezug auf Prädikate. Mit Cooks Explikation wird es aber ungültig: wenn und ,,Q' starre Prädikate in Cooks Sinne sind und (an k und) in w die gleiche Extension haben, so folgt mitnichten, daß sie (in k) an jedem w' die gleiche Extension haben. Man kann sich dies anhand der folgenden Überlegung klar machen: Sei x ein Gegenstand, der in w nicht existiert und in w' in der Extension von „ P " , aber nicht in der von „Q' liegt. Diese Sachlage verletzt die Konklusion, daß ,,P' und „ ß " in jedem w' die gleiche Extension haben, ist aber mit den Prämissen durchaus verträglich: Es spricht so weit nichts dagegen, daß „P" und „ ß " in w die gleiche Extension haben und daß jeder Gegenstand, der in irgendeiner Welt (an k) in der Extension von „P" bzw. „Q' liegt, auch in jeder anderen Welt, in der er existiert, (an k) in der Extension von „P" bzw. „ ß " liegt. Ein Beispiel dafür liefern vielleicht „Schwamm" als Funktionsprädikat im Sinne von „Waschutensil" und „Naturschwamm" als biologisches Prädikat. Es ist nicht unplausibel anzunehmen, daß jeder Schwamm wesentlich Schwamm und jeder Naturschwamm wesentlich Naturschwamm ist. In manchen Welten sind beide Prädikate extensionsgleich, z.B. bis vor kurzem in unserer. Doch sind beide offenkundig nicht intensionsgleich. Bevor wir entscheiden, ob man dieses Resultat gegen Cook oder gegen Kripke verwenden sollte, müssen wir die zweite Explikationsalternative betrachten. Die Behauptung, daß es für die notwendige Wahrheit von Identitätsaussagen der Form „P ist ß " nicht hinreicht, daß „P" und „ ß " beide starre Prädikate sind und in der wirklichen Welt die gleiche Extension haben, findet sich auch bei Donnellan (1983, S. 90-95). Donnellan geht allerdings anders als Cook davon aus, daß Prädikate Namen für abstrakte Entitäten sind, für Substanzen, Gattungen, usw. - was Donnellan unter dem allgemeinen Begriff Arten (kinds) zusammenfaßt; und er definiert ein Prädikat - analog zu einem Individuennamen - als starr, wenn es in jeder Welt die gleiche Art bezeichnet. Wenn man nun aber eine Aussage der Form >rP ist ß " so versteht, daß sie genau dann (an k und) in einer Welt w wahr ist, wenn (an k) in w die Exemplare der Art P auch von der Art ß sind und umgekehrt, so wiederholt sich das eben festgestellte Problem: „ P " und „ ß " könnten zwei verschiedene Arten starr bezeichnen, die nur zufälligerweise in unserer Welt die gleichen Exemplare haben. Mithin muß man, wenn man Kripkes Argument auch für Prädikate als gültig erweisen will, eine Aussage der Form „P ist ß " als eine Behauptung Uber die Identität von zwei Arten verstehen, oder, wie z. B. Boer (1985) und Linsky (1984) vorschlagen, über die Identität von zwei Eigenschaften. Dabei gelten zwei Arten bzw. Eigenschaften genau dann als identisch, wenn sie in jeder Welt durch die gleichen Gegenstände exemplifiziert werden bzw. die gleiche Extension haben. Damit folgt dann in der Tat aus der Wahrheit von „P ist ß ' und der Starrheit von „P" und ,,ß>' die notwendige Wahrheit von „P ist Q \
3. Prädikate
130
A u s drei Gründen heraus ist diese Auffassung für uns allerdings w e n i g attraktiv. Z u m einen käme unser semantischer Rahmen ganz durcheinander, wenn w i r anfingen, statt Prädikaten Extensionen zuzuordnen, sie als N a m e n abstrakter Entitäten zu behandeln. Für eine solche U m w ä l z u n g mag es Gründe geben; doch liegen sie weit abseits unserer Thematik. Zum andern wird damit Kripkes A r g u m e n t
eigentlich
trivialisiert. Der Satz „P ist ß " beinhaltet danach ja gerade die Intensionsgleichheit von „ P " und „ ß " in unserem Sinne, so daß die Konklusion, an der wir interessiert sind, schon in der Prämisse enthalten ist. Das hauptsächliche Bedenken gegen diese Auffassung wird von ihren Vertretern selbst schon erwähnt ( v g l . etwa B o e r 1985, S. 130, Donnellan 1983, S. 91, ebenso Schwartz 1977, S. 38): nämlich daß mit dieser Explikation starrer Designation Putnams und Kripkes Unterscheidung zwischen Bezeichnungen von natürlichen und solchen von nicht natürlichen Arten überhaupt nicht getroffen wird. Denn danach sind nicht nur Prädikate w i e „Wasser", „ T i g e r " oder „Zitrone" als starre Designatoren zu betrachten, sondern auch Prädikate w i e „Junggeselle"; als N a m e einer Eigenschaft bezeichnet auch „Junggeselle" in jeder W e l t dasselbe, nämlich das Junggeselle-Sein. Z w a r sind, w i e Linsky betont, auch gemäß dieser Definition nicht alle Prädikate starr; komplexe Prädikate w i e „Farbe des H i m m e l s " bezeichnen nicht unbedingt in jeder W e l t dieselbe Eigenschaft. Doch resultiert daraus eben gar nicht die von Putnam und Kripke intendierte Klassifikation. Demgegenüber erfaßt C o o k mit seiner Explikation sicherlich die ontologisch interessantere Unterscheidung. Insofern scheint sie mir die sinnvollere und in der Tat in unserem Rahmen einzig mögliche Explikation von starrer Designation zu sein. Allerdings deckt sich auch Cooks Explikation nicht mit Putnams Absichten. Zum einen würde Putnam „wachsen", „Masern haben", usw. als natürliche, indexikalische Prädikate bezeichnen, aber sie sind nicht starr; zu wachsen und Masern zu haben sind keine wesentlichen Eigenschaften. Zum anderen dürfte „Bleistift" eine wesentliche Eigenschaft ausdrücken - nichts, was ein Bleistift ist, könnte existieren, ohne ein Bleistift zu sein - , doch war unsere Schlußfolgerung, daß „Bleistift" eher nicht indexikalisch ist. Dieses Ergebnis ist jedoch keineswegs Uberraschend. Was Putnam mit seiner versteckten Indexikalität im A u g e hat, ist, wenn unsere obige Explikation richtig ist, eine Eigenschaft des Charakters von Prädikaten; starre Designation ist hingegen eine Eigenschaft ihrer Intensionen. V o n daher ist eigentlich von vorneherein klar, daß die beiden Merkmale nicht zusammenfallen und für alle vier Merkmalskombinationen Beispiele zu finden sind. A u s diesen Beobachtungen ergibt sich außerdem, daß der B e g r i f f der starren Designation für die Beschreibung und Erklärung der interessanten Phänomene, auf die es Putnam und Kripke ankommt und die wir bislang so ausführlich diskutiert haben, gar nicht relevant ist. Die Tatsache, daß Identitätsaussagen wie „Wasser ist H2O" oder auch Implikationen w i e „ T i g e r sind T i e r e " notwendig sind, ohne analytisch zu sein, die Tatsache, daß solche notwendigen Aussagen dennoch informativ sein können - all das wird mit unseren Bedeutungsregeln und der darauf angewandten Diagonalisierung erfaßt. M i t starrer Designation haben sie nichts zu tun, sondern allein damit, daß die beteiligten Prädikate versteckt indexikalisch sind.
