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German Pages XI, 526 [532] Year 2020
Medienkulturen im digitalen Zeitalter
Alan Schink
Verschwörungstheorie und Konspiration Ethnographische Untersuchungen zur Konspirationskultur
Medienkulturen im digitalen Zeitalter Reihe herausgegeben von Kornelia Hahn, Salzburg, Österreich Rainer Winter, Klagenfurt, Österreich
Fortgeschrittene Medienkulturen im 21. Jahrhundert zeichnen sich dadurch aus, dass alle Kommunikation durch Erfahrungen mit „neuer“, digitaler Medientechnologie beeinflusst ist. Es kommt nicht nur zu vielfältigen Transformationen von Praktiken und Identitäten. Überdies entstehen neue Identifikationen und Gebrauchsweisen. Auch die Medien selbst werden verändert, weil Inhalte leichter verfügbar sind, sich Plattformen und Produzenten vervielfältigen und multiple Konvergenzen herausbilden. Die Verknüpfung von traditionellen und neuen Medien führt immer mehr zur Entfaltung komplexer und intensiver Medienkulturen, die unser Leben maßgeblich prägen. Dabei ist Medienkommunikation immer bereits in spezifische Kulturen eingebettet und wird eigensinnig implementiert. Die Reihe enthält empirische und theoretische Beiträge, die gegenwärtige Medienkulturen als spezifische Facette des sozialen Wandels fokussieren. Die damit verbundenen medialen Transformationen sind gleichzeitig Untersuchungskontext als auch Gegenstand der kritischen Reflexion. Da Medien in fast allen sozialen Situationen präsent sind, gehen wir nicht von einem Gegensatz zwischen Medienkultur und Nicht-Medienkultur aus, sondern eher von einem Kontinuum bzw. einem Spektrum an Veränderungen. Während bisher die Erforschung der medienbasierten Fernkommunikation überwiegt, gibt die Reihe auch der face-to-face oder kopräsenten Kommunikation und Interaktion in Medienkulturen ein Forum. Die Beiträge basieren damit auf Untersuchungskonzeptionen, in deren Zentrum die soziologische Analyse von Medienkulturen steht.
Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/11768
Alan Schink
Verschwörungstheorie und Konspiration Ethnographische Untersuchungen zur Konspirationskultur
Alan Schink Salzburg, Österreich Dissertation Universität Salzburg, 2019
ISSN 2570-4087 ISSN 2570-4095 (electronic) Medienkulturen im digitalen Zeitalter ISBN 978-3-658-31688-4 ISBN 978-3-658-31689-1 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-31689-1 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
Danksagungen
Ein großer Dank gilt zunächst den Herausgeber*innen der Reihe „Medienkulturen im Digitalen Zeitalter“, ohne die diese Monographie so nicht hätte erscheinen können. Insbesondere möchte ich dabei meiner Hauptbetreuerin Kornelia Hahn danken: für die Geduld, für kreative Impulse und für die Freiheiten, die sie mir während der gesamten Forschungsphase gelassen hat. Zweitens danke ich Michael Schetsche, der mich vor allem in der Anfangsphase der Arbeit beraten und gefördert hat und dessen wissenssoziologische Forschung, insbesondere zu Verschwörungstheorien, ein wichtiges Fundament dieser Arbeit darstellt. Das Letztere gilt nicht minder für Andreas Anton, dessen Kollegialität ich über seine fachliche Kompetenz hinaus sehr schätze. Ein großer Dank gilt weiterhin Oliver Dimbath, durch dessen Kritik die vorliegende Fassung der Arbeit inhaltlich vieles gewonnen hat. Bei Kirsten Krebber möchte ich mich für die herausragende Lektoratstätigkeit bedanken. Frau Krebber hat in einem sehr engen Zeitfenster ausdauernd und mit vielen Hinweisen die Dissertation nicht nur formal grundlegend überarbeitet, sondern auch inhaltlich bereichert. In diesem Sinne danke ich auch Frau Schöller, die im Auftrag des Springer VS-Verlages die Zusammenarbeit sehr unkompliziert gestaltet hat. Im Weiteren bedanke ich mich bei allen Kolleg*innen der Universität Salzburg: Désirée Wilke und Ruth Abramowski, Alexander Seymer und Wolfgang Aschauer, mit denen ich über die Salzburger Zeit hinweg Freude und Leid teilen und auf viele Arten zusammenarbeiten durfte. Ich danke auch den weiteren Kolleg*innen, vor allem jenen, die an unseren gemeinsamen Datensitzungen teilgenommen und andere Perspektiven auf das Forschungsthema eröffnet haben: Simon, Hemma und Dorith. In diesem Zuge bedanke ich mich ebenfalls sehr herzlich bei allen Studierenden, die sich die Zeit genommen haben, unsere Datensitzungen zu besuchen und engagiert am Material mitzudiskutieren. Ganz besonders danke ich allen Menschen, die Zeit gefunden haben für einen Austausch oder ein Treffen, um einen Einblick in ihr Leben oder ihre Tätigkeit das Forschungsfeld betreffend zu geben. Aus ihren Geschichten ist die vorliegende Arbeit gemacht. Hervorheben möchte ich hier besonders: Matthias Bröckers, Giulia Silberberger, Stephan Bartunek, Markus Fiedler, Dirk Pohlmann, Daniel Jakubowski. Ein großer Dank gilt in dieser Hinsicht auch allen anonym gebliebenen Informant*innen, Tippgeber*innen und Gesprächs- und Interviewpartner*innen. Bei meiner Familie bedanke ich mich für ihre Geduld und ihr Vertrauen über viele Jahre hinweg. Ein sehr herzlicher Dank gebührt schließlich meiner Frau, die mich besonders in schweren Phasen der Feldforschung und Publikation mit Rat, Trost und Witz unterstützt hat.
Vorwort
Die vorliegende Ethnographie ist das Ergebnis einer jahrelangen Auseinandersetzung mit Verschwörungen, „Verschwörungstheorien“ und dem Kampf gegen sie in Medien, Politik und Wissenschaft. Die Publikation ist die gekürzte Fassung einer 2019 angenommenen und verteidigten Dissertation an der Universität Salzburg. Der Autor hat zum Thema mehrere Beiträge publiziert, deren Gedanken hier ebenfalls zugrunde liegen und weiterentwickelt wurden. Möglicherweise erscheinen diese durch die Monographie in einem neuen Licht. Diese Sorte von Arbeit, zumal ethnographisch, ist niemals ‚fertig‘. Manchmal muss sie mit Gewalt zu einem Abschluss gebracht und in eine Form gegossen werden, die den Anschein erwecken soll: ‚So ist es‘. Aber ‚so‘ ist es nicht; nicht für alle: die Arbeit ist im Wesentlichen für ein bestimmtes Publikum geschrieben; nicht unbedingt: Die Arbeit wurde aus der Perspektive eines bestimmten Menschen verfasst; und nicht für immer: Die Arbeit wurde unter bestimmten privaten, sozialen, politischen Umständen geschrieben. All dies beeinflusst die Darstellung. Im August 2013, als das erste Interview geführt wurde, das anschließend in diese Ethnographie Eingang fand, waren „Verschwörungstheorien“ ein exotisches Randthema. Das hat sich ein Stück weit verändert. Das Thema ist, zumindest im medienpolitischen Diskurs, präsenter und kontroverser denn je. Heute scheint es manchmal so, als müsse man nichts weiter erklären, wenn man „Verschwörungstheorie“ sagt. Ein vermeintliches Wissen über „Verschwörungstheorien“ hat sich gesellschaftlich verfestigt und verunmöglicht oder emotionalisiert und polarisiert häufig die Debatten – bis hinein in die Wissenschaft. In Krisen, wie der aktuellen Corona-Krise, wird die „conspiracy panics“ als Angst vor Verschwörungen wie auch als Angst-Abwehr vor „Verschwörungstheorien“ wieder sichtbar. Diese Polarisierung zieht sich durch den gesamten Forschungsprozess der vorliegenden Arbeit und bereitete dem Verfasser einige schlaflose Nächte, Sorgen, persönliche Konflikte und nachdenkliche Meditationen. Mit der Publikation dieser Arbeit ist die Hoffnung verbunden, zumindest den wissenschaftlichen Diskurs über „Verschwörungstheorien“ durch unübliche Perspektivenwechsel weiter zu differenzieren. Weinstadt, den 1. Juli 2020 Alan Schink
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung…………………………………………………………... 1.1 Ein Besuch bei Bröckers……………………………………... 1.2 Worum es geht……………………………………………...... 1.3 Gliederung der Arbeit………………………………………...
1 2 7 12
2 Forschungspraxis und Methodologie…………………………....... 2.1 Die Praxis der Ethnographie…………………………………. 2.2 Datenumfang und Auswertung………………………………. 2.3 Distanz: Diskurse und Theorien……………………………… 2.4 Nähe: ‚Ethnographie des Selbst‘……………………………...
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3 Die Masken der Illuminaten………………………………………. 3.1 (Familien-)Geheimnisse (1985–1999)……………………….. 3.2 Inside-Outside (1999–2006)…………………………………. 3.3 „Verschwörungstheoretiker“ (2006–2009)…………………... 3.4 Wiedergeburten (2009–2014)………………………………... 3.5 Nachspüren…………………………………………………...
51 51 61 66 72 82
4 Die Verschwörung denken………………………………………… 4.1 Wissen und Praxis der Verschwörung………………………... 4.1.1 Konspiration…………………………………………….. 4.1.2 Verschwörung…………………………………………… 4.1.3 Verschwörung-zur-Tat…………………………………... 4.1.4 Verschwörung zweiter Art………………………………. 4.1.5 Verschwörungspraxis…………………………………… 4.1.6 Fallbeispiel: Die Verschwörung der Mafia……………... 4.2 Über populäres Wissen………………………………………. 4.3 Konspirationskultur…………………………………………...
85 100 104 114 119 123 130 135 147 153
X
Inhaltsverzeichnis
5 Verschwörungen im Deutungskonflikt…………………………… 5.1 Die Verschwörung von 9/11………………………………….. 5.1.1 Rudy Giulianis Plot……………………………………... 5.1.2 9/11: Fragmentierte Wahrheiten………………………… 5.1.3 Der Zwang zum Konsens……………………………….. 5.1.4 Mediale Brüche…………………………………………. 5.2 Medienkonspirationen………………………………………... 5.2.1 Unterwerfungen und diskursive Brüche………………... 5.2.2 Verschwörungen im Mainstream………………………... 5.3 Das Wissen der False Flag…………………………………… 5.3.1 Strategie der Spannung………………………………… 5.3.2 Agents Provocateurs…………………………………….. 5.3.3 „The Spectacle of the False Flag“………………………. 5.4 „Verschwörungstheoretiker“: eine Sozialfigur……………….. 5.4.1 Daniele Ganser: Karriere eines „Verschwörungstheoretikers“…………… 5.5 Die Anti-„Verschwörungstheorie“…………………………… 5.5.1 Merkmale des anti„verschwörungstheoretischen“ Diskurses………………. 5.5.2 Der „Skeptiker“-Diskurs………………………………... 5.5.3 Berichterstattung in der Wikipedia……………………… 5.5.4 Amadeu Antonio Stiftung……………………………….. 5.5.5 Der Kampf gegen „Verschwörungstheorien“……………
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6 „Gegenöffentlichkeit(en)“ und Dissidenz………………………… 6.1 „Generation 9/11“: Die Wahrheitsbewegung………………… 6.1.1 „Die Wissenschaft von 9/11“…………………………… 6.1.2 Wahrheitsbewegung in Deutschland……………………. 6.2 Antisemitische Symbole……………………………………… 6.3 (R)Echter Wiederstand……………………………………….. 6.3.1 „Großer Austausch“ und Metapolitik…………………… 6.3.2 Infokrieg: „Reconquista Germanica“…………………… 6.4 Der „Macher“: KenFM………………………………………. 6.4.1 Multiplikator…………………………………………….
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257 262 265 270 291 303 308
Inhaltsverzeichnis
6.4.2 6.4.3 6.5 6.6 6.7 6.8
XI
Positionen……………………………………………….. Die Maske des Joker……………………………………. Fernsehen als Kontrafakt…………………………………….. „Mehr sehen als anderswo“…………………………………... Truthrap………………………………………………………. UFO-Cover-Up und -Disclosure……………………………...
359 360 361 365 373 380
7 Schattenzonen: Occulture und Conspirituality………………...... 7.1 Occulture……………………………………………………... 7.2 Conspirituality………………………………………………... 7.3 Aufwachen…………………………………………………… 7.4 Männerwelten? ……………………………………………… 7.5 „Deep Shit“ und „mind fuck“………………………………... 7.6 Teufelskreise………………………………………………….. 7.7 Synchronizitäten………………………………………………
395 396 405 414 431 436 442 456
Transkriptionsregeln……………………………………………….
461
Literatur und Quellen……………………………………………... Literaturverzeichnis…………………………………………… Bildnachweise…………………………………………………. Anmerkungen…………………………………………………..
463 463 487 492
1 Einleitung Die Perspektive dieser Ethnographie ist, dass man sich, um das Verschwörungsdenken wirklich zu verstehen, einer kognitiven Dissonanz aussetzen muss. Man muss die gehegte Komfortzone verlassen und sich radikal für eine Wirklichkeit öffnen, die die eigene Wahrnehmungsmatrix in ihren Grundfesten irritiert. Erst wenn man dieses Denken so, von ‚innen‘ her, durchlebt, seine ‚schmutzigen‘ Untergründe für eine Zeitlang durchwatet, die Wahrheit gesucht hat und dabei in diverse Fallen getappt ist, kann man zurückkehren zum ‚Business as usual‘, zur distanzierten Beschreibung und Einordnung des Verschwörungsdenkens in den gesellschaftlich-kulturwissenschaftlichen Kontext. Das Durchleben verändert die Perspektive auf den Forschungsgegenstand. Anne Honer (1989) nennt das „existenzielles Engagement“ und bestimmt dieses als ein epistemisches Mittel und Wesensmerkmal der Lebensweltlichen Ethnographie. Mit Kurt H. Wolff (1968) meint das Erstere die „Hingebung“ und das Zweite den „Begriff“. Beides steht in einer dialektischen Wechselwirkung. In der Ethnographie nutzt man die Hingebung, das Eintauchen in das Feld, um sich anschließend wieder von ihm zu distanzieren, ein ‚going native‘ zu verhindern, zur Analyse zurückzukehren. Im Fall der vorliegenden Studie war es etwas anders. Der Autor fand nicht erst durch die ethnographische Praxis zum Verschwörungsdenken. Er fand von der kognitiven Dissonanz eines radikalen Verschwörungsdenkens zur Methode der Ethnographie. Für diese ist die ständige Irritation und Befremdung das Mittel der (Selbst-)Reflexion. Insofern trägt die vorliegende Arbeit tiefe autoethnographische Züge. Die darin mitgeteilten Erfahrungen und Perspektiven, die Ängste und auch die Analysen sind mitunter stark subjektiv und durch das Verschwörungsdenken des Autors eingefärbt. Aber genau das macht dieses Wissen nicht weniger brauchbar oder wirklich. Im Gegenteil – Selbst- und Fremdverstehen sind untrennbar miteinander verbunden.
Zusatzmaterial online Zusätzliche Informationen sind in der Online-Version dieses Kapitel (https://doi.org/10.1007/ 978-3-658-31689-1_1) enthalten. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Schink, Verschwörungstheorie und Konspiration, Medienkulturen im digitalen Zeitalter, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31689-1_1
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1 Einleitung
1.1 Ein Besuch bei Bröckers TIEFE SKEPSIS UND STÄNDIGES MISSTRAUEN GEGENÜBER DEM OFFENSICHTLICHEN, GROSSE VORSICHT VOR FALSCHEN SPUREN UND VERBORGENEN FALLEN, SOWIE DIE KENNTNIS MÖGLICHST ALLER FAKTEN – DIESE GRUNDZÜGE DES SCHACHS ENTSPRECHEN EXAKT DENEN DER PARANOIA, DES VERSCHWÖRUNGSDENKENS. (MATHIAS BRÖCKERS, SCHACH UND PARANOIA, 20061)
Berlin-Kreuzberg, nähe Landwehrkanal. Ein kühler Tag, Mitte Februar 2015. Ich stehe vor der hellen barocken Altbaufassade mit den schönen Balkonen im Jugendstil, die im Sommer von vielen Pflanzen und bunten Blumen gesäumt sein müssen. Bei Google Street View konnte ich mir die Straße vorher noch einmal anschauen – auf beiden Seiten des Gebäudeeingangs haben Bewohner*innen Fenster und Balkone ihrer Wohnungen für virtuelle Voyeur*innen unkenntlich gemacht. Dafür muss man sich bei Google melden. War auch Bröckers unter den Dissident*innen? Gleich werde ich ihn treffen. Aufregung. Ich habe einige seiner Bücher gelesen und ihn in Interviews und Dokumentationen auf YouTube gesehen, aber niemals leiblich vor mir. Pünktlich zum verabredeten Zeitpunkt klingele ich. Ein paar Sekunden vergehen. Über die Sprechanlage gibt eine Stimme das Stockwerk durch. Die massive Tür wird entsperrt, ich öffne sie und trete ein. Mit schwerem Gepäck – ich war gerade noch einkaufen – muss ich einige Stufen durch das weitläufige Treppenhaus nach oben steigen. „DAS IST VERRÜCKT!“
Da steht er, Mathias Bröckers, Mitbegründer der taz, Journalist, vielfacher Bestsellerautor, Hanf-Aktivist, Anarchist und Wahrheitssucher, Konspirologe, Held meiner Jugend – und er wirkt live genauso wie in den Videos: ein drahtiger und quirliger Typ, wache kleine, aber durchdringende Augen, immer irgendwie aktiv. Eine knappe Begrüßung im Gang, das Gepäck wird abgelegt. Ich werde ins Wohnzimmer geführt. Die Wohnung ist geräumig, wie man es von Altbauten in Berlin kennt: hohe Stuckdecken, große Fenster und Türen. Bröckers bietet mir das Ledersofa an, setzt sich mir gegenüber auf einen Sessel. Zwischen uns steht ein kleiner Tisch, von rechts fällt das helle Licht durch die Fenster- und Balkonfassade. An der anderen Wand steht eine Art Minibar in dunkel, deren Auswahl mich beeindruckt. Ich bin auch überrascht vom feinen Einrichtungsstil. Die Wohnung scheint vor nicht allzu langer Zeit renoviert worden zu sein. Außer uns beiden ist niemand da. Noch bevor ich mein Aufnahmegerät auspacke, beginnt Bröckers schon zu erzählen – und auch das wirkt, irgendwie, vertraut. Es ist mein erstes Interview, seit ich die Dissertationsstelle angetreten habe. Viel Neues erfahre ich inhaltlich nicht.
1.1 Ein Besuch bei Bröckers
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Er erzählt mir Dinge, die ich teilweise schon wusste, aber jetzt nochmals detaillierter beschrieben bekomme. Und er wiederholt sich oft. Wälzt wieder und wieder dieselben Themen, mit der Betonung auf immer andere Aspekte. In erster Linie lerne ich dabei den Menschen Mathias Bröckers kennen. Der ist keiner, der eine Show abzieht, kein Darsteller, niemand der sich verbiegen muss oder lange überlegt. Er spricht frei von der Leber weg, sagt, was er denkt und er denkt sehr viel und schnell. Immer wieder bricht er auch Sätze ab, macht Sprünge, sucht die richtigen Worte für das, was ihm im Kopf und im Bauch herumtreibt. Als er sich nach ein paar Minuten die erste Zigarette dreht und anzündet, fällt mir ein: ‚Ach ja, da war ja was.‘ Ich wusste, dass er Raucher ist. Ich hasse Rauchen. Das geht in die Klamotten und die Augen tränen. Er hat nicht einmal gefragt. Ein wenig werde ich davon brüskiert. Ich lasse mir nichts anmerken. Das ist auch nicht schwer, denn Bröckers ist schnell wieder beim Erzählen: Wie er zu „Verschwörungstheorien“ und zu seinem Bestseller über 9/11 gekommen ist und wie ihn die „McMedien“ ausgrenzen. Alles sei eher „Glück“ gewesen; er habe gerade an einem Buch, einer „Metatheorie der Verschwörungstheorie“ 2, geschrieben, etwa im Mai 2001. „Verschwörungstheorien“ sei er dabei eher skeptisch, bestenfalls wie R. A. Wilson, agnostizistisch, gegenübergestanden. Dann kam der 11. September. Plötzlich sei ihm durch die Beschäftigung mit den Ereignissen aufgefallen, wie schnell seitens der Bush-Regierung „Feindbilder“ und „Sündenböcke“ – AlKaida und Osama bin Laden – gefunden wurden – für sein sensibilisiertes Auge zu diesem Zeitpunkt ein Merkmal politischer Instrumentalisierung des Verschwörungsdenkens. Bröckers erzählt von diesem Aha-Erlebnis: […] das, was ich vorher, auch in der Arbeit an dem Buch […] vorher, sozusagen, theoretisch in der Literatur, historisch studiert hatte, das hatte ich quasi […] auf einmal in 3-D auf freier Wildbahn […] so ähnlich wie der Naturforscher, der irgendwie jahrelang über irgendeine Tierart forscht ((lacht)) und auf einmal kommt da eine ganze Herde an […] insofern war für mich 9/11 […] ein live Erlebnis […] von dem, was ich vorher theoretisch studiert hatte […]3
Weil er sich schon vor den meisten seiner Journalismus-Kollegen*innen Kenntnisse und Praktiken der Internet-Recherche angeeignet hatte4, konnte er schnell, vor allem über US-amerikanische Webseiten, andere, der offiziellen Darstellung widersprechende, Fakten, zusammentragen. Er beginnt eine Artikelserie im Internetmagazin Telepolis zu schreiben: „Ein konspirologisches Tagebuch“ – andere Medien ließen ihn mit seinen Recherchen über den 11. September 2001 nicht zu Wort kommen, wie er sagt. Am 13. September, zwei Tage nach den Anschlägen, verweist er in diesem Tagebuch auf die Bush-Bin Laden-Connection, später auf verdächtige Insider-Geschäfte an Finanzmärkten und Verbindungen verschie-
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1 Einleitung
dener Geheimdienste zu den mutmaßlichen 19 Attentätern.5 Am 2. November 2001 schreibt Bröckers unter der Überschrift „Ein lange geplanter Krieg“: Verschwörungstheorien sind laut Robert A. Wilson immer „Spaghetti-Theorien“: Egal, welchen Faden man herauszieht, man macht sich die Finger schmutzig. Da aber das Menue bei McMedia zu den Hintergründen des WTC-Anschlags seit sechs Wochen immer nur den denselben abgenagten Knochen anbietet, müssen wir wohl weiter in den Spaghettitopf greifen – heute al olio. (Bröckers 2002: 148)
Bröckers stellt die Terroranschläge in den Kontext von lange geplanten Ressourcenkriegen im Nahen Osten, für die man ein passendes Feindbild brauche. Er verweist auf ausländische englischsprachige Quellen, die der Mainstream zu diesem Zeitpunkt nicht oder nur verzerrt wiedergibt, knüpft Verbindungen zu früheren Aktionen der US-Öl-Politik, und vermutet, „dass bei den Ermittlungen des WTCAnschlags sicher bald ‚Spuren‘ auftauchen, die auf den Irak hinweisen.“ (Ebd.: 148 f.) Statt einer allgemeinen „Metatheorie über Verschwörungstheorien“ schreibt Bröckers am Ende ein Buch über die „löcher und lücken“ der offiziellen Geschichte – der offiziellen 9/11-Verschwörungstheorie, wie er sie nennt. Vom zweiten Tag an hat Bröckers die Berichterstattung über die Terroranschläge über Monate hinweg dokumentiert, kommentiert und später im Rahmen seiner konspirologischen und metatheoretischen Überlegungen als Buch veröffentlicht – ‚unfrisiert‘ und mit allen richtigen und falschen Prognosen, die er seinerzeit anstellte, wie er hervorhebt (ebd.: 70). Teils anklagend, teils satirisch fasst er die Serie an Widersprüchen, Hintergründen und Kuriositäten der Kriminalgeschichte von 9/11 zusammen – und das macht Bröckers in der leitmedialen Öffentlichkeit zum Außenseiter. In der von ihm mitgegründeten taz sei er für viele Redaktionsmitglieder seither der „Verschwörungstheoretiker“. Er verteidigt sich. Seine ‚Theorie‘ sei gar keine. Er zweifle lediglich die offizielle „Verschwörungstheorie“ der Bush-Regierung – „das Märchen von Osama und den 19 Teppichmessern“ 6, wie er es gerne nennt – an. Diese Theorie sei für ihn auch heute unter allen Narrativen des Ereignisablaufs die unwahrscheinlichste. Er klingt ernst, überzeugt und lässt immer wieder Sarkasmus durchscheinen – manchmal Zynismus. Zeitweise muss ich zwischendurch lachen. Doch sein Humor erscheint im zunehmenden Gesprächsverlauf wie eine sukzessive blätternde Schutzschicht, ein am Ende vor Verbitterung über viele Kolleg*innen einstürzender Wall, die ihm zufolge „entweder zu faul“ oder zu „ängstlich“7 seien, um, wie er, den „Finger in die Wunde“ zu legen.
1.1 Ein Besuch bei Bröckers
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Abbildung 1: Eine der zahlreichen Anomalien des 11. September 2001: Der Reisepass des beschuldigten 9/11-Hijackers Satam al Suqami, der im Schutt von Manhatten gefunden und just als Beweis der offiziellen Theorie präsentiert wird (Quelle: eigene Collage/Spiegel).
Während er so erzählt, denke ich mehrfach: ‚Das ist verrückt!‘ – obwohl ich selbst die meisten Dinge, von denen er spricht, schon kenne, wird meine Erinnerung in Bröckers‘ ununterbrochenen Ausführungen wieder aufgefrischt. Unzählige dieser verrückten „Zufälle“ und Anomalien hatte ich längst wieder vergessen, mich mit anderen Dingen und Themen beschäftigt. Bröckers auch. Aber er zeigt ein gutes Gedächtnis. Als ich über dieses Gespräch nach knapp vier Jahren nochmals sinniere, kommt mehrmals der Gedanke: So etwas ist kein „Glück“, wie er selbst sagt, das ist Fügung! Dass ein Typ wie Bröckers über so einen Fall stolpert, während er gerade ein Buch über „Verschwörungstheorien“ schreibt – hier kommt doch zusammen, was zusammengehört. Mathias Bröckers ist der Prototyp eines „Verschwörungstheoretikers“: wachsam, gebildet, unter Dauerspannung – die er mit Rauchen unter Kontrolle hält – und durch und durch anti-autoritär. Er selbst lehnt, was eher untypisch ist, die Bezeichnung „Verschwörungstheoretiker“ nicht vollständig ab. In seinem Buch wie auch im Gespräch mit mir, präzisiert er aber. Er sei vielmehr ein „Konspirologe“, weil er um die Ambivalenz dieses Begriffes wisse – einer, der sich nicht nur mit Verschwörungen, sondern auch, epistemologisch, selbstkritisch und rational mit „Verschwörungstheorien“ beschäftige. Genauso nehme ich ihn auch wahr. Aber er ist kein Wissenschaftler. Ihm ist nicht viel gelegen an bloßer Theorie, auch das erzählt er mir. 8 Bröckers ist ein praktischer Denker mit einer herrschaftskritischen Portion an Humor. Er wendet sie hauptsächlich auf die Mächtigen an. Für „wissenschaftliche Arbeit“ hat er „keine Zeit“, sagt er und lacht, bevor er sich eine weitere Zigarette anzündet. Er meint wohl ‚Geduld‘.
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1 Einleitung
„DAS SELBSTVERSTÄNDLICHSTE DER WELT“
Das Verschwörungsdenken von Mathias Bröckers ist für eine ganze Generation der deutschsprachigen „Wahrheitsbewegung“ prägend (vgl. Kap. 6.1). Er ist nicht nur „Verschwörungstheoretiker“ erster Stunde, sondern auch ein Vertreter eines sehr spezifischen Denkstils, der als anarchistisch und undogmatisch bezeichnet werden kann. Der anarchistische Denkstil ist innerhalb der „Gegenöffentlichkeit“ verbreitet, aber keinesfalls in der Mehrheit. Für Bröckers sind Verschwörungen reale gesellschaftliche Vorgänge, die er in einem sehr weiten Kontext zu erfassen versucht. Das Muster der Verschwörung zeige sich bereits in der „Bio-Konspiration“ (ebd.: 27), bei der sich „[e]inzelne Moleküle […] zu Gruppen zusammen[schließen], um die Ressourcen des Planeten besser auszubeuten.“ Am Anfang war die Konspiration. Um sich auf einem unwirtlichen Planeten durchzusetzen, schlossen sich verschiedene Bakterien zusammen und bildeten das erste Wesen mit einem Zellkern. Nicht nur zufällige Mutationen und der Konkurrenzkampf ums Dasein, sondern Konspirationen und Kooperationen ermöglichten die Evolution. Die bakteriologische Konspiration ist wahrscheinlich die einzige Weltverschwörung überhaupt, sie läuft seit 2,5 Milliarden Jahren und ihr einziges Ziel heißt: Leben. (Ebd.: 64)
Indem Bröckers den Begriff der Verschwörung auf diese Weise ausweitet, führt er das Verschwörungsdenken nicht ad absurdum. Er leistet in erster Linie einem Dualismus Vorschub, der gerade in der politischen Instrumentalisierung dieses Denkens beobachtbar ist: in dem Wandel von der Verschwörungstheorie oder -hypothese zur politischen Feindbildgenese. Erstere müsse immer falsifizierbar sein, sie sei „rational“ und „wissenschaftlich“, darauf legt Bröckers großen Wert.9 Hier gehe es um „Wissen“. Die andere, die gefährliche und politisierte Variante, so Bröckers, müsse man als Ideologie, „glauben“ – so wie man an „Gott“ oder das „Spaghettimonster“ glauben könne. „Verschwörungen sind das selbstverständlichste der Welt“, schreibt Bröckers (2002: 64): „A und B verabreden sich hinter dem Rücken von C, um sich einen Vorteil zu verschaffen“. Dies sei das Grundmuster der Verschwörung, erzählt er mir, auf das man sich wohl einigen und von dem aus man vernünftig über Verschwörungen sprechen können sollte. „Verschwörungstheorien“, schreibt er, seien dann „Annahmen über reale Verschwörungen, die auf Indizien, Verdachtsmomenten, Hinweisen beruhen.“ Bei 9/11 handle es sich in jedem Fall um eine Verschwörung, die Frage sei nur, wer sich hier mit wem und gegen wen verschworen habe. Das sei aber bis heute nicht geklärt. Wird die Verschwörungstheorie durch einen definitiven Beweis erhärtet […], fliegt die Verschwörung auf und ist beendet. Oft aber ist ein solch definitiver Tatsachen-
1.1 Ein Besuch bei Bröckers
7
beweis nicht zu erbringen. Deshalb fristen auch Verschwörungen ein ebenso langes Leben wie unbewiesene Verschwörungstheorien. (Ebd.)
Darüber hinaus reduzierten „Verschwörungstheorien“ auch Komplexität, was sie mit religiösem Gottesglauben gemeinsam hätten und sie menschlich mache: Sie machen „den katastrophischen, chaotischen, unverständlichen Kosmos verstehbar“, sie belegen „ihn und unsere Existenz mit Sinn.“ (Ebd.: 65) Und genau diese „Funktion“ macht sie auch „zum idealen Instrument der Propaganda und Agitation.“ Letzteres sieht Bröckers auf allen Seiten und in allen politischen Lagern gegeben. Als ich ihn besuche, ist aktuell die Ukraine-Krise in vollem Gange. Die sogenannten „Montagsmahnwachen für den Frieden“ haben ein knappes Jahr zuvor für gesellschaftliche Erregung und politische Polarisierung gesorgt und Debatten über „Verschwörungstheoretiker“ und „Putin-Versteher“ entfacht. Bröckers hat dazu eine eindeutige Meinung und selbst ein provokantes Buch mit dem sarkastischen Titel „Wir sind die Guten. Ansichten eines Putinverstehers oder wie uns die Medien manipulieren“ (2014) zusammen mit dem Journalisten Paul Schreyer veröffentlicht. Auch dieser Titel landete auf einer Bestsellerliste. […] also, wenn ich nicht mehr verstehen darf, wenn ich nicht mehr hinschauen darf und gucken […], ob das jetzt Atomteilchen sind, oder Chemikalien oder irgendein Politiker; wenn ich nicht verstehen darf, wenn ich nicht analysieren darf, […] was soll ich dann machen? – ich soll glauben, was du mir erzählst!10 (Hervorhebung von A. S.)
Solange es Verschwörungen und Komplotte gibt, solange geheime, undurchschaute und unverstandene „Burschenschaften, Netzwerke“ oder „schlagende Nato-Verbindungen“, wie Bröckers sie humorvoll nennt, ihr konspiratives Unwesen treiben, solange werde das Verschwörungsdenken – konspirologisch, ideologisch oder dämonologisch – weiterwirken, daran hat Bröckers keinen Zweifel. Und je stärker die „Tabuisierung“ oder Diskreditierung dieses Denkens betrieben werde, meint er, desto mehr würden auch an den extremen Rändern „völlig verrückte Hypothesen wuchern“. 11 1.2 Worum es geht VERDACHT UND ZWEIFEL SIND ALS […] ZWEI GANZ ZENTRALE GEFÜHLE ZU SEHEN, DIE SICH GERADE AUS DER ART ERGEBEN, WIE DIE ERFAHRUNG GERAHMT WIRD. UND SOFERN ES SCHWER IST, SICH EINE BEVÖLKERUNG OHNE VERDACHT UND ZWEIFEL VORZUSTELLEN, IST ES AUCH SCHWER, SICH EINE ERFAHRUNG VORZUSTELLEN, DIE NICHT DURCH RAHMUNG ORGANISIERT IST. (ERVING GOFFMAN, RAHMENANALYSE, 197412)
Betrachten wir es kultursoziologisch, dann wohnt dem Verschwörungsdenken eine ganz bestimmte „Stimmung“ inne – ein Misstrauen gegenüber dem Offenbaren, Offensichtlichen oder Offiziellen. Es vermutet hinter der „Oberfläche“ eine ver-
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1 Einleitung
borgene oder unterdrückte Realität (Meyer 2018: 14). Von einigen Anthropolog*innen wird es daher auch den sogenannten „okkulten Kosmologien“ zugeordnet (Sanders/West 2003). Das zweite Merkmal dieses Denkens ist die Faszination (vgl. Westerbarkey 1998). Weil sich das Verborgene dem*der misstrauischen Beobachter*in in seiner Gänze entzieht, elusiv ist, nur indikativ und in Spuren zeigt, ist das Verschwörungsdenken durch eine Spannung und Erregung geprägt, die sich, je nach Kontext, in Neugier oder Begierde, Furcht, Besorgnis, Zorn oder Wut ausdrücken kann. Diese Emotionen verobjektivieren in gewisser Weise die manipulative Macht der realen oder fiktiven Verschwörer, gegen die sie gerichtet sind. Oder sie wenden sich gegen jene, die sich an deren Wirken aktiv oder passiv mitbeteiligen: die potentiellen oder realen Mitwisser, die Öffentlichkeit, die breite Masse, die an der Aufrechterhaltung kollektiver Geheimnisse und des konspirativen ‚Innenraums‘ quasi von ‚außen‘ mitwirken – die outgroup. An der Unterdrückung bestimmter Tatsachen sind nicht nur Verschwörer, sondern eben auch ein Publikum beteiligt. Insofern haben wir es in der sozialen Dynamik des Verschwörungsdenkens immer mit mindestens einer Dreier-Konstellation zu tun: verborgenen Verschwörern, luziden13 im Gegenwartsdiskurs diskreditierten „Verschwörungstheoretikern“ und einem vermeintlich getäuschtem Publikum. Bröckers‘ Ärger und Wut im Fall der 9/11-Verschwörung, so gesteht er dem Autor gegen Ende des Gesprächs, richten sich vor allem gegen die ‚Mittäter‘ in Presse und Politik, deren Unmündigkeit die vermeintlichen ‚Hintermänner‘ mit ihren Täuschungen und Lügen „durchkommen“ lassen würden. Aus der raum-zeitlichen Distanz und Dynamik betrachtet, sind diese Verschwörer stets diskreditierbare Andere. Im Verschwörungsverdacht wird ihnen performativ eine (Über-)Macht zugeschrieben. Gerade, „dass die damit [mit der Verschwörung, Hervorhebung von A. S.] durchkommen,“14 zeige die Ohnmacht des Publikums. An diesem Punkt immunisiert sich das Verschwörungsdenken. Und es bewältigt nicht nur Ängste durch Komplexitätsreduktion oder klärt auf. Vielfach reproduziert es die soziale Ohnmacht, Stigmata und Angst der von Wissen und Machtpositionen ausgeschlossenen luziden Dritten. Es ist Teil einer gesellschaftlichen „Angstkommunikation“ (Bergmann 2002), deren (Projektions-)Objekt eben jene konspirativen ‚Hintermänner‘ sind, die gerade dadurch auch noch psychische Macht über das Subjekt erlangen. Doch Angst ist nicht nur regressiv. Sie kann auch produktiv und progressiv sein. 15 Von seiner Stimmungslage her betrachtet, ist das Verschwörungsdenken jedenfalls ein Ausdruck jener Ängste, die hinter der Oberfläche der Erscheinungen die eigentliche Wahrheit vermuten. Es thematisiert die verheimlichte Wahrheit, welche die Macht der Mächtigen unbemerkt sichert. (Meyer 2018: 22)
Diese Ängste sind ebenso real wie die soziale Exklusion von Wissen, Kapital und gesellschaftlichen Positionen. Die Marginalisierung bestimmter Gruppen oder Wissensformen und die Etablierung anderer ist in die gesellschaftliche Dynamik strukturell eingeschrieben. Die Konspiration ist nicht nur eine Alltagspraxis,
1.2 Worum es geht
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sondern vor allem auch eine soziale Machttechnik. Erst dadurch wird sie als „Verschwörung“ problematisch (Schink 2018, 2020b; vgl. Parker 2016). Die verborgene Realität der Verschwörung wird durch soziales Handeln intentional und interaktional hergestellt. Für das Verschwörungsdenken ist im Unterschied zum religiösen Gottesglauben charakteristisch, dass es im weitesten Sinne ‚weltliche‘ oder humanoide Akteur*innen voraussetzt, die sich und ihre Wirkungsmacht durch bestimmte Verschleierungs- und Täuschungstechniken verbergen. Meyer (2018) unterscheidet dämonologisches von konspirologischem Denken – nur Letzteres bezieht sich auf Verschwörungen im engeren Sinne und insofern auf die Immanenz des Weltgeschehens. Der Glaube an die göttliche Allmacht weicht hier der Überzeugung von menschlicher Potenz und politischer Wirkmächtigkeit. Die Konspirologie ist damit ein Kind der Aufklärung des 16. bis 18. Jahrhunderts und Machiavelli einer der ersten praktischen Konspirologen. Wie wir noch sehen werden, gibt es jedoch fließende Übergänge zwischen dem Wissen oder Glauben der Verschwörung und dem religiösen Gottes- oder Transzendenzglauben (vgl. Asprem u. a. 2018). Die Transzendenz der Verschwörung, etwa in der modernen Figur globaler Machteliten, weist strukturelle Ähnlichkeiten zur Transzendenz eines „kulturell Fremden“ (Schetsche u. a. 2009) auf. Ihre Steigerung findet sie in der Adressierung eines unbekannten Gottes („deus absconditus“). Soziale Ent-Fernung und Ent-Fremdung (Hahn 2009), z. B. bedingt durch Mediatisierung oder Oligarchisierung, sind Faktoren des Verschwörungsdenkens. Das Sehen der Verschwörung wird hierbei zu einer elaborierten Kulturtechnik, komplementär zur konspirativen Praxis des Verschleierns. Teil davon ist neben der synthetisierenden Integration verschiedener, oft widersprüchlicher Wissensfragmente und Koinzidenzen zu einem stimmigen (Gesamt-)Bild, eine kompositorische Einübung der Fiktion (vgl. Klausnitzer 2007). Insofern ist die Konspirologie stets auch eine poietische, d. h. hervorbringende, Kunst. Das Sehen ‚realer‘ Verschwörungen und die Arbeit an der ‚fiktiven‘ Imagination der Verschwörung sind demnach nur zwei Seiten eines kulturellen Wechselverhältnisses (vgl. Melley 2012). Erst im Gesamtbild ‚von außen‘ und aus der Distanz wird die Verschleierung der Verschwörer*innen „offensichtlich“16, ihr Werk, deren Außenwirkung ihnen selbst verschlossen sein mag, als Ganzes sichtbar.17 Während die Verschwörung als Praxis für die involvierten Subjekte unsichtbar bleibt, kann sie sich dem*der misstrauischen Beobachter*in und ausgeschlossenen Dritten in der paranoiden Subjektpositionen als „soziale Tatsache“ (Marcus 1999: 2) zeigen. Phänomenologisch gehören Tatsache und Fiktion zusammen. Die Differenz zur Realität wird erst dort verwischt, wo es um eine Weltverschwörung geht: Die Realität der Verschwörung ist von ihrer Fiktion umso schlechter zu unterscheiden, je umfassender und mächtiger das Komplott gedacht wird, also dort, wo alle Spuren auf ‚das Eine‘ deuten. Auch hierin zeigt sich die Analogie zum monotheistischen Gottesglauben. So integriert die Denkfigur einer Weltverschwörung strukturell alle
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1 Einleitung
Indizien und Zeichen, auch jene, die ihren eigenen Annahmen widersprechen (könnten). Sie lässt keinen Raum für Gegenbeweise oder Differenzerleben, wird damit zu einer, ihrer Form nach, totalen (Welt-)Anschauung. Sie immunisiert sich selbst. In antisemitischen Verschwörungsideologien manifestiert sich diese Form des totalen Transzendenzglaubens in einem geschlossenen Welt- und Feindbild (Arendt 2017 [1951]). (Gruppen-)Egoismus und Paranoia fallen zusammen und werden auf die jeweilige outgroup projiziert. Der*die Verschwörungsgläubige meint hier alles zu erkennen und erkennt dabei in Wirklichkeit nichts. Er*Sie ist nicht mehr unterscheidungs- und handlungsfähig. Daher muss er*sie die Tatsachen, die der Wahrnehmung nicht entsprechen, mit symbolischer, kommunikativer oder physischer Gewalt ‚passend‘ machen. Die Realität folgt dem Wahn, nicht umgekehrt. Paradoxerweise findet so auch die totale psychische Identifikation mit dem ‚Täter‘, die Introjektion, statt. Funktional sind Verschwörungs- und Gottesglauben ebenfalls gleichwertig: Sie reduzieren Komplexität und entlasten dadurch die Kommunikation in homologen Kontexten – bzw. sie homologisieren diese Kontexte, machen sie gleich, indem alles als Bestandteil einer einzigen, durch die Verschwörung sich verwirklichenden Macht gedacht wird. Eine soziale Funktion beider ist damit die Erzeugung von Gemeinschaft und Identität. Wir nennen das Verschwörungsideologie. „CONSPIRACY PANICS“
Taucht man in die digitalen Kommunikationssphären von „Verschwörungstheorien“ ein, die sich auf YouTube oder auf diversen alternativen Webseiten reproduzieren, dann bekommt man ein Gefühl für die durch das Verschwörungsdenken erzeugten „Angstmilieus“ (Bergmann 2002: 11). Sie haben sich jenseits des medienpolitischen „Mainstreams“ (Krüger 2016) etabliert und erzeugen durch spezifische Stile der Kommunikation soziale Gemeinschaften, die sich vom „System“, der „Lügenpresse“ oder bestimmten Gruppen abgrenzen, indem sie ihnen Parteilichkeit, Manipulation, Gehirnwäsche oder die Weltverschwörung vorwerfen. In diesen Exklusionsprozessen ist die soziale Dynamik der gleichzeitigen Fremdund Selbstausgrenzung zu berücksichtigen, bei der zwar ‚Wahrheit‘ oder ‚Faktizität‘ anschluss- und ausschlussfähige kommunikative Codes sind, aus einer ethnographischen Perspektive aber verschiedene Kommunikationskulturen und mit ihnen entsprechende Praktiken relevant werden. Dies betrifft einerseits die Form des Verschwörungsdenkens, das Gegenstand dieser Untersuchung ist und das sich in leitmedialen und alternativen Diskursen zwar voneinander unterscheidet, aber doch in beiden beobachtbar ist. Angstmilieus im engeren Sinne sind mit leitmedialen Diskursen nicht typischerweise verbunden. Aber die „conspiracy panics“ (Bratich 2008), die „Verschwörungsangst“, ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. An ihrer kommunikativen Reproduktion sind unterschiedliche Akteure, Medien und Diskurse beteiligt. Und sie umfasst auch die Angst vor der
1.2 Worum es geht
11
„Verschwörungstheorie“. Wo sich der deutschsprachige „Mainstream“-Diskurs nach dem 11. September durch Motive einer Al-Kaida-, Russland- oder Nazi-Verschwörung auszeichnet, ist der Gegendiskurs geprägt durch „Verschwörungstheorien“ über US-amerikanische oder westliche Geheimdienste, die Verschwörung von Konzernen oder einer Weltverschwörung mächtiger Finanzeliten, nicht selten in antisemitischen Stereotypen des ‚Finanzjuden‘. Alle erfüllen auch die Funktion der Gemeinschaftsbildung und bedienen oftmals stereotypische Feindbilder, die Angst machen (sollen). Gleichzeitig referieren sie auf ‚reale‘ historische oder zeitgenössische gesellschaftliche Ereignisse oder Sachverhalte, auf Akteur*innen, Netzwerke, Konspirationen und Kollusionen, die im weitesten Sinne ‚bekannt‘ sind. Dies ist die memetische Seite des Verschwörungsdenkens. So werden „Verschwörungstheorien“ gerade deshalb als „heterodox“ (Anton 2011) bezeichnet, weil diese Deutungsmuster „die offizielle Weise, die Welt zu denken und von ihr“ innerhalb einer vertrauten und ‚rationalen‘ Kommunikationsgemeinschaft „zu sprechen“ (Bourdieu 1976 [1972]: 332), hinterfragen und diskreditieren.
Abbildung 2: Verschwörungsdeutungen im Leitmedium: Spiegel 13/2019-Titel: „Die braune Verschwörung. Das globale Netzwerk rechter Terroristen“ (links) und Spiegel 13/2007-Titel: „Mekka Deutschland. Die stille Islamisierung“ (rechts) (Quelle: eigene Collage/spiegel.de).
„Verschwörungstheorien“ halten der offiziellen doxa „andere, noch radikalere“ Weisen der (Realitäts-)Deutung entgegen. Somit sind „Verschwörungstheorien“ als eine spezifische Ausprägung vom Verschwörungsdenken zu unterscheiden. Aus Sicht der politischen Orthodoxie sind sie häretisch im strengen Sinne des Wortes (vgl. ebd.) und daher „gefährlich“. Sie werden vom politischen und leitmedialen Kommunikationssystem strukturell marginalisiert: diskreditiert, stigmatisiert, nihiliert, tabuisiert, aktiv und explizit bekämpft – unabhängig davon, ob sie ‚wahr‘ sein könnten oder nicht. Sie dürfen nicht wahr sein. Deshalb gelten sie entweder als irrational oder aber als gefährlich. Genauer muss man aber sagen: Die
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1 Einleitung
heterodoxe Verschwörungsdeutung wird marginalisiert. Denn im orthodoxen politischen Diskurs ist, wie erwähnt, das Verschwörungsdenken durchaus kommunikativ anschlussfähig, insofern es nur die passenden Feindbilder bedient. Beispielhaft ist hier etwa Aufmachung im Spiegel, in welchem eine „braune Verschwörung“ internationaler rechtsterroristischer Netzwerke thematisiert wird (vgl. Abb. 2). Diese Deutungen operieren nicht unter dem Label „Verschwörungstheorie“, sondern heißen „Nachrichten“ oder „Fakten“ und gelten insofern als unverdächtig. (Diskurs-)Ethnographisch zu untersuchen ist daher auch die gesellschaftliche Praxis des „Verschwörungstheorie“-Machens, d. h. jene Praktiken, die dazu beitragen, aus dem kommunikativen Rauschen gesellschaftlicher Verschwörungsdeutungen erst „Verschwörungstheorien“ als soziale Tatsachen herzustellen und sie anschließend im „Kampf gegen Verschwörungstheorien“ als das soziale Andere darzustellen – eben dadurch, dass entsprechendes Wissen selegiert, problematisiert, diskreditiert und aus dem ‚rationalen‘ Diskurs ausgeschlossen wird. Die Diskurse über „Verschwörungstheorien“ müssen insofern als Teil der gesellschaftlichen Praxis des Verschwörungsdenkens und der Stimmung der Verschwörungsangst berücksichtigt werden. Zu dieser diskursiven Praxis gehört die Kreditierung bestimmter Verschwörungsdeutungen sowie die Diskreditierung anderer (als „Verschwörungstheorien“). Bratich (2008: 19) schreibt hierzu passend: Conspiracy theories tell us less about the people who believe in them or the cultural milieu that produces them than they do about the dominant forms of rationality that are so enraptured with them as problems. They are portals into the contexts that problematize them.
1.3 Gliederung der Arbeit Die Arbeit gliedert sich neben dieser Einleitung in sechs Hauptkapitel. Zunächst wird die Methodologie dargelegt, wobei Grundsätzliches über ethnographisches Forschen, das Wechselverhältnis von Datenauswertung und -interpretation sowie die Verbindung zur ethnographischen Diskursforschung dargelegt wird. Ein Schwerpunkt des Methodenkapitels liegt in der Herausstellung der Chancen und Schwierigkeiten autoethnographischer Forschung, basierend auf einer introspektiven Methodologie (Kapitel 2). Im darauffolgenden Kapitel „Die Masken der Illuminaten“ beginnt der inhaltliche Teil der Arbeit mit der autoethnographischen Selbstverortung des Autors. Vermittels Bildzeugnissen, Tagebuchfragmenten und Erinnerungsrekonstruktionen wird das Doppelleben und werden die verschiedenen Lebensabschnitte und damit verbundenen Identitäten des autobiographischen Subjekts als Maskierungen eines Fremden, Verschwörungstheoretikers, spirituell Suchenden, Ethnographen usw. introspektiv verarbeitet (Kapitel 3). Auf diese Annäherung an das autobiographische Subjekt folgt eine methodische Distanzierung. Das Kapitel „Die Verschwörung denken“ erörtert die Rationalität des Verschwörungsdenkens in verschiedenen Kontexten. Die Praxis der Konspiration wird, in
1.3 Gliederung der Arbeit
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Weiterentwicklung der „Bio-Konspiration“ von Mathias Bröckers, soziologisch als eine Grundform moderner Vergesellschaftung beschrieben. Alltagskonspirationen werden von Formen der kriminellen und machiavellistischen Verschwörung unterschieden. Als exemplarisch wird die Verschwörungspraxis der Mafia angeführt. Sie gelingt nur, insofern das Publikum schweigt und zeigt die kommunikative Ko-Konstruktion der Konspiration durch das Publikum. Der soziologische Zugang wird erweitert durch eine Theorie der Para- bzw. Tiefenpolitik. Paranoide Subjektpositionen sind vor diesem Hintergrund nicht nur Teil einer alternativen „conspiracy community“, sondern als „praktizierte Paranoia“ ebenso Teil der (post-)modernen politischen Kultur. Am Ende des Kapitels wird der Begriff der „Konspirationskultur“ als Analysebegriff, zusammen mit unterschiedlichen kommunikativen Ausprägungen von „Verschwörungstheorien“ vorgestellt (Kapitel 4). Im Kapitel „Verschwörungen im Deutungskonflikt“ wird, beginnend mit Diskursen und autoethnographischen Fragmenten zur Verschwörung von 9/11, gezeigt, dass in einer Konspirationskultur ein permanenter Deutungskampf darüber besteht, welche Verschwörungen real und welche nur „Verschwörungstheorien“ sind. Die Realität der Massenmedien, ebenso wie die mediale Differenz zwischen ‚alten‘ und ‚neuen‘ Medien bildet dabei eine zentrale Konfliktlinie. Das gesellschaftliche Wissen über Verschwörungen ist ungleich verteilt, teils fragmentiert in verschiedene Relevanzstrukturen eingebettet. Dies wird am Beispiel des „False Flag“-Wissens gezeigt. Dieses Wissen wird in leitmedialen und politisch-orthodoxen Diskursen pejorativ „Verschwörungstheorien“ zugeordnet. In alternativen Diskursen dagegen ist das Wissen der False Flag ein entscheidendes „Hintergrundwissen“, um Verschwörungen zu ‚sehen‘ und zu adressieren. Der „Kampf gegen Verschwörungstheorien“ stellt in der Konspirationskultur die zentrale Maßnahme zur Stigmatisierung und Nihilierung des Verschwörungswissens dar. Dieser Kampf wird an verschiedenen Orten und durch verschiedene gesellschaftliche Akteur*innen ausgetragen, angefangen bei der Wikipedia bis hinein in die politische Bildung und in die Wissenschaft. „Verschwörungstheoretiker“, wie etwa der Schweizer Historiker Daniele Ganser, sind in diesem Deutungskampf vor allem eine soziale Konstruktion ihrer politischen Gegner*innen (Kapitel 5). Während der medienpolitische „Mainstream“ einen großen Teil des gesellschaftlichen Verschwörungswissens nihiliert, zirkuliert dieses Wissen in (politischen) „Gegenöffentlichkeit(en)“ und wird dort popularisiert. Diese sind heute wesentlich technologisch und topisch mit dem „Internet“ assoziiert. In Bezug auf Internet-„Verschwörungstheorien“ wird die 9/11-„Wahrheitsbewegung“ als prominente Akteurin dieser „Gegenöffentlichkeit“ vorgestellt. Diese nimmt ihren Ausgangspunkt bei den Terroranschlägen vom 11. September 2001 und in den USA. Es werden in diesem Kapitel sowohl autoethnographische wie diskurstheoretische Perspektiven auf die Etablierung der 9/11-„Gegenöffentlichkeit“ als Kern der gegenwärtigen „conspiracy community“ im „Internet“ und einiger ihrer Akteure vorgestellt.
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1 Einleitung
Dabei soll deutlich werden, dass die „Gegenöffentlichkeit“ nicht nur ein politisches, sondern vor allem auch ein kulturelles Phänomen darstellt. Im „Truthrap“ beispielsweise treffen sich politischer Aktivismus und gegenkulturelle Ideologie-Reproduktion (Kapitel 6). Das Kapitel über UFO-„Verschwörungstheorien“ bildet den Übergang zum letzten Kapitel über „Schattenzonen“. In diesem geht es um die okkulte und transzendente Dimension des Verschwörungswissens. Hier wird anekdotisch die soziologische und technische Verbindung zwischen okkult-magischen und Intelligence-Praktiken herausgestellt. Es wird anhand von autobiographischen und -ethnographischen Zeugnissen nochmals dargelegt, inwiefern das Verschwörungswissen und die Schattenzonen durch die konspirativen Praktiken und kriminellen Sinnprovinzen ihre soziale Wirklichkeit entfalten und nicht einfach ‚nur‘ fiktive Plots sind. Der gesellschaftliche „Untergrund“ hat seine eigene Realität in der Konspirationskultur und prägt dementsprechende Subjektivitäten. Im Vordergrund dieses Kapitels steht die für den Verschwörungsglauben charakteristische transzendente Dimension des Verborgenen und damit der religiös-spirituelle Charakter der Konspirationskultur. So ist für die „conspiracy community“ die narrative Rekonstruktion des „Aufwachens“ ein wesentlicher sinn- und gemeinschaftsstiftender Topos. Es wird auf geschlechtsspezifische Markierungen von Verschwörungsglauben und Spiritualität eingegangen und der ‚dunkle‘, ‚harte‘ und destruktive Charakter eines radikalen Verschwörungsdenkens anhand von autoethnographischen Zugängen herausgestellt. Schließlich wird auf die im (Grenz-)Milieu der „Conspirituality“ zentrale Thematik von Heilung, Bewusstseinstransformation und Selbstermächtigung eingegangen. Zuletzt wird dabei das Verschwörungswissen in seiner Form als Grenzwissen thematisiert und in Bezug zu den Phänomenen Koinzidenz und Synchronizität gesetzt (Kapitel 7).
2 Forschungspraxis und Methodologie In diesem Kapitel wird das zugrunde liegende Methodenverständnis dargestellt sowie auf forschungspraktisch relevante Aspekte der Arbeit exemplarisch eingegangen. Dabei werden zunächst die Merkmale der Ethnographie als einer epistemischen Praxis dargelegt sowie Art und Umfang der erhobenen Daten dargestellt. Im Anschluss erläutert der Autor den methodologischen Zusammenhang zwischen Ethnographie und Diskursforschung und geht auf methodologische Implikationen sowie Herausforderungen und Chancen leiblich-subjektzentrierter und autoethnographischer Forschung ein. 2.1 Die Praxis der Ethnographie Die Ethnographie wird hier, wie etwa die „Grounded Theory“, nicht als eine Methode, sondern vielmehr als ein „Forschungsstil“ (Strübing 2014 [2004]) verstanden. Damit rückt sie in die Nähe einer „Kunstlehre“ (ebd.: 13 ff.), für die sowohl pragmatische wie kreative Tätigkeitsmodi ebenso wichtig sind wie Übung und Erfahrung. Auch nach Breidenstein u. a. (2015 [2013]: 34) ist Ethnographie „keine Methode“. Denn sie hat kein Regelwerk, das für einen bestimmten Datentyp Verfahrensschritte vorschreibt, deren korrekte Befolgung valide wissenschaftliche Aussagen in Aussicht stellt. (Ebd.)
MERKMALE DER ETHNOGRAPHIE
Man kann sie daher als „integrierten Forschungsansatz“ definieren (ebd.), der spezifische Merkmale hat und unter einer bestimmten Fragestellung methodenopportun hinsichtlich dieser Merkmale Forschung betreibt. Im Mittelpunkt der Ethnographie steht seit Malinowski die sich über einen längeren Zeitraum erstreckende Methode der Teilnehmenden Beobachtung. Deren Anwendung muss jedoch noch spezifiziert werden. Sie kann nicht wie ein Regelwerk befolgt werden, will sie den jeweils unterschiedlichen Bedingungen des Feldes sowie ihrer explorativen Herangehensweise gerecht werden. Nach Breidenstein u. a. (2015 [2013]: 31 ff.) sind die Merkmale der Ethnographie: 1. 2. 3. 4.
Gegenstand: soziale Praktiken Feldforschung: andauernde unmittelbare Erfahrung Methodenopportunismus: Methode entwickelt sich am Gegenstand Schreiben: Versprachlichung impliziten Wissens
Zusatzmaterial online Zusätzliche Informationen sind in der Online-Version dieses Kapitel (https://doi.org/10.1007/ 978-3-658-31689-1_2) enthalten. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Schink, Verschwörungstheorie und Konspiration, Medienkulturen im digitalen Zeitalter, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31689-1_2
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2 Forschungspraxis und Methodologie
Ad 1.) Die Frage nach Praktiken verweist auf die Kultur eines sozialen Zusammenhangs. In dieser Arbeit werden soziale Praktiken auf verschiedenen Ebenen thematisiert: (auto-)ethnographisch bzw. autobiographisch, indem Beispiele aus dem Alltagserleben konspirativer Praktiken, z. B. in Form von Publikumssegregation, dargestellt (Kap. 4.1.1), distanziert, indem die Praxis der Mafia oder Intelligence als zwei Beispiele für Verschwörungspraxis herangezogen werden (Kap. 4.1.6. und 7.1). Außerdem geht es um diskursive Praktiken: etwa solche des „Verschwörungstheorien“-Machens (die mit [Selbst-]Stigmatisierung verbunden sind) und solche des (Anti-)Verschwörungsdenkens oder -glaubens (Debunking, Enthüllen, Kommunikation des Aufwachens usw.). Diese Praktiken werden in der Regel in den Kontext von Diskursen gestellt, die sie rationalisieren, legitimieren oder problematisieren. Praktiken und Diskurse sind miteinander verschränkt. Der Begriff der Konspirationskultur („conspiracy culture“, Kap. 4.3) verweist hierbei als analytischer Begriff auf den Bedeutungs-, Struktur- und historischen Genesezusammenhang von Praktiken und Deutungsmustern kollektiver Verbergung und Enthüllung, die, auf unterschiedlichen Ebenen und in verschiedenen Formen, als Konspirationen bzw. Verschwörungen der Gesellschaft begriffen werden. Ad. 2) Das Feld, das dazu untersucht wird, ist nicht an einen (geographischen oder technologischen) Ort gebunden, sondern eher ein Geflecht von Diskursen und Wissensformen, Institutionen, Praktiken und ihnen zugehörigen Subjektpositionen. Die Konspirationskultur hat keinen Ort (vgl. Cappai 2001: 73). Insofern ist die Erforschung auch „multi-sited“ (Marcus 1995) geboten. Wir begrenzen uns dabei auf den deutschsprachigen Diskursraum. Die deutschsprachige Konspirationskultur ist jedoch, wie sich immer wieder zeigt, ohne transnationale Diskurse, z. B. über die Terroranschläge von 9/11 oder den „War On Terror“ (Kap. 5.1 und 5.2) nicht angemessen darstellbar. Sowohl (tiefen-)politische wie ökonomische oder Medienkulturen sind heute einerseits längst globalisiert. Andererseits müssen sie ethnographisch immer lokal beforscht, können jedoch wiederum nur durch diesen globalen Kontext angemessen verstanden werden (ebd.: 74 f.). Ethnographie benötigt angesichts einer solchen Diagnose sowohl Methoden der Feld- wie auch der Diskursforschung (Kap. 2.3). Dazu gehören auch Online-Beobachtungen im Rahmen webnographischer Forschung. Digitale Praktiken und Diskurse sind zentraler Bestandteil dieses Feldes.18 Zugleich ist dieses (Forschungs-)Feld methodologisch nicht allein durch das ‚objektivierende‘ Beobachten von Praktiken und Diskursen aufzulösen. In einer wissens- und interaktionssoziologischen Herangehensweise sind die Feldzugänge auch durch verschiedene (inter-)subjektive Rezeptionsformen und mit ihnen verbundene Perspektiven, Standorte und Diskurspositionen geprägt und differenziert. So ist z. B. das Verschwörungswissen des Geheimdienstes oder der Mafia (Kap. 4.1.6) aus der ingroup-Perspektive Spezialwissen, für die outgroup dagegen stellt es sich als Grenzwissen dar.
2.1 Die Praxis der Ethnographie
17
Ad. 3) Methodenopportunismus bedeutet, die Forschungsmethode pragmatisch und offen an das entsprechende Phänomen und seine Perspektive anzupassen. In der Regel führt dies dazu, dass verschiedene Datensorten verwendet werden, die geeignet sind, entsprechende Praktiken, Diskurse oder Deutungsmuster und die ihnen entsprechenden Subjektivitäten oder Lebenswelten abzubilden. Breidenstein u. a. (2015 [2013]: 34 f.) schreiben von einer Steigerung der „Komplexität des Phänomens“ und schlagen vor, die Datentypen nicht zu integrieren, „sondern sie so zu arrangieren, dass sie sich wechselseitig kommentieren und ergänzen können.“ Wo beispielsweise visuelle (Kultur-)Angebote eine große Rolle spielen (z. B. alternative Mediendiskurse) ergibt es Sinn, Filmanalysen durchzuführen und/oder Diskursforschung zu betreiben, anstatt sich allein oder primär auf InterviewDaten zu verlassen; wo Körperpraktiken relevant sind (z. B. Vorträge, Stammtische, Demonstrationen), sollte der methodische Fokus auf beobachtender Teilnahme liegen. Der collagenhafte Aufbau der Arbeit ist auch dadurch begründet, dass die wechselseitige Kontrastierung und Kommentierung verschiedener Datensorten eben nicht den Eindruck erwecken sollte, es handle sich beim Dargestellten um ‚Wahrheiten‘ im essenzialistischen Sinne oder vollständig kohärente „Strukturen“ „‚hinter dem Rücken der Akteure‘“ (ebd.: 157). Vielmehr soll durch sie auch eine subjektivierende Evokation ermöglicht werden, die das rein intellektuelle und binäre Begreifen (Distanz) stellenweise zugunsten eines leiblich-emotionalen Mitvollzugs (Nähe) transzendiert. Die im Feld vorgefundene Spannung (emotional, sozial, politisch) soll so durch eine, nicht vollständig integrierte, methodische und typographische Differenz in der Darstellung erhalten bleiben. Ad. 4) Zuletzt sei Ethnographie durch „Schreiben“ als „Versprachlichung des Sozialen“ charakterisiert (ebd.: 35 ff.). Das Schreiben hat in dieser Ethnographie mehrere Funktionen. Einerseits insofern, dass der Autor schon seit seiner Jugend Tagebuch schreibt und Notizen sammelt, die hier autobiographisch verwertet wurden. Als Fragmente bringen sie so das mit der Biographie des Autors verschränkte Verschwörungsdenken zum Ausdruck und sollen helfen, die Subjektseite der Konspirationskultur abzubilden. Das sprechende Subjekt ist hier gleichsam im Verschwörungsdenken ‚gefangen‘. Auf einer weiteren Ebene manifestiert sich die Versprachlichung in einer Form der Berichterstattung, die dem Genre der Sozialreportage nahesteht. Dabei wird aus der Perspektive des soziologischen Forschers mit Subjekten des Verschwörungsdenkens „auf Augenhöhe“ (ebd.: 73) gesprochen, wobei eine Nähe in Form von Sympathie und Interesse zu vielen Akteur*innen des Feldes charakteristisch ist. In einer elaborierteren Sprachform schließlich, schreibt der Autor als sozialwissenschaftlicher Autor über das Verschwörungsdenken und die damit verstrickten paranoiden Subjektpositionen. Er schreibt mehr oder weniger unpersönlich und (vermeintlich) wissend, steht in einer Distanz zu ihnen und fühlt sich den Akteur*innen nicht mehr verbunden als anderen Mitgliedern der Gesellschaft (vgl. Tab. 1). Versprachlichung dient in erster Linie der
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2 Forschungspraxis und Methodologie
Verobjektivierung und Sichtbarmachung impliziten Wissens. Zugleich dient sie der (Selbst-)Reflexion im Forschungsprozess (vgl. Kap. 2.4). In der sprachlichen Distanzierung zum Feld drückt sich damit eine Reflexivität aus, die zwar verschiedene Sprech-Positionen differenzieren und Perspektivenwechsel im Diskurs/Feld (zu-)lassen kann. Diese sind jedoch nicht widerspruchsfrei und konsistent. Die eine Position hat nicht mehr ‚Recht‘, ist nicht ‚wahrer‘ als die andere. Spannungen und Widersprüche sollen in der (Art der) Versprachlichung erhalten bleiben. Gerade im evokativen Vorgehen muss nicht jedes Datum expliziert, kommentiert, reflektiert werden. Daher sollen Textfragmente oder Zitate, aber – trotz kontextualisierender Untertitelung – auch Bilder zugleich für sich sprechen. Tabelle 1: Nach der Relektüre der Arbeit, differenzierte Sprech-Positionen und ihre Merkmale, die durch den Autor in dieser Ethnographie abwechselnd eingenommen werden (vgl. Kap. 2.2). Sprech-Position
1. Autobiograph
2. Feldforscher
Textsorte
Tagebuch, Memo
Forschungsbericht Wissenschaftliche Analyse
Fragment
Fallbeschreibung
Zusammenfassung
Privatsprache
Alltagssprache
Wissenschaftssprache
monologisch (narrativ)
dialogisch (narrativ)
versachlichend
intim
persönlich
unpersönlich
Teilnahme (existenziell)
Teilnahme, Beobachtung (2. Ordnung)
Beobachtung (3. Ordnung)
involviert
engagiert
agnostizistisch
Perspektive
‚subjektiv‘
(inter-)subjektiv
‚objektiv‘, reflexiv
Datenproduktion
spontan, unreflektiert
geordnet, (re-)konstruktiv
deutend, systematisierend
Aussageanspruch
lokal (begrenzt)
mittlere Reichweite global
Beobachtungsgegenstand
Leib, Körper, Lebenswelt
Praktiken
Sprache
Beziehung zum Feld
3. Wissenschaftler
Diskurse, Systeme usw.
Breidenstein u. a. (ebd.: 75 ff.) unterscheiden vier verschiedene Praktiken der Datengewinnung. Die erfolgreiche Durchführung dieser Art der Datenerhebung ist verbunden mit der Sättigung des Materials. Wichtig ist zu betonen, dass Datengewinnung immer auch Datenproduktion meint.19 Im Prozess der Datengewinnung werden diese zugleich durch den*die Forscher*in mitproduziert. Folgende Praktiken werden genannt:
2.1 Die Praxis der Ethnographie
1. 2. 3. 4.
19
Wiederholung Mobilisierung Fokussierung Perspektivenwechsel
Angewendet werden sie auf die Hauptmethode der Ethnographie, die Teilnehmende Beobachtung. Durch wiederholte Beobachtung werden so akzidentielle von inhärenten bzw. typischen Merkmalen unterscheidbar. Auf einer höherstufigen Beobachtungsebene zeigt das wiederholte Beobachten bzw. das Beobachten des Beobachtens (z. B. das gemeinsame Ansehen von Medienproduktionen über „Verschwörungstheorien“ in Datensitzungen) sehr ähnliche (Problem-)Deutungsmuster in verschiedenen Varianten des Verschwörungsdenkens wie auch des AntiVerschwörungsdenkens (vgl. Kap. 4.1 und 5.5). Auch die Praxis des Verbergens, Offenbarens oder Thematisierens von stigmatisiertem Wissen kann in unterschiedlichen Situationen und Varianten immer wieder beobachtet werden (Kap. 3.1 und 4.5). Doch ist der Umfang einer solchen Tätigkeit als Praxis nur durch Mobilisierung im Feld erkennbar. Daher wurden Daten z. B. auf Demos, Vorträgen, privaten Treffen an verschiedenen Orten in Deutschland und Österreich sowohl gezielt und wiederholt als auch spontan und einmalig erhoben.20 Feldforschung vor Ort zeigte dann z. B., inwiefern es zwischen verschiedenen Akteur*innen der „Gegenöffentlichkeit“ soziale oder politische Unterschiede gibt. Die Fokussierung auf Praktiken der Informationskontrolle oder auf die narrative Rekonstruktion des „Aufwachens“ (Kap. 7.1) als einem Identitäts- und sinnstiftendem Ereignis stellten hierbei einen Fortschritt in der dichten Beschreibung dieser Kultur dar, der in den ersten Forschungsskizzen nicht absehbar war. Perspektivenwechsel wurden einerseits durch Gespräche mit konfligierenden Gruppen, z. B. „Skeptikern“, andererseits durch die Kontrastierung des Wissens in anderen Sinnprovinzen (Kap. 7.1) vorgenommen. Daten- und Forschungssitzungen spielten hierbei eine wichtige Rolle. Des Weiteren entwickelte sich „ein neuer Blick auf das Geschehen“ (Breidenstein u. a. 2015 [2013]: 79) durch direkte Gespräche oder Anfragen an Betroffene (Kap. 4.2.2). Während die (passive) Online-Beobachtung in diesem Feld zwar wichtiger Bestandteil und gut durchführbar ist, ergab sich oft erst durch eine aktive Teilnahme in Form von Live-Gesprächen und Treffen vor Ort in der analogen Welt, die ethnographische Tiefe im Sinne einer Durchdringung und „dichten Beschreibung“ (Geertz 1987 [1983]) des Gegenstandes. Etwa im Fall des „Goldenen Aluhut“-Events (Kap. 4.5), wo dem Autor erst als Vor-Ort-Anwesender die gemeinschaftsbildende Funktion solcher Treffen für die „Skeptiker“-Szene sowie die sinnstiftende Bedeutung für anti-verschwörungstheoretische Diskurse deutlich wurde; oder nach Telefonaten und E-Mail-Austauschen mit Markus Fiedler von „Wikihausen“ (Kap. 5.3.3), die dem Autor sehr deutlich sein Oberflächen-Wissen über den Wikipedia-Konflikt vor Augen führten. Im gleichen Fall half ihm auf der
20
2 Forschungspraxis und Methodologie
anderen Seite die Kommunikation mit einem*r Wikipedianer*in. Die Person, die anonym bleiben wollte, machte dem Autor nochmals bewusst, dass auf beiden Seiten verletzbare Menschen hinter den ‚Masken‘ virtueller Deutungskämpfer*innen stehen. Eine weitere Perspektive auf dieses Phänomen lieferten Gespräche mit dem Bruder des Autors, der im IT-Bereich tätig ist, sowie die Theoretisierung des Themas durch die Lektüre einschlägiger Literatur, u. a. etwa von Britt und Mattei (2017), Stegbauer (2009) und Pentzold (2007). 2.2 Datenumfang und Auswertung Wie bereits erwähnt, gehen wir davon aus, dass Daten produziert werden (vgl. Strübing 2014 [2004]). Das bedeutet einerseits, dass der gesamte Datenkorpus in der Regel nicht statisch und die Datenqualität ebenfalls variant ist – etwa, wenn Transkripte aus pragmatischen Gründen zunächst innerhalb kurzer Zeit angefertigt und erst aus einer Notwendigkeit heraus, sorgfältig in Form gebracht werden müssen. Ethnographie ist ein offenes Erheben von sowie Arbeiten an und mit Daten. DATENUMFANG UND -ERHEBUNG
Der Zeitpunkt der Datenerhebung im Rahmen des Dissertationsprojekts reichte von Oktober 2014 bis Mai 2019. Praktisch wurden schon vor 2014 Interviews durchgeführt und Datenmaterial gesammelt. Vier Interviews wurden bereits vor dem offiziellen Beginn des Dissertationsprojekts, ohne vorhandene Forschungsskizze und konkrete -frage geführt.21 Insgesamt 13 Interviews und Gespräche wurden aufgezeichnet. Die vorher vereinbarten Interviews dauerten im Schnitt zwischen 20 und 45 Minuten und waren Leitfaden-Interviews.22 Zu Gesprächen wurden Feldnotizen, meist handschriftlich, angefertigt. Ein Teil der Interviews wurde grob transkribiert und kodiert. Einige Stellen wurden fein transkribiert.23 Auch die Transkription folgte dem Prinzip des Methodenopportunismus. Bei vier der Interviews wurde zum Einstieg das Bild der brennenden Twin Towers von 9/11 gezeigt24, zu dem Zweck, etwas über die subjektive Sinndimension des Ereignisses zu erfahren. Die Interview-Situation gestaltete sich in den vereinbarten Gesprächen in der Regel offen. Die Interviews dienten in dieser Ethnographie primär als Hintergrundwissen, um das Verstehen des Feldes zu fördern.25 EXKURS ZUM QUELLENVERZEICHNIS
Nicht alle Quellen können in den Anhang aufgenommen werden – sei es aus Platzgründen, sei es aufgrund von Anonymität oder weil die Quelle analog ist. Die nachstehende Tabelle 2 dient als allgemeine Erläuterung des jeweiligen Quellenmaterials, wie in den Endnoten angeführt, aber ohne die entsprechende Referenznummerierung (d. h. „AD“ statt z. B. „AD-001“ oder „AD-014“ etc.). Der Zeitraum bezieht sich auf den Zeitverlauf zwischen dem jeweils frühesten und dem
21
2.2 Datenumfang und Auswertung
spätestens in dieser Kategorie verfassten Datum. (Die Abkürzungen und Namen folgen nicht unbedingt einer für Außenstehende ersichtlichen Systematik.) Tabelle 2: Erläuterung des ethnographischen Quellenmaterials (Beschreibung und Zeitraum) Abkürzung
Beschreibung
Zeitraum
AD
Analyse-Dokument (meist Transkript, digital)
2014–2019
ASB
Fachtagebuch (analog)
2011–X
ASR
Persönliches Tagebuch (analog)
2012–X
E
E-Mail-Dokumentation (analog)
2007–2018
FB
Feldbericht (digital)
2014–2019
FN
Feldnotiz (analog/digital)
2014–2019
G
Persönliches Tagebuch (digital)
2006–2019
M
Memo/Tagebuch (digital)
2016–2017
Des Weiteren wurden über 600 Seiten, meist „integrierte“, Memos (vgl. Thomas 2019: 112) und Forschungstagebücher (ASB, M, VTTB) verfasst, die bis zuletzt als ‚Daten-Steinbruch‘ dienten und etwa dort relevant wurden, wo sich erst in der Phase der Relektüre Themen als einschlägig herausstellten oder zu thematischen Clustern („Schlüsselkategorien“, s. u.) verdichteten. So etwa das Thema der (Selbst-)Stigmatisierung (Kap. 6.2) oder die bereits erwähnte narrative Rekonstruktion des „Aufwachens“ (Kap. 7.1). 22 Feldberichte, mit im Schnitt etwa 6–8 DIN-A4-Seiten, wurden über Treffen, Veranstaltungen oder sonstige erlebte Ereignisse verfasst. Ein Datenkorpus von über 250 Videos, meist YouTube-Uploads, die grob kodiert und transkribiert wurden, bildet hierbei den Kern des analysierten Videomaterials. In Datensitzungen wurden ebenfalls Audio-Aufzeichnungen und schriftliche Zusammenfassungen angefertigt. Darüber hinaus wurden Artefakte wie Fotos, Sticker, Flyer, Zeitschriften usw. verschiedener Anlässe in einem DIN A4-Ordner gesammelt. Private Tagebücher, die nicht zum eigentlichen Datenkorpus gehören, aber stellenweise herangezogen wurden, umfassen mehrere hundert DIN-A6-Seiten. Der wesentliche Teil des erworbenen Wissens in der Ethnographie ist nicht in der Form ‚objektiver‘ Daten vorhanden, sondern Teil des verkörperten Wissens des*der Forscher*in. Er ist Teil des Gedächtnisses und muss erinnert werden. Die objektivierten Daten (Feldnotizen, Memos usw.) helfen dabei, dieses Wissen zu erinnern und zu rekonstruieren bzw. auch dabei, die Relevanzsysteme des*der Forscher*in erinnernd zu korrigieren (Thomas 2019: 97).
22
2 Forschungspraxis und Methodologie
Abbildung 3: Beispiel-Feldnotiz vom November 2016 (Quelle: eigenes Foto). Die Technik besteht m. E. darin, Daten zu erheben, indem man sich selbst, seinen eigenen Körper, seine eigene Persönlichkeit und seine soziale Situation den unvorhersehbaren Einflüssen aussetzt, die sich ergeben, wenn man sich unter eine Reihe von Leuten begibt,
schreibt Goffman (1996 [1974]: 263). Der Körper würde durch diese unmittelbare Erfahrung auf das Feld „‚eingestimmt‘“, so Goffman. Es gelte, schreibt er, „einfühlsam“ für diejenigen „gestischen, visuellen oder körperlichen Reaktionen“ – und ihre Bedeutungen – zu werden, die sich als relevante kommunikative Praktiken und Deutungsmuster im betreffenden Feld erweisen (ebd.). Die Verschriftlichung dieses Wissens ist dann schon Teil der Interpretation. Diese muss sich als ethnographische Auslegung also zunächst primär von der (Selbst-)Deutung der Akteur*innen des betreffenden Feldes leiten lassen. Deswegen ist es für die Ethnographie auch so wesentlich, Daten teilnehmend und selbst erhoben zu haben. Nur so kann auch der Kontext und damit der je (Feld- bzw. Perspektiven-)spezifische Sinngehalt der erhobenen Daten verstanden und expliziert werden. Zu diesem Kontextwissen gehört auch körperlich-leibliches Wissen. Späterhin ist dann auch die „Differenz“ der ethongraphischen Beschreibng zum „Teilnehmerwissen“ zentral (Breidenstein u. a. 2015 [2013]: 184). Bei autoethnographischer und subjektzentrierter Forschung (Kap. 2.4) scheint die Reflexion der Fallauswahl, als subjektives und selektives Erinnern von biographischen „epiphanies“ (Ellis 2011: 6), ebenso wie das reflektierende Erkennen, Einordnen und Interpretieren des aufgezeichneten Datenmaterials einerseits gleichsam noch zentraler, andererseits noch komplizierter als in anderen Forschungsrichtungen. Das Zusammenfallen von subjektivierender und objektivierender Forschungsperspektive führe in der Autoethnographie, so die Kritik, tendenziell zu Verzerrungen, Verwirrungen und
2.2 Datenumfang und Auswertung
23
Selbsttäuschungen. Die Fokussierung auf das Subjekt birgt hier die Gefahr, dass auch die Praxis der Reflexion zu einer unbemerkten Nabelschau werden kann, die sich erst durch Fragen, Hinweise oder Einsprüche ‚von außen‘ korrigieren lässt. Für Ethnographien gibt es dennoch sehr nachvollziehbare Kriterien in der Fallauswahl. FALLAUSWAHL
Die Fallauswahl ethnographischer Forschung bemisst sich erstens nach den Relevanzkriterien des Forschungsfeldes. Ein Datum, Ereignis, Topos, Medium usw., das in dem entsprechenden Diskurs/Feld eine hohe Relevanz aufweist, ist methodologisch immer auch ethnographisch relevant. Zweitens hängt die Fallauswahl von dem Thema bzw. der sich im Forschungsprozess entwickelnden Forschungsfrage ab. Letzteres führt schließlich in die Theoriebildung und zu einer Begriffsbildung zweiter Ordnung (Schütz 1971: 7). Diese „dialektische Beziehung zwischen Theorie und Fallauswahl“ (Breidenstein u. a. 2015 [2013]: 46) verlagert schließlich das Gewicht von Relevanzen des Feldes in der explorativen Phase über Phasen der Fokussierung hin zur Bildung von „Schlüsselthemen“ (ebd.: 156 f.). In diesen verdichten sich verschiedene Einzelthemen hinsichtlich ihrer Anschlussfähigkeit an sozialwissenschaftliche Diskurse miteinander. Eine passende Fallauswahl zeigt demnach etwas den Relevanzen des Feldes Entsprechendes bzw. für den Forschungsgegenstand Typisches. Zugleich orientiert sie sich an der Forschungsfrage mit sozialwissenschaftlichem Erkenntnisinteresse. Der „Besuch bei Bröckers“ (Kap. 1.1) beispielsweise illustriert nicht nur einfach das konspirologische Denken irgendeines Akteurs in der alternativen Medienöffentlichkeit. Mathias Bröckers ist in verschiedenen Formen und Formaten in der „Gegenöffentlichkeit“ (Kap. 6) präsent und populär. Zugleich geht es in dem Gespräch größtenteils um die Terroranschläge von 9/11 – ohne, dass thematisch vom Interviewer aus dorthin ‚geführt‘ wurde. Bröckers‘ Biographie als medialer Dissident ist mit seinen Publikationen zu 9/11 untrennbar verbunden. Demnach ist dieser Abschnitt ethnographisch auch sinnbildend für die Kartographierung der „Wahrheitsbewegung“ (Kap. 6.1) oder die Diskurse über 9/11 und den „War on Terror“ (Kap. 5.1.3). Noch stärker gilt diese diskursive Relevanz für die Person Daniele Gansers (Kap. 5.4.1). Doch anders als Bröckers, galt Ganser noch vor seinen unorthodoxen Äußerungen zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001 als reputabler Wissenschaftler. Daher lässt sich am Beispiel von Ganser noch stärker als bei Bröckers sowohl die diskursive „Karriere“ eines „Verschwörungstheoretikers“ aufzeigen, als auch – vor allem wissenssoziologisch interessant – eine Fallstudie über das Verhältnis zwischen populärem und Spezialwissen darlegen. Für gute Falldarstellungen sind des Weiteren besonders eingängige und kontrastive Fälle geeignet. So drückt etwa die ZDF-Doku „Ein Leben im Wahn“ (Kap. 5.2.1) das identifizierte für den anti-verschwörungstheoretischen Diskurs charakteristische Deutungs-
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2 Forschungspraxis und Methodologie
schema idealtypisch in allen seinen Merkmalen aus. Den dazu ausgewählten Kontrastfall, der zugleich den Möglichkeitsraum des Sag- und Darstellbaren vom anderen Extrem her abbildet, stellt die 3Sat-Sendung „Mythos Verschwörung“ dar (Kap. 5.2.1). Beide Filme sind darüber hinaus sowohl in den entsprechenden Diskursen relevant und werden sowohl im alternativen wie im offiziellen Diskurs rezipiert. Das heißt, es lässt sich beobachten und aufzeigen, dass und inwiefern sie in dem entsprechenden Diskurs/Feld eine sinnstiftende Bedeutung haben. Das gleiche gilt für den Spiegel-Artikel „Panoptikum des Absurden“ (Kap. 5.4 und 6.1), der im Selbstverständnis (d. h. der „meta-awareness“) der sich formierenden „Generation 9/11“ sehr prägend ist und deshalb thematisiert werden sollte. Beim Schreiben des letzten Kapitels (Kap. 7), das zunächst vorrangig aus Daten über Balduin bestand, zeigte sich irgendwann die starke Bedeutung des Buches „Geheimgesellschaften“ von van Helsing (Kap. 7.2) und es wurde klar, dass, wenn man Balduin verstehen will, auch van Helsing studiert haben muss. Daher wurde das Mitte der 1990er-Jahre populäre Buch, das als „Hintergrundwissen“ in diesem Diskurs/Milieu immer wieder auftaucht, in die Fallauswahl mit hineingenommen. In der Interpretation wird, anders als möglicherweise erwartet, „Geheimgesellschaften“ nicht primär problematisierend delegitimiert und auf seine politischen Textstellen hin zugespitzt, sondern, der Lesart von Balduin entsprechend, vor allem hinsichtlich seiner esoterisch-transzendenten (konspiritualistischen) Seite her beleuchtet. Für andere Themen und Fallbeispiele gilt analog der gleiche Begründungszusammenhang. Die Auswahl z. B. von Zitaten, die Kapiteln vorangestellt sind, erfolgte zunächst, abgesehen von dem thematischen Bezug, oft intuitiv. In vielen Fällen zeigte sich erst bei nachträglicher (Re-)Lektüre der subjektive Sinn und damit auch die Relevanz der Auswahl im Diskurs/Feld. So etwa im Zitat des Blogs „propagandaschock“ (Kap. 4.3): Die These, dass eine internationale technokratische Elite die Vereinigten Staaten als Motor benutzt für die gewaltsame Etablierung einer tyrannischen Weltregierung und dabei vor nichts zurückschreckt, ist hingegen extrem angsteinflößend. […] (O. A., propagandaschock.blogspot.com, 29. Dezember 200826)
Aus einem eigenen emotionalen Erleben der „angsteinflößend[en]“ Gedanken über „die gewaltsame Etablierung einer tyrannischen Weltregierung“ wurde für den Autor als existenziell Involvierten (vgl. Tab. 1) das Typische eben dieser „Emotionsvorgabe“ nochmal bewusst spür- und erlebbar. Die Emotion der Angst (vor der übermächtigen Verschwörung) ist (nicht nur) für eine sogenannte „conspiracy community“ gemeinschafts-, identitäts- und sinnstiftend. Im Sinne eines evokativen Vorgehens (Kap. 2.4 und 3) ist dieses Zitat also relevant. In der Relektüre begründete sich das Zitat aber noch zusätzlich, insofern es sich direkt auf ein diskursives Ereignis (die Telepolis-Veröffentlichung des Beitrages „Die Verschwö-
2.2 Datenumfang und Auswertung
25
rungsindustrie“ vom 27.12.0827) bezieht, das dem autobiographischen Autor selbst noch als Deutungskonflikt in guter Erinnerung ist. AUSWERTUNG
Die Auswertung hat in der Ethnographie einen anderen Stellenwert als in ‚linearen‘ Forschungspraktiken. Weil es primär um ein (prozessorientiertes) Verstehen „kultureller Praktiken“ und nicht um ein ergebnisorientiertes „[I]nterpretieren“ eben dieser geht (Breidenstein u. a. 2015 [2013]: 156), ist der Prozess der Auswertung keine der Datenerhebung nachgeordnete Phase. Vielmehr verläuft sie parallel und in ständiger Wechselwirkung mit der Datenerhebung bzw. ist ein Moment der Datenproduktion. Das beständige Schreiben von Notizen, Memos, Feldberichten dient dabei gleichsam dem Verstehen der beobachteten oder mitvollzogenen Praktiken wie der Theorieproduktion und der Distanzierung vom Feld. In anderen Situationen bedingt die (Re-)Lektüre des verschriftlichten Materials eine Annäherung, die etwa eine Immersion in oder Erinnerung an das Erlebte ermöglicht. Die „Kontrollierbarkeit sowohl der Datengewinnung als auch der Interpretation“ ist für die Ethnographie „zu weiten Teilen eine Fiktion“ (ebd.: 185). Dennoch gibt es Verfahren, um für ein Material einseitige oder abwegige Deutungen zu korrigieren. Einige davon wurden bereits genannt und gehen einher mit verschiedenen Praktiken der Datenerhebung. Neben Konfrontationen, die andere Perspektiven (sowohl emische wie auch etische) einholten, dienten vor allem Datensitzungen als Korrektive. Im Falle der Ersteren wurden in mehreren Fällen entsprechende Akteur*innen des Feldes mit Deutungen konfrontiert, die sich aus der eigenen autobiographischen Perspektive oder der sozialwissenschaftlichen Analyse ergeben hatten. In mehreren Treffen oder Telefonaten mit Thomas, Sebastian oder Simon konnte der Autor sich vergewissern, inwiefern bestimmte Deutungen von dem eigenen emischen oder etischen Standpunkt abweichen und von ihrer Perspektive auf seine (Forschungs-)Perspektive profitieren. Datensitzungen dienen der Generierung von Lesarten sowie der Überprüfung der Plausibilität generierter Deutungen (vgl. Breidenstein u. a. 2015 [2013]: 156). Zwei der durchgeführten Datensitzungen beschäftigten sich mit kurzen YouTubeVideos von „Bürgerberg“ bzw. „TrauKeinemPromi“ (Kap. 6.2).28 Drei weitere Datensitzungen mit dem Film „Leben im Wahn“ (Kap. 5.2.1) wurden mit Studierenden der Soziologie der Universität Salzburg durchgeführt. Wiederum drei weitere solcher Sitzungen erfolgten in einer ähnlichen Konstellation über die ZDFSendung „Verschwörungstheorien“ im Format Elektrischer Reporter.29 Weitere Interpretationssitzungen dienten der Generierung und Validierung von Lesarten. Sie beschäftigten sich mit vergleichbaren Teilen der Interview-Transkripte von Gesprächen mit Balduin (Kap. 7.2), Thomas (Kap. 6.2 und 7.3) und Klaus (Kap. 7.3). Eine Feldnotiz (Kap. 5.5) wurde bei einer Kolloquiumspräsentation vorgestellt. Ob und inwiefern bestimmte Deutungen ‚gute‘ oder ‚valide‘ Deutungen sind, ist
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2 Forschungspraxis und Methodologie
aber in einer Ethnographie, wie schon erwähnt, nicht durch ein (festgelegtes) Verfahren zu entscheiden. Dass das Material gesättigt ist, wird erst in dem Stadium deutlich, wo die Erhebung und Auswertung (als wechselseitiger Prozess der verstehenden Aneignung) hinsichtlich von Fragestellung oder Forschungsinteresse keine wesentlich neuen Erkenntnisse mehr liefert. Mit der Feldforschung können wir dann aufhören, meint dementsprechend Goffman (1996 [1974]: 267): „wenn Sie bemerken, daß Sie sich nur noch wiederholen.“ Eine Vielfalt an Datensorten wirft die Frage nach ihrer jeweiligen Bewertung und Beziehung zueinander auf. Prinzipiell wird in der Feldforschung der beobachtenden Teilnahme ein besonderer Stellenwert zugesprochen, wobei Interviews tendenziell eher als Sekundärquellen, d. h. mehr als „Ressource“ denn als „Untersuchungsgegenstand“ genutzt werden. Als arrangierte aufgezeichnete Gespräche können solche situationsbezogenen „Schilderungen“ wertvolle Hintergrundinformationen über Diskurse und Praktiken des Feldes liefern, vermittels derer diese besser verstanden und „in den Kontext“ der „andauernden teilnehmenden Beobachtung“ eingebettet werden können (Breidenstein u. a. 2015 [2013]: 83 f., 71). In der Fokussierung auf die „diskursive Praxis“ des „Aufwachens“ (Kap. 7.1) erwies sich das Interview jedoch tatsächlich als ein hilfreiches Medium bei der Rekonstruktion und Auswertung (inter-)subjektiver Sinnbildung. Hier war das aufgezeichnete Gespräch primärer Untersuchungsgegenstand. Das gleiche gilt in diesem Fall für die Videodaten einer Wohnzimmerdiskussion (vgl. Kap. 5.2.2), aber, unter bestimmten Bedingungen, auch allgemeiner für „Social Media“-Videos. Die Entscheidung darüber, ob und inwiefern ein Datum geeignet ist, nicht nur als Ressource, sondern als Untersuchungsgegenstand zu fungieren, obliegt in letzter Instanz dem geschulten Blick des*der Ethnograph*in. Die gängigsten Hürden hierbei sind „impression management“ (ebd.: 63 f.) bzw. allgemeiner die „Reaktanz“ (Tuma u. a. 2013: 13) der Beteiligten auf das Aufzeichnungsgerät (Kamera) und/oder den*die Forscher*in. Im Fall des „Aufwachens“ wurde die Reaktanz in der Interview-Situation dadurch reduziert, dass der Fokus überhaupt nicht auf diesem Thema lag, sondern die Interviewten von sich aus auf ihren Aufwach-Moment zu sprechen kamen. Das gleiche gilt in der Regel für den „conspiracy talk“ in aufgezeichneten Gesprächen, die auf YouTube oder anderen „Social Media“-Plattformen hochgeladen werden: Obschon das Aufwachen ein sinnstiftender Topos ist, steht er oft nicht im Mittelpunkt des Gesprächs. Indes ist gerade in YouTube-Diskursen ein hoher Grad an „face work“ und „impression management“ erwartbar. Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass sich in der Sphäre von „Social Media“ und vor allem durch YouTube längst eine Kommunikationskultur etabliert hat, die in einer Weise interagiert, für die zwar nicht gilt, „dass sie die Kamera […] nicht mehr beachte[t]“ (ebd.), jedoch, dass sie sie als technisches Aufzeichnungsgerät nicht als fremd oder störend empfindet. Audiovisuelle „Social Media“-Diskurse zeichnen sich über eigene Seh- und Rezeptionsgewohnheiten aus
2.2 Datenumfang und Auswertung
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(Haarkötter/Wergen 2019), die für die beteiligten Subjekte eine immer ‚natürlichere‘, im Sinne von selbstverständlichere, virtuelle Lebenswelt indizieren. Dies schafft sowohl für die kontextuelle wie auch für die spezifische digitale Datenerhebung bzw. -interpretation neue Möglichkeiten unter der Voraussetzung, dass die jeweils vorherrschenden Gewohnheiten, Anstandsregeln und Verhaltensweisen bekannt sind. GÜTEKRITERIEN GELINGENDER FORSCHUNG
Trotz der standardmäßig nicht zu kontrollierenden Datenerhebung und -auswertung gibt es für die ethnographische Praxis allgemeinere „Gütekriterien“, die diese Güte, stärker als in anderen Verfahren, nicht nur von der Bewertung durch Expert*innen-Diskurse abhängig machen, sondern vor allem von der „Angemessenheit“ der jeweiligen Darstellung hinsichtlich des beforschten kulturellen Phänomens. Die Lektüre der Ethnographie muss Leser*innen ermöglichen, mehr oder weniger in das Feld ‚einzutauchen‘, um dessen Praktiken und Diskurse dadurch aus der Binnenperspektive sehen und verstehen zu können. Zugleich darf diese ‚native‘ Perspektive nicht die einzige dargestellte Lesart sein. Sonst hat sie keinen sozialwissenschaftlichen Mehrwert. Breidenstein u. a. (2015 [2013]: 184) bezeichnen das als „spannungsvolle[s] Verhältnis zwischen Annäherung und Distanzierung“. Deren erstes Kriterium ist das der schon genannten „empirischen Angemessenheit“, das zweite die „Differenz dieser Beschreibung zum Teilnehmerwissen.“ (Ebd.) Ersteres kann nur durch eine gute Kenntnis des Feldes beurteilt werden, d. h. am besten durch die Teilnehmer*innen bzw. Akteur*innen des Feldes selbst. Darin eingeschlossen ist auch die Position des Autobiographen. Zweiteres kann vor allem durch die Kenntnis der entsprechenden Diskurse in den (Sozial-)Wissenschaften beurteilt werden. Da es sich bei diesem Feld ansich schon um ein Spannungsfeld handelt, die „conspiracy community“ bzw. die „Verschwörungstheoretiker“ vor allem durch stigmatisierende Fremdzuschreibung innerhalb eines Deutungskonflikts ‚gemacht‘ werden (siehe Kap. 5.4), ergibt sich hieraus eine Konstellation, in der die Darstellung den verschiedenen Stimmen und Positionen innerhalb dieses Konfliktes wie außerhalb der betreffenden Diskurse und Communities gerecht zu werden versucht. In diesem Fall hat sich der Autor, bedingt durch den (auto-)ethnographischen Zugang dafür entschieden, die eigene Position möglichst transparent zu machen. Statt Neutralität zu simulieren, schien es ergiebiger und wichtiger, immer wieder Positions- und Perspektivenwechsel vorzunehmen und diese zu reflektieren. Deutungskonflikte ziehen sich insofern immer auch durch die Subjektivität des Autors bzw. ‚schieben‘ sich zwischen die verschiedenen (Subjekt-)Positionen, die er als Schreibender eingenommen hat. Neben diesen Gütekriterien nennen Breidenstein u. a. (2015 [2013]: 175) drei nicht-exklusive Schwerpunkte, die Ethnographien setzen können und nach denen ihr „Wert“ bemessen werden kann. Erstens in der „Erschließung eines neuen
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2 Forschungspraxis und Methodologie
Gegenstandsbereiches für den wissenschaftlichen Diskurs“. Zweitens in der Entwicklung „einer neuen Perspektive auf einen vertrauten Gegenstand“ und drittens in einem „Beitrag zu theoretischer Innovation“. Diese Untersuchung zielte vor allem auf die beiden letzten Punkte ab (vgl. Kap. 4.3). Doch erst die Rezeption kann entscheiden, ob und inwiefern dies gelungen ist. REPRÄSENTATIONEN UND (SELBST-)DEUTUNGEN
An dieser Stelle sei dann etwas zum Stil und der Darstellung dieser Arbeit gesagt. Das Feedback von Akteur*innen des Feldes, die einzelne Kapitel zu lesen bekamen, ebenso wie das Feedback der Gutachter*innen, waren im Wesentlichen ‚positiv‘, doch in vielen Einzelheiten durchaus gemischt. Zum Beispiel wurde in zwei Fällen bemängelt, eigene Anliegen nicht ausreichend repräsentiert zu finden – jeweils im gleichen Konfliktfall („Wikipedia“, Kap. 5.5.3), aber aus unterschiedlichen Positionen und Perspektiven. Dem Autor wurde Parteilichkeit vorgeworfen und der Verdacht geäußert, er wolle eine Seite als Verschwörungstheoretiker „in die Pfanne“ hauen. Zugleich wurde ihm aufgrund seiner bohrenden Fragen in genau derselben Angelegenheit von Verschwörungsskeptiker*innen das „Vertrauen“ entzogen – ein Konflikt, der, wie schon erwähnt, gerade in diesem Forschungsfeld unlösbar erscheint. Aus einer autobiographischen Perspektive erlebt der autoethnographische Autor diesen Konflikt als körperlich-leibliche Spannung. In der Forschungsperspektive hingegen löst der Konflikt sich insofern auf, als dass der Autor ihn primär ‚von außen‘ beschreiben kann. Diese Versachlichung kann, aus einer Feld-Binnenperspektive, selbst wieder kommunikativ gewaltförmig sein (vgl. Kap. 5.4), insofern sie bestimmte Stimmen missachtet. Ein anderer Kritikpunkt betraf auch die Form der Arbeit: Zwei Stimmen berichteten unabhängig voneinander, dass sie den Wechsel zwischen einer neutralen und wissenschaftlichen Erzählperspektive einerseits und subjektiver Teilnehmer*innen-Perspektive andererseits irritierend fanden. Das Collagenhafte und die teilweise als stark empfundenen Brüche wurden problematisiert. Viele dieser Brüche sind intendiert und haben, wie bereits erwähnt, eine epistemologische Funktion. Sie können etwa Unentschiedenheit, Unabgeschlossenheit, Unvereinbarkeit, aber auch Unsicherheit ausdrücken – die Spannung, die als autoethnographischer (Selbst-)Beobachter zwischen verschiedenen Perspektiven, Deutungen und ‚Wahrheiten‘ wahrnehmbar ist. Brüche kommen aber auch durch die verschiedenen methodischen Zugänge zustande, die bewusst nicht immer (vollständig) integriert wurden (vgl. Breidenstein u. a. 2015 [2013]: 34 f.). Eine andere Bemerkung bezog sich auf den Erzählstil, der teilweise etwas „journalistisches“ hätte. Die Kritik wurde von einem Kollegen aus der Wissenschaft geäußert, zu einem Zeitpunkt und aus einer Perspektive, in denen die Unterscheidung der verschiedenen Sprech-Positionen nicht bewusst und diese im Text der Arbeit noch nicht klar differenziert waren. Die typographische Differenzierung in drei verschiedene Sprechpositionen, die in der
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2.2 Datenumfang und Auswertung
zugrunde liegenden Dissertation noch weit weniger spezifiziert und voneinander getrennt waren, ist eine Folge dieses Feedbacks (siehe Tab. 1). Methodologisch und epistemologisch ist sie sicher als ein Fortschritt zu werten. Zugleich sollte sie nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie selbst weder ‚natürlich‘ noch vollständig kohärent ist. Auch sie ist ‚gemacht‘ und eine zu streng genommene Kategorisierung könnte verdecken, dass es auch innerhalb dieser Perspektiven noch subjektive Brüche und (Deutungs-)Konflikte gibt. Wir kommen weiter unten darauf zurück. Wichtig ist jedoch, dass diese Unterscheidung für den*die Leser*in methodologische Anhaltspunkte über die den betreffenden Passagen zugrunde liegenden Text- und Datensorten und die mit ihnen verbundenen Grade von Subjektivität und Reflexivität gibt. Noch deutlicher als im Ausgangstext wurden für diese Veröffentlichung also typographische Unterscheidungen vorgenommen, die beim Lesen deutlich machen, dass hier etwa aus der Perspektive des autobiographisch-involvierten Subjekts (z. B. Kap. 3 und 5.5), des engagierten Berichterstatters (Kap. 1.1, 5.1.1 oder 6.2) oder des distanzierten Beobachters (Kap. 4.1.5 und 4.3) gesprochen wird. Solange die typographischen Markierungen als Hinweise der rekonstruktiven (Selbst-)Deutung des Autors über die Subjektivität des jeweiligen Texts und nicht (essentialistisch oder ontologisch) als ‚die Sache selbst‘ gelesen werden, ist damit ein epistemologischer Mehrwert verbunden. Die nachträgliche stärkere Unterscheidung verschiedener, im Originaltext vorgefundener, Sprechpositionen (und damit verbundener Subjektivitäten) ist auch eine Antwort auf die Kritik, dass aus dieser Studie allein ein ‚narzisstisches‘ Subjekt spreche, wie sie häufig an autoethnographische und subjektorientierte Herangehensweisen gerichtet wird (Ploder/Stadlbauer 2017: 431). Die vorgenommene Differenzierung wird dieser Art von Kritik nie ganz entgehen können. Aber als rekonstruktive Überarbeitung des Materials ist sie ein Aspekt der für qualitativ-subjektzentrierte Ansätze geforderten „starke[n] Reflexivität“ (ebd.). Tabelle 3: Die drei Textebenen und ihre typografische Unterscheidung (eigene Darstellung) Textebene 1: Tagebücher, Memos usw.
Textebene 2: Feldbericht, narrative Rekonstruktion
Textebene 3: wissenschaftlicher Text
Sprechposition
autobiographisches Subjekt
engagierter Berichterstatter
distanzierter Forscher
Schrifttyp
Verdana 8 [eingerückt]
Calibri 10
Times Roman 10
[Fließtext]
[Fließtext]
Insofern diese verschiedenen Ebenen im Ausgangstext zwar immer latent vorhanden waren, jedoch nicht klar voneinander getrennt wurden, fungiert diese nachträgliche Differenzierung des ‚Rohmaterials‘ wiederum als Neuinterpretation und ist damit nicht nur Teil der Reorganisation des Materials, sondern, zumindestens stellenweise, zugleich seine Reinterpretation. Für diese Differenzierung und
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2 Forschungspraxis und Methodologie
Neuinterpretation ist dann sowohl begründend wie bezeichnend, dass die Kritik, die jeweils aus verschiedenen Perspektiven zu verschiedenen Textstellen geäußert wurde, in Verbindung mit der Textgattung bzw. dem zugehörigen Schreibstil steht: So problematisierten Wissenschaftler*innen vor allem die involvierten Textpassagen aus denen das autobiographische Subjekt spricht oder den relativ unreflektierten und engagierten Stil der Berichterstattung; der Buchautor und Publizist ebenso wie der Journalist lobten gerade das Prosaische dieser Gattung und Ersterer konnte gleichzeitig mit einem zu sachlich-distanzierten Text zum Thema wenig anfangen. Während von Beginn der Konzeption an klar war, dass der Autor dieser Ethnographie mindestens immer aus zwei Perspektiven spricht (als involviertes Subjekt, Textebene 1, wie auch als distanzierter Forscher, Textebene 3), zeigte sich die dritte Perspektive erst in der nachträglichen (Re-)Lektüre. Diese Sprache stellte sich zum einen retrospektiv als emergente Mittler-Perspektive zwischen der involvierten und distanzierten heraus. Zum anderen ist sie in der Textgattung des Forschungsberichts („field notes“, vgl. Breidenstein u. a. 2015 [2013]: 97) im Unterschied zu – nicht für die Veröffentlichung gedachten – Feldnotizen angelegt. Die berichterstattende und dokumentierende Sprache der Sozialreportage hat außerdem nicht nur in der Form der Stadtethnographie der „Chicago School“, zum Teil in Wechselwirkung mit journalistischer Sozialisierung ihrer Proponenten, wiederum das Genre der ethnographischen Filmdokumentation beeinflusst (ebd.: 22). Davon abgesehen ist zu vermuten, dass auch die Sprache journalistischer Gegenwartsdiskurse auf den Autor dieser Studie als Berichterstatter abgefärbt hat. Ein wichtiger Unterschied zwischen den Textsorten „2“ und „3“ und der autobiographischen ist, dass Letztere in großen Teilen eine Subjektivität zum Ausdruck bringt, die insofern noch ‚roh‘ und interessant ist, als dass sie aus einer raumzeitlich-historischen Konstellation stammt, in welcher der Autor als Sozialwissenschaftler, der er später wurde, noch ‚unreif‘ und/oder undenkbar ist. Sie repräsentiert den Autor als teils beobachtendes, teils involviertes Subjekt des untersuchten Feldes, das weder publizistische noch epistemologische Interessen verfolgt. AGNOSTIZISMUS UND ENGAGEMENT
Im Rahmen qualitativer Forschung, vor allem in der Feldforschung, gibt es das Gebot des methodologischen Agnostizismus. Es besagt, dass sich Forscher*innen in Bezug auf Wert- oder gar Wahrheitsurteile gegenüber ihrem Forschungsgegenstand zurückhalten sollen bzw. „die letzten Wahrheitsansprüche der Aussagen ihrer Untersuchungssubjekte einklammern.“ (Knoblauch 1999: 14) Das bedeutet hier, Aussagen der Betroffenen über verschiedene Verschwörungen, über Lügen und Täuschungen oder alternative Weltsichten, z. B. die „flat earth“- oder „Reptiloiden“-Theorie(n) (vgl. Kap. 6.2 und 5.5.), nicht abschließend zu be- oder gar verurteilen. ‚Wissenschaftliche‘ oder auch nur physikalisch-materialistische Weltbilder stehen nach dieser Forschungsethik nicht über anderen Kosmologien. Das
2.2 Datenumfang und Auswertung
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gleiche gilt prinzipiell für politische (Welt-)Anschauungen. Auch sie können aus der Sicht ethnographischer Forschung nur dann angemessen dargestellt werden, wenn sie nicht von vorneherein auf- oder abgewertet werden. Dem entspricht das Gebot, den Teilnehmer*innen „auf Augenhöhe“ zu begegnen (Breidenstein u. a. 2015 [2013]: 73). Als konstruierte Realitäten zweiter Ordnung (ebd.: 188; vgl. Schütz 1971: 7) sind auch sozialwissenschaftliche Perspektiven (ethno-)methodologisch gesehen, ebenfalls relative Wirklichkeiten. Relativ zur Praxis einer Kultur. Dies gilt vor allem für die sogenannte „theoretische Einstellung“ (Schütz/Luckmann 2003: 631 ff.). Sie ermöglicht qua Ausklammerung praktisch-lebensweltlicher Relevanzen eine Beobachtung dritter Ordnung (vgl. Tab. 1). Zugleich stellt sie aber auch aus dieser Perspektive keinen Archimedischen Punkt dar. Auch diese agnostizistische Perspektive folgt demnach Relevanzen, die durch ‚wissenschaftliche‘ Fragen und Diskurse geprägt sind. Wir folgen in dieser Hinsicht sowohl dem Primat der (Kultur-)Anthropologie als auch ethnomethodologischen Konzepten von „Realität“ (vgl. Mehan/Wood 1997 [1976]). Demgegenüber steht hinsichtlich der oben genannten Gütekriterien das Engagement, die „beobachtende Teilnahme“ (Honer 1989), die Praktiken des Feldes sinnverstehend und bisweilen sogar in einer existenziellen „Hingabe“ mitvollzieht, sich ihnen aussetzt (Wolff 1968). Dazu gehören die involvierte autobiographische wie zum Teil auch die engagierte ethnographische Subjektivität, die sich durch und mit dem Feld verändern, einen Prozess durchmachen. Die engagierte und die involvierte Perspektive kommen immer wieder zum Vorschein und wurden eben nicht zugunsten einer rein distanzierten Beschreibung vollständig ‚bereinigt‘. Vielmehr ist die angemessene Ethnographie in der Spannung zwischen Nähe und Distanz begründet, die in der nun mehrfach erwähnten „Differenz“ sozialwissenschaftlich-ethnographischer Beschreibungen „zum Teilnehmerwissen“ besteht. Involviertheit und Engagement drücken sich darin aus, dass der (Auto-)Ethnograph leibliche, soziale oder politische Neigungen und Ansichten nicht vollständig unterdrückt, sondern diese sich sowohl im Prozess der Feldforschung wie auch in der Darstellung immer wieder zeigen und ihrerseits auch Reaktanz im Diskurs/Feld hervorrufen. Diese interaktive Reaktanz wird ebenfalls als Ressource genutzt. Das autobiographisch-autoethnographische Subjekt kommt wiederholt, teils abgestoßen, teils neugierig und fasziniert von „Verschwörungstheorien“ und heterodoxen Wissensbeständen oder bestimmten Medien und Akteur*innen dieses Feldes, auf der Suche nach „Wahrheit“ (vgl. Kap. 5.1.1 und 7.6) zur Geltung. Ebenso wie als verletzendes und verletztes oder enttäuschtes Selbst (Kap. 3.2 und 3.3). Sowohl auf der ‚tage- und nächte‘-langen Suche im Internet wie auch in virtuellen und Vor-Ort-Diskussionen und Auseinandersetzungen mit Befürworter*innen und Kritiker*innen des Verschwörungswissens verschwimmen die Grenzen zum „going native“ (Wacquant 2014; Hegner 2013). In diesen Situationen ermöglichten rückblickend Distanzierungspraktiken der Verschriftlichung, Lektüre oder
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2 Forschungspraxis und Methodologie
Ortswechsel, digitale Auszeiten, soziale Bindungen sowie Methoden achtsamer und therapeutischer Introspektion und Reflexion (Kap. 3.4 und 7.7) den ‚Weg zurück‘ in eine ‚nüchterne‘ Beobachtung dritter Ordnung. Aus der Distanz betrachtet, stellt jeder dieser engagierten ‚Grenzübertritte‘ eine jener Ressourcen dar, durch die erst ein vertieftes und leibliches Verstehen des Untersuchungsgegenstandes möglich wurde. Ohne dieses „existenzielle Engagement“ (Honer 1989) blieben die leibliche und subjektive Sinndimension des Verschwörungsdenkens unzugänglich und verborgen. Engagement und Agnostizismus sind keine sich ausschließenden Widersprüche, sondern sich phasenweise ergänzende Gegensätze. 2.3 Distanz: Diskurse und Theorien Im Hinblick auf Distanzierungspraktiken der Verschriftlichung und Theoretisierung wird jeweils relevant, was Ethnograph*innen „neben und außerhalb ihres Datenkorpus lesen“ (Breidenstein u. a. 2015 [2013]: 171). Ob und inwiefern Distanzierungen geglückt sind, bemisst sich daran, ob das sozialwissenschaftliche Wissen bzw. die zur Kontextualisierung und Analyse verwendeten „Konzepte […] sensibilisierend für die Interpretation der Daten sind und dazu beitragen, neue Lesarten zu erschließen oder diese eher verschließen.“ (Ebd.: 173) Die Praktiken und Selbstdeutungen des Feldes werden in der theoretischen Perspektive als ‚Diskurse‘ gelesen und als ‚praktische Ideologie‘ durch die Kontextualisierung sozialwissenschaftlicher Konzepte hinterfragt. Zugleich ist für diese Rekontextualisierung wichtig, dass sich die sozialwissenschaftliche Theorie durch die (Um-)Deutung des empirischen Materials nicht nur bestätigt, sondern gleichsam irritier- und kritisierbar bleibt – weil sie, wie schon erwähnt, selbst eine ‚gemachte‘ und nicht neutrale Perspektive ist. Der erste Schritt der Distanzierung besteht in dieser Untersuchung in der Einbettung der Diskursforschung in die Ethnographie. DISKURSETHNOGRAPHIE
Nach Geertz (1987 [1983]) umfasst Ethnographie immer auch Diskursforschung. Wenn wir ein ‚Feld‘ ethnographisch beobachten, dann untersuchen wir in der Regel nicht nur ‚stumme‘ (d. h. implizite) Praktiken, sondern gleichsam jene (expliziten) Diskurse, durch die diese Praktiken sinnhaft gedeutet werden. In dieser Studie wird Diskursforschung als eingebettet in die ethnographische Forschungspraxis betrieben. Die Verwobenheit von Feld und Diskurs wird mit dem Kompositum Diskurs/Feld bezeichnet. Reiner Keller hat den dieser Arbeit zugrunde liegenden Diskursbegriff wie folgt zusammengefasst: Der Begriff ‚Diskurs‘ bezeichnet strukturierte und zusammenhängende (Sprach-) Praktiken, die Gegenstände und gesellschaftliche Wissensverhältnisse konstituieren. Einzelne diskursive Ereignisse aktualisieren diesen Zusammenhang. Die Diskursperspektive richtet sich auf die Ebene der gesellschaftlichen Wissensformationen und politiken, deren Konturen, Genese, Entwicklung, Regulierungen und Folgen („Machtwirkungen“). Sie versteht sich als empirisches Forschungsprogramm:
2.3 Distanz: Diskurse und Theorien
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Diskurse werden auf der Grundlage entsprechender Datenmaterialien untersucht. Die einzelnen Äußerungen werden nicht als singuläre Phänomene analysiert, sondern im Hinblick auf ihre typische Gestalt als ‚Aussage‘. Gewiss werden die Äußerungen in einem materialen Sinne durch einzelne Sprecher produziert. Letztere agieren jedoch nicht als einzigartige Subjekte, sondern sind, in der Sprache der Soziologie Rollenträger, welche die sozio-historisch geformten und institutionell stabilisierten Regeln der Diskursproduktion in einem doppelten Sinne, ‚aktualisieren‘: Sie setzen sie ein, realisieren sie also in ihrem Tun und bringen sie gleichzeitig auf den ‚neuesten Stand‘. Die Diskursanalyse interessiert sich für die Formationsmechanismen von Diskursen, die Beziehung zwischen Diskursen und Praktiken sowie die strategischtaktische Diskurs-Performance sozialer Akteure. (Keller 2011 [2005]: 186; Hervorhebung im Original, A. S.)
Da es sich im Fall der Konspirationskultur nicht nur um einen Praxis- oder Struktur, sondern zugleich um einen Diskurszusammenhang handelt, der auch historisch begründet ist, genügt es weder, einzelne Deutungspraktiken und -konflikte zu beschreiben, noch, diese unabhängig von ihrer diskursiven Genese in transnationalen und/oder (geo-)politischen Gewaltordnungen zu denken. Insofern „Verschwörungstheorien“ Deutungsmuster sind (Kap. 3), die sich in Alltagskommunikation niederschlagen, aber durch massenmediale Diskurse vermittelt und transformiert werden, ist die Beforschung des Verschwörungsdenkens immer auch Diskursforschung. Ein Fokus dieser Untersuchung liegt auch auf dem in der Forschung bisher unberücksichtigten anti-verschwörungstheoretischen Deutungsmuster (Kap 5.5), das sich genealogisch in Ko-Konstruktion mit verschwörungstheoretischen Deutungen in Diskursordnungen des modernen Sicherheitsstaates entwickelt hat. Die Heterodoxie des Verschwörungsdenkens im 21. Jahrhundert ist ohne den Rekurs auf anti-kommunistische oder Anti-Terror-Diskurse des letzten und dieses Jahrhunderts ebenso wenig zu verstehen, wie ohne die Verbindung zur anti-semitischen oder anti-freimaurerischen Weltanschauung. Während in der „Verschwörungstheorie“-Forschung letztere jedoch sehr prominente Untersuchungsgegenstände sind, bleibt der Diskurs-Macht-Konnex zwischen Praktiken des modernen Sicherheitsstaats, „War on Terror“-Diskurs und dem „Kampf gegen Verschwörungstheorien“ bislang unterbelichtet. Da heterodoxe 9/11-Diskurse die KennedyVerschwörung als „mother of all conspiracies“ abgelöst haben und als Diskursereignis prägend für die kommunikativen Praktiken und Deutungsmuster der „Wahrheitsbewegung“ bzw. der „Generation 9/11“ sind (Kap. 6.1), nehmen Diskurse um die Terroranschläge auch in der vorliegenden Untersuchung einen größeren Raum ein. Vor dem Hintergrund (global-)gesellschaftlicher Diskurs/Macht-Verflechtungen werden auch Sub- oder Spezialdiskurse über „Verschwörungstheorien“ in ihrer anti-verschwörungstheoretischen Variante nochmals angemessener verstehbar, ebenso wie Deutungsmuster-Überlappungen oder Diskurskoalitionen. Etwa der „Skeptiker“-Diskurs (Kap. 5.5.2), der ebenfalls anti-verschwörungstheoretische Positionen artikuliert, jedoch auch eine eigenständige Genealogie aufweist. Praktiken der (Selbst-)Stigmatisierung, seien sie verbal oder körperlich, die im Feld
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teilnehmend beobachtet werden können, z. B. im Fallbeispiel von Karsten (Kap 5.4), müssen damit als „Machtwirkungen“ dieser Diskurse gelesen werden. Als solche werden sie von Subjekten aber nicht nur körperlich-leiblich und passiv erlitten, indem sie sich ihnen notwendigerweise unterwerfen (Kap. 5.1.3 und 5.2.1). Bestimmte Deutungen können im diskursiven Kampf um Anerkennung auch (pro-)aktiv angeeignet und/oder aufmerksamkeitsökonomisch ausgebeutet werden (Kap. 5.3.3, 6.2 und 6.3.2) – auch wenn die sie produzierenden Diskurse der „Verfügungsgewalt“ ihrer Subjekte „in mehr oder weniger großen Teilen entzogen“ sind (Keller 2011 [2005]: 233). Aus diskursethnographischer Sicht sind Diskurse noch weniger als sonst bloß ‚objektive‘ oder gar deterministische Wirklichkeiten, die ihre Subjekte hervorbringen. Vielmehr prägen die Subjekte die Diskurse fortlaufend mit, indem sie ihre (Selbst- und Welt-)Deutungen empraktisch als Akteur*innen aktualisieren, deren Imperative aber immer auch verweigern oder kreativ aneignen können. Viele „Verschwörungstheorien“ können insofern als „counterknowledge“ gelesen werden, in denen sich Opposition zu herrschenden Diskursen und Narrativen ausdrückt (Kap. 4.2 und 6). Gleichzeitig können sich bestimmte Deutungen und Diskurse, vor allem in der Form von Praktiken, Ideologie und/oder materieller Kultur im kollektiven Wissensvorrat verfestigen bzw. sedimentieren (Schütz/Luckmann 2003: 39 f.). Dies wird in der Diskursforschung mit dem Begriff des Dispositivs bezeichnet (vgl. Keller 2011 [2005]: 235). Im Hinblick auf Praktiken, die wir untersuchen, vor allem dort, wo sie nicht-sprachlich sind, können wir versuchen jenen Dispositiven (Bührmann/Schneider 2012) nachzuspüren. Sie reproduzieren die Diskurse der Konspirationskultur und erzeugen „Effekte“, die bestimmte (Aussage-)Praktiken, Wissensformen und Deutungsmuster und die mit ihnen verflochtenen Institutionen, z. B. den „Kampf gegen Verschwörungstheorien“ (Kap. 5.5.5), rationalisieren, während sie andere Deutungsmuster als „Verschwörungstheorien“ delegitimieren und damit auch „Verschwörungstheoretiker“ als Subjekte dieser Kultur erst (mit-)hervorbringen. Mit dem von Keller vorgeschlagenen Zugang der „Diskursethnographie“ ist insofern die Möglichkeit verbunden, dass „die Ethnographie eine wichtige korrigierende Position gegenüber der Diskursforschung dahingehend einnehmen“ könnte, „dass sie letztere vor ,idealistischen‘ Fehlschlüssen, also vor dem unmittelbaren Kurzschluss von Diskurs und Praxis bewahrt.“ (Keller 2011 [2005]: 261) Das bedeutet, die Teilnehmer*innen-Perspektive, die durch Feldforschung zugänglich wird, ermöglicht es, Deutungsmuster erst als Deutungsmuster zu begreifen, insofern sie auch Ausdruck (inter-)subjektiver situierter Sinnkonstruktion sind. „Verschwörungstheorien“ inhärieren als soziale Deutungsmuster zwar schematische Handlungs- und Emotionsvorgaben (Kap. 4), die prinzipiell diskurs- bzw. deutungsmusteranalytisch erforschbar sind. Ihre (inter-subjektive) Wirklichkeit und Wirkung ist jedoch nicht kausal, deterministisch oder linear zu fassen. Als „bedeutungsgenerierende Schemata, die durch Diskurse verbreitet werden“ (ebd.: 243) haben
2.3 Distanz: Diskurse und Theorien
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Deutungsmuster eine Orientierungsfunktion, die sich, wie hier gezeigt wird, auch im Fall von „Verschwörungstheorien“ recht verschieden und widersprüchlich artikulieren kann. Die Methode, die auch die subversive und situierte Dimension von Emotions- und Handlungsartikulation zugänglich machen kann, ist die teilnehmende Beobachtung. In diesem Sinne führt Reiner Keller auch den Vorteil einer „Diskursethnographie“ aus: Erst der Kontakt mit dem Feld und die Arbeit im Feld kann zeigen, dass selbst in totalen Institutionen, in Organisationen, institutionellen Feldern und im ,privaten Alltag‘ gegenüber Diskursen vielfältige Möglichkeiten und Techniken der Positionierung, der Rezeption, der Modifikation, des subversiven Unterlaufens, der inneren Distanzwahrung u. a. existieren können, die freilich gerade ihre konkreten Möglichkeiten und Spezifika erst in Auseinandersetzung mit ersteren ausbilden. (Keller 2011 [2005]: 261 f.)
Andersherum bewahrt die Distanz der „theoretischen Einstellung“ der Diskursanalyse wiederum das teilnehmende und möglicherweise involvierte Subjekt vor der durch das „‚pragmatistische Motiv‘“ (Hirschauer/Amman 1997: 24) und seiner Handlungsrelevanzen bedingten unmittelbaren Übertragung von ‚praktischer Ideologie‘ in Theorie. THEORETISIERUNGEN
„Verschwörungstheorien“ wurden und werden oftmals undifferenziert als ‚falsche‘, irrationale oder gar pathologische Wissensformen begriffen. Dieser Betrachtung liegen Annahmen zugrunde, die in dieser Studie verschiedentlich dekonstruiert werden sollen. Zum einen, indem der Begriff der „Verschwörungstheorie“ auf einer theoretischen Ebene in seine Bestandteile aufgegliedert und ins Verhältnis zu jenen Praktiken gesetzt wird, die er als Deutungsmuster über Verschwörungen adressiert (Kap. 4). Zum anderen, indem „Verschwörungstheoretiker“ als vermeintlich ‚irrationale Andere‘ eine Stimme bekommen (Kap. 5.4, 6.1 und 7.2) und ihre Deutungen in den Kontext gesellschaftlicher Konflikte gestellt werden, die sie rationalisieren. Zuletzt dadurch, dass die Dynamik der kommunikativen Ko-Konstruktion der „Verschwörungstheorie“ und die mit ihr verbundenen Dispositive historisch-genealogisch rekonstruiert werden (Kap. 5.2 und 5.5). Die Verdichtung dieser Stränge mündet im Begriff der „conspiracy culture“, wie er von Knight (2000) erstmals geprägt wurde. Dieser bezieht sich nicht nur auf eine Gegenkultur heterodoxer Deutungen, sondern einerseits auch auf die Praktiken des Labelings von abweichenden Deutungen als „Verschwörungstheorien“ und andererseits auf die mit diesen verbundenen hegemonialen Diskursen und Machtordnungen (Kap. 4.3). Dazu gehören ebenso Politiken und Ökonomien des modernen Sicherheitsstaates sowie Diskurse der Leitmedien und des professionellen Journalismus (Kap. 5.2). Nicht zuletzt muss für diesen Perspektivenwechsel der wissenschaftliche Diskurs über „Verschwörungstheorien“ selbst kritisch unter die Lupe genommen werden. Es gibt einen starken Zweig in der „Verschwörungstheorien“-
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2 Forschungspraxis und Methodologie
Forschung, für den das Verschwörungsdenken falsches Denken in mehrfacher Hinsicht ist: epistemologisch falsch, da es die Komplexität der Wirklichkeit nicht zu erfassen vermöge; normativ falsch, insofern es gefährlich sei und populis-tischen oder extremistischen Tendenzen in der Gesellschaft Vorschub leiste. Beide Argumente sind auf den ersten Blick nachvollziehbar und empirisch lassen sich dafür auch Belege finden. Dennoch beruht diese Position, wie eben schon angedeutet, auf fragwürdigen methodologischen und begrifflichen, aber auch empirischen Voraussetzungen. Vor allem aber auf den genannten Dispositiven moderner Staats- und Kontrollregime. Wir werden auf diese Aspekte an verschiedenen Punkten der Studie zurückkommen. An dieser Stelle sei nur eine methodologische Kritik dieser anti-verschwörungstheoretischen Position vorweggenommen, die gerade auch für die ethnographische Beforschung von „Verschwörungstheorien“ bedeutend ist (vgl. Breidenstein u. a. 2015 [2013]: 39). So behauptet ein prominenter und vielzitierter Experte auf dem Gebiet der „Verschwörungstheorien“-Forschung – seiner Profession nach Literaturwissenschaftler – in seiner aktuellen Publikation z. B. das Folgende: [R]eale Verschwörungen unterscheiden sich deutlich von denjenigen, die Verschwörungstheoretiker entdeckt zu haben glauben. Daher hat sich auch noch nie eine Verschwörungstheorie im Nachhinein als wahr herausgestellt. (Butter 2018: 37)
Der Experte begründet dies wie folgt: Reale Verschwörungen werden in der Regel von ‚einer kleineren Gruppe von Personen‘ begangen; Verschwörungstheorien dagegen entwerfen Szenarien, an denen zumindest Dutzende, meist aber deutlich mehr Menschen beteiligt hätten sein müssen. (Ebd.: 38)
Abgesehen von den begrifflichen und empirischen Fragwürdigkeiten derartiger Aussagen, auf die noch einzugehen sein wird, ergibt sich aus einer solchen Behauptung eine große methodologische Herausforderung: Für den Literaturwissenschaftler, der sich fachlich abstrakt und theoretisch mit „Verschwörungstheorien“ und Verschwörungen beschäftigt, kann die empraktische „Realität“ einer Verschwörung gar nicht in einer Weise begreifbar sein, über die zu urteilen er Deutungshoheit beanspruchen oder gar Wahrheitsansprüche geltend machen kann. Fragend ausgedrückt: Welche spezifische Fähigkeit oder Expertise erlaubt es dem Referenten über die praktische Wirklichkeit von Verschwörungen außerhalb seines kulturwissenschaftlichen Referenzrahmens Aussagen der Art „...Reale Verschwörungen werden in der Regel von „einer kleineren Gruppe von Personen“ begangen...“ oder „...an denen zumindest Dutzende, meist aber deutlich mehr Menschen beteiligt hätten sein müssen...“ zu treffen? Ist dies ein empirisches Argument? Dann wäre es – wie auch diese Studie zeigen wird – 1.) historisch widerlegt und könnte 2.) keinerlei Geltungsanspruch für Aussagen über Verschwörungen in der Gegenwart oder Zukunft erheben. Ist es ein ontologisches Argument? Dann überstiege es den Fachbereich und die Profession – oder eben die „soziologische“ oder
2.3 Distanz: Diskurse und Theorien
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„kriminologische Imagination“ (s. u.) – des Referenten. Es ist aber auch kein kulturwissenschaftliches Argument. Denn der Autor, Michael Butter, hat in seiner essayistischen Arbeit keinerlei kulturwissenschaftliches Fundament gelegt.30 Allgemeiner gefragt: Wodurch garantiert der theoretische Denker, dass er nicht einfach „seine eigene Denkweise an die Stelle der Denkweise der von ihm analysierten Handelnden setzt“ (Bourdieu 1993 [1980]: 371)? Ich möchte die Auseinandersetzung mit dieser Frage in den Fortgang der vorliegenden Arbeit verlegen. Hier nur so viel: Der/Die „Verschwörungstheorien“-Expert*in steht stellvertretend für eine ganze Reihe von Wissenschaftler*innen unterschiedlicher Disziplinen, die der Ansicht sind, durch ihre Auseinandersetzung mit bestimmten „Verschwörungstheorien“ repräsentative Aussagen darüber treffen zu können, wie ‚wahr‘ oder ‚unwahr‘ (real/fiktiv) „Verschwörungstheorien“ generell sein könnten. Der medienpolitische Diskurs, in dem sie als „Expert*innen“ positioniert sind, ist dabei durch die systematische Delegitimierung von heterodoxem Verschwörungswissen und den „Kampf gegen Verschwörungstheorien“ gekennzeichnet. Er reproduziert nicht nur „Verschwörungstheoretiker“ als irrationale und gefährliche Andere einer demokratischen und liberalen Gesellschaft, sondern auch jene „Experten“, die dieses anti-verschwörungstheoretische Wissen erst rationalisieren. Aus dieser privilegierten Position leitmedialer Aufmerksamkeit und politischer Legitimation heraus meinen „Verschwörungstheorie“-Expert*innen dann oft genau zu wissen, wie denn „reale“ Verschwörungen sich empraktisch (nicht) ereignen (könnten). Sie werden indirekt zu Kriminolog*innen, forensischen Ermittler*innen oder in den Rang von Fachleuten für tiefenpolitische Ereignisse erhoben, die sie nicht sind. Eine bemerkenswerte Paradoxie dieses anti-verschwörungstheoretischen Diskurses ist, dass der gerade zitierte Experte nur wenige Zeilen vor der sehr wagemutigen Behauptung, dass sich „noch nie eine Verschwörungstheorie als wahr herausgestellt“ habe, sich selbst das Verschwörungsdenken zu eigen macht und damit die von ihm gesetzten Wahrheitsansprüche untergräbt. Er schreibt vom „sehr wahrscheinlichen Versuch des Kremls, die letzten amerikanischen Präsidentschaftswahlen zu beeinflussen“ (Butter 2018: 37) als einem seltenen Beispiel für eine mögliche reale Verschwörung. An dieser Stelle zeigt sich deutlich das ideologische Moment dieses Diskurses: Legitimierte Sprecher*innen adressieren bestimmte Verschwörungen als ‚wahrscheinlich‘ oder ‚real‘ (in diesem Fall: Russland, „Kreml“, Wahlmanipulation) und andere als ‚unwahrscheinlich‘ oder ‚fiktiv‘ (USA, NATO, 9/11 usw.) und reproduzieren dadurch die innerhalb dieses Diskurses vorherrschende Rationalität wie auch die diskursiv konstruierte Wirklichkeit seiner Subjekte. Die vorliegende Studie versteht sich als empirische und theoretische Kritik an dieser Art der „Verschwörungstheorien“-Forschung, die sich einseitig mit „Verschwörungstheorien“ beschäftigt und dabei das kulturelle Rahmenwerk an Praktiken, Diskursen, Machtpolitiken und Dispositiven unterschlägt, die „Verschwö-
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rungstheorien“ als stigmatisiertes Wissen reproduzieren. Damit stellt sich diese Untersuchung theoretisch in die Tradition einer ethnographisch-anthropologischen Konspirationsforschung, wie sie Marcus (1999) oder Sanders/West (2003) oder autoethnographisch Goodall (2006) geprägt haben. Des Weiteren bezieht sie als sozialwissenschaftlich-kriminologischen Unterbau Hintergrundwissen aus der Tradition der „Critical Criminology“ (Barton u. a. 2007; Hess/Scheerer 2014) und dem „Deep Politics“-Paradigma von Scott (1993, 2010, 2015) und Wilson (2009, 2012a, 2015) sowie das „SCAD“-Konzept (DeHaven-Smith 2013) mit ein. Soziologische Referenzrahmen, die sich vor allem auf Beobachtungen konspirativer Alltagskultur beziehen, sind Erving Goffman und Georg Simmel sowie Pierre Bourdieu. Erst vor diesem theoretischen Hintergrund, der Verschwörungen nicht als allein fiktive Realität, sondern gleichsam als reale Fiktion und Praxis begreift, wird schließlich auch kultur- und sozialwissenschaftliche Literatur über „Verschwörungs-Theorien“ herangezogen. Diese wird dem kritischen Anspruch der Macht/Diskursforschung gerecht werdend, danach geordnet, inwieweit sie dem anti-verschwörungstheoretischen Deutungsmuster und dessen Dispositiven nahesteht und sich damit zu „co-conspirators in the policing of knowledge“ (Barton u. a. 2007: 30) reduziert oder darüber hinausgeht. Demgegenüber werden gerade jene heterodoxen Literaturen und Lesarten, die gemeinhin als „Verschwörungstheorien“ gelten, hier immer auch so dargestellt, wie sie sich selbst deuten, ohne ihnen notwendig Glauben zu schenken. Damit findet eine Umkehr der Perspektiven statt: Nicht nur die Stimmen der privilegierten akademischen „Experten“ werden hier dargestellt und, wie im leitmedialen Diskurs, unkritisch reproduziert, sondern vor allem jene „Verschwörungstheoretiker“, wie etwa Mathias Bröckers oder Daniele Ganser, die gleichsam die unfreiwilligen Subjekte und Objekte dieser Diskurse sind. Die vorliegende Studie zieht damit eine Konsequenz aus der nicht weiter verfolgten Einsicht von Knight (2000: 30), dass es einen „mutual feedback loop“ zwischen der subversiven, populären und fiktiven und der orthodoxen, elitären und sicherheitspolitischen Konspirationskultur gäbe und dass alle Aspekte gemeinsam dasjenige bezeichneten, „what might be termed a ‚conspiracy culture‘“. Letztere stellt sich zwar in der Perspektive der Ethnographie für einen Nicht-„Insider“ wie den Autor – und den größten Teil der Gesellschaft – feldforschungspraktisch größtenteils als unzugänglich, als Grenzwissen, dar. Und doch kann die konspirative Kultur von Kontroll- und Sicherheitsregimen mithilfe der vorhandenen erwähnten Literatur, rekombiniert, mit heterodoxem Spezial- oder Hintergrundwissen aus „Verschwörungstheorien“ kulturwissenschaftlich ‚dicht‘ beschrieben und durch die ethnographischen Daten (re-)kontextualisiert werden. Im Kapitel über die „Verschwörung der Mafia“ (Kap. 4.1.6) oder über die Taktik von „Agents Provocateurs“ (Kap. 5.3.2) wird so z. B. deutlich, wie die klandestine Praxis in den Alltag und die Lebenswelt des autobiographischen Subjekts hineinragt und wie er und andere, durch Schweigen oder Aktivismus daran
2.3 Distanz: Diskurse und Theorien
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beteiligt sind, diese Verschwörungen zu reproduzieren oder zu enthüllen. Das methodologische Argument ist hier: dass die Konspiration der Mafia wie auch andere Verschwörungen, (z. B. eines „Tiefen Staates“ oder geldmächtiger Oligarch*innen) nicht weniger real sind, nur weil sich einzelne diese nicht als ‚real‘, sondern eben nur als ‚fiktiv‘ vorstellen können (vgl. Kap. 4.1.4). Vielmehr geht es darum, welche Relevanzen unseren Alltag oder unsere praktische Einstellung bestimmen, d. h. welche Verschwörungen wir qua Ideologie als solche ‚sehen‘ wollen bzw. können und welche nicht (Kap. 6.5). Dies ist auch davon abhängig, inwieweit wir als Wissenschaftler*innen bereit sind, die „sociological“ oder „criminological imagination“ (Barton u. a. 2007: 33) zu erweitern. In diesem Sinne ist das Konzept der Konspirationskultur wesentlich ein analytisches und kein ontologisches Konzept, vor dessen Hintergrund verschiedene kulturelle Praktiken angemessen verstanden und schließlich sinnvoll in Beziehung zueinander gesetzt werden können. 2.4 Nähe: ‚Ethnographie des Selbst‘ In der Selbstbeobachtung, die im Zentrum der „Autoethnographie“ steht, ergeben sich für Forscher*innen einerseits wertvolle Ressourcen, die, vor allem als Daten über emotionale und allgemein leibliche Zusammenhänge, soziologisch aufschlussreich sein können. Gleichzeitig verbinden sich mit der Selbstbeobachtung eine Reihe von methodologischen und praktischen Schwierigkeiten, die die ‚Ethnographie des Selbst‘ zu einem komplexen und oft kritisierten Unterfangen machen (Geimer 2011; Ploder/Stadlbauer 2017). Zwei wesentliche Kritikpunkte sind dabei die Fokussierung auf das ‚Selbst‘ zuungunsten eines angemessenen Fremdverstehens sowie, damit verbunden, die Kritik, dieses ‚narzisstische‘ Selbstverstehen impliziere oftmals Verzerrungen und Selbsttäuschungen. Das Ineinsfallen von Beobachtungssubjekt und -objekt wird in der Autoethnographie als Stärke, aber auch als ein methodologisches Problem gesehen. DIE TECHNIK DER INTROSPEKTION
Carolyn Ellis hinterfragt die begrifflich-methodologischen Annahmen dieser Problematisierung – ohne dabei aber die methodisch-praktischen Probleme autoethnographischer Forschung zu negieren. Mit einem Verweis auf G. H. Meads Sozialbehaviorismus, dessen Einfluss auf die Geschichte der Soziologie es mitunter zugerechnet werden kann, dass Fremd- statt Selbstbeobachtung das Mittel erster Wahl empirischer Sozialforschung ist, macht Ellis die, auch und gerade im Mead‘schen Werk, unhintergehbare Verschränkung von (Beobachtungs-)Subjekt und Objekt deutlich. Sie zeigt, dass jede Fremdbeobachtung – und ihre Interpretation – zugleich Selbstbeobachtung ist und umgekehrt. Mit Verweis auf Meads Sozialphilosophie schreibt sie: „The ‚I‘ is never directly observed, since reflection changes it to a past ‚me‘“ (Ellis 1991: 29). Mit anderen Worten: in jedem kognitiven Akt, sei er selbst- oder fremdbezogen, sei das soziale Ich-Welt-Verhältnis
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enthalten, in dem ‚Ich‘ und ‚Welt‘ durch die Brille eines generalisierten Anderen („me“) betrachtet werden. Private wie öffentliche Kommunikation seien stets durch soziale Symbole („publicly shared significant symbols“) vermittelt. Insofern funktioniere Selbstbeobachtung, d. h. „Introspektion“, ihrer Form nach nicht anders als Fremdbeobachtung. „Introspection then is a social process as well as a psychological one.“ (Ebd.: 28) Doch nicht nur sei Selbstbeobachtung immer sozial vermittelt, so Ellis. In gleicher Weise sei Fremdbeobachtung ‚selbstvermittelt‘. Die Praxis der Introspektion sei dabei längst Teil unserer Alltags- und auch wissenschaftlichen Deutungen. Wir beobachten, bewerten und unterdrücken oder ‚managen‘ beständig unsere inneren Gefühls- und Gedankeninhalte, ohne dies meist bewusst und reflektiert zu tun – und wir lassen diese Fremd- und Selbstdeutungen auch in Forschungsergebnisse einfließen. Ein Beispiel aus dieser Ethnographie ist die Passage in der Einleitung: Ich wusste, dass er Raucher ist. Ich hasse Rauchen. Das geht in die Klamotten und die Augen tränen. Er hat nicht einmal gefragt. Ein wenig werde ich davon brüskiert. Ich lasse mir nichts anmerken.
An der Verschriftlichung des Erlebten ist Introspektion beteiligt: Als der Autor diese Sätze verfasste, erinnerte er sich an die Situation zurück. Hierzu bemühte er bewusst oder unbewusst die eigenen emotionalen Reaktionen („brüskiert“ sein) ebenso wie die damit zusammenhängende Unterdrückung einer Reaktion („[i]ch lasse mir nichts anmerken“). Sowohl in der Aufzeichnung wie in der Interpretation – die in der Ethnographie nicht wesentlich getrennt sind – kann die Introspektion in diesem Sinne als eine bewusst durchgeführte sozialwissenschaftliche Technik betrachtet werden und damit auch Reflexivität erhöhen. Diese ist nicht allein durch Fremdbeobachtung einlösbar, sondern nur durch eine Kombination aus Fremdund Selbstbeobachtung. „Self-Introspection“ stellt Ellis in diesem Sinne auf eine Stufe mit „Interactive Introspection“. Beide rechnet sie „integrativen“ Ansätzen zu, die die Subjektseite des*der Forscher(s)*in während des Forschungsprozesses entweder als Ressource heranziehen, mindestens aber beachten. Insofern kritisiert Ellis die Soziologie dafür, einerseits die Technik der Introspektion als Methode wissenschaftlicher Erkenntnis zu marginalisieren, andererseits ständig mit introspektiven, durch Selbstdeutung vermittelten, Daten zu arbeiten: […] most researchers, and especially social constructionists, use data gathered introspectively at some point in their research, but camouflage them as behaviour, questionnaire responses, verbal reports, and laboratory experiment results. (Ebd.: 28)
Selbstredend ist nur durch diesen methodologischen Perspektivenwechsel forschungspraktisch noch nicht viel gewonnen. Techniken der Introspektion müssen ebenso wie Techniken der Fremdbeobachtung geübt, methodisiert und reflektiert werden. Diese Disziplinierung benötigt eine Praxis und Forschungskultur, die sich Introspektion zu eigen macht. Für diese Studie bot sich der Einsatz introspektiver Methoden schon deshalb an, weil der Autor autobiographisch mit dem
2.4 Nähe: ‚Ethnographie des Selbst‘
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Forschungsfeld verbunden ist. Die Vertrautheit mit Methoden der achtsamkeitsbasierten Introspektion legte es nahe, dass auch eigene emotionale Reaktionen im Prozess der Feldforschung gezielt beobachtet wurden, um darauf basierende Verhaltensmuster potentiell als typische Umgangsformen des Feldes lesen zu können. Um typische von kontingenten Merkmalen zu unterscheiden, wurden solche Emotions- und Verhaltensmuster im erfahrungszentrierten Austausch („introspective interaction“) mit anderen Akteur*innen des Feldes abgeglichen. Eine Emotion die sich dabei, gerade für das heterodoxe Verschwörungsdenken, als zentral herausstellte, ist die der Enttäuschung. Sie zeigte sich als ein handlungsleitendes Motiv verschiedener Mitglieder der „Wahrheitsbewegung“ und vor allem in Verbindung mit der Praktik des „Aufwachens“ (Kap. 7.1) wie auch als ein bekanntes Gefühl des autobiographischen Subjekts (Kap. 3.3). Methodologisch darf jedoch diese „felt experience“ nicht als ein „internal state“ begriffen werden, „but as emotional process recognized internally and constructed externally.“ (Ellis 1991: 32) Die ‚öffentliche‘ Artikulation des Gefühls der Enttäuschung, z. B. in Form von Tagebucheinträgen, Bildern oder anderen (Sprech-)Handlungen ist die „kommunikative [Außen-]Seite“, an der sich ein Gefühl als Emotion für den*die Beobachter*in zeigen kann (vgl. Knoblauch 2009: 13). Die private und ‚innerlich‘ erlebende und subjektive Seite ist aber stets zugleich Teil des Gesamtphänomens. Zugriff zu dieser erlauben allein Praktiken und Techniken der Introspektion, die wir ohnehin tagtäglich anwenden. DIE PRAXIS DER AUTOETHNOGRAPHIE
In der Praxis der Autoethnographie geht es wesentlich darum, durch die Beschreibung persönlicher Erfahrungen einen Beitrag zur Beschreibung eines kulturellen Zusammenhangs zu leisten (Ellis u. a. 2011: 1). Die für die Ethnographie charakteristische „sich über einen längeren Zeitraum erstreckende Methode der Teilnehmenden Beobachtung“ (Kap. 2.1) fokussiert sich in der Autoethnographie auf den*die Forscher*in als Subjekt. Fremdbeobachtung wird hier kontrastiert durch Selbstbeobachtung – mit den erwähnten Mitteln der Introspektion. In der Methodologie der Autoethnographie verbinden sich Ethnographie und Autobiographie (Ellis 2011: 5). D. h. der*die Forscher*in nutzt gleichsam die eigene Subjektivität in Form von Tagebuchaufzeichnungen, privaten Notizen, Fotos oder Gedichten als Ressource für generalisierbare kultur- bzw. sozialwissenschaftliche Erkenntnisse. Meist erinnert sich der*die Autobiograph*in in Bezug auf seine*ihre Vergangenheit an „Gipfelpunkte“ („epiphanies“, ebd.: 6), d. h. Ereignisse mit einem besonders „transformatorischen“ Potential für die eigene Identität. Ellis schreibt: When researchers do autoethnography, they retrospectively and selectively write about epiphanies that stem from, or are made possible by, being part of a culture and/or by possessing a particular cultural identity. (Ebd.: 8)
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Die ‚eigene‘ Erfahrung wie auch ihre kulturelle Artikulation bedient sich am verfügbaren sozialen Wissensvorrat. Dieser ist durch gesellschaftliche Praktiken, Diskurse, Deutungsmuster oder kommunikative Gattungen usw. vermittelt, deren Ausdrucksformen es erst ermöglichen, Identität als Selbst-Beziehung zu entwickeln. In dieser Studie steht als „Epiphanie“ die Erfahrung des „Aufwachens“ (Kap. 7.1) bzw. ihre narrative Rekonstruktion im Vordergrund. Auffällig ist dabei unter anderem der Rekurs auf bekannte kulturelle Narrative wie etwa die „Matrix“-Filme. „Matrix“ und ähnliche Kulturprodukte sind feldübergreifende Topoi ‚westlicher‘ und transnationaler Populärkultur. Gleichzeitig fungieren sie in der Konspirationskultur spezifisch sinnbildend. Sie ermöglichen eine für die individuelle „felt experience“ spezifische soziale und ästhetische Ausdrucksform. Sie machen die leiblich-emotionale Erfahrung des Aufwachens somit inter-subjektiv verstehbar und damit auch kommunikativ anschlussfähig. Die methodisch-praktischen Grenzen der Autoethnographie sind dort, wo das autoethnographische Subjekt seine Grenzen als Subjekt und Teil einer Kommunikationskultur nicht mehr erkennt. Daher spricht die Kritik der Autoethnographie auch von ‚narzisstischen‘ Verirrungen – man könnte auch von Selbst-Täuschung sprechen –, die dann oft auch mit einem „going native“ verbunden sind. Wenn Feldforscher*innen die soziale Bedingtheit, ‚Gemachtheit‘ und Relationalität der eigenen Erfahrungen nicht (mehr) erkennen, dann sind sie in diesem Moment „existenziell“ mit dem beforschten Feld verbunden. An dieser Stelle kommt ein autobiographisches Subjekt zum Vorschein, das ‚in‘ seine Erfahrungen erlebend involviert ist (es ist dies die „lebensweltliche“ Einstellung, Honer [1989, 1993, 2011] bzw. die „lived experience“, Ellis [1991]). In dieser Ethnographie scheint diese lebensweltliche Erfahrung immer wieder auf: sehr eindringlich dort, wo der Autor über seine Erfahrungen in „Teufelskreisen“ berichtet (Kap. 7.4). Eigentlich als Memo und privates Forschungstagebuch verfasst, offenbaren sich dabei intime Einblicke in eine Ausprägung der paranoiden Subjektposition. Die pathologisierende (Selbst-)Deutung als „Informationssucht“-Verhalten sowie damit in Verbindung gebrachte „coping“-Methoden sind erst aus der „theoretischen Einstellung“ als solche erkennbar. Solche „Strategien der Entspannung“ (vgl. Kap. 7.4) sind teilweise auch Teil der Selbstdeutung des Feldes und ein verbreitetes gesellschaftliches Deutungsmuster, welches dem psychotherapeutischen Diskurs entstammt (s. u.). Die Technik der „self-introspection“ ermöglicht, wie auch dieses Beispiel zeigt, Zugänge zu ansonsten forschungspraktisch und -ethisch schwer beobacht- und darstellbaren Emotions- und Verhaltensmustern. Forschungsethisch sind mit der Arbeit mit und an bestimmten Gefühlen, die kulturell als ‚schwierig‘ markiert und/oder tabuisiert sind, verschiedene Herausforderungen, vor allem aber Sensibilität verbunden. In Autoethnographien macht sich der*die Forscher*in durch die Offenbarung privaten Wissens dadurch potentiell verletz- und angreifbar. Das gleiche gilt für die Veröffentlichung diskreter Information anderer Akteur*innen dieses Feldes. Für
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die Auswahl oder ‚Zensur‘ privater und intimer Erfahrungen, die die subjektive und lebensweltliche Seite des Phänomens transparent machen, aber auch persönliche Grenzüberschreitungen darstellen, wurden – neben Techniken der Anonymisierung – zwei Leitkriterien gewählt. Diese sollen einerseits – wo gefordert – den Schutz eigener wie fremder Persönlichkeits- und Privatsphären garantieren, andererseits die Relevanz des Wissens für das „Ganze“ (vgl. Breidenstein u. a. 2015 [2013]: 156) im Blick zu behalten. Diese beiden Kriterien lauten: 1. 2.
das (Bauch-)Gefühl muss mit der Veröffentlichung im Einklang sein; das veröffentlichte Wissen sollte für das „Ganze“ relevant sein.
Ist das erste Kriterium nicht erfüllt, d. h. hatte der Autor als empfindendes Subjekt und Mensch das starke Gefühl, dass ihm oder anderen Akteur*innen eine Veröffentlichung persönlich schaden könnte, wurde von einer Veröffentlichung abgesehen – gerade dann, wenn auch die Abwägung hinsichtlich des zweiten Leitkriteriums negativ ausfällt: Das Wissen ist nicht relevant für die Beschreibung oder führt nicht zum besseren Verstehen des betreffenden Phänomens. Die Kriterien waren hilfreich dabei, einigermaßen systematisch einen Weg durch den Datendickicht zu schlagen und dabei auch eine gewisse (Selbst-)Sicherheit zu gewinnen. Zugleich wirkten sie wiederum sensibilisierend. Aus einer „theoretischen Einstellung“ bleibt fraglich, was es bedeutet, wenn nach ‚Bauchgefühl‘ entschieden werden soll. Wäre nicht gerade dieser Widerstand Ausdruck eines sozialwissenschaftlich interessanten Grenzübertritts? Auf einer gewissen Ebene: ja, sicher. Doch wenn es um die ethischen Aspekte der Privatsphäre oder Integrität geht, sollten diese überwiegen. Auf einer meta-empirischen und unpersönlichen Ebene kann und muss ein solcher Widerstand jedoch immer reflektiert werden. In jedem Fall ist aber zu einer ethisch integren Auseinandersetzung mit Gefühlen als leiblichen ‚Tatsachen‘ so etwas wie ein achtsamer Umgang mit diskreten Daten unabdingbar. Ob und inwiefern autoethnographisches Datenmaterial jedoch typisch und relevant für das Forschungsfeld oder nur eine sehr spezielle Eigenart des autobiographischen Subjekts sind, kann auch in der Methodologie der Autoethnographie nicht allein durch „self-introspection“ beantwortet werden, sondern ist auf korrigierende „interactive introspection“ bzw. auf Fremdverstehen angewiesen. Die Gefahr der „‚Verdoppelung‘ des eigenen Vorverständnisses“ (Mayring 2015 [1982]: 38) ist demnach gerade für die autoethnographische Forschung hoch. In diesem Falle wurde das Angsterleben des Autors zugleich als subjektive Seite und individuelle Ausprägung der im Diskurs/Feld typischen „Angstkommunikation“ (Bergmann 2002) bzw. der Dynamik der „conspiracy panics“ (Bratich 2008) gedeutet, das sich auch in Gesprächen mit anderen Teilnehmer*innen des Feldes bestätigte. Neben dem interaktiven Fremd- bzw. Selbstverstehen innerhalb des Feldes war für diese (Auto-)Ethnographie auch die Befremdung des Feldes eine wichtige Phase. Diese erfolgte hier durch die ethnographische Praxis des
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Schreibens, der Theoretisierung, durch raumzeitliche Distanzierung, wie auch durch eine auf Techniken der achtsamen Meditation beruhende Praxis und Sinnbildung. ACHTSAMKEIT: PRAXIS UND SINNPROVINZ
Achtsamkeit entspricht in dieser Ethnographie methodologisch einer Sinnprovinz, die der paranoiden Subjektposition diametral entgegensteht bzw. der Sinnprovinz der Konspiration, so man von einer solchen sprechen will, maximal fremd ist. Denn die Praxis der Achtsamkeit und die mit ihr verbundenen (Sub-)Sinnwelten sind dadurch charakterisiert, Vertrauen, Zuversicht, Empathie und Gelassenheit zu reproduzieren, wo Praktiken der Konspirationskultur typischerweise durch emotionale Vorgaben wie Misstrauen, Zweifel, Missachtung und Anspannung geprägt sind. Die Sinnprovinz der Achtsamkeit und die mit ihr verbundenen Praktiken stellten sich daher im Laufe des Forschungsprozesses sowohl epistemologisch wie psychohygienisch als ein sehr geeigneter Beobachtungs- und Rückzugsort heraus. Die eingangs beschriebenen Techniken der Introspektion sind für die Achtsamkeitskultur typisch und sinnbildend. Als Gegen-Erfahrungen zur „negative[n] Energie“ der „Teufelskreise“ des Verschwörungsdenkens (Kap. 7.6) bilden Praktiken der Achtsamkeit (Eisenmann/Oberzaucher 2019) sowohl einen emotionalen Kontrast wie auch eine Sensibilisierung auf leiblicher ebenso wie auf kognitiver Ebene. Struktur- und sinnbildend für eine paranoide Subjektposition sind Beziehungen von Trennung und Entfremdung sowie Kommunikation von Angst (vgl. Downbiggin 2000: 68). In der lebensweltlich-autobiographischen Perspektive werden diese zwar erlebt, können aber als solche nicht verobjektiviert werden – insofern das erlebende Subjekt hier ja leiblich ‚in‘ der Angst ‚lebt‘. Die Kultivierung von Achtsamkeit ermöglicht Emotionen und Gedanken(muster) bewusst zu objektivieren und weist dabei viele Strukturähnlichkeiten mit der „theoretischen Einstellung“ (Tab. 1) auf. Die Praxis der Achtsamkeit umfasst hier das gezielte und wiederholte Ausrichten der Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes – in der Regel ‚innerliches‘ – Objekt (z. B. Gedanken, Gefühle, Empfindungen), ohne zu bewerten (vgl. Kabat-Zinn 2013 [1990]: 19). Als für die Provinz der Achtsamkeit sinnbildend gehören zu dieser (Übungs-)Methode noch bestimmte praktische Ideologien, z. B. die soteriologischen Konzepte der Buddha-Lehre, die mehr oder weniger mit einer Kosmologie, mindestens einer praktischen Ethik, verbunden sind.
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Abbildung 4: Verbunden und getrennt in der Wachheit. Die diametrale Beziehung zwischen Achtsamkeit und Paranoia (Quelle: eigene Darstellung).
Während des Forschungsprozesses, vor allem in der letzten Hälfte der Aufzeichnungsphase des digitalen Tagebuchs (2015–2016), wurden Techniken der Achtsamkeitsmeditation auch in Bezug auf die methodische Distanzierung der ethnographischen Praxis im Feld der Konspirationskultur genutzt. Der Autor besuchte hier sehr regelmäßig – einmal wöchentlich für 2 Stunden – eine buddhistische Übungs- und Studiengruppe, in der ein Schwerpunkt in der Kultivierung von Achtsamkeit und Mitgefühl liegt. Auch in diesen Zeitraum fiel seine eigene Ausbildung als Achtsamkeits- und Stressreduktionslehrer nach der MBSR-Methode. In dieser Phase wurde auch die individuelle Meditationspraxis auf eine tägliche Zeit von durchschnittlich mind. 45 Min. intensiviert. Während der Phasen der persönlichen und gemeinsamen Introspektion konnte so ein Wissen über das leiblich-emotionale Innenleben des autobiographischen Subjekts kultiviert werden, für dessen Produktion das intellektuelle und oftmals ‚verkopfte‘ Setting von Datensitzungen aus verschiedenen Gründen ungeeignet ist (vgl. Eisenmann/Oberzaucher 2019). Zu den drei unterschiedenen Perspektiven (Tab. 1) kam damit noch eine weitere Perspektive hinzu, die durch die Sinnprovinz der Achtsamkeit als einem für die Autoethnographie besonders interessanten Beobachtungsort, geprägt ist. Ähnlich wie in der „theoretischen Einstellung“ werden in der Achtsamkeitspraxis gezielt und kontrolliert „Alltagsrelevanzen […] in stoischer Distanz“ und durch das „Abstand“-Nehmen ausgeklammert (Schütz/Luckmann 2003: 631). Achtsamkeit wird daher in der Psychologie u. a. auch als „Metakognition“ (Teasdale 1999) bezeichnet. Durch das gezielte Ausrichten der Aufmerksamkeit, etwa auf die Atmung, und das bewusste Loslassen von bzw. die Nicht-Reaktion auf Gedanken-, Gefühls-, oder körperliche Impulse wird mit zunehmender Übung nicht nur der
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‚Geist‘ ruhiger und gelassener. Damit einhergehend zeigen sich in dieser Form der „self-introspection“ auch Zusammenhänge zwischen Gedanken, Gefühlen oder körperlichen Reaktionen, die die Subjektivität und somit auch das Selbst(-Konzept) prägen. Der gemeinsame informelle oder formelle (z. B. „Einsichtsdialog“ oder „inquiry“) Austausch über die Meditationserfahrungen vertieft dieses SelbstVerstehen in der Form einer „interactive introspection“ nochmals. Die achtsamkeitsbasierte Introspektion ist insofern ein konkretes und „geschicktes Mittel“ auch für die Autoethnographie. Hervorzuheben ist dabei nochmals, dass die Methode der introspektiven Selbstbeobachtung längst Teil von Alltagsbeobachtungen unserer Gesellschaft und so im Prinzip nichts Außergewöhnliches ist. Der eigentliche Unterschied zwischen alltäglicher und achtsamkeitsbasierter Introspektion hängt mit dem Grad von Übung, Bewusstheit und schließlich der ‚Kultur‘ zusammen, die sich sinnbildend um Achtsamkeit als Einsichtspraxis reproduziert. Aber gleich wie die „theoretische Einstellung“ ist auch die achtsame Subjektposition – weder in buddhistischer noch in sozialkonstruktivistischer Sichtweise – keine ‚natürliche‘ Perspektive. Beide Beobachtungsorte sind relativ und ‚gemacht‘. Beide durchdringen ‚Wirklichkeit‘ auf ihre jeweils spezifische Weise, aber dabei, ohne den Anspruch zu erheben, den ‚vollen Durchblick‘ zu haben. Wichtiger ist jedoch: Der Ort der Achtsamkeit und die theoretische Einstellung bilden ergänzende, sich teilweise überlappende Perspektiven, die in Bezug auf ethnographische Distanzierungen methodologisch weitaus mehr Gemeinsames haben als Trennendes. Zusammengefasst, fungierte Achtsamkeit in dieser Ethnographie auf dreifache Weise. Erstens als Sinnprovinz, die in diametralem Kontrast zur Kultur der Konspiration steht und damit maximale Befremdungseffekte (Hirschauer/Amman 1997) ermöglicht. Aus dieser Kontrastierung wird die jeweils andere Position vor allem theoretisch (besser) unterscheid-, versteh- und beschreibbar. Zweitens diente sie als methodisierte Technik der Introspektion im Selbst- und Fremdverstehen. Drittens diente sie als Praxis dem autobiographischen Subjekt als persönliche Bewältigungsstrategie, d. h. als „coping“-Methode, um mit den schwierigen Emotionen und Spannungen des Forschungsfeldes und auch dem Druck wissenschaftlichen Arbeitens während dieser Phasen noch besser umgehen zu können. (SELBST-)THERAPIERUNGEN
Die Auseinandersetzung mit dem eigenen ‚Innenleben‘ durch Selbstbeobachtung hat in der Regel auch einen psychotherapeutischen Aspekt. Bereits im Tagebuchschreiben verobjektiviert sich die Subjektivität des*der Forscher*in introspektiv. Dabei können Gedanken oder Gefühle, die ansonsten unbewusst, verworren oder verborgen sind (vgl. Simmel 1992 [1909]: 387; Schmitz 1992 [1989]) sichtbar werden. Als „a way of knowing, a method of inquiry“ (Ellis u. a. 2011: 25) enthüllen introspektive Praktiken der Verschriftlichung oder Reflexion ‚verbor-
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gene‘ Zusammenhänge zwischen sozialen Situationen, Beziehungen, Diskursen, Gedanken, Gefühlen, die unser ‚Selbst‘ in seiner „Handlungs-, Wahrnehmungsund Denkmatrix“ (Bourdieu 1976 [1972]: 169) ‚gefangen‘ halten. In diesem Sinne kann Autoethnographie sowohl eine therapeutische wie eine emanzipatorische Wirkung haben. In einem autobiographischen Tagebuch-Fragment wird dieses Potential sichtbar – dass es sich entfaltet, ist jedoch durch nichts garantiert: Wenn du drinnen bist, dann gibt es keinen Kontext. Es gibt nur dich und die Sache. Deshalb macht darinnen auch nur die Sache selbst Sinn – du tust sie einfach, weil das Außen, das Andere vollkommen fern liegt. Du erlebst die Sache (als Subjekt). Doch sobald du draußen bist, ist der einstige Sinn nur eine dumme Beschränkung, die dich das System reproduzieren, und die Umwelt vergessen, lässt. Jetzt, da du aber die Umwelt, den Kontext wahrnimmst, erkennst du weshalb du darinnen warst und wieso es (aus dieser Perspektive) Schwachsinn war. [...] (Tagebucheintrag, ~ 26. Oktober 201031)
In dem Fragment aus dem Jahr 2010 reflektiert der autobiographische Autor seine Involviertheit in Überzeugungen und Glaubenssysteme. Die durch das Philosophie-Studium verklausulierte und wenig originelle Einsicht, dass alles Sehen perspektivisch und niemals (raumzeitlich) abgeschlossen ist, verhindert für den Autor dieser Zeilen jedoch nicht zukünftige Selbsttäuschungen und Verstrickungen in Überzeugungssysteme oder emotionale Muster, z. B. der Angst oder des Ohnmacht-Gefühls. Dies zeigen unter anderem die schon mehrfach erwähnten (Kap. 7.6) Verstrickungen in „Teufelskreise“ auch vier bis sechs Jahre nach solchen ‚theoretischen‘ Einsichten. Ploder und Stadlbauer (2017: 430) betonen ebenfalls den emanzipatorischen und transformatorischen Anspruch evokativer Ethnographien wie der Autoethnographie. Zugleich verweisen sie auf die „Probleme“ einer „sinnlich-affektive[n] Unmittelbarkeit“ autoethnographischer Forschung aus der Perspektive der Ethnopsychoanalyse. Die strukturelle Missachtung des „Fremden“ folge aus der Fokussierung auf das ‚Selbst‘ und könne psychoanalytisch in einer „Angst vor dem Fremden“ (ebd.: 431) begründet sein. Die Autorinnen geben daher zu bedenken, ob nicht methodisch-kontrollierte Formate wie etwa die ethnopsychoanalytische Gruppenarbeit geeignet(er) seien „die Einzelforscherin systematisch mit alternativen Interpretationen ihrer Erfahrung zu konfrontieren“ und „latente Sinngehalte“ sichtbar zu machen (ebd.: 433). Den Autorinnen ist insofern zuzustimmen, als dass sich z. B. Fälle von traumatisch-bedingtem emotionalen Verhalten schwerlich mit Mitteln der Selbstintrospektion in ihrer gesamten Soziound Psychodynamik durchschauen lassen. Der autobiographische Autor, der selbst Erfahrungen in psychotherapeutischen Sitzungen gesammelt hat 32, weiß heute, dass viele der Fremd- und Selbstdeutungen, die die vorliegende Arbeit prägten, auch mit sozio- und psychodynamischen Konflikten verschränkt sind, die sich mit Mitteln der Theoretisierung rationalisieren lassen. Unreflektierte Deutungsprak-
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tiken können so andere ‚Themen‘ verschließen. Im Fall des Autors dieser Studie sind es familiäre und biographische Konflikte, die beispielsweise die „Angst vor dem Fremden“ zugleich als Angst des Fremden (Kap. 3.1 und 3.2), d. h. als Angst eines Außenseiters, der Kindheitstraumata der Flucht und psychosozialer Ausgrenzung durch die beständige unbewusste Wiederholung der Selbstbeschuldigung reinszeniert. Dass ein solch entfremdeter Mensch sich heterodoxen Wissensbeständen, darunter „Verschwörungstheorien“, zuwendet und dadurch seine Ausgrenzungserfahrung bestätigt, kann psychoanalytisch plausibel erklärt werden. In der soziologischen bzw. einer psychosozialen Perspektive ist dieses autobiographische Wissen zwar sehr wertvoll, jedoch noch nicht hinreichend. Während für das autobiographische Subjekt der Fokus auf der Befreiung (Emanzipation) von mit Fremdheitserfahrungen verbundenem Leiden liegt, interessiert die ethnographische Sozialforschung den Autor solcher Erfahrungen in erster Linie als Subjekt einer Kultur – ihrer Diskurse, Deutungschemata oder Praktiken –, die diese Erfahrungen der Entfremdung ermöglicht und reproduziert haben. Insofern gezeigt werden kann, dass diese Erfahrungen typische Erfahrungen des Diskurses/Feldes sind, strukturelle, kulturelle oder historische Dimensionen haben (vgl. Kap. 4.3), und nicht singuläre oder arbiträre Merkmale des autoethnographischen Subjekts darstellen, taugt die autoethnographische Introspektion als Methode der soziologischen Feldforschung. Dabei ist es für die Soziologie sekundär wie diese ‚subjektiven‘ Einsichten zustande kamen: ob durch achtsamkeitsbasierte oder durch psychotherapeutische Techniken, die möglicherweise ‚schnellere‘ Einsichten liefern könnten (vgl. Ploder/Stadlbauer 2017: 433), die aber, folgt man Ellis (1991), prinzipiell und praktisch keine exklusiven Methoden darstellen, im Gegenteil.33 Entscheidender ist vielmehr ihr interaktiver Abgleich am Diskurs/Feld. Speziell in diesem Feld ist der Rückgriff auf psychotherapeutische Terminologien aber mit Vorsicht zu genießen. Die „Verschwörungstheorien“-Forschung war die längste Zeit durch Pathologisierungsdiskurse geprägt, die sich meist auf die Psychologisierung des Phänomens begrenzte und alle soziologischen oder kulturellen Aspekte entweder verdrängte oder aber psychologisierend auflöste. Bis heute ist der Problematisierungsdiskurs vorherrschend, wenn es um „Verschwörungstheorien“ geht (Anton/Schetsche 2020: 91 ff.). Die sozialpsychologische Forschung, die „Verschwörungsmentalität“ als operatives Konstrukt in den Vordergrund stellt (z. B. Moscovici 1987; Imhof/Decker 2013) und sich auf Individuen oder eine Gruppe von „Verschwörungstheoretikern“ bezieht, ist aus ethnographischer und soziologischer Perspektive kritikwürdig. Denn sie erhebt ihre empirischen Daten mit operativen Konstruktionen zweiter Ordnung, die den Beforschten pejorativ-belastete Deutungen vorgibt und wesentlich nicht die ihren sind (vgl. Schink 2015a/b). Diese Art von Forschung reproduziert die stigmatisierte Position der „Verschwörungstheoretiker“ indem sie Dialektiken zwischen konspirativer Kultur und Praktiken und den beforschten Subjektivitäten, die sie
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hervorbringen, ausklammert. Indem so dem „Verschwörungstheoretiker“ eine „Mentalität“ beigebracht wird, die gleichsam in einer konspirativen Kultur zu verorten ist, verdinglicht sie ihn. Diese Sicht führt also weniger dazu, dass die betroffenen Akteur*innen etwas lernen oder sich gar in den Forschungsprozess einbringen können, noch lernen die Forscher*innen wesentlich ‚Neues‘. So wird ein Diskurs bedient, in dem die Beforschten wie Patient*innen behandelt werden, die als inferiore Andere therapiert gehören. EVOKATIVE (AUTO-)ETHNOGRAPHIE EIN MENSCH KANN EINE HANDLUNG GEFÜHLSMÄßIG NICHT SPÜREN, WENN SIE MECHANISCH VERLÄUFT UND ER DAVON ABGESCHNITTEN IST. DAS GLEICHE GILT FÜR DIE STIMME. VIELE MENSCHEN SPRECHEN IN EINEM TROCKENEN, MECHANISCHEN TONFALL, DER KEINERLEI GEFÜHL AUSDRÜCKT. AUCH HIER HABEN WIR ES MIT INDIVIDUEN ZU TUN, DIE VOM KÖRPER ABGESCHNITTEN SIND […]. SOLCHE INDIVIDUEN SIND EMOTIONALE KRÜPPEL, DIE KEINERLEI FREUDE ODER ANDERE STARKE EMOTIONEN EMPFINDEN KÖNNEN. (ALEXANDER LOWEN, FREUDE. DIE HINGABE AN DEN KÖRPER UND DAS LEBEN, 199234)
Die evokative (Auto-)Ethnographie versucht diese Stigma-Dynamik zu durchbrechen, indem sie vor allem die Betroffenen zu Wort kommen lässt. Das bedeutet „ein Einbringen der Stimmen der ‚Beobachteten‘ in die Texte der Ethnographen.“ (Winter 2001: 56). Es wird die Perspektive jener dargestellt, die in orthodoxen politischen wie in Alltagsdiskursen als „Verschwörungstheoretiker“ bezeichnet oder beäugt werden und sich deswegen in entsprechenden Interaktionen auch so fühlen (vgl. Goffman 1967 [1963]). Sie haben das Stigma-Wissen (Schink 2016c) internalisiert und ihre Subjektivität ist in entsprechenden Situationen durch dieses Bewusstsein eines sozialen Anderen geprägt. Da der Autor sich durch seine Beschäftigung mit heterodoxem Wissen dieser Zuschreibung und Subjektivität des „Verschwörungstheoretikers“ bisweilen auch ausgesetzt sah, dient auch das Einbringen der autobiographischen Perspektive als Mittel einer solchen Ethnographie. In der evokativen Autoethnographie werden Forschungsdaten, die einem Prozess der (interaktiven) Introspektion und Reflexion unterzogen wurden „Anker für das Verstehen von Phänomenen, an denen die Forschenden Anteil hatten.“ (Ploder/Stadlbauer 2017: 425). Da aber auch die eigene Perspektive der Beforschten nicht die einzige ist, liegt der „Schlüssel […] in der Kontextualisierung der eigenen Geschichte“. Das bedeutet: „die kulturelle und soziale Einbettung des Geschehens muss auf deskriptiver und/oder performativer Ebene deutlich werden – sowie auf literarischer Ebene.“ (Ebd.) Die hier gewählte realistische Variante evokativer Autoethnographie zeichnet sich dadurch aus, dass Texte die Perspektive des Autors nutzen um dadurch „a sense of verisimilitude, the feeling or illusion of reality“ (Adams u. a. 2015: 85) zu erzeugen, um die Diskurs/Subjekt-Perspektive auch dem*der Diskurs/Feld-fremden Leser*in zugänglich zu machen. Im
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Einklang mit dem methodologischen Agnostizismus (Kap. 2.2) bleibt diese „Realität“ eine Perspektive. Doch in Bezug auf ihre eigenen Realitätsansprüche, ihre impliziten Werte- und ihre Relevanzsysteme, ist diese Wirklichkeit ‚real‘ – und insofern zunächst einmal nicht weniger real oder legitim als andere, auch sich widerstreitende Perspektiven (vgl. Mead 1983 [1927]). Dieses Vorgehen schließt nicht aus, dass, auf einer reflexiven Ebene, die (auto-)ethnographische Perspektive, wie oben beschrieben, durch andere Lesarten hinterfragt und (re-)kontextualisiert wird. Die (auto-)ethnographische Perspektive zielt zwar auch auf eine Irritation (Breidenstein u. a. 2015 [2013]: 166) oder eine „Dekonstruktion“ der in der theoretischen Einstellung ‚realistischer‘ Forschung ausgeklammerten „institutionellen, paradigmatischen, kulturellen oder persönlichen Rahmen, die die jeweilige Untersuchung bestimmen.“ (Winter 2001: 57) Doch diese sollte nicht so ‚radikal‘ sein, dass sie wiederum eigene methodologische oder normative Voraussetzungen unhinterfragt lässt und damit verabsolutiert. Dann ist sie nicht dekonstruktiv, sondern destruktiv. Vielmehr geht es einer evokativen Autoethnographie um das „Bewusstmachen“ von Rahmen, Wirklichkeitskonzepten und -konstruktionen, die eine „Kultur“ auszeichnen, ohne dabei zu verkennen, dass auch diese ein unabgeschlossener und in beständiger empraktischer Umdeutung und Aneignung auszuhandelnder „Prozess“ ist (ebd.). Um evokative Autoethnographien richtig zu lesen, ist es von der Seite der Leser*innen aus betrachtet essentiell, dass sie sich auf das Geschriebene und die dargestellte Perspektive einlassen – nicht nur intellektuell, sondern vor allem auch leiblich-emotional. Im besten Falle beobachten sie sich dabei selbst: Welche Gedanken und Gefühle treten während der Lektüre auf? Welche Dissonanzen oder Konsonanzen? Und was können diese wiederum über das Dargestellte aussagen? Wie tragen diese Reaktionen dazu bei, den Text einzuordnen? Eine solche introspektive Lektüre ermöglicht nicht nur ein (leibliches) Verstehen. Sie unterläuft strukturell eine mögliche leiblich-emotional-vermittelte „Verdoppelung der Perspektiven“ qua Rationalisierung seitens der Leser*innen. Erst in der lebendigen Interaktion mit dem Publikum kann sich der Wert der Arbeit zeigen – in der gleichen Weise, wie sich diese Arbeit selbst mehrfach interaktiv weiterentwickelte.
3 Die Masken der Illuminaten Die folgenden Abschnitte sind eine überarbeitete Fassung des entsprechenden autobiographischen Kapitels in der Dissertation. Das Kapitel ist damit ein verdichteter Zuschnitt des Materials auf das Thema soziale Geheimnisse und ihre (De-)Maskierung. Es handelt sich dabei um Erinnerungskonstruktionen, die doch beanspruchen, ein Teil der sozialen Wirklichkeit zu sein. Die behandelte Zeitspanne reicht von 1985 bis 2012. Namen von Privatpersonen, die Schaden nehmen könnten, wurden verändert. Die Retrospektive erfolgt vermittels Fotos, Bildern oder Textfragmenten, die als relevant erachtet wurden, dieses Thema angemessen darzustellen. Begleitet wurden die Rekonstruktionen durch interaktive Introspektionen innerhalb eines psychotherapeutischen Settings, dessen Erkenntnisse und Reflexionen stellenweise in das Kapitel eingearbeitet wurden. 35 Das Kapitel dient einerseits der Verortung des Autors im beforschten Feld. Andererseits soll dadurch das Innenleben einer paranoiden Subjektposition nachvollziehbar werden. 3.1 (Familien-)Geheimnisse (1985–1999) Schon bevor ich von „Verschwörungstheorien“ überhaupt weiß, bin ich vom Komplott zwischen Mutter und Vater überzeugt: von ihrem stillen Einvernehmen über die Kälte, die Härte und die Schwere dieser Welt. Meine Mutter trägt bisweilen an dieser Schwere wie Jesus sein Kreuz. Es ist diese Mutter, deren Appelle an Vorsicht und Wachsamkeit mein Gewissen formen. In der Gestalt von Mahnungen, die in manchen Nächten zu verzweifelten Stoßgebeten werden. Und es scheint, als habe sie die Last des Kreuzes ihrer Mutter abgenommen. Oder von ihr abbekommen. Gesprochen wird darüber nicht. „Man“ macht das so. Das „man“ wird in meiner Kindheit und Jugend zum Bannspruch gegen jeden Zauber von Andersartigkeit. Auch der Vater trägt seine Last am Leben. Doch die Geschichte des Gekreuzigten nimmt er nicht ernst. Er hat die Doppelmoral der polnischen Pfarrer schon als Kind durchschaut. Vielmehr scheint er, gerade deshalb, diese Last, manchmal leichtfüßig, manchmal völlig außer Atem, auf seinen breiten Schultern zu balancieren, wie gute Möbelpacker einen schweren Schrank. Der Vater ist ein praktischer Mensch. Er ist Handwerker aus Erfahrung und Überzeugung. Auch der Vater hat Geheimnisse. Einige davon habe ich schon gelüftet. Viele sollen mir verborgen bleiben. Und auch ich trage die Familiengeheimnisse mit. Vielleicht bin auch ich das größte Rätsel. Ich selbst bin ein schüchternes, aber neugieriges Kind. Jahrgang 1985 und nicht von dieser Welt. Oder niemals wirklich in ihr angekommen. Meine Familie ist katholisch. Drei Jahre, bevor die Mauer fällt, ist diese Familie – Vater, Mutter, Zusatzmaterial online Zusätzliche Informationen sind in der Online-Version dieses Kapitel (https://doi.org/10.1007/ 978-3-658-31689-1_3) enthalten. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Schink, Verschwörungstheorie und Konspiration, Medienkulturen im digitalen Zeitalter, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31689-1_3
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Tante, Onkel, Cousin und ich – unter konspirativen Umständen erst nach Hessen geflüchtet, dann nach Stuttgart und später ins ländliche Schwaben gezogen. Es wurden Pässe gefälscht und Behördenmitarbeiter*innen bestochen, um diese Flucht zu ermöglichen. Nach dem Mauerfall kommen auch die Großeltern nach. Wir seien nach Deutschland ‚zurückgekehrt‘, wie sie selbst sagen, um sich als Schlesien-Deutsche von den ‚echten‘ Auslands-Pol*innen abzugrenzen. Diese Pol*innen haben die deutschstämmigen Großeltern nach der Grenzverschiebung 1945 verdrängt und unterdrückt. Ihre Namen wurden geändert, ihre Positionen von polnischen Kommunist*innen besetzt, ihre Sprache und Kultur verboten. Vieles davon ist verworrene Familiengeschichte. Und die Großeltern erzählen diese Geschichte freilich auf ihre Weise. In ihrer Sprache und mit ihren Emotionen. Doch sie wissen über die Geschichte auch zu schweigen. Ob aus Scham-, Schuldoder Verletzungsgefühlen, oder aus allem gemeinsam, kann ich nicht sagen. Dies ist auch eine andere Geschichte. Für die Deutschen jedenfalls sind wir ebenfalls Fremde, Andere – „Neig‘schmeckte“, wie man im Ländle zu sagen pflegt. Mein Vorname macht mich bei meinen Mitschüler*innen zum Exoten, meine Herkunft ist für sie schleierhaft. Genauso sind es mir in den ersten zehn bis fünfzehn Lebensjahren ihre Sitten und Bräuche. Ich habe keine festen Freund*innen. Durch mehrfache Umzüge lösen sich aufgebaute Beziehungen immer wieder auf. Wenn ich erzähle, woher ich komme, verstehen einige meiner Schulfreunde nur „Chilesien“ und lachen über meine „Schlitzaugen“. Sie verstehen mich nicht. Und ich werde aus ihnen nicht schlau. Ich beobachte das Verhalten dieser Einheimischen genau, versuche ihre Gewohnheiten zu studieren und das Geheimnis der Zugehörigkeit – das mir selbst fremde Gefühl des Angekommenseins – zu entschlüsseln. Es gelingt mir nicht. Dennoch weiß ich heute, dass wir nicht nur Glück hatten, sondern auch privilegiert sind. Die deutsche Abstammung machte es uns, im Gegensatz zu anderen (Wirtschafts-)Flüchtlingen, leicht, zumindest auf dem Papier, die deutsche Staatsangehörigkeit anzunehmen. Der polnische Nachname wurde wieder eingedeutscht. Auch diese Namensänderung war für meine Eltern ein Schritt der Integration. Doch das Gefühl der Fremdheit und der Heimatlosigkeit bleibt präsent. Für mich ist es auch ein Gefühl von Haltlosigkeit.
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Abbildung 5: August 1986: Der zukünftige Autor, knapp ein Jahr alt, und seine Mutter kurz vor der Flucht nach (West-)Deutschland (Quelle: aus eigenem Fotobestand).
Wo ich mich aufgehoben fühle, ist die Welt des Digitalen. Nur selten kann jemand auf uns aufpassen, während die Eltern bei der Arbeit sind. Deshalb lassen sie uns recht früh allein Fernsehen schauen. Den unruhigen Achtjährigen, der seinen vierjährigen Bruder ärgert, stellen Trickserien ruhig. Als erster in unserer Familie kauft mein Vater Anfang der 1990er-Jahre einen MS-DOS-Computer mit 3,5“-Diskettenlaufwerk. Er hat keine Ahnung von der Technik und versucht sich, autodidaktisch und mit Hilfe eines Arbeitskollegen, mit Hard- und Software vertraut zu machen. Am meisten profitiert mein jüngerer Bruder davon: Er beginnt, noch bevor er richtig Fahrrad fahren kann, sich mit der Architektur dieses kryptischen Geräts vertraut zu machen. Mich dagegen interessiert eher die Welt der Spiele: „Prince of Persia“, „Lemmings“, „Commander Keen“, später „The Secret of Monkey Island“ oder das Spiel „Pizza Connection“ von 1994. Noch später spiele ich Strategie- und Onlinespiele. Die Computerspiele führen mich, wie Trickserien, „Lustige Taschenbücher“, später Romane und dann auch „Verschwörungstheorien“, in eine andere Welt. In den Geschichten des Videospiels begegne ich jenen Herausforderungen und Abenteuern, die ich in der Außenwelt vermeide. Später lerne ich durch das Computerspiel „Counterstrike“ Anerkennung im Online-
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Gaming zu finden. Mit unserem Clan, der von Schulfreunden aus der Umgebung gegründet wurde, sind wir auf Topplätzen in den deutschen E-Sport-Ligen vertreten. Ich vernachlässige die Schule und soziale Kontakte wegen des Zockens. (DE-)MASKIERUNGEN
Als Kind faszinieren mich die Felben-Masken der Bad Cannstatter Fastnachtsumzüge, die direkt am Marktplatz unter meinem Kinderzimmerfenster stattfinden. Ich fürchte mich vor ihnen und beobachte sie gleichzeitig aus sicherer Distanz genau. Vielleicht sind diese Masken und Kostüme das erste, an das sich eine Faszination für Verborgenes, für Verschwörungen und für Mysteriöses kultiviert. ***
Die Maske ist Ausdruck der Dialektik von Darstellen und Verhüllen (Olschanski 2001). Wir lernen mit Masken, bestimmte Rollen zu spielen. Mit manchen sind wir seit der Kindheit wie verwachsen und können sie schwer ablegen oder andere aufsetzen. Zugleich drückt sich in der Maske das Rauschhafte und Entgrenzende aus. Gerade in den rituellen Bräuchen der Fastnachtsumzüge steht die Maske nicht nur für das Verbergen und Verhüllen der Identität, sondern auch für das Überschreiten der Grenzen des Alltags und der geltenden Moralvorstellungen. Der Maskenträger übertritt durch das Aufsetzen dieser Maske die Schwelle in eine andere Wirklichkeitsordnung, traditionell eine dämonische (Peuckert 2003 [1988]: 322 ff.). Der alemannische Maskenträger ängstigt und vertreibt die ‚bösen Geister‘, den Teufel und die Dämonen. Seine Verkleidung ist gleichzeitig selbst „ein dämonisches Tun, über das dämonische Kräfte walten.“ (Ebd.) Durch das Fürchten anderer überwindet – ‚überspringt‘ – der „ekstatisch Maskierte“ zeitweise seine eigene Furcht. Die Dynamik, der er sich dabei aussetzt und die ihn selbst für eine gewisse Zeit zum Teufels-‚Besessenen‘ macht, unterliegt strengen kultischen und kulturellen Vorschriften, die eben die Entgrenzung nur innerhalb eines ganz bestimmten raumzeitlichen Rahmens erlauben. Neben der intersubjektiven Verleihung ‚übernatürlicher Kräfte‘, hat die durch die Maske verliehene Anonymität vor allem eine Schutzfunktion. Denn die maskierten Geister, Perchten und Dämonen gehörten oftmals der „Volkspolizei“ an und „übten das Rügegericht“ aus. Der Maskenbrauch ist, nicht nur in den Alpenregionen, ein traditionell männliches Ritual. Der Grenzübertritt, den die Maske den Mitgliedern der bündlerischen Knabenschaften erlaubte und der zumeist von „ledige[n] junge[n] oder reife[n] Männer[n]“ (ebd.: 321 f.) ausgeübt wird, ist im kulturellen Gedächtnis mit misstrauischer Furcht, vor allem von Kindern und (jungen) Mädchen, aber zugleich auch mit einer gewissen Lust gegenüber diesem verschworenen Treiben verbunden. Peuckert schreibt diesbezüglich: Wie der Fürst in der Sage, so jagten sie dem Vieh panischen Schrecken ein […]; entzweite Eheleute brandmarkten sie mit ungeheuerlichem Lärmkonzert; faule
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Spinnereien, träge Mägde und böse Kinder zitterten vor unheimlicher Strafe. […] das Streggelejagen war nicht nur unheimlich, es war auch lustig (ebd.: 321).
Angst- und Lusterleben wohnen dem ekstatischen Maskenbrauch also zugleich inne. Sie sind mit der Verschwörungsangst verbunden. Heute ist die maskierte Angst ein Motiv in der Film- und Popkultur. Polanskis erfolgreicher Mysterythriller „The Ninth Gate“ (1999) oder Stanley Kubricks „Eyes Wide Shut“ (1999) spielen mit diesem Motiv, indem sie Maskenästhetik, satanisch-panische Verschwörungsangst und rauschhafte sexuelle Entgrenzung in einem Narrativ miteinander verweben. Die populäre Kultur der „Verschwörungstheorien“ greift diese Motive und Bilder nur allzu dankbar auf.
Abbildung 6: Filmausschnitte aus „Eyes Wide Shut“ (1999) (1. u. 2. v. l) und Bilder des historischen ‚Surrealistischen Dinner‘ von Madame Rothschild (1972) (3. u. 4. v. l.). Das zweite Bild von rechts ist ein YouTube-Meme. Die Bilder werden in Amateur-Verschwörungsproduktionen oft zusammen gezeigt (Quelle: eigene Collage).
Ausschnitte aus fiktiven satanischen Maskenbällen und Ritualen werden in deren visueller Kommunikation verbunden mit Bildern von historischen Festen der globalen Prominenz und kulturellen Elite. In diesen „Verschwörungstheorien“ wird ein ästhetischer und memetischer Zusammenhang hergestellt, in dem die Unterscheidung zwischen fiktiven und realen Maskenträger*innen aufgehoben ist. Diese Form der Entgrenzung von ‚Fakt‘ und ‚Fiktion‘ ist aber kein reiner Ausdruck der neuen digitalen Medienkultur. Die Bildästhetik von Hollywood-Verschwörungen ist mit der Ästhetik der Kunst- und Geld-Elite mimetisch immer schon verwoben gewesen (vgl. Kap. 7), diente ihr als Vorbild, prägte sie und wurde von ihr geprägt. Gegenwärtig ist es vor allem die „performative Kunst“ von Marina Abramovic, die sowohl das Lust- und Angsterleben der alternativen Medienkultur konspirationistisch formt und als „satanistisch“ gedeutet und gleichzeitig von einer transnationalen High Society und Kulturelite gefeiert wird. Polanski verarbeitete in Filmen wie „The Tenant“ (1976), „Rosemary‘s Baby“ (1968) und „The Ninth Gate“ (1999) eigene traumatische Erfahrungen und ermöglichte durch den
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filmischen Ausdruck wiederum eine kulturelle Re-Inszenierung des Angsttraumas (Jacke 2010), die damit nicht einfach psychotherapeutische Verarbeitung ist, sondern vor allem auch kollektive Reproduktion. Gerade die Kunst der Verhüllung, Verkleidung, Maskierung unterstützt diese faktisch-fiktive Entgrenzung und reproduziert zugleich die Spannung, die Lust und die Angst über die Verschwörung dunkler und dämonisch-böser Mächte im Hintergrund. In Schattenzonen der Gesellschaft (Kap. 7) entgrenzt das Abweichende, Kriminelle und das Offizielle, Etablierte, Elitäre – repräsentiert nicht nur von Hollywood. Film- und Popkultur sind aber auch in Hollywood immer eine Codierung sozialer Realität.
Abbildung 7: Artwork aus dem Computerpiel „Thief II: The Metal Age“ (2000) der Firma Looking Glass Studios (Quelle: eigene Collage/ttlg.com).
„Welche Masken tragen sie?“36, fragt mich H. nachdem ich ihn auf das autoethnographische Kapitel der Dissertation anspreche. Ich bin irritiert. Dann verstehe ich, auf welchen Abschnitt er sich bezieht: auf den Abschnitt mit den Maskenbräuchen. Diese Frage hatte ich so (direkt) nicht erwartet. Ich überlege, was er meint. Mir kommen meine sozialen Rollen in den Sinn. Die Tätigkeiten, über die ich mich definiere. „Die Maske der Wissenschaft“, antworte ich und führe aus, wie stark auch im Wissenschaftssystem ein bestimmter Habitus verbreitet sei, eine Sprache, der man genügen müsse und in der ich mir manchmal „künstlich“ vorkomme. H. hält inne. „Was ist mit der Maske der Ethnographie?“, höre ich ihn sagen. Ich bin nochmals überrascht. „Ethnographie?“, frage ich erstaunt zurück. „PORNOgraphie!“ antwortet er sofort, das erste „P“ und „R“ deutlich betonend. „Ein merkwürdiger Verhörer“, schiebt er nach und schmunzelt dabei. In der Tat. Eine leichte Scham steigt in mir auf. Dann fasse ich mich. „Hm“ sage ich. „Ja, vielleicht auch die Maske der Pornographie“. Mir wird bewusst, dass H. das Kapitel und die Funktion der Maske in diesem Moment besser durchdrungen hat als ich. Es ist auch schon eine Weile her, seit ich es zuletzt gelesen habe. Wir wollten ja eigentlich über „Verschwörungstheorien“ sprechen. Doch beides, „Pornographie“ und auch „Verschwörungstheorie“ könnten in meinem Leben Masken
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sein, die ich aufsetze, und durch die ich etwas erlebe, das ich in der ‚realen‘ Welt so nicht (er-)leben kann. Ebenso auch Computerspiele, durch die ich mich in Rollen hineinversetze, die ich im realen Leben nicht darstelle. Später denke ich an meine „Zorro“-Kostüme vom Fasching in Bad Cannstatt, oder daran, dass ich mich als Zehnjähriger gerne als „Ninja“ verkleidete, irgendwann als Jugendlicher eine Phase hatte, in der ich mit Tarnkleidung, Sturmhaube und Softairwaffen mit Freunden im Wald spielte. Auch habe ich von meinem Vater ein Buch zu Weihnachten geschenkt bekommen mit dem Titel „Spione, Agenten, Soldaten. Geheime Kommandos im Zweiten Weltkrieg“. Ich hatte es niemals ganz durchgelesen – bis auf ein Kapitel, das mich fasziniert hat: „Der verdeckte Kampf der Partisanen“. Welches ist dieses richtige Leben, das ich durch digitale oder durch Masken aus Stoff nur simuliert, aber niemals real erlebt hatte? Und vor allem: Welche Ängste sind es, die ich dadurch – wie ein Percht – ‚überspringen‘ kann? Mutter und Vater macht dieser Eskapismus schon als ich ein Kleinkind bin ratlos. Bisweilen bin ich wütend auf diese hilflosen Eltern wie auch die naiven Nativen. Nicht nur einen „komischen Vogel“ nennt mich meine Mutter schon im Kindesalter. Auch ein ziemlicher Schreihals sei ich gewesen, erzählt man mir mehrfach im Rückblick auf meine Kindheit. Ich hätte „die Nacht zum Tag gemacht“ und eher selten ruhig geschlafen. Manchmal klingt das vorwurfsvoll. Die elterliche Unsicherheit sowie die Beschäftigung mit Comics, Fernsehen und Spielen isolieren mich noch weiter von Gleichaltrigen, die nicht zur Familie gehören. Ich passe nicht in meine Schulklasse. Aber auch nicht in diese Familie. Dafür stehen etwa die von der Tante für die Älteren maßgeschneiderten Anzüge oder die Haarschnitte, die sie uns als ehemalige Friseurin verpasst. Alles fühlt sich irgendwie eng, unwohl, falsch an. Oberflächlich. Ein Gefühl, das ich erst als Erwachsener zu artikulieren lerne. Dass da eine unausgesprochene Angst, Unsicherheit und Sprachlosigkeit auch bei den Eltern ist, das spüre ich. Ich bekomme alles mit, ohne es ausdrücken zu können: Dass sie vor mir und sich selbst gegenüber schweigen über den Lauf der Gesellschaft; sie ertragen, sich an sie anpassen. Mitlaufen, Ja-sagen. Bereit sein. Nur so kann die Elterngeneration sich nach und nach in dieser neuen fremden Heimat assimilieren. Geschütztes Eigentum erwerben. Jemand sein. 1995 ziehen wir von der Stadt in eine ländliche Region. Die Eltern haben sich mit Onkel und Tante ein Haus gekauft. Ich bin zehn Jahre alt, mein jüngerer Bruder sechs, mein Cousin 14. Das Haus mit Garten ist für uns Kinder ein Abenteuer. Für die Älteren bedeutet es Kredit und Schulden – und noch mehr Arbeit: Wände versetzen, Fußbodenheizung einbauen, Keller trockenlegen, Fliesen legen, Verputzen, Außendrainage, Terrassenanbau, Tapezieren. Alles machen sie selbst. Weil ihnen das Geld fehlt und weil sie es können – oder lernen. Arbeit bedeutet in unserer Familie auch Gemeinschaft: verwandte Onkel kommen und helfen, Mütter und
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Tanten kochen und Cousins und Cousinen sind zum Spielen da. Arbeit und Feierabend werden zum Fest, die Großfamilie zum Ort einer phasenweisen Geborgenheit. Ein befreundeter Akademiker mit ostdeutscher Vergangenheit sagte einmal über das ambivalente Verhältnis zu seiner Großfamilie sinngemäß: ‚Ernsthafte Gespräche mit denen kannst du vergessen. Aber ein Haus bauen, das können sie!‘ Eine passendere Beschreibung finde ich auch für meine Familie nicht.
Abbildung 8: Der Autor (r.) und sein jüngerer Bruder vor dem PC, September 1999 (Quelle: aus eigenem Fotobestand).
Ich selbst bin, noch weniger als mein jüngerer Bruder oder mein älterer Cousin, handwerklich interessiert. Meine Eltern gewinnen durch ihren Fleiß und ihre praktischen Fähigkeiten Respekt und knüpfen Kontakte. Die schwäbische Devise „Schaffe, schaffe, Häusle baue“ haben Sie vollständig inkorporiert. Vater, Onkel und später auch der ältere Cousin haben sichere Arbeitsplätze bei einer großen deutschen Automobilfirma. Ich jedoch entfremde mich mit der zunehmenden Anpassung meiner Eltern an das bürgerliche Leben von ihnen. Die Landluft atmet sich im Außen zwar freier als die in der Stadt. Im Inneren aber macht sich die protestantisch-pietistische Diskretion als dicke Luft bemerkbar. Auch wenn wir fleißige Schlesier sein sollten, so sind wir doch immer noch keine ‚richtigen‘ Deutschen oder Schwaben. Unsere Eigenartigkeit, das Geheimnis unserer Familie, trennt uns von ‚ihnen‘. Ich spüre dieses Gefühl. Meine Eltern spüren es auch. Wir sprechen nicht darüber. Unterschwellig erfahren wir, dass Eigentum und Wohlstand noch nicht alles ist: Dialekt, Lokalwissen, Sozialkapital, Bildung: All das formt eine Schwelle, die, auch mit harter körperlicher Arbeit, nicht übertreten werden kann. Sie ist der Grund, weshalb Eltern dieser Generation, die ein wenig materiellen Wohlstand und Sicherheit erreicht haben, wollen, dass ihre Kinder „gut“ in der Schule sind.
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Ich will in das Grenzenlose Zu mir zurück, Schon blüht die Herbstzeitlose Meiner Seele, Vielleicht ist‘s schon zu spät zurück. O, ich sterbe unter euch! Da ihr mich erstickt mit euch. Fäden möchte ich um mich ziehen Wirrwarr endend! Beirrend, Euch verwirrend Zu entflieh’n Meinwärts. - Weltflucht, 190237
Meine Schulzeit im Gymnasium ist ätzend. Zu Hause flüchte ich mich in die Welt der Video- und Computerspiele. Mit sechzehn schreibe ich eigene Lyrik, inspiriert vom Wenigen, das ich kenne. Eine, die mir aus der Seele zu sprechen scheint, ist Else Lasker-Schüler. Fast wie ein Mantra zitiere ich ab dem 17. Lebensjahr „Weltflucht“ und verinnerliche diese Zeilen. Lesen und Schreiben fühlen sich an wie eine innere Emigration. Auch in der Schulbank sitzend, schweife ich oft ab, beschäftige mich mit anderen Dingen, träume und beobachte. Später beginne ich, auf Arbeitsblättern Bilder zu zeichnen und mich so nebenbei in andere, spannendere, Welten zu flüchten. Es gibt nur wenig, das mich während der Unterrichtszeit interessiert: Entweder ist das Thema langweilig oder die Unterrichtenden. Oft sind es beide zugleich. Viel wichtiger als lineare Algebra scheint mir: zu verstehen, wie man dazugehören kann. Das Zeichnen und Abschweifen sehen dann nach außen aus wie Träumerei. Eigentlich aber sind auch das Träumen und die Kunst Teil einer bestimmten Rolle. Einer Maske, die mich schützt. ‚Dahinter‘ beobachte ich zugleich das Sozialverhalten von Lehrer*innen und Mitschüler*innen ganz genau – Wer sagt was? Was kommt wie an? Wer gehört mit wem zusammen? Und wie äußert sich das? – und ziehe meine Schlüsse daraus. Ich bin ein unscheinbarer Beobachter. Ein Spion. Zu Hause schreibe ich meine ‚Erkenntnisse‘, teils lyrisch, oft verworren, manchmal nüchtern und direkt in mein Tagebuch: einsam - […] meine eltern sind dumme bauern, was nicht böse gemeint ist […]. ich brauche jemand mit intelligenz hier, jemand mit klasse, mit witz, jemanden charmanten. ich will raus, ich will weg. […] (Fragment, ~ 2005–2007)
Verdeckte Beobachter wollen nicht erkannt werden. Ich trage immer noch mein Geheimnis. Meine Maske ist im Gymnasium die eines desinteressierten Künstlers, eines Außenseiters, der es gut findet, anders zu sein – ja, ich kokettiere damit. Ein viel tieferes Geheimnis könnte sein: Ich fühle mich einsam und unsicher. Und weil aber die Offenlegung dieses Geheimnisses so schmerzhaft wäre, muss diese
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Maske, die Tarnung, gut sein. Sehr gut. Glaubwürdig, authentisch. Koketterie könnte dann wiederum eine weitere Tarnung sein für Unsicherheit und die mit der Enttarnung verbundenen Angst – ein weiteres Requisit, das das Auftreten des Künstlers als Künstler ‚echt‘ erscheinen lässt. Und je besser er diesen Eindruck zu vermitteln weiß, desto besser ist auch sein Geheimnis geschützt, desto dicker wird seine Haut, desto weniger kann man ihn verletzen. Ich jedoch hatte immer eine dünne Haut. Ich bin kein Krieger mit einem dicken Panzer. Vielleicht bleibt einem solchen Menschen nur, beides geschickt miteinander zu verbinden: das Verbergen seines Geheimnisses mit seiner Enthüllung – auch hier, während ich diese Zeilen gerade schreibe. Manchmal fällt einem solchen Darsteller dieses Spiel leicht, manchmal ist ihm das bewusst. Sehr oft – viel zu oft – ist es aber anstrengend und wird zum Kampf. Und manchmal lässt sich auch ein Krieg nicht vermeiden. Willkommene Abwechslungen bieten während der frühen Gymnasialzeit vor allem die Streiche, die einige der ebenfalls gelangweilten Klassenkamerad*innen den meist hilflosen Lehrer*innen spielen. Oft sind die Störenfriede ebenfalls Außenseiter*innen, Andere. Meist sind es Jungs. Schadenfreude kommt dabei auf. Die Schulstreiche bilden für mich emotionale Wogen, Höhepunkte in einer ansonsten flachen, endlos scheinenden und bedrückenden Zeit. Nicht nur, weil sie das graue Treiben amüsant machen, sondern weil sie Rebellionen sind: Aufstände der wachen Kleinen gegen die trägen Großen – derer, die hier fremd, auf Zeit, unter Zwang sind, gegen diese Alteingesessenen. H. nannte mich daher auch einmal einen „Provokateur“ – einen, der als Kind „das Sticheln gelernt“ habe.
