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German Pages [357] Year 2021
Daniel Benedikt Stienen
Verkauftes Vaterland Die moralische Ökonomie des Bodenmarktes im östlichen Preußen 1886–1914
Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft
Herausgegeben von Gunilla Budde, Dieter Gosewinkel, Christina Morina, Paul Nolte, Alexander Nützenadel, Kiran Klaus Patel, Hans-Peter Ullmann
Frühere Herausgeber Helmut Berding, Hans-Ulrich Wehler (1972–2011) und Jürgen Kocka (1972–2013)
Band 243
Daniel Benedikt Stienen
Verkauftes Vaterland Die moralische Ökonomie des Bodenmarktes im östlichen Preußen 1886–1914
Vandenhoeck & Ruprecht
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2022 Vandenhoeck & Ruprecht, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, Verlag Antike und V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Die Postkarte zeigt das Dienstgebäude der Kgl. Ansiedlungskommission für Westpreußen und Posen in Posen / Poznań. Satz: textformart, Göttingen | www.text-form-art.de Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2197-0130 ISBN 978-3-666-36765-6
Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1. Auftakt: 1886–1898 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 1.1 Die Geburt der Ansiedlungskommission aus dem Geiste der Ethnodemografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Assimilation als Fernziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2 Außenpolitische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.3 Konkurrierende Zielsetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.4 Struktur der Ansiedlungskommission und Aufgabenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Enttäuschte Erwartungen: Deutsche Reaktionen auf die staatliche Ankaufpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Polnischer Grundbesitz wird bevorzugt, deutsche Gesuche abgelehnt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Haltung der politischen Strömungen . . . . . . . . . . . . . 1.2.3 Verbitterte Grundbesitzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Die vulnerable Nation: Polnische Reaktionen . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Ökonomische Gegenwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Mediale Gegenwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.3 »Hofpartei« und »Volkspartei« im Ringen um politischen Einfluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.4 »Verräter«, »Verschacherer«, »Abschaum der Gesellschaft« 1.3.5 Funktionen öffentlicher Herabsetzungen . . . . . . . . . . . 1.4 Die Entscheidung für eine Fortsetzung der Ansiedlungspolitik 1898 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.1 Das Ankauftempo wird gedrosselt . . . . . . . . . . . . . . 1.4.2 Die Restgüterfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.3 Neues Geld, neue Bestimmungen . . . . . . . . . . . . . . .
39 40 46 48 55 60 62 66 72 84 84 92 98 104 115 120 125 133 139
2. Zuspitzung: 1898–1908 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 2.1 Die Ausdifferenzierung der Sanktionsapparate . . . . . . . . . . 145 2.1.1 Der deutsche invektive Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . 145 2.1.2 Einmischungen der Verwaltung in private Kaufverhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 5
2.1.3 Fideikommisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 2.1.4 Nationaldemokraten und ein »Schwarzbuch« . . . . . . . . 168 2.2 Wanderer zwischen beiden Welten: Die Bodenmakler . . . . . . . 179 2.2.1 Das moralische Feigenblatt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 2.2.2 Der demonstrative Regelbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 2.3 Räumliche Entgrenzungen: Schlesien . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Ehr- und Schamgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 »Nieder mit dem Zentrum« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Eine Ansiedlungskommission für Schlesien? . . . . . . . . .
203 204 207 213
2.4 Gesetzgeberische Entgrenzungen: Eingriffe ins Privateigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Die Ansiedlungsnovelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Das Enteignungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3 Das Besitzfestigungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . .
216 218 230 241
3. Aporie: 1908–1914 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 3.1 Die Eskalationsspirale dreht sich weiter . . . . . . . . . . . . . . . 251 3.1.1 Das Enteignungsgesetz kommt zur Anwendung . . . . . . . 251 3.1.2 Erfolge der Besitzfestigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 3.2 »Etwas ruhiger«: Ermattung in Politik und Wirtschaft . . . . . . 270 3.2.1 Grenzen der Mobilisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 3.2.2 Landmangel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 3.3 Ausblick: Bodenmarkt und Siedlungspolitik im Ersten Weltkrieg und danach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 3.3.1 Die Ansiedlungskommission im Weltkrieg . . . . . . . . . . 281 3.3.2 Die deutsche Minderheit in der Zweiten Republik . . . . . . 283 Fazit: Nationalisierung durch Deliberalisierung . . . . . . . . . . . . . . 289 Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305
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Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 Periodika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 Amtliche Veröffentlichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 Archivalische Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 Gedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351
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Einleitung Die Königliche Ansiedlungskommission steht wie keine zweite Behörde für die Unterdrückung der polnischen Minderheit in Preußen. Ihre Aufgabe bestand seit ihrer Gründung 1886 darin, in den östlichen Provinzen Westpreußen und Posen Grundbesitz anzukaufen und mit deutschen Kolonisten zu besiedeln, um Bevölkerung und Boden im östlichen Preußen zu »germanisieren«. Der Dienstsitz befand sich in der Posener Provinzhauptstadt, zunächst in der Mühlenstraße, später in dem eigens für die Kommission in der Paulikirchstraße errichteten Amtsgebäude mit der rötlichen Fassade und dem markanten Kuppeldach. Mitte Juli 1900 erreichte das preußische Staatsministerium ein Schreiben des Präsidenten der Ansiedlungskommission Rudolf von Wittenburg. In ihm schilderte er, wie die Arbeit seiner Behörde neuerdings durch Journalisten in Verruf geraten sei: »In der deutschen Presse sind in jüngster Zeit zwei Güterverkäufe aus deutscher an die polnische Hand besprochen worden unter den üblichen Aeusserungen des Bedauerns, dass die Ansiedelungs-Kommission es an energischem Einschreiten habe fehlen lassen.« Der Präsident beklagte, dass die Zeitungen die Schuld für den Übergang deutschen Bodens in polnischen Besitz bei der Ansiedlungskommission suchten. Doch sei, so Wittenburg, nicht das Verhalten seiner Behörde kritikwürdig, sondern das derjenigen deutschen Grundbesitzer, die aus Profitstreben ihren Besitz an den nationalen Gegner veräußerten. Nicht gegen seine Behörde, sondern gegen diese Grundbesitzer, die Verrat an der Nation begingen, müsse sich die Empörung der deutschen Zeitungen wenden. Er verwies dabei auf die polnische Presse, die dies ihrerseits bei ihren Landsleuten erfolgreich praktiziere. Schließlich warnte Wittenburg, der mediale Druck könnte empfindlichen Einfluss auf die Arbeit seiner Behörde nehmen: »Ich fürchte, es wird noch soweit kommen, dass merkantile Gemüter von deutschen Rittergutsbesitzern sich polnischer Vermittler bedienen werden, um die Königliche Ansiedelungs-Kommission unter geschickter künstlicher Erzeugung einer sogenannten Entrüstungsstimmung in der deutschen Presse dazu zu verleiten, den polnischen Strohmann zu überbieten.«1 Drei Schlussfolgerungen lassen sich aus dieser kurzen Episode ziehen: Erstens besaß der Handel mit Grundbesitz durch die preußischen Germanisierungs bestrebungen erhebliche politische Bedeutung und genoss aus diesem Grunde hohe mediale Aufmerksamkeit. Zweitens standen anscheinend widerstreitende Auffassungen im Raum, wie die Aufgabenverteilung zwischen Politik und Medien auszusehen habe, aber auch, welche Pflichten den deutschen Grund1 GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9515, Bl. 138–141r, die Zitate 138–138r, Präsident der Ansiedlungskommission an das Staatsministerium, 13.7.1900.
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besitzern zufielen. Die deutschsprachige Presse, so Wittenburgs Klage, sehe es fälschlicherweise als Aufgabe der Ansiedlungskommission an, jeden einzelnen Übergang deutscher Rittergüter in polnischen Besitz notfalls durch eigenen Ankauf zu vermeiden. Wittenburg sah hingegen die deutschen Grundbesitzer in der nationalen Pflicht, nicht an polnische Interessenten zu verkaufen. Die deutsche Presse solle besser den Kurs der Regierung durch das Anprangern illoyalen Verhaltens unterstützen, anstatt zusätzlichen Druck aufzubauen. Das Beispiel zeigt drittens, dass die preußische Polenpolitik im Kräftefeld aus Regierung, Grundbesitzern, Medien und polnischer Nationalbewegung über nur begrenzte Handlungsspielräume verfügte.2 Für eine Untersuchung des Bodenmarktes im östlichen Preußen in den Jahrzehnten vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges ist der Blick nicht nur auf Kauf und Verkauf von Grundbesitz zu richten, sondern ebenso auf den großen Prozess der »Nationalisierung« des Marktes, also auf den Bedeutungsgewinn der »Nation« als ordnungsstiftendes Kriterium. Dafür reicht es nicht, allein dem Agieren des preußischen Staates Aufmerksamkeit zu schenken, das sich in Gesetzestexten, Verwaltungshandeln und gelegentlichen Parlamentsreden beteiligter Minister äußert. Um die in diesem Zusammenhang miteinander konfligierenden Normensysteme einbeziehen zu können, in deren Kontext sich dieser Markt einfügt, ist die Rolle der medialen Öffentlichkeit ebenfalls zu berücksichtigen.3
Forschungsstand Das wissenschaftliche Interesse am Bodenmarkt im östlichen Preußen vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges hat sich auf die Königliche Ansiedlungskommission konzentriert, da sie als Instrument der Polenpolitik besondere Aufmerksamkeit genoss, aber auch, weil sie seinerzeit die finanzkräftigste Akteurin auf dem Bodenmarkt war. Bereits zeitgenössisch fanden die Ansiedlungskommission, aber auch ihre Kontrahentinnen – nämlich polnische Parzellierungsgenossenschaften – rege Beachtung in der deutschen und polnischen nationalökonomischen Literatur. Zu nennen ist hier beispielsweise Ludwig Bernhards 1907 erstveröffentlichte Untersuchung zum polnischen Wirtschaftsleben mit Schwerpunkt auf dem Genossenschaftswesen.4 Für andere Untersuchungen 2 Zur Problematik des homogenisierenden Singular-Begriffs »Nationalbewegung« vgl. Jansen / Borggräfe, S. 115 f. und Kap. 1.3. 3 Der Begriff der »Öffentlichkeit« wird hier dem der »öffentlichen Meinung« vorgezogen und nicht als ein Kollektivakteur verstanden, sondern als ein Kommunikationsraum, in dem sehr unterschiedliche Akteure aufeinandertreffen können. Vgl. Requate, S. 8 f. 4 Zur Bedeutung der Bernhard’schen Studie vgl. auch Alexander, S. 314, Anm. 27; Lorenz, Nationalismus, S. 653 f. Zur Person Bernhards und der wissenschaftspolitischen Ausgangssituation seiner Studie: Konno, Weber, S. 126–130.
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waren sowohl die nationalpolitischen Folgen der sogenannten Germanisierung bzw. Polonisierung des Bodens von Interesse als auch die sozialpolitischen Folgen, die sich aus der Umverteilung des Bodens ergaben. So wurde die Vergabe von ehemaligem Großgrundbesitz an Klein- und Mittelgrundbesitzer, aber auch die Sesshaftmachung als zukunftsträchtiger Beitrag zur Lösung der »sozialen Frage« betrachtet. Solche Studien beschränkten sich im Wesentlichen darauf, die juristischen Modalitäten des »Rentenguts«, eines neu geschaffenen Rechtsinstituts, zu erörtern, die jeweilige Vorgehensweise der verschiedenen, am Markt vertretenen Institute zu referieren, Gesetzesinitiativen zu bewerten oder das schier unüberschaubare statistische Material zu Besitzwechseln und Besitzverteilung sowie zu Kaufpreisen und Renditen zu sammeln und auszuwerten.5 Mit der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg verlor Preußen große Teile der fraglichen Gebiete an die neu entstandene Zweite Polnische Republik. In den bei Preußen verbliebenen Resten der beiden alten Ansiedlungsprovinzen Westpreußen und Posen (zusammengefasst zur Verwaltungseinheit »Grenzmark Posen-Westpreußen«) befand sich nur noch ein Bruchteil der zuvor vom Staat zu Siedlungszwecken angekauften Flächen. Das Interesse der Nationalökonomie an diesem »Kampf um den Boden« blieb in der Zwischenkriegszeit ungebrochen, konzentrierte sich nun aber vorwiegend auf retrospektive Analysen. So verlegten die im Folgenden entstehenden resümierenden Studien ihren Untersuchungsschwerpunkt auf die Tätigkeit der Ansiedlungskommission während des Ersten Weltkrieges. Geschichtswissenschaftliche Abhandlungen finden sich kaum noch und wenn, dann vor allem innerhalb der polnischen Historiografie. Diese befand sich zu dieser Zeit noch in ihrer Institutionalisierungsphase und besaß ein Interesse daran, einen geschichtspolitischen Beitrag zum State-Building des neuen Polen zu leisten. Das Bemühen um eine politische Legitimierung bot der Wissenschaft der Zwischenkriegszeit zugleich eine Strategie der Ressourcenakquirierung – in Konkurrenz zu Mediävistik, Prähistorie und Archäologie mit ihren ungleich größeren Legitimationspotenzialen.6 Neuerliche Aktualität gewann das Thema durch die Abwicklung der Ansiedlungskommission Mitte der 1920er-Jahre und die damit verbundenen Folgen für die einstigen Siedler, die unter einer Verdrängungspolitik durch die neue polnische Regierung als Rechtsnachfolgerin der Ansiedlungskommission litten. Im Zuge dessen entstanden auch einige Studien rechtswissenschaftlicher Provenienz.7 Auch sie lassen sich
5 Exemplarisch: Sering; Mitscherlich; Waldhecker; Brentano; Wegener; Belgard; Bernhard, Polenfrage; Zawadzka; Spatz; Tomaszewski; Trzciński. 6 Vgl. Guth, S. 31–40. 7 Kursorisch: Bernhard, Polenpolitik; Tönnies; Corvinus; Hartmann, Liquidation; Falk; Sukiennicki; Wojtkowski, Działalność; Rothfels, Ansiedlungsgesetz; Feldman. Nach der Veröffentlichung dieser allein auf gedrucktem Material fußenden Studie wurde Feldman, Professor in Krakau, der Zugang zu preußischen Archiven verwehrt, vgl. Lehr, passim, jedoch auch S. 228 der Hinweis, dass Akten aus der Zeit nach 1870 generell Beschränkungen unterlagen. Zur Behinderung des Archivzugangs für polnische Historiker generell auch Guth, S. 77–80.
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als Beispiele einer politisierenden Forschung verstehen, die den Anspruch beider Nationen auf die jeweils untersuchten Territorien legitimieren sollte. Nach dem Zweiten Weltkrieg dominierte das sozialgeschichtliche Interesse an diesem Gegenstand. Nach einer einflussreichen Lesart verfolgten die deutschen Großgrundbesitzer, die »ostelbischen Junker«,8 als vorindustrielle Herrschaftselite spezifische Klasseninteressen. Die ostelbische Gutswirtschaft habe sich wegen der aus altem Standesdünkel gespeisten Modernisierungsfeindlichkeit der Grundbesitzer dem gesellschaftlichen und ökonomischen Strukturwandel nicht anpassen können. Die Gutsbesitzerklasse habe ihre Partikularinteressen nur unter dem Deckmantel der Wahrung eines nationalpolitischen Sicherheitsbedürfnisses durchsetzen können, indem sie ihre traditionellen Machtressourcen mobilisierte. Hans-Ulrich Wehler bezeichnete die Ansiedlungskommission in der Folge – eine These, die sich durch sein gesamtes wissenschaftliches Werk zieht – als »ein landwirtschaftliches Sanierungsunternehmen großen Stils«9 und befand: »die angeblich aus nationalen Notwendigkeiten beibehaltene Bodenpolitik erwies sich im Nationalitätenkampf als unstreitig erfolglos, bot aber den deutschen Grundbesitzern ausgezeichnete Geschäftsmöglichkeiten.«10 Hannelore Bruchhold-Wahl korrigierte diese These in Teilen, bekräftigte sie im Wesentlichen jedoch.11 Mit einem durch die deutsche Teilung erschwerten Zugang zum Quellenmaterial12 – die maßgeblichen Bestände des Landwirtschafts ministeriums befanden sich in Merseburg13 – identifizierte sie das Jahr 1898 als den entscheidenden Wendepunkt: Nach anfänglichem Zögern der preußischen Regierung fiel in diesem Jahr die Entscheidung für den vermehrten Ankauf deutschen Grundbesitzes, womit es den Junkern gelang, die staatliche Ankaufpolitik ihren finanziellen Bedürfnissen unterzuordnen. Ab 1898 habe die Ansiedlungskommission ihre nationalpolitische Zielsetzung aufgegeben und sich schließlich zum »Sanierungsunternehmen« gewandelt. Die jüngere Sozial- und Wirtschaftsgeschichte revidiert diese Auffassung mit Verweis auf die sozialpolitischen Erfolge der Ansiedlungsgesetze, die es einer großen Zahl von Personen ermöglichte, mithilfe staatlicher Kredite Grundbesitz zu erwerben. Dabei wird jedoch auch deutlich, dass die Regierung ihre nationalpolitische Zielsetzung verfehlte und die ökonomische Integration der östlichen Provinzen in den Gesamtstaat in Ermangelung einer zielstrebigen Industrialisie-
8 Zur Entstehung dieses Stereotyps als »Modernisierungsverhinderer« auf Basis des zeitgenössischen sozialdemokratischen und nationalliberalen Diskurses – beides politische Strömungen mit urbanem, nicht aber ländlichem Schwerpunkt – mit Wiedergabe neuerer Forschungspositionen vgl. ausführlich Malinowski; Dipper, Modernisierung. 9 Wehler, Polenpolitik, S. 305; ebenso: Ders., Reichsfeinde, S. 188; ders., Gesellschaftsgeschichte, S. 964; ders., Kaiserreich, S. 116. 10 Ders., Polenpolitik, S. 305. 11 Vgl. Bruchhold-Wahl. 12 Vgl. ebd., S. 34–39. 13 Zur Behördengeschichte und Bestandserschließung vgl. Dräger, bes. S. 271 f.
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rungspolitik misslang.14 Kritisiert wurde das Verständnis der älteren Forschung von den »Junkern« als eine homogene und innovationsfeindliche Klasse, da es unter den Großgrundbesitzern nicht nur objektiv erhebliche Unterschiede, sondern auch eine individuell höchst unterschiedliche Bereitschaft und Fähigkeit gegeben habe, sich den veränderten Bedingungen anzupassen. Nichtsdestotrotz blieb die These von der strukturellen Bevorzugung deutscher Großgrundbesitzer durch die preußische Regierung lange unwidersprochen. Als Bestätigung wurden die augenscheinlich unverhältnismäßig hohen Kaufgelder angeführt, die ihnen gezahlt wurden. Dagegen argumentiert Scott M. Eddie mithilfe quantitativer Analysen der in beiden Provinzen erfolgten Besitzwechsel, dass der im Untersuchungszeitraum stetige Anstieg der Bodenpreise keineswegs unverhältnismäßig gewesen sei. Auch eine systematische Betrachtung der von der Ansiedlungskommission gezahlten Preise erlaube lediglich, von einer ausnahmsweisen, aber nicht regelmäßigen Überbezahlung des angekauften Grundbesitzes zu sprechen.15 Anders als die bundesrepublikanische Forschung vor 1990 war die polnische Geschichtsschreibung von einem eingeschränkten Archivzugang infolge der deutschen Teilung nicht betroffen. Sie legte in den 1960er- und 1970er-Jahren in vornehmlich regionalgeschichtlicher Arbeitsteilung quellengesättigte Studien zur preußischen Germanisierungspolitik im Allgemeinen und der Siedlungspolitik im Besonderen vor. Hierbei sind neben den Darstellungen von Tadeusz Cieślak und Michał Pirko16 oder dem konzisen Überblick über die deutsche Bodenpolitik von Czesław Łuczak17 vor allem die Arbeiten von Lech Trzeciakowski und Witold Jakóbczyk18 hervorzuheben. Letzterer hat die einzige, in der deutschen Forschung indes nur unzureichend berücksichtigte Monografie zur Ansiedlungskommission vorgelegt. Trotz der volksrepublikanischen Rahmung ihres akademischen Betriebes behauptete die polnische Geschichtsforschung ihren Charakter als Nationalgeschichtsschreibung. Dabei wurde im Wesentlichen auf Narrative des nationalen Widerstandes zurückgegriffen und die Perspektive auf die Wechselwirkung von Unterdrückungsmaßnahmen der preußischen Regierung und polnischer Gegenwehr verengt.19 Im Rückblick auf die Forschung jener Jahre gelangte der polnische Historiker Włodzimierz Stępiński Mitte der 1990er-Jahre zu dem Urteil, die ältere polnische Wirtschaftsgeschichte 14 Vgl. Müller, Modernisierung. 15 Vgl. Eddie / Kouschil, Ethnopolitics, S. 23–27; Eddie, Ethno-Nationality, S. 62–70; ders., Commission. 16 Vgl. Cieślak, Przeciw; Pirko. 17 Vgl. Łuczak, S. 52–74. 18 Für die vorliegende Arbeit am wichtigsten: Trzeciakowski, Pod; Jakóbczyk, Komisja. 19 Zur Verteidigung des nationalgeschichtlichen Paradigmas der polnischen Preußenforschung gegen Einflüsse des Marxismus-Leninismus: Zernack, Nation, S. 264 f., 274; ders., Weg, S. 195. Für Preußen als Forschungsgegenstand vgl. Hackmann, S. 313–326. Zur volksrepublikanischen Geschichtsschreibung im Allgemeinen, insbesondere zu den Widerständen gegen die marxistische Dogmatik vgl. Wandycz, S. 1018–1023, sowie Grabski.
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habe den Patriotismus als handlungsleitende Maxime der polnischen Bevölkerung überinterpretiert.20 Daran anschließend forderte Witold Molik eine beziehungsgeschichtliche Weitung des Blickwinkels, um die Reaktion der deutschen Bevölkerung auf die Regierungspolitik in die Analyse der Nationalisierungsprozesse einzubinden und in der Darstellung nicht den Eindruck zu erwecken, die deutsche Mehrheitsbevölkerung habe stillschweigend die Nationalitätenpolitik der preußisch-deutschen Regierung unterstützt.21 Zwei große Fragenkomplexe standen im Fokus der Forschungsdiskussion des 20. Jahrhunderts. Zum einen, ob sich die preußische Regierung in ihrer Ansiedlungspolitik eher von ökonomischen oder eher von nationalen Motiven leiten ließ, und zum anderen, wer die Gewinner oder Verlierer der Polenpolitik waren. Dabei bildeten sich zwei aufeinander bezogene Meisternarrative heraus, denen zufolge die polnische Nationalbewegung den »Kampf um den Boden« für sich entscheiden konnte, während die preußische Siedlungspolitik bereits vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges als faktisch gescheitert anzusehen sei. Schon die Zeitgenossen hatten einen rapide nachlassenden deutschen Einfluss in den östlichen Provinzen wahrgenommen22 und so entstand in den folgenden Jahrzehnten eine Fülle von Ansätzen, um das Scheitern der preußischen Regierung zu erklären. In jüngerer Zeit mehren sich allerdings die Stimmen, die fordern, »dass die mantraartig wiederholte Feststellung der Historiographie vom angeblichen Scheitern der preußischen Ansiedlungspolitik einer Überprüfung bedarf.«23 Erklärungsversuche beziehen sich gemäß der Natur der Sache auf die Mobilisierung der Ressourcen Land und Leute. So wird zumeist darauf verwiesen, dass der Osten des Reiches durch seine wirtschaftliche Schwäche und den nationalen Konflikt keine Anziehungskraft auf deutsche Siedler besaß, die Ansiedlungskommission übermäßig kostspielig wirtschaftete und letztlich zu wenige Siedler ansässig machen konnte, um das Nationalitätenverhältnis entscheidend zu beeinflussen.24 Oder, differenzierter: Sie habe zwar in einigen Landkreisen eine deutsche Mehrheit herbeiführen oder erhalten können, doch sei indes der Trend einer stetig wachsenden polnischen Bevölkerung nicht aufzuhalten gewesen.25 So vertrat Lech Trzeciakowski die Auffassung, dass die staatliche Siedlung zumindest die durch die »Ostflucht« verursachten Verluste der deutschen Bevöl20 Vgl. Stępiński, S. 329 f. 21 Vgl. Molik, Polenpolitik, S. 39. Ähnlich: Spickermann, Einfluß, S. 51 f. 22 Vgl. die plakativen Titel: Massow; Puttkamer; Raschdau. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde darüber hinaus mehrfach Kritik an der mangelnden Kooperationsbereitschaft deutscher Grundbesitzer geäußert: Skalweit, Agrarpolitik, S. 139; Busch, S. 77–88. 23 Thum, Frontier, S. 34. 24 Vgl. Herzfeld, S. 319; Tims, S. 120; Borck, S. 92; Kulczycki, S. 38; Baier, S. 16; Łuczak, S. 55; Hofmann, S. 262 f.; Boysen, Geist, S. 109; Born, Sozialgeschichte, S. 53; Kowal, S. 175; Müller, Modernisierung, S. 155, 161; ders., Maßnahmen, S. 60; Volkmann, S. 129. Zuweilen wurden in der Forschung versehentlich alle staatlicherseits für die Bodenpolitik zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel einzig der Siedlungspolitik zugerechnet. 25 Vgl. Belzyt, S. 18; Müller, Modernisierung, S. 161 f.
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kerung zu kompensieren vermochte.26 Doch habe schließlich die unterschiedliche Förderung von Stadt und Land dazu beigetragen, Konflikte innerhalb der deutschen Bevölkerung zu schüren.27 Auch die amtliche Besitzwechselstatistik, die seit 1896 ein stetiges Wachstum des polnischen Besitzstandes zulasten des deutschen verzeichnete, wurde als Beleg für das Scheitern der preußischen Siedlungspolitik herangezogen.28 Bereits Zeitgenossen vertraten die Ansicht, die Unterlegenheit der Ansiedlungskommission resultiere aus ihrer bürokratisch-schwerfälligen Vorgehensweise, der gegenüber die privatwirtschaftlichagilen polnischen Konkurrenzinitiativen im Vorteil gewesen seien. Auch die Geschichtsforschung schloss sich dieser Auffassung mehrheitlich an.29 Dagegen betonte zuletzt Uwe Müller, dass Preußen in vielen Belangen erst durch das Gefahrenpotenzial des polnischen Nationalismus die Entwicklung hin zu einem modernen Interventionsstaat vollzog und entsprechende Konzepte entwickelte. Allein die Beschränkung auf die deutsche Bevölkerung und die Bevorzugung einzelner Gruppen, etwa der Großgrundbesitzer, habe diesen Konzepten an Schlagkraft genommen. Der Nationalismus sei demnach Motor und Hemmschuh zugleich für die Wirtschaftsinterventionen des Staates gewesen.30 Erfolge wurden der Ansiedlungskommission von Zeitgenossen und der späteren Forschung nicht auf national-, sondern allenfalls auf sozialpolitischer Ebene attestiert. Die Parzellierung des Bodens, sowohl durch die Ansiedlungskommission, als auch im Wettbewerb mit den polnischen Parzellierungsinstituten und durch die Mithilfe der Generalkommission, habe die Grundbesitzverhältnisse in den östlichen Provinzen zugunsten des bäuerlichen Mittelstandes verändert.31 Stefan Kowal macht allerdings darauf aufmerksam, dass dreißig Prozent der von der Ansiedlungskommission ausgelegten Stellen die Fläche von zehn Hektar nicht überstiegen, damit zum alleinigen Auskommen nicht ausreichten und die Stellennehmer zu einem Nebenerwerb zwangen.32 In den vergangenen anderthalb Jahrzehnten hat sich schließlich die post kolonial informierte Globalgeschichte mit der deutschen Polen- und Siedlungspolitik beschäftigt und die östlichen Provinzen Preußens als imperiale »Fron26 Vgl. Trzeciakowski, Pod, S. 292 f., 300. Nachträglich wurde der Ansiedlungskommission in der Zwischenkriegszeit ein Erfolg in dem Sinne bescheinigt, dass die deutsche Bevölkerung zuletzt schneller gewachsen sei als die polnische. Vgl. Hartmann, Liquidation, S. 15; Falk, S. 7. 27 Vgl. Spickermann, Germans; ders., Contradictions. 28 Vgl. Corvinus, S. 61 f.; Bernhard: Polenfrage, 3. Aufl., S. 569; Łuczak, S. 72; Müller, Maßnah men, S. 60; Balzer, S. 293 f. 29 Vgl. Wehler, Polenpolitik, S. 306–308; ders., Reichsfeinde, S. 191; ders., Gesellschaftsgeschichte, S. 1068; Schultz-Klinken, S. 205; Eddie, Ethno-Nationality; ders. / Kouschil, Ethnopolitics. 30 Vgl. Müller, Integration; ders., Agrarismus; ders., Maßnahmen. 31 Vgl. Hartmann, Liquidation, S. 22, 28; Kohte, S. 232f; Balzer, S. 293 f.; Heß, Junker, S. 32, 38; Müller, Modernisierung, S. 163 f. 32 Vgl. Kowal, S. 175.
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tier« bzw. kolonialen Raum verstanden.33 Vertreterinnen und Vertreter dieses Ansatzes kritisieren die ältere Forschung hauptsächlich für ihre Auffassung, bei der Polenpolitik habe es sich um eine rein nationale Innenpolitik gehandelt,34 womit der »imperiale« bzw. »koloniale« Charakter der deutschen Polenpolitik verkannt werde.35 Sowohl der nationale als auch der imperiale Deutungsansatz sind sich jedoch in der Grundannahme einig, dass der moderne Nationalismus ethnische Heterogenität als dysfunktional wahrnimmt. Das Deutsche Reich war ein Imperium, das – in seinen europäischen Grenzen – keines sein wollte. Nationalstaatliche Homogenität war das erklärte Fernziel. Die preußische Politik sah eine existenzielle Notwendigkeit darin – dies unterschied sie von ihren österreichischen und russischen Pendants – Assimilationsdruck auf die polnische Minderheit auszuüben.36 Die für die Polenpolitik verantwortlichen Akteure fanden eine als ethno-national heterogen verstandene demografische Ausgangssituation vor. Maßnahmen wie die Religions-, Sprach-, Schul- und schließlich Siedlungspolitik produzierten damit eine politische, rechtliche und soziale Ungleichheit zwischen den in Preußen bzw. Deutschland vertretenen Bevölkerungsgruppen. Worin sich beide Deutungsansätze letztlich voneinander absetzen, ist der Zeithorizont, den sie den historischen Akteuren in ihrem Denken und Handeln zugrunde legen: hier der kurzfristige Ist-Zustand imperialer Ungleichbehandlung, dort der langfristige Soll-Zustand ethnischer Homogenität. Der Anwendung postkolonialer Ansätze auf die östlichen Provinzen Preußens vor 1914 wird in jüngerer Zeit mit Skepsis begegnet. Dabei zielt die Kritik nicht auf das Konzept grundsätzlich, sondern auf bestimmte Verzerrungen, die aus einer mentalitätsgeschichtlichen Verengung resultieren. So wird bemängelt – um nur die Kritikpunkte hervorzuheben, die die vorliegende Analyse unmittelbar berühren –, dass die Untersuchung deutscher Beherrschungsrhetorik gegenüber der polnischen Minderheit stärkerer Kontextualisierung bedürfe. Einerseits werde die Komplexität der »polnischen Frage« auf ihren innenpolitischen Aspekt reduziert, während ihre Stellung im europäischen Machtgefüge ausgeklammert werde, andererseits müsse gefragt werden, welche Gestaltungsspielräume radikale Ideologen für die Umsetzung ihrer Programme tatsächlich besaßen. Ferner werde mit der der postkolonialen Perspektive inhärenten Opferdarstellung Polens und der einseitigen Konzentration auf deutsche Diskurse und Praktiken der polnischen Bevölkerung tendenziell die historische Handlungsmacht abgesprochen. Vor allem werde der »Kolonialismus«-Begriff so weit
33 Vgl. Conrad, Rethinking; Kopp; Lerp, Grenzräume. 34 Für die ältere Sozialgeschichte: Conze; Schieder, S. 44; Wehler, Polenpolitik; ders., Kaiserreich, S. 114 f. Aus beziehungsgeschichtlicher Sicht: Zernack, Weg, S. 196. Verfassungs geschichte: Huber, S. 382. 35 Vgl. Ther, S. 129–134; Lerp, Grenzräume, S. 8. 36 Vgl. Jaworski, Handel, S. 24–26; Karch, S. 35–37.
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ausgedehnt, dass alle möglichen Formen kultureller Superioritätsdiskurse als »kolonial« qualifiziert würden.37 Auf der anderen Seite wird ein qualitativer Unterschied der Bevölkerungspolitiken konzediert: Die gegenüber der polnischen Bevölkerung verfolgten Maßnahmen zielten, anders als gegenüber der überseeischen, auf Assimilierung und Homogenisierung ab.38 Somit scheint in diesem Bereich – den Konstruktionsprozessen der Andersartigkeit, die als handlungsleitende Orientierungsmuster der kontinentalen und der überseeischen Repressionspolitiken dienten – eher die Grenze des »Kolonie«-Begriffs erreicht als eine weitere Dehnung dem Erkenntnisgewinn zuträglich. Darüber hinaus sieht sich der postkoloniale Zugriff aktuell vor die Herausforderung gestellt, seine bisherigen Erkenntnisse mittels Perspektivwechsel auf die Bevölkerung vor Ort zu überprüfen. Die Untersuchungen folgten bislang einer quasi-etatistischen Perspektive auf Gesetzgebung und Verwaltungshandeln, um die Herausbildung einer Zweiklassengesellschaft darzustellen. Dadurch entsteht der Eindruck: Der polnische Subalterne kann nicht sprechen. Durch die auf deutsche Politik und deutsche Diskurse konzen trierte Perspektive bleiben die Handlungsspielräume der polnischen Minderheit, die Formen des Widerstandes, aber auch der Kooperation unterbeleuchtet.39 Die Ergebnisse der älteren polnischen Historiografie, die sich diesen Fragen gewidmet hat, werden dabei ebenso selten berücksichtigt wie das Material der preußischen Verwaltungsüberlieferung, insbesondere dasjenige der regionalen und lokalen Behörden jenseits der Zentralinstanzen. Eine Objektifizierung der polnischen Minderheit hieße jedoch, ihre Aktivitäten auf bloße Reaktionen auf Diskriminierungen durch den preußisch-deutschen Staat und Teile der deutschen Bevölkerung zu reduzieren.40 Um dieses komplexe, dynamische und interdependente Geflecht aus Aktion und Reaktion von Entscheidungsprozessen angemessen untersuchen zu können, wird der vorliegenden Studie stattdessen eine beziehungsgeschichtliche Perspektive zugrunde gelegt. Betrachtet man die Forschung zur preußischen Siedlungspolitik insgesamt, so lassen sich zwei Desiderata erkennen: Einerseits konzentriert sich die Forschung bislang auf nationale Eliten und vernachlässigt andere Gruppen, wie beispielsweise die Grundbesitzer, von denen die Ansiedlungskommission und polnische Genossenschaften kauften. Andererseits gründen diese Forschungsergebnisse auf der Basis der erfolgreichen Käufe der Ansiedlungskommission bzw. der mit ihr konkurrierenden privaten Institute. 37 Vgl. Kauffman; Chu, Conclusion. 38 Vgl. Conrad, Globalisierung, S. 126, 130, 143–146 (doch auch S. 142 f. der Hinweis auf rassistische Narrative seit der Mitte des 19. Jahrhunderts); ders., Internal, S. 247–251, jedoch auch die Relativierung S. 254–258; Ther, S. 139; Lerp, Grenzräume, S. 335; Kienemann, S. 181. 39 Siehe dafür neuere Arbeiten wie Frysztacka, Colonized, Ureña Valerio und Turkowska, die polnische Perspektiven in den jeweiligen Untersuchungsrahmen einbeziehen. 40 Vgl. Schattkowsky, Nationalismus, S. 36; Jaworski, Handel, S. 24; Gosewinkel, Einbürgern, S. 217 f.
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Leerstellen der Forschung sind demzufolge, erstens, eine bündige Untersuchung der den Käufen bzw. Verkäufen vorgelagerten Aushandlungsprozesse, also ein Verständnis des Marktes als sozialer Praxisbereich. Nicht jede schwebende Kaufverhandlung musste mit einem Ankauf abgeschlossen werden.41 Um die Spielräume der staatlichen Siedlungspolitik ausloten zu können, scheint eine Betrachtung der Handlungskoordinationen nützlich zu sein, die nicht nur die Käufer-, sondern mit den Grundbesitzern auch die Angebotsseite einschließt. Darum sollten auch die Kaufverhandlungen und die den Handelspartnern zugrundeliegenden Wünsche und Erwartungen einbezogen werden. Indem die mediale Öffentlichkeit als Repräsentantin der Gesellschaft in die Untersuchung wirtschaftlicher Prozesse einbezogen wird, findet eine Erweiterung des Resonanzraumes statt: Nicht nur Käufer und Verkäufer sind von Interesse, also das Handeln der Marktakteure im engeren Sinne, sondern auch die gesellschaftlichen Akteure, die die normativen Rahmenbedingungen sowohl juristischer als auch informeller Art vorgeben, innerhalb derer sich Marktprozesse abspielen. Eine solche Untersuchung sollte zudem, zweitens, den Nationalitätengegensatz nicht als gegeben ansehen, sondern nach den zahlreichen Interdependenzen, Dynamiken und symbiotischen Verhältnissen zwischen Angehörigen der polnischen und der deutschen Nation fragen sowie überhaupt nach den Selbst- und Fremdzuschreibungen, also den Konstruktionsprozessen nationaler Identitäten. Es werden solche individuellen Erfahrungen und Sinndeutungen zu analysieren sein, die das Urteil und Handeln der Grundbesitzer in Reaktion auf eine zunehmende Nationalisierung ihrer Umwelt bestimmten. Mit »deutsch« und »polnisch« ist in dieser Studie die Zugehörigkeit zu einer ethnisch-kulturellen Gruppe gemeint, doch wird gleichzeitig für einen pragmatischen und offenen Umgang mit gruppenspezifischen Begriffsmarkern dieser Art plädiert, etwa in ihrem breiten Spektrum zwischen ethnischen, nationalen, kulturellen und anderen Bedeutungsebenen, aber auch in ihrer Differenz zwischen Selbst- und Fremdzuschreibung.
Fragestellungen, Erkenntnisziele und Eingrenzung des Themas Eine solche Untersuchung des Bodenmarktes im östlichen Preußen vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges betrifft drei große Fragenkomplexe: Erstens stellt sich die Frage, wie sich die preußische Polenpolitik und das Marktgeschehen wechselseitig beeinflusst haben. Inwiefern nutzte der preußische Staat seinen Einfluss als Gesetzgeber, um den rechtlichen Rahmen des Bodenmarktes zu beeinflussen? Welche Rolle spielte die Doppelfunktion des Staates als Gesetzgeber und – im Gewand der Ansiedlungskommission – als 41 Zur Bedeutung von Kontingenz in Marktbeziehungen vgl. Beckert, S. 45 f.
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Marktakteur? Weiter ist zu untersuchen, inwiefern die preußische Regierung ihre Zielsetzungen in der Siedlungspolitik abändern musste, weil sie das Marktgeschehen nicht hinreichend zu beeinflussen vermochte. Eine solche Analyse erlaubt, das vorherrschende Forschungsbild einer konsistenten Siedlungspolitik zu hinterfragen und Konjunkturen, Zäsuren und Wendepunkte auszuloten. Zweitens sind die Mechanismen der medialen Kommunikation über das Ökonomische zu betrachten. »Nationalisierung des Marktes« soll im Folgenden als ein Prozess steigender Bedeutung von »Nation« als Ordnungskriterium für wirtschaftliches Handeln verstanden werden. Doch wie vollzog sich diese Nationalisierung? Welche Akteure waren daran beteiligt, das Nationale im ökonomischen Kontext zu verorten? Welche Interessen verfolgten sie dabei und welcher Ausdrucks- und Vermittlungsformen, welcher Kommunikationswege bedienten sie sich? Welche Deutungsmuster und Argumentationsformen hielten nationale Denkstile bereit, um ökonomisches Handeln zu bewerten und zu beeinflussen? Dabei geht es nur vordergründig um Käufer und Verkäufer, Ware und Preis. Dahinter steht das Aushandeln von sozialem Einfluss sowie Konzepte von nationaler Verpflichtung und sozialer Gerechtigkeit, die im Zentrum der vorliegenden Untersuchung stehen. Eine solche »Moralgeschichte«42 des Ökonomischen gibt Aufschluss über Paradigmenwechsel im wirtschaftlichen Ordnungsdenken, indem sie fragt, welche Akteure sich der Formulierung moralischer Imperative der »Nation« als Legimitationsressource bedienten. Stehen auf diese Weise Diskurse im Vordergrund, so ist, drittens, in einem weiteren Schritt zu fragen, wie sich die Verschiebung des normativen Koordi natensystems in der Praxis auf die unmittelbaren Marktteilnehmer auswirkte. Welche sozialen, politischen, ökonomischen, aber auch rechtlichen Auswirkungen hatte die Nationalisierung des Bodenmarktes? In welcher Weise wurden Handlungsspielräume und Erwartungshorizonte davon berührt, d. h. welche »handlungsleitende[n] Deutungsmuster, Denkfiguren und Argumentationsformen« hielt der Nationalismus für wirtschaftliches Handeln »parat, um Erfahrungen und Zukunftsentwürfe im Koordinatensystem des Nationalen sinnvoll einzuordnen«?43 Änderten die Marktakteure ihr Handeln tatsächlich, sobald sich der normative Bezugsrahmen veränderte? Ein solcher Fragenkomplex problematisiert die Verbreitung und Wirkmacht des Konzeptes »Nation« in einer Zeit, für die die Forschung davon ausgeht, dass bei den Bewohnern dieser Region die nationale Identität zuweilen schwach oder gar nicht ausgebildet war. Damit wird der Blick auf die Wirkung von Nationalisierungsprozessen auf Bevölkerungsgruppen jenseits nationaler Eliten geweitet.44 Die vorliegende Studie versteht sich auch als ein Beitrag zur Geschichte des erheblichen Einflusses der Wirtschaft auf nationales Denken und natio42 Vgl. Knoch / Möckel. 43 Beide Zitate: Echternkamp / Müller, S. 6. 44 Vgl. Kertzer / Arel, S. 9; Schattkowsky, Nationalismus, S. 36, 41; Lerp, Kaiserreich, S. 97 f.; Judson, S. 94.
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nale Identität,45 der sich als »Wirtschaftsnationalismus« fassen lässt. Damit ist nicht die Beziehung zwischen zwei oder mehr Staaten gemeint. Vielmehr wird »Wirtschaftsnationalismus« im Anschluss an Rudolf Jaworski und Torsten Lorenz dazu genutzt, Prozesse innerhalb multiethnisch verfasster Staaten zu beschreiben. Wirtschaftsnationalismus wird in diesem Kontext nicht nur »als ein kalkuliertes wirtschaftspolitisches Konzept, sondern zugleich als ein kulturell vermittelter Leitfaden für das ›richtige‹ Wirtschaften in einer multinationalen Umgebung«46 verstanden und damit zugleich als ein Mittel des Nation-Buildings, »as a strategy of national elites to mobilize their laboring classes politically and advance them economically«.47 Für die vorliegende Untersuchung ist es somit notwendig, drei Ebenen miteinander in Beziehung zu setzen, nämlich das Verwaltungshandeln der preußischen Bürokratie, die ökonomischen Praktiken des Handelns und Verhandelns, des Kaufens und Verkaufens sowie die sozialen Diskurse über diese Praktiken. Dadurch rückt der normative Rahmen wirtschaftlichen Handelns ins Zentrum der Analyse, der eine Kombination von wirtschafts- mit kulturhistorischen Ansätzen sinnvoll erscheinen lässt. Es gibt verschiedene Gründe, die gerade für das Handelsobjekt »Grundbesitz« sprechen, um Nationalisierungsprozesse in Marktbeziehungen zu untersuchen. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass die Forschung dem Beginn der preußischen Siedlungspolitik im Jahre 1886 eine besondere Bedeutung für die sich bis 1914 stetig verschlechternden Beziehungen zwischen preußisch-deutscher Regierung und der polnischen Nationalbewegung beigemessen hat. So weist etwa Günter Schödl auf die katalysatorische Wirkung der Ansiedlungspolitik hin, denn sie »beschleunigte jene Emotionalisierung und Lagerbildung, jene Spiralbewegung gegenseitiger Fehlwahrnehmungen und kollektiver Verfeindung, die sich bis in den Zweiten Weltkrieg, Vertreibung und Kalten Krieg fortsetzen sollte.«48 Jeder neuerliche Versuch einer diskriminierenden Politik gab dieser Spiralbewegung neuen Schwung. »Angesichts einer sich den Polen feindlich gestalteten Umwelt«, so beschrieb Ralph Schattkowsky diesen sozialpsychologischen Effekt, »mußte dem Polnischsprachigen die Anlehnung an die polnische Nation seinem Identitätsentwurf und seiner Interpretation der eigenen Handlungsmöglichkeiten und Absichten entsprechen.«49 Die Forschung ist sich einig, dass der Erlass des Ansiedlungsgesetzes 1886 einen qualitativen Wandel der Polenpolitik mit der Folge einer zunehmenden nationalen Polarisierung bedeutete.50
45 Vgl. Berger. 46 Jaworski, Interessenvertretung, S. 259. 47 Lorenz, Introduction, S. 10; Blomqvist, S. 396. Für die Forschung zum klassischen Begriff des »Wirtschaftsnationalismus« vgl. die ausführliche Bibliografie in: Etges, S. 423–480. 48 Schödl, S. 157. 49 Schattkowsky, Nationalismus, S. 41. 50 Vgl. Mai, S. 104, 109 (fortan war nicht mehr nur das Kultusressort für die Polenpolitik verantwortlich); Wehler, Polenpolitik, S. 304 f.; ders., Kaiserreich, S. 116; Bruchhold-Wahl, S. 63; Stępiński, S. 330 f.; Trzeciakowski, Nationalitätenpolitik, S. 10, 21; Thum, Megalomania, S. 51;
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Darüber hinaus war im Kaiserreich auch die Transformation vom Agrarzum Industriestaat keineswegs abgeschlossen. Der primäre Sektor stellte nach wie vor die Lebensgrundlage für einen erheblichen Bevölkerungsteil dar. Diese landwirtschaftliche Prägung gilt insbesondere für die hier untersuchten, wenig industrialisierten Gebiete östlich der Elbe. In ihnen stellte die Landwirtschaft den wichtigsten Wirtschaftszweig dar. 1907 etwa lag in der Provinz Posen der Anteil der hauptberuflichen Beschäftigung in der Landwirtschaft auf der einen und Handel und Gewerbe sowie Industrie auf der anderen Seite bei 57 zu 26 Prozent, 25 Jahre zuvor – zu Beginn des Untersuchungszeitraumes – sogar noch bei 64 zu 22 Prozent. Das Objekt »Boden«, das gehandelt wurde, stellte also noch immer die wirtschaftliche Existenzgrundlage der Mehrzahl der Einwohner dieser Region dar.51 Im Unterschied zu Handel und Gewerbe knüpfen sich an den Produktionsfaktor Boden einige Besonderheiten:52 Grundbesitz ist als Handelsobjekt mit vollkommen unelastischem Angebot besonderen Marktregeln unterworfen. Anders als bei gewerblichen Produkten kann das Angebot bei einer Steigerung der Nachfrage lediglich mit einer Steigerung des Verkaufspreises, nicht aber mit einer Ausweitung der Produktion bedient werden, da die Fläche landwirtschaftlich nutzbaren Bodens begrenzt ist.53 Sehr viel wichtiger ist für die vorliegende Abhandlung der Umstand, dass Grund und Boden ein Gut mit hoher symbolischer Bedeutung ist, mit der eine starke emotionaler Bindung einhergeht. Die Idealvorstellung der Zeitgenossen sah vor, dass ein landwirtschaftlicher Betrieb innerhalb einer Familie von Generation zu Generation weitergereicht wird. Dieser familiären Tradition übergeordnet, besitzt der Boden auch auf nationaler Ebene erhebliche Symbolkraft: Wer den Boden besitzt, dessen Nation besitzt den Boden. Jacob T. Levy hat auf diesen eigentümlichen Umstand im nationalistischen Denken der Zeit hingewiesen, bei dem die Grenzen von Privatbesitz und national(staatlich)er Souveränität, von Familientradition und Nation un-
Schattkowsky, Nationalismus, S. 39 f. (allerdings auch mit dem Hinweis, dass das Gesetz bei polnischen Schichten jenseits der Eliten keinen Protest auszulösen vermochte, ganz anders als die restriktive Sprachenregelung der Jahre 1887/88, S. 45); Jaworski, Handel, S. 58; Gose winkel, Einbürgern, S. 214; Conrad, Globalisierung, S. 143 f.; Karch, S. 58; Stöcker, S. 145 (Abkehr von der Assimilationspolitik früherer Jahrzehnte); Müller, Maßnahmen, S. 40 f. (Ergänzung der Polenpolitik um wirtschaftliche Maßnahmen); gegen diese Auffassung: Volkmann, S. 85. 51 Vgl. Flechtner; Statistisches Jb. für den Preußischen Staat 9 (1911), S. 49–51. In diesen Zahlen nicht enthalten ist der ebenfalls hohe Anteil landwirtschaftlicher Erwerbstätigkeit in nebenberuflicher Beschäftigung, der 1907 weitere 11,3 Prozent betrug. 52 Vgl. Jaworski, Handel, zum polnischen Bevölkerungsteil. Zum Bedarf einer an Jaworski orientierten Parallelstudie zum Grundbesitz, die die Implikationen der Nationalisierung für den alltäglichen Umgang der Provinzbevölkerung untereinander thematisiert, vgl. Alexander, S. 311, Anm. 17. 53 Vgl. Eekhoff, S. 185–189, auch zu Ausnahmen, die hier nicht ins Gewicht fallen.
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scharf werden und letztlich verschwinden.54 Die familiäre wie die nationale Dimension spiegeln sich in der Semantik von »Vaterland« bzw. des polnischen Äquivalents »ojczyzna« wider. Der individuelle Besitz des Landes war demnach eng an die symbolische Repräsentation der Nation gebunden. Deshalb wurde – zumindest in einem Grenzgebiet wie dem hier untersuchten – die Veräußerung von Grundbesitz auch immer als potenzielle Bedrohung der Nation als Ganzes wahrgenommen. Der Symbolwert des Bodens für die Nation ergab sich auch daher, dass er messbar war, zählbar, und sich damit ähnlich wie mit vergleichbaren sozialtechnischen Verfahren wie der Sprach- bzw. Nationalitätenstatistik und der (Bevölkerungs-)Geografie Aussagen über eine scheinbar objektive soziale Wirklichkeit treffen ließen, die gestatteten, weitergehende politische Forderungen abzuleiten.55 Besondere Beachtung verdient der Handel mit Großgrundbesitz. Unter Großgrundbesitz werden im Folgenden alle Betriebe mit einer Fläche von mindestens einhundert Hektar verstanden. Dies stellt demnach eine rein an quantitativen Kriterien orientierte Kategorie dar. Diese Definition entspricht der zwar nicht einzigen, aber doch der vorherrschenden zeitgenössischen Auffassung.56 Die 54 Vgl. Levy, S. 203–206; Müller, Institutionenwandel, S. 339; ders., Nation, S. 237; Gosewinkel / Holec / Řezník, S. 8; Judson, S. 92–94; Blomqvist, S. 144. Zur zeitgenössischen Kritik an dieser Auffassung: Delbrück, Korrespondenz, S. 183. 55 Vgl. Jaworski, Nationalismus, S. 197 f. In der jüngeren Forschung genießen diese szientistischen Praktiken des »Nation-« bzw. »Empire-Buildings« ein erhöhtes Interesse. Vgl. exemplarisch: Kertzer / Arel; Leonhard / Hirschhausen; Dipper, Stadt; Haslinger / Oswalt; Hansen; Göderle. Das zeitgenössische Dilemma objektiver Messbarkeit wird an der bei Max Weber entstandenen Dissertation Wegeners, S. 124, Anm. 1, deutlich, in der Leo Wegener konzediert, dass der Name von Eigentümern kein hinreichendes Kriterium nationaler Zugehörigkeit ist, um schließlich die auf S. 307 tabellarische Darstellung des polnischen Besitzstandes doch über die Namen der Eigentümer herzuleiten. 56 So hatte sich in der zeitgenössischen Statistik die Unterscheidung der wirtschaftlichen Kategorie »Großbetrieb« von der rechtlichen Kategorie »Rittergut« durchgesetzt. Vgl. Achilles, S. 199. Weitere Definitionen der Zeit orientierten sich an rechtlichen Kriterien. In der Frühphase des später zu erläuternden Verfahrens der »Besitzfestigung« war in Posen die Scheidelinie bei dem für die Zugehörigkeit zur Kreislandschaft erforderliche Größe 1.000 Morgen (ca. 250 Hektar), in Westpreußen war die Zugehörigkeit zum Wahlverband der Großgrundbesitzer erforderlich. Später erfolgte die Eingruppierung dagegen anhand der Höhe der jährlich zu zahlenden Grund- und Gebäudesteuer (mind. 225 Mark). Vgl. Nehring, S. 135. Dagegen hat sich auch in der Forschungsliteratur die 100-Hektar-Grenze als Scheidelinie für Großgrundbesitz durchgesetzt, vgl. Wienfort, Adel, S. 65. Auch wenn Scott M. Eddie im Zusammenhang mit den landwirtschaftlichen Betriebszählungen auf den wichtigen Unterschied zwischen Betriebsgröße und Besitzgröße hingewiesen hat, soll im vorliegenden Fall der Begriff des »Gutsbetriebs« synonym zum Großgrundbesitz verwendet werden. Vgl. Eddie, Großgrundbesitz, S. 144 f.; ders., Landownership, S. 20 f.; siehe auch Heß, Junker, S. 46 f. Dies wirft das die vorliegende Analyse berührende, wenn auch nicht grundlegende Problem der Erfassung der Betriebe auf. Die wesentlichen Probleme, auf Grundlage der zeitgenössischen Erhebungen vollständige und konsistente Daten zu gewinnen, hat Eddie, Landownership, S. 37–53, ausführlich beschrieben.
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Bedeutung des Themas ›Großgrundbesitz‹ ergibt sich erstens daraus, dass in Westpreußen und Posen jeweils rund die Hälfte der landwirtschaftlich genutzten Fläche im Besitz von Großgrundbesitzern war; für die gesamte preußische Monarchie betrug der Durchschnitt dagegen weniger als ein Drittel, im gesamten Reich sogar nur ein Viertel.57 Zweitens hatte die ältere Sozialgeschichte den »ostelbischen Junkern« mit ihrem spezifischen Standesbewusstsein einen besonderen Platz in der Geschichte als Fortschrittshemmer und Förderer radikaler Ideologien zugewiesen. Der Ansiedlungskommission wurde als Zielobjekt großagrarischer Partikularinteressen eine prominente Rolle zugeschrieben, die es zu überprüfen gilt. Der preußische Fall ist lediglich ein Beispiel für Prozesse, die sich auch auf anderen Erdteilen antreffen lasen. Das zeitgenössische Verständnis, dass territoriale Souveränität durch die numerische Dominanz einer ethno-nationalen Gruppe legitimiert werde,58 beförderte ungefähr seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in zunehmendem Maße Verteilungswettbewerbe um Grundbesitz. Im »Irish Land War« überlagerten sich soziale und ethno-nationale (und in nicht unerheblichem Maße auch religiöse) Frontstellungen zwischen englischen Landlords und irischen Pächtern. Der 1901 auf dem fünften Zionistenkongress ins Leben gerufene Jüdische Nationalfonds verfolgte das Ziel, mithilfe international eingeworbener Spenden Land in Palästina für jüdische Kolonisten zu kaufen (wofür die preußische Ansiedlungskommission als Vorbild diente). Auf den Fiji-Inseln und auf Ceylon sah sich die britische Kolonialverwaltung vor die Herausforderung gestellt, für den Zugriff auf Grundbesitz einen Kompromiss zwischen der Urbevölkerung und zahlreich eingewanderten Arbeitsmigranten aus Indien zu schaffen.59 Eine besondere Brisanz entwickelten solche Verteilungswettbewerbe in den als ethnisch bzw. national gemischt begriffenen Regionen Ostmittel- und Südosteuropas. So riefen in den 1880er-Jahren ungarische Nationalisten zum Landkauf in der ungarisch-rumänischen Grenzregion auf und forderten um die Jahrhundertwende, als rumänische Landkäufe zunahmen, in Parlament und Presse staatliche Subventionen für eine Re-Magyarisierung des Bodens. Mit der zunehmenden Verschlechterung der Beziehungen des Zarenreiches zu Deutschland ab den 1870er-Jahren geriet die Ausdehnung deutscher Siedler an der Westgrenze sowie im Schwarzmeerraum unter verstärkte Kritik russischer Nationalisten. In Böhmen sahen die Deutsch-Österreicher ihren »Nationalbesitzstand« durch die tschechische Nationalbewegung gefährdet.60 Das Aufkommen der unterschiedlichen Nationalbewegungen stellte den territorialen Herrschaftsanspruch der Titularnationen in diesen Gebieten infrage und weckte das Bedürfnis nach 57 Vgl. Landwirtschaftliche Betriebsstatistik vom 5. Juni 1882, in: Statistisches Jb. für das Deutsche Reich 20 (1899), S. 20–23. 58 Vgl. Kertzer / Arel, S. 21. 59 Siehe dazu die Beiträge in Engerman / Metzer; Bull. 60 Vgl. Krauss; Müller, Nation, S. 236 f.; Blomqvist, S. 144 f.; Judson.
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Maßnahmen politischer Stabilisierung, um solchen zentrifugalen Dynamiken entgegenzuwirken. Eine planvolle Siedlung, durchgeführt mit all der politischen, gesetzgeberischen und wirtschaftlichen Übermacht, die dem Staat zur Verfügung stand, erschien als ein geeignetes Mittel der Herrschaftskonsolidierung. Alternativ oder begleitend zu staatlichen Siedlungsmaßnahmen gewann der rechtliche Rahmen der Bodenbesitzverhältnisse an Bedeutung. Für die Nationalstaaten erschien es zweckdienlich, ethno-nationale Minderheiten und ausländische Staatsbürger vom Erwerb von Grundbesitz auszuschließen und Angehörigen der eigenen Nation den Zugang zu erleichtern. Die Besitzverteilung von Grundbesitz erlangte dadurch in ethno-nationalen Kontaktzonen ein explosives Konfliktpotenzial. Hannes Siegrist und Dietmar Müller haben für Ostmitteleuropa vorgeschlagen, diesen Prozess als Wandel von einer »liberal-individualistischen« zu einer »ethno-nationalen« Rechtskultur zu begreifen, dessen Dynamik durch die politischen Zäsuren von 1914 bzw. 1918 freigesetzt wurde.61 Wie im Folgenden gezeigt wird, scheint es für Deutschland gerechtfertigt, diesen Prozess wegen der preußischen Siedlungspolitik, die singulär in den drei Teilungsgebieten Polens dasteht, auf die 1880er-Jahre vorzudatieren.62 Aus diesem Grund erfolgt am Ende ein Ausblick auf die Zwischenkriegszeit, um zu fragen, ob das hier untersuchte preußische Beispiel Wissensbestände generierte, an die der polnische Nachkriegsstaat anknüpfen konnte.
Analyserahmen »Wirtschaft« und »Kultur« haben in der Forschung Konjunktur. Dies ist nicht zuletzt eine Folge der kulturhistorischen Wende des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Doch während die »Neue Kulturgeschichte« im Bereich der Politik bereits ihr Synthesepotenzial unter Beweis gestellt und mit der »Neuen Politikgeschichte« bzw. »Kulturgeschichte des Politischen« ein eigenes Forschungsfeld etabliert hat,63 konnte sich ein ähnlicher Begriff für kulturhistorische Fragestellungen im Bereich der Wirtschaft bislang noch nicht als Fixpunkt einer konzeptionellen Debatte etablieren – trotz Achim Landwehrs Vorschlägen für eine »Kulturgeschichte des Ökonomischen« bzw. eine »Wirtschaftskulturgeschichte«.64 Auffällig ist, dass seit der Jahrtausendwende in einem disziplinüberspannenden Spektrum der Zusammenhang von »Wirtschaft« und »Kultur« diskutiert wird; eine Diskussion, die nach der globalen Verkettung von Finanzkrisen, Bankenkrisen, Staatsschuldenkrisen und anderen Krisenformen eine zusätz61 Vgl. Siegrist / Müller, Property. 62 Vgl. Trzeciakowski, Polenpolitik, S. 100. 63 Vgl. Frevert / Haupt; Stollberg-Rilinger; Landwehr, Diskurs; Mergel, Überlegungen; ders., Kulturgeschichte. Aus kritischer Distanz: Rödder. 64 Der Begriff bei Landwehr, Kulturgeschichte, S. 111; ders., Wirtschaft, S. 182.
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liche Dynamik erfahren hat. So unterschiedlich die diskutierten Ansätze sein mögen, allen ist gemein, dass ihnen die dominierende – oder zumindest als dominierend wahrgenommene – neoklassische Theorie der Ökonomie als unzureichendes Instrumentarium zur Erklärung wirtschaftlichen Handelns erscheint. Solche Ansätze finden sich in den (dann oftmals heterodoxen, der Neoklassik abgewandten) Wirtschaftswissenschaften selbst, aber auch in »Bindestrich-Disziplinen« wie der Wirtschaftsanthropologie, Wirtschaftsphilosophie und Wirtschaftssoziologie sowie in den Kulturwissenschaften. Für die deutsche Geschichtswissenschaft gilt nach einem ersten »Plädoyer für die Einheit von Kultur und Wirtschaft«65 Ende der 1990er-Jahre gemeinhin der vielzitierte, 2004 von Hartmut Berghoff und Jakob Vogel herausgegebene Sammelband Wirtschaftsgeschichte als Kulturgeschichte als Ausgangspunkt der Diskussion. Sowohl Kultur- als auch Wirtschaftswissenschaft, so die Herausgeber in ihrer programmatischen Einleitung, blieben auf einem Auge blind, wollten sie die Formen menschlicher Sinnstiftungen ignorieren oder das ökonomische Feld und das Theorieangebot der Wirtschaftswissenschaften ausblenden.66 Den Nutzen einer für kulturhistorische Fragestellungen geöffneten Wirtschaftsgeschichte hat nach der Jahrtausendwende die historische Korruptionsforschung aufgezeigt.67 Daraus haben sich neue Fragestellungen entwickelt, etwa nach anderen Formen normabweichenden Verhaltens im Bereich der Wirtschaft,68 nach Praktiken des Ressourcenaustausches überhaupt,69 oder aber nach Einflussfaktoren von Moral oder Gefühlen auf kapitalistisches Handeln.70 Weitere Anregungen bleiben für die Zukunft zu erwarten.71 Obgleich viele Denkanstöße keineswegs neu waren, sondern lediglich durch die kulturhistorische Wende einen neuen Impuls erhielten, blieben sie nicht ohne Widerspruch. Es wurde darauf verwiesen, dass Konzepte wie »Kultur«, »Habitus« und »Praxis« universal angelegt und damit für den eng umrissenen Bereich wirtschaftlichen Handelns zu unscharf seien.72 Auch seien die Wirtschaftswissenschaften an überzeitlichen Grundkonstanten menschlichen Verhaltens interessiert, während die Kulturwissenschaften die Variabilität menschlichen Zusammenlebens betonten.73 Zudem sei, so der Wirtschaftshistoriker Christoph Boyer, die Grundannahme, wonach die Erkenntnis und kommunikative Vermittlung einer objektiven Welt unmöglich sei und stattdessen über konstruktivistisch-subjektive Diskurse ablaufe, für die Wirtschaftsgeschichte
65 Wischermann, Gedächtnis; Siegenthaler. 66 Vgl. Berghoff / Vogel, S. 13 f.; Berghoff. 67 Vgl. Engels / Fahrmeir / Nützenadel; Engels; Grüne / Slanička; Klein. 68 Vgl. Engels / Fahrmeir. 69 Vgl. Schläppi, Beziehungen. 70 Vgl. Frevert, Gefühle; Berger / Przyrembel. 71 Vgl. Dejung / Dommann / Chassé. 72 Vgl. Spoerer. 73 Vgl. Tanner, S. 69; Dejung, S. 47.
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mit ihrer Grundannahme objektiv knapper Ressourcen und deren Ver- bzw. Zuteilung unbrauchbar.74 Dagegen wird eingewendet, dass gerade derart universale Konzepte auch für den Bereich der Wirtschaft anschlussfähig seien und Anwendung finden sollten, damit die ökonomische Empirie als Korrektiv auf die Methodendiskussion rückwirken könne.75 Wenn man ferner mit Achim Landwehr den Kerngehalt der Neuen Kulturgeschichte in der Untersuchung von Sinnstiftungen und Sinndeutungen sieht, die durch soziokulturelle Zeichensysteme erzeugt werden,76 dann liegt zudem die Einsicht nahe, dass gerade den diskursiv vermittelten normativen Ordnungsstiftungen eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für die Allokation knapper Güter zuzusprechen ist.77 Indem sozial kommunizierte Ordnungsvorstellungen historisch wandelbare Konzepte von »Rationalität« oder aber auch »Angemessenheit« oder »Fairness« von Preisen bereitstellen, beeinflussen sie in erheblichem Maße ökonomische Entscheidungsprozesse.78 »Wirtschaft« und »Kultur« sind demnach Bereiche, die sich nur schwer voneinander trennen lassen.79 Eine kulturwissenschaftliche Annäherung an das Feld des Ökonomischen verlangt vielmehr ein »Verständnis von Wirtschaft als Diskursund Praxisform(en)«.80 Die Einsicht, dass wirtschaftliches Handeln komplex ist und nicht bloß von Löhnen und Preisen, sondern auch von Werten und Normen bestimmt wird, ist gewiss nicht neu.81 Allerdings erscheint eine Revision kulturwissenschaftlicher Methoden berechtigt, um zu sichten, welche sich für die Analyse eines solchen Beziehungsgeflechtes am besten eignen. Der Mehrwert einer kombinierten Wirtschafts- und Kulturgeschichte liegt darin, objektive Probleme von Ressourcenknappheit mit subjektiven, diskursiven Elementen zu verknüpfen. Oder anders formuliert: Ein solcher Ansatz richtet den Blick auf die Diskurse und Praktiken des Wirtschaftens. Um den Wandel des normativen Rahmens wirtschaftlichen Handelns herausarbeiten zu können, greift die vorliegende Studie daher auf Edward P. Thompsons Konzept der »moralischen Ökonomie« zurück.82 Thompson entwickelte in den 1960er- und 1970er-Jahren einen Forschungsansatz, der die individuellen Erfahrungen handelnder Akteure, aber auch die sie 74 Vgl. Boyer. 75 Vgl. Grabas, S. 177; Landwehr, Kulturgeschichte, S. 111. 76 Vgl. ebd., S. 8 f. 77 Bezogen auf ökonomisches Handeln wurde dieser Zusammenhang bereits von Clemens Wischermann hergestellt: Wischermann, Gedächtnis, S. 22; ders., Natur, S. 17, 29 f.; Berg, S. 50 f. 78 Auf diesen Zusammenhang hat bereits Schmoller, Gerechtigkeit, hingewiesen. Für die neuere Literatur: Grabas, S. 177; Berg, S. 58. 79 Vgl. Schläppi, Dimension, S. 37–44. 80 Klein / Windmüller, S. 8. 81 Vgl. Ambrosius, S. 339. 82 Vgl. Thompson, Moral; ders., Reviewed. Auch Hartmut Berghoff und Jakob Vogel bezeichnen dieses Konzept als besonders vielversprechend für eine Synthese von Wirtschafts- und Kulturgeschichte. Berghoff / Vogel, S. 15.
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umgebenden und von ihnen beeinflussten Praktiken, Normen und Sanktionen sowie Wertesysteme und Traditionen berücksichtigte. Dies geschah in Abgrenzung gleichermaßen zur zeitgenössischen Wirtschaftsgeschichte, die sich zunehmend auf formalisierte, quantifizierende Analyseverfahren verlegte, wie auch zu strukturalistisch argumentierenden Teilen der marxistischen Geschichtsschreibung.83 Thompsons Interesse galt dabei dem Beispiel der Hungerunruhen im England des 18. Jahrhunderts. Er bilanzierte, dass in diesen Unruhen keine Akte kopflosen, anarchischen Plünderns zu sehen seien. Stattdessen lag ihnen eine klare Vorstellung traditionell bedingter Funktionen von Gesellschaft, der Beziehung der unterschiedlichen Marktteilnehmer zueinander und der paternalistischen Rolle der Obrigkeit zugrunde. Daher waren die Unruhen nicht gegen die soziale Ordnung selbst gerichtet, sondern zumeist gegen Getreidehändler und Müller, die in Zeiten der Not ihre Preise unbotmäßig erhöht hatten oder Waren horteten. In selteneren Fällen richteten sich die Unruhen auch gegen die lokalen Vertreter der Obrigkeit, wenn diese beschuldigt wurden, ihre paternalistische Pflicht zur Gewährleistung »gerechter« Preise für Grundnahrungsmittel verletzt zu haben. Die Unruhen waren somit bestimmten Regelhaftigkeiten unterworfene Demonstrationen gewesen. Sie dienten dem Ziel, Hungersnöte vor ihrem Auftreten zu verhindern, indem sie sich gegen diejenigen wandten, die aus Profitstreben gegen traditionelle Marktregeln verstoßen hatten. In Prozessen, die nach ökonomischer Logik regelhaft, nach moralischer Auffassung jedoch regelwidrig waren, fiel dem Aufbau eines moralischen Handlungsdrucks eine zentrale Rolle zu. Bis zur Wende zum 19. Jahrhundert habe sich schließlich die von Adam Smith und anderen propagierte Idee freier Märkte, auf denen Preise allein durch Angebot und Nachfrage bestimmt werden sollten, durchgesetzt und die traditionelle Marktordnung somit ihrer Legitimation beraubt. Thompsons Interesse galt indes insbesondere der Beobachtung sozialer Normen: Normen erfüllen eine handlungsleitende Funktion, indem sie Handlungsoptionen erlauben oder sie aber verbieten, weil mit ihnen negative Sanktionen verknüpft sind. Die vorliegende Untersuchung folgt Thompsons Ansatz der »moralischen Ökonomie«, ist jedoch bemüht, diesen generalisierend zu erweitern und weicht in drei Punkten von Thompsons Verständnis ab: Erstens erscheint die Begrenzung der »moralischen Ökonomie« auf vor- und frühmoderne Gesellschaften nicht zwingend. Stattdessen wird davon ausgegangen, dass normatives Ordnungsdenken auch in modernen Gesellschaften ökonomisches Handeln beeinflusst und strukturiert. Zweifelsohne hat der säkulare Wandel zur kapitalistischen Wirtschaftsordnung alte soziale Banden gelöst und damit überalterte Normen abgeschafft, wie es auch schon Thompson mit der Transformation von der »Moralischen« zur »Neuen Politischen Ökonomie« andeutet. Zugleich haben sich aber neue Werte und Moralvorstellungen auch auf dem Feld der Wirtschaft herausgebildet. 83 Vgl. Kaye, S. 174 f.
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Die verbreitete Auffassung, den Markt als wertneutralen Interaktionsraum zu verstehen, ist sowohl theoretisch als auch empirisch kaum haltbar. Folgt man dem Ubiquitäts-Paradigma der Normensoziologie seit ihrer Gründungszeit bis Émile Durkheim zurück, dann ist davon auszugehen, dass sämtliche Bereiche des sozialen Lebens durch Normen strukturiert werden. Daraus lässt sich ableiten, dass auch im Wirtschaftsleben moderner Gesellschaften normative Bezugssysteme existieren, die stetig reproduziert und rekonfiguriert werden.84 Auch wenn sich nach ökonomischer Auffassung freie Märkte durch einen Abbau rechtlicher Restriktionen auszeichnen, findet Marktgeschehen nicht im sozial luftleeren Raum statt, sondern gesellschaftliche Normen können in als dysf unktional wahrgenommenen Situationen eine Korrektivfunktion ausüben, denen im Zweifelsfall rechtliche Nachjustierungen folgen. Soziale und rechtliche Normen stehen demzufolge in einer interrelationalen Beziehung. Weil zweitens davon ausgegangen wird, dass Normen und Moral nicht nur eine kontingenzreduzierende, sondern auch eine ordnungsstabilisierende Funktion ausüben (sollen), ist die Einforderung moralischen Handelns ein nicht bloß auf Unterschichten begrenztes Phänomen. Die Produktion und Reproduktion von Normen dient stets der Interessensdurchsetzung von Individuen oder sozialen Gruppen gegen gesellschaftliche Widerstände. Da Moralisierungsprozesse eng mit Fragen von Macht und Herrschaft verflochten sind, stehen sie potenziell allen Mitgliedern einer Gesellschaft offen und können dadurch auch und gerade zu Instrumenten gesellschaftlicher Eliten werden. Insbesondere Eliten sind imstande, Ressourcen zur Meinungsbeeinflussung zu mobilisieren, und gerade sie besitzen potenziell die Autorität, um Normen zu formulieren und Sanktionen bei normabweichendem Handeln auszulösen.85 Gerade für ökonomisches Handeln gelten dabei Untersuchungen über die Diskurse moralischen Fehlverhaltens noch als Forschungsdesiderat.86
84 Vgl. mit Verweis auf Émile Durkheim: Braun / Keuschnigg / Wolbring, S. 42. Ferner: Mead. Für die jüngere Forschung: Streeck, S. 12, 17; schließlich auch Thompson, Reviewed, S. 271, 286. Für das Folgende instruktiv: Karsten / T hiessen; Thiessen; Götz; Frevert, Introduction, S. 9; Echterhölter, S. XXIV; Berger / Przyrembel, S. 89 f., 106 f.; Engels / Fahrmeir, S. 7; Popitz, Normen (2006), S. 95–97; Granovetter, S. 482 f.; Booth, S. 662. Thompson stand Mitte des 20. Jahrhunderts mit seiner normativ aufgeladenen, durchaus wirkmächtigen Interpretation, dass der Übergang von vormodernen zu modernen Gesellschaftsformen vornehmlich durch die Entkoppelung und den Verlust überkommener Traditionen, Gebräuche und Normen durch die Etablierung kapitalistischer Organisations- und Wirtschaftsformen strukturiert worden ist, keineswegs alleine dar – erwähnt sei allein Karl Polanyis These der Great Transformation. Eine umfangreiche Historisierung dieses Interpretaments hat Rogan vorgelegt. 85 Vgl. Opp, S. 99 f.; Coleman, S. 339. Indes können Normen nicht nur ordnungsstabilisierende, sondern gleichsam auch destabilisierende Potenziale freisetzen, wie aus rechtsphilosophischer Perspektive Möllers, S. 65 f., angemerkt hat. 86 Vgl. Engels / Fahrmeir, S. 11 f. Zur Bedeutung moralischer Diskurse im modernen ökonomischen Handeln auch Streeck, S. 17.
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Der Begriff der »moralischen Ökonomie«, wie ihn Thompson entwickelt hat, folgt drittens einem Verständnis von Moral als einem über lange Zeiträume gewachsenen, statischen System. Für die vorliegende Analyse, die der Frage nach dem normativen Wandel nachgeht, scheint es dagegen zweckdienlicher, ein für kurzfristige Entwicklungen empfindliches Verständnis von Moral zugrunde zu legen. Eine solche analytische Offenheit für Transformationsprozesse ist bereits bei Thompson selbst angelegt, der von einer Entwicklung zwischen zwei Systemen ausgeht, nämlich von der »moralischen Ökonomie« zur »politischen Ökonomie«.87 Aus diesem Grund soll ein weiteres, dem vorliegenden Ansatz sehr ähnliches Konzept, das den normativen Rahmen wirtschaftlichen Handelns thematisiert, hier nicht weiterverfolgt werden: die »Neue Institutionenökonomie«. Der von Douglass C. North innerhalb dieses Konzeptes geprägte Begriff der »Institution« weist eine große Nähe zu dem im Folgenden verwendeten Begriff der »Norm«, insbesondere der »sozialen Norm« auf.88 Beiden Konzepten liegt zudem ein funktionalistischer Erklärungsansatz der Kontingenzreduktion zugrunde. Allerdings geht auch die North’sche Institutionentheorie anstelle von einem abrupten, von einem langsamen Wandel von Institutionen aus. Das im Folgenden umschriebene Konzept der »moralischen Ökonomie« erscheint demnach flexibler, nicht zuletzt, weil es erlaubt, die Pluralität verschiedener, sich überlagernder und zuweilen antagonistischer »Moralitäten« leichter zu fassen. Die von der Neuen Institutionenökonomie in Augenschein genommenen Entitäten sind dagegen in der Regel ganze Volkswirtschaften oder Gesellschaften, deren langfristigen Transformationsprozesse sie untersucht, um ex post Faktoren wirtschaftlichen Wachstums zu identifizieren. Da die Neue Institutionenökonomie ihre Wurzeln in der Entwicklungsökonomie hat, ist die Bewertung der Effektivität von Normen bzw. Institutionen der Fixstern, an dem sie sich orientiert, während bei Thompsons »moralischer Ökonomie« – genau wie in der vorliegenden Untersuchung – die Stabilität bzw. Variabilität sozialer Beziehungen im Vordergrund steht. Die Neue Institutionenökonomie nimmt aus ihrem entwicklungsökonomischen Erkenntnisinteresse heraus (zumindest in ihrer jüngeren Form) eine dezidierte Makroperspektive ein und folgt einem zielorientierten Paradigma, während das hier zugrunde gelegte Konzept ein Changieren zwischen Mikro- und Makroperspektive und eine Offenheit für historische Kontingenz beabsichtigt.89 Die vorliegende, an Thompsons Begriff der »moralischen Ökonomie« angelehnte Studie versteht Moral als ein offenes System aufeinander bezogener 87 Für diesen Kritikpunkt vgl. auch Booth, S. 658. 88 »Institutionen sind die Spielregeln einer Gesellschaft oder, förmlicher ausgedrückt, die von Menschen erdachten Beschränkungen menschlicher Interaktion.« North, S. 3. 89 Vgl. dazu Berghoff / Vogel, S. 19 und 23. Eine ausführliche kritische Reflexion der Kategorie »Zeit« in der Theorie Norths findet sich bei Priddat. Vgl. ferner Zweynert / Boldyrev; Wischermann, Institutionenökonomik; Butschek; Maurer, S. 70–79.
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Normen, an die Sanktionen geknüpft sind. Bereits Heinrich Popitz hat in seinem soziologischen Hauptwerk Die normative Konstruktion von Gesellschaft die grundlegende Bedeutung von Normen hervorgehoben. Normen – soziale wie juristische90 – bieten den Individuen Verhaltensorientierungen für soziale Interaktionen. Indem Normen Handlungskorridore eröffnen, in denen manche Handlungsformen gestattet, anderen Restriktionen auferlegt werden, reduzieren sie Kontingenz.91 Normen dienen damit der Erzeugung und Stabilisierung sozialer Ordnungen.92 Nichtsdestotrotz bedürfen Normen einer kommunikati ven, reproduzierenden Aktualisierung, wenn sie ihre hegemoniale Gültigkeit behaupten sollen.93 Der Blick auf die Formulierung und Verankerung kollektivverbindlicher Normen weist somit auf die Verhandlung gesellschaftlicher Werte. Der Begriff »Norm« wird im Folgenden in der Definition des Soziologen Karl-Dieter Opp als »geäußerte Erwartungen«94 an menschliches Handeln verstanden. Diese Definition hat gegenüber geläufigeren Definitionen wie »mehr oder weniger verbindliche, allgemein geltende Vorschriften für menschliches Handeln«95 den Vorteil, dass durch den Begriff der »geäußerten Erwartung« der Fokus auf den kommunikativen Prozess, somit auf die Diskurse und letztlich auch auf Praktiken gerichtet wird, die bei der Etablierung und Aufrechterhaltung von Normen vonnöten sind. Daran schließen sich eine Reihe weiterer Fragen an, die in drei Schritten einen Analyserahmen aufeinander bezogener sozialer Interaktionen spannen. Zunächst steht in einem ersten Analyseschritt die Autorschaft im Vordergrund, also die Frage, welche Individuen und Kollektive Erwartungen welchen Inhalts formulieren, und an welchen Adressatenkreis diese gerichtet sind. Wichtig für die Autorschaft ist auch die Frage, welche Individuen sich der Regel äußerung anschließen. Darüber hinaus sind die spezifischen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen, unter denen die Autoren zu ihrer Äußerung veranlasst werden. Unter der Vorannahme, dass Normen dazu führen, dass durch die Androhung negativer Sanktionen für regelwidriges oder dem Angebot positiver Sanktionen für regelkonformes Verhalten das Handlungsfeld Dritter eingeengt bzw. geweitet wird, sind ebenso solche Sanktionen als normenverdeutlichende Maßnahmen einzubeziehen.96 Innerhalb der Soziologie gibt es daher auch funktionalistisch argumentierende Stimmen, die davon ausgehen, dass neue Normen nicht zufällig entstehen, 90 Zur Wesensähnlichkeit, aber nicht Wesensgleichheit beider Formen vgl. etwa Lukes / Prabhat, S. 154–156; Buddeberg / Vesper, S. 12. 91 Vgl. Popitz, Normen (1961), S. 188. Für die historische Forschung: Karsten / T hiessen, S. 8 f. 92 Ähnlich die Funktion der »Institution« in der Neuen Institutionenökonomie. Vgl. North, S. 43. 93 Vgl. Popitz, Konstruktion, S. 30 f.; Karsten / T hiessen, S. 9. 94 Opp, S. 4. 95 Peuckert, S. 213. 96 Vgl. Bullasch, S. 27; Opp, S. 5–7; Popitz, Konstruktion, S. 21; Buddeberg / Vesper, S. 10–12. Für dies und das Folgende ebenfalls: Coleman, S. 313.
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sondern ihre Urheber damit bestimmte Interessen verfolgen.97 Die Herstellung intersubjektiver Verbindlichkeit von Normen gründet demnach auf Macht, und zwar auf zwei Ebenen: Macht ermöglicht es zum einen, einflussreiche Strafen oder Belohnungen als Sanktionsmittel zur Verfügung zu stellen und diese Sanktionsmittel auch durchzusetzen. Nicht nur das Wissen um Sanktionen, sondern auch das Wissen um die Wahrscheinlichkeit ihres Eintretens fließt in die individuelle Entscheidungsfindung ein.98 Zum anderen bedeutet Macht die Verfügung über Kommunikationsmittel, die die Verbreitung von Normen gestatten und damit eine Steigerung ihrer Gültigkeit herbeiführen. Diese besondere Bedeutung von Kommunikationseliten findet sich schon bei Thompson, der für die traditionellen Agrargesellschaften des 18. Jahrhunderts bereits den Einfluss medialer Meinungsführer für die Mobilisierung größerer Gruppen andeutet.99 Um wie viel einflussreicher mussten sie folglich in dem Ende des 19. Jahrhunderts anbrechenden »Zeitalter der Massenkommunikation«100 sein? Wie die jüngere Mediengeschichte gezeigt hat, geriet politische Herrschaft durch den säkularen Prozess der »Vergesellschaftung von Politik« mehr und mehr unter Legitimationsdruck gegenüber immer breiteren Schichten. Die Medialisierung des Politischen schritt in der Zeit des Kaiserreichs in dramatischem Tempo voran: Massenzeitungen, Massenverbände und Massenveranstaltungen waren im hohen Maße dazu geeignet, politische Entscheidungen zu hinterfragen und neue gesellschaftliche Normen zu kommunizieren. Parlament und Zeitungen waren diejenigen Orte, an denen die großen Themen der Zeit verhandelt wurden. Macht, hier vor allem in Gestalt politischer und medialer Beziehungsgeflechte, erscheint als eine notwendige Bedingung für die Etablierung moralischer Imperative. Gleichwohl wird damit auch das Beziehungsproblem von Normsetzung und Normverbreitung berührt. In einem zweiten Schritt werden die Adressaten in den Fokus gerückt. Wird der Norm als moralischer Instruktion Folge geleistet? Wo treten die Normen mit anderen handlungsleitenden Vorstellungen und Überzeugungen in Konflikt? Interpretieren die Adressaten Normen womöglich in einer Weise, die der ursprünglichen Intention der Urheber zuwiderläuft? Welche Motive haben die Adressaten für normenkonformes Verhalten und welche haben sie für deviantes Verhalten? Für die Untersuchung dieser Fragen eignet sich der akteurszentrierte Ansatz der »Normenkonkurrenz«, den Arne Karsten und Hillard von Thiessen für die Frühe Neuzeit vorgelegt haben. Dieser Versuch, Kohäsionskräfte in dynamisch wandelbaren Gesellschaften aufzuspüren, lässt sich auch auf die Moderne übertragen. Beständige Devianz lässt Rückschlüsse auf eine mangelnde Integration von Individuen zu, an die Normen adressiert sind. Normen als ge97 Vgl. Mead, S. 317 f. 98 Vgl. Opp, S. 99; Coleman, S. 313 f. 99 Vgl. Thompson, Moral, S. 97 (Flugblätter und Broschüren), S. 110 (Plakatanschläge an Kirchtüren) und S. 127 f. (Drohbriefe). 100 Schulz. Ferner: Classen / Arnold, S. 15. Ausführlich: Requate, S. 5 f., 16–26.
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sellschaftliche Regeln sind demzufolge Sonden für inner- und zwischengesellschaftliche Konflikte, für soziale Handlungserwartungen und Ordnungsmuster und für die Wirkmacht sozialer Hierarchien.101 Aus dem Verhalten der Adressaten ergibt sich drittens die Frage nach der Funktionsweise von Sanktionssystemen: Sanktionierungen erfolgen nicht automatisch im Anschluss an eine soziale Handlung, sondern es bedarf eines Prozesses der Interpretation, bei der Handlungen entweder als normenkonform oder als deviant eingestuft werden. Damit wird die Gruppe derer, die bestimmte Verhaltensformen als »deviant« kategorisieren, in den Vordergrund gerückt. Der Hinweis auf diesen Prüfvorgang findet sich bereits in der Normensoziologie Émile Durkheims, wird aber vor allem in der Devianzsoziologie Howard S. Beckers herausgearbeitet. Becker unterscheidet eine Kontrollphase, in der soziales Handeln auf deviantes Verhalten überprüft wird, und eine Publikationsphase, in der deviantes Verhalten öffentlich gemacht wird. Dass deviantes Verhalten publik gemacht wird, ist kein Automatismus zum Wohle der Gemeinschaft, sondern der Akteur, der dies übernimmt, verfolgt ein spezifisches Interesse. Dies kann in der Befriedigung liegen, der Gemeinschaft einen Dienst erwiesen zu haben, es können aber durchaus auch andere Beweggründe dahinterstehen.102 Soziale Kontrolle, die als Sanktionierung devianten Verhaltens vollzogen wird, setzt eine wie auch immer geartete Öffentlichkeit voraus.103 Becker geht dabei von einem homogenen Begriff der Öffentlichkeit aus: Die einmalige Anzeige devianten Verhaltens »der Öffentlichkeit« gegenüber genügt, um die Nachricht als bekannt vorauszusetzen. Die vorliegende Studie setzt hingegen einen Begriff national und sozial, aber auch regional fragmentierter Öffentlichkeiten voraus. Es stellt sich die Frage, wie bestimmte Handlungen in verschiedenen Teilöffentlichkeiten gedeutet werden, und wie Informationen in ihnen und zwischen ihnen kommuniziert und gegebenenfalls reinterpretiert werden.104 Normen – und Normensysteme – sind potenziell prekär:105 Ihr Auftreten setzt die Denkbarkeit alternativer, d. h. devianter Handlungsweisen bereits voraus, da andernfalls die Normen unnötig wären. Zwar können Sanktionen auch unterlassen werden, doch entsteht dabei die Gefahr, dass die Norm an Gültigkeit verliert, je öfter dies geschieht. Normen müssen also immer wieder kommuniziert, deviante Verhaltensformen immer wieder sanktioniert werden, damit die Geltung einer Norm aufrechterhalten und ihre Aktualität weithin sichtbar demonstriert wird.106
101 Vgl. Karsten / T hiessen. 102 Vgl. Bullasch, S. 26 f.; Becker, Außenseiter, bes. S. 109 f. 103 Vgl. Elwert, S. 301. 104 Vgl. zu diesem Problem der Allgemeingültigkeit von Normen: Elwert, S. 315. 105 Mit Bezug auf Émile Durkheim: Philippson, S. 130–133. 106 Vgl. Popitz, Normen (2006), S. 72.
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Quellen Um den normativen Rahmen des Bodenmarktes im östlichen Preußen unter Berücksichtigung staatlichen Verwaltungshandelns, moralischer Diskurse und ökonomischer Praktiken untersuchen zu können, ist die Auswertung von vier Quellengruppen erforderlich: die Verwaltungsüberlieferung des preußischen Staates, die Protokolle des Preußischen Landtages, Zeitungen und andere Presseprodukte sowie die zeitgenössische nationalökonomische Literatur. Zuerst ist die Aktenüberlieferung derjenigen staatlichen Behörde heranzuziehen, die unmittelbar auf dem Bodenmarkt aktiv gewesen ist: die Königliche Ansiedlungskommission für Westpreußen und Posen. Heute existieren zwei Aktenbestände der Ansiedlungskommission. Dies erklärt sich aus der historischen Entwicklung der Behörde, die nach dem Ersten Weltkrieg, dessen Ende mit einem Verlust des größten Teils ihres Tätigkeitsfeldes einherging, in eine polnische und eine deutsche Behörde geteilt wurde. Der deutsche Teil zog 1919 nach Berlin um und wurde 1924 aufgrund des Bedeutungsverlustes der Kommission endgültig aufgelöst. Diese Akten befinden sich heute im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin-Dahlem (I. HA Rep. 212). Da die polnische Verwaltung beim Umzug des deutschen Behördenteils nach Berlin die Herausgabe von Akten verweigerte,107 setzt sich der Dahlemer Teilbestand aus verschiedenen Fragmenten zusammen. Der Hauptbestand liegt heute im Zweigarchiv Gniezno (Gnesen) des Archiwum Państwowe w Poznaniu (Posen).108 Obwohl er einige tausend Akten umfasst – vorrangig Akten über die Verwaltung der Güter nach ihrem Ankauf –, fehlen ausgerechnet die für die vorliegende Untersuchung wertvollen Generalakten, in denen strategische Entscheidungen der Behörde dokumentiert wurden. Innerhalb des Berliner Bestandes befindet sich dafür ein 1944 angelegtes, 23-seitiges Repertorium, das ausschließlich Generalia der Ansiedlungskommission verzeichnet. Urheber dieser Aktenübersicht war das »Reichsarchiv Posen«. Die in diesem Verzeichnis bezeichneten Akten sind weder im Findbuch des Berliner Teilbestandes nachweisbar noch in dem in Gniezno liegenden Bestand, dessen Inhalte von der polnischen Archivverwaltung in den 1950er-Jahren in einem neuen Findbuch zusammengeführt wurden. Vermutlich sollten diese Akten in der Spätphase des Zweiten Weltkrieges ausgelagert werden. Sie müssen heute als Kriegsverlust gelten.109 Deshalb ist die Parallelüberlieferung des preußischen Ministeriums für Landwirtschaft, Domänen und Forsten von nicht zu unterschätzendem Wert, insbesondere die der für die Landwirtschaft zuständigen Abteilung B. Das Land107 Vgl. Falk, S. 56 f. 108 Siehe zur Bestandsgeschichte nach 1945 APP OG, Komisja Kolonizacyjna dla Prus Z achodnich i Poznańskiego w Poznaniu, Inwentarz Bd. 1, S. 3. 109 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 212, Nr. 6098, Reichsarchiv Posen, Gr. 408, Ansiedlungskommission Generalia (o. J.). Einen Kriegsverlust der Hauptakten konstatieren auch Skopowski, S. 263 f.; Jakóbczyk, Komisja, S. 8.
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wirtschaftsministerium war die Kommunikationsschnittstelle zwischen dem preußischen Staatsministerium als oberster Staatsbehörde und der ihm unterstellten Ansiedlungskommission.110 Bis 1908 war die Kommission in hohem Maße von den Entscheidungen des Staatsministeriums abhängig, danach lockerte sich das Verhältnis, wenn auch nur geringfügig. Weitere wichtige Einblicke bieten die Bestände des preußischen Staatsministeriums selbst111 und die Überlieferungen regionaler Verwaltungsbehörden, wie etwa des Posener Polizeipräsidiums, das die »nationalpolnische Bewegung« – Politiker, Presse, aber auch Unternehmen – überwachte.112 Da in der vorliegenden Abhandlung die diskursive Konstituierung normativer Rahmenbedingungen im Fokus steht, bedarf es darüber hinaus einer Auswertung von Quellen, die Rückschlüsse über die Ausformulierung dieser Normen zulassen. Weil mit der »Nationalisierung« des Bodenmarktes politische Prozesse angesprochen sind, ist die Auswertung von Parlamentsreden angebracht. Parlamente dienen der Repräsentation politischer Standpunkte nicht nur nach innen, unter den Abgeordneten selbst, sondern auch der Inszenierung nach außen, für das an- oder abwesende Publikum. Nicht zuletzt werden durch das Parlament politische Eliten »geschaffen«, die die Legitimität ihres Führungsanspruchs sowohl innerhalb der Arena behaupten als auch vor potenziellen Konkurrenten nach außen verteidigen müssen.113 Hier werden die stenografischen Protokolle des Preußischen Landtages, vornehmlich des preußischen Abgeordnetenhauses, im Zeitraum von der Gründung der Ansiedlungskommission 1886 bis zum Kriegsausbruch 1914 ausgewertet. Die Lesung neuer Gesetze bot den Abgeordneten der unterschiedlichen Parteien eine Plattform, den angestrebten Kurs der preußischen Regierung entweder anzugreifen oder ihm Unterstützung zuzusagen. Vor allem die dem Landtag Jahr für Jahr, zumeist im März vorgelegten Rechenschaftsberichte der Ansiedlungskommission boten hierfür Anlass.114 Die stenografischen Protokolle sind jedoch nur von wenigen Zeitgenossen zur Kenntnis genommen worden. In Hinblick auf eine breite Leserschaft stellen daher die Tages- und Wochenzeitungen als Leitmedien der politischen Kommunikation einen wichtigen Resonanzkörper für die im Landtag verhandelten Normen dar.115 In der zweiten Hälfte des Untersuchungszeitraumes nehmen 110 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3555, Bl. 169–173r, hier 170–170r, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 27.5.1886. 111 Die Untersuchung der Staatsministerialsitzungen erfolgte vorwiegend anhand der als Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Protokolle, Bd. 7–10 erarbeiteten Regesten und wurden im Bedarfsfall mithilfe der Originalprotokolle vertieft. 112 Auch die Überlieferung des Posener Polizeipräsidiums ist – mutmaßlich als Folge späterer Kriegseinwirkungen – lückenhaft. Vgl. Rajch, S. 3, Anm. 1. 113 Vgl. Holste / Hüchtker / Müller. 114 Vgl. Jakóbczyk, Komisja, S. 41. 115 Vgl. zur parlamentarischen Repräsentationsfunktion der Massenmedien kursorisch: Bösch, Parlamente, S. 371–381. Zur »polnischen Frage« im Speziellen zuletzt: Spät, S. 400.
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auch Broschüren eine stetig wachsende Bedeutung ein. Dabei diente die Presse nicht nur der Verbreitung der von Politikern geäußerten Positionen, sondern sie war selbst eine diskursmächtige Größe. Die Debattenbeiträge wurden nicht bloß wiedergegeben, sondern auch kommentiert und gegebenenfalls neu interpretiert und in das Feld der Politik eingespeist. Die Presse diente auch als Multiplikator, indem sie Artikel fremder Zeitungen aufgriff, auszugsweise wiedergab und diskutierte.116 Auch Journalisten kam damit – als zweite Gruppe neben den Politikern – eine Gestaltungsmacht zur Formulierung und Aushandlung gesellschaftlicher Normen zu. Auch sie konnten zu Sanktionen aufrufen, wobei diesen Aufrufen selbst bereits der Charakter von Sanktionen innewohnte. Durch Skandalisierung der Normenverstöße zielten die Medien nicht bloß auf eine wertneutrale Vermittlung von Informationen ab, sondern sie lieferten auch ein emotionales Deutungsangebot. Dabei war die Exklusion des Verursachers des Regelverstoßes nur eine Seite der Medaille. Mindestens ebenso wichtig war die Inklusion der Leserschaft, indem man sich der eigenen Werte versicherte.117 Im Vergleich zu Broschüren, Flugblättern und ähnlichen Produkten kommt der Tagespresse aufgrund ihrer Serialität eine besondere Bedeutung zu. Allein für eine Untersuchung der polnischsprachigen Zeitungslandschaft kommt mehr als ein halbes Dutzend Blätter infrage, jeweils von unterschiedlicher politischer Couleur. Noch umfangreicher ist das Angebot der deutschsprachigen Presse. Aus arbeitsökonomischen Gründen wurde auf Ausschnitt sammlungen der deutsch- und der polnischsprachigen Presse zurückgegriffen: Für die deutschsprachige Presse fanden zwei mehrbändige Sammlungen von Zeitungsartikeln Verwendung, mit denen das preußische Landwirtschaftsministerium die Einstellung der öffentlichen Meinung zur Siedlungspolitik dokumentierte.118 Eine weitere Sammlung ist als Periodikum mit dem Titel Gesamtüberblick über die polnische Tagesliteratur vom Posener Polizeipräsidium herausgegeben worden.119 Diese Zeitungsausschnittsammlung enthält deutsche Übersetzungen polnischer Zeitungsartikel – nicht nur von Leitartikeln, sondern auch Meldungen aus dem öffentlichen Leben, darüber hinaus aber auch Statu116 Vgl. ebd., S. 8 f. 117 Vgl. Bösch, Geheimnisse, S. 14. Auf die Bedeutung der Publizistik zur Kommunikation ökonomischer Normen hat bereits Jaworski, Handel, S. 52–57, hingewiesen. Zum medialen Massenmarkt des Kaiserreiches und seinen technischen, rechtlichen, sozialen und politischen Bedingungen vgl. Wilke, S. 252–295. 118 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. ZB Nr. 183–189, Zeitungsausschnitte zu den Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Polentums und zur Stärkung des Deutschtums in den Provinzen Westpreußen und Posen (1886–1910; 1910–1911; 1911; 1911; 1911–1912; 1912–1913; 1913–1915) und ebd., Abt. B Nr. 9672–9678, Zeitungs-Artikel in Betreff der Beförderung der deutschen Ansiedelungen in den Provinzen Westpreußen und Posen (1886–1897; 1897–1898; 1898–1901; 1902–1903; 1903–1905; 1905–1906; 1906–1907). 119 Vgl. Rajch, S. 37–39. In der polnischen Öffentlichkeit wusste man davon, wie der Abgeordnete Dziembowski im Januar 1901 in einer Parlamentsrede durchscheinen ließ; ab 1907 wurde der Gesamtüberblick offiziell dem Abgeordnetenhaus zu Verfügung gestellt.
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ten und Jahresberichte von Verbänden und Vereinen. Zweck des Gesamtüberblicks war es, Beamte und Politiker in führender Position über die Tätigkeit der polnischen Nationalbewegung zu informieren.120 Bei einschlägigen Zeitungsartikeln wird für die vorliegende Untersuchung in einem zweiten Schritt das polnischsprachige Original herangezogen. Aus pragmatischen Gründen wird im Anmerkungsapparat darauf verzichtet, jede einzelne zutreffende Zeitungsausgabe anzuführen. Stattdessen wird in den Belegen eine möglichst repräsentative Auswahl gegeben. Die vierte hier einschlägige Quellengattung ist die zeitgenössische nationalökonomische Literatur. Wie eingangs erwähnt, fanden die preußische Siedlungspolitik, aber auch die anschließenden Gegenmaßnahmen durch polnische Siedlungsgenossenschaften eine breite Aufmerksamkeit. Zahlreiche Arbeiten deutscher wie polnischer Provenienz versuchten, diese Problematik ökonomisch zu durchdringen. Zweifelsohne sind diese Publikationen auch als Teil des öffentlichen Diskurses anzusehen. Doch dienen sie hier vor allem als »Faktensteinbruch«, einerseits durch das Zusammentragen statistischen Materials, das nachträglich aus anderen Quellen nicht oder nur mühsam zu gewinnen wäre, und andererseits durch die aufmerksame Schilderung von Praktiken der Marktakteure. Eine weitere Quellengattung wäre erwünscht gewesen, nämlich Ego-Dokumente wie Briefe, Tagebücher und Memoiren, die Aufschluss über die Wahrnehmung der kommunizierten Normen durch ihre Adressaten geben, da »Medieninhalte eigensinnig und oft quer zu kalkulierten Absichten angeeignet werden.«121 Eine solche Untersuchung der Perzeption wäre zweifellos aufschlussreich, kann an dieser Stelle für die in Zeitungsartikeln und Parlamentsreden angesprochenen Großgrundbesitzer jedoch nur rudimentär geleistet werden. Letztlich fehlt es für eine solche Analyse an auswertbarem Material. Auch die Zerstörung von Gutsarchiven als Folge des Zweiten Weltkrieges darf für den Verlust solcher Schriftwechsel (wie für Privatbestände überhaupt) als mitverantwortlich angesehen werden.122 Hier bleibt die zukünftige Forschung auf Zufallsfunde angewiesen. Im Folgenden soll dieser Problematik in zweierlei Weise begegnet werden: Eingriffe der Großgrundbesitzer in den Diskurs lassen sich einerseits anhand von Suppliken an die preußische Regierung feststellen, die in drei Aktenbänden des Landwirtschaftsministeriums vorliegen.123 Und auch Le120 Ein Vergleich der Übersetzungen mit den polnischen Originalen ergibt, dass die Übersetzungen keineswegs tendenziös sind. Es ging um die Information der Verwaltung, nicht um Propaganda nach außen. Vgl. Rajch, S. 35–40. Indem die preußischen Beamten immer nur diejenigen Artikel vorgelegt bekamen, in denen eine regierungskritische Haltung geäußert wurde, musste sich bei ihnen allerdings die Vorstellung einer staatsfeindlichen polnischen Minderheit verdichten. Vgl. Kotowski, Staatsräson, S. 150 f. 121 Bösch, Geheimnisse, S. 17. Ähnlich: Mergel, Medien, S. 45–47. 122 Für die Provinz Posen: Jakóbczyk, Studia, S. 2. 123 GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9680–9682, Angebote von Grundstücken pp. zur Kolonisation in den östlichen Provinzen (1886–1894; 1894–1908; 1908–1911).
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serbriefe, in denen sich Eigentümer gegen die Kritik an dem Verkauf ihres Gutes wehren, weisen auf diskursive Gestaltungsversuche durch betroffene Grundbesitzer hin. Ferner lassen Marktpraktiken, insbesondere Veränderungen des Verhaltens auf dem Bodenmarkt, Rückschlüsse zu, ob die Moralisierung des Marktes Einfluss auf die Entscheidungen der Großgrundbesitzer auszuüben vermochte. Bei dieser Quellenlage ist unvermeidlich, dass vor allem nationale Eliten zu Wort kommen, d. h.: Journalisten, Politiker und Verwaltungsbeamte, jedoch nur selten Großgrundbesitzer als Zielgruppe von Wirtschaftsregeln. In den vorliegenden Quellen wird meistens über die Großgrundbesitzer gesprochen, aber nur selten mit ihnen. Da die nationalen Eliten ihre soziale Umwelt entlang einer binären Scheidelinie einteilten, bleiben Phänomene nationaler Indifferenz im Dunkeln und scheinen allenfalls auf, wo Selbst- und Fremdzuschreibung nicht deckungsgleich waren. Eine weitere Folge der Quellenauswahl ist das Übergewicht der amtlichen deutschen Quellen. Die Aktivitäten der Königlichen Ansiedlungskommission und der mir ihr verbundenen staatlichen Behörden lassen sich recht gut rekonstruieren. Dagegen lässt sich nur wenig über die internen Abläufe beispielsweise von polnischen Parzellierungsgenossenschaften in Erfahrung bringen. Die Überlieferung geht selten über die jährlich veröffentlichten Rechenschaftsberichte und – in Einzelfällen – Protokolle von Aufsichtsratssitzungen hinaus.
Vorgehen und Gliederung Um Entwicklungstendenzen im Untersuchungszeitraum rekonstruieren zu können, folgt die Darstellung einem chronologischen Aufbau. Die dafür gewählten Zäsuren, die Jahre 1898 und 1908, orientieren sich dabei nur vordergründig an zentralen Gesetzen der Bodenpolitik. Sie stehen für Strategiewechsel des preußischen Staates im »Kampf um den Boden«, die die Lern- und Anpassungsfähigkeit der staatlichen Politik belegen. Zugleich spielen marktrelevante Phänomene eine wichtige Rolle, die sich in den jeweiligen Zeiträumen unterschiedlich stark verdichten. Somit berücksichtigt die Periodisierung mentale und strukturelle Dynamiken gleichermaßen. Dies führt dazu, dass in der ersten Hälfte der Untersuchung vor allem soziale Normen ins Zentrum der Betrachtung gerückt werden, während in der zweiten Hälfte vorrangig juristische Einhegungen des Marktes im Vordergrund stehen. Der erste Hauptteil beschäftigt sich mit dem Ankaufgeschäft seit der Gründung der Ansiedlungskommission als Beginn der Siedlungspolitik 1886 bis zum Jahr 1898, als die Finanzmittel der Ansiedlungskommission erstmalig aufgestockt wurden. In dieser Phase stand die Gründung neuer Ansiedlungen im Vordergrund, für die vorzugsweise polnischer Grundbesitz angekauft werden 37
sollte. Mit der Erhöhung der Mittel im Jahr 1898 lockerte das Staatsministerium schließlich die strengen Vorgaben für den Ankauf von Grundbesitz.124 Der zweite Hauptteil ist den Jahren um die Jahrhundertwende bis 1908 gewidmet, als abermals neue Finanzmittel aufgebracht und das seinerzeit vielbeachtete »Enteignungsgesetz« verabschiedet wurde, das dem Staat gestattete, polnischen Großgrundbesitz zu enteignen. Zugleich ist es die Phase, in der die Empörung in der polnischsprachigen Öffentlichkeit am größten war und in der auch auf deutscher Seite Sanktionsmaßnahmen erprobt wurden. Der dritte Hauptteil verfolgt die These, dass mit dem Erlass des »Enteignungsgesetzes« eine grundlegende Neuorientierung in der Siedlungspolitik erfolgte. Nicht mehr die Neubesiedlung, sondern die Sicherung des deutschen Grundbesitzes vor dem Zugriff polnischer Käufer stand fortan im Vordergrund. Der Kriegsausbruch im Sommer 1914 beschließt den Untersuchungszeitraum. Der Bodenmarkt erlahmte und die Ansiedlungskommission stellte ihre Tätigkeit fast vollständig ein, da die meisten ihrer Mitarbeiter zum Kriegsdienst einberufen wurden, aber auch, weil die Eroberung des russischen Teilungsgebietes Polens im weiteren Kriegsverlauf Pläne für die Bildung eines polnischen Satellitenstaates Gestalt annehmen ließ. Ein Abrücken von der aggressiven Germanisierungspolitik war opportun, und sei es nur in Form einer symbolpolitischen Konzessionsbereitschaft. Neben einem Überblick über die Auswirkungen des Kriegsausbruchs bietet das letzte Kapitel einen Ausblick auf die Folgen der deutschen Kriegsniederlage 1918 für die beiden Ansiedlungsprovinzen.
124 Zur Bedeutung der Zäsur von 1898 siehe auch Stępiński, S. 333–335, der hierin die Wende von einer offensiven zu einer defensiven Vorgehensweise diagnostiziert, sowie BruchholdWahl, S. 21 f., nach der seitdem deutsche Großgrundbesitzer ihre Güter direkt an den preußischen Staat verkaufen konnten. Für Müller, Modernisierung, S. 155 f., bedeutete die Novellierung des Ansiedlungsgesetzes eine Abkehr von der bisherigen, fruchtlosen Assimilationspolitik, die durch eine harte Verdrängungspolitik abgelöst wurde.
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1. Auftakt: 1886–1898
1.1 Die Geburt der Ansiedlungskommission aus dem Geiste der Ethnodemografie Die territoriale Expansion der Hohenzollernmonarchie fand im 18. Jahrhundert auch in der Annexion von Teilen der polnisch-litauischen Union ihren Ausdruck. Durch die schrittweise Einverleibung seitens der Anrainer Preußen, Russland und der Habsburgermonarchie verschwand Polen-Litauen in den Jahren 1772, 1793 und 1795 nach und nach von der politischen Landkarte. Durch die Niederlage Preußens gegen die napoleonischen Truppen 1806/07 ging das Gros dieser Territorien an den napoleonisch-sächsischen Satellitenstaat Herzogtum Warschau verloren, der jedoch eine Episode bleiben sollte. Der Wiener Kongress von 1814/15 brachte Preußen einen beträchtlichen Teil der zuvor erworbenen polnischen Gebiete zurück. Dieser territoriale Zustand sollte über einhundert Jahre – bis zum Posener Aufstand von 1918/19 und dem Versailler Vertrag – bestehen bleiben. Durch seine Eroberungen in Ostmitteleuropa war Preußen zu einem Staat lediglich »›halbdeutschen‹ Charakters«1 geworden. Die polnische Bevölkerung konzentrierte sich auf die Provinzen Schlesien und Westpreußen und insbesondere auf das Großherzogtum Posen, in dem sie vielerorts die Mehrheit darstellte. Gut erforscht sind die Implikationen, die dieser Umstand auf die deutschpolnische Beziehungsgeschichte seit Beginn des »langen« 19. Jahrhunderts hatte. Angesichts des aufkeimenden Nationalismus schwankte die preußische Politik zwischen Integration, Assimilation und Unterdrückung; Letzteres, da die »polnische Frage« nach einer Reihe von Aufständen in eigenen oder angrenzenden Gebieten – dem Kościuszko-Aufstand von 1794, dem Novemberaufstand von 1830/31, dem Krakauer Aufstand von 1846, dem Großpolnischen Aufstand von 1848 und dem Januaraufstand von 1863/64 – als ein Sicherheitsproblem von erheblicher Bedeutung für die Stabilität der Monarchie in ihren östlichen Gebieten angesehen wurde.2 Die grenzüberschreitende polnische Nationalbewegung drängte auf die Verwirklichung eines eigenen Nationalstaates. Auch ein souveräner Staat auf Boden des russischen oder österreichischen Teilungsgebietes hätte langfristig den preußischen Territorialanspruch infrage gestellt. Gerade im Kalkül Österreichs, dessen galizisches Teilungsgebiet die größte Autonomie
1 Zernack, Polen, S. 432. 2 Vgl. Jużwenko / Wrzesiński, S. 126–133.
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aller drei Teilungsgebiete aufwies, lag es – so wenigstens Bismarcks Unterstellung, die ab Mitte des 19. Jahrhunderts über drei Jahrzehnte die preußische Minderheitenpolitik bestimmten sollte3 –, im Kriegsfall die Destabilisierung der beiden Nachbarmächte durch ein Bündnis der polnischen Unabhängigkeitsbestrebungen voranzutreiben und wahlweise in größeren Autonomiezugeständnissen oder der Gründung eines polnischen Satellitenstaates münden zu lassen (»austro-polnische Lösung«). Darüber hinaus besaßen die beiden späteren Ansiedlungsprovinzen, Westpreußen und Posen, für Preußen auch einen geostrategischen, d. h. verteidigungspolitischen Wert; eine engere Bindung an Preußen und das Reich kam demnach auch den Bedürfnissen der Sicherheitspolitik entgegen. Westpreußen bildete die Landbrücke zwischen Ostpreußen und dem Zentrum der Monarchie; Posen bildete einen Puffer zwischen der Ostgrenze nach Russland und Berlin als Hauptstadt Preußens und des 1871 gegründeten Reiches.4 Sowohl innen- wie auch außenpolitische Motive bestimmten daher die preußische Polenpolitik. 1.1.1 Assimilation als Fernziel Für das 19. und frühe 20. Jahrhundert sind idealtypisch drei Formen des Verständnisses der polnischen Nation bei preußischen Regierungsverantwortlichen auszumachen, die jeweils unterschiedliche Strategien im Umgang mit der polnischen Minderheit nahelegten. Verstand man erstens die polnischsprachige, überwiegend bäuerliche Bevölkerung als eine protonationale, d. h. national noch nicht »erweckte« Bevölkerung, so reichte es zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, sie von nationalisierenden Bestrebungen seitens des Adels und Klerus fernzuhalten, Gruppen also, die bereits ein nationales Bewusstsein ausgebildet hatten und deren irredentistischen Bestrebungen es zu unterdrücken galt. Galt nationale Zugehörigkeit zweitens als Zugehörigkeit zu einer Sprachfamilie, so schien eine langfristige sprachliche Assimilation zielführend zu sein. Die wesentliche ordnungspolitische Frage war dann, ob die als überlegen angesehene »deutsche Kultur« eine eigenständige Anziehungskraft auf die polnischen Bevölkerung zu entfalten vermochte. Wäre dies der Fall, würde die Assimilation der polnischen Minderheit »das naturgemäße Resultat eines freien Entwicklungsganges sein«, wie Friedrich Wilhelm IV. 1841 glaubte. In diesen Prozess könne und dürfe die Verwaltung nicht eingreifen, da »die erkennbare Absicht, das Ziel zu schnell zu erstreben, […] nur Reaktionen erzeugen [würde], die immer hemmend statt fördernd wirken«. Stellte sich die kulturelle Anziehungskraft je3 Vgl. Hagen, S. 131 f. 4 Vgl. Rothfels, Osten, S. 44–46; Balzer, S. 290; Tilse, S. 21. Siehe dagegen Thum, Imperialists, S. 151, wonach Posen und Westpreußen weder ökonomisch noch strategisch einen hohen Stellenwert einnahmen. Die Absicherung der Provinzen sei lediglich aus Gründen imperialer Prestigebewahrung erfolgt.
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doch nicht ein, schuf das von Friedrich Wilhelm IV. empfohlene obrigkeitliche Laissez-faire lediglich einen Nährboden für polnische Unabhängigkeitsbestrebungen. Von diesem Umkehrschluss zeigten sich in den folgenden Jahrzehnten mehr und mehr Minister und Oberpräsidenten überzeugt, nicht nur wegen der Aufstände in den unterschiedlichen polnischen Teilungsgebieten, sondern auch wegen der zahlenmäßigen Zunahme der polnischen Bevölkerung.5 Fortan sollte ein staatlicher Interventionismus in Schule und Kirche, auch mithilfe bewusst repressiver Maßnahmen, den langandauernden Prozess nationaler Homogenisierung abkürzen. Im zeitgenössischen Diskurs lassen sich drei Kriterien feststellen, mithilfe derer die Erfolgsaussichten von Assimilationsprozessen eingeschätzt wurden: das zahlenmäßige Verhältnis beider Bevölkerungsteile, ihre kulturelle Differenz und die Anwendung von Zwangsmaßnahmen. Während die Annahme, die zahlenmäßig überlegene Gruppe würde die kleinere absorbieren, in den Jahrzehnten bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges stabil blieb, wandelte sich die in der Mitte des 19. Jahrhunderts vorherrschende »optimistische« Annahme über die Anziehungskraft der »höheren« Kultur bis zum Ende des Jahrhunderts hin zu einer »pessimistischen« Einschätzung, wonach die »niedere« Kultur durch ihre geringen Ansprüche im sozialen und wirtschaftlichen Verdrängungswettkampf im Vorteil sei (Max Weber, William Isaac Thomas). Umstritten war in den verschiedenen politischen Lagern, ob angesichts der unbefriedigenden Ergebnisse am Ausgang des Jahrhunderts Zwangsmaßnahmen zwingend erforderlich seien (Nationalliberale), oder diese – wie bereits Friedrich Wilhelm IV. angemerkt hatte – nicht gerade eine Mobilisierung gegen den Unterdrücker zur Folge haben würden (freisinnige Parteien). Ein solcher Homogenisierungsprozess wäre als aussichtslos erschienen, hätte drittens ein biologistisches und essentialistisches Verständnis des Nationalitätenproblems vorgeherrscht. Die Option einer Assimilation wäre dann wegen der unüberbrückbaren ethnischen Differenz als politische Maßnahme entfallen. Die Nationalitätenfrage wäre in einem Schwebezustand verharrt. Das Sicherheitsbedürfnis des preußischen Staates hätte sich nur durch eine dauerhafte Marginalisierung, im Idealfall durch eine Entfernung der polnischen Minderheit vom preußischen Staatsgebiet bewerkstelligen lassen.6
5 Vgl. Baske, S. 13–15, 94–98, 189–207 (mit Problematisierung des zeitgenössischen Begriffes der »Germanisierung« und dem Hinweis, dass vor 1871 eine vollständige Assimilierung der Bevölkerung nicht beabsichtigt gewesen sei), das Zitat 14; Volkmann, S. 30 f. 6 In diesem Sinne hatte sich 1851 der frisch ernannte Oberpräsident von Posen, Eugen von Puttkamer, geäußert: Eine Versöhnung mit dem feindlich gesinnten »polnischen Element« sei unmöglich, eine »Ausrottung« im Sinne einer Assimilation verbiete sich aber als unmenschlich und sei überdies ein mehrere Generationen umspannender Prozess. Es bleibe dem preußischen Staat nichts anderes übrig, als die polnische Bevölkerung niederzuhalten. Vgl. Hagen, S. 120 f.
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Alle drei Vorstellungsformen überlagerten sich als Folge eines sich wandelnden Verständnisses von der »deutschen Mission« des preußischen Staates. Auch wenn eine bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges zunehmende Bedeutung des biologistisch-essentialistischen Verständnisses angenommen werden darf, bleibt eine Entwicklungsgeschichte dieser Nationalismusdiskurse im historischen Wandel ein für ein tieferes Verständnis der preußisch-deutschen Polenpolitik notwendiges Forschungsdesiderat.7 Gehobenen Kreisen aus Politik und Wissenschaft galt zur Jahrhundertmitte die Sprache der Bevölkerung als das zentrale Merkmal der Zugehörigkeit zu einer Nation. Richard Boeckh, Sohn des berühmten Altertumsforschers August Boeckh und einflussreichster Statistiker Preußens, sprach Mitte der 1860erJahre von der »stillschweigende[n] Anerkenntniß, daß die Sprache das rechte Kriterium der Nationalität bildet«.8 Deshalb wurde die sprachliche Assimilation der polnischen Bevölkerung als Langzeitprojekt durch den öffentlichen Verkehr mit der deutschen Mehrheitsbevölkerung in Institutionen wie Schule, Militär und – in den nationalen Konflikten der Zeit besonders umkämpft – der Kirche unternommen.9 Indes fehlte es der Sprache der Zeit an einem präzisen Umgang mit Begriffen wie »Nation« und »Nationalismus«. Eric Hobsbawm hat diese ungenaue, teils widersprüchliche Semantik des Begriffes »Nation« für das mittlere 19. Jahrhundert herausgearbeitet.10 Ihm zufolge macht die Zugehörigkeit zu einer Sprachfamilie – wobei zwischen Selbst- und Fremdzuschreibung zu unterscheiden ist – ihre Mitglieder nicht automatisch zu glühenden Verfechtern der nationalen Idee. Die preußische Verwaltungssprache hat später um die Jahrhundertwende diesen qualitativen Unterschied mit der individuellen Zuschreibung als »National-« bzw. »Radikalpole« zu fassen versucht. Für die preußische Verwaltung, wenigstens in der Berliner Zentrale, scheint dagegen die breite polnische Bevöl-
7 Vgl. Müller, Modernisierung, S. 155 f. Dazu grundlegend Walkenhorst, S. 102–119. Zur Wandlungsfähigkeit des Assimilationsgedankens außerdem Eriksen, S. 45, der sowohl den sozial konstruierten Charakter ethnischer Zugangsbeschränkungen betont, gleichzeitig aber auch auf den historischen Wandel dieser Beschränkungen hinweist. Bestandteil des Problems, das vor allem die polnische Historiografie betont hat, ist zudem eine in der Regel unzureichende Klärung des Begriffes »Germanisierung«, dessen Bedeutung eine große Bandbreite von Assimilation über Akkulturation bis zur Integration abdecken kann. Vgl. Molik, Assimilation, S. 81; Makowski, S. 54; Molik / Traba, Procesy. 8 Boeckh, S. 265. Dazu ausführlich: Haarmann. Zur preußisch-deutschen Sprachpolitik im westeuropäischen Vergleich Volkmann, S. 75–79. Für den Beginn der Sprachenstatistik in Preußen, noch unter der Prämisse, der Staat müsse die Sprache der Untertanen beherrschen, nicht umgekehrt: Forstreuter. Für den Wandel von Sprachstatistik und -kartografie zu Argumenten und Instrumenten nationaler Politik in der Mitte des 19. Jahrhunderts: Labbé, Grenzen; dies., Institutionalizing. 9 Vgl. Korth; Knabe, S. 80–190; Boysen, Armee. 10 Vgl. Hobsbawm, Nationen, S. 25–58. Siehe dazu auch am Beispiel Bismarcks: Odenwald- Varga, S. 237–280.
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kerung, mehrheitlich Bauern, kein Sicherheitsrisiko per se gewesen zu sein. Es genügte, sie langsam an deutsche Sprache und Eigenart heranzuführen und sie unterdessen von dem als schädlich angesehenen Einfluss politisierender Adliger und Geistlicher fernzuhalten. Der deutsche Sprachnationalismus war ein für Assimilation offenes Ordnungskonzept; anders ließe sich die geduldige Beharrlichkeit der preußischen Behörden im Umgang mit dem Großteil der polnischen Minderheit kaum erklären. Dagegen scheinen biologistische Ordnungsprinzipien erst ab den 1900er-Jahren eine zunehmende Rolle gespielt zu haben, ehe im 20. Jahrhundert ihr Durchbruch die bekannten Auswirkungen zeitigte. Doch dieses langfristige, ohne Zeitplan verfolgte Projekt geriet im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts ins Stocken. Grund dafür war die sogenannte Ostflucht, die zunehmende Abwanderung von Menschen aus den östlichen Provinzen Preußens nach Übersee und in den Westen des Reiches. Die Ursachen fanden bereits zeitgenössisch hohe Aufmerksamkeit, etwa durch die im Auftrag des Vereins für Socialpolitik erarbeitete »Landarbeiterenquete« Max Webers. Hinlänglich analysiert hat dies in jüngerer Vergangenheit etwa Klaus Bade in seiner breit angelegten sozialhistorischen Migrationsforschung. Die Migrationsströme folgten inter- wie intersektoralen Lohnniveauunterschieden, die zwischen dem Osten des Reiches auf der einen und der westlichen Reichshälfte und den Staaten Nordamerikas auf der anderen Seite herrschten.11 Die preußische Regierung nahm solche Wanderungsbewegungen im Fall polnischer Migranten billigend in Kauf, da bei der Überseewanderung das Problem exportiert, bei der innerdeutschen Abwanderung eine Assimilation gefördert schien – freilich nicht ahnend, dass sich im Ruhrgebiet ein Milieu mit polnischsprachigem Privatunterricht, Gottesdiensten und Zeitungen etablieren konnte.12 Der Weggang deutscher Arbeitskräfte in die westlichen Industriebezirke des Reiches, dem schon aufgrund der sprachlichen Nähe geringere Hürden auferlegt waren als dem polnischer Migranten, stellte eine Gefährdung des langfristigen Germanisierungsprojektes dar, ließ sich aber aufgrund des Rechtes auf Freizügigkeit nicht unterbinden. Diese »Ostflucht« vornehmlich deutscher Migranten hatte Mitte der 1880erJahre das diffuse Gefühl einer »polnischen Überfremdung« der östlichen Provinzen Preußens zur Folge, wobei kein statistisches Material zur Verfügung stand, das Aufschluss über die Richtigkeit dieser Wahrnehmung hätte geben können. Eine Sprachenstatistik, die sich als Nationalitätenstatistik hätte lesen lassen können, war seit 1861 nicht mehr erhoben, sondern erst ab 1890 wieder in Angriff genommen worden; mutmaßlich, um der veränderten nationalpoli 11 Vgl. Weber, Verhältnisse. Zu Entstehungsgeschichte, Inhalt und anschließender Diskussion der Landarbeiterenquete weiter: Konno, Weber, S. 45–66. Für die folgenden Ausführungen maßgeblich: Bade, Land; ders., Kulturkampf. 12 Ausführlich hat Kleßmann dieses spannungsreiche Verhältnis zwischen Integration und Integrationsverweigerung beschrieben, das sich im Wesentlichen im Kräftedreieck zwischen polnischem Nationalismus, politischem Katholizismus und Sozialdemokratie bewegte.
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tischen Situation Rechnung zu tragen.13 In Ermangelung von Datenmaterial behalf sich daher der Statistiker Friedrich Julius Neumann 1883 für eine in den Jahrbüchern für Nationalökonomie und Statistik erschienenen Studie näherungsweise mit der drei Jahre zuvor erhobenen Konfessionsstatistik, wohlwissend, dass eine Zuordnung von »evangelisch« zu »deutsch« und »katholisch« zu »polnisch« allenfalls näherungsweise die Wirklichkeit zu beschreiben vermochte.14 Die Konfessionsstatistik war als Gradmesser der Nationalitätenverteilung denkbar ungeeignet, galt doch seit Boeckh die Sprache als wesentlicher Indikator für nationale Zuordnung, während deutsche Katholiken und evangelische Polen als Fehlerquellen der Konfessionsstatistik figurierten.15 Gleichwohl kam Neumann 1883 zu dem Ergebnis, die polnische Bevölkerung in der Provinz wachse erheblich stärker als die deutsche. Diese Bedrohungsstimmung verdichtete sich bis zum Winter bzw. Frühjahr 1885, als sie zunehmend auch in populären Medien verbreitet wurde. Von der Forschung viel zitiert ist der Artikel »Der Rückgang des Deutschtums« des Philosophen Eduard von Hartmann in der Berliner Zeitschrift Die Gegenwart.16 Auch andernorts wurde in der Presse ein Einschreiten gegen die polnische Bevölkerung im Osten verlangt.17 Damit standen 1885 die Forderungen nach tiefgreifenden antipolnischen Maßnahmen auf einem breiten medialen Fundament. Die Medien hatten eine politische Grundstimmung erzeugt, die staatliche Interventionen regelrecht einforderte. Diese Forderungen wurden zunächst von Kultusminister Gustav von Goßler aufgegriffen. Die Frage der polnischen Migranten war aus Regierungssicht 13 Die Forschung vermutet hierhinter Absicht, um der polnischen Nationalbewegung keinen Aufschluss über die Bedeutung der polnischen Minderheit zu geben. Vgl. Schneider, S. 303–305. Zur Dialektik der Statistik als Herrschaftsinstrument über Minderheiten einerseits und Repräsentationsmöglichkeit von Minderheiten andererseits vgl. Kertzer / Arel. Für die Bedeutung der Statistik als konstitutiver Faktor zur Herstellung nationaler Differenz im preußischen Fall: Tilse, S. 13 f. 14 Vgl. Neumann. Auch wenn sowohl in den zeitgenössischen Debatten als auch in der Forschungsliteratur die Statistiken gern auf die Kategorien »evangelisch«, »katholisch« und »jüdisch« reduziert werden, waren sie doch erheblich komplexer und umfassten Evangelische, Unierte, Lutheraner, Altlutheraner, Separierte Lutheraner, Reformierte, Altreformierte u. a. m. 15 Vgl. Belzyt, S. 3 f. Vgl. für die Konfession als Ersatzindikator Mitte der 1880er-Jahre Schneider, S. 320, Anm. 141. Die Erhebung vom 1. Dezember 1885 ermittelte für Westpreußen ein Verhältnis von 47 Prozent evangelischer gegenüber 50 Prozent römisch-katholischer Bevölkerung, in Posen 31 Prozent Evangelische gegenüber 66 Prozent Römisch-Katholischen. Vgl. Kaiserliches Statistisches Amt (Hg.): Statistik des Deutschen Reichs, N. F. Bd. 32, Berlin 1888, S. 240 f. 16 Vgl. Eduard von Hartmann: Rückgang des Deutschthums, in: Die Gegenwart, 3.1.1885 und 10.1.1885. Ausführlich mit diesem Artikel und seiner Wirkung hat sich Neubach, Hartmann, beschäftigt. 17 Vgl. Behrendt, S. 716, Anm. 70; Lorenz, Parteien, S. 9 f.; Bade, Kulturkampf, S. 127 f.; Neubach, Hartmann, S. 152; Kohte, S. 226, auch Anm. 12.
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zunächst einmal eine Frage der Schulverwaltung, aber auch der Seelsorge und der konfessionellen Parität. Goßler gelang es, Bismarck von einer Verringerung der Naturalisierung ausländischer Untertanen zu überzeugen, wofür er sich wie zuvor Neumann auf die Zahlen der Konfessionsstatistik stützte. Bismarck warb in diesem Sinne um die Unterstützung des Innenministers Puttkamer, wobei er sich unter anderem auf einen am 11. März im Leipziger Tageblatt erschienenen und von anderen Zeitungen aufgegriffenen Artikel berief, in dem der fortgesetzte Zuzug ausländischer Polen in die östlichen Provinzen beklagt wurde.18 Die Maßnahmen des Kultusministers zielten nicht auf die polnische Bevölkerung mit preußischer Staatsangehörigkeit, sondern auf Personen aus dem russischen und österreichischen Teilungsgebiet ab. Darunter befanden sich Wanderarbeiter, auf deren Arbeitskraft die Großgrundbesitzer der östlichen Provinzen angewiesen waren, da sie ihnen weniger Lohn zu zahlen brauchten als Angehörigen der heimischen Landarbeiterschaft. Unter den Ausgewiesenen befanden sich aber auch Auswanderer, die zuweilen dem russischen Militärdienst entflohen waren und teilweise schon seit Jahren oder Jahrzehnten in Preußen lebten. Eine Zählung im Oktober 1884 ergab für die östlichen Provinzen eine Zahl von 30.165 Personen allein aus dem russischen Teilungsgebiet. Auf der Grundlage dieser Zahlen erklärte Kultusminister Goßler gegenüber Bismarck im Februar 1885, dass der Schulverwaltung aufgrund der Nachfrage nach katholischem Unterricht in der Region die Überlastung drohe, wenn der Zuzug nicht bald gestoppt werde.19 Die Folge war die Ausweisung von etwa 32.000 Personen im Zeitraum von 1885 bis 1887 aus den östlichen Provinzen und Berlin – nicht aber der ca. 70.000 nichtnaturalisierten Ausländer aus dem östlichen Europa, die in den westdeutschen Industriebezirken ein wichtiges Arbeitskräftereservoir darstellten20 –, und die als »nicht deutsch«, das bedeutet »polnisch« oder auch »jüdisch« klassifiziert wurden.21 Die Ausweisungen trugen also neben der antipolnischen auch eine unverkennbar antijüdische Signatur.22
18 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 77, Tit. 1176 Nr. 2a Bd. 5, Bl. 25–32, Kultusminister an den Außenminister und den Innenminister, 12.2.1885 (mit der Warnung, aufgrund von Erwerbsbeschränkungen in Russland könnten fortan polnische Käufer vermehrt deutschen Grundbesitz in Preußen erwerben); Otto von Bismarck an Robert von Puttkamer, 22.2.1885, in: Bismarck, Werke, Bd. 6, S. 504. 19 Vgl. Mai, S. 39 f.; zur Berechtigung dieser Sorge vgl. Fitzpatrick, S. 100 f. 20 Vgl. Koehl, S. 260. 21 Vgl. Mai, S. 200; Jakóbczyk, Komisja, S. 13. 22 Dies geht auch daraus hervor, dass Bismarck den Vorschlag Puttkamers ablehnte, auf die Ausweisung deutschsprachiger Juden aus Galizien zu verzichten. Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3554, Bl. 179–180, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 24.9.1885; Neubach, Ausweisung, S. IX; Grześ, S. 236; Reinecke, S. 152. Der Anteil der jüdischen Ausgewiesenen betrug ungefähr ein Drittel der Gesamtzahl. Vgl. Neubach, Ausweisung, S. 129; Kozłowski, S. 204.
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Härten blieben in der Ausführung der Maßnahme nicht aus. Auch Alte und Kranke, Witwen und Waisen waren von den Ausweisungen betroffen, sogar dann, wenn sie bereits längere Zeit in Preußen gelebt hatten.23 Selbst Beobachter, die eine Notwendigkeit der Ausweisungen anerkannten, kritisierten dies.24 Aufsehenerregend war die Debatte im Reichstag im Dezember 1885 und Januar 1886, die in einer Resolution gipfelte, in der der Reichstag das Vorgehen der preußischen Regierung verurteilte. Die Resolution blieb folgenlos, weil sie schließlich vom Bundesrat mit der Begründung niedergeschlagen wurde, der Reichstag habe kein Recht, sich in die inneren Belange Preußens einzumischen.25 Die außergewöhnliche Verurteilung der Regierung eines Bundesstaates durch das deutsche Parlament mag Bismarck in seiner Entscheidung beeinflusst haben, im Folgejahr die Ansiedlungskommission als preußische und nicht als Reichsinstitution einzurichten.26 Die massenhafte Ausweisung ausländischer Staatsangehöriger und die anschließende Verschärfung der Grenzüberwachung sollte den Zuzug von Personen mit ethnisch polnischer Zuschreibung behindern. Sie trug folglich moderne ethnodemografische Züge, ohne dass sie – trotz aller Härten – mit den europäischen Bevölkerungsverschiebungen des 20. Jahrhunderts mit ihren Massenverbrechen vergleichbar gewesen wäre.27 1.1.2 Außenpolitische Erwägungen Es gehörte zum Charakter des gelernten Diplomaten Bismarck, sensibel auf Veränderungen der außenpolitischen Großwetterlage zu reagieren.28 Angesichts der 1882 aufflackernden und danach immer weiter schwelenden Kriegsge23 Vgl. Mai, S. 42 f., 63 f.; Neubach, Ausweisung, S. 61, 111 f., 124, 129 f., zum Verzicht in Härtefällen: 124 f.; Reinecke, S. 162 f.; Wehler, Reichsfeinde, S. 186. 24 Vgl. etwa Waldersee, S. 273. 25 Ausführlich dargestellt bei: Mai, S. 75–88; Neubach, Ausweisung, S. 82–106; Fitzpatrick, S. 106–115; Volkmann, S. 52–56. Zur Debatte auch Huber, S. 487 f. Bruchhold-Wahl, S. 102, argumentiert, dass die anschließende Gründung der Ansiedlungskommission und weitere antipolnische Maßnahmen des Jahres 1886 eine Art Befreiungsschlag Bismarcks gewesen sei, einzig dem Wunsch geschuldet, den drohenden Gesichtsverlust durch die Reichstagsresolution abzuwehren. Christiane Reinecke hat in diesem Zusammenhang auf den wichtigen Unterschied zwischen Reichs- und Landesverweisungen hingewiesen: Letztere, zu denen die Ausweisungen des Jahres 1885 zählten, bedurften keines vorherigen Gerichtsurteils, sondern waren ein einfacher Verwaltungsakt und »diente den Beamten als ein flexibles Instrument, das es erlaubte, jeden ausländischen Bürger, der als ›lästig‹ galt, auszuweisen.« Vgl. Reinecke, S. 139 f., das Zitat 140. Auch wenn die Ausweisungen ihrem Charakter nach nationalpolitisch motiviert waren, waren sie in ihrer administrativen Ausführung eine preußische Maßregel, keine des Reichs. 26 Vgl. dagegen Ther, S. 137, 147. 27 Vgl. Thum, Megalomania, S. 51. 28 Vgl. Feldman, S. 11; Mai, S. 89; Hagen, S. 124; Trzeciakowski, Pod, S. 257–261.