3.8
3.8
Das Inlernalitätsproblem flir Prädikate
131
Das Internalitätsproblem für Prädikate
Unsere bisherige Analyse des Charakters von Prädikaten ermöglicht, wie im Abschnitt 3.2 erläutert, eine gewisse Lösung des Informativitätsproblems; wir können damit erklären, wieso manche Äußerungen, die notwendige Wahrheiten ausdrücken, dennoch im Deutschen informativ sind. Denn auch wenn eine Äußerung notwendig wahr ist, so muß der geäußerte Satz im Deutschen nicht a priori wahr sein. Ist eres nicht, so ist seine Diagonale und mithin die Äußerung informativ, da wir ihren Informationsgehalt im Deutschen ja mit dieser Diagonale gleichsetzen. Auch der im Abschnitt 1.4 erwähnte komplementäre Aspekt des Informativitätsproblems - wie es möglich ist, daß notwendig falsche Aussagen von rationalen Personen geglaubt werden - läßt sich auf diese Weise erfassen. Wenn etwa jemand ernsthaft und aufrichtig behauptet: „Wasser ist nicht H2O", so können wir sagen, daß der Inhalt seines Glaubens - die subjektive Bedeutung, die „Wasser ist nicht H2O" für ihn hat - eben nicht die von der Äußerung im tatsächlichen Kontext ausgedrückte unmögliche Proposition ist, sondern wiederum die Diagonale des geäußerten Satzes; der Satz ist ja nicht a priori falsch und somit ist seine Diagonale informativ und nicht kontradiktorisch. Nun hatten wir aber im Abschnitt 1.3, bei der Diskussion der Argumente von Bürge, festgestellt, daß es durchaus sinnvoll sein kann, einer Person einen Glauben an eine analytisch falsche Aussage zuzuschreiben, ohne ihr deshalb Irrationalität zu unterstellen. Dies können wir noch nicht nachvollziehen. Denn wenn Hans ernsthaft und aufrichtig behauptet: „Fritz hat Arthritis im Oberschenkel", und wenn wir voraussetzen, daß es im Deutschen analytisch ist, daß Arthritis eine entzündliche Erkrankung ausschließlich der Gelenke ist, so druckt diese Äußerung nicht nur die unmögliche Proposition aus; der geäußerte Satz ist im Deutschen sogar a priori falsch, da es in allen Kontexten eine wesentliche Eigenschaft von Arthritis ist, keine Erkrankung des Oberschenkels zu sein. Damit ist aber auch die Diagonale von „Fritz hat Arthritis im Oberschenkel" kontradiktorisch; und wenn diese den Glaubensinhalt von Hans repräsentieren soll, so wäre man genötigt, ihm Irrationalität zu unterstellen. Analytische Sätze stellen unsere Behandlung des Informativitätsproblems in gleicher Weise in Frage. Ein Satz wie „Arthritis ist eine Entzündung der Gelenke" ist zwar, da analytisch, im Deutschen nicht informativ, aber für einzelne Personen kann er sehr wohl informativ sein. Daß man sich weder hier noch im vorigen Fall damit herausreden kann, daß die fraglichen Personen keine kompetenten Sprecher des Deutschen und insofern in einer Bedeutungstheorie des Deutschen nicht zu berücksichtigen wären, haben wir bereits im Abschnitt 1.3, bei der Darstellung von Bürge, festhalten können; eine ausführliche Begründung findet sich, wie dort erwähnt, in Bürge (1979, S. 79-82). Natürlich läßt sich nicht bestreiten, daß wir es in diesen problematischen Fällen mit einem von der idealen Norm abweichenden Sprachverständnis zu tun haben; doch berechtigen uns solche Abweichungen nicht dazu, die betreffenden Personen nicht mehr als Sprecher des Deutschen zu betrachten. In unserer bisherigen Definition der subjektiven Bedeutung ist aber für solche individuellen Unvollkommenheiten der Sprachkenntnis kein Platz vorgesehen.
3.
132
Prädikate
Es ist daher nicht überraschend, daß sie auch das Internalitätsproblem in den von Bürge diskutierten Fällen nicht lösen kann; die Überzeugungsinhalte der Doppelgänger in Burges Gedankenexperiment lassen sich mittels der Diagonalen der geäußerten Sätze nicht als gleich beschreiben. Denn wenn Fritz im tatsächlichen Kontext „Ich habe Arthritis im Oberschenkel" sagt, so äußert er einen Satz des Deutschen; wenn er hingegen diese Äußerung in der von Bürge beschriebenen kontrafaktischen Situation tut, so produziert er einen Satz einer anderen Sprache, in der sich „Arthritis" auf rheumatische Schmerzen ganz allgemein und somit auf eine andere Krankheit als im Deutschen bezieht. Es ist klar, daß nicht nur die von den jeweiligen Äußerungen ausgedrückten Propositionen, sondern auch die Charaktere und die Diagonalen der geäußerten Sätze verschieden sind; im Deutschen sind eben die für Arthritis wesentlichen Eigenschaften andere als in der kontrafaktischen Sprache. 35 Die interne Gleichheit von Fritz und seinem kontrafaktischen Gegenstück läßt sich also mittels der Diagonalen nicht erfassen, weil diese sich nur auf die Sprachen beziehen, die Fritz jeweils de facto spricht; daß sein Sprachverständnis im tatsächlichen Kontext vom offiziellen abweicht und dort das gleiche ist wie im kontrafaktischen Kontext, findet dabei keine Berücksichtigung. Aus den Beispielen von Bürge müssen wir also den Schluß ziehen, daß sich der Begriff der subjektiven Bedeutung nicht, wie wir es bisher getan haben, auf die Charakterfunktion der vom Subjekt tatsächlich gesprochenen Sprache - und seine Glaubensmenge - reduzieren läßt. Das Verhältnis von objektiver und subjektiver Bedeutung gestaltet sich somit komplizierter, als bislang zu vermuten war. Doch bevor wir aus dieser Einsicht weitere Konsequenzen ziehen, wollen wir uns noch einmal den Beispielen von Putnam zuwenden; denn an ihnen läßt sich erkennen, daß die so weit anvisierte Lösung des Intemalitätsproblems nicht nur an der Möglichkeit unvollständiger, sondern auch im Idealfall perfekter Sprachkenntnis scheitert. Dabei ist es wichtig, verschiedene Varianten von Putnams Zwillingserdengeschichte auseinanderzuhalten. Wir können zunächst - was Putnam nicht tut 36 - die Zwillingserde als ein kontrafaktisches Gegenstück zur Erde auffassen; hier sind dann wiederum zwei Fälle zu unterscheiden: Im ersten Fall betrachten wir das Deutsche zu einem Zeitpunkt t, der vor der Entdekkung der modernen Chemie liegt, und wir gehen davon aus, daß Oskar nicht nur ein kompetenter, sondern ein perfekter Sprecher des Deutschen/ ist - was heißen soll, daß alle andern zusammen das Deutsche, nicht besser beherrschen als er, daß er also mit allen paradigmatischen Anwendungen vertraut ist, Uber die besten zu t vorhandenen Methoden zur Identifizierung von Wasser verfügt, die einschlägige Wesentlichkeitskonvention genau kennt, etc. Wenn Oskar nun in der wirklichen Welt den Satz „Dies ist Wasser" äußert, so drückt er damit eine andere Proposition aus, als wenn seine Äußerung auf der kontrafaktischen Zwillingserde stattfände. Doch können wir annehmen, daß er in der
35
Dies gilt unabhängig davon, ob wir „Arthritis" als versteckt indcxikalisches Prädikat betrachten oder nicht. Angesichts der Überlegungen des vorangehenden Abschnitts sollte man allerdings davon ausgehen, daß .Arthritis" in der Tat versteckt indexikalisch ist - weil sowohl „Gelenk" als auch „Entzündung" indexikalisch sein dürften. Doch berührt dieser Punkt die obigen Überlegungen nicht.
36
Vgl. Abschnitt 3.2, Anm. 6.