Abbildung 9: Die „Zeichen der Illuminaten“: das ‚Great Seal‘ und das ‚Allsehende Auge‘ auf der 1Dollar-Note (links); Cover von R. A. Wilsons Roman „Die Illuminati Papiere“ (rechts). (Quelle: eigene Fotos/Collage).
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Ab und zu jedoch kann ich dem Gemeinschaftskunde- oder Geschichtsunterricht einige Perlen abgewinnen. Eine dieser Lebensperlen finde ich in der achten Stufe. Ein Klassenkamerad, Peter, hält ein Referat im Geschichtsunterricht. Es ist die Zeit, in der man selbstbedruckte Folien auf den Overhead-Projektor legt und sie vergrößert an die Wand wirft. Das Thema Illuminaten und Verschwörungstheorien durfte sich der Klassenkamerad selbst aussuchen. Ich höre hier zum ersten Mal von bayrischen Illuminaten, Adam Weishaupt und der Pyramide mit dem Allsehenden Auge – dem sogenannten „Great Seal“ – auf der 1-Dollar-Note. Peter berichtet über die Legende der Flucht Weishaupts in die USA. Da gibt es die Theorie, der Illuminaten-Gründer sei mit (s)einer Tarnidentität als George Washington aus Europa in die Vereinigten Staaten geflohen und dann in die Weltgeschichte eingegangen. 1786 sei er plötzlich von der Bildfläche verschwunden und an einem anderen Ort in einem anderen Leben wiederaufgetaucht. Auf dem 1-DollarSchein habe sich der legendäre Weishaupt als George Washington verewigt. Die Idee gefällt mir. Sie ist gewagt und ein wenig verrückt – aber nicht auszuschließen, so auch das Fazit von Peter –, eben eine „Verschwörungstheorie“. Wollte ich nicht immer auch so ein abenteuerliches Leben führen? Eine neue Identität annehmen? Habe ich mich mit dem Illuminaten und seinen Legenden identifiziert? Ich kann es nicht genau sagen. Einiges spricht dafür. Seit diesem Tag ist mir das Wort „Verschwörungstheorie“ bewusst. Davon, es zu verstehen, bin ich während dieser jungen Lebensphase noch ein gutes Stück weit entfernt. 3.2 Inside-Outside (1999–2006) Wenn du rausgehst, ist Krieg […] Es ist verdammt kalt. Ich biege um die Ecke an der Burgstraße. Die Mühen eines langen Schultages haben mich erschöpft und ich will schlafen, einfach schlafen (und am liebsten gar nicht mehr aufwachen). Eine kalte Brise schlägt mir in mein blasses, trockenes Gesicht, welches ich in den Fensterscheiben der Autos am Straßenrand betrachten kann – so also sieht der nackte Tod aus – zum Kotzen. Ich kneife die Augen fest zu und würde lügen, wenn ich behaupten würde, es sei wegen dem Wind. Schnellen Schrittes wate ich die von Streusalz und braunem Schneematsch verschmutzte Straße hinauf. Noch zwei Minuten und ich bin zu Hause – in meiner Höhle, meiner Festung. In Sicherheit. […] (Fragment, ~ 2005–200638)
Die Pubertät tut zur Entfremdung von meinen Eltern und Lehrer*innen, der gesamten Erwachsenen-Generation, ihr übriges. Zu Beginn der Klassenstufe 9 finde ich endlich einen Freundeskreis, in dem ich mit meinem Anderssein nicht anecke. Hier kann ich eine bislang unterdrückte Energie freisetzen. Wir lassen uns die Haare lang wachsen, tragen zerrissene Jeans, machen Partys in Garagen und zocken auf LAN-Partys. Später besuchen wir Festivals. Endlich lerne ich durch die
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Clique auch Mädchen kennen. Doch der Katechismus schwebt immer noch über mir. Eine angsteinflößende Macht hält mich davon ab, Nähe zuzulassen. Auch meine Schulnoten werden nicht besser. Aber in dieser Clique entsteht ein Gemeinschaftsgefühl, das in der Familie schon immer fadenscheinig war. Wenn du zu einer Clique gehörst, hast du Zugang. Wichtig ist dabei immer, wen du kennst und wer dich kennt und mit wem du rumhängen darfst. An unserem Gymnasium gibt es, neben diversen Cliquen, noch die „Streber“ und eher marginalisierte Gruppen von Ausländer*innen. Und es gibt auch Alltagsrassismus. Zum Beispiel Polen-Witze: „Heute gestohlen, morgen in Polen“ oder Ähnliches. Ich merke, dass ich dennoch, anders als z. B. Südländer*innen, wieder privilegiert bin. In meiner Klasse sind eine „Griechin“, ein „Italiener“, ein „Iraner“, ein „Japaner“ und eine „Polin“ – die regelmäßig, in euphemisierender Codierung, als solche bezeichnet werden. Sie fallen auf: durch Namen, Akzente, Hautfarbe. Ich selbst bin verhältnismäßig unverdächtig, versuche mich in dieser Hinsicht unauffällig zu verhalten. Bin wachsam und vorsichtig, so wie die Mutter und Tante es vorleben. Durch meinen veränderten Nachnamen, den Status der Eltern und mein Verhalten habe ich mich an viele Umstände angepasst. Doch jedes Mal, wenn Agata als „Polin“ bezeichnet wird, horche ich auf, fühle mich mit angesprochen und an meine Cousine erinnert, die den gleichen Namen trägt. Aber ich halte mich raus, beobachte und lerne. Ich will nicht mehr fremd sein. Und Agata, die meist ein breites Grinsen aufsetzt, nimmt es mit Humor. Aber Daphne, die Griechin, leidet darunter. Urban dictionary Explanation „Sick“: Adjective. 1.) to feel ill, or not well; 2.) a secondary word for awesome; 3.) gross, disgusting; 4.) tired, pissed off; 5.) horny. 39
Bevor ich zur Clique gehörte, habe ich die Schulpausen gehasst: nicht gewusst, wohin, was tun, mit wem reden? Was, wenn die ein, zwei Freunde – auch Fremde, Nicht-Schwaben – mal nicht da sind? Eine Urangst wird getriggert. Komisch angeschaut, im schlimmsten Fall ausgelacht, dumm angemacht zu werden: Das ist das Übelste. Und so ist die Devise: sich wie ein Schatten unsichtbar machen. Schmal genug bin ich. Wer so denkt, kultiviert eine ständige Wachsamkeit, einen Modus der Selbst- und Fremdbeobachtung. Der fremde Blick, der Blick des Anderen wird immer mitgedacht. Niemals ist man dabei ganz ‚bei sich‘, nie kommt man zur Ruhe. Es ist ein permanenter Kampf. Angst, Misstrauen, Paranoia. Das gute an meiner Clique ist: „Sickness“, Verrücktheit, Andersartigkeit sind Teil unserer Identität – bis zu einem gewissen Grad. Lange Haare sind cool, Hosenlöcher, Chucks, Gitarren und Grunge – „Nirvana“ – sind cool, sexistische, teils auch rassistische Sprüche sind unreflektierter Bestandteil dieser Jugendkultur. Mobbing wird auch in dieser Clique praktiziert. Auch „Sickness“ charakterisiert eben nur einen bestimmten Humor, eine bestimmte Andersartigkeit. Auch wir haben Dresscodes
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und Statussymbole, Hierarchien, Regeln, Grenzen, Abweichungen. Wir sind nicht inklusiv und tolerant. Wir sind nur anders. Der „Italiener“ oder der „Iraner“ sind auch anders. Auch sie sind soziale Andere, die ich mit meiner Vergangenheit irgendwie verstehen kann, denen ich mich insgeheim nahe fühle – aber praktisch zugleich auch fern. Denn sie sind nicht „sick“. Sie tragen andere Klamotten, hören andere Musik. Mit unserer „Sickness“ können sie nichts anfangen. Im Rückblick waren Luca und Navid auf eine Weise erwachsener als wir. Auf eine andere Weise nicht. Z. B. tranken sie in der Regel keinen Alkohol, waren nüchtern auf Parties. „Sickness“ richtet sich nur gegen ganz bestimmte Regeln, Moralvorgaben, Ästhetiken. Wir sind dezidiert gegen bestehende Schönheitsideale, Steifheit, schicke Hemden und Typen mit viel Gel in den Haaren. Ein Motto von uns ist: „Mut zur Hässlichkeit“. Damit kann ich mich identifizieren. Ich suche Anpassung durch Abgrenzung. Auch Bier und Betrunkensein gehören dazu. Wer viel trinkt und verträgt, gilt als cool. Viel trinken konnte ich nie. Die „Sickness“-Phase ist die Zeit, als die US-amerikanische TV-Sendung „Jackass“ (2001–2002, dt.: „Esel“, „Schwachkopf“) sich verbreitet. Die „Sickness“ von „Jackass“ ist eine Art von Humor, in der sich, gewissermaßen infantiler Wagemut, Blödsinn, oft gepaart mit Trunkenheit, miteinander verbinden. Auch einige von uns versuchen waghalsige Stunts. In meinem Buch Cosmic Trigger vertrete ich die Ansicht, daß das wirklich innerste Geheimnis der Illuminaten im Kontakt mit höherer Intelligenz im System des Doppelgestirns Sirius bestand. […] Die Beweisführung ist so gut, daß ich es selber glauben würde, wenn ich nicht wüßte, was ich für ein großer Künstler bin. (R. A. Wilson, Die Illuminati Papiere, 198040)
Ende der 1990er-Jahre, in der Zeit vor der DSL-Flatrate, ist der Internetzugang noch sehr begrenzt, die Verbindung langsam. Google ist nicht verbreitet. Ich weiß nicht, wonach ich suchen muss, um mehr zu erfahren über die Illuminaten und ihre geheime Weltverschwörung – denn ich weiß nicht einmal was ich eigentlich suche. Mir fehlen Worte. Einige Jahre nach Peters Referat kaufe ich mir drei Bücher von R. A. Wilson. Zwei davon handeln von den Illuminaten, eines ist ein Roman. Das für mich zunächst unzugängliche Buch „Masken der Illuminaten“, stellt sich zwar als sehr lesenswert und spannend – als ein verschlingender und fesselnder Psychothriller – heraus. Ich bin mir sicher, dass die „Sickness“ unserer Clique vieles mit meinem Faible für R. A. Wilson zu tun hat – ebenso wie das Referat von Peter. Doch insgesamt verwirren mich Wilsons „Die Illuminati-Papiere“ und alles, was ich von ihm erfahre, mehr, als sie mir Antworten geben. Bei Wilson lassen sich Fakt und Fiktion, Ernst und Humor schwer auseinanderhalten. Beides geht ineinander über, ist entgrenzt, wie in einem surrealistischen Kunstwerk. Das spricht mich an. Aber es stillt nicht meinen Wissensdurst. Die Spannung bleibt bestehen. Wer sind diese Illuminaten wirklich? Weshalb redet man heute noch
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über sie? Und warum haben sie ihr Auge überall? Könnte es sein, dass sie auch mich beobachten? So wie in dem Film „The Truman Show“ (1998)? So wenig mich die Wilson-Lektüren befriedigen, so sehr entfachen sie eine ästhetische Begierde und beeinflussen meine Kunst. Neben Computergaming, Zeichnen, Geländespielen im Wald und Musikhören wird diese Welt der Rätsel und Geheimnisse eine weitere Jugend-Leidenschaft – eine heimliche wieder –, die ich mit niemandem teilen kann. Sie entführt mich. Und insofern macht sie mich einsam, entfernt mich von Anderen. Zu den beeindruckendsten Lektüren meiner literarischen Emigration zählten die Reihe „Die drei ???“, Ecos „Der Name der Rose“ oder „Der Club Dumas“, von Arturo Peréz-Reverte – die Romanvorlage zu Polanskis „The Ninth Gate“ (1999), lange Zeit einer meiner Lieblingsfilme und unzählige Male angesehen. Ebenso schaue ich wiederholt den Film „Cube“ (1997) an und bin beeindruckt von der Bildgewalt und Philosophie in David Lynch-Filmen wie später auch vom Blockbuster „The Matrix“ (1999). „Matrix“ prägt mein Verschwörungsdenken auf mehreren Ebenen. Insbesondere beunruhigt es mich, als ich irgendwann im Internet das Ablaufdatum auf Neos Perso lese. Ab der Jahrtausendwende habe ich einen eigenen Computer im Zimmer und spiele die Nächte durch. Als Garrett der Meisterdieb schleiche ich Tage und Nächte lang durch Villen, Kanalisationen und Schlösser, erleichtere die Reichen und Schönen um ihre Schätze und kämpfe gegen Waldgeister, Zombies, Mechanisten. „Thief II“ wird eines meiner Lieblingsspiele. Meinen Schulfreund*innen erzähle ich vorsichtshalber nichts von diesen nächtlichen Beutezügen – es wäre eine zu gute Steilvorlage für Polenwitze.
Abbildung 10: Screenshot aus dem Film „The Matrix“ (1999). Eine Koinzidenz: Das Ablaufdatum auf dem Personalausweis von „Neo“ ist der 11. September 2001 (Quelle: YouTube/Vigilante).
Als der 11. September passiert, spiele ich das Computerspiel „Counterstrike“. In diesem kämpfen Terroristen gegen Counter-Terroristen. Erstere haben das Ziel, Bomben zu legen und Geiseln zu nehmen, Zweitere hindern sie mit Taktik und Waffengewalt daran. Für mich sind die Anschläge nicht ‚realer‘ als ein Computerspiel. Beides sehe ich nur auf dem Bildschirm. Als ich mittags von der Schule nach Hause komme, sitzt mein Vater völlig gebannt in seinem Wohnzimmer-Sessel vor
3.2 Inside-Outside (1999–2006)
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dem Fernseher. Ich setze mich dazu. Wir starren beide auf die Livebilder der Kulisse von New York und staunen mit einem großen Teil der Weltöffentlichkeit über die Aufnahmen des brennenden Nordturmes des World Trade Centers. Mit dem plötzlichen zweiten Einschlag ist klar: Das ist kein Unfall. Das ist Terror. Die Berichte überschlagen sich. Der ebenso unerwartete, nahezu implodierende Einsturz des ersten der beiden Türme wirkt, nicht nur für mich, fast wie ein Kunstwerk, jedenfalls ein surreales Hollywood-Spektakel. Wir fassen es nicht. Auch nicht beim zweiten Turm. Doch mit Politik kann ich noch nicht viel anfangen. Einige Monate vorher gab es einen Bericht in der „Tagesschau“ über Osama bin Laden. Mein älterer Cousin, ebenso unpolitisch wie ich, mokierte sich über den Namen: „Osama bin Laden“, sagte er und kicherte dann laut: „Er ist ein Laden!“ Nach 9/11 ist auch Tobi das Lachen vergangen. An einem der folgenden Tage bringt ein Klassenkamerad eine ausgedruckte E-Mail mit in den Geschichtsunterricht. Der Lehrer zeigt Interesse an dem Text, doch der Inhalt findet keinen Eingang in unseren Unterricht. Der Lehrer ist damit ebenso überfordert wie wir. In der Mail werden Zweifel an der offiziellen Version der Terroranschläge geäußert. Auch andere in der Klasse scheinen solche E-Mails – die Verfasser*innen sind anonym – mit 9/11-„Verschwörungstheorien“ bekommen zu haben. Ich bekam keine solche EMail, denn ich habe zu diesem Zeitpunkt keinen E-Mail-Account. Erst einige Monate später werde ich selbst in Internetforen auf Zweifel und Widersprüche zur offiziellen 9/11-„Verschwörungstheorie“ stoßen und sie vertiefen. You have to be clean, To be part of our team Learn things by heart, Don‘t stay apart If the work is done You‘ll get a reward You know what I mean Just do your job Like grandpa Bob Swim with the stream Be a machine Don‘t make a mistake Don‘t take a break Don‘t think too much Swim with the stream Be a machine Later found a family Also build a house Maybe plant a tree
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3 Die Maske der Illuminaten
And belive me my friend, You will be free – The Machine, ca. 200241
Aufgrund meiner schlechten schulischen Leistungen muss ich die zehnte Jahrgangsstufe wiederholen. Meine Eltern verstehen die Welt nicht mehr. Nach Gesprächen mit dem Klassenlehrer werden sie es akzeptieren. Doch ich verdränge es. Ich flüchte mich noch mehr in Computerspiele, ins Internet, lese, schreibe. Obwohl ich durch meine Clique, die sich „Hässlich Crew“ nennt, schnell Anschluss finde, bin ich in der neuen Klasse wieder ein Anderer. Und ich beherrsche diese Rolle von Anfang an. Die Geheimnisse, die ich weiterhin mit mir herumtrage, fasse ich in Skizzen und Bildern zusammen. Rückblickend zeigen sich hier erste introspektive Sensibilisierungen: Vermittelt durch Lyrik und Schreiben lerne ich etwas über meine Gefühle. Doch in erster Linie bleibe ich dabei im Kopf. Das Schreiben entfernt mich vom Gefühl: Es bringt mich in Kontakt mit ihm und hält das Fühlen zugleich auf Distanz. Andererseits traue ich mich nicht, sie auszudrücken, schwierige Gefühle mit anderen zu teilen. Welche Maske(n) trage ich in dieser Zeit? „Sickness“ ist sicher noch eine. Aber seit der „Japaner“ regelmäßig ins FitnessStudio geht und Kragenhemden trägt, hat sich die „Crew“ vor allem als eine PRMaschine erwiesen. Einige Masken sind gefallen. Andere gefallen mir immer weniger. Seit 9/11 ist das Böse gewiss. Nach dem Angriffskrieg gegen Afghanistan beginnt am 20. März 2003 der Krieg gegen den Irak. Schon vor dem Auffliegen der Massenvernichtungswaffen-Lüge ist er umstritten. Weltweit gehen Millionen Menschen auf die Straße. In Berlin sind es am 15. Februar 2003 etwa 500.000 Menschen. In meiner neuen Klasse ruft die Tochter eines SPD-Parteimitglieds zur Demonstration auf. Es gibt Diskussionen im Unterricht. Am 29. April 2003 schwänzen viele die Schule und gehen auf eine Antikriegsdemo auf dem Stuttgarter Schlossplatz. Es ist meine erste politische Demonstration. Allmählich formiert sich bei mir ein politisches Bewusstsein und Interesse an geopolitischen Fragen. 3.3 „Verschwörungstheoretiker“ (2006–2009) Noch vor ein paar Wochen war ich der Ansicht [sic], 9/11 sei bestreitbar und ein wirklich „brisanter“ Fall von verdeckten Operationen, die unter „falscher Flagge“ laufen. Heute bin ich da etwas anderer Ansicht, denn was ich gelesen, gehört und gesehen habe, lässt einen vor Furcht erstarren. Ist auch nur ein Prozent von all diesen Dingen wahr (und ich gehe von einem VIEL höheren Prozentsatz aus der wahr ist), so muss sich die Menschheit wirklich davor fürchten, bald SO nicht mehr zu existieren. (Fragment, ~ 31. Dezember 2007)
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3.3 „Verschwörungstheoretiker“ (2006–2009)
Mein Abitur im Frühjahr 2006 bestehe ich mit 2,9 – ein „Gut“ vorne, das ist für meine Mutter wichtig. Die „Zwei-Komma“ sorgt bei ihr für eine so außerordentliche Freude und Erleichterung, dass ich sie fast nicht wiedererkenne. Auf einmal ist ihr ‚Sorgenkind‘, der „komische Vogel“, vorzeigbar. Zumindest muss sie sich nicht mehr für diesen Sohn – und vermutlich auch das eigene Gefühl etwas falsch gemacht zu haben – schämen. Die Pflicht ist getan. Auch ich bin erleichtert. Unser Jahrgang zelebriert den Abschluss mit einer Party auf dem Skateplatz. Wir verbrennen Schulhefte und alte Klausuren. Erst im Rückblick wird mir die herausragende Bedeutung dieses Rituals bewusst und auch, dass sich danach ein erhebendes Gefühl von Freiheit in mir ausbreitete. In der Abiturzeitung gibt es für jede*n in unserer Stufe eine persönliche Seite mit einer Kommentarspalte, die die Überschrift trägt „Das sagen die anderen über mich“. Zu mir heißt es in diesen Kommentaren: den hab ich noch nicht durchschaut; man weiß nicht, was er über einen denkt; goldig; verpeilter gehts gar net; Physik-Klausur-war-recht-amüsant; anonymer Künstler; grinsebacke; öfters mal beim Chillen dabei; Freak; gute Physik-Aktion; sehr verplant; Künstler; n guter gesprächspartner; Schwiegermutterliebling; total verpeilter typ, aber ganz ok.; manchmal wohl ein wenig müde; zeichnet sehr gut!; bisschen verpeilt; alternativ, immer im Prag am-start, diskussionsfreudig, sick, bruder vom blan; manchmal verplant; sickness pur…; lustig, sick; kann gut zeichnen; sehr intelligent, nur zu faul für dieses Schulsystem; verschwörungstheoretiker. (Abiturzeitung, 2006)
Das Prädikat „Verschwörungstheoretiker“ wird einem verliehen. Dem Autor selbst ist bis zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst, dass er – für manche – als ein solcher gilt. Hatte er seine Leidenschaften nicht gut genug versteckt, fragt er sich im Rückblick. Waren sie in diesen Jahren überhaupt schon so sehr ausgeprägt? Wenn er rekonstruiert, wie sich sein frühes Wissen über Verschwörungen formte, dann spielt dabei, nach den Romanen R. A. Wilsons und dem Buch von Andreas von Bülow „Die CIA und der 11. September“ (2003), vor allem auch ein gewisses Internetforum eine große Rolle, in dem er sich am 24. Juni 2003, wenige Wochen nach seiner ersten Friedensdemo, anmeldete. Doch bevor das passend eingeordnet werden kann, muss erst noch eine andere Geschichte genauer erzählt werden. ***
Im Wintersemester 2007 beginne ich mein Studium der Philosophie (Hauptfach) und Geschichte (Nebenfach) an der Universität Stuttgart. Schon im Gymnasium hatte ich Philosophie als Wahlfach und bin beeindruckt von großen Geistern wie Platon, Kant oder Schopenhauer, vom Höhlengleichnis, aber auch von Nietzsches zerschmetterndem Nachdenken. Das Wort „Metaphysik“, also dasjenige, was noch ‚vor‘ der naturwissenschaftlichen Physik kommt oder an Prinzipien ‚über‘ ihr steht, übt eine heimliche Anziehung auf mich aus. Ich will ein Philosoph sein.
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3 Die Maske der Illuminaten
Niemand in meiner Familie ist Philosoph. Niemand stellt Fragen, wie ich sie mir stelle. Wir haben Elektrotechniker, Schlosser, Hausmeister, Büroangestellte oder Hausfrauen. Diejenigen Cousins oder Cousinen, die wie ich studieren, sind Ingenieure, Mathematiker, Chemiker, Informatiker. Geistes- oder Kulturwissenschaftler gibt es in dieser Familie nicht. Doch das Philosophiestudium ist mehr als nur die Suche nach Abgrenzung und nach einer eigenständigen Identität. Es ist auch ein tiefes Bedürfnis. Meine Welt ist immer noch voller Rätsel, Geheimnisse und Mysterien. Was können wir wissen? Gibt es diese Welt überhaupt? Könnte nicht alles nur eine Täuschung sein? Filme wie „The Matrix“ oder „The Cube“ haben diese Menschheitsfragen illustriert. Ich will sie nicht mehr für mich allein stellen. Und ich will die Antworten kennen, die bislang gegeben wurden. Es ist der Unterstützung meiner Eltern zu verdanken, dass ich studieren kann, was ich will, keinen Druck habe, mir einen festen Vollzeitjob zu suchen oder ein marktkonformes Studium zu wählen. Vor allem aber habe ich sehr viel Zeit. An der Universität interessiert meine Vergangenheit als Halb-Deutscher niemanden. Dieses Geheimnis übt keine Macht mehr aus. Ich muss sie nicht mehr verstecken. Im schlimmsten Falle ist sie irrelevant. Es ist teilweise sogar so, dass der Migrationshintergrund in diesem Umfeld etwas Besonderes im positiven Sinne darstellt. Es gibt keine schiefen Blicke, sondern eher interessierte Nachfragen. Mit den Augen eines Schülers aus der Gymnasialzeit würde ich mich in der Unizeit als „Streber“ bezeichnen, als jemanden, der Studium, Textlektüre und Diskussionen sehr ernst nimmt und darin aufgeht. Das Wissen und den Habitus meiner Dozent*innen und Tutor*innen sauge ich förmlich auf. Anders als die meisten Lehrer*innen in der Schule respektiere ich sie und bin bereit von ihnen zu lernen, will auch so viel wissen und so denken können wie sie. Später werde ich Tutor. Und die akademische Karriere, die sich weder ich noch gar meine Eltern hätten vorstellen können, ist dadurch vorgezeichnet. Wie bestätigt ich mich in dieser neuen Rolle fühle, schildert ein Erlebnis, das ich auf einer Konferenz 2008 hatte, bei der mich eine junge Frau nach einem Vortrag anspricht, nachdem ich am Ende eine Frage gestellt hatte. Als wir ins Gespräch kommen, sagt sie, sie hätte gedacht, ich sei ein „Lehrer-Kind“. Sie wundert sich, dass meine Eltern keine Akademiker*innen sind. Insgeheim fühle ich mich dadurch geschmeichelt, hatte ich mich doch mehr als einmal über meine „Bauern“-Eltern beklagt, die mich einfach nicht verstehen wollten. Ich weiß nicht mehr, was ich bei dem Vortrag gefragt hatte, aber der Referent war Hans-Jürgen Krysmanski und das Thema Machtstrukturen in der Europäischen Union sowie Krysmanskis Ansatz der „Power Structure Research“. In der Zeit an der Uni lerne ich systematisch zu denken und zu sprechen. Ich lerne auch – was mir in der Schule große Probleme bereitet hatte – Vorträge und
3.3 „Verschwörungstheoretiker“ (2006–2009)
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Referate zu halten, meinen Standpunkt zu vertreten und sogar Freude daran zu haben. Ich lerne, auch ohne „Sickness“ oder abseits von Kunst ernsthaft Jemand in der Welt sein zu können. Retrospektiv könnte man es als eine durchweg schöne biographische Phase bezeichnen – gäbe es da nicht noch ein verstörendes Geheimnis. Die Maske der „Verschwörungstheorie“ ist dunkel, hässlich, angsterregend. Niemand will sie sehen. Deswegen verstecke ich sie sehr gut. Selten hole ich sie während des Semesters bei Tageslicht heraus und noch seltener in Gesellschaft anderer, vor allem unbekannter Menschen. Ihre Zeit ist nachts, wenn ich bei Dämmerlicht in meinem engen Kellerzimmer sitze, vor dem PC, allein. Eigentlich wollte ich sie gar nicht besitzen. Doch jetzt werde ich sie nicht mehr los. Seitdem ich weiß, wie diese Maske von außen aussieht, schäme ich mich dafür, mich mit bestimmten Dingen zu beschäftigen, die als „Verschwörungstheorien“ gelten. Seit über vier Jahren lese ich nun schon in einem Forum über Geopolitik und „Verschwörungstheorien“ vor allem in einem Thread aufmerksam mit, in dem es um die Aufklärung der 9/11-Verschwörung geht. Die digitale Maske, das Profil, das ich mir hier angelegt habe, ist das von „Z“, was für „Zorro“ oder wahlweise auch für den letzten Buchstaben im Alphabet steht. Außerdem war das Kürzel „Z“ mein Name in diversen Online-Games. Die Identität von „Z“ besteht darin, die Wahrheit zu finden. Die Wahrheit über die Terroranschläge von 9/11 und den „War on Terror“ überhaupt, der mir mehr als nur verlogen vorkommt. Nachdem ich vier Jahre in diesem Forum unregelmäßig mitlese und parallel dazu eigene Recherchen anstelle, komme ich zu dem Ergebnis, dass die offizielle Version von 9/11 sowas von überhaupt nicht stimmen kann, und dass es unzählige von Widersprüchen und Anomalien gibt, die entweder für eine parallele Operation hinter einer „Al Qaida“-Verschwörung sprechen, oder aber für einen Riss in der Matrix unserer Realität, also für so etwas wie Synchronizitäten. Letzteres lässt sich niemals ausschließen. Aber das ist ein anderes Thema. Die Verschwörungstheorie von Bush, die von einer „Überraschung“ der Angriffe spricht und die Vielzahl der Koinzidenzen verschweigt, überzeugt mich jedenfalls nicht. Am 19. Juni 2007 mache ich meinen ersten Eintrag in diesem Forum, in dem ich meinen Unmut über die Aufklärungslage in der Debatte äußere und einige der vermeintlichen „Zufälle“ von 9/11 zusammenfasse. Die Diskussion in diesem Forum wird bis in die Zeit meines Studiums hineinreichen. Sie wird mich viel Energie und Zeit kosten und mich unter anderem dazu führen, mit anderen Menschen Kontakt aufzunehmen, mit denen ich offen über diese Themen sprechen kann. Die Rätsel des 11. September 2001 sind aus der Sicht des Akademikers meine Geheimnisse, die ich auch – ja gerade – mit den neu gewonnenen Freund*innen an der Universität nicht teilen kann. Die Maske der „Verschwörungstheorie“ und diese mit
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„Z“ verbundene Identität ist so geheim, dass weder mein Bruder, meine Eltern oder mein alter Freundeskreis davon wissen – obschon ich meiner Umwelt immer wieder bewusst oder unbewusst Hinweise über dieses verborgene Profil gebe. Sogar ich selbst vergesse „Z“ im Alltag und erinnere mich nur vage, dass es spätestens im Herbst 2007 eine innere Abmachung mit mir selbst gab, die lautete: Wenn es etwas wie eine verdeckte Wahrheit hinter der offiziellen 9/11-Verschwörung gibt, dann will ich das wissen! „Z“ hat seine virtuelle Identität vom Finden dieser Wahrheit abhängig gemacht – und wird deswegen immer wieder in einen Konflikt mit „Alan“ geraten, der eigentlich nur ein „normales“ Leben leben will. Heute Abend ist Silvester. Morgen beginnt das neue Jahr, 2008. Für viele (Jugendliche und Leute in meinem Umfeld) ist das Grund zu feiern. Auch ich werde feiern: Ich werde mich betrinken und ich werde gut gelaunt sein (oder zumindest so tun). // Ich bin jetzt 22 Jahre alt – die Blüte meines Lebens vielleicht. Und dennoch habe ich schon Dinge gelesen (vor allem auch wieder in den letzten Tagen), die einem jungen Menschen ein Schaudern durch Mark und Bein fahren lassen. Ich lese von Lügen Betrügereien [sic] und Morden an Leuten, die scheinbar zu viel wussten. Ich lese diese Dinge und beschäftige mich damit, weil es mich interessiert, weil ich neugierig bin. Ich bin einer der ganz wenigen (in meinem) [sic] die sich damit beschäftigen. Die breite Masse, auch die Leute, mit denen ich täglich im richtigen Leben zu tun habe, haben keinen Schimmer von den Dingen, die mich beschäftigen, von den Lügen des 11. September (der nur die Spitze des Eisberges und ein bekanntes Beispiel ist), von Morden an Unliebsamen Mitwissern, von einem „Staat im Staate“, der auch CIA genannt wird und mächtiger zu sein scheint, als alles was ich mir je hätte erträumen können. […] (Fragment, ~ 31. Dezember 2007)
CHARAKTERMASKEN
Nach Karl Marx ist die „Charaktermaske“ Ausdruck ökonomischer Beziehungen, in denen konkrete Menschen zu Personifikationen und Repräsentationen gesellschaftlicher Dinge werden, wozu für Marx vor allem Waren und Kapital gehören. Dieses Konzept geht mit einer der wesentlichen Annahmen aus der „Kritik der politischen Ökonomie“ einher, nachdem es „nicht das Bewußtsein der Menschen [sei], das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt.“42 Die Funktion dieses Konzepts ist, zu erklären, wie so etwas wie Entfremdung zustande kommen kann und weshalb es nicht damit getan ist, einzelne Akteur*innen abzuschaffen, sondern das System verändert werden müsse, das diese Charaktermasken erzeugt. ***
3.3 „Verschwörungstheoretiker“ (2006–2009)
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Marx‘ Philosophie holt mich gewissermaßen wieder vom Kopf auf die Füße. Durch das politisch-ökonomische Denken nach Marx lerne ich, Machtbeziehungen praktisch, dialektisch und materialistisch zu begreifen. Und ich verstehe dadurch auch mich selbst anders. Ich kann verstehen, aus welchem Grund ich mich in dieser Gesellschaft ausgegrenzt und fremd fühle, dass es etwas wie soziale Klassen gibt, Kapital- und Eigentumsverhältnisse, die bestimmen, wo wir als Individuen und Gruppen in der Gesellschaft stehen, ja, wie sich soziale Gruppen – als Klassen oder Schichten – überhaupt erst im Prozess gesellschaftlicher Reproduktion entwickeln. Sind aber alle Fragen, die ich mir stelle, alle Interessen, die ich vertrete, alle Kämpfe, die ich in meinem Leben kämpfe auf Kapitalverhältnisse zurückzuführen? Zum Wintersemester 2008/09 wechsle ich das Nebenfach von Geschichte zu Soziologie. Ich interessiere mich mehr und mehr für gegenwartsbezogene Fragen. Bald lese ich Aufsätze von Hans-Jürgen Krysmanski und beschäftige mich mit dem „Empire“- und „Multitude“-Konzept von Hardt und Negri, später mit C. W. Mills. Ich denke, es wäre unplausibel anzunehmen, dass nicht auch die dunkle Seite in mir, der geheime, verunsicherte und enttäuschte Anteil, die soziologische Wissbegierde immer wieder angefacht hat. Wenn das so wäre, muss zurecht gefragt werden, wer denn der wahre Autor, das ‚wahre Selbst‘ ist, das Entscheidungen trifft, wie diese Dissertation zu schreiben, oder durch sie beeinflusst wird? […] Und nun sagt mir bitte mal einer, wie ich JETZT NOCH - mit dieser Überzeugung und dem vermeintlichen Wissen, das ich zu besitzen glaube – mein Leben „normal“ weiter leben soll. Wie ich mich mit meinen jungen, 22 Jahren, in diese Gesellschaft eingliedern soll, von der ich glaube, dass sie der größten Lügen auflügt [sic], die die Menschheit je erlebt hat und dass sie in höchstem Grade manipuliert ist [...]. (Fortsetzung Fragment, ~ 31. Dezember 2007)
Historisch-materialistische Philosophien helfen, verschiedene Gesetzmäßigkeiten auf politisch-ökonomischer Ebene zu beschreiben und zu erklären. Doch wer sind die Menschen ‚hinter‘ den Charaktermasken? Welchen Einfluss üben sie jenseits davon aus, dass sie sich dem Kapitalverhältnis anverwandeln? Wie funktionieren Macht und Herrschaft, welche Rolle spielen Täuschung und Manipulation? Diese Fragen stelle ich mir als Student. Doch unter der Oberfläche brennen weitere Fragen. […] Viele lachten mich aus, viele sch[w]iegen dazu und viele versuchten mich zu widerlegen. Vernünftige Gegenargumente habe ich bisher selten erhalten und nie solche, dass sie meine Ansichten hätten umstimmen können, obwohl ich meiner Einschätzung nach [sic] stets nach bestem Wissen und Gewissen urteilte. Doch was mich am meisten ärgerte und im Nachhinein enttäuschte waren nicht irgendwelche sturen Meinungen von Leuten, die keinerlei Argumentationsbedarf hatten, sondern Reaktionen von Menschen, die ich bis
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3 Die Maske der Illuminaten
dato für sehr kritisch und höchst vernünftig gehalten hatte. […] Jedenfalls bin ich zutiefst enttäuscht [sic], dass man sich nicht wenigstens die Zeit nahm, meine Theorien und Thesen innerhalb einer vernünftigen Diskussion zu widerlegen, sondern, dass man sie anscheinend erst gar nicht für diskussionswürdig hielt, so dass man sie ignorierte. (Fragment, ~ 2007–2008.)
3.4 Wiedergeburten (2009–2014) Überall zu Haus, doch nirgends, mit allen Freund und Feind, wanderst du in seelenschwerer Not. Dein Blick ist tief durchdringend, so gehst du auf die Suche, aller Welt den Frieden bringend und nur dir selbst den Tod. – Weltenwandler II, August 201143
DOPPELLEBEN
Mein erstes Doppelleben beginnt im März 2009. Die brennenden Fragen zu 9/11 führen mich immer tiefer hinein in die Welt der Verschwörungen, die vor allem auf alternativen (Medien-)Seiten im Internet ihren Platz findet. 2007 erscheint die Doku „Unter falscher Flagge“ auf dem Portal NuoViso.tv, dieselbe Plattform informiert Zuschauer*innen über den Einsatz von Uranmunition in mehreren USKriegen und den verheerenden Langzeitfolgen sowie das Schweigen von Politik und „Mainstreammedien“. Die Bilder von verstümmelten und degenerierten Kindern gehen mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich stoße durch ein anderes Portal auf die ZDF-Doku „Dutroux und die toten Zeugen“ von 2000, in der es um das Missbrauchs- und Kinderhandelsnetzwerk um Marc Dutroux geht. Auf einer privaten Webseite finde ich die geleakten Zeug*innen-Aussagen des Gerichtsprozesses und die vielen Indizien dafür, dass das Netzwerk bis in die höchsten politisch-ökonomischen Machtkreise hineinreicht. Die Berichte sind abstoßend und bereiten mir schlaflose Nächte. „Z“ hat eine harte Zeit und Alan kann all diese Informationen nicht in sein Alltagsleben integrieren. Doch er kann sie auch nicht vollständig verdrängen. Vor allem aber kann er nicht begreifen, dass darüber nicht gesprochen wird. So kann es nicht weitergehen. Das Schweigen macht mich wahnsinnig. Am 23. Februar 2008 notiere ich in einem Fragment, das mit „DIE WAHRHEIT“ überschrieben ist: „Dieses Gefühl ist einfach beschissen: Ich habe die Wahrheit gesehen, doch ich kann sie nicht beweisen.“ Und einige Zeilen später: „Ich wünsche mir oft, manche Erfahrungen nie gemacht zu haben.“ Da ist sie wieder, meine Einsamkeit. Nicht die eines Fremden, sondern diesmal die eines Aussätzigen, der sich bemüht, die Maske der „Verschwörungstheorie“ so gut es geht, zu verbergen. Um nicht den Gesichtsverlust des „Verschwörungstheoretikers“ zu
3.4 Wiedergeburten
(2009–2014)
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erleiden, lerne ich, mich für die subtilen Zeichen der Mitmenschen zu sensibilisieren, die mir sagen: ‚Das will ich nicht wissen!‘ Es sind bestimmte Blicke, etwa rollende Augen, Scherze, Ironisierungen, Bagatellisierungen, Ausweichen oder direkte Absagen, die ich zu deuten lerne, wenn ich Menschen mit bestimmten Themen konfrontiere. Ich fühle mich missachtet und mit meinem Wissen allein gelassen. Dieses Gefühl kann ich nicht länger aushalten. Wie kann ich sicher sein, nicht wahnsinnig zu werden? Nicht selbst einer riesigen Lüge aufsitzen? Wie kann ich dieses beunruhigende Wissen überprüfen? Dabei helfen nur andere Menschen. Ich will diese Geheimnisse lüften, doch das ist nicht leicht. „Schweigen müssen“ ist ein Gewaltakt. Einige Monate später habe ich Glück. Über einen Eintrag in einem bekannten deutschsprachigen Internetblog erhalte ich Kontakt zu einem alternativen Treffen, einem „Stammtisch“ im Stuttgarter Raum. Hier, in einem linken Jugendzentrum, begegne ich unter anderem Helge. Wir sind bei diesem ersten Treffen nur zu dritt. Drei junge Männer zwischen 20 und 35, voller Fragen zu geopolitischen Themen, über die im Freundes- und Bekanntenkreis nicht gesprochen wird. Und im „Mainstream“ sowieso nicht. Und wenn doch, dann nur als „Verschwörungstheorien“. Es ist das erste Treffen an diesem Ort. Und es hat schon etwas Konspiratives. Der*Die Initiator*in des Stammtisches ist bei diesem Treffen nicht unter uns. Er oder sie wird bis zuletzt unbekannt bleiben. Auch zehn Jahre später bleibt diese Ungewissheit. Das füttert auch unsere Paranoia. Das Treffen, nur so viel wissen wir, kam durch einen anonymen Eintrag auf dem besagten Blog zustande. Irgendjemand hat eine Orts- und Zeitangabe gepostet und wohl gehofft, dass schon irgendjemand vorbeikommen wird. Doch mit welchem Hintergrund? Und warum kam diese Person niemals selbst? Oder kam sie irgendwann doch dazu, ohne dass sie sich outete? Wie dem auch sei, es ist für mich ein befreiendes Gefühl, zum allerersten Mal mit zwei anderen ‚echten‘ Menschen zu sprechen, die eine ähnliche Wissensbasis haben und sich dieselben Fragen stellen wie ich – und insofern hat dieses und hatten auch die folgenden Zusammenkünfte ein bisschen was von einer Selbsthilfegruppe. Für mich geht es, wie schon erwähnt, vor allem darum, mich zu vergewissern, dass ich mit meinen Zweifeln nicht verrückt geworden und nicht allein bin. Helge und ich sind uns gleich sympathisch. Er ist ein paar Jahre älter als ich, Magister in Sozialwissenschaft und ebenso betroffen über die Tabuisierung, Ignoranz und das Schweigen der Gesellschaft und der Medien in Fällen von Kriegslügen und Terror. In den folgenden Monaten werden wir uns regelmäßig treffen und es stoßen immer mehr Menschen dazu. Bald brauchen wir größere Räumlichkeiten. Wir müssen mehrfach umziehen, meist in Bars oder Restaurants. Der alternative „Stammtisch“ zieht Menschen verschiedenster Alters-, Berufs-, und Bildungsgruppen, Nationalitäten, Religionen und Bildungsgrade an. 70 bis 80 Prozent sind
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männlich. Zu Hochzeiten sind wir zwischen 25 und 50 Leute. Was diese Menschen eint, ist, dass sie sich als „Querdenker“ sehen oder dem „Mainstream“ nicht mehr trauen. Die offizielle Theorie der Terroranschläge von 9/11 glaubt hier niemand. Und es gibt fast nichts, was auf diesen Treffen nicht infrage gestellt wird: die EUPolitik, der Konsens zum Klimawandel, zu Impfungen oder Homöopathie. Außerdem hinterfragen viele das materialistische Weltbild. Es kommen Heilpraktiker*innen, Lehrer*innen, Student*innen, Handwerker*innen, Künstler*innen, Informatiker*innen, Azubis und andere. Ein gemischtes Berufsbild, dessen Anwesenheit und Nonkonformismus ich, im Unterschied zu reglementierten Diskursen oder beschränkten Debatten der Leitmedien, an der Uni oder in der Familie, genieße. Ich lerne hier auch zum ersten Mal jene Menschen kennen, die die „BRD GmbH“ als einen nicht-souveränen Staat ansehen und sich selbst Personen(!)ausweise drucken. Die meisten sind ältere Herren und mir suspekt. Doch ich bin auch für ihre Argumente offen. Etwa fünf Jahre später werden diese Leute unter dem Label „Reichsbürger“ im „Mainstream“ bekannt. Hätte ich meiner Familie oder gar Kommiliton*innen davon erzählt, sie hätten mich für verrückt gehalten. GEGEN-VERSCHWÖRUNG(EN) Der Begriff der Illuminati ist gleichsam mysteriös wie – spätestens seit den Romanen von Dan Brown – allgemein belächelt und in das Reich der Popkultur verbannt. Doch werden wir damit dem Thema gerecht? Denn mit dem Begriff der Illuminati ist gemeinhin mehr verknüpft als nur die historisch-faktischen Daten, die über die bayrischen Illuminaten um Adam Weißhaupt bekannt sind, gleichzeitig sind populäre Ausführungen à la Dan Brown großteils Fiktionen eines Thriller-Autors, der zu Übertreibungen an Allgemeinplätzen neigt. Die Frage ist: Lassen sich aus all dem über diese mysteriöse Religion oder Gruppe oder Philosophie der Illuminati Gesagten, wesentliche Aspekte für eine Arbeitshypothese heraus extrahieren, mit der anschließend ein Konzept der Illuminati bereit liegt, mit dem Aussagen über globale politische Entwicklungen sinnvoll verknüpft werden können; oder anders ausgedrückt: Gibt es unter alldem, was dem Konzept der Illuminati zugeordnet wird, Aspekte, die sich weder einfach (historisch?) relativieren lassen, noch so fiktiv sind, dass sie nichts mehr mit unserem Weltgeschehen zu tun haben – also solche, die wir sinnvoll aufnehmen und in die Betrachtung unseres Weltgeschehens integrieren können? (Fragment, ~ 9. April 2010 [?])
Auffällig zügig kristallisiert sich bei diesen Treffen eine Organisationsstruktur heraus – was mit ersten Konflikten und Abgrenzungen einhergeht. Helge beispielsweise will vor allem politische Aktionen machen, etwa Demos gegen die Ratifizierung des Lissabon-Vertrags. Später wird er sich eine zeitlang Jürgen Elsässer und
3.4 Wiedergeburten
(2009–2014)
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dessen „Volksinitiative“ anschließen. Andere wollen sich nur zum Reden treffen, wieder andere wollen Vorträge hören, ihren Horizont erweitern. Und so kommt es, dass schon nach wenigen Treffen Vorträge mehr oder weniger bekannter Referent*innen aus der alternativen (Medien-)Szene stattfinden. Das Themenspektrum reicht von (Geo-)Politik, über Gesundheit bis hin zu Spiritualität. Sogar Armin Risi wird bei uns einen Vortrag halten. Benjamin, ein Lebenskünstler und Macher, schafft es, Kontakt zum Gründer von NuoViso.tv aufzunehmen, was dazu führt, dass einige von uns bald auch auf dem ersten deutschlandweiten Treffen der sogenannten „Wahrheitsbewegung“ teilnehmen. Linke Zeitungen berichten über dieses Treffen als einer Zusammenkunft von „Verschwörungstheoretikern“. In der Zeit zwischen Frühjahr 2009 und Herbst 2010 lerne ich viele interessante Köpfe der alternativen Szene kennen. Am Anfang war es vor allem 9/11. Jetzt ist mein Bewusstseinshorizont so erfüllt von alternativen Themen, dass ich es mir schwerfällt, dieses Wissen in meinen (Studien-)Alltag zu integrieren. Dennoch fühle ich mich in diesem Kreis frei. „Z“ und „Alan“ sind hier so weit integriert, dass es keine Masken mehr braucht. Die Beschäftigung mit Verschwörungstheorien ist eine Bewusstseinserweiterung. Es ist, wie wenn du in einem Bewusstseinszustand bist, bei welchem du einige mehr Kanäle deines Gehirns geöffnet hast. Es ist nicht immer leicht, denn plötzlich bekommst du neue Informationen – der Filter, die Mainstreammedien, ist ausgeschaltet und deine Wahrnehmung [sic] wird erweitert. Ganz stark kommt es auf deinen persönlichen Zustand an, wie du mit diesen neuen Informationen umgehst. [...] Wer auf einen LSD-Trip nicht vorbereitet ist, für den kann die Öffnung gewisser Kanäle – alternative Medien – in einem Horrortrip enden, in einem harten und destruktiven Zusammenbruch des Weltbildes. Bei einem positiven Umgang mit gewissen Themen – die andere als ‚Verschwörungstheorien‘ denunzieren – kommt die Öffnung der Kanäle, das Ausschalten [sic] des Filters einer produktiven Dekonstruktion einer Fassade gleich, die einem eine erweiterte Einsicht ins weltliche Geschehen gibt. Die Beschäftigung mit Verschwörungstehorien [sic] ist das weltlich-materielle Analagon zum Umgang mit bewusstseinserweiternden Substanzen, der sich auf spiritueller [Ebene, A. S.] abspielt. Es muss klar sein, dass nicht jeder dazu in jeder Lebenslage geeignet ist und dass niemand dazu gezwungen werden sollte. (Tagebucheintrag, ~ Sommer 2010)
Doch nicht alle in diesem Kreis haben Interesse an Themen, die über den politisch-materialistischen Tellerrand hinausgehen. Schon beim zweiten Treffen warnt Richard davor, sich hier mit „Esoterik“ zu beschäftigen. Nicht weil er, als Heilpraktiker, daran nicht interessiert gewesen wäre, sondern weil er die Erfahrung gemacht habe, solche Themen würden Gruppen spalten. Er sollte Recht
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behalten. Nach einigen Monaten bildet sich um Benjamin eine – von ihm so bezeichnete – „Kerngruppe“, in die er informell und mündlich ‚Auserwählte‘ einlädt und die sich mit dem – so nenne ich es – „deep shit“ beschäftigt: also mit allen Dingen, die den Verstand überschreiten, sei es Religion, Okkultes, Esoterik, Spiritualität, Psychedelik oder Ufologie. Mich stört die Spaltung, da ich viele der Ausgeschlossenen gerne mag. Auch Helge ist bei diesen Treffen nicht mehr dabei. Außerdem will ich nicht schon wieder ein Geheimnis haben. Stattdessen zieht Benjamin jetzt mehr und mehr Unmut auf sich. Politische oder ‚weltliche‘ Themen interessieren ihn nicht mehr, wie er sagt, das sei alles eine relative Ebene und zu vernachlässigen. Nach etwa einem Jahr finden keine regelmäßigen Treffen mehr statt, es gibt jetzt nur noch Splittergruppen. Für mich bleibt Benjamin bis heute ein ambivalenter Charakter: Einerseits ist er sehr freundlich zu mir und sieht da „Potential“, wie er sagt; andererseits behandelt er andere nicht gut und scheint mir dabei nicht immer ehrlich. Will er mich manipulieren? Was sind seine eigentlichen Ziele? Vielen Treffen der Gruppe um Benjamin, von denen nur die ‚Eingeweihten‘ wissen, bleibe ich fern. Doch im Sommer 2010 erhalte ich eine E-Mail und mehrere Anrufe. Benjamin lässt nicht locker. Er berichtet von einem Ritual – Ayahuasca, oder in seiner Sprache einfach nur „Aya“ –, das er jetzt schon mehrfach durchgeführt habe und dass ich unbedingt mitmachen müsse. Benjamin klingt begeistert. Aber ich traue der Sache nicht. Denn er klingt bei fast allem, was er sagt, begeistert oder euphorisch. Ich glaube, ich hatte auch Angst. Noch nie zuvor hatte ich psychedelische Substanzen genommen. Und die wenigen Joints, die ich höchstens auf Festivals oder Parties probiert hatte, hatten keine außergewöhnliche Wirkung auf mich. Ich sage nicht zu. In diesem Sommer mache ich meine ersten Meditationserfahrungen. Das scheint mir ein solider Weg, mein mir bislang fremdes Innenleben zu erkunden. Doch Meditation ist auch anstrengend. Und die Erfahrungsberichte von Benjamin haben Spuren hinterlassen. Ich beschäftige mich ein bisschen mit dieser wunderlichen Ayahuasca-Zeremonie. Als Benjamin sich das nächste Mal meldet und ich erfahre, dass auch Nadia, Frank und Balduin bei der kommenden „Aya“-Session dabei sind und er davon schwärmt, dass er den „perfekten“ Ort, abgelegen in der Natur, ausgekundschaftet habe, sage ich zu. Am frühen Samstagabend, den 7. August 2010, sammle ich irgendwo im Schwarzwald Feuerholz und Kräuter. Es dämmert und von weitem hört man Ziegen – oder waren es doch Schafe? – mähen. Ich habe Respekt vor dem, was da kommt. Als ich einige Meter weiter, an der Feuerstelle Balduin trommeln höre, fühle ich, dass ich hier gut aufgehoben bin. Die Erfahrung in dieser Nacht wird mein bereits poröses und brüchig gewordenes materialistisches Weltbild in Millionen kleiner Partikel zerreißen. Noch einmal in diesem Sommer werde
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ich eine solche Zeremonie wiederholen. Danach weiß ich ganz sicher, dass ich Meditation erlernen will. EINWEIHUNG Stell dir vor, du duschst. Du reckst deinen Kopf in das eiskalte Wasser, das dir von oben über den Scheitel strömt. Die ersten Augenblicke zitterst du noch; wie eine scheue Katze hüpfst du in der engen Kabine hin und her, fühlst, wie sich dein ganzer Körper sträubt, wie er tanzen und vor der Dusche fliehen will – doch du hältst ihn still. All der Schmutz, der sich über Stunden, vielleicht Tage auf deiner Haut versammelt hat, löst sich, perlt von dir ab; wie eine Steinlawine bröckelt die schwere Last aus den Höhlen und von den Windungen deines Körpers und wird mit großer Wucht in den dunklen Abfluss gespült. Du gewöhnst dich so langsam an das Piksen und Kitzeln und an die Temperatur des kalten klaren Wassers; der Kabinenregen wird mehr und mehr zur Wonne. Du schließt deine Augen, spürst deinen Leib, beruhigst deinen Atem und genießt. Du bist im Wasser, du wirst eins mit dem Wasser. Nach einer Weile verschwimmen alle Unterschiede zwischen Nässe und Trockenheit, Reinheit und Schmutz, es gibt nur noch das eine ewig strömende Wasser und das Gefühl schwerelos, unendlich weit entfernt von allem zu sein: absolute Reinheit, Klarheit und Einheit. Danach, wenn du – zurück im Leben – mit nassen Füßen wieder auf den festen Boden vor der Dusche tappst und nach dem Handtuch greifst, fühlst du dich leicht, frisch und frei, wie neugeboren. Stell dir Meditation im Gefühl und in der Wirkung vor wie eine Dusche. (Tagebuch, ~ 18. Dezember 201144)
An meinem 25. Geburtstag werde ich wiedergeboren. Das Ritual findet inmitten einer riesigen Wiese im Stuttgarter Rosensteinpark hinter der Wilhelma statt. Das Grün der Pflanzen ist nach einigen warmen Spätsommertagen ins Gelbliche übergegangen. In dem hohen Gras sind Dada und ich nahezu unsichtbar. Ein leichter Wind streichelt die riesige Wiese wie Wellen einen See. In diesem See haben wir uns durch das behutsame „zur-Seite-biegen“ piksender und kratziger Halme eine kleine Insel gefertigt. Hier sitze ich also, vor störenden Blicken verborgen, diesem Yogi gegenüber. Dadas Stimme ist so weich und ruhig, dass sie mir die Aufregung nimmt. Wir schließen die Augen für eine kurze Meditation. Die genaue Reihenfolge danach erinnere ich nicht mehr. Auf jeden Fall lege ich ein Gelübde ab: Mein Handeln soll fortan nach ethischen Prinzipien ausgerichtet und der höchsten Wahrheit verpflichtet sein. In der Philosophie von „Ananda Marga“ ist diese Wahrheit gleichbedeutend mit dem innersten Selbst, mit Brahma, äquivalent mit Gott. Aber nicht Gott als Person, sondern als ein allumfassendes Prinzip. „Unendliches göttliches Bewusstsein“ ist in jedem von uns. Wenn Dada davon erzählt, dann klingt das authentisch, so als hätte er es erfahren. Seine Geschichte
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beeindruckt mich, wie seine ganze Art. Er ist ein charismatischer Lehrer – aber „kein Guru“, wie er immer wieder betont. Ein „Guru“ ist in Dadas Philosophie ein höheres Wesen. Er sei „Acharya“, was auf Bengali (spiritueller) „Lehrer“ bedeute. Auch das finde ich gut. Und mir gefällt, wie Dada durch die spirituelle Philosophie von „Ananda Marga“ Rationalität und Spiritualität zusammenbringt; und dass Spiritualität nichts Abstraktes oder Weltfremdes ist, sondern praktisch und, so wie es Dada und seine Freunde leben, sozial ausgerichtet, voller Hingabe. Yoga ist, so lerne ich, die Vereinigung von Körper und Geist. Durch körperliche Übungen und Atemtechniken kräftigt man den Körper und in der Meditation wird er überwunden. Eigentlich verstehe ich bisher nur sehr wenig von Dadas Yoga-Philosophie. Die indische Kultur hat mich vorher nie interessiert. Und auch Dadas spiritueller Meister, von dem er ein Bild in seinem Schlafzimmer hat, ist mir fremd. Ebenso das Symbol von „Ananda Marga“: zwei ineinandergefügte Dreiecke mit einer aufgehenden Sonne, in welcher sich eine Swastika – ein indisches Symbol für spirituelle Erfüllung – befindet. Doch was ich empfinde, ist ein sehr starkes Bedürfnis danach, den Weg der Yoga-Spiritualität zu einem Teil meines Lebens zu machen. Und Dada, den ich durch Frank, einen „Stammtisch“-Freund, kennengelernt habe, ist derjenige, der mir in diesem Moment dabei helfen kann. Nachdem ich das Gelübde gesprochen habe, geht Dada nochmal für wenige Minuten in die Meditation. Handlungen wie diese faszinieren mich sehr: Wie ruhig er dasitzt in seiner orangenen Robe, die Beine übereinander gekreuzt, aufrecht mit vollkommen gerader Wirbelsäule und in die Tiefe geht: In-sich. Zugleich lassen solche Situationen mich erschaudern. Sein schmaler Körper sitzt hier, direkt neben mir und doch scheint er, scheint sein Geist, weit weg, irgendwo anders – in einer anderen Welt zu sein. Wohin wird er diesmal gegangen sein? Zu seinem Guru? Manchmal verharrt Dada über eine Stunde in dieser Position. Er macht das mindestens drei Mal täglich. Ich beobachte ihn jetzt ganz genau: keine Bewegung. Als wäre da nur eine leere Hülle, die hier sitzt. Unheimlich. Und ich? Ich kann gerade einmal zehn bis zwanzig Minuten so sitzen, bis mir der Rücken schmerzt oder die Knie und die Willenskraft schwindet. Je tiefer ich in die Meditation gehe, mich durch das Mantra in meinen Geist vertiefe und mich vom Gefühl meiner Körperflächen zu lösen beginne, desto unbehaglicher wird mir. Es ist wie, wenn mir etwas im Halse steckt. Diesmal ist Dada nur kurz weg. Ganz langsam öffnen sich nach ein bis drei Minuten seine Augen. Sie sind wach und klar und jetzt auf mich gerichtet. Ich bin gespannt: Welchen Namen wird er mir sagen? Er sammelt sich. „Om-pra-kash“, sagt er in gewohnt weicher Stimmlage. Ich denke „Omprakash?“. „Das bedeutet ‚unendliches göttliches Licht‘“, sagt Dada, als antworte er auf meine Gedanken. So wird er mich und werden mich andere von „Ananda Marga“ ab jetzt nennen. Es ist mein zweiter, mein spiritueller Name. Danach gibt mir Dada das, worauf ich
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am meisten gewartet habe: ein persönliches Meditationsmantra und eine klare Anweisung, wie ich zukünftig meditieren soll, eine spirituelle Technik, die mich die nächsten Jahre begleiten wird. Nun bin ich aufgenommen in den Kreis der „Sadhakas“, der spirituell Strebenden und Suchenden.
Abbildung 11: Der Autor (2. v. r.) 2011 im Yoga-Ashram zusammen mit zwei Dadas und anderen Sadhakas (Quelle: aus eigenem Fotobestand/Fotograf*in unbekannt).
Eines Nachmittags stellt mich meine Mutter besorgt zur Rede und macht mir klar, dass sie diesen Lehrer und die Leute für eine Art „Sekte“ hält. Sie habe da was gelesen. Ich verteidige mich. Das Wort „Sekte“ macht mich aggressiv. Ist nicht die katholische Kirche die größte Sekte? Auch bei einer Familienfeier einige Monate später deutet ein Onkel von mir an, dass er „davon gehört habe“, dass ich jetzt ab und zu Zeit in so einer ‚Gemeinschaft‘ verbringen würde. Seine Zeichen sind unmissverständlich: ‚Häretiker!‘ An der Uni und vor allem in politisch-linken Kreisen gilt spirituelles Yoga als „Esoterik“. Ich kaschiere auch hier dieses dritte Leben. Meine Yogamatte rolle ich meist spätabends oder nachts im großen Keller aus. Was ich hier genau mache, will niemand verstehen. Möglicherweise ist es aber auch so, dass ich selbst nicht will, dass andere das verstehen können? Will ich mein Geheimnis überhaupt preisgeben? Spiele ich nicht auch damit, überhaupt ein Geheimnis zu haben? Und grenze ich mich nicht wieder ganz bewusst oder unbewusst dadurch ab? So wie einst mit der „Sickness“ oder dann mit „Verschwörungstheorien“? Vieles spricht dafür. Als mir Dada mein persönliches Mantra gibt, sagt er, ich solle es geheim halten. „Warum?“, frage ich. Er antwortet, dass durch einen zu lockeren und unachtsamen Gebrauch die Mantra-„Wirkung“ verloren gehe. Ich hatte nur eine vage Ahnung, was er damit gemeint haben könnte. Ich deutete damals diese „Wirkung“ als irgendeine quasi-magische Energie. Dass seine Aussage stimmt, daran zweifle ich nicht. Doch vielleicht ist diese Wirkung nicht ‚magisch‘, sondern zutiefst menschlich.
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SPRÜNGE UND SCHIZOPHRENIEN In den Hinterhöfen von Berlin zwitschern bunte Vögelin. Über Kissen und Matratzen hallt das Echo kleiner Spatzen, tropfen Tropfen auf die Fensterbank, untermalen den Gesang. Wo die Berliner morgens träumen, schallt es heiter zwischen Bäumen; lange noch bevor die Stadt erwacht, zeigt der Frühling seine Pracht. – Vogelecho, 26. Mai 201345
In ihrer Methodologie zur lebensweltlichen Ethnographie spricht Anne Honer über „das ‚Doppelgängertum‘ des Ethnographen“. Unter anderem schreibt sie dabei über eine „professionelle Schizophrenie“ (Honer 2011: 37). Diese, so Honer, bestehe in der Fähigkeit des „pointierten ,Springen[s]‘ zwischen Sub-Sinn-welten“ aus welchem die „analytisch so fruchtbare Position des ,marginal man‘“ resultiere, einem „,Randgänger‘“, dem „Einsichten möglich [sind], die dem ,Eingeborenen‘, der keine Alternativen kennt oder wahrnimmt oder zur Kenntnis zu nehmen bereit ist, verschlossen sind.“ (Ebd.: 38) „So gesehen“, fasst sie zusammen, „ist die ganze lebensweltliche Ethnographie im Grunde eine ‚unendliche Geschichte‘, eine ein wenig sysiphoide Geschichte aus immer neuen Anläufen zum ,Sprung‘ in fremde Welten […]“ (ebd.).
Abbildung 12: Eine Identität unter vielen: Der Autor als registrierte Person in der Bundesrepublik Deutschland. Berlin, 4. Mai 2012 (Quelle: eigenes Foto).
Im Frühjahr 2012 schaffe ich einen Absprung. Ich lasse den engen Keller mit dem kleinen Fenster in der Provinz hinter mir und gehe nach Berlin. Dort bekomme ich einen Studienplatz an der Technischen Universität und finde zur Ethnographie.
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Das Studium und die Methode, die ich hier lerne, begeistern mich. Ich arbeite an einer Feldforschung über moderne Yogapraxis, die meine Abschlussarbeit werden wird. Die Decken in meiner WG sind hoch, die Fenster riesig und das Zimmer hell. Auf der Straße unter mir donnern die LKWs bis spät am Abend. Manchmal fahren hier die Autokolonnen mit wichtigen Staatsbesucher*innen zum 20 Gehminuten entfernte Schloss Bellevue. In 918 Meter Luftlinie von meinem WGZimmer befindet sich der ominöse „Fussilet 33“, in dem sich das Phantom Anis Amri während meiner Anwesenheit in Berlin radikalisiert haben soll. Das ist jedoch wieder eine andere Geschichte. Schon nach wenigen Tagen in dieser Stadt kommt mir mein altes Leben unendlich weit entfernt und fremd vor. Ich bin wieder ein Anderer. Aber sich in Berlin anders und nicht unwohl zu fühlen, ist Teil der Stadtkultur. Jede*r ist hier irgendwie fremd oder anders und daher ist es in Ordnung. Auch hier trage ich wieder Masken und Geheimnisse. Mit den verschiedenen Rollen, die ich annehme, teilt sich auch das Wissen anderer über mich und verändert sich mein Verhalten ihnen gegenüber. Die Maskierungen, die dabei zum Einsatz kommen, sind mannigfaltig. Ein bisschen schizophren komme ich mir dabei vor: Für die einen bin ich „Alan“, der Soziologiestudent, Kollege und Kommilitone, für andere „Alan“, der Mitbewohner oder Partner; ich bin aber auch der „Yogi“ und der „Ethnograph“ für manche Menschen. Immer wenn ich Dada treffe, so selten es auch nur noch vorkommen mag, bin ich noch „Omprakash“. Mit allen diesen Masken bekomme ich Zugang zu bestimmten verschiedenen Subsinnwelten dieser Gruppen. Sie alle sind Teile meiner sozialen Identität. Sie alle gehen einher mit bestimmten Verhaltensweisen und Emotionen: kritisch, kreativ, strebsam, fröhlich, freundlich, lustig usw. Das sind Verhaltensweisen und Emotionen, die sozial akzeptiert und erwünscht sind. Aus der Perspektive des inneren Beobachters sind sie aber, wie ich im Januar 2012 notiere, „Oberflächen“. Unter ihnen gibt es ein oder mehrere „Tiefen-Ich(s)“ (ich lese den Begriff zu diesem Zeitpunkt bei Henri Bergson). 46 Diese inneren Anteile, die zensiert oder anderweitig maskiert werden, könnten unerwünschte, ungelebte, vielleicht auch traumatische Gefühle und Emotionen sein: Einsamkeit, Angst, Ohnmacht, Traurigkeit, Enttäuschung, Wut. Was haben sie zu tun mit meinem Geheimnis, mit der dunklen Maske der „Verschwörungstheorie“? Oder andersherum: Was trägt diese Maske bei zur Wiederholung oder Reinszenierung dieser so schwierigen Gefühle von Einsamkeit, Entfremdung, Wut usw.? Und wieso setze ich mir diese Maske wieder und wieder auf? Suche ich wirklich ausschließlich die Wahrheit? Ist diese Suche vielleicht auch ein Kampf um Anerkennung? Ist die Suche nach Gegenpositionen, Widersprüchen, Alternativen auch eine maskierte Sucht? Eine Sehnsucht?
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„Es gibt da noch so ein anderes Wort...“, sagt H., „für Menschen, die immer die Gegenposition einnehmen.“ Ich merke, dass er von allein nicht draufkommt und springe ihm bei: „Advocatus Diaboli“. „Ja, genau“. Bei diesem Wort resoniert etwas in mir. Ich erzähle H., dass ich damit auf jeden Fall etwas anfangen könne. „Sind Sie in diesen Advocatus Diaboli oder den schrägen Vogel verliebt?“, fragt H. mit einem feinen Lächeln auf den Lippen. Und wieder bemerke ich, dass er etwas in mir getroffen hat. „Ja“, antworte ich nach einer kurzen Pause. Mir wird klar, worauf H. hinaus will. Nachdem ich erzähle, wie viele Situationen in meinem Leben mit dieser Rolle zusammenhängen, ist uns beiden klar, dass das ein wichtiges Thema ist. „Gibt es ein Leben ohne Maske?“, frage ich nach einer Phase des Schweigens. Auch H. hält kurz inne und blickt mich dann an: „Meine Aufgabe ist es nicht, Ihnen die Maske vom Gesicht zu reißen“, sagt er. „Ich kann Ihnen nur helfen, Ihre Masken zu erkennen. Ob Sie sie nachher an die Wand hängen, ins Feuer werfen, oder sich entscheiden, sie von Zeit zu Zeit abzunehmen und andere zu probieren: Das ist allein Ihre Entscheidung.“ 3.5 Nachspüren Am Ende [unserer Sitzung] fragte mich H., wie ich mich jetzt gerade fühle. Ich sagte ihm, dass ich anfangs keine Lust gehabt hatte, mit ihm zu sprechen, weil ich [mitten] in der Arbeit war. Er verstand, nickte. Weiter sagte ich, dass ich mich jetzt gut damit fühle, mit der Perspektive, die er mir, v. a. am Ende, gegeben habe. Wir verabredeten uns für nächste Woche […]. Gleich [...] [danach] bemerkte ich, dass ich mich überhaupt nicht gut fühle. […] Ich dachte die ganze Zeit an das Gespräch und erst jetzt wird mir bewusst, dass ich mich von H. nicht nur missverstanden, sondern missachtet […], ja tief verletzt [fühle]. Gestern Nachmittag und Abend dachte ich, dass meine Verletztheit und Wut vor allem mein Problem, mein Defizit sei; ich führte alles auf ‚mein‘ mindset zurück; […] (TagebuchReflexionen47)
Die vorangehenden Zeilen beschreiben anhand verschiedener Datensorten Etappen, Verläufe und „Gipfelpunkte“ im Leben des autobiographischen Autors bis in sein 26. Lebensjahr hinein. Dabei wurde weniger auf historisch-biographische Akkuratesse Wert gelegt. Primär ging es darum, eine thematische Verbindung zwischen subjektivem Erleben und sozio-kulturellen Rahmenbedingungen anzudeuten. Dieses Andeuten ist sehr wichtig. Denn es kann in diesem Verständnis von Autoethnographie keinesfalls darum gehen, diese Verbindungen festzustellen. Das wäre im Rahmen dieser Methode und in der Selbsteinschätzung des Autors vermessen. Dem Autor ist erst durch die Relektüre und die reflexive Kritik bewusst geworden, wie schwer in diesem Fall unter den gegebenen Bedingungen das Selbstverstehen ist, und wie leicht sich Selbst- und Fremdtäuschung im
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autobiographischen Schreiben einstellen können. Das Andeuten hat demnach drei Funktionen: eine methodische, die verhindern soll, dass es zu einer (voreiligen) deskriptiven Schließung bei der Interpretation des Materials kommt; eine ethische: Namen, Zeit- und Ortsangaben, gerade wenn sie diskreditierend sei könnten, werden aus Datenschutzgründen anonymisiert oder nur angedeutet; sowie eine literarische: Die interpretative Offenheit soll eine „soziologische Imagination“ (Mills 2000 [1959]) evozieren. Leser*innen sollen eigene Verbindungen ziehen, nach dem Motto von Eliot Borenstein: „Good readers make good paranoids“ 48. Schließlich gibt es aber noch einen methodologischen Grund, der gegen eine allzu starke Integration von autobiographischen Textfragmenten und soziologischethnographischen Darstellungen spricht. Das durch psychotherapeutische Introspektion vermittelte Selbstverstehen zielt primär auf Selbsterkenntnis und Selbstermächtigung (Heilung) des Subjekts ab. Die untersuchte Wirklichkeit ist vor allem eine subjektive. Dies wird in der einleitenden „Tagebuch-Reflexion“ deutlich: Der autobiographische Autor verweist hier auf die eigene „Verletztheit“, „Wut“ und Missachtungserfahrung, die er direkt nach einer therapeutischen Interaktion bei sich spürt und von der er schreibt, er habe sie während der Sitzung allein auf ‚sich selbst‘ sein eigenes („mein“) „mindset“ bezogen. In dieser Sitzung ging es um „Verschwörungstheorien“ und der geschulte Therapeut hatte ein bestimmtes massenmedial vermitteltes Vorverständnis davon, was damit gemeint sei. Der Autor wollte dies zunächst hinterfragen. Dabei trat ein Konflikt zwischen dem Autor als involviertes psychotherapeutisches Subjekt und als distanzierter soziologischer Beobachter auf. Die Dispositive des therapeutischen Settings bedingen es, dass alle Aussagen des Patienten unter Verdacht stehen, Ausdruck (s)einer Psychopathologie, eines individuellen Wahns, zu sein. Das Subjekt der Psychotherapie, das sich der Praxis hingibt, bezieht sich in dieser Introspektion sehr stark auf sich und sein Innenleben. Der besagte Konflikt trat deshalb auch erst nach der Sitzung offen zutage. Also, nachdem sich der Autor aus einer Beobachterposition heraus, seines vorherigen „feeling managements“ (Ellis 1991: 52) bewusst wurde, inklusive der Tatsache, dass er sich von seinem Gegenüber als rationaler Denker nicht ernst genommen („missachtet“) gefühlt hat, obwohl er zuvor das Gegenteil behauptet. Dies ist ein typischer Zensurmechanismus, der in der Regel auch mit einer emotionalen Selbsttäuschung einhergeht. Der zentrale Punkt hierbei ist: Es gibt einen Unterschied zwischen der psychologisch-psychotherapeutischen Wahrheit und der Wahrheit der Soziologie oder Kulturwissenschaft. Beide haben ihre Berechtigung innerhalb eines bestimmten Aussagebereichs. Beide können in Konflikt geraten und doch zugleich für sich stimmig sein bzw. den Status von Wirklichkeit beanspruchen. In diesem Fall heißt das: Es gibt eine emotionale Verstrickung des autobiographischen Autors mit dem Verschwörungsdenken. Gleichzeitig sagt diese als solche nichts über die Wahrheit oder den Status des betreffenden Wissens oder die Wirklichkeit des gesamten beforschten Feldes aus. Der methodologische Fehler,
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den (nicht nur) in diesem Fall viele Psycholog*innen begehen, besteht darin, von der psychologischen Gefahr oder der emotionalen Leidhaftigkeit von „Verschwörungstheorien“ auf die Falschheit ihres Wissens oder die Irrationalität des Diskurses/Feldes zu schließen. Dies ist der letzte Punkt, weshalb die vorangegangenen autoethnographischen Fragmente nicht vollständig in die folgende Untersuchung integriert werden. Methodologisch stellen sie für sich eine Wirklichkeit und Perspektivierung auf dieses Thema dar, jedoch eben bei Weitem nicht die einzige.
4 Die Verschwörung denken Es gibt eine Paranoisierung der Gesellschaft; eine Kultur der Angst oder des Misstrauens. Geheimdienste überwachen alles und jeden. Verschwörungstheorien – in ihrer popularisierten und in ihrer seriösen Form – sind eine notwendige Folge der offensichtlichen konspirationistischen Praktiken der großen Geheimdienste. (Tagebucheintrag, ~ 29. Oktober 201349) STETS HABE ICH HART GEGEN VERSCHWÖRUNGSTHEORETIKER UND JETZT LÄSST SICH EINE EVENTUELLE ARGUMENTIERT, ERPRESSBARKEIT DER JAHRELANG ABGEHÖRTEN BUNDESKANZLERIN NICHT MEHR ALS ABSURD AUSSCHLIESSEN. WAS FÜR UNGLAUBLICHEN PFOSTEN BIN ICH IM NETZ BEGEGNET, UND AUS HEUTIGER SICHT WAR IHRE POSITION ZUR ÜBERWACHUNG NÄHER AN DER REALITÄT ALS MEINE. (SASCHA LOBO, DIE DIGITALE KRÄNKUNG DES MENSCHEN, FAZ ONLINE, 11. JANUAR 201450)
In diesem Kapitel sollen Werkzeuge entwickelt werden, die helfen, „Verschwörungstheorien“ und Verschwörungen anders zu denken, als es in den Sozialwissenschaften bislang der Fall war (vgl. Anton/Schetsche 2020). Dieses Denken soll kontextsensitiv sein, d. h., es soll nicht bloß in einem abstrakten und ‚theoretischen‘, sondern in einem die ‚Rationalität‘ unterschiedlicher Lebenswelten und Deutungsweisen berücksichtigenden Begriff münden. Dabei werden verschiedene Zugänge gewählt: kultur- und sozialwissenschaftliche Theoriebildung; (Spezial-)Wissen aus dem professionellen Journalismus der investigativen Recherche und schließlich Wissen aus dem Feld der Amateur-Konspirologie und der Szene der „Verschwörungstheoretiker“ sowie aus der Nutzung autobiographischen Materials. Der Fokus liegt auf der Begriffsbildung, wobei bereits soziale Praktiken und Dynamiken der Diskreditierung, Stigmatisierung und Tabuisierung des Verschwörungswissens mitthematisiert werden. Ziel ist es, das Verschwörungsdenken der modernen Konspirationskultur analytisch zu durchdringen. DAS PHÄNOMEN SOZIALER WIRKLICHKEITEN […] IM ALLGEMEINEN ERWARTEN DIE MENSCHEN IN UNSERER GESELLSCHAFT BEIM AUFTRETEN EINES ERSTAUNLICHEN EREIGNISSES, DAß BALD EINE ‚EINFACHE‘ ODER ‚NATÜRLICHE‘ LÖSUNG GEFUNDEN WIRD, DIE DAS GEHEIMNIS AUFKLÄRT […]. OHNE ZWEIFEL STRÄUBEN SICH DIE MENSCHEN ERHEBLICH GEGEN EINE VERÄNDERUNG IHRES SYSTEMS VON RAHMEN. (ERVING GOFFMAN, RAHMENANALYSE, 197451)
Bevor über Verschwörungen und „Verschwörungstheorien“ im engeren Sinne nachgedacht werden kann, muss aus methodischen Gründen erst ein Fundament Zusatzmaterial online Zusätzliche Informationen sind in der Online-Version dieses Kapitel (https://doi.org/10.1007/ 978-3-658-31689-1_4) enthalten. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Schink, Verschwörungstheorie und Konspiration, Medienkulturen im digitalen Zeitalter, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31689-1_4
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gelegt und erörtert werden, von dem ausgehend, überhaupt sinnvoll das Verschwörungsdenken abgeleitet werden kann. Aus sozialkonstruktivistischer und phänomenologischer Perspektive ist diese Grundlage die Einstellung des Alltags. Hier stoßen wir sogleich auf das Problem, dass es nicht ‚den‘ Alltag und ‚die‘ Wirklichkeitswahrnehmung des Alltags gibt, die für alle Menschen oder Subjekte dieselben wären. Alfred Schütz (1971 [1954]) hat, im Anschluss an Arbeiten von William James, Charakteristika herauszuarbeiten versucht, die den pragmatischen „Erkenntnisstil“ der alltäglichen Einstellung von anderen Sinnprovinzen (wie etwa der Welt des Traums, des Spiels, der Kunst, der Religion oder der Wissenschaft) unterscheidet. Jeder dieser Bereiche ist geprägt durch einen bestimmten Grad der Bewusstseinsspannung. So sei nach Schütz für das Alltagsbewusstsein ein „Zustand der hellen Wachheit“ charakteristisch, insofern dieser Bereich der Welt für uns „pragmatisch relevant ist.“ (Schütz/Luckmann 2003: 59) Weitere Merkmale dieser Einstellung seien eine spezifische Form der Epoché, d. h. die Suspendierung „jeglichen Zweifels“ an der Existenz der (Außen-)Welt und dass „ihre Objekte anders sein könnten, als sie […] gerade erscheinen.“ (Ebd.) Des Weiteren ist dieses Alltagserleben durch eine spezifische Spontanität, „eine spezifische Form der Sozialität“ („in welcher Kommunikation und intersubjektiv bezogenes Handeln die Regel sind“) und mit ihr verbunden der „Selbsterfahrung“ sowie „eine besondere Zeitperspektive“ (soziale Standartzeit) bestimmt. (Ebd.: 60) Außerdem ist dieses Handeln und sind die Deutungsschemata seiner Wirklichkeit durch Routinen und Typisierungen geprägt, die man mit Schütz/Luckmann (2003) recht differenziert und elaboriert beschreiben kann. Anstatt nun zu versuchen, von vorneherein das Verschwörungsdenken in einer bestimmten Sphäre von Wirklichkeiten oder Sinnprovinzen zu verorten, ist es aus einer autoethnographischen Perspektive in erster Linie wichtig, die subjektive Seite dieses Denkens zu illustrieren, wie es im Kapitel 3 zuvor versucht wurde. Im Folgenden soll gezeigt werden, inwiefern das Verschwörungsdenken und die Verschwörungsangst mit dem sozialen Handeln des Alltags – freilich setzen wir dabei schon einen gewissen Common Sense über diesen voraus – untrennbar verbunden ist, zugleich aber dessen scheinbar ‚natürliche‘ Rahmungen oder Einstellungen infrage stellt oder transzendiert. Mit dieser Transzendenz ist im Falle des Verschwörungsdenkens verschiedenes verbunden: z. B. der Zweifel gegenüber einer ‚natürlichen‘ Einstellung und Routinehandlungen überhaupt, die sich durch Interesse oder Faszination bei der Suche nach Spuren oder dem „Rätsel-lösen“ ausdrückt, sei es in der geheimen Agenda der Verschwörer oder der Auseinandersetzung mit tiefenpsychologischen Bereichen des Okkulten; die Diskreditierung einer ‚Fassade‘ oder des Images eines Ensembles oder einer realen oder fiktiven Gruppe von Verschwörern, verbunden mit einer Praxis der Enthüllung (bzw. Debunking, Leaking, Outing usw.); die direkte, mit hochgradigem Misstrauen und Manipulationsverdacht einhergehende Agitation gegenüber einer Verschwörung oder aber das
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Ohnmachtsempfinden, das aus diesem Manipulationsverdacht herrührt. All diese, hier holzschnittartig aneinandergereihten Einstellungen und Reaktionen überschreiten die als ‚natürliche Einstellung‘ oder Alltagshandeln gefassten Bereiche oder Rahmen und bilden dabei verschiedene Facetten des Verschwörungsdenkens ab. In diesem Sinne werden in diesem Kapitel Ansätze einer Theorie des Verschwörungsdenkens vorgestellt, die bislang nur fragmentarisch existiert. Doch auch die folgenden Abschnitte beanspruchen weder Vollständigkeit noch Allgemeingültigkeit. Dennoch hat eine solche ‚Theorie‘ aber – und u. a. das soll gezeigt werden –, ihren Grund immer in konspirativen (Alltags-)Praktiken der Gesellschaft. Verschwörungstheoretische Deutungsmuster entstehen in einer Wechselbeziehung zu Praktiken bzw. innerhalb von Rahmen, denen kollektive Fremd- und Selbsttäuschung ebenso inhärent sind wie das Miteinander-Agieren in ‚unsichtbaren‘ Ensembles. Sie haben zu tun mit der Art und Weise, wie sich Gesellschaft arbeitsteilig organisiert und ausdifferenziert und wie wir dabei tagtäglich bestimmte Realitäten/Deutungen herstellen und andere unterdrücken und dies wiederum empraktisch verschleiern.52 Zugleich braucht es einen Anspruch an Transparenz (Sanders/West 2003). Dabei muss die konspirative Praxis so gedacht werden, dass hier ein kulturelles Bewusstsein für Konspirationen – seien sie real oder fiktiv – geprägt wird, dass diese zu einer eigenständigen Wirklichkeit macht, in der „Verschwörungstheoretiker“ und „Verschwörungspraktiker“ einander misstrauen und sich dadurch verstehen. Das Denken und Handeln in der „conspiracy culture“ ist gleichermaßen geprägt durch Kulturprodukte wie entsprechende Fiktionsoder Sachbücher bzw. Filme wie auch durch die ökonomische, politische und soziale Praxis, die dieses Denken bzw. dessen (Täuschungs-)Rahmen kultiviert. Damit kommen wir aber wieder auf die Frage der konspirativen Alltagswirklichkeit zurück: Wie unterscheidet sich diese Einstellung von einem ‚normalen‘ Alltag? Inwiefern ist es möglich, dass die „[t]iefe Skepsis“ und das „ständige Mißtrauen gegenüber dem Offensichtlichen, große Vorsicht vor falschen Spuren und verborgenen Fallen, [sic] sowie die Kenntnis möglichst aller Fakten“ 53 sowohl den verschwörungstheoretischen Alltag prägen, als auch eine eigene Sphäre eröffnen, die wiederum, qua Misstrauen, Vorsicht und Faktenkenntnis dessen ‚natürliche‘ und ‚vertraute‘ (Alltags-)Einstellung transzendieren? Goffman schreibt dazu: […] der Analytiker wie auch seine Objekte tendieren dazu, den Rahmen des Alltagslebens für selbstverständlich zu halten; er erkennt nicht, was ihn und was sie leitet. Die vergleichende Analyse der Seinsebenen ist eine Möglichkeit, aus dieser Unbewußtheit herauszukommen. […] Der Plan, nach dem sich die Alltagserfahrung bildet, wird als eine spezielle Variation über ein allgemeines Thema erkennbar, als eine Art, Dinge zu tun, die sich auch anders tun lassen. Diese Unterschiede (und Ähnlichkeiten) sehen heißt überhaupt sehen. (Goffman 2018 [1974]: 606)
Wir möchten auf diese Frage, ganz in konspirologischer Manier, nicht nur Antworten geben, sondern selbst Fragen stellen und damit orthodoxe
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Realitätswahrnehmungen infrage stellen. Goffman hat in einer Kritik am Schützschen Versuch, die Lebenswelt des Alltags als eine „paramount reality“ (d. h. eine ‚vorrangige‘ oder ‚überragende‘ Wirklichkeit) zu zeigen, dargelegt, wie auch diese Wirklichkeit und ihre Einstellung(en) selbst wiederum durch Rahmungen, Modulationen und Täuschungen transformiert und geprägt werden, sodass am Ende der ‚Grund‘, auf dem ‚die‘ Realität aufgeschichtet zu sein scheint, infrage gestellt wird. Imitationen, Simulationen, Vertuschungen und vor allem Täuschungen und Fakes sowie deren Entlarvungen wirken „in die Vergangenheit wie in die Zukunft“ (Goffman 2018 [1974]: 140) dieser Wirklichkeit hinein und prägen auch unser Gefühl für sie und unseren Umgang mit ihr. Verschwörungen und „Verschwörungstheorien“, insofern sie selbst Täuschungen oder Fakes fabrizieren oder diese infrage stellen und entlarven, sind dabei – um nochmals Bratich (2008: 19) zu bemühen – „Portale“, die hinein führen in jene kulturellen Kontexte, Framings oder Wirklichkeitsauffassungen, in denen diese ‚Theorien‘ als problematisch gelten. In einer Einstellung, die sie ernst, aber nicht – im korrespondenztheoretischen Sinne – für ‚wahr‘ nimmt, sollen Verschwörungsdeutungen gelesen werden als Weisen und Werkzeuge der Sinnkonstruktion in einer unübersichtlichen Gesellschaft, die nicht nur durch Pannen, Missverständnisse und Anomalien geprägt ist, sondern auch durch Tricks, Täuschungsmanöver, Lügen, Klüngelei und eben Verschwörungen. VERSCHWÖRUNGSTHEORETISCHE DEUTUNGSMUSTER
„Verschwörungstheorien“ können wissenssoziologisch als soziale Deutungsmuster begriffen werden. Durch diese werden bestimmte gesellschaftliche Ereignisse oder Zusammenhänge als Ergebnis einer Verschwörung gedeutet. Deutungsmuster sind immer kollektive Wissensbestände und gehen damit über bloße individuelle Meinungen hinaus. Als „authentische Verkörperungen von Überzeugungen und Lebenserfahrungen“ (Franzmann 2007: 196, zitiert nach Anton 2011: 82) sind sie von Ideologien zu unterscheiden, die sie „stützen oder angreifen, bestätigen oder hinterfragen“ können, und die „zum Zweck der Durchsetzung oder Verteidigung bestimmter Deutungen fabriziert“ werden können (ebd.). Nach Plaß und Schetsche (2001; vgl. Anton 2011: 77 f.) haben soziale Deutungsmuster vier gesellschaftliche und psychosoziale Funktionen: 1. 2. 3. 4.
„Komplexitätsreduktion“, „Antizipation von Situationsentwicklungen“, „Verständigung über Grenzsituationen“ und „Erzeugung sozialer Gemeinschaft“.
Insofern „Verschwörungstheorien“ also Deutungsmuster sind, erfüllen sie eben diese Funktionen – die teilweise bereits in der Konspirologie von Bröckers (2002)
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thematisiert werden (Kap. 1.1). „Verschwörungstheorien“ entstehen, so Anton, krisenbedingt. Doch bedeutet diese Krisenhaftigkeit nicht zwingend eine epistemische Mangelhaftigkeit der Deutung als solcher. Sie drückt sich vor allem auch darin aus, dass sich bestimmte gesellschaftliche „Ereignisse oder Prozesse“ nicht in „bestehende Denkmuster der Subjekte“ integrieren ließen – „erst die Annahme des Vorliegens einer Verschwörung ermöglicht“ dagegen „diese Integration.“ (Ebd.: 122) Hinsichtlich dieser Punkte wird es im folgenden Kapitel bedeutend sein, zu zeigen, dass die genannten Merkmale sowohl auf alternative wie auch auf offizielle „Verschwörungstheorien“, in diesem Fall zu den Terroranschlägen von 9/11, zutreffen. Gerade die Verständigung über Grenzsituationen und Gemeinschaftserzeugung prägt die massenmediale Kommunikation nach den Terroranschlägen (Kap. 5.1.3). In bestimmten Situationen und Kontexten ergibt es für betroffene Akteur*innen mehr Sinn, eine Verschwörung anzunehmen, als sie nicht anzunehmen – etwa dort, wo das (geo-)politische Klima durch „interventions, subversions, and intimidations pursued in the interests of a global conspirational politics of the superpowers (Marcus 1999: 2) geprägt ist – sei es nun durch die konspirative Praxis internationaler Terrororganisationen oder imperialer Mächte (vgl. Van der Heide 2013: 289; McGovern 2019). Der wissenssoziologische wie auch der ethnographische Zugang überwinden durch diese Offenheit, die Verschwörung nicht per se als ‚irrational‘ zu denken, die im politischen, leitmedialen und auch wissenschaftlichen Diskurs immer noch vorherrschende a priori-Abwertung dieses Denkens als pathologisch, normativ falsch oder als „crippled epistemology“ (Sunstein/Vermeule 2009 [2008]).54 Anton schreibt diesbezüglich: Mithilfe von Verschwörungstheorien wird […] nicht ein beliebiger Sinn, sondern ein spezifischer Sinn konstruiert. Somit reagieren Verschwörungstheorien nicht auf einen Mangel konsistenter Erklärungs- oder Deutungsangebote, sondern vielmehr auf das Problem, Ereignisse oder Prozesse nicht in diese integrieren zu können, sofern sie nicht als Verschwörung gedeutet werden. (Ebd. 2011: 123).
Zu ergänzen bzw. zu betonen wäre, dass die Unmöglichkeit, bestimmte Ereignisse „nicht als Verschwörung“ zu deuten nach dem wissenssoziologischen Modell kein Mangel des Subjekts ist, sondern eine Dissonanz, einen Konflikt zwischen sozialen Deutungsangeboten und gesellschaftlichen (Deutungs-)Praktiken anzeigt. Diese Dissonanz ist schon der Praxis und dem Begriff der Verschwörung selbst immanent, so die Behauptung dieser Studie. Denn die konspirative Praxis produziert, wie eingangs schon angedeutet, eine soziale Spannung genau dadurch, dass der öffentliche (und populäre) Wissensaustausch gehemmt, Wissen über eine bestimmte Tätigkeit verschleiert und von einer konspirativen Gruppe angeeignet und verborgen wird (Spezialwissen). In modernen Demokratien mit einem Transparenz- und Wissensanspruch, muss diese Verbergung von Wissen zu Konflikten und Vertrauensentzug führen, sobald sie von den Dritten der outgroup erkannt oder geahnt wird (vgl. Sanders/West 2003). Diese Dissonanz drückt sich auch in der
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kommunikativen Gewalt – als einem „Zwischenphänomen“ (Staudigl 2015: 206; vgl. Schink 2020b) – aus, die im Diskurs über „Verschwörungstheorien“ sichtbar wird (Kap. 5.5) Die wissenssoziologische Perspektive vermeidet also eine Psychologisierung des Verschwörungsdenkens und enthält sich ebenso des Urteils über ‚Wahrheit‘ oder ‚Unwahrheit‘ von Verschwörungsdeutungen. Sie ermöglicht es, die Praktiken der Wissensaneignung und -unterdrückung in einem weiteren gesellschaftlichen und praktischen Rahmen zu untersuchen. Somit ist sie ein wichtiger methodologischer Baustein, der die dieser (auto-)ethnographischen Untersuchung zugrunde liegende möglichst offene und explorative Forschungsperspektive unterstützt. Für Verschwörungsdeutungen der Gegenwart ist charakteristisch aber nicht zwingend, dass sie heterodox sind (Anton 2011: 117). Gerade deshalb werden sie auch pejorativ als „Verschwörungstheorien“ bezeichnet und dadurch performativ delegitimiert. Das Denken von Mathias Bröckers (Kap. 1.1), Alex Jones (Kap. 4) oder Jan van Helsing (Kap.7.2) ist häretisch gegen die vorherrschende Deutungsmacht in Politik oder herrschende Kosmologien gerichtet, deren Gatekeeper sie als „Verschwörungstheoretiker“ labeln. Und doch unterscheiden sich die Akteure. Sich selbst sehen und bezeichnen die Betroffenen nicht als „Verschwörungstheoretiker“ – Ausnahmen wie Mathias Bröckers bestätigen die Regel –, sondern als „Aufklärer*innen“, Medien-Kritiker*innen oder Überwinder*innen einer repressiven globalen oder kosmologischen Ordnung. Wer in dieser Ordnung die (Deutungs-)Macht und die praktischen Mittel hat, braucht nicht über Verschwörungen zu spekulieren, er/sie macht sie zur Tat-Sache. Anton betont daher, dass sich Verschwörungsdenken nicht per se in heterodoxen Deutungsmustern erschöpfen muss. Es kann ebenfalls ein orthodoxes Deutungsmuster darstellen. Dies ist z. B. dann der Fall, wenn es praktisch wird. So war das Verschwörungsdenken vieler US- und Sowjetpolitiker wie auch großer Teile der Bevölkerungen dieser Staaten während des Kalten Krieges ein verbreitetes und akzeptiertes Deutungsmuster: eine „paranoia within reason“ (Marcus 1999). Der politische Feind kann in diesem Deutungsmuster überall lauern, Misstrauen und Paranoia sind im Sicherheitsapparat die Norm, nicht die Ausnahme (Melley 2000; Olmsted 2009). Im Geheimdienst ist es von Berufswegen und empraktisch relevant, die Verschwörung zu denken und sie aus Sicherheitsgründen zu antizipieren (Krüger/Wagner 2003). Die Konspiration, kognitiv wie praktisch, ist hier in vielerlei Hinsicht dispositiv. Laut Anton (2011: 121) zeichnen sich verschwörungstheoretische Deutungsmuster, nach dem Modell von Plaß und Schetsche (2001), durch die folgenden sechs Merkmale aus: 1.
„Situationsmodell“: „Bestimmte Prozesse und Ereignisse lassen sich am besten als Ergebnis einer Verschwörung deuten. Die Existenz dieser Verschwörung wird moralisch verurteilt“;
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2.
3. 4.
5.
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dem „Erkennungsschema“, dass sich „[v]or allem Ereignisse großer kollektiver Aufmerksamkeit […] vor dem Hintergrund bestimmter Denkmuster als Verschwörung besser deuten lassen“ und diese „durch die Annahme einer Verschwörung“ befriedigender „‚erklärt‘“ werden können („Prioritätsattribut“); ein „[s]pezifisches Hintergrundwissen“ über konspirative Zusammenhänge, vor allem im politischen und historischen Kontext und sehr oft beispielsweise in Verbindung mit Geheimdiensten; „Emotionsvorgaben“, die angesichts der konspirativen „Vertuschung“ „Empörung, Wut, Zorn oder auch Misstrauen“ als „angemessen und legitim“ erachtet werden sowie durch „Handlungsanleitungen“, die zu einem Engagement gegen die Verschwörung oder die mutmaßlichen Verschwörer „in jeder denkbaren Form (von Informationskampagnen, Demonstrationen etc. bis hin zu Gewalt, Krieg und Terror)“ motivieren.
Diese Merkmale werden in den folgenden Kapiteln empirisch überprüft und erweitert. Vor allem auf das für gegenwärtige „Verschwörungstheorien“ spezifische Hintergrundwissen, so etwa das „Wissen der False Flag“ (Kap. 5.3) oder das Wissen über (Medien-)„Eliten“ (Kap. 5.2), und die mit dem Verschwörungsdenken verbundenen Emotionsvorgaben und Handlungsanleitungen wird in dieser Studie ein besonderes Augenmerk gelegt. Ein weiterer Schwerpunkt, der uns im Hinblick auf das Konzept der Konspirationskultur interessiert, ist die Wechselwirkung zwischen Spezial- und populärem Wissen (Kap. 4.2, 5.1.2 und 5.4.1). Zusammengefasst ermöglicht das Erfassen von „Verschwörungstheorien“ als soziale Deutungsmuster, wie es die Wissenssoziologie konzipiert, erstens einen ‚weiten‘ und möglichst offenen Begriff von dieser Wissensform, der sowohl ihre orthodoxen als auch ihre heterodoxen Varianten miteinschließt; zweitens kommt genau dadurch das Verschwörungsdenken als ein gesellschaftliches und interaktionales Phänomen in den Blick, das die einseitige Verkürzung dieses Denkens (bzw. der entsprechenden Deutungsmuster) auf ihre bloß heterodoxen Varianten vermeidet, indem es diskursive Prozesse und Deutungskonflikte sichtbar macht. Der wissenssoziologische Zugang ermöglicht damit drittens den Blick auch auf den praktischen Horizont des Verschwörungswissens, obwohl dieser sich einer rein wissenssoziologischen und diskursanalytischen Perspektive methodisch entzieht. Die phänomenologisch grundierte Theorie dieser Wissenssoziologie entspricht methodologisch der ethnographischen Einstellung, der es vor allem darauf ankommt, Praktiken der Aneignung, Verschleierung oder Diskreditierung des Verschwörungswissens teilnehmend zu beobachten und anschließend „theoretisch“ zu analysieren, ohne sie von vorneherein als epistemisch falsch oder pathologisch zu
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begreifen und die Dispositive und Annahmen aus dem „Problemdiskurs“ (Anton 2011: 99), der im politisch-leitmedialen Diskurs vorherrscht, zu übernehmen. PRAXIS UND MYTHOS DER VERSCHWÖRUNG (GEOFFREY CUBITT)
Geoffrey Cubitts (1989) Ansatz, Verschwörungen zu denken, eignet sich für die Perspektive dieses Kapitels. Cubitt unterscheidet formal drei Wesensmerkmale von Verschwörungen, die letztlich auch das Verschwörungsdenken beeinflussen müssen: 1.) Die Kooperation von mehreren Akteur*innen, die 2.) einen Plan oder ein gemeinsames Ziel verfolgen und schließlich 3.) im Verborgenen agieren. Sofern man die Verschwörung denkt, denkt man diese Aspekte notwendigerweise mit. Die Betonung eines Aspekts hat Folgen für den spezifischen Stil und die Stimmung einer Verschwörungsdeutung. Bezieht sich das denkende Subjekt stärker auf den zugrunde liegenden Plan der Verschwörer*innen, sind für sie*ihn in der Regel andere Aspekte relevant, als wenn er*sie sich mit mutmaßlichen Akteur*innen befasst. Wo die Gruppe der Verschwörer*innen im Mittelpunkt stehe, gehe es grob, aktionistisch, inquisitorisch zu, so Cubitt; wo der Plan der Verschwörung fokussiert werde, sei eine Verschwörungsdeutung eher analytisch und distanziert: […] in the one case vindictive, inquisitorial, keen to denounce, bearing the promise of witch-craze and Stalinist purge; in the other, gentler, more scholarly, more concerned to understand what happens than to focus animosity. (Ebd.: 22)
Cubitt meint also, es gäbe spezifische Unterschiede zwischen „Verschwörungstheorien“ („conspiracy theories“) und, dass es insofern nützlich sei, sie nach intentionalen („plan-centered“) und gruppenspezifischen („conspiracy-centered“) Semantiken oder Sinnbildungen zu unterscheiden. Des Weiteren schreibt er, das dritte Merkmal des Verschwörungsdenkens, der okkulte Aspekt, sei in allen Verschwörungen bzw. den für sie spezifischen Denkstilen gleich und daher kein wirkliches Alleinstellungsmerkmal: The third of these elements – secretiveness – is a general characteristic common to, and similar in, all conspiracies (though it may protect different aspects of the conspiracy in different instances). The other two elements, however, are specific to particular cases: each conspiracy (whether real or imagined) receives its distinct identity from a unique pairing between one particular group and one particular plan. (Ebd.: 18)
Jede „Verschwörungstheorie“ zeichne sich also durch eine „einzigartige“ Komposition in der Betonung der jeweiligen Aspekte aus. Dass der okkulte Aspekt aber weniger eine Rolle spiele, soll im Laufe der Arbeit hinterfragt werden (Kap. 7). Ebenso sollen empirische Daten angeführt werden, die diese Typisierung erweitern (Kap. 7.1). Offenbar hat Cubitt selbst an diesem Schema niemals systematisch weitergearbeitet. Was jedoch erwähnenswert ist, ist der Umstand, dass die von Cubitt identifizierte Trias der Verschwörung sich in abgewandelter Form auch in Barkuns (2003) vielzitierter Monographie als Merkmale der „conspiracy
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theory“ wiederfindet: 1.) „Nothing happens by accident“, 2.) „Nothing is as it seems“, 3.) „Everything is connected“ (ebd.: 3 f.) – dies seien nach Barkun die drei charakteristischen Merkmale aller „Verschwörungstheorien“. Allerdings leitet Barkun sie nirgendwo fundiert, systematisch und nachvollziehbar ab (wie es Cubitt tut), er legt diese vermeintlichen Merkmale, ohne sie zu begründen, einfach a priori fest. Es ist im deutschsprachigen Raum Butter (2018), der dies unkritisch übernimmt und in den leitmedialen Diskurs einspeist (vgl. Kap. 5.5.1). Sowohl Barkun als auch Butter denken „Verschwörungstheorien“ primär im Modus des „belief“, also des Verschwörungsglaubens. Zwar stellt Barkun (2003: 3) richtig fest, dass [d]espite the frequency with which conspiracy beliefs have been discussed at the end of the second millennium, the term conspiracy itself has often been left undefined, as though its meaning were self-evident.
Doch er lässt dieser Bemerkung keine Taten folgen. Gleich im Anschluss macht er sich nicht an eine begriffliche Bestimmung von Verschwörungen, sondern geht unmittelbar dazu über, die „essence of conspiracy beliefs“ in „attempts to delineate and explain evil“ zu beschreiben (ebd.). Das heißt, Barkun stellt das dämonologische und ideologische Moment (Meyer 2018: 148) über alle anderen Eigenschaften und Funktionen des Verschwörungswissens. Seine im Anschluss ausgeführte Bestimmung der drei vermeintlichen Merkmale dieses Wissens – das für ihn wie gesagt „conspiracy belief“ ist – sowie die Differenzierung zwischen Ereignis- und System-„Verschwörungstheorien“, die er vornimmt, kommt im weiteren Verlauf seiner Monographie nicht analytisch zum Tragen. Im Gegensatz zu Cubitts systematischen Ausführungen wirken Barkuns wie herbeigetragene Annahmen und ermangeln begrifflicher Differenzierung und empirischer Sättigung. Cubitt leitet das Verschwörungsdenken („conspiracy theory“) von der Verschwörungspraxis ab. Bei ihm sind Theorie und Praxis ineinander verschränkt. Die Verschwörung ist demnach eine soziale und machtpolitische Angelegenheit, über die Cubitt schreibt: conspiracy may perfectly well be regarded as a social or political tactic available to all and used by any number of different groups to attain any number of different ends. (Cubitt 1989: 13)
Durch das Zusammendenken von Verschwörungsdeutung und Verschwörung als einer sozialen oder politischen Praxis eignet sich Cubitts Ansatz für unsere Zwecke.55 Doch die eigentliche Innovation von Cubitts Herangehensweise besteht in der erwähnten analytischen Unterscheidung dreier Kernaspekte und deren analytischer Inbezugsetzung zu „Verschwörungstheorien“, die sich in verschiedenen Denkstilen (siehe Tab. 4) ausprägen.
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Tabelle 4: Eigenschaften von Verschwörung und Verschwörungsmythos nach Cubitt (1989) Verschwörung
Verschwörungsmythos
Ein Plan wird...
Intentionalismus
...von einer Gruppe von Akteur*innen...
Dualismus
...im Verborgenen ausgeführt.
Okkultismus
Die empirische Datenbasis, die Cubitt präsentiert, ist sehr dürftig und aus heutiger Sicht eher fragwürdig. Er bezieht sich hauptsächlich auf Literatur vergangener Jahrhunderte. Daher diente sein Konzept eher als sensibilisierendes Hintergrundwissen für die Deutung empirisch-ethnographischer Daten in dieser Untersuchung. Es gibt noch eine weitere sehr wichtige Unterscheidung, die Cubitt in dem besagten Aufsatz macht. Er unterscheidet zwischen Verschwörungsmythos und Verschwörungstheorie. Auch diese, so Cubitt, hängen, wie „conspiracy“ und „conspiracy theory“, inhärent zusammen. Verschwörungsmythen sind für ihn „historical myths“, womit die Narrative und Geschichten gemeint sind, von denen sie handeln (Cubitt 1989: 13). Für den Verschwörungsmythos sei besonders, dass er sich in einer datierbaren Zeit ereigne, „in something which at least superficially resembles historical time.“ (Ebd.) Des Weiteren vermittle ein Verschwörungsmythos „the supposedly true and supposedly historical story of a conspiracy and of the events and disastrous effects to which it has given rise.“ (Ebd.) „Verschwörungstheorien“ seien demgegenüber Aktualisierungen des Mythos bzw. Deutungen aktueller Ereignisse „im Lichte“ der ihnen zugrundeliegenden Mythen „in such a way as to assimilate them to the myth“ (ebd.). Er fasst zusammen: the term ‚conspiracy myth‘ refers to a pre-existing structure, the term ‚conspiracy theory‘ to the use of that structure in the practical analysis of history or current affairs. (Ebd.)
Mythos bezeichnet in diesem Sinne ein Wissen, das als Bedingung der Möglichkeit des theoretisch-praktischen Verschwörungsdenkens fungiert. Ersteres ist latent und nicht in konkreten, hypothetischen und falsifizierbaren Aussagesätzen zu fassen. Zweiteres stellt einen Verdacht, eine These oder Theorie dar, die falsifizierbar ist. Beide stehen nicht im absoluten Gegensatz zueinander, sondern eher in einem dynamischen Verhältnis. Es sieht ganz danach aus, als sei dies eine Adaption bzw. eine Variation der Figur einer Mythos-Logos-Dialektik. Der mythos ist dabei, im Unterschied zum logos, das Irrationale, Affektgeleitete, Un(be)greifbare, Transzendente. Daher entspreche das mythisch grundierte Wissen der empirischen Natur der Verschwörung auch nicht, insofern diese vorrangig taktisch und praktisch agiere. Verschwörungsmythen halten keiner Realitätsprüfung stand. In der
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mythischen Überhöhung würden die Merkmale der Verschwörung laut Cubitt zu den drei idealtypischen -Ismen verzerrt: dem Intentionalismus, dem Dualismus und dem Okkultismus. Jedem dieser Ismen entspricht eines der drei genannten Hauptmerkmale der Verschwörung (ebd.: 13 f.; vgl. Tab. 3). Den anderen Pol des Mythos-Logos-Kontinuums, den logos, die Rationalität, stellt die Verschwörungstheorie dar. Sie ist eine Instanziierung und Rationalisierung des mythos als „practical analysis of history or current affairs“. Wie Horkheimer und Adorno (2008 [1944]) gezeigt haben, besteht die Tragik der Vernunft und der Aufklärung in ihrer dialektischen Beziehung zur Unvernunft und zum Mythos. Die stets im Mythos einer geschichteten Wirklichkeit begründete Theorie (theoria) tendiert dazu, die Merkmale einer Verschwörung so stark auszuweiten, zu überhöhen, zu vertiefen, dass sie zum -Ismus wird und sich nicht mehr wirklichkeitsgemäß mitteilen kann. EXKURS ÜBER MYTHOS UND VERNUNFT
Dies jedoch, das muss an dieser Stelle gleich dazu gesagt werden, ist kein spezifisches Merkmal des Verschwörungsdenkens. Es ist ein Formgesetz von Praxis selbst. So wie das religiöse Denken das mythische aufgehoben hat, so hat das Verschwörungsdenken das religiöse aufgehoben, wenn man nach Hegel geht. ‚Aufgehoben‘ heißt aber nicht: absolut vernichtet, sondern zugleich aufbewahrt, konserviert (vgl. Schink 2016a: 336). Bei der Frage nach dem Verschwörungsdenken kann es so lange nicht um eine ‚Überwindung‘ dieses Denkens im Sinne einer ‚falschen‘ Perspektive gehen, wie Kontexte existieren, die es praktisch bedingen, dass sich Menschen, Individuen aus sozialen oder politischen Interessen zusammenschließen und somit Macht exekutiert wird. Der Widerspruch und die Spannung des Verschwörungsdenkens bleiben also bestehen: Sie entsprechen der Dissonanz, dem Konflikt zwischen Individuen, Gruppen oder Klassen der Gesellschaft (gegenüber der Konsonanz der Verschwörung [siehe unten]). Das Mythische des Denkens ausrotten, bereinigen zu wollen, widerspricht, ganz im Sinne der Dialektik der Aufklärung, der Bewegung der Vernunft selbst, insofern sie nicht abstrakt nur im Verstand bleibt. Es sei denn, man ist radikale*r Positivist*in. Every philosophy is tinged with the colouring of some secret imaginative background, which never emerges explicitly into its trains of reasoning. (Whitehead 1967 [1925]: 7)
Mit jedem Wissensfortschritt ergeben sich nicht nur neue Fragen, eröffnen sich neue Wissens- und Denkhorizonte, sondern reproduziert sich auch der Raum des Transzendenten. Dieses kann in Form des Mythischen oder des Okkulten als der Hintergrund, vor dem überhaupt etwas einen Sinn ergibt, niemals absolut hintergangen werden. Mit dem Zuwachs von Wissen ist die Zunahme von Angst (vgl. Kap. 7.6) und damit Misstrauen, Skepsis und Zweifel untrennbar verbunden. Logos und Mythos lösen einander wechselseitig ab. Naturgeister, Gott, Natur-gesetze, Weltverschwörer*innen, das kollektive Unbewusste, aufgestiegene
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Meister*innen oder Außerirdische – sie alle sind kosmologische Fiktionen und zugleich, je nach Maßstab, verstandesgeleitete Deutungsmuster dessen, was das praktisch-menschliche Denken und Handeln lenkt und übersteigt. Sie bergen in sich Mythos und Logos. Das Verschwörungsdenken ist dabei nur eine kulturhistorische Ausprägung dieser Dialektik, die in sich unterschiedliche Facetten trägt. Nach Cubitt kann es intentionalistisch, dualistisch, okkultistisch gefärbt sein und hinsichtlich dieser Aspekte ins Mythische umschlagen. Der Mythos ist nur die Latenz der Vernunft. Im populären Wissen, auf das wir weiter unten zu sprechen kommen (Kap. 4.2), zeigt sich diese Dialektik wiederum: als Wechselwirkung zwischen ‚gefühlten‘ Wahrheiten, die eher den sozialen Anspruch nach kommunikativer Anschlussfähigkeit und Konsens – oder im Selbstgespräch oder Gebet nach ‚innerer‘ Kohärenzherstellung – haben, als dass sie Anspruch erheben, ‚materiale‘ Tatsachen zu beschreiben und jenem Denken, das ‚rational‘, investigativ und faktenorieniert argumentiert, zu genügen. Wie Mythos und Logos schließen sich diese beiden kommunikativen Stile des Verschwörungsdenkens nicht gegenseitig aus, sie sind ebenso als ein spannungsvolles Kontinuum zu verstehen. Wir nehmen von Cubitt mit, dass es verschiedene Weisen gibt, Verschwörungen zu denken, je nachdem, welche Aspekte dabei betont werden. „Verschwörungstheorien“, die sich eher mit dem zugrundeliegenden Plan oder der Agenda einer Verschwörung beschäftigen, sind etwa Theorien der „Neuen Weltordnung“ oder aber des „Großen Austausches“ (vgl. Kap. 6.3.1). Diese können so weit gehen, dass hier die Akteur*innen und konkret Handelnden nur noch Marionetten an den Fäden des Weltgeistes sind. Das Verschwörungsdenken gleitet dabei ab in Richtung einer Ideengeschichte und/oder Ideologiekritik. Die Verschwörer spielen dann nur eine marginale Rolle, hinter ihnen steht eine viel größere Macht: die Idee, der Geist oder eine Intelligenz. Deren Ursprung allerdings ist selbst wiederum verborgen, unbegreiflich, transzendent, okkult und damit mythogen. OVERGAMES UND ENDGAME
Die Entgrenzung von Verschwörungsmythos und historischer Dokumentation wird etwa in der Doku „Overgames“ (2016) vollzogen. Der Produzent Lutz Dammbeck komponiert unter dem Aufhänger der „Game Show“-Geschichte das Szenario einer von elitären Zirkeln und Aufklärer*innen seit dem 18. Jahrhundert geführten „permanenten Revolution“. Deren Ziel sei die Erschaffung einer Weltgesellschaft, einer „Neuen Weltordnung“, in der die Menschen, befreit von nationalen, familiären, traditionellen Bindungen, als Gleiche unter Gleichen und mündige Weltbürger*innen leben. Legt man eine krude oder populäre Lesart zugrunde, handelt es sich bei diesem Plot einfach um eine systemische oder Super-Verschwörungstheorie (vgl. Barkun 2003: 6), die Theorie einer Weltverschwörung, ausgeführt von einer Elite, die die Bevölkerung manipuliert und die Geschichte lenkt. Doch so einfach und eindeutig arbeitet Dammbeck nicht.
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Die Handlung nutzt einerseits eine konspirologische Semantik: Anspielungen auf „Freimaurer“, Geheimdienste, US-Banken und Stiftungen als hintergründige Akteur*innen dieser „permanenten Revolution“ sowie auch Massenmedien – thematisch aus den USA importierte „Game Show“-Formate – als Kontroll- und Erziehungsinstrumente. Der Produzent ist selbst Protagonist des Films. Er recherchiert in Bibliotheken, wertet Dokumente aus und befragt Finanziers und Moderatoren nach ihrem Wissen über den Zweck der „Game Show“. Zu Beginn werden parallel drei Geschichten erzählt, die er am Ende wieder zu einem Strang zusammenführt. NachkriegsWestdeutschland wird als ein behavioristisches und psychotherapeutisches „Großlabor“ der Siegermacht USA portraitiert, umgesetzt durch die gebündelte Macht von Geld und Forschung; das neue Medium Fernsehen, insbesondere die „Game Show“ ist Werkzeug massenpsychologischer Umerziehung. Letzteres ist die These Dammbecks, die er eingangs als Frage formuliert. Diese kann der Autor am Ende des knapp dreistündigen Werkes nicht eindeutig verifizieren. Kurz vor Schluss referiert der Protagonist und Sprecher nochmal das mutmaßliche „Ziel“ der Konspiration: „die [...] anstehende Umformung der Welt zu der einen One-World, wo sich alle Differenzen und Widersprüche auflösen würden“. Dann aber stellt er fest: „welchen Einfluss die Konzepte und Ideen von Wissenschaftlern und Entertainern auf die praktische Politik der USA nach Ende des Zweiten Weltkriegs tatsächlich hatten“, könne nicht eindeutig geklärt werden, diese „Frage“, bleibt auch nach dem Durchsehen und Zusammentragen der „Akten, Dokumente, Fotografien und bewegten Bilder“ offen. Diese zeigten ja eventuell nur eine „Blaupause“ an: eine Welt der Vorstellungen, der Selbstdeutungen und Denkmöglichkeiten. Was davon aber wirkte [sic], was kam zum Einsatz? Welchen gegenläufigen Kräften und Konzepten mussten sich diese Ideen und Interessen bei der Realisierung stellen? Und was war und ist die wirkliche Welt – jenseits der theoretischen Konstrukte, Postulate und Simulationen?
Am Ende stehen Autor und Zuschauer*in schließlich vor der philosophischen Frage nach dem Realen der Realität, dem Unterschied zwischen Fakt und Fiktion. Dammbecks Film arbeitet zwar mit konspirologischen Motiven und Mitteln, aber er geht noch weiter. Einerseits, indem er sehr vieles offen und uneindeutig lässt, diese Zweideutigkeit als Merkmal von Wirklichkeit erklärt. Seiner These widersprechende Stimmen kommen zu Wort. Außerdem ist die Verschwörung im Film nur ein Aspekt der Konstruktion von Wirklichkeit. Das Verschwörungsdenken dient Dammbeck als ästhetisches und epistemisches Mittel der Wirklichkeitsergründung. Die Verschwörer*innen, obgleich weder vollständig entlarvt noch als Individuen gänzlich relevant, sind zwar mächtig, aber nicht allmächtig und nicht Verkörperung des Bösen. Die essayistische Stimmung – klassische Hintergrundmusik, unaufgeregte Sprecherstimme, viele Pausen und unspektakuläre Bildmontagen – und die ästhetische Immersion in die vermutete Agenda durch
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Nahaufnahmen von stillen Grafiken, Plänen, Büchern oder Akten erlaubt es den Zusehenden sogar, sich mit den Zielen der Konspiration zu identifizieren. Auch da jene, gegen die sich hauptsächlich verschworen wird, der Nationalsozialismus und das aus ihm hervorgehende Nachkriegsdeutschland, moralisch diskreditiert sind, bleibt offen, wer dabei die ‚Bösen‘ sind. Ein dualistisches Denken liegt nicht zugrunde.
Abbildung 13: Ausschnitte aus Lutz Dammbecks Doku „Overgames“ (2016) (Quelle: YouTube/arte).
Cubitts Schema findet zunächst Bestätigung, wenn man „Overgames“ mit anderen, vor allem Amateur-Produktionen, vergleicht, die sich auf diversen YouTubeKanälen finden. Etwa mit der populären Dokumentation „Endgame“ (2007) von Alex Jones. In dem über zweistündigen Film geht es ebenfalls um die Agenda einer „Neuen Weltordnung“. Hier stehen allerdings vor allem Akteure im Vordergrund: die Bilderberger, die Trilaterale Kommission, Namen wie David Rockefeller oder die Bush-Familie werden exemplarisch vorgeführt. Als ‚Belege‘ der Verschwörung werden neben Dokumenten und einzelnen Aussagen der vermeintlichen Verschwörer (sie sind im Wesentlichen männlich), auch Meinungen von Passant*innen zugelassen. Die Dokumentation ist, dem Markennamen ihres Machers entsprechend, ein „Infokrieg“ (vgl. Kap. 6.3.2). Die Verschwörung wird durch das Verbreiten der Information und durch Proteste bekämpft. Diskreditierendes Wissen über bestimmte verdächtige und mächtige Personen wird aneinandergereiht, aber kaum Raum zum Nachdenken oder für Widersprüche gelassen. Die Hintergrundmusik ist teils dunkel, teils martialisch. Der intellektuelle Anspruch fällt hinter den populären, besser: populistischen, zurück. Dies geschieht vor allem dadurch, dass starke Gefühle erzeugt werden, jedoch kein Raum zur Kontemplation und zur reflexiven Auseinandersetzung mit ihnen gegeben wird.
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Während Dammbecks Film zum Nachdenken anregt und Neugier, vielleicht auch Misstrauen weckt, schürt Jones‘ Produktion vor allem Wut, Hass und Angst. Auch die mitgetragenen Handlungsanweisungen sind damit andere: „Endgame“ ruft zum (finalen) Kampf gegen Eliten auf, identifiziert einen Kern der Verschwörung, gegen den es aktiv – notfalls mit Bürger*innenaufstand und Revolution – vorzugehen gelte. Es gibt einen klaren Gegensatz zwischen Masse und Elite, beide sind wie homogene Blöcke gezeichnet, mit je kohärentem Interesse. „Overgames“ stimmt nachdenklich über soziale Entwicklungen und Verbindungen, verweist auf das Wechselspiel zwischen Ideen, Praktiken und Interessen, was die Möglichkeit des Scheiterns des Plans beinhaltet. „Overgames“ und „Endgame“ behandeln eine ähnliche Thematik. Doch die Art und Weise, wie sie die Geschichte der Verschwörung jeweils erzählen, ist sehr unterschiedlich.
Abbildung 14: Ausschnitte aus „Endgame“ (2007) von und mit Alex Jones (o. l.) (Quelle: YouTube).
Dammbecks Fokussierung auf den Plan oder die Agenda als roter Faden eignet sich eher, um das Denken anzuregen, so die Vermutung. Er legt Verbindungen offen und macht Zusammenhänge sichtbar, die durchaus interessant und anregend sind. Die Frage nach den ‚wirklichen‘ treibenden Kräften hinter der Geschichte muss er offenlassen. Jones‘ Produktionen dagegen stacheln offensichtlich politischen Aktivismus an. Er weiß schon, wo der Feind sitzt, er hat ihn enttarnt. Hier geht es vorrangig noch um politisches Handeln. Wo Akteure als dunkle Macht hinter Ereignissen enttarnt werden, – beziehen wir uns auf Cubitts Modell – tut sich ein Dualismus zwischen ihnen und dem Rest der Bevölkerung auf. Der okkulte Aspekt ist beiden Filmen immanent, wird jedoch in „Overgames“ stärker betont. Vieles liegt hier noch im Verborgenen, kann nicht aufgeklärt und aufgelöst werden. An dieser Stelle scheint sich Cubitts schematischer Ansatz als Hilfsmittel zu bewähren. Wäre da nicht die Empirie: Der Autor dieser Studie ist auf
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„Overgames“ über die Empfehlung und Verlinkung eines rechtsnationalen YouTubers gestoßen. Den Film hat ein*e andere*r Nutzer*in mit der Beschreibung geuploaded: Dammbeck brilliantly reveals the depths to which postwar western societies have been dominated, through the means of, primarily, television mind control, but also other forms of mass media manipulation, by certain behaviorist psychologists and their various technocrat enablers, such as the conspicuously jewish participants in the Macy conferences in New York, from 1941–1960.“56
4.1 Wissen und Praxis der Verschwörung WITHIN A POLITICAL CULTURE THAT IS CHAUVINISTIC AND MILITANT IN ITS CLAIM TO CONSTITUTE THE WORLD‘S GREATEST DEMOCRATIC EXPERIMENT, WHAT EXPLAINS THE WIDESPREAD CONVICTION THAT MORE SINISTER, CONSPIRATORIAL FORCES CONTROL THE GOVERNMENT (OR LURK BEHIND IT)? (DANIEL HELLINGER, PARANOIA, CONSPIRACY, AND HEGEMONY IN AMERICAN POLITICS, 200357) IT IS NEVER REASSURING TO A PARANOID LEADER TO HEAR THAT THERE ARE NO ENEMIES PLOTTING TO DESTROY HIM.“ (HEIDI HOLLAND, DINNER WITH MUGABE, 200858)
Wenn es zutrifft, dass jede Verschwörungstheorie immer auch mythische, ins Transzendente ufernde Verbindungen hat, Ränder, an denen sie ins ‚Irrationale‘ – hier begriffen als den Verstand überschreitend – entgrenzt, wie lassen sich dann die Grenzen ziehen, innerhalb derer dieses Denken, wie Marcus (1999) es nannte, Paranoia innerhalb von Vernunft ist? Wissenssoziologisch gibt es darauf keine eindeutige Antwort. Es kommt vielmehr auf (Erfahrungs-)Kontexte an, darauf, wie wir empraktisch unser Wissen erwerben und gewisse Annahmen innerhalb intersubjektiver und kultureller Wissensordnungen integrieren können. Dabei sind vor allem Relevanzsysteme zentral, die ein bestimmtes Wissen erst in den praktischen Fokus der Aufmerksamkeit rücken. Ich möchte zwei Beispiele von Kontexten anführen, in denen Verschwörungen real sind, insofern sie als relevant – relevanter als ‚wir‘ es in ‚unserem‘ Alltagsverständnis gewohnt sind – aufgefasst werden. Das erste Beispiel ist ein historisches, das uns knapp zwei Jahrtausende in der Zeit zurückwirft. In politischen Kreisen des antiken Rom waren Verschwörungen aufgrund ihrer Möglichkeit, einen Umsturz herbeizuführen, gefürchtet. Die Verschwörung römischer Senatoren zur Ermordung Julius Caesars ist dabei nur der bekannteste historische Fall (vgl. Kamm 2006: 139 ff.). Es gab während der Zeit des römischen Imperiums, soweit es die Forschung betrifft, Gerüchte über Verschwörungen, Komplotte und Intrigen. Dieses Verschwörungsdenken hatte aber vor allem einen praktischen Wert: [I]nstead of theorizing about conspiracy, the Romans where more apt to think about the problems that conspiracy generated. (Pagán 2008: 49)
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4.1 Wissen und Praxis der Verschwörung
Anders als in den gegenwärtigen politischen und leitmedialen oder wissenschaftlichen Diskursen, wurde im politischen Milieu der römischen Elite nicht über die Realität von Verschwörungen gestritten, sondern über ihre politische und praktische Relevanz: As a modern sociological phenomenon, conspiracy theory was not part of the vocabulary of the ancient Romans; they did not attempt a formal definition. Conspiracy demanded action, not theory. (Ebd.: 27; Hervorhebung von A. S.)
Viele römische Senatoren fielen Attentaten zum Opfer. Das Wissen über die Durchführung oder Verhinderung von politischen Attentaten gehörte zum relevanten Wissen der Politik. Auch bei Machiavelli, einige Jahrhunderte später, ist die Verschwörung primär eine machtpolitische Angelegenheit. Die Tat selbst, ihre Nützlichkeit und ihre Effektivität stehen im Vordergrund seiner Überlegungen. In Machiavellis bekanntem Werk Discorsi erwägt er im Kapitel „Über Verschwörungen“, u. a. auf Fälle aus Rom zurückgreifend, Funktionen, Vor- und Nachteile von Intrigen und Komplotten für die politische Führung einer Republik. So warnt der Politikberater z. B. vor Leichtsinn bei der Geheimhaltung von geplanten Verschwörungen und mahnt zur Diskretion: Conspiracies are disclosed trough the imprudence of a conspirator when he talks to indiscretely that some servant or other person not in the plot, overhears him; as happened with the sons of Brutus, when treating with the envoys Tarquin, where overheard by a slave who became the accuser: or else through your own weakness in imparting your secret to some woman or to a boy whom you love, or to some other such light person. (Ebd. 1883 [1531]: 349)
In letzter Instanz entscheidet insofern „bei Verschwörungen [...] für Machiavelli allein der Erfolg, Moral kommt nicht ins Spiel.“ (Reinhardt 2012: 207) In solchen Kontexten geht es weder um abstrakte epistemische oder philosophische Spekulationen noch um moralische oder ethische. Die Verschwörung ist praktische Realität, eine Tat-Sache. Das folgende, zweite Beispiel ist ein zeitgenössisches, der kulturelle Kontext ist aber ein anderer. ***
Als ich im Frühjahr 2015 auf einer Rundreise durch Zimbabwe die Hauptstadt Harare besichtige, ist zufällig auch ein abgesandter Politiker aus Deutschland zu Besuch. Ein Teil des Regierungsviertels ist gesperrt. Zu dieser Zeit ist Robert Mugabe noch an der Macht. Militär ist in den Städten omnipräsent, übernimmt quasi die Funktion der Polizei. Ein befreundeter Künstler führt uns zu Fuß durch Harare. Als wir in die Nähe des Regierungsviertels kommen, will ich kurz stehen bleiben und mir die viktorianische Architektur und einige Gebäude näher ansehen. Tafadzwa zieht mich sofort weiter. Mit gepresster Stimme sagt er: ‚Wir können nicht stehen bleiben, das ist verdächtig!‘ Ich bin verwirrt. Und halte das für einen Witz. Er
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meint es ernst. Ich lasse mich fortreißen. Zunächst aus Höflichkeit. Für mich erscheint die Situation überhaupt nicht bedrohlich. Ein paar Straßen weiter erklärt er mir, dass es für ihn gefährlich sei, mit Weißen in der Nähe von Behörden oder militärischen Einrichtungen gesehen zu werden: kein Stehenbleiben, kein Gucken, kein Fotografieren! Alles streng verboten. Erst jetzt bemerke ich, dass Tafadzwa offenbar wirklich Angst hat und – anders als ich es gewohnt bin – nicht panisch, sondern sehr ruhig kommuniziert. Er will vor allem unauffällig bleiben. Es brauche nicht viel, um wegen Spionage oder Geheimnisverrats im Gefängnis zu landen. Noch später wird mir auch klar, dass die Allgegenwärtigkeit des Militärs nicht einem Anlass geschuldet, sondern Alltag ist. Dass sich die Menschen daran gewöhnt haben, heißt nicht, dass sie keine Angst verspüren, sondern nur, dass sie damit umzugehen wissen; wissen, wie und wo sie sich bewegen dürfen, wie sie sich in bestimmten Gegenden zu verhalten haben, was sie wo und wie sagen können. Tafadzwa, der in der Hauptstadt lebt und arbeitet, meidet etwa die Zeitungen der Opposition, die an Straßenständen an jeder Ecke, zusammen mit allen anderen Zeitungen, verkauft werden. Wenn er mit uns spricht, versucht er den Eindruck zu vermeiden, wir seien Briten oder Südafrikaner – Ethnien, mit denen ‚man‘ nicht befreundet ist. In einer solchen politischen Situation ist Paranoia keine besondere Ausnahme, sie ist eingespielte Überlebensstrategie. ***
Mugabe, der von 1980 bis 2018 im Amt war, wird von seiner Biographin Heidi Holland, die sein Umfeld sehr gut kennt und ihm persönlich begegnete, als paranoide Person charakterisiert (Holland 2009 [2008]). In jungen Jahren ein Freiheitskämpfer gegen den britischen Kolonialismus, gebildet, intelligent und idealistisch, habe er während des Befreiungskrieges und vor allem im Zuge seines Weges zur politischen Macht einen Verfolgungswahn und eine starke Spaltung seiner Persönlichkeit entwickelt. And he knew only to well after several assasination attempts, that they were after him personally; that they were trying to kill him. He was not only personally and as a country the target of a damaging military campaign from his ruthless southern neighbour, but in earlier years he had also been the focus of a great deal of dissent among powerful people inside his own party. (Ebd.: 38)
Nachdem Mugabe sich die politische Macht in der Partei ZANU-PF und schließlich als Regierungschef gesichert habe, sei der Verfolgungswahn aber nicht verschwunden. Vielmehr folgten gewalttätige politische und militärische Maßnahmen, zu denen auch die als „Gukurahundi“ bekannt gewordenen Massaker zu rechnen sind, bei denen in den 1980er-Jahren zwischen 8.000 und 20.000 Menschen getötet wurden. Darunter primär Oppositionelle und Angehörige der Minderheit des Volksstammes der Ndebele. Um Mugabes mögliche Beteiligung am
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Tod seines damaligen Verbündeten und ZANU-Freiheitskämpfers Herbert Chitepo ranken sich bis heute „Verschwörungstheorien“. Angesichts dieses Hintergrundwissens und der offensichtlich gegebenen Betroffenheit des Zimbabwers (Tafadzwa)gibt es keinen Zweifel daran, dass sein Misstrauen und seine Paranoia vernünftiger waren als das gut gemeinte Vertrauen und die Beschwichtigungsversuche des Autors dieser Zeilen. Außerdem ist auch wieder zu sehen, dass der Autor mit seiner europäisch-deutschen Staatsbürgerschaft über Privilegien und damit ein gewisses (Grund-)Empfinden von Sicherheit verfügt, die es für den Freund aus Zimbabwe in dessen Situation so nicht gibt. Entscheidend ist also vielmehr der Kontext. Oder in den Worten des Menschenrechtsaktivisten Andy Müller-Maguhn, der das Komplott gegen den inhaftierten und gefolterten Whistleblower Julian Assange untersucht und begleitet: […] before I went all to deep into this and actually looked into this material for hours and hours and days I would of course also have called Julian and myself paranoid people, but after I did this, I would call it […] we had a good situational awarenes [...]59 [Hervorhebung von A. S.].
Wissen und Praxis der Verschwörung stehen in einem dialektischen Verhältnis zueinander. Die Wirklichkeit bestimmter Wissensformen hängt von Praktiken und Kontexten ab, vermittels derer oder in denen dieses Wissen relevant, sinnhaft, nützlich und dadurch realisiert bzw. ‚real‘ und rational sein kann. Das Verschwörungswissen nimmt in der ‚westlich‘-demokratischen Gegenwartskultur einerseits die Gestalt von Hintergrundwissen an, das in der Form der „Verschwörungstheorie“ Deutungsangebot und Produkt massenmedialer Kommunikation ist. Zugleich erfährt dieses Hintergrundwissen durch massenmediale Reproduktion eine Popularisierung. Es wird in der Moderne spektakulär. Das Spektakel führt in der Deutung dieses Wissens zugleich zu seiner ‚Irrealisierung‘ (vgl. Kap. 5.3.3). Andererseits ist das Wissen der Verschwörung in den fragmentierten Nischen und Schattenzonen der „conspiracy culture“ relevantes praktisches und parapolitisches und Spezialwissen (Kap. 5.3.2 und 7.1). Die Konjunktur der Sicherheitsindustrie und der Intelligence-Apparate im Kalten Krieg sowie im „War on Terror“ haben die durch das Spektakel überschatteten gesellschaftlichen Dunkelfelder globalisiert. Ihre Reproduktion hängt, wie noch zu zeigen sein wird, nicht zuletzt auch mit Kulturhegemonie von kapitalistischer Arbeits- und Produktionsweise und deren Kontrolle zusammen, in der eine paranoide Subjektposition Teil von Alltagspraktiken ist. Entgegen den einführenden Beispielen kultureller Befremdung kann dahingehend vorausgeschickt werden: Verschwörungen und „Verschwörungstheorien“ sind keine der Kultur fremden Praktiken und Wissensformen, sondern mit den Routinen, mit Habitus und Alltagshandlungen sowie Fiktionen der ‚westlich‘zivilisierten Gesellschaft verwoben.
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4.1.1 Konspiration DA WIR ALLE IN ENSEMBLES MITARBEITEN, MÜSSEN WIR ALLE EIN WENIG VON DER SÜßEN SCHULD DES VERSCHWÖRERS IN UNS TRAGEN. UND DA JEDES ENSEMBLE DAMIT BESCHÄFTIGT IST, DIE STABILITÄT DER […] SITUATIONSBESTIMMUNG ZU ERHALTEN, INDEM ES BESTIMMTE TATSACHEN VERSCHLEIERT ODER VERDUNKELT, IST DIE LAUFBAHN DES DARSTELLERS GEWISSERMAßEN DIE DES HEIMLICHEN VERSCHWÖRERS. (ERVING GOFFMAN, WIR ALLE SPIELEN THEATER, 195960)
Alles ist vorbereitet. Der Plan ist ausgeheckt. Jetzt warten alle auf das Opfer. Dunkelheit verhüllt den Raum. Durch die Fensterschlitze unter der Decke dringt nur wenig Licht auf die Bänke und Schließtresore. Es riecht nach Männerschweiß. Dann: ein Geräusch von draußen – das muss er sein. Eine Handvoll pubertierender Jungen hält den Atem an. Die Spannung steigt. Die Tür öffnet sich. Er ist es! Max steht an der Schwelle. Der große Mario will zum Angriff ansetzen. Er hebt schon seine Hände. Doch plötzlich: ein Schrei. „Lasst ihn doch in Ruhe, ihr Idioten!“ Irritation. Die Augen richten sich auf Peter. Der hat seine Augen zusammengezogen und dreht sich weg. Die Verschwörer sind verdutzt. Mario steht die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben. „Aber wir hatten es doch so abgesprochen!?“, prangert er Peters Verrat an. Unbeholfenheit. Peter wiegelt ab. Die Luft ist raus. Jetzt will es keiner mehr gewesen sein. Mario ist gedemütigt. Nun steht er als der Dumme da. Die Meute wendet sich, entlarvt und beschämt, von der Szenerie ab. Gedrücktes Schweigen. Peter packt seine Sachen und verlässt den Umkleideraum. Max, der nichtsahnend zur Tür hineinkam, ist genauso überrascht wie alle anderen. Heute hat er nichts mehr zu befürchten. Er ist ein beliebtes Mobbing-Opfer in der Klasse. Ein weiteres Mal wollten die Jungen ihn gerade wieder festhalten und im Schwitzkasten durch die Umkleidekabine ziehen. Der starke Mario ist dabei fürs Grobe zuständig. Er macht sich die Finger schmutzig. Die anderen lachen und halten dicht. Wenn alle mitspielen, ist Mario der Coole, Max das Opfer. Ein Szenario, das sich viele Male so abgespielt hat. Diesmal war es anders. ***
Die Konspiration bildet eine elementare Form der Vergesellschaftung. Sie gelingt, wenn die Regeln der kollektiven Handlung jedem und jeder Beteiligten bekannt sind, aber nicht (direkt) ausgesprochen werden. Es wird empraktisch gehandelt, weniger reflektiert oder expliziert. Die Konspiration ist keine Verschwörung im engeren Sinne des Wortes, aber eine Vorstufe davon, eine alltägliche und implizite Verschwörung. Sie ist ein Typus von sozialer Gruppenbildung, für den charakteristisch ist, dass entweder die Art und Weise wie diese Gruppenbildung sich vollzieht und/oder dass sie sich vollzieht, kollektiv verschleiert wird. Für Außenstehende, d. h. die outgroup, werden Tatsachen verborgen, die die Darstellung stören.
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Gleichzeitig unterdrücken die Teammitglieder vor sich selbst bestimmte Informationen, die ihr kollektives Handeln behindern könnten. Das Beispiel von Mario, Peter und Max ist eine Anekdote aus der Schulzeit des autobiographischen Autors. Es ist ein Beispiel dafür, wie bestimmte Darstellungen und Maskierungen kollektiv Wirklichkeiten erzeugen, die wir als Alltagskonspirationen bezeichnen können. Marios Enttäuschung zeigt emblematisch ein Kernmerkmal dieser Konspiration: die gleichzeitige Fremd- und Selbsttäuschung, die den Vorgang der Gruppenbildung begleitet. Als Ent-Täuschung, verursacht durch eine unerwartete Handlung von Peter, legt sie implizite Denk- und Verhaltensmuster offen, die ansonsten auch den an der Konspiration beteiligten Handelnden selbst verborgen geblieben wären – in diesem Fall das Täter-Sein der aktiv und passiv am kollektiven Handeln Beteiligten. Der Autor selbst war, mehr als Beobachter, auch an dieser Konspiration beteiligt; als einer der vielen passiven Mitlacher. Er billigte, gemeinsam mit anderen Klassenkameraden, das Mobbing an Max, war froh, selbst nicht in der OpferRolle zu sein. Peter, ob er es bemerkte oder nicht, war in diesem Fall ein Held. Er hatte (nicht das erste Mal) durch sein Verhalten, den stillen Respekt des autobiographischen Autors gewonnen. Diese Zusammenhänge wurden diesem aber erst über zwei Jahrzehnte später, im Rahmen soziologischer Analyse, wirklich bewusst. Analysieren wir das Beispiel genauer, dann wird klar, dass Peter durch seine unerwartete Reaktion einen moralischen Maßstab an die Gruppe heranträgt, den sie vorher nicht akzeptiert oder implizit ausgeblendet hat: Dass man so etwas nicht tut; dass man Schwächere nicht vorführt; dass Mobbing kindisch und falsch ist und Selbst-Täuschung. Der Ärger und die Enttäuschung von Mario rühren daher, dass er implizit erwartet hatte, dass sich alle ‚wie immer‘ verhalten und dass die, nun offenbare, weil ausgesprochene und auf frischer Tat entlarvte, ‚Verschwörung‘ der Klassenkameraden gegen Max allgemein geduldet und implizit mitgetragen werden würde; dass auch Peter den ‚Korpsgeist‘, der durch das Mobbing des schwächeren Sündenbocks getragen wird, nicht verraten würde. Doch das Spektakel nimmt in diesem Fall eine unerwartete Wendung. Plötzlich wird das Kindische und ‚Hinterhältige‘ – die Sünde – dieser Tat offenbar, das zuvor durch Selbsttäuschung – Selbst-Überhöhung, Ironisierung, Verschweigen oder Tabuisierung – verdeckt gewesen ist. Durch Peters Intervention fallen die Masken der Verschwörer, sie werden sich als solche genau wie das Publikum, ihrer Tat bewusst, die Macht der Verschwörung ist gebrochen. Wäre die Störung durch Peter zuvor geplant gewesen, hätte das ein soziologisches Krisenexperiment 61 sein können. Mario steht nun als „Idiot“ im Mittelpunkt. Er wirkt plötzlich hilflos und weiß sich ertappt. Für ihn ist es wohl die schmerzhafteste Lektion. Peter ist ein allgemein respektierter Schüler. Als Leistungssportler, der weder der „Streber“Fraktion noch den „Neig‘schmeckten“ oder einer anderen diskreditierbaren Gruppe angehört (Kap. 3.2), gilt er als cool. Sein Status ermächtigt ihn in gewisser Weise die Macht der Verschwörung zu brechen. In einer derartigen Situation
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vermag es jemand mit seinem Status implizite Wert- und Verhaltensmaßstäbe aufzudecken, den Bann des allgemein akzeptierten Verhaltens zu brechen. Andere, weniger respektierte Mitschüler, würden wohl ignoriert, ausgelacht oder selbst in die Opferrolle gedrängt werden. Peter ist derjenige Klassenkamerad, der auch das Referat über die „Illuminaten“ gehalten hat. Kein Zufall. Aber eine Koinzidenz. Beobachtet man die Alltagsroutinen der impliziten und nicht selten auch strukturell gewalttätigen Praktiken sozialer Gruppenbildung genau, so erkennt man die feinen habituellen Verbindungen und symbolischen Analogien zu jenen Praktiken, die wir bei gesellschaftlichen Großereignissen und Spektakeln als Verschwörungen denken und betrachten. Im Alltag sind diese Praktiken für uns weitaus unproblematischer und unsichtbarer, gerade weil wir so empraktisch engagiert mit diesen Tätigkeiten verbunden und möglicherweise mit den entsprechenden Rollenvorgaben und an sie geknüpften Maskierungen identifiziert sind. Georg Simmel und Harold Garfinkel – im entfernteren Sinne auch G. H. Mead und Alfred Schütz –, aber vor allem Erving Goffman und auch Pierre Bourdieu sind die wichtigsten Soziologen, die sich auf unterschiedliche Weise mit diesen Konspirationen des Alltags beschäftigt und ihre impliziten Interaktions- und Kommunikationsordnungen offengelegt haben, in der Regel, ohne sie als „Konspiration“ zu bezeichnen. Das obige Beispiel wurde gewählt, weil sich an ihm verschiedene Merkmale der konspirativen Alltags-Praktiken aufzeigen lassen. So etwa 1. 2. 3.
kollektive Verbergung und Fremd-Täuschung, Selbst-Täuschung der beteiligten Akteur*innen und interaktive Beteiligung eines Publikums.
Im angeführten Beispiel zeigt sich, dank Peters ‚Störung‘, recht deutlich der implizite und Routinecharakter des dargestellten Mobbingverhaltens. Nur dadurch, dass Peter die ‚normale‘ und geduldete Mobbing-Routine gestört hat, konnte der konspirative Wesenszug dieser Art, der in der Gesellschaft des Schulsystems verbreiteten Praxis offengelegt werden. Es zeigt sich dabei sowohl das unausgesprochen geltende ‚Recht‘ des Stärkeren wie auch die Beteiligung des Publikums, dadurch, dass dieses Verhalten geduldet wird. Würde sich Max bei Lehrer*innen beschweren, so würden vermutlich die Klassenkameraden ihr Wissen und damit ihre passive Beteiligung – auch vor sich selbst – leugnen. Die Behauptung des Mobbings würde ins Lächerliche gezogen werden, das Problematische innerhalb des ‚Normalen‘ nicht (an-)erkannt, bis dahin aber in der Klassenöffentlichkeit tabuisiert oder nur innerhalb bestimmter Kontexte thematisiert werden. An der Aufrechterhaltung dieses Geheimnisses haben insofern alle Beteiligten ihren Anteil. Eine verschworene Gemeinschaft zeichnet sich genau dadurch aus. In der allgemein akzeptierten Gruppenideologie wird das strukturell Gewalttätige und (Sozial-)Pathologische dieser Form der Vergemeinschaftung implizit unterdrückt.
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Die Stärke dieses Beispiels ist, dass es so ‚normal‘ und alltäglich ist, und sich zugleich nur durch die unerwartete Störung die konspirative Dimension des Verhaltens zeigt. „Konspiration“ meint hier im Sinne des Lateinischen conspiratio (= wörtl. Zusammenhauchen; übertr.: Einmütigkeit, Übereinstimmung) ein soziales Handeln im „Einklang der Gemüter“ (Georges 1998 [1913]: 1547). Leibtheoretisch könnte man bei dieser Übereinstimmung von einer Konsonanz aller Beteiligten sprechen – bei möglicher Dissonanz zur betreffenden outgroup. Diese Konsonanz kann sich intentional und wissensbezogen oder habituell ausdrücken. Dies ist aber eben nicht zwingend so zu verstehen, dass diese Übereinstimmung explizit aus- oder abgesprochen sein muss. Der für eine Verschwörung typische Schwur, der auf deren (vollständige) Bewusstheit, Verantwortlichkeit oder ‚Vernünftigkeit‘ verweist, ist für die Praxis der Konspiration gerade nicht typisch. Die Beteiligten wissen hier nicht vollständig und ‚faktisch‘ Bescheid, aber partiell und potentiell – sie könnten es wissen, wenn sie einen gewissen (moralischen) Maßstab an ihr Verhalten anlegen könnten und so ein erweitertes Bewusstsein ihrer Handlungen und Handlungsimplikationen hätten.62 Insofern können sie sich hier stets auf ihr Nicht-Wissen berufen. In der Sprache der Politik nennt man dieses Prinzip „plausible deniability“. Nach Proctor und Schiebinger (2008: vii) handelt es sich bei dieser Ignoranz um „knowledge that could have been but wasn‘t or should be but isn‘t“ und auch sie ist sozial ‚gemacht‘. Konspiration vollzieht sich empraktisch, d. h. durch Handlungen, die sich als ‚stille Übereinkünfte‘ und implizites Wissen in den verkörperten und leiblichen Routinen des Alltags, den Wiederholungen gesellschaftlicher Arbeit(steilung) einstellen und reproduzieren. Das konspirative Wissen ist insofern implizites common sense-Wissen von Kollektiven, die eben dadurch erst zu Kollektiven werden, dass sie das tun, was praktisch geboten ist. Sie tun etwas und verbergen dabei gewisse Aspekte dieses Tuns. Darin besteht das Verborgene dieser Praxis: Dass sie die eigene „Handlungs-, Wahrnehmungs- und Denkmatrix“ (Bourdieu 1976 [1972]: 169) nicht durchschaut – nicht auf die gleiche Weise wie die aus diesen Kollektiven – Goffman spricht von „teams“ bzw. „Ensembles“ – ausgeschlossenen sozialen anderen. Nach Bourdieu (1993 [1976]: 166) besteht die Wahrheit der Praxis „in ihrer Blindheit gegenüber ihrer eigenen Wahrheit“, daher im effektiven Tun, statt in der Reflexion darüber. Indem sie „ausagiert, d. h. in der Zeit entfaltet“, verändert bzw. reproduziert die Praxis die ‚Natur‘ und die gesellschaftliche Realität, ohne sich dabei ihrer selbst bewusst zu sein oder Rechenschaft über ihr jeweiliges Tun ablegen zu müssen (ebd.: 167). Der „praktische Sinn“ sei, so Bourdieu, stets gefangen von dem, um was es geht, völlig gegenwärtig in der Gegenwart und in den praktischen Funktionen, die sie in seiner Gestalt objektiver Möglichkeiten entdeckt, schließt die Praxis den Rekurs auf sich selbst (d. h. auf die Vergangenheit) aus, da sie nichts von den sie beherrschenden Prinzipien und den Möglichkeiten weiß, die sie in sich trägt und nur entdecken kann, indem sie ausagiert, d. h. in der Zeit entfaltet. (Ebd.)63
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Das Konspirative der gesellschaftlichen Praxis verweist dabei aber nicht, so die These dieser Studie, auf eine spezifische und einzelne Praxisart, sondern vielmehr auf eine der modernen Vergesellschaftung immanente Praxisform.64 Diese bezieht sich eben auf dasjenige, was wir notwendigerweise tun, wenn wir uns sozialisieren und miteinander interagieren und kommunizieren, wie wir es gewöhnlicher Weise tun.65 Mit ‚wir‘ ist hier das moderne Subjekt bürgerlicher und westlich-kapitalistischer Prägung gemeint.66 Goffman hat dieses Subjekt und sein soziales Verhalten in bislang unübertroffener Weise analysiert und dechiffriert.67 Dazu hat er in Feldforschungen verschiedenste gesellschaftliche Kontexte und Situationen aufgesucht, um Dynamiken der Interaktion und Gruppenbildung einer Mikroanalyse zu unterziehen und sie auch miteinander verglichen. Die Grundform der Gruppenbildung ist in Goffmans frühen Arbeiten das „team“, in der deutschen Übersetzung „Ensemble“ genannt. Ein Ensemble ist ein Zusammenschluss von Individuen, die gemeinsam in einer „Szene“ miteinander interagieren. Dieses dramaturgische Handeln konstituiert und aktualisiert soziale Gruppenzugehörigkeit, ist aber nicht ihr einziger Faktor. Durch unsere Herkunft, unser Geschlecht, unseren Beruf, unsere Bildung, unsere ökonomische oder soziale Position sind wir mehr oder weniger verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen zugehörig. D. h., in einem Individuum kommt es zu einer „Kreuzung sozialer Kreise“ (Simmel 1992 [1890]), durch die sich seine Persönlichkeit und Einzigartigkeit mit ausprägt. Oft bleiben die sozialen Gruppen, denen wir angehören, für uns selbst abstrakt, unbegreifbar oder eben verborgen. Welchen Einfluss eine bestimmte Gruppenbindung, z. B. Herkunft oder Geschlecht, auf uns ausübt, wird uns selbst, im Zuge der empraktischen ‚Blindheit‘ von Alltags- und Arbeitsroutinen, in der Regel nicht bewusst. Es benötigt dazu entweder das Scheitern oder Misslingen oder aber die Störung dieser Routinen – wie im erwähnten Krisenexperiment – oder aber etablierte Praktiken der Befremdung und Reflexion, in denen sich so etwas wie eine Selbst-Distanzierung ereignen kann. In Goffmans Praxeologie des dramaturgischen Handelns werden diese mehr oder weniger habituell und strukturell verborgenen Gruppenzugehörigkeiten und -bindungen hinsichtlich ihrer situierten Ausprägungen analysiert. Das dramaturgische Handeln des „Goffmenschen“ für dessen Analyse der Soziologe Theater- und Bühnen-Metaphern nutzt, ist „zivilisatorisch hoch voraussetzungsvoll“ (Willems 1997: 229). Das bedeutet, dass hier eine Intelligenz und Reflexivität am Werke ist, die mit allen Mitteln der (Selbst-)Darstellung arbeitet, die eine zivilisatorische Entwicklung und die mit ihr einhergehende Individualisierung hervorgebracht haben.68 Dazu zählen vor allem auch Techniken und Praktiken der Fremd- und Selbst-Täuschung, durch die performativ bestimmte Realitäten bzw. Deutungen dar- und hergestellt und andere unterdrückt werden. Die Ensembles, die Realitäten/Deutungen inszenieren und verwirklichen, begreift Goffman als „jede Gruppe
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von Individuen [...], die gemeinsam eine Rolle aufbauen.“ (Ebd.: 2017 [1959]: 75) Ein Ensemble kann dabei aus einer Gruppe von Freund*innen bestehen, z. B. in der Clique auf dem Schulhof, die durch Dresscodes oder Körperkommunikation Zugehörigkeit bzw. Nicht-Zugehörigkeit markiert. Ein Ensemble kann aber auch durch eine Warteschlange oder das Sicherheitspersonal am Flughafen gebildet werden. Die verschiedenen, zur dramaturgischen Herstellung von Wirklichkeit benötigten Rollen können dabei einerseits von Einzel- oder Gruppenensembles übernommen werden. Andererseits ist hier soziale Intelligenz in einer Weise ausgeprägt, dass dabei der soziale Andere oder das Publikum erstens rein fiktiv (‚virtuell‘) sein mögen und zweitens eine soziale Interaktion mit diesen möglich ist, die ihre Perspektiven prinzipiell austauschbar macht. Dafür steht die soziologische Figur des Dritten bzw. der generalisierte Andere. Das Ensemble einer Warteschlange im Supermarkt hat ein bestimmtes Wissen über die herrschenden Anstandsregeln, die Befugnisse und Möglichkeiten des*der Kassierer(s)*in, sodass etwa nicht ständig gefragt werden muss: ‚Dauert es noch lange?‘. Obwohl es ein später Feierabend ist und alle ‚genervt‘ sind, herrscht in der Schlange taktvolles Schweigen – vielleicht sogar dann noch, wenn eine über 80-jährige Rentnerin wie in Zeitlupe ihr Kleingeld aufs Kassenband legt und den Betrag in Cent-Stücken bezahlen will. Der*die Kassierer*in wiederum kennt die Perspektive der Wartenden und versucht in dieser Situation unnötigen ‚small talk‘ zu vermeiden. Obwohl er*sie überarbeitet ist und insgeheim denkt: „Du verdammte …! Muss das jetzt sein?!“, vermag er*sie es, die Dame freundlich anzulächeln und dem jungen Pärchen an der vorletzten Stelle ein solidarisierendes Augenrollen zuzuwerfen. In diesem komplexen multiplen Rollenprozess sind die Darsteller(-Ensembles) auf verschiedene Weise miteinander verbunden und aufeinander bezogen. Es findet Subjektivierung statt, in der zugleich soziale Identität wie auch soziale Wirklichkeit aktualisiert und ausgehandelt wird (vgl. Goffman 1967 [1963]: 170). 69 Die erwähnten Techniken der Selbst- und Fremdtäuschung sind dabei im Rahmen eines „impression management“ (dt. „Eindrucksmanipulation“) bzw. in der von Goffman beschriebenden Praxis des „face work“ (vgl. Schink 2020b) relevant, in der die miteinander interagierenden Subjekte darum bemüht sind, ihr image oder face bzw. einen bestimmten Eindruck von Realität aufrecht zu erhalten. Dies tun sie in einer, teils für Außenstehende, teils für sich selbst verborgenen Weise der kooperativen Darstellung. „[I]f a performance is to be effective“, schreibt Goffman (1956: 64), „it will be likely that the extent and character of the co-operation that makes it possible will be concealed and kept secret.“ Genau darin zeigt sich das Konspirative dieser Alltagspraktiken: dass sich hier eine kollektiv inszenierte Differenz auftut zwischen Image oder „face“, d. h. einer bestimmten „Fassade“, die vordergründig – für die momentane outgroup – aufrecht erhalten werden soll und einer „Hinterbühne“ oder einem Ort diskreditierbarer Tatsachen, die vermittels eben dieser Inszenierung
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nach außen hin unterdrückt und verborgen werden. Goffman (ebd. 64 f.) führt hierzu ein Beispiel aus dem Dienstleistungsgewerbe an. Er schreibt: […] the individuals who are on the staff of an establishment are not members by a team by virtue of staff status, but only by virtue of the cooperation which they maintain in order to sustain a given definition of the situation. No effort may be made in many cases to conceal who is on the staff; but they form a secret society, a team, insofar as a secret is kept as to how they are cooperating.
Für das Personal einer solchen Einrichtung, denken wir etwa an ein nobles Restaurant oder einen Wellness-Betrieb, sei es also nicht wichtig, zu verschleiern, dass sie zur Belegschaft gehören, als vielmehr, wie sie miteinander für den*die Klient*in jene gemeinsame Wirklichkeit herstellen, die sie herstellen. Die gleichzeitige Interaktion im Ensemble und mit dem Publikum ist dabei insofern auch für den*die Kund*in von Interesse, als diese ja Teil der Gesamtdarstellung ist. Hat er*sie etwa mit seinem*ihrem Partner*in ein Restaurant-Dinner in romantischer Atmosphäre gebucht, hat er*sie auch ein Interesse daran, etwa indiskrete Fragen an das Personal ebenso wie genauere Blicke in die Hinterbühnen der Küche oder der Putzkammer taktvoll zu vermeiden. Mehr noch hat es das Personal. Es stelle eine Art „secret society“ dar, so Goffman, insofern der uniforme Kleidungsstil, die Verständigung über implizite Routinen oder explizite Codes untereinander es von den Gästen abgrenze, die Details, Techniken oder Semantiken, mit denen diese Abgrenzung empraktisch relevant wird, für Außenstehende in der Regel unsichtbar bleiben. Gleichzeitig hilft es dem Personal, die Geheimhaltung selbst wiederum zu verschleiern, etwa durch direkte Ablenkung, Humor, Kaschieren, Überzeichnung oder andere Techniken subtiler Täuschung. Die Selbsttäuschung hat dabei primär die Funktion, die dargestellte Wirklichkeit authentischer (‚natürlicher‘) zu machen. Sie ist damit zugleich ein Mittel der Subjektivierung und Sozialisierung: die Rollenspieler*innen werden zu jenen Rollen die sie darstellend verkörpern. Indem sie sie so authentisch wie möglich spielen, verwirklichen sie sich als diejenigen, die sie vorgeben zu sein. Dies geschieht engagiert und empraktisch, durch permanente Wiederholung – Übung –, so wie Lehrer*innen, Psychiater*innen oder eben Theater-Darsteller*innen ihre Rollen üben und in sie hineinwachsen, um somit eine effektive Performance in ihrem jeweiligen Tätigkeitsfeld zu bieten. Es droht hier immer die Gefahr der oben schon angesprochenen Praxisblindheit, die jeder überarbeitete Mensch, vor allem im Dienstleitungs- oder sozialen Bereich, kennt: „gefangen von dem, um was es geht, völlig gegenwärtig in der Gegenwart“, droht der*die Darsteller*in einer praktischen Ideologie aufzusitzen, in der er*sie zwar seine*ihre Rolle perfekt beherrscht, zugleich aber den Überblick verliert über den weiteren Kontext, die nicht verwirklichten Mitmöglichkeiten, den Sinn oder die moralische oder ethische Dimension dessen, was (nicht) getan wird. Auf einer anderen Ebene können wir diese Immersion in die Maske oder die
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Identifikation mit der Rolle erfahren, wenn wir uns z. B. in ein Computerspiel vertiefen und mit dem Avatar bzw. der Protagonisten-Figur und ihrer Geschichte eins werden (vgl. Kap. 7.5). Selbsttäuschung, die einerseits als Mittel zur Verkörperung bestimmter Rollen und zur Aufrechterhaltung von Deutungsrahmen beiträgt, führt, rahmenanalytisch gesehen, zur Unterdrückung von moralischer Freiheit und ‚freier‘ Sinnproduktion bei gleichzeitiger Unterwerfung unter einen falschen Determinismus, wie sie für primäre natürliche Rahmen (Goffman 2018 [1974]: 31 f.) Geltung haben. In diesem Modus, so Willems (Goffman zitierend): erscheinen Menschen „in die gleiche deterministische, willenlose, amoralische Seinsweise eingebunden wie jeder andere Bestandteil der Situation“ und nicht als „juristisch handlungsfähig und moralisch verantwortlich für richtiges Handeln.“ (Ebd.: 209, zit. nach Willems 1997: 76 f.)
Seinen frühen „dramaturgischen Ansatz rahmentheoretisch interpretierend“, meint Willems (ebd.), stelle Goffman „‚urbildhafte Naturen‘ und ‚natürliche‘ Verhaltensweisen generell unter eine Art Ideologie- und Inszenierungsverdacht.“ Damit eignet sich Goffman zur theoretischen Unterfütterung, als Seh-Hilfe, für die in dieser Arbeit untersuchte Konspirationskultur bzw. die Frage nach den alltagspraktischen Aspekten und Nischen des Verschwörungsdenkens. Nicht nur, weil Goffmans Denken selbst die misstrauischen, distanzierten und bisweilen zynischen Züge des konspirologischen Außenseiters trägt (Dellwing 2014: 23), der Gesellschaft als einen „stream of gambits, ploys, artifices, bluffs, disguises, conspiracies, and outright impostures“ (Geertz 1983: 25) sieht. Die von Goffman elaborierte dramaturgische und strategische Analyse weist auch Parallelen zum Wissen von Tricks, Camouflage und „False Flag“ auf, die wir in den Kapiteln 5.3 und 7.1 behandeln. Dies hat nicht zuletzt damit zu tun, dass Goffmans Ansatz, wie er ihn etwa in „Strategic Interaction“ (1970) formuliert, sich in enger Auseinandersetzung mit spieltheoretischen Konzepten des Kalten Krieges entwickelt hat (Jaworski 2019). Fassen wir also zusammen: Konspirative Praktiken tragen dazu bei, dass bestimmte soziale Tatsachen und Zusammenhänge nicht als solche erkannt und gesehen werden. Es wird nicht weniger eine ‚Tatsache‘ verschleiert, als vielmehr, dass und wie diese vermeintliche Tatsache interaktiv hergestellt wird. Zugleich wird im konspirativen Verhalten der Anschein von Natürlichkeit und von Authentizität erweckt. Diese Selbst-Täuschung weist auch eine ideologische Dimension auf. Sie betrifft sowohl Ensembles wie auch das Publikum – wobei hier eine Reziprozität der Perspektiven gegeben ist –, beide täuschen sich und lassen sich täuschen. Die soziale Intelligenz sowie die Intentionalität ‚hinter‘ diesen Interaktionen bleibt den Beteiligten empraktisch verborgen. Die so dargestellte ‚Normalität‘ und ‚Natürlichkeit‘ der Situation ist für die von dieser Praxis entfremdete outgroup, die sozialen Anderen, die ideologisch oder kulturell Fremden, notwendig verdächtig. Damit haben wir einen ersten soziologischen Hinweis darauf, inwiefern die „Verschwörungstheoretiker“, die als Einzelgänger und entfremdete
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Außenseiter die konspirative Praxis der Gesellschaft beobachten, behaupten können, sie sehen ‚mehr‘ als andere (Kap. 6.5), ‚mehr‘ als die täuschenden und getäuschten Konspirateure und das sich ebenfalls täuschende Publikum, das immer Teil der Performance ist. KLÜNGEL UND KORRUPTION
Eine spezifische Art der Konspiration findet sich in der Kultur des Klüngelns wieder. Überall (2008) hat in einem politikwissenschaftlichen Ansatz versucht, am Beispiel des Kölner Klüngels die spezifische Kooperationsform der Klüngelei herauszuarbeiten. Klüngel ist eine Geisteshaltung, die eine prinzipielle Bereitschaft zum unkomplizierten Umgang mit Kommunikation, Verhandlung und Tausch beinhaltet. Im Bereich der (Kommunal-)Politik gilt er zusätzlich als Synonym für geheime Absprachen, aber auch für die prinzipielle Bereitschaft der Kooperation. Klüngel ist nicht gleich Korruption, es gibt aber die latente Gefahr, des ‚Abrutschens‘ von Klüngel-Beziehungen in korruptere Verhaltensweisen. (Ebd.: 17)
Der Klüngel ist ein lokales und informelles soziales Phänomen und drücke sich z. B. auch in Nachbarschaftsbeziehungen (ebd.: 19) aus. Meist spricht man jedoch vom Klüngel im Bereich der Kommunalpolitik. Den Begriff bringt Überall mit dem ‚Knäuel‘ in Verbindung, also einem (sozialen) Gewebe, das von außen recht schwer zu durchschauen und zu durchdringen ist. Die lokale bzw. regionale Verortung bindet den Klüngel oftmals an Bräuche oder Traditionen und mache es daher für Außenstehende noch schwerer, in diese Art des sozialen Geflechts einzudringen. Fremde Gruppen und gerade Migrant*innen, das zeigt Überall am Beispiel des Kölner Klüngels, hätten es besonders schwer, sich in die sozialen und (kommunal-)politischen Klüngelstrukturen der ansonsten als weltoffen geltenden Stadt einzubringen (ebd.: 224 f.). Fremden fehlt das empraktisch erworbene Wissen der regionalen politischen Kultur. Interaktionssoziologisch macht daher die Position des Fremden diesen zu einem ausgezeichneten Beobachter der Klüngelei: Er sieht, was die ingroup nicht sehen kann/will. Überall weist darauf hin, dass der Klüngel zwar ein jeweils einzigartiges Phänomen sei, jedoch auch in anderen Städten und Kommunen Klüngelstrukturen existieren – was unbestreitbar ist –, die aber, vor allem für Außenstehende, schwer zu beforschen seien (ebd.: 228).70 Oftmals würden diese Strukturen pejorativ als „Filz“ o. ä. bezeichnet, insofern sie, gerade in der Kommunalpolitik, nicht nur politische und bürokratische Verfahren und geltende Gebote wie Transparenz oder (Wettbewerbs- und) Chancengleichheit verletzten. Klüngel ereignet sich z. B. an Stammtischen, in Vereinen oder Clubs und stärkt, quer zu formellen Strukturen, informelle Beziehungen. Überall zeigt auch, dass die Klüngelei nicht nur demokratiegefährdend ist, sondern sie zugleich auch praktisch oftmals erst ermögliche, effektiver mache und pragmatisch ‚am Laufen‘ halte (ebd.: 225).71 Denn für die Klüngelei sind Vertrauen und
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Verlässlichkeit zentrale Merkmale. Diese entstehen aber nur in Strukturen, die „übersichtlich“ sind, so wie der Klüngel (ebd.: 226), wo eine reziproke, d. h. „tauschorientierte Haltung“ (ebd.: 233) vorherrschend sei. Grenzen der Klüngelei sieht Überall schließlich dort, wo diese Entscheidungsträger im Sinne eines geschlossenen Netzwerks miteinander verbindet und damit von Außeneinflüssen (also der Bürger oder ihrer Interessengruppen) abschottet. Hier wird die interne über die breit angelegte, öffentliche Kommunikation gestellt. (Ebd.: 235)
Dazu stellt er ein Pyramiden-Modell vor, in welchem drei Stufen unterschieden werden, deren oberste, die ‚Spitze‘, die Korruption darstellt (vgl. Abb. 15). Überalls Klüngel-Analyse kann als differenziert und zurückhaltend gegenüber der, wie er selbst sie nennt, „kritisch-anprangernden Literatur“ von Scheuch/Scheuch (1992) und Rügemer (2002) betrachtet werden. Er betont die praktische Entlastungsfunktion von Klüngel-Strukturen und versucht ebenso deren Grenzen und Gefahrenpotenzial aufzuzeigen.
Abbildung 15: Klüngel-Modell aus Überall (2008: 19).
Gerade in Grenz- oder kritischen Fällen seien die ‚kurzen‘ Wege und vertrauten Routinen der Klüngel-Struktur bedeutend und tragfähig. Allerdings scheint es eine analytische Unschärfe in dem vorgestellten Klüngel-Konzept zu geben. So schreibt Überall: Tausch im Sinne von Kompromissen ist eine der Grundsäulen der Demokratie. Der Klüngel als prinzipiell tausch-orientierte Haltung kann dazu einen positiven Beitrag leisten. Wenn die Mehrheiten dann durch demokratische Wahlen wechseln, können die mehr oder weniger fest verbundenen Klüngelkreise ebenfalls wechseln. Schwierig wird es, wenn sich Gruppierungen – wie bei den großen Kölner Parteien über Jahrzehnte geschehen – auf regelrechte Kartelle verständigen. Das hat mit der
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Spontanität und Lockerheit des traditionellen Klüngels nichts mehr zu tun. (Überall 2008: 233)
Der Autor scheint hier einer fragwürdigen Idealisierung aufzusitzen, die sich auch in der Konzeption des Pyramiden-Modells zeigt. Die als positiv bewertete und situierte „tausch-orientierte Haltung“, wie sie sich in der „Spontanität und Lockerheit des traditionellen Klüngels“ ausdrücke, ist niemals ‚frei‘ von dem sie ‚tragenden‘ Routinewissen und dem Habitus, die ja gerade für Klüngelbildung relevant sind und sich empraktisch gegenüber einem allzu großen Einfluss von outgroups verschließen. Genau diese Geschlossenheit, das Widerständige empraktisch gewachsener Strukturen und Wissensvorräte zeigt Überall und zeigt v. a. auch Rügemer (2002) an verschiedenen Stellen als ein wesentliches Charakteristikum des Klüngels auf. In der ‚idealisierten‘ Klüngelbildung, wie er sie eingangs definiert hat, als „unkomplizierten Umgang mit Kommunikation, Verhandlung und Tausch“, vollzieht sich diese ‚Unkompliziertheit‘ – wenn man sie so nennen will – eben nur nach ‚innen‘, d. h. in der Kommunikation eines Ensembles „by virtue of the cooperation which they maintain in order to sustain a given definition of the situation“ (Goffman 1965: 64 f.). Die von Überall idealisierte am Austausch orientierte „Spontanität und Lockerheit“ offenbart sich, mikrosoziologisch, genau dann als problematisch und ‚unlocker‘, wenn gegebene Deutungen/Realitäten der jeweiligen (Klüngel-)Gemeinschaft infrage gestellt oder durch Nicht-Insider umgedeutet werden. Das Konspirative der Klüngelei wird den klüngelnden Beteiligten selbst gar nicht bewusst sein, da sie diese in der Regel ja nicht (moralisch, juristisch usw.) infrage stellen – würden sie es tun, wären sie tatsächlich untypisch Klüngelnde im Sinne von vernünftig Handelnden (vgl. Schütz/Luckmann: 530 ff.). Proteste gegen Klüngel – ebenso wie gegen mächtige „Elite“-Netzwerke oder informelle Lobbygruppen – zeigen genau diese (Schutz-)Reaktionen der so Beschuldigten (vgl. Überall 2008: 95). Das ‚Hinterhältige‘ und Korrupte ist insofern der Klüngel-Logik immanent, weil eben auch situiert (d. h. auf der Ebene der „situativen Kooperation“) präsent. Das vermag das Pyramiden-Modell nicht abzubilden und wird in Überalls Konzept nicht dargestellt. Der Klüngel verhält sich zur Korruption wie die Konspiration zur Verschwörung. Wir kommen auf den Aspekt in Kapitel 4.1.6 nochmals zurück, wo es um die Praxis der Mafia geht. 4.1.2 Verschwörung ICH GLAUBE NICHT, DASS DONALD TRUMP IN IRGENDWELCHE VERSCHWÖRUNGEN VERWICKELT IST. ER IST ZU DUMM, UM SICH ZU VERSCHWÖREN. ICH GLAUBE, ER MACHT EINFACH, WAS IHM GERADE IN DEN SINN KOMMT. ABER DAS IST NOCH VIEL GEFÄHRLICHER. (TRUMP-BIOGRAPH MICHAEL WOLFF, SPIEGEL ONLINE, 13. FEBRUAR 201872)
Goffman hat im Anschluss an Simmel auf sehr eingängige Weise die essentielle Rolle des Publikums für die konspirative Konstruktion sozialer
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Realitäten/Deutungen herausgearbeitet: Die Konspirationen des Alltags, ebenso wie ‚ungewöhnliche‘ und außeralltägliche Verschwörungen sind auf gelingende Interaktion mit dem Publikum angewiesen. Während aber für die Konspiration charakteristisch ist, dass ihre Aktivität im Gleichklang mit den Normen der Gesellschaft steht bzw. das ‚Normale‘ verwirklicht, vollzieht die Verschwörung einen diesen Normen entgegenstehenden und ernsthaft diskreditierbaren Akt der Normenverletzung. Nur dann wird die konspirative Praxis „Verschwörung“ genannt, wenn das dadurch identifizierte Verhalten, eine schwere Normen- oder Rechtsverletzung darstellt. In den meisten Fällen muss genau aus diesem Grund verschleiert werden. Die Konspiration ist im spezifischen Sinne durch eine gewisse „unreflektierte Leichtigkeit“ gekennzeichnet, „mit der Darsteller“ ihre Rollen zur „Aufrechterhaltung sozialer Maßstäbe spielen“ (Goffman 2017 [1979]: 70). Diese spielerische Leichtigkeit besage jedoch nicht, so Goffman, dass hier kein Rollenspiel stattfinde, sondern nur, „daß die Teilnehmer sich dessen nicht bewußt geworden sind.“ Im (Rollen-)Spiel der Ensembles täuschen sich diese ebenso sehr selbst wie ihr Publikum über die Realität ihrer Rollen und die Hintergründe ihres Verhaltens. Im Unterschied zur reflexiven und bewussten Fremdtäuschung, welche charakteristisch für Verschwörungen ist, zeichnen sich Konspirationen durch eine Fremdund Selbsttäuschung aus. Diese Selbsttäuschung erfüllt eine sozialisierende Funktion: Das Rollenspiel realisiert performativ, was die Akteur*innen vorgeben zu sein – aber nur, wenn sowohl das darstellende Ensemble als auch das an der Performance beteiligte Publikum dies wechselseitig kreditieren und das ‚Spiel‘ mitspielen. Spielt eine der Parteien nicht mit und misstraut, hinterfragt oder diskreditiert die Performance der anderen Partei, so bringt sie den Verschwörungsverdacht auf und aus dem Rollenspiel wird ernst. Der Verschwörung liegt in diesem Sinne das Bewusstsein eines Entwurfs zugrunde, eines „böswillige[n] Plan[s]“, wie Goffman schreibt, der deshalb verschleiert werden muss: Das konspirative „Täuschungsmanöver“ ist „das bewußte Bemühen eines oder mehrerer Menschen, das Handeln so zu lenken, daß einer oder mehrere andere zu einer falschen Vorstellung von dem gebracht werden, was vor sich geht. Es liegt ein böswilliger Plan vor, eine Verschwörung, eine hinterhältige Absicht, die – wenn sie verwirklicht wird – zur Verfälschung eines Teils der Realität führt. (Goffman 2018 [1974]: 98)
Verschwörungen seien als „Transformationen“ der Wirklichkeit auf doppelte Weise anfällig bzw. verwundbar: 1.) Im strategischen Sinne, insofern sie einer permanenten Gefahr der Entlarvung ausgesetzt sind und 2.) im moralischen Sinne, insofern diese Entlarvung das ‚Hinterhältige‘ einer verborgenen Tat offenbart. Während Goffman „Täuschungen in guter Absicht“ (ebd.: 102 ff.) von moralisch verwerflichen, und damit Verschwörungen im engeren Sinne unterscheidet, ist im Modus des Verschwörungsdenkens allein das Täuschungsmanöver verdächtig und fallen Strategie und Moral oftmals in eins. Während für Ego zwar
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Täuschungsmanöver oder konspirative Praktiken des sozialen Alter augenscheinlich sein mögen, bleiben jedoch im kommunikativen Handeln dessen Absichten oder Pläne verborgen. Ego vermag zwar die „Zeichen“ zu sehen und deuten, die der Andere nach außen hin zeigt, doch das ‚Innere‘ Wissen von Alter markiert für Ego stets eine Grenze. In diesem Sinne wird vom Verschwörungswissen später auch noch als Grenzwissen (vgl. z. B. Kap. 6.8 und 7.7) zu sprechen sein. Sobald Ego Alters Verhalten als soziales Handeln im eigentlichen Sinne (vgl. Schütz/Luckmann 2003: 545) begreift und sein Vertrauen, aus welchen Gründen auch immer, beschädigt sein mag, werden für Ego Alters antizipierte Absichten verdächtig und – bei fortschreitender Interaktion – wohl auch seine für Alter. Im Verschwörungsverdacht aktualisiert sich, mit Cubitt gesprochen, das Wissen darum, dass wir durch andere immer getäuscht werden können (vgl. ebd.: 356). Die „kommunikative Seite“ (vgl. Knoblauch 2009: 13) dieser Art von strategischer Interaktion kann insofern gar nicht genügend betont werden. Tabelle 5: Analytische Unterschiede zwischen (Alltags-)Konspirationen und Verschwörungen Funktion
Gesellschaftlicher Status
Wissensform
Praxisform
Interaktionsform
Konspiration
Anpassung (inklusiv)
Regel, Norm (Alltag)
common sense, implizit
Fremd- und reziprok, Selbstkommunitäuschung kativ
(Rollen-) Spiel
Verschwörung
Abschottung (exklusiv)
Ausnahme (Devianz)
Spezialwissen (explizit)
primär Fremdtäuschung
Kampf
(gruppen-) egoistisch
Modus
Um sich zu verschwören, ist stets eine Bewusstheit nötig, eine helle Wachheit, die das normale Niveau praktischer Routinehandlungen sowie auch den impliziten common sense geltender Rahmen und Normen übersteigen. Die Verschwörer*innen müssen insofern nicht nur das (implizite) Wissen geltender Rahmen haben, sondern bereits eine Perspektive, die diese transzendiert und damit instrumentell für Täuschungszwecke verfügbar macht: Die Verschwörer*innen wissen, ‚sehen‘ insofern ‚mehr‘ als die durch sie Getäuschten: die „Dummen, die Hereingelegten, die Angeschmierten, die Opfer“ (Goffman 2018 [1974]: 98). Goffman beschreibt dieses Mehr-Sehen der Verschwörer*innen wie folgt: für die Wissenden bei einem Täuschungsmanöver geht ein Täuschungsmanöver vor sich; für die Getäuschten geht das vor sich, was vorgetäuscht wird. Der Rand des Rahmens ist eine Fälschung, doch nur die Fälscher erkennen sie als solche. (Ebd.: 99)
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Es ist in dieser Antizipation der Täuschung die paranoide Subjektposition interaktionstheoretisch begründet und als Verschwörungswissen kollektiv sedimentiert. Während die Getäuschten diese, ihnen vorgetäuschte, Realität als real, natürlich, vertraut empfinden, wissen die Verschwörer, dass es außerhalb dieses Rahmens noch eine andere Wirklichkeit gibt – sie wissen sowohl um den Rahmen als auch um dessen Grenzen (Rand) und ‚sehen‘ so auch die Bereiche außerhalb des Rahmens. Das paranoide Subjekt ist in einer Position, in der es der durch Alter gedeuteten Situationsbestimmung beständig misstraut, sie potentiell als Täuschung gesehen wird. Dazu ein historisches Beispiel: Die Brutkasten-Lüge, die 1990 zum Zweiten Golfkrieg führte, wurde, wie viele Kriegslügen, erst später als eine solche bekannt. Ehemalige Mitarbeiter*innen und Vertraute der Bush-Regierung, tätig in der US-amerikanischen PR-Firma „Hill & Knowlton“, inszenierten neben verschiedenen Propaganda-Aktionen, auch den TV-Auftritt eines kuwaitischen Mädchens. Das Mädchen erzählte vor dem US-Kongress und der Weltöffentlichkeit unter Tränen die grausame Geschichte von Babys in einem Krankenhaus, die durch irakische Soldaten aus ihren Brutkästen gerissen und dann auf dem Boden sterbend zurückgelassen worden seien. Die kuwaitische Regierung wie auch der damalige US-Präsident Bush nutzten diese Geschichte mehrfach, um die USBevölkerung von dem daraufhin losgetretenen Krieg zu überzeugen. Erst im Nachhinein stellte sich heraus, dass das Mädchen, sie wurde „Nayirah“ genannt, die Tochter des kuwaitischen Botschafters in den USA und die Geschichte eine gezielte Propaganda-Lüge ist, um das Publikum in den Krieg zu manipulieren.
Abbildung 16: „Nayirah“ berichtet von Gewalt gegen Säuglinge. Die Bilder gingen um die Welt und stellten sich als Desinformation heraus (Quelle: YouTube/WDR).
Der Rahmen für die nicht-eingeweihte Öffentlichkeit ist hier vor der Enthüllung ie Geschichte, wie sie Nayirah erzählt: Die schrecklichen Geschichten, die durch Bilder und Erzählungen von sterbenden Säuglingen evoziert werden, sind für das
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unkritische TV-Publikum Realität. Die Täuschung, das Framing, der PRKampagne, besteht darin, Feindbilder grausamer Irakis lebendig werden zu lassen. Doch dass es ein Framing ist, dass die gezeigten Bilder nicht die (einzige) Realität sind, darauf kommen die Getäuschten nicht. Sie sehen nicht über den (Teller-)Rand dieses Frames hinaus. Erst wenn sich Indizien zeigen, die Anlass zum Zweifel geben, können die Täuschung und die mit ihr verbundene Verschwörung sichtbar werden. Verdächtige Zeichen könnten etwa sein: die vielfältigen engen persönlichen Verbindungen von Bush Sr. mit der PR-Firma „Hill & Knowlton“, die ihrerseits verdächtig ist; die geopolitischen Interessen an einem Angriff auf den Irak; der Umstand, dass „Der beste Freund, den Deutschland jemals hatte“ 73, Bush Sr., aus einer unorthodoxen Perspektive vielleicht ein ‚falscher Freund‘ sein könnte, mit tiefenpolitischer Biographie und dunklen Familiengeheimnissen.74 Genau hier setzt die moderne Verschwörungstheorie an. Im gegenseitigen Misstrauen und unter Kenntnis möglichst nicht nur aller ‚Fakten‘ über die strategischen Mittel, sondern damit verbunden vor allem auch über die moralische „Verwundbarkeit“ des Gegners. Die Gewalt der Verschwörung und die kommunikative Gewalt ihrer Entlarvung, etwa im „face work“, sind zwei Aspekte eines Interaktionszusammenhangs (vgl. Schink 2020b). Die Beherrschung beider Aspekte, der Fähigkeit der bewussten Verbergung von Tatsachen und die gleichzeitig damit verbundene Eindrucksmanipulation, das Image-Making, sind die zentralen Bestandteile der sozialen Intelligenz. In Kapitel 7.1 wird gezeigt, inwiefern die Rolle und Sozialfigur des Magiers, ein Meister der Eindrucksmanipulation und Legendenbildung, in diesem Sinne mit der Kultur der Intelligence verbunden ist. Dass es im Fall „Nayirah“ überhaupt aber einen manipulativen ‚Gegner‘ und einen Informationskrieg um die „Situationsbestimmung“ gibt – eine „eine zweite Welt neben der offenbaren“, die diese „auf das Stärkste beeinflusst“ (Simmel 1992 [1908]: 406) –, das wird erst im Bewusstsein eines vorherrschenden Täuschungs-Frames offensichtlich: im Modus von „Verdacht und Zweifel“ (Goffman 2018 [1974]: 141). Dieser überschreitet insofern als Verschwörungswissen die naive und natürliche Einstellung, die die Welt so nimmt, wie sie scheint oder dargeboten wird. Im ‚Mehr‘-Sehen des Verschwörungsdenkens treffen sich in gewisser Weise die Einstellung der „Verschwörungstheoretiker“ wie auch der Verschwörungspraktiker. Der Übergang von der Konspiration zur Verschwörung ist fließend. Wir haben bereits auf die Bedeutung von kulturellen und gesellschaftlichen Normen und Institutionen hingewiesen wie auch auf die reflexive soziale Intelligenz. Konspirative Praktiken, die sich gegen etablierte Institutionen, wie Gesetze, richten, gegen etablierte ethische Wertvorstellungen oder wirtschaftliche Interessen, werden als Verschwörungen bezeichnet. Im Beispiel von Peter, Max und Mario war es die moralische Anmahnung von Peter, welche die Mobbing-Attacke als Verschwörung im diskreditierten Sinne dieses Wortes ‚sichtbar‘ machte. Das Wissen der Beteiligten bildete eine Art der Subversion – Goffman (2018 [1974]: 99) nennt das
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„komplizenhafte Kommunikationskanäle“ –, die sich gegen die etablierte Norm richtet. Rein logisch ist es hier nicht mehr weit bis zu den geheimen Abhörmaßnahmen von „Echelon“ (Hager 2006 [1996]) oder der jahrzehntelangen geheimen Fernmeldeüberwachung in der Bundesrepublik (Foschepoth 2013 [2012]). Da es den Straftatbestand der Verschwörung in der Bundesrepublik nicht gibt, sind Verschwörungen im wörtlichen Sinne keine Sache der Staatsanwaltschaft. Was im angelsächsischen Raum eine „conspiracy“ im juristischen Sinne ist 75, entspricht im bundesdeutschen Strafrecht der Gründung einer kriminellen Vereinigung. Die Verschwörung meint insofern immer ein deviantes oder kriminelles kollektives Verhalten, das die Normen oder Gesetze einer Gemeinschaft dadurch verletzt, dass ein bestimmtes Wissen gegen diese instrumentell eingesetzt und diese Tätigkeit wiederum verschleiert wird: Die Verschwörung gelingt nur, wenn das Wissen über ihre Aktivität der Öffentlichkeit/dem Publikum verborgen bleibt. Darin besteht auch die Macht der Verschwörung, dass sie Wissen aneignet und die aus diesem Mehr-Wissen resultierenden Handlungsmöglichkeiten und praktischen Handlungen – zumindest auf Zeit – verborgen halten kann. Ihre Macht und Effektivität schwinden, wo Wissen aus dem Kreis der Verschwörer an die Öffentlichkeit dringt. Wir können an dieser Stelle zwei verschiedene, aber verwobene Varianten von Verschwörungshandeln unterscheiden: Erstens die sogenannte Verschwörungzur-Tat, in der die Geheimhaltung eine primär strategische ist. Zweitens das „Cover-Up“ bzw. Verschwörungen zweiter Art, in denen Geheimhaltung eine kollektive Handlung der Aufrechterhaltung einer bestimmten Situationsbestimmung, Rahmung oder moralischen Fassade dient (vgl. Goffman 2017 [1959]: 128). 4.1.3 Verschwörung-zur-Tat DAS EBEN IST DER FLUCH DER BÖSEN TAT, DASS SIE, FORTZEUGEND, IMMER BÖSES MUSS GEBÄREN. ICH KLÜGLE NICHT, ICH TUE MEINE PFLICHT, DER KAISER SCHREIBT MIR MEIN BETRAGEN VOR. WOHL WÄR‘ ES BESSER, ÜBERALL DEM HERZEN ZU FOLGEN, DOCH DARÜBER WÜRDE MAN SICH MANCHEN GUTEN ZWECK VERSAGEN MÜSSEN. HIER GILT‘S, MEIN SOHN, DEM KAISER WOHL ZU DIENEN, DAS HERZ MAG DAZU SPRECHEN, WAS ES WILL. (OCTAVIO, IN FRIEDRICH SCHILLERS WALLENSTEIN, 1799) WELL, IN LIFE, SOMETIMES YOU HAVE TO DO THINGS THAT YOU DON‘T WANT TO DO, BUT THEY ARE AN ORDER (JAN VAN RISSEGHEM, MUTMASSLICHER HAMMARSKJÖLD-MÖRDER76)
Am 17. November 2018 berichten Josef Hufelschulte und Alexander-Georg Rackow unter dem Focus-Titel „Die Verschwörung“ über ein „geheimes Netzwerk“ aus rechtsextremen bewaffneten Elitesoldaten und Polizisten in der Bundesrepublik, die an einem „Tag X“ einen Putsch planten und politische Gegner*innen ermorden wollten: Das Bundeskriminalamt hat Hinweise auf ein geheimes Netzwerk deutscher Elitesoldaten. Zeugenaussagen zeichnen das Bild einer Killertruppe. Das Parlament
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wurde vom Verteidigungsministerium nicht informiert. Laut Aussage bereite sich eine Gruppe vornehmlich aus Elitesoldaten generalstabsmäßig auf einen ominösen „Tag X“ vor. […] Für diesen Zeitpunkt stünden die Kameraden bereit. Konkret nannte S. die Namen von Beteiligten, die in ihrem abgrundtiefen ‚Hass auf Linke‘ und Flüchtlinge einen „Ordner mit Adressen und Lichtbildern“ von Zielpersonen angelegt hätten, die „weg“ müssten. Zwei Bekannte hätten die in einem Schuppen versteckte Liste gesehen, ebenso einen prall gefüllten Waffenschrank.77
Auch die taz berichtete aufgrund eigener Recherchen über die „Schattenarmee“, die durch einen Verein vernetzt sei, „dessen Gründer ein bundesweites Chatnetzwerk mit vertraulichen Informationen aus deutschen Behörden belieferte“ und der Kontakt zu dem „unter Terrorismusverdacht verhafteten Soldaten Franco A.“ unterhielt.78 In den Folgemonaten wird sich der Verdachtsfall erhärten und es tauchen Verbindungen zwischen dieser „Schattenarmee“, dem Verfassungsschutz und dem NSU-Komplex auf.79 Im deutschsprachigen leitmedialen und politischen Diskurs wird der Verdacht auf eine Verschwörung eher selten und nur in sehr schwerwiegenden Fällen geäußert. In den USA ist dies aus kulturhistorischen Gründen etwas anders. Hier sind der „conspiracy“-Verdacht und das Verschwörungsdenken seit der Gründungszeit mit der Republik und den ‚founding fathers‘ verbunden (DeHaven-Smith 2013). Beginnend bei dem Attentat auf Abraham Lincoln über das Attentat auf John F. Kennedy, die Anschläge von 9/11 bis zum polarisierenden Verdacht auf eine Kooperation zwischen US-Präsident Donald Trump und Russlands Präsident Wladimir Putin, sei nur eine kleine Auswahl von politischen Cover-Ups, Komplotten und Verschwörungen genannt, die das Bewusstsein der USKultur in dieser Hinsicht bis in die Gegenwart hinein prägen. Die globale kommunikative Vernetzung hat diese national-kulturellen Grenzen freilich durchlässiger gemacht und insofern auch das Verschwörungsdenken globalisiert (Kap. 6.1). Bei dem genannten Verdacht auf die Verschwörung einer geheimen rechtsextremen „Schattenarmee“ hätten wir es mit einer „Verschwörung-zur-Tat“ (Hövelmann 2014: 34) zu tun, d. h., einer Verschwörung, die in einem Ereignis mündet: einem Attentat, Putsch, einer Revolution oder eben „einem ominösen Tag X“. Die Geheimhaltung ist hier eine strategische, d. h. auch, sie ist nur an gewisse Zeiträume und Kontexte gebunden. Das Geheimhalten von Anschlags- oder Umsturzplänen geschieht nicht primär aus ideologischem Anlass des Gesichtsverlustes, sondern aus Effektivitäts-, aus taktischen oder strategischen Gründen, während die Tat selbst sehr wohl ideologisch motiviert sein kann. An dieser Stelle kommen wir nochmals auf Machiavelli. Er hat die Verschwörung als politisches Machtinstrument einer kleinen Gruppe betrachtet. Und genau so wird sie in der Regel im Sprachgebrauch auch verstanden. Das Motiv muss selbst aber nicht in politischen strategischen Interessen bestehen, sondern kann ebenfalls ökonomisch, religiös usw. sein. Laut Max Weber (1972 [1921]: 21) ist die „Verschwörung“ eine Form des sozialen Kampfes. Sie lässt sich in diesem Sinne vom dramaturgischen (Schauund Rollen-)Spiel der Konspiration, bei der immer auch Selbsttäuschung Mittel
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der Verheimlichung ist, modal unterscheiden (vgl. Goffman 2017 [1959]: 198). Bei Attentaten und/oder Staatsstreichen müssen die Verschwörer zu „List“, „Schnelligkeit“ und „Gewalt“ fähig sein (Middendorff 1988: 35). Das heißt, sie sind hellwach und sich ihrer Situation bewusst. Sie brauchen Tatkraft. Daran sei auch das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 gescheitert, so Middendorff. Es habe den Tätern an Skrupellosigkeit gegenüber dem Führermord ermangelt (ebd.: 41 ff.).
Abbildung 17: Der mutmaßliche Hammarskjöld-Mörder: van Risseghems Kriegsdokumente als Zeugnis (s)einer Verschwörung (Quelle: theguardian.com).
Gerade das Hitler-Attentat wirft aber die Frage auf, inwiefern die Verschwörung denn stets kriminell, korrupt oder ‚böse‘ sein muss. Mit Simmel (1992 [1908]: 445) können wir die Verschwörung als eine Form der kollektiven Handlung begreifen, in der sich eine Art von „Gruppenegoismus“ ausdrückt. Dieser bestehe in einer „Abtrennung der Gruppe von ihrer Umgebung“, d. h., die Motive oder Handlungen der Gruppe stimmen nicht mit denen der sie umgebenden Gesellschaft überein. In totalitären Regimen wie dem Nationalsozialismus oder im Stalinismus gilt aus heutiger und ‚demokratischer‘ Perspektive eine jede verschwörerische, vermeintlich ‚egoistische‘ Abspaltung einer solchen Umwelt, als moralisch kreditierbarer Akt, zumal wenn er zum Ziel den Umsturz dieses totalitären Regimes hat. Was aus Sicht der Machthaber*innen solcher Systeme eine „Verschwörung“ im negativen Sinne wäre, mag aus der Außenperspektive als ein progressiver Befreiungsakt gelten – in imperialistischer Logik gehört dazu auch die Parapolitik sogenannter „regime changes“. Der Verschwörungsverdacht rekurriert damit immer auf jene moralischen Maßstäbe der sozialen Gruppe, gegen die sich vermeintlich oder real verschworen wird. Oder anders: Verschwörer sind immer die sozialen
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Anderen. Die Widerstandskämpfer um Stauffenberg waren aus der Sicht des herrschenden Systems abtrünnige Verräter, die nach dem gescheiterten Umsturz „grausam und unmenschlich“ (Middendorff 1988: 49) behandelt wurden. Heute aber gelten sie Vielen als tragische Helden. Die Behauptung des Gruppenegoismus verweist damit wiederum nur auf die Differenz zwischen einem scheinbar ‚egoistischen‘ Verschwörer-Kreis und einem aus dessen Wissenszirkulation ausgeschlossenen sozialen Umfeld. In der Verschwörung-zur-Tat ist das Geheimnis der Verschwörer ein Geheimnis auf Zeit. Sobald das Attentat oder der Umsturz vollstreckt ist, löst sich die Wissensblockade und damit auch die ‚Spannung‘ auf. Diese Spannung resultiert aus dem Wissensungleichgewicht zwischen der mehr oder weniger geschlossenen Wissenszirkulation des Systems der Verschwörung und ihrer Systemumwelt.80 Im Falle der Geheimhaltung von Staatsstreichen spricht Middendorff davon, dass „es wohl kaum eine größere politische und militärische Aktion [gibt], die nicht in irgendeiner Weise spürbar wird.“ (Middendorff 1988: 27) Das heißt, im Umfeld der Verschwörer-zur-Tat gab es zwar im Vorfeld des verborgenen Staatsstreichs ein (Mit-)Wissen unter vielen Soldaten der Wehrmacht. Doch dieses Wissen blieb sehr vage und hatte bloß die Form des Gerüchts. Es war ein Wissen, dass etwas passieren würde, kein Was-Wissen von vollständig Eingeweihten: Die Verschwörung war an ihren Rändern „ausgefranst“, was bedeutet, daß zwar mancher etwas von ihr wußte, aber nur halbherzig dabei war, denn man übersah nicht, daß ein Aktivwerden beim Staatsstreich mit Lebensgefahr verbunden war und so schreckte man dann, als es ernst wurde, zurück. (Ebd.: 43)
Verschwörungen können aber auch ‚von oben‘ orchestriert sein. Etwa wenn Sicherheitsorgane sogenannte „Agents Provocateurs“ (Jenkins 2003: 87) in Bürger*innen-Proteste schleusen, um diese zu diskreditieren, oder im Falle sogenannter Fake- oder „False Flag“-Operationen (Kap. 5.3), wie sie vor allem von größeren Armeen und Geheimdiensten durchgeführt werden können. In diesem Fall wäre die Verschwörung eine „Praxis der autoritären Regierungsform“ 81 und so wird das Verschwörungswissen zum Herrschafts- bzw. Arkanwissen (vgl. Hausteiner 2017; Voigt 2017; Stolleis 1980). Für letzteres ist das sogenannte „Celler Loch“ ein gutes Beispiel. In der Nacht vom 25. Juli 1978 sprengten Unbekannte ein Loch in die Außenmauer der JVA-Celle, in der zu diesem Zeitpunkt der mutmaßliche RAF-Terrorist Sigurd Debus einsaß. In den Schlagzeilen am nächsten Morgen wird „einhellig von einem Terroranschlag“82 berichtet. Erst acht Jahre später kommt durch Recherchen des Journalisten Ulrich Neufert heraus, dass es sich um eine verdeckte Operation unter falscher Flagge gehandelt hat, die Mitarbeiter*innen des Verfassungsschutzes selbst durchgeführt hatten. Ziel des Anschlags sei gewesen, diesen der RAF zuzuschreiben, um dadurch einem VSAgenten eine Tarnidentität (die sogenannte „Legende“) zu verschaffen. Eingeweiht in diese fragwürdige Konspiration war lediglich ein erlauchter Kreis in der niedersächsischen Landesregierung, die CDU-geführt war, sowie Geheimdienst-
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und Spezialkommando-Kreise. Die SPD geführte Bundesregierung soll über die gesamte Operation nicht informiert gewesen sein.83 4.1.4 Verschwörung zweiter Art DOUBT IS OUR PRODUCT, SINCE IT IS THE BEST MEANS OF COMPETING WITH THE ‚BODY OF FACT‘ THAT EXISTS IN THE MINDS OF THE GENERAL PUBLIC. IT IS ALSO THE MEANS OF ESTABLISHING A CONTROVERSY. (BROWN & WILLIAMSON, SMOKING AND HEALTH PROPOSAL, 196984) ICH WERDE PROPAGANDISTISCHEN ANLAß ZUR AUSLÖSUNG DES KRIEGES GEBEN, GLEICHGÜLTIG, OB GLAUBHAFT. DER SIEGER WIRD SPÄTER NICHT DANACH GEFRAGT, OB ER DIE WAHRHEIT GESAGT HAT ODER NICHT. (ADOLF HITLER, REDE VOR DEN OBERBEFEHLSHABERN DER WEHRMACHT, 193985)
Während Verschwörungen-zur-Tat als „event conspiracies“ (Barkun 2003: 6) auf ein Ereignis hinarbeiten, ist damit noch nichts darüber ausgesagt, ob es sich hierbei um eine psychologische Operation oder um schon genannte militärisch-geheimdienstliche „covert actions“ (Krüger/Wagner 2003: 9) handelt. Zu unterscheiden ist aber ihre jeweilige zeitliche Ausdehnung. Verschwörungen-zur-Tat arbeiten auf das Ereignis hin und benötigen für dessen effektive Realisierung die strategische Geheimhaltung. Bis zur Realisierung bleibt die mit der Wissens-Unterdrückung einhergehende Spannung erhalten. Demgegenüber zeichnen sich „Cover-Ups“ als Verschwörungen zweiter Art durch eine Dauerspannung aus: Hier besteht die konspirative Praxis in einer stetigen Aufrechterhaltung von Images bzw. solcher Deutungen, die nicht den Eindruck erwecken, es könne sich bei dem durch sie verborgenen Tatbestand um eine Verschwörung handeln. Das Säen von Zweifeln an der Existenz einer Verschwörung ist das erste und einfachste Mittel, um diese als solche zu vertuschen (vgl. Michaels 2008). In jedem Akt der Verschwörung, so Mathias Bröckers, müsse schließlich eine „Nachbereitung stattfinden, die ja auch geplant sein muss“.86 Hier müssten die ‚Täter‘ die Tat „vertuschen“ und sich „bei jedem Verbrechen […] überlegen“, wie es ‚danach‘ weitergeht. Vor allem Medienbzw. Informationskontrolle und „Öffentlichkeitsarbeit“ sind dabei zentral (Westerbarkey 2003). Bei einem solchen sogenannten Cover-Up können die Akteur*innen innerhalb unterschiedlicher Rahmen Wirklichkeit organisieren. Zum Beispiel als mehr oder weniger eingeweihte Täuschende. Hierbei verschwinden Akten wie im „NSU-Komplex“ (Schink 2020a: 130 ff.) oder Beweise vom Tatort wie beim Kennedy-Attentat oder beim angeblichen kollektiven Selbstmord der RAF. Verbindungen oder Zusammenhänge zwischen Orten, Personen, Zeiten werden verschleiert oder durch Fälschungen verzerrt, es werden falsche Spuren gelegt, Zweifel gesät. So etwa im Fall des mutmaßlichen Attentats des Soldaten Jan Van Risseghem auf den UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld, der bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam. Die Umstände sind bis heute noch dunkel:
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[…] evidence [has been uncovered] that the flight logs were filled with false names, meaning they had been doctored by Van Risseghem or with his knowledge. That makes it harder to rely on them as accurate accounts of dates or times, and is particularly striking because the pilot himself insisted […] they were a meticulous record of every hour he spent in the air.87
Der zweite Rahmen des Cover-Up ist der dramaturgische der gleichzeitigen Fremd- und Selbsttäuschung, der schon für die Konspiration charakteristisch ist. Diese Rahmung prägt in der Regel die „ausgefransten“ Ränder der Verschwörung, in welchen zwar kein explizites Wissen, sehr wohl aber Loyalität das Wissen der Verschwörer*innen mit abschottet. Mit der Wissens- liegt auch eine Arbeitsteilung vor, d. h., die Verschwörung muss hier als Interaktion und verteiltes Handeln nicht nur zwischen einem Ensemble und einem Publikum, sondern auch zwischen verschiedenen Akteuren/Ensembles begriffen werden. In dieser Arbeitsteilung lässt sich analytisch mindestens das Ensemble von Tat-Verschwörer(n)*innen (Verschwörung-zur-Tat) von demjenigen Ensemble, die diese instrumentell oder dramaturgisch verschleiern (Verschwörung zweiter Art) unterscheiden. Goffman unterscheidet die (dramaturgische) Konspiration von der Vielzahl „andere[r] Mittel, durch die eine Handlungsgruppe ihre Ziele erreichen kann.“ (Goffman 2017 [1959]: 79 f.) Er nennt für diese Mittel Handlungen der „Gewaltanwendung oder Verhandlungsstärke“, die „durch gezielte Manipulation des Eindrucks verstärkt oder geschwächt werden“ könnten. Das bedeutet Verschwörungen-zur-Tat können durch Konspirationen auf der kommunikativen Ebene „verstärkt oder geschwächt“ werden. Auch Terror und Verschwörung bedingen sich in diesem Sinne wechselseitig: Eine Verschwörung kann zur Vorbereitung eines (spektakulären) Terrorakts führen, wie bei 9/11. Zugleich fungieren terroristische Methoden als kommunikative Gewalt, die die Aufklärung der Verschwörung-zur-Tat (z. B. durch Propaganda, Desinformation oder Stigmatisierung) verhindern können. Imperialistische Praktiken der „counterinsurgency“, der ([anti-]terroristischen) Aufstandsbekämpfung, so McGovern (2018: 40) funktionieren in ‚zivilisierten‘ Gesellschaften nur durch die kulturelle Produktion von Ignoranz: The cultural production of ignorance about empire means, above all else, not knowing about its violence – or, if ‘known’, of shrouding its dark realities with celebratory myths of imperial virtue, heroism and civility.
