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German Pages 404 [400] Year 2014
Henrike Hahn Verfilmte Gefühle
Film
Mein Dank gilt allen Menschen, die mich während der Entstehungszeit dieser Arbeit unterstützt haben. Allen voran möchte ich Prof. Dr. Dieter Burdorf für seine engagierte Betreuung ganz herzlich danken sowie Prof. Dr. Rüdiger Steinmetz. Für anregende Kommentare geht mein Dank besonders an Prof. Dr. Klaus Kanzog. Vielen Dank an Dr. Theresa Specht und an Stephanie Bremerich für ihre sorgfältige und genaue Lektüre und Korrektur des Manuskripts. Die Projektbetreuung beim transcript Verlag übernahm Jörg Burkhard, dem ich für seine freundliche und kompetente Hilfe danke. Danke Matthias, Friedrich und Charlotte.
Henrike Hahn (Dr. phil.) lehrt Literaturwissenschaft an der Universität Leipzig. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Bild-Text-Beziehungen, Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts, Literaturverfilmungen, Filmanalyse sowie Erzähltextanalyse.
Henrike Hahn
Verfilmte Gefühle Von »Fräulein Else« bis »Eyes Wide Shut«. Arthur Schnitzlers Texte auf der Leinwand
Der vorliegende Text entstand als Dissertation unter dem Titel »Der Medienwechsel figurativer Innenwahrnehmungen in Schnitzler-Verfilmungen« am Institut für Germanistik an der Universität Leipzig. Gefördert wurde die Arbeit durch ein Promotionsstipendium der Landesgraduiertenförderung Sachsen. Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 transcript Verlag, Bielefeld
Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Satz: Henrike Hahn Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-2481-6 PDF-ISBN 978-3-8394-2481-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Inhalt
Einleitung | 7 Theoretische Vorüberlegungen | 19
1. Forschungsfeld Literaturverfilmung | 19 2. Medienwechsel und Transformation von Text | 25 3. Filmphilologie | 41 4. Filmsemiotik | 48 Methodisches Vorgehen | 61
1. Literaturwissenschaftliche Methoden | 61 2. Filmwissenschaftliche Methoden | 68 Schnitzler und der Film | 85 Stummfilm – Fernsehfilm – Kinospielfilm | 93
FRÄULEIN ELSE, TEXT UND FILME Die Novelle Fräulein Else (1924) | 101
1. Ort, Zeit und Aufbau des Textes | 101 2. Erzählsituation, point of view und Bewusstseinsdarstellung | 105 3. Figuren | 113 4. Indices, Farbcodes, Kunstzitate und Musik | 126 Fräulein Else (D 1929) | 141
1. Der Aufbau des Films im Vergleich zur Novelle | 143 2. Erzählperspektive: die Visualisierung des inneren Monologs | 150 3. Else und andere Figuren im Film | 156 4. Indices und Ikons | 159 Mademoiselle Else/Fräulein Else (F/Ö/D 2002) | 163
1. Der Aufbau des Films im Vergleich zur Novelle | 163 2. Erzählperspektive: der Medienwechsel des inneren Monologs | 168 3. Else und andere Figuren im Film | 171 4. Indices und Ikons und Farbcodes | 173
Der Medienwechsel figurativer Innenwahrnehmungen anhand des Vergleichs beider Else-Verfilmungen | 177
TRAUMNOVELLE, TEXT UND FILME Schnitzlers Traumnovelle (1925/26) | 195
1. Ort, Zeit und Aufbau des Textes | 199 2. Erzählperspektive, erlebte Rede und Träume | 205 3. Figuren | 209 4. Träume, Indices, Motive und Farben | 219 Traumnovelle (Ö 1969) | 233
1. Der Aufbau des Films im Vergleich zur Novelle | 235 2. Erzählperspektive | 238 3. Fridolin und andere Figuren im Film | 243 4. Indices und Farbcodes | 244 5. Der Medienwechsel von Innenwahrnehmungen, Beispielanalyse | 249 Eyes Wide Shut (GB/USA 1999) | 255
1. Der Aufbau des Films im Vergleich zur Novelle | 258 2. Erzählperspektive | 266 3. Bill, Alice und andere Figuren im Film | 275 4. Indices, Ikons und Farbcodes | 282 5. Der Medienwechsel von Innenwahrnehmungen, Beispielanalyse | 288 Fazit: Möglichkeiten der sprachlichen und filmischen Gestaltung von figurativen Innenwahrnehmungen | 297 Filmprotokolle/Anhang | 305
1. Sequenzprotokolle | 305 2. Einstellungsprotokolle | 366 Verzeichnisse | 383
1. Literaturverzeichnis | 383 2. Internetquellen | 401 3. Filmverzeichnis und Musik | 402
Einleitung
Die Geschichte der Literaturverfilmung ist so alt wie die Geschichte des Spielfilms.1 Filmemacher haben schon immer in Literatur und Theater nach Material für einen Film gesucht. „In Deutschland überwiegen zunächst die Verfilmungen Schillerscher Dramen, während in der Zeit bis 1914 französische, amerikanische, englische und italienische Regisseure sich 23 Bearbeitungen des Faust-Stoffs annehmen.“2 1907 entstand die erste deutsche Literaturverfilmung: der 12Minuten-Film Die Räuber der Berliner Internationalen Kinematographen- und Lichteffekt-Gesellschaft.3 1913 wurden bereits 21 literarische Vorlagen in Deutschland verfilmt (im Vergleich zu 344 Filmen insgesamt). Bis heute ist unbestreitbar, dass „die internationale Filmgeschichte bis zur Hälfte aus Verfilmungen besteht“4. Auch einige der erfolgreichsten deutschen Kinoproduktionen sind Literaturverfilmungen. Ein Blick auf zurückliegende Produktionen mag die Bandbreite des Spektrums verdeutlichen, das von Tom Tykwers Das Parfum – Die Geschichte eines Mörders (D/F/S/USA 2006) mit 5,5 Millionen Zuschauern über Michael Herbigs Wickie und die starken Männer (D 2009) mit 4,9 Millionen Zuschauern bis hin zu Stephen Daldrys Der Vorleser (USA/D 2008) mit 2,2 Millionen Zuschauern reicht. Auf internationaler Ebene waren in den vergangenen Jahren einige der größten Blockbuster Literaturverfilmungen: Tim Burtons 3D-Fantasyfilm Alice im Wunderland (USA 2010), David Yate’s Harry Potter und die Heiligtümer des Todes: Teil 2 (GB/USA 2011) oder Ang Lee’s Life of Pi (USA 2012). 2013 rea-
1
Vgl. Estermann (1965), 15ff.
2
Albersmeier/Roloff (1989), 16.
3
Diedrichs (1984), 73.
4
Albersmeier/Roloff (1989), 15. „Bereits 1957 basieren in Hollywood ungefähr 40% aller Spielfilme auf Dramen- oder Romantexten und Ende der 80er Jahre waren es schon 50% aller bis dahin produzierten Filme.“ (Albersmeier/Roloff [1989], 5.)
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lisierte Baz Luhrmann eine Neuverfilmung des Großen Gatsby (USA/AUS 2013), und auch Schnitzlers Text Reigen wurde unter der Regie von Fernando Meirelles neu adaptiert: 360 (GB/Ö/FR/BRA 2011) mit Jude Law und Anthony Hopkins in den Hauptrollen. Die Reihe der hier aufgezählten Beispiele könnte problemlos fortgeführt werden. Sie zeigt, dass Literaturverfilmungen in der Filmwirtschaft, im Filmschaffen und auch im kulturellen Leben eine große Rolle spielen. Auch die Literaturwissenschaft entzieht sich nicht der Auseinandersetzung mit dem audio-visuellen Medium. Die Geisteswissenschaften setzen sich seit längerer Zeit mit dem Bild als Bedeutungsträger auseinander. So wird insbesondere auch in der Literaturwissenschaft die Beziehung von Text und Bild eingehend untersucht. Einen zusammenfassenden Überblick darüber gibt das Kapitel „Theoretische Vorüberlegungen“. Im Mittelpunkt dieser Untersuchung steht das Lokalisieren und Beschreiben von figurativen Innenwahrnehmungen in Texten und Filmen, womit Gedanken und Gefühle von Figuren gemeint sind. Die Textanalysen konzentrieren sich zum einen auf die Darstellung von unausgesprochener innerer Rede mit Hilfe von Bewusstseinsbericht5, erlebter Rede, innerem Monolog und Stream of Consciousness. Zum anderen wird der Fokus auf die Darstellung von Gefühlen mit Hilfe von Symbolen, Verweisen, Indices, Ikons, Codes und Motiven gerichtet. Außerdem soll untersucht werden, ob figurative Innenwahrnehmungen aus Texten bei einer Umsetzung in den Film einem Medienwechsel unterzogen werden. Unter einem Medienwechsel wird hier der Prozess der medialen Umsetzung narrativer Darstellungsformen verstanden bzw. eines medienspezifisch fixierten Inhalts (figurative Innenwahrnehmungen aus Texten) unter Berücksichtigung der medienspezifischen Verfahrensweisen. Die Transformation eines literarischen Textes in das Medium Film visualisiert und vertont, was der Text nur imaginiert. Auch wenn die Sprache im Film vielfach an der Vermittlung von Gefühlen, Gedanken und Stimmungen einer Figur beteiligt ist – im Stummfilm beispielsweise durch eingeblendete Zwischentitel, im Tonfilm beispielsweise durch eine Stimme aus dem Off –, sind Techniken der Visualisierung und Vertonung für das Medium Film natürlich zentral. Da bei figurativen Innenwahrnehmungen Inhalte von einem Zeichensystem in ein anderes übertragen werden, kommt es zwangsläufig zu Modifikationen, die sich durch die unterschiedlichen medialen Bedingungen, Strukturen und Codes ergeben.
5
Nach Scheffel/Martinez (2007), 55.
E INLEITUNG
|9
Bei den hier durchgeführten Text- und Filmanalysen werden Rezeptionsbedingungen nicht näher betrachtet, auch wird auf die Wahrnehmungsaktivität des Rezipienten nicht eingegangen.6 Es wird hier kein wirkungsästhetischer oder wahrnehmungstheoretischer Ansatz verfolgt. Vielmehr sollen die Verfilmungen produktionsästhetisch betrachtet werden. Auf eine Einordnung der Beispiele in die Literatur- oder Filmgeschichte wird verzichtet, da es nicht Ziel der Arbeit ist, eine epochenübergreifende Entwicklungslinie aufzuzeigen, sondern den Medienwechsel figurativer Innenwahrnehmungen als allgemeines filmisches Merkmal zu untersuchen. Die Arbeit hat eine deskriptive und analytische Struktur. Dabei stehen zwei Fragen im Mittelpunkt: (1) Welche Strategien kommen in den Schnitzler-Texten Fräulein Else und Traumnovelle bei der Umsetzung und Gestaltung figurativer Innenwahrnehmungen zum Tragen? (2) Werden diese Innenwahrnehmungen auch in den Verfilmungen berücksichtigt? Wenn ja, welche medienspezifischen Strategien finden sich im Film? In den zurückliegenden Jahren hat sich zunehmend die Meinung gefestigt, dass Innenwahrnehmungen nur unzureichend auf das Medium Film übertragbar sind. Beispielsweise behauptet Thomas Koebner 2002 in Reclams Sachlexikon des Films: „Die literarische Konzeption der Innensicht einer Person, die sich in Sätzen des Typus sie dachte, sie fühlte, sie erinnerte sich ausprägt, ist nicht auf den Film zu übertragen. Der Übergang von einer neutralen Außensicht zu einer persönlichen Sicht, gar einer Innensicht, muss durch Transitionsmerkmale gekennzeichnet werden: etwa durch die Heranfahrt an ein Gesicht [...] die Stimme eines [...] Kommentators, der eine Bildsequenz einleiten kann mit den Formeln ich erinnere mich, ich sah Folgendes vor mir usw.“7
In der Fachpublikation Der Deutschunterricht, die sich 2008 mit einem Themenheft der Filmdidaktik widmete, wird in der Einführung von Joachim Pfeiffer und Michael Staiger Folgendes behauptet: „Gedankenbericht, innerer Monolog, erlebte Rede sind im Film außer als Off-Stimme nicht adäquat realisierbar. Vieles muss hier über die Blickregie der Kamera geleistet werden (so kann etwa die Großaufnahme eines Gesichtes die Gefühle und Stimmungen einer Person über
6
Vgl. dazu Wan-Seok Nam (1999). Er entwickelt in seiner Dissertation ein wahrnehmungstheoretisch fundiertes Modell.
7
Koebner (2002), 446. Hervorhebung im Original.
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die Mimik verdeutlichen).“8 Sicherlich eine korrekte Beobachtung, allerdings wird in meiner Arbeit davon ausgegangen, dass sich darin nicht die Mittel des Filmes zur Darstellung von figurativen Innenwahrnehmungen erschöpfen. Auch George Bluestone geht davon aus, dass Gefühle und innere Vorgänge, Gedankenbilder, Erinnerungen und Träume einer Figur am besten wortsprachlich in einem Text formuliert werden können. Über diese Möglichkeit verfügt der Film für ihn nicht. „The film, by arranging external signs for our visual perception, or by presenting us with dialogue, can lead us to infer thought. But it cannot show us directly. It can show us characters thinking, feeling and speaking, but it cannot show us their thoughts und feelings. A film is not thought; it is perceived.”
9
Walter Hagenbüchle argumentiert ähnlich: „Während bei der Wortsprache die Auswahl aus einem lexikalischen Paradigma im Vordergrund ästhetischen Gestaltens steht und Sprache dadurch in hohem Grad konnotativ wirken kann, tut sich der Film schwer mit der Darstellung metaphorischer Konnotationsketten.“
10
Robert Stam wiederum konstatiert: „Film has special capacities for presenting the extraverbal aspects of discursive exchange. In the sound film, we do not only hear the words, with their accent and intonation, but we also witness the facial or corporeal expression that accompanies the words – the bodily postures of arrogance or resignation, the skeptically raised eyebrows, the look of distrust, the ironic glances – that modify the ostensible meaning.“11
Auch das stimmt. Allerdings wird hier davon ausgegangen, dass der Film über weitere medienspezifische Mittel verfügt, um figurative Innenwahrnehmungen darzustellen. Die Filmanalysen in dieser Untersuchung sollen das belegen. Die These ist, dass figurative Innenwahrnehmungen aus Texten in das Medium Film mittels vielfältiger filmischer Strategien übertragen werden können. Diese These gilt es im Laufe der Untersuchung zu bestätigen.
8
Pfeiffer/Staiger (2008), 5.
9
Bluestone (1957), 48.
10 Hagenbüchle (1991), 20. 11 Stam (2005), 19.
E INLEITUNG
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Als Untersuchungsgegenstand dienen literarische Erzähltexte, die filmisch transformiert wurden. Dabei wurde die Auswahl der Texte und Filme anhand verschiedener Kriterien vorgenommen. Bei den gewählten Texten handelt es sich um signifikante deutschsprachige Texte, die eine möglichst hohe Anzahl und Vielfalt von sprachlich formulierten figurativen Innenwahrnehmungen enthalten (beispielsweise die Erzähltechniken Gedankenzitat, erlebte Rede, innerer Monolog oder Stream of Consciousness). Die Texte sollten zudem auch mit Symbolen, Verweisen, Indices, Ikons, Codes und Motiven, Ekphrasis und Metaphern angereichert sein. Darüber hinaus soll es sich beim Umfang des Materials um eher „überschaubare“ Erzählungen handeln, um eine exakte Analyse aller figurativen Innenwahrnehmungen zu gewährleisten. Was die Verfilmungen dieser Texte betrifft, so wurde Wert darauf gelegt, dass sie verschiedene Epochen und Genres abdecken, um die Vielfalt der Möglichkeiten des Medium Film darstellen zu können. Die Wahl fiel auf zwei Erzählungen von Arthur Schnitzler, der „die erlebte Rede und den inneren Monolog zu wesentlichen stilistischen Elementen in seinen Prosaschriften gemacht“12 hat. Die Novelle Fräulein Else13 erschien als Vorabdruck 1924 in der Zeitschrift Neue Rundschau14. Im selben Jahr wurde der Text in Buchform im Verlag Paul Zsolnay, Wien, publiziert. Das Buch wurde ein großer Publikumserfolg. Bereits 1929 erschien das 70-tausendste Exemplar. Fräulein Else wurde 1926 ins Französische übersetzt, 1930 ins Englische und 1929 folgte die deutschsprachige Verfilmung. Schnitzlers Freund Felix Salten schrieb am 23. November 1924 in der Neuen Freien Presse: „Selten ist eine Frauenseele in ihren geheimsten Regungen so durchleuchtet worden und so rein gewesen wie diese: so ganz noch Kind, so sehr noch Jungfrau, so ahnungsvoll schon Weib, so erfüllt von Güte, so durchblitzt von Messerschärfe des Verstandes, so gelind an Zärtlichkeit und so sanft in der Verzweiflung.“15 Der zweite für diese Untersuchung ausgewählte Text sollte ursprünglich Doppelnovelle oder Doppelgeschichte heißen, wurde aber dann 1924 von
12 Neuse (1990), 317. 13 Ich zitiere in den Analysen nach der Ausgabe: Arthur Schnitzler, Gesammelte Werke. Die Erzählenden Schriften. Bd. 2. Frankfurt am Main: S. Fischer, 1961. S. 324–381. Dabei wird die Seitenzahl in Klammern hinter dem Zitat aufgeführt. 14 Die neue Rundschau, XXXV. Jg., 10. H., Oktober 1924. 15 Felix Salten: Fräulein Else. In: Neue Freie Presse. Nr. 21623. Morgenblatt. Wien, 23. November 1924. S. 1–3.
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Schnitzler mit Traumnovelle16 betitelt. Der Text wurde ab dem 1.12.1925 in der Ausgabe der Berliner Zeitschrift Die Dame bis zum 1.3.1926 in Folge abgedruckt.17 Danach veröffentlichte der Samuel Fischer Verlag die Traumnovelle in Buchform. Bis zum Jahr 1930 wurden 30 Auflagen gedruckt. 1931 hatte Schnitzler selbst eine Auswahl seiner bereits erschienenen Novellen zu einem eigenen Band unter dem Titel Traum und Schicksal18 zusammengefasst. Der erste Text in diesem Band war die Traumnovelle. Beide Novellen beinhalten eine beachtliche Menge an figurativen Innenwahrnehmungen, die aufgrund ihrer differenzierten und heterogenen Ausgestaltung als besonders repräsentativ für Schnitzlers Umsetzung gelten können. Zudem weisen beide Texte neben Erzähltechniken wie der erlebten Rede, dem inneren Monolog und dem Stream of Consciousness auch Symbole, Verweise, Indices, Ikons, Codes und Motive für die Darstellung von Gefühlen auf. Das Hauptanliegen der Untersuchung ist die Analyse und Gegenüberstellung verschiedener Techniken zum Beschreiben und Visualisieren/Vertonen figurativer Innenwahrnehmungen. Dazu ist sowohl eine ausführliche formal-ästhetische Analyse als auch eine inhaltliche Interpretation der literarischen Texte und ihrer Verfilmungen nötig. Um den Detailanalysen den angemessenen Raum zu geben, wurde die Anzahl der Untersuchungsgegenstände auf zwei Texte und vier Filme beschränkt. Texte von Arthur Schnitzler wurden bis heute über 90 Mal für Film und Fernsehen adaptiert. Die für diese Untersuchung ausgewählten Verfilmungen unterscheiden sich hinsichtlich ihres medialen Profils (Stummfilm, Fernsehfilm, Hollywoodfilm), ihres Entstehungszeitpunkts sowie ihrer Methoden, figurative Innenwahrnehmungen darzustellen. Hier sind filmische Methoden gemeint, die sich nicht auf die Arbeit des Schauspielers – wie Mimik und Gestik – beschränken, sondern mit Hilfe von Kameraführung, Musik, Schnitt, Montage, Farben und Lichtsetzung für den Zuschauer Einblicke in das Gefühlsleben von Figuren vermitteln. Folgende Adaptionen wurden ausgewählt (in chronologischer Reihenfolge):
16 Ich zitiere in den Analysen nach der Ausgabe: Arthur Schnitzler, Gesammelte Werke. Die Erzählenden Schriften. Bd. 2. Frankfurt am Main: S. Fischer, 1961. S. 434–504. Dabei wird die Seitenzahl in Klammern hinter dem Zitat aufgeführt. 17 Erstdruck: Die Dame, LIII. Jahrgang, 6.–12. Heft, Berlin, 1925–26. 18 Schnitzler (1931). Darin: Traumnovelle, Spiel im Morgengrauen, Frau Beate und ihr Sohn, Der blinde Geronimo und sein Bruder, Die Hirtenflöte, Der Fremde, Das Schicksal des Freiherrn von Leisenbohg.
E INLEITUNG
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Fräulein Else (D 1929) Stummfilm. Restaurierte Fassung von 2004 (Cineteca del Comune di Bologna, ZDF und arte) Regie: Paul Czinner Drehbuch: Paul Czinner (nach Motiven der gleichnamigen Novelle von Arthur Schnitzler) Dramaturgische Mitarbeit: Carl Mayer (ohne Credit) Kamera: Karl Freund, Robert Baberske, Adolf Schlasy Produktion: Poetic-Film Uraufführung: 7.3. 1929 Capitol Kino in Berlin. Originallänge: 2.434 m (= 97‘ bei 22 f/sec) Restaurierte Fassung (2004): 2.272 m (= 90’ bei 22 f/sec) Restaurierung Cineteca del Comune di Bologna – in Kooperation mit Danske Filminstitut und ZDF/ARTE, Umkopierung: L’Immagine Ritrovata, Bologna. Diesen Stummfilm mit Elisabeth Bergner in der Hauptrolle als Else zeichnet aus, dass er nur über eine minimale sprachliche ‚Stütze‘ durch Zwischentitel verfügt und somit in besonderem Maße mit den Schwierigkeiten der Transformation von Schnitzlers konsequent durchgeführtem inneren Monolog konfrontiert ist. Aus dem Vorspann des Films: „Fräulein Else is a joint restoration by Cineteca del Comune di Bologna and ZDF in collaboration with arte. No film material has been saved from the original german version (2.434m). The restoration originated from a nitrate positive with Danish intertitles held by the Danish Film Institute. The original intertitle text was recontructed using neutral characters after the German censorshipvisa found at Bundesarchiv/Filmarchiv Berlin. The length of the restored copy is 2.252 m long. The restoration was carried out at L’Immagine Ritrovata laboratory in 2004.“
19
Beim Ausgangsmaterial für diese restaurierte Fassung handelt es sich um eine dänische Exportfassung, die vom Dänischen Filminstitut zur Verfügung gestellt wurde. Im Vergleich zum Original mit deutschen Zwischentiteln, das heute nicht mehr erhalten ist, fehlen immerhin 200 Meter Film (das sind circa acht Minuten). Es handelt sich dabei um willkürliche Kürzungen, die heute nicht mehr nachvollzogen werden können. Die wieder eingesetzten deutschen Zwischentitel stammen von einer erhaltenen Zensurkarte aus dem Filmarchiv Berlin. Es wurden neutrale Schriftarten für die Zwischentitel gewählt.
19 Vortext zum Film TC 0.00.00–0.00.19.
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Die Fassung, die für das ZDF/arte restauriert wurde, ist die momentan längste erhältliche Fassung des Stummfilms Fräulein Else (D 1929).20 Aus diesem Grund wurde sie als Grundlage für meine Filmanalyse verwendet. Nach der Fernsehausstrahlung von 2005 wurde von der Cineteca del Comune di Bologna der Film 2008 auf DVD veröffentlicht, welcher mir vorliegt. Die folgende Tabelle soll verdeutlichen, welche Kopien des Films wo in der Welt archiviert sind: Stadt Berlin
Institut Bundesarchiv
Zwischentitel
Länge
Format
tschechisch
1811m
35 (wie die Prager Kopie)
Kopenhagen
Dänisches Fil-
dänisch
2272m
35
dänisch
2272m
35 (wie die
minstitut Moskau
Gosfilmofond
dänische Kopie) Prag
Narodni Film Ar-
tschechisch
1807m
chiv Wien
Filmarchiv Austria
tschechisch
1803m
35
Wiesbaden
DIF
ungarisch
1794m
35 (eine Kopie aus Budapest)
Budapest
Magyar Nemzet
ungarisch
1794m
35 (wie die Prager Kopie, nur ungarische Zwischentitel eingesetzt)
Quelle: Nina Goslar/arte sowie Cineteca del Comune di Bologna
20 Die Informationen stellte mir freundlicherweise Nina Goslar vom ZDF/Filmredaktion arte zur Verfügung.
E INLEITUNG
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Des weiteren wurde eine (unrestaurierte) Kopie vom Deutschen Filminstitut/DIF Wiesbaden eingesehen. Diese Kopie ist kürzer, die Bildqualität deutlich schlechter, und die Zwischentitel sind auf Ungarisch.21 Obwohl die Fassung aus dem DIF um 20 Minuten kürzer ist, gibt es einige Einstellungen, die in der langen restaurierten Fassung von der Cineteca del Comune di Bologna fehlen.22 Eine weitere Veränderung zur Kopie aus dem DIF ist die eigens für die restaurierte Fassung neu komponierte Musik. Für die Fernsehausstrahlung auf arte wurde 2004 unter Marco Dalpane vom Ensemble Kontraste (Klarinette, Violine, Violoncello, Akkordeon, Schlagzeug, Piano) ein Soundtrack produziert. Auf der im Handel erhältlichen DVD vom Cineteca del Comune di Bologna hat die italienische Rock-Formation Marlene Kuntz den Film musikalisch interpretiert. Im Auftrag des Museo Nazionale del Cinema in Turin wurde von 2007 bis 2008 der Stummfilm Fräulein Else (D 1929) in verschiedenen italienischen Kinos vorgeführt und live von der Band begleitet. Das von diesen Veranstaltungen mitgeschnittene Live-Material wurde dann im Studio unter den Film gelegt. Es handelt sich um sphärisch-getragene Rockmusik mit Schlagzeug, E-Gitarre, Bass, Synthesizer sowie Gesang. Traumnovelle (Ö 1969) Ein Fernsehfilm des ORF. Regie: Wolfgang Glück Drehbuch: Wolfgang Glück, Ruth Kerry Kamera: Hannes Staudinger, Otto Gräser Produktion: Österreichische Telefilm AG, Wien, für den ORF Erstausstrahlung: ORF FS1 31.8.1969 Länge: 73 Minuten, Farbe.
21 Es stellt sich die Frage, warum keine originale deutsche Fassung von Fräulein Else (1929) erhalten wurde. Nach der Stummfilmzeit wurden viele Filme vernichtet. Deshalb existieren oft nur noch die Exportexemplare, die in den Zwanziger Jahren an ausländische Kinos verkauft wurden. Dort fügte man die Zwischentitel in der Landessprache ein. Beispielsweise existiert Fritz Langs Harakiri (1919) nur noch mit holländischen Zwischentiteln. 22 In Sequenz 3 besichtigt Else auch ihr Zimmer, in Sequenz 4 sieht man Else und Paul gemeinsam das Hotel verlassen. Zudem gibt es Veränderungen zur restaurierten Version: Die ungarische Fassung hat weniger Zwischentitel und keine Akte, die Überblendung aus Sequenz 5a gibt es nicht, ebenso fehlen die Viragierung und der Gong in Sequenz 9, und am Ende des Films sieht man keine schneebedeckten Berge.
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Dieser Film mit Karlheinz Böhm in der Hauptrolle arbeitet vor allem mit einer Stimme aus dem Off, mit einem effektorientierten Musikeinsatz und verschiedenen Kameratechniken, um figurative Innenwahrnehmungen darzustellen. Für diese Untersuchung stand eine Filmkopie des ORF zur Verfügung. Außerdem war es mir möglich, mich mit dem Regisseur Wolfgang Glück schriftlich auszutauschen. Eyes Wide Shut (GB/USA 1999) Ein Hollywood Kinospielfilm. Regie: Stanley Kubrick Drehbuch: Stanley Kubrick, Frederic Raphael Kamera: Larry Smith Produktion: A Pole Star Produktion der Hobby Films Lld., London für Warner Bros., USA Uraufführung: 13.7.1999, New York Länge: 4350 Meter, Farbe (DeLuxe) Kubrick hat in seinem letzten Film versucht, Innenwahrnehmungen von Figuren präzise auf die Leinwand zu bringen. Dabei gehen die Darstellungsmöglichkeiten weit über das gesprochene Wort hinaus: Mit Hilfe von Kameraperspektive und -bewegung, Farbcodes und Musik werden die Bewusstseinszustände von Bill (Tom Cruise) und Alice (Nicole Kidman) visualisiert. Mir steht eine DVD zur Verfügung, die im Handel erhältlich ist und auch über eine deutsche Synchronisation verfügt (Dialogregie in der deutschen Synchronfassung: Edgar Reitz). Mademoiselle Else/Fräulein Else (F/Ö/D 2002) Fernsehfilm. Regie: Pierre Boutron Drehbuch: Erik Orsenna, Louis Gardel, Pierre Boutron Kamera: Dominique Brabant Produktion: PROGEFI, Paris/France 2, Paris/Kirchmedia, München, mit der Unterstützung des Centre National de la Cinematographie, Paris Erstausstrahlung: FR 2 (France 2, der größte öffentlich-rechtliche Sender Frankreichs) am 4.11.2002 sowie im ORF am 25.1.2003 Länge: 94 Minuten (frz. Fassung), 90 Minuten (dt. Fassung), Farbe In dieser Verfilmung wird verstärkt mit Elses Stimme aus dem Off gearbeitet. Des Weiteren versucht Boutron an einigen Stellen im Film, Elses Visionen filmisch umzusetzen. Die Verfilmung folgt dabei fast ausschließlich der literarischen Vorlage. Dieser Film liegt als deutschsprachiger Fernseh-Mitschnitt aus dem Archiv des ORF vor.
E INLEITUNG
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Anhand dieser ausgewählten Beispiele soll exemplarisch ermittelt werden, welche Mittel im Film bei der Transformation von Innenwahrnehmungen literarischer Figuren zum Tragen kommen. Die Arbeit gliedert sich in drei Teile: einen theoretischen, einen methodologischen und einen analytischen. Innerhalb des theoretischen Teils wird die für die Studie maßgebliche Terminologie erarbeitet. Im methodischen Teil werden literatur- und filmwissenschaftliche Methoden zur Analyse von Text und Film vorgestellt. Im dritten Teil, dem Hauptteil dieser Arbeit, der sich aus den Kapiteln „Fräulein Else, Text und Filme“ sowie „Traumnovelle, Text und Filme“ zusammensetzt, sollen dann mit Hilfe der vorher erarbeiteten Untersuchungsmethoden die figurativen Innenwahrnehmungen in den Texten und Filmen ermittelt und beschrieben werden. Die Analyse orientiert sich dabei zunächst ganz konkret an den Textbeispielen. Dabei schließen sich die Filmanalysen direkt an eine Textanalyse an. Zusätzlich zu einer Überblicks-Analyse, die den gesamten Film auf spezifische Mittel für die Darstellung von Innenwahrnehmungen untersucht, werden, entsprechend den vier Verfilmungen, vier Feinanalysen zu einer kurzen Sequenz und einem Textauszug angefertigt. Dabei soll die Untersuchung beiden Medien gleichermaßen gerecht werden, indem sie als eigenständige Kunstformen angesehen werden. Auf dieser Basis kann anschließend ein Medienvergleich stattfinden. Ziel dieser Analysen ist es, die medienspezifische Manifestierung von figurativen Innenwahrnehmungen in den Beispielen zu beschreiben. Abgeschlossen wird der analytische Teil durch eine Zusammenfassung der Ergebnisse der Einzelfallanalysen. Innenwahrnehmungen sind übertragbar. Bis heute jedoch bietet die Forschungsliteratur wenig, was die Systematik angeht, was diese Untersuchung ergänzen möchte.
Theoretische Vorüberlegungen
1. F ORSCHUNGSFELD L ITERATURVERFILMUNG Die ersten Untersuchungen und Typologisierungen von Verfilmungen stellten als bestimmendes Paradigma Textadäquatheit und Werktreue zur literarischen Vorlage in den Mittelpunkt, einer Verfilmung wurde lediglich eine zweitrangigabgeleitete Position zugeschrieben. Die Literatur galt dem Film als qualitativ überlegen. Nach einem Paradigmenwechsel1 wird nun in neueren Untersuchungen davon ausgegangen, dass „der konventionalisierte Begriff Literaturverfilmung zunächst stets nur indikatorisch – als Hinweis auf einen stattgefundenen Medienwechsel – zu verstehen [ist]: also ohne implizierende Wertung hinsichtlich eines etwaigen ‚subalternen‘ oder auch ‚kongenialen‘ Werkstatus“2. Die Verfilmung
1
Vgl. u.a. Blumensath/Lohr (1983), 10f.; Albersmeier/Roloff [(1989), 33] sprechen von einer „Überwindung eines literaturzentrierten Verständnisses von Literaturverfilmungen“.
2
Schaudig (1992), 18. Schon der Filmtheoretiker Bèla Balàzs ging 1924 davon aus, dass die Ausdrucksweise des Films nicht mit der speziellen Ausdrucksweise der Literatur gleichzusetzen sei. „Regisseur und Schauspieler (die beim Film in einem ganz anderen Verhältnis zueinander stehen wie auf dem Theater) könnten am ehesten mit Improvisatoren verglichen werden, die vielleicht eine Idee, eine kurze, allgemeine Inhaltsangabe von einem anderen bekommen haben, doch den Text sich selber dichten. Denn der Text des Films besteht aus seiner Textur, aus jener Sprache der Bilder, wo jede Gruppierung, jede Gebärde, jede Perspektive, jede Beleuchtung jene poetische Stimmung und Schönheit Ausstrahlung hat, die sonst die Worte eines Dichters enthalten. Auch bei einem Gedicht und einer Novelle kommt es ja am wenigsten auf den bloßen Inhalt an. Feinheit und Kraft des Ausdrucks machen den Dichter, Feinheit und Kraft der Bildwirkung und der Gebärde machen die Kunst des Films aus. Darum hat er nichts mit der Literatur zu schaffen.“ Balàzs (2001), 26. Hervorhebung im Original.
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gilt nun als ästhetisch gleichwertig mit der Vorlage und wird als eigenständiges (Kunst)Werk angesehen, mit ihren spezifischen medienästhetischen Gegebenheiten, die das „originale Werk den Möglichkeiten und Konventionen der gewählten (Medien-) Gattung anpasst“3. Auch in der hier durchgeführten Analyse stehen die Untersuchung von Erzählweisen (figurativen Innenwahrnehmungen in Text und Bild) und deren medienspezifische Besonderheiten im Mittelpunkt. Bis heute ist der Begriff ‚Literaturverfilmung‘ eher unscharf definiert, die Fachliteratur verwendet parallel die Termini ‚Adaption‘ oder ‚Verfilmung‘, wobei deren Begriffbestimmungen ineinander übergehen. So versteht man eine Verfilmung als „Prozeß und Produkt der Umsetzung eines schriftsprachlich fixierten Textes in das audiovisuelle Medium des Films“4. Reclams Filmlexikon definiert den Begriff als „[d]ie filmische Version einer literarischen Vorlage“5. Und bei Metzler ist die Verfilmung ein „medienkomparatistischer Begriff nicht nur für das Produkt, sondern auch für den Vorgang der Umsetzung (Adaption) eines zumeist literarischen Textes in die audiovisuellen Medien Film und Fernsehen (Fernsehspiel)“6. Hier wird der zweite, häufig verwendete Terminus im Zusammenhang mit Literaturverfilmung gebraucht: die Adaption. Leubner fasst unter diesem Begriff zwei Formen zusammen: Zum einen die „Transformation eines literarischen oder medialen Werks, die durch einen Gattungs- oder Medienwechsel bei Wahrung wesentlicher Handlungselemente gekennzeichnet ist“, und zum anderen ein „literarisches oder mediales Werk, welches das Ergebnis einer solchen Transformation ist“7.
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Leubner (2007), 5. Jahraus (2003), 751. Ruckriegl/Koebner (2002), 350. Lillge (2007), 801. Leubner (2007), 5. Man kann hier feststellen, dass sich die Definitionen von Verfilmung und Adaption stark überschneiden (vgl. Metzler „Adaption“). Dabei birgt „der Begriff Adaption [...] schon von seiner etymologischen Herkunft her den Kern eines Mißverständnisses in sich. Abgeleitet von lateinisch adaptare (= anpassen, passend herrichten) wurde er vornehmlich für physiologische Vorgänge (Anpassung des Auges), später für die Anpassung elektronischer Systeme (Adapter) verwendet. Der fachterminologische Gebrauch im übertragenen Sinne im Bereich der Künste ist daher von vornherein durch diese Alltagssemantik mitbestimmt: Adaption eines Werkes der Kunst durch eine andere Kunstgattung oder eine andere Kunstform läuft immer Gefahr, lediglich als Anpassung mißverstanden zu werden, was zugleich Hochschätzung der Vorlage und Abwertung der Adaption impliziert“. Gast (1993), 45.
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Dabei unterscheidet er zwischen verschiedenen Mediengattungen, der binnenliterarischen Adaption (z.B. Ballade wird zur Novelle) und verschiedenen medialen Adaptionen wie der bildersprachlich dominierten Print-Adaption, der audiovisuellen Adaption (u.a. Verfilmung) sowie der interaktiven Adaption. Des Weiteren differenziert Leubner, in Bezug auf Werktreue, verschiedene Typen der Adaption: „1. ‚bewahrend‘, 2. ‚modifizierend‘ und 3. ‚frei‘ (in wesentlichen Aspekten vom Original abweichend, ggf. auch gegen den Gehalt des Originals)“8. Der Werktreuebegriff war, wie bereits erwähnt, in zurückliegenden Untersuchungen ein häufig gewählter Ausgangspunkt für die Beschreibung, Typologisierung und Bewertung von Literaturverfilmungen.9 Ein Grund für diesen Fokus auf die Werktreue ist möglicherweise in der filmhistorischen Entwicklung zu finden. Wenn man an die Anfänge des Kinos bzw. des Films zurückgeht, ist auffällig, dass überdurchschnittlich viele Adaptionen von der Filmindustrie produziert wurden. Damals waren Literaturverfilmungen ein Hilfsmittel, um das Kino zu ent-trivialisieren und als Kulturstätte zu etablieren. Dabei waren der „kulturelle Wert“ des Vorlagentextes, dessen werkgetreue Umsetzung und die damit verbundene Wiedererkennung dieses Textes beim Publikum für die Produzenten besonders relevant10. Somit wurde der Werktreue auf der Produzenten- und Rezipi-
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Leubner (2007), 5. In der Diskussion über Literaturverfilmung und Werktreue muss auch auf André Bazins 1952 erschienenen Aufsatz Für ein ‚unreines‘ Kino – Plädoyer für die Adaption hingewiesen werden: „[...] es ist falsch, die Werktreue als eine notwendigerweise negative Bedienung fremder ästhetischer Gesetze vorzustellen. Zweifellos hat der Roman seine eigenen Mittel, sein Material ist die Sprache, nicht das Bild, eine auf den einzelnen Leser vertrauende Wirkung ist nicht dieselbe wie die des Films auf die Masse im verdunkelten Kinosaal. Gerade die Unterschiede in den ästhetischen Strukturen machen die Bemühungen um möglichst vollkommene Entsprechungen noch schwieriger. Sie verlangen sowohl mehr Erfindungen als auch mehr Fantasie von dem Regisseur, der sich wirklich um eine werkgetreue Arbeit bemüht. Man kann davon ausgehen, daß in bezug auf Sprache und Stil der Film in einem direkt proportionalen Verhältnis zur Werktreue steht. Aus den gleichen Gründen, aus denen eine Wort-fürWort-Übersetzung untauglich und auch eine zu freie Übersetzung zu verurteilen ist, muß eine gute Adaption das Original in seiner Substanz nach Wort und Geist wiederherstellen können. Wir wissen aber, daß eine gute Übersetzung eine sehr vertraute Kenntnis der Sprache und des ihr eigenen Geistes erfordert.“ Bazin (1975), 57.
10 Auch heute ist es für einen Filmemacher häufig einfacher, Gelder für seinen Film zu akquirieren, wenn das Drehbuch auf einem bekannten literarischen Titel oder Bestseller basiert. So wird von der Geldgeberseite eher ein Publikumserfolg erwartet.
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entenseite eine übergeordnete Rolle zugeschrieben. Dieser Trend spiegelte sich auch in der Forschung wider. Der Verfilmung wurde dabei noch keine große Individualität zugestanden. Die wohl populärste Klassifizierung von Adaptionen in Bezug auf Werktreue hat Kreuzer entwickelt; sie findet vereinzelt noch heute ihre Anwendung. Darin unterscheidet er zwischen einer „Adaption als Aneignung von literarischem Rohstoff“11, der Illustration12 mit ihrem Prinzip der Werkimmanenz und der interpretierenden Transformation, bei der nicht nur die Inhalte der Vorlage übertragen, sondern auch „ihr Zeichen- und Textsystem, ihr Sinn und ihre spezifische Wirkungsweise erfasst“ werden, so dass „im anderen Medium in der anderen Kunstart und der anderen Gattung aus einem anderen Zeichenmaterial ein neues, aber möglichst analoges Werk entsteht“13. Kreuzer unterstreicht jedoch, dass bei der interpretierenden Transformation „der Werkbezug zum ‚Original‘ dennoch nicht negiert, sondern prinzipiell festgehalten wird“14. Zuletzt bestimmt Kreuzer noch eine weitere Adaptionsart: die Dokumentation. Häufig lässt sich Kreuzers Typologie nur auf einen Teil des Films anwenden, da es sich in vielen Fällen um Mischformen handelt. Gast entwickelte ein Konzept, welches die Adaptionen anhand der inhaltlichen Gestaltung unterscheidet15: die aktualisierte, die aktuell-politisierende, die ideologisierende, die historisierende, die ästhetisierende, die psychologische, die popularisierende und schließlich die parodierende Adaption. Bei Buddecke/Hienger werden lediglich zwei Transformationstypen unterschieden: die „Illustrierung“ und die „Visualisierung“16. Hagenbüchle unterscheidet die „stoffori-
11 Kreuzer (1981), 36. 12 Kreuzer nennt diese Form der Adaption auch die „bebilderte Literatur“. „Sie hält sich, so weit im neuen Medium möglich, an den Handlungsvorgang und die Figurenkonstellation der Vorlage und übernimmt auch wörtlichen Dialog, ja unter Umständen einen längeren auktorialen Erzähltext, der im Off gesprochen wird, während gleichzeitig die Bilder des Films ablaufen.“ Kreuzer (1981), 36.
13 Kreuzer (1981), 37. Der Begriff der Transformation ist von Irmela Schneider (Der verwandelte Text, vgl. II.2.) in die filmanalytische Diskussion eingeführt worden und spielt seitdem eine wichtige Rolle bei der Funktionsbestimmung von Literaturverfilmungen.