3.8
Das Internalitälsproblem für Prädikate
133
kontrafaktischen Situation die gleiche Sprache spricht w i e in der wirklichen Welt, nämlich das Deutsche,; und insofern ist der Charakter seiner Äußerung in beiden Situationen derselbe. Und da wir Oskar ein perfektes Verständnis des Deutschen, und insbesondere des Wortes „ W a s s e r " unterstellt haben, erscheint es in diesem Fall intuitiv durchaus angemessen, die subjektive Bedeutung, die „Dies ist Wasser" für ihn und sein intern gleiches kontrafaktisches Gegenstück hat, mittels der Diagonale dieses Charakters zu beschreiben. Anders j e d o c h im zweiten Fall, bei dem wir - immer noch unter der Annahme, daß die Zwillingserde ein kontrafaktischer Zustand der Erde ist - Oskar und das Deutsche zur heutigen Zeit t' betrachten. W i r müssen dann nämlich davon ausgehen, daß auf der Z w i l lingserde das Deutsche,' gar nicht existiert. D i e „Wasser"-Rede der Sprache, die Oskar auf der Zwillingserde spräche, enthält nämlich ganz andere Kriterien dafür, was paradigmatische Anwendungsfälle von „Wasser" sind: dort können nur solche Flüssigkeitsansammlungen „Wasser" heißen, die sich bei chemischer Analyse w i e X Y Z verhalten - und nicht w i e im Deutschen,' solche, die sich w i e H2O verhalten. W i r können Oskar also zwar weiterhin eine perfekte Kenntnis des Deutschen,' unterstellen; aber wenn w i r die Annahme, daß er in der kontrafaktischen Situation intern gleich ist, aufrechterhalten w o l len, so müssen wir sagen, daß er sich Uber die Sprache, die er dort de facto spräche, irrt und sie insofern nicht perfekt beherrscht. Und w i e zu erwarten, können uns in diesem Fall die Diagonalen der geäußerten Sätze keine adäquate Beschreibung der subjektiven Bedeutung von Oskar liefern; der Charakter von „dies ist Wasser" im Deutschen,' ist verschieden v o m Charakter, den dieser Satz im kontrafaktischen Zwillingsdeutschen,'hat. S o weit sieht es noch so aus, als sei es stets auf unvollständige Sprachkenntnis zurückzuführen, wenn unsere bisherige Explikation subjektiver Bedeutung nicht funktioniert. Doch ist das ein irriger Eindruck. Wenden wir uns nämlich nun dem dritten Fall zu, in dem - w i e in Putnams ursprünglicher Darstellung - die Zwillingserde nicht als kontrafaktischer Zustand der Erde aufgefaßt wird, sondern als ein anderer, der Erde in fast allen Hinsichten gleichender Planet in derselben möglichen W e l t . W i r erinnern uns: Selbst wenn wir Erde und Zwillingserde zu einer Zeit t vor der Entdeckung der modernen Chemie betrachten, ist der Charakter von „Wasser" im Deutschen nicht mit dem Charakter von „ W a s s e r " im Zwillingsdeutschen identisch. Dies liegt daran, daß - w i e i m Abschnitt 3.1 gezeigt - die Intension von versteckt indexikalischen Prädikaten in einer Sprache nur mit der möglichen Welt, nicht aber etwa mit dem Verbreitungsgebiet der Sprache variiert. Insofern liefert der Charakter von „Wasser" im Deutschen für Kontextwelten, in denen bei den Erdendeutschen eine andere Substanz am Ursprung ihrer „Wasser"-Rede steht als bei den Zwillingsdeutschen, eine andere Intension als der Charakter von „ W a s s e r " im Zwillingsdeutschen. Wenn wir uns also vorstellen, daß irgendwann im Jahre 1750 der erdendeutsche Oskar den Satz „Es gibt genug Wasser" äußert und sein zwillingsirdisches Gegenstück dasselbe tut, so drückt Oskars Äußerung nicht nur eine andere Proposition aus als die von Zwillingsoskar; auch die Diagonale des geäußerten Satzes ist im Deutschen eine andere als im Zwillingsdeutschen. Dabei ist es unerheblich, o b w i r Oskar und Zwillingsoskar ein perfektes Sprachverständnis unterstellen oder nicht; sie sprechen auf keinen Fall dieselbe Sprache, auch wenn die „Wasser"-Reden einschließlich der relevanten Wesentlichkeitskonventionen ihrer Sprachen völlig gleichartig sind.
134
3.
Prädikate
Im übrigen wären das Deutsche und das Zwillingsdeutsche auch dann nicht die gleiche Sprache, wenn sowohl auf der Erde als auch auf der Zwillingserde die paradigmatischen Anwendungsfälle von „Wasser" aus F^O-Molekülen bestünden. Solange es nämlich keine Kommunikation zwischen den beiden Sprachgemeinschaften gibt, sind immer andere mögliche Welten denkbar, in denen auf den beiden Planeten verschiedene Substanzen den kausalen Ursprung der jeweiligen „Wasser"-Reden bilden; und dann wäre eben in diesen anderen Welten die Intension von „Wasser" im Deutschen eine andere als im Zwillingsdeutschen. Letztlich liegt auch in diesem dritten Fall die Tatsache, daß sich die subjektive Bedeutung nicht adäquat über den Charakter der geäußerten Sätze erfassen läßt, an einer unvollständigen Sprachkenntnis, allerdings von einer sehr speziellen Form, die mit Burges Beispielen nichts gemein hat und daher von ihnen zu unterscheiden ist. Denn in einem gewissen Sinn kennt auch Oskar, selbst wenn er das Deutsche im oben erläuterten Sinne perfekt, das heißt, so gut wie alle andern zusammen beherrscht, das Deutsche nicht wirklich, weiß er nicht wirklich, welche Sprache das Deutsche ist - in dem Sinne nämlich, daß immer Welten möglich sind, in denen es Sprachen gibt, die für ihn vom Deutschen qualitativ ununterscheidbar sind, ohne jedoch mit dem Deutschen identisch zu sein. Dafür, daß eine Sprache in einer anderen möglichen Welt das Deutsche ist, reicht es nämlich nicht hin, daß in ihr die gleichen syntaktischen Ausdrücke in gleicher Weise verwendet werden; es ist vielmehr zudem nötig, daß diese Sprache die gleiche Entstehungsgeschichte hat wie das Deutsche in der wirklichen Welt; diese Ursprungseigenschaften, welche wir einschließlich ihrer Vagheiten im Abschnitt 3.1 schon etwas ausführlicher beschrieben haben, sind wesentliche Eigenschaften des Deutschen. In diesem strengen, metaphysischen Sinn kennt also selbst ein perfekter Sprecher des Deutschen seine Sprache nur dann, wenn er entweder diese Ursprungseigenschaften selbst oder, wiederum in diesem strengen Sinne, einen anderen Gegenstand kennt, Uber den er das Deutsche eindeutig identifizieren kann. Dafür käme am ehesten er selbst in Frage, und das Deutsche wäre dann die Sprache, die er spricht. Doch hatten wir im Abschnitt 2.2 schon im Detail ausgeführt, daß man von niemandem verlangen kann, daß er seine eigenen wesentlichen Eigenschaften kennt; umso weniger kann man selbst von perfekten Sprechern verlangen, daß ihnen die wesentlichen Ursprungseigenschaften ihrer Sprache bekannt sind. Und wenn wir in Putnams Beispielgeschichte annähmen, daß Oskar und sein Zwilling solches Wissen hätten, so könnten wir jedenfalls nicht mehr behaupten, daß sie intern identisch sind; ihre Glaubensmengen würden dann nicht dieselben Welten oder jedenfalls nicht dieselben Welt-Individuen-Paare enthalten. W i r können mithin das folgende Fazit ziehen: Unserer Analyse von Prädikaten zufolge scheitert die Methode, die subjektive Bedeutung von Äußerungen über die Diagonale des Charakters des geäußerten Satzes zu explizieren, weil wir die Kenntnis des Charakters der Prädikate nicht mit dem semantischen Wissen gleichsetzen dürfen, das von kompetenten Sprechern der betrachteten Sprache zu erwarten ist. Ein kompetenter Sprecher kann zum einen in einem gewöhnlichen Sinn ein mangelhaftes Sprachverständnis aufweisen, ohne daß man ihn deshalb gleich aus der Sprachgemeinschaft ausgrenzen wollte; und er kennt zum anderen in einem metaphysischen Sinn seine eigene Sprache zwangsläufig nicht - was bei versteckt indexikalischen Prädikaten relevant wird. Insofern wirft
3.9
Formaler Charakter und subjektive Bedeutung
135
Putnams Oskar die tiefere Variante des Internalitätsproblems auf als Burges Fritz. A n scheinend ist also auch der Begriff der Charakterfunktion einer Sprache zu objektiv oder metaphysisch, als daß er für einen internen oder individualistischen Bedeutungsbegriff zu gebrauchen wäre. Dafür ist offenbar eine Modifikation unserer Theorie erforderlich.