DeHaven-Smith (2013: 154 ff.) macht im Fall von sogenannten SCADs (State Crimes Against Democracy) wie dem Kennedy-Attentat oder 9/11 auf die systematische „linguistic thought control“ aufmerksam, die die Deutungen und Narrative dieser Ereignisse vermittels Bildpolitik und Sprachregelungen in bestimmte Richtungen lenken und damit eine umfassende Aufklärung verhindern. Er schreibt, dass das, auf die im Falle Kennedy und 9/11 von den offiziellen Regierungserklärungen abweichenden Deutungen angewendete, „conspiracy theory-label“ die
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politische „imagination“ limitiere (ebd.: 51), weshalb es keine neutrale Bezeichnung sei. In diesem Zusammenhang macht er auch darauf aufmerksam, dass der Begriff „conspiracy theory“ bzw. „conspiracy theorist“ gezielt durch eine geheime CIA-Operation lanciert wurde, um Kritiker*innen der Einzeltäter-Theorie zu diskreditieren. Wir kommen darauf in Kapitel 5.5.5 zurück. Festzuhalten bleibt hier, dass „Verschwörungen-zur-Vertuschung-der-Tat“ (Hövelmann 2013) sich in der Regel dadurch auszeichnen, dass sie Deutungen ausschließen, indem sie Wirklichkeit innerhalb von bestimmten Rahmen organisieren. Die „Verschwörung zweiter Art“ kann sich also, wie oben erwähnt, in physischen Handlungen (Akten- oder Dokument-Fälschungen oder Akten-Vernichtung, der Manipulation eines Tatorts, der Tötung von Zeugen usw.) erstrecken oder aber sich auch auf psychologischer, dramaturgischer und diskursiver Ebene in Propaganda-, Legitimierungs-, Rationalisierungs- oder Relativierungspraktiken vollziehen. Dabei werden, wie im Falle Kennedy, bestimmte Deutungen propagiert (Einzeltäter-Deutung) und andere diskreditiert (Verschwörungsdeutung). Die diskreditierten Deutungen einer mutmaßliche Verschwörung-zur-Tat gelten dann als „Verschwörungstheorien“. In der politisch-orthodoxen Debatte um den NSU-Prozess, der seit 2011 in der Bundesrepublik geführt wird, galt es ebenfalls als eine politische Vorgabe „Verschwörungstheorien“, die das Ansehen des Staates gefährden könnten, „entgegenzutreten“88. Der politisch-orthodoxe wie der leitmediale Diskurs orientierten sich, nicht ausschließlich, aber doch stark an dieser Leitlinie und insofern bildeten sich hier Diskurskoalitionen (vgl. Kap. 5.2). ZUFÄLLE, PANNEN, EINZELTÄTER WAS BISLANG KAUM BEKANNT IST: ES GIBT EINE MERKWÜRDIGE VERBINDUNG ZWISCHEN DER RECHTEN TERRORZELLE UND DEM DSCHIHADISTEN. AUCH WENN ES SICH SEHR WAHRSCHEINLICH UM EINEN ZUFALL HANDELT. (WELT ONLINE, AMRI UND DER NSU NUTZTEN DASSELBE PISTOLENMODELL, 27. NOVEMBER 201889) ZUFALL? BEIM THEMA NSU GLAUBE ICH NICHT MEHR AN ZUFÄLLE. (ONLINE-KOMMENTAR VON „JOCHEN MÜLLER“90)
Das Konspirative dieser Praxis besteht darin, dass sich eine unsichtbare Kooperation zwischen jenen Akteur*innen oder Subjekten ereignet, die im Diskurs des NSU-Komplexes gemeinsam einen ‚natürlichen‘ Rahmen – geprägt durch Annahme von Willenlosigkeit, Zufällen und Verantwortungslosigkeit – aufrechterhalten.91 Sie bilden insofern – bewusst oder unbewusst – ein (Diskurs-)Ensemble und machen sich aus der Außenperspektive zu (aktiven oder passiven) Mit-Täter*innen bei der Vertuschung einer möglichen Verschwörung. Dabei ist spezifisch, dass die Art und Weise, wie kommuniziert wird, verschleiert, dass hier überhaupt ein gemeinsamer Rahmen hergestellt wird: in diesem Fall ein anti-verschwörungstheoretischer und ‚natürlicher‘, der die Wirkmächtigkeit sozialer Intelligenz und
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strategischer Interaktion im betreffenden Fall relativiert oder nihiliert und insofern Verschwörungsthesen über die Beteiligung von Geheimdiensten oder Verbindungen zur Organisierten Kriminalität ausschließt. Für Goffman stellen die Bindekräfte solcher Ensembles „Loyalität, Disziplin und Sorgfalt“ im Umgang untereinander und mit bzw. vor dem Publikum dar (Goffman 2017 [1959]: 209). Der Inszenierungs-, Vertuschungs- und Verschwörungsverdacht seitens des Publikums wird vor allem dann relevant, wenn es den anti-konspirativen Deutungsrahmen der Ensembles – den kollektiv erzeugten Eindruck, es liege keine Verschwörung vor –, erkennt und infrage stellt. Der anti-verschwörungstheoretische Deutungs- und Ermittlungs-Rahmen wird in Kriminalfällen gerade dort als eine Schutzbehauptung verdächtig, wo gehäuft Ermittlungspannen als Entschuldigung dienen oder „Zufälle“ und „Merkwürdigkeiten“92 den Diskurs prägen, was aber nichts über den tatsächlichen Tathergang aussagt. Im politisch-orthodoxen NSU-Diskurs ist der Rahmen deutlich: Absage an Verschwörungstheorien. NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags präsentiert seinen Bericht – Polizistin Kiesewetter Zufallsopfer der NSU-Terroristen,
heißt es in der Esslinger Zeitung vom 16. Januar 2016.93 Weiter heißt es da, dass die Polizei zunächst „schlampig gearbeitet“ habe. Denn im Falle der angeblich vom dem Terror-Trio getöteten Polizistin Michele Kiesewetter habe sie „[n]eben dem Schlüsselbund […] nach dem Brand eine Pistole und eine Machete im Auto übersehen. ‚Grob mangelhaft‘ nennt dies der Abschlussbericht des Ausschusses.“ Weiter unten steht: Dem Mord an der jungen Polizistin galt neben dem Flammentod am Cannstatter Wasen sowie Ku-Klux-Klan-Verbindungen von Polizisten das Hauptaugenmerk des Gremiums. Als Fazit ziehen […] [der Vorsitzende] und die Obleute der Fraktionen, dass Kiesewetter wie ihr Kollege Zufallsopfer der NSU-Terroristen waren.94
Es habe keine „Anhaltspunkte“ für die Beteiligung weiterer Täter oder einer gezielten Tötung der Polizistin gegeben. Dann wird nochmals auf die „vielen Fehler bei den Ermittlungen“ hingewiesen, die der Untersuchungsausschuss festgestellt habe, doch letztlich stehe am Ende von dessen Ausschussarbeit die „Erkenntnis, dass ‚Demokratie und Rechtsstaat‘ durch die Nachforschungen verteidigt wurden.“ Der CDU-Obmann sieht, wie auch seine Kollegen, „[a]lle Verschwörungstheorien [...] ‚klar entkräftet‘.“ Diese Deutung bestreiten Kritiker*innen der offiziellen Darstellung, etwa Hajo Funke, der, sich auf Ausschussmitglieder und Opfer-Anwälte berufend, schreibt: Die Beweisführung der Bundesanwaltschaft hat sich auf vor allem drei Personen, das Trio, fixiert und so ihre Beweisführung selbst geschwächt. Offenbar war es das Interesse der Bundesanwaltschaft, in der Analyse jede Art von Weiterungen auf weitere Mittäter und Unterstützer und nicht zuletzt auf V-Leute […] mit allen Risiken für die Urteilsfindung zu blockieren. (Funke 2018: 146; vgl. Förster u. a. 2018)
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RAHMEN UND REALITÄTEN […] DER ZUCKERVERBAND SAH DAS ALS BEDROHUNG. ALSO INVESTIERTE MAN RIESIGE GELDSUMMEN, UM WISSENSCHAFTLICH NACHZUWEISEN, OB DIESE STOFFE HARMLOS WAREN, ODER NICHT. UND DA MAN HERAUSFINDEN WOLLTE, DASS SIE SCHÄDLICH WAREN, FAND MAN DAS NATÜRLICH AUCH HERAUS. (GARY TAUBES, DIE GROßE ZUCKERLÜGE, ARTE, 201595)
Was „Verschwörungstheoretiker“ und Verschwörer*innen miteinander verbindet, ist, wie erwähnt, ihr Denken innerhalb eines „conspiracy fringe“ oder TäuschungsRahmens. Dass das Denken innerhalb eines solchen Rahmens die Tendenz hat, eine paranoide self-fulfilling prophecy zu werden, innerhalb derer sich alles nicht um ‚die‘ Realität an sich, sondern nur noch um die Realität für uns dreht, hat schon Richard Hofstadter in seinem paradigmatischen Aufsatz als Merkmal des so genannten „paranoid style“ erkannt und benannt: „The higher paranoid scholarship is nothing if not coherent – in fact the paranoid mind is far more coherent than the world.“ (Ebd. 1964: 86) Hofstadter, oftmals missverstanden, wollte diesen „style“ jedoch nicht pathologisieren: [i]n fact, the idea of the paranoid style as force in politics would have little contemporary relevance or historical value if it were applied only to men with profoundly disturbed minds. It is the use of paranoid modes of expression by more or less normal people that makes the phenomenon significant. (Ebd.: 77 f.)
Wenn der Leitgedanke dieser Studie stimmt, dann gibt es Kontexte und Umstände, in denen das Verschwörungsdenken vernünftig – „paranoia within reason“ – ist. Wenn wir mögliche Verschwörungen entlarven wollen, dann müssen wir innerhalb der konspirativen Logik denken. Wir müssen – hypothetisch – voraussetzen, dass sie existieren, sonst können wir sie nicht sehen. Wir müssen die entsprechenden Täuschungsrahmen aktivieren, ohne im pathologischen Sinne paranoid zu werden. Das heißt: Wir müssen an die Realität eines bestimmten Rahmens glauben, ohne diesen unbedingt absolut oder für alle Zeit ernst nehmen zu müssen. Selbst Hofstadter, der, zusammen mit Popper, oftmals als Anwalt gegen das Verschwörungsdenken herangezogen wird, setzt den „paranoid style“ als Verschwörungsglauben nicht mit dem Verschwörungsdenken gleich. Auch Popper (1980 [1945]) kritisiert mit der „Verschwörungstheorie der Gesellschaft“ eher dasjenige, was wir mit Begriffen wie Verschwörungsglaube oder -ideologie einer Weltanschauung gleichsetzen würden (Anton/Schink 2019: 92 ff.). Der erwähnte kontextsensitive Zugang zu „Verschwörungstheorien“ kann dagegen eine Unterscheidungsfähigkeit oder Urteilskraft voraussetzen, die es ermöglicht – und über die wir in der Regel als kompetente Mitglieder der Gesellschaft verfügen –, die Grenzen von ‚Realität‘ wie auch die Grenzen des „conspiracy fringe“ zu erkennen. Während der Verschwörungsgläubige in diesem Rahmen gefangen ist und gar nicht anders kann, als, paranoid, das Weltgeschehen im Sinne von Täuschungen und Komplotten gegen ihn und andere zu deuten, bildet sich im Verschwörungsdenken oftmals spielerisch
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eine Urteilskraft heraus, die sowohl den Nutzen und die Grenzen von Verschwörungen erkennt und deren Rationalität sich an Kontexte anzupassen weiß. VERSCHWÖRUNGSFAKTEN UND -FIKTIONEN
Eliot Borenstein versucht am Beispiel der US-amerikanischen TV-Serie „X-Files“ (dt. „Akte X“) zu zeigen, inwiefern wir den „conspiracy fringe“ – er nennt ihn „paranoid mode“ – in gewisser Weise spielerisch ständig im Alltag verwenden. Wenn wir uns z. B. „X-Files“ wirklich anschauen, dann verschmelzen wir mit dem Plot und seinen Figuren für diese Zeit, wir erwerben die Kompetenz, die Verschwörung zu denken, wir sind Subjekte des Verschwörungsdenkens, ohne dass dies innerhalb dieses Kontexts problematisch oder gefährlich wäre. Dies ist ein intentionaler Akt und wir beherrschen die Rahmentransformation in diese Wirklichkeit hinein, ebenso wie aus ihr heraus. Das gleiche gilt im Alltag, wo wir mit Konspirationen und Geheimnissen bzw. deren kollektiver Verschleierung spielerisch und oft unproblematisch umgehen (vgl. Kap. 4.2). Die Unterscheidung zwischen (Verschwörungs-)Fakt und Fiktion ist für Borenstein daher keine, die zur epistemologischen Abwertung des seriösen Verschwörungsdenkens führt. Er denkt die Verschwörungsfiktion in den „X-Files“ – oder auch im Schach (Schink 2016d) – vielmehr spieletheoretisch und mit Derrida, als präkonditionale Einübung der konspirativen Realität der Gesellschaft. Borenstein schreibt, dass „‚true‘ and ‚false‘ conspiracy theories share the same basic structure, and all of them function as the same predicative for a paranoid subject position.“96 Die Rationalität einer solchen paranoiden Subjektposition bemisst sich weniger an ihrer ‚Nähe‘ zur ‚Realität‘, als an den dieser Wirklichkeit immanenten Merkmalen, Strukturen oder Logiken. The point is not that The X-Files turns us into true believers in aliens […]. More important is the way in which fiction allows (and even requires) an audience to temporarily adopt a subject position that might otherwise be alien. […] Immersion in fiction produces, if not an altered state, then an altered subjectivity. For brief periods of time, we adopt the positions of believer in mutants (The X-Men), intergenerational romance (Harold and Maude), or the efficacy of torture (24). A fictional narrative that cannot temporarily convince us of something we might otherwise doubt is a failure.97
Borenstein beschreibt hier die produktive Wirklichkeit der Fiktion – in Anlehnung an Theorien des Spiels – und geht, sehr ähnlich wie Goffmans dramaturgischer Ansatz, mit Derrida davon aus, dass die „possibility of play“ eine „precondition for the serious“ sei.98 Auch bei Goffman hat – wie schon bei Mead und Cooley – das ludische und szenische dramaturgische Handeln immer auch eine pädagogische und vor allem sozialisierende (und auch ‚normierende‘) Funktion (vgl. Goffman 2017 [1959]: 34): Durch das Rollenspiel lernen wir, wie schon erwähnt, erst jene zu werden, die wir dabei vorgeben, zu sein.
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If we can‘t believe in a conspiratorial fiction that calls itself fiction, we will never commit to a conspiratorial fiction that calls itself fact. We identify a paranoid subject position in others because we have experienced it ourselves. Moreover, the very conventions of narrative encourage interpretive habits, that in other contexts, look paranoid: that nothing is random or extraneous and that the entire story is the result of careful design,
schreibt Borenstein und fügt hinzu: „Good readers make good paranoids“99. Wenn wir den beschriebenen „paranoid mode“ als Inbegriff eines kontextsensitiven und kompetenten Verschwörungsdenkens begreifen, dann drängt sich auch die Frage nach dem Entstehungszusammenhang und den Implikationen der bereits angedeuteten anti-verschwörungstheoretischen Einstellungen und Deutungsmuster (Kap. 5.5) auf. Zeigen sie in ihrer Absolution nicht spiegelverkehrt die Unfähigkeit, sich eine Wirklichkeit differenziert und das Konspirative in einem „continuum“ vorzustellen – einem „paranoid spectrum to locate anything from discrete utterance to a full-blow narrative“100 – und sind sie hier nicht weniger als der von ihnen kritisierte Verschwörungsglaube Immunisierungsstrategien des rahmenbedingten „Deutungsapparat[s]“ (Goffman 2018 [1974]: 571) aus unhinterfragten Dogmen einer ‚natürlichen‘ Welt bloßer „Pannen“ und „Zufälle“? Die Frage ist rhetorisch. Unsere Antwort auf sie ist deutlich: Der Verschwörungsglaube wie auch das ideologische Verschwörungsdenken basieren, so die Behauptung, nicht weniger auf „unkorrigierbare[n] Aussage[n]“ (Mehan/Wood 1997 [1976]: 31) – dass eine im Geheimen agierende Konspiration existiert – als die Frames sowie die Deutungsmuster der Verschwörungsskeptiker und Kämpfer*innen gegen „Verschwörungstheorien“ (Kap. 5.5.2). Deren Immunisierungsstrategie und Ideologie bestehen in der axiomatischen Aussage, dass (bestimmte) Verschwörungen nicht existieren (können) und ihre „Hilfskonstruktionen des Glaubens“ (ebd.) basieren darauf, Realität durch Zufälle, Pannen oder ähnliche kosmologische Faktoren zu erklären, die genau das bestätigen, was sie sehen und denken können. Ihre „kriminologische Imagination“ ist durch Vertrauen in bestimmte Institutionen geprägt, das den „Verschwörungstheoretikern“ abgeht. Doch wer ist hier naiv? Die perspektivische Differenz hängt immer auch mit einer Differenz kultureller Praktiken und praktischer Ideologien zusammen. Als solche haben sie auch eine körperlich-leibliche Dimension. Affekte, Ängste, Lust oder Faszination spielen gerade dort, wo wir vom Ideologischen – aber auch vom Mythos – sprechen, eine Rolle. Nach Bratich (2008) ist dabei etwa die Verschwörungsangst („conspiracy panics“) ein Zwischenphänomen, dass beide Seiten trennt und miteinander verbindet: als Angst vor Verschwörungen und als Angst vor „Verschwörungstheorien“. Zwischen diesen beiden Extremen, dem dogmatischen Verschwörungsglaube und dem axiomatischen Verschwörungsunglaube, lässt sich aber die schon genannte spielerische und kontextsensitive Variante verorten. In gleicher Weise wie die genannten Extreme ist diese nicht frei von Ideologie oder Glaube. Doch ihr
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wohnt eine Reflexivität inne, die um das Ideologische in ihrer jeweiligen Subjektposition weiß. Sie bemüht sich nicht nur um Kritik der jeweiligen Gegenposition, sondern vor allem auch um Selbstkritik. Das kontextsensitive Verschwörungsdenken kennt nicht nur die Gefahren von „Verschwörungstheorien“, es anerkennt gleichzeitig deren Realität. Dazu aber darf es „Verschwörungstheorien“ nicht nur als Spielereien oder Gefahr sehen, sondern muss sie, zeitweise aber faktisch, ernst nehmen. Es muss sich ihnen aussetzen können, als seien sie real und muss, um sie zu überprüfen, in der Lage sein, die Subjektposition des paranoiden Anderen einzunehmen. Denn nur wenn das getan ist, wenn wir uns wirklich mit der Realität der Verschwörung in der Theorie auseinandergesetzt haben, sind wir in der Lage, die eigene mit der Perspektive unserer Praxis verwobene Ideologie zu hinterfragen. Das ist, wie in einem Spiel, nicht ohne Hingabe und Übung machbar. 4.1.5 Verschwörungspraxis WHEN I WAS A CADET, WHAT‘S THE […] CADET MOTTO AT WEST POINT? YOU WILL NOT LIE, CHEAT OR STEAL, OR TOLERATE THOSE WHO DO. I WAS A CIA DIRECTOR. WE LIED, WE CHEATED, WE STOLE. WE HAD ENTIRE TRAINING COURSES […]. IT REMINDS YOU OF THE GLORY OF THE AMERICAN EXPERIMENT. (MIKE POMPEO, TEXAS A&M UNIVERSITY, 15. APRIL 2019101)
„Verschwörungstheorien“ sind Deutungsmuster aus der Distanz. Sie deuten aus der Sicht einer entfremdeten outgroup die exklusive Kooperation einer Gruppe im Modus des Verdachts und des Misstrauens. Die entfremdete Außenperspektive erlaubt den Verschwörungstheoretikern mehr zu sehen als den Eingeweihten, indem sie vor allem anders sehen. Parker (2001: 192) schreibt daher: „Theory […] [is] a seeing from a distance, as a way of seeing what those, who are too closely implicated cannot themselves see.“ Gleichzeitig verschleiert diese Außenperspektive auch bestimmte Tatsachen und vor allem geht mit ihr oftmals auch eine (Selbst-)Täuschung über die Wechselbeziehung zwischen der Innen- und der Außenperspektive einher – so als sei ‚die Verschwörung‘ eine Tatsache an sich und nicht zugleich eine für uns, insofern wir von ihr exkludiert sind. Wenn „Verschwörungstheorie“ denjenigen Tätigkeitsmodus meint, in dem die Konspiration entfremdet, distanziert und ‚theoretisch‘ gedeutet wird, dann bezieht sich Verschwörungspraxis auf denjenigen Tätigkeitsmodus, in welchem das Wissen der Verschwörung vertraut, engagiert und implizit ist. Die perspektivische Differenz macht einen wesentlichen Unterschied in der Deutung der Verschwörung.102 Anders als die Verschwörung-zur-Tat, bezieht sich der Begriff der Verschwörungspraxis nicht primär auf eine einzelne Gruppe oder ein singuläres Ensemble, das durch die Verwirklichung eines im Verborgenen ausgeführten Akts die Realität verändert. Die Differenz von „Realität“ und „Täuschung“ ist selbst empraktisch verankert (Mehan/Wood 1979 [1976]). Um die Realität von Verschwörungen – was hier methodisch gleichbedeutend mit ihrer Verbergung/Unsichtbarkeit ist – zu
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verstehen, müssen wir daher vor allem die Kultur- und Praxisseite berücksichtigen, den „praktischen Sinn“ (vgl. Schmidt 2014), innerhalb dessen sie jeweils operiert. Damit ist auch die methodologische Schwierigkeit verbunden, dass konspirative und verschwörerische Praktiken sich per definitionem der Beobachtbarkeit entziehen. Meist sind sie erst retrospektiv als solche erkennbar. Doch Täuschung und Konspiration sind, wie oben gezeigt, immer auch situiert. Sofern wir uns täuschen lassen, sind wir bereits Teil der konspirativen Wirklichkeit. Wir mögen vielleicht nur in Ausnahmefällen zum innersten Kreis einer politischen Verschwörung gehören und meistens zum passiven Publikum – oftmals ist dies auch die bequemere Position. Doch mindestens im Rahmen gewohnter Alltagspraktiken verorten wir uns irgendwann einmal – und in der Regel immer wieder – auch auf der aktiven Seite im Kontinuum gesellschaftlicher Konspirationen. Möglichst knapp soll in den nächsten Abschnitten, zunächst theoretisch und dann empirisch, an einem Fallbeispiel exemplifiziert, ein Begriff von Verschwörungspraxis entwickelt werden. Dabei wird – wenn auch methodologisch noch nicht perfekt – gezeigt, inwiefern die Verschwörung in spezifischen Kontexten eine konkrete und praktische Realität ist und vor allem, welches die Merkmale dieser Praxis sind. Autoethnographische Notizen sollen es den Leser*innen ermöglichen, die Subjektposition der Nähe einzunehmen. PRAXIS ALS KOLLEKTIVE TÄTIGKEIT
Wenn wir von Praxis sprechen, so ist, im Unterschied zur Handlung, dadurch schon angezeigt, dass sich die betreffende Tätigkeit auf ein Kollektiv verteilt. Damit ist aber ein Wesensmerkmal des Konspirativen schon gegeben. Soziale Praxis meint sowohl ko-aktives wie auch „verteilte[s] Handeln“, im Sinne von sozialen Interaktionen, immer gleich mit (Hirschauer 2017: 93). Weil die moderne Gesellschaft sich mitunter durch Ausdifferenzierung von Tätigkeiten – Arbeitsteilung und Profession – organisiert und Verschwörungen eine spezifische Teilmenge davon sind, ergibt es Sinn, diese praxistheoretisch zu denken. Ich möchte die Kollektivität von Praxis hier als ein Hauptmerkmal hervorheben. Hirschauer (2017) zeigt, Kollektivität mit inbegriffen, einige Merkmale, um Praktiken als solche zu charakterisieren und vom Handlungsbegriff abzugrenzen: 1. Nicht-‚Rationalität‘ und Körperlichkeit 2. Handeln und Verhalten 3. Nichtdualität und Aktivitätsniveaus 4. Koaktivität und verteiltes Handeln 5. Verstetigung und Reproduktion 6. Kommunikation und Selbstexplikation
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Auf der Basis der vorangegangenen Erörterungen soll im Folgenden anhand dieser Merkmale knapp ein Begriff von Verschwörungspraxis entwickelt werden, der ihrem praktischen Sinn gerecht wird und damit dem durch verschiedene „-Ismen“ geprägten „Mythos“ (vgl. Kap. 4.1) der Verschwörung – und damit der „Verschwörungstheorie“ –, der sich vor allem aus der Distanz einer „theoretischen Einstellung“ ergibt, entgegensteht. Die Überlegungen sind damit eine Weiterentwicklung der in Schink (2016d) entwickelten Differenzierung zwischen den Modi Verschwörungspraxis und Verschwörung. Der erste Punkt zeichnet die Praxis der Verschwörung im Gegensatz zu ihrer Vorstellung als rein ‚rationales‘ Tun gleichsam als körperlich-leiblich und affektiv vermittelt aus. Diese Irrationalität ergibt sich aus mehreren Faktoren: a.) der Ungleichverteilung und Begrenzung von Wissen, die mit „verteilte[m] Handeln“ (Punkt 4) verbunden ist, b.) durch die mit Praxis und praktischer Ideologie verbundene Selbsttäuschung, c.) Durch die der Verschwörung inhärente Unterdrückung der Wissenszirkulation, nicht zuletzt d.) eben aus dem Umstand, dass das Subjekt der Verschwörung ebenfalls ein verkörpertes und leibliches Wesen ist. Der zweite Punkt verweist darauf, dass durch Routinisierung und Institutionalierung von konspirativem Handeln, etwa im Geheimdienst oder in der organisierten Kriminalität, Verhaltensmuster geprägt werden, in denen das Verschwörungswissen gleichsam tacit knowledge, d. h. implizites Wissen werden kann. Verschwörungspraxis ist insofern als ein „Kontinuum von Aktivitätsniveaus“ zu begreifen, das sowohl bewusste und explizite, wie vor- oder unbewusste routinisierte Tätigkeiten umfassen kann. Dies verweist auf den dritten Punkt, der davon ausgeht, dass wir Praxis „nicht […] dualistisch (aktiv/passiv)“ (Hirschauer 2017: 93) begreifen, sondern als Wechselwirkung oder eben „Kontinuum“ von Handeln und Verhalten denken sollten. Viertens richtet sich der Praxisbegriff dagegen, Verschwörungen von vereinzelten Individuen (Robinsonaden) her zu denken, als vielmehr immer schon koaktiv und inter-subjektiv, und damit auch ohne für eine Verschwörung ein einziges „souveräne[s] Zentrum“ mit „rationale[m] Ursprung“ (ebd.) anzunehmen. Auch dieser Punkt geht einher mit den vorherigen Merkmalen und wirft schließlich Fragen nach dem „need to know“-Prinzip auf (d. h., die Frage danach, welche*r Akteur*in was weiß und was nicht), ebenso wie die Frage nach der Verbindung zwischen Praxis und Organisation in Bezug auf konspiratives Handeln bzw. die kollektive (Re-)Produktion von Geheimnissen (vgl. Costas/Grey 2016; Parker 2015). Auch der fünfte Punkt der Verstetigung und Reproduktion ergibt sich aus bereits veranschaulichten Umständen, wie sie etwa für Klüngelstrukturen (Kap. 4.1.1) oder Institutionen wie den Geheimdienst (Schink 2020a: 135 ff.) charakteristisch sind: Im Analyse-Rahmen der Parapolitik (Kap. 4.3) ist diese Verstetigung politischer Praxis aus der Logik der Geheimhaltung verstehbar. Scott (1993: 6) definiert „Parapolitik“ als „a system of practice of politics in which accountability is consciously diminished“ und verweist damit gleichsam auf das
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Wesen des Parapolitischen, wie auf das Wesen von Praxis als gemeinsam geteilter Tätigkeit. Im Begriff beider ist die strukturelle Nivellierung oder Verschleierung von (individueller) Verantwortung mitkonzipiert. Diese Verschleierung von Handlungsträgerschaft und Verantwortung sowie die Funktionalisierung von Fremdund Selbsttäuschungen führten, so Scott, zu einer Verstetigung und Selbststabilisierung des „Systems“ oder der Praktiken der an parapolitischen Tätigkeiten teilhabenden Subjekte. Die Logik der Täuschung reproduziert dabei (Pfad-)Abhängigkeiten, in dem Sinne der alten Weisheit, dass jede Lüge, um sie zu verbergen, weitere Lügen benötigt: „The resulting social system is relatively stable, and the fact that certain procedures are repressed from public consciousness becomes itself suppressed.“ (Ebd: 7) Zuletzt und sechstens ist die Verschwörung als Praxis auch dadurch charakterisiert, dass obwohl sie, was sie tut und wie sie es tut, strukturell vor sich selbst und vor anderen verschleiert, gleichsam zeigt und kommuniziert, was sie tut. Diese Kerneigenschaft kommunikativen Handelns findet sich bereits in Goffmans Unterscheidung zwischen „cues given“ und „cues given off“ (Kotarba/Fontana 1984: 31), d. h. zwischen explizit dargestellten Zeichen (z. B. im Rahmen von „impression managament“) und solchen, die implizit oder ungewollt mitkommuniziert werden (z. B. durch [ungewollte] körperliche Reaktionen wie Erröten o. ä.).Die „mitlaufende kommunikative Seite“ kann auch als „sinnhafte Oberfläche“ bezeichnet werden, von der Hirschauer (2017: 95) meint, dass sie „von allen Praktizierenden ‚gelesen‘ und verstanden werden kann.“ DOUBLE BINDS Politische Kommunikation ist immer mindestens doppelt kodiert. Einmal für die Bürger und Wähler [outsider], einmal für die politischen und ökonomischen Akteure [insider] […]. (Tagebuch, ~ 8. März 2012103)
Auf diesen Punkt soll nochmals näher eingegangen werden. Denn er verdeutlicht wie kein anderer der für die „Praxis“ charakteristischen Punkte die Ko-Konstruktion der als „Verschwörung“ gedeuteten Praxis/Tätigkeit durch die outgroup sowie den für diese Untersuchung zentralen Begriff einer paranoiden Subjektposition. Wie bereits betont, ereignen sich Verschwörungen nicht außerhalb der Sphäre gesellschaftlicher Praktiken und jener symbolischen Formen, durch die sie kommunikativ Sinn generieren. Nach Hirschauer (2017: 95) erzeuge Praxis an ihrer „Außenseite kontinuierlich Zeichen“ oder auch „Spuren“ und entfaltet sich in jeder Praxis „eine öffentliche Schauseite“: Das praktische Handeln „führt seinem Publikum vor Augen, wie etwas geht, es sozialisiert also andere“, wie es auch sich selbst immer diszipliniert und sozialisiert. Anders als für andere Praktiken ist aber für die „Selbstexplikation“ konspirativer Praxis spezifisch, dass dabei (a) nicht gezeigt wird, was getan wird bzw. (b) – und das ist der sekundäre Modus konspirativer Praxis – gezeigt wird, was nicht getan wird. Die Elemente der Konspiration
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sind demnach (a) Geheimhaltung und Abschottung bzw. (b) Desinformation, Täuschung oder Propaganda, die in „Einklang der Gemüter“ bzw. in „Einmütigkeit“ (Goffman (2017 [1959]: 82) zwischen Ensembles verwirklicht werden (Schink 2020a: 121). Die konspirative Praxis kommuniziert insofern sogenannte „double binds“, d. h. paradoxe oder widersprüchliche Botschaften, die die outgroup bzw. die Öffentlichkeit täuschen (sollen/können) und sie über die ‚Wahrheit‘ oder die ‚Intentionalität‘ dieser Praxis immer im Zweifel lassen: Der Empfänger solcher Botschaften weiß nie, in welchem Rahmen er eine Nachricht verstehen soll, da die Elemente dem Rahmen und der Rahmen den Elementen widerspricht. (Sautter/Sautter 2010 [2005]: 70 f.)
Die Subjekte konspirativer Praxis sind einem stetigen Zweifel, einer Verunsicherung und Dezentrierung ausgesetzt, zwischen dem, was gezeigt und dem, was getan wird, einen Widerspruch zu sehen, „hinter der Oberfläche der Erscheinungen“ eine andere „eigentliche Wahrheit vermuten“ zu müssen (Meyer 2018: 22). Während andere Formen von Praktiken darauf ausgelegt sind, dass das Publikum erkennen kann, was getan wird und gemeint ist, zeichnet sich die Praxis der Konspiration/Verschwörung dadurch aus, dass nach außen hin, nicht (direkt) erkannt werden soll, was getan wird oder gemeint ist. Die „double bind“-Kommunikation bedingt eine paranoide Subjektposition. Die Ensembles der Verschwörung, sei es in der (Sicherheits-)Politik oder in Agenturen der Öffentlichkeitsarbeit, wie auch die „Verschwörungstheoretiker“ teilen ein Wissen um diese paradoxe Kommunikation und die Codierungen des jeweiligen Gegenübers und lernen dadurch potentiell voneinander. Im Rahmen dieser doppeldeutigen Kommunikation reproduzieren sich Subjektivitäten und Praktiken, die weder allein auf „Verschwörungstheorien“ noch auf die durch sie adressierten Verschwörungen reduziert werden können. Sie sind vielmehr Teil einer lebendigen Konspirationskultur. ***
In diesem Zuge muss ich an den Journalisten Dirk Pohlmann denken, der mir erzählt, dass er durch seine Recherchen und Interaktionen im Feld der Sicherheitspolitik mittlerweile ein „geheimdienstverseuchte[s] Gehirn“ habe. Obwohl er von ‚außen‘ kommt und selbst nicht im Feld der Sicherheit gearbeitet hat, habe er über mehrere Jahre hinweg gelernt, sich an diesen Bereich anzupassen: Man „muss genauso arbeiten wie Geheimdienste“, meint er, sonst verstehe man in diesem Feld gar nichts. Er habe auch viel Zeit in National- und Sicherheitsarchiven verbracht. Dabei habe er lernen können, dass sehr oft gerade das Fehlen einer Akte – wo eigentlich eine hätte sein müssen – im Kontext sensibler Angelegenheiten eine wichtige Spur darstelle.104 Weil im Feld nationaler Sicherheit die (geheime) archivarische Dokumentation umfassend ist, deute eine Lücke nicht auf eine Panne, sondern vielmehr auf eine Absicht hin, auf Vertuschung. Ein
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Militärhistoriker bestätigt mir diesen Sachverhalt. 105 Der investigative Filmemacher lernt insofern seinen Interaktions- und Deutungsrahmen empraktisch an jene klandestinen Kulturen anzupassen, deren Tätigkeiten er verstehen und deren Wissen er enthüllen will. Komplementär dazu lernen die Akteur*innen, deren Profession die klandestine Praxis ist, mit ‚Schnüfflern‘ wie ihm umzugehen, dadurch, dass sie eindeutig zweideutige Bedrohungen aussprechen („double binds“ oder „Doppelsprech“), Zugänge verwehrt oder auch Akten gefälscht (statt entwendet)106 und gleichsam die Reaktionen auf diese Tätigkeiten antizipiert und analysiert werden. Es ist – wären da nicht die Momente realer und lebensbedrohlicher Gefahr – wie ein spielerisches Lernen, durch das beide Seiten ein (Schatten-)Wissen von der jeweils anderen erlangen. Die „praktizierte Paranoia“ erfordert, wieder mit Bröckers gesprochen, sowohl im Schachspiel wie im Bereich der Intelligence ein Arbeiten unter „ständige[m] Mißtrauen gegenüber dem Offensichtlichen, große[r] Vorsicht vor falschen Spuren und verborgenen Fallen“. Die Logik und Rahmen dieser Praxis erfordern und kultivieren soziale Intelligenz. Es sind jene Rahmen und Deutungsmuster, in denen sich das Verschwörungsdenken prägt. 4.1.6 Fallbeispiel: Die Verschwörung der Mafia DURCH DIESE MORDE WURDEN DIE BEHÖRDEN ÜBERHAUPT DARAUF AUFMERKSAM, DASS DIE ITALIENISCHE MAFIA AUCH IN DEUTSCHLAND AKTIV WAR, BZW. IST. […] SPEKTAKULÄRE RAUBÜBERFÄLLE UND BESONDERS BRUTALE GEWALTVERBRECHEN WURDEN ALS EINZELFALL GEWERTET; NIEMAND AHNTE, DASS DAHINTER ORGANISIERTE KRIMINELLE STRUKTUREN STEHEN, SCHON GAR NICHT WURDEN DIE VERWANDTSCHAFTSVERHÄLTNISSE DER […] MAFIA-ORGANISATION NDRANGHETA DURCHSCHAUT. (BIRGIT GÄRTNER, WIRTSCHAFTSMACHT MAFIA, TELEPOLIS, 16. DEZEMBER 2018107)
In meiner Kindheit und Jugend machte mein Vater oft einen Standardwitz, während wir bei einem der vielen ‚Italiener‘ in unserer Region saßen und die Speisekarte musterten. Der Ablauf war immer in etwa so: Der Vater begutachtete zunächst das Restaurant, die Inneneinrichtung und die Menge der Gäste, die hier saßen. Während der*die Kellner*in dann gerade nicht anwesend war, fragte mein Vater, ohne sein Grinsen zu unterdrücken, zu uns blickend: „Wo steht hier die Waschmaschine?“, wahlweise „Wo ist hier der Waschkeller?“ Meine Mutter verdrehte daraufhin meist die Augen und schämte sich fremd. Als wir noch sehr klein waren, mussten mein Bruder und ich ernsthaft nachfragen, wie er das meinte. Später war es dann klar. Meistens beließ er es bei diesem Spruch, einfach um das Tischgespräch zu beleben und geselliger zu machen. „G‘schwätz“ eben, wie man auf Schwäbisch sagt. In manchen Fällen meinte der Vater es aber offenbar ernst
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und versuchte sich zu verteidigen, wenn meine Mutter ihm böse Unterstellungen vorwarf. „So wenig wie hier immer los ist, verdienen die hundertprozentig an etwas anderem! … Das kann mir keiner erzählen!“ Er war sich dann immer ganz sicher. Er ließ nicht mit sich reden. ‚Beweise‘ für diese Behauptung hatte er natürlich nie. Die interessierten ihn auch nicht wirklich. Er wusste es ja. Und wir waren doch hier, um Pizza zu essen. „Sind Sie bei der Mafia?“, ist zu diesem Zweck eine eher unpassende Frage. Meist hielten mein Bruder und ich uns raus und feierten das Streitgespräch zwischen den Erwachsenen und die buchstäbliche und absurde Phantasie einer „Waschmaschine“, die irgendwo im dunklen Keller des italienischen Restaurants steht und in der Geldscheine „gewaschen“ werden. Als ich Jahre später, während einer meiner „Tagenächte“ im Internet auf das Thema Mafiakriminalität in Deutschland stoße, während ich mich gerade über die „Pizza-Connection“ des ehemaligen Baden-Württembergischen Ministerpräsidenten informiere, bin ich darüber weniger überrascht als über andere InternetKuriositäten. Es fühlt sich vielmehr an, wie die Bestätigung eines Wissens, das ich schon lange in mir trage, das aber niemals relevant für mich war. Das Gefühl ist dabei nicht das der Enttäuschung eines naiven Kindheitsglaubens. Es ist, im Gegenteil, ein inneres Schmunzeln über die ‚Bauernweisheit‘ des Vaters, die mir von Kindesbeinen an mitgegeben war, ohne dass ich dabei etwas im eigentlichen Sinne wusste. Es ist eine gefühlte Wahrheit, die sich bestätigte. Als ich meinen Vater zu einem späteren Zeitpunkt auf die „Waschmaschinen“-Witze anspreche, erzählt er mir, dass sein Bruder – mein Onkel – bereits in einigen Küchen von italienischen Restaurants gearbeitet hatte – unter anderem hatte er Kochgerät eingebaut. Dabei habe er viele Einblicke in die Hinterbühnen der Restaurants bekommen: in Gespräche, finanzielle Umstände, Personen, die ein- und ausgehen. Verdächtig seien für ihn vor allem die vielen Umzüge mancher Eigentümer*innen in kurzen Zeitintervallen gewesen: Die ‚echten‘ Besitzer, die ‚Hintermänner‘ blieben dieselben, Name und Ort der Pizzeria, die Fassade, veränderten sich. Eine Praxis, die nur für outsider unsinnig erscheint. DAS WISSEN DER MAFIA Dass die Geheimdienste seinerzeit eine dubiose Rolle gespielt haben, ist eine der Thesen, an die die einen fest glauben und die andere genauso überzeugt als Märchen abtun. Ähnliches gilt für die Annahme, dass die Mafia und der Staat einen Waffenstillstand aushandelten. […] Das haben linke Politiker vermutet, übergelaufene Kronzeugen behauptet und Juristen jahrelang untersucht. Bewiesen wurde es nie. Jetzt behauptet das einer, der gewiss kein linker Verschwörungstheoretiker ist. Giuseppe Pisanu kommt als Politiker aus Berlusconis Partei Volk der Freiheit (PdL) und als früherer Innenminister aus dem innersten Zirkel der Macht. (Kordula Doerfler, Dunkle Wahrheiten, Frankfurter Rundschau, 07. Juli 2010108)
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„Verschwörungstheorien“ über die Mafia sind gesellschaftlich nicht stigmatisiert. Sie sind eher ein Tabu oder einen guten Witz wert.109 Dazwischen existiert wenig. Es gibt keinen breiten gesellschaftlichen Diskurs über Mafiakriminalität. Das Wissen über die Mafia der meisten Deutschen scheint aus Film und Kino zu kommen. Filme wie die Trilogie „Der Pate“ (1972–1990), „Casino (1995), „Der blutige Pfad Gottes“ (1999) oder „Departed“ (2006) haben die Jugend und das Mafia-Bild des Autors geprägt. Doch: Was heißt hier ‚die‘ Mafia? Wenn im Folgenden von ‚der Mafia‘ die Rede ist, dann geht es primär um die italienische Mafia, die exemplarisch ist für eine Praxis der Verschwörung und ihre gesellschaftliche Popularisierung und Verhüllung.110 Die Entgrenzung zwischen Realität und Fiktion, die die oft auf realen Geschichten basierenden fiktiven Inszenierungen der Mafia charakterisieren, begrenzen sich aber nicht nur auf die Filmkultur. Längst prägt das Fiktive der (Mafia-)Kriminalität auch die Realität der Mafiapaten. Filmisch inszenierte Fremddeutungen durch Stars wie Al Pacino, Robert de Niro oder Jack Nicholson wirken zurück auf die Selbstdeutung der realen kriminellen Celebrities (Penfould-Mounce 2009).111 Das bedeutet jedoch keinesfalls, dass die Mafia genauso agiert wie im Film. Vielmehr macht die popkulturelle Inszenierung sie attraktiv und verhüllt zugleich ihre reale Macht. Das gesellschaftliche Wissen über die Mafia ist so gesehen zugleich fiktiv und real – durch die Popularisierung der Mafia ist eine eindeutige Trennung nicht mehr auszumachen. Anders verhält es sich da mit dem Spezialwissen investigativer Journalist*innen oder ermittelnder Kriminalist*innen. In ihrem Bereich ist Mafiakriminalität ein reales Phänomen. Sie wissen qua Profession das eine vom anderen sauber zu trennen – und „verfluche[n]“ dabei teils auch filmische Inszenierungen des „Pate[n]“.112 Des Weiteren gibt es einen starken Unterschied in der Deutung zwischen nationalen oder kulturellen Grenzen. Die italienische Gesellschaft wurde in den 1980er- und 1990erJahren von einem regelrechten Mafia-Terror heimgesucht. Dessen traurigen Höhepunkt bildete das tödliche Attentat auf den Richter und obersten ‚Mafia-Jäger‘ Giovanni Falcone Mitte Mai 1992. Im Kampf gegen die Mafia wurde 1981 auch die geheime Freimaurerloge „Propaganda Due“ (P2) enthüllt. Diese Enthüllung zeigte, wie sich im Schutzraum eines diskreten Geheimbundes ein recht stabiles „Machtgefüge“ gebildet hatte, welches die Politik Italiens in den 1970er-Jahren fest im Griff und teilweise auch Kontakte zur Mafia hatte (Igel 2014: 86 f.) sowie auch für Terroranschläge der 1960er- bis 1980er-Jahre verantwortlich gemacht wurde. Die Liste der Mitglieder der P2 beinhaltet 962 Namen, die ihre realpolitische Macht zeigen: 52 hohe Offiziere der Carabinieri, 50 gleichgestellte der Armee, 37 der Finanzpolizei und 29 der Marine, elf Polizeipräsidenten, fünf Präfekten, 70 Unternehmer, zehn Bankpräsidenten, drei Minister im Amt, zwei Ex-Minister, ein Parteisekretär, 38 Parlamentsabgeordnete, 14 Staatsanwälte und Richter, dann Bürgermeister, Krankenhauschefs, Notare, Rechtsanwälte, Journalisten. P2-Mitglied war auch Silvio Berlusconi, Fernsehkönig und später mehrmals Ministerpräsident. (Ebd.: 87)
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Wenn in Italien von der „piovra“ (dt. Krake) die Rede ist, dann ist damit mittlerweile auch die Mafia assoziiert: als eine „krakenfingrige Bestie, die Staat und Gesellschaft terrorisiert“, wie der Spiegel 1986 schreibt.113 „La Piovra“ ist auch der Originaltitel einer italienischen Thrillerserie, die von 1984 bis 2001 in zehn Staffeln ausgestrahlt und auch im deutschen Fernsehen mehrfach gesendet wurde. Die Verschwörung der Mafia ist ein gutes Beispiel für die Realität von Verschwörungspraxis und dafür, wie diese Realität unsere Deutungen, Fiktionalisierungen, Diskurse und auch „Verschwörungstheorien“ prägt. Das gesellschaftliche Wissen der Mafia als populäres Wissen ist eben nur die eine Seite ihrer Wirklichkeit. Davon zu unterscheiden ist das schon erwähnte Wissen von investigativen Journalist*innen, Ermittler*innen oder Insider*innen, schließlich das Wissen aus der Binnenperspektive der mafiösen Praxis selbst, welches der Gesellschaft nur hochgradig vermittelt zugänglich ist. Wie bedeutend in der Wissensproduktion über die MafiaPraxis aber Gerüchte und Spekulationen sind, zeigen nicht nur jene Gerüchte, die sich irgendwann einmal als wahr bestätigten. Um die Realität der Mafia zu durchdringen, müssen wir deren Rationalität verstehen. Diese ist gerade nicht so zu beweisen, wie man in der Regel wissenschaftliche oder logische Beweise führt. Die Eckpfeiler der Rationalität der Mafia bilden Gewalt und Schweigen. Gerüchte, Spekulationen und „Verschwörungstheorien“ stellen hier keine minderwertige Kommunikation dar (vgl. Coady 2014). Im Kontext von Mafiaterror und -kriminalität kann diese Sprache Leben retten, dem Rechtsstaat einen Dienst erweisen.
Abbildung 18: „Der 23. Mai ist Italiens 9/11. Denn jeder in Italien weiß, wo er heute vor 25 Jahren war, damals, als die Bombe unter der Autobahn auf Sizilien explodierte und Giovanni Falcone, den größten „Mafia-Jäger“ der Geschichte, in den Tod riss“ (Quelle: eigene Collage/Stern).
Als ich mich, 2019, einige Jahre nach den „Pizza Connection“-Recherchen und in der letzten Phase dieser Arbeit wieder etwas intensiver mit der Mafia-Kriminalität in Deutschland beschäftige, muss ich ein weiteres Mal schmunzeln: Mittlerweile
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ist zu lesen, dass gerade auch im Rems-Murr Kreis in Baden Württemberg, wo ich die längste Zeit meines Lebens verbrachte und sehr gerne und regelmäßig mit meiner Familie die ein oder andere italienische Pizzeria besuchte, „die Ndrangheta, die kalabrische Mafia […] eine Außenstelle hat“114. Anlass der Berichterstattung war eine konzertierte Aktion deutscher und italienischer Ermittler*innen im Januar 2018, in der „eine Schlüsselfigur für die Deutschlandgeschäfte des Ndrangheta-Clans Farao-Marincola“ festgenommen wurde. 115 Gerade im ländlichen Raum des deutschen Südwestens ist nach diesem kurzzeitigen Spektakel die Realität aber bald wieder verdrängt. So berichtet die lokale WKZ drei Monate nach der Polizei-Aktion: Mafiosi leben mitten unter uns. Niemand bestreitet das. Nach zwei Festnahmen […] im Januar brodelte es gewaltig in der Gerüchteküche. Auffällig schnell ist wieder Ruhe eingekehrt, zumindest nach außen hin. Die Mafia „baut auf Stillschweigen in der Bevölkerung“, sagt ein Kalabrese aus Waiblingen. Die Strategie hat Erfolg.116 117
Wie erwähnt, unterscheidet sich der deutschsprachige Diskurs über die Mafia vom Diskurs in Italien. Was im kulturellen Gedächtnis der italienischen Nation tiefe Narben und teilweise noch offene Wunden hinterlassen hat, ist hier oftmals nur abstrakt oder fiktiv fassbar. Dabei ist die Mafia-Kriminalität längst international – und vor allem ist sie auch in Deutschland aktiv. „Geldwäsche ist das größte Geschäftsfeld der Mafia. Da ist Deutschland ein Paradies“, meint eine der bekanntesten deutschsprachigen Mafia-Kennerinnen, Petra Reski, schon 2011 in einem Welt Online-Interview.118 Im Unterschied zu Italien, das seit Jahrzehnten eine drastische Anti-Mafia-Gesetzgebung hat, fühlten sich „Mafiosi in Deutschland“ aber aufgrund der Gesetzeslage „sehr wohl.“ „Das deutsche Abhörgesetz entspricht darum auch Berlusconis Traum.“ 119 Auf die Interview-Nachfrage, ob die Mafia denn nicht im „Informations-Zeitalter“ ein „Auslaufmodell“ sei, antwortet Petra Reski unerwartet deutlich: Um Himmelswillen: nein! Sie ist ein Zukunftsprojekt! Die kennen hier etwas, was noch auf die ganze Welt zukommt. Die Mafia ist immer jeder Entwicklung einen Schritt voraus. Das sagt Ihnen hier auch jeder Staatsanwalt. […] Es gab selten Zeiten, wo es anders war, etwa zur Zeit des Staatsanwalts Falcone, der 1992 dafür mit seinem Leben bezahlt hat. Da waren sie sozusagen zeitgleich mit den Ermittlungen. Aber in der Regel ist die Mafia die erste, die die Chancen für sich wittert und umsetzt, die die Globalisierung für sich nutzt, die Digitalisierung, überhaupt jede neue Entwicklung. Deshalb bleibt die Mafia leider ein Zukunftsmodell. Absolut. (Reski 2011)
Petra Reskis im Jahr 2011 getätigte Aussagen über die Mafia-freundliche Gesetzeslage in Deutschland 120 bekommt die Journalistin nur kurze Zeit später am eigenen Leib zu spüren, als sie von einem mutmaßlichen Mafia-Mitglied verklagt wird, weil sie Gerichts-Interna veröffentlicht hatte, durch die sich der Betroffene
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in seinem Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt sah. Ihr ehemaliger Verleger hielt in diesem Rechtsstreit nicht zu Reski. Seither wagt die bekannte Autorin nur noch in Romanform über die Mafia zu schreiben. Zeit Online nennt dieses Urteil eine „Niederlage für die Meinungs- und Pressefreiheit“ und schreibt von einem „gleichermaßen beunruhigenden wie befreienden“ 121 Schritt Reskis: Sie könne nun weitaus freier und ausführlicher über die Mafia schreiben als in irgendeiner Zeitung. Zugleich verbannt sie aber in ihren Romanen die Mafia einmal mehr ins Reich der Fantasie. DIE GESCHICHTE DER MAFIA
Historisch-soziologisch können die ersten lokalen Mafia-Strukturen, die sich um die Wende des 19. Jahrhunderts in Sizilien herausbildeten, als eine Form des archaischen Klüngels betrachtet werden. ‚Mafia‘ stand damit traditionell gegen die Ordnung des modernen Staates. Auch Mussolini bekämpfte schon sizilianische Mafia-Strukturen, scheiterte aber an der Zerschlagung ihrer Macht. Diese war regional verwurzelt und beruhte vor allem auf Vertrauen wie gleichfalls auf Furcht der Bevölkerung zu und vor den ‚Mafiosi‘. Das Wort ‚Mafioso‘ stammt wohl aus dem Arabischen und meint so viel wie ‚Ehrenmann‘; eine männliche Person, die, notfalls mit Gewalt, die Ehre verteidigt: the meaning of ‘boldness, ambition, arrogance’. A mafioso stood for a man che non porta mosca sul naso, who didn’t have a fly dancing on his nose, who was always ready to defend his honour. (Hess 2009: 153)
Hess verweist darauf, dass das Wort ‚Mafioso‘ später vom Staat die Bedeutung von „private, and therefore criminal, violence of local strong-arm men and their clienteles“ bekommen habe und das Wort ‚Mafia‘ im Laufe der Zeit vor allem durch Journalist*innen die Bedeutung einer kriminellen Organisation, schließlich einer Geheimgesellschaft bekam (ebd.). Davon abgesehen, war aber realhistorisch die Macht der Mafia zunächst lokal, dezentral und patriarchal geprägt. Mafiosi regelten unter anderem Geschäfte als „Mittelsmänner“ und „Schutzgeber“, indem sie einerseits zwischen Geschäftsparteien, traditionell auf dem Marktplatz, vermittelten, andererseits den Bruch einer Geschäftsbeziehung mit Gewalt sanktionierten. Hessinger (2002: 487) beschreibt insofern als „Kern des mafiösen Geschäftsethos“ die „Schutzindustrie“. Sizilien war geographisch und geopolitisch über verschiedene Epochen vor allem durch seine Entfernung von den Machtzentren Italiens geprägt. Mit dem Niedergang des Feudalismus und durch die Zerschlagung der kirchlichen Zentralmacht profitierten „einerseits die Adeligen, andererseits eine neue ländliche Mittelschicht“, die sogenannte „gabelloti“ vom Besitz des Landes, das sie wesentlich durch Privatisierung und Reformen erworben hatten. Diese Gruppe zog Gewinn aus der Tatsache, dass sich der Adel meistens in den Städten aufhielt. Die gabelloti profitierten weiter davon, dass in der Spätphase der
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Bourbonenherrschaft in den 50er Jahren [des 19. Jhds.] ländliche Milizen gebildet wurden, die dem Banditenwesen begegnen sollten. In dieser neuen Funktion gelang es vielen Mitgliedern der neuen Schicht, sich quasi-hoheitsrechtliche Funktionen anzueignen. (Ebd.: 485)
Nachdem die Mafiosi sich während des Faschismus mit dem Zentralregime bekriegten bzw. von diesem bekämpft wurden, konnten sie sich bei der Okkupierung Siziliens durch die US-Streitkräfte 1943 als Antifaschisten Geltung verschaffen. Nach dem Krieg machten sich viele Mafiosi in separatistischen Bewegungen stark, was die Regierung in Rom unter Druck setzte. Es flossen Entwicklungshilfen in regionale Banken, die nicht durch die italienische Zentralbank beaufsichtigt wurden, was den Familien der Mafiosi zugutekam und regionale „Korruptionsnetzwerke rund um die staatlichen Kreditinstitute“ förderte (ebd.: 186; vgl. Hess 2009: 156). Während dieser Zeit begannen auch die Abspaltung der Mafiosi von der Separatisten-Bewegung und die Kooperation mit der christdemokratischen Partei. Diese verschaffte ihnen Legitimität und zugleich Schutz in juristischen Beziehungen und ökonomischen Angelegenheiten: In addition to these traditional reciprocal services came […] preferential treatment in the awarding of public contracts. With this, the network of corruption seems to have reached unprecedented proportions. (Ebd.)
In den 1960er-Jahren ermöglicht die Verbindung zur Politik und das Gründen eigener Unternehmen eine zunehmende Expansion der süditalienischen Mafia in den Norden. Mafia-Clans interagieren durch Verbindungsmänner mehr und mehr mit politischen und wirtschaftlichen Vertretern und werden zu „business entrepreneurs“. Das Kerngeschäft der Schutzgelderpressung verlagert sich immer weiter in translokale Bereiche, legale wie illegale. In den 1960er-Jahren beginnt auch das Drogenschmuggel-Geschäft, zunächst mit Verbindungen nach Frankreich, später dann nach Nord- und Südamerika. In the 1970s, drug dealing was to bring immense wealth. After the FrenchConnection was cracked, Sicilian families […] were able to control up to 30 per cent of the world‘s heroin trade and, at times, even process raw morphine into heroin in their own laboratories (with the help of hired experts from Marseille). The Sicilian banks once again played a major role in the laundering and reinvestment of the profits, which were estimated at up to $1 billion per year. Mafia enterprises enjoyed a relatively undisturbed heyday until the beginning of the 1980s, particularly as public attention (and that of the Italian police and justice systems) was focused on another plague – that of leftist terrorism. (Ebd.)
Hess macht darauf aufmerksam, dass sich trotz dieser drastischen Veränderungen des mafiösen Geschäftsmodells – vom lokalen Gewalttäter und Schutzgelderpresser hin zum globalen Drogen-, Waffen- und Immobilienhändler – wesentliche Strukturen und Funktionen im ‚Kern‘ nicht verändert hätten. Vor allem dort, wo die Paten sitzen:
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Most importantly, mafia groups are still very much rooted in local ground and depend on local resources. Even today, the well-known capi-mafia are not sophisticated financiers, but simple people who speak the Sicilian dialect and uphold traditional values of family and religion and, above all, an otherwise amusing sense of honour […]. Their actual power is not a financial one, but one which grows continually from domination over a territory to which they cling, even if it means going underground. (Ebd.: 157)
DIE PRAXIS DER MAFIA ES IST IHR GROSSER GESCHÄFTSVORTEIL, DASS SIE SICH AN JEDE GESELLSCHAFT, IN DER SIE LEBT, PERFEKT UND GERÄUSCHLOS ANPASST. […] SIE BENIMMT SICH IN ERFURT ALSO NICHT WIE IN SÜDITALIEN. IN SAN LUCCA IN KALABRIEN DURCHSIEBEN SIE MIT MASCHINENPISTOLEN DIE MÜLLCONTAINER […]. WENN SIE DAS IN DUISBURG MACHEN WÜRDEN, WÄREN SIE BLÖD. IN DEUTSCHLAND SIND MAFIOSI DESHALB DIE ERSTEN, DIE SAGEN ‚MAFIA IN DEUTSCHLAND? DAS WÜRDEN DIE DEUTSCHEN DOCH SOFORT BEKÄMPFEN!‘ DAS HÖREN DEUTSCHE NATÜRLICH SEHR GERNE. (PETRA RESKI, DIE MAFIA PASST SICH JEDER GESELLSCHAFT PERFEKT AN, WELT ONLINE, 9. APRIL 2011122)
Um die Mafia im Sinne einer Praxeologie der Verschwörung zu erfassen, werden im Folgenden Charakteristika der Mafiatätigkeit angeführt. Die Verschwörung der Mafia soll damit als ein (proto-)typischer Fall moderner Verschwörungskultur dargestellt werden, der es ermöglicht, die Praxis der Konspiration/Verschwörung auch in anderen Fällen zu adressieren und analysieren. Die Annahme ist dabei, dass uns die Verschwörungskultur der Mafia als Erfolgsmodell moderner Verschwörungspraxis etwas über die Kultur und Praxis der Konspiration auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen aussagt. In der Praxis der Mafia ist das Konspirative vollständig rationalisiert: Ein Mafioso, der nicht konspiriert, ist kein Mafioso. Sowohl die Logik des Terrors und der Strategie der Spannung (Kap. 5.3.1) wie auch das präventive und klandestine Töten sind Teil der Mafia-Kultur. Die globale Konspiration der Mafia-Kultur ist somit eine Ausprägung von „paranoia within reason“, die sie mit der Logik und Rationalität des Sicherheitsstaates teilt. Damit zusammenhängend kann die Anatomie der Mafia-Praxis, wie Hess (2009) meint, auch als ein proto-typischer Fall parapolitischer Praxis überhaupt begriffen werden, welche im folgenden Kapitel vorgestellt werden soll. Macht/Gewalt: Das erste Merkmal, das wir für die Mafia-Praxis als konstitutiv festhalten müssen, ist eine gewisse Macht, zunächst innerhalb eines Territoriums bzw. einer bestimmten Region. Macht, mit Weber (1972 [1921]: 28) verstanden als „jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht“, bestand bei den frühen ‚Mafiosi‘ zunächst in ihrer prominenten sozialen Stellung, dem Land, das sie besaßen und den Informationen, die sie durch ihre Mittlerfunktion in (Tausch-)Geschäften hatten (vgl. Hessinger 2002: 487). Macht, im Sinne Webers, manifestiert sich aber auch noch durch die anderen der im Folgenden
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aufgeführten Merkmale. In Fall der Mafia – wie im Falle des Staates – ist gerade auch Gewalt, als eine Form von Macht („Aktionsmacht“, Popitz 1992 [1986]: 43) bzw. Bedrohung als „instrumentelle Macht“ als „Verfügung über Furcht und Hoffnung anderer Menschen“ (ebd.: 79). Die von Hess (2009) in den Mittelpunkt gestellte Ehre („honour“) der ‚Mafiosi‘ bringt sie in den machttheoretischen Zusammenhang mit dieser „Verfügung über Furcht und Hoffnung“ (vgl. Popitz 1992 [1986]: 102). Die Macht der ‚Mafiosi‘ geht aber nicht von Einzelnen aus, sondern von der Gruppe (als reale und imaginäre). Allein die sichtbare Zugehörigkeit, qua Habitus- oder Zeichen-Kommunikation, verleiht den einzelnen Mitgliedern Macht. Über dieses Fremd- und Selbstbild schreibt Hess (2009: 161): Gaining membership of the mafia or the Cosa Nostra through mutual recognition as uomini d‘onore, which might sometimes be honoured in a more or less formal admission ceremony, offers not only a flattering image, but also considerable practical advantages, because each individual mafioso, in the performance of his function, profits from the fearful reputation of the organisation. The reciprocal recognition as ‘legitimate’ cosche restricts the operations of competing gangs which are regarded as non-Cosa Nostra. In addition, the portrayal of a central executive authority, as is constantly suggested in the media, has a certain attraction for the mafiosi.
Macht, die auf Gewalt bzw. Bedrohung basiert, muss durch Exempel immer wieder verstetigt und auf Dauer gestellt werden. Durch den Gewaltakt zeigen die ‚Mafiosi‘ immer wieder, dass sie Aktionsmacht besitzen. Dies ist eine Form der Kommunikation, durch die Macht reproduziert und gezeigt wird. Freilich können Töten und Terror auch nicht-intendierte Nebeneffekte haben. Der Mafia-Terror der 1990er-Jahre und insbesondere das spektakuläre Attentat auf den Richter Giovanni Falcone hat nicht nur die Macht der Mafia gezeigt und Angst und Ehrfurcht in der italienischen Bevölkerung verbreitet. Aktionen wie diese führten zugleich zu einem verschärften Kampf des Staates gegen die Mafia, zu restriktiveren Gesetzen und Protesten der Bevölkerung. Schweigen: Der andere Pfeiler der Mafia-Macht beruht auf Schweigen. Die Mafia ist für das Gesetz der Omertà bekannt. Omertà meint aber nicht einfach nur den einzelnen Akt des (Ver-)Schweigens. Vielmehr bezieht sie sich auf eine soziale Praxis mit vielen Implikationen, an der nicht nur die einzelnen Mitglieder der Mafia, sondern auch die Gesellschaft (d. h. das Publikum/die Öffentlichkeit) mitbeteiligt ist. Gerade die Kriminalisierung der Mafia erfordert dieses Stillschweigen über gewisse ‚Verbrechen‘ oder ‚schmutzige‘ Wahrheiten, die nicht nur einzelne, sondern die gesamte Gruppe/das Kollektiv gefährden. Die Omertà hat innerhalb des mafiösen Ehrenkodex‘ einen zentralen Platz. Dieser verpflichtet „neben dem unabdingbaren Gehorsam gegenüber den capi und der Verpflichtung gegenseitiger Hilfe“, so Bestler (2003: 278), „dass die Mitglieder niemals mit Außenstehenden über die Interna der Organisation sprechen dürfen.“ Dieses Schweigen wird einerseits durch jüngere Familienmitglieder von klein auf empraktisch bei den Älteren gelernt; andererseits gibt es formale Initiationsrituale:
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Personen, die einem mafiösen Clan beitreten wollen, müssen im Rahmen eines Initiationsrituals, das bei allen Gruppen in etwa gleich abläuft und das ursprünglich – zumindest der Form nach – den freimaurerischen carbonari abgeschaut war, schwören, dass sie die Geheimnisse der Organisation unter keinen Umständen verraten dürfen. (Ebd.)
Was aber mit der Praxis des Schweigens untrennbar verbunden ist, ist die Gewalt. Wer das Schweigen bricht, d. h. dunkle Geheimnisse verrät, der wird mit dem Tod bestraft. Nicht nur die direkte Bestrafung des Verräters, sondern auch die seiner Angehörigen mittels „vendetta transversale“ garantiert, dass dieses ‚Gesetz‘ eingehalten wird. Dieses Schweigen ist auf die Bevölkerung übergegangen. Sogar bei auf offener Straße begangenen Morden sei gerade in Sizilien vielerorts ein nahezu ohnmächtiges Schweigen beobachtbar. Als Ursachen nennt Bestler Angst, Kooperation mit der Mafia und mangelndes Vertrauen in den Staat (ebd.: 287). Letzteres rühre nicht zuletzt aus der historisch immer wieder nachgewiesenen „Kollusion zwischen Repräsentanten staatlicher Institutionen und Mafiosi“ (ebd.: 291), die meist seitens der Mafia aktiv gesucht, aber von vielen Politikern gern in Anspruch genommen wird (siehe „Vernetzung“). Bestler (2003: 275) kommt zu dem Schluss, dass „auch in vielen anderen Gesellschaften dem Omertà-Gesetz vergleichbare Phänomene existieren“ und dem „individuellen sowie kollektiven […] Verschweigen auch im modernen Alltag eine nicht zu unterschätzende Bedeutung“ zukomme. In anderen Gesellschaften/Kulturen ist eine Form des Schweigens etwa die Diskretion. Diese Praxis begegnet uns vor allem in Bereichen des Staats- oder Finanzwesens – ganz explizit und verstärkt dort, wo es um Geschäfts- oder Dienstgeheimnisse oder gar um Staatsgeheimnisse geht. Auch hierbei sollte nicht vergessen werden, dass es sich um (kollektive) Praktiken handelt, an denen nicht nur jene, die offensichtlich ein Geheimnis schützen – Wissens-Träger*innen –, sondern auch jene, die es schützen lassen – die Nicht-Eingeweihten/Öffentlichkeit – teilhaben. Stigmatisierung: Viele Mafia-Mitglieder, vor allem im traditionelleren und engeren Umfeld, tragen körperliche Erkennungszeichen, z. B. eine Tätowierung oder ein Brandmal. Weniger offensichtlich, aber doch wesentlicher Faktor des StigmaZusammenhangs, ist das Wissen, dass die Eingeweihten tragen. Sie wissen, dass sie Mitglieder von Familien-Clans, Verbindungen oder Netzwerken sind, die durch den Staat und die offene Gesellschaft verboten und bekämpft werden – allein ihre Mitgliedschaft in der verschworenen Gemeinschaft macht sie diskreditier- und kompromittierbar (vgl. Goffman 1967 [1963]). In Italien ist es bereits strafbar, Mitglied der Mafia zu sein. Im Rahmen der Kriminalisierung wirkt die Stigmatisierung noch stärker und sie wirkt, wie das Schweigegebot, mit welchem sie untrennbar verbunden ist, bis hinein in die Bevölkerung Süditaliens. 123 Auch in Deutschland warnt ein Ermittler vor dem Generalverdacht, der die süditalienische Community im Zuge von medialen Mafia-Skandalen stigmatisiere.124 Das StigmaVerhältnis in Zusammenhang mit dem Schweige-Gebot bzw. der Tabuisierung
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bestimmter Tatsachen ist ein wichtiger Konnex um die Logik der Verschwörung zu verstehen. Das Stigma, wissenssoziologisch begriffen, verbindet gewissermaßen den inneren Verschwörer*innen-Kreis und den Kreis der Beobachter – beide haben, in asymmetrischer Weise, teil an der Praxis des Verschweigens und auch der Tabuisierung. Das Stigma der Mafia besteht in Erhabenheit und Kriminalisierung zugleich. Es wird spätestens wirksam, wo der Staat die Mitglieder der Mafia verfolgt. Die Stigmatisierung, das ist wichtig, wird aber nicht allein durch den Staat bzw. die Öffentlichkeit forciert. Sie ist gleichsam Mittel und Praxis der Mafia selbst. Denn es ist gerade auch die Tätigkeit des inneren Zirkels – umgesetzt durch Aufnahme-Rituale, Brandmarkung oder Wissensweitergabe –, die die Gemeinschaft der Verschworenen in Verbindung mit dem jeweiligen Akt als Praxis der Stigmatisierung vollzieht. Das Stigma-Verhältnis bindet insofern das Mitglied gleichsam von ‚innen‘ (durch Attraktion) wie auch von ‚außen‘ (durch Repulsion) an die verschworene Mafia-Gemeinschaft. Doppelleben: Am Beispiel des Anfang 2018 in Süddeutschland festgenommenen Mafia-Mitglieds Mario L. zeigt sich auch die mit der Stigmatisierung verbundene Spaltung des Lebens: nach ‚außen‘ hin eine unscheinbare Fassade, während die Zugehörigkeit zur und aktive Teilnahme an der Konspiration verborgen wird. Es heißt über L.: Wenn L. zu Festen lud, zu kalabrischen Abenden […] war es „für viele eine Ehre“, dabei zu sein, erzählen LKA-Ermittler. Die Gäste „brachten selbst gebackenes mit“ und waren „stolz“ auf den „engen Kontakt“. Auch der eine oder andere […] Prominente wurde zu solchen Anlässen gesichtet. Leute, die ihn kennen, beschreiben […] L. als „charmant“, „sympathisch“, „immer fröhlich“, als „Vorzeige-Italiener“, erfolgreichen Geschäftsmann, geselligen Gastgeber.125
Die Innenseite des „Doppelleben[s]“ von L. habe u. a. im Betreiben einer „Falschgeld-Druckerei“ in Italien bestanden, wie eine Zeugin berichtet. „Die Scheine sollen dann in Obstkisten nach Deutschland geschafft worden sein“ – wahrscheinlich in diesem Fall eine „Strategie, die den Drogenhandel […] vertuschen“ sollte. 126 L., so war ebenfalls schon lange bekannt, pflegte außerdem Kontakte zum damaligen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg. Auch das verhalf ihm mit zu einer erhabenen Fassade.127 Vernetzung: Die erhabene bzw. „ehrliche“128 Fassade wiederum nutzen ‚Mafiosi‘ um in Kontakt mit Unternehmer*innen, Politiker*innen oder anderen einflussreichen Personen des (nicht-)öffentlichen Lebens zu treten. Einerseits, um dadurch, qua Assoziation die Fassade aufrecht zu erhalten. Andererseits, um Geschäfte zu machen und zu expandieren. Man könnte dies als „Lobbying“ oder Vernetzung beschreiben. Meist profitieren auch beide Seiten in irgendeiner Form von der Beziehung. Es ist eine Art Tauschhandel, der Nicht-Mafia-Mitglieder und Mafia-Mitglieder verbindet und so zu der genannten „Kollusion“ zwischen beiden Sphären führt. Nach Hessinger (2002: 495) seien „Mafianetze so etwas wie die
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‚ökonomische Unterseite‘ von politischen Verflechtungen“. Damit meint er u. a., dass sich die Praxis „erfolgreicher mafiöser Lobbypolitik“ dadurch auszeichne, dass die Mafia in die gesellschaftliche Umwelt eindringe und dadurch sowohl die ökonomische, die politische wie oftmals auch die alltagspraktische Ebene infiltriere. Durch die Penetration aller gesellschaftlicher Bereiche mache sie sich unabdingbar und erfülle bestimmte Funktionen. Hessinger behauptet, dass „[d]ie Mafia […] eine bestimmte Funktion innerhalb des politischen Systems“ erfülle (ebd. 2002: 483) und Hess (2009) bezeichnet die Mafia als „power structure“, die gegenüber legalen ökonomischen Mitbewerber*innen drei Vorteile habe: den Gebrauch von Gewalt und Bedrohung („discouraging competitors through more or less explicit threats and, when necessary“) (s. o.), reduzierte Produktions- und Arbeitskosten durch die Umgehung legaler Standards („they evade social security contributions, pay no overtime and prevent trade union activities; in short, they intimidate not only the competition, but also the workers“) und eine umfangreiche Verfügung über finanzielle Mittel und Ressourcen, die nicht über (Bank-)Kredite aufgenommen werden müssen, sondern der Mafia „from illegal activities outside the legal business sector (first from cigarette, and later from drug, smuggling)“ meist unerkannt zufließen (ebd.: 166). Die Mafia ist mit dem Weltkapitalismus längst verbunden. Hess (2009) bezeichnet die Mafia als eine Form des „Adventure Capitalism“. Laut einer Studie aus dem Jahr 2014 erwirtschaftet die Ndrangheta einen Jahresumsatz von 53 Milliarden Euro, vor allem mit Drogenschmuggel, Waffenhandel, illegaler Müllentsorgung. 60.000 Menschen sind in die Geschäfte verstrickt. In 30 Ländern, auch in Deutschland. 129
Mafia-Kapital fließt u. a. in legale Bereiche von Immobilien-, erneuerbarer Energie, Alkohol- und Lebensmittelgeschäften. Aber auch der Bereich der illegalen Müllentsorgung floriert und führt zu einer unheiligen Allianz. Ein ehemaliger Präsident der „Anti-Mafia-Kommission“ meint, man bediene sich in nordeuropäischen „Industriezentren […] beim dreckigen Geschäft der Mafiosi als willige Handlanger“ und fügt hinzu: das illegale Müllgeschäft ist sicherlich ein Problem mit der Ndrangheta, es ist aber auch eines der puren Heuchelei aller großen europäischen Nationen, die Kosten einsparen wollen130
Kollusion: Die Durchdringung der Gesellschaft durch mafiöse Strukturen und ihre damit zusammenhängende ‚Funktionalisierung‘ in verschiedenen Bereichen, wirft die analytische Frage auf, inwiefern hier noch von einer verschwörerischen Praxis im engeren Sinne gesprochen werden kann. Diese setzt voraus, dass gegen Normen verstoßen wird (Kap. 4.1.2). Doch was, wenn die Norm-Verletzung längst zur Regel und zur Normalität geworden ist? Wenn die Mafia längst funktionaler Bestandteil des kapitalistischen Weltsystems geworden ist? Die Bekämpfung der Mafia bedroht mitunter Arbeitsplätze. Zugleich beutet die Mafia Menschen aus und
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zerstört in vielen Fällen die Umwelt – doch das kann von vielen großen Unternehmen und Industriezweigen gesagt werden, die ebenfalls gleichzeitig funktional und korrupt wie auch sozial oder ökologisch bedenklich sein können: die Erdöl-, die Waffen-, die Pharma-, die Auto- oder die Gentechnik-Industrie – um nur eine beliebige Auswahl zu nennen. Von ihnen allen kann, mehr oder weniger, behauptet werden, dass sie der Gesellschaft oder dem System nutzen und zugleich schaden (können). Alle großen Industriebranchen und (Welt-)Konzerne haben einen immensen Einfluss und sind längst Machtfaktoren, die den Raum des Politischen mitbestimmen und durch Prozesse zunehmender Privatisierung und Globalisierung ihre Macht weiter ausbauen. Diese Feststellung führt zum Begriff des Parapolitischen, der die Kollusion privater und politischer Macht bezeichnet, die zum Schaden eines Dritten, der Öffentlichkeit oder der Bevölkerungs(demos) ist: mafiöses Handeln beruht auf dem Gebrauch privater Gewalt im öffentlichen Raum. Ziel ist die Erlangung ökonomischer und politischer Sonderrechte für eine im Aufstieg begriffene gewaltbereite Bevölkerungsgruppe. Das Ergebnis ist eine nachhaltige Erschütterung des Institutionen-Ethos und eine Schädigung des Gemeinwohls. (Hessinger 2002: 486)
4.2 Über populäres Wissen IN UNSERER GESELLSCHAFT SIND DIEJENIGEN, DIE AM BESTEN WISSEN, WAS PASSIERT, AUCH AM WEITESTEN DAVON ENTFERNT, DIE WELT SO ZU SEHEN WIE SIE TATSÄCHLICH IST. ALLGEMEIN GESAGT, JE GRÖSSER DIE EINSICHT, DESTO GRÖSSER DIE SELBSTTÄUSCHUNG: JE INTELLIGENTER, DESTO WENIGER VERNÜNFTIG. (GEORGE ORWELL, 1984, 1949131)
Die Reflexion der Eingangsanekdote mit der „Waschmaschine“ scheint geeignet, um ein Phänomen zu thematisieren, das flapsig als „Bauernweisheit“ bezeichnet wurde. Eigentlich verweist diese aber soziologisch eher auf ein populäres Wissen, das sich auf dem Wege der Alltagskommunikation, des Geschwätzes und der Gerüchte verbreitet und von der Menge der Menschen reproduziert und dadurch am Leben gehalten wird. Es wird oft mündlich kommuniziert. Etwas veraltet könnte man es als „Volksweisheit“ oder „Volkswissen“ bezeichnen. Als allgemeines Wissen ‚gehört‘ dieses Wissen keiner sozialen Gruppe und keinem Individuum, es reproduziert keine Gatekeeper, die es erklären, legitimieren und dadurch aneignen könnten. Es ist daher auch nicht kodifiziert vorhanden, aber ‚lebendig‘ in der alltagssprachlichen Kommunikation. Es liegt quer zu sozialen Feldern und Milieus und ist insofern entgrenzt. Anders als Expert*innen-Wissen oder Wissen von (Leistungs-)Eliten, ist dieses Wissen der Menge spontan, intuitiv, einfach, direkt, grob, flach. Der populäre Diskurs unterläuft durch die Form seiner Kommunikation die reglementierte Sprache gesellschaftlicher Eliten: Humor, Klischee oder Ironie durchbrechen den oft gebotenen Anstand.132 Insofern sind sie auch subversiv im Sinne Fiskes (1999 [1996]). In der populären Kommunikation geht es nicht um Distinktion, sondern um Common Sense, der oftmals feld- und
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schichtübergreifend verstanden wird (vgl. Knoblauch 2018), wenn gleichsam seine Relevanz sehr kontextabhängig ist. Insofern kann und will die Geltung populären Wissens nicht bewiesen, muss es in der Regel nicht logisch begründet werden. Gerade wo es in seiner Geltung begründet oder gar bewiesen werden soll, stößt das populäre Wissen an seine Grenze. Die Funktion populären Wissens ist nicht Differenzierung oder Abgrenzung, sondern die Aufrechterhaltung der Kommunikation. Der Vater des Autors bringt mit dem „Waschmaschinen“-Spruch ein allgemeines Wissen zum Ausdruck, jedoch ohne dadurch Geltungsansprüche zu erheben. Nur deswegen kann er diesen Witz bei jedem Restaurant-Besuch auf‘s Neue bringen. Er bringt damit keine Fakten, sondern so allgemeine Wahrheiten zum Ausdruck, dass so etwas wie ein latenter Sinngehalt, aber keine konkrete Tatsache, adressiert wird. Deshalb macht er solche Sprüche auch nur im engeren Kreis der Familie – in anderen Kontexten, etwa beim Geschäftsessen oder in Anwesenheit des*der Kellner*in würden sie ihn diskreditieren. Der Zweck ist kein Beweis, sondern Mittel, um die Kommunikation aufrecht zu erhalten und die Geselligkeit zu fördern. Für Fiske (1989) sind weitere Merkmale des populären Wissens, dass es neben seiner Einfachheit und Widersprüchlichkeit auch „progressiv“ und gleichzeitig „nicht-revolutionär“ ist. Diese Widersprüchlichkeit ist auch für viele „Verschwörungstheorien“ charakteristisch, (nicht nur) insofern wir sie als populäre Variante des Verschwörungsdenkens begreifen. Wie Hardt und Negri (2000: 323) mit Recht konstatieren, sind „Verschwörungstheorien“, z. B. über die die Globalisierung – wie etwa die der „Neuen Weltordnung“ –, gleichzeitig „wahr und falsch“. D. h., als populäres Wissen über ein verborgenes und mächtiges „Empire“, das die Menschheit manipuliert und unterdrückt, haben sie ein gewisses kognitives Resonanzpotenzial. Sie sind so wahr wie, dass „der Kapitalist“ ein struktureller Ausbeuter ist oder „die Mafia“ die globale Unterwelt beherrscht. Freilich reproduzieren sich dadurch auch Stereotype. Und das ist latent bedrohlich, wie etwa die Verbreitung menschenfeindlicher Stereotype zeigt. Das populäre Wissen, dass es ein „Empire“ gibt, das die Welt beherrscht, stellt gleichsam eine intuitive Wahrheit für den Großteil der Menschheit dar. Dass heute „die reichsten zehn Prozent der Menschen 88 Prozent des Weltvermögens“ besitzen, „während die ärmere Hälfte der Erwachsenen […] gerade einmal 1 Prozent“133 davon besitzt, ist, rein quantitativ ausgedrückt, das, was diese ärmere Hälfte der Menschheit täglich am eigenen Leib empfindet und zu spüren bekommt. Aus einer ‚nur‘ intellektuellen und elitären Perspektive ist die Wahrheit eines repressiven Weltsystems mit einer kleinen Finanzelite an seiner Spitze freilich einseitig und krude. Sie wird dann unwirklicher und irrelevanter, je weiter man in der Hierarchie dieser Pyramide ökonomisch, kapital- oder statustechnisch aufsteigt – in der gleichen Weise wie die Geldwäsche beim „Italiener“ für den autobiographischen Autor und seine Familie irrelevanter wird, sofern die angebotene Pizza nur genügend Käse und einen dünnen
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knusprigen Boden hat. Das populäre Wissen hat also mindestens zwei Seiten, mit denen umzugehen gelernt sein will. Es darf nicht wörtlich, objektiv und genau genommen werden und ebenso nicht essentialistisch (vgl. Birchall 2001: 74). Es drückt sich in einem, wie z. B. Mathias Bröckers an vielen Stellen wiederholt, „Bauchgefühl“134 aus. Dieses mulmige Gefühl135, ‚dass etwas nicht stimmt‘, ist eine wesentliche Motivation des Verschwörungsdenkens, die sehr oft a priori als irrational oder gar primitiv im pejorativen Sinne diskreditiert wird. Dies ist gerade im akademischen und intellektuellen Diskurs der Fall, wo die „Wahrheit“ der Emotionen und Gefühle strukturell marginalisiert ist. Dieses Gefühl rührt an dem Punkt, wo „Verschwörungstheorien“ einen sogenannten „wahren Kern“ haben. „Verschwörungstheoretiker“ (vgl. Kap. 5.4) mögen diesem Kern mit, aus intellektueller Sicht, fragwürdigen epistemischen Mitteln auf den Grund gehen und falsche Schlüsse daraus ziehen. In diesem Sinne ist die im leitmedialen und intellektuellen Diskurs versuchte Technik, „Verschwörungstheorien“ mit „fact checking“ zu bekämpfen oder als „falsch“ zu diskreditieren in mehrfacher Hinsicht fragwürdig (Kap. 5.5.5). Eine Annahme dabei ist, populäre „Verschwörungstheorien“ wörtlich zu nehmen und so widerlegen zu können. In einem Beitrag des ARD-Faktenfinders schreibt Silvia Stöger unter dem Titel „Der Mythos der geheimen Weltregierung“ über die jährliche Konferenz der Bilderberger: Wenn […] Staatenlenker und Unternehmensführer unter Ausschluss der Öffentlichkeit zusammenkommen, entsteht schnell der Verdacht, dass hinter verschlossenen Türen über das Schicksal der Bürger entschieden wird, ohne dass sie ein Mitspracherecht hätten.136
Zitate wie dieses zeigen das unproblematische Verhältnis und die, aus einer subalternen Perspektive „double bind“-artige Kommunikation des politisch-orthodoxen Diskurses an, in dem der Verdacht der Menge gegen die parapolitische Praxis von Eliten suspekt und verdächtig ist. Ein anderes Zitat illustriert diese Denkweise im akademischen Diskurs. „Verschwörungstheorien“, so Michael Butter, „gehen davon aus, dass Menschen ihre Absichten in kleinen Gruppen über Jahre, Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte hinweg […] in die Tat umsetzen können“, was „Annahmen der modernen Sozialwissenschaften“ widerspreche, „die Chaos, Kontingenz und strukturelle Faktoren betonen“. Als Beispiel nennt er „Verschwörungstheorien zu den Illuminaten“.137 Aussagen, wie sie die beiden Zitate zum Ausdruck bringen, sind wenig differenziert und zeugen von einer sehr unkritischen Haltung. Sie bügeln reale und begründete Ängste und Bedenken mit irreführenden Suggestionen (Stöger) oder unscharfen und irreführenden Behauptungen (Butter) weg. Unkritisch sind sie, insofern nicht davon ausgegangen wird, dass Machteliten wirkliche Macht hätten und Strukturen nicht nur Subjekte, Akteure und Gruppen prägen, sondern diese eben auch (Macht-)Strukturen reproduzieren und für sich nutzen können. Was anderes
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ist etwa der Klassenkampf wenn nicht der Kampf einer Gruppe von wenigen Superreichen und ihnen zuarbeitenden Eliten – (nicht nur) die Eliteforschung spricht für westliche Demokratien von „Machtstrukturen“ (Mills 2000 [1959]) oder (zivilen) „Oligarchien“ (Winters 2011) und/oder einer abgehobenen „Parallelgesellschaft (Hartmann 2018) – gegen die Interessen einer Mehrheit der Weltbevölkerung „über Jahre, Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte“? Oder das erfolgreiche „Joint Venture“ der sizilianischen Mafia? Aussagen wie die obigen tragen durch eine falsche Dichotomisierung zwischen Ordnung/Chaos nicht nur zu einer irreführenden Vereinfachung dar, die einer kritischen strukturbasierten und an der Praxis orientierten Forschung fremd sind. Sie reproduzieren auch Dispositive des Kontrollund Sicherheitsstaates und leisten damit Populismen gegen „die Wissenschaft“ als „co-conspirator“ der „Eliten“ Vorschub (vgl. Barton u. a. 2007: 30). Das Resultat solcher Aussagen ist eine dozierende und missionierende Wissenschaft. Sie glaubt auf ihrer Seite der Beobachtung von ‚Welt‘ wahre Aussagen und auf der Seite des populären Wissens eine falsche und verzerrte Sichtweise. Die kritische Selbstbeobachtung und das reflexive Wissen um die eigene „Standortgebundenheit“ und ebenfalls unter Zwängen stehende Konstruktion von Begriffen (vgl. Schütz 1971: 7) unterbleibt.
Abbildung 19: „Illuminati“-Streetart: Allsehendes Auge, Drittes Auge (Auge auf der Stirn) und „NWO“ („Neue Weltordnung“) auf Häuserwänden und öffentlichen Plätzen in Salzburg und Berlin (Quelle: eigene Aufnahmen und Collage, 2014–2016).
(Welt-)„Verschwörungstheorien“ über die „Illuminaten“ sollten vor diesem Hintergrund als Codes und subversives Wissen – „counter knowledge“ – einer marginalisierten Menge gelesen werden. Als Wissen, dass nicht im eigentlichen Sinne ‚wahr‘ ist, aber auch nicht einfach ‚falsch‘. Die „Illuminaten“ stehen für eine Macht-Elite, die sich, allein schon aus lebensweltlicher Perspektive, aber eben auch vermittels Geldmacht, von der Mehrheit der Weltbevölkerung entfremdet hat (vgl. Kap. 5.2). Birchall und auch Fiske sehen das kritisch-progressive Moment des Verschwörungsdenkens an dem Punkt, wo es die offensichtliche und vermeintlich eindeutige und alternativlose Wahrheit als Schein entlarvt, als Kritik am „Essentialismus“ einer offiziellen Wahrheit. Diese wird oft durch Eliten der
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Gesellschaft erzählt und ist eine Geschichte, an deren Produktion die Menge wenig Anteil hat. Dass diese gefühlten subversiven Wahrheiten, deren kommunikative Knotenpunkte der Stammtisch oder der Boulevard bilden, stets drohen, in ‚wilden‘ Sensationalismus und Populismus zu kippen, wenn sie wie faktisches oder sicheres Wissen gelesen und wörtlich genommen werden, ist ihre Gefahr. Hier besteht eine Wechselbeziehung zwischen dem Populären und dem Populistischen. Das subversive Wissen schlägt um in eine Ideologie der Unterdrückten. Das bedeutet aber nicht, dass seine Wissensformen im epistemischen Sinne einfach falsch oder soziologisch nur destruktiv wären. Man muss sie nur in Bezug auf die von ihnen mitgeteilten Ansprüche richtig verstehen: nicht wie Korrespondenztheorien lesen, sondern vielmehr wie allgemeine und moralisch-ethische „Werturteil[e] über die Qualität sozialer und politischer Beziehungen in einem gegebenen gesellschaftlichen Kontext“ (Jüdt 2013b: 227). Dass „die Mafia“ hier ihr Unwesen treibt, „die Machteliten“ uns ausbeuten oder „die Geheimdienste“ uns überwachen, ist insofern eine Aussage über die Art und Weise der Strukturiertheit der Gesellschaft, die nicht den Anspruch erhebt, zeigen zu müssen, dass dieses ‚Hierund-Jetzt‘ eine zu lokalisierende oder isolierende Tatsache wäre. Es ist ein Denken oder Sehen der Welt, dass um die Zusammenhänge weiß, sie aber nicht fassen kann. Das populäre Verschwörungsdenken verweist auf die unfassbare Diffusität von Machtstrukturen ohne, dass es sich seiner Wahrheitsansprüche selbst bewusst sein muss oder sie auf eine Weise einzulösen in der Lage ist, wie es das intellektuelle oder investigative Verschwörungsdenken vermag. Es kann sich verstetigen zum Verschwörungsglauben, einer Art negativer Theologie. Wo das populäre Denken kritisiert wird, muss es an der eigenen Rationalität gemessen werden. Das antiverschwörungstheoretische Denken missversteht und pervertiert die Wahrheit und Logik des Populären, wo behauptet wird, dass eine „Verschwörungstheorie […] umso gefährlicher sei, je näher sie sich an die Realität anlehnt“138.
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Abbildung 20: Populäres Meme in der konspirologischen Internet-Kultur (Quelle: onpasture.com).
Eine differenzierte Betrachtung des gesellschaftlichen Verschwörungsdenkens und seiner populären wie investigativen Anteile benötigt ein Modell zur Untersuchung der Entstehung sozialer Tatsachen unter Berücksichtigung der Zirkulation und Transformation sozialen Wissens, wie es etwa Ludwik Fleck entwickelt hat. Fleck (2012 [1935]) beschäftigte sich am Beispiel der Medizingeschichte mit der Entstehung von wissenschaftlichen Tatsachen und ihrer Transformation in gesellschaftliche Tatsachen. In diesem Rahmen schreibt er etwa über die Merkmale populären bzw. „exoterischen Wissens“: Charakteristisch für eine populäre Darstellung ist der Wegfall der Einzelheiten und hauptsächlich der streitenden Meinungen, wodurch eine künstliche Vereinfachung erzielt wird. Sodann die künstlerisch angenehme, lebendige, anschauliche Ausführung. Endlich die apodiktische Wertung, das einfache Gutheißen oder Ablehnen gewisser Standpunkte. Vereinfachte, anschauliche und apodiktische Wissenschaft – das sind die wichtigsten Merkmale exoterischen Wissens. (Ebd.: 143)
Nach Fleck ist das populäre Wissen innerhalb der Sphäre gesellschaftlicher Zirkulation und Reproduktion von Wissen aber nur ein Stadium, das nicht per se ‚minderwertiger‘ ist als die durch ein Denkkollektiv geprägte intellektuelle Wissensform. Diese zeichnet sich u. a. durch einen „spezifischen Denkzwang der Beweise [aus], der erst in mühsamer Arbeit herauszufinden ist“ (ebd.: 149). Die akademische Praxis tendiert dazu, diesen (esoterischen) Denkstil und die für ihn geltenden Wahrheitskriterien auch auf andere gesellschaftliche Bereiche auszuweiten. Gerade im Bereich des Populären, aber etwa auch in der klandestinen Sphäre der
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Intelligence, verschließt sie sich dadurch vor den in diesen Bereichen geltenden ‚Gesetzen‘ und Eigendynamiken. Für den Täuschungsrahmen haben wir bereits gezeigt, inwiefern sich hier eine Investigation an den „paranoid mode“ anpassen muss, um ‚Wahrheit‘ oder ‚Faktizität‘ zu erkennen. Im Bereich populärer Kommunikation gelten ebenfalls spezifische Rationalitäts- und Wahrheitskriterien. Die in diesem Bereich dominante „Anschaulichkeit des Wissens“ impliziere „Einfachheit“ und „Gewißheit“, so Fleck (ebd.: 152, 154). Auch die Wissenschaft mache in ihrer populären Form davon Gebrauch und ermögliche dadurch die Wissensvermittlung für ein großes (Laien-)Publikum. Die Formveränderung, die durch die Verbildlichung und Vereinfachung entstehe, übe jedoch (indirekt) vonseiten der Gesellschaft wieder Einfluss auf den esoterischen Kreis der „Experten“ aus, wodurch sich der gesellschaftliche Kreislauf der Tatsachen-Konstruktion schließe (ebd.: 154 f.).
Abbildung 21: Produktive Wechselwirkung zwischen populärem und Spezialwissen nach Fleck (Quelle: eigene Darstellung).
Das populäre oder fiktive Wissen der Mafia oder anderer Verschwörungen sollte in diesem Sinne nicht als „falsch“ im Rahmen wissenschaftlicher Epistemologie und „Denkzwänge“ begriffen werden. Vielmehr drückt sich in seiner „gefühlsbetonten Anschaulichkeit“, so Fleck (ebd.: 155), „das zum Fleische geworden[e] […] Wort“ aus. 4.3 Konspirationskultur With the rise of the national security state since World War Two, conspiracy theories have […] become more widespread und acceptable not least because conspiracy has become more widespread and acceptable. (Knight 2000: 30 f.)
Das Bestreben der vorliegenden Studie ist es, das Verschwörungsdenken nicht auf einzelne Faktoren wie Populärkultur, Angst- oder Krisenkommunikation,
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Gegenkultur oder gar Antisemitismus zu reduzieren. Vielmehr soll mit dem Begriff der Konspirationskultur deutlich gemacht werden, inwiefern das Konspirative tief in unsere kulturelle Matrix eingeschrieben ist. Das heißt nicht, dass die paranoide Subjektposition die einzig mögliche, die dominante oder rationalste Einstellung ist. Doch sie hat ihre eigene Rationalität und Relationalität in Bezug auf bestimmte kulturelle Wissensformen, Praktiken und Deutungsmuster, die durchaus dispositiv und hegemonial sind. Es ist das große Versäumnis der Forschung über „Verschwörungstheorien“, vor allem im deutschsprachigen Raum, dass, sofern überhaupt von einer „Verschwörungskultur“ die Rede ist, diese einfach mit der alternativen „Verschwörungstheorien“-Kultur identifiziert wird. Dagegen haben wir gezeigt, inwiefern die Konspiration als soziale Praxis vom Alltag bis in die „Sinnprovinz der Kriminalität“ (Hess/Scheerer 2014) hineinreicht. Wenn vom Verschwörungsdenken oder einer paranoiden Subjektposition als einem kulturellen Phänomen die Rede ist, dann dürfen dabei weder die konspirative Alltagspraxis noch die kriminelle Konspiration etwa der Mafia, die „tobacco industry conspiracy“ (Christensen 2008) oder gar die klandestinen Praktiken der „covert sphere“ (Melley 2000) des Sicherheitsstaates ausgeklammert werden. In allen diesen Bereichen schlägt sich das Konspirative auf eine je eigene Weise nieder. Darüber hinaus wird die „Verschwörung“ als ein relationales Phänomen immer auch mitgeprägt durch die misstrauischen Deutungen und/oder Fiktionen jener, die nicht dazugehören: die Öffentlichkeit oder die outgroup im weitesten Sinne. Die Mafia-Verschwörung zeigt diese interaktive Ko-Konstruktion der Konspiration sehr deutlich: Erst die Kriminalisierung und Stigmatisierung der Mafia-Praktiken durch den Staat Anfang des 20. Jahrhunderts bedingt eine weitere Abschottung ihrer Praktiken gegenüber der sich bildenden politischen Öffentlichkeit der Republik. Mit der Konspiration der Mafia gehen Prozesse der (Selbst-)Stigmatisierung und Mythenbildung einher, die sich auch in der Fiktionalisierung der Populärkultur niederschlagen und auf das Selbstverständnis und die Praxis der Mafia zurückwirken. In diesem Sinne hat schon Knight, der den Begriff der „conspiracy culture“ geprägt hat, festgestellt, dass es einen „mutual feedback loop between the fictual and the factual world“ gäbe, indem „the real spies learning the discourse of conspiracy from novelists and vice versa.“ (Ebd.: 2000: 30) Als Deutungsmuster aus der Distanz sind, wie Horn (2008: 384) feststellt, „Verschwörungstheorien“ ebenso luzid wie blind: sie machen bestimmte Zusammenhänge sichtbar, die den empraktisch oder ideologisch involvierten Subjekten der Konspiration verborgen bleiben bzw. von ihnen bewusst oder unbewusst unterdrückt werden (vgl. Proctor/Schiebinger 2008). Sie können Komplexität steigern. Zugleich missverstehen Verschwörungsdeutungen die durch sie problematisierten Praktiken auch, insofern sie von ihnen entfremdet sind. Daher reduzieren sie andererseits Komplexität durch Operationen der Vereinfachung oder Abstraktion.
4.3 Konspirationskultur
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Abbildung 22: Ikonologie der Weltverschwörung: Das „Information Awarenes Office“ (IAO) wurde vom US-Verteidigungsministerium nach 9/11 für den „War On Terror“ gegründet. Die Behörde wurde von der Bush-Regierung in Folge öffentlicher Kritik im Jahr 2003 offiziell wieder aufgelöst, bestand aber, den Snowden-Enthüllungen zufolge, im Geheimen weiter (Quelle: Wikipedia).
Dem ‚theoretischen‘ Verschwörungsdenken als einer Beobachtung aus der Entfremdung oder Distanz steht das praktische Verschwörungsdenken gegenüber. Bröckers spricht von „praktizierte[r] Paranoia“ (vgl. Schink 2016d: 367), wir haben weiter oben den Begriff der „situational awareness“ ins Spiel gebracht. Diese Mentalität findet sich in Bereichen wieder wo die „Konspiration als Beruf“ (Krüger/Wagner 2003) ausgeübt wird bzw. in gesellschaftlichen Schattenzonen (Schetsche 2012a/b), die, wie die „intelligence community“ oder diverse Geheimbundstrukturen, hermetisch (gegeneinander) abgeschottet sind (vgl. Kap. 7.1). Marchetti/Marks (1974) sprechen hier von einem „clandestine mindset“, das vor allem die Akteur*innen im operativen Bereich der Geheimdienste auszeichne. Scott (1993) hat für die politischen Praktiken in diesen Schattenzonen den Begriff der Para- bzw. Tiefenpolitik geprägt. Er definiert Parapolitik als „a system or practice of politics in which accountability is consciously diminished.“ Dies betreffe in erster Linie die Welt der „intelligence agencies and similar organizations, where secrecy and covert operations were adopted as a matter of deliberate policy.“ (Ebd.: 6) Weiter gefasst beziehe sich Tiefenpolitik auf „all those political practices and arrangements, deliberate or not, which are usually repressed rather than acknowledged.“ (Ebd.: 7) Scott stellt die tiefenpolitische Analyse dezidiert in die Tradition der „Power Structure Research“ nach C. W. Mills und William
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Domhoff (ebd.: 11) und grenzt seinen Ansatz insofern von kruden „Verschwörungstheorien“ ab. Zugleich kritisiert er die bloße Strukturanalyse marxistischer Tradition, die die Wirkungsmacht von Akteur*innen oder Gruppen marginalisiere und damit dasjenige, was er tiefenpolitische Ereignisse („deep events“) nennt139, nur unzureichend erklären könne: I should make it clear that I propose deep political analysis of the Kennedy assasination not as a substitute or alternative to the structural analysis desired by Cockburn and Domhoff but as an extension of it. I have always believed, and argued, that a true understandig of the Kennedy assasination will lead, not to „a few bad people“, but to the institutional and parapolitical arrangements which constitute the way we are systematically governed. The conspiracies I see as operative, in other words, are part of our political structure, not exceptions to it. (Ebd.)
Die Behauptung, dass tiefenpolitische Ereignisse, wie die Kennedy-Verschwörung, nicht Ausnahmen, sondern integraler Bestandteil gesellschaftlicher (Macht-)Strukturen sind, stellt einen radikalen und paradigmatischen Perspektivenwechsel innerhalb der sozialwissenschaftlichen Theoriebildung dar. Er ist anschlussfähig und wurde weiterentwickelt von der radikalen bzw. kritischen Kriminologie (Schatz 2015 [2014]), etwa in den Arbeiten von Wilson (2009, 2012a, 2015). Fallanalytisch liegt das tiefenpolitische Theorieparadigma den Studien von Kaiser (2008) über das Kennedy-Attentat, Pepper (2008) über das Attentat auf Martin Luther King Jr., Hett (2014) über den Reichstagsbrand oder Talbot (2015) über das Macht-Netzwerk um die Dulles-Brüder zugrunde. Außerdem gibt es viele Schnittpunkte zum SCAD-Konzept von DeHaven-Smith (2013). In den dichten Beschreibungen tiefenpolitischer Analysen, die sowohl Akteurs- wie strukturbezogen forschen, wird populären und kruden Varianten von „Verschwörungstheorien“ zwar eine Absage erteilt. Gleichzeitig aber wird das Verschwörungsdenken als „paranoia within reason“ (Marcus 1999) bzw. „paranoia of reason“ (Dunst 2014) methodologisch ernst genommen. Scott weist darauf hin, dass es in tiefenpolitischen Ereignissen bzw. den Gelegenheitsstrukturen, die sie möglich machen, nicht nur ‚rationale‘ Momente im Sinne offizieller Politiken, sondern auch ‚irrationale‘ und ‚dunkle‘ Motive gäbe. „Verschwörungstheoretiker“ würden diese Phänomene thematisieren, während sie für die etablierten Informationskanäle und Medien nicht anschlussfähig seien: In American history there are two types of events. There are ordinary events which the information systems of the country can understand and transmit. There are also deep events, or meta-events, which the mainstream information systems of the country cannot digest. I mean by a „deep event“ one in which it is clear from the outset that there are aspects which will not be dealt with in the mainstream media, and will be studied only by those so-called „conspiracy theorists“ who specialize in deep history.140
Ohne zu behaupten, dass sogenannte „Verschwörungstheoretiker“ mit ihren Analysen notwendig Recht haben müssten, spricht Scott dem Verschwörungsdenken
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doch eine Berechtigung zu, insofern es kongruent ist zur tiefenpolitischen Kommunikation und deren double binds, Codierungen und paradoxen Interaktionen. Die „Gegenöffentlichkeit“ (Kap. 6) ist ein Ort, an dem das marginalisierte, tiefenpolitische (Verschwörungs-)Wissen kommuniziert und wo es gleichsam popularisiert wird. Der politische „Mainstream“-Diskurs hingegen hat aus strukturellen Gründen Schwierigkeiten, die Kriegslügen, Komplotte oder Verschwörungen der eigenen „Eliten“ aufzudecken (Kap. 5.2). Vor dem Hintergrund einer „secrecy as the necessery spectacle of postmodern American politics“, meint auch Knight, sei es keine „unreasonable working hypothesis that there exists a clandestine or tacit collusion of vested interests that verges on a conspiracy“ (Knight 2000: 31). Die postmoderne verschwörungstheoretische Kommunikation „offers a symbolic resolution to the problem of representing who is responsible for events that seem to be beyond anyone‘s control.“ (Ebd.: 32). Gerade bezogen auf komplexe(re) globale Zusammenhänge sind, nochmals mit Hardt und Negri (2001: 323) gesprochen, „Verschwörungstheorien“ zugleich „wahr und falsch“: Es kommt vor allem darauf an, worauf sich das Verschwörungswissen jeweils bezieht und welche Wahrheitsansprüche es stellt. Dass bedeutet, wie gesagt, nicht, es wörtlich zu nehmen. Dass im Fall von tiefenpolitischen Ereignissen wie den Kennedy-Attentaten, Watergate, dem Terror von 9/11 oder dem NSU-Komplex diesbezügliche alternative Verschwörungsdeutungen mehr Sinn ergeben als offizielle Zufalls-, Pannen-, oder Einzeltäterthesen, ist verstehbar. Doch auch in diesen Fällen ist nicht jede „Verschwörungstheorie“ gleich und ist dieser Begriff zugleich selbst umstritten.
Abbildung 23: „Mother of all conspiracies“: Das Attentat auf John F. Kennedy vom 22. November 1963 ist bis heute ungeklärt und führte zu einer Welle von „Verschwörungstheorien“ (Quelle: zerohedge.com).
Wenn Verschwörungen durch das planvolle Zusammenwirken mehrerer Akteur*innen im Verborgenen definiert sind, so lässt sich zeigen, inwiefern es verschiedene Denkstile gibt, durch die verschwörungstheoretische Deutungen an Profil gewinnen, je nachdem, welche Aspekte konspirativer Zusammenhänge sie wie betonen oder adressieren. Liegt der Fokus der Sinnbildung eher auf einer Agenda/einem Plan, auf Personen/Gruppen oder gar auf dem Aspekt des Okkulten/Geheimen? Ersteres entspräche der Verschwörungsthese (bzw. dem
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Verschwörungsdenken), Zweiteres der Verschwörungsideologie und das Dritte eher dem Verschwörungsglauben. Neben diesen drei Aspekten zeigt die empirische Beobachtung, dass es noch einen vierten kommunikativen Stil gibt, der von Cubitt (Kap. 4.1) für die verschiedenen Ausprägungen nicht berücksichtigt wurde, weil er den Ernst und die Spannung der drei anderen Charakteristika transzendiert: die spielerisch-humorvolle Verschwörungsdeutung. Diese bezieht sich auch auf die fiktive Sinnbildung über den Gegenstand. Sie fällt insofern aus dem analytischen Rahmen, als dass sie auch von Gegner*innen von „Verschwörungstheorien“ unter anderem als ein Mittel im „Kampf gegen Verschwörungstheorien“ genutzt wird. Infobox 1: Varianten und Stile von „Verschwörungstheorien“ Varianten und Stile von „Verschwörungstheorien“ Nach Cubitt (1989) können wir drei verschiedene Stile von „Verschwörungstheorien“ unterscheiden, die jeweils andere Aspekte der durch sie adressierten Verschwörungen betonen). Es handelt sich dabei um Idealtypen, die empirisch in je eigenen Mischungsverhältnissen auftreten. Die Überbetonung des einen Aspekts führt zur Vernachlässigung des anderen und in diesem Sinne zur Irrealisierung und Mythenbildung. Die Verschwörungsangst wird dabei auf je unterschiedliche Weise bewältigt. Verschwörungsdenken: Das Tun liegt auf der analytischen Durchdringung des Komplotts, dem Verstehen eines geheimen Plans (Intentionalismus), auf dem Finden von Zusammenhängen. Das Verschwörungsdenken ist auf der Suche. Komplexität wird gesteigert. Die Wahrheit ist (noch) nicht gefunden, die verborgenen Zusammenhänge sind (noch) nicht erkannt. Es werden primär Fragen gestellt. So sind Einstellungen von Offenheit, Unsicherheit, Besorgnis beobachtbar. Kommunikation ist durch Misstrauen und einen generellen Zweifel gekennzeichnet. Verschwörungsangst wird durch Verstehen bewältigt. Das Verschwörungswissen dient hier zur Aufklärung einzelner Ereignisse im Sinne von Kriminalfällen. Es stehen Anomalien eines Ereignisses (und seiner Kontexte) im Fokus. Politische Einstellungen sind zweitrangig. Nach Anton (2011: 67) handelt es sich hierbei um Deutungsmuster „mittlerer Reichweite“, nach Pfahl-Traughber (2002) um überprüfbare und falsifizierbare „Verschwörungshypothesen“. Vertreter, bei denen dieser Stil offensichtlich dominiert, sind etwa Mathias Bröckers, Lutz Dammbeck oder Daniele Ganser. Verschwörungsideologie: Die Verschwörung ist mehr oder weniger von der Gruppe der Verschwörer her erkannt. Ideologische Deutungsmuster bilden sich in der Regel durch Standortgebundenheit und Gruppenzugehörigkeit bzw. -exklusion (Dualismus). Erst diese politische (Selbst-)Verortung hilft, die Verschwörung als solche zu ‚Sehen‘. Aktivismus und (politisches Handeln) stehen im Vordergrund, ebenso wie die Agitation gegen mutmaßliche Verschwörer*innen als konkrete Feinde. Komplexität wird reduziert. Die Suche ist kein kognitiver, sondern ein primär politischer Akt. Missgunst, Neid oder Wut auf die Verschwörer*innen sind hier vorherrschend. Verschwörungsangst wird durch Gemeinschaftsbildung bewältigt. Das Verschwörungsdenken ist einem Weltbild (Wertegefüge und Moralität) untergeordnet und dient als Legitimation. Das Verschwörungswissen wird hier zu einer nicht-falsifizierbaren ‚großen‘ bzw. „globalen“ Verschwörungstheorie verdichtet (Anton 2011: 67). Moderne Prototypen dieser Verschwörung sind z. B. die jüdisch-bolschewistische oder die freimaurerische Weltverschwörung, die Verschwörung von Globalist*innen, aber auch die Verschwörung von Rechten, Eliten oder Terrorist*innen. Vertreter dieses Stils sind G. W. Bush, Donald Trump oder Jürgen Elsässer. Verschwörungsglauben: Die Verschwörung kann verstandesmäßig nicht (vollständig) erkannt werden. Es stehen subjektive Emotionen, Affekte und Gefühle im Vordergrund, die die Verschwörung vom „Bauchgefühl“ her erkennen lassen. Eine Realitätsprüfung ist unmöglich. Das ‚Sehen‘ dieser Verschwörung hängt vollständig vom „Sehen-Wollen“ des Subjekts ab. Hinter den
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‚weltlichen‘ Verschwörungen verbirgt sich eine Art kosmische Konspiration, die oberste Relevanz besitzt. Politik und weltliche Angelegenheiten sind nur Repräsentationen bzw. (materielle) Manifestationen dieser ‚höheren‘ (geistigen) Wirklichkeiten. Die leitenden Emotionen sind kosmisches Vertrauen, welches die Verschwörungsangst bewältigt. „Wahrheit“ ist in diesem Sinne keine faktische oder politische Kategorie, sondern symbolisch und ein Faktor von Bewusstsein(sbildung), Subjektivität und Selbsttranzendenz. Das Erkennen der Verschwörung ist damit gleichsam an Selbsterkenntnis gekoppelt, nach dem Motto: „The Truth will set you free“ (vgl. Sanders/West 2003). Hier fungiert das Verschwörungswissen als ein Portal in andere Wirklichkeiten. Der Verschwörungsglaube betont die okkulte Dimension der Verschwörung, in der Regel in Verbindung mit einer nicht-materialistischen Kosmologie. Vertreter dieser Form von „Verschwörungstheorien“ sind Jan van Helsing, Armin Risi oder Frank Stoner.
Es ist wichtig, zu betonen, dass diese Varianten Idealtypen repräsentieren, die, wie oben bereits dargestellt, empirisch in je eigenen Mischungsverhältnissen und nicht in Reinform auftreten. Das gleiche gilt für die verschiedenen Formen von Konspirationen (Kap. 4), auch sie sind weder eindeutig zuordenbar, noch allein durch „Verschwörer“ gemacht, sondern interaktive und kommunikative Arrangements, die sich sowohl in Eigenleistung von Ensembles sowie in Ko-Konstruktion mit dem Publikum entwickeln. Es ist dies auch der Grund, weshalb in dieser Studie von einer paranoiden Subjektposition (statt z. B. von „Verschwörungsmentalität“) gesprochen wird. ‚Paranoia‘ wird hier weder als klinisch-psychologische noch als Individualkategorie begriffen, sondern vielmehr als sozialer und relationaler Begriff, der anzeigt, dass zwischen verschiedenen Akteur*innen eine (Macht-)Beziehung entsteht, die durch misstrauische gegenseitige Beobachtung geprägt ist. Die Phänomenologie dieser Position ist je nach Einzelfall zu klären. Eine paranoide Subjektposition kann z. B. das folgende Blogger-Zitat ausdrücken: Es ist völlig unlogisch zu argumentieren, dass die Inside-Job-Hypothese im Kriminalfall 9/11 in irgendeiner Weise beruhigender oder leichter zu verkraften sei als die offizielle Version der Bush-Administration. Eine kleine Bande von dilettantischen Höhlenmännern, die durch unvorstellbares Glück um den mächtigsten Sicherheitsapparat der Welt herummaneuvrieren konnten, wäre für uns alle kein Anlass, um an der Welt zu zerbrechen und nicht mehr vor die Tür zu gehen. [...]. Die These, dass eine internationale technokratische Elite die Vereinigten Staaten als Motor benutzt für die gewaltsame Etablierung einer tyrannischen Weltregierung und dabei vor nichts zurückschreckt, ist hingegen extrem angsteinflößend. [...]141
Es zeigt sich dabei die Angst vor einer ‚großen Verschwörung‘, die noch größer ist als die der offiziellen 9/11-„Verschwörungstheorie“ und deshalb noch furchterregender. Paranoide Subjektposition kann auch heißen, spielerisch, in einer Simulation und/oder in einer fiktiven Geschichte, die Rolle der „Verschwörer“ einzunehmen (Kap. 5.1.1) oder, wie im Fall des autobiographischen Autors (Kap. 3.1), bedeuten, die Angst mit dem Verschwörungswissen isoliert und einsam zu sein oder sich, wie der Protagonist in Kapitel 5.4 missachtet und verletzbar zu fühlen und durch „Spannungsmanagement“ das eigene Wissen in bestimmten Kontexten nur vorsichtig oder gar nicht preiszugeben. Doch auch das kultivierte Misstrauen
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gegen alles und jede*n, dass eine*n Geheimagent*in qua Berufung gegenüber seiner*ihrer Umwelt hart und unnahbar werden lässt (Kap. 7.1), kann Ausdruck einer paranoiden Subjektposition sein. In diesem Sinne sind auch Emotionen Zwischenphänomene: Die Verschwörungsangst („conspiracy panics“, Bratich 2008) ist daher in der Konspirationskultur nicht nur die Angst der „Verschwörungstheoretiker“ (Kap. 5.4 und 6.1). Sie ist zugleich die Angst vor ihnen und damit vor dem Wissen, dass sie teilen. Insofern die Konspirationskultur durch traumatische tiefenpolitische Ereignisse wie Kennedy, Watergate, 9/11 oder den NSU-Komplex geprägt ist, in denen Wahrheiten bis heute systematisch und kollektiv unterdrückt werden, muss auch der gesellschaftspolitische „Kampf gegen Verschwörungstheorien“ vor diesem Hintergrund gelesen werden. Die Verschwörungsangst ist eine zentrale Emotion in dieser Kultur und die paranoide Subjektposition entfaltet dabei ihre eigene Rationalität: z. B. in der Form der „meta-awareness“ der „Verschwörungstheoretiker“, die sie als Stigmatisierte in einer Art Schicksalsgemeinschaft verbindet, in der „individuelle Erfahrungen von Mißachtung“ kollektiv in der Form einer „Widerstands“-Bewegung bzw. „Gegenöffentlichkeit“ gebündelt werden (Honneth 2014 [1992]: 260) – Fenster (1999) nannte das „conspiracy community“ – oder als „situational awareness“ der Verschwörungspraktiker, die ebenfalls eine (biologische) ‚Überlebensfunktion‘ erfüllt (vgl. Kap. 4.1).
Abbildung 24: Deutungskonflikte und Wissenszirkulation in der Konspirationskultur (Quelle: eigene Darstellung).
Die Konspirationskultur umfasst, von Lügentechniken des Alltags samt kollektiven Fremd- und Selbsttäuschungen über den populären, rein fiktiven oder mythischen Verschwörungsplot bis hin zu professionellen Konspirationen der Intelligence, samt privaten und/oder staatlichen Apparaten von Public Relations, Desinformation, Spionage oder Überwachung, die gesamte Bandbreite paranoider
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Praktiken und Subjektpositionen. In der Definition von Geertz meint „Kultur“ ein „historisch überliefertes System von Bedeutungen, die in symbolischer Gestalt auftreten, ein System überkommener Vorstellungen, die sich in symbolischen Formen ausdrücken, ein System, mit dessen Hilfe die Menschen ihr Wissen vom Leben und ihre Einstellungen zum Leben mitteilen, erhalten und weiterentwickeln.“ (Cappai 2001: 83). In Anlehnung an diese Bestimmung können wir verschiedene Merkmale dieser Kultur anführen. Sie betreffen erstens die Historizität, zweitens Institutionen, drittens Praktiken und viertens Symboliken bzw. (Selbstund Fremd-)Deutungen, mit denen die Subjekte dieser Kultur sich selbst verstehen und von anderen verstanden bzw. missverstanden und missachtet werden. Nachfolgend führen wir eine kursorische Einordnung einiger ihrer Merkmale an. Ad 1.) Die mittlere Geschichte der Konspirationskultur reicht bis in eine Blütezeit der Konspiration im 18. Jahrhundert und ist geknüpft an Diskurse der europäischen Aufklärung und der Emanzipation von der Arkanpolitik des absolutistischen Staates durch bürgerliche „Gegenöffentlichkeiten“, etwa in (Geheim-)Logen oder Vereinen. In der jüngeren Geschichte der Konspirationskultur haben verschiedene Ereignisse bzw. deren partielle Enthüllungen das Bewusstsein der Verschwörung geprägt: das waren die Morde an den Kennedy-Brüdern (1963, 1968), die Watergate- und die Iran-Contra-Affäre (1974, 1985–1987), die 9/11-Verschwörung (2001), die Irakkriegs-Lüge (2003) oder die NSA-Spionageaffäre (2013). In Deutschland gehört dazu die Enthüllung des NSU-Komplexes (2011) oder der unaufgeklärte Anis-Amri-Komplex (2016). Wichtig ist hier, dass neben diesem mehr oder weniger offiziellen oder common sense-Verschwörungswissen, für die alternative Konspirationskultur ein (tiefenpolitisches) „Hintergrundwissen“ kennzeichnend ist, in dem sich ein (politische) Bewusstsein und die paranoide Subjektposition gegenüber dem „Mainstream“ prägen. Dazu gehören etwa, die in der Öffentlichkeit weniger bekannten oder nicht als „Verschwörungen“ gedeuteten Ereignisse, z. B. der Golf von Tonkin-Zwischenfall (1964), die Brutkastenlüge (1990), die Dutroux-Affäre (1996) oder die „Operation Northwoods“-Pläne (1962). Im historischen Bewusstsein dieser Ereignisse kultiviert sich das Verschwörungsdenken und formt sich die Konspirationskultur, weshalb Knight zurecht schreiben kann: „It has [...] become harder to dismiss conspiracy theories as proof of a collective prospensity to paranoia quite simply because in many peoples eyes they have become far more plausible.“ Denn der „catalog of prominent conspirational events and revelations has produced a climate in which further rumors are more likely to be entertained than immediately dismissed.“ (Ebd. 2000: 24) Ad 2.) Die Institutionen, die die Konspirationskultur prägen, reichen von Privateigentum und einer nach Wettbewerb und Konkurrenz funktionierenden Marktwirtschaft, die vom Primat des Individuums ausgeht und durch ökonomischen Monopolisierung geprägt ist, über die Institution von Geheimschutz und „Nationaler Sicherheit“ in modernen Staaten, die diese durch Behörden wie Geheimdienste,
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Polizeien und Militär gewährleisten sollen. Auf der anderen Seite gibt es gegen Monopolisierungs- und Abschottungstendenzen Anspruch auf Transparenz und demokratische Teilhabe, die etwa durch parlamentarische Untersuchungsausschüsse, zivilgesellschaftliche Akteur*innen und/oder NGOs und nicht zuletzt durch unabhängige Medien gewährleistet werden sollen. Das „geschichtliche Zwillingspaar“ von „Aufklärung und Geheimnis“ (Koselleck 1973: 49) prägt insofern das institutionelle Spannungsfeld der Konspirationskultur vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Ein gutes Beispiel dafür ist die Einrichtung der Enthüllungsplattform „Wikileaks“, die mit den Diskursen und Praktiken der gegenwärtigen Konspirationskultur vielfach verwoben ist (Riemann 2011). Ad 3.) Mit diesen Institutionen gehen Praktiken einher, die sich ebenfalls im Spannungsfeld zwischen Täuschung und Ent-Täuschung (vgl. Schink 2016d) bzw. Verhüllung und Enthüllung bewegen. Schon im Alltag existieren dazu bestimmte Praktiken der Informations- und Ausdruckskontrolle. Dabei besteht für diese Praktiken ein eher gradueller, aber kein prinzipieller Unterschied zwischen den Sinnprovinzen des Alltags, des Spiels oder der Kriminalität. Bereits Goffman versuchte in diesem Sinne zu zeigen, „daß die Inszenierungen des Hochstaplers ‚auf der Anwendung realer Techniken (basieren H. W.) – der gleichen Techniken, mit deren Hilfe man sich im Alltagsleben in einer realen sozialen Situation behauptet‘ [Zitat Goffman].“ (Willems 1997: 81) Insofern es sich im Falle des Verschwörungswissens um elusives und fragmentiertes Wissen handelt, ist eine wesentliche Praxis der „Verschwörungstheoretiker“ das „connect the dots“, d. h. das Zusammentragen und die De- und Rekontextualisierung von offiziellem Wissen, was durch die Internettechnologie neue Möglichkeiten und Einschränkungen erfahren hat. Das Sehen/Zeigen/Teilen miteinander verbundener Informationen wird durch die Möglichkeiten vernetzter Kommunikation zentral. Dabei ist sowohl für die „Verschwörungstheorie“ wie auch für die Anti-Verschwörungstheorie „Angstkommunikation“ (Bergmann 2002) ein wichtiges Merkmal. Eine weitere Praxis, die für die Konspirationskultur typisch ist, ist das Debunking, auch in seinen aktuellsten Ausprägungen des gegen „Fake News“ gerichteten „Fact Checking“. Dieses gehört in den Wirkungskreis der kommunikativen Konstruktion der Sozialfigur des „Verschwörungstheoretikers“ (Kap. 5.4) durch Gegner*innen, die ihn bekämpfen und ko-konstruieren. Ad 4.) Symbole, Selbst- und Fremddeutungen der Konspirationskultur der Gegenwart sind Zuschreibungen, die auf Mächte oder das Wirken im Hintergrund abzielen, wie „Eliten“, „Tiefer Staat“, „Machtnetzwerke“ usw., die auf das semantische Feld mächtiger „Verschwörer“ rekurrieren sowie gegengleich Zuschreibungen des „Verschwörungstheoretikers“ und die damit einhergehende Praxis der (Selbst-)Stigmatisierung. Das Stigma wird dabei oft gleichzeitig symbolisch ausgebeutet. Ein wichtiger Topos der Gegenkultur ist neben „Widerstand“ oder Dissidenz das „Aufwachen“ (Kap. 7.4). Der Topos des Aufwachens identifiziert den
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Kreis der ‚Eingeweihten‘, d. h., derer, die durch ihr Verschwörungswissen mehr bzw. anders ‚sehen‘ („conspiracy community“) als die breite Öffentlichkeit. Während die Fremddeutung des „Verschwörungstheoretikers“ dessen Inferiorität und Gefahr symbolisiert, präsentieren sich die dadurch Bezeichneten als „Querdenker“, Aufklärer*innen oder Demokrat*innen. Zugleich haben diese Betroffenen eine erwähnte „meta-awareness“, dass sie aufgrund des von ihnen mitgeteilten stigmatisierten Wissens als Ausgegrenzte und Parias gelten und kommunizieren dies entsprechend. Weitere Topoi in diesem Feld sind „Wahrheit“, „Fakten“ oder „Fakes“ („Fake News“) oder Begriffe wie „Lügenpresse“. Was die Deutungen der „Verschwörungstheoretiker“ und ihrer Gegner*innen trennt und zugleich verbindet, sind sicherheitspolitische Diskurse wie der „War on Terror“-Diskurs. Während der „War on Terror“ in orthodoxen Diskursen dispositiv ist, gilt er in alternativen Diskursen als „Fake“, was primär in deren Ablehnung der offiziellen 9/11Verschwörungsdeutungen begründet ist. In der Tradition von Geertz ist der Begriff der Konspirationskultur ein sensibilisierender Analysebegriff. Er bezieht sich nicht auf einen essentiellen Kern, sondern begreift das beobachtete Phänomen als relativ zu anderen Geschichten (Wissensformen), Institutionen, Praktiken oder Symbolen, die nicht Teil dieser Kultur sind. In unserem Fall erfolgte die analytische Abgrenzung über die Befremdung durch eine ‚Kultur der Achtsamkeit‘ (Kap. 2.4). Mit diesem Begriff soll also nicht ‚die‘ Kultur erfasst, sondern ein bestimmter Blick auf die Gegenwartskultur ermöglicht werden, der unter anderen Relevanzsetzungen und Fokussierungen verschlossen bliebe. Auch für Geertz erweisen sich die vermeintlich „natürlichen Grenzen“ von Kultur „bei genauerem Hinsehen als das Resultat einer besonderen Beobachterperspektive.“ (Cappai 2001: 73). Das heißt nicht, dass diese beliebig ist. Der Blick der Ethnograph*innen muss jene „Splitter“ verdichten, die, gerade vor einem transnationalen Hintergrund, verstreut und unabhängig erscheinen und ihre „Unterschiede“ und „Ähnlichkeiten“ herausarbeiten (ebd.: 73). Die Konspirationskultur ist definitiv ein transnationales, ja möglicherweise immer mehr ein globales Phänomen, in dem Maße, wie sich die ‚Welt‘ ökonomisch, politisch, kulturell usw. vernetzt oder konvergiert. Die Verschwörung vom 11. September 2001 steht emblematisch für diese Globalisierung der Konspirationskultur (Kap. 6.1). Ihre Beobachtung und eine „dichte Beschreibung“ aber können sich nur am „Besonderen“ und durch „Kontextualisierung“ zeigen, die methodologisch sowohl raumzeitliche bzw. lokale Begrenzungen wie auch die Arbeit an Fallbeispielen erfordern (ebd.: 75).
5 Verschwörungen im Deutungskonflikt DER EHEMALIGE STATION CHIEF DER CIA IN MOSKAU KOMMT ZU DEM SCHLUSS, DASS ES UNBESTREITBAR SEI, DASS ES EINEN RUSSISCHEN ANGRIFF GEGEBEN HAT. […] ‚DIE ENTSCHEIDENDE FRAGE IST, WIE TIEF DIESE VERSCHWÖRUNG GEHT UND WER VON AMERIKANISCHER SEITE DARIN VERWICKELT IST.‘ DONALD TRUMP UND WLADIMIR PUTIN BESTREITEN, DASS ES EINE VERSCHWÖRUNG GEGEBEN HAT – DOCH DIE BEWEISE FÜR EIN KOMPLOTT GEGEN AMERIKA UND SEINE DEMOKRATIE SIND ERDRÜCKEND. (ZDFZOOM, TRUMP UND PUTIN: KOMPLOTT GEGEN AMERIKA?, 22. AUGUST 2018142)
Im Titel der ZDFzoom-Reportage „Trump und Putin: Komplott gegen Amerika?“ vom 22. August 2018 wird nahezu rhetorisch die Frage gestellt, ob Donald Trump und Wladimir Putin durch ein geheimes Band in eine Verschwörung gegen die US-Demokratie verstrickt sind. Die Reportage ist aufgebaut wie eine detektivische Spurensuche: Die Journalisten suchen Akten, befragen Zeug*innen und das Ganze spielt vor einer schummrigen Kulisse in Washington, London, Moskau: ein Spionagethriller – oder ein Verschwörungskrimi. Die Verschwörer und Bösewichte sind: US-Präsident Donald Trump und einige seiner engsten Vertrauten, mutmaßliche russische Agenten sowie Präsident Wladimir Putin. Die Getäuschten sind: die US- und Weltöffentlichkeit. Die Aufklärer und die Guten: FBI- und CIAAgenten, ein ehemaliger MI6-Mitarbeiter, Richter, die Demokratie und Rechtsstaat verteidigen und die Verschwörung aufdecken wollen – die klassische Trias des Verschwörungsdenkens also. Argumentiert wird – wie für „Verschwörungstheorien“ typisch – für die Verschwörung. Zweifel oder Widersprüche werden ausgeklammert. Die Beschuldigten, so heißt es schon im Ankündigungstext auf der Webseite von ZDFzoom, „bestreiten, dass es eine Verschwörung gegeben hat – doch die Beweise für ein Komplott gegen Amerika und seine Demokratie sind erdrückend.“143 Für Donald Trump sei(en) das eine „Hexenjagd“ und „Fake News“.144 Wäre der Konflikt nicht so real, man könnte das Ganze für eine spannende filmische Inszenierung halten. Doch die Frage ist: Wer inszeniert und wer unterdrückt hier was? Das ZDF? Die FBI-Ermittler? Putin? Trump? Seit der Wahl von Trump stehen „Fake News“ und „Verschwörungstheorien“ im Rampenlicht politischer Auseinandersetzungen. Sie gelten als destruktiv und toxisch für die Demokratie. Es gilt im leitmedialen Diskurs nahezu schon als erwiesen, dass russische Hacker*innen versucht haben, Einfluss auf die US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen 2016 zu nehmen. Was dabei übersehen wird, ist, dass das keine Ausnahme ist, sondern gängige parapolitische Praxis. „Einmischungsversuche in Wahlen werden oft unterschätzt“, behauptet Don H. Levin in der SZ Online: „Russen und Amerikaner haben immer wieder versucht, fremde Wahlen zu beeinflussen. Auch in Deutschland“.145 Wie auch immer die kombinierten Fakten der ZDFZusatzmaterial online Zusätzliche Informationen sind in der Online-Version dieses Kapitel (https://doi.org/10.1007/ 978-3-658-31689-1_5) enthalten. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Schink, Verschwörungstheorie und Konspiration, Medienkulturen im digitalen Zeitalter, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31689-1_5
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Reportage sich bewahrheiten werden oder auch nicht – diese Produktion unterscheidet nichts von einer gut gemachten „Verschwörungstheorie“. 5.1 Die Verschwörung von 9/11 Dahinter steckt keine blinde Zerstörungswut, sondern Kalkül. Die Angriffe auf die wichtigsten Symbole der einzigen Supermacht sind eine gezielte Provokation. Geheimdienste wissen die Reaktion des Gegners vorherzusehen. Das Ziel könnte sein, die Nato in einen Krieg gegen die islamische Welt zu ziehen. Und wir sind dabei, in eine ungeheure Falle zu tappen. (August Pradetto, War es wirklich Bin Laden?, Welt Online, 19. September 2001146)
Heterodoxe Lesarten der Terroranschläge vom 11. September 2001 stellen in der alternativen Medienöffentlichkeit eine Art Common Sense dar. Die Zweifel an der offiziellen Darstellung machen die Verschwörung von 9/11 zu einem verbindenden Topos der „Gegenöffentlichkeit“ (Kap. 6). Zugleich ist die Überzeugung, dass mit diesem für das 21. Jahrhundert so bedeutenden geopolitischen Ereignis, eine große Vertuschung, Lüge oder gar eine Verschwörung von Geheimdiensten und anderen ‚eigenen‘ Krisenmanager*innen beteiligt ist, der Einstieg in ein tiefes Misstrauen gegenüber den tragenden Institutionen des Rechtsstaats und der Demokratie, ja der Idee der ‚westlichen‘ Zivilisation überhaupt. Letzteres ist der Grund, weshalb es einen Deutungskonflikt (nicht nur, aber vor allem) um dieses Ereignis gibt, der immer auch eine geo- und tiefenpolitische Dimension hat. 5.1.1 Rudy Giulianis Plot RUDY GIULIANI HAT ERST NACH DEN ANSCHLÄGEN RICHTIG VIEL VERDIENT. ER WAR EIN PROFITEUR DES UNGLÜCKS UND KASSIERTE IN EINEM EINZIGEN JAHR 11,4 MILLIONEN DOLLAR FÜR REDEN. AUCH DIE WIENER RETTUNG WOLLTE IHN DAMALS EINLADEN, KONNTE SICH ABER DEN GEFORDERTEN LEARJET NICHT LEISTEN – ÜBER DAS REDEHONORAR WURDE DANN GAR NICHT MEHR VERHANDELT. GIULIANI GALT DAMALS VIELEN ALS DER BESTE KRISENMANAGER NACH EINEM UNGLÜCK DIESER DIMENSION. DIE QUEEN SCHLUG IHN ZUM ‚KNIGHT COMMANDER‘, DAS TIME-MAGAZIN WÄHLTE IHN ZUR ‚PERSON OF THE YEAR 2001‘. (KURIER.AT, 10. SEPTEMBER 2016147)
Es gibt Zufälle, die darf es nicht geben und Geschichten, die wurden so noch nie erzählt. So auch die Folgende. Am Morgen des 7. Juli 2005, als im Londoner Untergrund und in einem Bus vier Bomben explodieren, sterben 52 Menschen und mehrere Hundert werden verletzt. Es herrscht Ausnahmezustand. Die Bombenserie von „7/7“ geht als der grausamste Terrorangriff durch Islamisten in die Geschichte Großbritanniens ein. Während der Anschläge ist auch Rudolph, „Rudy“, Giuliani in der Stadt. Der damals 60-Jährige frühstückt ganz in der Nähe der ersten Detonation an der Liverpool Street Station. Daher konnte er „the attack […], the bombing“ live miterleben, wie Giuliani später in einem CNN-Interview mitteilt. Dabei bekundet der recht gelassen wirkende Mann auch sein Mitgefühl für die
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Opfer und ihre Hinterbliebenen und spricht ihnen Mut zu: „The people of London acted in a very brave, very resolute, very determined way“.148 Er sei den ganzen Tag über vor Ort gewesen und habe das Treiben beobachtet. „The emergency people have done exactly what they‘re supposed to do“, sagt er. Und fügt noch hinzu: „Looks like they‘ve been very very well trained and they where prepared for this“ – „I don‘t mean prepared for the – you know – actual incident today, but prepared in the general sense, for what to do if there is a bombing […]“. Nebst Bildern einer Stadt im Ausnahmezustand unterhalten sich die Moderatorin und Giuliani über die Parallelen des Terrors von London und New York im Jahr 2001. Dann sagt Giuliani nochmal: „the people of London where prepared for this“ und er fügt abermals hinzu „and again, I don‘t mean prepared for this exact attack, but prepared for the reality that something like this was gonna happen.“
Abbildung 25: Ex-New York-Bürgermeister Rudolph Giuliani im CNN-Live-Interview nach den Terrror-Anschlägen von 7/7 (Quelle: YouTube/CNN).
Rudy Giuliani ist schon bei den Anschlägen am 11. September 2001 mitten im Auge des Terrors – als Bürgermeister von New York operiert er offiziell vom World Trade Center 7 (WTC 7) aus, einem Gebäude, in dem sich ab Juni 1999 das Office of Emergency Management (OEM) befindet und das als Mysterium in die 9/11Kriminalgeschichte eingehen wird. Das OEM ist zuständig für Katastrophen- und Notfallsituationen, inklusive Terrorangriffe. 149 Geleitet wird es ab Februar 2000 von Richard Sheirer, einem engen Vertrauten von Giuliani und Vizepräsident von dessen privater Firma Giuliani Partners LLC, die sich auf Notfallmanagement in Unfall- und Katastrophenfällen spezialisiert hat.150 Giuliani und Sheirer verdienen also privat ihr Geld mit Krisenmanagement und Public Relations und arbeiten zugleich in öffentlichen Ämtern, die in New York für Katastrophenschutz zuständig
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sind. Zusammen mit Giuliani führt Sheirer unter anderem Notfall- und Anti-Terror-Übungen durch, in die verschiedene Behörden involviert sind. So auch am 11. Mai 2001, wo das OEM zusammen mit dem New York City Fire Department, dem New York City Police Department, dem FBI und der Federal Emergency Management Agency (FEMA) das Szenario eines biologischen Terrorangriffs auf Manhattan fiktiv inszeniert. Die Krisenübung trägt das Akronym „RED Ex“. Es werden dabei auch der Einsturz von Gebäuden und Flugzeugeinschläge in das Herz der Stadt Manhattan simuliert. Mayor Rudolph W. Giuliani today joined numerous City, State, Federal and private organizations in a tabletop exercise to evaluate policy and operational responses to a hypothetical bio-terrorism attack on a major U.S. city. […] The Mayor was joined by OEM Director Richard J. Sheirer; Health Commissioner Neal Cohen; Fire Commissioner Thomas Von Essen; Police Commissioner Bernard Kerik; and numerous federal, state and local officials, who participated today in Operation RED Ex. (OEM, Press Release, 11. Mai 2001151)
Die Folgeübung von „RED Ex“ soll am 12. September 2001 ebenfalls in New York stattfinden – einen Tag nach den Terroranschlägen von 9/11. Sie trägt den Codenamen „Tripod“. Wochen und Tage vorher bereiten die Verantwortlichen das Terror-Szenario vor, eine Notfallzentrale wird am Pier 92 in Eastern Manhattan eingerichtet. Am Morgen des 11. September 2001, gegen 7 Uhr, stehen schon alle technischen Geräte und Computer in der Zentrale bereit und etwa 200 bis 300 Einsatzhelfer*innen, unter anderem aus Polizei- und Feuerwehr, sind vor Ort, um die Abläufe für den Katastrophenfall durchzugehen. Um 8:46 Uhr, noch bevor die Simulation planmäßig startet, wird das Szenario schlagartig Realität: Ein ‚echtes‘ Flugzeug stürzt in den Nordturm des World Trade Center, das WTC 1. Ein Zeuge berichtet, dass plötzlich „alle OEM-Mitarbeiter verschwinden“.152 Die Katastrophe ist offensichtlich real, doch Giuliani und Sheirer sind scheinbar nicht im 23. Stock des WTC 7, wo sich das OEM-Hauptquartier befindet. Von dort aus müssten sie offiziell das Katastrophenmanagement übernehmen. Die Lage ist unübersichtlich. Als plötzlich, um 9:03 Uhr auch der Südturm (WTC 2) von einem Flugzeug getroffen wird, ist auch für die Öffentlichkeit klar: das ist kein Unfall. Es ist ein gezielter Angriff. Die Nachrichten überschlagen sich, die Bilder der brennenden Türme gehen um die Welt. Im Abstand von nicht einmal einer halben Stunde, stürzen die Twin Towers in sich zusammen (um 9:59 Uhr der Südturm, um 10:28 Uhr der Nordturm). Betroffene und Zeug*innen vor Ort sprechen von Bomben und Explosionen.153 Das Gebäude WTC 7, in welchem sich neben dem OEM noch diverse Sicherheitsbehörden und Geheimdienste wie das USVerteidigungsministerium, der Secret Service und die CIA sowie Banken und Finanzagenturen und -aufsichtsbehörden und auch der Energiekonzern mit sehr guten Verbindungen zur Bush-Familie, Enron,154 eingemietet hatten, befindet sich
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etwa hundert Meter nördlich vom Nordturm des World Trade Center. Das Gebäude fängt, wie später vermutet wird, durch hinabstürzende Trümmerteile, Feuer. Um ca. 17:20 Uhr Ortszeit stürzt, etwa sieben Stunden nach den beiden Twin Towers, auch das Gebäude WTC 7 zusammen: symmetrisch, im freien Fall und ohne dass es von einem Flugzeug getroffen wurde. Der britische Fernsehsender BBC berichtet live bereits kurz vor 17 Uhr, ca. 20 Minuten vor dem tatsächlichen Einsturz des dritten Turms, dass WTC 7 eingestürzt sei. Während die Reporterin Jane Stanley vor der Kulisse von Rauchschwaden in Manhattan über das eingestürzte Gebäude – auch „Salomon Brothers Building“ genannt – spricht, sieht man es hinter ihr noch stehen. Innerhalb der BBC kursierte demnach zwanzig Minuten vorher die Nachricht über den Einsturz. Der BBC World Service scheint in seiner Berichterstattung am 11. September 2001 in New York sehr schnell gewesen zu sein […] schneller als die Ereignisse selbst. Ganze 23 Minuten vor dem tatsächlichen Einsturz des World-Trade-Center-Gebäudes Nummer Sieben (Salomon Brothers Building) soll der britische TV-Sender bereits vermeldet haben, dass das Gebäude in sich zusammengefallen ist. […] Nun treiben im Netz die Verschwörungstheorien wieder seltsame Blüten. […] Der Nachrichtenchef von BBC World […] schreibt […]: ‚Niemand hat uns gesagt, was wir am 11. September tun oder sagen.‘ Im Chaos und der Verwirrung jenes Tages habe seine Rundfunkanstalt sicher auch Sachen vermeldet, die sich später als falsch herausstellten. Er gibt jedoch auch zu: ‚Wir haben die Originalbänder unserer 9/11-Berichterstattung nicht mehr (aus Gründen der Schlamperei, nicht der Verschwörung).‘ (Fabian Löhe, Verschwörungsgerücht um BBC-Bericht, Focus Online, 2. März 2007155)
Doch apropos BBC. Wir waren eigentlich in London. Giuliani ist also zufällig auch in London, im Juli 2005, am Tag als dort die simultanen Terroranschläge stattfinden, ganz in der Nähe des Terror-Spektakels. Er zeigt sich der britischen Bevölkerung gegenüber betroffen. Und Giuliani wird als Held der Katastrophe von 9/11 präsentiert. Wer an diesem Tag in London ebenfalls vor Ort und im Geschehen ist, ist ein sogenannter „Peter Power“. Dieser präsentiert sich als ehemaliger Mitarbeiter von Scotland Yard, Anti-Terror-Experte und ist zugleich Chef der Krisenmanagement-Firma Visor. Am Abend des 7.7.2005, nach den für die Öffentlichkeit schockierenden Anschlägen, gibt „Power“ der BBC ein Interview und erzählt eine interessante Hintergrundgeschichte. „Power“ sagt, dass er mit seiner Firma eine Anti-Terror-Notfall-Übung „for a company […] on the private sector“ durchgeführt habe, mit zufällig dem gleichen Szenario, das die ‚echten‘ Terroristen schließlich an diesem Tag auch durchgeführt hatten. Es habe ihn erstaunt, sagt er, ihm seien die Haare zu Berge gestanden. Doch wie Giuliani wirkt auch er gefasst: […] we set everybody down in the city – thousand people involved in the whole organisation […] the crisis team. And the most peculiar thing was, we based our scenario on simultaneous attacks on an underground and mainline station. So we had to suddenly switch our exercise from fictional to real.156
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Der Moderator der Sendung hakt verblüfft ein: „Just to get this right, you are actually working today on an exercise that envisioned virtually this scenario?“ Power antwortet deutlich: „Almost precicesly. […]“ Einen Tag später erscheint in der Manchester Evening News auf Seite 5 ein Interview mit „Peter Power“, in welchem er preisgibt, dass zum Londoner Terror-Szenario auch fiktive News-Meldungen fabriziert wurden, die im Szenario des Terrorangriffs über Massenmedien ausgestrahlt werden sollten: „Yesterday we were actually in the City working on an exercise involving mock broadcasts when it happened for real.“ 157 When the news bulletins started coming on, people began to say how realistic our exercise was – not realising there really was an attack. […] During the exercise we were working on yesterday, we where looking at a situation where there had been bombs ats key London transport locations […]. (Peter Power, King‘s Cross man‘s crisis course, Manchester Evening News, 6. Juli 2006, ebd.)
Doch parallel zu den London 7/7-Bombenenanschlägen, für den, wie bei 9/11, „Terroristen“ als Sündenböcke präsentiert werden, hat nicht nur eine Übung mit ziemlich genau demselben Terror-Szenario stattgefunden. Es gab nicht nur passend vorbereitete (Falsch-)Meldungen („mock broadcasts“), die die Terror-Simulation ‚realistischer‘ machen sollten. Zwei Tage nach dem 7/7-Terroranschlag berichtet der Guardian über eine wenige Wochen vorher stattgefundene „massive anti-terror exercise“ in London mit dem Codenamen „Atlantic Blue“ mit ziemlich genau demselben Szenario, dass sich schließlich kurz darauf an 7/7 realisierte. 158 „Peter Power“ saß übrigens, unter anderem mit Richard Sheirer – wir erinnern uns: Giulianis Einsatzleiter bei den ‚echten‘ Terrorübungen von 9/11, –, zusammen im Advisory Board des Canadian Centre for Emergency Preparedness (CCEP). Hatte die „company […] on the private sector“, für die der ominöse „Peter Power“ arbeitete, mit Giuliani und Sheirer zu tun? War Giulianis London-Aufenthalt nur eine bedeutungslose Koinzidenz? Zwischen den Jahren 1991 und 2001 hat auch NORAD regelmäßig sogenannte „war games“ mit Szenarien durchgeführt, die dem von 9/11 ähnlich sind, die „hijack scenarios“ und auch die Nutzung entführter Flugzeuge als Angriffsobjekte simulieren. Kam der Terror also wirklich so überraschend?
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Abbildung 26: Notfall- und Krisenübung der US-Army „Pentagon MASCAL“ (Pentagon Mass Casualty Exercise) mit Miniaturmodellen im November 2000 (Quelle: US-Army).
Fassen wir das zusammen: Sowohl um das Datum von 9/11 wie auch um 7/7 finden jene simulierten Terror-Übungen (sogenannte „terror drills“) statt, deren Szenarien plötzlich und ganz unerwartet durch ‚echte‘ islamistische Terroranschläge Realität werden.159 An beiden Orten ist Rudy Giuliani zugegen, der privat im Krisen- und Terrormanagement sowie in PR und Beratung für diesen Bereich tätig ist. Giuliani und Power sind über Richard Sheirer miteinander verbunden. Präsident Bush und Condolezza Rice behaupteten nach 9/11, man habe einen solchen Anschlag nicht erwartet, weshalb das größte Luftabwehrsystem der Welt, das den nordamerikanischen und kanadischen Luftraum bewacht – das North American Aerospace Defense Command (NORAD) – an diesem Tag versagt. Bis heute ist diese „Surprise“-Theorie die offizielle Verschwörungstheorie der US-Regierung. Military officials said the exercise involved simulating a crash into a building that would be recognizable if identified, but was not the World Trade Center or the Pentagon […] they emphasize it involved an airliner being hijacked as it flew into U.S. airspace from abroad, a slightly different scenario from what happened on September 11, 2001. The identity of the building named in the exercise is classified.“ (Barbara Starr, NORAD exercise had jet crashing into building, CNN.com, 19. April 2004160)
Auch drei Monate vor 9/11 und am Tag der Terroranschläge selbst gab es „excercises“ im nordamerikanischen Luftraum, die simulierten, was schließlich Realität
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wurde. In einer PowerPoint-Präsentation des NORAD-Simulations-programms „Amalgam Virgo“, in dessen Szenarien vor Terrorangriffen mit Flugobjekten oder biologischen Waffen gewarnt wird, schmückt sogar das Gesicht von Osama bin Laden die Titelseite.161 Die Übung fand im Juni 2001 statt. Hat man damit also nicht rechnen können? Antworten auf diese Fragen werden nicht gegeben. Schon die Fragen selbst tragen den Ruch von „Verschwörungstheorien“ und sind begleitet von beklemmenden Gefühlen. Giulianis Geschichte ist hier zu Ende. Nur ein kleines kurioses Nachspiel sie noch. Denn auch die vor 9/11 von privaten Firmen und Behörden simulierten Biowaffen-Angriffe werden in den Tagen nach den Flugzeug-Einstürzen von 9/11 Realität. Zwischen 18. September und 12. Oktober 2001 sterben durch eine Serie von Anthrax-Anschlägen insgesamt fünf weitere Menschen in den USA, 17 werden verletzt. Im Zuge der vorherrschenden Terrorpanik und durch Druck der Regierung auf die Ermittlungsbehörden werden die Angriffe zunächst ebenfalls Osama Bin Laden und Al-Kaida zugeschrieben. Später bekannt gewordene Ermittlungsergebnisse verweisen darauf, dass das Anthrax aus einem US-amerikanischen Biowaffenlabor stammt.162 Jahre später wird der Biowaffen-Spezialist Bruce Edward Ivins für die Angriffe verantwortlich gemacht. Doch die Motivlage ist dünn und Gutachter bestreiten, dass er zur Herstellung fähig gewesen sein konnte. Am 29. Juli 2008 stirbt Ivins. Die Umstände des Anthrax-Terrors bleiben mysteriös. Und auch in diesem Fall taucht Giuliani wieder auf: Die von ihm mitgegründete Firma BioONE erledigt die Reinigung der von Anthraxsporen kontaminierten Gebäude.163 Er und einige der schon genannten Mitarbeiter von Giuliani Partners LLC werden kurz nach dem Ende des Anthrax-Schreckens, am 15. Oktober 2001, von Queen Elizabeth II. zu „Commander[s] of the Most Excellent Order of the British Empire“ geehrt, für ihre „outstanding help and support to the bereaved British families in New York“. Stellvertretend für die Queen überreicht Prinz Andrew die Auszeichnung und verbindet dieses Happy End gleich mit der zeremoniellen Wiedereröffnung der weltgrößten Börse, der New York Stock Exchange, die seit dem 11. September stillgestanden war. We are very gratified by this but we see it as an award being given to all the people of New York City. He [Giuliani] added: ‚From the moment this happened, we could not have had a more loyal friend or a stronger support than the British government. It has been a great support for us.‘ He then joked: ‚Just call me Rudy – I always like that.‘ (Giuliani ‚humbled‘ by knighthood, CNN.com, 15. Oktober 2001164)
Diese Geschichte über Rudolph „Rudy“ Giuliani wurde vom Autor dieser Ethnographie selbst collagiert. Alle Daten sind in letzter Instanz auf anerkannte Quellen und Medien zurückzuführen. Die zugrunde liegenden Fakten sind vom Autor ‚gegoogelt, durch Internetlinks und Querverbindungen so gut wie möglich verifiziert und rekontextualisiert. Sie wurden auf die Hauptfigur Giulianis als literarischer Plot zugespitzt und sind keine historische Studie des chronologischen
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Ereignisablaufs. Vielmehr war das Ziel, Spannung und auch Irritation zu erzeugen und zugleich Fragen aufzuwerfen, die jede*n kriminalistische*n Ermittler*in und investigative*n Journalist*in misstrauisch gegenüber der offiziellen Geschichte machen sollten. Weil diese Fakten sich so verdichtet weder im offiziellen 9/11Untersuchungsbericht finden noch Leitmedien offizielle und verantwortliche Stellen je mit diesen Fakten konfrontieren, sind es buchstäblich alternative Fakten. ***
Die Recherche um Giulianis Plot hat, um ganz ehrlich zu sein, mir, als dem autobiographischen Autor, eine gewisse Freude und Lust bereitet – jedoch nur solange sie spielerisch blieb und nicht allzu ernst wurde. Nimmt man die präsentierten Verbindungen und Koinzidenzen allzu ernst, öffnen sich die Lücken und offenen Fragen zu einem dunklen Abgrund, der den Suchenden zu verschlucken droht. Die Stimmung kippt und ein Angstgefühl stellt sich ein. Giuliani ist ein dankbarer Bösewicht: ein guter Schwindler, der (seine Ehe-)Frauen betrügt und vielfach Kritik für krumme Geschäfte und verschiedene politische und strategische Entscheidungen eingefahren hat. Zugleich weiß er sich selbst zu inszenieren, ist in politischen und wirtschaftlichen Kreisen des US- und britischen Establishments gut vernetzt. Er hat offenbar auch dunkle Geheimnisse. Ab 2016 machte er mit umstrittenen Äußerungen als Anwalt und Berater für Präsident Trump auf sich aufmerksam. 2019 gerät er in die Kritik, während Donald Trumps Ukraine-Affäre selbst illegale Geschäfte gemacht zu haben. Es scheint ihn dort hinzuziehen, wo etwas los ist, wo Geld und Aufmerksamkeit locken. Es hat mich gereizt, mich in seine Rolle hineinzuversetzen – so wie ich gerne die Gesellschaftsspiele „Mafia“ oder „Werwölfe“ spiele, in denen es darauf ankommt, sich als Bösewicht zu tarnen oder die Bösewichte zu entlarven. Je besser man die Rolle der „Dorfbewohner“ versteht, desto einfacher kann man auch die Gegenrolle der „Mafiosi“ oder der „Werwölfe“ spielen und durchschauen und umgekehrt. Man könnte in diesem Sinne Giulianis Plot noch weiterspinnen, mit anderen Eckpunkten und Enden des rätselhaften ungelösten Kriminalfalls vom 11. September 2001 verbinden. Das würde wahrscheinlich auch Giulianis Rolle in dem Spiel relativieren und andere Hinterbühnen sichtbar machen. Doch je tiefer man sich in den faszinierenden, aber ungleich ‚schmutzigen‘ Morast von 9/11 begibt, desto stärker profiliert man sich als „Verschwörungstheoretiker“ und desto eher wird aus dem Spiel ernst. 165 5.1.2 Fragmentierte Wahrheiten […] DAS INTERESSANTE IST DOCH: WÄHREND DU IN DIESEM ÖFFENTLICHEN DISKURS IMMER NOCH ALS TOTALER IRRER HINGESTELLT WIRST, WENN DU DA [BEI 9/11] AUCH NUR FRAGEN HAST, KANNST BEI NORMALEN LEUTEN
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DOCH REDEN MIT WEM DU WILLST […], ALLE FINDEN, […], DASS DA VIELES GAR NICHT STIMMT […] (PRINZ CHAOS II., NUOVISO.TV, 2018166)
[…] ICH KENNE AUCH NIEMANDEN, DER DIE OFFIZIELLE VERSION [DER TERRORANSCHLÄGE VON 9/11] GLAUBT […] (MARCUS STAIGER, KOMMON, 2019167)
Mathias Bröckers ist einer der Pioniere der deutschsprachigen „Wahrheitsbewegung“. Während er im „Mainstream“ als unseriös und als ein Paria gilt, ist er in der „Gegenöffentlichkeit“ ein Star. Mit Bröckers‘ Geschichten können sich hier viele identifizieren. An verschiedener Stelle – auch im Gespräch mit mir – erzählt Bröckers die Anekdote von Journalist*innen, die ihn oder seine „Verschwörungstheorien“ zu 9/11 vor der Kamera oder auf der Bühne kritisierten, hinter der Bühne, „nach dem dritten Bier oder Wein“ jedoch gemeint hätten, „naja Bröckers, ich glaub ja schon, [bei] 9/11, da hast du ja eher recht als der Mainstream“. 168 Namen nennt Bröckers in diesen Fällen nicht. Von vielen Aktivist*innen in der alternativen Öffentlichkeit höre ich ähnliche Geschichten. Und ich kenne sie aus eigener Erfahrung. An dieser Stelle bewerte ich nicht, wie stimmig andere Anekdoten sind, noch, ob dasjenige, was auf den Hinterbühnen kommuniziert wird, tatsächlich zutreffender ist als der Mainstream-Konsens zum Thema. Es geht mir zunächst einmal nur um die Feststellung der Tatsache einer Differenz zwischen öffentlicher Meinung und veröffentlichter Meinung im Falle von tiefenpolitischen Ereignissen wie 9/11. Die private und nicht-öffentliche Kommunikation ist in diesen Fällen sehr oft von Zweifel, Angst und Unsicherheit geprägt. Offizielle Darstellungen inszenieren dagegen in der Regel eine Geschlossenheit. Diese Differenz ergibt sich daraus, dass Konsens in einer Gesellschaft – im Unterschied zur Gemeinschaft – ‚künstlich‘ ist und in vielen Nischen und (Teil-)Öffentlichkeiten der Alltagskommunikation nicht greift bzw. in vertraulicher und diskreter Kommunikation fragil wird. Der gesellschaftliche Konsens muss immer wieder reproduziert und erneuert werden. Politische Kommunikation ist um diese Konsensherstellung bemüht. Im Fall von 9/11 und dem „War on Terror“ gab es, wie zu zeigen sein wird, einen sehr starken elitären und medienpolitischen Konsenszwang. „PRIVATE ANSICHTEN“
Es ist Sonntagnacht, der 25. November 2007. Ich sitze allein vor dem ComputerBildschirm in dem kühlen Untergeschoss-Zimmer, Wand an Wand zum Abstellkeller meines Elternhauses. An der weißen Raufasertapete hängt ein umgedrehtes Poster von Kurt Cobain, eine Akustikgitarre steht in einer Ecke. An der Tür hängt ein schwarzes Poster der Extreme Metal-Band „Cradle of Filth“. Auf dem Brett an der Staffelei – angestaubt, lange nicht genutzt – kleben ein paar Zeichnungen, Sprüche und Zitate. Eines davon ist später von Bill Hicks. Ich lese es wieder und
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wieder, kann es fast auswendig. Es lässt mich in dieser Zeit gut schlafen. 169 An diesem Ort verbringe ich den ersten Teil meines BA-Studiums. Die Schlafcouch ist an diesem Abend bettfertig ausgeklappt. Bevor ich mich, geschafft, hinlege, finde ich um kurz vor 23 Uhr folgende Nachricht in meinem E-Mail-Postfach: Betreff: Re: Private Ansichten Sehr geehrter Herr Schink, Darf ich fragen, wer Sie sind? Studieren Sie bei uns? Ich habe vor einiger Zeit den Film „Loose Change“ gesehen und fand den nicht sehr überzeugend. Siehe auch http://911research.wtc7.net/reviews/loose_change/index.html Worauf Sie verweisen, scheint ähnlich gelagert zu sein, ich habe es aber nicht gesehen und werde auch nicht dazu kommen, fürchte ich. Die Seite http://911research.wtc7.net/ scheint mir aber mehr bieten zu können als irgendwelche Filme, jedenfalls bisher. Anomalien scheint es zwar zu geben, aber die betreffen offenbar vor allem das vierte Flugzeug und die Rahmenereignisse. MfG XXX170
Die E-Mail ist von einem Dozenten meiner damaligen Universität. Ich hatte ihm, nachdem ich den Film „9/11 Revisited“ auf der Webseite von NuoViso.tv gesehen hatte, eine aufgeregte E-Mail geschrieben, mit der Bitte sich doch ebenfalls den Film anzusehen und mir sein Urteil mitzuteilen. Die Doku hatte mich verrückt gemacht und innerlich gespalten. Die These ist, dass die Twin Towers am 11. September 2001 kontrolliert gesprengt wurden. In dem Web-Forum, in dem ich zu dieser Zeit lese, ist ein heftiger Streit zwischen „Verschwörungstheoretikern“ und „Infokriegern“, wie sie abwertend genannt werden, einerseits und den selbsterklärten „Debunkern“171 auf der anderen Seite entbrannt. Ich stehe irgendwo dazwischen: Ich glaubte die offizielle Version nicht mehr, aber von der Sprengungsthese konnte ich mich auch nicht überzeugen. Sie ist einerseits zu verstörend, verheerend und voraussetzungsreich, um wahr zu sein. Aber sie ist interessant und spannend – und im Bereich des hypothetisch Möglichen. Darüber hinaus fehlt mir aber vor allem das Spezialwissen, um sie für mich zu prüfen. Ein Freund, der damals Architektur studiert, ist eher genervt von meinen Fragen. Mein Philosophieund Geschichts-Studium hat erst vor wenigen Wochen begonnen. Aufgebracht und recht unüberlegt suchte ich nach dem erstbesten Uni-Lehrer, von dem ich glaubte, er könne mir bei der Wahrheitsfindung helfen. Das nur ‚virtuelle‘ Wissen macht mich unsicher. Ich brauche eine ‚echte‘ Person, deren Urteilskraft ich vertrauen kann. Ich will meine Unsicherheit und meine Zweifel ausräumen. Impulsiv schreibe ich also einem meiner neuen Dozenten eine E-Mail, deren forsche Formulierungen mir im Nachhinein ziemlich peinlich sind. Zugleich bin ich davon
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ausgegangen, der beschäftigte Mensch würde die Anfrage sowie ignorieren. Wenigstens hätte ich es dann probiert: Betreff: Private Ansichten Hallo Herr XXX, Falls Sie einmal eine gute Stunde Zeit haben sollten, würde ich Ihnen gerne folgenden (frei zugänglichen) Film ans Herz legen: http://www.nuoviso.de/filmeDetail_911revisited.htm Ich weiss nicht, inwiefern Sie Zeit dafür haben, oder es Sie überhaupt interessiert, aber falls Sie dazu kommen sollten, sich diesen Zusammenschnitt AUFMERKSAM und KOMPLETT (das ist ganz wichtig!) anzuschauen, geben Sie mir hinterher bitte Bescheid, was Sie davon halten. Ihr Statement […] interessiert mich hier, da ich mich schon seit einigen Jahren mit Terrorismus und der „Strategie der Spannung“ auseinander setze, allerdings nicht von der naturwissenschaftlichen Seite (die im Film beleuchtet wird), sondern im politischen-historischen und zeitgenössischen Kontext. Mit freundlichen Grüßen, Alan Schink172
Nachdem ich diese E-Mail abgeschickt hatte, überrascht mich umso mehr die obige rasche Antwort des Dozenten. Er hatte die Doku „Loose Change“ tatsächlich auch gesehen und war im Bilde über „Anomalien“. Gleichzeitig empfahl er mir eine ‚seriösere‘ Quelle als „Loose Change“ für die weiteren Recherchen. Die empfohlene Webseite stammt aus dem Umfeld des US-amerikanischen 9/11 Truth Movement (der sogenannten „Wahrheitsbewegung“; Kap. 6.1). In einer zweiten kurzen Mail, in der ich ihn nach seiner Ansicht zum „Freien Fall“ der Gebäude befrage, verweist er mich an einen geschulten Baustatiker. Die Antwort ist knapp. Sie signalisiert: Er hat keine Zeit oder kein Interesse an einem weiteren Austausch mit mir. So etwas hatte ich schon nach meiner ersten E-Mail erwartet.
Abbildung 27: Ex-SPD-Politiker Andreas von Bülow wird im September 2003 bei Sandra Maischberger als „Verschwörungstheoretiker“ vorgeführt (Quelle: Arbeiterfotografie).
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Irgendwann nach dem Beginn der US-amerikanischen Irak-Invasion, gegen die ich mit Schul-Freund*innen demonstriere, schenkt uns ein guter Bekannter meiner Eltern ein Buch. Es ist Andreas von Bülows „Die CIA und der 11. September“ (2003) (vgl. Kap. 5.2.1 und 6.2). Anfangs steht es für eine ganze Weile lang im Bücherregal. Bei einem der kommenden Besuche spricht mich der Bekannte, Samuel, auf dieses Buch an und ich nehme mir vor, es zu lesen. Andreas von Bülow hat aufgrund dieses Buches einen ‚legendären‘ Auftritt in der damals noch jungen ARD-Sendung „Menschen bei Maischberger“. In der sich gerade etablierenden Wahrheitsbewegung wird von Bülows Auftritt als Teil einer „Diffamierungskampagne“ gegen abweichende Meinungen zu 9/11 gedeutet. 173 Erst als ich davon im Internet erfahre, wird mir wieder bewusst, dass ich das Buch doch mal lesen sollte. Zwischen Samuel und mir entwickelt sich eine besondere Beziehung. Sie ist dadurch geprägt, dass wir uns über Geopolitik, über Terrorismus und gesellschaftliche Themen unterhalten, wenn wir uns sehen. Und wir schreiben uns E-Mails mit Links und Infos zu diesen Themen. Innerhalb des engeren Freundesund Bekanntenkreises gibt es ansonsten niemanden, der mit mir ernsthaft und informiert über diese und ähnliche Themen spricht. Samuel ist, neben meinem jüngeren Bruder, der einzige, mit dem ich dieses Wissen halbwegs ernsthaft teilen kann. Unsere E-Mail-Historie reicht von 2009 bis 2016. Dann bricht sie ab. Wir treffen uns ab und zu durch meine Eltern. Doch Samuel, der eine Generation über mir steht, hat sich von mir – oder ich mich von ihm – weltanschaulich immer mehr entfremdet. Seine Ansichten zur Flüchtlingsfrage, zur Wirtschaftspolitik und seine, aus meiner Sicht, stark revisionistischen Äußerungen, führten meinerseits in mehreren Fällen zu Unverständnis. Unsere einstmals ziemlich vertrauten und für mich anregenden Unterhaltungen im familiären Umfeld wichen einem immer kühleren und raueren Ton und politischen Dogmen, die mich heute vermuten lassen, dass seine Akzeptanz meiner Person vor allem auf die Zustimmung zu bestimmten Themen fixiert war. Bricht diese Zustimmung, so empfinde ich heute eine regelrechte Missachtung meiner Position. 9/11 ist zwischen uns kein Thema mehr. AN DER UNIVERSITÄT
Anfang November 2016. Das Semester hat gerade begonnen und das Arbeitspensum nimmt parallel zum Uni-Rhythmus zu. Es ist die Zeit des Wahlkampfs um das Amt des Bundespräsidenten in Österreich. Die Wahl wird ein „Kopf an Kopf-Rennen“ zwischen dem FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer und dem mit den Grünen verbundenen Alexander van der Bellen. Die von der FPÖ angefochtene erste Auszählung ging in eine weitere Runde, die zweite Stichwahl findet am 4. Dezember statt. Nach dem Sommerloch ist nun die heiße Phase angebrochen: Eine
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Schlammschlacht, die auch international für „Bestürzung bis hin zu Belustigung“174 sorgt. Neben persönlichen Attacken und Unterstellungen kursiert auf beiden Seiten ein Verschwörungsverdacht – über die Mitgliedschaft Norbert Hofers in der Burschenschaft Marko-Germania sowie über van der Bellens, laut eigenen Aussagen abgeschlossene, Mitgliedschaft in einer Freimaurerloge. Die diesbezüglichen Informationen werden von beiden Kandidaten als diskreditierende Information gegen den jeweils anderen ins Feld geführt. Der Medienzirkus ist kaum auszuhalten aber gleichzeitig schwer zu ignorieren. Bald ist Wochenende. Nach Feierabend unterhalte ich mich mit einem befreundeten Kollegen. Wir treffen uns auf dem Gang. Er ist älter als ich und schon länger im akademischen Betrieb. Wir unterhalten uns über politisches Engagement und die Verantwortung der Sozialwissenschaft in Zeiten großer gesellschaftlicher Krisen. Er sagt, ihm falle es schwer, sich der Politik zu entziehen, oft klebe er abends sprichwörtlich am Bildschirm und ihn würden die Nachrichten belasten. Ich höre große Sorge und Hilflosigkeit heraus und kann sie nachempfinden. Wir sprechen über die Wichtigkeit, als Akademiker im Diskurs immer wieder Stellung zu beziehen. Gleichzeitig sind wir uns einig, dass es auch wichtig ist, sich zu schützen und sich nicht mit negativen Nachrichten und Informationen (den sogenannten „bad news“) zu identifizieren. Ich hatte nie zuvor ein so ehrliches und intimes Gespräch mit diesem Kollegen. Dann sagt er etwas für mich völlig Unerwartetes. „Unter uns“, meint er in flüsterndem Tonfall, er sei sich bei „9/11“ auch „nicht sicher, ob die offizielle Version“ stimme. Mittlerweile gäbe es „ja viele Experten“, die die öffentliche Story zum Einsturz von „WTC 7“ bezweifelten. Ich stimmte ihm zu, die gibt es tatsächlich. Meine Überraschung lasse ich mir nicht anmerken. Dann ein paar Sekunden Schweigen. Es scheint ihm nur ein kurzes Anliegen gewesen zu sein. Er lächelt. Gleich darauf setzt er seine Maske wieder auf und wechselt das Thema. Wir sprechen über Sozialwissenschaft und Politik. Draußen wird es langsam dämmrig. Ein paar Minuten später wünschen wir uns ein schönes Wochenende. „ICH BIN ÄUßERST BESORGT“
Während ich mich als Studierender selbst mehr oder weniger vorsichtig und fragend an Experten und Autoritäten zu diesem Thema wende, mache ich die Erfahrung, dass ich, je länger ich „Verschwörungstheorien“ als Akademiker erforsche, selbst zum Magnet vertraulicher und besorgniserregender Fragen werde. Auch von Personen, die sich sonst für Politik und „Verschwörungstheorien“ scheinbar niemals interessierten. Auf einer Familienfeier fragt mich Anfang 2015 ein Verwandter, was ich denn glaube, was an am 11. September 2001 geschehen sei. Er sei überzeugt, dass die offizielle Version nicht stimme, meint er, noch bevor ich
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antworten kann. Einem anderen älteren Familienmitglied steigt bei diesen Aussagen die Wut sichtlich zu Kopf. Er wettert: „Du willst doch wohl nicht behaupten, die Amerikaner hätten das selbst gemacht!?“ Vor allem junge Menschen, mit denen ich zufällig in der Bahn oder in der Bibliothek ins Gespräch komme, fragen mich, sobald ich ihnen von meinem derzeitigen Forschungsthema erzähle, nach meiner Meinung zu einem gewissen „Daniele Ganser“, er komme ihnen vertrauenswürdig vor. Solche Erlebnisse häufen sich im Laufe der Jahre 2014–2018. Allein vier unabhängige Erlebnisse habe ich zu diesem Thema dokumentiert. Das sind keine Zufälle, es sind Koinzidenzen, die meiner Tätigkeit geschuldet sind. Meistens bin ich in solchen Situationen erfreut, aber selbst überfragt und verweise die Menschen auf andere Quellen. Ein mir zuvor völlig unbekannter Student aus dem deutschsprachigen Raum, schreibt mir z. B. folgende Sätze: […] ich bin äußerst besorgt, dass sich irgendwann einmal irgendeine dieser Theorien doch als wahr herausstellen könnte … was dann? […] Jeder Tag an dem, eine tatsächlich existierende Verschwörung nicht aufgedeckt wird, ist eine Katastrophe für die Demokratie. [Betonungen im Original, A. S.]175
Auch E-Mails aus dem nicht-deutschsprachigen Ausland erreichen mich. Ein Kollege von einer dänischen Hochschule, ein Sprachwissenschaftler, will von mir wissen, da ich ja zum Thema forsche, ob ich „seriöse Bücher“ habe, die ihm endlich die brennende Frage beantworten könnten, „ob der World-Trade-Center-Angriff ein Insiderjob [sic] war oder nicht.“ Er wolle einfach nur die Wahrheit erfahren, schreibt er. Dass dieser Wissensaustausch so stattfindet, wie er stattfindet – diskret und privat und unter ständiger Angst, nicht öffentlich diskreditierbar zu sein –, verweist für mich auf ein tiefsitzendes Misstrauen gegenüber offiziellen Wahrheiten und dem politischen Mainstream(-Diskurs). Dass sie so geäußert werden, ist für mich Ausdruck von Jack Bratichs „conspiracy panics“. Diese Angst ist zugleich die Angst vor mächtigen Verschwörungen von Regierungen, Geheimdiensten oder Konzernen wie auch die Angst davor, durch das öffentliche Aussprechen oder Infragestellen bestimmter Wahrheiten als „Verschwörungstheoretiker“ zu gelten. Dem oben erwähnten besorgten Studenten sei es in diesem Sinne, so schreibt er mir, in erster Linie ein „Anliegen […], dass das mediale Unter-Generalverdacht-Stellen von Konspirationstheorien endlich aufgegeben wird.“ ***
Die Beispiele repräsentieren nicht das Misstrauen von Minderheiten. Das wäre eine verzerrte Sicht der Dinge. Laut einer globalen Umfrage aus dem Jahr 2008 ist knapp jede*r vierte Deutsche davon überzeugt (23%), dass die US-Regierung selbst hinter den Anschlägen von 9/11 steckt.176 Das ist mittlerweile die Stärke einer bürgerlichen Partei. In den USA ist das Misstrauen noch größer.177 Nach
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einer Umfrage in Deutschland von 2011 glauben knapp 90% der befragten Männer und Frauen, „dass die US-Regierung die ganze Wahrheit über die Anschläge vom 11. September 2001 verschweigt“.178 In der gleichen Umfrage kam heraus, dass „zwei Drittel“ der Bevölkerung in Deutschland „die Bundesregierung für erpressbar“ halten. Diese Zahl dürfte sich seither eher vergrößert haben. Es folgten die Enthüllungen zum „NSU-Komplex“, die NSA-Affäre, die V-Mann-Affäre um Anis Amri sowie auch Proteste gegen die mediale Berichterstattung der Ukraineund der Flüchtlingskrise 2014 und mit ihr die gesamte „Lügenpresse“-Debatte. Die „Gegenöffentlichkeit“, durch die dieses Misstrauen gegenüber dem „Mainstream“ verstärkt wird, ist in Deutschland zum Zeitpunkt dieser Umfragen gerade dabei, sich zu formieren. Der Zweifel an der offiziellen Wahrheit von 9/11 bildet dabei nur den kleinsten gemeinsamen Nenner und wird zum Stichwortgeber einer Gegenkultur und -bewegung, die sich bald „Wahrheitsbewegung“ nennt. 5.1.3 Der Zwang zum Konsens WE MUST SPEAK THE TRUTH ABOUT TERROR. LET US NEVER TOLERATE OUTRAGEOUS CONSPIRACY THEORIES CONCERNING THE ATTACKS OF SEPTEMBER 11TH – MALICIOUS LIES THAT ATTEMPT TO SHIFT BLAME AWAY FROM THE TERRORISTS THEMSELVES, AWAY FROM THE GUILTY. TO INFLAME ETHNIC HATRED IS TO ADVANCE THE CAUSE OF TERROR. AND NO GOVERNMENT SHOULD PROMOTE THE PROPAGANDA OF TERRORISTS. (G. W. BUSH, UNITED NATIONS-REDE, 10. NOVEMBER 2001179)
Direkt nach dem 11. September 2001 sind wir alle „Amerikaner“ und „Patrioten“ – oder sollten es sein. Ich erinnere mich noch gut, wie die Stimmung kurz nach 9/11 war. Zu dieser Zeit spiele ich das Computerspiel „Counterstrike“ sehr exzessiv. Die Schulnoten sind mir egal. Ironischerweise ist mein Mathe-NachhilfeLehrer, Christoph, derjenige, der mich in seinen Clan aufnimmt. „TKO“, so heißt der Clan, spielt „CS“ professionell, in zwei verschiedenen deutschen Ligen. CS ist ein Ego-Shooter, bei dem Terroristen gegen Counter-Terroristen antreten. Man braucht Geschick, Schnelligkeit, Treffsicherheit (Micro Management) sowie Planung und Teamgeist (Makro Management). Unser Clan ist ehrgeizig, wir spielen in den oberen Rängen der Liga mit. Christoph steht kurz vor dem Abitur und ist etwa drei Jahre älter als ich. Unmittelbar nach dem Schock der Terroranschläge ändert sich etwas. Christoph verweigert jetzt das Spiel. Wie er sagt, aus „Solidarität“ mit den USA. Er war schon einmal dort, zum Schüleraustausch. Die anderen im Clan und ich haben dafür wenig Verständnis. Politik, zumal Symbolpolitik, und auch „Verschwörungstheorien“ sind mir zu diesem Zeitpunkt fremd. Ich will einfach dieses Spiel spielen. Erst nach und nach wird mir bewusst, welche gesamtgesellschaftliche Tragweite die Terroranschläge haben. Der Krieg ist real. Auch wenn er entfernt in Afghanistan und im Irak stattfindet. Und die Welt wird, nach dem Kalten Krieg, einmal mehr in Gut und Böse eingeteilt. 9/11 bewirkt bei vielen
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Menschen Angst und Fassungslosigkeit. Im politischen Diskurs gibt es bald einen bemerkbaren Zwang zum Konsens. „Verschwörungstheoretiker“, „Anti-Amerikaner“ oder gar „Terrorist“ ist, wer diesen Konsens grundsätzlich infrage stellt. ***
Für Weller (2004: 258) hatte „zweifellos das Fernsehen mit seiner ausführlichen Live-Berichterstattung“ einen „[e]ntscheidenden Einfluss auf die Deutungen“ der Terroranschläge des 11. September 2001. Weller meint, dass die Ereignisse um den Tag der Anschläge ihre „(politische) Bedeutung […] nicht aus sich selbst“ gewinnen konnten, sondern aus den (politischen) Deutungen, die ihnen gegeben wurden, und den mit diesen Deutungen unmittelbar verbundenen (politischen) Reaktionen, die sich seit dem 11. September 2001 beobachten lassen. Entscheidenden Einfluss auf diese Deutungen hatte zweifellos das Fernsehen mit seiner ausführlichen Live-Berichterstattung, denn sowohl die anderen Massenmedien als auch die Politiker im Hinblick auf die von ihnen geforderten Stellungnahmen griffen an diesem Tag in besonderer Weise auf die Fernsehberichterstattung als zentrale Informationsquelle zurück. (Ebd.: 258)
Das Fernsehen ist das Medium der offiziellen Deutung der Terroranschläge. Diese Deutung ist die Version der Bush-Regierung. Sie besagt, dass 19 Terroristen ‚von außen‘ und überraschend die USA angegriffen haben. Dieser Akt wird von den USA als eine Kriegserklärung gewertet und mit einem globalen „War on Terror“ beantwortet. „[D]iese Konstruktion des Geschehens“, so Weller (ebd.: 263), „setzte sich in der Fernsehberichterstattung in einer enormen Geschwindigkeit durch“ und er fügt hinzu, dass diese Geschwindigkeit völlig disproportional zu den am Abend des 11. September 2001 vorliegenden Erkenntnissen über die Terroranschläge, ihre Ziele, Motive und Täter [steht]. (Ebd.)
Weller schreibt von einer Unmöglichkeit der Informationsverarbeitung. Er meint, dass die Ereignisse offensichtlich nicht verarbeitet werden [konnten] – weder massenmedial noch kognitiv –, ohne dass den Bildern einfache politische Deutungen hinzugefügt wurden. (Ebd.)
Er erklärt medientheoretisch, weshalb sich im Fernseh-Diskurs (untersucht wurde die Berichterstattung von ARD, ZDF und RTL) eine zügige Verengung auf vereinfachte Deutungsmuster fortschrieb, die sich mit der Bush-Doktrin gemein machten und schließlich einen „Interpretationsrahmen gesetzt“ hätte, den die betroffenen Sender „in den folgenden Tagen kaum mehr verlassen konnten und der dann zum Resonanzboden des militärischen Angriffs auf Afghanistan wurde.“ (Ebd.: 263 f.) Nach Weller verfehlte dieses Deutungsmuster aber die spezifische Dimension des transnationalen Terrorismus, dem eben nicht mit einem „Krieg“ zwischen Nationalstaaten beizukommen sei (ebd.: 265; vgl. Riegler 2009). Doch das
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5 Verschwörungen im Deutungskonflikt
Deutungsmuster „Krieg“ wird im Fernsehdiskurs und schließlich auch im politischen Diskurs von Expert*innen und Moderator*innen verstetigt. Es dient einerseits, so Weller als „Deutungsmuster des Unfassbaren“ und erfüllt damit die von Plaß und Schetsche (2001) herausgearbeiteten (Kap. 4) Funktionen von „Komplexitätsreduktion“, „Antizipation von Situationsentwicklungen“, „Verständigung über Grenzsituationen“ und – gemeinsam mit dem sich aus ihm entwickelnden Deutungsmuster „Vergeltung“ – der „Erzeugung sozialer Gemeinschaft“. Letztere beschwor US-Präsident Bush am 21. September 2001 vor dem US-Kongress mit seinem Ausspruch: „Every nation, in every region, now has a decision to make. Either you are with us, or you are with the terrorists“180. Weller bilanziert, dass die Fernsehberichterstattung am 11. September 2001 einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet [hat], die öffentliche Meinung in Deutschland in der Weise zu strukturieren, dass die rot-grüne Bundesregierung keine Notwendigkeit und aufgrund der mangelnden gesellschaftlichen Unterstützung auch keine Möglichkeit sah, der USamerikanischen Kriegsrhetorik vehement entgegenzutreten. (Weller 2004: 273)
Während Weller die Konsensbildung der Terroranschläge von 9/11 vor allem medientheoretisch erklärt, macht Schwab-Trapp (2003) auf den Einfluss von Eliten auf Deutungsmuster aufmerksam, „die unmittelbar nach dem 11.09. entwickelt werden.“ (Ebd.: 140) Er fasst zusammen: „Die Diskussion über den 11.09. zeichnet sich […] durch eine Normierung des öffentlichen Diskurses aus, die die Diskursteilnehmer in die Konsenspflicht nimmt.“ Neben der Begrenzung des Interpretationsrahmens durch politische Eliten komme diese Normierung „in der Reaktion auf Deutungsangebote zum Ausdruck, die von der vorherrschenden Lesart der Terroranschläge abweichen“. (Ebd.) Beispielhaft nennt Schwab-Trapp den Fall des damaligen Tagesthemen-Moderators Ulrich Wickert, der mit dem Verweis auf die indische Schriftstellerin Arundhati Roy „gegen vorherrschende Interpretationen“ der „Kriegserklärung“ verstoßen hatte und dafür durch die Bild-Zeitung, Angela Merkel und Künstler wie Wolf Biermann scharf kritisiert wurde. Wickert nahm seine Aussagen öffentlich wieder zurück (ebd.: 146). Wodurch auch immer der Konsenszwang ‚letztlich‘ oder entscheidend bedingt ist – wichtig ist festzuhalten, dass es ein 9/11-„Mainstreaming“ (vgl. Krüger 2016: 41) gibt, welches durch medientheoretische, journalistische oder politische ‚Zwänge‘ das Feld des Denk- und Sagbaren in Bezug auf die Terroranschläge und ihre Rahmenereignisse stark verengt. Diese Verengung, deren politische Seite in der Gleichsetzung abweichender Deutungen mit „outrageous conspiracy theories“ und „malicious lies“ besteht, deren Anhänger*innen mit der „propaganda of terrorists“ gleichgesetzt werden, ist ein Katalysator der „Verschwörungstheorie“ des 21. Jahrhunderts. Das Stigma und der politische „Kampfbegriff“ des Terroristen (Hillebrandt 2007: 46) wird damit auf die Häretiker und „Verschwörungstheoretiker“ übertragen (Kap. 5.4). Die hypermoralische und zersetzende Kriegs- und Kampf-Rhetorik nach 9/11 hat insofern mit dazu beigetragen, die häretische und moderne
5.1 Die Verschwörung von 9/11
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„Verschwörungstheorie“ zu reanimieren, ihr ‚Treibstoff‘ gegeben, und will sie gleichzeitig mit allen Mitteln vernichten. Durch die Propagierung der offiziellen Al-Kaida-Verschwörungsdeutung wurden nicht bloß alternierende Deutungen performativ ausgeschlossen. Sie werden im Zuge des „War on Terror“ auch terrorisiert und stigmatisiert. Der professionelle (Fernseh-)Journalismus hat diesen Rahmen von Beginn an aktiv und passiv mitentwickelt und getragen und sich somit in eine Diskursposition und Pfadabhängigkeit gebracht, die er auch gegenwärtig nur schwerlich wieder verlassen kann. Es verwundert nicht, dass Experten*innenAnalysen, die auf tiefenpolitische Implikationen der Anschläge verweisen noch in der ersten Zeit nach den Anschlägen im professionellen Journalismus sagbar waren, aber im weiteren Verlauf der politischen Entwicklungen, qua Deklaration, „Verschwörungstheorien“ wurden. So etwa die Einschätzung des Experten August Pradetto von der Bundeswehr-Universität, veröffentlicht acht Tage nach dem 11. September 2001 bei Welt Online. Pradetto sieht in den Anschlägen „eine gezielte Provokation“ von professionellen ‚Hintermännern‘ und vermutet „ehemalige Geheimdienstler aus diesem Umfeld“, die sich „mit anderen Kräften verbunden haben“. Osama Bin Laden spielt für ihn als Täter keine Rolle. 181 Tiefenpolitische Kollusionen, wie sie Pradetto hier andeutet und wie sie seit 9/11 von vielen Forscher*innen und Analyst*innen für viele Terroranschläge festgehalten werden182 (Aaronson 2013), existieren im Frame des professionellen Journalismus nicht. Das „War on Terror“-Dispositiv nihiliert sie. Weller (2004: 260) erklärt: Die Ereignisse am 11. September 2001 beispielsweise als Anschläge islamistischer Terroristen – anstatt als Geheimdienstaktionen zur Steigerung der Rüstungsausgaben – zu deuten, entspringt keiner politischen Intention, sondern den im gesellschaftlichen Diskurs vorhandenen und breit akzeptierten Deutungsmustern, auf welche Journalisten zurückgreifen müssen, wenn sie über Politik berichten. Sie sind Teil der Rahmenbedingungen, innerhalb derer die massenmediale Konstruktion der internationalen Politik zustande kommt.
Diese Erklärung wird jedoch gerade für den Fall der Terroranschläge von 9/11 zum Prüfstein des professionellen Journalismus – Bröckers183 spricht polemisch vom „Lackmustest für echten Journalismus“ –; denn wo Umfragen zeigen, dass ein Großteil der Bevölkerung die offiziellen Deutungsangebote ablehnt, kann sich der professionelle und investigative Journalismus legitimerweise nicht darauf berufen, lediglich die „im gesellschaftlichen Diskurs vorhandenen und breit akzeptierten Deutungsmuster“ aufzugreifen. Plausibler erscheinen hierbei die von SchwabTrapp (2003), Hubé (2013) oder Krüger (2016) zur Diskussion gestellten politischen und Elite-Framing-Ansätze (vgl. Kap. 5.2). Diese sollten jedoch immer im Kontext von mit ihnen verbundenen Dispositiven betrachtet werden, mit sozialen und (tiefen-)politischen Praktiken und Institutionen, die etwa Diskurse über ‚die‘ Terroristen und ‚den‘ Westen reproduzieren (Ditrych 2014).
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5 Verschwörungen im Deutungskonflikt
5.1.4 Mediale Brüche WIR HABEN IN DEUTSCHLAND HERRSCHAFTSWISSEN. WIR HABEN SACHEN, DIE GENERÄLE UND DIE BUNDESREGIERUNG WISSEN, DIE SIE DER BEVÖLKERUNG UND DEN MEDIEN NICHT SAGEN. […] ALSO HABEN WIR EINE GETEILTE INFORMATIONSLAGE. DAS IST AUCH ETWAS, WAS ICH […] ARD, ZDF, SÜDDEUTSCHER ZEITUNG, FRANKFURTER ALLGEMEINE VORWERFE, DASS SIE HIER NICHT WEITER NACHBOHREN. (CHRISTOPH HÖRSTEL, SWR1 LEUTE, 10. NOVEMBER 2008184)
Am 10. November 2008 ist der Journalist und Buchautor Christoph Hörstel in der Sendung „SWR1 Leute“ zu Gast, moderiert von Wolfgang Heim. Es geht um den Nahost-Konflikt, Afghanistan und Hörstels aktuelles Buch „Brandherd Pakistan“ (2008). Hörstel wird vorgestellt als „Journalist, Politikberater und einer der besten Kenner Afghanistans“ und als „der einzige westliche Journalist, der 2001 in Kabul den Sturz der Taliban miterlebte.“185 Weiter heißt es im Ankündigungstext auf der SWR1-Webseite: Für Hörstel war der Krieg der USA in Afghanistan bereits vor dem 11. September beschlossene Sache, den Bundeswehr-Einsatz hält er für hochriskant, der Bundesregierung wirft er Desinformation vor, der Krieg, so glaubt er, könne so nicht gewonnen werden [Hervorhebung von A. S.].
Hörstel widerspricht in dem knapp 28-minütigen Auftritt nicht nur in vielen Punkten der „offiziellen Version“186 der Afghanistan-Mission der Bundesregierung und der NATO. Er nennt auch weitere Informationen, die das Image der politischen Agenda der ISAF-Mission beschädigen. Etwa indem er die nicht bestätigte „Anwendung von Uranwaffen“ durch das US-Amerikanische Militär oder dessen „nachweislich[e]“ „Folter“-Praxis in Afghanistan behauptet.187 Heim setzt diesen Aussagen des Experten nichts entgegen, fragt aber mehrfach „wie gesichert“ hierbei die Quellenlage sei, worauf Hörstel ihn vor allem auf ausländische Quellen und Nachrichtenportale verweist. Heim ist kritisch, aber affirmativ. Er lässt Hörstel ausreden, fragt interessiert nach und widerspricht seinem Studiogast nicht. Nach sieben Minuten überschreitet Hörstel jedoch eine unsichtbare Linie, wie an der Reaktion des Moderators deutlich zu erkennen ist. Auf die Frage, ob er es gut finde, „dass Osama bin Laden in Freiheit ist – also, wenn er denn in Freiheit ist und falls er denn noch leben sollte?“, antwortet Hörstel: Ich fände es gut, wenn einmal wirklich herauskäme, was am 11. September 2001 passiert ist. Denn eines kann ich klar sagen: es ist erwiesen, dass die offizielle Version des US-Kongresses falsch ist. Die ist so lückenhaft, dass sie mehr Fragen aufwirft, als Antworten aufgibt.188
Den Moderator interessiert: „Welche Antworten haben Sie gefunden für den 11. September, die wir nicht kennen?“ Der Journalist überlegt kurz und entgegnet dann:
5.1 Die Verschwörung von 9/11
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Ehm, also ich weiß nicht, was Sie kennen, aber ich weiß, was der Stand der Literatur ist. [Und] der Stand der Literatur ist, dass wir ein tiefes Involvement, eine tiefe Befassung der amerikanischen Dienste, CIA und FBI, in dieses Thema haben, soweit, dass sogar die FBI-Bediensteten bei diesen berühmten Flugschulen, wo diese Mörder […] fliegen gelernt haben, dass die […] gewitzelt haben über ihre Vorgesetzten, dass sie offenbar mit Osama zusammenarbeiten, weil ihre ganzen Eingaben, dass hier [et]was schlimmes passiert, oben nicht gehört wurden.189
Daraufhin fragt Heim, ob das seiner „Einschätzung nach“ darauf hindeutet, „dass hohe amerikanische […] Regierungskreise, der amerikanische Geheimdienst, in die Anschläge involviert sind oder sie, im Extremfall sogar angeordnet haben?“ Hörstel: „Ich muss davon ausgehen, ja.“ „Das glauben Sie ernsthaft?“, fragt Heim. „Ich bin mir ganz sicher […]“
Heim fällt ihm ins Wort: „Sie wissen, was sie da sagen?“ Hörstel wiederholt: „Ich bin mir ganz sicher, dass es hier ein Involvement gibt und dass wir das dringend untersuchen müssen [absolut]!“
Wieder fällt ihm Heim ins Wort: Und sie wissen auch, dass die überwiegende Mehrheit unserer Hörer und Zuschauer beispielsweise, entweder entsetzt oder fassungslos reagieren, wie man im Jahre 2008 solche Behauptungen aufstellen kann?
Hörstel antwortet: Ich rate allen, das in diesem kleinen Bertelsmann-Verlag erschienene Buch „Geheimsache 09/11“190 zu lesen und danach werden Sie anderes denken wie viele andere auch – ich auch […]
Heim, hörbar entsetzt, unterbricht erneut: „Haben Sie, Herr Hörstel, irgendwelche Beweise für diese doch historisch einzigartige […] Art des Vortrages gerade eben?“ Ehm, es gibt 700 Indizien für eine solche Geschichte, in diesem Buch, das ich gerade erwähnt habe und das zum offiziellen Lese-Curriculum der Universität Harvard in den USA gehört. Ein wichtiges Buch.
Heim will es dabei belassen und fortfahren: „Gut, dann lassen wir es dabei bewenden und juristisch formuliert steht dann glaube ich Aussage gegen Aussage, in diesem speziellen Fall.“ Heim fragt wieder nach Osama bin Laden. 9/11 thematisiert er nicht mehr. Für den leitmedialen Diskurs über 9/11 ist diese Gesprächsentwicklung bezeichnend. Hörstel bricht in dem Gespräch mehrere Tabus, die die offizielle NATO- und ISAF-Politik betreffen. Ein Mitglied der Bundesregierung oder auch ein US-amerikanischer Diplomat würden ihm wohl in den meisten Punkten
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5 Verschwörungen im Deutungskonflikt
deutlich widersprechen. Zweimal redet Hörstel von einer Zusammenarbeit des pakistanischen Geheimdienstes ISI – der wiederum mit Al-Kaida und den Taliban kooperierte – und US-amerikanischen Sicherheitsbehörden, die die Taliban und Al-Kaida „brauchen“ würden. Heim folgert: Das heißt es gibt zwei Wahrheiten. Die erste Wahrheit ist: die Amerikaner kämpfen offiziell gegen die Taliban in Afghanistan. Und die zweite ist: Sie unterstützen, zumindest indirekt, dieselben Taliban?191
Hörstel korrigiert: „[…] sie lassen sie unterstützen […] fasse es, wer es möchte!“192
Er spricht von „Herrschaftswissen“, über Geopolitik und Terrorismus, das den meisten Menschen in der Bevölkerung nicht zuteilwerde und über „Terrormanagement“193 westlicher Regierungen und NATO-Staaten, vor allem der USA. Heim hakt nach, aber er widerspricht ihm nicht. Nur in einem Fall während des knapp 30-minütigen Gesprächs markiert der Moderator seinen Dissens ganz deutlich: Als es um den Terror des 11. September 2001 geht. Dessen offizieller Version – wie in fast jedem Punkt des Interviews – widerspricht Hörstel. Und hier wird es problematisch. Heim fragt nach. Als Hörstel die häretische Behauptung wiederholt, spricht der Moderator im Namen eines Publikums, das durch „solche Behauptungen“ seiner Ansicht nach „entsetzt“ und „fassungslos“ sei. Die Nennung des Jahres „2008“ ist dabei ebenfalls bemerkenswert: Und sie wissen auch, dass die überwiegende Mehrheit unserer Hörer und Zuschauer beispielsweise, entweder entsetzt oder fassungslos reagieren, wie man im Jahre 2008 solche Behauptungen aufstellen kann?
Gäbe es andere historische Zeitpunkte, in denen man so etwas noch oder wieder sagen könnte? Hörstel hat hier ganz offenbar den Korridor des Sagbaren gesprengt. Die Einschätzung von ihm wird „als historisch einzigartige […] Art des Vortrages“ durch den Moderator dargestellt. Dadurch wird der Autor kommunikativ isoliert. Ganz zum Schluss behauptet Heim, es stehe „Aussage gegen Aussage“, obwohl er selbst, anders als Hörstel, keine Referenzen oder „Beweise“ anführen kann. Die sequenzielle Ordnung zeigt deutlich, dass solch eine ‚entsetzliche‘ Behauptung nicht unwidersprochen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk stehen bleiben kann – ganz gleich wie sachlich fundiert sie ist und ob sie von einem, zu diesem Zeitpunkt in diesem Rahmen, anerkannten „Kenner“ kommt. Dies ist einer der letzten Auftritte Hörstels in einem öffentlichen Leitmedium. Schon vorher wurde Hörstel etwa in der FAZ Online für seine angebliche „TeilIdentifizierung mit islamistischen Gruppierungen“194 kritisiert. In der SWR1Sendung übertritt er mit seinen unorthodoxen Aussagen zu 9/11, sich seiner Lage bewusst, die Schwelle, die ihn zum „Verschwörungstheoretiker“ macht. Nachdem er im letzten Drittel der Sendung auch eine solche Anschuldigung durch einen Hörer*innen-Kommentar mitbekommt („Hörstel ist ein profilneurotischer
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5.1 Die Verschwörung von 9/11
Verschwörungstheoretiker, der abstruse Thesen und Theorien vertritt“) sagt er, er habe „aus gutem Grund“ bisher nicht öffentlich gesagt, „dass die amerikanischen Geheimdienste in 9/11 involviert sind“, doch im Prinzip muss das Thema eh auf den Tisch. Irgendwann kommt es doch. Und die Fakten sind eindeutig. Ich bin da ganz […]195
Wieder fällt ihm der Moderator ins Wort und fragt ihn, ob ihn die öffentliche Kritik, beispielsweise die der „FAZ“, die ihn eine Mischung aus „Robin Hood und Karl May“ nenne, nicht störe. Hörstel winkt ab. Das Gespräch dreht sich wieder um Afghanistan. ***
Am 15. August 2009, ein knappes Jahr nach Hörstels Auftritt im SWR findet in Leipzig das sogenannte „Geopolitik Treffen“ statt. Hier versammelt sich, organisiert vom Macher des Medienportals Nuoviso.tv, Frank Höfer, die deutschsprachige „Wahrheitsbewegung“. Es ist das erste Zusammentreffen einer jungen alternativen Medienszene in Deutschland. Auch Christoph Hörstel ist vor Ort. Er ist in dieser Szene angekommen. In seinem Vortrag spricht der ehemalige ARDAuslandskorrespondent vor einem ihm geneigten Publikum über alternative Fakten des Afghanistan-Einsatzes und kritisiert die Bundesregierung und die NATO scharf. Spätestens seit seinem SWR1-Gespräch ist Hörstel in dieser „Gegenöffentlichkeit“ ein gefeierter Stargast. Am Ende der Vortragsreihe sitzt er, zusammen mit vier anderen Dissident*innen auf dem Podium, darunter Jürgen Elsässer, späterer Herausgeber des rechten Compact-Magazins und der Veranstalter Frank Höfer. Das Gespräch auf der spontan herbeigeschleppten Ledercouch wird zum informellen Gründungsakt einer Bewegung, die Elsässer weitblickend „Generation 9/11“ nennt. Vieles wird hier besprochen: von Kriegslügen und Frieden über Atomwaffen und Uranmunition, den Lissabon-Vertrag und „False Flag“-Operationen. Themen, die man von dieser Seite und so geballt im „Mainstream“ nicht diskutiert. Doch auch hier sagt Hörstel nicht alles, was er weiß. Auch hier gibt es Schwellen. Er ist ein erfahrener und guter Redner. Er weiß, was er wo und wie sagen kann. Die ‚heißen Eisen‘ werden erst abends beim gemeinsamen Ausklang in kleiner Runde angefasst. Wir sitzen in einem Restaurant in Leipzig. Höfer ist dabei, und ein Teil seiner Familie kommt dazu, sehr sympathisch. Er scheint mir ‚authentisch‘, bodenständig. Als seine Mutter im schönsten Sächsisch erzählt, wie ihr Sohn mit Nuoviso.tv angefangen habe, zunächst ‚ganz allein‘ alles mit seinem ‚Taschengeld‘ finanziert habe, immer optimistisch und heute über 500 Leute auf diesen Kongress bewegt hat, wirkt Höfer ein bisschen geniert und sie stolz. Für mich ist das nur ein Seitenblick. Mich interessieren eher die Geschichten Hörstels, der direkt neben mir sitzt. Ich hatte sein erstes Buch „Sprengsatz
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5 Verschwörungen im Deutungskonflikt
Afghanistan“ (2007) gleich nach der Veröffentlichung gelesen. Und obwohl Hörstel sich darin nicht direkt zum Terror von 9/11 geäußert hatte, las ich irgendwie schon aus diesen Zeilen das Infragestellen der offiziellen Version heraus. Das Hörstel ‚mehr‘ wusste, hatte ich beim Lesen gespürt. Als ich dann das SWRGespräch, verlinkt auf einem Alternativblog im Internet, gehört hatte, war ich in Aufruhr: ‚Endlich traut sich einer etwas!‘ An diesem Abend in Leipzig war es dann schon fast zu viel, als er aus dem Nähkästchen seiner Kontakte in sicherheitspolitische Krise sprach – nicht ohne eine gewisse Selbstherrlichkeit, aber nicht überheblich. Diese ‚Wahrheiten‘ wollte ich zwar hören, konnte sie aber nicht verdauen.
Abbildung 28: Abschluss-Podiumsdiskussion auf dem „Geopolitik Treffen“ in Leipzig am 15. August 2009. Mit Mikrofon: Christoph Hörstel (Quelle: NRhZ).
An das Gefühl an diesem Abend erinnere ich mich viel mehr als an alles andere – die Inneneinrichtung, alle Anwesenden oder was sonst. Es war, wie wenn du jahrelang auf der Suche nach etwas bist, doch niemals hast du Gewissheit; die Suche ist geprägt von Enttäuschungen und Zweifeln, Doppeldeutigkeiten und nebulösen Schleiern. Und du hast dich in diesem verwirrenden Wahn-Labyrinth, in dieser Schizophrenie zwischen Fakt und Fiktion, irgendwie eingerichtet, es dir so bequem gemacht wie nur möglich. Die wahnsinnige Stimmung vermittelt dir: Du weißt etwas, du spürst es, aber du wirst es niemals bestätigt bekommen, du wirst niemals Sicherheit haben! Niemals wirst du aus diesem Irrgarten herausfinden können. Und deine ganze Erfahrung lehrt dich, genau das zu akzeptieren – die Welt genauso zu sehen – genauso. Und dann, plötzlich, kommt einer, dem du vollkommen vertraust. Und diese Person erzählt dir – ohne Umschweife und völlig trocken –, dass dasjenige, was du die ganze Zeit schon vermutet hattest, wahr ist.