14 Kreuzer (1981), 37. Hervorhebung im Original. 15 Gast (1993), 49ff. 16 Buddecke/Hienger (1979), 20f.
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entierte“, die „illustrierende“, die „analogisierende“ und die „ideologisierende Adaption“17. Die Untersuchungen zur Literaturverfilmung lösten sich in den vergangenen Jahrzehnten von ihrer auf die Werktreue zentrierten Blickweise. „Der Grund für diesen Wandel der Konzepte liegt in einem anderen Verständnis der Relation Film/Literatur: für die Anhänger des neuen ‚Autorenfilms‘ stehen sich Literatur und Film nicht mehr als zwei hierarchisch abgestufte und distinkte Medien (konstitutiv für die Literaturverfilmung traditionellen Zuschnitts) gegenüber, sondern der Film erscheint nun selbst den Literaten als ein literaturfähiges Medium.“18 Ziel vieler Analysen ist es nun, die Verfilmungen auf ihre Strukturen, ihre semiotischen Transformationen und auf ihre Wirkung hin zu untersuchen. Unterschiedliche Methoden wurden dazu entwickelt. Bisher erstellt wurden Adaptionstypologien (z.B. Estermann 1965 und Kreuzer 1980), medienpädagogische und -didaktische Ansätze (Gast 1993, Wolff 1980) sowie narrative Vergleiche (Schneider 1981, Wolf 2002). Ferner wurden mediale Transformationsprozesse und intermediale Beziehungen zwischen Literatur und Film untersucht (z.B. Hess-Lüttich 1987). Weiterhin gibt es eine universitäre Filmphilologie (z.B. Kanzog 1997/2001, Schaudig 1992, Buchloh 1982), „die an der Vermittlung von filmischer und literarischer Narrativik arbeitet und die Adaptionsanalyse linguistisch zu fundieren sucht“19, und Forschungen zur Medienkomparatistik (Schaudig 1992). Man setzt sich mit der historischen Vermittlung auseinander (Paech 1997, Adam 1984), und es werden semiotisch-strukturalistische Ansätze entwickelt, welche die Filmsprache und Aspekte der Narration untersuchen (Schneider in Deutschland, Barthes und Metz in Frankreich sowie Eco in Italien). Des Weiteren sind psychologische Ansätze zu nennen, die sich mit den Aspekten der Filmwahrnehmung auseinandersetzen (Schumm/Wulff 1990, Hickethier 1990, Mikunda 2002), sowie kognitive Filmnarratologien (Bordwell 1988, Branigan 198420).
17 Hagenbüchle (1991), 48f. 18 Albersmeier/Roloff (1989), 34. Peter Handke zum Beispiel schrieb nicht nur Drehbücher (u.a. zusammen mit Wim Wenders Der Himmel über Berlin [1987]), sondern führte auch selbst in Filmen Regie (z.B. Die linkshändige Frau [1978]).
19 Albersmeier/Roloff (1989), 22. 20 Über die angelsächsische Forschung (vor allem in Großbritannien) siehe Horst Werner Blankes Forschungsbericht: Film und Literatur. Ein Überblick über englischsprachige Veröffentlichungen der Jahre 1970-1980.(1982), 221-234.
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Dabei kann man den Großteil dieser Untersuchungen in zwei Forschungsrichtungen unterteilen: Zum einen in die Adaptions- oder Transformationsforschung, welche die Verfilmung und Verfilmbarkeit literarischer Werke untersucht. Sie ermittelt die Regeln, mit denen die in einer literarischen Vorlage erzählte Geschichte in das Medium Film umgesetzt wird. Diese Regeln oder Methoden werden klassifiziert und bewertet (u.a. Estermann 1965, Schneider 1981, Paech 1988, Mundt 1994, Kanzog 1997). Zum anderen konstituiert sich gegen Ende der 1970er Jahre eine intermediale Narratologie in unterschiedlichen Disziplinen (v.a. Literatur- und Kulturwissenschaften, Medien-, Geschichtswissenschaft und Psychologie). Die intermediale Narratologie sammelt „Erkenntnisse über Art, Funktion und Wirkung der von Literatur und Film verwendeten Zeichen und Darstellungsmittel“ und verfolgt so „die Entwicklung einer vergleichenden und medienübergreifenden Typologie narrativer Techniken“21 (u.a. Genette 1994, Chatman 1990, Schaudig 1992, Wolf 2002, Mahne 2007). Die gattungs-, medien- und fächerübergreifende Relevanz der Erzähltheorie liegt vor allem darin begründet, dass Erzählungen in vielen Disziplinen als Untersuchungsobjekte und/oder als Darstellungsmodi eine wichtige Rolle spielen. Mittelpunkt dieser Forschung sind spezielle mediale Erzähltechniken wie Erzählinstanz, Perspektive bzw. point of view und Erzählen/Beschreiben/Zeigen, voice oder Fokalisierung. Beide Richtungen stimmen in ihrem Analyseaufbau überein, indem sie Literatur, Film und andere Medien in Bezug auf narrative Strukturen vergleichen, „da die Eigenschaft, einen komplexen, eventuell auch mehrsträngigen Plot zu entwickeln, als maßgebliche Übereinstimmung beider Medien angesehen wurde“22. Die Adaptionsforschung und die intermediale Narratologie unterscheiden sich aber in ihrem jeweiligen Ziel: Die Adaptionsforschung verfolgt eine Theorie des Medienwechsels, die intermediale Narratologie eher eine allgemeine, von der Literatur auf andere Kunstformen übertragbare Erzähltheorie. Anhand dieses verkürzten Überblicks über die verschiedenen Forschungslinien wird deutlich, dass es seit Jahrzehnten ein vielseitiges Bestreben nach der Untersuchung und Erstellung einer übersichtlichen Methodik für Literaturverfilmungen bzw. deren theoretischer Systematisierung gibt. Dabei spezialisieren und orientieren sich verschiedene Wissenschaftler auf unterschiedliche Teilge-
21 Tschilschke (2000), 17. 22 Poppe (2007), 15.
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biete dieses großen Komplexes23. Der Film ist nicht nur Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung innerhalb der Disziplinen Film- und Literaturwissenschaft, sondern auch innerhalb der Psychologie, Soziologie, Kunst- und Kulturwissenschaft. Im folgenden Kapitel sollen einige Theoriekonzepte24 exemplarisch vorgestellt werden, die auch für die Argumentation dieser Arbeit wichtige Referenzpunkte bilden.
2. M EDIENWECHSEL
UND
T RANSFORMATION
VON
T EXT
Während bisher allein die Begriffe ‚Film und Literatur‘ oder ‚Adaptionsforschung‘ die Debatte bestimmten, „beginnt 1990 der Terminus ‚Intermedialität‘ [in die Geisteswissenschaften] Einzug zu halten, und schon 1992 ist ‚Intermedialität‘ plötzlich in aller Munde“25. Die Einbeziehung nichtliterarischer Phänomene in die Literaturwissenschaft löste zu Beginn Bedenken aus26. Später versuchte man, Intermedialität von der Intertextualität abzugrenzen. Dass beide Konzepte insofern miteinander verkoppelt sind, als der Intermedialitätsbegriff aus dem Intertextualitätskonzept stammt, gilt heute als Konsens der Forschung. „Dabei wird ‚Intertextualität‘ in der überwiegenden Zahl der Fälle für verbalsprachliche Ausdrucksformen bzw. ‚literarisch-textuelle Bedeutungskonstruktionen‘ reserviert,
23 Einen umfassenden Überblick über alle Forschungslinien innerhalb der Literaturverfilmungen bis Ende der 1980er Jahre bietet der Band von Albersmeier/Roloff Literaturverfilmung (1989), 15–37.
24 Die vorliegende Untersuchung setzt sich mit der in Text und Film nachweisbaren Darstellung von figurativen Innenwahrnehmungen auseinander. Die sich bereits daraus ergebende große Menge an Darstellungen von figurativen Innenwahrnehmungen würde, mit zusätzlichen empirischen und wahrnehmungspsychologischen Analysen zu Rezeptionsprozessen, den Rahmen dieser Arbeit überschreiten. Der empirische Beweis dafür, was bei der Lektüre eines Textes oder beim Sehen eines Filmes im Rezipienten vorgeht, steht nach wie vor aus. Die neurobiologischen Vorgänge im Gehirn des Lesers und Zuschauers sind seit Längerem Forschungsgegenstand der Neurowissenschaften. Vgl. dazu Christa Maar/Ernst Pöppel u.a. (Hrsg.): Die Technik auf dem Weg zur Seele. Forschungen an der Schnittstelle Gehirn/Computer, Reinbeck 1996, 12–19.
25 Rajewsky (2002), 42. 26 Vgl. Wolf (1996), 85–116.
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während der Terminus ‚Intermedialität‘ auf die Überschreitung medialer Grenzen zielt.“27 Studien zur Intertextualität und zur Intermedialität fokussieren also jeweils unterschiedliche Aspekte des Werks und setzen andere Akzente hinsichtlich des Erkenntnisinteresses. Bei der Intertextualität findet diese Bezugnahme allerdings innerhalb des Mediums statt, bei der Intermedialität werden wiederum Mediengrenzen überschritten. Vor diesem Hintergrund definiert Rajewsky Intermedialität als „Mediengrenzen überschreitende Phänomene, die mindestens zwei konventionell als distinkt wahrgenommene Medien involvieren.“28 Diese Phänomene unterteilt Rajewsky in intermediale Bezüge (z.B. Bezüge eines literarischen Textes auf einen bestimmten Film oder auf ein Filmgenre, etwa Road Movie), in Medienwechsel (z.B. Literaturverfilmung) sowie in Medienkombinationen (z.B. Photoroman, Oper). Insbesondere auf den Medienwechsel soll in diesem Kapitel vertieft eingegangen werden. Dabei betrifft „[d]ie Qualität des Intermedialen [...] hier den Produktionsprozeß des medialen Produkts, also den Prozeß der Transformation eines medienspezifisch fixierten Prä›textes‹ bzw. ›Text‹substrats in ein anderes Medium, d.h. aus einem semiotischen System in ein anderes“29. Vor allem die Analyse von Kontinuitäten und Veränderungen, die sich beim Medienwechsel von figurativen Innenwahrnehmungen von einem Medium in ein anderes (mit seinem jeweils spezifischen Code) ergeben, sind in dieser Untersuchung von Interesse. „A filmic adaption is automatically different and original due the change of medium.“30 Es wird davon ausgegangen, dass das Zielmedium
27 Rajewsky (2002), 45. 28 Rajewsky (2002), 19. Allerdings gibt es bis heute keine einheitliche Definition von Intermedialität. „Dabei findet eine Reihe weiterer Begriffe Verwendung, die z.T. als Sub-Kategorien der Intermedialität, z.T. aber auch als gleichwertige Kategorien betrachtet werden: ‚Multimedialität‘, Poly‘- oder ‚Plurimedialität‘, ‚Transmedialität‘, ‚Medienwechsel‘, ‚Medientransfer‘, ‚mediale Transformationen‘, sind Termini, die im Rahmen dieser Debatte zum Tragen kommen, jedoch immer wieder anders definiert und verwendet werden. Mixed media, Ekphrasis, transposition d’art, ut pictura poesis, ‚Veroperung‘, Verfilmung oder Adapt(at)ion, ‚Verbuchung‘ oder ‚novelization’, Musikalisierung der Literatur, Narrativisierung der Musik, Digitalisierung des Films, Klangkunst, Hyperfiction, multimediale Computertexte und Aspekte wie die Doppelbegabung von Künstlern sind nur der Beginn einer langen Reihe von Phänomenen, die unter dem ‚Schirm‘ der Intermedialität ihren Platz finden.“ (Rajewksky [2002], 6)
29 Rajewsky (2002), 16. 30 Stam (2005), 17.
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„neue Darstellungspotenziale und Gestaltungsmöglichkeiten und somit vielfältige Möglichkeiten der innovativen Fortschreibung des Ausgangstextes“31 im neuen Medium eröffnet. Bisher ist die Untersuchung von Literaturverfilmungen der am besten erforschte Bereich in der Intermedialitätsforschung. Hervorzuheben sind die Untersuchungen von Schneider (1981), Renner (1983), Schachtschabel (1984), Hagenbüchle (1991), Kanzog (1991), Schaudig (1992), Mundt (1994), Hurst (1996) sowie Stam/Raengo (2005), auf die in diesem Kapitel näher eingegangen wird. Vor allem durch die gehäufte Verwendung von literarischen Stoffen, Motiven oder Themen in Filmen, Hörspielen, Theaterstücken Opern, Musicals, Comics usw. rückt die Analyse des Medienwechsels und der Transformation dieser Stoffe in den Mittelpunkt vieler Studien. Nicht nur Kanzog stellt fest, dass „erst durch den Vergleich der verschiedenen Realisationen das jeweils eigene erkannt und die Voraussetzung deutlich [wird], unter der diese Werke zwangsläufig auf Merkmalkomplexionen ihres Sujets reduziert und neu strukturiert werden“32. Dabei versteht man unter einem Medienwechsel „die Überführung von Thema, Handlung oder argumentativer Struktur eines Textes von einem Medium in ein anderes. [...] Einerseits müssen die konstitutiven Bedeutungs- und Informationsstrukturen des Ausgangstextes beim Transfer in den Zieltext weitgehend erhalten bleiben. Andererseits unterliegen literarische Themen, Erzählhaltungen, Handlungsabläufe, Figurenkonstruktionen oder Personenkonstellationen im Medienwechsel massiven Veränderungen, weil die Zeichensysteme von Ausgangs- und Zielmedium sich grundlegend voneinander unterscheiden.“
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Auch Rajewsky definiert den Medienwechsel als „Transformation eines medienspezifisch fixierten Produkts bzw. Produkt-Substrats in ein anderes, konventionell als distinkt wahrgenommenes Medium“, bei dem nur das kontaktnehmende Medium „materiell präsent“34 ist (im Fall der Literaturverfilmung also der Film).
31 Bogner (2007), 484. Neben dem vollzogenen Medienwechsel (von Literatur zu Film) verfügen die untersuchten Schnitzler-Texte zudem über intermediale Bezüge: die literarische Visualisierungsstrategie der Ekphrasis, eine filmische Schreibweise (Traumnovelle), das Musikzitat (Fräulein Else) oder auch die Thematisierung anderer Medien (Fräulein Else, Traumnovelle).
32 Kanzog (1987), 243. 33 Bogner (2007), 484. 34 Rajewsky (2002), 19.
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Die Adaptions- oder Transformationsforschung sowie die intermediale Narratologie untersuchen den Medienwechsel und beschäftigen sich mit der Rekonstruktion der durch den Medienwechsel veränderten Zeichensysteme, stellen narratologische Vergleiche an und analysieren die Transformation der Zeichen vom Ausgangs- ins Zielmedium. Da die Transformation zwischen unterschiedlichen Textsystemen35 stattfindet, stellt sich die Frage, wie einzelne Komponenten eines literarischen Textes in das Medium Film transformiert werden. Dabei bezeichnet eine Transformation allgemein die Veränderung der Gestalt, Form oder Struktur. Sie kann ohne Verlust des Inhalts erfolgen, kann aber auch Handlungselemente verändern. Zum einen wird die Auffassung vertreten, dass „[die] Transformation eine Möglichkeit für den künstlerischen Prozess von freier Gestaltung und Kombination kinematographischer Codes [ist].“36 Andere Forschungen sehen Literaturverfilmungen und die damit verbundene Transformation des Textsystems zunächst als „Analogiebildungen zu literarischen Vorlagen“37. Kreuzer meint: „Transformation soll heißen, daß nicht nur die Inhaltsebene ins Bild übertragen wird, daß vielmehr die Form-Inhalts-Beziehung der Vorlage, ihr Zeichen- und Textsystem, ihr Sinn und ihre spezifische Wirkungsweise erfaßt werden und daß im anderen Medium, in der anderen Kunstart und der anderen Gattung aus einem anderen Zeichenmaterial ein neues, aber möglichst analoges Werk entsteht. Diese Analogie erfordert nicht, daß der Dialog wörtlich genommen wird, im Gegenteil: Sie kann erfordern, daß er geändert wird, um gerade dadurch im Kontext des Films eine analoge Funktion auszuüben.“
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Auch Irmela Schneider rückt die Analogiebildung in den Mittelpunkt ihrer Forschung zur Literaturverfilmung. In ihrem, für viele weitere Studien wegweisen-
35 Den Begriff „Textsystem“ definiert im deutschsprachigen Raum zuerst Irmela Schneider (und übernimmt den Begriff von Christian Metz [1973], 82). Bei einer Literaturverfilmung wird demnach nicht der Text als materielle Basis transformiert, sondern ein Textsystem, „das auf der Basis unterschiedlicher Codes aufbaut“ (Schneider [1981], 120). Dieses wird in ein filmisches Textsystem transformiert und bildet ebenfalls ein Bedeutungsgefüge, welches aus unterschiedlichen Codes besteht.
36 Söller (2001), 82. Schneider geht davon aus, dass der kinematographische Code dem Film eigen ist, im Gegensatz zum filmischen Code, den der Film mit anderen Künsten gemeinsam hat (Schneider [1981], 98f.).
37 Kanzog (1984), 45. 38 Kreuzer (1981), 37.
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den Band Der verwandelte Text39, stellt sie die These auf, „daß Literaturverfilmungen Analogiebildungen zur literarischen Vorlage sein sollten“. Schneider relativiert diese Aussage sogleich, indem sie feststellt: „Diese Annahme wäre mißverstanden, wenn man daraus ableiten wollte, daß, wann immer ein Film nach einem literarischen Text gestaltet wird, er zu dieser Analogiebildung verpflichtet wäre. Zahlreiche gelungene Filme, die nur mehr periphere Bezüge zu ihrer Vorlage aufweisen, zeigen die Fragwürdigkeit bzw. Unhaltbarkeit einer solchen Norm. Die Absicht dieses normativen Kerns dürfte verständlich werden, wenn man sich als Alternative zu dem was hier Analogiebildung [...] genannt wird, die sog. ‚Bebilderung‘ von literarischen Texten vor Augen hält.“
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Der von Schneider entwickelte Begriff ‚Analogiebildung‘ beschreibt also nicht die reine Bebilderung einer Textvorlage. Vielmehr geht es „um die Umsetzung einer literarischen Vorlage in filmische Bilder, bei der intentionale Analogien zum literarischen Text feststellbar sind, die es verbieten, die literarische Vorlage als puren Stofflieferanten zu bestimmen“41. Für Schneider ist die intentionale Analogie ein wichtiger Faktor für die Untersuchung von Literaturverfilmungen. Des Weiteren konstatiert Schneider über Verfilmungen: „Wenn von Literaturverfilmung gesprochen wird, so handelt es sich immer um die Transformation eines Systems, nicht um die Transformation eines Realisierten, einer Manifestation eines Systems“42. Bei der Literaturverfilmung wird nicht der Text als materielle Basis transformiert, sondern das Textsystem. Beide Textsysteme (literarische und filmische) stehen in einer analogen Beziehung, allerdings stellt sie fest: „Wenn hier von Analogiebildung zur literarischen Vorlage gesprochen wird, so meint dies nicht eine Strukturverwandtschaft in den Zeichensystemen, sondern eine Strukturverwandtschaft in der Art der Verwendung der Zeichensysteme, im Umgang mit den Codes.“43 Ihre semiotischen Überlegungen zur Transformation sollen hier näher betrachtet werden. Nach Schneider handelt es sich um eine Literaturverfilmung, wenn „ein wortsprachlich-erzählender Text, der sich als Bedeutungsgefüge bestimmen lässt, das auf der Basis unterschiedlicher Codes aufbaut, in einen filmischen Text transformiert [wird], der gleichfalls ein Bedeutungsgefüge bildet, das
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Schneider (1981). Schneider (1981), 293. Schneider (1981), 119. Schneider (1981), 123. Hervorhebung im Original. Schneider (1981), 161.
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auf der Basis unterschiedlicher Codes beruht“44. Ihr semiotischer Ansatz konzentriert sich auf die Beschreibung dieser Codes. Sie unterscheidet zunächst die Codes nach dem Kriterium, ob die übermittelte Information von der spezifischen semiotischen Realisierung abhängig ist oder nicht. Die davon abhängigen Codes bezeichnet sie als sprachlich-spezifische Codes, die davon unabhängigen als nicht-sprachlich-spezifische Codes, zu denen die narrativen, die kulturellen sowie die Codes des Wissens zählen. Schneider möchte ermitteln, „inwieweit nicht-sprachlich-spezifische Codes ‚unmittelbar‘ in der Literaturverfilmung wirksam werden bzw. in welcher Kombination sie mit anderen Codes stehen“45. Besonders die narrativen Codes werden dabei von ihr als ein zentrales Kriterium für die Analogie zwischen den Textsystemen Literatur und Film angesehen. Ein narrativer Code ist „das Regelsystem [...], das die Produktion und das Verstehen von Handlungsabläufen und Ereignissen betrifft [... sowie] das Regelsystem für die Transformation eines Geschehens in die erzählende Redeform, unabhängig von der Sprache, in der erzählt wird“46. Mit Hilfe des narrativen Codes sollen unterschiedliche Erzähltexte miteinander verglichen werden. Schneider spricht auch von der Übertragung von „Sinn“ und geht von der Hypothese aus, „daß es ein Regelsystem gibt, mit dem man Analogien des Sinns eines Textes in einem Text mit verändertem Zeichensystem herstellen kann“47. Dieses Regelsystem nennt sie Transformationscodes. Schneiders vorformuliertes Ziel, „die Bedingungen [... zu] ermitteln, unter denen eine Erzählung mit der in einem anderen Semiosen-Kontext realisierten Erzählung so verglichen werden kann, daß von ihrer semiotischen Realisierung abstrahiert ist, d.h. daß sie den Status eines tertium comparationis zwischen wortsprachlichem und filmischem Erzähl-Text erhält“48, kann theoretisch erfüllt werden. Allerdings werden keine praktischen Instrumentarien entwickelt, um unterschiedliche Text-Systeme miteinander vergleichen zu können. Besonders Schneiders Ausführungen zu den nicht-sprachlich-spezifischen Codes (kulturelle Codes und Codes des Wissens), der intentionalen Analogie und zur Analogie vom Sinn eines Textes mit einem Text mit verändertem Zeichensystem sind für diese Arbeit relevant.
44 Schneider (1981), 120. Diese Definition von Literaturverfilmung hat auch die Gleichberechtigung beider Textsysteme auf der theoretischen Ebene gesichert.
45 Schneider (1981), 148. 46 Schneider (1981), 136. Hervorhebung im Original. 47 Schneider (1981), 198. Dieses Regelsystem wird aber in ihrer Arbeit leider nicht umfassend konkretisiert.
48 Schneider (1981), 137.
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Allein Schneiders Behauptung, der Film habe zwar einerseits „durch die Kamerahandlung, wie der literarische Text, die Möglichkeit des Perspektivenwechsels“, jedoch erlaube es die Kamerahandlung andererseits nicht „zwei Perspektiven gleichzeitig aufscheinen und damit das Geschehen ambivalent werden zu lassen“49, kann hier nicht zugestimmt werden. Schließlich klammert Schneider die Erzählkompetenz der Kamerabewegung, der Perspektive (Ober- oder Untersicht), des Lichts, der Farben oder der Musik komplett aus. Doch gerade diese filmischen Mittel ermöglichen eine Simulation verschiedener Perspektiven und können letztendlich auch figurative Innenwahrnehmungen evozieren. Ein weiterer strukturalistischer Forschungsansatz zur Literaturverfilmung ist der von Karl Nikolaus Renner, welcher sich auch mit dem Begriff der „adäquaten Literaturverfilmung“50 auseinandersetzt. Renner differenziert zwischen primären (Denotation) und sekundären Bedeutungssystemen (Konnotation). „Konnotationen eines Zeichens können sehr verschiedenartig sein, angefangen von privaten Assoziationen bis hin zu präzise beschreibbaren Zusatzbedeutungen, die vom Kontext gesteuert werden.“51 Das primäre Bedeutungssystem hat immer Vorrang, „ein literarischer Text [muss] immer zuerst als ein normalsprachlicher Text gelesen werden [...], bevor man darangehen kann, die sekundären Bedeutungen zu dechiffrieren“52. Renner möchte für die primäre und sekundäre Bedeutungsebene Adäquatheitskriterien entwickeln. Er betont, dass er die „Adäquatheit“ einer Verfilmung stets nur deskriptiv, nicht normativ bestimmt. „Als Adäquatheit wird dabei jene Eigenschaft eines Filmes aufgefaßt, die einen so engen Zusammenhang zwischen diesem Film und einem Text entwickelt, daß der Film als Verfilmung dieses Textes gilt. Die Adäquatheit bezeichnet demnach ein bestimmtes Abbildungsverhältnis zwischen den beiden Objekten Text und Film, das bestimmte Minimalbedingungen zur ‚Identifizierung‘ der beiden semiotischen Objekte erfüllt.“
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Schneider (1981), 190. Renner (1983). Renner (1983), 26. Renner (1983), 26. Renner (1983), 18.
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Er führt an, dass die Untersuchung dieser Adäquatheit damit beginnt, im Text charakteristische Elemente zu bestimmen, „die eine Identifizierung des Films mit dem Text erlauben“54. Um allerdings „Bedeutungsverschiebungen“ zwischen Text und Film zu lokalisieren, „muß [...] neben der mehr oder minder invarianten Wiedergabe dieser Elemente auch ihre Funktion im Film beschrieben werden“55. Diese Elemente sind, so Renner, auf der Ebene der histoire angesiedelt. Renner bezieht sich vor allem auf Jurij M. Lotmans Überlegungen zur narrativen Theorie und insbesondere auf dessen Ereignisbegriff. Dem Paradigma des Ereignisses liegt die Unterscheidung zwischen „sujetlosen“ und „sujethaftigen“ Texten zugrunde, die „Versetzung einer Figur über die Grenze eines semantischen Feldes“56. „Das Ereignis wird gedacht als etwas, was geschehen ist, obwohl es auch nicht hätte zu geschehen brauchen. Je geringer die Wahrscheinlichkeit ist, daß ein bestimmtes Ereignis eintritt (d.h. je mehr Informationen die Mitteilung darüber enthält), desto höher rangiert es auf der Skala der Sujethaftigkeit.“57 Die narrative Struktur eines Textes, die histoire, kann, so Lotman, als die in sich hierarchisch geordnete Abfolge von Ereignissen definiert werden, „[...] wodurch Bedeutungsverschiebungen zwischen Text und Film bereits durch die narrative Analyse sichtbar gemacht werden können“58. Renners Text-Film-Vergleich, der von der Wortebene des Textes ausgeht und vor allem die narrativen Strukturen untersucht, ist in Teilen seiner Grundüberlegungen (äußere vs. innere Handlung, Perspektivierungen) auch für diese Arbeit relevant. Besonders Renners Überlegungen zu den charakteristischen Elementen im Text und deren eventuellen Bedeutungsverschiebungen im Film können auch für diese Untersuchung von Nutzen sein. In der medienkomparatistischen Studie Literatur im Medienwechsel untersucht Michael Schaudig nicht nur Literaturverfilmungen, sondern auch die Transformation von Literatur zu anderen Medien (z.B. dem Hörspiel). Auch er bezeichnet (ähnlich wie Schneider) die filmische Adaption als Transformation.
54 Renner (1983), 19. In seinem Beispiel, der Kleist-Novelle Der Findling, wählt er unter anderem die Heirat zwischen Nicolo und Constanza. In der Verfilmung von 1966/67 findet diese Hochzeit auch statt. Für Renner ist so der eindeutige Nachweis dieses charakteristischen Elements im Film erbracht.
55 56 57 58
Renner (1983), 19. Lotman (1993), 332. Lotman (1993), 336. Renner (1983), 20.
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Der Autor stellt in seiner Untersuchung ausführlich ein Modell für die Segmentierung und Protokollierung von Strukturmustern der verschiedenen Texte vor. Ziel ist es, eine möglichst intersubjektiv überprüfbare Deskriptionsbasis zu erarbeiten, womit ein „systematischer Vergleich der einzelnen Muster von Medialadaptionen und literarischer Vorlage“59 ermöglicht wird. Auf Basis datenreduzierter Strukturprotokolle können somit „medientechnologisch differente Texte untereinander vergleichbar“60 gemacht werden, was auch für diese Untersuchung relevant ist. Zudem trifft Schaudig in seiner Studie grundlegende Aussagen zu den Begriffen ‚Medienwechsel‘ und ‚Transformation‘: „Wird ein künstlerisches Werk aus dem Präsentationszusammenhang seines originären Mediums gelöst und für ein anderes Medium genutzt, so ist der Akt dieses Transformationsprozesses als Medienwechsel, sein Ergebnis als Adaption zu bezeichnen.“61 Dabei, so Schaudig, interessiert die Literaturwissenschaft am Medienwechsel vor allem die Frage nach dem Erfüllungsgrad der thematischen, stofflichen und gestalterischen Adaption der literarischen Vorlage und dem Transformationsprozess. „Hinsichtlich des auf literarischen Texten basierenden Medienwechsels ist ‚Transformation‘ somit zu definieren als eine nach spezifischen medientechnologischen Konditionen vorgenommene Übertragung von deskriptiven, narrativen und argumentativen Elementen eines Zeichensystems (Ausgangstext) in ein anderes Zeichensystem (Zieltext), unter weitgehender Erhaltung der konstitutiven Bedeutungs- und Informationsstrukturen.“
62
Dabei kann sich der Medienwechsel auf verschiedenen Ebenen vollziehen: als interliterarische Adaption, szenische Adaption, Adaption und szenische Realisierung, multiple Realisierung sowie multimediale Realisierung und schließlich als „technisch reproduzierende Realisierung durch die Medien Kino, Hörfunk und Fernsehen“63, welche Schaudig näher untersucht. Dabei unterscheidet er zwi-
59 Schaudig (1992), 150. Im Verlauf seiner Überlegungen bezieht sich Schaudig auch auf wahrnehmungspsychologische Aspekte, die in dieser Untersuchung nicht näher expliziert werden können.
60 61 62 63
Schaudig (1992), 320. Schaudig (1992), 25. Schaudig (1992), 25. Hervorhebung im Original. Schaudig (1992), 26.
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schen textsemantischer, pragmatischer und systemtheoretischer Medienkomparatistik64. Hauptaufgabe seiner Untersuchung ist die „Bereitstellung von zitierfähigen Protokollen, um eine intersubjektiv überprüfbare Deskriptionsbasis für die analytischen Rekonstruktionen von nicht-literalen medialen Realisationen zu gewährleisten“65. Er stellt Kriterien der Segmentierung auf, welche „die Analyse von Merkmalanalogien und Strukturrelationen ermöglichen [...], wobei die medientechnologischen Voraussetzungen einzubeziehen sind“66. Das soll mit Hilfe einer Segmentierung nach dramentypischer Konfiguration67 oder nach den (für audiovisuelle Medien typischen) Einstellungen erfolgen. Ferner möchte Schaudig die Texte nach Substrukturen segmentieren: nach dem Strukturmuster der formalen Organisation, des Figureninventars, der Raumkonzeption, der Zeitkonzeption, der Verbalisation und der Handlungskonzeption. Zudem verwendet Schaudig für seine Protokollierung auch die Kriterien Figurenpräsenz, Schauplatzwechsel, Musikeinspielung usw. „Hieraus resultierte die Quantifizierbarkeit der einzelnen Varianten, so daß für die Auswertung der Strukturprotokolle dann synoptische Statistiken zur Verfügung standen, die die Ausgangsbasis für die innerhalb der
64 Schaudig (1992), 91. „Die medienkomparatistische Untersuchung der Transformation eines ‚Ausgangstextes‘ in einen ‚Zieltext‘ hat sich primär am Beziehungsgeflecht der in jedem Text gegebenen medientechnologisch determinierten Grundstrukturen seiner Textualität zu orientieren; denn diese steuern die Medialität, d.h. den medientechnologischen Status des jeweiligen Textes.“ Diese Medialität kann durch Medienspezifität, Intermedialität, Transmedialität sowie Multimedialität gekennzeichnet sein, wobei, so Schaudig, die Medienspezifität und die Intermedialität die „Knotenpunkte des medialen Beziehungsgeflechts“ darstellen. (Schaudig [1992], 134f. Hervorhebung im Original.) Seine medienkomparatistische Analyse orientiert sich an diesen beiden Positionen. Schaudig hält sich an den philologischen Ansatz der textsemantischen Analyse eines Adaptionsmodells, in dessen Mittelpunkt der Medienwechsel steht. Des Weiteren bezieht Schaudig in seine Analyse auch Aspekte der Kybernetik und Informatik ein, bei denen der menschliche Wahrnehmungsprozess bzw. wahrnehmungspsychologische Aspekte als Informationsverarbeitung betrachtet werden. Demnach bezieht sich Schaudig nicht auf die Ansätze der Transformation narrativer Strukturen bzw. Codes, die bisher im Bereich der Theorie der Literaturverfilmung als theoretische Basis angenommen wurden, sondern auf die Mustererkennung aus der Kybernetik und Informatik (S. 148ff.).
65 Schaudig (1992), 156. 66 Schaudig (1992), 156ff. 67 Anhand der strukturalistischen Dramentheorie. Vgl. Schaudig 157ff.
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textkonstitutiven Strukturmuster zu leistenden Transformationsanalysen stellten.“68 Auch die Studie Transformationsanalyse (1994) von Michaela Mundt hat die Intention, ein allgemeines Untersuchungsmodell „zur praktisch-analytischen Auseinandersetzung“ mit Literaturverfilmungen zu entwerfen, um so schrittweise den „Prozeß der intermedialen Texttransformation“69 systematisch beschreiben zu können und ein „Konzept einer textimmanenten Transformationsanalyse zu entwickeln“70. Ziel ihrer detailreichen Arbeit ist eine praxisorientierte Untersuchungssystematik für Literaturverfilmungen. Diese soll in einem schematischen Protokoll zusammengefasst werden, um eine intersubjektiv überprüfbare Vergleichsgrundlage zwischen Text und Bild zu schaffen. Im Mittelpunkt ihrer Untersuchung steht somit eine systematische Rekonstruktion und Protokollierung der (von ihr näher betrachteten) allgemeinen narrativen Basisparadigmen Raum, Figur, Geschehen und Zeit. Mundts Untersuchung basiert auf der Grundannahme, dass die Literaturverfilmung einem Kommunikationsprozess entspricht. Sie setzt damit Sender, Empfänger und Botschaft als Kommunikations-Komponenten voraus und geht von einem ambivalenten Codierungsprozess aus, der die Lektüre des literarischen Textes inbegriffen ist. „Die Botschaft als Signal, mit deren Decodierung der Prozeß der Rezeption als Produktion seinen Ausgang nimmt, ist die Zeichenträgerstruktur des literarischen Transforms [...]. Am Ende des Transformationsprozesses dagegen steht ein Textsystem, das auf eine Encodierung von Zeicheninhalten nach den Möglichkeiten des filmischen Zeichens zurückgeht.“71
Mundt stellt fest, dass beide Zeichensysteme unterschiedliche Zeichentypen verwenden: Der Code der verbalen Sprache bezieht sich auf arbiträre oder symbolische Zeichen, deren Beziehung auf Konventionen beruht. „Diese ihren se-
68 Schaudig (1992), 159. 69 Mundt (1994), 1. 70 Mundt (1994), 211. In ihrer Untersuchung bezieht sich Mundt auf Grundlagenwerke der Filmanalyse (u.a. Monaco und Faulstich), auf die Verfahrensweisen der strukturalistischen Narrativik (u.a. Kahrmann/Reiß/Schluchter, Lämmert und Stanzel, Genette wird nicht explizit genannt) sowie auf Irmela Schneiders Der verwandelte Text.
71 Mundt (1994), 17.
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mantischen Implikationen nach weitgehend verbindlichen und strukturell homogenen Komponenten werden dann syntaktisch zum Gesamttext verknüpft.“72 Der filmische Code bedient sich wiederum verschiedener akustischer und optischer Vermittlungskanäle, also verschiedener heterogener Zeichenträgertypen. „In diesem Zeichenträgersystem dominiert das visuelle Zeichen, und im Bereich der visuellen Zeichen wiederum das ikonische, also das im weitesten Sinne abbildende Zeichen.“73 Dazu kommen die akustisch-ikonische Ebene des Geräuschs, das Zeichensystem der Musik, der symbolische Code der verbalen Sprache (mündlich und schriftlich), die Arbeit mit verschiedenen Kameratechniken oder das gewählte Filmmaterial. Das filmische Zeichensystem ist somit heterogen. „Kennzeichnend ist, daß ein Film diese Zeichenträger zumeist nicht einzeln, sondern in Kombination verwendet, daß er sich also nicht – wie die bildende Kunst auf das visuelle oder die Literatur auf das sprachliche Zeichensystem – auf ein homogenes System beschränkt. Über die Kombination verschiedener, mit anderen Medien partiell gemeinsamen Zeichenträger hinaus aber konstituiert das filmische Zeichensystem Relationen, die nur für dieses Medium spezifisch sind.“
74
Dabei stellt Mundt fest, dass sich sprachwissenschaftliche Begriffe oder Analyseverfahren nicht analog auf Filmspezifika übertragen lassen. Mit dem Code der verbalen Sprache findet sich zwar eine Gemeinsamkeit, die aber in beiden Medien einen unterschiedlichen Stellenwert hat. Die medienspezifischen Zeichenstrukturen stellen, so schlussfolgert Mundt, in Bezug auf die Literaturverfilmung keine angemessene Vergleichsgrundlage dar, weil deren Code jeweils einen anderen Stellenwert im System hat.
72 Mundt (1994), 17. Hervorhebung im Original. 73 Mundt (1994), 17. Hervorhebung im Original. Mundt rekurriert hier implizit auf die Zeichenlehre von Peirce. Die indexikalischen Zeichen, welche auch für diese Untersuchung ein wichtiges Kriterium bilden, hebt auch Mundt hervor.
74 Mundt (1994), 19. Verwunderlich ist, dass an dieser Stelle weder Schneider noch Mundt explizit auf das dynamische Zeichensystem von Peirce verweisen. Lediglich in England setzte sich bereits 1969 Peter Wollen mit Peirce im Zusammenhang mit Literaturverfilmungen auseinander. In Deutschland folgten 1991 Kanzog und 1994 Schachtschabel.
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Die Autorin schlägt eine andere Vergleichsgrundlage vor: die der medienunabhängigen Zeicheninhaltsstrukturen75, womit Mundt die inhaltliche Fiktionalität der beiden Textsysteme meint. „Die fiktionale Referenz eines Textes bedingt seine funktionale Opposition zu Texten mit faktischer Referenz und stellt damit den zentralen Orientierungspunkt der Sinnbildung dar.“76 Der Rezipient nimmt eine bestimmte Haltung gegenüber einem Buch mit einer fiktionalen Handlung ein, genauso wie der Kinobesucher, der einen fiktionalen Film anschaut. Das ist für Mundt die „spezifische Grundstruktur der Textkommunikation, auf die beide Kommunikative in analoger Weise rekurrieren“77. Mundt isoliert vier Bereiche der narrativen Textstrukturierung: Raum, Figur, Geschehen und Zeit als Basisparadigmen aller Erzähltexte. Sie möchte ein narratives Schema78 herausarbeiten und dabei diesen Prozess in einem schematischen Protokoll systematisieren, um so eine intersubjektiv überprüfbare Vergleichsgrundlage zu schaffen und Erkenntnisse zur konzeptionellen Transformationsrelation (Analogiebildung, Interpretation und Eigenständigkeit) zusammen. Ihr Modell zielt allerdings stark auf eine textimmanente Transformationsanalyse ab; das Verhältnis zwischen Text und Kontext wird nicht beachtet, da nur die Transformation tatsächlich rekonstruierbarer Sachverhalte überprüft wird. Hurst analysiert in seiner Untersuchung Erzählsituationen in Literatur und Film literarische und filmische Erzählstrukturen. Durch Beschreibung und Systematisierung der Gestaltungsformen des kinematographischen Erzählvorgangs in drei typische (literarische) Erzählsituationen nach Stanzel (personal, auktorial, Ich-Erzähler) möchte er ein Werkzeug für die Analyse der Transformation von Erzählsituationen in literarischen Werken und deren Verfilmungen bereitstellen. Hurst vergleicht literarische Vorlage und filmische Adaption auf der Ebene der narrativen Prinzipien und Strukturen, nicht anhand von Werktreue-Paradigmen. Er schließt sich damit auch Hagenbüchle an, der die „narrative Struktur als tertium comparationis zwischen Literatur und Film“79 ansieht. Der in bisherigen Forschungen oft vertretenen Meinung, dass eine adäquate Umsetzung einer literarischen Ich-Erzählform in eine entsprechende filmische
75 Diese Gliederung der Zeichenstrukturen weist zu der Gliederung der Transformationscodes bei Schneider viele Parallelen auf.
76 77 78 79
Mundt (1994), 23. Mundt (1994), 24. Vgl. Schneider (1981), 138. Hagenbüchle (1991), 65. Beide rekurrieren auf Schneider (1981).
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Form unmöglich sei, widerspricht Hurst. Seine Forschungsergebnisse sollen aus diesem Grund hier näher betrachtet werden. Die Erzählsituation als Verbindungsglied zwischen Literatur und Film expliziert Hurst mit Hilfe der Erzähltheorie von Stanzel80 (Aspekte der Mittelbarkeit, Tiefenstruktur, Oberflächenstruktur) und dem filmsemiotischen Ansatz von Peters81 (Referenzakt, Prädikationsakt, illokutiver Akt). Anhand erzählperspektivischer Wirkungen des Films und seiner Erzählsituationen wird das filmische Erzählen in Bezug zum literarischen Erzählen gesetzt. Mit einer Beschreibung visueller Gestaltungsmöglichkeiten werden die Funktionen des kinematographischen Erzählvorgangs dargestellt, mit denen sich spezifische Erzählsituationen erzeugen lassen. Interessant sind vor allem Hursts Ergebnisse zur Innenperspektive, subjektiven Kamera und dem Ich-ES. Unter literarischer Innenperspektive versteht Hurst die „Darstellung von Gedanken und Gefühlen des oder der Protagonisten [...], beispielsweise [durch] inneren Monolog“82, in der hier vorliegenden Untersuchung als figurative Innenwahrnehmungen bezeichnet. Hurst räumt ein, dass es im Film möglich ist „Innenwelt und Seelenzustände seiner Protagonisten dar[zu]stellen [...], beispielsweise [durch] Bild- und Farbsymbolik, paradigmatische und syntagmatische Konnotationen [... und durch] Ton und Musik“83. Allerdings ist die „kinematographische Innenperspektive nicht die Betrachtung der Innenwelt eines Protagonisten, nicht die Darstellung seiner Gedanken- und Gefühlswelt, kein innerer Monolog und keine Reflexion, sie ist vielmehr der Blick einer Figur der Filmhandlung auf die sie umgebende fiktive Außenwelt, also beispielsweise eine Einstellung mit subjektiver Kamera“84. Das bedeutet, dass die Filmkamera bzw. die „Möglichkeiten kinematographischer Erzählsituationen“ mit dem „unmittelbaren
80 Stanzel (1995). Die Mittelbarkeit literarischer Stoffe ist Stanzel zufolge das Ergebnis der Vermittlung des Stoffes durch eine Erzählerfigur und gleichzeitig ein wesentliches Moment des epischen Charakters des Textes. Der Film hat Stanzels Urteil zufolge eher die Tendenz zur Unmittelbarkeit und vermag es nicht, die Erzählstrukturen eines epischen Textes in ihren ästhetischen und literarischen Einheiten nachzuvollziehen.
81 Vgl. Peters (1971), 56–69. 82 Hurst (1996), 96f. 83 Hurst (1996), 97. Mehr zur Bedeutung von Musik, sound design, Tonmischung (Dialoge, Geräusche, Musik) für die Filmanalyse im Abschnitt zu den filmwissenschaftlichen Methoden. Diese kinematographischen Techniken sind in der Lage, eine Erzählerfunktion auszuüben.