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fahr mit Russland (die Erneuerung des Dreikaiserbündnisses 1884 taugte nur vorübergehend zu einer Entspannung) schien die ostentative Unterdrückung der polnischen Minderheit ein probates Signal, dass vom Deutschen Reich keinerlei Gefahr für Russland ausgehe. Bismarck antizipierte die Befürchtung Petersburgs, dass Deutschland im Kriegsfall eine Neugründung Polens auf russischem Territorium realisieren könnte. Durch die Unterdrückung der polnischen Minderheit im eigenen Land – so die bittere Logik Bismarcks – sollten dem russischen Nachbarn die eigenen Friedensabsichten demonstriert werden.29 Die preußischen Regierungspolitiker der nachfolgenden Jahrzehnte sahen demnach in der Tätigkeit der Ansiedlungskommission kein Mittel der Machtexpansion des Deutschen Reiches über die bestehenden Grenzen hinaus, sondern eines der Herrschaftsstabilisierung nach innen – ein Befund, der überraschen mag angesichts der Tatsache, dass im »Zeitalter der Weltkriege«, als sich ganz neue Handlungsfenster für eine Erweiterung deutscher Großmachtbestrebungen nach Osteuropa öffneten, auf dieselben Narrative deutscher Ostsiedlung zurückgegriffen wurde, um die Kriegszieldebatte ideologisch zu unterfüttern.30 Folgt man der Auffassung Ernst Rudolf Hubers, so blieb die gesamte preußisch-deutsche Polenpolitik bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges von einer Fokussierung auf die russische Kriegsgefahr bestimmt. Lediglich unter der Reichskanzlerschaft Caprivis schien kurzzeitig eine »Versöhnungsära« in den deutsch-polnischen Beziehungen möglich, oder wie Christoph Kleßmann und Johannes Frackowiak sie vorsichtiger nannten: eine »Phase der Entspannung«.31 Caprivi hielt eine militärische Konfrontation mit Russland für unausweichlich, weshalb er in seiner Amtszeit, im Unterschied zu seinem Vorgänger und seinen Nachfolgern, Wert auf eine politische Einbindung der polnischen Minderheit als Bündnispartner im Kriegsfall legte.32 Mindestens genauso wichtig war Bismarcks Überzeugung, dass ÖsterreichUngarn im Kriegsfall mit Russland die Karte der polnischen Insurrektion spielen könnte. Da ein solches Vorgehen zweifellos auch die »polnischen Provinzen« Preußens erfasst hätte, suchte Bismarck die östlichen Provinzen enger in das Reich einzubeziehen.33 An all dem änderte die Tatsache nichts, dass Bismarck in den 1880er-Jahren gelegentlich eine Restitution Polens für den Fall eines Kriegsausbruchs mit Russland erwogen hatte, wenngleich er den Frieden vorzog. 29 Vgl. Penzler, S. 476; Wojtkowski, Działalność, S. 5; Rothfels, Nationalitätenfragen, S. 81; Balzer, S. 29; Liulevicius, S. 101. Zur außenpolitischen Grundierung der preußischen Polenpolitik grundsätzlich: Zernack, Polen, S. 437 f. 30 Vgl. Thum, Frontier, S. 34–37. 31 Kleßmann / Frackowiak, S. 27. 32 Vgl. Huber, S. 510 f.; Volkmann, S. 95–101; Meisner, S. 35. 33 Vgl. Mai, S. 200; Jakóbczyk, Komisja, S. 13; Feldman, S. 2–11; Behrendt, S. 729; Herzfeld, S. 73; Rothfels, Osten, S. 42–44, 54; ders., Nationalitätenfragen, S. 80 f.; Wojtkowski, Działalność, S. 3; Stępiński, S. 331 f.; Wendt, S. 92, Anm. 214 (mit der Annahme, die Ausweisungen seien eine Folge der positiven russisch-deutschen Beziehungen gewesen und nicht wie hier geschildert ein Versuch, die angespannten Beziehungen zu verbessern).
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Dieses auf den ersten Blick paradox anmutende Vorgehen entsprach dem Doppelspiel der Diplomatie, auf jede Eventualität vorbereitet zu sein. Die Unterstützung der polnischen Unabhängigkeitsbewegung blieb jedoch aufgrund der mit ihr verbundenen unkalkulierbaren Risiken bis zuletzt allenfalls ein Notfallplan für einen möglichen Krieg mit Russland.34 Man wird die Ausweisungen des Jahres 1885 selbst nicht in den Kontext des Beginns der »Doppelkrise« von 1885–1887 rücken können, da diese erst später, im Herbst des Jahres, mit dem Großbulgarischen Aufstand begann. Nichtsdestotrotz waren die diplomatischen Beziehungen seit 1882 erheblichen Schwankungen unterworfen und verschlechterten sich ab Herbst 1885 zusehends. Die bulgarische Krise drohte, die österreichisch-russische Allianz zerbrechen zu lassen und das Deutsche Reich in den Strudel eines Krieges zwischen beiden Mächten hineinzuziehen. Zugleich lief das Reich angesichts der wachsenden deutschfranzösischen Spannungen Gefahr, in einen Zweifrontenkrieg zu geraten. Schadensbegrenzung war im Osten leichter zu bewerkstelligen als im Westen. Dazu stellte sich Bismarck 1885 demonstrativ auf die Seite Russlands, erhielt von dort jedoch den Vorwurf mangelnder Unterstützung. Bis zum Abschluss des deutschrussischen Rückversicherungsvertrages im Sommer 1887 blieb die Kriegsgefahr bestehen.35 Folglich waren bei den Ausweisungen ab 1885, das sei noch einmal hervorgehoben, innen- wie außenpolitische Zielsetzungen eng miteinander verknüpft: Die Ausweisungen sollten nicht nur einer langfristigen ethno-nationalen Homogenisierung der östlichen Provinzen dienen, sondern zugleich signalisieren, dass die Herrschaft des Zarenreichs über das russische Teilungsgebiet Polens respektiert werde. Dass der Zollkrieg von 1887 eine weitere Annäherung zwischen Russland und Frankreich bewirkte, steht auf einem anderen Blatt.36 1.1.3 Konkurrierende Zielsetzungen In dieser verfahrenen Situation verfasste der Bromberger Regierungspräsident Christoph von Tiedemann Anfang Januar 1886 eine Denkschrift,37 in der er weitere Maßnahmen gegen die polnische Minderheit vorschlug, darunter eine aktive Boden- und Siedlungspolitik in den östlichen Provinzen. Die Ausweisungen sollten nur die erste Phase der Verschiebung des Bevölkerungsverhältnisses zugunsten des deutschen Anteils sein, der in einem zweiten Schritt durch einen 34 Vgl. Behrendt, S. 714 f.; Rothfels, Osten, S. 64 f.; Hagen, S. 126 f. 35 Vgl. Canis, S. 233–352. 36 Vgl. Wehler, Rußlandpolitik. 37 GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9483, Bl. 3–32, Denkschrift betreffend einige Maßregeln zur Germanisirung der Provinz Posen. Abgedruckt bei: Jakóbczyk, Materiały. Vgl. für die Verbreitung der Denkschrift unter Ministern und ausgewählten Abgeordneten auch Tiedemanns Erinnerung in: Der Tag, 8.5.1907. Für das Folgende auch konzise: Blanke, Prussian, S. 56 f.; Lerp, Grenzräume, S. 156–160.
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staatlich organisierten und finanzierten Zuzug von Deutschen in diese Provinzen weiter anzuheben sei. Dabei waren es nicht so sehr die zeitgenössischen globalen Kolonialbewegungen – das Deutsche Reich hatte erst wenige Monate zuvor »Schutzgebiete« in Übersee gegründet –, die Tiedemann als Vorbild dienten, sondern er rekurrierte in seiner Denkschrift auf die ältere preußische Polenpolitik aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.38 Auch die preußischen Ministerien knüpften in der Folgezeit an diese Wissensbestände an und erstellten Akten, in denen ältere Denkschriften zur preußischen Minderheitenpolitik in Posen zusammengetragen oder neue Denkschriften über das damalige Vorgehen angefertigt wurden.39 Immer wieder kam man auf Eduard von Flottwell zurück, von 1830 bis 1841 Oberpräsident der Provinz Posen. Im Rückblick auf seine Amtszeit hatte Flottwell 1841 in einem Memorandum eine schonende Behandlung der polnischen Bevölkerung empfohlen (mit Ausnahme von Adel und Klerus als Trägergruppen der Nationalbewegung), aber auch eine gezielte Stärkung der deutschen Bevölkerung. Resümierend berichtete der ehemalige Oberpräsident über die Maßnahmen seiner Amtszeit in der Schul- und Kirchenpolitik sowie der Lokalverwaltung. Am anschlussfähigsten sollten indes Jahrzehnte später für Tiedemann Flottwells Ausführungen über die Bodenpolitik der 1830er-Jahre werden. 1833 hatte die Posener Provinzverwaltung damit begonnen, Rittergüter bei Zwangsversteigerungen zu erwerben und nach Regulierung der Schulden an deutsche Grundbesitzer weiterzuverkaufen. Zu dem Zeitpunkt, als Flottwell sein Memorandum niederschrieb, war ein solcher Übergang in dreißig Fällen bereits erfolgt, zwei Rittergüter befanden sich noch in den Händen des Fiskus.40 Ein solches Vorgehen empfahl auch Tiedemann in seiner Denkschrift von Anfang Januar 1886 mit dem Unterschied, dass die Rittergüter entweder als Staatsdomänen verpachtet oder unter Siedlern parzelliert werden sollten.41 Wenige Tage später griff Bismarck diesen Vorschlag auf und warb im Staatsministerium für eine staatlich finanzierte Übertragung polnischen Grundbesitzes in deutsche Hand, wobei auch zu prüfen sei, ob »die Wiedereinführung der Strafe der Vermögenskonfiskation sich empfehle«.42 Es dauerte jedoch über 38 Vgl. Mai, S. 104. 39 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9481, Verfahren des Oberpräsidenten von Flotwell [sic] beim Ankaufe von Gütern für den Staat nach der Allerh. Ordre vom 13. März 1833 (1886); ebd., Rep. 77, Tit. 50 Nr. 21 Adhib. 1, Denkschriften wegen Maßregeln zur Germanisierung der Provinz Posen (1832–1886 [1894]). Zur Anlage der Akte im Jahr 1886 vergleiche das gleichmäßige Schriftbild der Einträge im Inhaltsverzeichnis. Die im Folgenden erwähnte Denkschrift Eduard von Flottwells findet sich dort S. 64–85. 40 Vgl. Laubert, Güterbetriebsfonds; Paprocki, S. 141–152. 41 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9483, Bl. 3–32, hier 25r–26, Denkschrift betreffend einige Maßregeln zur Germanisirung der Provinz Posen, 6.1.1886. Für dies und das Folgende auch: Jakóbczyk, Komisja, S. 14–18. 42 GStA PK, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3555, Bl. 14–16r, das Zitat 16r, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 10.1.1886. Vgl. dazu auch Bismarcks Rede vor dem Abgeordnetenhaus am 28.1.1886, in der er die Enteignung für die Zukunft in Aussicht stellt, falls der freiwil-
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zwei Jahrzehnte, bis sich die preußische Regierung zu diesem harten Eingriff in Vermögensrechte in Form staatlicher Enteignung entschloss. Ende Januar 1886 konkretisierte Bismarck seine Pläne. Ihm schwebte nun die Gründung einer eigenen, dem Staatsministerium unterstellten Behörde vor, um die Siedlung nicht bloß im Nebenamt von Leitern anderer Dienststellen durchführen zu lassen. Neben einem Vorsitzenden sollten der Behörde Mitglieder aus beiden Kammern des Landtages angehören; ein Ansinnen, das schnell fallengelassen und lediglich durch eine jährlich zu erfolgende Berichterstattung an das Parlament ersetzt wurde.43 Nachdem die Pläne derart fortgeschritten waren, reichten die Fraktionen von Nationalliberalen und Konservativen nach Absprache mit der Regierung am 23. Januar 1886 einen Antrag ein (»Antrag Achenbach«), in dem sie der Regierung für die Maßnahmen der letzten Monate dankten und die Bewilligung umfassender finanzieller Mittel für eine Verschärfung der Polenpolitik in Aussicht stellten. In der anschließenden Debatte im Abgeordnetenhaus am 28. Januar nahm sich Bismarck zwei Stunden Zeit, um ausführlich darzulegen, warum die seiner Ansicht nach bis zur Illoyalität reichende mangelnde Kooperation der polnischen Minderheit solche Maßnahmen rechtfertige. Die Debatte dauerte noch zwei weitere Tage, ehe der Antrag Achenbach angenommen wurde; einstimmig, weil die Abgeordneten von Polenpartei, Zentrum und Freisinn den Saal zuvor demonstrativ verlassen hatten.44 lige Verkauf nicht die gewünschten Erfolge zeitigt: StenBerAH 1886, S. 173, sowie die Notiz des Landwirtschaftsministers Lucius (von) Ballhausen zur Debatte: Lucius von Ballhausen, S. 330 f. Aufgrund der verwaltungsinternen Sondierung der Enteignungsbefugnis ist die Einschätzung bei Lorenz, Parteien, S. 19, in Zweifel zu ziehen, wonach Bismarck die Drohkulisse möglicher Enteignungen als taktische Maximalforderungen gedient habe, um im Abgeordnetenhaus für den Gesetzesentwurf in seiner bestehenden, weniger drastischen Form freiwilliger Ankäufe eine breitere Akzeptanz zu verschaffen. 43 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3555, Bl. 27r–31, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 24.1.1886; Bruchhold-Wahl, S. 126, 132–134. Land, S. 26, dazu, dass die konservativen Fraktionen selbst die Einbeziehung von Landtagsabgeordneten abgeblockt hatten, um die Kommission frei von parlamentarischer Kontrolle und damit unabhängig von wechselnden Parlamentsmehrheiten zu halten. Durch die Praxis, Großgrundbesitzer der Ansiedlungsprovinzen als landwirtschaftliche Sachverständige in das Kontrollgremium zu berufen, erlangten aber wenigstens die deutschkonservativen Fraktionen Einblicke und Einfluss in die Tätigkeit der Behörde. 44 Vgl. StenBerAH 1886, S. 164–175, Sitzung vom 28.1.1886; Fitzpatrick, S. 116; Lorenz, Parteien, S. 12–18; Mai, S. 110–120; Neubach, Ausweisung, S. 106–119; Huber, S. 488 f.; Wendt, S. 93, Anm. 229. Womöglich ist hinter dem »Antrag Achenbach« auch ein Manöver Bismarcks zu sehen, um kurz nach der kritischen Reichstagsresolution die regierungstragenden Parteien demonstrativ zu vereinen. Vgl. Bruchhold-Wahl, S. 103 f. Vor allem ist auf Tiedemann in seiner Doppelrolle als Urheber der »Germanisierungs-Denkschrift« und Landtagsabgeordneter hinzuweisen, der zwischen den beteiligten Fraktionen die Möglichkeiten einer Resolution sondierte, mit der der Regierung das Vertrauen und die Bereitstellung umfangreicher Mittel zugesagt werden sollte. Vgl. Der Tag, 8.5.1907. Zur Dauer der Rede übereinstimmend: Kalckreuth, S. 75 und Lucius von Ballhausen, S. 330.
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Die Zusage des Abgeordnetenhauses erlaubte dem Staatsministerium, an die Umsetzung zu gehen. Bismarcks ursprünglicher Plan sah vor, polnischen Großgrundbesitz anzukaufen, um die ökonomische Basis des polnischen Adels zu brechen.45 Dieser Grundbesitz sollte anschließend als Staatsdomänen verpachtet werden.46 Unterstützt wurde Bismarck in seinem Vorhaben durch den Umstand, dass in den Jahren zuvor mehrere polnische Großgrundbesitzer dem Domänenfiskus ihre Güter zum Kauf angeboten hatten.47 In der Frage, an wen das Land vergeben werden sollte, wurden national- und sozialpolitische Zielsetzungen verschränkt.48 Gegen Bismarcks Domänenpläne und für eine Parzellierung des Landes unter Bauern sprach sich ein einflussreicher Unterstützerkreis aus dem liberalen Spektrum aus: Von verschiedenen Seiten, nicht zuletzt den Nationalliberalen unter dem Herrenhausmitglied und späteren Finanzminister Johannes Miquel (ab 1897: von Miquel), wurde in den Vorberatungen darauf gedrängt, durch die Parzellierung von Großgrundbesitz den bäuerlichen Mittelstand zu stärken, um so die »soziale Frage« zu entschärfen. Zugleich versprach man sich davon eine Produktionssteigerung durch eine Intensivierung der Bewirtschaftung.49 Schon 1873 hatte es einen Vorstoß liberaler Abgeordneter im preußischen Landtag gegeben, Staatsdomänen zu parzellieren. 1885 hatten sich die Teilnehmer einer Konferenz des Landesökonomiekollegiums unter Vorsitz von Landwirtschaftsminister Robert Lucius (1888 nobilitiert) aus sozialpolitischen Erwägungen für eine »innere Kolonisation«, d. h. eine Aufteilung von Großgrundbesitz zu Zwecken bäuerlicher Siedlung ausgesprochen. Ähnlich hatte sich im gleichen Jahr Rudolf von Bennigsen auf dem Parteitag der Nationalliberalen in Hannover geäußert. Der Verein für Socialpolitik entschied im Januar 1886, seine anstehende Generalversammlung im September des gleichen Jahres in Frankfurt am Main – Johannes Miquel war dort zu der Zeit Oberbürgermeister – unter das Thema der »inneren Kolonisation mit Rücksicht auf die Erhaltung und Vermehrung des mittleren und kleineren Grundbesitzes« zu stellen.50 Nach Scott M. Eddie gehörte »die Verteilung des 45 Im Jahr 1884 zählten Innenminister Puttkamer und Kultusminister Goßler für die Provinz Posen 649 polnische Güter mit einem Umfang von 653.433 Hektar und 1.010 deutsche Güter mit einem Flächeninhalt von 723.899 Hektar. Vgl. Grześ, S. 230 f. 46 Vgl. Lucius von Ballhausen, S. 331. 47 Vgl. Mai, S. 101 f., 109. Schon um 1882 hatten Bismarck und sein Sohn Herbert den verstärkten Ankauf polnischen Großgrundbesitzes erwogen. Vgl. Trzeciakowski, Pod, S. 190–192. 48 Vgl. Tönnies, S. 5–9; Bruchhold-Wahl, S. 93; Balzer, S. 87 f.; Lerp, Grenzräume, S. 152. Elizabeth B. Jones hat betont, dass die liberalen Sozialreformer zwar keineswegs frei von antipolnischen Ressentiments gewesen sind, dass sie aber vor allem die nationalpolitische Konjunktur der 1880er-Jahre zu nutzen verstanden, um auf dem Trittbrett der Minderheitenpolitik Akzeptanz für ihr weitreichendes soziales und ökonomisches Programm zu schaffen. Vgl. Jones, dazu auch Balzer, S. 291. 49 Vgl. Rothfels, Ansiedlungsgesetz, S. 94; Pfeiffer, S. 56–58; Koehl, S. 266; Schultz-Klinken, S. 200; Bruchhold-Wahl, S. 88–93. 50 Vgl. Mai, S. 100 f. Einzelbeiträge sind veröffentlicht als: Verein für Socialpolitik, Kolonisation, und Verein für Socialpolitik, Verhandlungen. Diese Schriften sind bei Einrichtung der
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Grundbesitzes im östlichen Preußen« sogar »zu den wichtigsten politisch-ökonomischen Problemen Deutschlands am Vorabend des Ersten Weltkrieges«,51 an deren Diskussion namhafte Nationalökonomen wie Gustav Schmoller, Max Weber oder Lujo Brentano beteiligt waren. Unter sozialpolitischen Gesichtspunkten herrschte in weiten Teilen dieser nationalökonomischen Experten, aber auch innerhalb der Verwaltung ein breiter Konsens für die bäuerliche Siedlung. Die Durchsetzung dieses Plans ist maßgeblich auf Miquel zurückzuführen. Er hat im Frühjahr 1886 bei verschiedenen Zusammenkünften mit Bismarck, aber auch als Koreferent in dem mit der Prüfung beauftragten Staatsrat, seinen Einfluss geltend machen können, anstelle des Ankaufs als Domänen Siedler stellen auszulegen. Im Gegenzug stellte Miquel das Einverständnis seiner Partei in Aussicht, den von Bismarck für die Siedlungspolitik ursprünglich vorgesehenen Fonds von zehn Millionen auf 100 Millionen Mark aus dem Staatsetat zu erhöhen.52 Erst dadurch wurde die Bodenpolitik zu einer eigentlichen Siedlungs politik und damit zu einem Instrument, den deutschen Bevölkerungsanteil in den Ansiedlungsprovinzen zu vermehren und eine Umkehrung der demogra fischen Entwicklung herbeizuführen, was mit der bloßen Verpachtung von Domänen kaum gelungen wäre. Somit verdankt der Gesetzentwurf schließlich Miquel seine ethnodemografische Kontur. Otto von Bismarck und Johannes Miquel repräsentieren national- wie sozialpolitisch unterschiedliche Konzeptionen, beziehungsweise, wie Dörte Lerp hervorhebt, unterschiedlichen Vorstellungen über die Wechselbeziehung von Staat, Bevölkerung und Raum:53 Bismarck, von einem Konservatismus alter Denkart geprägt, zielte aus Sorge vor einer polnischen Insurrektion lediglich auf eine Schwächung von polnischem Adel und Klerus als Vorkämpfer der Nationalbewegung, nicht aber auf eine Schwächung der als unpolitisch angesehenen polnischen Kleinbauern und Landarbeiter.54 Die Verpachtung des angekauften
Ansiedlungskommission durch die Ministerialbürokratie zur Kenntnis genommen worden, siehe dazu mehrere einliegende Schriften in: GStA PK, I. HA Rep. 77, Tit. 538 Nr. 1 Bd. 1, AA. comissionis des Ministerialdirektors Haase betr. die Kommission für Ansiedlungen in den Provinzen Westpreußen und Posen (1886–1887). 51 Eddie, Großgrundbesitz, S. 142. 52 Vgl. Feldman, S. 20–22; Wojtkowski, Działalność, S. 5; Blanke, Prussian, S. 63 f. Ebenso betont Hans Herzfeld den Einfluss Miquels auf den Gesetzentwurf, der in seiner endgültigen Fassung erheblich von dem von Tiedemann vorgeschlagenen Domänenankauf abwich: Herzfeld, S. 76–78; zu Miquels Ansichten zur Parzellierungspolitik, die quer zur orthodoxen liberalen Linie stand vgl. ebd., S. 65–73. Zur Rolle im Staatsrat: GStA PK, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3658, Bl. 42–69r. Zur damaligen Abhängigkeit Bismarcks von den Nationalliberalen vgl. Poschinger, Denkwürdigkeiten, S. 159. 53 Vgl. Lerp, Grenzräume, S. 161. 54 So Bismarck noch einmal Ende 1886. Vgl. Kuno zu Rantzau an Franz Johannes von Rottenburg, 12.12.1886, in: Bismarck, Werke, Bd. 7, S. 306 f. Diese Auffassung vertrat Bismarck, längst entlassen, noch im September 1894 anlässlich zweier Huldigungsfahrten von West-
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polnischen Grundbesitzes als Domänen sollte das symbiotisch-paternalistische Verhältnis von deutschen Gutsbesitzern und -pächtern mit polnischen Bauern nicht antasten. Miquel indes sah die Politik in der Pflicht, den deutschen bürgerlichen Mittelstand als Träger des Nationalgedankens zu stärken. Die östlichen Provinzen bedürften als Glieder des Nationalstaates einer ethnisch-nationalen Homogenisierung, die entweder durch Assimilation oder Verdrängung der polnischen Minderheit zu erreichen sei. Die nationalliberale Polenpolitik sah sich durch eine Zivilisierungsmission legitimiert, indem sie den Deutschen kulturellen Fortschrittlichkeit, den Polen hingegen Rückständigkeit bescheinigte. Dementsprechend war das zentrale Feindbild der Liberalen nicht der polnische Adel und Klerus, also politische und kulturelle Eliten, sondern gerade die bäuerlichen und unterbäuerlichen Schichten,55 die mit den Stereotypen der »polnischen Wirtschaft« wie Trunksucht, Faulheit, Aberglaube, mangelnder Reinlichkeit und byzantinischer Servilität bedacht wurden.56 Diese Haltung wurde dann in den seit den 1890er-Jahren gegründeten radikalnationalistischen Verbänden wie dem Ostmarkenverein oder dem Alldeutschen Verband intensiviert.57 Bismarck hatte sich demnach in wesentlichen Punkten nicht durchsetzen können. Den Ankauf von Grundbesitz zwecks Verpachtung als Staatsdomänen musste er zugunsten einer aktiven Siedlungspolitik aufgeben und auch die enge Bindung der neu zu schaffenden Behörde an seine Person scheiterte am Widerstand des Staatsministeriums.58 Die Forschung schloss daraus, Bismarck sei lediglich auf eine »laute Demonstration«59 gegenüber Petersburg aus gewesen, an der inneren Ausgestaltung der Politik habe er angesichts der Widerstände gegen seine Vorstellungen schnell das Interesse verloren. Dieser Eindruck be-
preußen und Posen nach Varzin, aus denen heraus sich der nationalistische »Ostmarken verein« entwickeln sollte. Vgl. Bismarck, Ansprachen, S. 327–345; Rothfels, Ansiedlungsgesetz, S. 95; Grabowski, Nationalismus, S. 57–65; Blanke, Prussian, S. 63 f. 55 Vgl. Konno, Weber, S. 54. 56 Vgl. Orłowski, S. 319–346. 57 Vgl. Feldman, S. 17 f.; Herzfeld, S. 65–73; Rothfels, Osten, S. 52–55. Zur analytisch problematischen Unterscheidung in »Normalnationalismus« und »Radikalnationalismus« vgl. Walkenhorst, S. 15 f.; Jansen / Borggräfe, S. 35. 58 Vgl. Mai, S. 112–114; Feldman, S. 20 f. Feldman und Herzfeld erklären einstimmig unter Berufung auf die Memoiren des Landwirtschaftsministers Lucius (von) Ballhausen, Bismarck habe sich den Einfluss auf die Behörde dadurch sichern wollen, dass ihr Leiter zum Mitglied des Staatsministeriums ohne Portefeuille ernannt werden sollte, was schließlich am Widerstand des Staatsministeriums scheiterte. Vgl. ebd.; Herzfeld, S. 83, sowie Lucius von Ballhausen, S. 341–343. Vgl. jedoch zu den Verstimmungen zwischen Lucius und Bismarck – auch Lucius hatte die Behörde an sich zu ziehen versucht – und Lucius’ Lamento über Bismarcks ständige Eingriffe in die Organisationsplanung trotz Abwesenheit GStA PK, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3555, Bl. 203r–209, hier 205, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 9.6.1886; Blanke, Prussian, S. 64 f. 59 Feldman, S. 20.
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stätigt sich nicht. Später, nach seiner Entlassung, erklärte Bismarck zwar, dass die Siedlung nie in seinem Sinne gewesen sei, weil er stets polnischen Adel und Klerus, nie aber den polnischen Bauern als Feind angesehen habe.60 Doch obwohl Bismarck Ende Mai 1886 für mehrere Monate gesundheitlich unpässlich war und den Sitzungen des Staatsministeriums fernblieb,61 nahm er weiterhin Einfluss auf die Ausgestaltung der neuen Behörde und setzte etwa den an den Beratungen im Staatsrat beteiligten Oppelner Regierungspräsidenten Robert von Zedlitz-Trützschler als neuen Posener Oberpräsidenten und zugleich als Leiter der neu zu schaffenden Behörde gegen einige Widerstände durch. Zedlitz- Trützschler besaß hervorragende landwirtschaftliche Kenntnisse und hatte in seiner Oppelner Zeit die Ausweisungsbestimmungen penibel befolgt.62 Bismarck ließ sich von Zedlitz in der Folgezeit mehrfach persönlich über die Entwicklung der Behörde vortragen.63 Auf Grundlage des »Gesetzes, betreffend die Beförderung deutscher Ansiedlungen in den Provinzen Westpreußen und Posen« vom 26. April 1886 nahm die Ansiedlungskommission Mitte des Jahres ihre Arbeit auf.64 Aus dieser räumlichen Beschränkung auf Westpreußen und Posen unter Ausschluss Schlesiens lässt sich abermals die Rücksichtnahme auf außenpolitische Konstellationen ablesen. Die Ausweisungen 1885 waren auf Anraten von Kultusminister Goßler auch in dem an die Habsburgermonarchie angrenzenden Oberschlesien (Regierungsbezirk Oppeln) vollzogen wurden.65 Dagegen hatte die österreichische 60 Vgl. ebd., S. 20–22. 61 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3555, Bl. 169–173r, 181–186, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 27.5.1886. 62 Vgl. ebd., Bl. 203r–209, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 9.6.1886, ebd., Bl. 213r–214, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 23.6.1886. Hans Herzfeld schreibt, Bismarck habe die Vereinigung der Behördenleitung mit dem Amt des Oberpräsidenten »zulassen müssen«. Andernorts ist zu lesen, dass dies auf Zedlitz-Trützschler selbst zurückzuführen sei, da dieser sich bereits im Staatsrat gegen die Einrichtung einer von der Provinzialverwaltung unabhängigen Behörde ausgesprochen und daher anschließend gedroht habe, sich einer Ernennung zum Kommissionspräsidenten zu verweigern, sollte sie nicht mit der Übergabe des Oberpräsidiums Hand in Hand gehen. Vgl. Herzfeld, S. 87; Poschinger, Bausteine, S. 95; Neubach, Zedlitz-Trützschler, S. 229 f.; Blanke, Prussian, S. 66. Siehe jedoch auch das Urteil des Mitarbeiters Georg Michaelis (1917 für einige Monate Reichskanzler), dass Zedlitz nicht zu den Hardlinern gehörte: Vgl. Michaelis, Staat, S. 238 f. Zur Wahrnehmung Zedlitz’ in der polnischen Presse auch Kaminski, Publicists, S. 90–92, und auch das Urteil Wilhelms II. Mitte der 1890er-Jahre, Zedlitz-Trützschler sei zu polenund katholikenfreundlich, um das Amt des Oberpräsidenten in einer entsprechenden Provinz zu bekleiden. GStA PK, VI. HA, Nl. Bosse, Nr. 8, Tagebuch (23.1.1887–11.3.1897), Bl. 137 (Eintrag vom 9.3.1895). 63 Vgl. Kaminski, Publicists, S. 95 f. 64 Vgl. Ges.-S. 1886, S. 131, Gesetz, betreffend die Beförderung deutscher Ansiedelungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, 26.4.1886. Zu den Verhandlungen im Preußischen Landtag in den Monaten Februar bis April 1886 vgl. Mai, S. 123–132. 65 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 77, Tit. 1176 Nr. 2a Bd. 5, Bl. 25–32, Kultusminister an den Außenminister und den Innenminister, 12.2.1885.
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Regierung im gleichen Jahr Protest angemeldet, nicht zuletzt aufgrund der starken polnischen Fraktion im cisleithanischen Reichsrat.66 Der Verzicht auf Schlesien als Tätigkeitsgebiet der Ansiedlungskommission ein Jahr später kann demnach als Versuch gewertet werden, die Symbolpolitik gegenüber Russland fortzusetzen, ohne das österreichische Bündnis weiter zu belasten. In späteren Jahren sollte sich in den Augen der Regierung dieser Verzicht indes als Hypothek erweisen (s. Kap. 2.3). 1.1.4 Struktur der Ansiedlungskommission und Aufgabenstellung Die Arbeit der Ansiedlungskommission unterteilte sich in drei Handlungsfelder: Erstens kaufte sie landwirtschaftlichen Grundbesitz an, bevorzugt von polnischen Großgrundbesitzern, um möglichst große, geschlossene Siedlungen zu ermöglichen. Anschließend folgte zweitens die Zwischenverwaltung. Der Besitz wurde in mehrere kleinere Bauernstellen parzelliert, neue Dörfer mit Kirchen und Schulen entstanden.67 Zugleich wurden Meliorationen vorgenommen, etwa die Felder drainiert oder neue Wege angelegt, um die Ertragfähigkeit des Bodens zugunsten der zukünftigen Siedler zu steigern. Schließlich wurden, drittens, deutsche Siedler, vorzugsweise aus dem Westen des Reiches, angeworben, angesiedelt und ihr weiteres Fortkommen überwacht.68 Die Größe der auszulegenden Stellen sollte laut der Erklärung von Landwirtschaftsminister Lucius im Februar 1886 vor dem Abgeordnetenhaus zwischen fünf Hektar und fünfzig Hektar betragen. Das bedeutete, dass nicht ausschließlich Vollbauernstellen geschaffen werden sollten, für die eine Größe zwischen zehn und zwanzig Hektar veranschlagt wurden. Auch die Entstehung größerer Betriebe, die der Unterstützung von Landarbeitern bedurften, sollte zulässig sein, aber auch kleinere Stellen sollten geschaffen werden, deren Besitzer darauf angewiesen waren, sich auf den benachbarten Gutshöfen als Arbeitskräfte zu verdingen. Ein wesentlicher sozialpolitischer Zielkonflikt zwischen nationalliberalen und konservativen Zielsetzungen blieb somit bestehen.69 Die Kommission, die formal ihre Tätigkeit im August 1886 aufnahm, bestand aus zwei Bereichen: das Plenum als Beratungsgremium und die eigentliche Behörde. Im Plenum saß eine Reihe von hochgestellten Verwaltungsbeamten und Angehörige der örtlichen Landwirtschaft als Sachverständige. Neben dem Präsidenten der Behörde gehörten ihm noch die Oberpräsidenten der beiden Ansiedlungsprovinzen,70 je ein Kommissar des Landwirtschafts-, Innen-, Finanz-, Kultusministers und des Ministerpräsidenten, sowie jeweils auf Zeit ernannte 66 Vgl. Behrendt, S. 716–730. 67 Vgl. dazu exemplarisch: Dyroff, Tätigkeit. 68 Ausführlich: [Königliche Ansiedlungskommission], S. 19–70; Eddie, Commission, S. 39 f. 69 Vgl. Eddie, Ethnopolitics, S. 14; Mai, S. 124; Bruchhold-Wahl, S. 132. 70 Von ihrer Gründung bis 1891 war der Posener Oberpräsident Robert von Zedlitz-Trützschler zugleich Präsident der Ansiedlungskommission. Bis 1891 war die Geschäftstätigkeit der
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private Landwirte aus den Provinzen und Leiter landwirtschaftlicher Organisationen wie dem Generallandschaftsdirektor von Posen oder dem Präsidenten der Generalkommission in Bromberg an.71 Das Plenum trat mehrmals jährlich zusammen, um die strategischen Entscheidungen zu fällen. Davon ist der Behördenapparat für das operative Geschäft zu unterscheiden. Ihm gehörte in verschiedenen sachgebundenen Dezernaten eine wachsende Zahl von Ober-, Subaltern- und Unterbeamten an. Bei Einrichtung der Kommission 1886 betrug ihre Anzahl acht und stieg bis 1907 auf 578 und bis 1914 schließlich auf etwa 900 Personen an, vom Oberbeamten und Rechnungsdirektor bis zum Aktenhefter und Hilfsboten.72 Die Ansiedlungskommission war dem Staatsministerium unmittelbar untergeordnet und unterstand der Aufsicht des Landwirtschaftsministers. Der jährliche Etat betrug zunächst acht Millionen Mark und wurde 1898 verdoppelt.73 Das Ansiedlungsgesetz sah drei rechtliche Besitzformen vor, unter denen das Land an Siedler weitergegeben wurde, darunter die Pacht und der Verkauf zu vollem Eigentum. Im Zentrum der Siedlungspolitik stand jedoch das neu geschaffene Rechtsinstitut der Rentengüter, für das sich Landwirtschaftsminister Lucius stark gemacht hatte und das während der Ausarbeitung des Ansiedlungsgesetzes einen Kompromiss zwischen Nationalliberalen und Konservativen darstellte.74 Hierbei schloss der Siedler mit dem Kauf eines Hofes einen Rentengutsvertrag mit dem preußischen Staat ab, der Staat und Siedler unterschiedliche Vorteile brachte: Der Vertrag sah vor, dass der Siedler dem Staat eine jährliche Rente (ähnlich einer Miete oder einer Pacht) zahlte. Gleichzeitig durfte der Siedler, solange er eine Rente zahlte, seinen Besitz nicht ohne Genehmigung des preußischen Staates weiterverkaufen – eine für die Nationalitätenpolitik zentrale Klausel, da auf diese Weise polnische Kaufinteressenten ausgeschlossen werden konnten. Der Siedler konnte die Rente, die er jährlich zu zahlen hatte, durch Einmalzahlungen reduzieren, wobei ein Zehntel der Rente zur Wahrung der staatlichen Kontrolle unablösbar bleiben sollte.75 Zeitgenössische Befürworter Ansiedlungskommission derart angewachsen, dass man ihr fortan einen hauptamtlichen Vorsitzenden gab: 1891–1903 Rudolf von Wittenburg, 1903–1908 Paul Blomeyer, 1908–1913 Friedrich Karl Gramsch und ab 1913 Hugo Ganse. Vgl. Jakóbczyk, Komisja, S. 20. 71 Vgl. [Königliche Ansiedlungskommission], S. 17–19, 173. Konflikte zwischen der Ansiedlungskommission und agrarischen Partikularinteressen waren keineswegs ausgeschlossen, wenn etwa von 1886 bis kurz vor seinem Tod 1910 Hermann Kennemann der Kommission angehörte, der überdies zu den Mitbegründern des nationalistischen Ostmarkenvereins gehörte, dessen Gesamtausschussvorsitzender er bis zu seinem Tod blieb. Vgl. BruchholdWahl, S. 134 f. 72 Vgl. [Königliche Ansiedlungskommission], S. 18 f.; Jakóbczyk, Komisja, S. 21 f.; Balzer, S. 59 f. 73 Vgl. Jakóbczyk, Komisja, S. 20 f. 74 Vgl. Land, S. 30–33; Koehl, S. 261. 75 Vgl. Lorenz, Parteien, S. 86–99; Jakóbczyk, Komisja, S. 18 f.; Bruchhold-Wahl, S. 122–136; Blanke, Prussian, S. 61 f.; Balzer, S. 58 f. Siehe dazu auch den Paragraphen 6 der Rentengutsverträge unter dem Titel »Beschränkungen des Übernehmers«. Vgl. zudem Belgard, S. 492–
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des Rentengut-Prinzips hoben hervor, dass das benötigte Mindestvermögen des Bauern weit geringer war als bei einem vollständigen Kauf eines Hofes von gleicher Größe, dass also eine große Zahl von Landlosen zu eigenem Besitz verholfen werden könne.76 1896 wurde für alle neu geschaffenen Rentengutsstellen das Anerbenrecht eingeführt, d. h. der Besitz ging im Erbfall an den ältesten Sohn unter Ausschluss weiterer etwaiger Erben über. Auf diese Weise sollte einer Zersplitterung der Bauernhöfe durch Erbteilung vorgebeugt werden.77 Die Flächen, die der preußische Staat ankaufte, waren somit dem freien Markt nicht gänzlich entzogen, doch war der Kauf dieses Bodens seitens polnischer Erwerber durch die Entscheidungshoheit des Staates ausgeschlossen. Die Ankäufe von Grundbesitz sollten nicht dazu dienen, wie Bismarck sich explizit ausdrückte, »deutsche, vor dem Ruin stehende Besitzer zu retten«.78 Der Ankauf deutschen Grundbesitzes sollte nur ausnahmsweise erfolgen, wie die betreffenden Staatsminister mehrmals bekräftigten.79 Weil die Regierung bestrebt war, die deutschen Grundbesitzer in den Provinzen zu halten, sollte in deutsch dominierten Kreisen nur angekauft werden, wenn deutscher Besitz in polnische Hand überzugehen drohte. Der Vorrang des Ankaufs von polnischem Grundbesitz war im Gesetzestext von 1886 nicht fixiert worden, sei es, um der Ansiedlungskommission möglichst große Bewegungsfreiheit zu bewahren,80 sei es, wie Wolfgang Kohte argumentierte, um die nationale Ungleichheit nicht noch schriftlich zu dokumentieren,81 494 (Muster eines Rentengutsvertrags). Laut Laubert, Polenpolitik, S. 132 f. wurden achtzig Prozent der Stellen als Rentengutsstellen vergeben. Auch die Vergabe zur Pacht war nicht unüblich, der Verkauf hingegen die Ausnahme, da die Ansiedlungskommission dabei die Kontrolle über den Besitz verlor und ein späterer Übergang in polnische Hand nicht ausgeschlossen werden konnte. 76 Vgl. Sering, S. 38–61; Waldhecker, S. 10–12; Aal. Kritisch, vor allem jedoch gegen die ab 1890/91 mögliche privatwirtschaftliche Rentengutsbildung: Brentano. 77 Vgl. dazu auch Max Weber: Der preußische Gesetzentwurf über das Anerbenrecht bei Rentengütern, in: Weber, Landarbeiterfrage, S. 586–596, und Max Weber an Lujo Brentano, 11.3.1896, in: Ders., Briefe, Bd. 3.1, S. 162–164. 78 Zit. n. Mai, S. 114. 79 Vgl. Jakóbczyk, Komisja, S. 29; Bruchhold-Wahl, S. 130; Blanke, Prussian, S. 70; GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9594, Bl. 34r–46, Denkschrift zur Ausführung des Gesetzes vom 26. April 1886, betreffend die Beförderung Deutscher Ansiedelungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, für das Jahr 1886, 22.1.1887; ebd., Nr. 9587, Bl. 64–79, Protokoll der Sitzung der Ansiedelungs-Kommission, 11./12.5.1887. 80 Vgl. dagegen: Borchers, S. 34, wonach im Gesetzestext jegliche Präferenz für den Erwerb polnischen Grundbesitzes ungenannt blieb, weil die nationalliberale Politik generell auf Parzellierung – sowohl deutschen als auch polnischen Großgrundbesitzes – zur »Festigung« des Bodens in deutscher Hand abzielte. Zur »freien Hand« jedoch GStA PK, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3555, Bl. 38–43r, hier 40, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 7.2.1886. 81 Vgl. Kohte, S. 229. Demgegenüber urteilt Bruchhold-Wahl, S. 14, »es wäre keine Schwierigkeit gewesen, ein Verbot für den Staat, deutsche Güter anzukaufen und aufzuteilen, im Ansiedlungsgesetz explizit auszusprechen.« Siehe hiergegen jedoch die oben erwähnten verfassungsrechtlichen Bedenken.
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von der bereits zeitgenössische Kritiker behaupteten, dass sie einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz der preußischen Verfassung darstelle. Die ungleiche Handhabung beim Ankauf deutschen und polnischen Grundbesitzes wurde indes in den Verwaltungsabläufen augenfällig: Über den Ankauf polnischer Güter konnte die Ansiedlungskommission nahezu frei entscheiden. Wollte sie dagegen deutschen Großgrundbesitz ankaufen, war stets die Genehmigung des Staatsministeriums als übergeordneter Instanz einzuholen. Somit haben die vorstehenden Ausführungen gezeigt, dass die Ausweisungen von 1885 und die Gründung der Ansiedlungskommission 1886 das ethnodemografische Ziel verfolgten, die polnische Bevölkerung in den Provinzen Westpreußen und Posen zu vermindern und den deutschen Bevölkerungsanteil zu vermehren. Dabei sei dahingestellt, ob die Ausweisungen einen Versuch »to create the German people«82 dargestellt haben. Weder war die sich in Westdeutschland verdingende Industriearbeiterschaft ausgewiesen worden, noch wurde das Bleiberecht der polnischen Bevölkerung mit preußischer Staatsangehörigkeit angetastet.83 Aus diesem Grund können die Ausweisungen von 1885 nicht mit den »ethnischen Säuberungen« gleichgesetzt werden – wiewohl dem Begriff der Gedanke eines ethnisch homogenen, harmonischen Urzustandes innewohnt –, wie sie dann das 20. Jahrhundert zu Gesicht bekommen sollte. Assimilation und Ausweisung waren zwei unterschiedliche, aber sich keineswegs ausschließende Strategien zur Differenzbewältigung ethnisch-nationaler Heterogenität. Hans-Ulrich Wehler bemerkte: »Fraglos hat auch in PreußenDeutschland die antipolnische Politik vor der letzten Barriere des Rechtsstaats, jenseits derer nur noch die gewaltsame Unterdrückung oder Ausweisung übrigblieb, vor 1914 noch haltgemacht.«84 Was die Zäsur der Jahre 1885/86 ausmacht, ist der Verlust in das Vertrauen eines natürlichen Assimilierungsprozesses früherer Jahrzehnte. Fortan sollten bevölkerungspolitische Maßnahmen wie die Ausweisung »überschüssiger polnischer Elemente« die Assimilation vereinfachen und beschleunigen:85 »Noch vor 82 Caestecker, S. 121. Ähnlich: Walkenhorst, S. 92 f. 83 Zwar schlug Christoph von Tiedemann in der erwähnten Denkschrift vom Januar 1886 vor, nach den Ausweisungen von 1885 »auch die gefährlichsten inländischen polnischen Elemente nach Möglichkeit [zu] entfernen«. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9483, Bl. 3–32, hier 11r, Denkschrift betreffend einige Maßregeln zur Germanisirung der Provinz Posen; Hervorh. im Orig. Allerdings geht hieraus die Ausweisung aus Preußen nicht explizit hervor, noch weniger lässt sich aus diesem auf eine kleinere Gruppe abzielende Maßnahme, wie von Matthew Fitzpatrick unterstellt, ein »plan to denaturalize and expel the millions of German Poles« ermitteln. Vgl. Fitzpatrick, S. 120. Dementsprechend müssen genauso die von Lerp angemerkten Mobilitätsrestriktionen für die nichtdeutsche Bevölkerung einschränkend nach Reichsangehörigen und Personen anderer Staatszugehörigkeit unterschieden werden. Vgl. Lerp, Grenzräume, S. 333, dagegen jedoch auch die Einschränkung S. 335. 84 Wehler, Reichsfeinde, S. 196. 85 Vgl. Hofmann, S. 258. Nach Müller, Maßnahmen, S. 41, bedeutete die Gründung der Ansiedlungskommission hingegen die Aufgabe des Assimilationsziels.
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Inkrafttreten des internen Kolonisierungsprogramms wurde der neue ethnodemografische Impetus der preußisch-deutschen Polenpolitik in den Massenausweisungen von 1885 offensichtlich«,86 hat Rogers Brubaker geurteilt. Erstmals wurden Menschen in großer Zahl aufgrund ethnischer Zuschreibungen und nicht wegen individueller Handlungen wie krimineller oder politisch oppositioneller Tätigkeiten des Landes verwiesen.87 Der Wandel zeigte sich auch daran, dass nicht mehr nur Adel und Klerus, sondern auch polnische Wanderarbeiter als potenzieller Träger der »Polonisierung« unter Verdacht gerieten. In der Siedlungspolitik genügte nicht mehr die Klassifikation nach Staatsbürgern und Nicht-Staatsbürgern, sondern die Angehörigen des preußischen Staates wurden überdies nach ethnischen Kriterien in erwünschte und in weniger erwünschte Elemente unterschieden. Stand bei staatlichen Siedlungsprogrammen früherer Jahrzehnte der ökonomische Gesichtspunkt im Vordergrund, verfolgte die Ansiedlungskommission eine klare politische Agenda.88 Unübersehbar bleiben die Anfänge einer Nationalisierung des Bodenmarkts, d. h. die Beeinflussung ökonomischen Handelns entlang ethno-nationaler Ordnungskriterien. Die Nationalität des Besitzers spielte fortan eine wichtige Rolle: Die Ansiedlungskommission kaufte bevorzugt von polnischen Gutsherren, um den Anteil des polnischen Grundbesitzes in Preußen zu reduzieren und das erworbene Land wurde ausschließlich an deutsche Siedler vergeben. Zugleich begann eine Deliberalisierung des Bodenmarktes. Mithilfe des neuen Rechtsinstituts des Rentenguts und den Verkaufsbeschränkungen, die die Ansiedlungskommission in den Rentengutsverträgen verankerte, wurde der Boden zwar nicht dem freien Markt entzogen, doch konnten die Siedler im Verkaufsfall nicht frei über den Käufer entscheiden, sondern ein Teil potenzieller Käufer, Polen, blieben vom Erwerb ausgeschlossen.
86 Brubaker, S. 176. Ähnlich: Reinecke, S. 152; Walkenhorst, S. 256–258. Eine Abkehr vom Glauben, die Trägerschaft des nationalen Gedankens ginge allein von Adel und Klerus aus, wird deutlich erkennbar, wenn Tiedemann in seiner Denkschrift schreibt: »Als Axiom ist festzuhalten, daß jeder Pole, mehr oder weniger, offen oder versteckt, ein Förderer der Polonisirungsbestrebungen ist.« GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9483, Bl. 3–32, hier 12, Denkschrift betreffend einige Maßregeln zur Germanisirung der Provinz Posen. 87 Vgl. Fitzpatrick, S. 99; Hagen, S. 132. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Volkmann, S. 57 f. zu der zeitgenössischen völkerrechtlichen Kontroverse. 88 Vgl. Sukiennicki, S. 25 f.; Tims, S. 105–107.
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1.2 Enttäuschte Erwartungen: Deutsche Reaktionen auf die staatliche Ankaufpolitik Sieht man von der unmittelbaren bevölkerungspolitischen Wirkung ab, so gab es zwei weitere Gründe, warum die Ansiedlungskommission auf den Ankauf deutschen Grundbesitzes weitgehend verzichtete. Der eine war die soziale und politische Strahlkraft auf die Provinzen, die sich die Minister von den Großgrundbesitzern erhofften, der andere die Furcht vor dem »Ansteckungsrisiko«, wonach der Fortgang von Gutsbesitzern weitere Landwirte zum Fortzug veranlassen könnte. Die Großgrundbesitzer – ob adlig, ob bürgerlich – sollten mit ihrem Vorbild auf lokaler Ebene nicht nur wirtschaftlich, sondern vor allem auch politisch Zugkraft entfalten und die deutsche Gesinnung der Bevölkerung fördern. Deshalb schien der preußischen Regierung die vollständige Beseitigung des deutschen Großgrundbesitzes undenkbar. Ministerpräsident Chlodwig zu Hohenlohe erklärte 1897 seinen Ministerkollegen: Dem deutschen Großgrundbesitzer fällt ungeachtet seiner gefährdeten wirthschaft lichen Existenz auch heute noch eine so wichtige Rolle bei der Germanisirung der Ansiedelungsprovinzen zu, daß es politisch unrichtig wäre, ihm den Fortzug aus diesen Provinzen besonders zu erleichtern. Er hat dort bisher den Hauptantheil an der Verbreitung deutscher Kultur und deutschen Einflusses gehabt und wird auch künftig als deren wesentlichste Stütze betrachtet werden müssen […].89
Die Klein- und Mittelgrundbesitzer, so die Grundauffassung der Zeit, bedurften der Führung durch den Großgrundbesitzer. Er sollte eine wirtschaftliche Vorbildfunktion ausüben. Durch seine Präsenz sollte das Ziel sozialen und wirtschaftlichen Aufstiegs vor Augen geführt werden. Aber auch neue kapitalintensive Agrartechnologien konnten erprobt werden, deren Anschaffung und versuchsweise Anwendung sich zunächst bei Großgrundbesitz als »Experimentalwirtschaft« lohnte, ehe sie auf Klein- und Mittelgrundbesitz Anwendung fanden. Zugleich sollte der Großgrundbesitzer politisch tätig sein: auf Kreistagen integrieren, aber auch in den Vereinen, Verbänden – auch nationaler Art – und Genossenschaften wirken. Als ein solcher Fixpunkt des sozialen, wirtschaftlichen und politischen Lebens konnten freilich nur solche Besitzer gelten, die ihr Gut selbst bewirtschafteten, nicht jene Latifundienbesitzer, die ihren Lebensmittelpunkt fernab der Provinz besaßen. Dies zeigt bereits, dass die Großgrund besitzer keine homogene Gruppe waren. Der Besitz konnte von einhundert bis zu mehreren zigtausenden Hektar reichen. Die Betriebe wurden entweder eigen89 GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9505, Bl. 58–62r, Votum des Präsidenten des Staatsminis teriums, 6.2.1897. Vgl. zum Widerwillen der preußischen Regierung, durch die Ansiedlungskommission das Land deutscher Großgrundbesitzer zu kaufen, entstanden aus dem Wunsch, diese als politische Stützen zu erhalten: Bruchhold-Wahl, S. 244 f.
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ständig bewirtschaftet, verpachtet oder durch einen Administrator verwaltet.90 Zudem war das Besitzmonopol des Adels längst gebrochen. In der Provinz Posen waren 59 Prozent der Rittergüter in bürgerlichem und lediglich 28,2 Prozent in adligem Besitz.91 Ehemalige Domänenpächter, wirtschaftlich erfolgreiche Freischulzen und wohlhabende Bankiers gehörten zu der Gruppe des aufstrebenden Bürgertums, die eigenen Grundbesitz erwarb. Doch die Staatsminister trieb ein weiterer Gedanke um, nämlich die »Mobilisierung des Grundbesitzes«, sprich: die Gefahr einer wachsenden Verkaufsbereitschaft der Grundbesitzer. Sie befürchteten, dass die über Ausnahmefälle hinausgehenden Ankäufe von deutschem Grundbesitz einen Dominoeffekt auslösen könnten und immer mehr Deutsche an die Ansiedlungskommission verkaufen und die Provinz verlassen wollen würden. In einem konkreten Fall sprach sich der Landwirtschaftsminister gegen einen Ankauf aus, angesichts der »zahlreichen Berufungen, welche ein Erwerb aus deutscher Hand in der durch den gegenwärtigen landwirthschaftlichen Nothstand vorzugsweise betroffenen Provinz Westpreußen voraussichtlich hervorrufen würde«.92 Der sprunghafte Wegzug der deutschen Bevölkerung (gerade der Grundbesitzer als politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Elite) taucht immer wieder als Schreckgespenst in den Protokollen der Staatsminister auf. Ohne Beibehaltung der restriktiven Ankaufpolitik gegenüber den deutschen Besitzern wäre der Zweck der Ansiedlungskommission konterkariert worden.93 Diese Sorge vor einem massenhaften Fortgang deutscher Grundbesitzer war durchaus begründet. In den Jahrzehnten vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges belastete die zunehmende nationale Polarisierung, zu der die Ansiedlungspolitik ihren Teil beitrug, die nachbarschaftlichen Beziehungen zwischen den Großgrundbesitzern.94 Die östlichen Provinzen entwickelten sich mehr und mehr zu einem »Krisengebiet«, das zu verlassen angeraten schien. Hinzu kam die Flucht vor den wirtschaftlichen Problemen. Zwar wurden ältere Forschungsmeinungen mittlerweile relativiert, wonach die ostelbische 90 Vgl. zu diesen von der Forschung überwiegend vernachlässigten Gruppen Müller, Pächter. Beinahe jeder vierte Gutsbetrieb in den sieben östlichen Provinzen Preußens war verpachtet, ein weiteres Viertel durch Administratoren beaufsichtigt und die Hälfte in Eigenwirtschaft betrieben. In der Größenklasse von 100 bis 400 Hektar wurden indes lediglich zehn Prozent der Güter verpachtet. Es waren also eher die großen Betriebe, die verpachtet wurden. Neben diesem Gefälle bezogen auf ökonomische Merkmale gab es auch eines nach sozialen Merkmalen: So verpachteten adlige Grundbesitzer eher als bürgerliche, hochadlige eher als Angehörige des niederen Adels. Vgl. ebd., S. 267–269. 91 Die Fehlsumme ergibt sich aus juristischen Personen, d. h. staatlichem Besitz, Kirchenbesitz und Stiftungen. Vgl. Molik, Großgrundbesitzer, S. 67. Dies war ein Phänomen, das sich auf die gesamten östlichen Provinzen erstreckte. In den 1880er-Jahren waren lediglich noch 48 Prozent der Großbetriebe in adligem Besitz. Vgl. Carsten, S. 119. 92 GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9680, Bl. 112–113, das Zitat 112r, Votum des Landwirtschaftsministers, 2.12.1887. 93 Vgl. Bruchhold-Wahl, S. 151 f. 94 Vgl. Molik, Großgrundbesitzer, S. 69 f.
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Landwirtschaft unter einem strukturellen Modernisierungsdefizit gelitten habe, wobei neuere Forschungen insbesondere das individuell zu unterscheidende Verhältnis von konsumtiver und produktiver Verschuldung für die Rentabilität eines Betriebes hervorheben.95 Aber nach den vier »goldenen Jahrzehnten« vor der Reichsgründung machte sich unter den Landwirten in den 1880er- und 1890er-Jahren eine veritable Krisenwahrnehmung breit. Für diese Stimmung ist die Forschung zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen, ob es sich dabei um eine grundsätzliche Dauerkrise der ostelbischen Landwirtschaft gehandelt habe oder aber um eine »Status-, Marktanpassungs- und Bewußtseinskrise der Großgrundbesitzer und Bauern des östlichen Preußens«.96 Die wachsende Verschuldung erschwerte es, auf Konjunkturschwankungen zu reagieren. Die starke Konkurrenz aus Russland und Nordamerika drückte die Weltmarktpreise für landwirtschaftliche Produkte.97 Auffällig ist, dass es vor allem der »kleinere«, bürgerlich dominierte Großgrundbesitz in der Klasse von ca. 100 bis 400 Hektar war, der von den Konjunkturschwankungen erfasst wurde und bei dem es zu Besitzwechseln durch Abverkauf kam, während die Betriebe, die mehrere tausend Hektar umfassten, fest in den Händen adliger Familien verblieben, darunter nicht selten noch regierende Herrscherhäuser.98 Nichtsdestotrotz: Die Gründung der Ansiedlungskommission wurde in beiden Provinzen von Grundbesitzern jedweder Art mit Euphorie begrüßt, schien sich doch durch das Auftreten eines solventen Käufers die Möglichkeit aufzutun, Schulden durch Verkauf des eigenen Besitzes zu tilgen. 1.2.1 Polnischer Grundbesitz wird bevorzugt, deutsche Gesuche abgelehnt Nun war im Ansiedlungsgesetz die Bevorzugung von polnischem vor deutschem Besitz bei Ankäufen keineswegs verankert und die Türen, hinter denen das Staatsministerium über die Grundsätze der Ankaufpolitik beriet, waren den deutschen Gutsbesitzern ebenso verschlossen. Trotzdem darf vorausgesetzt werden, dass sich in den ersten Jahren die Präferenzen der Ansiedlungskommission 95 Die Kernthesen der älteren Sozialgeschichte finden sich prägnant zusammengefasst bei: Bruchhold-Wahl, S. 1–3, ferner S. 43–45, 76 f. Dagegen insbesondere: Heß, Junker, S. 306–312; ders., Lage. Den Eindruck, dass sich kein Pauschalurteil über die Rentabilität der ostelbischen Gutswirtschaft fällen lässt, zeigt auch die Auswertung von sechzig Gütern aus unterschiedlichen östlichen Provinzen in den 1890er-Jahren bei Treue, Landwirtschaft, S. 93 f. Siehe auch: Dipper, Landwirtschaft, S. 35; Fitzpatrick, S. 97 f. Zur konsumtiven Verschuldung und dem Einfluss steigender Bodenpreise aufschlussreich: Achilles, S. 205–210. 96 Reif, Einleitung, S. 29. Dazu auch explizit Dipper, Landwirtschaft; ders.: Modernisierung, S. 92 f. 97 Vgl. Abel, S. 272–281; Aldenhoff-Hübinger, S. 73–75; Henning, Entwicklung, S. 188. 98 Vgl. Wienfort, Adel, S. 65 f. Aber genauso wie die Agrarkrise eine Krise des Großgrundbesitzes gewesen ist, war sie auch eine Krise des Klein- und Mittelgrundbesitzes, der ebenso von Landflucht und schwankenden Getreidepreisen betroffen war. Vgl. Spickermann, Contradictions, S. 203.
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in der Grundbesitzerschaft herumgesprochen hatten; sei es durch Lektüre der Zeitungen, die alljährlich im Frühjahr die Landtagsdebatten des Jahresberichtes der Ansiedlungskommission aufgriffen, sei es durch den Verkehr mit dem örtlichen Landrat, sei es, indem sich die Grundbesitzer direkt an die Kommission wandten.99 Nichtsdestotrotz war es nicht so sehr der Titel des Gesetzes, in dem von einer »Beförderung deutscher Ansiedelungen« die Rede war,100 dem die deutschen Großgrundbesitzer Beachtung schenkten. Es waren vielmehr Formulierungen wie »Schutz und Förderung des Deutschthums in den Provinzen Posen und Westpreußen« oder »Stärkung des Deutschtums im Osten«, auf die die deutschen Gutsbesitzer seit 1886 ihre Hoffnung setzten.101 Die Losung von der »Stärkung des Deutschtums im Osten« stand im ersten Paragraphen des Ansiedlungsgesetzes, Regierungsvertreter verwendeten diese Phrase immer wieder in Landtagsdebatten und spätere Gesetze trugen sie im Titel. Es nimmt daher nicht wunder, dass deutsche Grundbesitzer die »Stärkung des Deutschtums im Osten« auf sich beziehen wollten.102 Waren sie nicht die Träger des »Deutschtums« im Osten? Hatten sie nicht angesichts der wirtschaftlichen Krise in dieser Region eine Stärkung verdient? War die deutsche Nation nicht verpflichtet, ihren notleidenden Angehörigen zu helfen? Deshalb wandten sich trotz der allgemein verbreiteten Kenntnis über die Praxis der Ansiedlungskommission deutsche Grundbesitzer mit Ankaufgesuchen an die Behörde. Bestärkung fanden sie in einem Präzedenzfall vom Ende des Jahres 1886. Es handelte sich dabei um den Ankauf des annähernd tausend Hektar zählenden Gutes Modliborzyce aus den Händen eines deutschen Grund99 Vgl. zu den Landtagsdebatten exemplarisch die Freisinnige Zeitung, 13.2.1892; Magdeburgische Zeitung, 13.2.1892; National-Zeitung, 13.2.1892. Die Gazeta Toruńska vom 15. Oktober 1889 wusste ihrer Leserschaft zu berichten, dass die Ansiedlungskommission von Deutschen nicht kaufen dürfe und führte dazu einen Ministerialerlass aus dem Jahr 1887 an. In den abschlägigen Bescheiden teilte die Ansiedlungskommission den Grundbesitzern auch mit, dass der Ankauf aus deutscher Hand allenfalls ausnahmsweise erfolgen dürfe. Vgl. beispielhaft GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9680, Bl. 156–156r, Landwirtschaftsminister an Oscar Flor, 21.3.1888; ebd., Bl. 176, Landwirtschaftsminister an Freiherrn [Karl] von Hammerstein[-Gesmold], 11.6.1888. 100 Ges.-S. 1886, S. 131, Gesetz, betreffend die Beförderung deutscher Ansiedelungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, 26.6.1886. 101 Dass das Gesetz in der deutschen Bevölkerung der Ansiedlungsprovinzen auch unter diesen Schlagwörtern kommuniziert wurde, geht aus den Quartalsberichten der Regierungsprädienten hervor: Vgl. GStA PK, XVI. HA Rep. 30, Nr. 656, Bd. 4, Bl. 45–50, Immediatbericht des Regierungspräsidenten von Bromberg, 19.6.1886. 102 Dieser Eindruck erhärtet sich durch ein den Ankauf seines Ritterguts zum Gegenstand habendes Gesuch eines deutschen Besitzers im Frühjahr 1886. In diesem Gesuch berief sich der Petent auf die Thronrede Wilhelms I. vom Jahresanfang, in der dieser gesagt haben soll, »es solle auch von notleidenden deutschen Besitzern Terrain zu Ansiedlungen erworben werden«, während der originale Wortlaut war, »den Bestand und die Entwicklung der deutschen Bevölkerung sicher zu stellen«. Das Gesuch abgedruckt bei Bruchhold-Wahl, S. 470 f., die Thronrede: StenBerAH 1886, S. 3, Sitzung vom 14.1.1886.
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herrn. Bismarck hatte sich gegen den Ankauf ausgesprochen und ihn hinterher als einen großen Fehler bezeichnet. Der Fall war außerdem für das Staatsministerium noch einmal Anlass gewesen, die Ansiedlungskommission auf den Ausnahmecharakter für deutsche Ankäufe hinzuweisen und die Behörde zu verpflichten, bei Ankäufen von deutschen Vorbesitzern fortan vorab die Genehmigung des Staatsministeriums einzuholen.103 Der Besitzer Reinhold Cords hatte in den Verhandlungen mit der Ansiedlungskommission darauf hingewiesen, dass er gleichzeitig mit einem polnischen Adligen und einem jüdischen Holzhändler verhandle. Seine Verkaufsentscheidung hatte Cords mit seinem hohen Alter begründet und damit, seinen Lebensabend in einer Stadt verbringen zu wollen. Für Unmut in der Verwaltung sorgte, dass Cords vermögend und ein Verkauf daher unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht notwendig war. Schließlich gab einzig der drohende Übergang an polnische Käufer den Ausschlag für die Ankaufentscheidung.104 Durch die Aufnahme des Vorgangs in den Jahresbericht der Ansiedlungskommission fand der Fall Aufmerksamkeit zunächst in den Debatten des Landtages im Frühjahr 1888 und drang anschließend von dort aus an die Presse. Die Ansiedlungskommission, war die Botschaft, die sich in Westpreußen und Posen herumsprach, kaufe auch deutschen Grundbesitz; insbesondere dann, wenn polnische Kaufinteressenten im Spiel waren. In den ersten zwölf Jahren ihres Bestehens, bis zur Auffüllung des Ansiedlungsfonds im Jahr 1898, hatte die Ansiedlungskommission ein komplexes Bewertungssystem entwickelt, um über Ankäufe zu entscheiden. Dazu gehörte der Kaufpreis gewiss zu den wichtigsten Kriterien. Zugleich durfte ein Gut nicht gänzlich heruntergewirtschaftet sein, um die Zwischenverwaltung nicht übermäßig in die Länge zu ziehen, ehe Siedler angesetzt werden konnten. Die Qualität des Bodens durfte nicht zu gering ausfallen, um den Siedlern ein wirtschaftliches Fortkommen zu garantieren, gleichzeitig durfte die Fläche der Güter nicht zu viel Forst umfassen, da dieser erst aufwendig hätte gerodet werden
103 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3555, Bl. 352r–361, hier 355r–358, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 23.12.1886. Dazu auch Bismarcks Votum vom Vortag: Ebd., Rep. 87, Abt. B Nr. 9504, Bl. 52–57r, Votum des Ministerpräsidenten, 22.12.1886. Bruchhold-Wahl nimmt hingegen an, Zedlitz selbst sei Urheber dieser Bestimmung gewesen. Vgl. Bruchhold-Wahl, S. 149. 104 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9680, Bl. 35–37, Präsident der Ansiedlungskommission an den Landwirtschaftsminister, 30.11.1886; ebd., Nr. 9587, Bl. 48–62r, Protokoll der Sitzung der Ansiedelungs-Kommission, 17./18.12.1886; ebd., Bl. 115–131, Protokoll der Sitzung der Ansiedelungs-Kommission, 4./5.5.1888; Denkschrift über die Ausführung des Gesetzes vom 26. April 1886, betreffend die Beförderung Deutscher Ansiedelungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, für das Jahr 1887, in: Anlagen zu den Stenographischen Berichten über die Verhandlungen des Hauses der Abgeordneten (1888), S. 1090–1183, hier 1094; StenBerAH 1889, S. 1182 f., Sitzung vom 20.3.1889. Der Ankauf- und Besiedlungsvorgang findet sich unter: APP OG, Komisja Kolonizacyjna dla Prus Zachodnich i Poznańskiego w Poznaniu, Reg. V., Nr. 825, Acta betreffend Ankauf des Gutes Modlibo rzyce (Deutschwald) (1886–1887).
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müssen, um bäuerliche Siedlungen und landwirtschaftliche Nutzflächen anlegen zu können.105 Somit war die Nationalität des Besitzers zwar ein wichtiges Kriterium für die Kaufentscheidungen der Ansiedlungskommission, aber nicht das einzige. Dementsprechend wurde auch die Mehrzahl der von polnischer Seite freihändig, d. h. nicht im Verfahren der Zwangsversteigerung angebotenen Güter von der Ansiedlungskommission nicht angekauft.106 Das Verhältnis von Angeboten polnischer Güter zu den tatsächlich erfolgten Ankäufen fand im Zeitraum von 1886 bis 1898 seinen Spitzenwert im Jahr 1888 mit rund vierzig Prozent. D. h. in diesem Jahr endete weniger als jedes zweite Angebot mit einem Vertragsabschluss. In den anderen Jahren lag die Quote noch deutlich darunter; ein Umstand, der in der deutschsprachigen Diskussion, die in jenen Jahren um die Frage kreiste, ob die Ansiedlungskommission von Deutschen kaufen dürfe, keine Beachtung fand. Insgesamt gingen zwischen 1886 und 1913 rund 4.400 Angebote deutscher Grundbesitzer bei der Behörde ein (Mehrfachangebote eingerechnet). Angekauft wurden davon im gleichen Zeitraum lediglich 505 Güter. Nur in wenigen Jahren war mehr als jedes fünfte Ankaufgesuch von Erfolg gekrönt.107 Demzufolge war die Wahrscheinlichkeit einer Ablehnung hoch, insbesondere für deutsche Anbieter. Doch selbst wenn die Verkaufsverhandlungen zu einem erfolgreichen Abschluss führten, musste dies keineswegs Zufriedenheit und Dankbarkeit bei den Grundbesitzern hinterlassen. Die Beamten zogen die Kaufverhandlungen regelmäßig in die Länge, um die Besitzer zu einer Senkung des geforderten Preises zu bewegen. Einmal brüstete sich der Kultusminister, dessen Ressort in die Organisation der Ansiedlungskommission eingebunden war, damit, dass der Preis für ein deutsches Gut »durch jahrelange Verhandlungen mit meinem Ministerium gedrückt«108 worden war. Die Ablehnungsquote fiel je nach Region unterschiedlich aus. So blieb der Regierungsbezirk Danzig lange Zeit von Ankäufen ausgenommen. Er galt als deutsch dominiert – die Sprachzählung von 1890 ergab einen Anteil von 71 Pro105 Siehe dazu beispielhaft die Ablehnung des Ankaufs des Rittergutes Bohlschau im westpreußischen Kreis Neustadt aus dem Grund, dass das Gut überwiegend aus Forst besteht, der sich zur Ansiedlung nicht eigne und daher auch keine Gefahr einer Parzellierung durch polnische Genossenschaften bestehe. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9680, Bl. 127–128, Votum des Landwirtschaftsministers, 4.2.1888. 106 Vgl. [Königliche Ansiedlungskommission], S. 174, 176 f. 107 Vgl. dazu ebd., S. 174–177 und die jährlichen Rechenschaftsberichte, gedruckt als: Denkschrift über die Ausführung des Gesetzes vom 26. April 1886, betreffend die Beförderung Deutscher Ansiedelungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, für das Jahr …, in: StenBerAH 1887–1914, Drucksachen (in den Jahren 1907, 1908, 1910–1912 wurde in den Jahresberichten der Ansiedlungskommission das Güterangebot nicht nach Nationalität der Besitzer ausgewiesen). 108 GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9505, Bl. 54–55r, hier 54r, Votum des Kultusministers, 7.2.1897.
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zent deutscher Bevölkerung109 –, sodass die Ansiedlungskommission dort keinen Handlungsbedarf sah.110 Von den 112.597 Hektar, die die Ansiedlungskommission bis Ende 1898 insgesamt angekauft hat, lagen lediglich 5.201 Hektar, d. h. unter vier Prozent im Regierungsbezirk Danzig.111 Nur in den Jahren von 1898 bis 1904 und 1913/14 entfaltete die Ansiedlungskommission in Danzig eine nennenswerte Ankauftätigkeit. Weiter drückte die bewusste, aus der ethno-nationalen Logik erfolgende Zurückhaltung der Ansiedlungskommission bei Zwangsversteigerungen (»Subhastationen«) auf die Wahrscheinlichkeit eines Ankaufs durch die Kommission: Waren deutsche Kreditinstitutionen oder Privatinteressenten als Mitbieter bei den Versteigerungen zugegen, sollte sich die Ansiedlungskommission aus dem Bietverfahren heraushalten und allenfalls mitbieten, falls sich polnische Inte ressenten beteiligten. Ein zuvor festgelegtes Preislimit durfte nicht überschritten werden.112 Erst als 1891 das polnische Angebot knapp zu werden begann, wurden die Bestimmungen dahingehend gelockert, dass auch gegen deutsche Interessenten mitgeboten werden durfte.113 Folglich existierte eine gewaltige Diskrepanz zwischen dem Wunsch von Regierung und Verwaltung, den Ankauf deutschen Grundbesitzes möglichst zu unterlassen, und dem Wunsch seitens der deutschen Grundbesitzer, ihr Eigentum an den preußischen Staat verkaufen zu dürfen. 1.2.2 Haltung der politischen Strömungen In Parlament und Presse spielte das Gefühl von Enttäuschung und ungerechter Behandlung der deutschen Besitzer eine zentrale Rolle. Es überrascht nicht, dass dies besonders von Parteien thematisiert wurde, die in Opposition zur preußischen Polenpolitik standen, ließ sich doch mit dem Hinweis auf die Unzufriedenheit deutscher Grundbesitzer konstatieren, dass diese Politik grundsätzlich verfehlt war. So erklärte der polnische Abgeordnete Leon Czarliński im März 1892 während einer Parlamentsdebatte, es sei »ganz unzweifelhaft, daß, wenn 109 Die Kategorie der »Mehrsprachigen« nicht eingerechnet. Vgl. Statistisches Handbuch für den preußischen Staat 2 (1893), S. 118 f. 110 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9588, Bl. 37–55, Protokoll der Sitzung der Ansiedelungs-Kommission, 30.10.1894. Vgl. auch Eddie, Commission, S. 42. 111 Diese Zahlen ergeben sich aus der Auswertung und Zusammenstellung der einzelnen Jahresberichte: Denkschrift über die Ausführung des Gesetzes vom 26. April 1886, betreffend die Beförderung deutscher Ansiedelungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, enthalten in: StenBerAH 1887–1899, Drucksachen. 112 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9680, Bl. 51–52, Votum des Landwirtschaftsministers, 14.2.1887; ebd., Nr. 9504, Bl. 82–83, Landwirtschaftsminister an den Präsidenten der Ansiedlungskommission, 21.3.1887. Diese Bestimmung wurde in der Folgezeit mehrfach bekräftigt. 113 Vgl. ebd., Bl. 216–217r, Landwirtschaftsminister an das Staatsministerium, 28.5.1891.
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man unterstützt wird, während der Nachbar sich alle mögliche Mühe geben muß und gegen dieselben Naturereignisse zu kämpfen hat, daß da doch zum Mindesten Neid hervorgerufen wird, ja, es ist sogar soweit gekommen, daß man bereits den Kolonisationsfonds als Polonisationsfonds hingestellt hat«.114 Ähnlich äußerten sich Vertreter des Zentrums und des Freisinns, Parteien also, die der preußischen Polenpolitik kritisch gegenüberstanden. Aber auch Abgeordnete gouvernementaler Parteien (Konservative und Nationalliberale) übten Kritik am Vorgehen der Ansiedlungskommission. Erich von Tiedemann, eigentlich ein Befürworter der Siedlungspolitik, gab bei mehreren Gelegenheiten die Anekdote zum Besten, dass ihm deutsche Gutsbesitzer erklärt hätten: »Wir bedauern, nicht Polen zu sein; dann hätten wir doch die Chance, unsere Güter noch preiswürdig an die Ansiedlungskommission los zu werden.«115 Will man sich der Haltung der unterschiedlichen politischen Strömungen zur preußischen Ansiedlungskommission nähern, bietet sich ein Zugang über die deutschsprachige Presse an, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts den Charakter einer Parteipresse trug,116 und die sich entlang der von M. Rainer Lepsius unterschiedenen idealtypischen »sozialmoralischen Milieus« ordnen lässt. Diese Milieus waren erstens das konfessionell gebundene der katholischen Zentrumspartei, zweitens das sich mehrheitlich aus der urbanen Arbeiterschaft rekrutierende sozialistische, drittens das des mehrheitlich protestantisch-urbanen bürgerlichen Liberalismus, das in einen oppositionellen linksliberalen und einen gouvernementalen nationalliberalen Teil zerfällt, und viertens schließlich das protestantisch-rurale konservative, das besonders im östlichen Reich zu finden war.117 Entsprechend lassen sich auch die Zeitungskommentare zur Siedlungspolitik um diese Milieus gruppieren.118 Das Zentrum stand in grundsätzlicher Opposition zur preußischen Polenpolitik, die es als eine Unterdrückung der katholischen Bevölkerung, als Protestantisierung unter dem Vorwand der Germanisierung interpretierte.119 Die Zentrums-Presse, darunter die Berliner Tageszeitung Germania, kritisierte 114 StenBerAH 1892, S. 649, Sitzung vom 1.3.1892. 115 Vgl. StenBerAH 1893, S. 1409, Sitzung vom 7.3.1893; StenBerAH 1895, S. 1356, Sitzung vom 12.3.1895. Bei dieser periodischen Wiederholung der beinahe gleich formulierten Argumente drängt sich der Eindruck auf, dass ältere Reden zum selben Anlass als Vorlagen herangezogen wurden. Das gleiche Argument durch den Abgeordneten Kennemann bereits bei StenBerAH 1888, S. 562, Sitzung vom 18.2.1888 sowie Kleist-Retzow bei StenBerHH 1890, S. 121, Sitzung vom 25.4.1890. Erich von Tiedemann darf genauso wenig mit dem Gründungsmitglied des Ostmarkenvereins Heinrich von Tiedemann verwechselt werden wie mit dem Bromberger Regierungspräsidenten Christoph von Tiedemann, der 1886 die Denkschrift zur Gründung der Ansiedlungskommission verfasst hatte und zeitweise ebenfalls als Freikonservativer Mitglied des Abgeordnetenhauses war. 116 Vgl. Bergsträsser, S. 6 f.; Requate, S. 25 f. 117 Vgl. Lepsius. 118 Ausführlich für die Kommentierung der deutschen Polenpolitik im öffentlichen Diskurs nach 1890 vgl. Münstermann und Spät. 119 Vgl. Bruchhold-Wahl, S. 222, Balzer, S. 44–47.
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sowohl den Ankauf polnischen Grundbesitzes als ein dem Gesetzessinn wider sprechendes »Gesundkaufen« kriselnder Grundbesitzer, aber auch Ankäufe deutschen Grundbesitzes wurden als Abkehr von den ursprünglich formulierten Zielen angeprangert. Dabei ging es den Zentrumspolitikern und -blättern darum, durch Hinweis auf die mangelhafte Umsetzung durch die Regierung die Verfehltheit der Siedlungspolitik herauszustellen. In dem von der Regierung gelegentlich dementierten, doch nicht von der Hand zu weisenden Umstand, dass die Ansiedlungskommission bevorzugt protestantische Siedler in den neu geschaffenen Siedlungen ansetzte – bis Ende 1913 waren lediglich 3,1 Prozent der Siedler Katholiken –, sahen die Zentrumspartei und ihre Presse in der Maßnahme eine Schwächung der katholischen Kirche in den östlichen Provinzen; eine Haltung, die sich bis zum Kriegsausbruch nicht veränderte.120 Die sozialdemokratische Presse121 übte Kritik an der gegen die polnische Minderheit gerichteten Sondergesetzgebung; ein Schicksal, das die Sozialdemokraten als »Reichsfeinde« mit den Polen teilten.122 Auch Blätter wie der Vorwärts nutzten die Fälle des polnischen »Gesundkaufens«, um auf Fehler in der Siedlungspolitik hinzuweisen, wobei es wie in der Zentrumspresse nicht darum ging, Konstruktionsfehler zu korrigieren, sondern die Siedlungspolitik als Ganzes zu diskreditieren. Als die Ansiedlungskommission im Laufe der Zeit in zunehmendem Maße Land von deutschen Grundbesitzern ankaufte, kritisierten die Sozialdemokraten dies als Staatshilfe »für verkrachte germanische Junkerexistenzen«.123 Die Argumentationslinie des linksliberalen, lange Zeit ebenfalls oppositionellen Freisinns ähnelte in vielerlei Hinsicht der sozialdemokratischen und der des Zentrums. Einem Ankauf deutschen Grundbesitzes stimmten auch Blätter wie die Freisinnige Zeitung, die Danziger Zeitung oder die Posener Zeitung nicht zu,124 der Ankauf polnischen Grundbesitzes verstoße aber durch die Folgen des »Gesundkaufens« ebenfalls gegen die Ziele der Gesetzgebung. Die Anziehungskraft von deutscher Kultur und Nation könne lediglich durch positive Angebote, die Verbreitung der deutschen Sprache, vermittelt werden; nicht aber über germanisierende Zwangsmaßnahmen, die nichts anderes als Gegenwehr hervorrufen könnten.125 Das Pochen auf den verfassungsrechtlich garantierten Gleichheitsgrundsatz war Kern der freisinnigen Kritik an der repressiven Polenpolitik. Heinrich Rickert beklagte im Abgeordnetenhaus, dass durch die
120 Vgl. Münstermann, S. 34 f.; Stienen, Deutsche, S. 78–81. 121 Sozialdemokratische Abgeordnete waren unter dem Dreiklassenwahlrecht erst seit 1908 im preußischen Landtag vertreten. 122 Zur sozialdemokratischen Haltung gegenüber der Polenpolitik ausführlich, wenn auch mit starker Fokussierung auf Wilhelm Liebknecht: Wehler, Sozialdemokratie, S. 112–118, 181–199. 123 Vorwärts, 23.2.1907. Ähnlich: Vorwärts, 22.5.1902. 124 Zur grundsätzlichen Haltung der Freisinnigen zur Polenpolitik vgl. Balzer, S. 47–52. 125 Vgl. Lorenz, Parteien, S. 64–67.
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Sondergesetzgebung gegen die einen, die Polen, durch die Ungleichbehandlung der anderen, der Deutschen, beim Ankauf sich sowohl polnische Minderheit als auch deutsche Grundbesitzer durch die Siedlungspolitik zurückgesetzt sähen.126 Überhaupt sei die Siedlungspolitik zu kostspielig für die geringen Erfolge, d. h. für die geringfügige Zahl angesiedelter Kolonisten. In seltenen Fällen galt die Kritik auch deutschen Grundbesitzern, die an polnische Käufer verkauft hatten; ihnen wurde mangelnder nationaler Sinn vorgeworfen. Auch diese Kritik stellte die mangelnde Durchsetzungskraft der preußischen Polenpolitik heraus. Ein Beispiel dafür, wie sich politische Haltungen wandeln konnten, bietet der politisch rührige Historiker Hans Delbrück. Seit den 1890er-Jahren vertrat er in den Preußischen Jahrbüchern einen Standpunkt in der Polenpolitik, der an linksliberale Argumentationsmuster erinnert. Die Ablehnung jedweder Sondergesetzgebung ist jedoch erst das Ergebnis eines Wandlungsprozesses gewesen. Noch 1886 hatte Delbrück das Ansiedlungsgesetz in den Preußischen Jahrbüchern wärmstens befürwortet.127 Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges sollte er die Siedlungspolitik als den »vielleicht schwersten Fehler der preußisch-deutschen Politik in den letzten Jahrzehnten«128 bezeichnen. Es sei dahingestellt, ob auch Delbrück, wie ihm ein anonymer polnischer Kritiker vorwarf, nicht die dauerhafte Koexistenz, sondern die Germanisierung der polnischen Minderheit – nur durch eine Politik der offenen Arme, nicht der erhobenen Faust – als Fernziel vor Augen stand.129 Delbrück hatte sich stets auf die Position zurückgezogen, die Polenpolitik wirke mit ihren Mitteln den Zielen ihrer Urheber gerade entgegen, indem sie den nationalen Widerstandswillen der Polen stärke oder gar erst wecke. Es sei nicht Aufgabe des Staates, sich in das Ringen der Nationalitäten einzumischen.130 Mit der Ungleichbehandlung einzelner Gruppen von Staatsangehörigen würde Preußen seinen Charakter als Verfassungsstaat einbüßen. Beispielhaft für Delbrücks Argumentationsmuster ist ein 1894 in den Preußischen Jahrbüchern erschienener Aufsatz und eine Broschüre aus demselben Jahr. In beiden bemängelte er die hohen Kosten der Siedlungspolitik wegen der umfangreichen Starthilfen, die Kolonisten von der Ansiedlungskommission erhielten, während die Besiedlung nur langsam vorangehe. Gleichzeitig nivelliere die Ansiedlungskommission ihre geringen Erfolge, indem sie polnischen Grundbesitzern das »Gesundkaufen« ermögliche – dazu legte er in einem späteren Artikel eine detaillierte Liste mit 15 Namen polnischer Großgrundbesitzer vor, deren Besitzungen von der Ansiedlungskommission gekauft worden waren, und die andernorts Grundbesitz, meist von Deutschen, erworben hatten, wobei zuweilen, wie aus Delbrücks Liste hervorging,
126 Vgl. StenBerAH 1893, S. 1403 f., Sitzung vom 7.3.1893. 127 Vgl. Thimme, S. 31–37; 79–94; Lüdtke, S. 10–12; Krasuski, S. 186. 128 Delbrück, Erbe, S. 154. 129 Vgl. Spectator. 130 Vgl. Thimme, S. 79–94; Krasuski, S. 186–199.
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die Hektargröße der neuen Besitzung die der alten überstieg.131 Die fruchtlose Repressionspolitik sei deshalb aufzugeben. Hingegen sei das Prinzip des Rentenguts sozialpolitisch nützlich und gehöre daher auf die gesamte Monarchie ausgedehnt, ohne den Kolonisten dabei Schranken aufgrund ihrer nationalen Zugehörigkeit aufzuerlegen.132 Die nationalliberalen Abgeordneten und Zeitungen wie die National-Zeitung oder die Berliner Neuesten Nachrichten133 rechtfertigten die Regierungspolitik.134 Das polnische »Gesundkaufen« sei erklärtermaßen unerfreulich, stelle aber lediglich eine Ausnahme dar.135 Bis zum Ende der 1890er-Jahre hatte sich die Überzeugung durchgesetzt, dass die Ansiedlungskommission auch von deutschen Großgrundbesitzern kaufen müsse, da diese keine zuverlässige Stütze des »Deutschtums« mehr darstellten. Vereinzelt und erst sehr spät berichtete die nationalliberale Presse auch von deutschen Grundbesitzern, die an Polen verkauft hatten. Die National-Zeitung berichtete im Herbst 1897 umfassend über den Verkauf einer großen deutschen Besitzung an polnische Käufer, vermied aber eine Bewertung des Vorgangs: Ein größerer Besitzwechsel, bei dem über 4.100 Morgen [rund 1.025 Hektar], in allerbester Kultur befindlich, aus deutscher in polnische Hände übergegangen sind, ist gestern erfolgt. Herr Rittmeister Briesen hat die ihm bisher gehörige Herrschaft Golina mit Golinko und Stefanowo bei Koschmin an die Herren v. [Watta-Skrzydlewski]Ocieszyn und Joseph v. [Moszczeński]-Jeziorki für eine Million Mark verkauft. Auf der Herrschaft Golina befindet sich eine der bedeutendsten Dampfbrennereien der Provinz, eine eigene Feldbahn, eigene elektrische Beleuchtung und es gehört überhaupt die Besitzung mit sehr starkem, theurem Raçeinventar zu den bestbewirthschafteten der Provinz.136
Solche Berichte waren in einem sachlichen Ton gehalten. Die Zeitungen nahmen demnach ihren Informationsauftrag wahr, verzichteten aber auf eine kommentierende und meinungsbildende Funktion, etwa durch ein Bedauern des Verkaufes oder eine Verurteilung des Verkäufers. Deutsche Zeitungen verzichteten – anders als die polnische Presse in vergleichbaren Fällen (s. Kap. 1.3) – auf eine normative Einordnung des Geschehens.
131 Vgl. Delbrück, Correspondenz, S. 558. Eddie, Ethno-Nationality, S. 58 f., hat darauf hingewiesen, dass die von Delbrück gewählten Beispiele wenig repräsentativ sind, s. dazu auch weiter unten die amtlichen Ermittlungen über den Verbleib der Verkäufer. 132 Vgl. Delbrück, Polenthum; ders., Polenfrage, S. 6–10; ders., Programm, S. 385–391. 133 Die Berliner Neuesten Nachrichten waren in Miteigentümerschaft von Ferdinand von Hansemann und standen demzufolge in Verbindung mit dem Ostmarkenverein. Vgl. Tims, S. 30, 36; Grabowski, Nationalismus, S. 77, 108 f. 134 Zur regierungsfreundlichen Haltung generell vgl. Balzer, S. 40–44, bezogen auf die Siedlungs- und Bodenpolitik S. 89–97. 135 Vgl. Berliner Neueste Nachrichten, 6.11.1897. 136 National-Zeitung, 8.11.1897.
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Eine Zwitterstellung nahm die Freikonservative Partei ein. Obgleich üblicherweise den konservativen Parteien zugerechnet,137 teilte ihr offizielles Organ, Die Post, die nationalliberale Argumentation, wonach die Ansiedlungskommission deutschen Grundbesitz ankaufen müsse, weil die deutschen Großgrundbesitzer keine zuverlässige nationale Stütze mehr darstellten. Diese Haltung ist erklärungsbedürftig. Der Befund muss auf die Zwitterstellung zurückgeführt werden, die die Freikonservativen zwischen Nationalliberalen und Deutschkonservativen einnahmen. Zwar fanden sich unter ihren Parlamentariern nicht wenige Agrarier, jedoch auch zahlreiche Großindustrielle aus dem Ruhrgebiet, zuweilen Vertreter der chemischen Industrie und der Finanzwirtschaft. Dementsprechend disparat ist auch – soweit dies Analysen der Parlamentswahlen zulassen – die Wählerschaft der Partei gewesen, sie verteilte sich auf alle drei Wirtschaftssektoren, auch wenn die Partei überwiegend in landwirtschaftlich geprägten Wahlkreisen antrat.138 Nichtsdestotrotz wurde seit der Ära Caprivi die Redaktion des wichtigsten Sprachrohrs der Freikonservativen, der Post, von Vertretern des industriellen, nicht des agrarischen Flügels kontrolliert; gerade in den letzten Jahren vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges nahm die Abgrenzung zur Deutschkonservativen Partei noch einmal zu, indem Forderungen agrarischer Interessensgruppen als unverhältnismäßig abgewehrt wurden.139 Die deutschkonservativen Zeitungen und Politiker waren als regierungsstützende Kraft grundsätzlich ebenfalls mit der preußischen Polenpolitik einverstanden, hatten sie doch 1886 genau wie die Nationalliberalen und Freikonservativen den Ankauf polnischen Großgrundbesitzes als Mittel nationaler Politik gewürdigt und energisch eingefordert.140 Gleichwohl lehnten auch sie das »Gesundkaufen« ab. Besser sollten die Verkaufsmöglichkeiten auch deutschen Besitzern eröffnet werden, um sie in der Region halten zu können.141 Dieser Standpunkt mag kaum überraschen und war nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass die Mehrzahl der deutschen Großgrundbesitzer Wähler der deutschkonservativen Partei und Leser ihrer Presse wie der Neuen Preußischen Zeitung (»Kreuzzeitung«) oder des Reichsboten war. Hier diente die Kritik an der Ankaufpolitik in ihrer auf polnischen Besitz konzentrierten Form einer an Agrarinteressen orientierten Klientelpolitik für deutsche Besitzer.142
137 Beispielsweise Balzer, S. 13, 35, für das Folgende S. 97–114. 138 Vgl. Alexander, S. 162–164 (Sozialprofil der Politiker), S. 134 f. (Wählerschaft); Laubner, S. 145–152; Balzer, S. 35 f.; Carsten, S. 118. 139 Vgl. Fricke, S. 748, zu den sich stetig verschlechternden Wahlergebnissen S. 745 f. (in Preußen im Gegensatz zum Reich aufgrund des Dreiklassenwahlrechts relativ stabil), zur Redaktion S. 754, zu den sich seit der Jahrhundertwende intensivierenden Flügelkämpfen S. 756–758, zur Abgrenzung S. 762 f. 140 Vgl. Land, S. 24 f. 141 Vgl. Neue Preußische Zeitung, 24.4.1890; Der Reichsbote, 26.3.1891. 142 Vgl. Bruchhold-Wahl, S. 14 f.
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Die konservativen, aber auch die nationalliberalen Abgeordneten beschäftigten sich mit den freiwilligen Verkäufen polnischer Grundbesitzer an die Ansiedlungskommission und werteten diese als einen Beleg dafür, dass die polnischen Gutsbesitzer durchaus Nutznießer der Politik seien. Von der durch die Polenfraktion vorgeworfenen Härte der Ansiedlungspolitik gegen die polnische Bevölkerung könne daher keine Rede sein.143 Dieses Argument – die polnischen Grundbesitzer als Profiteure der Siedlungspolitik! –, das eigentlich dazu diente, polnische Kritik an der Ansiedlungspolitik abzuwiegeln, entwickelte eine unbeabsichtigte, desintegrative Eigendynamik auf die deutschen Grundbesitzer, indem ihnen vor Augen gehalten wurde, wie wenig staatliche Unterstützung ihnen verglichen mit polnischen Besitzern zuteilwurde. Anders als in der konservativen Presse fingen konservative Abgeordnete, so wird aus den Landtagsverhandlungen deutlich, erst Mitte der 1890er-Jahre an, sich stärker als Sachwalter der deutschen Grundbesitzer zu betätigen und einen stärkeren Ankauf deutschen Grundbesitzes zu fordern. Die vorstehenden Ausführungen zeigen, dass milieuübergreifend von Politikern und Zeitungen Kritik an der preußischen Siedlungspolitik, vor allem den Ankäufen polnischen Grundbesitzes geübt wurde. Diese Kritik gründete auf ganz unterschiedlichen Motiven: Parteien, die in Opposition zur Polenpolitik der Regierung standen – Zentrum, Sozialdemokraten und Freisinnige –, versuchten mit dem Hinweis auf Widersprüche in der Ankaufpolitik die Wirkungslosigkeit der gewählten Maßnahmen zu belegen. Gouvernementale Strömungen wie die Nationalliberalen und die Freikonservativen waren grundsätzlich mit den Maßnahmen einverstanden, wünschten aber eine Neujustierung, um eine Effektivität der Politik zu erhöhen, während sich bei den Deutschkonservativen die Hoffnung auf Berücksichtigung deutscher Grundbesitzer im Ankaufgeschäft mit einer Befriedigung der Partikularinteressen ihrer Klientel verband. 1.2.3 Verbitterte Grundbesitzer Was bedeutete die staatliche Ankaufpolitik nun für die deutschen Grundbesitzer? In den allermeisten Fällen endete die Verhandlung für sie mit einer Enttäuschung, d. h. mit einer Ablehnung ihres Ankaufgesuches. Damit blieb die Hoffnung auf wirtschaftliche Konsolidierung unerfüllt. Der Verkauf war 143 So etwa der konservative Abgeordnete Bernhard von Puttkamer, StenBerAH 1890, S. 590, Sitzung vom 10.3.1890, und StenBerAH 1894, S. 885, Sitzung vom 5.3.1894, oder Ernst von Heydebrand und der Lasa gegenüber den polnischen Abgeordneten: StenBerAH 1898, S. 107, Sitzung vom 20.1.1898: »Es wird doch niemand gezwungen zu verkaufen, und es ist mir noch sehr zweifelhaft, ob dieser Abkauf von Grundstücken von polnischen Grundbesitzern nicht ihrem Grundbesitz mehr genützt als geschadet hat. […] Sie haben von Seiten des Staates ganz auskömmliche Zahlung bekommen für das, was vielleicht lange noch nicht einmal soviel werth war, und sie sind dadurch in die Lage gesetzt worden, anderweitig vielleicht eine ganz gesicherte Existenz wieder zu gründen.«
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der letzte Ausweg, wenn keine weitere Kreditaufnahme bei Privat-, Hypotheken- oder Genossenschaftsbanken, Sparkassen oder der Landschaft möglich war und auch der Abverkauf von Teilen des Bodens als Parzellen keine Lösung bot.144 Doch nicht alle Verkaufsinteressenten beabsichtigten, mit der Veräußerung ihres Gutes auch ihre Tätigkeit als Landwirte aufzugeben. Das traf zwar auf ältere Verkäufer zu, die ihren Lebensabend in einer Stadt verbringen wollten. In den meisten Gesuchen erklärten die Besitzer hingegen, sie wollten weiterhin in der Landwirtschaft bleiben. Dazu gab es einige Einfälle seitens der Grundbesitzer, wie die Ansiedlungskommission dabei behilflich sein könnte. Manche baten darum, nach dem Verkauf als Verwalter auf einem der Ansiedlungsgüter arbeiten zu dürfen. Andere wiederum erhofften sich einen niedrig verzinsten Kredit aus dem Ansiedlungsfonds, um ihre hochverzinslichen Hypotheken ablösen zu können.145 Wieder andere schlugen vor, ihr Gut an die Ansiedlungskommission zu verkaufen, aber als Ansiedler auf dem ungeteilten Grund bleiben zu dürfen. Solche Vorschläge wurden mit der Begründung vorgetragen, dass der Erhalt der vorhandenen deutschen Bevölkerung im Osten genauso zweckmäßig sei, wie die Heranziehung neuer Siedler. Von der Ansiedlungskommission wurden diese Vorschläge jedoch mit der Begründung zurückgewiesen, die Behörde arbeite nicht zur Wohltätigkeit Einzelner.146 Schon die avisierte Schadloshaltung des Staates stand finanziellen Experimenten abseits der vorgegebenen Parzellierungsmaßregel entgegen und es sollte rund zwanzig Jahre dauern, bis die Idee des Ankaufs und der vollständigen Rückgabe von Gütern an ihre Vorbesitzer als Rentengüter nach der Jahrhundertwende in der Regierung Gehör fand (s. Kap. 2.4). Eine nähere Untersuchung der Ankaufgesuche deutscher Grundbesitzer, die preußischen bzw. deutschen Verwaltungsstellen entgegengebracht wurden, lohnt, um die Sinnstiftungsprozesse nachzuvollziehen, denen die Bitten um Ankauf zugrunde lagen. In der Aktenüberlieferung des Landwirtschaftsministeriums haben sich in drei Aktenbänden147 einige Dutzend Ankaufgesuche erhalten, die nach einer ersten Ablehnung durch die Ansiedlungskommission an eine ihr übergeordnete Stelle gerichtet wurden. Die Vielzahl der erneuerten Ankaufgesuche lässt darauf schließen, dass sich die Gutsbesitzer realistische Hoffnungen auf einen Verkauf gemacht hatten. Dafür spricht, dass der Präsident der Ansiedlungskommission von zahlreichen deutschen Besitzern persönlich aufgesucht wurde, die sich über das Ankaufverfahren informieren wollten.148 144 Vgl. zu den unterschiedlichen Möglichkeiten der Kreditgewährung Lorenz / Müller, S. 187 f. 145 So bereits im Jahre 1886 der Gutsbesitzer Daniel Fengler. Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9680, Bl. 21–22, Daniel Fengler an das Landwirtschaftsministerium, 26.10.1886. 146 Vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 87, Abt. B Nr. 9594, Bl. 95–114, hier 114, Bericht der AnsiedelungsCommission für Westpreußen und Posen für das Jahr 1887; Bruchhold-Wahl, S. 149 f. 147 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9680–9682, Angebote von Grundstücken pp. zur Kolonisation in den östlichen Provinzen 1886–1911. 148 Vgl. ebd., Nr. 9596, Bl. 1–15r, Präsident der Ansiedlungskommission an das Staatsministerium, 22.1.1892.
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Die hier vorliegenden Ankaufgesuche verraten nicht nur durch ihren Inhalt, sondern vielfach auch durch ihren Adressaten die Zielrichtung auf das Nationale: Wurden die Bittschreiben im ersten Verfahren durch den Präsidenten der Ansiedlungskommission abschlägig beschieden, wandten sich die Grundbesitzer an eine übergeordnete Stelle. Dass solche Gesuche an den deutschen Kaiser oder Reichskanzler und nicht an den preußischen König oder Ministerpräsidenten gerichtet wurden, machte in der Person keinen Unterschied, verweist aber darauf, dass die Ansiedlungspolitik nicht als eine innerpreußische, sondern als eine Aufgabe der gesamten deutschen Nation aufgefasst wurde. Inhaltlich lassen sich drei Leitmotive in verschiedenen Variationen immer wieder antreffen: ein wirtschaftliches, ein gesellschaftliches und ein politisches.149 Zunächst findet sich in sämtlichen Bittgesuchen der Verweis auf eine »unverschuldete Verschuldung«. Es folgt eine Erläuterung für das Zustandekommen der Notlage. Oftmals werden anhaltende Missernten genannt, als Folge von Dürren, andauerndem Regen oder Stürmen; Witterungseinflüsse also, die Ernten vernichteten oder kostspielige Reparaturen notwendig machten. Die Probleme konnten auch menschgemacht sein: Drängend konnte ein Verkauf da werden, wo Erbauseinandersetzungen die Auszahlung der Miterben erforderlich machten.150 Viele Landwirte berichten von finanziellen Verpflichtungen, die sie aufgrund von Krankheit oder Tod von Verwandten eingehen mussten, und deren Höhe die eigenen finanziellen Mittel überstieg. Nicht selten werden der allgemeine Niedergang der Landwirtschaft und der Verfall der Preise für landwirtschaftliche Produkte verantwortlich gemacht. Und auch Veränderungen der Umgebung konnten Anlass für die Verschuldung sein: Die Ehefrau eines Besitzers klagte darüber, dass das Gut gänzlich unverkäuflich geworden sei, seit auf dem Nachbargrundstück eine Fabrik eröffnet habe, deren übelriechenden Ausdünstungen auch auf ihr Grundstück herüberzögen.151 Als ein quellenkritisches Problem erweist sich die Frage nach der Aufrichtigkeit der in den Ankaufgesuchen gemachten Angaben. Wo Geld versprochen wird, werden Begehrlichkeiten geweckt. Umso mehr lockte die Versuchung, die eigene Lage schlechter darzustellen, als sie tatsächlich war. Aufrichtigkeit und Berechnung sind kaum voneinander zu trennen. Wie lässt sich also in der Rückschau beurteilen, wie drückend die Not tatsächlich gewesen ist? Die Güter, deutscher wie polnischer Besitzer, die der Ansiedlungskommission gerade in den ersten Jahren angeboten wurden, befanden sich oftmals in desolatem Zustand. Dass die Bewirtschaftung häufig nicht nach rationalen Kriterien erfolgt sein dürfte, zeigt sich daran, dass die Ansiedlungs149 Gedruckt finden sich zwei solcher Gesuche, die sämtliche dieser Leitmotive umfassen, bei: Bruchhold-Wahl, S. 468–471. 150 Vgl. beispielhaft GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9681, Bl. 38–38ar, Freiherr von SeherrThoss an den Landwirtschaftsminister, 25.4.1896. 151 Vgl. ebd., Nr. 9680, Bl. 107–109r, Bl. 107–109r, Ida Muensterberg an den Reichskanzler, 7.8.1887.
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kommission bei der Wertbemessung der Güter Schwierigkeiten hatte, auf den Gutshöfen die notwendigen Unterlagen zusammenzutragen. Nachdem die Ansiedlungskommission erste Erfahrungen gesammelt hatte, erklärte sie in ihrem zweiten Jahresbericht: War es vielfach schon schwierig, die vertragsmäßig verkauften Realitäten, Pertinenzen und Inventarien zu konstatieren, weil häufig so gut wie keine Gutsakten existirten und die Buchführung sich in der dürftigsten Verfassung befand, so steigerte sich dies bei Berechnung der zu übernehmenden Lasten und Restkaufgelder. Ein großer Theil der Verkäufer übersah seine auf Grund der verschiedensten Privattitel belasteten Verhältnisse so wenig, daß die Entwirrung derselben seitens der Ansiedelungskommission erfolgen mußte, um festzustellen, welche Verpflichtungen mit zu übernehmen und welches Restkaufgeld baar zu zahlen war.152
Es darf demnach angenommen werden, dass wirtschaftliche Not in den seltensten Fällen ein vorgeschobener Grund gewesen ist. Sie ließ sich von den Taxatoren nachprüfen, die auf ein Gut geschickt wurden, um dessen Wert zu bemessen; wenn auch zuweilen die Schuldpapiere erst geordnet werden mussten. Für diesen Eindruck spricht auch, dass gerade in der Frühphase der Siedlungspolitik den Verkäufern wenig vom Kaufgeld blieb, sondern dieses zum größten Teil für die Bedienung der Gläubiger verwendet werden musste.153 Einfluss auf einen positiven Kaufentscheid hatte die Verschuldung bei deutschen Besitzern dennoch nicht. In einem Fall grenzte das Mühlengrundstück eines Großgrundbesitzers seit geraumer Zeit an einen Übungsplatz der Armee. Durch diesen blieb die Mühlenkundschaft fern, da die Straße zur Mühle wegen der Übungen unpassierbar geworden war. Als die Armee aus Sparzwängen die Zahlung von Entschädigungen an den Eigentümer einstellte, drohte dem Besitzer endgültig die Insolvenz und er wandte sich an die Ansiedlungskommission. Der Prüfungsbeamte erklärte in seinem Bericht lapidar: »Der Schießplatz ist tatsächlich der Ruin der Mühle«.154 Einen Ankauf empfahl er dennoch nicht. Bemerkenswert an den Gesuchen ist, dass Personengruppen wie Pächter, Gutsverwalter, Instleute oder Landarbeiter keine Erwähnung fanden. Bezugspunkt der Gesuche ist stets der Antragsteller und bisweilen noch die dazugehörende Kernfamilie. Genauso bemerkenswert ist die Unbedingtheit der Sprache, die suggeriert, einzig die Ansiedlungskommission könne den Verkauf an polnische Interessenten abwenden. Dass die Realität anders ausgesehen haben wird, vermitteln dagegen Erhebungen über den Besitzwechsel in beiden Provinzen für den Zeitraum nach 1896. Diese zeigen deutlich, dass die Ansiedlungs152 Denkschrift über die Ausführung des Gesetzes vom 26. April 1886, betreffend die Beförderung Deutscher Ansiedelungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, für das Jahr 1887, in: Anlagen zu den Stenographischen Berichten über die Verhandlungen des Hauses der Abgeordneten (1888), S. 1090–1183, hier 1093. 153 Vgl. Bruchhold-Wahl, S. 160–165. 154 GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9681, Bl. 31p–31sr, hier 31rr, Schönberg an den Präsidenten der Ansiedlungskommission, 26.4.1895.
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kommission selbst in den Jahren ihrer stärksten Kauftätigkeit (1903–1906) zu keinem Zeitpunkt mehr als ein Viertel der jährlichen Gesamtzahl an Transaktionen tätigte, die meiste Zeit lag sie erheblich darunter.155 Dies ist auch ein Indiz dafür, dass finanzkräftige Investoren die ostelbische Landwirtschaft nicht als hoffnungsloses Verlustgeschäft mieden, sondern im Gegenteil beträchtliche Summen zum Ankauf von Grundbesitz aufwendeten. Die Ansiedlungskommission war zwar der größte Akteur auf dem Bodenmarkt, sie dominierte ihn aber nicht.156 Auch die seit den 1890er-Jahren verstärkt auftretenden Konkurrenzunternehmen der polnischen Nationalbewegung erreichten zusammen in ihrer Geschäftstätigkeit höchstens den Umfang der Ansiedlungskommission, sodass Jahr für Jahr mindestens die Hälfte aller Besitzwechsel privaten, d. h. weder zur Ansiedlungskommission noch einer der nach 1886 gegründeten polnischen Siedlungsgenossenschaften zugehörigen Käufern zugeschrieben werden kann. Der Gütermarkt blieb trotz der Krisenstimmung dynamisch. Somit ist auch das in Ankaufgesuchen anzutreffende Argument, der Besitz würde dem »Polentum« verfallen, wenn er nicht ausgerechnet von der Ansiedlungskommission gekauft werde, wenig überzeugend. Es konnte bestenfalls in polnisch dominierten Kreisen Glaubwürdigkeit erlangen, in denen sich keine deutschen Neukäufer fanden. Als zweites Leitmotiv finden sich in den Ankaufgesuchen Hinweise auf soziale Verdienste der Petenten. Dazu wurde die gewissenhaft erfolgte Wahrnehmung staatsbürgerlicher Pflichten in Vergangenheit und Gegenwart betont, beispielsweise durch den Hinweis auf den selbst oder von den Söhnen geleisteten Wehrdienst bis hin zur Teilnahme an den Feldzügen von 1866 und 1870/71. Auch die Ausübung von Ehrenämtern im Landkreis, etwa als Gemeindevertreter, oder die Erwähnung verliehener Orden fielen darunter. Gegebenenfalls wurde auf Leumundszeugen aus der lokalen Elite wie Landräte und Ortspfarrer verwiesen, die zuweilen als Urheber des Gedankens genannt wurden, den Besitz der Ansiedlungskommission anzubieten.157 Beides, Unverschulden und Wahrung der Staatsbürgerpflichten, waren Motive, die sich auch in polnischen Ankaufgesuchen finden.
155 Vgl. Jahresberichte der Ansiedlungskommission; Zs des königlichen Preußischen statistischen Bureaus 39 (1899), S. 7–11; ebd. 42 (1902), S. 1–46; Zs. des königlich Preußischen Statistischen Landesamtes 45 (1905), S. 251–282; Statistisches Jb. für den Preußischen Staat 3 (1905), S. 46 f.; ebd. 4 (1906), S. 46 f.; ebd. 5 (1907), S. 42 f.; ebd. 6 (1908), S. 52 f.; ebd. 7 (1909), S. 54 f.; ebd. 8 (1910), S. 68 f.; ebd. 9 (1911), S. 84 f.; ebd. 10 (1912), S. 106 f.; ebd. 11 (1913), S. 90 f.; ebd. 12 (1914), S. 100 f.; ebd. 13 (1915), S. 64 f. 156 Erst ab 1896 wurde eine systematische Besitzwechselstatistik erhoben. In der Provinz Posen wechselten etwa Betriebe über 100 Hektar Fläche den Besitzer 1896: 239 (davon 5 durch die Ansiedlungskommission); 1897: 224 (8); 1898: 252 (16); 1899: 308 (21). Vgl. Wegener, S. 244 f. 157 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9680, Bl. 16–18, Immediatgesuch von Hermann Jaensch, 8.9.1886.
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Schließlich verstanden die Bittsteller ihre Ankaufgesuche als kommunikativinteraktive Form der Sozialintegration und bezogen die Legitimität der von ihnen gestellten Forderungen aus ihrer Zugehörigkeit zur deutschen Nation. Man kann diesen Hinweis als einen Appell an die Fürsorgepflicht der Nation für ihre Mitglieder lesen. Dies wurde von den deutschen Grundbesitzern auf zwei Arten geäußert: zum einen bezogen auf das relationale Verhältnis zwischen ihnen und potenziellen polnischen Käufern, zum anderen bezogen auf das Verhältnis zwischen ihnen und der Ansiedlungskommission. In beiden Situationen werden die normativen Implikationen, die »moralische Ökonomie«, deutlich, in die sich die Frage des Besitzverkaufes einbettete: Im ersten Fall findet sich in den Ankaufgesuchen oftmals der Hinweis auf das Schamgefühl der Besitzer, an polnische Interessenten verkaufen zu müssen, wenn nicht die Ansiedlungskommission einspringt. Ein Übergang des eigenen, teilweise seit Generationen in deutschen Händen befindlichen Besitzes an polnische Käufer sei unerträglich und müsse daher von der Ansiedlungskommission durch einen Ankauf verhindert werden. Bezogen auf die konfessionellen, sozialen und nationalen Rollen, die er verkörpere, bekannte ein Freiherr von Hammerstein 1888 in seinem Immediatgesuch an Friedrich III.: »Als evangelischer Christ, als alter Officier und deutscher Patriot würde es mir schmerzlich sein, wenn ich mein Gut an Polen verkaufen müßte«.158 Zwanzig Jahre später bat die Witwe Marie Wicht aus Löblau um den Ankauf ihres Gutes und erklärte in einem Schreiben an Reichskanzler Bülow: »Auch war es meiner nationalen Empfindung peinlich, daß sich hier in einem ganz deutschen Dorfe Polen ansiedlen [sic] sollten.«159 Es war eine betont emotionale Sprache, die des »Schmerzes« und der »Pein«, um die Folgen für den Fall zu erläutern, dass den Gesuchen nicht stattgegeben würde. Diese Argumentationsstruktur diente als Signal nach außen über den abgeschlossenen Prozess der Internalisierung einer national fundierten Norm: Der Übergang des eigenen Besitzes in die Hand des nationalen Gegners wurde als eine Form ungewollter Devianz beschrieben, dessen negative Sanktion das eigene Schamgefühl zur Folge haben würde. Da – so die implizite Botschaft – der Verkauf des Besitzes aus ökonomischen Gründen unabwendbar sei, könne lediglich die Ansiedlungskommission die Vorbesitzer durch Ankauf des Gutes vor der ungewollten Devianz und ihren Folgen schützen.160 Noch ehe der
158 Ebd., Bl. 174–175, hier 174r, Freiherr von Hammerstein an Friedrich III., 5.5.1888. 159 Ebd., Nr. 9682, Bl. 2–2r, hier 2, Marie Wicht an Reichskanzler von Bülow, 8.3.1908. 160 Solche Internalisierungsprozesse, denen in den Sozialwissenschaften aufgrund ihrer Bedeutung für die Herstellung sozialer Kohäsion eine große Bedeutung beigemessen werden (vgl. etwa Geulen, S. 148.), lassen sich in der Geschichtsforschung schwerlich auf ihren Wahrheitsgehalt, auf ihre »tatsächliche« Verinnerlichung durch das Individuum überprüfen. Dennoch lassen sich Schriftquellen, die entweder auf eine Internalisierung hinarbeiten (z. B. Anstandsliteratur und andere pädagogische Schriften) oder, wie im vorliegenden Fall, von einem erfolgten Internalisierungsprozess berichten, daraufhin befragen, welche historisch wandelbaren Werte- und Normenorientierungen in der spezifischen Situation
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preußische Staat öffentlich die Erwartung geäußert hatte, dass deutsche Landwirte nicht an polnische Interessenten verkaufen sollten, versuchten deutsche Anbieter demnach diese Normsetzung vorauszuahnen und stellten sie sogleich als eine bereits verinnerlichte Norm mit der ihr verbundenen Sanktion der Scham heraus. Dem preußischen Staat fiel demzufolge die moralische Verpflichtung zu, aus nationalen Gründen den Besitz in Not geratener Deutscher zu kaufen. Doch müssen zugleich die Angaben zur nationalen Gesinnung in den Ge suchen kritisch hinterfragt werden. Sie sind in einem Modus verfasst, den man mit Niklas Luhmann als »Erwartungserwartung«161 verstehen kann. Das bedeutet, dass die Antragsteller zu antizipieren suchten, mit welchen Begründungen sie die Verwaltung für die eigene Verkaufsabsicht möglichst gewogen stimmen und die ungewisse Entscheidungshaltung zu ihren Gunsten beeinflussen konnten. Insofern spielt hier das nationale Pathos eine spezifische Funktion gegenüber einer Institution, der (zurecht) unterstellt wurde, ihre Handlungsentscheidungen entlang nationaler Ordnungskriterien zu fällen. Der Hinweis auf polnische Kaufinteressenten konnte demzufolge vorgeschoben sein, eine bloße Verkaufsstrategie, um die Ansiedlungskommission zum Ankauf des eigenen Besitzes zu motivieren. Der oben geschilderte Fall des Besitzers Cords und seines Gutes Modliborzyce, der nach demonstrativen Verkaufsverhandlungen mit jüdischen und polnischen Interessenten erfolgreich an die Ansiedlungskommission verkauft hatte, war medial bekannt; und die Existenz polnischer Kaufinteressenten ließ sich leicht behaupten. Dementsprechend übten Minister und der Präsident der Ansiedlungskommission in nicht wenigen Fällen Zweifel daran, dass die in den Gesuchen erwähnte »polnische Gefahr« realistisch war, und lehnten den Ankauf durch die Ansiedlungskommission ab.162 Kaum ein Jahr nach der Gründung der Ansiedlungskommission schrieb ihr Präsident an den Landwirtschaftsminister bezugnehmend auf einen polnischen Kaufvertrag, der ihm zugesandt worden war: »Allerdings ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß es sich nur um ein Scheingeschäft handelt[,] welches lediglich aus dem Grunde inserirt ist, um auf die Entschließung der Staatsbehörden einen Druck auszuüben.«163 Die Drohung mit polnischen Käufern schien demnach ein probates Mittel, die Wahrscheinlichkeit eines Verkaufes an die Ansiedlungskommission zu erhöhen, selbst wenn in der Behörde die Glaubwürdigkeit solcher Angaben angezweifelt wurde. Auf der anderen Seite finden von den Zeitgenossen als wichtig, förderungs- und stabilisierungswürdig empfunden wurden. Durch die »Hintertür« werden damit Rückschlüsse auf die Wahrnehmung und den Gestaltungswillen auf eine gesellschaftliche Wirklichkeit möglich. 161 Vgl. Luhmann, S. 411–417. 162 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9680, Bl. 62–62r, Votum des Landwirtschafts ministers, 17.3.1887. 163 Ebd., Bl. 93–94r, das Zitat 93–93r, Präsident der Ansiedlungskommission an den Landwirtschaftsminister, 2.5.1887.
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sich Beispiele, bei denen deutsche Grundbesitzer aus Nationalempfinden finanzielle Einbußen in Kauf nahmen, um ihren Besitz an die Ansiedlungskommission oder einen deutschen Privatkäufer zu einem Verkaufspreis zu veräußern, der unterhalb der Gebote polnischer Interessenten lag. In diesem Spannungsfeld zwischen »Verkaufsfinte« und »echtem Nationalstolz« changierten demnach die Gesuche. Ein anderer Aspekt in den Ankaufgesuchen, bei dem das Nationale eine wesentliche Rolle spielte, war die selektive, geradezu neidvolle Wahrnehmung von Fällen des »Gesundkaufens«, bei denen polnische Verkäufer mit Gewinn Verträge mit der Ansiedlungskommission abgeschlossen hatten. Anfängliche Beobachtungen deuteten zwar darauf hin, dass nur ein Bruchteil der ausgekauften Landwirte in der Lage war, die wirtschaftliche Eigenständigkeit zu bewahren, auch wenn das von der Ansiedlungskommission ausgezahlte Kaufgeld nach Tilgung der Schulden bestenfalls für den Ankauf deutlich kleinerer Betriebe als zuvor genügte.164 Hannelore Bruchhold-Wahl konnte am Beispiel von sieben im Jahr 1887 durch die Ansiedlungskommission freihändig erworbenen Güter aus polnischer Hand zeigen, dass von den rund zweieinhalb Millionen Mark Kaufgeld weniger als ein Fünftel bei den Verkäufern verblieb – der Rest ging an die Gläubiger.165 Doch nur wenig später beobachteten Lokal- und Regionalverwaltung regelmäßig, dass sich polnische Grundbesitzer in den beiden Ansiedlungsprovinzen an anderer Stelle wieder ankauften.166 Tatsächlich wog in der öffentlichen Wahrnehmung das Phänomen des »Gesundkaufens« schwerer als seine tatsächliche Bedeutung war. Eine Nachweisung um die Jahrhundertwende zeigte (Tab. 1), dass nur ein Bruchteil, sechs Prozent, der polnischen Großgrundbesitzer in den Ansiedlungsprovinzen wieder Land angekauft hatte. Etwas günstiger nahm sich eine spätere Ermittlung aus, die einen Anteil von 13,1 Prozent der polnischen Gutsbesitzer nannte, die bis 1909 an die Ansiedlungskommission verkauft hatten und sich dadurch »gesundkaufen« konnten (Tab. 2). Eine Ursache der Steigerung dieses Anteils mag im Anstieg der Bodenpreise begründet liegen, die höhere Verkaufserlöse gewährten.
164 Denkschrift über die Ausführung des Gesetzes vom 26. April 1886, betreffend die Beförderung Deutscher Ansiedelungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, für das Jahr 1887, in: Anlagen zu den Stenographischen Berichten über die Verhandlungen des Hauses der Abgeordneten (1888), S. 1090–1183, hier 1093. 165 Vgl. Bruchhold-Wahl, S. 484. 1888: bei sieben Verkäufen insgesamt 25 Prozent, 1889: bei vier Verkäufen 51 Prozent, 1891: bei zehn Verkäufen 23 Prozent. Vgl. ebd., S. 486 f. Auch hier muss auf die großen Unterschiede im Einzelfall hingewiesen werden: Der Besitzer des 1888 verkauften Gutes Żabno erhielt nichts von der gezahlten Summe von 460.000 Mark, während dem Verkäufer des Komplexes Deutsch Wilke mit Murke und Schmidtschen im Jahr 1889 immerhin 762.000 der 1.323.000 Mark verblieben. 166 Beispielhaft: GStA PK, XVI. HA Rep. 30, Nr. 660, Bd. 4, n. p., Immediatbericht des Regierungspräsidenten von Marienwerder, 14.12.1889.
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Tab. 1: Verbleib der bis 1901 ausgekauften polnischen Gutsbesitzer167 a)
Wieder angekauft (davon einer in Vermögensverfall geraten)
8
= 6 Prozent
b)
Pachtungen übernommen
3
= 2 Prozent
c)
Sich auf andere Güter, die sie besessen haben, zurückgezogen
20
= 14 Prozent
d)
Sich anderen Berufen zugewandt
17
= 12 Prozent
e)
Sind außer Landes verzogen
27
= 19 Prozent
f)
Ohne bestimmte Beschäftigung
45
= 32 Prozent
g)
Verstorben
18
= 13 Prozent
h)
Sonstige (Institute)
1
= 1 Prozent
Zusammen
139 = 100 Prozent
Tab. 2: Verbleib der bis 1909 ausgekauften polnischen Gutsbesitzer168 a)
Haben sich im Inlande wieder angekauft davon einer (0,5 Prozent) in Ostpreußen, die anderen innerhalb der Ansiedlungsprovinzen
24
=
13,1 Prozent
b)
Haben innerhalb der Ansiedlungsprovinzen Pachtungen übernommen
4
=
2,2 Prozent
c)
Haben sich auf ihrem anderweitigen Besitz innerhalb der Ansiedlungsprovinzen niedergelassen
15
=
8,2 Prozent
d)
Haben sich anderen Berufen zugewendet
20
=
10,9 Prozent
e)
Sind ohne berufliche Tätigkeit geblieben
65
=
35,5 Prozent
f)
Sind ausgewandert
35
=
19,1 Prozent
g)
Sind bald nach dem Verkaufe gestorben
17
=
9,3 Prozent
h)
Sind juristische Personen
2
=
1,1 Prozent
i)
Verbleib unbekannt
1
=
0,5 Prozent
183
=
100 Prozent
Zusammen
167 Ebd., I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9505, Bl. 194–204, Statistik über die Schicksale der Vorbesitzer von Ansiedelungsgütern polnischer Nationalität der Jahre 1886–1901. Auf diese Tendenz wies bereits 1898 ein Bericht des Kommissionspräsidenten hin, der bei BruchholdWahl, S. 450–456, abgedruckt ist. Eine Überprüfung der 1894 von Delbrück genannten 15 Fälle des Gesundkaufens ergab in einem Fall, dass das neue Gut tatsächlich von der Gattin des Verkäufers erworben wurde, in einem anderen, dass sich der Käufer lediglich auf ein anderes Gut zurückgezogen hatte. In den verbleibenden 13 Fällen zeigte die Ermittlung, dass bis 1901 noch vier Käufer ihre neue Besitzung bewirtschafteten, einer als Rentier in Posen lebte, einer als Wirtschaftsbeamter in Russisch-Polen arbeitete, ein weiterer bei seinem Bruder im Ausland lebte, zwei vermögenslos verstorben waren, drei weitere ohne Kenntnis des Vermögensstandes verstorben waren und das Schicksal eines weiteren Besitzers unbekannt war. 168 GStA PK, I. HA Rep 87, Abt. B Nr. 9611, Bl. 353, Verbleib der (1886 bis 1909) 183 Verkäufer polnischer Güter.
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Auffällig ist zunächst die hohe Zahl von jeweils rund einem Drittel der Alteigentümer, die nach dem Verkauf ohne Beschäftigung blieben und möglicherweise als Rentiers lebten. In der medialen Wahrnehmung fand diese Gruppe keine Beachtung. Das »Gesundkaufen« hingegen blieb auf Einzelfälle beschränkt, deren Bedeutung in den Zeitungsmeldungen somit in verzerrender Weise überhöht wurde. Eine strukturelle Verbesserung der polnischen Grundbesitzer durch einen Verkauf an die Ansiedlungskommission lässt sich den Zahlen nicht entnehmen. Doch kann trotzdem darauf geschlossen werden, dass der öffentliche Diskurs dazu geeignet war, die Neiddebatte unter deutschen Landwirten zusätzlich zu verschärfen, indem Zeitungen unterschiedlichster politischer Couleur aus verschiedenen Motiven über Fälle polnischen »Gesundkaufens« berichteten. Dass sich die preußische Regierung nach Ansicht der deutschen Grundbesitzer dem selbstgesteckten Ziel einer Stärkung des deutschen Bevölkerungsanteils entzog, indem sie bevorzugt von polnischen Besitzern kaufte, musste notwendigerweise Verbitterung und Enttäuschung bei diesen nach sich ziehen. Ihren Unmut brachten die Petenten in ihren Gesuchen zum Ausdruck: Der Rittergutsbesitzer von Modliszewko bei Gnesen beispielsweise, den Frost, Orkan und Missernten ruiniert hatten, bat 1894 nach einem ersten abgelehnten Kaufangebot den Landwirtschaftsminister, »einen loyalen und treuen Deutschen nicht schlechter behandeln zu wollen« als die polnischen Gutsbesitzer, denen Güter abgekauft wurden.169 Bereits im Januar 1887, nach nicht einmal einjähriger Tätigkeit der Ansiedlungskommission, klagte Lina Richter, Ehefrau eines Gutsbesitzers und ehemaligen Offiziers, angesichts einer drohenden Zwangsversteigerung: Mein Mann bot das Gut der Ansiedlungs-Commission zum Kauf an, erhielt aber die Antwort, daß dieselbe von Deutschen nicht kauft. […] Angesichts seiner früheren militärischen Stellung, wandte sich mein Mann mit einem Immediatgesuch an Seine Majestät den Kaiser, dasselbe ging an den Oberpräsidenten Grafen Zedlitz nach Posen, von dem wir abermals eine abschlägige Antwort erhielten. Im Unglück ist der Mensch leicht geneigt, sich zurückgesetzt zu fühlen, und so kommt es gute Deutsche hart an, mit dem [Bettel-]Stabe in der Hand ihre Güter verlassen zu müssen, die auf dem Subhastationstermin [Zwangsversteigerungstermin] unter dem Preise erstanden werden, während den Polen, die meist vor verdienterem Ruin stehen, durch hohe Preise ermöglicht wird, ihre Verhältnisse zu arrangieren und noch so viel zu erübrigen, um sich ein anständiges Fortkommen schaffen zu können. Es mag dies ja wohl richtig sein, das versteht eine schwache Frau nicht zu beurtheilen.170
169 Ebd., Nr. 9681, Bl. 12–13, das Zitat 13, Ernst Guischard an den Landwirtschaftsminister, 11.12.1894. Zuvor war bereits die Gattin in Begleitung ihrer acht Kinder persönlich beim Behördenleiter vorstellig geworden. Das Gesuch wurde trotzdem abschlägig beschieden. Ebd., Bl. 7, Aktenvermerk; ebd., Bl. 14, Landwirtschaftsminister an Ernst Guischard, 11.1.1895. 170 Ebd., Nr. 9680, Bl. 46–47, hier 46r–47, Lina Richter an den Landwirtschaftsminister, 13.1.1887.
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Dem Gesuch, in dem Richter von ihrer persönlichen Situation ausgehend auf strukturelle Widersprüche der Ankaufpolitik verweist, wurde ebenso wenig stattgegeben, wie dem von Eugen Rosenstiel im selben Jahr: Der Jude, der von meinem Vorbesitzer die Hypothek erworben [hat], wird mich ohne Erbarmen von meinem Eigenthum verjagen, und das Geschäft machen. Er wird einem Polen weiterverkaufen, und dann kauft die Commission vom Polen.171
Diese Liste enttäuschter Erwartungen ließe sich beliebig fortführen. Nur wenige Wochen zuvor hatte der Vorwerksbesitzer Trauvetter resigniert festgestellt: Ich bin ›Deutscher‹ und aus diesem Grunde mag wohl auch die Königliche Ansiedlungs-Kommission s[einer] Z[ei]t nicht gekauft haben; vom ›Polen‹ hingegen würde sicher gekauft sein, denn für diese [gab] es ja seit Bestehen der Ansiedlungs-Kommission eine Rettungsbank, und die Leute sind glücklich dadurch geworden.172
Das Wort von der »polnischen Rettungsbank« machte unter den deutschen Grundbesitzern des Gebietes die Runde, um auf das paradoxe Vorgehen der Ansiedlungskommission hinzuweisen.173 Resümierend lässt sich festhalten, dass die Enttäuschung der deutschen Landwirte über die preußische Siedlungspolitik in der Ungleichbehandlung deutscher und polnischer Kaufangebote resultierte, wobei die Idee des »Gesundkaufens« polnischer Grundbesitzer im Vordergrund stand. Über Beispiele des »Gesundkaufens« konnten sich Landwirte kaum mit eigenen Augen ein Urteil bilden. Dazu war die Anzahl tatsächlicher Fälle zu gering. Sie waren vielmehr auf die mediale Berichterstattung im politischen Diskurs angewiesen – im Fall deutscher Grundbesitzer dürfte dies bedeutet haben: der konservativen Presse –, in dem aus sehr unterschiedlichen Motivlagen der jeweiligen Parteiungen heraus das Phänomen in verzerrender Weise überbetont wurde. Offensichtlich stand das »Gesundkaufen« den Intentionen der Regierungspolitik diametral entgegen. Die preußische Siedlungspolitik sollte das »Polentum« schwächen, und doch – so die Wahrnehmung deutscher Grundbesitzer – waren die Polen, die an den preußischen Staat verkaufen konnten, die eigentlichen Nutznießer dieser Politik. Sie selbst dagegen durften gerade aufgrund ihrer nationalen Zugehörigkeit nicht von der Ansiedlungskommission profitieren. Unverständnis und Frustration machten sich breit. Wie gezeigt werden konnte, entwickelten sich für die »moralische Ökonomie« des Bodenmarktes unterschiedliche, konfligierende Normen, die nicht miteinander in Einklang zu bringen waren. Zwischen deutschen Grundbesitzern und 171 Ebd., Bl. 100–100r, das Zitat 100, Eugen Rosenstiel an den Landwirtschaftsminister, 23.6.1887. 172 Ebd., Nr. 9681, Bl. 9–10, hier 9r, Vorwerksbesitzer Trauvetter an den Landwirtschaftsminister, 27.11.1894. 173 Ebd., Nr. 9680, Bl. 1–15r, Präsident der Ansiedlungskommission an das Staatsministerium, 22.1.1892.
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preußischer Regierung bestand eine doppelseitige, in ihrer Konsequenz gegenläufige Erwartungshaltung bezogen auf das wirtschaftliche Handeln, der das jeweilige Gegenüber nicht genügte. Grundbesitzerschaft und Staat beriefen sich beiderseits auf die Nation als Bezugsgröße, um den Aufbau eines moralischen Handlungsdrucks zu autorisieren. Dabei konkurrierte das individualistische Verständnis von Nation, das aus Sicht der Grundbesitzer eine Berücksichtigung ihrer Eigeninteressen rechtfertigte, mit dem kollektivistischen Verständnis der preußischen Regierung, das zum Wohl des »Deutschtums« als Ganzes nicht auf Partikularinteressen Einzelner eingehen dürfe. Es konkurrierten divergierende Vorstellungen zwischen Regierung und Grundbesitzerschaft, was die Nation ausmache und was sie zu leisten habe. Die Chiffre »Nation« fungierte als Projektionsfläche unterschiedlicher Bedürfnisse, der Begriff des »nationalen Inte resses« wurde gegensätzlich kodiert. Dass es nicht gelang, die Erwartungen beider Konfliktparteien zu integrieren, belastete das Verhältnis schwer: Wenige Monate nachdem Rudolf von Wittenburg das Amt des Präsidenten der Ansiedlungskommission übernommen hatte, musste er Anfang 1892 nach Berlin vermelden: »Die Enthaltung der Ansiedelungs-Kommission von der Erwerbung von Gütern aus deutscher Hand wirkt […] ungemein verstimmend auf die Kreise der deutschen Besitzer ein«.174 Diese »Verstimmung« sollte ein bestimmendes Moment der preußischen Siedlungspolitik werden. Roland Spickermann hat anhand eines ähnlichen Beispiels – den sogenannten Dispositionsfonds der Oberpräsidenten östlicher Provinzen zwecks Subventionierung der deutschen Stadtbevölkerung – auf den kontraproduktiven psychologischen Effekt hingewiesen, der sich bei der Bereitstellung staatlicher Mittel einstellte, von der eine Mehrheit nicht profitieren durfte: Die so Vernachlässigten begannen, »ihren Ärger und ihre Frustration gegen eine Regierung zu richten, die ihnen so wenig half.«175 Erst die Aussicht auf potenzielle finanzielle Mittel, die dann verwehrt wurden, führten zu Unmut gegenüber den Behörden und zu einer Entsolidarisierung. Beiden, Verwaltung und Grundbesitzerschaft, diente der Begriff der »Nation« demnach als Mittel, die jeweils eigenen Interessen zu legitimieren und das Gegenüber zu einer der jeweiligen Norm genügenden Handlung aufzufordern, wobei die Grundbesitzer aus einer inferioren Position argumentieren mussten. Zusammenfassend ist zu urteilen, dass der Konflikt zwischen Regierung und Großgrundbesitzer im Wesentlichen aus einer Umdeutung erwachsen war. Während die Regierung unter der Formel der »Stärkung des Deutschtums« die Nation als etwas Übergeordnetes verstand, bezogen die Großgrundbesitzer dies konkret auf sich. Der Rückgriff auf die Ankaufgesuche zeigte anhand der verwendeten Leitmotive der nicht verschuldeten Not, der geleisteten Bürgerdienste und der Zugehörigkeit zur deutschen Nation, dass die Schilderung der persön174 Ebd., Nr. 9596, Bl. 1–15r, das Zitat 2r, Präsident der Ansiedlungskommission an das Staatsministerium, 22.1.1892. 175 Spickermann, Einfluß, S. 58.
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lichen Hilflosigkeit nicht allein ein taktisches Moment war, sondern diese Forderung nach Förderung aus einer Hoffnung auf den Fürsorgestaat entsprang. Auf diese Hoffnung folgte Enttäuschung, da der Staat den Ankauf polnischen Großgrundbesitzes stets bevorzugte, den »polnischen Nachbarn« also zugestand, was den deutschen Gutsbesitzern verweigert wurde. Die Desintegration der deutschen Grundbesitzer war ein ganz und gar nicht intendierter Effekt der Ankaufpolitik.