5.1 Die Verschwörung von 9/11
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Der Vorhang ist gefallen! Und du stehst davor und siehst in völliger Klarheit die Gestalt, deren Schatten du über Jahre hinweg nachgejagt bist, ohne zu wissen, ob sie echt war oder nicht. Die Wahrheit ist plötzlich ganz unmittelbar. So real, dass du sie anfassen könntest – und das kannst du nicht glauben, du verleugnest sie. Weil du sie nicht fassen kannst! Weil du gar nicht mehr dazu in der Lage bist, sie zu fassen. Weil dein Vertrauen in die ‚Realität‘ vollkommen zerstört wurde. Weil nun auch das Naheliegende und Vertraute nicht wahr sein kann und nur das Scheinbare, Zweifelhafte echt ist. In dieser Fassungslosigkeit verlasse ich das Treffen – erfreut über interessante Gespräche, doch weiter unerlöst – weiterhin zerrissen; ungläubig über das, was da offenbart wurde und dessen Suche nicht vorbei ist. 5.2 Medienkonspirationen NEWS AND TRUTH ARE NOT THE SAME THING, AND MUST BE CLEARLY DISTINGUISHED. (WALTER LIPPMANN, PUBLIC OPINION, 1922196) […] WIR TUN SO, ALS OB DER TRUMP DER ERFINDER DER FAKE NEWS WAR. DA GIBT ES EINE VORERFAHRUNG, DIE LAUTET: DIE GLOBALISIERUNG MACHT ES FÜR ALLE BESSER, DIE BANKENWELT MÜSSEN WIR NUR LIBERALISIEREN, DANN WERDEN ALLE WOHLHABEND, KAUFT EUCH ALLE AKTIEN, WIR MÜSSEN DEN SADDAM HUSSEIN ENDLICH FASSEN UND IM IRAK EINMARSCHIEREN, WEIL ER MASSENVERNICHTUNGSWAFFEN HAT – ALLES GELOGEN. (SIGMAR GABRIEL, MAYBRIT ILLNER, ZDF, 2017197)
Wenn in alternativen Diskursen von „Lügenpresse“ oder „Mainstreammedien“ die Rede ist, dann sind dies einerseits Kampfbegriffe, durch die sich die „Gegenöffentlichkeit“ von einer professionellen journalistischen „Elite“ abgrenzt. Die Form dieser Alltagskommunikation sind Vereinfachungen, Klischees und Stereotypen. Sie haben eine Orientierungsfunktion und sind gemeinschafts- und identitätsstiftend gegenüber dem professionellen Journalismus. Sie grenzen sich damit von dessen Deutungsmustern ab und erzeugen eine eigene Kommunikationsgemeinschaft und Diskurskoalitionen (vgl. Kap. 6). Mit dieser Ab- und Selbstausgrenzung ist, neben misstrauischer und Angstkommunikation, auch eine Sprache der Selbststigmatisierung verbunden. Sie kann Charisma und symbolisches Kapital erzeugen. Entlarvte ‚Lügen‘ in leitmedialen Diskursen, die oftmals auf einseitiger Berichterstattung beruhen, haben im alternativen Gegendiskurs die gleiche Form wie das anti-verschwörungstheoretische Debunking (vgl. Kap. 5.5.4). Einzelne Lügen(skandale), Falschmeldungen oder Selektionen fungieren als Trajekte für ein grundsätzliches Misstrauen oder gar einer Ablehnung aller mit der Gruppe des „Mainstream“ oder der „Lügenpresse“ identifizierten Medien oder Akteur*innen. Nach der „Relotius-Affäre“ beispielsweise, die vielfach in emotionalen Mustern der Schadenfreude, Genugtuung oder des Hohns seitens der alternativen Medien rezipiert wurde, hat sich etwa in deren Subdiskursen eine zeitlang der Begriff der
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„Relotius-Medien“ verbreitet. „Relotious“ ist ein Meme, Synonym und Code für „Lügenpresse“. Das Motiv einer Medienverschwörung wird durch Skandale wie diesen reproduziert, der Eindruck, dass Leitmedien bewusst oder gezielt Lügen und Desinformation oder „Fake News“ im Auftrag der Regierung, von Geheimdiensten oder ökonomisch Mächtigen Akteur*innen verbreiten, verstärkt. Dabei zeigt der Fall Relotius soziologisch vor allem die Macht und den Druck von Mediendiskursen und -praktiken, die ihre Subjekte permanent disziplinieren. Die „Relotius-Affäre“ ist in vielen Deutungsmustern alternativer Medien nicht nur der ‚Beweis‘ für die Richtigkeit der „Lügenpresse“-Vorwürfe gegenüber dem „Mainstream“, sondern zeige zugleich deren Heuchelei in „Fake News“-Debatten, die Akteur*innen aus dem „Internet“ diskreditierten. Eine Heuchelei und Doppelmoral, die, wie Ken Jebsen im KenFM-Format „Zur Sache“ (vgl. Kap. 6.4) meint, nur die „Spitze des Eisbergs“198 einer umfassenderen Desinformations- und Fake News-Agenda darstelle und die – das ist ein typischer Topos der „Wahrheitsbewegung“ – bis auf die einseitige oder desinformative Berichterstattung der Leitmedien über den 11. September 2001 zurückgeführt wird. Es ist diese Komplizenschaft, die dem „Mainstream“ an der 9/11-Verschwörung zugesprochen wird, auf die vor allem Mathias Bröckers nicht müde wird, hinzuweisen. 199 Gelabelt als „Medienkritik“ begleitet dieser, oft latente, Verschwörungsverdacht die Deutungsmuster der „Wahrheitsbewegung“ und den Diskurs um die Aufklärung der eigentlichen Verschwörung-zur-Tat bei den Terroranschlägen von 9/11 immer mit. Gleichzeitig ist die imaginäre Gruppe des „Mainstream“ nicht nur eine Konstruktion der dissidenten outgroup. In kommunikativer Wechselbeziehung mit seinem Konterpart entwickelt sich der professionelle Journalismus durch Abgrenzung gegen diesen unter den Bedingungen einer sich im Wandel befindenden Gesellschaft. Er unterliegt Zwängen, (Diskurs-)Regeln und Dynamiken. Sie sind es Wert, vor dem Hintergrund unseres Themas, nochmals genauer betrachtet zu werden. Dieser Hintergrund wird durch die Frage bestimmt, welche Zwänge, Regeln und Dynamiken es konkret sind, die den „Mainstream“ im Lichte der „Gegenöffentlichkeit“ dem Konspirationsverdacht aussetzen. In der Tradition von Willis (1997 [1977]: 11) gehen wir aber dabei nicht rein deterministisch vor, sondern fragen auch, inwiefern Journalist*innen, „es sich selbst erlauben“ sich bestimmten Praktiken bzw. den damit einhergehenden Diskursregeln oder Dynamiken zu unterwerfen. Das bedeutet, Zwänge, Regeln und Dynamiken anzuerkennen, aber nicht der Ideologie einer Natürlichkeit (Kap. 4.1) zu verfallen und die totale Alternativ- und Verantwortungslosigkeit dieser Praktiken und der an ihnen partizipierenden Subjekte festzulegen. Halten wir uns zunächst diese Zwänge und Dynamiken vor Augen, denen sich der gegenwärtige professionelle Journalismus ausgesetzt sieht.
5.2 Medienkonspirationen
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MONOPOLBILDUNG UND (MEDIEN-)OLIGARCHIE
Da wären erstens, makroskopisch betrachtet, Prozesse der Globalisierung, Digitalisierung und Monopolbildung. Immer weniger große Medienkonzerne besitzen immer mehr Macht: ökonomisch, daten- und informationstechnisch, kulturell und politisch. Hachmeister und Wäscher (2017) sprechen von „Daten- und Wissenskonzernen“, die die klassischen Verlage und (Privat-)Rundfunkhäuser zunehmend marginalisierten. „Wer trifft die Entscheidungen an der Spitze der größten Medienkonzerne?“, fragen sie? „Der durchschnittliche Medienmanager ist über 50, weiß und extrem wohlhabend.“ Klassischerweise stünde er an der Spitze diverser Familien oder Clans, die die Medienkonzerne kontrollieren, z. B. Walt Disney oder der „Kennedy-Clan“ (ebd.: 32). Bedeutender“, schreiben sie, seien heute „jedoch Investoren und Private-EquityGruppen, die in den letzten Jahren ihre Aktivitäten auf die Medienbranche ausgeweitet haben. Neben Warren Buffet, dessen Holding Berkshire Hathaway 2013 überraschend in US-Regionalzeitungen investierte, und Carlos Slim […] ist der momentan wohl einflußreichste Investor John Malone. Der Kabelbaron herrscht nicht nur über sein Liberty-Media-Imperium und hält Anteile an Discovery Communications [...]. (Ebd.: 33 f.)
Dieser Wandel, weg von den „alten ‚Medienzaren‘ des 19. und 20. Jahrhunderts, von Hearst bis Berlusconi, von Leo Kirch bis zu Axel Springer“ hin zum „Typus des futurologischen Investors à la Peter Thiel, des Zukunftstechnologie-Managers wie Elon Musk“ zum „digitalen Chefevangelisten wie Ray Kurzweil bei Google“ (ebd.: 39) bereitet freilich den ‚alten‘ Eliten Sorge. Neben der ökonomischen Monopolisierung kommt dadurch noch eine kulturtechnologische und ideologische Verschiebung der Medienmacht zustande. Wer innerhalb einer solchen Entwicklung bestehen bleiben will, muss sich an die neuen technologisch-praktischen Gegebenheiten und die mit ihnen einhergehenden kulturellen Praktiken anpassen. „Geldmacht“ verbindet sich mit „Hightech-Kapitalismus“ (vgl. Krysmanski 2009 [2004]). Diese Situation ist gerade für den Print- und Fernsehjournalismus bedrohlich, erwächst hier doch eine völlig andere Art und Weise, „Medien“ zu betreiben und zu verstehen. Die Fernsehberichterstattung über die Terroranschläge von 9/11 ist eines der letzten großen Medienspektakel, in dem Wirklichkeit so einseitig und hierarchisch – und vor allem naiv gegenüber dem ‚neuen Anderen‘, dem Internet –, hergestellt werden konnte. Google, YouTube, Facebook machen der Fernsehberichterstattung zurecht Angst, stellen ihre Strukturen und Praktiken infrage, fordern sie auf, mindestens auf die die neuen Kanäle zu verweisen. Sie wissen: Die technische Entwicklung kann adaptiert, aber nicht gestoppt werden. Hightech-Unternehmen können sich alte Medien als Propaganda-Instrumente oder Glamour-Spielzeuge leisten, tech journalism erscheint attraktiver als ‚Medienjournalismus‘ – die warenästhetische Präsentation des jeweils neuen iPhone oder der rätselhafte Erfolg von Snapchat erscheinen, auch mit Blick auf eine [sic] jüngeres
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5 Verschwörungen im Deutungskonflikt
Publikum, attraktiver als mühselige medienökonomische Analysen. (Hachmeister/Wäscher 2017: 39 f.)
Mit der Ökonomisierung und dem technologischen Fortschritt geht aber nicht nur eine Angst vor dem „Internet“ einher, die sich besonders im Diskurs über „Verschwörungstheorien“ in den Leitmedien zeigt. Gerade die Zentralisierung und teilweise fortgeschrittene maschinelle Erstellung von Nachrichten verstärkt den ohnehin schon vorhandenen Originalitäts-, Zeit- und Aktualitätsdruck (Krüger 2016: 41 f.). Die Kombination aus diesen führt einerseits zur Konformität – dadurch, dass Meldungen kopiert und nur geringfügig verändert werden, Eigenrecherche und Verifizierung mehr und mehr wegfallen. Andererseits erhöht sie die Desinformations- und Fehleranfälligkeit. Ein wichtiger Punkt bei dieser Zentralisierung ist aber die ökonomische Abhängigkeit des Journalismus von der Werbung, aber auch durch die finanzielle bzw. anteilsmäßige Verbindung von großen Medienkonzernen mit anderen ökonomischen Branchen, die auch durch die technologische Etablierung der neuen Markt-‚Player‘ weiter zunimmt. Das heißt, es gibt eine neue Art von Oligarchisierung, eine kapitalismusbasierte „Refeudalisierung“ (Krysmanski 2009 [2004]) durch die Fusion von (Medien-)Konzernen. In der „Gegenöffentlichkeit“ hat Mathias Bröckers für die Ökonomisierung des Journalismus den polemischen Begriff „Pre$$titutes“ verbreitet, der jedoch ursprünglich aus den USA stammt.200 „VERANTWORTUNGSVERSCHWÖRUNG“
Eine Ebene tiefer spielen zweitens die Milieus, aus denen sich professionelle Journalist*innen rekrutieren, eine Rolle. Im Bereich der Politik, um den es hier besonders geht, ist oftmals eine starke Kohäsion und Nähe zwischen Journalismus und politischer Elite zu beobachten, die aus dem journalistischen Zwang resultiert, an sensible Informationen zu kommen. Ein gewisses Vertrauensverhältnis zwischen Journalist*innen und Politiker*innen ist daher notwendig. Hubé (2013) hat in der Erforschung des Hauptstadt-Journalismus von einer Normalisierung dieser Vertrauensbeziehung, die in einer „strukturellen Verbindung von Politik und Medien“ bestehe, geschrieben. Dabei sei eine „der Öffentlichkeit vorgespielte Distanz zwischen Politikern und Journalisten“ (ebd.: 168) beobachtbar, die von den Betroffenen nicht als solche wahrgenommen oder geleugnet werde. Es ist die konspirative Dynamik, die sich auch hier aus der Praxis ergibt, durch die kollektive Realität erzeugt und Tatsachen geschaffen werden, ohne dass wir uns dessen bewusst sein müssen. Denn gerade die Bewusstheit stört die „Leichtigkeit“ (Goffman 2017 [1979]: 70), die das alltägliche Rollenspiel (vgl. Kap. 4.1.1) prägt. Und sie ist auch trügerisch – sowohl für die Praxis-Insider, vor allem aber für die outgroup. Für den Selbst- und Fremdbetrug einer solchen, bis in den „Rausch“ und ins Kompromittierende gehenden konspirativen Praxis gibt es in der Journalismus-
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Geschichte mittlerweile eine bekannte und bildreiche Anekdote, von einem der es wissen musste. Je länger und enger ich in Bonn das politische Geschehen und dessen journalistische Verarbeitung miterlebte, desto unbehaglicher fühlte ich mich als Teil einer professionell betriebenen Verschwörung zur Unterdrückung von Wirklichkeit. Politiker und Journalisten beteiligen sich daran mit augenzwinkernder Selbstverständlichkeit, manche wussten es vielleicht nicht einmal.201
So beschreibt der mittlerweile verstorbene Spiegel-Journalist Jürgen Leinemann in dem Buch „Höhenrausch. Die wirklichkeitsleere Welt der Politiker“ (2009) seine Zeit als Politik-Korrespondent in der Hauptstadt. Leinemann, der in dem Buch vor den „Gefahren der Bonner Kumpanei zwischen Journalisten und Politikern“, „beiderseitigen Gefälligkeiten aus Karrierekalkül oder Bequemlichkeit“ und „der Servilität“ der Journalisten warnt202, hat aber kein Abrechnungsbuch geschrieben vom Schlage von Udo Ulfkottes „Gekaufte Journalisten“ und er wäre sicher auch nicht auf „Pegida“-Demos gegangen und hätte gegen die Migrationspolitik und die „Lügenpresse“ gewettert, hätte er diese Debatten noch miterlebt. Als „Menschenleser“, der die Abhängigkeit der „Droge Politik“ selbst miterlebt habe, wird er im Nachruf eines Kollegen bei Zeit Online beschrieben.203 Krüger (2016: 105 f.) hat Leinemanns autobiographische Reflexionen zum Anlass genommen, um das „Mainstreaming“ und die Entstehung von „Meinungskonsonanz“ in den professionellen Leitmedien zu beschreiben. Er besteht wohl in den allerseltensten Fällen in einer direkten ‚Einflussnahme‘ ‚von oben‘ oder aus der Richtung der Politik auf einzelne Journalist*innen. Machttechnisch ist dies auch viel weniger effektiv. Stattdessen präge sich im journalistisch-politischen Milieu eine Art von Mentalität aus, die auf „subtile[m] Konformitätsdruck, der auf Anpassung an den Diskursrahmen des politischen Establishments zielt“ (ebd.: 113), basiert. Eine solche „Verantwortungsverschwörung“ vieler politischer Journalist*innen im medialen „Mainstream“ ist eine vorrangig empraktische Angelegenheit, die vor allem durch Habitus bedingt ist und sich durch, ein innerhalb des leitjournalistischen Milieus vielfach verbreitetes, elitäres Denken auszeichnet. Russ-Mohl (2017: 126) macht dies auch ökonomisch fest und bezieht sich auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wo „nicht nur soziale Herkunft und Bildung den Wahrnehmungshorizont“ einengen würden, sondern die Professionalisierung des Journalismus selbst, also die Vermittlung und Verinnerlichung bestimmter beruflicher Normen, die Teil einer soliden journalistischen Ausbildung ist. (Ebd.)
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Diese trenne, qua Praxis, den Stand der Berufsjournalist*innen vom Rest der Bevölkerung, die diese oftmals der „herrschenden Kaste oder Klasse“ zurechneten (ebd.). Dazu komme dann manchmal noch „[d]emonstrative Arroganz“, die die (wahrgenommene) gesellschaftliche „Spaltung“ verstärke. Sie sei nicht nur im Milieu von Politik oder Wirtschaft beobachtbar, sondern liege auch dem Habitus vieler Journalist*innen zugrunde. Während hier „die Pose des Allwissenden oder des Besserwissers“ vorherrschend sei, nähmen „auf der anderen Seite der Gesellschaft […] die Ohnmachtswahrnehmungen sowie die Gefühle des Ausgeschlossen-Seins zu“, so Russ-Mohl (ebd.: 127). Gerade am Diskurs über gesellschaftliche „Eliten“ oder diskrete Treffen wie die „Bilderberger“ (Schink 2018) zeigen sich diese Ohnmacht und Entfremdung der Menge des Publikums sehr eindringlich. Diese als solche wahrgenommene Kollusion zwischen Medien und Politik ist ein Grund der Reproduktion von Verschwörungsdenken und allgemeinem Misstrauen.
Abbildung 29: „Beleidigte Pre$$titutes“ auf Mathias Bröckers‘ Blog (25. Mai 2014). Der Fernseher steht für das ‚alte‘ Medium und Desinformation (vgl. Kap. 6.5) (Quelle: broeckers.com).
Hartmann (2018: 12) schreibt in seiner Studie über gesellschaftliche Eliten, dass „die Medieneliten und auch viele Journalisten unterhalb der obersten Machtebene […] waren und sind zu großen Teilen immer noch Teil des herrschenden Konsenses“ der Alternativlosigkeit zum bestehenden (neoliberalen) System. In der Kritik sieht er vor allem den „Hauptstadtjournalismus“, wo sich viele
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„Medienkonzerne“ konzentrierten und aufgrund einer zu großen Nähe „die Gefahr groß“ sei, „sich sowohl ständig gegenseitig in einer bestimmten Sicht der Dinge zu bestätigen als auch als Journalist Politik mitzubestimmen wollen“ (ebd.: 14). Er selbst greift hier die Kritik der (Filter-)„Blase“ auf. Menschen aus unteren Schichten seien so gut wie nicht repräsentiert.204 PFADABHÄNGIGKEITEN UND DISKURSE
Wir sollten drittens eine weitere und schließlich die für uns interessanteste Ebene unterscheiden, durch die sich der leitmediale „Mainstream“ von den Dissident*innen der „Gegenöffentlichkeit“ unterscheidet. Diese ist von den beiden anderen nicht getrennt, aber auch sie entfaltet eine eigene Dynamik und Historizität. Es ist die Diskurs-Ebene, die das Milieu und den Habitus des professionellen Journalismus prägt und die sie in bestimmte Positionen zwingt. Wir haben zuvor schon vom diskursiven Konsenszwang der Leitmedien, insbesondere des Fernsehens, in Bezug auf die Anschläge von 9/11 geschrieben und auch auf die Wirkmächtigkeit politischer Elitepositionen innerhalb dieses Diskurses verwiesen. Weller (2004) hatte darauf hingewiesen, dass sich im Fernseh-Diskurs um die Terroranschläge schon in den ersten Stunden ein Deutungsmuster herausgebildet hatte, deren damit verbundene Position diese Medien „kaum mehr verlassen konnten“ und die sich im Laufe der Folgetage und -wochen verstetigte. Die durch die 9/11-„Wahrheitsbewegung“ geprägte „Gegenöffentlichkeit“ ist insofern aus rein diskurslogischen Gründen in der Gegenposition zum medialen „Mainstream“. Doch es ist nicht nur der Terror des 11. September 2001 – obwohl er für die „Wahrheitsbewegung“ das zentrale Ereignis ist. Schon Mitte der 1990er-Jahre etabliert die „Gegenöffentlichkeit“ im Internet eine Kontraposition zum professionellen Journalismus, die im leitmedialen Diskurs mit „Verschwörungstheorien“ assoziiert ist. Dieser Diskurs entwickelte sich allerdings nicht in Deutschland, sondern in den Vereinigten Staaten. Bratich (2004) zeigt anhand der Enthüllungen des Pulitzer-Preisträgers Gary Webb im Fall der „CIA-Crack-Contra“-Verschwörung, wie die Semantik von „conspiracy theory“ und „internet“ im leitmedialen Diskurs aufeinander bezogen wurde. Diskreditierende Tatsachen, die Webb über illegale Aktivitäten der CIA enthüllte, wurden durch den professionellen Journalismus ins Reich von „Verschwörungstheorien“ verbannt. Gleichzeitig beginnt sich in dieser Phase das Medium Internet zu etablieren. Bratich zeichnet nach, wie der „Mainstream“-Journalismus beide ‚Probleme‘ – aufkommende Indizien einer großen Geheimdienst-verschwörung und die sich etablierende Internet-Technologie – zur gleichen Zeit versucht, zu kontrollieren. Er behauptet, dass dies dazu geführt habe, dass „conspiracy theories and the web end up mutually defining each other“ (ebd.: 110). Bratich hat damit in einer frühen Phase aufgezeigt, was sich noch gegenwärtig und im Diskurs über „Verschwörungstheorien“ deutlich beobachten lässt: ihre
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Assoziation mit dem „Internet“. Daran wird deutlich, dass das „Internet“ nicht allein als Technologie den Diskurs über Verschwörungen und „Verschwörungstheorien“ beeinflusst, sondern vor allem auch als Topos. Das Internet wird in den Deutungs-mustern der „Gegenöffentlichkeit“ als ein Medium der Befreiung, mit nicht selten spirituellen Sinnbezügen verstanden, z. B. als „kollektives Bewusstsein“ 205 (vgl Kap. 7.5). Im Diskurs der Leitmedien ist das „Internet“ vor allem mit „Verschwörungstheorien“ verbunden – oder umgekehrt: Im leitmedialen (anti-)verschwörungstheoretischen Diskurs ist das „Internet“ fast zwingend mitthematisiert. Seit der „Fake News“-Debatte ist es teilweise mit „Hass“ und mit „Rechtspopulismus“ verbunden. Anfang 2015 schreibt etwa Bernhard Pörksen in einem SpiegelEssay unter dem Titel „Der Hass der Bescheidwisser“: Es braucht nur ein paar Klicks, um in einen merkwürdigen, dunklen Fiebertraum abzudriften, eine schweißnasse Angstfantasie, die von einer Medienverschwörung handelt und einer dämonischen Gewalt, die uns alle manipuliert und systematisch belügt. […] Es ist ein gegen die etablierten Medien gerichteter Hass, der diese besonders im Netz verankerte Gegenöffentlichkeit eint. […] Man kann sich nach erlittener Lektüre all der Postings und Wutbeiträge in einem ersten Anfall ebenso hilfloser wie falscher Arroganz fragen: Sind dies nicht einfach nur schrille Spinner, gleichsam der Narrensaum der Republik? Und muss man die Idee einer Medienverschwörung überhaupt ernst nehmen? Die Antwort lautet: Man muss, denn hier nimmt eine mögliche Zukunft öffentlicher Auseinandersetzung Form an. Hier zeigt sich, in Gestalt des Extrems, eine Antiutopie des Diskurses, die weit über das aktuelle Getöse hinausweist.206
Das Internet gilt als ‚kommunikativer ‚wilder Westen‘“ (Jahrbuch 2017: 11) und ist als solcher dann auch mit heterodoxem, spekulativem oder Grenzwissen verknüpft und assoziiert. Dazu zählen „Verschwörungstheorien“. 207 Der leitmediale Journalismus ‚bekämpft‘ in der Fremd- und Selbstdeutung schon seit über zwei Jahrzehnten sowohl das „Internet“ wie auch „Verschwörungstheorien“ und setzt dabei, gerade wenn es um Letztere geht, schnell beides gleich. Diese Pfadabhängigkeit, die sich vor allem im politisch-orthodoxen Mainstream verankert hat, können Journalist*innen nicht so einfach innerhalb des leitmedialen Diskurses verlassen. Und so bilden sich, bewusst oder unbewusst Diskurskoalitionen, die diesen Konsens reproduzieren: über das Internet, über „Verschwörungstheorien“ oder die Terroranschläge von 9/11. Aus der Sicht der outgroup der digitalen „Gegenöffentlichkeit“, die das gleiche unter umgekehrtem, dissidentem Vorzeichen praktiziert, zeigt sich diese Konspiration als Medienverschwörung.
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CYBER-TERROR
Gerade beim Thema Terrorismus sei noch auf eine andere Verstrickung hingewiesen: auf die symbiotische Beziehung zwischen Terror und Medien (Meckel 2008: 247 ff.). Auch hier lassen sich zwei Aspekte der Beziehung unterscheiden. Einerseits der Aspekt der Inhalte, andererseits der Aspekt der Form. Der Form nach braucht Terrorismus als Strategie die Massenmedien. Denn Terrorismus ist primär kommunikative und symbolische Gewalt. Dies trägt nicht minder dazu bei, dass Massenmedien über Terrorismus im Sinne von Terrorist*innen berichten. Hierin steckt einerseits eine Verantwortung und teilweise Mitschuld der großen Medien am Erfolg terroristischer Kommunikation, andererseits ist auch hier eine mediale Logik leitgebend, eine „Selbstreferentialität“, die man etwa „bei spektakulären Terroraktionen“ beobachten kann (Schulz 2011: 98), die aber auch insgesamt charakteristisch für eine Gesellschaft des integrierten Spektakels ist (Kap. 5.3.3). Schreckliches, Gewalttätiges und Spektakuläres fesseln Zuschauer*innen an die Bildschirme. Der Terror von 9/11 war vor allem ein spektakuläres Medienereignis, an dessen Inszenierung die (Fernseh-)Medien nicht nur ihren Anteil hatten, sondern, dass ohne die Berichte und Bilder als solches überhaupt keine Wirkung entfalten hätte können. Von der Berichterstattung im Sinne terroristischer Logik und damit auch der Strategie der Spannung (Kap. 5.3.1) sind sowohl die klassischen Massenmedien, d. h. die Leitmedien im Bereich von Fernsehen, Radio und Print, wie auch die digitalen, ‚neuen‘ sozialen und alternativen Medien(technologien) betroffen. Das Attentat von „Christchurch“ wurde live über Facebook übertragen. Al-Kaida und ISIS nutz(t)en vor allem Internet-Medien zur Rekrutierung und Kommunikation. Damit hängt schließlich auch ein Narrativ, der den Aspekt des Inhalts betrifft, zusammen: Mit den medialen Dispositiven sind Diskurse verwoben, die die Dichotomie Leitmedien/Internet und die darin eingeschriebene Orthodoxie/Heterodoxie diskursiv mit dem Dualismus von Staatsräson und Terrorismus verbinden. 2006 gibt das Weiße Haus eine Meldung mit dem Titel „Strategy for Winning the War on Terror“ heraus. In dieser werden sowohl Ursachen wie auch Strategien gegen Terrorismus angeführt, die im „War On Terror“ zu beachten seien. Der „terrorism we confront today“, entspringe, so heißt es, aus den „[s]ubcultures of conspiracy and misinformation“. Die selektive Wahrnehmung von „terrorists“ sei durch „falsehoods“, „corrupted by conspiracy theories“ 208 geprägt. Deren Kultur wiederum wird – dem Dispositiv entsprechend – im „Internet“209 verortet. In place of a culture of conspiracy and misinformation, democracy offers freedom of speech, independent media, and the marketplace of ideas, which can expose and discredit falsehoods, prejudices, and dishonest propaganda. (White House, Strategy for Winning the War on Terror, September 2006210)
Zu beachten sind in diesem Narrativ die Wechselwirkungen zwischen dem orthodoxen politischen Diskurs nach 9/11, der entsprechenden akademischen
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Wissenserzeugung und den Leitmedien. In allen diesen Feldern wird das Dispositiv des „War on Terror“ (Ditrych 2014) diskursiv auf verschiedene Weise verarbeitet. Im Internet211 dagegen wird dieses angegriffen. Die Rationalität der Diskurse über „Verschwörungstheorien“ im 21. Jahrhundert ist ohne diesen Zusammenhang nicht verstehbar. Im Kampf gegen den Terrorismus entwickeln sich in Politik, Medien und Wissenschaft Deutungsmuster und (Sub-)Diskurse, die nicht nur die ‚terrorist propaganda‘, sondern, mit der nachhaltigen Etablierung des Internets vor allem auch Deutungsmuster of „conspiracy and misinformation“212 bekämpfen. Der „Kampf gegen Verschwörungstheorien“ verbindet sich semantisch mit dem Kampf gegen „Terroristen“. Das „Internet“ ist sowohl die technologische wie die topische Klammer. Im einflussreichen Buch des US-amerikanischen Politikwissenschaftlers Michael Barkun (2003) wird die „culture of conspiracy“ (vgl. Kap. 4.3) auf eine „conspiracist subculture“ reduziert (ebd.: 169). Laut Barkun sei diese nach dem Kennedy-Attentat entstanden. Die „conspiracy culture“ auch auf die Sicherheits- und Tiefenpolitik anzuwenden, unterlässt der Autor. Barkun reproduziert damit das ‚Othering‘ von „Terroristen“ und „Verschwörungstheoretikern“. „Bin Laden and his minions“, schreibt Barkun, hätten, „in addition to the damage they inflicted“, „reinforced a conspiracy culture of whose existence they were likely unaware.“ (Ebd.) Er meint die „Subkultur“ der „Verschwörungstheorien“. Barkun verknüpft zwei Milieus – „Terroristen“ und „Verschwörungstheoretiker“ – und eröffnet so dem Strategie-Papier der Bush-Regierung von 2006 den entsprechenden semantischen Resonanzraum. Die „culture of conspiracy“ wird in dem Papier ebenfalls in Opposition zum Rechtsstaat und zur liberalen Demokratie gesetzt, das Verschwörungsdenken und die Paranoia von politischen Eliten sowie die Problematik um SCADs (DeHavem-Smith 2013) und Tiefenpolitik ausgeklammert. Problemdiskurse über „Verschwörungstheorien“ und „Terroristen“ werden externalisiert und auf soziale Andere projiziert (Dunst 2014; Knight 2008). Michael Barkun ist nicht der Urheber der Verbindung von „Verschwörungstheorie“ und „Terrorismus“. Zum einen lässt diese sich genealogisch bis in die Zeit des Kalten Kriegs datieren. Sie ist mit dem Sicherheitsdispositiv und Praktiken der Gourvernmentalität verbunden (Melley 2012; Bratich 2008). Andererseits hat schon US-Präsident Bush in einer UN-Rede in November 2001 „outrageous conspiracy theories concerning the attacks of September 11th“ in Zusammenhang mit den „terrorists themselves“ gebracht. 213„Verschwörungstheorien“, so Bush, würden den „Terroristen“ in die Hände spielen. Sie sind im „War on Terror“ auf einer Ebene mit deren Propaganda. In dieser Hinsicht lässt sich hier ein Diskursmuster über „Verschwörungstheorien“ feststellen, das sowohl mit bestimmten Deutungen und Dispositiven über Sicherheit und Terrorismus verknüpft ist, als auch das „Internet“ als eine Sphäre identifiziert, in welcher Unsicherheit durch „Terroristen“ und „Verschwörungstheorien“ bestehe. Diese Rationalität, dieser Problem- und Gefahrendiskurs, ist anschlussfähig an Abgrenzungen,
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Profilierungen und an Ressentiments des professionellen Journalismus gegenüber dem „Internet“. Propaganda operations, which are used by terrorists to justify violent action as well as inspire individuals to support or join the movement. The ability of terrorists to exploit the Internet and 24/7 worldwide media coverage allows them to bolster their prominence as well as feed a steady diet of radical ideology, twisted images, and conspiracy theories to potential recruits in all corners of the globe. (White House, Strategy for Winning the War on Terror, September 2006214)
Aus dieser Genealogie und Semantik heraus wird verständlich, weshalb der professionelle Journalismus sich unabhängig von gezielter Manipulation und Beeinflussung durch die Politik, im Kampf gegen den Terrorismus wie auch gegen „Verschwörungstheorien“ unkritisch beteiligt. Dabei konstruiert der mediale „Mainstream“ sowohl die Sozialfigur des „Terroristen“ wie auch des „Verschwörungstheoretikers“ mit (vgl. Kap. 5.4). In einem diskursiven Zusammenspiel reproduziert so die Berichterstattung über „Verschwörungstheorien“ jene „political alienation“, die ein Faktor in der Entstehung von Terrorismus sei und die die BushRegierung im „War on Terror“215 vorgeblich beheben will. Eine konformistische akademische Epistemologie legitimiert diesen Kampf. Es ist diese politische Entfremdung, die der Autor, seit er sich ernsthaft mit „Verschwörungstheorien“ beschäftigt, am eigenen Leib spürt, insofern er den „Mainstream“-Diskurs über diese Themen beobachtet. Eine Entfremdung, die gleichsam Effekt wie Ursache des digitalen Dispositivs ist, in das er und seine Generation hineingeboren wurden. 5.2.1 Unterwerfungen und diskursive Brüche VERSCHWÖRUNGSTHEORIEN SIND SO AUSTAUSCHBAR WIE ÜBERFLÜSSIG. AM ENDE STEHT IMMER DER ÜBERMÄCHTIGE FEIND. EINE DIFFUSE BEDROHUNG, DIE UNSERE WELT SCHLECHTER MACHEN WILL. DIE ANGST VERSCHWÖRUNGSTHEORETIKER HAT BEINAHE RELIGIÖSEN DER CHARAKTER. SIE KÖNNEN NICHT BEWEISEN, DASS DIE BEDROHUNG EXISTIERT, ABER SIE WISSEN, DASS SIE DA IST. (RAYK ANDERS, VERSCHWÖRUNGSTHEORIEN – LEBEN IM WAHN, ZDF, 2015216) DENKEN SIE AN DIE WATERGATE-AFFÄRE. […] AM ENDE WAR DAS DENKEN GEGEN DIE ÜBERZEUGUNG DER MEHRHEIT UND DER REGIERUNG ERFOLGREICH. DIE WAHRHEIT WAR, WAS LANGE ALS VERSCHWÖRUNG ABGETAN WURDE. (GERT SCOBEL, MYTHOS VERSCHWÖRUNG, 3SAT, 2012217)
Das Sicherheitsdispositiv und der Gefahrendiskurs sind nur die eine Seite des antiverschwörungstheoretischen Deutungsmusters, das im leitmedialen Diskurs vorherrschend ist. Mit dem Terror von 9/11 haben nicht allein „Verschwörungstheorien“, sondern auch Deutungen an Popularität gewonnen, die Verschwörungen ablehnen, indem sie „Verschwörungstheorien“ bekämpfen. Die Rationalisierung dieses Kampfes ist die Unterstellung, sie seien gefährlich für die Demokratie. DeHaven-Smith (2013: 76) nennt das „conspiracy denial“. Der professionelle
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Journalismus hat sich diesem, aus der (neo-)konservativen Politik stammenden Deutungsrahmen, in Bezug auf 9/11 und ähnliche politische Ereignisse, fast vollständig unterworfen. Die Kehrseite des Gefahrendiskurses ist eine Ridikülisierung, in der das Verschwörungsdenken als etwas Lustiges und Komisches dargestellt wird. Beiden gemeinsam ist, dass sie dieses Denken als falsch und als irrational ansehen (vgl. Kap. 5.5). Die Verbreitung der lustig-irrational-gefährlichen „Verschwörungstheorie“ findet in den Leitmedien über verschiedene Themenbereiche und Formate hinweg statt, wobei der Gefahren-Diskurs eher in politischen Medien und Formaten, das satirische Moment eher in Comedy-Formaten thematisiert wird. ZDF: „VERSCHWÖRUNGSTHEORIEN – LEBEN IM WAHN“ (2015)
So etwa in der ZDF-Doku „Verschwörungstheorien – Leben im Wahn“, die am 11. November 2015 erstausgestrahlt wird und auf Plattformen wie YouTube mehrfach auf verschiedenen Kanälen, u. a. solchen, die der „Skeptiker“-Bewegung nahestehen, verbreitet ist. Die Verbindung dieser Dokumentation zum „Skeptiker“-Milieu (vgl. Kap. 5.5.2) ist nicht nur aufgrund diskursiver Anschlussfähigkeit gegeben. Der Film besteht zu einem wesentlichen Teil aus Aussagen zentraler Akteur*innen des „Skeptiker“-Milieus. Protagonist des Films ist der YouTuber Rayk Anders. Er will herausfinden, weshalb Leute an so einen „Irrsinn“ wie „Verschwörungstheorien“ glauben. Dazu will er auch mit „Verschwörungstheoretikern“ sprechen. Zuvor jedoch redet Anders mit „Deutschlands wahrscheinlich größtem Experten für „Verschwörungstheorien“: Dr. Sebastian Bartoschek“218. Dieser tritt, verstärkt seit der Veröffentlichung seiner Dissertation über „Verschwörungstheorien“, in zahlreichen Fernsehformaten und auch Print-Medien als „Experte“ für das Thema auf. Die Rahmung durch Expert*innen ist funktional für das Gefahren-Deutungsmuster. Zunächst wird der Experte eingeführt. Anders thematisiert Bartoscheks Film „über den legendären Verschwörungstheoretiker und Holocaust-Leugner Dr. Axel Stoll.“219 Die Thematisierung von Stoll soll hier den typischen „Verschwörungstheoretiker“ repräsentieren (vgl. Kap. 5.4.1). Dann kommt der Experte selbst zu Wort. Er erklärt dem Publikum etwas über Musterwahrnehmung und will zeigen, dass unser Gehirn allerlei zusammenspinnt, wenn wir Phänomene kognitiv wahrnehmen. Doch, obwohl uns manchmal etwas, wie ein bestimmtes „Muster“ erscheine, so sagt er, gäbe es „überhaupt keinen Grund anzunehmen, dass es wirklich so ist.“220 Nachdem hier deutlich gemacht wurde, dass es sich im Fall von „Verschwörungstheorien“ um ein psychisches Phänomen handele, das im „Verschwörungsglauben“ mündet, kommt eine Anhängerin der sogenannten „Chemtrails“Verschwörungstheorie zu Wort, Ria den Breejen. Ihre Aussagen werden durch Aussagen des Experten kontextualisiert: Es handle sich um ein „Angst“-Phänomen. Der zweite Experte, den Anders zu Rate zieht, ist Jörg Kachelmann. Dieser
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ist zuvor durch scharfe Worte gegen „Verschwörungstheoretiker“ aufgefallen. 221 Der Protagonist besucht den ehemaligen Wetter-Moderator in der Schweiz und begrüßt ihn: „Ja hallo, Rayk Anders aus Berlin“, sagt er vor dessen Tür stehend. Infobox 2: „Chemtrails“ und „Geoengineering“ „Chemtrail“-„Verschwörungstheorien“ „Verschwörungstheorien“ zu sogenannten „Chemtrails“ existieren etwa seit den 1990er-Jahren, zunächst in den USA, schließlich vermehrt auch im deutschsprachigen Raum. „Chemtrail“ (dt. ‚Chemie-Streifen‘) steht für die weißen Kondens- oder Chemie-Streifen, die von Flugzeugen am Himmel als Spuren hinterlassen werden und die sich oft in milchig-weiße Schleier auflösen oder anomale Muster (z. B. Gitter- oder Wellenformationen) aufweisen. Radikale Vertreter*innen dieser Theorien gehen davon aus, dass sich hinter den Streifen geheime (Militär-)Programme zur gezielten Vergiftung von Menschen und Umwelt verbergen. Oftmals gehen diese Theorien mit ideologischen Deutungsmustern einer „Neuen Weltordnung“ (NWO) einher, in welcher mächtige Eliten die Bevölkerung reduzieren wollen. Investigative Varianten dieser Theorien bringen das Phänomen in Zusammenhang mit „Geoengineering“-Aktivitäten und/oder Militär- oder Wetterkontrollprogrammen, für die es in der Geschichte verschiedener Staaten dokumentierte Beispiele gibt.
„Ich bin hier um mit ihnen über Weltverschwörung, Chemtrails und allerlei Unsinn zu quatschen“222, fügt Anders hinzu. Der lässige Stil der Doku und die cartoonartigen Einspieler richten sich vor allem an ein jüngeres Publikum. Während das Setting und Gespräch mit dem ersten Experten diesen Eindruck verstärkt, repräsentiert Kachelmann die „Gefahr“ von (Chemtrail-)„Verschwörungstheorien“, die er später auch direkt anspricht. Unabhängig von der realen Interview-Situation ist die Rahmung, die der Film setzt, entsprechend der des lustig-irrationalen-Gefahrenmusters. Lediglich an einer Stelle des Films, etwa in der Mitte der Laufzeit, wird das Verschwörungsdenken im Fall des „NSU-Komplex[es]“ oder dort wo „US-Geheimdienste die Welt ausspionieren“223 für wenige Sekunden faktisch ernst genommen – „Chemtrails“-Theorien aber seien per se „Unsinn“.
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Abbildung 30: ZDF-Doku „Verschwörungstheorien – Leben im Wahn“ (2015) (Quelle: eigene Collage/YouTube/ZDF).
Anders‘ erste Frage an Kachelmann lautet: „Was für Leute sind anfällig für Chemtrail-Verschwörungen?“224 Er unterstellt damit die pathologische Dimension des Phänomens („anfällig“ gilt für Krankheiten) und psychologisiert dadurch das Thema. Obwohl Kachelmann hier eigentlich als Wetter-Experte fungiert, wird er mit dieser Frage in den Rang eines Psychologen oder Soziologen erhoben und seines Fachbereichs entfremdet. Dieser journalistische Fehler offenbart den Rahmen innerhalb dessen das Phänomen „Verschwörungstheorien“ hier verhandelt wird. Kaschiert wird diese Verfehlung durch Sprüche des Protagonisten Anders wie etwa Folgendem: „Zugegeben, Beziehungstipps würde ich mir von jemandem anderen holen225, aber der Mann hat Ahnung von Spinnern, das muss man ihm lassen.“ 226 Kachelmann erzählt von „Morddrohungen“, die er von „Chemtrail-Leuten“ erhalten hätte und betont nochmals die Gefahr, die von diesem „Verschwörungsschwachsinn“ ausgehe.227 Anders hebt das in einer ironischen Pointe nochmals hervor: „Chemtrails können anscheinend wirklich gefährlich werden, vor allem, wenn man nicht dran glaubt.“228 Im nächsten Film-Abschnitt kommt eine Aussteigerin zu Wort. Es handelt sich um Giulia Silberberger, die Veranstalterin des „Goldenen Aluhut“-Events (s. Kap. 5.4). Sie erzählt die Geschichte ihrer Zeit bei den Zeugen Jehovas und berichtet von ihrer gläubigen Mutter, die sowohl vom Weltbild der „Zeugen“ wie auch von „Verschwörungstheorien“ überzeugt gewesen sei. Der Experte Bartoschek bestätigt das anhand von psychologischen Befunden, die er in seiner „eigenen Doktorarbeit“ erforscht habe. Giulia Silberbergers Mutter habe ein „Persönlichkeitsschema“ von Menschen, die „besonders anfällig sind“.229 Ich erkenne da ein Elitedenken, man ist aufgewacht, man selbst hat die Wahrheit, die anderen Leute haben die Wahrheit nicht. Es wird ein dualistisches Weltbild gepflegt
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und sehr stark simplifiziert, in gut und in böse kategorisiert, es gibt sehr wenig bis gar keine Zwischengraustufen, es gibt wirklich nur schwarz und weiß 230,
sagt Silberberger über „Verschwörungstheoretiker“. Silberbergers Geschichte repräsentiert den Zusammenhang von „Verschwörungstheorien“ und Glauben und/oder „Sekten“. Im letzten Kapitel des Films beschäftigt sich Anders mit zwei sogenannten „Reichsbürgern“: ein junges Pärchen, das in Norddeutschland lebt. Hier wird wieder vorrangig der Satire-Rahmen aktiviert (z. B. durch Bemerkungen des Protagonisten über ein indisch-italienisches Restaurant, in dem ein Treffen stattfindet oder über das Bild des „leibhaftige[n] Gehörnte[n]“ auf dem Personalausweis231). Dies ist die einzige Stelle, in der Anders zum „[N]achdenken“ über die beiden „netten Menschen“ kommt, denen er begegnet ist und sich fragt, wie sie in so eine „Fantasie-Welt hineingeraten sind.“ Der psychologische Fachmann liefert darauf dazu gleich die Antwort: Innerlich treibt alle Verschwörungstheoretiker der Wunsch an, eine für sie zu komplexe Welt einfacher zu machen und nicht mehr zu den Verlierern zu gehören. Und genau das tun sie; sie haben viele unterschiedliche Beobachtungen, die auch teilweise richtig sind, die sie aber dann unter ein völlig vereinfachendes Dach stecken und für sich so eine Erlösungsidee mitnehmen, was sie jetzt machen können um eben nicht von dieser düsteren Verschwörung, die gegen sie wirkt, betroffen zu sein.232
In diesem Abschnitt kommt eine weitere Expertin zu Wort. Anders befragt die innenpolitische Sprecherin der Grünen, Irene Mihalic, über die „ernsthafte Gefahr […], die von solchen Leuten ausgeht“. Sie gibt ihm teilweise Recht und spricht von „rechtsextremistischen gewaltbereiten Bewegungen“, die „häufig ihren ideologischen Nährboden aus der Reichsbürger-Bewegung“ ziehen würden.233 Mihalic hat nur einen sehr kurzen Auftritt im Film. Gleich darauf folgt der letzte Abschnitt. Hier besucht Anders nochmals Giulia Silberberger und ist live zu Gast auf ihrer Veranstaltung „Der goldene Aluhut“, in der „Verschwörungstheoretiker“ mit Negativ-Preisen ausgezeichnet werden und ihnen mit Humor und Satire entgegengetreten werden soll (Kap. 5.4). Anders selbst bezeichnet die Veranstaltung als „so etwas wie de[n] Oskar für Verschwörungstrottel […], eine Gala der etwas anderen Art.“234 Wieder wird der Satire-Rahmen aktiviert. Wie Kachelmann wird auch Silberberger nur als Geschädigte inszeniert, sie sagt, aufgrund der Veranstaltung gäbe es „wüste Beschimpfungen und Beleidigungen in Kommentarspalten“235. Ausschnitte vom „Aluhut“-Live-Event werden gezeigt, das Anders mit seinem Produktionsteam besucht hat. Auf der Bühne wird das Spiel ‚Bastele dir deine eigene Verschwörungstheorie‘ gespielt. Auch Anders tritt später auf die Bühne und spielt mit. In diesem Spiel wird aus verschiedenen Bausteinen (in diesen befinden sich drei zufällig gezogene Zettel) eine eigene „Verschwörungstheorie“ gebastelt. Zwei der Zettelkategorien repräsentieren einen Akteur („Aliens“, „Freimaurer“, „Medien“ usw.), eine dritte Kategorie ist ein passendes Verb („kontrollieren“, „unterwandern“, „bezahlen“ usw.). Die gezogene Kombination ergibt dann eine
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„Verschwörungstheorie“, z. B. „Aliens kontrollieren Medien“. In der hier gespielten Variante muss der*die Zettelzieher*in dann die gezogene Kombination vor dem Publikum näher ausführen und begründen. Silberberger und Anders amüsieren sich mit dem Publikum „jedenfalls prächtig“, wie er bilanziert. Total egal ob nun die Grünen die Homosexuellen bezahlen, Reptilien-Aliens die Homosexuellen bezahlen oder doch die Juden den Reichstag kontrollieren, Verschwörungstheorien sind so austauschbar wie überflüssig,
ist daher ein Fazit des Films. Es gehe „nicht darum, unkritisch durch die Welt zu gehen, sondern darum, dass der Schwachsinn nicht gewinnt“236, so der letzte Satz. Um die Konstruktion von „Verschwörungstheorien“ in diesem Film, stellvertretend für den leitmedialen Diskurs, zu verstehen, muss man einerseits einordnen können, was gesagt und was nicht gesagt wurde und andererseits, welche Relevanz das Gesagte bzw. Dargestellte in Diskursen der „Gegenöffentlichkeit“ hat, in der „Verschwörungstheorien“ verortet werden. Der Film fokussiert vor allem auf zwei Themen: auf das Thema „Chemtrails“ und auf das Thema „Reichsbürger“. Diese werden als repräsentativ für „Verschwörungstheorien“ dargestellt. Während letzteres Thema vor allem politisch motiviert ist und eher dem rechtspolitischen Spektrum der alternativen Medienszene zuzuordnen ist (Kap. 6.3), sind auch „Chemtrails“ insgesamt ein besonderer Topos in diesem Feld. Sie sind in der „Gegenöffentlichkeit“ ebenfalls umstritten. Vor allem aber ist „Chemtrails“ wie „Verschwörungstheoretiker“ ein polarisierender Begriff. Er limitiert die soziale und politische Imagination (vgl. DeHaven-Smith 2013: 51), die zur Aufklärung und „Entschwörung“ (Kulla 2006) des zugrunde liegenden Phänomens beitragen könnte. Obwohl Kachelmann auf seinem Fachgebiet sicherlich einiges zum Thema „Geoengineering“ und (militärischer) Wettermanipulation zu sagen hätte237, wird das Thema inhaltlich nicht näher bearbeitet 238. Statt mit ihm oder anderen Expert*innen näher über die Möglichkeiten geheimer Wetterexperimente oder Geoengineering zu sprechen, geht es im Film vielmehr um „Verschwörungstheoretiker“ und die Gefahr, die von ihnen ausgehe, oder den „Schwachsinn“ 239, den diese glauben. Kachelmann ist darüber hinaus für seine diskreditierenden und diffamierenden Äußerungen gegenüber „Verschwörungstheoretikern“ bekannt. Wie Silberbergers und Bartoscheks ist Kachelmanns Position eine sehr deutlich anti-verschwörungstheoretische (vgl. Kap. 5.5). Der Protagonist stellt die Position der Expert*innen weder infrage, noch stellt er sie für sich dar. Er verstärkt und rahmt sie durch eigene spürbare Befangenheit und Ressentiments gegenüber „Verschwörungstheorien“ mit deutlich abwertenden Kommentaren und markigen Sprüchen. Seine Position unterscheidet sich nicht von den von ihm herangezogenen Expert*innen. Er nutzt sie nur, um eigene Deutungen zu rationalisieren. Die (Bild-)Sprache im Film ist an vielen Stellen ridikülisierend bis infantilisierend. Die ausgewählten Personen und Expert*innen unterstützen diesen Eindruck. Darüber hinaus ist die meiste Redezeit nicht bei Anhänger*innen, die für sich
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sprechen, sondern, kombiniert mit und kontextualisiert durch entsprechende Schnitt-Techniken, bei Expert*innen, die über sie sprechen (vgl. Kap. 5.5.1). „Verschwörungstheorien“ werden als homophob, (rechts-)extrem, wahnsinnig, absurd, lustig usw. dargestellt – nur nicht als ernstzunehmend. Die Auswahl von Expert*innen und der angesprochenen Themen ist dafür mit ausschlaggebend. Angesichts der genealogischen Relevanz des Themas 9/11 für die „Wahrheitsbewegung“240 (vgl. Kap. 6.1), muss gefragt werden, weshalb etwa keine sachkundigen Vertreter*innen von 9/11-„Verschwörungstheorien“ zu Wort kommen und dieses Thema komplett ausgespart wurde. Die Frage ist, zugegebenermaßen, im Rahmen einer Diskursanalyse rhetorisch. Denn die Antwort liegt auf der Hand, wenn man die entsprechenden Diskurse näher untersucht. „Chemtrails“- und „Reichsbürger“Ideologien gehören, aus orthodoxer Perspektive, um Anders selbst zu zitieren, zu dem größten „Unsinn“ und „Wahnsinn“, zu den „abstruse[sten]“ „Theorien“, die im „Internet“ zu finden seien.241 Es geht also gar nicht darum, die ‚normalen‘ unter den „Verschwörungstheoretikern“ zu zeigen, oder jene, mit denen Zuschauer*innen sich ernsthaft identifizieren können (in Bezug auf viele „Verschwörungstheorien“ ist ein Großteil der Bevölkerung/des Publikums selbst Anhänger*in solcher Deutungen), sondern nur um die Extremfälle, die absurden und die gefährlichen: „Chemtrails“ und „Reichsbürger“. Damit reproduziert der Film ein Othering und ein Deutungsmuster, das im Diskurs der Leitmedien insgesamt, vor allem aber im öffentlich-rechtlichen Rundfunk vorherrschend ist und sich auch in anderen Produktionen findet. So etwa in der Sendung „Wahn oder Wahrheit“, des WDRFormats Quarks und Co.242 (2016) oder im ZDF-Format „Elektrischer Reporter“ (2014). 243 Auch die auf 3Sat ausgestrahlte Dokumentation „Verschwörungstheorien auf dem Vormarsch“ (2012) ist innerhalb dieses Diskurses zu verorten. Sehr auffällig ist in diesen Produktionen nicht allein die personelle Überschneidung von Moderator*innen und/oder Protagonist*innen mit dem „Skeptiker“-Milieu (Kap. 5.5.2). Der Sekten-Diskurs hat in der „Skeptiker“-Szene eine besondere Verbindung mit „Esoterik“ und „Irrationalität“. Eine „Sekte“ ist hier eine delegitimierte Glaubensgemeinschaft. Dabei gibt es Überschneidungen zwischen Sekten-Beratungs- und „Skeptiker“-Diskursen. Auch in diesem Rahmen wird vor allem die Gefahr von „Verschwörungstheorien“ hervorgehoben, wofür die „Sekte“ steht. Die Thematisierung von „Verschwörungstheorien“ erfolgt hier wie in anderen Filmen stets innerhalb dieses Problem- und Gefahren-Deutungsmusters (vgl. Anton 2011), nahezu ohne Abweichungen. Wie in der Doku „Leben im Wahn“, wird generell keine Differenzierung zwischen verschiedenen „Verschwörungstheorien“ vorgenommen. Es werden, unserer Arbeitsdefinition zufolge, vor allem verschwörungsideologische Deutungsmuster (dualistisch, komplexitätsreduzierend, geschlossen) oder „Verschwörungsglaube“ dargestellt, als repräsentativ für alle „Verschwörungstheorien“ genommen und stereotypisch überzeichnet (vgl.
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Infobox Kap. 4.3). Eine Identifikation mit (dem Wissen von) „Verschwörungstheoretikern“ wird damit verunmöglicht. Auf einer anderen Ebene ist die oben aufgeworfene Frage nicht rhetorisch: Nämlich dort, wo wir unterstellen, dass die Subjekte und Sprecher*innen der Diskurse, die sie reproduzieren, die mit ihnen verbundenen Deutungsmuster hinterfragen (können). Das scheint bei den Macher*innen der genannten Produktionen nicht der Fall. Die Phänomene und Inhalte, die unter dem Label „Verschwörungstheorie“ verhandelt werden, scheinen für sie per se irrational. Dass an „Chemtrail“-„Verschwörungstheorien“ auch ‚etwas dran‘ sein und sie, neben der ideologischen, auch eine investigative Seite haben könnten (Cairns 2016), wird von den Verantwortlichen nicht gesehen und scheint ihren Horizont zu überschreiten. Der Protagonist unterwirft sich in ein „Leben im Wahn“ stellvertretend für das Gros der Produktionen dieses Diskurses dem anti-verschwörungstheoretischen Diskurs und den mit diesem verbundenen Dispositiven. 3SAT-SCOBEL: „MYTHOS VERSCHWÖRUNG?“ (2012)
Dass und inwiefern dieser investigative und ernsthafte Zugang möglich ist, zeigt eine seltene Ausnahme. Das 3Sat-Format „Scobel“ widmet sich an einem Themenabend am 6. September 2012 in der Sendung „Mythos Verschwörung?“ der Frage, was es mit Verschwörungen und „Verschwörungstheorien“ auf sich hat. Die „Scobel“-Sendung folgt auf die Dokumentation „Verschwörungstheorien auf dem Vormarsch“ (2012), die sich deutlich im anti-verschwörungstheoretischem Diskurs positioniert und insofern sehr viele Parallelen zum Film „Ein Leben im Wahn“ aufweist. Die „Scobel“-Sendung bricht mit diesem Muster. Schon die Fragestellung indiziert, dass es hier nicht (nur) um „Verschwörungstheorien“, sondern auch um „Verschwörungen“ geht bzw. diese ernsthaft thematisiert werden. Doch es ist vor allem, die für den leitmedialen Diskurs sehr untypische Konstellation von Gästen bzw. Experten, die in Gert Scobels Studio zusammensitzen, die einen deutlichen Bruch mit dem hier vorherrschenden Deutungsmuster markiert: Neben Thomas Grüter, einem Mediziner und Autor, der ein Buch über „Verschwörungstheorien“ geschrieben hat (Grüter 2006), der „Skeptiker“-Position nahesteht (vgl. Kap. 5.5.2) und in vielen Auftritten im „Mainstream“ als „Experte“ für „Verschwörungstheorien“ präsentiert wird, sitzen zwei weitere Personen im Studio, die ansonsten in der Regel höchstens als „Verschwörungstheoretiker“ zu Wort kommen: Andreas von Bülow und Daniele Ganser. Bezeichnend für die Seltenheit einer solchen Konstellation ist ein User-Kommentar unter dem YouTube-Upload dieser Sendung: Ganser und von Bülow in einer Sendung im Fernsehen?! Vielleicht gibts doch noch Hoffnung.244
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In der Kommentar-Antwort relativiert ein*e anderer Nutzer*in: „das war 2012,^^ mittlerweile haben die beiden einen schlechteren Ruf im Mainstream und werden wohl kaum mehr zu sehen sein“, er*sie fügt hinzu: „geschweige denn zusammen in einer Show ^^“245 Die Sendung startet nach der Anmoderation mit einem Einspieler, der zeigen soll, wie leicht „Verschwörungstheorien“ die Illusion von Faktizität erzeugen könnten. In dem fiktiven Kurzfilm wird ein Spionage-Wirtschaftskomplott satirisch in Szene gesetzt. Scobel löst diesen „Fake“ und meint, der Film enthalte, „wie jede gute Verschwörungstheorie, Elemente, die einen für Momente ins Grübeln bringen“ und macht dann eine Bemerkung zum „Allsehenden Auge“, zur Ein-Dollar-Note, den „Illuminaten“ und der „Jesuiten“-Verschwörung – „stecken am Ende also doch die Jesuiten hinter allem?“, fragt der Moderator und ergänzt sofort: „Bevor es jetzt absurd wird, stelle ich ihnen lieber mal die Gäste meiner Sendung vor, mit denen ich dann über die Grundelemente einer jeden guten Verschwörungstheorie reden möchte.“246 Scobel stellt die Gäste der Reihe nach vor und stellt ihnen, beginnend mit Grüter, die Frage, ob es „bestimmte Muster oder Rezepte“ gäbe, „nach denen […] Verschwörungstheorien gemacht sind“. Durch diese Frage greift er den psychologischen Aspekt des Themas auf, die Grüter seinem vorgestellten Fachbereich nach („Neuropsychologie der Gesichtserkennung“) entsprechend beantwortet.247 Nachdem Grüter zu Wort gekommen ist und der Moderator das Wort an Andreas von Bülow weitergibt, kommt der erste Bruch. Von Bülow beantwortet die Frage mit einer Problematisierung des Begriffs „Verschwörungstheorie“ bzw. „Verschwörungstheoretiker“ – Menschen wie er oder Daniele Ganser würden „in der öffentlichen Diskussion“ als solche dargestellt.248 Dabei gehörten sie lediglich zu einer Gruppe von Menschen, die „Zweifel“ an unaufklärlichen Staatsaktivitäten äußerten und deren „objektiven Ablauf“ ermitteln wollten. Sichtlich bemüht sich von Bülow darum, zu erklären, dass es sich bei dem Begriff „Verschwörungstheoretiker“ um einen Stigmatisierungsbegriff handele, dabei wollten er und Ganser nur herausfinden, „was […] wirklich am 11.9. zum Beispiel passiert ist“. „Jeder Krieg wird mit Lügen begonnen […] – auch bei den Amerikanern“249, schiebt er hinterher und nennt dazu Beispiele von der „Versenkung der Maine“ über die „Lusitania“ bis hin zu dem Angriff auf „Pearl Harbour“250. Von Bülow, der zwei Sachbücher über Terrorismus, Geheimdienste und organisierte Kriminalität geschrieben hat, bekommt Raum, um seine Gedanken zu entfalten. Der Moderator signalisiert Verständnis und lässt ihn ausreden. An dieser Stelle bricht der anti-verschwörungstheoretische Rahmen. Nachdem Scobel noch Ganser mit einer Hinleitung auf die staatliche Vertuschung der „Gladio“-Geheimarmeen ins Gespräch bringt, stehen die Tatsachen historischer Verschwörungen und staatlicher Vertuschungen fest: Der Historiker berichtet davon, dass in Westeuropa über Jahre hinweg eine Geheimarmee („Gladio“) existierte, von der nur eingeweihte hochrangige „Militärs“, oft nicht einmal die zuständigen „Verteidigungsminister“ gewusst hätten. Ab
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diesem Zeitpunkt funktioniert der durch Scobels Einführung und die vorgängige Dokumentation aufgebaute irrational-gefährliche Deutungsrahmen schon nicht mehr. Grüter, als einziger Verschwörungs-„Skeptiker“ in der Runde, kann seine Position in den folgenden 45 Minuten nur schwer aufrechterhalten und ist mit seinem Widerspruch gegenüber den beiden Mitdiskutanten die meiste Zeit erfolglos.
Abbildung 31: 3Sat-„Scobel“-Sendung „Mythos Verschwörung“ (2012) (Quelle: YouTube/3Sat).
Scobel bringt ihn zwar gleich wieder in die Diskussion und weist darauf hin, dass die „Mustermaschine“ Gehirn „ständig versucht, [für die] Ereignisse[n], die wir ja eigentlich nicht verstehen […], Erklärungen zu finden, [eine]n roten Faden zu finden“251. Der Neurologe greift dies auf und meint, es gehe ziemlich schnell, dass wir durch diese Mechanismen plausible „Muster“ suchen würden, die sich in „Gut und Böse“ übersetzen ließen. Vor allem im Falle unaufgeklärter Ereignisse käme man schnell dazu, das objektiv Unerklärte ins „heimlich“ Faktische zu transformieren. Von Bülow schreitet ein. Er argumentiert, dass „ein normaler Kriminalbeamter oder eine Mordkommission“ nicht anders als mit „Verbindungslinien“ zwischen „betroffenen Leuten“ arbeiten könnten, um eine „Theorie“ zu bilden.252 „Und wenn da ein wichtiges Element, was nicht täuschbar ist, nicht übereinstimmt, dann muss er [der Kriminalbeamte, A. S.] seine Theorie aufgeben.“253 Er bilanziert: Der*die Ermittler*in „arbeitet mit „Verschwörungstheorien“, um der Verschwörung auf die Spur zu kommen“. Scobel ergänzt: ein „klares Falsifikationskriterium“ – „genau, das ist genau dasselbe“, antwortet von Bülow.254 Nicht nur die Präsenz der beiden Gäste, die sich eingängig mit verdeckter Kriegsführung und Terrorismus beschäftigen, sondern auch Gert Scobel trägt dazu bei, die bloße Psychologisierung und Ridikülisierung des Themas zu verhindern und stattdessen ernsthaft, differenziert und verstehensorientiert sowohl (sozial-)psychologische wie historische und tiefenpolitische Dimensionen des
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Phänomens zu erörtern. Der Moderator verweist dabei auch auf den Zusammenhang von Abweichung/Verschwörungstheorie und Normalität/Verschwörungsskepsis. In einer Zwischenansage meint er: Es gibt ja eine Menge wirrer Ansichten über die Welt […] vor allem über das Wirken dunkler Mächte bishin zu Außerirdischen beispielsweise. Als jemand, der ‚normal‘ ist, werden sie solchen Theorien in der Regel keinen Glauben schenken – leider gibt‘s da ein Problem. Denn leider ist normal zu sein ein sehr sehr dehnbarer Begriff […]. Doch nicht nur Normalität ist das Problem, sondern auch der Umstand, dass sich selbst absurde Theorien […], die von Regierungen leicht abgestritten werden können, am Ende als wahr herausgestellt haben. Es ist diese Tatsache, dass es tatsächlich Verschwörungen gibt, die Verschwörungstheorien so anziehend und auch so glaubwürdig macht. Denken Sie an die Watergate-Affäre. Ans Licht gekommen ist sie nur aufgrund einer Beharrlichkeit, die eben kein Zeichen von Wahnsinn oder Wirklichkeitstrübung war, sondern, im Gegenteil, ein Beweis von Mut. Am Ende war das Denken gegen die Überzeugung der Mehrheit und der Regierung erfolgreich. Die Wahrheit war, was lange als Verschwörung abgetan wurde.255
Es folgt ein Kurzfilm über die Massenvernichtungswaffen-Lüge im Irakkrieg 2003, den Sprengstoffanschlag des französischen Geheimdienstes auf das Greenpeace-Schiff „Rainbow Warrior“ und die Iran Contra-Affäre. Der 5-minütige Bericht bringt damit Beispiele für Staats- oder Geheimdienst-Verschwörungen, bei denen Aufklärer*innen, wie Scobel sagt, erst als „Verschwörungstheoretiker“ beschuldigt wurden, doch schließlich „eingeräumt werden musste, dass ihre Theorie „doch die Wahrheit war“256. In einem späteren Zwischenfilm werden der RAFKomplex um den bis heute ungeklärten Buback-Mord, Enthüllungen der Plattform Wikileaks und die Verschwiegenheit und Vertuschungen des Staates und Verfassungsschutzes im NSU-Komplex thematisiert.257 Das schlimme ist, dass wir in Europa – in Deutschland auf jeden Fall – nicht eine einzige Professur haben, die diesen Zusammenhängen nachgeht […]. Das wird nicht in Deutschland unterrichtet, verdeckte Außenpolitik, verdeckte Militärpolitik wird […] in diesem Land totgeschwiegen, weil das […] der große Guru ist; wir benehmen uns teilweise wie in einer Bananenrepublik,258
sagt Andreas von Bülow. Im letzten Drittel der Sendung gibt Scobel auf eine weitere Ausführung von Bülows über die „Strategie der Spannung“ (vgl. Kap. 5.3.1) und die damit verbundene Geheimhaltung, zu bedenken, dass dieses Wissen „zu einer absoluten Politikverdrossenheit“ führe, der die „Message“ zu Grunde liege: „so oder so, wirst du eigentlich betrogen“. Ganser entgegnet: Es brauche dennoch „Vertrauen“ –, aber nicht unbedingt in Regierungen und Geheimdienste, sondern „in seine eigene analytische Kraft, in sein eigenes Denken“259. Es gäbe Bücher und das „Internet“ – später sagt er: „Informationsrevolution“260 –, die dabei helfen. Grüter widerspricht: Es brauche immer „Experten“, denen ein „normaler Bürger“ vertrauen müsse, „Profis“, „Spezialisten“ und „Journalisten“, die etwa zu einem Video sagen, ob es echt sei oder nicht. Der letzte Film-Einspieler ist wieder sehr differenziert. Er ist, wie Scobel sagt, „ein Plädoyer“. Hier wird die
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„Verschwörungstheorie“ zwischen ideologischem Wahn und investigativer Wahrheitssuche anhand von verschiedenen Beispielen verortet. Am Schluss heißt es: Wer sagt: „Die da oben machen ja doch nur, was sie wollen!“, spielt den Mächtigen […] in die Hände. Politikverdrossenheit und Wahlboykott sind keine Lösung. Die Aufgabe des mündigen Staatsbürgers ist es […] kritische Fragen zu stellen und sich einzumischen. Beides ist Bestandteil einer wehrhaften Demokratie. Das heißt nicht, Verschwörungsideologien anzuhängen, sondern an der richtigen Stelle, die richtigen Fragen zu stellen.261
In der „Scobel“-Sendung „Mythos Verschwörung?“ wird mit dem Deutungsmuster der Antiverschwörungstheorie an vielen Stellen gebrochen. Zwar finden sich an einigen Stellen, und vor allem repräsentiert durch Grüter, verschwörungsskeptische Elemente.262 Diese übernehmen aber nicht die Deutungshoheit. Verschwörungen wird eine Realität und „Verschwörungstheorien“ bis zu einem gewissen Grad Rationalität zugesprochen. Während Grüter „Verschwörungstheorien“ nur im Sinne von Ideologien thematisiert, äußern von Bülow und Ganser sowie auch Scobel gute Gründe und Beispiele für ein investigatives Verschwörungsdenken, das im Sinne eines kriminalistischen Rahmens operiert und falsifizierbar bleibt. Anders als in vielen anderen Sendungen, sind hier die Befürworter alternativer (9/11-)Verschwörungsthesen weder in der Unterzahl, noch werden sie als „Verschwörungstheoretiker“ diskreditiert. Von Bülow und Ganser sitzen Grüter und Scobel als ernstzunehmende Diskussionspartner und auf Augenhöhe gegenüber. Gansers Buch „Europa im Erdölrausch“ (2012) wird sogar verlost. „Verschwörungen“ bzw. „verdeckte Kriegsführung“ werden in den Kontext von geopolitischenund Ressourcenkonflikten gestellt und dadurch plausibilisiert. 263 Von Bülow bekommt die Möglichkeit, die „Strategie der Spannung“ zu thematisieren. 264 Vergleichbare Talk- und Wissens-Sendungen wie etwa die WDR-Sendung „Planet Wissen“ (2011 und 2019), die Sendung Achtung Verschwörung!265 im Format SRF „Sternstunde Philosophie“ (2017) oder der SRF-„Philosophische Stammtisch“ (2017) weisen keine solchen oder nur sehr partielle Brüche mit dem Deutungsmuster auf. In der ersten Sendung der Comedy-Show mit Katrin Bauernfeind zum Thema „Jedem seine Wahrheit – Verschwörungen und andere Theorien“266, die am 6. Februar 2019 abends im WDR ausgestrahlt wird, findet am Ende der Sendung ein merklicher Bruch mit dem typischen Satire- und Gefahrenrahmen statt. Doch auch hier ist das Deutungsmuster vorherrschend und personell durch den (Verschwörungs)„skeptischen“ Experten Sebastian Bartoschek besetzt. Die Sendung „Mythos Verschwörung?“ bleibt in dieser Hinsicht eine Ausnahme. In der medialen Rezeption zeigen sich die stark unterschiedenen Deutungsmuster durch die dieser 3Sat-Themenabend über „Verschwörungstheorien“ jeweils wahrgenommen wurde. In dem alternativen Print- und Online-Magazin Hintergrund schreibt Thomas Wagner über einen „seltenen Lichtblick der Aufklärung“ zu diesem Thema „im weitgehend staatsfrommen TV-Einerlei.“267 Er merkt u. a. positiv an, dass Scobel „seinen Gästen genügend Raum gegeben hat,
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um ihre Positionen deutlich zu machen“. Die vorgängige Doku ist dem Autor in seiner Rezension keine Erwähnung wert. Nahezu umgekehrt ist dagegen eine Rezension aus der Frankfurter Rundschau. Der Autor berichtet ausführlich und positiv über die anti-verschwörungstheoretische Doku „Verschwörungstheorien auf dem Vormarsch“ und erwähnt lediglich in einem kurzen Absatz am Ende die anschließende „Scobel“-Sendung. Von Bülow taucht in der Rezension gar nicht auf, ebenso wenig die angesprochenen realen Verschwörungen noch das Thema verdeckte Kriegsführung.268 Die Bilanz des Rezensenten Arne Leyenberg fasst die FR so zusammen: „Verschwörungstheoretiker haben dank des Internets leichtes Spiel. Sie können ihre kruden Thesen weltweit verbreiten. Wie gefährlich das sein kann, zeigte ein 3sat-Wissenschaftsabend.“ Auch so wird Wirklichkeit durch Massenmedien konstruiert. DIE GEMACHTE VERSCHWÖRUNG
Es sind Beiträge wie die des FR-Autors über „Verschwörungstheorien“, die ich im Sinn habe und die meinen Eindruck vom journalistischen Mainstream färben, als ich den Zeit Online-Beitrag „Die Macht der Verschwörung“ vom 28. August 2017 lese.269 Meine Partnerin hat ihn gefunden und mir empfohlen – mit dem Hinweis, es sei wieder ein „typischer“ Artikel zum Thema. Sie kennt meine Forschung und so erwartete ich darin auch ‚nichts Neues‘. Als ich den Artikel einige Tage später lese, finde ich die Einschätzung weitestgehend bestätigt: Der Beitrag, der in der Rubrik „Wissen“ veröffentlicht ist, zeichnet sich durch eine starke Psychologisierung des Themas aus. Der Verfasser ist selbst Psychologe und mir bis dahin unbekannt. Typisch: die Ridikülisierung durch ein Bild mit Aluhüten, die in der Bildunterschrift als „Symbol der Verschwörungstheoretiker und Reichsbürger, der verstrahlten Köpfe im Kampf um Pseudowahrheiten“ bezeichnet werden. Im Leadtext heißt es: Die Erde ist flach, die 9/11-Anschläge waren von den USA inszeniert, das Aidsvirus wurde nie entdeckt: Warum wir dazu geboren sind, Unsinn zu glauben.270
Der Eindruck, der dadurch erweckt wird, ist klar: Flache Erde- oder Aidsvirus-Theorien stehen auf der gleichen Stufe wie alternative 9/11-Verschwörungsdeutungen: gleich ‚unsinnig‘. Dazu noch der Verweis auf „Aluhut“ und „Reichsbürger“ und einige psychologische Erklärungen, warum wir diese „Pseudowahrheiten“ glauben – und fertig ist das wissenswerteste über „Verschwörungstheorien“! Nachdem ich den Artikel mit mäßigem Interesse und leicht genervt gelesen habe, lege ich ihn zu den Akten. Anfang Oktober 2017 krame ich den Artikel jedoch wieder heraus. Ich bin bei einer privaten Wohnzimmer-Diskussion zum Thema „Die Botschaften, die uns in den Medien umgeben, mal genauer betrachtet“ eingeladen. Ein Berufsjournalist aus einer großen Medienagentur will einen
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Impulsvortrag über „Fake News“ halten. Zur Vorbereitung kann jeweils ein Text mitgebracht werden, der in der Runde gemeinsam besprochen werden soll. Mir fällt „Die Macht der Verschwörung“ wieder ein. Den Beitrag drucke ich ein paar Mal aus und mache mir Text-Anstreichungen. Ich gespannt, was der Experte sagen wird.
Abbildung 32: Zeit Online-Artikel: „Die Macht der Verschwörung“ vom 28. August 2017. Typische Aufmachung eines Leitmediums zum Thema „Verschwörungstheorien“ (Quelle: zeit.de).
Die Wohnzimmer-Diskussion findet in der WG von Sebastian in einem Teilort von Salzburg statt.271 Hier wohnen etwa acht Leute im Alter von Mitte 20 bis Ende 30 gemeinsam in einem Haus mit großem Garten und gemütlichem Wohnzimmer. Durch einen Bekannten hat Sebastian Norman kennengelernt, der bei einer großen Medienagentur arbeitet und sich bereit erklärt hat, an diesem Abend im kleinen Kreis etwas zum aktuellen Thema „Fake News“ aus „berufsjournalistischer Perspektive“ beizutragen. Etwa sieben Leute, ein paar davon Sebastians WGMitbewohner*innen, sind gekommen. Sebastian gibt eine kurze Einführung. Dann übernimmt Norman mit seinem Kurzreferat. Ich mag diese selbstorganisierten Wohnzimmer-Runden. Die Anwesenden kommen in der Regel aus intrinsischem Interesse und beteiligen sich meist lebhaft am gemeinsamen Austausch.
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Es sind nicht unbedingt Akademiker*innen, aber vielleicht macht gerade das die Sache für mich so interessant. Von Sebastian und ein paar seiner Freund*innen weiß ich, dass viele sich, wie ich, in ihrer Freizeit auch mit „Verschwörungstheorien“ und „deep shit“ beschäftigen. Nachdem Norman vorgetragen und schon ein paar Fragen beantwortet hat, teilt Sebastian einen Text aus. Er hat zwei Medienberichte dabei, einen zum Thema Impfungen und einen zum Thema Luftverschmutzung. Passend dazu trägt er heute ein selbstbedrucktes blaues T-Shirt mit weißen Streifen und der Aufschrift: „Himmelblau“. Wir besprechen gemeinsam mit Norman Kriterien für seriöse Berichte in diesem Bereich. Eine halbe Stunde später teile ich meinen Text aus. Jede*r liest und Notizen werden sich gemacht.272 Infobox 3: („Verschwörungs-)Theorien“ der flachen Erde. „Flache Erde“-Theorie („Flat Earth“) „Flache Erde“-Theorien gehen davon aus, dass die Erde keine Kugel, sondern eine Scheibe ist. Diese in der modernen Naturwissenschaft zurückgewiesene Ansicht wird seit Anfang des 20. Jahrhunderts von Samuel Rowbotham, dem Begründer der „Zeletic Society“, mit Verweis auf Bibelstellen propagiert. Eine Nachfolge-Organisation der „Zeletic Society“ ist die 1956 gegründete und bis heute aktive „Flat Earth Society“. Sie sind keine Verschwörungstheorien im engeren Sinne. Aber oft treten Theorien der flachen Erde in Kombination mit „Verschwörungstheorien“ über die Mondlandung oder die NASA auf – weil sie durch diese plausibilisiert werden. Sie stellen physikalische Gesetze der Erdanziehung infrage und versuchen ihre Behauptungen anhand von Bildern, Videos und/oder Experimenten zu plausibilisieren und zu belegen. „Flache Erde“-Theorien kursieren etwa seit 2016 gehäuft in deutschsprachigen alternativen Medien und gelten auch innerhalb der „Gegenöffentlichkeit“ als fringe-Thema, von dem sich viele Aktivist*innen dezidiert abgrenzen. Vor allem im leitmedialen Diskurs werden sie, neben ReptiloidTheorien, gerne pars pro toto als Beleg für die Absurdität oder Unsinnigkeit von „Verschwörungstheorien“ genommen.
Danach wird wieder diskutiert. Auch Norman macht mit. Ich stelle die Frage: Wie fandet ihr den Text? Eine Freundin von Sebastian sagt, sie sei sich selbst unsicher, was heutzutage noch stimme, zu allem gäbe es in den „Medien“ oft Meinung und Gegenmeinung, sie höre nur noch auf ihr „Bauchgefühl“. Zu den im Beitrag angesprochenen Theorien zur „Flachen Erde“ meint sie: „I bin mir nemma sicha, ob die Erde rund is“. Hier hakt Norman ein. Er findet den Beitrag ausgewogen, nur stellenweise einseitig und plakativ, aber aus „berufsjournalistischer Perspektive […] gut gemacht“.273 Eine andere Freundin bezieht sich auf den Begriff der „Verschwörungstheorie“ und sagt: ob des jetzed belegt is oder ned (.) aber mir san die laid liaber (.) die wo an irgendwelche verschwörungstheorien glauben (.) weil die einfach dann mehr hinterfrogen wie dass sie die an den rtl mittagsfernsehen nachrichten anschauen und des glauben [[Gelächter am Tisch]]274
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Sebastian schaltet sich ein. Seiner Meinung nach entstehen „Verschwörungstheorien“ aus „Angst“. Er findet es „nicht gut“, wenn man die „Angst der Leute“ nicht ernst nimmt und alles (was unter dem Label „Verschwörungstheorien“ läuft) als Spinnerei abtut. Norman verteidigt den Zeit Online-Artikel, doch Sebastian unterbricht ihn: Er sei schon der „Meinung“, dass an allen „Verschwörungstheorien“ ein wahrer Kern zu finden sei. Er finde es deshalb „gefährlich“, wenn bestimmte Themen, wie „zum Beispiel […] Kondensstreifen“ oder „des mit Impfungen“ in „die ‚Verschwörungstheorien‘-Schublade“ gesteckt werde. Sebastian will „ernst“ genommen und nicht „diskriminiert“ werden. Sein Freund stimmt ihm zu, er ist ebenfalls von der „Chemtrails“-Theorie überzeugt, sagt er. Dann wird über Wettermanipulation mit „Hagel“-Flugzeugen und „Silberjodid“ gesprochen. Sebastian will wieder zum Text zurück, er findet in dem Artikel noch etwas, das ihm negativ aufgefallen ist: wos-wos wos mir no auffällt (.) des wird dann immer no sehr einseitig beschriebn (.) dass ebn die verschwörungstheoretiker (.) des ned wahrnehmen was ned in ihr[a] weltbild passt (.) des trifft auf jeden menschen zu die selektive wahrnehmung275
Norman stimmt ihm zu. Er fragt sich, ob die dazu vom Autor zitierten Studien nur die These des Textes unterstützen oder ob es dazu noch andere Studien gibt, die dem widersprechen könnten. Eine andere Diskussionsteilnehmerin meint, sie findet den „Schluss“ des Textes gut. Der Autor, meint sie, übergebe die Entscheidungsgewalt an den*die Leser*in, wenn er das Folgende schreibt: Das Problem ist: Wir wissen meistens nicht genau, was passiert ist. Es gibt eine offizielle Version, aber das ist auch nur eine von vielen möglichen Varianten. Die Gleichung hat oft so viele Variablen, dass wir zwangsläufig ins Grübeln kommen. Wenn Sie also testen möchten, wie weit Ihr eigener Verschwörungsglaube fortgeschritten ist, fragen Sie sich am besten drei Dinge: Ist die Theorie widerlegbar? Gibt es Argumente, die mich vom Gegenteil überzeugen würden? Stehen die Annahmen in grundsätzlicher Übereinstimmung mit naturwissenschaftlichen Gesetzen? Wenn Sie mindestens eine dieser Fragen mit „nein“ beantworten, sind Sie womöglich der ganz großen Verschwörung auf der Spur.276
Norman liest diese Schlusspassage anders. Er liest sie eher ironisch. Und findet nun doch, dass genau an dieser Stelle ein „Spin“ im Artikel zu finden sei. Der Journalist revidiert seine anfängliche Meinung: des is für mi der satz wo am ehesten (.) wo a ma ehesten denk da stellt er dann die (..) die verschwörungstheoretiker fast a weng als spinner da sozusagen ((schmunzelt)) […] mit diesem-mit diesem letzten satz- aso des is-do (..) […] do-gibt a dem halt dann schon an spin (…) des liest si vielleicht ganz lustig abeer-aber do (.) kommt[s] dann scho gonz klor aussi277
Die verschiedenen Lesarten, die in der Diskussion generiert wurden und die sich auch im Verlauf des Gesprächs veränderten, machen mich neugierig. Wie ist der
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Text wirklich gemeint? War der letzte Satz ernst gemeint oder ironisch? Oder vielleicht sogar zynisch? Was sagt der Autor ‚hinter‘ dem Text? Nach mehrfacher Lektüre erkenne ich verschiedene Facetten in diesem Text, die trotz einer anti-verschwörungstheoretischen Rahmung, oder dem „Spin“, wie Norman es nannte, keine komplette Ablehnung des Themas, sondern doch eine gewisse Ambivalenz aufscheinen lassen. Ich versuche, den Autor zu erreichen und mit ihm ins Gespräch zu kommen. Einen guten Monat später funktioniert es mit einem Telefonat. Daniel Jakubowski arbeitet an einer Hochschule und promoviert im Fach Psychologie. 278 Nebenberuflich schreibt er journalistische Beiträge und betreute unter anderem Kommentarspalten. Diese Kommentar-Diskurse findet er auch wissenschaftlich interessant und hat eine sozialpsychologische Masterthesis darüber verfasst. Wir sprechen auch darüber, dass für den betreffenden Beitrag die Kommentierfunktion deaktiviert wurde. Er könne das nicht nachvollziehen, sagt er. Er habe mehrere Jahre für Zeit Online Kommentare editiert und mitdiskutiert und sei damit immer ganz gut ausgekommen. „Verschwörungstheorien“ seien aber, gibt er zu, „ein ziemlich heißes Eisen“279. Für ihn sei das Thema eher ein Hobby gewesen, doch die psychologischen Aspekte hätten ihn interessiert und so habe er sich die wissenschaftlichen Studien dazu aus seinem Fachbereich zu Gemüte geführt. Wie er so redet, fällt mir auf, dass hier tatsächlich jemand am anderen Ende der Leitung sitzt, der analytisch vorgeht, nachdenkt, hinterfragt – auch sich selbst. Wir sind nicht ganz einer Meinung. Doch ich beginne zu verstehen, wie er zu seinen Einschätzungen kommt und zu ‚sehen‘, dass er vor allem den wissenschaftlichen Forschungsstand der Psychologie wiedergegeben hat. Dann erzählt er mir etwas Unerwartetes: Wichtige Teile des veröffentlichten Textes findet er so nicht in Ordnung. Der Teaser beispielsweise, auf den ich ihn anspreche, gebe „nicht wieder“, was er eigentlich sagen wollte. Er klingt erregt. Die Ridikülisierung und teilweise Psychopathologisierung sei „genau nicht“ die Botschaft, die er mit diesem Text eigentlich aussenden wollte. Auch das Bild und die Überschrift stammten nicht von ihm. Das alles sei von der Redaktion beigefügt worden. Mehr noch: Er habe seither versucht einen zweiten „kritischeren“ Text zum Thema zu platzieren, doch es sei ihm bislang nicht gelungen. Dabei spricht er von einem Kampf zwischen Redaktion und Journalist*innen. Ihm sei es wichtig, das Thema, trotz eines „gewissen Unterhaltungswertes“, um den er wisse, differenziert darzustellen. Er sehe selbst, dass „Wirklichkeit diskursiv hergestellt“ werde und lehne positivistische Pauschalisierungen und Labelings ab. Wir kommen ins Gespräch über Wissenschaftstheorie und grundsätzliche Fragen der Forschungsethik und -politik. Es wird ein interessantes Gespräch, an dessen Ende gegenseitige Wertschätzung steht. Später, –
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ich werde ihn zu einer Konferenz über Fake News und Desinformation einladen – schickt er mir die Rohfassung seines Beitrags zum Vergleich mit dem Original. Im ersten Moment überraschte mich, was Jakubowski über die redaktionellen Änderungen in seinem Text schreibt. Wie viele solcher Fälle gibt es noch? Gleichzeitig war es naiv, zu glauben, der veröffentlichte Text sei eins zu eins vom Autor. Titel, Leadtext, Bilder, Zwischenüberschriften – dafür sind sehr oft Redaktionen zuständig. Aber genau diese machen den Rahmen aus. Ich lese den Text von Jakubowski nochmal in Rohfassung. Es ist für mich ein anderer Text, eine andere Aussage. Nachdenklich macht mich aber noch etwas anderes. In meinem Kopf hatte ich durch das Lesen der veröffentlichten Fassung einen bestimmten Typus von Journalisten vor Augen: gut gebildet, bürgerlich, selbstverliebt und windig – vom Typus eines sich selbst als unabhängig und kritisch gerierenden Medienintellektuellen, wie sie Spiegel, Süddeutsche, FAZ oder Zeit hervorbringen. Ich hatte meine Schablone – die ich übrigens in einem weiteren Telefonat mit einem ZeitJournalisten doch wieder bestätigt fand.280 Als ich mit Jakubowski telefonierte, platzte diese Blase aber. Mir wurde wieder bewusst, wie stark ich selbst in Stereotypen denke und dadurch meine Emotionen und Erfahrungen organisiere. Vor allem wurde mir bewusst, wie Medienkonspirationen funktionieren. Autor*innen sind nicht unbedingt jene freien und alleinigen Akteur*innen ‚hinter den Kulissen‘, als die sie aus der Distanz erscheinen. Sie sind möglicherweise auch nicht so spöttisch, zynisch, einseitig wie die Texte, die in ihrem Namen, mit ihrer ‚Maske‘ veröffentlicht werden. Vielmehr sprechen sie die Sprache eines Diskurses, den sie als Individuen nicht kontrollieren können und der sie prägt, ihnen Zwänge auferlegt und gewissen Dispositiven unterworfen ist. Dieser Diskurs kann sie disziplinieren und zu passiven Sprecher*innen von ihm machen, insofern sie sich ihm vollständig unterwerfen. Hans-Magnus Enzensberger hat in seinem Essay über die „Sprache des Spiegel“ (1957) auf eine solche sprachliche Eigendynamik am Beispiel eines großen Leitmediums verwiesen. Medien sind nicht neutral, seien sie „alternativ“ oder „Mainstream“. Es gibt eine Differenz, die dadurch gemacht ist, dass wir uns bestimmter Medien bedienen. Sie funktionieren wie „Masken“. Diese Funktion ist aber bereits mit einer bestimmten Aussage verknüpft, die einem Medium performativ eingeschrieben ist und sich in den Diskursen und Deutungen widerspiegelt, die es über Medien gibt und die durch diese Medien wiederum reproduziert werden. Dass ich nach der Lektüre von Jakubowskis Text einen bestimmten Typus von Autor erwartet habe, hat eben damit zu tun. Der (Roh-)Text passte nicht in den Diskurs und brauchte jenen „Spin“, der nicht nur Autor und Thema, sondern auch das Medium positioniert.
5.2 Medienkonspirationen
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5.2.2 Verschwörungen im Mainstream Der „Kampf gegen Verschwörungstheorien“ im leitmedialen Journalismus geht einher mit einem „conspiracy denial“ (DeHaven-Smith 2013: 76) in den betreffenden Fällen. Wo über „Verschwörungstheorien“ zu 9/11, Bilderbergern oder UFOs berichtet wird, da werden in der Regel diese Themen nicht in ihrer tiefenpolitischen Dimension ernst genommen. Das bedeutet aber nicht, dass die Berichterstattung des „Mainstream“ frei von Verschwörungen oder paranoider Kommunikation ist. Das Verschwörungsdenken ist schon nach der Logik der modernen Aufmerksamkeitsökonomie nicht nur für eine „Gegenöffentlichkeit“ interessant. Sofern man die Aspekte des Dunklen und Okkulten oder die Fokussierung auf einzelne Personen und Konflikte am Verschwörungsdenken hervorhebt, haben verschwörungstheoretische Deutungsmuster gerade auch in einer Gesellschaft des Spektakels einen hohen Nachrichtenwert. Auch hierbei spielt die Nähe zwischen Leitjournalismus und politischem Establishment eine Rolle. Die Überlappung der Diskurse und Deutungsmuster dieser Milieus wird in der Differenz zu den Deutungsmustern der „Gegenöffentlichkeit“ sichtbar. Während hier beispielsweise im Ukraine-Konflikt oder in der Russlandpolitik das „Putin-Verstehen“ vorherrschend ist, steht dies im Kontrast zur anti-russischen Ausrichtung im gegenwärtigen politischen Journalismus deutscher Leitmedien bei gleichzeitiger Propagierung transatlantischer und NATO-Politik (Krüger 2016: 136 f.). In der eingangs erwähnten ZDF-Reportage „Trump und Putin: Komplott gegen Amerika?“ (2018) wird in verschwörungstheoretischer Manier das dunkle Bild eines Komplotts von Russland gegen die USA gezeichnet. Es wird in der Reportage von „erdrückend[en] […] Beweise[n]“281 für ein angebliches „Komplott gegen Amerika und seine Demokratie“ gesprochen, die nach dem im April 2019 erschienenen MuellerReport sehr fragwürdig geworden sind. Das Deutungsmuster einer russischen Verschwörung ist im medialen Mainstream sehr weit verbreitet. Nur sind es eben andere Akteur*innen, die sich hier gegen die ‚liberale Demokratie‘ und das sie verteidigende Selbstverständnis verschwören: Kommunisten, Terroristen,
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5 Verschwörungen im Deutungskonflikt
Rechtsextreme, Populisten, Diktatoren, Verräter und Überläufer, barbarische „Trolle“ aus dem Osten. Ihre Gesichter sind die von Bin Laden, Assange oder von Putin.
Abbildung 33: Spiegel-Titel über Wladimir Putin und die russische Bedrohung (Quelle: eigene Collage/Spiegel).
2016 erschien im ZDF die Dokumentation „Putins geheimes Netzwerk: Wie Russland den Westen spaltet“, ebenfalls im ZDF wurde am 19. Mai 2019 die Dokumentation „Putin und die Mafia“ ausgestrahlt. Unabhängig vom Wahrheitsgehalt – um den es hier nicht gehen kann –, zeigt sich an der Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks über Putin/Russland ein „Doppelstandart“ (ebd.) nicht nur in der politischen Ausrichtung, sondern auch in Bezug auf Verschwörungsdeutungen. Sie werden einerseits problematisiert – wie in den Dokumentationen „Verschwörungstheorien – Leben im Wahn“ (2015) oder „Der 11. September: Verschwörung auf dem Prüfstand“ (2016) –, zugleich aber gegen andere politische Akteure unproblematisch verbreitet. Der geopolitische Konflikt zwischen den USA und Russland ist nur ein Beispiel. Schon die Verschwörung zu den Terroranschlägen 11. September 2001, die von Osama bin Laden und Al-Kaida umgesetzt worden sein soll, wurde, wie bereits gezeigt, in den Fernseh-Medien unkritisch als Deutungsmuster übernommen. Der Kampf gegen 9/11-„Verschwörungstheorien“ verschleiert die Tatsache, dass das offizielle Narrativ der Bush-
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5.2 Medienkonspirationen
Regierung auch eine, bis heute strafrechtlich unbewiesene Verschwörungsdeutung ist. Es gibt neben diesem viele andere Beispiele verschwörungstheoretischer Kommunikation im politisch-orthodoxen Diskurs und im leitmedialen Mainstream. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass manche Verschwörungen im journalistischen „Mainstream“ ernst genommen um im Sinne des Verschwörungsdenkens durchaus investigativ und mehr oder weniger offen untersucht werden. Andere hingegen werden im Sinne von bloßen Ideologien oder Glauben abgetan, wobei in diesen Fällen selbst wiederum ein mehr oder weniger geschlossenes Weltbild jener Medien, die diese Verschwörungen als „Verschwörungstheorien“ behandeln, sichtbar wird. Wieder andere werden ridikülisiert und dadurch ebenfalls aus dem ‚rationalen‘ Diskurs des professionellen politischen „Mainstream“ ausgegrenzt. Jedoch erst die mediale Differenz macht dies überhaupt erst sichtbar. Durch die Etablierung alternativer Netzwerkmedien entsteht eine neue Beobachtungssituation. Die Diskurse und Dispositive ‚alter‘ Medien werden erst durch die Diskurse ‚neuer‘ Medien sichtbar. Eine, im eigentlichen Sinne des Wortes, paranoide, aber auch produktive, Beziehung entsteht. „Das Ergebnis dieser gegenseitigen misstrauischen Beobachtung“ ist nicht notwendig eine Vertiefung der „Gräben“ zwischen politischen Leitmedien und „Gegenöffentlichkeit“ 282. Sie ergibt sich nur, wenn das beidseitige Misstrauen sich verschärft und ins Wahnhafte steigert. Dem zugrunde liegt eine Feindbildgenese, die Nicht-Anerkennung zur Voraussetzung hat. Aus der Distanz ‚neuer‘ alternativer Netzwerkmedien wirkt die Konspiration des „Mainstream“ doppelt verdächtig: dadurch dass bestimmte Verschwörungen nicht thematisiert und andere hingegen propagiert werden; und dadurch dass jene Medien, die bestimmte Verschwörungen aufgrund ihrer dispositiven Differenz thematisieren, mit „Verschwörungstheorien“ assoziiert werden. Im nächsten Kapitel geht es um solches Wissen, das im leitmedialen Diskurs, wenn nicht tabuisiert, so doch in der Regel mit „Verschwörungstheorien“ assoziiert ist. In den Resonanzräumen digitaler „Gegenöffentlichkeiten“ hingegen ist dieses Wissen der False Flag ein Wissen über Verschwörungen. 5.3 Das Wissen der False Flag WIR MÜSSEN DIE LEUTE MIT DEN 9/11-THEMEN UND DIESEM FALSE FLAGMIST KONFRONTIEREN! (ANDREAS HAUß, GEOPOLITIK-TREFFEN, 15. AUGUST 2009283) ICH BIN WIRKLICH DER MEINUNG, DASS MAN GEGEN TERRORISTEN, DIE MIT MODERNEN BOMBEN, MIT HEIMTÜCKISCHEN MITTELN UND WAFFEN ARBEITEN […] NICHT MIT PFEIL UND BOGEN VORGEHEN KANN, SONDERN DASS DER STAAT AUCH DIE MÖGLICHKEIT HABEN MUSS EINE LIST ANZUWENDEN, UM DAS EINMAL SO ZU BEZEICHNEN […]. (HEINER GEISSLER, ARD TAGESTHEMEN, 28. APRIL 1986284)
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Es ist das erste Mal, dass ich bei Straßburg bin. Vor wenigen Wochen hat USPräsident Barack Obama sein Amt angetreten und jetzt ist in dieser Region schönstes Maiwetter. Eigentlich ein gutes Zeichen. Offiziell bin ich zum Protestieren hier. Gegen den NATO-Gipfel. Insgeheim aber auch wegen einer Frau. Zu dritt reise ich mit meinem Bruder und einer Freundin mit der Bahn nach Kehl. Die Polizeipräsenz um die Grenzregion Kehl-Straßburg ist massiv – auf französischer Seite noch stärker als auf deutscher. Nach einigen Kontrollen und einer erschöpfenden Anfahrt lassen wir uns im Protestcamp nieder. Auf dem Strohboden eines großen Gemeinschaftszelts bereiten wir unser Lager aus Schlafsäcken. Die Stimmung hier auf dem Gelände ist angenehm. Es sind noch nicht allzu viele Leute da. Es wird gegrillt, ums Feuer gesessen und Gitarrenmusik gemacht. Jetzt gilt es, Kraft zu tanken. Noch wissen wir nicht, wie sehr wir die Energie am nächsten Tag brauchen werden. Der Demozug am nächsten Morgen führt uns zunächst durch Kehl. Immer mehr Leute sind gekommen. Viele vermummt. Auch ich habe einen schwarzen Schal dabei – meine Maske. Man weiß ja nie. Überall ist Polizei. In Vollmontur mit Helmen, geschlossenem Visier, Schild, Stöcken und diversen Geschossen. Auch nachts haben sie dem Camp Besuche abgestattet. Anfangs laufen wir noch friedlich und die Menge bleibt zusammen. Unser Ziel ist die Blockade einer Zufahrtsstraße nach Straßburg. In den Häuserschluchten und an Kreuzungen kommt es zu Verzögerungen und zeitweise auch zu Blockaden. Einige der Demo-Teilnehmer*innen nehmen andere als die vorgegebenen Routen, sie probieren, auszubrechen. Die Polizei versucht, darauf zu reagieren. Ein Katz-und-Maus-Spiel beginnt. Ungeduld und Unruhe. Vor allem auf Plätzen und breiten Kreuzungen kommt es jetzt immer wieder zu Zerstreuungen. Es beginnt unübersichtlich zu werden. Die ersten Geschosse fliegen. Doch es sind nicht die Demonstrant*innen, die damit beginnen. Tränengas. Diesen würgereizend-säuerlichen Geruch werde ich niemals mehr vergessen. Ich ziehe mir den Schal vors Gesicht. Es beginnen kleinere Tumulte auf einem größeren Platz. Wir rennen. Wieder teilt sich die Menge zwischen am Boden einschlagenden Reizgasgranaten. Husten und Brechreiz. Marc und Jana sind noch bei mir. „Scheiss Bullen! Feiglinge“, denke ich. Die vorgesehene Route scheint nicht mehr zu funktionieren. Doch wohin? Die Stadt ist wie tot. Einwohner*innen sieht man nicht, nur Protestierende, Straßensperren und Einheiten der Polizei. Weiße Rauchschwaden machen sich breit. Interaktion findet über Protest- und Schmährufe statt, Wurfgeschosse und Mengenbewegungen. Immer schön beieinanderbleiben, nicht auseinandertreiben lassen. Langsam wird es mühsam. Es sind etwa vier bis fünf Stunden vergangen, seit dem Protestbeginn. Der Zug hat sich bald vollständig aufgelöst. Doch einige scheinen Spaß am Gefecht mit der Polizei zu haben. Jetzt wird es auch warm. Die Sonne beginnt auf
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dem Pflaster und dem Schädel zu brennen. Unsere Wasserflaschen sind leer. Die Laune sinkt, das ist keine richtige Demo mehr. Es gibt auch keine geschlossene Gruppe mehr und ebenso wenig ist Publikum, Öffentlichkeit anwesend. Jetzt ist die Demo nur noch ein Räuber-und-Gendarm-Spiel. Wir besprechen uns, auch mit anderen. Doch wir können nicht einfach weg. Die Polizei hat das Areal weiträumig umstellt. Und es gibt hier nichts. Die Stadt ist tot. Alle Geschäfte in der Umgebung sind dicht. Mehrere Gruppenbewegungen versuchen nun, eine Brücke zu erreichen. Wir versuchen uns an die Ordner der größten Gruppe zu halten. Immer wieder kommen Durchsagen. Handzeichen. Dann eine Passage. Die Polizei macht auf, zieht sich an einer Stelle zurück. Der größte Zug macht sich auf in Richtung eines Platzes auf der anderen Seite des Rheins. Dort soll eine Art Abschlusskundgebung stattfinden. Es geht langsam voran. Schwarze Helikopter schwirren etwa hundertfünfzig Meter über uns. Sirenen. Graue Rauchschwaden sind über der Stadt zu sehen. Ausnahmezustand. Als wir auf dem Platz auf der französischen Seite ankommen, scheint sich alles aufgelöst oder noch nicht organisiert zu haben. Auf dem weiten Areal haben sich viele kleinere Gruppen gebildet. Wenige Stände und eine Art Bühne sind aufgebaut. Ich erkenne immer mehr arabisch aussehende Jugendliche, teilweise vermummt. Die Polizei ist weit entfernt, hält sich zurück. Wir legen uns ins Gras. Endlich ausruhen. Durchatmen. Nur der Hubschrauber fliegt regelmäßig in niedriger Höhe über das Feld und stört so den Frieden und die spätere Kundgebung. Man kann sich hier auch Wasser und etwas zu essen holen. Die Stimmung ist trotzdem nicht gut. Es ist wie eine kleine Insel inmitten eines Kriegs- und Krisengebiets. Der Protest ist weitgehend geplatzt. Wir wollen eigentlich nur noch sicher nach Hause kommen. Beim Aufbrechen sehen wir, dass ein größeres Gebäude brennt. Später ist zu erfahren, dass es ein leerstehendes Hotel war, das von Unbekannten angezündet wurde. Niemand war zu Schaden gekommen. Es brannten an diesem Tag auch noch andere Gebäude. Auf dem Rückweg nach Deutschland sehen wir unter anderem noch ein ausgebranntes Grenzhaus. Die Gewalt, die Aggression auf allen Seiten, hat mich teilweise erschrocken. Die Polizei war ausgerüstet wie im Krieg: gepanzerte Räumwagen, große Absperrungen, Schilde, Gewehre mit Gummigeschossen und Granatwerfer. Dazu Hubschrauber sowie eine ‚Armee‘ von 25.000 Einsatzkräften, teilweise Militär285. Eine Menge von vermummten Protestler*innen war ebenso unbändig und aggressiv mit allem, was zur Verfügung stand, zeigte Lust daran, die Polizei zu bewerfen oder wahllos zu randalieren. Es war wie eine stille Abmachung, ein gewolltes Gewalt-Spektakel, das dann durch die Medien ging und mir in gleicher Weise sinnlos wie irreal vorkam, von dem aber alle Seiten ihr Stück vom Kuchen hatten: die gewaltaffinen Protestler*innen, die Medien, die Politik
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und vor allem auch die Sicherheitsbehörden. Gewalt gegen Gewalt und am Ende bleibt politisch alles beim Alten. Eine Verliererin gibt es: die Friedensbewegung. 286 5.3.1 Strategie der Spannung Eine Szene an diesem Tag beschäftigte mich noch für eine sehr lange Zeit. Wir sind auf dem Rückweg vom Kundgebungsplatz im Hafenviertel zur Brücke nach Kehl. Hier gibt es zwischen dem Platz und der Brücke eine Querstraße und davor, parallel zur Straße einen Bahndamm, einen aufgeschütteten Hügel aus Schotter. Es ist ca. 14 Uhr. Die Einheiten der Polizei halten diesen Hügel, von dem man eine sehr gute Aussicht hat, zuvor besetzt und waren dann nach unten hin zur Straße abgezogen. Unten wartet jetzt ein Konvoi aus gepanzerten Polizeibussen. Er blockiert einen Teil der Straße, den der Protestzug passieren wird. Die Polizist*innen haben sich in den Autos verschanzt. Schließlich nähert sich der Demozug der Straße. Viele Schwarzvermummte erklimmen zugleich den etwa 10 bis 15 Meter hohen Hügel des Bahndamms. Auch ich klettere hinauf und beobachte das Geschehen. Um mich herum sind halb- und vollvermummte Menschen, viele davon jugendlich, französisch-sprechend und wahrscheinlich aus den Banlieus. Unten steht immer noch die Kolonne der Polizeiautos. Warum räumt die Polizei die Straße nicht? Worauf wartet sie? Die Vermummten oben auf dem Hügel greifen sich Steine aus faustgroßem Bahnhofsschotter. Sie klettern hinunter zur Straße. Für mich ist klar, was passieren muss. Unten hat die Menge aus Friedensdemonstrant*innen mit ihren bunten Transparenten und Bannern die Polizeiautos längst eingekreist. Die Busse versinken im Meer der Menschenmenge. Parolen werden gerufen. Autos beginnen zu hupen. Dann geht alles sehr schnell. Motorengeräusche. Steine fliegen in Richtung der Busse. Schläge und Tritte gegen Autotüren und -scheiben. Die Polizeibusse sind eingekesselt. Wutgeschrei. Zugleich „Non, non!“-Rufe, Versuche der Deeskalation von einigen Demonstrant*innen. Doch keine Chance. Die Wut entlädt sich. Der Schotter prallt auf das Metall der Autos. Immer mehr Vermummte stürmen, Parolen rufend und Steine werfend den Bahndamm hinunter zur Autokolonne. Kurze, panikartige Tumulte. Die Autos können nicht heraus. Dann bahnt sich der vorderste Polizeibus einen Weg durch die Menge. Demonstrant*innen weichen zur Seite. Die Busse fahren im Hagel der Wurfgeschosse ab und durch die Menschenmenge. Einige Vermummte laufen ihnen Steine werfend hinterher. Kurz darauf ist der ganze Spuk, der keine fünf Minuten gedauert hat, vorbei. Es wurde meines Wissens nach niemand ernsthaft verletzt, was aber nicht vorhersehbar und eher Glück war.
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Abbildung 34: Straßburg, 4. April 2009, Szenen am Bahndamm beim Anti-NATO-Protest: Gewalttätige Aktionen (Quelle: eigene Fotos/Collage; Uhrzeit laut Kamera: 13:55:02 [u. l.], 13:56:26 [o. l.], 13:57:45 [r.]).
Was sich hier abspielte, kann nun verschieden gedeutet werden. Als ich zehn Jahre später meine Erinnerungen an diese Szene zu Papier bringe, ist es für mich schwierig, die Reihenfolge der Ereignisse zu rekonstruieren. Die Fotos, die ich gemacht habe, helfen mir dabei. Wann genau der erste Stein flog, und in welchmöglicher Reaktion auf was, ist aus dem Gedächtnis und den Bildperspektiven aber nicht mehr zu erhellen. Ich weiß nur: Als jemand, der schon auf einigen ähnlichen Demonstrationen gewesen ist, kam mir die sich entladende Aggression und Gewalt gespenstisch vorhersehbar vor. Warum hat sich die Polizei verhalten, wie sie sich verhalten hat? Warum hat sie sich auf der Straße unter dem Bahndamm positioniert und den sich sichtbar nähernden vermummten Demonstrant*innen den Bahndamm mit den Unmengen von perfekten Wurfgeschossen überlassen? Aus welchem Grund hat sie die Straße mit ihren Bussen blockiert? Und weshalb ist sie erst so spät abgefahren? Antworten auf diese Fragen sind schon aus Einsatztaktischen Gründen nahezu unmöglich, für Außenstehende zu erhalten. Es bleibt, zehn Jahre später, Spekulation. Bei meiner Recherche finde ich zwei Augenzeug*innen-Berichte, die den Verlauf ähnlich beschreiben wie ich. Einer deutet es als eine „taktische Panne“, als „Dummheit“ und „Unkenntnis“ der Polizei, dass sie den Bahndamm geräumt und in Autos unten auf die aggressiven und teils gewaltbereiten Vermummten gewartet hatte.287 Ein anderer hegt einen
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ähnlichen Verdacht wie ich auch: „dass das Szenario genau so gewollt gewesen und entsprechend provoziert worden ist.“288 Das lässt sich, wie gesagt, nicht lückenlos beweisen. Es ist eher ein Gefühl, das sich aus Erfahrung speist. Im Internet finde ich ein Video dieses Tages. Es wurde am Bahndamm aufgenommen. Offenbar wurde es zu einem Zeitpunkt gemacht, als die Polizei den Damm von oben noch besetzt hielt. Auf diesem Video sind Polizeibeamte der CRS in voller Montur und Schutzschilden zu sehen, die, scheinbar willkürlich, faustgroße Steine auf die unten vorbeiziehenden Demonstrant*innen werfen. Allein das ist schon skandalös. Wenn dieser Hinweis sich erhärten würde, dann ist dies ein Beweis für die gezielte Provokation von, zumindest Teilen der Sicherheitsbehörden. Sie hätten dann, genau wie viele der Vermummten aus dem Schwarzen Block, die Gewaltund Eskalationsspirale vorangetrieben. Statt friedlich zu demonstrieren bzw. friedliche Demonstration zu gewähren, ließen Provokateur*innen beider Seiten die Lage eskalieren. Der Friedensprotest gegen das Kriegsbündnis der NATO wurde zum Kriegsschauplatz. Die NATO-Kritiker*innen waren in den Schlagzeilen und Fernsehbildern diskreditiert. 5.3.2 Agents Provocateurs HOW MANY OF THESE WOULD-BE TERRORISTS WOULD HAVE ACTED WERE IT NOT FOR AN FBI AGENT PROVOCATEUR HELPING THEM? IS IT POSSIBLE THAT THE FBI IS CREATING THE VERY ENEMY WE FEAR? (TREVOR AARONSON, INSIDE THE TERROR FACTORY, MOTHER JONES, 11. JANUAR 2013289)
Möglicherweise war der autobiographische Autor aber auch zu stark geframed. Das Wissen, dass bei solchen Großdemonstrationen Gewaltszenen durch Sicherheitsbehörden provoziert werden, war ihm zu diesem Zeitpunkt jedenfalls schon bekannt. Immer wieder gibt es, gerade bei linken oder anarchistischen Anti-Globalisierungs-Demos Erzählungen von Provokateur*innen der (Militär-)Polizei. Meist in Form von Gerüchten und Hörensagen. Definitive Beweise sind dabei schwer zu erbringen. Basieren diese Geschichten vor allem auf der Paranoia extremistischer Protestler*innen? Schon vor seiner Teilnahme hatte der autobiographische Autor z. B. Daniele Gansers „NATO-Geheimarmeen“ gelesen. Das Buch mag ihn für die „Strategie der Spannung“ als Mittel politischer Machtdurchsetzung sensibilisiert haben. Und möglicherweise hatte er zu diesem Zeitpunkt auch schon die preisgekrönte ARD-Doku „Gipfelstürmer“ (2002) gesehen, die z. B. auf der Videoplattform YouTube zu finden ist.290 Verdeckte Einsatzkräfte, sogenannte „Tatbeobachter“, werden auch in Deutschland von der Polizei regelmäßig auf Demos und Protest-Großveranstaltungen eingesetzt – ebenso wie zur Aufklärung politischer Gruppen genutzte verdeckte Ermittler*innen.291 Während es viele Fälle dokumentierter Provokation und Agitation solcher verdeckter Kräfte seitens der Demonstrant*innen gibt, werden
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sie von den betreffenden Einsatzleitungen ebenso häufig dementiert. Die Anstiftung zu einer Straftat wäre rechtswidrig. Der Nachweis über die Anstiftung zu oder Provokation von Straftaten durch verdeckte Polizei- oder Geheimdienst-Ermittler*innen ist sowohl aus einsatztaktischen und ideologischen Gründen, wie auch wegen des bestehenden Korpsgeistes in Polizeien 292 oder anderen Sicherheitsbehörden schwer zu erbringen.293 Die Öffentlichkeitsarbeit verfolgt in den betreffenden Fällen meist eine ‚Salamitaktik‘, bei welcher diskreditierbare Information nur in kleinen Scheibchen serviert wird. So etwa im Falle der G-8-Proteste in Heiligendamm 2007. Der zuständige Einsatzleiter dementierte nach Vorwürfen durch Demonstrant*innen, ein „in schwarz gekleidete[r] Zivilbeamte[r], hätte die Demonstranten zum Steinewerfen aufwiegeln wollen“ gegenüber der Presse, dass Zivilbeamte im Einsatz seien.294 Nachdem ein solcher Beamter jedoch enttarnt wurde, relativierte der Polizei-Einsatzleiter dies mit den Worten: „Das ist ein neuer Sachstand. Was ich gestern gesagt habe, war gestern zutreffend. Was ich heute sage, ist heute zutreffend.“295 „Provokateure“, so der Beamte seien aber nicht im Einsatz. Die Wahrnehmung der Demonstrant*innen im Camp und auf Demos ist eine andere. Autonomenpropaganda, linke Spinnereien, Verfolgungswahn? Es ist eine dieser Geschichten, die auf Demonstrationen immer wieder erzählt werden. Die so sehr nach Verschwörung klingen, dass man sie nicht glauben mag,
resümiert diesbezüglich ein Spiegel-Journalist die ‚Gipfel-Stimmung‘ vor Ort.296 Eine Dokumentation des „Republikanischen Anwältinnen-und Anwälteverein e.V.“ schreibt einige Monate später von „Medienmanipulation“, die u. a. durch die „Verbreitung von (falschen) Schreckensmeldungen“297 auch die Lage vor Ort eskaliert habe und zugleich durch „Fehl-, Falsch- und Desinformation“298 der Polizei-Einsatzleitung gegenüber Journalist*innen geprägt gewesen sei. Zwar sei in diesem Falle „[d]er Einsatz verdeckt tätiger Zivilpolizisten […] in Camps als auch auf […] Demonstrationen […] mehrfach belegt“299, „rechtswidrig strafbare Handlungen“ konnten aber in diesem Einsatz bis dato „nicht unmittelbar bezeugt“ werden.300 Und so bleiben die „Agents Provocateurs“ in Heiligendamm weiterhin nur „Spekulationen und Mutmaßungen“301. Ein erfahrener Beamter aus Norddeutschland bestätigt 2010 die Eskalationstaktik jedoch als generelles Mittel der Polizei. Er nennt die verdeckten Lockspitzel „taktische Provokateure“: Ich weiß, dass wir bei brisanten Großdemos verdeckt agierende Beamte, die als taktische Provokateure, als vermummte Steinewerfer fungieren, unter die Demonstranten schleusen. Sie werfen auf Befehl Steine oder Flaschen in Richtung der Polizei, damit die dann mit der Räumung beginnen kann.302
Der Polizist, der anonym bleiben will, bedauert angesichts solcher Praktiken, „dass der Staat“, der das Recht schützen solle, „in seinen inneren Strukturen immer weniger freiheitlich und demokratisch“303 sei. Der Beamte solle, wie er im Abendblatt-Interview sagt, zu seinem Bedauern und mehr oder weniger gegen seinen
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Willen auch bei den Protesten gegen das umstrittene Großbauprojekt „Stuttgart 21“ eingesetzt werden. SCHWARZER DONNERSTAG
Der Sommer 2010 ist aufregend für mich. Im Stuttgarter Schlossgarten – dem bis dahin schönsten Flecken in der Kesselstadt – werden Bäume besetzt und Zelte aufgebaut. Es finden Feste statt und Proteste. Ein breites Bündnis aus jungen und alten, aus konservativen, grünen, liberalen, linken Menschen hat sich gegen die Beschlüsse der CDU-Politik zusammengeschlossen. Es ist ein Bürger*innen-Protest. Eine Art Gegenkonspiration gegen Komplotte und nicht-öffentliche Absprachen der machthabenden politischen Obrigkeit. Gebäude werden besetzt und die Proteste werden allmählich nun auch bundesweit wahrgenommen. Die Regierung hat ein großes Problem, doch ihre Dialogbereitschaft ist gering. Die Versuche, die Proteste auszusitzen, scheitern und der Mappus-Regierung droht ein historisches Debakel. Rund um den Bahnhof haben sich Mahnwachen gegen den Gebäudeabriss des alten Bahnhofs und die Räumung des Parks gebildet. Parkschützer*innen versammeln sich. Es wird geredet, gestritten und diskutiert. Die Stadt ist lebendig. Eine Initiative aus freiwilligen Filmer*innen überträgt live das Geschehen vor Ort und Bahnhofs-Gegner*innen mobilisieren sich über soziale Medien und Nachrichtendienste, sind gut vernetzt und schnell bereit, den drohenden Abriss von Bäumen im Stadtpark durch Sitzblockaden zu verhindern. Mitte September herrscht Anspannung in der Stadt. Das ist der Protest gegen Stuttgart 21, wie ich ihn wahrnehme. Ich selbst nehme an verschiedenen Demonstrationen teil und bin immer wieder im Park. Das Problem von Mappus ist: Seine Gegner*innen sind in der Überzahl, gut organisiert und friedlich. Und gerade deshalb geht unter den S21-Gegner*innen die Befürchtung um, dass die Strategie der CDU-Regierung Eskalation sein wird. Die Demonstrant*innen sollen, so die Angst, durch Gewalt demoralisiert und diskreditiert werden. In einem Interview mit dem Tagesspiegel am 9. September 2010 warnt der Stuttgarter Bestsellerautor Wolfgang Schorlau vor dieser gezielten Provokation: Durch meine Arbeit als Krimiautor habe ich gute Kontakte zu Polizisten. Aus diesem Umfeld habe ich Hinweise erhalten, dass es im Innenministerium Überlegungen geben soll, Provokateure einzuschleusen, die Gewalttaten begehen, die man den Demonstranten in die Schuhe schieben kann. Möglicherweise eine Gewalttat an Bereitschaftspolizisten. Das wäre schrecklich. […] Im Park rund um den Bahnhof sollen viele 200 Jahre alte Bäume weichen. Wird dort gefällt ... Ich mag es mir nicht ausdenken.304
Schorlaus Befürchtungen über die Eskalationsstrategie sollten sich bewahrheiten. Am Donnerstagvormittag, den 30. September, um etwa 10.30 Uhr wird der
5.3 Das Wissen der False Flag
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„Parkschützeralarm“ über soziale Medien ausgelöst – das Zeichen, dass die Räumung unmittelbar bevorsteht. Viele hunderte Menschen, darunter ein nicht geringer Teil minderjähriger Schüler*innen, strömen in den Schlosspark. Wasserwerfer, Bereitschaftspolizei aus mehreren Bundesländern, bewaffnet mit Schlagstöcken und Pfefferspray warten auf sie. Die Räumung verläuft dramatisch, teilweise blutig, ist unverhältnismäßig aggressiv. Es gibt mehrere hunderte Verletzte, einige müssen direkt ins Krankenhaus. Ein Mann verliert durch den Wasserwerferstrahl fast vollständig sein Augenlicht, vier weitere werden an den Augen schwer verletzt. Der Tag geht als „Schwarzer Donnerstag“ in die Stadtchronik ein. Und er wird der CDU-Ära in Baden-Württemberg ein Ende bescheren. Von Seiten der Regierung beruft man sich auf vermeintliche Gewalt durch Demonstrant*innen. Doch die ist schwer zu sehen. Die Bild-Stuttgart titelt unter dem Header „Ausschreitungen“: „Foto-Beweis! Chaot greift Polizei an“. Sie beruft sich auf einen Videoclip mit dem Titel „Gewalt gegen Polizeibeamte“, der vom Präsidium der baden-württembergischen Polizei Tage später veröffentlicht wird. In dem Video ist eine Person mit Sturmmaske zu sehen, die aus der Menge einen kurzen Schuss Pfefferspray abgibt und dann in den Reihen der Polizei verschwindet. Das Video ist aus mehreren Gründen ziemlich interessant. Zum einen fehlen in der Polizeiversion des Videos die Zeitangaben. Wie ein ARD-„Monitor“-Bericht außerdem belegt, fand die besagte Szene nach dem gewalttätigen Eingreifen der Polizei statt. Die Polizei zeige nur unvollständige und für sie passende Bilder des Ereignisses. Der Polizeiforscher Feltes urteilt über dieses Vorgehen: Das sei „keine typische polizeiliche Strategie […] für verhältnismäßige Fälle“ gewesen, „sondern es ist eine Strategie gewesen, die von Anfang an auf Konfrontation, durchaus auch auf Gewalt angelegt gewesen ist“ 305. Ein anonymer polizeilicher Insider-Bericht, aus dem „Monitor“ zitiert, und der zwei Tage vor der Eskalation im Schlossgarten an die Oppositionsfraktionen im Landtag geschickt wurde, warnt davor, dass seitens der Einsatz-Führungsebene schon vor der Demonstration „ein härteres Vorgehen geplant“ war, „um zu dokumentieren, dass die Demo-Teilnehmer gewaltbereit sind“, um zu „verhindern“, dass zukünftig eine „große Anzahl von Menschen“ an den Protesten teilnimmt. 306 Die beiden im „Monitor“ zitierten Experten sind sich einig, dass das Polizei-Verhalten „atypisch“ gewesen sei und dass das Vorgehen, nicht ohne eine vorherige politische „Weisung“ oder Abstimmung hätte stattfinden können. 307 Dies gehe auch aus dem Insider-Bericht hervor. Und es deckt sich mit den Vorhersagen von Schorlau. Wenn die übergeordnete politische Strategie gewalttätige Eskalation ist, die „brisante Großdemos“ diskreditieren soll, so sind dafür die geschicktesten Mittel in einer offenen und demokratischen Gesellschaft nicht Bilder gewalttätiger Ordnungshüter*innen, sondern Bilder gewalttätiger Demonstrant*innen. Wenn aber
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die Proteste überwiegend friedlich sind, so wie in Genua 2001 oder im Stuttgarter Schlossgarten 2010, dann werden „taktische Provokateure“, die Spannungen und Gewalt erzeugen, benötigt. Gewalt und Provokation seitens der Sicherheitsbehörden werden verdeckt, sei es durch die nachträgliche Bildpolitik oder schon während taktischer Aktionen. Videos von Zeug*innen und Aktivist*innen dokumentieren auf YouTube, wie der besagte „Pfeffersprayer“ am „Schwarzen Donnerstag“ durch Einheiten der Polizei geschützt wird. Das Verhalten am Tatort deutet bei genauerer Analyse auf eine verdeckte Operation der Polizeibehörden hin. Die taz berichtet über diesen Fall: YouTube-Nutzer wollen […] Anhaltspunkte dafür sehen, dass der Täter aus Reihen der Polizei selbst stammen könnte. So lässt das Video den Schluss zu, dass der Täter einen Rückenprotektor trägt und mit einem Funkstöpsel am Ohr ausgestattet ist.308
Auf Anfrage der Zeitung ließ die Stuttgarter Staatsanwaltschaft verlauten, dass sie nach einer Prüfung des Videos zu dem Schluss komme, es sei eine „haltlose Vermutung“, dass es sich bei dem*der vermummten Angreifer*in „um einen Polizisten handeln könnte.“309 Es sei aber trotz der dokumentierten Straftat kein Ermittlungsverfahren – gegen Unbekannt – eingeleitet worden, was den taz-Autor verwundert. Thomas Wüppesahl von der BAG „Kritischer Polizistinnen und Polizisten“ deutet das Material anders als die Staatsanwaltschaft. Über die Videoaufnahmen meint er, diese zeigen deutlich, wie der „Pfeffer“-Sprayer nach seinem Angriff auf die Polizeibeamt*innen und nach Abtauchen von anderen Vermummten an den Weg geleitet wird. Und wohin wird der Täter gebracht? Richtig: Zu Polizeibeamt*innen. Mitten in die Reihen der Polizei hinein. War dies gar eine durchgeführte Festnahme? Natürlich nicht. Diese Vorgehensweise dient lediglich der Sicherung des Täters. Er wurde von seinen Kolleg*innen […] in einen Schutzraum geleitet, weil er nur so tat, als würde er den Widerstand gegen „Stuttgart 21“ unterstützen wollen. In Wahrheit handelt es sich um einen von Steuergeldern finanzierten Agent Provocateur, der sogar noch selbst zum Täter geworden ist, aber straffrei bleiben „muss“.310
Wüppesahl geht hart mit der Staatsanwaltschaft ins Gericht. Neben diesem Fall gibt es jedoch noch mindestens einen weiteren Fall, in welchem Videos und Bildanalysen von Demonstrant*innen das konzertierte Vorgehen von Provokateur*innen nachzeichnen: Ein*e vermummte*r Provokateur*in, der*die einen Feuerwerkskörper aus der Menge in Richtung der Polizei wirft, von Demo-Teilnehmer*innen festgehalten wird, jedoch durch andere, teils vermummte, Helfer*innen, befreit und aus der Menge geleitet wird. Ohne digitale Videotechnik wären Dokumentationen wie diese nicht möglich. Doch obwohl alle Beweise, Indizien und auch der politische Kontext für den Einsatz von Provokateur*innen an diesem Tag sprechen, verlaufen alle dahingehenden Untersuchungen im Sande –
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5.3 Das Wissen der False Flag
sofern es solche überhaupt gab. Die Polizei hält passend dazu die eigenen Videoaufzeichnungen aus ‚ermittlungstaktischen Gründen‘ zurück. Agents Provocateurs bleiben weiterhin ein strategisches Dienstgeheimnis, ein (tiefen-)politisches Tabu. Mindestens dies ist eine Wahrheit vom „Schwarzen Donnerstag“. ***
Das gesellschaftliche Wissen über die „Strategie der Spannung“ und taktische Einsatzmittel wie „Agents Provocateurs“ ist ungleich verteilt. Und nur weil dies so ist, können diese Mittel produktiv sein, taktisch genutzt werden. Demonstrationsteilnehmer*innen aus dem antikapitalistischen Spektrum sind sensibel für diese Strategie, ihr Wissen ist ein praktisches Erfahrungswissen. Während Politik und Sicherheitsbehörden dementieren (müssen), dass diese Mittel eingesetzt werden, ja eine Diskussion darüber am liebsten vermeiden, stehen sie innerhalb des Protestspektrums unter einem ständigen Generalverdacht, sie zu nutzen. Gleichzeitig wissen die Sicherheitsbehörden um die Gewaltbereitschaft und mögliche Unberechenbarkeit von Demonstrant*innen. Während in ihren Reihen das „Feindbild Demonstrant“311 strukturell vorherrschend ist, ist es auf der anderen Seite das „Feindbild Polizei“. Hier ist beiderseits „praktizierte Paranoia“ bzw. „situational awareness“ am Werk: Eine paranoide Situation entsteht, in der sich Gewalt und Misstrauen im Vollzug entwickeln und verstärken. Dies geschieht etwa schon bei der öffentlichen Bekundung, man erwarte Gewaltbereitschaft auf der jeweils anderen Seite. Das paranoide Täuschungs- oder Verschwörungswissen ist damit Teil der Rahmung, die performativ die situierte Verhaltens- und Handlungslogik prägt. Abseits des ‚hitzigen‘ Gefechts lässt sich jedoch das Wissen über die „Strategie der Spannung“ als Analyse-Wissen aus der Distanz verwenden. Stuttgart 21, Straßburg, Heiligendamm, Genua oder Toronto312 zeigen dieselben EskalationsMuster: Friedliche Demonstrant*innen werden durch gewaltbereite „Chaoten“ diskreditiert, die wiederum das gewalttätige Einschreiten und Eskalieren von Sicherheitsbehörden legitimieren (sollen). In der Gewaltspirale ergänzen sich die Täter*innen auf beiden Seiten, gehen eine „antagonistische Kooperation“ (Kliemt 1986) miteinander ein. Man kann dieses Zusammenspiel konfliktdynamisch und eher strukturell untersuchen und erklären. Man kann aber auch empirisch und investigativ arbeiten, indem man Spuren verfolgt, Namen nennt, Verbindungen aufzeigt und demnach eine tiefenpolitische Analyse der jeweiligen Ereignisse vornimmt. Im ersteren Fall ist man Friedens- oder Konfliktforscher*in. Im zweiteren, wenn es gut läuft, und wir nach P. D. Scott gehen, „Verschwörungstheoretiker“.
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5.3.3 „The Spectacle of the False Flag“ MÖGLICHERWEISE MUß DIE GESCHICHTE DES TERRORISMUS NEU GESCHRIEBEN WERDEN […] MAN WEIß NICHT MEHR, WELCHE ANSCHLÄGE VON TERRORISTEN UND WELCHE VOM STAAT ZU VERANTWORTEN SIND. (JÜRGEN TRITTIN, ROTE OHREN, DER SPIEGEL, 28. APRIL 1986313)
Genua war blutig. Und Genua hat eine Vorgeschichte. Diese ist blutig und dunkel. Während Silvio Berlusconi beim G-8-Gipfel in Genua 2001 zu Beginn seiner zweiten Amtsperiode seine „Law and Order“-Mentalität verteidigt hat, ist die dabei angewendete Eskalationsstrategie in Italien kein Novum. Die „Strategie der Spannung“ wurde laut Igel (2014) Mitte der 1960er-Jahre in Zusammenarbeit zwischen italienischem Geheimdienstes SIFAR und dem US-amerikanischen Auslandsgeheimdienst CIA in klandestinen Zusammenkünften entwickelt, um gegen den „inneren Feind“, damals vor allem die kommunistische Partei Italiens, vorzugehen (ebd.: 79). Die für den Fall eines Angriffs der Sowjetunion gegründeten NATO-Geheimarmeen314, die in Italien den Decknamen „Gladio“ (ital. „Schwert“) trugen, sollten ihre Strategie, zumindest in Italien selbst, umorientieren: von einer „Roll Over“-Strategie in Kriegszeiten315 zu einem verdeckten „Einsatz in Friedenszeiten“. Laut Ganser (2008 [2005]) sei das geheime NATO-Gremiun Allied Clandestine Committee (AAC), das 1964 für verdeckte Kriegsführung („unorthodox warfare“) gegründet wurde, verantwortlich für „die Koordination der Stay Behind-Einheiten in allen 16 NATO-Staaten“, (Igel 2014: 78) inklusive Italien. Der verdeckte Krieg bestand in der Entwicklung klandestiner „Präventiv- oder Gegenoperationen“, die im Sinne der „Strategie der Spannung“ als „Aufruhr und Gegenaufruhr“ bezeichnet werden und „mit dem Ausbruch der Studentenunruhen […] begonnen“ hätten (ebd.). Weil die Planungen und Anweisungen vor allem über „inoffizielle Befehlskanäle“ liefen und die „Kontrollmöglichkeiten auf ein Minimum reduziert“ war (ebd.), so Igel, sei die lückenlose Rekonstruktion von Befehlsketten schwierig. Nicht nur die Infiltration, Sabotage und Zerschlagung linker oder kommunistischer Bewegungen durch rechtsnationale oder faschistische Kräfte seien mithilfe solcher geheimen Operationen umgesetzt worden. Auch die Bombenanschläge von Bologna, bei denen 85 Menschen sterben, und die zunächst dem kommunistischen Feind angelastet wurden, sind offenbar das Werk dieser „Geheimstruktur“ (ebd.: 75), in deren Hauptknoten der P2-Logenmeister Licio Gelli mit Verbindungen zu Geheimdiensten und Mafia steht. Doch ganz aufgeklärt sind sie bis heute nicht. In dieser Atmosphäre zwischen Terror, verdeckter Kriegsführung und Anti-Terrorismus blühen „Verschwörungstheorien“ – sie sind funktional und quasi Ausdruck einer Strategie der Spannung (vgl. Hof 2013). „OPERATION NORTHWOODS“
Februar 1962. Wir befinden uns mitten im Kalten Krieg. Seit einem Jahr hat John F. Kennedy das Amt des US-Präsidenten inne. Im April 1961 scheiterte die US-
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5.3 Das Wissen der False Flag
geführte Invasion in Kuba („Bay of Pigs Invasion“) – ein Debakel für den Stab um Kennedy. Im Hinter- und Untergrund versucht der US-Auslandsgeheimdienst CIA mit verschiedenen verdeckten Operationen, Fidel Castro zu stürzen. Die später mit dem „Mongoose Programm“ in Verbindung gebrachten Aktionen umfassen Gift- und Sprengstoffanschläge, z. B. durch präparierte Zigarren, Sabotage und Attentate. Die CIA arbeitet zu diesem Zweck vor allem auch mit kubanischen Dissident*innen und mit Mafia-Kriminellen zusammen. Schon bevor der militärpolitisch unerfahrene Kennedy im Amt ist, existieren Pläne und Bestrebungen, Castro zu stürzen. Im Jahr 1959 hatten die USA an Stützpunkten in der Türkei und Italien ballistische Mittelstreckenraketen stationiert, die atomar bestückt werden konnten und so einen nuklearen Erstschlag auf die UdSSR erlaubten. Kuba war in dieser Auseinandersetzung für Präsident Nikita Chruschtschow ein sehr wichtiger strategischer Verbündeter, um ebenfalls Mittelstreckenraketen zu platzieren, die das Kernland der USA erreichen und einen möglichen Erstschlag verhindern bzw. vergelten zu können. Nach der gescheiterten „Bay of Pigs Invasion“ fühlt sich Chruschtschow bestärkt, ebenfalls Mittelstreckenraketen vor der US-amerikanischen ‚Haustür‘, auf Kuba, zu platzieren. Anfang 1962 finden geheime Gespräche zwischen Castro und Chruschtschow statt und man einigt sich. Verdeckt werden an mehreren Orten auf der Insel in den kommenden Monaten Anlagen für Flugabwehr- und ballistische Raketen errichtet. Für die Öffentlichkeit wird das Bestreben, das unter dem Decknamen „Operation Anadyr“ läuft, verschleiert. Schon im Februar 1962 verhängte Kennedy ein Embargo gegen Kuba und es gibt weiterhin verdeckte Versuche, Castro zu stürzen. ***
In diesem historischen Kontext wird im März 1962 ein Top-Secret-Dokument verfasst, das später unter dem Namen „Operation Northwoods“ bekannt wird. Die „Northwoods“-Papiere, sind unterschrieben von Mitgliedern der Joint Chiefs of Staff (JCS), vertreten durch den obersten General Lyman L. Lemnitzer, der später die NATO in Europa führte und dort mutmaßlich sein Wissen einbrachte.316
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Abbildung 35: Seite eins des „Operation Northwoods“-Memorandums. Unterschrieben von USGeneral Lyman L. Lemnitzer, dem vormals obersten Befehlshaber der Streitkräfte (Quelle: Wikipedia/U.S. Secretary of Defense).
In den „Northwoods“-Dokumenten sollen, so heißt es, „Vorwände“ („pretexts“) aufgezeigt werden, die als Rechtfertigung „for US military intervention in Cuba“ in Erwägung gezogen werden.317 Die Militärs um Lemnitzer schlagen dort etwa vor, ein US-amerikanisches Schiff vor der Küste Guantanamos „explodieren“ zu lassen „and blame Cuba“318. Ein weiterer Vorschlag ist, eine kommunistisch-kubanische „terror campaign“ in verschiedenen US-amerikanischen Städten oder Regionen zu entwickeln.319 Andere genannte Möglichkeiten sind die Bedrohung kubanischer Flüchtlinge in den USA, das Hochgehenlassen von Plastiksprengstoff an ausgewählten Orten und die (anschließende) Veröffentlichung von „prepared documents substantiating Cuban involvement“320. Die Palette reicht von klandestiner Radio-Propaganda über Sabotageakte bis hin zum Versenken eines Schiffs mit und der Inszenierung von Begräbnissen für „mock-victims“. Die Vorschläge lesen sich wie eine rücksichtslose Auflistung aller militärisch-technisch nur umsetzbaren Möglichkeiten, um die US-Invasion Kubas vor der Öffentlichkeit zu rechtfertigen. Der rote Faden des Programms ist, dass es sich um verdeckte Operationen handelt, die letztlich in einem offenen und finalen Militärschlag
5.3 Das Wissen der False Flag
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münden sollen.321 So dienen die verdeckten Operationen dazu, die Öffentlichkeit zu täuschen, um anschließend die gewünschte militärische (Gegen-)Reaktion zu pro-vozieren bzw. die geeigneten ‚offenen‘ militärischen Maßnahmen einleiten zu können. Der folgende Satz macht die tiefenpolitische Dimension von „Northwoods“ deutlich: Such a plan would enable a logical build-up of incidents to be combined with other seemingly unrelated events to camouflage the ultimate objective and create the necessary impression of Cuban rashness and irresponsibility on a large scale, directed at other countries as well as the United States.322
Verschiedene „scheinbar zusammenhanglose Zwischenfälle“ sollen inszeniert werden, um den politischen Feind zu diskreditieren – Kuba solle durch die Aktionen das „image“ als „threat to peace in the Western hemisphere“ 323 bekommen – , wobei sowohl der innere Zusammenhang dieser „covert military operations“ wie das mit diesem Plan verbundene Ziel verschleiert werden sollen. Es sei wünschenswert, heißt es, „to use […] deception“ und „to provoke Cuban reactions.“ 324 Stellenweise wird es konkret und kreativ: „Use of MIG typ aircraft [russisches Flugzeugmodell, A. S.] by US pilots could provide additional provocation“ oder „An F-86 [US-amerikanisches Modell, A. S.] properly painted would convince passengers that they saw a Cuban MIG“.325 Ein vorgeschlagenes und besonders spektakuläres Szenario in dem Papier verdient besondere Aufmerksamkeit. Infobox 4: Auszug aus dem „Northwoods“-Dokument (Quelle: U.S. DoD, 13. März 1962) „Operation Northwoods“326 […] „It is possible to create an incident which will demonstrate convincingly that a Cuban aircraft has attacked and shot down a chartered civil airliner enroute from the United States. The destination would be chosen only to cause the flight plan to cross Cuba. The passengers could be a group of college students off on a holiday. a. An aircraft at Eglin AFB would be painted and numbered as an exact duplicate for a civil registered aircraft belonging to a CIA proprietary organization in the Miami area. At a designated time the duplicate would be substituted for the actual civil aircraft and would be loaded with the selected passengers, all boarded under carefully prepared aliases. The actual registered aircraft would be converted to a drone. b. Take off times of the drone aircraft and the actual aircraft will be scheduled to allow a rendezvous south of Florida. From the rendezvous point the passenger-carrying aircraft will descend to minimum altitude and go directly into an auxiliary field at Eglin AFB where arrangements will have been made to evacuate the passengers and return the aircraft to its original status. The drone aircraft meanwhile will continue to fly the filed flight plan. When over Cuba the drone will being transmitting on the international distress frequency a ‚MAY DAY‘ message stating he is under attack by Cuban MIG aircraft. The transmission will be interrupted by destruction of the aircraft which will be triggered by radio signal. This will allow ICAO radio stations in the Western Hemisphere to tell the US what has happened to the aircraft instead of the US trying to ‚sell‘ the incident.“ […]
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Der Plan, einen vermeintlichen Flugzeugangriff durch die kubanische Luftwaffe gegen ein US-amerikanisches ziviles Passagierflugzeug zu inszenieren, in dem Drohnen und falsche Passagiere zum Einsatz kommen, ist wohl das Aufsehen erregendste Szenario im „Northwoods“-Dokument. Es zeigt nicht nur die technischen und militärischen Möglichkeiten (bereits Anfang der 1960er-Jahre), sondern auch die Bereitschaft der Verantwortlichen im Pentagon, solche verdeckten Flase Flag-Operationen im Rahmen eines übergeordneten geostrategischen Ziels auszuführen. „Operation Northwoods“ ist die Blaupause der modernen False Flag. Das Dokument ist für das Hintergrundwissen und die Sinnkonstruktion in der alternativen ‚westlichen‘ „conspiracy culture“ zentral. Doch es ist eben deshalb so wichtig, weil sich in „Northwoods“ gewissermaßen Fakt und Fiktion, nüchterne Realität und paranoide geopolitische Imagination überlappen. Es zeigt sich, dass „Northwoods“ nicht nur 9/11 kontextualisiert, sondern 9/11 auch „Northwoods“. Das deklassifizierte Dokument mit hypothetischen Szenarien und die realen Ereignisse erhalten, gemeinsam und miteinander vergleichend betrachtet, jeweils eine erweiterte Bedeutung und einen neuen Sinn (vgl. Bratich 2008: 132) – ähnlich wie der (geo-)politische Kontext des „Project for A New American Century“-Strategiepapiers alternative 9/11-„Verschwörungstheorien“ (re)kontextualisiert. Doch, wieder mit Dammbeck gefragt: „Was davon aber wirkte [sic], was kam zum Einsatz?“ Die „Northwoods“-Pläne wurden unter Kennedy nicht ausgeführt. Der US-Präsident stoppte die Militärs um Lemnitzer und versetzte diesen anschließend als Oberkommandeur der NATO (SACEUR) nach Europa. Im gleichen historischen Zeitfenster entwickelten sich in Italien, mit der Kooperation von CIA und NATO die berüchtigten „Gladio“-Einheiten und die „Strategie der Spannung“. An der Authentizität der „Northwoods“-Dokumente gibt es wenige ernsthafte Zweifel.327 Und so dienen sie auch „Verschwörungstheoretikern“ wie Gerhard Wisnewski als Kontext für (s)eine alternative Erklärung der Terroranschläge von 9/11: Nachdem sie viele Widersprüche der offiziellen Geschichte dokumentieren, lassen die „Northwoods“-Papiere die Macher des WDRFilms „Aktenzeichen 11.9. ungelöst“ (2003) (Kap. 6.1.2) die Frage aufwerfen, ob nicht auch am 11. September 2001 eine solche „Operation“ inszeniert worden sei: […] Operation Northwoods – die Vorlage für den 11. September? Die Terrormaschinen nur ferngesteuerte Dummies? Die Unfallstellen nur präpariert? Eine böse Ahnung, die sich zumindest in Shanksville aufdrängt.328
9/11 eine Operation unter falscher Flagge? Inszeniert von westlichen Geheimdiensten? Es ist diese Fantasie, die die alternative Konspirationskultur des 21. Jahrhunderts beflügelt und ihren Ur-Kontext darstellt. Und es ist zugleich der entsetzlichste und schrecklichste Gedanke, den man in der liberalen Demokratie der westlichen Wertegemeinschaft denken kann. Der linke Aktivist der „Montagsmahnwachen“, Pedram Shahyar, sagt, jeder wisse: „wenn du über 9/11 was kritisches schreibst, bist du draußen.“329 Für Daniele Ganser, der durch seine Aussagen
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zu 9/11 zum „Verschwörungstheoretiker“ wurde (Kap. 5.4.1), ist das Wissen von „Northwoods“ wesentliches Hintergrundwissen.330 Für Wilson sind die „Northwoods“-Dokumente „an exceptionally grandiose example of the false flag“. Er verortet das Gesamtkonzept der Operation „within the overarching theatrical strategy of staging and managing public spectacle.“ (Ebd. 2015: 77) Lemnitzers und des JCS Ideen seien, schreibt er, „[w]holly consistent with the parapolitical logic of the strategy-of-tension“ (ebd.: 50). Dabei müsse, meint er, auf die Arbeiten über das „integrierte Spektakuläre“ von Debord zurückgreifend, aber stets die „nebulous relationship between the theatrical and the clandestine“ im Auge behalten werden (ebd.). Para- bzw. Tiefenpolitik, so Wilson, bekomme in der Gesellschaft des Spektakels eine neue, eine dramaturgische Dimension. Das Verbergen und Verdecken von „action“ werde durch das spektakuläre Enthüllen und Inszenieren, durch „enactment“, erweitert. Die Techniken von Film und Fernsehen geben der Spannung zwischen Verbergen und Enthüllen eine neue mediale Form. Der Kennedy-Mord oder 9/11, das seien, so Wilson, theatralische Werke, politische Inszenierungen, deren Regieführung bis heute größtenteils im Dunkeln liegt, und die eine ungleich traumatisierende Dimension innerhalb der Logik der Strategie der Spannung haben. False Flag, das ist nach Wilson, Bestandteil von Terrorismus in einer Gesellschaft des Spektakels. Auch für Timothy Melley (2012: 81), der sich auf die Arbeiten von Michael Rogin bezieht, „the incessant visibility of the state’s covert dimension ‚normalizes to invisibility‘ [Zitat Rogin, A. S.] the undemocratic and often brutal work of the U.S. security state.“ Das durch die öffentliche spektakuläre Inszenierung des Terrors gleichzeitig dessen ‚brutale‘ ‚Geheimnisse‘, nach dem Diktum „hidden in plain sight“, verborgen werden, ist im Kern eine technomagische Praxis, auf die wir in Kapitel 7 nochmals eingehen. Melley stellt dies kulturpolitisch dar: What is the relation between secrecy, spectacle, and postmodernism? In his brilliant account of “covert spectacle” during the Reagan-Bush era, Michael Rogin offers a counterintuitive answer. For Rogin, political spectacle does not distract attention from the state’s dirty secrets. It reveals them in an “easily forgettable series of surface entertainments – movies, television series, political shows.” And such revelations lead not to democratic debate or public outrage but rather to something like “infantile amnesia” – an ahistorical numbness to certain facts of U.S. empire „that, if consciously sustained in memory over time, would have to be called into question.“ (Ebd.)
FALSE FLAG ALS GEHEIMWISSEN
Bevor die „Northwoods“-Dokumente am 18. November 1997 veröffentlicht wurden, waren sie über 30 Jahre lang geheim. Sie waren als Geheimwissen nur einem kleinen Kreis von Akteur*innen zugänglich. Der Logik von Tiefenpolitik entsprechend, wird das Wissen der Verschwörung nicht zeitnah zu ihrer praktischen Ausführung öffentlich. Sobald die Verschwörung öffentlich wird, ist sie als solche
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Geschichte. Auch das Wissen der False Flag wird als Herrschaftswissen aus strategischer Sicht verschleiert oder fiktiv codiert. McGovern (2018) zeigt am Beispiel der imperialistischen Praxis der „counterinsurgency“ – d. h. der euphemistisch so genannten „Aufstandsbekämpfung“, unter die neben „targeted killings“, „irregular warfare“, auch die „organisation of indigenous counter-gangs and pseudo-gangs“ fällt (Hughes 2012: 110) –, dass es sowohl gezielte wie kultivierte Praktiken der Herstellung von Nicht-Wissen und Ignoranz gibt, die ein solches Herrschaftswissen schützen. Was in der Öffentlichkeit als False Flag-Wissen existiert, ist daher historisches, spekulatives oder aber fiktives Wissen. In der Terminologie anglo-amerikanischer Intelligence referiert der „False Flag“-Begriff in der Regel auf die Organisation von „pseudo-gangs“, d. h. auf Agent*innen, die in der Tarnung des politischen Gegners dessen Reihen infiltrieren und aufklären oder durch Aktionen als „agents provocateurs“ dessen politische Ziele diskreditieren. Pseudo-gangs are formations that pose as insurgents in a long-term deception role, to either infiltrate an insurgency or to commit false-flag atrocities intended to sow discord within its ranks and discredit its cause. (Ebd.: 112)
Aufgrund ihrer „inherently covert nature“ sei „firm evidence of pseudo-gang activity […] hard to aquire“, meint Hughes, führt aber einige historische Beispiele des russischen KGB aus dem Afghanistankrieg in den 1980-Jahren an, ebenso wie Beispiele der rhodesischen Armee zwischen 1973 und 1979 (ebd.). Nach McGovern (2018: 44 f.) sind weitere Beispiele über False Flag-Terror im Rahmen von „counter-insurgency“-Maßnahmen des Britischen Militärs in Kenya und in Palästina bekannt. 2014 enthüllt der Journalist Glenn Greenwald Dokumente einer Schulung von Cyber-Agent*innen durch das britische GCHG, in dem u. a. False Flag-Attacken erwähnt werden (vgl. Kap. 7.1). Weil der Kosten-Nutzen-Wert von False Flag-Aktionen, vor allem vor dem Risiko ihres Bekanntwerdens, gering und ihre Anwendung „ethically abhorrent“ sei (Hughes 2012: 112), gelten sie zumindest im wissenschaftlich-öffentlichen Intelligence-Diskurs als verpönt. Das False Flag-Wissen ist daher zugleich diskreditierbares Wissen, das schon als geäußerter Verdacht, aber mehr noch nach Bekanntwerden einer tatsächlichen „countergang“-Operation, die Reputation der Verantwortlichen unterminiere (ebd.: 107). FALSE FLAG ALS „VERSCHWÖRUNGSTHEORIE“
Gegenwärtig ist das Wissen der False Flag, respektive „Operation Northwoods“ ein „Hintergrundwissen“ (Anton 2011) vieler „Verschwörungstheorien“. Es kontextualisiert verschwörungstheoretische Deutungsmuster, indem es den Täuschungsrahmen aktiviert. Wo „ordinary men and women“ (Mills 2000 [1959]: 3 f.) nur einen Terroranschlag sehen, da sehen „Verschwörungstheoretiker“ eine potentielle False Flag-Attacke. Weil der moderne Terrorismus von Bildpolitik und Dramaturgie lebt, sieht der False Flag-Verschwörungsverdacht nicht nur eine Inszenierung, sondern eine doppelte Rahmung, eine ‚falsche‘ Inszenierung.
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„Verschwörungstheoretiker“ meinen über den Inszenierungsrahmen hinaus zu sehen, indem sie doppelte Codierung (den double bind) des (False Flag-)Terrors durchschauen. Das Wissen über verdeckte Kriegsführung und die damit verbundenen konkreten operativen Details ist eigentlich Spezialwissen weniger Eingeweihter. Es gibt damit eine Asymmetrie, die solche Operationen erst ermöglicht. Wäre dieses Wissen (als Kontext) und wären die operativen Details (als Text) weiterverbreitet oder gemeinhin bekannt, funktionierten False Flag-Aktionen nicht.
Abbildung 36: Das Wissen der False Flag als Hintergrundwissen des Zwischenfalls im Golf vom Oman: im Kanal von Exomagazin.TV (Kap. 6.8); in einem Video-Kommentar im Kanal von „Kilez More“ (Kap. 6.7) und bei der Linke-Politikerin Sevim Dagdelen (Quelle: eigene Collage/YouTube/Twitter).
In einer Konspirationskultur herrscht dabei ein ständiger Deutungskonflikt darüber, welche Operationen ‚fake‘ und welche ‚real‘ sind. Das postmoderne Wissen, dass im Falle großer gesellschaftspolitischer Ereignisse auch alles ‚ganz anders‘ sein könnte, verdichtet sich im False Flag-Verdacht. Dieser bezieht sich eigentlich auf den Bereich der militärisch-polizeilichen Intelligence, hat sich aber pluralisiert in analoger Weise, wie Sicherheitsdienste und Behörden einer Verwertungs- und Privatisierungslogik unterstehen. So sehen manche Medien in der „dirty campaigning“-Aktion der SPÖ im österreichischen Wahlkampf 2017 eine „False Flag“-Aktion.331 Im Fall des Bundeswehr-Soldaten Franco A. ist in manchen Medien von An-schlagsplänen „unter falscher Flagge“ die Rede.332 Bemerkenswerter Weise sind dies vor allem politisch linke Medien, während rechte zu diesem Fall schweigen und den False Flag-Topos für ihre Ideologie missbrauchen (Kap. 6.3). FALSE FLAG ALS POLITISCHES WISSEN
Im leitmedialen und auch im wissenschaftlichen Diskurs ist der False Flag-Topos, aufgrund seiner Assoziation mit „Verschwörungstheorien“ in der Regel aber nicht anschlussfähig. Die ‚Oberfläche‘, der „Mainstream“ und die politische Orthodoxie
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dieser Kultur nihiliert, banalisiert oder ächtet das Wissen der „False Flag“, während es in der Aufmerksamkeitsökonomie der alternativen Medien ernst genommen, ausgereizt und reproduziert wird. Und dieser alternative Diskurs wiederum wird durch politische Propaganda instrumentalisiert. In einem Video-Beitrag vom 1. August 2012 sendet das Format „The Truthseeker“ im Sender Russia Today einen Film mit dem Titel „9/11 und Operation Gladio“.333 In der knapp 15-minütigen Sendung werden der Schrecken der „Gladio“-Zeit und die Terroranschläge von 9/11 in Beziehung zueinander gesetzt. In schnell abwechselnden Bild- und Textmontagen, die sich auf historische Fakten und auf konspirologische Spekulationen beziehen, wird der Eindruck erweckt, die Anschläge vom 11. September 2011 müssen eine Operation unter falscher Flagge gewesen sein. Die Verbindung historischer Tatsachen, die mit Quellenangaben angezeigt werden, und das Aufgreifen von Themen und Aussagen aus der 9/11-„Wahrheitsbewegung“ macht den „False Flag“-Terror für die Zuschauer*innen real. So werden etwa Auszüge aus einem Interview, das Russia Today mit Daniele Ganser geführt hat, in den Beitrag geschnitten und mit der Bauchbinde „‚False Flag Terrorism‘ is being used to move people ‚like sheep‘“ versehen. Bilder von WTC 7 werden gezeigt. Die offizielle 9/11-Version wird kurz abgehandelt, die Stimmen ihrer Kritiker*innen in schneller Abfolge hintereinander geschnitten. Am Ende wird der Bezug zum – damals beginnenden – Syrienkonflikt hergestellt: „the latest war in the post 9/11 era“. Der Russia Today-Beitrag nutzt die Memes der alternativen Konspirationskultur – 9/11, Wahrheitssuche, False Flag – und verbreitet damit geschickte Propaganda gegen die US-Politik. Die Montagetechniken sollen das ‚falsche‘ Spiel aufklären, indem die ‚richtigen‘ Bilder in den ‚richtigen‘ Kontext gerückt werden. Die kinematische Programmierung „9/11 = Osama bin Laden“ wird ersetzt durch „9/11 = False Flag“. Das Bildgedächtnis wird in solchen Beiträgen durch zigfache Wiederholungen ‚umprogrammiert‘. Das Fernsehbild wird durch das YouTube-Bild überlagert. Und dem Publikum wird das Denken abgenommen. Es geht allein darum – in sehr kurzen Assoziationsketten – zu zeigen, dass 9/11 eine Operation unter falscher Flagge, ein „inside job“ war. Alternative Medienkanäle kopieren diesen Beitrag auf der Plattform und unterlegen ihn mit Titeln wie „BREAKING! Russia Today: 9/11 was a False Flag Attack“, die als Clickbait fungieren und den Kontext explizieren, den der Beitrag von Russia Today lediglich suggeriert.334
5.3 Das Wissen der False Flag
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Abbildung 37: Russia Today „The Truth Seeker“: Ausschnitte aus der Sendung „9/11 and Operation Gladio“. Einsturz von WTC-7 neben dem Video mit einer kontrollierten Sprengung (o. r.). Daniele Ganser im Interview mit Daniel Bushell (u. r.) (Quelle: eigene Collage/YouTube/Disclosure TV).
DIE POPULARISIERUNG DER FALSE FLAG
Abgesehen von solchen politisch-ideologisch motivierten mehr oder weniger professionellen Beiträgen, produziert die deutschsprachige Wahrheitsbewegung in ihrer fortgeschrittenen Phase eigene Beiträge zum False Flag-Terrorismus (vgl. Kap. 6.1.2). Frank Höfer von NuoViso.tv bringt 2007 den Film „Unter falscher Flagge“ heraus. Auch hier geht es um verdeckten Terrorismus, „Operation Northwoods“ und die Terroranschläge von 9/11. Als Hintergrund dienen längere Interviews, die das Publikum zum Nachdenken bringen. Auf der Webseite von Alexander Benesch, dem Webportal Infokrieg.tv interviewt dieser 2009 als eines der ersten deutschen alternativen Medienportale Daniele Ganser. Auch dabei geht es um „False Flag“-Terrorismus.335 2007 und 2009 bringt die alternative Rap-Band „Die Bandbreite“ (vgl. Kap. 6.7) zwei Songs zum Thema inszenierter und False Flag-Terror heraus. Das Wissen der False Flag beschränkt sich in dieser Phase wesentlich auf die alternativen Medien. Im populären alternativen Diskurs fungiert „False Flag“ längst als ein Meme, das Assoziationsketten mit Elementen wie „9/11“, „Gladio“, „Strategie der Spannung“ triggert. Der False Flag-Topos füllt damit eine Lücke in der Gesellschaft des integrierten Spektakels: Einerseits gibt es eine lange Historie tiefenpolitischer Ereignisse von JFK über 9/11 bis zum NSU, Verschwörungen ersten und/oder zweiten Grades, deren offizielle Narrative so „offensichtlich“ falsch sind, dass sie nach Erklärungen und ‚Wahrheit‘ verlangen. Andererseits gibt es da die Bagatellisierung und Stigmatisierung von und den gesellschaftspolitischen Kampf gegen „Verschwörungstheorien“. Dazwischen
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5 Verschwörungen im Deutungskonflikt
existiert nichts. Schweigen. Ein kulturelles Sinndefizit. Hier füllt der False FlagTopos eine Lücke. Er erfüllt verschwörungstheoretische Deutungsmuster mit Sinn, die sich auf tiefenpolitische Ereignisse beziehen. Und er ergibt in diesem Rahmen mehr Sinn als das Schweigen oder die Narrative offizieller Institutionen. Wie bekannt der False Flag-Topos bzw. die Strategie der Spannung im alternativen Diskurs heute ist, zeigt ein Beitrag des KenFM- Formats „TREE.TV“ (vgl. Kap. 6.4), in dem es eigentlich um ganz andere Themen als Terror und verdeckte Kriegsführung geht. Ken Jebsen spricht hier mit einem Mediziner und Unternehmer über dessen Werdegang, über die Themen Frieden und Gesundheit und über Rudolf Diesel. An einer Stelle im Gespräch aber erwähnt der Gast den 9/11-Terror als ein Ereignis, das ihn stutzig gemacht habe: ((…)) ja und dann kam natürlich auch noch der 11. September […] und da muss man einfach als Naturwissenschaftler sagen, wenn man sich das einmal unvoreingenommen ansieht, ja ((lacht)), äh, dann weiß man halt, was Anschläge unter falscher Flagge sind ((schmunzelt)) ((…))336
Ken Jebsen will daraufhin „dieses Thema gar nicht weiter ausführen“, erwähnt aber, dass es ja kein Interesse gegeben habe, die Ereignisse aufzuklären, verweist auf „WTC 7“ und meint: „das gehört […] bei vielen Leuten […] zum Aufwachprozess.“337 An dieser Sequenz zeigt sich die semantische Identität von „9/11“ und „False Flag“, die für den alternativen Diskurs typisch ist. Die Terroranschläge von 2001 sind dasjenige Ereignis, das die Wahrnehmungsmatrix seiner Subjekte enttäuscht hat. False Flag-Terrorismus ist jenes Hintergrundwissen, das dieses Weltbild wieder ordnet. Der False Flag-Topos ist populär. Er ist ein wichtiger Topos dieses Diskurses, er ist ein talking point. Und er ist auch Anti-Establishment. Er ist, wie der anti-kapitalistische „Mahnwachen“-Aktivist Pedram Shahyar sagt, nicht einfach links-alternativ, sondern er sprenge sogar die Orthodoxie des linken „Mainstreams“ – und gerade das macht ihn so reizvoll. Das Wissen der False Flag ist wie die „Wahrheitsbewegung“ eigentlich sein wollte, bevor sie politisch gespalten wurde: „weder rechts noch links“, sondern herrschafts- und systemkritisch: False Flag-Aktionen, Verschwörungen […] im Mainstream-Wissen geht man überhaupt nicht darauf ein […] aber ich glaub auch, dass [der] linke Mainstream [dafür] ein bisschen blind ist, wie solche Verschwörungen eigentlich zur Alltagspraxis des imperialen Systems gehören.338
Daniele Ganser erwähnt False Flag-Terror in seinem Buch über die „NATO Geheimarmeen“ (2008 [2005]) im Zusammenhang mit der „Strategie der Spannung“ an mehreren Stellen.339 Gleichzeitig beschäftigt er sich kritisch mit 9/11. Damit wird er bis zu seiner Stigmatisierung im wissenschaftlichen und journalistischen Mainstream-Diskurs zum Multiplikator sowohl des Wissens der False Flag als auch der Assoziation von False Flag-Terror und 9/11. Gansers Delegitimierung als „Verschwörungstheoretiker“ ab 2006 (Kap. 5.4.1) macht ihn im alternativen Diskurs zu einem noch größeren Star. Erst im Diskurs über die
5.3 Das Wissen der False Flag
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Montagsmahnwachen ab Anfang 2014 und dann nochmals 2016 in der ‚GutjahrAffäre‘ beginnt dieses Wissen auch im leitmedialen Diskurs eine erweiterte Aufmerksamkeit zu erregen. Doch nicht als ernstzunehmendes Wissen, sondern im diskreditierten Kontext von „Verschwörungstheorien“. Innerhalb des alternativen Diskurses wird das Maidan-Massaker vom 21. November 2013 als verdecktes Event gesehen, bei dem Scharfschützen sowohl die Polizei wie auch Demonstrant*innen erschossen. Zu diesem Schluss kommt der Forscher Ivan Katchanovski, der eine politikwissenschaftliche Analyse über den Euromaidan durchführte. Katchanovski ist sich sicher, der Euromaidan sei eine „False Flag“-Operation mit dem Ziel des Regime Change gewesen. Im „Mainstream“-Diskurs finde er mit seinen Erkenntnissen jedoch kein Gehör, sagt er. Deshalb gibt er unter anderem dem „Grenzgänger“-Medium340 Rubikon ein Interview: Im Gegensatz zu vielen Interviews und Veröffentlichungen in amerikanischen und kanadischen Medien über meine Forschung zu anderen Themen wird über meine Forschung zum Maidan-Massaker nicht berichtet, obwohl meine Untersuchungen auf den wichtigsten wissenschaftlichen Konferenzen dieses Umfeldes präsentiert und von einem führenden wissenschaftlichen Verlag veröffentlicht wurden.341
Ähnlich, nur zeitlich dem deutschsprachigen Diskurs voraus, verläuft die Entwicklung im englischsprachigen Raum. Auch hier wird erst seit wenigen Jahren über den False Flag-Topos verstärkt berichtet. Und auch hier wird er wesentlich mit „Verschwörungstheorien“ in Verbindung gebracht. Als der bekannte WebseitenHost Alex Jones über Jahre hinweg die These aufstellt, beim „Sandy Hook“-Massaker handelte es sich um eine inszenierte Aktion mit Schauspieler*innen („crisis actors“), statt um ein reales Attentat, kommt der mediale Mainstream auch um die Thematisierung des False Flag-Themas nicht herum. Für Jones, der damit teilweise Opfer-Familien beleidigte und verklagt wurde, führte das vor allem zu heftiger Kritik im medialen Mainstream. So heißt es im Guardian am 21. Februar 2018, in der „conspiracy culture“ sei das False Flag-Konzept bereits fest verankert und solche „code words“ wie z. B. „crisis actors“ – Schauspieler*innen, die bei einer Krisen- bzw. Terrorübung („terror drill“) mitmachen – bei Terroranschlägen oder Amokläufen, wie sie in letzter Zeit häufig kursierten, unterstützten und verstärkten die Reproduktion dieses verschwörungstheoretischen Deutungsmusters: The „crisis actor“ concept augments the „false flag“ idea. It offers an alternative narrative for incidents of mass violence: that government agencies or other powerful actors stage shootings, and then employ actors to play victims, witnesses, and bystanders.342
Mit der Prägung und Durchsetzung des False Flag-Begriffs im alternativen Sprachgebrauch ist eine Denk- und Ausdrucksform gegeben, die es erlaubt, elusive Informationen und Wissensfragmente, z. B. über tiefenpolitische Ereignisse, in einen erweiterten Sinnzusammenhang zu stellen. Erst wo diese Möglichkeit überhaupt gegeben ist, kann sich ein kohärentes Deutungsmuster ausprägen. Das
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Wissen der False Flag stellt ein abstraktes und verallgemeinertes Hintergrundwissen dar, das die (Re-)Produktion von verschwörungstheoretischen Deutungsmustern unterstützt. Ähnlich wie die Begriffe „Elite“ oder „Tiefer Staat“ ist „False Flag“ gleichsam ein Topos der alternativen Konspirationskultur, der es erlaubt, gesellschaftliche Phänomene oder Ereignisse unter diesem Deutungsmuster zu subsumieren und kommunikativ an alternative Diskurse anschlussfähig zu machen. Die memetische Reproduktion dieses und ähnlicher Topoi im alternativen Populärdiskurs, d. h. vor allem auch seine visuelle Kommunikation, führt schließlich zu einer Vereinfachung und Popularisierung, welche die analytische Schärfe und Definitionskraft von „False Flag“ schwächt (Fleck 2012 [1935]: 143 ff.). Im Truthrap von „Die Bandbreite“ und „Kilez More“ (Kap. 6.7) wird das Wissen der False Flag popularisiert. So produziert „Die Bandbreite“ 2009 einen Track mit dem Titel „Unter falscher Flagge“. In dem trashigen Video werden die Ereignisse des 11. September 2001, der Reichstagsbrand sowie andere Terroranschläge als „Attacke[n] unter falscher Flagge“ präsentiert, es werden auch Widersprüche der Ereignisabläufe aufgezählt. Auf YouTube zählt der Track mittlerweile über 280.000 Klicks.343 In dem Track „Leben und Tod des Imperialismus“ (2015) von „Kilez More“ werden Attentate, Geopolitik und (Staats-)Terrorismus der NATO und ihrer politischen Eliten kritisiert und als Lügen entlarvt.344 Der YouTube-Track hat über 444.000 Aufrufe. Wie für den Truthrap typisch, wird in dem 12-MinutenTrack als „Verschwörungstheorien“ diskreditierendes Wissen über das ‚Imperium USA‘ und NATO-Geopolitik nicht nur künstlerisch verarbeitet, sondern es wird gleichsam die eigene dissidente Identität mit konstruiert: […] Verfolgen wir die Blutspuren in Asien weiter Wo es drei Millionen tote Vietnamesen gab Man nach 'ner False Flag Attacke ins Geschehen eintrat Monsanto und auch die Bayer AG war'n am Start Agent Orange setzt ein Zeichen – Hegemonial Millionen vernichtet, missgebildet Die Chemie hat ganze Generationen vergiftet [...]345
Schon der erste und wohl bekannteste Track der „Bandbreite“, der die Band im Diskurs der deutschsprachigen Wahrheitsbewegung fest verankert hat, „Selbst gemacht“ aus dem Jahr 2007, verarbeitet das Motiv der False Flag in Bezug auf die Terroranschläge des 11. September 2001346: Ihr wolltet damals über Cuba ein Flugzeug sprengen und dann Fidel Castro diesen Coup anhängen. Ich denke dann an den Golf von Tonkin in Vietnam. Damals habt ihr behauptet man griffe euch an.347
Mit einer Anspielung auf historische Fälle und geheime Dokumente über potentielle False Flag-Events wie das Ereignis am Golf von Tonkin oder die bereits
5.3 Das Wissen der False Flag
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erwähnte „Operation Northwoods“ rahmen die Rapper die Terroranschläge von 9/11 und fragen rhetorisch im Refrain: Habt ihr dat vielleicht selbst gemacht? Den Terror selber in die Welt gebracht? Ja, ihr hattet doch damals diesen Think Tank. Isset drin, datt ihr da an dieses Ding denkt? Habt ihr dat vielleicht selbst gemacht? Habt ihr dabei an dat Geld gedacht? Habt ihr dafür die eigenen Leute getötet, weil ihr dat Öl da drüben so dringend benötigt?
Viele Anspielungen, wie die auf den „Think Tank“ – damit ist das „Project for a New American Century“ gemeint –, und weitere Details zum Ereignishergang von 9/11 („Warum strebte dat Hochhaus dann im freien Fall zu Boden?“ oder „in Krankenhäusern Babys aus den Brutkästen traten“) sind nur decodierbar bei bereits bestehendem politischen Hintergrundwissen über den 11. September 2001 und dessen geopolitische Zusammenhänge. Mit über 700.000 Klicks erreicht dieser Track eine Menge von Fans und Zuhörer*innen. 5.4 „Verschwörungstheoretiker“: eine Sozialfigur THE AIM […] IS TO PROVIDE MATERIAL COUNTERING AND DISCREDITING THE CLAIMS OF THE CONSPIRACY THEORISTS, SO AS TO INHIBIT THE CIRCULATION OF SUCH CLAIMS IN OTHER COUNTRIES. (CIA DOCUMENT #1035–960, 1967348)
Dem „Verschwörungstheoretiker“ wird in der Gegenwartskultur vieles zugeschrieben. Die Zuschreibungen unterscheiden sich je nach Diskurs und Kontext. Im leitmedialen und politischen Diskurs gilt er als verrückt, gefährlich, bisweilen als lächerlich, selten als ernstzunehmender Gesprächspartner, mit dem rational gesprochen werden kann. Er ist männlich und ein sozialer Anderer. Vertreter*innen bestimmter Verschwörungsdeutungen bezeichnen sich eher nicht als „Verschwörungstheoretiker“. In der Selbstdeutung sind sie die Wachen, Sehenden oder, wie auch Psiram (vgl. Kap. 5.5) weiß: „Aufklärer“349 – also das genaue Gegenteil der Fremdzuschreibungen derer, die sie beobachten. Die Selbst- und Fremddeutung geht in diesem Fall weit auseinander. Und doch gibt es Schnittflächen und Wechselwirkungen zwischen diesen Diskursen der Fremdzuschreibung und den Deutungsmustern, die mit konspirologischen Subjektivierungspraktiken von „Verschwörungstheorien“ verknüpft sind. Sowohl die interaktive und strategische Konstruktion von Verschwörungen (Kap. 4.1.2), die kommunikative Konstruktion von Verschwörungsdeutungen wie auch die negative Konstruktion von „Verschwörungstheorien“ (Kap. 5.5) finden im paranoiden Rahmen einer gegenseitigen misstrauischen Beobachtung und Zuschreibung statt. Diese wird von jeweils unterschiedlichen sozialen und politischen Positionen aus durchgeführt. Ebenso wie mutmaßliche Verschwörer*innen sozial soziale Andere sind, sind es auch
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„Verschwörungstheoretiker.“ Insofern sind auch alternative und hegemoniale Problem- und Gefahrendiskurse unter jeweils umgekehrtem Vorzeichen miteinander verschränkt: Hier sind das Problem die verrückten „Verschwörungstheoretiker“, dort mächtige „Eliten“, „Mainstream-Medien“ oder „Geheimdienste“. Die in diesen Deutungsmustern artikulierte Diskreditierung ist aber nicht inhaltlich festgeschrieben. Sie reproduziert sich in kommunikativen Handlungen, die stets neu aktualisiert werden müssen und sich interaktional vollziehen. Das Stigma Verschwörung(stheorie) wird damit zu einer gemeinsamen geteilten, d. h. sozialen Wirklichkeit. Die Aussage, dass etwas „Verschwörungstheorie“ oder jemand „Verschwörungstheoretiker“ sei, stellt diese soziale Tatsache nicht weniger her, als sie diese beschreibt. Die Performanz, die mit Machtbeziehungen und kommunikativer Gewalt verbunden ist, ist im Diskurs um „Verschwörungstheorien“ gut aufzeigbar (Schink 2020b; Dunst 2014). Daher sind die Assoziationen zwischen „Terroristen“ und „Verschwörungstheoretikern“, wie sie durch G. W. Bush und das Weiße Haus proklamiert wurden350, oder die Satire-Auszeichnung mit dem „Goldenen Aluhut“ für „die absurdesten Verschwörungstheorien“351 – um Foucault zu paraphrasieren –, kommunikative Konstruktionen, die gleichsam jene Realitäten herstellen, von denen sie sprechen, indem sie eben so über sie sprechen, wie sie über sie sprechen. SOZIALFIGUREN
Insofern wir in einer „Kommunikationskultur“ (Knoblauch 1995) leben, die dadurch gekennzeichnet ist, dass „Kommunikation eine immer bedeutendere Rolle im Vergleich zu anderen Handlungsformen“ spielt (ebd. 2001: 208), werden auch Sozialfiguren, an denen sich gesellschaftliche Kommunikation orientiert, immer bedeutender. Diese „Sozialfiguren sind zeitgebundene historische Gestalten, anhand deren ein spezifischer Blick auf die Gegenwartsgesellschaft geworfen werden kann.“ (Moebius/Schroer 2010: 8). Sie sind nicht zu verwechseln mit Berufen oder sozialen Rollen, sondern dadurch gekennzeichnet, dass sie die verschiedenen Sphären übergreifen. Für sie ist typisch, dass sie zwar aus verschiedenen Feldern stammen, ihre Tätigkeiten sich aber mehr oder weniger verselbstständigen: Beraten, managen, spekulieren – das sind Tätigkeiten, die zu Praktiken geworden sind, die ihr angestammtes Feld längst verlassen haben, um durch die gesamte Gesellschaft zu vagabundieren. (Ebd.)
Gerade im Zeitalter der Massenmedien bzw. der „fortgeschrittenen Medienkulturen“ (Hahn 2009), in welchem Kommunikation durch Entgrenzung, durch Überzeichnung und Klischeebildung charakterisiert ist, dienen Sozialfiguren wie z. B. der „Fan“, der „Terrorist“, der „Manager“, der „Medienintellektuelle“ oder die „Diva“ als Ankerpunkte der Kommunikation. Den unter diese ‚Typen‘ subsumierten Individuen sprechen wir bestimmte Merkmale und Eigenschaften zu. Diese wirken, subjektivierend, auf die dadurch Angesprochenen zurück. So sei es etwa
5.4 „Verschwörungstheoretiker“: eine Sozialfigur
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für den „Manager“ bezeichnend, dass er nicht als „Intellektueller auf dem Markt der Meinungen unterwegs [...], sondern als Karrierist auf dem Markt der Stellen“ (Baecker 2010: 261) unterwegs sei. Oder der „Medienintellektuelle“: Für ihn stehe „[w]eniger die universelle Wahrheit […] im Mittelpunkt“ seiner Beiträge, sondern vielmehr die „Rolle als ‚Störfaktor‘“, in der er sich bewusst von der Herrschaft fernhält, aber sich gleichzeitig deutlich durch sein kulturelles Kapital und „gezielte Selbstinszenierung“ (Moebius 2010: 280 f.) vom Pöbel oder von Populisten abzugrenzen weiß. Dies sind Beispiele dafür, wie Sozialfiguren funktionieren und wie ihnen typische Eigenschaften kulturell zugeschrieben werden, von denen wir gleichsam implizit oder explizit wissen, wenn wir mit diesen Figuren vertraut sind. Zugleich sind diese Eigenschaften aber flüssig: Sie können sich im Verlauf der Kulturgeschichte wandeln. Darüber hinaus werden sie – und das ist für uns besonders wichtig – auch in verschiedenen kulturellen Kontexten unterschiedlich gedeutet bzw. es werden möglicherweise andere Eigenschaften einer Sozialfigur hervorgehoben, je nachdem, in welchem Kontext über sie kommuniziert wird. Es ist dabei bedeutend, zu erwähnen, dass Sozialfiguren in erster Linie nicht auf Selbstzuschreibungen basieren. Vielmehr bezeichnet man dadurch soziale Andere, man labelt sie und schreibt ihnen dadurch bestimmte Eigenschaften und Charakteristika zu, die mit den sozialen Praktiken zu tun haben, durch die Individuen zu Subjekten dieser Figuren werden. Der „Terrorist“ beispielsweise, oder auch der „Fundamentalist“ würden sich eher selten auch als solche bezeichnen, sich vielleicht ‚gläubig‘ nennen oder als Freiheitskämpfer betrachten – aber sie machen sich mit zu diesen Sozialfiguren, indem sie tun, was sie tun und wie sie es tun und in diesem Tun von sozialen Anderen gedeutet werden. Auch der „Hacker“ z. B. muss von anderen (Hackern) als solcher anerkannt und identifiziert werden, um ein ‚echter‘ Hacker im Sinne des sozialen Typs zu sein (Funken 2010). Zugleich gibt es ein gesellschaftliches Wissen um den Status der Praktiken, die mit bestimmten Sozialfiguren verbunden sind und das uns implizit oder explizit motiviert und Vorbild ist, an dem wir unser Handeln ausrichten oder von dem wir es abgrenzen können. Die Handlungsanleitungen und Emotionsvorgaben, die mit der Konstruktion von Sozialfiguren verbunden sind, sind nicht beliebig und verbunden mit Subjektivierungspraktiken, die für diese oder jene Sozialfigur typisch und Teil unseres Wissensvorrats sind. Als „Diva“, „Künstler“ oder „Hacker“ gesehen zu werden, kann Ansporn sein, um bestimmte Dinge (auf eine bestimmte Weise) zu tun und andere zu unterlassen. Andersherum kann es abstoßend wirken, sich mit Wissen zu beschäftigen, das als „Verschwörungstheorie“ gelabelt ist, da man sonst „Verschwörungstheoretiker“ wäre. CHARAKTERISTIKA
Wenn der „Verschwörungstheoretiker“ im Folgenden als eine Sozialfigur vorgestellt wird, dann geht es darum, zu fragen, wie diese Figur gesellschaftlich
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5 Verschwörungen im Deutungskonflikt
beschrieben und konstruiert wird. Diese Konstruktion, das „Verschwörungstheorie“-Machen, ist ein Zusammenspiel verschiedener Medien und Akteur*innen, die Diskursensembles bilden, indem sie sich bestimmten Regeln und Ritualen unterwerfen, die sie dadurch reproduzieren. Dass sich mit dem „Verschwörungstheoretiker“ eine Sozialfigur herausgebildet hat, die über spezifische Felder hinaus ‚bekannt‘ ist, zeigt sich etwa an den Diskursen über US-Präsident Donald Trump, den Historiker Daniele Ganser, den R‘n‘B- und Soulsänger Xavier Naidoo oder zuletzt auch über den Wikileaks Gründer Julian Assange, die alle gleichsam massenmedial als „Verschwörungstheoretiker“ bezeichnet wurden, wobei sie dadurch performativ derselben (imaginären) Gruppe zugeordnet werden, die mit diesem Typus assoziiert ist. So ist der „Verschwörungstheoretiker“ im Gegenwartsdiskurs typischerweise männlich und weiß. Er sagt etwas, das offiziell nicht akzeptiert und damit politisch bzw. moralisch diskreditiert und stigmatisiert ist. Er weist heute Schnittmengen zur Figur des „Angry White Man“ (Kimmel 2016 [2013]) auf. Insofern niemals alle typischen Merkmale mit den bezeichneten Individuen zusammenpassen, ist die Sozialfigur einerseits niemals ‚fertig‘, sondern ‚durchlässsig‘, andererseits auch stets ein imaginärer Idealtypus. Eine weitere Wesenseigenschaft, die dem „Verschwörungstheoretiker“ zugeschrieben wird, ist paranoides Denken. Dessen zentrale Merkmale sind Angst, Misstrauen und Verdächtigung. Laut Jaworski (2001: 27) gibt er sich „als Anwalt einer hinters Licht geführten Öffentlichkeit“ aus. Diese Position macht ihn, was auch oft über ihn zu hören ist, immun gegenüber Kritik (vgl. Kap. 5.5.4). Er hat es mit der Übermacht einer „Verschwörung“ zu tun, gegen deren Lügen und Täuschungen er standhaft bleiben muss. Fiktion und Fakt entgrenzen bei Sozialfiguren. So wurde etwa der Anwalt Jim Garrison, der im Kennedy-Fall beharrlich die These einer Verschwörung verfolgte, als „Verschwörungstheoretiker“ bezeichnet. Durch Spielfilme wie Oliver Stones „JFK“ (1991), in dem die Figur Garrisons und der Verschwörungsplot überzeichnet werden, wirkt dies zurück auf die subjektive Realität der „Verschwörungstheoretiker“. Reale ‚Anwälte der Öffentlichkeit‘ wie etwa der investigative Journalist und Filmemacher Allan Francovich, der stolz darauf war, „Verschwörungstheoretiker“ zu sein352 oder der Künstler Mark Lombardi, dessen Obsession das Sammeln und Aufbereiten von Fakten über Korruption und Regierungskomplotte war, was das FBI auf den Plan rief353 – beide ereilte das tragisch-fiktive Schicksal eines Todes unter mysteriösen Umständen – werden damit selbst zu jenen ‚Kunstfiguren‘, von denen sie oft beeinflusst sind. Dies wiederum rückt die vermeintlichen „Verschwörungstheorien“, mit denen sich Francovich oder Lombardi befassten, in den Rang realer Komplotte und Verschwörungen. Das gleiche gilt für die Geschichte des Hackers und „Verschwörungstheoretikers“ Karl Koch, dem der Thriller „23“ (1998) gewidmet ist. Ihre mysteriösen Todesumstände bezeugen in diesem Sinne, was ihnen zu Lebzeiten als Paranoia angelastet wurde, als eine Wirklichkeit, die durch jene Entgrenzung von Fakt und Fiktion charakterisiert ist, die
5.4 „Verschwörungstheoretiker“: eine Sozialfigur
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Unsicherheit, Angst und Misstrauen erzeugt. In der Gegenwartskultur ist die Figur des „Verschwörungstheoretikers“ assoziiert mit dem Medium Internet. Dieses gilt, wie gezeigt wurde, als das irrationale Andere der orthodoxen Politik und des professionellen Journalismus, ist assoziiert mit „Fake News“ oder „Hate Speech“. Somit kämpft der „Verschwörungstheoretiker“ aus der Sicht eines medienpolitischen Establishments für eine falsche Sache, weil sein Wissen falsch ist (Butter 2018) und weil er aus dessen Perspektive die orthodoxe Gruppenmoral oder die Werte einer „liberalen Demokratie“ (Frank-Walter Steinmeier) hintergeht. Der „Verschwörungstheoretiker“ ist aus der Sicht der Orthodoxie, wie etwa Mathias Bröckers, ein „Paria“354, ein Unberührbarer. Ein notorischer Einzelgänger. Die Stigmatisierung als „Verschwörungstheoretiker“ ist eine Sozialtechnik, um ihn zu isolieren, auf Distanz zu halten (Bratich 2004). Zugleich kann er das Stigma als symbolisches Kapital nutzen. Denn das Stigma-Wissen ist gesellschaftliches Wissen.
Abbildung 38: (Selbst-)Stigmatisierung oder humoristische Aneignung? Owe Schattauer aka „CREBELL-UM“ und Stephan Bartunek von der Gruppe42 (Quelle: YouTube/Gruppe42).
Wenn man sich mit „Verschwörungstheorien“ beschäftigt, meint Bröckers, würde man als „unseriös und als schmutzig […], irgendwie unsauber dargestellt“. 355 Die Unreinheit und Unberührbarkeit des Gegenstands, mit dem man sich befasst, geht dann über auf den*die Be-Fasser – er*sie wird selbst, wie Bröckers es im Gespräch mit dem Autor nennt, zum „Paria“, zum Ausgeschlossenen und Kastenlosen – zum „Verschwörungstheoretiker“. Die schmutzigen Angelegenheiten, mit denen sich der „Verschwörungstheoretiker“ beschäftigt, färben im Zweifelsfall ab. Seine Tätigkeit, das Verschwörungsdenken, kann im besten Fall amüsant sein. Oftmals ist sie jedoch mit Gefahr verbunden – Gefahr für ihn selbst, Gefahr für seine Feind-
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5 Verschwörungen im Deutungskonflikt
*innen und für seine Freund*innen. Die Fremdzuschreibung wiederum bleibt praktisch also nicht folgenlos. Die Ausgrenzung als „Paria“ oder „Systemfeind“356 wirkt sich auf die Subjektivierung der so identifizierten Individuen aus, die sich aktiv zu diesem Etikett verhalten (müssen). So können mit der Ausgrenzung und ihrem Wissen z. B. Emotionen von Enttäuschung, Wut oder Angst verbunden sein. Mit dem Blick auf „Sozialfiguren der Gegenwart“ soll ein „Blick auf die vielfältigen Möglichkeiten der Fremd- und Selbstbeschreibung sowie auf Identifizierungsschemata“ gerichtet werden, „mit denen man sich heute als Subjekt modellieren und ausdrücken kann; (Ideal-)Typen, die in ihrer Gesamtheit das Soziale ordnen. Dabei werden auch die typischen Praktiken, durch die eine Sozialfigur erst ihre spezifischen Charakteristika erfährt, analysiert.“ (Moebius/Schroer 2010: 8 f.)
Von daher muss immer die Ko-Konstruktion dieser Sozialfigur durch die diskursive Fremdzuschreibung einerseits sowie ihre Selbst-Reproduktion durch typische konspirologische Praktiken, durch die für sie spezifische Form des Verschwörungsdenkens, andererseits berücksichtigt werden. Für die Sozialfigur des „Verschwörungstheoretikers“ ist dabei sowohl die vollkommene Ablehnung des Labelings durch die so Bezeichneten – die dadurch zu Stigmatisierten werden –, als auch damit einhergehend ein starkes Auseinanderklaffen zwischen Fremd- und Selbstdeutung typisch. Die Fremd-Stigmatisierung führt im Falle des „Verschwörungstheoretikers“ in vielen Fällen zu einer krassen Selbst-Stigmatisierung (vgl. Lipp 1985: 100). Gerade dass er*sie als „Verschwörungstheoretiker“ ausgegrenzt, diskreditiert und stigmatisiert wird, erlebt er*sie als eine weitere Bestätigung seiner*ihrer (verschwörungstheoretischen) Deutungsmuster. Mit dem Zeitalter digitaler Medien wird hierbei die Adressierung des Publikums – als dritter Instanz – relevant. Das Wissen bzw. die „meta awareness“ (Bratich 2008), dass „Verschwörungstheoretiker“ ein politischer Kampfbegriff ist, wird thematisiert, um dadurch symbolisches Kapital und die Legitimität der eigenen (Sprecher*innen-)Position zu begründen. In der 3-Sat-Sendung „Scobel“ zum Thema „Mythos Verschwörung“ (vgl. Kap. 5.2.2) beklagt sich der Sachbuchautor Andreas von Bülow: […] in der öffentlichen Diskussion werden in der Regel diejenigen, die Zweifel daran haben, ob der Staat mit bestimmten Aktivitäten, die sich nicht aufklären lassen […], wenn dann Leute drangehen und versuchen herauszufinden, wie […] könnte eigentlich der objektive Ablauf gewesen sein, wenn dann der Staat ertappt wird dabei, dann [schießt] er mit seinen publizistischen Kanonen auf diejenigen, die dahinter kommen und sagt: „Ihr seid Verschwörungstheoretiker“.357
Das passiere ihm und dem zweiten geladenen Gast, Daniele Ganser, „am laufenden Band“, so Bülow: „das Zusammenschmeißen von allen möglichen obskuren Elementen […]“ zum Gesamt- und Feindbild des „Verschwörungstheoretikers“. Dabei versuchten er und Ganser nur „herauszufinden […], was […] wirklich zum Beispiel am 11.9. passiert“ sei. Andreas von Bülow ist promovierter Jurist, ehemaliger SPD-Forschungsminister und war von 1969 bis 1994 Mitglied in der parlamentarischen Kontrollkommission der Nachrichtendienste im Bundestag tätig.
5.4 „Verschwörungstheoretiker“: eine Sozialfigur
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Er hat ein Buch zur verdeckten Kriegsführung „im Namen des Staates“ (1998) und eines über 9/11 und „die Rolle der Geheimdienste“ (2003) verfasst. Seither wird er im „Mainstream“ als „Verschwörungstheoretiker“ bezeichnet. So etwa in der ersten Sendung von Sandra Maischberger am 9. September 2003.358 Auch der Spiegel bezeichnet von Bülow in der September-Ausgabe von 2003, zusammen mit anderen Autoren, unter dem Titel „Panoptikum des Absurden“ als „Verschwörungstheoretiker“, der „Halbwahrheiten“ verbreite. Weiter heißt es in dem SpiegelBeitrag, allesamt seien die Autoren, die die offizielle 9/11-Version angreifen „Phantasten“359. Ein Zeit Online-Artikel vom 11. September 2003 beschreibt die „Verschwörungstheoretiker“, Andreas von Bülow inkludiert, mit den Worten: Was die Verschwörungstheoretiker betreiben, ist im Grunde eine pervertierte Schwundform von Theodizee. Sie machen das Böse erträglich und mildern seine Schockwirkung. Nein, die Welt ist nicht aus den Fugen, alles lässt sich lückenlos erklären! Die Stelle des guten Schöpfergottes, den die Theologen mit dem Bösen zu vereinen suchten, vertritt in dieser pervertierten Theodizee eine gigantische Verschwörung als die treibende Kraft der Geschichte.360
Weiter divergieren könnte die Selbst- und die Fremddeutung fast nicht. Während die einen sich als „Aufklärer“ sehen, als jene, welche die ‚richtigen‘ Fragen stellen und die Dogmen von Autoritäten hinterfragen361, sehen ihre Gegner*innen sie als Verrückte und Gläubige, die „politische Religion“ betreiben, die sich als „Wissenschaft“ „inszeniert“.362
Abbildung 39: Spiegel-Titel (2003): „Verschwörung 11. September. Wie Konspirations-Fanatiker die Wirklichkeit auf den Kopf stellen“. „Konspirations-Fanatiker“ werden als „Phantasten“ bezeichnet, Mathias Bröckers als „Spiritus rector der selbsternannten Alternativaufklärer in Deutschland“ (Quelle: spiegel.de).
Die Gemeinschaft der „Verschwörungstheoretiker“ („conspiracy community“) ist damit eine imaginäre Gemeinschaft, die vor allem durch Fremdzuschreibung und medienpolitische Exklusion konstruiert – und dadurch performativ, als soziale
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Tatsache realisiert wird: In ihrer Ausgrenzung finden sie zusammen. Und medientechnisch hilft ihnen das „Internet“ dabei (Schetsche 2005). Ein eindeutiges Milieu kann dem „Verschwörungstheoretiker“ aber nicht zugeschrieben werden. Wohl aber eine alternative Medienkultur, die sich als „Gegenöffentlichkeit“ etabliert (vgl. Kap. 6). Zwar ist im leitmedialen Diskurs eine Gleichsetzung von „Verschwörungstheorie“, „Internet“ und politischem „Extremismus“ beobachtbar, wobei das Etikett „Verschwörungstheoretiker“ zwischen rechts- und linksextrem im historischen Zeitverlauf changiert (DeHaven-Smith 2013: 129 f.). So werden „Verschwörungstheoretiker“ z. B. in der Zeit im Jahr 2003 als „gewesene Spontis und Anarchos und Randfiguren des rot-grünen Milieus“363 bezeichnet. 15 Jahre später gilt der „Rechtspopulismus“ als mit den „Verschwörungstheoretikern“ verschwistert.364 Im Jahr 2011 hält der Spiegel fest, dass Andreas von Bülow „der bürgerliche Gegenentwurf“ zu Mathias Bröckers sei, der als „zweite[r] große[r] 9/11-Verschwörungstheoretiker in Deutschland“365 bezeichnet wird. Mit Christoph Hörstel oder Daniele Ganser treten einige Jahre verzögert ebenfalls zwei Intellektuelle auf den Plan, bei denen das Etikett als gesellschaftliche „Randfiguren“ deskriptiv versagt, aber gleichsam normativ-performative Kraft im Diskurs entfaltet. Damit schält sich eine (Meta-)Eigenschaft dieser Sozialfigur heraus: die Häresie und die Dissidenz zum medienpolitischen „Mainstream“. Die Aussagen des „Verschwörungstheoretikers“ polarisieren, ent-setzen und ent-täuschen das Umfeld. Der „Verschwörungstheoretiker“ ist demnach ein Grenzverletzer. „Verschwörungstheorien“ sagen uns dem Etikett nach vor allem auch etwas über die Grenzen der sozialen Wirklichkeit (Bratich 2004: 19). Sie irritieren orthodoxe Wissensordnungen. „Verschwörungstheoretiker“ gehen insofern meist ein hohes soziales Risiko ein: Vorausgesetzt, ihre verstörenden Fragen oder Thesen verweisen auf einen Realitätsgehalt, dann gewinnen sie alles. Ansonsten aber spinnen sie: Widersprüche [in den Büchern der Verschwörungstheoretiker, A. S.] lösen sich auf in einem System endloser Querverweise, in dem alles mit allem zusammenhängt und in dem entweder alles stimmen muss – oder gar nichts stimmen kann.366
Und weil es kein Dazwischen gibt, kein sowohl-als-auch, sondern nur entwederoder – hellsichtig oder paranoid –, ist der „Verschwörungstheoretiker“ im Zweifel verrückt. Er wagt sich an Bereiche und stellt Fragen oder Thesen auf, die, in der Sprache der Leitmedien Erregung, Wut und Beleidigung hervorrufen (vgl. ebd.: 123). Die Sprache des Spiegel oder der Zeit gegenüber 9/11-„Verschwörungstheoretikern“ schwankt zwischen emotionalem Ekel, aggressiver Polemik und Zynismus. An diesen Reaktionen auf die Fragen oder Thesen der „Verschwörungstheoretiker“ zeigt sich deutlich eine psychosoziale Abwehrreaktion. Diese verunmöglicht, den Diskurs mit ihnen – auf Augenhöhe – zu führen. Stattdessen werden „Verschwörungstheoretiker“ und „Verschwörungstheorien“ bekämpft (vgl. Kap. 5.5.5). In Leitmedien wird über sie gesprochen, statt mit ihnen. Letzteres birgt stets die Gefahr, dass sie die Öffentlichkeit mit ihren Theorien, ihrem toxischen Wissen,
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‚anstecken‘. Auch ein Vergleich zwischen der Kritik der offiziellen 9/11-Version und Holocaust-Leugnung durch den Spiegel-Redakteur Ullrich Fichter367 zeugt von dieser Angst- und Abwehr-Haltung. Im Folgenden soll ein Fallbeispiel das Stigma des „Verschwörungstheoretikers“ in der Gegenwartskultur verdeutlichen. „DOKTOR AXEL STOLL“368 AXEL STOLL (* 30. OKTOBER 1948 IN BERLIN;[1] † 28. JULI 2014 EBENDA) WAR EIN DEUTSCHER VERSCHWÖRUNGSTHEORETIKER DER RECHTSEXTREM-ESOTERISCHEN SZENE. IN SEINEN WERKEN KOMBINIERTE STOLL ÜBERHOLTE PHYSIKALISCHE AUFFASSUNGEN WIE ETWA ZUM COANDĂEFFEKT MIT PSEUDOWISSENSCHAFTEN UND VERSCHIEDENEN VERSCHWÖRUNGSTHEORIEN VOR ALLEM IM ZUSAMMENHANG MIT DER ZEIT DES NATIONALSOZIALISMUS. BEKANNTHEIT ERLANGTE ER DURCH VERÖFFENTLICHTE AUFZEICHNUNGEN SEINER VORTRÄGE AUF YOUTUBE SOWIE DURCH VERSCHIEDENE INTERVIEWS. (AXEL STOLL, WIKIPEDIA-EINTRAG, 2. MAI 2019369)
Der Umgang mit dem Stigma der Verschwörung und der „Verschwörungstheorie“ nimmt ganz unterschiedliche soziale Formen an. Wie tief nicht nur das Stigma von Gruppen wie Jüd*innen oder den Freimaurern als vermeintliche „Verschwörer“, sondern eben auch die gesellschaftliche Stigmatisierung der „Verschwörungstheoretiker“ diskursiv verfestigt ist, zeigt das Beispiel von Karsten. Ich begegne Karsten im Oktober 2015 auf einer Veranstaltung, auf der „Verschwörungstheorien“ mit Satire und Humor bekämpft werden sollen: „Der Goldene Aluhut“, ein seit 2015 jährlich stattfindendes Event aus dem Umkreis der „Skeptiker“-Bewegung (Kap. 5.5.2). Es handelt sich bei dem Event aus einer Mischung aus Entertainment, Aufklärung und Satire, wie es für die „Skeptiker“ typisch ist.370
Abbildung 40: Twitter-Seite von „Der Goldene Aluhut“: Das Markenzeichen: Die Pyramide mit dem Allsehenden Auge, dem Aluhut und einer (satirischen) Anspielung auf (Chemtrail-) „Verschwörungstheorien“. Rechts: Eintrittskarte zum „Aluhut“-Event (Quelle: eigene Collage/dergoldenealuhut.de).
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Karsten, Ende 30, Vater eines Kindes und selbstständig im Event-Management tätig, ist eher zufällig auf dieser Veranstaltung. Nicht als Gast, sondern, weil er hier arbeiten muss. Es stellt sich heraus, dass er sich selbst ernsthaft mit vielen der Themen beschäftigt, die bei dieser Veranstaltung auf‘s Korn genommen oder als gefährlich dargestellt werden. An diesem Abend soll der Negativ-Award (Goldener Aluhut) u. a. an den Musiker Xavier Naidoo und die Künstlerin Ria den Breejen wegen ihrer Nähe zu „Aluhut“-Themen verliehen werden. Es ist die Auftaktveranstaltung dieses Formats. Der Aluhut ist im „Skeptiker“-Diskurs das Emblem und Stigma der „Verschwörungstheoretiker“. Er repräsentiert sie als gefährlich-paranoide, aber zugleich lachhafte Figuren. Eine solche Figur repräsentiert idealtypisch Axel Stoll. Der im Jahr 2014 verstorbene „Axel Stoll“ ist längst ein InternetMeme und ein gefeierter Anti-Held der „Skeptiker“. Auf der Bühne des „Aluhut“Events steht ein selbst gebasteltes UFO, das Stoll gewidmet ist. Ein Redakteur des „Aluhut“-Blogs wird später auf der Bühne eine Persiflage auf Stoll geben. Der Umgang mit der ‚realen‘ Kunstfigur Axel Stoll zeigt die Bedeutung und Funktionsweise der Sozialfigur des „Verschwörungstheoretikers“ im Diskurs und in den Deutungsmustern der „Skeptiker“ und darüber hinaus. Als Antipode der sich humanistisch, rational und aufgeklärt verstehenden „Skeptiker“ ist Stoll der Idealtypus eines „Verschwörungstheoretikers“, wie ihn „Skeptiker“ sich vorstellen: fanatisch, irrational und ideologisch. Zugleich scheinen Stolls Thesen über „Aldebaran“ oder „Neuschwabenland“ so absurd, dass man sie nicht zu widerlegen, sondern nur wiederzugeben braucht, um daraus komische Beiträge zu machen. Es sind daher primär Anti-„Verschwörungstheoretiker“ aus der „Skeptiker“-Szene, die Stoll jene Bedeutung geben, die er sonst nicht hätte. 371372 In diesem Sinne steht beim „Aluhut“-Event, zusammen mit dem selbstgebastelten UFO, vor allem Axel Stoll im Mittelpunkt. Es ist, wie vereinbart, Punkt 15 Uhr nachmittags im „Pfefferberg“-Areal, direkt an der Schönhauser Allee, als ich ankomme. Die Initiatorin, Giulia Silberberger, welche die anderen Gäste und mich freundlich empfängt, ist mit ihrem Team vollauf beschäftigt und offenbar im positiven Stress. Es gibt hier mehrere Räume, einen Hof und einen Hauptveranstaltungssaal. Dieser fasst ein paar hundert Leute. Die Stuhlreihen sind erst am Abend, kurz vor Beginn des Events, vollbesetzt. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen ist, wie ich auch, etwas früher vor Ort. Der YouTuber Rayk Anders nimmt Material für die ZDF-Produktion, „Leben im Wahn“ auf (vgl. Kap. 5.2.1), deren Protagonist er ist. Die meisten Besucher*innen gehören zur „Skeptiker“-Community. Für Giulia, die mir das Du angeboten hat, ist es daher ein Heimspiel („das sind alles meine User“). Ich schaue mich um. Ein schöner und geeigneter Ort für so eine Veranstaltung. Bald komme ich mit einigen Leuten ins Gespräch. Xavier Naidoo ist hier, neben der Überfigur Axel Stoll, so etwas wie ein
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Anti-Held. Sein Song „Marionetten“ wird in Leitmedien und der Wikipedia (vgl. Kap. 5.5.3) „als antisemitisch, rechtspopulistisch und verschwörungstheoretisch“ bezeichnet373, weshalb er hier einen Preis in der Kategorie „Rechts-Esoterik“ verliehen bekommen soll. Eine junge Mitarbeiterin an der Bar, die offenbar noch nicht weiß, was das für eine Veranstaltung ist, fragt einen vom „Aluhut“Team mit einem erwartungsvollen Blick, ob Xavier Naidoo heute Abend hier sein wird. Sie habe da etwas mitbekommen. Ein wenig peinlich berührt meint der Staffer, dass Naidoo seinen „Preis“ sehr wahrscheinlich nicht persönlich annehmen werde. Die Bardame wird sich noch wundern. Viele der Gäste im Saal haben einen Aluhut auf dem Kopf, in ganz verschiedenen, teils sehr kreativen Ausführungen. Ein Publikumsgast hat sich Alufolie um seine ‚Dreadlocks‘ gebunden. Ich bekomme einen Platz in der vorderen Reihe. Dann beginnt die Show. Es wird viel gelacht und gespottet über Themen wie die hohle oder die flache Erde, Homöopathie, Einhörner, Chemtrails und anderes mehr. Dabei werden die absurdesten Äußerungen und Charaktere aus den verschiedenen Bereichen der Grenzund Alternativwissenschaft herbeizitiert und persifliert. Obwohl „Der Goldene Aluhut“ einen aufklärerischen Anspruch verfolgt, wird hier hauptsächlich mit Humor gearbeitet. Auch ich kann mich an vielen Stellen nicht halten und muss lachen. Es zeigt sich, wie gut die auf der Bühne auftretenden „Skeptiker“ die alternative Medienszene kennen. Allen voran Giulia Silberberger, die sich selbst als „Aussteigerin“ aus dem Kreis der „Verschwörungstheoretiker“ bezeichnet (Kap. 7.4). Viele der Sprüche gehen unter die Gürtellinie, einige sind sexistisch. Bei mir wechseln sich Lachkrampf und Bauchschmerzen ab – es ist ein Lachen und Grausen über das Dargebotene. An manchen Stellen fühle ich mich persönlich (in meiner Intelligenz) beleidigt und betroffen (z. B. durch Aussagen wie: „der Weg zwischen blöd und krank ist ziemlich dünn“ oder die sarkastische Bemerkung, dass man gerade „einen riesigen Pott esoterischer Kacke“ über das Publikum „ausgeleert“ habe). Das szientistische und materialistische Weltbild der „Skeptiker“-Bewegung wird hier unhinterfragt zelebriert. Dabei scheint die Veranstaltung, neben der Publicity, vor allem auch den Zweck der Selbstbestätigung zu erfüllen. Das wird mir auch in Gesprächen mit anwesenden „Skeptikern“ deutlich, die sich hier zum ersten Mal (offline) treffen und ihre Vernetzung und Gemeinschaftsbildung voranbringen wollen. 374 Die Veranstaltung ist in dieser Hinsicht für die „Aluhut“-Community ein voller Erfolg. Man merkt Silberberger, die am Ende, nach drei Stunden Auftritt und vielen Höhepunkten, mit Schweißperlen auf der Stirn und nur noch barfuß moderiert, ihre Freude und Erschöpfung an. Starker Applaus zum Abschluss und nicht der erste heute. Nach einem langen überzogenen Abend mit vielen Witzen, Spott und Hohn über „Verschwörungstheoretiker“ und andere „Aluhüte“ wurde fast vergessen, dass es eine Preisverleihung sein sollte. Schnell
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werden die Preise auf die Bühne geholt und letztlich – weil niemand sie entgegengenommen hat – unter den Zuschauer*innen versteigert. Man verabschiedet sich bis zum nächsten Jahr. Alle sind erschöpft. Aber die Stimmung ist gemischt. Die Diskussion auf dem Abschlussplenum hat ergeben, dass der Kampf gegen „Verschwörungstheorien“ zwar lustig („spürst du den Axel Stoll in dir?“375), aber auch anstrengend und bisweilen zermürbend sein kann. Während die Reihen sich lichten, die Beleuchtung gedimmt wird, Technik und die Stuhlreihen langsam abgebaut werden, bilden sich noch vereinzelte Gesprächsgrüppchen. Es geht primär um die Vernetzung und den Kampf gegen „Verschwörungstheoretiker“, aber auch gegen „Nazis“ und andere Feinde der demokratischen Gesellschaft. „NEIN, DU BIST KEIN VT!“376
In diese Stimmung gesellt sich schließlich der eingangs erwähnte Karsten dazu. Er ist fertig mit der Bühnenarbeit, einige aus seinem Team tragen noch Gegenstände durch den Saal. Mit einem Bier in der Hand stellt er sich zu einer Gruppe, in der es um Impfkritik geht. Zunächst hört er nur zu. Eine ganze Weile sagt er gar nichts. Dann fragt er mich nach dem Namen eines der Vortragenden, der sich auch am Gespräch beteiligt. Ich nenne ihm den Namen und er bedankt sich betont höflich. Kurz darauf spricht Karsten den Referenten an und fragt, was er denn gegen „Querdenker“ hätte. Er selbst bezeichne sich auch als Querdenker und wolle nicht mit den auf der Veranstaltung Verarschten, respektive der Figur Axel Stolls, gleichgesetzt werden. Der Angesprochene ist sichtlich überrascht und kommt ins Nachdenken. Er stimmt Karsten zu, dass hier ein allgemeinerer Begriff für die von ihm kritisierten Individuen fehle, es seien tatsächlich nicht alle Genannten „Verschwörungstheoretiker“ im strengen Sinn. Beide unterhalten sich recht zuvorkommend und höflich miteinander. Ich versuche einen Interview-Termin mit Giulia Silberberger wahrzunehmen, muss jedoch noch warten. Inzwischen spricht Karsten mit ein paar neu Dazugestoßenen über das Thema „Schweinegrippe“ und nimmt es als Beleg dafür, dass die Pharmaindustrie und die empfohlene Impfpraxis doch nicht immer unkritisch gutzuheißen seien. Als sich hier eine Art Streitgespräch entfacht, wende ich meine Aufmerksamkeit wieder auf die Gruppe. Ich bemerke eine Sympathie meinerseits gegenüber Karsten. Er ist der einzige, dem ich an diesem ganzen Abend begegne, der die mir stellenweise kultisch-rituell erscheinende Selbstbestätigung durchbricht. Seine Mitdiskutanten (alle männlich) stimmen ihm zumindest teilweise zu. Der Schweinegrippe-Skandal 2009 habe die gesamte Impfpraxis diskreditiert und sei damit nur Wasser auf den Mühlen der „Impfkritiker“ gewesen, bedauert die „Skeptiker“-Fraktion. Mir erscheint nach und nach die Art und Weise, wie Karsten mit den „Skeptikern“ spricht, vertraut. Er verfolgt, so kommt es mir vor, eine gezielte Strategie: Er hat ein ganz anderes
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Wissen als die hier Anwesenden, versucht aber, dieses Wissen nur Stück für Stück, in akzeptablen Dosen zu offenbaren. Er nennt abweichende ‚Fakten‘, zu denen er anerkannte Quellen zitiert. Dabei positioniert er sich rhetorisch klar und deutlich, aber zugleich freundlich. Er zeigt Offenheit, indem er auch Einwänden der „Skeptiker“ zunächst generelle Berechtigung einräumt, bevor er dann gezielte Kritik an ihnen übt. Kurz darauf klappt es doch noch mit dem vereinbarten Gespräch mit Giulia und ich verlasse die Situation – schweren Herzens, denn hier scheint sich etwas Interessantes zu ereignen. Aus einer kleineren Entfernung beobachte ich, wie sich der Fremdkörper Karsten in diesem Milieu weitere Gesprächspartner*innen sucht, um ‚sein‘ Wissen mit ihnen abzugleichen und ihnen seine ‚Wahrheiten‘ näherzubringen. Später am Abend, als die meisten Gäste schon draußen sind, suche und treffe ich Karsten mit einigen anderen nochmal am Hinterausgang. Es werden noch die letzten Gegenstände abgebaut und es wird geraucht und getrunken. Es ist 23 Uhr. Karsten debattiert jetzt deutlich angeregter mit einem von Giulias „Jungs“ – so nennt sie ihr „Aluhut“-Team –, ich stelle mich in die Nähe und komme mit einem der anderen Anwesenden ins Gespräch. Dazu ein (anonymisierter) Auszug aus dem in der gleichen Nacht verfassten Feldbericht377: Von der Seite höre ich [eine Person] zu Karsten sagen: „[…] (nein,) du bist kein VT […]“378 – ein Satz, der mir in Erinnerung bleiben wird –, so, als wolle er etwas relativieren, was vorher gesagt wurde oder Karsten beruhigen. Mir ist immer noch unklar, ob und inwiefern die beiden sich kennen. Im kurzen Gespräch mit einem offensichtlichen Bekannten von Karsten erfahre ich, dass er wohl in der Vergangenheit schon des Öfteren als „Verschwörungstheoretiker“ (von Bekannten?) bezeichnet wurde.