84 Hurst (1996), 97. Stanzel bezeichnet diese Perspektive als „Camera-Eye“-Technik (vgl. Stanzel [1995], 294ff.).
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visuellen und auditiven Gestaltung die Trennung zwischen „erzählendem Ich und erlebendem Ich“85 nicht vollziehen kann, anders als der literarische IchErzähler in einem Text, der ein erlebendes und ein erzählendes Ich haben kann. Er stellt fest, dass der Film „zwar mit Hilfe subjektivierender Kameratechniken ein erlebendes Ich erzeugen [kann ...], aber er kann nicht gleichzeitig ein erzählendes Ich suggerieren, das sich gegenüber eigenen, dem Zuschauer subjektiv vermittelten Aktionen kritisch distanziert verhält“86. Er kommt zu dem Schluss, dass „es dem Film [...] nicht möglich ist, dem erlebenden Ich durch die Ergänzung des erzählenden Ich die Qualität einer vollwertigen Erzählerfigur zu verleihen“87. In Bezug auf Gefühlswahrnehmungen von Figuren im Film stellt Hurst fest, dass diese unter anderem mit Hilfe sprachlicher Codes in Form einer Erzählstimme (voice over) oder eingeblendeter Textinserts (z.B. eine Leuchtreklame, Zwischentitel, Zeitungsartikel) realisiert werden können. „Sprache und Text ergänzen als nicht-kinematographische Codes das Bild“, bilden so „mehrere Sprachschichten“88 und vergrößern damit das narrative Potential des Films, was zu einer Episierung führt. Hurst verweist vor allem das voice over als ein „Mittel, ein Ich-ES zu erzeugen“, was allein durch kinematographische Techniken nicht möglich wäre. „Die zusätzliche sprachliche Ebene aber ermöglicht die Etablierung eines erlebenden Ich (die agierende Person) und eines erzählenden Ich (die Off-Stimme) im filmischen Diskurs.“89 Das voice over hat dabei eine ähnliche Funktion wie die eines auktorialen Erzählers und kann zudem auch die „literarische Technik des inneren Monologs verwirklichen“90. Laut Hurst besteht aber auch die Möglichkeit, Mittelbarkeit und spezifische Erzählsituationen (wie zum Beispiel den inneren Monolog) durch rein kinematographische Elemente (Ebene der Bilder und syntaktische Verknüpfung der Einstellung) zu erzeugen, also durch Bild- und Farbsymbolik, Ton, Musik sowie durch paradigmatische und syntagmatische Konnotationen. Die kinematographischen Elemente dürfen dabei nicht isoliert betrachtet werden. Hurst konstatiert weiterhin, dass der Erzählakt beim Film in der Kamerahandlung steckt, d.h. in „aufeinanderfolgenden Blicken und Blickbewegungen
85 Hurst (1996), 97. Hervorhebung im Original. 86 Hurst (1996), 98. 87 Hurst (1996), 98. Inwieweit diese These tragfähig ist, wird sich am Ende der Untersuchung herausstellen.
88 Hurst (1996), 106f. 89 Hurst (1996), 109. 90 Hurst (1996), 110.
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der Kamera. [...] [B]ereits in dem Arrangement vor der Kamera werden die Besonderheiten der narrativen Situation [...] mitberücksichtigt“91. Dabei erzeugt der kinematographische Code zwei Arten von Konnotationen: die paradigmatische Konnotation (die Parameter eines Kamerabildes wie Größe, Perspektive, Bewegung, Schärfe92 auf der Ebene der mise-en-scène) und die syntagmatische Konnotation (auf der Ebene der Montage, d.h. die Verknüpfung einzelner Bilder, analogisch, kontrastiv oder als symbolische Ergänzung, d.h. „das Einzelbild erhält seine volle Bedeutung erst in der Kombination mit anderen Bildern“93). Beide Konnotationsarten können miteinander kombiniert werden. Bei fast allen kinematographischen Erzählweisen, sei es auf der Ebene des Kamerabildes, der mise-en-scène oder der Montage, stößt Hurst auf eine immer wiederkehrende Dichotomie, die er in den Haupterzählstrukturen personales ES (attached camera, découpage classique ) versus auktoriales ES (detached camera)94 zusammenfasst. Somit erzeugen syntagmatische Konnotationen eher ein auktoriales ES, paradigmatische Konnotationen „lassen sich hingegen nicht so reibungslos einer bestimmten Erzählperspektive zuordnen; grundsätzlich aber verweisen sie auf ein personales ES“95. Die kinematographische Gestaltung eines Ich-Erzählers zeichnet eine attached camera aus, mit Groß- und Nahaufnahmen, mit subjektivierenden Kameratechniken, mit einer découpage classique und mit paradigmatischen Konnotationen. Diese treffenden Beobachtungen sollen in dieser Arbeit weiter vertieft werden. Es soll anhand der Filmbeispiele spezifischer ermittelt werden, welche kinematographischen Techniken genau figurative Innenwahrnehmungen evozieren. Um einen umfassenderen Überblick über das Forschungsfeld „Literaturverfilmung“ zu geben, soll zum Abschluss auf zwei weitere relevante Disziplinen eingegangen werden. Die Filmphilologie sowie die Filmsemiotik können weitere Erkenntnisse zur Beschreibung von figurativen Innenwahrnehmungen im Film liefern; hier können sich beispielsweise neben dem Peirceschen Begriff des In-
91 Hurst (1996), 129. 92 „Konventionalisierung und Gewöhnung an die symbolische Ausdruckskraft von Bildern und Einstellungsparametern führten dazu, daß das Stilmittel der paradigmatischen Konnotation in vielen seiner Ausprägungen heute kaum noch bewusst wahrgenommen wird.“ (Hurst [1996], 132).
93 Hurst (1996), 133. 94 Unter attached camera versteht man eine gebundene Kameraführung, unter einer detached camera eine gelöste Kameraführung. Mit découpage classique bezeichnet man einen ‚unsichtbaren‘ Schnitt.
95 Hurst (1996), 148.
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dex auch neue Protokollierungsmethoden und die Lokalisierung kinematographischer und filmischer Codes als fruchtbar erweisen.
3. F ILMPHILOLOGIE Die Filmprotokollierung bildet für diese Untersuchung eine wichtige Arbeitsgrundlage. Deshalb ist es notwendig, Überlegungen zur sprachlichen Rückübersetzung der filmischen Information in ein Filmprotokoll und zum Verhältnis von Bild und Text anzustellen. Zentral ist dabei die Frage, nach welchen Kriterien die filmischen Informationen schriftlich fixiert werden müssen, um die Filmprotokollierung systematisiert zu gestalten. Die Filmphilologie geht seit vielen Jahren dieser Frage nach. Sie beschäftigt sich mit der „Erarbeitung einer zitierfähigen Basis für die wissenschaftliche Behandlung einzelner Filme“96, die über das ‚unreflektierte‘ Sequenzprotokoll hinausgeht. Dabei werden Ordnungshilfen angeboten, die über einfache Notationssysteme der Protokolle hinausreichen. Die Filmphilologie stellt sich die Aufgabe der „Rekonstruktion der Zeichenstruktur, der narrativen bzw. argumentativen Struktur und der Struktur der zeitlich organisierten Kombination“97, um nähere Erkenntnisse über den Film zu erlangen. Klaus Kanzog, Autor der „Einführung in die Filmphilologie“, weist ausdrücklich darauf hin, dass diese nicht mit der Filmanalyse gleichzusetzen ist, da Filmphilologie primär Beschreibungsmodelle entwickeln möchte und dabei vor allem auf deskriptive Verfahren zurückgreift. Schaudig beschreibt die Filmphilologie „als integralen Bestandteil einer sich philologischer Methoden bedienenden Medienwissenschaft [...], [die] das einzelne Filmwerk neben dem literarischen Werk im erweiterten Textbegriff [...] als Gegenstand einer Textwissenschaft begreift [... und die] philologischen Methoden der Analyse und Interpretation ebenso auf filmische Texte anwendbar werden lässt [...]“98. Die Filmphilologie begreift einen ‚Film als Text‘99, sie erkennt dem Film einen eigenen Textstatus zu. Kanzog gebraucht in diesem Zusammenhang den ‚Text‘-Begriff als einen „Hilfsbegriff zur allgemeinen Kennzeichnung des struk-
96 Kanzog (1991), 11. Besonders nützlich sind u.a. die ausgewählten Protokollierungsmuster sowie das „Beschreibungsinventar zur Produktionstechnik von audiovisuellen Medien und ihrer Wahrnehmungsfunktion“ von Michael Schaudig in: Kanzog (1991), 136 ff. sowie 163ff.
97 Kanzog (1991), 75. 98 Schaudig (1996), 14. 99 Vgl. Kanzog (1991), 18f.
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turellen Gebildes ‚Film‘“ und betont, dass der „kinematographische Diskurs mithilfe eines medienspezifischen Basisvokabulars“100 beschrieben werden muss. Der Begriff ‚Filmsprache‘ ist somit metaphorisch zu verstehen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob bzw. wie ein theoretischer Nexus zwischen dem Zeichenstatus eines Textes und dem eines Films hergestellt werden kann. Problematisch ist es, sprachwissenschaftliche Begriffe oder Analyseverfahren analog auf Filmspezifika zu übertragen (z.B. ‚Filmsyntax‘), wie es teilweise die französische Filmwissenschaft praktizierte101. Man kann verbale Sprache und kinematographische Sprache nicht auf die gleiche Ebene setzen, da „die Übertragung eines sprachlichen Codes in einen filmischen Code nicht ohne weiteres möglich ist“102. Kanzog schlägt, in Anlehnung an Wollen und Monaco103, für die Lösung dieses methodischen Problems den dynamischen Zeichenbegriff von Charles Sanders Peirce104 vor. Diese Theorie scheint für den Vergleich zwischen den Medien Text und Bild geeignet, da sie eine Loslösung der Zeichenproblematik von der Sprache anstrebt. Peirce entwirft eine Semiotik, die alle Arten von Zeichen, d.h. alle Darstellungen, Ausdrucksformen und Begriffe des Denkens und der Erfahrung, verallgemeinern soll. Dabei wird den Objekten eine denkunabhängige Wirklichkeit zuerkannt. „Ein Zeichen ist irgendein Ding, das auf ein zweites Ding, sein Objekt, in Hinsicht auf eine Qualität in der Weise bezogen ist, daß es ein drittes Ding, seinen Interpretanten, in eine
100 Kanzog (1991), 18. 101 Vgl. Metz (1973). Hier überträgt er de Saussures Zeichenmodell auf den Film. Wäre das möglich, so könnte der Vergleich von literarischem Erzähltext und Film methodisch auf die Ebene eines Sprachvergleichs beschränkt werden. (vgl. Schlickers [1994], 27f.)
102 Kanzog (1991), 21. 103 Vgl. Wollen (1969), 120ff. sowie Monaco (2000), 165ff. 104 Auch die Forschungen zur Intermedialität und Transmedialität beziehen sich auf Peirce, vgl. z.B. der Aufsatz von Uwe Wirth zur Hypertextuellen Aufpfropfung als Übergangsform zwischen Intermedialität und Transmedialität. Darin wird hervorgehoben, dass durch Peirces Modell die Bedeutung des Zeichens „wächst“, im Gegensatz zum Modell von de Saussure, der unter dem Begriff Zeichen lediglich zwei Typen von Bedeutungsträgern zusammenfasst: das Symbol und das Zeichen (vgl. Wirth [2006], 30).
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Relation zu demselben Objekt bringt, und zwar in der Weise, daß dieses dritte ein viertes Ding in derselben Form auf das Objekt bezieht, ad infinitum.“
105
Nach diesem Modell sind alle Arten von Zeichen durch die Kategorien Repräsentamen, Objekt und Interpretant rekonstruierbar. Dabei versteht Peirce unter dem Repräsentamen das materielle Zeichenmittel (z.B. das Foto einer Kirche), unter dem Objekt entsprechend die abgebildete Kirche selbst und unter dem Interpretanten „die Instanz, die das Repräsentamen als in gewisser Weise für das Objekt stehend interpretiert“106, d.h. die Wirkung des Zeichens im Bewusstsein des Interpreten bzw. die Identifikation der Kirche bei einem Spaziergang aufgrund des Fotos. Besonders die von Peirce entworfene semiotisch dreifache Unterscheidung der Beziehung des Zeichens zu seinem Objekt ist für die Filmphilologie und wissenschaft und auch für die hier durchgeführte Untersuchung zum Medienwechsel von Text zu Bild relevant. Peirce differenziert beim Objektbezug des Zeichens zwischen Index, Symbol und Ikon. Das Ikon ist ein Zeichen, bei „dem der Signifikant das Signifikat hauptsächlich durch seine Ähnlichkeit mit ihm darstellt“107. Ikon stammt von griechisch ‚eikon‘ und bedeutet Bild, Abbild oder Vergleich und verweist terminologisch auf die zeichenkonstitutive Möglichkeit einer Ähnlichkeitsrelation. In der Zeichentheorie von Peirce markiert das Ikon „die Möglichkeit der Beziehung des Zeichens auf sein Objekt, weil es eine Eigenschaft oder Form besitzt oder eine Beziehung zu einer Eigenschaft herstellt“108. Das Ikon bei Peirce ist demnach ein Zeichen, das sich auf seinen bezeichneten Gegenstand durch das Merkmal der Ähnlichkeit bezieht bzw. „dessen signifikante Eigenschaft einfach auf seine Qualität zurückzuführen ist“109. Es ist ein abbildendes Zeichen. Peirce führt als Beispiel das Porträt einer unbekannten anderen Person an: „Wir sagen über ein Porträt einer Person, die wir nicht kennen, es sei überzeugend. Soweit
105 Peirce (2000), 390. Hervorhebung im Original. De Saussure unterscheidet zwischen dem Signifikanten (Bezeichnendes) und dem Signifikat (Bezeichnetes). Peirce führt nun eine dritte Größe ein: die des Interpretanten.
106 Schreibmayr (2004), 19. 107 Monaco (2000), 165. Hickethier verweist bei seinen theoretischen Überlegungen zur Filmanalyse auf die übergeordnete Bedeutung der ikonischen Zeichen im Film.
108 Pape (2004), 126. Die ikonische Objektbeziehung hängt von den Eigenschaften des Ikons selbst ab, nicht von der Existenz des Objektes.
109 Peirce (2000), 391. Dieses abbildende Zeichen wird bei de Saussure allerdings als Symbol und nicht als Ikon benannt.
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über ein Porträt einer Person, die wir nicht kennen, es sei überzeugend. Soweit es mich bloß aufgrund dessen, was ich darin sehe, veranlaßt, mir eine Vorstellung von der dargestellten Person zu bilden, ist es ein Ikon“110. Auch Diagramme oder die geometrischen Formen von Karten, Plänen und auch Verkehrszeichen gehören zu den Ikons. Lautmalerische Ausdrücke wie „Kuckuck“ oder „Uhu“ und formikonische Wörter („S-Kurve“, „V-Ausschnitt“) gehören ebenfalls dazu.111 „Auch akustisch Wahrnehmbares, wie menschliche Sprache, Musik und Geräusche, weist bei entsprechender Aufnahme- und Wiedergabequalität eine hohe Ähnlichkeit mit dem konservativen Ausgangsmaterial auf und ist daher nach Peirce’ Auffassung als Ikon zu betrachten.“112 Die zweite Kategorie bezeichnet Peirce als Index, bei dem ein Objektbezug bestehen muss, um eine indexikalische Zeichenbeziehung zu ermöglichen. Der Index ist ein anzeigendes Zeichen, es ist weder willkürlich noch hat es eine direkte Beziehung. Es zielt häufiger auf eine konnotative als auf eine denotative Bedeutung ab. Beim Index „handelt es sich um ein Zeichen, das sein Objekt darum zu bezeichnen vermag, weil es unabhängig vom Interpretanten in einer genuinen Relation zu diesem Objekt steht. So ist zum Beispiel der Ausruf ‚Achtung!‘ ein Hinweis auf eine augenblickliche Gefahr oder ein Klopfen an der Tür ein Hinweis auf einen Besucher.
113
“
Fußspuren im Sand sind ein Index dafür, dass jemand dort entlanggelaufen ist. Der Wetterhahn verweist auf die Windrichtung. Auch die Darstellung von Hitze in einem Film durch warme, rote Farben oder Wassertropfen auf der Stirn der Darsteller ist ein Beispiel für einen Index, genauso wie der Rauch ein Zeichen für Feuer ist. Dabei muss „die Verbindung zwischen Zeichen und Objekt beim
110 Peirce (2000), 391. 111 Stark simplifiziert könnte man die Unterteilung von Peirce so auslegen, dass Ikons eher der fotografischen Ebene und Symbole (besonders die sprachlichen Zeichen) eher der literarischen Ebene zuzuordnen sind. Erst durch die indexikalischen Zeichen wird die Filmsprache in einer noch näher zu untersuchenden Weise erweitert. Aufschlussreich für eine semiotische Analyse basierend auf Peirces Theorie ist beispielsweise S. Kubricks Eyes Wide Shut (GB/USA 1999), der sich durch starke indexikalische Bezüge auszeichnet.
112 Schachtschabel (1984), 39. Bei ihrer Veröffentlichung Der Ambivalenzcharakter der Literaturverfilmung handelt es sich um eine Analyse zum Lesebewusstsein, zum Prozess der Lektüre bzw. zu wahrnehmungspsychologischen Ansätzen.
113 Peirce (2000), 391.
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Index nicht immer natürlich sein [...], sondern sie [kann] auch künstlich oder bloß mental sein“114. Monaco führt an, dass in der Film-Ästhetik die einfache Übertragung literarischer Metaphern in den Film (wie z.B. rote Rosen für die Liebe) sehr platt wirken kann. Durch Indices allerdings erhält „der Film die ihm eigene, einzigartige, metaphorische Stärke, die er der Flexibilität des Bildes verdankt: seine Fähigkeit, viele Dinge gleichzeitig zu sagen“115. Aus diesem Grund ist das Lokalisieren von Indices für die hier durchgeführte Filmanalyse außerordentlich wichtig. Denn der Einsatz von Indices und deren konnotative Bedeutungen könnten Aufschluss über den Medienwechsel von Innenwahrnehmungen geben. Beim Symbol, Peirces dritter Kategorie, ist die Objektbeziehung sowohl von den Eigenschaften des Zeichens als auch von der Existenz des Objektes unabhängig. Es ist ein willkürliches Zeichen. „Das Symbol bezeichnet sein Objekt über eine situations-unabhängige allgemeine Regel, die im Interpretanten den Objektbezug des Symbols bestimmt. Alle konventionellen Zeichen wie z.B. Sprachzeichen sind demnach Symbole.“116 Zwischen der Form des Zeichens (Bezeichnendes) und seiner Bedeutung (Bezeichnetes) besteht ein Verhältnis, das durch Arbitrarität und Konventionalität gekennzeichnet ist, „der Signifikant vertritt das Signifikat mehr auf Grund von Konventionen als aufgrund seiner Ähnlichkeit mit dem Signifikat“117. Ausschlaggebend ist, dass das Symbol interpretiert wird, nur so kann es zum Zeichen werden. Die folgende Tabelle soll verdeutlichen, wie Peirce sein triadisches Zeichensystem aufbaut. Dabei ist für die hier durchgeführte Untersuchung vor allem die zweite Spalte „Zeichen-Objekt-Beziehung“ interessant.
114 Nöth (2000), 185. 115 Monaco (2000), 166. Er weist zudem auf Parallelen zwischen dem Index und den literaturwissenschaftlichen Begriffen Metonymie und Synekdoche.
116 Schreibmayr (2004), 20. Bei de Saussure wird ein Symbol als willkürliches Zeichen definiert.
117 Monaco (2000), 165.
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Tabelle: Eigendarstellung Zeichen Objekt (auch Sign oder Reprä- Zeichen-Objektsentamen) Beziehung
Interpretant118 Zeichen-ObjektInterpretanten-Beziehung
Zeicheneigenschaft Quali-Zeichen Ikon (sinnlich, Qualität) (Ähnlichkeit) z.B. das Farbmuster der Farbe Rot
Rhema (auch Term, Prädikat, Begriff)
Sin-Zeichen (Existenz)
Index (Hinweis)
Aussage, auch Dicent (es wird zumindest eine zweistellige Relation hergestellt, Sachverhalt)
Legi-Zeichen (Typus, alle konventionellen Zeichen)
Symbol (Abstraktion durch Konvention)
Argument (gesetzmäßige, logische Beziehung zwischen Aussagen)
Jede Ausdrucksform, sei sie nun verbalsprachlich/schriftlich, bildlich oder musikalisch, umfasst alle drei oben beschriebenen Kategorien, jedoch immer in unterschiedlicher Gewichtung im jeweiligen Zeichenverbund. Die Konfiguration von Symbol, Index und Ikon ist dabei entscheidend. Kanzog führt seine Überlegungen weiter und schlussfolgert: Da der Film „eine zeitlich organisierte Kombination von visuellen und auditiven Zeichen“119 ist, muss die Filmphilologie diese Zeichen erfassen und rekonstruieren. Verschiedenen Zeichen (Symbol, Index und Ikon) werden dabei verschiedene Bedeutungen zugesprochen. „Bedeutung im kommunikativen Sinne hat nur das, was verbalisiert, d.h. zu einem ‚Text‘ wurde, also nicht nur intuitiv rezipiert werden kann. An dieser Schnittstelle der Bildung eines Kommunikats treffen Zeichenstatus und Textstatus des Films wieder zusammen.“120 Auch Titzmann weist darauf hin, dass nicht nur Texte, sondern zum Beispiel auch Filme „mit ikonischen Zeichensystemen arbeiten, d.h. etwas abbilden, was
118 Unter Interpretant versteht Peirce die Bedeutung bzw. Wirkung im Bewusstsein des Interpreten.
119 Kanzog (1991), 22. 120 Kanzog (1991), 23.
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in unserer sprachlich und kulturell verfügbaren Realitätsklassifikation als unterscheidbarer und benennbarer Sachverhalt existiert“121. In diesem Zusammenhang stellt Titzmann nun Überlegungen an, wie ein Text-Analyseverfahren auf nichtsprachliche Texte übertragen werden kann. Da ikonische Zeichensysteme in Filmen auf Codes basieren, die auf Sprache gründen, können diese auch sprachlich beschrieben werden (Titzmann spricht von „sprachlichen Propositionen“122). Dieser sprachlich-rückübersetzte Text ist nun analysierbar wie jeder andere Text auch,: „auf ihn ist alles anwendbar, was für sprachliche Objekte ausgeführt wurde“123. Das gilt nicht nur für ikonische Systeme wie Gegenstände, Situationen, Handlungen, sondern – so Titzmann – auch für gestisch-mimische Codes sowie kulturelle Codes (Farben124, Formen, Töne), solange man ihnen Bedeutung zuordnen und sie somit in einen sprachlichen Text übersetzen kann. Bevor ein Bild im Filmprotokoll beschrieben werden kann, muss das Objekt vom Rezipienten auf dem (Film-)Bild erkannt werden. „Sehen ist also zunächst einmal ‚wiedererkennendes Sehen‘, wobei zunächst sehr allgemeines kulturelles Wissen aktiviert wird, bevor sich für das detaillierte Verstehen u.U. die Dechiffrierung spezieller Codes als notwendig erweist.“125 Zur Problematik des Filmprotokolls merkt Kanzog abschließend an, dass eine Vollständigkeit des Protokolls nicht erreicht werden kann, da immer Grenzen der Verbalisierbarkeit existieren. Was beschrieben wird, bleibt immer ein selektives Verfahren. Zusätzlich zum Filmprotokoll ist es deshalb sinnvoll, Stills, d.h. abfotografierte Szenen in den Beschreibungstext einzubinden. Auch Titzmann betont, dass die Zeichenhaftigkeit des Films keinesfalls ignoriert oder ausgeblendet werden darf. „Bei Einbettung des Bildes in den Text oder bei Gleichrangigkeit von Bild und Text dominiert die Textsemantik über die Bildsemantik und übernimmt eine bedeutungsstrukturierende Funktion; in Abhängigkeit von der Textbedeutung wird die Interpretation, Fokalisierung, Hierarchisierung des Bedeutungspotentials des Bildes vorgenommen, soweit es dessen Merkmale erlauben.“
121 122 123 124
126
Titzmann (1989), 401. Titzmann (1989), 403. Titzmann (1989), 403. Titzmann führt hier u.a. die Farbe „Rot“ als Beispiel an, der die Gesellschaft Bedeutungslexeme wie z.B. „Liebe“ zuordnet. Vgl. Titzmann (1989), 403.
125 Kanzog (1991), 41. Auch hier wird wieder explizit auf Codes verwiesen, wie auch schon bei Winko (2003) und Hickethier (2001).
126 Titzmann (1990), 382.
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Auch in dieser Untersuchung werden Screenshots direkt in den Analysetext eingearbeitet, die so die „Verbalisationen stützen und dort für sich selbst sprechen, wo die Sprache den Bildinhalt nicht einzuordnen vermag“127. Die Sequenzprotokolle sowie die Einstellungsanalysen werden als Anhang beigefügt.
4. F ILMSEMIOTIK Das audio-visuelle Medium Film vereint mehrere Zeichensysteme: visuelle (Bildinhalt), akustische (Musik, Geräusche), sprachliche (Wort) „und als übergreifende Klammer sozusagen ein Zeichensystem der Bildbewegung und Bildabfolge“128. Die Art der Präsentation und die Wirkungsweise dieser Zeichensysteme sowie die Reaktion, die beim Rezipienten hervorgerufen wird, will die Filmsemiotik untersuchen. „Die Filmsemiotik ist ein Erkenntnismittel, mit dessen Hilfe filmische Eindrücke in einen Prozeß der Bedeutungsfindung und des Verstehens überführt werden können.“129 Da sich der Film erst im Bewusstsein des Zuschauers realisiert, hat die Semiologie die Aufgabe, „[d]ie Lexikalisierung und Vergegenwärtigung der zu bestimmten Zeiten gültigen und bei Bedarf abrufbaren Regeln und Konventionen“130 vorzunehmen. Die Filmsemiotik erforscht somit die strukturellen Eigenschaften (Codes), mit deren Hilfe der Film in der Lage ist, Bedeutung herzustellen. Ziel dieses Kapitels soll es nicht sein, eine umfassende historische Übersicht über die unterschiedlichen Beiträge und theoretischen Positionen der Filmsemiotik vorzustellen. Hier sollen vielmehr die filmsemiotischen Bezugspunkte herausgearbeitet werden, die für diese Untersuchung relevant sind. Das sind vor allem die Wirkungsweise von Zeichensystemen und die verschiedenen kinematographischen und filmischen Codes, die Bedeutung generieren.
127 Kanzog (1991), 42. 128 Hagenbüchle (1991), 20. 129 Kanzog (2007), 18. Eine Bestandsaufnahme zum semiotischen internationalen Forschungsstand macht Winfried Nöth im Handbuch der Semiotik (2000), 500f. Die Semiotik gilt als die wichtigste Tendenz in der Filmtheorie.
130 Kanzog (2007), 18. „Unsere Fähigkeit, Bilder wahrzunehmen – ob unbewegt oder bewegt –, beruht [...] in hohem Maße auf einem Lernprozeß“ (Monaco [2000], 155). Man muss erst lesen können, um Literatur wahrnehmen zu können. Und man muss visuelle Bilder verstehen lernen.
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Zuvor soll auf den Begriff des Zeichens näher eingegangen werden: Die meisten Zeichen sind willkürlich gewählt, das heißt sie sind arbiträr. Codierte Zeichen sind konstant und konventionell, d.h. sie stellen eine Konvention dar, an die sich die Zeichenbenutzer halten. Zudem ist das sprachliche Zeichen abstrakt, es hat als allgemeines Zeichen eine Hinweisfunktion. Saussure definiert das Zeichen als ein Verhältnis zwischen zwei Elementen: dem Bezeichnenden (Signifikant, Materialität) und dem Bezeichneten (Signifikat, Bewusstseinsinhalt). Das Zeichen ist somit zweiwertig: Es steht für etwas anderes und wird als solches interpretiert. Der amerikanische Filmwissenschaftler James Monaco weist darauf hin, dass „im Film [...] Signifikant und Signifikat fast identisch [sind]: Das Zeichen im Film ist ein Kurzschluß-Zeichen. Das Bild eines Buches ist viel näher am Buch als das Wort ‚Buch‘. [...] Es ist dieses Kurzschluß-Zeichen, das es so schwierig macht, die Filmsprache zu untersuchen.“131 Im Film gibt es demnach kaum einen Unterschied zwischen Signifikant und Signifikat. Monaco verdeutlicht das am Beispiel einer Rose: Wenn man das Wort ‚Rose‘ liest, denkt man beispielsweise an eine Pfingstrose oder an eine rote Rose, die man von einem anderen geschenkt bekam. Die Sprache hat demzufolge einen großen konnotativen Aspekt und eine Fülle an Bedeutung. Im Film wiederum sieht der Zuschauer nur eine bestimmte Rose, nämlich die, die der Regisseur vorher ausgewählt und die der Kameramann in einer bestimmten Art und Weise abgefilmt hat. „In diesem Kontext suggeriert der Film nichts: Er macht Feststellungen.“132 Das Zeichen im Film scheint demnach einige Unterschiede zu einem reinen Sprachzeichen aufzuweisen. Auf Grundlage dieses Faktums kann man in der filmsemiotischen Forschung zwei verschiedene theoretische Ansätze unterscheiden: zum einen die (meist älteren) Forschungen zur Filmsemiotik, die sich stark an der Linguistik orientieren und das Zeichenmodell de Saussures auf den Film anwenden, sowie zum anderen neue Forschungsansätze, die sich auf das Zeichensystem von Peirce berufen133.
131 Monaco (2000), 158. 132 Monaco (2000), 160. 133 Nach der Auffassung des Sprachwissenschaftlers Ferdinand de Saussure werden unter dem Begriff Zeichen zwei Typen von Bedeutungsträgern zusammengefasst: das Symbol und das Zeichen. Charles Sanders Peirce wiederum benutzt für die Bezeichnung der verschiedenen Zeichentypen andere Theoreme. Er nennt das abbildende Zeichen ein Ikon (bei Saussure das Symbol) und das willkürliche Zeichen ein Symbol (bei Saussure das Zeichen). Darüber hinaus führt Peirce für das anzeigende Zeichen den Begriff des Index ein.
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Bekannte Vertreter der ‚alten‘ Filmsemiotik sind Christian Metz134, Roland Barthes (als Strukturalist) und Jean Marie Peters135. Für sie verfügt der Film über eine Sprache im Sinne von de Saussure mit eigener Lexik, Grammatik und Syntax (Filmmontage). Metz entwickelte sogar eine „Große Syntagmatik“, in der er acht syntagmatische Typen unterscheidet. Die kleinste Einheit stellt demnach die Einstellung dar. Werden dann zwei oder mehr Einstellungen gekoppelt, entstehen filmische „Syntagmen“. Die Einstellung gilt als Wort des Films, die Szene als der Satz und die Sequenz als Abschnitt. Obwohl vor allem durch Metz das Bewusstsein für den Film als codiertes Medium geschärft wurde, kritisierte die Forschung seine Übertragung der linguistischen Terminologie auf den Film. In neueren filmsemiotischen Untersuchungen werden deshalb verbale Sprache und kinematographische Sprache nicht mehr auf die gleiche Ebene gesetzt, da „die Übertragung eines sprachlichen Codes in einen filmischen Code nicht ohne weiteres möglich ist“136. Kanzog schlägt, in Anlehnung an Wollen, Schachtschabel und Monaco137, für die Lösung dieses methodischen Problems den dynamischen Zeichenbegriff von Charles Sanders Peirce vor. Das Zeichenkonzept von Peirce beruht auf einer triadischen Relation zwischen Repräsentamen/Zeichen, Objekt und Interpretant. „Während de Saussure von einer vornehmlich assoziativen Verbindung zwischen Ausdrucks- und Inhaltsseite eines Zeichens ausgeht und dadurch [...] von den verschiedenen präzisierenden Leistungen des Sprachbenutzers abstrahiert [...], bezieht Peirce diese präzisierenden Leistungen im zentralen Moment des Interpretanten in seine Zeichendefinition ein.“
138
Auch Kanzog stellt fest, dass „[j]edes Zeichen [...] ein Reiz (stimulus) [ist], auf den wir durch Interpretation reagieren, wobei wir unsere Beobachtungen der Reaktionen der Figuren in der dargestellten Welt und unsere eigenen Reaktionen aufeinander abstimmen“139. Die Interpretation des Zeichenbenutzers (Produzent
134 Hervorzuheben ist vor allem sein Aufsatz Das Kino: langue oder langage? (erschienen erstmals 1964 in der Zeitschrift Communications) in seiner Veröffentlichung Semiologie des Films (S. 51–129).
135 Hier besonders der Aufsatz Bild und Bedeutung. Zur Semiologie des Films. Peters (1971), 56–69.
136 137 138 139
Kanzog (1991), 21. Vgl. Wollen (1969), 120ff., Schachtschabel (1984) sowie Monaco (2000), 165ff. Schachtschabel (1984), 19. Kanzog (2007), 14.
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und Rezipient) schließt so symbolische, indexikalische und ikonische Zeichen mit ein. „Der Peircesche Blickwinkel ist also umfassender als der Saussuresche.“140 Mit Hilfe des Peirceschen Modells ist es auch möglich, den Prozess zu beschreiben, „der sich beim rezeptiven Umgang mit Zeichen abspielt und der zu einer präzisierten Objekt- und Sinnkonstitution führt“141. Die Rekonstruktion dieser Prozesse und damit verbunden die Analysen zur Zeichen-ObjektInterpretanten-Beziehung sind für die filmsemiotischen Forschungen besonders interessant142. Die Filmphilologie dagegen konzentriert sich vor allem auf die Zeichen-Objekt-Beziehungen: Ikon, Index und Symbol. Als weiteren Beweis für die Differenz zwischen filmischen und sprachlichen Zeichen gibt Monaco zu bedenken, „[...] daß der Film, anders als die geschriebene oder gesprochene Sprache, nicht aus Einheiten als solchen zusammengesetzt ist, sondern daß er eher ein Bedeutungskontinuum ist. Eine Einstellung enthält so viel Information, wie wir darin lesen wollen, und welche Einheiten auch immer wir innerhalb der Einstellung definieren, sie sind willkürlich festge143
setzt
.“
Der Film, so Monaco, besteht aus Kurzschluss-Zeichen und verfügt über ein unbeschränktes Bildpotential. Deshalb besteht keine einheitliche Lexik der Bilder und es gibt kein syntaktisches Regelsystem. Filme geben Bedeutung mit Hilfe der Konnotation und der Denotation weiter. Das Filmbild hat in hohem Maße denotative Bedeutung: „Es ist was es ist, und wir müssen uns nicht bemühen, sie [die Bedeutung] zu erkennen. [...] Da der Film uns eine so große Annäherung an die Realität vermitteln kann, ist er in
140 Eco (1994), 30. 141 Schachtschabel (1984). 34. 142 Den Interpretanten unterteilt Peirce noch einmal in die Kategorien unmittelbar, dynamisch und final. Der unmittelbare Interpretant meint die Bedeutung des Zeichens, all das, was im Zeichen selbst ausgedrückt ist, unabhängig von seinem Kontext und den Umständen der Äußerung. Unter einem dynamischen Interpretanten versteht Peirce die tatsächliche Wirkung eines Zeichens und unter einem finalen Interpretanten das interpretative Ergebnis bzw. die abschließende Meinung.
143 Monaco (2000), 161.
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der Lage, ein präziseres Wissen weiterzugeben, als die geschriebene oder gesprochene Sprache im allgemeinen kann.“
144
Daneben verfügt der Film auch über konnotatives Potential: „Das Bild einer Rose ist nicht nur einfach dieses Bild, wenn es zum Beispiel in einem Film über Richard III. erscheint, denn uns ist die Konnotation der weißen Rose und der roten Rose als Symbole der Häuser York und Lancaster bewusst. Dies sind kulturell bedingte Konnotationen.“145 Neben den für diese Untersuchung sehr interessanten kulturell bedingten Konnotationen beschreibt Monaco auch filmisch bedingte Konnotationen: etwa, wenn diese weiße Rose scharf oder unscharf abgefilmt ist, lang oder nur kurz oder von Nahem bzw. Weitem gezeigt wird. Außerdem unterscheidet Monaco zwischen zwei Bedeutungsachsen der Konnotation: der paradigmatischen und der syntagmatischen. Die paradigmatische Konnotation meint die Auswahl nach einer ästhetischen Komponente: Die Rose ist eben genauso abgefilmt und nicht anders. Diese Einstellung wurde also vom Filmemacher „aus einer Anzahl anderer möglicher Aufnahmen ausgewählt“146. Die syntagmatische Konnotation beinhaltet Schnitt und Montage bzw. Aufbaukategorien: „wenn die Bedeutung der Rose nicht von der Aufnahme im Vergleich mit anderen möglichen Aufnahmen abhängt, sondern eher von dem Vergleich mit tatsächlichen Aufnahmen, die ihr vorausgehen oder folgen“147, kann man von einer syntagmatischen Konnotation sprechen. Die Rose bekommt ihre Bedeutung dadurch, dass sie mit anderen Aufnahmen, die wir sehen, verglichen wird. Monaco wendet sein System von Konnotation und Denotation auch auf das triadische Modell von Peirce an. Er unterscheidet: 1. Ikon. Es ist denotativ und kann als filmisches Kurzschluss-Zeichen beschrieben werden. 2. Index. Er ist konnotativ. „Er ist kein willkürliches Zeichen, noch ist er identisch mit dem Bezeichneten. Er lässt an einen dritten Typ von Denotationen
144 Monaco (2000), 162. Schon 1964 unterschied Roland Barthes in seinem Aufsatz Rhétorique de l'image zwischen Denotation und Konnotation (Vgl. Barthes [1990], S. 28–46).
145 Monaco (2000), 163. Die kulturelle und die filmische Konnotation entsprechen dem Index bei Peirce. Meines Erachtens kann man die kulturellen Konnotationen unter die kulturellen Codes subsumieren.
146 Monaco (2000), 163. 147 Monaco (2000), 163.
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denken, einen, der direkt auf Konnotation zielt und in der Tat ohne die Dimension der Konnotation unverständlich sein könnte.“148 3. Symbol. Es ist das willkürliche bzw. konventionelle Zeichen. Der Signifikant vertritt das Signifikat mehr auf Grund von Konventionen als aufgrund seiner Ähnlichkeit mit dem Signifikat. Anders als Monacos Trennung zwischen Denotation und Konnotation (vgl. auch emotionale Konnotation bei Winko [2003], 99ff.), unterscheidet man in der Filmsemiotik auch zwischen verschiedenen Codes149. Ein Code ist ein Regelwerk für ein Zeichen, das eine bestimmte Information enthält. Ein Code ist somit Vermittler von Informationen und bildet die Basis für Kommunikation. Das bedeutet: Wenn sich ein Sender und ein Empfänger über einen Gegenstand verständigen wollen, gelingt dies nur, wenn beide über einen gemeinsamen Code verfügen. Ein Code ist eine „Regel der Verknüpfung von Zeichen und ihrer Bedeutung, die einem jeweils mehr oder minder großen Kreis von Kommunikationspartnern bekannt ist“150. Kanzog definiert: „Ein Code ist, inhaltlich und formal, Ausdruck einer durch Zuordnungsregeln organisierten kommunikativen Handlung.“151 Codes sind demnach von gesellschaftlichen Konventionen abhängig. „[A]uch da, wo wir vitale Spontaneität vermuten, existiert Kultur, Konvention, System, Code“152, stellt Eco fest. Damit filmische Inhalte vom Rezipienten gedeutet und verstanden werden können, existiert auch in der Bildsprache des Films eine Vielzahl von Codes. „Das Zeichensystem des Films ist dabei eine integrierte Struktur, bei der das filmimmanente System des Bildes und dessen Montage nur [ein] Teilsystem bildet: Filmbilder, Mu-
148 Monaco (2000), 165. 149 Seit Umberto Eco 1968 seine Semiotik veröffentlichte (1972 in Deutsch erschienen Einführung in die Semiotik), operieren auch Irmela Schneider, Michaela Mundt, Simone Winko, Matthias Hurst und Knut Hickethier mit dem Begriff ‚Code‘.
150 Kuchenbuch (1978), 93. 151 Kanzog (2007), 193. Posner definiert: „Unter einem semiotischen System (bzw. Zeichensystem) versteht man einen Kode in seinem Verwendungszusammenhang. Jeder Kode umfasst ein Repertoire von Grundzeichen und eine Menge von Regeln zu deren Kombination und Interpretation. Ein Verwendungszusammenhang besteht aus Situationen, in denen ein Sender einen Kode einsetzt, um eine Zeichenkombination zu produzieren, und (bzw. oder) ein Empfänger versucht, diese Zeichenkombination mit Hilfe eines ähnliches Kodes zu rezipieren, wobei beide ein bestimmtes Wissen mitbringen und bestimmte Absichten verfolgen.“ (Posner [2001], 77)
152 Eco (1994), 255.
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sik, Geräusche, gesprochene Sprache, Mimik, Gestik, Dekor u.a. entwickeln ihre Bedeutung letztlich nur über das Verhältnis kultur- und sozialspezifischer Codesysteme.“
153
Diese Codesysteme sind auch in der Lage, figurative Innenwahrnehmungen visuell und auditiv darzustellen. Im Zusammenhang mit dem Medium Film wird meist zwischen dem kulturellen bzw. dem filmischen und dem kinematographischen Code unterschieden154. Dabei versteht man unter kulturellen Codes jene, „die sich aus der Kultur herleiten – solche, die außerhalb des Films existieren und die Filmemacher nur einfach reproduzieren (zum Beispiel die Art, wie wir essen).“155 Branigan definiert: „The cultural or referential code refers to any generally accepted body of knowledge or wisdom generated by a culture, e.g., psychology, history, science, literature, aphorism.“156 Kulturelle Codes sind „allgegenwärtig und ‚assimiliert‘, [so] daß die Benutzer sie im allgemeinen als vollkommen ‚natürlich‘ [ansehen]; die Benutzung dieser Kodes erfordert keine spezielle Vorbereitung außer der, überhaupt in einer Gesellschaft zu leben, von ihr erzogen zu sein etc.“157 Die kulturellen Codes fließen in den filmischen Code ein, denn filmische Elemente betreffen nicht ausschließlich das Medium Film, sondern können unterschiedlichen kulturellen Codes entstammen. Vor allem gehören Sprache, Geräusche und Musik dazu; außerdem alle allgemeinen Handlungen, die der Zuschauer mit Hilfe seines Alltagswissens entschlüsselt, wie etwa das Händeschütteln als Gestus der Begrüßung. Filmische Codes sind zudem Codes und Ausdrucksmittel, die der Film mit anderen Künsten teilt (mit dem Theater beispielsweise die Geste, das Kostüm und die Inszenierung oder mit der Architektur die Filmkulisse). „Im Unterschied zum verbalen Code, der auf arbiträre, symbolische Zeichen rekurriert und strukturell homogen ist, ist der filmische Code hete-
153 Hagenbüchle (1991), 18. 154 Vgl. Schneider (1981), 98f., Eco (1994), 250f. Eco, Monaco und Schneider unterscheiden zwischen filmischem und kinematographischem Code. Metz differenziert zwischen anthropologisch-kulturellen und spezialisierten Codes (Metz [1984], 70). Bei Monaco kann man die kulturellen Konnotationen den kulturellen/filmischen Codes und die filmisch bedingte Konnotation mit dem kinematographischen Code gleichsetzen.