3.9
Formaler Charakter und subjektive Bedeutung
Rufen wir uns an diesem Stand unserer Überlegungen noch einmal in Erinnerung, w i e unsere Auffassung von subjektiver Bedeutung ursprünglich motiviert war. Den Ausgangspunkt bildeten j a die Beobachtung, daß subjektive und objektive Bedeutung von Äußerungen in aller Regel auseinanderfallen, und unsere Erklärung, daß diese Differenz von der Kontextabhängigkeit der objektiven Bedeutung und von der Unvollständigkeit oder gar Irrigkeit der subjektiven Annahmen über den tatsächlichen K o n t e x t herrührt. Dieser Gedanke brachte uns dazu, zwei Komponenten bei der Interpretation von Äußerungen durch einzelne Personen zu unterscheiden: zum einen das semantische Wissen der Person - welches insbesondere in der Kenntnis der Charakterfunktion der fraglichen Sprache besteht - und zum anderen ihre empirischen Überzeugungen, ihre Annahmen Uber die Beschaffenheit des Kontexts und die Welt, in der sie sich befindet - was w i r mittels ihrer Glaubensmenge erfassen wollten. M i t der Diagonale des Charakters eines Satzes ließ sich dann die im Satzcharakter enthaltene Information auf eine eindimensionale oder propositionale Ebene bringen. Dies erlaubte schließlich ihre Kombination mit der sonstigen, empirischen Information, als Durchschnitt von Diagonale und Glaubensmenge. Grob gesagt ergibt sich so das Bild, daß sich subjektive und objektive Bedeutung von Äußerungen umso mehr einander annähern, j e vollständiger und korrekter die empirischen Annahmen des Subjekts Uber den Kontext sind. W e n n wir diese Auffassung nun direkt auf Prädikate übertragen, so könnten unseren Ausführungen zufolge subjektive und objektive Bedeutung jedoch ausschließlich bei versteckt indexikalischen, also kontextabhängigen Prädikaten auseinanderfallen. D i e empirische Komponente bestünde dann aus Annahmen über die Eigenschaften, die für die im tatsächlichen Kontext v o m Prädikat ausgedrückte Eigenschaft wesentlich sind; zur semantischen Komponente wären, w i e eben erläutert, die Kenntnis des Deutschen im metaphysischen und im gewöhnlichen Sinn zu rechnen. Daß es diese Aufteilung nicht tut, haben w i r gerade erörtert: kompetente Sprecher kennen das Deutsche im metaphysischen Sinn nie und im gewöhnlichen selten vollständig. Doch legt diese Diagnose eine Lösung des Dilemmas nahe, die auf unsere ursprüngliche Motivation für eine Unterscheidung von Kontextwissen und rein sprachlichem Wissen zurückgreift, die Trennlinie aber an anderer Stelle zieht: die Lösung nämlich, dem Internalitätsproblem dadurch auch für Prädikate Rechnung zu tragen, daß die Kenntnis, die das Subjekt von seiner eigenen Sprache hat, gleichfalls als Teil seines Kontextwissens rekonstruiert und sein semantisches Wissen entsprechend reduziert aufgefaßt wird. Diese Lösung will ich nun ausfuhren.
136
3. Prädikate
Um das semantische Wissen in solch reduziertem Sinn zu erfassen, wollen wir anstelle des Begriffs des Charakters eines Ausdrucks in einer Sprache - den wir von nun an, um ein unterscheidendes Adjektiv zu haben, auch den objektiven Charakter des Ausdrucks in dieser Sprache nennen - den Begriff des formalen Charakters einfuhren. Wir wollen ihn vorläufig nur für (einstellige) Prädikate erklären. Wenn L eine Sprache ist und „P" ein einstelliges Prädikat von L, so war ja der objektive Charakter von „P" in L definiert als: II P
(k) ( / ) = {jc I x hat in w, die Eigenschaften, die gemäß der Wesentlichkeitskonvention von L für „P" in w*für das P-Sein derjenigen Gegenstände wesentlich sind, auf die in L in w*typischerweise „P" angewandt wird}.
Im formalen Charakter von „P* ist nun, wie gesagt, die tatsächliche Beschaffenheit von L nicht mehr vorauszusetzen, sondern vielmehr offen zu lassen. Deshalb dürfen wir nicht mehr auf L als einen vorgegebenen Parameter Bezug nehmen, sondern müssen stattdessen eine Variable Uber mögliche Sprachen ansetzen, die vom Kontext gebunden wird. Der formale Charakter von „P* soll eben nur die Information enthalten, daß die Extension von im Kontext k und am Index i in der beschriebenen Weise von der Kontextsprache lk abhängt - wie auch immer aussehen möge. Diese Information ist das minimale strukturell-semantische Wissen, das wir bei jedem kompetenten Sprecher hinsichtlich des Prädikats ,,P' voraussetzen müssen. Die Kontextsprache k läßt sich dabei als die Sprache von Sk in Wf. zu tf, definieren 37 , so daß wir hier keinen neuen Kontextparameter einzuführen brauchen; dennoch werden wir, der Übersichtlichkeit halber, statt von der Sprache von Sk in Wk zu tk häufig einfach von lk sprechen. Mit dem formalen Charakter eines Prädikates „P" betrachten wir also „P" nicht mehr als Ausdruck einer bestimmten historischen Sprache L mit einer gegebenen Bedeutung. Doch wollen wir den formalen Charakter andererseits auch nicht für bloße Geräusche erklären. Wir setzen mithin voraus, daß wir es mit syntaktisch identifizierten Ausdrücken zu tun haben. ,,P' soll also Teil einer bestimmten syntaktischen Struktur S und darin als ein einstelliges Prädikat klassifiziert sein. Das Bild, welches zu entwerfen wir im Begriffe sind, sieht somit folgendermaßen aus: Eine konkrete historische Sprache L ist durch verschiedene Merkmale zu charakterisieren. Eine erste Komponente ist ihre syntaktische Struktur S. Eine zweite liefert die formale Charakterfunktion, welche für alle gemäß S wohlgeformten Ausdrücke erklärt ist und welche die, wie wir sagen wollen, strukturell-semantischen Eigenschaften von L beschreibt. Die dritte Komponente von L, die man ihre inhaltliche nennen könnte, bilden die schon ausführlich beschriebenen, mit den lexikalischen Einheiten von S verknüpften ,Reden'. 3 8 Die vierte ist schließlich die historische Situierung oder raum-zeitliche Lokali37
Diese Kennzeichnung ist im Moment noch etwas nachlässig formuliert; darauf, wie sie genau zu verstehen ist, werden wir gleich, auf S. 143, noch eingehen.