Ich bemerke, dass Karsten deutlich aggressiver und unentspannter ist als noch vor etwa einer Stunde. Er hat vermutlich in der Zwischenzeit schon mehr als nur ein Bier getrunken und auch Streit mit einigen Personen angefangen. Als ich ihn später zu einem aufgezeichneten Gespräch unter vier Augen überreden kann, erfahre ich, wieviel er noch ‚weiß‘ über viele der auf der Veranstaltung durch den Kakao gezogenen Themen. Neben Details zum Impf-Thema berichtet er mir etwas über Geo- und Finanzpolitik, gescheiterte Reformen im Sozialsystem, „TTIP“ und über Xavier Naidoo, über den die Veranstalter*innen gezielt Informationen weggelassen hätten. Meine Sympathie und Offenheit scheint er zu bemerken, er öffnet sich ebenfalls. Noch später steigt er sogar in kosmologische und philosophische Themen ein („deep shit“, vgl. Kap 7.5), spricht über die neusten Erkenntnisse von Stephen Hawking, die unser Weltbild verändern müssten, und kommt in einen Redefluss, der sich ganz anders anhört als zuvor gegenüber den „Skeptikern“. Jetzt wird es mir fast ein bisschen zu viel. Karsten empfiehlt zu den angesprochenen Themen Dokus, die ich auf YouTube finden könne. Ich lenke das Gespräch
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wieder in Richtung des vergangenen Abends. Dann schimpft er über zahlreiche Diffamierungen und wirkt sichtlich betroffen. Als ich, wie vereinbart, das Aufnahmegerät anschalte, wird Karstens Ton wieder sachlicher. Ich spreche ihn für die Aufnahme auf seine Meinung zur Veranstaltung an und er sagt: ((…)) ich fands halt sehr einseitig (.) mein größtes problem ist halt so (.) dass probleme angesprochen werden (1.0) und pauschalisiert werden (-) aber das nich-äh konkretisiert wird (.) wo des-die Ursache liegt //mhm// (.) sondern nur symptome angesprochen werden (-) und dass man sich über die symptome lustig macht (.) in einer art und weise oder in einer Form mit der ich nicht ganz konform laufe (1.0) und ich es mir mehr gewünscht hätte dass man halt (auch) auf die ursachen eingeht ((...))
Das Bedürfnis nach „Ursachen“-Suche ist typisch für den verschwörungstheoretischen Diskurs: „Mainstream“-Medien und „Skeptikern“ wird vorgeworfen, nur an der Oberfläche, bei Symptomen zu bleiben und (tieferliegende) Zusammenhänge nicht zu sehen. Als ich ihn nach Beispielen frage, nennt er „Pharmaindustrie“ und Putin-Bashing, das es ebenfalls auf der Veranstaltung gegeben hatte. Putin werde nur als „Aggressor“ bezeichnet, ohne auch „die andere Seite“ oder „Ursachen“ des Konflikts zu betrachten – er bezieht sich auf den Diskurs zum aktuellen Ukraine-Konflikt. Karsten erzählt mir auch, dass er letztes Jahr mit den „Montagsmahnwachen für den Frieden“ sympathisiert habe, ebenso wie einige Freunde und Bekannte von ihm. Seine Mutter, die immer „links“ gewesen sei und die Partei „Die Linke“ gewählt habe, wäre danach aber zur AfD und zu Pegida ‚übergelaufen‘. Ihn wundere das nicht, obwohl er es nicht gut fände, erzählt Karsten. Es liege an Leuten, wie denen auf dieser „Aluhut“-Veranstaltung, die kritische Menschen (wie ihn selbst) immer nur als Verrückte oder „Rechte“ ausgrenzen und diffamieren würden und dabei auch noch überheblich seien. ***
Der Fall von Karsten ist exemplarisch für das Stigma der Verschwörungstheorie. Es zeigt einerseits, dass es Kontexte und Öffentlichkeiten gibt, in denen nicht ‚offen‘ und ‚entspannt‘ über bestimmtes Wissen gesprochen werden kann. Hier kommen Techniken der Informationskontrolle und Publikumssegregation zum Einsatz. Gerade die „Skeptiker“-Community ist ein Milieu, in dem „Verschwörungstheorien“ häufig nicht nur recht aggressiv diskreditiert, sondern dadurch als solche auch reproduziert werden. Der Betroffene kommunizierte daher strategisch und versuchte dabei einen Großteil seines Wissens zu verbergen, um nicht als „Verschwörungstheoretiker“ aufzufallen. Aber er wagte dennoch den Versuch eines Wissensaustausches. Am Ende fiel Karsten schließlich doch als „VT“ auf. Der Autor selbst spürte diese Betroffenheit in seiner Position als ‚Mit-Wissender‘, z. B. als auf der Bühne bestimmte alternativmedizinische oder politische Themen
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persifliert wurden („manche Sachen sind so blöd, da braucht man nicht aufklären, da kann man einfach drüber lachen“), die der Autor aufgrund eigener Erfahrungen für interessant und relevant hält: „Ich fühle mich irgendwie angegriffen und von dieser Art von Humor abgestoßen“, notiert der ethnographische Beobachter sich an diesem Abend.379 Doch während der Veranstaltung schweigt der Ethnograph darüber, unterdrückt seine leiblichen Regungen und Bedürfnisse nach außen hin, um die ‚Normalität‘ dieser Veranstaltung nicht zu stören. Auch er betreibt, wie Karsten, „Spannungsmanagement“ (Goffman 1967 [1963]: 170). Erst in einem vertagten Folgegespräch wird er sich öffnen und die Veranstalterin damit konfrontieren. An dieser Stelle wird deutlich, dass es einen Zusammenhang zwischen Stigma und Tabu gibt, das im Ignorieren, Unterdrücken und (Ver-)Schweigen besteht. Karsten hat eine Art „meta awareness“ (vgl. Kap. 6.1) kultiviert, durch die er sich über den diskreditierten Status seines Wissens – gerade an diesem Ort – bewusst ist. Er betreibt gezielte Publikumssegregation, indem er mit dem Autor anders und über andere Themen spricht als mit den anwesenden „Skeptikern“. “. Ähnlich wie der akademische Kollege in Kapitel 5.1.2 seine ‚Maske‘ nur kurz absetzte. Während Karsten mit seinem Wissen (und Bewusstsein) hier ein Außenseiter ist, kann er sich in Gemeinschaft anderer „Verschwörungstheoretiker“ ‚sicher‘ fühlen und ehrlich darüber sprechen, was er weiß. Diese Gemeinschaft würde sich aber selbst nicht als „Verschwörungstheoretiker“ bezeichnen. Während „Skeptiker“ Karstens Wissen – und damit auch seine Person – im Lichte von „Aluhut“-Themen eines Axel Stoll sehen, fühlt er sich durch diese Art der polemischen Aufklärung angegriffen und verletzt – Gefühle, die auch der Autoethnograph bei sich selbst wahrnimmt. Die kommunikative Konstruktion der Sozialfigur des „Verschwörungstheoretikers“ wirkt in diesem Sinne gewalttätig. Nicht erst dann, wenn man selbst als „Verschwörungstheoretiker“ bezeichnet wird, sondern allein dadurch, dass Themen, denen man sich ernsthaft oder gar existenziell zuwendet, mit dem „bullshit“ gleichgesetzt werden, den eine Figur wie „Doktor Axel Stoll“ verkörpert. 5.4.1 Daniele Ganser: Karriere eines „Verschwörungstheoretikers“ ALS ICH DIE NATO-GEHEIMARMEEN UNTERSUCHT HABE, DA WAR ICH HISTORIKER, RENOMMIERTER FRIEDENSFORSCHER […], DA HAT NIEMAND MICH ANGEGRIFFEN. UND ERST SEIT ICH 9/11 HINTERFRAGE, BIN ICH VERSCHWÖRUNGSTHEORETIKER – WAS ICH ABER NICHT BIN. ICH BIN IMMER NOCH HISTORIKER UND FRIEDENSFORSCHER UND ICH WEHRE MICH GEGEN DIESES LABEL […] ES IST JA EIGENTLICH EINE TECHNIK, DIE ZIEMLICH PLUMP IST. (DANIELE GANSER, KENFM, 2015380) DEN DANIELE GANSER HASSEN DIE UND WOLLEN IHN LOSWERDEN! (STEPHAN BARTUNEK, GRUPPE 42, 2017381)
Daniele Ganser hat in seinem Leben gleich mehrere Karrieren hingelegt. Die erste als Historiker und Sicherheitsforscher, der seine Diplomarbeit über die Kubakrise
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geschrieben hat. Sein Spezialgebiet ist der Kalte Krieg und Ganser widmet sich dabei dem Bereich der verdeckten Kriegsführung. Durch den Tipp eines Mentors stößt er auf das Thema der „Gladio“-Geheimarmeen. Der Historiker forscht dazu in Archiven in Großbritannien und den USA und veröffentlicht 2004, mit 32 Jahren, die Dissertation „NATO‘s Secret Armies: Operation Gladio and Terrorism in Western Europe“, die ein Jahr später bei Routledge erscheint und 2006 ins Deutsche übersetzt wird. Ganser ist Senior Researcher am renommierten Center for Security Studies (CSS) der ETH Zürich. Zwei Tage vor dem fünften Jahrestag der Terroranschläge des 11. September 2001 bahnt sich langsam seine zweite Karriere an. Am 9. September 2006 veröffentlicht der Schweizer Tagesanzeiger einen Bericht auf Seite 10 mit dem Titel „Der erbitterte Streit um den 11. September“. Der Autor ist Daniele Ganser. Im Vorspann heißt es: In den USA, aber auch in der Schweiz werden immer wieder bohrende Fragen gestellt zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001 (9/11) und den dadurch ausgelösten Kriegen in Afghanistan und im Irak382
In dem Beitrag, der eine öffentliche Kontroverse auslöst, hinterfragt Ganser die offizielle Version der Bush-Regierung und stellt sie als zu untersuchende Theorie neben andere. Es gäbe „drei sich gegenseitig ausschließende“ Theorien des nicht vollständig aufgeklärten Ereignisablaufs und seiner geostrategischen Kontexte, die Historiker*innen gleichberechtigt zu untersuchen hätten: 1.) Die offizielle Geschichte der Überraschung und Unvorhersehbarkeit des Angriffs (Surprise-Theorie); 2.) die sogenannte „Let-it-happen-on-purpose“-These, (LIHOP-Theorie), d. h., das absichtliche Geschehen lassen der Angriffe unter Vorwissen, „um eine Serie von Kriegen zu legitimieren“, die im Anschluss durch die USA geführt wurden; 3.) die MIHOP-Theorie („Make-it-happen-on-purpose“), bei der der Terror vom „Pentagon und/oder den US-Geheimdiensten ausgeführt worden [sei], die Videos von Bin Laden […] gefälscht“ wären.383 „Alle drei Theorien sind Verschwörungstheorien, obschon ihre Vertreter das gerne negieren“, schreibt Ganser: „sie gehen alle von einer geheimen Absprache von zwei oder mehr Akteuren vor dem 11. September als gegeben aus.“ Mit diesen Aussagen bricht Ganser ein Tabu, das sich durch Konsenszwang nach 9/11 stillschweigend im leitmedialen, politischen und akademischen Diskurs durchgesetzt hatte. Doch Ganser geht in dem Artikel noch weiter. Angesichts des Einsturzes von WTC 7, das am 11. September 2001 in New York augenscheinlich anomal kollabiert ist (Kap. 6.6), befragt er zwei ETHBaustatik-Professoren nach ihrer Expertise zum Einsturz. Ganser macht ihre Aussagen im Tagesanzeiger einer leitmedialen Öffentlichkeit zugänglich: „Nach meiner Meinung ist das Gebäude WTC 7 mit grosser Wahrscheinlichkeit fachgerecht gesprengt worden“, sagt Hugo Bachmann, emeritierter ETH-Professor für Baustatik und Konstruktion. Und auch Jörg Schneider, ebenfalls emeritierter ETHProfessor für Baustatik und Konstruktion, deutet die wenigen vorhandenen Videoaufnahmen als Hinweise, dass „das Gebäude WTC 7 mit grosser Wahrscheinlichkeit gesprengt wurde.“384
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Mit diesen, bis heute unwiderrufenen, Aussagen ist die Büchse der Pandora geöffnet – zumindest für Daniele Ganser. Mit seiner Darstellung „geriet er schnell ins Abseits. Die ETH legte umgehend seinen E-Mail-Account lahm. ‚Ich hatte massenhaft Anfragen von Journalisten, die ich nicht beantworten konnte‘“, sagt er rückblickend im Jahr 2017 in der Schweizer Zeitung WOZ.385 „Vom Rektorat wurde er aufgefordert, sich nicht mehr zum Thema zu äussern.“ Wenige Tage später wird er mit seinem Bekannten, dem Professor für Strategische Studien, Albert Stahel, ebenfalls von der ETH Zürich, im Sonntagsblick als „Verschwörungstheoretiker“ bezeichnet. Unter der Überschrift „Verschwörungs-Theoretiker: Amerikaner wehren sich“, veröffentlicht das Magazin am 17. September eine Kritik zu Gansers jüngsten Veröffentlichungen zu 9/11: Zwei renommierte Schweizer Wissenschaftler stellen infrage, was die Welt zu wissen glaubt. Waren am 11. September 2001 wirklich vier Flugzeuge in die Anschläge involviert? Steckt überhaupt Al-Kaida dahinter? Washington weist die abstrusen Theorien zurück.386
Unter der Zwischenüberschrift „Berechtigte Kritik oder Pseudowissenschaft?“ kommt darin auch die damalige US-amerikanische Botschafterin in der Schweiz, Carol J. Urban zu Wort, nachdem es heißt, dass sich „die beiden Universitätsdozenten“ mit der Gegenüberstellung der drei Theorien (Surprise, LIHOP, MIHOP) „die wildesten Spekulationen aus dem Internet zu eigen“ machten. Die US-Botschafterin schreibt dazu: In Entgegnung der Verschwörungstheorien gibt es eine simple Wahrheit: Am 11. September haben fast 3000 Menschen aus 91 Staaten ihr Leben durch Angriffe von Terroristen verloren.387
Ganser verlässt bald darauf die ETH und findet eine Anstellung an der Uni Basel. Nach einiger Zeit wird er auch diese verlieren. Doch er schweigt öffentlich nicht zu 9/11. In zahlreichen YouTube-Videos wiederholt Ganser die Geschichte seines Martyriums als „Verschwörungstheoretiker“388: Als junger Vater habe er Angst gehabt, seine Karriere auf‘s Spiel zu setzen; seine Frau jedoch habe ihm den Rücken gestärkt und so habe er sich für die Wahrheit und gegen die akademische Karriere entscheiden können. Ganser ist, wie Garrison oder Francovich ein „Anwalt der Öffentlichkeit“ – eines seiner Vorbilder ist Mahatma Gandhi. So sieht er sich selbst und so sehen ihn manche seiner Anhänger*innen. Die Internet-„Medienrevolution“389 ermögliche es heute, Fragen zu stellen und sich auszutauschen, ohne die Zensur der großen Medien. Gansers Karriere als „Verschwörungstheoretiker“ wird aber nicht nur durch die Diskurse in Politik und Leitmedien, sondern auch durch Watchblogs und „Skeptiker“ (Kap. 5.5.2) sowie durch Akteure im wissenschaftlichen Diskurs und auf der Wikipedia (Kap. 5.5.3) festgeschrieben.
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Abbildung 41: Schlagzeilen in Schweizer und internationalen Medien über Daniele Ganser als „umstrittenen Historiker" und „Verschwörungstheoretiker“ (Quelle: eigene Collage).
„STAR DER ‚GEGENÖFFENTLICHKEIT‘“390 Wenn man auf der Uni ist, dann ist man unbekannt und wenn man auf YouTube ist, dann wird man bekannt. (Daniele Ganser, KenFM, 2018391)
Michael Butter, der wesentlich daran beteiligt ist, Ganser als „Verschwörungstheoretiker“ zu labeln (Butter 2018: 83 f.), meint, dessen Ausscheiden aus dem Universitätsdienst komme daher, dass „er sich ab 2005 zunehmend kritisch über die offizielle Version der Anschläge des 11. September 2001 äußerte.“ (Ebd.: 84) Butter wirft Ganser u. a. vor, seine „Autorität“ und „Rolle als Wissenschaftler“ sowie seine „stigmatisierte Position“ für seine Glaubwürdigkeit zu missbrauchen (ebd.: 85 f.) und mit Suggestionen und Vereinfachungen zu arbeiten. Gansers Ausgrenzung aus dem akademischen Diskurs geht in der Tat einher mit der Popularisierung seiner Thesen und Themen. An diesem Punkt beginnt Gansers dritte Karriere: als Star, Held und Vorbild einer „Gegenöffentlichkeit“ im Internet, auf YouTube, wo er noch weitaus mehr Menschen erreicht als im Hörsaal einer Universität. Das Wissen über „Gladio“ wie auch das Wissen über 9/11 ist in der „Gegenöffentlichkeit“ seither auch sehr stark mit dem Namen „Daniele Ganser“ verbunden. Einer breiten Öffentlichkeit bekannt wird Ganser, wie er selbst sagt, durch einen Vortrag bei einer Vorlesungsreihe an der Uni Tübingen 2015, den KenFM aufgenommen und auf YouTube gestellt hat.392 Die Vortragstätigkeit auf alternativen Kongressen und Events nimmt in dem Maße zu, wie Ganser durch die gesellschaftliche Orthodoxie zum „Verschwörungstheoretiker“ erklärt wird. „Dadurch, dass ihn viele als Verschwörungstheoretiker diffamieren, ist er mir noch etwas sympathischer geworden“, sagt dazu passend ein Besucher seiner Vorträge.393 Ganser folgt damit dem ‚Karriere‘-Muster von Bröckers, Wisnewski oder von Bülow, die sich
5.4 „Verschwörungstheoretiker“: eine Sozialfigur
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allesamt seit ihrer Beschäftigung mit „Verschwörungstheorien“ zu 9/11 von der etablierten Wissensproduktion im „Zentrum“ mehr und mehr in Richtung „Peripherie“ bewegen (vgl. Fries 2016). Gansers Werdegang lässt sich dabei in vielerlei Hinsicht mit demjenigen des polarisierenden Biologen Rupert Sheldrake vergleichen. Beide wurden zu populären ‚Parias‘ im akademischen und leitmedialen „Mainstream“. Nicht nur spielen in den ‚Karrieren‘ beider Diskreditierungen und „Diskursivierungen“ als „Pseudowissenschaft(ler)“ durch „Torwächter“ vermeintlich „‚echter‘, legitimer Wissenschaft“ (ebd.: 109) eine wesentliche Rolle. Deren Auftreten geht zugleich damit einher, dass sich Sheldrake und Ganser wissenschaftstheoretisch mit (Grenz-)Phänomen (Kap. 7. und 7.5) und „Anomalien“ beschäftigen, die es in den jeweils umgrenzten und etablierten Bereichen ihrer Fachgebiete nicht gibt – nicht geben kann (ebd.: 204). Bei Sheldrake sind das „morphogenetische Felder“ und bei Ganser „Verschwörungen“ im weitesten Sinne: „inside jobs“, eine „Strategie der Spannung“ oder „False Flag“-Terrorismus.394 Die Veränderung des Publikums nach dem Verlassen des akademischen Rahmens erfordert schließlich auch eine Adaption der Formen der Wissensvermittlung. Um ein breites Publikum zu bedienen muss das Wissen einfacher, griffiger, bildhafter vermittelt werden – vom gesellschaftlichen Wandel des Wissens einmal abgesehen.395 Wie Fleck (2012 [1935]) gezeigt hat (vgl. Kap. 4.2), sind Veränderungen der Wissensform im Zeitverlauf sowie ein wechselseitiger Zusammenhang zwischen exoterischem (populären) und esoterischem (Expert*innen-)Wissen gewöhnliche Phänomene im Prozess des Entstehens und Vergehens einer „wissenschaftlichen Tatsache“. Die „Verschwörungstheorien“ zu 9/11, durch die Ganser sich im politischen-leitmedialen und akademischen „Mainstream“ diskreditiert hat, bringen ihm gerade in der breiten „(Gegen-)Öffentlichkeit“ neue Aufmerksamkeit und Anhänger*innen (vgl. Fries 2016: 209). Damit zusammenhängend finden seine Thesen vor allem auch in Diskursen politischer Anderer – Oppositionen, Dissident*innen, andere Staaten – Gehör, die aktiv an der Reproduktion von „Gegenöffentlichkeit“ beteiligt sind. Prominent: der Sender Russia Today (vgl. Kap. 5.3). Ganser macht sich 2011 mit seinem „Swiss Institute for Peace and Energy Research“ (SIPER) selbstständig. Auch dies eine weitere Karriererichtung, die er einschlägt. In den Folgejahren schreibt Ganser als „Friedensforscher“ Bücher über Ressourcenkriege und NATO-Kriegsverbrechen und hält Vorträge im gesamten deutschsprachigen Raum. Viele seiner YouTube-Videos haben mehrere hundertausend Klicks. Sie tragen Titel wie „WTC 7: Feuer oder Sprengung?“ 396, „Illegale Kriege: Türkei und Syrien“397 oder „Aufwachen mit Daniele Ganser in 14 Minuten“398. Ganser thematisiert aktuelle Konflikte und stellt sie in den Kontext von Ressourcenkriegen, Kriegslügen und verdeckter Kriegsführung. Seine Hauptgegner sind die USA und die NATO – er bezeichnet die Politik letzterer als größte Bedrohung für den Weltfrieden und die USA als „Imperium“. Dabei bleibt er ruhig und gelassen, beruft sich darauf, Fragen zu stellen und fordert sein
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5 Verschwörungen im Deutungskonflikt
Publikum auf, selbst zu recherchieren. Er macht es seinen Gegner*innen nicht leicht mit dem „Verschwörungstheorie“-Vorwurf. Es ist schwer, Ganser mit einem Alex Jones (vgl. Kap. 4.1) oder einem Axel Stoll zu vergleichen. Sowohl schweizer als auch deutsche Medien und „Ganser-Gegner“399 wie etwa Michael Butter versuchen daher seit Jahren, die „Methode Ganser“400 zu decodieren, zu debunken und dem „Star“ etwas von seinem Glanz zu nehmen. So nennen seine Gegner*innen ihn „Verschwörungsstar“401 oder auch „Verschwörungspraktiker“402, rücken ihn in die Nähe von Antisemitismus oder unterstellen ihm kommerzielle Motive.403 Die paranoide Kommunikation, die gerade „Verschwörungstheoretikern“ unterstellt wird, greift dabei als Zwischenphänomen Raum. Bei einem der schärfsten Gegner Gansers, Roger Schawinski, zeigt sich diese paranoide Positionierung, wenn er, in Bezug auf das wachsende Misstrauen gegen die „MainstreamMedien“ meint: unsere Gesellschaften werden angegriffen von Verschwörungstheoretikern und von Leuten wie Putin, die mit Fake News und Hacker-Angriffen die Demokratien untergraben wollen.404
Ganser ist, wie andere vor – und sicher auch nach – ihm, in der „Gegenöffentlichkeit“ angekommen. An die Universität „kann“ und „will“ er „nicht mehr zurück“. Wo er sich jetzt bewege, sei „ein spannendes, viel freieres Feld“405, sagt er im März 2018 auf einer Podiumsdiskussion in einer ausverkauften Halle in Basel. Seit Jahren hat er eine wachsende Fan-Community in den verschiedensten sozialen Schichten und Milieus. „Den Daniele Ganser hassen die und wollen ihn loswerden“, sagt Stephan Bartunek, der Ganser und vor allem das Umfeld um ihn kennt.406 Doch Ganser gibt diesen Hass nicht zurück. Sogar einer seiner stärksten Kritiker, Michael Butter, gibt zu, Ganser bleibe „immer unaufgeregt und sachlich. Wenn er emotional wird, dann im positiven Sinne.“407 Genau an diesem Punkt macht sich Gansers vorerst letzter Karriereschritt fest: als Botschafter, nicht nur für Frieden und eine „Menschheitsfamilie“, sondern auch für Achtsamkeit. Es ist diese spirituelle Ausrichtung, möglicherweise geprägt auch durch Gansers Nähe zur Anthroposophie, die ihm zuletzt den Titel „Verschwörungsmystiker“408 einbringt. Im März 2019 wird Ganser aus den Reihen seiner Anhänger*innen der „Mind Award“, der „für Bewusstsein, Bildung, Forschung, Kunst und Frieden“ 409 steht, von Rüdiger Dahlke verliehen. Doch die meisten ‚Titel‘ erhält Ganser durch seine Gegner*innen. 5.5 Die Anti-Verschwörungstheorie DIE MEISTEN VERSCHWÖRUNGSTHEORETIKER […] KOMMEN IRGENDWANN MIT JUDEN […] ES WÜRDE MICH ÜBERRASCHEN, WENN ES HÄUFIGER WELCHE GIBT, DIE SICH NICHT IRGENDWANN AUCH ANTISEMITISCH ÄUSSERN. (UFFA JENSEN, JUNG & NAIV, 2018410)
5.5 Die Anti-Verschwörungstheorie
Es folgt eine Feldnotiz vom 14. April 2017 (redigiert am 7. Mai 2018)411: Heute sprach ich bei [guten Bekannten] mit einem alten Schulfreund am Telefon, der mich zwecks eines Vortrages über „Verschwörungstheorien“ anfragen wollte, den ich doch im [Theater X] bei […] einer Diskussionsrunde halten könnte. Er klang recht aufgeregt und ungeordnet, sprach [aber] davon, dass er es sehr interessant fände, meine Meinung dort präsentiert zu bekommen [da ich ja dazu eine Doktorarbeit schreibe]; sie hätten das Thema schon einmal gehabt, allerdings sei das sehr abstrus gewesen, eher lächerlich gemacht [worden], mit Reptiloiden und UFOs. Er meinte, er kenne sich nicht sonderlich aus, was er aber gesehen habe, sei, dass da vieles „rechts“ (rechtsextrem) sei und auch „antisemitisch“; er war sehr aufgeregt, klang unsicher, relativierte teilweise, bekam die Worte teilweise nicht leicht über die Lippen, die meiste Zeit [während des Telefongesprächs] hörte ich zu, er redete. [Möglicherweise hat ihn der Anruf um diese Uhrzeit auch überrascht – ich hatte ihn zurückgerufen]. Ich sagte zu, dass ich das machen kann, fühlte mich aber, nachdem was und wie [er] von dem Projekt und der Idee erzählte, auch nicht so gut beim Gespräch, [ich] meinte auch, dass ich […] gerne noch ein paar Infos mehr hätte; sein Kollege, der das veranstaltet sei in erster Linie „Künstler“ und Musiker und nähere sich dem Thema v. a. von der popkulturellen Seite, wo er sehe, [dass] das VT(-Illuminati-)Zeugs immer salonfähiger würde. Sie hatten auch schon Vorträge über Antiamerikanismus und „Antisemitismus“ […], die [den Bekannten] scheinbar recht beeindruckt hatten – bei mir gingen bei diesen Schlagworten die Alarmglocken an: ‚das könnte ein vermintes Feld sein‘, [dachte ich] […]. Wir verbleiben dabei, dass wir uns noch über einen möglichen Termin im Herbst austauschen; er will mir weitere Infos schicken. Trotz der Bedenken reizt mich das: Das könnte spannend werden und es scheint Interesse oder das Bedürfnis nach Erklärungen zu bestehen – und außerdem ist es gute Werbung für mein Projekt. Ich mache mir noch am gleichen Tag Notizen und eine grobe Vortragsstruktur, überlege mir, wie ich diesem Publikum meine Arbeit und meine Thesen darstellen kann. Er schickt mir am Abend den Link zum Etablissement: sieht nach linksalternativem/liberalem Bildungsbürgertum aus. Sechs Tage später antworte ich ihm, dass ich das machen könne und nenne ihm Termine. Er meldet sich etwa drei Wochen nicht. Sind sie abgesprungen? Ich schicke ihm am 9. Mai 2017 einen kürzlich erschienenen Magazinbericht zum Thema, für den ich von dem Magazin WOXX interviewt wurde als Erinnerung und Beispiel.412 Er antwortet nur eine halbe Stunde später: „Danke, die würden das machen“ und fragt mich nach einem Titel und Schwerpunkt. Den Beitrag will er durchlesen und weiterleiten. Ich antworte ihm gleich: Die Fake-News-Debatte z. B., aber es komme darauf an, was sie interessiert. Nach drei Tagen seine Antwort: „Vielleicht könntest du einfach deine These oder sowas vorstellen? […] Das Theater bzw. die Leute dort lehnen
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5 Verschwörungen im Deutungskonflikt
Verschwörungstheorien komplett ab. Also denen gehts nicht um gut oder schlecht oder Vorteile und Nachteile. […] Das Ganze ist jetzt […] mit Xavier Naidoo wieder mal hoch aktuell, ich könnte mir vorstellen das da einige Leute kommen. Ich hab allerdings bisschen Angst dass das auf großes Unverständnis treffen könnte.“ Er zitiert meinen Satz aus dem Magazinartikel: „Sozialwissenschaftler sollten nicht den Fehler begehen, Verschwörungstheorien nur als ideologische und ‚falsche‘ Denkformen zu begreifen. Jeder Erkenntnisakt, ob im Alltag oder in der Wissenschaft, ist immer auch Komplexitätsreduktion im Mechanismus der Sinnkonstruktion“ und schreibt darauf: „Da werden dir einige Leute bestimmt [vehement] widersprechen. […] Wenn du dich hinstellen kannst und von vorne [he]rein sagst unter welchem Aspekt du das vertrittst und so deine Doktorarbeit vorstellst, ist das vielleicht ok. Ich habe aber Angst, dass das zu [einer] riesen Diskussion wird. […] Ich frag mich zum Beispiel direkt, warum mich auf das Niveau von rechtsradikalem Gedankengut runter begeben? Warum soll ich das verstehen? […] Vielleicht kannst du besser einschätzen, ob das funktionieren wird oder ob du da krass kritisiert wirst. Liebe Grüße Martin“. Noch am selben Tag antworte ich ihm: „Hallo Martin, […] hm, ich überlege, ob es Sinn ergibt, in einem Rahmen über das Thema zu diskutieren, von dem sagst „die Leute dort lehnen Verschwörungstheorien komplett ab.“ Ich bin ja kein Missionar, der versucht, Menschen von ihrem Weltbild oder gefestigten Denken oder Glauben abzubringen. Widerspruch ist ja normal, jede/r hat seine/ihre Perspektive, da gibt es notwendig Widersprüche. Eine Diskussion ist nur dort sinnvoll, wo eine prinzipielle Offenheit gegeben ist. […] [Du hast geschrieben:] „Ich frag mich zum Beispiel direkt, warum mich auf das Niveau von rechtsradikalem Gedankengut runter begeben? Warum soll ich das verstehen?“ […] Wie ist das gemeint? Es geht doch um Verschwörungstheorien. […] Ich kann nicht abschätzen, wie verfestigt die Menschen im [Theater X] in ihren Einstellungen sind, v. a. wenn du sagst, du hast ‚Angst‘ – ist das so schlimm? […] Das verwundert mich, weil ich nach dem Telefonat dachte, es geht darum, zu diskutieren, neue Einblicke zu gewinnen und zu verstehen. […] Schöne Grüße Alan“. Bis heute hat mir Martin [darauf] nicht geantwortet […].
Diese Erfahrung illustriert exemplarisch eine Einstellung, die wesentlich in den Milieus des anti-verschwörungstheoretischen Diskurses zu verorten ist. Die Grundzüge dieses Diskurses bestehen nicht nur darin, dass gesellschaftliche Ereignisse nicht im Rahmen von Verschwörungen und kollektiver Täuschung gedeutet werden (können). Vielmehr ist die Einstellung der „Anti-Verschwörungstheorie“ durch eine vehemente Ablehnung von bis hin zu einem „Kampf gegen Verschwörungstheorien“ gekennzeichnet. Dieser Kampf ist zugleich ein Kampf gegen das ihnen zugrunde liegende Wissen von Verschwörungen – seien sie real oder nicht.413 Die destruktive Rückseite dieser Kampfhaltung ist die Abwehr gegenüber einem Verstehen. Wir haben gesehen, wie dieser Kampf gezielt gegen populäre
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Figuren und „Stars“ der „(Gegen-)Öffentlichkeit“, wie z. B. Daniele Ganser, geführt wird. Die Diskursmilieus, in denen anti-verschwörungstheoretische Einstellungen kultiviert werden, können durchaus heterogen sein. Wir werden im Folgenden einige ihrer Akteur*innen und Medien näher beleuchten. Während des oben beschriebenen Telefonats und E-Mail-Verkehrs mit dem Bekannten war der Autor zunächst überrascht über dessen plötzliche ablehnende Haltung. Erst als dem Autor über den weiteren Kontext, das Milieu, berichtet wurde, in dem der Bekannte sich scheinbar seit einigen Jahren bewegte, verstand er, wie dieser zu seinen Einschätzungen kommen konnte. Dass die Leute in dem Theater, Künstler, „Verschwörungstheorien“ „komplett“ ablehnen und es Martin, wie er zweifach betont, „Angst“ mache, dass der Autor bei dem Vortrag eine Position vertreten wolle, die auf Dialog und Verstehen aus ist, ist bezeichnend für die Verschwörungsangst antiverschwörungstheoretischer Deutungsmuster. Vielsagend ist auch die Assoziation zwischen „Verschwörungstheorien“ und „rechtsradikalem Gedankengut“, die in diesem Diskurs vorherrschend ist. Viele Akteur*innen der betreffenden Milieus engagieren sich im Kampf gegen (Rechts-)Extremismus oder bekämpfen aktiv Esoterik oder „Pseudowissenschaft“. Damit sind schon zwei Milieus des Problemund Gefahrendiskurses (vgl. Anton 2011) benannt: ein politisch vorweg linkes bis teils antideutsches Milieu, in welchem der „Kampf gegen Rechts“ sinngebend und identitätsstiftend wirkt sowie das Milieu der sogenannten „Skeptiker“, die sich durch ihren Kampf- und Aufklärungsfeldzug gegen (Aber-)Glauben und „Esoterik“ und ein stark szientistisch-materialistisches Weltbild auszeichnen. Der „Kampf gegen Verschwörungstheorien“, der innerhalb dieses Diskurses spöttisch auch als „Kampf gegen Aluhüte“414 bezeichnet wird, führt diese beiden Milieus in eine Diskurskoalition. Ein drittes und viertes Milieu haben wir in Kapitel 5.2 teils beschrieben: die Milieus politischer und/oder journalistischer Eliten. Erstere führen diesen Kampf aus Staatsräson oder Loyalität. Zweitere verbinden damit vor allem den topologischen Kampf gegen das „Internet“. Anhand von ausgewählten Falldarstellungen sollen Deutungsmuster, Strategien und Koalitionen dieser drei Milieus sowie ihre Anschlussfähigkeit an letztgenannte leitmediale Diskurse beschrieben werden. 5.5.1 Merkmale des anti-verschwörungstheoretischen Diskurses IN POLITICAL DISCUSSIONS WITH FRIENDS AND OPPONENTS, ONE CAN HURL NO GREATER INSULT THAN DESCRIBE ANOTHER‘S POSITION AS THE PRODUCT OF A ‚CONSPIRACY THEORY‘ (MARK FENSTER, CONSPIRACY THEORIES, 1999415)
Einige Merkmale des anti-verschwörungstheoretischen Diskurses haben wir bereits in den vorangehenden Abschnitten beschrieben. Der verbindende Wesenszug dieses Diskurses ist aber die spezifische Art und Weise der Verwendung des Begriffes „Verschwörungstheorie“ bzw. „Verschwörungstheoretiker“ selbst. Wir
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5 Verschwörungen im Deutungskonflikt
haben gezeigt, inwiefern die Verwendung dieses Wortes im politischen Kontext ein gewalttätiger Sprechakt sein kann, durch den performativ der jeweils andere diskreditiert und zum Schweigen gebracht werden soll. In dieser Verwendung schwingen, je nach Kontext, folgende Merkmale mit: x
„Verschwörungstheorien“ sind irrational und falsch
x
„Verschwörungstheoretiker“ sind extreme Andere (terroristisch, antiamerikanisch, antisemitisch usw.) oder stehen entsprechenden politischen Ideologien nahe
x
„Verschwörungstheorien“ sind ein Problem und gefährlich
x
„Verschwörungstheoretiker“ sind immun gegen Kritik
x
Es wird über sie gesprochen, nicht mit ihnen
x
„Verschwörungstheorien“ können auch lustig sein
Mit diesen Merkmalen verbunden sind Handlungsanleitungen und Emotionsvorgaben im Umgang mit „Verschwörungstheorien“ und ihren Anhänger*innen. Und sie sind untrennbar auch mit dem „Othering“ (Spivak 1987) von „Verschwörungstheoretikern“ verknüpft bzw. mit Techniken, die das Subjekt der „Verschwörungstheorie“ zum Schweigen bringen. Es ist evident, dass sich dieser Diskurs auch auf die Sozialfigur des „Verschwörungstheoretikers“ auswirkt bzw. dessen stereotype Eigenschaften als diskreditierter Anderer diskursiv mitprägen. Bratich (2004: 125) nennt das „governing at a distance“. So folgt aus der Irrationalität von „Verschwörungstheorien“, dass sie ‚rationaler‘ wissenschaftlicher Erkenntnis entgegenstehen. Dies führt oft zur Pathologisierung (Schetsche 2013), deren Vorstufe die Psychologisierung ist. Die Zuschreibung impliziert auch, dass „Verschwörungstheorie“-Kritiker*innen oftmals meinen, (besser) zu wissen, was wahr ist und was nicht. Die teils belustigende, teils paranoide Kommunikation, die auch im „Skeptiker“-Diskurs über „Verschwörungstheorien“ beobachtbar ist, ist eine Folge davon. Aus der behaupteten Nähe von „Verschwörungstheorien“ zu (rechts-)extremem Gedankengut folgt, dass sie eine „Gefahr“ sind und im Namen der Demokratie und offenen Gesellschaft bekämpft werden müssten. Die damit verbundenen Emotionen sind Wut und Zorn, teilweise Hass, die sich gegen „Verschwörungstheoretiker“ richten. Erstere wiederum verstetigen die kämpferische Einstellung. Aus der vorgeblichen Immunität von „Verschwörungstheorien“ gegen Kritik folgt für Vertreter*innen anti-verschwörungstheoretischer Deutungen, dass die Diskussion mit „Verschwörungstheoretikern“ aussichtslos sei. Man könne sie nicht verstehen, weil sie irrational seien. Weil sie aber deshalb auch lustig sein könnten, wird die Aufklärung über sie oder der Kampf gegen sie bisweilen auch mit Satire ausgefochten. Dies wiederum spiegelt sich in einer überheblichen Einstellung. Im Umkehrschluss implizieren diese Merkmale, dass „Verschwörungstheorien“ und
5.5 Die Anti-Verschwörungstheorie
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insofern auch ihre Befürworter*innen nicht ernst genommen werden sollten. Dies begründet, und es folgt auch daraus, dass meist nicht mit ihnen gesprochen wird. Stattdessen wird über „Verschwörungstheoretiker“ gesprochen, was oftmals durch die Referenz auf „Expert*innen“-Diskurse umgesetzt wird. Das eine Merkmal führt zum anderen und die einzelnen Eigenschaften implizieren und ‚rationalisieren‘ sich gegenseitig. So wird für „Verschwörungstheorien“ ein konsistentes Deutungsmuster erzeugt, dass die Realität des ihnen zugrunde liegenden Wissens nihiliert und dafür ‚rationale‘ Gründe aufführen kann, die sowohl durch Beispiele aus der Alltagserfahrung gedeckt und bestätigt werden wie auch durch wissenschaftliche Erkenntnisse. Dass es sich bei den Deutungen, die in dem genannten Diskurs über „Verschwörungstheorien“ getroffen werden, um ein konsistentes Deutungsschema handelt, zeigen die Funktionen, die seine Aussagen, etwa im „Kampf gegen Verschwörungstheorien“, erfüllen, aber auch die schon genannten Dispositive mit denen dieser Diskurs verbunden ist. Um die Funktion aber auch die milieuübergreifende Aus- und massenmediale Verbreitung des anti-verschwörungstheoretischen Deutungsmusters zu illustrieren, dient das folgende Beispiel eines Interviews mit dem Fachmann für „Verschwörungstheorien“ Michael Butter in der österreichischen Online-Ausgabe des Standard.416 Anfang 2018 publizierte der Literaturwissenschaftler seine Monographie zum Thema, des Weiteren ist Butter in leitender Funktion in einem EUForschungsprojekt zur „Comparative Analysis of Conspiracy Theories“ beteiligt. Von 2018–2019 repräsentiert Butter den führenden „Experten“ für „Verschwörungstheorien“ im deutschsprachigen Diskurs. Im Standard-Gespräch mit ihm finden sich alle Merkmale des anti-verschwörungstheoretischen Deutungsmusters. „LIEBLINGSVERSCHWÖRUNGSTHEORIE“
Als Einstieg in das am 30. April 2108 veröffentlichte Interview-Gespräch stellt der Journalist Ingo Petz Butter die Frage, ob er eine „Lieblingsverschwörungstheorie“ habe – eine Frage, die einen entspannten Aufhänger und zugleich den nichternsten Rahmen aufspannt, in dem folgend über „Verschwörungstheorien gesprochen wird. Ich empfinde an vielen Verschwörungstheorien eine gewisse Freude. Nicht so sehr an den gegenwärtigen, da man da gleich die problematischen Aspekte und Gefahren mitdenkt, aber die Theorien des 19. Jahrhunderts haben es mir schon sehr angetan. Wie beispielsweise die Idee, die viele Amerikaner haben, dass die katholische Kirche und der Papst unter der Führung des österreichischen Fürsten Metternich die USA zerstören wollten. Ähnlich ist es bei Ideen aus dem 20. Jahrhundert wie denjenigen bezüglich der Mondlandung, die aufgrund der teilweise sehr kreativ angeführten visuellen Beweise überzeugend wirken können. Einen gewissen Reiz hat auch die Theorie des ehemaligen Fußballprofis David Icke, dass wir von Reptilien-Aliens aus dem All beherrscht werden. Das ist schon wieder so absurd, dass es auch sympathisch ist417,
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meint Butter. Schon die Eingangsfrage suggeriert, sich mit „Verschwörungstheorien“ zu beschäftigen, sei etwas wie ein Genuss, eine Art Hobby oder eine lustige Freizeitaktivität. Die – im alternativen Diskurs relevante – existenzielle, ernsthafte und politische Dimension des Verschwörungswissens wird dadurch negiert. Auch Butters Antwort ist für dieses Deutungsschema charakteristisch: Er hält diesen Gesprächsrahmen aufrecht, indem er meint: Es könne schon „Freude“ bereiten, sich mit manchen „Verschwörungstheorien“ auseinanderzusetzen. Anschließend versäumt er nicht, auf die „problematischen Aspekte“ und „Gefahren“ hinzuweisen. Der Experte führt dazu historische Beispiele an und er erwähnt auch den Autor David Icke als ein Beispiel dafür, das „Verschwörungstheorien“ auch eine Nähe zu absurden, das heißt irrationalen Deutungen haben.418 „RASSISTISCH ODER ANTISEMITISCH“
Der Standard-Journalist sagt, den letzten Punkt, aufgreifend: „Demnach könnte man meinen, dass „Verschwörungstheorien“ gar nicht so schlimm sind.“ Butter antwortet: Da muss man differenzieren. Es gibt Verschwörungstheorien, die hochproblematisch sind, weil sie rassistisch oder antisemitisch sind, weil sie Hass auf Minderheiten und Schwache schüren. Es gibt solche, die zur Politikverdrossenheit beitragen können, wenn man möglicherweise für Populisten stimmt, die auf alles eine einfache Antwort haben. Aber nicht alle Theorien sind so gefährlich, viele sind eher harmlos, genauso wie die Leute, die daran glauben, eher harmlos sind. Entscheidend ist: Wer glaubt was wann und in welcher Situation und zu welchem Effekt?
Der Experte kommuniziert zunächst Ausgewogenheit („man muss differenzieren“): Er betont dabei erst „die hochproblematisch[en]“ „Verschwörungstheorien“, weil sie „rassistisch oder antisemitisch sind“, wie er sagt. Dann relativiert er: „nicht alle Theorien sind so gefährlich“, es gäbe auch „harmlos[e]“ – Beispiele dafür hat er eingangs genannt. Was die Leser*innen an dieser Stelle von dem Fachmann lernen, ist, dass dort, wo „Verschwörungstheorien“ ernst zu nehmen sind, sie zugleich gefährlich sind oder etwa im Zusammenhang mit Populismus stehen. Wo sie harmlos sind und etwa „Freude“ bereiten, da sind sie „absurd“, wie etwa die Reptiloiden-Theorien von Icke – und daher „auch sympathisch“419. Ein Dazwischen existiert in diesem Deutungsschema nicht. Dass man „differenzieren“ müsse, ist im Sinne von Butters Deutung eine Differenzierung zwischen harmlosen und bedrohlichen „Verschwörungstheorien“. Schon diese dichotome Auswahl ist bemerkenswert. Realitätsnahe „Verschwörungstheorien“ bzw. reale Verschwörungen kommen in dieser Differenz nicht vor. Denn die Wirklichkeit sei, wie der Experte weiß, „komplexer“ als „Verschwörungstheorien“. Was man aber tun könnte, um Verschwörungen aufzuklären oder zu erforschen, sagt er nicht. Eine weitere Dimension des „auch sympathisch“ ist, dass „Verschwörungstheorien“ laut dem Experten (nur) dann „sympathisch“ sind, wenn sie
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„absurd“ und/oder „harmlos“ sind – harmlos für wen? Für Regierungen oder Geheimdienste? Auch in dieser Deutung wird ihnen der Realitätsgehalt implizit abgesprochen. „HEILMITTEL“ GEGEN „VERSCHWÖRUNGSTHEORIEN“
Der Titel des Standard-Interviews lautet „Verschwörungstheorien: Was hilft?“ und impliziert, dass „Verschwörungstheoretiker“ bzw. ihre Anhänger*innen Hilfe oder „Heilung“ bräuchten. Für gewöhnlich werden journalistische Überschriften nachträglich den Inhalten angepasst. Sie sollen Aufmerksamkeit erregen. Sie gehören zum Framing und sind Teil der massenmedialen Aufmerksamkeitsökonomie (vgl. Kap. 5.2.1). Zum Ende des Interviews fragt der Journalist, ob es „denn ein Heilmittel gegen Verschwörungstheorien“ gäbe. Diese Frage verweist auf die „Verschwörungstheorie“ als gesellschaftliche Krankheit. Assoziationen zum Kampf gegen Viren, Bakterien oder Seuchen werden so geweckt.420 Damit ist die pathologische Dimension von „Verschwörungstheorien“ adressiert.421 Diese ist eine Steigerung des Merkmals der Irrationalität. Auch schon im Lead-Text des Standard-Artikels wird auf ein weiteres Merkmal (der Sozialfigur) des „Verschwörungstheoretikers“ aufmerksam gemacht: seine Immunität gegenüber Kritik: Verschwörungstheorien befinden sich im Aufwind. Michael Butter leitet ein Forschungsprojekt zum Thema und weiß, wie schwer Verschwörungstheoretiker vom Gegenteil zu überzeugen sind. Was hilft? […].
Ein weiteres Sinnelement, das durch Titel und Lead-Text generiert wird, ist eine gewisse Sorge darüber, dass sich „Verschwörungstheorien […] im Aufwind“ befinden. Diese Sorge begleitete auch die Hintergrund-Gespräche, die der Autor auf dem „Aluhut“-Kongress (Kap. 5.4) führte und die sich in der anschließenden Podiums-Diskussion ausdrückte. Sie ist Teil des Problemdiskurses über „Verschwörungstheorien“.422 Weitere Merkmale des anti-verschwörungstheo-retischen Diskurses finden sich in dem Artikelfragment teils explizit, teils verdichtet. Wichtig ist aber vor allem auch die Rahmung des Beitrages. Die Standard-Redaktion hat das Interview in der*den Rubrik(en) Kultur, Literatur, Wissenschaft veröffentlicht. Leser*innen erfahren demnach, wissenschaftlich legitimiert, wie „Verschwörungstheorien“ zu deuten seien und wie nicht. „WISSENSCHAFTLER“ UND EXPERTEN
Über „Verschwörungen“ selbst erfahren sie, dass es zwar welche gäbe, doch, dass man, um sie wirklich zu verstehen und erkennen zu können „Gesellschaftskompetenz“ und „Geschichtskompetenz“ bräuchte. Wie in seinen anderen Interviews und Büchern verweist Michael Butter auf „Wissenschaft[l]er“ [sic] und damit auf Expert*innen, die dem nicht-professionellen Publikum erklären sollten, welche „Verschwörungstheorien“ zu welchen Ereignissen berechtigt seien und welche nicht. Nicht zuletzt legitimiert er dadurch vor allem seine eigene Position und Profession.
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Zugleich verschweigt er, dass auch Expert*innen nicht politisch neutral sind und unter Sach- und Diskurszwängen stehen und auch, inwiefern das Konspirative in die Praktiken und in das (Para-)Politische unserer Kultur eingeschrieben ist. Wie Barkun (2003), auf dessen Definitionen Butter sich in seiner Publikation (2018) beruft, hinterfragt auch Butter das Dispositiv des „War on Terror“ nicht. Er reproduziert dessen Dichotomien (vgl. Ditrych 2014), indem er am Ende des Interviews proklamiert, heterodoxe Verschwörungsdeutungen über die Terroranschläge vom 11. September 2001 lenkten von der Frage ab, wie „die westliche Gesellschaft […] künftig mit solchen Anschlägen umgehen“ solle. Butters Haltung ist vom politisch-orthodoxen Gefahrendiskurs über „Verschwörungstheorien“ nicht unterscheidbar (Kap. 5.1.3). Die produktiven und die „empowernment“-Aspekte von „Verschwörungstheorien“ (vgl. Kap. 4.1 und 7.6) blendet er sowohl in seiner Forschung wie in seinen zahlreichen medienpolitischen Auftritten systematisch aus423, weshalb seine Position nach Dunst (2014) dem „revionist approach“ der „conspiracy studies“ zuzurechnen ist, die innerhalb eines „ideological binary“ argumentiere. Teile des (Internet-)Publikums benennen deren Diskursstrategien und sehen darin kommunikative Gewalt, die in einer starken Asymmetrie zwischen Expert*innen- und Publikumsdeutungsmacht begründet ist. BRÜCHE: „MANIPULATIVE BRUTALWÖRTER“
In einem der Top-bewerteten Kommentare des Standard-Artikels wird der Experte als „opportunistische[r] Forscher“ bezeichnet. Eine „Gefahr“ bestünde laut dem*der Nutzer*in „Nomje“ weniger in „Verschwörungstheorien“ als in der Verwendung von „manipulativen Brutalwörtern wie Verschwörungstheoretiker“, die Wissen ausschließen: Per se davon auszugehen, dass 100% aller „Verschwörungstheorien“ falsch sind … … ist ebenfalls eine „Verschwörungstheorie“. Der beste Weg haltlosen „Verschwörungstheorien“ die Grundlage zu entziehen ist nicht, ein paar opportunistische Forscher zu bezahlen, sondern die restriktive Informationspolitik der Regierungen zu verändern. Dies würde auch bedeuten, Whistleblower nicht einzusperren und Aufdeckportale nicht zu unterdrücken. Fakt ist, dass Verschwörungen existieren, wie Watergate und Co. beweisen. Ich sehe daher die Gefahr weniger in falschen Informationen, denen wir ja auch offiziell täglich ausgeliefert sind (man nennt das Werbung bzw. Propaganda), sondern in manipulativen Brutalwörtern wie Verschwörungstheoretiker, Terrorist oder Gutmensch, die Menschen pauschal abqualifizieren und von der Kommunikation ausschließen.424
5.5.2 Der „Skeptiker“-Diskurs Anders als „Verschwörungstheoretiker“, ist „Skeptiker“ primär keine Fremd-, sondern eine Selbstbeschreibung. Deswegen ist der Begriff als ethnographische Bezeichnung weniger problematisch als Ersterer. In Anführungszeichen gehört er
5.5 Die Anti-Verschwörungstheorie
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dennoch, da sich zum einen auch viele Kritiker*innen der offiziellen 9/11-Version als „Skeptiker“ bezeichnen. Andererseits und damit zusammenhängend ist auch dieses Etikett umkämpft: Wer sich als „skeptisch“ definiert, stellt sich in die Tradition antiker griechischer Philosophie und Wissenschaft und nimmt damit – etwa in der Tradition der pyorrhoischen Skepsis – eine über dogmatische Glaubenssätze erhabene Haltung ein. Diese ist aber weder für typische „Verschwörungstheoretiker“ noch für „Skeptiker“ als Subjekte des (anti-)verschwörungstheoretischen Diskurses (diskurs-)ethnographisch eindeutig zuordenbar. In Gesprächen mit „Skeptikern“ über „Verschwörungstheorien“ und in der Beobachtung des Diskurses trifft man häufig auf die Praxis des sogenannten „Debunking“. Debunking zeichnet sich dadurch aus, „Verschwörungstheorien“ zu widerlegen und als falsches Wissen (im Sinne von „fake news“) zu entlarven. Es wird versucht, das Gegenüber davon zu überzeugen, dass seine*ihre Ansichten ‚falsch‘ oder unhaltbar sind.425 Im anti-verschwörungstheoretischen Diskurs wird diese Form von „Fragen als Mittel des Zweifels“, wie noch gezeigt wird, in Aufklärungsbroschüren im Kampf gegen „Verschwörungsideologien“ empfohlen (Kap. 5.5.4). Vorausgesetzt wird dabei, dass sich das Gegenüber irrt, der*die „Skeptiker*in“ hingegen die „Fakten“ kennt. Ko-konstruktiv zur alternativen „Verschwörungstheorien“-Kultur haben sich im Internet sogenannte „Watchblogs“ gebildet. Das sind Webseiten oder Blogs, die, in der Regel anonym, einerseits versuchen „Verschwörungstheorien“ der Sache nach mit Fakten zu widerlegen (Debunking). Andererseits ist Debunking auch die Durchkreuzung von „face work“ (Schink 2020b), wobei diskreditierende Tatsachen über entsprechende Personen veröffentlicht werden, die heterodoxe Deutungsmuster („Verschwörungstheorien“) vertreten. Die bekannteste Debunkingund Watchblog-Webseite im deutschsprachigen Raum ist das der „Skeptiker“-Bewegung sehr nahestehende Internetportal und Web-Blog Psiram. DEBUNKING From his own readings, a sociologist can always find, if he wants to, some piece of data that disproves the fact on which his colleague has based a theoretical notion. Many sociologists do! If each debunker thought about the potential value of comparative analysis instead of satisfying his urge to „put down“ a colleague, he would realize that he has merely posed another comparative datum for generating another theoretical property or category. (Barney Glaser/Anselm Strauss, The Discovery of Grounded Theory, 1967426)
Die Praxis des Debunking beruht im Wesentlichen auf zwei Prämissen. 1.) Die Aussage(n), die ‚debunked‘ werden sollen, sind falsch; 2.) ein Debunking ist durch Fakten möglich. Die Amadeu Antonio Stiftung schreibt in ihrer Handreichung, die den Titel „No World Order – Wie antisemitische Verschwörungsideologien die Welt verklären“ (2015) trägt: Debunking, zu Deutsch ‚Entlarven‘, ist eine Methode, um falsche Informationen von Mythen, Ideen oder Überzeugungen aufzudecken. Bei der Methode geht es konkret
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darum, falsche Informationen oder Lügen von Verschwörungsideologien mit Fakten offenzulegen und zu entkräften. Gleichzeitig richtet sich das Debunking nicht nur an Verschwörungsideolog_innen, sondern auch an Mitlesende oder Beistehende, die sich noch kein geschlossenes Weltbild zusammengestellt haben.427
Die Autor*innen schlagen, in Anlehnung an das „Debunking Handbook“ von Cook/Lewandowsky (2012 [2011]), des Weiteren drei konkrete Strategien vor, die das Debunking „erfolgreich gegen Verschwörungsideologien“ machen sollen. 428 1. 2.
3.
Die wesentlichen Fakten wiedergeben, statt verschwörungsideologische Falschinformationen zu wiederholen. Wenn auf verschwörungsideologische Fehlinformationen eingegangen werden soll, muss ihnen eine Warnung vorausgehen, dass es sich um Fehlinformationen handelt. Das Debunking sollte nicht nur Verschwörungsideologien widerlegen, sondern auch eine alternative Erklärung oder auch eine Gegenerzählung (Counternarrative) für die Ereignisse bieten.
Zu beachten ist dabei, dass sich diese Strategien u. a. auf kognitionswissenschaftliche Erkenntnisse über Informationsverarbeitung beziehen. D. h., der*die Debunker*in soll nach dieser Anleitung so arbeiten, dass möglichst ‚effektiv‘ die ‚richtige‘ Information und das dazu passende „Narrativ“ das kommunikative Gegenüber erreicht. Während es in dieser Handreichung um das „Widerlegen“ oder „Enthüllen“ von antisemitischen Ideologien gehen soll, machen die Herausgeber*innen jedoch die Grenzen zwischen diesen und „legitimen“ Verschwörungsdeutungen nicht deutlich. Wo falsche Ideologie beginnt und legitime ‚Theorie‘ endet, wird nicht erklärt. Stattdessen verweisen sie auf „Signalwörter“, „die auf Verschwörungsideologien hinweisen können“. Eine exemplarische Aufzählung soll die Leser*innen für diese sensibilisieren und auffordern, „einmal genauer nachzufragen“. Unter der Überschrift „Begriffe, Trends und Dauerbrenner der Verschwörungsideologien“ werden deren Elemente stichwortartig aufgelistet: „Atlantikbrücke“, „Bilderberg Gruppe“, „Rockefeller“, „Rothschild“, „Finanzoligarchie“, „Hochfinanz“, „Finanzadel“, „raffendes Kapital“, „Wall Street“, „1%“, „Freimaurer und Illuminatenorden“, „Neue Weltordnung“, „Trilaterale Kommission“, „9/11“, „BRD GmbH“, „Chemtrails“, „Geoengineering“, „Impf-Lüge“, „Inside Job“, „False Flag“, „Klimawandel/-lüge“, „Lügenpresse“, „Protokolle der Weisen von Zion“, „Zinsknechtschaft“ usw.429 All diese Topoi und Themen verbindet die „No World Order“-Broschüre mit „Verschwörungsideologien“. Wer erfolgreich debunken will, müsse sich zu den entsprechenden Themen zunächst einmal in die „vertrauenswürdigen wissenschaftlichen Quellen“ einarbeiten. Welche das sein sollten und dass es hierbei – gerade wo es um kontroverse und tiefenpolitische Themen geht – starke Widersprüche und Lücken gibt, das scheint aus der Sicht der Stiftung unproblematisch, so als seien die „Fakten“ klar:
5.5 Die Anti-Verschwörungstheorie
273
Debunking legt einen Schwerpunkt auf Fakten und bedarf deshalb einiger Einarbeitung, um seine Wirkung entfalten zu können. Dazu kann es hilfreich sein, sich mit Wissenschafts-Communities zu vernetzen, vertrauenswürdige wissenschaftliche Quellen zu studieren oder sich auf Debunkingseiten über Fakten gegen Verschwörungsideologien zu informieren […]. Dabei geht es weniger darum, Menschen noch mehr Informationen zur Verfügung zu stellen, als vielmehr Falschinformationen, Gerüchte und Mythen als solche aufzuzeigen und durch wissenschaftlich belegte Fakten zu ersetzen.430
„REIZ“ UND MITLEID
Wie erwähnt, sind innerhalb dieses Diskurses „vertrauenswürdige“ Quellen neben der „GWUP“/„Skeptiker“-Bewegung auch Watchblogs wie Psiram, aber auch die Wikipedia. Und es sind die Expert*innen, die in diesem Diskurs mit Medienauftritten, Workshops und Vorträgen „Verschwörungstheorien“ als Problem und Gefahr etikettieren. Dabei gibt es eine Arbeitsteilung zwischen Debunker*innen und Expert*innen. Erstere liefern die Legitimation, zweitere wissen die Techniken ‚an Ort und Stelle‘ anzuwenden. Ich befrage einige Debunker*innen nach ihrer Praxis. Einer von ihnen ist Siegfried. Er ist Anfang 20 und beschäftigt sich u. a. mit der sogenannten „Reichsbürger“-Ideologie und deren Argumentation. Siegfried ist Student im Bereich Geisteswissenschaften. Im Zuge der Recherche einer Politaffäre sei er im Internet auf „Verschwörungstheorien“ gestoßen. Wiederholt spricht er von dem „Reiz“, den es für ihn bringe, diese „Person[en] weichzuklopfen“431. Wenn er von „Verschwörungstheoretikern“ spricht, dann ist dabei eine gewisse Ambivalenz beobachtbar. Einerseits scheint er Mitleid mit oder Mitgefühl für „diese[n] Menschen“ und ihre[n] „Verschwörungstheorien“ zu haben. Zugleich sei da dieser „Reiz“, sie davon zu überzeugen, dass sie falsch liegen:432 ((…)) also ich habs halt versucht immer (.) aber man ist einfach immer abgeprallt (.) das ist dann auch immer so ein reiz gewesen (.) SCHaffst du das diese person weichzuklopfen (.) und das ist dann auch-oft so gewesen (.) dass die sozusagen geleaved haben (.) also dass die dann wirklich gesagt haben (.) nein ich diskutiere nicht mehr (.) weil sie-sie nicht mehr (.) w:ussten: wie sie zu antworten haben ((…))
Siegfried sagt, er „ignoriere die Leute nicht“, sondern versuche „mit denen zu interagieren (und) zu diskutieren“. Andererseits könne dies bisweilen auch „sehr „frustrierend sein“.433 Viele wiederholten ihre Argumente einfach „gebetsmühlenhaft“. Irgendwann gäbe es da auch für ihn Grenzen: ((…)) und man-man gemerkt halt okay man dreht sich im kreis und dann hab ich das auch zum teil v-beendet weil das ( ) ja nicht mehr weil man merkt man macht keinen fortschritt mehr dann-äh (.) muss man das auch natürlich abbrechen dann //mhm// (weil) es kostet ja auch sehr viel zeit ((lächelt)) //( )// ja genau //mhm// und is dann auch ehm=eh-ja (.) bisschen frustriert oder denkt sich so woa::h:: diese menschen hh:: und das nimmt ein(en) mit //mhm// dann (.)
274
5 Verschwörungen im Deutungskonflikt
deswegen hab ich dann auch das=n bisschen heruntergefahren und das hatte ich halt sehr stark gehabt zu der zeit als ich den verein gründen wollte ((…))
Mitleid mit „Verschwörungstheoretikern“ zu haben und sie gleichzeitig zu bekämpfen, weil sie eine „Gefahr“ darstellen, kann als einigermaßen verbreitetes Motiv im „Skeptiker“-Diskurs gelten.434 WAHRHEITSSUCHE?
Ich spreche mit Siegfried über das Thema „Wahrheitssuche“. Dabei frage ich ihn, ob er den „Verschwörungstheoretikern“ nicht abnimmt, dass sie die tatsächliche Wahrheit suchen und inwiefern er denn nicht auch selbst auf Wahrheitssuche sei. Meine Frage, ob er selbst „recherchiere“, bejaht Siegfried sofort. Letztendlich sagt Siegfried, hätten sich die Behauptungen der „Verschwörungstheoretiker“ nach seinen Recherchen „leider“ am Ende immer als unwahr herausgestellt: ((…)) ja (.) ja, [„recherchieren“, A. S.] das mach ich eigentlich immer (.) und das ist auch wirklich so(n) reiz daran (.) weil es äh-is ja schon so dass ( ) ich dass ich kannte (die) theorien ja vorher nicht alle ((…)) ihre argumentation steht dann ja da und die zeigt aber immer nur die EINE seite, die seite die dann ihre theorie unterstützt (.) und (so) (.) muss man die andere seite erstmal suchen (.) weil die weiß man so ja nicht und dann recherchiere ich das natürlich oder=äh (.) auch bei den brd-gmbhtheorien hatte ich ja auch am anfang keine ahnung erstmal nachgeguckt oder: auch bei 9/11 k-hab ich nachgeguckt wann schmilzt sta:h:l=ääh=äh wie verhält der sich bei so und soviel gra:d=äh wie kann das-wie kann das sein (.) hab mir dokus angeguckt und so weiter ((haucht)) (.) und-und dann bildet man sich so irgendwann sein eigenes bild //mhm// und das iS(t) (-) leider für die verschwörungstheoretiker ( )theoretiker ((…)) (.) für die oft negativ (.) also nicht das was ihnen entspricht (.) also (.) ich hab bisher keine theorie gefunden, wo ich noch sagen würde boah da is(t) was wahres dran (-) also für mich persönlich //mhm// ((…))
„EXPERTEN“ UND „EVIDENZEN“
Die Kriterien für Wahrheit und Gewissheit bei Recherchen sind für Siegfried aber nicht immer nur „Experten“. Ich weise ihn darauf hin, dass es z. B. im Fall von 9/11 ja auch „Gegenexperten“ gäbe, die seinen Recherche-Erkenntnissen widersprechen würden. Er gesteht, dass er „halt kein Profi in den Gebieten“ sei und spricht dann von einem „intuitiv[en]“ Vorgehen. Neben dem „Reiz“ der Widerlegung der „Verschwörungstheoretiker“ scheint es eine Art Unwohlsein, das seine Suche leitet: ((…)) ich bin halt kein profi in den gebieten, aber man kann ((…)) ja so sein- ja ich mach das halt relativ intuitiv dann (.) also ich guck na:ch bewerte es alles einzeln und ä:h: les mir dann auch relativ zeitaufwendig dann sachen an (.) bis ich zu demweil ich bin dann auch selber: (.) ich fühl mich //mhm// also wenn ich dann weiß hm::: hat der vielleicht
5.5 Die Anti-Verschwörungstheorie
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recht oder so oder ist da vielleicht was wahres dran und dann guck ich das nach: (.) bis ich an dem punkt bin wo ich sage ( ) das ist bullshit was der mir da erzählt hat (.) das ist WIRKLICH so wie ich das von anfang (an) gedacht habe oder es ist quatsch was er da erzählt (.) und ä:h: (-) (des) bis zu dem punkt such dann meistens: (.) mir ist klar dass ich natürlich auch kein profi bin (.) aber das muss man ä:h:: ja auch inin diesem bereich nicht unbedingt sein um das zu verstehen was die wahrheit ist die leute behaupten das nur gerne weil sie denken das würde ihre aussage untermauern //mhm// ((…))435
Siegfried spricht von der „Gefahr“436, die von den Communities der „Verschwörungstheoretiker“ ausgehe. Ihre „Abspaltung“437 sei ein gesellschaftliches Problem wie auch ihr Schwarz/Weiß-Denken, der Putin-Hype und der „Fremdenhass generell“ „in diesen Szenen“. 438 Einerseits lässt sich bei Siegfried deutlich persönliche Betroffenheit beobachten, die seine Debunking-Praxis motiviert („Reiz“, Frust, Mitleid, Unwohlsein). Gleichzeitig wird diese rationalisiert durch den Gefahren- und Problemdiskurs. Der junge Aktivist spricht von sich aus nicht von „Wahrheitssuche“, aber auch nicht von „Debunking“. Dem anti-verschwörungstheoretischen Muster und der Praxis nach, ist aber, was Siegfried tut und wie er es tut, eine Form des Debunking. Er ist mit seiner Arbeit erst dann ‚fertig‘, wenn er „an dem punkt“ ist, wo er sagen kann „das ist bullshit was der mir da erzählt hat (.) das ist WIRKLICH so wie ich das von anfang (an) gedacht habe oder es ist quatsch was er da erzählt“. Dass ihn einmal ein Gegenargument überzeugt habe, kam in seiner Wahrnehmung nicht vor. Diese Einstellung im Umgang mit „Verschwörungstheorien“ ist beispielhaft für diesen Diskurs und seine Milieus. Ich finde sie, in teilweise aggressiverer, teilweise milderer Form in anderen Gesprächen mit Menschen aus dem Umfeld der „Skeptiker“-Bewegung. Diese Einstellung lässt sich kontrastieren durch die Einstellung von Norbert.439 Norbert sieht sich selbst ebenfalls als ein „Verschwörungstheorien“-kritischer Mensch. Er stellt „Verschwörungstheorien“ in die Nähe zu „Religion“ und zu geschlossenen Weltanschauungen. Als ich ihn näher dazu befrage, macht er Unterschiede und gesteht, anders als etwa Siegfried, dass er in vielen der Themen, z. B. der Terroranschläge vom 11. September 2001, auch die offizielle Geschichte skeptisch sehe und einige Aspekte davon zweifelhaft finde. Norbert kritisiert „Verschwörungstheorien“, weil er für sich persönlich festgestellt habe, dass er schon vieles geglaubt und vertreten habe, von dem er heute sagen müsse, er wisse es nicht sicher.440 Diese agnostische Haltung, die Skepsis gegenüber allen Seiten, auch gegen offizielle und vermeintlich „vertrauenswürdige“ Quellenlagen – nicht zuletzt gegenüber dem eigenen Glauben – ist für den skeptischen und den anti-verschwörungstheoretischen Diskurs jedoch eher untypisch. Siegfried, wie auch andere dem „Skeptiker“-Milieu nahestehende Personen, mit denen ich in Kontakt komme, äußern sich in der Regel weniger skeptisch
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5 Verschwörungen im Deutungskonflikt
gegenüber offiziellen Versionen als gegen dasjenige, was sie selbst als „Verschwörungstheorie“ deuten und entlarven. „Verschwörungstheorien“ sind in diesem Diskurs „bullshit“441, nicht ernst zu nehmen. Der Kampf gegen „Verschwörungstheorien“ und die Praxis des Debunking fungieren in diesem Diskurs(-Milieu) zugleich als Entlastung etablierter Wahrheiten und Politiken und damit implizit oder explizit als die Reproduktion gesellschaftlicher Orthodoxie. Es wird sich zeigen, dass das Milieu der „Skeptiker“ vor allem Menschen anzuziehen scheint, die eine atheistisch-szientistische Weltanschauung vertreten und damit eine Art von materialistischer Kosmologie. Im Gespräch mit Giulia Silberberger, der Begründerin der „Goldenen Aluhut“-Events, ist für mich außerdem auffällig, dass sie häufig von „Evidenzen“ spricht, nach denen sich ihr Vertrauen ausrichte.442 Sie stammt aus einer Mediziner*innen-Familie erzählt sie und habe daher einen streng naturwissenschaftlichen Hintergrund. Als ich Giulia von meinen Erlebnissen auf einem 9/11 Truth Movement-Event berichte, bei dem Vertreter*innen der Sprengungsthese mit „evidences“ für ihre Theorie argumentiert haben, kommen wir in der Wahrheitssuche nicht weiter. Das sei nicht ihr Spezialgebiet, meint die Skeptikerin. Anders als Siegfried oder Norbert nimmt sie dazu keine Stellung. Geht man nach Michael Butter im eingängigen Standard-Gespräch, dann hätten „Wissenschafter [sic] gezeigt“, dass am 11. September 2001 „eben nicht gesprengt worden ist.“ Auf welche Expert*innen, Studien oder „Evidenzen“ Butter sich dabei bezieht, wenn nicht auf hinterfragenswerte Modelle der Regierung(sbehörden) (vgl. Kap. 6.1.1), ist unklar und nicht überprüfbar. „SKEPTIKER“-BEWEGUNG (GWUP)
Der anti-verschwörungstheoretische Diskurs wird stark durch die „Skeptiker“-Bewegung und deren verschiedene Akteure und Medien geprägt. Inwiefern sind die „Skeptiker“ eine Bewegung? Eine soziale Bewegung wird hier als kollektiver Akteur, „mithin ein Netzwerk verschiedener anderer Akteure“ begriffen, welches „auf Basis symbolischer Integration und eines gewissen Zugehörigkeitsgefühls […] sozialen Wandel erreichen, beschleunigen, verhindern oder umkehren will.“ (Ullrich 2017: 219). „Die symbolische Integration“ der „Skeptiker“-Bewegung, so Edgar Wunder, „wird ganz maßgeblich durch die Eigenbezeichnung ‚Skeptiker‘ geleistet.“ (Wunder 2000: 2) Ein „Skeptiker“ sieht sich primär durch seinen Kampf für Aufklärung legitimiert. Die Mittel der Mobilisierung können hierbei von Lobbyismus über Öffentlichkeitsarbeit verschiedene Strategien umfassen. Da die Ziele der „Skeptiker“-Bewegung allgemein in der Propagierung einer bestimmten, aus ihrer Sicht, ‚rationalen‘ und ‚wissenschaftlichen‘ Weltanschauung liegen, stehen „Verschwörungstheorien“ neben „Parawissenschaften“ bei ihnen besonders in der Kritik. Stellvertretend für die Bewegung werden hier die Positionen des als gemeinnützig anerkannten „Skeptiker“-Vereins
5.5 Die Anti-Verschwörungstheorie
277
„GWUP“ untersucht. „Verschwörungstheorien“ werden von diesem Verein als „wissenschaftlich wertlos“ und „eine Gefahr für das rationalistische Denken und die Demokratie“ bezeichnet. Die Haltung der „Skeptiker“-Bewegung zu „Verschwörungstheorien“ entspricht insofern dem bereits im politischen und leitmedialen Diskurs identifizierten Deutungsmuster, wobei GWUP-„Skeptiker“ beanspruchen, den Schwerpunkt auf die rationale und wissenschaftliche Widerlegung von „Verschwörungstheorien“ zu legen. Die GWUP hat eine gespaltene Geschichte. Sie ist die zentrale Organisation in der deutschsprachigen Skeptikerbewegung. Zugleich werfen ihr Kritiker*innen wie Edgar Wunder Dogmatismus vor. Den Ausgangspunkt nimmt die Geschichte der GWUP in den USA. Dort wird 1976 das „Committee for the Scientific Investigation of Claims of the Paranormal“ (CSICOP) gegründet, das sich heute nur noch „Committee for Skeptical Inquiry“ (CSI) nennt. Der deutschsprachige Ableger des CSI ist der in Bonn 1987 gegründete Verein „Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften“ (GWUP). Ihrer Selbstdarstellung auf der Webseite nach möchte die GWUP wissenschaftliches bzw. kritisches Denken und wissenschaftliche Methoden verbreiten, allgemeinverständlich erklären und echte Wissenschaft klar von Parawissenschaft abgrenzen. Auf diese Weise will sie dazu beitragen, die Anfälligkeit der Gesellschaft für parawissenschaftliche Vorstellungen und Versprechungen abzubauen.443
Seit 1989 veranstaltet die GWUP dazu jedes Jahr die sogenannte „SkepKon“, eine Konferenz, auf der verschiedene Themen von Homöopathie über UFOs bis hin zu „Verschwörungstheorien“ skeptisch thematisiert werden – was so viel bedeutet wie, dass sie ‚debunked‘ oder satirisch behandelt werden. Auch das Event „Der Goldene Aluhut“ (Kap. 5.4) ist der „Skeptiker“-Bewegung zuzurechnen. „Verschwörungstheorien“ sind bei der GWUP und auch im CSI immer wieder ein prominentes Thema, z. B. im CSI-Magazin Skeptical Inquirer. Seit dem Gründungsjahr dient die vierteljährlich erscheinende Zeitschrift Skeptiker zur internen und öffentlichen Kommunikation der GWUP-Skeptiker im deutschsprachigen Raum. Im Jahr 1999 spaltete sich ein Teil der „Skeptiker“-Bewegung um das Gründungsmitglied Edgar Wunder, bis 1998 Redaktionsleiter der Skeptiker-Zeitschrift, von dieser ab. Die abgespaltene Gruppe warf der GWUP als zentralem Organ der Bewegung „Meinungsmache“ statt ernsthafter Forschung vor, es würden kaum kritische Untersuchungen durchgeführt. Für die meisten Mitglieder sei die Einstellung zu den Parawissenschaften eine längst entschiedene Glaubensfrage, man verstehe sich als Kampfverband gegen alles, was der etablierten Wissenschaft zuwiderlaufe.444
Aus der Abspaltung heraus gründeten Wunder und die Gruppe um ihn herum die „Gesellschaft für Anomalistik“ (GfA), in der auch der Autor dieser Studie Mitglied ist. Die deutsche „Skeptiker“-Kritik folgte in gewisser Weise dem US-
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amerikanischen Vorbild des CSICOP-Mitbegründers- und späteren -Kritikers Marcello Truzzi. Dieser hatte die „Skeptiker“-Mutterorganisation bereits ein knappes Jahr nach deren Gründung 1976 verlassen – aus ähnlichen Gründen wie Wunder und Co.: Statt offenen wissenschaftlichen Untersuchungen über Paranormales und Anomalien, habe „den damaligen Vorstandsmitgliedern der Organisation“ vielmehr „ein Kreuzzug zur Zerschlagung aller von ihnen als ‚irrational‘ eingeschätzten wissenschaftlichen Bestrebungen vor[geschwebt]“ (Hövelmann 2015: 20) Der GWUP-Kritiker Edgar Wunder ordnet die Weltanschauung der GWUP einem „disbelief-System“ zu, das die verschiedenen Akteure (und ihre individuellen belief-Systeme) in ihrer „Ablehnung des ‚Paranormalen‘ eint“. Dabei gehe es nicht um offene Forschung, sondern darum, bei finanziell begrenzten Mitteln und in einer „religiös-missionarische[n] Haltung“ primär Öffentlichkeitsarbeit zu machen und dabei immer schon zu wissen, was wahr sei – meist anhand eines atheistisch-humanistisch-szientistischen Weltbildes (Wunder 1998). Die GWUP weist diese Vorwürfe als polemisch und verkürzt zurück und meint, die von Wunder u. a. thematisierten „inhärenten strukturellen Probleme der Skeptiker-Bewegung“ könnten auch bei anderen Bewegungen auftreten, seine Veröffentlichung seien keine „fundierte soziologische Studie“445 (– Wunder ist promovierter Soziologe, A. S.). Und tatsächlich fehlt bislang eine umfassende Studie der deutschsprachigen „Skeptiker“-Bewegung, Wunders kritische Arbeitsthesen könnten jedoch als Ausgangspunkt für eine solche dienen. „VERSCHWÖRUNGSGLAUBE“
Im Folgenden soll es jedoch nicht um eine soziologische Analyse der „Skeptiker“Bewegung, sondern um ihre Position zu Verschwörungen und „Verschwörungstheorien“ gehen. Die offizielle Position der GWUP zu „Verschwörungstheorien“ findet sich auf der Webseite in der eigenen Sparte „Verschwörungstheorien“. In Übereinstimmung mit den Deutungsmustern orthodoxer Diskurse werden hier „Verschwörungstheorien“ als falsches und vor allem „wissenschaftlich wertlos[es]“ Wissen zurückgewiesen: Eine Verschwörungstheorie ist die sachlich unbegründete Annahme, ein bestimmtes, meist negatives Geschehen sei das Ergebnis einer Verschwörung. Durch ihre Argumentation widersetzen sich Verschwörungstheorien jeglicher logischen Widerlegung, deshalb sind sie wissenschaftlich wertlos. Viele Vertreter von parawissenschaftlichen Behauptungen versuchen, ihre Thesen durch Verschwörungstheorien zu stützen.446
Für die Begründung dieser Position hält das populäre Sachbuch von Thomas Grüter (2006) her, das auch im leitmedialen und teilweise auch im wissenschaftlichen Diskurs häufig als Referenz und Quelle dient. Grüter vertritt in den meisten Punkten die Position des Problem- und Gefahren-Diskurses. Im Mittelpunkt seines Arguments steht die Verschwörungstheorie als „Verschwörungsglaube“ und dieser
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ist schon dem Namen nach nicht ernst zu nehmen. Er schreibt über „Verschwörungstheorien“: Die Grundlage einer erfolgreichen Verschwörungstheorie lautet: Es muss ein Verschwörungsglauben vorgeprägt sein, ein latentes Misstrauen gegen eine andere soziale, ethnische oder religiöse Gruppe. (Ebd.: 47)
Dies könnte zunächst an die Differenzierung von Cubitt (1989) erinnern (vgl. Kap. 4.1), nach der jeder Theorie (logos) ein Verschwörungsmythos zugrunde liege. Grüters anti-verschwörungstheoretische Überlegungen laufen jedoch auf folgendes Fazit hinaus: Die Verschwörungstheorie schaffe angesichts ihrer Annahmen „ein intellektuelles, pseudowissenschaftliches Gedankengebäude, auf das sich wiederum der zugrunde liegende Verschwörungsglauben beruft.“ (Ebd.: 49) Belege führt Grüter nicht an, falsifizierende Beispiele erwähnt er nicht. Anders als bei Cubitt, hängen für Grüter Verschwörungspraxis und -theorie nicht zusammen. Entsprechend heißt es auch in der Grüter-Referenz der GWUP, eine Verschwörungstheorie bündele den „Verdacht und Legenden zu einem fest gefügten System“ und ihre Anhänger*innen seinen immun gegen Kritik. Daher hielten sie auch „keiner wissenschaftlichen Untersuchung stand“. Weiter heißt es auf der Webseite unter Verweis auf einen dem Autor unbekannten „Kritiker“: „Aus diesen Gründen sehen Kritiker wie Lars Demuth in „Verschwörungstheorien“ eine Gefahr für das rationalistische Denken und die Demokratie.“447 Als Referenzen für diese Befunde dienen neben Links zu Blogbeiträgen zum Thema zwei Beiträge von Grüter (eines erschienen im Skeptiker-Magazin und das andere sein Buch von 2006), ein weiterer Skeptiker-Beitrag und ein Unterhaltungsbuch von Bernd Harder mit dem Titel „Elvis lebt! Lexikon der unterdrückten Wahrheiten“ (2010). Harder ist gemeinsam mit Inge Hüsgen, Redakteurin des Skeptiker-Magazins, Autor des offiziellen GWUP-Standpunkts zu „Verschwörungstheorien“. Vier der acht Verweise auf dieser Seite beziehen sich auf den Autor selbst, der gleichzeitig (alleiniger) Betreiber des GWUP-Blogs ist. DIE SPRACHE DES GWUP-BLOGS DIE SERVILE VEREHRUNG, DIE DER SCHWEIZER VERSCHWÖRUNGSTHEORETIKER DANIELE GANSER IN EINSCHLÄGIGEN KREISEN GENIESST, IST NICHT UNBEDINGT UNERKLÄRLICH, ABER DOCH EIN PHÄNOMEN. (BERND HARDER, GWUP-BLOG, 15. APRIL 2017448)
Der GWUP-Blog veröffentlicht neben zahlreichen Kritiken etwa zu Themen der Alternativmedizin oder Impfkritik auch viele Beiträge zu „Verschwörungstheorien“. Stellvertretend für die Position der GWUP, soll hier ihr Blog näher in den Blick genommen werden. Dabei wurde sich auf eine überschaubare Anzahl an Beiträgen, in denen der „Verschwörungstheoretiker“ Daniele Ganser (vgl. Kap. 5.4.1) thematisiert wird, fokussiert. Der GWUP-Blog wird, wie erwähnt, von Bernd Harder allein betrieben. Harder ist Jahrgang 1966, studierter
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Politikwissenschaftler und wird in der Wikipedia als „ein deutscher Journalist und Autor populärwissenschaftlichen Infotainments“ beschrieben.449 Harder hat Bücher mit Titeln wie „Warum Krokodile nur bei Gewitter Sex haben ... und weitere Rätsel des Alltags“ (2006), „Warum machen Querstreifen dick? Neue Rätsel des Alltags“ (2007) oder das schon erwähnte „Elvis Lebt!“ (2010) geschrieben. In der GWUP hat er u. a. die Funktion des Pressesprechers, ist „Chefreporter“ des Skeptiker-Magazins, „Initiator und Moderator des populären Tages im Rahmen der GWUP-Konferenzen“ sowie der Betreiber des GWUP-Blogs.450 In einer rezenten Publikation über „Verschwörungstheorien“ will er mit den „Mythen“ über solche aufräumen. Daniele Ganser wird dort ebenso behandelt wie der verstorbene FAZJournalist und Kritiker der „Mainstreammedien“ Udo Ulfkotte. Harder spricht in dem Buch Verschwörungstheoretikern, die als „Wahrheitssucher“ gelten, ab, tatsächlich an einer solchen interessiert zu sein und meint, sie würden nur „ihre eigene ‚Wahrheit‘“ suchen (Harder 2018: 25). Der Autor macht auf einer Konferenz über „Verschwörungstheorien“ Bekanntschaft mit Harder, ohne zu diesem Zeitpunkt zu wissen, wer er ist oder was er tut. Er nimmt ihn als einen sehr engagierten Diskussionspartner wahr. Harder ist auf Veranstaltungen in ganz Deutschland im „Kampf gegen Verschwörungstheorien“451 unterwegs und hat auch schon im Bundestag über die „Gefahren“ von „Verschwörungstheorien“ referiert.452 Beobachtet man die Kommentarspalten und Beiträge auf dem GWUP-Blog, so bestätigt sich der Eindruck eines starken Engagements: Harder ist auch hier sehr aktiv. Um den GWUP-Blog in dieser Hinsicht zu verstehen, wurden die Beiträge mit dem Tag „Verschwörungstheorien“ fokussiert und insbesondere jene zu „Daniele Ganser“ genauer angesehen. Dazu wurde die Sprache des GWUP-Blogs nach vier Kriterien untersucht.453 Dabei ist wichtig festzuhalten, dass es hierbei nicht um den Autor als Person, sondern vielmehr um die Sprache des Diskurses geht. Wir gehen zwar davon aus, dass jede*r Autor*in bis zu einem gewissen Grad frei und autonom agiert. Zugleich untersteht er*sie als Subjekt gewissen Diskursen und deren (Sprach-)Regeln, Ritualen und Wahrheitsregimen. An der Sprache des GWUP-Blogs lassen sich daher exemplarisch Merkmale des skeptischen und antiverschwörungstheoretischen Diskurses erkennen, die über seine Deutungsmacht hinausgehen und eine spezifische Rationalität entfalten. Analog zu den Diskursen der „Gegenöffentlichkeit“ unterliegen Deutungsmuster der Anti-Verschwörungstheorie gewissen „Emotionsvorgaben“ (Plaß/Schetsche 2001), die in den entsprechenden Diskursmilieus kultiviert werden und an diese anschlussfähig sind.
5.5 Die Anti-Verschwörungstheorie
281
Abbildung 42: Eine Auswahl an Headlines zu „Daniele Ganser“ im „GWUP“-Blog (Quelle: eigene Collage/gwup-blog).
Vorab auffällig sind in der Blog-Sprache fünf Punkte: a) die große Menge an Links und Verweisen, die hier gepostet und die hohe Frequenz, mit der der Autor in Kommentarspalten aktiv ist (zu nahezu jeder Tageszeit und sehr zügige Antworten); b) das engagierte Bemühen, jeden einzelnen Kommentar unter seinen Einträgen zu beantworten und jede Kritik sofort zu widerlegen; c) ein recht fundiertes Wissen der „Verschwörungstheorien“-Szene; d) die Selektivität der Beschäftigung mit „Verschwörungstheorien“ (es werden in auffälliger Weise ausschließlich Links und Quellen zitiert, die dem eigenen anti-verschwörungstheoretischen Deutungsmuster entsprechen); e) eine ziemlich abwertende und diskreditierende Sprache (personalisierende, zynische und polemische Bemerkungen). Im Folgenden wird die Sprache des GWUP-Blogs im Rahmen der Berichterstattung über die Person Daniele Gansers nach den folgenden vier Kriterien (Punkte 1.–4.) analysiert. 1.
Darstellung der Person Daniele Gansers
Insgesamt ist zunächst bemerkenswert, dass sich der Autor seit Anfang 2018 gehäuft an der medialen Deligitimierung der Person Daniele Gansers beteiligt.454 Beispielhaft dafür sind neben dem Zusammentragen von bloß diskreditierenden Fakten der Versuch der Beschädigung von dessen wissenschaftlicher Reputation, nicht durch ausgewogene fallbezogene und sachliche Argumentation, sondern durch Aussagen über das Weltbild Gansers 455 oder die zynische Infragestellung seines Doktortitels.456 Daniele Ganser ist im GWUP-Blog in doppelter Hinsicht ein Problem: Als ein die Verschwörung Denkender und als Mensch mit einem spirituellen Weltbild – oder wie es der Autor des GWUP-Blogs ausdrückt: als ein „Verschwörungstheoretiker“ und als „Esoteriker“.457 Welt-Online schließt sich der Einschätzung von Prof. Michael Butter und Roger Schawinski an – beziehungsweise geht sogar noch darüber hinaus, indem die
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5 Verschwörungen im Deutungskonflikt
Redaktion den selbst ernannten Schweizer „Friedensforscher“ Daniele Ganser als „Verschwörungspraktiker“ bezeichnet. – Bernd Harder, GWUP-Blog, 11. Juni 2018458
In den betreffenden Beiträgen wird Ganser als „Verschwörungstheoretiker“ bezeichnet. Ab Anfang 2018 wird dafür als Experte Michael Butter zitiert und dessen Auftritte und Buch noch vor dessen Erscheinung beworben. Unter anderem mit dem Verweis, dass der Experte mit „Daniele Ganser“ auch Themen aufgreife, „die uns auch hier im Blog schon öfter beschäftigt haben“459. Der „Tübinger Kulturhistoriker und Action Vice Chair eines europäischen Forschungsprojekts zu Verschwörungstheorien Professor Michael Butter“ (Kap. 5.5) legitimiert in der vom GWUP-Autor beworbenen Publikation die Kritik am „Verschwörungstheoretiker“ Daniele Ganser.460 Die Sprache mit der Ganser im GWUP-Blog thematisiert wird, ist zunehmend polemisch („One Trick Pony“461), bisweilen mit infantilen Einsprengseln („Verschwöris“462). Mehrfach spricht der Autor Ganser als „Truther“ und „Posterboy“ an, setzt den „Doktor“ und „Friedensforscher“ in Anführungszeichen463 und spricht ihm damit die Expertise in den betreffenden Bereichen ab. Der Blog selegiert diskreditierende Darstellungen aus dem anti-verschwörungstheoretischen leitmedialen Diskurs und konstruiert ein Bild von Ganser als „Verschwörungstheoretiker“, „Verschwörungspraktiker“ oder, bezogen auf YouTube-Videos eines „Skeptikers“, als „Verschwörungspropagandist“464. Auch ist von Gansers „Phraseologie“ die Rede, die mehrfach entlarvt worden sei. 465 Als Information über Ganser werden neben dem betreffenden Leitartikel auch ein Psiram-Beitrag über Ganser466 und ein Psiram-Blogartikel verlinkt.467 Dazu wird der Medienunternehmer Roger Schawinski, ein wütender und polemisierender Gegner Gansers, als Zeuge gegen diesen angeführt. Ganser wird, mit den Worten Schawinskis, als Narzisst und als Fanatiker dargestellt: […] Das Entscheidende ist bei ihm nicht sein Narzissmus, sondern sein Fanatismus […] Nach der famosen Arena-Sendung stellte ich fest, wie stark die Aggression in Gansers Community gegenüber Kritikern ist und wie riesig diese Szene ist. Ich begann deshalb zu recherchieren und war schockiert, was sich dort im Untergrund tut.468
Ganser wird unterstellt, seine Position zu missbrauchen und ein „Geschäftsmodell“ zu betreiben.469 Aufgrund seiner spirituellen und nicht-materialistischen Weltanschauung wird er als „Esoteriker“ bezeichnet, was in diesem Diskursmilieu eine abwertende Bezeichnung ist.470 2.
Ganser-Debunking
Das Debunking im GWUP-Blog funktioniert auf zwei verschiedenen Ebenen, die sich gegenseitig verstärken. Einerseits wird Ganser mit den oben beschriebenen Mitteln als Person angegriffen (ad-hominem-Argumente). Ihm wird des Weiteren unterstellt, keine wirklichen „Fragen“, sondern allein „Suggestivfragen“ zu stellen.471 Andererseits werden Deutungen aus dem „Skeptiker“-Milieu (Psiram,
5.5 Die Anti-Verschwörungstheorie
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YouTube-Kanal „Verschwöung & Fakten“) selbst und „Expert*innen“ aus dem anti-verschwörungstheoretischen Diskurs im Allgemeinen (z. B. Bartoschek, Butter, Schawinski) zitiert. Die wissenschaftliche Integrität von Expert*innen der eigenen Position wird auf-, die von Gegen-Experten abgewertet. Wie für die Debunking-Praxis typisch, wird dabei einseitig gegen Thesen der „Verschwörungstheoretiker“ argumentiert, diese mit verschiedenen Mitteln entlarvt. Eine sachliche und inhaltliche Wissensproduktion zum Thema findet auf dem GWUP-Blog in den untersuchten Beiträgen nicht statt. Stattdessen liegt der Fokus auf dem Zusammentragen, d. h. Verlinken und Kommentieren von Webseiten oder Publikationen. Sehr umfassend und wiederholt wird dabei auf vorgängige Artikel zum gleichen Thema verlinkt. Dadurch entsteht eine semantische Zirkularität, die sich blind macht für das Wissen und die Argumente von Expert*innen der Gegenseite. Etwa für die tiefenpolitische Kritik an der offiziellen 9/11-Geschichte (z. B. Scott, Zarembka, Ahmed) oder Stimmen, die aufgrund ihres naturwissenschaftlichen Hintergrunds Gansers Position unterstützen (z. B. Schneider, Bachmann, Hulsey). Interessant ist die Zusammensetzung der GWUP-Blog-Kritik: Von AmateurYouTube-Videos über Zeitungsartikel bis hin zu den Zitaten eines Hochschulprofessors werden alle Formen von Kritik an Ganser und seiner Position zugelassen. Das einzige (Qualitäts-)Kriterium scheint das Kontra zur Position von Ganser – bzw. diskreditierendes Wissen zu seiner Position, so wie eben auch zu seiner Person, zu sein. Es sieht fast so aus, als wenn Ganser mit seinem Geschäftsmodell expandieren und über die Szene der Verschwöris hinaus jetzt die (ähnlich leichtgläubigen) Esoteriker abfischen will. (Bernd Harder, GWUP-Blog, 2018472)
Die Begleiterscheinung dieser argumentativen Zirkularität und Schließung für eine sachliche Auseinandersetzung und den Dialog mit anderen Positionen ist ein zwanghaftes Festhalten an der eigenen Position. So etwa im Fall eines YouTube„Skeptikers“, der Ganser Fehler nachweisen will und vom GWUP-Blog verlinkt wird.473 Der Nutzer argumentiert selbst ungenau und entschuldigt sich anschließend dafür. Doch er bleibt bei seiner Position. Er hatte versucht nachzuweisen, dass das WTC 7, anders als Ganser behauptet, nicht „im freien Fall“ eingestürzt sei. Er unterstellt Ganser, dass er „keine saubere Forschungsarbeit“ betreibe, weil er sich entweder „auf unseriöse Quellen beruft“ oder „mit voller Absicht“ nicht die Wahrheit sage.474 Er selbst habe das u. a. mit seiner „Stoppuhr“ nachgemessen und komme auf eine andere Zeitmessung. Der YouTuber rückt die Vorgehensweise Gansers in die Nähe von „Betrug“, der Historiker arbeite „sehr stark suggestiv“. Ganser setze sich darüber hinaus „niemals inhaltlich mit der Gegenposition auseinander“, wie der YouTuber zweimal wiederholt. Stattdessen „diffamiert [er] Leute“, sagt er über Ganser.475 Dieser sei „keine vertrauenswürdige Quelle“, ist die Bilanz des YouTubers, weil er „sehr fahrlässig recherchiert“.476 Und
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5 Verschwörungen im Deutungskonflikt
auf so eine Quelle stütze ich mich nicht mehr. Ich habe keine Lust, jede Publikation, jedes Video von ihm, einzeln auseinander zu nehmen. Denn wer sich solchen Methoden bedient, der hat für mich die Vertrauenswürdigkeit definitiv verspielt.477
Nachdem der YouTuber in Kommentarspalten auf (s)einen Irrtum und eine Falschbeschuldigung gegen Ganser aufmerksam gemacht wird, veröffentlicht er ein Video mit einer „Richtigstellung“. Hier bleibt er bei der Behauptung, es sei Ganser, der unsauber arbeite. Der GWUP-Blog ergänzt unter dem ursprünglichen Eintrag „Daniele Ganser und sein Glaubwürdigkeitsproblem“ diese Richtigstellung und addressiert diese wie folgt478: Und bevor Gansers Fanboys hier wie üblich koordiniert aufschlagen: Nein, daran ist überhaupt nichts verwerflich. Erstens zeigt das, wie (bewusst?) unklar und (vorsätzlich?) missverständlich sich Ganser stets auszudrücken pflegt (was man beispielhaft auch in einem aktuellen Interview hören kann). Und zweitens sind Skeptiker bereit, Fehler und Irrtümer zu korrigieren.
Unter dem Vorwurf, „Doktor Ganser“, würde, im Gegensatz zu den „Skeptikern“, die ihre „Fehler und Irrtümer korrigieren“, die „immer gleichen Behauptungen“ aufstellen, verlinkt Harder neben einem Psiram-Artikel mit vermeintlichen Falschbehauptungen Gansers zu „WTC 7“ einen Bericht, in dem Roger Schawinski Ganser „Narzissmus“ und „Fanatismus“ attestiert (s. o.). Die verlinkte „Richtigstellung“ des YouTubers endet mit den Worten „und somit bleibt das Fazit genau gleich wie vorher: ich habe einen Fehler gemacht, Ganser bleibt trotzdem unglaubwürdig […] lasst euch niemals verarschen“479. In einem Video-Anhang geht er dann noch auf Kommentare ein, die fordern, „das Ereignis 9/11 an sich“ zu thematisieren, was er aber nicht wolle. Es gehe ihm hier „einzig und allein um Doktor Daniele Ganser“. Der YouTube-Skeptiker begründet: Mit dem 9/11-Zeugs da hat man als kleiner YouTuber gegen die ganze Szene einfach verloren. […] Das ist wie beim Fussball […] wenn ein Fussball-Match ist, ist jeder Fussball-Experte und so scheint es mir hier auch.480
Nach einem Exkurs darüber, wieso die Sprengungsthese widersinnig sei (die mutmaßlichen „Sprenger“ „hätten ein Interesse daran gehabt haben sollen, damit [sic] das Gebäude umfällt und noch möglichst viel mehr Schaden anrichtet“), meint der YouTuber: […] aber wie gesagt, man kommt hier argumentativ einfach nicht weiter oder kommt in eine Endlosschlaufe [sic] und gegen die, da muss ich ehrlich sagen, da komme ich einfach nicht an, da rede ich lieber gegen die flache Erde, denn diese beiden Truther [Vertreter der Flache-Erde-Theorie, A. S.] kann ich noch stemmen.481
5.5 Die Anti-Verschwörungstheorie
3.
285
Die Konstruktion von Legitimität
Die Konstruktion von Legitimität wird einerseits durch die Abwertung der Person und Position von Ganser erbracht. Indem dieser als Blender, Betrüger oder seine weltanschaulichen oder kommerziellen Motive vermeintlich entlarvt werden, ist die Position des aufklärerischen „Skeptikers“ implizit legitimiert. Unterstützend fungiert hier die Immunisierungs-Annahme: dass man bei „Verschwörungstheoretikern“ bzw. in deren „Szene“ „argumentativ […] nicht weiter“ kommt. Eine komplementäre Strategie ist, die eigene Position durch passende Expert*innen oder Autoritäten zu legitimieren. Deren Fachwissen, Motivation und Integrität bleibt unhinterfragt. Eine weitere Strategie, die die Legitimität der eigenen Position mitkonstruiert, ist das erwähnte Verschweigen bzw. Nihilieren von gewichtigen Gegenpositionen, die die eigene Deutung infrage stellen könnten. So werden etwa Arbeiten von Schneider (2018) oder Publikationen wie die von Wilson (2015, 2009), Scott (2015), DeHaven-Smith (2013), Zarembka (2006), Anton u. a. (2014, 2011), oder Ahmed (2002) nicht thematisiert. Denn sie sind an das betreffende Deutungsmuster und dessen Dispositive nicht anschlussfähig. Sie existieren weder im GWUP-Blog, noch werden sie im anti-verschwörungstheoretischen Diskurs thematisiert.482 Durch diese Selektivität verstärkt sich der Eindruck der Legitimität der Eigenposition und der Erhabenheit gegenüber „Verschwörungstheoretikern“. Legitimität wird in der Sprache des GWUP-Blogs demnach wie folgt hergestellt: x
Abwertung der Gegen-Position
x
Aufwertung der Eigenposition
x
Nihilierung von ‚störendem‘ Wissen
Die Konstruktion von Legitimität und Expertise ist damit auch ein Moment der Herstellung von „Realität“. Indem bestimmten Sprecher*innen die Legitimität faktisch abgesprochen wird, sind ihre Stimmen praktisch irrelevant. Es mag sie geben, aber sie haben nicht das nötige Gewicht, um die eigene Position infrage zu stellen. Das Absprechen von Autorität ist ein gewaltvoller performativer Akt, der das Gegenüber zum Schweigen bringt. Dieser Akt vollzieht sich im Diskurs über Daniele Ganser im GWUP-Blog in jedem einzelnen Beitrag. Der Autor hat scheinbar alle „Fakten“, die gegen „Doktor Ganser“ sprechen, in Form von Links, die mit spitzen Bemerkungen kommentiert werden, parat. Wer etwas Diskreditierendes über Ganser wissen will, findet es in geballter Form im GWUP-Blog – und/oder auf der „Watchblog“-Plattform Psiram. Jeder Blogbeitrag wird mit Debunking-Links versehen und rasch beantwortet. Diese Geschäftigkeit zeigt sich sowohl in Kommentarspalten des GWUP-Blogs als auch im Falle des verlinkten YouTube-Videos, nachdem ein*e Nutzer*in detailliert Fehler und Mängel in der Argumentation des Erstellers nachweist. Dies führt schließlich zur „Richtigstellung“. Auch Harder schaltet sich ein und postet dazu wiederum Links auf
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5 Verschwörungen im Deutungskonflikt
Debunking-Seiten mit dem Verweis auf „Gansers Masche“ oder das ‚Nachplappern‘ seiner Argumente.483 „Vertrauenswürdige Quellen“ (s. o.) sind für den „Skeptiker“ Debunking-Webseiten wie „Metabunk“ oder das Magazin „Popular Mechanics“, denen „Verschwörungstheoretiker“ misstrauen. Analog verhält es sich für Kritiker*innen der offiziellen Geschichte und deren Quellen wie „Pilots“oder „Architects & Engineers for 9/11 Truth“. Ein Dialog findet so nicht statt.484 4.
Die Konstruktion des Publikums
Nicht nur Daniele Ganser, sondern auch dessen Publikum wird im GWUP-Blog regelmäßig abgewertet. Liest man die einzelnen Beiträge, so bekommt man den Eindruck, man hätte es mit einer tumben Masse zu tun, die Ganser unkritisch wie einen Guru485 verehrt und zum Selbstdenken nicht fähig sei. Dies widerspricht der Erfahrung des Autors mit Befürworter*innen von Gansers Position, denen er bei verschiedenen Gelegenheiten begegnet. So etwa Regina, die er auf einer Zugfahrt trifft. Sie ist Anfang 30 und Medizinerin und promoviert in Oslo. Sie habe einen von Gansers Vorträgen im Internet gesehen und wollte ihn zuletzt in ihrer ostdeutschen Heimatstadt live sehen. Ihr sei vor allem das Peak Oil-Thema wichtig. Während der Zugfahrt überzeugt sie ihre Großmutter, die Ärztin ist, sich mit Ganser und seiner Forschung zu beschäftigen. Durch Ganser ist Regina ins Zweifeln an der offiziellen Geschichte von 9/11 gekommen. Wilhelm ist Mitte 30 als der Autor ihn kennenlernt. Wilhelm ist durch seine Tätigkeit als Filmemacher auf Ganser gestoßen. Zu dieser Zeit erwartet er gerade sein zweites Kind und macht eine Ausbildung zum Yoga-Lehrer. Wilhelm ist selbstständig und kommt aus einem gutbürgerlichen Haushalt. Er respektiert Ganser als Menschen und ist davon überzeugt, dass dieser „ein Guter“ sei. Auch Norbert, ein Bekannter des Autors, Diplom-Psychologe und Lehrer, von seiner Weltanschauung her dem „Skeptiker“-Milieu nahestehend, findet Gansers Forschung überzeugend. Für ihn ist es Gansers Argumentation, die zählt. Ebenso wie ein Kollege aus dem akademischen Umfeld, spricht Norbert den Autor dieser Studie auf Ganser an, weil er ihn nach seiner fachlichen Meinung zum Schweizer Forscher fragen will. Ein anderer „GanserFan“ ist der YouTuber „Cyberphilosph“, den Ganser zum Aufwachen gebracht habe (Kap. 5.5). Er ist Lehrer und scheint ein bedachter Mensch zu sein. Diese Auswahl verdichtet sich ethnographisch, wenn man abseits von Kommentarspalten mit Menschen kommuniziert. Im GWUP-Blog bekommen Leser*innen den Eindruck, Gansers Publikum ergebe sich in einer „servile[n] Verehrung“ 486 dem „Verschwörungsstar“487. Die Konstruktion einer passiven, abhängigen unkritischen Masse, als die das Publikum von Ganser dargestellt wird, funktioniert komplementär zur Darstellung von ihm als „Betrüger“, der mit einer „Masche“ und immer demselben „Trick“ Zuschauer*innen um den Finger wickeln würde. Der Autor des GWUP-Blogs ist hier Sprecher eines Diskurses, der auch in den Publikationen von Schawinski (2018) und Butter (2018) sowie im leitmedialen und
5.5 Die Anti-Verschwörungstheorie
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politisch-orthodoxen Diskurs insgesamt etabliert und kultiviert wird. Das Publikum erscheint in diesem als Masse von Getäuschten – Harder nennt sie „GanserVerteidiger“, „Ganser-Fans“488 –, die ihren „Posterboy“ verehrten und in einer „selbstverschuldete[n] Unwissenheit“ steckten.489 Ganser genieße eine „völlig kritiklose Verehrung […] in gewissen Kreisen“ und habe „Claqueure“, fungiere als „Idol“ mit einer „treue[n] Anhängerschar“490 und sei nun auf der Suche bei „ähnlich leichtgläubigen Esoteriker[n]“491, die Daniele Ganser „abfischen“ wolle. Die einzige Geheimarmee in Europa sind Gansers Forentrolle. Die Erfahrung durfte ich auch schon machen. Ich hoffe die Leute suchen sich bald ein anderes Hobby. (Kommentar von „Cliff“ im GWUP-Blog, 15. April 2019492)
Wie kommt eine solche Perspektive zustande? Einerseits ist sie vollständig kongruent zum anti-verschwörungstheoretischen Deutungsmuster: Weil die „Verschwörungstheorien“, die eine solche Menge an Menschen ‚glaube‘, in diesem Deutungsmuster als falsch gelten, muss diese Menge irgendwie verblendet – man selbst wissend – sein. Jene, die diese „Verschwörungstheorien“ propagieren, sind entweder selbst getäuscht oder aber „Betrüger“493, die diese Menge kommerziell und/oder emotional ausbeuten. Zugleich bildet eben diese Sprache, wie sie im GWUP-Blog kultiviert wird, den Resonanzraum für „Fans“ und „Forentrolle“, die hier emotional erregt ihr Kontra geben. Mit dieser Konstruktion eines „leichtgläubigen“ und „servilen“ Publikums ist zugleich die Arbeit an der Sozialfigur des „Verschwörungstheoretikers“ verbunden, die der GWUP-Blog mitbetreibt. DIE MACHT DER SPRACHE
Die Sprache des GWUP-Blogs ist, zusammengefasst, eine stigmatisierende Sprache. Sie besteht aus polemischen bis hin zu zynischen Elementen und Unterstellungen, die eine Missachtung des Kritisierten darstellen. Die Praxis des Debunking fungiert hier als Waffe im Kampf gegen „Verschwörungstheorien“ und ihre Subjekte. Sie ist, im Falle Daniele Gansers, stark personalisierend und sie konstruiert Feindbilder. Sie hat auch, und das ist besonders hervorhebenswert, stark paranoide Momente: Abgesehen von den ad hominem-Attacken gegen Ganser wird dieser als mächtiger Täuscher dargestellt, der kommerzielle, politische oder noch ganz andere Interessen verfolge – auf keinen Fall aber sei Ganser, was er vorgibt zu sein: friedensbewegt. Seine Weltanschauung wird delegitimiert und sein Publikum als leichtgläubig und verblendet dargestellt. An diesem Punkt stellt sich der „Skeptiker“ auf die Position des Besserwissers, gleich dem aufgewachten „Verschwörungstheoretiker“, der das getäuschte Publikum aufklären will (vgl. Kap. 7.2). Die selektive Wahrnehmung von „destruktiver Information“ (Goffman 2017 [1959]: 219) reproduziert eine misstrauisch-missgünstige Stimmung, wie sie insgesamt für die Konspirationskultur (Kap. 4.3) charakteristisch ist. Der GWUP-Blog ist damit ein Sprechort, von dem aus der anti-verschwörungstheoretische Diskurs ausgetragen wird und der gleichsam durch diesen Diskurs geprägt ist. Dass es dabei nicht
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5 Verschwörungen im Deutungskonflikt
um den Autor als Person geht, sondern um ein Muster, zeigen andere Beispiele aus dem anti-verschwörungstheoretischen Diskurs, die ähnlichen Emotionsvorgaben folgen und etwa die „soziale Ächtung“ verschwörungstheoretischer Deutungsmuster explizit auf ihre Agenda geschrieben haben (Kap. 5.5.4). Die Macht der Sprache ist hier vor allem auch die Macht der Emotionen – es sind Emotionen, wie Angst, Neid, Missgunst, Wut oder Hass, denen die Subjekte dieses Diskurses – die wie auch der GWUP-Autor selbst, der zugleich die Öffentlichkeit über „OnlineHass“ aufklärt494 –, letztlich ihrerseits verfallen können. Dabei geht es nicht darum, Ganser von fundierter Kritik freizusprechen (vgl. Anton/Schink 2019). Vielmehr soll diese Analyse die Rationalität des Diskurses kritisieren. Der Autor des GWUP-Blogs wie auch andere Kämpfer*innen gegen „Verschwörungstheorien“ unterscheiden sich in ihren kommunikativen und argumentativen Mustern, in der Art und Weise, wie sie „Fakten“ konstruieren oder debunken oftmals nicht von den „Verschwörungstheoretikern“ bzw. „Verschwörungsideologen“, die sie bekämpfen (vgl. Schink 2020b). Hobuß (2004) hat in einer Analyse der Argumentation von Vertreter*innen von 9/11-„Verschwörungstheorien“ und Spiegel-Journalist*innen, die diese debunken und die offizielle Version beweisen wollten, viele Gemeinsamkeiten festgestellt. Legitime Wahrheitsfindung, bilanziert sie, drücke sich in verantwortungsvollem Sprechen aus: Ohne noch auf eine naiv realistische Unterscheidung zwischen Fakten und Fiktionen bauen zu können, lässt sich das Umschlagen der berechtigten Skepsis in wahnhafte Verschwörungstheorien nur dann verhindern, wenn die jeweiligen SprecherInnen verantwortungsvoll mit der Macht der Sprache umgehen und die Ambivalenzen und Widersprüche in politischen Entscheidungen, in Erklärungsversuchen des Geschehens und vor allem in den jeweils eigenen Einstellungen thematisiert werden. (Hobuß 2004: 298)495
WATCHBLOGS ALS „INTERNETPRANGER“ EINE VERSCHWÖRUNGSTHEORIE IST UMSO GEFÄHRLICHER, JE NÄHER SIE SICH AN DIE REALITÄT ANLEHNT. (PSIRAM-AUTOREN, DEN WAHNSINN IM ZAUM HALTEN, BR.DE PULS, 24. FEBRUAR 2014496)
„Den Tag an dem ich meinen Psiram-Eintrag hatte, hab‘ ich gefeiert!“, erzählt mir ein Filmemacher aus dem alternativen Milieu im Sommer 2010 mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Es sei eine Auszeichnung für ihn gewesen, sagt er, auf dem „Internetpranger“ – so wird Psiram von Kritiker*innen genannt497 – einen Platz zu bekommen. Ich verstehe recht schnell, wie der Bekannte das meint. Das Akronym „Psiram“ steht für die Kritik an „Pseudowissenschaft, Irrationale[n] Überzeugungssysteme[n], Alternative[r] Medizin“. Die Wikipedia-ähnliche Internetplattform, die noch über einen Blog und ein Forum verfügt, will über diese Themenbereiche aufklären. Ihr Motto ist „Realismus als Chance“. Dazu tragen anonyme Autor*innen Informationen über Themen, Medien und Akteur*innen, die
5.5 Die Anti-Verschwörungstheorie
289
größtenteils der alternativen Medienszene und der „Gegenöffentlichkeit“ zuzurechnen sind, zusammen. Es ist in der Regel diskreditierendes Wissen und ein Großteil dient dem Debunking von „Esoterik“, „Pseudowissenschaft“ und „Verschwörungstheorien“ – Kampfbegriffe in diesem Diskurs. Mitschreiben auf Psiram kann nur, wer von einer anonymen Betreiber*innen-Elite freigeschaltet wird. Während der Recherchen für diese Ethnographie nutze ich Psiram oftmals als Recherchehilfe. Zugleich bin ich mir über die Schlagrichtung des Portals bewusst. Beizeiten fühle ich mich von dem ‚Schmutz‘, mit dem Personen dort angeschmiert werden, angewidert. Manchmal frage ich mich, was ich wohl machen würde, hätte ich dort einen Eintrag. Ich wäre aus der Sicht der Betreiber*innen ein guter Kandidat: Interesse an Verschwörungen und „Verschwörungstheorien“ und zugleich an spirituellen Praktiken wie Yoga oder Achtsamkeit. Deshalb verletzen mich diese Darstellungen. Ursprünglich hieß Psiram „EsoWatch“, was einen gemeinsamen Nenner der Betreiber*innen ausdrückten sollte: die „Erkenntnis […], dass Esoterik nicht per se harmlos ist, sondern Menschen massiv schädigen kann“498. Die Position von Psiram zu „Verschwörungstheorien“ gleicht derjenigen der „GWUP“. Der GWUP-Blog verlinkt regelmäßig Beiträge von Psiram. In einem Interview mit Autor*innen von Psiram auf BR.de puls heißt es über „Verschwörungstheoretiker“: Es gibt in jeder Gesellschaft einen Kern an Verschwörungstheoretikern, deren Gedankengut man schon als psychopathologisch bezeichnen kann. Das ist nicht unsere Zielgruppe, denn Aufklärung ist hier hoffnungslos. Aber die meisten Menschen sind einfach nur nicht informiert […] und einer rationalen Argumentation durchaus aufgeschlossen. Eine freie Gesellschaft setzt Rede und Gegenrede voraus. Wir wollen gefährlichen, verrückten oder einfach nur unvernünftigen Ideen widersprechen. Psiram hat nie Zensur gefordert oder befördert. Wir sind Optimisten und glauben fest daran, dass man den Wahnsinn nicht besiegen, aber im Zaum halten kann. 499
Psiram-Autor*innen sehen sich als Aufklärer*innen und diejenigen, über die sie aufklären wollen, sehen sie als „psychopathologisch“. Anonymität wählen sie, so die Autor*innen, aufgrund von Drohungen und Übergriffen auf ihre Privatsphäre: „Das ging so weit, dass Adressen und Arbeitgeber von vermeintlichen PsiramAutoren ins Netz gestellt wurden“, erzählen sie im Interview.500 Kritiker*innen und Geschädigte wiederum werfen Psiram Rufmord und Verleumdung vor. So sagt der Psychologe und Wissenschaftstheoretiker Harald Walach, der ebenfalls über einen Psiram-Eintrag verfügt, die Plattform sei wesentlich ein anonymer und illegaler Server, der […] Informationen zur Verfügung stellt, die von denen, die sie betreiben, gemeint sind zur Aufklärung der Öffentlichkeit, aber die sehr sehr häufig einfach rufschädigend sind, weil sie auch oft falsch sind.501
Andere drücken dies mit Humor aus. So etwa der Sänger der Band Die Bandbreite, „Wojna“. Im Gespräch über die Anfänge seiner Musiker-Karriere sagt er, während
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5 Verschwörungen im Deutungskonflikt
er loslachen muss: „Wir haben alle unsere Psiram-Akte – und wer die nicht hat, ist auch kein richtiger Dissident!“ und der Interviewer stimmt ihm schmunzelnd zu: „da findet man die guten Leute“502. Psiram ist ein Watchblog. Während es von Organisationen wie z. B. der Amadeu Antonio Stiftung im Kampf gegen „Verschwörungsideologien“ als „vertrauenswürdige Quelle“ eingestuft wird (Kap. 5.5.4), soll es, wie die Wikipedia, vor allem Journalist*innen oder anderen Akteur*innen als Recherchehilfe dienen. Was diese finden, sind jedoch nicht möglichst ausgewogene oder gar wohlwollende lexikalische Artikel, sondern sehr selektive „Fakten“, die nach einer „guilt by association“-Logik zusammengestellt sind. Nach dieser werden die Betroffenen in Verbindung mit diskreditierten Personen oder Themen gebracht, um sie selbst diskreditierbar zu machen. WatchdogGruppen, etwa im Kampf gegen Rechtsextremismus oder Antisemitismus, arbeiten nach diesem Prinzip der sozialen Ächtung (vgl. Wilcox 1999: 193). 503 Sowohl „Verschwörungstheoretiker“ wie auch die Watchdog-Gruppen, die sie beobachten, bewerten den jeweils anderen nach dieser Maxime unter einem ständigen Misstrauen und Generalverdacht. Das Entlarven bzw. Debunken des jeweiligen Gegenübers ist dabei die Hauptmotivation. Psiram ist nur das bekannteste Watchblog im deutschsprachigen Raum. Daneben gibt es die Seite „Sonnenstaatland“, samt eines eigenen Wiki-Bereichs, die ebenfalls mit Psiram verlinkt ist504 und aus dem Spektrum der „Skeptiker“-Bewegung stammt sowie die politischen Facebook-Blogs „GenFM“505 oder „friedensdemowatch“506, die sich im Zuge der „Montagsmahnwachen für den Frieden“ gebildet haben und sie kritisieren. Ihnen gemeinsam ist, „Verschwörungstheorien“ im Problem- und Gefahrendiskurs zu verorten und gemeinsam mit anderen heterodoxen oder stigmatisierten Wissensformen zu bekämpfen. „GenFM“ schreibt über sich selbst, es sei eine [k]ritische Analyse der Inhalte von KenFM, Montagsmahnwachen, Infokriegerszene sowie des Verschwörungsspektrums und der rechten Szene. Aufklärung, Satire, Diskussion.507
Der Unterschied zwischen Watchblogs und etwa dem „GWUP“-Blog ist, dass in den ersteren die Autor*innen oftmals anonym agieren, was sich in der Regel verschärfend auf ihre Sprache auswirkt. Ein weiteres anti-verschwörungstheoretisches Watchblog, das auch mit einigen der schon genannten Watchblogs verlinkt, aber politisch und durch Gemeinnützigkeit legitimiert und nicht anyonym ist, ist die Seite „Belltower News“. Es handelt sich dabei um eine, im Unterschied zu vielen anderen Watchblogs, ästhetisch und qualitativ hochwertige Seite der Amadeu Antonio Stiftung, die sich primär gegen Fremdenfeindlichkeit, Rechtsextremismus und Rassismus einsetzt und in diesem Rahmen „Verschwörungstheorien“ bzw. „Verschwörungsideologien“ thematisiert.
5.5 Die Anti-Verschwörungstheorie
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5.5.3 Berichterstattung in der Wikipedia ICH FINDE ES JA GUT UND RICHTIG, DASS BEI WIKIPEDIA MAL JEMAND EIN BISSCHEN HERUMSTOCHERT UND DIESEN SEILSCHAFTEN DA DAS LEBEN UNBEQUEM MACHT, WENN SIE IHRE UNREDLICH ERLANGTEN PRIVILEGIEN ZU PROPAGANDAZWECKEN MISSBRAUCHEN. NUR HÄTTE ICH DAS LIEBER UNAUFGEREGT IM STIL VON GANSERS VORTRÄGEN GEHABT, ALS SO LEICHT FOX-NEWSIG WIE DAS JETZT HIER ABGEHT. ABER HEY, BESSER SO ALS GAR NICHT. (FELIX VON LEITNER, FEFES BLOG, 12. MÄRZ 2017508)
Aus der Perspektive derer, die in Watchblogs als „Verschwörungstheoretiker“ bezeichnet werden, ist die Wikipedia das mächtigste Watchblog überhaupt. Nach Google, YouTube, Facebook und der chinesischen Suchmaschine „baidu.com“ ist die Wikipedia die Nummer fünf unter den meistaufgerufenen Webseiten weltweit.509 Auch wenn die Wikipedia keine gültige wissenschaftliche (Primär-)Quelle darstellt, so hat die Online-Enzyklopädie insgesamt doch eine unbestreitbare gesellschaftliche Definitionsmacht. Die technologische Architektur von Wikipedia basiert auf der Idee der freiwilligen und digitalen Kooperation. Wissen wird als Gemeingut, als common good, produziert und der Allgemeinheit wiederum zur Verfügung gestellt. Dies sind die (ursprüngliche) Handlungslogik und die Ideologie des Projekts. Wikipedia schreibt über „Wikipedia“: Die Online-Enzyklopädie bietet freie, also kostenlose und zur Weiterverbreitung gedachte, unter lexikalischen Einträgen (Lemmata) zu findende Artikel sowie auch Portale nach Themengebieten. Das Ziel ist gemäß dem Gründer Jimmy Wales, ‚eine frei lizenzierte und hochwertige Enzyklopädie zu schaffen und damit lexikalisches Wissen zu verbreiten‘ […]. Die Website ist dabei weltweit, genauso wie in den deutschsprachigen Staaten, die einzige nichtkommerzielle Website unter den ersten 50. Ihre Finanzierung erfolgt durch Spenden. Bis Ende Oktober 2018 wurden über 48,9 Millionen Artikel der Wikipedia in annähernd 300 Sprachen in Mehrautorenschaft von freiwilligen Autoren verfasst. Darüber hinaus werden die Artikel nach dem Prinzip des kollaborativen Schreibens fortwährend bearbeitet und diskutiert. Fast alle Inhalte der Wikipedia stehen unter freien Lizenzen.510
Die hohe gesellschaftliche Relevanz und der praktische Nutzen der Enzyklopädie sind unbestritten. Als Massenmedium gehört sie nicht nur zu den Oligopolen unter den „am häufigsten besuchten Websites“ 511 weltweit, sondern sie beansprucht mittlerweile, anders als die primär social content-geladenen Plattformen Facebook oder YouTube, eine gewisse Seriosität und enzyklopädische Neutralität ihrer Inhalte. Dazu bedarf es allerdings Techniken der Disziplinierung und der qualitativen Kontrolle. Diese sind jedoch einem Strukturwandel und nicht zuletzt ökonomischen Zwängen unterworfen. Nach der Studie von Stegbauer (2009) findet innerhalb von Wikipedia eine längerfristige „Entwicklung von einer Befreiungsideologie hin zu einer Produktideologie statt“ (ebd.: 65), die von der Öffentlichkeit begleitet werde. Mit dieser Entwicklung steht die Wikipedia nicht allein da. Im globalisierten „Hightech-Kapitalismus“ (Haug 2012) wäre es ein Wunder, wenn die Wikipedia sich diesem strukturellen Trend nicht anpassen würde.
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Und so ist die Wikipedia ebenfalls ein ökonomisch und politisch umstrittener Raum, in welchem auch in Bezug auf „Verschwörungstheorien“ ‚gekämpft‘ wird. Während die Wikipedia als Enzyklopädie Wert auf Qualität und Neutralität ihrer Inhalte legt, so muss doch gleichzeitig auch durch die Wikipedianer*innen entschieden werden, was im konkreten Fall eine ‚neutrale‘ Aussage im Sinne dafür vorgegebener Kriterien ist. In der deutschsprachigen Wikipedia kommt zusätzlich zur Neutralitäts-, auch noch die Relevanzdebatte, d. h. der Diskurs darüber, welches Wissen relevant ist und welches nicht. Am Diskurs über „Verschwörungstheorien“ und in Subdiskursen über Ereignisse wie den Terror von 9/11 zeigt sich auch in der Wikipedia, wie gesellschaftliche Wirklichkeit und soziale Tatsachen hergestellt bzw. nihiliert werden.512 Geht man nach den Filmemachern und Internet-Aktivisten Markus Fiedler und Dirk Pohlmann, so sei die Wikipedia längst ein „politisches Kampfinstrument“513, mit dem bestimmte Themen und Personen diskreditiert, andere dagegen aufgewertet würden. Die Aktivisten sprechen in ihren Entlarvungs-Videos mehrfach von einer „Junta“, einer kleinen Clique, die die Online-Enzyklopädie in bestimmten Bereichen kontrolliere, vor allem dort, wo es um (tiefen-)politische Themen und damit auch um „Verschwörungstheorien“ gehe. „ADHOCRACY“
An der Wikipedia kann sich theoretisch jede*r beteiligen. Empraktisch kultiviert und etabliert aber auch die „freie Enzyklopädie“ soziale Techniken und Strukturen, die ‚Zugang‘ und (Definitions-)Macht reproduzieren. Die Konspiration der Wikipedia wittern ihre Kritiker*innen also in der Differenz zwischen vordergründigem Image (oder Fassade) und hintergründiger Realität. Die Differenz zwischen Oberfläche und Hintergrund, zwischen Theorie und Praxis innerhalb der Wikipedia-Architektur bietet, vor allem dort, wo es um ‚heikle‘ gesellschaftliche Themen geht, einen guten Nährboden für kollektive Selbst- und Fremdtäuschung, für Konspirationen und „Verschwörungstheorien“. Laut einer Studie von Mattei und Britt (2017) erstellen mittlerweile nur ein Prozent der Nutzer*innen 80 Prozent des Wikipedia-Contents. Dies widerspricht dem Common Good-Ideal und einer offenen Beteiligung diametral und weckt das Misstrauen von Kritiker*innen, die nicht ‚dazugehören‘. Es entsteht ein Konflikt zwischen elitärer ingroup (mit esoterischem Wissen) und outgroup (mit exoterischem Wissen). Das Missverhältnis zwischen der Menge angemeldeter User und real erstelltem Content wird für die outgroup durch die Pyramide mit dem Allsehenden Auge (vgl. Abb. ?) repräsentiert. What we saw is that a clear leadership has emerged […] but it‘s a leadership that cycles. We have a group of individuals who shape the content by working the hardest and clocking the most hours. The agenda is shaped by these people, and they‘re driven by a sense of mission, much like political or religious movements. 514
Matei und Britt (2017) beschreiben die Struktur der Wikipedia als eine „Adhocracy“. Für die sei es typisch, dass sich meritokratische Strukturen bilden, die
5.5 Die Anti-Verschwörungstheorie
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jeweils wenige, die sich ihrer Ideologie anpassen, ‚nach oben‘ lassen und gegen die Menge abschotten, wobei es einen relativen Wechsel, ein ‚Cycling‘ innerhalb der epistemischen Elite gäbe.
Abbildung 43: Wikipedia als Machtpyramide: Zugang hat prinzipiell Jede*r. Doch die Chance, den eigenen Willen gegen Widerstand durchzusetzen, konzentriert sich auf eine wesentlich anonyme Elite von „Sichtern“ und „Administratoren“ (Quelle: Motherboard).
Während Matei und Britt die elitäre Struktur der Wikipedia rein quantitativ erklären, gibt Stegbauer (2009) Auskunft über soziale Praktiken und Dynamiken ‚hinter‘ den bloßen Zahlen. Nach dieser würden Beziehung und soziale Bindung in der Wikipedia-Community durch drei Faktoren geprägt: 1.) die gemeinsame Arbeit an Artikeln, 2.) die Organisation und 3.) durch Treffen bzw. gemeinsame Freizeit. (Ebd.: 2009: 62) Der*die normale Nutzer*in bekommt davon in der Regel nur über den ersten Aspekt etwas mit – und auch dieser ist für die meisten Nutzer*innen nur teilweise einsichtig. Über Spuren der bearbeiteten Wikipedia-Artikel oder Benutzer*innen-Seiten, die das gemeinsame Werk, den Wikipedia-Eintrag, auf unterschiedlichen Ebenen (Diskussionsseite, Versionsgeschichte) in seiner Genese nachvollziehbar machen sollen (d.h. die kommunikative Außenseite, vgl. Hirschauer 2017), lassen sich Beziehungs-Muster zwischen den Wikipedianer*innen für die outgroup ersehen. Sie sind aber, wie in allen gesellschaftlichen Institutionen, nur die Schatten der sozialen Aktivitäten hinter den Kulissen. Während das gemeinsame Editieren eines Artikels oder das „zu-Hilfe-holen“ ‚befreundeter‘ Editor*innen oder Administrator*innen bzw. das Helfen die soziale Bindung der Community stärke, so ersetze dies nicht die offline-Zusammenkünfte, das face-toface-Treffen der Community auf gemeinsamen Stammtischen: Auf den Treffen wird viel mehr über das soziale Projekt Wikipedia gesprochen, hier werden Erfolge gefeiert, das Projekt wird mit gedruckten Lexika verglichen, und es
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5 Verschwörungen im Deutungskonflikt
wird über Journalisten gewettert, die aus Wikipedia zitieren, ohne dies kenntlich zu machen. (Ebd.: 63)
Stegbauer meint, hauptsächlich bei den Treffen der „Community“, „mehr noch“ als „in der Organisation […] findet Ideologieproduktion statt.“ (Ebd.) Sie beeinflusse neben den Faktoren Zeit und Wissen, auch die Wahl und Besetzung wichtiger Positionen. (Ebd.: 65) Stegbauer behauptet weiterhin, dass in der Wikipedia anfangs eine, wie er es nennt, „Befreiungsideologie“ vorherrschte, die immer mehr „Produktideologie“ wurde. (Ebd.) Unabhängig davon jedoch, zeichne sich die Wikipedia nach wie vor auch dadurch aus, dass sie auch als ‚Produkt‘ keine elitäre und hierarchische, sondern eine „freie“ Enzyklopädie sein will. Insofern spielen, wenn auch die reale und absolute Beteiligung ‚gewöhnlicher‘ User sich stetig marginalisiert hat, die Öffentlichkeit und die Fremd-Wahrnehmung eine wichtige Rolle. Nicht nur wegen der Spender*innen, sondern auch für die Erhaltung der gesellschaftlichen Relevanz ist also das Image wichtig. Durch das Publikum wiederum „entstehen Handlungsanforderungen“, z. B. wenn darüber berichtet wird, dass PR-Abteilungen großer Unternehmen oder Mitarbeiter von Abgeordneten Beiträge fälschen, wenn eine Zeitung ‚Fehler‘ aufdeckt, wenn jemand das Verfassen eines Beitrags über die eigene Firma gegen Bezahlung erstellen lassen möchte oder eine ‚Vandalenattacke‘ abzuwehren ist, etc. Hier werden von außen Ansprüche formuliert, auf die eine Reaktion erfolgen muss. (Ebd. 2009: 65)
Um dieses Image zu wahren, selegiert der Wikipedia-interne Diskurs nicht nur seine Autoritäten (d. h. Autor*innen) bzw. ermöglicht oder verwehrt den Zugang zu höheren Positionen („Sichter*innen“, „Administrator*innen“ usw.), sondern bestimmt zugleich über die ‚richtige‘ Auslegung von Relevanz- und Gütekriterien. Auf der Wikipedia-Seite über „Wikipedia“ gibt es beispielsweise keine eigene „Kritik“(-Spalte).515 Dafür gibt es, ‚versteckt‘ unter dem Punkt „Mangelnde Zitierfähigkeit“, einen eigenen sehr umfassenden Artikel – 26 PDF-Seiten – mit „Kritik an Wikipedia“516. Dort scheint Raum für alle möglichen Formen von Kritik zu sein: über strukturelle Probleme der Enzyklopädie zum bezahlten Schreiben bis hin zur politischen Instrumentalisierung. Auch der Wikipedia-kritische Blog „wikipedia-watch.org“ findet auf der Seite Erwähnung. Doch nicht jede Kritik lässt die Wikipedia zu. Unerwähnt bleiben etwa zwei Wikipedia-kritische Film-Dokumentationen und eine über 30-teilige YouTube-Serie517, die in der alternativen Mediensphäre viele hunderttausende Klicks haben und vielfach über Kopien und Webseiten multipliziert werden. Diese Medien sind im Wikipedia-Diskurs jedoch keine legitimen Sprecher*innen. Wer in Wikipedia-Artikeln oder Diskussionen auf die Filme, die Serie oder die beiden Macher verweist, gerät schnell in den Dunstkreis der „Verschwörungstheoretiker“ und wird abgemahnt oder gar verbannt.
5.5 Die Anti-Verschwörungstheorie
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EDITING DANIELE GANSER
Es beginnt wieder einmal mit dem 11. September 2001 – oder noch genauer: mit Daniele Ganser. In dem Film „Die dunkle Seite der Wikipedia“ (2015), produziert von Markus Fiedler und Frank-Michael Speer, wird konspirativen Praktiken in der deutschsprachigen Wikipedia auf den Grund gegangen. Das mutmaßliche Opfer der Verschwörung: Daniele Ganser – und mit ihm die 9/11-„Wahrheitsbewegung“. Die ca. 116-minütige Amateur-Doku, die die (Macht-)Strukturen der Wikipedia ‚hinter den Kulissen‘ aufdecken will, hat Fiedler in der „Gegenöffentlichkeit“ bekannt gemacht und ein neues Feld im Informationskrieg erschlossen: die Wissensproduktion in der Wikipedia. In dem Filmtrailer zu „Die dunkle Seite der Wikipedia“, der auf „kinostarts.de“ zu finden ist, wird versprochen: Wer diesen Dokumentarfilm anschaut, lernt nicht nur etwas über Zeitgeschichte und den Schweizer Historiker Ganser, sondern vor allem etwas über das Innerste der Wikipedia, dem System, das der heute wichtigsten Enzyklopädie inne wohnt. Vielleicht […] wollen […] Sie wissen, wer dort wirklich die Fäden zieht.518
Es gehe um eine „detaillierte Analyse zur Objektivität der Wikipedia am Fallbeispiel des Artikels zum Historiker Dr. Daniele Ganser“. Fiedler und sein Co-Autor und Filmprotagonist haben sich, nach einem öffentlichen Protest von Daniele Ganser, er werde in der Wikipedia als „Verschwörungstheoretiker“ diffamiert, den Wikipedia-Eintrag des Schweizer Historikers genauer angesehen, um herauszufinden, wer dort wie editiert. Ihre Recherchen haben sie in dieser Dokumentation auf YouTube zur Verfügung gestellt. Der langwierige Film geht detailliert auf den von Ganser 2014 proklamierten „Edit War“ zwischen seinen Anhänger*innen und den anonymen Editor*innen seines Wikipedia-Artikels ein. Am Ende eines Vortrags an der Universität Tübingen bittet Ganser sein Publikum: „[…] wenn jemand Zeit hat, in Wikipedia reinzuschreiben [dass Ganser kein „Verschwörungstheoretiker“ ist, A. S.], schreiben Sie es einfach immer wieder um“ – „das ist das Spiel, wir werden sehen, wer gewinnt“, sagt Ganser. 519 Der Schweizer kritisiert, dass seine Gegner*innen anonym schreiben, während er „mit Name, Familie, Kinder“ öffentlich sei – das sei „nicht fair“520. Die Wikipedianer*innen tragen digitale Masken. Sie verbergen sich hinter Kürzeln wie „Phi“, „MBurch“, „Itti“ oder „Kopilot“ und haben, wie Fiedler in seiner Doku zeigt, ein Interesse daran, Daniele Ganser mit „Verschwörungstheorien“ in Verbindung zu bringen. Die meisten der Konspirateure sind ihrem Rang nach „Sichter*innen“, d. h. sie haben die Macht, Einträge und Edits freizugeben oder zu löschen. Viel Zeit verbringen sie, wie Fiedler aufzuzeigen vermag, mit letzterem. Einer trägt das dazu passende Pseudonym „Berichtbestatter“. Wie ein ‚Profiler‘ zeichnet Fiedler in dem trashigen AmateurFilm die Verhaltensweisen der anonymen Schreiber*innen nach und nennt die
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Klarnamen eines Klavierlehrers aus Westdeutschland und eines promovierten Historikers, die auffällig viel Zeit mit Editieren politischer Themen und vor allem zum Themenbereich Daniele Ganser, 9/11 und „Verschwörungstheorien“ verbringen. „Die dunkle Seite der Wikipedia“ wird, wie viele Vorträge von Daniele Ganser, auf dem Kanal von KenFM veröffentlicht521 und generiert in den Folgemonaten mehrere hunderttausend Klicks. Fiedler wird kurz darauf zusätzlich im Format „KenFM im Gespräch“ interviewt. „Die dunkle Seite der Wikipedia“ bildet den Katalysator der Wikipedia-Kritik in der deutschsprachigen alternativen Medienszene. […] da steht dann ‚verbreitet Verschwörungstheorien zu 9/11‘ […]. Manchmal schreiben mir Leute Mails und sagen: ‚Wie kann man ihnen helfen?‘, dann sage ich: ‚Haltet mir bitte den Wikipedia-Eintrag sauber, schreibt einfach immer wieder rein ‚[Daniele Ganser] setzt sich kritisch mit 9/11 auseinander‘, weil das ist die Wahrheit. (Daniele Ganser, KenFM im Gespräch, KenFM, 2015522)
In der Causa Daniele Ganser zieht sich der Wikipedia-„Edit War“ über einen langen Zeitraum hinweg. Ganser verwehrt sich dagegen, als „Verschwörungstheoretiker“ bzw. als Verbreiter von „Verschwörungstheorien“ bezeichnet zu werden. Eine neue Stufe der Legitimierung erfährt diese Etikettierung mit der Veröffentlichung von Michael Butter (2018), in welcher Ganser als „bekannteste[r] Verschwörungstheoretiker des deutschsprachigen Raums“ bezeichnet wird (ebd.: 83). Diese Formulierung wird, zusammen mit anderen Aussagen über Ganser, vor allem aus Medienberichten, in der Wikipedia zitiert und verfestigt den „Verschwörungstheoretiker“ Ganser als eine enzyklopädische und wissenschaftsbasierte Tatsache.523 Auf seiner Facebook-Seite macht Ganser deshalb auf die regelmäßigen von ihm so bezeichneten „Diffamierungen“ durch Michael Butter aufmerksam und verlinkt Gegendarstellungen zu dessen Behauptungen. Im Informationskrieg um die Realität von Verschwörungen und „Verschwörungstheorien“ haben, zumindest auf der Wikipedia, „Ganser-Gegner“ wie Michael Butter, Sebastian Bartoschek oder Bernd Harder die Nase vorne, insofern ihre Positionen Zugang zu Leitmedien haben – bzw. dieser Diskurs ihre Deutungsmuster vertritt –, und sie ihre Version der Geschichte verbreiten können. Die Medien von GanserUnterstützer*innen, wie z. B. KenFM, Rubikon, Nachdenkseiten, RT Deutsch, teilweise auch Telepolis, werden in der Wikipedia nicht als gültige Quellen akzeptiert. Auch über das Internetmagazin Telepolis heißt es von den Sichtern „Phi“ und „Kopilot“, es sei „nicht zitierfähig“524 [sic] und keine „zuverlässige Quelle“525. Auf diese Weise schließt und reproduziert sich der anti-verschwörungstheoretische Diskurs: „Verschwörungstheorien“ werden, auch in der Wikipedia, als Aussagen oder Deutungen begriffen, die – immer im Hinblick auf etabliertes Wissen und eine orthodoxe Wissensordnung – „nicht zuverlässig“ sind. Dies gelingt
5.5 Die Anti-Verschwörungstheorie
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jedoch nur durch die Exklusion und Delegitimierung von Medien, die im Verdacht stehen, ungültiges Wissen, d. h. „Verschwörungstheorien“ zu verbreiten – wie etwa Telepolis.526 Die enzyklopädische Güte der Wikipedia beruht auf Diskursen, die in Leitmedien wie der ARD oder dem Spiegel stattfinden. Diejenigen, die in der Wikipedia darüber entscheiden, was eine gültige Quelle ist, sind Subjekte und Akteur*innen dieses politisch-orthodoxen Diskurses. Dass etwa der Spiegel oder die ARD im Falle von 9/11 oder „Verschwörungstheorien“ ‚neutralere‘ Quellen sind als Telepolis oder Russia Today, ist nur dann unproblematisch, wenn man innerhalb einer politischen Rationalität denkt, die durch deren Deutungsmuster konstituiert ist. Im Austausch mit einer sowohl in dem Verein Wikimedia wie auch in der Wikipedia aktiven Person, erfahre ich, dass „alle Accounts, die erkennbar eine bestimmte „Verschwörungstheorie“ vertreten, abgelehnt werden.“527 Dies hängt damit zusammen, dass die Wikipedia als Enzyklopädie, bekanntes und allgemein anerkanntes Wissen abbilden soll, so verstehen zumindest die meisten Beitragenden den enzyklopädischen Auftrag. Das Vertreten von Verschwörungstheorien läuft diesem Auftrag zuwider.528
Aus diesem Grund wird der Terror vom 11. September 2001 nicht nur für die „Mainstream“-Medien, sondern auch für die „freie Enzyklopädie“, wie Bröckers sagt, zum „Lackmustest“. Deren Freiheit endet dort, wo Diskurse und Deutungsmuster die Sicherheitsdispositive der liberalen Gesellschaft angreifen. Das ist mit heterodoxen Verschwörungsdeutungen zu 9/11 unfraglich der Fall. Untrennbar verbunden mit diesen Dispositiven ist, wie hier aufgezeigt wurde, auch dasjenige, was Scott als Tiefenpolitik bezeichnet, und das, etwa allgemeiner, als Verschwörungspraxis der Gesellschaft beschrieben werden kann. Obwohl die digitale Architektur der Wikipedia es zulassen würde, kontroverse Themen stärker als solche zu markieren und abzubilden und Diskursivität noch mehr in den Vordergrund zu stellen – Beyersdorff hat dies in seiner Studie über Wikipedia-Diskurse zum Thema Homöopathie gefordert (ebd. 2009: 267) –, benötigt die Wikipedia(-Oberfläche) einen verlässlichen „Kontext“ (ebd.). Der Wikipedia-Diskurs über Ganser folgt hier dem „Mainstream“. Dass Ganser „Verschwörungstheorien“ über 9/11 „als von Wissenschaftlern noch zu prüfende Erklärungsansätze“ darstelle und „Verschwörungstheoretiker“ sei529, ist die Folge eines gesellschaftlichen Aushandlungsprozesses und Deutungskonflikts, der durch verschiedene Diskurse und Akteur*innen überformt und geprägt ist. Zu ihnen gehören sicherheitspolitische Dispositive, die in den Diskursen selbst nicht hinterfragt oder ‚gesehen‘ werden (können). Aus der Distanz der „Verschwörungstheorie“ sind sie sichtbar. Für das aus der Wissensproduktion ausgeschlossene Publikum gilt, gerade hinsichtlich der Dispositive digitaler Medientechnologien – die durch Praktiken des Zugangs, der Verfügbarkeit, Beteiligung und alternative Wahrheitsproduktion geprägt sind – das gleiche wie hinsichtlich der Wahrheitsregime des professionellen Journalismus: Es
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5 Verschwörungen im Deutungskonflikt
beobachtet Konspirationen, an denen es nicht beteiligt ist. Die Konsequenzen zu dieser Verschwörung von „Eliten“-Medienmacher*innen – seien sie „gekaufte Journalisten“ (Ulfkotte 2014) oder „mafiöse“530 Wikipedianer*innen – sind das Entlarven der Verschwörung und die Organisation einer Gegenverschwörung531 mit eigenen Medien: die Etablierung einer „Gegenöffentlichkeit“ (Kap. 6). „GESCHICHTEN AUS WIKIHAUSEN“
Fiedler erzählt viel und redet schnell. Als ich ihn mit der Kritik einer Person aus der Wikipedia konfrontiere: dass seine Filme „reißerisch“ und „einseitig“ seien, will er das nicht gelten lassen. Er reagiert zornig, aber klar: Alles, was im Film behauptet werde, sei belegt und nachvollziehbar. Er habe seinen ersten Film zunächst aufgebaut wie eine „Diplomarbeit“. Doch das funktioniere für ein Massenpublikum nicht. Deshalb brauche es Hintergrundmusik, einen Protagonisten und einen Plot wie in einem Detektivroman.532 Es ist schon spät, als wir Mitte Mai 2018 telefonieren. Inzwischen ist ein zweiter Film von Fiedler erschienen („Zensur: die organisierte Manipulation der Wikipedia und anderer Medien“, 2017) sowie die YouTube-Serie „Geschichten aus Wikihausen“, in der er zusammen mit dem Journalisten und Filmemacher Dirk Pohlmann über Missstände, Machtnetzwerke und politische Einflussnahme in der Wikipedia aufklären will. Mit digitalen Hilfsmitteln wie „WhoColor“ oder „XTools“ ermitteln Fiedler und Pohlmann Verhaltensweisen und Profile von verdächtigen Wikipedianer*innen, die im Umfeld von „Verschwörungstheorien“ zu 9/11 oder anderen (geo-)politischen Themen editieren. Seit Fiedlers zweitem Film hat sich vieles verändert. Das Interesse an seinen Recherchen ist groß. RT Deutsch führte 2017 ein Interview mit ihm, zwei Mal saß er schon in Formaten des Internetsenders NuoViso.tv. Seine Wikipedia-Kritik wurde auf den Nachdenkseiten, im Rubikon oder im Online-Magazin Telepolis rezipiert. Die Leitmedien beschäftigt das nicht. In dem zweiten Film, dessen Einleitung in die Ästhetik der „Matrix“-Filme gekleidet ist, will Fiedler zeigen, wie „zwei miteinander verbundene Meinungsmanipulationsnetzwerke über die Inhalte in der Wikipedia bestimmen“533. Das eine stehe der „Skeptiker“-Bewegung nahe und vertrete eine szientistisch-materialistische Weltanschauung. Das andere nennt Fiedler polemisch „Transatlantifa“, eine Gruppierung, die sich zwar als links oder antifaschistisch bezeichne, aber faktisch „entweder nur pro US-Regierung oder aber ebenfalls pro israelische Regierung agiere“534. Beide seien am Werk, wenn es um „Verschwörungstheorien“ oder gegen Daniele Ganser geht. Akteur*innen dieser Netzwerke seien verbunden mit Psiram, der „GWUP“ und der Amadeu Antonio Stiftung. Letztere forderte den Filmemacher in einer Unterlassungserklärung dazu auf, eine falsche Angabe zu Anetta Kahane, der Vorsitzenden der Amadeu Antonio
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Stiftung zu streichen. Dies veranlasste Fiedler zu einer Überarbeitung des Films und einem Re-Upload. Während ich mit ihm spreche, macht er die Unterlassungsklage zum Thema. Eine weitere wird einige Monate später folgen, nachdem Pohlmann und er einen weiteren „Heckenschützen“ 535 in den von ihnen identifizierten Wikipedia-Netzwerken de-anonymisieren. Der Wikipedia-„Sichter“ „Feliks“, ein Diplom-Rechtspfleger aus Bayern und eingetragenes Mitglied der Partei Die Linke editierte auffällig oft und nicht selten diffamierend in den Wikipedia-Artikeln zu politischen Gegner*innen. In der Sendung „Geschichten aus Wikihausen“ wurde „Feliks“ mit seinem Klarnamen identifiziert.
Abbildung 44: Markus Fiedler, Dirk Pohlmann und Ken Jebsen im Format „Geschichten aus Wikihausen“ bei der De-Anonymisierung von „Feliks“ (Quelle: YouTube/Gruppe42).
Durch eine einstweilige Verfügung erwirkt der Betroffene die Sperrung der entsprechenden Sendung(en) auf YouTube und es kommt zu einem Rechtsstreit. Auch Ken Jebsen, der in der Online-Enthüllung von „Feliks“ zugegen war, weil dieser Jebsen in der Wikipedia ebenfalls diskreditiert hatte, ließ Letzterer verklagen. Dass es ein „öffentliches Interesse“ an der Aufdeckung der Identität der „Truppe“ um „Feliks“ gäbe, erzählt Fiedler mir noch Mitte Mai 2018. 536 Ein knappes Jahr später, im Februar 2019, gibt ihm die Pressekammer des Landgerichts Hamburg, vor dieser der Streit ausgetragen wurde, Recht. Von „Feliks“ Editierungen waren weitere Prominente betroffenen: der Liedermacher und Bundestagsabgeordnete der Partei Die Linke, Dieter Dehm, die Sängerin und politische Aktivistin Nirit Sommerfeld oder die Autorin Katrin McClean. Es gab eine breite Unterstützung an Spenden innerhalb der „Wikihausen“-Community, um „Feliks“ zu enttarnen. Weitere Geschädigte und Informant*innen meldeten sich bei Fiedler und Pohlmann und gaben Hinweise. Der Kampf gegen „Feliks“ und die Wikipedia-
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Netzwerke vereint die „Gegenöffentlichkeit“. RT Deutsch berichtet über die Enthüllung und über den juristischen Sieg der „investigativen Journalisten Markus Fiedler und Dirk Pohlmann“537 ebenso wie viele weitere alternative Medien. Die gesperrten Sendungen über die Recherchen zu „Feliks“, ursprünglich im Kanal der Gruppe42 erschienen, werden auch auf anderen Kanälen der „Gegenöffentlichkeit“ hochgeladen.538 Linksalternative und auch Medien und Blogs aus der neurechten Szene berichten sehr wohlwollend über das Urteil im „Feliks“-Prozess.539 Der „Heckenschütze“ hatte sich durch seine politischen Editierungen offenbar viele Feinde gemacht. „Feliks“ selbst spricht von einer „menschenverachtende[n] Hetzjagd“ gegen ihn und einem „Cybermob“, der durch die Gruppe42 „ermuntert“ worden sei.540 Der Standard titelt „Verschwörungstheoretiker dürfen Wikipedia-Autor outen“ und rückt Pohlmann in die Nähe neurechter Ideologie und russischer Propaganda.541 Er wiederum sieht genau diese Berichterstattung als Fortsetzung der Diffamierungskampagne bei gleichzeitigem Verschweigen der juristischen und politischen Brisanz der Causa „Feliks“. Er werde „sogar bedroht. Die Polizei ermittelt“542, wie Pohlmann mir in einer E-Mail versichert: [Feliks] IST Mitglied der Linken, ehemaliger Bundestagskandidat der PDS und gehört zu den „Anti-Deutschen“. Er war 2-mal Freiwilliger der israelischen Streitkräfte. Er hat ein Foto von sich in israelischer Fallschirmjäger Uniform mit Helm, Fallschirm und Uzi in der Linken gezeigt und nach Reaktion auf ein Foto nur in Uniform umgewandelt (Zwei Eidesstattliche Erklärungen liegen vor). Er hat dazu eine gelogene eidesstattliche Erklärung abgegeben, also einen Meineid begangen. Er editiert über 50 Abgeordnete der Linken und Einträge zur israelischen Militär, Außen- und Sicherheitspolitik, und zwar höchst einseitig, wie wir im Falle des Hochsicherheits- und Foltergefängnisses Anlage 1371 dargestellt haben, und was wir u. a. sogar im Vergleich zur englischen Wikipedia Version bewiesen haben.543
Pohlmann und Fiedler attestieren „Feliks“ ein „vested interest“544. Er editiere in einem Massenmedium mit Monopolstellung im eigenen Interesse, nicht enzyklopädisch neutral. Daher habe das Gericht seine Enttarnung juristisch legitimiert – es bestehe öffentliches Interesse an seiner Identität. WHO WATCHES THE WATCHMEN?
Seit Fiedler seinen zweiten Film „Zensur“ gemacht hat, steht auch er unter Beobachtung. Einige Tage nachdem der Film Anfang 2017 veröffentlicht wurde, wird über ihn ein Psiram-Eintrag erstellt, bezeichnenderweise von jenem Nutzer, „Abrax“, den Fiedler in dem Film als einen der Akteure im „Netzwerk“ der von ihm behaupteten Wikipedia-Psiram-Meinungsmanipulation verortet.545 In Pohlmanns Fall verweist er auf das gleiche Muster.546 Der Psiram-Eintrag über „ Markus Fiedler“ ist sehr ausführlich und listet neben verschiedenen Aktivitäten und Verbindungen Fiedlers, auch die juristischen Klagen gegen ihn auf. Im Punkt
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„Einstweilige Verfügung gegen ‚Wikihausen‘-Videos 2018“547 ist die gerichtliche Untersagung der Klarnamensnennung von „Feliks“ aufgeführt. Dass diese aufgehoben wurde und „das öffentliche Informationsinteresse an der Identität“ von „Feliks“ laut dem Urteil vom Februar 2019 gegenüber dem Schutz seiner Anonymität „überwiegt“548, steht in dem Artikel nicht. Auch auf der Wikipedia sucht man, wie eingangs erwähnt, diese Kritik der Wikipedia vergeblich. Der WikipediaDiskurs und die ihn besprechenden Ensembles verhindern, dass die Kritik zu ‚groß‘ gemacht oder zu ‚breit‘ (getreten) wird. Was sollten sie auch anderes tun? Sie sind Subjekte ihres eigenen Diskurses. Die fehlende Außenperspektive einer epistemisch-esoterischen Elite verhindert jene „Selbstreflexion“ und -kritik, deren Fehlen sie bei „Verschwörungstheoretikern“ wie Fiedler bemängeln. 549 Und insofern Intransparenz und fehlender Zugang Diskurse und Debatten stets verschließen, braucht es Journalist*innen und Beobachter*innen, die sie wieder öffnen. Fiedler und Pohlmann könnten solche sein. Doch ihre Recherchen und Ergebnisse dringen nicht den medialen „Mainstream“. In Bezug auf das Thema „Verschwörungstheorien“ wird diskursive Öffnung nicht geschehen, insofern die Wikipedia nur „etabliertes Wissen abbilde[t]“, wie ein*e Wikipedianer*in klarstellt. Die Wikipedia, obwohl sie ein bedeutendes Massenmedium der Herstellung gesellschaftlicher Wirklichkeit ist, braucht für die Arbeit am enzyklopädischen Wissen der Gesellschaft selbst immer etablierte Kontexte, meint sie: Wenn Sie daran etwas ändern wollen, dann müssen Sie Gesellschaft ändern, in dem Moment, wo die „Verschwörungstheorie“ keine mehr ist, weil die überwiegende Mehrheit sie als Realität akzeptiert, wird die Wikipedia dies auch als solches darstellen, vorher aber nicht.550
Für jene, die alternative Standpunkte vertreten, bedeutet das, sie müssen Deutungsmacht etablieren. Genau dies geschieht in dem Prozess, den Storz (2015) als „Gegenöffentlichkeit“ bezeichnet, „die sich jenseits der klassischen Massenmedien zu etablieren beginnt“ (ebd.: 3). Wikipedia-Kritik ist im anti-verschwörungstheoretischen Diskurs eher unüblich und die Enzyklopädie wird in der „No World Order“-Broschüre wie auch von Butter (2018: 188) aufgrund ihrer Verlässlichkeit gelobt. Wenn Wikipedia aber tatsächlich der Logik einer Enzyklopädie und nicht der eines Watchblogs folgen will, so muss sie nicht nur in puncto Zugang, sondern in erster Linie in puncto Transparenz und accountability Wesentliches verändern. Wilcox schreibt über die paranoide Logik von „Watchdog“-Organisationen, dass deren Subjekte durch eine Mentalität des Alarmismus wie durch ein ständiges Versteck-Spiel charakterisiert seien. Mitglieder take elaborate physical security precautions which embrace the belief that someone is out to „get“ them, just as they are out „get“ someone themselves – which, after all, is what watchdog groups do (ebd. 2002: 193).
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Das gleiche gilt nicht nur für Psiram (vgl. Kap. 5.5.2), sondern, wie die Filme von Fiedler und die „Geschichten aus Wikihausen“ zeigen, auch für die Wikipedia. Die Anonymität bietet nicht nur Schutz vor möglichen realen oder imaginierten Angriffen. Sie schadet zugleich der „Diskussionskultur“ in „höheren Hierarchiestufen“551 der Wikipedia. Sie ist Ausdruck der „conspiracy panics“ (Bratich 2008). Durch das Prinzip der Anonymität wird Verantwortlichkeit strukturell verschleiert. Die für offene Diskurse charakteristische „Beobachtung von Beobachtern“ (Luhmann 1995: 54) ist nur da produktiv, wo ein jeweiliges Gegenüber sich verantwortlich zeigen kann. Fiedler und Pohlmann zeigen Gesicht – und werden auf Psiram diskreditiert wie offenbar auch persönlich bedroht. Gleichzeitig versuchen sie, jene zu outen, die über sie und andere verdeckt schreiben. Sie fordern die journalistische Transparenz, die sie auch für sich selbst anerkennen. Diese „Transparenz“ fordert, neben fehlenden „journalistische[n] Standards“, auch der Journalist Matthias Holland-Letz ein, nachdem er in einem zweimonatigen „Selbstversuch“ über ähnlich „kafkaeske“552 Erfahrungen berichtet wie Fiedler und Pohlmann: über „Löschungen“ ‚von oben‘, unbeantwortete Fragen und einen Beitrag über „US-Chemiewaffen in Panama“, der „verschoben“ und „gut versteckt“ in einen anderen Artikel eingefügt wurde.553 Dabei ist Holland-Letz eher ein Kritiker von Fiedler und der „Gegenöffentlichkeit“.554 Der Autor selbst erlebt eine sehr zurückhaltende E-Mail- und Verantwortungs-Politik in der Wikimedia Foundation555 – er solle sich an den Sitz in den USA wenden. Einerseits ist Wikimedia als Trägerin der Wikipedia für die Inhalte verantwortlich. Andererseits sitzt sie in den USA und übernimmt für die konkrete Arbeit und für eventuelle Verfehlungen der Autor*innen – wie etwa im Fall „Feliks“ – keine Verantwortung: Plausible Deniability (vgl. Kap. 4.1). Holland-Letz schreibt, wie er im Wikipedia-Beitrag zur „Better Than Cash Alliance“ einige kritische Ergänzungen machen wollte und [n]och am selben Tag reagiert „Tohma“. Er streicht […] wieder raus. Begründung? Keine. Der Wikipedia-Artikel liefert damit weiterhin keine Vertiefung, kein kritisches Wort. Auf der Wikipedia-Diskussionsseite bitte ich „Tohma“, seine Entscheidung zu begründen. Keine Antwort.556
Der*die Wikipedianer*in „Tohma“ wurde von Fiedler übrigens schon vorher als Teil des „Meinungsmanipulationsnetzwerk[s]“ identifiziert. Auch eine andere Analyse über politische Editierungen der Wikipedia-Machtelite deckt sich mit Fiedlers Film-Recherchen zum Netzwerk der „Meinungsmanipulation“.557 Doch dies ist nur die eine Seite. Die ‚Außensicht‘. Noch gibt es zu wenige verlässliche Informationen über die Klüngel-Bildung in der Wikipedia. Es gibt Verschwörungsthesen. Und solche scheinen hier notwendig. Versetzt man sich aber in die Rolle des Gros der Wikipedia-Autor*innen, die nicht zu einer ideologischen Clique gehören und, zumindest teilweise, idealistisch täglich die ‚Ordnung‘ im Blick haben, Falsches von Richtigem trennen und in Inhalt und Form anpassen müssen, teilweise gegen ‚Wiederholungstäter‘ ankämpfen – und das alles, ohne dafür bezahlt
5.5 Die Anti-Verschwörungstheorie
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zu werden oder öffentliche Anerkennung für ihre Taten zu bekommen – dann wird vielleicht verständlich, weshalb sie a) mit Kommunikation ‚sparen‘ oder aber in Polemik und Zynismus gegenüber ‚unbelehrbaren‘ Neulingen verfallen und ‚ihr‘ Projekt, ihre Idee von ‚Freiheit‘ verteidigen, b) so viel löschen und von „bullshit“ ‚reinigen‘, wie sie glauben, dass es von ihnen erwartet wird und c) sich an der etablierten Wissensordnung orientieren, statt ‚neue‘ oder ‚alternative‘ Maßstäbe anzunehmen und dem Image der Marke Wikipedia unnötigen Schaden zuzufügen. Diese Arbeit – neue Maßstäbe setzen – müssen dann andere tun. Dazu ist die Wikipedia zu konservativ. 5.5.4 Amadeu Antonio Stiftung Das erste Mal wird mir die Amadeu Antonio Stiftung beim Besuch der Verleihung des „Goldenen Aluhut“ Ende Oktober 2015 bekannt. Auf den Stuhlreihen liegt dort die Handreichung „No World Order – Wie antisemitische Verschwörungsideologien die Welt verklären“558 aus. Es scheint eine Infobroschüre zu sein, die über „Verschwörungstheorien“ aufklären soll. Mit großem Interesse inspiziere ich sie während der Pause. Was mir daran positiv auffällt, ist, dass die Autor*innen eine Unterscheidung zwischen Verschwörungen, „Verschwörungshypothesen“ und „Verschwörungsideologien“ vornehmen – also offenbar nicht alle „Verschwörungstheorien“ undifferenziert über einen Kamm scheren und delegitimieren. Die AAS nimmt für sich in Anspruch, die „demokratische Zivilgesellschaft zu stärken“ und „sich konsequent gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus“ zu wenden.559 In der Broschüre wird zwischen verschiedenen Formen von „Verschwörungserzählungen“ differenziert. Angeregt von der ersten Lektüre und gespannt auf den Inhalt dieser kleinen Handreichung, packe ich sie ein, um sie später zu Hause genauer zu studieren. „9/11 WAS AN INSIDE SCHMOCK“
In einem jungle world-Artikel mit dem Titel „9/11 was an inside schmock“560 vom 10. September 2015, verfasst von Jan Rathje und Julia Schramm, werden innerhalb eines anti-verschwörungstheoretischen Deutungsrahmens heterodoxe Deutungen zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001 mit antisemitischer Ideologie gleichgesetzt. Der Artikel erweckt den Eindruck, in antisemitischen Deutungsmustern erschöpfe sich die 9/11-Kritik. Beide Autor*innen arbeiten zu diesem Zeitpunkt für die Amadeu Antonio Stiftung. Die Rhetorik dieses Artikels ist pamphletartig, verallgemeinernd bis zynisch. Die Wortverbindung „inside schmock“ ist dabei eine von den Autor*innen konstruierte Anspielung auf „inside job“, was, sehr bewusst, eine Assoziation zwischen einer Skepsis am offiziellen 9/11-Narrativ und Antisemitismus erzeugt. Damit werden alternative Deutungen des Ereignisses und entsprechende Wissensträger*innen und Aktivist*innen
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diskreditiert und gar pauschal als Antisemit*innen bezeichnet. Der Stereotyp des antisemitischen „Verschwörungstheoretikers“, der hier das begriffliche Kleid eines „Verschwörungsideologen“ trägt, wird mit dieser Anspielung reproduziert. Der 11. September ist weltweit ein regelrechter Feiertag der Verschwörungsideologen und Antisemiten geworden. Das Internet und die sozialen Medien sind ihre wichtigsten Verbreitungskanäle.561
Das simplifizierende Bild, das dabei erzeugt wird, ist: 9/11-Kritik = Antisemitismus. (Berechtigte) Kritik an der offiziellen Version wird dadurch performativ delegitimiert und stigmatisiert. Die Autor*innen unterschlagen, dass die offizielle Verschwörungsdeutung nicht minder eine ideologische „Verschwörungserzählung“ ist als heterodoxe Deutungen (vgl. Knight 2008) und es darüber hinaus fundierte, berechtigte (nicht-ideologisierte) und wissenschaftlich-empirische Kritik an diesen Deutungen gibt. Der jungle world-Beitrag, der darauf aufmerksam macht, dass zu den jährlichen Erinnerungstagen an die Terroranschläge des 11. September 2001 nicht nur offizielle Zeremonien, sondern auch Veranstaltungen der Kritiker*innen stattfinden, trägt die wesentlichen Merkmale des anti-verschwörungstheoretischen Deutungsmusters. Gegen die „Verschwörungsideologen“ wird mit sehr derben Mitteln kommunikativer Gewalt angeschrieben. Es werden aber keine Namen genannt, sodass Zuordnungen unmöglich sind, Leser*innen sich ihren Teil denken müssen, aber auch die Autor*innen sich um Verantwortung nach Beweislast für diese heftigen Anklagen drücken. Die Etablierung der alternativen 9/11-Szene, von der man nur mutmaßen kann, wer gemeint ist und wer nicht – und dass es sich dabei um das 9/11 Truth Movement handelt (vgl. Kap. 6.1) –, wird von den Autor*innen Rathje und Schramm wie folgt beschrieben: Menschen, die mit ihrer Meinung in der Gesellschaft nicht reüssieren konnten, fanden im Netz schon recht früh einen Ort, an dem sie Gleichgesinnte treffen konnten, die ihre obskuren und mitunter faschistischen und reaktionären Ansichten teilten. Dieser verschwörungsideologischen Szene war sofort klar, was sich am 11. September 2001 ereignet hatte.562
Nach dem pars pro toto-Prinzip wird hier die komplette „Wissenschaft des 11. September“, werden alle kritischen Fragen und Rekontextualisierungen unter dem Mantel der ideologischen (Welt-)Verschwörungstheorie versammelt. Daneben werden noch viele feinere Unterstellungen gemacht: Kritik der offiziellen 9/11Version sei nur eine „Meinung“, es geht um die „Menschen“, die nicht reüssieren können, was suggeriert, es handele sich um erfolglose gescheiterte Existenzen. Auf diese Psychologisierung folgt die Verbindung mit „faschistischer“ und „reaktionärer“ Ideologie. Weiter heißt es: 9/11 ist seit nunmehr 14 Jahren der zentrale Verschwörungsmythos unserer Zeit. Überall sieht man „9/11 was an inside job“-Shirts, -Poster und Gratis-DVDs. Der 11. September ist ein regelrechter Feiertag der Antisemiten geworden, die sich
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5.5 Die Anti-Verschwörungstheorie
weltweit unter dem Banner der „Wahrheit“ und „Aufklärung“ finden, um ihren antisemitischen Vernichtungsphantasien freien Lauf zu lassen.563
9/11-„Verschwörungstheorien“, die hier „Verschwörungsideologien“ heißen, werden explizit zu radikalen, (rechts-)extremen und antisemitischen Deutungen. Die Wahrheitssuche von Journalist*innen und Aktivist*innen unterstehe in Wirklichkeit „ihren antisemitischen Vernichtungsphantasien“. In Fragmenten wie diesen, deren Ton überaus aggressiv, polemisch und pauschalisierend ist, wird der Stereotyp des gefährlichen und irrationalen antisemitischen Verschwörungstheoretikers mitgeprägt. Mehr noch: Diese Sätze sind hochgradig paranoid, sie sehen überall Antisemit*innen, wo offizielle Deutungen konterkariert werden. Jan Rathje ist einer der Autoren der erwähnten „No World Order“-Broschüre aus dem Jahr 2015. ***
Es ist über ein Jahr nach dem „Aluhut-“Event, als ich mir diese Info-Broschüre nochmals näher anschaue. In der Zwischenzeit hatte ich sie verlegt und wieder vergessen. Erst jetzt bemerke ich: Das Deutungsmuster der rechtsextremen und antisemitischen Verschwörungstheorie ist in diesem Papier allumfassend. Wesentlich geht es in der Broschüre um antisemitische „Verschwörungsideologien“, gemeint ist aber im Grunde genau dasselbe, was landläufig unter „Verschwörungstheorien“ verstanden wird. Im Vorwort der Broschüre schreibt eine der Herausgeber*innen, Annetta Kahane: Ein Rassist beispielsweise wird es schwer haben mit der Diskrepanz zu leben, dass sein Arbeitgeber ein Schwarzer ist, ihn anständig bezahlt und gar keinem rassistischen Stereotyp entspricht. Der Rassist hat im Wesentlichen drei Optionen diesen Widerspruch aufzulösen: Die erste: er kündigt seinen Job, weil er lieber arbeitslos ist als gegen seine Ideologie zu handeln. Die zweite: er denkt nach einer Weile darüber nach, ob Schwarze wirklich so furchtbar sind und ändert seine Haltung. Oder er bevorzugt die dritte Option – er entwickelt eine Verschwörungstheorie.564
„Verschwörungstheorien“ nennt Kahane eine „Pathologie“565. Dass der Antisemitismus aus einem „Verschwörungsgedanken“ entspringe wird für sie zur Legitimation gegen alle Formen des Verschwörungsdenkens. „Verschwörungstheorien“ werden demzufolge auf den folgenden Seiten, im Gewand der „Verschwörungsideologie“, im Problemfeld des Rechtsextremismus und Antisemitismus thematisiert, ohne dass Unterschiede deutlich gemacht werden. „Verschwörungsideologien“ seien anti-demokratisch, nationalistisch, und potentiell gesundheitsgefährdend.566 Es wird zwar (am Rande) konstatiert, dass es legitime Verschwörungsdeutungen, also „Verschwörungshypothesen“, gäbe. Deren Realitätskorridor ist dabei aber sehr eng. Denn sobald „widerlegende Beweise“ gegen eine Verschwörung vorlägen, die nicht akzeptiert würden, handele es sich schon um eine „Verschwörungsideologie“. Dementsprechend sucht man historische oder zeitge-nössische Beispiele für solche „legitime[n] Äußerunge[n] im demokratischen
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5 Verschwörungen im Deutungskonflikt
Meinungsspektrum“567 über Verschwörungen in der Broschüre vergeblich. Das Papier, das bildungspolitisch und pädagogisch aufklären will, suggeriert – ohne fundierte empirische Grundlage –, das Wesen von Verschwörungsdeutungen, (d. h. „Verschwörungserzählungen“) bestehe im falschen, pathologischen oder gefährlichen „Glauben“: Um zu verstehen, worum es sich bei ‚Verschwörungstheorien‘ handelt, muss zunächst ein Blick auf den Begriff geworfen werden. Er hat, trotz seiner Verbreitung, einen entscheidenden Nachteil: Er gibt vor, etwas zu sein, was er nicht ist – eine Theorie. Aus wissenschaftlicher Perspektive muss eine Theorie jedoch bestimmte Ansprüche erfüllen: Sie kann nur solange Gültigkeit beanspruchen, bis ihre Grundannahmen als falsch bewiesen worden sind. ‚Verschwörungstheorien‘ erfüllen aber genau diese Bedingungen nicht. Ihre Anhänger*innen blenden Beweise aus, die gegen ihre Überzeugungen sprechen, oder behaupten, es handele sich dabei um ‚Desinformationen‘, also Fälschungen im Auftrag der Verschwörer*innen. Hier zeigt sich bereits ein erstes Problem. „Verschwörungstheorien“ können von außen nur schwer durch Fakten oder Gegenbeweise widerlegt werden, da ihre Anhänger*innen sich vor ihnen verschließen. Die Idee von einer Verschwörung hat sich bei ihnen zu einer Verschwörungsideologie verfestigt, die sie für Widersprüche und Gegenbeweise unzugänglich macht. Allen Verschwörungsideologien ist gemein, dass sie davon ausgehen, einige Wenige würden im Geheimen mit bösen Absichten die Geschicke der gesamten Menschheit steuern. Der Begriff der Ideologie verweist außerdem darauf, dass es sich bei den Vorstellungen nicht nur um private Spinnereinen [sic] oder falsche Wahrnehmungen handelt, vielmehr sind sie ein Ausdruck einer missverstandenen Welt. Vereinfacht bedeutet dies: Es gibt Dinge in dieser Gesellschaft, die ihre Mitglieder daran glauben lässt, eine kleine Gruppe hätte sich gegen die Mehrheit verschworen. Diese Sicht auf die Gesellschaft gilt es zu hinterfragen. Bei Verschwörungsideolog*innen bleibt dies jedoch aus.568
In dieser Bestimmung ist der Deutungsrahmen umfasst, innerhalb dessen sich der Verschwörungstheorie-Begriff der Amadeu Antonio Stiftung-Infobroschüre befindet. Die vermeintliche Differenzierung zwischen „Verschwörungstheorien“, „Verschwörungshypothesen“ und „Verschwörungsideologien wird dieser Definition zufolge in Richtung der letzteren aufgelöst: „Verschwörungstheorien“ seien im Wesentlichen Ideologien, die sich nicht widerlegen ließen. Denn ihre Anhänger*innen, so die Aussage, „blenden Beweise aus, die gegen ihre Überzeugungen sprechen“ oder sie würden „behaupten, es handele sich dabei um ‚Desinformationen‘, also Fälschungen im Auftrag der Verschwörer*innen.“ Die realen Bezüge und die tiefenpolitischen Implikationen von Behauptungen über Fälschung und Desinformation werden im „No World Order“-Papier nicht thematisiert569. Stattdessen werden die typischen Sinn-Bezüge hergestellt, die sich im anti-verschwörungstheoretischen Deutungsmuster finden: Problematisierung, Pathologisierung und Gefahrendiskurs. Das vorausgesetzte wissenschaftstheoretische Modell folgt dabei dem Paradigma des kritischen Rationalismus. Das epistemologische Problem, also die Frage, was a) einen „Beweis“ ausmacht und vor allem wie ein solcher b) im Zeitalter multipler gegenseitiger Überwachung und des Misstrauens, von Desinformation und Konspiration, aussehen könnte, umgeht das „No World
5.5 Die Anti-Verschwörungstheorie
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Order“-Papier.570 Der Kampf gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus transformiert derlei epistemologische Komplexität in (scheinbar) einfache und praktische Anleitungen, die in einem Gefahren-Rahmen kommuniziert werden.
Abbildung 45: In einem jungle world-Beitrag setzen Julia Schramm und Jan Rathje, beide zu dieser Zeit bei der Amadeu Antonio Stiftung tätig, 9/11-Kritik und Antisemitismus gleich (Quelle: jungle world).
Damit folgt er implizit, der versimplifizierten und verschleiernden Annahme der ehemaligen US-Botschafterin im Kampf gegen „Verschwörungstheorien“, die, wie bereits zitiert, behauptete: „In Entgegnung der Verschwörungstheorien“ gäbe „es eine simple Wahrheit“ und zwar die, dass „[a]m 11. September […] fast 3000 Menschen aus 91 Staaten ihr Leben durch Angriffe von Terroristen verloren“ haben571 – und mehr nicht (vgl. Kap. 5.4.1). Neben Merkmalen und Definitionen von „Verschwörungsideologien“ kommen im „No World Order“-Papier auch eine Aussteigerin, ein Filmemacher und ein „Skeptiker“ zu Wort. Das Interview mit der Aussteigerin Stephanie Wittschier ist vor dem Hintergrund des Problem- und Gefahrendiskurses ein Material, auf welches wir noch eingehen wollen (Kap. 7.3). An dieser Stelle sei nur darauf hingewiesen, dass auch die Aussteigerin, deren Funktion in diesem Dokument offenbar ist, als „Insiderin“ aus der Lebenswelt der „Verschwörungsideologien“ zu berichten, das anti-verschwörungstheoretische Deutungsmuster dieses Diskurses und seine Sprache vollständig übernommen hat. Wenn sie etwa von „9/11-Ideologie“ spricht oder von „Schwurbelseite“, dann sind dies Begriffe des skeptischen bzw. Gefahrendiskurses über „Verschwörungstheorien“.572 An vielen Stellen wird die Nähe zu und Verflechtung mit dem „Skeptiker“-Diskurs offenbar. In diesem sind Wissenschaft, „Fakten“ und „Debunking“ Mittel im Kampf gegen „Verschwörungstheorien“ – so auch in dem „No World Order“-Papier.573 Als weitere „Handlungsoptionen gegen Verschwörungsideologien“ werden „Satire“, „Fragen als Mittel des Zweifels“ sowie auch „Soziale Ächtung“ vorgeschlagen. 574 575 Am Ende der Broschüre werden von den Autor*innen „[w]eiterführende Information und Recherchehilfen zum Debunking“ aufgeführt. Empfohlen werden hier die „GWUP“ und die Webseite von „Psiram“. Außerdem empfiehlt die Handreichung auch die „Wikipedia“. Die darunter aufgeführte „[w]eiterführende Literatur“ ist
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5 Verschwörungen im Deutungskonflikt
dementsprechend selektiv.576 Es wird nicht im Ansatz der zeitgemäße Forschungsstand zum Thema „Verschwörungstheorien“ wiedergegeben. Stattdessen wird ein ganz bestimmtes Deutungsmuster reproduziert. Zusammengefasst hat das Subjekt des Verschwörungsdenkens im „No World Order“-Papier – das unter dem Label „Verschwörungsideolog*in“ behandelt wird – folgende Merkmale: Es ist antisemitisch und/oder rechtsextrem eingestellt, damit ist seine* ihre Gesinnung eine „anti-demokratische“; es steht ggf. einem (religiösen oder esoterischen) „Glauben“ nahe und verfügt über ein „geschlossenes“ und falsches „Weltbild“. Die Handlungsanleitungen, die für den Umgang mit diesen Menschen gegeben werden, sind: sie zu ridikülisieren (Satire), sie sozial zu ächten (Outing oder Doxing), ihre Einstellungen zu hinterfragen (Anzweifeln) oder aber sie mit „Fakten“ zu widerlegen (Debunking). Obwohl von „Verschwörungsideologie“ die Rede ist, sind damit, wie das Vorwort der Herausgeberin Anetta Kahane deutlich macht, „Verschwörungstheorien“ im gewöhnlichen Sinne gemeint. Die Umbenennung hat daher keinen praktischen und analytischen Mehrwert. Insofern wird innerhalb dieses Diskurses der Stereotyp des antisemitischen Verschwörungstheoretikers geprägt, der schließlich zum gesellschaftlichen Klischee beitragen kann, von dem sich auch die Subjekte jener Deutungsmuster betroffen und stigmatisiert wissen, denen Antisemitismus, anti-demokratische Einstellungen oder verschiedene Formen von Glauben nur schwerlich nachgesagt werden kann. Die bewusst in Kauf genommene oder ungeschickte Vermengung bzw. Nicht-Differenzierung zwischen Verschwörungsdeutungen z. B. über „9/11“, „False Flag“ oder die „Atlantik-Brücke“ und Rechtsextremismus/Antisemitismus, die die Handreichung vornimmt und die diverse Autor*innen der Amadeu Antonio Stiftung verschiedentlich an anderen Orten herstellen, ist ein Merkmal des antiverschwörungstheoretischen Diskurses und seiner Dispositive. Diese sind u. a. im politisch-legitimierten Kampf gegen Antisemitismus (Ullrich/Kohlstruck 2015) sowie im Kampf gegen Terrorismus oder Desinformation oder Fake News zu suchen, denen die heterodoxe „Verschwörungstheorie“ quasi als Kollateralschaden geopfert wird. Aus einem anderen Blickwinkel sind die genannten Diskurse, ebenso wie der „Skeptiker“-Diskurs und der Kampf gegen „Esoterik“ oder „Pseudowissenschaft“ im Topos der „Verschwörungstheorie“ miteinander verbunden. Das heißt: Der „Kampf gegen Verschwörungstheorien“ verbindet alle diese Diskurse. 5.5.5 Der Kampf gegen „Verschwörungstheorien“ DER KAMPF GEGEN DESINFORMATION UND VERSCHWÖRUNGSTHEORIEN IST EINE DER GROßEN HERAUSFORDERUNGEN FÜR DIE LIBERALEN DEMOKRATIEN. ES IST EIN KAMPF, DER UNS ALLE ANGEHT, DER IN FAMILIEN, SCHULEN, BÜROS UND BETRIEBEN EBENSO AUSGETRAGEN WERDEN MUSS WIE IN ZEITUNGSREDAKTIONEN, SOZIALEN NETZWERKEN UND PARLAMENTEN. UND ER WIRD JA AUCH ÜBERALL AUSGETRAGEN, VON DEN NACHFAHREN EINES ERASMUS, EINES GALILEI UND VOLTAIRE, VON
5.5 Die Anti-Verschwörungstheorie
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WISSENSCHAFTLERN, JOURNALISTEN UND BLOGGERN, VON ABGEORDNETEN IN UNTERSUCHUNGSAUSSCHÜSSEN (BUNDESPRÄSIDENT FRANKWALTER STEINMEIER, KLOSTER DALHEIM, 17. MAI 2019577)
Der „Kampf gegen Verschwörungstheorien“ ist längst auch zur bundesdeutschen Staatsräson geworden, wie Frank-Walter Steinmeier 2019 offiziell bestätigt hat. In diesem Kampf verbinden sich verschiedene Akteur*innen, Interessen und Diskurse. Steinmeier verkündet jedoch nur, was sich über Jahrzehnte hinweg in der westlichen liberalen Demokratie institutionalisiert hat. Der Kampf gegen und ebenso die Reproduktion von „Verschwörungstheorien“ sind seit dem Attentat auf John F. Kennedy untrennbar mit Staatsräson und Dispositiven nationaler Sicherheit verflochten. Das am 4. Januar 1967 verfasste CIA-Dokument „Dispatch 1035–960“578 ist der nachträglich bekannt gewordene Fall einer klandestinen und politisch-motivierten Propaganda- und Desinformationskampagne in Bezug auf die Vertuschung des Kennedy-Komplexes durch den gezielt platzierten Vorwurf der „Verschwörungstheorien“. Der Vorwurf wurde damals gegen all jene gerichtet, die die offizielle Einzeltäter-These hinterfragen. Eine der Vorgaben der Kampagne war „to point out that conspiracy talk appear to be deliberately generated by Communist propagandists.“ Das Gleichsetzen von Kritik an der offiziellen EinzeltäterTheorie und „Verschwörungstheorien“ und die Behauptung, beide beruhten auf „Communist Propaganda“, muss als Operation zur „cognitive manipulation“ (DeHaven-Smith 2013) im politischen Informationskrieg gelesen werden. Neben genauen Anleitungen zur Beeinflussung von Journalist*innen in Leitmedien werden im „Dispatch 1035–960“ konkrete Vorschläge für das „countering and discrediting the claims of the conspiracy theorists“ 579 gemacht. Diese können als Prototypen der späteren anti-verschwörungstheoretischen Debunking-Praxis gelesen werden, die sich sowohl in der „Skeptiker“-Bewegung sowie in einem Diskussionspapier von Sunstein/Vermeule (2009 [2008]) mit Vorschlägen zur verdeckten „cognitive infiltration“ der Diskursmilieus von „conspiracy theorists“ findet, auf das gleich noch näher einzugehen sein wird. Aufgrund dieser Verflechtungen von Verschwörungstheorie- und -praxis hat DeHaven-Smith (2013) den „Kampf gegen Verschwörungstheorien“ überspitzt als „conspiracy theory-conspiracy“ bezeichnet. Mit den Terroranschlägen von 9/11 wiederholt sich das tiefenpolitische Muster, das in der Kennedy-Verschwörung seinen Ausgangspankt hat. Alternative Deutungen werden im leitmedialen (Fernseh-)Diskurs nihiliert und von der Bush-Regierung geächtet. In einem StrategiePapier von 2006 werden „conspiracy therories“ und ‚terrorist propganda‘ gleichgesetzt (vgl. Kap. 4.2). Der „Kampf gegen den Terror“ ist hier gleichbedeutend mit dem „Kampf gegen Verschwörungstheorien“. Letzterer legitimiert sich durch eine Krise der Demokratie, die nach 2001 durch „misinformation“ und „conspiracy theories“ (Regierung Bush) bzw. durch „Desinformation“ und „Verschwörungstheorien“ (Steinmeier) bedroht sei. Es kommen in diesem Kampf die
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5 Verschwörungen im Deutungskonflikt
verschiedensten Methoden zum Einsatz. Während der zivilgesellschaftliche und leitmediale Diskurs vor allem auf Praktiken von Bildung, Ächtung und Fact-Checking setzt, gibt es im Bereich der Parapolitik noch fragwürdigere Konzepte. „COGNITIVE INFILTRATION“
Das Programm der „kognitiven Infiltration“ der „Verschwörungstheorien“-Szene durch Debunking, Satire oder (Gegen-)Aufklärung beispielsweise kann bis in die Amtszeit Barack Obamas zurückdatiert werden. 2008 veröffentlichen Cass Sunstein und Adrian Vermeule ein Paper über „Conspiracy Theories“, das ein Jahr später mit dem Nachsatz „Causes and Cures“ (dt. „Ursachen und Heilung“) im Journal of Political Philosophy erscheint. Sunstein leitete von 2009–2012 unter Obama das „Office of Information and Regulatory Affairs“. In dem Aufsatz schlagen die beiden hochdotierten Juristen vor, die Gruppen und Netzwerke der „Verschwörungstheoretiker“, die sie mit „Extremisten“ gleichsetzen, kognitiv zu infiltrieren, was so viel bedeutet wie, dass die Szene gespalten werden soll. Government agents (and their allies) might enter chat rooms, online social networks, or even real-space groups and attempt to undermine percolating conspiracy theories by raising doubts about their factual premises, causal logic, or implications for action, political or otherwise. (Sunstein/Vermeule 2009 [2008]: 224 f.)
Sunstein und Vermeule schlagen in dem über 20-seitigen Papier Strategien aus dem Bereich der verdeckten Kriegsführung vor, die der US-Regierung dabei helfen sollen, eine „physical penetration of conspiracist groups“ zu leisten, sowohl auf realen Treffen als auch im „cyberspace“ (ebd.: 226). Sie sprechen bei dieser „kognitiven Infiltration“ der Gruppen euphemistisch vom Verbreiten einer „cognitive diversity“ (ebd.). Bemerkenswert ist die Annahme der beiden Autoren, dass „Verschwörungstheorien“ per se falsche epistemologische Annahmen machten, auf einer „crippled epistemology“ aufbauten. Strategisch und taktierend wägen sie Nutzen und Risiken einer Infiltration ab: There is a similar tradeoff along another dimension: whether the infiltration should occur in the real world, through physical penetration of conspiracist groups by undercover agents, or instead should occur strictly in cyberspace. The latter is safer, but potentially less productive. The former will sometimes be indispensable, where the groups that purvey conspiracy theories (and perhaps themselves formulate conspiracies) formulate their views through real-space informational networks rather than virtual networks. Infiltration of any kind poses well-known risks: Perhaps agents will be asked to perform criminal acts to prove their bona fides, or (less plausibly) will themselves become persuaded by the conspiratorial views they are supposed to be undermining; perhaps agents will be unmasked and harmed by the infiltrated group. But the risks are generally greater for real-world infiltration, where the agent is exposed to more serious harms. Our main suggestion is just that, whatever the tactical details, there would seem to be ample reason for government efforts to introduce some cognitive diversity into the groups that generate conspiracy theories. (Ebd.)
5.5 Die Anti-Verschwörungstheorie
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In den Diskursen der „Gegenöffentlichkeit“ verstärkt schon das Wissen um die Erwägung solcher verdeckten Operationen die Paranoia. Es ist ein Wissen um die Rationalität Verdeckter Kriegsführung und Provokation – „situational awareness“. Der Autor erinnert sich noch, wie bei vielen Vorträgen, die er auf alternativen Stammtischen und Veranstaltungen hörte (vgl. Kap. 3.3), Redner* innen neben dem anwesenden Publikum ironisch die „Freunde vom Verfassungsschutz“ begrüßten. Helge erzählte von einem größeren Stammtisch in NRW, den er besucht hatte, deren Organisatorin regelmäßig von „zwei unbekannten Männern“ beobachtet und besucht worden sei. Unabhängig davon, was von solchen Plänen wie denen von Sunstein/Vermeule „wirkte“ und „was […] zum Einsatz“ kam (Dammbeck), entstehen derlei Überlegungen nicht ‚außerhalb‘ des „paranoid mode“ – sie sind Teil einer paranoiden Dynamik und Subjektposition. Erstens, insofern sie schon glauben (besser) zu wissen, was die Wahrheit ist und sich zweitens durch bestimmte heterodoxe Sichtweisen bedroht sehen, sodass sie drittens konkrete Überlegungen anstellen, diese Sichtweisen kognitiv zu bekämpfen/kontrollieren. Die Annahme, dass „false and harmful conspiracy theories“ – als Beispiel werden hier auch alternative „Verschwörungstheorien“ über 9/11 angeführt (ebd.: 202 f.) – die offene Gesellschaft bedrohten, antidemokratisch seien, rassistisch und extremistisch, ist ein Merkmal des anti-verschwörungstheoretischen Diskurses auch im deutschsprachigen Raum. Es ist ein Kernmerkmal der Positionen der GWUP„Skeptiker“, der Amadeu Antonio Stiftung, der Bundeszentrale für politische Bildung und des Bundespräsidenten in Bezug auf „Verschwörungstheorien“. Es ist Bestandteil des Problem- und Gefahrendiskurses. Und dieser Diskurs motiviert den „Kampf gegen Verschwörungstheorien“.
Abbildung 46: Frank-Walter Steinmeier ruft am 17. Mai 2019 in einer Rede auf einer Ausstellung über „Verschwörungstheorien“ zum „Kampf“ gegen diese auf (Quelle: bundespraesident.de).
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5 Verschwörungen im Deutungskonflikt
Die Strategien, die im „No World Order“-Papier als „Handlungsoptionen“ vorgeschlagen werden, sind in diesem Kampf, der sowohl offen als auch verdeckt geführt wird, auf der Seite der ‚offenen Kriegsführung‘ zu verorten. Das Deutungsmuster, auf dem sie beruhen, teilen sie mit dem dem Strategiepapier von Sunstein und Vermeule und dessen Überlegungen zur verdeckten Kriegsführung. Ein essentieller Bestandteil dieses Deutungsmusters ist, dass es keinen Sinn mache, mit ‚echten‘ Verschwörungsideolog*innen zu diskutieren, da diese – im Unterschied etwa zu aufgeklärten Skeptiker*innen – in ihrer falschen Weltanschauung ‚gefangen‘ seien und sich nicht überzeugen ließen. Die praktische Auslegung dieser Feststellung führt selbst wiederum zu einer kognitiven (Ver-)Schließung seitens der ‚Aufklärer*innen*. Die damit verbundene ‚überhebliche‘ Einstellung endet im Missionierungsdogma, in dem „Fragen“ kein Verstehen-Wollen impliziert, sondern eine Taktik im Informationskrieg: Ziel dieser Fragen ist es, Verschwörungsideologien als eine (problematische) Erklärung für gesellschaftliche, geschichtliche oder private Ereignisse unter vielen anderen aufzuzeigen. Anschließend können in gemeinsamen Recherchen die problematischen Inhalte herausgearbeitet werden, etwa indem Webseiten aufgesucht werden, die sich kritisch mit einzelnen Verschwörungsideologien auseinandersetzen 580,
heißt es entsprechend in der „No World Order“-Broschüre. Für die „kritisch[e]“ Auseinandersetzung empfohlen werden die Seiten der GWUP und Psiram. Es ist klar, dass bei dieser Form des „Debunking“ niemals eine offen „kritische“ Auseinandersetzung stattfinden kann. Stattdessen wird hier, im Kampf gegen „Verschwörungsideologien“ selbst Ideologie reproduziert. Es ist die Ideologie einer liberalen Gesellschaft, deren Demokratie durch die Anderen bedroht ist. Diese Anderen sind aber nicht politische oder journalistische Eliten, Superreiche, staatstragende Akteur*innen oder Institutionen. Es sind die genannten Stereotype, die sich in der Figur des „Verschwörungstheoretikers“ zu einem Feindbild der „Demokratie“ und beschworener „Zivilgesellschaft“ verdichten. Dass es nicht bei solch theoretischen Überlegungen zur Infiltration und Manipulation bleibt, sondern diese Ideologie operative Folgen hat, zeigt die GCHQ-Schulung zum „CyberMagician“ (Kap. 7.1).
5.5 Die Anti-Verschwörungstheorie
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Abbildung 47: Im gesellschaftlichen Kampf gegen „Verschwörungstheorien“ verbinden sich Diskurse auf verschiedenen Ebenen: politische, journalistische, akademische und Lobbygruppen ermöglichen unter diesem Topos anschlussfähige Kommunikation (Quelle: eigene Darstellung).
In einem Brief, der mich im Januar 2016 erreicht, äußert sich ein Student, der sich scheinbar mit „Verschwörungstheorien“ beschäftigt, aber nicht als „Verschwörungstheoretiker“ bezeichnet werden will, „äußerst besorgt“, über ein EUProjekt, welches „Verschwörungstheorien“ interdisziplinär und im internationalen Vergleich erforschen will. Der Autor schreibt, er habe „große Angst“, dass der darin involvierte „Amerikanist Prof. Michael Butter“ „im Zuge dieses Projekts wieder die üblichen negativen und pathologisierenden Stereotypen reproduzieren wird.“581 Der Briefschreiber ist Student der Geisteswissenschaften und einige Jahre jünger als ich. Das von ihm gemeinte EU-Projekt „Comparative Analysis of Conspiracy Theories“ (COMPACT) versammelt im Rahmen des Horizon 2020-Programmes Wissenschaftler*innen verschiedener Fachbereiche, die das Phänomen des Verschwörungsdenkens erforschen wollen. Im Förderantrag von COMPACT heißt es dazu: Conspiracy theories have the potential to cause great harm to vulnerable communities and civil society. They can also erode trust in governments and institutions. In other situations, however, they can also serve to promote a healthy scepticism among the public. One vital task, then, is determining a sensible balance between trust and suspicion. Likewise, although greater governmental transparency has been proposed as
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5 Verschwörungen im Deutungskonflikt
one solution to the problem of conspiracy-minded distrust, it needs to be carefully balanced against competing demands for security in the face of increased threats from terrorism.582
Etwas weiter im Text wird auf die geopolitischen Implikationen von „Verschwörungstheorien“ eingegangen, wodurch die Relevanz des Antrags legitimiert werden soll: A specific focus of this Action will therefore be to consider the policy implications of research into conspiracy theories, and to develop effective recommendations and training resources for European policy makers, think tanks, diplomats and intelligence agencies whose work comes up against conspiracy rumours. The Action will work closely with policy-makers to consider what can and should be done about conspiracism, with a particular focus on how conspiracy theories (a) fuel political tensions between nations and populations within Europe; (b) promote hate crimes directed against minorities; (c) contribute to political opposition within Europe to the project of the EU itself; (d) escalate geopolitical tensions within particular countries (e.g. Russia) and regions (e.g. the Middle East).
Den Autor*innen des Antrags sind die geopolitischen Dimensionen dessen, was sie als „conspiracy theories“ bezeichnen, durchaus bewusst. COMPACT will also „closely with policy makers“ zusammenarbeiten und Wissen für „think tanks“ und Geheimdienste zur Verfügung stellen. Michael Butter, Vice Chair von COMPACT, ist aktuell der bekannteste „Verschwörungstheorien-Experte“ im deutschsprachigen Raum – und zugleich Feindbild in der „Gegenöffentlichkeit“. Nicht nur Butters Buch „Nichts ist, wie es scheint“ (2018) wurde im leitmedialen Diskurs ausnahmslos positiv rezipiert. Auch er selbst ist ein gefragter Gast auf (sicherheits-)politischen und medialen (Hinter-)Bühnen. Seine Thesen sind vollständig anschlussfähig an den orthodoxen und den leitmedialen Problem- und GefahrenDiskurs. Daher bezieht sich der Bundespräsident in seinem öffentlichen Aufruf zum „Kampf gegen Verschwörungstheorien“ auch dezidiert auf den „Tübinger Amerikanisten Michael Butter“.583 Während Butter sich stellenweise mit den gleichen Methoden, die er „Verschwörungstheoretikern“ in seiner Publikation vorwirft (Vagheit, vermessener Wahrheitsanspruch, selektive Darstellung, Suggestion und Spekulation, Opfer-Inszenierung, Feindbildkonstruktion), in den politischpublizistischen Diskurs einmischt584, behauptet er gleichzeitig, er würde Begriffe wie „Verschwörungstheorie“ „wissenschaftlich-neutral“ (ebd.: 51) verwenden. Butter ist nicht neutral. Und er ist, anders als er (sich) eingesteht, längst Teil eines „politisch-publizistischen Netzwerks“ (Storz 2015) und des Diskurs-Milieus, das sein diskursives Anderes, das es kritisiert – die „Verschwörungstheoretiker“ –, eben dadurch wie es es tut, mitkonstruiert.585 Der Literaturwissenschaftler steht nicht außerhalb des Kampfes gegen „Verschwörungstheorien“, er befindet sich, wie auch Daniele Ganser, der sich von ihm „diffamiert“ sieht, mittendrin.
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5.5 Die Anti-Verschwörungstheorie
Tabelle 6: Akteur*innen und Diskurse im gesellschaftlichen Kampf gegen „Verschwörungstheorien“ (exemplarisch/unvollständig) Diskurs(ebene)
Sicherheit
Politik
Lobbygruppen
Zivilgesellschaft
Akteur*innen
Beispiele/Maßnahmen
CIA (Geheimdienste)
Dispatch 1035–960
Politisches Establishment
„Strategy for Winning the War on Terror“ (2006)
Bundeszentrale für politische Bildung
„Wahre Welle.tv“, Fachtagungen, Workshops
Amadeu Antonio Stiftung
„No Word Order“-Broschüre
„Der goldene Aluhut“
(Ausstiegs-)Beratung, Events
GWUP
„GWUP“-Blog
Psiram
Psiram-Einträge/-Blog
Google, YouTube, Facebook Medienkonzerne/TechWikipedia Intermediäre Journalismus
Wissenschaft
Such-Algorithmen, Filter, Löschungen 9/11-Diskurs und
Spiegel, Zeit, öffentl.-rechtl. Rundfunk usw.