155 Monaco (2000), 180. 156 Branigan (1984), 35. 157 Metz (1984), 70.
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rogen und nicht-arbiträr, da er sich aus akustischen und optischen Komponenten zusammensetzt, die auch im außerfiktionalen Bereich vorkommen.“158 Ein Beispiel für einen filmisch oder kulturell ‚assimilierten‘ Code ist die Darstellung eines Mordes: Es werden zwei Beine gezeigt, die unter einem Sofa hervorragen. Kein Zuschauer würde auf die Idee kommen, dass unter dem Sofa jemand schläft. Es wird eher erwartet, dass es sich um die Beine einer Leiche handelt und ein Mord geschehen ist (bei dem die Leiche wahrscheinlich stümperhaft/übereilt vom Mörder versteckt wurde). Auch Farbcodes zählen zu den filmischen Codes. Farbe hat im Film eine dramaturgische Funktion und wird oft zum Bedeutungsträger mit Denotation und Konnotation. Farben können Stimmungen und Gefühle vermitteln. Es kann in einem Film sogar spezielle Farbcodes geben oder es konstituiert sich in einem Film eine spezielle Farbsymbolik. Auch in literarischen Werken findet sich häufig eine Metaphorik und Symbolik der Farben. „Aus semiotischer Sicht sind Farbfilme besonders dann von Interesse, wenn sie über die bloße Wiedergabe von Farben und Farbkonventionen hinaus Farbimpulse enthalten, eine filmspezifische Farbsymbolik konstituieren oder die Farbverwendung problematisieren.“159 Dabei, so Kanzog, ist die Wirkung von Farben immer eine Kombination aus subjektivem Erleben und objektivem Erkennen. Besonders im Beispielfilm Eyes Wide Shut (GB/USA 1999) spielen Farben eine wichtige Rolle. Zu den filmischen Codes zählen weiterhin die Audio-Codes. Gemeint sind Sound-Design (die gestalterische Arbeit an allen akustischen Elementen, dem Dialog, den Geräuschen, der Atmosphäre sowie Soundeffekte) und Musik. Vor allem Geräusche, also alle „nicht-verbalen und nicht-musikalischen Schallereignisse“160 können codierte Bedeutungsträger sein. Sie können im Film Aufmerksamkeit erzeugen, eine Handlung auslösen, Handlungsort und Zeit beschreiben, einen Hinweis geben usw. Zum Beispiel sind die Geräusche in Blair Witch Project (USA 1998) zentrale Bedeutungsträger. Sie lösen (nicht nur bei den Protagonisten) starke Gefühle aus und stehen als Code für etwas Anderes: eine Hexe, etwas Bedrohliches, einen Spuk. „Der Gewinn der vom Tonfilm erschlossenen Ausdrucksmöglichkeiten aller Geräusche [liegt] im Reiz der Nur-Hörbarkeit der indexikalischen und symbolischen Funktionen.“161
158 Poppe (2007), 27. 159 Kanzog (2007), 112. Hervorhebung im Original. Farbanalysen fußen immer in psychologischen Theorien und kulturellen Konventionen.
160 Wolff, H. (1996), 5f. 161 Kanzog (2007), 208.
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Bei der Musik im Film ist, so Kanzog, eine „präzise Semiotisierung [...] kaum möglich. Die Wirkung der Musik liegt eher in der unbestimmten Indexikalität. [...] Auch für die Filmmusik gilt, daß der ‚Inhalt‘ der Musik ungeachtet ihrer dramaturgischen Funktionen letztlich nur in sich selbst besteht.“162 Musik kann allerdings zum Code werden, wenn der Zuschauer die Quellen (gemeint sind die Wiedererkennung des Entstehungskontextes oder des Komponisten) der Musik identifiziert. „Die von der Musikverwendung angeregte rezipientenseitige Abrufbarkeit kulturellen Wissens steuert eine erweiterte ‚intellektuelle Interpretationsebene‘ des Films.“163 Dabei könnte der Lied-Text (falls vorhanden) über eine größere Relevanz als die Melodie allein verfügen, um beim Zuschauer bestimmte Kontexte zu eröffnen. Neben vorbestehender Musik gibt es eigens für den Film komponierte Musik. Auch diese kann, kulturell codiert, eine Figur näher charakterisieren oder Stimmungen (Traurigkeit, Leidenschaft, Fröhlichkeit) akustisch wiedergeben. Musik im Film (ob nun mit Text oder rein instrumentell) erfüllt somit oft eine indexikalische Funktion. Neben den eben beschriebenen kulturellen und filmischen Codes beschreibt die Filmsemiotik sogenannte kinematographische Codes und meint damit „die gattungsspezifischen Möglichkeiten der visuellen Gestaltung eines Films“164, d.h. die „Reproduzierbarkeit der Wirklichkeit durch kinematographische Apparate“165. Zum Beispiel hat Hitchcock in Die Vögel (USA 1963) verschiedene kinematographische Codes kombiniert: Manipuliertes Vogelgeschrei und eine kreisende Kamerabewegung, die aus der Vogelperspektive filmt und in einer beschleunigten Kamerafahrt sturzflugartig nach unten schnellt, visualisieren für den Zuschauer einen Angriff der Vögel bzw. die Gefahr von oben. Kinematographische Codes sind also Codes, die mit der Film-Technik und den filmischen Darstellungsweisen eng im Zusammenhang stehen. Vor allem durch die Kamera-
162 Kanzog (2007), 210. 163 Schaudig (2005), 123. In Eyes Wide Shut (GB/USA 1999) betritt Bill in Sequenz 22a Sharky’s Café. Als Cafémusik läuft Mozarts Requiem K626 (Rex tremendae), eine Seelen- oder Totenmesse. Wenige Augenblicke später liest Bill in der Zeitung eine Meldung über den Tod einer Ex-Miss, seiner vermeintlichen Retterin. Somit fungiert die Musik an dieser Stelle als Hinweis oder Code für den Tod, mit dem Bill tatsächlich wenige Augenblicke später konfrontiert wird.
164 Hurst (1996), 128. Poppe verwendet den Begriff „spezifisch-filmischer Code“ (Poppe [2007], 28), Hagenbüchle spricht vom „filmspezifischen Zeicheninventar“ (Hagenbüchle [1991], 19). Kanzog, der dem Film einen Textstatus zuspricht, geht von einer „kinematographischen Sprache“ aus (Kanzog [1984], 41).
165 Eco (1994), 250.
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arbeit können Inhalte codiert und letztendlich die Filmwahrnehmung beeinflusst werden. Auch die filmische Darstellung einer Verfolgungsjagd funktioniert nach bestimmten Einstellungscodes: Ein Auto wird gezeigt, das von rechts nach links fährt. Danach ein Motorrad, welches auch von rechts nach links fährt. Dann eine Naheinstellung des Autofahrers, der ängstlich in seinen Rückspiegel blickt. Der Zuschauer wird davon ausgehen (auch wenn die Nah-Einstellung des Autofahrers ausgelassen wird), dass das Motorrad das Auto verfolgt, obwohl beide Fahrzeuge nicht gemeinsam in einer Einstellung zu sehen sind. Auch durch „point-ofview-Strategien“166 der Kamera wird die Filmhandlung codiert, zum Beispiel emotionalisiert. So können die Verweildauer des Bildes oder die Kameraperspektive (Vogelperspektive, Froschperspektive, Augenhöhe, Großaufnahme Gesicht, Zoom usw.) Bedeutungen konstruieren. Neben der Kameraarbeit (etwa Einstellungsgrößen oder Kamerabewegung) zählen auch die mise-en-scène und die Montage (Einstellungskombination) zu den kinematographischen Codes. Eco, der als Erster Überlegungen zum Code anstellte, entwickelt in seiner Semiotik zehn verschiedene Codes167, die sich unter den kulturellen und den kinematographischen Codes subsumieren lassen. „Sie gestalten bestimmte ikonische oder ikonologische, rhetorische oder stilistische Darstellungen, denen man auf Grund von Konventionen das Vermögen zuschreibt, gewisse Identifizierungen oder Projektionen möglich zu machen, gegebene Reaktionen hervorzurufen, psychologische Situationen auszudrücken.“168 Zu den kulturellen Codes zählt Eco Wahrnehmungscodes, Erkennungscodes, Übertragungscodes, ikonische Codes, tonale Codes, Codes des Geschmacks und der Sensibilität, rhetorische Codes, stilistische Codes sowie Codes des Unterbewusstseins. Als kinematographischen Code benennt er den ikonographischen Code. Der Zuschauer greift auf einen Katalog von kulturellen, filmischen und kinematographischen Codes zurück, um einen Film zu verstehen. Er hat demzufolge gewisse Erwartungen, die mit dem Betrachten eines Filmes einhergehen. Was passiert aber, wenn diese dem Zuschauer bekannten Codes und Konventionen169 nicht eingehalten werden? Wenn sich beispielsweise in David Lynchs Mulholland Drive (USA 2001) keine lineare Handlung finden lässt, zudem die Darsteller innerhalb des Filmes die Rollen wechseln, nicht zweifelsfrei zu erkennen ist, wann Traumsequenzen beginnen oder enden, ob es sich um einen Lie-
166 167 168 169
Kanzog (2007), 128. Vgl. Eco (1994), 250ff. Eco (1971), 74. Kanzog unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen Index-Konvention und Symbol-Konvention (Kanzog[2007], 215ff.).
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besfilm oder einen Horrorfilm handelt, d.h. kaum rationale, übergeordnete Strukturen existieren? Es könnte passieren, dass der Zuschauer in seiner Erwartung so enttäuscht wird, dass er umschaltet oder das Kino verlässt. Er könnte aber auch realisieren, dass die ihm bekannten Codes erweitert und verändert wurden bzw. neue Codes hinzugekommen sind, die auch über einen künstlerisch-ästhetischen Mehrwert verfügen. Ein typischer Lynch-Code ist beispielsweise das Prinzip der Möbiusschleife170 oder das Rückwärts-Sprechen. Lynch versucht in seinen Filmen auch, bereits bestehende Zeichen neu zu codieren, wie etwa die Verwendung des Telefons/die Sinnhaltigkeit eines Telefonats, der Doppelgänger/Dualitäten, ein geheimnisvoller Mann oder die Farbe Rot. Im Fall von Mulholland Drive (USA 2001) kann durch die Verunsicherung der Codes Interesse dafür geweckt werden die Bedeutung des Dargestellten zu entschlüsseln171. Dieses Beispiel zeigt, dass Codes kein unveränderlich-festgefügtes System sind – als täglich genutztes Kommunikationsmittel verändern sie sich ständig. „There is a corollary: In order for a text to change cultural meanings or the cultural procedures of reading, the text must cite those rules or codes which will be violated and so give rise to a new code.“172 Kanzog unterscheidet deshalb zwischen stabilen (auf eine Rezeption festgelegten) und instabilen Codes. Unter stabile Codes fallen zum Beispiel die Strichcodes auf Lebensmitteln. „Codes in
170 Die Möbiusschleife (auch Möbiusband) ist ein Streifen, der einmal um 180 Grad gedreht an seinen Enden zu einem geschlossenen Band verbunden wird. Die geometrische Physis der Möbiusschleife verkehrt die Vorstellungen von rechts und links, Vorder- und Rückseite. Auch bei Lynch-Filmen muss man als Zuschauer immer wieder die Vorstellungen von Anfang und Ende, oben und unten in Frage stellen. David Lynch selbst bezeichnete in Interviews u.a. seinen Film Lost Highway (USA 1996) als eine Art Möbiusband, denn er sei ein in sich verschlungenes Gebilde, das kein Innen und Außen, kein Vorne und Hinten habe, sondern nur eine durchgehende Oberfläche. Auch in Mulholland Drive (USA 2001) findet man das Prinzip der Möbiusschleife (vgl. www.schnitt.de/202,2194,01; Stand: 6.9. 2010). 171 Es existieren zahlreiche Fanforen und Webseiten zur Entschlüsselung und Interpretation von Lynch-Filmen. Zum Beispiel: http://www.mulholland-drive.net/home. htm; Stand: 6.9. 2010. David Lynch selbst hat eine Hilfestellung in Form von 10 hinweisgebenden Fragen gegeben, um seinen Code zu entschlüsseln. http://www. mulholland.de/mulholland-drive-10-hinweise-von-david-lynch-zur-interpretatio n/; Stand: 6.9. 2010. 172 Branigan (1984), 34.
T HEORETISCHE V ORÜBERLEGUNGEN
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literarischen Texten, d.h. Realitätsverknüpfungen in fiktiven Zusammenhängen, sind dagegen instabil.“173 Ein gänzlich neuer Katalog an kinematographischen Codes hat sich in den letzten Jahrzehnten durch die Möglichkeiten der digitalen Bildbearbeitung entwickelt. Man denke nur an die visuelle Lebendigkeit der Trolle und Ents sowie an die monumentale Schlacht um Helms Klamm in Peter Jacksons Herr der Ringe (USA 1999–2001) oder an die neue Visualität der Star Wars: Episoden I –III (USA 1999–2005). Episode II – Angriff der Klonkrieger (USA 2002) besteht zu ca. 80% aus computergenerierten Bildern. Auch James Camerons Avatar (USA 2009) vermischt real gefilmte und computeranimierte Szenen und wurde mit neu entwickelten digitalen 3D-Kameras gedreht. „Ein Film operiert zwar partiell mit zumindest weitgehend konventionalisierten Bildbedeutungen, primär jedoch mit Selektionen aus dem unendlichen Repertoire der kinematographisch abbildbaren Wirklichkeit, die erst in dem Moment eine definierbare Zeichenfunktion erfüllen, in dem sie einem bestimmten filmischen Text funktional integriert wer174 den.“
Der Zuschauer, der Filme sehen gelernt hat, muss sein Sehen bzw. den Prozess der Bedeutungsfindung immer neuen Codes anpassen und diese zu entschlüsseln lernen. Die Filmsemiotik, welche die Art der Präsentation und die Wirkungsweise der Zeichensysteme und damit die bei Bedarf abrufbaren Regeln und Konventionen erforscht, stellt eine für diese Untersuchung praktikable Größe zur Verfügung: die Codes. Mit deren Hilfe ist (nicht nur) der Film in der Lage, Bedeutung herzustellen. Für die hier durchgeführte Untersuchung wird vor allem die Analyse der Farbcodes, Audio-Codes und der kinematographischen Codes (Kameraarbeit, mise-en-scène, Montage) für das Aufspüren von visualisierten und klanglich umgesetzten figurativen Innenwahrnehmungen relevant sein. Die filmsemiotische Analyse leitet die Frage: Welche kulturellen, filmischen und kinematographischen Codes sind in den Beispielfilmen in der Lage, figurative Innenwahrnehmungen zu generieren? Der Überblick über ausgewählte Publikationen zum Thema Literatur und Film hat ergeben, dass sich vor allem die Analysen von Schneider, Schaudig, Mundt, Kanzog, Hurst und Monaco als äußerst hilfreich für die hier durchgeführte Un-
173 Kanzog (2007), 204. 174 Mundt (1994), 21.
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tersuchung erweisen werden. Ausgehend von ihren Forschungen konnten so drei richtungsweisende Ansätze für die Analyse von figurativen Innenwahrnehmungen herausgearbeitet werden: 1. Die Anwendung des dynamischen Zeichenbegriffs von Charles Sanders Peirce. Der besondere Vorzug dieser Zeichenlehre für den Vergleich zwischen den Medien Text und Bild liegt darin, dass der Zeichenbegriff nicht allein auf die Zeichenhaftigkeit von (verbaler) Sprache beschränkt wird. 2. Die unter anderem von Eco, Schneider, Kanzog bzw. der Filmsemiotik vorgeschlagene Unterteilung des Zeichensystems Film in filmische und kinematographische Codes175. 3. Filme sind, so Monaco, in der Lage, Bedeutung weiterzugeben, und zwar mit Hilfe der Konnotation und der Denotation. Vor allem die Konnotation, welche emotionale und affektive Bedeutungskomponenten enthält, ist für die filmische Darstellung von figurativen Innenwahrnehmungen relevant. Für Hurst erzeugt der kinematographische Code zwei Arten von Konnotationen: die paradigmatische Konnotation (die Parameter eines Kamerabildes wie Größe, Perspektive, Bewegung, Schärfe auf der Ebene der mise-en-scène) und die syntagmatische Konnotation (auf der Ebene der Montage, also durch die Verknüpfung einzelner Bilder: analog, kontrastiv oder als symbolische Ergänzung. Das heißt „das Einzelbild erhält seine volle Bedeutung erst in der Kombination mit anderen Bildern“176). Beide Arten der Konnotation sind in der Lage, figurative Innenwahrnehmungen medienspezifisch zu vermitteln. Auch die Forschungen von Simone Winko, die im folgenden Kapitel vorgestellt werden, beschäftigen sich mit der Denotation und der Konnotation. Winko entwickelt diesbezüglich den Begriff der „emotionalen Konnotation“177. Ferner sind die verschiedenen Methoden einer Systematik für ein allgemeines Untersuchungsmodell (Schaudig, Schneider, Mundt) sowie einer wissenschaftlichen Filmprotokollierung (Kanzog) für diese Arbeit relevant.
175 Unter filmische Codes fallen z.B. kulturelle Codes, Farbcodes oder Audio-Codes. Zu den kinematographischen Codes zählen u.a. die Kameraarbeit (Einstellungsgrößen, Kamerabewegung), die mise-en-scène sowie die Montage (Einstellungskombination). Mittlerweile verwenden auch Irmela Schneider, Michaela Mundt, Simone Winko, Matthias Hurst, Knut Hickethier, Monaco (2000) und Klaus Kanzog (2007) den Begriff ‚Code‘.
176 Hurst (1996), 133. 177 Winko (2003), 99.
Methodisches Vorgehen
1. L ITERATURWISSENSCHAFTLICHE M ETHODEN Die Thematisierung und Darstellung von figurativen Innenwahrnehmungen, gemeint sind Gefühle und Emotionen, die in einem Text Figuren oder personifizierten Gegenständen zugeschrieben werden, sollen in diesem Band differenziert untersucht werden. Neben der Analyse von Personenrede und Erzählinstanz werden auch die emotional codierten Motive und Symbole rekonstruiert sowie (Farb-) Metaphern oder Allegorien bzw. rhetorische Stilmittel zur Emotionsvermittlung lokalisiert. Des Weiteren werden Überlegungen zum Textaufbau angestellt, denen eine Analyse der Zeitstruktur, des Verhältnisses von Zeit-OrtBewegung, der Erzählperspektive sowie der Figurendarstellung folgt. Ziel der hier durchgeführten Textanalysen ist eine Beschreibung bzw. Rekonstruktion der verwendeten Mittel zur Präsentation von figurativen Innenwahrnehmungen bzw. Emotionen. In den Analysen werden zum einen narratologische Verfahrensweisen in Anlehnung an Genette (1994) und Martinez/Scheffel (2005) angewendet. Eine Untersuchung der Zeit (Ordnung, Dauer, Frequenz), des Modus und der Stimme ist notwendig und sinnvoll. Interessant für die hier durchgeführten Analysen sind vor allem die Distanz und die (interne) Fokalisierung, die Perspektivierung, die Stimme bzw. der (autodiegetische) Erzähler. Genette unterscheidet zwischen interner Fokalisierung (bei Informationssteuerung durch Reflektorfigur), externer Fokalisierung (bei eingeschränkter Außenansicht-Information) und NullFokalisierung (bei auktorialer Erzählung). Mit Blick auf das Thema der Arbeit sollen vor allem die figurativen Innenwahrnehmungen herausgefiltert werden. Zum anderen wird ein spezielles Instrumentarium für die Analyse der textuellen Gestaltung und Präsentation sowie der Thematisierung von Emotionen erprobt, das Simone Winko in ihrer Habilitationsschrift Kodierte Gefühle entworfen hat. Darin beschreibt Winko die Rekonstruktion der sprachlichen Gestaltung von Emotionen für lyrische und poetologische Texte und entwickelt ein „emoti-
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onsbezogene[s] Beschreibungs- und Analyseverfahren für literarische Texte“1. Es umfasst in der literarisch dargestellten Welt die Emotionen der Figuren oder personifizierten Dinge, die sprachliche Präsentation von Emotionen, die narrative Zuordnung von Emotionen zu diversen Instanzen im Text, emotionsrelevante Perspektivierungen des Dargestellten, die Selektion, Verteilung und Gewichtung dargestellter Emotionen im Text sowie die Rekonstruktion von historischen Kontextbedingungen. Dieses „methodisch gesicherte Verfahren“ ist zwar „auf die Analyse von Gedichten ausgerichtet“2, es liefert jedoch wichtige Erkenntnisse in Bezug auf die Gestaltung von Emotionen in literarischen Texten allgemein und kann somit in modifizierter Form auch auf Erzähltexte angewendet werden. Winko betont, dass das gesamte Spektrum der literarischen Gestaltung von Emotionen untersucht werden soll, also nicht allein ihre Thematisierung, sondern auch ihr sprachlich-rhetorischer Emotionsausdruck. Vorkommnisse von Emotionen lassen sich – so Winko – in explizite und implizite Vorkommnisse einteilen. Man kann von expliziten Vorkommnissen sprechen, wenn Emotionen im Text thematisiert werden (explizite Thematisierung), d.h. wenn Figuren oder die Erzählinstanz von Emotionen sprechen (Propositionen in einem Text). Unter impliziten Vorkommnissen versteht die Autorin den indirekten Ausdruck von Emotionen. Dieser wird vermittelt über die Handlung des Textes, das Verhalten der Figuren, über Situationen und über Objekte, mit denen umgegangen wird, also über eine implizite Präsentation3: „Mit Präsentation [...] bezeichne ich den Typ sprachlicher Bezugnahmen auf Emotionen, mit dem keine Propositionen über Emotionen, sondern die Emotionen selbst vermittelt werden.“4 Hier wird also nicht thematisch über Gefühle gesprochen, sondern es werden Gefühle sprachlich gestaltet und so für den Leser nachvollziehbar gemacht.5 Winko stellt fest, dass in literaturwissenschaftlichen Studien weitgehend unerforscht ist, nach welchen Mechanismen, in welchen Formen und auf welchen sprachlichen Ebenen Emotionen implizit artikuliert werden. „Gerade die implizi-
1 2 3
Winko (2003), 16. Winko (2003), 16. Winko bevorzugt den neutralen Begriff ‚Präsentation‘, um die mit verschiedenen Konnotationen besetzten Begriffe ‚Ausdruck‘ oder ‚Inszenierung‘ von Emotion zu vermeiden.
4 5
Winko (2003, a), 339. Der Leser benötigt ein prozedurales Wissen, um z.B. rhetorische Strategien oder sprachliche Bilder erkennen zu können.
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te Artikulationsform dominiert aber in literarischen Texten, zumindest quantitativ gesehen.“6 Sie geht von der These aus, dass „[...] Emotionen keine nur subjektiven Phänomene darstellen, sondern kulturell geprägt sind und sich in Sprache und Objekten intersubjektiv manifestieren können“7. Sie sieht den Emotionsbegriff als „metasprachlichen Terminus“8, der sich mehrschichtig darstellt: „Im Anschluss an semiotische Modelle fasse ich Emotionen als weder ursprüngliche noch rein subjektive psychophysische Größen auf, sondern als abhängige Variablen einerseits der biologischen Gegebenheiten des Menschen, andererseits der historisch relativen Zeichensysteme einer Gesellschaft oder Kultur“9. Winkos konzeptueller linguistischer Rahmen für die Methodik ihres Verfahrens wurzelt in den Forschungen zu Beziehungen zwischen Sprachzeichen und bezeichneter Emotion, und zwar in der Unterscheidung zwischen Thematisierung/Ausdruck sowie Denotation/Konnotation. Sie entwickelt daraus den Begriff der „emotionalen Konnotation“10, dessen Definition sie aus Umberto Ecos Einführung in die Semiotik übernimmt. Darin beschreibt Eco eine ‚Konnotation‘ allgemein als „die Gesamtheit aller kulturellen Einheiten [...], die von einer intensionellen Definition des Signifikans ins Spiel gebracht werden können; sie ist daher die Summe aller kulturellen Einheiten, die das Signifikans dem Empfänger institutionell ins Gedächtnis rufen kann“11. Demzufolge ist eine emotionale Konnotation nicht eine persönliche, sprecher- oder hörerbezogene Assoziation, sondern eine institutionalisierte Assoziation von Emotionen. „Sobald die emotionale Konnotation institutionalisiert ist, hört sie auf, eine ‚Vorstellung‘ [...] zu sein, d.h. ein durch vorhergehende Erfahrungen angeregtes, von den Gefühlen beeinflusstes persönliches Bild. Die vorherigen Erfahrungen werden, wenn sie sozialisiert sind, zum Element des Codes.“12 „Die Assoziation eines Lexems mit einer bestimmten Emotion wird so zu einer kulturell verfügba-
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Winko (2003), 48. Winko (2003), 13. Winko (2003), 108. Winko (2003, a), 338. Winko (2003), 99. Eco (1994), 108. Eco (1994), 109. Die Diskussion über den Gebrauch des Begriffs ‚Code‘ nahm ihren Ausgang in Ecos Entwürfen einer Code-Theorie: A Theory of Semiotics. Bloomington 1976 (dt.: Semiotik. Entwurf einer Theorie der Zeichen. München [1987]); und: Semiotica e filosofia del linguaggio. Turin 1984 (dt.: Semiotik und Philosophie der Sprache. München [1985]).
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ren Möglichkeit der Bedeutungszuweisung.“13 Winko betont, dass in ihrer Untersuchung nur emotionale Konnotationen berücksichtigt werden, die kollektiv sind, „also zu einem intersubjektiven Repertoire an Konnotationen gehören“14, was auch für die folgende Untersuchung sinnvoll ist. „Kulturelles Wissen und Regeln lassen sich über die Analyse emotionaler Kodierungen erschließen: Semiotisch betrachtet, stellen Emotionen einen eigenständigen Kode dar und sind zugleich selbst kulturell kodiert.“15 Winko weist in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hin, dass die Bezeichnung ‚Code‘ nicht dafür steht, dass Inhalte oder Emotionen via Text eins zu eins übertragen werden. „Vielmehr soll die Metapher vom Kodieren und Dekodieren die Prozessstruktur charakterisieren, nicht das Resultat der Interaktion.“16 Ein Medium der Codierung von Emotionen sind Sprachen und deren Emotionscodes, die in der Kultur und damit auch in der Literatur gelten. „Die Kodes rufen das kulturelle Wissen über die Genese von Emotionen, ihren Verlauf und ihre Artikulationsformen auf bzw. setzen dieses Wissen voraus.“17 Leser aktualisieren ihr kulturelles Wissen über Emotionen, um die entsprechenden Textpassagen zu verstehen. „Autor und Leser partizipieren an kulturellen Kodes, die im textbasierenden Interaktionsprozess eine entscheidende Rolle spielen.“18 Dabei unterscheidet Winko in ihrer Analyse zwischen der Thematisierung von Emotionen und der Präsentation von impliziten Emotionen, die für sie von besonderem Interesse sind. Berechtigt ist Winkos Hinweis, dass bei der Textanalyse selten beide Formen voneinander getrennt werden können: In literarischen Texten existieren meist Mischformen, in denen die präsentierten Emotionen die thematisierten verstärken, negieren, unterstützen usw. können. Beim Transfer des Modells auf narrative Texte muss allerdings der Tatsache Rechnung getragen werden, dass sich dort das Verhältnis von explizitem und implizitem Ausdruck von Emotionen durch die unterschiedlichen Funktionen von Erzähler und Figurenrede wieder anders darstellt. Winko entwickelt nun auf dieser Basis ihr Verfahren zur Rekonstruktion von Emotionen, ein systematisches Beschreibungs- und Analyseverfahren für lyri-
13 Winko (2003), 101. 14 Winko (2003), 101. Rein subjektive Konnotationen können in einer autorenphilologischen Untersuchung betrachtet werden, sind aber für Winkos Arbeit nicht von Belang.
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Winko (2003), 109. Winko (2003), 111. Winko (2003), 110. Winko (2003), 111.
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sche und poetologische Texte.19 Dieses Verfahren kann auch auf die hier vorgenommene Analyse von Erzähltexten übertragen werden. Es setzt sich aus zwei Schritten zusammen: (a) dem close reading20 und (b) einer Untersuchung des Textes unter kulturell kontextualisierten Gesichtspunkten mit einer minimal autorintentionalen Ausrichtung. (a) Unter close reading versteht Winko eine Textbeschreibung und -analyse. Sie ist die Basis jeder Emotionsanalyse. Mit Hilfe des close reading sollen alle Vorkommnisse von Emotionen auf allen Ebenen (lyrischer) Texte erfasst werden können. Winko stellt dazu fünf Fragen: (1) Wie werden die Emotionen auf der Ebene der fiktiven Welt vermittelt? Dies kann durch bestimmte Handlungen von Figuren, durch bestimmte Situationen wie z.B. Heimkehr oder Verlassen, durch Ereignisse wie z.B. Geburt, durch emotional kodierte Orte wie z.B. die graue Stadt, der einsame Wald oder durch symbolische Objekte wie einen Ring, eine Maske oder Seidenstrümpfe geschehen. (2) Mit welchen sprachlichen Mitteln können sich Emotionen an der Textoberfläche manifestieren? Hier unterscheidet Winko wieder zwischen expliziten Emotionen (Emotionen werden explizit/lexikalisch benannt wie z.B. ‚Freude‘, ‚ängstlich‘‚ ‚sehnsuchtsvoll‘ usw.) und implizierten oder konnotierten Emotionen, die durch verschiedene sprachliche Mittel und auf verschiedenen Textebenen ausgedrückt werden können: phonetisch-lautlich, rhythmisch-metrisch, grammatisch-syntaktisch, lexikalisch, bildlich und rhetorisch. (3) Welchen textinternen Instanzen werden die Emotionen zugeordnet? Hier wendet Winko erzähltheoretische Analysekategorien21 an, um die narrative Präsentation von Emotionen zu analysieren. Auffällig ist, dass für Winko die Zeit, also Erzählzeit und erzählte Zeit, für die Emotionsgestaltung anscheinend keine Rolle spielt, da sie in ihrem Analysemodell nicht thematisiert wird. Dieses
19 Dieses Verfahren wendet sie am Ende ihrer Untersuchung auf 2600 Gedichte an, die um 1900 entstanden sind.
20 Dieser Begriff entstammt dem New Criticism der angloamerikanischen Literaturwissenschaft in den 1950er und 1960er Jahren und steht dort für eine text- bzw. werkimmanente Textanalyse, „welche die Interpretation des Textes ausschließlich auf diesen selbst stützen und die Interpretationsaussagen allein durch den Text legitimieren will“ (Jahraus [2007], 828). Die historische Kontextualisierung, auf die das close reading konsequent verzichtet, koppelt Winko im zweiten Teil (b) an ihr Verfahren an.
21 Vgl. Genette (1994).
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Analysekriterium wird allerdings in der hier vorgenommenen Untersuchung einbezogen. Winko setzt erst beim Modus ein und unterscheidet zwischen Distanz und Fokalisierung. Bei der Stimme weist die Autorin darauf hin, dass die Stellung des Sprechers zum Dargestellten22 eigens untersucht werden muss. (4) Welche Strategien gibt es, um Emotionen textintern zu hierarchisieren? Der textinterne Aufbau und darin die Gewichtung von Emotionen, d.h. strukturelle Informationen in Texten, sollen hier näher untersucht werden. Die Analyse bezieht sich an dieser Stelle wieder stärker auf die Gedichtinterpretation (Gegensatzbeziehungen, Parallel- und Kausalbeziehungen, Anfangs- und Schlussposition, Isotopien), kann aber auch für eine Prosa-Textanalyse angewandt werden. Außerdem soll untersucht werden, was die dominierenden Emotionen im Text sind und in welcher Reihenfolge sie präsentiert werden. (5) Zu welchen Zwecken können Emotionen in Gedichten gestaltet werden? Hier geht es um die Frage nach der Beziehung von Text und implizitem Leser, nach den Zielen der Emotionsgestaltung. Es geht um das Verstehen: Der Leser muss die eingesetzten Codes zunächst identifizieren, bevor er sie nachvollziehen kann.23 Laut Winko finden sich in manchen Texten Indizien dafür, dass der Leser die gestalteten Emotionen nachvollziehen soll. Signalisiert wird dieses Ziel narrativ mit Hilfe des Modus, der internen Fokalisierung sowie des autodiegetischen Sprechens. (b) An das close reading schließt sich eine Untersuchung des Textes unter kulturell kontextualisierten Gesichtspunkten an.24 Darunter versteht Winko die Analyse der situationsspezifischen Kontexte, in die Autoren und Rezipienten involviert sind. Situationsspezifische Kontexte subsumieren Kontextwissen, d.h. sprachgeschichtliches, kulturhistorisches und literaturhistorisches Wissen sowie ein Wissen über die Darstellungstraditionen. Die Autorin möchte mit Hilfe ihrer Analyse Verbindungen zu historischen Kontextbedingungen ziehen, „um die Emotionszuschreibungen plausibilisieren zu können, da die emotionalen Konnotationen [...] historisch variabel sind“25.
22 Gemeint ist eine Unterscheidung zwischen heterodiegetisch, homodiegetisch oder autodiegetisch.
23 Winko verweist an dieser Stelle auf die literaturwissenschaftliche Emotionsforschung, die davon ausgeht, dass dem Leser bestimmte Rezeptionshaltungen durch Eigenschaften der Texte selbst nahegelegt werden. Oft sind die Muster so typisiert, dass Autoren sie evozieren können.
24 Winko betont, dass sie nur eine minimal autorintentionale Ausrichtung ihres Analyseverfahrens plant.
25 Winko (2003), 144.
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Auch unter diesem Ansatzpunkt der Analyse konzentriert sich Winko vor allem auf die impliziten Emotionen. Es existieren sprachliche Ausdrücke, deren emotionale Konnotationen konventionalisiert sind (‚rote Rose‘ konnotiert z.B. Liebe, die Farbe ‚schwarz‘ Trauer und Tod). Diese Konventionalisierungen sind relativ leicht zu lokalisieren sowie zu rekonstruieren und nachzuprüfen (z.B. mittels historischer Wörterbücher). Diffizil wird die Rekonstruktion, wenn es sich um ‚versteckte‘ emotionale Konnotationen handelt. „Zu ihnen zählen Wörter mit emotionalen Konnotationen, die mit dem heutigen emotionsbezogenen Wissen nicht mehr erkannt werden können [...], also besondere Verwendungsweisen sprachlicher Ausdrücke, zu deren Verständnis sprachgeschichtliches Wissen nicht ausreicht.“26 Dazu zählen auch autorenphilologisch versteckte Formen. Zusätzlich verortet Winko „zahlreiche Möglichkeiten impliziter Präsentation von Emotionen durch Ausdrücke und Bilder, die mit Bezug auf verschieden leicht zugängliche kulturelle Kontexte identifiziert werden können“27. Bei den hier zu untersuchenden Schnitzler-Texten wird vor allem eine Analyse der kultur- und literaturhistorischen Kontexte bzw. der Intertextualität konstitutiv und lohnend sein. Beide Teilschritte von Winkos Analyseverfahren – das close reading sowie die Untersuchung des Textes unter kulturell kontextualisierten Gesichtspunkten – stellen für die hier geplante Analyse eine praktikable Systematik bereit. Besonders bei den Feinanalysen ausgewählter Textpassagen kommt hier Winkos Verfahren zum Einsatz. Beim Transfer auf Prosa-Erzähltexte muss allerdings beachtet werden, dass der explizite Ausdruck von Emotionen vor allem durch den Erzähler und die Figurenrede (direkte Rede, indirekte Rede, erlebte Rede, innerer Monolog, Stream of Consciousness) realisiert wird. Die implizite Präsentation von Emotionen, so wird sich in den Textanalysen zeigen, wird auch in Schnitzlers Erzählungen mittels (intertextueller) Verweise, Codes, Indices und sprachliche emotional konnotierter Ausdruck vollzogen.
26 Winko (2003), 145. 27 Winko (2003), 145.
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2. F ILMWISSENSCHAFTLICHE M ETHODEN Das Medium Film unterscheidet sich in seinen Eigenschaften deutlich von einem literarischen Text. Es ist eine „zeitlich organisierte Kombination von visuellen und akustischen Zeichen, die über Bild und Schrift sowie Geräusch, Musik und Sprache spezifisch filmische Bedeutungseinheiten, d.h. ikonisch-visuelle und tonale (auditive) Codes bilden“28. Deshalb muss ein spezielles Verfahren zur Analyse von Filmen zum Einsatz kommen: die systematische Filmanalyse. Mit ihr können die visuellen und akustischen Zeichen, die teilweise simultan ablaufen und deshalb in der ersten Rezeption nicht umfassend wahrgenommen werden, einzeln erfasst und beschrieben werden. Durch eine sprachliche Rückübersetzung des Films sowie die Beschreibung seiner ästhetischen Bestandteile sollen möglichst alle Strukturen sichtbar gemacht und damit eine Erschließung des Sinngehalts ermöglicht werden. Der Film wird einem close viewing unterzogen. „Gerade dem Nichtsprachlichen widmet die Film- und Fernsehanalyse besondere Aufmerksamkeit, um die sinnliche Suggestion, die emotionale Wirksamkeit, die Mehrdeutigkeit des Gezeigten aus dem Zustand des unbewusst Erfahrenen in den des bewusst Erlebten zu heben.“29 Hickethier beschreibt zwei grundsätzliche Richtungen der Filmanalyse: zum einen die empirisch-sozialwissenschaftliche (quantitative) Methode und zum anderen ein hermeneutisches (qualitatives) Interpretationsverfahren.30 Ziel des empirisch-sozialwissenschaftlichen Ansatzes ist es, mit Hilfe einer Inhaltsanalyse die Strukturen bestimmter Äußerungen im Film objektiv und auf eine quantifizierbare Weise zu ermitteln. Nachdem eine Fragestellung entwickelt und Hypothesen formuliert wurden, kommen verschiedene statistische Erhebungs- und Auswertungsverfahren als Untersuchungsmethoden zum Einsatz wie die Frequenz-, Valenz-, Intensitäts- oder Kontingenzanalyse. Ziel dieses Verfahrens ist es, intersubjektiv nachvollziehbare Ergebnisse zu erhalten. Die Anwendung der empirisch-sozialwissenschaftlichen Methode ist sinnvoll, wenn man ein größeres Filmkorpus auf bestimmte Fragestellungen untersuchen will. Dabei gilt die „Häufigkeit von Merkmalen als ein zusammenfassendes Strukturelement“31, welches tabellarisch aufgearbeitet und ausgewertet werden kann. Nicht näher betrachtet wird bei dieser empirischen Untersuchung allerdings die ästhetische
28 Kanzog (1981), 13. Ebenso wie das Theater beruht der Film auf Synästhesie und ist plurimedial (Pfister).
29 Hickethier (2001), 28. 30 Vgl. Hickethier (2001), 30–36. 31 Hickethier (2001), 32.
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Struktur des einzelnen Films, welche in der vorliegenden Arbeit aber von zentraler Bedeutung ist: Gerade in den Einstellungsanalysen exemplarischer Filmsequenzen sollen Erkenntnisse zum Medienwechsel erlangt werden. Deshalb wird auf das empirische Verfahren hier nur bedingt zurückgegriffen.32 Als sinnvoller erweist sich die Anwendung der Methode, die Hickethier als ‚hermeneutisches Interpretationsverfahren‘ bezeichnet. Dabei wird versucht, die Mehrdeutigkeit filmischer Texte sichtbar zu machen und deren Sinn zu verstehen. Es sollen „die Strukturen der Gestaltung hervorgehoben und die zusätzlich noch vorhandenen Bedeutungsebenen und Sinnpotentiale aufgedeckt werden“33. Dazu ist es notwendig, die filmische Realität ständig neu zu befragen, die Filmstruktur und deren Details genau zu untersuchen sowie Kontextwissen einzubeziehen, um so das Verständnis des Films zu vertiefen. „Da es der hermeneutisch orientierten Film- und Fernsehanalyse um ein Sinnverstehen geht, kann sie nicht von der Subjektivität des Rezipienten und des Analysierenden absehen“34. Das hermeneutische Interpretationsverfahren führt nicht zu quantifizierbaren, also messbaren Ergebnissen. Aus diesem Grund lehnt die Sozialwissenschaft es als unwissenschaftlich ab. Die hermeneutische Filmanalyse führt zu subjektiv geprägten Ergebnissen, liefert allerdings auch wesentliche Erkenntnisse zu Kontexten und Bedeutungsebenen. Da sowohl die empirisch-sozialwissenschaftliche als auch die hermeneutische Methodik Vorteile bieten, wird heute oft davon abgesehen, diese strikt voneinander zu trennen. Auch Korte betont, dass „[...] es gar nicht darum gehen [kann], die Subjektivität des Untersuchenden gegen eine vermeintliche Objektivität auszutauschen, die es im Sinne mathematischer Exaktheit hier ohnehin nicht gibt“35. Er spricht sich für eine Verbindung beider Methoden aus: Durch eine exakte Protokollierung des Films (mit Kamerastrategie, Bildmontage, Toneinsatz sowie zeitlicher Struktur) mit Hilfe „quantitativ-grafischer Visualisierungsverfahren“36 und eine qualitative Beschreibung der ästhetischen Komponenten des Films kann dieser präziser analysiert und interpretiert werden als mit der rein verbalen Beschreibung einer literarischen Filminterpretation. Korte bezieht in seine Methodik zur Filmanalyse vier Untersuchungsbereiche ein: die Filmrealität, die Bedingungsrealität, die Bezugsrealität sowie die Wir-
32 Es findet lediglich bei den grafischen Visualisierungsverfahren wie Sequenzprotokoll oder Einstellungsanalyse Verwendung.
33 34 35 36
Hickethier (2001), 32. Hervorhebung im Original. Hickethier (2001), 33. Hervorhebung im Original. Korte (2004), 17. Korte (2004), 18.
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kungsrealität, um so eine „Objektivierung des eigenen Filmerlebnisses“ mit „argumentativ nachvollziehbaren Aussagen“37 erreichen zu können. * Unter ‚Filmrealität‘ versteht Korte eine Ermittlung aller am Film selbst feststellbaren Daten, Informationen und Aussagen (Inhalt, Form, filmische Mittel, Aufbau des Films, handelnde Personen, Handlungsorte, Spannungsdramaturgie usw.). * Mit ‚Bedingungsrealität‘ meint Korte eine „Aufarbeitung der historischgesellschaftlichen Situation zur Entstehungszeit des Films, Stand der Filmtechnik [...]. Ggf. Bezug zur literarischen Vorlage etc.: Warum wird dieser Inhalt, in dieser historischen Situation, in dieser Form filmisch aktualisiert?“38 * Im Untersuchungsbereich ‚Bezugsrealität‘ wird die inhaltliche, historische Problematik erarbeitet: „In welchem Verhältnis steht die filmische Darstellung zur realen Bedeutung des Problems?“39 * Schließlich möchte Korte in dem Bereich ‚Wirkungsrealität‘ die „dominante zeitgenössische Rezeption“40 sowie die Publikumsstruktur und die Laufzeiten des Films näher untersuchen. Die Ergebnisse dieser Einzeluntersuchungen sollen anschließend inhaltlichargumentativ zusammengeführt und anhand der vorher festgelegten Untersuchungsschwerpunkte geprüft und ausgewertet werden. Das von Korte entwickelte Untersuchungsmodell, welches sich durch die Verbindung von quantitativgrafischen Visualisierungsverfahren mit qualitativen Techniken der Beschreibung auszeichnet, wird in ähnlicher Form in der hier durchgeführten Untersuchung angewendet. Es erscheint geeignet für die Beschreibung, Analyse und Interpretation der filmischen Mittel zur Darstellung figurativer Innenwahrnehmungen in den Beispielfilmen. Zudem soll die Frage beantwortet werden, ob auch die impliziten Emotionen41 aus den Beispieltexten einen Medienwechsel zum Filmbild vollziehen. Dafür ist es notwendig, Kameratechniken, Farbsetzung und Ton äußerst sorgfältig zu hinterfragen, um eventuelle Codes zu erkennen. Gestützt wird eine solche Analyse durch den Einsatz einer speziellen Protokollierungstechnik, des Filmprotokolls42. Es ermöglicht, den Film zu strukturieren, zitierbar zu machen und somit eine „sprachliche Rückübersetzung und
37 38 39 40 41 42
Korte (2004), 26. Korte (2004), 23. Korte (2004), 23. Korte (2004), 23. Vgl. Winko (2003), 48f., 144f. Vgl. Kanzog (1991), 135; Faulstich (1995), 16f. sowie Korte (2004), 26f.