1.3 Die vulnerable Nation: Polnische Reaktionen Beinahe zeitgleich mit der Gründung der Ansiedlungskommission unternahm die polnische Nationalbewegung erhebliche Anstrengungen, um polnischen Grundbesitzern wirtschaftliche Alternativen zu einem Verkauf an den preußischen Staat anzubieten. Den Gedanken, die polnische Nation mittels reger ökonomischer Aktivität zu stärken, gab es seit mehreren Jahrzehnten, nachdem die Aufstände gegen die Fremdherrschaft in der Mitte des Jahrhunderts blutig niedergeschlagen worden waren. Pläne, die Unabhängigkeit gewaltsam herbeizuführen, schienen durch die militärische Übermacht der Teilungsmächte und ihrer gegenseitigen Unterstützung aussichtslos und wurden für unbestimmte Zeit suspendiert. Stattdessen sah das neue Konzept der »organischen Arbeit« (Praca organiczna) vor, die Unabhängigkeit durch friedliche Maßnahmen wie der Förderung von Bildung und Wirtschaft vorzubereiten. Der gesetzliche Rahmen sollte tunlichst eingehalten werden, um der Teilungsmacht keine Argumente für weitere Repressionen zu bieten. Auf diese Weise entwickelte sich das Genossenschaftswesen mit wachsender Intensität seit den 1860er-Jahren. Es besaß seinen Ursprung in der Unterstützung von Handwerkern, wurde jedoch bald auf bäuerliche Kreise ausgedehnt.176 Seit den 1870er-Jahren wurde unter der Leitung Maksymilian Jackowskis ein breites Netz polnischer Bauernvereine gegründet. 1.3.1 Ökonomische Gegenwehr Bereits die ersten Verkäufe polnischen Bodens an die Ansiedlungskommission im Frühjahr 1886 ließen in der polnischen Presse Rufe nach Widerstand laut werden. Es dauerte nicht lange, bis erste Gegenmaßnahmen entwickelt waren: Im August 1886 wurde anlässlich einer Vorstandssitzung der Bank für Landwirthschaft und Industrie Kwilecki, Potocki u. Comp., bei der neben verschiedenen Großgrundbesitzern auch der Redakteur des Dziennik Poznański, der 176 Vgl. Böhning, S. 122–124.
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Zeitung des grundbesitzenden Adels, zugegen war, die Gründung einer Aktiengesellschaft zur Sicherung polnischen Bodens sondiert. Die Gründung eines solchen Instituts wurde zunächst noch verschoben, da der Wertverfall des Rubels die erwünschte Einwerbung von Kapital aus dem russischen Teilungsgebiet zu vereiteln drohte.177 Aus einem zweiten, von den preußischen Behörden aufmerksam beobachteten Vorbereitungstreffen im Oktober 1886178 resultierte binnen Jahresfrist die Gründung der Bank Ziemski als Aktiengesellschaft. Ihre Hauptaufgabe sollte darin bestehen, verschuldeten polnischen Großgrundbesitzern Kredit zu gewähren, Hypotheken zu regulieren und im Fall von Verkauf, Verpachtung oder Parzellierung zwischen den Interessensparteien zu vermitteln. Der vollständige Verkauf des Besitzes, wie ihn die Ansiedlungskommission praktizierte, stellte nur eine Möglichkeit der Besitzer zur Entschuldung dar. Eine andere bestand darin, dass Finanzinstitute dem verschuldeten Eigentümer die notwendigen Kredite zur Verfügung stellten, sodass er selbst einen Teil seines Besitzes parzellieren konnte. Dabei musste er zwar die strengen Auflagen der Kreditgeber erfüllen, wurde aber de facto auf seinem Gut belassen. Der Kauf und die Parzellierung von Grundbesitz durch die Bank selbst sollte dagegen nur eine untergeordnete Rolle spielen.179 Nichtsdestotrotz ließ die Bank verlautbaren – hierin glich sie der Ansiedlungskommission –, dass sie ihre Aufgabe nicht darin sehe, bankrotte Großgrundbesitzer zu retten – ein Signal, das sich insbesondere an Kritiker innerhalb der Nationalbewegung gerichtet haben dürfte, die dem städtischen Bürgertum angehörten.180 Die Liste der Gründungsmitglieder zeigt, dass die Bank vor allem als Selbsthilfeinstitut des polnischen Großgrundbesitzes gedacht war: Von den 30 anwesenden Personen gehörten allein 23 der Gruppe der Rittergutsbesitzer an; unter den übrigen Teilnehmern waren ein Rechtsanwalt, drei Kaufleute, zwei Fabrikbesitzer und ein Buchdruckereibesitzer, der zugleich der Verleger des Dziennik Poznański war.181 Dass die Aktien zu einem hohen Einzelpreis von je 1.000 Mark ausgegeben wurden, beweist ebenfalls, dass die Bank Ziemski von ihren Grün177 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9631, Bl. 7–8, Polizeipräsident von Posen an den Oberpräsidenten von Posen, 24.8.1886. Die Bank Kwilecki, Potocki u. Comp. war zunächst selbst auf dem Bodenmarkt vertreten, zog sich aber nach der massiven Kritik an dem Verkauf des 735 Hektar großen Rittergutes Radłowo an die Ansiedlungskommission im Jahre 1887 von diesem zurück. Insbesondere die Reputation des Direktors der Bank, Mieczysław Łyskowski, der maßgeblich an den Planungen der Bank Ziemski beteiligt gewesen war, hatte durch den Verkauf an die Ansiedlungskommission Schaden genommen. Vgl. Posener Zeitung, 8.1.1887, 9.1.1887; Magdeburgische Zeitung, 10.1.1887; Gazeta Toruńska, 11.1.1887; Przyjaciel, 11.1.1887. 178 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 77, Tit. 146 Nr. 62 Beiakte 2, Bl. 30–38r, Oberpräsident von Posen an den Innenminister und den Landwirtschaftsminister, 18.10.1886. 179 Vgl. Trzeciakowski, Pod, S. 203 f.; Bernhard, Polenfrage, S. 122–130, 488. 180 Vgl. Gazeta Toruńska, 22.7.1888. 181 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 77, Tit. 146 Nr. 62 Beiakte 2, Bl. 71–79, Gründung der Aktien gesellschaft Bank Ziemski in Posen, 11.11.1886; Bernhard, Polenfrage, S. 125, Anm. 1.
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dern als das Projekt einer finanzkräftigen, vorwiegend landwirtschaftlichen Elite angesehen wurde. Langfristig wurde ein Stammkapital von zehn Millionen Mark angestrebt; vorläufig begnügte man sich jedoch mit einem Gründungskapital von 50.000 Mark, das bis Herbst 1889 auf drei Millionen Mark erhöht werden sollte. Diese Erhöhung des Aktienkapitals stellte eine Herausforderung dar, deren Meisterung ohne die Unterstützung der polnischen Presse aussichtslos gewesen wäre. Ihr fiel nicht nur die Aufgabe zu, die Erwartungen der polnischen Öffentlichkeit zu dämpfen, die Bank Ziemski könne binnen kürzester Zeit der Ansiedlungskommission erfolgreichen Widerstand im großen Stil leisten.182 Viel wichtiger noch war, dass die Zeitungen immer wieder von neuem aufriefen, Aktien zu zeichnen, um das patriotische Werk zu unterstützen.183 Die Zeitungen dienten auch als Vermittler von Kleinanlegern, die die Mittel zum Erwerb einer ganzen Aktie nicht aufbringen konnten und sich als Anlegergemeinschaften zusammenschlossen. Oder die Zeitungen sammelten selbst Spenden zum Kauf einer Aktie, die dann einem wohltätigen Verein übertragen wurde. Fürsorglich dokumentierten die Zeitungen jeden noch so kleinen eingegangenen Betrag, der selten über ein paar Mark hinausging. Die in den polnischen Zeitungen genannten Kleinstspenden illustrierten medienwirksam den Aufopferungswillen bis in die untersten Gesellschaftsschichten. Dadurch vermittelten sie der Leserschaft, dass jedes Mitglied der polnischen Gemeinschaft – sei es finanzkräftig oder nicht – einen Beitrag zum vaterländischen Werk leisten könne.184 Indem laufend über neue Subskriptionen informiert wurde, beispielsweise durch ausländische Investoren aus den polnischen Gebieten Österreich-Ungarns oder Russlands oder der französischen Polonia, wurde Vertrauen einer breiten Anlegerschaft in die Rentabilität der Aktien vermittelt.185 Den gleichen Zweck erfüllte der Hinweis auf die große Nachfrage polnischer Bauern nach käuflichem Land.186 Gleichzeitig sollte die soziale Anerkennung, die die Anleger durch die Presse er-
182 Vgl. Gazeta Toruńska, 10.4.1887. 183 Vgl. etwa die Ausgabe der Gazeta Toruńska vom 7.7.1887, in der die Zurückhaltung gerade der adligen Familien beklagt wird. 184 Vgl. Pielgrzym, 19.3.1887, 7.4.1887; Dziennik Poznański, 19.4.1887, 1.3.1888; Gazeta Toruńska, 6.9.1887. Dass eine solche öffentliche Handhabung der Spendenaktion, genauso wie die Möglichkeit, durch Kollektivaktien breitere Schichten teilhaben zu lassen, von den Organisatoren gezielt geplant war, vgl. Behrendt, S. 745 f.; Schattkowsky, Nationalismus, S. 48. Kritiker der »Hofpartei« gegen die Sammelaktionen, die einem vom Adel gegründeten Institut zugutekamen, vgl. Orędownik, 20.5.1888 und Goniec Wielkopolski, 24.11.1889. Solche Aktionen waren offenbar auch geeignet Betrüger anzuziehen: 1898 wurde verschiedentlich vor einer Lotterie gewarnt, die vorgeblich zu dem Zweck Lose verkaufte, um von den Erlösen polnischen Boden zu retten. Gazeta Grudziądzka, 4.6.1898; Dziennik Kujawski, 5.6.1898. 185 Vgl. Posener Zeitung, 22.2.1887; Pielgrzym, 19.3.1887; Gazeta Toruńska, 7.7.1887. 186 Vgl. Posener Zeitung, 16.3.1887; Gazeta Toruńska, 7.7.1887; Dziennik Poznański, 10.8.1887.
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fahren haben, Anreize zur Nachahmung bei potenziellen Investoren schaffen.187 Informativer und appellativer Charakter der Zeitungsartikel lassen sich kaum voneinander trennen. Auch bei der späteren Aktienemission der Bank Ziemski in Höhe von 800.000 Mark 1895/96, die zunächst schleppend anlief, dann aber mit einer Überzeichnung schloss, spielte die Presse eine werbende Rolle.188 Fast ebenso wichtig war die Bekanntgabe in den Zeitungen, dass die Bank Ziemski überhaupt existiere und zu Vermittlungszwecken bei Kaufverhandlungen angerufen werden könne,189 bzw. wo sie dabei war Grundbesitz zu parzellieren und dadurch Bauern die Möglichkeit zum Erwerb einer Parzelle hatten.190 Die Presse übte somit als Informationsbörse eine wichtige Vermittlungsfunktion zwischen Parzellenkäufern und -verkäufern aus.191 Im August 1888 wurde schließlich mit Teodor Kalkstein eine Person zum Direktor der Bank gewählt, die durch Kreativität und Ideenreichtum erheblichen Einfluss auf die polnische Gegenwehr der folgenden Jahre üben sollte.192 Kalkstein war schon anderthalb Jahre zuvor beim Thorner Landwirtschaftstag mit einem Vortrag hervorgetreten, der eine innovative Idee propagierte.193 Noch davor hatte er Erfahrungen in der Parzellierung von Grundbesitz gemacht. Nun warb er für eine genossenschaftliche Organisation der Parzellierungsinstitute als Abwehrmaßnahme gegen die preußische Siedlungspolitik. Die Erwerber sollten gemeinsam als Genossenschaft mit solidarischer Haftplicht eine Besitzung kaufen. Bis zur Tilgung der Schulden der einzelnen Käufer, die etwa 15 bis 30 Jahre dauern sollte, waren die Genossen formell nur Pächter der Genossenschaft, ehe sie Eigentümer ihrer Parzelle wurden. Zu diesem Zweck gründete Kalkstein lokale Genossenschaften, 1887 in Wałdowo und 1888 in Pinczyn.194 Die unter der Aufsicht Teodor Kalksteins durchgeführten genossenschaftlichen Parzellierungen dieser in Westpreußen gelegenen Güter (Stanisławie wäre
187 Vgl. Posener Zeitung, 21.2.1887. 188 Vgl. Kuryer Poznański, 29.1.1896, 4.10.1896; Dziennik Polski, 25.3.1896; Dziennik Poznań ski, 3.12.1895, 3.1.1896, 28.7.1896; Goniec Wielkopolski, 6.12.1895. 189 Vgl. Przyjaciel, 22.2.1887. 190 Vgl. Gazeta Toruńska, 19.4.1887. 191 Vgl. Günzel, S. 65. 192 Teodor Kalkstein (1851–1905), Sohn Edward Kalksteins, der wegen Waffenschmuggels während des Januaraufstandes eine Haftstrafe verbüßt hatte, studierte Rechtswissenschaften und Nationalökonomie in Leipzig, Berlin und München und wurde 1874 mit einer gesellschaftspolitischen Studie über Adam Mickiewicz promoviert. Anschließend studierte er Agrarwissenschaften in Halle. Ab 1883 sammelte er erste eigene Erfahrungen durch die Parzellierung des ererbten Gutes in Preußisch Stargard (Westpreußen). Vgl. Wachowski; Zawadzka, S. 109–112; Gazeta Toruńska, 13.2.1887; Böhning, S. 201. 193 Der Inhalt dieses Vortrages fand eine weite Verbreitung durch die Presse: Gazeta Toruńska, 17.2.1887; Dziennik Poznański, 9.3.1887. Im russischen Teilungsgebiet erlangte der Vortrag Bekanntheit durch einen ausführlichen Bericht Józef Kirszrot-Prawnickis in einer Warschauer Zeitschrift: Kirszrot-Prawnicki. 194 Detailliert zur Parzellierung Pinczyns: Trzciński, S. 16–27; Belgard, S. 287–295.
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als drittes zu erwähnen) gewannen eine breite mediale Aufmerksamkeit.195 Für beide Güter berichteten die Zeitungen, in denen auch für den Vergabetermin inseriert worden war, von einer gesteigerten Nachfrage der polnischen Bevölkerung nach ländlichem Eigentum. Beide Unternehmungen galten als zukunftsträchtig, um durch Sesshaftmachung die weitere Abwanderung polnischer Landarbeiter nach Amerika zu verhindern, zudem wurde der Solidarisierungseffekt des Genossenschaftssystems gelobt. Die Zeitungen sahen es zudem als ihre Aufgabe an, über die Hindernisse zu berichten, die die Behörden insbesondere dem Unternehmen in Wałdowo in den Weg legten, dem die Parzellierungsgenehmigung unter Hinweis auf eine mangelhafte ökonomische Tragfähigkeit der Neusiedlung im Hinblick auf zukünftige Kommunallasten zunächst verweigert worden war.196 Weiter übernahmen Zeitungen die Aufgabe, ihre Leserschaft über Angebot und Nachfrage von Parzellierungen und von organisatorischen Fortschritten der Genossenschaftsmitglieder zu unterrichten, nicht zuletzt zu Werbezwecken.197 Mindestens ebenso wichtig war ein Leserbrief, der im November 1887 im Przyjaciel abgedruckt wurde, und der mutmaßlich fingiert, ein »Ideenschmuggel« der Redaktion war:198 In dem Brief erkundigte sich ein polnischer Landwirt nach der Funktionsweise der neuen Genossenschaftsparzellierung, woraufhin die Redaktion minutiös das Vorgehen der Genossenschaft, die rechtlichen Grundlagen des Vorgangs und die Vorzüge für die Genossenschaftsmitglieder darlegte. Solche Artikel verfolgten eine pädagogische Absicht, indem sie die Leserschaft von der Nützlichkeit der genossenschaftlichen Parzellierung überzeugen und zur Mitgliedschaft anregen sollten.199 Durch diese Parzellierungsvorhaben hatte sich Kalkstein einen Ruf als Fachmann gesichert, der es ihm erlaubte, 1888 das Direktorat der Bank Ziemski zu übernehmen. Auch hier fuhr er in genossenschaftlicher Weise fort, nachdem die Bank Ziemski 1889 1.174 Hektar und 1890 2.001 Hektar parzelliert, damit aber ihre liquiden Finanzmittel festgelegt hatte. Kalkstein gründete deswegen zwei weitere Genossenschaften, die Spółka Ziemska in Posen 1890 und 1891 eine gleichnamige Genossenschaft in Thorn, beide eng mit der Bank Ziemski verbunden und gewissermaßen deren verlängerte Arme. Diese neuen Parzellierungsgenossenschaften unterschieden sich in ihrer Organisation von den Landkaufgenossenschaften älteren Schlags in der Form, dass die Genossenschaften in Wałdowo und Pinczyn noch zum Erwerb und der Parzellierung jeweils eines 195 Auch die Ansiedlungskommission hatte Interesse am Ankauf von Wałdowo bekundet, kaufte das Gut aber wegen des Vetos des Staatsministeriums nicht. Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9680, Bl. 122–123, Präsident der Ansiedlungskommission an das Staatsministerium, 23.12.1887. 196 Vgl. Przyjaciel, 21.7.1887, 11.9.1888; Gazeta Toruńska, 3.11.1887; Kuryer Poznański, 5.8.1888; Dziennik Poznański, 28.11.1888. 197 Vgl. Goniec Wielkopolski, 5.6.1887; Pielgrzym, 11.10.1887; Gazeta Toruńska, 13.11.1887; Wielkopolanin, 14.10.1887; Przyjaciel, 5.7.1888. 198 Vgl. zur journalistischen Praxis fingierter Leserbriefe Mlitz, S. 194 f., 205–207. 199 Vgl. Przyjaciel, 3.11.1887.
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einzelnen Objektes gegründet waren. Auf lange Sicht hin schufen sich diese beiden Genossenschaften gewissermaßen selbst ab, indem der von ihnen parzellierte Boden in den Privatbesitz der einzelnen Genossen überging. Die neuen Parzellierungsgenossenschaften hingegen, die Spółki Ziemskie, verstanden sich als dauerhaft wirtschaftende Unternehmen, die mehrere Objekte erwarben und die Parzellierung durchführten.200 Die Gründung der beiden Spółki Ziemskie erlaubte es der Bank Ziemski nicht nur, aus der Liquiditätskrise zu kommen, sondern sie schufen noch bei einer weiteren Schwierigkeit Abhilfe: In Fällen, in denen die Bank nicht selbstständig, sondern im Auftrag eines Grundbesitzers für diesen das Land parzellierte, war die Bank vom Besitzer abhängig geblieben. Hierbei war es nicht selten zu Interessengegensätzen zwischen der Bank und ihrem Auftraggeber gekommen, da die Bank eine dauerhafte, langanhaltende Siedlung der Parzellennehmer beabsichtigte, während die Grundbesitzer das Ziel einer kurzfristigen Gewinnmaximierung verfolgten, die zulasten der Parzellennehmer gehen konnte. Da den beiden neu gegründeten Genossenschaften ausreichend Mittel zur Verfügung standen, verzichteten sie auf die Möglichkeit einer Auftragsparzellierung, sondern erwarben die Besitzungen und besaßen somit freie Verfügungsgewalt. Indem sie zu Eigentümern des Besitzes wurden, erhielten die Genossenschaften zudem leichter Kredit bei Dritten, sodass die finanziellen Mittel weniger stark gebunden waren und für weitere Projekte eingesetzt werden konnten. Überdies wurde durch das Prinzip der Risikostreuung in der Genossenschaft der Fall der gläubigerseitigen Hypothekenkündigung unwahrscheinlicher, weil die Genossenschaften als solventere Schuldner galten als einzelne Grundbesitzer. Während die Bank Ziemski früher praktisch die gesamte Kaufsumme aufwenden musste, war nach dem neuen Verfahren nur noch die Differenz von Kaufsumme und Hypothekenschuld zu zahlen. Dadurch verdreifachte sich innerhalb kürzester Zeit die Zahl der Transaktionen.201 Finanzielle Unterstützung für diese Revitalisierung des Parzellierungsgewerbes erhielten die polnischen Genossenschaften von unerwarteter Seite: vom preußischen Staat. Als sozialpolitisches Mittel anerkannt, sollte auch privaten Parzellierungen das Prinzip des Rentenguts ermöglicht werden. Mit den Gesetzen vom 27. Juni 1890 und 7. Juli 1891 gewährte der preußische Staat zu diesem Zweck Kredite, die von den Generalkomissionen verwaltet wurden.202 Von 200 Vgl. ebd., S. 279; Wegener, S. 185–188. 201 Vgl. Trzciński, S. 27–36. 202 Bis Ende 1913 wurden auf diese Weise in ganz Preußen rund 21.000 Rentengüter gebildet, wobei das Zentrum in fünf der sechs östlichen Provinzen lag (Pommern: 4.386, Ostpreußen: 3.569, Westpreußen: 3.360, Posen: 2.404, Schlesien: 1.602), sie aber auch in Westfalen (1.586) und Schleswig-Holstein (1.321) vertreten waren. Zeitlich lag der Schwerpunkt Anfang und Mitte der 1890er-Jahre und anschließend in den Jahren nach 1908 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Vgl. Rentengutsbildung in Preußen nach dem Gesetze vom 7. Juli 1891 bis Ende 1913, in: Zs. des königlich Preußischen Statistischen Landesamtes 55 (1915), S. LVII.
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diesen Krediten, in Westpreußen und Posen durch die Generalkommission in Bromberg vermittelt, profitierten nun insbesondere die polnischen Genossenschaften. Bis Ende 1898 gingen 55 Prozent der von der Generalkommission vermittelten Rentenstellen an polnische Bauern.203 Diese Politik stand offensichtlich im Konflikt zur Vermehrung deutscher Bauernstellen durch die Ansiedlungskommission. Der neutralisierende Effekt der Generalkommission auf die Tätigkeit der Ansiedlungskommission war auch Gegenstand eines in polemischen Ton gehaltenen Zeitungsartikels, der im Frühjahr 1894 unter dem Titel »Der preußische Staat als Polonisator« in den Alldeutschen Blättern erschienen war, dem Verbandsorgan des radikalnationalen Alldeutschen Verbandes. Urheber dieser Philippika war ein junger Verwaltungsbeamter namens Alfred Hugenberg, der wenige Monate zuvor seine Staatsprüfung unter anderem mit einer schriftlichen Arbeit über die Rentengutsgesetze von 1890/91 bestanden und sich sogleich um eine Versetzung an die Ansiedlungskommission bemüht hatte. Das Ansinnen war zunächst zurückgewiesen, eine Woche nach Erscheinen des Artikels dann aber vom Innenminister positiv beschieden worden, wodurch Hugenberg »binnen kurzem […] zur rechten Hand v. Wittenburgs«204 aufstieg. Da der Artikel in den Alldeutschen Blättern anonym publiziert wurde, scheint ein direkter Zusammenhang zwischen Artikel und Versetzung indes fraglich.205 Doch auch in der Ansiedlungskommission wurde die Ansicht vertreten, dass die Rentengutsgesetzgebung der Jahre 1890/91 die im Niedergang oder wenigstens in einer Liquiditätsfalle befindliche Bank Ziemski gerettet habe.206 Zudem hatte die Erleichterung der Privatparzellierung den 203 Vgl. Stępiński, S. 333. An gleicher Stelle zählt Stępiński 2.292 Bauern, die polnische Genossenschaften zwischen 1891 und 1897 angesiedelt hätten. Auf einer Sitzung des Staatsministeriums im Frühjahr 1898 wurde die Zahl der durch die Generalkommission vermittelte Neusiedlungen hingegen auf 1.423 beziffert, zu denen noch 369 »Adjazentenparzellierungen« hinzutraten, d. h. die Parzellen an Bauern aus der Nachbarschaft vergeben wurden. Die abweichenden Zahlen lassen darauf schließen, dass sich die polnischen Genossenschaften nicht ausschließlich der Generalkommission bedienten. Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3591, Bl. 100–106r, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 19.3.1898. Zum Verfahren der Generalkommission: Bernhard, Polenfrage, S. 500–514. 204 Holzbach, S. 30–42, das Zitat 31. 205 Vgl. Alldeutsche Blätter, 15.4.1894. GStA PK, I. HA Rep. 77, Personalakten, Nr. 1257. Hugenberg war Mitgründer des Alldeutschen Verbandes im Jahr 1891, der die Kolonial- und die Polenpolitik der Caprivi-Regierung als unzulänglich kritisierte. Seine 1888 eingereichte Dissertation im Fach Volks- und Staatswissenschaften hatte die »Innere Colonisation im Nordwesten Deutschlands« zum Thema und plädierte für eine Parzellierung des Großgrundbesitzes zur Lösung der sozialen Frage. Auch nach dem Ende der »Versöhnungsära« 1894 blieb Hugenberg regierungskritisch. 1896 erschienen unter dem gleichen Titel sieben weitere Artikel in den Alldeutschen Blättern. Vgl. Holzbach, S. 21–27. Zur ambivalenten Haltung der Nationalliberalen gegenüber der Rentengutsgesetzgebung vgl. Münstermann, S. 43 f.; Grabowski, Nationalismus, S. 56, Anm. 194. 206 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9588, Bl. 37–55, Protokoll der Sitzung der Ansiedelungs-Kommission, 30.10.1894.
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Effekt, dass weniger polnische Grundbesitzer ihr Eigentum der Ansiedlungskommission anboten.207 Doch gelangte etwa zeitgleich der Nationalökonom Edward Trzciński in seiner bei dem linksliberalen Kritiker der preußischen Agrarpolitik Lujo Brentano entstandenen Doktorarbeit zu der Beobachtung, dass die polnischen Kreditinstitute dazu übergingen, neue Parzellen nicht mehr als Rentengüter, sondern wieder vermehrt auf genossenschaftlicher Grundlage zu vergeben. Als wesentliche Ursachen nannte er zum einen die seit dem Regierungswechsel 1894 als Teil der neuen Polenpolitik in ihren Entscheidungen wieder restriktiver verfahrende Generalkommission, die sich nun mehr und mehr in Größe und Verkaufspreis der Parzellen und in das Nationalitätenverhältnis der Parzellennehmer einzumischen begann, und zum anderen das 1896 für Rentengüter eingeführte Anerbenrecht, das der polnischen Lebensrealität zuwiderlaufe, wonach die polnischen Söhne entweder in die Industriebezirke des Westens abwanderten, oder aber Vater und Söhne gemeinschaftlich die Stelle bewirtschafteten.208 Die Nachfrage nach Bauernland und die staatliche Kreditförderung erlaubten Mitte der 1890er-Jahre eine Expansion des Genossenschaftswesens. 1896 wurde in Ołobok im Posener Kreis Ostrowo eine weitere Spółka Ziemska durch die Bank Ziemski gegründet. Bereits 1894 war in Posen die Spółka Rolników Parcelacyjna gegründet worden.209 Als Kreditgeber fungierte hier nicht die Bank Ziemski, sondern der Związek Spółek Zarobkowych i Gospodarczych (Verband polnischer Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften), genauer: die ihm angeschlossene Bank Związku Spółek Zarobkowych (Bank des Verbands der Erwerbsgenossenschaften).210 Ihr Schwerpunkt lag nicht im Kauf und der Parzellierung von Großgrundbesitz, sondern im Kauf und Verkauf von Bauernwirtschaften. Dadurch trat sie in eine Art »Arbeitsteilung«211 mit den Tochterinstituten der Bank Ziemski ein, obgleich hieraus nicht auf eine konzertierte Aktion geschlossen werden darf – potenziell waren die polnischen Organisationen ökonomische Konkurrenzinstitutionen, die nicht nur nationale, sondern auch marktwirtschaftliche Zielsetzungen erfüllen mussten. 1896 trat Ignacy Sikorski 207 Vgl. ebd., Bl. 57–72r, Protokoll der Sitzung der Ansiedelungs-Kommission, 18.1.1895. Aufgrund der Vorteile, die das polnische Parzellierungswesen aus der neuen Gesetzgebung zog, ist die Forschung zuweilen zu dem Urteil gelangt, dass die Rentengutsgesetzgebung in eine Reihe mit anderen Maßnahmen der »Versöhnungspolitik« unter Caprivi zu stellen sei. Vgl. dazu zum Beispiel: Tims, S. 20; Balzer, S. 30; Kozłowski, S. 216 f. Richard Blanke hat indes gezeigt, dass die Gesetze von der preußischen Regierung nicht als Konzession gegenüber der polnischen Minderheit intendiert waren und von der polnischen Fraktion auch nicht als solche angesehen wurden. Blanke, Prussian, S. 128 f.; Kaminski, Publicists, S. 71 f. 208 Vgl. Trzciński, S. 48–54. 209 Zur medialen Bekanntmachung u. a. Goniec Wielkopolski, 16.3.1894; Postęp, 19.9.1894. 210 Zur Tätigkeit und Entwicklung der Verbandsbank, die das finanzielle Zentrum des polnischen Genossenschaftswesens in Posen darstellte, siehe ausführlich: Sitarek. 211 Trzciński, S. 36.
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aus dem Vorstand der Spółka Rolników Parcelacyjna aus, um im Folgejahr mit der Bank Parcelacyjny eine weitere Parzellierungsgenossenschaft in Posen zu gründen.212 Zeitgenossen sagten ihm erhebliche Geschäftstüchtigkeit nach: Nun beginnt Sikorski mit Reklame, Inseraten in polnischen und deutschen Zeitungen, Affichen usw. die verborgene Lust zum Verkauf der Güter anzuregen; er pflegte in lärmender Weise zum Güterverkauf dringend einzuladen. Damit aber konnte er den Gütermarkt so übersehen, wie es früher, ohne Meldungen der Verkaufslustigen, wenn man nur auf Agenten angewiesen war, nicht möglich gewesen wäre.213
Diese marktschreierischen Praktiken waren in der polnischen Öffentlichkeit zunächst auf Widerstand gestoßen, dann aber von den übrigen Instituten vielfach übernommen worden. Sikorskis Unternehmensstrategie war es, mit dem Versprechen hoher Dividenden Anleger anzuziehen. Die Vergabe des Bodens fand überwiegend als Adjazentenparzellierung statt, d. h. die Nachbarn des Gutes kauften sich Land dazu. Der verbleibende Boden wurde als Restgut verkauft. Den Genossenschaften kam zugute, dass die Führer wirtschaftlicher Organisationen, darunter viele Geistliche, oftmals auch andere Ämter im öffentlichen Leben ausübten.214 Roland Spickermann ging so weit, durch das Mehrfach engagement von einer »monolithic Polish community«215 zu sprechen, so personell eng verschränkt waren die verschiedenen lokalen und regionalen Organisationen gesellschaftlicher, wirtschaftlicher oder religiöser Art. Insbesondere das von Klerus und grundbesitzendem Adel ausgeübte Patronat in den polnischen Landwirtschaftsvereinen des 19. Jahrhunderts ist durch die Forschung hinreichend bearbeitet worden.216 Dass auch das Genossenschaftswesen im ostmitteleuropäischen Raum vor dem Ersten Weltkrieg erheblich zur Nationalisierung beigetragen hat, erkannte bereits die zeitgenössische Nationalökonomie und strich später auch noch einmal die historische Forschung heraus.217 1.3.2 Mediale Gegenwehr Wie schon im Fall der Bank Ziemski kam den polnischen Zeitungen auch bei der Gründung der Genossenschaften eine herausragende Stellung zu, indem sie als Werbeträger Mitglieder gewannen. Aber auch die Artikel über die Generalversammlungen, insbesondere wenn der jährliche Rechenschaftsbericht vorge212 Mit Geschäftszahlen: Wegener, S. 189. 213 Zawadzka, S. 118 f. Vgl. auch Bernhard, Polenfrage, S. 515–527. 214 Vgl. ebd., S. 151–154 (»Personalunion als Organisationsprinzip«); Lorenz, Nationalismus, S. 669 f. 215 Spickermann, Contradictions, S. 202. Böhning hat am westpreußischen Beispiel die Wurzeln dieses Organisationswesens bis ins frühe 19. Jahrhundert zurückverfolgt. 216 Vgl. ebd., S. 115–122; Molik, Landwirtschaftsvereine. 217 Vgl. Lorenz, Cooperatives; ders., Nationalismus.
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stellt wurde, waren eine Mischung aus Information über und Werbung für die jeweilige Institution. Es darf dennoch nicht davon ausgegangen werden, dass die polnische Öffentlichkeit den Parzellierungsgenossenschaften kritiklos gegenüberstand. Kritik konnte laut werden, wenn die Genossenschaft sich selbst normwidrig verhielt; so scheute sich Ignacy Sikorski beispielsweise nicht, für seine Bank Parcelacyjny auch in deutschen Zeitungen zu inserieren und an Deutsche zu verkaufen.218 Genossenschaften konnten sich aber auch Kritik einhandeln, wenn sie nicht aktiv wurden: So wurde etwa 1896 die Besitzerin von Topolno trotz ihres Verkaufs an die Ansiedlungskommission vom Vorwurf des »nationalen Verrats« freigesprochen, weil sie sich zum Verkauf an polnische Genossenschaftsbanken und dies zu erheblich ungünstigeren Konditionen bereit erklärt hatte. Bank Ziemski und Spółka Ziemska zögerten jedoch, das Gut zu erwerben. Der Landrat des Kreises Schwetz, in dem Topolno lag, galt als besonders polenfeindlich, sodass eine Verweigerung der notwendigen Ansiedlungserlaubnis als wahrscheinlich galt. Ohne diese war aber eine Parzellierung aussichtslos, die Investition verloren. Da die Ansiedlungskommission schließlich das Gut kaufte, brach ein Sturm der Entrüstung los, da die polnischen Institute ihren Aufgaben nicht gerecht wurden. Auf die Hilfe der Genossenschaften, so der Tenor, sei in Zukunft nicht mehr zu rechnen, sondern die Rettung des Bodens müsste zukünftig wieder von Privatleuten übernommen werden.219 Gleichwohl konnten die polnischen Parzellierungsinstitute, trotz einiger Rückschläge, innerhalb weniger Jahre beachtliche Erfolge vorweisen. Bis Mitte 1896 hatte die Bank Ziemski 11.962 Hektar unter 1.073 Bauern parzelliert, darüber hinaus die Spółki Ziemskie in Posen und Thorn, die Genossenschaft in Pinczyn und die Spólka Rolników Parcelacyjna bis 1895 weitere 7.200 Hektar.220 Diese Zahlen wären gewiss geringer ausgefallen, wären die Parzellierungsinstitute auf eine bloße Preiskonkurrenz mit der Ansiedlungskommission angewiesen gewesen. Mindestens ebenso wichtig waren die parallel laufenden Moralisierungsprozesse: Fast zeitgleich mit den ersten Ankäufen polnischer Güter bildete sich in der polnischen Öffentlichkeit eine Praxis sozialer Ausgrenzung heraus, die Rudolf Jaworski zutreffend als »Maßregelung unzuverlässiger Landsleute«221 bezeichnet hat. Für Polen, die ihre Güter an die Ansiedlungskommission verkauften, bedeutete dies die soziale Isolation.222 Bereits 1888 bat Otto von Bismarck in einem Immediatschreiben an Wilhelm I. um Unterstützung für die polnische Gräfin Marie Bnin-Bnińska. Diese hatte nach dem Tod ihres Mannes ihr hochverschuldetes Rittergut Żerniki verkaufen müssen und stand vor 218 Vgl. Bernhard, Polenfrage, S. 523 f. 219 Vgl. Gazeta Gdańska, 11.8.1896, 10.10.1896; Gazeta Toruńska, 11.10.1896; Goniec Wielkopolski, 8.10.1896, 18.10.1896. Zum Urteil über den Landrat Gerlich, vgl. Dziennik Poznański, 21.12.1897; Gazeta Grudziądzka, 21.12.1897; Bernhard, Polenfrage, S. 526. 220 Vgl. Kuryer Poznański, 4.10.1896; Trzciński, o. S. 221 Jaworski, Handel, S. 86. 222 Vgl. Eddie / Kouschil, Ethnopolitics, S. 17 f.
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dem finanziellen Ruin. Rückhalt in der Familie gebe es keinen, sie werde wegen des Verkaufs vielmehr »angefeindet und lebt fast isolirt«.223 Es bildete sich eine nationalisierende Moralisierung in der polnischen Nationalbewegung heraus: Polen sollten weder an die Ansiedlungskommission noch an deutsche Privatleute verkaufen. Andernfalls drohte ihnen die soziale Isolation. Leichter als solche unmittelbaren Praktiken sozialer Exklusion lassen sich in den Quellen die Ausgrenzungsdiskurse fassen, etwa in den Reden polnischer Abgeordneter im Reichstag und in beiden Kammern des preußischen Landtages. Dass die polnischen Fraktionen das Ansiedlungsgesetz rundheraus ablehnten, verwundert nicht. Im März 1896 brachten die polnische und die Zentrumsfraktion im Abgeordnetenhaus gemeinschaftlich den Antrag zur Abschaffung des Ansiedlungsgesetzes ein, der aber nicht genügend Unterstützer fand.224 Es war verständlicherweise nicht die Idee, einer breiteren Bevölkerungsschicht den Zugang zu Grundbesitz zu ermöglichen, den die polnischen Abgeordneten missbilligten, sondern der Umstand, dass polnische Bürger vom Erwerb von Parzellen ausgeschlossen wurden, die einseitige Beschränkung auf den Ankauf polnischen Grundbesitzes, die Förderung der evangelischen Konfession in katholisch geprägten Landesteilen und nicht zuletzt die Finanzierung des antipolnischen Projektes durch Steuergelder, zu denen auch die polnischen Bewohner Preußens ihren Beitrag leisten mussten.225 Gelegenheit zur Aussprache boten die Beratungen über den Jahresbericht der Ansiedlungskommission, der in der Regel im Frühjahr eines jeden Jahres den Abgeordneten vorgelegt wurde. Regelmäßig bekundeten Vertreter der polnischen Fraktion ihre Empörung über jene Landsleute, die sich zum Verkauf ihrer Güter hatten bewegen lassen, anstatt den heimatlichen Boden zu verteidigen. Da diese Kritik von ihren deutschen Kollegen mit der Begründung heruntergespielt wurde, die polnischen Großgrundbesitzer würden für den Verkauf ihres Landes gut bezahlt, dienten die Debatten den polnischen Abgeordneten auch als Gelegenheit, Kritik an ihren Landsleuten zu üben. So erklärte der polnische Abgeordnete Ludwik Jażdżewski 1891: 223 Otto von Bismarck an Wilhelm I., 20.2.1888, in: Bismarck, Werke, Bd. 8, S. 59–61, das Zitat 61. Dieser Vorgang zeigt auch, dass sich Bismarcks Politik zwar gegen die polnische Minderheit in Gänze richtete, dies jedoch Unterstützungsmaßnahmen in Einzelfällen nicht ausschloss. 224 Vgl. Huber, S. 499. 225 Im ritualisierten Argumenteaustausch wurde der Umstand, dass die Ansiedlungskommission mit Steuergeld operierte, von der polnischen Fraktion wiederholt vorgetragen, da auf diese Weise die polnische Minderheit indirekt die gegen sie gerichtete Politik mitfinanzierte. Vgl. etwa StenBerAH 1891, S. 2104, Sitzung vom 2.5.1891 (Abg. Jażdżewski); StenBerAH 1893, S. 1407, Sitzung vom 7.3.1893 (Abg. Brodnicki); StenBerAH 1896, S. 1317, Sitzung vom 12.3.1896 (Abg. Brodnicki); StenBerAH 1902, Sp. 4286, Sitzung vom 16.4.1902 (Abg. Brodnicki); GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9615, Bl. 243–247, Protokoll der Sitzung der Budgetkommission des Hauses der Abgeordneten, 18.3.1914 (Abg. Trąmp czyński).
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Es ist richtig, es wurden für den Grund und Boden hie und da ziemlich anständige Preise gezahlt, aber gerade durch das Zahlen derselben haben Sie nicht erlangt, was Sie erlangen wollten, nämlich […] die Polen materiell zu schädigen. Sie haben sie allerdings finanziell nicht ruinirt, aber moralisch haben Sie dieselben geschädigt. Ich kann damit nicht zurückhalten, sondern ich muß es frei heraussprechen, daß das moralische Niveau bei einem Polen, der sein Gut mitunter ohne alle Noth an die Ansiedelungskommission verkauft, in meinen Augen ein sehr geringes ist. Denn wenn ein Pole die Güter, die seine Väter Jahrhunderte lang besaßen […], an den Staat leichten Herzens verkauft […], so beweist das, daß ein solcher Verkäufer mit einem moralischen Defekt behaftet ist, der uns das Schamgefühl ins Gesicht treibt.226
Die Norm, als Pole nicht an Deutsche zu verkaufen, zumal wenn keine finanzielle Notwendigkeit vorlag, wurde als selbstverständlich dargestellt; die Devianz nur durch eine fehlende Verinnerlichung der Norm, einen »moralischen Defekt« erklärlich. Als politische Autoritäten besaßen die Aussagen der Abgeordneten ein besonderes Gewicht, waren sie doch immerhin Sprachrohr der polnischen Minderheit in Preußen und galten als Träger der polnischen Nation. Solche Reden waren nicht nur für den Plenarsaal, sondern auch für den außerparlamentarischen Resonanzraum bestimmt. Parlament und Presse müssen als interrelational verknüpfte Arenen in den Blick genommen werden. So fand die oben erwähnte Rede Jażdżewskis vom 2. Mai 1891 mit einer redaktionell bedingten Verzögerung von drei Tagen ihren Weg in die Spalten der großen polnischen Zeitungen. Dadurch wurde seine Kritik teils durch Paraphrase, teils durch wörtliche Wiedergabe in einen breiteren Rezipientenkreis getragen.227 In der polnischen Öffentlichkeit übten die politischen Meinungsführer von Beginn der preußischen Siedlungspolitik an eine scharfe Kritik an denjenigen Landsleuten, die den väterlichen Boden an den »nationalen Gegner« verkauft hatten. Dies ist umso bemerkenswerter, weil die Abgeordneten selbst mehrheitlich Großgrundbesitzer gewesen sind. Blickt man auf das Sozialprofil der Mitglieder beider polnischer Fraktionen im Reichstag und dem preußischen Abgeordnetenhaus, dann fällt auf, dass sich die überwältigende Mehrzahl aus der Gruppe der adligen Großgrundbesitzer rekrutierte. In der Reichstagsfraktion waren nach den Wahlen von 1887 nahezu alle, nämlich 12 der 13 Mandate, von Großgrundbesitzern übernommen worden,228 1898 waren es immerhin noch 8 der 226 StenBerAH 1891, S. 2104, Sitzung vom 2.5.1891; Hervorh. im Orig. Zu der Debatte 1891 allgemein: Jakóbczyk, Komisja, S. 41–43. Vgl. auch den beinahe wortgleichen Redebeitrag des polnischen Abgeordneten Brodnicki im Jahr 1902: StenBerAH 1902, Sp. 4290, Sitzung vom 16.4.1902. 227 Vgl. Dziennik Poznański, 5.5.1891; Kuryer Poznański, 5.5.1891; Postęp, 5.5.1891; Orędownik, 5.5.1891. 228 Vgl. die Einträge in: Deutscher Parlaments-Almanach, 16. Jahrgang, Leipzig 1887. Zu den Grundbesitzern wurde hier auch Teofil Magdziński gezählt, der im Almanach unter »früher Gutsbesitzer, jetzt Rentner in Bromberg« firmierte, vgl. ebd., S. 189. Siehe für dies und das Folgende dagegen die leicht abweichenden Zahlen bei Volkmann, S. 183.
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14 Mandate.229 Die Fraktion hatte sich im Laufe der Zeit zunehmend auch Angehörigen der freien Berufe geöffnet, sodass neben dem Fabrikbesitzer Stefan Cegielski auch ein Rechtsanwalt und ein Arzt zu den Abgeordneten gehörten. Zwei Geistliche und ein Amtsgerichtsrat erweiterten den Kreis der Mandatsträger. Im Abgeordnetenhaus hingegen gehörten nach den Wahlen 1886 47 Prozent der Abgeordneten, 1894 noch 41 Prozent der Gruppe der Großgrund- und Rittergutsbesitzer an.230 Der Klerus bildete die zweite Säule. Nur vereinzelt gab es Abgeordnete, die bürgerlichen Berufen nachgingen. Wenig anders sah die soziale Zusammensetzung in den Kreis- und Provinzialausschüssen aus, die den Kandidaten ermitteln und seine Wahl vorbereiten sollten. Überdies begünstigte das Wahlreglement die Auswahl Adliger als Kandidaten und wurde erst 1903 geändert.231 Die Übernahme von Mandaten stellte für den polnischen Adel eine der wenigen Möglichkeiten dar, soziale Anerkennung zu erwerben, da eine Laufbahn in der preußischen Verwaltung und im Militär lediglich bedingt möglich war.232 Zugleich ermöglichte der Großgrundbesitz die ökonomische Ausgangsbasis, um politische Führungsämter übernehmen zu können.233 Indem die polnischen Abgeordneten ihre Kritik gegen ihre Landsleute und damit potenzielle Wähler richteten, wandten sie sich in der Regel zugleich auch gegen adlige Standesgenossen. Der polnische Großgrundbesitz der Ansiedlungsprovinzen war adlig dominiert. So waren beispielsweise noch im Jahre 1910 im Regierungsbezirk Bromberg 77,5 Prozent der polnischen Rittergüter in adligem Besitz. Als Ursache für den hohen Anteil polnischer adliger Großgrundbesitzer lässt sich anführen, dass historisch betrachtet die polnisch-litauische Adelskultur der szlachta einen höheren Anteil an der Gesamtbevölkerung ausmachte als in anderen Adelslandschaften.234 Witold Molik macht darüber hinaus die öko-
229 Vgl. die Einträge in: Amtliches Reichstags-Handbuch, Legislaturperiode 1898/1903, Berlin 1898. Zu den Grundbesitzern wurde hier auch Leon Czarliński gerechnet, dessen Eintrag 1898 lediglich noch »Rentier in Thorn« lautete. Vgl. ebd., S. 166. 230 Vgl. Handbuch für das Preußische Haus der Abgeordneten. Ausgabe: Januar 1886, Berlin 1886; Handbuch für das Preußische Haus der Abgeordneten. Ausgabe: Januar 1894, Berlin 1894. Bei den Zahlen fällt auf, dass der polnische Adel seine Vormachtstellung in dem nach dem gleichen Wahlrecht gewählten Reichstag länger zu behaupten vermochte als in dem nach Dreiklassenwahlrecht gewählten Abgeordnetenhaus. Hans Pfeiffer begründet dies mit dem Umstand, dass die polnischen Magnaten als erbliche Herrenhausmitglieder durch Verfassungsbestimmung von der Wahl zum Abgeordnetenhaus ausgeschlossen waren und somit die Abgeordnetenhausfraktion stärker als die Reichstagsfraktion vom »Kleinadel« durchsetzt war, der einer Demokratisierung der politischen Interessensvertretung aufgeschlossener gegenüberstand. Pfeiffer, S. 37 f. 231 Vgl. Kotowski, Staatsräson, S. 52 f. 232 Vgl. ebd., S. 48; Rajch, S. 16; Molik, Assimilation, S. 83 f. 233 Vgl. Stein, S. 237. 234 Hundert Jahre vor der Gründung der Ansiedlungskommission betrug der Anteil des Adels an der Gesamtbevölkerung in Polen-Litauen 7,5 Prozent, in Deutschland hingegen 0,5 Prozent (Preußen 1,0), Frankreich und Großbritannien jeweils 1,0 Prozent, Russland
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nomische Struktur der östlichen Provinzen – landwirtschaftlich geprägt, wenig industrialisiert – dafür verantwortlich, dass sich nur mit Verzögerung ein polnischer bürgerlicher Mittelstand entwickeln konnte, der zum Erwerb von Rittergütern fähig gewesen wäre.235 Die Kritik der Abgeordneten an den mehrheitlich adligen polnischen Großgrundbesitzern erschien umso problematischer, da die polnische Minderheit überproportional vom preußischen Dreiklassenwahlrecht benachteiligt war. Sie gehörte überwiegend der dritten Klasse an und daher stellte besonders die wohlhabende Schicht der Grundbesitzer als Angehörige der ersten Klasse ein wichtiges Wählerreservoir dar.236 Aufgrund ihrer überschaubaren Zahl an Abgeordneten war der Einfluss der polnischen Fraktionen in den Parlamenten verhältnismäßig gering. Im Untersuchungszeitraum schwankte die Zahl der polnischen Mandatsträger im preußischen Abgeordnetenhaus zwischen 12 und 17 von insgesamt rund 440 und für den deutschen Reichstag zwischen 14 und 20 von etwa 400 Sitzen. Solche Fraktionen waren zu klein, um in nennenswerter Weise in den politischen Entscheidungsprozess einzugreifen. Die einzige Ausnahme war die Zeit der »Versöhnungsära«237 1890–1894 unter der Kanzlerschaft Caprivis, als die polnische Reichstagsfraktion das regierungsstützende »Zünglein an der Waage« war.238 Im Wesentlichen nutzten die polnischen Fraktionen die Parlamente als Foren, um die Öffentlichkeit über die Diskriminierung der polnischen Minderheit zu informieren und Härten der Minderheitenpolitik anzuprangern. Dabei waren die Positionen der polnischen Abgeordneten, gerade in der Ära Caprivis, keineswegs einheitlich: Politiker wie der Fraktionsvorsitzende im Reichstag, Józef Kościelski, oder auch Ferdynand Radziwiłł unterstützten den Kurs der Regierung, während andere wie der bereits genannte Ludwik Jażdżewski, aber auch Leon Czarliński und Stanisław Motty jedwede Kooperation ablehnten und in 1,5, Spanien 3,6. Vgl. Wienfort, Adel, S. 9, 11. Krzysztof Makowski beziffert den Anteil des polnischen Adels im Raum Posen mit zwei bis drei Prozent niedriger als in der übrigen ehemaligen Adelsrepublik, aber noch immer deutlich höher als für die deutsche Adelslandschaft üblich. Vgl. Makowski, S. 51. 235 Vgl. Molik, Großgrundbesitzer, S. 66. 236 Vgl. Kotowski, Staatsräson, S. 41. Nach Hannelore Bruchhold-Wahl habe der Gewissenskonflikt der polnischen Abgeordneten weniger darin bestanden, ihren Wählern aus politischen Gründen den lukrativen Verkauf an die Ansiedlungskommission zu untersagen, als vielmehr darin, dass die Abgeordneten als Grundbesitzer selbst zum potenziellen Verkäuferkreis gehörten, sich eines Verkaufes aber mit Rücksicht auf ihr Mandat versagen mussten. Vgl. Bruchhold-Wahl, S. 157 f., 219 f. Dagegen wäre einzuwenden, dass der Verkaufsdruck nicht groß gewesen sein dürfte. Gerade die Tatsache, dass die Abgeordneten als Mandatsträger längere Zeit von ihren Gütern abwesend waren, legt den Schluss nahe, dass ihre Anwesenheit vor Ort nicht vonnöten war, sondern ihre Güter auch unter Fremdverwaltung prosperierten. 237 Zu dieser und ähnlichen Charakterisierungen der Polenpolitik unter Caprivi vgl. Grabowski, Nationalismus, S. 27. 238 Bernhard, Polenfrage, S. 137.
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Opposition zum offiziellen Fraktionskurs standen. Es scheint daher zweckmäßig, in beiden polnischen Fraktionen einen loyalistischen von einem oppositionellen Flügel zu unterscheiden.239 Nach der Entlassung Otto von Bismarcks und der Ernennung Leo von Caprivis zum Reichskanzler und preußischen Ministerpräsidenten 1890 entspannte sich das deutsch-polnische Verhältnis spürbar, wozu eine Reihe von Maßnahmen beitrug: Die antipolnische Schulgesetzgebung wurde entschärft, 1891 wurde das Amt des Erzbischofs von Gnesen und Posen mit Florian Stablewski wieder an einen Polen, einen regierungsfreundlichen Abgeordneten der Polenfraktion, vergeben, nachdem 1886 das Amt mit Julius Dinder erstmals einem Deutschen verliehen worden war.240 1892 wurden die polnischen Genossenschaften von der staatlichen Revision befreit und durften einen eigenen Revisionsverband gründen. Damit war das polnische Genossenschaftswesen staatlichen Kontrollen und Eingriffen entzogen – eine Vergünstigung, die auch in den späteren Jahren hitziger Nationalitätenpolitik nicht rückgängig gemacht wurde.241 Eine Abschaffung der Ansiedlungskommission wurde vom polnischen Abgeordneten Ludwik Jażdżewski zwar im Frühjahr 1891 im Landtag als weitere Konzession angesprochen, fand aber unter Regierungsvertretern keine Zustimmung.242 Ohne ihre Kritik an der Ansiedlungspolitik aufzugeben und trotz Uneinigkeiten in den eigenen Reihen unterstützten die polnischen Fraktionen in den ersten Jahren nach 1890 die Gesetzesvorhaben der Regierungen in Preußen und im Reich.243 1.3.3 »Hofpartei« und »Volkspartei« im Ringen um politischen Einfluss Doch innerlich war die polnische politische Klasse längst tief gespalten. Dieser Riss trat offen zutage, als 1893 die polnischen Stimmen im Reichstag den Ausschlag für die Annahme der Heeresvorlage gaben. Der Konflikt entzündete sich an der Frage, wer die polnische Nation zukünftig anführen sollte. Waren Adel und Klerus dazu noch in der Lage? Waren nicht beide kompromittiert, nachdem sie sich mit der Unterstützung der Heeresvorlage nur zu bereitwillig dazu hatten hinreißen lassen, deutsche Großmannssucht mit polnischem Steuergeld zu unterstützen und eine »Versöhnungspolitik« um den Preis des Ausverkaufs polnischer Interessen zu betreiben? Die Vorwürfe fanden ihren Ausdruck in der Bezeichnung solcher Parlamentarier als Angehörige einer »Versöhnungs-« oder auch »Hofpartei« (»dwor239 Vgl. Trzeciakowski, Posłowie, S. 196 f.; Kotowski, Staatsräson, S. 65, 108. 240 Vgl. für die Hintergründe: Gatz, S. 108–154; Matwiejczyk, S. 241–257. 241 Zur Bedeutung dieser Maßnahme vgl. Grabowski, Nationalismus, S. 51, Anm. 161; Lorenz, Nationalismus, S. 671 f.; Kaminski, Publicists, S. 141 f. 242 Vgl. ebd., S. 95 f. 243 Vgl. Broszat, S. 155; Bernhard, Polenfrage, S. 139; Baier, S. 19 f.
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cowcy«, auch als »Konservative« oder »Loyalisten« bezeichnet, wobei nicht immer eine Differenzierung zwischen loyalistischem und oppositionellem Flügel erfolgt),244 wenngleich unter dem Begriff »Partei« eher eine »Parteiung« oder politische Strömung zu verstehen war, als dass sich dahinter festgefügte Organisationen mit schriftlich fixierten Programmen verbargen.245 Der Vorwurf der mangelhaften Verteidigung polnischer Interessen wurde vor allem von Personen des öffentlichen Lebens erhoben, die in dem in den vergangenen Jahrzehnten erstarkten polnischen Bürgertum die neue Trägerschicht der Nation erblickten und sich daher zur Abgrenzung als »Volkspartei« (»partia ludowa« oder »ludowcy«, in der Literatur auch »Populisten«246) bezeichneten. Diese Entwicklung muss in engem Zusammenhang mit dem sozialen Wandel gesehen werden, den die polnischsprachige Bevölkerung zu dieser Zeit durch Urbanisierung und Industrialisierung jener Gebiete durchlebte.247 Es war die junge, meist urbane polnische Mittelschicht, die die alte Stellung von polnischem Adel und Klerus als Trägerschicht der Nation herausforderte, »ideologically, it was a mish-mash of liberal-cum-radical democratic, economically progressive, anti-socialist and anti-semitic attitudes, which in many ways was classically mittelständisch.«248 Zu ihnen gehörte Roman Szymański, Redakteur des Orędownik, und Stanisław Knapowski, Redakteur des Postęp. Leuten wie ihnen ist zuzuschreiben, dass sich die polnische Nationalbewegung in den 1890er-Jahren von einem Elitenprojekt zu einem Vehikel politischer Massenmobilisierung wandelte.249 Für ein tieferes Verständnis des polnischen Diskurses über die Ankäufe der Ansiedlungskommission ist daher die Einbeziehung der polnischen Presse unverzichtbar.250 Die polnischen Parlamentarier richteten sich in ihren in deut244 Vgl. Wiegand, S. 10; Kulczycki, S. 34; Hagen, S. 145, 150; Marczewski, S. 59 f.; Trzeciakowski, Posłowie, S. 186, 195. 245 Vgl. Marczewski, S. 80. 246 Kulczycki, S. 32; Hagen, S. 149; Trzeciakowski, Posłowie, S. 189, 195. 247 Vgl. Kulczycki, S. 45 f. 248 Eley, S. 352. 249 Vgl. Schattkowsky, Nationalismus, S. 45, ferner: Grot / Rothbarth / Werner; Trzeciakowski, Posłowie, S. 164–171; Kotowski, Staatsräson, S. 63; Rosenthal, S. 73–78. Vgl. dazu auch den Lagebericht des Bromberger Regierungspräsidenten, der 1894 einen zunehmenden Machtverfall der »Hof-« zugunsten der »Volkspartei« feststellte: GStA PK, XVI. HA Rep. 30, Nr. 656, Bd. 4, Bl. 221–226r, Immediatbericht des Regierungspräsidenten von Bromberg, 28.9.1894. 250 Aufgrund ihrer marginalen Stellung wird für die folgende Analyse auf die Berücksichtigung der sozialistischen Polska Partia Socjalistyczna (PPS) und ihrer Organe, der Gazeta Robotnicza sowie der kurzlebigen Wochenschrift Gazeta Ludowa, verzichtet. Die PPS hatte sich 1893 von der SPD gelöst und besaß zu keinem Zeitpunkt mehr als 2.200 Mitglieder. Zudem suchte sie ihren Tätigkeitsschwerpunkt bei der Bergwerks- und Fabrikarbeiterschaft der oberschlesischen Industriebezirke – was auch durch die Verlagerung des Redaktionsstandortes der Gazeta Robotnicza von Berlin nach Kattowitz sinnfällig wurde –, sodass Verteilungsfragen von landwirtschaftlichem Grundbesitz nur eine untergeordnete politische Rolle spielten. Die Gazeta Robotnicza teilte im Wesentlichen die Argumentation der deutschsprachigen sozialdemokratischen Presse. Vgl. dazu etwa die Ausgabe der Gazeta
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scher Sprache gehaltenen Ansprachen in erster Linie an ihre deutschen Kollegen und sie äußerten sich zur Siedlungspolitik in aller Regel nur einmal im Jahr, wenn im Frühling über den Rechenschaftsbericht der Ansiedlungskommission beraten wurde. Die polnischen Zeitungen fungierten nicht nur als Multiplikatoren, sondern bildeten, indem sie diese Reden abdruckten, auch eine Art Resonanzkörper der Abgeordneten, besaßen aber zugleich eine längere Aufmerksamkeitsspanne. Gleichzeitig erreichten sie aufgrund ihrer Auflagenstärke ein weitaus breiteres Publikum. Ihre Serialität erlaubte ihnen darüber hinaus, in dichterer Form moralische Handlungsempfehlungen abzugeben. Als Hüter nationaler Interessen betrachteten sie es als ihre Aufgabe, auf Missstände nicht nur der Regierungspolitik, sondern auch innerhalb der polnischen Gemeinschaft hinzuweisen. So fanden sich in Zeitungen ganz unterschiedlicher Couleur Schmähungen polnischer Verkäufer an die Ansiedlungskommission.251 Zeitungsredakteure gehörten seit dem »Kulturkampf« zu den wichtigsten Mobilisatoren der polnischen Nationalbewegung (neben dem Klerus, aus dem heraus sich nicht selten ebenfalls Redakteure und Herausgeber rekrutierten).252 Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts verfügte die polnischsprachige Öffentlichkeit über eine politisch und sozial ausdifferenzierte Zeitungslandschaft, die die Vielfalt der Positionen innerhalb der polnischen Nationalbewegung widerspiegelt.253 Im Folgenden sollen die Ansichten und Ziele der drei umrissenen politischen Lager und der ihnen angehörenden Zeitungen im Vordergrund stehen. Die wichtigsten Zeitungen desjenigen Teils der »Hofpartei«, der sich loyal zum preußischen Staat positionierte, waren seit der Beilegung des Kulturkampfes der Kuryer Poznański des höheren Klerus und der Dziennik Poznański, der seine Leserschaft überwiegend im grundbesitzenden Adel fand.254 Anfangs, mit Gründung der Ansiedlungskommission, sprachen sich die Blätter dieses Teils der »Hofpartei« gegen Verkäufe ihrer Landsleute an den preußischen Staat aus. So erklärte der Dziennik bereits 1886: Wir sagen offen, und damit geben wir lediglich die Meinung der gesamten ehrlichen und gesunden polnischen Gesellschaft Ausdruck, dass derjenige, der auf diese Weise handelt, sich selbst von den Reihen ausschließt, die für ihr gutes Recht kämpfen. […]
Robotnicza, 29.8.1903, die auch den Nachdruck eines Artikels aus dem Vorwärts enthält. Siehe ferner Wehler, Gesellschaftsgeschichte, S. 1046; ders., Sozialdemokratie, S. 125–148; Kaminski, Publicists, S. 3. Ausführliche Behandlung erfuhr die polnische sozialistische Bewegung bei Zieliński, siehe dort auch S. 402 zu den regionalen Schwerpunkten und der Entwicklung der Mitgliederzahlen, S. 159 f. zur engen Kooperation beider sozialistischer Parteien und ihrer Presseorgane auch über die organisatorische Teilung hinaus. Zur geringen Leserschaft: Kulczycki, S. 35; Czapliński, Presse, S. 26 f. 251 Vgl. Dziennik Poznański, 30.7.1903; Gazeta Grudziądzka, 14.9.1905; Dziennik Kujawski, 1.10.1907; Dziennik Berliński, 20.5.1909; Goniec Wielkopolski, 1.1.1913. 252 Vgl. Molik, Dziennikarze, S. 143. 253 Vgl. Rajch, S. 13. 254 Vgl. Kaminski, Publicists, S. 28–35.
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Denn es gibt moralische Prinzipien und Wahrheiten, die nicht überschritten werden können. Dazu gehört zweifellos auch, unseren Feinden nicht zu helfen, unser Land zu enteignen. Und was sind diese freiwilligen Angebote, wenn nicht die furchtbarste Hilfe gegen uns?255
Die Blätter der »Hofpartei« verhielten sich durchaus kritisch gegenüber Verkäufern aus der Gruppe adliger Grundbesitzer, aus der sie ihre Leserschaft bezog. Darüber hinaus unterhielt der Dziennik noch ein populäres Blatt für die bäuerliche Landbevölkerung, den Wielkopolanin. Diese Zeitung wurde in einer erheblich höheren Auflage256 als der Dziennik gedruckt und zu günstigem Preis vertrieben, teilweise auch unter den Bauern verschenkt. Sie war in leichter Sprache gehalten und diente dazu, ein paternalistisches Bild des polnischen Adels zu vermitteln. Dies zeigen Berichte von den Gründungen landwirtschaftlicher Bauernvereine durch Adlige, die nach der Gründung auch den Vorsitz dieser Vereine einnahmen.257 Kritik an polnischen Verkäufen an die Ansiedlungskommission wurde im Wielkopolanin indes nicht erhoben, solche Verkaufsverhandlungen wurden so gut wie nie erwähnt. Drastischere Kritik erlitten Verkäufer an die Ansiedlungskommission durch den oppositionellen Flügel der »Hofpartei«. Als Sprachrohr diente ihm, soweit politische Inhalte und personelle Verflechtungen eine solche Zuordnung gestatten, in der Provinz Posen der Goniec Wielkopolski, in Westpreußen die Gazeta Toruńska, die sich jedoch vielmehr als der Dziennik Poznański nicht an den Adel, sondern auch an das gebildete Bürgertum richteten, während sich andere Zeitungen einer eindeutigen Lagerzuordnung ganz entziehen.258 Der 255 Dziennik Poznański, 4.11.1886. »Wypowiadamy otwarcie, a w tym względzie jesteśmy wyrazem opinii całego uczciwego i zdrowego społeczeństwa polskiego, że kto w ten sposób postępuje, ten wyklucza się sam dobrowolnie z szeregów walczących za dobre prawo swoje. […] Są bowiem zasady i prawdy moralne, których przekraczać nie wolno. Do takich niewątpliwie należy i to, aby nie pomagać wrogom naszym do wywłaszczania nas z ziemi. A czemże są owe dobrowolne oferty jeżeli nie najsromotniejszą pomocą przeciwko swoim.« 256 Auf Angaben der Auflagenstärke der verschiedenen Zeitungen wird im Folgenden verzichtet. Zum einen wandelte sich die Auflagenhöhe im Laufe der Zeit erheblich, zum anderen gibt, da ist sich die Mediengeschichte einig, die Auflagenhöhe nur wenig Aufschluss über die Leserzahl, die von der Forschung nur näherungsweise ermittelt werden kann und je nach zugrunde gelegtem Leserkoeffizienten stark voneinander abweichend berechnet wird. Zusätzlich erschwerend kommt hinzu, dass die Zeitungen der Versuchung ausgesetzt waren, die Angabe der Auflagenstärke und damit die Bedeutung der Zeitung zu übertreiben, um Abonnenten anzuwerben. Auflagenzahlen zu verschiedenen der hier genannten Zeitungen finden sich bei Kaminski, Publicists, S. 23; Volkmann, S. 187 f.; Stański, S. 133; Rakowski, S. 37–39. 257 Exemplarisch: Wielkopolanin, 31.7.1892, 9.8.1892 und 20.11.1892. Vergleichbare Artikel lassen sich auch in anderen polnischen Zeitungen finden. 258 Vgl. Wrzesiński, S. 96, zur Gründung der Gazeta als Ableger des Dziennik, deren Redaktion sich jedoch schnell emanzipierte. Zur Finanzierungsgrundlage und dem sozialen Profil der Leserschaft: Bukowski, S. 101.
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Goniec entstand Ende der 1870er-Jahre als Blatt des liberalen, niederen Adels bzw. »einer nicht genau erfaßbaren sogenannten demokratisch-fortschrittlichen Intelligenz«259 und griff entschieden den wohlhabenden Adel an.260 Der Goniec verstand sich als Zeitung für alle Klassen und war dementsprechend keinesfalls adelsfeindlich, sondern warb um das Vertrauen in den Adel als politische Führungsschicht. Eine ähnliche Funktion, mit dem Anspruch vornehmlich die Interessen des Kleinbürgertums zu vertreten, übernahm in Westpreußen die von Leon Czarliński, Ignacy Łyskowski und Ludwik Ślaski gegründete und finanzierte Gazeta Toruńska, die 1889 etwa die Klage erhob, dass der Verkauf polnischen Bodens auch die Abgeordneten in peinliche Erklärungsnöte brächte, die es nicht mehr wagen könnten »im Namen dieser Nation das Wort zu ergreifen, deren gewisse Mitglieder eine Handvoll Gold mehr zu schätzen wissen als Ehre und nationale Würde.«261 Nach dem Bankrott der Bank Donimirski, Kalkstein, Łyskowski u. Comp. wurde die Zeitung von dem wohlhabenden Geistlichen Antoni Wolszlegier unterstützt, der seit seiner Wahl in den Reichstag 1893 zum oppositionellen Kreis gegen den Annäherungskurs Józef Kościelskis gehörte und bereits zuvor als Aufsichtsratsvorsitzender der Spółka Ziemska in Thorn fungierte.262 Die wohl schärfsten Klagen gegen Verantwortliche polnischen Landverlustes wurden von den Vertretern der »Volkspartei« erhoben. In ihrem Zentrum standen der Postęp und der Orędownik, die sich jeweils an die niederen und mittleren Schichten der urbanen Bevölkerung als das noch junge, aufstrebende Bürgertum wandten.263 1894 trat die Gazeta Grudziądzka hinzu, die sich vor allem an das Kleinbauerntum richtete. Ihr Gründer Wiktor Kulerski avancierte binnen weniger Jahre zum einflussreichsten polnischen Presseunternehmer in Preußen. 1896 wurde die Sparte um den in Gnesen erscheinenden Lech ergänzt.264 Es überrascht nicht, dass gerade die Blätter der »Volkspartei« aus dem Umstand, dass die Mehrzahl der Verkäufer an die Ansiedlungskommission adligen Familien entstammte, Nutzen für eine dezidierte Adelskritik zu ziehen suchten.265 Die Betonung von Standesgegensätzen und das Schüren entsprechender Ressentiments diente der Etablierung und Behauptung auf dem politischen Meinungsmarkt. Die verschwenderische Dekadenz des Adels wurde moniert, 259 Wiegand, S. 16. 260 Vgl. Kaminski, Publicists, S. 35–37. 261 Gazeta Toruńska, 27.3.1889: »[…] głosu zabrać w imieniu tego narodu, którego pewni członkowie cenią więcej garść złota aniżeli cześć i godność narodową.« 262 Vgl. Cieślak, Z dziejów, S. 67 f.; Kotowski, Staatsräson, S. 117; Anonymus, Bank, S. 23. 263 Vgl. Rosenthal, S. 70; Kaminski, Publicists, S. 37–43. 264 Vgl. Marczewski, S. 80. 265 Vgl. Jaworski, Handel, S. 62. Dagegen Kotowski, Staatsräson, S. 129–131, wonach es keine dezidierte Adelskritik gegeben habe. Erst als nach der Jahrhundertwende zunehmend bäuerliche Kleinbesitzer ihre Grundstücke an die Ansiedlungskommission zu verkaufen begannen und sich zugleich die »Volkspartei« längst etabliert hatte, verschwanden Hinweise auf die Adelszugehörigkeit der Vorbesitzer allmählich aus den Zeitungsspalten.
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eine notwendige Stärkung des polnischen Mittelstandes angemahnt.266 Diese Kritik zielte auch direkt auf die adlig dominierte Gruppe der Abgeordneten ab, um sie als Angehörige der national unzuverlässigen Gruppe adliger Grundbesitzer in Misskredit zu bringen. Die Adligen insgesamt, so der Vorwurf, hätten sich in das System der preußischen Besatzer ergeben. Der Argwohn kam nicht von ungefähr, waren doch – daher die denunziatorisch gemeinte Bezeichnung als »Hofpartei« – verschiedene polnische Adelsfamilien aufs Engste in die dynastische Politik Berlins integriert. Polnische Magnaten besaßen Palais an den besten Adressen der preußisch-deutschen Hauptstadt, saßen als erbliche Mitglieder im Herrenhaus und gingen am Hof ein und aus. Das Beziehungsgeflecht reichte bis hin zu familiären Banden mit den Hohenzollern. Dieses alteuropäische Verständnis für dynastische Beziehungsloyalitäten, von nationalistischen Denkkategorien ungetrübt, lässt sich gut an Wilhelm I. – geboren noch im 18. Jahrhundert – beobachten, etwa an seiner besonderen Verbundenheit mit der Familie Radziwiłł.267 Die Beharrungskraft dieser »aristokratischen Internationale« schien sich auch nach 1888 fortzusetzen, ohne dass unter dem neuen Kaiser zunächst Eintrübungen bemerkbar wurden. Nur schleichend zeichnete sich der Verlust an Einfluss und Bedeutung polnischer Magnatenfamilien ab: Die Radziwiłłs blieben wenigstens die 1890er-Jahre hindurch noch integraler Bestandteil der Berliner Salon- und Ballkultur und Hugo Radolin-Radoliński, Gesandter an den Botschaften der bedeutendsten europäischen Mächte und 1888 in den Fürstenstand erhoben, wurde von Wilhelm II. mit dem Hofamt des Oberst-Truchsesses ausgezeichnet.268 Die Verhältnisse mögen dem heutigen Betrachter paradox anmuten – auf der einen Seite eine gegen die polnische Minderheit gerichtete Nationalitätenpolitik, auf der anderen Seite persönliche, wechselseitige Beziehungen zu Teilen der gesellschaftlichen und politischen Elite dieser Minderheit. Stabilisiert wurde dieses Verhältnis dadurch, dass einige wenige, dafür politisch einflussreiche polnische Adlige wie Graf Bogdan Hutten-Czapski den auf eine Assimilation der polnischen Minderheit abzielenden Kurs der Regierung unterstützten oder doch zumindest zu einer befriedeten polnischen Nation unter preußischer Oberherrschaft tendierten und dabei lediglich gegen allzu offensichtlich konfrontative Maßnahmen der Staatsregierung opponierten, die das deutsch-polni-
266 Vgl. Rosenthal, S. 70; Orędownik, 21.9.1887, 17.2.1889, 14.8.1889, 14.5.1893 und 9.6.1895; Goniec Wielkopolski, 24.11.1889 und 3.8.1894; Przegląd Wszechpolski, 15.7.1896 und 1.8.1896; Postęp, 22.10.1897 und 5.7.1900; Dziennik Berliński, 19.1.1898; Gazeta Gnieźnieńska, 19.12.1895. Die besondere Wertschätzung der »bürgerlichen« Wirtschaftszweige Handel und Gewerbe als Teil der Adelskritik hat Jaworski, Handel, S. 58–63, anschaulich herausgearbeitet. 267 Vgl. dazu auch den bei Anonymus, Hofe, S. 95–97, und Roden, S. 623–628 (unter Hervorhebung der litauischen Abkunft der Radziwiłłs), geschilderten einträchtigen Verkehr polnischer Magnaten am Hof Wilhelms I. 268 Vgl. Zobeltitz, S. 67–70, 73 f., 217 f., 221; Philippi, S. 373; Erbe, S. 47–49, 114 f.
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sche Verhältnis zu belasten drohten.269 In dem Dilemma zwischen ständischer Loyalität und polnischem Patriotismus war die erklärte Hinwendung zu Letzterem eben nur eine unter mehreren Strategien des adligen »Obenbleibens«.270 Gewiss waren dies seltene Ausnahmen. Um die Jahrhundertwende wusste ein Chronist des Berliner Hoflebens gerade einmal vier Namen polnischer Familien aufzuzählen, die sich am Hofleben beteiligten, deren Präsenz und damit auch der Einfluss am Hof aber ohnehin inzwischen auf die eine oder andere Weise im Schwinden begriffen war: Radziwiłł, Radolin, Hutten-Czapski, Kościelski.271 Im fernen Posen genügten indes den Verfechtern der bürgerlichen »Volkspartei« diese wenigen Beispiele, um der politischen Klasse und mit ihr dem gesamten grundbesitzenden Adel zu attestieren, kein vitaler Verfechter der polnischen Nation mehr zu sein. Die Landverkäufe polnischer Adeliger waren demzufolge lediglich ein weiterer Beleg dafür.272 Der »Volkspartei« diente die Moralisierung des Bodenmarktes demnach zugleich als Projektionsfläche, um relevante gesellschaftliche Probleme zu verhandeln. Gerade für die Zeitungen der »Volkspartei« waren solche Moralisierungen wichtig, um sich als »Stimme der Nation« zu profilieren, da ihnen die Plattform des Parlaments und damit die parlamentarische Autorität zunächst noch verschlossen blieb. 1.3.4 »Verräter«, »Verschacherer«, »Abschaum der Gesellschaft« Abgesehen von diesen adelskritischen Spitzen in den Artikeln der »Volkspar tei« glichen sich die Urteile der Zeitungen unabhängig von ihren politischen Ausrichtungen. Die Schmähung national unzuverlässiger Verkäufer fand einen festen Platz in ihren Spalten. Über den »Abschaum der Gesellschaft«273 klagte eine Zeitung. »Wir sagen nur mit aller Offenheit, dass wir für den freiwilligen Verkauf an die Ansiedlungskommission […] nur Empörung und Verachtung übrighaben«, ereiferte sich eine andere.274 Eine dritte attestierte dem Verkäufer seines Besitzes einen »moralischen Verfall«.275 Als besonders schänd269 Den widersprüchlichen Charakter Hutten-Czapskis hat Konno, Hutten-Czapski, herausgearbeitet. Vgl. ferner Kotowski, Staatsräson, S. 131 f.; Galos, S. 109. 270 Vgl. Wanke, S. 108 f. Siehe dazu auch die Aufzeichnungen der aus französischem Adel stammenden Salonnière und Gattin des engen Vertrauten Wilhelms I., Antoni Radziwiłł, Radziwiłł. In ihrem Salon, seit 1878 am Pariser Platz, verkehrte die Spitze des politischen Berlins, darunter sämtliche Reichskanzler (mit Ausnahme mutmaßlich Leo von Caprivis). Vgl. Wilhelmy, S. 792–799. 271 Vgl. Zobeltitz, S. 259 f. 272 Vgl. Schattkowsky, Nationalismus, S. 52. 273 Postęp, 21.8.1892. Ähnlich: Dziennik Kujawski, 28.8.1907. 274 Dziennik Poznański, 4.11.1886: »Wypowiadamy tylko z całą otwartością, że dla dobrowolnie wywłaszczających się na rzecz kolonizacyi niemieckiéj mamy […] wyraz oburzenia i wzgardy.« 275 Gazeta Toruńska, 28.8.1887; Dziennik Bydgoski, 5.6.1912.
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lich galt überdies, wenn keine finanzielle Notwendigkeit zum Verkauf vorgelegen hat.276 Solcherlei Schmähungen, die der Empörung alerter Redakteure und als solche der gesamten polnischen öffentlichen Meinung ihren sprachlichen Ausdruck verleihen sollten, traten in mannigfacher Form auf. Von der »Scham« der polnischen Gesellschaft und der »Schamlosigkeit«277 der Verkäufer, von »Schande« und vom »widrigen Schacher mit dem väterlichen Erbe«278 ist da die Rede. Überhaupt war es insbesondere der Begriff des »Schachers« bzw. des »Verschacherers«, der sich zum geflügelten Wort für den »Verrat« an der polnischen Nation etablierte.279 Auch der Verweis auf das väterliche Erbe, die lange Dauer des Besitzes in der Hand einer Familie oder auch die Ehrenhaftigkeit der Vorfahren kehrten die Verwerflichkeit des Verkaufes heraus: Aus individuellem Eigennutz habe der Eigentümer an den nationalen Gegner verkauft, während er eigentlich zur Erhaltung des Familienbesitzes verpflichtet gewesen sei.280 Durch die Anbindung und Verschränkung der nationalen Loyalität mit älteren, breit akzeptierten Loyalitätsformen – in diesem Fall familiärer Art: der Aufforderung zum Erhalt und der Mehrung des elterlichen Erbes – wurde versucht, den Geltungsanspruch nationaler Normen zu steigern. Auch die Bezeichnung der Verkäufer als Kolonisatoren (»kolonizatorze«) bürgerte sich ein, um sie als unmittelbare Erfüllungsgehilfen der antipolnischen Politik zu markieren, ja ihnen letztlich eine direkte Verantwortung für die Siedlungspolitik zu attestieren.281 Darüber hinaus wurde darauf verwiesen, dass die Verkäufer nicht nur für sich handelten, sondern auch Verantwortung für das auf ihrem Grund lebende und arbeitende Gesinde trügen, das sie mit dem Verkauf ins Unglück stürzten.282 Nach familiären Loyalitäten diente der Hinweis auf die patriarchale Fürsorgepflicht des Grundbesitzers als weiterer Bezugspunkt sozialer Normen, der dem Verkauf an den nationalen Gegner entgegenstehe. Ferner stechen bei der Lektüre polnischer Zeitungen die biblischen Bezüge ins Auge: Neben der »Hiobsbotschaft«,283 die eine solche Verkaufsmitteilung bedeu276 Vgl. Gazeta Toruńska, 22.1.1887; Orędownik, 9.6.1895; Gazeta Grudziądzka, 8.8.1897; Lech. Gazeta Gnieźnieńska, 19.5.1908; Dziennik Poznański, 9.10.1913. 277 Gazeta Toruńska, 11.1.1887; Kuryer Poznański, 13.3.1890, 15.8.1891; Postęp, 21.8.1892; Dziennik Bydgoski, 29.12.1912. 278 Kuryer Poznański, 21.7.1887. 279 Przyjaciel, 12.7.1887; Dziennik Poznański, 18.7.1903; Gazeta Toruńska, 15.5.1904; Kurjer Poznański, 13.9.1911; Dziennik Bydgoski, 31.3.1914. 280 Vgl. Kuryer Poznański, 21.7.1887; Postęp, 21.8.1892; Goniec Wielkopolski, 7.8.1896; Lech. Gazeta Gnieźnieńska, 10.6.1904; Orędownik, 17.3.1914. 281 Vgl. Praca, 30.1.1898; Nowa Reforma, 28.6.1901; Lech. Gazeta Gnieźnieńska, 21.4.1904; Wielkopolanin, 15.6.1904; Kurjer Poznański, 13.6.1914. Diese Beobachtung bereits bei: Zawadzka, S. 28. 282 Vgl. Gazeta Toruńska, 6.7.1887, 28.8.1887; Dziennik Poznański, 13.8.1889; Kuryer Poznański, 13.3.1890; Postęp, 21.8.1892. 283 Gazeta Toruńska, 24.1.1889; Przegląd Wszechpolski, 1.8.1896; Postęp, 5.7.1900; Przyjaciel, 30.8.1904; Dziennik Kujawski, 11.4.1914.
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tete, wird vor allem die Metapher vom Silbergroschen bemüht und der Käufer an das grausame Ende gemahnt, das den biblischen Judas ereilt hatte.284 Oder es wurde das Kainsmal beschworen, das die Verkäufer heimatlichen Bodens zeichnen sollte oder aber das Kaufgeld mit dem Linsengericht verglichen, für das der Verkäufer guten Namen, Ehre und Würde verkauft habe.285 Auch der Hinweis auf die Bedrohung polnisch-katholischer Parochien durch die Tätigkeit der Ansiedlungskommission ist der religiösen Argumentation zuzuzählen.286 Der religiöse Gehalt des polnischen Diskurses gründete auf der engen Verbindung der polnischen Nationalbewegung mit dem Katholizismus, der die dreigeteilte Nation zusammenhielt. Er gewährte darüber hinaus – freilich unter Ausblendung der Existenz der Minderheit protestantischer Polen287 – eine zusätzliche integrative Funktion, indem er das orthodoxe Zarenreich und den protestantischen Wilhelminismus als konfessionelle Feindbilder propagierte und den nationalen Wertekanon an die Autorität religiöser Normen koppelte. Die identitätsstiftende Funktion des Glaubens äußerte sich in einem messianisch-martyrologischen Selbstverständnis der polnischen Nation (»Polska Chrystusem narodów«, Polen als Christus unter den Völkern), das seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Reaktion auf die zahlreichen misslungenen Aufstandsversuche durch Dichter wie Adam Mickiewicz propagiert worden war.288 Eine Zeitung erhob 1897 den Verkauf von Grundbesitz nicht nur zur nationalen, sondern zugleich zur religiösen Schicksalsfrage: Wir müssen immer daran denken, dass wir, sobald wir Land veräußern, nicht nur dem Polentum, sondern auch der katholischen Religion schaden, weil durch die Übertragung von Land an die Andersgläubigen viele katholische Gemeinden bedroht sind […]. Darum hören wir nicht auf zu rufen: »Wer ein guter Pole und Katholik ist, der halte am Land fest!«289
Vielfach forderten die Zeitungen auch den sozialen Ausschluss solcher Verkäufer. So hieß es in einem Leserbrief an eine Zeitung (der möglicherweise von der Redaktion fingiert war, eine damals gängige Praxis), solche Verkäufer müssten nicht nur aus polnischen Vereinen, sondern aus der gesamten polnischen Gesellschaft ausgeschlossen werden. Jeder aufrichtige Pole habe den Umgang mit ihnen zu meiden und dürfe ihnen nicht einmal die Hand zum Gruß reichen.290 284 Vgl. Goniec Wielkopolski, 1.9.1895; Postęp, 22.10.1897; Dziennik Poznański, 4.8.1904; Dziennik Kujawski, 17.10.1909; Dziennik Bydgoski, 31.3.1914. 285 Vgl. Przyjaciel, 1.9.1887; Gazeta Toruńska, 6.6.1888, 20.6.1888; Postęp, 21.8.1892; Pielgrzym, 22.2.1908. 286 Vgl. Goniec Wielkopolski, 31.1.1894; Lech. Gazeta Gnieźnieńska, 24.9.1911. 287 Vgl. Schattkowsky, Nationalismus, S. 66 f. 288 Vgl. Kotowski, Polen. 289 Gazeta Toruńska, 16.10.1897: »Trzeba pamiętać, że pozbywając się ziemi szkodzimy nietylko polskości, lecz także religii katolickiej, gdyż byt niejednej parafii katolickiej jest zagrożony przez przejście ziemi w ręce innowierców […]. Dla tego nie przestaniemy nawoływać: Kto dobry Polak i katolik, niech się trzyma ziemi!« 290 Vgl. Postęp, 21.8.1892.
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Eine weitere Funktion der Presse bestand darin, tatsächlich oder vermeintlich schwebende Verkaufsverhandlungen durch Veröffentlichungen zu torpedieren. Dies konnte sehr konkret auf einzelne Personen abzielen, bei denen es handfeste Anhaltspunkte gab, dass sie mit der Ansiedlungskommission oder privaten deutschen Käufern im Kontakt standen. Schon Gerüchte um Verkaufsverhandlungen genügten, um eine Zeitungsmeldung zu schalten, in der dann um Mithilfe zur Aufklärung gebeten wurde. Im August 1887 meldete ein Redakteur der Gazeta Toruńska, dass ein Herr Julian Czarliński im Verdacht stehe, mit der Ansiedlungskommission über ein ihm im Kreis Berent gehörendes Gut in Verhandlung zu stehen. Genaueres sei noch nicht bekannt und daher die Leser um nähere Auskünfte gebeten.291 Ein paar Wochen später veröffentlichte die Zeitung einen – möglicherweise fingierten – Leserbrief. In diesem beklagt sich der anonyme Beiträger, dass sich Czarliński noch immer nicht zu dem Fall geäußert habe. Dies könne entweder eine Folge von gekränktem Stolz aufgrund der falschen Anschuldigungen sein, oder aber von Scham, weil die Gerüchte tatsächlich zuträfen. Auch wenn, so der Leser weiter, inzwischen gemunkelt werde, dass die Verkaufsverhandlungen nur deshalb stockten, weil Czarlińskis Preisforderung die Zahlungsbereitschaft der Ansiedlungskommission übersteige, wolle er nicht glauben, dass Czarliński, der sich so sehr um das Polentum verdient gemacht habe, einen solchen Verrat begehen würde. Anschließend gerät die Zuschrift ins Grundsätzliche, indem die Pflicht aller Polen zum Erhalt ihres Landes betont wird. Der Brief schließt mit einer Anregung, die in den folgenden Jahren an unterschiedlichen Stellen wiederaufgegriffen wurde: Die Redaktion möge regelmäßig Listen derjenigen polnischen Landsleute veröffentlichen, die an Deutsche verkauft haben. »Man würde dann wenigstens jederzeit wissen, wem man die Hand reichen kann!«292 Einen guten Monat später musste die Zeitung allerdings vermelden: Herr Julian Czarliński hat nun den dreihundertjährigen Wohnsitz der Czarlińskis, Alt-Bukowitz, für 320.000 Mark an die Ansiedlungskommission verkauft. Nichts haben unsere Ermahnungen gebracht. […] Immer mehr schrumpft unser Land zusammen! Aus der Umgebung von Stargard wird berichtet, dass die Oboziner Güter, welche der Fürstin Marya Ogińska geb. Narzymska aus Jablonowo gehören, ebenfalls alleruntertänigst der Ansiedlungskommission angeboten worden sind. […] Mit Obozin wird es sich genauso zutragen wie mit Bukowitz, mit dem einzigen Unterschied, dass der durchlauchtigsten Fürstin eine noch beispielhaftere Lehre gebührt als dem Herrn Czarliński.293 291 Vgl. Gazeta Toruńska, 7.8.1887. 292 Gazeta Toruńska, 28.8.1887: »Wiedzianoby przynajmniej każdego czasu, komu rękę podać wypada!« Hervorh. im Orig. 293 Gazeta Toruńska, 21.9.1887. »Pan Julian Czarliński sprzedał wreszcie letnią siedzibę Czarlińskich Stary Bukowiec 320.000 M. komisyi kolonizacyjnej. Na nic nie przydały się nasze nawoływania. […] Kurczy się coraz więcej ziemia nasza! Z Starogardzkiego donoszą, że dobra Obozin, należące do księżnej Ogińskiej, Maryi z Narzymskich z Jabłonowa, zostały także najuniżeniej ofiarowane komisyi kolonizacyjnej. […] Stanie się niezawodnie
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Solche Artikel verfolgten mehrere Ziele: Zum einen sollte den Grundbesitzern die Erwartung der polnischen Gemeinschaft in Erinnerung gerufen werden, dass, wenn überhaupt verkauft werden muss, der Grund und Boden nicht in deutsche Hände gerät. Der Hinweis auf die Verdienste der Besitzer oder der Familie, aus der sie stammten, stellte einen nachdrücklichen Appell an das Pflichtgefühl dar. Zugleich wurde die polnische Gemeinschaft als Ganzes zur gegenseitigen Solidarität aufgerufen. Und schließlich wurden die Sanktionsinstrumente, der Ausstoß aus der polnischen Gemeinschaft, präsentiert, sollten die Grundbesitzer den Erwartungen zuwiderhandeln. Wie das Beispiel Julian Czarlińskis zeigt, waren die polnischen Zeitungen im Unterschied zur deutschen Presse darum bemüht, die Verkäufer heimischen Bodens an die nationale Konkurrenz namentlich zu benennen und damit individuelle Fehltritte zu personalisieren. Teilweise war damit auch die Forderung nach einer öffentlichen Erklärung der an den Verkaufsverhandlungen Beteiligten verbunden, dass sie nicht an die Ansiedlungskommission oder deutsche Privatkäufer zu verkaufen beabsichtigten.294 Namentlich wurden auch diejenigen Gutsbesitzer genannt, die lediglich planten, an die Ansiedlungskommission, deutsche Privatkäufer oder die Landbank, einem Kreditinstitut mit enger Bindung an den deutschnationalen Ostmarkenverein, zu verkaufen. Bisweilen wurden bei schwebenden Verkaufsverhandlungen nur die Initialen der Besitzer genannt oder sie anonym behandelt. Dies geschah einerseits aus Selbstschutz der Zeitungen, wenn sie ihre Informationen nicht als hinreichend gesichert ansahen, andererseits wurde durch die drohende Enthüllung zusätzlicher Druck aufgebaut mit dem Ziel, laufende Verkaufsverhandlungen zu einem Abbruch zu bringen. Die so adressierten Grundbesitzer wiederum nutzten Leserbriefe zur Verteidigung ihrer Ehre. Manche meldeten sich vorab bei polnischen Zeitungen und entschuldigten den bevorstehenden Verkauf an die Ansiedlungskommission mit ihrer desolaten finanziellen Lage. Andere erläuterten nach einem Verkauf detailreich, wie sie zuvor erfolglos versucht hatten, polnische Käufer zu finden. Teilweise übernahmen dies Dritte – anonym oder unter Nennung ihres Namens. Auf diese Weise wurde der Ball in das Feld der polnischen Gesellschaft zurückgespielt, als deren Anwälte sich die Zeitungen präsentierten: Der Verkauf des Gutes war unumgänglich gewesen, nur habe es die Gesellschaft versäumt, ihrerseits zur Sicherung des Besitzes in polnischer Hand beizutragen.295 Ein Beispiel dafür, wie derselbe Kaufvorgang auf unterschiedliche Weise in der Presse kommentiert werden konnte, bietet der Fall Nepomuk Chełkowskis. z Obozinem to samo co z Bukowcem, z tą jednakże różnicą, że Jaśnie Oświeconej Księżnie należałby się przykładniejsza jeszcze nauka aniżeli p. Czarlińskiemu.« 294 Zur namentlichen Nennung als Mittel der Denunziation in der polnischen Presse generell: Jaworski, Handel, S. 94 f. 295 Die Zeitungen der »Hofpartei« griffen dieses Argument ihrerseits auf, um die Verkäufe von Standesgenossen an die Ansiedlungskommission zu rechtfertigen: Dziennik Poznański, 15.8.1889; Przyjaciel, 13.8.1889.
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Im Juli 1896 teilte die polnische Tageszeitung Dziennik Poznański ihren Lesern mit, dass Chełkowski sein Rittergut an den preußischen Staat verkauft habe. Aus bloßer Gewinnsucht sei somit ein weiteres Stück polnischen Bodens an den deutschen Feind verloren gegangen.296 Nur wenige Tage später korrigierte der Kuryer Poznański dank einer Leserzuschrift den Sachverhalt dahingehend, dass Chełkowski aus blanker finanzieller Not gehandelt habe. Auch habe er sich bemüht, einen polnischen Käufer für das Rittergut zu finden, doch habe sich niemand zum Ankauf bereit erklärt. Wenn folglich jemand Schuld am Verlust des polnischen Bodens träfe, dann das polnische Gemeinwesen, das den Verkauf nicht verhindert habe.297 Die Norm, dass polnischer Boden in polnischem Besitz zu bleiben habe, wurde durch die Zuschrift nicht grundsätzlich infrage gestellt. Das Anliegen war vielmehr, die Gültigkeit der Norm auf diejenigen Fälle zu begrenzen, in denen nicht aus Not gehandelt wurde. Im Fall des finanziellen Ruins sei dagegen der Verzicht auf ein lukratives Angebot nicht zumutbar. Gut zwei Wochen später veröffentlichte wiederum der dem oppositionellen Teil der »Hofpartei« zugehörende Goniec Wielkopolski einen Leserbrief, in dem die patriotische Gesinnung von Chełkowskis verstorbener Mutter gerühmt wurde, die zuhause niemals Deutsch sprach, ihren Kindern die Teilnahme am deutschen Sprachunterricht verboten hatte und zu Weihnachten keine Weihnachtsbäume aufstellen ließ, weil es ein deutscher Brauch sei. Gewiss, so schloss der Beiträger, hätte eine solche Patriotin zu Lebzeiten den Sohn verleugnet, der ohne Not polnischen Boden in deutsche Hände gebracht hat.298 Eine andere Form von Zuschriften waren Gegendarstellungen, in denen Gutsbesitzer oder andere an Kaufverhandlungen beteiligte Personen die ihnen von der Presse unterstellten Absichten dementierten.299 Sie erschienen dort notwendig, wo versehentlich oder absichtlich gestreute Falschmeldungen geeignet waren, das Ansehen von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zu beschädigen. Als 1903 das Posener Tageblatt berichtet hatte, ein Deutscher namens Christmann habe ein polnisches Gut erworben, stellte dieser richtig, er sei in Wahrheit Pole.300 Im gleichen Jahr erklärte ein polnischer Verkäufer im Dziennik Kujawski, er habe zwar tatsächlich an seinen Nachbarn, einen Herrn Meyer, der Protestant ist, verkauft, dieser spreche aber fast ausschließlich Polnisch.301 Noch größer war die soziale Fallhöhe, wenn Abgeordnete im Verdacht standen: Als Mitte 1887 der oben bereits beschriebene Verkauf des 882 Hektar großen Ritterguts Alt-Bukowitz an die Ansiedlungskommission beschlossene Sache war, vermeldete die deutschsprachige Zentrumszeitung Germania, der polnische Abgeordnete Leon Czarliński habe seinen Besitz an die Ansiedlungs296 Vgl. Dziennik Poznański, 17.7.1896. 297 Vgl. Kuryer Poznański, 22.7.1896. 298 Vgl. Goniec Wielkopolski, 7.8.1896. 299 Vgl. Gazeta Toruńska, 10.2.1887; Dziennik Poznański, 11.8.1895, 18.7.1903; Wielkopolanin, 4.9.1904; Dziennik Bydgoski, 10.7.1913. 300 Vgl. Dziennik Poznański, 17.7.1903. 301 Vgl. Dziennik Kujawski, 1.3.1903.
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kommission verkauft. Die Gazeta Toruńska, die sich ihrem Standpunkt nach in der Nähe des oppositionellen Teils der »Hofpartei« bewegte, stellte unmittelbar danach richtig, dass hier eine Namensverwechslung mit Julian Czarliński vorgelegen habe.302 Solche Anschuldigungen dienten auch der Diskreditierung politischer Gegner: Rund zwanzig Jahre später wurde Józef Brejski von dem klerikalen Pielgrzym beschuldigt, wissentlich seinen Besitz über Strohmänner an die Ansiedlungskommission verkauft zu haben. Dabei wies die Zeitung explizit darauf hin, dass Brejski der Bruder Jan Brejskis war, Abgeordneter des radikalen polnischen Flügels im Reichstag. Da Letzterer aber zugleich auch Herausgeber der Gazeta Toruńska war, diente diese Zeitung als Plattform, um Józef Brejski vor den Anschuldigungen in Schutz zu nehmen.303 Ein beispielhaftes Schlaglicht auf die erhöhte mediale Aufmerksamkeit für solche Transaktionen – über alle politischen Lager hinweg – bieten die Verkaufsverhandlungen über Mileszewy 1895. Sie geben Aufschluss über den nicht nur informativen Charakter der Berichterstattung, sondern auch über die ihr innewohnenden direkten und indirekten Handlungsempfehlungen und auch über den massiven Rechtfertigungsdruck, unter den die Presse die so angesprochenen Grundbesitzer und weitere beteiligte Akteure setzte: Im Sommer 1895 stand das Gut Mileszewy, das zuvor dem 1886 verstorbenen Abgeordneten Ignacy Łyskowski gehört hatte, im Gespräch, durch seine Töchter verkauft zu werden. Die erste Zeitungsmeldung dazu im bürgerlichen Orędownik benannte als handelnde Personen die für den Verkauf bevollmächtigten Herren Władysław Paruszewski und Niedorowski, die das Gut an Michał Paruszewski verkauften, den Sohn des erstgenannten Bevollmächtigten. Paruszewski junior habe sodann noch am gleichen Tage das Gut an einen deutschen Herrn Stark weiterverkauft, der, wie der Orędownik vermutete, im Auftrag der Ansiedlungskommission handele.304 Wenige Tage später konkretisierte der Orędownik seine Meldung, indem er die Namen der sechs Töchter nannte, denen das Gut gehörte. Polnische Interessenten hätte es zwar gegeben, jedoch sei aus Profitgier an Paruszewski verkauft worden, der bekanntermaßen mittellos sei und der darum nichts anderes als ein Strohmann der Ansiedlungskommission und des dazwischengeschalteten Herrn Stark sein könne. Das mangelnde Heimatgefühl der Beteiligten sei beklagenswert und beschämend.305 Ein paar Tage darauf erwiderte Władysław Paruszewski in einem Leserbrief im loyalistischen Dziennik Poznański, dass Stark das Gut einzig für sich habe kaufen wollen und weitere Anschuldigungen gegen seinen Sohn Beleidigungs302 Vgl. Gazeta Toruńska, 2.9.1887. 303 Vgl. Pielgrzym, 18.9.1906; Gazeta Toruńska, 21.9.1906 und 25.9.1906. Zu den Hintergründen des Verkaufs: GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9531, Bl. 113–114, Präsident der Ansiedlungskommission an den Landwirtschaftsminister, 15.12.1906. 304 Vgl. Orędownik, 8.8.1895. 305 Vgl. Orędownik, 11.8.1895.
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klagen nach sich ziehen würden.306 Zwei Erklärungen, einmal von Stark selbst, einmal von Władysław Paruszewski, wonach Stark das Gut für sich selbst kaufte, wurden tags darauf auch im Goniec Wielkopolski, dem Organ des oppositionellen Flügels der »Hofpartei«, abgedruckt. Auf der gleichen Seite aber druckte der Goniec ein Plakat ab, das wenige Tage zuvor von Bewohnern Mileszewys im Dorf aufgehängt worden sein soll, um ihrer Empörung Ausdruck zu verleihen und »den ersten Stein zu werfen«: Zum ewigen Gedächtnis!!! Scham und Schande den Verkäufern. 30.000 Stockhiebe dem Verräter des Vaterlandes!!!307
Sühneforderungen gegen deviantes Verhalten waren folglich nicht auf soziale Ausgrenzungen begrenzt, sondern konnten auch in der Androhung physischer Sanktionen gipfeln. Der Plakattext war durch einen breiten, schwarzen Rahmen optisch hervorgehoben und auf der Seite mittig platziert, sodass er dem Betrachter der Seite als Erstes, noch vor den Erklärungen Paruszewskis und Starks ins Auge fallen musste. Der Goniec prophezeite anlässlich des Plakates weiter, dass wenn sich der Verkauf tatsächlich als Verrat herausstellen sollte, die Verurteilung durch die polnische Presse und damit durch die gesamte polnische Öffentlichkeit folgen werde. Unter diesem Druck, dem sich weitere Zeitungen anschlossen, machte Władysław Paruszewski den Verkauf rückgängig, wie er im Wielkopolanin verkündete. Stark habe sodann erklärt, das Gut pachten zu wollen, was Paruszewski als weiteren Beleg dafür ansah, dass Stark nicht im Auftrag der Ansiedlungskommission gehandelt habe, wie konkurrierende Zeitungen vermeldet hatten.308 Der Goniec Wielkopolski konnte schließlich mit Zufriedenheit als glückliches Ende der Geschichte mitteilen, dass die Erben die Spółka Rolników Parcelacyjna damit beauftragt haben, das Gut zu parzellieren.309 Zu Anfang und in geringerem Umfang fand in der Presse auch eine Diskussion darüber statt, unter welchen Umständen womöglich ein Verkauf an die Ansiedlungskommission erlaubt sein könnte. Mit Heinrich Popitz lässt sich so von einer »Differenzierung«310 der nationalen Norm sprechen; eine Ergründung der Umstände, unter denen die Norm außer Kraft gesetzt sein sollte. Gerade die Zeitungen der »Hofpartei« beteiligten sich daran. Ein solcher Verkauf konnte als gerechtfertigt erscheinen, wenn der Bankrott nicht anders abzuwenden war, wobei die Zeitungen gegebenenfalls noch auf die ansonsten bestehende nationale 306 Vgl. Dziennik Poznański, 14.8.1895. Siehe zu dem Vorfall auch ausführlich die seitenfüllende Presseschau des Goniec Wielkopolski vom 14.8.1895. 307 Goniec Wielkopolski, 15.8.1895. »Na wieczną pamięć!!! Wstyd i sromota, sprzedawczykom. 30,000 kijów Zdrajcom Ojczyzny!!!« 308 Vgl. Gazeta Toruńska, 17.8.1895; Wielkopolanin, 20.8.1895. 309 Vgl. Goniec Wielkopolski, 24.8.1895. 310 Vgl. Popitz, Normen (2006), S. 123.
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Standfestigkeit des Verkäufers hinwiesen oder vorangegangene, aber gescheiterte Versuche, das Gut zu parzellieren.311 Der Abgeordnete Ludwik Graeve nahm die polnischen Verkäufer vor den Anfeindungen durch die Presse mit der Begründung in Schutz, dass mit wenigen Ausnahmen nur solche Besitzer ihre Güter der Ansiedlungskommission angeboten hätten, über die andernfalls ohnehin wenig später das Zwangsversteigerungsverfahren eröffnet worden wäre. In anderen Fällen, wie dem der Marie Bnin-Bnińska, für die Bismarck um Unterstützung durch Wilhelm I. gebeten hatte, gehörten den Verkäufern die Ländereien nicht selbst, sondern sie verwalteten sie treuhänderisch für ihre unmündigen Kinder. Dementsprechend erfolgte der Verkauf nicht aus Gründen persönlichen Profitstrebens, sondern aufgrund der Verantwortung für das Wohl Dritter. Nach Ansicht des Dziennik sollte auch erlaubt sein, den Besitz zu veräußern, um den eigenen Kindern die Aussteuer zu ermöglichen oder Kredite zurückzuzahlen, die von Verwandten oder Freunden gewährt wurden, um diese nicht auch noch ins Unglück zu stürzen.312 Ab Anfang der 1890er-Jahre setzte sich hingegen zunehmend auch bei loyalistischen Zeitungen die Ansicht durch, ein Verkauf an die Ansiedlungskommission sei unter keinen Umständen hinnehmbar. Der polnische Zeitungsdiskurs war keineswegs auf die Schmähung nationaler »Verräter« beschränkt und der auf Nationalisierung beruhende Normenwandel schloss nicht nur alte Handlungskorridore, sondern er war auch imstande, neue zu eröffnen, etwa in der Form öffentlicher Ehrungen als Form positiver Sanktionierungen.313 Wer sich um den vaterländischen Boden, z. B. durch Ankauf deutschen Grundbesitzes verdient gemacht hatte, erfuhr Respektbekundungen. Als 1887 im westpreußischen Landkreis Flatow ein polnischer Käufer der Ansiedlungskommission zuvorkam, bemerkte der Dziennik Poznański, es herrsche »deshalb Freude und große Befriedigung, dass ein Pole der Käufer dieser schönen Besitzung ist.«314 Lob fanden Besitzer, die sich weigerten an die Ansiedlungskommission zu verkaufen und stattdessen geduldig nach einem polnischen Käufer für ihre Besitzung suchten.315 Auf medialen Beifall konnte auch zählen, wer polnischen Grundbesitz kaufte und damit vor einem Übergang in deutschen Besitz »rettete«.316 Aus diesem Grund informierten die polnischen Zeitungen ihre Leserschaft über Ankaufsmöglichkeiten von deutschem Klein- und Großgrundbesitz und wiesen auf anstehende Verkaufs- und Zwangsversteigerungs311 Vgl. Dziennik Poznański, 24.10.1888 und 15.8.1889; Przyjaciel, 13.8.1889; Kuryer Poznański, 15.8.1891. 312 Vgl. Dziennik Poznański, 24.10.1888. 313 Vgl. Bernhard, Polenfrage, S. 183. 314 Dziennik Poznański, 28.11.1887: »[…] z powodu tego panuje radość i wielkie zadowolenie, że Polak jest nabywcą tego ładnego majątku.« Ähnlich: Orędownik, 15.9.1896; Gazeta Toruńska, 10.8.1899, 14.7.1909; Gazeta Gdańska, 7.6.1904; Gazeta Grudziądzka, 17.1.1911. 315 Vgl. Orędownik, 19.7.1887; Przyjaciel, 4.10.1887 und 11.6.1897; Gazeta Grudziądzka, 15.7.1902. 316 Vgl. Pielgrzym, 24.5.1887; Dziennik Kujawski, 15.7.1897; Pielgrzym, 25.1.1898; Dziennik Poznański, 3.11.1905; Dziennik Bydgoski, 14.1.1914.
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termine mit dem Appell hin, dass ein Pole das jeweilige Gut erwerben möge.317 Ein impliziter Appell lässt sich auch da feststellen, wo Zeitungen gewissenhaft ihre Leser über anstehende Parzellierungen informierten.318 Andere Grundbesitzer wurden für ihre Sparsamkeit und Tüchtigkeit als Vorbilder gewürdigt, die den Erwerb fremden Bodens möglich gemacht hätten;319 generell diente die Erwähnung des Übergangs deutschen Grundbesitz in polnische Hände dazu, Nachahmer zu animieren.320 Somit übernahm die polnische Presse nicht nur die Funktion negativer, sondern auch positiver Sanktionierungen. Dabei hatten insbesondere die »hofparteilichen« Presseorgane ein Inte resse daran, Erfolge ihrer Standesgenossen bei der Verteidigung vaterländischen Bodens herauszustellen, während die »volksparteilichen« Zeitungen bäuerliche Erwerber deutschen Bodens dafür lobten, dass sie die Verluste ausglichen, die der polnischen Allgemeinheit durch die Verkäufe des Adels verloren gegangen waren.321 Solche Formen positiver medialer Würdigung lassen sich gut an einer Person beobachten, deren Name eng mit dem Ende der »Versöhnungsära« unter der Kanzlerschaft Caprivis 1890–1894 verknüpft ist: Józef Kościelski war in jenen Jahren Anführer der polnischen Reichstagsfraktion und als solcher die Gallions figur der polnischen Entspannungsbefürworter. Dementsprechend zielte eine Pressekampagne, die sowohl vom »volksparteilichen« Orędownik als auch vom Goniec Wielkopolski, dem Organ des oppositionellen Teils der »Hofpartei«, angeführt wurde, unmittelbar auf seine Person ab. Der Goniec hatte bereits in den Jahren zuvor scharfe Kritik an Kościelskis Unterstützung der deutschen Marine- und Heerespolitik geübt, als er 1894 angesichts der bevorstehenden Marinevorlage den Druck noch einmal erhöhte.322 Der gegen den Adel bekannte Vorwurf mangelnder politischer Entschlossenheit stand im Raum: Als allzu servil gegenüber der preußischen Obrigkeit galt Kościelskis Haltung, zu wenige Zugeständnisse an die polnische Minderheit habe er heraushandeln können. Als ihm schließlich auch die Fraktion die Gefolgschaft aufkündigte – der Abgeordnete Ludwik Jażdżewski war ein persönlicher Intimfeind –, war Kościelskis politisches Schicksal besiegelt.323 Anfang März 1894 legte er sein Mandat nieder. Kościelski musste um sein politisches Überleben kämpfen und wechselte in das 317 Vgl. Pielgrzym, 26.2.1889; Goniec Wielkopolski, 27.5.1896; Lech. Gazeta Gnieźnieńska, 30.5.1896; Gazeta Gdańska, 22.1.1903; Kurjer Poznański, 30.9.1911. Vgl. Cieślak, Z dziejów, S. 114 f. 318 Vgl. Pielgrzym, 8.1.1887; Orędownik, 8.6.1887; Wielkopolanin, 1.7.1888, 10.7.1888; Dziennik Bydgoski vom 4.7.1912. 319 Vgl. Dziennik Poznański, 4.9.1889; Gazeta Toruńska, 29.6.1887, 15.10.1889; Pielgrzym, 24.10.1889. 320 Vgl. Gazeta Toruńska, 23.7.1887; Dziennik Poznański, 19.2.1896; Pielgrzym, 1.2.1898. 321 Vgl. Orędownik, 9.1.1887; Gazeta Grudziądzka, 17.8.1895. 322 Vgl. Goniec Wielkopolski, 6.3.1894, 13.3.1894; Orędownik, 14.3.1894. Dabei wurde auch Kościelskis adlige Abstammung thematisiert, vgl. Goniec Wielkopolski, 25.3.1893. 323 Vgl. Kaminski, Publicists, S. 95–99.
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ager der Regierungskritiker. Am 16. September 1894 hielt er in Lemberg eine L Rede, in der er sich zur Unteilbarkeit der polnischen Nation bekannte. Sowohl Wilhelm II. als auch Otto von Bismarck verurteilten sie als irredentistisch und betrachteten sie als Scheitern des Versöhnungskurses. In diese Zeit fiel auch die Gründung des radikalnationalistischen »Deutschen Ostmarkenvereins«, zunächst noch mit dem Namen »Verein zur Förderung des Deutschtums in den Ostmarken«.324 Das Vertrauen des Kaisers verlierend, stürzte die Regierung Caprivi.325 In der nationalpolitisch interessierten Literatur ist zuweilen diese Episode allein für den Sturz Caprivis herangezogen worden. Die wirtschaftshistorische Forschung hat hingegen auch auf die politisch einflussreiche Agraropposition gegen die von Caprivi betriebene Freihandelspolitik hingewiesen, die 1893 in der Gründung des »Bundes der Landwirte« als Interessensverband kulminierte, und ihrerseits zu dem Sturz Caprivis, dieses alten Offiziers »ohne Ar und Halm«, beitrug.326 Kościelski indes, ins Abseits gestellt, rang um seine politische Reputation und leistete nach der Lemberger Rede weiter politische Abbitte. So nutzte er 1895 eine reiche Erbschaft, um medienwirksam Großgrundbesitz zu erwerben.327 Über mehrere Monate zogen sich die Suche nach einem geeigneten Objekt und die sich anschließenden Kaufverhandlungen hin (wobei auch der Ankauf des oben genannten Gutes Mileszewy erwogen wurde); stets von der polnischen Presse begleitet. Die Wahl fiel schließlich auf die Herrschaft Milosław des Grafen Mielżyński und die angrenzenden Ritter- und Landgüter, zusammen ein Areal von rund 5.000 Hektar. Wenn auch der Goniec Wielkopolski in der Verausgabung ererbten, nicht selbst erwirtschafteten Geldes kein nationales Verdienst erkennen wollte, feierte der Dziennik Poznański den Käufer für den Erhalt alten polnischen Besitzes in 324 Vgl. Born, Preußen, S. 48 f.; Kaminski, Publicists, S. 205–215; Chwalba, S. 456–458; Baier, S. 21 f.; Grabowski, Ostmarken-Verein; dies., Nationalismus, S. 62–66; Laubert, Polenpolitik, S. 140–142; Galos, S. 36–47. Siehe dazu auch den Lagebericht des Bromberger Regierungspräsidenten: GStA PK, XVI. HA Rep. 30, Nr. 656, Bd. 4, Bl. 235–243, Immediatbericht des Regierungspräsidenten von Bromberg, 31.12.1894. Vgl. zur Einschätzung der Lemberger Rede auch das rückblickende Urteil Bogdan Hutten-Czapskis, eines guten Kenners des Berliner Politikbetriebes: Hutten-Czapski, S. 315 f. Tendenziös: Wiegand, S. 7–9. 325 Vgl. Laubert, Polenpolitik, S. 140; Kotowski, Staatsräson, S. 116–124; Huber, S. 497. Zur zeitgenössischen medialen Wahrnehmung des Zusammenhangs von Caprivis Sturz und der Polenpolitik vgl. Münstermann, S. 60. Ausführlich zum Wirken der unterschiedlichen politischen Kräfte: Galos, S. 30–34. 326 Vgl. Bergsträsser, S. 98; Treue, Landwirtschaft, S. 61–74, 94–96; Puhle, S. 203–205; Aldenhoff-Hübinger, S. 87. Vgl. etwa auch die noch vier Jahrzehnte nach den Geschehnissen entstandenen, Caprivis noch immer verbittert gedenkender Ausführungen in den Memoiren des Großgrundbesitzers, konservativen Abgeordneten, hochrangigen Funktionärs im Bund der Landwirte und als Sachverständiger Angehörigen der Ansiedlungskommission Oldenburg-Januschau, S. 36–39. 327 Das Erbe stammte von Kościelskis kinderlos verstorbenem Onkel, dem General in türkischen Diensten Władysław Kościelski (1819–1895), und betrug Zeitungsberichten zufolge um die sechs Millionen Francs, umgerechnet vier Millionen Mark.
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den Händen der Nation.328 Seit dem Kauf von Milosław war Kościelski wieder verstärkt auf der politischen Bühne präsent, die er durch seine seit 1881 bestehende Mitgliedschaft im Herrenhaus ohnehin nie gänzlich verlassen hatte.329 Die demonstrative Rettung polnischen Bodens diente demnach als Strategie der Rückgewinnung verlorenen Ansehens. Weiter war Kościelski auch im polnischen Verbandswesen rührig und zudem als Aufsichtsratsmitglied der Spółka Rolników Parcelacyjna mittelbar an der Vergabe von Land an polnische Bauern beteiligt. Nichtsdestotrotz blieben die Rehabilitierungsbemühungen unvollständig; in nationaldemokratischen Kreisen blieb Kościelski aufgrund seiner Rolle in der »Versöhnungsära« unter Caprivi verbrannt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Abgeordneten in ihren Reden, vielmehr aber noch die Zeitungen in ihren Artikeln zur Nationalisierung des Bodenmarktes beigetragen haben. Durch wiederholte Moralisierungen wurde das ökonomische Verhalten der polnischen Landsleute entlang nationaler Denkkategorien evaluiert. Diese »moralische Ökonomie« als Justierung wirtschaftlichen Handelns mithilfe sozialer Normen sah vor, dass polnische Grundbesitzer nicht an den nationalen Gegenspieler verkaufen sollten. Taten sie es doch, wurde diese Handlung als Normbruch gewertet, der in Form öffentlicher Schmähungen seine Sanktionierung nach sich zog. Durch solche Schmähungen wurden die Grenzen zwischen Öffentlichem und Privatem neu verhandelt, das Privatgeschäft zur nationalen Streitfrage: Der privatrechtliche Akt des Verkaufes wurde durch das ihm unterstellte Potenzial einer Bedrohung der gesamten Nation zu einer öffentlichen Angelegenheit erklärt, über das die Öffentlichkeit berechtigt war, ein Urteil zu fällen. 1.3.5 Funktionen öffentlicher Herabsetzungen Die vorangegangenen Ausführungen lassen nach der sozialen Funktionalität öffentlicher Herabwürdigungen und Ausgrenzungen fragen. Der Normensoziologie Émile Durkheims folgend lassen sich drei von den Normsetzern intendierte, jedoch keinesfalls in ihrer Wirkung auch planbaren Funktionen für solche »Invektiven«330 in sozialen Systemen ausmachen. Beschreiben lassen sie sich als Vergeltung, als Prävention und als Konstruktion von Gemeinschaft:
328 Vgl. Postęp, 3.10.1895; Gazeta Grudziądzka, 8.10.1895; Gazeta Toruńska, 22.10.1895; Goniec Wielkopolski, 6.11.1895; Gazeta Gnieźnieńska, 9.11.1895; Dziennik Poznański, 21.1.1896. 329 Kościelski wurde demnach nicht, wie bei Kotowski zu lesen, erst mit dem Kauf von Milosław Mitglied des Herrenhauses, was dem Erwerb freilich als sozialem Prestigegewinn eine zusätzliche Bedeutung verliehen hätte. Vgl. Kotowski, Staatsräson, S. 107, Anm. 62. 330 Unter »Invektivität« werden hier »jene Aspekte von Kommunikation (verbal oder nonverbal, mündlich, schriftlich, gestisch oder bildlich)« verstanden, »die dazu geeignet sind, herabzusetzen, zu verletzen oder auszugrenzen.« Ellerbrock u. a., S. 2, für das Folgende S. 15–18.
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Erstens dienten die Schmähungen dazu, den Geschmähten für den begangenen Regelverstoß – den Verkauf an den nationalen Gegner – zu bestrafen, den Normenübertritt zu vergelten. Der öffentliche Pranger diente damit der Sühne, der gerechten Rache für das verletzte Kollektivgefühl.331 Mehr noch zielten die Schmähungen zweitens darauf ab, potenzielle Regelverstöße in Zukunft zu verhindern. Durch eine Bestrafung des inkriminierten Verhaltens sollte auf potenzielle Nachahmer Druck ausgeübt werden. Um maximale Wirkung zu erzielen, war es nötig, möglichst harte Sanktionen über bereits erfolgte Missetaten zu verhängen. Den Schmähungen wohnte demnach auch ein präventives Moment inne. Durch die öffentliche Sanktionierung devianten Verhaltens wurde die bestehende Gültigkeit der infrage gestellten Norm wirkungsvoll unter Beweis gestellt. Durch den öffentlichen Prozess – hier in Form informeller Schamgerichte – wurde der Öffentlichkeit drittens ein gemeinschaftsstiftendes Solidarisierungsangebot gemacht. Durch die Brandmarkung und Exklusion des nationalen »Verräters« wurde die polnische Nation nicht bloß als ethnische, sondern auch als normativ geschlossene Einheit konstituiert. Ihr gehörte an, wer sich durch normenkonformes Verhalten auszeichnete, während Mitglieder, die ethnisch »eigentlich« dazugehörten, aus der Nation ausgeschlossen und bestraft gehörten, da sie sich durch den Regelverstoß als unwürdig erwiesen hatten.332 Die Presse verstand sich in diesem Prozess explizit als moralisches Korrektiv, indem sie dem Publikum das Angebot machte, mindestens von den »parasozial vermittelten Partizipationsmöglichkeiten in der Gemeinschaft«333 Gebrauch zu machen, d. h. eine Haltung innerer Zustimmung zu der Rechtmäßigkeit des Prozesses und der verhängten Strafe zu entwickeln; vielleicht aber sogar durch eine öffentliche Akklamation des Vorgangs sich mit zu empören und auf diese Weise eine emotionale Teilhabe an der Gemeinschaft zu üben.334 Benedict Anderson hatte in anderem Zusammenhang auf diesen Mechanismus hingewiesen, durch Zeitungslektüre ein nationales Gemeinschaftsgefühl zwischen Unbekannten zu stiften.335 Relevant dürfte für diese Form der Kommunikation von Normen überdies ein unterschwelliger Verstärkereffekt gewesen sein, der aus einem tatsächlich so gestifteten oder bloß vom lesenden Individuum imaginierten Gemeinschaftsgefühl resultierte: Indem sich die Meinungsführer nicht bloß an einen einzelnen Adressaten richteten, sondern sich als Sprachrohr einer größeren Gruppe inszenierten, musste der Einzelne ein stilles Einverständnis der übrigen, für ihn 331 Vgl. Aschmann, S. 25 f. 332 Vgl. Krischer, S. 9 f. 333 Döveling, S. 286. 334 Vgl. Durkheim, S. 127–131, 146–150; Popitz, Normen (2006), S. 158. Auf die Bedeutung von Emotionen bei der Verankerung der »Nation« als kollektive Wertorientierung haben François / Siegrist / Vogel hingewiesen. 335 Vgl. Anderson, S. 41 f.; Frysztacka, Zeit-Schriften, S. 52 f. Auf das Problem eines sozial fragmentierten Zeitungsmarktes ging Anderson dabei nicht ein.
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gleichsam anonymen Leserschaft als normativer Bezugsgruppe mit den in der Lektüre transportierten Meinungen unterstellen. Die hier und da abgedruckten Leserbriefe – seien sie nun von der Redaktion fingiert oder nicht – mochten den Eindruck einer großen, unüberschaubaren und in der Sache doch einigen Normengemeinschaft noch verstärkt haben. Es musste dem einzelnen Leser, so wird geschlossen werden dürfen, demnach die Identifikation mit den kommunizierten Normen ratsam erschienen sein, wollte er die Solidarität dieser Bezugsgruppe und die Akzeptanz des Erwartungskollektivs nicht gefährden.336 Durch die öffentlichen Schmähungen wurden somit auf eigentümliche Weise die drei Personenkreise Grundbesitzer, Redakteure und Leserschaft mit den drei Zeitebenen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verknüpft. Doch neben den drei von Durkheim beschriebenen Funktionen von Normen – Vergeltung, Prävention und Konstruktion von Gemeinschaft – lässt sich noch eine vierte Funktion ausmachen, die als »Aspiration« oder auch als »Usurpation« bezeichnet werden könnte. Sie besaß mindestens für die Zeitungen der »Volkspartei« erhebliche Bedeutung, um eine soziale Statusverbesserung in der innerpolnischen Geltungskonkurrenz zu erzielen: Indem sich die Meinungsführer der »Volkspartei« als würdevolle, institutionalisierte Ausformung des Gemeinwillens inszenierten, sprachen sie sich in einem Akt der Selbstermächtigung das Recht und die Autorität zu, im Namen der Nation zu sprechen und als eine Instanz zu handeln, die über Zuweisung und Aberkennung der Ehre einer Person urteilen durfte. So konnten die Zeitungen der »Volkspartei« ihren politischen Einfluss ausbauen, auch ohne auf die Autorität gewählter Abgeordneter zurückgreifen zu können. Mithilfe ihrer zunehmenden Adelskritik stellten die Zeitungen der »Volkspartei« die Legitimität der arrivierten politischen Kräfte infrage. Solche Akte der Selbstautorisierung sind grundsätzlich zunächst einmal prekär und können ein kontraproduktives Potenzial entfalten, wenn das angesprochene Publikum dem Autoritätsanspruch nicht stattgibt: Dann gibt sich der erfolglose Herausforderer der Lächerlichkeit preis. Im vorliegenden Fall glückte jedoch die Usurpation der Deutungshoheit. Den Vertretern der »Volkspartei« gelang es, durch ihre Adelskritik einen Autoritätsgewinn zu verzeichnen und sich dauerhaft im politischen Spiel der Kräfte zu etablieren. Auf ähnliche Weise funktionierten Belobigungen in Fällen normenkonformen Verhaltens, etwa dem Ankauf deutschen oder der Sicherung polnischen Bodens: Auch hier konnte sich der Ehrende als jemand inszenieren, der zur Würdigung nationaler Verdienste befugt war. Folglich ist der Vorgang der An- oder Aberkennung öffentlicher Ehre nicht bloß als ein Akt eines gesamtgesellschaftlichen Utilitarismus zu sehen, sondern er kann von den 336 Robert K. Merton und Alice S. Kitt haben dies für die Neuaufnahme in bestehende Bezugsgruppen als Prozess »antizipatorischer Sozialisation« bezeichnet, wobei zu unterstellen ist, dass dieser Prozess auch kontinuierlich bei aktiven Mitgliedern bestehender Gruppen stattfindet, um auf normativen Wandel zu reagieren. Vgl. Kumpf, S. 284–295. Zur Bedeutung der Leserbriefe in diesem Zusammenhang aus kommunikationstheoretischer Perspektive: Mlitz, S. 75–81.
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Eigeninteressen der die Urteile fällenden Akteure nicht getrennt werden – in den Jahren vor der Jahrhundertwende erlangten Zeitungsredakteure eine nie zuvor dagewesene Stellung als nationale Eliten, die sie auch durch die Übernahme von Führungsrollen im Vereinswesen gleichzeitig dokumentierten und ausbauten.337 In Anlehnung an Georg Simmel hat Ludgera Vogt solche Ehr- und Schamgerichte als ein »steuerndes und integrierendes Normsystem«338 bezeichnet. Durch solche informellen Gerichte und die Zuweisung bzw. Aberkennung der immateriellen Ressource »Ehre« versichert sich die Gesellschaft der Werte und Handlungsmaximen, die sie begrüßt oder auch ablehnt. Ehre und Ehrungen, wie etwa die der Würdigung von »Rettern polnischen Bodens«, üben demnach eine stabilisierende Funktion aus, indem sie als positive Sanktion individuellen Verhaltens und als »Medium zur Tradierung und Befestigung sozialer und politischer Werte«339 wirken. Devianz, hier die nationaler »Verräter«, erscheint dabei nur vordergründig als eine Steuerungslücke: Erst durch den Mechanismus des Bestrafens und Ausgrenzens des Delinquenten kann eine expressive Integration der übrigen Gesellschaftsglieder stattfinden. Beide Mechanismen, sowohl die Ehrung als auch die Ent-Ehrung, sind also komplementäre Bestandteile des gleichen Vorgangs.340 Als Forum zur Vermittlung und Kommunikation dieser Werte und der ihnen zugrundeliegenden Ehrprozesse kommt der medialen Öffentlichkeit eine wichtige, vielleicht die wichtigste Aufgabe zu.341 Ihr steuerndes Element gewinnen Ehr- und Schamgerichte dadurch, dass sie für Handlungsoptionen zusätzliche, abzuwägende Folgen in Aussicht stellen, die die Attraktivität dieser Optionen erhöhen oder schmälern. Dieser Handlungsdruck ergibt sich im vorliegenden Fall durch die Gegenüberstellung von ökonomischen und sozialen Folgen: Der »Verräter« kann zwar einen Verkaufserlös generieren, jedoch um den Preis seines sozialen Verstoßes. Der »Retter polnischen Bodens« hat zwar ein finanzielles Opfer zu leisten, das sich aber womöglich durch den Gewinn gesellschaftlichen Ansehens anderweitig auszahlen kann. Birgit Aschmann zufolge steigt die Sensibilität für Ehrdiskurse dann, wenn die Stabilität der überkommenen sozialen Ordnung bedroht ist oder wenigstens bedroht zu sein scheint.342 Entsprechend können die Ehrungen von »Rettern« und die zahlenmäßig bedeutsameren Schmähungen von »Verrätern« als ein Krisensymptom in der polnischen Öffentlichkeit verstanden werden. Es wäre zu kurz gegriffen, die hier geschilderten Formen der Ehrungen und Entehrungen als Versuche zu begreifen, die bedrohte Ordnung durch die Festlegung und Festschreibung von Verhaltensnormen zu stabilisieren. Stattdessen gingen stabilisierende und destabilisierende Momente Hand in Hand.343 Nach außen hin galt es, 337 Vgl. Schattkowsky, Nationalismus, S. 51. 338 Vogt, S. 162. 339 Vogt / Zingerle, S. 11; Vogt, S. 246; Reeken / T hießen, passim. 340 Vgl. Vogt, S. 338. 341 Vgl. ebd., S. 250, 270; Aschmann, S. 19. 342 Vgl. ebd., S. 24. 343 Vgl. für diese Ambivalenz Ellerbrock u. a., S. 15 f.
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den nationalen Besitzstand zu wahren oder gar zu vermehren. Doch nach innen war die Adelskritik der »Volkspartei« dazu angetan, die bestehende Ordnung zu destabilisieren, indem sie den Weg in eine soziale Utopie wies. Abschließend ist festzuhalten: Schon unmittelbar nach der Gründung der Ansiedlungskommission gelang es der polnischen medialen Öffentlichkeit, unabhängig von ihrem sozialen bzw. politischen Adressatenkreis, ein System iterativer öffentlicher Schmähungen zu installieren, das auf die Grundbesitzer abzielte, die ihr Land an die Ansiedlungskommission oder andere als nationale Feinde definierte Käufer veräußert hatten. Die an alle polnischen Grundbesitzer, vor allem aber die Großgrundbesitzer gerichtete Erwartung war die, dass sie ihren Besitz nicht an deutsche Käufer veräußern sollten. Durch die wiederholte Kommunikation dieser Erwartung in Form von Zeitungsmeldungen wurde die Gültigkeit der Norm hergestellt und durch die regelmäßige Sanktionierung devianten Verhaltens stabilisiert. In der Berichterstattung polnischer Zeitungen verschränkten sich demnach Informations- und meinungsbildende Funktion der Massenpresse; die Leserschaft wurde nicht nur über konkrete Sachverhalte informiert, sondern ihr wurde zugleich eine auf die Autorität des Mediums gestützte Deutung der damit verbundenen sozialen Zusammenhänge präsentiert. Durch die Koppelung an andere Facetten »moralischer Ökonomie«, nämlich die Appelle an familiäre und religiöse Loyalitäten, wurde der nationalen Norm zusätzliches Gewicht verliehen. Aus Sicht der Grundbesitzer wurde ihr Wertehorizont damit verschoben. Ihre Verkaufsentscheidung konnten sie fortan nicht mehr allein nach ökonomischen Orientierungspunkten, wie dem Kaufpreis, oder sozialen Wertvorstellungen, wie der Familie, ausrichten. Stattdessen mussten sie die »Nation« als neuen, politischen Wertmaßstab ihrer sozialen Umwelt in die Auswahl des Käufers einbeziehen. Ohne dass sich die polnische Nationalbewegung auf juristische Imperative berufen konnte, trug sie durch die Moralisierung ökonomischen Handelns zu einer Deliberalisierung des Bodenmarkts bei, indem der Käuferkreis auf polnische Privatkäufer und Genossenschaften verengt wurde. Die Intentionen hinter Moralisierung und Sanktionierung unterschieden sich zwischen den politischen Lagern und den politisch und sozial fragmentierten Zielgruppen, die sie ansprechen wollten: Für die »Volkspartei« und in geringerem Rahmen auch für den oppositionellen Flügel der »Hofpartei« hielten die Verkäufe polnischer Großgrundbesitzer für eine dezidierte Adelskritik her, um das Vertretungsmonopol für die polnische Nation infrage zu stellen, das sich der loyalistische Adel zusammen mit dem Klerus teilte. Die Berufung auf die gemeinschaftsstiftende Losung der »Nation« war demnach nicht nur dazu geeignet, soziale Konflikte zu harmonisieren oder zu entschärfen, sondern ebenso zu entfachen und zu schüren, worauf Jörg Echternkamp und Sven Oliver Müller hingewiesen haben.344 Bezogen auf das vorliegende Beispiel bedeutet dies, dass sich die durch loyalistische Politiker und Zeitungen erfolgten Schmähungen 344 Vgl. Echternkamp / Müller, S. 7–12.
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gegenüber ihren Standesgenossen als Rückzugsgefechte deuten lassen, um den adligen Vertretungsanspruch weiterhin zu behaupten. Die verfolgte Strategie war keineswegs eindeutig: Scharfe Angriffe gegen einzelne Verkäufer standen neben zögerlichen Versuchen, Ausnahmeregelungen auszuloten. Nichtsdestotrotz ist gerade der invektive Diskurs in den Medien des loyalistischen Teils der »Hofpartei« besonders hervorzuheben: Durch sie wurde die »nationale Norm« von Meinungsführern, die der eigenen sozialen Bezugsgruppe angehörten, an die Großgrundbesitzer adressiert. Daneben gelang es den unterschiedlichen Gruppierungen der polnischen Nationalbewegung mit leichter Verzögerung, ein Netzwerk von Organisationen zu errichten, das erfolgreich in wirtschaftliche Konkurrenz mit der Ansiedlungskommission zu treten imstande war. D. h., durch subversive Aneignung des staatlichen Vorgehens mithilfe der Genossenschaften gelang es den Trägern der polnischen Nationalbewegung, ein eigentlich gegen sie gerichtetes Verfahren, das der Parzellierung und Besiedlung, für die eigenen Zwecke zu in strumentalisieren.345 Die Einwerbung der dafür erforderlichen finanziellen Mittel gestaltete sich als ein Akt nationaler Gemeinschaftsbildung. Bei der Errichtung der Genossenschaften und der Durchführung ihrer unternehmerischen Vorhaben nahm die Presse abermals eine übergeordnete Stellung ein: zum einen als zentrale Informationsbörse und appellative Kraft, die den Genossenschaften Kapitalien und Mitglieder zuführte, zum anderen schuf sie mit ihren Ehrungen und Entehrungen erst die Nachfrage nach normgerechten Käufern. Für die Zielsetzung einer polnischen Besitzautarkie war demnach die Gründung von Parzellierungsgenossenschaften ein wichtiger Schritt, um verkaufswilligen Grundbesitzern eine Alternative zum Verkauf an die Ansiedlungskommission anzubieten. Es erscheint aber fraglich, ob die privatwirtschaftlich organisierten Institutionen im Preiswettbewerb mit dem preußischen Fiskus hätten bestehen können, wenn nicht in der polnischen Öffentlichkeit mithilfe von Ehr- und Schamgerichten eine Modifikation des normativen Rahmens entlang nationaler Orientierungsmuster erfolgt wäre.
1.4 Die Entscheidung für eine Fortsetzung der Ansiedlungspolitik 1898 Dass polnische Grundbesitzer flächendeckend auf den Verkauf an die Ansiedlungskommission verzichteten, musste empfindliche Auswirkungen auf die preußische Siedlungspolitik haben. Die historische Zeitungs- bzw. Leseranalyse sieht sich vor das Problem gestellt, die Wirkung der untersuchten Zeitungsartikel auf ihre Rezipienten nicht eindeutig belegen zu können, sodass sich folglich aus der Rückschau nur schwer beurteilen lässt, wie polnische Grundbesitzer 345 Vgl. Lerp, Grenzräume, S. 166 f.