Ganser-Diskurs
„COMPACT“/Michael Butter
Publikationen, Beratungen von Behörden/Geheimdiensten
POLITISCHE BILDUNG
Seit Juni 2018 betreibt die Bundeszentrale für politische Bildung das Fake- und Satire-Portal „Wahre Welle“586 oder veranstaltet „Fachtagungen“, die „Jugendliche und junge Erwachsene“ über „Verschwörungstheorien“ aufklären sollen.587 Dabei haben sich mittlerweile mehr oder weniger starke informelle Netzwerke aus Akademiker*innen, Praktiker*innen und Journalist*innen, Lobbygruppen und Vereinen gebildet588, deren gemeinsamer Aktivismus darin besteht, das anti-verschwörungstheoretische Deutungsmuster auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Diskurses zu verbreiten. Viele ihrer Akteur*innen stehen sowohl der „Skeptiker“Bewegung als auch dem Umfeld der Amadeu Antonio Stiftung nahe. So treten auf der bpb-Fachtagung „Real-Life oder alles nur Fake? Verschwörungstheorien und was dahintersteckt“589 Jan Rathje, „Skeptiker“ wie Sebastian Bartoschek oder Akademiker wie Michael Butter auf, deren Positionen deutlich im Problem- und Gefahrendiskurs zu verorten sind. Eine ZDF-Reporterin ist Mitmoderatorin der Tagung, die sich an „junge Leute zwischen 16 und 20 Jahren“ wendet. Neben Fachvorträgen, Veranstaltungen wie einem Kinobesuch, Poetry Slam oder einem
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5 Verschwörungen im Deutungskonflikt
Rapkonzert mit dem Rapper „Juse Ju“ gibt es auf dieser Tagung einen Workshop mit einem „Verschwörungstheorienquiz“, das dem auf dem „Der Goldene Aluhut“-Kongress lancierten Spiel ‚Bastele dir deine eigene Verschwörungstheorie‘ (vgl. Kap. 5.4) nachempfunden ist. In „Trainings“ lernen die Jugendlichen die richtigen „Reaktionen“ auf „Verschwörungstheorien“ im Alltag. Im Einladungstext zur Jugend-Tagung heißt es: Ihr wollt Euch nicht in den Bann ziehen lassen? Dann seid Ihr bei unserer Tagung für junge Leute zwischen 16 und 20 Jahren genau richtig. Euch erwarten Vorträge und Workshops, in denen Ihr Eure eigenen Verschwörungstheorien erfinden und Euch mit kursierenden Verschwörungstheorien auseinandersetzen könnt. Außerdem haben wir ein Kino-Event, eine Party mit Live-Musik und eine Exkursion zu einer echten Verschwörungstheorien-Burg für Euch geplant.590
Veranstalter der Tagung ist der Fachbereich „Extremismus“ der bpb. Die politische Bildung hat „Verschwörungstheorien“ längst als „Problem“ erkannt und reagiert mit entsprechenden Angeboten. „Verschwörungstheorien“ zur „Mondlandung“, „Chemtrails“ oder die „Jüdische Weltverschwörung“ werden neben solchen „über die Anschläge vom 11. September 2001“ gestellt und damit als anti-demokratische Wissensformen identifiziert. Politische Bildung und anti-verschwörungstheoretischer Aktivismus gehen hier Hand in Hand. Auch, dass der Autor des „GWUP“Blogs, Bernd Harder, im Bundestag über „Verschwörungstheorien“ und „OnlineHass“ referiert oder in Schulklassen vor „Verschwörungstheorien“ warnt, ist einen Effekt dieses Diskurses/Deutungsmusters und seiner sicherheitspolitischen Dispositive (vgl. Ditrych 2014; Bratich 2008). Dass wir es im Kampf gegen „Verschwörungstheorien“ mit einem anti-verschwörungstheoretischen Deutungsmuster nach Plaß und Schetsche (2001) zu tun haben, zeigen verschiedene Beispiele aus dem politischen und leitmedialen Diskurs. In erster Linie fungiert dieser Kampf als gesellschaftliche Krisenbewältigung.591 Auch die „Verständigung über Grenzsituationen“ und die „Erzeugung sozialer Gemeinschaft“ vermittelt sich über den Topos des „Kampfes gegen Verschwörungstheorien“. Dies zeigt nicht zuletzt die Corona-Krise 2020, deren Untersuchung jedoch den zeitlichen Rahmen dieser Arbeit sprengt. Akteur*innen der politischen Bildungsarbeit, der „Skeptiker“-Bewegung oder der leitmediale Journalismus erzeugen durch den Kampf gegen „Verschwörungstheorien“ Identität und Gemeinschaft, ein ‚demokratisches Wir‘ gegen anti-demokratische Andere („Extremisten“, „Antisemiten“, „Verschwörungstheoretiker“, „Corona-Leugner“). Ein sinnstiftender Topos in diesem Diskurs, der Kommunikation anschlussfähig macht und „Verständigung“ ermöglicht, ist Aufklärung/Vernunft. Der Bundespräsident betont deren Bedeutung für und Zusammenhang mit „demokratischen Werte[n]“, die durch „Verschwörungstheorien“, „Fake News“ und „Desinformation“ bedroht seien. Er reiht den Kampf gegen sie in die Nachfolge „eines Erasmus, eines Galilei und Voltaire“592 ein. Der Sinnbezug zur Aufklärung/Vernunft wird bereits von Popper der „Verschwörungstheorie der Gesellschaft“ als
5.5 Die Anti-Verschwörungstheorie
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Opposition entgegengesetzt. Der ‚Rationalität‘ und der Aufklärung, die mit der etablierten politisch-ökonomischen (Wissens)Ordnung identifiziert sind, stehen die Unvernunft und Gefahr der sozialen Anderen und als deren Medium das „Internet“ entgegen. MEDIALE FILTER
Insofern aus der Sicht von Lobbygruppen, Politik und professionellem Journalismus das „Internet […] zunehmend zum Sammelbecken für die wildesten Verschwörungstheorien“593 wird, sehen sich seit einigen Jahren auch die großen Medienkonzerne und „Tech-Intermediäre“ (Jahrbuch 2017: 11) wie Facebook, Google und YouTube unter Druck, diesem Trend etwas entgegenzusetzen. War in den ersten Jahren nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 der Slogan „Google WTC 7“ noch eine effektive Taktik im Infokrieg der 9/11-Wahrheitsbewegung, um das offizielle Narrativ der Bush-Regierung durch schnell gegoogelte „counter knowledge“ zu irritieren, so änderte sich dies schon bald durch die erste große Anpassung der Algorithmen (König 2014). Weitere Maßnahmen folgten in den Jahren nach der Trump-Wahl. 2017 hatte Google das Rating von Seiten heruntergesetzt, die „[d]ebunked or unsubstantiated conspiracy theories“ enthalten würden. Als Kriterien, was als „debunked“ oder „unsubstantiated“ gilt, werden beispielhaft „Alien“- oder „outlandish“ „Lizard“-Theorien angegeben.594 Auch Die Google-Tochter YouTube beugt sich öffentlicher Kritik und politischem Druck und verkündet im Januar 2019 die Verbreitung von grenzwertigen Inhalten („borderline content“), von Desinformation sowie „offensichtlich falsche Behauptungen über historische Ereignisse wie 9/11“ sichtbar einschränken zu wollen: We‘ll continue that work this year, including taking a closer look at how we can reduce the spread of content that comes close to – but doesn‘t quite cross the line of – violating our Community Guidelines. To that end, we‘ll begin reducing recommendations of borderline content and content that could misinform users in harmful ways – such as videos promoting a phony miracle cure for a serious illness, claiming the earth is flat, or making blatantly false claims about historic events like 9/11.595
Wer heute, Mitte 2020, „WTC 7“ googelt oder bei YouTube sucht – und noch keine Cookie-Historie hat –, findet auf den oberen Rängen Einträge oder Videos von großen Presseagenturen (AP, RTL, CNN) oder offiziellen Regierungsbehörden (NIST). Der Zugang zu heterodoxen Deutungen über das Internet (Schetsche 2005) wird zunehmend erschwert. Zudem verknüpfte YouTube im März 2019 Videoinhalte mit Wikipedia-Einträgen: „Wenn es sich um ein Video handelt, in dem es um eine Verschwörungstheorie geht“, so die YouTube-Chefin Susan Wojcicki, „blenden wir direkt daneben Informationen von Wikipedia über das Ereignis ein.“596 Im August und September 2018 wurde der US-amerikanische Moderator und „Verschwörungstheoretiker“ Alex Jones auf verschiedenen Social MediaDiensten gesperrt. Jones, der das Propagieren alternativer Fakten kommerziell
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5 Verschwörungen im Deutungskonflikt
betreibt und auf YouTube 2,4 Mio. und auf Twitter 890.000 Follower hatte, wurde durch die Sperrung auf diesen und anderen Plattformen seiner beruflichen Existenzgrundlage beraubt.597 Ihm wurde u. a. Verletzung von „Community Standards“ und „Hate Speech“ vorgeworfen. Von Angehörigen des Sandy Hook Massakers wurde er erfolgreich verklagt (Kap. 5.3). Nach der Sperre von Jones fürchten deutsche YouTuber*innen und alternative Medienmacher*innen ihre Verbannung von den Social Media-Plattformen.598 Die „mögliche Zensur von Facebook und YouTube“599 ist immer wieder wieder Thema. In einem Gespräch 2018 beteuert Ken Jebsen, dass auf Facebook ein „Algorithmus gegen uns programmiert“ wurde, der KenFM pro Tag mehrere User gekostet habe, bis Jebsen den Kanal symbolträchtig am 11. September 2018 von Facebook abgemeldet habe.600 Eine Hoffnung wird dabei in zu entwickelnde Alternativen zu den großen Social Media-Plattformen gesetzt, die nicht der „Informationskontrolle“ von YouTube, Google, Facebook und Co. ausgesetzt seien.601 Während der Corona-Krise 2020 beklagen viele alternative YouTuber*innen, dass ihre Videos über Covid-19 gelöscht wurden. KenFM beginnt eigene Inhalte zunehmend auf andere Plattformen auszulagern. Die CEO von YouTube, Susan Wojcicki, lässt am 23. März verkünden, dass „[a]nything that goes against WHO recommendations would be a violation of our policy“ und werde daher im Kampf gegen „Fake News“ gelöscht.602
6 „Gegenöffentlichkeit(en)“ und Dissidenz ES GEHT UM DIE DEUTUNGSHOHEIT ÜBER DIE EREIGNISSE. ES GEHT UM DIE OFFIZIELLEN NARRATIVE UND IHRE VERTEIDIGUNG. ES GEHT UM DIE ÖFFENTLICHE MEINUNG UND DAS MONOPOL AUF IHRE HERSTELLUNG UND MANIPULATION. ES GEHT UM GEGENÖFFENTLICHKEIT UND DISSIDENZ UND DARUM, WIE MIT DISSIDENTEN UMGEGANGEN WIRD. ES GEHT UM FREIHEIT, DIE NIEMALS EINE IST, WENN SIE NICHT AUCH DIE FREIHEIT ANDERSDENKENDER EINSCHLIESST. (MATHIAS BRÖCKERS, WER KOMMT NACH ALEX?, 12. AUGUST 2018603)
Die „Gegenöffentlichkeit“ zeichnet sich durch Dissidenz gegenüber dem Etablierten und Offiziellen aus. Das Subjekt der „Gegenöffentlichkeit“ ist durch eine alternative Sichtweise oder gar Widerstandshaltung geprägt. Es steht demnach in einer Kontraposition zu gesellschaftlich-etablierten Institutionen, „Eliten“ sowie zum politisch-medialen „Mainstream“. Der politische Aktivist und Liedermacher „Prinz Chaos II.“ beschreibt sie etwa als „Szene außerhalb des Mainstream-Konsens“604. Die Grenzen von „Gegenöffentlichkeit“ sind schwer zu ziehen und auch für die beteiligten Akteur*innen nicht ganz klar. Die wesentliche Praxis der Akteur*innen und Medien der „Gegenöffentlichkeit“ besteht in der Veröffentlichung von „counterknowledge“ (Fiske 1999 [1996]), dass dadurch bestimmt ist, dass dieses Wissen offizielle Wahrheitsregime und Narrative konterkariert bzw. als Täuschung, Lüge, Manipulation, Produkt einer Verschwörung entlarvt. Die Semantik der Enthüllung ist zwar typisch für die „Gegenöffentlichkeit“. Wir haben aber auch gezeigt, dass sie in der Praxis des „Debunking“ und damit im anti-verschwörungstheoretischen Diskurs ebenfalls präsent ist. „Gegenöffentlichkeit“ ereignet sich an Stammtischen, in Zeitungen oder in digitalen Medien. Sie kann sich auch auf der Straße entwickeln, etwa auf Demonstrationen wie den „Montagsmahnwachen für den Frieden“, „Pegida“ oder den sogenannten „Hygiene-Demos“. Wenn das erste und wesentliche Merkmal von „Gegenöffentlichkeit“ die Dissidenz gegen einen „Mainstream“ ist, so ist das zweite Merkmal, welches „Gegenöffentlichkeit“ heute auszeichnet, die technologische und semantische Verknüpfung mit dem „Internet“ (vgl. Kap. 5.2). Das Internet ist die Technologie der „Gegenöffentlichkeit“ und insofern auch ein sinnstiftender Topos in ihrer Aus- und Abgrenzung, ihrer Dissidenz gegen das Establishment. „Gegenöffentlichkeit“ stellt sich somit dar, als ein heterogenes Geflecht von digitalen und nicht-digitalen Praktiken, Diskursen, Akteur*innen, Bewegungen, Treffen oder Events, in denen marginalisiertes Wissen reproduziert und multipliziert wird. „Gegenöffentlichkeit“ reproduziert sich in Referenz auf den „Mainstream“. Sie ist untrennbar mit ihm verbunden, so wie eine politische Opposition mit der Regierung. Im medialen Mainstream (Krüger 2016) wird ein guter Teil dieses Wissens als „Verschwörungstheorien“ diskreditiert. Dies ist das dritte für uns relevante Merkmal. Die Stigmatisierung als Zusatzmaterial online Zusätzliche Informationen sind in der Online-Version dieses Kapitel (https://doi.org/10.1007/ 978-3-658-31689-1_6) enthalten. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Schink, Verschwörungstheorie und Konspiration, Medienkulturen im digitalen Zeitalter, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31689-1_6
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6 Gegenöffentlichkeit(en) und Dissidenz
„Verschwörungstheoretiker“ (Kap. 5.4) prägt heute typischerweise die Subjekte der „Gegenöffentlichkeit“ und bedingt einen speziellen Umgang mit dem durch sie kommunizierten Wissen. Das zeigt sich deutlich in der Selbstthematisierung. Wenn die Subjekte der „Gegenöffentlichkeit“ kommunikativ auf sich selbst referieren, besteht ein Wissen über den diskreditierten Status ihres Wissens als „Verschwörungstheorie“. Diese „meta-aware-ness“ (Bratich 2008) geht mit Praktiken der Selbststigmatisierung einher, die wiederum eine marginalisierte Subjektposition reproduzieren und somit etwa Gefühle von Ohnmacht oder Enttäuschung. 6.1 „Generation 9/11“: Die Wahrheitsbewegung605 ONLY 9/11 TRUTH WILL SET US FREE (PLAKETTE BEI EINER VERANSTALTUNG DES 9/11 TRUTH MOVEMENT606) WER NICHTS WILL ALS DIE WAHRHEIT SAGEN, STEHT AUßERHALB DES POLITISCHEN KAMPFES, UND ER VERWIRKT DIESE POSITION UND DIE EIGENE GLAUBWÜRDIGKEIT, SOBALD ER VERSUCHT, DIESEN STANDPUNKT ZU BENUTZEN, UM IN DIE POLITIK SELBST EINZUGREIFEN. (HANNAH ARENDT, WAHRHEIT UND POLITIK, 1967607)
In den Vereinigten Staaten beginnt sich gegen den politischen Konsens zu 9/11 – wie schon infolge der Nicht-Aufklärung des Kennedy-Attentats ab Mitte der 1960Jahre – etwa ab dem Jahr 2004 eine zivilgesellschaftliche Gegenbewegung zu formieren. Mit der Bildung lokaler Initiativen verbreitet sich das „9/11 Truth Movement“ zunächst über Webseiten (Bratich 2008: 131). Dabei gibt es innerhalb dieser Bewegung verschiedene Akteur*innen, die sich mit unterschiedlichen Aspekten des Falles beschäftigen. Etwa mit Anomalien bei den Gebäudeeinstürzen, mit der nicht-funktionierenden Spionage- und Flugabwehr, mit Verbindungen zwischen den mutmaßlichen 19 Attentätern und Geheimdiensten oder anderen Koinzidenzen beim Tathergang und Ereignisablauf. Gemeinsam ist diesen (Arbeits-)Gruppen, dass sie die offizielle Version der Bush-Regierung ablehnen und sich für eine unabhängige Neuuntersuchung der 9/11-Terroranschläge einsetzen. Sich selbst nennen die Mitglieder der Wahrheitsbewegung teilweise „Truther“, meist werden sie von anderen, vor allem Kritiker*innen, pejorativ so bezeichnet. Analog zu den „Skeptikern“ (Kap. 5.5.2) sehen sich Mitglieder des 9/11-„Truth Movement“ in der Rolle von Aufklärer*innen gegenüber einer über die (Hintergründe der) Terroranschläge nicht-aufgeklärten bzw. ‚ungebildeten‘ Öffentlichkeit.
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Abbildung 48: 9/11-Meme der „Verschwörungstheorien“-Alternativkultur (Quelle: dees2.com).
In der US-amerikanischen 9/11-Wahrheitsbewegung gibt es verschiedene Grade der Professionalisierung und Spezialisierung der Aktivist*innen und damit in der Regel auch eine Form der Arbeitsteilung. Bratich macht auf den „added […] context“ aufmerksam, das „Hintergrundwissen“, welches den Deutungen der Mitglieder typischerweise zugrunde liege und ihren Deutungs- und Diskurshorizont von Nicht-„Truthern“ unterscheidet: „Often it involves tracing the U.S. history of staging events as pretexts for war“ – zu diesen gehören „for example, bombing of the USS Maine, Gulf of Tonkin, sinking of Lusitania, Iraqi incubator baby story, and Pearl Harbor itself.“ (Ebd.) Wir haben in einem voragängigen Kapitel (5.3) gezeigt, dass dieses (Hintergrund-)Wissen unter dem populären Begriff der „False Flag“ zusammengefasst werden kann: Ein griffiges verschwörungstheoretisches Deutungsmuster, vor dessen Hintergrund Terror- und/oder Kriegsereignisse in ihrer offiziellen Version in Zweifel gezogen und im Rahmen einer verdeckten Täuschungsoperation geo- bzw. tiefenpolitisch rekontextualisiert werden. Die Popularisierung des 9/11 Truth Movement in den USA beginnt für Bratich 2006. Emblematisch dafür sei ein Auftritt des Schauspielers Charlie Sheen bei CNN gewesen. Der Auftritt habe die Bewegung bekannt gemacht, ihr aber zugleich auch starke Kritik eingebracht – Sheen geriet in den letzten Jahren wegen vieler Frauen- und Drogen-Skandale in die Schlagzeilen. Bratich spricht daher von
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6 Gegenöffentlichkeit(en) und Dissidenz
einem „backlash“ (ebd.: 132). Aktivist*innen, von denen einige schon in den 1990er-Jahren im „conspiracy research“ aktiv gewesen seien, verfolgten für die Verbreitung ihrer unorthodoxen Ansichten zu 9/11 zwei Strategien: „education and action“ (ebd.). Dazu gehörten Demos und Sit-Ins am „Ground Zero“, bei denen Flyer und Infomaterial verteilt werden, ebenso wie Vorträge und der Versuch, Auftritte in größeren Medien zu bekommen. Außerdem werden Filmdokumentationen gedreht und auf möglichst vielen Veranstaltungen sowie im Internet gezeigt. Immer geht es darum, die Öffentlichkeit über ‚Hintergründe‘ dieses Falles ‚aufzuklären‘. Bratich, der Treffen der Aktivist*innen-Gruppen besucht hat, schreibt: Attending these meetings, I was struck by the mix of organizational models. While drawing from grassroots campaigns marking the networked counterglobalization movement, these meetings also operated with the classic top-down model of marxist organizing. At times there was an obvious cadre of administrators. They set up and ran the meetings, selected the videos to be watched, and laid out the topics of discussion. They were quite open to audience participation, but often tried to gear it toward an education/information session. Questions, for instance, about the strategic rhetorical value of certain arguments (like the detailed dwelling on one thread of evidence) were turned into opportunities for minilectures. It was also obvious that the educational component was a prelude to getting people involved in more material actions. (Ebd.: 134)
Die Bewegung ist an verschiedenen Orten über die gesamten Vereinigten Staaten hin aktiv. Es gibt einige Knotenpunkte, z. B. in New York, wobei die Verbreitung ihres Wissens über „websites, TV commercials, print magazines, public speeches, organizational meetings, stickers, radio programs, documentaries, and books“ erfolge (ebd.: 135). In der Untersuchung ausgewählter Texte der Bewegung stellt Bratich fest, dass hier nicht einfach nur ‚Fakten‘ der offiziellen Version, wie sie später die 9/11-Untersuchungskommission feststellen wird, infrage gestellt werden. Es werde vor allem auch die „Integrität“ von Expert*innen hinterfragt (vgl. Kap. 5.5): „what is at stake is not which narrative is true but which body is authorized to make statements within the regime of truth.“ (Ebd.) Dabei verweist Bratich auf eine Form der Reflexivität der Aktivist*innen. Er nennt sie „meta-awareness of the context of reception“, d. h., die Betroffenen wissen um die „conspiracy panics“ und sie wissen, dass ihre Aussagen als „Verschwörungstheorien“ gedeutet werden könnten (ebd.: 136 f.) und gehen entsprechend mit diesem Wissen um: In addition to acting as a counterknowledge, the 9/11 conspiracy accounts recognize their subjugated status and acknowledge the conditions oftheir potential reception. The 9/11 Truth Movement is a metadiscourse: It not only promotes alternative accounts of September 11th, it explicitly engages the context of producing accounts. In other words, it addresses conspiracy panics. The stated goal of amassing enough evidence to take the case to court […] is only one level of engagement. The court of public opinionis also at work here, and the conspiratologists do not just participate in it as one party but as commentators on the judgment process itself. In other words, through this self-reflexivity the conspiratologists both act within a context and seek to modify that context at the same time. (Ebd.: 137)
6.1 „Generation 9/11“: Die Wahrheitsbewegung
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Bratich hebt nochmals hervor, dass das 9/11 Truth Movement nicht nur teilweise der zivilgesellschaftlichen Bewegung, die sich nach dem Kennedy-Attentat gebildet hat, gleiche. Stellenweise sei hier gar eine Kontinuität zu erkennen (ebd.: 135). So hat auch das 9/11 Truth Movement einen populären und populistischen wie auch einen wissenschaftlich-investigativen Arm. Zum Ersteren zählen z. B. die Filmemacher von „Loose Change“ oder der Radiohost Alex Jones (Klöckner 2011). Die Funktion ihrer populären Kommunikation (Kap. 4.2) ist vor allem die Multiplikation des heterodoxen Wissens über die Terroranschläge vom 11. September. Ihre Orte sind das Internet und Plattformen wie YouTube oder andere soziale Medien. 6.1.1 „Die Wissenschaft von 9/11“ Der investigative Flügel wiederum ist in mehrere Zweige aufgeteilt. Unter ihnen sind die „Architects & Engineers for 9/11 Truth“, die „Scholars for 9/11 Truth“ oder die „Hispanic Victims Group“. 2016 sorgt ein Artikel von Mitgliedern der „Architects & Engineers for 9/11 Truth“ im Europhysics Magazine für Aufsehen, der die offizielle Einsturzursache der Twin Towers infrage stellt und eine „kontrollierte Sprengung der beiden Türme behauptet.608 Anfang 2018 gründet sich das „Lawyers committee for 9/11 Inquiry“, welches zuletzt der Staatsanwaltschaft des Southern District New York eine Petition vorgelegt hat, um (Neu-)Ermittlungen zum Einsturz der WTC-Gebäude am 11. September 2001 einzuleiten. Die Petition, die Zeug*innenaussagen, Gutachten und verschiedene Messungen enthält, die eine kontrollierte Sprengung andeuteten, wurde am 7. November 2018 vom zuständigen Richter angenommen und soll vor einer „Grand Jury“ verhandelt werden. Die Initiator*innen, zu denen auch die „Oktober Surprise“-Aktivistin Barbara Honegger gehört – vermeldeten auf ihrer Webseite einen „Breakthrough“609 für eine juristische (Neu-)Aufarbeitung. Am 25. März 2020 veröffentlicht das Team um den von den „Architects & Engineers for 9/11 Truth“ beauftragten Baustatiker Leroy Hulsey von der University of Fairbanks eine Pressemitteilung über eine Untersuchung, die zu dem Ergebnis kommt, dass WTC 7 am 11. September 2001 nicht, wie es offiziell heißt, aufgrund der Folgen des Feuers eingestürzt sein könnte.610 Eine bekannte Figur im 9/11 Truth Movement ist David Ray Griffin. Er ist emeritierter Religionsphilosoph und Professor für Theologie und hat mittlerweile 13 Bücher zum Themenkomplex rund um den 11. September 2001 veröffentlicht. Darunter Bücher zu geopolitischen Umständen, zum Einsturz der Gebäude oder zum Umgang der Kritiker* innen mit der 9/11-Wahrheitsbewegung und ihren Argumenten. In Deutschland übersetzt der Verlag Peace Press die Bücher von Griffin. Peace Press nennt sich „Verlag für die wissenschaftliche Untersuchung der Terroranschläge des 11. September“ und gibt auch andere Bücher und Artikel rund um das Thema heraus. Hinter Peace Press steht Oliver Bommer, Lehrer und Übersetzer und, wie er selbst behauptet, begeistert vom Gesamtwerk David Ray
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Griffins.611 Seine Webseite ist professionell gemacht und übersichtlich. Neben Büchern und Artikeln zum Thema, findet sich dort auch eine Video-Animation mit dem Titel „Dienstag der 11. September“. In dieser ist die Skyline von Manhattan mit den drei WTC-Gebäuden zu sehen, die nacheinander einstürzen, nachdem zwei Flugzeuge in die Türme geflogen sind. Das Video ist mit klassisch-melancholischer Musik untermalt. Der Clip dauert eine gute Minute. Die Botschaft: 9/11 muss neu untersucht werden. 2018 erscheint im Peace Press-Verlag das Buch von Ansgar Schneider. Er ist Physiker und Mathematiker und hält einen Doktortitel.612 Auf die Wissenschaftsplattform „arxiv.org“ hat Schneider 2018 eine 50-seitige ReEvaluation der Gebäude-Einstürze von 9/11 hochgeladen.613 Sein dazu passendes Buch trägt den Titel „Aufklärung statt Stigmatisierung“, der Untertitel: „Das Unwesen des Wortes ‚Verschwörungstheorie‘ und die unerwähnte Wissenschaft des 11. Septembers als Beispiel einer kontrafaktischen Debatte“. In dem Buch kritisiert Schneider unter anderem Argumente der Verschwörungstheorie-Forschung als angemessene Aussagen darüber, was am 11. September 2001 vorgefallen sei und was nicht und ob es eine „Verschwörung“ gab oder nicht. Schneider greift für die Seite der „Skeptiker“ exemplarisch Michael Butter heraus und nennt ihn einen „Verschwörungstheorientheoretiker“ (Schneider 2018: 29), der empirisch und fachlich nichts zur Aufklärung der jeweiligen Streitpunkte beizutragen habe. Schneider stört sich explizit an der Psychologisierung und Soziologisierung in Fragen, die, wie im Fall der Sprengungshypothese, ihren Fach- und Referenzbereich verfehlten. Butter habe „nichts Konkretes“ in dieser Frage zu sagen und könne, nicht anders als die von ihm kritisierten „Verschwörungstheoretiker“, nur spekulieren (ebd.: 30). Schneider stellt das Wahrheitsregime der im leitmedialen Diskurs anerkannten „Experten“ infrage. Er bezieht sich auf Interviews in denen Butter Aussagen über Kennedy, Mondlandung und die Terroranschläge von 9/11 macht.
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Abbildung 49: Aktivisten der „Wahrheitsbewegung“ aus den USA und der BRD, November 2008 in der Berliner Urania: Ronald Thoden, Oliver Bommer, Richard Gage, unbekannt (v. l. n. r.) (Quelle: berlin911info.de).
Im letzten Teil der Publikation führt Schneider die Diskursstrategien der „Experten“ auf, nennt Beispiele von „Strohmann“-Argumenten, von „Allwissenheit“ und „doppelte[n] Standards“, „Präsentation von Halbwahrheiten“, „Infantilisierung“, „Autoritätsargument[e]“ und andere (ebd.: 137 ff.). Auf einige von diesen wurde in Kapitel 5.5 verwiesen. Dass Schneider, statt sich mit physikalischen Daten zu beschäftigen, so viel Raum zur Verteidigung seiner Position und der Dekonstruktion der Gegenposition verwendet, ist Ausdruck der oben erwähnten Reflexivität bzw. der „meta-awareness“, die den Diskurs über die 9/11-Verschwörung prägt: Schneider weiß, dass sein Standpunkt im Diskurs diskreditiert ist und sieht sich deshalb gezwungen, nicht nur physikalische ‚Tatsachen‘ zu behandeln, sondern zugleich seine Position als „Verschwörungstheoretiker“ aus der Perspektive des kommunikativen Gegenübers zu antizipieren. Hierin wird das Stigma-Verhältnis sichtbar, das den Diskurs über die Terroranschläge von Beginn an prägt. Schneider bewegt sich, anderes als viele andere 9/11-Wahrheitssuchende, nicht auf der Ebene des Fragen-Stellens oder der Spekulation über „Verschwörungen“. Was er als „Wissenschaft des 11. Septembers“ beschreibt, ist bestrebt, im Rahmen der „meta-awareness“ auf dem Boden ‚strenger Wissenschaft‘ zu argumentieren. Diese Strategie verfolgt vor allem der Zweig der „Architects & Engineers for 9/11 Truth“, die ihre Kritik an der offiziellen Theorie primär – wie ihr bekanntester Kopf, der Baustatiker Richard Gage (vgl. Kap. 7.3) betont – auf naturwissenschaftliche „facts“614 begründen will, andererseits, das zeigen viele Beispiele, es
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nicht vermeiden kann, den stigmatisierten Status ihrer Aussagen zu benennen und die Diskreditierbarkeit ihrer Position immer wieder zu problematisieren.615 6.1.2 Wahrheitsbewegung in Deutschland SOLLTE DIE 9/11-TRUTH-BEWEGUNG MIT IHREN KRITISCHEN FRAGEN ZU RECHT DAS KARTENHAUS DER OFFIZIELLEN VERSION ZUM EINSTURZ BRINGEN, SO WIRFT DIES EIN SEHR DÜSTERES BILD AUF DIE EXISTIERENDE „FREIE PRESSE“ […] UND LÄSST FRAGEN ÜBER DIE MANIPULIERBARKEIT UNSERER MEDIEN AUFKOMMEN. (ROLAND HEURIG, SABINE SCHIFFER, KARIN N. SCHMIDL, HINTERGRUND, 17. NOVEMBER 2009616)
Auch im deutschsprachigen Raum ist das 9/11 Truth Movement präsent. Der Diskurs um den 11. September 2001 wird hier anders rezipiert und „Wahrheitsbewegung“ umfasst dabei ein viel weiteres Spektrum an Themen und Akteur*innen jenseits von 9/11. Die Genealogie der Wahrheitsbewegung im deutschsprachigen Raum kann in drei Phasen aufgeteilt werden. Die erste beginnt mit den Terroranschlägen am 11. September 2001 und mit Zweifeln an der offiziellen Darstellung vor allem durch Intellektuelle, Journalisten und Publizisten wie Mathias Bröckers, Gerhard Wisnewski oder Andreas von Bülow. Ihre Medien sind Google(-Video) und das Buch. In den USA gründet sich in diesem Zeitraum das 9/11 Truth Movement. Die zweite Phase hat kein definitives Ereignis als Ausgangspunkt. Ihr Beginn wird hier im Zeitraum um das Jahr 2006 angesetzt.617 In diesem Zeitraum entstehen im deutschsprachigen Raum zunehmend alternative Internetseiten und Blogs, die sich mit heterodoxen Theorien zu den Terroranschlägen des 11. September 2001, mit Kriegs- und mit Medienlügen befassen. Die US-amerikanische „conspiracy community“ hat dabei einen nicht unerheblichen Einfluss auf die deutschsprachige Szene. Diese Phase ist geprägt durch eine Popularisierung des Diskurses: Nicht mehr allein 9/11 steht im Fokus der alternativen Wissensproduktion, sondern (geo-)politische und gesellschaftliche Themen. Medien und Blogs wie Infokrieg.tv, NuoViso.tv und Alles-Schall-und-Rauch werden populär. Die dritte Phase ist jene der Politisierung und auch der „Spaltung“. Seit den „Montagsmahnwachen“ ab Frühjahr 2014 gerät die deutschsprachige Wahrheitsbewegung in den Blick einer breiteren gesellschaftlichen Öffentlichkeit. In dieser Auseinandersetzung und mit der zunehmenden politischen Bewusstseinsbildung beginnt ein Prozess der Polarisierung, der bis heute anhält. Von Anfang an wird die englisch- wie die deutschsprachige Wahrheitsbewegung in der leitmedialen Rezeption mit „Verschwörungstheoretikern“ und mit dem „Internet“ in Zusammenhang gebracht (Kap. 5.2). Sie selbst sieht sich, wie bereits erwähnt, als Aufklärungsbewegung. Wichtig scheint – nicht nur in diesem Kapitel –, die Bewegung als ein vor allem auch kulturelles Phänomen zu begreifen. Insofern handelt es sich in der folgenden kurzen Darstellung auch nicht um den Versuch einer chronologisch-vollständigen Auflistung. Es geht hier vor allem darum, zu rekonstruieren, in welchen
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soziohistorischen Konstellationen und Arrangements hier eine Art von Öffentlichkeit als Gegenkultur entsteht, die durch 9/11 begründet, aber nicht darauf begrenzt ist. INTELLEKTUELLE 9/11-SKEPSIS (2001–2006)
Am Beginn der Schwelle ins 21. Jahrhundert kommen mehrere Faktoren zusammen, die die Etablierung einer digitalen „Gegenöffentlichkeit“ begünstigen. Erstens, die rapide Verbreitung des Internetzugangs in bundesdeutschen Haushalten, die die Produktion und Verbreitung heterodoxen Wissens erleichtert (Schetsche 2005).618 Damit einher geht schließlich die technologische Transformation des kompletten Mediensystems. Zweitens, die Zäsur innerhalb der deutschen Außenpolitik durch eine Beteiligung Deutschlands am völkerrechtswidrigen NATOAngriffskrieg im Kosovo (Gritsch 2016, 2010) sowie die im Nachhinein aufgedeckte(n) Propaganda und fingierten Kriegsgründe (Keil/Kellerhoff 2017). Drittens, die mit einer ökonomischen Globalisierung einhergehende politische Desund Neuorientierung sozialer Bewegungen, die erstmals in den Anti-WTOProtesten 1999 in Seattle ihren Ausdruck finden und eine transnationale globalisierungskritische und antikapitalistische Weltanschauung popularisieren (Kaplan/Lööw 2002). In dieses Zeitfenster fallen viertens die Terroranschläge des 11. September 2001 als kollektives kulturelles Trauma (Auchter u. a. 2003) und als eine geo- und sicherheitspolitische Zäsur (Berg 2011). Der „War on Terror“ und die mit ihm einhergehenden Einschränkungen von Freiheitsrechten bedingen nicht nur einen politischen Konsenszwang, sondern rufen zugleich auch Widerstand gegen die aggressive NATO- und US-Außenpolitik hervor. Nach dem Kalten Krieg und dem ‚Engagement‘ im Balkankonflikt, kommt es nach 9/11 zu einer schon lange vorher konzipierten geopolitischen Neuausrichtung der US-Außenpolitik, die sich nur auf den Nahen Osten fokussiert. Schon in den 1990er-Jahren spielte das Internet für die Verbreitung alternativen Wissens und diesbezüglicher „Verschwörungstheorien“ eine zentrale Rolle (vgl. Lutter 2000; Fenster 1999). Doch mit der Durchsetzung der Suchmaschinen-Technologie und der Umstellung vom Modem auf ISDN-Verbindungen verändern sich die Nutzungspraxis und -intensität. Es ist bezeichnend für diese neue Praxis der Wissensaneignung und -produktion, dass Mathias Bröckers in seinem Verschwörungs-Bestseller von 2002 unter der Kapitel-Überschrift „Zweimal täglich googlen“ seinen Leser*innen erklärt, wie er an sein Wissen gekommen ist. Er meint, er musste, um das Buch zu schreiben: weder über besondere Beziehungen verfügen noch mich mit Schlapphüten oder Turbanträgern zu klandestinen Treffen verabreden – alle Quellen liegen offen. Sie zu finden, leistete mir die Internet-Suchmaschine Google unschätzbare Dienste. (Bröckers 2002: 19)
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Er fügt hinzu: „Wer noch nie davon gehört hat, sollte sich sofort an seinen Rechner setzen und ‚www.google.de‘ eingeben.“ (Ebd.) Die Publikation von Bröckers markiert insofern einen Wendepunkt im Verschwörungsdenken. Zwar hatte die Digitalisierung des Verschwörungsdenkens schon in den 1990er-Jahren eingesetzt, doch in dieser Phase war das Verschwörungsdenken noch ein Randphänomen. Spätestens mit 9/11 globalisiert sich das Verschwörungsdenken und gelangt von den Rändern in die Mitte der Gesellschaft. Doch bevor es sich popularisieren kann, braucht es erst Publizisten wie Bröckers, Wisnewski oder von Bülow – Vordenker der „Generation 9/11“. Sie kommen vor allem aus dem politisch linken Spektrum und konzentrieren das unsichere Wissen in Büchern oder einer Filmdokumentation, auf die man sich als Laie beziehen kann. Das Publikum ist zunächst eine speziell interessierte Leserschaft und eine Fachöffentlichkeit. Viel zu neu, zu unsicher, zu undurchsichtig ist das ‚wilde‘ Medium Internet, als dass man sich in dieser Phase schon selbst überzeugen, ‚selbst sehen‘ könnte (vgl. Kap. 6.6). Am 1. März 2002 findet in der Berliner Urania eine Diskussion zwischen Andreas von Bülow, ehemaliger Parlamentarischer Staatssekretär und Eckart Werthebach, dem ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsschutzes, statt. Das Thema: „Die Geheimdienste und der 11. September 2001. Hintergründe und Folgen der Terroranschläge in den USA“. In einem „restlos ausverkauften Vortragssaal“ vor etwa 1.000 Menschen vertritt von Bülow die These: „Der Terroranschlag vom 11. September war vermutlich nicht das Werk von Muslimen.“ Er selbst habe keine alternative Theorie, sagt stattdessen: Ich kann nur sagen, mich überzeugt die Verschwörungstheorie der amerikanischen Regierung, der auch die Bundesregierung folgt, nicht. […] Das hängt erstens damit zusammen, dass es nahezu unvorstellbar ist, daß eine Großmacht wie die Vereinigten Staaten mit einem Haushalt für die Geheimdienste von über 30 Milliarden Dollar […] mit einem weltumspannenden, mit 120 Satelliten bestückten System von Telefonabhörmöglichkeiten, Computerabhörmöglichkeiten, nicht in der Lage ist, die Vorbereitung eines Terroranschlags herauszufinden, auch nicht ansatzweise, wie der FBI-Chef gesagt hat. Und dass dann 24 bis 48 Stunden später dieses FBI mit einer Liste von 19 muslimischen Tätern aufwartet, mit Bildern, Lebensläufen und verschiedenen Daten. Das ist schon verhältnismäßig unglaubwürdig. (Schölzel 2003: 13)
Von Bülow wird auf Basis dieser Zweifel ein Jahr später sein Buch „Die CIA und der 11. September 2001“ herausbringen. Und er wird sein Fachwissen bei Sandra Maischberger einem Millionenpublikum präsentieren dürfen – eine Sendung, deren Moderationsstil in der sich gerade formierenden Wahrheitsbewegung heftig kritisiert wird.619 Mathias Bröckers veröffentlicht seinen 9/11-Besteller ein Jahr vorher. Im Jahr 2003, am 20. Juni, strahlt der WDR die Reportage von Gerhard Wisnewski und Willi Brunner „Aktenzeichen 11.9. ungelöst“ aus. Die Journalisten beschäftigen sich hier unter anderem mit den ungeklärten Fragen des Flugzeugabsturzes in Shanksville und am Pentagon am 11.09.2001, sie recherchieren vor Ort. Der WDR beendet einige Monate später die Zusammenarbeit mit den
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Filmemachern mit der Begründung, dass der Film „hinsichtlich der journalistischen Sorgfaltspflicht Mängel“ aufweise, „die zu erheblichen Missinterpretationen in der Öffentlichkeit geführt haben.“620 Wisnewski und Brunner selbst sehen darin „Rufmord“.621 Die Telepolis-Autorin Katja Schmid weist darauf hin, dass zwischen der Ausstrahlung des Films und der Beendigung der Zusammenarbeit einige promi-nente Beiträge in Leitmedien erschienen, z. B. von Hans Leyendecker, der in der Süddeutschen gegen „Verschwörungsidioten“ und „Verschwörungs-Junkies“ gewettert hatte. Am 27. August trug er diese und andere herabsetzende Äußerungen in einer RBB-Sendung vor.622 Kurz vorher, am 8. September, war der Spiegel-Titel mit dem Leitartikel „Panoptikum des Absurden“ erschienen, in welchem Wisnewski, von Bülow und Bröckers als „Konspirations-Fanatiker“ und „Phantasten“ diskreditiert wurden. Schmid beobachtet „[z]wei Wochen vor dem 11. September [2003] […] in Funk und Fernsehen eine [tobende] Schlacht pro und contra Verschwörungstheorien“623 und in diesen Kontext stellt sie auch die Absetzung des Wisnewski-Films im WDR.624 Am 11. September 2003 wettert Jörg Lau in der ZEIT gegen „Wahn“ der neuen Generation der „Verschwörungstheoretiker“. Diese entsprächen nicht dem bekannten Typus des verklemmten, autoritätsfixierten Spinners, der sich typischerweise mit den „Protokollen der Weisen von Zion“, Entführungen durch Außerirdische und der Macht der Geheimbünde beschäftigt. Es sind vielmehr gewesene Spontis und Anarchos und Randfiguren des rot-grünen Milieus, die die Szene beherrschen: Der taz-Journalist und Hanf-Propagandist Mathias Bröckers, der Bundes-minister a.D. Andreas von Bülow und der WDR-Reporter Gerhard Wisnewski stehen exemplarisch dafür.625
Auffällig ist auch in diesem Beitrag der aggressive, teils verachtende und überhebliche Ton des Leitjournalisten gegenüber den (Ex-)Kollegen. Während Bröckers, von Bülow und Wisnewski im Fokus der leitmedialen Kritik stehen, wirken, eher im Hintergrund, auch Aktivisten wie Ronald Thoden. 2003 organisiert dieser zwei Symposien zum Thema 9/11, auf denen er Kritiker*innen und Zweifler*innen der offiziellen Version zusammenbringt, wo erst deutsche, dann US-amerikanische und britische Aktivisten und Intellektuelle, wie Michael Ruppert, Daniel Hopsicker oder Nafeez Ahmed sich treffen. Thoden gibt seit 2010 das werbefreie PrintNachrichtenmagazin Hintergrund heraus.
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6 Gegenöffentlichkeit(en) und Dissidenz
Abbildung 50: Flyer eines deutschsprachigen Ablegers der 9/11-Wahrheitsbewegung auf einem Vortrag in Wien am 13. Mai 2015 (Quelle: eigenes Foto).
Die sich in dieser Phase entwickelnde Vernetzung und Bewegung ist durch Experten geprägt und durch ein passives Publikum. Es ist die Phase des Angriffs auf den Irak, an dem sich Bundeskanzler Schröder nicht beteiligen will. Laut einer repräsentativen Umfrage, die die ZEIT in Auftrag gegeben hat, halten es Mitte 2003 „19 Prozent der Deutschen […] für möglich, dass die US-Regierung die Terroranschläge vom 11. September 2001 selbst in Auftrag gegeben hat“, in „der Altersgruppe der unter 30-Jährigen ist es sogar jeder Dritte“, außerdem ist diese Ansicht mit 29 zu 16 Prozent in den neuen Bundesländern fast doppelt so hoch verbreitet.626 Jede*r fünfte Deutsche hält damit einen „inside job“-Terroranschlag für möglich. Zu diesem Zeitpunkt hat sich die Aussage Colin Powells zu vermeintlichen irakischen Massenvernichtungswaffen als Falschaussage herausgestellt. Wesentliche Fragen zu den Terroranschlägen sind nicht geklärt, eine Untersuchungskommission tagt noch. Das große Interesse der Bevölkerung an den ungeklärten Fragen spiegelt sich sowohl in den Buchverkäufen der genannten Autoren wie auch in den prall gefüllten Vortragssälen bei den 9/11-Veranstaltungen im März 2002 wie auch Ende Juni 2003. Festzuhalten bleibt, dass hier das Thema „11. September“ diese neue „Gegenöffentlichkeit“ beschäftigt. Deren bekannteste Köpfe
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sind erfahrene Journalisten und Publizisten, die mit dem „Mainstream“-Konsens nicht übereinstimmen und insofern zu Dissidenten werden. Von Leitmedien-Vertretern wie Leyendecker oder Lau werden sie als Wahnsinnige und „Verschwörungstheoretiker“ diskreditiert, als „Fanatiker“ und Außenseiter. Letztere sind sie faktisch gegenüber dem leitmedialen Konsens. In der Bevölkerung stoßen ihre Fragen und Hypothesen jedoch auf beachtliche Resonanz, die sich in Buchverkäufen und vollen Vortragsäälen widerspiegelt. „GENERATION 9/11“ ALS GEGENKULTUR (2006–2014) ICH HABE DIE SCHNAUZE VOLL VON DEN MEDIEN. WEIL SIE MICH DEN GANZEN TAG BELÜGEN! UND DIE FRAGE IST, WOLLEN WIR EIN MEDIUM SCHAFFEN, DAS DAS NICHT MACHT? (FREEMAN AKA MANFRED PETRITSCH, 5. SEPTEMBER 2008627) WIR SIND ALLE GEPRÄGT WORDEN DURCH DIE ERFAHRUNG DES 11. SEPTEMBER; DIESE UNGEHEUREN LÜGEN, DIE UNS VERMITTELT WORDEN SIND, DAS HAT UNS AUS DER BAHN UND UNSEREM BISHERIGEN LEBEN GEWORFEN UND DAS HAT UNS DEN BLICK GEÖFFNET FÜR DAS, WIE ES NICHT MEHR WEITERGEHEN DARF! (JÜRGEN ELSÄSSER, GEOPOLITIK TREFFEN, 15. AUGUST 2009628)
Auch um das Jahr 2006 kreuzen sich mehrere Ereignisse, die gesamtgesellschaftlich und innerhalb der sich gerade formierenden Wahrheitsbewegung bedeutend sind. So wird die Internetinfrastruktur, das T-DSL-Netz, mit einer erhöhten Geschwindigkeit und einer weiterhin steigenden Zahl deutscher Haushalte ab Frühjahr 2006 angeboten. Außerdem erscheint 2007 das erste Smartphone von Apple. Nicht zu unterschätzen ist weiterhin, dass die soziale Plattform YouTube im Jahr 2005 online geht, die auch gegenwärtig, noch vor Facebook, die bedeutendste Medientechnologie zur Reproduktion von „Gegenöffentlichkeit“ ist. In den Jahren 2005–2007 gehen weiterhin drei wichtige Medienportale der deutschsprachigen Wahrheitsbewegung online: Infokrieg.tv, NuoViso.tv und Alles-Schall-und-Rauch sowie die Seiten von Exopolitik Deutschland. Im Jahr 2006 erscheint die deutsche Übersetzung von Daniele Gansers „NATO‘s Secret Armies“, welches nur ein Jahr vorher im englischen Original veröffentlicht wurde und ihn zu einer wichtigen Figur der Wahrheitsbewegung macht. Während dieser Phase beginnt sich eine „Gegenöffentlichkeit“ zu formieren, die ihre eigenen Medien macht: Blogs schreibt, Podcasts und YouTube-Videos veröffentlicht. Vor allem die Plattform Infokrieg.tv, die dem US-amerikanischen Vorbild Infowars.com von Alex Jones nachgebildet ist, steht für die kommenden paar Jahre im Fokus der Aufmerksamkeit des alternativen Publikums. Wir wollen für diese ‚Kernphase‘ der deutschsprachigen Wahrheitsbewegung analytisch vier Entwicklungsmomente unterscheiden: 1. 2. 3.
Generationenwechsel Medienpraktischer Wandel Themenpluralisierung
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6 Gegenöffentlichkeit(en) und Dissidenz
4.
Publikumsmobilisierung
Der Generationenwechsel der sich in der „Wahrheitsbewegung“ um 2006 vollzieht, bezieht sich zunächst auf das Alter der medienschaffenden Akteure. Mit der Generation YouTube treten mit Alexander Benesch und Nicolas Hofer (Infokrieg.tv), Frank Höfer (NuoViso.tv) oder Robert Fleischer (Exopolitik) deutlich jüngere Medienmacher in den Vordergrund. Dies hat sowohl Auswirkungen auf ihre Weltsicht und das Selbstverständnis der Bewegung wie eben auch auf die Art und Weise, wie und welche Medien genutzt werden. Der Generationenwechsel bedeutet aber keine ‚Ablösung‘ der alternativen Experten. Es zeichnet sich hier vielmehr eine Verschiebung ab. Denn die Buch-Autoren, Sachverständigen und ‚älteren‘ Medienschaffenden, von Bröckers über Christoph Hörstel bis hin zu Jürgen Elsässer oder Gerhard Wisnewski, finden in der „Gegenöffentlichkeit“ der „Wahrheitsbewegung“ einen Resonanzraum, der ihnen in ihren vorherigen Resonanzräumen versagt bleibt. Die ‚jungen‘ interviewen ab jetzt die ‚alten‘ Dissidenten in ‚ihren‘ Medien. Vorreiter sind hierbei die Interviews von Infokrieg.tv mit diversen „Experten“, zunächst als Audio-Podcast in schlechter Qualität, später immer mehr im Videoformat. In den Amateur-Doku-Filmen „Unter falscher Flagge“ (2007) oder den beiden Filmen „Kriegsversprechen“ (2009, 2012) lässt Frank Höfer auf DVD und über YouTube mit Christoph Hörstel, Jochen Scholz, Mathias Bröckers oder Jürgen Elsässer, jene Experten zu Wort kommen, deren Stimmen im „Mainstream“ nicht oder nur noch innerhalb des Framings von „Verschwörungstheoretikern“ zu hören sind. Manfred „Freddy“ Petritsch aka „Freeman“, der Betreiber des Blogs AllesSchall-und-Rauch macht diesen medienpraktischen Wandel nur passiv mit. Er gehört zur älteren Generation der Wahrheitsbewegung. Sein Hauptmedium bleibt, über Jahre hinweg, ein etwas unübersichtlicher Blog, über den dann Inhalte anderer Aktivisten verlinkt werden und der aber trotzdem eine recht hohe Reichweite und lebendige Kommentarspalten hat. Ebenso wie der Blog von Jürgen Elsässer, ebenfalls der älteren Generation der Wahrheitsbewegung angehörend. Die ‚SocialMediatisierung‘ macht diese Generation – auch Bröckers gehört dazu – nicht so richtig mit: YouTube, Facebook und später Twitter, die Produktion von immer aufwendigeren Audio- und Videobeiträgen oder Studiokulissen bleiben die Tools der jüngeren Generation. Insofern bedingt dieser medienpraktische Wandel gleichzeitig eine Arbeitsteilung. Die Sachverständigen kümmern sich um themenspezifische und fundierte Recherche, während die jüngere Generation die Verarbeitung und Verbreitung übernimmt. Es entsteht, was Storz (2015: 3) später „eine vergleichsweise leistungsfähige, crossmediale und auf Dauer angelegte eigene Öffentlichkeit“ nennt, „die sich jenseits der klassischen Massenmedien zu etablieren beginnt.“ Das Buch bleibt weiterhin ein wichtiges Medium der „Gegenöffentlichkeit“. Und der Recherche-Blog auch. Die Popularisierung der Inhalte aber findet
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mehr und mehr über Social Media-Plattformen („Tech-Intermediäre“), vor allem über YouTube, später auch Facebook und Twitter, statt. „Vor ziemlich genau 5 Jahren entschloss ich mich in Leipzig einen Kongress zu veranstalten unter dem Titel ‚Geopolitik Treffen‘. Größere Veranstaltungen dieser Art, auf welchen sogenannten ‚Verschwörungstheoretikern‘ eine Plattform geboten wurde, waren zu diesem Zeitpunkt neu. // Ich erklärte damals meinem Eventmanager, was ich da vorhatte und er war zunächst skeptisch: ‚Waas? Du denkst wirklich es kommen 500 Leute, um sich langweilige Vorträge über Geopolitik anzuhören und zahlen dafür auch noch 25 EUR Eintritt?‘ // Ich war zuversichtlich und irgendwie schaffte ich es auch Freunde zu mobilisieren, die mir dabei halfen so ein Megaevent durchzuziehen. Letztlich kamen sogar 700 Besucher und ich war selbst überrascht, welches Potential in einer einfachen Internetseite mit ein paar YouTube-Filmchen stecken kann.“ – Frank Höfer über das „Geopolitik Treffen“ 2009, Ein Blick hinter die Kulissen, 18. Mai 2015629
Bereits auf dem „Geopolitik Treffen“ 2009 in Leipzig (vgl. Kap. 5.1.4) wird deutlich, dass die Wahrheitsbewegung in Deutschland, anders als das 9/11 Truth Movement in den USA, eine breitere gesellschaftspolitische Ausrichtung erfahren hat. Die verschiedenen Menschen sprechen über so viele verschiedene Dinge und Themen, dass nach einer ‚verbindlichen‘ Gemeinsamkeit gesucht wird. Jürgen Elsässer prägt den Begriff der „Generation 9/11“. Doch zu diesem Zeitpunkt ist bereits klar, dass die Beschäftigung mit 9/11 nicht das Motiv ist, das diese Bewegung und die aus ihr entstehende „Gegenöffentlichkeit“ auf Dauer binden kann. Zumal Elsässer selbst andere, politische, Ambitionen hegt (Kap. 6.3). Der dritte Punkt, die Themenpluralisierung, hat verschiedene Ursachen und Folgen. 9/11 diente der deutschsprachigen Wahrheitsbewegung vor allem als Topos und ist ihr eigentlicher Kern (gewesen). Als Großereignis – „deep event“ –, bei dem, für jede*n, der*die sehen will „offensichtlich“630 ist, dass da etwas ‚nicht stimmt‘, sind die Terroranschläge schon immer Motivations- und Gravitationspunkt der Bewegung gewesen. Mit fortschreitender Zeit, Vernetzung und Popularisierung, vor allem der Befassung mit Kontexten und Konsequenzen alternativen Wissens, werden schließlich weitere Themen erschlossen und relevant – seien sie geopolitisch oder gesellschaftlich. In sehr vielen Fällen dient 9/11 den Wahrheitssuchenden als Augenöffner und macht sie ‚wach‘ (vgl. Kap. 7.3) für andere unterdrückte Wahrheiten. Noch im April 2015, als er schon weit fortgeschritten ist auf dem Pfad ins politisch-rechte Lager und sich hauptsächlich mit dem internationalen „Finanzkapital“ und der „Volkssouveränität“ befasst, erwähnt Jürgen Elsässer den 11. September in einer Kongress-Rede. Das Ereignis sei „die Mutter aller Lügen – 9/11 –“631, die „viele von uns […] politisiert“ habe. „Ich war schon vorher politisiert“, sagt Elsässer kühl, „aber meine Politisierung hat sich erheblich geändert durch den 11. September […] es war doch offensichtlich, dass da was nicht stimmen konnte.“ Es seien „offensichtliche Fragen, die man mit Hausfrauen-Verstand problematisieren konnte“, meint der Publizist auf der Bühne vor zwei Deutschland-Fahnen und beginnt sich plötzlich in Rage zu reden: Unsere Medien
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hätten diese Fragen aber nicht gestellt „und alle die sie gestellt haben, haben sie als Verschwörungstheoretiker abqualifiziert!“ Er fügt geifernd hinzu: „Welche Schande für den investigativen Journalismus!“ Applaus. Dann geht er auf das „NSU-Komplott“ ein und danach auf „die Hetzjagd gegen Pegida“. Von 9/11 zu Pegida – an diesem Auszug wird deutlich, inwiefern die „Offensichtlichkeit“ 632 der Täuschung im Falle der Terroranschläge zum Aufhänger und Topos für andere, nahezu beliebige, alternative Themen werden kann. Die Folge der Themenpluralisierung ist die immer wieder befürchtete „Spaltung“633 der Bewegung, die in vielen Fällen auch dogmatische und paranoide Züge annimmt. Dabei gerät, im Unterschied zum US-amerikanischen 9/11 Truth Movement, der „kleinste gemeinsame Nenner“ dessen, was Frank Höfer „im deutschsprachigen Raum als Alternativmedien bezeichne[t]“634 regelmäßig verloren. Und nicht zuletzt NuoViso.tv ist mit der bunten Palette an produzierten Themen-Angeboten, die „von den Terroranschlägen des 11. September 2001, GeheimdienstOperationen, über wirtschaftliche Fragestellungen bis hin zu spirituellen oder grenzwissenschaftlichen Themen“ reicht, an der Pluralisierung und Diffusion beteiligt.635 Auch Infokrieg.tv oder der Blog Alles-Schall-und-Rauch behandeln von Psychiatriekritik bis hin zur Prepper-Praxis eine Themenvielfalt, die weit über den 9/11-Terror und auch über „Geopolitik“ hinausgeht. Die Publikumsmobilisierung, die um 2006 in Verbindung mit neuen Medienpraktiken einsetzt, hat mindestens zwei Aspekte: Der erste ist die technische Mobilisierung, die durch die neuen Plattform-Technologien passiven Nutzer*innen möglich macht, relativ schnell und unkompliziert ein Feedback zu geben. Sei es durch Abstimmungs- oder Kommentar-Funktionen; sei es dadurch, dass sie selbst Inhalte in Form von Antwort-Videos, Webseiten, Blogs oder Ähnlichem erstellen. Sie werden dadurch zugleich zu Produzenten. Diese Möglichkeiten nutzt jedoch nur der geringste Teil der sich dadurch etablierenden alternativen Community. Andere Möglichkeiten, die vor allem die dritte Phase prägen, sind Crowd Sourcingund Spenden-Aktionen, durch die ebenfalls relativ schnell ein Publikum aktiviert werden kann. Der zweite Aspekt dieser Entwicklung ist die soziale Mobilisierung. Die sich vor allem durch den Alles-Schall-und-Rauch-Blog, später z. B. auch durch die NachDenkseiten, bildenden regionalen Stammtische im deutschsprachigen Raum sind, neben Kongressen, die wohl wichtigste Verbindung. Ein Geheimtipp innerhalb der Community ist das von dem IKnews-Betreiber Jens Blecker organisierte „Truth-Camp“: eine Art Konterpart zum diskreten „Bohemian Grove“Treffen636 transatlantischer Eliten: „Die Teilnehmerzahl wird auf max. 100 limitiert“, schreibt der Veranstalter „daher wird eine rechtzeitige Reservierung zwingend notwendig sein.“ Zwischen Bildern eines idyllischen Sees im Grünen und einem Büffelwildgehege heißt es in der Werbung: In dem 1,3 Ha großen See kann gebadet oder auch geangelt werden, eben so steht eine Tretbotquitscheente zur Verfügung. Der Platz zum Campen ist auch ausreichend
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groß so das [sic] es keine Probleme geben wird. Auf dem eigens eingerichteten Grillplatz werden die Spanferkel eben so zubereitet am Spieß, wie die frische Pute oder auch das Rind, welches auf dem Hof aufgewachsen und gesund ernährt wurde. // Dort könnt Ihr euer Essen noch namentlich begrüßen und Monsanto ist dort ein völlig fremder Begriff. // Ich habe bereits mit ein paar Musikern aus der Szene gesprochen (durchaus dem Ein oder Anderen bekannt), die dort dann ein wenig mit Livemusik den Laden ein wenig aufmischen werden. Wir werden einen Bogenschießplatz und andere Nettigkeiten vorbereiten, so dass an diesem Wochenende einfach mal nur der Spass und Chilling im Vordergrund steht. Auch Reiten dürfte (wenn nicht alle wollen) kein Problem sein. Auf dem Grillplatz, ist eine große Feuerstelle, wo am Abend dann mit Gitarre? (Musiker dürfen sich gerne melden) Stockbrot und Spass an der Freude einfach rumgehangen werden kann.637
Dieses Beispiel zeigt wiederum, dass in der Bewegung der Community-Aspekt immer auch eine Rolle spielt. Der verschwörungstheoretischen Entfremdung und dem Einzelgängertum wird dadurch entgegengewirkt. Einerseits sind solche Vergemeinschaftungsformen im ‚real life‘ für eine durch digitale Kultur geprägte Web 2.0-Subjektivität (vgl. Ullrich 2017) mobilisierend. Zugleich hemmen solche Veranstaltungen aber auch ihren Bewegungscharakter, indem der Fokus vom politischen oder sozialen Aktivismus auf die Vergemeinschaftung und ‚Entspannung‘ gerichtet wird. Weitere Formen der Mobilisierung sind Demonstrationen und alternative Kongresse, die seit dieser Phase stark zugenommen haben und deren Kulminations- und letztlich auch Transformationsprozesse für die Wahrheitsbewegung die Demos der „Montagsmahnwachen“ darstellen. Das „Truthcamp“ kann als Prototyp weiterer Sommerfestivals wie etwa dem „Friedensfestival“ „Pax Terra Musica“, an dem seit 2017 einschlägige Aktivist*innen und Medienmacher*innen aus dem Spektrum der Wahrheitsbewegung und der Generation 9/11 teilnehmen und das in diesem Milieu stark beworben wird, angesehen werden.638 POLITISIERUNG UND POLARISIERUNG (2014–2020) DIESE BEWEGUNG HIER, DIE WÄCHST AUCH IN AMERIKA, DIE IST AUCH SCHON DA – WEIL DIE LEUTE AUFWACHEN! UND WEIL WIR EIN MEDIUM HABEN, ÜBER DAS INTERNET, DASS WIR SOLCHE INFORMATIONEN AUCH VERBREITEN KÖNNEN […] (BODO SCHICKENTANZ AUF EINER MAHNWACHE, 2014639)
Mit der Ukrainekrise im Frühjahr 2014 beginnt eine Phase der (Re-)Politisierung und Polarisierung der Wahrheitsbewegung. Man kann dazu zwei Interpretationen geben. Die eine ist: Die Beschäftigung mit der Verschwörung von 9/11 war stets politisch und wird es immer bleiben. Die andere: Es geht um die Aufklärung eines Kriminalfalls – politische Ansichten und Ideologien stören diese Aufklärung, sie müssen von dieser getrennt bleiben. Letzteres ist die Position und die konsequent durchgehaltene Linie des US-amerikanischen 9/11 Truth Movement und auch etwa die Position von Ansgar Schneider. Im Fall der deutschsprachigen
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6 Gegenöffentlichkeit(en) und Dissidenz
Wahrheitsbewegung ist diese Zuordnung nicht so einfach. Denn von Beginn an wurde diese politisiert. Vor allem durch ihre Kritiker*innen. Diese kauften ihr ein bloß aufklärerisches und investigatives Interesse nicht ab. Antiamerikanismus-, Antisemitismus- und „Querfront“-Vorwürfe begleiteten die ‚erste Generation‘ von Bröckers und Co. von Beginn an.640 Und wie wir sehen werden, lassen sich bei einigen politischen Akteur*innen in einem frühen Stadium bereits Bestrebungen nachweisen, eine Art von politischer Vereinnahmung der Wahrheitsbewegung durchzuführen bzw. Teile von ihr für eine politische Querfront-Strategie zu mobilisieren. Gleichzeitig muss klar die performative Macht der Vorwürfe betrachtet werden. Es lässt sich ebenfalls zeigen und argumentieren, wie und dass die permanente Diskreditierung und Stigmatisierung der „Truther“ viele von ihnen erst politisch ideologisiert und Koalitionen hat eingehen lassen, für die fraglich ist, ob diese unter anderen Angebots- und Rezeptions-Umständen so auch zustande gekommen wären. Die Polarisierung der „Gegenöffentlichkeit“ kann etwa an den Themen Migration oder Klimawandel beobachtet werden. Während Akteur*innen/Medien wie KenFM, Gruppe42 oder ExoMagazinTV oder auch das Magazin Rubikon in diesen Bereichen im Beobachtungszeitaum von 2014 bis 2018 eher kosmopolitische Positionen vertreten, haben sich viele Medien/Akteur*innen politisch nach rechts ausgerichtet, allen voran das Compact-Magazin. Ihnen sind nicht internationale Solidarität wichtig, sondern nationale Souveränität. Politisch rechte sowie auch AfD-nahe-Positionen propagieren seit 2015/2016 verstärkt auch die Journalisten Oliver Janich und Gerhard Wisnewski. Dabei bestehen teils (Diskurs-)Koalitionen mit Martin Sellner und der Identitären Bewegung. Diese wiederum lehnen „Verschwörungstheorien“ offiziell ebenso ab wie „linke“ Positionen von KenFM bzw. Ken Jebsen und ihnen nahestehenden Medien und Akteur*innen. Diese wiederum stehen traditionell linken alternativen Medien wie weltnetz.tv oder Nachdenkseiten nahe. ‚In der Mitte‘ versuchen sich Medien wie RT Deutsch oder NuoViso.TV zu platzieren. Schon die Ukraine-Krise bzw. die „Montagsmahnwachen für den Frieden“ 2014 führten zu einer starken Politisierung und Polarisierung der wahrheitsbewegten Gegenöffentlichkeit“. Seit 2018, und dann mit der Corona-Krise 2020 und den deutschlandweiten Widerstands- und „Hygiene Demos“, haben sich (politische) Positionen und (Diskurs-) Koalitionen verschoben und rearrangiert. Die „Gegenöffentlichkeit“ ist in permanenter Bewegung.
6.2 Antisemitische Symbole
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6.2 Antisemitische Symbole […] heute sagen diese Art von Nazis oder Antisemiten […] nicht mehr: „Wir bezweifeln, dass sechs Millionen Juden von den Nazis, von Deutschland vernichtet worden sind“, sondern sie deuten an und sagen „Ostküste“ oder sie sagen ‚die Fed ist schuld!‘ (Jutta Ditfurth, Die neurechten Montagsdemos, 3Sat, 16. April 2014641)
In Kapitel 5 wurde aufgezeigt, inwiefern der „Kampf gegen Verschwörungstheorien“ institutionell mit dem Kampf gegen Antisemitismus und/oder (Rechts-)Extremismus verbunden ist. Nimmt man das Phänomen Antisemitismus ernst und sieht dieses nicht, wie in diesem Feld sehr häufig, nur als eine „Keule“, um Kritik abzuwehren, dann kann man eine Problemdimension von einer symbolischen Dimension unterscheiden. Erstere verweist auf die mit Antisemitismus einhergehende Gefahr rassistischer Diskriminierung oder Gewalt gegen jüdische Menschen. Zweiteres verweist auf die Delegitimation, die mit „Antisemitismus“ verbunden ist bzw. auf „Anti-Antisemitismus“ als politisches „Legitimationssymbol“ in der Bundesrepublik Deutschland (Ullrich/Kohlstruck 2015: 79). Antisemitische Deutungsmuster und Stereotypen sind mit dem Verschwörungsdenken in vielerlei Hinsicht genealogisch verbunden, vor allem auch in Deutschland (Pfahl-Traughber 2002a; Brumlik 2020: 40), und nicht nur im politisch rechten Lager, sondern auch im Lager der politischen Linken (Ullrich 2013). So wurden etwa auf den „Montagsmahnwachen für den Frieden“ „wiederholt antisemitische, antiamerikanische und verschwörungsideologische Aussagen dokumentiert.“ (Daphi u. a. 2014: 22). Diese Verbindung ist einmal historisch-genealogisch, in der modernen Denkfigur einer jüdischen Weltverschwörung, wie sie etwa in den „Protokollen der Weisen von Zion“ zum Ausdruck kommt. Zum anderen ist diese Verbindung strukturell in doppelter Hinsicht. Erstens in dem Sinne, dass sowohl verschwörungsideologische wie antisemitische Deutungsmuster mit der Figur mächtiger (Finanz-)Eliten arbeiten. Zweitens folgt die Verbindung aus der gleichzeitigen politischen Delegitimierung bzw. Stigmatisierung des Antisemitismus wie von „Verschwörungstheorien“ (vgl. Kap. 5.5). Um dies zu verstehen, muss die Konfliktdynamik zwischen der Verbreitung und dem Aufgreifen antisemitischer Deutungsmuster und ihrer Bekämpfung beobachtet werden. (Rechtsoder Links-)Extreme wie auch antisemitische politische Einstellungen sind oftmals aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stigmatisierung mit „Verschwörungstheorien“ verknüpft. Das bedeutet: Der Widerspruch zum „Establishment“ verbindet stigmatisierte Einstellungen und heterodoxes Wissen (vgl. Asprem 2018). Um dies zu erklären, braucht zunächst gar nicht auf die semantische und inhaltliche Ebene eingegangen zu werden. Sowohl antisemitische wie auch „verschwörungstheoretische“ oder -ideologische Deutungsmuster sammeln sich aus strukturellen Gründen an den ‚Rändern‘ der Wissensordnung. Weil sie aus dem ‚rationalen‘ Diskurs ausgeschlossen sind, gehen sie in der „Gegenöffentlichkeit“ oftmals eine ‚unheilige Allianz‘ ein, die zunächst in der protopolitischen Ablehnung des Etablierten
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(„System“, „Elite“, „Mainstream“ usw.) besteht.642 Aktivisten und Strategen wie Sellner oder Elsässer nutzen diese gemeinsame Ablehnung der unterschiedlichen Medien, Gruppen und Milieus für ihre (meta-)politischen Ambitionen. Man sollte hier aufmerksam und sensibel sein und nicht nur verschiedene „Formen des Antisemitismus“ (Pfahl-Traughber 2002a: 11 ff.; Brumlik 2020: 71 ff.) kontextsensitiv unterscheiden, sondern auch die Genealogie, Stereotypik und Memetik antisemitischer Deutungsmuster beachten: erkennen, woher, welche Muster kommen und wie sie weiterverarbeitet werden. Eine solche Differenzierung ergibt im Kontext der Auseinandersetzung mit dem Verschwörungsdenken aber nur dann Sinn, wenn dieses nicht per se als antisemitisch begriffen wird. D. h., wenn auch (an-)erkannt werden kann, dass es „legitime“ nicht-antisemitische Verschwörungsdeutungen „im demokratischen Meinungsspektrum“ gibt. Diese Differenzierung ist etwa im „No World Order“-Papier (Kap. 5.5.4) gescheitert und schlägt sich in einem diffusen anti-verschwörungstheoretischen Diskurs nieder, der regelmäßig Verschwörungsthesen diskreditiert, statt extremistische Ideologien zu unterscheiden und zu problematisieren. Die genealogisch-strukturelle Antisemitismus-Deutung führt zu einer essentialistischen Gleichsetzung von „Verschwörungstheorie“ und „Antisemitismus“, die keine Differenzen im Verschwörungsdenken erkennen kann und damit dem in dieser Ethnographie herausgearbeiteten Begriff von Konspirationskultur entgegensteht. Demgegenüber soll im Folgenden der Stigmatisierungszusammenhang konfliktdynamisch hervorgehoben werden. „HOLOCAUST DENIER“643
Als ich eines Abends mit Thomas unterwegs bin und wir uns wieder mal über den neuesten „deep shit“ in der alternativen Medienlandschaft unterhalten, beginnt er plötzlich von einem Kumpel zu berichten, der ihm etwas über die „Gaskammern“ in Auschwitz erzählt habe. Ich horche auf. Er sagt, der Bekannte habe sich in letzter Zeit sehr intensiv mit dem Thema beschäftigt. Und dabei stimme ja auch vieles nicht. „Die Sieger schreiben die Geschichte“, sagt Thomas. Innerlich bin ich entsetzt. Und ich merke, wie ihm das nicht leicht über die Lippen kommt. Doch ich weiß auch, dass sein Kumpel, den ich ebenfalls kenne, ihn teilweise sehr beeindruckt und Thomas ihn gerne mag. Kurzes Schweigen. Ich überlege mir, was ich sagen soll. Mir fehlen die Worte. Doch Thomas redet dann weiter. Es sei ja bekannt, dass Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg total am Boden war und von den Siegermächten ausgenommen worden ist, gar keine Waffen und Industrie mehr hatte. Thomas ringt teilweise um die Worte. Ich bemerke, dass er wenig Ahnung von diesem Teil der Geschichte hat. Hier hake ich ein. Ich widerspreche ihm und unterrichte ihn über die teilweise geheime deutsche Wiederaufrüstung auch schon vor der Machtergreifung. In seiner typischen Art hebt er jetzt die Augenbrauen und rudert zurück: „Aha… okay.“ An diesem Punkt habe ich ihn. Zwar
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war das kein zentraler Punkt. Aber Thomas bemerkt, dass ich hier nicht einfach mitgehe und ebenfalls einige ‚Fakten‘ habe. Ich frage, wo das überhaupt hinführen soll mit diesen Aussagen. Entrüstung klingt wahrscheinlich aus meiner Stimme, ich habe mich ein wenig hineingesteigert. Er versucht zu erklären und er relativiert. Schon vorher hat Thomas mir von seinen neuesten Erkenntnissen zur „Flat Earth“-Theorie erzählt. Und jetzt sagt er, ein Eric Dubay, „Flat Earther“, habe sich auch mit dieser Holocaust-Sache beschäftigt. Er werde deshalb von seinen Kritiker*innen „Holocaust Denier“ genannt. Thomas sagt das Letztere so, als sei es eine (Negativ-)Auszeichnung, als zeige gerade dieses Label, dass da ‚was dran‘ sein müsse, dass dieser Dubay es Wert sei, genauer hinzusehen. Thomas versucht jetzt, mich mit Dubay zu vergleichen: „der macht auch Yoga und sieht ein bisschen so aus wie du.“ Ich gehe innerlich fast an die Decke. Doch dann muss ich über Dubay, Thomas‘ neue Heldenfigur, lachen und mache mit Humor weiter. Das ist auch für mich einfach zu absurd. Er sagt noch ein paar Dinge – zu seiner Verteidigung. Als wir die Treppen zu Thomas‘ Wohnung hinaufgehen, bin ich wieder ernst und lasse mir meine Abwehrreaktion gegen die Thesen anmerken. Er rudert nochmals zurück. „Ist mir auch nicht wichtig“, sagt Thomas. Das sei sowieso nicht sein Thema. Ein gespanntes Schweigen ist zwischen uns. Die Aussagen aus Thomas‘ Mund haben mich kurzzeitig schockiert. Sie kamen sehr unerwartet. Thomas beschäftigt sich, wie ich, mit Vielem, was so an „deep shit“ – und eben auch an „bullshit“ – in der alternativen Mediensphäre kursiert: mit „Verschwörungstheorien“, mit Psychedelik, moderner Spiritualität, aber auch mit „Flat Earth“-Sachen. Normalerweise sind für ihn politisch-historische Themen uninteressant. Doch aus bestimmten Gründen (Freundschaft) scheint er in diesem Fall einen ‚Zugang‘ gefunden zu haben. Das Negativ-Labeling, „Holocaust Denier“ schien ihn plötzlich nicht zu stören, sondern eben gerade zu reizen. Was war da bei ihm los? Thomas sagte dieses Wort in einer Art und Weise, die mich überraschte. Bei mir zieht sich bei den Worten „Holocaust“ und „Leugner“ bzw. „Holocaust Denier“ innerlich fast alles zusammen. Doch warum eigentlich? Ich überlege, ob die Reaktion daherkommt, dass ich mit dem „Holocaust“ ein schreckliches Ereignis verbinde – oder doch eher vom Begriffsteil „-Leugner“? Für Thomas war es in diesem Fall offenbar dieser zweite Teil, der seine Anti-Haltung hervorrief. Wer vom „Mainstream“ als „Leugner“ betitelt wird, der kann ja nicht alles falsch gemacht haben. Dies folgt aus der Logik der Dissidenz, die für die „Gegenöffentlichkeit“ typisch ist. Dasselbe gilt für den Kampfbegriff „Klimaleugner“, für Menschen, die nicht vom CO-2-gemachten Klimawandel überzeugt sind – er diskreditiert und provoziert diese Personen. [Seit der Corona-Krise ist auch noch der Begriff „Virus-“ oder „Corona-Leugner“ für Kritiker*innen hinzugekommen.] Ich weiß nicht, ob solche Buzzwords Thomas‘ Denken tatsächlich getriggert haben.
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Aber ich weiß, dass gerade der Kampf und die Kampfbegriffe wie „Antisemit“, von denen nicht nur der besagte Dubay und tatsächliche „Holocaust-Leugner“, sondern mit ihnen auch viele Kollateralgeschädigte betroffen sind, in diesem Feld eine Gegen-Reaktion hervorrufen, die sie oft nicht von diesen Deutungsmustern und Positionen weg, sondern, im Gegenteil, näher zu diesen hintreibt. Ähnliches berichtet mir Karsten über den plötzlichen Wechsel seiner politisch linksstehenden Mutter von den „Mahnwachen“ hin zur „Pegida“-Bewegung.644 Als Thomas und ich uns verabschieden, sprechen wir nicht mehr über den Holocaust. Inzwischen haben wir uns über viele andere Themen unterhalten, philosophiert und auch wieder gelacht. Ich sage ihm, während er mich zur U-Bahnstation bringt, dass ich Dubay und diese „Flat Earth“-Sache für Ablenkung halte, eine PSYOP, eine gezielte Provokation zur Diskreditierung alternativer Medien und der „Gegenöffentlichkeit“. Ich sage das mit einem Augenzwinkern. Vermutlich hat dies Thomas mehr als alles andere überzeugt. ***
Die antisemitischen Anspielungen von Thomas erinnern an die Situation mit dem befreundeten Filmemacher, der seinen Psiram-Eintrag „gefeiert“ hat (Kap. 5.5.2) oder die T-Shirts mit der Aufschrift „Verschwörungstheoretiker“ (Kap. 5.4). Diesen Fällen ist gemeinsam, dass das Stigmawissen hier symbolisch angeeignet wird, um dadurch die eigene marginalisierte Position zu (re-)legitimieren. Das Stigma (Psiram-Eintrag, „Verschwörungstheoretiker“, „Holocaust Denier“) fungiert demnach als Auszeichnung, die aber nur im Kontext oder der Gemeinschaft der Ausgegrenzten identitätsstiftend wirkt bzw. diese Gemeinschaft performativ durch Selbststigmatisierung erst herstellt. In diesem sinn- und identitätsstiftenden Stigmawissen sind immer jene mitgedacht, die außerhalb stehen und bestimmte Etiketten verleihen: „Eliten“, „Geldmacht“ ‚die da oben‘ usw. ebenso wie das (neutrale) Publikum (meta-awareness). Das Wissen um den etablierten und legitimierten Status des Anti-Antisemitismus wird dadurch im Sinne der Logik einer Gegenkultur genutzt, um den „Spaß am Widerstand“ (Willis [1979 [1977]) Ausdruck zu verleihen. Thomas spielt mit bzw. nutzt das Wissen um den diskreditierten Status des Wissens von „Eric Dubay“, der als „Holocaust Denier“ gelte, was in dieser Logik für ihn spreche, gerade, weil er ja dadurch ausgegrenzt würde. Diese Deutung findet der Autor bestätigt, als er sich ein Jahr später ein weiteres Mal mit Thomas trifft und sich mit ihm über Spiritualität und Meditation unterhält: „Alles braune Esoterik“, sagt Thomas während dieses Gesprächs ironisch, teils mit polemischem Unterton. Auch hier wirkt die Adressierung des Wissens über den diskreditierten Status des betreffenden spirituellen Wissens in bestimmten Diskursen (vgl. Kap. 7.2) als sinnstiftend durch Abgrenzung.
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„JEWS DID 911“
Da sich der autobiographische und der ethnographische Autor von dezidiert rechten oder rechtsextremen Kreisen der „Gegenöffentlichkeit“ fernhielt, ist er seines Wissens nach nicht mit überzeugten Antisemit*innen in Kontakt gekommen. Wohl aber mit vielen antisemitischen Deutungsmustern oder Memes, die in der Gegenkultur zirkulieren und in oben genannter Hinsicht sinnstiftend sein können. So wird etwa in der Gruppe „9/11 Wahrheitsbewegung“ ein Bild mit dem Schriftzug „Jews did 9/11. Zionist Israel‘s Connection to 9/11. A Classic Mossad Operation“ geteilt. Auf dem Bild ist ein Mann in traditionell jüdisch-orthodoxer Kleidung zu sehen. Der Mann hält die brennenden Twin Towers auf seinen Handtellern. Eine deutlich antisemitische Botschaft. Der*die Gruppen-Ersteller*in schreibt über das Bild: „Beweisen kann man das nicht, aber eines können wir beweisen, die offizielle Version ist eine Lüge“.645 An diesem Beispiel kann gezeigt werden, wie die unbeantworteten Fragen zum 9/11-Terror ideologisch genutzt werden, um antisemitische Deutungsmuster zu verbreiten. Aus der legitimen Feststellung, dass die offizielle Version eine „Lüge“ sei, wird gefolgert, hinter den Anschlägen stecke ein jüdischer („Mossad“, „Zionist“, „Jews“) Komplott.
Abbildung 51: Antisemitische Bildcollage auf einer Facebook-Seite, die sich selbst der 9/11Wahrheitsbewegung zurechnet (Quelle: Facebook).
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Das Bild ist eines von vielen auf dieser Webseite. In den meisten Postings der Seite geht es um Auffälligkeiten und Widersprüche innerhalb der Ereignisse selbst, meist in Verbindung mit Links auf andere Webseiten oder YouTube-Videos. Einige enthalten teils anti-amerikanische, teils anti-zionistische Botschaften. Unter einem anderen Bild mit anti-zionistischer Aussage fragt ein*e Nutzer*in: „Und haben die Juden etwas mit dem 11. September zu tun? Man weiß es nicht...“ und postet einen Link zu einem Interview, in dem ein Physiker die Sprengung der Twin Tower rekonstruiert haben will.646 Auf Nachfragen bei dem*der Gruppen-Ersteller*in, was mit dem erwähnten Bild/Text gemeint sei, kommt keine Antwort. Es ist nicht eindeutig, ob diese Gruppe mit dem Ziel gegründet wurde, antisemitische Ideologie zu verbreiten. Entscheidend ist, dass die Kritik des offiziellen 9/11-Narrativs sowohl antisemitische, antizionistische und antiamerikanische Ideologien begünstigt, als auch an deren Diskurse anschlussfähig ist. Weil gerade im populären Diskurs stark mit Bildern und Vereinfachungen gespielt wird (Kap. 4.2), verwischen hier schnell die Grenzen zwischen einem differenzierten und kontextsensitiven Verschwörungsdenken und pauschalisierender Ideologie. Dies wiederum lässt bei Kämpfer*innen gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus Rufe nach stärkeren Kontrollmaßnahmen für Inhalte in sozialen Netzwerken laut werden. Nicht selten werden „Verschwörungstheorien“ und antisemitische Deutungsmuster dabei gleichgesetzt (vgl. Kap. 5.5.4). So auch im Falle des schon erwähnten Andreas von Bülow, der sich aufgrund seiner Behauptungen in dem Buch „Die CIA und der 11. September“ (2003) dem Antisemitismus-Vorwurf ausgesetzt sieht. So bringt der Journalist Tobias Jaecker von Bülow nicht nur mit, von ihm im Rahmen des Problem- und Gefahrendiskurses gedeuteten, „Verschwörungstheorien“ in Zusammenhang. Er rückt ihn auch in die Nähe von „antisemitischen Deutungsmustern“ (Jaecker 2004). Dabei versucht sich Jaecker sowohl im Debunking einiger Behauptungen von Bülows, vermag es jedoch nicht zu zeigen, an welchen Stellen dieser nachweisbar falsch oder gar antisemitisch argumentiert haben soll. Von Bülow hat eine umfangreiche Zusammenstellung von „Lücken“ (von Bülow 2003: 76 ff.) und „Ungereimtheiten“ (ebd.: 165 ff.) und tiefenpolitisch-geheimdienstlicher Verbindungen im Kontext der 9/11-Anschläge erarbeitet. Er zitiert dabei wesentlich aus anerkannter Literatur und aus Leitmedien. Einen kleinen Teil des Sachbuches (ca. 10 von über 250 Seiten) machen Ausführungen zu Spuren zum „israelische[n] Geheimdienst“ (ebd.: 213 ff.), auch im Kontext des Nahostkonflikts, aus. Von Bülow nennt dabei „Indizien“, die auf „Vorwissen“ hindeuten. Weil er weder antisemitisch noch mit nachweislich falschen Behauptungen argumentiert, funktioniert das Debunking seiner Aussagen einerseits, indem sein Buch von Jaecker nur in die Nähe antisemitischer Deutungsmuster gerückt wird – einfach indem er von Bülows Aussagen in (s)einem Buch über Antisemitismus zitiert und relativiert –, andererseits indem Jaecker ihm vorwirft, den „Eindruck“ einer „Geheimdienst-Operation“ zu erwecken (Jaecker
6.2 Antisemitische Symbole
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2004: 70 f.), was ein merkwürdiger Vorwurf ist, wenn es gerade darum gehen soll, mögliche Geheimdienst-Operationen aufzuklären. Diese Delegitimierungsstrategie funktioniert nur innerhalb eines anti-verschwörungstheoretischen Deutungsrahmens, in dem allein schon die Beschäftigung mit tiefenpolitischen Zusammenhängen, mit Verschwörungen einer bestimmten Art, verdächtig ist. CODES UND MONTAGEN
Der Kampf gegen Antisemitismus und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit soll hier nicht diskreditiert werden. Aber er muss kritisierbar sein. Zum einen gibt es Gruppierungen und Individuen, die gezielt versuchen, verschwörungsideologische oder antisemitische Deutungsmuster – oftmals gut dosiert und subtil – in den öffentlichen Diskurs einzuspeisen. Es gibt „Codes“, über die man aufgeklärt sein muss, um die Ideologeme solcher Deutungsmuster zu erkennen. Und es gibt Eigenlogiken und Memes, die eine Art ‚Eigenleben‘ entwickeln, indem sie ‚geteilt‘ werden – sei es aus Unwissenheit, (falschem) Humor und paradoxerweise, auch wenn sie nur zum Zwecke der Aufklärung reproduziert werden. Dass etwa „Rothschild“ ein antisemitischer Code für „Jude“ ist, zumal in einem konspirologischen Kontext, ist plausibel (vgl. Brumlik 2020: 78). Das jedoch auch „Ostküste“, „Fed“ oder gar Kritik an „Bankstern“ per se antisemitisch sein soll, wie Jutta Ditfurth meint, darf strittig bleiben. Hier bewegt sich der Anti-Antisemitismus selbst schon innerhalb eines paranoiden Rahmens, der antisemitische Codes ‚hinter‘ allem sieht und dadurch die Verschwörungsangst perpetuiert. Für den Antisemitismusforscher Rensmann sind „Verschwörungstheorie“ und „Antisemitismus“ nicht nur austauschbar. Beide haben zugleich noch kryptischen Charakter, sind in bestimmte Codes, bestimmte Klischees, bestimmte Vorstellungen – seien sie verschwörungstheoretischer oder antisemitischer Natur – eingefasst [und] in subtilen, latenten, teilweise versteckten Formen auch Teil der Debatten, der Dispositive, der Narrative im öffentlichen Raum647
Während diese Feststellung als rein wissenschaftliche Beschreibung einerseits blind ist für die eigenen Praktiken und Dispositive, die sie in ihrer „Abwehr von Verschwörungstheorie[n]“ (Kulla 2006: 126) und im Kampf um Deutungshoheit reproduziert, ist sie zugleich luzid. Sie erkennt, sieht, durch ihre spezifische fachliche Schulung den Antisemitismus/die Verschwörungstheorie am Werk, wo sie der naive, ungeschulte Blick nicht erkennen kann. Um den Antisemitismus zu erkennen und sichtbar zu machen, bedient sich der Antisemitismusexperte eines Hilfsmittels, das dem seines Kontrahenten, dem „Verschwörungstheoretiker“ – und übrigens auch dem Ethnographen oder dem Romanautor (vgl. Kap. 4.1.5) –, gleicht: der Montage. So zitiert Jaecker die – für ihn nur auf den ersten Blick – ‚harmlosen‘ Aussagen von Bülows oder Bröckers über den ‚Fall Silverstein‘ und
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stellt ihnen erkennbar antisemitische Passagen einer, wie er schreibt, „verschwörungstheoretischen Internetseite“ anbei. Auf dieser Seite heißt es, nicht nur Larry Silverstein [würde nach den Anschlägen] „im Geld schwimmen“, sondern auch „einige informierte Insider (nicht unbedingt Juden), einige Bauunternehmer und Architekten (99% Juden) und die Globalisten. […] Aus Schutt wird Gold, aber nur für Juden“. (Jaecker 2004: 75 f.)
Wo von Bülow (2003: 210) im ‚Fall Silverstein‘ und WTC 7 dem Publikum „scheinbar zufällige Merkwürdigkeiten“ aufzuzeigen versucht, die für den ExBundesminister ein „zuweilen beängstigendes Ausmaß an[nehmen]“, da will Jaecker dessen Botschaften des Antisemitismus überführen. Beiden gemeinsam ist die Sprache des Verdachts. Sie vermuten eine Realität ‚hinter‘ dem offenbaren Text, den sie beide durch Kontext sichtbar zu machen versuchen. Sie misstrauen der Realität, die ihnen gegenübersteht und zeigen ihre ‚Hintergründe‘ auf. Ihre Kontexte und Bezugssysteme, die Dispositive, die sie sichtbar machen wollen, sind je unterschiedlich. Von Bülow will zeigen: Da steckt womöglich auch der Mossad dahinter. Jaecker will zeigen: Da steckt womöglich auch Antisemitismus dahinter. Gemeinsam ist ihnen: Keiner kann dem manifesten Text/Plot vertrauen, ihn ernst nehmen, als mögliche Wahrheit anerkennen, ihm vertrauen (Schink 2020b). Für Jaecker ist es undenkbar, dass an von Bülows „Verschwörungstheorien“ ‚etwas dran‘ sein könnte. Von Bülow kann nicht sehen, wo er antisemitische Stereotype bedienen soll, wie aus seinen Reaktionen hervorgeht. Mehr noch: Die Reaktionen der Kritiker*innen haben ihn so weit getrieben, eine „Kampagne“648 gegen sich zu vermuten. 6.3 (R)Echter Widerstand LIEBER JÜRGEN, DU BIST NICHT NAIV UND MUSST AUS DEINER JAHRZEHNTELANGEN POLITISCH-PUBLIZISTISCHEN TÄTIGKEIT HERAUS WISSEN, DASS AUS EINER SOLCHEN VOLKSINITIATIVE NUR EINE QUERFRONT WERDEN KANN. (BERNARD SCHMID/PETER NOWAK, OFFENER BRIEF AN JÜRGEN ELSÄSSER, 15. JANUAR 2009649) WIR MARSCHIEREN GETRENNT UND SCHLAGEN GEMEINSAM. (JÜRGEN ELSÄSSER, GEOPOLITIK KONGRESS, 15. AUGUST 2009650)
Die Zeichen der Veränderung des politischen Zeitgeistes erkenne ich an einer Webseite. Auf der Seite „wahrheitsbewegung.org“, die in kurzen Abständen Videos der alternativen Medienszene verlinkt, zeigen sich neben Inhalten zu „Verschwörungstheorien“ über Terroranschläge, Medien oder Überwachungsstaat immer mehr und expliziter antisemitische und rechtsextreme Inhalte. Doch erst 2014 wird mir dies vollständig bewusst. Für die Vereinnahmung der Themen der „Wahrheitsbewegung“ von rechts steht im deutschsprachigen Raum vor allem Jürgen Elsässer und sein Compact-Magazin. Das erste Mal begegne ich Elsässer
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auf einem Vortrag, den unser Stammtisch organisiert hat. Es ist die Zeit als Elsässer seine „Volksinitiative gegen das Finanzkapital“ gründet. Im Milieu der politisch teils noch sehr unbefangenen deutschsprachigen „Wahrheitsbewegung“ stößt Elsässer auf Interesse und Zustimmung. Wie kein anderer treibt er Theorie- und politische Bewusstseinsbildung in diesem Milieu voran. Helge, mit dem ich mich über politische Themen unterhalten kann, weil er einer der wenigen im Umfeld des Stammtisches ist, der, wie ich, einen sozialwissenschaftlichen Hintergrund hat, folgt Elsässers politischen Analysen und macht bei einigen seiner Aktionen mit. So etwa bei Demonstrationen gegen das zweite Referendum für die Ratifizierung des Lissabon-Vertrags in Irland, zu denen Helge reist, um aktiv gegen die Zustimmung zum Vertrag zu werben. Das Thema Lissabon-Vertrag prägt den politischen Diskurs im Sommer 2009. Auch eine Handvoll anderer Aktivisten des Stammtisches beteiligt sich an Veranstaltungen, die durch Elsässers Initiative koordiniert und gebündelt werden. Mitte Juli melde ich mich als lokaler Ansprechpartner für die „Volksinitiative“. Ich will politisch etwas machen. Aktiv werden. In dieser Zeit habe ich vor allem Angst vor dem zunehmenden Ausbau der Überwachung und der Sicherheitsapparate, vor Krieg und vor der NATO, mächtigen politisch-ökonomischen Eliten und vor Geheimdiensten, die die (Welt-)Bevölkerung kontrollieren. Das „internationale Finanzkapital mit seinen Hauptbastionen in den USA und Großbritannien“651, wie Elsässer damals schreibt, scheint mir die plausibelste Ursache für endlose Kriege, zunehmende Ausbeutung, Armut und Überwachung auf der Welt zu sein. Von ehemaligen Mitstreiter*innen und politisch linken Beobachter* innen wird Elsässer verkürzte Kapitalismuskritik und Applaus von rechts vorgeworfen, der bis zur NPD reichte. Seine Imperialismus-Analyse, die sich gegen „Heuschrecken“ und „finanzielle Massenvernichtungswaffen“ richtet, sei „regressiv“ und anschlussfähig an rechte Diskurse. „[D]er Autor sei bei Positionen angekommen“, paraphrasiert die antideutsche Zeitung jungle world den NPD-Vorsitzenden Holger Apfel, die die NPD schon „seit Jahren besser und ausführlicher formuliert vertrete. Die NPD werde die ‚Volksinitiative‘ [daher] solidarisch begleiten.“652 Elsässer distanziert sich in dieser Phase mehrfach von „den falschen Freunde[n] von rechts“ 653, auch von solchen, die eine Veranstaltung von ihm noch Anfang Januar 2009 besucht hatten. Aber Elsässer beharrt zugleich weiter auf seiner Position: [D]ie Krisenanalyse der meisten Linken ist falsch, da sie das imperialistische Moment sträflich unterschätzt: Die aktuell einsetzende Depression ist Ergebnis eines bewussten Angriffs des anglo-amerikanischen Finanzkapitals auf den Rest der Welt.654
Anders als viele orthodox-marxistische Kapitalismus-Analysen, die in der Beschreibung wesentlich strukturalistisch vorgehen und daher oftmals abstrakt bleiben, führt die Analyse von Elsässer zu einer konkreten Feindverortung. Die
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kritisierte Verkürzung besteht darin, dass er das ‚bedrohliche‘ Kapitalverhältnis nach ‚außen‘, auf die USA und Großbritannien bzw. deren Eliten und Banken reduziert und so einem „Nationalbolschewismus“ das Wort rede.655 Elsässers Position, so jedoch seine Kritiker*innen, sei blind dafür, dass sich Kapital stets international organisiere: „es gibt nur das internationale Kapital“656. Das bedeute aber, es gäbe keine „echte Krise“, keinen „Trick“: Eine gesellschaftliche Verabredung, dass Kredite mit Zinsen zurückgezahlt werden, also ein Zahlungsversprechen auf die Zukunft. Wenn jemand die Verabredung bricht, z. B. die russische Revolution, oder jemand nicht zahlen kann, verschwindet der Zahlungsanspruch und das Kapital löst sich in nichts auf. Das passiert gerade. Und das ist kein „trick“ der Finanzinstitute, sondern eine echte unbeherrschbare Krise.657
Elsässers Gesellschaftsanalyse ist so verführerisch, weil sie einerseits die immanent krisenhafte Logik von Kapitalverhältnissen isoliert, externalisiert und personalisiert und damit andererseits politische Handlungsfähigkeit, ein taktisches Bündnis, eine „Volksfront“ in einem „Spektrum von Lafontaine bis Gauweiler“658 ermöglicht. Ersteres ist anschlussfähig an verschwörungstheoretische Deutungsmuster, wie sie in der „Wahrheitsbewegung“ vorherrschen und läuft beständig Gefahr antisemitischer Feindbildproduktion. Zweiteres befriedigt das Bedürfnis nach Zusammenhalt in der Bewegung und ist gleichzeitig ein konkretes Angebot zur politischen Aktion und Agitation. Der marxistischen „unbeherrschbare[n] Krise“ steht ein „bewusste[r] Angriff des anglo-amerikanischen Finanzkapitals“ gegenüber. Warum sich zweitere Deutung in einer durch Verschwörungsdenken und paranoide Subjektpositionen geprägten Gegenöffentlichkeit eher durchsetzt, braucht an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden. Elsässer, ebenso wie später die AfD, greift gezielt Themen und Topoi der „Wahrheitsbewegung“ und Gegenkultur auf und spannt sie in ein politisches Programm: „Mut zur Wahrheit“ ist etwa ein Motto, dass sowohl sein Compact-Magazin wie die AfD nutzen.
Abbildung 52: Der Publizist Jürgen Elsässer vor einem Banner des Compact-Magazin mit dem Motto „Mut zur Wahrheit“ (Quelle: Tagesspiegel).
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Auf dem „Geopolitik Treffen“ im August 2009 in Leipzig ist Elsässer derjenige, der eine großteils politisch ungebildete und ‚aufgewachte‘ Menge auf eine geeinte „Volksfront“ einschwört. Obwohl wir alle verschieden seien, von UFO-Freaks bishin zu Geopolitik-Interessierten, sagt er, hätten wir doch alle einige wesentliche Dinge gemeinsam. Der Begriff „Generation 9/11“ wird aus der Taufe gehoben. Der Zweifel an der offiziellen Wahrheit der Terroranschläge vom 11. September 2001 sei dasjenige, was alle hier Anwesenden verbinde, meint Elsässer. Er hat sein Publikum gefunden. Keiner hier widerspricht ihm. Elsässer hat ohne Zweifel großes Mobilisierungstalent. Sich nicht spalten zu lassen als Linke, Rechte, Verrückte oder „Verschwörungstheoretiker“ ist, was auf diesem Treffen immer wieder hervorgehoben und auch auch von Elsässer lanciert wird. Mit dabei sind, neben dem Organisator von NuoViso.tv, Frank Höfer, auch Alexander Benesch von infokrieg.tv, der Filmemacher Frieder Wagner und Christoph Hörstel. Elsässer nutzt diese erste euphorische Zusammenkunft der deutschsprachigen „Wahrheitsbewegung“ für ein Vernetzungstreffen der „Volksinitiative“. Es findet eine Diskussion zwischen Interessierten statt. Viele seiner einstigen Bewunderer oder Weggefährten werden sich später von Elsässer trennen. Meist doziert er bei Treffen. Kritische und Grundsatzdiskussionen finden nicht statt. Es scheint, als wolle der Publizist vor allem Leute politisch akquirieren, die hier gerade erst beginnen, ein politisches Bewusstsein auszubilden, sich kennen lernen, der Gesellschaft, in der sie leben, gewahr werden – ‚aufgewacht‘ sind (Kap. 7.3). Das fällt nicht nur mir auf. Beim Vortrag, den ich für Elsässer hätte organisieren sollen, kamen nach seinem Geschmack nicht genügend Leute. Ein Bekannter, der letztlich statt meiner die Veranstaltung organisiert hat, ist auf Kosten sitzen geblieben. Elsässer ist seither an unserem „Stammtisch“ weder für seinen Idealismus noch für seine Freundlichkeit bekannt. Seinen weiteren Projekten bin ich nicht primär wegen seiner falschen politischen Analyse ferngeblieben – dazu war ich damals praktisch noch zu ungebildet –, sondern wegen eines für mich dominanten und kalten Auftretens und später wegen einer Sprache, die zunehmend provokanter und radikaler wurde. Diese Erfahrungen müssen nicht mit anderen Erfahrungen, die in diesen Kontexten gemacht wurden, übereinstimmen. Nina jedenfalls, die mich vor der „Gruppe“ der „Selbstsüchtigen“ gewarnt hatte (Kap. 7.4), sollte in meiner Retrospektive Recht behalten. 6.3.1 „Großer Austausch“ und Metapolitik Die (neu-)rechte Ideologie ist geprägt durch die Angst vor und dem Widerstand gegenüber einer Überfremdung der Gesellschaft. Diese drücken sich in der Semantik des „große[n] Austausch[s]“ (Camus 2016 [2013]) der Völker aus, der noch populistischer, auch als „Umvolkung“ bezeichnet wird. Der Topos vom großen
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Austausch ist sowohl in der Terminologie der Identitären Bewegung als auch im Vokabular neurechter Think Tanks das Komplement zur „Verteidigung des Eigenen“ (Lichtmesz 2011), die entweder auf die Nation oder auf Europa übertragen wird. Dieses Motiv hat eine verschwörungsideologische Kontinuität. Schon Jan van Helsing schreibt Anfang der 1990er-Jahre gegen den „inszenierte[n] Asylantenstrom nach Deutschland“ an, welcher „Teil des großen Planes der Elite zur Errichtung der ‚Neuen Weltordnung‘“ sei. (van Helsing 1993: 211; vgl. Kap. 7.2) Es ist bezeichnend, dass sowohl der Asyl-Diskurs in den 1990er-Jahren wie auch der Diskurs um Flüchtende ab 2015 von verschwörungsideologischen Deutungen begleitet sind. Waren die Verschwörungsideologien in den 1990er-Jahren vor allem noch auf den Buchmarkt begrenzt, sind sie gegenwärtig über die digitalen sozialen Netzwerke jedoch weitaus sichtbarer und persistenter. Der moderne Stereotyp der fremdenfeindlichen Verschwörungsangst ist die jüdische oder jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung. Exemplarisch dafür muss die „Anti-Utopie“ der „Protokolle der Weisen von Zion“ (Hagemeister 2002) gesehen werden, auf die auch van Helsing Bezug nimmt (van Helsing 1993: 40 ff.). Der (strukturelle) Antisemitismus wird von der Neuen Rechten und Identitären Bewegung als Motiv abgelehnt. Sie nennen sich nicht antisemitisch und nicht verschwörungstheoretisch. Heute ist das Feindbild der Neuen Rechten vor allem der Islam und der „Flüchtling“. Viele ihrer Akteur*innen und Medien berufen sich auf die Ideologie eines christlichen oder gar jüdisch-christlichen Abendlandes – und scheuen dabei auch nicht vor radikalen (Zweck-)Bündnissen mit israelischen Rechten. Auch von „Verschwörungstheorien“ halten die Identitären offiziell wenig. Martin Sellner beispielsweise, als Führungsfigur des österreichischen Zweigs, hat den Bruch der Identitären mit den klassisch-rechten antisemitischen Verschwörungsideologien Anfang des Jahres 2015 in einem Vlog mit dem Titel „Jüdische Weltverschwörung?“ propagiert.659 Sellner versucht in diesem, das Verschwörungsdenken als unterkomplex zu dekonstruieren und setzt dagegen die Macht der Ideen. Die Ursache moderner „Weltverschwörungstheorien“ liege in der „Tatsache, dass heute tatsächlich in der Welt eine totale Zentralisierung von Macht“ stattfinde, z. B. im Bereich der Medien und der Ökonomie, so Martin Sellner. 660 Insofern glaube ich, dass hier ein Unbehagen entsteht und viele Leute sich fragen, woher diese Entwicklung kommt, warum sie entsteht, warum es hier zu Zentralisierung kommt. Und der Gedanke, das ganze so zu erklären, dass hier ein bestimmter Personenkreis an Menschen dahinter steht, der das plant und durchzieht, ist eine Erklärung, die relativ einfach ist und die sich auf eine gewisse Art und Weise auch aufdrängt, ohne dass sie jetzt […] Ideengeschichte oder Philosophiegeschichte studiert oder alles im Großen und Ganzen versucht zu betrachten […], ist [es] natürlich leichter das ganze zu personalisieren, das heißt zu sagen, dass dahinter eine Gruppe an Menschen steht, die das Ganze zu ihrem persönlichen Eigeninteresse macht. Das ist eine einfache Erklärung. Ich glaube aber wie so oft, dass diese einfache Erklärung leider falsch ist.661 [Hervorhebung von A. S.]
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Im Anschluss gibt Sellner unter anderem eine Einführung in das metapolitische Denken, in „die Macht der Ideen“, und begründet, weshalb für ihn Geschichte weniger kausal durch personale Handlungen als vielmehr durch Kulturpolitik und Ideologie gemacht wird. Das Video hat im Vergleich zu Sellners anderen VlogBeiträgen eine auffällig schlechte Bewertung. In den Top-Kommentaren regt sich Unmut: Das sei „Desinfo“ und als studierter Philosoph würde er „verdrehen, halbwahr [...] argumentieren“. Andere halten dies nicht für „Desinfo“, aber Sellner sei ein „opfer der umerziehung und propaganda, deren dimension er sich einfach nicht bewußt ist“. Es werden Links zu Gegendarstellungen gepostet und es finden sich unter den Kommentaren viele offen antisemitische Aussagen. Wieder andere Benutzer*innen finden das über 50-minütige Video „interessant“ und verteidigen auch die darin enthaltene Botschaft. Sellners Denken steht offenkundig dem Verschwörungsdenken von Elsässer entgegen. Weder spielen für ihn die für die „Wahrheitsbewegung“ zentralen Topoi 9/11 oder „False Flag“-Terrorismus eine Rolle, noch hält er, wie er mehrfach betont, viel von „Verschwörungstheorien“. Nach den medialen Angriffen auf seine Person und dem Spiegel-Titel „Die braune Verschwörung“ (vgl. Abb. 2), wirft er den Journalist*innen das Verbreiten „einer lächerliche[n] Verschwörungstheorie“662 vor. Doch – entgegen Sellners Distanzierung – erfüllt auch im metapolitischen Diskurs das Verschwörungsdenken (s)eine paranoide Funktion, die den identitären politischen Aktivismus als „Widerstand“ erst begründet. Während Elsässer, nach der Typologie von Cubitt (Kap. 4.1 und 4.3), vor allem das Akteurszentrierte und eher krude Verschwörungsdenken pflegt – man denke an die Cover des Compact-Magazins (Schilk 2017) –, präsentiert sich Sellner als intelligenter Denker, der die Agenda eines „großen Austauschs“ offenlegt. Doch immer wieder geht auch er auf die verantwortlichen Akteur*innen in Politik und Wirtschaft ein. Er sieht sich als jemand, der die ‚Menge‘ durch Theoriebildung beim Prozess des Aufwachens unterstützt, indem er die „linksliberale“ Agenda der globalen und anti-patriotischen Eliten offenlegt. Die Struktur dieses Denkens entspricht der erwähnten für das Verschwörungsdenken typischen Trias zwischen einer (geheimen) Machtelite, der getäuschten Menge und den enttäuschten Erwachten. Die Menge wird als das eigene „Volk“ identifiziert, das eine gewisse rassische, ethnische oder kulturelle Homogenität aufweise und ‚aufgeweckt‘ werden müsse (vgl. Kap. 7.3). Die Machtelite sind im Falle neurechter Ideologien „Globalisten“ oder „Internationalisten“, ihre Handlanger sind parteipolitisch vor allem Linke, Linksliberale und Grüne sowie deren Wähler*innen. Die ‚Erwecker‘ sehen sich als neurechte Avantgarde, die seit Jahren darum ringt, die nach 1968 eingetretene linksliberale und kosmopolitische Ideologie zu entlarven und zunächst ideologisch, dann realpolitisch zu entmachten (vgl. Wagner 2017). Das Verschwörungsdenken changiert hier zwischen Ideologie und Theorie(bildung). Letztere tritt notwendig hervor, wenn es etwa darum geht, die Nutznießer der H. C. Strache-Lockfalle in der „Ibiza“-
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Affäre zu entlarven oder die „Zersetzungs“-Stratgien des „deep state“ – ein Begriff den Sellner öfters benutzt.663 Die Verschwörungsidologie ist im Hintergrund immer vorhanden, als Angst vor dem Fremden und dem politischen Gegner. Wie alle Verschwörungsideologien, so schlagen auch die neurechten Verschwörungsdeutungen symbolisches Kapital aus der Position der Stigmatisierten und der Selbst-Stigmatisierung. Bei Sellner sind in der Position der „Elite“ nicht ‚(Finanz-)Juden‘, sondern die treibende Macht ist eine US-Kultur mit ihren entsprechenden Eliten, die der eigenen „ethnokulturellen Identität“ entsprechende „Memes“ einimpfe‘664, was dann durch eine von den Eliten geduldete oder ökonomisch gewollte „Masseneinwanderung“ zur „Selbstabschaffung der europäischen Völker“ führe, so Sellner in einem Video Ende 2014. Diesen Zustand „bewusst“ zu machen, sieht er daher als eine der Hauptaufgaben der Identitären Bewegung. Auch hier geht es, wie beschrieben, darum, Verantwortlichkeit („accountability“) zu (re-)konstruieren – und dann, in einem weiteren Schritt, durch Taten, zu übernehmen. Der große Austausch wird damit sowohl zu einem „Prozess“ wie zu einer „Agenda“, die im Kontext politischer und ökonomischer Handlungen (mit-)hergestellt und die von gewissen Kreisen „gewollt“ werden.665 Sellner suggeriert einen bewusst gesteuerten oder zugelassenen „Bevölkerungsaustausch“, der einerseits einem „Großteil der Bevölkerung“ (der Menge) nicht bewusst sei, aber von „einer gewissen Clique von Leuten“666 (Elite) betrieben werde. Er, wie auch andere Avantgardist*innen (Erwachte) sehen (vgl. Kap. 6.6) diesen Austausch durch Extrapolation demographischer Daten in die Zukunft. Der große Austausch ist damit, strukturanalog zu van Helsings „Neuer Weltordnung“, zugleich ein Prozess, eine durch Akteur*innen ‚gemachte‘ Agenda von ‚unbekannten Oberen‘. Darüber hinaus ist dieser aber weitaus konkreter als die NWO, ist mess- und mit Daten ‚belegbar‘, was Sellner und andere immer wieder zu zeigen versuchen.667 Wäre er aber keine „Agenda“, man könnte ihn nicht so einfach ‚bekämpfen‘. Der elitären Clique, so Sellner, sei dies daher ebenfalls bewusst, sie finden das gut so und sie betreiben es gezielt, mit allen finanziellen und ideologischen Mitteln, die sie haben und gleichzeitig belügen sie das Volk, indem sie ihm vorgaukeln, dass Österreich Österreich bleiben wird, dass eine Integration stattfindet […] was heute passiert, ist die komplette Totalabschaffung unserer Identität […]668 [Hervorhebungen von A. S.]
Im Denken des großen Austauschs finden sich mannigfache verschwörungsideologische Deutungsmuster: Dualismus, Feindbilder, Aufforderung zur Agitation usw. Es ist auch Ausdruck geopolitischen Denkens. Anders als aber viele krude oder populäre „Verschwörungstheorien“, z. B. der „Neuen Weltordnung“, glauben Sellner und andere Identitäre nicht weniger an die Verschwörung, als dass sie „Verschwörungstheorien“ und gewisse Memes der populären „conspiracy culture“ nutzen, um gezielt eine neurechte Ideologie in der Gegenkultur zu verankern.
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6.3 (R)Echter Widerstand
6.3.2 Infokrieg: „Reconquista Germanica“ DAS ALLES IST KEIN ZUFALL. DER HASS IST ORGANISIERT. ABER ER IST AUCH ERGEBNIS EINER GESPALTENEN GESELLSCHAFT. […] WAS HILFT: HINSEHEN, MITREDEN, STRATEGIEN DER TROLLE ENTLARVEN, EIGENE FEHLER EINGESTEHEN, KRITIK ZULASSEN […] (LÖSCH DICH!, ARD, 2018669
Mitte 2016 hat Martin Sellner in einer Sendung des Online-Formats Quer-denken.tv von Michael Friedrich Vogt einen Auftritt. Quer-denken.tv ist dem rechten Spektrum der „Gegenöffentlichkeit“ zuzuordnen. Obwohl Vogt vorgibt, das Rechts-Links-Muster durchbrechen zu wollen, pflegt er Verbindungen zu rechtskonspirativen Kreisen aus dem Burschenschafter-Milieu. Der Titel der Sendung lautet: „Europa wacht auf – der Widerstand gegen den ‚Großen Austausch‘“670. Die beiden Akteure scheinen sich zu kennen, doch es ist der erste (dem Autor bekannte) gemeinsame Auftritt von Vogt und Sellner innerhalb der alternativen Medienöffentlichkeit. Vogt duzt Sellner und dieser spricht von einem „Krieg von oben, der alle Völker und Kulturen […] in Europa“671 betreffe. Die Gesprächspartner sind sich weitestgehend in ihren Aussagen einig, es wird einander zugenickt, bestätigt und ergänzt. Kontroversen finden nicht statt. Die „Herrschenden haben es geschafft, obwohl sie in der absoluten Minderheit sind“, ergänzt Vogt, „ein Programm gegen die Völker in all den Ländern umzusetzen und auch stabil an der Macht zu halten […]“672, nachdem Sellner schon festgestellt hat, dass sich seiner Meinung nach Akteur*innen aus verschiedenen Bereichen der „Friedensbewegung, Ökologie“ sowie „sogenannte Verschwörungstheoretiker“ langsam beginnen aufzulehnen und „einen anderen Weg wählen.“673 Diese Aussage ist praktizierte Metapolitik. Sie ist nicht einfach nur beschreibend, deskriptiv, sondern auch beschwörend, performativ zu verstehen. Sellner weiß, ebenso wie Elsässer, um die vielfältigen dissidenten Bewegungen, beispielsweise aus der Antiglobalisierungsbewegung, die potentielle Bündnispartner*innen für sein „patriotisches Lager“ darstellen. In vielen seiner Videos von 2016 und 2017 versucht er gezielt YouTuber aus der Gaming-, „Skeptiker“- und Anti-„SJW“-Szene in seine metapolitische Strategie miteinzubeziehen. Die Memes der YouTube-Kultur und auch der „Wahrheitsbewegung“ kennt er sehr gut und weiß sie gezielt zu platzieren. Nicht nur einmal outet er sich als Beobachter des einflussreichen YouTube-Kanals von KenFM, deren Videos gegebenenfalls auch kommentiert und von Aktivist*innen aus dem IB-Spektrum gespamt werden. Während die Rede von „herrschende[n] Eliten“ bzw. „Globalisten“674 Sellner Anschlussfähigkeit an linke, anarchistische sowie libertäre Diskursmilieus in der „Wahrheitsbewegung“ ermöglicht, ist das Aufgreifen von anti-feministischen Topoi der Anti-„SJW“ etwa anschlussfähig an die männlich-markierte Gamingszene. Obwohl Sellner von vielen alten und neuen Medien der „Wahrheitsbewegung“ aufgrund seines Anti-VerschwörungstheorieDenkens und seiner rechten Ideologie abgelehnt bzw. ignoriert wird, bewerben andere „Truther“, wie etwa der YouTuber Tilman Knechtel aka
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6 Gegenöffentlichkeit(en) und Dissidenz
„TrauKeinemPromi“ oder Oliver Janich, die zugleich auch Stimmung gegen „Linke“ und „Kulturmarxisten“ innerhalb der „Wahrheitsbewegung“ machen, mehrfach Sellners Videos ebenso wie das Compact-Magazin. Zwischen Elsässer/Compact und Sellner gibt es trotz ihrer unterschiedlichen Ansichten zu „Verschwörungstheorien“ eine patriotische Kooperation. Die metapolitische Praxis, die Sellner tätigt, versteht er selbst ganz explizit als „Infokrieg“ bzw. „Infowar“. Immer wieder nutzt er den Begriff auf den verschiedenen Kanälen, auf denen er zeitweilig rund um die Uhr und unermüdlich aktiv ist: neben YouTube sind das Twitter, sein E-Mail-Verteiler und auch der Messanger-Dienst Telegram. In einem Beitrag in dem neurechten Magazin Sezession schreibt er über (s)eine Strategie: YouTube ist einer der wichtigsten Austragungsorte des Infokriegs. Wer auf YouTube dominiert, bestimmt das Lebensgefühl der Generation Z. In den USA hat die AltRight hier bereits ganze Arbeit geleistet und die Plattform mehr oder weniger nach rechts gekippt. In diesem Online-Infokrieg sind gute Videoideen oder Showformat wie Geschütze, Kanäle sind Schlachtschiffe, „Influencer“ und Persönlichkeiten sind Generäle, die ganze Armeen an Zuseher um sich sammeln. Diese Sammlung hat bereits stattgefunden.675
Genau dies, die politische Rechtswende von YouTube und anderen Social MediaPlattformen versucht er selbst über seinen Kanal – und mithilfe der Unterstützung anderer neurechter YouTuber –, indem er sich über Kommentarspalten und Videos in (meta-)politische Diskurse und Debatten einmischt, teils provokante, teils farbig-trashige Bilder, Fotomontagen und Titel nutzt und zum Nachahmen und Mitmachen auffordert. Auch Sperrungen, die Sellner zeitweise mehrfach auf verschiedenen Kanälen erfahren hat, würden den ‚politisch korrekten‘ Gegner*innen auf lange Sicht nicht gegen diese Infokrieg-Strategie helfen: Es geht darum, virale Bilder und Videos sowie vielfältige, professionelle und schlagkräftige Formate zu erzeugen, um Massen zu erreichen und sie dann in unabhängigen Netzwerken wie Servern oder Verteilern zu stabilisieren und andernorts neu zu gruppieren. Das tun neben mir auch alle anderen dissidenten Medienproduzenten. Auf lange Sicht wird das Seiten wie YouTube unter Druck setzen. Entweder sie öffnen sich für alternative Meinungen oder sie betreiben aktive Aufbauhilfe für politisch inkorrekte Konkurrenten.676
Doch es geht nicht nur um „gute Videoideen oder Showformate“, „virale Bilder und Videos“. Das ist nur die oberflächliche Seite des Infokrieges. Es gibt auch „dirty tricks“. Die konspirative ‚Unterseite‘ dieses Krieges besteht im ‚Fluten‘ von Kommentarspalten politischer Gegner*innen und „Influencer*innen“ – seien es alternative wie KenFM oder etablierte wie der vom Staatsrundfunk finanzierte YouTuber Rayk Anders. Als erstes erfahre ich im September 2017 durch Stephan Bartunek, dem Gründer der Wiener Gruppe42, von dieser Praxis. Sellner, so Bartunek, betreibe mit anderen neurechten Aktivist*innen geheime und hierarchisch-strukturierte Online-Gruppen, die konzertiert unliebsame YouTube-Kanäle
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spammen und disliken würden. Er kann es nicht beweisen. Es ist eine Verschwörungstheorie.677 Aber ich halte sie für plausibel, da ich selbst solche verdächtigen Spams schon beobachtet und dokumentiert hatte. Zulässige Mittel neben Dislikes und Provokation seien für die neurechten „Infokrieger“ Fake Accounts und Hassbotschaften. Links für das nächste Zielvideo würden von Influencer*innen wie Sellner vorgegeben und zu einem gegebenen Zeitpunkt von einer neurechten Trollmasse mit üblen Kommentaren gespammt. Unter ein KenFM-Video schreibt Sellner beispielsweise von einer „unfassbar voreingenommen[en]“ Berichterstattung. Binnen kurzer Zeit disliken ungewöhnlich viele Nutzer*innen das Video und infiltrieren die Kommentarspalten mit politisch rechten Postings.678 Das Stichwort, das für diese Art von Kampagnen bis in den leitmedialen Diskurs dringt, lautet „Reconquista Germanica“. Recherchen von ehemaligen Anti-Rechtsextremismus-Aktivisten und -Experten, wie etwa Patrick Gensing, tragen dazu bei, diese offenbar koordinierten und gezielten „Online-Attacken“ von „Rechtsradikale[n]“ einige Zeit später öffentlich zu machen.679 Der Tagessschau-„Faktenfinder“ schreibt zum Thema unter dem Titel „Infokrieg mit allen Mitteln“: Die Online-Attacken organisieren sie mit militärischer Sprache und Präzision: Rechte Aktivisten, die im Netz Politiker und Medien angreifen. […] „Mittwoch - 20 Uhr in der Haupthalle erscheinen!!“ – so lautet der virtuelle Befehl von „Lui Tagel“. Adressiert hat der „Offizier der Heeresgruppe Ost“ diese Anweisung im Internet über die Chat-Plattform Discord an die Mitglieder der Gruppe Reconquista Germanica. Hier sind Hunderte Netzaktivisten unterwegs – streng sortiert nach Hierarchien: Oberbefehlshaber, Generäle, Offiziere, Gefreite und Rekruten.680
Weiter heißt es in dem vielfach zitierten Bericht von Anfang 2018: Reconquista Germanica ist eine virtuelle Trollfabrik, die bereits im Wahlkampf die AfD unterstützte. Sich selbst bezeichnet RG als satirisches Projekt von Gamern. Tatsächlich koordinieren Rechtsradikale hier gezielte Online-Attacken. Im „Nachrichtenzentrum“ sammeln sie Presseberichte. In einer anderen Untergruppe produzieren sie täglich Dutzende von sogenannten Memes; manipulierte Fotos oder kurze Bildsequenzen, die über die sozialen Netzwerke ausgespielt werden, um Stimmung zu machen. Zumeist richten sich die Memes gegen Angela Merkel, Flüchtlinge oder etablierte Medien.
Auch von einem im Netz kursierenden „Handbuch für Medienguerillas“ ist in diesem Kontext die Rede. Aus diesem wird zitiert: „Folge/Like die Accounts (bzw. infiltriere Foren) von allen Parteien“, besonders im Fokus stünden die „Grünen“, aber auch Feministinnen, Regierungslakaien wie Till Schweiger oder Böhmermann und sämtlicher Propaganda-Regierungspresse, wie ARD, ZDF, Spiegel und dem Rest der Fake-News-Mischpoke. Und selbstverständlich den Zensur-Schreibtischtätern Correctiv und Amadeu-Antonio-Stiftung.681
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Im April 2018 veröffentlicht der YouTuber Rayk Anders die von ihm mitproduzierte Dokumentation „Lösch Dich! So organisiert ist der Hate im Netz“. Hier werden die von Gensing zuvor enthüllten Informationen in einer Filmdokumentation verarbeitet, die für ein jüngeres Publikum gemacht und im Stil von typischen Enthüllungs-Reportagen aufbereitet ist. Anders, der u. a. auch Protagonist der antiverschwörungstheoretischen Doku „Leben im Wahn“ ist (Kap. 5.2.1), deckt in dieser Doku quasi eine Verschwörung der Rechten auf. Im Plot dieser Doku bleibt Anders, der zu einer Hassfigur der Rechten geworden ist, im Hintergrund. Stattdessen begibt sich ein junges Team aus Hacker*innen, YouTuber*innen und Journalist*innen auf Spurensuche und vollbringt es, auf dem dramatisch inszenierten Höhepunkt des Films, den neu-rechten „Reconquista“-Server zu infiltrieren. Aufgrund seiner dramatischen Machart und behaupteter Falschdarstellungen erntet die Dokumentation auch negatives Feedback (nicht nur) in der (neurechten) YouTubeCommunity und wird selbst wieder einem Shitstorm ausgesetzt sein. Wie auch immer die Einzelheiten zu bewerten sind: Die Doku „Lösch Dich!“ zeigt plausibel auf, dass es einen rechten Infokrieg gibt, der teils mit konspirativen Mitteln geführt und durch Influencer wie Martin Sellner – wenn schon nicht orchestriert, so mindestens – propagiert und lanciert wird. Die Doku kann als ein weiteres Beispiel für investigatives Verschwörungsdenken im Diskurs öffentlich-rechtlicher Medien gelten. Aufgrund der Relevanzen dieses Diskurses, die u. a. im „Kampf gegen Rechts“ zu finden sind, werden solche oder ähnliche Verschwörungen, z. B. die vermeintliche Verschwörung von Putin und Trump (Kap. 5), adressiert, während andere Konspirationen im digitalen Infokrieg, wie etwa die klandestinen OnlineAktivitäten und „dirty tricks“ britischer 682(vgl. Kap. 7) oder israelischer683 Geheimdienste, unthematisiert und damit geschützt bleiben, ebenso wie die klandestinen Aktivitäten in der Wikipedia (Kap. 5.5.3). Das Wissen von Verschwörungen in der „Gegenöffentlichkeit“ ist nur durch eine kritische Beobachtung des „Mainstream“ zu bekommen, wie spiegelbildlich jenes der Konspirationen des „Mainstream“ (Kap. 5.2) erst in der medialen Differenz einer „Gegenöffentlichkeit“ und deren Diskursen und Deutungsmustern sichtbar wird.
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6.4 Der „Macher“: KenFM
6.4 Der „Macher“: KenFM WIR MÜSSEN UNS DIE FRAGE STELLEN: „WARUM GEHORSAM?“ (KEN JEBSEN, NUOVISO.TV, 2018684)
BIN
ICH
SO
WENN JEMAND, DER EIN SYSTEM KRITISIERT […] DAS IM AUSLAND TUT, DANN WIRD DER HIER GEFEIERT ALS DISSIDENT […], WENN ABER JEMAND IM SYSTEM EIN SYSTEM KRITISIERT, DANN IST ES GLEICH EIN VERSCHWÖRUNGSTHEORETIKER. (KEN JEBSEN, KENFM, 2019685)
Es ist eine kühle Februarnacht in Berlin-Mitte, nähe Spittelmarkt. Hinter der verglasten Fassade des Gebäudes, in dem die Filmpremiere stattfindet, scheinen uns die Lichter von Kronleuchtern entgegen. Dennis und ich sind noch etwa 200 Meter entfernt. Als wir wenige Schritte vor dem durch zwei chinesische Wächter-Löwen aus Stein besäumten Eingang stehen, erkennen wir neben diversen Gästen noch zwei ganz andere Wächter: breitarmige Türsteher mit kahlen Köpfen in schwarzen Anzügen. „Soso“, denke ich mir. Der Film, der hier heute uraufgeführt wird, ist kein Hollywood-Streifen. Aber denkbar spannend. Es ist ein Streitgespräch. Es debattieren der Gründer der „Wehrsportgruppe Hoffmann“, Karl-Heinz Hoffmann und der Historiker Daniele Ganser über ungeklärte Fragen des Oktoberfest-Attentats und mögliche Verbindungen zu „Gladio“-Stay-Behind-Armeen. Moderiert wird das Gespräch von Jürgen Elsässer und präsentiert von dessen Compact-Magazin. „Antifa“ und Jutta Ditfurth haben angeblich zu Stör-Aktionen aufgerufen, daher die Schutzmaßnahmen. Die Stimmung vor dem Hotelgebäude ist gereizt. Nur Männer hier, vorwiegend ältere. Und eine der Frauen, die entschieden hat, hier heute nicht dabei zu sein, ist meine Freundin. Gut, dass sie nicht dabei ist, denke ich, sie hätte sich in ihren Vorurteilen bestätigt gefühlt. Ich komme ins Grübeln, ob ich da wirklich hinein will. Aber schließlich habe ich die Karten schon bezahlt. Plötzlich schneidet uns ein dunkelhaariger Typ in schwarzer Lederjacke und festem Schuhwerk von rechts und geht an uns durch den Eingang vorbei – aber nicht ohne freundlich und grinsend zu grüßen: „Hi!“. Er scheint es eilig zu haben und Sonderstatus zu genießen, wird von den Gorillas gleich durchgelassen, verschwindet ins Innere. „Das ist Ken Jebsen!“, meint Dennis mit hochgezogenen Mundwinkeln und seinen charakteristischen leuchtenden Augen, „ein netter Typ.“ Er scheint ihn zu kennen. Dann erzählt er mir, dass er ihn schon einmal irgendwo in Berlin getroffen habe und dabei auch einen netten Smalltalk mit ihm gehabt hätte. Ich sehe Jebsen zum ersten Mal außerhalb des Bildschirms. Ein paar seiner Videos erinnere ich dunkel: Er spricht immer so schnell, so viel, so verwirrend und so zornig. Der KenFM-Moderator war für mich bislang vor allem eine ambivalente Figur, die ich nicht lange am Stück ertragen konnte. Doch ich vertraue Dennis. Wenn es jemanden gibt, der das Gute im Menschen sehen kann, dann ist es Dennis. Wir passieren die Kontrollen und begeben uns ins Gebäude.
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Die Aufführung findet in einem der oberen Stockwerke statt. Auch hier: viele Männer, jüngere und ältere. Irgendwo, abseits, ohne Kontakt zu suchen, hat sich auch Ken Jebsen hingesetzt. Jürgen Elsässer ist nicht da. Dafür ein anderer Mitarbeiter von Compact: Er heißt Kai Homilius und moderiert den Film an und kommentiert ihn am Ende. Das Gespräch ist spannend. Für Ganser wird es ein weiterer Stolperstein in seiner „Karriere“ als „Verschwörungstheoretiker“686. Der Wahrheit hat das Gespräch die Anwesenden nicht nähergebracht. Homilius äußert Skepsis gegenüber Hoffmanns Aussagen. Das Publikum schweigt, Fragen werden nicht gestellt. Auch der sonst so redefreudige Ken Jebsen meldet sich an diesem Abend nicht zu Wort. Und die Antifa schaut auch nicht mehr vorbei. Es ist der 20. Februar 2014. Die „Montagsmahnwachen“ für den Frieden haben noch nicht begonnen. Knapp einen Monat später veröffentlicht KenFM das (Streit-)Gespräch zwischen Jebsen und Elsässer zum Thema „Feindbild Familie“687, das einen ersten öffentlichen Riss zwischen den beiden Medienmachern darstellt, der die „Gegenöffentlichkeit“ nachhaltig polarisieren und weiter spalten wird. 6.4.1 Multiplikator KenFM ist neben NuoViso.tv das bekannteste und klickstärkste Medium der deutschsprachigen wahrheitsbewegten „Gegenöffentlichkeit“ – abgesehen vom russischen Sender RT Deutsch.688 Gründer und Gesicht vor der Kamera ist Ken Jebsen. Jebsen ist ehemaliger RBB-Radiomoderator und heute – Medienunternehmer. Die KenFM-Redaktion, der mehrere festangestellte Mitarbeiter*innen und freie Autor*innen angehören, vernetzen Akteur*innen und Themen innerhalb der „Gegenöffentlichkeit“ und multiplizieren Wissen vor allem über YouTube mit einer Professionalität und Reichweite wie, RT Deutsch ausgenommen, kein zweites Medium in diesem Feld.689 Immer wieder erfahren KenFM bzw. Jebsen auch in der leitmedialen Öffentlichkeit Resonanz bzw. Dissonanz. Ken Jebsen wird, neben anderen Zuschreibungen, vor allem die des „Verschwörungstheoretikers“ zuteil. U. a. geriet Jebsen in die Schlagzeilen, als ihm im Berliner Babylon-Kino der alternative Karlspreis verliehen werden sollte. Gegner*innen machten Druck. Weil das Babylon von der Stadt Berlin unterstützt wird, intervenierte der Linke-Senator Klaus Lederer in dieser Causa. Innerhalb der Partei kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Jebsen-Gegner*innen und Unterstützer*innen. Die Preisverleihung fand nicht wie geplant statt. Der Tagesspiegel titelte unter dem Header „Querfront“: „Preisverleihung an Verschwörungstheoretiker Ken Jebsen geplatzt“690. Wie Ganser, ist Ken Jebsen für viele eine Identifikationsfigur der „Gegenöffentlichkeit“. Kritik, die Jebsen mit Antisemitismus in Verbindung bringt, bestärkt viele seiner „Fans“691 (vgl. Kap. 6.2). Wie Ganser steht Jebsen unter ständiger Beobachtung seiner Kritiker*innen. Er hat einen Psiram-Eintrag und ein Watchblog ist nach KenFM benannt: „GenFM“. Für viele Gegner*innen ist er,
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ähnlich wie Daniele Ganser (Kap. 5.4.1) eine Reiz- und Hassfigur. Anders als bei Ganser ist in der Kommunikation von Ken Jebsen eine Spannung deutlich spürbar. Ganser spricht langsam und gelassen, Jebsen schnell und angespannt. Jebsens Fähigkeit ist es, in kurzer Zeit viele Informationen zu vermitteln. Ein Großteil der KenFM-Kommunikation verläuft über YouTube, wobei die YouTube-Inhalte, neben anderen Inhalten, über Twitter beworben werden. Das Portal ist „crowdfinanziert“, d. h. KenFM finanziert sich durch (Einmal-)Spenden oder Abonnements. Das erzeugt einen gewissen Druck, die Bedürfnisse der Community – primär erfassbar durch das Feedback von Klickzahlen und Kommentarspalten –, zu ‚befriedigen‘ und regelmäßig neuen Content zu generieren. Aufmerksamkeitsökonomisch ist KenFM professionell aufbereitet und zielt weniger als andere Portale oder YouTuber auf spontane Clickbaits als auf durchdachte Kampagnen und stabile Formate. Während der „Montagsmahnwachen“ 2014/15 wurde das Portal und Jebsen zu einem zentralen Akteur und Profiteur. Das gleiche wiederholt sich während der Corona-Krise 2020, in welcher KenFM, neben dem Magazin Rubikon, einer der wichtigsten Multiplikatoren einer sich mobilisierenden „Gegenöffentlichkeit“ und der „Hygiene-Demos“ wird. Dabei ergibt sich aus der Sicht der Demonstrations-Organisator*innen und der Medien wie KenFM oder Rubikon eine Win/Win-Situation: Das Portal liefert aktuelle Inhalte, hält so die Abo-Zahlen stabil und erreicht dadurch wiederum mehr Menschen, die potentielle Demo-Besucher*innen sind bzw. wird durch die Präsenz ‚auf der Straße‘ auch bei anderen Zielgruppen bekannt. Eine wichtige Funktion von KenFM (in gleicher Weise wie Russia Today) in der „Gegenöffentlichkeit“ ist es, durch das Interviewen von Gegen-„Experten“ zu einem Thema sowohl schnell als auch breit marginalisiertes Wissen zu multiplizieren. Auch dies zeigt sich sehr deutlich während der CoronaKrise 2020. Hier wurden Mediziner*innen und Fachleute interviewt, die in der leitmedialen Öffentlichkeit kritisiert werden oder nicht präsent sind. Täglich gibt es mit der KenFM-„Tagesdosis“ einen als Text und Audio gesprochenen GastKommentar zu einem aktuellen Thema.
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6 Gegenöffentlichkeit(en) und Dissidenz
Abbildung 53: Einige Formate im YouTube-Kanal von KenFM (Quelle: YouTube/KenFM).
Mehrfach trat Mathias Bröckers bei KenFM auf, ebenso Daniele Ganser, Gerhard Wisnewski oder Dirk Pohlmann. Aber auch über diese „Gegenöffentlichkeit“ hinaus bekannte Personen, die vor allem dem linken Milieu zuzuordnen sind, wie Daniela Dahn, Rita Süßmuth, Diether Dehm, Hans-Jürgen Krysmanski oder Jean Ziegler, finden bei KenFM in den Jahren 2014–2018 ein Publikum. Später dann interviewte KenFM auch AfD-Politiker wie Christian Blex oder den libertären Markus Krall. Im Format „BLVD“ sind Promis wie Jan Ullrich, Micaela Schäfer oder Detlef D. Soost zu Gast. Viele der geladenen Gäste sind Buchautor*innen und ein signifikanter Teil davon veröffentlicht im Westend-Verlag und präsentiert regelmäßig Bücher bei KenFM. In anderen Formaten kommen unbekanntere Aktivist*innen zu Wort. So etwa, wenn Jebsen „am Set“ ist oder Menschen, sogenannte „Macher“, d. h. Personen, die auf verschiedene Weise gesellschaftlich aktiv werden, interviewt. In der Sendung „Positionen“, einer aufwendigen Talkrunde mit Live-Publikum, werden Themen mit bis zu vier Gästen ausführlich zwischen 1–3 Stunden lang diskutiert. Meist teilen die Gäste eine ähnliche dissidente Einstellung, vertreten aber innerhalb dieses Anti-„Mainstream“-Konsens verschiedene Positionen. Die Themen von KenFM reichen von (Geo-)Politik, Medien- und Eliten-Kritik über Kritik am Geldsystem oder Kapitalismus bis hin zu Themenbereichen von Ökologie („tree.tv“), Lebensfragen oder Gesundheit, Psychologie und Spiritualität („Der freie Fall“, „M-Pathie“). Im Fokus von politischen Sendungen steht, wie bei Ganser, oft das „Imperium USA“, aber auch die Kritik am Staat Israel oder der Bundesregierung. Ein regelmäßiger Autor des „Tagesdosis“-Formats ist der ehemalige Stasi-Agent und NATO-Kritiker Rainer Rupp. Kritik der offiziellen 9/11-Verschwörungstheorie ist, wie in vielen anderen alternativen Medien ein wichtiger Topos. Russland- oder Chinakritik gibt es faktisch nicht.
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6.4.2 Positionen […] dass Ken so geworden ist, wie er geworden ist, das haben sich auch die Linken auf den Zettel zu schreiben […]. (Pedram Shahyar, Kommon, 8. Mai 2020692)
Die Positionierung in der Flüchtlingskrise (z. B. „Griechenland-Nothilfe“), gegen Krieg, gegen Kapitalismus und Neoliberalismus ließe KenFM, ähnlich wie die Nachdenkseiten, im linkspolitischen und antiimperialistischen Spektrum der „Gegenöffentlichkeit“ verorten. Zwei Akteure, die KenFM nachhaltig in ihrer politischen Ausrichtung prägten, sind Pedram Shahyar und Prinz Chaos II. aka Florian Kirner. Beide sind langjährige linke Aktivisten und kooperierten seit den „Mahnwachen“ mit KenFM, wendeten sich jedoch später von dem Portal vor allem politisch ab.693 Während Kirner mehrere Auftritte in verschiedenen KenFM-Formaten hatte, moderierte Shahyar 18 Episoden der 30-minütigen 1on1-Talk-Sendung „Der rote Tisch“694. Immer wieder traten prominente libertäre oder konservative Autoren wie Markus Krall oder Max Otte bei KenFM auf. Entsprechend der Typik der „Gegenöffentlichkeit“ betont Jebsen weder links noch rechts sein zu wollen. Aufmerksamkeitsökonomisch ist diese Offenheit notwendig, um ein möglichst breites Pubblikum anzusprechen. Den Kommentaren zufolge hat KenFM Zuschauer*innen aus allen politischen Richtungen von ganz rechts, über liberal, gemäßigt bis ganz links. Polarisierende Themen wie Flüchtlings- und Einwanderungspolitik, Klima-, Wirtschafts- oder Rüstungspolitik spalten nicht nur die gesellschaftliche Debatte, sondern auch das KenFM-Publikum. Seit Frühjahr 2014, als KenFM durch die „Montagsmahnwachen“-Berichterstattung einem breiten Publikum bekannt wurde, zählt sich der Sender zur „Neuen Friedensbewegung“. Mehrfach wird seit 2015 für die jährliche „Stopp Ramstein“-Kampagne und das daran angeschlossene „Friedenscamp“ geworben, ebenso wie für das Friedensfestival „Pax Terra Musica“. Die politische Positionierung ist, wie erwähnt, nahe an politisch linken Positionen. Dennoch oszilliert Ken Jebsen zwischen den politischen Polen hin und her. 2015 positionierte KenFM sich beispielsweise eher pro Einwanderungspolitik. Dies führte zu Shitstorms rechter Nutzer*innen, wobei diese wohl teils orchestrierte Infokriegs-Kampagnen waren (vgl. Kap. 6.3.2). Seit 2019/20 und vor allem auch während der Corona-Krise wird KenFM von vielen politischlinken YouTuber*innen und Nutzer*innen wegen eines vorgeblichen Rechtsrucks kritisiert. Im Fall der „Hygienedemos“ ab März 2020 wird auch der „Querfront“und „Verschwörungstheorie“-Vorwurf (vgl. Schink 2016a) wieder laut. Am Deutungskampf um die politische Ausrichtung von KenFM zeigt sich die Bedeutung des Senders (nicht nur) in der „Gegenöffentlichkeit“. Und so liegt es nahe, dass Ken Jebsen auch in anderen alternativen Medien regelmäßig zu Wort kommt und andere alternative Medien(akteur*innen) immer wieder bei KenFM auftreten. Zum politisch-ideologischen Netzwerk rund um KenFM gehören etwa RT Deutsch, NuoViso.tv, Nachdenkseiten, Rubikon, Gruppe42 oder Mainz FreeTV. Diese Netzwerk- und Community-Bildung ist vor
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allem in ‚Krisenzeiten‘ oder im Falle gesellschaftlicher Großereignisse oder „deep events“ (Ukraine-Krise, Flüchtlingskrise, Corona-Krise), in denen sich die leitmediale Berichterstattung in der Regel durch Gleichförmigkeit auszeichnet (vgl. Kap. 5.2), stärker durch ein ‚Wir‘-gegen-‚Die‘-Gefühl miteinander verbunden und zugleich in vielen Einzelfragen wiederum innerlich ausdifferenziert. 6.4.3 Die Maske des Joker [E]ntweder hält man mich […] für ein arrogantes Arschloch oder ist interessiert. […] Dazwischen gibt es wenig.“ Ich habe „immer Leute hinter mir gehabt, die sich mit dem, was ich mache, insofern identifiziert haben, dass ich oftmals getan habe, was sie sich nicht trauten. Ich habe stellvertretend für sie rebelliert. (Ken Jebsen, 2016695) […] ich war immer schon merkwürdig […]. (Ken Jebsen im Gespräch mit Julia Szarvasy, 2020696)
Während des Zeitraums dieser Untersuchung entwickle ich ein besonderes Verhältnis zum Portal KenFM und seinem „Macher“ Ken Jebsen. Noch Anfang 2014 finde ich das Auftreten von Ken Jebsen, seine ruhelose, sich überschlagende Sprache, anstrengend und nervig. Nicht erst durch den Beginn meiner ethnographischen Forschung ab Oktober 2014 beginne ich intensiv den KenFM-Kanal zu beobachten. Schon mit dem Aufkommen der „Montagsmahnwachen für den Frieden“, die ich persönlich für eine interessante Protestbewegung ‚von unten‘ halte, wird auch KenFM für mich interessant. Ich finde sehr viele informative Inhalte auf diesem Kanal. Hier kommen Menschen wie Hans-Jürgen Krysmanski, Jürgen Roth oder auch Josef Foschepoth über ein bis zwei Stunden ungeschnitten zu Wort. Gespräche, von einer ästhetischen und inhaltlichen Qualität – der Gast darf aussprechen und persönlich werden –, die ich sonst nirgends finde. Ich bin in der Phase von 2014 bis 2018 immer auf dem Laufenden über aktuelle KenFM-Videos, speichere viele, transkribiere sie teilweise und fertige Memos an. Zwei Mal versuche ich Zugang für eine Feldforschung vor Ort im KenFM-Studio zu bekommen, doch ich kriege keine Antwort. Nach außen hin trage ich dabei meist die Maske des Ethnographen: ‚Ich muss das anschauen, das gehört zu meinem Job‘. Eigentlich aber identifiziere ich mich mehr und mehr auch mit diesem Kanal und seinem „Macher“. Doch davon erfahren nur die wenigsten. Und auch mir selbst wird dies erst sehr spät bewusst. Doch womit habe ich mich die längste Zeit identifiziert? Da könnte als erstes sein: Ken Jebsen, der Fremde, der Halb-Deutsche. Einer, der eine Vergangenheit hat wie ich und niemals angekommen ist in diesem System. Einer, der seinen Namen wechseln musste, weil er nicht der Ausländer sein wollte. Hier ist auch die Verbindung zum „Verschwörungstheoretiker“, der aneckt mit seinen Thesen, der widerspricht – weil er nicht anders kann: der „komische Vogel“, der „advocatus diaboli“. Zweitens ist es wohl Ken Jebsen der Aktivist und
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„Macher“ – jemand, der nicht nur redet, sondern tätig wird –, der mich an dieser Figur reizt. Wollte ich nicht auch noch mehr ein „Macher“ sein? Kein Theoretiker, sondern ein Praktiker? Bin ich damit gescheitert? „Rebelliert Jebsen „stellvertretend“ für mich? Dabei stelle ich mir die Frage: Mit wem identifiziere ich mich da? Wer ist „Ken Jebsen“? Den letzten Schlüssel einer Lesart, die für mich die Bande zwischen mir und „Ken Jebsen“ entziffern könnte, finde ich, als diese Arbeit eigentlich schon beendet ist, in einem Videogespräch mit zweien seiner ehemaligen Mitstreiter. Pedram Shahyar spricht von „traumatischen Erfahrungen“, die Jebsen innerhalb der politischen Linken mehrfach gemacht habe und die ihn weiter ins bürgerliche und rechte Lager getrieben hätten. 697 Ich selbst kenne solche Enttäuschungen aus einer linken Hochschulgruppe, in der ich – auch wegen „Verschwörungstheorien“ – als „ideologisch problematisch“ abgekanzelt wurde. Dies hatte mich als junger Student sehr verletzt und vom politischen Aktivismus wieder entfremdet. Hatten diese Erfahrungen traumatischen Charakter? Vielleicht. Empfand ich durch die Arbeit von Ken Jebsen eine ideologische Rehabilitierung, in der orthodoxe linke, vor allem anti-verschwörungstheoretische, Denkmuster überwunden wurden? Sehr wahrscheinlich. Die Frage aber, wer „Ken Jebsen“ wirklich ist, bleibt mir bis zuletzt rätselhaft. 2020 während der Corona-Krise wird ein Video von ihm, maskiert als „Joker“ virulent gehen, in welchem er, wie ein Wahnsinniger, vor einer nahenden globalen Corona-Diktatur, initiiert durch Bill Gates, warnt. Das Video polarisiert. Es sorgt für Kritik und Enttäuschung bei einigen KenFM-Befürworter*innen, vor allem im politisch-linken alternativen Medienspektrum. Gleichzeitig beschert es dem Kanal Aufmerksamkeit und Zustimmung von einem anderen Publikum. Das „Joker“-Face ist ein Meme. Schon Alex Jones hatte 2009 als „Joker“ geschminkt gegen die globalen Eliten und die Obama-Regierung gewettert.698 Eine Synchronizität? Eine Koinzidenz? Eine Anspielung? Jebsen sagt in einem Nachfolge-Video, er sei „Schauspieler“, der Joker nur eine Rolle, in die er geschlüpft sei, um die Menschen endlich aufzuwecken. Er nutze den „Joker“ lediglich, um der Bevölkerung den zur Normalität gewordenen „Wahnsinn“ des Corona-Lockdowns vor Augen zu führen. Er kritisiert die soziale Isolation und die Maskenpflicht. Ich versuche mal eine gewagte Übertragung: Tut er das, weil er selbst isoliert ist, eine Maske trägt? Paradoxerweise lautet der Titel des Videos „Gesicht zeigen!“ Die Frage bleibt also: Wer ist „Ken Jebsen“? 6.5 Fernsehen als Kontrafakt TELEVISION IS NOT THE TRUTH. TELEVISION’S A GODDAMN AMUSEMENT PARK. TELEVISION IS A CIRCUS, A CARNIVAL, A TRAVELING TROUPE OF ACROBATS, STORYTELLERS, DANCERS, SINGERS, JUGGLERS, SIDESHOW FREAKS, LION TAMERS AND FOOTBALL PLAYERS. WE’RE IN THE BOREDOMKILLING BUSINESS. WE DEAL IN ILLUSIONS, MAN. NONE OF IT IS TRUE! […]
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THIS IS MASS MADNESS, YOU MANIACS! IN GOD’S NAME, YOU PEOPLE ARE THE REAL THING. WE ARE THE ILLUSION! (HOWARD BEALE, NETWORK, 1976699)
Spiegelbildlich zur Deutung des Internets als ein revolutionäres Medium der Befreiung und Demokratie wird das Fernsehen in der „Gegenöffentlichkeit“ als Medium der Unterdrückung, Manipulation und Täuschung gedeutet. Nicht selten wird auch dies in Zusammenhang mit dem Aufwachen (Kap. 7.3) in Bezug auf die Terroranschläge des 11. September 2001 oder anderen „Lügen“ narrativ in einen Zusammenhang gebracht. In der Netzkultur bilden sich insofern bestimmte Deutungsmuster und Memes, die die Minderwertigkeit des Mediums Fernsehen adressieren. Eines davon zeigt einen Clip von der Filmfigur Howard Beale, in einem Ausschnitt aus dem Film Network von 1976 (Eingangszitat). Der Ausschnitt ist als Video- und/oder Audioszene in viele YouTube-Amateurproduktionen hineingeschnitten und wird zur Illustration der fernsehkritischen Ideologie verwendet. So etwa in einem Musikvideo des Truthrappers Kilez More, welches den Titel „TV Totale Verblödung“ trägt und zugleich eine Anspielung auf die bekannte deutsche Fernsehshow „TV Total“ (1999–2015) ist (Kap. 6.7). Beale bezeichnet in seiner fiktiven Ansprache das Fernsehen als hedonistische Illusion, durch die das angesprochene Publikum manipuliert würde. Oliver Bommer, Aktivist und Übersetzer der 9/11-Wahrheitsbewegung (Kap. 6.1.1) sagt über sein Aufwach-Erlebnis: Ich muss mich eigentlich nochmal entschuldigen, dass ich […] fünf Jahre die offizielle Theorie geglaubt habe; ich war naiv, ich habe Fernsehen geguckt – den hatte ich damals noch, habe ich danach rausgeschmissen ((lacht)) –, wofür? Wenn da nur Lügen kommen, dann kann man sich das auch sparen [...] (Oliver Bommer, TheFalseFlag, 2017700)
Das Motiv der Fernseh-Zerstörung nutzt auch ein Aktivist namens „Cyberphilosoph“ in einem Video auf YouTube mit dem Titel „Mein Weg aus der MATRIX – Danke, Dr. Daniele Ganser!“. Im Vorspann ist eine kurze Slow Motion-Video-Sequenz zu sehen, in welcher ein am Unterarm tätowierter vollbärtiger Mann mit schwarzem Oberteil und zornigem Gesichtsausdruck gerade dabei ist, seinen Flachbild-Fernseher mit einer Spitzhacke zu zertrümmern. Im anschließenden etwa 50-minütigem Video offenbart der vorgebliche Gymnasiallehrer, wie ihn Daniele Ganser und KenFM „aus der Matrix“ der „öffentliche[n] Medien“ geholt hätten.701 Der sich als kritischer und skeptischer Denker darstellende „Cyberphilosoph“ meint in der dazugehörigen Videobeschreibung: In den letzten Wochen habe ich mich intensiv mit Manipulation durch öffentliche Medien beschäftigt, insb. durch die so genannten Leitmedien. Ich begab mich auf eine Abenteuerreise und war streckenweise extrem verunsichert. Letzte Gewissheit, mich in Zukunft deutlich mehr über „alternative Medien“ zu informieren, gab mir ein Vortrag von Dr. Daniele Ganser.
6.5 Fernsehen als Kontrafakt
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Unter der Beschreibung wird eine Reihe von YouTube-Links aufgeführt, zu Sendungen, die den Protagonisten von der ‚anderen Realität‘ der Massenmedien überzeugt hätten. Dort befindet sich neben Vorträgen und Gesprächen des InternetSenders KenFM, auch der Wikipedia-kritische Film von Markus Fiedler „Die dunkle Seite der Wikipedia“ (Kap. 5.5.3) wie auch die Scobel-Sendung „Mythos Verschwörung“ (Kap. 5.2.1). Das Video hat über 129.000 Klicks und 3.322 zu 239 likes/dislikes702 und in den Kommentaren wird über persönliche Prozesse des Aufwachens diskutiert. Die Zerstörung des Fernsehers als ein Akt der Befreiung ist ein Topos der alternativen Internet-Gemeinde, das vor allem dort auftaucht, wo es um Verschwörungen und „Verschwörungstheorien“ geht. Manche Video-Kommentare greifen dieses Meme auf. Etwa der/die User*in „Doris Will“: Meinen Fernseher hab ich sterben lassen im Rahmen der Ukraine Krise. So viele offensichtliche Lügen bei den ÖR hätte ich mir niemals vorstellen können. Sind jetzt über 3 Jahre her und mir fehlt nichts. Das war ich meinem Gehirn schuldig.
An dieser Stelle zeigt sich, wie tief das Medium Internet sowohl mit der Gegenkultur des Verschwörungsdenkens wie auch spiegelbildlich mit der Kritik der ‚alten‘ Medien, insbesondere des Fernsehens verbunden ist. Der Fernseher steht für die Täuschung der Massen, vor allem durch die Verbreitung von (Kriegs-)Lügen und einseitige Berichterstattung durch die „Konzernmedien“703. Doch auch die öffentlich-rechtlichen Medien kommen in den Diskursen der „Gegenöffentlichkeit“ nicht gut weg. Wir haben in Kapitel 5.2 gesehen, dass ein Grund dafür das vorherrschende anti-verschwörungstheoretische Deutungsmuster ist, das den professionellen Leit-Journalismus prägt. In der Fernsehkritik schwingt vor allem Systemkritik mit: Das Fernsehen gilt als hierarchisches Medium einer alten Generation. Es steht auf der einen Seite für bezahlten, politisch-ökonomisch kontrollierten und ‚unfreien‘ Journalismus. Andererseits steht es für die Welt des Scheins, der Inszenierung, Täuschung und damit einer falschen Wirklichkeit. Im Songtext „TV Totale Verblödung“ von Kilez More wird dementsprechend verlautbart704: Sag mir, was willst du mit der Scheiße im TV Dort sind nur Hungerhaken oder grausig schreiende Teenies N Haufen Desinformation n pralles Weib im Bikini Wo man live einen Krieg sieht oder die hinreißende Jeannie Silvester fightet mit Tweety jemand zerteilt eine Kiwi Überall Desinformation oder pfeifende Schiris Einer wird Millionär, während man ne Streife im Dienst sieht Und dann noch Desinformation, verdammt ich scheiße aufs TV
Viele der bekannten Akteur*innen und Medienmacher*innen der „Gegenöffentlichkeit“ haben selbst eine Vergangenheit beim Fernsehen. So etwa Frank Höfer von NuoViso.tv, Robert Fleischer von Exopolitik oder Bodo Schickentanz, der den YouTube-Kanal Mainz FreeTV betreibt und scheinbar wegen dieser Tätigkeit seine Anstellung als Grafiker beim ZDF und 3Sat verlor. Wie ernst es manche
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6 Gegenöffentlichkeit(en) und Dissidenz
YouTuber*innnen und Aktivist*innen mit der Kontraposition zum „Mainstream“ nehmen, zeigt sich, als bekannt wird, dass ein Mitarbeiter des Alternativsenders NuoViso.tv u. a. Beiträge für das ZDF produzierte, während er parallel schon lange für die alternativen Medien arbeitete. 705 Von „Verrat“ war in diesem Fall die Rede.
Abbildung 54: Das (Schlaf-)Schaf vor dem Fernseher schaut den konservativen US-Sender FoxNews (Quelle: alles-schall-und-rauch.blogspot.com).
Auch der Journalist Dirk Pohlmann (Kap. 5.5.3 und 6.8) hat jahrelang Filme für arte und ZDF gemacht. Heute arbeitet er für die alternativen Medien und sieht sich dort „seit langer Zeit mal wieder richtig als Journalist“706 und empfindet seine Arbeit als „deutlich freier als das, was ich vorher kennen gelernt habe“707. Die prominenteste Fernseh-Dissidentin ist die ehemaligen Tagesschau-Moderatorin Eva Herman. Mit ihren Aussagen über Feminismus und die NS-Zeit polarisierte sie und arbeitete danach unter anderem für den KOPP-Verlag als Moderatorin alternativer Nachrichten. Auch die ehemalige MDR-Moderatorin Katrin Huß findet nach ihrem Ausstieg im TV bei NuoViso.tv eine neue Beschäftigung. Nicht jeder Wechsel wird von einem Entlarvungs-Buch begleitet, wie bei Huß. Die Journalistin behauptet, sie habe den MDR auch verlassen, weil von ihr gefordert wurde „politisch einzugreifen“, statt Gäste erzählen zu lassen. Der Sender weist dies zurück.708 In der „Gegenöffentlichkeit“ bestätigen Fälle wie die von Huß die eigene medienpolitische Kontraposition und verstärken im Extremfall „Lügenpresse“Rufe.709
6.6 „Mehr sehen als anderswo“
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6.6 „Mehr sehen als anderswo“ ICH BIN NICHT DAVON AUSGEGANGEN, DASS ICH DA JETZT […] ZU SO ‘NEM EINZELLEUCHTTURM WERDE, DER VON ALLEN ANDEREN FÜR IRRE ERKLÄRT WIRD […], HAB ICH NICHT GEDACHT, HAB GEDACHT DAS SEHEN DOCH DIE ANDEREN AUCH (MATHIAS BRÖCKERS, INTERVIEW, 2015710) ALMOST EVERY ARCHITECT AND ENGINEER THAT WE TALK TO, AFTER LOOKING AT THE EVIDENCE – AND MANY WON‘T – […] THEY AGREE WITH US (RICHARD GAGE, FACE TO FACE, 2012711)
Mehrfach wurde darauf hingewiesen, dass die Metaphorik des Sehens bzw. der (Un-)Sichtbarkeit der Verschwörung neben anderen ein charakteristisches Merkmal der Sprache und Bildästhetik des beforschten Feldes und seiner Diskurse ist. Das Auge in der Pyramide repräsentiert in diesem Diskurs nicht nur die „Illuminati“ (vgl. Abb. 62), es steht für das Sehen und Zeigen bzw. Gesehen-Werden – und damit zugleich auch für Überwachung und Kontrolle. Auch die nicht-alternative, sondern elitäre Konspirationskultur nutzt diese Zeichen (vgl. Abb. 22). Wir gehen insofern auch davon aus, dass die herausragende Bedeutung des semantischen Feldes von Auge/Sehen/Zeigen, kulturanthropologisch als erstes in der „Vormachtstellung des Auges“ innerhalb der Sinnenhierarchie (Raab/Soeffner 2004: 256) begründet ist und es zweitens durch die moderne Mediatisierung „zu einer zusätzlichen kulturellen Verfeinerung und Überhöhung der visuellen Wahrnehmung kommt“ (ebd.: 254). Praktiken des Sehens sind immer intentional, d. h., sie hängen auch mit bestimmten Dispositionen und Sehgewohnheiten zusammen, die wir kultivieren (Goodwin 1994). Das Sehen der Verschwörung in konspirologischen Praktiken ist darüber hinaus immer auch ein performativer und kommunikativer Akt, der sich qua Veröffentlichung in der Gegenwart einer (Gegen-)Öffentlichkeit ereignet – oder besser: durch (Gegen-)Öffentlichkeit performativ hergestellt wird. Sichtbarkeit entsteht inter-subjektiv und ist gleichsam identitäts- und gemeinschaftsstiftend. In vielen Fällen ist sie auch an die narrative Subjektivierung des Aufwachens (Kap. 7.3) gekoppelt. Dieses Aufwachen ist ein mit dem zunehmenden oder feineren Sehen der Verschwörung verschränkter Vorgang – wobei die „Verschwörung“ als solche bzw. als ‚Ganze‘ nicht darstellbar, sondern nur über Spuren, Zeichen und Symbole (die erwähnte kommunikative „Außenseite“) vermittelbar ist. Das Zeigen ist insofern das praxistheoretische Komplement des Sehens. Sehen und Zeigen haben als kommunikative Praktiken das Denken und Lesen nicht vollständig abgelöst, aber ergänzt. Mottos wie „Mehr sehen als anderswo“ (NuoViso.TV) oder „If you see something, say something“ („Bürgerberg“) verweisen auf diesen für die „Generation YouTube“712 prägenden Wandel, der auch die Kultur insgesamt beeinflusst (Haarkötter/Wergen 2019). Auch das Auge in der Pyramide oder die Angst vor der CCTV-Überwachungskamera zeugen auf der Sinnebene von der Bedeutung des Sehens in der Subkultur des Verschwörungsdenkens. Das Bild, bewegt und unbewegt, ist jedenfalls das
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6 Gegenöffentlichkeit(en) und Dissidenz
bedeutendste Medium der modernen „conspiracy culture“. Und je stärker diese Kultur durch das Sehen geprägt ist, desto bedeutender werden auch jene Akteur*innen, die die Kunst der audiovisuellen Produktion beherrschen (Kap. 6.1.2).
Abbildung 55: Das Motto des Senders NuoViso.tv „Mehr sehen als Anderswo!“ (Quelle: YouTube/NuoViso.tv).
Bildpolitik ist längst Teil von Geopolitik und Propaganda (Elter 2005). Die Brutkastenlüge im Zweiten Golfkrieg (Kap. 4.1.2) basierte auf inszenierten Bildern. Der politische Konsenszwang bei 9/11 ist durch Bildpolitik geprägt (DeHavenSmith 2013). Im Zeitalter der visuellen Massenmedien ist das nicht anders denkbar. Insofern gibt es auch eine Symbiose von Massenmedien und Terrorismus (Schulz 2011: 98; Meckel 2008: 254 ff.). Nach Boris Groys (2005) sind moderne Terrorist*innen vor allem auch professionelle Bildproduzent*innen. Die Grafik und das Video sind zweifellos die Hauptmedien der Konspirationskultur in einer Gesellschaft des Spektakels (vgl. Kap. 5.3.3). Es kommt dabei zu einer Verschiebung der Wahrnehmung bzw. zu einer Ästhetisierung des politischen Bildes. Groys vertritt die These, dass auch das grausamste Bild von Terrorpropaganda heute nach ästhetischen Maßstäben (re-)produziert wird, sobald es in den (imaginären) Kreislauf der visuellen Aufmerksamkeitsökonomie eintritt und dort zirkuliert. Was Plattformen wie YouTube verändert haben, ist einerseits eine Demokratisierung, Pluralisierung und Popularisierung von Bildpolitik. „Verschwörungstheoretische“ Filme wie „Loose Change“ (2005–2009) oder die deutsche Amateur-Doku „Unter falscher Flagge“ (2007) hätten über das öffentlich-rechtliche Fernsehen keine Chance gehabt, ausgestrahlt zu werden. Über YouTube erreichen diese Dokus ein Millionenpublikum und motivieren den Aktivismus der „Wahrheitsbewegung“. Andererseits entstehen dadurch neue Zwänge und ästhetische Normierungen, die bestimmen, wie Plots und Geschichten dargestellt werden müssen, um ihr (Massen-)Publikum zu erreichen. Das visuelle Angebot auf digitalen Plattformen wie YouTube ist so umfassend, dass subjektivierungstechnisch – auch trotz zunehmender
6.6 „Mehr sehen als anderswo“
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Restriktionen und ‚Zensur‘ (Kap. 5.5.5) – potentiell alles sichtbar ist und repräsentiert werden kann und muss. Dies widerspricht der konspirativen Logik insofern, als diese sich durch Unsichtbarkeit und Nicht-Repräsentation (Abwesenheit) auszeichnet. In der visuellen und vor allem populären Re-Präsentation des Verschwörungswissens findet in diesem Sinne zugleich die Irrealisierung dieses Wissens statt (vgl. Hövelmann 2014; Schink 2020a: 143 f.). Darüber hinaus verlagern sich durch diese neue visuell-virtuelle ‚Unübersichtlichkeit‘ Handlungsrelevanzen vermeintlich noch weiter ‚in‘ das moderne Subjekt hinein, wobei die paradoxe Situation des ‚Zwanges individueller Freiheit‘ (Beck/Beck-Gernsheim 1994) in der Frage verstärkt wird: Will ich das sehen? Was will ich sehen? „WENN DU‘S SEHEN WILLST, KANNST DU‘S SEHEN“
Als ich mit Thomas philosophiere, der sich während dieser Phase mit ähnlichem „deep shit“-Informationen beschäftigt wie ich, kommt er auf die Themen „Flache Erde“ und „Mandela Effekt“ zu sprechen.713 Er scheint zu diesem Zeitpunkt auf beides abzufahren. Ich bin sehr skeptisch und er merkt das. Er erzählt mir, warum es nicht möglich sei, dass die Erde eine Kugel ist. Ich bemerke, dass er sehr viel Zeit in diese Themen investiert haben muss. Thomas versucht aber nicht, mich zu missionieren. Dazu kennen wir uns zu gut. In dem Gespräch habe ich das Gefühl, dass er sein YouTube-Wissen vielleicht auch nur testen will, und es ihm eigentlich egal ist, ob die Erde nun flach ist oder nicht. Wir wechseln immer wieder die Themen: Von der Erdkrümmung, über den, wie er sagt, „Freimaurer-Club NASA“, bis hin zu außeralltäglichen Erfahrungen mit Astralreisen. Es ist ein amüsantes Treffen und ich genieße es. Gegen später an diesem Abend kommt Thomas nochmals auf den „Mandela-Effekt“ zu sprechen und sagt „Wenn Du‘s sehen willst, kannst Du‘s sehen“ – ich stimme ihm zu. Aber warum sollte ich das wollen? Ich schaue mir die meisten dieser Videos nicht an, sie sind mir zu „deep“ und der „bullshit“-Faktor ist mir viel zu hoch. Ich bin jedoch überzeugt davon, dass man auch hier seine Wahrnehmung dezidiert so prägen kann, dass man tatsächlich glaubt, dasjenige zu sehen, was man auch sehen will. Und vielleicht will Thomas es heute, wie ich da schreibe, auch nicht mehr so sehen. […] Kurz bevor meine U-Bahn einfährt, sage ich, dass diese ganze Sache […] ein Geheimdienst-Fake sein könnte, um die Leute von anderen Themen abzulenken. Solche Fälle seien ja historisch belegt. Thomas ist nicht abgeneigt und sagt lässig und schmunzelnd: Wenn […] das [so] ist, dann haben sie mich genatzt. Wir lachen und ich ergänze mit einem Grinsen auf den Lippen: Dich und die ganze Community. Ein zustimmendes Nicken. (Feldbericht, Dezember 2017714)
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„THIS IS A CONTROLLED DEMOLITION“
Nicht allein die direkte Wahrnehmung ist es, die uns Dinge sehen macht. Sehen ist in unserer Kultur immer auch durch Expert*innen vermittelt und hat insofern etwas mit dem Glauben oder Vertrauen in deren Profession zu tun. Wenn Expert*innen etwas sehen oder nicht sehen, dann zeigen sie uns dadurch auch, was wir sehen können (sollen). Im Falle des 11. September 2001 und dem ominösen WTC 7 zeigte ein Filmemacher im niederländischen TV-Format „Zembla“ dem ebenfalls niederländischen Spreng-Experten Danny Jowenko einen Film-Ausschnitt715 mit dem Gebäude-Einsturz, den dieser zuvor nicht kannte. Er fragte Jowenko, was er darauf erkenne. Der Sprengmeister meint daraufhin sehr definitiv: „This is a controlled demolition.“ Auch auf Nachfrage, ob er sicher sei, sagt Jowenko „absolutely“, das Gebäude sei „imploded“. Er fügt hinzu: „This was a hired job, performed by a team of experts.“ Erst danach erhellt ihm der Interviewer den Kontext: „But it […] happened on 9/11“. Jowenko reagiert verunsichert: „The same day?“, fragt er – der Interviewer bestätigt. Jowenko fragt nochmals nach, schaut (offenbar) auf das Material und fragt abermals ungläubig nach. „That can‘t be“, sagt er. Doch als ihm bestätigt wird, dass der Einsturz sieben Stunden nach dem Kollaps des zweiten WTC-Turmes geschah, meint Jowenko: „Then they worked hard.“ Der Experte bleibt bei seiner Einschätzung, auch nachdem er die Gebäudepläne mit dem Filmemacher durchsieht und wiederholt sie auch im Telefongespräch mit einem Wahrheits-Aktivisten.716 Der kurze, etwa ein- bis zwei-minütige Ausschnitt aus dem nicht mehr existierenden TV-Format wird geschnitten, auf Englisch übersetzt und verbreitet sich über YouTube und andere Videoplattformen. Die Macher der bekannten Amateur-Doku „Loose Change“ nehmen den Clip in ihre „Final Cut“Version mit auf und verhelfen dem Material dadurch zu noch größerer Popularität.
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Abbildung 56: Danny Jowenko in der niederländischen TV-Sendung „Zembla“ über den Einsturz des WTC Gebäudes 7 (Quelle: eigene Collage/YouTube).
In diesem Beispiel haben wir es mit einer doppelten Rahmung zu tun. Die Zuschauer*innen sehen in dem Clip nicht nur den Einsturz des Gebäudes. Er wird auch durch den Experten kommentriert. Dadurch erhöht sich die Kredibilität und Legitimität der heterodoxen Sprengungs-These. Wer es durch das bloße Zeigen des Einsturzes nicht „offensichtlich“ findet, dass hier gesprengt wurde, für den*die dient der kommentierende und selbst überraschte Experte als Zeuge für die Unglaubwürdigkeit der Feuer-Theorie. Das funktioniert nach einem psychosozialen Legitimierungs-Prinzip: Wenn der unvoreingenommene Experte das so sieht, kann ich es auch so sehen. Doch auch dieses Sehen/Zeigen ist nicht ‚objektiv‘ im Sinne eines naiven Realismus. Skeptiker und „Debunker“ wie Mick West kritisieren, dass die „Truther“ im „Loose Change“-Film nicht ‚alles‘ zeigen. West schreibt: What most 9/11 Truthers don‘t know is that Zembla also interviewed him [Jowenko] regarding the collapses of the Twin towers, where he had nearly the opposite assessment. (West 2018: 148)
Das Zeigen muss insofern stets als Kehrseite des Nicht-Zeigens, d. h. in der Dialektik von Enthüllen und Verbergen, begriffen werden. Während Jowenko beim Einsturz von Gebäude 7 bis zuletzt auf einer Sprengung beharrte, geht er bei den Twin Towers nicht von einer Sprengung aus. Dies wiederum lehnen Anhänger*innen der „Architects & Engineers for 9/11 Truth“ (Kap. 6.1.1) als „gewöhnliches“ („common“) Urteil ab, von „observers who have not closely examined these events“, als eine Einschätzung, die nur schwierig „aus der Distanz“ zu treffen
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sei.717 Bemerkenswert ist daran, dass hierbei einmal das Experten-Urteil gerade deshalb Kredibilität habe, weil dieses auf den ersten Blick keinen Kontext hatte (WTC 7), während ihm im anderen Fall (WTC 1 & 2) die Urteilsfähigkeit abgesprochen wird, weil hier zu wenig Kontext, d. h. Detailwissen, vorhanden sei. (IN) DEN HIMMEL SEHEN
In Verschwörungsdeutungen, die Phänomene am Himmel betreffen, sind das Sehen, Aufzeichnen und Zeigen ebenfalls zentrale Praktiken. Simon, den ich bei einem Stammtisch-Treffen kennengelernt habe, erzählt mir718, dass er als Kind oft den Himmel beobachtet habe und immer die Kondensstreifen von Flugzeugen versucht habe, mit den Augen bis zum Ende zu verfolgen. Doch die seien stets gleich verschwunden. Das sei Ende der 1970er-Jahre gewesen. Dass heute der Himmel sehr häufig milchweiß vernebelt sei, besorge ihn. Für ihn ist klar, dass da irgendwelche ‚Operationen‘ am Himmel durchgeführt werden. Ähnliches erzählt mir auch Sebastian, der die Verschmutzung durch Flugzeuge seit Jahren genau beobachte, da er viel draußen unter freiem Himmel arbeitet.719 Sebastian engagiert sich aktiv gegen die Verschmutzung des Himmels und wehrt sich öffentlich dagegen, als „Verschwörungstheoretiker“ abgestempelt zu werden (Kap. 5.2.1). Bei einem Protest 2014 in Berlin, dem „Global March Against Chemtrails and Geoengineering“, bekomme ich Ähnliches zu hören: Alle Menschen, mit denen ich spreche, erzählen mir, bis auf eine Ausnahme, sie hätten zuerst in den Himmel geguckt und wären danach auf Informationen im Internet zu „Chemtrails“ gestoßen. Die Streifen hätten sie misstrauisch gemacht.720 Was sehen diese Menschen, was andere nicht sehen? Leben wir nicht alle unter dem gleichen Himmel? Von Thomas weiß ich, dass er eine zeitlang den Himmel mit seiner Digitalkamera gefilmt hat. Ein paar dieser Aufnahmen hat er mir einmal gezeigt. Auf YouTube finden sich viele solcher Aufnahmen, in denen Aktivist*innen Streifen, Schlieren oder andere für sie auffällige Muster filmen, durch die wir entweder vergiftet oder Wetterprogramme durchgeführt würden. Seit ich von diesen Theorien weiß, ertappe ich mich auch immer wieder dabei, wie ich den Himmel beobachte, wenn mir langweilig ist. Ein verrücktes Erlebnis hatte ich dabei auch schon einmal. Es fällt aus dem Rahmen. Doch wer bin ich, mit meinen marginalen Meteorologieund Chemiekenntnissen, mir ein finales Urteil zu bilden? Im leitmedialen Diskurs zählen „Chemtrails“ – abgesehen vom UFO-Phänomen, in dessen Diskursen sich gleichfalls das Sehen als eine kulturelle Praxis entlarvt (Kap. 6.8) –, zu den absurdesten der „Verschwörungstheorien“ (Kap. 5.2.1). Im Jahr 2015 gibt es beim „Goldenen Aluhut“, dem Negativ-Award für „Kuriositäten und Verschwörungswahnsinn“ (Kap. 5.4), eine eigene Kategorie zum Thema „Chemtrails“. Für
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Kritiker*innen sind die „Chemmies“, wie die Wahrheits-Aktivist*innen auch abwertend genannt werden721, primär Objekte der Belustigung und Ridikülisierung. AUF DER ANTI-„CHEMTRAIL“-DEMO
Ein regelrechtes Spektakel ist es daher, wenn Wahrheits-Aktivist*innen, Kritiker*innen und auch Leitmedien live vor Ort aufeinandertreffen. So etwas geschieht auch im März 2015 beim „Global March Against Chemtrails an Geoengineering“ in Berlin. An diesem Samstagnachmittag ist es warm, der Stadthimmel ist milchig-weiß. Eingeladen zu der Protestaktion haben einige deutschlandweit und international vernetzte Initiativen von besorgten Bürger*innen, die sich mit dem Thema „Chemtrails“ und Wettermaniplation befassen. Das Event wird sowohl von den Veranstalter*innen als auch durch das Publikum mit eigenen Kameras aufgezeichnet. Ein Filmteam des ZDF sowie Aktivist*innen aus dem Spektrum der „Skeptiker“ und der Satire-Partei Die Partei sind vor Ort. Im Zeitalter der Massenmedien versucht in dieser Gemengelage jede*r Anwesende die passenden Bilder zu machen und eigene soziale (Medien-)Kanäle damit zu bespielen. Die Funktion solcher Veranstaltungen ist daher nicht in erster Linie Öffentlichkeitsarbeit und „Aufklärung“ – was Aktivist*innen auf allen Seiten für sich in Anspruch nehmen würden –, sondern vor allem Vernetzung, Community- sowie Ideologie-Bildung vermittels „face work“. Polemisch könnte man sagen: „Selbstbestätigungsrituale“.
Abbildung 57: „Global March Against Chemtrails and Geoengineering“ am 26. April 2015 in Berlin. Oben: Aktivist*innen auf der Demo. Unten: ZDF-„heute show“-Reporter nimmt Demonstrant*innen auf den Arm. Unten links: Gegendemo der Spaß-Partei Die Partei (Quelle: Collage/eigene Fotos).
Die Veranstaltung findet am Gendarmenmarkt statt und es ist ein Demozug zum Neptunbrunnen geplant. Vor Demo-Beginn tauschen sich die Veranstalter*innen über vergangene und zukünftige Treffen aus. Ich erkenne vereinzelt Gesichter, die
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mir aus dem Umfeld der Berliner „Montagsmahnwachen“ bekannt vorkommen.722 Ich beobachte wenig Austausch und Dialog zwischen Passant*innen und Aktivist*innen. Die Grüppchen bleiben eher für sich. Einige Schaulustige haben es sich an diesem freien Tag auf den Domtreppen gemütlich gemacht und begutachten den sich organisierenden Protest aus der Ferne. Ich notiere mir dazu: Schräg rechts unter mir setzt sich gerade ein […] Pärchen hin, das Alter so Anfang/Mitte 40 schätze ich, Mann und Frau. Sie scheinen hier nicht gezielt zu sein, tragen beide Sonnenbrillen, Pullover und scheinen es auch nicht eilig zu haben – ich werde sie etwas später noch in der Demobesucher*innen-Menge sehen. Sie beobachten nebeneinander auf den Treppen sitzend das Treiben um die Fahrzeuge, wobei der Mann in leicht belustigtem, zugleich etwas begeistertem Ton zur Frau sagt: „Das sind Verschwörungstheoretiker – total abgefahren!“ Auf den Treppenstufen links von mir reagiert ein anderer Mann offensichtlich darauf und sagt an seine Begleiterin gerichtet: „Der macht sich über Verschwörungstheoretiker lustig!“723
Der im „Skeptiker“-Milieu bekannte Mark Benecke ist ebenfalls vor Ort. Er posiert mit einer Begleiterin vor den Bannern der „Verschwörungstheoretiker“ und wird damit seine Fan-Community bespielen. Als die Veranstaltung losgeht und einige ‚Promis‘ der alternativen Medienszene sprechen („Chemtrail“-Experte Werner Altnickel und der Publizist Christoph Hörstel), beginnt die Kundgebung. Es sind vielleicht 150 bis 200 Menschen da, plus eine Handvoll Gegen-Demonstrant*innen der Partei, das ZDF-Team und einige Zaungäste, die die sich am Rand der Traube sammeln oder nur kurz stehen bleiben, dann weitergehen. Das ZDF-Team gehört zur „heute show“ und stellt in Persona des Komikers Lutz van der Horst Aktivist*innen und umstehenden Menschen verfängliche Fragen. Später werden die besten Ausschnitte daraus unter dem Titel „Deutschland Deine Irren“ 724 von Oliver Welke einem Massenpublikum von über drei Millionen Zuschauer*innen zur Belustigung präsentiert.725 Auch die Truppe von der Partei scheint sehr gute Laune zu haben. Sie sind relativ jung, tragen Aluhüte, Schilder mit sarkastischen Sprüchen und beginnen bald damit, sich zu betrinken. Entsprechend genervt und sehr ernst sind demgegenüber die Aktivist*innen. Christoph Hörstel, der seit seinem Ausscheiden aus den Leitmedien ein Dissident geworden ist und sich mit allen mögliche (Rand-)Themen beschäftigt, hält eine wütende Rede. Was da am Himmel betrieben werde, sei „Terrorismus!“, schreit Hörstel ins Mikrofon. Im Gegensatz zu Altnickel, der mit viel Detail- und Spezialwissen in einer längeren Rede die Geduld des Publikums ausreizt, heizt Hörstel die Menge auf und politisiert sie. Am späten Nachmittag, bei der Abschlusskundgebung am Neptunbrunnen, macht ein Szene-Rapper mit dem Namen „Denzko“ Musik im Truthrap-Stil. Es sind nicht mehr viele Menschen auf dem Platz. Doch weil er gleichzeitig ein YouTube-Video drehen will, sind umso mehr Kameras auf „Denzko“ gerichtet. Er bittet das Publikum, mitzuspielen. Dabei
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steigt die Stimmung für eine kurze Zeit. Ich notiere mir nach dem Event, dass hier zwei „Wirklichkeiten aufeinander prallen“ 726 – die der Anti-„Chemtrail“-Aktivist*innen gegen den ganzen Rest der (Massenmedialen-)Realität. Was die Protestler*innen sehen, können oder wollen die „Skeptiker*innen“ nicht sehen und umgekehrt. 6.7 Truthrap Musik ist innerhalb der Wahrheitsbewegung ein wichtiges kulturelles Element. Neben Künstlern wie „Prinz Chaos II.“, „C-Rebell-um“ oder „Morgaine“, die sich der Bewegung vor allem im Zuge der „Montagsmahnwachen“ 2014 angenähert haben, ist der Truthrap ein originäres Genre dieser Gegenkultur. Vor allem auf Demonstrationen oder Festivals hat die Musik die Funktion der emotionalen Wissensvermittlung, Identitätsstiftung und der Motivierung zum Aktivismus. Ursprünglich kommt der Truthrap aus den USA. Hip-Hop-Kombos verarbeiten dort seit den 1990er-Jahren Formen von stigmatisiertem Wissen und populäre Topoi der „conspiracy culture“ zu Songtexten. Truthrap kann dabei eine Ausdrucksform sein, um über gesellschaftliche Missstände zu informieren und aufzuklären. Zugleich kann er komplexe Machtverhältnisse verschleiern (Gosa 2011). USamerikanische Rapper wie „Immortal Technique“ und „Mos Def“ haben diese Form des Hip-Hops für das 9/11 Truth Movement anschlussfähig gemacht. Auch in diesem Fall verhilft vor allem YouTube eher unbekannten Künstler*innen oder Tracks, die nicht bei den Major Labels wie Sony, Universal oder Warner unter Vertrag stehen, eine „kritische Masse“ an Menschen zu erreichen. Unterdrücktes oder stigmatisiertes Wissen kann so in Form von Musik ein größeres Publikum finden. Im „Immortal Technique“-Track „Bin Laden“ (2005), in dem von einer Sprengung der Twin Towers und einem „inside job“ bei den Anschlägen des 11. September 2001 ausgegangen wird, lautet etwa die Hook: Bin Laden didn‘t blow up the projects It was you, nigga Tell the truth, nigga!
Er wurde auf YouTube seit der Veröffentlichung mehrere Millionen Male geklickt.727 Im US-amerikanischen Hip-Hop dient der „conspiracy talk“ (Jackson 2008: 129) und der „exchange of non-expert knowledge“ (Gosa 2011: 188) neben der individuellen Selbstdarstellung und Selbstermächtigung vordergründig der Bekämpfung rassistischer Diskriminierung. Des Weiteren muss das Aufnehmen von Topoi und okkulter Symbolik aus der „conspiracy culture“ im Hip-Hop-Diskurs als kreative Innovation gelesen werden, die die Musik wieder interessant macht (ebd.: 194) und vordergründig marketing-technische Hintergründe hat. 1998 rappt der Berliner „Prinz Porno“ unter anderem über „Rosenkreuzer und Triaden, Mafiosi, Majorlabels, Militärs und Syndikate“ und bringt mit dem Song „Keine Liebe“ konspirologische Topoi das erste Mal näher, allerdings weniger mit
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Aufklärungs- als vielmehr mit ästhetischem Anspruch. Über zehn Jahre finden okkulte Symboliken, wie das Allsehende Auge, Freimaurerzeichen oder Schachbrettmuster, auch im Mainstream-Hip-Hop von „Bushido“ oder „Sido“ ein Massenpublikum. Es geht dabei vor allem um Marketing. Die bekannten Rapper „Kollegah“ und „Haftbefehl“ spielen ebenfalls in einigen Musikvideos mit okkulter und Verschwörungssymbolik. „Kollegah“ präsentiert sich in vielen Videos als „Truther“ und Wahrheitsaktivist und macht sich mit der Okkultsymbolik anschlussfähig an die Diskurse der konspirologischen Gegenkultur.728 In einem Instagram-Video, dass an Journalist*innen und seine Fangemeinde gerichtet ist, fordert er „jeden Redakteur, der noch ein Gewissen hat“ dazu auf, „auch mal andere Themen“ anzupacken: „Berichtet mal über Pizzagate“, spricht er im Kapuzenpulli und mahnendem Ton in sein Handy hinein: […] das geht an die großen Medien: Spiegel, FAZ, Bild, die ganzen großen Magazine – wenn da von euch einer mit Gewissen in irgendeiner Redaktion sitzt und über Pizzagate objektiv berichtet: ich gebe dir sofort, auf die Hand, 25.000 Euro! […].729
„Kollegah“ und sein Rapkollege „Farid Bang“ lösten wegen einer kontroversen Textzeile einen Skandal aus, als ihnen Anfang 2018 der „Echo“ verliehen wurde. Der Soziologe Martin Seeliger bezeichnet „Kollegah“ als „eine Mixtur aus verschiedenen gesellschaftlichen Tendenzen: ein neoliberaler Objektentwurf, Hypermaskulinität und vormoderne Geschlechterbilder“ und unterstellt ihm eine „undurchsichtige, antisemitische Agenda“730. Als derzeit einer der erfolgreichsten deutschen Rapper ist „Kollegah“ aka Felix Blume jedoch nicht originär dem „Truthrap“ zuzordnen. Vom kommerziellen Okkult-Rap zu unterscheiden, ist der Truth- oder Inforap einerseits dadurch, dass er politisch ist und sich auch vom Major Label-Mainstream abgrenzt, andererseits dadurch, dass er vorweg reale und unterdrückte Wahrheiten aufzuklären vorgibt. Truthrap handelt von realer und politischer Unterdrückung, Kriegen und Konflikten. Sexismus oder Verherrlichung von Reichtum und Gewalt zeichnen ihn gerade nicht aus. Vielmehr inszeniert er sich hierbei als moralische und mahnende Instanz. Darauss bezieht er in der „Gegenöffentlichkeit“ der Wahrheitsbewegung seine ‚realness‘ und sein symbolisches Kapital. DEUTSCHSPRACHIGER TRUTHRAP
In der deutschsprachigen Hip-Hop-„Gegenöffentlichkeit“ gibt es zwei – wobei sich Nachwuchs ausbildet – sehr populäre Truthrap-Konstellationen: Die „Bandbreite“ und „Kilez More“. Während die Hip-Hop-Kombo „Die Bandbreite“ seit Anfang des Jahrtausends politische und popkulturelle Lieder mit alternativen „Verschwörungstheorien“ verbindet, ist der Rapper „Kilez More“ sowohl seinem Alter als auch seiner Musikkarriere nach einer jüngeren Generation des Truthrap zuzuordnen. Von den beiden „Bandbreite“-Mitgliedern Torben „DJ Torben“ Eckhoff und Marcel „Wojna“ Wojnarowicz tritt in erster Linie Wojna in der politischen
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und leitmedialen Öffentlichkeit immer wieder in Erscheinung und ist in der deutschsprachigen Wahrheitsbewegung gut vernetzt. Zwar verortet Wojna sich parteipolitisch im linken Spektrum – und „Die Bandbreite“ kann auf eine lange Geschichte der Unterstützung linkspolitischer Kulturpolitik im gewerkschaftlichen Bereich zurückblicken –, zugleich geht die Band immer wieder Koalitionen mit Aktivist*innen anderer politischer Ausrichtungen ein, wenn es um die Dissidenz zum „Mainstream“ geht, was für die „Gegenöffentlichkeit“ und die „occulture“ typisch ist (vgl. Gosa 2011: 192).731 Vor allem von linkspolitischen Aktivist*innen werden „Die Bandbreite“-Mitglieder aus diesem Grund häufig mit dem „Querfront“-Vorwurf konfrontiert. Wojna weist diesen zurück und bezeichnet sein politisches Konzept als „Volksfront“ für „alle, die […] für eine demokratische und humanistische Gesellschaft stehen, egal aus [sic!] welchem politischen Lager sie sich verorten“, insofern sie „gewaltfrei sind“732. Es sei seine „Leidenschaft“, „Wahrheiten“ herauszubringen, „die draußen [...] im Mainstream gar nicht gehört werden wollen“.733 Was da „an Themen untergeht oder gar nicht behandelt wird oder einfach falsch gezeigt wird“, biete ihm „ein Anliegen, mal eine alternative Sicht auf die Dinge zu beschreiben.“ Themen wie „ungerecht geführte Krieg“ oder „Umweltvergiftung“ und die Feststellung, dass „eine ganz kleine Clique ultrareicher Menschen über die Geschicke der Welt […] bestimmt“ und „Politiker, die uns als die Machthaber dargestellt werden, in Wirklichkeit nicht vielmehr als Marionetten sind“734, seien ihm wichtig. Wie „Kilez More“ tritt auch die „Bandbreite bei vielen Protest- oder Demoveranstaltungen und anderen alternativen Events mit Live-Musik auf. Im Weiteren wird primär auf den Truthrap-Aktivismus von „Kilez More“ fallbeispielhaft eingegangen.735 „Kilez More“ wird das erste Mal zur Zeit der Montagsmahnwachen innerhalb der alternativen Öffentlichkeit, zusammen mit „Morgaine“, wirklich bekannt. Er ist gebürtiger Wiener, Jahrgang 1988, und möchte gern „die Gegenstimme zum Mainstream“736 sein. Spätestens seit 2008 veröffentlicht „Kilez More“ über YouTube Tracks und Alben mit Titeln wie „TV Totale Verblödung“ (2010), „Infokrieger“ (2010), „Systemfeind“ (2015) oder „Rapvolution“ (2017). Seit 2012 führt das Watchblog Psiram (Kap. 5.5) ihn in den Kategorien „Verschwörungstheoretiker“ und „Truther“ auf.737 Aus beruflicher Sicht macht er eine Entwicklung durch. Im Verlauf von etwa zehn Jahren werden die Songs von „Kilez More“ professioneller, der Gesang schärfer, die Tonqualität besser und die Videos sind aufwendiger produziert. Daneben gibt es Merchandise im Shop auf seiner Webseite: unter anderem Fair-Trade-Shirts und Hoodies. Die Themen von „Kilez Mores“Tracks sind typisch für das Truthrap-Genre: Es geht um die Manipulation und den ‚Schlaf‘ der Massen, Medien- und Konsumkritik, (geheime) Machteliten, etwa Illuminaten, und ihre Weltherrschaft, Kriegslügen, False Flag-Terrorismus, ökonomische Ausbeutung, ökologische Katastrophen und um das Aufwachen. Im Truthrap von „Kilez More“ werden die unterschiedlichen Phasen des Aufwach-
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Prozesses (Kap. 7.3) thematisiert: die dunkle Phase der Täuschung, der Vorgang von Enttäuschung und Krise, der Moment der Erkenntnis und der Befreiung. Aufgrund der Breite des Materials soll im Folgenden nur kaleidoskopartig und fallbezogen ein kleiner Ausschnitt von „Kilez Mores“ Ton- und Bildveröffentlichungen dargestellt werden. Der Track „Systemfeind“ (2015)738 beginnt mit einer Anspielung auf den „Matrix“-Film: Vor einem grün-rauschenden Monitor prangt in weißer Schrift der Tracktitel. Eine männliche Stimme spricht folgende Worte, die an einen Dialog zwischen den Filmhelden „Neo“ und „Morpheus“ erinnern, auch wird der „Infokrieg“ thematisiert: Hör zu, die Welt, in die du geraten bist, ist eine Welt, in die nur wenige Menschen Einblick haben und du hast jetzt hinter den Vorhang gesehen. Hier geht‘s nicht um Kugel, Bob, Grenzen oder Territorien, die Währung dieses Krieges sind Informationen.739
Das Musikvideo des knapp 5-minütigen Tracks ist eine Animation („The Forest“) des Künstlers David Scharf: Ein kleines Mädchen lebt in einer düsteren und dystopischen Welt der Gedankenkontrolle und Ausbeutung.740 Nur in ihren (Tag-)Träumen ist dieses Mädchen noch frei und kann Utopien entwickeln. Auf dem Höhepunkt hat das Mädchen den Mut, sich aufzulehnen. Die Motive des Aufwachens und des Widerstands sind hier dominant und werden auch in den Kommentaren unter dem Video thematisiert: „weiter so!!!! bis der letzte aufwacht“, schreibt ein*e User*in741. Viele Kommentare wiederholen das Wort von „Systemfeind“ aus der Hook und drücken so die Identifizierung mit der „System“-Dissidenz aus. Der Refrain des Tracks lautet wie folgt: ich bin ein systemfeind auch du bist ein systemfeind und sag mir wer, wenn nicht wir und sag mir wo, wenn nicht hier ich bin ein systemfeind auch du bist ein systemfeind und sag mir wann, wenn nicht jetzt meine waffen sind die stimme, die gedanken meine tracks
Neben „Wahrheit“ und „Frieden“, nimmt „Kilez More“ auch das Bild der „Pyramide“ als Ausdruck für die hierarchische Ordnung der Elite(n) mit auf: „für die freiheit der zukunft tret ich ein für echten frieden/und das macht mich zu dem feind der pyramiden“. Er beschwört die Zuhörer*innen, die ebenfalls Systemfeinde seien, aktiv zu werden, sich von der „lethargisch[en]“ „Masse“ zu trennen, die „nicht“ „sehen“ kann, „was real ist“. Die Aufgewachten, so der (Sub-)Text, unterscheiden sich nicht nur von der Führungs-Elite, sondern auch von der „Masse“, die „wieder gar nichts peilt“ und die durch Informations-Aktivismus ebenfalls aufgeweckt werden müsse. Ein Teil der Kommentare unter dem YouTube-Video kommt offenbar aus dem politisch rechten Spektrum. Die Kommentator*innen
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tragen Nicknames wie „Panzerfliege“ oder „Patriot Harz“ und können sich mit dem „Systemfeind“ identifizieren – trotz der anti-bellizistischen und anti-nazistischen Botschaft dieses Videos.742 Auch das ist charakteristisch für die Gegenkultur: ein gewisser populärer Eklektizismus. Die überwiegende Mehrheit der Kommentator*innen versteht jedoch die in diesem Track verarbeitete sorgenvolle Botschaft in dem anti-autoritären Sinne, wie sie am Track-Ende von „Kilez More“ aufgelöst wird: ich fühl mich wie kurz vor der machtergreifung der nazis die ganzen zeichen sind da, doch die masse peilt wieder gar nichts alles folgt einem plan, bis er dann in der praxis da ist und alle warten lethargisch, sehen nicht, was real ist […] während die mengen blind irgendeinem führer nachlaufen dem sie aus beiden händen fressen und die lügen abkaufen ich fühle da draußen gibt es viele wie mich die kämpfen, dass es nach dem dritten reich kein viertes mehr gibt
Einige sehr ähnliche Motive wie in „Systemfeind“ finden sich in dem aktuelleren Track „Gedankenverbrecher“ (2018) des Truthrappers „Ukvali“, an dem „Kilez More“ ebenfalls mitgewirkt hat. Hier ist die okkulte (Anti-)Illuminati-Symbolik weitaus präsenter als im Track „Systemfeind“ und das Spiel mit okkulter Symbolik wird noch weiter ausgebaut.
Abbildung 58: YouTube-Videos des Truthrappers „Kilez More“. (Quelle: eigene Collage/YouTube/Kilez More).
2017 veröffentlicht „Kilez More“ sein Album „Der Alchemist“. Es steigt im Juni auf Platz 30 der deutschen Albumcharts ein und in den deutschen Hip-Hop-Charts
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auf Platz 4.743 Das Album wurde vorab über verschiedene Social Media-Kanäle beworben. Es erscheint in einer schwarzen Schachtel („Limitierte Virusbox“), was zum okkulten Stil der dazu veröffentlichten Musikvideos auf YouTube passt. Sie erhält außer zwei CD‘s mit Songtexten und einer Autogrammkarte und einem CDCase einen „NSA Blocker“ – eine kleine elastische Plastikvorrichtung, die – zum Schutz vor Überwachung über die Laptop-Cam aufgesetzt werden kann.744 Dass Julian Assange den Song „Mediale Kugeln“ aus diesem Album über Twitter promotete ehrte „Kilez More“ und erhöhte seine Reichweite.745 Der Truthrapper meint in einem Gespräch im Kanal von KenFM, dass es im deutschsprachigen Rap zu wenig politische Musik gäbe und das wenige Politische, was es hier gäbe, komme einerseits nicht in die Charts und andererseits seien es „Alibi-Songs“ mit allgemeiner Systemkritik. Die relevanten Fragen würden nicht gestellt: Fragen zur Airbase Ramstein, zu „Krieg und Öl“ oder die Frage „Warum besitzen 62 Menschen so viel wie die Hälfte der Welt?“746 Dass er „Wahrheiten an- und aussprechen möchte, die uns angeblich vorenthalten werden“, verstehen auch die Rezensenten seines Albums auf dem Internetportal rap.de. Dort heißt es zu „Der Alchemist“: Für all die, denen der ambitionierte Österreicher bisher unbekannt geblieben ist: Kilez More macht Musik, die er selbst als „Wikileaks auf Beats“ oder eben „Truthrap“ bezeichnet. Außenstehende, die nicht gerade Fans seines Schaffens sind, beschreiben ihn hingegen eher als Verschwörungstheoretiker. Sein erklärtes Ziel: Durch seine Musik eine Revolution starten, die den Menschen hilft, die Wahrheit hinter den global verbreiteten Lügen der kapitalistischen Machthaber zu erkennen. Er meint es also gut.747
Unter anderem kritisieren die beiden Autoren „OG Pressure“ und „Frank Hemd“ in der Rezension das Album als „auf musikalischer Ebene maximal solide, aber unter keinen Umstände mehr als etwas überholte Laienmusik“ und die darin propagierte „Aufklärung“ als „wenig glaubhaft“, insofern der Rapper „bereits bekannte Tatsachen zu scheinbar sensationellen Enthüllungen emporhebt“. Die Autoren bilanzieren daher: Kilez More kann in keine neue Welt führen – er lebt und denkt in einer, die eher einem Dan Brown-Roman als der Realität entspricht. Es gibt somit auch neben der wenig überzeugenden Musik gute Gründe dafür, dass er in den Rapmedien keine Aufmerksamkeit erfährt – ein dreimal verschlüsselter Geheimplan der Bilderberger/Illuminaten/Linkshänder steckt eher nicht dahinter…748
Im Kommentarbereich bekommen die Rezensenten in großer Mehrzahl Widerspruch. Diese Rezension ist deshalb interessant, weil sie zeigt, wie der Truthrap im Mainstream-Hip-hop aufgefasst wird. Beide Rezensenten machen selbst Rapmusik – allerdings ohne gesellschaftskritischen Anspruch. Im bereits erwähnten Track „Leben und Tod des Imperialismus“, der über 12 Minuten geht und auf YouTube über 400.000 Klicks hat749, verarbeitet „Kilez More“ diskreditierendes Wissen über die US- und NATO-Geo- und Tiefenpolitik in einem anklagenden Ton. Im Akkord und Beat-Gesang führt der Rapper verdeckte und offene Kriege
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und Kriegslügen („False Flag Attacken“) seit dem Kalten Krieg bis in die Gegenwart auf. Er inszeniert im Video sich selbst als Informations-Aktivisten und Märtyrer. Laser-Pointer von Schusswaffen sind auf ihn gerichtet, die die Lebensgefahr andeuten, in der sich „Systemfeinde“ befinden. Auch „Operation Northwoods“, „Gladio“ und der Einsturz von „Gebäude 7“ am 9/11 werden dabei als unterdrückte Wahrheiten aufgezählt, am Ende dann die Ukraine-Krise 2014 und der Absturz der MH17. Dann wird der Protagonist von zwei Individuen, die in Masken von Barack Obama und George Bush auftreten, erschossen. Der Ballast an transportierten Informationen wiegt beim Zuhören schwer, die Kriegsbilder sind bedrückend und in dieser Dosis kaum kognitiv zu verarbeiten. Der Track ist, wie die meisten von „Kilez More“, spannungsgeladen und aktivierend. Er ist als Teil eines Einstiegs- und Aufweckrituals im Infokrieg zu verstehen. Der Track enthält jedoch auch eine Friedensbotschaft: [...] Ich hab jetzt alles mal Revue passieren lassen Die Konsequenz ist nur wir dürfen niemand‘ hassen Sie sind nicht rückgängig zu machen – die Fehler Wir wollen Peace – Weltfrieden – jeder! Ich mach das hier nicht nur für mich, sondern jeden Mensch Ich mach das für die Erde, die um‘s überleben kämpft Für Meinung, die von Medien unterdrückt war’n Weil man so oft bei diesen Themen nur ein Stück sah Für die Staaten, wo Leute für ihre Rechte kämpfen Für Russland, wo genau so viele Menschen kämpfen Für Europa, seit 60 Jahren die schwerste Zeit Für die Zukunft, sie darf nicht noch schwärzer sein Israel und Palästina – endlich einmal Frieden Menschheit, wann beenden wir die Kriege Für meine Kinder, denen ich später mal erwidern kann „Ihr Vater war im Widerstand!“ […]750
Das im Video aufgezählte Wissen über verdeckte Kriegsführung könnte von Daniele Ganser stammen. Auf dem YouTube-Kanal von „Kilez More“ ist ein dreiteiliges Interview zu finden, dass er mit Daniele Ganser über „Ölsucht“, „Illegale Erdölkriege“ und „Öl, Umwelt & Alternativen“ geführt hat. Im Wechsel hört Ganser dabei Tracks des Truthrappers und tauscht mit dem Österreicher Informationen zu diesen Themen aus. In vielen Gesprächen betont „Kilez More“, ähnlich wie Daniele Ganser, dass er „Vorbild“ für die jüngere Generation sein will, sie zum (Um-)Denken motivieren wolle. Er stellt sich als Held und Aufwecker dar und in der Wahrheitsbewegung ist er zweifelsfrei auch eine Art Held. Trotz der spannungsgeladenen und teilweise bedrückenden Inhalte seiner Tracks, transportiert das bisherige Gesamtwerk eine positive Grundstimmung.