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schriftliche Fixierung der filmischen Information“43 zu realisieren. Filmprotokolle sind Hilfsinstrumente, um einen Überblick über den Film zu erhalten, seine Gesamtstruktur zu erschließen und auch für Dritte die Strukturanalyse nachvollziehbar zu machen. Ein Filmprotokoll ist allerdings nur als „ein in seinen Informationen stark reduziertes Dokument zu betrachten“44, welches der Komplexität des Mediums Film nicht gerecht werden kann und bei dem das sinnliche Filmerlebnis nicht berücksichtigt wird. Berechtigt ist Hickethiers Anmerkung, dass „[...] der intensive Gebrauch des Recorders mit seinen verschiedenen Formen der Bildpräsentation jeder ‚Literarisierung‘ des Films vorzuziehen“45 ist. Da allerdings bis heute keine adäquate Alternative zur Filmprotokollierung existiert und zudem diese erprobte Methode deutlich mehr Vor- als Nachteile aufweist, wird sie auch in dieser Arbeit angewendet. Als „Minimalvoraussetzung für eine wissenschaftliche Analyse“46 gilt das Sequenzprotokoll, welches in der vorliegenden Arbeit für jeden Film erstellt wurde (siehe Anhang). Dieses Protokoll gibt eine Orientierung über den dramaturgischen Gesamtaufbau, indem es den Film in seiner linearen Form darstellt, seine Handlungen in einzelne Sequenzen unterteilt und diese inhaltlich beschreibt. „Die im ganzheitlichen Wahrnehmungsvorgang während der Filmbetrachtung vorhandene Simultaneität verschiedener Faktoren wird in ein überschaubares Nacheinander methodisch aufgelöst […].“47 Der Film wird mit Hilfe dieses Protokolls zitierbar gemacht: Durch eine Einteilung in Sequenzen sowie die Angabe des Time Codes kann man exakt auf einzelne Handlungsabschnitte verweisen. „Als Sequenz wird dabei eine Handlungseinheit verstanden, die zumeist mehrere Einstellungen umfasst und sich durch ein Handlungskontinuum von anderen Handlungseinheiten unterscheidet. In der Regel werden Handlungseinheiten durch einen Ortswechsel, eine Veränderung der Figurenkonstellation und durch einen Wechsel in der erzählten Zeit bzw. der Erzählzeit markiert.“48 Die Festlegung einer Sequenz ist subjektabhängig und richtet sich nach dem speziellen Erkenntnisinteresse.
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Kanzog (1991), 11. Hickethier (2001), 37. Hickethier (2001), 38. Korte (2004), 51. Korte (2004), 26. Hickethier (2001), 38.
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Die in dieser Untersuchung erarbeiteten Sequenzprotokolle enthalten die Unterpunkte ‚Zeit‘ (Time Code/TC), ‚Inhaltszusammenfassung‘ (Handlungsort, auftretende Personen, Handlung), ‚Besonderheiten‘ (Ton, Geräusche, Musik, Farben, Kamera). Indikatoren für figurative Innenwahrnehmungen Zeit Dauer Ort Perso- HandBesonderheiten (Ton/Musik/ nen lung Geräusche, Farbe, Zoom, Bildschärfe, Kamera/POV Beispiel: Tabellenkopf eines Sequenzprotokolls, Henrike Hahn Für eine detailliertere Untersuchung der filmischen Struktur sowie filmästhetischer Merkmale innerhalb einer Sequenz sind Einstellungsprotokolle erforderlich, welche in der vorliegenden Arbeit für exemplarische Filmsequenzen angefertigt wurden (siehe Anhang). „[D]as Protokoll dient der Überprüfung gestalterischer Strategien eines zentralen Abschnitts des Films.“49 Neben dem Timecode und der Bildnummer können folgende Bestandteile eines Filmbildes m Protokoll erfasst und damit in einer Filmanalyse näher untersucht werden: die Einstellungsgröße, die Kamerabewegung, der Kamerastandort bzw. die Objekt-Kamera-Relation, die Erzählperspektive bzw. der Point of View, die Montage sowie der Ton (Verwendung von unterschiedlicher Musik, Sprecher im on oder im off, Sprachtempo, Sprachlevel) und der Einsatz von Farbe und Licht (z.B. auch die Wirkung von Schwarz/Weiß vs. Farbe). Auf einige dieser Untersuchungskriterien soll im nun Folgenden etwas näher eingegangen werden. „Die Einstellung bezeichnet die kleinste kontinuierlich belichtete filmische Einheit. [S]ie beginnt und endet mit einem Schnitt.“50 In der Produktionspraxis wird zwischen verschiedenen Einstellungsgrößen unterschieden51: Weit (W), Totale (T), Halbtotale (HT), Amerikanische (AM), Nah (N), Groß (G) und Detail (D). Dabei wird die Größe der Einstellung entweder durch die Wahl des Objektivs oder durch den realen Abstand des Aufnahmeobjektes zur Kamera bestimmt. Die „[…] gewählte Einstellungsgröße [ist] von zentraler Bedeutung, um die
49 Hickethier 2001, 39. 50 Korte (2004), 27. Hervorhebung im Original. 51 Ich beziehe mich hier auf Korte (2004), 28.
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Aufmerksamkeit und Identifikationsbereitschaft des Publikums gezielt zu beeinflussen“52. Eine grundlegende Frage in der literaturwissenschaftlichen Erzähltextanalyse ist die nach dem Point of View. Ob nun Erzählwinkel, Erzählperspektive, Erzählerstandpunkt oder Erzählsituation, es handelt sich um „die Perspektive, aus der die Ereignisse, Handlungen und Bewusstseinsvorgänge in einem Erzähltext vermittelt werden“53. Genette unterscheidet in der Textanalyse die Erzählsituation und Erzählperspektive bzw. Fokalisierung. Andere Erzähltheoretiker sprechen von auktorialem, personalem oder Ich-Erzähler. Es stellt sich aber die Frage: Gibt es auch im Film einen Erzähler? Einige Forscher bejahen dies und beziehen sich beispielsweise auf den expliziten Erzähler (voice-over narration) oder einen Erzähler, der visuell in der Filmhandlung erscheint. Auch die Zwischentitel im Stummfilm haben eine Erzählerfunktion. „Film complicates literary narration by practicing two parallel and intersecting forms of narration: the verbal narration, whether through voice-over and/or the speech of characters, and the film’s capacity to show the world and ist appearrances apart from voice-over and character narration.“54 Wenn aber diese hör- oder sichtbare Erzählerfigur fehlt, ist der Film trotzdem in der Lage zu erzählen? Der Film, so Bordwell, erschließt sich für den Rezipienten allein durch kognitive Prozesse, ohne die Hilfe eines Erzählers. Andere Forschungen verorten in der Kameraarbeit eine Erzählinstanz. Diese Erzählfunktion wird unterschiedlich genannt: camera (Pudovkin), grande imagier (Metz) extradiegetic narration (Branigan) oder impliziter Autor (Chatman). Stam beschreibt es so:
52 Korte (2004), 27. Mundt schreibt dazu: „Mit Ausnahme der Schauplatztotalen [...] erfolgen alle übrigen Hervorhebungen [Einstellungen] abgebildeter Objekte durch eine Verringerung der Aufnahmeinstanz, also dadurch, daß sie dem Zuschauer optisch ‚nahegelegt‘ werden. Dabei fällt die Entscheidung, den Fokus des Erzählinteresses entweder auf den zentralen Gegenstand narrativer Filme, also auf Figur und Handlung, oder aber auf die Dimension der Raumdetails zu richten. Ein deutlicher Akzent ist gegeben, wenn sich die Kamera weiter der unbeliebten Dimension nähert und primär der Wiedergabe des räumlichen Moments verpflichtet bleibt. [...] Allen in einer Detailaufnahme hervorgehobenen Gegenständen wird der Rezipient ein größeres Gewicht für die Erzählung beimessen als den im Hintergrund verbleibenden Ausstattungsobjekten.“ (Mundt [1994], 183f.)
53 Basseler (2007), 596. 54 Stam (2005), 35.
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„The discursive power of unreliable narrators is almost automatically reduced by film, precisely because of film’s multitrack nature. […] In a novel, the narrator controls the only track available – the verbal track. In a film, the narrator can partially control the verbal track – through voice-over or character dialogue – but that control is subject to innumerable constraints: the presence of other characters/performers and voices, the palpable and distracting ‚thereness’ of décor and objects and so forth. […] While it is not impossible to relay unreliable first-person narration in the cinema, it would require relentless subjectification on almost all the cinematic registers: foregrounded presence in the shot, uninterrupted voice-over, non-stop point-of-view editing, constantly motivated camera movements, always marked subjective framing, in a way that might approximate an extreme version of Pasolini’s subjectivized ‚cinema of poetry‘.“
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In dieser Untersuchung wird davon ausgegangen, dass der Film mit Hilfe verschiedener Kamera-, Schnitt- und Lichttechniken erzählt. Ein Film ist nicht nur reine Repräsentation. „The challenge, in adapting unreliable narration, is to somehow reproduce the hermeneutic mechanisms of textual ambiguity and readerly decipherment found in the novels, but on a distinct, cinematic register.”56 Diese unterschiedlichen kinematographischen Mittel („cinematic register“) sind die Arbeit mit der Kamera (Perspektive, Bewegung, Einstellungsgröße), die Montage, die mise-en-scène, die Musik/das Sounddesign sowie die Farben und das Licht. Es ergibt sich eine weitere Problematik bei der Frage des Point of View in der Filmanalyse, schließlich muss man zwischen der Handlung vor der Kamera (Schauspieler, Dekoration, Requisiten usw.) und der Kamerahandlung (d.h. Kamerabewegung, Kamerastandort usw.) unterscheiden, die aber simultan ablaufen. „Each and every filmic track and procedere – camera angle, focal length, music, performance, mise-en-scène, and costume – can convey a point of view.”57 Oft werden mehrere Formen des Erzählens miteinander verknüpft. Zur Bestimmung des filmischen Point of View unterscheidet man deshalb zwischen „der Wahrnehmung der Anwesenheit der Kamera und der Wahrnehmung der Konstruktionsprinzipien (Schnitt- und Montagetechniken)“58, insofern der Film keinen expliziten Erzähler aufweist. Zur Klärung der Point of View-Frage ist ein Einstellungsprotokoll daher unerlässlich, um das Filmbild und seine simultanen
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Stam (2005), 38. Stam (2005), 38. Stam (2005), 39. Kanzog (1991), 50. Hervorhebung im Original.
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Gestaltungselemente in Einzelteile zu zerlegen und so Erkenntnisse über die Objekt-Kamera-Relation sowie die Erzählperspektive zu erlangen. „A wide-angle or fish-eye lens, for example, can ‚adjectivally‘ render a character as grotesque and menacing from a character’s (or the director’s) point of view.”59 Beispielsweise die Kameraperspektive zählt zu den kinematographischen Techniken, die eine Erzählerfunktion ausüben können. Man unterscheidet in der systematischen Filmanalyse zwischen Normalsicht sowie Ober- und Untersicht (auch Vogel- oder Froschperspektive genannt). Mit Normalsicht ist eine Sicht in Augenhöhe der handelnden Figuren gemeint. Bei der Obersicht befindet sich die Kamera über dem Geschehen und blickt auf dieses hinab, bei der Untersicht beobachtet die Kamera das Geschehen von unten nach oben. Eine spezielle Form der Kameraperspektive ist der Point of view shot/ POVShot bzw. die externe Fokalisierung60: „Eine [...] Form der gezielten Verwendung der Blickperspektive ist die ‚subjektive Kamera‘ (Point of View shot) als Möglichkeit, das Kinopublikum unmittelbar in die Handlung einzubeziehen, es mit den Augen eines oder mehrerer Akteure sehen zu lassen.“61 Diese Kameraperspektive soll suggerieren, dass das Geschehen aus der subjektiven Wahrnehmung der Figur abgebildet wird. „In der Point-of-View-Einstellung nimmt die Kamera die Perspektive einer wahrnehmenden Figur ein, um uns zu zeigen, was diese Figur sieht.“62 „We can look ‚with’ a character, for example, or the director or actor can look directly at us, in a way unavailable to the literary author or character.“63 Branigan nennt diese Point-of-View-Einstellung auch eine externe Fokalisierung: Der Zuschauer erlangt nur gewisse Einblicke in das Bewusstsein einer Figur. Die Figur wird nur von außen gezeigt.
59 Stam (2005), 39. 60 Seymour Chatman wiederum argumentiert, dass ein Erzähler überhaupt nicht fokalisieren könne, da er außerhalb der Geschichte stehe, sich zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort befinde; er könne daher nur berichten, nicht aber sehen und hören. Chatman unterscheidet deshalb zwischen „narrator“ und „character“. Für Chatman ist die Fokalisierung keine brauchbare Kategorie in der Narrationsanalyse. (vgl. Chatman [1990], 139ff.)
61 Korte (2004), 43. Hervorhebung im Original. 62 Branigan (2007), 46. 63 Stam (2005), 39.
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„Externe Fokalisierung ist daher halbsubjektiv nach Art eines eyeline match: Wir sehen, was Manny [eine Figur] anschaut, wenn er etwas anschaut, aber nicht aus seinem spezifischen, einmaligen Blickwinkel; wir müssen daraus ableiten, dass wir dasselbe gesehen haben wie er und auf die gleiche Weise. Doch der eyeline match ist nur ein Mittel, um eine Geschichte extern durch eine Figur zu fokalisieren.“
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Der Zuschauer sieht die Filmfigur, sieht deren Mimik und kann sich vielleicht so vorstellen, was die Figur denkt. Als eine Point-of-View-Einstellung oder einen POV-Shot bezeichnet man üblicherweise eine von zwei direkt aufeinanderfolgenden Einstellungen: Die erste Einstellung zeigt eine Figur, die irgendwo hin blickt (z.B. in Form einer Großaufnahme ihres Gesichts)65. Die andere Einstellung (der eigentliche POV-Shot) zeigt nun das, was die Figur betrachtet oder erblickt, von der Position der Figur aus gefilmt. Eine Point-of-View-Einstellung setzt immer die Anwesenheit einer Figur voraus. „In the case of point of view, we move from narrative focalization to mise en scène and arguably the less discriminate ‚eye‘ of the camera, which cannot help but afford us a sense of an omniscient perspective, even while it is depicting the viewpoint of single character.“
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Branigan beschreibt zudem sekundäre Hinweise auf einen POV wie z.B. den Ton (das Atmen einer Figur) oder den Kamerawinkel: „Ein niedriger Winkel entspricht einer sitzenden, ein höherer einer stehenden Figur, und eine extreme Aufsicht kann zum Beispiel auf King Kong verweisen [...] oder auf einen drohend aufgerichteten Bär [...]; eine geringe Blickhöhe kann den Standpunkt eines Kindes andeuten.67“
64 Branigan (2007): Fokalisierung, 76. Hervorhebung im Original. 65 Beispielsweise in Sequenz 24c in Eyes Wide Shut (1999) sieht man einen POV von Bill Harford. Balázs schreibt zur Bedeutungserzeugung einer Großaufnahme „Denn das Gesicht wird Ausdruck und Bedeutung auch ohne hinzugedachte räumliche Beziehung. [...] Dem Gesicht gegenüber befinden wir uns nicht mehr im Raum. Eine neue Dimension öffnet sich uns: die Physiognomie. Daß die Augen oben, der Mund unten, daß die Falten rechts, jene links liegen, hat keine räumliche Bedeutung mehr. Wir sehen nur einen Ausdruck. Wir sehen Empfindungen und Gedanken. Wir sehen etwas, was nicht im Raume ist.“ (Balázs [1984], 58. Hervorhebung im Original)
66 Whelehan (1999), 11. 67 Branigan (2007), 51.
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Häufig sind POV-Shots technisch verfremdet: Unschärfe signalisiert etwa den Blick eines Brillenträgers ohne Brille, Schärfe das Blicken durch ein Fernglas. Manchmal werden POV-Shots durch auffällig bewegte, scheinbar unprofessionelle Kameraführung (Handkamera, Steadicam) deutlich gemacht. Bereits 1930 beschreibt Balázs ein ähnliches Phänomen und benennt es als „subjektive Montage“: „Wenn die Kamera längere Zeit mit einer Gestalt mitgeht, so wird aus den vorbeiziehenden Bildern eine subjektive Montage jener Eindrücke, die der Betreffende hat. Als wenn der Regisseur da mit der Schere sich nicht einmischen wollte. Wie wenn der Dichter die Geschichte in der Ichform erzählen lässt. [...] Einer drängt sich taumelnd durch eine Masse. Einer wandert durch fremde Gegend oder schleicht durch unbekannte Räume. Die Kamera immer mit.“68
Eine weitere Spezial-Form der Kameraperspektive ist die interne Fokalisierung. „Fokalisierung (Reflexion) impliziert, dass die Figur weder spricht (erzählt, berichtet, mitteilt) noch handelt (fokussierend, fokussiert von), sondern vielmehr etwas erlebt, indem sie sieht und hört. Fokalisierung erstreckt sich aber auch auf komplexere mentale Vorgänge: denken, erinnern, deuten, sich fragen, fürchten, glauben, begehren, verstehen, Schuld empfinden.“69 Eine Figur nimmt demnach etwas wahr. In der Erzähltextanalyse unterscheidet Genette zwischen interner Fokalisierung (Einblick in das Bewusstsein einer Figur) und externer Fokalisierung. Bei der radikalsten Form, der figurengebundenen/internen Fokalisierung, wird „[j]ede Kopfbewegung [...] in Kamerabewegung umgesetzt, die optische Perspektive des Betrachters ist identisch mit der des Akteurs.“70 Die interne Fokalisierung ist persönlich und subjektiv. Hickethier sieht sie insbesondere bei der Ich-Erzählsituation verwirklicht. „Die Außenperspektive ist auf das durch eine Figur Erlebte beschränkt, die Innenperspektive auf die der Figur, die die Rolle
68 Balázs (2001a), 62. Erstausgabe 1930. 69 Branigan (2007): Fokalisierung, 74. Hervorhebung im Original. 70 Mahne (2007), 98. Branigan spricht hier von einem „total POV“ (Branigan [1984], 74f.). Fokalisierung ist ein von Gérard Genette im Jahr 1972 geprägter Begriff aus der Erzähltheorie, der das Verhältnis zwischen dem Wissen einer Erzählinstanz und dem einer Figur beschreibt. Genette unterscheidet die Nullfokalisierung (der Erzähler weiß mehr als jede der Figuren), die interne Fokalisierung (der Erzähler sagt genau das, was eine der Figuren weiß) sowie die externe Fokalisierung (der Erzähler sagt weniger, als die Figur weiß).
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des Erzählers übernommen hat, zugleich aber selbst in das Geschehen involviert ist.“71 „Die interne Fokalisierung [in der Filmanalyse] erstreckt sich von der einfachen Wahrnehmung (z.B. eine Point-of-View-Einstellung) zu Eindrücken (z.B. unscharfe Point-ofView-Einstellung einer Figur, die betrunken oder schwindelig ist oder unter Drogen steht) bis zu ‚tieferen‘ mentalen Vorstellungen (z.B. Träumen, Halluzinationen und Erinnerungen). [...] Diese bizarre Kamera-Arbeit soll die tiefe (nonverbale?) innere Auseinandersetzung des Protagonisten mit seiner Lage versinnbildlichen.“
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Oft wird diese filmische Erzähltechnik durch eine Off-Stimme und Musik ergänzt. Eine scheinbare Unmittelbarkeit der Darstellung wird auch erreicht durch einen ‚unsichtbaren‘ Schnitt (découpage classique) und eine gebundene Kameraführung (attached camera). „Kaum ein Rezipient wird Schwierigkeiten haben, eine subjektive Einstellung richtig zu deuten. [...] Die Einstellung mit subjektiver Kamera ist eine filmische Konvention und somit sofort verständlich.“73 „The sound film can simultaneously show what a character sees and say what a character thinks. The two narratologists therefore propose separating the two functions, using the term ‚ocularization‘ to characterize the relation between what the camera shows and what the character is supposed to be seeing, while retaining ‚focalization‘ for the cognitive point of view adopted by the story.“
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Stanzel beschreibt in diesem Zusammenhang eine Extremform: die sogenannte „Camera Eye-Technik“75, die er mit der literarischen Erzähltechnik des inneren Monologs vergleicht und für die Textanalyse anwendet. Das KameraaugeBewusstsein ist demnach
71 Hickethier (2001), 131. Ähnlich könnte man die Erzähltechnik in der Novelle Fräulein Else beschreiben.
72 Branigan (2007), Fokalisierung, 77. 73 Hurst (1996), 133. Hurst rekurriert in diesem Zusammenhang auf die attached camera – eine gebundene Kameraführung im Gegensatz zur detached camera – einer gelösten Kameraführung. (beide Kameratechniken nach Jean Marie Peters: Pictoral Signs and the Language of Film. [1981], 14f. und 17).
74 Stam (2005), 40. Hervorhebung im Original. 75 Stanzel (1995), 294f.
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„zu keiner Erinnerung fähig, sondern nur auf die Wahrnehmung von Außenwelt beschränkt, deren Elemente sich ihm im wesentlichen metonymisch darbieten, d.h. die Dinge werden nicht durch Assoziationen, sondern durch ihre Kontinuität im Raum, durch ihr Nebeneinander, in dem sie wahrnehmbar sind, gereiht.“
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Diese Technik eignet sich besonders, so Stanzel weiter, um die „Stummheit des Inneren in Sprache fassbar zu machen“77. Neben besagten Visualisierungsstrategien für innere Wahrnehmungen von Figuren unterscheidet Branigan noch zwischen weiteren Kameraperspektiven: dem Over-the-shoulder-shot (Aufnahmewinkel aus der Kameraposition hinter dem Subjekt, mit dem Rücken zur Kamera) und der Eyeline-match-Einstellung (Annäherung an den Blickwinkel des Subjekts).78 Beide Verfahren können eine auktoriale Erzählperspektive visualisieren. Des Weiteren kann man, um beispielsweise die Reaktion von Figur B auf Figur A zu visualisieren, das Schuss-Gegenschuss-Verfahren verwenden (häufig für Gesprächsszenen). „Beim over the shoulder shot wird nicht suggeriert, Figur B würde Figur A aus ihren Augen heraus sehen, sondern Figur A wird hier aus der Perspektive eines zuschauenden Dritten gezeigt, der Figur B über die Schulter blickt.“79 Da eine subjektive Kameraführung, ein POV-Shot bzw. verschiedene Fokalisierungstechniken figurative Innenwahrnehmungen visualisieren können, wird zu untersuchen sein, inwieweit diese Verfahren in den Beispielfilmen zur Anwendung kommen. Ferner werden bei der Filmanalyse verschiedene Kamerabewegungen – die Fahrt und der Schwenk – unterschieden. Bei einem Schwenk verlässt die Kamera nicht ihren Standpunkt, sondern wird lediglich horizontal, vertikal oder diagonal gedreht. Bei einer Fahrt bewegt sich die Kamera auf ein Objekt zu, entfernt sich von diesem oder begleitet es (Ranfahrt, Rückfahrt, Seitenfahrt und Parallelfahrt), sie ist demzufolge nicht standortgebunden. Bei einer Kamerafahrt können
76 Stanzel (1995), 296. 77 Stanzel (1995), 297. Stanzel hebt aber hervor, dass bei der Camera-Eye-Technik ein Ich/Er-Bezug ununterscheidbar ist. „Diese Merkmallosigkeit hängt aber in diesem Fall mit der Entpersönlichung des Bewusstseins, das gewissermaßen das Kameraauge trägt, zusammen.“ (296) Auch fehlt das Tempus der Erinnerung, es existiert eine reine Darstellung im Präsens.
78 Vgl. Branigan (1984), 103 f. sowie 129f. 79 Schlickers (1997), 64.
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zudem unterschiedliche Fortbewegungsmittel zum Einsatz kommen: Man unterscheidet zwischen Dolly (Kamerawagen), Kran, Handkamera, Auto oder z.B. einem Hubschrauber. Eine weitere Bewegungs-Technik der Kamera ist der Zoom, der eine Kamerafahrt suggerieren soll, bei dem die Kamera allerdings nicht ihren Standort verlässt. Lediglich die Brennweite des Objektivs wird verändert. In Peircescher Terminologie kann der Zoom unter den Begriff des Index subsumiert werden. Er lenkt den Blick auf ein bestimmtes Objekt oder Ereignis (Bentele unterscheidet vier verschiedene Zoom-Varianten: 1. referentielle Verwendungsweise, 2. funktionale Verwendungsweise, 3. informative Verwendungsweise, 4. emotionale Verwendungsweise)80. Steinmetz beschreibt weiterhin eine Kamerabewegung, bei der sich die Kamera autonom im Raum bewegt „wie ein subjektiver, personifizierter Beobachter“81. Sie imitiert die natürlichen Bewegungen des Menschen und wird auch als „entfesselte Kamera“ bezeichnet. Dem gegenüber ist eine motivierte Kamerabewegung auf ein Subjekt oder Objekt im Filmgeschehen gerichtet, was mit Hilfe des Schwenks oder der Fahrt erreicht werden kann. Zusätzlich zu den Kamerabewegungen beschreibt Steinmetz eine „Erzählhaltung der Kamera“82. Er unterscheidet dabei zwischen 1. der statischen Kamera, wobei eine Bewegung allein durch die Bewegung von Subjekten oder Objekten in der Filmhandlung motiviert ist, und 2. der lebenden Kamera, welche eine autonome (selbstständige) Kamerabewegung vollführt. Die lebende Kamera „bewegt sich als autonomes Subjekt im Raum und blickt scheinbar selbstständig auf die vorfilmische Wirklichkeit. Neben den handelnden Schauspielern spielt sie eine weitere, eigenständige Rolle“83. Beide Erzählhaltungen werden oft miteinander kombiniert, wobei der Erzählstil des Regisseurs und Kameramanns den Grad der Kameraaktivität bestimmt. Alle Bewegungs-Techniken können in der Montage miteinander kombiniert werden und erzeugen so jeweils verschiedene Abbildungs-Wirkungen. Neben dem gezielten Einsatz der Kamera-Blickperspektive und der Kamerabewegung wird auch bei den Einstellungsverbindungen bzw. der Montage zwischen verschiedenen Techniken unterschieden: dem Schnitt, der Überblendung,
80 Bentele (1981), 49f und 55f. 81 Audiokommentar, Filme sehen lernen 1 (2003), Kapitel Basics, Kamerabewegungen.
82 Audiokommentar, Filme sehen lernen 1 (2003), Kapitel Basics, Erzählhaltungen. 83 Audiokommentar, Filme sehen lernen 1 (2003), Kapitel Basics, Erzählhaltungen.
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der Auf- und Abblende, der Schwarzblende sowie dem Split-screen.84 Die Montage ist von großer Bedeutung für die Akzentuierung des Erzählten85 und zählt auch zu den kinematographischen Techniken, die eine Erzählerfunktion ausüben. Die Verbindung mehrerer Einstellungen kann zum Beispiel durch einen Schnitt erfolgen. Das ist in vielen Filmen der Standard-Einstellungsübergang und entspricht den Seherwartungen bzw. -gewohnheiten des Rezipienten. Werden allerdings die Einstellungen plötzlich kürzer und damit die Schnittfrequenz höher, kann man durch diese Technik „das präsentierte Geschehen rhythmisieren und spannungssteigernd zuspitzen [...]“86. So können auch mit Hilfe verschiedener Einstellungsübergänge bzw. der Montage Filminhalte gestaltet und bestimmte Wirkungen erzeugt oder verstärkt werden. Bei der Überblendung, einer weichen Art der Verbindung zweier Einstellungen, scheint das Bild oder Objekt A in das Objekt B überzugehen. „Die Überblendung dient meist dazu, Traumsequenzen, Gedanken und Rückblenden hervorzuheben [...]“87, was in der Analyse nachzuprüfen ist. Eine weitere Visualisierungstechnik im Film ist die Plansequenz (sequence shot). Dabei handelt es sich um eine lange Einstellung, die scheinbar ohne Schnitte auskommt. In einer Plansequenz kann die Kamera ihren Blickwinkel oder den Bildausschnitt verändern, eventuell auch über einen Zoom. Unter mise-en-scène („in Szene setzen“) versteht man im Allgemeinen die räumliche Anordnung der Figuren und Dinge im Bild sowie das Regiekonzept bzw. den Stil des Regisseurs. Das beinhaltet auch die Spielleitung der Darsteller, Bildkompositionen aus Formen und Farben, Hell und Dunkel88, Arrangements von Figuren und Gegenständen, Einstellungsgröße, Blickwinkel, Bewegungsabläufe von Figuren und Kamera. Für den Filmregisseur bedeutet die Inszenierung einer Szene die Zeit und den Raum des Filmbildes zu organisieren. Dies kann auch genutzt werden, um figurative Innenwahrnehmungen zu evozieren. Ferner müssen auch Musik, sound design und Tonmischung (Dialoge, Geräusche, Musik) bei der Filmanalyse berücksichtigt werden. Auch hier handelt es
84 Vgl. Kanzog (1991), 178 f.; Hickethier (2001), 144f. sowie Korte (2004), 30f. 85 Paech beschreibt sie sogar als Kern der „filmischen Schreibweise“. (Paech [1997], 129)
86 Korte (2004), 31. Dieses Verfahren findet sich oft in actionreichen Szenen. 87 Korte (2004), 31. 88 Zum Beispiel die Verwendung von optischen Effekten (z.B. Filtern) oder einer außergewöhnlichen Belichtung (z.B. low- und high-key-Stil).
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sich um kinematographische Techniken, die eine Erzählerfunktion ausüben können. Beispielsweise kann die Musik im Film „funktional als Illustration, Psychologisierung, Einführung oder Kommentierung“89 dienen. Grundsätzlich kann man bei der Filmmusik die technische Differenzierung treffen zwischen Ton, dessen Quelle in der Bildrahmung sichtbar wird, und Ton, dessen Quelle nicht sichtbar ist.90 Zusätzlich können die Parameter von Klangfülle und Textur (z.B. Echoeffekte, gedämpft, volltönend, nachhallend) und Fokussierung (auf Einzelelemente konzentrierter Ton oder allgemeiner Geräuschpegel, Stimmengewirr) analysiert werden. Dem Ton kann aber auch eine weitere, übergreifendere Erzählerfunktion zugeschrieben werden, die ungleich stärker bedeutungstragend und -konstruierend ist. Hier kann von innerer Fokalisierung durch Ton gesprochen werden, „wenn dieser durch audiovisuelle Kontextualisierung (z.B. vorhergehender close-up, Tonverfremdung) die Vorstellungswelt einer Figur oder eines Binnenerzählers zuzuordnen ist“91. Zudem kann auch ein experimenteller Umgang mit Filmton Bedeutung generieren. „Der Zuschauer inferiert des weiteren, ob der Ton einer inneren Gedankenwelt zuzurechnen ist, oder eine fokalisierte Sinneswahrnehmung repräsentiert.“92 Aber nicht nur eine innere Fokalisierung kann durch Ton erzeugt werden, auch verschiedene Zeitebenen können so ausgedrückt werden: „Da sowohl die auditiven als auch die visuellen Erzählebenen auch immer ein Zeitverhältnis konstituieren [...], können Toninformationen hinsichtlich ihres Bezuges zur visuellen Erzählwelt als proleptisch, analeptisch oder zeitsynchron konstruiert werden.“93
89 Griem/Voigts-Virchow (2002), 164. 90 Beispielsweise in Sequenz 1 von Eyes Wide Shut (GB/USA 1999) schaltet Bill Harford den CD-Player aus und die Musik ist beendet. Oder in Sequenz 11 von Fräulein Else (F/Ö/D 2002) spielt Dorsday selbst Klavier und beendet das Spiel, als Else sich entblößt.
91 Griem/Voigts-Virchow (2002), 166. Als Beispiel sei hier das Musik-Thema Naval Officer genannt, welches eingespielt wird, während Bill eine Schwarz-Weiß-Vision von Alices Beischlaf mit dem Marineoffizier hat (vgl. Sequenzen 6, 7, 11, 16, 19 in Eyes Wide Shut [GB/USA 1999]).
92 Griem/Voigts-Virchow (2002), 166. 93 Griem/Voigts-Virchow (2002), 166. Auch hier sei auf die Schwarz-Weiß-Visionen von Bill verwiesen: Der Zuschauer weiß, dass die Handlung dieser Traumbilder scheinbar in der Vergangenheit liegt.
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Darüber hinaus können figurative Innenwahrnehmung im Film als voice-overnarration (von der Figur erinnerter Dialog) oder als Erzählerstimmer im Präteritum (als voice-over) vermittelt werden. Inwieweit die hier beschriebenen Inszenierungstechniken (Kameraperspektive, Kamerabewegungen, Montage, mise-en-scène, Musik, sound design und Tonmischung) Einfluss auf die Visualisierung von Innenwahrnehmungen haben, soll an den Beispielfilmen näher untersucht werden. Da ein Film als Zeichenprozess zu verstehen ist, geht Hickethier davon aus, dass „[d]ie audiovisuellen Medien als Sprache zu verstehen [sind], ohne selbst eine zu sein“94. Die audiovisuellen Zeichen bestehen somit aus Signifikanten und Signifikaten. Dabei ist das Verhältnis des Zeichens zur Realität entweder ikonisch, symbolisch oder indexikalisch.95 Hickethier behauptet, dass im Film vor allem die ikonischen und symbolischen Zeichen eine größere Bedeutung haben und deshalb auch in der Filmanalyse berücksichtigt werden müssen96. Ähnlich wie Simone Winko verweist Hickethier hier auf die Begriffe „Denotation“ und „Konnotation“, wobei die Konnotation eine Bedeutung „im weiteren Sinne [ist], die das Bild in einen größeren Rahmen einbezieht“. Somit können „die ikonischen Zeichen der Bilder auch auf einer Ebene der symbolischen Verwendung gesehen werden“97. Hickethier verortet im Medium Film einen kulturellen Code, also keine „subjektiv beliebige Bedeutungsassoziation“98, sondern eine Bedeutung, die dem kulturellen Kontext immanent ist.99 Aus diesem Grund soll bei den Filmanalysen ein besonderes Augenmerk auf den (visuellen) Konnotationen liegen, und es sollen deren Zeichen entschlüsselt werden. Hilfreich ist eine Methode, welche die konnotativen Elemente bereits bei der Deskription berücksichtigt.
94 Hickethier (2001), 117. 95 Der Filmwissenschaftler Hickethier trifft hier die Unterscheidung zwischen Ikon, Symbol und Index nach Charles S. Peirce. Auch die Filmphilologie stützt ihr theoretisches Grundkonzept auf die Zeichenlehre von Peirce.
96 Dass auch die Indices in der Filmsprache von großer Bedeutung sind, erwähnt Hickethier nicht. Darauf verweisen allerdings explizit Kanzog und Monaco.
97 Hickethier (2001), 118. Diese symbolischen Zeichen können auch figurative Innenwahrnehmungen visualisieren.
98 Hickethier (2001), 118. 99 Ähnliches stellt bereits Winko fest, die allerdings von „emotionalen Konnotationen“ (Winko [2003], 99) spricht, diese aber analog definiert, nämlich nicht als persönliche, sprecher- oder hörerbezogene Assoziation, sondern als eine institutionalisierte Assoziation von Emotionen.
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Deshalb wird bei den Einstellungsanalysen versucht, die filmischen Zeichen in denotative (mimische) Information, gesprochenen Text und Konnotationen einzuteilen. Es lässt sich zusammenfassend feststellen, dass sowohl die Literatur- als auch die Filmwissenschaft über umfassende und systematisierte Methoden verfügen, um Texte und Filme wissenschaftlich zu analysieren. Diese Methoden sollen in den folgenden Kapiteln zur Anwendung kommen.
Schnitzler und der Film
Im Jahr 1895, Schnitzler ist 33 Jahre alt, wird die Kinematographie in Berlin und Paris das erste Mal einem breiten Publikum vorgestellt. 1903 geht Schnitzler „allwöchentlich seit 7 Wochen [in das] Kaiserpanorama (‚Gibraltar‘)“120. Zur selben Zeit existieren in Wien bereits drei ständige Kinos. Auch Schnitzler sieht bald die ersten Kurzfilme und ist ab 1908 ein eifriger Kinogänger, wie seine Tagebucheintragungen belegen2. Die Filmindustrie nimmt 1911 Kontakt zu ihm auf, um ihn zum Schreiben von Drehbüchern zu animieren. Schnitzler lehnt ab, vorerst. Allerdings muss er ab 1914 finanziell kürzer treten: Neben der steigenden Inflation geht zudem der Verkauf seiner Werke zurück. „[S]ein Interesse am Kino ist mehr denn je von kommerziellen Erwägungen geprägt [...].“3 Im selben Jahr gibt es die erste Verfilmung von Liebelei (Elskovsleg 1914) in Dänemark. Schnitzler selbst hatte den Filmentwurf dazu erarbeitet, hinterfragt aber später den künstlerischen Anspruch (nicht nur) dieses Films. Immerhin: Die Verfilmung von Schnitzlers Anatol (The Affairs of Anatol 1921) ist in Amerika sehr erfolgreich. Schnitzler ist allerdings zunehmend enttäuscht von Verfilmungen, die er im Kino zu sehen bekommt. An eine Bekannte schreibt er am 11.11. 1920: Jetzt hab ich das Filmrecht für den Anatol nach Amerika verkauft, – ist es nicht irrsinnig? Ich bekomme mehr dafür als ich je mit einem Stück verdient habe, als es noch vernünftig mit lebendigen Menschen auf anständigen Bühnen gespielt wurde. [...] Auch hier soll der
1
Schnitzler, Tagebuch 1903–1908, 52. Eintrag vom 12.12. 1903. Das Kaiserpanorama war ein Guckkasten, in dem man stereoskopische Bilderserien betrachten konnte.
2
Eine ausführliche Analyse der Tagebucheintragungen macht Peter Michael Braunwarth in seinem Artikel „Dr. Schnitzler geht ins Kino. Eine Skizze seines Rezeptionsverhaltens auf Basis der Tagebuch-Notate“.
3
Wolf (2006), 102.
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„Reigen“ bald aufgeführt werden. [...] Ich stehe all dem mit erheblicher Gleichgiltigkeit gegenüber; darüber, dass ich einen eventuellen materiellen Erfolg den ‚künstlerischen Qualitäten‘ des Reigen nur zum geringern Theil zu danken haben würde, bin ich mir klar.4
Trotz alledem ist er auf die Einnahmen aus den Verfilmungen finanziell angewiesen. Durch seine mittlerweile zahlreichen Kontakte zur Filmbranche wird er zudem für andere Schriftsteller ein Ansprechpartner in Filmangelegenheiten und im Januar 1924 sogar literarischer Beirat der „Vita Film“ in Wien (gemeinsam mit Felix Salten), die allerdings durch den Wiener Börsenkrach aus finanziellen Gründen nicht weitergeführt werden kann. Je mehr Filme er sich in den folgenden Jahren ansieht, desto ablehnender wird sein Verhältnis zum Kino. „Mit C.P. Kino. Königin der Riviera. – Das Niveau dieses Films ist unwahrscheinlich; immer wieder, neben der Dummheit und Unbildung die Niedrigkeit der Charaktere (der Verfasser) bemerkenswerth.“5 1927 sieht Schnitzler seine deutsche Liebelei-Verfilmung im Kino. In einem Brief an seinen Sohn Heinrich schreibt er am 24.9.1927: Gestern sah ich den Liebelei Film, der mir geradezu auf die Nerven ging. Die ganze Psychopathologie der Filmdramaturgen und Regisseure ließe sich an diesem Einzelfall nach weisen. [...] Am widerlichsten waren mir die auch filmisch ungeschickten und total überflüssigen Veränderungen, die sich die Leute besonders im letzten Drittel geleistet haben – wahrscheinlich weil sie zu faul waren, einen Blick mehr in das Buch zu thun.
6
Bereits ein Jahr zuvor, 1926, hat Schnitzler die Idee, Fräulein Else filmisch realisieren zu lassen7. Er will von Beginn an die Schauspielerin Elisabeth Bergner mit der Rolle der Else besetzen. Erst für das Theater8, dann für den Film. Schließlich wird die Poetic Film auf das Sujet aufmerksam und nach zähen Verhandlungen wird 1929 die Filmversion realisiert, der letzte Stummfilm eines Schnitzler-Werkes. Er schreibt dafür nicht selbst das Drehbuch, sondern Carl Mayer. „Schnitzler bringt seine Vorschläge zwar in die Diskussion [um das Drehbuch] mit ein, die Zusammenarbeit bei der Erstellung des Films endet damit und das Angebot zur
4
Schnitzler, Briefe 1913-1931, 218. Brief an Dora Michaelis.
5
Tagebucheintrag vom 25.1. 1927. Schnitzler, Tagebuch 1927–1930, 15.
6
Schnitzler, Briefe 1913-1931, 497f. Brief an Heinrich Schnitzler.
7
Vgl. Schnitzler, Tagebuch 1923-1926, 378. Eintrag vom 1.12. 1926.
8
„Dann über ‚Else‘ in scen. Darstellung, mit der Bergner, eine Idee, die ihn in Feuer und Flammen setzt.-“ (Schnitzler, Tagebuch 1923-1926, 249. Eintrag vom 21.5. 1925)
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Mitarbeit bei den Dreharbeiten wird von Schnitzler nicht wahrgenommen.“9 Auch bei der Premiere in Berlin am 7.3.1929 ist er nicht anwesend. Die Reaktionen auf den Film nimmt Schnitzler allerdings mit großem Interesse zur Kenntnis. Nachdem er den Film im März 1929 selbst gesehen hat, konstatiert er: „Was haben die Leute mit dem Schluss gemacht!“10 Frustriert von seinen bisherigen Eindrücken und Erfahrungen möchte er mehr Einfluss auf die Verfilmungen seiner Texte nehmen und mehr mitbestimmen. Bereits ab 1920 beschäftigt sich Schnitzler mit Filmtheorie. Er liest das Buch des dänischen Regisseurs und Filmtheoretikers Urban Gad Der Film. Seine Mittel, seine Ziele und setzt sich mit damaligen Filmparadigmen, den „Eigenschaften und Inhalt des Films“11, auseinander, um die „Haupteigentümlichkeiten des Films [zu] erkennen“12. Gemeint sind unter anderem Stummheit, Farblosigkeit, Zeit und Raum, Spannung, Steigerung und Tempo sowie das Interieur, aber auch die Form eines Filmmanuskripts. „Schnitzler [...] erkennt bereits sehr früh, was filmadäquat ist und was sich für eine Verfilmung seiner Ansicht nach nicht eignet.“13 Er schreibt selbst sechs Drehbuchentwürfe (u.a. zur Hirtenflöte 1913, Medardus 1923), in denen er den Text in durchnummerierte Szenen einteilt, mögliche Schnitte mit einbezieht und sogar Beleuchtung oder Kameraführung bedenkt. Er entschließt sich außerdem zu einem Filmentwurf zur Traumnovelle. Im Dezember 1930 beginnt Schnitzler, die Novelle in ein Drehbuch14 umzuschreiben, nachdem der Regisseur G.W. Pabst sein Interesse an dem Stoff bekundet hat. In sein Tagebuch schreibt er am 9.12. 1930: „Gegen 6 Hr. Rappaport (junger 22j. kluger Mensch) für Hrn. Pabst, wegen Tonverfilmung Traumnovelle; ich solle selbst den Entwurf verfassen.“15 Einige Tage später beginnt Schnitzler die
9
Wolf (2006), 90.
10 Schnitzler, Tagebuch 1927–1930, 284. Eintrag vom 20.10.1929. Mit der schauspielerischen Leistung von Elisabeth Bergner ist er allerdings sehr zufrieden. 11 Gad (1920), 8. 12 Gad (1920), 11. 13 Wolf (2006), 109. 14 Schnitzlers Drehbuch-Entwurf befindet sich als Manuskript im Arthur-SchnitzlerArchiv in Freiburg i.Br. Vgl. Schnitzler: Traumnovelle-Filmskript (nach Müller Neumann CXLII Traumnovelle, Nr. 5 Film-Skript, pag.: 1–30, Maschinenschrift und Nr. 6 Skizzen zum Film [unleserlich], pag.: 1–5, Handschrift Schnitzler). ArthurSchnitzler-Archiv. Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Deutsches Seminar II, Leitung: Prof. Dr. Achim Aurnhammer. Film-Skript, Mappe 41 15 Schnitzler, Tagebuch 1927–1930, 391. Eintrag vom 9.12. 1930.