38
Bislang haben wir nur von den Reden einer bestimmten, raum-zeitlich lokalisierten Sprache gesprochen; hier ist der Begriff der Rede nun aber in einem von der Lokalisierung abstrahierten Sinn zu verste-
3.9 Formaler Charakter und subjektive Bedeutung
137
sierung von L Dabei determinieren die ersten zwei Komponenten nicht die dritte und die ersten drei nicht die vierte, wie unsere diversen Beispiele gezeigt haben; und erst durch alle vier Komponenten zusammen ist der objektive Charakter von L festgelegt. Vollständige Kenntnis von L im gewöhnlichen wie im metaphysischen Sinne schlösse nun vollständige Kenntnis der inhaltlichen und der lokalisierenden Komponente ein. Beides darf aber, wie wir gesehen haben, nicht vorausgesetzt werden. Deshalb wollen wir nur annehmen, daß die Sprecher von L wenigstens die erste Komponente, die syntaktische Struktur S ihrer Sprache beherrschen. Ihr strukturell-semantisches Wissen beschreiben wir dann durch die formale Charakterfunktion für S. Und alles Wissen über die weiteren Komponenten rechnen wir zum Kontextwissen der Sprecher. Die Definition des formalen Charakters eines einstelligen Prädikates in einer syntaktischen Struktur S lautet demnach so: II P ll s (k) ( / ) = {x I x hat in w, die Eigenschaften, die gemäß der Wesentlichkeitskonvention von 4 für „P" in w^ für das P-Sein derjenigen Gegenstände wesentlich sind, auf die in 4 in w* typischerweise „P" angewendet wird - wobei 4, die Sprache von Sk in w* zu tk, die syntaktische Struktur S hat}. Statt von den „Eigenschaften, die gemäß der Wesentlichkeitskonvention von 4 für ,P' in Wfcfiir ... wesentlich sind" werden wir auch einfacher von den „Eigenschaften, die die 4,unwesentlichen für ... sind" sprechen, und die Rede, daß auf etwas in 4 in w k typischerweise ,,P' angewendet werde, können wir, wie auch früher schon, durch die Wendung, daß etwas in 4 in w* „P" heiße, abkürzen. Die Diagonale des formalen Charakters etwa des Satzes „Dies ist Wasser" in der syntaktischen Struktur S(D) des Deutschen können wir dann folgendermaßen formulieren: d5(D>(dies ist Wasser) = {k I II dies ist Wasser ll s ( D ) (k) (i(k)) = 1} = {k I das, worauf.^ in Wk zu tk zeigt 39 , hat in w* die Eigenschaften, die die 4 , w v wesentlichen für das Wasser-Sein derjenigen Gegenstände sind, die in 4 in w>k „Wasser" heißen}. Auf der Ebene des formalen Charakters ist die durch den Satz „Dies ist Wasser" vermittelte Information für ein Subjekt s also noch so unspezifisch, daß Kontextsprachen mit allen möglichen inhaltlichen Eigenschaften zugelassen sind; zum Beispiel sind hier für ä auch noch solche Kontexte möglich, in denen sich in seiner Sprache „Wasser" auf Bier oder auf Bleistifte bezieht. Dies ändert sich jedoch, sobald die in der Glaubensmen-
hen, also so, daß etwa - vor der jeweiligen Entdeckung der chemischen Struktur - die „Wasser"-Rede des Deutschen die gleiche Rede ist wie die „Wasser"-Rede des Zwillingsdeutschen. 39
Die Kennzeichnung „das, worauf Sk in Wk zu tk zeigt" ist natürlich nicht als allgemeingültiger Vorschlag für die Interpretation von „dies" zu verstehen, sondern nur als eine dem Zweck des Beispiels angemessene Ad-hoc-Deutung.
138
3.
Prädikate
ge enthaltene Information ins Spiel kommt; sie soll ja nun unter anderem Annahmen von s Uber die inhaltlichen Eigenschaften seiner tatsächlichen Sprache enthalten. So wird es zum Beispiel zu den Überzeugungen der meisten Deutschsprecher gehören, daß in ihrer Sprache die typischen Anwendungsfälle von „Wasser" gerade nicht längliche, hölzerne Stifte mit Graphitminen sind und nicht bräunliche und leicht bittere, sondern vielmehr durchsichtige und geschmacklose Flüssigkeitsansammlungen. Demnach sind für solche Sprecher alle Kontexte, in denen diese Eigenschaften nicht hat, keine möglichen Kontexte mehr. Die Glaubensmenge einer Person erhält mithin unter anderem die Funktion, das Resultat ihres Spracherwerbs zu repräsentieren. Dahinter steht das folgende, extrem vereinfachte Bild (bei dessen Schilderung wir uns weiterhin auf Prädikate beschränken): Eine Person kann auf zwei verschiedene Weisen inhaltliches Wissen Uber die Ausdrücke der Sprache erwerben, die in ihrer Sprachgemeinschaft gesprochen wird. Zum einen lernt sie durch Ostension, also dadurch, daß andere Mitglieder der Sprachgemeinschaft auf Dinge oder Ereignisse, die von ihr wahrgenommen werden, ein Prädikat „ P " anwenden und sie dann von ihren Wahrnehmungen durch Abstraktion einen Begriff bildet, verbunden mit der Hypothese, daß „ P " gerade für diesen Begriff steht. Die Person erwirbt also die Überzeugung, daß die Dinge, die in ihrer Sprache „ P " genannt werden, bestimmte wahrnehmbare Eigenschaften haben. In aller Regel wird dabei der subjektive „P"-Heißen-Begriff, den Personen auf diese Weise entwickeln, nicht die Eigenschaft sein, die „ P " objektiv ausdrückt.40 Doch bei manchen der nicht versteckt indexikalischen Prädikate, zum Beispiel bei Farbprädikaten wie „rot sein", scheint es nicht unplausibel, daß sich der subjektive Begriff nach hinlänglich vielen Anwendungsbeispielen mit dem objektiven deckt. Zum andern kann eine Person einen „P"-Heißen-Begriff auf eine rein innersprachliche Weise erwerben oder erweitern, nämlich dadurch, daß sie Äußerungen hört und interpretiert, in denen „ P " vorkommt und zu anderen Ausdrücken in Verbindung gesetzt wird. Wenn sie zum Beispiel „Ps sind Qs" hört, so entwickelt sie die Überzeugung, daß die Dinge, die die-und-die Eigenschaften haben und in ihrer Sprache „ P " genannt werden, auch Dinge sind, die die-und-die Eigenschaften haben und in ihrer Sprache „(/' genannt werden. Auf diese Weise baut sich dann ein komplexes, internes Begriffsnetz auf. Im gegenwärtigen Zusammenhang sind wir zwar nur an sprachlichen Begriffen interessiert, doch gibt es nicht nur sprachliche Begriffe. Personen verfügen auch unabhängig von ihrer Sprache über Begriffe, die sie Uber Wahrnehmung und Umgang mit den ent-
Genau genommen kann der subjektive „P"-Heißen-Begriff nie mit der objektiv von ausgedrückten Eigenschaft identisch sein. Denn erstens entsprechen subjektive Begriffe formal Diagonalintensionen, also Funktionen von Kontexten in Extensionen, objektive Eigenschaften hingegen gewöhnlichen Intensionen, das heißt Funktionen von Indizes in Extensionen. Zweitens gehört es nicht zur objektiven Eigenschaft, daß die Dinge, auf die sie zutrifft,,/*' genannt werden; sie ist ja auch für Indizes definiert, an denen es die Sprache, der ,/*' angehört, gar nicht gibt. In einem weniger strikten Sinn können subjektiver und objektiver Begriff dennoch gleich sein. Zum einen entspricht ja jedem Kontext ein Index; insofern entspricht auch jeder Eigenschaft, einer Funktion auf Indizes, ein subjektiver Begriff, eine Funktion auf Kontexten. Zum andern kann man den objektiven Begriff auf die Glaubensmenge des Subjekts einschränken; und innerhalb dieser können der subjektive Begriff und die von der objektiven Intension induzierte Funktion auf Kontexten einander angleichen und im Prinzip auch identisch sein. 40