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du bist der derbste in diesem bereich... danke für deine arbeit!!! immer wieder bringt es mich teilweise auf spur.... wenn man den mut am verlieren ist...danke (Kommentar von Nutzer*in „Toerfty“ unter dem Video Rapvolution751)
Neben „Die Bandbreite“, „Kilez More“ und „Ukvali“ gibt es andere Künstler*innen innerhalb der Szene, deren Musik Elemente von Truthrap aufweist. Sie erzielen aber bislang eine geringere Reichweite, wie etwa der Rapper „Photon“, der vor allem innerhalb der „Mahnwachen“-Bewegung mit seinem Track „Frieden in allen Nationen“ präsent war und seinen Stil „Inforap“ nennt752 oder der schon genannte „Denzko“. Da innerhalb dieser Gegenkultur das Bewusstsein einer Art von Schicksalsgemeinschaft stark ausgeprägt ist, die durch ihre Stigmatisierung begründet ist, lässt sich in der Truthrap-Szene nach außen hin keine Konkurrenzsituation feststellen. Vielmehr gibt es zwischen den Musiker*innen kooperative Auftritte, Promotionen und Produktionen. 6.8 UFO-Cover-Up und -Disclosure UFO-Disclosure (dt.: Aufdeckung, Enthüllung) und „Wahrheitsbewegung“ sind auf verschiedene Weise miteinander verbunden. In beiden Fällen geht es um die Auseinandersetzung mit im „Mainstream“ marginalisiertem oder ridikülisiertem Wissen, das sowohl „Verschwörungstheorien“ als auch die UFO-Disclosure addressieren und ernst nehmen. In Anlehnung an Bratich (2004) könnte man sagen: Im gegenwärtigen „Mainstream“-Diskurs definieren – und diskreditieren – „Verschwörungstheorien“ das UFO-Thema und UFOs definieren – und diskreditieren – „Verschwörungstheorien“. Viele ernsthafte UFO-Forscher*innen grenzen sich von „Verschwörungstheoretikern“ ab. Und „Verschwörungstheoretiker“ wollen oftmals nichts mit den „Ufologen“ zu tun haben. Dennoch gibt es eine große Schnittmenge zwischen beiden Bereichen, die auf ihre Marginalisierung zurückgeht und sie im Kampf um Anerkennung zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammenschweißt. Die andere Gemeinsamkeit ist, dass beide eine transzendente und ‚okkulte‘ Dimension aufweisen, insofern sich beide Bereiche auf verborgene Wirklichkeiten beziehen. Sowohl das UFO-Phänomen wie auch ‚Verschwörungen‘ sind dem Bereich des Grenzwissens und der Kryptodoxie (Schetsche 2019) zuzuordnen. UFOS: EINE „VERBORGENE WAHRHEIT“ Liebe Zuschauer, meine Damen und Herren! Aus aktuellem Anlass haben wir unser Programm geändert. Nach dem großen Echo, das der Film „Ufos – und es gibt sie doch!“ am vergangenen Montag ausgelöst hat, diskutieren heute Abend live in Hamburg Journalisten und Experten die Frage „Ufos – gibt es sie wirklich?“. Den [für diese Zeit vorgesehenen, A. S.] Dokumentarfilm […] senden wir um 23:45 Uhr. Wir bitten um ihr Verständnis.753
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Mit diesen Worten leitet ein ARD-Sprecher am 27. Oktober 1994 eine Live-Sendung zum Thema UFOs ein, in der sich ausgewiesene „Experten“ über die Realität des UFO-Phänomens streiten. Vorausgegangen war dieser Sendung eine drei Tage vorher ausgestrahlte ARD-Dokumentation („Ufos – und es gibt sie doch“), die die Realität des UFO-Phänomens durch Augenzeug*innenberichte und Aufzeichnungen von Zivilist*innen und Militärs nahelegt. Knapp acht Millionen Deutsche haben den Film gesehen, einige „Wissenschaftsjournalisten“ sahen in ihm einen „Skandal“, darunter der WDR-Journalist Ranga Yogeshwar. Daher sah sich die ARD veranlasst, eine Diskussionsrunde mit zwei UFO-Skeptikern, dem Filmemacher und einem Protagonisten zu senden. Der Begriff „UFO“ ist die Abkürzung für „unidentified flying object“. Das rekurriert, im weiteren Sinne, auf alle für Laienbeobachter*innen merkwürdige Himmelsphänomene und, im engeren Sinne, auf jene anomalen Phänomene, deren Ursachen oder Entstehungsbedingungen auch von Experten*innen nicht geklärt werden können.754 Für vielen Augenzeug*innen sind UFOs eine Realität. Sie haben sie gesehen, d. h. leiblich-sinnlich wahrgenommen. Wer sich mit der zahlreichen Literatur zum Thema beschäftigt, kommt zu dem Schluss, dass am UFOPhänomen etwas ‚dran‘ sein muss.755 D. h., das UFO-Phänomen hat mindestens eine kulturelle Wirklichkeit. Aber ist es auch im ontologischen Sinne real, d. h. über gesellschaftliche Diskurse hinausgehend?756 Für viele, vor allem naturwissenschaftliche UFO-Forscher*innen, in der Regel privat und in Vereinen organisierte Laien, hat das Phänomen auch eine ontologische Realität; für „Skeptiker“ ist es dagegen als einheitliches und reales Phänomen nicht bewiesen. Im Gegensatz zu sehr vielen anderen Industrienationen, gibt es in der BRD laut offizieller Stellungnahme keine Position zu und kein Regierungswissen über UFOs. 757 Dennoch existieren auch im deutschsprachigen Raum seit Jahrzehnten verschiedene UFOGruppen, die es sich zum Ziel gesetzt haben, Zeug*innenberichte zu dokumentieren. Der UFO-Diskurs ist immer zugleich ein Konflikt um die Phänomenologie des Beobachteten wie um die Expertise derer, die den Bereich des Beobachteten definieren. Die im ARD ausgestrahlte Experten-Diskussion ist ein sehenswertes Beispiel dafür, wie gerade in diesem Fall die Wissensordnung der Gesellschaft auf die Aussagen von Expert*innen(systemen) rekurriert und angewiesen ist und diese wiederum durch „Weltbilder“ (Kosmologien) und ihnen entsprechende epistemische Wissenskulturen geprägt sind. Diese Weltbilder und mit ihnen verbundene epistemischen Praktiken bestimmen maßgeblich mit, was wir und auch Expert*innen ‚sehen‘ oder was wir und sie nicht sehen (vgl. Kap. 6.6). „Wollen Sie“, fragt der Moderator Peter Gatter in der ARD-Diskussionsrunde den UFO„Skeptiker“ Ranga Yogeshwar, „im Namen einer wie immer gearteten Aufklärung den Menschen verbieten, die Dinge zu sehen, die sie sehen?“ 758 Yogeshwar antwortet, er wolle nicht das (subjektiv) Gesehene der Menschen bestreiten, wohl aber die „pseudowissenschaftliche“ Verobjektivierung durch die „Ufologen“. Der
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Journalist vergleicht die „verschiedenen UFO-Vereine“ mit „KaninchenzüchterVereine[n]“759 und prangert die computeranimierten „Modelle“ von vermeintlichen Raumschiffen in dem debattierten Film an, die falsche Suggestionen und „Sehnsüchte“ beim Publikum beschwören würden. Das Argument ist, dass solche Bilder und Verobjektivierungen das Sehen beeinflussen und Assoziationen an die „kleinen grünen Männchen“760 wecken würden. Als einer der Film-Protagonisten, der UFO-Forscher und Astrophysiker Illobrand von Ludwiger, zur Rechtfertigung die Statistik einer französischen Behörde und offiziellen UFO-Meldestelle zeigt, die belegen soll, dass „38 Prozent“ der eingegangenen und untersuchten UFOSichtungen „nicht geklärt“ bleiben – und damit UFOs im engeren Sinne seien –, fällt ihm Yogeshwar sichtlich aufgeregt ins Wort: „[…] sehen sie, dass ist doch genau der Punkt, sie […] zeigen dem Zuschauer eine Pseudostatistik ((Unruhe und Stimmgewirr)) […]“761
Der zweite anwesende „Skeptiker“, der Astrophysiker Harald Lesch, macht die von ihm angenommene Unwahrscheinlichkeit von intelligentem Leben im All deutlich: „aus der Sicht eines Astrophysikers“ sei es „extrem unwahrscheinlich […], dass UFOs extraterrestrischen Ursprungs sind“762. Mit der heutigen Technologie und den bekannten Naturgesetzen sei es undenkbar, dass uns Lebewesen aus anderen Galaxien besuchten, meint Lesch. Er geht von einem anthropozentrischen – er nennt es ironisch auch ‚chauvinistisches‘ – Weltbild aus, in dem, „die physikalischen Gesetze überall im Universum die gleichen sind wie bei uns“763. Nach diesem Wissen sei ein E. T.-Kontakt nahezu ausgeschlossen. Heinz Rohde, der Dokumentarfilmer, vertritt den Standpunkt, es müsse zunächst einmal über das marginalisierte Phänomen selbst gesprochen werden, ohne es schon auf ein E. T.Szenario festzulegen. Von „grünen Männchen“ gingen weder er noch von Ludwiger aus. Ihm sei es mit der Dokumentation darum gegangen, dass man den Leuten, die nun etwas sehen auch mal die Chance geben muss, darüber zu berichten. Denn nur wenn über die Dinge geredet wird, kommt es vielleicht auch mal dazu, dass, wie in Frankreich, auch bei uns mal ganz solide geforscht wird, dass man nicht über irgendwelche Männchen reden muss, sondern über das Irdische […]764
Etwas später ergänzt Rohde: das schlimme ist ja zu diesem Thema, dass schon seit 50 Jahren dieses entsetzliche Wort UFO kursiert und dass um dieses Wort so fürchterlich viele Geheimnisse gemacht wurden und vor dem Hintergrund dieser Geheimniskrämerei sich ja sehr unheilvolle Entwicklungen eingestellt haben und ich finde, dass es deshalb an der Zeit ist, dass man einfach mal zu mehr Offenheit kommt; dass man Leute nicht gleich niederbügelt, die meinen, sie haben etwas gesehen, man muss denen eine Chance geben, freiwillig auch mal etwas zu sagen […]765
Der Filmemacher fordert für Deutschland eine Institution wie sie Frankreich hat, in der UFO-Sichtungen „ganz solide ausgewertet werden“. Er findet, es sei „ein
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Unding, dass in Deutschland und in anderen Ländern Leute in ihrer Freizeit und privat mit ihrem Geld“ diese Fälle untersuchen müssten. Für von Ludwiger sei das Ziel ebenfalls eine Versachlichung des Diskurses und dass das Thema „an die Universitäten, wo es hingehört“, kommt. Lesch stimmt ihm zu und spricht von einer „Vereinsmeierei“ in der UFO-Forschung seiner Zeit. Er sei auch für seriöse Wissenschaft, dem Film habe aber die Skepsis gefehlt, meint er. Weil das UFO-Thema „nicht formalisiert ist“, sagt der Astrophysiker und heute populäre Wissenschaftsjournalist, „kommt es in diesen Sumpf [von Esoterik und Pseudowissenschaft] rein“.766 Am Ende sind sich alle außer Yogeshwar einig, dass zumindest die weitere Erforschung des Phänomens sinnvoll sei.
Abbildung 59: ARD-Doku „UFOs – und es gibt sie doch“ und Diskussionsrunde („UFOs – gibt es sie wirklich?“), am 24. und 27. Oktober 1994 (Quelle: eigene Collage/YouTube/ARD).
Diese 1994 geführte Debatte ist auch über 20 Jahre später noch aktuell. Die „Geheimniskrämerei“ in der BRD geht weiter. UFOs existieren offiziell nicht. Sie sind, wie der Exopolitik-Aktivist Robert Fleischer weiß, eine „Verborgene Wahrheit“767. Als er auf der Bundespressekonferenz am 30. August 2015 die Frage stellt, wieso sich „in Deutschland niemand darum kümmert“, obwohl „in 20 Ländern […] das Militär bereits unidentifizierte Flugobjekte registriert, Jahrzehnte lang Akten dazu angelegt […] und veröffentlicht hat, in fünf Ländern […] sogar staatliche Untersuchungsbehörden“ existierten, erntete er heiteres Gelächter des Publikums. Der Regierungssprecher antwortete unter anderem: Er wisse, „dass es eine Reihe von Menschen gibt, die damit sehr viel Zeit verbringen und im Internet sich dazu austauschen.“ Doch das Thema steht nicht im Mittelpunkt der Politik dieser Bundesregierung, es steht nicht einmal an den Rändern der Politik dieser Bundesregierung. Wir haben auch nicht das Gefühl,
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dass es in irgendeiner Weise eine Frage ist, die für das gute Zusammenleben in Deutschland oder in der Welt von Bedeutung wäre.768
„Die Frage stellt sich nicht“, wird unter heiterem Gelächter vom Podium der Pressekonferenz hinzugefügt. Während z. B. der 1999 erschienene „COMETA“Report der französischen „L‘Association Aéronautique et Astronautique de France“ (AAAF) nach Berichten von alternativen Medien und deutschen UFOForscher*innen zum Ergebnis kommt, „dass das UFO-Phänomen definitiv real und wahrscheinlich außerirdischen Ursprungs ist“ 769, existiert in der BRD-Politik nicht einmal das Phänomen bzw. die „Frage“ danach ist bereits diskreditiert und sorgt für belustigtes Augenrollen. Dieser eklatante Widerspruch, diese beiden unvereinbaren Wirklichkeiten, die sich schon in der Fernsehdebatte von 1994 zuspitzten, sind Teil des Gegenwartsdiskurses. In dieser Debatte fallen zwei Dinge auf: 1.) haben wir es beim UFO-Phänomen vor allem mit existenziellen gesellschaftlichen Fragen und „Weltbildern“ bzw. deren Infrage-Stellung zu tun, was 2.) dazu führt, dass sich der Diskurs von einer vordergründig empirisch-wissenschaftlichen Debatte immer wieder hin zu gesellschaftlichen Fragen verschiebt. Exemplarisch wird dies in der 1994er-Debatte an Stellen, wo Yogeshwar darum bemüht ist, „Verantwortung“770 für die „Zuschauer“ zu übernehmen oder Lesch „Sektenbildung“771 durch Aufklärung verhindern will. Es geht hier weniger um empirische ‚Wahrheitsfindung‘, sondern vielmehr um den gesellschaftlichen Auftrag von Wissenschaft. Dabei spielen, wie bei „Verschwörungstheorien“ auch, Angstkommunikation, aber vor allem auch Ridikülisierung des Themas eine Rolle – etwa dort, wo Ranga Yogeshwar die UFO-Thematik mit allerlei „Tralala“ gleichsetzt, vor dem er die Zuschauer*innen bewahren will. Auf die Frage des Moderators, was ihn denn so errege, antwortet er: mich erregt, dass wir uns nach und nach damit in eine Sphäre hinein bewegen, in die ich nicht hin will und diese Sphäre heißt: heute machen wir eine Sendung über UFOs in dem Stil und morgen machen wir sie über levitiertes Wasser und übermorgen zum Beispiel über elektromagnetische Wellen und Felder […] und da haben sie dann auf einmal genau diese Propheten […] einen Kommerz […]772.
Dass es in dieser Debatte auch um „boundary work“ geht, lässt sich an den Stellen erkennen, wo Yogeshwar mit Labelings wie „Esoterik“773 oder „Pseudo-“ argumentiert – UFO-Forschung ist für ihn keine Grenz-, sondern eine Pseudowissenschaft.774 Die ernsthafte und seriöse Wissenschaft vertrete er selbst. Was darüber hinaus geht, dürfe nicht (ernsthaft oder wissenschaftlich und damit eine legitimierte Realität) sein. Es wäre reizvoll, sich die Kommunikationsstruktur dieser historischen Debatte genauer anzusehen, inhaltsanalytisch herauszuarbeiten, wer wie wofür argumentiert. An dieser Stelle verzichten wir darauf, denn uns interessiert nicht allein der UFO-Diskurs, sondern seine strukturelle Verbindung zum Diskurs über „Verschwörungstheorien“.
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UFO-„VERSCHWÖRUNG(STHEORIEN)“ THE MILITARY AND INTELLIGENCE COMMUNITY CONTINUE TO SHOW MYRIAD CONNECTIONS WITH UFO ORGANIZATIONS, AND SEVERAL INSTANCES OF UFO DISINFORMATION PLANTED BY INTELLIGENCE PERSONEL ARE KNOWN. THE RESULT HAS BEEN THREE DECADES OF FRAGMENTATION AND PERENNIAL WHEEL-SPINNING. HOW CAN WE MAKE SENSE OUT OF SUCH CONFUSION? (RICHARD DOLAN, UFOS AND THE NATIONAL SECURITY STATE, 2000775)
Zu Beginn des neuen Jahrtausends initiiert Stephen Greer das „Disclosure Project“. In einer Pressekonferenz am 9. Mai 2001 brechen im renommierten „National Press Club“ vor den Augen der Presse-Öffentlichkeit ein Dutzend hochrangiger Generäle, (Militär-)Piloten und Mitarbeiter*innen von US-Behörden ihr Schweigen. Über 500 Zeug*innen aus Regierungs-, Luft- und Raumfahrtbehörden, dem Militär- und dem Geheimdienstsektor seien den Initiatoren zufolge bereit, ihre Erfahrungen mit unidentifizierten Flugobjekten (UFOs) und extra-terrestrischen Phänomenen unter Eid und vor dem US-Kongress zu bestätigen. Das Ziel der Disclosure-Bewegung ist die Freigabe des mutmaßlich unterdrückten Wissens über das UFO-Phänomen, extra-terrestrische Begegnungen und damit zusammenhängend verborgener E. T.-Technologien, die zu militärisch-ökonomischen Zwecken ausgebeutet würden – zusammengefasst in den Worten Greers: „To disclose the truth about the subject, which is called ‚UFO‘s‘“. 776 Der damals 45-jährige Biologe und Trauma-Mediziner Greer wird durch dieses Event in Teilen der UFOCommunity zum Hoffnungsträger. Einerseits, weil dadurch direkter Druck auf die Behörden ausgeübt werden könnte; andererseits, weil die Veranstaltung Öffentlichkeit für das UFO-Thema im Allgemeinen erzeugen kann. Eine Reihe großer US-amerikanischer Leitmedien ist an diesem Tag im Presseklub anwesend. Doch die anschließende Berichterstattung bleibt nur spärlich. Der ‚große Knall‘ und das erhoffte Diffundieren der UFO-Realität in den politisch-medialen Mainstream bleibt aus. Die zu dieser Zeit noch junge Internet-Technologie bietet der Disclosure-Bewegung zwar neue Möglichkeiten der Recherche, Vernetzung und Öffentlichkeitsproduktion. Aber das UFO-Thema bleibt auch im Anschluss an Greers Veranstaltung gesellschaftlich marginal. Kritiker*innnen innerhalb der UFOCommunity bemängeln, dass Greer mit vielen Aussagen zu weit gegangen und mit der Redner*innen-Auswahl zu unvorsichtig gewesen sei.777 Dafür erschüttert fünf Monate nach dem „Pressclub“-Event ein anderer Knall die US-amerikanische und ‚westliche‘ Öffentlichkeit: 9/11. Der politische Diskurs nach den Terroranschlägen macht die „Disclosure“-Bestrebungen zunichte. Die nächsten etwa zwei Jahrzehnte beherrschen andere Themen den Mainstream-Diskurs. Die Disclosure-Bewegung geht von einem „Cover-Up“ aus, d. h. einer Verschwörung zur Geheimhaltung von Wissen über ein bestimmtes Phänomen – in diesem Fall der UFO-Thematik. Der „Cover-Up“ ist der Kategorie nach, eine Verschwörung zweiten Grades (vgl. Kap. 4.1.4). Die heutige UFO-Forschung ist
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aufgrund ihrer Geschichte durch ein bisweilen latentes und bisweilen manifestes Verschwörungsdenken geprägt. Dem Soziologen und UFO-Forscher Ingbert Jüdt zufolge vollzog sich diese nachhaltige Wende „weg von wissenschaftlich-empirischen Untersuchungen und hin zu umfangreichen verschwörungstheoretischen Vorstellungen und Vorwürfen“ innerhalb der US-amerikanischen und internationalen „Ufologie“ im Zuge von einigen Desinformations-Kampagnen, die durch US-(Militär-)Geheimdienste gegenüber der UFO-Community lanciert wurden. In der „Veröffentlichung der Majestic-12-Desinformation“ hätte sich dieses Misstrauen und der generelle Verschwörungsverdacht schließlich katalysiert und manifestiert (Jüdt 2014: 143). Während sich, Jüdt zufolge, die von Laien und außerakademischen Wissenschaftler*innen betriebene UFO-Forschung, vor dem Bekanntwerden gezielt gestreuter Falschinformationen durch Geheimdienste, vor allem mit dem Erheben, Sammeln und Auswerten von UFO-Fällen und der (natur-)wissenschaftlichen Erklärung und Differenzierung des Phänomens beschäftigte, tendierte sie danach mehr und mehr zur Aufdeckung eines mutmaßlichen UFO„Cover-Up“. Dieser fand als zeitgenössischer Topos ebenfalls durch popkulturelle Filme wie John Carpenters „They Live“ (1989) und Serien wie die „X-Files“ (1993–2002) Eingang in das kulturelle Gedächtnis und assoziierte die UFOThematik, ihre Phänomenologie und Geschichte insgesamt mit verschwörungstheoretischen und daher als stigmatisierten und unseriös geltenden Spekulationen.
Abbildung 60: Steven Greer (o. l.) moderiert die Pressekonferenz des „Disclosure Projekts“ am 9. Mai 2001 im National Press Club, Washington, D. C. (Quelle: YouTube). Diese Veränderung war so nachhaltig, dass sich ein großer Teil zunächst der amerikanischen, später auch der internationalen ‚Ufologie‘ von einem losen Verbund empirisch ausgerichteter Wissenschaftler und Laienforscher allmählich zu einem subkulturellen politischen Akteur wandelte, der die feststehende Überzeugung von der
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Anwesenheit Außerirdischer, ihrer Vertuschung durch die […] Regierung sowie von den Verheißungen des technischen Re-Engineerings angeblich geborgener Raumfahrzeuge zur Grundlage jener neuartigen sozialutopischen Agenda machte, die heute als ideeller Kern der Disclosure- und Exopolitik-Bewegung bekannt ist. (Ebd.)
Die von Jüdt zusammengetragenen und analysierten Fälle zeigen das Wechselspiel zwischen desinformativer Geheimdienstpraxis und Verschwörungsparanoia innerhalb der US-amerikanischen UFO-Community. In der Analyse der sogenannten „Bennewitz-Affäre“ und der mit ihr verbundenen Propagierung der Majestic-12Dokumente schlussfolgert Jüdt, habe hier eine „Überführung von Nichtwissen in ‚sicheres Falschwissen‘ stattgefunden (ebd.: 154). Aufgrund des gezielten Zuschnitts von Desinformation – Zielpersonen innerhalb der UFO-Forschung wurden systematisch ausgespäht und unter hohem Aufwand ihren Bedürfnisstrukturen und Deutungsmustern entsprechend durch (falsche) Vertrauenspersonen mit (Falsch-)Informationen versorgt – auf die „Resonanzgruppe“ seien die Kampagnen „so stupend erfolgreich“ gewesen (ebd.). Aus Behördensicht – etwa dem Geheimdienst der US-Air Force – spricht Jüdt hier „von einer erfolgreichen Krisenbewältigung“, weil durch die gezielte Desinformierung der Forschungs-Community „Deutungsmuster, in denen sich das Interesse an UFOs bewegt, erfolgreich ins Absurde gesteigert“ wurden (ebd.). Als für die Sicherheit und Verteidigung des US-Luftraums zuständige Behörde, muss die Air Force ihre Souveränität auf diesem Gebiet garantieren. In dieser Hinsicht sei die Behörde im Falle von UFO-Sichtungen dem „Grundwiderspruch“ ausgesetzt, „dass es offenbar atmosphärische Phänomene gibt, die sich der Kontrolle, der Identifikationsmöglichkeit und damit der Souveränität der Air Force im eigenen Luftraum entziehen“ (ebd.: 153), was sie dazu zwingt, die UFO-Realität mit allen Mitteln zu unterdrücken und zu nihilieren. Die mit solchen Vertuschungs- und Desinformationspraktiken einhergehende Erosion des „Vertrauen[s] in die Äußerungen von Regierungsbehörden“ wird genau dadurch externalisiert und diffus. UFOs darf es nicht geben, weil sonst das Image der für sie zuständigen Behörden diskreditierbar wird (vgl. Wendt/Duvall 2008) – analog zur ‚ganzen Wahrheit‘ bei „deep events“ (vgl. Kap. 4.3). Das Geheimnis ‚hinter‘ der UFO-Phänomenologie wird durch Nihilierungs- und Täuschungspraktiken aufrechterhalten, während das Misstrauen und die Paranoia bei den Getäuschten zunehmen, was diese wiederum selbst diskreditiert und gesellschaftlich marginalisiert. Jüdt kommt zu dem Schluss, dass „das ‚Wissen‘ über eine Verschwörung […] ebenso selbst Produkt einer Verschwörung sein“ könne; in dem Schattenbereich klandestiner Desinformationspraktiken verwischt die Grenze zwischen Verschwörungstheorie und Verschwörungspraxis: „Verschwörungen und Verschwörungstheorien haben hier denselben ontologischen Status.“ (Jüdt 2014: 155) Insofern findet sich hier jene Dialektik, die wir bereits im Falle des CIA-Dokuments „1035– 960“ thematisiert haben (Kap. 5.5.5). Wie in diesem Fall oder auch im Fall der
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„Protokolle der Weisen von Zion“ sind Geheimdienste bzw. die durch sie finanzierten, motivierten oder ideologisierten Agent*innen, (Des-)Informant*innen und „kreativen Problemlöser“ (ebd.: 154) nicht weniger an der gezielten und diffusen Fabrikation von „Verschwörungstheorien“ oder „Fake News“ beteiligt als die durch sie diskreditierten und (des-)informierten Aktivist*innen. Die Entgrenzung, Irritation und vermeintliche Zerstörung der ‚Realität‘ durch Misstrauen und „Verschwörungstheorien“ und reale Komplotte wird auch hier als Wechselwirkung unterschiedlicher gesellschaftlicher Kräfte und Akteur*innen sichtbar.
Abbildung 61: Zeitungsberichte über die „Phoenix Lights“ (USA Today, 18. Juni 1997) und Amateurfilmaufnahmen der Phänomene am Nachthimmel über Arizona, Nevada am 13. März 1997. Bericht im Roswell Daily Record am 8. Juli 1974 über das Roswell-Ereignis (vorne) (Quelle: eigene Collage).
Was wir in den vorgängigen Kapiteln über den Diskurs über „Verschwörungstheorien“ und Verschwörungen herausgefunden haben – es hat sehr viele Parallelen und Schnittmengen mit dem UFO-Diskurs: die Marginalisierung des Phänomens durch die orthodoxe Wissenschaft und Politik; „Skeptiker“ und Expert*innen in Leitmedien als Gatekeeper; eine negative Verbindung zur Nationalen Sicherheit oder ein Tabu. Dolan (2000) und Wendt und Duvall (2008) haben gerade letzteren Punkt herausgearbeitet. Dagegen hat Jüdt (2013a) zu zeigen versucht, weshalb es ein UFO-Tabu gibt, das nicht primär politisch, sondern „öffentlich“ begründet sei. Das UFO-Wissen, dasjenige, was etwa Augenzeug*innen von UFO-Sichtungen meinen zu sehen, stamme aus einem unsicheren (Grenz-)Bereich, „der als wissenschaftlicher Untersuchungsbereich gesellschaftlich überhaupt nicht institutionalisiert ist“, so Jüdt (ebd.: 119). Genau darin bestehe aber das Tabu: Es operiere „im Wissenschaftssystem“ und daher sei die ‚Geheimhaltung‘ des UFO-Wissens
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letztlich nicht primär in einer staatlichen Vertuschung zu suchen, sondern in erster Linie in gesellschaftlichen Strukturen, die die Sphäre politischer Macht übergreifen. Die Realität des UFO-Phänomens bedrohe nicht nur die Souveränität und Sicherheit des Staates, sondern vor allem auch „die Souveränität des [modernen] Subjekts“ (ebd.: 120). Die in dieser Studie vertretene Auffassung einer Kultur der Konspiration unterstützt diese Ansicht: Die Verschleierung konspirativer Praxis ist immer eine gesellschaftliche, die (Nicht-)Handlungen des Publikums bzw. einer Öffentlichkeit miteinschließt. Sie ist nur die äußere Kehrseite der verdrängten Wirklichkeit des Tabus. Dass parapolitische Praxis einen wesentlichen Einfluss auf die Konstitution und Reproduktion gesellschaftlicher Geheimnisse sowie auf die kulturelle Produktion von Ignoranz (McGovern 2018), Zweifel und Misstrauensbildung der Öffentlichkeit hat, daran wird wohl auch Jüdt keinen Zweifel hegen (ebd.: 2013b, 2014). Wir haben diesen Punkt oben bereits ausgeführt. Das UFO-Wissen ist großteils Grenzwissen. Dieser Status bedingt eine gesellschaftliche Unsicherheit und bisweilen Angst in Bezug auf das Phänomen. Letztere wird nicht zuletzt durch spektakuläre Hollywood-Produktionen wie die seit 1979 bis heute fortgeführte „Alien“-Horror-Filmreihe oder Kino-Spektakel wie „Independence Day“ (1996) befördert. Anton und Schetsche (2013) fordern in diesem Sinne eine „reflexive UFO-Forschung“. Eine solche wäre in einer „Gesellschaft der Außerirdischen“ (ebd.: 2019) – d. h. einer Gesellschaft, die die Existenz extraterrestrischen Lebens offiziell anerkennt – ohnehin unumgänglich. Anders als noch in den 1990er-Jahren ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt die extraterrestrische Hypothese nicht mehr so einfach von der Hand zu weisen. Nicht nur, dass mittlerweile viele bekannte Personen, wie etwa Steven Hawking, der Dalai Lama oder ein Vatikan-Astronom, der Außerirdische taufen lassen will [sic], sich öffentlich zu diesem Thema geäußert haben. Jede*r zweite Deutsche, Brit*in und USAmerikaner*in glaubt nach einer YouGov-Umfrage von 2015 an außerirdisches intelligentes Leben.778 Im Dezember 2017 berichten drei bekannte USamerikanische Medien, die Washington Post, Politico und die New York Times, über ein fünf Jahre lang geheim gehaltenes UFO-Untersuchungsprogramm im Pentagon. Unter dem Namen „Advanced Aerospace Threat Identification Programm“ (AATIP) sollten von 2007 bis 2012 unidentifizierte Flugobjekte, die eine Bedrohung für die Nationale Sicherheit darstellten, untersucht werden. Mit dem Aufdecken des Programms durch einen ehemaligen Mitarbeiter wird gleichzeitig ein Videoausschnitt veröffentlicht, das die Verfolgung eines UFOs durch einen Düsenjet der US-Air Force zeigen soll.779 Der Leiter von AATIP, Luis Elizondo, verließ angeblich das geheime Programm, nachdem ihm die Mittel abgeschnitten wurden und er gegen „excessive secrecy and internal opposition“ habe ankämpfen müssen. Er ging an die Öffentlichkeit und gründete zusammen mit anderen das private und kommerzielle Unternehmen „To The Stars Academy“ (TTSA), das vorgibt, Technologie unbekannter Raumschiffe nachbauen zu wollen. Glaubt man
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die Geschichte, ist das UFO-Phänomen real und es gibt extraterrestrische Interaktionen mit einer fremden Technologie. Elizondo behauptet öffentlich: For the first time, we have a compelling picture that what we are seeing is explained in our current understanding of physics, advanced physics, and quantum mechanics.780
Einige „Skeptiker“ und viele UFO-Forscher*innen halten Elizondos Geschichte für interessant oder zumindest hinterfragenswert. ExoMagazinTV bemerkt, dass Elizondos Firma, […] seltsamerweise Zugang zu früher geheimen UFO-Informationen der USRegierung hat und aufs Engste mit dem US-Geheimdienstapparat verknüpft ist. […] Einerseits ist Elizondo nach wie vor an seinen Geheimhaltungseid gebunden. Andererseits arbeitet er derzeit gemeinsam mit „To The Stars“ an der Veröffentlichung von weiteren Enthüllungen.781
Die deutschsprachige UFO(-Forschungs)-Community ist heterogen und nicht nur in diesem aktuellen Fall sehr gespalten. Während die einen, vor allem Vereine wie die „GEP“, noch induktiv nach eindeutigen Evidenzen für eine ‚einheitliche‘ Theorie des UFO-Phänomens suchen, ist für andere klar, dass nicht nur UFOs, sondern extraterrestrische Intelligenzen und Technologien existieren. Die Rätsel und Schatten um dieses Phänomen sind für sie aber auch menschengemacht. Wieder andere gehen soweit, dass sie das UFO-Phänomen für eine Transformation ihres „Bewusstseins“ nutzen. „EXOPOLITIK DEUTSCHLAND“
In diesem Verwirrspiel von Täuschung und Ent-Täuschung ist die deutschsprachige „Exopolitik“-Bewegung, begründet von Robert Fleischer, ein zentraler Akteur. In der Bürger*innenbewegung geht man von der ontologischen Realität des UFO-Phänomens und dem Vorhandensein außerirdischer Technologie aus. „Exopolitik“ setzt sich für einen öffentlichen Diskurs über UFO-Themen ein. Über ihre Webseite und im YouTube-Kanal, der über 64.000 Abonnent*innen hat, stellt „Exopolitik Deutschland“, neben UFO-Wissen sehr breitgefächertes Wissen über Grenzthemen, wie Kryptozoologie, neue Technologien, Remote Viewing, Reinkarnation, aber auch über „Verschwörungstheorien“, z. B. zu 9/11 oder zum „Tiefen Staat“, bereit. Diese machen nur einen sehr geringen Prozentsatz des Materials der Plattform aus. „Exopolitik“ finanziert sich aus Abonnements. Es gibt einen großen ‚freien‘ Bereich auf YouTube, der über die Webseite verlinkt ist und einen geschlossenen, zugänglich nur für Abonnent*innen. Die Aufbereitung des Materials ist ziemlich plakativ und massentauglich mit vielen, oft farbigen, poppigen und hellen Bildern und großen Buchstaben, inhaltlich jedoch professionell, faktenorientiert und quellenbasiert. Im Selbstverständnis auf der Webseite heißt es: Exopolitik Deutschland ist Teil eines weltweiten Netzwerkes von Bürgerinitiativen mit dem Ziel, die Öffentlichkeit über Hinweise auf eine außerirdische Präsenz auf
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unserem Planeten zu informieren. Zahlreiche Belege für das Vorhandensein hochentwickelter Fluggeräte mit erstaunlichen Flugeigenschaften im Luftraum der Erde lassen die bislang hypothetisch geführte Debatte über die Existenz von UFOs überflüssig erscheinen. Vielmehr weisen sie darauf hin, dass die Menschheit sich kurz vor dem nächsten wichtigen Schritt in ihrer Evolution befindet: Ihrer Ausbreitung ins Weltall und der Entdeckung, dass sie dieses nicht allein bewohnt.782
Die Bewegung wurde im Juni 2007 ins Leben gerufen. Das Motto auf der Webseite von „Exopolitik“ lautet: „Welches Wissen braucht der Wandel?“ – eine Frage, die eine spirituelle oder gnostische Dimension aufweist und sich somit in den kosmologischen Rahmen der Disclosure-Bewegung passend einfügt (vgl. Jüdt 2014: 144). Fleischer selbst sieht sich als Multiplikator für das UFO-Thema. Die Zeitung Die Welt bezeichnete ihn ironisch als „Deutschlands oberste[n] Alien-Lobbyist[en]“783. Fleischer ist ein Medienprofi. Er tritt seriös und charmant auf. Als studierter Diplom-Übersetzer und gelernter Journalist arbeitete er eine zeitlang im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Dort sei es ihm, wie er selbst behauptet, thematisch zu engstirnig geworden. […] vielleicht ist wirklich viel-viel mehr möglich als uns in den Massenmedien erzählt wird und wir sollten mehr auf unser Herz hören […]. (Robert Fleischer, Das dritte Jahrtausend, ExoMagazinTV, 2018784)
Neben seiner Tätigkeit bei „Exopolitik“ moderiert Fleischer u. a. im YouTube-Projekt „Welt im Wandel.TV“ in dem es ebenfalls um spirituelle und grenz(wissenschaftliche) oder randständige Themen geht und das von der Ästhetik ähnlich aufbereitet ist wie „Exopolitik“. Der Kommunikationsstil und die Rhetorik von „Exopolitik“ und Fleischer sind anregend, aber gelassen. Das Politische bei „Exopolitik“ ist nicht geopolitisch im engeren Sinne des Wortes, sondern transpolitisch in dem Sinne, dass alle geopolitischen Ereignisse im Lichte der E. T.(-Technologie)Hypothese gedeutet werden. Insofern findet bei „Exopolitik“ keine direkte Feindbildproduktion statt, wie sie in anderen ideologischen Diskursen der „Gegenöffentlichkeit“ stattfindet. Eines der Ziele der „Exopolitik“-Bewegung ist neben einer staatlichen Förderung der UFO-Forschung die Einrichtung einer internationalen politischen Kommission auf der Ebene der Vereinten Nationen zur Ergründung der Frage, wie die bislang verdrängte Realität außerirdischer Besucher auf unserem Planeten möglichst schonend in der irdischen Gesellschaft und Gesetzgebung berücksichtigt werden kann;785
Die vorgeblich „verdrängte“ Wahrheit der UFO-Realität ist jenes Element, welches die Aktivist*innen trotz ihres positiven Bezugs auf „die Menschheit“ [Hervorhebung von A. S.] misstrauisch gegenüber offiziellen Institutionen, primär Militärs und Geheimdiensten, macht. So spricht Fleischer in dem YouTube-Format „Das dritte Jahrtausend“, das er zusammen mit dem Filmemacher und Journalisten Dirk Pohlmann und dem Journalisten Mathias Bröckers macht, ebenfalls von einem „Informationskrieg“786, in dem man sich befinde. Das besagte Format zeigt
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sehr gut die Entgrenzung zwischen populären „Verschwörungstheorien“ und diesem Bereich der „Ufologie“. Die Sendereihe existiert seit März 2018 und hat innerhalb von 24 Monaten über 40 Folgen veröffentlicht.787 Fleischer sitzt dabei in einem animierten Studio, die beiden anderen im Home-Office. Es werden in dieser Reihe dezidiert aktuelle (geo-)politische Entwicklungen besprochen, das UFOThema kommt am Rande vor. Das Moderatoren-Trio Fleischer, Pohlmann und Bröckers sucht sich dazu für jede Sendung einzelne Themen der vergangenen Wochen aus und bespricht sie dialogisch. Es geht vor allem um außen- und innenpolitische Ereignisse und die mediale Berichterstattung über diese. Etwa um die Skripal-Affäre, um Manipulation bei der Wikipedia, neue Militärtechnologie der Weltmächte, um die Proteste der Gelbwesten in Frankreich. Immer wieder sind „Eliten“, der „Tiefe Staat“ oder „Geheimdienste“ Thema, zeitweise der Klimawandel. Letztere sind eher Pohlmanns und Bröckers Spezialgebiete, wobei es hier Kontroversen und Deutungskonflikte mit anderen alternativen Medien gibt. 2018/19 wird auch die Wikipedia-Kritik von Pohlmann immer wieder aufgegriffen (vgl. Kap. 5.5.3). Es werden Titelthemen und Zeitungsausschnitte gezeigt, mit weiteren, oft ausländischen Quellen verbunden und damit in einen anderen geopolitischen Kontext gestellt und kommentiert. Was dabei empraktisch geschieht, ist ein Hinterfragen von orthodoxem Wissen, wie wir es als ein Merkmal von „Verschwörungstheorien“ kennen – in der Regel ist das in diesem Fall eine transatlantische Doktrin. Dadurch findet eine indirekte Feindbild(re)produktion statt. Meist sind die drei Moderatoren ähnlicher Meinung, heben aber unterschiedliche Aspekte der Themen hervor (vgl. Kap. 6.4). Die Grundstimmung ist heiter, freundlich, humorvoll und entspannt, geprägt durch die Hauptmoderation von Robert Fleischer, phasenweise wieder angespannt und zynisch, manchmal zornig, was vor allem den Persönlichkeiten Pohlmanns und Bröckers geschuldet ist. Fleischer übernimmt dabei eher die Moderation der Themen und achtet auf den Rahmen der Sendung. In den ersten Minuten jeder Episode liest er die Spender*innensummen und -namen vor und die drei bedanken sich beim Publikum. Auch Feedback und Themenwünsche werden vorgelesen. So wird versucht, Publikumsnähe her- und darzustellen, wobei klar ist, dass das technisch immer unmöglicher wird, je stärker Zuschauer*innen und Spendenzahl steigen. In dieser „Exopolitik“-Sendereihe zeigt sich nicht nur die thematische, sondern auch die personelle Verflechtung zwischen verschiedenen bekannteren alternativen Medienportalen, die der „Gegenöffentlichkeit“ zuzurechnen sind. Dirk Pohlmann wirkt mit seinen Auftritten nicht nur in diesem Projekt auf verschiedene Weise mit. Zusammen mit Markus Fiedler hat er zugleich das YouTube-Format „Geschichten aus Wikihausen“ der Gruppe42 moderiert und diverse Auftritte im Portal von KenFM, aber auch bei NuoViso.tv oder Russia Today gehabt. Bei KenFM war Fleischer ebenfalls schon zu Gast. Bröckers wiederum hat sowohl
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Auftritte in der Gruppe42 und ist auch regelmäßiger Gast in verschiedenen Formaten von KenFM sowie bei Russia Today.
7 Schattenzonen: Occulture und Conspirituality WER DAS SCHWEIGEN BRICHT, DER BRICHT DIE MACHT DER TÄTER (MÄCHTIGES NETZWERK DER PÄDOPHILEN REICHT WEIT IN DIE BEHÖRDEN, BERLINER ZEITUNG, 15. JUNI 2020788)
In diesem letzten Abschnitt soll der okkulte Bereich der Konspirationskultur schlaglichtartig beleuchtet werden. Es wird gezeigt, welche eminente Funktion und Bedeutung gesellschaftliche Schattenzonen bzw. die mit ihnen verbundenen okkulten oder arkanen Praktiken in der Konspirationskultur haben. Dabei orientieren wir uns einerseits an dem Okkulten als einem wesentlichen Aspekt von Verschwörungsdeutungen: Wenn die Verschwörung, in der Minimaldefinition nach Cubitt (1989), als geplante kollektive Tätigkeit, die im Verborgenen ausgeführt wird, bestimmt ist, dann bedingen und reproduzieren Schattenzonen, Untergründe und/oder klandestine Strukturen die Praxis der Verschwörung ebenso wie auch das Verschwörungsdenken. Schattenzonen sind nach Schetsche dadurch gekennzeichnet, dass hier keine Wissensordnung im eigentlichen Sinne existiert. Stattdessen sind die kryptodoxen Wissensbestände „monodirektional“, „(gegeneinander) abgeschottet“, „lebensweltlich und wissenschaftliche unsichtbar“, „gebrochen“ und „nicht Teil des generellen Prozesses des kulturellen Wissensaustausches“ und weisen die „Form des Geheimnisses“, meist des „reflexiven (oder zweifachen)“ auf (Schetsche 2012: 295 f.). Diese Merkmale treffen etwa für den Bereich der Intelligence wie auch für bestimmte heterodoxe Wissensbestände zu, die in etablierten Wissensordnungen stigmatisiert sind und daher in den kulturellen Untergrund (Asprem 2018) verbannt werden. Beispielsweise bestimmte esoterische und/oder kultische, aber auch sexuelle Praktiken, die als deviant gelten, parapolitische und/oder kriminelle Praktiken und Wissensformen. Die „Sinnprovinz der Kriminalität“ ist daher ebenso wie bestimmte Subkulturen mit den Schattenzonen der Gesellschaft untrennbar verbunden. Die Wissensvermittlung über „komplizenhafte Kommunikationskanäle“, kryptische Kommunikation, double binds, (Geheim-)Codes oder Symbole ist für diese Bereiche ebenso spezifisch wie der exklusive Zugang. Auch der Stigmazusammenhang ebenso wie Legendenbildung, Mythisierung und Fiktionalisierung prägen die Schattenwelt von der Mafia über Geheimdienste bis hin zu „Verschwörungstheorien“, über die hier mitunter Sinnbildung funktioniert. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist eine Stigmatisierung von Verschwörungsdeutungen mancher Ausprägung hegemonial, die viele von ihnen in den Untergrund drängt(e). Durch die Etablierung des Internets als Massenmedium hat sich dabei eine Verschiebung ergeben, in welcher stigmatisierte Wissensformen durch „Gegenöffentlichkeiten“ Anerkennungsansprüche erheben und verstärkt in den „Mainstream“ dringen. Der okkulte Aspekt des Verschwörungsdenkens hat aber noch eine andere Bedeutung, die als spirituell bezeichnet werden kann. Sie Zusatzmaterial online Zusätzliche Informationen sind in der Online-Version dieses Kapitel (https://doi.org/10.1007/ 978-3-658-31689-1_7) enthalten. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Schink, Verschwörungstheorie und Konspiration, Medienkulturen im digitalen Zeitalter, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31689-1_7
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verbindet das Milieu der „Verschwörungstheoretiker“ mit alternativen esoterischen oder spirituellen Milieus. Partridge (2006) unterscheidet dabei eine „dark occulture“ von einer ‚holistischen Spiritualität‘. Beide treffen in alternativen Milieus auf heterodoxes Verschwörungswissen und integrieren bzw. kontextualisieren sich teils wechselseitig. Ward/Voas (2011) haben dafür den Begriff der „Conspirituality“ geprägt. Das Verschwörungswissen fungiert in diesem Kontext weniger als Fakten- oder politisches Wissen, sondern vielmehr als Medium von Transzendenzerfahrung. Die Figur der Verschwörung repräsentiert dabei das Dunkle, das Böse, das Kriminelle o. ä., das im Verschwörungsglauben jedoch nicht – wie im Denken der Verschwörung in der Verschwörungsideologie – auf ‚äußere‘, politische oder materielle Zusammenhänge gerichtet ist, sondern vor allem auf das Selbst als das ‚Innere‘ des Subjekts. Im Verschwörungsglauben ist das Konspirative eine Ausprägung okkulter Kosmologie – neben noch anderen ‚dunklen‘ Weltbeziehungen. Diese Kosmologie kann bedingt sein durch Ideologieproduktion, aber hat ihre eigene Funktion und Phänomenologie. Sie steht nicht im ‚logischen‘ Widerspruch zu offiziellen und etablierten Wahrheiten, sondern hat diese Wahrheiten als eine Oberfläche integriert, deren okkulte Hintergründe als ‚tiefere‘ oder ‚wirklichere‘ Wirklichkeit zu decodieren sind. Weltverschwörungstheorien der Freimauer-, Illuminaten- oder Reptiloidenverschwörung sind vom (Alltags-)Verstand her nicht ‚rational‘ fass- und widerlegbar. Sie integrieren widersprüchliches Wissen vor dem Hintergrund ihrer okkulten Weltanschauung und bilden damit subjektiven Sinn. Sie wollen die Außenwelt nicht verändern, sondern beziehen sich auf ‚sich‘. Sie reduzieren auf dieser Ebene Komplexität dadurch, dass die Bedrohung irrealisiert, fiktionalisiert – für Außenstehende, die ‚nicht drin‘ sind (Kap. 7.5), unfassbar – wird. Oder sie lassen sie unaufgelöst nebeneinander, als Rätsel oder Mysterium, stehen – oder, anarchistischer und diskordianischer, als „fnord“ oder „mind fuck“. Verschwörungsglauben eignet sich, wie auch das Verschwörungsdenken zur Feindbildproduktion und politischer Agitation. Doch das ist nicht die Hauptfunktion. Diese liegt vielmehr in der Bezogenheit auf Transzendenz und hat damit eine starke spirituelle Seite. Oftmals dienen okkulte Kosmologien oder Elemente, die diesem Glauben zugrunde liegen, einer Art Selbsttransformation. 7.1 Occulture ALEISTER CROWLEY: OKKULTE UNTERGRÜNDE
Wenn die Verschwörung für das Dunkle, Böse, Sündige – inklusive der Angst davor – steht, dann findet sich dies manifestiert in der Person Aleister Crowleys. In den Büchern von R. A. Wilson kommt immer wieder der Name Aleister Crowley vor. Er wird von Wilson mit diversen Geheimlehren, unter anderem einer Religion, die Crowley „Thelema“ nannte, in Verbindung gebracht. Und auch die
7.1 Occulture
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„Illuminaten“ tauchen in den Geschichten über Crowley wieder auf. Als ich über Crowley recherchiere, finde ich eine undurchschaubare, widersprüchliche und polarisierende Figur. Er sei ein passionierter Schachspieler, Poet sowie Bergsteiger, aber vor allem ein Okkultist gewesen. Zugleich gilt Crowley auch als der Wegbereiter des modernen Satanismus. Das durch ihn bekannt gewordene Motto lautet: „Tue, was du willst!“ und steht für einen extremen Individualismus. Crowley selbst gab sich den Namen „Das große Tier 666“ und war vor allem als Provokateur bekannt, der insbesondere christlich-moralische Dogmen wiederholt öffentlichkeitswirksam durchbrach. Die zeitgenössische Presse Anfang des 20. Jahrhunderts half dabei mit, die Legende um Crowley als Bösewicht und „Satanist“ aufzubauen. Was davon Fiktion und was Fakt, was Humor oder Provokation ist und was ernst – oder ob diese Frage bei einem wie Crowley überhaupt zielführend ist –, ist schwer zu beantworten. Immer wieder gab der durch viktorianischen Zeitgeist geprägte Edward Alexander, der seinen elterlichen Rufnamen „Alec“ gehasst haben soll, sich neue Namen und Identitäten, scharte Anhänger*innen um sich und enttäuschte viele von ihnen. Mit Sicherheit war Crowley ein Egozentriker, den viele Zeitgenoss*innen für wahnsinnig und gefährlich hielten. Auf psychosozialeParallelen zum enfant terrible heutiger orthodoxer Diskurse, Ken Jebsen (Kap. 6.4), soll hier nicht näher eingegangen werden. Wenn sie auch beide charismatische Einzelgänger, Außenseiter und Provokateure darstellen, so sind ihre Biographien, Milieus und Weltanschauungen doch sehr verschieden. Crowley durchbrach jedenfalls, soviel ist sicher, die vorherrschende Sexualmoral, indem er sie pervertierte, er experimentierte mit Meskalin, Opium, Haschisch und war tatsächlich Mitglied in verschiedenen Geheimbünden und später Leiter des berüchtigten Ordo Templi Orientis (O. T. O.), in dessen Mittelpunkt sexualmagische Praktiken standen. Mittlerweile ist viel über Crowleys Person geforscht und geschrieben worden. Ein wichtiges Werk taucht im Zusammenhang mit seinem Okkultismus immer wieder auf: „Das Buch der Lügen“ („Book of Lies“) aus dem Jahr 1912/13. Der Titel klingt spannend genug. Ich lese es, als ich etwa 16 Jahre alt bin. Auf der Rückseite der deutschen Übersetzung von Michael D. Eschner heißt es: „Eines der berühmtesten Werke der modernen Magie“. Es wird damit geworben, dass das Buch „Theodor Reuss, das damalige Ordensoberhaupt des berühmten magischen Ordens ‚Ordo Templis Orientis‘ dazu veranlaßte, Crowley auf der Stelle zum Oberhaupt des englischen Zweiges dieses Ordens zu ernennen.“ Das Buch beweise, wird da Reuss zitiert, „daß Crowley alle magischen Geheimnisse kennt.“ Reuss war selbst in der okkult-esoterischen Geheimbundszene der Vorund Zwischenkriegszeit bestens vernetzt. 1880 gründet Reuss den „Weltbund der Illuminaten“ in der Tradition von Adam Weißhaupt neu und will ihn, als praktizierender Freimaurer, mit der „Großen Freimaurerloge von Deutschland“ verbinden,
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7 Schattenzonen: Occulture und Conspirituality
was jedoch abgelehnt wird. Nach über zwanzig Jahren wird der „Bund“ durch Streitigkeiten offensichtlich wieder aufgelöst. Als ich die dritte deutsche Auflage vom „Buch der Lügen“ aus dem Jahr 2000 erstmals in den Händen halte, blicke ich gespannt auf den Leineneinband. Auf dessen Cover sind auf weißem Hintergrund zwei ägyptische Priester*innen in blau neben einem dunklen pyramideartigem geometrischem Körper zu sehen, dahinter eine gelbe Fläche, die mit der Spitze nach unten zeigt. Schlägt man das Buch auf, finden sich 91 Kapitel, denen poetische Verse, in meist wenigen Sätzen, unterstellt sind. Die Zahlen in den Kapiteln sollen kabbalistischen Werten entsprechen. Der Herausgeber hat zum Verständnis jeweils einen kurzen Kommentar verfasst. Um Crowleys ‚System‘ zu verstehen, braucht es genügend Zeit, Geduld und vor allem einen starken Willen. ***
Die Figur Aleister Crowleys ist für dieses Kapitel auf mehreren Ebenen beispielgebend. Einmal in Bezug auf das okkulte Wissen, mit dem sich Crowley beschäftigte und das Zeit seines Lebens als „rejected knowledge“ im kulturellen „underground“ zirkulierte (Asprem 2018), post mortem jedoch populär wurde und spätestens mit den 1960er-Jahren und dem darauffolgenden „New Age“ eine ganze Generation kultureller Idole prägte. Zweitens in Bezug auf das Milieu, das Crowley umgab und das als „occulture“ bzw. kultureller Untergrund bezeichnet werden kann (vgl. Partridge 2004, 2006). Dieser ist im Gegensatz zu den Diskursen und Wissensordnungen des Establishments unsichtbar in der Art einer gesellschaftlichen Schattenzone. Der Untergrund geht ‚tiefer‘ als nur die Gegenkultur. Unterdrücktes Wissen zirkuliert hier und kann nur insofern zirkulieren, als dass es für die etablierte Öffentlichkeit unzugänglich bleibt. Die Kommunikation ist hier auf kleinere Kreise begrenzt, oftmals vermittelt und geschützt durch Symbole oder Codierungen. Das Wissen ist meist situiert, gegeneinander abgeschottet und flüchtig („elusiv“). Drittens ist dieses Wissen (aus der Distanz) immer wieder Ausgangspunkt für Verschwörungsdeutungen über okkulte, z. B. satanistische Praktiken (z. B. „ritueller Missbrauch“) mächtiger Eliten. Nachdem der autobiographische Autor die ersten Seiten von Crowleys „Buch der Lügen“ durchgeblättert hat, verliert er schnell das Interesse: zu kryptisch ist es geschrieben, zu schwer zu entziffern und ohne präzises Kontextwissen nahezu untauglich. Während in der „Gegenöffentlichkeit“ (Kap. 6) heterodoxes Wissen massenmedial kommuniziert, popularisiert und als solches verstanden wird, ist der Untergrund dadurch spezifiziert, dass das Wissen nicht-öffentlich ist – auch wenn es Schnittmengen und Wechselwirkungen zwischen Untergrund und „Gegenöffentlichkeit“ ebenso wie zwischen Untergrund und Establishment gibt. Viertens ist Crowley interessant wegen seiner mannigfaltigen Identitäten und Legendenbildungen, die nicht zuletzt mit seiner, heute ebenfalls historisch verbürgten Tätigkeit als Spion – und möglicherweise Doppelagent – des MI5 zu tun haben. Crowley verfügte über vielfache
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Kontakte in das angloamerikanische und europäische Establishment Anfang des 20. Jahrhunderts. Im Milieu, in dem er sich bewegte, tummelten sich, neben Künstler*innen und Abenteurer*innen wie ihm selbst, Okkultist*innen, Geheimbündler*innen einerseits und Diplomat*innen und Geheimagent*innen andererseits. Während seiner USA-Reise 1914–1919 ist seine Spionagetätigkeit erstmals dokumentiert. Crowley war ein Meister der Selbstdarstellung, aber, das wird oft vergessen, auch ein Meister der Verhüllung (vgl. Kap. 4.1.4). Hinter all den schillernden Masken, die Crowley Zeit seines Lebens offen und provokant zur Schau trug, verbarg er noch seine Spitzeltätigkeiten ziemlich gut. Richard Spence, der Crowleys Agententätigkeit eine umfassende Studie widmete, schreibt dazu: It might seem that someone so obsessively self-centered and disdainful of common decency as Aleister Crowley would make a poor spy. On the contrary, those very qualities helped to qualify him for the job. A strong, even ruthless, ego is essential for motivation and self-preservation; the only person, the spy can ultimately rely on is himself. (Spence 2008: 10)
OKKULTISMUS UND INTELLIGENCE
Aleister Crowley ist nur das bekannteste Beispiel eines Magiers im geheimen Auftrag im Namen des Staates. Eine ähnlich zwielichtige Gestalt ist der auf psychologische Kriegsführung spezialisierte ehemalige Militärgeheimdienstoffizier Michael Aquino. Auch um seine Person ranken sich zahlreiche Verschwörungsdeutungen. Als Begründer des „Temple of Set“ und Neuinterpret von Crowley verbindet sich in Aquinos Person die magische Praxis mit dem Wissen um Techniken der Bewusstseinsmanipulation („Mind Control“, vgl. Schwartz 2013: 81 ff.). Auch der bekannte Zauberer John Mulholland (1898–1970) war zugleich ein Geheimagent und arbeitete für die CIA. Nachdem Mulholland aus seiner Zaubererkarriere unerwartet ausschied, verfasste er das offizielle „CIA Manual of Trickery and Deception“. Die Verbindung zwischen Zauberkunst und Okkultismus einerseits und (Militär-)Intelligence andererseits ist nicht zufällig. Sie hat soziologische, aber auch technische Gründe und ist Ausdruck der „Rationalität“ des Okkulten. In der Geheimdienst- und Militärgeschichte gibt es noch weitere belegte Kollusionen zwischen diesen beiden Milieus, Wissensbereichen und Professionen: Im Ersten Weltkrieg beriet der bekannte britische Illusionist Nevil Maskelyne den britischen Militärgeheimdienst, im Zweiten Weltkrieg dessen Sohn John Jasper Maskelyne sowie andere. Auch der spätere Autor Ian Fleming, der im Zweiten Weltkrieg im britischen Geheimdienst gearbeitet hatte, liebte Täuschungsmanöver und stellte später in seinen Spionageromanen seine Hauptfigur James Bond als Leser des amerikanischen Zauberkünstlers und Falschspielexperten John Scarne dar, dessen Tricks sich am Spieltisch wiederfanden. Der amerikanische Weltkriegsgeheimdienst OSS rekrutierte ebenfalls Personal aus dem Showgeschäft.789
Im digitalen Zeitalter setzt sich die Kollusion zwischen Intelligence und Zauberkunst fort. 2014 veröffentlicht der investigative Journalist Glenn Greenwald
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mehrere Dokumente, die zeigen, wie eine zuvor geheime Spezialabteilung des britischen Geheimdiensts GCHQ mit modernen Täuschungs- und Manipulationsmethoden die Hoheit über das Internet erlangen will. Die dabei öffentlich gewordene „Powerpoint“-Präsentation einer Mitarbeiter*innen-Schulung arbeitet ebenfalls mit dem Thema des „Cyber Magician“790. Ziel dieses Trainings sei es, heißt es da, eine „New Generation of Online Covert Operations“ in der „Art of Deception“ auszubilden. Das Arsenal der verdeckten Cybermagier*innen reicht hierbei vom „monitoring of YouTube and Blogger“, „DDoS“-Hack-Attacken oder „the use of ‚honey traps‘ (luring people into compromising situations using sex) and destructive viruses“ bis hin zu „false flag operations“ (posting material to the internet and falsely attributing it to someone else), fake victim blog posts“ und dem „posting“ von „negative information“ on various forums.“791 Online-Diskurse sollen von Cyber-Agent*innen infiltriert und manipuliert werden, um eine Wirklichkeit zu erzeugen, die mit den (politischen) Zielen der jeweiligen Auftraggeber*innen in Einklang steht (vgl. Kap. 5.5.5). Die technische Verbindung zwischen Zauberei und operativer Intelligence besteht in der gezielten Nutzung okkulter Kräfte. Die performative Macht des Verbergens „bietet“, so Simmel (1992 [1908]: 406), „die Möglichkeit einer zweiten Welt neben der offenbaren, und diese wird von jener auf das Stärkste beeinflusst.“ Das Okkulte bezieht sich dabei auf die Differenz zwischen vordergründigem Schein und hintergründigem Sein, auf das, was dem Gegenüber, der Öffentlichkeit, verborgen bleibt und durch Magier*innen oder Agent*innen instrumentalisiert wird. Wissen ist Macht – so auch das Motto der geheimen USBehörde „Information Awareness Office“ (vgl. Abb. 22, Kap. 4.3). Die Täuschung und die Manipulation der sozialen Wirklichkeit beruhen im Kern auf dem Wissen und Nutzen von Frames, d. h., der gezielten Manipulation des Eindrucks. Am Beispiel der Brutkastenlüge (Kap. 4.2.1) wird diese „trickery“ deutlich: Die Öffentlichkeit sieht Bilder eines weinenden Mädchens und hält sie und ihre Geschichte für die Realität. Im Dunkeln, unsichtbar, bleibt dabei die Entstehungsgeschichte durch eine PR-Agentur, die reale Identität des Mädchens und die Querverbindungen zwischen den Akteur*innen: der Kontext. Nur vermittels dieses Hintergrundwissens kann der Trick durchschaut werden. Das Wissen um den ‚magischen‘ „Rand“ des Rahmens ermöglicht dem Publikum den Zugang zu Hinterbühnen und in Schattenzonen, die von Magier*innen wie von Geheimagent*innen kolonisiert und angeeignet werden. Sobald dieser Zugang gefunden oder das okkulte und diskreditierbare Wissen publik ist, schwindet seine Macht. Es hat seinen guten Grund, dass sowohl der Berufsstand der Zauber*innen als auch der Geheimagent*innen bedacht darauf ist, derartige Geheimnisse für sich zu behalten. Insofern bilden beide Gruppen einen verschworenen Kreis, der sie durch ihr Arkanwissen verbindet. Und es verbindet sie mit anderen Akteur*innen
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und Gruppen, deren Subjektpositionen ebenfalls durch arkane und okkulte Praktiken geprägt sind. „CULT OF INTELLIGENCE“ But perhaps the most complex lesson I had to learn – and one that really could not be taught in training or anywhere else – was how to lead a double life. And I have to say that there was an enormous temptation to not even try. Considering the importance and all-consuming nature of the work I was doing at the Agency; considering the missionary zeal, sense of elitism and marvelous camaraderie among my colleagues there; considering above all that I was strictly forbidden to talk about what I was doing with anyone outside the Agency and thus couldn’t share my concerns or just sit around shooting the breeze in shop talk with anyone in the world – considering all of this, one can see how it would have been for me to drop out of that world and immerse myself exclusively in the cloak-and-dagger life. And some of my colleagues at the Agency did just that. Socially as well as professionally they cliqued together, forming a sealed fraternity. They ate together at their own special favorite restaurants; they partied almost only among themselves; their families drifted to each other, so their defenses did not always have to be up. In this way they increasingly separated themselves from the ordinary world and developed a rather skewed view of that world. Their own dedicated double life became the proper norm, and they looked down on the life of the rest of the citizenry. And out of this grew what was later named – and condemned – as the ‚cult‘ of intelligence, an inbred, distorted, elitist view of intelligence that held it to be above the normal processes of society, with its own rationale and justification, beyond the restraints of the Constitution, which applied to everything and everyone else. (William Colby, Honorable Men: My Life in the CIA, 1987792)
In seinen Memoiren rekapituliert der ehemalige CIA-Chef William Colby sein „Doppelleben“ als Geheimdienstoffizier. Er schreibt, wie schwer es ihm anfangs gefallen sei, die Geheimnisse seines Berufes strikt von seinem Privatleben zu trennen. Es scheint, als habe Colby von seinem ganzen Charakter, seinem Habitus und seiner Herkunft her, nicht in die Schattenwelt und die hohe Position in der „Agency“ gepasst, über die er in seinen Memoiren kritisch schreibt. Dazu wiederum passt aus verschwörungstheoretischer Sicht sein verdächtiges Ableben (Baab 2017). Der Ex-CIA-Chef beschreibt das Elitedenken, die Entfremdung und Rücksichtslosigkeit einiger Kolleg*innen, die er dem sogenannten „cult of intelligence“ zuordnet. Colby bezieht sich bei dem Begriff auf die CIA-kritische gleichnamige Publikation von Marchetti und Marks (1974). Für die beiden Insider-Autoren beeinhaltet die durch diverse Skandale und Entwicklungen extra-legaler Aktivitäten geprägte „intelligence community“, repräsentiert durch die CIA der 1950er- bis 1970er-Jahre, einen solchen klandestinen „cult“. Die CIA sei „both the center and the primary instrument“, d. h. Akteur und Struktur dieses Netzwerks, das aus informellen Seilschaften („fraternity“) eines militärisch-politisch-ökonomischen Komplexes („political aristocracy“) bestehe (ebd.: 4 f.). Der „cult of intelligence“ steht demnach für eine elitäre klandestine Kultur, in welcher Praktiken von Manipulation, Täuschung und Geheimhaltung sich professionalisieren und
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etablieren und eine Eigendynamik entfalten. In diesem Kult manifestiert sich die Verbindung aus Establishment und Untergrund. Elitär ist er, weil seine Subjekte durch gewisse ‚Zugänge‘ (clearances) privilegiert sind, an Wissen-Macht-Strukturen teilzuhaben. Untergründig ist er, insofern er klandestine Strukturen nutzt und in gesellschaftlichen Schattenzonen informell und extra-legal operiert. Das Verschworene fällt dabei mit dem Kultischen in eins: die gemeinsame, teils kompromittierende, Teilhabe an Geheimwissen, die eine Schicksalsgemeinschaft verbindet, strukturell ähnlich wie wir es für das Stigma(wissen) der Mafia gezeigt haben (vgl. Kap. 4.1.6). Jede*r innerhalb dieser „community“ misstraut jedem*jeder. Doch zugleich ist man in dieser „community“ davon abhängig, dass ein spezielles (Berufs-)Wissen nicht durch Kolleg*innen der Öffentlichkeit preisgegeben wird. Goodall (2006), der seine CIA-Familiengeschichte autoethnographisch verarbeitet, nennt das einen „bargain“ von Zugang und Teilhabe gegen permanente Überwachung und strukturelle Paranoia innerhalb der US-„intelligence community“: My mother had warned me, that ‚they‘ were always watching us, always listening to us, and, as it turns out, she wasn't being paranoid nor was she exaggerating the facts of our life. Ours was a classified family. Being recorded was always part of the bargain. (Ebd.: 230)
Gegenseitiges Misstrauen und Geheimhaltung sind in dieser Kultur zum obersten Prinzip und (Selbst-)Zweck erhoben (vgl. Scott 1993: 7). Durch und mit diesen klandestinen Praktiken formen sich entsprechende Subjektivitäten bzw. Subjektpositionen, die von bestimmten „mindsets“ geprägt werden. Die „clandestine mentality“ sei ein „mindset that thrives on secrecy and deception. It encourages professional amorality“, so Marchetti und Marks (1974: 5). Diese zeichne sich durch den „Glauben“ aus, dass „righteous goals can be achieved through the use of unprincipled and normally unacceptable goals.“ (Ebd.: 6) Diese Prinzipien – allen voran „the justification for the ‚right to lie‘“ – prägten vor allem den Bereich der verdeckten Kriegsführung („covert operations“) innerhalb der US-„intelligence community“, respektive der CIA. Auch nach White (1993: 63) ist dieser Bereich „durch „action-oriented“ und „less morally inhibited individuals“ bevölkert. Als beispielhaft für die Charaktereigenschaften dieses „mind-sets“ führen Marchetti und Marks die CIA-Beamten Richard Bissell, Allen Dulles und Richard Helms an, White nennt darüber hinaus als Beispiel den in der „Iran Contra“-Affäre führenden US-General Oliver North. Nach Goodall (2006: 208), habe auch James Jesus Angleton, Chef der CIA-Gegenspionage von 1954–1975, solche klandestinen und paranoiden Charakterzüge aufgewiesen: What we see is a classic Machiavellian control freak, often noxious but effective political game player thoroughly skilled, more than willing, and easily capable of using others as pawns in order to achieve his own interests, goals, and stature. Taken to the full extreme, we find an Angleton: we find a brilliant, manipulative, ego-obsessed, highly effective, political game player interested om controlling destinies who becomes, for whatever reason, terribly paranoid. […] [T]hese men, if exposed
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to a violent early life and if they then find themselves rewarded for acts of violence against others, often become cold-blooded killers.
Auch an die, teils egomanische, Mentalität von Aleister Crowley dürfen wir uns an dieser Stelle erinnert fühlen. Ähnliches berichtet Lofgren (2017: 179) über die Charaktermasken des „Shadow Government“ der US-amerikanischen Oligarchie. In Bezug auf eine paranoide Subjektposition repräsentiert das „clandestine mindset“ die komplementäre Stellung zur „conspiracy mentality“. Während letztere sich durch Angst, Kontrollverlust und Ohnmacht auszeichnet, sind für erstere Ich- und Willensstärke und Machtdurchsetzung charakteristisch. Entscheidend ist für uns, dass ohne diesen „cult of intelligence“ und das ihm zugeordnete „clandestine mindset“ die Konspirationskultur nicht angemessen und vollständig beschrieben ist. Wo es um die Dialektik zwischen „Verschwörungstheorien“ und konspirativer Praxis geht, haben wir anhand verschiedener Beispiele gezeigt, inwiefern die Bereiche der Schattenzone eine eigenständige Wirklichkeit und Wirkung entfalten, die mit dem Verschwörungsdenken bzw. -glauben auf das Engste verknüpft sind. Der „cult of intelligence“ repräsentiert und rekonfiguriert dabei die extremste Ausprägung gesellschaftlicher Arkanpraxis: Das Okkulte wird hier zum Selbstzweck erhoben und zu einer gewaltigen Macht, die nur dadurch wirklich ist, dass sie verborgen bleibt. Kritisch könnte man von einem Fetisch, einer praktischen Verschwörungsideologie sprechen. Dabei spiele auch Mythenbildung eine Rolle: A good part of the CIA‘s power position is dependent upon its careful mythologizing and glorification of the exploits of the clandestine profession. Sometimes this even entails fostering a sort of perverse public admiration for the covert practices of the opposition intelligence services – to frighten the public and thereby justify the actions of the CIA. (Marchetti/Marks 1974: 7)
Dass es „von der Welt der Geheimbünde […] nicht mehr weit zur Welt der Geheimdienste“ ist (Meinl 2003: 64), gilt auch für die italienische oder deutsche Geschichte und nicht nur für die Zeit des Nationalsozialismus. In Kapitel 5.3.1 wurde bereits auf die P2-Freimaurerloge hingewiesen, die von einem Verbindungsmann des US-Geheimdienstes CIA, Licio Gelli, geleitet wurde. Es gilt aber auch in dem zeitgenössischen Fall einer mutmaßlich rechtsextremen „Schattenarmee“ in der Bundesrepublik, deren Zentrum ein ehemaliger Elitesoldat mit dem Decknamen „Hannibal“ stehen soll (vgl. Kap. 4.1.3): Auch hier gibt es Überschneidungen zwischen parapolitischen (Militär-)Geheimdienst-Netzwerken und Geheimbünden – z. B. der Freimaurerei –, die ebenso streng hierarchisch aufgebaut und hermetisch abgeschottet sind wie die Organisationen im militärisch-geheimdienstlichen Bereich. Auch in diesem Fall scheinen Legendenbildung und Realität sich zu durchkreuzen, prägen Leugnung, Verschleierung und Desinformation den Diskurs um die echte Verschwörung. Die taz berichtet von internen Dokumentenüber die Aufnahmerituale einer in das angebliche Schattennetzwerk involvierten Loge.
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Je höher es auf der vereinsinternen Karriereleiter geht, desto komplexer werden diese Rituale. […]: Die Zeremonie beginnt damit, dass der Aspirant 30 Minuten in einem Raum wartet, in dem nur eine Kerze brennt. Es wird weiter beschrieben, was für Aufgaben er erledigen muss und dass er von maskierten Mitgliedern mit gezückten Schwertern symbolisch getötet wird, um dann bei instrumentaler Musik wiederaufzuerstehen und Rotwein aus einem menschlichen Totenschädel zu trinken.793
Abbildung 62: Das Auge in der Pyramide: Organigramm der Schattenstruktur des umstittenen Vereins „Uniter“ (links) und das Symbol des diskreten High-Society-Sexclubs „Snctm“, dessen Vorbild die okkulte Ästhetik des Filmes „Eyes Wide Shut“ ist (rechts) (Quelle: taz.de/Wikipedia).
Der verdächtige Verein „Uniter“ und die Mitglieder, allen voran der ominöse „Hannibal“ bestreiten die Vorwürfe einer Verschwörung gegen die demokratische und offene Gesellschaft. Eine der investigativen Journalist*innen dieses Falles, Christina Schmidt, bekundet in einem Interview: „Ich verstehe die Frage nach der Glaubwürdigkeit. Das ist ja dermaßen monströs, dass man das lieber nicht glauben will.“794 Bis heute ist unklar, welche Funktion solche Rituale und Maskeraden im „Hannibal“-Netzwerk erfüllen. Sind sie Tarnung und Ablenkung oder okkulte Sinn- und Identitätstiftung? Beides muss sich keinesfalls ausschließen. Eines ist in dieser Hinsicht aber gewiss: Von der Verfertigung der mythischen „Protokolle der Weisen des Zion“ durch einen russischen Geheimdienstler Anfang des 20. Jahrhunderts über die Lancierung antikommunistischer Propaganda und den „Verschwörungstheorie“-Vorwurf in den 1960er-Jahren durch die CIA, über finanzierte Hollywood-Projekte durch das Pentagon bishin zur gezielten Desinformation durch den Geheimdienst der US-Airforce beeinflusst die Maskerade und die ‚Technomagie‘ der Intelligence nicht nur gezielt, sondern auch diffus das Verschwörungsdenken der Gesellschaft und bedingt damit in nicht unerheblichem Maß ihre Fiktionalisierung wie auch eine Wiederverzauberung der Moderne.
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7.2 Conspirituality
7.2 Conspirituality DAS WISSEN VON BALDUIN ERST DURCH DIE KNECHTSCHAFT DER ILLUMINATI WIRD ES DEN MEISTEN ÜBERHAUPT BEWUSST WERDEN, WAS FREIHEIT IST. […] UND AUS DIESEM BLICKWINKEL HERAUS ERFÜLLT NATÜRLICH DIE DUNKLE KRAFT EINEN WERTVOLLEN DIENST […] IM SCHÖPFUNGSPLAN. (JAN VAN HELSING, 2005795)
Was für andere Fiktion ist, dass eine geheime und dunkle Elite diese Menschheit kontrolliert, ist für andere nicht nur Realität, sondern im tiefsten Maße sinngebend. In Gesprächen mit Balduin habe ich eine Ausprägung des okkulten Umgangs mit Verschwörungswissen deutlich wahrgenommen. Balduin beschäftigt sich mit allen möglichen Verschwörungen: mit den (geo-)politischen Konspirationen von Geheimdiensten bishin zu den okkult-mysteriösen der Freimaurerei oder „Illuminati“. Sein Großvater sei ein „weltbekannter Heiler“ gewesen, erzählt er mir, der ihn sehr beeinflusst habe. Außerdem sei Paulo Coelhos Buch „Der Alchemist“ ein „Schlüsselwerk“ für Balduin gewesen. Aber auch Jan van Helsing habe er gelesen, sagt er einmal nebenbei – was mich kurz verwundert, habe ich diesen gelassenen Menschen keineswegs als einen hasserfüllten, rechten oder rassistischen Ideologen kennengelernt, wofür doch van Helsings Bücher oftmals stehen. Als Balduin von UFOs, Aldebaran und den Geheimnissen der Sumerer spricht, zeigt sich das. Alle Vorgänge im Außen haben in Balduins Kosmologie mit Zuständen im Inneren zu tun. Die Terroranschläge vom 11. September 2001, so sagt er, seien eine Art spirituelle Wegmarke für jeden einzelnen Menschen gewesen: „Glaube ich die offizielle Version oder zweifle ich sie an? […] Wieweit bin ich manipulierbar oder wie weit wage ich den Schritt“, nicht nur die offizielle Version zu bezweifeln, „sondern auch die Folgefragen“ zu stellen? Diese Folgefragen, die sich im Anschluss an globale „Schock“-Ereignisse wie 9/11 gestellt hätten, sind für Balduin keine politische Fragen, sondern vor allem kosmologische. Sie reichen bis tief in die eigene Wahrnehmungs- und Erkenntnismatrix. Und entsprechend fallen auf meine Nachfrage Balduins Krisen-Lösungsperspektiven aus, die er etwa mit Jan van Helsing oder mit Armin Risi teilt: Wenn ich nicht spirituell wäre und mächtig [wäre], dann würde ich eine handfeste Revolution […] anzetteln. Aber aus spiritueller Sichtweise gehört das Dunkle immer zum Hellen dazu. Um überhaupt erfahren zu können, was das Helle ist, brauchst du die Dunkelheit.796
Balduin bezeichnet sich als „Freigeist“. Er beschäftigt sich als solcher mit Geopolitik im Nahen Osten. Aber sie steht in seinem holistischen Weltbild nur neben der Realität von Göttern oder Geheimtechnologie. Alles ist integrierbar und wird in
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dieser Hinsicht (um-)gedeutet. Die „Klimahysterie“ ist für Balduin Teil der Agenda einer „Neuen Weltordnung“. Freimaurer und deren Geheimdienste beherrschen diese Welt. Zugleich gibt es Götter und spirituelle Kräfte, die in jedem Individuum vorhanden seien, die das Böse besiegen könnten. Balduin ist ein musischer und gelassener Mensch. Er versucht nicht, mich zu überzeugen, wie ich es von anderen in diesem Feld kenne. Wenn er gefragt wird, redet er viel. Aber er drängt sich nicht auf. Für mich scheint er seinen Frieden gefunden zu haben. Und doch teilt er auf seinem Blog und über einen Mailverteiler regelmäßig Neuigkeiten über das (‚hintergründige‘) Weltgeschehen mit. Angst steht in seinem Webauftritt an der Seite von Hoffnung, das Böse neben dem Guten; Bilder und Collagen von okkulten Symbolen, dunklen, gierigen, mächtigen „Eliten“ – repräsentiert z. B. durch die Clintons oder die Bush-Familie – stehen neben Montagen von leuchtenden Bäumen, Sternenstaub und heiliger Geometrie. Alles hat in dieser Ordnung Platz. Doch nichts wird streng belegt. Quellenangaben zur Kabale von Jesuiten, britischem Geheimdienst und einer satanischen Clique, die von 13 Blutlinien abstamme, finden sich punktuell – dort wo es gerade scheinbar passt. Immer wieder finden sich neben manichäistischen Motiven auch teils antisemitische Stereotypen. Ich frage mich: Was meint er davon wie ernst? Was sind dezidiert seine eigenen Ansichten? Was hat er übernommen und was glaubt er wirklich? Auch bei der Beantwortung dieser Frage scheint für ihn das Motto zu gelten: Auf die Suche begeben muss sich jede*r selbst. Im Einklang mit diesen Überzeugungen ist Balduin ein spiritueller Unternehmer. Er hält Vorträge und macht Workshops über die genannten Themen, er reist viel in Deutschland und auch in der Welt herum. Und immer geht es in seinen Geschichten um den „deep shit“ (Kap. 7.5): das große Ganze, den bodenlosen Kaninchenbau, in den man hineingerät, sobald man gewisse „unkorrigierbare Aussagen“ über die ‚Realität‘ fallen lässt bzw. annimmt. So kommt Balduin schnell von den Snowden-Enthüllungen zu einer geheimen Weltregierung, die UFOTechnologie besitze und als „Schattenregierung“ die Politik hinter der Politik kontrolliere. Themen wie diese behandelt er auf seinem Blog, als könnte man sie kurz zum Frühstück verdauen. Wer diesen Deutungen und Verlinkungen folgt, verliert als ‚Nicht-Eingeweihter‘ den Boden unter den Füßen – oder ist schon längst Teil dieser okkulten Wirklichkeit. In dieser ist alles Weltgeschehen, auf der Vorderbühne, in den Medien und der offiziellen Politik, nur Zeichen einer hintergründigen Realität: eine Illusion, Zauber – maya in der indischen Mythologie. POPULÄRE SPIRITUALITÄT
Okkulte Kosmologien drücken ein Gefühl, eine Stimmung, eine Weltbeziehung aus, die den Verstand überschreitet. Das nur ‚rationale‘ Denken der Verschwörung
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stößt hier an seine Grenzen. Nicht investigative Recherche, logische Schlussfolgerungen, harte ‚Fakten‘ dominieren diese Form der Auseinandersetzung mit der Verschwörung. Vielmehr sind hier Leiblichkeit oder subjektive Wahrnehmung die Vermittler von ‚Realität‘. Wo diese Stimmung das Verschwörungsdenken dominiert, da tritt gleichsam seine mystische, religiöse oder spirituelle Dimension hervor. Ein zentrales Merkmal von „conspiracy theories“ ist, wie wir mit Cubitt (1989) festgestellt haben, dass sie sich auf verborgene Wirklichkeiten beziehen oder sie eben vermittels dieser kommunizieren.
Abbildung 63: „Verschwörungstheorie“ in unterschiedlichen Varianten: als Denken (investigativ), als Sehen/Zeigen (gemeinschaftsbildend), als Glauben (okkult) und in uneigentlicher und entspannender Form als Lachen (humorvoll) (Quelle: eigene Darstellung).
In diesem okkulten Spektrum lassen sich an beiden Polen das Denken (Logos) und der Glauben (Mythos) verorten. In beiden wird das Verschwörungsdenken ernst genommen, jedoch auf unterschiedliche Weise. Das Verschwörungsdenken ist bestrebt, das Verborgene der Verschwörung zu enthüllen und damit das Okkulte zu dekonstruieren. Demgegenüber weiß der Verschwörungsglaube um die Unhintergehbarkeit des Mythos und stellt das Okkulte, die elusive Macht der Verschwörung, mehr oder weniger der Ratio entgegen. Der kommunikative Stil und vor allem die Verschwörung, um die es geht, ist hier nicht investigativ an „Fakten“ orientiert oder aufklärerisch, sondern zurückhaltend, selbst elusiv bis mystifizierend. Vergleicht man das lange Gespräch, das der Autor mit Balduin führte, mit den Gesprächen, die er mit den „Wikihausen“-Rechercheuren führte, so stellt man fest: Auch nach vielen Minuten Gespräch weiß man nichts wirklich Handfestes – und dennoch hatte man im Zweifelsfall eine faszinierende Unterhaltung. Im Verschwörungsglauben wird das Verborgene adressiert. Doch der Anspruch ist nicht dessen
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vollständige, lückenlose, logische Aufklärung. Das Geheimnis bleibt am Ende ein Mysterium, ein Rätsel, das nicht vollständig enthüllt, gezeigt und aufgeklärt werden kann. Das okkulte Verschwörungsdenken wird selbstreferentiell und verlagert den Sinn der Kommunikation quasi ins Subjekt zurück. Dieses muss erst einmal seinen Glauben und die „unkorrigierbaren Aussagen“ der Alltagswahrnehmung von ‚Realität‘ hinterfragen, bevor es einen Sinn aus dieser Art von (okkultem) Wissen beziehen kann. Das kommunikative Enthüllen der Verschwörung, verhüllt sie zugleich für jene, die einen definitiven ‚Beweis‘ erwarten und nicht okkult ‚sehen‘ können oder wollen (vgl. Kap. 6.6). Ein Spruch aus dem alchemistischen Werk, „Rosarium philosophorum“ verdeutlicht diesen paradoxen Zusammenhang – auf den wir weiter unten nochmals zu sprechen kommen: Wo immer wir offen gesprochen haben, haben wir (eigentlich) nichts gesagt. Aber wo wir etwas verschlüsselt und in Bildern niedergeschrieben haben, dort haben wir die Wahrheit verhüllt. (Roob 2016: 11)
Die Wahrheit „verhüllt“ zu zeigen, macht sie (wenigstens) vermittelt – d. h. symbolisch, metaphorisch usw. – zugänglich. Während sie „offen“ auszusprechen, sie vernichtet. Diese Dialektik zwischen Enthüllung und Verbergung ist ein wesentliches Kennzeichen von okkulter Kommunikation. Und es ist, in anderer Stimmung, auch Merkmal paranoider Kommunikation bzw. eine Eigenart von „double binds“ (Kap. 4.1.5). Um das Verborgene zu thematisieren, muss es in irgendeiner Form sichtbar gemacht werden („Sehen der Verschwörung“), um es zu durchdringen, muss es verstanden werden („Denken der Verschwörung“). Dies wiederum erfordert zunächst einmal eine Art von vorprädikativem Wissen („Glauben der Verschwörung“). Religionspsychologisch interessant und zu betonen ist hierbei, dass dieser Subjektposition nicht nur ein Misstrauen, sondern zugleich ein Vertrauen zugrunde liegt. Das Vertrauen scheint zu überwiegen und die paranoide Angst zu konterkarieren. Wir können es auch kosmisches Vertrauen nennen. Bei Balduin ist, trotz vieler ‚dunkler‘ und bedrückender Themen, über die er spricht, paradoxerweise eine starke Ruhe und Gelassenheit erkennbar: ein Misstrauen gegen eine bestimmte politische Oberfläche, das aber durch ein tieferes kosmisches Vertrauen getragen wird. Die gleiche vertrauensvolle Stimmung ist in den Videos von ExoMagazinTV bzw. Robert Fleischer spürbar (Kap. 6.8). Am Grund des okkulten Verschwörungswissens steht somit die Anerkennung der Transzendenz der Verschwörung. Höhere Mächte, die wir nicht vollständig kontrollieren können, haben hier das Zepter in der Hand – seien es Götter, Aliens oder andere Wesen. Repräsentativ für diesen Stil steht auch Armin Risi. Dessen Buch „Machtwechsel auf der Erde“ handelt von politischen Intrigen und geopolitischen Verschwörungen von Freimaurern, Illuminaten, Großbanken und Rüstungsindustriellen. Laut Risi leben wir in einem „multidimensionalen Kosmos“, dessen sichtbarer Teil nur die ‚gröbste‘ Form ist. Risi integriert das Wissen der False Flag ebenso wie das UFO-Thema und verbindet Narrative der Verschwörung mit einer spirituellen
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Kosmologie. In der überarbeiteten Auflage von 2007 sind die Terroranschläge von 9/11 (als False Flag-Angriff) in Risis ‚große Erzählung‘ integriert. So berichtet er auch von Mächten, die ‚hintergründig‘ auf ‚feinstofflichen‘ Ebenen das Weltgeschehen beeinflussen. Es ist eine gigantische Geschichte. Das heißt: Die Verschwörung übersteigt das intellektuell-fassbare Denken. Das okkulte Wissen der Verschwörung hat in der Form des Verschwörungsglaubens eine weitere Funktion, die Risi dezidiert nennt und die für spirituelle Deutungsmuster bezeichnend ist: die Transformation von Subjektivität. Risi begreift seine Bücher als „Tor“- oder „Dimensionsöffner“797 für andere Wirklichkeiten und zur Spiritualität. Dabei ist Risis Kosmologie nur das deutschsprachige Pendant zum Weltbild von David Icke (vgl. Patridge 2004: 137). Die Auseinandersetzung mit dem Okkulten wird insofern zu einer transformatorischen Praxis, so, wie sie z. B. die Tempelarbeit in diversen Mysterienschulen anbietet.798 Der Unterschied ist, dass das okkulte Verschwörungswissen massentauglich, populär und nicht in diesem Sinne institutionalisiert ist. Die Freimaurerei, Hochgradlogen, wie auch andere etablierte Religionen, Heils- oder Gradsysteme werden innerhalb dieser gegenkulturellen Spiritualität als elitär, autoritär, versklavend oder gar als „satanistisch“ abgelehnt. So auch in der Kosmologie Balduins. Als „Spirituelle[r] Wanderer“ (Gebhardt u. a. 2005) will er die Wahrheit von selbst, ohne eine ‚äußere‘ (Ver-)Führung suchen und finden. Die Kabale in Politik und Gesellschaft sind dabei nur Täuschungen, ein „Spiel“, wie Balduin es auch nennt799 – Verführungen, die Suchende wie ihn von Selbstentwicklung und spiritueller Selbstermächtigung (s. u.) abhielten. Masonry, like all the Religions, all the Mysteries, Hermeticism and Alchemy, conceals its secrets from all except the Adepts and Sages, or the Elect, and uses false explanations and misinterpretations of its symbols to mislead those who deserve only to be misled; to conceal the Truth, which it calls Light, from them, and to draw them away from it. Truth is not for those who are unworthy or unable to receive it, or would pervert it. (Albert Pike, Morals and Dogma, 1874800)
In dieser Form der „populären Spiritualität“ (vgl. Knoblauch 2009a) verbindet sich die „counter knowledge“ der „conspiracy community“ mit alternativen Kosmologien. Partridge (2006, 2004) hat die Bereiche und die Praktiken, in denen das Okkulte als Gegensatz zum Offenbaren verortet und durch die es kommunikativ reproduziert wird, mit dem Begriff der „occulture“ gefasst. Er bezieht sie primär auf den Bereich der populären Spiritualität. Die Sphäre der „occulture“, so Partridge, sei geprägt durch a vast spectrum of beliefs and practices sourced by Eastern spirituality, Paganism, Spiritualism, theosophy, alternative science and medicine, popular psychology (usually Jungian), and a range of beliefs emanating out of the general cultural interest in the paranormal. (Ebd. 2004: 69 f.)
Wir haben es hier also auf den ersten Blick mit marginalisiertem Wissen zu tun. Dabei wurde schon gezeigt, dass dieses zugleich auch populär sein kann. Partridge
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7 Schattenzonen: Occulture und Conspirituality
verweist mit dem Konzept auf den Begriff des „cultic milieu“ von Campbell (2002 [1972]) und „occulture“ soll als Weiterentwicklung dieses Konzepts dienen801. Wobei vor allem neu ist, dass Partridge die populäre Dimension mitdenkt und ebenfalls heterodoxe Wissensformen wie „conspiracy theories“ diesem kulturellen Gegen-Milieu zuordnet: Occulture, which is, to a large extent, being supported by popular culture, is becoming ever more pervasive and influential. The emergence of popular occulture, with its consequent de-exotification of Eastern and occult themes, has led to a certain destigmatization. (Partridge 2004: 123)
Er bezieht sich bei der De-Stigmatisierungs- und Popularisierungsthese auf Barkun: As Barkun notes of conspiracy culture: ‚Surely the appearance of conspiracy themes in popular culture at least partially destigmatizes those ideas, by associating them with admired stars and propagating them through the most important forms of mass entertainment.‘ (Ebd.)
Partridge (2006) unterscheidet innerhalb dieses Milieus die sogenannte holistische Spiritualität, der auch Balduin und Risi zuzuordnen sind, von „dark occulture“, d. h. z. B. „health care“, Meditations- oder Yoga-Angebote (vgl. Heelas/Woodhead 2005), Gesundheit, (Selbst-)Fürsorge, ökologisches Bewusstsein oder Liebe einerseits, von der Befassung mit Vampiren, schwarzer Magie, satanistischer Spiritualität andererseits. Für letztere steht Aleister Crowley und das Wissen der Verschwörung. „Verschwörungstheorien“ lehnen in der Regel letzteres als ‚Dunkel‘ und ‚Böse‘ ab und integrieren gegebenenfalls ersteres („Conspirituality“-Motiv). Das Feld sei dynamisch und in Bewegung. Daher ist es fragwürdig, inwiefern manche der genannten Angebote, z. B. Yoga, heute tatsächlich noch in den heterodoxen Bereich der „occulture“ gehören und nicht längst ‚etabliert‘ sind. In other words, within occulture, it is not Buddhism per se that people are interested in, but rather the principles or elements of Buddhism – and as such ‚Buddhism‘ becomes a fungible, detraditionalized concept. That is to say, some participants in occulture are not particularly interested in becoming devout Buddhists, but rather want simply to acquaint themselves with elements of Buddhist belief and practice, which can then be merged with elements from other systems in the service of the self. (Partridge 2004: 70)
Das Populäre der „occulture“ wird mitunter deutlich, wo sich Elemente verschiedener Traditionen, Lehrgebäude oder ‚Systeme‘ mischen und ‚ursprüngliche‘ Bedeutungen und Zusammenhänge verloren gehen (ebd.: 174). Damit findet eine Subversion von Orthodoxie statt. Anhänger*innen synkretistischer Kosmologien eignen sich Wissen an, dessen Deutung vormals von Expert*innen-Systemen okkupiert und ‚gehütet‘ wurde. Die „Illuminati“ in populären „Verschwörungstheorien“ sind ein passendes Beispiel dafür (vgl. Kap. 4.2). Wichtig ist, nochmals zu betonen, dass dasjenige, was Partridge „occulture“ nennt, in unserer Terminologie
7.2 Conspirituality
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Elemente von „Gegenöffentlichkeit“ und kulturellem Untergrund bzw. Schattenzonen zugleich enthält, aber mit keiner dieser Kategorien komplett deckungsgleich ist. Während für letztere die Form kryptodoxen Wissens typisch ist, ist es für erstere Heterodoxie (vgl. Abb. 24, Kap. 4.3). Beides hat Überlappungszonen, folgt aber eigenen kommunikativen Logiken. „FINDEN SIE ‚IHRE WAHRHEIT‘“
Wo es für akademisch ausgebildete Historiker*innen nur die „Bayrischen Illuminaten“ bzw. den „Bund der Illuminaten“ gibt, der am 1. Mai 1776 von Adam Weishaupt als „Bund der Perfectibilisten“ gegründet und 1785 verboten und offiziell aufgelöst wurde, gibt es für viele „Verschwörungstheoretiker“ die Illuminaten (engl. „illuminati“) heute noch. In verschiedenartigen Interpretationen gehen manche davon aus, dass die Illuminaten, in der Nachfolge von Weishaupt, entweder selbst die Welt regieren oder sich aber im Laufe der Jahrhunderte durch die Unterwanderung von Geheimgesellschaften oder Familien-Dynastien die Weltherrschaft gesichert haben. So schreibt etwa der bekannte und polarisierende Autor Jan van Helsing (1993) in seiner Publikation „Geheimgesellschaften“ von einer noch älteren Gruppierung, der sogenannten „Bruderschaft der Schlange“ (ebd.: 17), die die Illuminaten und andere Geheimgesellschaften im Laufe von Generationen unterwandert habe. Wo bei van Helsing verschwörungsideologische Versatzstücke und antisemitische Deutungsmuster zu finden sind, ist im Aufbau seiner Schriften zugleich ersichtlich, dass das Okkulte nicht direkt die Funktion der Feindbildproduktion erfüllt, sondern auch die einer spirituellen Transformation. Leser*innen seines Buches sollen, wie es auf dem Buchrücken heißt, „erschüttert und zugleich wachgerüttelt“ werden. Wohin sie ‚erwachen‘, ist aber nicht die reale Realität, die den Merkmalen unserer ‚gewohnten‘ Alltagsrealität entspricht (vgl. Mehan/Wood 1997 [1976]), sondern eine andere Wirklichkeit. Hier regieren Mächte, die, wie bei Armin Risi und David Icke, ‚über‘ Politik und Gesellschaft und damit ‚weltlichen‘ Mächten stehen. Mit Zitaten und Quellennachweisen nimmt van Helsing es daher auch nicht so genau. Wo überweltliche Mächte das Geschehen beeinflussen, sind Beweise sowieso trügerisch. Der Autor appelliert daher an seine Leser*innen: […] versuchen wir einmal, das Gesagte nicht mit einer bestehenden Ansicht oder der Meinung eines Anderen zu vergleichen, sondern gehen wir einfach mal nach unserer Intuition, unserem Gefühl uns spüren selbst, ob diese Informationen stimmig sind – auch wenn sie im Endeffekt beunruhigend sein mögen. // Schalten wir einmal unsere Denkschablonen aus […] (van Helsing 1993: 20).
Zwar gibt der Autor an, sich auf „historische Fakten […] beschränken“ zu wollen (ebd.: 21). Doch diese müssen seine Leser*innen ihm vor allem glauben. Er verlangt Vertrauen, das Denken soll ausgeschaltet werden. Wie für Balduin, der mitunter von van Helsing beeinflusst ist, gibt auch dieser schon als „Hauptziel“ seines Buches an: im Anschluss an die angeschnittenen „ziemlich negativen Themen
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auch positive Wege aufzuzeigen, damit wir uns selbst befreien können“ (ebd.: 29). Wir sollten, meint er, dem jetzt anbrechenden neuen Zeitalter gemäß, auch ein neues Verständnis kosmischer Kräfte […], globaler Vernetzungen, zwischenmenschlicher Beziehungen und persönlicher Bewußtseinserweiterungen „entwickeln“ können. (Ebd.)
Vergleicht man van Helsings Verschwörungsnarrativ mit dem von Balduin, fällt auf, dass ersterer viele Motive und Elemente bereits behandelt – und diese wiederum von anderen Autor*innen übernommen und rekombiniert – hat. Motive von Bewusstseinstransformation, dem Anbruch eines neuen Zeitalters, Rationalitätskritik sind auch Merkmale des New Age und der westlichen Gegenkultur seit den 1970er-Jahren. Die Autonomie der spirituell Suchenden besteht weniger darin, eine ‚objektive‘ Wahrheit in der materiellen Welt zu finden. Vielmehr geht es der New Age-Kommunikation um die Suche nach dem Selbst: „Gehen Sie selbst auf die Suche, finden Sie ‚Ihre Wahrheit‘ und prüfen Sie die Dinge möglichst wertfrei“, meint van Helsing (ebd.: 21) in seiner Ausdeutung des New Age. Van Helsing vermengt in seinem Werk „Geheimgesellschaften“ spirituelle und New Age-Elemente mit teilweise rechtsesoterischen und antisemitischen Stereotypen und Deutungsmustern (z. B. ebd.: 40 ff., 103 ff., 211). Er bezieht sich einerseits auf Verschwörungsdiskurse konservativer und libertärer Autor*innen aus dem englischsprachigen Raum (Gary Allen, Des Griffin, William Cooper u. a.), ebenso wie auf anti-freimaurerische bis antisemitische Literatur aus dem deutschund englischsprachigen Raum (Theodor Fritsch, Johannes Rothkranz, Nesta Webster) bishin zu esoterischer und fiktiver Literatur von Helena Blavatsky, Edward Bulwer-Lytton oder Thorwald Dethlefsen. Zugleich beteuert er: „die Personen, von denen in diesem Buch die Rede ist“ – damit sind die geheimen Verschwörer*innen gemeint –, gehörten keiner bestimmten „Nation“ oder „Glaubensrichtung“ an. „Sie sind weder links noch rechts oder liberal, aber sie benutzen alle Institutionen für ihre Ziele.“ Sie benutzen außerdem, schreibt van Helsing, die Christen wie die Juden, die Faschisten wie die Kommunisten, die Zionisten wie die Mormonen, die Atheisten wie die Satanisten, die Armen wie die Reichen …ALLE! // Vor allem benutzen sie jedoch die Ignoranten, Bequemen, Uninteressierten und die Kritiklosen. (Ebd.: 16)
Die Kritiker*innen sehen in den Werken van Helsings direkten und/oder strukturellen Antisemitismus (z. B. Fromm 2006: 217 ff.; Goodrick-Clarke 2002: 293), den er aber „maskiere“. Dies sollte keinesfalls verharmlost werden. Um antisemitische oder andere fremdenfeindliche Codierungen erkennen zu können, braucht es das entsprechende Hintergrundwissen, den Kontext, wie in Kapitel 6.2 aufgezeigt. Diesem Hintergrundwissen wohnt aber auch ein paranoides Element inne: ein Verdacht, der potentiell alle struktur-‚ähnlichen‘ Deutungsmuster in den Antisemitismus-Verdacht inkludiert und dadurch das scharfe Schwert der Antisemitismus-Kritik potentiell stumpf macht. In diesem Zusammenhang ist die Kritik-
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Methode des „strukturellen Antisemitismus“ zu nennen.802 Wenn Eliten-, Bankenoder Konzernkritik per se unter Verdacht stehen, antisemitisch zu sein, dann kann dieser Verdacht entweder aus einer Schutz-/Abwehrreaktion der Betroffenen selbst resultieren oder aus der Angst, ‚hinter‘ diesen Deutungen könnte sich ein anderes Motiv verbergen als die Kritik selbst (vgl. Schink 2020b). Ganz abgesehen davon, fungiert das Illuminati-Motiv bei van Helsing und bei Balduin auch als Element der spirituellen Identitäts- und Wirklichkeitskonstruktion. In einer Realität, die von materialistisch-physikalistischen Grundsätzen geprägt ist, wird das Motiv und die Figur der „unbekannten Oberen“ genutzt, um die eigene Position von bestimmten Standpunkten abzugrenzen und sich über diese Figuren zu ermächtigen. Die unbekannte Macht, die durch die „Illuminati“ repräsentiert – oder in sie hineinprojiziert – wird, muss sich verobjektivieren, um überhaupt thematisiert werden zu können. Man kann anhand von van Helsings Schriften gut begründen, inwiefern diese Verobjektivierung starke regressive Momente aufweist, wie sie etwa in Lacans Begriff des „großen Anderen“ (vgl. Meyer 2009: 300) zum Ausdruck kommt. Die der fiktiven Gruppe der „Illuminati“ zugesprochene Übermacht, die „seit zigtausend Jahre[n]“ ihre Verschwörung durch verschiedenen Front-Gruppen betreibe (van Helsing 1993: 262) und die „ALLE“ nur wie „Figuren in einem Spiel“ benutze (ebd.: 263), dienen dabei als Kontraposition, von der sich der Autor abgrenzen will. Die dieser fiktiven Gruppe zugeschriebene Eigenschaften von „Ego-Bewußtsein“ und Machtgier (ebd.) sind die psychosoziale Kontrastfolie, die es zu überwinden gelte. Mit dieser Zuschreibung von Übermacht ist zunächst selbststigmatisierende Kommunikation verbunden (vgl. Kap. 6.2). Es ist zugleich beachtenswert, dass sich van Helsing auf den letzten etwa 40 Seiten seines ersten Buches allein mit der Suche nach ‚Lösungen‘ beschäftigt („Was können wir tun?“). Diese beziehen sich aber nicht, wie für die Verschwöröungsideologie typisch auf einen ‚äußeren‘ Kampf, sondern auf die Subjektivität der Leser*innen selbst. Eine quasi übermenschliche Macht wie die „Illuminati“ unterstehe zwar nicht weltlichen, wohl aber kosmischen „Gesetzmäßigkeiten“ (ebd.: 267) und spirituellen Prinzipien, die der Autor im letzten Akt seines Narrativs, zusammen mit Weisheiten aus allen Weltreligionen, das Judentum und den Talmud inbegriffen, in eklektizistischer Manier auflistet. Dieser Teil erinnert eher an einen Selbsthilferatgeber, als an ein verschwörungstheoretisches Machwerk über okkulte Mächte. Aber erst, wenn man diese psychosoziale Komponente miteinbezieht, wird klar: Die dunklen Mächte fungieren im Plot von „Geheimgesellschaften“ vor allem als Trajekte der Selbstermächtigung der Leser*innen: Zuerst informieren Sie sich also. Seien sie kritisch und schlucken Sie nichts von dem, was ich geschrieben habe, ungekaut herunter. Prüfen Sie es für sich selbst nach. // Als nächstes fangen Sie an, als ein freies, bewußtes, verantwortungsvolles, ehrliches, faires und vor allem liebevolles menschliches Wesen zu leben, falls sie es nicht schon tun. Liebe und Vergebung heilt viele Wunden. Wenn Sie jemanden hassen oder sich über jemanden ärgern, seien sie sich darüber bewußt, daß der Ärger niemals den
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anderen trifft. Die Illuminati interessiert es herzlich wenig, ob sich der Herr Meier über sie ärgert. Der einzige, der den Ärger abbekommt, sind sie selbst, und der Ärger hat dann krankheitserzeugende Auswirkungen auf Ihren Körper, Ihren Geist und Ihre Seele. Leben Sie in Liebe und in Freude und fangen Sie an, dies auf ihre Familie, ihre Freunde und Ihren Arbeitsplatz auszubreiten und sie werden sehen, was passiert. Fangen Sie an, bewußt zu leben. Bewußtes Lieben, Denken, Sprechen, Handeln! (Ebd.: 299).
Wenn van Helsing eine gefährlich codierte antisemitische Ideologie vertritt, dann sind es Sätze wie diese, die sie hinter einer humanistischen Maske verbergen. Es soll nicht einfach gegen diese Deutung argumentiert werden. Die Wirklichkeit ist komplexer. Ein Teil dieser Wirklichkeit ist der Umstand, dass sich Leser*innen die zuletzt genannten ‚oberflächlichen‘ Botschaften van Helsings faktisch zu Herzen und ebenso ernst nehmen können wie die vermeintliche Wirklichkeit einer „Illuminaten“-Verschwörung. Statt den codierten Antisemitismus zu verstehen, würden sie wider Erwarten Humanist*innen und „liebevolle menschliche Wesen“ werden – eine List der Vernunft, ein produktives Missverstehen. Jemand, der vor allem diese Botschaften aus van Helsings Büchern gezogen hat, ist Balduin. Auch für Balduin sind die unbekannten Oberen dunkle überweltliche Mächte, ist die Verschwörung nur ein verworrenes Motiv, das uns letztlich zu uns selbst führen soll. Balduin ist ein Menschenfreund, der trotz einiger, für den Autor obskurer, nichtnachvollziehbarer und recht kruder Ansichten ein sehr sanftes Herz hat. Der Autor könnte das wissen. Denn Balduin ist derjenige, der ihn als Wegbegleiter durch ein Ayahuasca-Ritual geführt hat, das die Biographie des Autors nachhaltig prägte. 7.3 Aufwachen M: THE MATRIX IS EVERYWHERE. IT IS ALL AROUND US. EVEN NOW IN THIS VERY ROOM. YOU CAN SEE IT, WHEN YOU LOOK OUT THE WINDOW OR WHEN YOU TURN ON YOUR TELEVISION. YOU CAN FEEL IT WHEN YOU GO TO WORK. WHEN YOU GO TO CHURCH, WHEN YOU PAY YOUR TAXES. IT IS THE WORLD THAT HAS BEEN PULLED OVER YOUR EYES TO BLIND YOU FROM THE TRUTH.
N: WHAT TRUTH? M: THAT YOU ARE A SLAVE NEO. LIKE EVERYONE ELSE YOU WHERE BORN INTO BONDAGE, BORN INTO A PRISON THAT YOU CANNOT SMELL OR TASTE OR TOUCH. A PRISON FOR YOUR LIFE. UNFORTUNATELY NO ONE CAN BE TOLD, WHAT THE MATRIX IS. YOU HAVE TO SEE IT FOR YOURSELF. – THE MATRIX, 1999
Das Aufwachen ist der Prozess oder das Ereignis, das die Betroffenen aus der „Matrix“ der Naivität zum Wissen über Manipulation, Täuschung und
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Verschwörung führt. Das Erwacht-Sein trennt die Dissident*innen der „Gegenöffentlichkeit“ von der Masse und dem Publikum. Es bedeutet „Mehr-Sehen“ bzw. „Anders-Sehen“. An dieser Stelle hat der Verschwörungsglaube selbst etwas Elitäres. In der Trias zwischen den Verschwörern, den Erwachten und dem Publikum ist die Masse getäuscht und sie ist unwissend und naiv. Sie ist eine Herde von Schafen. Der „Verschwörungstheoretiker“ erkennt dies, obwohl er nicht alles weiß. Die „Elite“ aber kontrolliert die Wahrnehmungsmatrix, sie ist mächtig und wissend. Doch sie steht auf der falschen Seite. Sie repräsentiert das Böse. Für diese omnipotente Macht stehen die Illuminati und steht das Allsehende Auge an der Spitze der Pyramide. Die Erwachten sind von der Existenz der dunklen Macht, die in das Weltgeschehen eingreift, überzeugt. Glauben und Wissen sind nicht mehr unterscheidbar. Aber die Erwachten grenzen sich ideologisch und moralisch von den mächtigen Verschwörern ab. Meist ist mit dem Vorgang des Aufwachens ein besonderes Ereignis identifiziert, über das nicht selten als Widerfahrnis berichtet wird. Es kann mit einer biographischen Krise verbunden sein. In der Selbstdeutung hat es sich unwiderruflich ereignet und ist durch Schlüsselerlebnisse („epiphanies“) geprägt. Sie werden in der Konspirationskultur oftmals über populäre und fiktionale Analogien bezeichnet, wie z. B. durch Filme wie „The Matrix“ oder „They Live“. Den Betroffenen fehlen vergleichbar herausragende Bezugserfahrungen, die das „Entsetzliche“ objektivieren und mitteilbar zu machen vermögen. In diesem Zusammenhang kommt auch der Semantik des Sehens (vgl. Kap. 6.6) eine besondere Bedeutung zu. Der*die Erwachte sieht plötzlich, was vorher als solches unsichtbar war oder in dieser Weise nicht gesehen werden konnte – in diesem Fall, die Wirklichkeit der mächtigen Verschwörung – und dieses wird in bekannten kulturellen Mythen, Symbolen, Memes, Fiktionen kommuniziert.
Abbildung 64: „Once you are „AWAKENED“…“: Ein Top-Kommentar unter einem YouTube-Video, in dem Interviews über das 9/11 Truth Movement aufgezeichnet sind (Quelle: YouTube).
Während das Aufwachen selbst unbestreitbar eine subjektive und leibliche Dimension hat – die genannte Widerfahrnis-Seite –, vollzieht sich die Kommunikation über das Erlebte inter-subjektiv und wird dadurch verobjektiviert und empraktisch typisiert. Die
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subjektiven Erfahrungen zehren aus dem Reservoir dessen, was kommunikativ verfügbar und durch die Kommunikation vorgeformt ist. Dass es trotz der großen Auswahl nicht zu einer vollkommenen Auflösung in Individualismen und zu einer Beliebigkeit von religiösen Formen und Inhalten kommt, ist also, […], dem Umstand zu verdanken, dass diese subjektiven Ausdrucksformen von den kommunikativen Formen und Medien der populären Religion überlagert werden, die bis tief in die ureigenste Erfahrung eine eigene Stereotypik entfalten. (Knoblauch 2009a: 271 f.)
Die verwendeten „Matrix“-Memes oder die Bezugnahme auf George Orwells „1984“, Bilder von Schafen oder dem Fernseher als Manipulationsinstrument, sind evidente Zeugnisse für diese „doppelte Subjektivierung“, bei welcher das Subjekt „zum aktiven Ansprechpartner“ und gleichsam ‚von innen heraus‘ fruchtbar gemacht wird.“ In jedem Fall muss „das Subjekt“ in der Mitteilung seines Erwachens „etwas Subjektives vorweisen, das dann zum Thema der religiösen Kommunikation gemacht werden kann“ (ebd.: 272). Der Prozess des Erwachens vollzieht sich, wie erwähnt, in einer Dreiecksbeziehung zwischen einer (Macht-)Elite, einer getäuschten Masse und mitwissenden Dissident*innen, die erwacht sind. Die Erwachten teilen in gewisser Hinsicht das (Täuschungs-)Wissen mit den Eingeweihten (Verschwörern). Damit erkennen beide nicht mehr nur den geltenden Rahmen von ‚Realität‘, sondern auch den Rand (vgl. Kap. 4.1.4). Wir haben schon auf das inhärent gnostische Moment hingewiesen. Doch die Erwachten wissen noch nicht alles. Die Realität der Täuschung ist schon erkannt, aber noch nicht vollständig. Ihnen fehlen zum Beispiel operative Details, das Wissen ist lückenhaft, fragmentiert oder codiert. Dennoch erkennen sie im Groben ‚das große Ganze‘ der Verschwörung, das aber nur in Stereotypen und niemals unvermittelt mitteilbar ist. So etwa in kybernetischen Metaphern eines „Programms“, das die Welt gefangen halte: „((…)) awakening from what? – THE PROGRAMM ((…)) it‘s the programm that holds us in an unnatural state ((…))“, wie es der erwähnte David Icke in einem Interview ausdrückt.803 Der Vorgang des Aufwachens folgt einer typischen Sequenz, die narrativ konstruiert wird und Teil des gemeinsam geteilten Wissensvorrats der „Wahrheitsbewegung“ ist. Aber im Gegensatz zu der (auch innerhalb der Wahrheitsbewegung) oftmals vorherrschenden Auffassung und Selbstdeutung, dass das Aufwachen ein individuelles Widerfahrnis sei, wird bei genauerer Betrachtung deutlich, dass das zum Glauben führende, passive Widerfahrnis-Ereignis nur ein Moment innerhalb eines komplexeren und eben auch inter-subjektiven schematischen Prozesses des Aufwachens darstellt. Dieser kann zunächst in drei aufeinander folgenden Phasen beschrieben werden. Der ‚Ur-Zustand‘ ist die (paradiesische) Täuschung (0.). Sie ist dem Zustand der unhinterfragten und unkritischen ‚natürlichen‘ Einstellung des Alltags (vgl. Kap. 4.1) analog, die zwar um den geltenden Rahmen weiß, aber nicht über dessen Rand hinaus zu sehen vermag. Daraufhin erfolgt eine Ent-Täuschung (1.), die meist im Sinne eines Widerfahrnis-Erlebnisses berichtet wird. Die darauffolgende Phase ist eine damit verbundene Krise (2.), die einhergehen kann
7.3 Aufwachen
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mit biographischen oder sozialen Konflikten und psychologisch einer kognitiven Dissonanz entspricht. Wissenssoziologisch ist diese Phase durch die Unmöglichkeit charakterisiert, ein spezifisches Wissen nicht im Deutungsmuster einer Verschwörung sinnhaft integrieren zu können. Schließlich folgt in diesem narrativen Schema der Prozess der Integration (3.) des betreffenden Wissens. Sozialpsychologisch kann diese Integration einer kognitiven Dissonanzreduktion entsprechen, dies ist jedoch nicht notwendiger Weise der Fall. Folgende aufeinander folgende Phasen lassen sich demnach (als Subjektzustände) unterscheiden: 0. Täuschung 1. Ent-Täuschung 2. Krise 3. Integration Diese Sequenz findet sich als methodische Ordnung in sehr vielen der Narrationen des Aufwachens. Auf Abweichungen und Variationen wird noch eingegangen. Im Modell der Übergangsriten von van Gennep (1986 [1908]) finden wir ein ähnliches Schema. Das ist kein Zufall, sondern verweist auf eine anthropologisch-methodische Ordnung von Wirklichkeitsaneignung und biographisch-narrativer Sinnkonstruktion – typisch scheint sie jedoch für das moderne Subjekt in individualisierten Gesellschaften zu sein. Weil es sich beim Prozess des Aufwachens immer auch um eine narrative Identitätskonstruktion bzw. -rekonstruktion handelt – d. h., um typische bzw. typisierende Kommunikation –, geht dem Ereignis der Ent-Täuschung retrospektiv notwendigerweise die Phase des Getäuschtseins voraus, die sinnvoll nur im Nachhinein und in der Differenz zum Rahmen der ‚natürlich‘-naiven Einstellung mitgeteilt werden kann. TÄUSCHUNG
In der narrativen Rekonstruktion der Wahrheitssuchenden ist das Getäuschtsein ein Zustand des Mangels, für den man sich als Wissende*r im Rückblick manchmal schämt und entschuldigt – so wie sich etwa 9/11-Wahrheits-Aktivist Oliver Bommer dafür entschuldigt, „dass ich […] fünf Jahre die offizielle Theorie [von 9/11] geglaubt habe; ich war naiv, ich habe Fernsehen geguckt“804 (Kap. 6.5). Wie die ‚Naivität‘ der Täuschung jeweils bewertet wird, kommt auf die damit verbundende Ideologie oder Kosmologie der Betroffenen an: Der*Die libertäre Dissident*in wird eine Verantwortung eher bei den Getäuschten selbst suchen. Er*Sie wird sich möglicherweise zynisch äußern, der Ton wird anklagend sein. Dagegen wird*e ein Humanist*in oder Kommunist*in sich selbst und seinen*ihren Aktivismus vermutlich stärker in die Pflicht und Verantwortung nehmen oder sich solidarisch zeigen. Eine stark spirituelle Persönlichkeit äußert eher Mitgefühl mit den Getäuschten und sogar mit den ‚Täter*innen‘. Sie wird in dem*der Anderen sich
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7 Schattenzonen: Occulture und Conspirituality
selbst wiedererkennen, da sie empathiefähig ist. Wird mit dem Motiv des Aufwachens eher spielerisch umgegangen, mögen sich die Wissenden vielleicht über die naive Masse mokieren oder sogar sich selbst weniger ernst nehmen. Der Zustand der Täuschung muss als der erwähnte ‚unschuldige‘ Zustand der Naivität des paradiesischen Schlafes wie im biblischen Mythos gedeutet werden. In jedem Fall ist es ein Zustand des Nicht-Zweifelns und (blinden) Vertrauens gegenüber der Realität, einer politischen (Welt-)Ordnung, dem „System“, den „Mainstreammedien“, „Eliten“ oder dem „Staat“. Ein Zustand von Einigkeit und Nicht-Dualität. Die Welt ist, wie sie scheint; alles ist in Ordnung. Der Aktivist „Freeman“ schreibt im Blog Alles Schall und Rauch unter dem Titel „Warum Menschen fast alles glauben“: Die heutige Generation ist wahrscheinlich die, welche am meisten einer Gehirnwäsche und einer Beeinflussung unterliegt, so wie es in der Menschheitsgeschichte noch nie vorher war. Nicht nur werden unsere Gedanken und Einstellungen laufend geformt und beeinflusst, sondern es wird sogar das System, welches dieses bewirkt aus unserem Bewusstsein gelöscht. Unsere Auffassung der Welt wird durch ein raffiniertes System sehr genau und präzise gesteuert.805
In dem Blogbeitrag thematisiert der Autor die Medienmanipulation und zählt drei Prinzipien der Bewusstseinskontrolle auf („Täuschung“, „Maskierung“, „Ablenkung“), durch die die Menschheit unmündig gehalten würde. „Ablenkung“ geschehe bewusst, „damit die Menschen nicht zu viel über das, was passiert nachdenken können“, schreibt „Freeman“ und „Brot und Spiele“ hätten „schon die Imperatoren in Rom benutzt, um das Volk abzulenken.“806 Der Beitrag ist visuell gerahmt durch das Bild eines Schafes vor dem Fernseher oder in der Herde (vgl. Abb. 54, Kap. 6.5): das Symbol für die Naivität und Getäuschtsein der Masse und ihre Herdenmentalität. Das Getäuschtsein stellt den ‚Normal‘-Zustand der Unwissenheit dar und es sind nur wenige, die sich von den Geschehnissen auf der Welt nicht (mehr) täuschen lassen, die ent-täuscht sind. „Freeman“ zählt sich implizit zu ihnen. Auch Richard Gage, bekanntestes Gesicht des „9/11 Truth Movement“, schreibt, dass er vor seinem Erwachen ein „normal architect with normal ambitions“ gewesen sei, bevor sich sein Leben plötzlich schlagartig verändert habe. 807 David Hooper, Produzent und Darsteller der 9/11-Dokumentation „Anatomy of a Great Deception“ (2014; dt.: „Anatomie einer großen Täuschung“), die über drei Millionen Clicks auf YouTube hat808, leitet die Film-Dokumentation mit (s)einer persönlichen Geschichte ein: hi (.) my name is david cooper (.) i want to tell you a story (that) began with an innocent question (.) back when i was just a regular guy (.) i‘ve been a career entrepreneur with some successes and failures (.) in other words by this point in my life i‘ve been humbled (.) but we where okay financially (.) my wife had another son on the way and life was pretty good (.) that was february of 2011 which was the last
7.3 Aufwachen
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normal life i‘d ever have (.) that‘s when i first take a closer look at 9/11 and found something astonishing (.) something that changed my life (.) ((…))809
Der Autor beschreibt sich ebenfalls als „normalen Typen“ mit einer Familie und einer Karriere. Sein Leben sei „recht gut“ gewesen, bis er im Jahr 2011 einen „genaueren Blick“ auf 9/11 geworfen habe und etwas „Erstaunliches“ gefunden habe, etwas, das sein „Leben verändert“ habe. Das waren „Verschwörungstheorien“ zu 9/11. Auch hier ist der „normale“ Zustand der (Selbst-)Täuschung immer ein rekonstruktiver: Dass ich getäuscht bin/wurde, kann ich erst dann wissen, wenn diese Täuschung zumindest im Ansatz überwunden ist oder während ich mich in einer kritischen Phase befinde. Der getäuschte Zustand repräsentiert semantisch die ‚Normalität‘, respektive die Orthodoxie, und die Ent-Täuschung als Abweichung ist die eintretende Anomalität: die Abweichung, die Heterodoxie. ENT-TÄUSCHUNG
Die Ent-Täuschung ist damit ikonologisch der Sündenfall, der mit dem Essen der verbotenen Frucht einhergeht. Oder: mit der roten Pille, deren Einnahme Einsicht in den Hintergrund der „Matrix“ gewährt. Phänomenologisch ist sie eine Aufhebung des ‚natürlichen‘ naiven Bewusstseins und sozialpsychologisch ein Verlust des (Ur-)Vertrauens. Insofern kann sie mit einer Identitätskrise einhergehen (vgl. Erikson 1998 [1973]: 107). Mit der Ent-Täuschung ist die Welt aus der Ordnung ins Chaos und in die Krise geraten. Nach van Gennep markiert diese Phase die Trennung von einem Zustand der Normalität und des Alltagsbewusstseins. Der Schrecken vom 11. September 2001 ist, wie oben besprochen, ein Ereignis, das eine solche Loslösung schockartig bedingte. Wo früher den Eliten, oder, wie Thomas es nennt, der „Führungsspitze“ vertraut wurde, ist nur noch, „absolute enttäuschung auch enttäuschung und=äh enttäuschung“. Doch Thomas bezieht diese Enttäuschung nicht auf den Terroranschlag, sondern auf die Erkenntnis der Lügen, die mit der 9/11-Verschwörung verbunden sind. Für manche Aktivist*innen wird das Ereignis selbst, in seiner offiziellen Deutung, offenbar weniger schockierend erlebt als der Moment der Ent-Täuschung seiner offiziellen Realität: der moment des-des aufwachens eigentlich> also anfangs- anfangs war des nu:r natürlich damals am elften september selber (.) ((einatmen)) war des war mir des garnich so:=äh: wie soll ich sagen hm wie drück ichs am besten aus (.) ((einatmen)) war mir des ereignis fand ich jetz(t) nich so mega riesig also ich mein des war schonschon ein krasses ereignis aber (-) ehm: damals dacht ich mir so gut des is (i)n amerika: und (.) die äh machen natürlich-werden dementsprechend handeln ((schlürft)) abe:r als ich dann quasi den hintergrund DAZU rausgefunden hab was-was eigentlich dahintersteckt diese ganze diese:-diese: ja für die öffentlichkeit versteckte agenda (.) äh=hat mich war das vIEL=VIEL schockierender als-als die offizielle geschichte also-hm-mindestens TAUSENDmal schockierender (.) und=ä:h deshalb assoziier(e) ich damit eigentlich so (.) damals blankes entsetzen und=äh (.) ja absolute enttäuschung auch enttäuschung und=äh enttäuschung von einerseits den-der führungsspitze aber auch andererseits von dieser (.) ja dieser dämlichkeit und passi-passit- äh-
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7 Schattenzonen: Occulture und Conspirituality
der bevölkerung ( ) das allgemeine fußvolk (sag ich mal) des (is) was mir dazu einfällt-ja- (.)810
In Thomas‘ Rekonstruktion verdichten sich verschiedene Momente des Prozesses des Aufwachens: die Passivität und Naivität („dämlichkeit“) der Masse, die als „fußvolk“ bezeichnet wird und das Schockierende der „agenda“ hinter den offiziellen Ereignisabläufen. Die Ent-Täuschung vollzieht sich bei ihm durch das Anschauen von Internet-Filmen. Ebenso wie bei Klaus811, der erst einige Jahre nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 vermittels Amateur-Dokus wie „Loose Change“ (2005–2009) oder „Zeitgeist: The Movie“ (2007) ins Zweifeln kommt und misstrauisch wird. Es ist also wichtig zu betonen, dass nicht 9/11 als Live-Event – d. h., während sich die Anschläge live im Fernsehen ereigneten – von den Betroffenen als große Enttäuschung erfahren wird, sondern ein, wie Hooper sagt, „closer look“ auf das Ereignis und seinen Kontext, der in seinem Fall, fast zehn Jahre später, eine Neubewertung bedingt. Die Ent-Täuschung wird oftmals als eine Art Schockzustand erlebt bzw. rekonstruiert. In Thomas‘ Fall ist dieser mit „blanke[m] entsetzen“ verbunden. Richard Gage weiß diesen Schockzustand eindringlich zu kommunizieren. In einem Gespräch mit dem verstorbenen Journalisten Tommy Hansen im YouTube-Kanal von KenFM erzählt er von dem Moment im Frühjahr 2006, als er von der offiziellen Darstellung durch einen Radiobeitrag ent-täuscht wurde. Zunächst erwähnt er, dass er seit 20 Jahren als Architekt an verschiedenen Gebäuden gearbeitet habe und seine Karriere bis dahin gut gelaufen sei. i was looking forward i think to the acceleration of that career erm (.) very large projects i was getting into when i find out about 9/11 (.) which (.) just (-) turned my life around eh (.) i: realized as i was listening to the radio (.) that (.) on in may of 2002 [sic]812 that- (.) nothing was gonna be the same after this (.) because (.) i had this Horrible feeling in my gut ((fasst mit beiden Händen über seinen Bauch)) as i heard david ray griffin talking about all-of-this-evidence ((handbewegung)) on the radio (.) i had to pull my car over (.) just in shock about what i was hearing -aahabout (.) EXplosions that were DOCumented (.) -orin (.) in oral histories by the first responders that david ray griffin was (.) being interviewed ((schluckt)) in this radio station in berkeley ((einatmen)) a:nd ah=graham mcqueen a:nother researcher had put together that ((handbewegung)) a hundred and eighteen of this five hundred orally recorded first responders were (.) had heard sounds of explosions and f::seen flashes of LIght at the onset of this twelve second destruction for each of the twin towers ((…))813
Mehrfach wiederholt Gage in diesem Video den „Schock“ bzw. das Schockierende des Ereignisses –, aber nicht der Anschläge selbst, sondern desjenigen Moments, in dem er realisiert, dass es viele andere Beweise („all-of-this-evidence“) gibt, die eine andere Rahmung des Ereignisablaufs nahelegen und von denen er vorher noch nicht gehört habe. Auch mit den übrigen Gesten („Horrible feeling in my gut“, Schlucken) wird starke Betroffenheit durch die Irritation dieser ‚neuen‘ Faktenlage artikuliert.
7.3 Aufwachen
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KRISE
Die Krise entspricht der Phase der Liminalität. Wichtig ist hier, zu betonen, dass sie sich über einen längeren Zeitraum erstrecken kann – indem z. B. mehrere Filme angesehen oder Bücher gelesen werden, die ‚die Augen öffnen‘ –; die Krise kann aber auch während eines einzelnen Ereignisses, sich in kurzer Zeit einstellen. Insofern die neue Realität/Deutung unerwartet kommt und der*die Betroffene, sich als ihr ausgesetzt empfindet, werden in der Kommunikation dieses Zustands oftmals fiktive Wissensbestände oder Memes angeführt. Sie ermöglichen Kommunikation der Grenzsituation und stiften damit, rekonstruktiv, Sinn und auch Gemeinschaft („conspiracy community“). Als Gage zum ersten Mal vom Einsturz des dritten Gebäudes (WTC 7) am 11. September 2001 hört, habe er dies so erlebt: ((…)) AND THEN I HEARD There was a t- a third skyscraper that came down that afternoon (.) and er (.) WHAT IS GOING ON Here (.) its like the twilight zone (.) my-my whole world just started rocking (.) tilting (.) conflicting with the information that i thought was (.) sure (.) as [?] our government (.) and agencies (.) and media had told us about these events (..) ((…))814
In diesem Ausnahmezustand ist nicht nur das Vertrauen in die ‚normale‘ und vormals vertraute Wirklichkeit bis zu einem Höchstmaß erschüttert. Es gibt auch kein Zurück mehr. Denn weder gibt es eine Referenz im bisherigen Erfahrungswissen, noch greifen hier die gewohnten Deutungsmuster oder „Hilfskonstruktionen des Glaubens“. Die Zufalls- bzw. „Surprise“-Theorie der Bush-Regierung ist nicht mehr fassbar angesichts der neuen Information. Daher wird die „twilight zone“ als Vergleich herangezogen. Klaus erzählt, dass „man sich wirklich wie in George Orwells Roman „1984“ fühlt, während der Erfahrung des Aufwachens, in einem Zustand, in welchem die Realität so „offensichtlich“ als ihr „Gegenteil“ dargestellt würde. Während Klaus dann „1984“ ausspricht, muss er lachen. Die kritische Phase des Aufwachens ist neben dem Versagen von Routinen und eingeübten Deutungspraktiken, vor allem dadurch gekennzeichnet, dass es in dieser Situation kein Zurück mehr gibt. Mit Anton (2011: 123) kann man sagen, es ist für die Betroffenen sinnhaft nicht mehr möglich, dass bestimmte Koinzidenzen „nicht als Verschwörung gedeutet werden“ können. Diese Situation sei, wie Tommy Hansen und Richard Gage sich im Gespräch untereinander einig sind, ein „point of no return“815. Auch Daniele Ganser identifiziert diesen Punkt in einem „Prozess“, wo er „nicht mehr zurück“ kann und am Ende auch „nicht mehr zurück [will]“.816 Das Wissen um diesen „point of no return“, die Irreversibilität und die biographische Zäsur und die Irreversibilität dieser Erfahrung, gehört ebenfalls zum gemeinsam geteilten Wissen. Verfolgt man den Gesprächsverlauf zwischen Hansen und Gage sequenziell, so ist es der Interviewer Hansen, der Gage, also den Interviewten, zuerst nach dem „point of no return“ fragt – Gage bestätigt ihn nur.817 Bei all diesen Darstellungen des Erlebten ist zu berücksichtigen, dass es rekonstruierte Narrative sind. Die methodische Schwierigkeit in der Deutung dieser
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7 Schattenzonen: Occulture und Conspirituality
Selbst-Deutungen ist daher, deutend zu erkennen, welchen subjektiven Realitätsund Lebenswert das jeweils Mitgeteilte für die Betroffenen hat. Dabei spielen sowohl Sequenzialität wie auch, damit zusammenhängend, (Körper-)Ausdruck sowie der Kontext eine Rolle. Auch Heiko Schrang, alternativer Medienunternehmer und vorgeblicher Buddhist818, beschreibt in einem Gespräch über sein Buch „Im Zeichen der Wahrheit“ (2017) den kritisch-transformativen Charakter des unterdrückten Wissens, das er seiner Meinung nach in seinen Publikationen vermittelt habe: Jetzt ist es so, dass viele Leute erwacht sind, aber viele – habe ich festgestellt – sind hängengeblieben auf der […] verschwörungstheoretischen politischen Schiene. Und deswegen habe ich immer gesagt: Achtung, Vorsicht vor meinem Buch! Ihr müsst aufpassen; weil, ich habe reihenweise Leute erlebt, die haben das zwar als Augenöffner und Türöffner genommen, haben aber Schwierigkeiten mit dem eigenen Leben klarzukommen.819
Wo Schrang vom Hängenbleiben „auf der verschwörungstheoretischen politischen Schiene“ spricht, zeigt sich die Trennlinie zwischen „Verschwörungstheorie“ als einem Werkzeug der tiefenpolitischen Analyse und des investigativen Denkens und eines Verschwörungsglaubens als negativer Theologie (Dämonologie, vgl. Meyer 2018) oder als spirituelle Lebensform (kosmisches Vertrauen). Auch Schrang spricht eine kritische Phase an und er zieht Analogien aus der Fiktion hinzu. Es sei wie im Film „Matrix“, sagt er zu seinem Gegenüber „wenn du die rote Pille nimmst und alle um dich herum noch in der Matrix leben und die blaue Pille konsumieren“, könne man leicht als „Spinner“ oder „Verrückter“ dastehen. Aufgrund dieser Gefahr habe Schrang sein Folgebuch (2017) nicht nur über „politische Themen“ geschrieben. Diese sind bei ihm negativ konnotiert, weil psychisch belastend. Er werfe darum in seiner aktuellen Publikation vor allem auch psychologische und spirituelle Fragen auf. Dadurch stärkt Schrang ‚positive‘ und ermutigende Aspekte des Wissens der Verschwörung. Der Rapper „Kollegah“ warnt vor einem laxen Umgang mit „Verschwörungstheorien“: Man darf sich da nicht reinsteigern, sonst denkst du, die Welt ist am Arsch […] und genau das darf nicht passieren […] du musst checken, wie die Welt ungefähr funktioniert; niemand von uns ist annähernd so tief drin, dass er sagen kann: ‚So läuft‘s und so läuft‘s nicht.‘ Fakt ist aber: so wie‘s uns erzählt wird, so läufts nicht! Und da gibt‘s die größten Spinner, die erzählen eine hahnebüchene Story. Dann gibt‘s aber auch […] Menschen, Reporter, die arbeiten mit Fakten und die findest du manchmal einfach nicht in den Nachrichten, das ist einfach so; die musst du suchen; das ist natürlich ein Prozess. Du musst auch selber natürlich […] bei klarem Verstand sein, um da zu versuchen, einigermaßen sich der Realität, der Wahrheit zu nähern.820
Obwohl seine kulturelle Verankerung viel weiter zurückreicht, ist der Topos des Erwachens für die konspirationistische Gegenkultur spezifisch und an ihre Diskurse anschlussfähig. Er ist typisch für die Subkultur von „Verschwörungstheorien“, insofern er ihre Diskurse und Topoi nicht nur verdichtet und zuspitzt,
7.3 Aufwachen
423
sondern vor allem auch identitäts- und gemeinschaftsbildend wirkt. Gleichzeitig kann das Erwachen in verschiedenen Graden ausgeprägt sein: Es kann ‚nur‘ ein Erwachen aus einer politischen Weltanschauung oder aber aus der ‚ganzen‘ kosmologischen „Matrix“ bedeuten. In beiden Fällen aber ist es in der Regel an ein biographisch-kritisches Moment gekoppelt, das die Subjektivität nachhaltig prägt. INTEGRATION
Die Integration des ent-täuschten und kritischen Verschwörungswissens gelingt den Betroffenen in unterschiedlichem Maße. Wir haben schon gesehen, inwiefern oftmals ein „Spannungsmanagement“ beteiligt ist, bei welchem die Betroffenen eine Art Reflexivität oder „meta awareness“ über den marginalisierten gesellschaftlichen Status ihres Wissens erwerben. Da wir soziale Wesen sind, vollzieht sich die Integration von Wissen in der Regel kommunikativ. Indem wir andere überzeugen oder andere unser Wissen anerkennen, ist es uns möglich, dieses zu integrieren. Beispielhaft wird dies anhand der Erzählung von Richard Gage: ((…)) I Have to tell other people about this (.) and i found out that most of them didn‘t want to know about it (.) or hear about it (.) because They (.) like me initially ((bekommt keinen ton raus/stockt)) (-) thought that this would just be just in a realm of conspiracy theory (-) but i ( ) WAIT we‘re talking about facts ((…))821
Nachdem er realisiert habe „that I CANT JUST GO ON (.) AND IGnore what i heard“822, musste er anderen davon erzählen. Indem wir andere von der Realität unseres Wissens überzeugen, überzeugen wir zugleich uns selbst. Gage erzählt, dass er bald einige andere Architekt*innen von seinem ‚neuen‘ Wissen überzeugen konnte und dadurch in der eigenen Überzeugung bestärkt wurde, sich nicht im „realm of conspiracy theory“, sondern im Bereich von „facts“ zu bewegen. Das Stigma der „Verschwörungstheorie“ ist in diesem Fall wirkmächtig. Was aber, wenn die soziale Überzeugung nicht gelingt? Was, wenn die Betroffenen mit ihrem Wissen nicht auf Anerkennung stoßen? Ein Beispiel dafür konnten wir bei Karsten beobachten.823 Er bewegt sich auf der „Skeptiker“-nahen Veranstaltung „Der Goldene Aluhut“ in einem Umfeld, in welchem er nicht davon ausgehen kann, Anerkennung für sein Wissen zu finden.824 Daher verbirgt er das Wissen. Er betreibt geschickte „Publikumssegregation“ indem er sein Wissen nur vor einem ‚sicheren‘ Publikum offenbart oder tentativ vorgeht und Gesprächspartner*innen nur Stück für Stück an ‚deepe‘ bzw. ‚schmutzige‘ Themen und Überzeugungen heranführt. Letzteres hat auch der autobiographische Autor selbst erfahren und es lässt sich auch bei Sebastian beobachten (vgl. Kap. 5.2.1). Sebastian hat sich in der Ankündigung seines Vortrages über „Chemtrails“ zunächst von „Verschwörungstheorien“ distanziert.825 Erst nach und nach im Laufe des Abends verdeutlichte er immer stärker, wie viel Wissen er eigentlich über die betreffenden Themen hat. Es zeigte sich, dass er sehr erfahren im Umgang mit stigmatisiertem Wissen ist. Der ethnographische Autor notiert bei der Reflexion des Vortrags von Sebastian:
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7 Schattenzonen: Occulture und Conspirituality
Die Distanz zum Begriff zeigt sich auch daran, dass sowohl in der E-Mail als auch während des Vortrags Sebastian von „Verschwörungstheorien“ sprach, die er damit offenbar (implizit) von seinen eigenen (fundierteren) Recherchen unterschieden wissen wollte. Er grenzte sich also sowohl in der Ankündigung des Vortrags als auch im Vortrag selbst von diesem Label ab. Danach aber, im kleineren, vertrauteren Kreise, als auch schon ein paar – mindestens die zwei Mädels – gegangen waren, zeigte er, dass er über ein viel breiteres VT-Wissen verfügte – die Frage ist nur, wie ernst er das jeweils nimmt bzw. in welchen Kontexten er es ausbreitet. Wichtig: Er scheint mir hier insofern schon sehr ‚erfahren‘ im Umgang mit VT zu sein, als dass er sich nicht nur schon seit „Jahre[n]“ damit beschäftigt, sondern vor allem auch schon sensibel dafür ist, was von diesem Wissen er wo und wie kommunizieren kann.826
Nicht selten geht deshalb mit der Integration des neu erworbenen Wissens auch ein Wechsel des Umfeldes oder die Erschließung neuer Freundes- und Bekanntenkreise einher. Z. B. bei Norbert, der sich mit der Trennung von der „Rohköstler“Weltanschauung auch von deren Community getrennt hat (s. u.). Der autobiographische Autor selbst hat sich, nachdem er mit bestimmtem Wissen und Fragen in seinem Umfeld nicht auf Resonanz gestoßen ist, einem „Stammtisch“ angeschlossen und Menschen kennengelernt, mit denen er über dieses stigmatisierte Wissen sprechen konnte, ohne sich für das vermeintliche Verbreiten von „Verschwörungstheorien“ rechtfertigen zu müssen. Eine Illusion dieses Feldes (vgl. Böning 2014) kann damit aber dekonstruiert werden: Die Behauptung oder das Selbst-Verständnis, dass mit der Erfahrung des Aufwachens ein „point of no return“ erreicht wäre, nach dessen Überschreiten man das erlangte Wissen nicht mehr vergessen könne. Eindringlich kommt diese Deutung in dem Nutzer*innen-Kommentar (Siehe Abb. 64 „AWAKENED“, weiter oben in diesem Kapitel) „Once your are ‚AWAKENED‘ you NEVER go back to SHEEP!!“ zum Ausdruck. Das meint so viel wie, dass das Leben nach dem Aufwachen nicht mehr ist wie zuvor, dass das Wissen einen grundsätzlichen Bewusstseinswandel mit sich bringe. Oliver Bommer nennt das in Bezug auf den 11. September 2001 „Einbahnstraße“: „Wer einmal verstanden hat, dass die Türme gesprengt worden sind […], wer kann dann wieder zurück?“827 Diese Selbstdeutung soll nicht vollständig abgelehnt, aber differenziert betrachtet werden. Reproduktion von Wissen und Konstruktion von Subjektivität und Identität sind keine statischen und abgeschlossenen Prozesse. Insofern wir es bei „verschwörungstheoretischem“ Wissen mit stigmatisiertem Wissen zu tun haben, vollzieht sich seine Integration stets kontextabhängig und ‚offen‘. Betroffene reagieren mit Techniken des Spannungsmanagements auf das Stigma. Weil soziale Kontexte ebenfalls nicht statisch sind, bedarf es einer ständigen Re-Integration und Re-Evaluation des betreffenden Wissens. In verschiedenen Kontexten ist das Wissen unterschiedlich verteilt, legitimiert oder sichtbar. Auch Relevanzsysteme spielen dabei eine Rolle. Zuletzt kann Wissen verdrängt statt integriert werden. Dem Autor sind Fälle bekannt von Personen, die es geschafft haben, sich von bestimmten Themen zu überzeugen, die ihr Leben hätten verändern können. Weil
7.3 Aufwachen
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sie aber dieses Leben nicht verändern wollten, entschieden sie sich bewusst, das stigmatisierte Wissen zu ‚vergessen‘.828 Sowohl von Sebastian als auch von Thomas oder Simon ist dem Autor bekannt, dass es Kontexte gibt, in denen sie ihr Wissen zurückhalten und es ‚tabu‘ ist. Manchmal lassen sie sich dabei nichts anmerken, manchmal ist ihnen das Unwohlsein deutlich anzumerken. Die empirisch zu klärende Frage ist also: Gibt es einen Punkt, an dem ein stigmatisiertes Wissen vollständig ‚integriert‘ ist?
Abbildung 65: Das Aufwachen als sinnhafter, identitäts- und gemeinschaftsstiftender Topos in Verbindung mit der Genese entsprechender Deutungsmuster. (Quelle: eigene Darstellung).
Doch betrachten wir nochmals die kommunikative Reziprozität der Produktion von Wissen und Wirklichkeit, die zwischen Subjekt und Gesellschaft besteht. Wir hatten festgestellt: Indem wir andere von der Realität unseres Wissens überzeugen, überzeugen wir auch uns selbst. Das gleiche gilt auch umgekehrt. Je mehr wir es schaffen, uns selbst zu überzeugen, desto eher werden wir auch andere überzeugen können und damit Wissen verwirklichen. Man kann dieses auch instrumentell verstehen und mit Goffman: Je besser wir es schaffen, Wissen zu verkörpern und darzustellen, desto eher integrieren wir es als soziales Wissen. Die Subjektivierung von uns selbst, ist gleichsam die Subjektivierung des Gegenübers, letztlich der Gesellschaft. Die gesamte Praxis der Bildmanipulation und (YouTube-)Video-Produktion in der „conspiracy culture“ sollte auch unter diesem Aspekt betrachtet werden (Kap. 6.1.2). Schaut man auf diesen Zusammenhang sozialpsychologisch, kann man sagen: Eine starke Persönlichkeit lässt sich weniger von ihrem Umfeld erschüttern und kann so die Krise, die mit dem Prozess des Aufwachens verbunden ist, besser bewältigen.829 Ich-Stärke830 hilft, kognitive Dissonanzen zu überstehen,
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7 Schattenzonen: Occulture und Conspirituality
die mit dem Auseinanderklaffen von gesellschaftlicher Anerkennung und individueller Wahrnehmung im Erleben des „Aufwach“-Prozesses verbunden sind. TRENNUNGEN 12:55 Uhr. Wodurch bin ich eigentlich mit dem Feld verbunden? Klar, durch meinen Konsum der Inhalte, durch mein Ansehen der Seiten, durch meine digitale Praxis. Aber auch durch meine mentale Aktivität – durch mein Denken und meine Deutungsmuster. Das Denken, bindet mich, fesselt mich immer wieder an diese Inhalte, will mehr davon und wird durch sie weiter reproduziert – ein prinzipiell endloser Kreislauf [...]. (Memo, 27. Oktober 2016831)
Der Prozess des Aufwachens ist, wie erwähnt, nicht an ein Ereignis gebunden, sondern bedingt und verstärkt durch verschiedene Faktoren. Auch dass der „point of no return“ keine existentielle Tatsache, sondern selbst Teil der narrativen Sinnkonstruktion ist, und den sozialen Umständen und dem situierten Erleben entsprechend gedeutet wird, sollte klar geworden sein. Wenn es eine von Ritualisierung und Communitybildung getragene Identifizierung mit dem Verschwörungsdenken gibt, so gibt es auch die De-Identifizierung. Dabei verbindet sich mit dem Ausstieg ebenso eine narrative Sinnkonstruktion wie mit dem Aufwachen. Nicht selten ist mit dieser Sinnkonstruktion auch eine Identitätskonstruktion verbunden, mit der sich von vorherigen Sinnkonstruktionen und der „conspiracy community“ dediziert abgegrenzt wird und wie sie für die Sozialfigur des Überläufers bzw. des Konvertiten typisch ist. Wesentlich lassen sich zwei Aspekte unterscheiden, nach denen sich ein ‚Ausstieg‘ bzw. eine Trennung von diesem Feld vollziehen kann: 1. 2.
Trennung von sozialen Beziehungen Trennung von Wissen und Praktiken
Beide gehören in der Regel zusammen und verstärken sich gegenseitig. Soziale Beziehungen ergeben sich oftmals durch gemeinsam geteiltes Wissen. Da es sich bei dem Wissen um stigmatisiertes Wissen handelt, sind über dieses Wissen verbundene Freundschaften wahrscheinlich in dieser Hinsicht durch eine ausgeprägtere Intimität und Nähe oder eine eigenartige Distanz charakterisiert. Es sind Schicksalsgemeinschaften, die einen Selbsthilfegruppencharakter haben können (vgl. Kap. 3.3). Im ersten Fall wäre der*die Andere in das heterodoxe Wissen eingeweiht; im zweiten Fall gibt es Tabubereiche oder einen Beziehungsbruch. Beispielsweise in einer partnerschaftlichen Beziehung. Ist hier Nähe vorhanden, so trennt sich mit der Trennung des*der Einen vom Feld/Wissen in der Regel auch der*die Andere. Dieser Fall scheint in der Geschichte der Wittschiers vorzuliegen. Ihre „Aussteiger“-Geschichte ging durch einige Medien.
7.3 Aufwachen
A)
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ÜBERLAUFEN
Stephanie Wittschier habe schon „als Jugendliche“ an vieles geglaubt, das den Alltagsverstand überschreitet: so etwa an Aliens und UFOs. Später, so meint sie, „kamen dann“ Dinge „wie Bigfoot, Nessie, Stonehenge und der Pyramidenbau“ hinzu, die sie als „Verschwörungs-Themen“ bezeichnet. Doch erst mit 9/11, etwa 2010 sei es so richtig losgegangen. Irgendwann, so erzählt sie im Gespräch mit dem Noizz-Magazin, war sie sehr tief drin im Verschwörungsglauben und der Szene und „glaubte an fast alles“: Am Schluss habe ich wirklich an fast alles geglaubt, bis auf die flache Erde! Das war mir dann doch zu abgedreht. Angefangen hat es mit den 9/11-Verschwörungsideologien, dann kamen Chemtrails, dadurch kam ich auch zu dem ganzen Verschwörungsblödsinn über HAARP (dass diese Anlage das Wetter kontrollieren kann und auch Erdbeben, Tsunamis, Tornados, etc... auslösen kann), dadurch dann auch der Glaube dass die Regierung/die Elite/Illuminaten, etc... uns mittels HAARP mindcontrolled und so nach und nach kamen immer mehr Verschwörungsideologien dazu.832
In ihrer Geschichte erzählt die Betroffene von der Ausgrenzung, die sie in ihrem „Verschwörungswahn“, wie sie ihn rückblickend bezeichnet, im Bekanntenkreis erfahren habe: Zum Glück haben nicht viele Menschen von meinem Verschwörungswahn mitbekommen. Eine Brieffreundin habe ich beispielsweise dadurch verloren. Sie hat Klimatologie studiert. Als ich dann mit der Klimawandel-Lüge ankam, wollte sie mich darüber aufklären, was für ein Schwachsinn das doch ist, aber ich habe ihr nicht zugehört.833
Auf Nachfrage bestätigt sie, dass „Verschwörungstheorien Menschen vom Rest der Gesellschaft [sehr stark] abkapseln“ würden. Freund*innen oder Familie würden sich abwenden, wie sie durch die Facebook-Kommunikation wisse. Denn „Menschen, die an die ganzen Verschwörungsideologien glauben, werden halt in der Gesellschaft nicht sonderlich ernst genommen – das auch zu Recht“, wird Wittschier im Interview zitiert. Dinge, die in der „Verschwörungsszene“ geglaubt würden, seien „einfach total abgedreht“, weswegen die Gesellschaft dazu neige, sich über die Betroffenen lustig zu machen.834 Die Betroffene erzählt ihre Geschichte in der FAZ835, im Bayrischen Rundfunk836, im ORF837, im SRF838, im Vice-Magazin839, im vom Springer-Verlag herausgegeben Noizz-Magazin840 oder in der schon erwähnten Broschüre der Amadeu Antonio Stiftung (Kap. 5.5.4).841 Wittschier, die gemeinsam mit ihrem Mann ausgestiegen sei, (re)konstruiert ihre Geschichte nach dem Ausstieg entlang des in diesen Medien vorherrschenden anti-verschwörungstheoretischen Deutungsmusters mit nur einigen kleinen Varianten. Ich habe mir Wissen angeeignet und konnte so erkennen, woran ich früher geglaubt habe. Es liegt alles an einem selbst, ob man sich richtig informieren will oder lieber weiter in seiner Traumwelt verweilt.842
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7 Schattenzonen: Occulture und Conspirituality
Dieser Satz beschreibt eine Art von ‚zweitem Aufwachen‘. Während die Aussteigerin aus der „Traumwelt“ der „Verschwörungstheorien“ aufgewacht ist, wachen „Verschwörungstheoretiker“ aus dem ‚Schlaf‘ oder der Gehirnwäsche der orthodoxen Matrix auf. Auch dieses Aufwachen ist von Narrativen überformt. An der Sprache von Wittschier zeigen sich typische Semantiken, die die Identitätskonstruktion ‚danach‘ von der ‚davor‘ abgrenzen und die vom anti-verschwörungstheoretischen Diskurs (Kap. 5.5) geprägt sind. Erstens spricht sie, was sehr bemerkenswert ist, fast ausschließlich von „Verschwörungsideologie[n]“ – sowohl auf ihrer Webseite als auch in Interviews.843 Dieses Begriffsrepertoire ist, wie oben aufgezeigt, für den anti-verschwörungstheoretischen Diskurs im Milieu der Antonio Amadeu Stiftung typisch, mit der Wittschier auch in Kontakt stand. In der Tat hat die Betroffene ihre Geschichte auch in der von der Stiftung herausgegebenen Broschüre „No World Order“ dargestellt, stand also mindestens einmal in engerem Kontakt mit der Stiftung bzw. mit einem ihrer Hauptautoren, der sie interviewte.844 Zweitens ist semantisch auffällig, dass Stephanie Wittschier häufig Kombinationen mit dem Wortteil „Schwurbel“ verwendet, wie: „Schwurbelseite“, „Schwurbel-Mittelchen“, „YouTube-Schwurbelvideos“, „verwirrte, durchgeknallte, irre Schwurbler“, „Schwurbeleien“ usw. Dies erinnert stark an die Sprache aus demselben Diskursmilieu, insbesondere des „Goldenen Aluhut“.845 Ebenfalls an den „Goldenen Aluhut“ erinnert die Webseite der Wittschiers, „Die lockere Schraube“, sowohl von der comichaften Ästhetik und Semantik als auch etwa von der Praxis der Negativ-Preisverleihung, die dort ebenfalls vorkommt.846 Erwähnenswert ist dann auch die personelle Überschneidung zwischen beiden Aussteiger*innen-Seiten.847 Drittens ist für Überläufer*innen die verurteilende Haltung gegenüber dem vorgängigen ‚Glauben‘, dem „ganzen Müll“, von dem sie einst überzeugt gewesen sei und dem „ganzen ‚Verschwörungssumpf‘“, in dem sie einmal steckte.848 Nicht nur, dass alles, was einst geglaubt wurde, sich nach dem Aufwachen aus dem „Traum“ als falsch entlarvte. Die Überläufer*innen beteiligen sich nun auch am Gegenaktivismus und geben so ihrem rekontextualisierten insider-Feld-Wissen einen neuen Sinn. Auch in Bezug auf Politik. So fordert Stephanie Wittschier, dass es „in gewissen Bereichen […] sicher mal an der Zeit“ wäre, „dass die Politik reagiert.“ 849 Im leitmedialen Diskurs als „insider“ über die „Verschwörungsszene“ zu berichten, geschieht in der Regel im Rahmen des vorherrschenden anti-verschwörungstheoretischen Deutungsmusters. Zugleich bietet dieses Deutungsmuster eine klare Orientierung, die die Distanzierung von dem zuvor für wahr gehaltenen Wissen ermöglicht. Wie im Falle Giulia Silberbergers, konstruieren die Wittschiers nun im Aktivismus gegen „Verschwörungsideologien“. Der Bruch ist radikal. Für Silberberger, der Gründerin des „Goldenen Aluhut“ bestand der Heilungsprozess, wie sie berichtet, ebenfalls in der Selbstfindung, die mit der De-Identifizierung von bestimmten Denkmustern begonnen habe und psychotherapeutisch
7.3 Aufwachen
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unterstützt wurde.850 Das „evidenzbasierte“ Paradigma aus den Naturwissenschaften gibt ihr ebenfalls Halt.851 Humor und Satire sind für sie ein zentrales Moment der Heilung von beschädigter Identität (vgl. Kap. 7.5) und des Glaubens an stigmatisiertes- und Grenzwissen. Auch sie hat die Sprache des anti-verschwörungstheoretischen Diskurses übernommen und durch den Aktivismus beim „Goldenen Aluhut“ mitgeprägt. Durch ihre Auftritte in Medien verfestigt sich die neue Identität. Silberbergers neue Existenz als Unternehmerin hängt vollständig am Verein „Der Goldene Aluhut“.852 Nach ihrem Ausstieg findet sie Sinn und eine Aufgabe darin, anderen zu helfen, sich selbst von diesem Wissen, das sie für „gefährlich“ hält, zu lösen. Die Trennungsstrategien der Überläufer*innen umfassen demnach sowohl bei Silberberger wie auch bei den Wittschiers jene kommunikativen Praktiken des anti-verschwörungstheoretischen Diskurses, die von Satire bis zum Debunking reichen (Kap. 5.5.1). Für Silberberger kamen sowohl eine neue Existenzgründung wie auch eine psychotherapeutische Begleitung hinzu, wobei sie selbst eine „Sekten“-Vergangenheit hat. In beiden Fällen ist die Trennung/der Ausstieg massenmedial überformt, was sich sowohl auf die Sprache wie auch auf die Identitätskonstruktion der Betroffenen auswirkt. B)
DISTANZIEREN
Einen ähnlichen Schritt der Distanzierung hat auch Marsili Cronberg, der zeitweise bei den „Montagsmahnwachen“ aktiv war, vollzogen. Er sagt, dass er „selbst ganz tief drin steckte“ im Verschwörungsglauben.853 Nach einer Ernüchterung bei der „Montagsmahnwachen“-Bewegung, auf die er, wie er nachträglich erzählt, „eine noch recht naive Sicht hatte“, verarbeitet er auf seinem Blog diese Erfahrungen und warnt eindringlich vor der „Gefahr“, die von vielen „Verschwörungstheorien“ ausgehe. Vor allem von solchen, die Kritik an einer „Weltelite“ übten, wie etwa die der „Bilderbergverschwörung“. Cronberg schreibt von Antisemitismus und davon, dass dieser durch die „Verantwortlichmachung einzelner Gruppen“ begünstigt werden könne, wie es in den genannten Theorien geschähe. Cronberg ist Vegan-Aktivist und sieht sich als einen „politischen“ Menschen, der aber „ganz nach meinem Bauch“ handele. Er habe nicht generell ein Problem mit dem Verschwörungsdenken, sondern mit dessen „Überhöhung“ im politischen Wirken: Das Problem bei der neuen Friedensbewegung ist für mich garnicht so sehr, daß viele Verschwörungstheorien für möglich halten, sondern welches Gewicht diese für manche haben. Einmal fiel bei einer Mahnwache der Satz: „Wer WTC7 nicht kennt, hat von Politik keine Ahnung.“ Das hat mich erschreckt. Vor allem deshalb, weil dieses Verständnis eine fast religiöse Überhöhung dieser Themen offenbart. In meinen Texten zum Verschwörungsglauben habe ich dann versucht, mich auf die psychologische Wirkung einzulassen. Dazu gehörte dann auch eine sehr persönliche Betrachtungsweise, die auch eine Position einschloss, die ich bei vielen anderen beobachtet habe.854
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7 Schattenzonen: Occulture und Conspirituality
Obwohl Cronberg das Verschwörungsdenken kritisiert und sich davon distanziert, bekämpft er es nicht und hält auch nichts von der Diskreditierung einzelner Personen. Ich bin mir bewusst, daß der Begriff Verschwörungstheorie auch für Diffamierungen mißbraucht wird, doch für mich ist „Verschwörungstheorie“ keinesfalls abwertend. Ich kenne viele, die verschwörungstheoretisch denken und sich dabei auch sehr viele wertvolle Gedanken über die Veränderung unserer Gesellschaft machen.855
Cronbergs Distanzierung und Kritik schließt Diskreditierung und Personalisierung aus. Silberbergers Umgang mit dem Thema findet er „ganz gut“, weil sie „nicht so herablassend mit Menschen umgeht, die sich in Verschwörungstheorien verfangen haben.“ Doch mit der „Preisverleihung [„Der Goldene Aluhut“, A. S.] bin ich nicht sehr glücklich. Denn dort werden dann doch wieder Menschen lächerlich gemacht“, meint er. Auch Cronberg hat sich gemeinsam mit seiner Partnerin, Lea Frings, die ebenfalls Vegan-Aktivistin und Politikerin in der Piraten-Partei ist, von der Bewegung distanziert. Einen ähnlichen Umgang mit der Distanzierung von heterodoxem Wissen pflegt Norbert.856 Er hat, wie Giulia Silberberger, eine Vergangenheit in einer religiösen Sekte, in die er hineingeboren wurde. Später kam er durch eine Beziehung mit verschiedenen alternativen Ernährungslehren in Kontakt und wurde mehrere Monate „Rohköstler“ in einer Community mit überschaubarer Größe. Er sagt, sein Gesundheitszustand habe sich in dieser Zeit dramatisch verbessert und dies habe er auch bei anderen Mitgliedern erlebt. Er habe sehr gesund, aber gleichzeitig sehr streng und abgeschottet gelebt. In dieser Zeit hat sich Norbert u. a. mit AIDS„Verschwörungstheorien“ beschäftigt. Später habe er sich auch für spirituelle Praktiken interessiert und eine Ausbildung zum Reiki-Meister gemacht. Die Lebensweise als „Rohköstler“ habe er auf Dauer, trotz guten körperlichen Gesundheitszustands, nicht durchgehalten. Mit der Trennung von der Community ging gleichzeitig die Trennung von der Rohkost-Diät vonstatten und ebenso der Glaube an viele der Konzepte, die dort relevant waren. Norbert ist Lehrer. Heute vertritt er eine agnostische Weltanschauung, die von Richard Dawkins inspiriert wird. Er hält nicht alles, was er heute als „Verschwörungstheorien“ bezeichnet, für falsch. Das meiste sei für ihn aber auch nicht mehr relevant, obwohl er sich ab und zu noch mit der einen oder anderen Theorie beschäftigt. Für Norbert ist der Ausstieg vor allem eine Distanzierung gewesen, die mit Selbstfindung zu tun hat. Das Leben in der „Rohköstler“-Commuity und das dort praktisch gelebte heterodoxe Wissen sind für ihn weit weg. Nur über das Internet ist er noch mit manchen Themen verbunden. Für den Autor dieser Studie vollzog sich die Distanzierung vom Feld vor allem durch eine Distanzierung von entsprechenden digitalen Praktiken und mit diesen zusammenhängenden Emotionsmustern und Wissensbeständen sowie durch den Kontaktverlust zu vielen Bekannten des Stammtisches (Kap. 3.3). Yoga,
7.3 Aufwachen
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Meditation (Kap. 3.4) und die Praxis der Achtsamkeit (Kap. 2.4) sowie die Entdeckung der Liebe und des Vertrauens in einer Beziehung unterstützten diesen Prozess. 7.4 Männerwelten? alan, ich kenne dich fast gar nicht, aber es scheint mir, als seien eine menge schmerz und angst in dir drin. und, falls das so sein sollte, wünsche ich dir: ein großes, weiches, warmes kissen, voll von liebe und mitgefühl, auf das du dein gepeinigtes herz ausbreiten und ausruhen kannst. (E-Mail von Nina, 24. November 2009, 00:30 Uhr)
Einleitend folgt ein kurzer Feierabenddialog eines deutschen weißen und heterosexuellen Ehepaares, welches auf einem wahren Gespräch beruht und das aus dem Gedächtnis rekonstruiert wurde.857 F: Heute hat mich tatsächlich ein Mann, der war so Mitte 40 und saß bei der Konferenz hinter mir, der hat mir so eine Anwesenheitsliste gegeben und angedeutet, dass ich die nach vorne geben soll … M: Aha F: Und dann hab‘ ich die genommen und die vor mir angetippt, dass die die Liste nach vorne durchreicht … M: Mmhmh F: Dann plötzlich steht der auf und, ziemlich aufgebracht, und reißt mir das Papier aus der Hand, grummelt irgendwas von „so war das nicht gemeint!“ und läuft selber damit nach vorne … M: 0kay … F: Ja, ziemlich dreist, oder?! M: Weiß nicht … was willst du damit sagen? F: Ich war schon kurz schockiert. Und das auf so ‘ner Veranstaltung! M: Ach komm, das ist doch übertrieben … F: Hey, sowas würde dir sicher nicht passieren! M: Jetzt wirst du aber paranoid F: Sicher nicht. Ist dir sowas schon mal passiert? M: Nein, aber … F: Das ist kein Einzelfall. Sowas passiert Männern nicht M: Ich finde, du übertreibst, das ist doch nicht der Rede wert … F: Ja, für dich. Du siehst das nicht! Weil dir das nicht passiert. Da steckt was Strukturelles dahinter. So etwas passiert nur Frauen M: Das könnte aber auch anders gemeint gewesen sein … F: Das ist nicht dein Ernst, oder?! „Könnte“ … wie wäre es mal mit Solidarität?
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7 Schattenzonen: Occulture und Conspirituality
Das Gespräch hat mich kurzzeitig an den Rand der Verzweiflung getrieben. Ganz unvorbereitet wurde mir während dieser Abendunterhaltung vor Augen geführt, wie blind und eingefahren ich gegenüber gewissen Tatsachen bin, die für meine Frau offensichtlich eine Alltagsrealität darstellen. Die Deutung meiner Frau, dass der besagte Herr scheinbar erwartet hatte, dass sie aufsteht und die besagte Liste (für ihn!) nach vorne bringt (statt sie nach vorne durchreichen zu lassen), wollte mir nicht in den Kopf. Ich versuchte, alle anderen Denkmöglichkeiten anzuführen, um ja nicht das für sie Offensichtliche zu sehen – und kam mir dabei irgendwie recht dämlich vor. Als sie mich dazu brachte, mal zu überlegen, ob mir schon jemals so etwas passiert sei, musste ich passen. Das Ironische an der Situation war: Plötzlich war ich derjenige, der – obwohl, oder gerade weil, noch ganz in diese Ethnographie vertieft – ihr Paranoia vorwarf. Und zu allem Überfluss musste sie mir auch noch erklären, dass für sie solche Vorfälle „kein Einzelfall“ seien. Ich fühlte mich wie im falschen Film. Das war für mich die feministische Variante eines „NSU-Komplexes“ – und ich verteidigte darin einen sexistisch-reaktionären Staatsapparat gegen die Aufklärung einer offensichtlichen Verschwörung. Das hat gesessen! Ja, sie beschäftigt sich viel mit feministischer Theorie. Und daher ‚sieht‘ sie Dinge auch anders als ich. Doch unabhängig davon, ob es in diesem einen Fall auch hätte anders sein können, ob dieser Typ das nun ‚wirklich‘ aus rein sexistischen Motiven machte oder nicht, das spielt keine Rolle. Das musste ich dann auch einsehen. Es geht darum, ob solche Dinge immer wieder passieren, und „dass die damit durchkommen“ 858, um wieder Mathias Bröckers zu zitieren. Sexismus ist, wie Rassismus oder Klassismus, eine gesellschaftliche Realität. Und ich bemerkte – nicht nur an diesem Aha-Erlebnis –, dass ich ziemlich blind dafür war und dass dies an meiner habitualisierten ‚männlichen Perspektive‘, aber auch an meiner relativ bescheidenen Befassung mit feministischer Theorie liegt. ***
Die „Verschwörungstheorien“-Subkultur ist wesentlich männlich geprägt. Die meisten auch hier vorgestellten Aktivist*innen sind weiße Männer. Mit Kimmel (2016 [2013]) könnte man hier zuerst an die „angry white men“ denken, die eine starke Affinität zu „Verschwörungstheorien“ haben. Die ethnographische Erfahrung bestätigt dies. Dabei ist hervorhebenswert, dass Überschneidungen der alternativen Konspirationskultur mit anderen ebenfalls männlich-markierten Szenen offensichtlich sind: so etwa mit der Gaming-Szene, welcher der autobiographsiche Autor selbst in seiner Jugend angehörte oder der Prepper-Szene, der sich einige seiner Bekannten vom „Stammtisch“ (Kap. 3.3) zuordnen. Auch die sogenannte „Incel“-Szene scheint eine Rolle zu spielen. Allerdings muss dies thematisch differenziert werden. Während die männliche Dominanz insgesamt in der Szene um die „Wahrheitsbewegung“ ziemlich deutlich ist und auch von den Betroffenen
7.4 Männerwelten?
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selbst verschiedenartig kommuniziert wird, gibt es bestimmte Bereiche, in denen Frauen aktiv(er) sind. So begegneten dem Autor etwa auf den beiden Demos gegen Geoengineering in Berlin 2014 und 2015859 (Kap. 6.6) gleich viele Frauen wie Männer. Im Anschluss an den „Global March Against Chemstrails and Geoengineering“, der am 25. Januar 2014 am Wittenbergplatz stattfand, verfasste der Autor, nachdem er mit einigen Aktivist*innen ins Gespräch gekommen war, folgende Zeilen: Insgesamt waren die Leute […] sehr heterogen. […] Sie haben unterschiedliche Hintergründe, unterschiedliches Interesse, unterschiedliches Alter unterschiedliche Milieus. […] Auch in diesem Gespräch und dieser Situation trat wieder der Widerspruch, der sich durch die Bewegung zieht, deutlich hervor. Es gibt die Spirituellen, andererseits, die politisch und ‚weltlich‘ orientierten, in dieser Situation klar repräsentiert durch Claudine, die konkrete wissenschaftliche Erkenntnisse haben will, andererseits durch Maria und Thorsten; Felicitas stand dazwischen, war lange nicht so enthusiastisch wie Maria und auch Thorsten, der den Link zwischen Welt und Bewusstsein oder Wissenschaft und Spiritualität mit Quantenphysik und UFOTechnologie erklären wollte.860
Das angesprochene Mischungsverhältnis gilt nach der Erfahrung des Autors auch für die „Montagsmahnwachen“ oder für Festival-Veranstaltungen wie das Friedensfestival „Pax Terra Musica“. Bei Veranstaltungen zu „Geopolitik“ oder Themen wie 9/11 hingegen ist die überwiegende Mehrheit männlich (vgl. Bratich 2008) und weniger spirituell. Es ist also eine deutliche thematische Trennung in ‚männliche‘ und ‚weibliche‘ Themen festzustellen. Erstere wären vor allem politische und ökonomische, zweitere eher gesundheitliche und ökologische Themen. Wobei insgesamt festzustellen ist, dass die aktiven- und Führungspositionen der alternativen (Medien)Szene zu einer großen Mehrheit männlich besetzt sind – Kanal- und Webseiten-Betreiber, Vortragsredner, Buchautoren sind Männer –, während das Publikum divers ist.861 Die wenigen Beispiele von bekannten Frauen in der deutschsprachigen Medien-Gegenkultur – z. B. Eva Herman (Wissensmanufaktur), Katrin Nolte (Compact.tv), Julia Szarvasy (NuoViso.tv) oder die Patriarchatskritikerin Claudia von Werlhof – repäsentieren dabei ein eher ‚traditionelles‘ oder binäres Geschlechterverständnis. In diesem Sinne kann hier eine polare Geschlechtsmarkierung vorgefunden werden, die auch Ward/Voas (2011) für dieses Milieu beschrieben haben. Sie sehen in der „conspiracy community“ einen klassischen männlichen Zweig, während der spirituelle Teil der Gegenkultur weiblich markiert ist. In der Gegenkultur verbinden sich demnach die ‚holistischen‘ (weiblichen) wie auch die konspirologischen (männlichen) Aspekte.
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7 Schattenzonen: Occulture und Conspirituality
Tabelle 7: Traditionelle Geschlechtszuschreibungen der „Conspirituality“ nach Ward/Voas (2011). 862 männlich-markiert
weiblich-markiert
aktiv, dominant
passiv, devot
kalt, hart
warm, weich
dunkel, unrein
hell, rein
Politik, Ökonomie
Gesundheit, Ökologie
Verschwörung
Spiritualität
Mir selbst wird diese traditionell-männliche Kultur der „Gegenöffentlichkeit“ etwa dort bewusst, wo mich meine Frau damit konfrontiert, wie unsympathisch sie die ganzen „Typen“ findet, auf deren YouTube-Kanälen ich mich herumtreibe: allen voran Ken Jebsen. Man kann sagen, je weiter rechts die politische Ideologie dieser Kultur verortet ist, desto unattraktiver wird sie für jene Frauen, die ich selbst sympathisch finde. Eine frühere Freundin, die mit mir unter anderem ein Vorab-Treffen der „Volksinitiative“ von Jürgen Elsässer Anfang Juli 2009 besuchte, fasste ihre damit verbundenen Eindrücke und Gefühle in einer E-Mail an mich so zusammen: „unseriös und, menschlich gesehen, armselig“. Nina ist eine Freidenkerin und sie kannte das Milieu der „Wahrheitsbewegung“ vorher nicht, sie wollte durch die Freundschaft zu mir, mit den „Wahrheitssuchenden“ Menschen in Kontakt kommen. In ihrer E-Mail über das Treffen, zu dem unter anderem „Freeman“ vom Blog Alles-Schall-und-Rauch eingeladen hatte und bei dem es um neue Medien, um Geopolitik und autarkes Leben ging, schreibt mir Nina, was ich zum damaligen Zeitpunkt so noch nicht gesehen habe, aber heute – und vor allem aus einer eher buddhistischen Perspektive – sehr gut nachvollziehen kann: Nach diesem Ganzen und etlichen Gesprächen mit Teilnehmern der Tagung zog ich in Betracht, dass es den Leuten hier möglicherweise gar nicht um eine Verbesserung der Welt geht, (wie ich gehofft hatte), sondern um etwas anderes. […] Das Leid auf dieser Welt war und ist unermesslich. Menschen haben Angst vor dem Leid. […] Jeder will alles haben, auch glücklich will man sein, ja, man glaubt sogar, auf all das ein Recht zu haben. […] Schließen sich diese Selbstsüchtigen zu einer Gruppe zusammen, um ihre (selbstsüchtigen) Interessen besser durchsetzen zu können, so bleiben sie und ihre Ziele doch immer noch selbstsüchtig. […] Sie agieren gegen andere Gruppen, die ihnen die Dinge, die Menschen, die Annehmlichkeiten, alles das, von dem sie meinen, es zur Leidverringerung brauchen zu müssen, wegnehmen könnten oder auch tatsächlich wegnehmen werden.863
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7.4 Männerwelten?
Obwohl ich auf einer rein intellektuellen und politischen Ebene vielen der ‚Wahrheiten‘ der „Gegenöffentlichkeit“ etwas abgewinnen kann, so erkenne ich aus der zeitlichen Distanz einige soziale und emotionale Defizite dieser Gegenkultur. Für mich persönlich kulminieren sie in „Teufelskreisen“ (Kap. 7.6), asozialen Phasen der Beschäftigung mit „deep shit“-Inhalten, die mich ‚hart‘ und ‚kalt‘ machen und während derer mir meist erst meine Partnerin bewusst macht, dass ich „wie ein Stein“ bin. Nina hat diese vermeintlich ‚männlichen ‚Pathologien‘ vor über zehn Jahren schon erkannt. Aber sie ist auch um einige Jahre älter als ich. Und mit der Zeit bin ich selbst und sind auch andere, die sich mit zu viel „deep shit“ beschäftigt haben, mehr und mehr dazu übergegangen, einen Ausgleich zu suchen: Simon vom „Stammtisch“ begann, wie ich, zu meditieren und widmete sich den Traumata seiner Kindheit. Daniele Ganser gibt Workshops in Achtsamkeit und mahnt zu digitalen Auszeiten. Ken Jebsen propagiert eine sogenannte „Ignorance Meditation“ und hat mit „Der Freie Fall“ den männlich-dominierten Kanal um ein ‚weibliches‘ Format (Psychologie, Lebensthemen) ergänzt. Man kann diese ‚Reinigungstechniken‘, die eine*n wieder ‚weich‘ und ‚warm‘ werden lassen, im Gegensatz zum für die Konspirationskultur kennzeichnenden Spannungsmanagement als „Strategien der Entspannung“ – oder aber ebenfalls als Diskursstrategien zur Erreichbarkeit neuer Publika – bezeichnen.864 Beides hat seine Wirklichkeit. ***
In mehrfacher Hinsicht wäre es falsch, die Kultur der „Verschwörungstheorien“ einfach mit Männlichkeit gleichzusetzen. Erstens, weil dies unpräzise ist und es bei ersterem vielmehr um heterodoxe Wissensbestände geht. Gleichzeitig fällt ins Auge, dass nicht nur die alternative, sondern auch die orthodoxe und etablierte Konspirationskultur männlich und durch „stahlharte Gehäuse“ (Max Weber) geprägt ist: Sowohl Geheimdienst- und klandestine Militär- wie Geheimbundstrukturen sind männlich dominiert (Kap. 7.1). Allerdings gilt das für viele weitere Bereiche dieser Kultur. Doch auch wenn, zweitens, eine paranoide Subjektposition mit ‚männlicher Kultur‘ in Verbindung stehen sollte, bleibt fraglich, was denn das unbedingt Männliche daran sein soll. Nicht nur Knight (2000: 117 ff.) verweist schon auf die konspirologischen Figurationen feministischer Kunst und Literatur seit den 1960er-Jahren. Auch die Eingangsanekdote, die sich zwischen dem Autor und seiner Frau abspielte, zeigt, dass Verschwörungsdenken und paranoide Subjektpositionen in einer patriarchalen Kultur auch weiblich sein können. Auch die als „Verschwörungstheoretikerin“ bezeichnete Soziologin und Autorin Claudia von Werlhof steht dafür. Insofern entspricht die Trennung zwischen ‚männlicher‘ und ‚weiblicher‘ Kultur nicht der zwischen „Verschwörungstheorie“ und „Anti-Verschwörungstheorie“. Vielmehr ist es eine bestimmte Form von ‚harter‘ Paranoia, die stark ‚männlich‘ konnotiert ist, und die sowohl die
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7 Schattenzonen: Occulture und Conspirituality
tiefenpolitische und elitäre wie auch die Gegenkultur der Gesellschaft prägt. Sie steht einer „Wachsamkeit“ gegenüber, die ‚mild‘ und empathisch sein kann, aber deshalb nicht weniger ernsthaft oder ‚männlich‘ sein muss (vgl. Kap. 2.4). 7.5 „Deep Shit“ und „mind fuck“ IF YOU LOOK AT RELIGIOUS EXPERIENCE HISTORICALLY, WHAT YOU REALIZE FAIRLY QUICKLY, IS THAT, WHAT HUMAN BEINGS HAVE EXPERIENCED AS HOLY, IS NOT THE SAME AS THE GOOD OR THE MORAL. SOMETIMES, WHEN SOMEONE HAS AN ENCOUNTER WITH THE HOLY, IT’S TERRIFYING AND IT’S EVEN POTENTIALLY DEADLY. […] SO, CLEARLY THE HOLY THERE IS NOT WHAT WE THINK OF AS THE GOOD, IT‘S SOMETHING WAY BEYOND THAT, IT‘S SOMETHING WAY BEYOND ANY MORAL CATEGORY AND IT CAN MANIFEST IN TERRIFYING OR VERY REDEMPTIVE AND HEALING WAYS. (JEFFREY KRIPAL, SKEPTIKO, 28. DEZEMBER 2017865)
Wenn Jan van Helsing von einem „Unternehmen Aldebaran“866 schreibt, einer außerirdischen Zivilisation, die Kontakt zu einer schwäbischen Familie hat, oder David Icke von multidimensionalen Echsenwesen spricht, die unter uns seien, oder Eric Dubay über die Unterdrückung der „Flat Earth Truth“ durch die „globalists“ spricht867, dann ist man ziemlich tief drin in der Sphäre, die der Autor als „deep shit“ bezeichnet hat. Dies soll nicht abwertend gemeint sein, aber doch mit einem Hauch von Ironie. Das erste Wort „deep“ spielt zunächst nur auf die Tiefendimension des Wissens an, um das es sich dabei handelt: Mit Reptilien, Aliens oder ähnlichen Wirklichkeiten beschäftigt man sich nicht ernsthaft einfach mal so, nebenher. Man muss schon sehr tief im „rabbit hole“ sein, wie es im Feld heißt. Das Wissen, das unter „deep shit“ fällt, ist nicht ohne Weiteres an orthodoxe Wissensordnungen und Diskurse anschlussfähig. Und wenn doch, dann nicht ernsthaft und ohne Gefahr der Ausgrenzung. Das heißt dann, es muss viel Zeit, Kraft und auch Kreativität aufgewendet werden, um bei den betreffenden Themen Anknüpfungspunkte an Diskurse zu finden, die die orthodoxe „Realität“ konstituieren. Auch hier spielt dann die Praxis des „connect the dots“ eine Rolle. Oder das Alltagsbewusstsein wird in der Beschäftigung mit „deep shit“ völlig transzendiert und das Subjekt lebt in gewisser Weise in ganz verschiedenen Sinnwelten. „Shit“ bezieht sich insofern fäkalsprachlich auf alles, was aus einer praktischen Alltagseinstellung unpraktisch, d. h. überflüssig, abfällig oder unverdaulich erscheint und aus dem Kreislauf ‚rationaler‘ Wissensverwertung ausgeschieden wird. Man kann noch weiter gehen und sagen, zu viel von diesem „deep shit“ ist gefährlich: kann krank, verrückt, aussätzig machen (Kap. 5.4). In jedem Fall aber muss diese Befassung, zumindest zeitweise, ernsthaft sein (vgl. Kap. 4.1). Es fiel dem Autor nicht immer leicht, sich auf all die vorgefundenen Formen von Grenzwissen ernsthaft einzulassen. Es gibt in unserer Kultur und ihren Informationssystemen Filter, Mechanismen und Kontrollinstanzen, die verhindern, dass „deep shit“ ernst genommen werden kann.868 Diese sind mit Problem-, Sicherheits- und
7.5 „Deep Shit“ und „mind fuck“
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Gefahrendiskursen dispositiv verknüpft. Die vermeintliche „Gefahr“ von „deep shit“ verfügt, dass es Realitätsfilter und „Immunisierungsstrategien“ von Deutungsapparaten überhaupt gibt. Es wäre daher zu einfach, „deep shit“ als reinen „bullshit“ zu bezeichnen, wie es typischerweise im „Skeptiker“-Diskurs getan wird (vgl. West 2018). Dies würde erstens dem Prinzip des methodologischen Agnostizismus widersprechen (Kap. 2.3). Zweitens würde es verdecken, dass auch dasjenige, was wir vom Alltagsverstand her als unsinnig oder überflüssig bezeichnen, immer Aushandlungssache wie auch kontextabhängig ist. Drittens würde es bestimmte Wissensformen und Erfahrungsweisen dieses Feldes missachten. Eine der Erfahrungsweisen, die das Verschwö-rungsdenken in einen spirituellen Kontext stellen, zeigt sich erst in seiner ideengeschichtlichen Analogie zur Psychonautik. „TURN ON, TUNE IN, DROP OUT“869 Many people are understandably disturbed by the idea that in the future human beings will be spending more time in PlatoLand than in FleshPlay, piloting their brainselves inside electronic realities, interacting with other electronic humans. (Timothy Leary, How I became an Amphibian, 1994870)
Timothy Leary war eine schillernde Persönlichkeit. 1920 geboren in Springfield Massachusetts, aufgewachsen als Einzelkind. Auf Druck seines Vaters besucht er nach der High School die namhafte Militärakademie in Westpoint, New York, die er wegen ‚unehrenhaften‘ Verhaltens verlassen musste. 1941 nimmt er gegen den Willen seiner Familie ein Studium der Psychologie an der Universität von Alabama auf, das er 1946 mit einem „Master of Science“ abschließt. Daraufhin geht Leary nach Berkeley, wo er promoviert und dann arbeitet. Später ist er in Harvard und dort unter anderem in der Psychiatrie tätig. Als er durch einen Freund in Mexiko in Kontakt mit psychedelischen Substanzen wie Psilocybin kommt, verändert sich Learys Leben. Über seinen ersten Trip erzählt er: „In four hours […] I learned more about the mind, the brain, and its structures than I did in the preceding fifteen as diligent psychologist.“ (Leary 1997: 33) Nach den einschneidenden Erlebnissen in Mexiko startet Leary mit anderen Akademikern – u. a. Aldous Huxley – das „Harvard Psilocybin Project“. Über zwei Jahre hinweg werden, zusammen mit Harvard-Student*innen, Experimente mit Meskalin, Psilocybin und anderen Psychedelika, die teilweise (noch) legal sind, durchgeführt. Das Ziel war die Erforschung alternativer Bewusstseinszustände für die, so Leary „Western psychological literature had almost no guides, no maps, no texts that even recognized […] [their] existence“ (ebd.: 42). Das Projekt gerät schon bald in die Kritik und Leary auch. Ihm werden verschiedene Dinge vorgeworfen, von Steuerhinterziehung, illegalem Drogensitz, bis zum Machtmissbrauch gegen Studierende. Die ‚Experimente‘ führt er zunehmend an sich selbst durch. Wegen verschiedener Delikte landet der ‚Psychonaut‘ ab 1966 mehrfach im Gefängnis. Dennoch wird Leary zu
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7 Schattenzonen: Occulture und Conspirituality
einer Führungsfigur und zum LSD-Guru der Hippie-Bewegung und der US„Counter Culture“. 1973 wird die DEA, die US-amerikanische Anti-Drogenbehörde gegründet. Mitte der 1970er-Jahre ruft Richard Nixon den „War on Drugs“ aus. Die Psychdelik, gerade erst geboren, wird zunehmend kriminalisiert. Leary wird von Nixon zum „gefährlichsten Mann“ der Vereinigten Staaten erklärt (vgl. Minutaglio/Davis 2018). Das verstärkt den Mythos um Leary, dessen Name untrennbar mit der Popularisierung von LSD verbunden ist. Schon in den 1960er-Jahren prägt er das Motto „turn on, tune in, drop out“. Es beschreibt einen Prozess „[to] [b]ecome sensitive to the many and various levels of consciousness and the specific triggers that engage them“ und „interact harmoniously with the world around you“ sowie vollkommene „self-reliance“ (dt. Selbstgenügsamkeit) (Leary 1997: 36). Psychoaktive Substanzen seien, so Leary, „a way to accomplish this end“. Seit dieser Zeit ist Leary gefesselt von der Erforschung und Programmierung des Bewusstseins. Anders als Huxley, für den psychedelische Erfahrungen und das damit verbundene Wissen eine Angelegenheit elitärer Zirkel war, versuchte Leary das psychedelische Wissen zu befreien, der Bevölkerung zugänglich zu machen. Er erkannte aber auch das Gefahrenpotential von LSD. In einem Gespräch mit R. A. Wilson (vgl. Kap. 3.2; s. u.), der später zum Begründer des diskordianischen Verschwörungsdenkens wird, und mit dem Leary befreundet war, spricht er von der Potenz und der Gefahr dieses Mittels: LSD mit dem richtigen Set und Setting kombiniert, kann alles verändern, für was wir uns selbst entscheiden. Es ist daher auch der Welt potentestes Mittel für Gehirnwäsche. (Wilson 2002 [1977]: 55)
Leary lag mit seinen Befürchtungen richtig. In den 1960er-Jahren, während er das Gespräch mit Wilson führt, experimentiert die CIA bereits in geheimen, extra-legalen, oft auch illegalen, „Mind Control“-Programmen (vgl. Schwartz 2013) mit LSD und anderen Mitteln, um Techniken der Bewusstseinskontrolle zu entwickeln. Das bekannteste davon, „MKULTRA“, wurde 1975 durch Untersuchungen des „Church Committee“ öffentlich. Leary stellte daher zwei wichtige ethische Postulate für den Umgang mit bewusstseinserweiternden Substanzen auf: 1. „Du sollst das Bewußtsein deines Nachbars/deiner Nachbarin nicht verändern gegen seinen/ihren Willen“; 2. „Du sollst deinen Nachbarn/deine Nachbarin nicht daran hindern, sein/ihr eigenes Bewußtsein zu verändern“ (ebd.). Wenn du drinnen bist, dann gibt es keinen Kontext. Es gibt nur dich und die Sache. Deshalb macht darinnen auch nur die Sache selbst Sinn […]. Du erlebst die Sache (als Subjekt). Doch sobald du draußen bist, ist der einstige Sinn nur eine dumme Beschränkung, die dich das System reproduzieren, und die Umwelt vergessen, lässt. Jetzt, da du aber die Umwelt, den Kontext wahrnimmst, erkennst du weshalb du darinnen warst und wieso es (aus dieser Perspektive) Schwachsinn war. Es gibt kein Innen ohne Außen. Schon
7.5 „Deep Shit“ und „mind fuck“
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deshalb ist der Gedanke einer vollkomenen intelektuellen [sic] Immanenz verwerflich. Es gibt immer ein Außen, eine Transzendenz, denn sonst gäbe es nicht das Hier und jetzt als Subjekt. Das letzte Außen – ein Außen ohne Äußeres – ist Gott. Er ist der letzte Kontext, in dem alles einen Sinn ergibt. (Tagebucheintrag, 26. Oktober 2010871)
In den 1990er-Jahren wendet sich Leary der Programmierung des Bewusstseins durch den Computer und die digitale Technik zu. Er überträgt seine Erfahrungen mit der ‚Bewusstseinsmaschine‘ Gehirn auf die Maschine Computer. In der digitalen Technologie sieht Leary eine massentaugliche Methode, um Bewusstsein zu programmieren. We are mutating into another species – from Aquaria to the Terrarium, and now we are moving into Cyberia. We are creatures crawling to the center of the cybernetic world. But cybernetics is the stuff of which the world is made […]. Today the role of the philosopher is to personalize, popularize and humanize computer ideas that people can feel comfortable with them. … The fact is that a few of us saw what was happening and we wrestled the powers of LSD away from the CIA, and now the power of computers away from IBM, just as we rescued psychology away from the doctors and analysts. In every generation I've been part of a group of people who, like Promotheus, have wrestled with the power in order to hand it back to the individual,
schreibt Leary 1990 im „Paraphysics Magazine“ (Leary 1994 [1990]: 9). Ganz abgesehen davon, inwiefern er mit seinen Vorhersagen über die Entwicklung des Computers richtig lag, interessiert an dieser Stelle die ideengeschichtliche Seite von Learys Aussagen. Was er Anfang der 1990-Jahre ausformuliert, ja seine gesamte Lebenspraxis, weist Züge auf, die von der digitalen Gegenwartskultur und dem „Widerstand im Netz“ (Winter 2010) nicht zu trennen sind. Dazu gehören die Ideen von x
Dissidenz/Anti-Establishment,
x
der Autonomie des Individuums,
x
der Nutzung digitaler Techniken
x
zur Befreiung der Massen mittels
x
Bewusstseinstransformation und einer
x
Avantgarde von Erwachten, die sie durchsetzen.
Zu der von ihm so genannten „group of people“ that „wrestled with the power in order to hand it back to the individual“ zählt sich Leary selbst. Neue Technologie ist in der Geschichte sehr oft mit Befreiungsideologie verbunden. Das Selbstverständnis, die „power of computers“ in Verbindung mit einen Bewusstseinswandel herbeizuführen, ist sowohl für die eher kosmopolitische Infokrieg-Agenda von
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7 Schattenzonen: Occulture und Conspirituality
Rubikon oder KenFM (Kap. 6.4) prägend, es gilt aber etwa auch für die reaktionäre Agenda von Martin Sellner oder Jürgen Elsässer (Kap. 6.3) – diese hier nur exemplarisch genannt. Im ersteren Fall ist diese Ideologie stärker liberal bis libertär und anarchistisch, im zweiteren steht nicht die Macht des „individual“ im Vordergrund, sondern ein Volk, eine Nation oder eine ‚ethnokulturelle‘ Gemeinschaft. Immer wieder bezieht sich Ken Jebsen ab 2014 auf Marshall McLuhan, den Propheten digitaler Medien, auf die Transformation des Bewusstseins und die Kritik an „Eliten“. Der von Sellner geführte „Online-Infokrieg“ ist im Selbstverständnis, der Kampf einer Avantgarde von Erwachten, einer „Telegram-Elite“ gegen die Herrschaft des Globalismus. Ist das Bewusstsein, was wir glauben, was in unseren Köpfen stattfindet, nicht etwas, was kollektiv da draußen ist und wir sind quasi Computer? (Ken Jebsen, KenFM, 5. Juni 2019872)
In Learys Gedanken finden sich jedoch starke Elemente posthumanistischer Ideologie (vgl. Krüger 2004). Diese ist in der verschwörungstheoretischen Gegenkultur, vor allem im konservativ-rechten Spektrum, stark umstritten. Entscheidend ist aber, dass Leary und sein Leben ikonographisch für einen sozio-medialen Wandel stehen, der auch eine stark spirituelle Konnotation hat und das „medium“ (als Technik) selbst zur „message“ (zum Topos) macht (Krüger 2007). Mediennutzung ist in diesem Sinne niemals ‚neutral‘ oder ideologiefrei – das gilt umso mehr, je stärker sie zum Dispositiv wird. In einer immer weiter digitalisierten Welt sind die Grenzen des Bewusstseins gleich den Grenzen der digitalen Technik. Diese wiederum werden – nach einem kleinen Zeitfenster der ‚Anarchie‘ zu Beginn des 21. Jahrhunderts –, immer stärker durch staatliche und private Akteur*innen reglementiert und gesteuert (Kap. 5.5.5). In der Ideologie von „Cyberia“ ist aber jeder technische Eingriff, jede Manipulation von Algorithmen und jede kommerzielle Ausbeutung, zugleich ein Eingriff in das Bewusstsein der Subjekte des digitalen Zeitalters. Die „Zensur“ durch Google oder YouTube, die sich gegen „Fake News“ oder „Verschwörungstheorien“ richtet, wird so als Eingriff in die Intimsphäre der durch das „Web 2.0“ geprägten Subjekte (Ullrich 2017) empfunden. Der Kampf für „Meinungsfreiheit“ ist aus kybernetischer Perspektive vor allem auch Kampf für die Programmierung der eigenen Subjektivität und damit des Bewusstseins. Die Sinnsysteme der „Gegenöffentlichkeit“(en) sind an die Informationssysteme des „Mainstream“ zwar lose gekoppelt. Zugleich geben sie sich nicht mehr mit deren ‚Wahrheiten‘ zufrieden, sondern framen, deuten oder rekombinieren sie anders. Für die einen gibt es „Echsenmenschen“, die die Erde kontrollieren, für die anderen ist es der globale Kapitalismus oder sind es „Eliten“, für die anderen wiederum ist diese Erde flach – abhängig von „Dosierung“, „Set“ und „Setting“ (Wilson 2002 [1977]: 52) In diesem Sinne muss auch das KenFM-Format „Tagesdosis“ (Kap. 6.4) durchaus wörtlich verstanden werden: als die tägliche Dosis, die das kybernetische Subjekt (re-)programmiert, die Progamme des
7.5 „Deep Shit“ und „mind fuck“
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Mainstream dekonstruiert – ob dieses Subjekt wirklich ‚freier‘, im Sinne von Autonomie oder Empowerment ist, bleibt hinterfragenswert. Aus der Perspektive des kybernetischen Selbst – dessen erste Generation die Millenials bilden, zu der aber ideologisch auch die „Generation 9/11“ zu zählen ist –, ist die Dissidenz gegen den „Main-stream“ und der Kampf gegen die ‚alten‘ Medien zugleich ein Kampf um die Deutung und aktive Mitgestaltung der (eigenen) Realität. Deren „Programmierung“ durch die herrschenden Akteur*innen wird erst durch die mediale Differenz – die Entwicklung des „Internet“ – erkannt und durch die digitale Dispositiv-Bildung – die empraktische Habitualisierung im ‚Digitalen‘ – problematisch und kritisch. Was Crowley, Leary und Jebsen gemeinsam haben, ist, dass sie charismatische Grenzgänger, Rebellen ihrer Zeit und ihrer Technik (gewesen) sind. „MIND FUCK“ If you've never changed your [set of] reality fundamentally, you can hardly understand the character of reality. (Tagebuch, 6. November 2011873)
(Spirituelles) „Empowerment“ und Erleuchtung stehen in einer engen Wechselwirkung. Doch dabei ist „Wahrheit“ nicht unbedingt eine ‚rationale‘ Kategorie, die durch das reine (Nach-)Denken über die mutmaßliche (Welt-)Verschwörung erlangt werden kann. In der Chaos-Theorie von R. A. Wilson wird die Methode, die durch die exzessive Auseinandersetzung mit „Verschwörungstheorien“, „Esoterik“ oder anderen okkulten ‚Wahrheiten‘, die das Subjekt zur ‚Erleuchtung‘ oder Einsicht führen soll, als „mind fuck“ bezeichnet. Wilson, dessen Denken von Timothy Learys psychedelischer Kybernetik stark beeinflusst ist, hat das Verschwörungsdenken von Beginn an auf eine besondere Weise mit einer unorthodoxspirituellen Dimension in Zusammenhang gebracht: The chaos is there to enlighten the reader. By creating confusion, casting doubt, and uncertainty on everything, the reader is treated to a narrative „mind fuck“ – a strategy for disrupting an established sense of reality related to esotericism – forcing the reader to question what is real. This may allow the reader to glance the fnords, the hidden, fear-inducing words, topics, objects and so on that the authors tell us we are programmed to ignore. (Dyrendal 2013: 211)
Der etablierte und unhinterfragte Alltagsverstand wird insofern durch die Exposition einer Menge von „deep shit“-Content zerstört („disrupted“). „Verschwörungstheorien“, insofern sie heterodoxes Grenzwissen darstellen (s. u.), eignen sich dazu besonders. Durch die „richtige ‚Initiation‘“ in diesen Bereich soll der*die Zuschauer*in die Signalwörter („fnords“) beim Gebrauch von Massenmedien erkennen lernen und so der Manipulation – etwa durch „double binds“ – durch Politik, Konzernpropaganda und passivem „Konsumismus“ entgehen (ebd.: 212):
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Fnords are programmed to spread a low-grade fear making people eager to believe, and easy control and manipulate. […] Fnords hinder agency and promote mindless consumerism. (Ebd.)
Das Gewahr- und Bewusstwerden für die lähmende Macht von Massenkommunikation, v. a. der Implikationen von „Angstkommunikation“ (Bergmann 2002), ist nur ein Aspekt des diskordianischen „countercultural element to the use of conspiracy theory“ (Dyrendal 2013: 212). Das Verschwörungsdenken fungiert hier mitunter als eine Art „‚mind virus‘ to disrupt the readers ordinary cognitive system.“ (Ebd.) Dyrendal zeigt dazu den Zusammenhang zur Praxis des koan im ZenBuddhismus auf. Die koan-Praxis zielt ebenfalls darauf, den*die Leser*in durch die paradoxe Lektüre kurzer Weisheiten von Zen-Meister*innen zu einer spontanen Einsicht zu bringen. Die Alltagsmatrix, die durch unseren Habitus und Routinehandlungen geprägten Wahrnehmungs- und Denkmuster, sollen im koan wie auch durch „mind fuck“ zum Kollabieren gebracht werden: „In this way conspiracy theories become a form of ‚guerrilla enlightenment‘-tactic, generating doubt to promote the laughter of sudden, sublime insight.“ (Ebd.) An dieser Stelle ist wichtig, dass eine solche Methode nicht nur im positiven Sinne disruptiv, sondern auch destruktiv eingesetzt werden kann. DeHaven-Smith (2013:190) bezeichnet die Methode, die u. a. von Geheimdiensten oder in der Politik mit dem Ziel eingesetzt wird, „to disrupt logical systems of thought and self-regulating systems of discourse and argumentation“ als „cognitive manipulation“ (vgl. Kap.5.5.5). 7.6 Teufelskreise WER MIT UNGEHEUERN KÄMPFT, MAG ZUSEHN, DASS ER NICHT DABEI ZUM UNGEHEUER WIRD. UND WENN DU LANGE IN EINEN ABGRUND BLICKST, BLICKT DER ABGRUND AUCH IN DICH HINEIN. (FRIEDRICH NIETZSCHE, JENSEITS VON GUT UND BÖSE, 1885874)
Während meiner regelmäßigen Ausflüge und dem Eintauchen in die ‚Tiefen‘ – oder wahlweise den „Sumpf“ 875 – der digitalen „Gegenöffentlichkeit“, bleibe ich immer wieder ‚hängen‘. Der kurze Klick auf einen Web- oder Videolink mit interessantem Material, das Archivieren und Prüfen ermüdet mich. Ich verliere den Sinn für körperliche und soziale Bedürfnisse, für Zeit und Raum und verstricke mich in den Maschen des Netzes, bleibe an dunklen Themensträngen hängen und empfinde mich als an deren Macht ausgeliefert: der NSU-Komplex, der DutrouxSkandal oder andere große unaufgeklärte Verschwörungen. Die Dynamik dieser Negativspirale wird mir als solche Anfang/Mitte 2015 mitten in der webnographischen Forschungsphase dieser Arbeit bewusst, nachdem ich beginne, ein Feldtagebuch zu führen. Das Tagebuch schafft Distanz. Nach einer Weile nutze ich – ohne darüber nachzudenken – als persönliches Schlagwort für dieses „going native“ das Wort „Teufelskreis“. Während des Jahres 2016 setze ich mir im Rahmen
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webnographischer Recherchen – meist abends oder nachts, wenn ich allein und ungestört bin und idealerweise am nächsten Morgen ausschlafen kann –, die Maske der „Verschwörungstheorie wieder regelmäßig auf. Dabei notiere ich zwölf Mal das vollständige oder ‚fast‘-Abdriften in einen solchen Kreislauf negativer Gedanken und Emotionen. Der Schrecken hat mich in solchen Situationen zugleich vollständig erfasst, gelähmt und fasziniert. Infobox 5a: Auszüge von Memos und Tagebucheinträgen „Teufelskreis“ (2016) Memos/Tagebucheinträge „Teufelskreis“ (2016)876 13.01.16 (02:30 Uhr): „Wieder in einen ‚Teufelskreis‘ geraten, nachdem ich die mich mit den XY beschäftigt hatte (s.u.). Ich schaute auf „NuoViso“ noch das folgende Video, über „wahrheitsbewegung.net“ verlinkt: https://www.YouTube.com/watch?v=ixZhivKs-Ko […]“ […] 28.01.16 (17:51 Uhr): „Gestern hat mir mein Bruder über „Jabber“877 den Link zu einer neuen „ZDF“- Doku von Rainer Fromm über die NSU-Affäre geschickt, empfahl sie mir sehr deutlich, mit den Worten, sie hinterlasse nur „verbrannte Erde“. Ich hatte eigentlich entschieden, die Doku „demnächst“ anzuschauen, da es auch schon recht spät und ich bettfertig war. Kurz bevor ich den PC dann ausschalten wollte, war da noch die Doku im Browserfenster geöffnet. Ich saß davor, überlegte, war natürlich neugierig, aber wusste genau, dass mich das jetzt nur sehr unruhig machen würde, wenn ich mir die Doku ansehen würde. So wie die letzten Male schon, vor allem bei diesem Thema. Ich klickte im Flash-Fenster auf „play“, nur kurz wollte ich ‚reinschauen‘… natürlich blieb ich dabei, schaute die ganze Doku und wieder kam dabei ein Gefühl der Ohnmacht, Beklemmung und Fassungslosigkeit auf. Das Ende – kein Happy End -, ließ mich nicht nur unbefriedigt, sondern stark aufgewühlt und auch etwas ‚ängstlich‘ zurück. Da ging es um den KKK, Verbindung der im verborgenen agierenden Rassisten zum Verfassungsschutz und zur Polizei, tote Zeugen und das alles wird von der Staatsanwaltschaft ignoriert oder relativiert – was ist los in diesem Staat? Ich suchte nach weiteren Infos und Details, auf verschiedenen […] [sic], aber ich würde [sic] nicht fündig – ‚was‘ genau suchte ich eigentlich? Was konnte mich jetzt noch ‚befriedigen‘, mir ein gutes Gefühl geben oder mich gar von diesem Unmut und dieser Negativität ‚erlösen‘. Von 23 Uhr bis 5 Uhr morgens saß ich vor dem PC, schaute mir verschiedene Videos an, suchte nach weiteren Informationen, wollte etwas positives (darüber) hören, ohne aber das Gesehene zu verdrängen: Ich schaute viele Videos über „wahrheitsbewegung.net“ an, auf Portalen wie „nuoviso.tv“, aber keines so richtig und keines ganz. Ich musste was essen, konsumieren, fraß eine halbe Packung Nüsse in mich hinein. Eigentlich hatte ich früh zu Bett gehen wollen, weil am nächsten Tag noch einiges zu tun. Ich war wieder in einen ‚Teufelskreis‘ geraten. […] Link zu der Doku „Der Nationalsozialistische Untergrund – Was wusste der Staat vom braunen Terror?“, ausgestrahlt am 21.01.16: http://www.zdf.de/ZDF/zdfportal/programdata/3c6207e5-5373-4524-870d7e7c80b6e84f/20393959?generateCanonicalUrl=true“
Die Teufelskreise, in die ich gerate, sind motiviert von Angst oder Lust und geprägt durch starke Ohnmachtsgefühle, die nach einer Art Auf- oder ‚Erlösung‘ verlangen. Was ich wahrnehme, worauf ich gezielt oder zufällig stoße, erschreckt oder entsetzt mich sehr oft. Die Recherchen zur NSU-Verschwörung haben dabei das
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stärkste „Depowerment“-Potential. Sie machen mich als deutschen Staatsbürger weitaus betroffener als alle anderen konspirativen Plots und Themen, mit denen ich mich beschäftige. Gleichzeitig ist dieses Abdriften in den mit vielen Verschwörungen verbundenen Schrecken faszinierend und weckt Neugier. Die so durchlebten „Teufelskreise“ setzten sich aus folgenden Phasen zusammen: 1.
Aufmerksamkeit auf einen interessanten, spannenden, verlockenden usw. Internetlink oder ein TV-, Radio-, Zeitungs- oder Buchthema;
2.
unbedarftes Anklicken und Konsum des Inhalts; optional: Recherche der ‚Hintergründe‘ („der Sache auf den Grund gehen“);
3.
unbefriedigendes negatives Gefühl (Leere, Gier, Angst, Wut usw.);
4.
weitere Recherche zum Thema (Konsum weiteren Materials: „connect the dots“);
5.