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die Schmähungen ihrer Landsleute in den Zeitungen aufgenommen haben.346 Gleichwohl ist die »moralische Ökonomie«, die wirksame Formulierung und Kommunikation sozialer Normen, eine plausible Erklärung für die auffällige Zurückhaltung polnischer Landwirte gegenüber der Ansiedlungskommission. Die polnischen Großgrundbesitzer passten mehr und mehr ihr ökonomisches Handeln der nationalen Norm an, keine Verkaufsverhandlungen mit der preußischen Behörde anzuknüpfen. Die einzige Ausnahme bildeten die Jahre der Caprivi-Ära, in denen sich zumindest die Politiker und Blätter der »Hofpartei« mit Tönen nationaler Unversöhnlichkeit zurückhielten. Anhaltspunkte über die Tragweite dieses Vorgangs liefern die statistischen Informationen, die die Ansiedlungskommission über die Entwicklung der ihr angebotenen Güter aufgestellt hat. Demnach stürzte die Zahl der ihr jährlich von polnischen Großgrundbesitzern angebotenen Güter von rund einhundert bei Beginn der Aufnahme ihrer Tätigkeit auf etwa dreißig ab. In den Jahren 1892 bis 1894 erholte sich das Angebot als Folge der »Entspannungspolitik«, um in den Jahren vor 1898 erneut sukzessive zu sinken.347 Trotzdem darf daraus weder gefolgert werden, dass polnische Angebote gänzlich versiegten, noch dass die Ansiedlungskommission vorbehaltlos alle Besitzungen kaufte, die von polnischen Eigentümern angeboten wurden. Aufschluss darüber gibt eine Liste, die dem Beratungsgremium der Ansiedlungskommission im Juli 1898 vorlag, welche die in der ersten Jahreshälfte angebotenen Besitzungen aufführt. Eine erhebliche Anzahl polnischer Angebote war bereits vorab wegen zu hoher Preisforderungen oder mangelhafter Bodenqualität aussortiert worden, hatte es also gar nicht erst in die Liste geschafft.348 Von den verbleibenden 25 Gütern in polnischem Besitz waren bis zum Zusammentritt der Kommission weitere zehn ausgeschlossen worden (Tab. 3). Tab. 3: Gründe für die Ablehnung polnischer Angebote (Januar bis Juni 1898)349 Wegen mangelnder Qualität des Gutes bzw. dessen Boden
2
Wegen mangelnder Nähe zu bereits existierenden Ansiedlungen
1
Wegen schlechter Qualität und schlechter Lage
1
Wegen zu hoher Preisforderungen
3
Weil sich der Vermittler nicht wieder gemeldet hat
3
346 Vgl. Spät, S. 10. 347 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 212, Nr. 6115, n. p., Übersicht über die der Königlichen Ansiedlungskommission seit dem Jahre 1886 zum Kauf angebotenen Güter und Grundstücke, ca. 1919; ebd., Rep. 87, Abt. B Nr. 9511, Bl. 101, Zusammenstellung. 348 Zu diesem Vorgehen: GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9588, Bl. 57–72r, Protokoll der Sitzung der Ansiedelungs-Kommission, 18.1.1895. 349 Ebd., Bl. 334–356, Anlage zum Protokoll der Sitzung der Ansiedlungskommission, 5./6.7.1898, Aufstellung des Landangebotes, 1.7.1898.
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Diese Aufstellung zeigt, dass das Argument der nationalen Zugehörigkeit des Besitzers nicht alleinentscheidend war, sondern ökonomische Aspekte weiterhin erheblichen Einfluss auf die Ankaufentscheidungen besaßen. Diese Liste und die unterschiedlichen Bewertungskriterien, die sie enthält, zeigt zudem die wachsende Zahl an Parametern, die zu berücksichtigen die Ansiedlungskommission sich verpflichtet sah. Damit stieg zugleich der bürokratische Aufwand und es verlangsamte sich der Entscheidungsprozess der Behörde durch die wachsende Zahl an Informationen, die eingeholt und bewertet werden mussten. Bis 1898 hatte sich eine Reihe verschiedener Grundsätze für den staatlichen Ankauf entwickelt:350 1. Der Preis des Gutes: Die preußische Regierung hatte sich im zweiten Paragraphen des Ansiedlungsgesetzes zu einer »fiskalischen Schadloshaltung« verpflichtet. Das bedeutete, dass die Besiedlung kostenneutral zu erfolgen hatte. Die Kaufpreise mussten mit der Pacht oder Rente verrechnet werden, die die Siedler zahlen würden. Um die Siedler nicht an ihrem wirtschaftlichen Fortkommen zu behindern, mussten Kaufpreise möglichst niedrig ausfallen. Darum sollte vorzugsweise Grundbesitz in Zwangsversteigerung erworben werden.351 Der preußische Finanzminister hatte von Anfang an über diesen Grundsatz gewacht und stets sein Veto in Fällen eingelegt, in denen Verkaufspreise ungebührlich hoch schienen. So wurde auch der Ansiedlungsfonds geschont; weitere Finanzmittel hätten der – möglicherweise von politischen Zugeständnissen abhängigen – Bewilligung durch den preußischen Landtag bedurft. 2. Die Lage des Gutes: Die Ansiedlung in überwiegend deutschen Gebieten galt als überflüssig. Kaufte die Ansiedlungskommission zu Beginn ihres Bestehens noch in polnisch dominierten Regionen, ging man 1898 dazu über, dies bevorzugt in gemischten Gebieten zu tun. Ziel war, in Wahlkreisen mit unsicheren Mehrheitsverhältnissen für die deutschen Landtags- und Reichstagsabgeordneten diese Mehrheit zu festigen oder erst zu schaffen.352 Zugleich war die Ansiedlungskommission bestrebt, zusammenhängende Siedlungen zu schaffen, sodass auch Güter bevorzugt gekauft wurden, die an Ansiedlungsgüter angrenzten. Dieses Arrondierungsinteresse nahm im Laufe der Zeit stetig zu, machte die Ankaufpolitik der Ansiedlungskommission allerdings auch für angrenzende Grundherren »lesbar«, die im Bedarfsfall mit einer Steigerung ihrer Preisforderung reagierten. 3. Die Größe des Gutes: Nicht nur ließen sich auf größeren Gütern mehr Siedlerstellen anlegen. Zudem waren große Güter im Hektarpreis durchschnittlich preiswerter als kleinere Güter, da hier oftmals Flächen ungenutzt blieben 350 Vgl. ebd., Nr. 9680, Bl. 75–78, Präsident der Ansiedlungskommission an das Staatsministerium, 5.3.1887. 351 Vgl. Sukiennicki, S. 29; Bruchhold-Wahl, S. 145 f. 352 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9505, Bl. 129–130, Landwirtschaftsminister an den Präsidenten der Ansiedlungskommission, 23.5.1898.
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und brachlagen. Kleinerer Grundbesitz, vor allem unterhalb einer Fläche von 100 Hektar, wurde zumeist nur zur Arrondierung angekauft. 4. Die Beschaffenheit des Gutes: Bevorzugt wurden gute, d. h. schwere, besonders fruchtbare Böden, da diese höhere Erträge zuließen und es damit wahrscheinlicher machten, Interessenten für die Ansiedlung zu finden. Zugleich verringerte eine gute Bodenqualität die Gefahr, dass ein Siedler durch Missernten zur Aufgabe seiner Stelle oder Inanspruchnahme staatlicher Hilfen gezwungen wäre. Der Ankauf von Gütern mit großen Forstflächen wurde vermieden, da sich diese nicht zum Ackerbau eigneten. Dagegen wurden Güter bevorzugt, deren Inventar und Feldbau intakt war, da diese eine kürzere Zwischenverwaltung benötigten. Auch die Bausubstanz der Gehöfte mit ihren Wirtschaftsgebäuden und notwendige Instandhaltungsmaßnahmen flossen in die Bewertung ein. 5. Die Reserven des Ansiedlungsfonds: Drohten die Mittel des Ansiedlungsfonds zur Neige zu gehen, wie es unmittelbar vor der Bereitstellung neuer finanzieller Mittel 1898 der Fall war (und dann später erneut in den Jahren 1902, 1908 und 1913), wurden weniger Güter angekauft. Die vorhandenen Mittel wurden für die Zwischenverwaltung und die Besiedlung des noch vorrätigen Bodens zurückgehalten. 6. Die Nationalität des Vorbesitzers: Es sollte vorzugsweise von polnischen Grundbesitzern in Landkreisen mit starker polnischer Bevölkerung gekauft werden. Betriebe mit ausgedehnten Ländereien hatten Vorrang, allerdings wurde der Ankauf polnischen Bauernbesitzes nicht ausgeschlossen.353 Von deutschen Eigentümern sollte, wie bereits gezeigt, nur ausnahmsweise gekauft werden und nur, wenn andernfalls der Übergang in polnischen Besitz drohte; aber nicht, wenn der Besitzer als wohlhabend galt.354 Den geschäftsfördernden Nutzen polnischer Kaufangebote hatten die deutschen Grundbesitzer antizipiert, wenn sie in ihren Ankaufgesuchen die Existenz polnischer Kaufinteressenten andeuteten. Nach der Jahrhundertwende sollte schließlich die Frage, welches Gewicht diese Eventualität auf die Entscheidung für oder gegen einen Ankauf durch die Ansiedlungskommission ausüben sollte, sowohl dort als auch im Staatsministerium kontrovers diskutiert werden und eigene Geschäftszweige hervorbringen (s. Kap. 2.2). War das Ankaufgeschäft der Ansiedlungskommission somit durch zunehmend komplexere Beurteilungsmethoden und den wachsenden Wettbewerb mit polnischen Siedlungsgenossenschaften schwieriger geworden, so erwuchs ihr zusätzliche Konkurrenz im Erwerb von Grundbesitz auch von deutscher Seite: 1895 war in Berlin die Landbank gegründet worden. Ihre Gründer waren prominente Mitglieder des im Jahr zuvor ins Leben gerufenen nationalistischen »Vereins zur 353 Vgl. ebd., Nr. 9587, Bl. 6–10r, Protokoll der Sitzung der Ansiedelungs-Kommission, 11./12.10.1886. 354 Vgl. Jakóbczyk, Komisja, S. 48.
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Förderung des Deutschtums in den Ostmarken«, dem späteren »Ostmarkenverein«.355 Auch die Landbank sah es als ihre Aufgabe an, Grundbesitz anzukaufen, zu parzellieren und mit deutschen, vornehmlich evangelischen Kolonisten zu besiedeln. Die Bank war als gewinnorientierte Aktiengesellschaft mit einem Stammkapital von fünf Millionen Mark gegründet worden, das aus dem Umfeld des Ostmarkenvereins aufgebracht wurde,356 und hatte bis 1898 rund 17.500 Hektar, schwerpunktmäßig in beiden Ansiedlungsprovinzen, aber auch in Ostpreußen angekauft. Bis 1900 waren es 67.625 Hektar, davon zwei Drittel in Westpreußen und Posen.357 Nach der Jahrhundertwende verlagerte sich die Tätigkeit der Landbank eindeutig nach Ostpreußen und Pommern; der Verkauf von Großgrundbesitz löste die Parzellierung in Klein- und Mittelgrundbesitz ab.358 Trotz dieser räumlichen Umorientierung blieb das Verhältnis zwischen Landbank und Ansiedlungskommission als Konkurrenzunternehmen konfliktträchtig. Auch wenn sich die Landbank schnell zu einem Unternehmen entwickelte, bei dem die deutsche Besiedlung der erworbenen Ländereien zweitrangig hinter der Profitorientierung stand (der Landwirtschaftsminister sprach ihr die nationale Gesinnung ab), ist ihre Gründung – nach der Bank Ziemski und den polnischen Parzellierungsgenossenschaften – ein weiterer Beleg für die wachsende Rolle privat betriebener Parzellierungen unter nationalem Vorzeichen.359 Zum Umfeld des Ostmarkenvereins gehört auch die 1900 gegründete Deutsche Besiedelungs-Genossenschaft in Berent; 1906 hielten allein Heinrich von Tiedemann, der den Ostmarkenverein mit einer »Methode des Alleinherrschens«360 leitete, und Ludwig Raschdau zusammen mehr als ein Viertel aller Anteile.361 Ein weiterer Wettbewerber war um die Jahrhundertwende die kurzlebige Deutsche Ansiedlungsgesellschaft, die vom Ausschuss für Wohlfahrtspflege auf dem Lande als Gegenunternehmen zur Landbank zwecks Bildung von kleineren und mittleren Stellen gegründet worden war. Ihrem Führungszirkel gehörten mit Max Sering, Heinrich Sohnrey, Emil Stumpfe und Hugo Thiel gut vernetzte Anhänger der »Inneren Kolonisation« an.362
355 Vgl. Tims, S. 57; Spickermann, Germans, S. 20–23; Grabowski, Nationalismus, S. 77, 107, 185; Stöcker, S. 155–157. 356 Vgl. Oldenburg, S. 62; Stöcker, S. 156. Die Forschung hat zwar gelegentlich auf den Zusammenhang von Landbank und Ostmarkenverein hingewiesen, weitergehende wirtschaftshistorische Untersuchungen des Unternehmens stellen jedoch noch ein Desiderat dar. 357 Vgl. Stumpfe, S. 231; Belgard, S. 107–171. 358 Vgl. Knoerrich. Bis 1910 hatte sie in allen östlichen Provinzen über 200.000 Hektar angekauft, seit der Jahrhundertwende aber überwiegend in Gänze weiterverkauft, während die Parzellensiedlung nur noch eine untergeordnete Rolle einnahm. Vgl. Paschke; Stöcker, S. 156. 359 Vgl. ebd., S. 155–157; Galos, S. 113 f. 360 Grabowski, Nationalismus, S. 76. 361 Vgl. GStA PK, XIV. HA, Rep. 180, Nr. 19668, n. p., Geschäftsbericht der Deutschen Besiedelungs-Genossenschaft e.G.m.b.H. zu Berent für das Jahr 1906. 362 Vgl. Stöcker, S. 157–166.
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1.4.1 Das Ankauftempo wird gedrosselt Für die Ansiedlungskommission stellte sich neben der Frage, wie auf die wachsende Konkurrenz zu reagieren sei, ab 1895 auch eine finanzielle Frage: Bis zum Frühjahr 1895 hatte die Kommission rund zwei Drittel des 100-Millionen-Fonds verausgabt und es war zu erwarten, dass der Fonds in den nächsten vier bis fünf Jahren erschöpft sein würde. Dabei stellte sich heraus, dass von den rund 90.000 Hektar Land, die bis zu diesem Zeitpunkt angekauft waren, kaum mehr als ein Drittel besiedelt worden war.363 Anfang 1896 beschloss das Staatsministerium, das Tempo der Besiedlung zu beschleunigen und die Ankäufe drastisch einzuschränken. Abermals bestätigten die Ministerkollegen, vorneweg Finanzminister Miquel, dass gerade die Ankäufe von deutschen Grundbesitzern weiterhin die Ausnahme bilden sollten. Diese Entscheidung wurde dem Präsidenten der Ansiedlungskommission – seit 1891 wurde die Behörde nicht mehr vom Posener Oberpräsidenten geleitet, sondern besaß, nachdem eine Übertragung des Amtes auf den Landwirtschaftsminister keine Zustimmung fand, mit Rudolf von Wittenburg einen hauptamtlichen Chef 364 – mit Erlass vom 7. April 1896 bekannt gegeben.365 Die Vorgabe stieß auf Widerstand unter den Mitgliedern des Plenums der Ansiedlungskommission: Der konservative Reichstagsabgeordnete Ludwig von Staudy stellte hiergegen im November 1896 einen Antrag. Staudy war selbst Rittergutsbesitzer und kraft seines Amtes als Direktor der Posener General landschaft, der korporativ verfassten Pfandbriefanstalt der Posener Grundbesitzer, Mitglied des Beratungsgremiums der Ansiedlungskommission. Der Inhalt seines Antrages sah vor, das Staatsministerium möge den Erlass zur Verlang samung des Ankaufs zurücknehmen, und es möge allgemein erlauben, deutsche Güter nicht nur ausnahmsweise anzukaufen. Als Gründe dafür nannte er die neue Konkurrenz polnischer Parzellierungsgenossenschaften und das wirtschaftliche Schwächeln der deutschen Großgrundbesitzer. Die Situation habe sich gegenüber der Ausgangslage von 1886 geändert, was entsprechende Re363 Vgl. Denkschrift über die Ausführung des Gesetzes vom 26. April 1886, betreffend die Beförderung deutscher Ansiedelungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, für das Jahr 1896, in: StenBerAH 1897, Drucksachen, S. 1699–1865, hier 1707. 364 Rudolf von Wittenburg war Landrat des Kreises Neustadt in Oberschlesien, ehe er 1887 als Hilfsarbeiter in der Ansiedlungskommission tätig wurde. Vgl. Denkschrift über die Ausführung des Gesetzes vom 26. April 1886, betreffend die Beförderung Deutscher Ansiedelungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, für das Jahr 1887, in: StenBerAH 1888, Drucksachen, S. 1090–1183, hier 1091. Siehe auch: GStA PK, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3562, Bl. 121–121r, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 15.3.1891; ebd., Bl. 128–151, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 23.3.1891; ebd., Bl. 179–189r, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 12.4.1891. 365 Vgl. ebd., Nr. 3578, Bl. 241–245r, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 15.2.1896; ebd., Rep. 87, Abt. B Nr. 9505, Bl. 5–5r, Landwirtschaftsminister an den Präsidenten der Ansiedlungskommission, 7.4.1896. Vgl. Jakóbczyk, Komisja, S. 46 f.
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aktionen erfordere. Daran anschließend entspann sich eine längere Diskussion und eine denkbar knappe Abstimmung: Beide Teile des Antrags wurden mit 7 zu 6 und 8 zu 6 Stimmen angenommen. Auch wenn die Stimmabgabe nicht namentlich dokumentiert ist, lässt sich aus der vorhergehenden Debatte ableiten, dass vor allem die zu diesem Zeitpunkt fünf, sonst sechs Großgrundbesitzer, die als landwirtschaftliche Sachverständige und mittelbare Staatsbeamte dem Gremium angehörten, für den Antrag stimmten, während die Kommissare der fünf beteiligten Staatsminister (des Ministerpräsidenten sowie der Landwirtschafts-, Innen-, Finanz- und Kultusminister) gegen den Antrag gestimmt hatten.366 Man kann hierin den Versuch erkennen, Partikularinteressen der deutschen Großgrundbesitzer mithilfe des zahlenmäßigen Gewichts der Agrarier im Beratungsgremium durchzusetzen, zumal es keineswegs üblich war, dass die Ansiedlungskommission Anträge an das Staatsministerium richtete. Der Präsident der Ansiedlungskommission erläuterte deshalb bei Übersendung des Sitzungsprotokolls die Hintergründe des Antrages in einem vierzigseitigen Begleitschreiben, das die gegenwärtige Siedlungspolitik einer Generalkritik unterzog. Es interessieren hier nicht alle Details der Lagebeurteilung, die in ihrer Betonung der Binnenfestigung der polnischen Minderheit auf ökonomischen, sozialen und politischen Gebiet durch Vereine und Wirtschaftsorganisationen vieles von dem vorwegnimmt, was zehn Jahre später Ludwig Bernhard in seiner ausführlichen Studie zum »polnischen Gemeinwesen im preußischen Staat« darlegen sollte.367 Wittenburgs Argumentation lief darauf hinaus, dass die deutsche Position nur durch die »Ueberführung des unhaltbaren Theils des deutschen Großgrundbesitzes in deutsche bäuerliche Hand« erhalten werden könne. D. h., die Siedlungspolitik sei uneingeschränkt fortzusetzen, damit »die damit verbundene Verdrängung der polnischen Arbeiterschaft verstärkend auf den Abfluß des polnischen Elements über See und in die westlichen Industriebezirke [wirke], wo die allmähliche Germanisirung des einzelnen Polen viel leichter ist als im Osten selbst.« Wichtiger noch war seine Einschätzung der vermeintlichen politischen Strahlkraft des deutschen Großgrundbesitzes: Das politisch allein ausschlaggebende Element war hier früher der Großgrundbesitz. Diese Periode ist meines Erachtens im Schwinden. Die wirthschaftliche Schwäche, mit der er kämpft, hat seine politische Aktionskraft und […] seine Verwendbarkeit für nationale Propaganda gelähmt.368 366 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9588, Bl. 154–175r, Protokoll der Sitzung der Ansiedlungskommission, 16./17.11.1896. Zu den Vorgängen auch Bruchhold-Wahl, S. 246–249. Zur personellen Besetzung der Ansiedlungskommission siehe [Königliche Ansiedlungskommission], S. 173. Zur rechtlichen Stellung der Landschaften vgl. Art. Landschaften, in: Bitter, Handwörterbuch, Bd. 2, S. 22–25. 367 Vgl. Bernhard, Polenfrage. 368 GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9505, Bl. 29–50, die Zitate 33r, 33r–34, 30r–31, Bericht des Präsidenten der Ansiedlungskommission an den Landwirtschaftsminister, 28.12.1896.
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Das klang in der Wortwahl nur wenig milder und kaum zufällig wie der »ökonomische Todeskampf des alten preußischen Junkertums«,369 den der Nationalökonom Max Weber gut anderthalb Jahre zuvor in seiner Freiburger Antrittsvorlesung heraufbeschworen hatte. Beide, Weber und Wittenburg, kannten sich aus Webers Militärzeit in Posen, wo sie in denselben gesellschaftlichen Kreisen verkehrten.370 Die deutschen Großgrundbesitzer könnten, so Wittenburg weiter, wegen ihrer wirtschaftlichen Schwächung die in sie gesetzten politischen Hoffnungen nicht erfüllen. Daher müsse dieser bedrohte Besitz in sichere deutsche Hände überführt werden, am besten in die des Staates. Die ursprüngliche Zielsetzung, mit der der bevorzugte Ankauf polnischen Großgrundbesitzes begründet wurde, habe sich nicht bewährt: Der numerische Einfluss sei ohnehin unbedeutend gering und er werde dadurch nivelliert, dass sich die Gutsbesitzer »gesundkauften«, ihr wirtschaftlicher und politischer Einfluss somit ungebrochen bleibe. Ankauf des verschuldeten deutschen Bodens durch die Ansiedlungskommission müsse fortan den Übergang in polnischen Besitz verhindern. Man kann in diesem Appell für eine Fortführung der Siedlungspolitik nicht zuletzt auch das Bemühen eines Behördenleiters sehen, der um den Fortbestand seiner Dienststelle bangte. An der Frage, ob die staatliche Siedlung weiter finanziert werden würde, hing auch die dauerhafte Existenz der Ansiedlungskommission. So diente der Hinweis auf das deutsche Landangebot auch dazu, dem Dienstherrn neue Zielsetzungen der Organisation anzubieten. Wittenburg schloss seine Ausführungen mit drei seine Behörde betreffenden Empfehlungen: die Auffüllung des Ansiedlungsfonds, die Überbietung deutscher Interessenten bei Zwangsversteigerungen, wenn der Verbleib in deutscher Hand nicht sicher erschien, und die Aufhebung der Ausnahmeregelung für den Ankauf deutschen Besitzes wenigstens in den Fällen, in denen große, geschlossene Siedlungskomplexe errichtet werden konnten.371 Trotzdem blieb der Antrag zunächst unberücksichtigt, der Erlass zur Einschränkung des Ankaufs blieb in Kraft. Und tatsächlich erlegte sich die Ansiedlungskommission in den Jahren 1896 und 1897 Zurückhaltung beim Erwerb neuer Besitzungen auf (Tab. 4).
369 Max Weber: Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik. Akademische Antrittsrede, in: Weber, Landarbeiterfrage, S. 535–574, hier 553. Zu Webers liberaler Gesinnung, die sich parteipolitischen Zuschreibungen freilich weitgehend entzog, vgl. Mommsen, S. 1–21. 370 Vgl. Max Weber an Marianne Weber, 19.3.1894, in: Weber, Briefe, Bd. 2, S. 511–513. 371 Siehe dazu auch die Vertiefung der Argumente in: GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9505, Bl. 95–107, Bericht des Präsidenten der Ansiedlungskommission zu den unter Absatz »Allgemeine Mitteilungen« des Protokolls von der Plenar-Sitzung der Königlichen Ansiedelungs-Kommission vom 6./7. Juli 1897 behandelten Anregungen aus dem Oktober 1897.
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Tab. 4: Summe der von der Ansiedlungskommission angekauften Fläche in Hektar 1886–1898372 Jahr
Fläche
1886
11.859
1887
15.401
1888
10.126
1889
4.839
1890
7.775
1891
8.527
1892
8.422
1893
8.424
1894
6.264
1895
7.566
1896
3.520
1897
4.840
1898
14.829
Gleichzeitig ergab sich eine neue Entwicklung: Seit 1897 stieg die Zahl potenzieller Kolonisten. Damit begannen die Maßnahmen, die die Ansiedlungskommission im Vorjahr zur Anwerbung von Siedlern initiiert hatte, erste Früchte zu tragen. Bei der Gründung der Behörde 1886 war auf eine gezielte Werbung noch bewusst verzichtet worden. Es sollten erst Erfahrungen bei der Besiedlung gesammelt werden, bis dahin sollte Mundpropaganda genügen. Doch nachdem die Ansiedlungskommission in den ersten Jahren ihres Bestehens große Flächen angekauft hatte, der benötigte Siedlerzuzug aber ausblieb, begann 1896 unter der Ägide Alfred Hugenbergs eine breite Kampagne: Vertrauensmänner wurden in die westdeutschen Regionen entsandt, um Bauern für den Osten anzuwerben, für Interessenten wurden Besichtigungsreisen auf die Ansiedlungsgüter organisiert und in einer von dem Volksschriftsteller Heinrich Sohnrey verfassten Broschüre wurden in einfacher Sprache häufig im Zusammenhang mit dem Ansiedlungswesen gestellte Fragen erörtert. Die Broschüre wurde gegen eine geringe Schutzgebühr vertrieben, oftmals aber auch verschenkt. Seit 1898 machten zudem Plakate in den Wartesälen der Bahnhöfe für die Ansiedlungskommission Reklame.373
372 Vgl. Swart, S. 590. 373 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9555, Bl. 213–215r, Bericht Alfred Hugenbergs über die Bemühungen zur Verstärkung des Ansiedlerzuzugs [ca. Juli 1898]; Lerp, Grenzräume, S. 164–166.
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Der Erfolg blieb nicht aus: »Auf den Ansiedelungen selbst scheint der Verkehr von Ansiedelungslustigen stärker gewesen zu sein, als in den Vorjahren«,374 vermeldete noch zögerlich der Jahresbericht der Ansiedlungskommission für das Jahr 1896. Wesentlich selbstbewusster dann der für das Jahr 1897: »Die erhebliche Steigerung, die sich sowohl in den Anfragen nach Ansiedlerstellen, wie in den abgeschlossenen Verkäufen vollzogen hat, ist zum Theil wohl auf die Bemühungen zurückzuführen, die von der Behörde in dieser Richtung seit 1 ½ Jahren gemacht sind.«375 1892 hatte die Ansiedlung mit einer Zahl von 263 Kolonisten mit ihren Familien einstweilen ihren Gipfel erreicht. Danach sank die Zahl auf 178 Siedler im Jahr 1895, um sich bis 1897 dank der Werbemaßnahmen auf 367 zu verdoppeln. Weitere Steigerungen – im Jahr 1898 waren es bereits über 600 – waren zu erwarten.376 Wollte die Regierung somit die nachhaltig steigenden Interessentenzahlen trotz des gedrosselten polnischen Landangebots berücksichtigen, musste sie sich zu einer Öffnung der Ankaufpolitik gegenüber deutschem Groß- und Kleingrundbesitz gezwungen sehen.377 Alle drei Entwicklungen, die Verknappung des polnischen Angebotes, die Einsicht, dass der deutsche Großgrundbesitz wirtschaftlich nicht so kräftig dastand wie erhofft, und der verstärkte Ansiedlerzuzug, fielen zusammen mit Beratungen im Staatsministerium über eine Verschärfung der Polenpolitik, die zum Jahreswechsel 1896/97 begannen, und die sich über anderthalb Jahre hinziehen sollten. Zugleich gab es einen wachsenden Unmut in deutschen radikalnationalistischen Kreisen über die anhaltende Erfolglosigkeit antipolnischer Maßnahmen.378 Dieser Unmut korrespondierte damit, dass die Staatsminister eine immer stärker werdende »nationalpolnische Agitation« wahrnahmen. Im Herbst 1896 war es zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen einem preußischen Beamten und einer polnischen Menschenmenge gekommen, die am Bahnhof des Posener Städtchens Opalenica auf die Ankunft des Erzbischofs gewartet hatte – ein Zwischenfall, der über die Provinzgrenzen hinaus für Aufmerksamkeit sorgte.379 Daneben schmückten sich polnische Patrioten offen mit den Nationalfarben Weiß und Rot und verwiesen, um der Strafverfolgung zu entgehen, darauf, dass dies auch die Farben der Provinz Posen seien – die Wahl der polnischen Nationalfarben als Farben der Provinz ging als ein integrationsdienendes Zugeständnis an die polnische Minderheit noch auf die Tage von 1815 zurück. Um das Tragen der polnischen Kokarde zu illegalisieren, wurden Ende 374 Denkschrift über die Ausführung des Gesetzes vom 26. April 1886, betreffend die Beförderung deutscher Ansiedelungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, für das Jahr 1896, in: StenBerAH 1897, Drucksachen, S. 1699–1865, hier 1706. 375 Denkschrift über die Ausführung des Gesetzes vom 26. April 1886, betreffend die Beförderung deutscher Ansiedelungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, für das Jahr 1897, in: StenBerAH 1898, Drucksachen, S. 1239–1415, hier 1244. 376 Vgl. Stienen, Deutsche, S. 69 f. 377 Vgl. Lerp, Grenzräume, S. 168. 378 Vgl. Walkenhorst, 263 f. 379 Ausführlich bei Kaminski, Auseinandersetzung, S. 51–55.
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1896 die Provinzialfarben in das preußische Weiß-Schwarz-Weiß abgeändert. Die restriktive Polenpolitik griff damit, nach Sprach-, Schul-, Religions- und schließlich Siedlungspolitik, auch auf das Feld der symbolischen Kommunikation über. Naturgemäß trug ein solches Vorgehen nicht zur Entspannung bei, sondern – bei größtmöglicher Empörung in der polnischen Presse – zu einer Verschärfung der Situation. Zeitgleich zu den Beratungen über die Änderung der Provinzfarben stellte sich im Staatsministerium auch die Frage nach einer möglichen Fortführung der Siedlungspolitik, was durch den sich abzeichnenden Verbrauch finanzieller Mittel gleichermaßen wie durch den niederschmetternden Bericht des Präsidenten der Ansiedlungskommission unausweichlich geworden war. Auch wenn sich unter den Ministern manch unterschiedliche Auffassung über Ursachen und Lösungsansätze für die Krise der Siedlungspolitik offenbarte, blieb doch die gemeinsame Ablehnung von flächendeckenden Ankäufen aus deutscher Hand bestimmend. Hohenlohe, seit 1894 preußischer Ministerpräsident, legte Anfang 1897 in einem zehnseitigen Schreiben an das Staatsministerium seinen Standpunkt dar: Die Ansiedelungskommission soll einen politischen Zweck durch wirthschaftliche Maßregeln erreichen. Ich würde es für bedenklich halten, das, was bisher Mittel war, zum Zweck zu machen und an die Stelle der politischen Tendenz einer Stärkung des deutschen Elements gegen polonisirende Bestrebungen das wirthschaftliche Ziel einer allgemeinen Förderung der Ansiedelungen in den östlichen Provinzen oder einer Abstellung der landwirthschaftlichen Nothlage des Ostens zu setzen.380
Hohenlohe sprach sich damit für die Fortsetzung der Politik im gewohnten Rahmen aus: Die Ansiedlung deutscher Bauern sollte fortgesetzt werden, jedoch war mit diesem Ziel weder eine finanzielle Entlastung der Großgrundbesitzer vor Ort verbunden noch eine gesamtgesellschaftliche sozialpolitische Aufgabe; Letzteres hätte die Vergabe der Stellen auch an polnische Interessenten notwendig gemacht. Güterankäufe deutscher Grundbesitzer, darin war Hohenlohe mit den Forderungen Wittenburgs einverstanden, sollten dahingehend erweitert werden, dass sie zur Arrondierung bestehender Siedlungen häufiger erworben und bei Zwangsversteigerungen deutsche Bieter überboten werden dürften. Schon zuvor hatte Landwirtschaftsminister Hammerstein auf Grundlage von Wittenburgs Bericht empfohlen, den Ansiedlungsfonds um weitere 100 Millionen Mark aufzustocken, die Entscheidung zur Verlangsamung des Ankaufes zurückzunehmen und der Ansiedlungskommission zu gestatten, auch deutsche Bieter bei Versteigerungen überbieten zu dürfen.381 Kultusminister Bosse pflichtete in seinem schriftlichen Votum der Ansicht bei, auch im Zwangsversteigerungsfall die Überbietung deutscher Mitbieter 380 GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9505, Bl. 58–62r, hier 58–58r, Votum des Präsidenten des Staatsministeriums, 6.2.1897. 381 Vgl. ebd., Bl. 52–53, Landwirtschaftsminister an das Staatsministerium, 21.1.1897.
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zu gestatten. Für den generellen Ankauf deutschen Grundbesitzes riet er aber »dringend, an der beschränkenden Bestimmung festzuhalten, daß es der besonderen Genehmigung des Königlichen Staats-Ministeriums bedarf. Ja, ich möchte bitten, eine solche Genehmigung noch seltener zu ertheilen, als seither.«382 Überdies kam er zu einer anderen Lagebeurteilung als Wittenburg: Der deutsche Großgrundbesitz könne keineswegs als grundsätzlich ökonomisch gescheitert angesehen werden und in den Einzelfällen, für die dies zutreffe, sei eine wirtschaftliche Kräftigung wichtiger, um den Großgrundbesitz als politische Stütze zu erhalten, als ihn zugunsten von Bauernsiedlungen zu beseitigen. Finanzminister Miquel, der immerhin ein maßgeblicher Wegbereiter der Siedlungspolitik gewesen ist, machte seine Empfehlung für die Zukunft von der Frage abhängig, ob die Ansiedlungskommission noch einmal mit finanziellen Mitteln ausgestattet werden soll. Sollte dies nicht der Fall sein, wären die verbleibenden Mittel für einen Ankauf polnischen Besitzes aufzusparen. Sollte jedoch der Ansiedlungsfonds aufgefüllt werden, so wäre im Sinne des Kultusministers die Genehmigung der Überbietung bei Versteigerungen zu gewähren, der Ausnahmecharakter freihändiger deutscher Ankäufe jedoch aufrechtzuerhalten und damit auch die Genehmigungspflicht des Staatsministeriums beizubehalten.383 Innenminister Eberhard von der Recke sprach sich ebenfalls für eine restriktive Ankaufpolitik bis zu einer Erhöhung des Ansiedlungsfonds aus, die auch im Anschluss bei deutschem Grundbesitz fortzusetzen wäre. Auch er sah die Beibehaltung der Zustimmungspflicht des Staatsministeriums bei Ankäufen aus deutscher Hand als eine Notwendigkeit an. Zudem solle der Ansiedlungskommission gestattet werden, beim Ankauf polnischen Grundbesitzes auf Mittelsmänner zurückzugreifen, so wie dies in Einzelfällen bereits stattgefunden hatte.384 Der Innenminister führte aber noch eine weiteres Kriterium ein, das die Ansiedlungskommission in ihren Kaufentscheidungen zukünftig berücksichtigen sollte: Die Siedlungspolitik könne auch dazu genutzt werden, um in den Kreistagen und bei Reichs- und Landtagswahlen Stimmenmehrheiten für deutsche Kandidaten abzusichern oder erst zu schaffen.385 Ein Gutachten des Statistischen Bureaus zeigte, in welchen Landkreisen mit geringem Aufwand solche Ziele erfolgreich umgesetzt werden könnten.386 In der Sitzung des Staatsministeriums am 22. Juli 1897 fiel die Entscheidung für die Erhöhung des Ansiedlungsfonds um weitere 100 Millionen Mark. Das Gesetz sollte im Frühjahr 1898 bei Zusammentreten des nächsten Landtages 382 Ebd., Bl. 54–55r, hier 54r, Votum des Kultusministers, 7.2.1897. 383 Vgl. ebd., Bl. 56–57, Votum des Finanzministers, 18.2.1897. 384 Zu den teils rechtlichen Schwierigkeiten des Einsatzes von Mittelsmännern als Bieter bei Zwangsversteigerungen vgl. Gey, S. 251–253. 385 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9505, Bl. 63–64r, Votum des Innenministers, 11.3.1897. 386 Vgl. ebd., Bl. 66–77, Bericht des Direktors des Königl. Preuß. Statistischen Bureaus, 12.3.1897.
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eingebracht werden.387 Drei Monate später fand die Abstimmung der neuen, die Polenpolitik verschärfenden Maßnahmen, zu denen auch die Erhöhung des Ansiedlungsfonds gehörte, mit Wilhelm II. bei einem Kronrat im Neuen Palais zu Potsdam statt.388 Am Ende dieses langwierigen Beratungsprozesses einigte man sich auf eine Reihe von Maßnahmen zur Intensivierung der Polenpolitik. Trotzdem wurden die Gesetzestexte in mehreren Runden verbal entschärft, um die Unterstützung der Zentrumspartei nicht zu gefährden, auf deren Wohlwollen die Regierung auf Reichsebene wegen der Flottenvorlage angewiesen war. So wurde die Formulierung »Stärkung des Deutschtums« in der Ansiedlungsnovelle gestrichen und durch die weniger verfängliche »Fortführung des Ansiedlungswerkes« ersetzt.389 Nichtsdestotrotz wurde der qualitative Wandel, die Verschärfung der »negativen Polenpolitik«,390 nach 1898 durch ihr Ausgreifen auf ganz unterschiedliche Bereiche des öffentlichen Lebens deutlich sichtbar:391 Das evangelische Pfarrsystem sollte ebenso wie ausgewählte loyale katholische Geistliche finanziell gefördert werden. In den östlichen Provinzen sollten deutsche Beamte bei Post, Bahn, unter den Gerichtsschreibern und bei den Gefängniswärtern polnischen Kollegen vorgezogen werden oder wenigstens nur solche polnische Beamte zum Einsatz kommen, die der deutschen Sprache vollständig mächtig waren. Die übrigen polnischsprachigen Beamten sollten vorzugsweise außerhalb der Ansiedlungsprovinzen eingesetzt werden. Der »Beamtenerlass« verpflichtete Staatsdiener, sich auch außerhalb der Dienstzeit deutschnational zu betätigen.392 Die Oberpräsidenten von Posen, Westpreußen und Schlesien sollten mit Dispositionsfonds ausgestattet werden, die im Wesentlichen der finanziellen Stärkung des deutschen Mittelstandes und von Vereinen und Fortbildungsschulen in den Städten dienten.393 Damit wurden auch urbane Räume für eine nationale Förderungspolitik erschlossen. Überhaupt wurde Kulturpolitik zu einem Schwerpunktthema der folgenden Jahre: Eine Kaiser-Wilhelm-Bibliothek wurde in Posen genauso gestiftet wie eine höhere Bildungsanstalt. Letzteres hatte die preußische Regierung seit 1815 vermieden, in der Befürchtung, sie könne sich zur Anlaufstelle einer geistigen 387 Vgl. ebd., Rep. 90 A, Nr. 3587, Bl. 133r–147r, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 22.7.1897. 388 Vgl. ebd., Nr. 3647, Bl. 157–170r, Protokoll der Sitzung des Kronrats, 14.10.1897; Balzer, S. 33. 389 Ebd., Bl. 87–92r, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 18.12.1897; ebd., Bl. 108r–111r, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 23.12.1897; ebd., Nr. 3590, Bl. 57r–59r, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 15.1.1898. 390 Zernack, Polenpolitik. 391 Vgl. Rajch, S. 12 f.; Marczewski, S. 37; Galos, S. 87 f. 392 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3591, Bl. 114–125r, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 19.3.1898. 393 Bis 1914 wurden annähernd 26 Millionen Mark für diesen Zweck aufgewendet, der größte Teil der Summe in der Provinz Posen. Vgl. Spickermann, Einfluß, S. 57–59; Grześ / Kramski, S. 269; Müller, Maßnahmen, S. 52–55.
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polnischen Elite entwickeln. Aus demselben Grund verzichtete man nun, am Ende des Jahrhunderts, darauf, eine Universität zu gründen. Es wurde – bescheidener – eine Akademie.394 Der Platz für die neuen Institutionen wurde dadurch geschaffen – ein Projekt, das Oberbürgermeister Richard Witting schon länger verfolgt hatte –, indem die für die moderne Kriegsführung bedeutungslos gewordene Festung der Stadt Posen abgetragen wurde, was Raum für ein aufwendig gestaltetes neues Regierungsviertel schuf, das in den folgenden Jahren bis 1910 entstand. In seinem Zentrum stand ein monumentales Residenzschloss, dessen neoromanischer Stil (obwohl es als »königliches«, nicht als »kaiserliches« Schloss firmierte)395 die Lesart einer »erfundenen Tradition«396 eines deutschen Anspruchs auf diese Region zuließ, der bis in die Zeit vor der preußischen Besitznahme 1793/1815 zurückreichte. Die übrigen Gebäude des Ensembles waren der Gotik, der Renaissance und dem Klassizismus nachempfunden, der Neubau der Ansiedlungskommission kopierte den Barock. Als Fassade wurde dem Betrachter eine Kollage aus tausend Jahren deutscher Kulturgeschichte auf engstem Raum geboten.397 1.4.2 Die Restgüterfrage Die Fortführung der staatlichen Siedlung bettete sich folglich in eine sehr viel weiterreichende Minderheitenpolitik ein. Am 20. April 1898 trat – nach kurzer, gleichwohl kontroverser Beratung im Landtag398 – die Ansiedlungsnovelle in Kraft. Sie enthielt neben der Ergänzung des Fonds um 100 Millionen Mark noch zwei weitere Punkte: Zum einen sollten die Gewinne der Ansiedlungskommission dauerhaft in deren Fonds zurückfließen – bis dahin war dies nur bis zum Jahr 1907 vorgesehen, anschließend sollte das Geld dem Staatshaushalt zufließen. Durch diese Änderung, die nicht auf das Staatsministerium, sondern auf die Budgetkommission des Abgeordnetenhauses zurückging, wurde die Siedlungspolitik verstetigt.399 Zum anderen wurde der Ansiedlungskommission gestattet, auch größere »Restgüter« zu bilden, d. h. bei der Parzellierung Betriebe zu schaffen, die die Größe von Vollbauernstellen erheblich überschritten und die
394 Vgl. Neubach, Universität, S. 127–144; Schutte, S. 39–118, zu weitergehenden kulturpolitischen Maßnahmen. 395 Ein Umstand, der unter Zeitgenossen Verwirrung stiftete und keineswegs konsequent Umsetzung fand. Insbesondere in der polnischen Wahrnehmung dominierte das Schloss als »kaiserlich«, auch um eine Verwechslung mit dem älteren, zwischen dem Rathaus und der neuen Residenz gelegenen Königsschloss auszuschließen. Vgl. Kisiel, S. 133–137. 396 Vgl. Hobsbawm, Introduction. 397 Vgl. Neubach, Universität, S. 131 f.; Skuratowicz; Kisiel, S. 127–158. 398 Vgl. Bruchhold-Wahl, S. 257–259. 399 Siehe dazu den Hinweis des Abgeordneten Pappenheim, StenBerAH 1898, S. 1091 f., Sitzung vom 3.3.1898.
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mehrheitlich dem Großgrundbesitz zuzurechnen sind.400 Diese Größenklasse nahm dementsprechend in den folgenden Jahren zu: Von den 3.263 bis Ende 1897 ausgelegten Stellen bewegten sich 88 in der Größenklasse zwischen 50 und 120 Hektar. Weitere 20 Stellen waren über 120 Hektar groß und damit definitiv dem Großgrundbesitz zuzurechnen.401 Bis Ende 1914 sind insgesamt 76 Stellen von über einhundert Hektar ausgelegt worden.402 Hannelore Bruchhold-Wahl hat in ihrer Untersuchung über die wirtschaft lichen Verhältnisse des ostelbischen Großgrundbesitzes beiläufig die wichtigsten finanziellen, politischen und administrativen Erwägungen genannt, die in der Debatte um die Auslegung größerer Restgüter fielen. Zugleich akzentuierte sie aber vielmehr die Bedeutung agrarischer Partikularinteressen, die die an der politischen Debatte beteiligten Akteure zu einer Unterstützung der RestgüterEntscheidung motiviert habe.403 Es scheint jedoch lohnenswert, diesen Argumenten mehr Beachtung zu schenken, da sie Aufschluss über die zunehmend komplexer werdende Zielstellung der Siedlungspolitik geben. Zunächst ist festzustellen, dass unter finanziellen Gesichtspunkten der Nutzen der Schaffung größerer Restgüter umstritten war. Die Zwischenverwaltung der von der Ansiedlungskommission angekauften Besitzungen, in die die Meliorationen des Bodens sowie der Bau und die Einrichtungen der Siedlungen fielen, war kostenintensiv und aufwendig und daher auch im Abgeordnetenhaus ein häufig vorgetragener Kritikpunkt gegen die Tätigkeit der Ansiedlungskommission. Auf die Frage des Landwirtschaftsministers, ob es sich förderlich auf die Zwischenverwaltung auswirken würde, wenn die »zu Besiedelungszwecken erworbenen Güter im Ganzen an leistungsfähige deutsche Besitzer unter gewissen Vergünstigungen […] vergeben«404 würden, antwortete der Präsident der Ansiedlungskommission gleichwohl mit einer kategorischen Ablehnung. Er begründete dies damit, dass einerseits das erklärte Ziel des Ansiedlungsgesetzes von 1886 die Parzellierung und bäuerliche Besiedlung von Grundbesitz sei und andererseits der deutsche Großgrundbesitz nicht mehr über die Fähigkeiten verfüge, um nationalpolitisch als Stütze der Regierung fungieren zu können. 400 Vgl. Ges.-S. 1898, S. 63, Gesetz wegen Abänderung des Gesetzes vom 26. April 1886, betr. die Beförderung deutscher Ansiedelungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, 20.4.1898. 401 Vgl. Denkschrift über die Ausführung des Gesetzes vom 26. April 1886, betreffend die Beförderung deutscher Ansiedelungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, für das Jahr 1897, in: StenBerAH 1898, Drucksachen, S. 1239–1415, hier 1316. 402 Vgl. Denkschrift des Jahres 1914 über die Ausführung des Gesetzes, betreffend die Beförderung deutscher Ansiedlungen in den Provinzen Westpreußen und Posen vom 26. April 1886 und seiner Nachträge vom 20. April 1898, 1. Juli 1902, 20. März 1908 und 28. Mai 1913, in: Sammlung der Drucksachen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, Bd. 8, Berlin 1915, S. 4693–4721, hier 4718. 403 Vgl. Bruchhold-Wahl, S. 264–277; Jakóbczyk, Komisja, S. 74 f. 404 GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9555, Bl. 118–132r, Präsident der Königlichen Ansiedlungskommission an den Landwirtschaftsminister, 9.11.1897.
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Eine größere Einigkeit bestand unter Verantwortlichen aus Regierungs- und Verwaltungskreisen über den politischen Nutzen, den die Schaffung größerer Restgüter bedeutete. Dies galt umso mehr, weil die Ansiedlungskommission durch die Aufteilung von Großgrundbesitz – und das hieß für die Zukunft: mehr und mehr deutschen Großgrundbesitzes – massive Eingriffe in die kommunale Selbstverwaltung vornahm. Hiermit war das Problem der Kreis- und Provinziallandtagsfähigkeit der erworbenen Rittergüter aufgeworfen und der Wunsch, in diesen Gremien der historisch gewachsenen Kommunalverfassung Posens – Posen war die einzige Provinz der preußischen Monarchie, in der die provinzialständische Verfassung überdauert hatte405 – deutsche Mehrheiten zu erhalten oder erst zu schaffen. Traditionell dominierte die Ritterschaft gegenüber Städten und Landgemeinden in den Kreis- und Provinzialvertretungen, sodass sich Stimmenverschiebungen bei der Ritterschaft besonders empfindlich auf die Zusammensetzung der Vertretungen auswirkten. Der deutsche Stimmenanteil war auf zwei Ebenen gefährdet, zum einen durch den Ankauf und Besitz von Rittergütern seitens des Staates, zum anderen durch die Parzellierung von Rittergütern: Bereits in den ersten fünf Jahren der Ansiedlungskommission wurde unter den Gremienmitgliedern lebhaft der Umstand erörtert, dass die Behörde als staatliche Einrichtung nicht über alle Stimmen der von ihr angekauften und verwalteten Rittergüter verfügen konnte (»Prinzip der toten Hand«) – überzählige Virilstimmen ruhten für die Dauer des staatlichen Besitzes. 1890 schlug der Präsident der Ansiedlungskommission in einer Sitzung zwar vor, den Rechtsstatus der Behörde dahingehend zu interpretieren, dass sie nicht zur Ausübung hoheitlicher Rechte legitimiert und deshalb zur Ausübung des vollen Stimmrechts befugt sei. Diese Rechtsauffassung fand unter den Mitgliedern jedoch keine Mehrheit.406 Erst Jahre später, 1904, sollte hier die Regierung durch ein Gesetz teilweise Abhilfe schaffen. Es gestattete dem Staat, in der Provinz Posen fortan durch den Besitz entsprechender Ländereien über Stimmen bis zu einem Achtel der Kreistagsmitglieder zu verfügen und bei den Wahlen zum Provinziallandtag bis zu einem Drittel der Zahl der Wahlberechtigten im Stande der Ritterschaft.407 405 Vgl. Art. Provinzialstände, in: Bitter, Handwörterbuch, Bd. 2, S. 266 f. Für die Provinz Posen als Sonderfall ist anzumerken, dass eine Neuordnung der Verhältnisse aus nationalpolitischen Gründen bis 1889 verschleppt wurde, und auch dann – ebenfalls aus nationalpolitischen Motiven – spezifische Besonderheiten aufwies. So waren beispielsweise alle Mitglieder des Provinzialrats und der Bezirksausschüsse von einer staatlichen Bestätigung abhängig und das kreisständische Präsentationsrecht war suspendiert, sodass die Staatsverwaltung allein über die Ernennung von Landräten entschied. Vgl. Rönne, S. 605, 629, sowie Art. Kreisstände (Posen), in: Bitter, Handwörterbuch, Bd. 1, S. 995 f. 406 Vgl. ebd., Rep. 77, Tit. 538 Nr. 1 Bd. 2, Bl. 480–509r, hier 482–483r, Protokoll der Sitzung der Ansiedlungskommission, 19.11.1890, mit Hinweis auf eine dementsprechende Entscheidung des Innenministers aus dem Jahr 1887. 407 Vgl. Ges.-S. 1904, S. 241, Gesetz, betreffend Abänderung der Vorschriften über die Zusammensetzung der Kreistage und über die Wahlen zum Provinziallandtag in der Provinz Posen, 4.8.1904. Der Regierungsvorschlag ging erheblich weiter und sah bis zu einem
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Die Stimmfähigkeit der Rittergüter hätte auch dadurch wiederhergestellt werden können, wenn sie zurück in den Privatbesitz überführt worden wären. Allerdings ergab sich auch hier eine Hürde für den Fall, dass die Ansiedlungskommission dabei Teile der Besitzung abgetrennt und zur Besiedlung verwendet hätte: Gemäß den Bestimmungen, die noch aus den 1830er-Jahren stammten, verloren Rittergüter ihre Rittergutsqualität und damit auch ihr Stimmrecht, wenn sie durch Teilung unter die Größe von 1.000 Morgen, d. h. etwa 250 Hektar gerieten. Gleiches galt für jegliche weitere Verkleinerung in den Fällen, in denen das Rittergut bei Eintragung in die Rittergutsmatrikel bereits weniger als 1.000 Morgen zählte.408 Zudem ging im Regelfall mit der Ansiedlungsgründung eine Auflösung des Gutsbezirkes und die Überführung des Besitzes in eine Landgemeinde einher. Demzufolge stand mit dem Ankauf und der Aufteilung von Rittergütern der Verlust von Kreistagsstimmen im Raum – das hieß nach Lage der Dinge: der deutschen Kreistagsstimme – was potenziell auch den Verlust deutscher Kreistagsmehrheiten bedeutete.409 Eine Lösung dieses Problems war auf rechtlichem Wege grundsätzlich möglich durch die staatliche Verleihung der Rittergutsqualität. Gleichwohl handhabte die Regierung – nationalpolitischer Bedenken zum Trotz – solche Neuverleihungen, bei denen Grundbesitz erstmalig der Status als Rittergut zuerkannt wurde, bis zum Ausbruch des Weltkrieges äußerst restriktiv. Derartige Neuverleihungen stellten bereits durch eine Verfügung in den 1840er-Jahren die Ausnahme dar, ehe sie in den 1870ern per Erlass des Innenministers (und in der Folgezeit mehrmals erneuert) ganz ausgesetzt worden waren. Nichtsdestotrotz ermunterte 1902 der Oberpräsident von Posen die ihm unterstellten Landräte dazu, mögliche Güter zu melden, denen die Rittergutsqualität verliehen werden könne. Bedingungen waren, dass das Gut umbenannt werden müsste, falls es
Viertel der Kreistagsstimmen und bei Wahlen des Provinziallandtages die Hälfte der im jeweiligen Wahlbezirk verfügbaren Stimmen vor. Durch den Landtag fand der Vorschlag die obige Abänderung. Vgl. dazu die Synopse in der Geschäftsübersicht des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 20. Legislaturperiode, Heft II: Übersicht über die Beratung der Gesetzentwürfe und der Staatshaushaltsetats, Berlin 1906, S. 56–58. Vgl. auch Laubert, Polenpolitik, S. 148 f. mit der fehlerhaften Jahresangabe 1906. 408 Vgl. Ges.-S. 1832, S. 9, Verordnung, wegen der nach dem Gesetze vom 27sten März 1824., die Anordnung der Provinzialstände im Großherzogthum Posen betreffend, vorbehaltenen Bestimmungen, 15.12.1830 (Artikel VI). Für die Bedeutung der Rittergutsmatrikel in dieser Frühphase auch ausführlich: Laubert, Rittergutsmatrikel. Laubert hebt zwar einleitend die nationalpolitische Bedeutung der Rittergutsmatrikel hervor, aus seinen weiteren Ausführungen wird jedoch deutlich, dass sie in Zeiten des Vormärz vornehmlich agrarökonomische Relevanz besaß (Möglichkeit der Bepfandbriefung durch die Landschaft). 409 Mit demselben Argument – der Vermeidung der Aufteilung deutscher Rittergüter und der daraus resultierenden Förderung polnischer Kreistagsmehrheiten – rechtfertigte die Ansiedlungskommission auch den Ankauf bäuerlicher Besitzungen als Substitut für Großgrundbesitz, der bei Erlass des Gesetzes von 1886 ursprünglich nicht in größerem Umfang vorgesehen war. Vgl. Zawadzka, S. 25–28.
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einen polnischen Namen trug,410 und dass es den Status als Rittergut wieder verlöre, sobald es aus dem Familienbesitz ausschied. Auch diese letztere Bedingung trug unverkennbar nationalpolitische Züge und sollte verhindern, dass die Kreis- bzw. Provinziallandtagsstimme im Verkaufsfall auf polnische Besitzer überging. Indes war die Bestimmung keineswegs neu, sondern sie besaß Wurzeln, die bis in die 1830er-Jahre zurückreichten. Letztlich konnte für den hier vorliegenden Untersuchungszeitraum lediglich in zwei Fällen die Verleihung der Rittergutsqualität nachgewiesen werden.411 1913 erklärte der Innenminister erneut, dass vonseiten der Regierung kein Interesse an einer Verleihung an zusätzliche Besitzungen vorliege.412 Etwas anders war der Fall dort gelagert, wo die Bestimmungen vorsahen, dass eine Besitzung diesen Status verlieren sollte, wenn sie in den Besitz einer anderen Familie gelangte. Schon vor Beginn der Siedlungspolitik 1886 hatte Innenminister Puttkamer in mehreren Fällen mit Hinweis auf die deutsche Nationalität des Käufers und die Konsequenzen für die Kreistagszusammensetzung für eine Konservierung der Rittergutsqualität plädiert.413 Auch wenn die preußische Regierung lediglich zurückhaltend von diesem Mittel Gebrauch machte, war die Schaffung von Restgütern mit Blick auf die kommunale Selbstverwaltung ein wünschenswertes Instrument, um deutsche Kreistags- und Provinziallandtagsmehrheiten – mit Blick auf das preußische Dreiklassenwahlrecht auch Mehrheiten für die Wahlen des Abgeordnetenhauses – zu erhalten oder erst zu schaffen.414 Zuweilen konnten aus administrativer Sicht die Argumente für die Schaffung eines Restgutes gegenüber denen einer vollständigen Parzellierung überwiegen, zum Beispiel, wenn sich die Gebäudesubstanz zur Anlage einer Bauernsiedlung nicht eignete. Wo möglich, wurden die repräsentativen Herrensitze zu Gemein410 Ein auf Wilhelm II. zurückgehender Vorschlag, wie aus GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 14097, Bl. 25–28, Innenminister an den König, 4.1.1901, hervorgeht. Dort auch die Weigerung eines deutschen Eigentümers, den polnischen Namen der Besitzung abzuändern. 411 Beide für den Zeitraum Ende 1905 bis Anfang 1906. Vgl. GStA PK, XVI. HA Rep. 30, Nr. 660, Bd. 6, n. p., Immediatbericht des Regierungspräsidenten von Posen, 28.2.1906. 412 Vgl. GStA PK, XVI. HA Rep. 30, Nr. 856, n. p., Oberpräsident von Posen an den Regierungspräsidenten von Bromberg, 1.2.1913. Diese Zurückhaltung des Innenministers mag auch darin begründet gelegen haben, dass der Anteil deutscher Kreistagsstimmen nach der Jahrhundertwende auch ohne dieses Instrument zunahm; im Regierungsbezirk Posen von 58 Prozent 1902 auf 62 Prozent im Jahr 1912, im Regierungsbezirk Bromberg von 65 auf 67 Prozent. Vgl. Hemmerling, Posłowie, S. 109 f. 413 Diese Praxis setzte sich auch nach 1886 fort. Vgl. die zahlreichen Gesuche an den König in: Ebd., I. HA Rep. 89, Nr. 14096, Gesuche verschiedener Gutsbesitzer im Großherzogthum Posen, ihren Gütern die Ritterguts-Qualität und die Landtagsfähigkeit beizulegen (1846–1896); ebd., Nr. 14097, Verleihung der Eigenschaft landtagsfähiger Rittergüter an Güter in der Provinz Posen (1897–1917). 414 Vgl. Both, Ansiedlungstätigkeit, S. 89 f.; ders., Fünfundzwanzig, S. 13; Swart, Ansiedlungskommission, S. 593; kritisch, da dadurch der bäuerlichen Siedlung Fläche entzogen wurde: Ders., Diesseits, S. 50.
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desälen, Pfarrwohnungen oder Schulgebäuden umfunktioniert und die für die Großwirtschaft erbauten Wirtschaftsgebäude für andere Zwecke verwendet. Wenn dies nicht ohne Weiteres umsetzbar schien, konnte auch die Beibehaltung und Weitervergabe des Besitzes als Großbetrieb zweckdienlich sein. Zudem wurde von der Forschung bislang nicht berücksichtigt, dass viele der zum Ankauf infrage kommenden Besitzungen See- und vor allem ausgedehnte Forstflächen umfassten, die sich nicht zur Parzellierung und Besiedlung eigneten und ebenfalls eine Beibehaltung als Restgüter rechtfertigten. Forste mussten groß sein, um effektiv bewirtschaftet werden zu können. Die zeitgenössische Ratgeberliteratur empfahl eine Minimalfläche von mindestens 500 bzw. 800 Hektar.415 Wolfram Theilemann hat auf die erheblichen Unterschiede in den Produktionsbedingungen zwischen Land- und Forstwirtschaft hingewiesen.416 Insbesondere die stark saisonale Prägung der Forstwirtschaft und die lange Zeit des Wartens auf Rendite zwischen »Aussaat« und »Ernte« machten die Forstwirtschaft lediglich in großem Umfang und im Idealfall in Kombination mit landwirtschaftlicher Produktion rentabel und förderten auf diese Weise den »Zwang zur Großraumwirtschaft« (Theilemann). Aufgrund der langen, teils generationenübergreifenden Bindung des Kapitals eignete sich die Forstwirtschaft (anders als die Ackerwirtschaft) einzig zur Eigenwirtschaft oder sie erforderte doch zumindest ein besonderes Vertrauensverhältnis zum Administrator, schloss jedenfalls Parzellierungen oder Verpachtungen weitgehend aus, um eine auf kurzfristige Gewinnmaximierung abzielende Abholzung der Bestände zu verhindern. Abgesehen davon blieb der Waldbesitz durch die Bedeutung der Jagd ein soziales Distinktionsmerkmal des Adels.417 Dass Waldboden nicht im großen Umfang Siedlungsflächen weichen musste, lag auch am Charakter des »deutschen Waldes« als nationaler Sehnsuchtsort, als Ort des Schutzes und der Regeneration, wie jüngere ideengeschichtliche Studien herausgearbeitet haben.418 Mehr noch wurde Wald als Rohstofflieferant für die verarbeitende Industrie geschätzt und für seinen Einfluss auf die Umweltbedingungen. 1902 erkannte die Deutsche Zeitung in dem Schutz der Wälder eine volkswirtschaftliche Schlüsselaufgabe und warnte vor klimatischen Folgen, die aus der akuten Notlage der Landwirtschaft der vergangenen Jahre erwachsen könnten: Güterschlächter und notleidende Landwirte haben in den letzten Jahren im Osten, namentlich in Ostpreußen und Posen, mehr Wald niedergeschlagen, als mit einer vernünftigen Bodenbewirtschaftung zu vereinbaren gewesen wäre. Rücksichtslose Waldrodungen verschlechtern die Natur eines Landes; sie bewirken, daß sich die 415 Vgl. Theilemann, S. 207. 416 Daraus resultiert auch eine Kritik an der Thesenbildung der älteren Forschung, die sich für die adlige Wirtschaftsweise einzig auf die Landwirtschaft gestützt und dabei die enorme Bedeutung der Forstwirtschaft außer Acht gelassen habe. Vgl. Theilemann, S. 229; Dipper, Modernisierung, S. 92 (für Süddeutschland). 417 Vgl. Theilemann, S. 229–233, 250 f., das Zitat 232. 418 Vgl. Wilson, S. 49–85, 132–174; Zechner, S. 128–159.
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Menge der Niederschläge ungleichmäßiger im Jahr verteilt und daher häufiger schädliche Trockenheit eintritt; sie verändern das Klima, indem Nachtfröste und Nach fröste zunehmen.419
Forste eigneten sich somit nicht zur Besiedlung, die Forstwirtschaft erforderte andere Bewirtschaftungsmethoden als die Landwirtschaft und der Waldbestand erschien nicht nur aus nationalideologischen, sondern auch nationalökonomischen Gesichtspunkten schützenswert. Zu diesem Zweck überwies die Ansiedlungskommission die nicht zur Besiedlung geeigneten, forstwirtschaftlich genutzten Flächen oftmals dem Forstfiskus, doch konnte auch eine Auslegung als Restgut und die Rücküberführung in Privatbesitz in Betracht kommen. Eine Liste der von der Ansiedlungskommission ausgelegten Restgüter aus dem Jahre 1907 zeigt, dass bis 1906 vor allem die Gebäudesituation und die Beschaffenheit des Bodens die Auslegung solcher Restgüter rechtfertigten, während ab 1906 überwiegend politische Gründe geltend gemacht wurden.420 Fasst man all diese unterschiedlichen Faktoren zusammen, so ist die Deutung, wonach die Entscheidung des Staatsministeriums im Jahre 1898 zugunsten der vermehrten Schaffung von Restgütern ein Zugeständnis an die Partikularinteressen des deutschen Großgrundbesitzes sei, lediglich eine mögliche Erklärung unter vielen. Es scheint überzeugender, die Entscheidung als einen pragmatischen Lösungsansatz zu deuten, der auf einen Lernprozess zurückzuführen ist, den die Ansiedlungskommission im Verlauf ihrer administrativen Tätigkeit durchlebt hat. Im Verbund mit diesem Lernprozess vervielfältigten sich nicht nur die weiter oben genannten Bemessungskriterien beim Landkauf durch die Behörde, sondern auch ihre Zielsetzungen: Nicht mehr nur der Ankauf und die Besiedlung von Boden gehörte fortan zu ihren Aufgaben, sondern auch die Wahrung einer »gesunden« Mischung der Besitzverhältnisse und der Erhalt deutscher Kreis- und Landtagsmehrheiten. 1.4.3 Neues Geld, neue Bestimmungen Da die Ansiedlungskommission, durch die Gesetzesnovelle mit neuen Mitteln ausgestattet, ihre Tätigkeit fortsetzen konnte, schien es dem Staatsministerium angebracht, der Behörde neue Weisungen zu erteilen. In der Anweisung vom 23. Mai 1898 erläuterte der Landwirtschaftsminister dem Präsidenten der Ansiedlungskommission in zehn Punkten die neuen Grundsätze, die zu befolgen seien. Dazu gehörten: 2. Bei dem freihändigen Ankaufe von Gütern ist in geeigneten Fällen auch die Benutzung von Zwischenpersonen nicht auszuschliessen. 419 Deutsche Zeitung, 29.5.1902. 420 Vgl. [Königliche Ansiedlungskommission], S. 198.
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3. Bei den Ankäufen ist namentlich auch der Gesichtspunkt zu berücksichtigen, ob die Erwerbung dazu beitragen kann, auf das Stimmverhältniss bezüglich der Wahlen zu den Kreistagen, zum Provinziallandtage oder hinsichtlich der politischen Wahlen einen entscheidenden Einfluss zu Gunsten des deutschen Elements zu üben. 4. Aus deutschem Besitz darf freihändig in der Regel nur dann angekauft werden, wenn der Ankauf im wesentlichen Interesse bereits erworbener Güter liegt, also zur Abrundung eines vorhandenen Ansiedelungsbezirkes. Schaffung geschlossener Ansiedelungsgebiete, oder wenn der sonst zweifellose Uebergang eines Gutes in polnische Hand verhütet werden soll. Bei dem Erforderniss der Genehmigung durch das Königliche Staatsministerium in diesen Fällen verbleibt es. 5. Der Präsident der Ansiedelungskommission wird ermächtigt, bei Zwangsversteigerungen deutsche Mitbewerber in besonderen Ausnahmefällen da zu überbieten, wo nach seinem pflichtmässigen Ermessen der Uebergang des versteigerten Gutes in eine andere Hand das von der Ansiedelungskommission zu vertretende politische Interesse gefährden würde. 6. Auch auf den Ankauf polnischer Bauerngüter ist Bedacht zu nehmen, dabei ist aber eine längere zwischenzeitliche Verwaltung zu vermeiden. 7. In geeigneten Fällen sind Güter, um sie als Grosswirthschaften in sicherer deutscher Hand zu erhalten, im Ganzen zu verpachten.421
Die Punkte zwei und sechs trugen dem Wunsch nach Ankauf polnischen Besitzes Rechnung, indem der Kaufkreis auf polnische Bauernwirtschaften ausgedehnt wurde, und bei Groß- und Kleingrundbesitz der Einsatz von Strohmännern gestattet wurde, um den Besitzer über den wahren Käufer zu täuschen. Punkt fünf entsprach dem von dem Präsidenten der Ansiedlungskommission lang geäußerten Bedürfnis, deutsche Mitbieter dort zu überbieten, wo der Verbleib in deutschem Privatbesitz ungewiss schien. Die Punkte drei und sieben nahmen zu der »Restgüterfrage« Stellung und berücksichtigten den vom Innenminister eingebrachten Vorschlag, die Siedlungspolitik auch zur Sicherung oder dem Ausbau deutscher Stimmenmehrheiten bei Kreis-, Provinzial- und Landtagswahlen zu nutzen. Der Punkt vier schließlich bestätigte noch einmal die restriktiven Ankaufbestimmungen für deutschen Grundbesitz; die Zustimmungspflicht des Staatsministeriums in diesen Fällen blieb beibehalten. Es nimmt nicht wunder, dass sich die preußische Regierung Mitte der 1890erJahre, als sie sich angesichts des allmählich erschöpften Ansiedlungsfonds vor die Wahl gestellt sah, die Siedlungspolitik entweder abzubrechen oder fortzusetzen, für Letzteres entschied: Die politischen Rahmenbedingungen hatten sich seit dem Ende der Caprivi’schen Versöhnungsära dramatisch verändert, die Polarisierungsspirale nationaler Spannungen hatte neue Impulse erhalten. Eine Auflösung der Ansiedlungskommission hätte nach Ansicht der Minister einen 421 GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9505, Bl. 129–130, hier 129–129r, Landwirtschaftsminister an den Präsidenten der Ansiedlungskommission, 23.5.1898. Siehe dazu auch die vorausgehenden Beratungen: Ebd., Rep. 90 A, Nr. 3587, Bl. 133r–147r, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 22.7.1897.
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empfindlichen Gesichtsverlust der Regierung gleichermaßen gegenüber dem nationalen Gegner wie gegenüber deutschen nationalistischen Kreisen bedeutet. In Ermangelung des Veränderungswillens seitens der beteiligten politischen Akteure gewann die Ansiedlungskommission an institutioneller Beharrungskraft, die die Pfadabhängigkeit der »negativen Polenpolitik« bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges weiter verfestigen sollte. Doch spielte dabei nicht nur die Sorge um die Außenwahrnehmung eine Rolle, die die Minister im Fall der Abwicklung der Behörde erwarteten: Auch blieb die Regierung von der Richtigkeit und Notwendigkeit des Instruments der Siedlungspolitik überzeugt, das sie in ein breiteres Ensemble von Maßnahmen mit Germanisierungsabsichten einbettete. Zugleich versprach der rege Zuzug von Ansiedlern eine erfolgreiche Fortsetzung. Bis Ende 1897, also ehe die Ansiedlungskommission im Folgejahr mit neuen finanziellen Mitteln ausgestattet wurde, hatte die Behörde 2.342 Siedlerfamilien angesiedelt. Dazu hatte sie an Großgrundbesitz 96.190 Hektar zu einem Preis von 58.915.516 Mark angekauft, zudem weitere 1.498 Hektar Bauernwirtschaften für 1.047.610 Mark (Tab. 5).422 Bis Ende 1897 war rund drei Viertel der Fläche von polnischen Vorbesitzern gekauft, lediglich ein Viertel von deutschen. Im Verlauf der folgenden anderthalb Jahrzehnte sollte sich das Verhältnis von deutschem zu polnischen Besitz annähernd umkehren: Bis Ende 1913 erhöhte sich der Anteil der aus deutscher Hand gekauften Flächen auf 71,5 Prozent und stand einem polnischen Anteil von 28,5 Prozent gegenüber. Oder anders ausgedrückt: War es der Ansiedlungskommission bis 1898 gelungen, 72.000 Hektar Land von polnischen Besitzern zu erwerben, so traten bis 1913 trotz des längeren Zeitraums und erheblich größerer Geldmittel lediglich weitere 52.000 Hektar hinzu, darunter die ausgedehnte »Zufallserbschaft« Rydzyna im Jahr 1912 in einem Umfang von 7.600 Hektar (s. Kap. 3.2). Tab. 5: Landkäufe der Ansiedlungskommission 1897 und 1913423 Zeitraum
Angekaufte Fläche in Hektar
Großgrundbesitz in Prozent
Bäuer licher Besitz in Prozent
deutsch in Prozent
polnisch in Prozent
Bis Ende 1897
97.690
98,5
1,5
25,6
74,4
59.963.127
Bis Ende 1913
438.560
93,4
6,6
71,5
28,5
448.989.949
gezahlter Preis in Mark
422 Vgl. Jakóbczyk, Komisja, S. 57. 423 Denkschrift über die Ausführung des Gesetzes vom 26. April 1886, betreffend die Beförderung Deutscher Ansiedelungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, für das Jahr 1897, in: StenBerAH 1898, Drucksachen, S. 1239–1415, hier 1241; Denkschrift über die Ausführung des Gesetzes vom 26. April 1886, betreffend die Beförderung Deutscher Ansiedelungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, für das Jahr 1913, in: StenBerAH 1914, Drucksachen, S. 1801–2121, hier 1805 f.
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Dass die Ansiedlungskommission zur weiteren Verfolgung ihrer vorrangigen Aufgabe fortan – wenigstens in näherer Zukunft – von deutschen Grundbesitzern kaufen würde, war für die Regierung 1898 durch die Entwicklung des Landangebotes absehbar und wurde von den verantwortlichen Stellen billigend in Kauf genommen. Die Fortführung der Siedlungspolitik war aus Sicht der Minister durch die wachsende Nachfrage von Siedlungswilligen nach Stellenland gerechtfertigt, die aus den erstmals planvoll ausgeführten und umfangreichen Werbemaßnahmen der Siedlungsbehörde resultierten. 1899 erfolgte die Anweisung des Landwirtschaftsministers, »eine weniger strenge Handhabung der erwähnten Grundsätze« beim Ankauf deutschen Besitzes zuzulassen; dies wenigstens »für die Dauer der gegenwärtig obwaltenden Umstände«,424 also der hohen Nachfrage nach Ansiedlerstellen bei gleichzeitig geringer Verkaufsneigung polnischer Grundbesitzer – Umstände, an denen sich in den folgenden Jahren nichts ändern sollte. Die Entscheidung, vermehrt deutschen Grundbesitz anzukaufen, als »Konzessionen an die Interessen des Großgrundbesitzes«425 zu deuten, scheint indes Zielsetzung und Mittel miteinander zu vertauschen. Auch wenn 1898 eine Akzentverschiebung in der Wahl der Mittel unverkennbar stattfand – der Rückgriff auf deutschen Grundbesitz in Ermangelung polnischer Angebote –, wurde von dem Hauptziel, der deutschen Siedlung, nicht abgerückt. Dafür, dass die preußischen Minister mit ihrer Entscheidung nicht den immerwährenden Klagen deutscher Großgrundbesitzer folgten, spricht zudem die Beibehaltung der restriktiv gehandhabten Genehmigungspflicht bei deutschen Angeboten: Die Beurteilung dieser Angebote wurde nicht in einem formalisierten Verfahren der Ansiedlungskommission übertragen, sondern die Ankaufmodalitäten wurden weiterhin individuell und ausführlich im Staatsministerium beraten und letztgültig entschieden. Besonders der Finanz- und der Landwirtschaftsminister beharrten darauf, dass das Staatsministerium selbst über den Ankauf aus deutscher Hand entschied und bei übertriebenen Preisforderungen die Zustimmung verweigerte.426 Aus einem Dilemma vermochte sich die Regierung indes nicht herauszumanövrieren: Die Sorge um die »Mobilisierung« des deutschen Grundbesitzes blieb bestehen. Sollte die Ansiedlungskommission fortan vermehrt von Deutschen kaufen, so stand zu befürchten, dass sich weitere deutsche Besitzer zum Verkauf entschließen würden. Sollte sich die Behörde dann nicht zum Ankauf 424 GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9505, Bl. 141–142, Votum des Landwirtschaftsministers, 4.7.1899. 425 Bruchhold-Wahl, S. 277. 426 Im Jahr 1900 wurde der Geschäftsgang dahingehend vereinfacht, dass nicht mehr alle Staatsminister über die Ankäufe entschieden, sondern nur noch die Finanz-, Landwirtschafts-, Innen- und Kultusminister sowie der Staatssekretär des Reichsamts des Innern. An der grundsätzlichen Entscheidungshoheit des Staatsministeriums änderte dies jedoch nichts. Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9505, Bl. 144, Landwirtschaftsminister an den Präsidenten der Ansiedlungskommission, 5.7.1900.
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durchringen können, war abzusehen, dass polnische Interessenten das Land ankaufen würden. »Insgesamt leitete die Novelle von 1898 nationalitätenpolitisch«, so hatte Hannelore Bruchhold-Wahl zutreffend geurteilt, »eine sehr viel aggressivere Phase ein«.427 Diese Dynamik anwachsender Spannungen sollte indes nicht nur die preußische Minderheitenpolitik erfassen, sondern im gleichen Maße auch die sozialen und gesetzlichen Normen, die den Bodenmarkt der östlichen Provinzen umrahmten.
427 Bruchhold-Wahl, S. 251 f.
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2. Zuspitzung: 1898–1908
2.1 Die Ausdifferenzierung der Sanktionsapparate Für die Zeit um die Jahrhundertwende ist eine wachsende Belastung der deutschpolnischen Beziehungen zu verzeichnen. In den Jahren um 1900 gewann der nationalisierende Gehalt der »moralischen Ökonomie« an Bedeutung, die nationalen Ober- und Untertöne, die die Siedlungspolitik begleiteten, wurden schriller. Auf die polnischsprachige Öffentlichkeit und die Bedeutung der von ihr praktizierten Schmähungen für die Verknappung des polnischen Angebotes haben sowohl Zeitgenossen als auch daran anschließend die historische Forschung verwiesen.1 Wenig Beachtung erhielt hingegen die Frage, ob sich nicht auch in der deutschsprachigen Öffentlichkeit eine ähnliche »moralische Ökonomie« des Bodenmarktes mit vergleichbaren Formen der Normsetzung und der Normdurchsetzung, mit Diskursen und Praktiken des Ein- und Ausschließens herausgebildet hat.2 Daran anschließend ist auf das Regierungs- und Verwaltungshandeln einzugehen, das ungefähr seit der Jahrhundertwende bestrebt war, auch lenkend in solche Kaufverhandlungen einzugreifen, in die die Ansiedlungskommission nicht involviert war. Dazu griff die Regierung teilweise auf Mittel sozialen Prestigegewinns und -verlustes zurück. Zuletzt sind die Verschärfungen polnischer Sanktionsmaßnahmen gegenüber nationalen »Verrätern« zu beschreiben und die Ursachen hierfür zu erfragen. 2.1.1 Der deutsche invektive Diskurs Für die Zeit vor der Jahrhundertwende konnte bereits gezeigt werden, dass sich in ihrer Kritik an der Polenpolitik lediglich die sozialdemokratischen Meinungsführer mit der Personengruppe der deutschen Großgrundbesitzer unmittelbar beschäftigten. Sie unterstellten den Gutsbesitzern einen »lukrativen Patriotismus«, eine Überordnung des individuellen Gewinns über die nationale Loyali1 Vgl. Massow, S. 347, 360; Zimmermann, S. 48; Spatz, S. 26; Both, Ansiedlungstätigkeit, S. 78; Günzel, S. 13, 17, 38–40, 58–60; Tims, S. 153; Hagen, S. 176–178; Łuczak, S. 57, 71 f.; Born, Preußen, S. 47; Chwalba, S. 462 f. Für das polnische Wirtschaftsleben im Allgemeinen: Jaworski, Handel, S. 86–96. 2 Richard W. Tims bemerkte, dass zwar ein ähnlicher Druck durch deutsche Nationalisten aufgebaut wurde, dieser aber keinen vergleichbaren Eindruck auf die deutschen Grundbesitzer machte. Vgl. Tims, S. 112 f.
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tät; ein Vorwurf, der mehr der Integration der eigenen Klientel in Abgrenzung zum Feindbild des »preußischen Junkers« diente, als dass er von den Gutsbesitzern selbst zur Kenntnis genommen wurde. Die Kritik, die von Linksliberalen und Zentrum ausging, zielte indes auf die Polenpolitik im Allgemeinen, ohne die Rolle der deutschen Grundbesitzer besonders hervorzuheben. Von den beiden regierungsstützenden Milieus, dem nationalliberalen und dem konservativen, wurden hingegen keine Erwartungen an die deutschen Großgrundbesitzer gerichtet. Bis 1900 berichteten solche Zeitungen zwar vom Verkauf deutschen Besitzes an polnische Käufer, dies jedoch sachlich-nüchtern, ohne die Verkäufe zu skandalisieren. Dies änderte sich um die Jahrhundertwende: Am 29. Dezember 1898 berichtete die Kölner Volks-Zeitung, ein Zentrumsblatt, von deutschen Scheinverkäufen an Polen, mit dem Ziel, bei der Ansiedlungskommission höhere Preise durchzusetzen. Diesen Artikel griff neben anderen Zeitungen auch die Vossische Zeitung in ihrer Ausgabe vom selben Tag auf und verspottete den zweifelhaften Patriotismus der Landwirte, indem sie mit höhnischen Anführungsstrichen von »›deutsche[n]‹ Grundbesitzern«3 schrieb. Diese Form der Ironisierung wurde ein verbreitetes Mittel, um die Verkäufe deutschen Grundbesitzes an polnische Käufer als einen Akt mangelnder nationaler Gesinnung zu kommentieren: Die freisinnige National-Zeitung etwa überschrieb 1900 einen Artikel, in dem sie mehrere deutsche Grundbesitzer, die an Polen verkauft hatten, namentlich nannte, darunter auch einen Führer des Bundes der Landwirte, mit dem in Anführungszeichen gesetzten Titel »Säulen des Deutschtums«.4 Die ebenfalls freisinnige Berliner Zeitung griff diesen Artikel unter gleichem Titel auf und kommentierte das Gebaren der Vertreter des Bundes: »Das hindert sie natürlich aber nicht, wenn persönliche Vortheile dabei zu gewinnen sind, den Patriotismus gemüthsruhig bei Seite zu lassen und mit den Polen Geschäfte zu machen, die den Zweck des Ansiedlungswerkes direkt durchkreuzen.«5 Auf ähnliche Weise verarbeitete der linksliberale Journalist Hugo Ganz seine Eindrücke von einer Reise durch Posen in der Zeit des Schulstreiks, die er 1906 im Auftrag der Frankfurter Zeitung unternommen hatte. In seinem daraus entstandenen Buch machte er zwar die polnische Agitation für den sich verschärfenden Nationalitätenkonflikt verantwortlich, zeichnete aber zugleich ein schonungsloses Bild von den Widersprüchen der deutschen Siedlungspolitik, für die er nicht zuletzt die deutschen Großgrundbesitzer verantwortlich machte: Unter unseren deutschen Grundbesitzern aber sind sehr viele, die aus unserer nationalen Sache ein pures Geschäft machen und uns die Pistole auf die Brust setzen mit der Forderung: Kaufe sofort, sonst kriegt es der Pole, der mir schon so viel geboten 3 Vossische Zeitung, 29.12.1898. Vgl. beispielsweise auch die Ausgabe vom 17. November 1900 unter namentlicher Nennung des deutschen Verkäufers. Adam Galos verortet die Vossische »am rechten Flügel der von den Freisinnigen verkörperten Richtung«. Vgl. Galos, S. 107. 4 National-Zeitung, 26.7.1900. 5 Berliner Zeitung, 28.7.1900. Vgl. zur Kritik im Parlament Balzer, S. 133.
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hat. Kaufen wir dann, so heißt es, wir zahlen unerschwingliche Preise und verleiten geradezu zur Aufgabe deutscher Güter. Kaufen wir nicht, so greift der Pole zu, und dann heißt es, die Ansiedelungskommission schläft. […] [H]ier handelt es sich nicht um kleine Bauern und Tagelöhner, sondern um Gutsbesitzer, um die Stützen unserer nationalen Politik. Da sollte man wirklich auch so viel nationales Gewissen voraussetzen, daß man an unseren Fonds, die ja Staatsgelder sind, nicht Erpressungen verübt oder gar skrupellos den Polen das Land in die Hände spielt.6
Ganz schließt mit den Worten: »In Geldsachen hört eben die Gemütlichkeit und auch die nationale Gesinnung auf.«7 Da auf diese Weise die Nationalitätenpolitik nicht zu gewinnen sei, plädierte er für einen Abbau der Sondergesetzgebung und Respektierung der Eigenarten der nationalen Minderheit. Die gelegentliche namentliche Nennung deutscher Verkäufer und der Hinweis auf Unzuverlässigkeit in nationalen Belangen diente in den Zeitungen der Milieus, die in Opposition zur preußischen Polenpolitik standen – Sozialdemokratie, Linksliberale und, trotz ihrer Regierungsunterstützung auf Reichsebene, das Zentrum –, indes nicht zur Bestrafung der Genannten und der Prävention ähnlicher Vorkommnisse, sondern dem Hinweis auf die Sinn- und Wirkungslosigkeit des politischen Programms der Regierung. Gerade die Aufwendung finanzieller Mittel korrumpiere das nationale Gewissen der deutschen Bevölkerung vor Ort und wirke dem Ziel einer nationalen Stärkung gerade entgegen. Die oppositionellen Strömungen griffen demnach die Norm auf, Deutsche sollten nicht an Polen verkaufen, und kommunizierten sie, jedoch um sie als Kritik gegen die preußische Regierungspolitik zu wenden. Die Vorwürfe dienten dazu, innerhalb der eigenen, vornehmlich urbanen Leserschaft und Wählerklientel die Kritik an der Regierungspolitik zu untermauern. Regierung und Verwaltung nahmen vor allem die konservative Presse wahr, durch die sie sich zu einem Ankauf deutschen Grundbesitzes unter Zugzwang gesetzt sahen: Mal ums Mal beklagte das konservative Lager den Übergang eines deutschen Gutes an einen polnischen Käufer statt an die Ansiedlungskommission. »Konnte man diesen nationalen Verlust nicht verhindern?«, fragte die Deutsche Zeitung, Organ des »Bundes der Landwirte«, als wieder einmal ein deutsches Gut in der Nähe der Provinzhauptstadt Posen den Besitzer wechselte.8 In einem anderen Fall erklärte die Schlesische Zeitung, nachdem die Ansiedlungskommission die Verhandlung abgebrochen hatte: »Im deutschnationalen Interesse bedauern wir lebhaft, daß die Bemühungen des Herrn Mittelstaedt, den Übergang seines Gutes in polnische Hände zu vermeiden, keinen Erfolg gehabt haben.«9
6 7 8 9
Ganz, S. 17 f.; Hervorh. im Orig. Ebd., S. 55 f. Deutsche Zeitung, 18.5.1902. Schlesische Zeitung, 6.1.1905.
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Die staatlichen Stellen beklagten, dass ein solches Verhalten lediglich dem spekulativen, unpatriotischen Taktieren der deutschen Grundbesitzer in die Hände spiele, anstatt dass die Presse derart offen deviantes Verhalten rüge, so wie es in den polnischen Zeitungen üblich sei. In einem vorausahnenden Bericht an das Staatsministerium nannte der Präsident der Ansiedlungskommission schon 1900 die Funktion der polnischen Presse als moralisches Korrektiv vorbildlich für den deutschen Diskurs: Das Bewusstsein, ein Staatsinstitut gegen die Vergrösserung des polnischen Besitzes in der Königlichen Ansiedelungs-Kommission zu haben, macht unsere nationale Presse taub gegen die Notwendigkeit, die deutsche Spekulations- und Profitwut, welche in weitaus den meisten Fällen die für unsere nationale Sache gefährlichen Besitzwechsel veranlasst, journalistisch an den Pranger zu stellen, wie das andererseits die polnische Presse mit ihren Volksgenossen in ähnlicher Lage ohne jede Schonung der Person thut.10
Offizielle Stellen gewannen den Eindruck »von einer irregeleiteten öffentlichen Meinung, die in unsinniger Weise für jeden Besitzübergang an einen Polen die Staatsregierung und ihre Beamten verantwortlich macht, anstatt sich an das mangelnde nationale Gewissen der Deutschen zu wenden.«11 Dennoch lässt sich nicht von einem breiten »Kulturtransfer« des polnischen Vorbilds in die deutschsprachige Presse sprechen. Dieser erfolgte allenfalls dort, wo dem nationalen Projekt in den »deutschen Ostmarken« Glauben geschenkt wurde, wo Hinweise auf Normbrüche den gleichen Funktionen diente, wie im polnischsprachigen Diskurs. Dies war vorzugsweise im nationalliberalen Spektrum gegeben: Die Berliner Börsenzeitung etwa befand 1907, dass es »im Osten eine Anzahl von Herren gibt, die nach ihrer Abstammung und nach ihren sonstigen Verhältnissen an sich zu den Konservativen zu zählen wären und die trotzdem ihr deutsches Volk an die Polen verraten.«12 Wilhelm von Massow, der auch in den Grenzboten publizierte, sprach in seinem Buch Die Polennot im Deutschen Osten an der Stelle, an der er sich mit den Hindernissen der Bodenpolitik auseinandersetzte, von einer »noch weit verbreiteten deutschen Charakterlosigkeit in politischen Dingen.«13 10 GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9515, Bl. 138–141r, hier 138–138r, Präsident der Ansiedlungskommission an das Staatsministerium, 13.7.1900. Einige Jahre später argwöhnte der Landwirtschaftsminister sogar, dass hinter sämtlichen derartigen deutschen Zeitungsmeldungen polnische Makler stünden, die auf diese Weise die Bodenpreise und damit ihre Provisionen zu erhöhen strebten. Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3608, Bl. 145r–148r, hier 147–147r, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 27.10.1905. Siehe dazu auch ausführlich Kap. 2.2. 11 GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9694, n. p., Anlage zum Votum des Innenministers, 22.12.1906. Ähnlich: Ebd., Nr. 9524, Bl. 203r–205, hier 205, Präsident der Ansiedlungskommission an den Landwirtschaftsminister, 24.2.1904. 12 Berliner Börsenzeitung, 22.5.1907. 13 Massow, S. 358.
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Es erscheint indes fraglich, inwiefern die nationalliberalen Blätter in größerer Zahl Eingang in die Herrenzimmer der Gutshäuser oder die Kasinos in den Kreisstädten fanden. Brigitte Balzer hat auf die Rolle der Posener Provinzpresse hingewiesen, die Landverkäufe an Polen »als ›Schmach für das Deutschtum‹ anprangerte«,14 und dafür zwei Beispiele aus dem freikonservativen, dem Ostmarkenverein nahestehenden Posener Tageblatt genannt, bei denen unter namentlicher Nennung der Verkäufer der mangelnde Patriotismus beklagt wurde. Angesichts der oben geschilderten ambivalenten Haltung der Freikonservativen Partei mag es nicht überraschen, dass sich auch gegenteilige Stimmen finden, die die Verkäufer deutschen Grundbesitzes an polnische Käufer zu entschuldigen suchten: So schilderte der freikonservative Abgeordnete Otto von Dewitz, abgesehen davon, dass er es für zu viel von der menschlichen Natur erwartet hielt, für das Gemeinwohl auf einen individuellen Vorteil zu verzichten, in einem längeren Artikel denkbare Fälle, in denen nationale Loyalität nicht etwa individuellem Gewinnstreben, sondern finanzieller Verantwortung gegenüber Dritten entgegenstand: Wohl dem, der den heißen Kampf des vermögenslosen Familienvaters nicht auszukämpfen hat, der entsteht, wenn in Frage kommt, ob er sein Vermögen um 100.000 M[ark] für seine Kinder durch den Verkauf seines Gutes an einen Polen vermehren soll oder ob er die äußere Wohlfahrt seiner Familie dem Staatsgedanken zu opfern hat. […] Der Mann, der ein entwertetes Gut seiner Mündel, das die Ansiedlungskommission nicht kaufen will, an einen Polen veräußert und seinen Pflegebefohlenen dadurch Existenzmittel beschafft, muß die Bürde eines mittelbaren Staatsamtes erfahren und sieht sich in seiner Ehre und seinem Rufe durch Urteil im Disziplinarverfahren bedroht.15
Dewitz’ Ausführungen zielten auf eine Differenzierung der Norm ab: Der Verkauf von Grundbesitz an polnische Käufer sollte nicht per se verboten sein, sondern soziale Normen und Rollenerwartungen als Familienvater oder Vormund mussten Vorrang haben, wo sie in Konkurrenz zur nationalen Norm standen. Kritik, so die implizite Botschaft, verdienten vielmehr die Ansiedlungskommission und andere Behörden, die zu wenig Verständnis für die Sorgen und Nöte des Einzelnen aufbrachten. Eine einheitliche Normsetzung konnte auf diese Weise nicht gelingen. So waren es lokale Eliten – Landräte, Dorflehrer, Ortspfarrer – die durch den sozialen Verkehr mit den Grundbesitzern in die Lage versetzt waren, normengerechtes Handeln einzufordern. Landräte meldeten der Ansiedlungskommission verkaufswillige Besitzer und versuchten deutsche Grundbesitzer im persönlichen
14 Balzer, S. 62, 102. Vgl. zur radikalen Kritik an den eigenen Landsleuten auch Posener Tageblatt, 8.11.1903 (»deprimierende Selbstsucht«, »nationale Disziplinlosigkeit«, »Volksverrat« usw.). 15 Dewitz, S. 309 f.
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Gespräch von Verkäufen an polnische Interessenten abzubringen.16 Deutsche Geistliche versuchten in ihren jeweiligen Parochien durch Besuch und Gespräch mit ihren Gemeindemitgliedern schwebende Verhandlungen mit Polen oder Juden zu verhindern. Eine Anweisung des Posener Konsistoriums im Juni 1901 verpflichtete die Geistlichen der Provinz, das Konsistorium über etwaige Verkaufsverhandlungen in Kenntnis zu setzen.17 So war es mehr und mehr der Deutsche Ostmarkenverein, der die Rolle nationalen Wachens und Strafens, die Formulierung und Sanktionierung der »nationalen Norm« übernahm.18 Typisch für die Propaganda des Ostmarkenvereins war etwa ein Flugblatt, das um 1910 verteilt wurde. Darin heißt es: Wer ohne Not deutsches Land in Polenhand verschachert, sollte als Verräter an der deutschen Sache gebrandmarkt sein – ebenso wie die Polen den behandeln, der seinen Boden an Deutsche verkauft. Und schließlich sollten die Deutschen des Ostens so viel Volksbewußtsein und Heimatliebe betätigen, daß sie nicht leichten Herzens das Land verlassen und nach dem Westen abwandern, wie dies leider noch vielfach geschieht. Nur ein wurzelfestes Deutschtum kann der slavischen Flutwelle trotzen.19
Bemerkenswerter ist hier weniger die Verwendung des zeittypischen Topos von der »slavischen Flut«,20 der das Polnische als etwas Naturgewaltiges und Fremdes darstellt, sondern der Verweis auf das polnische Vorbild. Deutsche Meinungsführer blickten auch andernorts neidvoll auf die Durchsetzungskraft polnischer Eliten. Reichskanzler Bülow, der die deutschen Großgrundbesitzer der Ansiedlungsprovinzen aufforderte, genau wie die Polen diejenigen unter ihnen auszuschließen, die an den nationalen Gegner verkauft hatten, war nur der prominenteste unter ihnen.21 16 Vgl. Wien, S. 129–132; GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9524, Bl. 46–48r, Präsident der Ansiedlungskommission an das Staatsministerium, 15.3.1904; ebd., Nr. 9527, Bl. 136–140, Präsident der Ansiedlungskommission an das Staatsministerium, 2.9.1905; ebd., Nr. 9529, Bl. 28–28r, Landrat von Briesen an den Präsidenten der Ansiedlungskommission, 1.3.1906. 17 Vgl. Rogall, S. 222–229. Siehe auch die dort S. 243–252 als Anlagen abgedruckten Referate zur Frage »Was können wir tun, um unsere Gemeinden vor weiterem Verlust ihres Grundbesitzes zu bewahren?« aus dem Jahre 1902. 18 Vgl. Tims, S. 181–185, dort auch S. 184, Anm. 112, der Hinweis auf wohlwollende Verbreitung von Fällen in der Vereinszeitung Die Ostmark, bei denen deutsche Verkäufer unter finanziellen Einbußen deutsche Käufer Polen vorgezogen hätten. 19 Zit. n. Grabowski, Nationalismus, S. 348. 20 Noch verbreiteter war eine Bauwerk-Metaphorik, die den deutschen Kulturfortschritt gegenüber den slawischen »Naturgewalten« herausstreichen sollte, denen man sich ausgesetzt sah. Vgl. beispielsweise die zeitgenössische »Bollwerks«-Rhetorik mit dem Topos des nationalen Belagerungszustands ausführlich: Drummond; Kossert; Liulevicius, S. 116 f.; Walkenhorst, S. 255 f.; Volkmann, S. 87. Auch im polnischen Diskurs finden sich Metaphern wie »Fluten des Deutschtums« (Wielkopolanin, 27.10.1904; Gazeta Grudziądzka, 14.9.1905) oder »Rammbock der Germanisierung« als Bezeichnung für die Ansiedlungskommission (Kuryer Poznański, 6.7.1886). 21 Vgl. StenBerAH 1907, Sp. 14 f., Sitzung vom 26.11.1907, ferner: Posener Tageblatt, 18.6.1905; Bromberger Tageblatt, 8.8.1906.
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Der Ostmarkenverein als lautester Mahner unterhielt wie andere radikalnationale Massenverbände mit Berlin so etwas wie »a schizophrenic relationship with central government«,22 wie Norman Davies und Roger Moorhouse diese Beziehung bezeichneten. Einerseits sahen sich die Angehörigen dieser Verbände als treue Untertanen des deutschen Nationalstaates. Andererseits gingen die von der Regierung vorgeschlagenen und ausgeführten Maßnahmen in der Minderheiten- und Kolonialpolitik oder der Sozialistengesetzgebung selten weit genug. Man übte »Opposition von rechts«, wie Hans-Ulrich Wehler es nannte.23 Der Einfluss des Ostmarkenvereins auf die deutschen Grundbesitzer, insbesondere die Großgrundbesitzer, sollte nicht überbewertet werden. In Westpreußen blieb er unauffällig.24 Auch in Posen waren es gerade die Großgrundbesitzer, die nicht zum Verein, sondern eher zum Bund der Landwirte strebten. Eine Doppelmitgliedschaft war nicht ausgeschlossen, aber beide Verbände verfolgten gerade in Hinblick auf den Grundbesitz unterschiedliche Interessen. Tendenziell vertrat der Bund der Landwirte eher konservative Positionen, während der Ostmarkenverein, der genau wie der Alldeutsche Verband auf eine Vernachlässigung agrarischer Partikularinteressen zugunsten einer nationalen Politik pochte,25 mehr zu Nationalliberalen und Freikonservativen neigte.26 Vollständig lässt sich eine solch scharfe Trennlinie indes nicht ziehen; unter den dreißig Abgeordneten der Jahre 1894 bis 1908, die Mitglieder des Vereins waren, gehörten immerhin acht der Deutschkonservativen Partei an,27 und es darf auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Deutschkonservative Partei bereitwillig antipolnische Maßnahmen mindestens unterstützte, wenn nicht gar selbst initiierte.28 Gleichwohl ist ein radikalnationaler Parteiflügel von einem solchen zu unterscheiden, der um des friedlichen Wirtschaftens in den östlichen Provinzen willen ein Schüren nationaler Differenzen zu vermeiden suchte. Neben parteipolitischen Differenzen spielten vor allem persönliche Animositäten der jeweiligen Leiter eine Rolle, in deren Folge sich beide Organisationen ab der Jahrhundertwende und bis zum Ausbruch des Weltkrieges unversöhnlich gegenüberstanden.29 Der Ostmarkenverein war, nach anfänglicher agrarischer Dominanz in der Gründungsphase, eher eine Organisation des urbanen Bürgertums wie der Beamtenschaft, der Lehrer und Pfarrer und der örtlichen Unternehmer, weniger der Landwirte, geschweige denn der Großgrundbesitzer. Eine
22 Davies / Moorhouse, S. 272. 23 Wehler, Gesellschaftsgeschichte, S. 923. 24 Vgl. Schattkowsky, Nationalismus, S. 63 f.; Jakóbczyk, Ostmarkenverein, S. 156–160; Hagen, S. 281. 25 Vgl. Walkenhorst, S. 271 f. 26 Vgl. Galos, S. 124; Jakóbczyk, Ostmarkenverein, S. 148 f.; Balzer, S. 41–43. 27 Ferner zwölf Freikonservative, neun Nationalliberale und ein Freisinniger, vgl. Galos, S. 103 f. 28 Vgl. Booms, S. 114 f. 29 Vgl. Hagen, S. 174 f.; Grabowski, Nationalismus, S. 97–99, 151 f.
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Mitgliederliste für Posen aus dem Jahre 1907 weist zwar immerhin ein Viertel der Mitglieder als Landwirte aus (gegenüber vierzig Prozent Beamte), Großgrundbesitzer darunter waren jedoch nur 219 oder zwei Prozent aller Mitglieder, was aber immerhin rund ein Fünftel aller deutschen Großgrundbesitzer der Provinz ausgemacht haben dürfte.30 Man sollte meinen, dass in diesen Fällen der Eintritt in den Verein gewissermaßen einer Anerkennung der nationalen Norm gleichgekommen sei. Tatsächlich kam es aber auch unter Vereinsmitgliedern immer wieder zu Verkäufen an polnische Parzellierungsgenossenschaften und Privatkäufer. Nicht jeder dieser Verkäufer vollzog den ihnen in diesen Fällen durch die Vereinsspitze nahegelegten Austritt aus dem Verein.31 Damit ist festzuhalten, dass es in der »moralischen Ökonomie« des Bodenmarktes auch auf deutscher Seite zur Aushandlung nationaler Normen kam. Zwar etablierte sich in der deutschsprachigen Presse ein Diskurs, der die Erwartung kommunizierte, dass deutsche Grundbesitzer nicht an Polen verkaufen sollten. Dieser war aber in hohem Maße mehrdeutig, da er bei den oppositionellen Strömungen nicht der Funktion von Strafe und Prävention diente. Vor allem blieben aber die Zeitungen des konservativen Milieus, und damit die Kommunikationsströme, die die Großgrundbesitzer direkt hätten ansprechen können, frei von invektiven Argumentationen. Lediglich lokalen Eliten und dem Ostmarkenverein, beide mit Schnittmengen zwischen liberalem und konservativem Milieu, gelang eine wirksame Moralisierung wirtschaftlichen Handelns. 2.1.2 Einmischungen der Verwaltung in private Kaufverhandlungen Eindeutiger als am Pressediskurs lässt sich am Verwaltungshandeln ablesen, wie die Anwendung oder Androhung von Sanktionen dazu genutzt wurde, das Verhalten deutscher Grundbesitzer zu beeinflussen und Vorhersagen über deren Entscheidungen zu treffen. So vertrat der Präsident der Ansiedlungskommission bei einem Petenten, der Regierungs- und Forstrat war, die Meinung, dass dieser »schon seiner amtlichen Stellung wegen nicht an einen Polen verkaufen«32 30 Vgl. Land, S. 46; Tims, S. 218–220; Galos, S. 44, 65–68, 76–78; Jakóbczyk, Ostmarkenverein, S. 148 f.; Grześ / Kramski, S. 284; Grabowski, Nationalismus, S. 47–51; Balzer, S. 31. 31 Vgl. Tims, S. 184 f. Entsprechend groß waren Aufsehen und Häme, wann immer Mitglieder des Vereins Besitz an Polen veräußerten. Besonders galt das im Fall Max Jouannes, Enkel des Gründungsmitglieds Hermann Kennemann, der 1913, drei Jahre nach Ableben des Großvaters, eine Gastwirtschaft an einen polnischen Käufer veräußerte. Tägliche Rundschau, 23.3.1913. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9642, n. p., Regierungspräsident von Posen an den Landwirtschaftsminister, 7.4.1913. 32 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9522, Bl. 90–92, das Zitat 91, Präsident der Ansiedlungskommission an das Staatsministerium, 7.7.1903 und ebd., Bl. 213, Präsident der Ansied lungskommission an das Staatsministerium, 4.8.1903. Ein ähnlich gelagerter Fall betraf den Regierungsrat Lehmann im Posener Landkreis Schwerin, vgl. ebd., Nr. 9517, Bl. 38–40r, Präsident der Ansiedlungskommission an den Landwirtschaftsminister, 15.7.1901.
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werde. Dabei blieb offen, ob der Hinderungsgrund im verinnerlichten nationalen Ehrempfinden bzw. im Dienstethos liegen sollte, oder aber im Wunsch, sich nicht Karrierechancen abzuschneiden. Die Kommission kaufte sein Rittergut letztlich nur, weil ein Verkauf an einen deutschen Privatkäufer keine genügende Sicherheit zu bieten schien, dass das Gut nicht doch irgendwann in polnischen Besitz gelangen würde. Wichtiger noch als die hier geschilderte Einbeziehung der nationalen Norm, um eine Handlungsvorhersage für die kontingente Entscheidung des Rittergutsbesitzers zu treffen, sind die Fälle, in denen Regierung oder Verwaltung das Mittel der Ehrbeschneidung als negative Sanktion für deviantes Verhalten verwendeten. Im Staatsministerium setzte sich ungefähr zeitgleich mit der Novelle von 1898 eine Unzufriedenheit mit dem mangelnden Patriotismus der deutschen Großgrundbesitzer durch. Wie in den Verkaufsgesuchen, so gab es auch im Staatsministerium um die Jahrhundertwende eine Umwertung des in Aussicht gestellten Verkaufes an Polen. Hatte man dies früher noch als Hinweis verstanden, dass der Besitzer tatsächlich wirtschaftlich ruiniert sei, so sah man darin nun ein rücksichtsloses Taktieren, eine Spekulation gegen das Deutschtum. Doch gab es gegen den marktwirtschaftlichen Mechanismus keine juristische Handhabe. Stattdessen versuchte die Verwaltung, normativen Druck auf diejenigen Gutsbesitzer auszuüben, die als potenzielle Verkäufer an Polen infrage kamen. So empfahl der Posener Oberpräsident dem Innenminister, dass der Kriegsminister prüfen lassen solle, ob einem in Verhandlungen mit einem polnischen Interessenten stehenden Offizier im Ruhestand im Verkaufsfall das Ehrenrecht zum Tragen der Uniform aberkannt werden könne (vgl. Kap. 2.2).33 Ein etwas anders gelagerter Fall stellte zwei Jahre zuvor der des Regimentskommandeurs der »Zietenhusaren« Heinrich von Keszyckis dar, der 1905 sein Gut an einen polnischen Käufer veräußert hatte. Nach Bekanntwerden dieses Verkaufs sandte der Innenminister ein Eiltelegramm an den Landwirtschaftsminister, um eine eventuell stattfindende Ordensverleihung an Keszycki aus Anlass des wenige Tage später stattfindenden Jubiläums zum 175-jährigen Bestehen des Regimentes bis zur Klärung des Vorfalls zu verhindern. Da aber keine Ehrung in diesem Zusammenhang geplant war, versandete die Initiative des Ministers.34 Angedrohter Verlust des Rechts zum Uniformtragen und die mögliche NichtVerleihung von Orden waren somit zwei auf den Verlust sozialen Kapitals abzielende Mittel, die dem Staat als ehrzuweisende und ehraberkennende Instanz zur Verfügung standen und von denen er für die Polenpolitik Gebrauch zu machen gewillt war. Zugleich war die Anwendung dieser Mittel aber hochgradig situativ. Ein einheitliches Muster lässt sich nicht erkennen. Vor allem aber vermochten diese Maßnahmen keine präventive Wirkung zu erzielen. Denn dem Außenstehenden war der Zusammenhang von Regelverstoß und Sanktion nicht einsichtig.
33 Vgl. ebd., Nr. 9532, Bl. 40–43, Oberpräsident von Posen an den Innenminister, 15.7.1907. 34 Vgl. ebd., Abt. ZB Nr. 178, Bl. 41, Innenminister an den Landwirtschaftsminister, 9.5.1905.
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Das betrifft ganz offensichtlich den Fall der verhinderten Ordensverleihung, der weniger einen Ehrverlust als eine Verhinderung von Ehrgewinn darstellte, die Dritten verborgen blieb. Dies betrifft aber auch den Fall des aberkannten Rechts, Uniform zu tragen, weil auch hier nicht nach außen kommuniziert wurde, wofür die Sanktionierung erfolgt war. Im Großen und Ganzen herrschte im Staatsministerium weniger der Wille vor, Regelverletzer systematisch zurechtzuweisen, als vielmehr Verärgerung über den »bedauernswerten Mangel an Patriotismus, der in den östlichen Grenzprovinzen in allen Klassen der Bevölkerung und namentlich bei den Großgrundbesitzern, selbst soweit sie dem hohen deutschen Adel angehören, herrsche«,35 wie es einmal in der Ministerrunde hieß. Als wirksamer wurde es angesehen, Mittel und Wege zu finden, die deutschen Grundbesitzer in der Provinz zu halten. Ende 1901 beschäftigte sich der Ministerialdirektor im Kultusministerium Friedrich Althoff mit dem Thema der Boden politik. Althoff erwog neben anderen Plänen wie der drastischen Ausweitung des Domänenbesitzes einen rechtlich verbindlichen Treueeid für Grundbesitzer einzuführen, der einen Verkauf an Polen ausschließen sollte. In einem Brief bat er den Nationalökonomen Gustav Schmoller um seine Meinung. Schmoller riet ab, da die deutschen Adeligen sich auf freiwilliger Basis nicht dazu bereit erklären würden und entsprechend auch keine Mehrheit im Landtag für eine Gesetzesinitiative zu einem solchen Unterfangen zu finden wäre.36 Die Pläne eines Eides sind nicht weiterverfolgt worden. Sie sind aber symptomatisch dafür, dass die konventionellen Wege der Gesetzgebung als ungenügend erachtet wurden und daher auf die Ehrqualität der Akteure Bezug genommen werden sollte. Besondere Aufmerksamkeit verdient die nach der Jahrhundertwende mehrmals erfolgte regelrechte Einmischung des Staatsministeriums in private Verkaufsverhandlungen des hohen Adels; Standesherren, aber auch Mitglieder herrschender Häuser. Diese hätten als patriotische Vorbilder an ihren Besitzungen in den national umkämpften Gebieten festzuhalten. Im Jahr 1901 plante Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen, Oberhaupt der Seitenlinie und verhinderter König von Spanien, mit Dratzig und Antonswalde zwei große, 17.000 Hektar zählende Herrschaften in der Provinz Posen zu verkaufen. Da ein deutscher Käufer bereitstand, war gegen den Verkauf grundsätzlich nichts einzuwenden. Allerdings erwartete man im Staatsministerium eine
35 GStA PK, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3604, Bl. 144r–151, hier 148r, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 12.12.1903. 36 Vgl. GStA PK, VI. HA, Nl. Althoff, Nr. 495, Bl. 39–39r, Friedrich Althoff an Gustav Schmoller, 26.12.1901; ebd., Bl. 40–41, Gustav Schmoller an Friedrich Althoff, 26.12.1901. Vgl. dazu auch den in den Berliner Neuesten Nachrichten vom 15. Januar 1904 vorgetragenen, vornehmlich gegen die polnische Nationalbewegung gerichteten Vorschlag, in den östlichen Provinzen für jeden Käufer von Grundbesitz die Ableistung eines Homagialeides verbindlich zu machen. »Gegen den Reichs- und Landesverrat [!] richte man den Homagialeid auf. Den treuen Bürger belastet und belästigt er nicht, den untreuen zu schonen liegt kein Grund vor.«
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unerwünschte Signalwirkung an die übrigen deutschen Großgrundbesitzer der Region und eine Bestärkung in ihren Verkaufsabsichten, wenn ein enger Verwandter der kaiserlichen Familie sich aus den national umkämpften Provinzen zurückzöge. Zudem befürchteten die Staatsminister, dass die Güter nicht dauerhaft in deutschem Besitz bleiben würden. Um dieser Sorge entgegenzuwirken, erklärten sich die Fürstliche Hofkammer und der Käufer in spe bereit, einen Passus ins Grundbuch eintragen zu lassen, der den Verbleib der Güter in deutschem Besitz regeln sollte. Eine Prüfung durch das Innenministerium ergab jedoch, dass ein solcher Passus nicht rechtskräftig wäre. Aus diesem Grund empfahl Finanzminister Georg von Rheinbaben im Einverständnis mit Hausminister Wilhelm von Wedel, die Genehmigung Wilhelms II. zu versagen, die für das Geschäft nach dem Hohenzollern’schen Hausgesetz notwendig war.37 Der um sein Geschäft gebrachte Käufer, ein Kommerzienrat aus dem Großherzogtum Hessen, unternahm einen neuerlichen Versuch: Er wollte sich vertraglich verpflichten, einen möglichen Weiterverkauf der Güter von der Genehmigung des Oberpräsidenten von Posen abhängig zu machen. Sollten er oder sein Rechtsnachfolger ohne Genehmigung verkaufen, werde eine Strafzahlung in Höhe einer halben Million Mark fällig. Doch in den anschließenden Beratungen des Staatsministeriums blieb es bei der Ablehnung, da gerade der Rückzug eines Hohenzollern einen schlechten Eindruck auf die deutsche Bevölkerung der Provinz machen müsse.38 Eine neue Initiative ging vom König aus: Wenn sich ein sicherer Verbleib in privater deutscher Hand nicht bewerkstelligen lasse, solle das Staatsministerium den Ankauf durch den Staat oder durch einen staatlich beaufsichtigten Stiftungsfonds prüfen. Die Prüfung dauerte bis zum Frühjahr 1902. In ihrem Ergebnis hielten die Staatsminister fest, dass eine demoralisierende Wirkung auf die Posener Großgrundbesitzer zu erwarten sei, wenn mit staatlichem Geld der Hochadel ausgekauft würde, zumal das Geld damit weiteren Germanisierungsmaßnahmen entzogen wäre. Außerdem zeichnete sich eine andere Lösung ab: Der Kaufinteressent hatte – offenbar durch die ministerialen Störmanöver abgeschreckt – von dem Kauf der Besitzungen Abstand genommen und stattdessen angeboten, sie lediglich zu pachten.39 Doch auch diese Lösung sollte sich zerschlagen, sodass eine staatlich beauftragte Wertermittlung unumgänglich wurde. Diese ergab, dass die Besitzungen, die zum größten Teil aus Wald bestand, an Staatsforsten angrenzten. Ein Ankauf 37 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3599, Bl. 275–278, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 28.6.1901; ebd., Rep. 77, Tit. 871 Nr. 4, Bl. 188–188r, Gutachten des Dr. Herrmann über Verkaufsbeschränkungen von Dratzig und Antonswalde, 11.6.1901. 38 Vgl. ebd., Rep. 90 A, Nr. 3600, Bl. 12–19r, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 6.9.1901. 39 Vgl. ebd., Rep. 77, Tit. 871 Nr. 4, Bl. 252–253r, Kultus-, Finanz-, Landwirtschafts- und Innenminister an das Staatsministerium, 25.3.1902.
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durch den Forstfiskus erschien dadurch sinnvoll und auch finanziell realisierbar. Das Staatsministerium beschloss daher – mehr als ein Jahr, nachdem die Verkaufsabsichten des Fürsten bekannt geworden waren –, die Herrschaften durch den Staat anzukaufen. Um politisches Aufsehen zu vermeiden, bestand der Finanzminister darauf, dass der Kauf durch den regulären Forstfiskus erfolge und nicht aus dem 1902 zu nationalpolitischen Zwecken eingerichteten Sonderfonds zum Ankauf von Domänen und Forsten (s. Kap. 2.4), da der Minister erst wenige Monate zuvor im Abgeordnetenhaus versichert hatte, dass dieses Geld nicht zum Auskauf deutscher Adliger verwendet werde.40 Etwa zeitgleich bestätigte sich das Gerücht, wonach auch der Herzog von Sachsen-Altenburg plane, seine Besitzung Neu-Grabia in Westpreußen zu verkaufen. Über ein Berliner Unternehmen erhielt auch die Ansiedlungskommission ein Angebot.41 Auf diplomatischem Wege wurde der preußischen Regierung mitgeteilt, dass der Herzog mit dem Verkauf lediglich eine Arrondierung anderer Besitzungen in der Provinz Posen beabsichtige und einen Übergang in polnischen Besitz nicht zulassen werde.42 Da die Regierung aber vor dem preußischen Landtag bereits erklärt hatte, dass der Ansiedlungsfonds nicht zum Ankauf von Gütern von vermögenden Besitzern diene, wurde beschlossen, den Herzog vom Verkauf abzubringen. Die entsprechende Demarche des preußischen Gesandten beim Herzog war zunächst erfolgreich.43 Als drei Jahre später der Verkauf erneut zur Diskussion stand, verharrten die Minister auf dem Standpunkt, dass gerade die deutschen Fürsten in den östlichen Provinzen ein gutes nationales Beispiel abzugeben hätten, und baten den König um persönliche Unterstützung, um den Herzog von seinem Vorhaben abzubringen.44 Zur gleichen Zeit wie Dratzig, Antonswalde und Neu-Grabia erhielt das Staatsministerium von einem weiteren Verkaufsfall Kenntnis. 1902 beabsich-
40 Vgl. ebd., Nr. 5, Bl. 85–85r, Landwirtschaftsminister an den Ministerpräsidenten, 16.9.1902; ebd., Bl. 86–86r, Votum des Finanzministers, 24.9.1902, ebd., Bl. 84, Ministerpräsident an den Landwirtschaftsminister, 25.9.1902. Zur Rede im Abgeordnetenhaus vgl. StenBerAH 1902, Sp. 5506, Sitzung vom 27.5.1902, in Erwiderung auf einen Redebeitrag des freisinnigen Abgeordneten Eugen Richter. 41 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9519, Bl. 107–107r, Präsident der Ansiedlungskommission an den Landwirtschaftsminister, 12.7.1902. 42 Vgl. ebd., Bl. 248–249, Staatsminister von Helldorff [Sachsen-Altenburg] an den preußischen außerordentlichen Gesandten in Dresden, 30.7.1902. 43 Vgl. ebd., Rep. 90 A, Nr. 3602, Bl. 98, 101r–102r, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 2.9.1902; ebd., Rep. 87, Abt. B Nr. 9519, Bl. 253–254, Landwirtschaftsminister an den Außenminister, 20.9.1902. 44 Vgl. ebd., Nr. 9526, Bl. 213–214r, Gesandter in Dresden an den Außenminister, 12.3.1905; ebd., Nr. 9527, Bl. 349–351r, Präsident der Ansiedlungskommission an das Staatsministerium, 21.7.1905; ebd., Bl. 352–353, Oberpräsident von Westpreußen an den Innenminister, 30.10.1905; ebd., n. p., Immediatbericht des Finanz-, Landwirtschafts- und Innenminister, 3.1.1906; ebd., Nr. 9534, Bl. 213l–213mr, Oberpräsident von Westpreußen an den Landwirtschaftsminister, 3.8.1907.
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tigte Fürst Philipp Ernst zu Hohenlohe-Schillingsfürst, ältester Sohn des im Vorjahr verstorbenen Reichskanzlers, die fideikommissarische Bindung der Herrschaft Grabowo mit Kaiserswalde, zusammen rund 2.300 Hektar, aufzulösen; eine zwingende Bedingung, um die Besitzung anschließend verkaufen zu können. Nach Prüfung des Justizministers bedurfte der Fürst zur Auflösung des Fideikommisses lediglich der Zustimmung des Familienrates, nicht jedoch des Königs. Deshalb seien andere Wege zu finden, um den Verkauf in Gänze oder wenigstens den Übergang des Gutes in polnischen Besitz zu verhindern.45 Die Sache wurde vorläufig dadurch geklärt, dass der Justizminister seine Ansicht über die Verhältnisse des Fideikommisses nach einige Monaten revidierte: Er interpretierte die Rechtslage nun dahingehend, dass die Besitzung sich zwar in der Provinz Posen befinde, sie als Bestandteil des Herzoglich Ratiborer Fideikommisses aber dem schlesischen Provinzialrecht unterliege, das durch ein Spezialgesetz aus dem Jahr 1840 die Zustimmungspflicht des Monarchen vorsah. Folglich brauche lediglich der König dahingehend instruiert zu werden, die Auflösung aus nationalen Rücksichten zu untersagen.46 Einige Zeit später, inzwischen waren zweieinhalb Jahre vergangen, erschien ein solcher Eingriff in die Privatgeschäfte einer hochangesehenen Familie jedoch als zu schwerwiegend, zumal der Familienrat eine Reinvestition des Kaufgeldes in Grundbesitz gefordert hatte, der Verkauf also lediglich eine Verlagerung, aber keine Auflösung des gebundenen Besitzes in deutscher Hand bedeutet hätte.47 Zugleich hatte Wilhelm II. seine Haltung bezüglich des Verkaufes von Grundbesitz durch deutsche Besitzer unmissverständlich klar gemacht, indem er im August 1905 bei einer Rundreise durch die Ostprovinzen öffentlich auf dem Marktplatz von Gnesen erklärt hatte: Wer als Deutscher ohne Grund seinen Besitz im Osten veräußert, versündigt sich an seinem Vaterlande, welches Standes und Alters er auch sei. Er muß hier aushalten. 45 Vgl. ebd., Rep. 90 A, Nr. 3602, Bl. 76r–78r, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 27.6.1902. In der gleichen Sitzung kamen auch Verkaufsabsichten des Prinzen Heinrich von Preußen, eines Bruders Wilhelms II., zur Sprache, die ebenfalls verhindert werden sollten. Vgl. zur mangelnden nationalen Loyalität Hohenlohes auch: Ebd., Rep. 77, Tit. 41 Nr. 98 Fasz. 1, Bl. 87–87r, Landwirtschaftsminister an den Innenminister, 28.8.1906. 46 Vgl. ebd., Rep. 90 A, Nr. 3602, Bl. 146r–147r, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 8.11.1902. Vgl. zur Aufhebung von Fideikommissen auch Miaskowski, S. 39–41 und Art. Familienfideikommiß, in: Bitter, Handwörterbuch, Bd. 1, S. 500–503, hier 502 mit den Hinweisen auf das Edikt vom 9.10.1807, das die Aufhebung von Fideikommissen durch einfachen Familienschluss gestattete, sowie zur Sonderstellung Schlesiens mit dem auf diese Provinz begrenzten Gesetz vom 15.2.1840 (Ges.-S. 1840, S. 25, Gesetz, die Familien-Fideikommisse, fideikommissarische Substitution und Familienstiftungen im Herzogthume Schlesien und in der Grafschaft Glatz betreffend, 15.2.1840), das für alle Belange, die einen Familienschluss vorsahen, zusätzlich die Einholung der Allerhöchsten Genehmigung erforderlich machte. 47 Vgl. ebd., Rep. 77, Tit. 41 Nr. 98 Fasz. 1, Bl. 3–5, Justizminister an den Innenminister, 10.3.1905. Siehe auch ebd., Bl. 6–7, Abschrift des Familienschlusses, 6.7.1903.
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[…] Hier im Osten zu wirken, ist eine Verpflichtung gegen das Vaterland, gegen das Deutschtum, und wie der Posten nicht von seiner Wache weichen darf, so dürfen Deutsche nicht aus dem Osten weichen.48
Damit schien die Sache zunächst entschieden, zumal sich auch Teile des Staatsministeriums auf den Standpunkt Wilhelms II. zurückzogen. Während sich ein anderer Teil der Minister in endlosen Beratungen juristischer Detailfragen erschöpfte, welche Maßregeln getroffen werden könnten, um einen Übergang in polnischen Besitz dauerhaft rechtswirksam ausschließen zu können – auch der Ankauf durch die Ansiedlungskommission schien wieder eine gangbare Option zu sein –, versuchte in der Zwischenzeit Hohenlohe einen deutschen Käufer zu finden, dessen Zuverlässigkeit in nationalen Belangen sowohl den Monarchen als auch das Staatsministerium zu überzeugen geeignet war.49 Nachdem ein erster vielversprechender Käufer wegen der Dauer des sich hinziehenden Verfahrens abgesprungen war, fand sich im Sommer 1906 der ersehnte Kaufinteressent – inzwischen waren drei Jahre ins Land gegangen, seitdem der Familienschluss den Verkauf gebilligt hatte, und vier, seitdem die Verkaufsabsicht Hohenlohes dem Staatsministerium bekannt gemacht worden war. Hohenlohe holte ohne zu zögern persönlich bei Wilhelm II. die Zusicherung ein, der Auf lösung des Fideikommisses zuzustimmen, und übergab unverzüglich dem Käufer seinen Besitz; womöglich eine Maßnahme, um Tatsachen zu schaffen, ehe das Staatsministerium weitere Einsprüche erheben konnte.50 Das Beispiel Hohen48 Wilhelm II., S. 263. Zur ähnlichen Wortwahl im polnischsprachigen Diskurs vgl. Praca, 24.7.1904. Die Rede Wilhelms II. fand eine breite mediale Beachtung, sodass auch später noch immer wieder auf sie rekurriert wurde. Vgl. APP, Prezydium Policji, Nr. 9322, Preßäußerungen über die Rede des Kaisers in Gnesen 9. August 1905 (1905–1911). 1907 hatte sich der westpreußische Oberpräsident bei seiner Ablehnung des Ankaufes von Neu-Grabia explizit auf die Kaiserrede bezogen, vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9534, Bl. 213l– 213mr, Oberpräsident von Westpreußen an den Landwirtschaftsminister, 3.8.1907. 1910 berief sich der Landwirtschaftsminister auf die Rede und noch 1912 der Posener Oberpräsident, vgl. ebd. Nr. 9536, n. p., Landwirtschaftsminister an den Innenminister und den Finanzminister, 26.11.1910; ebd., Nr. 9537, Bl. 229–230r, Oberpräsident von Posen an den Landwirtschaftsminister, 29.2.1912. Auch die Presse erwähnte im Folgenden die Gnesener Rede. Vgl. Tägliche Rundschau, 17.12.1905; Gazeta Gdańska, 5.5.1906; Danziger Allgemeine Zeitung, 21.6.1910. 49 Dazu ausführlich: GStA PK, I. HA Rep. 77, Tit. 41 Nr. 98 Fasz. 1, Verkauf der Fideikommiß güter Grabowo und Kaiserwalde durch Fst. zu Hohenlohe-Schillingsfürst (1905–1907); ebd., Rep. 87, Abt. B Nr. 9506, Ausführung des Ansiedlungsgesetzes vom 26. April 1886 und 20. März 1908. Grundsätze für Erwerb, Verwaltung und Besiedlung von Grundbesitz. Verwendung und Stand der Ansiedlungskredite (1903–1929); ebd., Nr. 9527, Ankauf von Grundstücken in den Provinzen Posen und Westpreussen zu Colonisationszwecken (1905); ebd., Rep. 90 A, Nr. 3607–3608, 3610, Sitzungsprotokolle des Staatsministeriums (1905; 1905; 1906). 50 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 77, Tit. 41 Nr. 98 Fasz. 1, Bl. 107r, Übergabeprotokoll, 30.6.1906. Vielleicht spielte noch ein äußerer Anlass eine Rolle, warum Hohenlohe sich gerade jetzt mit dem Abschluss des Verkaufs beeilte: Nur wenige Monate später, im Oktober desselben
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lohes ist Ausdruck für die lange Dauer bis eine endgültige Entscheidung vorlag. Dazwischen lag nicht nur die Zeit ungewissen Wartens, sondern mehrmalige Vorstöße und Rückzüge der Minister, die eine baldige Entscheidung erhoffen und dann wieder in weite Ferne rücken ließen. Weitere Beispiele könnten angeführt werden,51 festzuhalten ist Folgendes: Gerade in Fällen der Hocharistokratie ermächtigte sich das Staatsministerium als Bewahrer des nationalen Besitzstandes, sich in die Kaufverhandlungen Dritter einzuschalten, um den Erwerb von Grundbesitz durch Polen zu verhindern. Aus der Zugehörigkeit zur sozialen Elite folgte für den Hochadel eine Ungleich behandlung gegenüber anderen Besitzern, da die preußische Regierung erwartete, die eigene ökonomische Entscheidungsfindung dahingehend einzuschränken, nur an »sichere« deutsche Käufer zu verkaufen, oder aber im Idealfall von einem Verkauf ganz abzusehen. 2.1.3 Fideikommisse Um den Übergang von Grundbesitz an polnische Käufer zu verhindern, bediente sich die preußische Regierung nicht bloß negativer Sanktionsmittel, sondern sie schuf auch positive Anreize, um diejenigen zu belohnen, die deutschen Grundbesitz im Osten erhielten oder sogar vermehrten. Als Handlungsfeld diente ihr die Förderung von Fideikommissstiftungen verbunden mit dem Versprechen auf Nobilitierung. Bereits Klaus Heß hat darauf hingewiesen, dass die antipolJahres, veröffentlichte Philipp Ernsts Bruder Alexander zu Hohenlohe die Memoiren des gemeinsamen Vaters (vgl. Hohenlohe-Schillingsfürst, der dritte Band erschien 1931) ohne vorherige Autorisierung durch Wilhelm II. Teilabdrucke waren bereits in den Monaten zuvor, also genau zu der Zeit, zu der Philipp Ernst zum Vertragsabschluss drängte, teils mit, teils ohne Alexanders Erlaubnis in Zeitschriften erschienen. Der Kaiser reagierte unwirsch ob der Indiskretion: Zur Strafe wurde Alexander seines Amtes als Bezirkspräsident des Oberelsaß enthoben, Philipp Ernst wurde wenigstens mit einem zornigen Telegramm bedacht. Angesichts dieser wenig überraschenden, gleichwohl heftigen Reaktion Wilhelms wäre die königliche Zustimmung in der Fideikommissfrage mehr als ungewiss gewesen. Vgl. zu dem Vorfall Spitzemberg, S. 465 f. (Einträge vom 14. und 25.10.1906); Hohenlohe, S. 198–202. Unter Verwendung der Nachlässe der Beteiligten ist die Publikationsgeschichte der Hohenloheschen Memoiren und ihrer Folgen durch Volker Stalmann aufgearbeitet worden: Stalmann, Hohenlohe-Schillingsfürst, S. 365–372. 51 Als vergleichsweise harmlos erwiesen sich die vermeintlichen Verkaufsabsichten des Großherzogs von Sachsen-Weimar für seine Besitzungen Racot und Stenszewo in Posen: Als der Oberpräsident nähere Erkundigungen über diesen Vorgang beim Großherzog einholte, wurde ihm mitgeteilt, dass ihm zwar Angebote gemacht worden seien, er aber lediglich aus Interesse an einer Wertermittlung seiner Besitzungen ein ernsthaftes Interesse vorgetäuscht habe. Es sei dahingestellt, ob diese Angabe zutreffend oder eine Schutzbehauptung des Großherzogs war, nachdem die Presse des Ostmarkenvereins kritisch über seine Unterhandlungen berichtet hatte. Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9519, Bl. 13–16, Oberpräsident von Posen an den Finanzminister, 24.5.1902.
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nische Minderheitenpolitik weit bis in die Adelspolitik hineinreichte.52 Die Nobilitierungspraxis der Jahre nach der Jahrhundertwende ist ein Beispiel dafür, warum zeitgenössische Kritiker einen degenerativen Wandel bei der Vergabe von Adelstiteln wahrnahmen, nämlich als ein Umschlagen von einem ursprünglich für den Geehrten nicht planbaren Akt hoheitlicher Gnade hin zu einem kühl kalkulierbaren quid pro quo.53 Um dieses Anreizsystem besser verstehen zu können, ist zunächst ein genauerer Blick auf den Charakter des Fideikommisswesens notwendig: Ein solches Fideikommiss war, in der Definition von Heß, »ein Vermögen, welches durch Willenserklärung des Stifters für eine bestimmte Familie auf unbegrenzte Dauer gebunden wurde, und in seiner Gesamtheit unteilbar, unveräußerlich und unverschuldbar, sowie einer bestimmten Erbfolge unterworfen war.«54 Zentral ist hier der Aspekt, dass fideikommissarisch gebundener Grundbesitz prinzipiell vom Verkauf ausgeschlossen wurde. Zwar war die Veräußerung des Besitzes in den hier behandelten Provinzen nicht auf alle Zeiten ausgeschlossen, weder in Teilen noch in Gänze. Ihr waren aber, das hatte das Beispiel Hohenlohes gezeigt, außerordentlich hohe Hürden auferlegt.55 Durch die Verkaufshürde, dass der Grundbesitz dem freien Markt und damit auch dem Erwerb durch mögliche polnische Käufer entzogen wurde, erschien die Förderung von Fideikommissen von deutschen Besitzern als ein nützliches Instrument der Germanisierungspolitik.56 52 Vgl. Heß, Junker, S. 202 f. Die Stiftung eines Fideikommisses konnte auch Bedingung sein, um einem vormaligen Pächter eine Domäne zum Eigentum zu überlassen. Vgl. Denkschrift, betreffend die in der Nachweisung A [für das Rechnungsjahr 1912] mitenthaltenen Veräußerungen und Erwerbungen von Domänen und Domänengrundstücken, bei denen der Kaufpreis 100.000 Mark im einzelnen Falle übersteigt, in: StenBerAH 1914, Drucksachen, S. 532–535, hier 533. 53 Vgl. Hertz-Eichenrode, S. 659–661. 54 Heß, Junker, S. 101. 55 Vgl. Heß, Junker, S. 113–117; zur rechtshistorischen Entwicklung des familialen Mitspracherechts ausführlich: Miaskowski, S. 2–41. Zur anhaltenden Debatte in der Ansiedlungskommission, ob die Fideikommissgründungen ein hinreichendes Instrument zur dauerhaften Entziehung des Besitzes vom Bodenmarkt darstelle, wobei strittig blieb, ob der Monarch in jedem Fall seine Zustimmung geben müsse: GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9592, Bl. 234–245, hier 236r–237r, Protokoll der Sitzung der Ansiedlungskommission, 29.1.1912. 56 Die Gründung eines Fideikommisses konnte auch Bedingung für Kaufverhandlungen mit der Ansiedlungskommission sein: Der deutsche Verkäufer verpflichtete sich dann, seinen ihm verbleibenden Restbesitz innerhalb einer gesetzten Frist in eine Stiftung zu überführen. Versäumte er die Frist, hatte er einen Teil des Kauferlöses an die Ansiedlungskommission zurückzuzahlen. Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9534, Bl. 232–233, Präsident der Ansiedlungskommission an das Staatsministerium, 5.2.1909. In einem Fall wurden indes vier Anträge auf Verlängerung anstandslos bewilligt, wobei für die letzten drei Verlängerungen Kriegsausbruch und die Novellierung des Fideikommissrechts ursächlich waren. Vgl. ebd., Nr. 9540, n. p., Landwirtschafts-, Finanz- und Innenminister an den Präsidenten der Ansiedlungskommission, 15.10.1915; ebd., Nr. 9541, n. p., Landwirtschafts-, Finanz- und Innenminister an den Präsidenten der Ansiedlungskommission, 3.11.1917; ebd., n. p., Landwirtschafts-, Finanz- und Innenminister an den Präsidenten der Ansiedlungskommission, 5.12.1918.