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Traumnovelle erneut zu lesen („Nm. Traumnov. zu lesen begonnen; – wegen Film“16), macht sich Notizen und arbeitet den ganzen Dezember 1930 an einem Filmmanuskript für den Tonfilm, welches aber unvollendet bleibt. „Der Entwurf umfasst 30 Seiten und ist in 54 Szenen gegliedert, die sich bis auf kleine Veränderungen an den Handlungsablauf der Novelle halten.“17 Einzige Änderung: Die Redoute wird nicht als Rückblende vom Vorabend in das Skript eingearbeitet, sondern das Ehepaar begibt sich, nachdem sie ihre Tochter zu Bett gebracht haben, gemeinsam auf dieses Fest.18 Schnitzler hebt in seinem Drehbuchentwurf visuelle Komponenten hervor und macht Vorschläge für den Einsatz von Musik und Geräuschen (d.h. eine Tonfilmbearbeitung der Novelle). Zahlreiche Bildsequenzen für visualisierte Träume werden von ihm entworfen. Wie sich Schnitzler den geheimen Maskenball und eine Filmversion von Albertines Traum vorstellt, bleibt allerdings offen, der Drehbuchentwurf endet an dieser Stelle. Am 11.1.1931 schreibt er an seinen Sohn: „– Wegen Verfilmung der Traumnovelle war neulich im Auftrag v Pabst ein netter junger Mann, namens Rappaport bei mir; – aber auch davon ist es still geworden.“19 Er arbeitet vorerst nicht an diesem Filmskript weiter. Schließlich muss Schnitzler einsehen: „Ebenso ziehen sich die Besprechungen wegen der Traumnovelle. – Der Mangel an Praecision, an Verlässlichkeit, an Ehrlichkeit in diesen Dingen wird immer schlimmer.“20 Im März 1931 lehnt G.W. Pabst endgültig ab.21 Als Gründe nennt er finanzielle und rechtliche Probleme. Schnitzler stellt fest:
16 Schnitzler, Tagebuch 1927–1930, 392. Eintrag vom 11.12. 1930. Am 18.12. 1930 schreibt er an Rappaport, „was für ein schöner stummer, d.h. musikalisch umspielter, durchfluteter, kurz was für ein eigentlicher Ton- nicht aber SprechFilm sich gerade aus der Traumnovelle machen liesse“. (Mappe 437, Marbach, zitiert nach Ilgner [2010], 144f.) 17 Wolf (2006), 140. 18 Eine Veränderung, die auch Kubrick in Eyes Wide Shut (GB/USA 1999) anwendet. Laut dem Enkel Schnitzlers, Peter Schnitzler, hat Kubrick selbst das Drehbuchfragment bei ihm eingesehen (vgl. Tagesspiegel 9.9. 1999, 15). Ob deshalb auch sein Film einen ähnlichen Handlungsverlauf hat wie damals bereits von Schnitzler geplant, ist nicht belegt. 19 Schnitzler, Briefe 1913–1931, 741. Brief an Heinrich Schnitzler. 20 Brief an Heinrich Schnitzler vom 4.3. 1931. Schnitzler, Briefe 1913–1931, 771. 21 Er sei „zu der Überzeugung gekommen, dass in dem Brauche der Verfilmung für uns Filmleute ein schwerer Fehler steckt. [Bei der Traumnovelle] wären schwere Verluste atmosphärischer Werte unvermeidbar und ich will nicht noch einmal als der Vergewaltiger geistiger, dichterischer Arbeit erscheinen.“ (Zitiert nach: Marbacher Magazin
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Meine Erfahrungen mit den Filmleuten sind so übel als möglich. [...] Jetzt sind immer wieder Verhandlungen wegen Tonverfilmungen von ‚Liebelei‘, ‚Anatol‘ und ‚Else‘ im Gang, doch kommt absolut nichts zustande, weil die früheren Verfertiger und Besitzer der stummen Filmrechte [...] als alleinberechtigte Besitzer sich gerieren und nahezu unüberwindliche Schwierigkeiten einer neuen Verwertung für den Tonfilm entgegensehen. Daß ich Dutzende Novellen und Theaterstücke geschrieben habe, die sich vielleicht auch ganz gut zur Tonverfilmung eignen würden, darum kümmern sich die Leute nicht. Sie sind so22
gar zu faul meine Sachen zu lesen [...].
Bei keiner Verfilmung seiner Werke hat Schnitzler sich mit seinen Forderungen und Ideen durchsetzen können. Trotz seiner schlechten Erfahrungen mit dem Medium hat der Film einen großen Einfluss auf Schnitzlers schriftstellerisches und künstlerisches Schaffen. Schnitzler verfolgt die Entwicklung der filmischen Technik und weiß um die Räumlichkeit, Visualität und Tonalität eines Films. Der eigentliche Inhalt des Film wird naturgemäß immer Kolportage sein, nur die Strenge der Form, die von jetzt an gewahrt werden soll, wird den künstlerischen Film von den andern unterscheiden. Nur der Film wird meiner Ansicht künstlerisch bestehen können, der 23
nur aus folgerichtigen und sich selbst verständlichen Bildern besteht.
Anhand dieses Briefes und dieser Tagebucheintragungen lässt sich deutlich eine filmpoetologische Ausrichtung von Schnitzler erkennen. Er geht davon aus, dass Sprache (gemeint ist geschriebene Sprache in Form von Zwischentiteln) und das Film-Bild sich gegenseitig negativ beeinflussen. „Filmbilder lassen sich nicht in literarische Zwischentexte übersetzen oder umgekehrt. [Er erkennt], dass es nicht dem Medium Film entspricht, sprachliche Elemente zur Erläuterung der komplexen Sachverhalte in den Vordergrund zu drängen und dabei die visuelle Gestaltung zu vernachlässigen.“24
93/2001, 148f.) Originalbrief im Filmmuseum, Deutsche Kinemathek Berlin, Sammlung G.W. Pabst. 22 Schnitzler, Briefe 1913–1931, 790f. Brief vom 27.5.1931 an Karen Stampe-Bendix. 23 Schnitzler, Briefe 1913–1931, 10. Brief vom 5.2.1913 an Karl-Ludwig Schröder (Direktor des Verbandes Deutscher Filmautoren). 24 Wolf (2006), 145. Auch Dialoge müssen laut Schnitzler in filmischen Szenen visualisiert werden und nicht mit Hilfe von Zwischentiteln dargestellt werden.
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Meiner Ansicht nach wäre eigentlich notwendig, die Musikbegleitung für jede Kinosache, wenn schon nicht direkt zu komponieren, so doch in einer die einzelnen Kinotheater bindenden Weise festzustellen. Erst wenn auch diese Forderung erfüllt ist werden die Kinostücke möglicherweise in die Nähe von Kunstangelegenheiten zu rücken imstande sein.25
Jedes Medium, so Schnitzler, hat seine eigenen spezifischen Ausdrucksmittel, die berücksichtigt werden müssen – eine Auffassung, die auch heute noch ihre Gültigkeit hat. In seinem Merdardus-Entwurf verwendet Schnitzler gezielt Großaufnahmen, verschiedene Blickwinkel der Kamera und Parallelmontage26. Aber auch auf Schnitzlers schriftstellerisches Schaffen übt der Film scheinbar unintendiert27 einen Einfluss aus. Zum Beispiel sind viele Passagen in der Traumnovelle und in Fräulein Else filmisch angelegt.28 Die in der Traumnovelle angelegte Doppelstruktur des Textes könnte filmisch als Parallelmontage realisiert werden. Zudem wirken in der Traumnovelle einige Szenen visuell wie Stummfilmszenen: Schnitzler beschreibt im Text „dunkle Augen“ oder einen „blutroten Mund“ (TN 464f.). Auch andere Textpassagen können wie Kamera-
25 Brief an Karl-Ludwig Schröder vom 20. März 1913. In: Schnitzler, Briefe 1913–1931, 14. Auf Grundlage dieses Briefes von Schnitzler erhellt sich auch die Funktion des Musikzitats in Fräulein Else: Dramaturgisch ist diese Textstelle wie ein Stummfilm angelegt. Asper stellt fest: „Schnitzlers Ideal des stummen Films war eine visuelle Sinfonie, wie sie später der von ihm sehr geschätzte Drehbuchautor Carl Mayer und der Regisseur Friedrich Wilhelm Murnau anstrebten.“ (aus dem Vortragsmanuskript „Akte der Tagung über Schnitzler und den Film“, 14) 26 Vgl. Wolf (2006), 156. 27 Schon Manfred Kammer fragt sich, ob Schnitzlers Beschäftigung mit dem Film „Spuren in seinem literarischen Werk“ hinterlassen hat. Er betont, dass z.B. die Pantomime Pierrette in „zahlreichen Details der um 1900 gängigen Praxis des Stummfilms“ entspricht, vgl.: Kammer, Manfred: Filmspuren – zum Einfluss des Films auf Schnitzlers Schaffensprozess. Vortragsmanuskript „Akte der Tagung über Schnitzler und den Film“, 14.–17. November 2007 in Udine. Unveröffentlichtes Vortragsmanuskript (Im Druck: Luigi Reitani [Hrsg.]: Schnitzler e il suo doppio. Cinema e letteratura). 28 „Ein literarischer Text ist dann ‚filmisch‘, wenn er Assoziationen evoziert, die konventionell dem fremden Medium als eigen zugeschrieben werden; etwa wenn eine Sequenz traumhaft-bildlich anmutet oder die zeitliche Ordnung der Erzählung aufgegeben wird. [...] ‚Filmisches Erzählen‘ bezeichnet demnach die Übertragung filmischer Erzähltechniken (Einstellungsgröße, Kameraperspektive und -bewegung, Montagefiguren etc.) auf literarische Texte.“ (Ilgner [2010], 136) Vgl. auch Schlickers (1997) und Tschilschke (2000).
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einstellungen interpretiert werden. So geraten Gesichter und Augen in eine Art verbalisiertes close up. Eine Textstelle aus der Traumnovelle sei hier herausgegriffen, der Protagonist Fridolin erhält eine zweite Warnung erhält. Die Szenerie mutet an wie aus einem Stummfilm: Der Diener sagt kein Wort, nur Gestik und Bewegungen werden beschrieben. Doch schon tat sich das Haustor von selbst auf, ein alter Diener in einfacher Morgenlivree trat heraus und ging langsam den schmalen Pfad bis zur Gartentür. Er hielt einen Brief in der Hand und reichte ihn stumm zwischen den Gitterstäben Fridolin, dem das Herz klopfte. „Für mich?“ fragte er stockend. Der Diener nickte, wandte sich, ging, und die Haustür fiel hinter ihm zu. Was bedeutet das? fragte sich Fridolin. (487)
Die Typisierung der Frauenfiguren in der Traumnovelle (Hysterikerin, Hure, süßes Mädel, Femme fatale, Ehefrau) als „selbsterklärende Konstellation“29 hat auch den Stummfilm dieser Jahre bestimmt. Schnitzlers bereits beschriebene Verwendung häufig wiederkehrender Hell-Dunkel-Kontraste, die gleichsam als Lichtregie im literarischen Text eingesetzt werden, wären hinsichtlich seines ‚filmischen Erzählens‘ ebenfalls zu nennen. Ferner die „geschickt inszenierte Visualisierung der Vermittlung von Informationen und Kausalzusammenhängen, [um auf] Zwischentitel zu verzichten“30, wie zum Beispiel Fridolins Maske, die eines Nachts auf seinem Kopfkissen liegt, spielt bei Fragen nach ‚filmischem Schreiben‘ oder nach narrativen Visualisierungstechniken eine wichtige Rolle. Besonders hervorheben muss man das Musikzitat von Schumanns KlavierWerk Carnaval (op. 9) in dem Schnitzler-Text Fräulein Else. Diese Textstelle mutet wie Schnitzlers Regieanweisung für die Musikbegleitung eines Stummfilms an. Denn wie weiter oben bereits erwähnt, wünschte sich Schnitzler, die „Musikbegleitung für jede Kinosache, wenn schon nicht direkt zu komponieren, so doch in einer die einzelnen Kinotheater bindenden Weise festzustellen“31. Eine formale Mimesis kinematograhischer Darstellungsmittel (Montage, Wechsel der Blickpunkte, aber auch die für Schnitzler wichtige Begleitmusik) ist somit in vielen seiner Texte gegeben.
29 Ilgner (2010), 145. 30 Ilgner (2010), 145. Hervorhebung im Original. 31 Brief an Karl-Ludwig Schröder vom 20. März 1913. In: Schnitzler, Briefe 1913–1931, 14.
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Aus diesem Grund ist es umso unverständlicher, weshalb Schnitzlers Bemühungen scheiterten, sich als Filmautor zu etablieren. Im letzten Monat seines Lebens entwarf Schnitzler erstmals einen genuinen Filmstoff, einen Entwurf für einen Kriminalfilm32, der unvollendet blieb, da er die Arbeit daran aus gesundheitlichen Gründen am 1. Oktober 1931 abbrechen musste. Nach Schnitzlers Tod (1931) wurden nur wenige Verfilmungen seiner Texte für das Kino realisiert.33 Lediglich zwei große Kinoproduktionen (nach Max Ophüls’ Reigen [D 1950]) wurden bisher produziert: Eyes Wide Shut (GB/USA 1999) von Stanley Kubrick sowie Fernando Meirelles 360 (GB/Ö/F/BRA 2011). Schnitzler reflektierte zu seinen Lebzeiten: Sie wissen wahrscheinlich, daß man bisher nur folgende Sujets von mir gedreht hat: ‚Liebelei‘, ‚Freiwild‘, ‚Merdardus‘ und ‚Fräulein Else‘ und jetzt hat man in Amerika ‚Spiel im Morgengrauen‘ gemacht. [...] Daß ich Dutzende Novellen und Theaterstücke geschrieben habe, die sich vielleicht auch ganz gut zur Tonverfilmung eignen würden, darum kümmern sich die Leute nicht. Sie sind sogar zu faul meine Sachen zu lesen und immer wieder tritt man mit der lächerlichen Forderung an mich heran, ich möchte kurze Auszüge meiner Novellen liefern, um diesen Subjekten ja die Mühe zu ersparen am Ende ein ganzes Buch von mir zu lesen. Ich selbst habe natürlich nicht die geringste Lust den Filmdirektoren Sujets zu offerieren. Und wenn einer einmal von selbst zu mir kommt, so bekomme ich meist auf meinen zweiten oder dritten Brief keine Antwort mehr.34
Tatsächlich wurden bis heute hauptsächlich Anatol, Fräulein Else, Liebelei, Reigen und Spiel im Morgengrauen verfilmt.
32 Veröffentlicht in: Schnitzler, Arthur: Entworfenes und Verworfenes, 483–493. Dieser Band enthält auch weitere Filmentwürfe. Der Entwurf für einen Kriminalfilm belegt sowohl Schnitzlers Interesse am Film als auch seine präzise Beherrschung filmischer Dramaturgie und Technik. Er ist 19 Seiten lang, bis Bild 45 ausgearbeitet und zusätzlich mit einer Skizze versehen. Schnitzler beschreibt in diesem Entwurf auch Kamerafahrten. 33 Hervorzuheben sind Liebelei (1933), Der Reigen/La Ronde (1950), beide von Max Ophüls sowie Christine (1958) nach Schnitzlers Liebelei mit Romy Schneider und Alain Delon in den Hauptrollen. Allein im Fernsehen (vor allem in den sechziger Jahren, aber auch später) gab es zahlreiche Schnitzler-Verfilmungen. 34 Brief an Karen Stampe-Bendix vom 27. 5.1931. In: Schnitzler, Briefe 1913–1931, 790f.
Stummfilm – Fernsehfilm – Kinospielfilm
Bevor detailliert auf die ausgewählten Verfilmungen eingegangen werden kann, sind formale bzw. technische und ästhetische Unterschiede (oder Gemeinsamkeiten) zwischen Stummfilm, Fernsehfilm und Kinospielfilm herauszuarbeiten. Naheliegend scheint zunächst eine Bestimmung der Filmgattung. „Unter Gattungen versteht man filmische Großbereiche wie Spielfilm, Dokumentarfilm, Animationsfilm, Lehr- oder Werbefilm.“1 Gattungen unterscheiden sich bereits grundlegend in der Art des vorfilmischen Materials (real oder inszeniert), ihrer Intention (Unterhaltung oder Information) und natürlich ihrer Laufzeit und des Formates. Da es sich bei allen hier analysierten Verfilmungen um Spielfilme handelt, führt eine Unterscheidung mit Hilfe der Gattungstheorie an dieser Stelle nicht weiter. Für eine eher inhaltlich motivierte Klassifizierung von Spielfilmen wird häufig der Genre-Begriff verwendet. Unter einem Filmgenre versteht man Gruppen von Spielfilmen2, die unter einem spezifischen Aspekt Gemeinsamkeiten aufweisen. „Der Name des Genres hebt jeweils ein Gruppierungsmerkmal hervor, wobei diese Merkmale auf unterschiedlichen Abstraktionsebenen angesiedelt sein können [...].“3 Diese Klassifizierung kann zum Beispiel nach Erzählform (Komödie, Tragödie), nach Thema (Abenteuerfilm, Kriminalfilm), nach einem zeitgeschichtlichen Bezug (Science Fiction, Fantasy, Heimatfilm, Western, Mantel-und-Degen-Film) oder zum Beispiel auch nach der Rolle der Musik (Revue-
1 2
Schweinitz: Genre (2002), 244. Ein Spielfilm ist ein Film mit einer fiktionalen Handlung, die unter Umständen realen Ereignissen bzw. Personen nachempfunden sein kann.
3
Schweinitz: Genre (2002), 244.
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film, Musical) vorgenommen werden. „Die Elemente sind festgelegt und werden immer wieder auf dieselbe Weise verarbeitet [...].“4 Bei der Unterscheidung von Stummfilm, Fernsehfilm und Kinospielfilm fällt auf, dass hier weder zwischen inhaltlichem noch zwischen vorfilmischem Material (real/inszeniert) oder Intention (Unterhaltung/Information) differenziert werden kann. Es handelt sich eher um unterschiedliche technische Spezifikationen der einzelnen Verfilmungen wie zum Beispiel ‚stumm‘, ‚mit Ton‘ oder ‚farbig‘ oder ‚schwarzweiß‘. Diese Verschiedenheiten liegen jenseits von Genre (inhaltlich) oder Gattung, da es sich bei allen vier Verfilmungen um Spielfilme handelt: vom schwarzweißen Stummfilm (Fräulein Else [D 1929]), über zwei Fernsehfilme (Traumnovelle [Ö 1969], Fräulein Else [F/Ö/D 2002]) bis hin zum kostspieligen Kinospielfilm (Eyes Wide Shut [GB/USA 1999]). Hingegen sind inhaltlich alle hier ausgewählten Verfilmungen dem Genre Literaturverfilmung zuzuordnen. Im Anschluss sollen noch einmal die technischen Unterschiede zwischen Stummfilm, Fernsehfilm und Kinospielfilm herausgestellt werden. Stummfilme waren ab 1893 in Guckkästen und Wanderkinos, ab 1895 auch auf der Leinwand zu sehen.5 Ab 1906/07 gab es in Deutschland auch feste Kinos, die immer mehr zu den einzigen Aufführungsorten von Stummfilmen wurden. Bei den ersten Stummfilmen handelte es sich noch um kurze Filme, die oft nur aus einer Einstellung bestanden und exotische Orte oder kleine Sketche zeigten (Kino der visuellen Attraktionen)6. Erst im Laufe der Jahre wurden die Filme länger, und es entwickelten sich verschiedene Stummfilmgenres, „die zu Produktions- und Programmstandards wurden“7. Ab 1911/12 wurden auch lange Spiel-
4
Arnheim (2002), 160. Schon 1900 wurden Stummfilme nach beliebten Genres kategorisiert, die das Publikum sehen wollte. Rudolf Arnheim stellt 1932 fest: „Das Publikum erzwingt sich die Filme, die es haben will. Der Industrielle arbeitet nach dem Diktat der Massen: er ersieht aus den Abrechnungen, welche Filme ‚groß gegangen‘ sind und welche nicht, und danach richtet er seine Produktion ein.“ (Arnheim [2002], 163.) Die Filmgenres haben sich demnach aus einem ökonomischen Interesse der Filmindustrie entwickelt.
5
Ausführliche Darstellungen zur Geschichte des Stummfilms u.a. bei Bordwell (2001) S. 11–65, Arnheim (2002) und Gregor/Patalas (1973), S. 13–145.
6
Vgl. Gunning (1996).
7
Schweinitz: Stummfilm (2002), 603. Wie zuvor kurz dargelegt, drehte man schon Stummfilme nach wiederkehrenden Schemata und mit bestimmten Stars, so „daß man im durchschnittlichen Industriefilm
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filme gezeigt, verschiedene Schauspieler avancierten zu Stars (z.B. Asta Nielsen, Henny Porten, Emil Jannings, Pola Negri, Elisabeth Bergner), und eine Filmindustrie entstand.8 Zu den technischen Charakteristika eines Stummfilms zählen das SchwarzWeiß (manchmal wurden Stummfilme allerdings auch handkoloriert oder in einem Farbbad aus Anilin eingefärbt9), das Fehlen einer Tonspur (Stummheit), begrenzte Kameratechniken, gezielter Einsatz der Lichtregie und ein bestimmtes Spiel der Darsteller, das genretypisch besonders exaltiert war. Das Spiel (Mimik und Gestik) der Darsteller war aus diesem Grund meistens sehr körperbetont und wirkt vom heutigen Blickpunkt aus oft übertrieben. Wegen der Stummheit wurden die Filmvorführungen häufig musikalisch untermalt: mit Orchester, einem Klavierspieler, dem Grammophon oder mit einem Harmonium. Um den fehlenden Ton zu ersetzen, der auch „Dialoge wiedergab und den narrativen Zusammenhang der Bilder sprachlich stiftete“10, wurde zudem mit einmontierten Texten, sogenannten Zwischentiteln, gearbeitet. Mancherorts begleitete auch ein Filmerzähler oder -erklärer die Vorstellung. Trotz Musikuntermalung und Zwischentiteln musste der Großteil der Handlung und Gefühle über die Filmbilder transportiert werden. Ab 1920 entstand ein narratives Kino mit Filmen, die beispielsweise mit neuen Montagetechniken oder einer durchdachteren Lichtsetzung eine komplexere Bildsprache des visuellen Erzählens entwickelten und deshalb noch bis heute als Filmklassiker gelten (z.B. Robert Wiene Das Cabinet des Dr. Caligari [D 1919], Paul Wegener Der Golem, wie er in die Welt kam [D 1920], Friedrich Wilhelm Murnau Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens [D 1922], Sergej Eisenstein Panzerkreuzer Potemkin [UdSSR 1925], Fritz Lang Metropolis [D 1927]). „Im Jahr 1928 erreichte die Kunst des Stummfilms ihren Höhepunkt und ihr Ende.“11 1930 wurde der Stummfilm vom Tonfilm abgelöst.
kaum je irgend ein neues Handlungsmotiv entdeckt“. (Arnheim [2002], 159) Arnheim spricht 1932 sogar vom „Konfektionsfilm“ (Arnheim [2002], 163). 8
Bereits 1919 war die deutsche Filmproduktion auf einem Höhepunkt: Fünfhundert Filme wurden in diesem Jahr fertig gestellt.
9
Gad beschreibt es 1920: „Für Zimmer verwendet man sehr oft einen hellbraunen Sepiaton, zu sonnenbeschienenen Landschaften ein ganz helles goldgelbes Orange, ein dunkles Orange zu Lampenlicht, hellrotes zu Sonnenuntergängen und Dämmerungen, blaues zu Nacht und Mondschein und ein starkes rotgoldenes zu Feuersbrünsten.“ (Gad [1920], 247f.)
10 Schweinitz: Stummfilm (2002), 604. 11 Bazin (2004), 90.
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Ein Kinospielfilm, seit 1930 üblicherweise mit Ton, ist in erster Linie für die Präsentation in Kinos hergestellt. Eine spätere (Zweit-)Vermarktung im Fernsehen und auf DVD bzw. Blu-ray ist heutzutage üblich. Ein Kinospielfilm ist meist 90 Minuten lang oder länger, in jedem Fall über 60 Minuten. Er ist einem breiten Publikum weltweit zugänglich, wird aufwändig produziert und flächendeckend beworben. Neueste technische Effekte, hochmoderne Kameras, aufwändig arrangierte Filmmusik, hohe Gagen der Darsteller: Kinospielfilme sind aufgrund ihrer z.T. enormen Produktionskosten auf eine breite Zustimmung der Zuschauer im Kino angelegt. Der weltweit erfolgreichste Film mit über 2,7 Milliarden US-Dollar Einspielergebnis12 ist bisher James Camerons 3-D-Film Avatar – Aufbruch nach Pandora (USA 2009). Die Produktionskosten dieses Films lagen bei 237 Millionen US-Dollar.13 Bei solchen Kosten und Einspielzahlen wird klar, dass sich der Kinospielfilm in Produktion und Distribution deutlich von dem geringer budgetierten Fernsehfilm unterscheidet. Wie bereits beschrieben, handelt es sich bei beiden Varianten um Spielfilme, die eben nur technisch und finanziell unterschiedlich produziert werden. Ein Fernsehfilm ist ein langformatiger Spielfilm, der in erster Linie für die Fernsehausstrahlung hergestellt wird. Die Produktionen werden in der Regel von einer oder mehreren Rundfunkgesellschaften in Auftrag gegeben und ganz oder teilweise finanziert.14 Häufig übernehmen externe Firmen die Produktion. Das Produktionsformat reicht je nach Zweck und Budget von Kinefilm (Filmmaterial wird auf Kerne und Spulen gewickelt) bis zur digitalen Aufzeichnung. Häufigstes Produktionsformat war bis 2002 Betacam SP. Heute wird zunehmend in HDTV produziert.
Charles Chaplin drehte auch nach der Einführung des Tonfilms noch Stummfilme: Lichter der Großstadt (USA 1931) und Moderne Zeiten (USA 1936). Mel Brooks produzierte 1976 den Film Silent Movie (USA) als eine Hommage an den Stummfilm. 12 Quelle: Inside Kino, abgerufen am 25. April 2010. Damit übertrumpfte sich James Cameron nur selbst: Er verwies seinen Film Titanic (USA 1997) auf Platz zwei (Einspielergebnis von 1,8 Milliarden Dollar). Erfolgreiche deutsche Spielfilme auf internationaler Ebene waren Das Boot (D 1982), Lola rennt (D 1999), Der Untergang (D 2005) und Das Leben der Anderen (D 2006). 13 http://www.thewrap.com/movies/article/avatars-true-cost-and-consequences-11206 (Stand: 3.9. 2010). 14 Seit einigen Jahren wird der deutsche Fernsehpreis verliehen, der von den Sendern ARD, ZDF, RTL und Sat1 ins Leben gerufen wurde. Als bester Fernsehfilm 2009 wurde die ARD-Produktion Mogadischu (2008) ausgezeichnet.
S TUMMFILM – F ERNSEHFILM – K INOSPIELFILM
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Grundsätzliche Unterschiede zwischen dem Fernsehfilm und dem Kinospielfilm bestehen nicht, allenfalls lassen sich unterschiedliche ästhetische Konzepte und Gebrauchsweisen feststellen. Fernsehfilme werden häufiger mit einem geringeren Etat als Kinofilme produziert. [...] Die differenzierende Größe und Auflösung der Bilder im Kino (z.B. in den neuen Multiplexkinos) und im Fernsehen beeinflussen auch das Filmerleben und die Wirkungen, die von den filmischen Inszenierungsweisen ausgehen. Daraus resultieren die Bemühungen des Fernsehens, den Bildschirm zu vergrößern (HDTV) und das Format stärker an das Breitwandformat (16:9) des Kinos anzupassen.
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Eine besondere Aufführungsgenese erlebte Heinrich Breloers Kinofilm die Buddenbrooks (D 2008), der 2010 für das Fernsehen als Zweiteiler überarbeitet wurde. Im Vorfeld der Fernsehausstrahlung gab der Regisseur zahlreiche Interviews, in denen er sich auch über die Unterschiede zwischen Kino und TV und die damit verbundene Aufführungssituation äußerte: Im dunklen Raum des Kinos sind wir im Drama mit den Personen gefangen. Das Fernsehen kann sich dagegen deutlicher epische Elemente erlauben. Fernsehen und Kino sind eben unterschiedliche Medien, die jeweils ganz besondere Möglichkeiten für eine Erzählung anbieten. Man muss da ganz nüchtern eine Bilanz mit Vorteil- und Nachteilsrechnung aufmachen. Die Magie des dunklen Kinosaals und der beleuchtete soziale Raum des Fernsehens. Allerdings: Die Räume und das Erleben rücken mit der Entwicklung der großen Fernseher schon zusammen. Der Zauber wirkt auch im abgedunkelten Wohnzimmer.
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Die in dieser Untersuchung erfolgten Filmanalysen orientieren sich nicht in erster Linie an den unterschiedlichen Voraussetzungen, unter denen die Verfilmungen entstanden sind, sondern haben den Medienwechsel von figurativen Innenwahrnehmungen im Fokus. Ob unterschiedliches Filmmaterial und Kameratechniken dabei eine Rolle spielen, wird sich im Einzelnen zeigen.
15 Hickethier (2007), 195f. 16 Interview auf der ARD mediathek Themenseite zur Fernsehversion der Buddenbrooks in zwei Teilen. http://www.daserste.de/buddenbrooks/allround_dyn~uid,tc46h4o0osaofgl2~cm.asp (abgerufen 16.12. 2010)
Die Novelle Fräulein Else (1924)
Um figurative Innenwahrnehmung zu untersuchen, ist es vorerst notwendig zu klären, wie sich diese in den Beispieltexten konkret gestaltet. Dabei werden Text und Film zunächst getrennt voneinander betrachtet, um die spezifischen Eigenheiten jedes Mediums einzeln herauszuarbeiten. Die Fragestellung lautet zuerst: Welche Strategien verfolgt der SchnitzlerText Fräulein Else bei der Umsetzung und Gestaltung figurativer Innenwahrnehmungen? Des Weiteren werden die Figur Else und Personen aus ihrem Umfeld genauer charakterisiert und auf den Aufbau des Textes näher eingegangen. Auch Schnitzlers Verwendung von Bild- und Musikmotiven, Symbolen sowie Farben soll eingehend betrachtet werden. Auf Grundlage der Textanalyse soll im Anschluss an den Beispielfilmen untersucht werden, ob und wie ein Medienwechsel von figurativen Innenwahrnehmungen stattgefunden hat. Die Rezeptions- und Produktionsbedingungen der vorliegenden Texte und vor allem der Filme fließen nur punktuell in die Untersuchung mit ein. Auch auf eine literatur- und filmgeschichtliche Einordnung der einzelnen Werke wird weitestgehend verzichtet.
1. O RT , Z EIT
UND
AUFBAU
DES
T EXTES
Die Ort- und Zeitangaben der Novelle müssen genauer rekonstruiert werden, um später einen Vergleich mit dem Handlungsaufbau der verschiedenen Verfilmungen anstellen zu können. Im Text findet man genaue Angaben über Ort und Zeit des Geschehens. Schnitzler beschreibt Elses Erlebnisse am 3. September 18961 in San Martino di
1
Vgl. Rey (1968), 49 sowie Polt-Heinzl (2010), 195. Die Zeit des fiktiven Geschehens in Fräulein Else datiert Achim Aurnhammer aufgrund einer Anspielung auf den „be-
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Castrozza, im Berghotel Fratazza (Südtiroler Dolomiten) und dessen Umgebung, zwischen 19.00 Uhr und 22.00 Uhr. 2
Dritter September ist heute. (327)
Auch Fred seh ich in diesem Moment. [...] Wenn ich nach Wien komme, werde ich Fred fragen, ob er am dritten September zwischen halb acht und acht Uhr abends mit seiner Geliebten im Stadtpark war. (351)
Schnitzler setzt den Zeitverlauf innerhalb der Erzählzeit demjenigen innerhalb der erzählten Zeit fast gleich: Fräulein Else handelt von drei Stunden und liest sich in ungefähr zwei bis drei Stunden. Der Leser erlebt diese drei Stunden mit der Protagonistin. Die Orte lassen sich in Innen- und Außenräume des Hotels unterteilen. Zusätzlich kann man eine Trennung zwischen öffentlichem Raum (Speisesaal, Foyer, Musikzimmer, Tennisplatz) und privatem Raum (Elses Hotelzimmer) vornehmen. Elses Handlungsradius beschränkt sich auf das Hotel und dessen Umkreis. Dabei schweifen die Gedanken der Protagonistin oft rückenblendenartig ab: in ihre Kindheit, in ihre Jugend, in ihre Heimatstadt Wien, zu verschiedenen Verwandten und an verschiedene Orte. Teilweise schläft sie und träumt sogar oder befindet sich in einem ohnmachtsähnlichen Zustand. Schnitzler verzichtet auf eine Gliederung in Kapitel oder auf nummerierte Unterteilungen. Um die Novelle besser für die folgende Untersuchung des Medienwechsels handhabbar zu machen, ist eine Strukturierung allerdings notwendig. Deshalb wird hier der Text anhand der Handlungsorte in acht Teile segmentiert.3
rühmte[n] Tenor Ernest van Dyck und die Mezzosopranistin Marie Renard, die die Aufführung von Massenets Oper Manon am Wiener Burgtheater 1890 zum großen Erfolg werden ließen“ in die Jahre 1896/97 (Aurnhammer [1983], 502). 2
Ich zitiere nach der Ausgabe: Arthur Schnitzler, Gesammelte Werke. Die Erzählenden Schriften. Bd. 2. Frankfurt am Main: S. Fischer, 1961. S. 324–381. Dabei wird die Seitenzahl in Klammern hinter dem Zitat aufgeführt und das Zitat nicht noch einmal zusätzlich mit Anführungszeichen versehen. Alle verwendeten Anführungszeichen stammen aus dem Originaltext Fräulein Else.
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Dass sich durchaus auch andere Strukturierungsmöglichkeiten anbieten, sieht man z.B. bei Lange-Kirchheim. Bei ihr „zerfällt [die Erzählung] in zwei gleich lange Teile, welche beide mit einem Traum enden, einem, in dem vom Tod geträumt wird, und einem, in dem sich der Tod selbst ereignet.“ ([1998], 268).
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Im ersten Teil (324–328) befindet sich Else vor dem Hotel. Es ist ca. 19.00 Uhr. Sie kommt vom Tennisspielen, trifft auf dem Weg Herrn von Dorsday und spricht kurz mit ihm. Im Hotel gibt der Portier Else einen Expressbrief von ihrer Mutter. Sie geht auf ihr Zimmer. Im zweiten Teil (328–331) liest Else den Brief in ihrem Hotelzimmer. Die Mutter berichtet Else, dass der Vater Schulden gemacht und an der Börse 30.000 Gulden Mündelgelder verspekuliert hat. Alle Verwandten weigern sich, seine Schulden zu begleichen. Bei Nichtzahlung muss der Vater ins Gefängnis. Deshalb wird nun Else gebeten, Herrn von Dorsday, ein Feriengast in Elses Hotel und ein entfernter Freund der Familie, nach den 30.000 Gulden zu fragen. Else ist über diese Bitte entsetzt. Sie konstruiert nun verschiedene Gesprächsstrategien und malt sich aus, wie die Unterhaltung mit Dorsday verlaufen könnte. Sie wählt ihre Kleidung aus, zieht sich um und verlässt das Zimmer. Im dritten Teil (332–348) hält sich Else in der Hotelhalle und vor dem Hotel auf. Sie trifft kurz auf ihren Cousin Paul und lässt sich vom Portier den Mantel geben. Sie verlässt das Hotel und wird von Dorsday angesprochen. Dorsday und Else setzen sich auf eine Bank, und sie bittet ihn um das Geld. Dorsday verlangt als Gegenleistung, Else eine Viertelstunde nackt zu sehen. Hätte ich ihm nicht einfach ins Gesicht schlagen sollen? [...] Warum tu’ ich es denn nicht? Ich bin feig, ich bin zerbrochen, ich bin erniedrigt. (346) Dorsday geht wieder ins Hotel, Else bleibt allein zurück. Im vierten Teil (348–360) läuft Else, aufgewühlt von Dorsdays Forderung, in den Wald, setzt sich auf eine Bank, schläft ein und träumt. Vom Traum erwacht, geht sie zurück zum Hotel und überlegt, ob und wie sie sich Dorsday zeigt. Zeitweise fasst sie sogar den Beschluss, sich umzubringen, den sie aber wieder verwirft. Im fünften Teil (360–361) trifft Else in der Hotelhalle auf Paul und spricht kurz mit ihm. Der Portier gibt Else ein Telegramm, Else geht auf ihr Zimmer. Im sechsten Teil (361–367) befindet sich Else wieder in ihrem Zimmer. Es ist ca. 21.00 Uhr. Sie liest das Telegramm von ihrer Mutter, die ihr mitteilt, dass sich die Summe auf 50.000 Gulden erhöht. Der Erzählrhythmus steigert sich langsam4, und Elses Gedanken werden sprunghafter. Else sieht nach ihrem Schlaf- und Schmerzmittel Veronal5, löst es in Wasser auf und stellt sich das Glas für später bereit. Sie fasst den Beschluss, sich allen im Hotel nackt zu zei-
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Besonders durch die immer wiederkehrende Phrase Adresse bleibt Fiala. (ab 361) Auf die stilistischen Mittel dieser Erzählrhythmussteigerung wird später eingegangen.
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Veronal war zur Handlungszeit der Novelle noch gar nicht erfunden. Erst 1903 wurde es von der Firma Merck auf den Markt gebracht.
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gen, und hält Zwiesprache mit ihrem Spiegelbild. Sie kleidet sich aus, zieht nur einen Mantel über und verlässt das Zimmer. Im siebten Teil (367–376) läuft Else durch den leeren Flur und legt Dorsday das Telegramm mit einer Notiz vor sein Zimmer. Else wird immer nervöser. Sie erreicht die Halle, sucht Dorsday, geht von Raum zu Raum, trifft kurz auf die Tante und findet Dorsday im Musikzimmer, wo gerade eine ältere Dame am Klavier Schumanns „Carneval“ spielt. Alle Gäste konzentrieren sich auf die Pianistin, niemand bemerkt Else. Durch die Musik stimuliert, öffnet Else ihren Mantel und wird erst von Dorsday und dann von den anderen Anwesenden wahrgenommen. Else lacht hysterisch, bricht in Pauls Armen zusammen und schreit. Tante Emma und Cissy kommen dazu und lassen das Musikzimmer räumen. Else, nun halb ohnmächtig und mit geschlossenen Augen, verfällt in einen Zustand der Aphonie6. Sie wird auf ein Sofa gehoben und mit einer Decke zugedeckt. Sie bringen die Bahre. Ich sehe es mit geschlossenen Augen. (375) Else wird in ihr Zimmer getragen. Im achten Teil (376–381) liegt Else regungslos in ihrem Zimmer auf dem Bett, registriert aber alles um sich herum. Paul und Cissy sind bei ihr, Dorsday klopft an die Tür und spricht mit ihnen. Else trinkt in einem unbeobachteten Augenblick die bereitgestellte Überdosis Veronal und bemerkt, dass das Mittel wirkt. Plötzlich will sie nicht mehr sterben, ist aber nicht mehr in der Lage zu sprechen. Sie hat noch eine letzte Todesvision, dann löst sich die Syntax auf und Else verstummt. Die Novelle endet an dieser Stelle. Zur Handlungseröffnung des Textes verzichtet Schnitzler auf eine erzählerische Einführung. Der Leser gerät in medias res in einen Dialog zwischen Else, ihrem Cousin Paul und dessen Geliebter Cissy Mohr. Der Text beginnt beim Tennisspielen. „Du willst wirklich nicht mehr weiterspielen, Else?“ – „Nein, Paul, ich kann nicht mehr. Adieu“. (324)
Diese ersten zwei Sätze repräsentieren das Kernproblem der Novelle: Das Individuum Else will nicht mehr weiterspielen, sich nicht mehr verstellen, bereitet
6
Mit Aphonie bezeichnet man allgemein eine Störung der Tonbildung bzw. eine Stimmlosigkeit (tonlose Sprache). Neben der organisch bedingten Funktionsbeeinträchtigung der Stimmbänder gibt es auch eine psychogene Aphonie ohne organische Grundlage. Ursachen dafür können emotionale Ausnahmesituationen sein, wie z. B. Angst oder heftige Gemütsbewegungen.
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seinen Abgang vor. Sie implizieren Elses Ablehnung eines von der Außenwelt geforderten Rollenbildes, welches sie in der Gesellschaft zu erfüllen hat, einer Gesellschaft, die mit ihrer Scheinmoral für Else schon lange keinen Vorbildcharakter mehr hat, die ihr auch keinen Halt gibt. Else beendet „das Gesellschaftsspiel, das Lebens- und das Liebesspiel“7. Diese ersten beiden Sätze nehmen auch Elses Tod, der am Ende des Textes anscheinend eintritt, vorweg. „Else, die sich gleich zu Beginn des Textes dem Spiel verweigert und von der Bühne abgeht, stellt die Trauerarbeit ihrem eigenen Tod voran und antizipiert sich als erstarrtes Bild, als schöne Leiche.“8 Dass Else dieses Spiel nicht mehr weiterspielen möchte bzw. die Figuren Paul und Cissy sich beim Spielen befinden, impliziert eine weitere Anspielung: Alle spielen, verstellen sich, wahren den schönen Schein. Und tatsächlich: Im gesamten Text stößt man immer wieder auf diesen Widerspruch zwischen dem nach außen gewahrten Schein, der Ehrbarkeit und dem wahren Sein dieser Gesellschaft: Die vermeintliche Großzügigkeit der Tante wird am Ende entlarvt, Elses Mutter überträgt ihr die gesamte Verantwortung für die Familie, Paul hat eine Liebesbeziehung zu einer verheirateten Frau, Elses Vater betrügt die Mutter und missbraucht die Tochter und Dorsday ist kein Ehrenmann. Schnitzler zeichnet ein kritisches Bild der Gesellschaft, und Else will sich dieser entziehen. Wenige Zeilen später stellt Else fest: Das war ein ganz guter Abgang (324), und der Leser taucht ein in die gedankliche Welt der Else T.
2. E RZÄHLSITUATION , POINT OF VIEW UND B EWUSSTSEINSDARSTELLUNG Arthur Schnitzlers (1862–1931) medizinische Ausbildung schuf die Voraussetzungen für seine Fähigkeit zum Verstehen von psychischen Vorgängen und zur psychologisch geschulten Beobachtung von Menschen, wie sie auch im inneren Monolog und Stream of Consciousness bei Fräulein Else deutlich werden. Arthur Schnitzler schreibt am 22.12. 1882 in sein Tagebuch: „Die Medicin ist mir nun geradeaus zuwider [...]. Die paar Dinge, die mich dran interessieren, interessieren eben den Menschen - vielleicht den Poeten in mir, aber nichts weiter.“9. Trotzdem schließt Schnitzler 1885 das Medizinstudium ab. Er arbeitet danach als Assistenzarzt in der Nervenpathologie und in der Psychiatrischen Abtei-
7
Lange-Kirchheim (1998), 268.
8
Allerkamp (1995), 97.
9
Schnitzler: Tagebuch 1879–1892 (1987), 144.