Abdriften in weitere Inhalte aufgrund von negativen Gefühlen, die sich verstärken; oftmals Auftreten von Ohnmachtsgefühlen.
Von Punkt 1 bis 5 ‚schließt‘ sich der Kreis und ich bin in einer Art kybernetischen Reiz-Reaktions-Kreislauf gefangen, der von negativen Gefühlen begleitet ist, sowie von mehr oder weniger großer Unbewusstheit. Oftmals ist dieses Ohmachtsund Unlustempfinden begleitet von Ersatzbefriedigungen. Das (negative) Lustempfinden perpetuiert sich, ich brauche immer mehr und suche weiter. Doch wonach suche ich eigentlich? Nach Auswegen (?), d. h. nach Inhalten, die mir die Spannung und Angst nehmen, damit ich wieder ruhig schlafen kann? – so wie „Neo“ nach einer verfügbaren Exit-Option, die ihn aus der „Matrix“ aussteigen lässt. Erst im Nachhinein, wenn ich den ‚Ausweg‘ aus dieser Matrix gefunden habe, wird mir tatsächlich bewusst, wie viel Zeit vergangen ist, dass ich eigentlich etwas anderes vorhatte und wie total entfremdet ich von mir und meiner Umwelt bin. Infobox 5b: Auszüge von Memos und Tagebucheinträgen „Teufelskreis“ (2016) 13.02.16 (17:05 Uhr): „Nach einem Konflikt und einer Aussprache mit XY fiel ich doch nochmal hinein in das ‚Loch‘: Ich hatte XY gemailt und gefragt, wie es ihr so gehe und wie es so aussehe mit einer eventuellen XY. Dann kam ich über ihre Antwort wieder auf den „Hampstead“-Fall und wurde für einige Stunden da reingezogen in diese ganze Affäre. Keine Ahnung, was und wieviel davon stimmt – aber die Beschäftigung mit den im Raum stehenden Vorwürfen ist so etwas von negativ aufgeladen – einfach krass energieraubend. Zum Glück könnte [sic] ich mich noch rechtzeitig aus dem ‚Teufelskreis‘ lösen.“ […] 13.05.16 (19:53 Uhr): „Eine lange Arbeitswoche neigt sich dem Ende zu. Gestern, wie auch die letzten Abende, wieder viel gesurft und mich ‚informiert‘. Vom 10. auf den 11.05. wieder in einen kleinen Teufelskreis geraten. War wieder viel zu lange virtuell unterwegs die vergangenen Tage
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– habe den Körper, das Hier-und-Jetzt vernachlässigt. Ich bin so froh, wenn dieses Projekt rum und der Zwang zu Suchen und zu Schreiben vorbei geht.“ […] 31.05.16 (22:41 Uhr): „Wieder vieles angeschaut, vor allem gestern. Bin gestern/heute Nacht wieder in einen Teufelskreis geraten. Mache irgendwann noch einen Nachtrag.“
Ab Mitte 2016 beginne ich, die Logik des Teufelskreises psychologisch und stresstheoretisch zu verstehen, ohne sie aber durchbrechen zu können. Ich beobachte sie und versuche, sie genau zu analysieren. Dabei falle ich immer wieder herein. Durch die Professionalisierung der Stressreduktions- und Achtsamkeitspraxis im Zuge einer Ausbildung werde ich ein weiteres Mal hin- und hergerissen: zwischen dem Fortführen von und Festbeißen in Recherchen für diese Dissertation, die mich stark belasten und mittlerweile zu einer Art Informationssucht geführt haben und dem Loslassen und Vertrauen, welche das Verschwörungsdenken konterkarieren. Die Intensivierung der Achtsamkeitspraxis, das Einüben von akzeptierender Selbst-Distanz ermöglicht mir erst, mein Misstrauen und die damit zugleich ausgeprägte ‚Paranoia‘ als solche wahrzunehmen – ohne sie abzulehnen. Aber die Sensibilisierung (in der Übung der Achsamkeitsmeditation) macht mich auch ‚weicher‘ und anfälliger für die negative Energie, von der die „bad news“ und die Angstkommunikation politischer Diskurse geprägt sind. Infobox 5c: Auszüge von Memos und Tagebucheinträgen „Teufelskreis“ (2016) 22.06.16 (23:37 Uhr): „Am Sonntag, den 19.06.16 wieder in einen „Teufelskreis“ geraten, deshalb einfach aufgehört zu schreiben und den Cache abzuarbeiten. […]“ […] 09.07.16 (22:47 Uhr): „In der Zwischenzeit ist viel passiert. Bin in einigen Teufelskreisen gelandet, habe wieder herausgefunden; war ‚tot‘, bin wieder ‚auferstanden‘. Komme gerade aus München vom MBSR-Peergroup-Treffen. Das hat mich einmal wieder sehr gut zurück geholt und mir auch wieder einige Perspektiven eröffnet […].“ […] 19.07.16 (18:01 Uhr): „Es ist viel passiert. […]. Gestern Abend fast wieder in einen Teufelskreis geraten, heute hat es mich dann eingeholt. Allein in den letzten fünf Tagen: Anschlag in Nizza; Gescheiterter Erdogan-Putsch; weitere Polizisten-Morde in den USA; Axt-Attacke in einem Würzburger Regionalzug. Ich konnte es auch nicht lassen, wieder auf den ‚verdächtigen‘ Seiten zu surfen und zu ‚suchen‘. Kann mich nicht so sehr davon distanzieren, zumal hier die Diss. noch nicht abgeschlossen ist. Habe wieder so viel negative Energie hier aufgesaugt. Der Cache ist wieder richtig dick. Ich versuche ihn jetzt abzuarbeiten. […] Was mich gestern abend (noch) vor dem Hineingeraten in den Teufelskreis gerettet hat, war das folgende Interview von Bilbo Calvez („KenFM“, „Projekt Bärensuppe“) mit Martin Winiecki vom Projekt „Tamera“: https://www.YouTube.com/watch?v=Iwu-KQnQiIk […]“
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Das Abdriften in die Teufelskreise belastet mich psychisch und körperlich immens. Es stellt sich als ein überaus selbstdestruktives Verhalten dar. Im Jargon der MBSR-Praxis bin ich dabei in einem „Autopilot“ gefangen, einer Reiz-ReaktionsSchleife, die klare Entscheidungen, bewusstes Handeln und empathische Weltbeziehungen verhindert. Die nächtlichen ‚Ausflüge‘, der Schlafentzug und die negative Informationsflut wirken sich auch auf mein Sozialleben aus. Ich werde missmutig, hege Groll gegenüber meinen Mitmenschen, habe Angst, fühle mich zeitweise leer, isoliert und einsam. Das schlimmste an diesen Teufelskreisen ist für mich aber, dass das Wissen, das ich dabei ernsthaft zusammentrage, nicht nur belastend, sondern – damit zusammenhängend – auch stigmatisiert ist. Ich rede mit nur wenigen Menschen ernsthaft und schon gar nicht über die Details der NSU-Verschwörung, mutmaßliche False Flag-Angriffe bei aktuellen Terroranschlägen, über alternative „verschwörungstheoretische“ Fakten zu organisierter Kriminalität und organisierten Kindesmissbrauch. Es gibt dafür keine gesellschaftliche legitimierte Öffentlichkeit – kein Ventil; die Kommunikation über diese Themen ist fragmentiert und reproduziert sich in dunklen Fugen des massenmedialen Informationssystems. Was ich also hierzu ‚weiß‘ und zusammengetragen habe, ‚weiß‘ ich daher nicht wirklich. Es begleitet mich eine ständige Unsicherheit, eine (An-)Spannung, die aus dem unvereinbaren Widerspruch zwischen Informationen, die ich aus den Tagesnachrichten und jenen, die ich aus alternativen Medien bekomme, resultiert. Während dieser Phase fühle ich mich in meine Jugend zurückversetzt. In eine Zeit, in der ich keine Partnerin hatte, mir die Schule egal war und der PC mein Altar. Ich bewege mich – wie Anton (2011) passend formuliert hat – in „unwirklichen Wirklichkeiten“. Zwar bin ich mir immer bewusster darüber und verstehe immer besser, wie die tagenächtlichen Entgrenzungen mit persönlichen Bedürfnissen und Verletzungen zusammenhängen. Aber der Ausstieg aus dieser „Matrix“ ist sehr schwer. Das charakterisiert den Teufelskreis: Wenn du einmal drin bist, kommst du aus eigenem Antrieb nicht wieder heraus. Das Dunkle und Negative hat nach wie vor eine magische Kraft für mich. Ich entwickle Gegenstrategien, Präventionen, die darin bestehen, mir rechtzeitig vorzunehmen, etwas Schönes, Erhabenes, Positives zu tun. Positive Inhalte, die ich dann sehe, bieten eine solche „Exit“-Option. Sie helfen die (unbewusste) Angststarre vor dem Bildschirm aufzuweichen. Eine weitere Strategie ist, sich vorzunehmen, zu einem bestimmten Zeitpunkt Schluss zu machen, mir z. B. unverrückbare Termine zu setzen. Dass ich mir an einigen Tagen in der Woche und den Wochenenden meine Zeit frei einteilen kann, wird mir während dieser Phase oft zum Verhängnis. Die Beziehung zu meiner Partnerin und andere soziale Beziehungen leiden stark und auch meine körperliche und geistige Gesundheit. Damit ist es auch eine dunkle Zeit.
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Infobox 5d: Auszüge von Memos und Tagebucheinträgen „Teufelskreis“ (2016) 29.07.16 (09:34 Uhr): „Ca. vier Stunden Schlaf gehabt. (Fast) in einen (Hass-)Teufelskreis geraten. Will jetzt eigentlich nichts mehr hier schreiben und dazu auch nichts mehr wissen. (Obwohl München stinkt!) Eine Sache, die mir aufgefallen ist, ist, dass Jebsen („KenFM“) Verschwörungstheorien zu München (und Co.) in dem letzten Video, das ich gesehen habe, nicht nachgegangen ist. Vielmehr richtete er den Fokus auf geo- und friedenspolitische Zusammenhänge. Eine Strategische Entscheidung? […]“ […] 27.10.16 (10:44 Uhr): „Das Poster macht mir schwer zu schaffen. Es zieht mich wieder voll rein in das Subuniversum der VT; ich kann nicht distanziert und diszipliniert bleiben. Gestern die ganze Nacht daran ‚gearbeitet‘, was bedeutet, dass ich mir wieder Unmengen dieses Materials hineingezogen habe. Augen tun weh, bin hungrig, habe kopfweh (wohl zu wenig getrunken), mein Biorhythmus ist dahin etc. Es sind einfach zu viele (negative!) Informationen für ein Gehirn. Bei der Recherche zu meiner Poster-Arbeit wieder auf so unheimlich viel Material gestoßen – und dabei in einen Teufelskreis geraten. Dabei auch eine Sendung („Quarks & Co.“) gefunden, die sich mit VT befasst. […] Der Titel erinnert an die schon analysierte ZDF-Doku („Leben im Wahn“) – er lautet: „Wahn oder Wirklichkeit – Was steckt hinter Verschwörungstheorien?“ […] 16.11.16 (keine Uhrzeit): „Von Montagabend bis Dienstagnacht wieder viele Sachen angesehen. Dabei auch wieder in einen Teufelskreis geraten. […]“ […] 21.11.16 (keine Uhrzeit): „[…] Es passiert gerade so viel. Zu viel in der Welt und in in mir. Und die negativen Gedanken, das Sitzen vor dem PC, das Grübeln, schlägt sich auch körperlich nieder: kompensatorische Fress-Attacken (Verdrängung/Überspielen), Hautreizung, Jucken, Kratzen, gerötete, zerstörte Haut – dies wiederum macht mich fertig, wenn ich in den Spiegel schaue. Ein Teufelskreis. Ich merke wieder: ich muss von diesem Thema wegkommen, einen anderen Fokus setzen. Noch mehr in den Körper, das Tun, das Spüren kommen.“
EXIT/ÜBERGÄNGE DER FREMDE IN UNS BLEIBT UNS VERBORGEN, GERADE WEIL EINE ZUNEHMEND NACH AUßEN ORIENTIERTE WELT DIE INNERE LEERE, DIE DAMIT IN VERBINDUNG STEHT, ÜBERDECKT. (ARNO GRUEN, DER FREMDE IN UNS, 2000878)
Wer sich ernsthaft mit „Verschwörungstheorien“ beschäftigt, weiß, dass dieses Wissen nicht einfach so abgetan, vergessen, aus dem Gedächtnis gelöscht werden kann. So funktioniert das Bewusstsein nicht – zumindest mein Bewusstsein. Die Rede vom „point of no return“ (Kap. 7.3) hat daher ihre Berechtigung. Um aus den „Teufelskreisen“ herauszufinden, lerne ich nach und nach Strategien kennen, mit dem so abseitigen Wissen umzugehen und es in mein Alltagsbewusstsein zu integrieren. Sehr oft scheitere ich dabei. Die Kunst für mich war es, ‚sanfte‘ Übergänge zu schaffen:
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Am 31.08. wache ich erst ca. zwischen 10 und 11 Uhr auf. Draußen ist es hell, in meinem Zimmer dunkel. Ich habe es vor dem Einschlafen um etwa 5:30 Uhr noch geschafft, die Rollläden runter zu ziehen und das Licht auszuschalten. Aber mehr war nicht drin. Neben mir auf dem Bett liegen zwei Bücher: JFK von Mathias Bröckers (2013) und Deep Politics and the Death of JFK von Peter Dale Scott (1993). Was ich damit gemacht habe? Nun ja, sicher weiß ich es auch nicht. Aber vor dem Tot-ins-Bett-Fallen an diesem morgen brauchte ich unbedingt noch etwas beruhigendes. Das mag paradox oder gar zynisch klingen. Doch nach solchen Nächten verlangt meine Seele nach einer Aufklärung des Übels. Wenn man sich über Stunden ununterbrochen Bilder mutmaßlicher und verurteilter Kinderschänder ansieht, potentieller oder tatsächlicher Opfer und Tatorte, das macht etwas mit einem. Das Grauen ist zum Greifen nahe. Da hilft nicht ein schnelles Stoßgebet vor dem Einschlafen oder ein kurzer buddhistischer Lehrvers. Der Geist ist so dumm nicht. Jedenfalls ist es eine Praxis geworden, nach solchen ‚Recherchen‘ wenigstens dem Intellekt eine Erklärung zu geben, wenn schon die Seele so schnell nicht ‚gereinigt‘ werden kann. Ob es was bringt, weiß ich nicht, ich habe, glaube ich, nicht mehr als zwei Seiten gelesen, bis mir die Augen zugefallen sind. (Memos, ~ 31. August 2017879)
Während dieser „Tagenacht“ hatte ich mich mit eines der erschreckendsten Themen im Spektrum von „Verschwörungstheorien“ beschäftigt: mit dem bis heute nicht aufgeklärten Dutroux-Fall und Verbindungen zu ähnlichen Fällen organisierten Kindesmissbrauchs. Um solche verstörenden Themen emotional zu verarbeiten, hatte ich immer einen Stapel ‚heilsamer‘ Literatur neben dem Bett liegen: psychotherapeutische, buddhistische und andere. Sie wirken wie seelische Medizin. In ‚harten‘ Fällen hilft mir allerdings kein thematisch zu ‚weltfremder‘ Text. Stattdessen muss die erschreckende Wirklichkeit, mit der ich mich die Stunden zuvor konfrontiert hatte, peripher thematisch anschlussfähig sein, damit der Schrecken integriert und das Ohnmachtsgefühl aufgehoben werden kann: Solche Tage ‚danach‘ sind hart. Ich bleibe erst einmal noch im Bett liegen. Ich fühle mich leer und energielos. Aber trotzdem ist der Geist nicht ruhig. Es ist noch nicht zu Ende. Zum Glück: Heute gibt es Bauarbeiten im Büro, ich kann erst einmal guten Gewissens zu Hause bleiben. Vielleicht habe ich daran gedacht, als ich mich in das Kaninchenloch begab, unterbewusst. Um diese Fülle von Informationen, die ich mir innerhalb kürzester Zeit ohne Unterbrechung reingezogen habe zu verarbeiten, braucht es Zeit. Die habe ich jetzt. Es braucht einen Übergang. Vor allem aufgrund der emotionalen Gewalt des Themas. Finde ich diese Übergang? [sic] Ich brauche andere Videos. Positive. Schöne. Ermächtigende. Oder Abstand. Bald darauf stehe ich etwas wackelig in der Küche. J. begrüßt mich: „Wie läuft‘s mit deiner Diss?“ „Ganz gut“, sage ich, ohne sie
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wirklich anzuschauen. Nur ein flüchtiger Blick beim Küssen. Ich muss grauenhaft aussehen. Will ich reden? Nicht wirklich. Gut, dass sie mich kennt. Sie versteht. Auch sie bleibt heute bis mittags zu Hause und arbeitet in ihrem Zimmer. Wir verabreden eine Uhrzeit zum Kochen um 13 Uhr. Bis dahin habe ich noch Zeit. Und ich nutze sie.880
„DAS OKKULTE NETZ…“ I started working on this case and it turned in the biggest monster I ever encountered […] and into a world I did not believe existed […] and even to this day – (as) strange as this is going (to) sound, (as) terrible as this is going to sound, I‘ll say it – I wish I‘d knew nothing about it, I wish i where still (in a) kind of sweetness and didn‘t know anything about this (Former Nebraska Senator John DeCamp, 2007881)
Ich stehe im Bad, vor dem Spiegel. Wieder schaue ich mich an: die glasigen Augen, die blasse Haut. Ich spritze mir Wasser ins Gesicht. Dann gehe ich zurück in mein Zimmer, lege mich hin. Ich erinnere mich an die Ayahuasca-Reisen. Vielleicht muss ich es doch anders machen. Vielleicht brauche ich auch einen anderen Schamanen, eine andere Dosis, ein anderes Setting, um im Informationsfluss nicht unterzugehen. Nicht überwältigt zu werden von den Grausamkeiten und dem Entsetzlichen, die dieser okkulte Untergrund in sich birgt. Vielleicht sind es auch andere Kanäle, die ich, je nach Stimmung und Kraft, ansteuern muss, um den overflow zu vermeiden. Mir fällt die Sendung „frank&frei“ von Frank Stoner ein. Der ist so ein Schamanen-Typ. Gelassen und freundlich sitzt der Mann mit den Dreadlocks, der Strickmütze und dem Rauschebart in einem schummrigen Kellerraum hinter einem dunklen Holztisch, auf dem beleuchtete Bergkristalle stehen. Im Hintergrund erstreckt sich eine blau angeleuchtete Wand, vor der Musikinstrumente stehen. Vor seiner imaginären „Glaskugel“882 erzählt „Stoner“ dem Publikum eine Geschichte, über die man sich eine eigene Meinung bilden und selbst recherchieren könne, wie er sagt. Er lässt vieles offen, beansprucht keine absolute Wahrheit für sich, seine Führung ist sanft und auf Augenhöhe. Die Geschichte, die er erzählt, vergleicht er mit einem „Prisma“, durch das sich je nach Perspektive, immer neue „Muster“883 des Plots entfalten, die sich ins Endlose verlieren. 884 Mit Sicherheit, meint er, werden Zuschauer*innen noch weitere „Aspekte“ und Verbindungen finden, die er selbst nicht gesehen habe. Vielleicht sei aber auch alles „Zufall“, auch dies könne jede*r selbst entscheiden. Der Schamane ist sich sehr bewusst darüber, was er da tut. Es könne heute „dark“ werden, warnt er die Zuseher*innen, es sei „eine düstere Geschichte“885, die er erzählen wird. Man müsse ihm nicht folgen. Jede*r hat die Chance jetzt noch auszusteigen. Aber wenn man es tut, wenn man Stoner folgt, dann muss man sich darauf einlassen, von ihm und seiner Stimme Schritt für Schritt, durch „ein bizarres Geflecht okkultistischer Verstrickungen“886 in eine andere Wirklichkeit begleitet zu werden.
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Abbildung 66: YouTube-Sendung mit Frank Stoner: „Das okkulte Netz um ‚Rosemary‘s Baby“ auf NuoViso.TV (Quelle: YouTube/NuoViso.tv).
Das Video trägt den Titel „Das okkulte Netz um Rosemary‘s Baby“. Der Schauplatz ist diesmal die US-amerikanische Counterculture der 1960er- und 1970er-Jahre. Es geht um satanistischem Ritualmord, aufgedeckte Kindesmisshandlung in Großbritannien und ihre Verbindungen ins englische Königshaus. Den Aufhänger und die Rahmenhandlung bildet die Ähnlichkeit eines Kleides von Prinzessin Kate und der Polanski-Filmfigur „Rosemary Woodhouse“. Trotz der erschreckenden Tatsachen, die in dieser Geschichte offenbart würden, meint Stoner, wolle er die Hauptfiguren dieser Geschichte – u. a. Roman Polanski, Sharon Tate, Charles Manson und Jimmy Saville – nicht be- oder gar verurteilen. Er wirkt dabei glaubhaft. Das Ritual dauert eine Stunde und Stoner arbeitet fast nur mit seiner Stimme, einer sehr lebendigen Gestik und Mimik und wenigen Fotoaufnahmen, die hinter ihm auf dem Flachbildschirm erscheinen. Am Ende holt er den*die Initiand*innen zurück in die Gegenwart. Es folgt eine Zusammenfassung, eine Art Moral und die heilsame Integration dieser dunklen Realität in das eigene, vielleicht erweiterte, Weltbild. Es gehe dabei, so der Schamane, „nicht um Täter und Opfer“ 887. Es gibt ja sogar Leute, die […] sagen: ‚Schau bloß nicht hin! Weil, wenn du dahin schaust, dann verstärkst du noch diese Kräfte. Aber das halte ich für völlig falsch. […] Aus der Sicht des Heilers musst du natürlich hinschauen.888
Alle Beteiligten seien für ihn Täter und Opfer zugleich. Es gehe um die Anerkennung dieser dunklen „Missbrauchsysteme“889. Denn „wir können nicht frei leben,
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in einer Welt, wo auch solche Dinge passieren“, wir seien alle „beseelte Wesen“ „und alle Seelen leben in Verbindung miteinander“. 890 Daher gelte es weiterhin „wachsam“891 zu bleiben und „genauer hin[zu]gucken“. Am Ende bedankt Stoner sich mehrfach beim Publikum, dass ihr „euch das angeschaut habt, dieses finstere Netz“.892 Hinschauen erfordere von dem*der Einzelnen „stark im Herzen [zu] sein“893. Nicht immer sei das der Fall.
Abbildung 67: YouTube-Sendung mit Frank Stoner: „Das okkulte Netz um ‚Rosemary‘s Baby‘“ auf NuoViso.TV (Quelle: YouTube/NuoViso.tv).
Die von Stoner präsentierte Geschichte, die nicht intellektuell, sondern rituell zu verstehen ist, kann nach folgendem rituell-894narrativen Schema eingeteilt werden: 1. Sanfter Einstieg und Trennung: Prolog mit Warnung;895 2. Aufbau des Spannungsbogens: Herstellung der Rahmenhandlung und Vorstellung der real-fiktiven Rahmenakteure;896 3. Rückführung in die Zeit der 1960er- und 1970er-Jahre durch Vorstellung der realen Akteur*innen; Ausbreitung des Hauptplots und langsame Zuspitzung auf einen Höhepunkt und das Zusammenlaufen einiger „Fäden“ in einem Plot aus der jüngeren Gegenwart;897 4. Höhepunkt und Exposition des Schreckens und des Entsetzens über den „psychopathischen Alptraum“ (00:45:10-00:55:30), markiert durch ausdrückliche emotionale Betroffenheit und Empörung über den enthüllten Skandal von rituellem Kindesmissbrauch und darüber, dass er „keinerlei Konsequenzen gehabt“ hat; 5. Schluss: Katharsis, Integration, Entspannung.898
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Stoner ist auf diesem Gebiet ein Profi. Anders als bei vielen Amateur*innen-Videos mit hohen „deep shit“-Gehalt, die auf YouTube zu finden sind, weiß er, was er tut. Stoner weiß um die psychopathische – oder auch „okkult-magische“899 – Macht des von ihm geoffenbarten Wissens, die Macht des Tabus in unserer Kultur900. Insofern handelt er auch professionell, wenn er die Zuschauer*innen vorher warnt und ihnen die Wahl lässt, jetzt noch auszusteigen. Gleichzeitig ist die Atmosphäre des Settings, trotz der entsetzlich-schrecklichen Inhalte, großteils entspannt. Ein guter Schamane weiß die Informationen, den Input, zu dosieren. Dass Stoner in diesem Fall, auf dem rituellen Höhepunkt der Spannung, bewusst kein Bild des betreffenden Täters zeigt901, mag pragmatisch und den Umständen geschuldet sein. Angesichts der dargelegten Professionalität und Erfahrung scheint es aber primär eine weise Entscheidung gewesen sein.902 Im Vergleich mit kruden oder ideologischen Varianten des Verschwörungsglaubens, findet in diesem Video keine Feindbildproduktion statt. Die angsterregende Spannung ist leiblich spürbar, aber sie wird immer wieder vermittels entspannender Relativierungen durch den Sprecher abgefedert. Sie wird nicht in eine pathologische Richtung kanalisiert. Stoner entführt den*die Zuschauer*in nicht, er setzt sie auch nicht einfach der Schreckens-Exposition, dem Schock, aus. Er begleitet sie, wie es Schamanen tun. Es ist bemerkenswert, dass hier das Narrativ wesentlich durch Nichtzeigen operiert. Wenn die Verschwörungsideologie einerseits durch das Zeigen definiert ist (Kap. 6.6), andererseits als ‚hart‘ (‚harte Fakten, ‚harte‘ Anklagen) begriffen werden muss, dann kann Stoners Verschwörungsnarration im Gegensatz dazu als ‚weich‘ begriffen werden. Ganz offensichtlich dient hier der konspirative Plot weder der Fixierung auf Personen noch auf einen Plan. Beides wird relativiert. Die Personen dadurch, dass sie partiell fiktiv, viel wichtiger aber, dass sie keine „Täter und Opfer“ seien und stattdessen als „beseelte Wesen“ in „Verbindung“ mit dem Publikum stünden. Der Plan wird durch die „Prisma“-Metapher relativiert: Die „Verbindungen“ sind niemals vollständig aufzeigbar und von unserer Perspektive abhängig. Stattdessen dient hier das Okkulte, die Konfrontierung seiner Wirklichkeit, der (Selbst-)Heilung und Erkenntnis des Subjekts: So unschön das ist, aber es ist wichtig das anzuschauen. Damit wir [...] diese Dinge […] auflösen können. Damit wir selber erkennen, wie diese Muster sind, damit wir uns nicht selber in solche Dinge verstricken […]. Aber auch im Sinne der Heilung musst du dir halt den dark stuff anschauen, nur dann kannst du‘s heilen. […].903
SPIRITUELLES „EMPOWERMENT“
Das okkulte Verschwörungsdenken ist in diesem Fallbeispiel geprägt durch eine Angst- oder Schreckens-Exposition, die den Weg nach Innen oder zum Selbst bereiten bzw. die Zuschauer*innen im Rahmen einer „Arbeit am Selbst“ (Buchmayr 2019: 380 f.) auf diesem begleiten soll. Der konspirative Plot ist dabei selbst nur eine Randerscheinung, bildet den narrativen (Täuschungs-)Rahmen. Im Kern geht
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es um die Exposition des Schreckens, der eine transformatorische und heilsame Kraft zugeschrieben wird. Das „Empowerment“ (Hellinger 2003: 204) speist sich hier nicht aus der ideologischen oder intellektuellen Wissensaneignung, sondern aus einer Aneignung der okkult-spirituellen oder ‚geistigen‘ Dimension von ‚Realität‘. Der Erzähler ‚webt‘ das okkulte Netz durch seine achtsame Art der Narration nach und nach zusammen und erschafft so eine Realität, die sich zwar von der Alltagsrealität auf eine dunkle Weise absetzt („dark occulture“), jedoch nicht rein ‚fiktiv‘ ist. Es handelt sich um die imaginative Erschaffung eines Plots im Grenzbereich zwischen etabliertem Wissen (reale Namen, Orten, Begebenheiten) und spekulativer Fiktion (Nicht-Wissen, Vermutungen, Possibilitäten). Der Kontakt zu den Zuschauer*innen wird stets aufrecht erhalten durch Warnungen, Relativierungen, Appelle. Das Publikum wird okkulten Tatsachen nicht ausgesetzt und dabei Schock, Re-Traumatisierungen oder Irritation in Kauf genommen. Der Erzähler baut stattdessen Brücken und lässt Schlupflöcher, bietet mehrfach Exit-Optionen, die passable und mehr oder weniger ‚sanfte‘ Übergänge ermöglichen und den „shit“-Faktor reduzieren. In diesem Fall ist das okkulte Verschwörungsdenken ein Beispiel für die Aneignung des Bewusstseins gegenüber unheilsamen, z. B. lähmenden Angst-Einflüssen. Es geht nicht um eine objektive Realität, sondern um inter-subjektive Wirklichkeit, um Arbeit am Selbst. Das ‚Wahre‘ oder das ‚Falsche‘ sind hier also eher subjektive Kategorien und ihre Aneignung ist stets in Bezug auf einen Prozess der (Selbst-)Bewusstwerdung des betreffenden Subjekts zu sehen. So schreiben Sanders und West (2003: 15): Subsequent anthropological treatments of the occult have sometimes been more nuanced about the issue of truth and have approached it in different ways. Many ask not simply if beliefs are ‚true‘ or ‚false,‘ but, rather, if through believing people achieve „consciousness“ of their situation or, instead, develop ‚false consciousness‘.
In der Religionsgeschichte, sowohl der ‚westlichen‘ wie auch der ‚östlichen‘, kommt dieses Schema der ‚Meditation‘ über das Schreckliche oder Dunkle in Lehren und Praktiken, wie etwa in der „dunkle[n] Kontemplation“ des Mystikers Johannes vom Kreuz904 oder aber in der Übung der yogisch-buddhistischen Leichenbetrachtung oder der Kontemplation über Vergänglichkeit und Tod, zum Ausdruck. Die „Bezwingung von Angst und Schrecken“, die auf dem Pfad vom Dunklen zum Licht oder zur „Reinheit“ führe, sei dabei eine der „Segnungen“ dieser Praxis.905 Im tibetischen Buddhismus gibt es die Praxis der „dark retreats“, in welchen sich die Meditierenden für eine zeitlang komplett dem Licht entziehen und dabei auf die Erfahrungen im „Bardo“ – des Zwischenreichs zwischen Tod und Wiedergeburt – vorbereiten. Sie sollte aber nur von fortgeschrittenen Praktizierenden durchgeführt werden. Nach Eliade (1985 [1960]: 127) seien „der Abstieg in die Unterwelt und der dreitägige Aufenthalt dort […] bekannte Initiationsthemen“ schamanistischer Traditionen906 auf der gesamten Welt. Das okkulte
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Verschwörungsdenken hat hier die Funktion einer ‚Befreiung‘ des Bewusstseins und damit des Subjekts. Die bewusste Auseinandersetzung mit Angst und Schrecken soll den Betroffenen durch Exposition zu einer Überwindung, zur Transformation und, wie Stoner es ausdrückt, „Heilung“ führen. In der therapeutischen Praxis fungiert die Angst-Exposition im geschützten Rahmen oft als Mittel der Angst-Überwindung. Eric Wilson (2016) geht davon aus, dass wir das Phänomen des Parapolitischen und des Verschwörunsgdenkens nicht angemessen, ohne eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Schrecklichen der Gesellschaft (und unserer Angst vor ihm) verstehen könnten. Ähnliches gilt auch schon für den tiefenpolitischen Ansatz von P. D. Scott (1993) (vgl. Kap. 7.7). Das (okkulte) Verschwörungsdenken fungiert damit als nur eine kulturelle Form von Expositionsangeboten unter vielen, die Betroffenen implizit oder explizit zur Transformation des Bewusstseins, zu größerer ‚Autonomie‘ und zu ‚Heilung‘ verhelfen sollen.907 In diesem Sinne induzieren Ritualisierungen, wie sie im Video über das „okkulte Netz“ durchgeführt werden, mikroskopische Prozesse der Ent-Täuschung – zumindest ist die (spirituelle) Angst-Exposition auch an deren (politische) Diskurse anschlussfähig. (RE-)TRAUMATISIERUNGEN
Aus eigener Erfahrung möchte ich stark betonen, dass Praktiken wie sie Stoner mit seinem Publikum durchführt und von uns ritualtechnisch gedeutet wurden, trügerisch sein können. Ich möchte nicht abstreiten, dass Zuschauer*innen durch das achtsame Einlassen auf diese narrative Wirklichkeit tatsächlich etwas über sich lernen können. Doch ob sie dadurch, über ein situatives ‚Aha!‘-Erleben hinaus, nachhaltig „‚consciousness‘ of their situation“ erlangen können, ist infrage zu stellen. Mehrfach habe ich selbst eine Art ‚Katharsis‘ erfahren, nachdem ich mich „Tagenächte“ lang mit diesem „dark stuff“ konfrontiert hatte, die ohne Selbstintrospektion schwer zu vermitteln ist. Nachdem ich durch ein dunkles und entsetzliches ‚Tal‘ gegangen bin, ausgeschlafen hatte, empfand ich das Gewöhnliche der Alltagsrealität, die kleinen Details wie z. B. aus dem Fenster sehen, den Körper spüren, die Schuhe binden, mit Menschen sprechen usw. weitaus intensiver, freudiger und schöner, als es mir vorher bewusst werden konnte. Allerdings war ich während der Exposition nicht sehr achtsam und bewusst. Die Wirkung hielt auch nicht lange an und der ‚Effekt‘ scheint vielmehr eine Folge aus einer längerfristigen Entfremdungs-Erfahrung zu sein, die durch die kybernetische Verbindung von Körper und Maschine induziert wird. Ähnliches kennen auch Computer-Spieler*innen, wenn sie auf ‚LAN-Parties‘ exzessiv in virtuellen Welten unterwegs sind und den Kontakt zur (materiellen) Realität für längere Zeit unterbinden. Der Scheidepunkt zwischen Bewusstseinserweiterung und „‚false consciousness‘“ scheint hier primär in einem achtsamen Umgang zu liegen, in der
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Dosierung und in der kritischen Reflexion des Tuns (bzw. der bereits mehrfach genannten „interactive introspection“ (Kap. 2.4) im therapeutischen Setting). Um Ängste zu überwinden oder das ‚Dunkle‘ als Teil der Wirklichkeit anzuerkennen, werden sowohl eine stabile Geistesverfassung, eine gewisse Ich-Stärke als auch eine stimmige (Um-)Weltbeziehung benötigt. Ansonsten droht die SchreckensExposition bloße Wiederholung und Reinszenierung von unbewältigten Konflikten oder Traumata zu werden, die die Betroffenen noch tiefer in die dunklen Abgründe reißen. Die Beschäftigung mit tiefenpolitischen Ereignissen wie dem Anis Amri-, dem NSU- oder dem Dutroux-Komplex, die „einen irre […] macht“, weil „die Wahrheit nie ans Licht“ 908 kommt, ist dafür prädestiniert. Damit ist nicht zu spaßen. Stoner sagt in diesem Sinne nichts Falsches. Er spricht sehr deutliche Warnungen aus. Conspiracy theory repeats itself: it reenacts trauma; it‘s always returning to something you thought you knew but couldn‘t quite account for. It looks for the trace and fastens onto it. It‘s a fascination that quickly turns into horror and that then lends itself to fascination again. It alternates. (Stewart 1999: 17)
Unbewältigte Komplexe, die im Rahmen der Tiefenpsychologie als ‚unbewusst‘ gelten, können durch „verschwörungstheoretische“ Angst-Expositionen an der ‚Oberfläche‘ wirklich werden. D. h. aber nicht, dass sie unbedingt als solche bewusst werden bzw. (ein erweitertes) Bewusstsein schaffen. Im Gegenteil: Angst kann lähmen und den Blick verengen. Sie verstrickt den Geist und trübt den Blick. Nietzsches schrecklicher „Abgrund“ wird dadurch nicht überwunden, sondern er wird ausgeweitet und vertieft. Traumatischen Reinszenierungen von Angst und Schrecken finden sich etwa in den Filmen von Roman Polanski (Jacke 2010) oder in der performativen Kunst von Marina Abramovic (Fischer 2018). Beide können (re-)traumatisieren. Indem Frank Stoner ihre Narrative und Topoi reproduziert, läuft er Gefahr, die Trigger, die sie faszinierend und wirkmächtig – und potentiell gefährlich – machen, auszulösen. Das Paradox seiner Warnung ist folgendes: Würde man sie wirklich ernst nehmen, sich an sie halten, dann hätte die Immersion in seinem Narrativ vermutlich keinen transformatorischen Effekt – wir erinnern uns an Borensteins Ausführungen zur Fiktion (vgl. Kap. 4.1). Nähme man seine Warnungen nicht ernst oder setze sich, unbedacht und aus Neugier darüber hinweg, so droht die unkontrollierte Immersion in die ent-setzlichen Bereiche von „deep shit“-Content. Dabei vollzieht sich eine Sensibilisierung – ein „Aufwachen“ – für diese Bereiche, vor dem auch Sekten-Expert*innen regelmäßig warnen, wenn sie vor allem jungen Menschen davon abraten, sich ‚einfach mal so‘ an okkulten Praktiken aus diversen Esoterik-, Magie- oder Satanismus-Angeboten („dark occulture“) zu versuchen. Je nach psychosozialer Verfassung und Setting kann diese Beschäftigung zu einer regelrechten ‚Höllenfahrt‘ werden. Im Fall von „Verschwörungstheorien“ gibt es eine Entsprechung zwischen der sozialen
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Entfremdung und Vereinzelung der Betroffenen als „Einzelgänger“ (Kap. 5.4) und dem transformatorischen Sog, den sie bei völliger Hingabe an die von ihnen geprägten Wirklichkeiten entfalten. Dieser Sog wirkt umso stärker, je schwächer die sozialen Bindungskräfte, d. h., die Eingebundenheit in eine Gruppe(nideologie), sind (vgl. Kap. 7.3).909 Zugleich verstärken „Verschwörungstheorien“ gerade das Misstrauen in die Realität der Alltagswahrnehmung oder offizieller Wahrheiten, deren Deutungen sie in der Regel infrage stellen oder dekonstruieren. Auch aus diesem Grund liegt der Weg vom Verschwörungsdenken zur Verschwörungsideologie einer „conspiracy community“ und dann zum Verschwörungsglauben nahe. 7.7 Synchronizitäten Ich bin auf dem Weg von den [beiden] Türmen zur S-Bahn, laufe in eine Richtung, die mich an eine spezielle Unizeit erinnert: [hier lief vor knapp zehn Jahren ich des öfteren mit meinem] Kommilitonen P. M. [nach Seminaren entlang. Wir haben uns Jahre nicht gesehen]. Es gibt da eine Ampel [an der wir oft warteten]. Sekunden, nachdem ich diesen Gedanken habe, kommt mir genau an dieser Ampel [die gerade noch rot war, neben anderen] P. M. entgegen – oder zumindest ein Doppelgänger oder [sein] jüngerer Bruder? Ich musste ein paar Mal hinschauen, konnte es nicht glauben. Der Typ [sah] so ähnlich aus wie P. M. physiognomisch [vom Gesicht, der Größe und den] Klamotten. [Er war es nicht.] (Tagebuch, 8. ~ Dezember 2018910)
Es wurde bereits darauf hingewiesen, inwiefern wir es bei „Verschwörungstheorien“ mit Grenzwissen zu tun haben. Phänomenologisch bedeutet das, dass wir bei der Beobachtung von Ereignissen bzw. Zusammenhängen an Grenzen des Wissens stoßen. Einzelne Phänomene scheinen verdächtig, es ist jedoch nicht möglich, einen lückenlosen bzw. kausalen Zusammenhang zwischen ihnen herzustellen. So etwa die Anwesenheit Rudy Giulianis sowohl bei den Terroranschlägen in New York 2001 sowie in London 2005. Erhärtet wird der Verschwörungsverdacht dadurch, dass Giuliani zugleich im Krisen- und Terrormanagement tätig ist und außerdem im Falle beider Anschläge parallel (Anti-)Terrorübungen mit fast identischen Szenarien stattfanden (Kap. 5.1.1). Die konspirologische Deutung schließt hier die „Zufalls“-Erklärung aus. Sie generiert Sinn, indem sie eine Erklärung durch die Annahme einer Verschwörung gibt: Giuliani wird verdächtigt, als Mitwisser, Planer oder Mittäter an der Terrorverschwörung beteiligt zu sein. In diesem Fall organisiert sich die sinnbildende Erfahrung wesentlich innerhalb eines sozialen Deutungsrahmens. Obwohl aufgrund mangelnder Beweislage und fehlenden Zugangs nicht lückenlos erwiesen werden kann, wie genau der Tat- und Ereignishergang in diesem Zusammenhang gewesen ist, ist diese Deutung eine rationale Annahme innerhalb sozialer Rahmen. Etwas anders verhält es sich mit dem Beispiel des Personalausweises von „Neo“ im Film „The Matrix“ (Kap. 3.2). Die
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Koinzidenz besteht hier in der Übereinstimmung des Ablaufdatums des Ausweises mit dem Datum der Terroranschläge vom 11. September 2001. Es handelt sich in der Tat um eine bemerkenswerte Koinzidenz, zumal wenn man die memetische Bedeutung des „Matrix“-Themas für die populäre Konspirationskultur berücksichtigt. Hier allerdings Sinnbildung im Rahmen einer Verschwörungsdeutung zu betreiben, heißt auch, mit einem großen Augenzwinkern die „kriminologische Imagination“ zu überstrapazieren. Auf YouTube finden sich zwar auch für eine solche globale „Verschwörungstheorie“ Anhänger*innen, die meinen, dass diese Koinzidenz „shows clearly that the culture creators […] are involved in this conspiracy behind 9/11“911. Diese Information, so sagt der Video-Ersteller, habe ihn jedoch so fertig gemacht, dass er „can‘t talk about this with the people around me, because they think I‘m sick if I mention it, so I put it on the Internet.“ 912 In den Kommentaren unter dem Video ist u. a. von einem Zugang ins „rabbit hole“ und „occult […] numerology“ die Rede. Hier versagt der kriminologische Sachverstand. Die vorgestellte Verschwörung müsste übermächtig und nahezu übermenschlich sein. Das gleiche gilt für das rote Kleid von „Prinzessin Kate“ und „Rosemary Woodhouse“, auf die Stoner hinweist (Kap. 7.4). Auch hier kommen wir mit dem (Alltags-)Verstand ebenso wie mit kriminalistisch-kriminologischem Sachverstand nicht weiter und ist der „deep shit“-Gehalt außerordentlich hoch. Zugleich befriedigt in diesen Fällen aber auch die Zufalls-Erklärung nicht. Es braucht andere Deutungsrahmen innerhalb derer solche Koinzidenzen für uns Sinn ergeben. Reflexion zur Synchronizität: Synchronizität hat viel mit Achtsamkeit zu tun; beide stehen in einem positiven Verhältnis zueinander: mit zunehmender Achtsamkeit nimmt auch Synchronizität zu […] Die Internet-Praxis steht ebenfalls in einem noch zu klärenden [positiven] Verhältnis zur Synchronizität; das Suchen […], das Verlinken usw. (Tagebuch, ~ 7. Januar 2019)
Goffman (2018 [1977]: 31) schreibt „[n]atürliche Rahmen identifizieren Ereignisse, die als nicht gerichtet, nicht orientiert, nicht belebt, nicht geleitet, ‚rein physikalisch‘ gesehen werden“, während „soziale Rahmen einen Verständnishintergrund für Ereignisse [liefern], an denen Wille, Ziel und steuerndes Eingreifen einer Intelligenz […] beteiligt sind.“ (Ebd.) Verschwörungsdeutungen haben wir als eine misstrauische Subkategorie sozialer Rahmen betrachtet. Dass Misstrauen ist durch das Täuschungs- bzw. Verschwörungswissen bedingt. Das Verschwörungsdenken wendet sich sowohl gegen reine ‚natürliche‘ Rahmen(erklärungen) wie auch gegen Zufalls-Deutungen, die sich in gewisser Weise auf den natürlichen Rahmen beziehen (ebd.: 44 f.). Mit dem Verschwörungsglauben verbindet das Verschwörungsdenken eine Ablehnung des Zufalls als Ereignisdeutung. Wie ausgeführt, ermöglicht es überhaupt erst der konspirologische Rahmen, Verschwörungen zu sehen. Das Verschwörungswissen ist kollektives Wissen, das in
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verschiedenen Varianten auftreten kann. Wenn für das Verschwörungsdenken die Koinzidenz im Rahmen einer sozialen Ordnung sinnhaft gedeutet wird, in der die Wirklichkeit nicht nur durch Willen, sondern vor allem auch durch Kausalität strukturiert ist, so markiert der Verschwörungsglaube den Übergang in eine Wirklichkeit, die zwar auch intentional geprägt ist, die aber gleichsam eine symbolische ist. In dieser ‚Ordnung‘ zeichnet sich Wirklichkeit als bedeutungsvolle Korrespondenz aus (Browne 2017: 11). Synchrone Ereignisse transzendieren die Raum-ZeitOrdnung, setzen jedoch voraus, dass es eine atemporale und akausale Verbindung zwischen Ereignissen und Subjekt-Objekt-Beziehungen gibt. Der bedeutende Unterschied zwischen Verschwörungsideologie und -glaube ist dabei, dass letzterer die kausale Wirklichkeitsordnung transzendierende Dimension der Koinzidenz als Symbolische (an-)erkennt, ebenso wie die damit verbundene subjektive Seite. Dadurch entsteht eine gewisse Gelassenheit und die Möglichkeit, die paranoide Subjektposition zu überwinden. Diese ist, wie erwähnt, durch Dezentrierung und Misstrauen geprägt. Der Verschwörungsglaube zeichnet sich demgegenüber durch Zentrierung und Vertrauen aus. Das bedeutet, auch nach Cubitt (1989) nicht, dass beides, Verschwörungsideologie wie Verschwörungsglaube nicht gemeinsam in einem je eigenen Mischungsverhältnis auftreten können. Das Beispiel von Balduin, wie teilweise auch die Fallbeispiele von van Helsing und Frank Stoner, verweisen aber deutlich auf dieses Spezifikum des Verschwörungsglaubens: Das Motiv der Verschwörung fungiert hier wesentlich als symbolisches Medium der Transzendenzerfahrung und Mittel spiritueller Transformation. Das Sehen von Koinzidenzen führt dabei nicht, wie in der Verschwörungsideologie, in die paranoide Subjektposition hinein – und damit potentiell in die Regression –, sondern aus ihr heraus. Im Verschwörungsglauben ist die Auseinandersetzung mit Koinzidenzen als synchronen Ereignissen Kennzeichen eines „process of individuation, which represents the inward journey towards the integration of the psyche.“ (Browne 2017: 23) Diese Auseinandersetzung ist eine ständige Gratwanderung zwischen Aufwachen und Verblendung, Individuation und Regress. Ebenso wie das Denken der Verschwörung auf der Aneignung bestimmter Wissensformen und Deutungsmustern, z. B. der „Cui Bono?“-Frage, beruht, so kann auch das Wissen der Synchronizität kultiviert werden (ebd.: 158). Für den autobiographischen Autor erweist sich der Weg von einem konspirativ-koinzidentalen Sehen zu einem symbolisch-synchronistischen Sehen als der Pfad der Achtsamkeit (Kap. 7.6). Das Aufwachen ist in der buddhistischen Praxis das Wachwerden für „Verstrickungen“ des ‚Selbst‘ mit der Welt, aus der Leiden entsteht, das Wachwerden für interund transsubjektive Zusammenhänge, die zuvor unsichtbar (unbewusst) waren. In einer achtsamen oder kontemplativen Subjektposition können sich Synchronizitäten als „meaningful correspondence[s]“ (ebd.: 11) zeigen. Oder, in den Worten des Erzbischofs William Temple: „When I pray, coincidences start to happen. When I dont pray, they don‘t happen.“ (ebd.: 26) Der Verschwörungsglaube anerkennt die
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Realität von Verschwörungen. Aber er sieht ihre Realität als eine (Teil-)Wirklichkeit einer vielschichtigeren Realität und ihre Subjekte nicht als den Ursprung, sondern als nur einen Ausdruck oder eine Manifestation – oder Symbol – von Wirklichkeit. Er bekämpft sie nicht, sondern erkennt sie als Teil von sich selbst und sich selbst als Teil von ihnen. Mit Frank Stoner: ist es „wichtig das [Böse/Dunkle, A. S.] anzuschauen […] Damit wir selber erkennen, wie diese Muster sind, damit wir uns nicht selber in solche Dinge verstricken.“ Im „The Matrix“-Beispiel scheint der Autor das Aufwachen für die Koinzidenz allein als lähmende Angst zu erleben. Er sieht sich nicht als Teil der „Matrix“-Verschwörung, in die er erwacht, sondern als ihr Feind. Erst in dieser Hinsicht offenbart sich die von Barkun (2003) mit „conspiracy belief“ gleichgesetzte „conspiracy theory“ als nur eine Ausprägung der „conspiracy culture“. Die von ihm als zentral erachteten Merkmale dieses „belief“ („Nothing happens by accident“, „Nothing is as it seems“, „Everything is connected“ (ebd.: 3 f.; Kap. 4.1) zeigen sich in unserer Perspektive weder als empirisch begründet für das Verschwörungsdenken noch als gleichbedeutend mit dualistisch-apokalyptischen Deutungsschemata der Verschwörungsideologie. Diese projizieren die „conspiracy panics“ auf einen äußeren Feind, den es zu bekämpfen gälte. Die synchronistische Variante – die auch das „Conspirituality“-Konzept prägt (Kap. 7.2) – befasst sich primär mit Selbstheilung und -transformation. Gestern Abend in der [Chat-]Gruppe […] zum Fall AKK [etwas ironisch und zynisch] geschrieben: „Schön, den Horizont des Sagbaren zu erweitern...“ Als ich am Smartphone von diesem Chatfenster aus YouTube öffnete, […], klickte ich [unbewusst] auf einen ‚vergangenen’ YT-Link, [durch den] das YT-Video mit dem Titel „Pema Chödrön – Den Horizont des Mitgefühls erweitern“ [sich öffnete] – das war mir dann ein bisschen viel „Zufall“ […] (Tagebuch, ~ 28. Juni 2019913)
Interessant ist in ideengeschichtlicher Hinsicht, dass sich auch das „Deep Politics“-Paradigma (Kap. 4.3) von P. D. Scott (1993) einer jungianisch-tiefenpsychologischen Tradition zuordnet. Ihr gehe es, aus einer intellektuellen Perspektive, um den „buried shadow in the psyche, the repository for repressed unpleasantness“ und „collective shadow[s]“ US-amerikanischer und internationaler Geopolitik (ebd.: 22). Sein Buch über Tiefenpolitik erachtet Scott als „Act of Faith“, mit dem er, im Einklang mit taoistisch-synchronistischen Prinzipien (Brown 2017: 142 ff.) die „historic ideologies put forward in reasons‘s name“ hinterfragen wolle. So gedenkt der Lyriker und Politikwissenschaftler zu einer „geistigen Vertiefung“ („deeper Enmindment“) „that respects the truths of darkness, as well as those of light“ beizutragen (Scott 1993: 22; vgl. Boulet 2006).
Transkriptionsregeln1
1
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(Wort-)Abbruch
GROßSCHREIBUNG
Betonung durch Lautstärkenerhöhung
Kursivierung
Betonung durch Akzentuierung
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Mikropause (ca. 0.2 Sek.)
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Längere Pause (ca. 0.2–0.5 Sek.)
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gemessene Pause von ca. 1.0 Sek. Dauer
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Dehnung, Längung
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Unmittelbarer Wortanschluss („latching“)
?
Tonhöhe steigend (am Ende der Intonationsphase)
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Tonhöhe fallend (am Ende der Intonationsphase)
((lacht)) ((weint))
Art des Lachens bzw. Weinens
äh ehm oh
Rezeptionssignale
( )
Unverständliche Passage (ergänzt durch den Autor)
(also)
Vermuteter Wortlaut
//Einschub//
Einschub durch Gesprächspartner*in
((hustet))
Para- und außersprachliche Handlungen und Ereignisse
Ggf. interpretierende Kommentare durch den Autor (mit Angabe der Reichweite)
[[Telefon klingelt]]
Äußeres Ereignis
((...))
Auslassung im Transkript
Nach „GAT 2“-Minimalkonvention mit geringfügigen Anpassungen.
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Schink, Verschwörungstheorie und Konspiration, Medienkulturen im digitalen Zeitalter, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31689-1
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Literatur und Quellen
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Bildnachweise
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Bildnachweise Abb. 1: Bild 1: Bild 2: Abb. 2: Bild 1: Bild 2: Abb. 3: Abb. 4: Abb. 5: Abb. 6: Bild 1: Bild 2: Bild 3: Bild 4: Abb. 7:
Abb. 8: Abb. 9:
Abb. 10: Abb. 11: Abb. 12: Abb. 13:
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Abb. 15: Abb. 16: Abb. 17:
Abb. 18: Bild 1: Bild 2:
Eine der zahlreichen Anomalien des 11. September 2001 https://cis.org/Complete-Immigration-Story-911-Hijacker-Satam-al-Suqami https://cdn1.spiegel.de/images/image-594313-860_poster_16x9-wsnm-594313.jpg (eigene Collage) (28.06.19) Spiegel 13/2019-Titel https://www.meine-zeitschrift.de/der-spiegel-13-2019.html https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-50990508.html (eigene Collage) (28.06.19) Beispiel-Feldnotiz vom November 2016 (eigenes Foto). Die diametrale Beziehung zwischen Achtsamkeit und Paranoia (eigene Darstellung) August 1986: Der zukünftige Autor, knapp ein Jahr alt und seine Mutter kurz vor der Flucht nach (West-)Deutschland (aus eigenem Fotobestand) Filmausschnitte aus „Eyes Wide Shut“ (1999) (linke Hälfte) und Bilder des historischen ‚Surrealistischen Dinner‘ von Madame Rothschild (1972) (rechte Hälfte) https://cdn.concreteplayground.com/content/uploads/2018/01/Eyes-Wide-Shut.jpg https://static1.squarespace.com/static/51b3dc8ee4b051b96ceb10de/t/ 59ef69d1f09ca43aa8f8d07c/1508862418680/?format=2500w https://i.pinimg.com/originals/51/c2/e6/51c2e6f5503f6d6fd7de524d6c982b8a.jpg https://i.pinimg.com/originals/18/bd/7c/18bd7c00293c9403a0d317545789a1f4.jpg (eigene Collage) (08.03.19). Artwork aus dem Computerspiel „Thief II: The Metal Age“ (2000) der Firma Looking Glas Studios: http://thief-thedarktales.de/thief--the-dark-project/thief-artworks/index.phtml (eigene Collage) (07.07.20) Der Autor und sein jüngerer Bruder vor dem PC, September 1999 (aus eigenem Fotobestand) Die „Zeichen der Illuminaten“: das ‚Great Seal‘ und das ‚Allsehende Auge‘ auf der 1Dollar-Note (links); Cover von R. A. Wilsons Roman „Die Illuminati Papiere“ (rechts). (eigene Fotos/Collage). Screenshot aus dem Film „The Matrix“ (1999). (YouTube/Vigilante) Der Autor 2011 im Yoga-Ashram (Fotograf*in unbekannt, aus eigenem Fotobestand) Eine Identität unter vielen. Der Autor als registrierte Person in der Bundesrepublik Deutschland. Berlin, 4. Mai 2012 (eigener Personalausweis) Film-Ausschnitte aus Lutz Dammbecks Doku „Overgames“ (2016). „OVERGAMES | Lutz Dammbeck“, hochgeladen im Kanal von „Hilmar Sejr“ am 08.03.18. Online verfügbar unter: https://youtu.be/HYU3CtrdJNU (Screenshots und eigene Collage) (21.12.18) Ausschnitte aus „Endgame“ (2007) von und mit Alex Jones (oben links). „EndGame HQ full length version“, hochgeladen im Kanal von „ChangeDaChannel“ am 14.11.09. Online: https://www.YouTube.com/watch? v=x-CrNlilZho (Screenshots und eigene Collage) (28.06.19) Das Klüngel-Modell (eigene Fotografie aus Überall 2008: 19) „Nayirah berichtet…“ – Die Geschichte ging um die Welt http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=24212 (28.06.19) Der mutmaßliche Hammarskjöld-Mörder: https://www.theguardian.com/world/2019/jan/12/former-raf-pilot-shot-down-un-chief-daghammarskjold-1961-plane (28.06.19) „Der 23. Mai ist Italiens 9/11.“ https://www.stern.de/panorama/mafia--heute-vor-25-jahren-ermordete-die-mafia-ihrengroessten-jaeger-7464370.html https://it.wikipedia.org/wiki/Giovanni_Falcone#/media/File:Giovanni_Falcone.jpg (Collage) (28.06.19)
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Literatur und Quellen
Abb. 19: „Illuminati-Streetart“: Allsehendes Auge, Drittes Auge und „NWO“ („Neue Weltordnung“) auf Häuserwänden und öffentlichen Plätzen in Salzburg und Berlin (fotografierte Streetart/eigene Aufnahmen und Collage, 2014–2016) Abb. 20: Populäres Meme in der konspirologischen Internet-Kultur: (Schlaf-)Schaf vor dem TV https://onpasture.com/2013/10/14/sheep-conspiracy-theories/ (28.06.19) Abb. 21: Wechselwirkungen zwischen populärem und Spezialwissen nach Fleck (eigene Darstellung) Abb. 22: Ikonologie der Weltverschwörung (Wikipedia) Abb. 23: „Mother of all conspiracies“: https://www.zerohedge.com/news/2017-10-27/oneparagraph-you-need-read-jfk-assassination-files-may-change-everything (28.06.19) Abb. 24: Deutungskonflikte und Wissenszirkulation in der Konspirationskultur (eigene Darstellung) Abb. 25: Ex-New York-Bürgermeister Rudy Giuliani im CNN-Live-Interview „Rudolph Giuliani 7/7 statement“, hochgeladen im Kanal von „muckletoon“ am 07.05.07. Online verfügbar unter: https://www.YouTube.com/watch?v=qwjdZttxoa4(Screenshot) (09.02.19) Abb. 26: Notfall- und Krisenmanagement-Übung der US-Army „Pentagon MASCAL“. https://web.archive.org/web/20041012044010/ http://www.mdw.army.mil/news/news_photos/Contingency_Planning_Photos.html (eigene Collage, 16.03.19). Abb. 27: Ex-SPD-Politiker Andreas von Bülow http://www.arbeiterfotografie.com/galerie/kein-krieg/hintergrund/index-rezension-3a.html (28.06.19) Abb. 28: Abschluss-Podium auf dem „Geopolitik Treffen“ http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=14156 (28.06.19) Abb. 29: Beleidigte Pre$$titutes https://www.broeckers.com/2014/05/25/beleidigte-pretitutes/ (28.06.19) Abb. 30: ZDF-Doku „Verschwörungstheorien – Leben im Wahn“ (2015). „Verschwörungstheorien – Leben im Wahn (HD)“, hochgeladen im Kanal von „wissenstattangst“ am 11.12.15. Online verfügbar unter: https://www.YouTube.com/watch?v=rlRUqLs4_V4 (05.06.19) (eigene Collage) Abb. 31: 3Sat-„Scobel“-Sendung „Mythos Verschwörung“ (2012). Mythos Verschwörung? (3sat Scobel mit Daniele Ganser, Andreas von Bülow, Thomas Grüter)“, hochgeladen im Kanal von „WikiTHEK“ am 16.04.16. Online verfügbar unter: https://www.YouTube.com/watch?v=isDq_o7Kc34 (21.09.18) (Eigene Collage) Abb. 32: Zeit Online-Artikel: „Die Macht der Verschwörung“ https://www.zeit.de/wissen/2017-08/verschwoerungstheorien-chemtrails-erde-flachgravitation (28.06.19) Abb. 33: Spiegel-Titel über Putin und die russische Bedrohung. Bild 1: https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-59099269.html Bild 2: https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-123856908.html Bild 3: https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-125443724.html Bild 4: https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-128364478.html Bild 5: https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-139226757.html Bild 6: http://www.turi2.de/aktuell/anzeige-spiegel-152019-putins-puppen/ (eigene Collage) (28.06.19) Abb. 34: Straßburg, 4. April 2009: Szenen am Bahndamm beim Anti-NATO-Protest: Gewalttätige Ausschreitungen. (eigene Foto-Aufnahmen und Collage) (04.04.09) Abb. 35: Erste Seite des „Operation Northwoods“-Memorandum. https://en.wikipedia.org/wiki/File:NorthwoodsMemorandum.jpg (28.06.19). Abb. 36: Das Wissen der False Flag als Hintergrundwissen Bild 1: „Mord an Lübcke – Stress mit China - Krieg mit Iran - Skandal in Brasilien | Das 3. Jahrtausend #28“, hochgeladen im Kanal von „ExoMagazin.TV“ am 21.06.19. Online verfügbar unter: https://www.YouTube.com/watch?v=RRMqosN1Fgo
Bildnachweise
Bild 2: Bild 3: Abb. 37:
Abb. 38:
Abb. 39: Bild 1: Bild 2: Abb. 40: Bild 1: Bild 2: Abb. 41: Bild 1: Bild 2: Bild 3: Bild 4: Bild 5: Bild 6: Bild 7: Bild 8: Abb. 42: Bild 1: Bild 2: Bild 3: Bild 4: Bild 5: Bild 6: Bild 7: Bild 8: Abb. 43: Abb. 44:
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„Wie glaubwürdig ist Politik? Iran, Nestle, Assange, uvm!“, hochgeladen im Kanal von „Kilez More“ am 13.06.19. Online: https://www.YouTube.com/watch?v=6CY_BM21yJA https://twitter.com/SevimDagdelen/status/1139280253388558338 (eigene Collage) (28.06.19) Russia Today „The Truth Seeker“ „BREAKING! Russia Today: 9/11 was a False Flag Attack“, hochgeladen im Kanal von „DisclosureTV“ am 20.09.13. Online verfügbar unter: https://www.YouTube.com/watch?v=5pYlfFW-20w (eigene Collage) (14.05.19) „Verschwörungstheoretiker“: „C-REBELL-UM in ‚die Offensagung‘ auf „BREITBAND BARTUNEK“, hochgeladen im Kanal von „Gruppe42“ am 19.02.15. Online verfügbar unter: https://www.YouTube.com/watch?v=R30VAAVmgbA (03.06.19) Spiegel-Titel (2003) http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-28530284.html http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-28530325.html (eigene Collage) (08.03.19) Twitter-Seite von „Der goldene Aluhut“ https://twitter.com/GoldenerAluhut Eintrittskarte (eigenes Foto) (Eigene Collage) (28.06.19). Schlagzeilen in Schweizer und internationalen Medien über Daniele Ganser https://www.sueddeutsche.de/muenchen/einladung-umstrittener-gast-1.3001002 https://tageswoche.ch/gesellschaft/der-manipulator/ https://www.woz.ch/-768a https://www.aargauerzeitung.ch/panorama/people/medienpionier-roger-schawinski-dasentscheidende-bei-ganser-ist-nicht-sein-narzissmus-sondern-sein-fanatismus-132405714 https://www.watson.ch/schweiz/watson-leser%20empfehlen/590947093-das-netzwerk-desdaniele-ganser https://www.republik.ch/2019/04/13/die-methode-ganser https://www.bazonline.ch/basel/gemeinden/gemeinde-laedt-verschwoerungstheoretikerein/story/28014184 https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/verschwoerungsstar-verliert-lehrauftrag-auch-unist-gallen-laesst-daniele-ganser-fallen-132406642 (eigene Collage) (28.06.19) Headlines zu „Daniele Ganser“ im „GWUP“-Blog https://blog.gwup.net/2018/06/29/neuer-ganser-check-gibt-es-ueber-2700-architekten-diean-9-11-zweifeln/ https://blog.gwup.net/2019/04/14/verschwoerungstheorien-michael-butter-ueber-diemethode-ganser/ https://blog.gwup.net/2018/04/14/video-daniele-ganser-und-seinglaubwuerdigkeitsproblem/ https://blog.gwup.net/2018/07/18/daniele-ganser-esoteriker/ https://blog.gwup.net/2018/06/11/daniele-ganser-der-verschwoerungs-praktiker/ https://blog.gwup.net/2017/06/10/daniele-ganser-fans-und-ihr-posterboyselbstverschuldete-unwissenheit/ https://blog.gwup.net/2017/07/28/wer-zum-teufel-ist-ariana-verschworungstheorien-in-derschule-und-die-ganser-wahrheit/ https://blog.gwup.net/2018/01/29/videos-daniele-gansers-phraseologie-im-faktencheck/ (Eigene Collage) (28.06.19) Wikipedia als Machtpyramide https://www.vice.com/en_us/article/7x47bb/wikipedia-editors-elite-diversity-foundation Markus Fiedler, Dirk Pohlmann und Ken Jebsen „Heckenschütze aus Wikipedia enttarnt – Wer ist Feliks? | #10 Wikihausen (erneut hochgeladen)“, hochgeladen im Kanal von „Gruppe42“ am 18.04.19. Online verfügbar unter: https://www.YouTube.com/watch?v=pQVODT7KnCk (13.06.19)
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Literatur und Quellen
Abb. 45: In einem jungle world-Beitrag setzen Julia Schramm und Jan Rathje, beide zu dieser Zeit bei der Amadeu Antonio Stiftung tätig, 9/11-Kritik und Antisemitismus gleich: https://jungle.world/artikel/2015/37/9/11-was-inside-schmock (28.06.19) Abb. 46: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ruft am 17. Mai 2019 in einer Rede auf einer Ausstellung über „Verschwörungstheorien“ zum „Kampf“ gegen diese auf http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Frank-Walter-Steinmeier/Reden/ 2019/05/190517-Ausstellung-Verschwoerungstheorien.html?nn=9042544 Abb. 47: Im gesellschaftlichen Kampf gegen Verschwörungstheorien – verschiedene Diskursebenen (eigene Darstellung) Abb. 48: Populäres 9/11-Meme in der alternativen Internet-Kultur https://onpasture.com/2013/10/14/sheep-conspiracy-theories/ (28.06.19) Abb. 49: Aktivisten der Wahrheitsbewegung aus den USA und Deutschland http://www.berlin911info.de/ (28.06.19) Abb. 50: Flyer eines deutschsprachigen Ablegers der 9/11-Wahrheitsbewegung (eigene Fotoaufnahme) Abb. 51: Antisemitische Bildcollage auf einer Facebook-Seite https://de-de.facebook.com/truthmovement911/ (28.06.19) Abb. 52: Der Publizist Jürgen Elsässer vor einem Banner https://www.tagesspiegel.de/berlin/geheime-einladung-compact-laedt-afd-zum-nachhilfeseminar-ein/20125642.html (28.06.19) Abb. 53: Verschiedene Formate im YouTube-Kanal von KenFM Bild 1: „KenFM im Gespräch mit: Ullrich Mies ("Fassaden-Demokratie und Tiefer Staat")“, hochgeladen im Kanal von „KenFM“ am 09.12.17. Online: https://www.YouTube.com/watch?v=XT3vOR3LlaM Bild 2: „Die Macher: Wolf-Dieter Storl – Pionier für Permakultur“, hochgeladen im Kanal von „KenFM“ am 01.05.18. Online: https://www.YouTube.com/watch?v=hpRVcWPtJ-w Bild 3: „Me, Myself and Media 48 – Matrix-Medien-Märchenstunde. Willkommen im digitalen Aufwachzimmer“, hochgeladen im Kanal von „KenFM“ am 24.12.18. Online: https://www.YouTube.com/watch?v=sPQhNmfir1M Bild 4: „Positionen 11: Der globale Marshallplan - Konzepte für eine Welt von morgen“, hochgeladen im Kanal von „KenFM“ am 06.08.17. Online verfügbar unter: https://www.YouTube.com/watch?v=wnyfSAIQ0B0 Abb. 54: (Schlaf-)Schaf vor dem TV, online verfügbar unter: http://allesschallundrauch.blogspot.com/ (28.06.19) Abb. 55: NuoViso.tv-Motto „Mehr sehen als Anderswo!“ https://www.YouTube.com/user/NuoVisoTv/videos (28.06.19) Abb. 56: Danny Jowenko in der niederländischen TV-Sendung „Zembla“, „Danny Jowenko on WTC 7 controlled demolition“, hochgeladen im Kanal von „MasterpieceConCen“ am 27.06.07. Online verfügbar unter: https://www.YouTube.com/watch?v=877gr6xtQIc (eigene Collage) (30.03.19) Abb. 57: „Global March Against Chemtrails and Geoengineering“ (eigene Aufnahmen, 26. April 2015) Abb. 58: YouTube-Videos des Truthrappers Kilez More Bild 1: „Kilez More – Systemfeind [Musikvideo I Kurzfilm]“, hochgeladen im Kanal von „Kilez More“ am 26.08.15. Online verfügbar unter: https://www.YouTube.com/watch?v=jnRsyDUkwUE Bild 2: „KILEZ MORE – MEDIALE KUGELN [Official HD Video]“, hochgeladen im Kanal von „Kilez More“ am 14.02.17. Online verfügbar unter: https://www.YouTube.com/watch?v=22vuam8oeRU Bild 3: „Geheime Monsanto Akten❉ Gift in Essen & Politik“ hochgeladen im Kanal von „Kilez More“ am 14.05.19. Online verfügbar unter: https://www.YouTube.com/watch?v=NENRXwt0wcc (eigene Collage) (28.06.19)
Bildnachweise
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Abb. 59: ARD-Dokumentation „UFOs – und es gibt sie doch“ „Ufos – gibt es sie wirklich?“, ARD, 27. Oktober 1994. Hochgeladen im Kanal von „zeitzumaufwachen“ am 23.08.12. Online verfügbar unter: https://www.YouTube.com/watch?v=qTM2FZJqhdA (eigene Collage) (03.01.19) Abb. 60: Steven Greer (links oben) initiert und moderiert die Pressekonferenz „2001 National Press Club Event“, hochgeladen im Kanal von „Sirius Disclosure“ am 24.04.17. Online verfügbar unter: https://www.YouTube.com/watch?v=4DrcG7VGgQU (eigene Collage) (01.01.19). Abb. 61: „Phoenix Lights“ und „Roswell“ (eigene Collage) Bild 1: https://www.inverse.com/article/30624-is-phoenix-forgotten-a-true-story-phoenix-lightsufo-sightings-ridley-scott Bild 2: http://www.phoenixlights.blogspot.com Bild 3: Zeitungsausschnitte: http://www.ufosnw.com/history_of_ufo/phoenixlights1997/ usatodayarticle06181997old.pdf (eigene Collage) (03.06.19) Bild 4: Screenshot: „UFO – Phoenix Lights, March 13, 1997“, hochgeladen im Kanal von „Cynik“ am 11.04.2008. Online verfügbar unter: https://www.YouTube.com/watch?v=ymCmI-MvIeU (03.06.19). Bild 5: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/c4/ RoswellDailyRecordJuly8%2C1947.jpg (03.06.19). Abb. 62: Das Auge in der Pyramide Bild 1: https://taz.de/Interne-Dokumente-des-Vereins-Uniter/!5664632/ (07.07.20) Bild 2: https://en.wikipedia.org/wiki/Snctm_(club)#/media/File:Snctm_(club).jpg (07.07.20) Abb. 63: „Verschwörungstheorie“ in unterschiedlichen Varianten (eigene Darstellung). Abb. 64: Once you are AWAKENED...: „MASSIVE Breakthrough In 9/11 Investigation! – Must WATCH (with Richard Gage & Barbara Honegger)“, hochgeladen im Kanal von „World alternative Media“ am 01.12.19. Online: https://www.YouTube.com/watch?v=2V3cfCX1s1Y (Kommentar/ Screenshot) (19.12.18) Abb. 65: Das Aufwachen als sinnhafter und identitätsstiftender Topos. (eigene Darstellung). Abb. 66: „Das okkulte Netz um „Rosemary's Baby“, hochgeladen im Kanal von „STONER frank&frei“ am 02.09.18. Online verfügbar unter: https://www.YouTube.com/watch?v=At4zuZEaf6o (Screenshot 03.09.18) Abb. 67: „Das okkulte Netz um „Rosemary's Baby“, hochgeladen im Kanal von „STONER frank&frei“ am 02.09.18. Online verfügbar unter: https://www.YouTube.com/watch?v=At4zuZEaf6o (Screenshot 03.09.18)
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Literatur und Quellen
Anmerkungen 1
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Mathias Bröckers (2006): „Schach und Paranoia. Verfolgungswahn und Verschwörungstheorien bei Spielergenies.“ Auszüge eines Vortrags von Mathias Bröckers bei der Veranstaltungsreihe „Hinter den Spiegeln – Zur Kultur des Spiels und der Schönheit des tiefen Denkens“, Kunsthalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, 30.11.2006. Online: http://www.broeckers.com/ Schach&Paranoia.htm (05.12.18). Interview Bröckers: 00:06:00 ff. Ebd.: 00:43:00 ff. „[…] 2002 im frühjahr musste man, was heute jeder Fünfjährige weiß, erklären, was ist eine suchmaschine, was macht eine suchmaschine, wie gebe ich da eine begriff ein […]“, ebd.: 00:00:40 ff. Bröckers (2002: 71 ff.). Interview Bröckers: 00:25:00 ff. Ebd.: 01:32:40 ff. Interview Bröckers: 00:58:00 ff. Ebd.: 01:11:00 ff., 01:20:00 ff. Ebd.: 01:26:00 ff. Ebd.: 00:54:00 ff. Goffman (2018 [1974]: 141). Eva Horn (2007: 384) macht auf die „Dialektik von Luzidität und Blindheit“ des Verschwörungsdenkens aufmerksam, die sich in verschiedenen paranoiden Denkstilen auspräge: vom skeptischen (Hinter-)Fragen zum politisch-ideologisch Glauben. Interview Bröckers: 01:34:00 ff. Vgl. z. B. Hüther (2009: 113 f.). Vgl. AD-019, AD-020. Vgl. Parker (2001: 192). Felder werden in diesem Sinne immer auch hergestellt (Breidenstein u. a. 2015 [2013]: 45 ff.) Ebd.: 71 ff. Letzteres auch vor dem Hintergrund, „Überraschungen“ zuzulassen (ebd.: 121). Im August 2013 mit Klaus und im Oktober 2013mit Balduin. Siehe ESM Anhang 1. Ebd. Anhang 2 A–G. Ebd. Anhang 3. Siehe dazu Breidenstein u. a. (2015 [2013]). http://propagandaschock.blogspot.com/2008/12/911-startschuss-zum-totalitren.html (09.05.19). https://www.heise.de/tp/features/Die-Verschwoerungsindustrie-3421288.html (09.05.19). Das zugehörige Kapitel wurde hier aus Platzgründen gekürzt. Siehe ESM Anhang 2 A. Siehe dazu auch die Kritik von Anton/Schink (2019). G-048. Es fließen Erkenntnisse aus zehn psychotherapeutische Einzelsitzungen à 50 Minuten ein, in denen es primär um persönliche Themen des Autors ging (Zwänge, Ängste, Selbststigmatisierungen usw.). In diesem Rahmen waren immer wieder auch „Verschwörungstheorien“ Thema. Zur Adaption achtsamkeitsbasierter Methoden in der (psychoanalytischen) Therapie siehe etwa Anderssen-Reuster (2011 [2007]) oder Zwiebel/Weischede (2015). Lowen (1993 [1992]: 56). In diesem Rahmen figuriert „H.“ in diesem Kapitel als das psychotherapeutische Gegenüber. ASR33:160. „Weltflucht“ aus dem Buch Styx von Else Lasker-Schüler, 1902. P-2008. https://www.urbandictionary.com/define.php?term=Sick (23.04.20).
Anmerkungen
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Siehe Wilson (2003 [1980]: 120). P-001. Marx (1971 [1961]: 8) P-2011. G-123. P-2013. G-012. ASR33:178. http://plotsagainstrussia.org/eb7nyuedu/2016/4/13/the-plays-the-thing (05.02.19). Siehe G-109. http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/abschied-von-der-utopie-die-digitale-kraenkungdes-menschen-12747258.html?printPagedArticle=true#pageIndex_0 (19.08.19). Goffman (2018 [1974]: 39). Goffman (2018 [1974]: 140) schreibt zum perpetuiven Einfluss des Täuschungsmanövers, es sei „ganz deutlich, daß ein Täuschungsmanöver zu einer fortgesetzten organisierten Tätigkeit führen kann, die der Gefahr der Entlarvung unterliegt. Und wann immer eine solche erfolgt, wirkt sie sich in die Vergangenheit wie in die Zukunft hinein aus […].“ Bröckers, „Schach und Paranoia…“ Zu einem ähnlichen Urteil wie Sunstein und Vermeule (2009 [2008]) – wenngleich auch weniger pejorativ – kommt schon Jameson (1988: 356), wenn er alles Verschwörungsdenken als „the pure persons cognitive mapping in the postmodern age“ bezeichnet und dabei ebenfalls darauf verzichtet Differenzierungen vorzunehmen und situative Kontexte zu berücksichtigen. Für Jameson ist das Verschwörungsdenken als ein Welt-Erklärungsprinzip problematisch; über andere, lokale‘ Bezüge dieses Denkens äußert er sich nicht. Siehe für diesen Zusammenhang auch den Sammelband von Campbell (2007). Ebd.: Siehe Videobeschreibung. Hellinger (2003: 204). Holland (2009 [2008]: 205). Vortrag von Andy Müller-Maguhn auf der Konferenz des „Chaos Computer Club“ am 30.12.19: „Technical aspects of the surveillance in and around the Ecuadorian embassy in London. Details about the man hunt for Julian Assange and Wikileaks“. Online verfügbar unter: https://media.ccc.de/v/36c3-11247-technical_aspects_of_the_surveillance_in_and_around_the_ecuadorian_embassy_in_london#t=2342 (00:38:20 ff.) (01.05.20). Goffman (2017 [1959]: 97). In der englischsprachigen Originalfassung von 1956 spricht Goffman nicht von „Verschwörern“, sondern von Mitgliedern einer „secret society“ oder „secret team[s]“. Die Übersetzung durch Peter Weber-Schäfer als „Verschwörer“ bzw. „Ensemble-Verschwörung“ (ebd.: 162) ist eine recht freie, aber der Ansicht des Verfassers nach, sehr passende Sinnübertragung ins Deutsche. Krisenexperimente sind im Forschungsrahmen der Ethnomethodologie (z. B. Garfinkel 1973; 2011 [1967]) angewendete Methoden zur Aufdeckung von Handlungsroutinen und impliziten und ‚unsichtbaren‘ Interaktions- und Kommunikationsmustern. Siehe hierzu das Kapitel „Vernünftiges Handeln“ über „die Praxis des Alltags in der natürlichen Einstellung“ bei Schütz/Luckmann (2003: 529 ff.). Vgl. dazu Schütz/Luckmann (2003: 484 f.). Siehe dazu auch Costas/Grey (2016: 140). Dazu nochmals Schütz/Luckmann (2003: 456): Die „Deutung durch andere [ist] eine Grundvoraussetzung kommunikativen Handelns.“ In diesen interaktiven Zusammenhang gehört auch immer das Bewusstsein des Getäuscht-Werdens durch den anderen, „das Wissen, daß das Verhalten Anderer nicht nur natürlicherweise ihr Handeln unvollkommen verkörpert, sondern dieses auch künstlich, durch menschliche Absicht, teils ausdrückt, teils verdeckt und möglicherweise sogar nur vortäuscht.“ Siehe dazu Goffman (2018 [1974]: 31).
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Literatur und Quellen
Goffman ist ein Meister in der Beobachtung und Beschreibung der Praktiken und „Strategien […], mit denen öffentliche Wahrheiten ausgehandelt werden“, meint Dellwing (2014: 26), „während die Aushandlungspartner nicht selten die nichtöffentliche Version kennen, die sie aber in ihrer Verhandlung nicht aussprechen.“ Diese Entwicklung kann durch Formen der Individualisierung und Disziplinierung begriffen werden, die Norbert Elias in seinen beiden Werken „Über den Prozeß der Zivilisation“ (1976 [1969]) beschrieben hat. Es sollte aber nicht unterschlagen oder ausgeschlossen werden, dass die nach Elias als für diesen Prozess charakteristischen sozio- und psychogenetischen Strukturen, Kritikern wie Hans-Peter Duerr zufolge, auch in anderen soziohistorischen oder kulturellen Kontexten gefunden werden könnten. Vgl. zur Individualisierung auch Beck/Beck-Gernsheim (1994). „Was der soziologischen Interaktionsforschung als „Reziprozität der Perspektiven“ (Litt 1926 [1919]; Mead 1973 [1934]) bekannt und oftmals axiomatisch vorausgesetzt wird. Ein weiteres Beispiel für eine solche informelle Struktur zeigt die Studie „Sodom“ von Frédéric Martel (2019), die sich mit homosexuellen Machtnetzwerken im Vatikan befasst. Siehe dazu u. a. die ethnographische Studie über die tragende Funktion informeller Strukturen in der Fabrikarbeit (Bensman/Gerver 1963). http://www.spiegel.de/politik/ausland/michael-wolff-fire-and-fury-autor-spricht-ueber-donaldtrump-a-1193074.html (20.09.18). https://www.welt.de/politik/ausland/article175767727/George-H-W-Bush-Der-beste-Freund-denDeutschland-je-hatte.html (23.01.19). https://www.lrb.co.uk/v41/n02/seymour-m-hersh/the-vice-presidents-men (23.01.19). Siehe auch Kellner (2003: 36) und Kaiser (2008: 173, 419). Der juristischen Definition nach ist eine Verschwörung im US-amerikanischen Zivilrecht wie folgt bestimmt: „Conspiracy is a separate offense, by which someone conspires or agrees with someone else to do something which, if actually carried out, would amount to another federal crime or offense. It is an agreement or a kind of partnership for criminal purposes in which each member becomes the agent or partner of every other member.“ Siehe: https://definitions.uslegal.com/c/conspiracy/ (17.01.19). Jan Van Risseghem war der mutmaßliche Attentäter des UN-Generalsekretärs Dag Hammerskjöld, der bei seinem Flugzeug-Absturz sehr wahrscheinlich einem Mordkomplott westlicher und kongolesischer Geheimdienste zum Opfer gefallen ist. Das Zitat bezieht sich auf den HammarskjöldMord und ist durch die Erinnerungen von Van Risseghems Freund Pierre Coppen belegt: https://www.theguardian.com/world/2019/jan/12/former-raf-pilot-shot-down-un-chief-daghammarskjold-1961-plane (17.01.19). https://www.focus.de/politik/deutschland/politik-die-verschwoerung_id_9879853.html (17.01.19). http://www.taz.de/!5548926/ (17.01.19). http://www.taz.de/taz-Recherche-zu-rechtem-Netzwerk/!5577832/ (16.03.19). Systemtheoretisch könnte man sagen: Die Autopoiesis des konspirativen Subsystems erbringt für die Systemumwelt keine Leistung, sondern (zer-)stört diese. „BACK:STAGE Verschwörungen…“: 00:37:50 ff. https://www.ndr.de/kultur/geschichte/chronologie/Juli-78-Celler-Loch-erschuettert-Niedersachsen,cellerloch100.html (27.01.19). „Rote Ohren“, in: Der Spiegel Nr. 18/1986, S. 24 f. Online verfügbar unter: http://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/13518912 (26.01.19). Aus einem Memo der US-Tabakindustrie. Zitiert nach: Union of Concerned ScientistsJanuary (2007): Smoke, Mirrors & Hot Air. How ExxonMobil Uses Big Tobacco’s Tactics to Manufacture Uncertainty on Climate Science. Online verfügbar unter: https://www.ucsusa.org/sites/default/files/legacy/assets/documents/global_warming/exxon_report.pdf (04.02.19). https://www.ns-archiv.de/imt/ps1001-ps1200/1014-ps.php (07.07.18). Interview Bröckers: 00:45:00 ff.
Anmerkungen
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https://www.theguardian.com/world/2019/jan/12/former-raf-pilot-shot-down-un-chief-dag-hammarskjold-1961-plane (27.01.19). https://www.kontextwochenzeitung.de/politik/355/f-wie-fadenscheinig-4857.html (13.04.18). Vgl. dazu auch der Beitrag von Annette Ramelsberger: https://www.sueddeutsche.de/ politik/verschwoerungstheorien-zum-nsu-moerderische-legenden-1.2209791 (27.01.19). https://www.welt.de/politik/deutschland/article184528466/Erma-EP-552-Amri-und-der-NSUnutzten-dasselbe-Pistolenmodell.html (16.03.19). Ebd. Siehe dazu Goffman (2018 [1974]: 31 f.). http://www.spiegel.de/panorama/justiz/nsu-komplex-die-pannen-und-merkwuerdigkeiten-a1216659.html (16.03.19). „Absage an Verschwörungstheorien“, Hermann Neu, Esslinger Zeitung, 16.01.16. Ebd. „NutriVille® TV - Die große Zuckerlüge - ARTE Dokumentation“, hochgeladen im Kanal von „NutriVille® Institut für Ernährungs- & Gesundheitsmanagement“ am 05.11.15. Online: https://www.youtube.com/watch?v=VTCvmUfmXlo (00:29:00 ff.) (28.01.19). http://plotsagainstrussia.org/eb7nyuedu/2016/4/20/2weyznuiiml359jtjdhmmtkugv803c (05.02.19). http://plotsagainstrussia.org/eb7nyuedu/2016/4/13/the-plays-the-thing (05.02.19). Ebd. Ebd. http://plotsagainstrussia.org/eb7nyuedu/2016/4/20/2weyznuiiml359jtjdhmmtkugv803c (05.02.19). „Secretary Pompeo Participates in Q&A Discussion at Texas A&M University“, hochgeladen im Kanal von „U. S. Departement of State“ am 15.04.19. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/ watch?v=x6wbfjspVww (07.06.19). Siehe dazu Srubar (1999). G-150. Siehe FB-016. Siehe FB-020. Siehe FB-016. https://www.heise.de/tp/features/Wirtschaftsmacht-Mafia-4252132.html?seite=all (13.01.19). https://www.fr.de/politik/dunkle-wahrheiten-11669633.html (24.02.19). https://www.zvw.de/inhalt.mafia-im-rems-murr-kreis-die-bevoelkerung-schweigt.5eb654a0ceed-4ade-954b-774b96527cbe.html (24.02.19). Nach Hessinger sei „das Phänomen“ der Mafia von der „Aura des Geheimnisvollen und Exotischen“ umgeben – vor allem für Nicht-Italiener*innen – andererseits sei „ihm seit seiner Entstehung gleichzeitig immer ein Rang höchster Publizität zugekommen.“ (Ebd. 2002: 482) Hess (2009: 161) meint: „one can see here a circular interaction between mythology and reality. The media world (including judicial and criminological discourses, but above all novels, films and television) takes inspiration from real persons, cliques and events which it embellishes, idealises, condemns, and portrays so impressively that those who are depicted in turn attempt to stay true to the portrayal. Thus, mafiosi try to translate their portrayal in The Godfather into reality, or try to live out the „reality of a secret society ‘the way the judges who interrogated me defined it’.“ Er bezieht sich auf die publik gewordenen Gefängnisgespräche zwischen dem Mafia-Forscher Pino Arlacchi mit sizilianischen Mafiosi Antonio Calderone. „Schaltgespräch mit Sandro Mattioli zur Mafia-Organisation ‘Ndrangheta am 05.12.2018“, hochgeladen im Kanal von „phoenix“ am 05.12.18. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/ watch?v=i7NalGpRjsI (00:02:00 ff.) (24.02.19). „Krakenfingrige Bestie“, in: Der Spiegel Nr. 8/1986, S. 134 f. Online verfügbar unter: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13517970.html (24.02.19).
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Literatur und Quellen
https://www.zvw.de/inhalt.mafia-im-rems-murr-kreis-die-kriminelle-holding.608aa387-b1b34cc9-a882-056a620d8050.html (24.02.19). https://www.zvw.de/inhalt.mafia-im-rems-murr-kreis-der-promi-wirt-und-der-meistersaenger.581a6a73-fecf-4f85-b3e9-fbdf95d41419.html (24.02.19). https://www.zvw.de/inhalt.mafia-im-rems-murr-kreis-die-bevoelkerung-schweigt.5eb654a0ceed-4ade-954b-774b96527cbe.html (24.02.19). Siehe dazu auch eine überregionale Einschätzung der Telepolis-Journalistin Birgit Gärtner: „Solche Razzien sorgen einige Tage für Schlagzeilen, geraten dann aber wieder aus dem öffentlichen Bewusstsein. Die Mafia existiert für die meisten Deutschen nur als romantische Vorstellung aus beliebten Krimis, im realen Leben wird sie eher nicht zur Kenntnis genommen. Zum einen, weil die Gefahr völlig unterschätzt wird.“ Online: https://www.heise.de/tp/features/WirtschaftsmachtMafia-4252132.html?seite=all (13.01.19). https://www.welt.de/kultur/article13112056/Die-Mafia-passt-sich-jeder-Gesellschaft-perfektan.html (24.02.18). Vgl. dazu „Schaltgespräch mit Sandro Mattioli...“ 00:02:30 ff. Ebd. Vgl. zur Gesetzeslage auch Sandro Mattioli: https://www.kontextwochenzeitung.de/gesellschaft/355/das-boese-in-der-nachbarschaft-4854.html (24.02.19). https://www.zeit.de/2017/47/petra-reski-mafia-romane/komplettansicht (24.02.19). https://www.welt.de/kultur/article13112056/Die-Mafia-passt-sich-jeder-Gesellschaft-perfektan.html (25.02.19). „Das Gift der Mafia & das EU Gesetz des Schweigens“, hochgeladen im Kanal von „mafianeindanke e.V.“ am 06.06.18. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v= qAf2KYkExAo (00:32:00 ff.) (24.02.19). https://www.zvw.de/inhalt.mafia-im-rems-murr-kreis-die-kriminelle-holding.608aa387-b1b34cc9-a882-056a620d8050.html (05.03.19). https://www.zvw.de/inhalt.mafia-im-rems-murr-kreis-der-promi-wirt-und-der-meistersaenger.581a6a73-fecf-4f85-b3e9-fbdf95d41419.html (05.03.19). https://www.swr.de/swraktuell/bw/mafia-ermittlungen-baden-wuerttemberg-mario-l-stuttgart//id=1622/did=21447956/nid=1622/1744tam/index.html (05.03.19). „Oettingers Pizza-Connection“, in: Der Spiegel Nr. 45/1993, S. 16. Online verfügbar unter: http://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/13692710 (05.03.19). Ebd. https://www.deutschlandfunkkultur.de/organisiertes-verbrechen-in-italien-kinder-der-ndrangheta.979.de.html?dram:article_id=376299 (07.03.19). „Das Gift der Mafia…“: 00:26:00 ff. Orwell (2007 [1949]: 259]). Freilich aber ist die Fähigkeit der Kommunikation populären Wissens an Praktiken gebunden und damit nicht gänzlich Habitus-unabhängig. Das Wissen selbst ist durch seine ‚flache‘ Form aber Allgemeinwissen. https://www.heise.de/tp/features/Die-reichsten-1-Prozent-besitzen-mehr-als-50-Prozent-des-globalen-Vermoegens-3890296.html (14.09.18). Siehe hierzu „Russland: Eskalation im Medienkino - Mathias Bröckers (Telepolis Salon)“, hochgeladen im Kanal von „antikriegTV“ am 27.05.18. Online: https://www.youtube.com/ watch?v=t7U-GQGQ-Uc (00:24:00 ff.) (13.01.19). Siehe etwa hier „Packing for Mars“? Frank Jacob im Interview | Bewusst.TV – 23.7.2017“, hochgeladen im Kanal von „satsang – full“. Online: https://www.youtube.com/watch?v =MOjgCn8ZolU (00:25:00 ff.) oder hier: „HAARP in China - Kataloniens Unabhängigkeit - Russlands neue Politik | Das 3. Jahrtausend #16“, hochgeladen im Kanal von „ExoMagazinTV“. Online: https://www.youtube.com/watch?v=qJMtvPHvUZg (01:20:00 ff.) (Beide: 13.01.19). https://faktenfinder.tagesschau.de/ausland/bilderberg-103.html (07.03.19). https://www.forschung-und-lehre.de/zeitfragen/was-den-glauben-an-verschwoerungen-starkmacht-880/ (07.03.19).
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https://www.br.de/puls/themen/popkultur/psiram-interview-100.html (14.09.18). Nach Paul Schreyer zeichnen sich „deep events“ durch folgende Merkmale aus: 1.) durchschlagende gesellschaftspolitische Wirkung, 2.) (juristische) Aufklärung wird be- oder verhindert, 3.) das Ereignis nutzt reaktionären Eliten, 4.) Beteiligung von Intelligence und/oder Militär. Die Merkmale sind Schreyers Vortrag „Fassadendemokratie und Tiefenstaat“, gehalten am 21.01.19 in Stuttgart, entlehnt. https://archive.org/details/PeterDaleScottJFK911War (16.07.18). http://propagandaschock.blogspot.com/2008/12/911-startschuss-zum-totalitren.html (09.05.19). https://www.zdf.de/dokumentation/zdfzoom/zdfzoom-trump-und-putin-komplott-gegen-amerika100.html (21.09.18). https://www.zdf.de/dokumentation/zdfzoom/zdfzoom-trump-und-putin-komplott-gegen-amerika100.html (21.09.18). Ebd. https://www.sueddeutsche.de/politik/wahlforscher-das-sollte-nicht-verharmlost-werden1.3390497 (12.03.19). https://www.welt.de/print-welt/article476611/War-es-wirklich-Bin-Laden.html (03.09.18). https://kurier.at/politik/ausland/der-profiteur-von-9-11-rudy-giuliani/220.475.235 (11.02.19). „Rudolph Giuliani 7/7 statement“, hochgeladen im Kanal von „muckletoon“ am 07.05.07. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=qwjdZttxoa4 (09.02.19). Siehe dazu der Bericht von CNN online: http://edition.cnn.com/2005/WORLD/europe/07/08/giuliani.london/ index.html (27.07.18). http://www.historycommons.org/entity.jsp?entity=office_of_emergency_management (12.07.18). „Mr. Richard J. Sheirer is the Senior Vice President at Giuliani Partners LLC. Mr. Sheirer is New York City‘s former Commissioner of Emergency Management“ and „a public safety expert with three decades of experience in law enforcement and crisis management, including having served as the Deputy Commissioner for Administration for the New York City Police Department and Chief of Staff to the Commissioner.“ https://www.bloomberg.com/research/stocks/private/ person.asp?personId=5938919&privcapId=5938867&previousCapId=5938867&previous Title=Giuliani%20Partners%20LLC (12.07.18). „Giuliani Partners LLC is dedicated to helping leaders solve critical strategic issues, accelerate growth, and enhance the reputation and brand of their organizations in the context of strongly held values. Siehe: https://web.archive.org/web/ 20050202130324/http://www.giulianipartners.com/ (09.02.19). https://web.archive.org/web/20010925123135/http://www.nyc.gov/html/om/html/2001a/pr14901.html (10.02.19). http://www.historycommons.org/context.jsp? item=complete_911_timeline_051101oemexercise #complete_911_timeline_051101oemexercise (12.07.18). Sowohl unmittelbar wie hier: „My 9/11: Video from the streets of Manhattan.“, hochgeladen im Kanal von „David“ am 09.0913. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=cEDfVUqtaAc&t=709s (00:06:00 ff.) als auch in der späteren Befragung: http://www1.ae911truth.org/downloads/156eyewitnessaccounts.pdf (beide: 13.07.18). https://abcnews.go.com/Politics/story?id=121269&page=1 (10.02.19). https://www.focus.de/panorama/welt/11-september_aid_125644.html (10.02.19). „Peter Power 7/7 Terror Rehearsal“, hochgeladen im Kanal von „antagonised“ am 09.09.06. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=JKvkhe3rqtc (12.07.18). „King‘s Cross man‘s crisis course“, in: Manchester Evening News, 08.07.06, S. 5. https://web.archive.org/web/20120331183546/http://www.guardian.co.uk/uk/ 2005/jul/10/july7.uksecurity2 (14.05.19). Siehe ESM Anhang 4. http://edition.cnn.com/2004/US/04/19/norad.exercise/ (12.07.18). https://ratical.org/ratville/CAH/linkscopy/AmalgumVirgo.pdf (12.07.18). https://www.nydailynews.com/news/world/fbi-told-blame-anthrax-scare-al-qaeda-white-houseofficials-article-1.312733 (11.02.19).
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Literatur und Quellen
https://www.cbsnews.com/news/giuliani-co-cleaning-up-anthrax/ (11.02.19). http://edition.cnn.com/2001/WORLD/europe/10/15/gen.guiliani.knighthood/index.html (11.02.19). Für weitere fundierte Recherchen in diesem Teil des Komplexes sind dennoch Publikationen von MacQueen (2014), Zarembka (2008), Ruppert (2004) und Ahmed (2006, [2003] 2002) zu empfehlen. Wir schwören ab – #BarCode mit Prinz Chaos, Julia Szarvasy, Norbert Fleischer“, hochgeladen im Kanal von „NuoViso.TV“ am 26.08.18. Online: https://www.youtube.com/watch?v= k2nS3TeR-LM (08.09.18). „BACK:STAGE Verschwörungen…“: 00:22:30 ff. Vgl. Interview Bröckers 01:34:00 ff., wo er eine ähnliche Anekdote in folgender Version erzählt: „[…] dann irgendwann nach dem dritten Bier oder wein dann am ende auch sagen [die „Journalisten“, A. S.]: ‚naja Bröckers, ich glaub ja schon, 9/11, da hast du ja eher recht als der Mainstream‘, dann sage ich: ‚[...] halt den Mund, schreibs in deine Zeitung!‘“. Eine andere Version (oder Situation) beschreibt Bröckers auf seinem Blog: „Als ich 2004 einmal in einer Fernsehsendung mit zwei ‚Spiegel‘-Redakteuren über 9/11 diskutiert hatte und wir danach bei einem Kaffee noch plauderten, meinten sie, dass sie einiges in meinen Büchern ja auch richtig gut fänden – zuvor in der Sendung hatten sie mir ‚Verschwörungstheorien‘ und ‚schlechte Recherche‘ vorgeworfen – nur dass ich ihre Zeitschrift immer als ‚ehemaliges Nachrichtenmagazin‘ bezeichne, das würde ihnen überhaupt nicht gefallen.“ siehe hier: https://www.broeckers.com/2018/12/22/wenn-das-narrativstimmt-sind-fakten-zweitrangig/ (19.01.19). „The world is like a ride in an amusement park, and when you choose to go on it, you think it‘s real, because that‘s how powerful our minds are. The ride goes up and down, around and around, it has thrills and chills, and it‘s very brightly colored, and it‘s very loud, and it‘s fun for a while. Many people have been on the ride a long time, and they begin to wonder: ‚Hey, is this real, or is this just a ride?‘And other people have remembered, and they come back to us and say: ‚Hey, don't worry; don't be afraid, ever, because this is just a ride.‘ […] Here‘s what we can do to change the world, right now, to a better ride: Take all that money we spend on weapons and defenses each year and instead spend it feeding and clothing and educating the poor of the world, which it would pay for many times over, not one human being excluded, and we could explore space, together, both inner and outer, forever, in peace.“ Siehe hier: „Bill Hicks – It's Just A Ride“, hochgeladen im Kanal von „Revolution of Consciousness“ am 18.07.14. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=oFHVkdxSzTM (10.01.19). E-009. Das sind Personen, die das Ziel verfolgen „Verschwörungstheorien“ mit Gegen-Fakten zu widerlegen, d. h. zu ‚debunken‘. E-009. http://www.arbeiterfotografie.com/galerie/kein-krieg/hintergrund/index-rezension-3a.html (12.03.19). Siehe dazu die ausführliche Medienanalyse bei Klöckner (2011: 169). https://www.news.at/a/wahlanfechtung-reaktionen-6406758 (08.18.19). E-004. https://web.archive.org/web/20110310140624/http://www.worldpublicopinion.org/pipa/ articles/international_security_bt/535.php (08.09.18). https://web.archive.org/web/20080918153848/http://www.zogby.com/news/ReadNews.dbm? ID=1354 (08.09.18). http://presseservice.pressrelations.de/standard/result_main.cfm?aktion=jour_pm&r=436596 (08.09.18). http://www.un.org/webcast/ga/56/statements/011110usaE.htm (03.09.18). https://www.voanews.com/a/a-13-a-2001-09-21-14-bush-66411197/549664.html (12.03.19). https://www.welt.de/print-welt/article476611/War-es-wirklich-Bin-Laden.html (12.03.19). Siehe ESM Anhang 4. https://www.broeckers.com/2018/08/30/9-11-bleibt-der-lackmustest/ (10.02.19)
Anmerkungen
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Christoph Hörstel im Gespräch mit Wolfgang Heim, ausgestrahlt bei „SWR1 Leute“ am 10.11.18: https://www.swr.de/swr1/bw/programm/leute/-/id=1895042/nid=1895042/did=4126820/198lng5/ index.html (00:17:00 ff.) (19.01.19). Ebd. Ebd.: 00:02:00 ff. Ebd.: 00:03:00 ff. und 00:05:00 ff. Ebd.: 00:07:00 ff. Ebd.: 00:07:30 ff. Hörstel bezieht sich auf das Buch von Nafeez Ahmed (2003 [2002]). Ebd.: 00:13:00 ff. Ebd.: 00:14:00 ff. Ebd.: 00:15:30 ff. https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/politik/verblueffende-mischung-1516692.html (13.03.19). Christoph Hörstel im Gespräch…: 00:18:00 ff. Lippmann (1922: 385). Zitiert nach Hartmann (2018: 12). „ZUR SACHE: Hetzen ist gut für das Geschäft!“, hochgeladen im Kanal von „KenFM“ am 24.02.19. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=xwyDXgcRjJ0 (00:53:00 ff.) (19.03.19). Das gleiche Bild der „Spitze des Eisbergs“ wird direkt auch von „NuoViso.TV“ übernommen: „Unter der Spitze des Eisbergs - NuoViso News #49“, hochgeladen im Kanal von „NuoViso.TV“ am 09.03.19. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/ watch?v=H51IeJcdZF0 (04.06.19). Siehe „Spiegel-Gate: Der Fall Relotius“, hochgeladen im Kanal von „NuoViso.TV“ am 07.01.19. Online verfügbar unter: -https://www.youtube.com/watch?v=J5V93suSXuY (19.03.19) und „Me, Myself and Media 50 – Massenmanipulation, Massenmedien und Machterhalt“, hochgeladen im Kanal von „KenFM“ am 19.03.19. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v= 3VrHy5hE7-g (01:42:00 ff.) (19.03.19). Die Wortschöpfung geht offenbar auf Gerald Calente zurück: https://en.wikipedia.org/ wiki/Presstitute (04.06.19). Siehe dazu hier: „Ritchie und Rita und ich“, in: Der Spiegel Spezial Nr. 1/1995, S. 77. Online verfügbar unter: https://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/9157503 (05.06.19). Ebd., S. 76. https://www.zeit.de/kultur/2013-11/nachruf-juergen-leinemann/komplettansicht (12.02.19). Siehe zur Differenz politischer Einstellungen zwischen Journalist*innen und „Bevölkerungsmehrheit“ auch (Schulz 2011: 100). Robert Stein bei „Krieg oder Frieden? Seegespräche mit Christoph Hörstel, Stephan Bernd, Robert Stein, R. Langhans uvm.“, hochgeladen im Kanal von „SeeGespräche“ am 09.10.2016. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=YLw65CmFKdE (00:32:00 ff.) (14.03.19). Bernhard Pörksen: Der Hass der Bescheidwisser. In: Der Spiegel 2015/2, S. 72 f. Online verfügbar unter: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-131147816.html (12.02.19). Eine andere Konnotation von „Internet“ ist, wie Strübing zeigt, das ‚wilde, ‚weite‘ und unsichere „Meer“ im Gegensatz zum zivilisierten, begrenzten und sicheren Land (Strübing 2006). Diese Dichotomie lässt sich unschwer auf die Semantik von Mythos/Logos, Emotionalität/Rationalität oder Chaos/Ordnung übertragen. „Strategy for Winning the War on Terror“, The White House, September 2016. Online verfügbar unter: https://web.archive.org/web/20060906195541/http://www.whitehouse.gov/nsc/nsct/2006/ sectionV.html (10.05.19). Ebd. „Internet“ in Anführungszeichen hier und im Folgenden als Topos begriffen. Ebd. Internet ohne Anführungszeichen als materiale Technologie und Medium gemeint. „Strategy for Winning the War…“ http://www.un.org/webcast/ga/56/statements/011110usaE.htm (03.09.18).
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Literatur und Quellen
„Strategy for Winning the War…“ Ebd. „Verschwörungstheorien – Leben im Wahn (HD)“, hochgeladen im Kanal von „wissenstattangst“ am 11.12.15. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=rlRUqLs4_V4 (00:41:00 ff.) (05.06.19). „Mythos Verschwörung? (3sat Scobel mit Daniele Ganser, Andreas von Bülow, Thomas Grüter)“, hochgeladen im Kanal von „WikiTHEK“ am 16.04.16. Online: https://www.youtube.com /watch?v=isDq_o7Kc34 (00:20:00 ff.) (21.09.18) „Verschwörungstheorien – Leben…“: 00:05:00 ff. Ebd. Ebd.: 00:06:00 ff. „Chemtrails gibt es nicht - die spinnen, die Verschwörungstheoretiker“, hochgeladen im Kanal „Kachelmannwetter“ am 03.08.11. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v= U2FWU_Nx4Uc (08.06.19). Darüber hinaus bezeichnete der Anhänger*innen der „Chemtrail“Theorie als „Nazis“ und als „verrückt“, was ihm nach einer Klage der Bürgerbewegung „Sauberer Himmel“ vom Berliner Landgericht als eine „drastisch[e]“ Meinungsäußerung erlaubt wurde und in der Bewegung für starken Protest sorgte. Siehe: https://www.welt.de/vermischtes/article 106130970/Kachelmann-darf-mit-Neonazi-Meinung-sagen.html (09.06.19). Ebd.: 00:14:00 ff. Ebd.: 00:24:00 ff. Ebd. Vgl. hier die semantische Gleichsetzung von „Verschwörung[en]“ und „Verschwörungstheorie[n]“ (Kap. 3.1.2). Eine Anspielung auf den sogenannten „Kachelmann-Prozess“, einen auch massenmedial ausgeschlachteten und juristisch ausgetragenen, Beziehungskrieg. Ebd. Ebd.: 00.18:00 ff. Ebd. Ebd.: 00:20:30 ff. Ebd.: 00:22:00 ff. Ebd.: 00:27:00ff. und 00:30:20 ff. Ebd.: 00:33:00 ff. Ebd.: 00:35:00 ff. Ebd.: 00:35:30 ff. Ebd.: 00:37:00 ff. Ebd.: 00:41:00 ff. Siehe „Chemtrails gibt es nicht…“. „Verschwörungstheorien – Leben im Wahn…“. Die einzige Stelle ist bei 00:15:30 ff. Ebd.: 00:16:30 ff. So nennt sie auch Silberberger ebd.: 00:40:30 ff. Ebd.: 00:01:00 ff. „Wahn oder Wahrheit – Was steckt hinter Verschwörungstheorien?“, WDR, Quarks & Co., 28. Juni 2016. Online verfügbar unter: https://www1.wdr.de/mediathek/video/sendungen/quarks-undco/video-wahn-oder-wahrheit---was-steckt-hinter-verschwoerungstheorien---100.html (09.06.19). Siehe ESM Anhang 2 A. „Mythos Verschwörung? (3sat Scobel mit Daniele Ganser, Andreas von Bülow, Thomas Grüter)“, hochgeladen im Kanal von „WikiTHEK“ am 16.04.16. Online: https://www.youtube.com/ watch?v=isDq_o7Kc34 (21.09.18). Kommentar von Nuetzer*in „kosta el“ bzw. „Russland Ungefiltert“. Kommentar ca. im Jahr 2015/2016. Ebd.: Kommentar von Nutzer*in „Dennis Schneider“. Das Zeichen „^^“ bedeutet im InternetSlang so viel wie Lachen/Smile. Ebd.: 00:07:00 ff.
Anmerkungen
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Ebd.: 00:09:00 ff. Ebd.: 00:09:50 ff. Ebd.: 00:10:00 ff. Historisch ist bis in die Gegenwart umstritten, inwiefern der Angriff der japanischen Luftwaffe auf den US-amerikanischen Marine-Stützpunkt Pearl Harbour am 7. Dezember 1941, wie offiziell behauptet, tatsächlich ein Überraschungsangriff war. Es gibt Hinweise, die auf Vorwissen und eine „Verschwörung“ hindeuten (vgl. Elter 2005: 63 f.) und nahelegen, dass das Zulassen des verheerenden Angriffs bewusst als Grund für den Kriegseintritt genutzt wurde. Darauf bezieht sich Von Bülow. Ebd.: 00:13:30 ff. Ebd.: 00:15:50 ff. Ebd.: 00:16:20 ff. Ebd.: 00:16:50 ff. Ebd.: 00:19:10 ff. Ebd.: 00:25:00 ff. Ebd.: 00:34:50 ff. Ebd.: 00:28:00 ff. Ebd.: 00:43:00 ff. Ebd.: 00:47:00 ff. Ebd.: 00:53:00 ff. Ebd.: 00:17:50 ff., 00:29:50 ff. und 00:53:50 ff. Ebd.: 00:26:00 ff. und 00:28:30 ff. Ebd.: 00:42:00 ff. „Achtung Verschwörung! (Sternstunde Philosophie)“, hochgeladen im Kanal von „SRF Kultur“ am 26.06.17. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=tGGetEJvMcw (09.06.19). „Jedem seine Wahrheit – Verschwörungen und andere Theorien“, 06.02.2019, WDR, Online verfügbar unter: https://presse.wdr.de/plounge/wdr/programm/2019/02/20190206_bauerfeind_die_ show.html (20.03.19). https://www.hintergrund.de/medien/verschwoerungstheorien-einmal-anders-gert-scobel-moderierte-einen-selten-lichtblick-im-talkshow-einerlei/ (10.06.19). https://www.fr.de/kultur/tv-kino/verschwoerungstheorien-spur-11284046.html (10.06.19). „Die Macht der Verschwörung“, Zeit Online, 28.08.19. Online verfügbar: https://www.zeit.de/ wissen/2017-08/verschwoerungstheorien-chemtrails-erde-flach-gravitation (11.06.19). Ebd. FN-001. Ebd. AD-004. Ebd. Ebd. „Die Macht der Verschwörung“ AD-004. FN-002. Ebd. FN-003. https://www.zdf.de/dokumentation/zdfzoom/zdfzoom-trump-und-putin-komplott-gegen-amerika100.html (21.09.18). https://www.republik.ch/2019/04/13/die-methode-ganser (12.06.19). „Geopolitik Treffen voller Erfolg“, hochgeladen im Kanal von „Neue Horizonte“ am 17.08.09. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=tpO0tTihKWc (00:01:10 ff.) (06.09.18).
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Literatur und Quellen
ARD-Tagesthemen, 28.04.1986. Online verfügbar auf Youtube unter: „RAF - Verfassungsschutz GSG9 – Das Celler Loch - zum Buch „Die Todesnacht in Stammheim“, im Kanal von „Helge Lehmann-O‘Donnokoe“ am 11.02.12: https://www.youtube.com/watch?v=udLhUsP9FyY (00:40:00 ff.) (26.01.19). https://www.welt.de/politik/article3504512/Schwere-Krawalle-weit-weg-vom-Nato-Gipfel.html (22.03.19). Dieses für diese junge „Wahrheitsbewegung“ typische Ohnmachtsgefühl haben die (Truthrap-)Künstler*innen „Die Bandbreite“, „Morgaine“ und „Kilez More“ in dem gemeinsamen Track „Alles bleibt gleich“ verarbeitet: „Die Bandbreite feat. Morgaine & Kilez More: Alles bleibt gleich“, hochgeladen im Kanal von „diebandbreite“ am 30.04.15. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=e3GoVrV0368 (02.04.19). http://www.trend.infopartisan.net/trd0409/t340409.html (27.03.19). Jürgen Grässlin: Augenzeugen-Bericht aus Straßburg. In: Zivilcourage, Nr. 2 – Mai 2009, S. 9. Online verfügbar unter: http://www.juergengraesslin.com/09-02-Mai_Titelstory-zu-Strasbourg.pdf (27.03.19). https://www.motherjones.com/politics/2013/01/terror-factory-fbi-trevor-aaronson-book/ (02.04.19). „Gipfelstürmer – Die blutigen Tage von Genua (1/5)“, hochgeladen im Kanal von „MainSte“ am 21.05.08. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=VLJe4mm9yGA (5 Teile) (04.04.19). Dokumentierte Fälle enttarnter verdeckter Ermittler*innen in der linken Szene gibt es z. B. aus Hamburg, Heidelberg oder Hannover. Rafael Behr (2006: 80) kritisiert den „Korpsgeist“-Begriff als „eine zu globale Erklärung für konkrete Übergriffe“ innerhalb der Polizei. Eine solche „‘Allianz des Schweigens‘“ (ebd.: 92) weist er als Erklärung zwar nicht zurück, will sie jedoch eher auf „die Zugehörigkeit zu abgeschlossenen Sub-Gruppen, wie z. B. „BFE-Trupps“, oder „Sondereinheiten, die in der Lage sind, Zugangsbeschränkungen zu ihrer inneren Struktur erfolgreich zu etablieren“ angewendet wissen (ebd.: 94). Siehe zur Strafverfolgung von Polizeigewalt etwa hier: https://www.deutschlandfunkkultur.de/ polizeigewalt-korpsgeist-und-mauern-des-schweigens.1005.de.html?dram:article_id=444603 sowie http://www.spiegel.de/panorama/justiz/polizeigewalt-warum-polizisten-selten-konsequenzen-befuerchten-muessen-a-1237044.html (31.03.19). http://www.spiegel.de/politik/deutschland/g-8-demonstrationen-polizei-bestaetigt-einschleusenvon-zivilbeamten-a-487487.html (31.03.19). Ebd. http://www.spiegel.de/politik/deutschland/g-8-proteste-gipfel-der-geruechte-und-propaganda-a487262.html (31.03.19). Feindbild Demonstrant. Polizeigewalt, Militäreinsatz, Medienmanipulation. Der G8-Gipfel aus Sicht des Anwaltlichen Notdienstes. Herausgegeben von: Republikanischer Anwältinnen -und Anwälteverein e.V. (RAV) Legal Team, S. 123. Online verfügbar unter: https://www.assoziationa.de/dokumente/Legal%20Team_RAV_Feindbild%20Demonstrant.pdf (31.03.19). Ebd.: 125. Ebd.: 104. Ebd.: 104. Ebd. http://www.kritische-polizisten.de/themen/s21/dokumente/abendblatt_2010-10-18.pdf (31.03.19). Ebd. https://www.tagesspiegel.de/politik/wolfgang-schorlau-der-protest-wird-in-die-flaeche-getragen/1944746.html (31.03.19). „Monitor - Stuttgart 21 Warum die Polizei wirklich so hart zuschlug 21.10.10“, hochgeladen im Kanal von „BeautyOfBeings“ am 21.10.10. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/ watch?v=k_3cxOvNyHc (00:05:00 ff.) (31.03.19).
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Ebd.: 00:07:00 ff. Ebd.: 00:08:00 ff. http://www.taz.de/!5133691/ (31.03.19). Ebd. https://web.archive.org/web/20101122094647/http://www.kritische-polizisten.de/stuttgart_21/pressemitteilung_stuttgart-21_2010-10-23.pdf (31.03.19). „Feindbild Demonstrant. …“ https://www.globalresearch.ca/g20-toronto-riots-perpetrated-by-agents-provocateurs-of-the-police/20110 (01.05.20). „Rote Ohren“, in: Der Spiegel Nr. 18/1986, S. 24 f. Online verfügbar unter: http://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/13518912 (26.01.19). Wobei der Begriff „Armee“ missverständlich ist, da die Truppenverbände in der Regel pro Zelle aus einer Hand voll verdeckter Krieger bestanden. Vgl. dazu Ganser (2008 [2005]: 317): „Überrollagenten“ wurden von der Stasi Agenten genannt, die „sich auf eine Invasion der Staaten des Warschauer Paktes vorbereiten und ausgebildet wurden, subversive Aktionen im Rücken des Feindes durchzuführen.“ „Operation Northwoods“-Dokument. In: U.S. Joint Chiefs of Staff, „Justification for U. S. Military Intervention in Cuba (TS)“, U.S. Department of Defense, 13. März 1962. Online verfügbar unter: https://nsarchive2.gwu.edu//news/20010430/northwoods.pdf (04.04.19). „Operation Northwoods…“, S. 2. Ebd., S. 8. Ebd., S. 8 f. Ebd. „overt and covert military operations“ mit „para-military aspects“, S. 6. Ebd., S. 5. Ebd. Ebd., S. 7. Ebd., S. 9. „Operation Northwoods…“, S. 10 f., Hervorhebungen von A. S. Vgl. Wilson (2015: 47, FN 37). Siehe auch James Bamford: http://www.newsatelier.de/html/ bamfordinterview.html (04.04.19). „AKTENZEICHEN 11. 9. UNGELÖST – LÜGEN UND WAHRHEITEN ZUM 11. SEPTEMBER 2001 (WDR) – Original“, hochgeladen im Kanal von „ChemTrailPetition“ am 05.05.11. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=vjx-PSh8FN8&feature= youtu.be (00:34:00 ff.) (04.04.19). „BACK:STAGE Verschwörungen: Theorie und Praxis“, hochgeladen im Kanal von „Kommon“ am 11. Mai 2019. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v= L_J8iZIUdEk (00:26:00 ff.) (14.05.19). In sehr vielen Diskussionen und Vorträgen (zu 9/11, Krieg und Terrorismus) geht er auf das „Northwoods“-Dokument ein. Er erwähnt es auch in seinem Buch „Illegale Kriege (2016: 106). Hier https://www.addendum.org/kern/ und hier https://www.n-tv.de/politik/Osterreichs-Wahlkampf-driftet-ins-Absurde-article20072784.html (14.05.19). Hier https://www.welt.de/politik/deutschland/article164209431/Das-steht-in-den-Hass-Notizenvon-Franco-A.html und hier https://www.neues-deutschland.de/artikel/1108128.schattenarmeein-der-bundeswehr-die-einlasskontrollen-haben-versagt.html (14.05.19). https://web.archive.org/web/20131113123527/https://www.rt.com/shows/the-truthseeker/operation-gladio-usa-terrorism-565/ (14.05.19). „BREAKING! Russia Today: 9/11 was a False Flag Attack“, hochgeladen im Kanal von „DisclosureTV“ am 20.09.13. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=5pYlfFW-20w (14.05.19). Eine andere Kopie findet sich hier: „9 11 OPERATION GLADIO“, hochgeladen im Kanal von „topinfopost“ am 21.04.16. Online: https://www.youtube.com/watch?v=h9MBi-W-JtI (14.05.19). Das Video ist auch auf Dailymotion zu finden: „9/11 and operation Gladio – Russia
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Literatur und Quellen
Today“, hochgeladen im Kanal von „jackyshow38“ am 11.09.13. Online verfügbar unter: https://www.dailymotion.com/video/x14kn0n (14.05.19) sowie auf der russisch-sprachigen VideoPlattform Rutube: „RT – Daniel Bushell: The Truthseeker EP23 – 9/11 & Operation Gladio (Russia Today)“, hochgeladen im Kanal von „Alien Hoax“ am 30.10.16. Online verfügbar unter: https://rutube.ru/video/d6d47f77a5113a627f8edebc50028fbc/ (14.05.19). Infokrieg.tv-Radiosendung vom 02.09.09. Online: https://infokriegradio.wordpress.com/tag/ daniele-ganser/ (05.03.19). „TREE.TV 2 mit Heiko Schöning“, hochgeladen im Kanal von „KenFM“ am 10.02.19. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=i7BOEcSjRPE (00:35:30 ff.) (14.05.19). Ebd.: 00:37:00 ff. „BACK:STAGE Verschwörungen: Theorie und Praxis“, hochgeladen im Kanal von „Kommon“ am 11. Mai 2019. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v= L_J8iZIUdEk (00:09:00 ff.) (14.05.19). Siehe dazu Ganser (2008 [2005]: 193, 221, 361, 371). https://www.deutschlandfunk.de/das-magazin-rubikon-journalistischer-grenzgaenger.2907.de.html?dram:article_id=390378 (14.05.19). https://www.rubikon.news/artikel/sabotierte-untersuchungen (14.05.19). https://www.theguardian.com/us-news/2018/feb/21/crisis-actors-deep-state-false-flag-the-rise-ofconspiracy-theory-code-words (24.08.18). „Die Bandbreite: Unter falscher Flagge“, hochgeladen im Kanal von „diebandbreite“ am 26.01.09. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=c9I5hyyjkPQ (02.04.19). „Kilez More – Leben und Tod des Imperialismus [Official HD Video]“, hochgeladen im Kanal von „Kilez More“ am 24.03.15. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v= M7IjJiZUutk (02.04.19). Ebd. „Die Bandbreite: Selbst gemacht“, hochgeladen im Kanal von „diebandbreite“ am 09.07.07. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=fJXfEbwYsp0 (02.04.19). https://www.songtexte.com/songtext/die-bandbreite/selbst-gemacht-1bba213c.html (02.04.19). Fenster (1999: xi). https://www.psiram.com/de/index.php/Truther (09.05.19). https://web.archive.org/web/20061006105204/http://www.whitehouse.gov/nsc/nsct/2006/sectionV.html (09.05.19). https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/goldener-aluhut-das-sind-die-absurdesten-verschwoerungstheorien-a-1060365.html (09.05.19). https://www.independent.co.uk/news/people/obituary-allan-francovich-5569972.html (23.05.19). „Mark Lombardi – Kunst und Konspiration (Dokumentation)“, hochgeladen im Kanal von „6aus49“ am 16.03.14. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=63e YXqbXLtg (23.05.19). Sie bezeichnete Newsweek 2017 Wladimir Putin. Die Assoziation passt insofern auch zu „Verschwörungstheoretikern“, wie Mathias Bröckers, die ihn ‚verstehen‘ und damit mit ihm identifiziert sind. Siehe hier: https://www.broeckers.com/2014/07/26/wer-keine-fakten-hat-dem-bleibthetze/ (23.05.19). Interview Bröckers 00:17:00 ff. „Kilez More – Systemfeind [Musikvideo I Kurzfilm]“, hochgeladen im Kanal von „Kilez More“ am 26.08.15. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=jnRsyDUkwUE (04.09.18). „Mythos Verschwörung? (3sat Scobel mit Daniele Ganser, Andreas von Bülow, Thomas Grüter)“, hochgeladen im Kanal von „WikiTHEK“ am 16.04.16. Online: https://www.youtube. com/watch?v=isDq_o7Kc34 (00:09:50 ff.) (13.01.19). http://www.arbeiterfotografie.com/galerie/kein-krieg/hintergrund/index-rezension-3a.html (03.06.19).
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„Panoptikum des Absurden“, in: Der Spiegel 37/2003, S. 62. Online verfügbar unter: https://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/28530325 (03.06.2019). https://www.zeit.de/2003/38/Verschw_9arung (13.01.19). So das Motto von Mathias Bröckers auf seiner Webseite: „Question Authority – Think For Yourself“ – eine Parole seines geistigen Mentors Timothy Leary. https://www.zeit.de/2003/38/Verschw_9arung (13.01.19). https://www.zeit.de/2003/38/Verschw_9arung/komplettansicht (15.03.19). https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2018-04/verschwoerungstheorien-sprache-forschung-germanistik-soeren-stumpf (03.06.19). https://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/9-11-verschwoerungstheorien-flugzeuge-im-kopf-a783641.html (23.05.19). „Die September-Lüge“, in: Der Spiegel Nr. 42/2002, S. 76 ff. Online verfügbar unter: https://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/25448065 (23.05.19). Ebd.: „Was für manchen Rechten die ‚Auschwitz-Lüge‘ ist, könnte für manchen Linken die ‚September-Lüge‘ werden. Eine verdrängte Wahrheit, um die Weltanschauung nicht verändern zu müssen.“ Siehe https://www.ruhrbarone.de/doktor-axel-stoll-ist-tot/85311 (28.05.19). Im Folgenden: FB010. https://de.wikipedia.org/wiki/Axel_Stoll (28.05.19). Weitere Auszeichnung stellen das „Goldene Brett vorm Kopf“ oder der „Pigasus Award“ dar. https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/goldener-aluhut-das-sind-die-absurdesten-verschwoerungstheorien-a-1060365.html und https://www.deutschlandfunk.de/verleihung-des-goldenen-aluhuts-preis-fuer-die-skurrilste.807.de.html?dram:article_id=335679 (28.05.19). Während Axel Stoll in der „conspiracy community“ selbst weder nennenswerte Anhänger*innen noch einen hohen Bekanntheitsgrad hat – der Autor selbst ist auf ihn erst durch „Skeptiker“ aufmerksam geworden –, wird er im anti-verschwörungstheoretischen Diskurs als Inbegriff des „Verschwörungstheoretikers“ gefeiert. Auf Youtube finden sich Stoll-Videos mit hohen Klickzahlen – allerdings nur solche seiner Gegner, die ihn als „Verschwörungstheoretiker“ stigmatisieren und popularisieren. https://de.wikipedia.org/wiki/Xavier_Naidoo#Liedtexte (21.09.18). Vgl. AD-036, AD-037. Vgl. https://www.deutschlandfunk.de/verleihung-des-goldenen-aluhuts-preis-fuer-die-skurrilste. 807.de.html?dram:article_id=335679 (28.05.19). FB-010. Ebd. „VT“ steht hier als Abkürzung für „Verschwörungstheoretiker“ und wurde genau in dieser abgekürzten Form von dem Beteiligten benutzt. FB-010. „KenFM im Gespräch mit: Dr. Daniele Ganser (Dezember 2014)“, hochgeladen im Kanal von „KenFM“ am 28.01.15. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v= PH3FnTXqGCw (00:01:00 ff.) (31.05.19). Siehe FN-006. „Der erbitterte Streit um den 11. September“, Tages-Anzeiger, 9. September 2006, S. 10. Online verfügbar unter: https://www.danieleganser.ch/assets/files/Inhalte/Publikationen/Zeitungsartikel/GanserDererbitterteStreitumden11.SeptemberTagesAnzeiger9.Sept2006.pdf (28.05.19). Ebd. Es ist erwähnenswert, dass Ganser hier methodisch nichts anderes macht, als eine „funktionale These“ (= LIHOP) einer „intentionalen These“ (= MIHOP) entgegenzusetzen, wie es im historisch-akademischen Diskurs um den Reichstagsbrand (vgl. Kap. 3.1.4) auch der Fall ist. Ebd. https://www.woz.ch/-768a (30.07.18). „Verschwörungs-Theoretiker: Amerikaner wehren sich“, SonntagsBlick, 17. September 2006, S. 30.
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Literatur und Quellen
Ebd. „MIND AWARD für daniele ganser – NATO strukturen und deutsche mitgliedschaft“, hochgeladen im Kanal von „arbeiterfotografie“ am 18.04.19. Online verfügbar unter: https://www.youtube. com/watch?v=vAnDY23GySs (30.05.19). Siehe hier https://www.rubikon.news/artikel/wer-hat-in-syrien-giftgas-eingesetzt (30.05.19) und hier https://www.rubikon.news/artikel/kriegsmedien (30.05.19). https://www.journalist-magazin.de/hintergrund/ein-star-der-gegenoeffentlichkeit (29.05.19). „Terror, Lüge und Wahrheit – Podiumsdiskussion im Scala Basel am 3.3.2018“, hochgeladen im Kanal von „KenFM“ am 09.05.18. Online verfügbar unter: https://youtu.be/u730_dCSBzo (00:26:25 ff.) (28.07.18). „Medial vermittelte Feindbilder und die Anschläge vom 11. September 2001 – Vortrag von Daniele Ganser“, hochgeladen im Kanal von „KenFM“ am 03.02.15. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=cgkQXJ3mugY (29.05.19). https://www.vice.com/de/article/43e8m3/wir-haben-die-besucher-eines-fake-news-events-gefragt-ob-sie-medien-vertrauen (29.05.19) Laut Truzzi (1981: 251) handelt es sich bei solchen „Anomalien“ um „Befunde, die sich mit unseren gängigen Vorstellungen von den Funktionen und Gesetzen der Welt nicht vereinbaren lassen“. Truzzis Verweis auf das im Rahmen systematischer Anomalie-Forschung typische Stadium von „Protowissenschaften“ kann durchaus auch auf das Paradigma der Tiefenpolitik von Scott (1993) bzw. Parapolitik von Wilson (2009, 2015) übertragen werden. Siehe dazu Knoblauch (2018). „Dr. Daniele Ganser: WTC7 – Feuer oder Sprengung?“, hochgeladen im Kanal von „KenFM“ am 19.01.18. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=abibQYrh5ME (29.05.19). „Illegale Kriege: Türkei und Syrien, Dr. Daniele Ganser an der Universität in Köln (03.06.2017)“, hochgeladen im Kanal von „eingeSCHENKt.tv“ am 13.06.17. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=dvSrNjUorn4 (29.05.19). „Aufwachen mit Daniele Ganser in 14 Minuten“, hochgeladen im Kanal von „Phoenix Division“ am 11.0218. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=kpuemTD-XI4 (29.05.19). https://www.journalist-magazin.de/hintergrund/ein-star-der-gegenoeffentlichkeit (29.05.19). https://www.republik.ch/2019/04/13/die-methode-ganser (29.05.19). https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/verschwoerungsstar-verliert-lehrauftrag-auch-uni-stgallen-laesst-daniele-ganser-fallen-132406642 (30.05.19). https://www.welt.de/politik/deutschland/plus177035264/Historiker-Daniele-Ganser-begeistertmit-Verschwoerungen.html (30.05.19). https://www.republik.ch/2019/04/13/die-methode-ganser (29.05.19). https://www.aargauerzeitung.ch/panorama/people/medienpionier-roger-schawinski-das-entscheidende-bei-ganser-ist-nicht-sein-narzissmus-sondern-sein-fanatismus-132405714 (29.05.19). „Terror, Lüge und Wahrheit – Podiumsdiskussion im Scala Basel am 3.3.2018“, hochgeladen im Kanal von „KenFM“ am 09.05.18. Online verfügbar unter: https://youtu.be/u730_dCSBzo (00:41:40 ff.) (27.07.18). FN-006. https://www.aargauerzeitung.ch/panorama/people/medienpionier-roger-schawinski-das-entscheidende-bei-ganser-ist-nicht-sein-narzissmus-sondern-sein-fanatismus-132405714 (29.05.19). https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/verschwoerungsmystiker-wie-der-basler-daniele-ganser-kapern-rudolf-steiner-bewegung-132179380 (29.05.19). https://www.mindaward.com/start.html (30.05.19). Uffa Jensen über Wut, Hass & Angst – Jung & Naiv: Folge 370“, hochgeladen im Kanal von „Tilo Jung“ am 01.07.18. Online verfügbar unter: https://youtu.be/jkFhqNTAiOs (01:12:30 ff.) (02.07.18).
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Siehe FB-001. Redigierungen für einen Kolloquiumsvortrag am 19. Mai 2018 in eckigen Klammern. Nachträglich Redigierung 22. April 2019: Grammatik und formale Veränderungen. Wörtliche Zitate in doppelten Anführungszeichen. „What the Facts ?! (6) Wahn oder Wahrheit“, In: WOXX Nr. 1422, 5. Mai 2017, S. 10–11. Online verfügbar unter: https://www.woxx.lu/serie-what-the-facts-6-wahn-oder-wahrheit/ (22.04.19). Siehe dazu Anton u. a. (2014: 16): „Verschwörungen […] unterscheiden sich von Verschwörungstheorien zunächst einmal lediglich durch den Grad ihrer gesellschaftlichen Anerkennung.“ https://www.welt.de/politik/deutschland/plus189216373/Giulia-Silberberger-Eine-Frau-imKampf-gegen-Verschwoerungstheorien.html (22.04.19). Fenster (1999: xi). „Verschwörungstheorien: Was hilft?“, in: Der Standard Online, Ingo Petz, 30. April 2018. Online verfügbar unter: https://www.derstandard.de/story/2000078801180/verschwoerungstheorien-was-hilft (23.04.19). „Verschwörungstheorien: Was hilft? …“ Die „absurde“ Verschwörungstheorie“ ist ein häufiges Prädikat im anti-verschwörungstheoretischen Diskurs. Der Topos der „Lieblingsverschwörungstheorie“ wird im Kommentarbereich des Artikels auch von einer Moderatorin, Corinna Crestani (Kürzel „crest“), des Forums augenzwinkernd an die User*innen-Community gerichtet: „Liebe UserInnen, welche sind Ihre liebsten Verschwörungstheorien? Mein all-time Favorit: JayZ ist ein zeitreisender Vampir. Weil, wieso auch nicht?) (crest)“ Eine naheliegende hermeneutische Vermutung, die aber an diesem Material schwer zu überprüfen ist, wäre, dass David Ickes Theorien für Butter gerade deshalb „sympathisch“ sind, weil sie „harmlos“ sind und daher, anders als die ernsten politischen Theorien zu 9/11, Terrorismus usw. leichter ins Reich der Fantasie und Fiktion verbannt werden können, die kognitive Dissonanzreduktion erleichtern und Irritationen vermeiden. Dabei ist auch die semantische Nähe zum ‚Schmutz‘-Diskurs zu beachten, der ebenfalls die Deutungen der alternativen Öffentlichkeit prägt. Auch zu beachten ist hierbei die Nähe zum Impf-Diskurs. Das „Impfen“ bzw. die „Impfkritik“ sind im Diskurs über Verschwörungstheorien Topoi die mit „System“-Zwängen bzw. „Verschwörungstheorien“ assoziiert sind. Aus Platzgründen kann auf diesen Diskurs hier nicht näher eingegangen werden. Zur „Pathologisierung“ und zu „toxischen“ Diskursen vgl. „‚Stigmatisierung statt Aufklärung‘ – Dr. Ansgar Schneider“, hochgeladen im Kanal von „Gruppe42“ am 08.05.19. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=wpNffO6g_40 (00:20:00ff, 01:17:00 ff.) (30.05.19). Vgl. Schetsche (2013). Diese „Sorge“ über das Erstarken von „Verschwörungstheorien“ erlebe ich auch bei öffentlichen und Hintergrund-Gesprächen auf dem Kongress „Der goldene Aluhut“ (siehe FB-010). Dies steht sowohl im Kontrast zur Forschungsagenda des „COMPACT“-Projekts (s. u.) wie auch zum Gebot gesättigter Theoriebildung und empirisch-begründeter Forschung (vgl. Fenster 1999: xiii). Nutzer*innen-Kommentar von „Nomje“ am 30. April 2018, 08:11:33 Uhr, in: „Verschwörungstheorien: Was hilft? …“ Mäeutik, d. h. die sokratische Kunst des ‚gebärenden‘ zweifelnden Fragestellens, wird dabei als eine Form von Dozieren verstanden, in welcher der „Skeptiker“ die Wahrheit (meist ist die Rede von „Fakten“) bereits kennt und nur noch durch das geschickte Stellen von Fragen deren ‚Geburt‘ im Gegenüber erleichtert. Glaser/Strauss (1967: 22). „No Word Order – Wie antisemitische Verschwörungsideologien die Welt verklären“, Amadeu Antonio Stiftung, 2014 S. 39. Online verfügbar unter: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/w/files/pdfs/verschwoerungen-internet.pdf (20.04.19). Ebd., S. 39 f. Die folgenden drei Punkte sind wörtlich übernommen. Ebd., S. 25 ff. Ebd. S. 39.
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Literatur und Quellen
AD-035: 00:08:50 ff. und 00:11:20 ff. Ebd.: 00:01:30 ff. Ebd. Vgl. z. B. die Sendung „Jedem seine Wahrheit ...“: 00:32:00 ff. oder die Sendung „Verschwörungstheorien – Leben im Wahn“: 00:33:00 ff. Auch das Deutungsmuster der „Hilfe“ für (von Verschwörungstheorien) Betroffene, wie es zum Leitsatz des „Goldenen Aluhut“ gehört, zeugt von einem gewissen Mitleid. Ebd.: 00:13:00 ff. Ebd.: 00:02:20 ff. Ebd.: 00:15:30 ff. Ebd.: 00:10:00 ff. AD-026. Ebd. Siehe dazu auch die Publikation des Debunkers Mick West (2018), der die ‚Theorien‘, die er zu widerlegen versucht, ebenfalls unter dem Label „bullshit“ zusammenfasst. FB-010. https://www.gwup.org/component/content/article/19 (29.07.18). https://www.zeit.de/1999/05/199905.glosse_5_.xml (29.07.18). https://www.gwup.org/infos/themen-nach-gebiet/113-skeptikerorganisationen/306-zum-rauswurf-von-edgar-wunder-aus-der-gwup (02.05.19). https://www.gwup.org/infos/themen-nach-gebiet/49-verschwoerungstheorien?catid=72%3Averschwoerungen (29.07.18). Ebd. https://blog.gwup.net/2017/04/15/daniele-ganser-und-der-unsinnige-galilei-vergleich/ (13.05.19). https://de.wikipedia.org/wiki/Bernd_Harder (29.07.18). https://www.gwup.org/who-is-who/865-harder-bernd (29.07.18). https://www.sueddeutsche.de/digital/aufklaerung-im-internet-diese-menschen-lassen-die-luftaus-verschwoerungstheorien-1.3288663 (29.07.18). https://blog.gwup.net/2017/02/14/verschworungstheorien-und-online-hass-gwup-bei-europaratausschuss-in-berlin/ (29.07.18). Siehe hier: https://blog.gwup.net/tag/daniele-ganser/ – 17 Beiträge in der Kategorie „Daniele Ganser“, Zeitraum 03.11.15–14.04.19. Die Beiträge wurden nach folgenden vier Merkmalen untersucht: 1.) Darstellung der Person Daniele Gansers; 2.) Darstellung und Debunking seiner inhaltlichen Aussagen und Thesen; 3.) die Konstruktion der eigenen Experten, Referenzen und Quellen; 4.) die GWUP-Darstellung von Daniele Gansers Publikum. Es gibt auf dem GWUP-Blog ein eigenes Tag zu „Daniele Ganser“, das seit dem 3. November 2015 bisher 15 Einträge hat (13.05.19), wobei sieben, also die Hälfte davon, aus dem Jahr 2018 stammen (Januar bis Juli), was einer rasanten Bedeutungszuwachs Gansers für die Skeptikerbewegung entspricht. Ausnahmslos alle diese Beiträge sind pejorativ und diskreditierend auf einer nicht nur sachlichen Ebene. Seit Januar 2018 veröffentlicht ein Youtube-Kanal der Skeptikerbewegung regelmäßig Debunking-Videos zu Daniele Ganser, die von Harder verlinkt werden. Auch der „Skeptiker“ Sebastian Bartoschek tritt dort auf und nennt Daniele Ganser in einem Atemzug mit dem „verstorbenen Holocaustleugner“ [gemeint ist David Irving], dessen Namen ihm in dem Moment nicht einfällt: „GANSER stellt sich nicht, KOLLEGAHs Pizza-Gate, UNGEs Chemtrails. Dr. Bartoschek im Gespräch. 2018“, hochgeladen im Kanal von „Verschwörungs & Fakten“ am 25.05.18. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=BdKrGw9ENuU (00:06:00 ff.) (29.07.18). Siehe auch hier: http://de.euronews.com/2017/01/06/interview-verschwoerungstheorien-sind-in-der-mitte-der-gesellschaft-angekommen (29.07.18). In dem Blog-Beitrag „Daniele Ganser – Esoteriker?“ schreibt Harder über Gansers „neueste Eskapaden“, zu denen er eine Veranstaltung mit einem spirituellen Kinderstar aus der alternativen Szene zählt, so als sei das an sich schon ein diskreditierender ‚Fakt‘ (was für das „Skeptiker“Publikum vielleicht auch zutrifft) und unterstellt Ganser „mit seinem Geschäftsmodell
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expandieren“ von den „Verschwöris“ zu den „(ähnlich leichtgläubigen) Esoteriker[n]“ „expandieren“ zu wollen: https://blog.gwup.net/2018/07/18/daniele-ganser-esoteriker/ (29.07.18). Die zynische Bezeichnung als „Herrn Doktor“ etwa hier: https://blog.gwup.net/ 2018/06/29/neuer-ganser-check-gibt-es-ueber-2700-architekten-die-an-9-11-zweifeln/ (12.05.19) oder „Doktor Ganser“ hier: https://blog.gwup.net/2018/04/14/video-daniele-ganser-und-seinglaubwuerdigkeitsproblem/ (12.05.19) und an anderen Stellen. https://blog.gwup.net/2018/07/18/daniele-ganser-esoteriker/ (12.05.19). https://blog.gwup.net/2018/06/11/daniele-ganser-der-verschwoerungs-praktiker/ (12.05.19). https://blog.gwup.net/2018/03/11/neu-nichts-ist-wie-es-scheint-ueber-verschwoerungstheorienvon-michael-butter/ (12.05.19) Ebd. https://blog.gwup.net/2018/06/29/neuer-ganser-check-gibt-es-ueber-2700-architekten-die-an-911-zweifeln/ (12.05.19). https://blog.gwup.net/2018/07/18/daniele-ganser-esoteriker/ (12.05.19). Siehe hierzu die semantische Parallele zu „Doktor Axel Stoll“: https://www.ruhrbarone.de/ doktor-axel-stoll-ist-tot/85311 (28.05.19). https://blog.gwup.net/2018/02/17/video-dr-ganser-im-faktencheck-teil-iv/ (12.05.19). https://blog.gwup.net/2018/01/29/videos-daniele-gansers-phraseologie-im-faktencheck/ (12.05.19). Einen Jargon der „Entlarvung“ (= „entlarvt“) gegenüber Ganser bedient auch Butter (2018). https://blog.gwup.net/2018/07/18/daniele-ganser-esoteriker/ (12.05.19). https://blog.gwup.net/2018/04/14/video-daniele-ganser-und-sein-glaubwuerdigkeitsproblem/ (12.05.19). Ebd. Gleiches suggeriert auch Butter: https://www.republik.ch/2019/04/13/die-methode-ganser (30.05.19). https://blog.gwup.net/2018/07/18/daniele-ganser-esoteriker/ (12.05.19). Bemerkenswerterweise verwendet der Blog dieselbe Methode: https://blog.gwup.net/2018/08/12/ hat-ein-physik-fachjournal-die-sprengung-von-wtc-7-bestaetigt/ (12.05.19). Auch dieses Argument gegen Ganser bringt Butter (2018). https://blog.gwup.net/2018/07/18/daniele-ganser-esoteriker/ (12.05.19). https://blog.gwup.net/2018/04/14/video-daniele-ganser-und-sein-glaubwuerdigkeitsproblem/ (13.05.19) „Ist Daniele Ganser vertrauenswürdig?“, hochgeladen im Kanal von „Spassbremse“ am 12.04.18. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?time_continue=620&v=jx3IPb25_Pk (00:09:00 ff.) (13.05.19). Ebd.: 00:10:00 ff. Ebd.: 00:11:30 ff. Ebd.: 00:12:00 ff. https://blog.gwup.net/2018/04/14/video-daniele-ganser-und-sein-glaubwuerdigkeitsproblem/ (12.05.19). „Daniele Ganser: Eine Richtigstellung“, hochgeladen im Kanal von „Spassbremse“ am 14.04.18. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?time_continue=12&v=sF6RgDbK7Kw (00:10:00 ff.) (13.05.19). Ebd.: 00:11:00 ff. Ebd.: 00:12:00 ff. Die gleiche Nihilierungs-Strategie wendet, wie erwähnt, auch Butter (2018) an, indem er systematisch Fachliteratur und damit den gegenwärtigen Forschungsstand über „Verschwörungstheorien“ verschweigt (vgl. Anton/Schink 2019). „Daniele Ganser: Eine Richtigstellung“, hochgeladen im Kanal von „Spassbremse“ am 14.04.18. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?time_continue=12&v=sF6RgDbK7Kw (13.05.19).
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Literatur und Quellen
Dabei wirbt der GWUP-Blog-Autor genau für einen solchen: https://blog.gwup.net/2019/04/29/ verschwoerungstheorien-toxischer-vs-gesunder-zweifel/ (13.05.19). Butter nutzt hier den Begriff der „Lichtgestalt“: https://www.republik.ch/2019/04/13/die-methodeganser (30.05.19). https://blog.gwup.net/2017/04/15/daniele-ganser-und-der-unsinnige-galilei-vergleich/ (13.05.19). https://blog.gwup.net/2018/07/18/daniele-ganser-esoteriker/ (13.05.19). https://blog.gwup.net/2017/06/10/daniele-ganser-fans-und-ihr-posterboy-selbstverschuldete-unwissenheit/ (13.05.19). Ebd. https://blog.gwup.net/2017/07/28/wer-zum-teufel-ist-ariana-verschworungstheorien-in-derschule-und-die-ganser-wahrheit/ (13.05.19). https://blog.gwup.net/2018/07/18/daniele-ganser-esoteriker/ (13.05.19). https://blog.gwup.net/2019/04/14/verschwoerungstheorien-michael-butter-ueber-die-methodeganser/ (13.05.19) „Ist Daniele Ganser vertrauenswürdig?“, hochgeladen im Kanal von „Spassbremse“ am 12.04.18. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?time_continue=620&v=jx3IPb25_Pk (13.05.19). https://blog.gwup.net/2017/02/14/verschworungstheorien-und-online-hass-gwup-bei-europaratausschuss-in-berlin/ (07.05.20). Das zeigt etwa auch das Beispiel von Julia Schramm, einer damaligen „Hate Speech“-Beauftragten der Amadeu Antonio Stiftung, die selbst mit einigen Hass-Postings für mediales Aufsehen und Erregung sorgte. Siehe dazu auch Bergmann (2000). https://www.br.de/puls/themen/popkultur/psiram-interview-100.html (01.08.18) Siehe etwa hier: http://www.esowatch.de/der-kreuzzug-gegen-das-paranormale (01.08.18) und hier: http://www.borderlands.de/net_pdf/NET0318S44-45.pdf (17.05.19). https://www.br.de/puls/themen/popkultur/psiram-interview-100.html (01.08.18) Ebd. Ebd. „Zensur – Die organisierte Manipulation der Wikipedia und anderer Medien“, hochgeladen im Kanal von „fiedleraudio“ am 18.10.17. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=HH-Ym-an2xw (00:50:00 ff.) (17.05.19). „Die ‚Bandbreite‘ Wojna zum Weltgeschehen bei Jo Conrad |Bewusst.TV 1.10.2014“, hochgeladen im Kanal von „satsang – full“ am 02.10.14. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/ watch?v=6EhXsIIZ26s (00:06:50 ff., H.v. A. S.) (17.05.19). Micha Brumlik bezeichnet das Prinzip der „Kontaktschuld“ als „demagogisches Prinzip“, welches „in den 1950er-Jahren in den USA und auch in den 1970er-Jahren in der Bundesrepublik Deutschland, der Epoche der „Berufsverbote“ den liberalen Diskurs zerstört hat […]: Hat jemand oder eine Gruppe auch nur den geringsten persönlichen Kontakt zu einer als feindlich definierten Gruppe beziehungsweise ihr nahestehenden Personen, dann gilt als ausgemacht, dass die Person oder Gruppe selbst eins zu eins identisch mit der kritisierten und abgelehnten Person oder Gruppe ist.“ http://www.taz.de/Kommentar-Goettinger-Friedenspreis/!5575309/ (30.05.19). https://www.sonnenstaatland.com/ (17.05.19). https://de-de.facebook.com/GenFM/ (17.05.19). https://www.facebook.com/friedensdemowatch/ (17.05.19). https://de-de.facebook.com/pg/GenFM/about/?ref=page_internal (30.05.19). https://blog.fefe.de/?ts=a63b6260 (03.08.18). https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_meistaufgerufenen_Websites (30.05.19). https://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia (12.01.19). Ebd. Dass 9/11 ein guter Prüfstein zur Untersuchung diskursiver Aushandlungsprozesse in der Wikipedia ist, hat schon Pentzold (2007) erkannt und genutzt.
Anmerkungen
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„Wikipedia als Rufmordwerkzeug gegen Parteimitglieder von ‚die Linke‘ |#09 Wikihausen“, hochgeladen im Kanal von „Gruppe42“ am 15.08.18. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=-dpTmlGZf5s (00:44:00 ff.) (15.08.18). https://www.purdue.edu/newsroom/releases/2017/Q4/results-of-wikipedia-study-may-surprise.html (10.01.19). https://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia (01.06.19). https://de.wikipedia.org/wiki/Kritik_an_Wikipedia (01.06.19). „wikihausen“, Youtube-Kanal, beigetreten am 14.04.19. Online verfügbar unter: https://www. youtube.com/channel/UCQWqzh6Wcc_2mkBJ5sy3SqA/about (20.06.19) http://www.filmstarts.de/kritiken/247472/trailer/19558377.html (12.01.19). Daniele Ganser (2014): „Die Terroranschläge vom 11. September 2001 und der "Clash of Civilizations": Warum die Friedensforschung medial vermittelte Feindbilder hinterfragen muss“. Online verfügbar unter: https://timms.uni-tuebingen.de/tp/UT_20141215_001_rvclash_0001?starttime=0 (01.06.19). Ebd. „KenFM zeigt: Die dunkle Seite der Wikipedia“, hochgeladen im Kanal von „KenFM“ am 21.10.15. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=wHfiCX_YdgA (01.06.19). „KenFM im Gespräch mit: Dr. Daniele Ganser (Dezember 2014)“, hochgeladen im Kanal von „KenFM“ am 28.01.15. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v= PH3FnTXqGCw (00:59:00 ff.) (31.05.19). https://de.wikipedia.org/wiki/Daniele_Ganser (01.06.19). https://de.wikipedia.org/wiki/Diskussion:Daniele_Ganser/Archiv/004 (15.06.19). https://de.wikipedia.org/wiki/Diskussion:Rainer_Meyer (15.06.19). Dabei zeigt sich gerade Telepolis, das schon länger als die Wikipedia (im Internet) existiert, in Bezug auf „Verschwörungstheorien“ und politische Debatten als pluralistisch und ermöglichender Debattenraum (vgl. Schink 2016a: 207 ff.). E-013. Ebd. https://de.wikipedia.org/wiki/Daniele_Ganser (12.06.19). „Die dunkle Seite der Wikipedia […]. Das vollständige Skript zum Film“, S. 2. Online verfügbar unter: http://www.terzmagazin.de/uploads/die-dunkle-seite-der-wikipedia286-skript-vers13dina6-klein.pdf (12.01.19). Siehe dazu: „BACK:STAGE Verschwörungen: Theorie und Praxis“, hochgeladen im Kanal von „Kommon“ am 11. Mai 2019. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v =L_J8iZIUdEk (01:00:00 ff.) (14.05.19). FB-002. „Zensur […] Filmskript von Markus Fiedler. Version 186, Revision 5 vom 11.09.17“, S. 10. Online verfügbar unter: http://terzmagazin.de/wp-content/uploads/2017/01/zensur-filmskript-fiedler-vers 186-rev5.pdf (01.06.19). Ebd., S. 246 f. Den Begriff hat Fiedler nicht erfunden, sondern von KenFM übernommen: https://kenfm.de/transatlantifa-droht-antifaschisten/ (14.06.19). „Heckenschütze aus Wikipedia enttarnt – Wer ist Feliks? | #10 Wikihausen (erneut hochgeladen)“, hochgeladen im Kanal von „Gruppe42“ am 18.04.19. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=pQVODT7KnCk (13.06.19). FB-002. https://deutsch.rt.com/inland/85276-dirk-pohlmann-feliks-ist-besonders/ (02.06.19). So etwa im Youtube-Kanal von „Mainz FreeTV“: „DER WIKIPEDIA-SKANDAL • Mainz FREETV feat. Gruppe42 und „Geschichten aus Wikihausen“, hochgeladen am 13.04.19. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=pXPd2mBhnq0 (02.06.19) oder im Youtube-Kanal von „KenFM“: „KenFM zeigt: Heckenschütze aus Wikipedia enttarnt – Wer ist Feliks?“, hochgeladen am 13.04.19. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=eEoG13N1zoQ (02.06.19).
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Literatur und Quellen
Siehe etwa hier https://philosophia-perennis.com/2019/03/01/sensationell-die-enttarnung-eineswikipedia-denunzianten/oder hier https://conservo.wordpress.com/2019/03/01/sensationell-dieenttarnung-eines-denunzianten-das-ende-des-maskenballs-fuer-anonyme-wikipediadesinformanten/oder auch hier https://www.compact-online.de/das-ende-des-maskenballs-fueranonyme-wikipedia-desinformanten-ein-exklusivbeitrag-von-helmut-roewer/ (02.06.19). https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Benutzer_Diskussion:Feliks&oldid=185849114 (02.06.19). https://derstandard.at/2000098702546/Verschwoerungstheoretiker-duerfen-Wikipedia-Autor-outen (02.06.19). E-019. Ebd. Ebd. „Zensur […] Filmskript…“, S. 133. E-019: „Nachdem auch ich mich in Wikihausen betätigt habe, wurde auch über mich ein defamatorischer Eintrag angelegt […]. Ich kann NICHT gegen Psiram vorgehen, weil diese Webseite illegal ist und kein Impressum hat, man findet keinen Namen und Adressen, klar illegal, Psiram wird aktiv von der Amadeu Antonio Stiftung, die mit über 1 Mio vom Staat finanziert wird, als Quelle zur Nutzung in Schulen vorgeschlagen, in 8 Broschüren.“ https://www.psiram.com/de/index.php/Markus_Fiedler (02.06.19). https://www.journalist-magazin.de/hintergrund/zur-loeschung-vorgeschlagen (02.06.19). https://de.wikipedia.org/wiki/Benutzer:KarlV/Wissen_ist_Macht_%E2%80%93_%C3% BCber_helle_und_dunkle_Seiten_der_Wikipedia#Verschw%C3%B6rungstheorien (01.06.19). Vgl. zur Kritik klandestiner Wissensunterdrückung für den Bereich der Intelligence auch Horn/Ogger (2003). https://twitter.com/Jonaster_WP/status/1101966966401716224 (17.03.19). https://www.journalist-magazin.de/hintergrund/zur-loeschung-vorgeschlagen (02.06.19). „Kafkaeske Prozesse in der Wikipedia – nicht zulässige Sperre von Benutzer BWAG | #14 Wikihausen“, hochgeladen im Kanal von „Gruppe42“ am 05.11.18. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=4-krGY6ISO8 (02.06.19). https://www.journalist-magazin.de/hintergrund/zur-loeschung-vorgeschlagen (02.06.19). https://www.neues-deutschland.de/artikel/1065629.dunkle-maechte-am-ruder.html (15.06.19). E-013. Ebd. Siehe ESM Anhang 5. „No Word Order…“. https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/ueber-uns/ (20.04.19). https://jungle.world/artikel/2015/37/9/11-was-inside-schmock (23.04.19). Ebd. Ebd. Ebd. „No Word Order…“, S. 3. Ebd., S. 4. Ebd., S. 10. „No Word Order…“, S. 8. Vgl. S. 5. „No Word Order…“, S. 16. Ein Bruch ist auf Seite 41 zu finden, wo kurz u. a. auf „die komplexen Zusammenhänge“ des NSASkandals eingegangen wird. Die Autor*innen schreiben: „In der Auseinandersetzung mit ‚Verschwörungstheorien‘ muss man zunächst anerkennen, dass Verschwörungen real existieren. Die Geschichte ist voller Beispiele, wie Menschen sich im Geheimen zusammengeschlossen haben, um ihre Macht zu sichern und auszubauen. Es ist also nicht von vornherein abwegig, gesellschaftliche und geschichtliche Ereignisse darauf zu prüfen, ob sie das Ergebnis einer Verschwörung waren oder sind. Problematisch
Anmerkungen
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wird dieser Vorgang jedoch, wenn der Verdacht einer Verschwörung nicht fallengelassen wird, sobald er sich als falsch erwiesen hat. In diesem Fall lässt sich von einer Verschwörungsideologie sprechen.“ (Ebd., S. 5). 571 Ebd. 572 „No Word Order…“, S. 30. 573 Ebd., S. 39. 574 Ebd., S. 36 ff. 575 Diese Handlungsoptionen sind dabei selbst aus einer Publikation aus dem der „Skeptiker“-Bewegung nahestehenden Alibri-Verlag mit dem Titel „Zur Kritik irrationaler Weltanschauungen. Religion – Esoterik – Verschwörungstheorie – Antisemitismus“, herausgegeben von Wolf Merlin (2015) entlehnt. 576 Über Verschwörungstheorien werden die Publikationen von Daniel Kulla (2006), Daniel Pipes (1998) und Wolfgang Wipperman (2007) empfohlen. Eine Systematik ist nicht erkennbar. Doch die Positionen dieser Bücher/Autoren fügen sich ein in das anti-verschwörungsttheoretische Deutungsmuster der Broschüre. 577 „Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zur Eröffnung der Ausstellung „Verschwörungstheorien – früher und heute“ im 17. Mai 2019 im Kloster Dalheim“. Online verfügbar unter: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Frank-Walter-Steinmeier/ Reden/2019/05/190517-Ausstellung-Verschwoerungstheorien.html?nn=9042544 (13.06.19). 578 „Countering Criticism of the Warren Report“-Dokument, 4. Januar 1967, CIA. In: Assassination Archives and Research Center, 1993. Online verfügbar unter: https://npr.news.eulu.info/wp-content/uploads/2017/03/CIA-1967-Countering-Criticism-of-the-Warren-Report.pdf (07.06.19). 579 Ebd., S. 1. 580 „No Word Order…“, S. 38 f. 581 E-004, vgl. Kap. 5.4. 582 Memorandum of Understanding for the Implementation of the COST Action „Comparative Analysis of Conspiracy Theories“ Online: https://e-services.cost.eu/files/domain_files/CA/Action_ CA15101/mou/CA15101-e.pdf (21.04.19). 583 „Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier…“ 584 Siehe hier: „Die Methode Ganser“, Republik, 13.04.19. Online: https://www.republik.ch/2019/04/13/die-methode-ganser (13.06.19) (vgl. Anton/Schink 2019). 585 In gleicher Weise wie Wolfgang Storz, der mit seiner distanzierten und entfremdenden ‚Beschreibung‘ der „Gegenöffentlichkeit“ deren Diskurse und Deutungsmuster reproduziert und bestätigt, indem er das tut was er tut und wie er tut (Schink 2016a) 586 Siehe hier: https://wahrewelle.tv/ und hier: https://www.bpb.de/wahrewelle (21.04.19). 587 https://www.bpb.de/veranstaltungen/format/kongress-tagung/280438/http-www-bpb-de-jugendtagung-verschwoerungstheorien (21.04.19). 588 Etwa das „No Hate Speech Movement“, das „Institute for Strategic Dialogue“ oder die „Amadeu Antonio Stiftung“. 589 https://www.bpb.de/280438/http-www-bpb-de-jugendtagung-verschwoerungstheorien (14.06.19). 590 Ebd. 591 „Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier …“. In der Rede des Bundespräsidenten gibt es eine erwähnenswerte Unstimmigkeit: Einerseits ruft er öffentlichkeitswirksam zum Kampf gegen „Verschwörungstheorien“ auf. Zugleich weist er darauf hin, auf Butter verweisend, dass diese lediglich ein Krisen-„Symptom“ darstellen. 592 Ebd. 593 https://www.br.de/sogehtmedien/stimmt-das/wilde-theorien/index.html (14.06.19). 594 https://static.googleusercontent.com/media/www.google.com/en//insidesearch/ howsearchworks/assets/searchqualityevaluatorguidelines.pdf (14.06.19). 595 https://youtube.googleblog.com/2019/01/continuing-our-work-to-improve.html (02.02.19).
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Literatur und Quellen
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https://www.heise.de/tp/features/Ein-Film-ueber-den-11-9-und-seine-Folgen-3431735.html (15.03.19). Ebd. http://www.arbeiterfotografie.com/galerie/kein-krieg/hintergrund/index-rezension-2.html (15.03.19). https://www.heise.de/tp/features/Der-Countdown-laeuft-3430987.html (15.03.19). https://www.heise.de/tp/features/Ein-Film-ueber-den-11-9-und-seine-Folgen-3431735.html (15.03.19). https://www.zeit.de/2003/38/Verschw_9arung/komplettansicht (15.03.19). http://www.spiegel.de/panorama/umfrage-zu-11-september-jeder-fuenfte-glaubt-an-us-verschwoerung-a-258299.html (15.03.19). „Nuo7 ist da! - Frank Höfer“, hochgeladen im Kanal von „NuoViso.TV“ am 24.08.18. Online verfügbar unter: https://youtu.be/BofRNhduug4 (00:01:30 ff.) (06.09.18). „Geopolitik Treffen voller Erfolg“, hochgeladen im Kanal von „Neue Horizonte“ am 17.08.09. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=tpO0tTihKWc (00:03:00 ff.) (06.09.18). https://frank-hoefer.blogspot.com/2014/05/?m=0 (17.03.19). Zum Jargon der Offensichtlichkeit: Vgl. AD-019, AD-020; vgl. Tagebucheintrag 29. Oktober 2014; siehe auch: http://juergenelsaesser.wordpress.com/2011/09/11/karlsruheleipzig-erfolg-fur911-kritiker/ (über Wayback-Maschine, 06.01.19). „1. AWK 2015 – J. Elsässer – Regieren uns die Medien? Tiefere Einblicke“, hochgeladen im Kanal von „Alternativer Wissenskongress AWK“ am 14.14.15. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=LeVyJ1ihBrE (16.03.19) (00:10:30 ff.) Vgl. AD-019. https://www.hintergrund.de/medien/konspiration-auf-dem-kunstrasen-reframing-911/ (16.03.19). Zum Topos der „Spaltung“ in der Wahrheitsbewegung siehe hier „2. Friedensfusion in München (01.08.2015)“, hochgeladen im Kanal von „eingeSCHENKt.TV“ am 06.08.15, online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=2_OR5q2xkaM (00:12:00 ff.) oder hier „Kilez More Was kann ich alleine schon tun? (uncut)“, hochgeladen im Kanal von „News 23“ am 03.05.15. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?annotation_id=annotation_934091957 &feature=iv&src_vid=tHYyxjR5bZs&v=FUbUwWYNbsQ (07.05.19). 9/11 – Die Zersetzung des Geistes #BarCode mit Oliver Bommer, Frank Stoner, R. Stein & F. Höfer“, hochgeladen im Kanal von „NuoViso.TV“ am 23.01.18: https://www.youtube.com/watch?v=hp_U-N9mw44 (00:16:00 ff) (27.07.18). https://www.hintergrund.de/medien/konspiration-auf-dem-kunstrasen-reframing-911/ (15.03.19). Das entsprechende Kapitel wurde in dieser Fassung gekürzt. https://www.iknews.de/2010/07/22/truth-camp-september-2010/ (16.03.19). Für den Gründer des „Pax Terra Musica“-Festivals seien die Montagsmahnwachen eine prägende Zeit des „Aufwachens“ gewesen: „M-PATHIE – Zu Gast heute: Malte Klingauf – Pax Terra Musica“, hochgeladen im Kanal von „KenFM“ am 19.04.19. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=nIeB8NbBqLM (07.09.19). „MEDIEN-AMOKLAUF im Juli 2018 ... also ich bin raus! • BREAKING NEWS von Mainz FreeTV“, hochgeladen im Kanal von „Mainz FreeTV“ am 27.07.18. Online: https://www.youtube.com/watch?v=Sm21CEE0B70 (00:26:00 ff.) (13.09.18). Siehe dazu etwa der seit den frühen 2000ern aktive und anonyme antideutsche Watchblog „inrur:“ https://inrur.net/wiki/Friedens-Querfront#historisch (20.06.19). „Die neurechten Montagsdemos. Gespräch mit Jutta Ditfurth“, 3Sat, 16. April 2014. Online verfügbar unter: http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=43135 (00:02:00 ff.) (21.03.19). Und es geht von ihnen, wie von anderen unterdrückten Deutungsmustern (Kap. 6.2) gleichermaßen eine Faszination aus. FB-006. FB-010 (vgl. Kap. 5.4).
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Literatur und Quellen
https://www.facebook.com/911wahrheitsbewegung/ (19.05.19). „Das Ground-Zero-Modell – Dipl. Physiker Heinz Pommer bei SteinZeit | 20.01.2019 |“, hochgeladen im Kanal „klagemauerTV“ am 21.01.19. Online verfügbar unter: www.kla.tv/13724 https://youtu.be/E35YYNR_-r4 (19.05.19). http://www.3sat.de/page/?source=/kulturzeit/themen/70263/index.html https://www.heise.de/tp/features/Ein-Grossteil-der-verlotterten-Medien-schaut-nur-noch-auf-denausbeutbaren-Skandalsatz-3386897.html (20.05.19). http://www.trend.infopartisan.net/trd0109/t490109.html (22.05.19). http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=14156 (22.05.19). https://medienanalyse-international.de/volksinitiative.html (22.05.19). https://jungle.world/artikel/2009/03/volksfront-querfront (22.05.19). https://medienanalyse-international.de/volksinitiative.html (22.05.19). Ebd. http://www.trend.infopartisan.net/trd0109/t490109.html (22.05.19). http://www.scharf-links.de/57.0.html?&tx_ttnews[tt_news]=4155&tx_ttnews[backPid]=6&cHash=4c66772815 (22.05.19). Ebd. https://web.archive.org/web/20090125035130/http://www.volks-initiative.info/eigne%20infos.html (22.05.19). „Vlog 32 – Jüdische Weltverschwörung?“, veröffentlicht im Kanal von „Martin Sellner“ am 05.01.15. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=xcv8OlQ6lbk (05.01.18). Ebd.: 00:13:00 ff. Ebd.: 00:13:30 ff. „Schämt euch – Reaktion auf das Spiegel Cover“, hochgeladen im Kanal von „Martin Sellner“ am 24.03.19. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=4Ifm5RnLOD8 (00:01:00 ff.) (22.05.19). „Stasi-Taktik gegen Rechte? Die Methode der ‚Zersetzung‘ #ibizagate (Martin Sellner Lang 1)“, hochgeladen im Kanal von „Martin Sellner“ am 21.05.19. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=vNmZDJyXPz8 (22.05.19). „Vlog 27 – Die ethnokulturelle Identität“, veröffentlicht im Kanal von „Martin Sellner“ am 26.10.14: https://www.youtube.com/watch?v=BCFKIP0kwaM (05.01.17). „Der Große Austausch findet statt – Antwort an Mr. Wissen2Go“, veröffentlicht im Kanal von „Martin Sellner“ am 22.09.18. Online verfügbar unter: https://youtu.be/vQ7RQnRLM-4 (00:23:30 ff.) (23.09.18) „Vlog 27 – Die ethnokulturelle Identität“, veröffentlicht im Kanal von „Martin Sellner“ am 26.10.14: https://www.youtube.com/watch?v=BCFKIP0kwaM (05.01.17). „Der Große Austausch findet statt – Antwort an Mr. Wissen2Go“, veröffentlicht im Kanal von „Martin Sellner“ am 22.09.18. Online verfügbar unter: https://youtu.be/vQ7RQnRLM-4 (23.09.18). Ebd.: 00:22:00 ff. „Lösch Dich! So organisiert ist der Hate im Netz I Doku über Hater und Trolle“, veröffentlicht im Youtube-Kanal von „Rayk Anders“ am 26.04.18: https://www.youtube.com/watch? v=zvKjfWSPI7s (25.09.18). „Martin Sellner: Europa wacht auf – der Widerstand gegen den „Großen Austausch“, hochgeladen im Kanal von „Quer-denken.tv“ am 20.06.16. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/ watch?v=83zC45ckybo (05.01.18). Ebd.: 00:06:00 ff. Ebd.: 00:30:00 ff. „Martin Sellner: Europa…“: 00:18:30 ff. Sellner auf seinem YouTube-Account „Martin Sellner GI“: „Paul Joseph Watson is wrong about Identitarian Activism“, veröffentlicht am 31.05.17. Online verfügbar unter: https://www.youtube. com/watch?v=CMSqFIyk9sM (05.01.18).
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https://sezession.de/58120/alle-gegen-sellner-ein-paar-mails/2 (24.09.18) Ebd. FN-006. „Tagesdosis 11.10.2017 – Die Wahl in Österreich für Dummies“, hochgeladen im Kanal „KenFM“ am 11.10.17. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v= LYU38BmClSs (24.09.18). Dabei auffällig: die relativ schlechte Bewertungsrate: 304/254. http://faktenfinder.tagesschau.de/inland/organisierte-trolle-101.html (25.09.18). Ebd. Ebd. https://www.nachdenkseiten.de/?p=47955 (13.05.20). https://electronicintifada.net/content/ei-exclusive-pro-israel-groups-plan-rewrite-history-wikipedia/7472 (13.05.20). „Endzeitstimmung? – Ken Jebsen im NuoViso Talk“, hochgeladen im Kanal von „NuoViso.TV“ am 30.08.18. Online: https://www.youtube.com/watch?v=k7y6zTZcrQQ (00:13: 00 ff.) (02.09.18). „KenFM im Gespräch mit: Milosz Matuschek (‚Generation Chillstand‘)“, hochgeladen im Kanal von „KenFM“ am 05.06.19. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v= m76CYY5KSU8 (00:43:00 ff.). (05.06.19). https://www.heise.de/tp/features/In-Deutschland-darf-man-mit-gewissen-Leuten-nicht-sprechen3263494.html (18.06.19). „KenFM im Gespräch mit: Jürgen Elsässer über Feindbild Familie“, hochgeladen im Kanal von „KenFM“ am10.03.14. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=PZRCJcbeY0 (14.09.18). Siehe ESM Anhang 6. Nach Lutz Hachmeister sei KenFM „ästhetisch absolut professionell gemacht und unterscheidet sich so gut wie gar nicht von vergleichbaren Sendungen im linearen Fernsehen“. Online verfügbar unter: https://kress.de/news/detail/beitrag/138374-keine-strategie-und-verzweifelt-herausgeberdes-jahrbuchs-fernsehen-kritisiert-ard-und-zdf.html (18.06.19). https://www.tagesspiegel.de/politik/querfront-preisverleihung-an-verschwoerungstheoretikerken-jebsen-geplatzt/20713966.html (19.06.19). „Endzeitstimmung? – Ken Jebsen im NuoViso Talk“, hochgeladen im Kanal von „NuoViso.TV“ am 30.08.18. Online verfügbar unter : https://www.youtube.com/watch?v=k7y6zTZcrQQ (00:23:00 ff.) (02.09.18). „KenFm: Aufklärung oder Volksverdummung?“, hochgeladen im Kanal von „Kommon“ am 08.05.20. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=06DjvS1XZ2o (00:56:00 ff.) (11.05.20) Ebd. https://kenfm.de/sendungen/der-rote-tisch (19.06.19). Bröckers/Jebsen (2016: 37). „PROpaganda – Ken Jebsen im NuoViso Talk“, hochgeladen im Kanal von „NuoViso.TV“ am 29.04.20. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=mfHGKbI-K1Q (00:28:00 ff.) (12.05.20). „KenFm: Aufklärung oder Volksverdummung?“ (00:05:00 ff). „Alex Jones As The Joker Talks About Obama – Part1“, hochgeladen im Kanal von “FreeGifts4Ever“ am 09.08.2009. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v= cyx8E6TdG8E (05.07.20). „Network (1976) – We Are The Illusions Tube Speech“, hochgeladen im Kanal von „TwoWolves“ am 29.10.13. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=95WSc4UXrw4 (00:02:00 ff.) (24.01.19). „TheFalseFlag im Gespräch mit OLIVER BOMMER (Peace Press)“, hochgeladen im Kanal von „TheFalseFlag“ am 22.09.17. Online verfügbar unter: https://youtu.be/wSyytdGgYKw (00:31:50 ff.) (27.08.18). Der 9/11-Wahrheits-Aktivist Oliver Bommer erzählt (00:00:15 ff.), dass er über
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Literatur und Quellen
einen Spiegel-Bericht aus dem Jahr 2006, der über den „Verschwörungstheoretiker“ Gerhard Wisnewski handelte, zu seinem Aktivismus gekommen sei – die Diskreditierung der „Verschwörungstheorien“ habe ihn letztlich nicht überzeugt. „Mein Weg aus der MATRIX – Danke, Dr. Daniele Ganser!“, hochgeladen im Kanal „Cyberphilosoph“ am 10.06.17. Online verfügbar unter: https://youtu.be/KBjJdNd7WiU (27.08.18). Stand: 18.02.19. https://propagandaschau.wordpress.com/tag/konzernmedien/ (18.02.19). „Kilez More – TV Totale Verblödung (Official Video)“, hochgeladen im Kanal von „Kilez More“ am 02.02.2010. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=OKZD2 AsBtCY (18.02.19). „Verschwörer zwischen ZWEI WELTEN“, hochgeladen im Kanal von „MassengeschmackTV“ am 07.10.17. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=x_Mztyw7IsE (18.02.19). „Alternative Medien auf dem Vormarsch #5: Dirk Pohlmann über Filterblase und Zensur“, hochgeladen im Kanal von „RT Deutsch“ am 16.02.19. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=1jgF_3-OV6Q (00:09:30 ff.) (21.02.19). Ebd.: 00:10:50 ff. https://www.bunte.de/stars/star-news/mdr-moderatorin-katrin-huss-schweigen-gebrochen-das-istder-wahre-grund-fuer-ihr-tv-aus.html (21.02.19) „Die Medienkritik von Katrin Huß – Die traut sich was! 25.11.2018 – Bananenrepublik“, hochgeladen im Kanal von „DieBananenRepublik“ am 30.11.18. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=sxGUwXRj9Yk (00:09:00 ff.) (21.02.19). Siehe dazu z. B. den Kommentar vom User „Ronald Spahn“: „warum hat sie solange gewartet-mit der Wahrheit? Warum schweigen noch so viele in den Büros der Lügenpresse?!“ Interview Bröckers: 00:14:00 ff. „Face to Face with Richard Gage: Founder of Architects and Engineers for 9/11 Truth“, hochgeladen im Kanal von „Ictv Victoria“ am 25.06.12. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=POiXd47MCHo (00:01:00 ff.) (24.07.18). Zur „Generation YouTube“ siehe hier https://www.welt.de/vermischtes/article140438791/Das-digitale-Lebensgefuehl-der-Generation-YouTube.html oder hier https://www.jetzt.de/politik/urheberrechtsreform-der-eu-ist-ein-schlag-ins-gesicht-junger-menschen (29.03.19). FB-006. Ebd. „Danny Jowenko on WTC 7 controlled demolition“, hochgeladen im Kanal von „MasterpieceConCen“ am 27.06.07. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=877gr6xtQIc (30.03.19). Siehe: https://web.archive.org/web/*/www.pumpitout.com/audio/danny_jowenko_022207.mp3 und hier: „Jeff Hill's Call To Danny Jowenko – 02-22-2007 + Transcript“, hochgeladen im Kanal von „ManAgainstCrime“ am 27.08.14. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/ watch?v=GuBubtKfviU (30.03.19). http://www1.ae911truth.org/fr/nouvelles/41-articles/550-jowenko.html (30.03.19). FB-021. FB-007. FB-005. http://www.bpb.de/lernen/projekte/270412/chemtrails-und-reptiloide (30.03.19). FB-009. Ebd. „Chemtrails – Lutz van der Horst“, hochgeladen im Kanal von „Thom Kutlatschkowa“ am 15.05.15. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=lFeFPNnRiPM (30.03.19). http://www.quotenmeter.de/n/64248/quotencheck-heute-show (30.03.19). FB-009.
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Der Track ist auf YouTube in mehreren Uploads vorhanden, etwa hier: https://youtu.be/WA_xXWSXyFI (> 3,2 Mio. Klicks), hier: https://youtu.be/ggzSzl2oDHI (> 2,3 Mio. Klicks), hier: https://youtu.be/kLXpq2aFuhM (> 0,5 Mio. Klicks) oder auch hier: https://youtu.be/ggzSzl2oDHI (>0,2 Mio. Klicks) (27.07.18). https://www.rubikon.news/artikel/raus-aus-dem-sklaven-system (08.03.19). „Kollegah zahlt 25.000 € für Artikel über Pizzagate | Instagram Story (4.April.2018)“, hochgeladen im Kanal „Kollegah Instagram Story“ am 04.04.18. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=sPSquZmmxHM (08.03.19). https://www.zeit.de/news/2018-11/26/rapper-kollegah-der-boss-und-der-skandal-181126-99965171 (08.03.19). So machte sich Die Bandbreite u. a. im Wahlkampf für die Partei „Neue Mitte“ stark und komponierte einen Song für deren Gründer und ihren „Freund“ Christoph Hörstel mit dem Titel „Die Mitte“: http://www.diebandbreite.de/nein-so-nicht/ (27.07.18). „Wojna von ‚Die Bandbreite‘ im Interview am 1. Mai 2018“, hochgeladen im Kanal von „Rene‘s Zeit“ am 07.05.18. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=CZ79SqDIoHU (00:03:00 ff.) (27.07.18). Ebd.: 00:01:00 ff. Ebd. Was ohnehin im Rahmen dieser explorativen Studie schwer festzustellen wäre. Die Fallauswahl wurde hier aus drei Gründen getroffen: 1.) Aus ethnographisch-methodologischen Gründen: Weil der Autor Kilez More, im Unterschied zur Bandbreite, auf einer Veranstaltung persönlich begegnet ist; 2.) promotet er das Konzept des Truthrap dezidierter als Die Bandbreite, die lange Zeit gewerkschaftspolitische Arbeit und trashige Pop- und Schlagermusik (wie „Dat is Duisburg“, 2007) neben ihrem Wahrheits-Aktivismus betrieben hat; 3.) Schafft es Kilez More mit seinem Hip-HopAlbum „Der Alchemist“ (2017) teilweise in die deutschen (Hip-Hop-)Charts und zu Besprechungen auf bekannten deutschen Hip-Hop-Portalen und erzielt damit eine große gesellschaftliche Reichweite. „Der Rote Tisch – 30 Minuten mit Kilez More“, hochgeladen im Kanal von „KenFM“ am 28.06.17. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=sNIl1bdKrGQ (00:20:30 ff.) (24.01.19). https://www.psiram.com/de/index.php?title=Kilez_More&oldid=82940 (Frühe Artikelversion vom 17.01.12, erstellt und bearbeitet durch den Psiram-Nutzer „Abrax“; 27.07.18). „Kilez More – Systemfeind [Musikvideo I Kurzfilm]“, hochgeladen im Kanal von „Kilez More“ am 26.08.15. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=jnRsyDUkwUE (04.09.18). Das Zitat scheint ein Ausschnitt aus einer Film- oder Hörspielproduktion zu sein, dessen Quelle vom Autor bislang nicht ermittelt werden konnte. „The Forest“, hochgeladen im Kanal von „HuesForAlice“ am 24.08.09 Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=rTXudHZM39Q (04.09.18). „Kilez More – Systemfeind…“, Kommentare. Die ‚queere‘ Identifizierung mit Inhalten der politischen Gegen-Propaganda ist, wie bereits mehrfach erwähnt, für dieses Feld nicht ungewöhnlich, vor allem, wenn sie heterodox sind. Eher eine Trivia mag hierbei vielleicht sein, dass offenbar auch viele Neonazis die dezidiert antifaschistische Punk-Pop-Band Die Toten Hosen hören: https://www.youtube.com/watch?v=Cl__BD858yc (00:22:50 ff.) (04.09.18). https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20170614_OTS0200/oesterreichischer-rapper-entertdeutsche-albumcharts (27.07.18). https://www.amazon.de/Alchemist-Limitierte-Virusbox-KilezMore/dp/B06WVB81PS?SubscriptionId=AKIAJEZB3HTEUYGXHXEA&tag=rap.de21&linkCode=xm2&camp=2025&creative=165953&creativeASIN=B06WVB81PS (27.07.18). https://twitter.com/JulianAssange/status/833453800971259911 (27.07.18). In Reaktion auf den Tweet wurde das Video des Tracks mit englischen Untertiteln bestückt.
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Literatur und Quellen
„Der Rote Tisch – 30 Minuten mit Kilez More“, hochgeladen im Kanal von „KenFM“ am 28.06.17. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=sNIl1bdKrGQ (00:01:00 ff.) (27.07.18). https://rap.de/reviews/104356-kilez-more-der-alchimist-review/ (27.07.18). Ebd. „Kilez More – Leben und Tod des Imperialismus [Official HD Video]“, hochgeladen im Kanal von „Kilez More“ am 24.03.15. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v= M7IjJiZUutk (25.07.18). https://genius.com/Kilez-more-leben-und-tod-des-imperialismus-lyrics (27.07.18). „Kilez More – Rapvolution (Official HD Video)“, hochgeladen im Kanal von „Kilez More“ am 19.04.13. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=9mq7chcZA_Y (04.09.18). „PHOTON ‚Frieden in allen Nationen‘ (Official HD Video Mahnwache 2014)“, hochgeladen im Kanal von „Photon4rt“ am 13.06.14. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch? v=jxB5X6NGjcY (27.07.18). Die Themen des Tracks sind die Macht der US-amerikanische Zentralbank (FED), Manipulation durch Eliten und Medien. Das Attentat auf John F. Kennedy und Freiheit aus der Versklavung durch (Geld-)Schulden und Manipulation. Im Refrain tritt der Topos des Informationskriegs (= Informationsfreiheit) hervor: [...] Wir erheben uns für Freiheit und Information Denn was fehlt ist Liebe und Gleichheit in allen Nation‘ Und so steh‘n wir Hand in Hand Weil eure Noten für uns einfach keine Werte ausdrücken Und unser Leben lang gefangen Doch gemeinsam können wir es schaffen aus dem Kerker zu flüchten. [...] „Ufos – gibt es sie wirklich?“, ARD, 27. Oktober 1994. Hochgeladen im Kanal von „zeitzumaufwachen“ am 23.08.12. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=qTM2FZ JqhdA (03.01.19). Ebd.: 00:04:00 ff. Vgl. Von Ludwiger (2009: 44). Siehe dazu z. B. Hynek (1974 [1972]; 1978), Jacobs (1976 [1975]), Vallée (2008 [1990]), Dolan (2000; 2009), oder Hastings (2008). Siehe dazu die Diskussion bei Anton und Schetsche (2013). Das hängt u. a. mit der Besatzungsgeschichte Deutschlands durch die Alliierten zusammen (vgl. Foschepoth 2013 [2012]: 263; vgl. dazu in Bezug auf das UFO-Wissen von Ludwiger 2009: 25 ff.). Siehe dazu auch weiter unten. „Ufos – gibt es sie wirklich?“, ARD, 27. Oktober 1994. Hochgeladen im Kanal von „zeitzumaufwachen“ am 23.08.12. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v= qTM2FZJqhdA (03.01.19) (00:10:50 ff.). Ebd.: 00:27:00 ff. Ebd.: 00:04:00 ff., 00:13:00 ff., 00:15:00 ff. Ebd.: 00:11:50 ff. Ebd.: 00:22:00 ff. Ebd.: 00:21:30 ff. Lesch sieht insofern die bekannten physikalischen Gesetze nicht als statistische Wahrscheinlichkeiten, die primär qua theorie-geleiteter Praxis Geltung haben, sondern als a priori gegeben. Er vertritt daher implizit einen physikalischen Determinismus (vgl. Bender 1973: 170). „Ufos – gibt es sie wirklich?“, ARD, 27. Oktober 1994. Hochgeladen im Kanal von „zeitzumaufwachen“ am 23.08.12. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=qTM2FZ JqhdA (03.01.19) (00:15:50 ff.). Ebd.: 00:23:00 ff. Ebd.: 00:31:00 ff. „UFOs – DIE VERBORGENE WAHRHEIT (Robert Fleischer Vortrag auf La Gomera, Spanien, 2017)“, hochgeladen im Kanal von „ExoMagazinTV“, am 11.02.17. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=pbZufCjoARc (07.01.18). „UFOs: Die Fakten – Robert Fleischer Vortrag an der Universität Leipzig (Juni 2017)“, hochgeladen im Kanal von „ExoMagazinTV“, am 07.06.18. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=q7KNQyD2N04 (00:09:00 ff.) (07.01.19).
Anmerkungen
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http://grenzwissenschaft-aktuell.blogspot.com/2010/08/franzosischer-forschungsberichtufos.html (07.01.19). Siehe dazu Von Ludwiger (2009: 34). Ufos – gibt es sie wirklich?“, ARD, 27.10.1994. Online zu finden unter: https://www.youtube. com/watch?v=qTM2FZJqhdA (00:37:00 ff.) (03.01.18). Ebd.: 00:39:00 ff. Ebd.: 00:16:00 ff. Ebd.: 00:08:00 ff. Siehe zum „Kampfbegriff“ der „Pseudowissenschaft“ Hagner (2008). Dolan (2000: 393). „2001 National Press Club Event“, hochgeladen im Kanal von „Sirius Disclosure“ am 24.04.17. Online: https://www.youtube.com/watch?v=4DrcG7VGgQU (00:04:00 ff.) (01.01.19). Siehe dazu etwa Von Ludwiger (2009: 29): „[…] Greer war leider in der Auswahl seiner Redner nicht sehr vorsichtig, sodass Presseleute die Vorträge nach dem schwächsten Redner beurteilten […]. Greer ist bekannt für seine fantastischen Behauptungen […]. Er wird von seriösen UFOForschern nicht zu Tagungen eingeladen.“ https://yougov.de/news/2015/09/23/mehrheit-glaubt-ausserirdisches-leben/ (04.01.19). Auch in diesem Fall gibt es eine Parallele zwischen einem verbreiteten UFO-Glauben innerhalb der Bevölkerung, der in starkem Kontrast zur offiziellen Meinung steht – ähnlich wie das Verschwörungsdenken im Falle von des Kennedy-Komplotts oder der 9/11-Verschwörung. https://www.nytimes.com/2017/12/16/us/politics/pentagon-program-ufo-harry-reid.html (04.01.19). https://www.dailystar.co.uk/news/weird-news/680562/Alien-UFOs-Luis-Elizondo-Pentagon-program-AATIP (04.01.19). https://www.exomagazin.tv/ufos-pentagon-mitarbeiter-luis-elizondo-packt-aus/ (04.01.19). https://www.exopolitik.org/ueber-uns (06.01.18). https://www.welt.de/politik/deutschland/article127131138/Das-ist-Deutschlands-oberster-AlienLobbyist.html (06.01.19). „KRIEG ODER KRIEG? - Das Spiel mit dem Feuer | Das 3. Jahrtausend #9“, hochgeladen im Kanal von „ExoMagazinTV“ am 13.09.18. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/ watch?v=6qtixxiGUdg (02:43:00 ff.) (14.09.18). https://www.exopolitik.org/ueber-uns (06.01.18). „Wir schwören ab – #BarCode mit Prinz Chaos, Julia Szarvasy, Norbert Fleischer“, hochgeladen im Kanal von „NuoViso.TV“ am 26.08.18. Online: https://www.youtube.com/watch?v= k2nS3TeR-LM (00:28:00 ff.) (05.09.18). Stand 06.01.19. https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/paedophile-missbrauch-berlin-pflegekinderli.87610 (28.06.20). https://www.heise.de/tp/features/Der-CIA-Zauberer-3383803.html (15.05.20). https://theintercept.com/document/2014/02/24/art-deception-training-new-generation-onlinecovert-operations/ (15.05.20) https://theintercept.com/2014/02/24/jtrig-manipulation/ (15.05.20). Colby (1987: 86 f.) https://taz.de/Interne-Dokumente-des-Vereins-Uniter/!5664632/ (28.06.20). https://web.de/magazine/politik/hannibal-recherche-unterminiert-rechtsextreme-untergrundarmee-bundeswehr-33444186 (28.06.20). „Jan van Helsing Interview 2005“, hochgeladen im Kanal von „Der Almanach“, veröffentlicht am 27.10.13. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=E2QXjGl0ejQ (30.07.18). Siehe ESM Anhang 2 E. „Die Vedischen Hochkulturen Cropfm.at“, hochgeladen im Kanal von „Klara Eich“, am 26.02.18. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=HqJSmU-vCbY (25.04.19). Siehe dazu etwa Hasselmann (2002). Siehe ESM Anhang 2 E.
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Literatur und Quellen
Pike (1874: 105). Dieses Zitat wird von anti-freimaurerischen Verschwörungsdeutungen oftmals als Beleg für den täuschenden Charakter der Freimaurerei angeführt. Campbell bezieht sich wiederum mit dem „cultic milieu“-Konzept einerseits auf das, was Troeltsch innerhalb der christlichen Religiösität „Mystik“ nannte und bei der er andererseits aber zugleich das Sektiererische – das Troeltsch von der Mystik typologisch unterschieden hatte –, hervorhob und mitdenkt. Nach Campbell (2002 [1972]: 14) ist das „cultic milieu“ religionssoziologisch als der säkularisierte „cultural underground of society“ definiert. Selbstverwirklichung (Mystik) und Heterodoxie (Devianz) bestimmen innerhalb dieses Milieus sowohl die Glaubenssysteme wie auch die Praktiken: „it includes all deviant belief systems and their associated practices. Unorthodox science, alien and heretical religion, deviant medicine, all comprise elements of such an undergound. In addition, it includes the collectivities, institutions, individuals, and media of communications associated with this beliefs.“ (Ebd.) Der kulturelle Untergrund ist definiert in seiner „relation to the dominant cultural orthodoxies.“ (Ebd.) Siehe dazu Ullrich (2013: 53). „David Icke – Interview for NTV...“, hochgeladen im Kanal von „niezaleznatelewizja“ am 29.10.18. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=sgCDEU5jUGg&feature=youtu.be (01:11:00 ff.) (11.02.19) „TheFalseFlag im Gespräch mit OLIVER BOMMER…“ (00:31:50 ff.). Vgl. auch hier: „Das neue Pearl Harbor: Beunruhigende Fragen zum 11. September – Oliver Bommer bei SteinZeit“, hochgeladen im Kanal „Stein-Zeit“ am 13.07.18. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/ watch?v=j9gHWCwaxUc (00:03:00 ff.) (28.03.19). http://alles-schallundrauch.blogspot.com/2007/10/warum-menschen-fast-alles-glauben.html (23.02.19). Ebd. Siehe ESM Anhang G. „9/11 – The Anatomy of a Great Deception“, hochgeladen im Kanal von „Stop And Think“ am 16.09.14. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=l0Q5eZhCPuc (00:00:20 ff.) (24.07.18). Ebd. Siehe ESM Anhang D. Siehe Ebd.: Vgl. dazu auch die Geschichte von Oliver Bommer (s. o.). Das Jahr „2002“ stimmt nicht mit der Jahreszahl überein, die Gage in anderen Gesprächen als Zeitpunkt seines Aufwachens nennt: 2006. Vgl. die Sendung „Face to Face with Richard Gage: Founder of Architects and Engineers for 9/11 Truth“, hochgeladen im Kanal von „Ictv Victoria“ am 25.06.12, wo er den Zeitpunkt auf „about six years ago“ nennt: https://www.youtube.com/watch?v=POiXd47MCHo (00:01:30 ff) (24.07.18). Siehe ESM Anhang G. Ebd. Ebd. „Terror, Lüge und Wahrheit – Podiumsdiskussion im Scala Basel am 3.3.2018“, hochgeladen im Kanal von „KenFM“ am 09.05.18. Online verfügbar unter: https://youtu.be/u730_dCSBzo (00:21:40 ff.) (28.07.18). Da es sich um eine inszenierte und keine ‚natürliche‘ Situation im Sinne der Videographie (vgl. Tuma u. a. 2013) handelt, ist nicht auszuschließen, dass Gage seinem Interviewer schon vor der Aufnahme über seinen „point of no return“ informiert hat und Hansen nur darauf zurückkommt. Der autobiographische Autor hat seine Zweifel an Schrangs Interpretation und Praxis des Buddhismus. „Heiko Schrang: Nahtoderfahrung, Buddhismus & sein Buch (Interview)“, hochgeladen im Kanal von „ingeSCHENKt.tv“ am 19.07.18. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=7wqj-ecMOaA (00:06:30 ff.) (28.03.19).
Anmerkungen
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„Kollegah über den Umgang mit Verschwörungstheorien & seinen Song Armageddon – Leon Lovelock“, hochgeladen im Kanal „Lovelock Lifestyler“ am 12.02.19. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=bp0unpagEwI (00:20:00 ff.) (08.03.19). Siehe ESM Anhang 2 G. Ebd. FB-010. Die Veranstalterin sagt über die „Aluhut“-Veranstaltung, dass hier „alles familiär“ gewesen sei (vgl. FB-010). FB-007. Ebd. „Das neue Pearl Harbor: Beunruhigende Fragen zum 11. September – Oliver Bommer bei SteinZeit“, hochgeladen im Kanal „Stein-Zeit“ am 13.07.18. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=j9gHWCwaxUc (00:26:30 ff.) (28.03.19). Vgl. dazu Oliver Bommers Relativierung kurz darauf a. a. O. Siehe dazu die Aussagen von Norbert Kap. 4.6.2. Eher psyochanalytisch könnte man auch sagen: Ich-Stärke. M:005. https://noizz.de/politik/eine-aussteigerin-aus-der-verschworungs-szene-im-interview/7x50l23 (01.08.18). Ebd. Ebd. http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/chemtrails-reptiloide-eine-ex-verschwoerungstheoretikerin-berichtet-15267921.html (01.08.18). https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/radiofeature/verschwoerungstheorie-marke-eigenbau-100.html (01.08.18). https://oe1.orf.at/programm/20170318/464861 (01.08.18). https://www.srf.ch/kultur/gesellschaft-religion/erleuchtet-durch-verschwoerungstheorien-eineaussteigerin-erzaehlt?ns_source=srf_app?ns_source=srf_app (01.08.18). https://broadly.vice.com/de/article/qvdx4v/von-chemtrails-zu-morddrohungen-eine-verschwoerungstheorie-aussteigerin-erzaehlt (01.08.18). https://noizz.de/politik/eine-aussteigerin-aus-der-verschworungs-szene-im-interview/7x50l23 (01.08.18). Beiträge mit Überschriften wie „Schöner neuer Wahn: Eine Verschwörungstheorie Marke Eigenbau“ (BR), „Unheimlich und gefährlich – Erleuchtet durch Verschwörungstheorien: Eine Aussteigerin erzählt“ (SRF) oder „Ex-Verschwörungstheoretikerin: Was hier passiert, ist Gehirnwäsche“ (Noizz). „No World Order…“, S. 32. Dabei kommen dann exotische und fast zwanghaft auf dem Wortstamm „-ideologie“ anknüpfende Wortschöpfungen heraus wie das „Verschwörungsideologentum“: https://www.srf.ch/kultur/gesellschaft-religion/erleuchtet-durch-verschwoerungstheorien-eine-aussteigerinerzaehlt?ns_source=srf_app?ns_source=srf_app (01.08.18). Gleichzeitig erklärt sie diese, im gesellschaftlichen Diskurs sehr spezielle Begriffsverwendung nicht; auch nicht an den Stellen, wo der Interviewer in dem Noizz-Gespräch das Wort („Verschwörungs-)Theorie“ benutzt (s. o.). „No World Order...“, S. 30 f. Das Gespräch ist zumindest in der End-Darstellung so aufgeführt, dass die Betroffene von Beginn an mit diesem Begriff konfrontiert ist, ihn möglicherweise übernimmt. Auch Giulia Silberberger verwendet diesen Begriff gehäuft. „Jedes Jahr, am Weltlachtag, werden wir in verschiedenen Kategorien welche allesamt mit der verrückten Welt der Verschwörungsideologien zu tun haben, die goldene, lockere Schraube verleihen.“ Siehe hier: https://dielockereschraube.de/verleihung/index.html (18.06.19).
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Literatur und Quellen
Ein sogenannter „Dipl.-Ing. und Flugkapitän i. R. Heinz Bohlender“ schreibt als Gastautor für Die lockere Schraube und auch für den Goldenen Aluhut. Siehe: http://dielockereschraube.de/impressum.html und https://blog.dergoldenealuhut.de/2016/02/08/chemtrails-aus-der-sicht-eines-verkehrspiloten/ (01.081.18.). http://dielockereschraube.de/%C3%BCber%20uns.html (01.08.18). https://noizz.de/politik/eine-aussteigerin-aus-der-verschworungs-szene-im-interview/7x50l23 (01.08.18). https://blog.dergoldenealuhut.de/aufgeben-ist-keine-option/ (01.08.18). FN-007. FN-007. E-002. Ebd. Ebd. AD-026. ASR29:181. Die Kursivierungen verweisen auf wörtliche Zitate. Interview Bröckers: 01:34:00 ff. FB-005 und FB-009. FB-005. Namen geändert, Geschlecht beibehalten. Vgl. FB-011. Vgl. dazu Bratich, der über von ihm besuchte Veranstaltungen des 9/11 Truth Movement in den USA zu Beginn der 2000er schreibt: „The leaders were exclusively white males; there were approximately ten of them, primarily in their upper thirties and forties, with not all of them present at every meeting. The audience was more diverse. Its size ranged anywhere from 50 to 100; at some meetings they were up to 30% female, with a similar percentage of African Americans. The age range was not as broad: rarely were under-25 youth represented, and the vast majority of participants were comfortably older than 40. The age distribution changed drastically by 2006, when an estimated 50% of attendees of a 9/11 anniversary gathering were under 25, with a higher percentage at the GroundZero site. (Ebd. 2008: 134) Zur Kritik an Ward/Voas (2011) siehe Asprem/Dyrendal (2015). E-018. Das entsprechende Kapitel musste hier gekürzt werden. https://skeptiko.com/jeff-kripal-erotic-and-mystic-religious-369/ (03.02.19). Siehe dazu van Helsing (2000). „Eric Dubay: The Flat Earth Truth“, hochgeladen im Kanal von „The Untold Truth“ am 29.08.19. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=m2kGQquTKEs (01.05.20). Vgl. dazu die immer noch aktuellen Bände von Duerr (1981a/b) wie auch Schetsche/Schmidt (2016). Siehe dazu auch Partridge (2006: 135 ff.). Leary (1994: 8). G-048. „KenFM im Gespräch mit: Milosz Matuschek (‚Generation Chillstand‘)“, hochgeladen im Kanal von „KenFM“ am 05.06.19. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=m76CY Y5KSU8 (00:43:00 ff.). (05.06.19). G-114. Nietzsche (2010 [1885]: 98 [Aph. 146]). Siehe dazu die genannte Aussteigerin: http://dielockereschraube.de/%C3%BCber%20uns.html (01.08.18) wie auch Bröckers (Interview 00:02:00 ff.), in der Sprache der Leitmedien, das Internet nennt. Siehe M-001-099. Die einzigen Veränderungen sind Auslassungen „[…]“, Anonymisierungen, Formatierungen, hinzugefügte Anführungszeichen, Zeitangaben, evtl. Fußnoten und Anmerkungen zur Rechtschreibung „[sic]“. „Jabber“ ist ein freier Instant-Messaging-Dienst, den der autobiographische Autor zu dieser Zeit nutzt.
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Siehe Gruen (2004 [2000]: 208). M-055 f. Ebd., Fortsetzung. „John DeCamp 2007 FULL“, hochgeladen im Kanal „free range humans“ am 16.08.16. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=ufLqxMADfE0 (00:19:00 ff.) (28.06.19). „Das okkulte Netz um ‚Rosemary's Baby‘“, hochgeladen im Kanal von „STONER frank&frei“ am 02.09.18. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=At4zuZEaf6o (00:01:00ff.) (03.09.18). Ebd.: 01:00:00 ff. Das erinnert an ein Bild in Thomas Pynchons „Die Enden der Parabel“ (1973). Ebd.: 00:00:30 ff. Ebd.: Videobeschreibung. Ebd.: 00:56:00 ff. Ebd.: 00:57:00 ff. Ebd.: 00:51:50 ff. Ebd.: 00:55:30 ff. Ebd.: 01:03:00 ff. Ebd.: 00:58:00 ff. Ebd. Im Sinne von Turners (2005 [1969]) bzw. van Genneps (1986 [1908]) rites des passage finden wir dabei eine präliminale, eine liminale und eine postliminale Phase. Ebd.: 00:00:00-00:01:05 Ebd.: 00:01:05-00:09:05 Ebd.: 00:09:05-00:45:00 Ebd.: 00:55:30 ff. Ebd.: 00:56:30 ff. Vgl. Eliade (1998 [1949]: 39). Ebd.: 00:45:00 ff. Er selbst thematisiert diese Entscheidung auch mehrfach. Ebd.: 00:47:00 ff. Die „dunkle Kontemplation“ meint in der Mystik von Johannes vom Kreuz „ein Einströmen Gottes in den Menschen, das ihn von seinen gewohnheitsmäßigen natürlichen und geistlichen Unkenntnissen und Unvollkommenheiten läutert“ (Johannes vom Kreuz 1995: 103). Die „Übung des Friedhofasketen“ ist nach dem Visuddhimagga (dt. „Weg zur Reinheit“) eine eher fortgeschrittene Übung, für deren richtige Praktizierung folgende „Segnungen“ genannt werden: „Gewinnung der Betrachtung über den Tod; ein Leben frei von Lässigkeit; Gewinnung der Vorstellung des Ekels; Vertreibung sinnlicher Begierde; häufiger Anblick der wahren Beschaffenheit des Körpers; große Ergriffenheit; Aufgeben des Gesundheitsdünkels, des Jugenddünkels und des Lebensdünkels […]; Bezwingung von Angst und Schrecken; Achtung und Ehrerbietung seitens der Unholde; und eine der Bedürfnislosigkeit entsprechende Lebensweise.“ (Nyanatiloka 2014 [1927]: 88 f.) Zu diesen schamanistischen Traditionen rechnet Eliade auch ‚ursprüngliche‘ Yoga-Techniken (vgl. Eliade 1975 [1951]), was religionswissenschaftlich umstritten ist. Auch die schon genannte Yoga- und Achtsamkeitspraxis nutzt u. a. die Schmerz-Exposition als Mittel zur Transformation der Subjektivität – nicht ohne Risiken und Nebenwirkungen (vgl. Schink 2014). Der erwähnte Aleister Crowley beschritt diesen Weg der Schreckensexposition – als einen spirituellen Weg ‚linker Hand‘ – übrigens offenbar selbst. https://www.zeit.de/kultur/2018-07/nsu-prozess-ausgang (26.08.20). Siehe dazu das Interview mit Norbert: AD-026. ASR29: 119.
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Literatur und Quellen
„cap12 Film Neo Anderssons passport expires on 911480x360p H 264 AAC ENG 00h08m06s“, hochgeladen im Kanal von „Alberto Medici“ am 09.07.12. Online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=GW3ffyFtDDI (00:00:30 ff.) (01.05.2020). Ebd. 00:03:00 ff. ASR30:114.