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Die ursprünglich feudale Funktion des Rechtsinstituts bestand darin, ökonomische Stabilität zu gewährleisten und auf diese Weise den sozialen Status einer Familie dauerhaft abzusichern. Doch für die preußische Regierung erlangte an Bedeutung, dass der Besitz national dauerhaft festgeschrieben wurde. Trotz der Erosion politischer und ökonomischer Vorrechte blieb der Adel um die Jahrhundertwende Referenz- und Orientierungspunkt für zahllose Nichtadlige. Daneben war die Anrede »Rittergutsbesitzer« im wilhelminischen Deutschland keine bloß wirtschaftliche Kategorie oder Rollenbezeichnung; sondern sie strahlte in gewisser Hinsicht noch eine, wenngleich allmählich verblassende, Form spätfeudaler sozialer Dignität aus.57 Dementsprechend galt für das Preußen des gesamten 19. Jahrhunderts, dass sich der Ankauf von Grundbesitz positiv auf ein Nobilitierungsverfahren bzw. eine Standeserhöhung in den Freiherrenstand auswirkte.58 Dies galt umso mehr, wenn der Besitz in eben eine solche Fideikommissstiftung eingebracht wurde.59 Neu war nun mit der Wende zum 20. Jahrhundert, dass dieses Mittel gezielt als Instrument der Nationalitäten politik eingesetzt wurde. Zu diesem Zweck wurde potenziellen Petenten einer Nobilitierung signalisiert, in welchen Gebieten, nämlich den national umstrittenen Provinzen, ein Erwerb von Grundbesitz für die Nobilitierung besonders erfolgversprechend war.60 An die Seite der vormals rein quantitativen Beurteilung, wieviel Grundbesitz ein Adelsanwärter besaß und gegebenenfalls für die Familie auf Dauer fideikommissarisch gebunden hatte, trat fortan auch die qualitative Einschätzung, ob der Besitz im Osten der Monarchie erworben und demnach ein Beitrag zur »Stärkung des Deutschtums« geleistet worden war.61 Das von seinen Vorgängern restriktiv gehandhabte, unter Wilhelm II. dann intensiv genutzte Angebot, Bürgerliche in den Kreis des Adels aufzunehmen, korrespondierte mit dem tiefen gesellschaftlichen Verlangen zu wilhelminischen Zeiten, den eigenen sozialen Aufstieg symbolisch zu manifestieren und nach außen hin zu dokumentieren. Zahlreiche Großindustrielle, aber auch Finanz-
57 Vgl. Drewes, S. 112–119. Zu den unterschiedlichen Motiven von Großindustriellen und Unternehmern, in Grundbesitz zu investieren, die von ökonomischen über sozialen bis hin zu emotionalen Erwägungen reichten, vgl. Augustine, S. 183–186; Leonhard / Wieland, S. 30 f. 58 Von den 1.160 Eigentümern von Fideikommissen in Preußen im Jahr 1912 waren 136, d. h. gerade einmal 12 Prozent bürgerlich. Aus der Statistik geht nicht hervor, wie viele der übrigen Eigentümer dem Neuadel zuzurechnen sind. Vgl. für die Zahlen Wienfort, Adel, S. 72. 59 Vgl. Stein, passim, bes. S. 28–34; Henning, Konkurrenz, S. 33 f.; Kalm, S. 98 f. 60 Vgl. ebd., S. 81. Für das Folgende auch: Hertz-Eichenrode, S. 673–676. Die Ansiedlungspolitik wurde zwar grundsätzlich vom Heroldsamt unterstützt, gleichwohl hielt sie an ihrer restriktiven Auffassung über die an Petenten gestellten Anforderungen fest. Vgl. Kalm, S. 85, Anm. 81. Vgl. zum herrschaftsstabilisierenden Effekt obrigkeitlicher Ehrzuweisungen Aschmann, S. 19. 61 Für Orden und Ehrenzeichen hingegen, um eine andere Form sozialer Ehrverleihung anzusprechen, ließ sich eine bevorzugte Behandlung deutscher Käufer von Grundbesitz bei einer stichprobenartigen Untersuchung des Regierungsbezirkes Bromberg nicht nachweisen.
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unternehmer investierten beträchtliche Summen in Großgrundbesitz.62 Die Motive variierten: Sie konnten vorrangig ökonomischer Natur sein. Die Rentabilität der Investition konnte aber auch nebensächlich sein, wenn emotionale Rücksichten im Vordergrund standen (ein Refugium in ländlicher Idylle), oder aber Statusgewinn und die erhöhte Wahrscheinlichkeit einer Nobilitierung angestrebt wurden.63 Auch in der preußischen Beamtenschaft fanden sich eifrige Staatsdiener, die ihre loyale Haltung durch den Erwerb von Grundbesitz und die Stiftung eines Fideikommisses zu dokumentieren suchten.64 Adelspolitik als Mittel sozialer Integration zu betreiben fand also bürgerlicherseits in der Nachfrage nach Standeserhöhungen ihren Gegenpart, blieb aber im alten Adel nicht unumstritten, fürchtete man dort doch um die soziale Exklusivität angesichts der wachsenden Zahl an Parvenüs.65 Derlei Bedenken konnten jedoch nicht verhindern, dass in Westpreußen und Posen die Fideikommissgründung zu einer Erfolgsgeschichte avancierte. 1870 existierten in beiden Provinzen jeweils gerade einmal 14 Fideikommisse. Einzig das süddeutsche Hohenzollern konnte unter den preußischen Provinzen noch weniger vorweisen. Dagegen verdoppelten sich in den beiden Ansiedlungsprovinzen die Zahlen zwischen 1895 und 1912. In Westpreußen stieg die Zahl von inzwischen 17 auf nunmehr 35. In Posen existierten 33 Fideikommisse im Jahre 1895 und 76 Stück 1912. Die dritte geförderte Provinz Schlesien, in der das Fideikommisswesen eine ausgeprägtere Tradition besaß, hatte sich am Vorabend des Ersten Weltkrieges mit 216 Fideikommissen an die Spitze der Monarchie gesetzt.66 Durch Ministerialbeschluss vom 21. November 1901 wurden zunächst finanzielle Anreize geschaffen: Deutschen, die in den Ansiedlungsprovinzen ein Fideikommiss stifteten, wurde die erforderliche Stempelgebühr erlassen.67 Klaus Heß hat nachgewiesen, dass im Zeitraum von 1895 bis 1917 zwar in sämtlichen preußischen Provinzen Fideikommisse gegründet wurden, aber nur in den östlichen Provinzen Ostpreußen, Westpreußen, Brandenburg, Posen und Schlesien von dem Mittel des Stempelerlasses Gebrauch gemacht wurde, und dies
62 Vgl. Henning, Konkurrenz, S. 33 f., 36 f.; Laubner, S. 143 f. Skeptisch zu den Auswirkungen, mithilfe der Nobilitierungspraxis eine neue Oberschicht zu bilden: Hertz-Eichenrode. 63 Vgl. Augustine, S. 183–186. 64 Vgl. Bogdan Hutten-Czapskis, selbst aus einer traditionsreichen polnischen Magnatenfamilie stammend, hatte hierfür später die abfällige Bezeichnung des »Geschäftspatriotismus« gefunden. Hutten-Czapski, S. 319. 65 Vgl. Cecil, S. 767, 775, 785–791; Henning, Konkurrenz, S. 31; Stein, S. 61–69; Drewes, passim; Kalm, S. 70–72; Wienfort, Adel, S. 139 f.; Hertz-Eichenrode, S. 652. 66 Vgl. Heß, Junker, S. 144. 67 Dieser Vorschlag geht zurück auf den Posener Oberpräsidenten von Bitter. Vgl. dazu die Abschrift von Bitters Bericht an Bülow samt den zustimmenden Randbemerkungen des Letzteren: GStA PK, I. HA Rep. 77, Tit. 871 Nr. 4, Bl. 93–96, Oberpräsident von Posen an den Reichskanzler, 26.3.1901.
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am häufigsten in den Ansiedlungsprovinzen Westpreußen und Posen (75 bzw. 78 Prozent der Fälle).68 Ende 1903 wies Innenminister Hammerstein-Loxten die Oberpräsidenten von Westpreußen und Posen an, zu prüfen, welche Stifter für eine Nobilitierung oder Standeserhöhung infrage kämen.69 Diese Vorgänge der Adelsverleihungen waren keine Automatismen, sondern stießen bei der administrativen Umsetzung – sehr zum Leidwesen der Staatsminister – zuweilen auf Widerstände.70 Dennoch: Die forcierte Nobilitierungspolitik blieb nicht ohne Wirkung. Im Zeitraum von 1903 bis 1912, so hatte es Hans-Konrad Stein ermittelt, verdoppelten sich beinahe die Nobilitierungen von Rittergutsbesitzern aus Westpreußen und Posen gegenüber den vorherigen zehn Jahren 1893–1902.71 Mit Pierre Bourdieu kann man von einer Austauschbeziehung zwischen sozialem und ökonomischem Kapital sprechen, nur dass der Nobilitierte seinen Besitz nicht an den Staat abtrat, sondern lediglich sein Vermögen in den Dienst der staatlichen Politik stellte.72 Auf diese Weise wurden beispielsweise im Jahre 1906 – am Geburtstag des Kaisers – die drei Brüder Heinrich, Gustav und Ernst Friedrich Beyme geadelt. Sie hatten jeweils ein Gut in den östlichen Provinzen gekauft und fideikommissarisch gebunden. Zusammen umfasste der Grundbesitz der drei Brüder 68 Vgl. Heß, Junker, S. 189. 69 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 77, Tit. 50, Nr. 21 adh 2, S. 241–244, Innenminister an die Oberpräsidenten von Westpreußen und Posen, 22.12.1903. Dabei wurde überlegt, den Titel an das Gut zu binden, sodass eine durch die Stiftung erschwerte, aber dennoch mögliche Veräußerung mit dem Verlust des Titels einhergegangen wäre. 70 Vgl. Stein, S. 57, Anm. 2, zum Fall des Oberpräsidialrats Davidson (der nicht, wie Stein schreibt, Oberpräsident von Brandenburg war). Davidson erklärte sich unter der Bedingung einer Nobilitierung bereit, in den Ansiedlungsprovinzen Grundbesitz zu erwerben und diesen in eine Stiftung einzubringen. Dagegen regte sich der Widerstand Wilhelms II., Davidson solle erst die Stiftung vornehmen und anschließend ein Gesuch auf Nobilitierung stellen: GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 1247, Bl. 17–23, Immediatbericht des Vorsitzenden des Heroldsamts, 11.12.1903, mit der Befürwortung der Nobilitierung Davidsons aus den genannten politischen Gründen. Vgl. dagegen die Befürchtung im Staatsministerium, das Heroldsamt könne sich in Zukunft dem Mittel einer liberaleren Nobilitierungspraxis zu politischen Zwecken verweigern: GStA PK, I. HA Rep. 90 A, Nr. 2008, Bl. 41–41r, Innenminister an den Präsidenten des Staatsministeriums, 31.1.1904; ebd., Bl. 43, Präsident des Staatsministeriums an den Innenminister, 12.1.1904. Die vorläufige Ablehnung Wilhelms II.: Ebd., Rep. 89, Nr. 1247, Bl. 25, Geheimes Civilkabinett an den Hausminister und das Heroldsamt, 11.1.1904. Anders gelagert war der Fall des Rittergutsbesitzers Hermann Becker aus dem Posener Kreis Pleschen. Dieser hatte polnischen Grundbesitz angekauft und im Gegenzug für die Nobilitierung zugesichert, zwei seiner Besitzungen sofort und eine dritte zu einem späteren Zeitpunkt in Fideikommissstiftungen zu überführen. Da er aber Jahre zuvor bei der Wahl von Mitgliedern der Landwirtschaftskammer in Jarotschin einem polnischen Kandidaten seine Stimme gegeben hatte, scheiterte sein Gesuch. Vgl. ebd., Rep. 77, Tit. 40 Nr. 35 Bd. 10, Bl. 85–86r, Oberpräsident von Posen an den Innenminister, 1.3.1904. 71 Vgl. Stein, S. 17 f. 72 Vgl. Bourdieu.
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über 2.000 Hektar. 1913 wurde ein vierter Bruder – Friedrich – auf diesem Wege nobilitiert. Ihm gehörte ein über 1.000 Hektar großes Gut in der Provinz Posen.73 Diese Prinzipien fanden auch in der entlegeneren Provinz Pommern Anwendung: Hier brachte zum Beispiel der konservative Abgeordnete Hugo von Kleist-Retzow 1906 die Güter Groß-Tychow und Alt-Buckow in ein Familienkommiss ein. In der Stiftungsurkunde begründete er seine Entscheidung damit, die Güter »nicht nur meiner Familie als dauernden Stütz- und Mittelpunkt zu sichern, sondern vor allem in ihnen einen gegen die staatsfeindlichen Bestrebungen des Polentums gerichteten Hort Deuscher [sic] Art und Gesinnung« zu schaffen, wofür sich unterschiedliche Verwaltungsstellen für seine Beförderung in den Grafenstand stark gemacht hatten.74 Insgesamt führte dies zu einem Anwachsen der fideikommissarisch gebundenen Fläche, was auch – sieht man von den Schwankungen im Regierungsbezirk Bromberg vor Beginn der Förderpolitik ab – dem Gesamttrend im preußischen Staat entsprach, obgleich die Fläche gemessen an der übrigen Hohenzollernmonarchie unterdurchschnittlich blieb (Tab. 6). Tab. 6: Entwicklung der fideikommissarisch gebundenen Fläche in Westpreußen und Posen in Prozent der Gesamtfläche 1895–191275 Gebiet
Ende 1895
Ende 1899
Ende 1903
Ende 1907
Ende 1912
Reg.-Bez. Danzig
1,6
1,6
1,6
1,6
1,9
Reg.-Bez. Marienwerder
4,2
4,3
4,7
5,2
5,9
Reg.-Bez. Posen
7,1
7,4
7,2
8,4
8,7
Reg.-Bez. Bromberg
4,4
4,6
3,5
3,8
4,7
Preußen gesamt
6,0
6,1
6,3
6,6
7,0
Neben der wachsenden Zahl der gebundenen Fläche ab 1903 wird der Einfluss der staatlichen Förderpolitik vor allem durch einen staatsweiten Vergleich der Verteilungen der Neugründungen ersichtlich, aus dem zum einen der Schwer73 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 176, Nr. 975, Nr. 976 und Nr. 977; ebd., XVI. HA Rep. 30, Nr. 817 Bd. 6, n. p., Landrat von Hohensalza an den Regierungspräsidenten von Bromberg, 22.8.1912. Zur Erneuerung der Ritterguts-Qualität der Besitzungen Gustav und Heinrich Beymes 1901 unter Weigerung, die polnischen Namen der Güter abzuändern vgl. ebd., I. HA Rep. 89, Nr. 14097, Verleihung der Eigenschaft landtagsfähiger Rittergüter an Güter in der Provinz Posen (1897–1917). Das Datum der Nobilitierung war von Wilhelm II. als besondere Würdigung bewusst gewählt worden, vgl. ebd., Rep. 77, Tit. 40 Nr. 35 Bd. 10, Bl. 213–214, Innenminister an die Oberpräsidenten von Posen und Danzig, 19.11.1905. Ähnlich gelagerte Vorgänge sind unter ebd., Bd. 12 und 13, Die Erhebung in den Adelstand (1908–1909, 1909–1911) dokumentiert. 74 GStA PK, I. HA Rep. 77, Tit. 40b Nr. 13 Bd. 2, n. p., Fideikommiss-Stiftungsurkunde. 75 Nach: Höpker, Fideikommisse, S. 2.
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punkt des Regierungsbezirks Posens deutlich wird, aber auch, dass rund ein Viertel aller in Preußen gestifteten Fideikommisse in die zwei Ansiedlungsprovinzen fiel (Tab. 7). Tab. 7: Anzahl der in den Jahren 1900–1912 neu gegründeten Fideikommisse76 Gebiet
1900–1904
1905–1909
1910–1912
1900–1912
Reg.-Bez. Danzig
0
0
1
1
Reg.-Bez. Marienwerder
3
8
5
16
Reg.-Bez. Posen
4
19
2
25
Reg.-Bez. Bromberg Preußen gesamt
2
8
3
13
58
95
50
203
Schon zuvor war das Institut der Fideikommisse unter liberalen Nationalökonomen nicht wohlgelitten. Bei Lujo Brentano und Ferdinand Tönnies verband sich die vollständige Ablehnung des Rechtsinstituts mit Adelskritik, Max Weber stand Fideikommissen wenigstens für die Bewirtschaftung größerer Forstflächen offen gegenüber, beklagte aber, dass das Bürgertum – seinen Bürgerstolz vergessend – um einer Nobilitierung willen dem Adel nacheifere und bestritt überdies ihren nationalpolitischen Nutzen.77 Die freisinnigen Abgeordneten hatten bereits 1902 im Landtag beklagt, dass die Fideikommisse keineswegs das »Deutschtum« in den östlichen Provinzen zu fördern vermochten, da die wenigsten Besitzer dorthin übersiedelten.78 In den letzten Jahren vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges begann auch das Staatsministerium die gängige Praxis kritisch zu beäugen, wenn auch aus anderen Gründen: Angesichts des Fortschreitens der »Inneren Kolonisation« sollte der Übergang von Grundbesitz in die Hände von Kleinbauern nicht durch die übermäßige Gründung von Fideikommissen behindert werden. Außerdem wurde kritisch betrachtet, dass auf den Gütern von Fideikommissen bevorzugt auf die billigeren, ausländischen polnischen Landarbeiter zurückgegriffen wurden. Der Mehrwert dieser Besitzform für die »Stärkung des Deutschtums« war somit fraglich.79 76 Nach: Ebd., S. 4 f. 77 Vgl. Wienfort, Gerichtsherrschaft, S. 98–100. Vgl. zu der breiten, gut erforschten Debatte die Hinweise bei Heß, Junker, S. 158 f. Für eine Stärkung des bäuerlichen Mittelstandes und mit Kritik an der gegenwärtigen Nobilitierungspraxis, nicht ohne antisemitische Untertöne: Keup. Die ältere Kontroverse um den politischen und wirtschaftlichen Nutzen dieses Rechtsinstituts hat ausführlich Miaskowski, S. 58–68, nachgezeichnet. 78 Vgl. Eckert, S. 617 f. 79 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3616, Bl. 206r, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 21.10.1910; ebd., Nr. 3619, Bl. 146r, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 21.10.1913. Dazu auch: Heß, Junker, S. 194–197.
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In dem Maß, in dem die fideikommissarische Bindung von Grundbesitz in deutscher Hand in den Augen der preußischen Regierung als ein nützliches Instrument der Nationalitätenpolitik erschien, galt eine ebensolche Bindung in polnischer Hand als unerwünscht.80 Polnischer Grundbesitz sollte nicht dem freien Markt entzogen werden, sondern dem Erwerb durch potenzielle deutsche Käufer verfügbar bleiben. Zwischen 1897 und 1900 sind noch vier polnische Fideikommisse gestiftet worden, nach 1900 nur noch eines, während zahlreiche weitere geplante Stiftungen von der Regierung vereitelt wurden. Eine Lücke der Gesetzgebung lag in der Regelung, dass eine landesherrliche Genehmigung nur für Neustiftungen mit einem jährlichen Grundsteuerreinertrag von mindestens 30.000 Mark erforderlich war. Es stand somit polnischen Stiftern durchaus offen, ihren Grundbesitz formell in mehrere kleinere Einheiten aufzuteilen und somit in verschiedene kleinere Stiftungen einzubringen, wogegen die Verwaltung aber durch die Anordnung der Neuberechnung des Grundsteuerreinertrages zumindest ein Verzögerungsmittel besaß.81 Da das Fideikommisswesen seit Mitte der 1890er-Jahre grundsätzlich als reformbedürftig angesehen wurde, sah der 1903 vorgelegte Gesetzentwurf vor, dieses Schlupfloch zu schließen, indem jede Neustiftung genehmigungspflichtig werden sollte. Da die Gesetzesreform jedoch aufgrund divergierender Interessen der Landtagsfraktionen immer wieder aufs Neue verschoben wurde, dauerte die Reformdebatte über zwanzig Jahre an, ehe sie durch den Untergang des Kaiserreichs 1918 abrupt abgeschnitten wurde.82 Eine eklatante Unsicherheit der preußischen Regierung offenbarte sich im Staatsministerium in dem Umgang mit der Kategorie »Nation« als Exklusionsmerkmal.83 Die Bestimmung der Nationalität wurde von vagen Parametern wie Sprache, Konfession, Vorfahren und Wahlverhalten abhängig gemacht. Die Folge war, dass die soziale und rechtliche Exklusion letzten Endes schwer zu operationalisieren war und die Verwaltung von Einzelfallentscheidungen abhängig blieb. Im Jahr 1905 empfahl Finanzminister Rheinbaben, die Möglichkeit eines Stempelerlasses davon abhängig zu machen, dass in der Stiftungsurkunde drei Bedingungen festgeschrieben wurden, die die Erbfolge festlegten: Der Erbe müsse 1. Angehöriger des Reiches sein, 2. seine Mutter-, Familien- und Umgangssprache müsse Deutsch sein, und er müsse 3. der evangelischen Konfession
80 Vgl. etwa die Ablehnung eines vom Fürsten Czartoryski geplanten Fideikommisses: GStA PK, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3605, Bl. 10–10r, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 9.1.1904. 81 Vgl. Heß, Junker, S. 187, 203–207; Eckert, S. 633–635. 82 Dazu ausführlich: Heß, Junker, S. 119–141; Eckert, S. 603–692, zur Genehmigungspflicht S. 621–626, 655–659. Der Gesetzentwurf von 1917 sah eine Genehmigungspflicht erst wieder ab einer definierten Mindestgröße vor. Vgl. ebd., S. 677–680. 83 Anders als Dieter Gosewinkel es für eine andere Kategorie herausgearbeitet hat, die für die Exklusion von Eigentumsrechten Verwendung fand – nämlich die juristisch bestimmbare »Staatsangehörigkeit«. Gosewinkel, Eigentum.
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angehören. Nur wenn alle diese drei Dinge in die Stiftungsurkunde festgeschrieben würden, dürfte dem Antragsteller ein Stempelerlass gewährt werden. Sollte der Antragsteller katholisch sein, aber die beiden anderen Bedingungen erfüllen, konnte nach gesonderter Prüfung unter Umständen ein Erlass gewährt werden.84 Die ersten beiden Bestimmungen flossen in die Verfügung vom Dezember 1905 ein, während die Erweiterung um die konfessionellen Voraussetzungen der Erben erst 1907 eingeführt wurde.85 Mit der Feststellung der Nationalität von Erben wurde in der Stiftungsurkunde das jeweilige Oberlandesgericht und somit eine externe und zugleich regierungsloyale Instanz beauftragt.86 Dass die Konfessionsklausel Probleme aufwarf, zeigte sich im Fall des jüdischen Bankiers Maximilian Goldschmidt-Rothschild. Erst 1903 war er durch die Stiftung des Fideikommisses Wroniawy in der Provinz Posen nobilitiert worden und strebte anschließend die Erhöhung in den Freiherrenstand an. Dafür stimmte er der nachträglichen Abänderung der Stiftungsurkunde zu, wonach fortan die Nationalität des potenziellen Erben durch den Posener Oberpräsidenten festgestellt werden sollte – zuvor hatte das bloße Bekenntnis des Erben zur deutschen Nation ausgereicht. Das Staatsministerium sah jedoch nur in der Anerkennung der – aus Sicht Goldschmidt-Rothschilds unannehmbaren – evangelischen Konfessionsklausel sichere Gewähr, dass der Besitz in deutscher Hand erhalten bleibe. Da die Standeserhöhung Goldschmidt-Rothschilds jedoch ein besonderes Anliegen Wilhelms II. war, lenkte das Staatsministerium schließlich widerwillig ein.87 Auch der Ausschluss deutscher Katholiken belegt, dass dieses Instrument keineswegs nur integrative Effekte besaß. Dessen ungeachtet zeigt sich, dass die nationale Grenzziehung vor allem entlang sprachlicher Grenzen erfolgte, weil Reichsangehörigkeit und Konfession allein keine hinreichenden Ausschlusskriterien boten. Mit der Aussicht auf Nobilitierung schuf die preußische Regierung soziale Anreize für den Ankauf von Grundbesitz und dessen Bindung als Fideikommiss durch deutsche Käufer. Wichtige Verdienste für das nationale Projekt sollten mit der Verleihung des Adels ausgezeichnet werden. Die Grundbesitzer wurden für ihr finanzielles Opfer entlohnt und zugleich sollten die nachfolgenden Generationen für die Zukunft der »Stärkung des Deutschtums« verpflichtet werden. Es war der altehrwürdige Grundsatz des »noblesse oblige«, der der Germanisierungspolitik unterworfen wurde. Die Fideikommissförderung reiht sich damit in die Liste der Steuerungsinstrumente der Staatsregierung ein, mithilfe derer 84 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3607, Bl. 186r–187r, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 4.4.1905. Zur Kontroverse um die Konfessionsklausel vgl. ebd., Nr. 3608, Bl. 52–60, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 13.7.1905. Mit besonderer Berücksichtigung jüdischer Stifter: Ebd., Nr. 3609, Bl. 318–329, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 22.6.1906. 85 Vgl. Heß, Junker, S. 192–194. 86 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 30830, Bl. 1–5, Justizminister an den König, 20.2.1917. 87 Vgl. Drewes, S. 260–264; Eckert, S. 633–638.
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versucht wurde, durch Ehrzuweisung und -aberkennung und mithilfe persön licher Intervention von Ministern bei hohen Adligen das Entscheidungsverhalten deutscher Käufer und Verkäufer von Grundbesitz entlang nationaler Ordnungskriterien auszurichten. 2.1.4 Nationaldemokraten und ein »Schwarzbuch« Auch in der polnischen Öffentlichkeit lässt sich für die »moralische Ökonomie« eine Intensivierung der nationalen Debatte beobachten. Sie zeichnete sich vor allem in einer Verschärfung der Wortwahl ab und fiel zusammen mit den großen Boykottbewegungen, die unter dem Schlagwort »jeder zu den seinen« (»swój do swego«) nationale Ordnungskategorien auch in anderen Wirtschaftszweigen, in Handel und Gewerbe, verankerte. Vergleichbare Losungen wurden zeitgleich auch in anderen Regionen Ostmitteleuropas ausgegeben, beispielsweise in Böhmen durch die tschechische Nationalbewegung.88 Doch trug in Preußen zur Verschärfung des Tons erheblich bei, dass eine neue, radikalere Strömung die politische Bühne von den beiden anderen Teilungsgebieten Polens aus betrat: die Nationaldemokratie. Die Nationaldemokraten forderten eine »brutally instrumental subordination of political activity to the ulterior goals of national consolidation«.89 Aus diesem Grund bekämpften sie auch die Versöhnungspolitik der polnischen Fraktionen. Um das Ziel der »nationalen Konsolidierung« zu erreichen, strebten sie eine Mobilisierung aller politischen Kräfte an, erblickten ihr größtes Unterstützerpotenzial aber zugleich im städtischen Bürgertum.90 Die organisatorische Keimzelle in Preußen bildete die kurzlebige, literarische und kulturelle Wochenschrift Przegląd Poznański, die von 1894 bis 1896 erschienen war.91 Im Zentrum der Posener Nationaldemokraten stand ein ehemaliger Gründer der Zeitschrift: Bernard Chrzanowski. Zusammen mit Felicjan Niegolewski, dessen Ehefrau Stanisława und Helena Rzepecka führte er den Posener Zirkel der »Liga Narodowa« an. Zugleich war er Vorsitzender des Vereins der polnisch-nationalen Turnerbewegung Sokół und ab 1901 Mitglied des Reichstages. In Berlin entwickelte sich dank Marian Seyda, Celestyn Rydlewski, Wojciech Korfanty und Karol Rose der Dziennik Berliński zum Sprachrohr der Nationaldemokratie. Daneben warben sie ab 1901 mit dem Goniec Wielkopolski für ihre Ziele. Die besondere Dynamik, die von dem Auftreten der Nationaldemokraten ausging, zeigte sich nicht nur darin, dass dieses Blatt des oppositionellen Flügels der »Hofpartei« zum Vorzeigeorgan der Nationaldemokraten wurde. Auch konnten die Nationaldemo-
88 Vgl. Chwalba, S. 464; Jaworski, Handel, S. 77–86, 149 f. 89 Eley, S. 352 f. 90 Vgl. Kulczycki, S. 33; Jaworski, Handel, S. 103–107; Marczewski, S. 405 f. 91 Vgl. ebd., S. 84–86; Kaminski, Publicists, S. 43 f.
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kraten ein Überbrückungspotenzial gegenüber älteren Grabenkämpfe entfalten, das sich darin äußerte, dass sich ihnen verschiedene Redakteure anschlossen, die ihr journalistisches Handwerk bei Blättern der »Volkspartei« gelernt hatten.92 Bei den Reichstagswahlen von 1903, bei denen die Vertreter der Nationaldemokraten einen aggressiven Verdrängungswahlkampf gegen die Loyalisten führten, gerieten Letztere zusehends in die Minderheit gegenüber den Abgeordneten von Nationaldemokraten, »Volkspartei« oder dem oppositionellen Teil der »Hofpartei«.93 Bei den Reichstagswahlen 1907 erlangten die Nationaldemokraten etwa ein Drittel der zwanzig polnischen Mandate, bei den Wahlen von 1912 sieben der achtzehn Sitze.94 Weithin augenfällig wurde die zunehmende Bedeutung der Nationaldemokratie dadurch, dass der Kuryer Poznański, das altehrwürdige Blatt des polnischen Klerus und als dieses Symbol der »Hofpartei«, im Frühjahr 1905 sein Erscheinen einstellte und anderthalb Jahre später (dann unter der modernisierten Schreibweise Kurjer Poznański) als nationaldemokratisches Hauptorgan unter Leitung Marian Seydas wiederbelebt wurde.95 Der Schulterschluss von Nationaldemokraten und »Volkspartei« wurde dadurch erkennbar, dass der Kurjer fortan gemeinsam im selben Verlag wie der Orędownik herausgegeben wurde.96 Was die Jahre nach der Jahrhundertwende – nicht zuletzt wegen des Auftretens der Nationaldemokraten – für die »moralische Ökonomie« des Bodenmarktes bedeuteten, machte sich im polnischen Zeitungsdiskurs sowohl quantitativ als auch qualitativ bemerkbar. Quantitativ, indem weitere Zeitungen Schmähartikel in ihre Spalten aufnahmen. Zeitungen wie die Gazeta Grudziądzka, die sich zuvor mit Kritik an den eigenen Landsleuten zurückgehalten und stattdessen auf die preußische Regierung und den Ostmarkenverein konzentriert hatten, begannen sich nun ebenfalls kritisch über die Verkäufe durch ihre Landsleute zu äußern. Der Gründer der Gazeta Grudziądzka, Wiktor Kulerski, nutzte 1903 den 92 Vgl. ebd., S. 38; Trzeciakowski, Pod, S. 243–248. Auch andernorts hatte sich diese Entwicklung angekündigt: 1894 hatte Jan Brejski, der auch den Bochumer Wiarus Polski herausgab, die Gazeta Toruńska gekauft und eine erhebliche Verschärfung des Tons der Zeitung veranlasst. Seit 1903 auch mithilfe der Gazeta Abgeordneter im Reichstag, bildete Brejski zusammen mit Wojciech Korfanty und Maciej Mielżyński »den radikalen Flügel der Polnischen Fraktion.« Kotowski, Staatsräson, S. 155. 93 Vgl. Grabowski, Nationalismus, S. 234–239; Kotowski, Staatsräson, S. 71, 152–155; ausführlich: Marczewski, S. 87–157. 94 Vgl. Trzeciakowski, Posłowie, S. 212, mit namentlicher Nennung der Abgeordneten. Darunter listet Trzeciakowski u. a. auch den Großgrundbesitzer Witold Skarżyński auf, der Ende der 1880er-Jahre, noch unter Bismarck, zu einer engen Kooperation mit der Regierung zwecks Förderung der Landwirtschaft aufgerufen hatte. Skarżyński hatte auch als wirtschaftlicher Sachverständiger die Gründung der Bank Ziemski begleitet und später einen Sitz in deren Aufsichtsrat eingenommen, wandelte sich aber in den folgenden Jahren zum nationaldemokratischen Aktivisten. Vgl. Marczewski, S. 70, Anm. 79. 95 Vgl. Kuryer Poznański, 31.3.1905; Kurjer Poznański, 20.9.1906; Trzeciakowski, Pod, S. 250 f.; Rajch, S. 15. 96 Vgl. Kulczycki, S. 34.
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Einfluss, den ihm seine auflagenstarke Zeitung verschaffte, um sich gegen den offiziellen Kandidaten des polnischen Provinzial-Wahlkomitees in den Reichstag wählen zu lassen.97 Es wurden fortan weitere Adressatenkreise ins Visier genommen, indem nunmehr auch Wechsel bäuerlichen Besitzes vermehrt in den Fokus der Zeitungsöffentlichkeit gerieten. Dies war nicht zuletzt eine Folge der Entscheidung des Staatsministeriums aus dem Jahre 1898, in Ermangelung polnischen Großgrundbesitzes fortan auch Kleingrundbesitz durch die Ansiedlungskommission ankaufen zu lassen. Auf der anderen Seite kamen nun auch Käufer deutschen bäuerlichen Besitzes verstärkt in den Genuss, öffentlich als Verteidiger des Vaterlandes gewürdigt zu werden. Qualitativ zeigte sich eine Intensivierung dadurch, dass nicht nur die bekannten invektiven Strategien fortgeführt wurden, etwa der Hinweis auf das Unglück der verstorbenen Vorfahren, wenn sie von dem Verkauf des Landes erführen, oder die Bemühung biblischer Metaphern, wie dem »Kainsmal« oder den »Silbergroschen«, sondern auch neue Topoi hinzutraten. Die Verkäufe wurden als »Verbrechen« tituliert und die Verkäufer mit dem Ausdruck »schwarze Schafe« bedacht, die an den »Pranger« der öffentlichen Meinung gestellt gehörten.98 Auch selbstreferenzielle Beobachtungen des Diskurses wurden angestrengt. Die Presse reflektierte über ihre Möglichkeiten als moralisches Korrektiv und ihre Aufgabe, Verräter aus der polnischen Gesellschaft auszuschließen: Heutzutage müsse, da die Todesstrafe für Hochverrat nicht mehr in Betracht komme, der Delinquent »moralisch« getötet werden.99 Einzelne Blätter warfen der übrigen polnischen Zeitungslandschaft vor, zu nachsichtig mit »Verrätern« umzugehen.100 Es war eine Strategie, die eigene Deutungshoheit als Verteidiger nationaler Interessen herauszustreichen. Obgleich das polnische Angebot gegenüber der Ansiedlungskommission verglichen mit den Anfangsjahren dauerhaft niedrig blieb, wurde jeder Verkauf als ein Versagen der polnischen Gesellschaft als Ganzes hingestellt: »Niemand weigert sich, die Hand von ihnen«, den Verrätern, »zurückzuziehen, niemand speit ihnen in die Augen, niemand ruft ihnen zu ›Lump‹!«, klagte der galizische Abgeordnete Albin Rayski über seine preußischen Landsleute in einem Leserbrief, den der Dziennik Berliński abdruckte.101 Kritik an der polnischen Gesellschaft wurde vorrangig dort geübt, wo sich an konkreten Fällen nachweisen ließ, dass »Verräter« nicht verstoßen wurden. Gern wurde auf diejenigen hingewiesen, die sich an Ausgrenzungspraktiken nicht beteiligten. Schmähungen und andere Formen sozialer Exklusion sollten nicht mehr nur jene treffen, die sich deviant verhalten hatten, sondern auch jene, die 97 Vgl. Stański, Kulerski. 98 Praca, 30.8.1903; Wielkopolanin, 28.10.1903; Nowa Reforma, 6.3.1904; Orędownik, 7.7.1912; Dziennik Poznański, 9.10.1913. 99 Dziennik Poznański, 30.7.1903; Wielkopolanin, 15.6.1904; Dziennik Polski, 31.8.1904; Kurjer Poznański, 22.9.1912. 100 Vgl. Dziennik Berliński, 8.11.1902. Ähnlich: Dziennik Poznański, 24.7.1903. 101 Dziennik Berliński, 5.8.1903.
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sich der Ausübung negativer Sanktionen verweigerten. Wer sich an der Exklusion von Devianten nicht beteiligte, wurde folglich selbst deviant. Die Skandalisierung solchen Verhaltens war insbesondere dort vielversprechend, wo sich ein gegnerisches politisches Lager diskreditieren ließ. Beispielhaft dafür ist ein Artikel im nationaldemokratischen Goniec Wielkopolski, in dem beklagt wurde, dass ein verräterischer Verkäufer nicht nur auf der Wahlveranstaltung eines adligen Abgeordnetenkandidaten auftreten durfte, sondern ihm darüber hinaus auch noch das Ehrenamt des Schriftführers angetragen wurde. Beide, Wahlkandidat und Schriftführer, wurden namentlich nicht erwähnt, aus dieser Form des »beredten Schweigens« und verschiedener Andeutungen konnte der geneigte Leser aber die Denunziation des Vertreters der »Hofpartei« herauslesen.102 Auch an den loyalistischen Blättern der »Hofpartei« ging der politische Verdrängungskampf nicht spurlos vorüber. Hatte der Dziennik es 1899 noch in moderatem Ton zur sittlichen Pflicht der Verkäufer erklärt, ihren Verkaufserlös durch Ankauf neuen Besitzes zu reinvestieren,103 wurde wenige Jahre später jedwede Rechtfertigung eines Verkaufs für nichtig erklärt. Ein Leserbrief im Dziennik rief mit Blick auf die Machtasymmetrie, die es der polnischen Gesellschaft im Gegensatz zum preußischen Staat nicht erlaube, Gesetze zu erlassen, zur moralischen Geschlossenheit auf: Wir haben keine niedergeschriebenen Gesetze, durch die wir die Verantwortlichen vor Gericht ziehen können; aber wir haben unser Gesetz von Moral und Ehre, das uns in jedem einzelnen Fall zeigen soll, wie wir uns bei solch schweren Verfehlungen unserer Sache zu verhalten haben. Wenn die Gesellschaft einstimmig und bei jeder Gelegenheit den Verschacherern ihre Verachtung zeigt, wird es weniger von ihnen unter uns geben.104
Die Zeitungen der Loyalisten thematisierten selbst mehr und mehr die Verkäufe. Durch polnische Adlige erfolgte Veräußerungen deuteten die Blätter jedoch lediglich als Verfehlungen Einzelner, um sie nicht in eine strukturelle Adels kritik, wie sie die Blätter der »Volkspartei« betrieb, umschlagen zu lassen. Dafür öffneten die loyalistischen Zeitungen ihre Spalten auch für adlige Familien, die öffentlich den Ausstoß der Verwandten aus ihrer Familie erklärten, die sich des nationalen Verrats schuldig gemacht hatten.105 Beispielhaft für die in den Zeitungen geübte Kritik ist ein Vorgang im Kuryer Poznański: 102 Vgl. Goniec Wielkopolski, 11.8.1903. 103 So eine Meldung aus dem Posener Tageblatt vom 22.10.1899. 104 Dziennik Poznański, 24.7.1903: »Nie mamy wprawdzie pisanych kodeksów, na mocy których moglibyśmy pociągnąć winnych do odpowiedzialności; mamy wszelako nasz kodeks moralności i honoru, który nam powinien w każdym poszczególnym wypadku wskazać, jak się zachować wobec tak ciężko sprzeniewierzających się sprawie naszej. Jeżeli społczeństwo jednomyślnie i przy każdej sposobności okaże sprzedawczykom wzgardę, będzie ich mniej wśród nas.« 105 Vgl. Dziennik Poznański, 4.9.1904. GStA PK, XVI. HA Rep. 30, Nr. 660, Bd. 6, n. p., Immediatbericht des Regierungspräsidenten von Posen, 23.11.1904; ebd., Immediatbericht
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Im September 1903 hatte erst der Dziennik und anschließend der Kuryer den schon drei Jahre zuvor erfolgten Verkauf des Gutes Niemczynek durch den ehemaligen Reichstagsabgeordneten Mieczysław Moszczeński verurteilt. Darauf reagierte dessen Bruder Seweryn mit einer nicht für die Veröffentlichung bestimmten Zuschrift an die Redaktion, in der er die Beweggründe seines Bruders auseinandersetzte. Sein Argumentationsmuster schloss alle Rechtfertigungsgründe ein, die innerhalb und außerhalb des Nationalen lagen: Hätte sein Bruder es auf eine Zwangsversteigerung ankommen lassen, wäre dies zulasten der polnischen Gläubiger erfolgt. Er musste besondere Rücksicht nehmen, da es sich nicht um seinen eigenen Besitz, sondern um den seiner Ehefrau gehandelt habe. Außerdem habe sich kein polnischer Patriot als Käufer finden lassen, sodass schließlich nur der Verkauf an die Ansiedlungskommission übriggeblieben sei. Da Seweryn Moszczeński um den Ruf seines Bruders fürchtete, beschwor er in seiner Zuschrift den Redakteur, im Kuryer öffentlich die Verfehltheit der Anschuldigungen anzuerkennen und um Verzeihung zu bitten – ein vorformuliertes Entschuldigungsschreiben legte Moszczeński gleich bei. Der Kuryer sei – so Moszczeński – nach den Angriffen des Dziennik auf seinen Bruder das letzte verbleibende Adelsblatt und trage somit eine besondere moralische Verantwortung. Für den Fall der Verweigerung drohte er, den Kuryer zu verklagen. Der Kuryer hingegen, der sich auf diese Erpressung nicht einließ, veröffentlichte nicht nur das Entschuldigungsschreiben, sondern auch die Zuschrift Moszczeńskis, um – wie es hieß – nicht nur die »Verschacherer des heimatlichen Bodens« zu treffen, sondern auch jene, »die sie vom nationalen Verbrechen freisprechen.«106 Der Wielkopolanin sekundierte wenige Tage später, indem auch er bekräftigte, dass ausnahmslos jeder Verkauf an die Ansiedlungskommission zu verurteilen sei.107 Auch die Zeitungen der »Hofpartei«, so zeigt sich, übten fortan unter dem Druck des politischen Verdrängungswettbewerbs scharfe Kritik an den Gutsverkäufen von Adligen, um sich ihre Glaubwürdigkeit in der polnischen Wählerschaft zu erhalten und um ihre exklusive, gleichwohl angegriffene politische Stellung innerhalb der polnischen Gesellschaft zu verteidigen. Gewissermaßen den publizistischen Höhepunkt der polnischen Scham gerichte stellte die Herausgabe des »Schwarzbuches« im Jahr 1906 dar. Solche »schwarzen Listen« waren im ostmitteleuropäischen Raum um die Jahrhundertwende, in Zeiten zunehmender nationaler Spannungen, keineswegs unüblich, um »nationalen Verrat« zu markieren; in den deutsch dominierten Gebieten Böhmens etwa kamen sie zur Anwendung, wenn sich Personen bei der Erhebung des Regierungspräsidenten von Posen, 27.11.1905. Solche Erklärungen konnten einen Beleidigungsprozess gegen die beteiligten Familienmitglieder und die Zeitungen nach sich ziehen. Vgl. Praca, 26.5.1901. Nowa Reforma, 28.6.1901. 106 Kuryer Poznański, 22.10.1903: »[…] tych, którzy tak żyją i tak kończą, iż ziemię swoję ojczystą na kolonizacyę sprzedają, i tych, którzy ich zbrodnię narodową uniewinniają.«. Ähnlich: Dziennik Kujawski, 28.8.1907. 107 Vgl. Wielkopolanin, 28.10.1903.
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der Sprachstatistik für die böhmische Umgangssprache entschieden hatten.108 Das »Schwarzbuch«, von dem hier die Rede sein soll, hatte seinen Ursprung indes zunächst als ein Phantom in der polnischen Presse: Schon länger wurde eine Liste sämtlicher Verkäufe an die Ansiedlungskommission gefordert. Der Goniec Wielkopolski regte 1903 an, diese Liste solle kostenlos an alle Polen des In- und Auslandes verteilt werden, damit ein jeder klar vor Augen habe, wer die Feinde des Vaterlandes seien.109 Doch reichte die Idee, mittels der namentlichen Nennung der polnischen Verkäufer ein abschreckendes Beispiel zu schaffen, viel weiter zurück, nämlich bis in das Gründungsjahr der Ansiedlungskommission 1886. Erstmalig kam sie in der Krakauer Nowa Reforma auf und wurde vom loyalistischen Dziennik Poznański prompt abgelehnt,110 in den Folgejahren aber von unterschiedlichen Seiten wieder aufgegriffen und am Leben erhalten.111 1906 war es schließlich soweit: Das »Schwarzbuch«112 wurde gedruckt. Um eine Beschlagnahmung der Broschüre durch die preußischen Behörden zu verhindern, war als Druckort Lemberg angegeben worden; das Erscheinen des Buches wurde aber in preußischen Zeitungen groß beworben.113 Laut Ludwig Bernhard verbarg sich hinter dem anonymen Urheber die polnische Straż, ein nationalistischer Verband, der 1905 nach dem Vorbild des Deutschen Ostmarkenvereins durch Józef Kościelski gegründet worden war, und dessen Vorstand Vertreter aller größeren politischen Strömungen außer den Sozialisten angehörten.114 Dass die Verbreitung des Buches nach kurzer Zeit gestoppt wurde, lag daran, dass es eine Reihe falscher Anschuldigungen enthielt und darüber hinaus der einflussreiche Erzbischof von Gnesen, Florian Stablewski, der ein Gegner der Straż war, seinen Einfluss geltend machte, um die Kampagne zu unterbinden.115 Doch blieb bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges die Rede 108 Vgl. Brix, S. 262, 284 f. 109 Vgl. Goniec Wielkopolski, 25.7.1903. 110 Vgl. Dziennik Poznański, 8.9.1886. 111 Vgl. Gazeta Toruńska, 28.8.1887; Goniec Wielkopolski, 7.7.1894; Dziennik Poznański, 23.12.1900; Dziennik Berliński, 18.8.1903; Praca, 29.1.1905. 112 Anonymus, Księga. Lech Trzeciakowski hat die Auffassung vertreten, dass es sich bei der Wahl des Titels um eine Anspielung auf das zeitgleich von Żychliński als Jahrbuch herausgegebene »Goldene Buch des polnischen Adels« und somit um eine subtile Adelskritik gehandelt habe. Vgl. Trzeciakowski, Pod, S. 325, dazu auch Nowa Reforma, 28.6.1901; Dziennik Berliński, 12.8.1904. 113 Vgl. Thomas, S. 636 f. 114 Vgl. Grabowski, Nationalismus, S. 112–127, 239–278. Kritische Zeitgenossen vermuteten hinter der Gründung der Straż einen weiteren Versuch Kościelskis zur politischen Rehabilitierung, nachdem er die Versöhnungspolitik der Caprivi-Jahre hauptverantwortlich mitgetragen hat. Vgl. Marczewski, S. 158. 115 Vgl. Bernhard, Polenfrage, S. 611; Jaworski, Handel, S. 95. Zum zwiespältigen Verhältnis Stablewskis zum Straż-Verein und den Folgen der Buchpublikation – der Erzbischof verbot den polnischen Geistlichen die Mitgliedschaft in der Straż – vgl. Grabowski, Nationalismus, S. 256–264. Die Straż distanzierte sich nach der Veröffentlichung wortreich vom »Schwarzbuch«, vgl. Dziennik Poznański, 27.4.1906, 1.5.1906 und 2.5.1906.
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vom »schwarzen Buch« ein geflügeltes Wort, stellvertretend für den nationalen Verrat auf dem Bodenmarkt. Bereits der Einband der Broschüre verriet ihr politisches Programm: Er zeigt die allegorische Polonia, mit der Hand die Augen schamvoll bedeckend, in Ketten gefesselt und mit Dornenkrone als Zeichen für die Besatzung und das Martyrium. Zwei Herren, einer modern gekleidet, einer mit traditioneller »Czapka«, kehren ihr wortwörtlich den Rücken zu. Der eine hält einen gefüllten Geldbeutel in der Hand, der andere steckt seine Briefbörse in die Manteltasche. Schon die Bildsprache des Einbandes verdeutlichte die Haltung der Herausgeber, dass jeder Verkauf der heimatlichen Scholle einem Verrat an der polnischen Nation gleichkam. Der Inhalt besteht aus mehreren knappen Abrissen über den Verlauf des »Kampfes um den Boden«, teils mit statistischem Material angereichert, sowie aus mehreren vaterländischen Pamphleten und Gedichten. Das Herzstück bilden jedoch die beiden Listen mit Veräußerern polnischen Bodens, wobei die eine die freihändigen Verkäufe, die andere die Zwangsversteigerungen aufführt. Die Gestalter des »Schwarzbuchs« sahen offenbar einen qualitativen Unterschied, womöglich wegen der unterschiedlichen Einflussmöglichkeiten der Vorbesitzer. Diese Listen, nach Jahren des Verkaufs sortiert, liefern Informationen über den Namen des Verkäufers, der Bezeichnung der Besitzung, Ort, Größe und Preis des Gutes, gegebenenfalls Helfer, die den Verkauf vermittelt haben, und eine Spalte mit weiteren Informationen. Zu ihnen konnte eine Angabe gehören, wie viele katholische Einwohner durch den Verkauf die Parochie verlassen mussten. Oder aber es wurde der Ort genannt, an den der »Verräter« verzogen war, wobei es der Fantasie des Lesers überlassen bleibt, was die Urheber damit bezweckt haben mögen.116 Weniger greifbar sind in den Quellen Formen sozialer Ächtung, die jenseits der Publizistik praktiziert wurden: Auf einer Versammlung einer Ortsgruppe des Straż-Vereins Ende 1907 erklärte etwa ein Delegierter des Posener Hauptvorstandes anlässlich adliger Verkäufer, »man fühle sich versucht, Steine auf diese Verräter zu schleudern, werde aber dabei auch zu der Prüfung der Frage veranlasst, ob nicht auch die übrigen Volksklassen in gleicher verräterischer Weise sich gegen den väterlichen Boden vergangen hätten.«117 Sieben Jahre zuvor wurde bei
116 Eine vergleichbare Liste für die deutschsprachige Öffentlichkeit lässt sich allenfalls in einer namentlichen Aufstellung der in den Jahren 1900 bis 1903 von Deutschen an Polen verkauften Rittergüter finden, die das Posener Tageblatt am 8.11.1903 veröffentlicht hatte, und beispielsweise in der Deutschen Zeitung vom 10.11.1903 und der freisinnigen Posener Zeitung vom 13.11.1903 (mit kritischer Bezugnahme auf die beiden vorangegangenen Artikel) wiederabgedruckt wurde. 117 GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9638, Bl. 188–196, hier 193, Bericht über die am 27. Dezember d. Js. [1907] im Twardowskischen Lokal in Szkaradowo Kreis Rawitsch abgehaltenen beiden polnischen Versammlungen (Polizeibericht über Treffen des Straż-Vereins). Ähnlich: Böhmer, S. 6, 9 f., Bericht über den Verlauf einer polnischen Volksversammlung
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einem Treffen führender Mitglieder des »Centralne Towarzystwo Gospodarcze« (Wirtschaftlicher Zentralverein) eine Proklamation vorbereitet, deren Unterzeichner die Verkäufe an die Ansiedlungskommission offiziell verurteilten und sich verpflichteten, den sozialen Kontakt mit Verkäufern abzubrechen.118 Ein polnischer Straż-Starost namens Łopiński verlor sein Vereinsamt, nachdem er eine kleine Parzelle an einen Deutschen verkauft hatte.119 Neben solchen Maßnahmen, negative Sanktionen zu verschärfen, um die Folgekosten devianten Verhaltens zu erhöhen, gab es auch Versuche, neue Präventionsmittel zu etablieren und soziale Kohäsion zu stärken. So brachte 1903 Józef Krasicki im Dziennik Poznański einen detaillierten 15-Punkte-Plan zur Gründung von Familienverbänden ein. Beim Zusammenschluss solcher Verbände unter Anerkennung eines verbindlichen Familienstatuts sollten die grund besitzenden Mitglieder freiwillig auf das Verfügungsrecht an ihrem Grundeigentum verzichten und stattdessen lediglich eine treuhänderische Funktion über ihren Besitz ausüben. Entscheidungen über den Verkauf von Grundbesitz oder über die Verwendung der anzulegenden Reservefonds konnten nur im Familienrat unter Vorsitz des Familienoberhauptes getroffen werden (Punkte 1–7, 12). Krasicki selbst räumte ein, dass der Zusammenhalt der Familienverbände in Ermangelung juristischer Verbindlichkeiten allein auf moralischer Kraft beruhe (Punkt 10). Etwaige Sanktionierungen sollten durch den Familienverband getragen werden, denen gegenüber Krasicki eine engere soziale Bindung und Loyalität unterstellte als zur Nation und sich davon ein größeres Potenzial für Sanktionsandrohungen erhoffte.120 Dieser Vorschlag blieb nicht unbeachtet. Nur wenige Jahre später meldete der Posener Regierungspräsident nach Berlin: Mit ganz besonderer Leidenschaft kämpft die polnische Presse gegen den ›Landschacher‹; es wird die Gründung von Familieninstituten vorgeschlagen, ohne deren Billigung die Mitglieder ihren Familienbesitz nicht veräußern dürfen. Zwölf polnische Großgrundbesitzer haben sich unter einander schriftlich ehrenwörtlich verpflichtet, in Zukunft einem Polen, der sein Gut an einen Deutschen verkaufen würde, weder in Loebau am 4. [Oktober 1908] nachmittags 12 ½ Uhr im Sankowsky’schen Saale (Rede Wiktor Kulerskis). Jahre später berichtete die Gazeta Poznańska in ihrer Ausgabe vom 6. Dezember 1913, dass ein »Verschacherer« beim Besuch eines polnischen Lokals von den Anwesenden ausgepfiffen wurde. 118 Vgl. Jackowski. 119 Vgl. Postęp, 7.8.1906; Bromberger Tageblatt, 8.8.1906. 120 Vgl. Dziennik Poznański, 1.8.1903. Ferner sollten volljährig gewordene Söhne durch einen feierlichen Initiationsritus in den Familienverband aufgenommen werden, bei dem sie knieend die Einhaltung der Satzung gelobten (Punkt 8). Über Verfehlungen einzelner Mitglieder sollte ein Familienrat urteilen; ein Ausschluss aus dem Verband der polnischen Gesellschaft durch Zeitungsinserat bekannt gemacht werden (Punkt 11). Die Punkte 12–14 enthielten weitere Bestimmungen über die Familienräte und -gerichte, unter anderem war die Anrufung staatlicher Gerichte ausgeschlossen; die Punkte 9 und 15 regelten die Stellung von Frauen im Verband.
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die Hand zu reichen, noch ihn in ihre Häuser aufzunehmen, ihn vielmehr als infam zu behandeln.121
Eine anonyme Zuschrift an den Dziennik kritisierte den Vorschlag und hielt gerade die Familie als moralischen Bezugsrahmen für ungeeignet, da der Personenkreis einerseits zu klein sei und andererseits durch die persönliche Nähe der Familienmitglieder zu leicht Nachsicht zeige. Stattdessen warb der Leser für den Beitritt aller Groß- und Kleingrundbesitzer zum »Związek Ziemian«, da dieser die Gesamtheit der polnischen Gemeinschaft repräsentiere und ein Ausschluss aus diesem dem Verstoß aus der polnischen Gesellschaft gleichkomme.122 Der »Związek« war 1902 zunächst als Verein gegründet und später in eine Genossenschaft überführt worden. Die Gründung war erfolgt, wie führende Mitglieder erklärten, weil die Überwachung durch die polnische Presse keine hinreichende Garantie für den Erhalt des polnischen Besitzes darstellte. Die Mitglieder verpflichteten sich, den eigenen Grund nicht zu verkaufen, ehe nicht der »Związek« um Hilfe angerufen worden war, und die Leitung der Genossenschaft besaß das Recht, für die Sanierung verschuldeter Besitzungen Sachverständige zu bestellen, meist vertrauenswürdige Grundbesitzer aus der Umgebung, die Erkundigungen über die Vermögensverhältnisse des Besitzers einholten. Sie konnten die Besitzung unter treuhänderische Zwangsverwaltung stellen, wozu der Besitzer dem »Związek« zuweilen eine Generalvollmacht zu erteilen hatte unter dem Einschluss einer Konventionalstrafe, falls er die Vollmacht vorzeitig widerrufe. Je nach ökonomischer Situation konnte ein Teilverkauf des Gutes genügen, um den Verkauf des gesamten Gutes abzuwenden. Diesen temporären, aber nichtsdestoweniger starken Eingriff in den Privatbesitz Einzelner begründeten Vertreter des »Związek« mit der Interessensgleichheit zwischen Besitzern und polnischer Allgemeinheit, dass die Besitzung in Händen der polnischen Nation bleibe. Kritik brachte dem »Związek« ein, dass er keineswegs gebührenfrei arbeitete, sondern Dividenden an die Mitglieder ausschüttete, Diäten und Tagegelder für die Aufsichtsrats- und Vorstandsmitglieder sowie Aufwandsentschädigungen und Reisekostenzuschüsse für die Treuhänder aufzubringen hatte. Im Verkaufsfall behielt der »Związek« eine Provision ein. Gegen Kritik hieran immunisierte er sich, indem er auf seine wichtige patriotische Pflicht hinwies und darauf, dass er den rein spekulativen Zwischenhandel ausschaltete.123 Bereits 1904 besaß der »Związek« 479 Mitglieder und verwaltete eine Fläche von annähernd 16.000 Hektar.124 Zahlen, die in den folgenden Jahren steigen sollten.
121 Vgl. GStA PK, XVI. HA Rep. 30, Nr. 660, Bd. 6, n. p., Immediatbericht des Regierungspräsidenten von Posen, 28.2.1906. 122 Vgl. Dziennik Poznański, 4.8.1903. 123 Vgl. Zawadzka, S. 132 f.; Kryspin. 124 Vgl. Anonymus, Związek.
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Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass die »moralische Ökonomie« nach der Verabschiedung der Ansiedlungsnovelle eine zunehmende Nationalisierung des Bodenmarktes erfahren hat. Zunächst ist festzuhalten, dass sich in der deutschsprachigen Presse ein kritischer Diskurs über die »nationalen Verräter« etabliert hat, der dem polnischen ähnelte, sich aber doch in maßgeblichen Punkten unterschied: Nicht nur fehlte die Frequenz der Zeitungsartikel, wie sie die polnische Presse teils unter eigenen Kolumnen hervorbrachte, sondern auch die namentliche Nennung derjenigen Grundbesitzer, die an Polen verkauft hatten, sodass ein wesentlicher Wirkmechanismus, die Personalisierung von Devianz und Sanktion, fehlte. Auch in laufende Kaufverhandlungen, und seien sie lediglich gerüchtehalber bekannt, intervenierten die deutschsprachigen Zeitungen nicht. Vor allem aber spielte der Aspekt der fragmentierten Öffentlichkeiten eine gravierende Rolle: Es fehlte die breite, alle Milieus durchdringende Anwendung von invektiven Strategien, aber auch von Ehrungen für den Ankauf polnischen Grundbesitzes als Form positiver Anreize. Die konservative Presse und damit die Medien, die die deutschen Grundbesitzer direkt hätten ansprechen können, blieb von Kritik am Verhalten ihrer Klientel weitgehend frei und bot im Gegenteil eher Entlastungsstrategien an. Ein wirksamer Diskurs setzte sich in der deutschsprachigen Presse nur in der protestantisch-urbanen, nationalliberalen Teilöffentlichkeit durch, die aber auf die Besitzer selbst, die im ländlichen Raum ansässig waren, kaum unmittelbar einwirken konnte. Ähnlich begrenzt blieb das Aufkommen eines kritischen Diskurses in der regionalen Presse Posens, deren Sanktionen sich die Besitzer durch räumliche Entfernung nach einem Verkauf in Richtung Westen des Reiches entziehen konnten. Damit verhielt sich der deutsche normative Diskurs anders als sein polnischer Widerpart, der in allen politischen Spektren kritisch geführt wurde. Für die Ausbildung der »moralischen Ökonomie« sind somit nationale, soziale, aber auch regionale Eigenarten zu berücksichtigen, die die Formulierung und Durchsetzung von Normen bedingten. Auf der Ebene von preußischer Regierung und Verwaltung ist eine Spreizung des Sanktionsapparates zu beobachten: Vermeintliche oder tatsächliche Ehrverweigerung bei Orden und Titeln, Ehrverlust durch das Anrecht zum Tragen einer Uniform, aber auch Nobilitierungen entwickelten sich zu Instrumenten positiver und negativer Sanktionierung erwünschten und unerwünschten Verhaltens. Ein Novum war ebenfalls, dass das Staatsministerium nach der Jahrhundertwende begann, auf private Grundstücksgeschäfte Einfluss zu nehmen, die ohne Einbeziehung der Ansiedlungskommission vonstattengingen. Hiervon waren vor allem einflussreiche, wohlhabende Adelsfamilien betroffen, in deren Geschäfte sich einzumischen sich das Staatsministerium aus nationalem Interesse berechtigt sah. Die Minister fürchteten die negative Vorbildfunktion und demoralisierende Wirkung auf notleidende Grundbesitzer, wenn hochangesehene Personen aus Gewinninteresse ihre Güter verkaufen würden. Solche Einmischungen in private Rechtsgeschäfte zielten bereits auf eine Deliberalisierung des Bodenmarktes ab, indem die Vertreter des Hochadels davon überzeugt werden sollten, 177
möglichst gar nicht zu verkaufen. Eine besondere Bedeutung dieser Deliberalisierung gewann dann aber die Förderung von Fideikommissbildungen, bei denen die darin gebundenen Flächen dem freien Markt entzogen und auf diese Weise von einem Übergang in polnischen Besitz ausgeschlossen werden sollten. Damit erscheint Hannelore Bruchhold-Wahls Urteil diskussionswürdig, mit der Novelle des Ansiedlungsgesetzes im Jahre 1898 sei »eine Anpassung der Ansiedlungs- und vor allem der Ankaufpolitik der A[nsiedlungskommission] an die Interessen der Großgrundbesitzer« vollzogen worden, »die für die letzteren eigentlich nichts mehr zu wünschen übrig ließ«.125 Sowohl der – wenn auch im Vergleich verhaltene – deutschsprachige invektive Diskurs als auch die weiterhin nur mit Restriktionen und unter starken Vorbehalten fortgesetzte Ankaufpolitik im Fall deutscher Angebote sind Hinweise darauf, dass die Siedlungspolitik keineswegs den ökonomischen Partikularinteressen der deutschen Großgrundbesitzer geopfert wurde. Die polnischsprachige Öffentlichkeit war von einem politischen Verdrängungswettkampf gekennzeichnet, bei dem angesichts medialer Aufmerksamkeitsökonomien das Anschlagen eines möglichst radikalen Tones, nicht nur gegenüber der Regierung, sondern auch gegenüber den »Verrätern« innerhalb der polnischen Gemeinschaft selbst als eine erfolgversprechende Strategie in der Konkurrenz um Leserschaft und Wählergunst erschien.126 Darüber hinaus wurde mithilfe von Institutionenbildung versucht, soziale Kohäsionskräfte zu stärken, um Verkäufen von Land vorzubeugen. Auch auf diese Weise wurde zu einer Deliberalisierung des Bodenmarktes beigetragen. Dies schließt keineswegs aus, dass es noch »Inseln im Nationalitätenkampf« gegeben hat, wie Stefan Dyroff sie bezeichnet hat, der besonders die Bedeutung des Vereinswesens hervorgehoben hat. Kunst- und Gesangsvereine, Feuerwehren und Stadtverschönerungsinitiativen, Kriegervereine und Schützengilden konnten sich zuweilen bis in die Zeit nach der Jahrhundertwende ihren Charakter friedlichen Zusammenlebens bewahren. Aber durch die zunehmende nationale Polarisierung wurden Konflikte und ein separierender Unvereinbarkeitsgedanke in dieses Vereinsweisen hineingetragen. Solche Refugien national indifferenter Kooperation, diese »Inseln«, wurden nach und nach, Welle um Welle verkleinert, bis sie verschwanden.127
125 Bruchhold-Wahl, S. 264. 126 Auf diese Spirale im Kampf um Marktanteile hat bereits Marczewski, S. 31, hingewiesen, konkret für die Zeitung Praca auch Frysztacka, Zeit-Schriften, S. 381. 127 Vgl. Dyroff, Leben.
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2.2 Wanderer zwischen beiden Welten: Die Bodenmakler Am 10. Oktober 1907 warnte der Dziennik Berliński seine Leserschaft vor einem gewissen Marian Bąkowski. Dieser – dem Namen nach Pole – versuche in Westpreußen polnischen Grundbesitz zu kaufen. Doch, so die Zeitung, gebe Bąkowski lediglich vor, Pole zu sein, seinem Herzen nach sei er ein Deutscher. Warnungen ähnlicher Art lassen sich auch in der deutschen Presse finden. So riet im Mai 1910 die Zeitung Der Osten deutschen Grundbesitzern davon ab, mit der »Immobilien-Verkehrsbank Steglitz-Berlin« geschäftliche Beziehungen anzuknüpfen. Hinter dem spröden deutschen Namen des Unternehmens verberge sich als Eigentümer tatsächlich ein Władisław Górski mit dessen Schwiegermutter, die deutschen Grundbesitz ankauften, um ihn an polnische Interessenten weiterzuvermitteln.128 Solche Meldungen sind nach der Jahrhundertwende in den Zeitungen des Deutschen Reiches, vor allem im Osten, immer wieder anzutreffen. Alle paar Wochen warnten Mitteilungen vor Bodenhändlern, die unter dem Deckmantel einer Zugehörigkeit zur gleichen Nation tatsächlich für die Gegenseite arbeiteten. In der Rückschau ist es schwer nachzuweisen, was wahr und was Projektion, was gut recherchiert und was nur Hörensagen war. Aber die Zeitungen trugen mit ihren Warnungen erheblich dazu bei, ein Gefühl der Unsicherheit zu schaffen, nicht nur bei verkaufswilligen Grundbesitzern, denen die Zeitungen wie selbstverständlich das Interesse zuschrieben, dass ihr Grund und Boden in den Händen der eigenen Nation bleibe, sondern bei allen Lesern: Offenbar arbeitete der nationale Gegner mit geheimen Machinationen, mit versteckten Winkelzügen, mit emsiger Hinterlist. Selbst Unternehmer und Unternehmen mit offensichtlich deutschem oder offensichtlich polnischem Namen waren als Landsleute nicht per se vertrauenswürdig. Sie konnten genauso gut für die Gegenseite arbeiten. Die polnischen Zeitungen sahen ihre Aufgabe darin, ihre Leserschaft vor potenziellen Agenten zu warnen.129 Entsprechend wurden – nicht ohne Eigennutz – für Abonnements polnischer Zeitungen geworben, damit sich Grundbesitzer über die Tätigkeit von Strohmännern auf dem Laufenden halten konnten.130 Die Zeitungen versuchten, wo dies bekannt war, durch Nennung des Namens oder zumindest der Initialen der Agenten vor diesen zu warnen oder wenigstens das Gebiet zu bezeichnen, in dem sich diese bewegten. So klagte der Dziennik Kujawski im Jahr 1903 über den adligen ehemaligen Gutsbesitzer 128 Vgl. Dziennik Berliński, 10.10.1907; Der Osten, 19.5.1910. 129 Vgl. Orędownik, 8.11.1902; Dziennik Poznański, 13.11.1902; Nowa Reforma, 29.11.1902; Wielkopolanin, 24.12.1902, 2.4.1903 und 30.4.1907; Gazeta Grudziądzka, 28.7.1904; Dziennik Berliński, 28.8.1904; Dziennik Bydgoski, 1.10.1911. GStA PK, XVI. HA Rep. 30, Nr. 660, Bd. 6, n. p., Immediatbericht des Regierungspräsidenten von Posen, 30.8.1904. 130 Vgl. Wielkopolanin, 2.4.1903.
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Dąbrowski, der seinen Besitz an die Ansiedlungskommission verkauft hatte und nun durch den Landkreis reiste, um weitere polnische Besitzer zum Verkauf zu überreden.131 Die Zeitungen forderten ihre Leser auf, sich vom Kaufinteressenten versichern zu lassen, die fragliche Besitzung nur zur Eigennutzung kaufen zu wollen. Darüber hinaus sollten sie genau prüfen, ob Bewerber das Geld selbst aufbringen konnten oder doch finanzkräftige Dritte hinter ihnen stehen mussten.132 Schwebende Verhandlungen sollten durch öffentliche Ermahnungen der Besitzer gestört werden. Die nationaldemokratische Wochenschrift Praca appellierte 1903 unmittelbar an zwei Besitzer, die gerüchteweise mit der Ansiedlungskommission in Unterhandlung standen: Es mag ja sein, dass die [Ansiedlungs-]Kommission Jagd auf diese zwei Besitzungen macht, aber es ist unwahrscheinlich, dass die Herren Preibisz und Waligórski ihren Angeboten Gehör schenken und sich in die schwarze Liste der Veräußerer einschreiben und in der öffentlichen Meinung herabwürdigen möchten. […] Angesichts der Rührigkeit unserer Parzellierungsfirmen kann heute niemand nach Ausreden suchen und behaupten, er habe sein Gut nicht an einen Polen verkaufen können. Außerdem kann die beste Ausrede nicht von der Schuld des Verräters reinwaschen, von der schweren Schuld gegen das Vaterland. Mögen diese Worte eine Warnung sein!133
Entsprechend wurden polnische Grundbesitzer, die an Strohmänner verkauft hatten, zu einer öffentlichen Erklärung aufgefordert, warum sie verkauft und was sie unternommen hatten, um einen möglichen Verkauf an die Ansiedlungskommission oder deutsche Privatkäufer zu verhindern.134 Auch gegen polnische Agenten und Strohmänner wurden die gleichen Anklagen wie gegen national unzuverlässigen Grundbesitzer erhoben. Der polnische Abgeordnete Witold Skarżyński sprach im Landtag einmal von den »verkommene[n] Exemplare[n] polnischer Nationalität«,135 die für die Ansiedlungskommission arbeiteten, während das »Schwarzbuch« des Jahres 1906 in einer eigenen Spalte die Namen derer aufführte, die sich als Mittelsmänner betätigt hatten 131 Vgl. Dziennik Kujawski, 3.7.1903; Dziennik Poznański, 18.4.1903 und 11.6.1903. 132 Vgl. Wielkopolanin, 7.2.1902; Orędownik, 8.11.1902; Dziennik Kujawski, 20.10.1900 und 15.5.1904; Lech. Gazeta Gnieźnieńska, 23.6.1912. Verschiedentlich regte der Dziennik Poznański die Gründung eines zentralen Auskunftsbüros an, durch das Informationen über Agenten und ihre Strohmänner gesammelt und an potenzielle Verkäufer weitergereicht werden sollten. Vgl. Dziennik Poznański, 10.8.1904 und 28.9.1911. 133 Praca, 19.4.1903: »Być może, że komisya poluje na te dwa majątki, ale niepodobno przy puścić, że pp. Preibisz i Waligórski dają posłuch, jej ofertom, chcą zapisać się na czarnej liście sprzedawczyków pognębić w opinii publicznej. […] Wobec sprężystości naszych firm parcelacyjnych nikt nie może dziś szukać wykrętów i zasłaniać się tem, że nie mógł sprzedać swej wsi Polakowi. Zresztą najlepszy wykręt nie obmył-by z winy sprzedawczyka, z ciężkiej winy przeciwko Ojczyźnie. Niechaj te słowa będą przestrogą!« 134 Vgl. Dziennik Berliński, 23.11.1902. 135 StenBerAH 1906, Sp. 3979, Sitzung vom 29.3.1906.
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(s. Kap. 2.1).136 Unisono wurde diese Geschäftspraxis als unehrenhaft verurteilt. Im Dziennik Poznański hieß es: Leider haben auch polnische »Agenten« ihre Finger in diesen Machenschaften – als wären sie »Kaufleute«, denen man nicht übelnehmen dürfe, dass auch sie »verdienen« wollten. Nun, ein solcher »Lohn« ist ebenso verdammenswert wie der Landschacher selbst. Der Kaufmannsberuf gestattet solche unanständigen Vermittlungen nicht. Die wahren Kaufleute sollten öffentlich erklären, dass die heuchlerische Bezeichnung »Agent« nichts mit der des »Kaufmanns« gemein habe. Veräußerer sind die, die den heimatlichen Boden aufgeben, aber nicht weniger die, die den Schacher vermitteln.137
Kaufmännisches Gewinnstreben sollte demnach nur in den Grenzen gestattet sein, innerhalb derer die polnische Nation keinen Schaden nahm. Verschiedentlich diskutierten Zeitungen auch die Frage, ob nicht polnische Agenten dann mit der Ansiedlungskommission in Beziehung treten dürften, wenn sie deutschen Grundbesitz vermittelten. Die rhetorische Frage, ob dies nicht ein patriotischer Akt sei, da polnischer Boden nicht gefährdet, der Ansiedlungskommission aber Geld entzogen werden würde, wurde sogleich mit dem Argument verneint, dass jeder Dienst an der Ansiedlungskommission eine Schwächung der polnischen Nation bedeute.138 2.2.1 Das moralische Feigenblatt Bodenmakler waren seit jeher eine feste Institution auf dem Bodenmarkt, indem sie gegen eine Vermittlungsprovision als Anlaufstelle für Kauf- und Verkaufswillige dienten. Um die Jahrhundertwende ist ein Funktionswandel der Bodenmakler zu aktiven Gestaltern der Preisbildung zu beobachten, wofür die Nationalität des Maklers zentrale Bedeutung gewann.139 Er konnte Gutsbesitzern zwei neue, durch die Nationalisierung des Bodenmarktes attraktiv gewordene Verkaufsstrategien eröffnen, eine defensive und eine offensive. Die defensive Strategie sah vor, dass sich Grundbesitzer vor öffentlicher Schmähung mit der Begründung schützen konnten, nicht gewusst zu haben, 136 In der Krakauer Nowa Reforma vom 13.11.1902 war etwa von der Tätigkeit der »moralisch verkommenen Polen« die Rede. 137 Dziennik Poznański, 13.11.1902: »Niestety i polscy ›agenci‹ maczają palce w tych robotach – niby to jako ›kupcy‹, którym rzekomo za złe wziąść nie można, że także chcą ›zarobić‹. Otóż taki ›zarobek‹ jest tak samo potępienia godnym, jak sama frymarka ziemią. Kupiectwo nie upoważnia do tak sprosnych pośrednictw. Kupcy prawdziwi powinni orzec publicznie, że takim ›agentom‹ obłudnego miana ›kupca‹ nie przyznają. Sprzedawczykami są ci, co ojczystą glebę porzucają, ale nie mniej i ci, co w frymarce pośredniczą.« 138 Vgl. Pielgrzym, 4.2.1904; Wielkopolanin, 2.4.1903; Dziennik Berliński, 11.11.1902. 139 Der Funktionswandel ist in der Forschung vernachlässig worden. Einzig Bernhard, Polenfrage, S. 515–562 widmet ihm zeitgenössisch Aufmerksamkeit.
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dass ihr Eigentum schließlich in den Besitz des nationalen Gegners übergehen würde. Dazu mussten sie nachprüfbar belegen, sich um einen Verkauf an Angehörige der eigenen Nation bemüht zu haben.140 Vor allem die polnischen Grundbesitzer griffen angesichts des engmaschigen Netzes medialer Invektiven auf dieses Mittel zurück. Deshalb hatte das Staatsministerium bereits 1898 der Ansiedlungskommission formell gestattet, »in geeigneten Fällen auch die Benutzung von Zwischenpersonen nicht auszuschliessen«141 (s. Kap. 1.4). In den folgenden Jahren sollte sich die Abhängigkeit der Ansiedlungskommission von Strohmännern erhöhen, gar zur einzigen Möglichkeit verstetigen, um überhaupt noch polnischen Boden erwerben zu können. Dem Staatsministerium wurde 1903, unter Hinweis auf die Erfolge der polnischen Pressearbeit, aus der Behörde mitgeteilt: Bei den sich immer mehr zuspitzenden nationalen Gegensätzen und bei dem rücksichtslosen Vorgehen der polnischen Presse und der Polen selbst gegen solche Volksgenossen, die ihre Grundstücke an die deutsche Hand abgeben, ist der direkte Ankauf von polnischen Gütern nahezu unmöglich geworden. Die Ansiedelungs-Kommission muss sich daher, wenn sie nicht ganz auf den Ankauf aus polnischer Hand verzichten will, der Hülfe von Zwischenhändlern bedienen, die unter Zubilligung nicht unerheblicher finanzieller Vorteile die aus einer solchen Handlungsweise sich ergebenden Anfeindungen ihrer polnischen Volksgenossen auf sich nehmen.142
Mittelsmänner nahmen die Anfeindungen der polnischen Presse als »nationale Verräter« auf sich – wobei freilich nicht vorauszusehen war, ob die Presse nicht beide, Mittelsmann und Vorbesitzer, verurteilen würde. Das Geld, das die Strohleute dafür von der Ansiedlungskommission erhielten, glich demnach weniger einer Vermittlungsprovision als einem Schmerzensgeld für den erlittenen Reputationsverlust in der polnischen Öffentlichkeit.
140 Diese Funktion blieb der polnischen Öffentlichkeit nicht lange verborgen. Die Krakauer Nowa Reforma erläuterte ihrer Leserschaft unter Berufung auf einen Posener Korrespondenten folgendermaßen: »Auf diese Weise sind die Vorbesitzer teilweise geschützt. Bei etwaigen Anschuldigungen können sie antworten: Was wollt ihr, ich habe das Gut an einen Landsmann verkauft und mir dabei sogar das Ehrenwort geben lassen, dass er es nicht an die Deutschen weitergibt.« Nowa Reforma, 13.11.1902: »W ten sposób poprzedni ich właściciele po częścisą zakryci. Na ewentualne zarzuty mogą przecież odpowiedzieć: Cóż chcecie, sprzedałem wieś rodakowi, i to jeszcze pod słowem honoru, że nie odda jej Niemcom.« Dies bezog sich auf das Gut Gruszczyn, dessen Verkauf der Vorbesitzer tags zuvor im Dziennik Berliński dargelegt hat, um sein Vorgehen zu rechtfertigen. Vgl. Dziennik Berliński, 12.11.1902. Vgl. auch den Hinweis des polnischen Abgeordneten Mizerski: StenBerAH 1902, Sp. 4308 f., Sitzung vom 16.4.1902; Wielkopolanin, 15.6.1904. 141 GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9505, Bl. 129–130, hier 129–129r, Landwirtschafts minister an den Präsidenten der Ansiedlungskommission, 23.5.1898. 142 GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9522, Bl. 117–119, hier 118–118r, Kommissarischer Vorsitzender der Ansiedlungskommission an das Staatsministerium, 11.7.1903; Hervorh. im Orig.
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Mittelsmänner konnten von der Ansiedlungskommission auch mobilisiert werden, um polnische Grundbesitzer zu einem Verkauf zu bewegen, die sich eigentlich normenkonform zu verhalten beabsichtigten. Diese Strategie ließe sich am besten als eine Art »nationaler Mimese« beschreiben: die Vortäuschung, zur gleichen nationalen Gruppe wie die Verkäufer zu gehören, um patriotische polnische Grundbesitzer während der Verkaufsverhandlungen in Sicherheit zu wiegen. Nach einer Notiz des Dziennik Berliński ging der Einfallsreichtum der Makler so weit, dass sie in polnischen Zeitungen Absichtserklärungen veröffentlichten, den Besitz in polnischer Hand zu erhalten, oder Inserate schalteten, bei denen noch vor Ankauf eines Guts für dessen Parzellierungen geworben wurde, um so von der Presse unbehelligt die Verhandlungen mit der Ansiedlungskommission zu Ende führen zu können.143 Dass nicht wenige dieser Geschäfte von Maklern jüdischer Abstammung abgewickelt wurden, wurde in der polnischen Publizistik mit entsprechenden antijüdischen Einlassungen kommentiert.144 Ein Verständnis für diese strukturellen Veränderungen des Bodenmarktes hilft, einer Fehlinterpretation über die Ankaufpolitik der Ansiedlungskommission vorzubeugen, die sich aus einer unbefangenen Betrachtung des statistischen Materials ergeben kann: Ein Blick auf die amtliche Statistik der Entwicklung des polnischen Bodenangebotes zeigt, dass sich zwar die Zahl angebotener Güter bis 1897 – dem Zeitpunkt der Entscheidung für eine Erneuerung des Ansiedlungsgesetzes – drastisch reduziert hatte, danach aber sprunghaft anstieg,145 während die Ansiedlungskommission gleichzeitig nach 1898 fast ausschließlich deutschen Grundbesitz ankaufte.146 Hatten deutsche »Junker« somit doch ihren Einfluss bei der Regierung geltend machen können, nur noch von ihnen zu kaufen, während polnische Konkurrenzangebote nicht mehr berücksichtigt wurden? Das Zahlenmaterial spricht dafür.
143 Vgl. Dziennik Berliński, 8.11.1902. 144 Vgl. Wielkopolanin, 29.8.1900; Dziennik Berliński, 8.11.1902; Dziennik Poznański, 14.11.1902 und 4.8.1903; Praca, 21.1.1906. Siehe etwa auch den Hinweis auf den »Juden Sandt« als Vermittler im »Schwarzbuch«: Anonymus, Księga, S. 61. Die antijüdischen Ressentiments konnten auch implizit, allein durch Nennung des jüdischen Namens angesprochen werden. Für den deutschen Behördendiskurs etwa: GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9505, Bl. 222–225r, Präsident der Ansiedlungskommission an das Staatsministerium z. Hd. dem Landwirtschaftsminister, 13.8.1903. Dazu auch grundsätzlich Jaworski, Handel, S. 132–134. 145 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 212, Nr. 6115, n. p., Übersicht über die der Königlichen Ansiedlungskommission seit dem Jahre 1886 zum Kauf angebotenen Güter und Grundstücke, ca. 1919; ebd., Rep. 87, Abt. B Nr. 9511, Bl. 101, Zusammenstellung. 146 Vgl. dazu die jährlichen Rechenschaftsberichte, gedruckt als: Denkschrift über die Ausführung des Gesetzes vom 26. April 1886, betreffend die Beförderung Deutscher Ansiedelungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, für das Jahr …, in: StenBerAH 1887–1914, Drucksachen, Anlage »Nachweisung der von der Ansiedlungskommission für Westpreußen und Posen im Jahre … angekauften Güter« bzw. »Bauernwirthschaften« (ab 1890 zusammengefasst).
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Zu einem anderen Ergebnis führt eine qualitative Einordnung dieser Zahlen. Eine solche bietet eine Tabelle, die der Präsident der Ansiedlungskommission dem Landwirtschaftsminister im Sommer 1898 zugehen ließ und die 25 polnische Angebote wiedergab, die in der ersten Jahreshälfte in die engere Auswahl aufgenommen worden waren (Tab. 8). Tab. 8: Polnische Angebote an die Ansiedlungskommission in der ersten Jahreshälfte 1898147 Angeboten: Wegen Mangel an Kapitalmitteln
5
Durch einen Agenten
9
Wegen Krankheit
1
Ohne Angabe eines Grundes
8
Es liegt kein direktes Angebot vor
2
Abgelehnt: Wegen mangelnder Qualität des Gutes bzw. dessen Boden
2
Wegen mangelnder Nähe zu bereits existierenden Ansiedlungen
1
Schlechte Qualität und schlechte Lage
1
Wegen zu hoher Preisforderungen
3
Weil sich der Vermittler nicht wieder gemeldet hat
3
Diese Zahlen zeigen bereits für die erste Jahreshälfte 1898 die wachsende Bedeutung von Agenten, immerhin in neun Fällen und somit einem Drittel aller Angebote. In den folgenden Jahren, so hielt die Ansiedlungskommission immer wieder in ihren Jahresberichten fest, wurde polnischer Besitz ausschließlich durch Agenten angeboten.148 Zu ihrer Geschäftspraxis gehörte anscheinend auch, ohne 147 GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9588, Bl. 334–356, Anlage zum Protokoll der Sitzung der Ansiedlungskommission, 5./6.7.1898, Aufstellung des Landangebotes, 1.7.1898. 148 Vgl. Denkschrift über die Ausführung des Gesetzes vom 26. April 1886, betreffend die Beförderung deutscher Ansiedelungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, für das Jahr 1898, in: StenBerAH 1899, Drucksachen, S. 1846–2037, hier 1848; Denkschrift über die Ausführung des Gesetzes vom 26. April 1886, betreffend die Beförderung deutscher Ansiedelungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, für das Jahr 1899, in: StenBerAH 1900, S. 1272–1479, hier 1273; Denkschrift über die Ausführung des Gesetzes vom 26. April 1886, betreffend die Beförderung deutscher Ansiedelungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, für das Jahr 1904, in: StenBerAH 1905, Drucksachen, S. 5795–6167, hier 5797; Denkschrift über die Ausführung des Gesetzes vom 26. April 1886, betreffend die Beförderung deutscher Ansiedelungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, für das Jahr 1903, in: StenBerAH 1904, Drucksachen, S. 1465–1807, hier 1467; GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9611, Bl. 1–2r, Präsident der Ansiedlungskommission an den Landwirtschafts
184
Auftrag aktiv zu werden. Bei zwei der oben aufgeführten Fälle lag kein direktes Angebot vor (auch hierhinter sind Makler zu vermuten), in drei Fällen haben sich Vermittler nicht wieder gemeldet, möglicherweise weil sie keinen Auftrag der Besitzer besaßen und auch nach dem Nähertreten der Ansiedlungskommission den Besitzer nicht von einem Verkauf überzeugen konnten. Bodenmakler boten der Ansiedlungskommission alle möglichen polnischen Grundstücke an. Nicht selten gingen sie erst dann auf die Besitzer zu, um sie mit Aussicht auf den Erlös zum Verkauf zu bewegen, sobald die Ansiedlungskommission Inte resse an einem Grundstück bekundet hatte.149 Manch ein Grundstück wurde der Ansiedlungskommission von zwei oder mehr Maklern gleichzeitig angeboten, ohne dass der Besitzer davon gewusst haben dürfte. Ein solches Güterangebot war demnach lediglich virtuell und verfälschte die amtliche Angebotsstatistik. Auch polnische Wortführer äußerten Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Statistik. Die ausländische polnische Presse argwöhnte gar, die Ansiedlungskommission täusche absichtlich, um Zwietracht zwischen den polnischen Grundbesitzern und der übrigen polnischen Gesellschaft zu säen.150 1912, Jahre später, wies der Oberpräsident von Westpreußen im Beratungsgremium der Ansiedlungskommission auf die zweifelhafte Aussagekraft der Statistik des polnischen Angebots hin, erhielt aber vom Präsidenten die Antwort, dass seit anderthalb Jahren »nur ernste Kaufangebote aufgenommen würden.«151 Wie diese Ernsthaftigkeit festgestellt wurde, erläuterte er nicht, und angesichts der nach 1910 weiterhin steigenden Zahlen der Angebotsstatistik ist festzuhalten, dass die Kategorien »ernsthaft« und »nicht ernsthaft« kaum eindeutig voneinander zu trennen gewesen sind. Eine wichtige Rolle im Ankauf polnischen Grundbesitzes für die Ansiedlungskommission und der Anwerbung von Mittelsmännern kam dem Bromberger Makler Louis Kronheim zu. Kronheim, der der jüdischen Minderheit minister, 22.1.1910. Marie von Zawadzka stellte 1913 fest, die Ansiedlungskommission könne seit 1898 nur noch über Mittelsmänner polnischen Grundbesitz erwerben. Vgl. Zawadzka, S. 28 f. 149 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9505, Bl. 222–225r, Präsident der Ansiedlungskommission an das Staatsministerium, 13.8.1903. Die Ansiedlungskommission trug dem Rechnung, indem sie etwa 1904 in ihrem Jahresbericht notierte: »Ein nicht unerheblicher Teil der der Ansiedlungskommission gemachten Kaufanträge ging nicht unmittelbar vom Besitzer, sondern von Vermittlern aus, deren Vollmacht nicht immer zweifelsfrei war. Das gilt namentlich von den Angeboten von Gütern und Grundstücken aus polnischer Hand.« Denkschrift über die Ausführung des Gesetzes vom 26. April 1886, betreffend die Beförderung deutscher Ansiedelungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, für das Jahr 1904, in: StenBerAH 1905, Drucksachen, S. 5795–6167, hier 5797. 150 Vgl. Dziennik Poznański, 3.3.1904; Nowa Reforma, 6.3.1904; StenBerAH 1904, Sp. 4043, Sitzung vom 19.4.1904; GStA PK, XVI. HA Rep. 30, Nr. 660, Bd. 6, n. p., Immediatbericht des Regierungspräsidenten von Posen, 21.5.1904; ebd., I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9607, Bl. 289–298, Sitzung der Budgetkommission des Hauses der Abgeordneten, 22.3.1906. 151 GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9592, Bl. 234–245, hier 236, Protokoll der Sitzung der Ansiedlungskommission, 29.1.1912.
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der Provinz angehörte, war bereits vor seiner Tätigkeit für die Ansiedlungskommission als Bodenmakler tätig, vermittelte aber nach der Jahrhundertwende zunehmend Grundbesitz an den preußischen Staat. Da er der Ansiedlungskommission nicht nur polnischen, sondern auch deutschen Grundbesitz152 in der Nähe bereits bestehender Ansiedlungen anbot, nahmen die Behörden eine ambivalente Haltung ihm gegenüber ein: Einerseits half Kronheim der Ansiedlungskommission, knappen polnischen Boden anzukaufen, andererseits trug er durch die Bearbeitung deutscher Grundbesitzer zu ihrer Mobilisierung bei.153 Auch andere Zwischenhändler und Makler versuchten der Ansiedlungskommission deutschen Grundbesitz anzubieten und förderten so die Verkaufsbereitschaft deutscher Grundbesitzer. Trotz alledem verteidigte der Präsident der Ansiedlungskommission die weitere Verwendung von Mittelsmännern. Anders als die landwirtschaftlichen Sachverständigen, die aus der Posener Zentrale auf verkaufsbereite Güter geschickt wurden, um deren Wert zu taxieren, erregte der Einsatz von Mittelsmännern weniger Aufsehen. Die polnische Presse, so die Hoffnung, werde so nicht bei der Anbahnung von Verkaufsverhandlungen auf den Plan gerufen, ein Anstieg der Preisforderung oder gar der Abbruch der Verhandlungen könnte so verhindert werden.154 Auch wenn die Ansiedlungskommission zuweilen selbst Strohmänner rekrutierte, etwa westfälische Katholiken mit polnisch klingenden Namen,155 war gerade Kronheim für die Ansiedlungskommission von Bedeutung, weil er mithilfe seines breiten Netzes an Strohmännern zur Vermittlung polnischen Grundbesitzes imstande war, ohne dass patriotische polnische Vorbesitzer erfuhren, wer der Endkäufer sein würde. Es dauerte nicht lange, bis Gegenmittel erwogen wurden: Zwei privatrechtliche Schritte wurden in der Öffentlichkeit, vor allem der polnischen, diskutiert, um die Tätigkeit der Mittelsmänner zu behindern.156 Die Grundbesitzer wurden dazu angehalten, in den Kaufvertrag ein Vorkaufsrecht aufzunehmen. Das Vorkaufsrecht sah einen Eintrag im Grundbuch vor, wonach der Käufer bei einem Weiterverkauf dem Vorbesitzer diesen Vorgang mitzuteilen hatte und ihm einen Rückkauf zum ausgehandelten Kaufpreis einräumen musste. Wollte
152 Vgl. ebd., Nr. 9523, Bl. 218–218r, Präsident der Ansiedlungskommission an das Staatsministerium, 15.12.1903; vgl. dazu auch ebd., Bl. 115–115r, Martha Schmidt an den Landwirtschaftsminister, 19.10.1903. 153 Vgl. ebd., Nr. 9519, Bl. 182f–182fr, Landrat von Mogilno an den Oberpräsidenten von Posen, 15.6.1902. 154 Vgl. ebd., Bl. 167–169, Präsident der Ansiedlungskommission an das Staatsministerium, 20.8.1902. 155 Vgl. ebd., Bl. 229a–229cr, Präsident der Ansiedlungskommission an das Staatsministerium, 6.9.1902. Eine wichtige Rolle spielten Strohmänner für die Ansiedlungskommission als bekanntermaßen solventer Käuferin insbesondere auch bei Zwangsversteigerungen, um die Gebote nicht durch gezielte Preistreiberei in die Höhe steigen zu lassen. Vgl. ebd., Nr. 9522, Bl. 253–255r, Präsident der Ansiedlungskommission an das Staatsministerium, 17.8.1903. 156 Vgl. Dziennik Poznański, 10.8.1904; Lech. Gazeta Gnieźnieńska, 1.10.1907.
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beispielsweise ein Strohmann ein polnisches Gut an die Ansiedlungskommission weiterverkaufen, konnte der Vorbesitzer dies durch den Rückkauf des Gutes zum neuen Kaufpreis vereiteln.157 Dieses Mittel erwies sich jedoch schnell als unzulänglich, weil das Recht nur für den nächsten Verkauf galt, somit durch Zwischenschalten eines weiteren Strohmanns ausgehebelt werden konnte.158 Eine andere Möglichkeit das Vorkaufsrecht zu umgehen bestand darin, in den neuen Kaufvertrag nominell einen Preis aufzunehmen, der so hoch angesetzt wurde, dass der Vorbesitzer ihn nicht zu zahlen vermochte, während in Wahrheit in beiderseitiger Absprache eine deutlich niedrigere Summe den Besitzer wechselte. Als Alternative zum Vorkaufsrecht wurde die Vereinbarung einer Konventionalstrafe diskutiert, die den Käufer zur Zahlung einer empfindlichen Summe an den Vorbesitzer für den Fall verpflichtete, dass er den Besitz an einen Dritten mit anderer Nationalität weiterverkauft.159 Täuschungsversuche scheiterten, wenn die Presse Strohmänner frühzeitig enttarnte. So berichteten polnische Zeitungen im November 1902, kurz nachdem schon einmal ein polnisches Gut über zwei Stationen den Weg in deutschen Besitz gefunden hatte, über den Verkauf des 383 Hektar großen Rittergutes Żakowo durch die Witwe und den Sohn Stefan Dąmbskis, des 1899 verstorbenen Aufsichtsratsmitglieds der Bank Ziemski. Die Artikel verdächtigten teils einen Stanisław Raszewski, teils einen Karol Świnarski als Käufer, in jedem Fall einen Strohmann der Ansiedlungskommission.160 Auch wenn Świnarski in einer Gegendarstellung im Kuryer Poznański seine Hände in Unschuld wusch und mit dem Finger auf Raszewski zeigte,161 fiel sein Name nicht ganz grundlos – Zeitungen hatten im Vorjahr darüber berichtet, wie er bereits das Rittergut Prochy in die Hände der Ansiedlungskommission gebracht hatte – und tatsächlich bemühte er sich auch um Żakowo.162 Da jedoch Świnarskis Name seit dem Verkauf Prochys in der Öffentlichkeit »verbrannt« war, konnte er bei Żakowo nicht selbst als Käufer auftreten. Der von ihm eingesetzte Strohmann, ein »Viehhändler Krause« aus der Region, war Katholik und mit einer Polin verheiratet und galt daher in seinem Bekanntenkreis als Sympathisant der polnischen Na-
157 Zur Diskussion in der polnischen Presse und der obrigkeitlichen Beobachtung dessen vgl. GStA PK, XVI. HA Rep. 30, Nr. 660, Bd. 6, n. p., Immediatbericht des Regierungspräsidenten von Posen, 23.11.1904. 158 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9518, Bl. 40–40b, Präsident der Ansiedlungskommission an den Landwirtschaftsminister, 16.1.1902. Nach Adamczewski, S. 37, konnte mit dem Versprechen, nicht an die Ansiedlungskommission zu verkaufen, auch ein Preisnachlass verbunden sein. 159 Vgl. Nowa Reforma, 28.6.1901; Goniec Wielkopolski, 6.9.1901; GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9534, Bl. 2–5r, hier 2r, Präsident der Ansiedlungskommission an das Staatsministerium, 27.7.1908. 160 Vgl. Orędownik, 6.11.1902. Dziennik Berliński, 8.11.1902. 161 Vgl. Kuryer Poznański, 12.11.1902. 162 Vgl. Dziennik Poznański, 28.8.1901 und 3.9.1901; Goniec Wielkopolski, 6.9.1901.
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tionalbewegung. Krause sollte vorgeben, das Gut für sich selbst zu erwerben und es nach erfolgter Auflassung an die Ansiedlungskommission weitergeben. Der Plan zerschlug sich schließlich, weil Krause die von der Kommission offerierte Provision angesichts des Risikos, seine polnische Kundschaft zu verlieren, nicht hoch genug erschien.163 Auch wenn Świnarski durch den Ausfall seines Strohmanns bei Żakowo nicht zum Zuge kam, so glaubte er mit Sicherheit zu wissen, wie er dem Kuryer Poznański mitteilte, dass der Käufer des Gutes, der ehemalige Grundbesitzer Alfred Węsierski, im Auftrag des Maklers Raszewski handle. Dies sollte sich später als Fehlinformation herausstellen. Zutreffend waren die Vermutungen der Nowa Reforma, die Louis Kronheim als dritten möglichen Agenten nannte.164 Den Spekulationen und Gerüchten, die in der Presse über den Verkauf von Żakowo kursierten, versuchte der Vorbesitzer Mieczysław Dąmbski früh durch eine eigene Stellungnahme im Dziennik Poznański als Organ des grundbesitzenden Adels entgegenzuwirken, und sich von dem Verdacht nationaler Unzuverlässigkeit zu reinigen: Ihm sei nichts Nachteiliges über den Käufer Węsierski zu Ohren gekommen und dieser habe unter Zeugen sein Ehrenwort gegeben, das Gut für sich selbst zu kaufen und Żakowo weder direkt noch durch einen Dritten an die Ansiedlungskommission weiterzuverkaufen.165 Selbst für die Eventualität, dass Węsierski wortbrüchig werden sollte, hätten seine Mutter und er vorgesorgt, da sie sich ein einmaliges Vorkaufsrecht für den Verkaufsfall ausbedungen hatten. Diesen Schritt hatte der Präsident der Ansiedlungskommission nach dem Vertragsabschluss in einem Bericht an den Landwirtschaftsminister zutiefst bedauert: »Zu dieser Vorsichtsmassregel waren die Verkäufer durch zahlreiche anonyme Telegramme und Briefe, in denen sie vor dem Vertragsschlusse mit dem Zwischenkäufer gewarnt worden waren, veranlasst worden und es war nicht möglich gewesen, sie davon abzubringen.«166 Trotzdem meldete die Tägliche Rundschau bereits im Dezember des Jahres den Weiterverkauf an die Ansiedlungskommission,167 – noch zu früh: Denn um das Vorkaufsrecht »auszuhebeln«, organisierte Kronheim einen zweiten Strohmann, der mit Węsierski erst Anfang 1903 einen Kaufvertrag aufsetzte. Dąmbski, so war im März 1903 in einem Bericht der Ansiedlungskommission an den Landwirtschaftsminister zu lesen, wollte aber wegen des medialen Drucks auf seine Familie vom Vorkaufsrecht Gebrauch machen. Dies geschah, als abzusehen war, dass Landwirtschaftsminister Podbielski im Abgeordnetenhaus von der polnischen Fraktion zur Beteiligung der Ansied 163 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9521, Bl. 199–201r, die Zitate 199–200, Präsident der Ansiedlungskommission an den Landwirtschaftsminister, 13.3.1903. 164 Vgl. Nowa Reforma, 13.11.1902. 165 Vgl. Dziennik Poznański, 9.11.1902. 166 GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9521, Bl. 199–201r, hier 200r, Präsident der Ansiedlungskommission an den Landwirtschaftsminister, 13.3.1903. 167 Vgl. Tägliche Rundschau, 19.12.1902.
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lungskommission beim Ankauf von Żakowo befragt werden würde.168 Wittenburg bat den Minister inständig darum, die Vorgänge im Parlament nicht preiszugeben, da Węsierski pikanterweise ein Verwandter des Erzbischofs Stablewski war, vor allem aber, um den Ankaufprozess nicht durch Enthüllungen zu stören.169 Doch alles Bitten verhinderte nicht, dass der Landwirtschaftsminister in der anschließenden Debatte einen desaströsen Auftritt hinlegte. Überhaupt stand Podbielski unter Zeitgenossen nicht im Ruf, ein begnadeter Parlamentsredner zu sein. Im Gegenteil: Er galt als konfus, unkonzentriert, regelrecht fahrig. Mitarbeiter hatten große Mühe, seine Redebeiträge auf Grundlage stenografischer Mitschriften für die spätere Drucklegung der Parlamentsprotokolle in eine zusammenhängende Form zu bringen.170 In der Debatte mit dem polnischen Abgeordneten Głębocki agierte er so ungeschickt, dass auch nachträglich nichts mehr zu glätten war. Er gestand zwar ein, dass sich die Ansiedlungskommission Mittelsmänner bediene, um polnischen Grundbesitz zu erwerben. Zu Żakowo wolle er sich jedoch nicht äußern: »Ich bin gern bereit, im vorliegenden Falle klarzustellen, wenn der Verkauf perfekt geworden sein sollte, ob ein Vermittler in Aktion getreten ist oder nicht.«171 Das konnte so verstanden werden, dass die Ansiedlungskommission mit dem Kauf von Żakowo befasst sei, nur diesen noch nicht abgeschlossen habe. Głębocki setzte nach, indem er schilderte, welche Vorkehrungen (Ehrenwort, Vorkaufsrecht) die Familie Dąmbski getroffen hatte, und dass sie den Verkauf rückgängig machen und dem Käufer bis zu 20.000 Mark Abstandsgeld zahlen wollte. Głębocki schloss seine Rede mit den Worten: Wenn einmal die Ansiedlungskommission existiert, dann verstehe ich es allerdings, daß sie die Aufgabe hat, von polnischen Gutsbesitzern Güter zu kaufen, aber sie darf eben nur von denen Gütern kaufen, die sie auch verkaufen wollen. […] Wenn die Ansiedlungskommission das nicht tut, und es durch Hinterlist dahin bringt, daß auch diejenigen Güter verkaufen, die es nicht wollen, so nenne ich das eine Unehrlichkeit.172
So unter Druck gesetzt gab Podbielski die Verwendung eines Mittelsmannes für Żakowo endgültig zu und begnügte sich mit der Bemerkung, die Dąmbskis hätten wissen müssen, dass es sich bei dem Käufer um einen Strohmann handelte; sie versuchten jetzt bloß, ihren Ruf wiederherzustellen.173 168 Dies war absehbar geworden, nachdem sich der polnische Abgeordnete Dziembowski in einer Sitzung der Budgetkommission abfällig über Täuschungsversuche der Ansiedlungskommission geäußert hatte. Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9529, Bl. 50r–51r, Sitzung der Budgetkommission des Hauses der Abgeordneten, 9.3.1906. 169 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9521, Bl. 199–201r, Präsident der Ansiedlungskommission an den Landwirtschaftsminister, 13.3.1903. 170 Darin übereinstimmend Wermuth, S. 204–206; Müller-Meiningen, S. 172; Schmeling, S. 468 f.; Pachnicke, S. 102; Oldenburg-Januschau, S. 72 f. 171 StenBerAH 1903, Sp. 3738, Sitzung vom 23.3.1903. 172 StenBerAH 1903, Sp. 3739 f., Sitzung vom 23.3.1903. 173 Vgl. zu der Debatte auch die Nowa Reforma, 28.3.1903.
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Inzwischen hatte der um Rehabilitation bemühte Węsierski in einem im Dziennik Poznański abdruckten Brief erklärt, er habe im Auftrag einer Bank lediglich das Gut kaufen und an einen Dritten weitergeben sollen, sich dafür aber von der Bank eine schriftliche Versicherung geben lassen, dass dieser Dritte nicht die Ansiedlungskommission sei. Bei Bedarf könne er diese Versicherung jederzeit vorlegen. Von einem Rückkaufangebot der Dąmbskis wisse er nichts.174 Einen Monat später wurde Graf Dąmbski bei der Ansiedlungskommission vorstellig, um – erfolglos – eine Rückgabe seines Gutes zu erwirken.175 Nicht alle Zusammenhänge lassen sich rückblickend rekonstruieren: War Węsierski tatsächlich unwissend? Und warum hatten die Dąmbskis nicht von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch gemacht, dafür aber den Kaufvertrag wegen Betrugs anfechten lassen, und waren nach einem abschlägigen Gerichtsurteil in Berufung gegangen?176 Indes zeigt der Fall Żakowo nicht nur den Wandel in der Praxis der Bodenmakler – Świnarski und Kronheim boten der Ansiedlungskommission Żakowo mithilfe polnische Strohmänner an –, sondern auch die hohe Sensibilität in der Öffentlichkeit, wodurch sich die Beteiligten unter erheblichen Rechtfertigungsdruck gesetzt sahen. 2.2.2 Der demonstrative Regelbruch Im Kontrast zur defensiven Strategie – der Vortäuschung normenkonformen Verhaltens zur Vermeidung negativer Sanktionen – konnten Grundbesitzer auch in offensiver Weise »verräterische« Verkaufsabsichten demonstrieren, indem sie einen Kaufinteressenten fremder Nationalität präsentierten. Eine solche Beziehung konnte gewinnbringend sowohl für den Grundbesitzer als auch für den Bodenmakler sein. Auf diese Verkaufsstrategie griffen bevorzugt deutsche Großgrundbesitzer zurück, was sich aus der Neuregelung der Ankaufgrundsätze von 1898 ergab. Dort hatte es schließlich geheißen, dass von deutschen Besitzern »freihändig in der Regel nur dann angekauft werden« dürfe, »wenn der Ankauf im wesentlichen Interesse bereits erworbener Güter liegt […] oder wenn der sonst zweifellose Uebergang eines Gutes in polnische Hand verhütet werden soll.«177 Der Ankauf von Deutschen sollte grundsätzlich vermieden werden; aber wenn es als zweifellos sicher galt, dass der Besitz polnisch werden würde, war die Ansiedlungskommission ermächtigt, dem polnischen Käufer zuvorzukommen. Faktisch be174 Vgl. Dziennik Poznański, 1.4.1903. 175 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9529, Bl. 144–145r, Präsident der Ansiedlungskommission an den Landwirtschaftsminister, 15.3.1906. 176 Vgl. ebd. Die Berufungsverhandlungen zogen sich noch bis 1908 hin, vgl. ebd., Nr. 9534, Bl. 68, Louis Kronheim an das Staatsministerium, 14.8.1908. 177 GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9505, Bl. 129–130, hier 129, Landwirtschaftsminister an den Präsidenten der Ansiedlungskommission, 23.5.1898.
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deutete das: Je glaubwürdiger der Gutsbesitzer der preußischen Regierung eine solche Gefahr mit einem »Lockpolen«178 vermitteln konnte, desto größer war die Wahrscheinlichkeit, mit der Ansiedlungskommission ins Geschäft zu kommen. Bei den staatlichen Stellen stieß man damit jedoch bald auf taube Ohren. Der Finanzminister erläuterte seinen Kollegen, dass in den meisten Fällen die »polnische Gefahr« eine leere Drohung war: »Sehr bezeichnend ist die Feststellung, daß von 222 Gütern, deren Ankauf die Domänenverwaltung abgelehnt hat, nur sieben ganz oder teilweise in polnische Hand übergegangen sind!«179 Für eine glaubhafte Täuschung bedurfte es fortan nicht nur eines polnischen Interessenten, sondern eines leibhaftigen polnischen Käufers und eines rechtsgültigen polnischen Kaufvertrages. Auf polnischer Seite verstand Marcin Biedermann dieses Spiel am besten. 1864 im kleinen Dorf Warszta südlich in der Provinz Posen geboren und aus einfachen Verhältnissen stammend, hatte er als junger Mann in der Provinzhauptstadt als Prokurist im »Central-Vermittelungs-Bureau von Drwęski und Langner« zu arbeiten begonnen, das in der Vermittlung von Arbeitern vor allem in der Landwirtschaft tätig war. Biedermanns Polizeiakte legt nahe, dass er sich hierbei unlauterer Geschäftsmethoden bediente: Für die 1890er-Jahre ist die Akte voll mit Beschwerden von Klienten, die nicht vermittelt wurden, deren Provision Biedermann aber trotzdem einbehalten hatte.180 Immer erst wenn die Polizei eingeschaltet wurde, gab er das Geld zurück. Nachdem der Besitzer der Firma, Florian Adam Drwęski, 1896 gestorben war, wurde Biedermann Hauptgeschäftsführer und heiratete später die Witwe des verstorbenen Firmeninhabers.181 Biedermann richtete das Unternehmen auf den immer lukrativer gewordenen Bodenmarkt aus. Außerdem – ein Alleinstellungsmerkmal Biedermanns gegenüber anderen Bodenmaklern – gründete er 1896, in dem Jahr, in dem er auch die Geschäftsführung übernommen hatte, eine eigene Zeitung: die Praca.182 Kurz vor der Jahrhundertwende wurde er mehrmals wegen Verstößen gegen das Pressegesetz verurteilt, weil seine Redakteure in ihren Artikeln die preußische Regierung oder preußische Beamte beleidigt hatten. Die ersten Jahre stand die 178 Ebd., Nr. 9527, Bl. 70–72, hier 71, Präsident der Ansiedlungskommission an den Landwirtschaftsminister, 5.8.1905. 179 GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9529, Bl. 165–166r, hier 166r, Votum des Finanzministers, 19.3.1906; Hervorh. im Orig. 180 Vgl. APP, Prezydium Policji, Nr. 6461, n. p., Verzeichniß der an Kaufm. Martin Biedermann vollstreckten Strafen. Siehe zur Geschäftspraxis die Beschwerdebriefe verschiedener Grundbesitzer und Arbeiter an das Polizeipräsidium über unrechtmäßige Einbehaltung der Vermittlungsprovision in derselben Akte, sowie insbesondere die interne Notiz vom 1.8.1898, ebd., Bl. 19. 181 Vgl. ebd., Bl. 2a, Marcin Biedermann an das Posener Polizeipräsidium, 22.2.1896. 182 Diese Zeitung ist nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen, Arbeiterbelange verhandelnden Beilage der schlesischen Zeitung Katolik, die von Adam Napieralski herausgegeben wurde.
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Praca unter der Leitung des jungen Redakteurs Kazimierz Rakowski, ehe der Mittzwanziger, der russischer Untertan war, 1899 aus Preußen ausgewiesen wurde. Rakowski ließ sich schließlich in Galizien nieder, wo er die Krakauer Filiale der Praca leitete, für die er unter dem Pseudonym »Vester« weiterhin scharfe Polemiken gegen die preußische Regierung verfasste. Im Herbst 1901 kehrte Rakowski nach Preußen zurück; offiziell, um in Berlin Ärzte zu konsultieren, wobei Presse und Polizeibehörden mutmaßten, eigentlicher Anlass sei die Organisation der polnischen Nationalbewegung in Oberschlesien. Im Oktober 1901 wurde er in Breslau verhaftet und ihm anschließend aufgrund der mit »Vester« gezeichneten Artikel der Prozess gemacht. Das Konkurrenz-Blatt Postęp vermutete, die Verhaftung sei von Rakowski und Biedermann provoziert worden, um Werbung für die Praca mit einem nationalen Märtyrer zu machen. Rakowski wurde zu rund zwei Jahren Haft verurteilt, die sich durch einen zusammen mit Biedermann unternommenen Versuch, einen Gefängniswärter zu bestechen, um weitere neun Monate verlängerte.183 Biedermann hatte 1903 vorsorglich den Vorstand der Praca erweitert, um die Handlungsfähigkeit des Blattes seiner eigenen absehbaren Haftstrafe zum Trotz aufrechtzuerhalten. Weitere Vorstandsmitglieder wurden der Schriftsteller Karol Rzepecki, ein führendes Mitglied der Sokół-Turnerbewegung, sowie Alfred Chłapowski, Maciej Mielżyński und Felicjan Niegolewski, drei Personen aus dem nationaldemokratischen Spektrum, die entweder bereits Abgeordnete der Polenfraktion im Reichstag und dem preußischen Abgeordnetenhaus waren oder noch im Laufe des Folgejahres werden sollten.184 Im gleichen Jahr wurde ein Verband polnischer Journalisten und Literaten (»Towarzystwo Dziennikarzy i Literatów Polskich«) unter Vorsitz Józef Kościelskis gegründet, dessen Vorstand Biedermann als Schatzmeister angehörte.185 Diese Beispiele zeigen nicht nur die enge Verzahnung von Politik, Presse und Wirtschaft innerhalb der polnischen Nationalbewegung, sondern auch, dass es Biedermann binnen weniger Jahre geschafft hatte, von einem Stellenvermittler mit fragwürdigem Geschäftsgebaren zu einer zentralen Figur der Nationalbewegung aufzusteigen, selbst wenn
183 Vgl. Praca, 17.9.1899, 29.9.1901, 20.10.1901, 27.10.1901, 2.11.1901 und 15.12.1901. Anfang 1902 erklärte Wojciech Korfanty bei einer Gerichtsverhandlung, er verberge sich hinter dem Pseudonym »Vester«, vgl. Praca, 2.2.1902; Kuryer Poznański, 17.10.1901 und 18.10.1901; Postęp, 19.10.1901 und 23.10.1901. Marczewski, S. 145 f.; LAB, A Pr. Br., Rep. 030, Nr. 12684, Redakteur der »Praca« Kasimir Richard von Rakowski (1898–1904); Orzechowski, S. 83 f. 184 Vgl. Dziennik Poznański, 4.12.1903. Die Praca hatte zu diesem Zeitpunkt bereits eine Auflage von ca. 8.000–9.000 Stück, vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt B Nr. 9505, Bl. 109–114, das Gerichtsurteil der zweiten Strafkammer des Königlichen Landgerichts in Posen, 2.12.1905. Vgl. auch die tendenziösen und teils fehlerhaften Angaben bei: Wiegand, S. 23–26. Alfred Chłapowski war zugleich Aufsichtsratsvorsitzender der 1905 in Kosten gegründeten Bank Parcelacyjny, vgl. Gazeta Polska, 18.7.1905. 185 Vgl. Dziennik Poznański, 13.3.1903; Praca, 22.3.1903. Ausführlich zu dem 1905 reorganisierten Verband: Molik, Towarzystwo.
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Kritiker seinen Patriotismus bezweifelten und dahinter mehr ein geschickt getarntes Geschäftsmodell vermuteten.186 Im Frühjahr 1908 wurde in verschiedenen polnischen Blättern eine Landtagskandidatur Biedermanns vorgeschlagen, was vom Posener Provinzial-Wahlkomitee indes nicht aufgegriffen wurde. Biedermanns Erfolg lag darin begründet, dass er in eine Lücke des Bodenmarktes stieß. Zwar legten nicht selten deutsche Grundbesitzer der Ansiedlungskommission Briefe polnischer Interessenten vor187, doch hatte sich die Wirkung dieses Mittels im Laufe der Jahre abgenutzt. Schon 1899 hatte der Kommissionpräsident gegenüber dem Landwirtschaftsminister bemerkt, »daß solche Briefe überall in den Händen verkaufslustiger deutscher Besitzer sich befinden und daß damit nirgends der exakte Beweis eines drohenden Uebergangs in polnische Hand geführt werden kann. Sie lassen sich eben überall beibringen.«188 Biedermann perfektionierte jedoch das Spiel mit den polnischen Interessenten. Dazu diente ihm die nach ihm benannte »Biedermann-Klausel«: Kaufverträge, die Biedermann mit deutschen Grundbesitzern abschloss, enthielten eine Vereinbarung, die es dem Verkäufer binnen einer Frist erlaubte, durch Zahlung eines festgelegten Betrages, beispielsweise 30.000 Mark, vom Verkauf zurückzutreten. Mit dem rechtsgültigen Vertrag in der Tasche konnte der betreffende Grundbesitzer nun an die Ansiedlungskommission herantreten und glaubhaft mit dem Übergang seines Gutes in polnischen Besitz drohen. Gleichzeitig inserierte Biedermann in seiner Zeitung Verkaufsangebote für Parzellen dieses Gutes, um die Gefahr eines Übergangs noch glaubwürdiger erscheinen zu lassen. Alles, was der Ansiedlungskommission übrigblieb, um das Geschäft zu vereiteln, war dem Grundbesitzer den Kaufpreis zuzüglich der 30.000 Mark »Rücktrittsgebühr« anzubieten, die der Besitzer im Anschluss mit Biedermann teilte.189 In dem Fall zahlte die Kommission einen Kaufpreis oberhalb des Marktwertes. Biedermanns Handeln wurde aufmerksam von den Polizeibehörden überwacht. So wusste der Polizeipräsident von Posen im Herbst 1902 zu berichten, dass Biedermann von der Verbandsbank des »Związek Spółek Zarobkowych i Gospodarczych« günstiger Kredit eingeräumt worden waren.190 Bei anderen Gelegenheiten unterrichtete der Polizeipräsident die Ansiedlungskommission, mit welchen Grundbesitzern Biedermann in Kontakt stand.191 186 Vgl. Wojtkowski, Biedermann, S. 23. Ähnlich: Marczewski, S. 296. 187 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9517, Bl. 158–158r, Dr. Rzepnikowski an den Herrn Gutsbesitzer Freiwald in Lobenstein, 12.6.1901; ebd., Nr. 9513, Bl. 64–70r, Präsident der Ansiedlungskommission an den Landwirtschaftsminister, 4.5.1899. 188 Ebd., Bl. 233–235, hier 233r, Präsident der Ansiedlungskommission an den Landwirtschaftsminister, 14.7.1899. 189 Später trat an die Stelle des Fixpreises ein Vorgehen, das sich prozentual am Kaufpreis orientierte. Vgl. Wojtkowski, Biedermann, S. 23 f. 190 Vgl. Bernhard, Polenfrage, S. 532; GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9632, Bl. 101–103, Polizeipräsident von Posen an den Oberpräsidenten von Posen, 25.11.1902. 191 Vgl. ebd., Nr. 9524, Bl. 188, Polizeipräsident von Posen an den Präsidenten der Ansiedlungskommission, 24.4.1904.
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Dass Biedermann seine Aktivitäten jedoch auch mithilfe des Fonds der Ansiedlungskommission finanzierte, musste das Missfallen der preußischen Staatsregierung erregen. 1907 erklärte ein Staatsanwalt die »Biedermann-Klausel« für unvereinbar mit dem geltenden Recht und erhob Anklage. Im Laufe des folgenden Prozesses wurde bekannt, dass die Ansiedlungskommission mehrmals erfolglos versucht hatte, Land von Biedermann zu kaufen, auch um ihn bei seinen Landsleuten zu diskreditieren.192 Bei der Mehrung des polnischen Besitzstandes bediente Biedermann die offensive und die defensive Strategie der Grundbesitzer gleichermaßen, verstand sich aber auch auf die nationale Mimese, d. h. die Täuschung patriotischer deutscher Grundbesitzer, die ihren Besitz nicht an Polen verkaufen wollten.193 Dabei kam ihm in der Anfangszeit zweifellos sein deutscher Nachname zugute,194 später noch schrieben deutschsprachige Zeitungen spöttisch vom »Urpolen« Biedermann, dessen polnischer Patriotismus angesichts seiner deutschen Herkunft unglaubhaft sei.195 Nachdem sich Biedermanns nationalpolnische Einstellung herumgesprochen hatte und eine Täuschung patriotisch gesinnter deutscher Besitzer folglich nicht mehr möglich war, baute er ein großes Netz deutscher Strohmänner auf, die ihrerseits deutsche Grundbesitzer zum Verkauf zu bewegen strebten.196 Zeitungen wie die liberale Vossische sprachen solchen Landsleuten die deutsche Nationalität ab oder zumindest den patriotischen Geist:
192 Vgl. Wojtkowski, Biedermann, S. 23 f. 193 1907 kamen Biedermann und einer seiner Strohmänner, Reinhold von Riesen, wegen Betrugs vor Gericht. Riesen hatte mit dem Ehrenwort, für sich selbst kaufen zu wollen, beim Kauf des Gutes Schönwerder einen Preisnachlass beim Vorbesitzer erwirkt, der das Gut in deutschen Händen belassen wollte. In seinem Plädoyer verunglimpfte der Staatsanwalt Riesen, da dieser »zum Verräter an seinem Vaterlande geworden sei, daß er deutschen Besitz für ein Butterbrot verschachert und Treu und Glaube mit Füßen getreten habe.« Beide Angeklagte wurden aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Vgl. Posener Tageblatt, 30.4.1907. 194 Der Präsident der Ansiedlungskommission nannte ihn 1902 »einen deutschen Renegaten«; noch 1906, nachdem die nationalpolnischen Aktivitäten Biedermanns weithin bekannt waren, bezeichnete ihn der freikonservative Abgeordnete Otto von Dewitz als den »bekannten Deutschen Martin Biedermann«. Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9675, Bl. 233–234r, hier 233r, Präsident der Ansiedlungskommission an den Landwirtschaftsminister, 21.10.1902; Dewitz, S. 312. 195 Vgl. Tägliche Rundschau, 22.10.1902; Posener Tageblatt 30.4.1907 und 6.6.1907; Bromberger Tageblatt, 17.11.1907 und 24.11.1907. 196 Vgl. Wojtkowski, Biedermann, S. 23 f. Schon in der Frühzeit der Ansiedlungskommission wurde unter Beamten geargwöhnt, polnische Käufer würden bei Zwangsversteigerungen mit deutschen Strohmännern kooperieren, da der Ansiedlungskommission ein Überbieten deutscher Mitbewerber verboten war. Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9508, Bl. 149–151r, Gedächtnisprotokoll des Regierungsrats Steinicke über den Verlauf der Subhastation von Gulbien, 3.10.1890.
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Man sollte es kaum glauben, auf welche Einfälle die beregten ›deutschen‹ Geschäftsleute kommen, um sich auf Kosten des Deutschtums zu bereichern. Ihnen scheint Geld nur die Losung. Es ist leider eine Tatsache, daß um Geldes willen viel Unmögliches möglich gemacht wird, aber von einem Deutschen sollte man doch verlangen, daß er, wenn es irgend angängig, zu allererst sich die Frage vorlegt: Schade ich mit meinem Tun dem Vaterlande?197
Biedermann entwickelte sich zu einem medialen Phänomen. Sein virtuoser Einsatz der Presse, sein Nimbus als gewitzter Geschäftsmann, der seine Gegenspieler ein ums andere Mal zu täuschen verstand, machten ihn bis weit über die Provinz Posen hinaus bekannt. Selbst in Berlin fanden sich Leute, die als Strohmänner für ihn arbeiten wollten.198 Zu den Legenden, die Biedermann umrankten, gehörte auch, er habe sogar Beamte der Ansiedlungskommission bestochen, um Informationen zu erhalten. Eine polizeiliche Hausdurchsuchung, die diesem Verdacht nachging, förderte zwar keine Beweise zutage, die Berichterstattung verfestigte aber den Ruf Biedermanns.199 Doch währte sein Glück nicht ewig. 1906 versuchte eine deutsche Erbengemeinschaft, die Ansiedlungskommission für einen Ankauf ihres Gutes Modrze zu interessieren. Nachdem sich im Sommer des Jahres gut ein halbes Dutzend Makler erfolglos im Auftrag der Erben an die Behörde gewandt hatte, teils mit der Andeutung, ein polnischer Graf Potocki aus der Umgebung sei ebenfalls an dem Gut interessiert, legten die Erben im Herbst ihrem Gesuch das Schreiben eines anderen Adligen namens Dobrzycki bei, der darin ein Gebot von 2,2 Millionen Mark abgab, ein Preis weit oberhalb der Taxe der Ansiedlungskommission.200 Einige Monate später meldete sich Erich Baarth, der Hauptverhandlungsführer der Erben, erneut bei der Ansiedlungskommission. Diesmal legte er die Abschrift eines fertigen und unterzeichneten Kaufvertrages mit einem weiteren polnischen Herrn bei, Marcin Biedermann. Zwar war der Verkauf in polnischen Besitz absehbar, doch immerhin, so die gute Nachricht
197 Vossische Zeitung, 23.6.1907; Berliner Neueste Nachrichten, 10.10.1906; Tägliche Rundschau, 18.6.1907. 198 Vgl. Landesarchiv Berlin, A Pr. Br., Rep. 030, Nr. 12031, Überwachung des mit den Polen sympathisierenden Beamten Paul von Nostiz-Bakowski (1906). 199 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9676, Bl. 137r–138r, Präsident der Ansiedlungskommission an den Landwirtschaftsminister, 3.12.1903. Der Zeitungsartikel in der Posener Zeitung, 18.11.1903, der rasch von anderen Blättern nachgedruckt wurde, zog allerdings einen Presseprozess gegen den Redakteur nach sich und wurde hoch bestraft. Vgl. APP, Prezydium Policji, Nr. 5027, Strafverfahren gegen den Redakteur der Posener Zeitung Hans Schak wegen des Artikels »Der Fall Biedermann und seine Lehren« und andere Zeitungen, sowie die Vorgänge betreffend Rakowski, Molik, Biedermann (1903–1916). 200 Vgl. APP OG, Komisja Kolonizacyjna dla Prus Zachodnich i Poznańskiego w Poznaniu, Reg. V., Nr. 2194, Ankauf des Rittergutes Modrze, Kreis Posen-West Reg. Bez. Posen (1905–1913); GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9531, Bl. 74, Johann Dobrzycki an Erich Baarth, 6.11.1906; ebd., Bl. 73–73r, Präsident der Ansiedlungs-Kommission an das Staatsministerium, 12.11.1906.
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Baarths, schien die Sache für das »Deutschtum« noch nicht gänzlich verloren: »Nur mit großer Mühe u[nd] unter notarieller Festlegung einer sehr hohen Entschädigungssumme ist es mir gelungen, Herrn Biedermann zu bewegen mir für einen sehr kurzen Zeitraum das Recht des Rücktritts aus diesem Vertrage zu gewähren.«201 Noch habe die Ansiedlungskommission die Gelegenheit, um den Boden vor dem Übergang in polnische Hände zu bewahren. Der zu zahlende Preis betrug nun bereits 2,3 Millionen Mark und damit 100.000 Mark mehr; eine Summe die als Entschädigungszahlung für das dann verpasste Geschäft mit Biedermann gedacht war – es handelte sich wieder einmal um die »BiedermannKlausel«. Auch wenn der von Baarth erhoffte Effekt ausblieb – die Ansiedlungskommission ließ sein Schreiben unbeantwortet, der Kaufvertrag trat wie abgeschlossen in Kraft – zeigt sich hier doch eine Art von Lernprozess, den deutsche Grundbesitzer durchlaufen hatten. Drohungen mussten belegt werden, am besten mit Vorlage eines rechtsgültigen Kaufvertrages. Doch die Sache hatte ein Nachspiel. Unter den Erben befanden sich ein Offizier im aktiven Dienst und ein weiterer im Ruhestand. Empört über die verschiedenen Vortäuschungen des Verhandlungsführers, der dazu noch ohne finanzielle Not das Gut zunächst der Ansiedlungskommission angeboten und anschließend an Biedermann verkauft hatte, empfahl der Oberpräsident von Posen in einem Schreiben an den Innenminister aufgrund »des völligen Mangel[s] an dem nationalen Verantwortlichkeitsgefühl«, der »nationale[n] Charakterlosigkeit« sowie dem hohen »Mass der nationalen Versündigung« durch die Beteiligten, den Kriegsminister darum zu ersuchen, ihnen das Recht zum Tragen der Uniform abzuerkennen.202 Ein weiteres Mitglied der Erbengemeinschaft, Arthur Baarth, war bis 1899 Landrat des Kreises Posen-Ost gewesen, danach deutschkonservativer Abgeord neter, ehe er Regierungsrat im Berliner Polizeipräsidium wurde. Während der laufenden Kaufverhandlungen hatte er, wie der Kommissionspräsident wusste, damit gedroht, »die Konsequenz aus einem eventuellen Verkauf an einen Polen dadurch [zu] ziehen, dass er seinen Abschied aus dem Staatsdienste nehmen werde«,203 woraufhin ihm der Posener Oberpräsident eine »Warnung« hatte zukommen lassen, in der er an die Pflichten eines preußischen Beamten erinnerte.204
201 Ebd., Bl. 349–349r, Erich Baarth an die Königliche Ansiedlungskommission, 15.6.1907. 202 Ebd., Nr. 9532, Bl. 40–43, die Zitate 42 und 42r, Oberpräsident von Posen an den Innenminister, 15.7.1907. Die Folgen des Schreibens konnten nicht ermittelt werden. 203 Ebd., Nr. 9530, Bl. 203–205, hier 204, Präsident der Ansiedlungskommission an das Staatsministerium, 22.8.1906. 204 Vgl. APP OG, Komisja Kolonizacyjna dla Prus Zachodnich i Poznańskiego w Poznaniu, Reg. V., Nr. 2194, Bl. 87, Oberpräsident von Posen an den Präsidenten der Ansiedlungskommission, 9.1.1907. Der Vorschlag war vorab von dem Präsidenten der Posener Polizei behörde unterbreitet worden, vgl. ebd., Bl. 85–85r, Polizeipräsident von Posen an den Oberpräsidenten von Posen, 8.1.1907.
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Tatsächlich verließ Baarth 1907 nach erfolgtem Verkauf den Dienst.205 Ob – wie angekündigt – freiwillig, oder als Folge einer Disziplinarmaßnahme, bleibt offen. Etwa zeitgleich hatte er aus gesundheitlichen Gründen um Abschied gebeten.206 Doch auch für Biedermann hatte der Kauf von Modrze unangenehme Folgen. Er hatte sich dabei finanziell übernommen. Drei polnische Magnaten, die, wie man munkelte, hinter dem Kauf standen, sprangen kurzfristig ab. Biedermann konnte nur durch die Aufnahme einer Hypothek auf Modrze die notwendigen Mittel aufbringen.207 Bald machten Gerüchte seines finanziellen Ruins die Runde.208 Schon im gleichen Jahr hatten er und die übrigen Herausgeber die Praca an Adam Napieralski abgetreten (s. Kap. 3.2). Auch wenn Biedermann, der laut eigenen Angaben bis dahin rund 25.000 Hektar deutschen Grundbesitzes in polnische Hände gebracht hatte, Zahlungsschwierigkeiten vehement bestritt,209 hatte er seinen Zenit überschritten und konnte das Geschäft nur noch in deutlich geringerem Umfang fortführen. Hartnäckig hielten sich Gerüchte, Biedermann habe bereits 1902 versucht, dem preußischen Staat und deutschen Privatkäufern Teile der von ihm erworbenen Besitzungen zu verkaufen.210 Obwohl er alles abstritt, erholte er sich nicht mehr. Im Juni 1910 übertrug Biedermann das Geschäft seiner inzwischen von ihm getrennt lebenden Ehefrau Marya,211 im August 1913 wurden darüber hinaus die Stiefkinder Irma und Hieronim als Gesellschafter eingetragen, die Geschäftsführung blieb weiterhin bei Biedermann selbst.212 1914 meldete er sich, 49-jährig, als Kriegsfreiwilliger zum deutschen Heer. Am 26. Juni 1915 fiel er bei einem Angriff seines Zuges auf die französischen Linien wenige Kilometer von Verdun entfernt.213 205 Vgl. die biografischen Angaben bei Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Protokolle, Bd. 8, S. 486. 206 Vgl. APP OG, Komisja Kolonizacyjna dla Prus Zachodnich i Poznańskiego w Poznaniu, Reg. V., Nr. 2194, Bl. 105–112, Arthur Baarth an den Landwirtschaftsminister, 8.4.1907. 207 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9531, Bl. 347–348, Präsident der Ansiedlungskommission an das Staatsministerium, 18.6.1907; ebd., Nr. 9532, Bl. 100–101, Präsident der Ansiedlungskommission an das Staatsministerium, 22.8.1907. APP OG, Komisja Koloni zacyjna dla Prus Zachodnich i Poznańskiego w Poznaniu, Reg. V., Nr. 2193, Rittergut Modrze (1905–1909). 208 Vgl. Berliner Tageblatt, 14.11.1907; Dziennik Poznański, 22.11.1907. Zu letzterem Artikel auch die Anmerkung im Gesamtüberblick über die polnische Tagesliteratur (1907), S. 1047, wonach die im Dziennik behauptete massenhafte Zahlungsrückforderung durch Gläubiger Biedermanns frei erfunden sei. 209 Vgl. Berliner Tageblatt, 15.11.1907. 210 Vgl. Praca, 6.5.1906. 211 Vgl. Posener Zeitung, 12.6.1910. 212 Vgl. APP, Prezydium Policji w Poznaniu, Nr. 8703, n. p., Genossenschaftsvertrag der G.m.b.H. Drwęski und Langner, 12.8.1913. Nach Biedermanns Tod, 1918, wurde die Firma in eine offene Handelsgesellschaft unter Leitung von Mieczysław Wieczorek und Aldona Drwęska, der Ehefrau Hieronim Drwęskis umgewandelt. Vgl. Posener Zeitung, 7.5.1918. 213 Vgl. Wojtkowski, Biedermann, S. 23 f.; Praca, 18.7.1915 (Nachruf).
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Was Marcin Biedermann auszeichnete, war die virtuose Koppelung seiner unternehmerischen, journalistischen und politischen Tätigkeit.214 Seine Wochenschrift Praca, deren Druckerei und Redaktion sich im Hinterhof desselben Hauses befanden, zu dessen Straßenseite hin die Geschäftsräume der Firma »Drwęski und Langner« lagen, nahm sich Strategien medialer Aufmerksamkeitsökonomie zum Vorbild, die wenige Jahre zuvor erfolgreich von Wiktor Kulerski erprobt worden waren. Dessen 1894 gegründeten Gazeta Grudziądzka avancierte bis zum Vorabend des Ersten Weltkrieges zur auflagenstärksten polnischsprachigen Zeitung im preußischen Teilungsgebiet.215 Beide Blätter inszenierten sich mit ihren scharfen Attacken gegen die preußische Regierung und den Ostmarkenverein als tatkräftige Verteidiger der polnischen Sache. Ein preußischer Beamter charakterisierte die Gazeta Grudziądzka als »extrem national und gehässig.« Zur Praca notierte er – nicht ohne Aner kennung: »Extremes, auf dem Boden des national-demokratischen Programms stehendes Blatt. In hervorragend provozirender Weise redigirt.«216 Beide Zeitungen wurden mit Presseprozessen überzogen, die für die Redakteure mit hohen Haftstrafen endeten. Dies wurde mindestens in Kauf genommen, wenn nicht bewusst provoziert, bot sich hieraus doch die Möglichkeit, die Verhafteten als Märtyrer einer gerechten Sache zu inszenieren; im Gegensatz zur vermeintlich domestizierten, handzahmen Opposition, die für sie die polnischen Abgeordneten der »Hofpartei« und die mit ihr assoziierten Blätter darstellten.217 Politische Radikalität war Teil einer medialen Aufmerksamkeitsstrategie, um sich in der
214 Vgl. Bernhard, Polenfrage, S. 531–540. Insgesamt war Biedermann Besitzer von vier Zeitungen gewesen, neben der Praca noch des Górnoślązak (s. Kap. 2.3), der Czytelnia Polska, seit Ende 1901 auch der Gazeta Bydgoska (die später in den Besitz des nationaldemokratischen Dziennik Berliński übergehen sollte) und finanzierte überdies den Goniec Mazurski, der das Geschäft mit dem Landerwerb in Ostpreußen eröffnen sollte. Vgl. Hartmann, Bewegung, S. 51; Blanke, Polish-speaking, S. 74–76; Praca, 29.12.1901; GStA PK, XVI. HA Rep. 30, Nr. 656, Bd. 6, n. p., Immediatbericht des Regierungspräsidenten von Bromberg, 20.2.1905. 215 Für dies und das Folgende: Cieślak, Gazeta; Stański, Kulerski; Schattkowsky, Nationalismus, S. 49–51. Zum Wahlkampf von 1903 ausführlich: Krzemiński, S. 64–76. Eine Vorbildfunktion für die Praca vermutete bereits Wiegand, S. 27 f. Zu den Werbepostkarten: Kemlein, S. 160 (mit Abbildung). Eine andere Postkarte zeigte ein Porträt Biedermanns, versehen mit den Versen: »Gegrüßt seiest Du, unser angesehener Fechter, der an der Bresche auf dem Posten steht, Du rettest tapfer der Väter Felder! Seine Gunst erweist Dir heut ein jeder!« (»Cześć Ci szermierzu nasz zasłużony, Co u wyłomu, stojąc na straży, Ratujesz dzielnie ojców zagony! Dziś każdy Ciebie uznaniem!«) Vgl. APP, Prezydium Policji w Poznaniu, Nr. 3860, Bl. 1. 216 Anonymus, Verzeichniß. Zur besonderen Radikalität beider Zeitungen auch: Marczewski, S. 145 f., 295 f. 217 Vgl. etwa Praca, 12.6.1898. Zu dieser Strategie auch kritische Artikel des mit der »Praca« in Konkurrenz stehenden Orędownik vom 31.3.1901, 18.10.1901 und 18.12.1901. In einem Artikel vom 24.6.1906 wurden alle 43 Geld- und Haftstrafen aufgelistet, die Mitarbeiter der Praca im Zeitraum von 1897–1905 erhalten hatten. Beispielhaft für die Presseprozesse gegen die Gazeta Grudziądzka vgl. Krzemiński, S. 57 f.