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lung. „Dabei will ich das Interesse für Nerven- und Geisteskrankheiten, das ich als das einzige in mir zweifellos vorhandene empfand, nicht einmal sonderlich hoch bewerten, da es nicht so sehr im eigentlichen Medizinischen als im Poetischen oder doch Belletristischen wurzelte.“10 In der Novelle Fräulein Else gibt es keinen auktorialen, personalen oder IchErzähler11, da der gesamte Text (bis auf wenige Dialoge) aus den Gedanken der Figur Else besteht. Es fehlt der Erzählrahmen oder eine Erzählinstanz. Ein Erzähler schaltet sich scheinbar nicht ein. Es gibt keine Distanz zwischen Erzähler, Erlebtem und Figur. Else denkt. Der Leser verfolgt das Geschehen durch die Gedanken und aus der Perspektive12 von Else. Der point of view ist auf die Wahrnehmungen von Else begrenzt. Siegfried Kracauer beschreibt es so: „Die Novelle nämlich ist ein einziger innerer Monolog [...]. Alles erscheint bei Schnitzler von Fräulein Else aus gesehen: Vater, Mutter, die Freunde, das Hotel und der Mann, um dessentwillen sie sich vergiftet. In den Schleier ihrer einsamen Assoziationen sind die Figuren gewirkt, vergrößern sich ihr, bringen Gefahr. Weder Menschen noch Gegenstände treten in der Novelle auf, wie sie sind, sondern ragen nur stückweise, wie sie dem Geist des Mädchens sich bieten. Die Psychologie wird hier von Schnitzler zu Ende gebracht; sie löst die Dinge auf und führt sich derart selbst ad absurdum.“13
Das Figurenbewusstsein spricht selbst. Der Leser ist somit immer bei Else und erfährt ausschließlich, wie sie die Welt wahrnimmt. Nun ist er offen, der Brief, und ich hab’ gar nicht bemerkt, dass ich ihn aufgemacht habe. Ich setze mich aufs Fensterbrett und lese ihn. Achtgeben, dass ich nicht hinunterstürze. Wie uns aus San Martino gemeldet wird, hat sich dort im Hotel Fratazza ein beklagens-
10 Schnitzler (1985), 204. Schnitzler eröffnet später seine Privatpraxis, die ihn auch ernähren kann, als er mit seiner schriftstellerischen Arbeit noch nicht erfolgreich genug ist. Seine Lizenz als zugelassener praktischer Arzt gibt Schnitzler bis an sein Lebensende nicht ab. 11 Vgl. diese Typisierung der Erzählsituation bei Stanzel (2006), 42 f. und bei Martinez/Scheffel (2005), 89. 12 Martinez/Scheffel sprechen von einer Fokalisierung, bei der der Standpunkt des Wahrnehmenden und des Sprechers verschmelzen. (Martinez/Scheffel [2005], 63) 13 Kracauer reflektiert Schnitzlers Novelle im Rahmen seiner Else-Filmrezension in der Frankfurter Zeitung vom 14.4. 1929 (Stadt Blatt). In: Kracauer (2004), 240f. Hervorhebung im Original.
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werter Unfall ereignet. Fräulein Else T., ein neunzehnjähriges bildschönes Mädchen, Tochter des bekannten Advokaten...Natürlich würde es heißen, ich hätte mich umgebracht aus unglücklicher Liebe oder weil ich in der Hoffnung war. Unglückliche Liebe, ah nein. (328)
Die wenigen Dialoge im Schnitzler-Text sind in direkter Rede und für den Leser kursiv hervorgehoben sowie mit Anführungszeichen gekennzeichnet. „Du willst wirklich nicht mehr weiterspielen, Else?“ – „Nein, Paul, ich kann nicht mehr. Adieu.“ – „Auf Wiedersehen, gnädige Frau.“ – „Aber, Else, sagen Sie mir doch: Frau Cissy. – Oder lieber noch: Cissy, ganz einfach.“ – „Auf Wiedersehen, Frau Cissy.“ – „Aber warum gehen Sie denn schon, Else? Es sind noch volle zwei Stunden bis zum Dinner.“ (324)
Nach diesem kurzen Gespräch zu Beginn des Textes, das den Leser in medias res mit der Handlung konfrontiert, werden nun die Gedanken der Protagonistin (Fräulein Else), scheinbar vom Figuren-Ich selbst, wiedergegeben. Diese sprachlich gestaltete Unmittelbarkeit suggeriert Authentizität und Realitätsnähe. Durch die Technik des inneren Monologs, die Schnitzler hier konsequent anwendet14, hat der Autor die Möglichkeit, in eigentlich verborgene Abläufe Einblicke zu gewähren, der Figur zu einer Spontaneität und Lebendigkeit zu verhelfen und außerdem die Spannungsfelder zwischen dem Inneren einer Figur und ihrer Außenwahrnehmung aufzuzeigen. Der Begriff innerer Monolog, übersetzt von monologue intérieur, wurde 1931 durch Édouard Dujardin15 als literaturwissenschaftlicher Begriff eingeführt. Er beschreibt eine Erzähltechnik, die den Bewusstseinszustand einer Person unmittelbar wiederzugeben sucht.16 Der innere Monolog17 zeigt das Bewusstsein in Aktion (im Gegensatz zum fiktiv reproduzierenden Gedankenbericht). Es handelt sich um eine Epik ohne Erzähler. „Dabei erweist sich die vermeintliche Anarchie einer krisenhaften Psychodynamik, die sich dem Leser enthüllt, letzt-
14 Unter anderem Morris spricht hier vom „vollständigen inneren Monolog“ bzw. dem Begriff Monolog-Erzählung als Gattungsbegriff und meint mit innerem Monolog das Stilmittel in einer Erzählung. Vgl. Morris (1998), 46. 15 Dujardin, Édouard: Le monologue intérieur. Son apparition, ses origines, sa place dans l’œuvre de James Joyce. Paris 1931. 16 Vgl. Däschler, Eberhard (1984), 210. 17 Bei Martinez und Scheffel auch „Autonomer Innerer Monolog“. Martinez/Scheffel (2005), 61 ff.
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lich als Ergebnis einer vom Autor genau kalkulierten personalen Erzählstrategie.“18 Durch den inneren Monolog soll das Innere einer Figur dargestellt werden: Wahrnehmungen, Empfindungen, Assoziationen, Erinnerungen und Überlegungen. Es soll die „Fiktion des ‚Sich-selbst-Erzählens‘“19 durch die Wiedergabe von Bewusstseinsinhalten entstehen. „Im inneren Monolog [...] wird der paradoxe Status eines Textes, der nicht geschrieben und nicht geäußert worden ist, durch die mediale Logik von außen gesetzt.“20 Arthur Schnitzler hat in vielen seiner Erzählungen mit der sprachlichen Darstellung des Gedanklichen experimentiert. In Texten wie Sterben (1895), Die Toten schweigen (1896/97) oder Der blinde Geronimo und sein Bruder (1900/01) kann man bereits Ansätze des inneren Monologs finden. Sein Text Leutnant Gustl (1900 erschienen) gilt als die erste Novelle innerhalb der deutschen Literatur, die vollständig im inneren Monolog gestaltet ist. Angeregt wurde sie durch Schnitzlers Rezeption von Dujardins Monolog-Erzählung Les lauriers sont coupés (1887)21. In einem Brief an Georg Brandes schreibt Schnitzler am 11.6. 1901: „Ich freue mich, dass Sie die Novelle von Leutnant Gustl amüsiert hat. Eine Novelle von Dostojewski, Krotkaja, die ich nicht kenne, soll die gleiche Technik des Gedankenmonologs aufweisen. Mir aber wurde der erste Anlaß zu der Form durch eine Geschichte von Dujardin gegeben, betitelt Les Lauriers sont coupés. Nur dass dieser Autor für seine Form nicht den rechten Stoff zu finden wusste.“
22
Die konsequente Verwendung des inneren Monologs ist in der Forschung nicht immer als unproblematisch bewertet worden. So stellt Luhmann fest, dass „psychische Prozesse keine sprachlichen Prozesse [sind], und auch Denken ist keineswegs ‚inneres Reden‘ (wie immer wieder fälschlich behauptet wird)“23. Tatsächlich ist es fraglich, ob Gedanken verschriftlicht werden können bzw. der innere Monolog und die geschriebene Sprache diesem Anspruch gerecht werden. Im besten Fall bewegt sich „[d]er innere Monolog [...] auf eine Grenze oder auf
18 Neymeyer (2007), 191. 19 Zenke (1976), 24. 20 Niehaus (1995), 135. 21 Dort wurde die Technik des inneren Monologs als grundlegende Erzählweise das erste Mal verwendet. Vgl. auch Surowska, Barbara (1982), 551ff. 22 Briefwechsel. Georg Brandes und Arthur Schnitzler, 88. 23 Luhmann (1987), 367.
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einen Punkt zu, an dem die Sprache der Literatur die Sprache zersetzt, an dem die Sprache aufhört, Sprache zu sein oder an dem sie noch nicht Sprache ist“24. Das ‚Geschriebensein‘ des Textes soll negiert werden, dadurch entfernt er sich aber auch vom Status einer Erzählung und rückt in die Nähe des Dramas25. Niehaus geht sogar noch weiter und stellt fest, dass die konsequente Verwendung des inneren Monologs die Gattungen Epik, Dramatik und Poesie unterläuft.26 Neben dieser sprachlichen Problematik ergibt sich eine weitere: Das Subjekt selbst (bzw. der Monologisierende) „ist Medium wie Botschaft“27. Das bedeutet, dass „das ‚Ich‘ sich aus einem paradoxen Akt der Selbstschöpfung konstituieren muss, [...] weil es keine Instanz gibt, die es ins Sein ruft“28. Luhmann gibt dabei zu bedenken, „ob ein Individuum sich selbst auch als ein Individuum beschreiben kann. Es würde damit die eigene Individualität als Selbstbeschreibungsformular verwenden, würde in der Beschreibung nur feststellen, daß es sich als Individuum reproduziert und daß es sich damit aus der Umwelt ausgrenzt.“29 Trotzdem wird dem inneren Monolog bzw. den Gefühlen und Gedanken des Monologisierenden eine Authentizität beigemessen, die kaum mit einem anderen Darstellungsmittel erreicht werden kann. Niehaus nennt es das „Systemgeheimnis“30 des inneren Monologs: „[...] diese Leerstelle ist die einzig mögliche Botschaft, wenn in der Logik des inneren Monologs das Subjekt, der Mensch [...] zur Botschaft werden soll, zu einer Botschaft, die sich hier durch den Status des Textes als eines fiktiven Tagebuches speichert und adressiert“31. Aber auch andere Merkmale des inneren Monologs lassen an dessen ‚Logik‘ zweifeln. So bemerken Martinez und Scheffel zu Recht, dass das Fehlen eines Erzählrahmens zur Folge haben kann, „dass die Figuren wider alle psychologische Wahrscheinlichkeit wiederholt ihr eigenes Tun und Handeln kommentieren: ‚Ich stehe jetzt auf... ‘ u. Ä.“32. Das war ein ganz guter Abgang. Hoffentlich glauben die Zwei nicht, dass ich eifersüchtig bin. – Daß sie was miteinander haben, Cousin Paul und Cissy Mohr, darauf schwör’ ich.
24 Niehaus (1995), 137. 25 Ähnliches bemerken auch Martinez/Scheffel (2005), 61. 26 Vgl. dazu Niehaus (1994), 227. 27 Niehaus (1994), 237. 28 Niehaus (1994), 228. 29 Luhmann (1987), 360. 30 Niehaus (1994), 237. 31 Niehaus (1994), 237. 32 Martinez/Scheffel (2005), 61.
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Nichts auf der Welt ist mir gleichgültiger. – Nun wende ich mich noch einmal um und winke ihnen zu. Winke und lächle. Sehe ich nun gnädig aus? (342)
Dabei haben solche Figurenkommentare33 eine entscheidende strukturierende Funktion für den inneren Monolog. Aurnhammer stellt fest, dass „der Leser nur eine wahrgenommene Wirklichkeit [erfährt], die durch interpersonale Situationen und Dialoge zwar verlässlicher wird, dennoch aber eine beunruhigende Einseitigkeit vermittelt“34. Die sprachlichen Besonderheiten des inneren Monologs bei Fräulein Else lassen sich wie folgt definieren: Es fehlt ein Erzählrahmen in der dritten Person, es fehlt das verbum dicendi als Einleitung oder Rechtfertigungsfloskel, oder eine inquit-Formel wie im Gedankenzitat. Es herrscht ein Rede-Präsens, und es gibt bis zum sechsten Teil wenige Ellipsen. Die Gedankensprünge werden meist durch Gedankenstriche markiert. Ob er Mama einmal betrogen hat? Sicher. Öfters. Mama ist ziemlich dumm. Von mir hat sie keine Ahnung. Andere Menschen auch nicht. Fred? – Aber eben nur eine Ahnung. – Himmlischer Abend. Wie festlich das Hotel aussieht. (325)
Es findet sich kein dialektaler Sprachduktus35 und größtenteils sind nur geringe Lockerungen der Syntax festzustellen36. Else ‚spricht‘ zumeist in vollständigen Sätzen, und ihr Wortschatz entspricht dem Niveau einer 19-Jährigen aus gutbürgerlichem Hause zu dieser Zeit. Dabei schreibt Schnitzler oft im parataktischen Stil: Die Sätze werden gleichgeordnet und durch ‚und‘, ‚oder‘ bzw. durch Satzzeichen wie Komma, Punkt oder Gedankenstrich voneinander getrennt. Ab dem sechsten Teil, in dem Else das Telegramm erhält, steigert sich die Erregung der Protagonistin. Schnitzler realisiert die Darstellung dieser Erregungssteigerung nicht nur inhaltlich, sondern auch mit Hilfe verschiedener rhetorischer Figuren, z.B. der Gemination, der Epizeuxis oder der Ellipse37. So erhält der Text ein schnelleres Tempo und einen kurzatmigen Rhythmus und wird somit auch sprachlich spannungsreicher.
33 Man findet Ähnliches im Text zu Uhrzeiten. 34 Aurnhammer (1983), 501. 35 Das soziale Milieu der Handlung verlangt auch keinen Dialekt. 36 Bis auf die Szene im Musikzimmer und die Todesvision am Ende der Novelle. 37 Nach Simone Winkos Analysemodell handelt es sich um implizite Emotionen, die mittels phonetisch-lautlicher Präsentation, rhythmisch-metrischer Präsentation sowie mittels rhetorischer Präsentation dargestellt werden.
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Gott sei Dank, dass ich oben bin. Licht gemacht, Licht gemacht. Kühl ist es geworden. [...] Courage, Courage. [...] Trala, trala, Courage. Es muß ja sein. ‚Wiederhole flehentliche Bitte, mit Dorsday reden. Summe nicht dreißig, sondern fünfzig. Sonst alles vergeblich. Adresse bleibt Fiala.‘ – Sondern fünfzig. Sonst alles vergeblich. Trala, trala. Fünfzig. Adresse bleibt Fiala. (361) ... alle hab ich sie so zum Narren; – den Schuften Dorsday vor allem – und komme zum zweitenmal auf die Welt ..., sonst alles vergeblich. – Adresse bleibt Fiala. Haha! (364)
Elses Gedanken überschlagen sich nach dem Lesen des Telegramms, sie sind ungeordnet, abgehackt, telegrammartig: Adresse bleibt Fiala. Mir klappern die Zähne. Das Fenster ist noch offen. Zugemacht. Im Freien? Den Tod hätte ich davon haben können. Schuft! Fünfzigtausend. (362) Im weiteren Verlauf entwickelt sich die Phrase Adresse bleibt Fiala zu einem Leitmotiv des Textes und wird so für den Leser zu einem verbalisierten Indikator für Elses Erregungszustand, der sich bis zur Ekstase und Todesvision steigert. Morris bemerkt, dass „[Schnitzler] nicht versucht, die Geduld seines Lesers wegen eines Experiments mit dem vorsprachlichen Reich des Gedanklichen zu strapazieren.“38 James Joyce, so Morris, habe im letzten Kapitel von Ulysses sprachlich viel mehr gewagt. In der Fachliteratur wird dieses letzte Kapitel exemplarisch als das Beispiel für einen Stream of Consciousness39 (dt. Bewusstseinsstrom) angeführt und somit eine neue Begrifflichkeit, die scheinbar in engem Zusammenhang mit dem inneren Monolog steht, gefunden. Die Gedanken von Molly Bloom werden von Joyce an dieser Stelle ohne jede Interpunktion und in all ihrer Inkohärenz wiedergegeben: Die Gedanken strömen. Zenke nennt das „die ununterbrochene Tätigkeit des Bewusstseins, und zwar auch und gerade in seinen vor- und unbewussten Bezirken“40. Im Folgenden wird versucht, die verschiedenen Ansätze41 herauszuarbeiten, um den Begriff Stream of Conscious-
38 Morris (1998), 43. 39 Dieser Begriff wurde 1884 von dem Psychologen William James zur Charakterisierung mentaler Prozesse geprägt und war nicht für eine literarische Methode gedacht. Es handelt sich also um keinen literaturwissenschaftlichen Begriff, sondern um ein psychologisches Beschreibungsmodell. Aus diesem Grund ergeben sich die terminologischen Unschärfen. James (1890), 239. Vgl. dazu Vogt (2006), 188 und Zenke (1976), 20ff. 40 Zenke (1976), 22. 41 Ich möchte darauf hinweisen, dass bis heute der Stream of Consciousness in der Forschung nicht abschließend definiert ist. Man kann sogar von einem Begriffsstreit re-
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ness in seiner Komplexität zu erklären. Oft wird der Begriff als Synonym für den inneren Monolog verwendet, teilweise aber auch als Abgrenzungsbegriff. Ein Stream of Consciousness gilt entweder als „Rohmaterial des Bewusstseins“42, für dessen Darstellung es eine Reihe von Techniken gibt, wie z.B. den inneren Monolog oder die erlebte Rede. Oder der Stream of Consciousness wird als eine Extremform des inneren Monologs gesehen, bei der Bewusstseinsabläufe bzw. das Unbewusste in ihrer Flüchtigkeit und ohne jede Vermittlung durch einen Erzähler dargestellt werden, so zum Beispiel bei Martinez/Scheffel oder Spörl43. Diesem Ansatz möchte ich mich anschließen. „Charakteristisch ist das gleitende Ineinanderübergehen der Bewusstseinsinhalte, die ihrerseits natürlich nicht nur durch willkürliche Assoziationen inhaltlich brüchig sein können, sondern auch dadurch, dass der Bewusstseinsstrom zwischen den verschiedenen Bewusstseinsebenen fluktuiert [...].“44 Die Fachwelt ist sich einig, dass der Stream of Consciousness Bewusstseinsvorgänge auf einem „prespeech level“45 bzw. das Innere der Figur darstellen soll: eine assoziative Folge von Gedankenfetzen und Eindrücken. Diese Darstellung hängt mit der sprachlichen Gestaltung zusammen. Oft werden Sprachkonventionen (wie sie größtenteils auch noch im inneren Monolog berücksichtigt werden) aufgebrochen, besonders durch eine stärkere Lockerung der Syntax und die Verwendung von Umgangssprache und Dialekt. Man findet viele Fragen und Ausrufe der Figur sowie Ellipsen und Anaphern. Der Stream of Consciousness tendiert zur offenen Form, zur freien Assoziation. „Etwas spricht, ohne dass das Subjekt weiß, dass es spricht. Es wird Medium.“46 Sie rufen von so weit! Was wollt ihr denn? Nicht wecken. Ich schlafe ja so gut. Morgen früh. Ich träume und fliege. Ich fliege... fliege... fliege... schlafe und träume... und fliege... nicht wecken... morgen früh... „El...“ Ich fliege... ich träume... ich schlafe... ich träu... träu – ich flie...... (381)
den. Zenke nennt den Stream of Consciousness einen „vagen und psychologisch wie sprachtheoretisch dilettantischer Begriff“ (Zenke 1976, 21). 42 Vgl. Müller, Wolfgang G. (2008), 68. 43 Spörl (2007b), 350. 44 Zenke (1976), 22. 45 Humphrey (1954), 3. 46 Niehaus (1994), 238.
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An dieser Stelle im Text hat der Autor den Stream of Consciousness in fast allen seinen Komponenten – Ausrufe, Lockerung der Syntax, Verwendung von Ellipsen und Anaphern – realisiert und somit inhaltlich, phonetisch und visuell eine assoziative Folge von Gedanken der Figur Else dargestellt. Nach diesen letzten Gedanken verstummt das Figuren-Ich. Es bleibt zu fragen, ob Else in diesem Moment stirbt oder, hervorgerufen durch das Schlafmittel Veronal, in einen tiefen Schlaf fällt. Im Folgenden soll Zenkes Vorschlag zum Umgang mit dem Stream of Consciousness übernommen und der „Bewusstseinsstrom nur zur Bezeichnung der Darstellung des Wie von psychischen Prozessen in der Grenzzone zwischen vorsprachlichem und sprachlichem Bereich“47 gebraucht werden, d.h. als Extremform des inneren Monologs, mit allen Gedankensprüngen und Aposiopesen von Else. Denn das Wie, d.h. die Art der Gedanken- und Gefühlsdarstellung im Text, kann Anknüpfungspunkte zu den folgenden Untersuchungen des Medienwechsels und der Filmanalyse, wie z.B. zu Fragen der Montage oder der Kamerabewegung, bieten.
3. F IGUREN Es ist bis heute nicht eindeutig belegt, ob eine reale Else, ein lebendiges Vorbild für die literarische Figur Else, existierte. Auch darüber, ob Fräulein Else als psychologisch-medizinischer Fall oder als Symptom einer sozialen Situation gesehen werden soll, gibt es unterschiedliche Auffassungen. Diersch geht davon aus, dass der Novelle ein realer Fall zugrunde liegt, und stellt fest, dass Schnitzler „schon in der Wahl seiner Stoffe ein sozialkritisches Anliegen erkennen lässt“48. Schnitzler selbst schreibt in einem Brief am 21.2. 1925 an Gabor Nobl: „Was nun deine spezielle Frage anbelangt, so hat das ‚Fräulein Else‘, so wie ich sie geschildert habe, niemals gelebt und der Fall, den ich erzählt habe, ist völlig frei erfunden. [...] Gewisse Vorgänge, die in der Familie der Else spielen, haben sich, wie Du ja wahrscheinlich weißt, in meiner Verwandtschaft zugetragen und das junge Mädchen, die Tochter des unglücklichen Advokaten, meine frühverstorbene Cousine, hat tatsächlich Else ge-
47 Zenke (1976), 21. 48 Diersch (1977), 83.
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heißen. Damit ist aber auch alles erschöpft, was in meiner Novelle mit Realität im engeren Sinne zu tun hat.“
49
Renate Wagner wiederum deutet die Schnitzler-Bekannten Stephi Bachrach (Motiv des Nacktzeigens im Freien) oder Else Singer (unternahm Selbstmordversuch) als Else-Vorbilder.50 Und Lange-Kirchheim sieht in Else ein „geschlechterinvertiertes Doppel des Autors“ und zieht zusätzlich Parallelen zur Tochter Lili Schnitzler51. Schnitzlers Fräulein heißt Else T., ist 19 Jahre alt52 und stammt aus Wien. Sie ist die junge Dame aus guter Familie (335), die unverheiratete Tochter eines stadtbekannten Advokaten, die Hochgemute, die Aristokratin, die Marchesa, die Bettlerin, die Tochter des Defraudanten (334). Sie ist die Kindfrau mit androgyner Gestalt und rötlichblonden Haaren, das sporting girl (334) mit jüdischer Abstammung. O, ich kann mir das erlauben. Mir sieht’s niemand an. Ich bin sogar blond, rötlichblond, und Rudi sieht absolut aus wie ein Aristokrat. Bei der Mama merkt man es freilich gleich, wenigstens im Reden. Beim Papa wieder gar nicht. Übrigens sollen sie es merken. Ich ver53
leugne es durchaus nicht und Rudi erst recht nicht. (333)
49 Schnitzler, Briefe 1913–1931, 395. 50 vgl. Wagner (1981), 357. 51 Lange-Kirchheim (1998), 294 sowie dies. (2000), 111ff. Die Schauspielerin Elisabeth Bergner, die Schnitzler viele Jahre persönlich kannte, schreibt in ihren Memoiren: „Unvergesslich ist mir noch immer der Kummer, als die Zeitungen von dem so tragisch-törichten Selbstmord seiner Tochter in Venedig berichteten. Er war sofort hingeflogen, hatte sie aber nicht mehr lebend angetroffen. Das war eine entsetzliche Tragödie für ihn. Diese Tochter war ganz bestimmt auch das Modell gewesen für Fräulein Else.“ (Bergner [1978], 108) 52 Astrid Lange-Kirchheim hat zahlreiche Überlegungen zu Elses Adoleszenz und Hysterie angestellt und treffende Feststellungen zu Elses Situation im Patriarchat gemacht, worauf aber an dieser Stelle nicht vollständig eingegangen werden kann (vgl. LangeKirchheim [1998], 265–300). Fräulein Else gilt seit vielen Jahren als ein paradigmatischer Text für die feministische Literaturwissenschaft (vgl. auch Elisabeth Bronfen [1993]). Für die hier angestrebte Untersuchung des Medienwechsels ist eine vollständige Darstellung der Gender-Diskussion um Fräulein Else allerdings nicht notwendig und wird deshalb ausgeklammert. 53 „Der Wunsch, dem Wiederholungszwang zu entkommen, spiegelt sich in Elses Stolz darauf, dass man ihr das Jüdische nicht mehr ansieht.“ (Lange-Kirchheim [1998],
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Else befindet sich im Urlaub – auf Einladung ihrer Tante. Die eigene Familie ist finanziell ruiniert, da Elses Vater wiederholt an der Börse spekuliert und nicht nur das eigene Vermögen, sondern auch ihm anvertraute Mündelgelder verloren hat. Obwohl Else eine sehr intelligente junge Frau ist, sieht sie für sich selber in der Gesellschaft nur eine realistische Perspektive: die Heirat einer ‚guten Partie‘. Doch wer heiratet die Tochter eines Defraudanten? (335) Else, durch die finanzielle Lage der Familie unter Druck geraten, bereut nun, keine Berufsausbildung zu haben. Ach Gott, warum habe ich kein Geld? Warum hab’ ich mir noch nichts verdient? Warum habe ich nichts gelernt? (332) Doch gleichzeitig stellt sie fest: Ich hab’ ja eigentlich zu nichts Talent. (335) Und sich selbst (sie ist ja erst 19 Jahre alt) aus dieser Lage zu befreien, dafür fehlt es an Energie (335). Else, als höhere Tochter erzogen, ist aber auf die Aufnahme ins Bürgertum angewiesen. Sie sucht nach Halt und Anerkennung in dieser Gesellschaft. Wie man im Verlauf des Textes bemerkt, immer vergeblich. Die Figur Else ist allein und wird alleingelassen.54 Ich bin ja ganz allein. Ich bin ja so furchtbar allein, wie es sich niemand vorstellen kann. Sei gegrüßt mein Geliebter. Wer? Sei gegrüßt mein Bräutigam! Wer? Sei gegrüßt mein Freund! Wer? (336)
Else registriert, dass sie in der bürgerlichen Gesellschaft isoliert ist, dass sie diese Gesellschaft, die ihr nichts geben kann, gefangen hält. Sie ist nicht geschaffen für eine bürgerliche Existenz (358). Ein Aufbegehren gegen diese Existenz gelingt Else aber nur in ihren Gedanken. Mit Hilfe ihrer Phantasie erprobt sie unterschiedliche Identitätsentwürfe: von der bürgerlichen Ehefrau bis hin zum Luder, wie es die Welt noch nicht gesehen hat (362). Dabei wird klar, dass Else noch auf der Suche nach ihrem Identitätskonzept ist, immer hin- und hergerissen zwischen ihrem Willen, sich an die gestellten Erwartungen anzupassen, und ihrer Sehnsucht nach einem freien Leben. Aber wo werde ich hingehen? Ich möchte fortreisen und tun können was ich will. (338)
277). An selber Stelle weist Lange-Kirchheim auf die zentralen Paradigmata der neueren Traumaforschung hin: die Erfahrungen des Holocaust und des sexuellen Missbrauchs. In einem späteren Artikel der Autorin werden diese Traumata vertieft analysiert (vgl.: Lange- Kirchheim [2000], 109ff.). 54 Schnitzlers Technik des inneren Monologs ist auch Ausdruck für Elses Einsamkeit und ihr Alleingelassensein. „So erscheint der Monolog als die adäquate Aussageweise eines vereinsamten Menschen.“ (Diersch [1977], 90).
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Ein reicher Ehegatte könnte ihr eine gesicherte Existenz bieten. Doch die imaginären Partner, die sie sich in ihren kompensatorischen Phantasien erschafft, haben mit ihrem realen Leben keine Gemeinsamkeit. Nach Amerika würd’ ich ganz gern heiraten, aber keinen Amerikaner. Oder ich heirat’ einen Amerikaner und wir leben in Europa. Villa an der Riviera. Marmorstufen ins Meer. Ich liege nackt auf dem Marmor. (324) Ich werde hundert Geliebte haben, tausend, warum nicht? (334) Aber Kind will ich keines haben. Ich bin nicht mütterlich. (336) Ich werde auf dem Land leben. Einen Gutsbesitzer werde ich heiraten und Kinder werde ich haben. (336) Ich werde kein gemeinsames Schlafzimmer haben mit meinem Mann und mit meinen tausend Geliebten. (337)
Elses geheime Wünsche richten sich vor allem auf einen momentanen sinnlichen Genuss. Sie handeln nicht von Treue, Freundschaft, Liebe oder Beständigkeit. Man bemerkt bei Else eine emotionale Oberflächlichkeit, ähnlich wie in ihrem Umfeld. Auch dort existieren keine glücklichen oder beständigen Partnerschaften: Ihr Vater betrügt seine Frau, und Cissy betrügt ihren Ehemann mit Paul. Selbst ihrem Freund Fred unterstellt Else eine Geliebte, da er ihr so selten schreibt. Else beschließt daher: Ich werde nicht treu sein. Ich bin hochgemut, aber ich werde nicht treu sein. Die Filous sind mir gefährlich. (335) Sie sieht keine bindende Kraft in der Liebe und will als Luder leben. Trotzdem verspürt Else eine Liebessehnsucht, ist aber gleichzeitig nicht fähig zu lieben: Ich bin nicht verliebt. In niemanden. Und war noch nie verliebt. [...] Ich glaube, ich kann mich nicht verlieben. Eigentlich merkwürdig. Denn sinnlich bin ich gewiß. (325) Sie kann sich nicht binden, ist aber auch nicht in der Lage, sich über die bürgerlichen Konventionen hinwegzusetzen, um ihr genussorientiertes Liebesund Lebensmodell auszuleben. Nur in ihren Gedanken ist das möglich. Für die Außenwelt schauspielert sie und inszeniert sich ganz bewusst selbst. Wie langweilig er ist. Merkt er das nicht? [...] „Bleiben Sie noch längere Zeit hier in San Martino, Fräulein Else?“ – Idiotisch. Warum schau’ ich ihn so kokett an? Und schon lächelt er in der gewissen Weise. Nein, wie dumm Männer sind. „Das hängt zum Teil von der Disposition meiner Tante ab.“ Ist ja gar nicht wahr. Ich kann ja allein nach Wien fahren. (340)
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Der Schnitzlersche Text verweist immer wieder auf diesen starken Kontrast von äußerem Schein und innerem, wirklichem Sein – nicht nur bei Else.55 Auch das Verhalten der anderen Figuren, sei es der spielsüchtige Advokat, der lüsterne, feine Herr von Dorsday oder die verheimlichte Affäre von Cissy und Paul, zeigt, dass es eine große Diskrepanz gibt zwischen dem Innerem, dem wirklichen Charakter und dem Auftreten nach außen. Else, die das erkennt, kann und möchte daher keinen echten Kontakt zu dieser Gesellschaft herstellen. Ich möchte einen Gruß an die Luft hinausrufen, ehe ich wieder hinuntersteige unter das Gesindel. (336) So fern, so fern das Hotel und so märchenhaft leuchtet es her. Und was für Schufte sitzen drin. Ach nein, Menschen, arme Menschen, sie tun mir alle so leid. (352)
Else hat nur Kontakt zu sich selbst. Das wird nicht nur mittels des inneren Monologs deutlich, sondern auch durch die verschiedenen Situationen im Text, in denen Else ihrem Spiegelbild gegenübersteht. „Der Kontaktverlust zur Gemeinschaft äußert sich in der Selbstbespiegelung.“56 Sie denkt viel über ihre Schönheit nach und stilisiert sich selbst. Sie beschreibt sich als bildschönes Mädchen (328), bewundert ihre Schultern, ihr Haar und setzt nach außen ihre Schönheit bewusst ein – als ihre Macht über andere. Ich bin wieder etwas schlanker geworden. Das steht mir gut. (334) Ich bin heute wirklich schön. Das macht wahrscheinlich die Aufregung. (335) Wozu habe ich denn meine herrlichen Schultern und meine schönen schlanken Beine? Und wozu bin ich denn überhaupt auf der Welt? (355) Man lebt nur einmal. Wozu schaut man denn so aus wie ich. (362)
Elses Betrachtungen ihrer Schönheit steigern sich im Laufe des Textes von einer übersteigerten Eitelkeit bis hin zu einem pathologischen Narzissmus. Der Höhepunkt wird in Elses Monolog vor dem Spiegel erreicht: Else unterhält sich mit ihrer Spiegel-Imago. Schön, schön bin ich! Schau mich an, Nacht! Berge schaut mich an! Himmel schau’ mich an, wie schön ich bin. [...] Ah, wie hübsch ist es, so nackt im Zimmer auf- und abzuspazieren. Bin ich wirklich so schön wie im Spiegel? Ach, kommen Sie doch näher, schönes
55 Der innere Monolog im Zusammenspiel mit direkter Rede ist eine sehr geeignete Technik, die Differenz zwischen Innen und Außen aufzuzeigen. 56 Diersch (1977), 88.
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Fräulein. Ich will Ihre blutroten Lippen küssen. Ich will ihre Brüste an meine Brüste pressen. Wie schade, daß das Glas zwischen uns ist, das kalte Glas. Wie gut würden wir uns miteinander vertragen. Nicht wahr? Wir brauchten gar niemand anderen. Es gibt vielleicht gar keine andern Menschen. [...] Leb’ wohl, mein heißgeliebtes Spiegelbild. Wie du im Dunkel leuchtest. (365ff.)
Elses Verhalten ist nicht allein von externen Ursachen bedingt. Man kann vermuten, dass auch gestörte psychische Prozesse der Figur eine Rolle spielen können57 wie zum Beispiel eine narzisstische Persönlichkeitsstörung58. „Pathologische Selbstliebe drückt sich in exzessiver Selbstbezogenheit aus. Zudem manifestiert sich bei diesen Patienten eine Grandiosität, die sich in exhibitionistischen Tendenzen widerspiegelt. [...] Ihre Grandiosität drückt sich oftmals in kindlichen Werten aus, beispielsweise in körperlicher Attraktivität, Macht, Reichtum, Kleidung, Manieren und ähnlichem.“59 Zum Krankheitsbild gehört außerdem eine emotionale Oberflächlichkeit, „wobei sie zwar gewöhnlich eine oberflächlich glatte und sehr effektive soziale Anpassung zustande gebracht haben, aber in ihren inneren Beziehungen zu anderen Menschen schwer gestört sind“60. All diese Attribute treffen auch auf die Protagonistin von Schnitzler zu. Elses Narzissmus zeigt sich auch in ihrem Verlangen, sich nicht allein Dorsday nackt zu zeigen, sondern sich vor dem ganzen Hotel zu entblößen. Hab’ ich mir nicht mein ganzes Leben lang so was gewünscht? (367) Ihre exhibitionistischen Tendenzen klingen schon zu Beginn des Textes an. Sie zieht sich in ihrem Hotelzimmer um und überlegt, ob sie den Vorhang herunter lässt: Steht keiner auf dem Berg drüben mit einem Fernrohr. Schade. (334) Später erfährt man, dass sie sich schon einmal bewusst nackt gezeigt hat: auf einem Balkon in Gmunden. Zwei Männer saßen in einem Kahn und konnten sie von weitem beobachten. Und ich hab’ mich gefreut. Ah, mehr als gefreut. Ich war wie berauscht. Mit beiden Händen hab’ ich mir über die Hüften gestrichen und vor mir selber hab’ ich getan, als wüsste
57 Dass sich der Mediziner Schnitzler mit Psychologie und Traumdeutung auskannte, ist hinreichend belegt. 58 Vgl. Kernberg (2006), 69ff. Die Ursache einer solchen Erkrankung, so Kernberg, kann unter anderem darin begründet sein, dass die Betroffenen über keine normale Selbstwertregulierung verfügen, da für sie keine Befriedigung von Triebbedürfnissen im Rahmen stabiler Objektbeziehungen und Wertsysteme möglich ist. 59 Kernberg (2006), 74. 60 Kernberg (1995), 302.
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ich nicht, dass man mich sieht. [...] Ja, so bin ich, so bin ich. Ein Luder, ja. Sie spüren es ja alle. (349)
Dorsdays Bedingung erfüllt also Elses geheimes Verlangen, jedoch möchte sie sich vor einem schönen Mann zeigen und nicht vor einem alten Mann mit Kalbsaugen (326). Elses Entblößung vor Dorsday ist für sie unfreiwillig und damit unbefriedigend. Dorsdays Bedingung bedeutet für Else eine Aufhebung ihrer erotischen Wahlfreiheit. Sie fühlt sich erniedrigt und ist vom Gedanken an Dorsdays Blicke angewidert. Else fühlt sich aber gleichzeitig dem Vater und der Familie verpflichtet. Zudem befindet sie sich in einem weiteren Zwiespalt: Auf der einen Seite möchte Else sich nackt zeigen – nur nicht unter Zwang vor Dorsday –, auf der anderen Seite hat sie Respekt vor den Normen der bürgerlichen Gesellschaft und weiß, dass es für sie nach dieser Entblößung (ob nun geheim oder öffentlich) kein Zurück in ihr bisheriges Leben geben wird. Somit wird Elses Nacktheit für die Protagonistin zu einer Art Wiedergeburt. Dann bin ich nicht mehr das Fräulein Else [...] und komme zum zweitenmal auf die Welt... (364) Ihre öffentliche Entblößung könnte eine Emanzipation bewirken. Das ist heute ja nur der Anfang. Oder denken Sie, aus diesem Abenteuer fahre ich wieder nach Hause als anständiges Mädchen aus guter Familie? [...] Ich stelle mich jetzt auf meine eigenen Beine. (357) Und dann kommt das Veronal. Nein, wozu denn? Warum denn sterben? Keine Spur. Lustig, lustig, jetzt fängt ja das Leben erst an. Ihr sollt Eure Freude haben. [...] Ein Luder will ich werden, wie es die Welt noch nicht gesehen hat. (362) Nehmt Euch ein Beispiel. Ich, die Jungfrau, ich traue mich. (364)
Else ist, während sie sich im Musikzimmer entblößt, von der Situation so schockiert, dass sie hysterisch auflacht, ohnmächtig zusammenbricht und in Aphonie61 verfällt. Der Skandal ist groß. Sie wird auf ihr Zimmer getragen und kann in einem unbeobachteten Augenblick die Überdosis Veronal zu sich nehmen. Mit dem Tod entgeht sie dem Skandal, er scheint ihr als der einzige Ausweg.62 Ihre Emanzipation ist gescheitert, die Identitätskrise endet unbewältigt. Sie vermag es nicht, sich über die gesellschaftlichen Konventionen hinwegzusetzen. Sie
61 Hilfe! Hilfe! Ich schreie doch, und keiner hört mich. [...] Ich höre, aber ich schweige. Ich bin ohnmächtig, ich muß schweigen. (377) 62 Am 22.6.1924 schreibt Schnitzler in sein Tagebuch: „Nm. ‚Else‘ durchgesehen, deren Schluss mir heute problematisch schien.“ (Schnitzler Tagebuch 1923–1926, 157).
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will wirklich nicht mehr weiterspielen (324), sie kann nicht mehr (324), wie schon zu Beginn des Textes angedeutet wird. Elses Verhalten weist an vielen Stellen des Textes, neben der eben schon beschriebenen narzisstischen Persönlichkeitsstörung, Symptome von Hysterie bzw. nach heutiger Definition einer histrionischen63 Persönlichkeitsstörung auf. Auch Elses Cousin Paul diagnostiziert einen hysterischen Anfall, nachdem die Protagonistin nach ihrer Entblößung zusammengebrochen ist. Elses Narzissmus, ihr Ohnmachtsanfall mit folgender Aphonie, ihre ausgeprägten schauspielerischen Ambitionen64 und Fähigkeiten, ihr Kokettieren mit Veronal und der damit implizierten Selbsttötungs-Andeutung, ihre mangelnde emotionale Tiefe und ihre ausgeprägte Phantasie können alle als Symptome von Hysterie gedeutet werden. „Zur hysterischen Persönlichkeitsstruktur gehören z.B. narzisstische (übersteigertes Bedürfnis nach Bewunderung), egozentrische (ichbezogene) und geltungsbedürftige Einstellungen mit überzogener SelbstDarstellung und einem infantilen (kindlichen) Bedürfnis nach ständiger Anerkennung. Vor allem sind Hysteriker kaum in der Lage, sexuelle Wünsche so zu integrieren, dass sie für beide Seiten halbwegs befriedigend ausfallen. Deshalb sind hysterische Menschen oftmals auch unfähig zu einer reifen Sexualbeziehung und Befriedigung.“65 Schnitzlers Wissen über die Tiefenstruktur des psychischen Apparats und vor allem über „das Pathologische“66 scheinen in den Text eingeschrieben. „Die Krankheit wird [...] zur Metapher, mit der ein ArztSchriftsteller sich gesellschaftlichen Verhältnissen zu nähern sucht.“67 Der Schnitzlerische Text endet allerdings nicht mit einer Therapie oder Heilung von Else, sondern mit ihrem Verstummen, wahrscheinlich mit ihrem Tod. Elses innerer Monolog ist an vielen Stellen der Novelle von Selbstmordgedanken durchzogen, die Protagonistin spielt im gesamten Text verschiedene Todesszenarien durch, auch schon vor dem Eintreffen des Expressbriefes ihrer Mutter. Später bemerkt sie: Ich weiß ja schon lange, dass es so mit mir enden wird. (358) Ein Selbstmord mit Hilfe von Schlaftabletten ist eine passive Art zu
63 histrionic (engl.): schauspielerisch, theatralisch, affektiert; histrio (lateinisch): Schauspieler. 64 […] sie haben mich ja doch nur daraufhin erzogen, daß ich mich verkaufe, so oder so. Vom Theaterspielen haben sie nichts wissen wollen. Da haben sie mich ausgelacht. (355) 65 Prof. Dr. med. Volker Faust, http://psychiatrie-heute.net/psychiatrie/hysterie.htm (Stand: 28.9.2009) 66 Perlmann (1987), 136. 67 Perlmann (1987), 137.
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sterben. Dieser Umstand beschreibt eine weitere Charakteristik der Figur. Else fehlt nicht nur eine sexuelle und gesellschaftliche Identität, durch ihre ausgeprägte Passivität macht sie sich für andere zum Spielball: vom Vater und der Mutter, von Dorsday, von der Gesellschaft. Sie vermag diesem Zustand nichts entgegenzusetzen, ihr fehlt die Kraft dazu. Alle Impulse gehen von anderen aus. Selbst für ihren Tod macht sie sich nicht verantwortlich. Alle sind sie Mörder. Dorsday und Cissy und Paul, auch Fred ist ein Mörder, und die Mama ist eine Mörderin. Alle haben sie mich gemordet und machen sich nichts wissen. Sie hat sich selber umgebracht, werden sie sagen. Ihr habt mich umgebracht, ihr alle, ihr alle! (378)
Kurz nachdem das Veronal wirkt, will Else doch leben. Durch ihre Stimmlosigkeit kann sie sich Paul und Cissy allerdings nicht mehr mitteilen. Elses Gedanken, ihr Innerstes, bis dahin Rückzugs- und Zufluchtsort vor der verabscheuten Außenwelt, werden nun durch die Stimmlähmung zu ihrem Gefängnis.68 Und genau in diesem Augenblick möchte Else die Initiative ergreifen und handeln – doch das Veronal lähmt ihre Stimme und ihre Muskeln. Else verfällt in einen schlafähnlichen Zustand und durchlebt noch einen letzten Traum, eine Todesvision mit alten Bekannten: Der Papa, der Matador und Herr von Dorsday verschmelzen zu einer Person. Zudem erlebt Else eine Rückwärtsentwicklung in die kindliche Traumwelt. Der Papa schenkt ihr Dreißigtausend Puppen (380), Cousin Paul sitzt auf einer Giraffe im Ringelspiel (380). Dieser traumähnliche Zustand steigert sich in einen intensiven Kampf um ihr Leben und in eine Trance, in der Else Musik vernimmt. Was ist denn das? Ein ganzer Chor? Und Orgel auch? Ich singe mit. Was ist denn das für ein Lied? Alle singen mit. Die Wälder auch und die Berge und die Sterne. Nie habe ich so etwas schönes gehört. Noch nie habe ich eine so helle Nacht gesehen. Gib mir die Hand, Papa. Wir fliegen zusammen. So schön ist die Welt, wenn man fliegen kann. Küss’ mir doch nicht die Hand. Ich bin ja dein Kind, Papa. „Else!Else“ Sie rufen von so weit! Was wollt Ihr denn? Nicht wecken. Ich schlafe ja so gut. Morgen früh. Ich träume und fliege. Ich fliege...fliege...fliege...schlafe und träume...und fliege...nicht wecken...morgen früh...(381)
68 Bei ihrer Ohmnacht nach der Entblößung ist die Stimmlähmung psychogen (sie kann sprechen, will aber nicht). Jetzt, durch die Wirkung des Veronals, kann sie nicht mehr sprechen, obwohl sie will.