3.9
Formaler Charakter und subjektive Bedeutung
139
sprechenden Dingen erworben haben, ohne daß ihnen dabei eine Benennung mitgeliefert worden wäre; auch Tieren ohne Sprache lassen sich Begriffe sicherlich nicht absprechen. Zum Beispiel kann eine Person einen Mirabellen-Begriff erwerben, ohne zu wissen, daß solche Dinge in ihrer Sprache „Mirabellen" heißen. Begriffe dieser Art sind in der Regel ebenfalls bloß subjektive Begriffe; die Person verfügt Uber den objektiven Begriff der Mirabelle genauso wenig wie Uber die objektive Bedeutung von „Mirabelle" (im Deutschen, in der wirklichen Welt), weil sie eben, mit oder ohne Bezeichnung, die wesentlichen Eigenschaften von Mirabellen nicht kennt. Es stellt sich dabei natürlich die Frage, mit welchem Recht man einen solchen subjektiven Begriff überhaupt als einen Mirabellenbegriff bezeichnen darf. Wieso ist er nicht eher ein engerer Begriff von gelben oder reifen Mirabellen oder ein weiterer Mirabellenoder-Reineclauden-Begriff? Dieses Problem hat Fodor (1987, Kapitel 4) unter anderem unter der Bezeichnung „Disjunktionsproblem" ausführlich diskutiert. Es ist aber nicht unser aktuelles Problem. Klar ist nur so viel, daß wir einen internen Begriff eines Subjekts ebenso wenig exakt angeben können wie seine Glaubensmenge; dazu müßten wir ja genau nachzeichnen, was alles vom Subjekt unterschieden wird und was nicht. Wenn wir einen subjektiven Begriff als Mirabellenbegriff charakterisieren, so ist dies lediglich eine grobe, von außen getroffene de-re-Zuschreibung, die sich daran orientiert, daß dieser Begriff vor allem an reifen und unreifen Mirabellen, aber nicht an Reineclauden gebildet wurde. Klar ist auch, daß solche nicht-sprachlichen Begriffe unverzichtbare Grundlage aller sprachlichen Begriffe sind. Zwar mögen manche Begriffe nur auf innersprachliche Weise gebildet sein; zum Beispiel werden die meisten Sprecher nicht einmal entfernt mit Plasma in Kontakt gekommen sein und daher ihren Plasmabegriff nur über Bücherwissen entwickelt haben. Doch kann es sich nicht mit allen Begriffen so verhalten. In der Tat wird ja beim ostensiven Lernen wie selbstverständlich der sprachliche und der nicht-sprachliche Begriff zusammen als ein Begriff gebildet. 41 Daß hier zwei Dinge zusammenkommen, wird besonders klar, wenn man bedenkt, daß es sehr wohl möglich ist, daß eine Person sowohl Uber einen subjektiven P-Begriff, als auch Uber einen subjektiven Heißen-Begriff verfügt, ohne beide zu verschmelzen; es kann sehr wohl passieren, daß sie einerseits P-Erfahrungen gehabt und an ihnen einen entsprechenden Begriff gebildet hat, andererseits rein innersprachlich, also ohne Anwendungsbeispiele einen „P"-HeißenBegriff aufgebaut hat und erst sehr viel später oder auch gar nicht die beiden miteinander verknüpft. 4 2 - So viel zur Erläuterung unserer Auffassung, daß die Glaubensmenge einer Person auch ihren Spracherwerb repräsentiert. Es ist zu betonen, daß unsere Aufteilung des Bedeutungswissens kompetenter Sprecher in die beiden gerade geschilderten Komponenten - formaler Charakter der syntaktisch strukturierten Ausdrücke einerseits, in der Glaubensmenge repräsentierte Annahmen Uber ihre Verwendung in der Sprachgemeinschaft andererseits - keine Kategorie mehr 41
Auf die doppelte Induktion beim ostensiven Lernen hat Quine immer wieder hingewiesen, z. B in Quine (1974), §§ lOff.
42
Nida-Rümelin (1993) schildert solche Beispiele in Bezug auf Farben und Farbwörter und zieht daraus starke Folgerungen hinsichüich des Leib-Seele-Problems.
3. Prädikate
140
enthält, die dem entspricht, was man traditionellerweise semantisches Wissen nennt. Der formale Charakter kodiert nur noch das strukturelle Wissen kompetenter Sprecher, und der Versuch, in der Glaubensmenge zwischen semantischen und empirischen Annahmen zu unterscheiden, dürfte weder aussichtsreich noch theoretisch nützlich sein. Auch der Begriff des kompetenten Sprechers erhält auf diese Weise einen großen Vagheitsspielraum. Ob man sagen will, daß eine Person die Bedeutung der Ausdrücke ihrer Sprache kennt oder nicht, hängt nun ganz davon ab, wie strikt die Anforderungen jeweils sind, die man an die in ihrer Glaubensmenge enthaltenen Überzeugungen über die eigene Sprache stellen will. Diese Vagheit hängt ja auch schon dem Begriff des Stereotyps an, mit dem Putnam die individuelle Sprachkompetenz beschrieben hat. Der Verlust einer eigenen theoretischen Komponente für das semantische Wissen im traditionellen Sinn scheint mir jedoch kein unerwünschtes Ergebnis, sondern vielmehr eine unvermeidliche Konsequenz aus den neueren Überlegungen zur Bedeutungstheorie zu sein, wie sie sich bei Putnam, Kripke, Bürge und anderen finden; gewiß spiegelt sich darin auch Quines Insistieren auf der Untrennbarkeit von Sprache und Theorie, auch wenn Quines Rahmen mit dem unseren ansonsten kaum vergleichbar ist. Hervorzuheben ist auch, daß wir mit dem Begriff des formalen Charakters schließlich unsere Ankündigungen aus dem Abschnitt 2.1 über eine Explikation von Stalnakers Propositionalkonzept einlösen. Der objektive Charakter in einer gegebenen Sprache ist das, womit sich Kaplan durchweg beschäftigt. Daß Stalnaker bei seinem Propositionalkonzept, wie wir beim formalen Charakter, auch variierende Sprachen zulassen will, ist schon bei unserer Darlegung seiner einschlägigen Beispiele im Abschnitt 1.4 klar geworden. Und nach all den anderen im Abschnitt 2.1 angekündigten und mittlerweile durchgeführten Modifikationen liegt darin meiner Interpretation zufolge gerade der einzige Punkt, in dem sich Kaplans Charakter und Stalnakers Propositionalkonzept noch unterscheiden. Allerdings kann unsere Rekonstruktion des Propositionalkonzepts nicht ganz im Sinne von Stalnaker sein, da wir den formalen Charakter zur Lösung des Internalitätsproblem verwenden wollen, während er in (1990) ausdrücklich bestreitet, daß seine Propositionalkonzepte dieses Problem aufklären. Wie sieht denn unsere Lösung des Internalitätsproblems nun aus? Im Grunde haben wir dazu alles Wesentliche bereits gesagt. Die subjektive Bedeutung einer Äußerung können wir weiterhin Uber die Diagonale des Charakters des geäußerten Satzes explizieren - wenn wir uns dabei nicht mehr auf den objektiven, sondern auf den formalen Charakter des Satzes beziehen. Wenn wir diese dann vor dem Hintergrund der jeweiligen Glaubensmenge betrachten, so ergeben sich in den kritischen Beispielen von Bürge und Putnam genau die erwünschten internen Gleichheiten: Wenn Fritz als Sprecher des Deutschen ernsthaft und aufrichtig den Satz „Ich habe Arthritis im Oberschenkel" äußert, so ist die Diagonale des formalen Charakters dieses Satzes in der syntaktischen Struktur S(D) des Deutschen in vereinfachter Form zu beschreiben als: {¿I II ich habe Arthritis im Oberschenkel ll5 I j ) steht in Wf, am Ursprung einer „Paderewski"-Rede des Deutschen in Wfcund ist in Wf, musikalisch und j ^ x ^ ) steht in w^ am Ursprung einer „Paderewski"-Rede des Deutschen in u>£ und ist in H>£ nicht musikalisch }.