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Konkurrenz des publizistischen Massenmarktes durchzusetzen – eine riskante Strategie, die nur aufging, wenn die durch Prozesskosten und verhängte Strafen verursachten Einbußen durch einen Zugewinn an Abonnenten ausgeglichen werden konnte oder aber wenn ein vermögender Mäzen die Zeitung stützte. Tatsächlich waren viele polnische Zeitungen Zuschussgeschäfte.218 Unstrittig ist, dass die Pressepolitik ein wichtiges Repressionsmittel der preußischen Minderheitenpolitik war. Mitte der 1880er-Jahre saß von nahezu jeder bedeutenderen polnischen Zeitung mindestens ein Redakteur in Haft und die seit dem Kulturkampf gängige Praxis der »Sitzredakteure« – Zeitungsmitarbeiter, die für inkriminierte Artikel vor Gericht die Verantwortung übernahmen, die von anderen geschrieben worden waren –, erfreute sich einiger Beliebtheit, um die Handlungsfähigkeit der Zeitungen aufrechtzuerhalten.219 Auch andere polnische Zeitungen litten folglich unter den Verhaftungen. Aber die Gazeta Grudziądzka und die Praca verstanden es, diese Opfersituation durch lebensnah geschilderte Beschreibungen der Verhaftungen von Redakteuren und ihrer Haftbedingungen zu professionalisieren, indem sie ihre Berichte mit Aufrufen zum Abschluss von Abonnements als Akt der Solidarisierung mit den inhaftierten Journalisten verbanden.220 Zur Erfolgsgeschichte beider Zeitungen trugen auch moderne, einfallsreiche Werbemaßnahmen bei. Kulerski gründete um die Jahrhundertwende eine Versicherungsgesellschaft, die – in der Zeitung groß beworben – im Unglücksoder Todesfalle den Hinterbliebenen des Abonnenten eine Einmalzahlung gewährte. Außerdem wurden hunderttausende Kalender, Bücher und Farbbilder gratis verteilt. Biedermanns Praca besaß eine eigene Rubrik »Kauf und Verkauf«, in der nationaler Besitzwechsel von Grundbesitz jeweils positiv oder negativ im Hinblick auf den »Kampf um den Boden« kommentiert wurde.221 Dies stand durchaus in Verbindung mit der Tätigkeit der Firma »Drwęski und Langner«, für die die Zeitung drei Funktionen erfüllte. Informativ wirkte die Praca, indem sie von Kaufverhandlungen und Zwangsversteigerungen, an denen Biedermann beteiligt war, berichtete und die Hintergründe offenlegte, falls ein Ankauf nicht geglückt war.222 Integrativ wirkte die Zeitung, indem sie öffentliche Ehrerweisungen als ein Mittel positiver Sanktionierung für polnische Investoren bereitstellte. Junge, polnische Adelige, für die Karrieren in Militär, diplomatischem Korps oder Verwaltung nicht infrage kamen, denen somit wenig Möglichkeiten 218 Vgl. Kaminski, Publicists, S. 24 f. 219 Vgl. ebd., S. 26. 220 Vgl. Günzel, S. 26. Vgl. Praca, 16.4.1899. Eine Untersuchung der gegen die Gazeta Grudziądzka geführten Presseprozesse ermittelte die Zahl von 93 Verfahren, die gegen das Blatt zwischen 1895 und 1914 eröffnet wurden, die Mehrzahl davon wegen Beleidigung. Vgl. Gzella, S. 209. 221 Vgl. Jaworski, Handel, S. 55. 222 Vgl. Praca, 21.1.1906 und 28.2.1906.
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für den Erwerb gesellschaftlicher Anerkennung offenstanden, konnte Biedermann zu einem durch ihn vermittelten Kauf von Grundbesitz bewegen. Zum Dank wurden sie in der Praca zu ihrer Verteidigung polnischen Bodens wortreich beglückwünscht.223 Schließlich diente Biedermann der Anzeigenteil der Zeitung dazu, für den Verkauf von Grundbesitz, den er vermittelte, zu inserieren. Dafür griff er nicht nur auf seine Zeitung zurück, sondern warb in ganz unterschiedlichen Blättern. Ludwig Bernhard hat explizit auch mit Hinweis auf Inserate im Dziennik Poznański, dem Organ des grundbesitzenden Adels, gemutmaßt, Biedermann habe sich dadurch das Wohlwollen von Zeitungen aus anderen politischen Lagern erkaufen wollen.224 Dagegen ist einzuwenden, dass die Anzeigenteile in der polnischen Presse zielgruppenorientiert waren225 und der wohlhabende Landadel für den von Biedermann gehandelten Grundbesitz am ehesten in Betracht kam.226 Die preußische Regierung verfügte – genau wie die polnischen Eliten – über keine juristische Handhabe, um deviantes Verhalten zu verhindern oder zu bestrafen. Auch sie musste auf den Entzug von öffentlichem Ansehen zurückgreifen. Dass die Hinweise auf polnische Kaufinteressenten durch deutsche Grundbesitzer von einem kränkungsfähigen Patriotismus früherer Jahre mehr und mehr in unverhohlene Drohungen, in gezielte nationale Selbstbelastungen mit gewinnmaximierender Zielsetzung umschlugen,227 blieb den offiziellen Stellen nicht verborgen. Dennoch setzte sich schnell die Einsicht durch – und die Staatsminister versicherten sich dessen gegenseitig Mal ums Mal –, dass derartig kalkulierte Normenverstöße keinen Ausschlag für die Ankaufentscheidung geben dürften,228 ein gleichlautender Erlass erging an die Ansiedlungskommission Anfang 1901.229 Trotzdem wurden die Drohungen nicht so konsequent links gelassen, wie behauptet. Bei jeder Besprechung rangen die Staatsminister mit der Entscheidung, doch einen Ankauf aus deutscher Hand zu tätigen, wenn die wirtschaftliche oder politische Situation einen Verkauf an Polen als besonders unerwünscht erscheinen ließ. Der Finanzminister musste immer wieder fiskalische Disziplin 223 Vgl. Bernhard, Polenfrage, S. 534 f. Dazu diente auch, dass in Inseraten von Biedermanns Unternehmen gezielt auf die deutsche Nationalität der Vorbesitzer hingewiesen wurde. Vgl. Lech. Gazeta Gnieźnieńska, 28.9.1908 und 5.12.1910. Dziennik Poznański, 1.12.1910. 224 Vgl. Bernhard, Polenfrage, S. 534. 225 Vgl. Kaminski, Publicists, S. 25 f. 226 So finden sich Anzeigen von Biedermanns Firma beispielsweise auch in der Gazeta Grudziądzka und dem Dziennik Kujawski. 227 Indem der Ansiedlungskommission eine nur kurze Entscheidungsfrist eingeräumt wurde, sollte die Behörde zusätzlich unter Druck gesetzt werden. Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9505, Bl. 146–148, Präsident der Ansiedlungskommission an das Staatsministerium, 25.7.1900. 228 Vgl. ebd., Bl. 153–154r, Kultusminister an den Landwirtschaftsminister, 15.1.1901. 229 Vgl. ebd., Bl. 145–145r, Landwirtschaftsminister an den Präsidenten der Ansiedlungskommission, 5.2.1901.
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anmahnen, um seine schwankenden Ministerkollegen zur Ablehnung einer Offerte zu veranlassen.230 Deshalb vereitelte der Finanzminister den von Ansiedlungskommission, Oberpräsidenten und Teilen des Staatsministeriums in den Jahren 1903/04 verfolgten Plan, die Entscheidungsbefugnis für den Ankauf deutschen Grundbesitzes auf die Oberpräsidenten zu übertragen. »Die Erfahrung lehre«, so der Minister, »daß seitens der politischen Beamten, insbesondere der Landräte, jeder Ankauf ohne Rücksicht auf den geforderten Preis befürwortet werde; dazu kämen zahlreiche andere Einwirkungen, welche den Oberpräsidenten für einen bestimmten Ankauf zu interessieren suchten«.231 Unter den Verkaufsinteressenten befänden sich teils einflussreiche Persönlichkeiten der Provinz, sodass ein Oberpräsident, der als politische Spitze im öffentlichen Leben der Provinz präsent ist, entweder mit seiner Ablehnung sein Ansehen beschädige oder aber aus Furcht davor einem Ankauf leichtfertig zustimmen könnte. Als unausweichliche Folge sei dann eine zunehmende Mobilisierung des deutschen Grundbesitzes und weitere Preissteigerungen zu erwarten. Am Ende der mehrmonatigen Unterhandlungen konnte sich der Finanzminister mit seinem Vorschlag durchsetzen, dass nicht die Oberpräsidenten, sondern das Plenum der Ansiedlungskommission über deutsche Ankäufe entschied und im Bedarfsfall das Staatsministerium anzurufen sei, wenn einer der Ministerialkommissare dies wünsche. Damit blieb das Staatsministerium letzte Entscheidungsinstanz.232 An dieser Stelle konnten nur diejenigen Makler erwähnt werden, die durch deviantes Geschäftsgebaren Eingang in die Quellen gefunden haben. Hingegen müssen diejenigen Makler unberücksichtigt bleiben, die sich regelkonform verhalten haben, die es also als ihr Geschäftsmodell betrachteten, für patriotische Verkäufer national zuverlässige Kunden zu finden. Da solche Geschäftsbeziehungen weniger konfliktträchtig waren, fanden sie keine Aufmerksamkeit durch eine national wachsame Presse, und waren auch kein Gegenstand von Gerichtsprozessen und -urteilen – wenigstens nicht aus nationalen Gründen. Solche Formen normengerechter Geschäftsbeziehungen entziehen sich somit der historischen Analyse. 230 Schwer belegbar hingegen die These Hans-Ulrich Wehlers, wonach »der Drohung des Weiterverkaufs an einen polnischen Bankagenten […] die Kommission gewöhnlich mit überhöhten Angeboten ihrerseits [begegnete]«. Wehler, Sozialdemokratie, S. 184. Generell ist zu bemerken, dass die Ansiedlungskommission für polnischen Grundbesitz durchschnittlich mehr zahlte als für deutschen. Vgl. Pragier, S. 88, und mit abweichenden, den Gesamt eindruck aber bestätigenden Zahlen: Denkschrift des Jahres 1913 über die Ausführung des Gesetzes, betreffend die Beförderung deutscher Ansiedlungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, vom 26. April 1886 und seiner Nachträge vom 20. April 1898, 1. Juli 1902, 20. März 1908 und 28. Mai 1913, in: StenBerAH 1914, Drucksachen, S. 1801–2121, hier 1836–1841. 231 GStA PK, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3659, S. 136–166, hier 155 f., Bericht über die kommissarische Sitzung, 18.2.1903. 232 Vgl. ebd., Nr. 3605, Bl. 63–73r, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 2.2.1904.
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Dessen ungeachtet haben die vorstehenden Ausführungen gezeigt, dass die Grundbesitzer des östlichen Preußens sensibel auf die »moralische Ökonomie« des Bodenmarktes mit seinen nationalisierenden Tendenzen reagierten und die Gütermakler im Schatten klandestiner Winkelzüge einen Wandel ihrer Funktion vollzogen haben.233 Hatten sie bislang als bloße Interessensschnittstellen gedient, die Informationen zwischen potenziellen Käufern und Verkäufern austauschten, dienten sie den Grundbesitzern ungefähr seit der Jahrhundertwende als willfährige Instrumente zur Preishebung. Denn die Grundbesitzer passten ihr Verhalten der geänderten Marktsituation an. Da die Nationalisierung des Marktes, mithin das Verbot an bestimmte Personen zu verkaufen, den Kreis potenzieller Kunden einengte, erschien ein Befolgen der neuen Regeln nicht zweckdienlich. Normenkonformes Verhalten, also nationale Loyalität, hätte hier bedeutet, nicht oder wenigstens nicht vollumfänglich von den steigenden Bodenpreisen der nationalen Konkurrenzsituation profitieren zu können. Dem gezielten Regelverstoß gegen die Vorgaben der »moralischen Ökonomie« wohnte dagegen das Versprechen von Höchstpreisen inne. Die vor allem von den nationalen Eliten vorangetriebene »Nationsbildung durch Trennung«234 verhinderte somit keineswegs, dass sich zwischen Besitzern und Maklern einträchtige und für beide Seiten lukrative Geschäftsverbindungen knüpfen ließen. Die jeweilige Strategie orientierte sich an unterschiedlichen Rahmenbedingungen, denen sich deutsche und polnische Landwirte in der »moralischen Ökonomie« ausgesetzt sahen, und an die sie ihr Handeln anpassen mussten. Deutsche Landwirte tendierten eher zur offensiven Strategie demonstrativer Devianz, polnische eher zur defensiven Strategie scheinbarer Normenbefolgung. Das schließt keineswegs aus, dass sie nicht auch in vertauschten nationalen Konstellationen denkbar gewesen wären. Fälle der Anwendung der offensiven Strategie wären etwa genauso durch polnische Grundbesitzer gegenüber polnischen Parzellierungsgenossenschaften plausibel. Ihr Nachweis stößt indes auf ein Quellenhindernis. Bestände polnischer Parzellierungsinstitute, die Ankaufgesuche enthalten wie sie für die Ansiedlungskommission überliefert sind, sind nicht erhalten. Zumindest scheinen sie kein Massenphänomen gewesen zu sein, da Hinweise in polnischen Zeitungen fehlen. Verlierer des gewandelten Marktgeschehens war der preußische Staat, der sich ein ums andere Mal Niederlagen im prestigeträchtigen »Kampf um den Boden« einhandelte. Seine Steuerungsinstrumente hatten versagt. Nach 1898 gelang es weder, größere Flächen polnischen Bodens anzukaufen, noch Zugriff auf bezahlbaren deutschen Boden für eine Fortsetzung der Siedlungspolitik zu bekommen.
233 Vgl. Adamczewski, S. 37. 234 Conze.
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2.3 Räumliche Entgrenzungen: Schlesien Am 20. April 1908 erreichte die Posener Polizeiverwaltung ein Brief mit einem wichtigen Anliegen. Ein gewisser Herr Rothe, Leutnant und Bureauoffizier bei der Unteroffiziersschule im hessischen Weilburg, teilte mit, seine Schwiegermutter wolle ihr in Schlesien, wenige Kilometer südöstlich von Breslau liegendes Rittergut Meleschwitz verkaufen. Ein Angebot der Posener Firma »Drwęski und Langner« läge bereits vor; er bitte nun um Auskunft, ob die Firma selbst oder ihr Inhaber polnisch sei.235 Die Antwort, die der Polizeischreiber in seiner Amtsstube zu Papier brachte, war keine erfreuliche. Er nannte den Inhaber, Marcin Biedermann, und riet wegen dessen »unheilvolle[r] Tätigkeit zum Schaden des Deutschthums« von jeder Verbindung mit dieser Firma ab. Es folgte der gutgemeinte Rat: »Schließlich will ich die Befürchtung nicht verhehlen, daß Ew. Hochwohlgeboren vielleicht dienstliche Ungelegenheiten erwachsen könnten, sofern der Verkauf des Guts Ihrer Frau Schwiegermutter an Biedermann perfekt werden sollte.«236 Dieser letzte Ratschlag, der sich ebenso gut als Drohung für die militärische Karriere Rothes lesen lässt, findet sich im Konzept jedoch durchgestrichen. Es ist daher davon auszugehen, dass er den Petenten nicht erreicht hat. Auch lässt sich Rothes Motivation zur Nachfrage nicht zweifelsfrei klären: War es aufrichtige Sorge, die ihn umtrieb, war vielleicht aus patriotischem Pflichtgefühl der Wunsch erwachsen, sich nach der Nationalität des Käufers zu erkundigen? Oder lag die Sache ganz anders? War Rothe über die Identität des Firmeninhabers von »Drwęski und Langner« längst informiert, dessen Geschäftspraktiken schon lange in Zeitungen auch jenseits der Provinzgrenzen Posens bekannt waren? Handelte Rothe etwa aus Berechnung? Es hätte auch der Versuch sein können, mithilfe des indirekten Verweises auf den polnischen Interessenten die Ansiedlungskommission, den Domänenfiskus oder irgendeine andere staatliche Stelle auf das Gut aufmerksam zu machen, um damit den Preis in die Höhe zu treiben. Diese Fragen lassen sich nicht mehr beantworten. Der Vorgang zeigt aber nicht nur, dass auch untere Verwaltungsstellen die »nationale Norm« verinnerlicht hatten und mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln der Sanktionsandrohung operierten, sondern dass die »moralische Ökonomie« in ihrer nationalisierenden Form längst auch die Provinz Schlesien, in dem sich der schwiegermütterliche Besitz Rothes befand, erfasst hatte. Schon in der Gründungsphase der Ansiedlungskommission, in der zweiten Hälfte der 1880er-Jahre, hatte die Behörde mehrere Anfragen deutscher Grundbesitzer aus Schlesien erhalten, die seinerzeit mit der einfachen Begründung abgelehnt worden waren, dass die
235 Vgl. APP, Prezydium Policji w Poznaniu, Nr. 8703, n. p., Leutnant Rothe an die Posener Polizeiverwaltung, 18.4.1908. 236 Ebd., Posener Polizeiverwaltung an Leutnant Rothe, 22.4.1908.
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Kommission für diese Provinz nicht zuständig war.237 Nach der Jahrhundertwende war die Provinz endgültig zum Schauplatz des »Kampfes um den Boden« geworden. 2.3.1 Ehr- und Schamgerichte Nur wenige Jahre vor Rothes Anfrage war der Besitzwechsel der schlesischen Herrschaft Ossen erfolgt, in den abermals Biedermann involviert war. Die Herrschaft stand im Besitz der Erben eines Freiherrn, die von Graf Karl August von Kospoth rechtlich vertreten wurden, Angehöriger einer angesehenen schlesischen Adelsfamilie und Kurator der Ritterakademie in Liegnitz. Kospoth vermittelte den Verkauf Ossens an Marcin Biedermann. Als dies bekannt wurde, beschloss das Staatsministerium, angeregt vom Kultusminister und bestärkt durch den Finanzminister, dass Kospoth sein Ehrenamt als Kurator niederlegen solle, da er das Vertrauen des Königs enttäuscht habe. Wilhelm II. sollte durch Innenminister Bethmann Hollweg bei einer Audienz für dieses Vorgehen gewonnen werden. Darüber hinaus sollte die Presse über das Vorgehen Kospoths informiert werden.238 Der Fall Kospoth fiel zeitlich zusammen mit weiteren Verkäufen von Gütern an Polen, unter anderem durch einen französischen Grafen von Talleyrand und einen polnischstämmigen Oberst von Keszycki. Während bei diesen jedoch der Verkauf durch ihre Nationalität entschuldigt wurde, sollte an Kospoth ein Exempel statuiert werden.239 Zusätzlich wurde ein Disziplinarverfahren eröffnet, dem jedoch der Makel anhaftete, dass bei seiner Einleitung Kospoths Immunität als Mitglied des Herrenhauses missachtet wurde. 1907 einigten sich beide Parteien auf einen Vergleich, wonach Kospoth das Ehrenamt freiwillig niederlegte und das Staatsministerium sich bereiterklärte, das Verfahren einzustellen.240 Ossen selbst wurde von einem jungen, vermögenden polnischen Adligen gekauft, der mehrere Millionen Mark zur Verfügung stellte. In 237 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9680, Bl. 41–42r, Agnes Gräfin v. d. Goltz an den Landwirtschaftsminister, 3.12.1886; ebd., Bl. 191–192, Georg Graf von Stillfried-Rattonitz an den Landwirtschaftsminister, 15.12.1888; ebd., Bl. 203–204, Immediatgesuch des Carl von Wrochem-Gellhorn, 7.3.1889. 238 Vgl. ebd., Rep. 90 A, Nr. 3608, Bl. 112–117, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 17.10.1905. 239 Vgl. ebd., Bl. 148r–149, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 27.10.1905. 240 Vgl. dazu den umfassenden Bericht: GStA PK, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3611, Bl. 244–252, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 27.4.1907. Vgl. auch Kospoths Memoiren, in denen er maßgeblich Bülow für den Gnadenverlust verantwortlich macht: Kospoth, S. 46 f. Tatsächlich war es Kultusminister von Studt, der im Oktober 1905 erstmals den Vorschlag aufbrachte, Kospoth zur Strafe aus der Ritterakademie zu entfernen, und wurde dann entschieden durch den Innenminister Bethmann Hollweg vor dem Monarchen vertreten: Vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 90 A, Nr. 3608, Bl. 112–112r, 115–115r, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 17.10.1905; ebd., Nr. 3608, Bl. 148r–149, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 27.10.1905.
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verschiedenen Zeitungen, vor allem aber in Biedermanns Praca wurde er dafür als Retter eines Stückes Vaterlandes gepriesen. Dank Bert Becker wissen wir nicht nur um den Eindruck, den diese »traurige[n] Erscheinungen des Verfalls in unserem Vaterland« im »Fall Ossen« auf die Beamtenschaft gemacht hat, hier auf den Oberpräsidialrat Georg Michaelis, der Kospoth auf Anweisung des Staatsministeriums zwei Wochen nach dem Verkauf über die Vorgänge zu befragen hatte, sondern auch um die Außenwirkung des Besitzwechsels: Dessen Bruder Gerhard Michaelis beklagte sich von Westen her brieflich bei dem Breslauer Beamten über die preußische Verwaltung, die tatenlos zusehe, wie polnische Kampfpreise deutschen Grundbesitz raubten. Georg schrieb schroff zurück: »Soll der Staat denn jedes Mal eintreten? Mach dir die Consequenzen klar!«241 Das gleiche altbekannte Lamento fand sich angesichts Ossens und weiterer Verkäufe in Schlesien durch hohe Adlige unter den Ministerkollegen: In der Presse werde bei dem Übergang deutscher Güter an Polen der Regierung jedesmal Mangel an Entgegenkommen und Voraussicht vorgeworfen und verlangt, daß die zum Verkauf stehenden Güter ohne Beschränkung auf ihren wirklichen Wert à tout prix aus Staatsmitteln erworben würden. Die durch die Ansiedelungskommission erfolgten Ankäufe von Gütern weit über ihrem Wert hinaus hätten unter den deutschen Besitzern den Wunsch erweckt, sich ihres Grundbesitzes zu ähnlichen Preisen zu entäußern und so werde gerade das Gegenteil von dem erreicht, was beabsichtigt sei: man biete dem deutschen Grundbesitz einen Anreiz zum Verkauf.242
Auch wenn weder das von Leutnant Rothe erwähnte Rittergut Meleschwitz noch die Herrschaft Ossen im oberschlesischen Regierungsbezirk Oppeln lagen, auf den die polnische Nationalbewegung wegen der starken slawophonen Bevölkerung seit ungefähr der Jahrhundertwende ihre Tätigkeit konzentriert hatte,243 zeigen beide Beispiele doch, dass sich der »Kampf um den Boden« inzwischen auch auf die Provinz Schlesien ausgeweitet und somit eine Erweiterung des Grenzlandes stattgefunden hat. Noch deutlicher wurde dies 1911, als sich der Oberpräsident, inzwischen Hans Lauchlan von Guenther, bemühte, einem 241 Zit. n. Becker, Michaelis, S. 201 f. Als ein Verwandter 1907 das schlesische Familienanwesen verkaufen wollte, drang Georg darauf, in den Kaufvertrag eine Konventionalstrafe aufzunehmen. 242 GStA PK, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3608, Bl. 112–118r, hier 114, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 17.10.1905. 243 Siehe für den Regierungsbezirk Oppeln beispielsweise GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9632, Bl. 144–146r, das Zitat 144, Landratsamtsverwalter des Kreises Pless an den Regierungspräsidenten von Oppeln, 15.3.1904, für den der Beamte über seinen Verwaltungsbezirk schreibt: »Die dem Landrat in Kattowitz zugegangenen Mitteilungen über die Tätigkeit von Unterhändlern polnischer Parzellierungsgesellschaften im Kreise Pless sind zutreffend.« Für das eine von mehreren zum Verkauf stehenden deutschen Gütern glaubte der Beamte jedoch Entwarnung geben zu können, da die Besitzerin, die verwitwete Stiefmutter des späteren Polarforschers Alfred Kottas, mit Rücksicht auf dessen Militärkarriere bei der Marine auf einen Verkauf an polnische Interessenten absehen würde.
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deutschen Grundbesitzer, der glaubwürdig nachweisen konnte, nur an Deutsche verkaufen zu wollen, aber an einen Strohmann geraten war, Prozesskostenbeihilfe für eine Klage auf Anfechtung des Kaufvertrages zu verschaffen. Auch wenn diese Beihilfe nicht bewilligt wurde, gelang es dem Vorbesitzer zumindest, unter finanziellen Einbußen den Käufer vertraglich zu verpflichten, unter Eintragung einer Konventionalstrafe von 50.000 Mark einen Weiterverkauf bis 1915 auszuschließen.244 Die Ausdehnung der »nationalen Norm«, das Operieren mit Mittels- und Strohmännern, die Mechanismen der Ehrzuweisungen und -aberkennungen; all dies lässt sich nach der Jahrhundertwende auch in Schlesien finden. Dabei kann diese Ausweitung der Konkurrenz auf die Nachbarprovinz sowohl auf marktimmanente als auch auf davon losgelöste Entwicklungen zurückgeführt werden. Einerseits führte die zunehmende Deliberalisierung des Bodenmarktes, aber genauso die rasant steigenden Bodenpreise in den beiden Ansiedlungsprovinzen Westpreußen und Posen dazu, dass kaufwillige Interessenten in die Grenzkreise der Nachbarprovinzen auswichen, das »polnische Problem« also über die Ränder der Kerngebiete hinaus »verdrängt« wurde.245 Der Abgeordnete der Fortschrittspartei Wolff aus Lissa hatte diesen Prozess 1912 als eine logische Folge der preußischen Polenpolitik beschrieben: Die Polen […] sind in der Provinz Posen und in der Provinz Westpreußen zwar durch Gesetz zu einem großen Teil im Erwerb von Grundbesitz eingeschränkt, sie sind aber dann nach den Nachbarprovinzen gegangen und haben sich dort insbesondere in einzelnen Kreisen niedergelassen, indem sie von Deutschen Grundbesitz erwarben; das muß für die Zukunft möglichst verhindert werden. Meine Herren, wenn man wirklich gerecht sein will, muß man doch sagen: ja, was sollten denn die Polen tun?246
Andererseits fällt die schlesische Konkurrenzsituation mit der seit den 1890erJahren wachsenden nationalen Mobilisierung in dieser Provinz zusammen,247 die dazu diente, die politische Basis der polnischen Nationalbewegung durch eine Integration der Oberschlesier in ihrer Eigenschaft als slawophone Minderheit in Preußen zu konsolidieren und auszubauen. Der Umstand, dass zahlreiche polnische Meinungsführer nicht aus Schlesien stammten, hatte unter Zeitgenossen, den deutschen vornehmlich, die Vorstellung bekräftigt, der »Volkstums244 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9656, Bl. 173–175r, Oberpräsident von Schlesien an die Innen- und Finanzminister, 3.6.1911; ebd., Bl. 241–242, Max Bernsten an das Landwirtschaftsministerium, 2.7.1911. 245 Wehler, Reichsfeinde, S. 193. 246 StenBerAH 1912, Sp. 5604 f., Sitzung vom 8.5.1912. Aufgrund des beobachteten Vordringens der Kaschuben nach Pommern war 1900 in der Ansiedlungskommission auch eine Ausdehnung ihrer Tätigkeit in den Regierungsbezirk Köslin in Anregung gebracht, im Plenum jedoch mit dem Argument zurückgewiesen worden, dass diese Expansion als wirtschaftlich und nicht nationalpolitisch zu bewerten sei. Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9589, Bl. 81–93r, Protokoll der Sitzung der Ansiedlungskommission, 18./19.10.1900. 247 Vgl. Kamusella, Language, S. 58.
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kampf« sei letztlich künstlich von polnischen Agenten von Posen oder Galizien nach Schlesien »verpflanzt« bzw. »importiert« worden.248 Indes wird auch die zunehmend repressive preußische Polenpolitik zur Etablierung nationaler Frontstellungen beigetragen haben.249 Und dennoch: »Polish nationalists claimed (basing their opinion on the close ness of Szlonzokian Slavic dialect and standard Polish, and also on the common practice of dubbing the Szlonzoks as ›Polish-speaking‹) that Szlonzoks were essentially Poles and that they were only slightly ›dirtied with the varnish of Germanness‹«,250 wodurch die in Oberschlesien vorherrschende Komplexität zwischen nebeneinander stehenden nationalen und regionalen, konfessionellen und sprachlichen Identitäts- und Solidaritätsangeboten noch einmal bedeutend gesteigert wurde. Die jüngere Forschung, vertreten unter anderem durch Tomasz Kamusella oder Andrzej Michalczyk, hat gerade diesen multiplen, ambiguen Charakter der Bevölkerung Oberschlesiens hervorgehoben. Demnach entzog sich die Mehrzahl der Oberschlesier lange Zeit eindeutigen Zuordnungen, was sie sowohl in deutschen wie in polnischen Augen als national unzuverlässig erscheinen ließ.251 2.3.2 »Nieder mit dem Zentrum« Nicht nur die Geschäfte auf dem schlesischen Bodenmarkt, sondern auch dieses polnische Parteiengagement ist nicht zuletzt auf Marcin Biedermann zurückzuführen. Von seiner Praca genauso wie dem ebenfalls nationaldemokratischen Dziennik Berliński war seit Herbst 1901 unter dem Schlagwort »Nieder mit dem Zentrum« (»precz z Centrum«252) verstärkt die Forderung ausgegangen, die Oberschlesier müssten eine eigene polnische Fraktion gründen.253 248 Vgl. Napieralski, S. 29 f.; Michaelis, Staat, S. 239; Galos, S. 65–68; Pater, Polityka, S. 281; ders., Dążenia, S. 83. Gegner dieser »Verpflanzungstheorie« verwiesen darauf, dass andere polnische Politiker aus Oberschlesien stammten, wie der bei Laurahütte geborene Wojciech Korfanty (vgl. Napieralski, S. 29 f.). Damit ließ sich je nach politischem Interesse die Urwüchsigkeit der polnischen Nationalbewegung und damit die Legitimität des Anspruchs der polnischen Nation auf Oberschlesien beliebig behaupten oder abstreiten. Auch innerhalb der polnischen Meinungskonkurrenz Oberschlesiens diente die Herkunft als politisches Argument: Aus Oberschlesien stammende Redakteure wiesen auf die Posener Herkunft polnischer Aktivisten hin, um die Führungsansprüche der zugezogenen Konkurrenten zu delegitimieren. Vgl. Bjork, Neither, S. 87. 249 Vgl. Kamusella, Language, S. 53–58; Bjork, Everything, S. 73–83. 250 Kamusella, Language, S.66. 251 Vgl. ebd., S. 60–68; ders., Silesia, S. 190; Bjork, Neither, passim; Michalczyk, S. 281–298. 252 Der Slogan geht zurück auf eine gleichnamige, von Wojciech Korfanty anonym verfasste Broschüre, die im Verlag des Dziennik Berliński erschienen ist: Anonymus, Precz. Zur Autorschaft Korfantys vgl. Bjork, Neither, S. 86, Anm. 22. 253 Vgl. Schwidetzky, S. 52 f.; Kamusella, Silesia, S. 192; Bernhard, Polenfrage, S. 533 f.; Pater, Orientacje, S. 375–378; Orzechowski, S. 62–87; Marczewski, S. 125–128.
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Seit der Reichsgründung hatte die Zentrumspartei die Großzahl der oberschlesischen Wahlkreise erobert, in den 1880er-Jahren hatte sie dann gezielt polnischsprachige Kandidaten aufgestellt.254 Der Partei verbunden war die 1869 gegründete Zeitung Katolik, die sich in einer einfachen Sprache an die breite Bevölkerung richtete. Seit 1889 stand der Katolik unter der Leitung von Adam Napieralski, der sein journalistisches Handwerk beim Orędownik und beim Kulmer Pielgrzym gelernt hatte.255 Letzterer hatte sich der Pflege der polnischen Sprache und des katholischen Glaubens verschrieben, war aber genauso wenig wie Napieralski durch eine nennenswerte Agitation für einen nationalen Separatismus aufgefallen. In den folgenden Jahren baute Napieralski seinen Einfluss systematisch aus: Der Katolik-Verlag übernahm die Herausgabe der Nowiny Raciborskie, die Gazeta Opolska unterstützte er ohnehin bereits seit Längerem finanziell; beides einflussreiche polnischsprachige Zeitungen in Schlesien. Schon 1898 hatte Napieralski den Dziennik Śląski gegründet, der sich an das städtische zumeist gebildete Bürgertum richtete.256 Damit verfügte Napieralski über ein solides Presseimperium. Arne Thomsen hat die Bedeutung der polnischen Zeitungen für die Herausbildung nationaler Identitäten beziehungsweise der Produktion von Identitätsangeboten gerade in Oberschlesien hervorgehoben, da dort, anders als in Westpreußen und Posen, polnische Vereine und Organisationen überwiegend national indifferent geblieben waren.257 Der Katolik war ein Zentrumsblatt durch und durch. Trotzdem sah sich Napieralski mit der deutschen Dominanz in der schlesischen Zentrumspartei nicht mehr einverstanden. Um die Mitte der 1880er-Jahre herum hatte er die »zen trumspolnische Bewegung« gegründet, deren Leiter und Finanzier er gleichermaßen war, und für die der Katolik Werbung für polnischsprachige Kandidaten zu machen begann, die gegen die vom Wahlvorstand der Partei ausgewählten Kandidaten antraten. Die Abgeordneten der »zentrumspolnischen Bewegung« setzten sich in der eng mit dem katholischen Klerus verflochtenen Zentrumspartei für eine stärkere Berücksichtigung polnischer Belange ein; ein Ansinnen, das innerhalb der schlesischen Partei keineswegs unumstritten war, was nicht zuletzt auf die deutschnationale und regierungsfreundliche Haltung des Breslauer Fürstbischofs Georg Kardinal Kopp (ab 1906 »von Kopp«) zurückzuführen
254 Vgl. Schwidetzky, S. 30 f.; Kamusella, Silesia, S. 176 f. 255 Aus der Schule des Orędownik war eine Reihe prominenter Journalisten hervorgegangen, die nach der Jahrhundertwende Karriere machten. Vgl. Molik, Dziennikarze, S. 144 f. 256 Vgl. Czapliński, Presse, S. 24 f.; Kamusella, Silesia, S. 184 f. 257 Vgl. Thomsen, Bewegung, S. 212 f. Dagegen Czaplińskis Hinweis auf die Vereinstätigkeit vieler Redakteure politischer Zeitungen: Czapliński, Presse, S. 32 (aber auch der Hinweis S. 35 f. auf die hervorgehobene Stellung der Presse), sowie Kamusella, Language, S. 61. Siehe wiederum auch Przemysław Hauser mit dem Hinweis, dass der Mitgliedschaft in polnisch-nationalen Vereinen keineswegs eine Identifikation mit den Vereinszielen folgen musste, sondern ein Beitritt auch aus Gründen der Geselligkeit erfolgen konnte: Hauser, S. 105 f.
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ist. Bereits in den 1890er-Jahren hatte es erhebliche Verwerfungen innerhalb der schlesischen Zentrumspartei gegeben, ehe um die Jahrhundertwende auch die Bodenfrage in Schlesien eine bedeutende Rolle zu spielen begann, die das polnische Verhältnis zum Zentrum belasten sollte.258 Bereits seit den frühen 1890er-Jahren schwelte in der schlesischen Zentrumspartei der Streit um Kandidaturen zwischen Mitgliedern der »zentrumspolnischen Bewegung« und ihren Gegnern. Es gelang aber jeweils immer noch, die Konflikte im Rahmen der Parteiorganisation auszutragen und zu kanalisieren. Aus der Rückschau machten sich die Reichstagswahlen von 1893 als erste Absetzbewegungen bemerkbar, als angesichts der umstrittenen Haltung zur Heeresvorlage in verschiedenen oberschlesischen Wahlkreisen zentrumsdeutsche gegen zentrumspolnische Kandidaten angetreten waren. 1897 hatte man sich auf einen Vergleich einigen können, wonach die schlesischen Wahlkreiskomitees paritätisch nach der deutschen, polnischen und mährischen Sprache der Einwohnerbevölkerung besetzt werden sollten, was bei den Reichstagswahlen von 1898 noch einmal die Situation zwischen beiden Parteiflügeln entspannte.259 Der mühsam wiederhergestellte innerparteiliche Konsens hielt nicht lang. Das lag zunächst an der Entwicklung der Partei. Nach Beendigung des Kulturkampfes und insbesondere nach der Entlassung Bismarcks 1890 hatte sich das Zentrum nach und nach zu einer gouvernementalen Partei gewandelt. In dem Maße aber, in dem das Zentrum als Juniorpartner in die Regierungspolitik integriert wurde und damit auch Verantwortung für die Polenpolitik übernahm, stieß es seine polnische Wählerschaft ab, insbesondere die in Schlesien.260 Erschwerend kam hinzu, dass ebenso wie in Oberschlesien auch im Westen des Reiches, in den Arbeiterbezirken des Ruhrgebiets, Zentrum und Polenpartei um das gleiche Wählerreservoir rangen, worunter auch im Parlament die ehemalige, aus der gemeinsamen Unterdrückungserfahrung gespeiste Solidarität früherer Jahrzehnte einer angespannten Konkurrenz wich.261 Ein weiterer Grund für die wachsende Bedeutung nationaler Zuschreibungen war das Übergreifen der Nationaldemokratie auf Oberschlesien nach der Jahrhundertwende. Marcin Biedermann hatte es Ende 1901 nicht dabei belassen, die Praca von Posen aus nach Schlesien zur nationalen Solidarisierung rufen zu lassen; gegen deren irredentistischen Bestrebungen hatten die Katolik-Blätter Napieralskis Stellung genommen.262 Aber Biedermann gründete in Oberschlesien mit dem Górnoślązak auch eine weitere Zeitung. Aus dieser sollte er sich zwar schon bald wieder zurückziehen, schon im Frühjahr 1902 verkaufte er sie an eine Gruppe oberschlesischer Landwirte, die aber ihren dezidiert national-
258 Vgl. Thomsen, Bewegung; ders., Auseinandersetzungen, S. 191–203. 259 Vgl. Schwidetzky, S. 38–44; Thomsen, Bewegung, S. 214–218. 260 Vgl. Trzeciakowski, Herausbildung, S. 122. 261 Vgl. Kotowski, Staatsräson, S. 151 f. 262 Vgl. Schwidetzky, S. 53 f.; Czapliński, Presse, S. 23–25; Pater, Rozwój, S. 376 f.
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demokratischen und antipreußischen Stil weiterpflegen sollte.263 Das Aushängeschild des Górnoślązak sollte Wojciech Korfanty werden, der zuvor für Biedermanns Praca und den nationaldemokratischen Dziennik Berliński geschrieben hatte, und der nun zum Chefredakteur des neugegründeten Blattes aufstieg. Genau wie die Praca praktizierte auch der Górnoślązak eine radikale Pressepolemik; binnen eines Jahres landeten 12 Redakteure durch Presseprozesse im Gefängnis, abermals wurden Haftstrafen als Martyrium für die polnische Sache in Szene gesetzt.264 Einer von Korfantys engsten Mitarbeitern war Jan Jakub Kowalczyk, ein Studienfreund Korfantys, der in Breslau demselben polnischen Studentenverein angehört hatte.265 In den folgenden Jahren entwickelte der Górnoślązak eine rege Agitation, vornehmlich gegen das Zentrum, dessen Abgeordneten er vorwarf, den Schutz der polnischen Minderheit vor germanisierenden Bestrebungen nicht mehr genügend wahrzunehmen, und gegen die Katolik-Blätter, denen er vorwarf, die nationalen Bedürfnisse der Polen Oberschlesiens zu missachten.266 Zwischen den beiden Antagonisten Korfanty und Napieralski sollte sich der Konflikt in den folgenden Jahren zuspitzen. Neben programmatische Differenzen traten persönliche, die nicht zuletzt auf charakterliche Unterschiede zurückgingen: Hier der charismatische Lebemann Korfanty, der unter chronischem Geldmangel litt,267 dort der bedachtsame Napieralski, der es vorzog im Hintergrund zu bleiben und jede Investition sorgfältig abwog. Beide verfolgten nicht bloß journalistische, sondern auch politische Ambitionen im Hinblick auf das Doppelwahljahr 1903 in Preußen und im Reich. Während Napieralski an seiner Verbindung zur Zentrumspartei festhielt, gründete Korfanty 1902 den ersten polnischen Wahlverein für Oberschlesien.268 Bei den Wahlkampfveranstaltungen wurde eine scharfe Agitation gepflegt, es kam zu tumultuarischen Szenen zwischen Unterstützern der Polen und des Zentrums. Bei den Wahlen 1903 traten aufseiten der Polen neben Korfanty und Kowalczyk mit Siemianowski ein weiterer Zeitungsredakteur sowie zwei der Käufer des Górnoślązak zur Wahl an,269 doch im Zentrum der Aufmerksamkeit stand stets der dreißigjährige Korfanty. Immerhin: »Er war jung, hübsch und stammte aus einer Bergmannsfamilie. Dieser herrliche Redner hatte viele Argu
263 Vgl. Górnoślązak, 27.4.1902. Zur politischen Programmatik der oberschlesischen Nationaldemokratie mit besonderem Fokus auf den Górnoślązak vgl. ausführlich: Orzechowski, S. 88–133. 264 Vgl. Czapliński, Presse, S. 23; Sontag, S. 7–15; Kamusella, Silesia, S. 192; Karski, S. 62–71; Postęp, 10.11.1901; Orędownik, 12.11.1901; Praca, 17.11.1901. 265 Vgl. Schwidetzky, S. 52; Czapliński, Presse, S. 27 (mit der irrigen Nennung eines Tomasz Kowalczyk). 266 Vgl. Schwidetzky, S. 55 f. 267 Vgl. Karski, S. 50 f. 268 Vgl. ebd., S. 57 f.; Kamusella, Silesia, S. 192 f. 269 Vgl. Schwidetzky, S. 59 f.
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mente in der Hand.«270 Ein Aufsteiger aus den eigenen Reihen; das sprach die Leute an. Und wen das noch nicht überzeugte, an den wurde in großer Zahl Korfanty-Schnaps, Korfanty-Zigaretten und Postkarten mit dem Abbild Korfantys verteilt.271 Auf diese Weise erlangte die Redakteursgruppe um den Górnoślązak eine beträchtliche Anzahl an Stimmen, in den Stichwahlen konnte Korfanty seine Kandidatur durchbringen, dazu drei zentrumspolnische Abgeordnete, die sich gegen ihre zentrumsdeutschen Konkurrenten durchgesetzt hatten; bei einer Nachwahl zum preußischen Landtag im selben Jahr rückte Korfanty zudem für einen Posener Wahlkreis auch in das Abgeordnetenhaus ein. Die folgenden Jahre waren bestimmt durch den Übertritt Napieralskis zur polnischen Partei, der zwar beträchtliche Stimmengewinne in den anschließenden Wahlen mit sich brachte, aber auch einen Machtkampf zwischen dem Führungsduo Napieralski und Korfanty, in dem Letzterer schließlich unterlag.272 Der Górnoślązak ging 1906 in die Katolik-Verlagsgruppe ein, schon 1905 hatte sich Korfanty aus der Zeitung zurückgezogen und den Polak und den Kurjer Śląski gegründet. An der Jahreswende 1908/09 gründete der notorisch klamme Korfanty die »Silvana-Bank« zum Ankauf von Forsten; dieses Kreditinstitut hielt sich allerdings nur einige wenige Monate und musste bereits im Herbst 1910 Insolvenz anmelden. Zur gleichen Zeit verkaufte er den Polak und den Kurjer Śląski an die Katolik-Gruppe, wobei er, um sein Gesicht zu wahren, eine Zeit lang formal Schriftleiter blieb.273 Vertreter der radikalpolnischen Richtung deuteten dies aber als Kapitulation, als Kniefall vor dem gemäßigten Napieralski und gründeten ein neues nationaldemokratisches Blatt. Anfang 1914 musste Napieralskis Katolik-Verlag Konkurs anmelden. Korfanty wiederum suchte vergeblich nach einer neuen Anstellung als Redakteur. Schon zuvor hatten bei der Reichstagswahl von 1912 die Nationaldemokraten ihre Stimmenzahlen nicht halten können und ein Mandat verloren.274 Bei alledem ist festzuhalten, dass die polnische Nationalbewegung Oberschlesiens vor allem in den Industriebezirken erfolgreich gewesen ist, weniger im ländlichen Raum. Deshalb war für die Regierung die Bodenpolitik in dieser Provinz von geringerer Bedeutung.275 Erst nach 1918 sollte sich die polnische Nationalbewegung zu einer breiten Massenbewegung entwickeln.276 Zwar wurde
270 Trzeciakowski, Herausbildung, S. 122; Karski, S. 50 f. 271 Vgl. ebd.; Schwidetzky, S. 61. 272 Vgl. Kotowski, Staatsräson, S. 50 f.; Trzeciakowski, Posłowie, S. 208 f.; Conze, S. 117; Schwidetzky, S. 58 f., 82–86, 96; Thomsen, Bewegung, S. 217–220; Czapliński, Napieralski, S. 86–95, 105–132. 273 Vgl. Czapliński, Presse, S. 27 f.; Sontag, S. 23 f. (dort mit der fehlerhaften Gründungszeit Winter 1909/10), 30 f.; Karski, S. 157–160; Schwidetzky, S. 86. Dazu auch Thomsen, Auseinandersetzungen, S. 220 f.; Praca, 6.5.1906. 274 Vgl. Schwidetzky, S. 86–88; Sontag, S. 32–40; Karski, S. 162–166. 275 Vgl. Kamusella, Silesia, S. 196 f.; Schwidetzky, S. 90. 276 Vgl. ebd., S. 65; Kamusella, Language, S. 62.
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die Bank Parcelacyjny mit Sitz in Posen auch in Schlesien aktiv. Und 1900 erfolgte die Gründung der Spółka Parcelacyjna in Beuthen (später in Bank Ziemski umbenannt), deren Vorstand in enger Verbindung mit dem Katolik und ihrem Besitzer Adam Napieralski stand; so war das Vorstandsmitglied Tadeusz Palacz Redakteur des Katolik gewesen.277 In Ermangelung polnischen Großgrundbesitzes blieb diese schlesische Genossenschaft aber klein, verglichen mit ihren Posener und westpreußischen Schwestern. 1902 hatte die Genossenschaft über 59 Mitglieder und besaß 349 Hektar Land, 1904 waren es 78 Mitglieder und über 1.250 Hektar Land.278 Einige Volksbanken waren im geringen Umfang ebenfalls auf dem Bodenmarkt aktiv, fanden aber besonders als Kreditgeber für Landwirte Bedeutung. Landkäufe erfolgten vornehmlich durch Privatkäufer, bei deren Kaufentscheidungen nicht notwendigerweise nationale Motive im Vordergrund stehen mussten. Überhaupt hat der »Kampf um den Boden« in Schlesien nicht das gleiche Ausmaß erreicht wie in Westpreußen und Posen, was sich auch in den Überblicksdarstellungen der deutschen Polenpolitik in Schlesien niederschlägt, in denen dieser Aspekt in der Reihe der »Germanisierungsmaßnahmen« oftmals ganz fehlt. Auf dem Bodenmarkt kam es nur selten zu nationalen Besitzwechseln.279 Das genügte jedoch, um bei deutschen Beobachtern die Sorge hervorzurufen, Schlesien könne bald »ein zweites Posen«280 werden. Im Zeitraum zwischen 1899 und 1904 standen 4.816 Hektar polnischen Besitzes, gekauft von deutschen Vorbesitzern, einer Fläche von 1.177 Hektar gegenüber, die in die andere Richtung gewechselt hatten. Der Oberpräsident von Schlesien bezifferte den Übergang deutschen Grundbesitzes in polnische Hand von 1899 bis 1907, ohne gegenteilige Besitzverschiebungen dagegenzuhalten, auf über 13.000 Hektar (Tab. 9). Bis 1911 konnte der polnische Besitz ausweislich der amtlichen Statistik seine Stellung leicht ausbauen.281 Insofern müssen die Sorgen der preußischen Verwaltung und Regierung, dass nun auch Schlesien zum Schauplatz des »Kampfes um den Boden« werden könne, auf die eindrucksvollen Wahlerfolge der polnischen Partei, nicht aber auf eine gezielte und umfangreiche Parzellierungsbewegung zurückgeführt werden, wie sie in Westpreußen und Posen aktiv geworden war.
277 Vgl. Czapliński, Napieralski, S. 30. Dazu auch Thomsen, Auseinandersetzungen, S. 222 f.; Katolik, 25.10.1900 (Bekanntmachung der Gründung der Genossenschaft). Bereits 1895 hatte Adam Napieralski eine Volksbank gegründet, die polnischen Bauern Kredit beim Landerwerb gewährte. Vgl. Żyga, S. 47 f. 278 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9632, Bl. 116–124, hier 122r, Uebersicht über die Verhältnisse der polnischen Parzellierungsbanken [ca. 1903]; Katolik, 28.5.1904. 279 Die amtlichen statistischen Veröffentlichungen wiesen die »Verluste der deutschen Hand« lediglich für die Ansiedlungs-, nicht aber deren Nachbarprovinzen aus, vgl. Statistisches Jb. für den Preußischen Staat 13 (1915), S. 66 f. 280 Stumpfe, S. 234. 281 Vgl. Pater, Rozwój, S. 312.
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Tab. 9: Übergang von Grundeigentum deutscher Vorbesitzer an polnische Käufer in Schlesien 1899–1907282 Regierungsbezirk
Fläche in Hektar
Besitzungen
Davon Rittergüter
Breslau
5.600
137
8
Liegnitz
1.900
65
2
Oppeln
6.080
183
10
Summe
13.580
385
20
2.3.3 Eine Ansiedlungskommission für Schlesien? Nichtsdestotrotz stand für die Regierung eine Ausdehnung der Bodenpolitik nach Schlesien im Raum. Schon 1897 wurde angesichts der Beratungen zur Auffüllung des Ansiedlungsfonds eine räumliche Erweiterung der Siedlungspolitik auf alle östlichen Provinzen erwogen, was seinerzeit aufgrund des erwarteten Kostenaufwandes – es stand die Zahl von einer Milliarde Mark im Raum – und den damit erwarteten Schwierigkeiten, eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus zu organisieren, abgelehnt wurde.283 1903 hatte der Regierungspräsident von Oppeln eine Ausweitung der Tätigkeit der Ansiedlungskommission auf seinen Verwaltungsbezirk gefordert oder ersatzweise die Gründung einer vergleichbaren Behörde vorgeschlagen.284 Dieser Vorschlag wurde 1905 von der schlesischen Provinzialverwaltung wiederaufgegriffen, scheiterte aber am Widerstand des Posener Oberpräsidenten, der die Ansicht vertrat, dass der Tätigkeitsbereich der Ansiedlungskommission bereits umfangreich genug sei und keine weitere Ausdehnung zulasse,285 aber auch am Landwirtschaftsminister, der angesichts der abermals erschöpften finanziellen Mittel für eine Gesetzesinitiative keine Mehrheit im Landtag zu finden glaubte und stattdessen den Domänenfiskus in Vorschlag brachte.286 Eine planmäßige Siedlungspolitik wurde in Schlesien daher nicht begonnen. Zumindest wurde von der Ansiedlungskommission auf
282 GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9656, Bl. 54–64, hier 55, Oberpräsident von Schlesien an den Landwirtschaftsminister, 4.11.1907. Laubert, Polenpolitik, S. 145 rechnete für den Regierungsbezirk Breslau im Zeitraum 1900–1910 mit 274, in Liegnitz mit dem Übergang von 145 Besitzung aus deutscher in polnische Hand. 283 Vgl. Herzfeld, S. 573; GStA PK, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3587, Bl. 133r–147r, hier 137–138, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 22.7.1897. 284 Vgl. ebd., Rep. 87, Abt. B Nr. 9632, Bl. 66–74, Regierungspräsident von Oppeln an den Oberpräsidenten von Schlesien, 26.6.1903. 285 Vgl. Jakóbczyk, Komisja, S. 23. 286 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3608, Bl. 145r–147, Protokoll der Sitzung des Staats ministeriums, 27.10.1905.
213
eine aktive Anwerbung von Kolonisten aus Schlesien bewusst verzichtet, um der Provinz keine deutschen Bauern zu entziehen.287 Eine sehr viel folgenreichere Wirkung auf den Bodenmarkt hatte dagegen die Förderung von Fideikommissen. Seit 1905 wurden entgegen der Skepsis des Staatsministeriums auf ausdrücklichen Wunsch Wilhelms II. deutsche Stiftungen in Schlesien durch Stempelerlass unterstützt. Deutsche Katholiken wurden benachteiligt. Sie erhielten weiterhin die allerhöchste Erlaubnis zur Stiftung, blieben von finanzieller Förderung jedoch ausgenommen.288 Trotzdem entfiel ein Viertel der in Preußen nach 1900 gestifteten Fideikommisse auf Schlesien (Tab. 10). Rechnet man das weitere Viertel der in den Ansiedlungsprovinzen erfolgten Stiftungen hinzu (s. Kap. 2.1), so ergibt sich, dass etwa die Hälfte aller Neugründungen auf diese drei östlichen, »national umkämpften« Provinzen entfielen. Tab. 10: Nachweisung über die in den Jahren 1900–1912 neu gegründeten Fideikommisse289 Gebiet
1900–1904
1905–1909
1910–1912
1900–1912
Reg.-Bez. Breslau
6
7
9
22
Reg.-Bez. Liegnitz
4
5
1
10
Reg.-Bez. Oppeln
2
5
6
13
Preußen gesamt
58
95
50
203
Die Skepsis der Staatsminister ergab sich daraus, dass Schlesien, insbesondere der Regierungsbezirk Oppeln, infolge einer eigenen, tiefverwurzelten Adelskultur eine fideikommissarische Bindung von Grundbesitz traditionell weit oberhalb des Landesdurchschnitts aufwies (Tab. 11). Tab. 11: Entwicklung der fideikommissarisch gebundenen Fläche in Schlesien in Prozent der Gesamtfläche 1895–1912290 Gebiet Reg.-Bez. Breslau
Ende 1895
Ende 1899
Ende 1903
Ende 1907
Ende 1912
14,2
15,5
15,6
17,1
18,0
Reg.-Bez. Liegnitz
9,5
9,6
9,4
10,1
12,3
Reg.-Bez. Oppeln
19,0
19,4
19,9
21,0
21,7
Preußen gesamt
6,0
6,1
6,3
6,6
7,0
287 Vgl. Both, Ansiedlungstätigkeit, S. 88. 288 Vgl. Heß, Junker, S. 191 f. Siehe für die Benachteiligung von Katholiken das Verfahren des Grafen Roger von Seherr-Thoß: GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 31076, Bl. 289–293r, Justizminister an den König, 30.4.1909; ebd., Rep. 90 A, Nr. 3616, Bl. 205r–211r, hier 210–211, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 21.10.1910; Kamusella, Silesia, S. 196. 289 Nach Höpker, Fideikommisse, S. 4 f. 290 Ebd., S. 2.
214
Aus diesem Grund schien es eher wichtig, aus Rücksicht auf den Schutz des Kleingrundbesitzes die Bindung von Grundbesitz nicht noch zusätzlich zu fördern. Ein diesbezüglicher Brandbrief der Justiz- und Landwirtschaftsminister hatte zur Folge, dass die Förderpraxis durch einen Staatsministerialbeschluss im Oktober 1910 beendet wurde.291 Die obige Tabelle zeigt indes, dass der Anteil der gebundenen Fläche auch ohne die finanzielle Förderung des Staates weiter zunahm. Die Vermutung, dass die preußische Bodenpolitik die polnische landwirtschaftliche Bevölkerung lediglich verdrängen, die »polnische Frage« aber nicht lösen, sondern nur räumlich verlagern würde, wurde schon von zeitgenössischen Beobachtern geteilt.292 Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass sich die Konfliktlagen, die sich seit 1886 in den beiden Ansiedlungsprovinzen entwickelt haben, nach der Jahrhundertwende auch in Schlesien wiederfinden lassen. Die Nationalisierung ökonomischen Handelns mit ihrer Identifikation normgerechten und devianten Verhaltens brach sich, wie die Beispiele Meleschwitz und Ossen gezeigt haben, auch in Schlesien Bahn. Eine eigene Ansiedlungskommission hat die Provinz trotz Bemühungen nicht erhalten. Bei der Förderung von Fideikommissen bekamen die Staatsminister hier bald Angst vor der eigenen Courage und stellten sie ein, verzichteten demnach auf diese Instrumente der Marktdeliberalisierung. Aber die Diskurse und Praktiken glichen den Ansiedlungsprovinzen, wobei insbesondere Marcin Biedermann durch seine Kaufgeschäfte in Schlesien – Ossen sollte einer seiner spektakulärsten Coups werden – und die Gründung des Górnoślązak den Transfer dieser erprobten Mittel verkörperte, während die polnische Parzellierungsbewegung nur in geringem Maße Fuß zu fassen vermochte. Neben Biedermann waren es vor allem Adam Napieralski und Wojciech Korfanty, die an der Schnittstelle zwischen Presse und Parlamentspolitik agierten und mit der Gründung der Spółka Parcelacyjna in Beuthen bzw. der kurzlebigen Silvana-Bank maßgeblich die polnische Organisationsbildung auf dem Bodenmarkt beeinflussten. Beide Gründungen waren in das sehr viel bedeutsamere Ringen zwischen zentrumspolnischer Bewegung und Nationaldemokratie eingebettet, das Schlesien um die Jahrhundertwende erfasste. Die Mittel zur Abhilfe, die die Regierung einer »Polonisierung« des Bodens entgegensetzte, die Ehrgerichte und Vorkaufsrechte, hatten ihre Vorgeschichte andernorts und gingen auf Lernprozesse aus den Ansiedlungsprovinzen zurück. Auch in Schlesien hatte also, wenn auch in geringerem Ausmaß, das Nationale als regulierende Norm und moderierende Moralvorstellung Einfluss auf die Handlungsorientierungen gewonnen.
291 Vgl. Eckert, S. 638–646. 292 Vgl. Zawadzka, S. 86 f.
215
2.4 Gesetzgeberische Entgrenzungen: Eingriffe ins Privateigentum »The heyday«, so hatte der amerikanische Historiker Robert L. Koehl über die antipolnische Bevölkerungspolitik im preußischen Staat geurteilt, »is undoubtly to be found in the Bülow era, an era of noisy German nationalism.«293 Bernhard von Bülow hat während seiner Amtszeit als Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident zwischen 1900 und 1909 dank seiner markigen Worte, aber auch dank seiner Taten genügend getan, um der Nachwelt diesen Eindruck zu hinterlassen. So kündigte er 1901 anlässlich des »Wreschener Schulstreiks«, bei dem polnische Kinder zu Tausenden innerhalb und außerhalb des Klassenzimmers gegen die Einführung des deutschsprachigen Religionsunterrichtes demons trierten, weitere Maßnahmen gegen die polnische Minderheit mit den Worten an: »Wir leben auf dieser harten Erde, wo es heißt, Hammer oder Amboß zu sein«,294 und er ließ keinen Zweifel aufkommen, welche Rolle er für die deutsche Nation vorsah. Bülow (für den ebenso wie bei seinem Vorbild Bismarck der Botschaftsdienst in St. Petersburg eine Sprosse der Karriereleiter bildete) folgte in seiner Polenpolitik der Ansicht des ersten Reichskanzlers, durch die demonstrative Unterdrückung der eigenen polnischen Minderheit könne einem Krieg mit Russland vorgebeugt werden.295 Bis 1908 reagierte die preußische Regierung auf die Entwicklung in den östlichen Provinzen mit einer Reihe von Gesetzen und Verwaltungsmaßnahmen, die die »moralische Ökonomie« mit juristischen Normen einhegen und die rechtlichen Rahmenbedingungen für das Grundeigentum neu justieren sollten. Ein halbes Jahr nach Bülows »Hammer und Amboss«-Rede erfolgte 1902 die neuerliche Auffüllung des Ansiedlungsfonds um weitere 150 Millionen Mark, sowie die Einrichtung eines Fonds zum Ankauf von Domänen und Staatsforsten im Umfang von weiteren 100 Millionen Mark. Mit der Einrichtung eines speziellen Fonds zur Erweiterung der staatlichen Domänen und Forsten verband sich die Hoffnung, der preußische Staat könne weitere Kontrolle über Grundbesitz erlangen und zugleich auf drei Probleme für die Ansiedlungskommission reagieren. Erstens hoffte die Regierung mit Auftreten des Domänen- und des Forstfiskus als allein ökonomischen Zielen dienenden Institutionen die Preistreiberei von Anbietern auf Grundlage nationaler Argumentationsweisen unterbinden zu können. Mit dieser ökonomischen Zielsetzung verbanden sich weiterführende sozial- bzw. kommunalpolitische Pläne zur Konservierung großagrarischer Strukturen, deren Problemstellung bereits in der »Restgüterfrage« (s. Kap. 1.4) eine wesentliche Rolle gespielt hatte. So konnte der Staat durch vermehrte Domänenkäufe, zweitens, auf Grundbesitz
293 Koehl, S. 268. 294 Bülow, Reden, Bd. 2, S. 103. 295 Vgl. Hagen, S. 181; Balzer, S. 33.
216
zugreifen, der sich in seiner Beschaffenheit nicht zur Parzellierung eignete. Dies galt beispielsweise für Forstwirtschaften, die nur im Großbetrieb rentabel waren, oder für Gutshöfe, wenn die Bausubstanz nicht den Bedürfnissen einer Dorfgründung entsprachen und andernfalls einen kostspieligen Abbruch notwendig gemacht hätten. Drittens bestand die Möglichkeit, durch die Verpachtung der Domänen eine Klasse an Landwirten zu erhalten, die als ökonomische und politische Elite den Klein- und mittleren Bauern der Umgebung als Vorbild dienen sollte. Als im Herbst 1905 der staatliche Ankauf des Rittergutes Cholewitz im Kreis Briesen zur Debatte stand, wurde eine Begünstigung des Domänenfiskus vor der Ansiedlungskommission erwogen. Einerseits war bereits über ein Fünftel der Kreisfläche von der Ansiedlungskommission gekauft und parzelliert worden, andererseits eigneten sich die Gebäude des Gutes nicht für eine Besiedlung, da sie sich weder als Wohnungen für die Siedler noch als Schulgebäude anboten, ein Abriss aber wäre teuer gewesen und seine Kosten hätten auf die Ansiedlerrente aufgeschlagen werden müssen.296 Ein von den Ministern bestimmtes Vorzugsrecht der Ansiedlungskommission stellte sicher, dass die beteiligten Behörden nicht in eine preistreibende Konkurrenz um das gleiche Objekt traten.297 Außerdem begann die Ansiedlungskommission nach 1902 vermehrt, Besitzungen des Domänenfiskus zur Parzellierung zu übernehmen. Durch die Instrumentalisierung von Domänen- und Forstfiskus wandelte die preußische Bodenpolitik ihren Charakter von einer bloßen Siedlungspolitik hin zu einer Politik, die die nationale Besitzverteilung des Bodens ins Zentrum rückte. Durch Ankauf des Bodens ohne Parzellierung stand nicht mehr die Vermehrung der deutschen Bevölkerung im Vordergrund, sondern die Sicherung des Bodens vor polnischen Zugriffen. Diese Facette des »Kampfes um den Boden« ist in der Forschung lange Zeit kaum beachtet worden. Erst Gisela Borchers hat für Westpreußen auf die Bedeutung der Ankäufe von Domänenland als nationalpolitische Maßnahme hingewiesen.298 Wie Borchers am Beispiel von sechs zwischen 1904 und 1906 im Regierungsbezirk Danzig durch den Domänenfiskus angekauften Gütern zeigen konnte, ähnelte das Vorgehen dem des späteren Besitzfestigungsverfahrens (s. u.): In fünf der sechs Fälle wurde das Gut an seinen Vorbesitzer, jeweils Deutsche, verpachtet; im sechsten Fall stand dies im Gespräch, jedoch fehlte dem Vorbesitzer das notwendige Kapital für die Pacht. Offensichtlich betrachteten diese Vorbesitzer ihren Boden nicht als Spekulationsobjekt, sondern waren bereit, weiterhin landwirtschaftlich tätig zu sein und sich für eine lange Dauer – die Pachtzeit betrug 296 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9528, Bl. 14–16r, Präsident der Ansiedlungskommission an das Staatsministerium, 14.11.1905. 297 Vgl. ebd., Nr. 9505, Bl. 218–219r, Landwirtschaftsminister an die Regierungen in Posen, Bromberg, Danzig und Marienwerder, 3.8.1902. 298 Vgl. Borchers. Borchers nennt irrtümlicherweise eine Erhöhung des Fonds um 50 Millionen Mark im Jahr 1908. Stattdessen ist der Fonds 1908 um 25 und 1913 um weitere 25 Millionen erhöht worden. Vgl. Zechlin, S. 198.
217
in der Regel achtzehn Jahre bis zu mehreren Jahrzehnten – an das Gut, das sie bereits kannten, zu binden.299 In Posen hingegen überwog die Bedeutung der Staatsforsten die der Domänen: Zwischen 1901 und 1910 stieg die Fläche der Staatsdomänen von 28.429 Hektar auf 50.245; die der Forste dagegen von 185.012 auf 251.981 Hektar.300 Da die archivalische Überlieferung der Forstabteilung im Landwirtschaftsministerium für das 20. Jahrhundert große kriegsbedingte Lücken aufweist, kann eine qualitative Analyse der Ankauftätigkeit nicht erfolgen.301 Fragen wie die, ob sich die Grundbesitzer in ihren Ankaufgesuchen gegenüber dem Forstfiskus der gleichen, auf die Nation als Solidargemeinschaft berufenden Strategien bedienten wie gegenüber der Ansiedlungskommission, müssen daher unbeantwortet bleiben. Dagegen lässt sich anhand der Jahresberichte des Forstfiskus zeigen, dass im Fall des Verkaufs von Besitzungen an private Käufer Deutsche bevorzugt wurden und sich der Forstfiskus rechtlicher Sicherungsmaßnahmen bediente, um den Besitz dauerhaft in deutschem Eigentum zu halten.302 2.4.1 Die Ansiedlungsnovelle Inzwischen hatte sich auch das Netz polnischer Parzellierungsgenossenschaften erweitert und verdichtet. 1901 war die Bank Parcelacyjny in Priment gegründet worden, ungefähr zeitgleich die Spółka Ziemska in Wiekowo, andere folgten. Maria Zawadzka gab in ihrer 1913 entstandenen nationalökonomischen Studie die bis 1907 durch polnische Institutionen parzellierte Fläche auf über 66.000 Hektar an (Tab. 12). Nur ungefähr ein Drittel dieser Flächen stammte von deutschen Vorbesitzern, die Mehrzahl kauften die Parzellierungsinstitute demnach bei ihren Landsleuten.303 Darin nicht enthalten waren rund 27.000 Hektar von Marcin Biedermann und weitere 1.500 verkaufte und teils parzellierte Hektar von einem nicht näher bezeichneten Herrn Ritter.304 299 Vgl. Borchers, S. 39. Zur Dauer von Pachtlaufzeit bei Domänen vgl. ebd., S. 40; Müller, Pächter, S. 276. 300 Vgl. Corvinus, S. 51. Das Ausmaß der durch die Ankaufpolitik gestiegenen Geschäftstätigkeit der Forst- und Domänenverwaltung wird auch dadurch ersichtlich, dass 1903 im Regierungsbezirk Posen die vom selben Dirigenten verwalteten Geschäftsbereiche der direkten Steuern einerseits und der Forst- und Domänenverwaltung andererseits aufgeteilt wurden, Letztere einem eigenen Aufsichtsbeamten unterstellt wurden. Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 77, Tit. 407a Nr. 1 Bd. 5, Bl. 167–167r, Immediatgesuch des Staatsministeriums, 30.4.1903. 301 Vgl. Dräger, S. 272. 302 Vgl. Denkschrift der Staatsforstverwaltung über die Grundstückserwerbungen und -veräußerungen [im Rechnungsjahr 1912], deren Wert im einzelnen Falle 100.000 Mark überstiegen hat, in: StenBerAH 1914, Drucksachen, S. 580–582, hier 582. Zu den Sicherungsmaßnahmen, dem Besitzfestigungsverfahren, siehe unten. 303 Vgl. Tomaszewski, o. S. (»Statystyka«). 304 Vgl. Zawadzka, S. 134.
218
Tab. 12: Bis 1907 von polnischen Parzellierungsinstitutionen aufgeteilte Fläche305 Gründung Institut
Parzellierte Fläche in Hektar (gerundet)
Anzahl der Parzellennehmer
26.400
k. A.
1886
Bank Ziemski, Posen
1890
Spółka Ziemska, Posen
6.000
k. A.
1891
Spółka Ziemska, Thorn
312 (?)
k. A.
1894
Spółka Rolników Parcelacyjna, Posen
15.585
1.502
1896
Spółka Ziemska, Ołobok
640
k. A.
1896
Spółka Ziemska, Wiekowo
k. A.
k A.
1897
Bank Parcelacyjny, Posen
7.636
936
1901
Spółka Parcelacyjna, Priment
1.295
364
1904
Kujawski Bank Parcelacyjny, Inowracław
k. A.
k. A.
1904
Bank Parcelacyjny, Schrimm
1.076
115
1904
Spółka Parcelacyjna, Berent
2.704
281
1905
Bank Parcelacyjny, Wreschen
901
12
1905
Bank Parcelacyjny, Kosten
1.589
211
1906
Bank Parcelacyjny, Ostrowo
804
119
1906
Bank Parcelacyjny, Krone
1.319
58
1907
Bank Parcelacyjny, Löbau
185
16
1904
Bank Parcelacyjny, Tuchel
k. A.
k. A.
Summe
66.446
Der Nationalökonom Martin Belgard schrieb zwei Jahre später resümierend über die Gesamttätigkeit der polnischen Genossenschaften anerkennend: »Überblickt man diese Zahlen, so wird man finden, daß die Genossenschaften trotz ihres geringen 2,16 Millionen M[ark] betragenden Vermögens Erstaunliches zu leisten imstande sind.«306 Witold Jakóbczyk rechnete vor: Von 1896–1904 (einschl.) gründeten die Polen 35.536 neue Wirtschaften mit einem Gesamtareal von 150.000 Hektar, während von deutscher Seite nur 25.000 Siedlun305 Vgl. Zawadzka, S. 135. Siehe dagegen die leicht abweichenden Gründungsjahre und Institutsnamen S. 131. Vgl. dagegen auch die abweichenden Angaben bei: Tomaszewski, o. S. (»Statystyka«). Wolfgang Kohte gelangt zu einer Gesamtfläche von 68.000 Hektar bis 1911, vgl. Kohte, S. 230. 306 Belgard, S. 284.
219
gen mit 124.000 Hektar geschaffen wurden. In diesen Jahren kauften die Polen von den Deutschen insgesamt 267.000 Hektar. Der »Reingewinn« an Land betrug auf polnischer Seite 59.000 Hektar. Trotz der gewaltigen finanziellen Investitionen des preußischen Staates und der lärmenden an die Deutschen gerichteten Propaganda, begann sich die Waage im Kampf um den Boden auf die Seite der Polen zu neigen.307
Eine Erhebung Władysław Tomaszewskis aus dem Jahr 1906 legt indes den Schluss nahe, dass lediglich rund 18.000 Hektar dieses »Reingewinns« auf die Rechnung polnischer Parzellierungsinstitute ging, die überwiegende Mehrzahl deutschen Bodens aber von polnischen Privatleuten gekauft wurde.308 Dennoch überrascht nicht, dass die preußische Regierung erwog, die Rechte der polnischen Parzellierungsbanken einzuschränken. Finanzminister Miquel hatte dies bereits 1900 in Erwägung gezogen, allerdings verdichteten sich die Pläne dazu erst in den Folgejahren. Miquel hob nicht nur die nationalpolitische Bedrohung durch die polnische Parzellierungstätigkeit hervor, sondern beklagte außerdem die unzureichende Wirtschaftlichkeit der neu geschaffenen Betriebe, die langfristig eine Belastung für die von den Kommunalverbänden geleistete Armenfürsorge bedeuten müsse.309 Dabei kam Miquel und der preußischen Regierung zupass, dass im Verlauf der Jahre auch in der polnischen Presse Kritik am Umgang der Parzellierungsinstitute mit ihren Klienten laut geworden war und sich Skandale häuften. Der Orędownik klagte über den »lukrativen Patriotismus« in der Provinz Posen: Es gibt jetzt verschiedene Scharlatane, selbsternannte Direktoren, die sich heute in Villen breitmachen, während sie dem polnischen Bauern im Namen des Patriotismus den letzten Groschen aus der Tasche ziehen und dabei ihren Knechten und Teilhabern bei der Geschäftemacherei verkündeten, was sie für die nationale Sache getan haben, indem sie polnischen Boden vor der deutschen Flut gerettet haben.310
Die Gazeta Grudziądzka richtete einen offenen Brief an die Thorner Spółka Ziemska, die im Regierungsbezirk Marienwerder eine Art Monopolstellung für die polnische Parzellierung innehatte. Die Zeitung verlangte die Beantwortung mehrerer Fragen zu einer Siedlung im Kreis Schwetz, unter anderem die, ob es wahr sei, dass die Siedler – im tiefsten Winter – in Ermangelung von Wohnhäusern in Erdlöchern hausen müssten.311 307 Jakóbczyk, Ostmarkenverein, S. 210. 308 Vgl. Tomaszewski, o. Sn. p., »Statystyka«. 309 Vgl. Orędownik, 23.6.1900; GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9632, Bl. 45–76r, Votum des Kultusministers, 19.6.1903; ebd., Bl. 110–112, Votum des Innenministers, 9.10.1903; ebd., Bl. 113–115, Votum des Finanzministers, 19.10.1903. 310 Orędownik, 7.10.1905: »Teraz różni szarlatani, samozwańczy dyrektorzy, którzy dzisiaj, wycisnąwszy chłopu polskiemu w imię patryotyzmu ostatni grosz z kieszeni, rozpościerają się w wilach, głosząc swym służalcom i spółgeszefciarzom, co oni tu zdziałali dla sprawy narodowej, ratując polską ziemię od zalewu niemieckiego.« 311 Vgl. Gazeta Grudziądzka, 20.1.1900.
220
Der Vorstand der Genossenschaft veröffentlichte seine Antwort in der G azeta Toruńska, wich den Fragen jedoch aus, indem er darauf verwies, dass er in engem Kontakt mit den Siedlern stehe und den Genossenschaften generell Hindernisse durch den Staat in den Weg gelegt werden.312 Es blieb nicht der letzte Fall, in dem die Gazeta Grudziądzka mangelnde Betreuung der Siedler durch die Thorner Genossenschaft beklagte, die dafür von der Gazeta Toruńska in Schutz genommen wurde,313 sich in einem anderen Fall aber darüber beschwerte, dass sich die Genossenschaft bei einem Erwerb von Grundbesitz von der Ansiedlungskommission hatte überbieten lassen.314 Aus ökonomischer Sicht vergleichsweise harmlos war der Verkauf von fünf Hektar Land an einen Deutschen durch die Bank Parcelacyjny in Kosten 1906. Der Verkauf wurde zwar unter Zahlung einer durch die beiden Verantwortlichen aus privater Tasche gezahlten Entschädigung an den Käufer rückgängig gemacht, der Vorfall bot dennoch ausreichend Stoff für einen mehrwöchigen Skandal, in dessen Folge der Abgeordnete Alfred Chłapowski von seinem Amt als Aufsichtsratsvorsitzender der Genossenschaft zurücktrat.315 Die Parzellierung war somit ein zweischneidiges Schwert: Sie konnte zu einer Intensivierung der Landwirtschaft beitragen, indem der Boden an zuvor landlose Kleinbauern verteilt wurde, die das Land intensiver bestellten als es der Vorbesitzer getan hat. Sie konnte sich aber auch negativ auswirken, wenn die Parzellen zu klein waren, um ausreichende Erträge im Haupt- oder Nebenerwerb abzuwerfen oder die Verschuldung und Abgaben zu hoch ausfielen, als dass sie für eine dauerhafte Bewirtschaftung ausreichten. Dann trugen sie zum wirtschaftlichen und sozialen Abstieg, zur »Verelendung des Bauernstandes« bei.316 Der nationale Wert solcher Wirtschaftsunternehmen, betont Rudolf Jaworski, lässt sich nicht an Gewinn und Verlust, ökonomischem Erfolg oder Misserfolg messen, sondern sie »erfüllten erklärtermaßen vor allem eine wichtige volkspädagogische Aufgabe: Sie waren als tägliches Bekenntnis zum eigenen Volk und somit als konkreter Testfall nationaler Solidarität gedacht, stellten also nur einen Teilbereich nationaler Absonderung, Selbstbeschränkung und Identitätssicherung dar.«317 Gleichzeitig bewegten sich die polnischen Genossenschaften, worauf Torsten Lorenz hingewiesen hat, im Spannungsfeld zwischen Staat, Markt, Familie und Zivilgesellschaft. Letztlich »waren die Genossenschaften nichts anderes als Wirtschaftsunternehmen, die ihre Existenz in der entstehen312 Vgl. Gazeta Toruńska, 31.1.1900. 313 Vgl. Gazeta Grudziądzka, 14.6.1902; Gazeta Toruńska, 27.6.1902. 314 Vgl. Gazeta Toruńska, 18.10.1902. Andere Formen medialer Kritik war etwa die Beanstandung von Landverkäufen an deutsche Käufer oder die Zahlung hoher Ruhegehälter an ehemalige Direktionsmitglieder: Lech. Gazeta Gnieźnieńska, 5.8.1906, 7.8.1906, 16.3.1907 315 Vgl. Gazeta Polska, 31.3.1906, 19.6.1906 und 20.6.1906; Orędownik, 12.6.1906, 19.6.1906 und 20.6.1906; Lech. Gazeta Gnieźnieńska, 16.6.1906, 20.6.1906 und 22.6.1906; Gazeta Ostrowska, 23.6.1906. 316 Vgl. Treue, Hypothekenbanken, S. 333 mit Zitat, konkret: Jakóbczyk, Komisja, S. 144. 317 Jaworski, Interessenvertretung, S. 268.
221
den kapitalistischen Wirtschaftsordnung nur dann rechtfertigen konnten, wenn sie einen Markterfolg erzielten.«318 Diese ökonomische Rechtfertigung gelang den polnischen Genossenschaften offensichtlich, anders ließen sich die hohen Dividenden in Höhe von acht und mehr Prozent nicht erklären, die sie ihren Mitgliedern zahlten. Die Rechtfertigung gegenüber der polnischen Öffentlichkeit wurde jedoch durch die teils nachlässige Behandlung der polnischen Parzellennehmer infrage gestellt. Wichtiger noch war für die preußische Regierung die Möglichkeit, mit Hinweis auf die unhaltbaren Zustände in polnischen Siedlungen weitere staatliche Interventionen zu rechtfertigen. Dabei halfen die Berichte der Regionalverwaltung, die schon seit einigen Jahren ein desaströses Bild von Teilen der polnischen Genossenschaftsparzellierungen zeichneten. So hatte 1896 der Generallandschaftsdirektor Staudy das Überbieten von Angeboten der Ansiedlungskommission durch polnische Parzellierungsinstitute mit einer mangelhaften Betreuung der späteren Parzellanten begründet: Finanziell möglich sei diese Ueberbietung nur dadurch, daß die polnischen Banken, ebenso wie die meisten sonstigen Privatparzellanten, keinerlei Rücksicht auf das künftige Gedeihen der von ihnen angesetzten Ansiedler zu nehmen pflegten. Von einer so sorgsamen Vorbereitung der Besiedelung, wie bei der Ansiedelungs-Kommission, sei nicht die Rede. Auf die Aufopferung einer Generation von Ansiedlern oder mehrerer komme es den Banken nicht an, da sie sicher seien, an Stelle der zu Grunde gehenden Existenzen aus der Masse des polnischen Proletariats stets Ersatz zu erhalten, bis schließlich ein Nachfolger, dem die Arbeit des Vorbesitzers zu Gute komme, in der Lage sei, sich zu halten.319
Wenig später griff Kommissionspräsident Wittenburg die Argumentation Staudys in seinem Bericht an den Landwirtschaftsminister auf: Diese ganze polnische Parzellirungsbewegung […] ist […] ein unter nationaler Kriegsflagge segelnder, vielfach schwindelhaft auf »unvergängliche Zukunft und die unverwüstliche Zähigkeit der polnischen Nation« spekulirender Bauernfang, der eine so weite Ausdehnung nicht hätte gewinnen können, wenn von vornherein seitens der staatlichen Organe in prohibitiver Richtung mit größerem Nachdruck hätte eingegriffen werden können. […] Mangelhafter Kulturzustand, zu hohe Preise, zu geringes Vermögen und zu kleine Stellen – das sind die Hauptfehler eines offenbar sehr erheblichen Theils dieser neuen Privatgründungen.320
318 Lorenz, Nationalismus, S. 659. 319 GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9588, Bl. 154–175r, hier 157–157r, Protokoll der Sitzung der Ansiedlungskommission, 16./17.11.1896; Hervorh. im Orig. Auf Staudy als geistigen Urheber der späteren Ansiedlungsnovelle hat Jakóbczyk, Komisja, S. 132, hingewiesen. 320 GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9505, Bl. 29–50, hier 39r–40r, 43r, Bericht des Präsidenten der Ansiedlungskommission an den Landwirtschaftsminister, 28.12.1896; Hervorh. im Orig.
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Die Erfolge der polnischen Parzellierungsunternehmen, darin waren sich Staudy und Wittenburg einig, gingen einher mit einer Verelendung der Parzellenerwerber. Vor allem mangelnde Kapitalkraft und landwirtschaftliche Kenntnisse der Siedler galten als Ursache dafür, dass viele mit den notwendigen Investitionen überfordert waren und ihre Stellen hochverschuldet wieder aufgeben mussten. Aber auch eine eklatante Vernachlässigung seitens der Genossenschaften bedrohe die Lebensfähigkeit der Siedlungen. Der Bericht des Regierungspräsidenten von Marienwerder, in dem süffisant die Bedrohung durch ansteckende Krankheiten erörtert wird, erinnert an die Nachlässigkeit in hygienischen Belangen, die als Stereotyp den zeitgenössischen deutschen Polendiskurs prägte: Geradezu verhängnisvoll war es, daß die Parzellierungsbank nicht für Wasserversorgung die nötigen Anstalten getroffen hatte. Denn da brauchbares Trinkwasser nur in großer Tiefe vorhanden war, begnügten sich die Ansiedler fast durchweg sowohl für den Bedarf des Viehs wie für den eigenen mit dem ungesunden Wasser eines Vorflutgrabens. Daß, abgesehen von einer im Jahre 1902 in geringem Umfange auftretenden Typhusepidemie, keine häufigeren Erkrankungen vorgekommen sind, erscheint bei dieser Sachlage wie ein Wunder.321
Auch das Fehlen öffentlich-rechtlicher Einrichtungen wie Armenanstalten oder des Brandschutzes wurde bemängelt.322 Eine Ermittlung eines der Regierungspräsidien, bei der eine Reihe von Verträgen miteinander verglichen wurden, führte die Benachteiligung der Siedler auf fünf Punkte zurück: 1. Ausgabe sehr kleiner Parzellen, deren Größe kaum ausreichend, um den Lebensunterhalt zu bestreiten 2. hohe Kaufpreise 3. hohe Anzahlungen 4. hohe Verzinsung des geschuldeten Restkaufgeldes 5. die Bank bleibt bis zur vollständigen Tilgung der Schuld im Besitz der Parzelle.323
Bei den gemeldeten Missständen handelte es sich um Einzelfälle, die teils auf Nachlässigkeit, teils auf Gewinnstreben der betreffenden Parzellierungsinstitute oder auch auf Veruntreuungen von Geldern durch einzelne Mitarbeiter in Genossenschaften oder der an den Parzellierungen beteiligten Bankinstitute, zurückgingen. In solchen Fällen sahen sich auch die polnischen Zeitungen gehalten, über Rückschläge im nationalen Werk zu berichten.324 Für die preußische Regierung dienten sie als willkommener Vorwand, um gesetzgeberisch gegen 321 Ebd., Bl. 154–160, hier 154r–155, Regierungspräsident von Marienwerder an den Ober präsidenten von Westpreußen, 19.1.1904. Zur stereotypen Darstellung vgl. Orłowski, S. 319–346. 322 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9632, Bl. 61–64r, Oberpräsident von Westpreußen an den Kultusminister, 6.10.1902; ebd., Bl. 107–109, Regierungspräsident von Marienwerder an den Oberpräsidenten von Westpreußen, 9.7.1903. 323 Ebd., Bl. 210–211, Regierungspräsident von Posen an den Landwirtschaftsminister, 2.5.1904. 324 Vgl. Lech. Gazeta Gnieźnieńska, 30.10.1903; Dziennik Kujawski, 20.2.1904.
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die Parzellierungsbewegung vorzugehen.325 1904 wurde das Siedlungsgesetz vom 25. August 1876 dahingehend novelliert, dass neue Ansiedlungen und der Bau von Wohnhäusern der Genehmigung des jeweiligen Regierungspräsidenten bedurften.326 Das galt für Ostpreußen, Westpreußen, Brandenburg, Pommern, Posen, Schlesien, Sachsen und Westfalen, was zeigt, dass sich aus Sicht der Regierung die Gefahr polnischen Landgewinns nicht mehr auf die beiden Ansiedlungsprovinzen begrenzen ließ.327 Ilse Schwidetzky hat in diesem Zusammenhang die These vertreten, die Einbindung Schlesiens in die Ansiedlungsnovelle von 1904 sei eine direkte Reaktion auf die Wahlerfolge der polnischen Nationalbewegung dort im Vorjahr gewesen.328 Dies ist jedoch keine hinreichende Erklärung dafür, dass der Geltungsbereich über die drei Provinzen hinausging, die das Kerngebiet der polnischen Nationalbewegung darstellten. Der besondere politische Charakter des Gesetzes ging aus dem »betont unauffällig[en]«329 Paragraphen 13 b hervor. Er bestimmte, dass eine Genehmigung der Ansiedlung, das hieß auch und insbesondere: des Hausbaus, in allen östlichen Provinzen da zu versagen sei, wo sie den Zielen des Ansiedlungsgesetzes von 1886 zuwiderlaufe, wobei im Gesetzestext auf nationalpolitische Formulierungen wie »Stärkung des Deutschtums« verzichtet wurde. Wolfgang Hofmann hat schlüssig argumentiert, dass aus der Novelle eine fortschreitende Abkehr von dem Assimilationsziel der älteren Politik zu schließen sei, da weniger die Parzellierungsgenossenschaften als vielmehr die einfachen Bauern und Arbeiter Ziel und Hauptleidtragende des Gesetzes waren. »Die Reaktion des Gesetzgebers war nun«, im Jahre 1904, nach annähernd zwanzigjähriger Tätigkeit der Ansiedlungskommission mit mäßigen Ergebnissen, so Hofmann, »der Versuch, ihre Defizite durch eine weitere Verschärfung auszugleichen, die nun besonders die kleinen Leute bedrängte.« Es erscheint paradox, dass die preußische Regierung ein Gesetz, das gegen polnische Bauern gerichtet war, mit dem Schutz ebendieser Bauern vor den spekulativen Geschäften ihrer Landsleute begründete. Ziel war es, nicht nur polnische Parzellierungsinstitute, sondern überhaupt die »polnische Interessenten vom Bodenmarkt fernzuhalten, da diese nun befürchten müßten, das angekaufte Land doch nicht für den von ihnen beabsichtigten 325 Vgl. Balzer, S. 75. 326 Vgl. Ges.-S. 1904, S. 227, Gesetz, betreffend die Gründung neuer Ansiedlungen in den Provinzen Ostpreußen, Westpreußen, Brandenburg, Pommern, Posen, Schlesien, Sachsen und Westfalen, 10.8.1904. Siehe dazu auch den Gesetzeskommentar: Petersen (mit Stellungnahme zur Verfassungskonformität des Gesetzes S. 1–21); Jakóbczyk, Komisja, S. 132–137. Dass das Gesetz nicht nur eine national-, sondern auch sozialpolitische Intervention bedeutete, darauf hat Hofmann, S. 259 f., hingedeutet. 327 Vgl. Schultz-Klinken, S. 201; Hofmann, S. 268 f. Schon 1900 war, erfolglos, ein Antrag gestellt worden, die Tätigkeit der Ansiedlungskommission auf Pommern auszuweiten. Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9589, Bl. 81–93r, hier 88r–90, Protokoll der Sitzung der Ansiedlungskommission, 18./19.10.1900 (s. Kap. 2.3). 328 Vgl. Schwidetzky, S. 72. 329 Hofmann, S. 266.
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Bau von Wohnstätten verwenden zu können.« Implizit war damit die Hoffnung verbunden, durch die Ausschaltung der polnischen Konkurrenz Druck aus dem überhitzten Bodenmarkt abzulassen, und damit günstigere Bodenpreise für die Ansiedlungskommission herbeizuführen.330 Das Gesetz verfehlte seine Wirkung nicht. Erleichtert meldete der Regierungspräsident von Posen Anfang 1905 nach Berlin: »Die polnischen Banken halten sich mit dem Ankauf von Gütern zurück und wollen offenbar erst die Wirkungen der Ansiedlungsnovelle abwarten.«331 Von der Möglichkeit, den Hausbau abzulehnen, wurde sodann reger Gebrauch gemacht. Allein im Regierungsbezirk Posen lag die Ablehnungsquote polnischer Anträge bis zum Herbst 1905 bei 88 Prozent,332 bis 1906 betraf dies insgesamt drei Viertel aller polnischen Anträge.333 Der bekannteste Ablehnungsfall ist mit Sicherheit der des Michał Drzymała, der – da er keine Siedlungsgenehmigung erwirken konnte – öffentlichkeitswirksam auf seinem Grundstück in einem ausrangierten Zirkuswagen wohnte und damit »zum Bestandteil des nationalen Widerstandsmythos«334 wurde. Doch waren auch vom Hausbau abhängige Wirtschaftszweige von dem Gesetz betroffen. Zufrieden stellte der Posener Regierungspräsident drei Jahre nach Erlass der Novelle fest, dass bereits eine Reihe polnischer Bauunternehmer aufgrund ausbleibender Aufträge bankrottgegangen sei.335 Erfolgte eine Zustimmung, wurde sie an die Bedingung geknüpft, dass die Besitzer im Grundbuch eine an den Staat zu zahlende Sicherungshypothek für den Fall eintragen lassen mussten, dass sie an einen polnischen Käufer verkauften. Damit war diese Option nicht ausgeschlossen, aber es wurde ein Anreiz gesetzt, im Bedarfsfall einen deutschen Käufer auszuwählen.336 Auch deutschen Antragstellern wurde die Genehmigung bisweilen verwehrt, wenn sie nicht glaubhaft versichern konnten, dass ihre Bautätigkeit nicht auch polnischen Bewohnern zugutekäme.337 Die Folgen blieben überschaubar. Im
330 Vgl. ebd., S. 252–265, die Zitate 259 und 261; Balzer, S. 74–76. Zum deutschsprachigen Mediend iskurs: Spät, S. 105–107. Zum parlamentarischen Beschlussverfahren: Land, S. 56–60. 331 GStA PK, XVI. HA Rep. 30, Nr. 660, Bd. 6, n. p., Immediatbericht des Regierungspräsidenten von Posen, 21.2.1905. 332 Vgl. Jakóbczyk, Komisja, S. 140. 333 Vgl. Hofmann, S. 271; Wien, S. 142 f. 334 Hofmann, S. 280. Vgl. zu ähnlichen Fällen auch Jakóbczyk, Komisja, S. 144–146. 335 Vgl. GStA PK, XVI. HA Rep. 30, Nr. 660, Bd. 6, n. p., Immediatbericht des Regierungspräsidenten von Posen, 28.5.1907. 336 Vgl. Hofmann, S. 274 f. 337 Vgl. ebd., S. 276 f.; Balzer, S. 77 f. Siehe dazu auch die Willenserklärung des Regierungspräsidenten von Marienwerder an die ihm unterstellten Landräte, dass Deutschen die Ansiedlungsgenehmigung da zu verwehren sei, wo ein Verbleib des Besitzes in deutscher Hand durch die Eintragung von Sicherheitshypotheken und ähnlicher Garantien nicht gewährleistet ist. Vgl. APG, Rejencja w Gdańsku, Nr. 2700, n. p., Regierungspräsident von Marienwerder an die Herren Landräte des Bezirks, 18.4.1905.
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Regierungsbezirk Bromberg etwa betraf dies im Zeitraum vom April 1905 bis Oktober 1907 16 von 339 deutschen Anträgen – die Anträge der Ansiedlungskommission nicht eingerechnet, die ohne Ausnahme bewilligt wurden.338 In der Umsetzung der Novelle sahen selbst manche Regierungsbeamte eine unverhältnismäßige Schärfe, welche die polnische Bevölkerung verbittern musste.339 Wolfgang Hofmann hat geurteilt: »Ein so hoher Grad von Zurückweisungen mußte, zumal deutsche Anträge von der Grundhaltung her positiv betrachtet wurden, bei den preußischen Polen das Bewußtsein der Repression mit entsprechender Ablehnung dieses Staates vertiefen.«340 Welchen Einfluss hatte das Gesetz nun auf die Tätigkeit der Parzellierungsunternehmen? Nur wenig Zeit verstrich, ehe die Institute vier Ausweichstrategien entwickelt hatten, die ohne Hausneubau auskamen: 1. Bei der »Adjazentenparzellierung« teilten die umliegenden Landwirte die Besitzung unter sich auf und brauchten daher keine neuen Gebäude zu errichten. 2. Bereits vorhandene Verwaltungs- und Wirtschaftsgebäude wurden zu Wohnraum umgewidmet. 3. Man konzentrierte sich nicht länger auf Großgrundbesitz, sondern auf Ankauf und Weitergabe von Bauernwirtschaften als Ganzes. 4. Die verfügbaren finanziellen Mittel wurden nicht mehr zum Kauf neuen Grundbesitzes verwendet, sondern auch zur Ablösung hochverzinslicher Hypotheken durch niedriger verzinste Kredite. Auf diese Weise sollte ein Zwangsverkauf des Besitzes verhindert werden.341 Die Umgehungsmöglichkeiten, die das Gesetz von 1904 zuließ, sprachen dafür, dass die von der Regierung an die Novelle gerichteten Erwartungen nicht eingelöst wurden.342 Die polnischen Genossenschaften schränkten zwar den Ankauf von Großgrundbesitz ein, verlagerten aber im Wesentlichen nur ihre Tätigkeit auf benachbarte Handlungsfelder. Da die Nachfrage nach dem knappen Gut »Boden« weiterhin hoch blieb, konnte der Anstieg der Bodenpreise
338 Vgl. GStA PK, XVI. HA Rep. 30, Nr. 1302, Bd. 1, n. p., Statistik über die Ausführung des Paragraphen 13 b des Ansiedelungsgesetzes vom 10. August 1904 (Ges.S. S. 227) für den Regierungsbezirk Bromberg im Zeitraum vom 1.4.1905 bis 31.3.1907. Die im Vergleich niedrige Ablehnungsquote deutscher Antragsteller lag auch darin begründet, dass die Regierungspräsidien die Erteilung der Konzession an die Bedingung knüpfen konnten, dass die Besitzer eine Grundschuld zugunsten des Staates im Grundbuch eintragen lassen mussten, deren Zahlung dann fällig wurde, wenn der Besitz in polnische Hände wechselte. Deutsche Grundbesitzer konnten sich demnach die behördliche Genehmigung dadurch erkaufen, im Eventualfall eine »Strafzahlung« leisten zu müssen. Vgl. Balzer, S. 78. 339 So zumindest rückblickend der Chef der Presseabteilung im Auswärtigen Amt Hammann, S. 32, dazu auch: Tims, S. 131. 340 Hofmann, S. 272, siehe dazu auch die im gleichen Aufsatz angeführten Beispiele für die rigide Anwendung des Gesetzes. 341 Vgl. Wien, S. 140 f.; Hofmann, S. 278 f.; GStA PK, XVI. HA Rep. 30, Nr. 660, Bd. 6, n. p., Immediatbericht des Regierungspräsidenten von Posen, 27.11.1905; ebd., Immediatbericht des Regierungspräsidenten von Posen, 2.9.1907. 342 Vgl. Balzer, S. 79.
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nur vorübergehend gebremst werden. 1903 hatte die Ansiedlungskommission durchschnittlich noch 1.007 Mark pro angekauften Hektar gezahlt, 1904 war der Preis moderat auf 1.025 Mark, 1905 dann jedoch schon auf 1.184 Mark gestiegen, Tendenz weiter steigend.343 Einen nachhaltigen Effekt auf die Bodenpreise besaß das Gesetz folglich nicht. Dies bedrohte wiederum die Bereitschaft der Parlamentsfraktionen, neue Millionen zur Fortführung der Siedlungspolitik bereitzustellen.344 Ein weiteres Problem blieb ungelöst. Der Bedarf an Siedlungsland war stark gewachsen. Im Jahr 1900 wurden zunächst 661 Siedlerverträge abgeschlossen und genehmigt, 1902 bereits 1.211, 1907 war mit 1.660 Siedlern der Höhepunkt erreicht und die Zahl der jährlichen Bewerbungen um Stellen lag noch erheblich über den abgeschlossenen Verträgen.345 Ministerpräsident Bülow hatte 1907 30.000 Hektar als jährlichen Bedarf der Ansiedlungskommission angegeben.346 Dieses Land wurde nicht zur Gänze an Kolonisten weitergereicht. Es mussten laufende Pachtverträge abgewartet werden, ehe die Ansiedlungskommission ihre Tätigkeit dort aufnehmen konnte. Ungefähr fünf Prozent der Fläche jeder neu gegründeten Siedlung wurde als Gemeindedotation zurückgehalten und unter den ansässigen Siedlern verpachtet, um daraus die Gemeinde- und Armenlasten zu bestreiten.347 Zusätzlich fielen Flächen weg, die für den Wege- und Straßenbau benötigt wurden. Weitere Flächen wurden als sogenannte Zulagestücke zurückgehalten, um Siedlern, deren Betrieb einige Jahre prosperierte, die Möglichkeit einer Vergrößerung zu bieten. Die Ansiedlungskommission verwies zudem darauf, dass Siedler gerne eine Auswahlmöglichkeit unter verschiedenen
343 Vgl. Swart, Ansiedlungskommission, S. 590 f.; Denkschrift des Jahres 1913 über die Ausführung des Gesetzes, betreffend die Beförderung deutscher Ansiedlungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, vom 26. April 1886 und seiner Nachträge vom 20. April 1898, 1. Juli 1902, 20. März 1908 und 28. Mai 1913, in: StenBerAH 1914, Drucksachen, S. 1801–2121, hier 1836–1841. 344 Vor den Abgeordneten wurde daher damit argumentiert, dass nur ein Teil der Preissteigerung aus dem Konkurrenzkampf mit polnischen Kreditinstituten herrühre, teilweise aber auch damit zusammenhänge, dass die Kommission inzwischen deutlich bessere Güter kaufe als noch zu Beginn ihrer Tätigkeit. Dass die Böden ertragreicher, die Wirtschaftsgebäude in besserem Zustand seien, habe seinen Preis. Letztlich sei dies für das Siedlungsvorhaben aber rechnerisch von Vorteil, weil der Bau neuer Gebäude und die langwierigen Feldverbesserungsmaßnahmen wegfielen. Die teure Zwischenverwaltung könne somit abgekürzt werden, sodass die Neubesiedlung schneller und preiswerter vonstattengehen könne. Vgl. StenBerHH 1904, S. 254, Sitzung vom 10.5.1904. 345 Vgl. Stienen, Deutsche, S. 69 f. 346 Vgl. StenBerAH 1907, Sp. 13, Sitzung vom 26.11.1907. Die Zahl der jährlich benötigten 30.000 Hektar entsprach der auch verwaltungsintern kommunizierten Fläche und war nicht zu Zwecken parlamentarischer Kompromisslösungen vor dem Abgeordnetenhaus nach oben korrigiert worden. Vgl. etwa GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9488, Bl. 9–12r, hier 9, Oberpräsident von Posen an den Landwirtschaftsminister, 7.12.1906. 347 Vgl. Both, Ansiedlungstätigkeit, S. 86 f.
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Stellen hätten.348 Der Präsident der Ansiedlungskommission bezifferte auf dieser Grundlage 1906 den jährlichen Bedarf an reinem Stellenland, jenseits von Dotationen, Zulagestücken und dergleichen, auf 22.500 Hektar. Zu Zwecken der Auswahlmöglichkeit solle die Kommission die doppelte Fläche vorrätig halten. Zu dem Zeitpunkt verfügte die Behörde noch über einen Vorrat an Stellenland von rund 58.600 Hektar, was maximal den Bedarf der kommenden zweieinhalb Jahre gedeckt hätte.349 Im März 1907 verkündete Kommissionspräsident Blomeyer den Stopp weiterer Ankäufe aufgrund fehlender finanzieller Mittel.350 Es gab eine zweite Zahl, die mit zuverlässiger Regelmäßigkeit in die politische Diskussion eingespeist wurde, nämlich die amtliche Besitzwechselstatistik. Für die Zeit ab 1896 registrierte das preußische Statistische Bureau jährlich die Verschiebungen des Grundbesitzes, wofür es auch die Nationalität der Käufer und Verkäufer erfasste. Durch Vordringen des polnischen Grundbesitzes verlor demnach die »deutsche Hand«, so die Sprache der amtlichen Statistik, zwischen 1896 und 1913 insgesamt 95.965 Hektar Land.351 Wichtiger noch als diese Gesamtsumme war die Rolle der alljährlich abgerufenen Statistik als politisches Instrument. Kritik am Misserfolg der Siedlungspolitik wurde mit dem Argument begegnet, dass die Verhältnisse ohne die Tätigkeit der Ansiedlungskommission noch drastischer aussähen.352 Die Veröffentlichung und Verbreitung solcher Zahlen durch die Regierung dienten ihr dazu, weitere antipolnische Maßnahmen zu legitimieren. Landwirtschaftsminister Podbielski hatte 1904 das Herrenhaus auf den Verlust von 40.000 Hektar »deutschen Bodens« hingewiesen, um die Novellierung des Ansiedlungsgesetzes zu rechtfertigen.353 Annähernd vier Jahre später vermeldete Bülow bereits den Verlust von 75.000 Hektar, um das Enteignungsgesetz zu rechtfertigen – weshalb diese Zahl von der polnischen Presse sogleich in Zweifel gezogen 348 In der Literatur wird oftmals lediglich die tatsächlich angekaufte Fläche – bis 1913: 438.460 bzw. nach Neumessung 444.250 Hektar –, der an Siedler vergebene Fläche, 303.342 Hektar, gegenübergestellt, deren Differenz den Eindruck einer mangelnden Nachfrage seitens der Siedler entstehen lässt. Tatsächlich liegt mit den oben genannten Punkten, Dotationen und Wege (31.117 Hektar) sowie Zulagestücke (8.374 Hektar) und der Veräußerung an Privatkäufer und den Domänen- und Forstfiskus (52.298 Hektar) die von der Ansiedlungs kommission »verwendete« Fläche mit 395.131 Hektar erheblich darüber. Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 195, Anhang Nr. 78, Bl. 62, Besiedlungsergebnisse der Kgl. Ansiedlungs-Kommission 1886–1913 nach der jährlich besiedelten Fläche. 349 Vgl. ebd., Rep. 87, Abt. B Nr. 9488, Bl. 4–8, hier 5r–6r, Präsident der Ansiedlungskommission an das Staatsministerium, 5.1.1906. 350 Vgl. ebd., Bl. 110–112, Präsident der Ansiedlungskommission an das Staatsministerium, 14.3.1907. 351 Statistisches Jb. für den Preußischen Staat 13 (1915), S. 66 f. Zur Einführung einer systematischen Erhebung der nationalen Besitzwechsel ab 1899, ein erster Vorläufer der Statistik war 1895 durch die Ansiedlungskommission erfolgt, vgl. GStA PK, I. HA Rep. 77, Tit. 94, Nr. 157 Bd. 2, Statistik des Besitzwechsels (1899–1914). 352 Vgl. Dewitz, S. 308. 353 Vgl. StenBerHH 1904, S. 93, Sitzung vom 3.3.1904.
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wurde.354 Trotzdem besaß das Vertrauen in die Statistik als reduktionistisches Abbild einer sozialen Wirklichkeit eine hohe Bedeutung und beeinflusste die preußische Polenpolitik gleich doppelt. Zum einen als heuristisches Mittel, um Problemkonstellationen und politische Handlungsbedarfe zu identifizieren, und zum anderen, um den Bereich möglicher Handlungsfelder abzustecken, indem all jene politischen Initiativen vorab ausgeschlossen wurden, die keinen Einfluss auf das Zahlenverhältnis zu gewinnen versprachen.355 Doch war der Gebrauch der Statistik als politisches Argument stets zweischneidig. Mit ihm ist zugleich die Unterwerfung des Entscheidungsträgers unter die statistische Funktionslogik verbunden, mit der die Messbarkeit des Erfolges der ergriffenen Maßnahmen zu einem zukünftigen Zeitpunkt anerkannt und angekündigt wird. Durch die Veröffentlichung der Besitzwechselstatistik wurde der »Kampf um den Boden« spätestens jetzt zu einer nationalen Prestigefrage, bei der sich Erfolg und Misserfolg der jeweiligen Seite durch die Bilanz beziffern ließ. Blieb der erwartete Erfolg in der Zukunft aus, unterminierte dies nicht nur die Legitimität der ergriffenen Maßnahmen, sondern auch die Position des Politikers als Entscheidungsträger. Für die Verschiebung der Besitzverhältnisse spielte auch eine Rolle, dass die Ansiedlungskommission, anders als die deutsche Öffentlichkeit dies wahrnahm, auch weiterhin nicht jeden Besitz aus polnischer Hand ankaufte, der ihr angeboten wurde. Die Qualität des Bodens und sein Preis blieben maßgebliche Kriterien, um das Fortkommen potenzieller Siedler zu gewährleisten, aber auch der Ankauf in rein polnischen Gegenden wurde vermieden, um die Siedler nicht der Gefahr einer polnischen Assimilierung auszusetzen.
354 Vgl. StenBerAH 1907, Sp. 13, Sitzung vom 26.11.1907. Dziennik Poznański, 10.12.1907. Schon 1902 hatte der Abgeordnete Arnim die Zahlen der Besitzwechselstatistik in einer Debatte herangezogen, deren Richtigkeit vom polnischen Abgeordneten Mizerski in Zweifel gezogen wurden: StenBerAH 1902, Sp. 4300, 4306, Sitzung vom 16.4.1902, zudem der Abgeordnete Wojciech Trąmpczyński in StenBerAH 1911, Sp. 6661, Sitzung vom 19.5.1911, mit dem Hinweis, dass die Besitzwechselstatistik erst mit dem Jahr 1896 zu zählen beginnt und damit zu einem Zeitpunkt, an dem die Ansiedlungskommission bereits größere Flächen polnischen Grundbesitzes erworben hatte. 355 Auch der Posener Oberpräsident Waldow griff im Verlauf der Beratungen auf die Besitzwechselstatistik zurück, um dem Staatsministerium apodiktisch als einzige Wahlmöglichkeiten für eine erfolgreiche Fortsetzung der Siedlungspolitik die Durchsetzung einschneidender gesetzlicher Maßregeln oder aber die Überbietung aller polnischer Kaufgebote hinzustellen. Dagegen bediente sich die Zentrumsfraktion im Abgeordnetenhaus der Statistik, um gerade das Versagen der preußischen Siedlungspolitik zu verdeutlichen. Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9694, n. p., Oberpräsident von Posen an den Landwirtschaftsminister, 9.3.1907; Balzer, S. 124.
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2.4.2 Das Enteignungsgesetz Um diesen gordischen Knoten aus zunehmendem Landbedarf und rapidem Preisanstieg zu zerschlagen, entschloss sich die preußische Regierung 1908 zu einer vielbeachteten Maßnahme. Neben der Auffüllung des Ansiedlungsfonds um weitere Millionen führte sie mit dem Gesetz vom 20. März 1908 die staatliche Befugnis zur Enteignung polnischen Grundbesitzes in Westpreußen und Posen ein.356 Dieses Gesetz steht symbolisch für das gesamte Unterdrückungspotenzial der preußischen Polenpolitik, nicht nur, weil es einen massiven Eingriff in die Vermögensrechte der polnischen Minderheit bedeutete, sondern auch, weil die Befugnis zu diesem Eingriff mit dem Schutz des Gemeinwohls begründet wurde. Die Verabschiedung des Enteignungsgesetzes steht demnach sinnbildlich für den Sündenfall des preußischen Staates, als Chiffre für die Preisgabe preußischer Rechtsstaatlichkeit, die auf dem Altar eines radikalen Nationalismus geopfert wurde. Das Enteignungsgesetz stellte einen radikalen Eingriff in die Unverletzlichkeit des Privateigentums dar, es war aber – wenigstens in der reichlich beschnittenen Form, in der es schließlich verabschiedet wurde – keineswegs der radikalste Vorschlag, der im zeitgenössischen Diskurs erörtert wurde. Blättert man in Zeitungen, Zeitschriften und Schriftenreihen des Alldeutschen Verbandes oder des Ostmarkenvereines, findet man viel weiterreichende Forderungen, so nach einem generellen staatlichen Einspruchsrecht bei Verkäufen, das, so manche Befürworter, soweit gehen sollte, den Erwerb von Grundbesitz durch Polen gänzlich zu unterbinden. Weitere Vorschläge galten dem generellen Verbot der Teilung von Grundbesitz, mit Ausnahme durch den Staat oder dass er im Fall der Erbteilung notwendig würde; ferner der Umwandlung allen Grundbesitzes in den östlichen Provinzen in staatliche Rentengüter. Ausgenommen sollten Fideikommisse sein und Besitzungen unter zehn Hektar. Polnische Besitzer hätten sowohl die Besitzfestigung (s. u.) für sich in Anspruch nehmen als auch ihren Besitz innerhalb der Familie weitervererben dürfen. Im Verkaufsfall jedoch wäre das staatliche Vorkaufsrecht genutzt worden, um polnische Käufer auszuschließen. Rege wurde außerdem ein generelles Vorkaufsrecht diskutiert, das dem Staat bei
356 Vgl. Ges.-S. 1908, S. 29, Gesetz über Maßnahmen zur Stärkung des Deutschtums in den Provinzen Westpreußen und Posen, 20.3.1908. Der Regierungspräsident von Oppeln war mit der Forderung gescheitert, die Entscheidungsbefugnis auch für seinen Verwaltungsdistrikt einzuführen. Der schlesische Oberpräsident Zedlitz-Trützschler, der ehemalige Präsident der Ansiedlungskommission, sprach sich dezidiert gegen die Ausdehnung des Enteignungsgesetzes auf Schlesien aus, um den »Nationalitätenkampf« nicht weiter zu verschärfen. Die Staatsminister waren diesem Entschluss aus wahltaktischen Überlegungen gefolgt, um die schlesischen Magnaten mit Sitz im Herrenhaus nicht gegen die Vorlage einzunehmen. Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9694, n. p., Protokoll der kommissarischen Sitzung zur Besprechung der Polenvorlage, 11.3.1907.
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jedem Verkauf erlaubt hätte, den Grundbesitz zum zuvor ausgehandelten Kaufpreis selbst zu übernehmen.357 Der Vorschlag eines solchen staatlichen Vorkaufsrechts konnte 1907/08 das Staatsministerium noch nicht überzeugen, weil die Maßnahme als zu leicht zu umgehen galt. Es schien wahrscheinlich, dass Käufer und Verkäufer offiziell einen hohen Fantasiepreis verkünden, die reale Bezahlung aber unter der Hand regeln würden.358 Doch wurde im Frühjahr 1914 ein Gesetzesentwurf für ein solches staatliches Vorkaufsrecht dann tatsächlich in den Preußischen Landtag eingebracht (s. Kap. 3.1). Der Vorgang zeigt, dass die Phase der Ethnisierung und Deliberalisierung des Bodenmarktes mit dem Enteignungsgesetz noch keineswegs abgeschlossen war. Dem drastischen Eingriff in private Vermögensrechte zum Trotz war die Ermächtigung des Staates zur Enteignung staatsrechtlich gedeckt. Gemäß der liberalen Eigentumsidee, die sich im 19. Jahrhundert herausgebildet hatte, war dem Staat die Enteignung von Privateigentum zwar prinzipiell verboten, jedoch unter eng umrissenen Auflagen ausnahmsweise gestattet. Grundbedingung war dabei, dass der enteignete Eigentümer vollständig entschädigt wurde, er sein Eigentum demnach nicht verlor, sondern dieses lediglich seine Gestalt wandelte.359 Die preußische Verfassung von 1850 trug dem staatlichen Bedürfnis nach der Berechtigung zur Enteignung Rechnung, indem sie in Artikel 9 festlegte, dass Eigentum »nur aus Gründen des öffentlichen Wohles gegen vorgängige, in dringenden Fällen wenigstens vorläufig festzustellende Entschädigung nach Maßgabe des Gesetzes entzogen oder beschränkt werden«360 dürfe. Es war also bezogen auf die Gesetzesinitiative des Jahres 1908 – trotz des vorgedachten Ausnahmecharakters der Enteignung durch den Staat – nicht der Akt der »Expropriation« an sich, der skandalös war und in den Jahrzehnten zuvor durch das Gesetz vom 11. Juni 1874361 beispielsweise im Eisenbahnbau erst die Planbarkeit von Streckenführungen gewährleistete, sondern skandalös war die radikale Neuinterpretation der Rechtslage durch die preußische Regierung, wonach mit dem Argument ethnischer Homogenisierung ein auf eine nationale Minderheit abzielendes Ausnahmegesetz dem »öffentlichen Wohle« diene.362 Durch den
357 Vgl. Stienen, Landownership, S. 374–376. 358 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9694, n. p., Votum des Landwirtschaftsministers, 25.7.1907; ebd., Nr. 9488, Bl. 246–247; Vizepräsident des Staatsministeriums an den Landwirtschaftsminister, 3.8.1907. Für den medialen Diskurs: Leipziger Neueste Nachrichten, 12.5.1907. 359 Vgl. Schwab, S. 94–99. 360 Ges.-S. 1850, S. 17, das Zitat 18, Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat, 31.1.1850. 361 Vgl. Ges.-S. 1874, S. 221, Gesetz über die Enteignung von Grundeigentum, 11.6.1874. 362 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9694, n. p., Anlage zum Votum des Innenministers, 22.12.1906; Land, S. 77; Wehler, Reichsfeinde, S. 191 f.; Walkenhorst, S. 270, 273. Zu dem Versuch, in der Gesetzesbegründung die Klippe des »öffentlichen Wohls« mit dem Hinweis auf die Existenz des Ansiedlungsgesetzes von 1886 zu umschiffen vgl. Balzer, S. 82.
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Erlass des Gesetzes wurde, so Robert Spät, »eine zentrale Kategorie des öffentlichen Rechts im Sinne eines ethnozentrischen Nationalismus umgedeutet.«363 Befürworter des Enteignungsgesetzes verwiesen gern auf Otto von Bismarck, der bereits 1886 während der Debatte über die Einführung des Ansiedlungsgesetzes den Begriff der »Expropriation« im Munde führte. Damals hatte Bismarck im Abgeordnetenhaus erklärt, man werde im Bedarfsfall den polnischen Adel enteignen, wenn er nicht mehr freiwillig verkaufe. Das war mehr als eine für den scharfzüngigen Debattenredner Bismarck nicht untypische Provokation,364 da er zeitgleich die rechtliche Möglichkeit prüfen ließ (s. Kap. 1.1). Zwanzig Jahre später diente dieser Ausspruch Bismarcks – gestützt auf die Autorität des »eisernen Kanzlers« – als moralisches Unbedenklichkeitszeugnis, um etwaige verfassungsrechtliche Bedenken mühelos wegzuwischen.365 Schon 1901, als erste Forderungen nach einem Enteignungsgesetz in radikalnationalistischen Blättern die Runde machten, prophezeite der Göttinger Nationalökonom Wilhelm Lexis in einem Brief an Friedrich Althoff, bei einem Enteignungsgesetz gegen die Polen »würde sich, ganz abgesehen von dem Sturm in der ganzen civilisierten Welt, auch im Land selbst ein moralischer Widerstand erheben«.366 Lexis sollte Recht behalten. 1907/08, in den Monaten der parlamentarischen Debatte über das Gesetz, empörte sich die »civilisierte Welt« über diesen Gesetzesvorstoß; nicht zuletzt dank einer von Henryk Sienkiewicz, dem Literaturnobelpreisträger von 1905, organisierten Enquete, bei der so prominente Vertreter des europäischen Geisteslebens wie Émile Durkheim, André Gide, Bertha von Suttner oder H. G. Wells in Solidaritätsadressen ihrem tiefen Missfallen über die Verletzung rechtsstaatlicher Prinzipien Ausdruck verliehen. Sienkiewiczs Enquete trug damit erheblich zu dem Reputationsverlust bei, den das Gesetz für Preußen und Deutschland in Europa und der Welt bedeutete.367 Auch die historische Forschung hat sich der Meinung angeschlossen, dass das Enteignungsgesetz eine qualitative Steigerung in der rechtlichen Diskriminierung der polnischen Minderheit bedeutete.368 Martin Broszat hat konstatiert, 363 Spät, S. 135. 364 Dazu: Sösemann, S. 286. Grundsätzlich: Gall, S. 437 f. 365 Vgl. StenBerAH 1907, Sp. 17, Sitzung vom 26.11.1907. Die Bismarckäußerung bei StenBerAH 1886, S. 173, Sitzung vom 28.1.1886. Hierzu diente auch, dass Zeitungen wie die Deutsche Tageszeitung im Verlauf der Debatte die Bismarckrede in Erinnerung riefen. Vgl. Deutsche Tageszeitung, 13.3.1907. Zur medialen Diskussion auch: Alexander, S. 314, Anm. 28. Eine Einordnung der zeitgenössischen staatsrechtlichen Auffassung leistet Gose winkel, Einbürgern, S. 215–218. 366 GStA PK, VI. HA, Nl. Althoff, Nr. 495, Bl. 42–45r, hier 43r, Wilhelm Lexis an Friedrich Althoff, 28.12.1901. 367 Die Antworten wurden gebündelt publiziert als: Sienkiewicz. Vgl. Balzer, S. 85 f., ausführlich dazu, auch zur Einbindung der Enquete in transnational agierende polnische Publikationsnetzwerke: Płygawko. Zur ausländischen Wahrnehmung des Enteignungsgesetzes allgemein: Pirko, S. 240–270, zur polnischen Debatte S. 184–207. Zum Reputationsverlust: Bernhard, Polenpolitik, S. 13. 368 Vgl. Thum, Megalomania, S. 54.
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»daß die Mehrzahl der preußischen Minister und maßgeblichen Repräsentanten der Ostmarkenpolitik – darin der Argumentation des Ostmarkenvereins folgend – das Prinzip der Kampf- und Ausnahmegesetzgebung bejahten, auch wo es mit Verfasssungsgrundsätzen [sic] nicht vereinbar schien.«369 Selbst der nicht für eine antiborussische Haltung bekannte Staatsrechtler und Verfassungshistoriker Ernst Rudolf Huber – sein Opus magnum sei Kritikern zufolge nicht eigentlich eine »Deutsche« sondern eine »Preußische Verfassungsgeschichte«370 – kam zu dem Ergebnis, dass das Enteignungsgesetz »ein eklatanter Verfassungsverstoß« war, »die preußische Legislative [hat] sich durch diesen verfassungswidrigen Gesetzgebungsakt schwer und nachhaltig kompromittiert.«371 Prominente Politiker hatten in den Jahren zuvor die Siedlungspolitik vor dem Vorwurf des Verfassungsbruchs mit dem Argument in Schutz genommen, dass der Landerwerb der Ansiedlungskommission auf dem freiwilligen Verkauf der Besitzer fuße. Finanzminister Georg von Rheinbaben, der später zu einem der glühendsten Verfechter des Enteignungsgesetzes werden sollte, hatte noch 1902 dem Abgeordnetenhaus gegenüber die Wiederauffüllung des Ansiedlungsfonds gegen polnische Angriffe mit den Worten verteidigt: Meine Herren, ich darf in dieser Beziehung zunächst daran erinnern, daß eine Ungerechtigkeit in keiner Weise vorliegt. Eine solche Ungerechtigkeit möchte vorliegen, wenn wir irgendwie die Güter der Polen zwangsweise enteignen wollten; aber wir nehmen doch nur die Güter, die uns die Polen freiwillig anbieten.372
Ähnlich hatte der konservative Wortführer im Abgeordnetenhaus, Ernst von Heydebrand, 1898 die Ansiedlungsnovelle gerechtfertigt: »Ich kann also durchaus nicht zugeben, daß in der Vorlage, wie sie sich in der Ausführung bereits gestaltet hat, eine aggressive Tendenz liegt. Expropriirt wird niemand«.373 Und selbst Otto von Bismarck hatte 1894 gegenüber den Angehörigen der westpreußischen »Huldigungsfahrt« nach Varzin erklärt: »Es liegt nicht in unserer Sitte, zu konfisziren, zu verjagen oder ein Gesetz zu geben, wonach jeder polnische Edelmann nach bestimmter Zeit sein Gut verkaufen muß; sondern wir geben ihnen den Preis ihres Gutes.«374 Ironischerweise folgte auf die »Huldigungsfahrt« die 369 Broszat, S. 168. 370 Vgl. Gusy, S. 650. 371 Huber, S. 506, ferner S. 490 f. Vgl. zur zeitgenössischen staatsrechtlichen Debatte auch Volkmann, S. 149–154. 372 StenBerAH 1902, Sp. 5498, Sitzung vom 27.5.1902. Schon 1886 rechtfertigte der nationalliberale Abgeordnete Franz Hagens so den Erlass des Ansiedlungsgesetzes. Vgl. Balzer, S. 96 f. 373 Vgl. StenBerAH 1898, S. 107, Sitzung vom 20.1.1898. 374 Otto von Bismarck: Ansprache bei Gelegenheit einer Huldigung von Bewohnern der Provinz Westpreußen, Varzin, 23.9.1894, in: Bismarck, Ansprachen, S. 337–345, hier 341. In der hitzigen medialen Diskussion, die sich 1907–1909 um das Enteignungsgesetz entspann, verwies der Mühlengutsbesitzer Franz Rabbow in seiner Kritik an dem Gesetz auf diese Rede als Argument gegen diejenigen Befürworter des Gesetzes, die sich ebenfalls auf Bismarck beriefen. Vgl. Rabbow, Schon, S. 26. Man beachte jedoch auch den juristischen
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Gründung des Ostmarkenvereins, der zu den vehementesten Befürwortern des Enteignungsgesetzes werden sollte. Es stellt sich daher die Frage nach den Motiven und Dynamiken, die Regierung und Landtag 1908 zum Erlass des Gesetzes veranlassten. Als das Staatsministerium 1906 erstmals dem Gedanken des Enteignungsgesetzes nähertrat, das in Teilen der deutschen Presse zu diesem Zeitpunkt bereits seit mehreren Jahren eingefordert worden war, war die Stimmung in den östlichen Provinzen erneut angeheizt. Der Posener Schulstreik, an dem zeitweise weit über 40.000 Schulkinder gegen die Einführung des deutschsprachigen Religionsunterrichtes protestierten, erreichte am Jahresende seinen Höhepunkt und erleichterte es den Befürwortern eines Enteignungsgesetzes, weitergehende Repressalien gegen die unversöhnte und angeblich unversöhnliche Minderheit zu fordern.375 Die Staatsminister waren sich einig, dass weitergehende Schritte zu unternehmen seien. Innenminister Theobald von Bethmann Hollweg hatte geurteilt: »Eine Beruhigung kann nicht eher eintreten, bis dem Deutschtum in politischer wie in wirtschaftlicher Beziehung die Übermacht endgültig gesichert ist. Dann, aber auch erst dann wird der Assimilierungsprozeß beginnen.«376 Allein über die zu wählenden Mittel herrschte Uneinigkeit. Matthias Alexander hat darauf hingewiesen, dass bei der ersten Beratung eines Enteignungsgesetzes im März 1906 die Mehrheit der Minister insbesondere wegen verfassungsrechtlicher Bedenken ausgesprochen zögerlich war. Einzig Finanzminister Rheinbaben sprach sich dezidiert dafür aus, den Entwurf weiterzuverfolgen, da bereits die bloße Option des Staates zur Enteignung die Bodenpreise drücken müsse.377 Befürworter des Gesetzes gingen von der Annahme aus, dass die gegenwärtig am Bodenmarkt gezahlten Preise Spekulationspreise oberhalb des Realwertes des Besitzes seien, die seitens des Staates zu zahlende Entschädigung sich jedoch am Realwert zu orientieren habe, d. h. niedriger als der zuletzt gezahlte Kaufpreis ausfallen dürfe. Als Folge dessen würden sich polnische Kaufinteressenten vom Bodenmarkt zurückziehen, da sie andernfalls empfindliche finanzielle Verluste im Fall der Enteignung des soeben von ihnen erworbenen Eigentums zu befürchten hätten. Durch die Abnahme der NachUnterschied zwischen »Enteignung« und entschädigungsloser »Konfiszierung« beider umgangssprachlich synonym gebrauchter Begriffe. 375 Vgl. Land, S. 66 f. Für die Entwicklung der Teilnehmerzahlen im Verlauf des Streiks vgl. Gentzen, S. 215–217. 376 GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9694, n. p., Votum des Innenministers, 22.12.1906. Dies klang ganz nach Alfred Hugenberg, der 1902 in einem Brief an Ernst Hasse als Grundbedingung für die Assimilierung nannte, dass »wieder eine wirtschaftliche Machtverschiebung eingetreten ist, d. h. wenn wirtschaftlich das Deutschtum nicht mehr in der Verteidigungsstellung sich befindet wie jetzt«. Hugenberg, S. 281. Zur Aufrechterhaltung des Assimilationsgedankens beim Leiter des Alldeutschen Verbandes, Ernst Hasse, sowie die Ablehnung des Gedankens bei seinem Nachfolger Heinrich Claß vgl. Wolf, Ideologie, S. 45–47. 377 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3609, Bl. 294–296, hier 295r, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 22.6.1906.
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frage würden schließlich die Preise fallen und die Ansiedlungskommission wäre wieder in die Lage versetzt, größere Flächen zu erwerben. Die bloße Existenz des Gesetzes, ohne dass es Anwendung finden müsse, würde demnach der erhitzten Spekulationstätigkeit ein Ende setzen. Kritiker verwiesen darauf, dass sich die Entschädigungszahlung nach geltender Rechtslage an dem jeweils aktuellen Wert zu orientieren habe.378 Somit müsse dem Besitzer auch ein Spekulationspreis in voller Höhe erstattet werden. Die Anwendung des Enteignungsgesetzes von 1874 hatte außerdem gezeigt, dass die Rechtsprechung bei der Festsetzung von Entschädigungsleistungen diese nochmals ein Stück weit oberhalb des Marktwertes anzusetzen pflegte, um eine Schlechterstellung der Betroffenen definitiv auszuschließen.379 In diesem Fall hätte der Erlass des Enteignungsgesetzes keine hemmende Wirkung auf Besitzwechsel und Spekulationskäufe haben können, da Spekulanten in Erwartung einer Entschädigungszahlung oberhalb des Kaufpreises die Möglichkeit einer Enteignung billigend in Kauf genommen hätten. »Das Damoklesschwert der Enteignung hat dann überhaupt keine praktische Bedeutung«, kommentierte ein scharfsinniger Zeitgenosse.380 Gerade mit Blick auf die gängige Praxis der Entschädigungsfeststellung oberhalb des Marktwertes wiesen sowohl Innenminister Bethmann Hollweg und Landwirtschaftsminister Arnim als auch Staatsminister Posadowsky und die zu den Verhandlungen hinzugezogenen Vertreter der Nationalliberalen gleichermaßen den von Finanzminister Rheinbaben geäußerten Gedanken zurück, dass Entschädigungszahlungen zukünftig geringer ausfallen würden.381 Während in der Anfangsphase der Beratungen diese Einschätzung als Gegenargument gegen das geplante Gesetz genügte, wurde später zumindest anerkannt, dass die Möglichkeit der Enteignung die Handlungsfähigkeit der Ansiedlungskommission durch die Bereitstellung der notwendigen Flächen garantiere. Nicht das Problem der Spekulationspreise ließe sich demnach lösen, aber zumindest das des Landmangels. Einig war man sich im Staatsministerium, dass der Entwurf erst in den Landtag eingebracht werden dürfe, wenn eine Verabschiedung als sicher galt, da andernfalls ein immenser Ansehensverlust der Regierung drohte.382 Auch als im Januar 1907 die Beratungen intensiviert wurden, blieb das Staatsministerium gespalten: Landwirtschaftsminister Arnim, der an dem Vorschlag lobte, dass 378 Vgl. Art. Entschädigung bei Enteignungen, in: Bitter, Handwörterbuch, Bd. 1, S. 441 f. 379 Vgl. Alexander, S. 324, Anm. 75; Batocki-Friebe, S. 45 f. Dass dies später auch bei enteigneten polnischen Gütern faktisch eintrat vgl. Bernhard, Polenpolitik, S. 9. 380 Vgl. Adamczewski, S. 85–88, das Zitat 88. 381 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9488, Bl. 36–50r, hier 41r–43, Protokoll der kommissarischen Besprechung des dem Landtage vorzulegenden Gesetzentwurfs, betreffend Maßnahmen zur Förderung des Deutschtums in den Ansiedelungsprovinzen, 16.1.1907; ebd., Nr. 9694, n. p., Protokoll der kommissarischen Sitzung zur Besprechung der Polenvorlage, 11.3.1907; ebd., Rep. 90 A, Nr. 3611, Bl. 260–285, hier 272r, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 16.5.1907. 382 Vgl. Alexander, S. 314 f.
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er polnischen Grundbesitz für die weitere Besiedlung bereitstellte und überdies »den Preistreibereien deutscher Besitzer« ein Ende bereite, »welche der Ansiedlungskommission gegenüber stets einen angeblichen polnischen Reflektanten ausspielten«,383 meldete gleichwohl staatsrechtliche Bedenken an. Kultusminister Studt blieb strikt gegen den Gesetzentwurf, Graf Posadowsky war unentschlossen bis ablehnend, Bethmann Hollweg zögerlich aufgeschlossen, mahnte aber eine behutsame Anwendung des Gesetzes an: »Man werde deshalb auch von dem Enteignungsrecht nur einen mäßigen Gebrauch machen dürfen und sich im wesentlichen auf solche Güter zu beschränken haben, welche entweder polnischen Besitzern gehörten, die an sich gern verkaufen möchten, aber den Boykott ihrer Volksgenossen fürchteten, oder im Eigentum von ausländischen Polen ständen.«384 Einzig Finanzminister Rheinbaben war erneut ein eifriger Befürworter. Die Einigung der Staatsminister auf das Enteignungsgesetz war ein fortlaufender, keinesfalls linearer Prozess, häufig durch Zweifel einzelner Minister sowohl über die Wahl des Mittels als auch die Durchsetzbarkeit im Parlament unterbrochen. Erst seit dem Frühjahr 1907 schwang das Pendel eindeutig zugunsten der Enteignungsbefugnis aus. Die Befürworter profitierten davon, dass zwei der zweifelnden Minister, Studt und Posadowsky, im Juni des Jahres aus dem Staatsministerium ausschieden.385 Weiter hat zu der Einigung beigetragen, dass in der öffentlichen Debatte Bülow sein politisches Überleben an die Durchsetzung des Gesetzes knüpfte. Um den Entscheidungsprozess der Regierungsmitglieder nachzuvollziehen, lohnt ein Blick auf die unterministerielle Ebene der preußischen Regierungsbehörden, namentlich auf Alfred Hugenberg. In der Literatur wird oftmals der Ostmarkenverein im Jahr 1900 als Urheber der Idee eines Enteignungsgesetzes genannt.386 An anderer Stelle ist jedoch darauf hingewiesen worden, dass Hugenberg bereits ein Jahr zuvor in einem anonymen Artikel im Organ des Alldeutschen Verbandes für die Einführung einer Enteignungsbefugnis für polnischen Grundbesitz plädiert hatte. In der Minderheitenpolitik dürfe sich der Staat keine rechtsstaatlichen Fesseln anlegen: »Wir müssen die Scheuklappen ablegen, die uns die Anwendung unseres deutschen und preußischen Verfassungsrechtes auf einen weder deutsch noch preußisch empfindenden und denkenden, fremdspra-
383 GStA PK, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3611, Bl. 24–48r, hier 30, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 29.1.1907. 384 Ebd., Bl. 39–39r, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 29.1.1907. 385 Vgl. Pirko, S. 113; Land, S. 67; Alexander, S. 316, 324; Broszat, S. 168 f.; GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9488, Bl. 36–50r, Protokoll der kommissarischen Besprechung des dem Landtage vorzulegenden Gesetzentwurfs, betreffend Maßnahmen zur Förderung des Deutschtums in den Ansiedelungsprovinzen, 16.1.1907; ebd., Bl. 99–100r, Landwirtschafts minister an das Staatsministerium, 22.3.1907; GStA PK, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3611, Bl. 260– 285, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 16.5.1907. 386 Vgl. Balzer, S. 80; Grabowski, Nationalismus, S. 186 f. Zur einflussreichen Position Hugenbergs in der Ansiedlungskommission s. Kap. 1.3.
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chigen und zentrifugalen Teil der Reichsbewohner anlegt«.387 Peter Walkenhorst hat dargelegt, wie Hugenberg in den Folgejahren die Idee eines Enteignungsgesetzes immer wieder publizistisch aufs Tableau gebracht und konkretisiert hat.388 Schon 1902 hatte Hugenberg in einem Brief an den geschäftsführenden Vorsitzenden des Alldeutschen Verbandes, Ernst Hasse, programmatische Gedanken zur Intensivierung der Bodenpolitik geäußert. Dazu gehörten neben einer massiven Ausweitung der Ankauftätigkeit der Ansiedlungskommission auch die Einführung eines staatlichen Vorkaufsrechts, rechtliche Behinderungen des Übergangs deutschen Besitzes an polnische Käufer sowie die Möglichkeit eines Enteignungsgesetzes.389 Der Mann besaß offensichtlich eine Agenda. Weil er im gleichen Brief auch die Störung der polnischen Siedlungstätigkeit ins Gespräch gebracht hatte, wurde er, der sich 1900 von seiner Stelle in der Ansiedlungskommission beurlauben ließ, um als Direktor des Posener »Provinzialverbandes ländlicher Genossenschaften« das deutsche Genossenschaftswesen national auszurichten, und der anschließend 1903 im Finanzministerium das auf ihn maßgeschneiderte Referat für »Genossenschaftswesen und Ostfragen« übernahm,390 von der Forschung auch mit der Ausarbeitung der Ansiedlungsnovelle von 1904 in Verbindung gebracht.391 Seit Hugenberg sich im Zentrum des politischen Berlins befand, war es weniger seine publizistische Tätigkeit für den Alldeutschen Verband, als vielmehr seine Funktion als preußischer Verwaltungsbeamter, die der Durchsetzung des Enteignungsgesetzes zum Durchbruch verhelfen sollte. Schon Heidrun Holzbach vertrat die Ansicht, dass die Ursprünge des Enteignungsgesetzes nicht auf ministerieller, sondern auf Ebene leitender Verwaltungsbeamter zu suchen sei, der Hugenberg und sein »Posener Freundeskreis« angehörten. Seine Mitglieder entstammten sämtlich der gleichen Alterskohorte, waren ökonomisch oder juristisch gebildet, gehörten dem Kreis der Verwaltungsbeamten oder der Verbandsfunktionäre an und waren aufgrund ihrer Ämter gut mit den Verhältnissen in den »national umkämpften« Ostprovinzen vertraut. Alle einte die Grundanschauung, dass es einer Stärkung des Nationalgefühls im »deutschen Osten« bedürfe, die im Wesentlichen durch eine wirtschaftliche Stärkung des Mittelstandes herbeizuführen sei, im Bereich der Landwirtschaft etwa durch genossenschaftliche Zusammenschlüsse 387 Der Artikel ist wiederabgedruckt als Anonymus, Polenpolitik, S. 59. 388 Vgl. Walkenhorst, S. 264–273; Hagen, 186 f. 389 Vgl. Hugenberg, S. 281. Zwischen Hasse und Hugenberg herrschte in diesen Punkten offensichtlich Einigkeit, jedenfalls nahm Hasse Hugenbergs Vorschläge in seinen eigenen Maßnahmenkatalog für eine beschleunigte Germanisierung des Ostens auf, vgl. Hasse, S. 108–124. 390 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 77, Personalakten, Nr. 1257, Personalakte Alfred Hugenberg (1893–1904). 391 Vgl. Balzer, S. 75. Für Hugenbergs Urheberschaft spricht die Koinzidenz der Ereignisse, dagegen der Umstand, dass der erste Gesetzesentwurf durch das Landwirtschafts- nicht das Finanzministerium vorgelegt wurde. Walkenhorst, S. 266–271, stellt keinen unmittel baren Zusammenhang zwischen Hugenbergs Denkschrift und dem Gesetz von 1904 her.