Wenn (32a) nun eine Obermenge von Peters Glaubensmenge ist - welche nun auch als eine Menge von Quadrupeln < w, s, t,j> konstruiert wird - und wir zudem davon ausgehen, daß diese Glaubensmenge die Annahme enthält, daß ) * jpfto), so ist Peters Glaubensinhalt damit offenkundig als konsistent beschrieben. Iis wird dann einfach gesagt, daß Peter glaubt, daß es eine Person x gibt, die „Paderewski" heißt und musikalisch ist, und eine von x verschiedene Person y, die ebenfalls „Paderewski" heißt, und nicht musikalisch ist.
194
4.
Eigennamen
Damit könnte man zu einer Behandlung von Nominalphrasen gelangen, die eng verwandt ist mit dem, was Heim (1982) unter dem Begriff „File-Change-Semantics" und Kamp (1981) unter dem Begriff der Diskursrepräsentationstheorie entwickelt haben. Doch ist klar, daß diese Fragen und diese Verwandtschaften nur im Rahmen einer umfassenden Theorie aller Nominalphrasen analysiert werden können, die hier nicht mehr unser Gegenstand ist. Die Semantik der Eigennamen kann jedenfalls erst in diesem Rahmen vollständig aufgeklärt werden.
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149, 152-155, 159, 161, 174
Feyerabend, Paul 114 Fodor, Jerry 6 0 , 1 3 9 , 1 6 1 Frege, Gottlob 9, 11, 15-20, 22, 32, 54, 106, 109 Gärdenfors, Peter 59 Gazdar, Gerald 55 Grice, H. Paul 93 Heim, Irene 5, 29, 45, 52, 55, 61f., 194 Herweg, Michael 83 Kamp, Hans 27, 194 Kaplan, David 11-16, 20f„ 25, 28-32, 37, 44, 48, 50f„ 58, 62, 65, 70-72, 78, 89, 97, 99-105, 1271"., 147-150, 155, 160, 163, 170f., 174, 176f„ 183, 185-187 Kneale, William 161 Kombiith, Hilary 124 Kratzer, Angelika 44 Kripke, Saul 9, 1 lf., 15, 18f., 23, 28, 31, 33, 38, 43, 48, 65, 93, 97, 124f„ 127130, 140, 144, 147-149, 154, 159, 161, 164, 166, 168f„ 174, 191
Kuhn, Thomas 114 Lerner, Jean-Yves 148f„ 155, 167, 172, 176 I^ewis, David 12, 26f„ 38, 51, 60f„ 64f„ 6771, 74f„ 78, 93 Linsky, Bernhard 128-130 Loar, Brian 107, 161 Lycan, William 72 Nida-Rümelin, Martine
139
Perry, John 54, 67, 70f. Putman, Daniel 124 Putnam, Hilary 10, 12, 15, 34, 39f„ 42f„ 51, 65, 87-95, 97, 99, 106-112, 114f„ 118, 120-123, 126-128, 130, 132-135, 140-142, 144, 147 Quine, Willard Van Orman 139f.
15,35-37, 102,
Recanati, F r a n z i s 161, 176 Reichenbach, Hans 73 Reimer, Marga 186f. Russell, Bertrand 15, 17-19, 22, 103, 161 Salmon, Nathan 107 Schwartz, Stephen 122-124,130 Searle, John R. 161,167 Spohn, Wolfgang 5, 193 Stalnaker, Robert C. 11-16, 29, 35, 44-61, 71-77, 140, 149, 158 von Stechow, Arnim 5, 55, 70, 84, 168, 192 Stich, Stephen 141 Wettstein, Howard 186f. White, Stephen 141f. Wunderlich, Dieter 83 Zimmermann, Thomas Ede 5 , 2 7 , 6 1 , 8 2 , 127, 148f„ 155, 167, 172, 176, 185
Sachverzeichnis
Abendstern/Morgenstern 16f., 160, s.a. Hesperos/Phosphoros abgeleitet, s. Kontext absolut, s. Ausdruck Akkommodation 51f. Analytizität 31, 97f„ 106, 108, 119, 125f„ 131, 143, 155 Aneignungskontext 141 Anreicherungsmodell 46,59 Antiindividualismus 42, s.a. Individualismus A posteriori, s. A priori A priori, Apriorität 10f„ 31, 104f. sprachliches ~ 120, 160 Arbeitsteilung, sprachliche 40 Arbitrarität (sprachlicher Zeichen) 106,108f. Artefakt 121-123 Arthritis/Tarthritis 41, 140f. attributive/referentielle Lesart 29,71, 109, 159, 162f. Ausdruck absoluter ~ 28 absolut starrer ~ 28 deskriptiver ~ 29 direkt referentieller ~ 21, 28, 127 indexi kalischer ~ 20f„ 25, 28, 54, 65, 127 token-reflexiver ~ 73 Äußerung 27,44, 78, lOOf. Äußerungsort 81f. Äußerungssituation, s. Kontext Äußerungszeit 78 Auswertungssituation, s. Index Bedeutung objektive ~ 9f„ 13-16, 20, 23, 31, 39-43, 71, 94, 132, 135, 181, 188 subjektive- 9-17,20,31-33,39-46,55, 58-60, 64, 71, 75, 86f„ 94, 132-135, 142f„ 167, 169, 174, 181, 188, 190 Bedeutungstheorie, s. Referenztheorie, Pragmatik, Semantik metasprachliche ~ 113, 184, s.a. Metaspracheneinwand
Bedeutungswandel 113f. Bedeutungszustand (einer Sprache) 108f. Begriff sprachlicher vs. nicht-sprachlicher ~ 138f. subjektiver ~ 138f. wissenschaftlicher ~ 114 Behauptung 44f. Bekanntschaft, direkte 103 Charakter 11, 27, 57-60, 70, 87-93, 135, 167 Änderung des ~ 113f. Definitionsbereich des ~ 99-102,142, 150, 173, 179, 190f. formaler ~ 13, 136f„ 140-143, 158, 168f„ 175-179, 181, 189f. objektiver ~ 136f„ 140, 142, 149f„ 168, 172, 176, 178, 185, 189 partiell definierter ~ 97 partieller ~ 141f. Propositionalkonzept vs. ~ 47-51,57,60 Charakterfunktion 31 f. Definitionsbereich der ~ 18 lf. Charity, Principle of 120 Cicero/Tullius 166f. Common Currency Conception 150f. de dicto, de re, de nunc, de se, s. Glauben, Glaubenszuschreibung Deduktionsproblem 35 Designationskette 148 Designator, s. starr deskriptiv, s. Ausdruck, Name deskriptiver Gehalt, s. Name Diagonale 1 l f , 30, 59, 61, 71, 113 die kontradiktorische 30 die tautologische 30 informative 30,54 Diagonalisierung 52-55, 57, 95, 167 Diagonaloperator 29-31, 52-54,60f. direkt referentiell, s. Ausdruck Disjunktionsproblem 139 Diskursrepräsentationstheorie 194 Disquotationsprinzip 33,41,145
202
Doppelindizierung 26f. doxastische Alternative 12,34, 64-67,75, 193 strukturelle Gleichheit von ~ und Kontexten 61f. dthat-Operator 29 Eigenname, s. Name Eigenschaft 23,27 ~ v s . Begriff 138 wesentliche ~ 116f.,128 Einschlägigkeit 181, 185-187 Einstellung, s. Glauben Einstellungszuschreibung, s. Glaubenszuschreibung Empirismus 114 Erkenntniswert, s. subjektive Bedeutung Experte 151f„ 156 Extension 22,28 extensional, s. Konstruktion Fiktion, s. Name, Prädikat fiktiver Gegenstand 126, 158 File-Change-Semantics 194 formal, s. Charakter Fundierung, mehrfache 152 Funktionswort 87, 123f. Gedanke, s. Glaubensinhalt Gedanke, Fregescher 9 Gegenwartsparameter 61,76f. generisch, s. Name Glauben ~ de nunc 60f., 77 -dese 12,60,67-72 propositionaler ~ 68f. Glaubensinhalt 3 4 f „ 4 2 f „ 60f„ 76 Glaubensmenge 12, 34f. 58, 61, 64, 138 Glaubensrevision 59 Glaubenszuschreibung 33f. de-dicto— 13, 15,35-38,41-43, 144f„ 169 de-re— 36f., 139 Gleichheit, interne 132-134,144 Haecceitismus 69, 74, 77 heißen 93, s.a. Rede Hesperos/Phosphoros 19,35,50, 165f., 180f, 188f., s.a. Abendstem/Morgenstem hier, s. Ortsparameter Holismus (bzgl. subjektiver Bedeutung) 11,59 Hörer/Sprecher-Perspektive 33, 62, 75 hyperintensional, s. Konstruktion H 2 0 / X Y Z 39, 88-92, 96-99, 133 ich, s. Glauben de se, Subjektparameter
Sachverzeichnis
Identitätsaussage 16f, 20f., 106, 129, 155 Implikatur 52 Index 24-27,47 -parameter 26, 60 strukturelle Gleichheit von ~ und Kontext 29f., 61 indexikalisch, s. Ausdruck Indexikalität 11,27,149 o f f e n e - 12,89,97 versteckte ~ 12, 40, 87, 89, 97, 112, 114, 119, 126f., 130, s.a. Name Individualismus 9f., 34, 135, s.a. Antiindividualismus Individuenkonzept 23,27 Informativität 12, 45, 168, 177, s.a. Diagonale, informative Informativitätsproblem 9-15, 32,43, 54f., 64, 66, 87, 95-99, 106f„ 131, 165-168 Inhalt, s. Glaubensinhalt, Intension Intension 22f., 27 partiell definierte ~ 23, 28 intensional, s. Isomorphie, Konstruktion, Operator intern, s. Gleichheit, Konsistenz Intemalitätsproblem 10-13, 42f., 55, 64-66, 75, 87, 132, 140, 167-169, 174-178, 189 Isomorphie charakteriale ~ 110 intensionale ~ 110 jetzt, s. Gegenwartsparameter, Glauben de nunc kausal, s. Referenztheorie Kennzeichnung, s. attributiv/referentiell kognitive Signifikanz, s. subjektive Bedeutung Kommunikationskette 148, 174 Kompositionalitätsprinzip charakteriales ~ 30 extensionales ~ 22 intensionales ~ 24 Konsistenz, interne 38 Konstruktion charakteriale ~ 30f. extensionale ~ 22 hyperintensionale ~ 35 intensionale ~ 24 l o k a l e - 24,82-84 temporale- 24,78-80 Konsument eines Namensgebrauchs 152 Kontext 25-27, 47, 99-102, s.a. Konstruktion abgeleiteter ~ 47 -parameter 26 60 strukturelle Gleichheit von - und doxastischen Alternativen 61f. T e i l - 192 Kontextabhängigkeit, s. Indexikalität
203
Sachverzeichnis
Kontextmenge, s. Redehintergrund Kontextveränderungspotential 45f., 55 Kontextveränderungstheorie 15,55 Kontingenz, s. Notwendigkeit
dthat— 29 intensionaler - 26 Ortsparameter 61,81 -86 Ostension 138f.
Laie 151f., 156 leer, s. Name, Prädikat logischer Egenname, s. Name logische Folgerung 100 logische Wahrheit 31 lokal, s. Konstruktion Londres/London 38, 167, 169, 175, 178f.
Padereweski/Paderewski 168,191-193 partielle Definiertheit, s. Charakter, Intensión Prädikat 12, 87, s.a. Funktionswort, Rede, Substanzwort fiktionales ~ 125f. leeres- 87,124-126 Pragmatik 44-46, 72 pragmatische Folgerung 52 Präsupposition 52, 55 Produzent eines Namensgebrauchs 152 Proposition 23,28 die notwendige - 23 die unmögliche - 23 kontingente ~ 23 strukturierte - 35, 70, 168 Propositionalkonzept 11, 15, 47f., 54, 58, 140
Metasemantik 104 Metaspracheneinwand 105-109,113, 161-165 Monster, s. Konstruktion, charakteriale Name
13, 18f„ 381"., 48-50, 147-149, s.a. Rede ~ als ambiger Ausdruck 13, 147, 170174, 181, 192 ~ als demonstrative Nominalphrase 182185,188-192 ~ als offen indexikalischer Ausdruck 13, 147, 170, 176-182, 188, 191 deskriptiver ~ 159 deskriptiver Gehalt eines ~ 160f. fiktionaler ~ 158f. generischer ~ 183 gewöhnlicher ~ 105 homonyme ~ 170
Identitatsbedingungen für homonyme ~ 172 l e e r e r - 157-159 logischer Eigen~ 103-105 mehrfaches Vorkommen eines ~ in einem Kontext 191-193 versteckte Indexikalität eines ~ 154, 172, 188 Namensform 172, 174 Namensprädikat 183f. Namenstradition 148, s.a. Rede Nominalphrase demonstrative Nominalphrase 185, s.a. Name intentionalistische vs. hörerbezogene Theorie des Bezugs einer demonstrativen ~ 186f. Semantik der ~ 55, 147, 194 Notwendigkeit 10f„ 16, 19-21,31, 125, 155, 189 objektiv, s. Bedeutung, Charakter Operationalismus 114 Operator Diagonal- 29-31,52-54
- vs. Charakter
47-51, 57, 60
Realismus 114 Rede Fundierung einer - 152 mit einem Namen assoziierte 149f., 153-156, 163f„ 172-174 mit einem Prädikat assoziierte ~ 94-98, l l l f . , 115f., 137 Ursprung einer - 153f. Redehintergrund 44-47,51 -54,58f. referentiell, s. attributiv Referenztheorie empirische - 94, 104, 149, 186 kausale ~ 93, 148f. Rekursion, semantische 11, 13, 43, s.a. Semantik Selbstzuschreibung, s. Glauben de se Semantik, rekursive 94, 104, 149 semantisches Wissen, s. Wissen Sinn, Fregescher 17f., 22 Sprache 136f. Untrennbarkeit von - und Theorie 140 Spracherwerb 138f. Sprachkenntnis, s. Wissen Sprecher/Hörer-Perspektive 33,62,75 Sprecherpräsupposition 44 starrer Designator 19,21,23,28,87,95, 126-130, 147, 150 strikt - 23 Stereotyp 40, 142, 160 strukturierte Proposition, s. Proposition subjektiv, s. Bedeutung, Begriff
204 Subjektparameter 60-62 Substanzwort 12, 19, 39f„ 112-115, 120 Substituierbarkeit des Identischen 17 Teilkontext 192 temporal, s. Konstruktion token-reflexive, s. Ausdruck Tradition 148, s.a. Rede Übersetzung 109-112,171, 179f. Übersetzungsargument 107, 109-112, 1621"., 180, 190 individuelle Variante des ~ 107,113,144 Übersetzungsprinzip 33 Überzeugung, s. Glauben Überzeugungsänderung 59 Überzeugungsinhalt, s. Glaubensinhalt Uminterpretation 51f.
Sachverzeichnis Variablenbelegung 61, 193 ~ als Kontextparameter 62,193 Wahrheit 28 logische ~ 31 Wahrheitsbedingung, s. objektive Bedeutimg wesentlich, s. Eigenschaft Wesentlichkeitskonvention 115-120, 153 Wissen semantisches ~ 12f., 40, 58, 87, 139-142 unvollständiges ~ über den Äußerungskontext 57, 135 unvollständiges ~ über die eigene Sprache 131-137 wer man ist 66f. wissenschaftlicher Begriff 114 Wort Identitätskriterium für ~ 9 lf.