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der Landwirte. Nationalitätenpolitik hieß für den »Freundeskreis« zuallererst Wirtschaftspolitik. Neben Hugenberg waren weitere Angehörige des engeren Zirkels: Friedrich von Schwerin (Ansiedlungskommission, während seiner Zeit als Thorner Landrat Aufsichtsratsmitglied der Westpreußischen Provinzialgenossenschaftsbank, später Innenministerium),392 Arnold Wahnschaffe (Landwirtschaftsministerium, später Reichskanzlei), Karl Kette und Hugo Ganse (beide Ansiedlungskommission, Letzterer später Landwirtschaftsministerium), Hans Meydenbauer (Ostpreußische Landgesellschaft, später Finanzministerium), der Nationalökonom Ludwig Bernhard (Akademie in Posen, später Friedrich-WilhelmsUniversität zu Berlin) sowie Leo Wegener, den Max Weber als »eine[n] meiner tüchtigsten Schüler« bezeichnet hatte, und Friedrich Swart (beide Posener Raiffeisenorganisation, Ersterer Mitglied des Ostmarkenvereins).393 In der zweiten Reihe standen: Lothar Foerster (Finanzministerium) und Felix Busch (Posener Oberpräsidium, übernahm später das von Hugenberg im Finanzministerium geleitete Referat), Karl Hayessen und Hans von Meibom (beide Ansiedlungskommission) und Albert Dietrich (Posensche Landesgenossenschaftsbank).394 Auch wenn man Hugenberg als spiritus rector des Enteignungsgesetzes ansehen mag, muss doch dem gesamten »Posener Freundeskreises«, der in administrativen Schlüsselpositionen beharrliche Überzeugungsarbeit leistete, die entscheidende Rolle zugeschrieben werden.395 »Their dominance of Eastern Marches policy
392 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 77, Personalakten, Nr. 2585, Personalakte Friedrich von Schwerin (1891–1922). Schwerin war zudem Mitglied des Alldeutschen Verbandes und Zeit seines Lebens in engem Austausch mit Alfred Hugenberg. Vgl. Geiss, S. 79 f. Nach Land, S. 65, habe Schwerin den ersten Entwurf für ein Enteignungsgesetz erarbeitet. Dagegen weist Jakóbczyk, Komisja, S. 151, Anm. 4, auf ein Schreiben des Finanzministers Rheinbaben aus dem Dezember 1905 hin, in dem dieser von Plänen für ein Enteignungsgesetz berichtet, wodurch eine Urheberschaft Hugenbergs wahrscheinlich scheint. 393 Zur Person Wegeners siehe Konno, Weber, S. 117–126; Swart, Wegener. Das Zitat: Max Weber an Paul Siebeck, 8.3.1902, in: Weber, Briefe, Bd. 3.2, S. 809–812, hier 811. 394 Vgl. Guratzsch, S. 40–47; Lerp, Grenzräume, S. 223 f.; Holzbach, S. 38–40, jeweils mit Biogrammen der genannten Personen. Holzbach stützte sich vorwiegend auf die Erinnerungsstücke bei Bernhard, Hugenberg-Konzern, S. 3–25. Die dort gemachten Ausführungen bedürfen einer Überprüfung, da die Publikation der Broschüre in die Zeit der Übernahme des Vorsitzes der Deutschnationalen Volkspartei fällt. Dass hinter der Veröffentlichung parteistrategische Absichten standen, scheint somit wahrscheinlich. 395 Vgl. Land, S. 61–63; Guratzsch S. 44. Vgl. zu Felix Busch aber auch dessen nachträgliche skeptische Haltung gegenüber dem Enteignungsgesetz: Busch, S. 128–130. Hugenberg dankte in einem Abschiedsschreiben im Herbst 1907 anlässlich seines Wechsels zur Bergund Metallbank (Frankfurt am Main) Lothar Foerster für seine, Friedrich von Schwerins und Arnold Wahnschaffes beharrliche Überzeugungsarbeit in den Ministerien in Angelegenheit des Enteignungsgesetzes. Vgl. Hugenberg, S. 223. Zugleich warb Hugenberg für Schwerin als Nachfolger des scheidenden Präsidenten der Ansiedlungskommission Paul Blomeyer. Vgl. ebd., S. 225. Diese Wahl fand im Staatsministerium im Frühjahr 1908 einige Befürwortung, scheiterte aber am entschiedenen Widerstand der beiden betroffe-
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blurred the line between the bureaucratic apparatus of Prussian officialdom and the independent agitation of radical nationalists«,396 hat Geoff Eley die Einflussnahme solcher Verbände wie dem Ostmarkenverein oder dem Alldeutschen Verband auf die Polenpolitik bezeichnet, deren Aufrufe und Pamphlete sonst kaum von der ministeriellen Ebene zur Kenntnis genommen wurden. Der »Posener Freundeskreis« leistete noch auf eine andere Weise Überzeugungsarbeit: Im Verlauf des Jahres 1907 erschienen zwei materialreiche nationalökonomische Studien, die der Enteignungsbefugnis weitere, auf ›statistischer Objektivität‹ fußende Argumente an die Hand gaben. Im Sommer 1907 erschien die von der Ansiedlungskommission erarbeitete Denkschrift »Zwanzig Jahre deutscher Kulturarbeit – Tätigkeit und Aufgaben neupreußischer Kolonisation in Westpreußen und Posen«. In ihr wurde eine Bilanz der seit zwei Jahrzehnten betriebenen Siedlungspolitik gezogen und zugleich die Suprematie deutscher Kultur und deutscher Geschichte seit dem Beginn preußischer Siedlungsbemühungen unter Friedrich II. dokumentiert. Auf über 300 Seiten stellte die aufwendig gestaltete, mit umfangreichen Tabellenwerken, Fotografien, farbigen Schaubildern und einer Karte versehene Denkschrift die Tätigkeit der Ansiedlungskommission dar. Der Drahtseilakt, den die Schrift zu leisten hatte, war zugleich das Programm der Siedlungspolitik als grundsätzlich richtig zu würdigen, die vorhandenen Ergebnisse aber unter den bestehenden Verhältnissen für unzureichend zu erklären, um im nächsten Schritt weitergehende Maßnahmen zu fordern. In der Gesamtschau würdigten also die anonymen Verfasser die Erfolge der Behörde, kamen aber auch zu dem Schluss, dass der »wachsende Bedarf an Land, d[er] zur uneingeschränkten Fortführung der Siedlung notwendig ist, in der bisherigen Weise künftig nicht mehr gedeckt werden« könne. Der preußische Staat habe daher die Pflicht, wie die Studie schließt, »den Weg zu finden, einen planvollen, nach wirtschaftlich und politisch gesunden Ansichten möglichen Landerwerb für die Ansiedlungskommission auch in Zukunft sicher zu stellen.«397 Ein nur oberflächlich verhülltes Plädoyer für die Einführung eines Enteignungsgesetzes. Federführend war Hugo Ganse als Mitarbeiter der Ansiedlungskommission gewesen, der von Leo Wegener (der als Nachfolger Hugenbergs die deutschen Raiffeisen-Genossenschaften in Posen organisierte) und Leopold von Wiese unterstützt wurde.398 Letzterer war in der Nachfolge Ludwig Bernhards Professor für Staatswissenschaften an der Posener Akademie. Er beendete seine Mitarbeit nen Oberpräsidenten. Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3611, Bl. 202–203, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 29.5.1908; ebd., Bl. 233r–234r, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 12.6.1908. 396 Eley, S. 347. 397 [Königliche Ansiedlungskommission], S. 170, vgl. auch Jakóbczyk, Komisja, S. 103. 398 Vgl. die betreffende Akte im Bestand des Landwirtschaftsministeriums: GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9622, Denkschrift über die wirtschaftlichen und kulturellen Erfolge der Ansiedlungskommission (1906–1911) sowie Bernhard, Hugenberg-Konzern, S. 7.
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aber rasch. Es sei ihm, wie seinen Memoiren zu entnehmen ist, »nichts anderes übrig [geblieben], als mein Amt [als Sachverständiger] niederzulegen«,399 da er schnell merkte, dass das Ergebnis der Untersuchung und die politischen Forderungen, die aus ihr gezogen würden, von Vornherein feststanden. Die Denkschrift, die in einer Auflage von 4.000 Exemplaren gedruckt wurde,400 wurde als Überzeugungshilfe unter den Mitgliedern des Landtages verteilt,401 und gelangte auch in den Buchhandel. In der Tagespresse wurde sie von den Alldeutschen Blätter, der Ostmark, dem Tag, der Post oder der RheinischWestfälischen Zeitung, vornehmlich also Blättern des nationalliberalen Spektrums, aufgegriffen, um von der Regierung härtere Maßnahmen gegen die polnische Minderheit zu fordern.402 Auch wenn sich die Denkschrift »Zwanzig Jahre« durch die umfassenden Zahlenwerke um die Vermittlung statistischer Objektivität bemüht, haftete ihr doch das Odium amtlicher Auftragsarbeit an. Davon unberührt war die nationalökonomische Untersuchung Das polnische Gemeinwesen im preußischen Staat Ludwig Bernhards, die wenige Monate später im Oktober 1907 erschien.403 In ihr wurde erstmals ausführlich, auf über 600 Seiten, und ebenfalls mit umfangreichem Zahlenmaterial versehen, die gesellschaftliche Mobilisierung der polnischen Minderheit und ihrer wirtschaftlichen Organisationen einer Untersuchung unterzogen. Die Störung jener wirtschaftlichen Organisation bezeichnete Bernhard als Dreh- und Angelpunkt jeder weiteren Polenpolitik.404
399 Wiese, S. 38. 400 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9622, Bl. 22–22r, Landwirtschaftsministerium an die Buchhandlung Justus Perthes in Gotha am 27.4.1907. 401 Vgl. ebd., Nr. 9694, n. p., Protokoll der kommissarischen Sitzung zur Besprechung der Polenvorlage, 11.3.1907; Skalweit, Zwanzig, S. 211. 402 Vgl. Marczewski, S. 228. Von den 4.000 Exemplaren gingen 2.600 Stück an das Abgeordnetenhaus, 280 gelangten in den Buchhandel, während das Landwirtschaftsministerium 1.120 zur eigenen Verwendung zurückbehielt. Es steht zu vermuten, dass nachdem das Staatsministerium im Mai 1907 beschloss, »mit der Presse […] engere Fühlung zu nehmen und mit ihrer Unterstützung die öffentliche Meinung für die Notwendigkeit der Enteignung zu gewinnen«, das Landwirtschaftsministerium die Denkschrift gezielt an ausgesuchte Pressevertreter verteilte. Das Zitat: GStA PK, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3611, Bl. 260–285, hier 276r, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 16.5.1907. Zur deutschsprachigen Debatte allgemein: Tims, S. 163–166; Pirko, S. 208–239; Spät, S. 110–139. 403 Bernhard, Polenfrage. Zum Motiv der Studie: Pirko, S. 135 f.; Land, S. 67; Guratzsch, S. 56. 404 Keine größere Rolle in der medialen Debatte spielte hingegen die etwa zeitgleich erschienene Arbeit Martin Belgards über die »Innere Kolonisation«, in der dieser warnte: »Ein derartiges Enteignungsrecht, das durchaus nicht mit dem Enteignungsrecht im Verkehrsinteresse zu vergleichen ist, da es nur einzelne Gruppen von Staatsbürgern betrifft, bedeutet einen ungeheuren Eingriff in das Privateigentum, überhaupt in unser ganzes bestehendes Recht; es würde selbst bei allem möglichen Vorbehalt der Willkür Tür und Tor öffnen. Es ist demnach zu hoffen, daß sich die Regierung zu einer solchen einschneidenden Maßregel nicht entschließen wird.« Belgard, S. 449 f.
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Im Parlament taten sich jedoch die deutschkonservativen Politiker mit derart drastischen Eingriffen ins Privateigentum schwer. Der konservative Abgeordnete Eugen Wolff-Gorki hatte 1906 anlässlich der Diskussion des Jahresberichtes der Ansiedlungskommission erklärt: Unannehmbar sind für uns die in der Presse und im Privatpublikum aufgetauchten Wünsche, im Wege der Enteignung von Polen oder Deutschen in diesen Provinzen Grundbesitz für die Ansiedlungskommission zu erwerben. Wir glauben ebenso, daß es durchaus unangemessen ist, etwa versuchen zu wollen, einen Teil der preußischen Staatsbürger – wie es die Polen auch selbstverständlich sind – […] zu verhindern, Grundbesitz zu erwerben.405
Unter konservativen Parlamentariern wurde das Enteignungsgesetz als ein »Schritt auf dem Wege zum sozialistisch-kommunistischen Zukunftsstaat«406 angesehen. Die Befürchtung war, das Enteignungsgesetz könne irgendwann – die Sozialdemokraten hatten gerade im Januar 1907 mit Abstand die meisten Stimmen (wenn auch nicht Mandate) bei der Reichstagswahl erhalten – auch gegen die deutschen Großgrundbesitzer angewendet werden. Gestärkt wurde der Eindruck dadurch, dass aus Rücksicht auf das verfassungsmäßig garantierte Gleichheitsprinzip darauf verzichtet wurde, im Gesetzestext festzuschreiben, dass ausschließlich polnischer Grundbesitz enteignet werden sollte. Von Nationalliberalen und Freikonservativen wurden diese Bedenken nicht geteilt.407 2.4.3 Das Besitzfestigungsverfahren Dies ist nicht der Ort, die Überzeugungsarbeit, die Regierungsvertreter bei Abgeordneten der konservativen Fraktionen innerhalb und außerhalb des Plenarsaales mit erheblichen Zugeständnissen an die Bedürfnisse der Konservativen durch Eingriffe in den Gesetzestext geleistet haben, detailliert auszuführen.408 Lediglich ein Punkt des Gesetzes verdient ausführliche Aufmerksamkeit, weil er erheblichen Einfluss auf Nationalisierung und Deliberalisierung des Bodenmarktes für Großgrundbesitz nahm: In der hitzigen Debatte, die in Parlament und Presse über das nun sogenannte »Enteignungsgesetz« geführt wurde, ging unter, dass das Gesetz neben der Auffüllung der Fonds der Ansiedlungskom405 StenBerAH 1906, Sp. 3851, Sitzung vom 28.3.1906. 406 GStA PK, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3611, Bl. 260–285, hier 268, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 16.5.1907. 407 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9489, Bl. 64–64r, Innenminister an den Landwirtschaftsminister, 30.9.1907; Land, S. 72–74; Balzer, S. 107–109. 408 Zu den Debatten im Preußischen Landtag und den Hinterzimmergesprächen mit konservativen Parteiführern ausführlich: Hemmerling, Geneza, S. 154–161; Pirko, S. 140–183; Land, S. 61–89; Jakóbczyk, Komisja, S. 156–160; Balzer, S. 79–83, 108–114; Alexander, S. 311–334. Zu den erfolglosen Versuchen, das Gesetz mithilfe von Bürokratie und parlamentarischen Initiativen zu verhindern Hutten-Czapski, S. 502–533.
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mission und zum Ankauf von Domänen und Forsten auch Gelder für das sogenannte Besitzfestigungsverfahren deutschen Grundbesitzes in beiden Ansiedlungsprovinzen bereitstellte, und dieses Verfahren erstmals auch für den Großgrundbesitz zuließ. Um die Bedeutung dieses Verfahrens richtig einzuschätzen, ist es zunächst notwendig, die Entstehungsgeschichte der Besitzfestigungsbanken zu beleuchten. Um das Besitzfestigungsverfahren bei Klein- und Mittelgrundbesitz durchzuführen, waren bereits 1904 die Deutsche Mittelstandskasse GmbH in Posen und 1906 die Deutsche Bauernbank GmbH in Danzig gegründet worden. Ihnen oblagen zwei wichtige Aufgaben. Die erste war die, dass sie als Anlaufstellen für Güterkäufer und -verkäufer dienen sollten. Dadurch sollte die Tätigkeit privater Spekulanten zurückgedrängt und eine staatliche Kontrolle der Besitzverschiebungen insbesondere durch die Überprüfung der Käufer auf ihre nationale Zuverlässigkeit ermöglicht werden.409 Die sehr viel weiter reichende Aufgabe der Banken war die unter dem Begriff der Besitzfestigung gefasste staatliche Schuldenregulierung. In einem komplizierten juristischen Verfahren kam es zu einer Auflassung und Rückauflassung zwischen Besitzer und Besitzfestigungsbanken. Bei diesem Vorgang wurden eine staatlicherseits unkündbare Abtragshypothek sowie eine ebenfalls jährlich zu zahlende symbolische Rente in der Höhe von einer Mark eingetragen. Deren Ablösung war de jure nur mit beiderseitigem Einverständnis möglich, de facto bedeutete dies – aufgrund der grundsätzlichen Weigerung des Staates zur Ablösung – eine unablösliche Rente. Eine Residenzpflicht sollte die eigenständige Bewirtschaftung der Besitzung durch ihren Besitzer gewährleisten.410 Die Besitzung wurde damit zu einem Rentengut. Der Vorteil, der sich den Besitzern aus diesen Verfahren ergab, war der, dass sie die oftmals hochverzinslichen, vom Gläubiger kurzfristig kündbaren Hypotheken gegen eine langfristige, gläubigerseits unkündbare Hypothek eintauschten. Die fälligen Abtragsraten waren planbar und fielen – indem sie auf einen langen Zeitraum von in der Regel 60 ½ Jahren gestreckt wurden – niedriger aus als auf dem privaten Hypothekenmarkt. Der Besitzer wurde dadurch befähigt, die Schuldentilgung ohne Verkauf seines Besitzes zu bewältigen. Als in den Jahren unmittelbar nach Gründung der Ansiedlungskommission deutsche Grundbesitzer eine solche Umschichtung der Schulden vorgeschlagen hatten und darin – aus wirtschafts-, nicht national 409 In der Folge wandten sich auch polnische Besitzer an beide Banken, denen deutsche Käufer vermittelt wurden. Vgl. Laubert, Polenpolitik, S. 150. Eine weitere Funktion bestand im Ankauf von Hypotheken, auch polnischer. Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 151, I C Nr. 10276, Bl. 7–21, hier 7–8, Formular: Anweisung für die Deutsche Mittelstandskasse GmbH (ohne Datum); ebd., Bl. 232–246, Bericht, dem Aufsichtsrat der Deutschen Mittelstandskasse erstattet von Herrn Dr. Wegener (ca. 1905). 410 Vgl. Anonymus, Geschäfts-Anweisung, S. 15; Sukiennicki, S. 80 f.; Jakóbczyk, Komisja, S. 175–179; Eddie / Kouschil, Ethnopolitics, S. 29; Eddie, Commission, S. 50. Karl Nehring bezifferte die Zinserleichterung für den Grundbesitzer auf zehn bis zwanzig Prozent gegenüber Hypotheken des privaten Kreditmarktes. Vgl. Nehring, S. 132.
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politischen Gründen – Mitte der 1890er-Jahre die Unterstützung von Politikern und Nationalökonomen wenigstens für eine bäuerliche Entschuldung genossen (»Antrag Kanitz«),411 hatte der Präsident der Ansiedlungskommission noch erklärt, »daß derartigen Anforderungen, so schwierig an sich die Lage der betreffenden Grundbesitzer und so wünschenswerth sonst auch deren Erhaltung im Besitz sein möchte, nicht entsprochen werden kann.«412 Jetzt, gut zwei Jahrzehnte später, wurde das Regulierungsverfahren tatsächlich eingeführt. Ab 1902 experimentierte die Ansiedlungskommission mit Formen bäuerlicher Besitzfestigung nach dem oben beschriebenen Muster, ehe sie dies mit der Gründung der Deutschen Mittelstandskasse in Posen 1904 und der deutschen Bauernbank 1906 diesen Instituten übertrug.413 Dass das Verfahren bis 1908 zunächst noch auf den bäuerlichen Grundbesitz beschränkt blieb, kann auch als eine Reaktion darauf gesehen werden, dass die polnischen Parzellierungsinstitute durch die Beschränkungen der Ansiedlungsnovelle von 1904 vor allem den Ankauf kleinerer deutscher Betriebe forcierten, diese demzufolge in den Augen der Regierung eines besonderen Schutzes bedurften. Ursächlich dafür waren die großen Vorzüge, die sich dem preußischen Staat aus dem Besitzfestigungsverfahren und der Umwandlung des Besitzes in ein Rentengut ergaben. Um einer möglichen Erbsplitterung vorzubeugen, wurde das Anerbenrecht festgeschrieben. Viel wichtiger noch war das Vor- bzw. Wiederkaufsrecht, mit dem sich der Staat die Kontrolle über zukünftige Verkäufe der Besitzung sicherte, um einen Übergang in polnische Hände zu verhindern. Das Wiederkaufsrecht ermöglichte es dem Staat, im Fall der Veräußerung eines Grundstückes an einen Käufer, der als »Haus-, Kirchen- und Umgangssprache« nicht die deutsche verwendete, den Besitz zu einem Preis selbst zu erwerben, der auf ein Viertel unterhalb des Schätzwertes festgesetzt wurde.414 De facto kam dies einem Veräußerungsverbot an polnische Erwerber gleich, da in diesem Fall 411 Vgl. Schmoller, Worte; GStA PK, VI. HA, Nl. Althoff, Nr. 497, Agrarfrage (1895). 412 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9594, Bl. 95–114, hier 114, Bericht der AnsiedelungsCommission für Westpreußen und Posen für das Jahr 1887. Ein Präzedenzfall ereignete sich 1897, als ein Landwirt seinen 34 Hektar großen Betrieb in Posen der Ansiedlungskommission zur Umwandlung als Rentengut anbot und er als Siedler auf seinem Besitz bleiben konnte. Vgl. ebd., Nr. 9511, Bl. 69–70r, Präsident der Ansiedlungskommission an den Landwirtschaftsminister, 16.6.1897. 413 Vgl. Dietrich, Besitzfestigung; GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9506, Bl. 120–122r, Votum des Landwirtschaftsministers, 25.3.1912; Jakóbczyk, Komisja, S. 174. 414 Ebd., Rep. 87, Abt. B Nr. 9577, Bl. 35–41r, hier 40r, Geschäftsbericht der Deutschen Bauernbank für das vierte Geschäftsjahr (1.4.1909 bis 31.3.1910). GStA PK, I. HA Rep. 151, I C Nr. 10276, Bl. 89–92, hier 91, Formular: Anweisung für die Deutsche Mittelstandskasse GmbH (ohne Datum). Auch kleinere Darlehen von wenigen hundert Mark wurden unter diesen Bedingungen gewährt. Sprache blieb demzufolge der Hauptankerpunkt für ethnonationale Zuschreibungen. Es ist anzunehmen, dass weitere Untersuchungen, die stärker auf die regionalen und lokalen Verwaltungsebenen abheben, die weitergehende Bindung von Grundbesitz durch die Vergabe von Darlehen durch die Besitzfestigungsbanken zutage fördern werden.
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der preußische Staat von seinem Wiederkaufsrecht unter erheblichen finanziellen Einbußen des Vorbesitzers bzw. Käufers Gebrauch gemacht hätte. Das Besitzfestigungsverfahren stand auch polnischen Besitzern offen,415 da es der Regierung ermöglichte, weitgehend unbeachtet von der kritischen polnischen Öffentlichkeit – da der Besitzer nicht wechselte, blieb die staatliche Einflussnahme verborgen – Kontrolle über polnischen Boden zu gewinnen. Von diesem Mittel wurde auch Gebrauch gemacht, während Erbfälle vom Vorkaufsrecht ausgenommen waren.416 Es waren schließlich im Wesentlichen polnische Klein- und Mittelgrundbesitzer, die von der Besitzfestigung Gebrauch machten. 204 Fälle nennt das statistische Material bis 1913, während im gleichen Zeitraum lediglich ein polnischer Großgrundbesitzer die Möglichkeit in Anspruch nahm.417 Einzig ökonomische Kriterien konnten zu einem Ausschluss vom Verfahren führen: Eine Verschuldungsgrenze von maximal drei Viertel des Besitzwertes sollte verhindern, dass unrentable Betriebe deutscher oder polnischer Besitzer künstlich über Wasser gehalten wurden. Für den Staat ergab sich dank der Wiederkaufsklausel die Möglichkeit, in Zeiten eines immer knapper werdenden Angebotes und steigender Bodenpreise mit vergleichsweise geringen Geldmitteln Einfluss auf die Besitzverhältnisse auszuüben, ohne selbst Eigentümer der Besitzungen werden zu müssen. Langwierige Kaufverhandlungen unter Zuhilfenahme polnischer Drohkäufer erübrigten sich. Die Besitzfestigungsbanken waren zwar der Ansiedlungskommission unterstellt, sie waren aber keine rein staatlichen Institutionen und sollten nach außen hin als privatwirtschaftlich agierend auftreten, um die Erwartungshaltung von
415 Vgl. Sukiennicki, S. 85 f., sowie die Warnungen in polnischen Zeitungen: Lech. Gazeta Gnieźnieńska, 17.5.1911; Goniec Wielkopolski, 24.8.1911; Dziennik Bydgoski, 18.11.1911; Gazeta Gdańska, 8.2.1912; Gazeta Ostrowska, 27.11.1913, und auf polnischen Versammlungen: GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9633, Bl. 105–113, Bericht über den Verlauf der am 8. Dezember 1911 im Lidzynski’schen Saale zu Opalenitza abgehaltenen polnischen Wählerversammlung für den Bezirk Opalenitza, 10.12.1911, sowie ausführlich bei Palędzki, S. 8–26. Siehe dazu auch die Hinweise in den Jahresberichten der Ansiedlungskommission seit 1906. Wie zuvor Verkäufer, so wurden auch polnische Landwirte, die in Beziehung mit den Besitzfestigungsbanken traten, Teil des medialen Schmähdiskurses. Vgl. Lech. Gazeta Gnieźnieńska, 3.5.1912 und 1.10.1912; Orędownik, 20.9.1912; Dziennik Kujawski, 28.9.1912 und 1.10.1912; Kurjer Poznański, 29.9.1912. Vgl. dagegen die Fehlannahme bei Balzer, S. 71, wonach polnische Landwirte vom Besitzfestigungsverfahren ausgenommen gewesen seien. 416 Zehn Prozent aller Besitzwechsel von Grundstücken im Besitzfestigungsverfahren waren Fälle, bei denen polnische Vorbesitzer an Deutsche verkauften. Vgl. Denkschrift des Jahres 1913 über die Ausführung des Gesetzes, betreffend die Beförderung deutscher Ansiedlungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, vom 26. April 1886 und seiner Nachträge vom 20. April 1898, 1. Juli 1902, 20. März 1908 und 28. Mai 1913, in: StenBerAH Druck sachen 1914, S. 1801–2121, hier 1807. 417 Vgl. ebd., S. 2111, 2116.
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Grundbesitzern zu dämpfen.418 Zu diesem Zweck wurden die Deutsche Mittelstandskasse mit folgenden Gesellschaftern ins Leben gerufen: 1. Der Königlich Preußische Fiskus, vertreten durch den Oberpräsidenten der Provinz Posen mit einem Stammkapital von 400.000 Mark 2. Die Posensche Landesgenossenschaftsbank E. G.m.b.H. zu Posen mit einem Stammkapital von 400.000 Mark 3. Die Provinzialgenossenschaftskasse für die Provinz Posen E. G.m.b.H. zu Posen mit einem Stammkapital von 400.000 Mark 4. Die Landbank Aktiengesellschaft zu Berlin mit einem Stammkapital von 300.000 Mark419
Die Streichungen und handschriftlichen Ergänzungen des Vertragsentwurfs deuten darauf hin, dass die in enger Verbindung mit dem Ostmarkenverein stehende Landbank ursprünglich nicht als Gesellschafter vorgesehen war und erst in einem späteren Planungsstadium Aufnahme fand. Da Leo Wegner, der zugleich die Posener Ortsgruppe des Ostmarkenvereins leitete, an den Planungen beteiligt gewesen war und erster Direktor der Mittelstandskasse wurde, lassen sich Einflussnahmen des »Posener Freundeskreises« kaum von der Hand weisen.420 Erneut wurde also eine wichtige Position mit einem Mitglied aus dessen Reihen besetzt. Die Tätigkeit der Posener Mittelstandskasse diente auch als weiterer Probelauf der Praktikabilität des Besitzfestigungsverfahrens, ehe schließlich 1906 für Westpreußen die Deutsche Bauernbank gegründet wurde. Dort stellte der preußische Fiskus mit 300.000 Mark die Hälfte des Stammkapitals, die Westpreußi418 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 151, I C Nr. 10276, Bl. 7–21, hier 18–19, Formular: Anweisung für die Deutsche Mittelstandskasse GmbH (ohne Datum). Nichtsdestotrotz wurde diese Außendarstellung dadurch konterkariert, dass ab 1906 die Tätigkeit der Besitzfestigungsbanken in den Jahresberichten der Ansiedlungskommission festgehalten wurde. In der Literatur werden die Besitzfestigungsbanken stets als rein staatliche Unternehmen, als Subbehörden der Ansiedlungskommission dargestellt. Die Folgen der lediglich halbstaatlichen Organisationsform auf ihr wirtschaftliches Handeln – beispielsweise durch die Verschränkung mit der Landbank, die in Konkurrenz mit der Ansiedlungskommission stand, und die durch ihre enge Bindung an den Deutschen Ostmarkenverein auch als Agent weitreichender politischer Programme gewirkt haben könnte – bedürfen weitergehender Untersuchungen. 419 Ebd., Bl. 2–6, hier 3, Vertrag zur Errichtung der Deutschen Mittelstandskasse GmbH, 4.1.1904. 1910 trat die Landbank Anteile an das führende Mitglied des Ostmarkenvereins, Heinrich von Tiedemann-Seeheim, und einen nicht näher bezeichneten »Raschdau« ab. Wiktor Sukiennicki nennt einen »Abgeordneten Raschdau«, es dürfte sich aber um das Mitglied des Ostmarkenvereins Ludwig Raschdau gehandelt haben. Sukiennicki, S. 93, vgl. außerdem Jakóbczyk, Ostmarkenverein, S. 142–144. 420 Vgl. dazu auch GStA PK, I. HA Rep. 151, I C Nr. 10276, Bl. 24, Heinrich von TiedemannSeeheim an einen nicht namentlich genannten Geheimen Rat, 15.2.1903 [sic, 1904]; ebd., Nr. 10276, Bl. 59, Landbank an Regierungsrat Alfred Hugenberg, 14.3.1904 (Zustimmung des Aufsichtsrates der Landbank zum Statut der Deutschen Mittelstandskasse); Guratzsch, S. 31.
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sche Provinzial-Genossenschaftskasse 290.000 Mark und die Westpreußische Landschaftliche Bank weitere 10.000 Mark.421 Als Architekten des Besitzfestigungsverfahrens in seiner letztlichen Ausführung und mit der komplizierten juristischen Konstruktion aus Kauf- und sofortigem Rückkauf – die womöglich ganz bewusst gezielt juristisch komplex und in den Verträgen unverständlich formuliert war, um die Grundbesitzer über die Folgen des Vertrages im Unklaren zu lassen422 – nannten Zeitgenossen Alfred Hugenberg, der auch die Gründung der Besitzfestigungsbanken als einer der vier vom Posener Oberpräsidenten bestellten Aufsichtsratsmitglieder federführend begleitete.423 Im Ergebnis kam der Grundbesitzer durch das Besitzfestigungsverfahren in den Genuss einer staatlich gesicherten Umschuldung, während der Bodenmarkt weiteren Regulierungen unterworfen wurde.424 Im Laufe der Beratungen des Staatsministeriums über das Enteignungsgesetz 1907/08 wurde auch eine Ausweitung des Besitzfestigungsverfahrens auf den Großgrundbesitz diskutiert. Als Regierungsvertreter im Frühjahr 1907 erstmals Tuchfühlung mit den konservativen Parteiführern des Abgeordnetenhauses aufnahmen, machten diese eine Neuausrichtung der Siedlungspolitik zur Bedingung ihrer Zustimmung zum Enteignungsgesetz. Weniger der Neukauf von Land, als vielmehr die Sicherung des bestehenden Besitzes sei notwendig. Dazu müsse auch dem Großgrundbesitz günstiger Kredit zur Verfügung gestellt werden.425 An diese Bedingung knüpften die Deutschkonservativen ihre Zustimmung zu weiterführenden Maßnahmen der Regierung. Die Staatsminister trugen dem dadurch Rechnung, dass sie die Anträge auf die staatliche Enteignungsbefugnis und die Besitzfestigung für den Großgrundbesitz nicht in zwei unterschiedlichen Gesetzentwürfen im Landtag einbrachten, sondern beide Maßnahmen im gleichen Entwurf aneinander banden und die konservativen Fraktionen damit gezielt vor die Wahl stellten: entweder beide Maßnahmen, oder keine.426 Im Endergebnis sah der Gesetzentwurf in seiner finalen Fassung 421 Vgl. Sukiennicki, S. 77–79; GStA PK, I. HA Rep. 151, I C Nr. 10276, Bl. 45–48, Finanzminister an den Innenminister, 1.3.1904. 1909 wurde das Gesellschafterkapital der Bauernbank auf eine Million Mark erhöht. Vgl. ebd., Rep. 87, Abt. B Nr. 9577, Bl. 35–41r, Geschäftsbericht für das vierte Geschäftsjahr (1.4.1909 bis 31.3.1910). 422 So die Vermutung bei Sukiennicki, S. 79 f. Dort auch Abdruck eines Flugblattes, das die Grundbesitzer vor der Beschneidung ihrer Rechte durch das Besitzfestigungsverfahren warnt, ebd. S. 100–102. 423 Vgl. Busch, S. 131 f.; Guratzsch, S. 31. GStA PK, I. HA Rep. 151, I C Nr. 10276, Bl. 2–6, Vertrag zur Errichtung der Deutschen Mittelstandskasse GmbH, 4.1.1904. Ein ähnliches Verfahren, jedoch ohne nationalpolitische Ambitionen, findet sich bereits bei Schmoller, Worte, S. 625–627. 424 Vgl. Sukiennicki, S. 75–77; Balzer, S. 71. 425 Vgl. Alexander, S. 318 f. 426 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9694, n. p., Protokoll der kommissarischen Sitzung zur Besprechung der Polenvorlage, 11.3.1907 (dort auch gestrichene Passagen zu parteitaktischen Motivationen); ebd., Rep. 90 A, Nr. 3611, Bl. 280–282r, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 16.5.1907. Vgl. dagegen die irrige Annahme bei Koehl, S. 257, wonach
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neben der Erteilung des Enteignungsrechtes die Auffüllung des Ansiedlungsfonds um 125 Millionen Mark und die des Fonds zum Ankauf von Domänen und Forsten um weitere 25 Millionen Mark vor. Für die »Festigung« bäuerlicher Besitzungen, die zuvor aus dem Ansiedlungsfonds bestritten wurde, sollte ein Fonds von 75 Millionen Mark, für die von Großgrundbesitz ein Fonds von 50 Millionen Mark eingerichtet werden. Zwei Motive veranlassten die Deutschkonservativen letztlich, sich dem Enteignungsgesetz trotz aller Bedenken nicht zu entziehen. Politisch »standen sie vor der Alternative«, wie Peter Walkenhorst betonte, »entweder den Nationalitä tenkampf abzubrechen und sich dem Vorwurf mangelnder nationaler Gesinnung und egoistischer Interessenpolitik auszusetzen oder eine Enteignungsbefugnis zumindest in bestimmten Fällen zu bejahen.«427 Zugleich bot die Ausdehnung des Besitzfestigungsverfahrens auf den Großgrundbesitz eine willkommene Möglichkeit für Klientelpolitik. Das änderte nichts daran, dass sich neben den oppositionellen Parteien in Land- und Reichstag auch einige deutsche Großgrundbesitzer und Gutspächter aus den Ansiedlungsprovinzen fanden, die gegen das Gesetz medial zu Felde zogen.428 Zu ihnen zählte auch Paul Fuß,429 der 1903 erfolglos versucht hatte, sein Gut an die Ansiedlungskommission zu verkaufen,430 und der darüber hinaus in einem polnischen Verlag eine Broschüre gegen die Diskriminierung der polnischen Bevölkerung veröffentlichte.431 Fuß war in Sienkiewiczs Enquete vertreten und stand in den Wochen, in denen die Parlamentsdebatten wogten, mit Hans Delbrück in brieflichem Austausch.432 1908 Enteignungs- und Besitzfestigungsbefugnis in zwei unterschiedlichen Gesetzen erlassen worden seien. Auch in seiner Rede zur Landtagseröffnung warb Bülow im Abgeordnetenhaus um die Gunst der Konservativen mit dem Versprechen, das Besitzfestigungsverfahren für den Großgrundbesitz zu öffnen, vgl. StenBerAH 1907, Sp. 11, Sitzung vom 26.11.1907. 427 Walkenhorst, S. 272. 428 Vgl. Pirko, S. 220 f.; GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9535, Bl. 191–192, Präsident der Ansiedlungskommission an Geheimrat Ganse, 19.3.1910; Schönberg. Die Posener Neuesten Nachrichten hatten Unterschriften gegen das Enteignungsgesetz von deutschen Grundbesitzern gesammelt und publiziert. Dies sei aus Eigeninteresse erfolgt, da die Zeitung von vielen polnischen Geschäftsleuten gehalten werde. Zu der Unterschriftenkampagne auch Hemmerling, Geneza, S. 184 f.; Pirko, S. 169–171; Balzer, S. 114. Nach Erlass des Gesetzes: Rabbow, Schon; ders., Tragi-Komödie. 429 Vgl. Engeldinger, S. 90. 430 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9681, Bl. 134, Präsident der Ansiedlungskommission an Paul Fuß, 24.3.1903. 431 Vgl. Paul Fuß: Die Zustände in der Provinz Posen, Posen o. J. [1907]. 432 Vgl. SBB PK, Nachlass Hans Delbrück, Briefe, Paul Fuß, n. p., Paul Fuß an Hans Delbrück, 1.12.1907. An anderer Stelle erklärte er, dass er nicht bereit sei, sein Gut an die Ansiedlungs kommission zu verkaufen. Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9681, Bl. 178, Georg Luther an den Reichskanzler, 27.11.1907. Vgl. zu dem Vorgang auch den Bericht des Oberpräsidenten von Posen: Ebd., Nr. 9638, Bl. 197–198r, Oberpräsident von Posen an den Landwirtschaftsminister, 23.11.1907. Dort auch der Hinweis auf Fuß’ Isolierung von der deutschen Bevölkerung der Provinz sowie auf eine für Zeitungen geplante Stellungnahme
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Trotzdem wurde das Gesetz schließlich im Abgeordnetenhaus mit 198 gegen 119 Stimmen bei einer Enthaltung angenommen. Im Herrenhaus, in dem der Anteil von Großgrundbesitzern deutlich höher lag, war die Zustimmung weniger gewiss. Eines der Herrenhausmitglieder, das gegen das Gesetz stimmte, obwohl Heinrich von Tiedemann im Namen des Ostmarkenvereins energisch auf es eingewirkt hatte, war Karl August von Kospoth, der im Jahr zuvor von einem Ehrenamt wegen der Vermittlung der schlesischen Herrschaft Ossen in die Hände Biedermanns hatte zurücktreten müssen.433 Dass das Gesetz dennoch das Herrenhaus passierte, war vor allem der Vorarbeit Ernst von Heydebrands zu verdanken, der als deutschkonservativer Fraktionsvorsitzender im Abgeordnetenhaus bereits die notwendigen Weichen für das Herrenhaus gestellt hatte. Die Herrenhausmitglieder und Enteignungsbefürworter Gustav Schmoller und der Frankfurter Oberbürgermeister, Franz Adickes – Letzterer zugleich Schwiegervater Hugenbergs und ein Cousin von dessen Mutter – taten ihr Übriges, um in der Ersten Kammer des Landtages die Mehrheit zu sichern.434 Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass die preußische Regierung im Verlauf der Präsidentschaft Bülows 1900–1909 erhebliche gesetzgeberische Eingriffe in den Bodenmarkt vollzog. Hintergrund war die aus Sicht der preußischen Regierung dysfunktionale »moralische Ökonomie« durch das Ausbleiben polnischer Kaufofferten einerseits und den Umstand andererseits, dass deutsche Grundbesitzer bei ihren Angeboten vorzugsweise mit Täuschungen operierten und dem Verkauf an polnische Interessenten nicht abgeneigt waren. Mit diversen Gesetzen sollte eine staatliche Steuerungsfähigkeit hergestellt werden, indem die Handlungsoptionen der am Markt vertretenen Akteure eingeschränkt wurden. Ein normativer Wandel der »moralischen Ökonomie« stellte sich demzufolge nicht nur im sozialen, sondern auch im rechtlichen Sinne ein. Durch die gewählten Maßnahmen veränderte sich die staatliche Politik zugleich von einer – cum grano salis – reinen Siedlungspolitik zu einer tiefergreifenden Bodenpolitik, in der die Neusiedlung nur noch einen Teilaspekt ausmachte. Bereits die Einrichtung eines Fonds zum Ankauf von Domänen und Forsten zusätzlich zur Auffüllung des regulären Ansiedlungsfonds 1902 bedeutete eine Teilabkehr von der ursprünglichen Agenda der Massensiedlung. Die Einführung des Besitzfestigungsverfahrens ab 1904 für den bäuerlichen Besitz und 1908 für den Großgrundbesitz folgte der Logik, dass nicht allein das Mittel »Neusiedlung«, sondern auch die Beibehaltung und Bindung der bereits vorhandenen eines in der Provinz ansässigen Verwandten, in der dieser sich von Fuß öffentlichen distanzieren wolle. 433 Vgl. Grabowski, Nationalismus, S. 196, Anm. 463. 434 Vgl. Alexander, S. 332; Hutten-Czapski, S. 527–533. Auf den familiären Zusammenhang Hugenberg-Adickes weisen bereits Land, S. 83, und Guratzsch, S. 46, hin. Adickes hatte bereits vorab unter Regierungsmitgliedern für das Enteignungsgesetz geworben, vgl. etwa: GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9694, n. p., Oberbürgermeister von Frankfurt am Main an den Landwirtschaftsminister, 16.3.1907. Zu den Vorgängen auch: Konno, HuttenCzapski, S. 53–55.
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deutschen Bevölkerung der ethnodemografischen Zielsetzung förderlich sei. Zudem trugen beide Maßnahmen den Vorrechten des Großgrundbesitzes in der Kreisverfassung und dem Erhalt deutscher Kreistagsmehrheiten Rechnung. Als schwerwiegende Instrumente der Bodenpolitik stellten sich die gezielt gegen den polnischen Grundbesitz gerichteten Maßnahmen dar: Bei dem Enteignungsgesetz von 1908 handelte es sich um einen grundlegenden Eingriff in das Privateigentum, der massive Proteste auslöste. Wolfgang Hofmann argumentiert allerdings überzeugend, dass die Ansiedlungsnovelle von 1904, die jede Form polnischer Siedlungstätigkeit empfindlich stören sollte, einen erheblich schwereren Eingriff in das polnische Alltagsleben bedeutete als das kaum angewendete und lediglich auf den Großgrundbesitz abzielende Enteignungsgesetz.435 Das Ergebnis dieses Jahrzehnts der Gesetzesinitiativen war die umfassende Orientierung staatlichen Wohlwollens und Widerwillens bei der Transaktion von Grundbesitz entlang ethno-nationaler Ordnungskriterien.436 Die Maßnahmen des Gesetzgebers standen in einer Wechselbeziehung mit dem normativen Diskurs auf beiden Seiten, in dem unerbittlich die Schließung der eigenen Reihen und der Ausstoß »nationaler Verräter« verlangt wurde. Daneben sahen die staatlichen Instanzen im dysfunktionalen Zustand des Bodenmarktes Anlass für weitreichende Eingriffe. Augenfällig wird dies durch die Verstaatlichung von Boden mittels Enteignung oder Ankauf als Domänen und Forsten. Komplizierter war das Rechtskonstrukt der Besitzfestigung, mit dem der Staat polnische Kaufinteressenten von vornherein ausschloss. Angesichts der jährlich zunehmenden Fläche polnischen Bodens, der von deutschen Vorbesitzern erworben worden war, nahm die preußische Regierung zumindest der schnell wachsenden Zahl an Rentengutsbesitzern die Möglichkeit, den Staat mit der Androhung des Verkaufes an Polen zu erpressen. Auch wenn sich die Bodengesetzgebung der preußischen Regierung zweifelsohne gegen die polnische Minderheit richtete, konnten demnach auch deutsche Grundbesitzer negative Folgen tragen, indem sie als Rentengutsbesitzer ihre Käufer nicht mehr frei wählen durften oder wenn sie unter die Ansiedlungsnovelle von 1904 fielen und keine Ansiedlungskonzession erhielten. Zu solchen Eingriffen sahen sich Minister und hochrangige Regionalbeamte durch die »beklagenswerte Schwäche des nationalen Pflichtbewußtseins des deutschen Elements« befugt, die sich »bisher andauernd zum Nachteil des Deutschtums«437 ausgewirkt habe. Sie schienen überdies einen Ausweg aus dem Dilemma der »Mobilisierung« des deutschen Grundbesitzes zu weisen, indem zwar der Verkauf der einzelnen Besitzung durch ihren individuellen Eigentümer weiterhin möglich blieb, der Kauf durch polnische Interessenten aber ausgeschlossen wurde. Die Beschränkungen des privaten Eigentums dienten demnach dazu, normenkonformes Verhalten zu erzwingen. 435 Vgl. Hofmann, S. 253; Müller, Modernisierung, S. 157. 436 Vgl. Tims, S. 126. 437 Zit n. Broszat, S. 168.
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Wenn Dieter Gosewinkel für die preußische Bodenpolitik über ihren gesamten Zeitraum feststellt: »Der Grundbesitz preußischer Staatsangehöriger, für den zivilrechtlich uneingeschränkt die gleichen Grundsätze des Eigentumsrechts galten, wurde zum Gegenstand diskriminierender bzw. privilegierender staatlicher Maßnahmen allein nach dem Kriterium nationaler Zugehörigkeit des Eigentümers«,438 so ist zu diskutieren, ob die Jahrhundertwende nicht doch eine Zäsur darstellt, für die sich ein qualitativer Wandel feststellen lässt. Augenfällig wird die von Gosewinkel erwähnte, seit 1886 bestehende diskriminierende und privilegierende Praxis in der Bevorzugung polnischen Bodens, notfalls auch polnischen Kleingrundbesitzes, beim staatlichen Ankauf und der exklusiven Weitergabe desselben an ethnisch deutsche Siedler. Doch scheint hier in dieser frühen Phase der Siedlungspolitik die Ressource »Boden« eher Mittel zum Zweck gewesen zu sein, nämlich die ethnische Zusammensetzung der östlichen Provinzen, die auf dem staatlichen Messinstrument »Bevölkerungsstatistik« als dysfunktional angezeigt wurde, zugunsten des deutschen Bevölkerungsanteils zu beeinflussen. Erst die die Bevölkerungspolitik seit der Jahrhundertwende umrahmende Gesetzgebung setzte sich eine Umverteilung des Bodens zum unmittelbaren Ziel; eine Folge des Umstands, dass die preußische Regierung mit der für die Zeit ab 1896 jährlich erhobenen Besitzwechselstatistik ein neues Messinstrument gewonnen hatte, das Interventionsmöglichkeiten und -notwen digkeiten aufzeigte. Die Regierung Bülows steht demnach für einen grundlegenden Wandel des Eigentumsregimes. Grundbesitz wurde nicht mehr als bloß privates Eigentum aufgefasst, dessen Veräußerung einzig den Regeln des freien Marktes und einigen traditionellen sozialen Rollenmustern unterlag. Stattdessen wurde die Verpflichtung gegenüber der Nation hervorgehoben. Mangelnde Zuverlässigkeit von Eigentümern in nationalen Belangen rechtfertigte sowohl der deutschen wie der polnischen nationalen Elite den Eingriff in die individuellen Verfügungsrechte, sei es durch soziale Pressionen, sei es durch rechtliche Mittel.439
438 Gosewinkel, Einbürgern, S. 214. 439 Vgl. Gosewinkel / Holec / Řezník.
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3. Aporie: 1908–1914
3.1 Die Eskalationsspirale dreht sich weiter Die Geschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts hat die Zeit des Kaiserreiches für gewöhnlich als eine stete Dynamisierung nationaler Frontstellungen dargestellt. Das galt vor allem dort, wo sich die Historiografie – polnische oder deutsche – als Nationalgeschichtsschreibung verstand. Als ein Beleg für die zunehmend vergifteten Beziehungen zwischen polnischer Minderheit und preußisch-deutschem Staat (seltener ist von der deutschen Bevölkerung die Rede und wenn, dann in Gestalt des Ostmarkenvereins oder des Alldeutschen Verbandes) wird die Anwendung des Enteignungsgesetzes angeführt. Nichtsdestotrotz wird in der Forschungsliteratur zuweilen mit leichtem Erstaunen festgestellt, dass die Regierung von dem Gesetz in den sechs Jahren zwischen Erlass und Ausbruch des Weltkrieges nicht den Gebrauch gemacht hat, den es erlaubt hätte. Einzig 1912 wurden vier Güter mit einem Flächenumfang von insgesamt etwas unter 1.700 Hektar enteignet, während das Gesetz eine maximale Fläche von bis zu 70.000 Hektar gestattete. Das ist erklärungsbedürftig. 3.1.1 Das Enteignungsgesetz kommt zur Anwendung Das Gesetz hatte, wie ausgeführt worden ist, Unbehagen bei mehreren Ministern verursacht. Friedrich von Moltke, der im Sommer 1907 zu einem Zeitpunkt ins Kabinett berufen worden war, als die Weichen bereits gestellt waren, hatte während der weiteren Beratungen erklärt, er sehe den eigentlichen Nutzen mehr in der Drohung als der tatsächlichen Anwendung des Gesetzes.1 Keineswegs eindeutig war auch Bülows Haltung. Jahrzehnte später erinnerte sich ein Mitarbeiter des Finanzministeriums, wie Bülow ihm nach seiner Rede und der anschließend erfolgreich verlaufenen Abstimmung im Landtag zugeraunt haben soll: »Nun sorgen Sie mir dafür, daß das Gesetz mit allergrößter Umsicht und Schonung angewendet wird.«2 In ähnlichem Sinne soll er sich dem österreichi1 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 90 A, Nr. 3612, Bl. 54–73, hier 62r–63, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 2.11.1907, dort jedoch auch mit der Überlegung, dass wenn das Enteignungsgesetz angewendet werden soll, dies in Fällen zu erfolgen habe, in denen der wirtschaftliche Zustand des Grundbesitzers es ihm nicht erlaube, sich anderweitig anzukaufen. 2 Busch, S. 130; die Rede abgedruckt bei Bülow, Reden, Bd. 4, S. 289–308; sinngleich gegenüber Ministerkollegen nach Erlass des Gesetzes: Jakóbczyk, Komisja, S. 163, Anm. 16.
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schen Botschafter gegenüber geäußert haben.3 In seinen Memoiren, einer Generalabrechnung mit seinen ehemaligen Weggefährten, erklärte Bülow, er habe sich »zu keiner anderen gesetzgeberischen Maßnahme so ungern entschlossen […] wie zu dem Enteignungsgesetz«, sei aber von Bethmann Hollweg, Wilhelm II. und anderen dazu gedrängt worden, wobei der König nachher wieder ins Schwanken geraten sei und ihn, Bülow, für das Gesetz getadelt habe.4 Schon nach Verabschiedung des Gesetzes entwickelten sich hartnäckige Gerüchte, Bülow habe gar nicht vor, es anzuwenden und dies auch vorab Herrenhausmitgliedern versichert, um sich deren Unterstützung zu sichern. Nach seiner Entlassung dementierte Bülow dies und setzte seinem Amtsnachfolger mit Zeitungsartikeln zu, dass, hätte er weiter regiert, das Gesetz längst angewendet worden wäre. Unmittelbar nach Verabschiedung des Enteignungsgesetzes hatte mit Alfred Hugenberg einer der geistigen Urheber in einem anonymen Zeitungsartikel dargelegt, der eigentliche Sinn des Gesetzes liege zum gegenwärtigen Zeitpunkt in der Beruhigung des Bodenmarktes: Die Güter, die in den letzten Jahren in die Hand polnischer Besitzer oder Parzellierungsbanken übergegangen sind, sind natürlich diejenigen, deren Preise in dem nationalen Kampf um den Grund und Boden am meisten in die Höhe getrieben sind. Will man gerade diese Güter mit Hilfe der Enteignung den Polen wieder abjagen, so wird das alte Spiel, bei dem stets der Staat der Übervorteilte war […] in andern Formen weitergehen. Die Gerichte werden sich nach den Preisen richten, die gezahlt sind.5
Der Kreislauf weiterer Spekulationskäufe, so Hugenberg, würde sich bei Anwendung des Gesetzes ungebremst weiterdrehen. Stattdessen müsse sich die Ansiedlungskommission zunächst äußerste Zurückhaltung auferlegen und solle erst nach einer gewissen Zeit in Einzelfällen das Mittel der Enteignung nutzen. Gerade der Promotor des Enteignungsgesetzes, Hugenberg, legte es demzufolge nicht auf eine schnelle, demonstrative Anwendung des Gesetzes an. Zeitgenossen, aber auch die Forschung haben den Verzicht auf die Anwendung des Gesetzes auf politische Konstellationen zurückgeführt. Erstens zerbrach im Sommer 1909 der »Bülow-Block«, die regierungsstützende Parlamentsmehrheit bestehend aus Freisinn, Nationalliberalen und den beiden konservativen Parteien. Die Regierung rückte unter dem neuen Ministerpräsidenten Bethmann Hollweg in die Abhängigkeit der Zentrumspartei, die der preußischen Polenpolitik stets unterstellte, eine kaschierte Protestantisierungspolitik zu sein.6 Für das Zentrum mag auch die Überlegung eine Rolle gespielt haben, dass Polen als 3 Vgl. Buszko, S. 496. 4 Bülow, Denkwürdigkeiten, S. 488–491, das Zitat 488. 5 Kölnische Zeitung, 12.5.1908, abgedruckt in: Hugenberg, S. 218–221, das Zitat 219 f.; Hervorh. im Orig. – Hugenberg hatte inzwischen einen lukrativen Posten in der westdeutschen Wirtschaft übernommen. 6 Vgl. Land, S. 91 f.; Tims, S. 167 f.; Hagen, S. 194–196. Für dies und das Folgende auch Balzer, S. 84.
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potenzielle Zentrumswähler bei Anwendung der Enteignung in das Lager der weiterhin oppositionellen Polenpartei gedrängt würden. Jedenfalls tat die neue Regierung gut daran, sich das Wohlwollen der Zentrumspartei zu erhalten und daher die repressive Minderheitenpolitik nicht auf die Spitze zu treiben. Zweitens blieb die Regierung von den immer noch in Befürworter und Gegner des Gesetzes gespaltenen Deutschkonservativen abhängig.7 Hier setzte eine polnische Stimme ein, um die Ängste deutscher Großgrundbesitzer vor dem »sozialistischen« Regiment der Regierung weiter zu schüren. In einer in deutscher Sprache verfassten Broschüre stellte der spätere Abgeordnete Franciszek Morawski eine Interessengemeinschaft deutscher und polnischer Großgrundbesitzer fest. Auf polnischer Seite würden Enteignungen die nationalen Kräfte nicht brechen können, sondern allenfalls die radikale Nationaldemokratie weiter bestärken. Auf deutscher Seite hingegen würde sich die öffentliche Meinung dahin wenden, dass auch deutscher Großgrundbesitz enteignet und unter Kolonisten aufgeteilt werde.8 Es waren dann, wie weiter unten zu zeigen ist, gerade deutsche Großgrundbesitzer, welche die Anwendung des Gesetzes zu vereiteln suchten. Drittens können außenpolitische Gründe festgestellt werden. Das Bündnis mit der letzten freundlich gesinnten Großmacht Österreich-Ungarn, deren Reichsrat eine gut organisierte polnische Fraktion aus Galizien angehörte, würde schwer belastet, das Deutsche Reich in der Welt weiter isoliert werden.9 Es gab für die Regierung demnach gute Gründe, das Gesetz nicht zur Anwendung zu bringen, zumal die gleichen höfischen Netzwerke weiterarbeiteten, die – wenn auch erfolglos – schon zuvor versucht hatten, das Gesetz zu verhindern. Anfang 1910 entschied Wilhelm II. unter Einfluss Rudolf von Valentinis, des Chefs des Geheimen Zivilkabinetts, dass von der Enteignung zunächst kein Gebrauch gemacht werden solle, sondern sie lediglich als letztes Mittel in Reaktion auf mögliche polnische Provokationen zu betrachten sei.10 Doch die Enteignungsbefugnis stand nun mal im Raum – und die radikale Rechte forderte sie. Das Gesetz, das ein zeitgenössischer Beobachter als »schlimmste Hinterlassenschaft aus der Ära Bülow«11 bezeichnet hatte, stellte sich bei genauerem Hinsehen als »Hypothek«12 heraus, die schwer auf der Regierung lastete. Ein Verzicht auf die Umsetzung hätte ihr als Schwäche ausgelegt werden können. Auch die Ansiedlungskommission forderte von der Regierung, endlich von dem Gesetz Gebrauch zu machen, um den erforderlichen Landbedarf zu decken.13 7 Vgl. Land, S. 92, 105 f.; Walkenhorst, S. 273. 8 Vgl. Morawski. Dazu auch Laubert, Polenpolitik, S. 144; Tims, S. 168, Anm. 62; Land, S. 93. 9 Vgl. ebd., S. 92; Hutten-Czapski, S. 36–38; Tims, S. 168; Jakóbczyk, Ostmarkenverein, S. 220 f.; ders., Komisja, S. 163; Buszko; Spät, S. 153 f. Vergleiche auch das Schreiben Bethmann Hollwegs an Schorlemer, 23.12.1910, in: Gerhold, S. 61, Anm. 82, 62. 10 Vgl. Hammann, S. 31; Hutten-Czapski, S. 36–54. 11 Michaelis, Bismarck, S. 342 f. 12 Gerhold, S. 61. 13 Vgl. Hutten-Czapski, S. 36 f.
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Die Entscheidung ließ sich zunächst noch aufschieben. Bethmann Hollweg, der auf innenpolitische Kompromisse statt Konfrontationen setzte, bildete im Juni 1910 das Kabinett an drei neuralgischen Stellen um. Mit Landwirtschaftsminister Arnim, Innenminister Moltke und Finanzminister Rheinbaben mussten drei dezidierte Befürworter einer repressiven Polenpolitik das Staatsministerium verlassen. Rheinbabens Nachfolger, August Lentze, hielt allerdings an der Umsetzung des Enteignungsgesetzes fest.14 Innenminister Moltke, der sich 1907 für die Enteignungsvorlage als ein Drohmittel ausgesprochen hatte, musste gehen und wurde durch Johann von Dallwitz ersetzt, der erst einige Monate zuvor zum Oberpräsidenten von Schlesien ernannt worden war, in den folgenden Jahren aber keine Akzente in der Polenpolitik setzte. Arnims Nachfolger Clemens von Schorlemer hingegen war als ehemaliger Oberpräsidialrat in Schlesien mit dem deutsch-polnischen Nationalitätenproblem gut vertraut. Mit der Person des neuen Landwirtschaftsministers Schorlemer verbanden sich gemischte Erwartungen. Zwar war er bis zur Ernennung zum Minister Mitglied des Ostmarkenvereins gewesen, doch war er gleichzeitig Katholik und 1908 der Abstimmung über das Enteignungsgesetz im Herrenhaus ferngeblieben. Aufseiten der Deutschnationalen bezweifelte man, dass er der geeignete Mann sei, um die Konfrontationspolitik energisch fortzuführen.15 Ab 1910 lässt sich eine veritable Pressekampagne radikalnationalistischer Kreise für die Anwendung des Enteignungsgesetzes nachweisen,16 in deren Verlauf sich Schorlemer tatsächlich als Gegner der Enteignung entpuppte. Er behandelte im Einvernehmen mit Bethmann Hollweg (trotz persönlicher Abneigung)17 die Sache dilatorisch. Mal verwies Schorlemer auf die Gefahr eines Bruchs mit der Zentrumsfraktion, mal ordnete Bethmann Hollweg eine neuerliche Überprüfung der für die Enteignung infrage kommenden Güter an, dann wiederum erklärte Schorlemer, dass keine unmittelbare Veranlassung für die Anwendung des Gesetzes vorliege.18 Doch der mediale Druck nationalistischer Kreise, vornehmlich des Ostmarkenvereins, ließ nicht nach. Jeder Schritt der Regierung wurde beobachtet, jede Äußerung kommentiert.19 Das Staatsministerium reagierte auf die unablässigen Forderungen, das Enteignungsgesetz anzuwenden, mit einer lavierenden Politik der Versprechungen. 1910/11 versuchte die Regierung, den Ostmarkenverein dazu zu veranlassen, vom Medienrummel Abstand zu nehmen:
14 Vgl. Gerhold, S. 66, Anm. 108. 15 Vgl. ebd., S. 59 f. 16 Vgl. Spät, S. 155–166. 17 Vgl. Hutten-Czapski, S. 26 f. 18 Vgl. Gerhold, S. 61–77. 19 So etwa eine aufschiebende Erklärung des Landwirtschaftsministers Ende März 1911 in der Finanzkommission des Herrenhauses. Vgl. Der Tag, 28.3.1911; Berliner Neueste Nachrich ten, 28.3.1911; Die Post, 28.3.1911; Tägliche Rundschau, 28.3.1911; Leipziger Neueste Nachrichten, 29.3.1911; Rheinisch-Westfälische Zeitung, 29.3.1911; Kölnische Zeitung, 29.3.1911.
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Im August 1910 bereitete sie in einem geheimen Brief den Vereinsführer Tiedemann darauf vor, dass der Kaiser bei seinem Besuch in Posen das Thema Enteignung nicht ansprechen werde, dass die Presse dies aber nicht als Kurswechsel in der Polenpolitik auslegen sollte. Im Jahr darauf erklärte Schorlemer durch vertrauliche Botschaften und persönliche Gespräche mit Führungsmitgliedern des Ostmarkenvereins, man könne wegen Drucks aus Österreich-Ungarn im Augenblick nicht handeln. Vom Tisch sei das Gesetz nicht.20 Doch verhallten solche Appelle nahezu ungehört. Für die Berliner Neuesten Nachrichten stellte die Enteignung den »Prüfstein der Regierungsautorität«21 dar, wie sie Ende 1910 titelte. Die Notwendigkeit außenpolitischer Rücksichtnahme wurde durch die auch von weiteren Blättern aufgegriffene Verbreitung einer Erklärung des österreichischen Abgeordneten Josef Wolfgang Dobernig entkräftet, der österreichische Außenminister Aehrenthal habe ihm persönlich versichert, dass Wien in dieser Sache nicht intervenieren werde.22 Auch andere Argumente der Regierung wurden bestritten. Am 17. Januar 1911 hatte Landwirtschaftsminister Schorlemer noch im Abgeordnetenhaus erklärt, der Landvorrat der Ansiedlungskommission sei für die nähere Zukunft gedeckt. In der Presse wurde dies als bewusste Täuschung dargestellt, wofür man sich auf eine öffentliche Stellungnahme des Kommissionspräsidenten berufen konnte.23 Die Magdeburgische Zeitung kommentierte die Verzögerungstaktik des Ministers: Herr von Schorlemer ist ja ein Meister der Ausflüchte. […] Aus der großen Skala seiner Ausflüchte, insbesondere gegen die Anwendung des Enteignungsgesetzes, wollen wir nur einige in Erinnerung rufen: Da hieß es, der Reihe nach: Wir dürfen die Polen in den österreichischen Delegationen nicht reizen. Wir dürfen das Zentrum vor den Reichstagswahlen nicht reizen. Wir müssen die Denkschrift der Ansiedlungskommission abwarten. Wir werden enteignen, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen sein wird. Wir müssen ein Sinken der übertriebenen Grundstückspreise im Osten abwarten. Und so weiter und so weiter in buntem Wechsel.24
Die Deutsche Zeitung sprach von der »Politik der Vertröstung«, Der Tag von der »Politik des Zauderns«. Der Ton wurde schärfer. Im Frühjahr 1911 sprach die Tägliche Rundschau bereits von den »Antiostmarkenministern« und einige Monate später vom »Bankerott des neuen Ostmarkenkurses«, während die Rheinisch-Westfälische Zeitung titelte: »Die Ansiedlungs-Kommission am Ende«.25 20 Vgl. Jakóbczyk, Ostmarkenverein, S. 222–224; ders., Komisja, S. 168 f.; Grabowski, Nationalismus, S. 198, 202. 21 Vgl. Berliner Neueste Nachrichten, 9.12.1910. 22 Vgl. Deutsche Tageszeitung, 7.2.1911; Germania, 8.2.1911; Berliner Neueste Nachrichten, 9.2.1911. 23 Vgl. etwa Deutsche Zeitung, 24.3.1911; Tägliche Rundschau, 25.3.1911. 24 Magdeburgische Zeitung, 8.8.1911. Ähnlich: Hamburger Nachrichten, 28.2.1911; Tägliche Rundschau, 1.3.1911. 25 Deutsche Zeitung, 24.3.1911; Der Tag, 25.3.1911; Tägliche Rundschau, 28.3.1911 und 23.9.1911; Rheinisch-Westfälische Zeitung, 17.2.1912. Zu solchen medialen Druckmitteln
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Für die Regierung wurde das Lavieren zwischen enteignungskritischer Reichstagsmehrheit und radikalnationalistischem Lager immer schwieriger.26 Paradoxerweise waren es gerade die liberalen Kräfte, die im »langen« 19. Jahrhundert auf den Schutz privaten Eigentums hingewirkt hatten, die jetzt massiv auf staatliche Eingriffe hinwirkten. Kein »Schwanken in der Polenpolitik« war die Losung der nationalliberalen, aber auch großer Teile der konservativen Öffentlichkeit. Deshalb mussten Regierungsvertreter den Eindruck einer Kehrtwende, wie sie seinerzeit Caprivi vorgehalten worden war, unbedingt vermeiden. Dessen Polenpolitik war als »Zickzackkurs« kritisiert worden, der nicht wiederholt werden durfte.27 Hieran knüpften die nationalliberalen Kritiker an, die Bethmann Hollweg ein »Wiedereinlenken in die Bahnen der Caprivischen Polenpolitik«28 attestierten. Die Berliner Neuesten Nachrichten, die dem Ostmarkenverein nahestanden, titelten 1911 anlässlich der absehbaren Abberufung des nationalpolitisch unerbittlichen Oberpräsidenten Waldow: »Ein neuer Versöhnungskurs?«29, und die Deutsche Zeitung sprach einige Wochen später ebenfalls unter dem Titel »Versöhnungskurs« von einer »Aera des Neo-Caprivismus«.30 So auf den Namen Caprivi gestoßen, mochten sich die Staatsminister womöglich auch an dessen ausgesprochen demütigende Entlassung erinnern,31 die zu wiederholen sie nicht wünschen konnten. Gegen die Medienkampagne aus dem liberalen Lager stellte sich der Bund der Landwirte. Im Juli 1911 hatte Rittergutsbesitzer Heydebreck, Schwiegersohn des vom Ostmarkenverein schwer angefeindeten ehemaligen Oberpräsidenten Wilamowitz-Moellendorff, eine Unterschriftenkampagne gegen das Enteignungsgesetz organisiert, mit der zugleich Landwirtschaftsminister Schorlemer Unterstützung versichert wurde.32
gehörte auch eine vom Ostmarkenverein verantwortete Dokumentensammlung: Wagner, Materialien. 26 Schon im Frühjahr 1910 hatte Bethmann Hollweg dem Botschafter Österreich-Ungarns die Möglichkeit einer geringfügigen Enteignung für den Fall angekündigt, dass die Regierung dem Druck des rechten Lagers nicht mehr standhalten könne. Vgl. Buszko, S. 504. 27 Vgl. Hagen, S. 198 f. Noch in der Zwischenkriegszeit wurde das Versagen in der Polenpolitik vor allem mit der Person Caprivis verbunden. Vgl. Bülow, Politik, S. 280; Michaelis, Staat, S. 239; Günzel, S. 8 (über Caprivi und Hohenlohe). 28 Der Reichsbote, 8.2.1911. 29 Berliner Neueste Nachrichten, 27.2.1911. 30 Deutsche Zeitung, 29.4.1911. Ähnlich die Tägliche Rundschau, 14.5.1911. 31 Vgl. Spitzemberg, S. 481. 32 Vgl. Jakóbczyk, Ostmarkenverein, S. 225 f.; Land, S. 95 f.; Tims, S. 177, Anm. 84; Hagen, S. 197 f.; Grabowski, Nationalismus, S. 203 f. Die zunächst anonyme Erklärung, deren Unterzeichner später veröffentlicht wurden, schlug hohe Wellen. Vgl. dazu die gesammelten Zeitungsartikel in: GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. ZB Nr. 186–187, Zeitungsausschnitte zu den Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Polentums und zur Stärkung des Deutschtums in den Provinzen Westpreußen und Posen (1911; 1911–1912).
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Trotzdem konnte die Regierung einer Entscheidung nicht mehr länger ausweichen. Dass sie das Gesetz schließlich anwandte, begründete sie mit dem Landmangel der Ansiedlungskommission.33 Die Forschung ist sich indes einig, dass es vor allem darum ging, den Angriffen von rechts den Wind aus den Segeln zu nehmen.34 Der Regierung wären auch schwerlich neue Gelder für die Siedlungspolitik bewilligt worden, wenn sie nicht zuvor alle verfügbaren Mittel eingesetzt hätte.35 In der Ausführung der Enteignung sah sich die Regierung mit dem Problem konfrontiert, diese einerseits für die nationalistische Rechte als einen demonstrativen Akt politischer Stärke zu inszenieren, auf der anderen Seite aber tunlichst schonend vorzugehen, um die regierungsstützende Reichstagsmehrheit nicht zu verprellen und einen außenpolitischen Reputationsverlust, wie ihn der Erlass des Gesetzes 1908 bewirkt hatte, nicht zu wiederholen. Doch mag es kaum überraschen, dass es den Staatsministern nicht gelang, auch nur eine der beiden Seiten zufriedenzustellen. Die Regierung entschied sich, zur Enteignung zur schreiten – aber möglichst schonend. Bereits 1907 waren Listen erstellt worden, welche Besitzungen von vornherein ausgenommen sein sollten. Gute Verbindungen zum Herrscherhaus konnten ein Grund sein oder die schlechte Bodenbeschaffenheit des Gutes, die eine Parzellierung ausschloss, oder hohe Verschuldung der Besitzer, denen man nicht durch Entschädigungszahlungen aufhelfen wollte.36 Bethmann Hollweg hatte 1910 den Vorschlag gemacht, das Gesetz nur auf Parzellierungsinstitute, nicht auf Privatpersonen anzuwenden, um keine persönlichen Einzelschicksale zu produzieren.37 Auch neigte man dazu, nur solche Besitzungen zu enteignen, die kurz zuvor den Eigentümer gewechselt hatten. Unterdessen fühlten sich nationalliberale und freikonservative Zeitungen bemüßigt, auf geeignete polnische Güter hinzuweisen.38 Bis Dezember 1911 war die Auswahl auf elf Besitzungen, zusammen rund 13.500 Hektar umfassend, reduziert worden.39 Im Oktober 1912 wurde schließlich die Expropriation von vier Gütern beschlossen: Złotniki (344 Hektar), Kołdrąb (549), Dobsko (300) und Lipienki (500). Polnische Grundbesitzer hatten für den Ernstfall vorgesorgt. Bereits bei Erlass des Gesetzes 1908 hatten Akteure aus dem Umfeld des Grundbesitzerverbandes Związek Ziemian, der Bank Ziemski und der Straż bei einem geheimen Treffen vereinbart:
33 Vgl. ebd., Rep. 90 A, Nr. 3617, Bl. 64–69, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 20.3.1911; ebd., Bl. 187r–189r, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 14.11.1911. 34 Vgl. Oldenburg-Januschau, S. 94; Huber, S. 509 f.; ausführlich: Grabowski, Nationalismus, S. 197–205. 35 Vgl. Balzer, S. 84. 36 Die Listen finden sich abgedruckt bei: Pirko, S. 288–294, siehe auch S. 153, Anm. 51. 37 Vgl. Gerhold, S. 61, Anm. 82. 38 Vgl. Schlesische Zeitung, 3.7.1913; Tägliche Rundschau, 7.7.1913; Die Post, 13.9.1913 und 14.11.1913. 39 Vgl. Gerhold, S. 77.
257
1) es müssen hohe Steuererklärungen abgegeben werden, die als Grundlage für die Forderung nach angemessener Entschädigung im Falle einer Enteignung dienen können; 2) jeder Landwirt in Posen übernimmt Kosten für Verfahren gegen die Enteignung von 20 Pfennig pro Hektar Land; 3) kein Pole hat das Recht, ohne Gerichtsverfahren das enteignete Land der Ansiedlungskommission zu übergeben. Er hat sofort den Rat eines von der landwirtschaftlichen Organisation ernannten Rechtsanwalts einzuholen. Wer das Land ohne Gerichtsverfahren übergibt, wird geschmäht, als habe er es der Ansiedlungskommission verkauft. 4) jeder Enteignete sollte im Land bleiben und versuchen, eine andere Besitzung unter preußischer Herrschaft zu kaufen; 5) die gesamte Aktion ist als streng vertraulich zu behandeln.40
In der Tat klagten alle vier Betroffenen, wobei sich die Prozessstrategie nicht gegen die gesetzlich legitimierte Enteignung richtete, sondern gegen die Bemessung der Entschädigungszahlung. Tatsächlich war mindestens bei Złotniki und Kołdrąb die Werttaxe um mehr als 100.000 Mark niedriger ausgefallen als der zuletzt gezahlte Kaufpreis, sodass Kritiker von einer partiellen Konfiskation polnischen Vermögens sprachen.41 Es bleibt der weiteren Forschung überlassen, ob die Entschädigungszahlung absichtlich zu niedrig angesetzt wurde, um den Betroffenen das Prozessrisiko zu überantworten. Jedenfalls sollten sich die Verfahren noch viele Jahre hinziehen. Im Fall von Lipienki versandeten Berufung und Revision der Vorbesitzerin 1917, bei Kołdrąb einigten sich Alteigentümer und Ansiedlungskommission im Frühjahr 1917 auf einen Vergleich, bei den beiden verbleibenden Gütern kam ein solcher Ende 1918 und Anfang 1919 zustande.42 Die Enteignungen stießen nicht nur in polnischen Reihen, sondern auch bei deutschen Parteien auf Widerstand. Dass Landwirtschaftsminister Schorlemer
40 Jackowski, S. 147. »1) istnieje konieczność składania wysokich zeznań podatkowycz mogących posłużyć za podstawę żądania odpowiedniego odszkodowania w razie wywłaszczenia; 2) każdy rolnik w Wielkopolsce wpłaci na koszty procesów w sprawie wywłaszczenia 20 fenigów od hektera posiadanej ziemi; 3) żaden Polak nie ma prawa bez procesu oddać ziemi komisji wywłaszczającej, wywłaszczony powienien zaraz zasięgnąć porady adwokata wskazanego mu przez organizację rolniczą. Oddanie ziemi bez procesu będzie piętnowane jako sprzedaż na rzecz Komisji Kolonizacyjnej; 4) każdy wywłaszczony winien pozostać w kraju i dążyć do zakupienia innego gospodarstwa pod zaborem pruskim; 5) należy traktować całą akcję jako ściśle poufną i pouczyć o tym wszystkich powiadomionych.« Vgl. zu einzelnen Punkten, insbesondere der Möglichkeit, den Gerichtsweg zu beschreiten, ebenfalls Gazeta Toruńska, 18.1.1908; Dziennik Poznański, 23.1.1908 und 26.1.1908; Lech. Gazeta Gnieźnieńska, 2.2.1908; Dziennik Kujawski, 14.2.1908; Wielkopolanin, 3.3.1908; Kurjer Poznański, 4.3.1908. Dazu auch Balzer, S. 86. 41 Vgl. Germania, 18.3.1913 und 23.3.1913; Spät, S. 163. 42 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9540–9541, Ankauf von Grundstücken in den Provinzen Posen u. Westpreussen zu Kolonisationszwecken (1914–1917; 1917–1923).
258
im Abgeordnetenhaus die Milde der Regierung betonte, wurde als Hohn aufgenommen. Anfang 1913 kam es im Reichstag zu einer Interpellation dank einer Zweidrittelmehrheit bestehend aus Sozialdemokraten, nationalen Minderheiten und Zentrum (trotz der regierungsfreundlichen Position in Preußen): »Die Zulassung der Enteignung polnischer Gutsbesitzer für die Zwecke der preußischen Ansiedlungskommission durch den Herrn Reichskanzler entspricht nicht der Auffassung des Reichstags.«43 Die eigentliche Brisanz des Vorgangs lag in der Novität des Mittels: Die Möglichkeit eines Missbilligungsvotums war erst seit der Abänderung der Geschäftsordnung im Vorjahr gegeben und wurde hier erstmals erprobt. Auch wenn der Missbilligung keine staatsrechtlichen Sanktionen nachfolgten und sich Bethmann Hollweg auf den gleichen Standpunkt zurückzog wie Otto von Bismarck 1885/86 anlässlich der Massenausweisungen, wonach der Reichstag nicht über innerpreußische Angelegenheiten zu befinden habe, so war das Signal dennoch unüberhörbar.44 Es zeigte sich, dass eine Regierung nichts zu gewinnen und viel zu verlieren hat, wenn sie einer nationalistischen Rechten nachgibt, die hohe Forderungen stellt, ohne die politische Verantwortung für ihre Umsetzung übernehmen zu müssen. Nach Dieter Gerhold war die nachfolgende Regierungsarbeit von dem stillen Einverständnis zwischen der Regierung und den Parlamenten bestimmt, dass sich die Enteignung nicht wiederholen sollte.45 Dem Abgeordnetenhaus gegenüber bekannte Schorlemer im März 1914 seine Abneigung gegenüber dem Enteignungsgesetz, nicht ohne jedoch sein Eintreten für das Deutschtum in den Ostprovinzen noch einmal zu beteuern.46 Aufheben mochte er das Gesetz aber auch nicht, nicht nur wegen der damit verbundenen politischen Komplikationen, sondern auch weil er, wie er Hutten-Czapski gegenüber erklärte, hoffte, dass damit Verkäufe deutscher Grundbesitzer an Polen unterbunden würden.47 Das Enteignungsgesetz behielt bei den Verantwortlichen einen schalen Beigeschmack. Er wurde umso bitterer nach dem verlorenen Weltkrieg und dem Verlust der größten Teile der Ansiedlungsgebiete, den die Siegermächte auch mit der radikalen Unterdrückungspolitik des preußischen Machtstaates gegen seine polnischen Bürger begründete. Bernhard von Bülow distanzierte sich nun in seinen skandalumwitterten Memoiren von der Verantwortung für das Gesetz.48 Ludwig Bernhard hingegen fand beschönigende Worte: »Eine Politik, die im Auslande den Eindruck einer rücksichtslos steigernden Vernichtungsaktion
43 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 287, Berlin 1913, S. 3371, Sitzung vom 30.1.1913; Kotowski, Staatsräson, S. 165 f.; Gerhold, S. 86. Siehe dazu auch das Urteil bei Hutten-Czapski, S. 42, die Anwendung des Gesetzes habe der Regierung mehr geschadet als genutzt. 44 Vgl. Spät, S. 164 f.; Huber, S. 509 f., 588–590. 45 Vgl. Gerhold, S. 88. Vgl. dagegen Łuczak, S. 57, wonach einzig der Ausbruch des Ersten Weltkrieges weitere Enteignungen verhindert habe. 46 Vgl. Gerhold, S. 95. 47 Vgl. ebd., S. 92. 48 Vgl. Bülow, Denkwürdigkeiten, S. 487–493.
259
machen mußte. – In Wirklichkeit [war sie] aber das Gegenteil: ein Mißverhältnis zwischen harten Gesetzesdrohungen und maßvoller Verwaltungspraxis.«49 3.1.2 Erfolge der Besitzfestigung War dem Enteignungsgesetz kein nennenswerter Erfolg beschieden, entwickelte sich die Besitzfestigung, die Umwandlung von Grundbesitz in staatliche Rentengüter unter Belassung des Vorbesitzers, in den Jahren vor Ausbruch des Ersten Weltkrieg zum wichtigsten Steuerungselement der preußischen Bodenpolitik, da sie seit 1904 einen zunehmenden Bedeutungsgewinn vor dem Neukauf von Grundbesitz durch die Ansiedlungskommission erfuhr.50 Denn unter den Grundbesitzern beider Ansiedlungsprovinzen erfreute sich das Verfahren – nach anfänglichem Misstrauen gegenüber der Wertminderung, die ein staatliches Vorkaufsrecht bedeuten könnte51 – einer rasch wachsenden Nachfrage (Tab. 13). Tab. 13: Zahl der 1906–1913 gefestigten Besitzungen in Westpreußen und Posen52 Jahr Bis 1906
Bäuerliche Besitzungen
Güter
55
–
1907
505
–
1908
1.335
–
1909
1.081
18
1910
1.302
39
1911
1.564
52
1912
1.745
55
1913
1.786
45
Summe
9.373
209
49 Bernhard, Polenpolitik, S. 10. 50 Vgl. Tims, S. 180 f.; Land, S. 96 f.; Müller, Modernisierung, S. 160. 51 So einhellig die Berichte der Landräte in der Frühphase: APP, Naczelne Prezydium Prowincji Poznańskiej, Nr. 4702, S. 107–110, Landrat von Samter an den Oberpräsidenten von Posen, 4.7.1907; ebd., S. 238–240, Landrat von Wirsitz an den Oberpräsidenten von Posen, 8.7.1907; ebd., S. 246–252, Landrat von Witkowo an den Oberpräsidenten von Posen, 21.6.1907. 52 Vgl. Denkschrift des Jahres 1913 über die Ausführung des Gesetzes, betreffend die Beförderung deutscher Ansiedlungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, vom 26. April 1886 und seiner Nachträge vom 20. April 1898, 1. Juli 1902, 20. März 1908 und 28. Mai 1913, in: StenBerAH 1914, Drucksachen, S. 1801–2121, hier 1806; Dietrich, Besitzbefestigung, S. 216. Unter »Bäuerlichen Besitzungen« befinden sich auch Grundstücke mit mehr als 100 Hektar.
260
Die Zahl der Bewerber war jährlich annähernd doppelt so hoch wie die zur Ausführung gekommenen Verfahren. Von den 17.020 Anträgen, die bis einschließlich 1913 gestellt wurden, waren 27 Prozent der bäuerlichen und 30 Prozent der Großbetriebe abschlägig beschieden worden, weil sie die Verschuldungsgrenze von drei Vierteln des Besitzwertes überschritten.53 Es muss aufgrund von Lücken in der Überlieferung der Besitzfestigungsbanken offenbleiben, inwiefern in solchen Fällen mit Verkäufen an polnische Interessenten gedroht wurde, wie sie aus der Arbeit der Ansiedlungskommission bekannt sind. Auch hier schwankte die Regierung, wie bereits früher beim Ankauf von Grundbesitz durch die Ansiedlungskommission, zwischen der Verwirklichung ihrer politischen Ziele durch finanzielle Zuwendungen und dem Bedürfnis, Misswirtschaft nicht zu belohnen. Gleichwohl bot das Versprechen auf soziale Stabilisierung durch materielle Umverteilung einen Ausgleich nationaler Interessen der preußischen Regierung mit den wirtschaftlichen Bedürfnissen deutscher Landwirte. Die Ergebnisse der beiden Besitzfestigungsbanken bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges (Tab. 14) lassen einige Schlussfolgerungen zu: Die Provinz Westpreußen stellte, wenn auch nur geringfügig, vor Posen das wichtigere Betätigungsfeld dar, obwohl die westpreußische Besitzfestigungsbank über geringere Kapitalien verfügte als die Posener. Von der Schuldenregulierung profitierte vor allem der Klein- und Mittelgrundbesitz. Dies betrifft nicht nur die Zahlen der Betriebe (98 Prozent »Bauernwirtschaften« gegenüber zwei Prozent »größere Güter«), sondern auch die Betriebsfläche: Annähernd zwei Drittel der staatlich regulierten Fläche gehörte dem Klein- und Mittelbesitz an. Dass dies erwünscht war, zeigt sich nicht nur daran, dass das Besitzfestigungsverfahren für den Großgrundbesitz erst 1908 eingeführt wurde, sondern auch an der Höhe der aufgewendeten Mittel: Für die Festigung bäuerlicher Betriebe stellte der Fiskus bis 1913 Mittel in Höhe von 175 Millionen Mark zu Verfügung, für Großgrundbesitz 80 Millionen Mark.54 Den Besitzfestigungsbanken gelang es, innerhalb eines Jahrzehnts rund 280.000 Hektar Land dem potenziellen Ankauf durch polnische Interessenten dauerhaft zu entziehen. Das war ein schnelleres und vor allem preiswerteres Mittel als die Ankäufe der Ansiedlungskommission, die in annähernd drei
53 Vgl. Balzer, S. 71; Denkschrift des Jahres 1913 über die Ausführung des Gesetzes, betreffend die Beförderung deutscher Ansiedlungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, vom 26. April 1886 und seiner Nachträge vom 20. April 1898, 1. Juli 1902, 20. März 1908 und 28. Mai 1913, in: StenBerAH 1914, Drucksachen, S. 1801–2121, hier 1807. 54 Insofern scheint das Urteil bei Balzer, S. 148, einer Revision zu bedürfen, wonach sich zeige, »daß sich die Konservativen mit ihren Forderungen im Laufe der Jahre immer mehr durchsetzen konnten«, weil »bei der Besitzbefestigung fast fünfzig Prozent der entschuldeten Fläche auf den Großgrundbesitz entfiel«, zumal sie auf S. 71 gegenteilige Zahlen aufführt. In der Tat konnte die Besitzfestigung auch bäuerlicher Betriebe Teil der konservativen Interessenspolitik sein, die sich nicht auf großagrarische Bedürfnisse beschränken brauchte.
261
Tab. 14: Ergebnisse des Besitzfestigungsverfahrens bis Ende 1913 in Hektar55 Danzig
Marienwerder
Posen
Bromberg
Gesamt
»Größere Güter«
14.471
41.125
28.885
14.985
99.466
»Bauernwirtschaften«
17.464
76.308
33.761
53.086
180.619
Gesamt
31.935
117.433
62.646
68.071
Nach Provinz
Westpreußen: 149.368
Posen: 130.717
280.085
Jahrzehnten rund 450 Millionen Mark für den Ankauf von 440.000 Hektar verausgabte.56 Während des Ersten Weltkrieges dauerte die Arbeit der Besitzfestigungsbanken an, die bis 1919 weitere rund 68.000 Hektar »festigten«, während es der Ansiedlungskommission unter den Kriegseinwirkungen lediglich gelang, 7.000 Hektar anzukaufen.57 Manches lässt darauf schließen, dass die Regierung den Besitzfestigungsbanken nicht nur in finanziellen Belangen den Vorrang vor der Ansiedlungskommission einräumte. So erhielt Letztere 1911 die Anweisung, vom Ankauf deutschen Bauernbesitzes abzusehen, um diesen der Besitzfestigung offenzuhalten. Den Angeboten von Besitzungen, die bereits gefestigt waren, sollte die Ansiedlungskommission ebenfalls nicht nähertreten, da ein Übergang in polnisches Eigentum als ausgeschlossen galt.58 Schließlich wurden die Besitzfestigungsbanken 1913 bei der Zuwendung neuer finanzieller Mittel gegenüber der Ansiedlungskommission deutlich bevorzugt.59
55 Vgl. ebd., S. 2103–2117. Diese Zahlen sind zugunsten des Großgrundbesitzes zu korrigieren, da sich für die Besitzfestigung die Eingruppierung in die Kategorien »größere Güter« und »Bauernwirtschaften« nicht an der Besitzgröße, sondern der jährlich zu zahlenden Grund- und Gebäudesteuer orientierte. Daher sind 273 Betriebe mit einer Größe von mehr als 100 Hektar der Kategorie »Bauernwirtschaften« zugeordnet worden. Wie viele Betriebe der »größeren Güter« eine geringere Fläche als 100 Hektar aufwiesen, lässt sich anhand der Zahlen nicht ermitteln. 56 Vgl. Denkschrift des Jahres 1913 über die Ausführung des Gesetzes, betreffend die Beförderung deutscher Ansiedlungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, vom 26. April 1886 und seiner Nachträge vom 20. April 1898, 1. Juli 1902, 20. März 1908 und 28. Mai 1913, in: StenBerAH 1914, Drucksachen, S. 1801–2121, hier 1805. 57 Vgl. Denkschrift der Jahre 1919 und 1920 über die Ausführung des Gesetzes, betreffend die Beförderung deutscher Ansiedlungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, vom 26. April 1886 und seiner Nachträge vom 20. April 1898, 1. Juli 1902, 20. März 1908 und 28. Mai 1913, in: StenBerAH 1922, Drucksachen, S. 980–1004, hier 982–984. 58 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9506, Bl. 102–103, Landwirtschaftsminister, Innenminister und Finanzminister an den Präsidenten der Ansiedlungskommission, 10.4.1911. 59 Vgl. Ges.-S. 1913, S. 269, Gesetz über Maßnahmen zur Stärkung des Deutschtums in den Provinzen Westpreußen und Posen, 28. Mai 1913.
262
Im Verlauf des Untersuchungszeitraums richtete der preußische Staat verschiedene Fonds ein und stockte diese im Laufe der Jahre bis zu einer Gesamtsumme von 955 Millionen Mark auf (Tab. 15). Diese Summe ist nicht mit den tatsächlich verausgabten Mitteln identisch, da einerseits Einnahmen der Institutionen, etwa durch die Rentenzahlungen der Siedler oder den freihändigen Verkauf von Grundstücken in die Fonds zurückflossen, andererseits weil nicht alle Mittel bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges verausgabt wurden. Der vorläufige Abschlussbericht der Ansiedlungskommission beziffert die Gesamtausgaben für Neusiedlung und Besitzfestigung, d. h. ohne den Fonds für Domänen und Forsten, bis einschließlich 1919 auf 1.055.126.705 Mark, denen Einnahmen in Höhe von 471.071.633 Mark gegenüberstanden.60 Umgekehrt darf nicht (wie in der Literatur gelegentlich geschehen) die für die Bodenpolitik aufgewendete Summe von 955 Millionen Mark mit den für die Siedlungspolitik im engeren Sinne aufgewendeten Mitteln gleichgesetzt werden. Tab. 15: Bereitstellung finanzieller Mittel in Millionen Mark durch den preußischen Staat 1886–191361 Domänen und Forste
Summe
Ansiedlungskommission
1886
100
0
0
0
100
1898
100
0
0
0
100
1902
150
0
0
100
250
1908
125
75
50
25
275
1913
75
100
30
25
230
550
175
80
150
955
Summe
Bäuerliche Besitz festigung
Gutsbesitzfestigung
Jahr
Die Entwicklung dieser Instrumente zur »Bindung« von Grundbesitz im Untersuchungszeitraum (ergänzt um Fideikommisse, deren Gründung die Regierung zeitweise aktiv förderte), zeigt eine über den gesamten Untersuchungszeitraum anhaltende Steigerung (Tab. 16). 60 Vgl. Denkschrift der Jahre 1919 und 1920 über die Ausführung des Gesetzes, betreffend die Beförderung deutscher Ansiedlungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, vom 26. April 1886 und seiner Nachträge vom 20. April 1898, 1. Juli 1902, 20. März 1908 und 28. Mai 1913, in: StenBerAH 1922, Drucksachen, S. 980–1004, hier 1003. 61 Vgl. Zechlin, S. 198. Dort auch auf S. 199 ein kurzer Einblick in die laufende politische Debatte, welches der beiden Instrumente – Neubesiedlung oder Besitzfestigung – Priorität habe.
263
Tab. 16: Entwicklung der gebundenen Flächen 1886–1914 in Hektar62 1886
Westpreußen
Posen
Schlesien
Summe
Ansiedlungskommission
4.637
7.203
0
11.840
Besitzfestigung
0
0
0
0
Staatsdomänen
18.854
27.435
25.190
71.479
Staatsforsten
305.993
182.791
160.442
649.226
Fideikommisse (1890)
80.794
115.444
509.854
706.092 1.438.637
Summe
410.278
332.873
695.486
In Prozent der Provinzfläche
16,1
11,5
17,2
1898
Westpreußen
Posen
Schlesien
Summe
Ansiedlungskommission
33.328
79.169
0
112.497
Besitzfestigung
0
0
0
0
Staatsdomänen
18.874
28.735
24.330
71.939
Staatsforsten
324.691
179.863
168.305
672.859
Fideikommisse (1895)
83.421
127.658
568.898
779.977
Summe
460.314
415.425
761.533
1.637.272
In Prozent der Provinzfläche
18,0
14,3
18,9
1908
Westpreußen
Posen
Schlesien
Summe
Ansiedlungskommission
107.063
242.413
0
349.476
Besitzfestigung
18.263
13.238
0
31.501
Staatsdomänen
70.569
50.004
35.172
155.745
Staatsforsten
410.811
245.039
164.999
820.849
Fideikommisse
105.800
193.800
669.300
968.900
Summe
712.506
744.494
869.471
2.326.471
In Prozent der Provinzfläche
27,9
25,7
21,6
62 Vgl. Stienen, Landownership, S. 371 f. Von den für die Ansiedlungskommission ermittelten Zahlen sind diejenigen Flächen abzuziehen, die an den Domänen-, den Forstfiskus und an Nichtansiedler veräußert wurden. Sie betrugen für 1898 13.269, für 1908 31.781 und für 1914 52.497 Hektar. Da die Rechenschaftsberichte der Ansiedlungskommission keine Zuordnung zur jeweiligen Provinz ausweisen, konnten diese Abzüge bei den oben ermittelten Zahlen nicht berücksichtigt werden. Vgl. Denkschrift über die Ausführung des Gesetzes vom 26. April 1886, betreffend die Beförderung deutscher Ansiedelungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, für das Jahr 1898, in: StenBerAH 1899, Drucksachen, S. 1846–2037, hier 1851 f. (auf Grundlage der Positionen 3a und 3c); Denkschrift über die Ausführung des Gesetzes vom 26. April 1886, betreffend die Beförderung deutscher Ansiedelungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, für das Jahr 1908, in: StenBerAH 1909, Drucksachen, S. 3840–4295, hier 3846; Denkschrift des Jahres 1914 über die Ausführung des Gesetzes, betreffend die Beförderung deutscher Ansiedlungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, vom 26. April 1886 und seiner Nachträge vom 20. April 1898, 1. Juli 1902, 20. März 1908 und 28. Mai 1913, in: StenBerAH 1915, Drucksachen, S. 4693–4721, hier 4699.
264
1914
Westpreußen
Posen
Schlesien
Summe
Ansiedlungskommission
149.738
303.435
0
453.173
Besitzfestigung (1913)
149.368
130.717
0
280.085
Staatsdomänen
68.282
46.023
39.041
153.346
Staatsforsten
434.169
254.116
170.251
858.536
Fideikommisse (1913)
120.900
209.400
693.400
1.023.700
Summe
801.557
943.691
902.692
2.647.940
In Prozent der Provinzfläche
31,4
32,5
22,4
In den in Tab. 16 vermerkten Angaben bedürfen die Zahlen der Ansiedlungskommission, wie in der Anmerkung kenntlich gemacht, einer Korrektur. Die Jahresberichte der Kommission schweigen sich (ganz anders als bei den detaillierten Aufstellungen der Ankäufe von Grundbesitz) über die Weiterverkäufe an Dritte nahezu aus. Diese betrugen bis 1914 immerhin 52.000 Hektar und somit mehr als ein Zehntel des gesamten angekauften Bodens. Eine Stichprobe ergab, dass es sich bei mindestens der Hälfte dieser Flächen (mutmaßlich deutlich mehr) um Veräußerungen an den Forstfiskus handelte, demzufolge um Flächen, die sich zur Besiedlung nicht eigneten. Entsprechend geringer fielen Verkäufe an den Domänenfiskus oder an weitere juristische oder natürliche Personen aus, darunter auch die Verkäufe von Restgütern. Wenn aber in den Jahresberichten für die Aufbereitung des weiteren statistischen Materials lediglich die Zahl der erworbenen Flächen zugrunde gelegt wurde, wurde der verzerrende Eindruck vermittelt, die Ansiedlungskommission verfüge über größere Flächen, als sie tatsächlich noch besaß. So suggerierte im Jahresbericht 1913 eine Gegenüberstellung der angekauften Flächen mit der Gesamtgröße der Provinzen, dass die Ansiedlungskommission über 8,05 Prozent der Provinzfläche verfüge.63 Tatsächlich lag dieser Anteil, nach Abzug der abgetretenen Besitzungen, bei 7,08 Prozent. Dennoch muss festgehalten werden, dass sich im Verlauf des Untersuchungszeitraumes die gebundene Fläche in beiden Ansiedlungsprovinzen massiv erweiterte. Gebundene Fläche meint den Grundbesitz, der teilweise oder vollständig dem freien Markt entzogen war. Das gilt erstens für Privatbesitz in Form von Fideikommissen, zweitens Staatsbesitz wie Domänen und Forste, und drittens die Mischform der Ansiedlungsgüter und der gefestigten Rentengüter, bei denen sich Staat und Private Verfügungsrechte über das Eigentum teilten. Während in Schlesien die gebundene Fläche nur moderat anstieg, was vor allem eine Folge der Ausdehnung von Fideikommissen war, verdoppelte sie sich 63 Vgl. Denkschrift des Jahres 1913 über die Ausführung des Gesetzes, betreffend die Beförderung deutscher Ansiedlungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, vom 26. April 1886 und seiner Nachträge vom 20. April 1898, 1. Juli 1902, 20. März 1908 und 28. Mai 1913, in: StenBerAH 1914, Drucksachen, S. 1801–2121, hier 1846.
265
in Westpreußen seit 1886 beinahe und verdreifachte sich nahezu in Posen. Auffällig ist, dass zwischen 1908 und 1914 die Zahl der besitzgefestigten Rentengüter massiv anstieg, während der Domänenbesitz leicht rückläufig war. Gebundene Fläche befand sich nicht allein in deutschem Besitz. Auch wenn ihre Neugründung behindert wurde, gab es noch immer polnische Fideikommisse, und das Mittel der Besitzfestigung konnten auch polnische Grundbesitzer in Anspruch nehmen. Aber die Verstaatlichungen, die Fideikommisse und die Kontrolle über die Nationalität der Käufer von Rentengütern bedeutete, dass polnische Kaufinteressenten am Vorabend des Ersten Weltkrieges von einem Drittel der in beiden Ansiedlungsprovinzen vorhandenen Flächen ausgeschlossen waren.64 Neben dieser zunehmenden Deliberalisierung des Marktes in den Ansiedlungsprovinzen lässt sich, wenn auch in geringerem Umfang, eine zunehmende Intensivierung des »Kampfes um den Boden« auch in den Nachbarprovinzen feststellen, nicht nur in Schlesien, sondern auch in Ostpreußen und Pommern. Polnische Parzellierungsbanken und Privatkäufer suchten nach Kaufobjekten außerhalb der Ansiedlungsprovinzen. Bereits 1905 beobachteten die Behörden im ostpreußischen Kreis Osterode, wie der Bruder des Direktors der Posener Bank Parcelacyjny einige Besitzungen ankaufte und sich dafür eines polnischen Mittelsmannes bediente.65 Ein Jahr später hatten sich die Ankäufe auch auf angrenzende Kreise des Ermlands ausgedehnt, woran neben Posener Geldinstituten auch eine örtliche Volksbank beteiligt war (Bank Ludowy in Löbau). Der von der amtlichen Statistik bezifferte Verlust des »deutschen Besitzstandes« in Ostpreußen fiel 1911 – verglichen mit den Ansiedlungsprovinzen – jedoch deutlich geringer aus (Tab. 17). Für das ostpreußische Ermland ist überliefert, dass sich dort teilweise ähnliche Mechanismen einer »moralischen Ökonomie« etablierten, wie sie aus Westpreußen und Posen bekannt waren: deutsche evangelische Ortspfarrer hörten sich in ihren Gemeinden um, welche ihrer Mitglieder ihren Grundbesitz zu verkaufen gedachten, und griffen im Bedarfsfall ein oder verständigten die Behörden.66 Appelle an die deutschen Grundbesitzer des Gebietes, nicht an Polen zu verkaufen, verhallten meist ungehört, wie die Tabelle oben zeigt. Zur Abhilfe schlugen die berichterstattenden Beamten einen verstärkten Ankauf durch den Domänenfiskus vor.67 Bis 1907 wurden vom Fiskus 14 Güter mit einer Fläche 64 Dieser Anteil würde sich entsprechend erhöhen, würde man der Berechnung nicht die gesamte Provinzfläche zugrunde legen, sondern allein die land- und forstwirtschaftlichen Flächen (unter Ausschluss beispielsweise von Stadtgebieten). 65 Es handelte sich dabei um Franciszek Karaś bzw. dessen Bruder, der um 1902 herum redaktionell für den Górnoślązak tätig gewesen war, und der 1905 kurzzeitig die von Marcin Biedermann finanzierte ostpreußische Zeitung Goniec Mazurski herausgab. Vgl. Hartmann, Bewegung, S. 51 f.; Orzechowski, S. 136 f.; Blanke, Polish-speaking, S. 75 f., 103–111; Kossert, S. 215 f. 66 Vgl. Hartmann, Bewegung, S. 77 f. 67 Vgl. ebd., S. 51–58 (mit ausführlicher Liste).
266
Tab. 17: Verlust deutschen Grundbesitzes 1906–1911 in den Nachbarbezirken der Ansiedlungsprovinzen68 Regierungsbezirk Allenstein
Anzahl Besitzungen 146
Fläche in Hektar 8.796
Köslin
47
1.789
Breslau
274
9.634
Liegnitz
145
2.744
Oppeln
k. A.
892
Summe
612
23.855
von 5.250 Hektar erworben, teilweise unter Beibehaltung der Vorbesitzer als Domänenpächter.69 Bis 1914 wurde diese Erwerbungen durch den Domänen- und den Forstfiskus »aus nationalpolitischen Gründen« fortgesetzt, auch in Nordschleswig als Teil der Dänenpolitik.70 Daneben wurde die Gründung halbstaatlicher Siedlungsgenossenschaften in den Nachbarprovinzen vorangetrieben, deren Handlungsfelder neben der Besitzfestigung auch die Neusiedlung umfasste. 1905 wurde, abermals unter Federführung Alfred Hugenbergs, nach Vorbild der Mittelstandskasse und Bauernbank die »Ostpreußische Landgesellschaft« gegründet, deren Kapital erneut vom preußischen Staat und der Landbank, ergänzt um die Ostpreußische Provinzialgenossenschaftskasse zur Verfügung gestellt wurde.71 Bereits 1903 war die »Pommersche Ansiedlungsgesellschaft« gegründet worden. 1910 trat in Brandenburg die Landgesellschaft »Eigene Scholle« auf maßgebliches Betreiben Friedrich von Schwerins hinzu, der den Aufsichtsratsvorsitz einnahm und zugleich dem »Posener Freundeskreises« angehörte.72 Alle drei Institutionen standen zwar für einen erweiterten Wahrnehmungskreis des »Kampfes um den Boden«, blieben aber im Ausmaß ihrer Tätigkeit überaus bescheiden.73 Dass diese Form der »Inneren Kolonisation« auch aus sozialpolitischen Motiven erfolgte, zeigt sich daran, dass auch in Mitteldeutschland vergleichbare Institutionen geschaffen wurden (Tab. 18).
68 Vgl. Entwurf eines Gesetzes über Stärkung des Deutschtums in einigen Landesteilen (Besitzfestigungsgesetz), in: StenBerAH 1912, Drucksachen, S. 3332–3336, hier 3333 f. 69 Vgl. ebd., S. 66. 70 Vgl. Schultz-Klinken, S. 203. 71 Vgl. Guratzsch, S. 31. 72 Vgl. Grospietsch, S. 217. Schwerin war überdies Vorsitzender der 1912 gegründeten »Gesellschaft zur Förderung der inneren Kolonisation«, der auch Max Sering und Alfred Hugenberg an prominenter Stelle angehörten. Vgl. Geiss, S. 78–90. 73 Vgl. Haushofer, S. 188. So hatte beispielsweise die Ostpreußische Landgesellschaft in den ersten rund zwei Jahren ihres Bestehens lediglich fünf Güter mit einer Fläche von 1.665 Hektar angekauft. Vgl. Hartmann, Bewegung, S. 66.
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Tab. 18: Liste der Besitzfestigungsbanken in Preußen Ende 191174 Name
Sitz
Stammkapital in Mark
Deutsche Mittelstandskasse GmbH
Posen
1.500.000
Landgesellschaft »Eigene Scholle« GmbH
Frankfurt an der Oder
3.594.000
Ostpreußische Landgesellschaft GmbH
Königsberg
7.151.000
Pommersche Landgesellschaft mbH
Stettin
4.800.000 1.000.000
Deutsche Bauernbank GmbH
Danzig
Hannoversche gemeinnützige Ansiedelungs-Gesellschaft, Genossenschaft mbH
Hannover
150.000
Schleswig-Holsteinische gemeinnützige Siedelungs-Genossenschaft mbH
Kiel
200.000
Hessische Siedelungs-Gesellschaft mbH
Kassel
250.000
Mit dem gleichen Tag, an dem 1913 die letzte Aufstockung der Ansiedlungs-, Domänen- und Forstfonds um 230 Millionen Mark erfolgte, wurde ein Gesetz erlassen, das weitere 25 Millionen Mark für die »Innere Kolonisation« bereitstellte, davon 15 Millionen für die Urbarmachung und Melioration staatlicher Moore bzw. Domänen und weitere 10 Millionen Mark für die Beteiligung des Staates an solchen Siedlungsgenossenschaften.75 Zum gleichen Zweck hatte die Regierung bereits 1912 100 Millionen Mark in den übrigen »national bedrohten« Provinzen Ostpreußen, Pommern, Schlesien und Schleswig-Holstein zur Verfügung gestellt.76 Dass die preußische Regierung die Verfügungsrechte der polnischen Minderheit weiter einschränken wollte, zeigt sich an den Beratungen für ein »Parzel lierungsgesetz«. Dieses sah vor, dass jede Form von Parzellierung der Genehmigung durch den zuständigen Regierungspräsidenten bedurfte und ein Vorkaufsrecht in den »national umstrittenen« Provinzen bei jedem käuflichen Besitzwechsel von Grundstücken, die zehn Hektar und mehr umfassten, ein74 GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9656, Bl. 258–263, hier 260r–261, Landwirtschaftskammer für die Provinz Schlesien an den Landwirtschaftsminister, 2.12.1911. Im März 1913 wurde ein schlesisches Institut, die Schlesische Landgesellschaft, mit einem Kapital von 5.500.000 Mark gegründet, das bis Anfang 1916 rund 25.500 ha »festigte«. Im Oktober 1913 folgte die Gründung der Siedlungsgesellschaft Sachsenland mit Sitz in Magdeburg (später Halle). Vgl. Heumann, S. 161–163; Greifelt, S. 36 f. 75 Vgl. Ges.-S. 1913, S. 293, Gesetz, betreffend die Bereitstellung von Staatsmitteln zur Förderung der Landeskultur und der inneren Kolonisation, 28.5.1913. Zur parlamentarischen Verhandlung beider Gesetzentwürfe vgl. Jakóbczyk, Komisja, S. 181–184; Gerhold, S. 88–92. 76 Vgl. Ges.-S. 1912, S. 183, Gesetz über Stärkung des Deutschtums in einigen Landesteilen (Besitzfestigungsgesetz), 26.6.1912.
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geführt würde; weitere Bestimmungen sahen Erleichterungen bei Rentengutsbildungen vor.77 Ein seit 1912 vorbereiteter Entwurf wurde 1914 dem Abgeordnetenhaus unter dem unverfänglichen Titel »Gesetzentwurf über Teilung land- oder forstwirtschaftlicher Besitzungen (Grundteilungsgesetz)« vorgelegt, der bewusst alle nationalpolitischen Bezüge vermissen ließ. Mit dem Gesetz war ein qualitativer Wandel in der Polenpolitik beabsichtigt, weg vom aufsehenerregenden Auftrumpfen des Enteignungsgesetzes, ohne im Bestreben der Germanisierung der östlichen Provinzen nachzulassen. Nicht das Ziel, sondern der Modus wurde verändert; alles sollte im Stillen ablaufen, demonstrative Akte staatlicher Härte vermieden werden. Ungeachtet der Frage, welche Abänderungen der Gesetzesvorschlag durch die Verhandlungen im Landtag insbesondere mit den konservativen Fraktionen erfahren hätte, ist diese Initiative, die den Zugang polnischer Käufer zum Markt für Grundbesitz weiter eingeschränkt hätte, lediglich durch den Ausbruch des Krieges wenige Monate später vereitelt worden.78 Wie gezeigt, führte die preußische Regierung ihre gegen den polnischen Grundbesitz gerichtete Politik fort, wobei die ursprüngliche Siedlungspolitik mehr und mehr den Charakter einer weit gefassten Bodenpolitik annahm. Der Prioritätenwechsel, der sich seit der Jahrhundertwende abzuzeichnen begann, setzte sich auch in den letzten Friedensjahren unvermindert fort. Nicht mehr der staatliche Ankauf von Grundbesitz zur Besiedlung, sondern der Erhalt des bereits bestehenden deutschen Besitzes stand nunmehr im Vordergrund.79 Das Besitzfestigungsverfahren war dafür deutlich effizienter als die Tätigkeit der Ansiedlungskommission. 1912 wies die amtliche Besitzwechselstatistik zum ersten Mal seit ihrer Erhebung einen Zugewinn deutschen Grundbesitzes aus. Hatte der polnische Erwerb 1910 noch mit 4.885, 1911 mit 2.627 Hektar überwogen, so wies die Bilanz 1912 ein Wachstum des »deutschen Besitzstandes« um 7.734 Hektar auf.80 Auch wenn 1913 die Bilanz abermals negativ ausfiel, schienen die Steuerungsinstrumente zu greifen.
77 Vgl. Entwurf eines Gesetzes über Teilung land- oder forstwirtschaftlicher Besitzungen (Grundteilungsgesetz), in: StenBerAH 1914, Drucksachen, S. 1785–1796. Das Vorkaufsrecht sollte neben den sechs ostelbischen Provinzen außerdem in Sachsen, Hannover und Schleswig-Holstein Anwendung finden und für alle veräußerten Grundstücke mit einer Mindestfläche von zehn Hektar gelten. Der Entwurf sah ebenfalls vor, jede Form von Parzellierung, die durch Dritte vorgenommen wird, durch die Landräte genehmigungspflichtig zu machen. Zur Haltung Schorlemers: Gerhold, S. 92, 96, zu den parlamentarischen Verhandlungen: S. 93–95. 78 Vgl. Jakóbczyk, Komisja, S. 186 f.; Hagen, S. 204–206; Gosewinkel, Einbürgern, S. 215; Gerhold, S. 84; Marczewski, S. 368. 79 Vgl. Schultz-Klinken, S. 202. 80 Vgl. Volks-Zeitung, 11.2.1913.
269
3.2 »Etwas ruhiger«: Ermattung in Politik und Wirtschaft Einige Entwicklungen deuten auf eine zunehmende Eskalation des »Kampfes um den Boden« im Untersuchungszeitraum hin. Andere legen den Schluss nahe, dass auf die Phase nationaler Erhitzungen zwischen Jahrhundertwende und Erlass des Enteignungsgesetzes eine Phase langsamen Abkühlens, vielleicht auch der Erschöpfung eintrat. Die Spannung zwischen Eskalation und Deeskalation spiegelt sich in der Polenpolitik der Ära Bethmann Hollweg wider. Zunehmender staatlicher Interventionismus in der Bodenpolitik stand den Bemühungen um eine konziliantere Haltung gegenüber. Diese Bemühungen fanden etwa 1911 ihren Ausdruck – um nur ein medial breit rezipiertes Beispiel zu wählen – in der Ablösung des als Scharfmacher bekannten Posener Oberpräsidenten Wilhelm von Waldow durch den gemäßigten Philipp Schwartzkopff, der schon bald in den Ruf eines »Oberpräsidenten der Polen« kam.81 3.2.1 Grenzen der Mobilisierung Die Neujustierung der »moralischen Ökonomie« war in den Jahren nach der Jahrhundertwende abgeschlossen; vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges waren tiefergreifendere Veränderungen nicht zu spüren. Ausnahmen boten allenfalls exzeptionelle Formen invektiver Medialisierungen: Im Jahr 1909 war die Familie Sułkowski, Majoratsherren auf Rydzyna, im Mannesstamm ausgestorben. Dem preußischen Staat wurde nach einem langwierigen, diffizilen Gerichtsverfahren die Erbschaft zugesprochen, die der Ansiedlungskommission zugutekam. Die 7.600 Hektar zählende Herrschaft Rydzyna stellte die letzte große Erwerbung polnischen Bodens für die Behörde dar – eine Zufallserwerbung. Noch vor Ableben Antoni Sułkowskis zeigte sich die polnische Öffentlichkeit erbost über ihn und seine Rechtsbeistände, zu denen auch der Reichstagsabgeordnete Zygmunt Dziembowski-Pomian gehörte. Ihnen wurde unterstellt, nicht alle Mittel ausgeschöpft zu haben, um den Übergang des Landes zu verhindern.82 Nach
81 Vgl. Hutten-Czapski, S. 49–53; Land, S. 94; Huber, S. 509. Gerüchte über eine Abberufung Waldows gaben Anlass zu Spekulationen in der Presse, ob diese zwecks Entschärfung der Nationalitätenfrage herbeigeführt werde. Vgl. dazu die gesammelten Zeitungsartikel in: GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. ZB Nr. 186 und 187, Zeitungsausschnitte zu den Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Polentums und zur Stärkung des Deutschtums in den Provinzen Westpreußen und Posen (1911; 1911–1912). 82 Vgl. Nowa Reforma, 16.10.1903; Wielkopolanin, 3.11.1908; Dziennik Bydgoski 28.11.1908; Dziennik Kujawski, 1.12.1908; GStA PK, XVI. HA Rep. 30, Nr. 660, Bd. 6, n. p., Immediatbericht des Regierungspräsidenten von Posen, 30.11.1908; ebd., Immediatbericht des Regierungspräsidenten von Posen, 29.8.1909. In der Presse wurde auch diskutiert, ob ein entfernter Verwandter, der sich nach längerer Überlegung dagegen entschied, das bestehende
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dem definitiven Übergang der Besitzung in staatliche Hände prägte der Graveur Wojciech Jastrzębowski im österreichischen Teilungsgebiet eine Medaille, die die Vorgänge kommentierte: Auf der einen Seite waren Fürst Sułkowski abgebildet, sein Anwalt Dziembowski-Pomian und drei weitere Personen, denen vorgeworfen wurde, den Übergang Rydzyna an den preußischen Staat nicht verhindert zu haben. Auf der Rückseite war das Schloss zu sehen, mit dem polnischen Schriftzug »Stiftung Rydzyna. Gegründet 1783, verschachert 1911«.83 Als Umschrift war auf Lateinisch aus Vergils Aeneis zu lesen: »Der hat die Heimat des Goldes wegen verkauft und in die Hände des Gewaltherren gebracht«.84 Laut polnischer Zeitungsartikel genoss die mit 300 Stück aufgelegte Medaille unter Sammlern einige Beliebtheit.85 Dziembowski war schon früher Objekt öffentlicher Anfeindungen gewesen. Ende 1907 hatte er auf dem Höhepunkt der Debatte um das Enteignungsgesetz im Abgeordnetenhaus erklärt, die Polnische Fraktion trete für einen Ver söhnungskurs mit dem preußischen Staat ein. Dies löste einen Sturm der Entrüstung in den nationaldemokratischen Blättern aus und die Wellen wogten noch einmal hoch, als Dziembowski im Frühjahr 1908 seine Wiederwahl anstrebte und bei Wahlversammlungen massiv beschimpft wurde. Er verlor sein Landtagsmandat und zog sich aus dem politischen und gesellschaftlichen Leben weitgehend zurück, führte aber sein 1907 gewonnenes Reichstagsmandat weiter und arbeitete hinter den Kulissen an einer Verhinderung der Enteignung, um ein weiteres Erstarken der Nationaldemokratie abzuwehren.86 Der Fall Rydzyna, der gerade in der nationaldemokratischen Presse ausführliche Beachtung fand, bot somit eine willkommene Gelegenheit, einen politischen Rivalen auszuschalten. So wie dieses Vordringen des invektiven Diskurses in den Bereich der materiellen Kultur doch im Wesentlichen nur eine Adaption der bereits etablierten Mechanismen öffentlicher Schmähungen darstellte, so entwickelte sich auch der deutschsprachige Diskurs nach 1908 qualitativ nicht mehr weiter: Zwar eigneten sich einige deutschsprachige Blätter moralisierende Formen polnischer Medien an – so titelte die Tägliche Rundschau »Deutsche Schande« anlässlich eines Verkaufs an Polen,87 die Ostdeutsche Rundschau sprach von einer »Schädigung der deutschen Gesamtheit«88 und das Posener Tageblatt veröffentlichte eine Liste
Gerichtsurteil anzufechten, die patriotische Pflicht habe zu prozessieren bzw. ob ihm die hohen Prozesskosten zuzumuten seien, die der Goniec Wielkopolski auf eine Summe zwischen einer halben und 1,2 Millionen Mark bezifferte. Vgl. Goniec Wielkopolski, 16.12.1908. 83 Ordynacja Rydzyńska. Założona 1783 Zaprzepaszczona 1911. Eine numismatische Beschreibung findet sich bei: Szwagrzyk, S. 117 (Nr. 10). 84 »Vendidit hic auro patriam dominumque potentem imposuit.« 85 Vgl. Dziennik Bydgoski, 19.11.1911. 86 Vgl. Hemmerling, Geneza, S. 171–176. 87 Tägliche Rundschau, 7.7.1913. 88 Ostdeutsche Rundschau, 11.6.1912.
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mit den Namen von 27 Grundbesitzern, darunter neun größerer Güter, die im Verlauf des Jahres 1910 an Polen verkauft hatten89 – doch blieben solche Auslassungen weiterhin auf die nationalliberale Öffentlichkeit beschränkt. Offenbar war der Zenit nationaler Mobilisierung um 1908 überschritten worden. Die Mitgliederzahlen des Ostmarkenvereins in Hinterpommern und Schlesien wuchsen zwar, in Posen stagnierten sie jedoch und in West- und Ostpreußen und anderen Gebieten waren sie rückläufig. Auch die Mitgliederzahlen des Alldeutschen Verbandes verzeichneten keine weiteren Zugewinne.90 Die polnische Gegenorganisation, die Straż, wurde durch das vom Erzbischof erlassene Mitgliedschaftsverbot für Geistliche regelrecht demontiert, weswegen John Kulczycki befand, »the development of the institutions of organic work in Poznania had reached its outer limits in the first decade of the twentieth century.«91 Dafür, dass die Nationalisierung bereits Jahre vor Ausbruch des Weltkrieges ihr Höchstmaß erreicht hatte, spricht auch die Entwicklung der polnischen Wählerstimmen. Bei den Reichstagswahlen hatte die polnische Fraktion ihre Mandatsanzahl von 16 (1903) auf 20 (1907) ausbauen können, verlor aber bei den Wahlen 1912 zwei Sitze, womöglich als Folge des neuerlichen Bruchs des Wahlbündnisses mit dem Zentrum. Ähnlich sah die Entwicklung im Abgeordnetenhaus aus: Die 13 Sitze bei den Wahlen des Jahres 1903 waren auf 15 im Jahr 1908 gewachsen, und sanken 1913 auf 12. Zieht man anstelle der Anzahl der errungenen Mandate die der absolut abgegebenen Stimmen als aussagekräftigeren Gradmesser politischer Mobilisierung hinzu, zeigt sich das gleiche Bild: Bei Reichstagswahlen verloren polnische Kandidaten zwischen 1907 und 1912 rund zwölftausend Stimmen. Die Mobilisierung der Wählerschaft war an ihre Grenzen gestoßen.92 Bei den Landtagswahlen konnten polnische Kandidaten den Stimmenanteil zwischen 1908 und 1913 geringfügig ausbauen, mutmaßlich dank Wählergruppen, die durch die Anwendung der Enteignung mobilisiert worden waren; indes blieb die Wahlbeteiligung wie üblich weit unterhalb der bei den Reichstagswahlen, sodass die Stimmen bei den Reichstagswahlen die Obergrenze markierten (Tab. 19).93
89 Vgl. Posener Tageblatt, 4.9.1910. 90 Vgl. Hagen, S. 258, 284 f., sowie die Zahlen bei Oldenburg, S. 333–339; für den Alldeutschen Verband: Hofmeister, S. 275 f. 91 Kulczycki, S. 31; Grabowski, Nationalismus, S. 265–272. 92 Vgl. Trzeciakowski, Posłowie, S. 206–220. 93 Gleichwohl lag bei den Landtagswahlen die Wahlbeteiligung in den beiden Ansiedlungsprovinzen über den gesamten Zeitraum hindurch signifikant oberhalb des Landesdurchschnitts, was nichtsdestotrotz auf einen mobilisierenden Effekt des nationalen Gegensatzes hindeutet. Vgl. Kühne, S. 167, 202.
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Tab. 19: Für polnische Kandidaten bei Reichs- und Landtagswahlen abgegebene (Ur-)Wählerstimmen 1903–191394 Jahr
Reichstagswahlen
1903
347.800
1907
453.900
1908 1912 1913
Landtagswahlen 171.973 214.258
441.600 219.935
Innerhalb der polnischen Fraktionen hielten sich Versöhnungsbefürworter und -gegner die Waage. 1909 hatten sich zwar die Nationaldemokraten mit Gründung des Polskie Towarzystwo Demokratyczne (ab 1910: Towarzystwo Demokratyczno-Narodowe) enger organisiert. Aber die Zahl ihrer Mitglieder blieb überschaubar. Auch mochten sie noch immer wenig Strahlkraft auf die ländliche Bevölkerung ausüben; ihre Aktivisten blieben nach wie vor Angehörige bürgerlich-urbaner Schichten. Überdies konnten nationaldemokratische Politiker ihren Einfluss nur unter großen Kraftanstrengungen geltend machen. In den polnischen Wahlkomitees, die die Kandidaten für die Reichstags- und Landtagswahlen bestimmten, fiel die Entscheidung oftmals knapp mit einer oder zwei Stimmen Mehrheit für den Kandidaten der Nationaldemokraten oder den der Konservativen aus. Dazwischen existierte ein unentschiedener Block, der mal die eine, mal die andere Seite unterstützte.95 Auch auf dem Zeitungsmarkt erlahmte der Aufschwung der Nationaldemokraten, wie etwa die Übernahme einiger ihrer Blätter in Schlesien durch den Verlag des gemäßigten Adam Napieralski beweist (s. Kap. 2.3), der Ende 1907 auch die Posener, einst Marcin Biedermann gehörende, scharf nationaldemokratische Praca seinem Medienkonzern einverleibte und ihr damit ihre Spitze nahm.96 Auch die Geschäftszahlen der polnischen Parzellierungsinstitute sprechen für Stillstand.97 Für das ostpreußische Ermland in den Jahren nach 1909 konstatiert Stefan Hartmann unter Hinweis auf zeitgenössische Beobachter ein abflauendes Interesse für den Bodenmarkt sowohl vonseiten der preußischen Re-
94 Vgl. Vogel / Nohlen / Schultze, S. 292 f.; Evert, 1903, S. 192 f.; ders., S. 218 f.; Höpker, Landtagswahlen, S. 150–155. 95 Vgl. Hagen, S. 234–239, 255 f.; Trzeciakowski, Pod, S. 254–258. 96 Vgl. National-Zeitung, 20.9.1907; Praca, 6.10.1907; Boras / Trzeciakowski, S. 349 f. 97 Vgl. Übersicht über die auf dem Gebiete der inneren Kolonisation tätigen Ansiedlungsgesellschaften einschließlich der Kleinsiedlungsgesellschaften (Genossenschaften, Vereine u. dergl.), in: StenBerAH 1914, Drucksachen, S. 711–730. Die Identifikation als »polnisch« erfolgte auf Grundlage des Namens der Gesellschaft, mangelnder Unterstützung aus öffentlichen Mitteln und als Ausschlusskriterium fehlende Tätigkeitsbeschreibungen wie »Ansiedlung deutscher Arbeiter«.
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gierung als auch der polnischen Nationalbewegung.98 Erschwerend mag auch ein päpstlicher Erlass gewirkt haben, der Klerikern die Bekleidung herausgehobener Stellungen in den polnischen Wirtschaftsorganisationen untersagte.99 Damit war den Parzellierungsgenossenschaften eine einflussreiche Stütze genommen. Zudem machten einzelne Institute erneut negative Schlagzeilen. Im Sommer 1910 zeigte der Posener Oberpräsident dem Minister für Handel und Gewerbe an, dass eine Anklage wegen Betruges gegen die Spółka Rolników Parcelacyjna absehbar sei. Der Patron des polnischen Genossenschaftsverbandes, Piotr Wawrzyniak, habe die Genossenschaft bereits geprüft und erhebliche Mängel festgestellt, was die nationaldemokratische Presse zu immer neuen Angriffen animierte. Die Posener Bank Parcelacyjny, stand in der Kritik, weil sie angeblich ungeachtet von Nationalität und Konfession stets an den Meistbie tenden verkaufte, zugleich lief ein Ermittlungsverfahren wegen Wuchers gegen sie. Auch in anderen Zusammenhängen gab es am Vorabend des Ersten Weltkrieges immer wieder negative Meldungen.100 Die deutsche nationalökonomische Fachliteratur, die im Archiv für Innere Kolonisation die Entwicklung der polnischen Konkurrenz aufmerksam beobachtete, konstatierte ein Erlahmen der polnischen Institute: Für das Jahr 1909 stellte der Posener Regierungsrat Schilling eine zunehmende Verlagerung des Geschäfts auf die Vermittlung und Kreditgewährung bei Käufen fest. Parzellierungen erfolgten allenfalls noch unter Adjazenten, d. h. unter benachbarten Grundbesitzern. Als Gründe nannte Schilling die Wirkung der Ansiedlungsnovelle von 1904, aber auch zunehmend fehlende Liquidität der Unternehmen. Insgesamt stagnierten die Mitgliederzahlen, entwickelten sich aber innerhalb der einzelnen Genossenschaften sehr unterschiedlich: während die alten, großen Institutionen Mitglieder verloren, manche auch in Konkurs gingen, konnten junge, lokal agierende Unternehmen Mitglieder hinzugewinnen.101 Wenige Jahre später hatte sich der Trend verschärft, indem sich die fortsetzende Illiquidität ab Ende 1912 durch die Balkankrise und die mit ihr einhergehende Geldknappheit weiter verschärfte.102 98 Vgl. Hartmann, Bewegung, S. 66. 99 Vgl. Schattkowsky, Nationalismus, S. 77. 100 Vgl. Lech. Gazeta Gnieźnieńska, 30.12.1908 und 24.5.1910; Goniec Wielkopolski, 24.12.1909 und 7.5.1912; Dziennik Bydgoski, 23.5.1914; GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9633, Bl. 36–37r, Oberpräsident von Posen an den Minister für Handel und Gewerbe, 22.6.1910; ebd., Bl. 400–411, Aus den Akten der Staatsanwaltschaft bei dem Königlichen Landgericht zu Posen, 4.4.1911; ebd., Bl. 61–101r, hier 68, 75–75r, Polizeipräsident von Posen an den Oberpräsidenten von Posen, 20.7.1911. 101 Vgl. Schilling. Dieser Teilausschnitt kann nicht über die allgemein florierende polnische Genossenschaftslandschaft hinwegtäuschen, deren Mitgliederzahl unter den Posener Spar- und Darlehensgenossenschaften zwischen 1900 und 1913 kontinuierlich von 53.505 auf 146.312 wuchs. Vgl. Jakóbczyk, Wielkopolska, S. XXXI; Sitarek, S. 166 f. 102 Vgl. Reitzenstein. Franciszek Spandowski begründete hingegen sein Ergebnis, dass »die glänzende Entwicklung der polnischen Parzellierungsgenossenschaften […] nur eine vo-
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Die beiden Ansiedlungsprovinzen wiesen zwar verglichen mit der übrigen Monarchie eine hohe Rate von Besitzwechseln im Grundbesitz auf, was auf Spekulationsgeschäfte zurückgehen dürfte.103 Doch war der Konjunkturverlauf auf Gesamtpreußen bezogen keineswegs untypisch. Hinsichtlich aller Besitzwechsel von Großgrundbesitz jenseits des Erbgangs, d. h. durch freihändigen Kauf, Tausch, Zwangsversteigerung oder Enteignung, entsprach die Entwicklung in den Ansiedlungsprovinzen dem landesweiten Trend (stetige Zunahme nach der Jahrhundertwende und Abnahme in den letzten Jahren vor Kriegsausbruch), nur dass sich die Konjunktur in den beiden östlichen Provinzen nach den Schwächejahren 1907/08 nicht im gleichen Maße erholte wie im Westen Preußens.104 Ein ähnlicher Trend lässt sich für alle Besitzungen von einer Fläche mit mehr als zwei Hektar feststellen. In ganz Preußen fanden 1900 34.199 solcher Besitzwechsel statt, ihre Anzahl erreichte in den Jahren 1906 (44.466) und 1910 (45.022) Höhepunkte, ehe sie im Jahr 1913 auf 39.466 sank.105 Wie auch immer diese Konjunkturen strukturell zu erklären sind, die »Mobilisierung des ländlichen Grundbesitzes« kann für die Ansiedlungsprovinzen keine Sonderrolle beanspruchen, sondern folgte dem landesweiten Trend. 3.2.2 Landmangel Der Erwerb ausreichenden Grundbesitzes zur Fortsetzung der Siedlungspolitik blieb weiterhin die schwierigste Aufgabe der Ansiedlungskommission. Dennoch hielt die Behörde an ihren Qualitätsansprüchen fest, die sie an den Boden stellte, und kaufte noch immer nicht jede angebotene Besitzung – selbst nicht von polnischen Eigentümern. Eine Aufstellung des Präsidenten der Ansiedlungskommission listet allein für die Monate Oktober 1912 bis Februar 1913 28 polnische rübergehende Erscheinung« gewesen sei, nicht etwa mit dem Gesetz von 1904, sondern damit, dass polnische Institute auf dauerhaft steigende Preise angewiesen gewesen seien, und diese durch eine Steuerreform 1909 (Reichsstempelgesetz) einen Abschwung erfahren hätten, die neuen staatlichen Abgaben bei Parzellierungen sich demnach empfindlich auf die Rentabilität ausgewirkt hätten. Dies steht jedoch im Widerspruch mit dem von Klaus Heß beobachteten landesweiten Anstieg der Bodenpreise zwischen 1895 und 1912. Spandowski, S. 68; Heß, Junker, S. 301–305. 103 Vgl. ebd. mit quantitativen Daten. 104 Anonymus, Besitzwechsel; Königliches Statistisches Landesamt (Hg.): Statistisches Jb. für den Preußischen Staat 6 (1908), S. 52 f.; Königliches Statistisches Landesamt (Hg.): Statistisches Jb. für den Preußischen Staat 10 (1912), S. 106 f.; Königliches Statistisches Landesamt (Hg.): Statistisches Jb. für den Preußischen Staat 13 (1915), S. 64 f. Vgl. zur relativen Zunahme nach 1901/02 auch Heß, Junker, S. 281, Anm. 226. 105 Vgl. Anonymus, Besitzwechsel; Königliches Statistisches Landesamt (Hg.): Statistisches Jb. für den Preußischen Staat 6 (1908), S. 52 f.; Königliches Statistisches Landesamt (Hg.): Statistisches Jb. für den Preußischen Staat 10 (1912), S. 106 f.; Königliches Statistisches Landesamt (Hg.): Statistisches Jb. für den Preußischen Staat 13 (1915), S. 64 f. Vgl. zur relativen Zunahme nach 1901/02 auch Heß, Junker, S. 281, Anm. 226.
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Güter mit einem Flächeninhalt von 6.512 Hektar und weitere Grundstücke auf, deren Ankauf die Kommission ablehnte. Ablehnungsgrund war entweder der überhöhte Preis oder die mangelnde Besiedlungsfähigkeit des Grundstücks oder die Lage in einer entweder rein deutschen oder rein polnischen Gegend.106 Die alten, restriktiven Ankaufgrundsätze blieben trotz der Knappheit an Siedlungsland bestehen. Auch wenn die Ansiedlungskommission in den letzten Jahren vor Kriegsausbruch jährlich mehrere hundert Kaufangebote erhielt, war doch nur ein Bruchteil unter ihnen ernst zu nehmend. Scott M. Eddie wies in diesem Zusammenhang auf zwei Entwicklungen hin, die die Dynamik des Bodenmarktes abdämpften: Zum einen hatte der drastische Anstieg der Bodenpreise (und damit des Beleihungswertes) in beiden Provinzen zu einer erheblich vereinfachten Kreditvergabe an Grundbesitzer geführt.107 Zum anderen hatte der preußische Staat mit den beiden Rentengutsgesetzen von 1890/91, die die private Parzellierung und Vergabe als Rentengütern ermöglichten, den Großgrundbesitzern ein alternatives Instrument zur Schuldentilgung an die Hand gegeben. Beide Entwicklungen sorgten dafür, dass der Verkauf verschuldeter Güter in vielen Fällen nicht mehr notwendig, sondern allenfalls noch ultima ratio war.108 Zu ergänzen ist, dass das Besitzfestigungsverfahren oft einen Verkauf an die Ansiedlungskommission überflüssig machte. Auf diese Weise kollidierten die Zielsetzungen der Siedlungspolitik mit denen einer weiter gefassten Bodenpolitik. Die Ansiedlungskommission musste daher auf andere Mittel zurückgreifen. Eines bestand darin, Besitzungen des Domänenfiskus zu übernehmen und zu parzellieren. Die Fläche der Domänen ging in den Ansiedlungsprovinzen dem106 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9538, n. p., Oberpräsident von Posen an den Landwirtschaftsminister, 7.3.1913; ebd., n. p., Oberpräsident von Posen an den Landwirtschaftsminister, 28.3.1913. 107 Ein Blick auf die Langzeitstatistik der landesweit gezahlten Bodenpreise zeigt, dass sich, mit Ausnahme des Regierungsbezirks Bromberg, die in den Ansiedlungsprovinzen gezahlten Bodenpreise kaum von denen anderer ostelbischer Gebiete abhoben. So wurde im Zeitraum 1895–1912 für den Erwerb eines Hektars mittelguten Bodens (Grundsteuerreinertragsklasse III: 15–30 Mark) beim Kauf eines Landgutes in der Größenklasse von 100–500 Hektar im Landesdurchschnitt 1.433 Mark gezahlt. Im Regierungsbezirk Marienwerder lag der Preis ungefähr auf diesem Niveau (1.376 Mark), in Posen leicht darunter (1.234 Mark). In Danzig, dem Regierungsbezirk, in dem die Ansiedlungskommission am wenigsten aktiv war, lag der Bodenpreis mit 1.629 Mark oberhalb des Landesdurchschnitts, in Bromberg, wo der »Kampf um den Boden« am stärksten tobte, war der Preis mit 1.710 Mark signifikant erhöht. Aber noch oberhalb Brombergs finden sich mit Regierungsbezirken wie Osnabrück (1.725) Hildesheim (1.840), Merseburg (1.872), Kassel (1.968), Lüneburg (2.098), Düsseldorf (3.079), Hannover (3.168) und an der Spitze Münster (3.790 Mark) Gebiete fernab des Nationalitätenkonfliktes. Es wäre zu fragen, inwiefern weitere Faktoren, wie die qualitativ unterschiedlich gelagerten Anschlüsse an das Verkehrsnetz (Chausseen, Voll- und Schmalspurbahnen, Wasserverbindungen) regionale Unterschiede erklären können. Die Zahlen: Statistisches Jb. für den Preußischen Staat 13 (1915), S. 68–73. 108 Vgl. Eddie, Commission, S. 50.
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zufolge zurück (Tab. 20), obwohl der Domänenfiskus, ausgestattet mit großzügigen finanziellen Sondermitteln, in großem Stil Besitzungen ankaufte. Tab. 20: Fläche der Domänen in Westpreußen, Posen und Schlesien in Hektar 1908–1912109 Provinz
1908
1909
1910
1911
1912
Westpreußen
70.569
72.190
71.102
69.898
69.891
Posen
50.004
49.335
50.245
48.753
48.506
Schlesien
35.172
36.834
36.606
38.601
38.320
Ferner gab man den in Zeiten stärkster nationaler Polarisierung gefassten Grundsatz auf, nicht von deutschen Magnaten zu kaufen (s. Kap. 2.1). Im Frühjahr 1910, also noch unter Landwirtschaftsminister Arnim, war der Ansiedlungskommission zwar ein Verbot für den Ankauf deutschen Großgrundbesitzes ausgesprochen worden, doch blieb »der Kauf grösserer deutscher Herrschaften«110 davon explizit ausgenommen. In Ermangelung anderer Angebote trat der Präsident der Behörde dementsprechend solchen Angeboten näher. Mehr noch: Die Förderung des privaten Ankaufs von Grundbesitz durch das Versprechen auf Nobilitierung oder sonstige Ehrungen wurde eingestellt. Stattdessen trat der preußische Staat jetzt in aktive Konkurrenz zu Personen, die ihren Besitz mithilfe von solchen Gütern zu erweitern suchten, die auch für die Ansiedlungskommission von Interesse waren. Als sich Heinrich von Beyme, der 1906 noch für die Stiftung eines Fideikommisses in der Provinz Posen geadelt worden war (s. Kap. 2.1), 1910 für eine 3.357 Hektar große Herrschaft des Herzogs von Sachsen-Coburg und Gotha interessierte, bestürmten preußische Minister den Herzog so lange, bis schließlich die Ansiedlungskommission den Zuschlag erhielt.111 1913 wurde die 2.774 Hektar große Herrschaft Stenszewo angekauft, die sich zuvor im Besitz des Großherzogs von Sachsen(-Weimar-Eisenach) befunden hatte. Überdies wurden nach Kriegsausbruch Verhandlungen über den Ankauf der 2.095 Hektar zählenden Herrschaft Niepruszewo-Otusz des Fürsten Reuß jüngere Linie abgeschlossen. Solche Ankäufe blieben nicht ohne Widerstand der Oberpräsidenten und der nationalliberalen Presse, die es weiterhin als 109 Vgl. Königlich Preussisches Statistisches Landesamt (Hg.): Statistisches Jb. für den Preußischen Staat, Bd. 10, Berlin 1913, S. 91. 110 GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9536, n. p., Landwirtschaftsminister an den Innenminister und den Finanzminister, 26.11.1910. Im Folgejahr wurde die Anweisung wieder kassiert, weil sich die Anwendung des Enteignungsgesetzes verzögerte und der Landbedarf der Ansiedlungskommission stetig stieg. Vgl. ebd., Nr. 9506, Bl. 102–103, Landwirtschaftsminister, Innenminister und Finanzminister an den Präsidenten der Ansiedlungskommission, 10.4.1911. 111 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9543, Ankauf von Teilen der Herrschaft Samter: Herrschaften Kazmierz nebst Komorowo und Emilianowo u. Sachsenhof (1908–1917).
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die nationale Pflicht des deutschen Adels – der Fürsten zumal – ansahen, am deutschen Boden im Osten festzuhalten.112 Doch erwiesen sich Ankäufe wie diese als Notwendigkeit, wollte die Ansiedlungskommission ihre ambitionierten Ziele weiterverfolgen (Tab. 21). Tab. 21: Landerwerb der Ansiedlungskommission in Hektar 1908–1913113 Jahr
Gesamt
Davon Domänen und Forste
1908
14.093
2.487
1909
21.085
1.020
1910
14.898
1.936
1911
8.938
1912
25.321
2.739
1913
18.841
2.478
Enteignung
Erbschaft Herrschaft Rydzyna
273 7.603 1.655
Die Zahlen zeigen, dass die Ansiedlungskommission nach dem Erlass des Enteignungsgesetzes im Jahr 1908 nur sehr unregelmäßig Boden erwerben konnte. In keinem Jahr gelang es, die 1907 von Bülow genannte jährlich benötigte Fläche von 30.000 Hektar anzukaufen (s. Kap. 2.4), sodass das hohe Besiedlungstempo früherer Jahre nicht beibehalten werden konnte. Landwirtschaftsminister 112 Vgl. etwa ebd., Nr. 9537, Bl. 229–230r, Oberpräsident von Posen an den Landwirtschaftsminister, 29.2.1912; Leipziger Neueste Nachrichten, 31.1.1911. 113 Vgl. Denkschrift über die Ausführung des Gesetzes vom 26. April 1886, betreffend die Beförderung deutscher Ansiedelungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, für das Jahr 1908, in: StenBerAH 1909, Drucksachen, S. 3840–4295, hier 3856, 3858; Denkschrift über die Ausführung des Gesetzes vom 26. April 1886, betreffend die Beförderung deutscher Ansiedelungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, für das Jahr 1909, in: StenBerAH 1910, Drucksachen, S. 2497–2884, hier 2514, 2516, 2522; Denkschrift für das Jahr 1910 über die Ausführung des Gesetzes, betreffend die Beförderung deutscher Ansiedlungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, vom 26. April 1886 und seiner Ergänzungsgesetze, in: StenBerAH 1911, Drucksachen, S. 1641–2057, hier 1658–1661; Denkschrift des Jahres 1911 über die Ausführung des Gesetzes, betreffend die Beförderung deutscher Ansiedlungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, vom 26. April 1886 nebst Anderungs- [sic] und Ergänzungsgesetzen vom 20. April 1898, 1. Juli 1902 und 20. März 1908, in: StenBerAH 1912, Drucksachen, S. 2244–2549, hier 2262, 2265; Denkschrift des Jahres 1912 über die Ausführung des Gesetzes, betreffend die Beförderung deutscher Ansiedlungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, vom 26. April 1886 und seiner Nachträge vom 20. April 1898, 1. Juli 1902 und 20. März 1908, in: StenBerAH 1913, Drucksachen, S. 8265–8569, hier 8268, 8285; Denkschrift des Jahres 1913 über die Ausführung des Gesetzes, betreffend die Beförderung deutscher Ansiedlungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, vom 26. April 1886 und seiner Nachträge vom 20. April 1898, 1. Juli 1902, 20. März 1908 und 28. Mai 1913, in: StenBerAH 1914, Drucksachen, S. 1801–2121, hier 1805, 1821–1834.
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Schorlemer ordnete daher bereits 1911 an, die Anzahl der jährlich abzuschließenden Verträge mit Neusiedlern drastisch zu drosseln (Tab. 22).114 Tab. 22: Zahl der abgeschlossenen Ansiedlerverträge mit endgültiger Genehmigung 1908–1914115 Jahr
Anzahl
1908
1.526
1909
1.386
1910
1.598
1911
1.443
1912
864
1913
823
1914
426
Dies hieß, dass die Siedlungspolitik nach den temporeichen Jahren unmittelbar nach der Jahrhundertwende in Ermangelung des benötigten Bodens verlangsamt wurde. Nach dem Herbst 1907, als der Streit um das Enteignungsgesetz seinen Höhepunkt überschritten hatte, stellte der dem polnischen Gutsbesitzeradel angehörende Stanisław Turno in einer zur Versöhnung gemahnenden Broschüre fest, es sei »etwas ruhiger geworden«.116 Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass diese Ermüdung erst einige Zeit später, nach dem Erlass des Enteignungsgesetzes, eingetreten ist: »The high tide of the Prussian anti-Polish policy was over«,117 urteilte Richard W. Tims für die Zeit nach Bülows Abgang. Demzufolge ist auch die in der älteren Literatur wiederholt anzutreffende Annahme einer sich kontinuierlich verschärfenden preußischen Polenpolitik bzw. des erschwerten deutsch-polnischen Zusammenlebens zu relativieren. Dieses Narrativ entstammt einer Geschichtsforschung, die als Legitimationswissenschaft nationale Besitzansprüche zu untermauern suchte.118 Neuere Forschungen zeigen ein breites Spektrum unterschiedlicher Formen des Zusammenlebens. Diese reichten vom »Nationalitätenkampf« über Formen der gegenseitigen Abschottung, die Werner Conze als »Nationsbildung durch Trennung« bezeichnet hat,119 bis zur friedlichen Koexistenz, die nur vorübergehend und 114 Vgl. Swart, Ansiedlungskommission, S. 593; ders., Diesseits, S. 24; Koehl, S. 269; Jakóbczyk, Komisja, S. 74; Gerhold, S. 65, 73. 115 Vgl. Stienen, Deutsche, S. 70. 116 Turno, S. 28. 117 Tims, S. 179. 118 Vgl. Makowski, S. 53. 119 Conze; Kühnemann, S. 130; Braun, S. 91; Neubach, Posen, S. 116; Hagen, S. 260 f.
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wenn, dann von außen gestört wurde.120 Ostmarkenverein und Straż standen schon zahlenmäßig keineswegs repräsentativ für die Gesamtbevölkerung. Trotz der virulenten Boykottkultur inserierten polnischsprachige Unternehmer weiterhin in deutschsprachigen Zeitungen und umgekehrt.121 Eine solche ethno-nationale Binarität, d. h. die teleologische Sichtweise der Forschung auf den zielgerichteten Prozess der Ausbildung nationaler Gemeinwesen, die nach 1945 von einer engen Verkoppelung von Nationalismus- mit Modernisierungstheorien getragen wurde, ist in jüngster Zeit wiederholt infrage gestellt worden. Auch die vorliegende Untersuchung stützt eher neuere Forschungen, die die Stiftung transnationaler Identitäten einerseits und die Persistenz nationaler Indifferenz122 andererseits als Formen eines nationalen Sowohl-als-auch bzw. Weder-noch betonen. Mark Tilse hat die Stabilität transnationaler Identitäten in den Ansiedlungsprovinzen am Überdauern bilingualer Bevölkerungsgruppen, der Überschreitung nationaler Grenzziehungen bei politischen Wahlen und die nahezu konstant bleibende Zahl sowohl konfessioneller als auch – wo die Quellen eine Aussage zulassen – nationaler »Mischehen« festgemacht.123 Wie die Ausführungen gezeigt haben, spiegeln sich diese Strukturen auch auf dem Bodenmarkt wider. So wenig sich pauschal von einer stetigen Vertiefung des deutsch-polnischen Gegensatzes im Allgemeinen sprechen lässt, so differenziert sind die Dynamiken und Konjunkturen – hier die Eskalation rechtlicher Normsetzung in der Bodenpolitik, dort die Versöhnungssignale der Regierung, hier die stagnierende soziale Normsetzung verhältnismäßig stabiler invektiver Diskurse, dort die abnehmende Zugkraft nationalistischer Versprechungen – zu beachten. In demselben Maße, in dem die Verkaufsneigung auf dem Bodenmarkt abnahm, verlor auch für breitere Bevölkerungsschichten der »Kampf um den Boden« als drängende soziale und politische Frage an Brisanz.
3.3 Ausblick: Bodenmarkt und Siedlungspolitik im Ersten Weltkrieg und danach Im Juli 1914 wurden – genährt durch einen Artikel Georg Cleinows in den liberalen Grenzboten – Gerüchte laut, wonach die Regierung eine Abschaffung des Enteignungsgesetzes beabsichtige; Gerüchte, die im Tosen des Kriegsausbruchs untergingen.124 Mit dem Sommer 1914 trat die Bedeutung des umkämpften Bodenmarktes hinter Mobilmachung und Kriegsgeschehen zurück. Der »Kampf 120 Vgl. Blanke, When; Schattkowsky, Nationalismus, S. 65 f.; Niendorf, S. 130 f. 121 Vgl. Chwalba, S. 458, 464. 122 Vgl. Bjork, Neither; Zahra. 123 Vgl. Tilse, S. 98–105. 124 Vgl. Germania, 2.7.1914; Magdeburgische Zeitung, 3.7.1914; Berliner Tageblatt, 28.7.1914.
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um den Boden« wurde fortan nicht mehr auf der Posener oder westpreußischen Feldflur, sondern an den masurischen Seen und den Schützengräben vor Verdun ausgetragen. Der Einsatz bestand nicht aus Geldbündeln und Hypothekenwechseln, sondern aus Mensch und Material; Geländegewinne wurden nicht mehr in Hunderten von Hektar bemessen, sondern in den oftmals wenigen Metern, die sich die Front vor- oder zurückschob. Auf dem Bodenmarkt des östlichen Preußens kehrte Ruhe ein, nicht nur, weil die Investitionsbereitschaft dramatisch zurückging, sondern weil die Grundbesitzer und die Landarbeiter, die Hilfsarbeiter der Hypothekenbanken und Parzellierungsgenossenschaften, die Vermessungsbeamten und Dienstboten der Ansiedlungskommission ins Feld gerückt waren oder anderweitig kriegswichtige Aufgaben übernommen hatten. Von den 510 Angestellten und Beamten, die bei Kriegsausbruch für die Ansiedlungskommission arbeiteten, waren bis Ende 1915 zwei Drittel zum Kriegsdienst einberufen, weitere fünfzehn zu anderen Behörden abberufen worden.125 Bei Kriegsausbruch schwebende Verhandlungen wurden zwar noch fortgeführt, jedoch keine neuen mehr angeknüpft.126 Neue Angebote wurden gleichwohl geprüft. Sie kamen vielfach von Soldaten, die im Feld standen und ihre Angehörigen absichern wollten, oder von den Hinterbliebenen Gefallener, die keine Möglichkeit sahen, die Wirtschaft fortzuführen. Ankäufe – auch von Polen – wurden in deutsch dominierten Gebieten weiterhin abgelehnt.127 3.3.1 Die Ansiedlungskommission im Weltkrieg Die Haltung der preußischen Regierung zur polnischen Minderheit blieb wie in den Jahren zuvor geprägt vom Willen einer Fortführung der Siedlungspolitik einerseits und symbolischen Zugeständnissen andererseits. Eine Lockerung der Minderheitenpolitik wurde aber erst für die Friedenszeit in Aussicht gestellt. »Das ganze Ansiedlungswerk […] müsse auch weiterhin unantastbar bleiben«,128 hatte das Staatsministerium noch im Dezember 1915 bekräftigt, als das russische Teilungsgebiet Polens bereits von beiden Mittelmächten besetzt war und die Frage einer polnischen Nachkriegsordnung drängender wurde. 125 Vgl. Denkschrift des Jahres 1915 über die Ausführung des Gesetzes, betreffend die Beförderung deutscher Ansiedlungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, vom 26. April 1886 und seiner Nachträge vom 20. April 1898, 1. Juli 1902, 20. März 1908 und 28. Mai 1913, in: StenBerAH 1916, Drucksachen, S. 1011–1023, hier 1012. 126 Vgl. Denkschrift des Jahres 1914 über die Ausführung des Gesetzes, betreffend die Beförderung deutscher Ansiedlungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, vom 26. April 1886 und seiner Nachträge vom 20. April 1898, 1. Juli 1902, 20. März 1908 und 28. Mai 1913, in: StenBerAH, Drucksachen, Berlin 1915, S. 4693–4721, hier 4695–4697. 127 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9540, Bl. 38–39, Präsident der Ansiedlungskommission an das Staatsministerium, 30.5.1915. 128 GStA PK, Rep. 90 A, Nr. 3621, Bl. 360r, Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 11.12.1915.
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Doch hatte die Regierung bereits in den Sommertagen 1914 angekündigt, die Sondergesetzgebung nach dem Krieg abzuschaffen. Dies wurde insbesondere von der »Hofpartei« begrüßt, die eine Stärkung, wenigstens symbolischer Art, dadurch erhielt, dass einige ihrer Vertreter ins preußische Herrenhaus berufen wurden.129 Nachdem der Erzbischofstuhl von Gnesen und Posen seit dem Ableben Stablewskis 1906 vakant war, wurde er nach Kriegsausbruch als Versöhnungsgeste mit Edward Likowski erneut mit einem polnischen Würdenträger besetzt.130 Verschiedene antipolnische Maßnahmen wurden nach Kriegsbeginn ausgesetzt. Dazu gehörte auch der kritisierte Paragraph 13 b des Ansiedlungsgesetzes; Ansiedlungsgenehmigungen wurden fortan auch polnischen Antragstellern zahlreich erteilt.131 Endgültig aufgehoben wurde der Paragraph hingegen erst nach Beginn des Waffenstillstands, im Dezember 1918.132 Eine Geste des Entgegenkommens war auch, dass der 1914 in den preußischen Landtag eingebrachte Entwurf eines Parzellierungsgesetzes von der Regierung nicht weiter verfolgt wurde.133 Während einer Herrenhausdebatte im Frühjahr 1917 wurde die Abschaffung weiterer minderheitspolitischer Maßnahmen angekündigt. Die antipolnische Gesetzgebung auf Reichsebene wurde noch im April 1917 durch den Bundesrat abgeschafft. Die geplante Aufhebung des Enteignungsgesetzes stieß jedoch in nationalistischen Kreisen auf derartigen Widerstand, dass sie erst nach der Novemberrevolution erfolgte.134 Die in der öffentlichen Debatte kursierenden annexionistischen Pläne, die im Verlauf des Krieges immer fantastischer wurden und auch die freiwillige oder erzwungene Aussiedlung der polnischen Bevölkerung Preußens einschloss – Friedrich von Schwerin spielte hier abermals eine federführende Rolle135 –, standen nur auf dem Papier. Die Haltung der Regierungsmitglieder blieb allerdings bis Kriegsende ambivalent: Im April 1918 hielt Paul von Eisenhart-Rothe, seit 1917 Nachfolger Schorlemers als Landwirtschaftsminister, im preußischen Landtag eine flammende Rede, in der er die annexionistischen Kriegsziele energisch verteidigte und eine unbeirrte Fortsetzung der Siedlungspolitik ankündigte. Sein Kollege, Innenminister Drews, versuchte zwar in seiner Rede am Folgetag, die annexionistischen Forderungen zu relativieren, bekräftigte aber
129 Vgl. Thakur-Smolarek, S. 48–52. 130 Zu den Hintergründen Gatz, S. 256–264. 131 Vgl. Spät, S. 347 f. Zuweilen wurde das Konzessionssignal der neuen Bestimmungen dadurch unterlaufen, dass die lokale Verwaltung an den alten Bestimmungen festhielt. Vgl. ebd., S. 348. 132 Vgl. Ges.-S. 1918, S. 194, Verordnung, betreffend Aufhebung des Paragraphen 13 b des Gesetzes vom 10. August 1904, 6.12.1918. 133 Vgl. Gerhold, S. 208. 134 Vgl. Spät, S. 369–374. 135 Vgl. Geiss, S. 48–70 (darunter auch Vorträge und Denkschriften Alfred Hugenbergs, Ludwig Bernhards sowie Leo Wegeners).
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noch einmal die Notwendigkeit einer »Stärkung des Deutschtums« innerhalb der Grenzen des Kaiserreiches.136 Die Hoffnungen auf eine deutsch-polnische Aussöhnung blieben bis zum Kriegsende eine Illusion, was nicht zuletzt eine Folge des Gebarens des Deutschen Reiches als Besatzungsmacht in RussischPolen war. 3.3.2 Die deutsche Minderheit in der Zweiten Republik Das Kriegsende brachte einschneidende politische Veränderungen mit sich. Posen gelangte in den Wochen nach dem Waffenstillstand Ende 1918 überwiegend friedlich unter polnische Verwaltung; bestehend aus nationalen Verbänden, ehemaligen Militäreinheiten und lokalen Eliten. Der Posener Aufstand am Jahreswechsel 1918/19 schuf vollendete Tatsachen, indem die preußischen Truppen in der Provinz entwaffnet und die preußische Zivilverwaltung interniert wurde. Dieses Mal kam es zu blutigen Auseinandersetzungen mit deutschen Freikorps und »Grenzschutz«-Truppen. Durch den Versailler Vertrag gelangten Anfang 1920 neunzig Prozent der Provinz Posen und zwei Drittel Westpreußens in den Besitz der jungen Zweiten Republik, die östlichen Industriebezirke Oberschlesiens folgten durch das Plebiszit von 1921 und die Teilung der Provinz 1922. Anrecht auf die polnische Staatsbürgerschaft besaßen alle deutschen Einwohner, mit Ausnahme jener, die sich erst nach 1908, dem Jahr des Enteignungsgesetzes, in dem neuen Gebiet angesiedelt hatten. Dieses Scheidejahr war nicht zufällig gewählt, sondern eine Symbolmaßnahme des neuen Staates.137 Verfolgt man die Entwicklungen in der Gesetzgebung des jungen Nachkriegspolens, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Zweite Republik für die Strategien und Wissensbestände einer national orientierten Bodenpolitik direkt an das preußische Vorbild anknüpfte. Dies ist besonders dort augenfällig, wo der polnische Staat nach den Bestimmungen des Versailler Vertrages Rechtsnachfolger des preußischen Staates wurde und als solcher die Domänen und Forste und die Verwaltung der Ansiedlungsgüter übernahm. Auf Letzteren nahm die polnische Administration das Vorkaufsrecht für sich in Anspruch, das der preußische Gesetzgeber seinerzeit auch für den Erbgang eingeführt hatte, um den Zugriff auch im Fall deutsch-polnischer Mischehen zu erhalten. Wie der preußische Staat zuvor, machte auch der neue Staat von diesem Rechtsinstitut Gebrauch, um die Besitzverhältnisse entlang ethno-nationaler Kriterien zu ordnen. Ungleich leichter war der Zugriff auf die Ansiedlungsgüter, bei denen der preußische Staat die Auflassung an die Ansiedler versäumt hatte. In den
136 Vgl. Hutten-Czapski, S. 470 f. 137 Vgl. Blanke, Orphans, S. 9–31; Müller, Nation, S. 300. Auf diese Gruppe richtete sich darum auch das besondere Schutzinteresse der Weimarer Polenpolitik. Vgl. Schattkowsky, Minderheitenstreit, S. 525–527.
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letzten Wochen des Jahres 1918 war versucht worden, dieses Versäumnis durch massenhafte Auflassungen auszuräumen; doch wurden mit dem polnischen »Annullierungsgesetz« vom 14. Juli 1920 alle nach dem 11. November 1918 vorgenommenen Auflassungen für unwirksam erklärt. Mit dem »Liquidationsgesetz« des Folgetages sicherte sich der polnische Staat zudem die Möglichkeit entschädigungsloser Konfiszierungen.138 Die Versailler Bestimmungen sahen außerdem vor, dass der polnische Staat gegen Entschädigung den Grundbesitz deutscher Eigentümer liquidieren durfte, die nicht für die polnische Staatsangehörigkeit optiert hatten.139 Bis in die Mitte der 1920er-Jahre zog der polnische Staat so rund 200.000 Hektar deutschen Besitzes ein, überwiegend Großgrundbesitz, aber auch Klein- und Mittelgrundbesitz sowie Geschäfte und Betriebe in den Städten. Klagen wurden erhoben – auch auf internationaler Ebene140 –, dass die Entschädigungszahlungen zu niedrig bemessen waren (teilweise lediglich zehn Prozent des Vorkriegswertes, wie deutsche Publizisten kolportierten) und ihre Auszahlung absichtlich verzögert wurde. Ein Dekret vom 6. November 1919 erlaubte es der Regierung außerdem, zu liquidierende Güter unter Zwangsverwaltung zu stellen. Die Aufseher wirtschafteten, so der Vorwurf von deutscher Seite, mitunter absichtlich schlecht, um die deutschen Besitzer zu einem Verkauf zu ungünstigen Konditionen zu drängen. Die große Zahl derer, die verkaufen wollten, um das Land zu verlassen, drückte die Preise auf dem Bodenmarkt weiter.141 Die Liquidationsbehörden vor Ort wurden angewiesen, beim Verkauf der enteigneten Besitzungen darauf zu achten, diese nur an national zuverlässige Personen zu veräußern, d. h. polnische Interessenten zu bevorzugen.142 Der polnische Staat reklamierte außerdem das Vorkaufsrecht aus preußischer Zeit für sich.143 Letztlich wendete er dies in 500 Fällen an, ehe er sich im »deutsch-polnischen Liquidationsabkommen« vom Oktober 1929 gegen eine Geldzahlung durch das Deutsche Reich zu einem Verzicht darauf und auf weitere Maßnahmen gegen die ehemaligen Siedler der Ansiedlungskommission bereiterklärte. Nach einer Schätzung Hermann Rauschnings sicherte das Abkommen 180.000 Hektar von 80.000 ethnischen Deutschen vor der Liquidation.144 Parallel dazu begann 1920 eine Landreform, die das Heer der Landlosen in dem jungen Staat mit Grund und Boden versorgen sollte. Wie zuvor in Preußen überlagerten sich national- und sozialpolitische Zielsetzungen. Die zeitgenössische deutsche Publizistik hatte auf die überproportionalen Lasten für die deut138 Vgl. Müller, Nation, S. 300–303. 139 Ausführlich sind die rechtlichen Aspekte des Minderheitenstatus für Erhalt oder Liquidation des Grundbesitzes der deutschen Minderheit in Polen sowie die Widersprüchlichkeit der Rechtslage erörtert bei Schattkowsky, Minderheitenstreit. 140 Vgl. Anonymus, Denkschrift. 141 Vgl. ebd., S. 23, 69 f. 142 Vgl. Müller, Nation, S. 306 f. 143 Vgl. Swart, Diesseits, S. 49. 144 Vgl. Blanke, Orphans, S. 71 f., 125 f.; Borowsky, S. 149.
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sche Bevölkerung in den westlichen Gebieten Polens bei der Umverteilung des Bodens hingewiesen.145 Die jüngere Forschung schließt Repressalien durch Regierung und Verwaltungsstellen zwar nicht aus, verweist aber auch darauf, dass die deutsche Bevölkerung Polens überdurchschnittlich viele Groß- und unterdurchschnittlich wenige Kleingrundbesitzer zählte – eine Situation, wie sie auch in anderen Regionen der drei im Ersten Weltkrieg kollabierten Imperien Ostmitteleuropas anzutreffen war146 –, was dann auch erkläre, dass von der Landumverteilung vornehmlich polnische Kleinbauern profitierten.147 Über die Auswirkungen der Landreform, die vorrangig als sozialpolitisches Projekt konzipiert war, auf die Minderheitenpolitik ist sich die Forschung nicht einig. Während in den Augen Benjamin Conrads der 1925 angelaufene zweite Reformversuch »zu einem der wichtigsten Instrumente der (Re-)Polonisierung in Pommerellen und Posen«148 gehört, befand Richard Blanke, es habe sich bei diesem um eine »modest land reform«149 gehandelt, da der Staat vom Recht zu massiven Eingriffen in private Besitzrechte nur in geringem Umfang Gebrauch gemacht habe. War in Preußen in der Vorkriegszeit ein staatliches Einspruchsrecht gegen Kaufverhandlungen als Alternative bzw. als Ergänzung zum Enteignungsgesetz erfolglos diskutiert worden, setzte der polnische Staat dieses per Dekret vom 25. Juni 1919 für alle Besitzveräußerung von mehr als einem Achtel Hektar um.150 Hinzu kam ein staatliches Vorkaufsrecht für alle landwirtschaftlichen Flächen von mehr als einem halben Hektar. Im Fall von Zwangsversteigerungen tendierten die Gerichte dazu, deutsche Mitbieter vom Erwerb auszuschließen.151 »Die genannten Maßnahmen«, urteilt Dietmar Müller, »hatten erkennbar darauf abgezielt, Eigentumstransaktionen unter staatliche Kontrolle zu bringen […], um letztendlich Grund und Boden in die ethnopolitisch richtigen Hände zu leiten.«152 Ein zeitgenössischer Beobachter, Kurt von Schmeling, der um das Jahr 1890 herum Beamter im Danziger Regierungspräsidium und als solcher mit der Beobachtung der polnischen Nationalbewegung betraut gewesen war, resümierte im Jahr 1929: Und wie benehmen sich jetzt die Machthaber in dem wiedererstandenen polnischen Reiche gegen die Deutschen, die mit den zu diesem gekommenen ehemals preußischen Landesteilen nun unter polnische Staatshoheit geraten sind? Ausweisung, Drangsalierung, Entrechtung, Besitzliquidierung bilden tägliche Erscheinungen. Zu
145 Vgl. Rauschning, S. 157–277. 146 Vgl. Müller, Nation, S. 94. 147 Vgl. Komjathy / Stockwell, S. 81 f., 87; Wolf, Minderheiten, S. 50–52; ders., Ideologie, S. 62 f. 148 Conrad, Loyalitäten, S. 153. 149 Blanke, Orphans, S. 112. 150 Vgl. Blanke, Orphans, S. 72. 151 Vgl. Schubert, Landwirtschaft, S. 113; ders., Strukturwandlungen, S. 380; Müller, Nation, S. 310 f. 152 Ebd., S. 311.
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solchen eines Kulturstaates nicht würdigen Maßregeln hätten wir uns damals unmöglich hinreißen lassen […].153
Dem ist entgegenzuhalten, dass die polnische Gesetzgebung und Verwaltung auf preußische Muster zurückgreifen konnte. Festzuhalten ist auch, dass sich das polnische Beispiel in größere Zusammenhänge Ostmittel- und Südosteuropas einbettet, wo Staaten, die aus der Konkursmasse der im Weltkrieg unterlegenen Imperien hervorgegangen waren, durch Enteignung und Umverteilung sowohl sozial- als auch nationalpolitische Stabilisierungsziele verfolgten.154 Es bleibt weiteren Forschungen überlassen, die Folgen des Umbruchs von 1918 auf die soziale Normsetzung zu untersuchen. »Verräter« am polnischen Boden wurden nach Kriegsende weiterhin mit dem Ausschluss aus der Gemeinschaft bedroht.155 Von deutscher Seite wurde die Forderung, deutsche Grundbesitzer sollten im nationalen Interesse an ihrem Eigentum festhalten, vielleicht vehementer denn je vorgetragen. Durch Leo Wegener erging Ende 1919 ein Aufruf im Namen des Deutschen Volkrates Posen, in dem dieser »im Interesse des Deutschtums im allgemeinen und in dem jedes einzelnen Landwirts von jeder übereilten Preisgabe des Besitzes ab[riet]«.156 Die finanzielle Unterstützung der deutschen Minderheit in Polen kann mit den Worten Ralph Schattkowskys »als fester Bestandteil einer Revisionspolitik« angesehen werden, »die zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Friedensvertrages geistiges Allgemeingut breitester Kreise der Weimarer Republik geworden war.«157 Als Deutscher im neuen polnischen Staat den nationalen Besitzstand zu verteidigen, wurde im Reich als gebotene Pflichterfüllung angesehen. Die vom deutsche Staat besorgte finanzielle Entschädigung derer, die ihren Besitz in Polen verlassen hatten, um ins Reich überzusiedeln, fand hingegen Kritik, da hierin ein Anreiz gesehen wurde, den nationalen Kampf allzu schnell aufzugeben. Infolgedessen wurden 1921 die Einreise- und Entschädigungsbestimmungen rigider gehandhabt.158 Zugleich forderten Deutsche, auch Grundbesitzer, die in Polen verblieben waren, finanzielle Unterstützung als Entschädigung für ihre nationale Aufopferung. Dies ließ wiederum im Reich Sorgen um eine »Nehmermentalität« (»subvention mentality«) laut werden, wie Winson Chu sie nannte.159 Eine solche Nehmermentalität hatten Kenner der Materie bereits vor Ausbruch des Weltkrieges ihren deutschen Landsleuten attestiert. In der Nachkriegszeit sah man darin die eigentliche Ursache für das Scheitern der Polenpolitik und den Verlust der Ansiedlungsprovinzen.160 153 Schmeling, S. 194. 154 Vgl. Müller, Nation; Blomqvist, S. 267 f. 155 Vgl. Niendorf, S. 346. 156 Zit. n. Boysen, Geist, S. 117. 157 Schattkowsky, Minderheitenstreit, S. 525. 158 Vgl. Wolf, Minderheiten, S. 47. 159 Vgl. Chu, Minority, S. 54 f., 87–90. 160 Vgl. Falk, S. 13 f.; Busch, S. 80 f., 85 f., 88.
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Im Deutschen Reich blieb die Bodenfrage eine ökonomische und soziale Frage ersten Ranges. Ländliche Verschuldung und die Grundbesitzverteilung blieben drängende Probleme der Landwirtschaft. Obwohl die östlichen Grenzkreise nach den Gebietsabtretungen nunmehr nur noch eine geringfügige polnische Minderheit aufwiesen, drang doch das nationale Argument neuerlich ins Bewusstsein der Öffentlichkeit, wozu insbesondere das Reichssiedlungsgesetz 1919 als Instrument der Grenzpolitik diente. Claudia-Yvonne Ludwig hat den Jahreswechsel 1925/26, als die Grenzsiedlung offiziell zur Reichssache erklärt wurde und Preußen maßgebliche Kompetenzen abtreten musste, als den Scheidepunkt von einer zuvor primär sozialen und wirtschaftlichen Zielen dienenden Siedlungspolitik hin zu einer nationalpolitischen Aufladung erklärt.161 Auch bei polnischen Erwerbungen blieb die Presse wachsam, der Ruf nach staatlicher Intervention wurde lauter, neidvoll blickten Nationalisten auf die Eingriffsmöglichkeiten, die sich der polnische Staat jenseits der Grenze schuf.162 Im Februar 1933 legte der Ostmarkenverein, der längst die Bedeutung früherer Tage verloren hatte, einen Gesetzesvorschlag vor, in dem er ein staatliches Einspruchsrecht bei Bodenveräußerungen forderte.163 Es war lediglich ein Vorgeschmack auf die grunderschütternden Eingriffe in private Eigentumsrechte, die zunächst Deutschland und bald darauf weite Teile Europas erleben sollten.164
161 Vgl. Ludwig; Schultz-Klinken, S. 206 f. 162 Vgl. Schubert, Landwirtschaft, S. 113; Deutsche Zeitung, 17.1.1933; GStA PK, I. HA Rep. 195, Nr. 278, Polnischer Landerwerb in der deutschen Ostmark. 163 Vgl. ebd., Bl. 35–39r, Vorschlag [des Ostmarkenvereins] eines Reichsgesetzes über den Verkehr mit landwirtschaftlich genutzten Grundstücken und solchen in Ortschaften bis 50.000 Einwohner. 164 Vgl. Schleusener.
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Fazit: Nationalisierung durch Deliberalisierung Als der amerikanische Soziologe William Isaac Thomas, ein namhafter Vertreter der Chicago School of Sociology, in den Jahren vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges Ostmittel- und Südosteuropa zu Forschungszwecken bereiste, beobachtete er das Versagen des preußischen Staates bei dem Versuch, die polnische Bevölkerung zu assimilieren. Er erklärte sich dies damit, dass die Polen auf der »primären«, d. h. niedrigeren kulturellen Stufe stünden, auf der die Angehörigen ein stark emotional geprägtes, auf persönlichem Austausch basierendes Gruppenbewusstsein besäßen, während die Deutschen als Angehörige der höheren Stufe lediglich nur noch abstrakte Gruppenbindungen aufwiesen.1 Inzwischen gelten in den Gesellschaftswissenschaften derartige evolutionistische und hierarchisierende Kulturstufentheorien als überholt. Ebenso wenig vermag das von Wiktor Sukiennicki nach dem Ersten Weltkrieg gefällte Urteil zu überzeugen, bei der wachsenden Zahl polnischen Grundbesitzes habe es sich um einen »naturgegebene[n], elementare[n] Prozeß sozial-wirtschaftlicher Natur« gehandelt, »den weder künstliche Gesetzesschranken noch Goldmarkmillionen aufzuhalten imstande waren.«2 Es stellt sich die Frage, wie die Entwicklungen auf dem Bodenmarkt beschrieben werden können, ohne ex post auf Erklärungsmodelle vom Rang sozioökonomischer Naturgesetzmäßigkeiten zurückzugreifen. Die vorliegende Untersuchung argumentiert für den Bodenmarkt im öst lichen Preußen vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, dass die Grundbesitzer als Marktteilnehmer den moralisierenden Vereinnahmungen seitens der deutschen oder polnischen nationalen Öffentlichkeiten keineswegs indifferent gegenüberstanden. Stattdessen registrierten sie sehr genau die an sie gestellten Erwartungen und antizipierten die Reaktionen auf ihr ökonomisches Handeln. Dieses feine Gespür äußerte sich etwa in den Gesuchen deutscher Landwirte an die Ansiedlungskommission oder in den Gegendarstellungen polnischer Grundbesitzer, mit denen sie dem Vorwurf des nationalen Verrats begegneten. Wenn diese von nationalen Eliten verfolgten Moralisierungsstrategien zweifelsohne zu einer Stabilisierung der national binären Denk- und Ordnungsschemata beigetragen haben, so kann daraus keineswegs automatisch auf eine »Verinnerlichung« einer nationalen Identität durch die Grundbesitzer geschlossen werden. Die verfüg1 Vgl. Thomas. Thomas’ Aufsatz stellt über weite Strecken eine ungekennzeichnete Paraphrase der Studie Ludwig Bernhards dar, vgl. etwa ebd., S. 632 f., mit Bernhard, Polenfrage, S. 534–540. Thomas hatte für seine Recherchen gleichermaßen zum Ostmarkenverein wie zu Vertretern der polnischen Nationalbewegung Kontakt aufgenommen. Vgl. Krysiak, S. 224 f. 2 Sukiennicki, S. 29. Zur Fortführung der These deutsch-polnischer Erbfeindschaft vgl. Wojciechowski; Labuda, sowie für die geschichtspolitischen Implikationen: Krzoska, S. 317–324 und Guth, S. 224–226.
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baren Quellen repräsentieren Fremdzuschreibungen durch nationale Eliten, die wenig Aufschluss über die Selbstzuschreibungen der Akteure im Spektrum nationaler, hybrider und indifferenter Identitäten geben. Dass die Differenz zwischen Selbst- und Fremdzuschreibung erheblich sein konnte, zeigt das Angebot einer Gruppe von Kleingrundbesitzern an die Ansiedlungskommission: Diese hatten bei einer Privatparzellierung Grundstücke übernommen und sie anschließend gemeinschaftlich der Behörde mit der Bitte angeboten, als deutsche Siedler auf ihren Besitzungen bleiben zu können. Die Behördenleitung berichtete indes an die Berliner Zentrale, dass ein Ankauf zwar erwünscht sei. Allerdings: Dagegen ist eine Wiederansiedelung der Antragsteller und ihrer Genossen durch die Königliche Ansiedelungs-Kommission ausgeschlossen. Mögen dieselben auch aufreizenden polnischen Bestrebungen gegenüber Zurückhaltung geübt haben, sogar teilweise dem Kriegervereine und der Spar- und Darlehnskasse in Witkowo angehören, so sind sie doch von Nationalität Polen, nicht, wie sie angeben, deutsche Katholiken; ihre Muttersprache ist die polnische, der deutschen Sprache sind sie so wenig mächtig, dass bei den früheren Kaufverhandlungen die Zuziehung eines Dolmetschers nötig wurde.3
Umgekehrt gab es in der polnischsprachigen Presse publizierte Erklärungen, in denen sich Käufer, die der Angehörigkeit zur deutschen Nationalität bezichtigt wurden, zum Polentum bekannten. Das öffentliche Bekenntnis zu der einen oder anderen Nation konnte demzufolge von pragmatischen Motiven geleitet sein. Das Verständnis der Grundbesitzer für die neuen Spielregeln auf dem Markt bedeutete keineswegs eine Bereitschaft für normenkonformes Verhalten. Dies zeigt insbesondere der große Erfolg der Mittels- und Strohmänner. Sie eröffneten Handlungsoptionen in einem System, das auf nationale Abschottung drängte und ermöglichten Grundbesitzern, den veränderten Marktregeln Rechnung zu tragen und gleichzeitig weiterhin ökonomische Eigeninteressen zu verfolgen. Nationale Loyalität und individuelles Gewinnstreben lassen sich keineswegs als zwei einander ausschließende handlungsleitende Motive der Grundbesitzer identifizieren. Identitäten, Motive, Wissen und Gelegenheiten sind nur einige Variablen, die darüber entschieden, welche Wege die Akteure im Marktgeschehen zwischen normengerechtem oder deviantem Verhalten oder gar der Enthaltung einschlugen. Verallgemeinernde Aussagen lassen sich nicht treffen. Dies ist nicht zuletzt durch die Quellenlage begründet. Zum einen bietet die Überlieferung reichlich Aufschluss über das strategische Verhalten der Ansiedlungskommission als Marktakteurin und die Argumentation der an sie gerichteten Kaufgesuche; vergleichbare Einblicke in das Innenleben der polnischen Parzellierungsgenossenschaften lässt das Material hingegen nicht zu. Zum anderen 3 GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9681, Bl. 152–153, hier 153, Präsident der Ansiedlungskommission an den Landwirtschaftsminister, 23.4.1904. Später boten dieselben Landwirte ihren Besitz der Bank Ziemski zum Kauf an und drohten in einem offenen Brief andernfalls mit einem Verkauf an die Ansiedlungskommission, die diese Offerte bereits abgelehnt hatte. Vgl. Wielkopolanin, 16.2.1905.
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werden fast nur die konfliktträchtigen, öffentlich diskutierten Transaktionen erfasst. Demzufolge müssen Fragen wie die nach Auswirkungen der Nationalisierungsprozesse auf die unmittelbar beteiligten Marktakteure offen bleiben. Demgegenüber konnte gezeigt werden, dass manche Ergebnisse der älteren Forschung revidiert werden müssen. So ist etwa die Erfolgserzählung des polnischen Genossenschaftswesens zu relativieren. Erstens haben die Institute überwiegend polnischen Boden erworben und parzelliert. Die in der amtlichen Besitzwechselstatistik verzeichneten ›polnischen Zugewinne‹ sind vorrangig privaten Einzelkäufern zuzuschreiben. Zweitens blieben die Genossenschaften in der ökonomischen Notwendigkeit, Profite erwirtschaften zu müssen, nicht vor Skandalen gefeit. Dadurch standen sie letztlich als gewinnsüchtige Unternehmen da, die ihre Schützlinge, die Parzellennehmer, übervorteilten. Die preußische Regierung nutzte diese Einzelfälle, um mit der Ansiedlungsnovelle 1904 die weitere Tätigkeit der Genossenschaften empfindlich zu behindern. Aber auch in der polnischen Öffentlichkeit stießen solche Fälle auf Kritik, da sie das nationale Ziel bedrohten und das Vertrauen in die Genossenschaften erschütterten. Drittens führte die restriktive preußische Gesetzgebung genauso wie der Wachstumsstopp dazu, dass die Parzellierungsgenossenschaften auf andere Tätigkeitsbereiche ausweichen mussten und sie ihre Kapitalien in einer Weise festlegten, die ihre Bewegungsspielräume signifikant einschränkte. Es bleibt zu klären, in welchem Umfang die Genossenschaften als Kreditgeberinnen für Privatkäufer fungiert haben, ohne dass solche Transaktionen zu Parzellierungen führten.4 Ebenso wäre zu untersuchen, welches Ausmaß die subversive Aneignung des Besitzfestigungsverfahrens annahm, d. h. die Regulierung der Hypothekenschulden unter Eintragung eines Vorkaufsrechts. Die Untersuchung des normativen Rahmens legt hingegen den Schluss nahe, dass der eigentliche Erfolg polnischer Eliten darin bestand, den Wirtschaftsnationalismus in ein verbindliches Koordinatensystem sozialer Normen zu überführen. Dafür sprechen die seit den 1890er-Jahren andauernden Klagen preußischer Regierungsvertreter darüber, dass lediglich eine verschwindend geringe Zahl polnischer Grundbesitzer bereit war, ihr Land der Ansiedlungskommission zu einem adäquaten Preis anzubieten. Der hohe Grad normenkonformen Verhaltens in der polnischsprachigen Grundbesitzerschaft folgte aus dem hohen Risiko, Beleidigungen und Schmähungen durch Landsleute zu erfahren. Solche Invektiven wurden unermüdlich wiederholt und erreichten alle Teile der sozial und politisch fragmentierten polnischsprachigen Öffentlichkeit. Dabei variierten die Zielsetzungen, die die Vertreter unterschiedlicher politischer Strömungen mit der Formulierung der »nationalen Norm« verfolgten. »Volkspartei« und Nationaldemokraten, die sich vornehmlich an den urbanen Mittelstand wandten, diente der Hinweis auf den »Verrat« polnischer Großgrundbesitzer dazu, sich selbst anstelle des Adels als 4 Vgl. Tomaszewski, o. S. (»Statystyka«); GStA PK, I. HA Rep. 87, Abt. B Nr. 9633, Bl. 57–60, hier 58r, Oberpräsident von Posen an den Landwirtschaftsminister, 30.11.1911.
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Vertreter des nationalen Interesses zu präsentieren. Auch Politiker und Blätter der »Hofpartei« als Repräsentanten des grundbesitzenden Adels vertraten nach einigem Zögern die nationale Norm. Durch demonstratives Ahnden von Normenverstößen sollte dem Vorwurf begegnet werden, der Adel setze sich nicht genügend für die Belange der Nation ein. Dies fügte sich ein in die größeren »Rückzugsgefechte der alten ostmitteleuropäischen Adelsgesellschaft«,5 im Laufe derer durch die Verknüpfung der Interessen des Adels mit denen der Nation die brüchig gewordene Standeslegitimation stabilisiert werden sollte. Im Ergebnis hatten polnische nationale Eliten den Bodenmarkt mithilfe sozialer Normsetzung erfolgreich entlang ethno-nationaler Ordnungskriterien umstrukturiert. In der Rückschau wäre es naheliegend, wie Hans-Erich Volkmann zu dem Urteil zu gelangen, »dass die Polen […] den Wettlauf mit den Deutschen um den Boden gewonnen hatten.«6 Eine solche Sichtweise geht jedoch mit zwei Schwierigkeiten einher. Zum einen verdichtet sie die kaufmännischen Handlungen der am Markt vertretenen Individualakteure zu einem antagonistischen Ringen zweier hermetisch abgetrennter Kollektive. Dies ist zu einem gewissen Grade zulässig, da es mit der zeitgenössischen Wahrnehmung des »Kampfes um den Boden« korrespondiert. Eine solche Sicht ist allerdings auch dazu geeignet, das Narrativ der ewigen deutsch-polnischen Feindschaft zu reproduzieren. Sie verdunkelt zugleich nicht nur deutsch-polnische Kooperationen wie im Falle der Stroh- und Mittelsmänner, sondern genauso die Individualität derjenigen auf dem Markt agierenden Akteure, die vornehmlich nach kaufmännischem Kalkül handelten. Zum anderen suggeriert die Metapher von dem Wettlauf, den der eine Kontrahent 1914 gewonnen, der andere verloren habe, dass dieses Datum eine gedachte Ziellinie markiert habe. Ähnlich hat Dörte Lerp das Scheitern der Siedlungspolitik damit begründet, dass bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges lediglich zwei Drittel des von der Ansiedlungskommission angekauften Bodens aufgeteilt und an Siedler vergeben worden war.7 Dagegen hat bereits Gregor Thum auf den Umstand hingewiesen, dass die Siedlungspolitik auf weit längere Zeiträume als bis 1914 bzw. 1918 angelegt gewesen ist.8 Auf ähnliche Weise ist das Scheitern damit begründet worden, dass die von der Regierung vermeintlich anvisierte Zielzahl von 40.000 Siedlern bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges nicht erreicht worden sei; ein Argument, das sich abermals auf das Wissen um den Krieg und seine Folgen ex post stützt – ein 5 Loew, S. 68. 6 Volkmann, S. 136. 7 Vgl. Lerp, Grenzräume, S. 166. Lerp argumentiert darüber hinaus (S. 168 f.), die Siedlungspolitik sei an einem Widerspruch zwischen dem »liberalen« Siedlungskonzept bäuerlicher Massensiedlung und dem »konservativen« Konzept großbetrieblicher Domänenwirtschaft gescheitert. Demgegenüber wäre zu diskutieren, ob die Klärung der Restgüterfrage und das Besitzfestigungsverfahren nicht ein Brückenpotenzial zwischen beiden Interessensparteien besaß. 8 Vgl. Thum, Frontier, S. 34.
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Wissen, das den handelnden Akteuren fehlte.9 Tatsächlich spielte diese Kennzahl in den operativen Beratungen des Staatsministeriums und der Ansiedlungskommission keine Rolle, sondern geht auf ein Missverständnis zurück, das in der Literatur fortgeschrieben worden ist. Gustav von Heyer hatte 1911 in einer Festschrift zum fünfundzwanzigjährigen Bestehen der Ansiedlungskommission an die bescheidenen Erwartungen erinnert, die 1886 an die Behörde gestellt wurden: »Es erschien viel, damit etwa 5.000 bäuerliche Stellen und nach einer anderen Berechnung noch 3.000 Arbeiterstellen einzurichten und eine Verstärkung der deutschen Bevölkerung um 40.000 Seelen zu erreichen«.10 Die Zahl 40.000 bezog sich demnach nicht allein auf Siedler, sondern schloss Familienmitglieder ein. Ein Jahr nach Heyer sollte sich diese Zahl bei Otto Hoetzsch, einem der wichtigsten intellektuellen Stichwortgeber der deutschen Ostpolitik jener Jahre, potenzieren, der von geplanten 40.000 Siedlerfamilien sprach, um daran die Forderung nach einer konsequenten Fortsetzung der Siedlungspolitik anzuknüpfen: Die Ansetzung von 40.000 deutschen Bauernfamilien im Osten nahm der Entwurf zur Denkschrift für das Ansiedlungsgesetz in Aussicht. 19.000 Familien sind heute angesetzt. Ginge das Werk in dem Tempo der Jahre 1908, 1909: 1.500 Familien im Jahre anzusetzen […] weiter, so ist in 15 bis 20 Jahren die Aufgabe des Gesetzes von 1886 gelöst, das Ziel erreicht, das wir erreichen müssen.11
Zwanzig Jahre später, in dem Jahr, in dem Hoetzsch das Ansiedlungswerk abgeschlossen glaubte, verwies der polnische Historiker Andrzej Wojtkowski in seinem für die weitere Forschung einschlägigen Überblick über die Tätigkeit der Ansiedlungskommission auf Hoetzsch und übernahm dabei dessen Zahl von 40.000 Siedlerfamilien, um süffisant auf die mittlerweile veränderten politischen Verhältnisse hinzuweisen.12 Die vorliegende Untersuchung des Bodenmarktes bestreitet nicht das Scheitern der preußischen Siedlungspolitik, führt es aber auf die Kollision mit den normativen Rahmenbedingungen zurück. Zum einen führten Disziplinarmaßnahmen innerhalb der polnischsprachigen Öffentlichkeit dazu, dass Angebote polnischer Grundbesitzer gegenüber der Ansiedlungskommission ausblieben oder doch nur mit großen finanziellen Kosten und durch Einsatz von Strohmännern und Zwischenmaklern zu haben waren. Der Erwerb deutschen Grundbesitzes blieb hingegen in der Wahrnehmung von Regierung und Verwaltung stets unzweckmäßig und war überdies mit langwierigen Verhandlungen verbunden, in denen sich Eigentümer deviant verhielten. Zum anderen fehlte es der deutschsprachigen Öffentlichkeit an einem moralischen Korrektiv, wie preußische Regierungsvertreter immer wieder bedauernd feststellten.
9 Vgl. Lerp, Grenzräume, S. 166; Łuczak, S. 61; Chwalba, S. 461. 10 Vgl. Heyer, S. 8. 11 Hoetzsch, S. 6. 12 Vgl. Wojtkowski, Działalność, S. 22.
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Der Etablierung verbindlicher Normen stand erstens entgegen, dass das formale Ziel der »Stärkung des Deutschtums« mit dem Grundsatz kollidierte, keinen deutschen Grundbesitz anzukaufen. Deutsche Eigentümer konnten einen Ankauf für notwendig erklären, sollte ihr Besitz nicht an Kontrahenten fallen, und eine Verweigerung der Ansiedlungskommission als ›Schwächung des Deutschtums‹ anprangern. Dem lagen unterschiedliche Verständnisse von »Nation« zugrunde: Die Grundbesitzer tendierten dazu, die kompensatorische Funktion der »Nation« hervorzuheben, wonach ihnen als bedrohte Angehörige einer Solidargemeinschaft besondere Vergünstigungen zustanden. Die nationalen Eliten hoben hervor, dass sie im nationalen Interesse den Handlungsspielraum von Individuen einschränken müssten. Zweitens war die Norm, deutsche Grundbesitzer dürften nicht an polnische Interessenten verkaufen, nicht gesamtgesellschaftlich verankert. Vertreter von Sozialdemokratie, Freisinn und Zentrum übten zwar Kritik an solchen Landverkäufen, aber nur, um die preußische Polenpolitik als dysfunktional zu kritisieren. Ein auf die einzelnen Grundbesitzer zielender invektiver Diskurs bildete sich erst nach der Jahrhundertwende heraus, blieb aber in Umfang und Stetigkeit weit hinter dem polnischen zurück und darüber hinaus auf die nationalliberale Teilöffentlichkeit beschränkt. Die vorgeblichen Adressaten, die ostelbischen Grundbesitzer, wurden nicht erreicht, sodass zu fragen wäre, ob solche Appelle nicht vornehmlich für die Angehörigen der eigenen bürgerlich-urbanen Gruppe gedacht waren, in Abgrenzung zu der als deviant deklarierten Gruppe der anderen (ähnlich wie bei polnischer »Volkspartei« und Nationaldemokraten). In der konservativen Teilöffentlichkeit lassen sich dagegen Strategien der Normdifferenzierung erkennen, die den Versuchen der polnischen »Hofpartei« ähnelten: Diskutiert wurde, wann legitimerweise das Eigeninteresse Vorrang vor nationalen Verpflichtungen haben sollte. Der finanzielle Bankrott oder die Vormundschaft für Waisen, überhaupt die Verpflichtung für Dritte konnten Eventualitäten sein, die einen Verkauf rechtfertigten. Der normative Diskurs wurde im konservativen Sozialmilieu rezipiert, aber mit so vielen Ausnahmetatbeständen angereichert, dass der Adressatenkreis auf besonders wohlhabende Besitzer ohne soziale Verpflichtungen jedweder Art verengt wurde. Staatliche Ehrenstrafen hatten kaum Auswirkungen auf den Bodenmarkt. Der Entzug von Ehrenämtern oder des Rechts, Uniform zu tragen, blieb der Öffentlichkeit verborgen. Damit vermochten diese Maßnahme weder eine Präventionsfunktion auszuüben noch ein gemeinschaftsstiftendes Solidarisierungsangebot zu bieten, bei dem sich die nationale Gemeinschaft über die gemeinsamen Werte und Normen verständigte. Ähnlich verhielt es sich mit Prämierungen: Solvente Großgrundbesitzer sind gezielt von den preußischen Behörden über die Möglichkeit informiert worden, für den Kauf und die fideikommissarische Bindung von Grundbesitz mit der Nobilitierung belohnt zu werden. Allerdings erhielten breitere Kreise keine Kenntnis von den Hintergründen dieser Auszeichnung, sodass sich kein Nachahmereffekt einstellen konnte. Auch wenn die von der Regierung vertretene Norm, den »nationalen Besitzstand« zu wahren 294
und zu mehren, bekannt war, herrschte Unkenntnis, ob und wie ihr von staatlicher Seite Geltung verschafft würde. Die Verbindlichkeit von Normen kann drittens räumlich begrenzt sein.13 »Für die vergleichsweise überschaubare polnische Teilgesellschaft unter preußischer Herrschaft« war, so Rudolf Jaworski, »eine Unterordnung wirtschaftlicher Belange unter nationalpolitische Zielsetzungen in der Tat wahrscheinlicher«14 als für die deutsche Mehrheitsbevölkerung. Polnische Verkäufer von Grundbesitz blieben, wollten sie sich weiterhin innerhalb ihrer Sprachgruppe bewegen, auf die östlichen Provinzen beschränkt, wo sie dem engmaschigen Netz sozialer Kontrolle durch polnische Zeitungen und dem Vereinswesen unterworfen waren.15 Deutschen Verkäufern von Grundbesitz boten sich größere Rückzugsräume, was von den ohnehin ungleich schwächer ausgeprägten Ehrgerichten begünstigt wurde. So erfolgte die namentliche Nennung von »Verrätern« überwiegend in Blättern des Ostmarkenvereins oder des Posener Tageblatts, wurde aber von westdeutschen Zeitungen nur selten aufgegriffen. Diesen medialen Schamgerichten, genauso wie der Ächtung seitens von Landräten, Ortspfarrern, Dorflehrern und anderen Angehörigen der lokalen Gemeinschaft ließ sich durch Abwanderung gen Westen entziehen.16 Nationale Besitzstandswahrung konnte nicht als hegemoniale Norm verankert werden, ihre Akzeptanz beruhte allein auf freiwilliger Selbstverpflichtung. Viertens sind Erfolge und Misserfolge beider Kontrahenten im »Kampf um den Boden« von Zeitgenossen unterschiedlich bewertet worden. Rückschläge des preußischen Goliaths, dem alle legislativen und fiskalischen Machtmittel zentraleuropäischer Staatlichkeit zur Verfügung standen, wurden als größere Niederlagen gewichtet als die des dezentral organisierten, auf Spenden und genossenschaftliche Mittel angewiesenen polnischen Davids. Diese Wahrnehmungsasymmetrie verstärkte sich noch dadurch, dass die preußischen Regierungsvertreter als Träger der Siedlungspolitik in einer Art Versagensfalle gefangen waren. Bei jeder Gesetzesinitiative mussten die Unzulänglichkeiten der bisher installierten Mittel herausgestrichen werden, um die immer drastischeren staatlichen Eingriffe in die Besitzverhältnisse zu rechtfertigen. Die Besitzwechselstatistik, die ökonomische Individualhandlungen als nationales Kollektivhandeln auswies, diente als Nachweis, dass das »Deutschtum« in Preußen in der Defensive sei und verlorenes Terrain wiedergutzumachen habe. Im gleichen Maße, in dem Regierung und Verwaltung das Verhalten der deutschen Grundbesitzer (insbesondere der Großgrundbesitzer) für die mangelnden Fortschritte der Siedlungspolitik verantwortlich machten, begegneten sie der Anspruchshaltung und den Drohungen der Agrarier mit permanentem 13 Siehe dazu auch den Hinweis bei Reeken / T hießen, S. 17, auf die Bindung von Ehrregimen an soziale Räume. 14 Jaworski, Handel, S. 65. 15 Vgl. Mitscherlich, S. 72 f.; Corvinus, S. 29 f.; Falk, S. 13 f. 16 Vgl. Makowski, S. 59.
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Misstrauen. Dieser Befund steht im Widerspruch zu Hans-Ulrich Wehlers Auffassung, die Ansiedlungskommission sei ein »landwirtschaftliches Sanierungsunternehmen großen Stils«17 gewesen. Bereits Uwe Müller hat die These von einer Schutzpolitik zugunsten der »Großagrarier« zurückgewiesen, da die staatliche Politik auf eine Stärkung des bäuerlichen Mittelstandes abzielte, was durch die vorliegende Untersuchung bestätigt wird.18 Die These vom »Sanierungsunternehmen« für den deutschen Großgrundbesitz greift zu kurz, und zwar unabhängig davon, ob man von bewusster Förderung ausgeht (wogegen das vom Finanzminister gewahrte fiskalische Gebot der »Schadloshaltung« spricht) oder aber von unbeabsichtigten Folgen der preußischen Polenpolitik. In beiden Fällen wird zum einen die polnische Besitzerschaft und zum anderen der Klein- und Mittelgrundbesitz als Bezugs- und Vergleichsgröße ausgeklammert. Wie gezeigt werden konnte, entsprach es auf nationalpolitischer Ebene der ethnodemografischen Logik der preußischen Siedlungspolitik, dass die Regierung den Ankauf polnischen Grundbesitzes vorzog und von dieser Prioritätensetzung zu keinem Zeitpunkt abrückte. Dass im Jahr 1913 dennoch drei Viertel19 der von der Ansiedlungskommission angekauften Fläche von deutschen Vorbesitzern stammte, war einerseits den effektiven Maßnahmen der polnischen Nationalbewegung auf moralischem Gebiet, andererseits dem anhaltenden Bedarf nach Siedlungsland geschuldet. Bereits die Namen der beiden zu diesem Zweck gegründeten Kreditinstitutionen, »Mittelstandskasse« und »Bauernbank«, zeugen davon, dass die Förderung des Klein- und Mittelgrundbesitzes im Vordergrund stand. Dessen Bevorzugung ergibt sich auch aus der Höhe der aufgewendeten Mittel und der tatsächlich gefestigten Fläche (s. Kap. 3.1). Erst 1908 gelangte auch der Großgrundbesitz in den Genuss dieses Umschuldungsverfahrens. Hatte Thomas Nipperdey für das Kaiserreich in Gänze dafür plädiert, dieses »nicht primär als konservative Systemerhaltung zu charakterisieren«,20 so lässt sich auch in dem bescheideneren Rahmen der preußischen Bodenpolitik der Eindruck einer Stabilisierung alter Eliten relativieren. »Der von Wehler kritisch festgestellte Sanierungseffekt für die notleidende deutsche Landwirtschaft in diesen Provinzen war also erst eine spätere Folge des verminderten Landangebotes von polnischer Seite«,21 konstatierte bereits Wolfgang Hofmann, wobei zu ergänzen ist, dass dies nicht allein den Großgrundbesitzern zugutekam. Dies gilt auch für die von der
17 Wehler, Gesellschaftsgeschichte, S. 964. 18 Vgl. Müller, Modernisierung, S. 164. 19 Vgl. Denkschrift des Jahres 1913 über die Ausführung des Gesetzes, betreffend die Beförderung deutscher Ansiedlungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, vom 26. April 1886 und seiner Nachträge vom 20. April 1898, 1. Juli 1902, 20. März 1908 und 28. Mai 1913, in: Sammlung der Drucksachen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, Berlin 1914, S. 1801–2121, hier 1806. 20 Nipperdey, S. 890. 21 Vgl. Hofmann, S. 264.
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Politik nicht intendierte Erhöhung der Beleihungsgrenze als Folge steigender Bodenpreise.22 Ein wesentliches Ergebnis ist, dass sich im Untersuchungszeitraum die antipolnische Siedlungspolitik zu einer breiter angelegten Bodenpolitik erweitert hat, in deren Fokus massive staatliche Eingriffe in die Besitzrechte sowohl polnischer wie auch deutscher Eigentümer standen. Dieser Paradigmenwechsel fand in drei Phasen statt. Mit Gründung der Ansiedlungskommission 1886 verfolgte die preußische Regierung das Ziel einer möglichst umfangreichen Ansiedlung deutscher Bauern, vornehmlich auf ehemals polnischem Boden. Mit der Ansiedlungsnovelle von 1898 wurde diese Zielsetzung durch Bereitstellung neuer finanzieller Mittel bekräftigt, fortan allerdings in Ermangelung polnischer Angebote vermehrt auf deutschen Grundbesitz zurückgegriffen. Durch die Förderung von Fideikommissgründungen, die Verstaatlichung von Grundbesitz als Domänen und Forste und erste Versuche mit dem Besitzfestigungsverfahren geriet die Sicherung bereits in deutscher Hand befindlichen Besitzes zunehmend in den Fokus staatlicher Interventionspolitik. Diese Sicherung wurde 1908 schließlich durch die Ausweitung des Besitzfestigungsverfahrens auf den Großgrundbesitz und die massive finanzielle Förderung zum vorrangigen Ziel staatlichen Handelns, während die Neuansiedlung zwar nicht aufgegeben, aber in Ermangelung von Siedlungsland – noch vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges – stark gedrosselt wurde und in den Hintergrund geriet. Was diese Boden- und Siedlungspolitik von kolonialen Landnahmeprojekten in Übersee unterschied, war der in der preußischen Regierung bis zuletzt vorherrschende Glaube an die Möglichkeit der interethnischen Differenzbewältigung durch Assimilation. Die Siedlung sollte den Assimilationsprozess der polnischen Bevölkerung beschleunigen, sei es durch das Übergewicht der deutschen Bevölkerung unmittelbar in den östlichen Provinzen, sei es, dass durch diesen Zuzug Teile der polnischen Bevölkerung in westliche Regionen des Reiches gedrängt wurden und dort »im Deutschtum aufgingen«. Letzteres erklärt auch, warum die diskriminierende Sondergesetzgebung auf die Region östlich der Elbe begrenzt blieb. Hannes Siegrist und Dietmar Müller haben die Zeit des Ersten Weltkrieges und die Zwischenkriegszeit als eine umfassende Transformationsphase für den Umgang und das Verständnis von Grundbesitz in Ostmitteleuropa beschrieben. Demzufolge war zu Beginn des 20. Jahrhunderts die liberal-individualistische Besitzkultur vorherrschend, die sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts entwickelt hatte und der das Ideal einer freien Marktwirtschaft zugrunde lag. Private Eigentümer hatten das volle Verfügungsrecht über ihren Besitz; sie konnten ihn frei veräußern, wobei die wesentlichen Kräfte diejenigen von Angebot und Nachfrage auf einem freien Markt waren. Dem Staat kam einzig die Aufgabe zu, die Eigentumsrechte zu schützen und Rechtssicherheit für die Abwicklung von Markttransaktionen zu garantieren.23 Durch die Kriegs- und Besatzungs22 Vgl. Bruchhold-Wahl, S. 21, 73; Achilles, S. 205 f. 23 Vgl. Schwab, S. 94–103.
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wirtschaft im Ersten Weltkrieg, vor allem aber durch die staatliche Neuordnung Ostmitteleuropas nach dem Ersten Weltkrieg gewann die ethno-nationale Besitzkultur an Attraktivität und Geltungskraft. Fortan teilten sich private Eigentümer die Verfügungsrechte mit dem Staat, der seinem Selbstverständnis nach einseitig im Auftrag einer ethno-nationalen Mehrheit handelte. Mit der Begründung, einem größeren Wohl zu dienen, nämlich dem der Nation, schränkte der Staat das Anrecht des Individuums auf seinen Besitz ein.24 Die vorliegende Untersuchung zeigt, dass für den preußischen Herrschaftsbereich diese Entwicklung – weg von dem liberal-individualistischen Prinzip und hin zu einer Neuordnung des Konzeptes »Eigentum« entlang ethno-nationaler Kriterien – bis weit in die Vorkriegszeit zurückreicht. Dieser Transformationsprozess begann mit dem Ansiedlungsgesetz von 1886. Bereits die Vergabe der von der staatlichen Ansiedlungskommission ausgelegten Rentengüter einseitig an Angehörige der ethnisch deutschen Bevölkerung wies nicht nur den Weg in Richtung einer Ethnisierung des Grundbesitzes, sondern auch in Richtung Deliberalisierung. Diese Deliberalisierung kannte zwei Ausgestaltungen: Zum einen in Form des Abzugs beziehungsweise Ausschlusses von Grundbesitz vom freien Markt. Zum anderen durch die Einschränkung privater Verfügungsrechte über individuellen Grundbesitz. Durch das Vorkaufsrecht, das sich der preußische Staat vertraglich zusichern ließ, konnten polnische Interessenten vom Erwerb dieser Besitzungen ausgeschlossen werden – das Verfügungsrecht war zwischen Staat und privatem Eigentümer geteilt worden. Im gleichen Sinne verfuhr der Staat durch das Besitzfestigungsverfahren, bei dem er sich durch das Angebot der Umschuldung bei den Besitzern ein Mitspracherecht im Veräußerungsfall erkaufte. Bereits der Agrarhistoriker Heinz Haushofer hat mit Blick auf die von der Ansiedlungskommission ausgelegten Rentengüter erkannt, dass hier mit Rücksicht auf nationale Interessen eine Abkehr vom liberalen Eigentumsgedanken vollzogen wurde.25 Demselben Ziel diente die Verstaatlichung von Grundbesitz durch den Domänen- bzw. Forstfiskus, bei dem sich der Staat als Alleineigentümer die Wahl des Pächters nach ethnischen Kriterien vorbehielt. Die Förderung der Gründung deutscher Fideikommisse stellte eine weitere, fiskalische Mittel schonende Option dar, Grundbesitz vom freien Markt auszuschließen und somit den mög lichen Übergang in polnischen Besitz zu verhindern. In dem Maße, in dem der preußische Staat sein Versagen als Marktakteur zu spüren bekam, begann er kraft Gesetzgebung auf die Rahmenbedingungen Einfluss zu nehmen. Die Ansiedlungsnovelle von 1904 und das Enteignungsgesetz von 1908 verfolgten gleichermaßen die Absicht, den Erwerb von Grundbesitz durch polnische Käufer einzuschränken. Gleichzeitig förderte der preußische 24 Vgl. Siegrist / Müller, Introduction. Auf die Zäsur des Ersten Weltkrieges für Eigentumsregime als einen Zeitraum der gesteigerten Notwendigkeit einer effizienten Ressourcenmobilisierung verweisen auch Gosewinkel / Holec / Řezník, S. 9 f. 25 Vgl. Haushofer, S. 183–186.
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Staat den Erwerb von Grundbesitz durch deutsche Käufer. Dafür erkaufte er sich entweder Entscheidungsbefugnisse bei einem eventuellen Weiterverkauf des Besitzes oder er sorgte für einen Ausschluss des Bodens vom freien Markt überhaupt. Damit war nicht nur die Unantastbarkeit des Eigentums, sondern auch das individuelle Verfügungsrecht unterminiert worden. Diese Eingriffe in die Besitzrechte waren insofern erfolgreich, als vor Kriegsausbruch nahezu ein Drittel der Fläche beider Provinzen dem freien Markt entzogen war. Auch wenn die preußische Siedlungspolitik zweifellos auf eine Diskriminierung und Marginalisierung der polnischen Minderheit abzielte, lassen sich doch Gewinner und Verlierer nicht eindeutig entlang ethnischer Trennlinien gruppieren: Polnischen Grundbesitzern mit Verkaufsabsichten standen die Tore der Ansiedlungskommission stets offen; deutschen Grundbesitzern konnte die Ansiedlungsgenehmigung durch das Gesetz von 1904 verweigert werden oder sie waren durch die Deliberalisierung des Bodenmarktes benachteiligt, wenn sie einen Käufer suchten. Diese Eingriffe rechtfertigten sich aus der staatlicherseits wahrgenommenen überwiegend devianten Haltung deutscher Grundbesitzer. Wenn diese nicht bereit waren, ihr wirtschaftliches Handeln zugunsten des »Deutschtums« einzuschränken, so war der Staat dazu im Namen des höheren nationalen Wohls berechtigt, wenn nicht sogar verpflichtet. Die Gesetzgebung diente als Surrogat für die mangelnde Normdurchsetzung innerhalb der deutschen Gesellschaft, während zeitgleich deutsche Beobachter neidvoll auf die polnische Öffentlichkeit als funktionierendes moralisches Korrektiv blickten. Letzten Endes reichte auch der polnischen Nationalbewegung das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit sozialer Normen nicht, sondern sie war darum bemüht, Rechtsformen in Verkörperung des Związek Ziemian oder von Familienräten zu institutionalisieren, mithilfe derer Verfügungsrechte über Privateigentum zu nationalen Zwecken kollektiviert wurden. Nach 1918 waren es aber vor allem die der ethnisch-nationalen Besitzstandswahrung dienenden Vorbilder der preußischen Gesetzgebung – Enteignung, staatliches Vorkaufs- und Einspruchsrecht – von denen die Zweite Republik Gebrauch machte. Preußen hatte demzufolge vor 1914 anschlussfähige Konzepte und Strategien entwickelt, an die der polnische Staat (und wie zu prüfen wäre womöglich auch andere ostmitteleuropäische Staaten der Zwischenkriegszeit) anknüpfen konnte. Es ist hier gezeigt worden, dass die zunehmende Verschärfung der preußischen Polenpolitik ohne die Moralisierungsprozesse auf dem Bodenmarkt unverständlich bliebe. Der Einzug nationaler Programmatik auf dem Bodenmarkt trug vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges in erheblichem Maße zu einer mentalen Nationalisierung der in dem betroffenen Gebiet ansässigen Bewohner bei. Den Individuen wurde auf diese Weise ein Bekenntniszwang zu einer der beiden nationalen Sphären abverlangt, der sich von anderen Vehikeln des Nationalisierungsprozesses – wie beispielweise der politischen Festkultur mit ihrem voluntaristischen und exzeptionellen Charakter – durch seine Alltäglichkeit und sein Vordringen bis in den hintersten Winkel der Provinz unterschied. »Alltag«, so hat Mathias Niendorf festgehalten, »kann insofern als der Ort gel299
ten, an dem sich der Loyalitätsanspruch der Nation gegenüber ökonomischen Interessen, aber auch konkurrierenden konfessionellen und sozialen Bindungen behaupten mußte.«26 Dass politische Eliten sich nicht damit abfinden wollten, im Alltag diesen Loyalitätsanspruch der Nation gegenüber anderen Bindungsformen unterliegen zu sehen, sollte im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts zu den erschütternden Verwerfungen beitragen, die Europa in diesem »Zeitalter der Extreme« durchlitt.
26 Niendorf, S. 35.
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Danksagung Das vorliegende Buch ist eine gekürzte und leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertationsschrift, die ich im Sommersemester 2019 an der Philosophischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin unter dem Titel »(Ent-)Täuschung, Verrat und die moralische Ökonomie des Bodenmarktes. Kauf und Verkauf von ländlichem Grundbesitz im östlichen Preußen zwischen nationaler Loyalität, individuellem Gewinnstreben und der staatlichen Siedlungspolitik 1886–1914« eingereicht und im nachfolgenden Semester verteidigt habe. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Dr. Wolfgang Neugebauer, der seinem Doktoranden und Mitarbeiter am Lehrstuhl für preußische Geschichte jeden erdenklichen Freiraum zugebilligt und damit in erheblichem Maße zu einer zügigen und erfolgreichen Durchführung des Projektes beigetragen hat. Prof. Dr. Birgit Aschmann und Prof. Dr. Alexander Nützenadel waren so freundlich, das Zweit- bzw. Drittgutachten anzufertigen, doch haben sie auch bereits in den Jahren zuvor meinen akademischen Weg über einen längeren Zeitraum begleitet und mitgeprägt. Alexander Nützenadel sowie den übrigen Herausgebern sei schließlich für die Aufnahme der Untersuchung in die Reihe »Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft« herzlich gedankt. Ein weiterer Dank gilt der Alfred Freiherr von Oppenheim Stiftung zur Förderung der Wissenschaften, ohne deren großzügige Finanzierung einer Mitarbeiterstelle am Institut für Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität die Forschungsarbeit nicht in dem Tempo und so reibungslos hätte voranschreiten können, wie sie es schließlich tat. Darüber hinaus hat das DHI Warschau in der Schlussphase mit einem Forschungsstipendium einen wichtigen Archivaufenthalt in Polen finanziert, der half, letzte Fragen zu klären. Ferner sind die geduldigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in polnischen und deutschen Archiven zu erwähnen, die sich hilfsbereit einem zuweilen orientierungslosen Doktoranden angenommen haben. Auch deren Hilfsbereitschaft gilt ein herzlicher Dank und dziękuję serdecznie. Daneben haben über all die Jahre zu unterschiedlichen Phasen zahllose Personen zur Fortentwicklung des Projektes beigetragen. Um nur die wichtigsten zu nennen: Prof. Dr. Thomas Mergel, Dr. Bärbel Holtz und Dr. Ulf Morgenstern waren stets mit Rat und Tat zur wissenschaftlichen Welt auch jenseits des Promotionsprojektes zur Stelle. Roii Ball und Lennart Bohnenkamp danke ich für anregende Diskussionen und lehrreiche Streitgespräche. Hendrik Schulze, Leif Bartsch und insbesondere Benjamin Jung ist für ihre nimmermüden Hilfs- und Zuarbeiten zu danken, während Dorothea Wagner den Ruhepol am Lehrstuhl bildete. Für inspirierende Gespräche in den Mittagspausen danke ich insbesondere Dr. Ulrich Päßler und Dr. Martin Münzel. Prof. Dr. Frank Golczewski und 301
Dr. Katarzyna Różańska haben in der Frühphase meines Studiums die Grundlagen gelegt, ohne die diese Studie nicht möglich gewesen wäre. Prof. Dr. Wilfried Nippel, Monika Kopyczinski und Björn Mielbrandt haben das Manuskript zu einem besseren gemacht; für etwaige Fehler verbleibt das Urheberrecht bei mir. Von unschätzbarem Wert war und ist mir Laura, meine strengste und liebste Kritikerin. Sie war die Weggefährtin von der ersten Idee, dass die »Ansiedlungskommission« ein lohnenswertes Forschungsthema sein könnte, bis zu der Drucklegung dieser Arbeit, mit der das Projekt abgeschlossen ist. Mein letzter Dank gebührt schließlich meiner Mutter, die mit großer Anteilnahme über all die Jahrzehnte die Entwicklung ihres Sohnes begleitet hat. Ihr ist diese Arbeit gewidmet.
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Abkürzungsverzeichnis AFK Archiv für Kulturgeschichte AIK Archiv für Innere Kolonisation APG Archiwum Państwowe w Gdańsku APP Archiwum Państwowe w Poznaniu APP OG Archiwum Państwowe w Poznaniu, Oddział w Gnieźnie FBPG Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte Fs. Festschrift Ges.-S. Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, ab 1907: Preußische Gesetzsammlung GG Geschichte und Gesellschaft GStA PK Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz HZ Historische Zeitschrift Jb. Jahrbuch JGMOD Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands LAB Landesarchiv Berlin PJ Preußische Jahrbücher SBB PK Staatsbibliothek Berlin Preußischer Kulturbesitz StenBerAH Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten StenBerHH Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Herrenhauses VSWG Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte ZfO Zeitschrift für Ostforschung, ab 1995: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung Zs. Zeitschrift
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Tabellenverzeichnis Tab. 1: Tab. 2: Tab. 3: Tab. 4: Tab. 5: Tab. 6: Tab. 7: Tab. 8: Tab. 9: Tab. 10: Tab. 11: Tab. 12: Tab. 13: Tab. 14: Tab. 15: Tab. 16: Tab. 17: Tab. 18: Tab. 19: Tab. 20: Tab. 21: Tab. 22:
Verbleib der bis 1901 ausgekauften polnischen Gutsbesitzer Verbleib der bis 1909 ausgekauften polnischen Gutsbesitzer Gründe für die Ablehnung polnischer Angebote (Januar bis Juni 1898) Summe der von der Ansiedlungskommission angekauften Fläche in Hektar 1886–1898 Landkäufe der Ansiedlungskommission 1897 und 1913 Entwicklung der fideikommissarisch gebundenen Fläche in Westpreußen und Posen in Prozent der Gesamtfläche 1895–1912 Anzahl der in den Jahren 1900–1912 neu gegründeten Fideikommisse Polnische Angebote an die Ansiedlungskommission in der ersten Jahreshälfte 1898 Übergang von Grundeigentum deutscher Vorbesitzer an polnische Käufer in Schlesien 1899–1907 Nachweisung über die in den Jahren 1900–1912 neu gegründeten Fideikommisse Entwicklung der fideikommissarisch gebundenen Fläche in Schlesien in Prozent der Gesamtfläche 1895–1912 Bis 1907 von polnischen Parzellierungsinstitutionen aufgeteilte Fläche Zahl der 1906–1913 gefestigten Besitzungen in Westpreußen und Posen Ergebnisse des Besitzfestigungsverfahrens bis Ende 1913 in Hektar Bereitstellung finanzieller Mittel in Millionen Mark durch den preußischen Staat 1886–1913 Entwicklung der gebundenen Flächen 1886–1914 in Hektar Verlust deutschen Grundbesitzes 1906–1911 in den Nachbarbezirken der Ansiedlungsprovinzen Liste der Besitzfestigungsbanken in Preußen Ende 1911 Für polnische Kandidaten bei Reichs- und Landtagswahlen abgegebene (Ur-)Wählerstimmen 1903–1913 Fläche der Domänen in Westpreußen, Posen und Schlesien in Hektar 1908–1912 Landerwerb der Ansiedlungskommission in Hektar 1908–1913 Zahl der abgeschlossenen Ansiedlerverträge mit endgültiger Genehmigung 1908–1914
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Quellen- und Literaturverzeichnis
Periodika Alldeutsche Blätter Berliner Börsenzeitung Berliner Neueste Nachrichten Berliner Tageblatt Berliner Zeitung Bromberger Tageblatt Danziger Allgemeine Zeitung Deutsche Tageszeitung Deutsche Zeitung Dziennik Berliński Dziennik Bydgoski Dziennik Kujawski Dziennik Polski Dziennik Poznański Freisinnige Zeitung Gazeta Gdańska Gazeta Gnieźnieńska (ab 1896: Lech. Gazeta Gnieźnieńska) Gazeta Grudziądzka Gazeta Polska Gazeta Toruńska Die Gegenwart Germania Goniec Wielkopolski Górnoślązak Hamburger Nachrichten
Katolik Kölnische Zeitung Kuryer Poznański (ab 1906: Kurjer Poznański) Leipziger Neueste Nachrichten Magdeburgische Zeitung National-Zeitung Neue Preußische (Kreuz-)Zeitung Nowa Reforma Orędownik Pielgrzym Posener Tageblatt Posener Zeitung Die Post Postęp Praca Przegląd Wszechpolski Przyjaciel Der Reichsbote Schlesische Zeitung Tägliche Rundschau Der Tag Volks-Zeitung Vorwärts Vossische Zeitung Wielkopolanin
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Archiwum Państwowe w Poznaniu, Oddział w Gnieźnie (APP OG) Komisja Kolonizacyjna dla Prus Zachodnich i Poznańskiego w Poznaniu Reg. V. Nr. 825, Acta betreffend Ankauf des Gutes Modliborzyce (Deutschwald) (1886–1887) Nr. 2193, Rittergut Modrze (1905–1909) Nr. 2194, Ankauf des Rittergutes Modrze, Kreis Posen-West Reg. Bez. Posen (1905–1913) Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA PK) I. HA Rep. 77 Ministerium des Innern Tit. 40 Nr. 35 Bd. 10, 12–13, Die Erhebungen in den Adelstand (1903–1906; 1908–1909; 1909–1911) Tit. 40b Nr. 13 Bd. 2, Die Erhebungen in den Grafenstand (1887–1913) Tit. 41 Nr. 98 Fasz. 1, Verkauf der Fideikommißgüter Grabowo und Kaiserwalde durch Fst. zu Hohenlohe-Schillingsfürst (1905–1907) Tit. 50 Nr. 21 Adhib. 1, Denkschriften wegen Maßregeln zur Germanisierung der Provinz Posen (1832–1886 [1894]) Nr. 21 Adhib. 2, Die Versetzung von Beamten aus und nach Landesteilen mit polnischer Bevölkerung und Standeserhöhungen an Grundbesitzer in den polnischen Landesteilen nach Bildung von Fideikommissen (1896–1907) Tit. 94 Nr. 157 Bd. 2, Statistik des Besitzwechsels (1899–1914) Tit. 146 Nr. 62 Beiakte 2, Polnische Projekte zur Rettung des polnischen Grundbesitzes, sowie die polnische landschaftliche (Rettungs-)Bank in Posen (1886–1891) Tit. 407a Nr. 1 Bd. 5, Die Räthe und Assessoren der Regierung Posen (1895–1905) Tit. 538 Nr. 1 Bd. 1, AA. comissionis des Ministerialdirektors Haase betr. die Kommission für Ansiedlungen in den Provinzen Westpreußen und Posen (1886–1887) Tit. 871 Nr. 4, Beförderung des Deutschtums und die polnische Agitation (1900–1902) Tit. 1176 Nr. 2a Bd. 5, Die über den Aufenthalt polnischer Flüchtlinge pp. in den Preußischen Staaten sowie über deren Ausweisung aus denselben ergangenen Bestimmungen, zugleich auch in Beziehung auf ihre Naturalisation (1884–1885) Personalakten Nr. 1257, Personalakte Alfred Hugenberg (1893–1904) I. HA Rep. 87 Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten Abt. ZB Nr. 178, Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Polentums und zur Förderung deutscher Ansiedlungen in den Provinzen Westpreußen und Posen (1904–1907) Nr. 183–189, Zeitungsausschnitte zu den Maßnahmen gegen die Ausbreitung des
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Polentums und zur Stärkung des Deutschtums in den Provinzen Westpreußen und Posen (1886–1910; 1910–1911; 1911; 1911; 1911–1912; 1912–1913; 1913–1915) Abt. B Nr. 9481, Verfahren des Oberpräsidenten von Flotwell [sic] beim Ankaufe von Gütern für den Staat nach der Allerh. Ordre vom 13.3.1833 (1886) Nr. 9483, Beförderung deutscher Ansiedlungen in den Provinzen Westpreußen und Posen (Gesetz vom 26. April 1886) Nr. 9488–9489, Maßnahmen zur Stärkung des Deutschtums in den Provinzen Westpreußen und Posen. Dritte Abänderung des Ansiedlungsgesetzes vom 26.4.1886 (Erhöhung des Fonds, Besitzfestigung, Enteignung), Gesetz vom 20.3.1908 (1906– 1907; 1907–1908) Nr. 9504–9506, Ausführung des Ansiedlungsgesetzes vom 26. April 1886 und 20. März 1908. Grundsätze für Erwerb, Verwaltung und Besiedlung von Grundbesitz. Verwendung und Stand der Ansiedlungskredite (1886–1894; 1894–1903; 1903–1929) Nr. 9508, 9511, 9513–9515, 9517–9519, 9521–9524, 9526–9532, 9534–9537, 9540–9541, Ankauf von Grundstücken in den Provinzen Posen und Westpreussen zu Colonisationszwecken (1889–1891; 1897–1898; 1899; 1899–1900; 1900; 1901; 1902; 1902; 1903; 1903; 1903–1904; 1904; 1904–1905; 1905; 1905–1906; 1906; 1906; 1906–1907; 1907; 1908–1909; 1909–1910; 1910–1911; 1911–1912; 1914–1917; 1917–1923) Nr. 9543, Ankauf von Teilen der Herrschaft Samter: Herrschaften Kazmierz nebst Komorowo und Emilianowo u. Sachsenhof (1908–1917) Nr. 9555, Werbung von Ansiedlern (1886–1898) Nr. 9577, Deutsche Bauernbank zu Danzig. Geschäftsberichte (1906–1919) Nr. 9587–9589, 9592, Sitzungen der Ansiedlungskommission (1886–1894; 1894–1898; 1899–1903; 1910–1914) Nr. 9594, 9596, 9607, 9611, Geschäftsberichte der Ansiedlungskommission – Denkschriften für den Landtag (1886–1888; 1891–1893; 1905; 1909) Nr. 9622, Denkschrift über die wirtschaftlichen und kulturellen Erfolge der Ansiedlungskommission [Zwanzig Jahre deutscher Kulturarbeit] (1906–1911) Nr. 9631–9633, Die polnischen Gegenbestrebungen gegen das Ansiedlungsgesetz vom 26. April 1886, polnische Banken und Vereine (1886–1895; 1896–1905; 1906–1914) Nr. 9638, Eingaben, Vorschläge, kritische Betrachtungen über die Maßnahmen zur Stärkung des Deutschtums in Westpreußen und Posen (1905–1909) Nr. 9656, Das Vordringen der Polen in Schlesien (1896–1927) Nr. 9642, Korrespondenz mit der Ansiedlungskommission, Ministerien und Provinzialbehörden, Guts- und Fabrikbesitzern zur Siedlungspolitik in den Ostprovinzen und zur Polenpolitik (1913–1925) Nr. 9672–9678, Zeitungs-Artikel in Betreff der Beförderung der deutschen Ansiedelungen in den Provinzen Westpreußen und Posen (1886–1897; 1897–1898; 1898– 1901; 1902–1903; 1903–1905; 1905–1906; 1906–1907) Nr. 9680–9682, Angebote von Grundstücken pp. zur Kolonisation in den östlichen Provinzen (1886–1894; 1894–1908; 1908–1911) Nr. 9694, Ansiedlungskommission in den Ostprovinzen (1906–1907) I. HA Rep. 89 Geheimes Zivilkabinett, jüngere Periode Nr. 1247, Adels-Sachen D (1902–1914) Nr. 14096–14097, Gesuche verschiedener Gutsbesitzer im Großherzogthum Posen,
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ihren Gütern die Ritterguts-Qualität und die Landtagsfähigkeit beizulegen (1846– 1896; 1897–1917) Nr. 30830, Beyme, v. [Familienfideikommiß] (1911–1917) Nr. 31076, Lehns- und Fideikommißsachen, Buchstabe S, Bd. 3 (1891–1909) I. HA Rep. 90 A Staatsministerium, jüngere Registratur Nr. 2008, Die Bestimmungen über die Standeserhöhungen (1888–1920) Nr. 3554–3555, 3562, 3578, 3585, 3587, 3589–3591, 3599–3600, 3602; 3604–3605, 3607–3612, 3616, 3617; 3619, Sitzungsprotokolle des Staatsministeriums (1885; 1886; 1891; 1896; 1897; 1898; 1901; 1901; 1902; 1903; 1904; 1905; 1905; 1906; 1906; 1907; 1907; 1910; 1911; 1913) Nr. 3647, Sitzungsprotokolle des Kronrats (1892–1902) Nr. 3658–3659, Einrichtung und Geschäftsführung der Ansiedlungskommission für Westpreußen und Posen (1886–1890; 1891–1904) I. HA Rep. 151 Finanzministerium IC Nr. 10276, Deutsche Mittelstandskasse GmbH, Posen (1904–1906) I. HA Rep. 176 Heroldsamt Nr. 975, v. Beyme (Ernst Friedrich – Besitzer des Fideikommisses Komorniki) Preußischer Adelstand d. d. Berlin, 27.1.1906 Nr. 976, v. Beyme (Heinrich – Besitzer des Fideikommisses Budnik) Preußischer Adelstand d. d. Berlin, 27.1.1906 Nr. 977, v. Beyme (Gustav – Besitzer des Fideikommisses Sielinko) Preußischer Adelstand d. d. Berlin, 27.1.1906 I. HA Rep. 195 Deutscher Ostmarkenverein Nr. 278, Polnischer Landerwerb in der deutschen Ostmark (o. J.) Anhang Nr. 78, Ansiedlungskommission (o. J.) I. HA Rep. 212 Ansiedlungskommission für Westpreußen und Posen (Berliner Geschäftsstelle) Nr. 6098, Reichsarchiv Posen, Gr. 408, Ansiedlungskommission Generalia (o. J.) Nr. 6115, Handbuch für den Herrn Präsidenten (1907–1919) VI. HA Nl. Althoff Nr. 495, Polenfrage III (Germanisierungs- und Agrarfrage) (1895–1902) Nr. 497, Agrarfrage (1895) VI. HA Nl. Bosse Nr. 8, Tagebuch (23.1.1887 – 11.3.1897) XIV. HA Rep. 180 Regierungsbezirk Danzig Nr. 17400, Verzeichnis der von der Königlichen Ansiedelungs-Kommission abgelehnten Güter (1905–1908) Nr. 19668, Ansiedelungen. Specialia (1905–1918)
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XVI. HA Rep. 30 Regierung zu Bromberg Nr. 656, Bd. 4, Immediat-Zeitungsberichte (1885–1895) Nr. 660, Bd. 6, Periodische Zeitungsberichte der Regierungs-Präsidenten zu Posen und Marienwerder (1903–1909) Nr. 817, Bd. 6, Standeserhebungen zu Fürsten, Grafen, Freiherren und Edelleuten usw. (1910–1918) Nr. 856, Bestimmungen zur Verleihung der Rittergutsqualität (1836–1921) Nr. 1302, Bd. 1, Statistik der Anträge auf Erteilung der Ansiedlungsbescheinigung (1905–1912) Landesarchiv Berlin (LAB) A Pr. Br. Rep. 030 Polizeipräsidium Berlin Nr. 12031, Überwachung des mit den Polen sympathisierenden Beamten Paul von Nostiz-Bakowski (1906) Nr. 12684, Redakteur der »Praca« Kasimir Richard von Rakowski (1898–1904) Staatsbibliothek Berlin Preußischer Kulturbesitz (SBB PK) Nachlass Hans Delbrück Briefe Paul Fuß
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Register
Personenregister Adickes, Franz 248 Alexander, Matthias 234 Althoff, Friedrich 154, 232 Anderson, Benedict 116 Arnim-Criewen, Bernd von 235, 254 Arnim-Züsedom, Karl von 229 Aschmann, Birgit 118 Baarth, Arthur 196 f. Baarth, Erich 195 f. Bade, Klaus 43 Bąkowski, Marian 179 Balzer, Brigitte 149 Becker, Bert 205 Becker, Hermann 163 Becker, Howard S. 32 Belgard, Martin 219, 240 Bennigsen, Rudolf von 51 Berghoff, Hartmut 25 f. Bernhard, Ludwig 10, 126, 173, 200, 238–240, 259, 282, 289 Bethmann Hollweg, Theobald von 204, 234–236, 252–254, 256 f., 259, 270 Beyme, Ernst Friedrich von 163 Beyme, Friedrich von 164 Beyme, Gustav von 163 f. Beyme, Heinrich von 163 f. Biedermann, Marcin 191–200, 203–205, 207, 209 f., 215, 218, 248, 266, 273 Biedermann, Marya 197 Bismarck, Herbert von 51 Bismarck, Otto von 40, 45–47, 49–54, 57, 64, 93 f., 98, 112, 114, 169, 209, 216, 232 f., 259 Bitter, Rudolf von 162 Blanke, Richard 91, 285 Blomeyer, Paul 56, 228, 238 Bnin-Bnińska, Marie 93, 112 Boeckh, August 42 Boeckh, Richard 42, 44 Borchers, Gisela 217 Bosse, Robert 130
Bourdieu, Pierre 163 Boyer, Christoph 25 Brejski, Jan 110, 169 Brejski, Józef 110 Brentano, Lujo 52, 165 Briesen, Georg 70 Brodnicki, Władysław 94 Broszat, Martin 232 Brubaker, Rogers 59 Bruchhold-Wahl, Hannelore 12, 79, 97, 134, 143, 178 Bülow, Bernhard von 77, 150, 162, 204, 216, 227 f., 236, 247 f., 250–253, 259, 278 f. Busch, Felix 238 Caprivi, Leo von 47, 71, 90 f., 97 f., 104, 113 f., 121, 140, 173, 256 Cegielski, Stefan 96 Chełkowski, Nepomuk 108 f. Chłapowski, Alfred 192, 221 Christmann 109 Chrzanowski, Bernard 168 Chu, Winson 286 Cieślak, Tadeusz 13 Claß, Heinrich 234 Cleinow, Georg 280 Conrad, Benjamin 285 Conze, Werner 279 Cords, Reinhold 64, 78 Czapliński, Marek 208 Czarliński, Julian 107 f., 110 Czarliński, Leon 66, 96 f., 102, 109 Czartoryski, Adam 166 Dąbrowski 180 Dallwitz, Johann von 254 Dąmbski, Mieczysław 188, 190 Dąmbski, Stefan 187 Davidson, Robert 163 Davies, Norman 151 Delbrück, Hans 69 f., 80, 247
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Dewitz, Otto von 149, 194 Dietrich, Albert 238 Dinder, Julius 98 Dobernig, Josef Wolfgang 255 Dobrzycki 195 Drews, Wilhelm (Bill) 282 Drwęska, Aldona 197 Drwęska, Irma 197 Drwęski, Florian Adam 191 Drwęski, Hieronim 197 Drzymała, Michał 225 Durkheim, Émile 28, 32, 115, 117, 232 Dyroff, Stefan 178 Dziembowski-Pomian, Zygmunt 35, 189, 270 f. Eddie, Scott M. 13, 22, 51, 276 Eisenhart-Rothe, Paul von 282 Eley, Geoff 239 Feldman, Józef 11, 53 Fengler, Daniel 73 Fitzpatrick, Matthew 58 Flottwell, Eduard von 49 Foerster, Lothar 238 Frackowiak, Johannes 47 Friedrich II. 239 Friedrich III. 77 Friedrich Wilhelm IV. 40 f. Fuß, Paul 247 Galos, Adam 146 Ganse, Hugo 56, 238 f. Ganz, Hugo 146 f. Gerhold, Dieter 259 Gerlich, Gustav 93 Gide, André 232 Głębocki, Józef 189 Goldschmidt-Rothschild, Maximilian von 167 Górski, Władysław 179 Gosewinkel, Dieter 166, 250 Goßler, Gustav von 44 f., 51, 54 Graeve, Ludwik 112 Gramsch, Friedrich Karl 56 Hagens, Franz 233 Hammerstein-Gesmold, Karl von 63, 77 Hammerstein-Loxten, Ernst von 130, 163 Hammerstein-Loxten, Hans von 163 Hansemann, Ferdinand von 70
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Hartmann, Eduard von 44 Hartmann, Stefan 273 Hasse, Ernst 234, 237 Hauser, Przemysław 208 Haushofer, Heinz 298 Hayessen, Karl 238 Herzfeld, Hans 52–54 Heß, Klaus 159 f., 162, 275 Heydebrand und der Lasa, Ernst von 72, 233, 248 Heydebreck, Claus von 256 Heyer, Gustav von 293 Hobsbawm, Eric 42 Hoetzsch, Otto 293 Hofmann, Wolfgang 224, 226, 249, 296 Hohenlohe-Schillingsfürst, Alexander zu 159 Hohenlohe-Schillingsfürst, Chlodwig zu 60, 130, 256 Hohenlohe-Schillingsfürst, Philipp Ernst zu 157–160 Hohenzollern-Sigmaringen, Leopold von 154 Holzbach, Heidrun 237 f. Huber, Ernst Rudolf 47, 233 Hugenberg, Alfred 90, 128, 236–238, 246, 248, 252, 267, 282 Hutten-Czapski, Bogdan 103 f., 114, 162, 259 Jackowski, Maksymilian 84 Jakóbczyk, Witold 13, 219 Jastrzębowski, Wojciech 271 Jaworski, Rudolf 20 f., 93, 221, 295 Jażdżewski, Ludwik 94 f., 97 f., 113 Jones, Elizabeth B. 51 Jouanne, Max 152 Kalkstein, Edward 87 Kalkstein, Teodor 87 f. Kamusella, Tomasz 207 Karaś, Franciszek 266 Karsten, Arne 31 Kennemann, Hermann 56, 67, 152 Keszycki, Heinrich von 153, 204 Kette, Karl 238 Kirszrot-Prawnicki, Józef 87 Kitt, Alice 117 Kleist-Retzow, Hans Hugo von 67 Kleist-Retzow, Hugo von 164 Kleßmann, Christoph 47
Knapowski, Stanisław 99 Koehl, Robert L. 216 Kohte, Wolfgang 57 Kopp, Georg von 208 Korfanty, Wojciech 168 f., 192, 207, 210 f., 215 Kościelski, Józef 97, 102, 113–115, 173, 192 Kościelski, Władysław 114 Kospoth, Karl August von 204 f., 248 Kotowski, Albert S. 115 Kottas, Alfred 205 Kowal, Stefan 15 Kowalczyk, Jan Jakub 210 Kowalczyk, Tomasz 210 Krasicki, Józef 175 Krause 187 f. Kronheim, Louis 185 f., 188, 190 Kulczycki, John 272 Kulerski, Wiktor 102, 169, 175, 198 f. Landwehr, Achim 24, 26 Lauchlan von Guenther, Hans 205 Lehmann 152 Lentze, August 254 Lepsius, M. Rainer 67 Lerp, Dörte 52, 58, 292 Levy, Jacob T. 21 Lexa von Aerenthal, Alois 255 Lexis, Wilhelm 232 Liebknecht, Wilhelm 68 Likowski, Edward 282 Łopiński 175 Lorenz, Torsten 20, 221 Lucius von Ballhausen, Robert 50 f., 53, 55 f. Łuczak, Czesław 13 Ludwig, Claudia-Yvonne 287 Luhmann, Niklas 78 Łyskowski, Ignacy 102, 110 Łyskowski, Mieczysław 85 Magdziński, Teofil 95 Makowski, Krzysztof 97 Massow, Wilhelm von 148 Meibom, Hans von 238 Merton, Robert K. 117 Meydenbauer, Hans 238 Meyer 109 Michaelis, Georg 54, 205 Michaelis, Gerhard 205 Michalczyk, Andrzej 207 Mickiewicz, Adam 87, 106
Mielżyński, Maciej 169, 192 Mielżyński, Seweryn 114 Miquel, Johannes von 51–53, 125, 131, 220 Mittelstaedt 147 Mizerski, Ludwik 182, 229 Molik, Witold 14, 96 Moltke, Friedrich von 251, 254 Moorhouse, Roger 151 Morawski, Franciszek 253 Moszczeński, Józef 70 Moszczeński, Mieczysław 172 Moszczeński, Seweryn 172 Motty, Stanisław 97 Müller, Dietmar 24, 285, 297 Müller, Uwe 15 Napieralski, Adam 191, 197, 208–212, 215, 273 Neumann, Friedrich Julius 44 Niedorowski 110 Niegolewska, Stanisława 168 Niegolewski, Felicjan 168, 192 Niendorf, Mathias 299 Nipperdey, Thomas 296 North, Douglass C. 29 Ogińska, Marya 107 Opp, Karl-Dieter 30 Palacz, Tadeusz 212 Paruszewski, Michał 110 Paruszewski, Władysław 110 f. Pfeiffer, Hans 96 Pirko, Michał 13 Podbielski, Victor von 188 f., 228 Polanyi, Karl 28 Popitz, Heinrich 30, 111 Posadowsky-Wehner, Arthur von 235 f. Potocki 195 Preibisz 180 Preußen, Heinrich von 157 Puttkamer, Bernhard von 72 Puttkamer, Eugen von 41 Puttkamer, Robert von 45, 51, 137 Rabbow, Franz 233 Radolin-Radoliński, Hugo 103 Radziwiłł, Antoni 104 Radziwiłł, Ferdynand 97 Rakowski, Kazimierz 192 Raschdau, Ludwig 124, 245
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Raszewski, Stanisław 187 f. Rauschning, Hermann 284 Rayski, Albin 170 Recke von der Horst, Eberhard von der 131 Reinecke, Christiane 46 Reuß jüngere Linie, Heinrich XXVII. von 277 Rheinbaben, Georg von 155, 166, 233–236, 238, 254 Richter, Lina 81 Rickert, Heinrich 68 Riesen, Reinhold von 194 Ritter 218 Rose, Karol 168 Rosenstiel, Eugen 82 Rothe 203–205 Rydlewski, Celestyn 168 Rzepecka, Helena 168 Rzepecki, Karol 192 Sachsen-Altenburg, Ernst I. von 156 Sachsen-Coburg und Gotha, Carl Eduard von 277 Sachsen-Weimar-Eisenach, Wilhelm Ernst von 159, 277 Sandt 183 Schattkowsky, Ralph 20, 286 Schilling 274 Schmeling, Kurt von 285 Schmoller, Gustav 52, 154, 248 Schödl, Günter 20 Schorlemer, Clemens von 253–259, 269, 279, 282 Schwartzkopff, Philipp 270 Schwerin, Friedrich von 238, 267, 282 Schwidetzky, Ilse 224 Seherr-Thoß, Roger von 214 Sering, Max 124, 267 Seyda, Marian 168 f. Siegrist, Hannes 24, 297 Siemianowski, Józef 210 Sienkiewicz, Henryk 232, 247 Sikorski, Ignacy 91–93 Simmel, Georg 118 Skarżyński, Witold 169, 180 Ślaski, Ludwik 102 Smith, Adam 27 Sohnrey, Heinrich 124, 128 Spät, Robert 232 Spandowski, Franciszek 274 Spickermann, Roland 83, 92
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Stablewski, Florian 98, 173, 189, 282 Stalmann, Volker 159 Stark 110 f. Staudy, Ludwig von 125, 222 f. Stein, Hans-Konrad 163 Stępiński, Włodzimierz 13 Studt, Konrad von 204, 236 Stumpfe, Emil 124 Sukiennicki, Wiktor 245, 289 Sułkowski, Antoni 270 f. Suttner, Bertha von 232 Swart, Friedrich 238 Świnarski, Karol 187 f., 190 Szymański, Roman 99 Talleyrand-Périgord, Archambauld Anatole de 204 Theilemann, Wolfram 138 Thiel, Hugo 124 Thiessen, Hillard von 31 Thomas, William Isaac 41, 289 Thompson, Edward P. 26–29, 31 Thomsen, Arne 208 Thum, Gregor 292 Tiedemann, Christoph von 48–50, 52, 58 f., 67 Tiedemann, Erich von 67 Tiedemann-Seeheim, Heinrich von 67, 124, 245, 248, 255 Tilse, Mark 280 Tims, Richard W. 145, 279 Tomaszewski, Władysław 220 Tönnies, Ferdinand 165 Trąmpczyński, Wojciech 94, 229 Trauvetter 82 Trzciński, Edward 91 Trzeciakowski, Lech 13 f., 169, 173 Turno, Stanisław 279 Valentini, Rudolf von 253 Vogel, Jakob 25 f. Vogt, Ludgera 118 Volkmann, Hans-Erich 292 Wahnschaffe, Arnold 238 Waldow, Wilhelm von 229, 256, 270 Waligórski 180 Walkenhorst, Peter 237, 247 Watta-Skrzydlewski, Franciszek 70 Wawrzyniak, Piotr 274 Weber, Max 22, 41, 43, 52, 127, 165, 238
Wedel, Wilhelm von 155 Wegener, Leo 22, 238 f., 245, 282, 286 Wehler, Hans-Ulrich 12, 57, 151, 201, 296 Wells, H. G. 232 Węsierski, Alfred 188–190 Wicht, Marie 77 Wieczorek, Mieczysław 197 Wiese, Leopold von 239 Wilamowitz-Moellendorff, Hugo von 256 Wilhelm I. 63, 93, 103 f., 112 Wilhelm II. 54, 103, 114, 132, 137, 155, 157– 159, 161, 163 f., 167, 204, 214, 252 f.
Wischermann, Clemens 26 Wittenburg, Rudolf von 9 f., 56, 83, 90, 125– 127, 130 f., 189, 222 f. Witting, Richard 133 Wojtkowski, Andrzej 293 Wolff, Eduard 206 Wolff-Gorki, Eugen 241 Wolszlegier, Antoni 102 Zawadzka, Maria 218 Zedlitz-Trützschler, Robert von 54 f., 64, 81, 230
Ortsregister Allenstein 267 Alt-Buckow 164 Alt-Bukowitz 107, 109 Amerika 43, 62, 88 Antonswalde 154–156 Berent (Kreis) 107 Berent (Stadt) 219 Berlin 33, 40, 45, 83, 87, 99, 103 f., 114, 123, 151, 168, 179, 195, 225, 237 f., 245 Beuthen 212, 215 Bochum 169 Böhmen 23, 168, 172 f. Bohlschau 65 Brandenburg 162, 224, 267 Breslau (Regierungsbezirk) 213 f., 267 Breslau (Stadt) 203, 205, 210 Briesen 217 Bromberg (Regierungsbezirk) 96, 137, 161, 164 f., 185, 226, 262, 276 Bromberg (Stadt) 90, 95 Bulgarien 48 Ceylon 23 Cholewitz 217 Danzig (Regierungsbezirk) 65 f., 164 f., 217, 262, 276 Danzig (Stadt) 242, 268 Deutsch Wilke 79 Deutschland 17, 21, 23 f., 31, 35, 40, 47–49, 161, 166, 253, 283, 287, 296
Dobsko 257 Dratzig 154–156 Düsseldorf 276 England 27 Ermland 266, 273 Fiji 23 Flatow 112 Frankfurt am Main 51 Frankfurt an der Oder 268 Frankreich 48, 86, 96, 104 Freiburg 127 Galizien 39, 45, 170, 192, 207, 253 Gnesen 33, 81, 102, 157 Göttingen 232 Golina 70 Golinko 70 Grabowo 157 Großbritannien 23, 96 Groß-Tychow 164 Gruszczyn 182 Halle 87, 268 Hannover (Provinz) 268 f. Hannover (Regierungsbezirk) 276 Hannover (Stadt) 51, 268 Herzogtum Warschau 39 Hessen 155, 203 Hessen-Nassau 268 Hildesheim 276
349
Hohenzollern 162 Indien 23 Inowracław 219 Irland 23 Jablonowo 107 Jarotschin 163 Kaiserswalde 157 Kassel (Regierungsbezirk) 276 Kassel (Stadt) 268 Kattowitz 99, 205 Kiel 268 Königsberg 268 Köslin 206, 267 Kołdrąb 257 f. Koschmin 70 Kosten 192, 219, 221 Krakau 11, 173, 182, 192 Krone 219 Kulm 208 Laurahütte 207 Leipzig 87 Lemberg 114, 173 Liegnitz (Regierungsbezirk) 213 f., 267 Liegnitz (Stadt) 204 Lipienki 257 f. Lissa 206 Litauen 103 Löbau 219, 266 Löblau 77 Lüneburg 276 Magdeburg 268 Marienwerder 164 f., 220, 262, 276 Meleschwitz 203, 205, 215 Merseburg (Regierungsbezirk) 276 Merseburg (Stadt) 12 Mileszewy 110 f., 114 Milosław 114 f. Modliborzyce 63, 78 Modliszewko 81 Modrze 195, 197 München 87 Münster 276 Murke 79 Neu-Grabia 156, 158 Neustadt 65, 125
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Niemczynek 172 Niepruszewo-Otusz 277 Oberschlesien 54, 99, 125, 192, 205–211, 283 Obozin 107 Österreich-Ungarn 16, 39, 47, 54, 86, 251–253, 255 f., 271 Ołobok 91, 219 Opalenica 129, 244 Oppeln 54, 205, 213 f., 267 Osnabrück 276 Ossen 204 f., 215, 248 Osterode 266 Ostpreußen 40, 89, 124, 138, 162, 198, 224, 266–268, 272 f. Ostrowo (Kreis) 91 Ostrowo (Stadt) 219 Palästina 23 Pinczyn 87 f., 93 Pleschen 163 Pless 205 Polen 11, 24, 33, 39, 47, 96, 283, 285–287, 299 Pommern 89, 124, 164, 206, 224, 266–268, 272, 285 Posen (Provinz) 9, 21–23, 33, 36, 39 f., 49, 51, 53 f., 61, 64, 76, 80 f., 89–91, 97, 101, 104, 124 f., 129, 135, 138, 149 f., 151 f., 154–157, 159, 162–165, 167 f., 174, 177, 182, 191, 195, 203, 206–209, 211, 218, 220, 224, 234, 237, 239, 243, 245, 258, 260–262, 264 f., 272–274, 277, 281, 283, 285 Posen (Regierungsbezirk) 137, 164, 218, 225, 262, 276 Posen (Stadt) 9, 33, 88, 91–93, 127, 132 f., 147, 186, 212, 219, 238 f., 242 f., 245, 255, 268 Posen-Ost 196 Posen-Westpreußen 11 Potsdam 132 Preußen 11, 17, 23, 39 f., 45 f., 58, 69, 89, 96, 102, 161, 164 f., 168, 214, 259, 275, 282, 284 f., 298 f. Preußisch Stargard 87 Priment 218 f. Prochy 187 Racot 159 Radłowo 85 Rumänien 23
Russisch-Polen 38 f., 45, 48, 80, 85–87, 281, 283 Russland 16, 23, 39 f., 47 f., 55, 62, 86, 96, 106, 216 Rydzyna 141, 270 f., 278 Sachsen 224, 269 Schlesien 39, 54 f., 89, 132, 157, 162, 191, 203, 205–209, 212–215, 224, 230, 248, 254, 264–266, 268, 272 f., 277 Schleswig-Holstein 89, 267–269 Schmidtschen 79 Schönwerder 194 Schrimm 219 Schwerin 152 Schwetz 93, 220 Spanien 97, 154 St. Petersburg 53, 216 Stanisławie 87 Stargard 107 Stefanowo 70 Stenszewo 159, 277 Stettin 268 Thorn 87 f., 93, 96, 219–221, 238 Topolno 93
Tuchel 219 Ungarn 23 Varzin 53, 233 Verdun 197, 281 Wałdowo 87 f. Warszta 191 Weilburg 203 Westfalen 89, 224 Westpreußen 9, 11, 22 f., 33, 39 f., 52–54, 61, 64 f., 87, 89 f., 92, 102, 124, 132, 151, 156, 162–164, 206, 208, 212, 217, 224, 245, 260–262, 264–266, 272, 277, 281, 283 Wiekowo 218 f. Wien 255 Witkowo 290 Wreschen 219 Wroniawy 167 Żabno 79 Żakowo 187–190 Żerniki 93 Złotniki 257 f.
Sachregister Abgeordnetenhaus 34, 50 f., 66–72, 96 f., 133 f., 188 f., 211, 213, 229, 232 f., 240 f., 246–248, 252–255, 258 f., 269, 271 f. Adel 61 f., 138, 159–165 – deutscher 96 f., 154–159, 177, 277 f. – polnischer 40, 43, 49–54, 59, 85 f., 92, 95–104, 113, 120, 171 f., 232, 279 s. a. Nobilitierung Adelskritik 86, 102–104, 113, 117, 119, 165, 171–173, 291 f. Adjazentenparzellierung 90, 92, 226, 274 Akademie (Posen) 132 f., 238 f. Alldeutsche Blätter 90, 240 Alldeutscher Verband 53, 90, 151, 230, 234, 236–239, 251, 272 Anerbenrecht 57, 91 Ansiedlungsgesetz (1886) 20, 37, 50–59, 63, 69, 94, 224, 231, 297 f.
Ansiedlungskommission 9 f., 37 f., 47, 61, 70, 124, 134 f., 216 f., 226, 239–242, 244 f., 263–265, 269 f., 296 – Ankaufgrundsätze 12, 38, 51, 57–66, 70 f., 82, 121–123, 127, 130 f., 139–142, 155, 170, 190 f., 200 f., 229, 262, 275–277 – Behördenorganisation 33 f., 46, 53–58, 98, 125, 142, 201 – Forschungsgegenstand 10–18, 23, 292 f. – Kaufpreise 13, 64 f., 72, 75, 78 f., 81, 122, 201, 225, 227, 235 f., 291 – Kaufverhandlungen 17 f., 63–65, 72–84, 108–111, 181–191, 193 f., 203, 276–278 – Kritik 12, 14 f., 66–84, 94 f., 134, 228, 292 f. – Landbedarf 227 f., 253, 257, 278 f., 296 – Mitarbeiter 38, 56, 90 f., 125, 195, 237–239, 281 – Plenum 50, 55 f., 114, 121, 125 f., 185, 201, 206
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– Präsidenten 9, 54–56, 73 f., 78, 83, 125– 127, 130, 135, 188, 193, 196, 222 f., 228, 238 f., 243, 275–277 – Siedler 14 f., 52, 55–57, 64 f., 68–70, 73, 123, 128 f., 141 f., 213 f., 217, 227 f., 250, 263, 278 f., 284, 292 f. – Tätigkeitsgebiet 54 f., 206, 213 f., 224 Ansiedlungsnovelle (1898) 37 f., 129–143, 178, 233, 297 Ansiedlungsnovelle (1902) 156, 216, 248 Ansiedlungsnovelle (1904) 218–229, 237, 243, 249, 274 f., 282, 291, 298 f. Archiv für Innere Kolonisation 274 Assimilation 16 f., 21, 39–43, 53, 58, 68 f., 103, 126, 224, 234, 289, 297 Ausschuss für Wohlfahrtspflege auf dem Lande 124 Außenpolitik 38–40, 46–48, 54 f., 216, 253 f. Ausweisungen (1885) 44–46, 54, 58, 259 Bank Donimirski, Kalkstein u. Comp. 102 Bank Kwilecki, Potocki u. Comp. 84 f. Bank Ludowy (Löbau) 266 Bank Parcelacyjny (Kosten) 219, 221 Bank Parcelacyjny (Krone) 219 Bank Parcelacyjny (Löbau) 219 Bank Parcelacyjny (Ostrowo) 219 Bank Parcelacyjny (Posen) 92 f., 211 f., 219, 266, 274 Bank Parcelacyjny (Priment) 218 f. Bank Parcelacyjny (Schrimm) 219 Bank Parcelacyjny (Tuchel) 219 Bank Parcelacyjny (Wreschen) 219 Bank Ziemski (Beuthen) 212 Bank Ziemski (Posen) 84–93, 124, 169, 187, 219, 257, 290 Bank Związku Spółek Zarobkowych 91 Berg- und Metallbank 238 Berliner Börsenzeitung 148 Berliner Neueste Nachrichten 70, 154, 255 f. Berliner Zeitung 146 Besitzfestigung 217, 241–249, 260–265, 269, 276, 291, 297 f. Besitzverteilung 11, 15, 23, 51 f., 94, 220, 287 Biedermann-Klausel 193 f., 196 Bodenpreise 13, 79, 148, 206, 215–217, 223– 227, 234 f., 252, 255, 276 Bodenreform 284 f. Bürgertum 61 f., 67, 85, 96–103, 151, 161, 165, 168, 208, 294 Bund der Landwirte 114, 147, 151, 256
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Bundesrat 46 Centralne Towarzystwo Gospodarcze 175 Czytelnia Polska 198 Danziger Zeitung 68 Deliberalisierung 56–59, 119 f., 161, 177 f., 206, 215, 241, 249 f., 263–266, 297–299 Deutsche Ansiedlungsgesellschaft 124 Deutsche Bauernbank 242–246, 267 f., 296 Deutsche Besiedelungs-Genossenschaft 124 Deutsche Mittelstandskasse 242–245, 267 f., 296 Deutsche Tageszeitung 232 Deutsche Zeitung 147, 255 f. Deutscher Volksrat Posen 286 Deutschkonservative 50, 71 f., 151, 241, 246–248, 252 f., 269 Devianz 31 f., 77, 93, 95, 111, 115 f., 118, 148, 171, 177, 190–202, 215, 290, 294, 299 Dispositionsfonds 83, 132 Domänen/Domänenfiskus 51–53, 154, 160, 191, 203, 213, 216–218, 228, 242, 246–249, 263–268, 276–278, 283, 292, 297 f. Drwęski und Langner 191–200, 203 Dziennik Berliński 168, 170, 179, 182 f., 198, 207, 210 Dziennik Kujawski 109, 179 f. Dziennik Poznański 84 f., 100 f., 109–114, 171 f., 175 f., 180 f., 188, 190, 197, 200 Dziennik Śląski 208 Ehre 102, 105 f., 112, 116–120, 149, 153 f., 160 f., 167–172, 177, 199, 204–206, 277, 294 f. Einspruchsrecht 230, 285, 287 Enteignungsgesetz (1874) 231, 235 Enteignungsgesetz (1908) 38, 49 f., 228–260, 269, 271 f., 278, 283, 298 f. Erster Weltkrieg 11, 38, 197, 259, 280–283, 297 f. Erzbischof von Gnesen und Posen 98, 129, 173, 189, 272, 282 Familie 21 f., 75, 105, 108–112, 119, 149, 160, 164, 171 f., 175 f., 294, 299 Fideikommisse 156–168, 178, 214 f., 230, 263–266, 297 f. Finanzminister 51, 55, 122, 125, 131, 142, 156, 166, 191, 200 f., 204, 220, 233–236, 238, 254, 296
Finanzministerium 237 f., 251 Forst 65, 123, 138 f., 155, 165, 211, 217 Forstfiskus/Staatsforste 139, 155 f., 216–218, 228, 242, 246–249, 263–268, 278, 283, 297 f. Frankfurter Zeitung 146 Freikonservative 67, 71 f., 149, 151, 241, 252, 257, 269 Freisinn 41, 50, 67–69, 72, 146, 151, 165, 252, 294 Freisinnige Zeitung 68 Friedrich-Wilhelms-Universität (Berlin) 238 Fürstbischof von Breslau 208 f. Gazeta Bydgoska 198 Gazeta Grudziądzka 169 f., 198 f., 220 f. Gazeta Opolska 208 Gazeta Poznańska 175 Gazeta Robotnicza 99 Gazeta Toruńska 63, 101 f., 107, 110, 169, 221 Geistlichkeit 40, 43, 49, 52–54, 59, 76, 92, 96, 98–100, 102, 119, 132, 149–151, 169, 173, 208 f., 266, 272, 274, 295 Generalkommission 15, 56, 89–91 Generallandschaftsdirektor (Posen) 56, 125, 222 f. Genossenschaftswesen 10, 84, 88, 92, 98, 221 f., 237–240, 274, 291 s. a. Parzellierungsgenossenschaften Germania 67, 109 Gesellschaft zur Förderung der inneren Kolonisation 267 Gesundkaufen 68–71, 79–82, 127 Goniec Mazurski 198, 266 Goniec Wielkopolski 101 f., 109, 111, 113 f., 168, 171, 173, 271 Górnoślązak 198, 209–211, 215, 266 Grenzboten, Die 148, 280 Großgrundbesitz 22 f., 36 f., 45, 242, 246– 248, 253, 260–263, 275 f., 291, 297 – Definition 22 – deutscher 12 f., 15, 60–66, 70–84, 130 f., 142, 146 f., 151, 155, 190 f., 241, 277 f., 96 – polnischer 55, 69 f., 79–81, 84–86, 95–97, 100–102, 119–121, 170, 175 f., 212, 249 – soziale Elite 52 f., 60 f., 70 f., 85 f., 125–127, 130 f., 134, 154–159, 216 f. – soziale Zusammensetzung 60–62, 96 f.
Hannoversche gemeinnützige Ansiedelungs-Genossenschaft 268 Heroldsamt 161, 163 Herrenhaus 96, 103, 115, 204, 228, 230, 248, 252, 254, 282 Hessische Siedelungs-Gesellschaft 268 Hofpartei 97–99, 103, 113, 273, 282, 292, 294 – loyaler Teil 100 f., 108–112, 119 f., 171 f., 198 f., 271 – oppositioneller Teil 101 f., 109, 119, 168 f. Immobilien-Verkehrsbank Steglitz-Berlin 179 Industrie 12 f., 21, 43, 45, 58, 71, 91, 99, 126, 138, 161, 211, 283 Innenminister 45, 55, 90, 131, 136 f., 142, 153, 204, 234 f., 254, 282 Innenministerium 155, 238 Innere Kolonisation 51 f., 90, 124, 165, 240, 267 f. Juden 23, 44 f., 64, 78, 82, 150, 165, 167, 183, 185 f. Junker 12 f., 23, 68, 127, 183 Justizminister 157, 215 Kaiser 74, 81, 103 Katholiken 44 f., 54, 67 f., 94, 105 f., 132, 167, 174, 186–188, 214, 254 Katolik 191, 208–210 Katolik-Verlag 208–211 Klein- und Mittelgrundbesitz 15, 51–53, 60, 62, 91, 113, 124, 126, 136 f., 140 f., 165, 170, 215, 217, 226, 242–244, 247–250, 260–263, 292 f., 296 Kölner Volks-Zeitung 146 König 74, 137, 155–162, 252 Kolonialismus 15–17, 49, 90, 151, 297 Kommunalverfassung 131, 133–140, 249 Konservative 50, 52, 55 f., 67, 72, 146 f., 151 f., 177, 241, 246 f., 256, 261, 292, 294 s. a. Deutschkonservative, Freikonservative Konventionalstrafe 155, 176, 187, 205 f. Kriegsminister 153 Kujawski Bank Parcelacyjny 219 Kultusminister 44 f., 54 f., 130, 142, 204, 236 Kultusministerium 154 Kurjer Poznański 169 Kurjer Śląski 211 Kuryer Poznański 100, 109, 169, 171 f., 187 f.
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ländliche Verschuldung 12, 61 f., 72–79, 85, 127, 130 f., 160 f., 176, 223, 242–244, 246, 257, 276, 287, 291 ländlicher Kredit 73, 85, 89, 125, 136, 212, 226, 242 f., 246, 276, 291, 296 f. Landarbeiter 43–45, 52, 59, 75, 88, 126, 165 Landbank 108, 123 f., 245, 267 Landesökonomiekollegium 51 Landgesellschaft „Eigene Scholle“ 267 f. Landräte 63, 76, 135–137, 149 f., 201, 225, 260, 269, 295 – Kattowitz 205 – Neustadt 125 – Posen-Ost 196 – Schwetz 93 – Thorn 238 Landtag 33 f., 51, 94, 122, 133, 165 f., 213, 234, 240 f., 247, 251, 269, 273, 282 s. a. Abgeordnetenhaus, Herrenhaus Landwirtschaftsminister 50 f., 53, 55 f., 61, 73, 78, 124 f., 130, 134, 139, 142, 148, 153, 158, 188 f., 213, 215, 228, 235, 254–256, 258 f., 277–279, 282 Landwirtschaftsministerium 12, 33–36, 218, 237 f., 240 Leipziger Tageblatt 45 lokale Eliten 76, 149–152, 201, 266, 295 Leserbriefe 36 f., 88, 106–110, 117, 170 f., 176, 190 Liberale 51 f., 67, 127, 152, 256, 292 s. a. Freisinn, Nationalliberale Liga Narodowa 168 Magdeburgische Zeitung 255 Ministerpräsident 55, 60, 74, 130, 216, 227, 252 Mittels- / Strohmänner 9, 110 f., 131, 140, 148, 179–202, 205 f., 235 f., 266, 290, 292 f. Mittelstand 97, 99, 101–103, 132, 168, 237 f., 291 Moral / Moralisierung 19, 28–31, 33, 37, 93–95, 104, 115 f., 119, 148, 170–172, 176, 181, 215, 289, 299 moralische Ökonomie 77 f., 82 f., 115, 119, 145, 152, 169, 177, 202 f., 216, 248, 266, 270 – Definition 26–32 Nationaldemokraten 115, 168 f., 198, 209– 211, 215, 253, 271–273, 291 f., 294 Nationalliberale 41, 50–52, 55–57, 67, 70–72, 90, 146, 148–151, 241, 252, 256 f., 277 f., 294
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Nationalökonomie 11, 33, 36, 91 f., 165, 218 f., 242 f., 274 National-Zeitung 70, 146 Neue Institutionenökonomie 29 f. Neue Preußische Zeitung 71 Nobilitierung 159–168, 277 Normen 27–32, 83, 248 f. – Definition 30 – Differenzierung 111 f., 120, 149, 294 – rechtliche 28, 216, 280, 299 – soziale 27–29, 36 f., 77 f., 95, 105, 109, 111–113, 115–121, 147–150, 152, 203, 206, 280, 292–295, 299 Nowa Reforma 181 f., 188 Nowiny Raciborskie 208 Oberbürgermeister – Frankfurt am Main 51, 248 – Posen 133 Oberpräsidenten – Posen 49, 54 f., 81, 125, 132, 136 f., 153, 155, 158 f., 162, 196, 201, 213, 229, 238 f., 246 f., 256, 270, 274, 277 f. – Schlesien 132, 205, 212, 230, 254 – Westpreußen 55, 132, 158, 185, 201, 238 f., 277 f. Orędownik 99, 102, 110, 113, 169, 208, 220 Orthodoxe 106 Ostdeutsche Rundschau 271 Osten, Der 179 Ostflucht 14 f., 43 Ostmark, Die 150, 240 Ostmarkenverein 53, 56, 67, 70, 108, 114, 123 f., 149–152, 159, 173, 230, 233 f., 236, 238 f., 245, 248, 251, 254–256, 272, 280, 287, 289, 295 Ostpreußische Landgesellschaft 238, 267 f. Ostpreußische Provinzialgenossenschaftskasse 267 Pacht 23, 49, 51–53, 56 f., 61, 80, 85, 87, 111, 122, 138, 140, 155, 160, 217 f., 227, 247, 267, 298 Parzellierungsunternehmen 10, 15, 17, 36 f., 65, 76, 84–93, 119 f., 124, 180, 202, 205, 212, 218–229, 252, 257, 266–269, 273 f., 291 Parzellierungsgesetz 231, 268 f., 282 Pielgrzym 110, 208 Polak 211 Polizeipräsidium (Berlin) 196
Polizeipräsidium (Posen) 34 f., 191–193, 195 f., 203 Polnische Fraktionen 50, 55, 66, 72, 91, 94– 100, 110, 113, 169 f., 188 f., 192, 209–212, 253, 270–273 Polska Partia Socjalistyczna 99 Polskie Towarzystwo Demokratyczne 273 Pommersche Ansiedlungsgesellschaft 267 f. Posener Aufstand (1918/19) 39, 283 Posener Freundeskreis 237–241, 245, 267 Posener Neueste Nachrichten 247 Posener Raiffeisenorganisation 238 f. Posener Schulstreik (1906) 146, 234 Posener Tageblatt 109, 149, 271 f., 295 Posener Zeitung 68 Posensche Landesgenossenschaftsbank 238, 245 Post, Die 71, 240 Postęp 99, 102, 192 Praca 180, 191 f., 198–200, 205, 207, 209 f., 273 Presse 23, 31, 33–35 – deutsche 9 f., 66–72, 82, 145–149, 174, 177, 204 f., 240, 254–257, 271 f., 277 f. – polnische 9, 84–88, 92, 95, 99–116, 119 f., 148, 169–172, 175–183, 186–188, 191–193, 198–200, 207–212, 220 f., 270–273 Preußische Jahrbücher, 69 Protestanten 44, 67 f., 77, 94, 106, 109, 124, 132, 150, 166 f., 177, 252, 266 Provinzialgenossenschaftskasse für die Provinz Posen 245 Provinzialverband ländlicher Genossenschaften (Posen) 237 Przegląd Poznański 168 Przyjaciel 88 Regierungspräsidenten – Bromberg 48, 67, 99, 114 – Marienwerder 225 – Oppeln 54, 213, 230 – Posen 175, 225 Reichsamt des Innern 142 Reichsbote, Der 71 Reichskanzlei 238 Reichskanzler 74, 77, 104, 157, 216 Reichssiedlungsgesetz (1919) 287 Reichstag 46, 50, 94–98, 110, 113, 168 f., 209, 247, 256–259, 272 f. Religionspolitik 16, 41, 49, 67 f., 216, 234 Rentengut 11, 56 f., 59, 70, 73, 89–91, 230, 242–244, 265 f., 268 f., 276, 298
Restgüter 133–140, 216 f., 265 Rheinisch-Westfälische Zeitung 240, 255 Ritterakademie (Liegnitz) 204 Rittergüter 22, 49, 61, 135–137, 164 Sanktionen 30–32, 119, 177 f., 294 f. – negative 27, 35, 77 f., 93–97, 108, 111, 115, 150, 153 f., 170 f., 177, 190, 196 f., 203 f. – positive 112–115, 117 f., 150, 159–164, 199 f., 204 f., 277 s. a. Nobilitierung, Schmähungen Schadloshaltung 73, 122, 296 Schlesische Landgesellschaft 268 Schlesische Zeitung 147 Schleswig-Holsteinische gemeinnützige Siedelungs-Genossenschaft 268 Schmähungen 104–111, 115–119, 145–147, 150, 169–175, 177–181, 244, 258, 291 f., 294 f. Schulpolitik 16, 41, 49, 98, 216, 234 Siedlungsgesellschaft Sachsenland 268 Silvana-Bank 211, 215 Sokół 168, 192 soziale Frage 11, 51, 57, 90 Sozialisten/Sozialdemokratie 67 f., 72, 99 f., 145 f., 241, 253, 259, 294 Spółka Parcelacyjna (Berent) 219 Spółka Parcelacyjna (Beuthen) 212, 215 Spółka Rolników Parcelacyjna 91–93, 111, 115, 219, 274 Spółka Ziemska (Ołobok) 91, 219 Spółka Ziemska (Posen) 88 f., 93, 219 Spółka Ziemska (Thorn) 88 f., 93, 102, 219–221 Spółka Ziemska (Wiekowo) 218 f. Sprachpolitik 16, 21, 40, 42, 216, 234 Staatsangehörigkeit 45 f., 58 f., 166, 250, 283 Staatsministerium 9, 34, 38, 51, 53–56, 58, 64, 125 f., 130–132, 139–142, 153–159, 163, 165–167, 177, 200 f., 204, 214, 234– 236, 238 f., 246 f., 254 f., 281–283, 293 Staatsrat 52, 54 Statistik 36, 42, 228 f., 265 – Besitzwechselstatistik 15, 75 f., 212 f., 228 f., 250, 266 f., 269, 275, 291, 295 – Konfessionsstatistik 44 f. – Nationalitätenstatistik 43 f., 250 – Sprachenstatistik 22, 42 f., 172 f. Straż 173–175, 257, 272, 280 Tägliche Rundschau 188, 255, 271 Tag, Der 240, 255
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Towarzystwo Demokratyczno-Narodowe 273 Towarzystwo Dziennikarzy i Literatów Polskich 192 Verein für Socialpolitik 43, 51 Versailler Vertrag 39, 283 f., 286 Volkspartei 99, 102–104, 113, 117–119, 169–171, 291 f., 294 Vorkaufsrecht 186–188, 230 f., 237, 243 f., 260, 268 f., 283–285, 298 f. Vorwärts 68, 100 Vossische Zeitung 146, 194 f. Wahlen 68, 71, 95–97, 131, 135–137, 140, 169–171, 198, 208–212, 241, 255, 271–273 Westpreußische Landschaftliche Bank 246
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Westpreußische Provinzialgenossenschaftsbank 238, 245 f. Wiarus Polski 169 Wielkopolanin 101, 172 Wirtschaftsnationalismus 19 f. Wreschener Schulstreik (1901) 216 Zentrum 50, 67 f., 72, 109, 132, 146, 207–211, 215, 229, 252–254, 259, 272, 294 Zwangsversteigerung 49, 65 f., 81, 112, 122, 127, 131, 186, 194, 199, 285 Związek Spółek Zarobkowych i Gospodar czych 91, 193 Związek Ziemian 176, 257, 299 Zwischenkriegszeit 11 f., 24, 33, 283–287, 299