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Elses Bitte, nicht geweckt zu werden, bezeugt den „Wunsch, nicht mehr in die Wirklichkeit zurückgeholt zu werden“69. Der Tod als traumähnlicher Zustand wird nun doch von ihr herbeigesehnt. Ihre letzten Worte sind: Ich fliege...ich träume...ich schlafe...ich träu...träu – ich flie..... (381)
Damit endet der Text. Dabei kritisiert Stanzel70, dass diese Art des Todes eher ein Stereotyp sei und den Möglichkeiten der Ich-Figur in diesem entscheidenden Moment nicht gerecht werde.71 Stanzel merkt an, dass „der innere Monolog durch die Fixierung auf Innenperspektive in dieser Hinsicht viel weniger flexibel als die Bewusstseinsdarstellung mittels eines personalen ES [ist]“72, da dadurch der Sterbende an Individualität verliert. Der Erzählvorgang muss frühzeitig abgebrochen werden, da eine endgültige Darstellung des Sterbens im inneren Monolog unmöglich ist. Nach Elses Tod ergreift kein auktorialer Erzähler das Wort und führt die Geschichte weiter. Elses Welt endet, wenn Else verstummt. Der Text endet. Feriengäste im Berghotel Fratazza Alle Figuren im Text werden aus der Sicht von Else vermittelt. Da das Bild des Lesers von ihrer Wahrnehmung gelenkt wird, ist eine objektive Figurenbeschreibung nicht möglich. Jede Wahrnehmung im Text ist an das Individuum Else und seine Lebenssituation gebunden. Cousin Paul, älter als Else, ist alleinstehend und Frauenarzt. Else denkt: Paul ist auch nicht gerade ein Matador. Aber gut sieht er aus – mit dem offenen Kragen und dem Bösen-Jungen-Gesicht. (324) Er mag Else und ist ihr gegenüber sehr wohlwollend eingestellt. Im Gegensatz zu Cissy. Sie hat Mann und Kind und eine heimliche Liebesbeziehung zu Paul. Cissy ist eifersüchtig auf Else, auf ihre Schönheit, ihre Jugend und ihren Charme, der auch auf Paul wirkt. Auch Elses reiche Tante Emma73, die Mutter von Paul, ist Else nicht wohlgesonnen.
69 Aurnhammer (1983), 509. 70 Stanzel (1995), 290ff. 71 Neymeyer hingegen empfindet Elses Sterbeprozess bis ins tödliche Delirium hinein „als impressionistisches Vibrieren, das Wirklichkeitssegmente in Gestalt akustischer Wahrnehmungen und Körperempfindungen sowie Gedankenfetzen und Traumbilder flimmernd ineinander gleiten lässt“. (Neymeyer 2007, 207). 72 Stanzel (1995), 292. 73 Schnitzler selbst hatte eine Tante Emma (vgl. Stammtafel der Familie Markbreiter in: Schnitzler, Tagebuch 1879–1892, 463f.).
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[A]ber da könnte man ja ebenso gut zu einem Stein reden (331), stellt Else fest. Auch zu Elses Familie hat Tante Emma kein gutes Verhältnis. Aus welchen Beweggründen sie Else zum Urlaub einlädt, erfährt man im Text nicht. Vielleicht soll Else als ‚Anstandsdame‘ über die Beziehung von Paul und Cissy wachen. Etwas mehr erfährt man über Herrn von Dorsday74, dem Else im Hotel mehrfach begegnet. Er ist ein älterer gepflegter Herr, ein Todfeind (326), ein schlechter Schauspieler (347), ein Kunsthändler und auch ein Jude, der sich seinen englischen Namen und den Adelstitel allerdings erkauft hat. Er ist etwas kleiner als Else, trägt einen Spitzbart und ein Monokel und hat, wie Else abwertend beobachtet, Kalbsaugen (326). Herr von Dorsday kennt Elses Familie und hat ihrem Vater schon einmal mit Geld ausgeholfen. Er vertritt die Meinung, „dass alles auf der Welt seinen Preis hat, und dass einer, der sein Geld verschenkt, wenn er in der Lage ist, einen Gegenwert dafür zu bekommen, ein ausgemachter Narr ist“ (346). Dorsday möchte als weltmännischer und seriöser Mann verstanden werden, er entwickelt sich allerdings im Laufe der Handlung weniger zum väterlichen Freund als vielmehr zu einem berechnenden und feigen alten Lüstling. Zudem traut er sich nicht, seine dreiste Forderung an Else klar auszusprechen, sondern umschreibt sie anfangs mit „Je vous désire“ (345). Später bittet er Else sogar um Verständnis: „Sie werden möglicherweise ahnen, dass ein Mann zu ihnen spricht, der ziemlich einsam und nicht besonders glücklich ist und der vielleicht einige Nachsicht verdient.“ (347) Er sieht sich nicht als Erpresser. Else verabscheut, wie Dorsday sich ihr aufdrängt, und ist entsetzt, in welche Lage er sie bringt. Man erfährt allerdings nicht, was in Dorsday vorgeht und was er am Ende der Novelle mit Paul und Cissy bespricht. Cissys Andeutung, „[d]aß dieser Herr von Dorsday in das nackte Fräulein verliebt ist“ (379), verrät auch nichts darüber, ob Dorsday sein Handeln bedauert oder ob er am Ende das Geld an Fiala überweist. Es wird interessant sein, wie die Figur des Herrn von Dorsday in den verschiedenen Filmen interpretiert wird. Weitere Figuren, denen die Protagonistin während der Handlung begegnet, sind das Kindermädchen von Cissy sowie Frau Winawer, die Geliebte von Dorsday, unter uns, nichts sehr Feines (330), wie Elses Mutter feststellt, und ein Herr Doktor Waldberg. Diese Figuren werden nicht näher beschrieben.
74 Lange-Kirchheim ([1998], 275) stellt heraus, dass der Name Dorsday ein Echo auf engl. door bzw. Matador und Tor ist. Der Matador spielt in Elses symbolischer Traumwelt eine Rolle und wird wiederum in Verbindung mit Elses Vater gebracht.
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Figuren aus Analepsen Eine wichtige Rolle in Elses Gedankenwelt spielt ihre Familie, deren Mitglieder vor allem durch die Schilderung und gedankliche Bebilderung zurückliegender Begebenheiten vorgestellt werden. Nie werde ich unsere Existenz verstehen (337), stellt dabei die Protagonistin fest. Sie meint eine Existenz, die mit vielen Geheimnissen verbunden ist: die Spielsucht des Vaters und die daraus resultierende Armut der Familie, die nach außen verheimlicht wird, die jüdische Abstammung sowie anscheinend der Missbrauch von Else. Im Verlauf des Textes wird klar, dass Else zu keinem ihrer Familienmitglieder, sei es zur Mutter, zum 21-jährigen Bruder Rudi oder zum Vater, ein vertrautes Verhältnis hat. Auch die anderen Familienmitglieder pflegen untereinander keine guten Beziehungen. Alles in unserem Haus wird mit Scherzen erledigt, und keinem ist scherzhaft zumut. Jeder hat eigentlich Angst vor dem anderen, jeder ist allein. (337) Keiner kümmert sich um den oder weiß von dem anderen. Am deutlichsten tritt dieses Missverhältnis in Elses Beziehung zu ihrer Mutter hervor. Sie hasst ihre Mutter, beschreibt sie als ziemlich dumm (329) und als eine Mörderin (378). Auch das Jüdische kommt bei ihr stärker heraus, wie Else abwertend kommentiert: Bei der Mama merkt man es freilich gleich, wenigstens im Reden. (333) Von Else hat sie keine Ahnung (329). Dass diese Ablehnung begründet ist, erfährt man schon zu Beginn des Textes, als Else den Expressbrief ihrer Mutter liest. Darin bittet sie ihre Tochter, Herrn von Dorsday nach Geld zu fragen. Im Wortlaut des Briefes wird klar, dass die Mutter sich vielleicht denken kann, was Dorsday für eine Gegenleistung verlangen wird, und sie ermuntert Else: Glaub’ mir, du vergibst dir nicht das Geringste, mein geliebtes Kind. (331) An anderer Stelle im Text (Elses Traum am Waldrand) wird zudem angedeutet, dass die Mutter vor längerer Zeit eine Affäre mit Dorsday hatte: Die Mama kommt die Treppe herunter und küsst ihm die Hand. Pfui, pfui (353). Elses Konflikt mit ihrer Mutter bleibt allerdings unbewältigt, da kein persönliches Gespräch zustande kommt. Die Mutter ist in Wien, Else in San Martino. Auch der Vater von Else tritt nicht persönlich auf und wird nur durch Elses gedankliche Rückwendungen vorgestellt. Dadurch kann auch diese Figur nur mit Hilfe von Elses Gedanken konstruiert und charakterisiert werden. Elses Vater ist in Wien ein anerkannter Jurist, allerdings spielsüchtig, verschuldet und seiner Frau untreu. Er ist das Familienmitglied, zu dem Else das engste Verhältnis hat. Die Beziehung von Else zu ihrem Vater wurde in der Schnitzler-Forschung bisher als ödipale Vater-Fixierung gedeutet75, in neueren Untersuchungen wurde
75 Für Allerdissen wird eine inzestuöse Beziehung von Else sogar herbeigesehnt (vgl. Allerdissen [1985], 52). Auch bei dem Internationalen Kolloquium Arthur Schnitzler
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herausgestellt, dass der Vater „die Tochter sexuell [...] missbraucht zu haben“76 scheint. Es gibt einige Verweise im Text. Vor allem in Elses Tagträumen sprechen einige Indizien dafür, dass Else mit 13 Jahren von ihrem Vater missbraucht wurde. Immer diese Geschichten! Seit sieben Jahren! Nein – länger. Wer möcht’ mir das ansehen? Niemand sieht mir was an, auch dem Papa nicht. Und doch wissen es alle Leute. Rätselhaft, dass wir uns immer noch halten. (332)
Ihr Missbrauch ist so weit verdrängt, „dass Else nur in ihrem Träumen in die Nähe der wirklichen Ereignisse vordringt“77. Es ist verwunderlich, dass Else an den Problemen des Vaters so stark Anteil nimmt, ihn sogar in Schutz nimmt: Sein Verhängnis ist die Spielleidenschaft. Er kann ja nichts dafür, es ist eine Art von Wahnsinn. (350) Lange-Kirchheim legt dar, dass nach einem Missbrauch eine Abhängigkeit zwischen Opfer und Täter besteht. Trotzdem steht Else ihrem Vater auch kritisch gegenüber. Ihre Gefühle wechseln von liebevollem Verständnis bis hin zu absoluter Ablehnung. Else durchschaut, dass auch ihr Vater die Gegenleistung von Dorsday vorausahnt und sie in Kauf nimmt. Er muß es ja vorher gesehen haben. Er kennt ja die Menschen. Er kennt doch den Herrn von Dorsday. Er hat sich doch denken können, dass der Herr Dorsday nichts für nichts und wieder nichts. [...] Wenn man eine so hübsche Tochter hat, wozu braucht man ins Zuchthaus spazieren? (349)
Umso erstaunlicher ist, dass Else ihren Vater am Ende der Novelle als einzigen nicht als Mörder beschuldigt. In Elses letztem Traum, ihrer Todesvision, spielt der Vater noch einmal eine übergeordnete Rolle. Er schenkt ihr 30.000 Puppen, und sie fliegt mit ihm zusammen davon. Küß mir doch nicht die Hand. Ich bin ja
und der Film in Freiburg im Br. im März 2008 wurde mehrfach diskutiert, dass Else sich in einer inzestuösen Beziehung zu ihrem Vater befand. 76 Lange-Kirchheim (1998), 270. Die Autorin spricht zudem von einer Traumatisierung Elses durch den Missbrauch und sieht in ihrem inneren Monolog ein Schweigegebot für das Vorgefallene. 77 Lange-Kirchheim (1998), 271. Sie erhärtet diese Hypothese mit Verweisen auf den geträumten Handkuss des Vaters (381) als Symbol der Erniedrigung und Perversion. Auch hinter der Liebhaber-Figur des Matador (353, 354 und 380) verbirgt sich laut Lange-Kirchheim der Vater. Elses erster Traum sei die Wiedergabe ihres Missbrauchsszenarios mit 13 Jahren (vgl. Lange-Kirchheim [1998], 273).
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dein Kind, Papa (381), sagt Else am Ende zu ihm. Der Handkuss ist hier wieder mit der Bedeutung des Missbrauchs konnotiert. Durch Elses Tod bleibt allerdings auch dieser innerfamiliäre Konflikt ungelöst. Eine weitere Figur aus Elses Gedankenwelt ist ihr Freund Fred. [N]ebstbei der einzige anständige Mensch, den ich in meinem Leben kennengelernt habe. Der einzige, den ich geliebt hätte, wenn er nicht ein gar so anständiger Mensch wäre (358), so die Protagonistin. Kein Filou! Aber ich nähme ihn, wenn er Geld hätte. (335) Else fühlt sich von ihm geliebt und verstanden, aber er ist ihr zu gewöhnlich. Und für eine langweilige bürgerliche Ehe hat er zu wenig Geld. Elses Ideal ist ein Leben, das aufregend und frei von finanziellen Nöten ist. Freundin Bertha ist einfach ein Luder (335). Bertha ist aus Wien weggegangen und hat ihren Traum von einem freieren Leben mit vielen Männern gelebt. In der Novelle finden auch noch Elses Freundin Christine und Tante Irene Erwähnung, auf die aber nicht näher eingegangen wird.
4. I NDICES , F ARBCODES , K UNSTZITATE
UND
M USIK
Neben der Technik des inneren Monologs kann man im Schnitzlerschen Text weitere Methoden feststellen, die dem Leser die Gefühle der Protagonistin vermitteln und eine Authentizität des Erzählten suggerieren. Winko spricht von implizit präsentierten Gefühlen. Schnitzler setzt in Fräulein Else gezielt Indices, Farbcodes und intertextuelle bzw. kulturelle Bezüge zur „indirekten LeserOrientierung“78 ein. Es liegt folglich am Leser, diese intertextuellen Verweise, Indices, Musikzitate und Farbcodes zu entschlüsseln und so für seine Lektüre zu nutzen. Die immer wiederkehrende Metaphorik und die zahlreichen Allusionen in Fräulein Else haben vor allem die Funktion, die Innenwahrnehmungen der Protagonistin komplexer darzustellen bzw. auch auf einer impliziten Ebene zu präsentieren und so die Protagonistin differenzierter zu charakterisieren. „Die Auswahl der Assoziationen durch den Dichter bedeutet zum einen, dass zur Zeit ihrer Äußerung scheinbar belanglose Bemerkungen im Verlauf der Erzählung an Bedeutung gewinnen und vom Leser im nachhinein als Vorausdeutung rezipiert werden.“79 Das Medium Film bietet alle Voraussetzungen, Indices, Farbcodes sowie Musikzitate aus dem Text visuell bzw. auditiv aufzugreifen, umzusetzen und somit diesen ästhetischen Teilaspekt der Nachbildung von Innenwahrnehmungen
78 Eilert (1991), 324. 79 Morris (1998), 41.
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medienspezifisch darzustellen. Deshalb ist es notwendig, verschiedene kulturhistorische Verweise und die Konnotationen bzw. die Ambiguität einzelner Gegenstände, Orte und Gedanken in Fräulein Else näher zu betrachten und zu beschreiben, um dann Beobachtungen und Vergleiche zu deren Transformation in die Verfilmungen anstellen zu können. Kunstzitat und Intertextualität80 als Index für Elses Innenwahrnehmungen In einigen Textpassagen werden die Gedanken der Protagonistin aus Bildungsund Kunstzitaten81 generiert bzw. mit Anspielungen angereichert. Mit Elses Eindrücken von Romanen, Gemälden, Theateraufführungen und Musik werden die Gefühle der Protagonistin auch implizit präsentiert und damit auf einer weiteren Textebene dargestellt. Aurnhammer stellt fest, die Verweise auf Kunstwerke erlaubten „das Verzerrungsmoment in der Projektion zu bestimmen und unter Berücksichtigung des so ermittelten subjektiven Faktors trotz fehlenden Gegenlagers eine Brücke von der subjektiven Innenwelt zur objektiven Außenwelt zu schlagen“82. Schnitzler arbeitet in seiner Novelle vermehrt intertextuell: Er verwendet zahlreiche literarische Zitate und Kryptozitate. „Das Zitieren aus den Werken der Weltliteratur, vorhandenen wie erfundenen, gehört zu Elses bevorzugter Handhabung der Derealisieung.“83 Die ausweglose Situation von ihr und ihrer Familie realisiert sie als Romanstoff. Die Kinder des Sträflings! Roman von Temme in drei Bänden. Der Papa empfängt uns im gestreiften Sträflingsanzug. (350)
Doch in der Novelle bevorzugt Else eine andere Nachttischlektüre: Guy de Maupassants Roman Notre Cœur von 1890. Dieser Roman taucht im Text nicht in einer zufälligen Assoziation auf, sondern wird bewusst von Else wahrgenommen und affirmativ gewertet. Eilert führt die explizite Benennung dieses Textes „auf die ästhetische Erfahrung des ‚Jungen Wien‘ der neunziger Jahre“84 zurück. Sie
80 Intertextualität soll hier ganz allgemein als „Bezug eines Textes auf andere Texte“ verstanden werden (Martinez [2007], 357). 81 Eilert versteht unter Kunstzitat „die Bezugnahme auf Kunstwerke aller Art als sinnkonstitutives Element“ (Eilert [1991], 9). 82 Aurnhammer (1983), 501. 83 Lange-Kirchheim (2000), 122. 84 Eilert (1991), 326.
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geht zurück bis zu Hofmannsthal, der in einem Brief die Protagonistin des Romans Notre Cœur wie folgt beschreibt: „Die Hauptperson, eine anständige junge Frau der guten Gesellschaft, ist für meine Empfindung der wahrste Typus unserer (meiner) Generation, den ich kenne [...]; feinfühlig, aber zu müde für heftige Empfindungen, lebhaft, aber ohne starken Willen [...].“85 Die Protagonistin in Maupassants Roman, Michèle de Burne, hat zudem zahlreiche Gemeinsamkeiten mit Else: Sie ist rötlichblond, hat herrliche Schultern, sieht sich gern im Spiegel an und „[...] sie ist eine der interessantesten Frauen im neuen Paris“86. Eilert weist zusätzlich auf ein ähnliches erotisches Verhalten der Figuren hin: Sie sind beide nicht in der Lage zu lieben und setzen ihre Schönheit zur Machtausübung ein. So wird der Titel Notre Cœur zum Verweis auf die Protaginistin Michèle de Burne, die zahlreiche Charaktereigenschaften mit Else teilt. Ein weiterer intertextueller Bezug auf eine literarische Frauenfigur und damit Allusion auf Gemeinsamkeiten ist Elses Bemerkung über die Kameliendame, welche sie anscheinend als Bühnendrama gesehen hat. Die tragische Protagonistin, Marguerite Gautier, ist darin die opferbereite und liebende Kurtisane, die ihr Leben als Luder für einen Mann aufgibt und früh stirbt. Auch eine männliche Tragödiengestalt dient in der Novelle als Anspielung auf Elses Charakter. Wie sagte Fred auf dem Weg vom ‚Coriolan‘ nach Hause? Frohgemut. Nein, hochgemut. Hochgemut sind Sie, nicht hochmütig, Else. – Ein schönes Wort. (325)
Coriolan heißt zum einen der selbstbewusste Held aus der gleichnamigen Shakespeare-Tragödie, der wegen seines Stolzes zum Außenseiter wird und durch die Zuneigung zu seiner Familie den Tod findet. Ferner wurde der Coriolan-Stoff von dem Wiener Schriftsteller Heinrich Joseph von Collin 1804 dramatisiert und aufgeführt. Collin entwirft seinen Helden Coriolan mit einer zwiespältigen Persönlichkeit: nach Außen hin hart und gradlinig, im Inneren dagegen unsicher und verletzlich. Auch Else wechselt ständig zwischen äußerem Schein und innerem Sein – die Protagonistin zerbricht am Ende daran. Neben diesen intertextuellen Verweisen, die auf Facetten von Elses Persönlichkeit referenzieren, rekurriert Schnitzler auch auf Gemälde. Allerkamp stellt fest, dass Elses Gespräche mit ihrem Spiegelbild indirekt ein Kunstzitat enthalten: Elses Gedanken sowie Schnitzlers Bild- und Figurenanordnung in den Spiegelszenen verweisen auch auf Tizian (336) bzw. dessen Toilette der Venus von 1555. Auf diesem Bild schaut eine rötlichblonde Venusfigur in einen Spiegel,
85 Hugo von Hofmannsthal: Briefe 1890–1901. Frankfurt am Main 1935, 59. 86 Maupassant (1978), 9.
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der von zwei Nymphen umringt wird. „Statt den Blick der Venus zu erwidern, richtet sich das dritte Auge im Spiegel dem Betrachter zu und wirft so dessen Blick auf sich selbst zurück.“87 Auch Rubens’ Die Toilette der Venus von 1613/15 erinnert an Elses Situation vor dem Spiegel. Auch hier bleibt der Blick der nackten und rötlichblonden Venus leer und unbefriedigt. Umrahmt werden diese indirekten Verweise auf Gemälde durch inhaltliche Momente der Novelle: Die Figur Dorsday ist Kunsthändler und handelt mit alten Bildern. Und für diesmal will ich nichts anderes, Else, als – Sie sehen (346), wie Dorsday betont. Er möchte ihre Schönheit wie ein Gemälde wahrnehmen. Auch Else stilisiert sich selbst im Verlauf des Textes als Gemälde und sieht sich durch Dorsday unter ihrem Wert gehandelt. Herr Dorsday, Sie erweisen der kleinen Else auch die letzte Ehre? [...] Natürlich, ich muß ihr die letzte Ehre erweisen. Ich habe ihr ja auch die erste Schande erwiesen. O, es war die Mühe wert, Frau Winawer, ich habe noch nie einen so schönen Körper gesehen. Es hat mich nur dreißig Millionen gekostet. Ein Rubens kostet dreimal so viel. (352)
Es bleibt festzustellen, dass einige der im Text eingearbeiteten intertextuellen Verweise und Anspielungen auf Gemälde sehr vage sind. Aufgrund ihrer Häufigkeit ist aber davon auszugehen, dass sie gezielt als Hilfsmittel zur impliziten Präsentation von Emotionen verwendet werden. Weitere Indices, Motive und Farbcodes Neben den teilweise klar bezeichneten und lokalisierbaren intertextuellen Verweisen gibt es in Fräulein Else zahlreiche konnotierte Gegenstände, die den Text zusätzlich mit Bedeutung anreichern. Die Novelle hat verschiedene, miteinander korrelierende Themen: die Doppelmoral der Gesellschaft, die Rolle der Frau in dieser Gesellschaft sowie das Zerbrechen des Individuums an dieser Gesellschaft oder an dem von ihm erwarteten Rollenverhalten und problematische innerfamiliäre Beziehungen. Man kann im Text zahlreiche Indices lokalisieren, die diese Themen aufgreifen, verstärken und ausschmücken. „Du willst wirklich nicht mehr weiterspielen, Else?“ – „Nein, Paul, ich kann nicht mehr. Adieu. – Auf Wiedersehen, gnädige Frau.“ – „Aber, Else, sagen Sie mir doch: Frau Cissy. – Oder lieber noch: Cissy, ganz einfach.“ – „Auf Wiedersehen, Frau Cissy.“ – „Aber warum gehen Sie denn schon, Else? Es sind noch volle zwei Stunden bis zum Dinner.“ –
87 Allerkamp (1995), 104.
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„Spielen Sie nur Ihr Single mit Paul, Frau Cissy, mit mir ist’s heut’ wahrhaftig kein Vergnügen.“ – „Lassen Sie sie, gnädige Frau, sie hat heut’ ihren ungnädigen Tag. – Steht dir übrigens ausgezeichnet zu Gesicht, das Ungnädigsein, Else. – Und der rote Sweater noch besser.“ – „Bei Blau wirst du hoffentlich mehr Gnade finden, Paul. Adieu.“ (324)
Gleich zu Beginn wird der erste erzählerische Baustein, „eine durch die kulturelle Tradition ausgeprägte und fest umrissene thematische Konstellation“88, latent eingeführt: das soziale Motiv. Die Protagonistin stellt fest, dass sie (in dieser Gesellschaft) nicht mehr weiterspielen kann. Von nun an begegnet der Leser wiederholt den Gründen von Elses Verweigerung und den Ursachen ihrer Außenseiterposition: Die Doppelmoral aller Figuren in Fräulein Else macht es der Protagonistin unmöglich, Mitglied dieser Gemeinschaft zu bleiben. Die materiellen Vorzüge der Hotelbewohner entsprechen nicht ihren moralischen Qualitäten. Durch den immer wiederkehrenden Kontrast zwischen wahrem Charakter und dem nach außen Präsentierten entlarvt der Text diese Doppelmoral und projiziert sie auf die ganze Gesellschaft: Alles ist Fassade. Dabei wird Elses Verweigerung und Außenseiterposition durch den Verweis auf ein Single-Match bereits zu Beginn des Textes indexikalisch hervorgehoben: Else ist die Dritte bei diesem Single, das man eigentlich immer zu zweit spielt und welches entsprechend zwischen Paul und der verheirateten Cissy, die ein heimliches Liebesverhältnis haben, ausgetragen wird. Else wird somit vom ersten Satz der Novelle an zur Außenseiterin ihrer Umgebung. Weitere Motive wurden in den Text eingearbeitet: das Typenmotiv der Kindfrau Else, das Motiv des Fensterblicks und jenes der Selbstbespiegelung. Erotik ist in Fräulein Else ein Leitmotiv. Neben der klaren Thematisierung im Text wird dieses Motiv symbolisch durch Anspielungen auf Wäsche und Strümpfe an vielen Stellen unterstrichen. Das Motiv des Selbstmordes wird durch Elses redundante Erwähnung ihres Schlaf- und Schmerzmittels Veronal ausgedrückt. Es wird zum Index für den Suizid, mal liegen die lieben Pulver (363) unter der Wäsche, für alle Fälle (361) oder Else hat [d]ie Schachtel mit dem Veronal [...] bei den Hemden (336). Es wäre schrecklich, wenn ich das Veronal nicht mit hätte (363), stellt die Protagonistin fest. Eine hervorgehobene Stellung – besonders in Bezug auf die implizite Präsentation von Innenwahrnehmungen – nehmen im Text Elses Träume ein. Inhaltlich knüpfen sie an aktuell Erlebtes an, sind aber auch Reminiszenzen an verdrängte Erlebnisse, unter anderem an den möglichen Missbrauch durch den Vater.
88 Lubkoll (2008), 516.
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Nach dem Gespräch mit Dorsday läuft die aufgewühlte Else zu einer Bank am Waldrand und träumt ihren eigenen Tod und ihre Beerdigung, die im Park von Mentone89 endet. Protagonisten im Traum sind Herr von Dorsday mit einem roten Monokel, Frau Winawer, eine undefinierte Anzahl von Leuten, Elses Mutter, die Herren einer Ruderregatta, Damen in Badeanzügen, Marineoffiziere und der Matador. O, wie schön wäre das tot zu sein. Aufgebahrt liege ich im Salon, die Kerzen brennen. Lange Kerzen. Zwölf lange Kerzen. (352)
Else sieht sich aufgebahrt in einem Raum liegen. Die von ihr geträumten langen Kerzen können als Index für Sexualität und für den Tod gedeutet werden. Der Veilchenkranz um meine Stirn ist von Paul. Die Schleifen fallen bis auf den Boden. [...] Ich gehe lieber übers Feld, das ist ganz blau von Vergissmeinnicht und Veilchen. (353)
Dem griechischen Mythos zufolge wuchsen auf der Wiese vor dem Hades Veilchen und an dem römischen Totentag wurden Gräber mit diesen Blumen geschmückt.90 Veilchen sind demzufolge unter die Todessymbolik zu subsumieren. Wegen ihrer violetten Farbe gelten Veilchen außerdem als Symbol der Passion Christi.91 Beide Bedeutungen korrelieren hier. Ich stehe lieber auf und schaue zum Fenster hinaus. Was für ein großer blauer See! Hundert Schiffe mit gelben Segeln –. [...] Die Herren haben alle Ruderleibchen. Die Damen sind im Schwimmkostüm. (353)
Das Schiff kann als Index für Reise und Überfahrt gedeutet werden. Schiffe befördern Tote ins Jenseits, können aber auch einen Neuanfang bedeuten. Die Herren in den Ruderleibchen auf den Schiffen sind eine Reminiszenz an Elses erste Entblößung auf dem Balkon in Gmunden. Else träumt am Waldrand weiter. Vor den Schlangen habe ich keine Angst. Wenn mich nur keine in den Fuß beißt. O weh.
89 Mentone ist eine Stadt an der Côte d’Azur. 90 Vgl. Biedermann (2002), 458. 91 Vgl. Becker (2007), 317.
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Was ist denn? Wo bin ich denn? Habe ich geschlafen? Ja. Geschlafen habe ich. Ich muß sogar geträumt haben. Mir ist so kalt in den Füßen. Im rechten Fuß ist mir kalt. Wieso denn? Da ist am Knöchel ein kleiner Riß im Strumpf. (353)
Der geträumte Schlangenbiss in den Fuß rekurriert auf die griechische Mythologie: Eurydike, die thrakische Baumnymphe, trat bei ihrer Flucht vor einem Vergewaltiger auf eine Giftschlange, starb an deren Biss und gelangte so in den Hades. Auch dieser intertextuelle Verweis von Schnitzler kann als Indiz für die Vergewaltigung von Else im Park von Mentone gewertet werden, wie auch Lange-Kirchheim (2000) nachweist. Zudem gelten Schlangen als sexuelles Symbol. Else erwacht aus ihrem Traum und macht sich auf den Rückweg zum Hotel. Am Ende des Textes – Else hat das Veronal genommen – verfällt sie noch einmal in einen traumartigen Zustand. Diesmal spielen fast alle Protagonisten aus Elses Umfeld eine Rolle: der Filou, Cousin Paul, Papa, Leute im Sträflingsgewand, der Matador, Fred und das heisere Fräulein, der Klavierstimmer, die Mama, Rudi, Bertha und ihr neuer Mann, Herr von Dorsday, Cissy und ein Chor. Ich werde lieber fliegen. Ich habe ja gewußt, daß ich fliegen kann. (380) Gib mir die Hand, Papa. Wir fliegen zusammen. So schön ist die Welt, wenn man fliegen kann. Küss’ mir doch nicht die Hand. Ich bin ja dein Kind, Papa. (381)
Lange-Kirchheim (2000) weist darauf hin, dass das gemeinsame Fliegen als Zeichen für Sexualität gedeutet werden kann. Interessant wird sein, wie die verschiedenen Verfilmungen mit den Träumen Elses und deren Symbolkraft umgehen werden. Ähnlich wie in der Traumnovelle arbeitet Schnitzler auch in Fräulein Else mit Farbcodes. Allerdings lassen sich hier nur an wenigen Stellen im Text Farben lokalisieren. Durch diesen sparsamen Umgang stechen die Textpassagen, in denen Schwarz, Rot, Blau und Gelb verwendet werden, hervor und bedürfen in Bezug auf ihre Konnotierung näherer Betrachtung, auch im Hinblick auf die folgende Untersuchung der Verfilmungen, da das Medium Film verstärkt mit Farben arbeitet. Gleich zu Beginn des Textes werden zwei Farben genannt. „Lassen Sie sie, gnädige Frau, sie hat heut’ ihren ungnädigen Tag. - Steht dir übrigens ausgezeichnet zu Gesicht, das Ungnädigsein, Else. - Und der rote Sweater noch besser.“ – „Bei Blau wirst du hoffentlich mehr Gnade finden, Paul. Adieu.“ (324)
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Else wirkt für Cousin Paul in ihrem roten Pullover ungnädig. Im blauen erhofft sich Else mehr Gnade. Durch die explizite Verwendung des Begriffs ‚Gnade‘ wird dem Blau eine christliche Konnotation gegeben. In der altüberlieferten 92 Farbsymbolik steht Blau außer für Treue und Wahrheit auch für das Göttliche und die Reinheit: der Mantel der Jungfrau Maria war blau. Später im Text ist Else nur mit einem schwarzen Mantel bekleidet, unter dem sie nackt ist. Sie betritt die Hotelhalle und überlegt kurz, doch wieder umzukehren. Erneut kommt die Farbe Blau ins Spiel: Ich werde zurückgehen in mein Zimmer, mich geschwind ankleiden, das blaue, drüber den Mantel wie jetzt, aber offen, da kann niemand glauben, daß ich vorher nichts angehabt habe . . . (368)
Diesen Gedanken verwirft sie wieder und macht sich weiter auf die Suche nach Dorsday. Elses blaues Kleid rekurriert auf das Gespräch mit ihrem Cousin, ist somit christlich konnotiert und steht sinnbildlich für Reinheit und Jungfräulichkeit. In Elses Traum am Waldrand sieht sie auf einen blaue[n] See (353) und läuft über ein Feld, ganz blau von Vergissmeinnicht (353), hin zum Park von Mentone, wo vermutlich der erste Missbrauch von Else stattfand, ihre Entjungferung. Sobald sie sich im Park von Mentone befindet, gibt es kein jungfräuliches Blau mehr. Öffnen Sie das Tor, Herr Matador (353), fordert die Protagonistin und wird von einer Schlange gebissen. Die Bedeutung von Blau im Zusammenhang mit Reinheit und Jungfräulichkeit bzw. das intertextuelle Rekurrieren auf die griechische Mythologie im Zusammenhang mit einer Vergewaltigung sind an dieser Stelle evident und gezielt in den Subtext eingearbeitet. Auch Rot, die Farbe der Liebe, der Sexualität, der Macht (ranghohe Richter tragen rote Umhänge) und des animalischen Lebens, setzt Schnitzler gezielt ein. Nicht zufällig trägt Else zu Beginn des Textes einen rote[n] Sweater (324): Hier wird der Charakter der Figur durch die explizite Nennung der Farbe Rot akzentuiert. Else, die Kindfrau, ist eine Projektionsfläche für die Sexualität anderer (der Feriengäste) und zugleich auf der Suche nach ihrer eigenen Sexualität. Sie übt mit ihrer androgynen Schönheit und ihrer vermeintlichen Jungfräulichkeit auch bewusst Macht aus: Cousin Paul ist ihr mehr als zugetan und Dorsday verfällt ihr. In Elses Traum schaut Dorsday durch ein rotes Monokel (353), das den sexuellen Blick auf Else verkörpert. Später, als sich die Protagonistin für ihre Entblößung vor dem Spiegel zurechtmacht, beschreibt sich Else mit blutroten
92 Becker (2007), 44.
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Lippen (365) bzw. einem blutroten Mund (366)93. „Das Christentum sieht im Blut Christi eine sühnende und erlösende Kraft.“94 Zudem wurde Blut in früheren Religionen geopfert. Auch hier unterstreicht der kulturelle Code der Farbe Rot die Bedeutung der Handlung: Else büßt für die Taten ihres Vaters und opfert sich. Das eine Opfer bringe ich – und dann keines mehr. Nie, nie, niemals wieder (363), stellt sie fest. Wenn blutrot mit schwarz (Elses Mantel) kombiniert wird, verkehrt sich die positive Bedeutung der Farbe Rot in ihr Gegenteil: Hass und Tod. Schwarz ist Dunkelheit, Schwarz steht symbolisch für den Tod und gilt als Trauerfarbe. Zudem drücken „[u]nter psychoanalytischen Gesichtspunkten [...] schwarze Tiere und Menschen als Traumgestalten häufig triebhafte Tendenzen des Unterbewusstseins aus“95. Elses schwarzer Mantel, den sie vor ihrer Entblößung überzieht, kann als Symbol für den Tod des gutbürgerlichen Mädchens gedeutet werden. Dann bin ich nicht mehr das Fräulein Else [...] und komme zum zweitenmal auf die Welt... (364), stellt die Protagonistin fest. Es wird zu untersuchen sein, ob in den Verfilmungen auch mit Farbcodes und Indices gearbeitet wird, um so Innenwahrnehmungen zu vermitteln. Erzählte und zitierte Musik Schnitzler arbeitet in Fräulein Else auch mit Verweisen auf Oper und Klaviermusik sowie mit Notenzitaten, die direkt in den Text eingearbeitet wurden.96 Und der Papa ist dabei immer gut aufgelegt. Immer? Nein. O nein. In der Oper neulich bei Figaro sein Blick, – plötzlich ganz leer – ich bin erschrocken. Da war er wie ein ganz anderer Mensch. Aber dann haben wir im Grand Hotel soupiert und er war so glänzend aufgelegt wie nur je. (332)
Die Anspielung auf Mozarts Oper Figaros Hochzeit und damit auf die Problematik der männlichen „Verfügungsmacht über die Frau“97 und den gesellschaftli-
93 Auch in der Traumnovelle beschreibt Schnitzler den blutroten Mund einer verführerischen Frau (vgl. TN 463f.). In beiden Fällen liegt es nahe, dass ein bestimmter Frauentyp (Femme fatale, Vamp) beschrieben werden soll, der mit den entsprechenden Attributen wie Lüsternheit und weibliche Sexualität versehen ist. 94 Becker (2007), 46. 95 Becker (2007), 266. 96 Intermediale Bezüge wie z.B. optische Notenzitate in einem Text sind 1924 keine Neuheit (vgl. hierzu: Huber [1992], 79). Notenzitate finden sich z.B. auch bei Balzac Modeste Mignon (1844) und Romain Rolland Jean-Christoph (1904–1912).
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chen Schein kann als direkter Verweis auf die Thematik von Fräulein Else verstanden werden. Mit dreizehn war ich vielleicht das einzige Mal wirklich verliebt. In den Van Dyck – oder vielmehr in den Abbé Des Grieux, und die Renard auch. (325)
Elses Aussage ist eine Reminiszenz an eine Opernaufführung von 1892 am Wiener Burgtheater98, der sie anscheinend beiwohnte. Ernest Van Dyck und Marie Renard sangen in dieser Inszenierung von Jules Massenets Oper Manon die Hauptrollen: Manon Lescaut und Chevalier Des Grieux, der sich aus enttäuschter Liebe zu Manon zum Priester weihen ließ. Die schöne Manon wird von allen Männern begehrt. Sie ist die treulose Geliebte und führt ein Leben in Leidenschaft und Reichtum – so wie Else sich ihre Zukunft erträumt. Deshalb wertet Else diese Oper bzw. deren Hauptfigur auch affirmativ. Manons früher und tragischer Tod kann zudem als Prolepse auf Elses Schicksal gedeutet werden. Wer spielt denn da unten so schön Klavier? Chopin? (367) Wer spielt so schön? Chopin? Nein, Schumann. (368)
Mit diesen Fragen der Protagonistin steuert die Novelle auf einen zentralen Punkt zu, besonders im Bezug auf Musik. Schnitzler beschränkt sich im siebten Teil seiner Novelle nicht mehr darauf, Musik allein mit Worten zu beschreiben oder darauf indexikalisch zu verweisen, sondern er lässt Robert Schumanns Klavier-Werk Carnaval (op.9)99 an drei Stellen als Notenzitat100 abdrucken. Dadurch, dass die Klaviernoten direkt in den Fließtext eingearbeitet werden, wird eine „unmittelbare Präsenz und Synchronizität der musikalischen Klänge [...] suggerier[t]“101. Mit der Technik des Notenzitats werden allerdings an den Leser hohe Anforderungen gestellt: Er soll das Klavierstück erkennen, die Stimmung der Musik aufnehmen und für seine Lektüre nutzbar machen, um die Innenwahrnehmungen und Emotionen von Else besser nachvollziehen zu kön-
97
Lange-Kirchheim (1998), 293.
98
Vgl. Eilert (1991), 325.
99
Robert Schumann, Carnaval. Scènes mignonnes sur quatre notes, Op. 9, Carl Lipinski gewidmet (1835).
100 Der Erstdruck von Fräulein Else erscheint 1924 in Die neue Rundschau ohne Notenbeigaben. Die Notenzitate findet man erst in der Buchausgabe von 1924 bei Zsolnay in Wien. 101 Eilert (1991), 322.
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nen. Die Notenzitate sind somit „ein Bestandteil der Steuerung des Lesers zu einer vom Autor intendierten Interpretation“102. Ähnlich verfährt ein Filmregisseur, indem er Szenen mit Musik unterlegt. Allerdings erschließt sich dem Filmzuschauer sofort das Klangbild, und die erwünschte Stimmung kann unmittelbarer wahrgenommen werden. Schnitzlers Kenntnisse und Verbindungen zum Medium Stummfilm spielen meines Erachtens bei der Beurteilung dieses Notenzitates auch eine zentrale Rolle.103 Man kann davon ausgehen, dass die Funktion dieses Musikzitats auch als eine Regieanweisung für einen Stummfilm verstanden werden kann. Elses Erkennen von Schumanns Karneval (370) impliziert die Assoziationen von Maskierung und Verkleidung, wie man sie bei den Feriengästen vorfindet, aber auch eine Demaskierung, die der Text thematisch vollführt: Die gesellschaftliche Doppelmoral, an der die Protagonistin scheitert, ist Mittelpunkt der Handlung. Noch eine zweite Konnotation verbirgt sich im Begriff Karneval. Karneval war und ist „ein anerkannter Bestandteil des Jahresablaufs [...], zu dem die Menschen ihr alltägliches Ich abstreifen und im Schutze der Verkleidung all den Schabernack treiben, für den im Alltagsleben kein Platz ist“104. Else streift an diesem Abend nicht nur ihren Mantel, sondern ihr bisheriges Ich ab. Dann bin ich nicht mehr das Fräulein Else [...] und komme zum zweitenmal auf die Welt... (364). Vielleicht erleichtert die Vorstellung ‚es sei Karneval‘ der Protagonistin diesen Schritt. Bei den abgedruckten Noten im Text handelt es sich um einzelne Takte verschiedener Nummern aus Schumanns Klavierzyklus. Zur Verdeutlichung dient die folgende tabellarische Übersicht, die alle Stücke des Klavierzyklus (Spalte 1), die Zeit105 (Spalte 2) und die rekonstruierte
102 Huber (1992), 79. Schnitzler spielte täglich Klavier, für ihn hatte Musik einen sehr hohen Stellenwert. Man kann davon ausgehen, dass Schnitzler diese Notenzitate sehr sorgfältig ausgewählt hat. Inwieweit er dabei schon an eine Verfilmung des Textes (mit Musikbegleitung) dachte, ist nicht belegt und kann hier nur vermutet werden. 103 Dramaturgisch ist diese Textstelle wie eine Regieanweisung für die Musikbegleitung eines Stummfilms angelegt. Schnitzler selbst möchte diesen Text ab 1926 verfilmen lassen. Dabei gelten für ihn Visualität und Musik als die Paradigmen des Stummfilms. Ein „filmisches Schreiben“ geht hier zunehmend in ein Schreiben für den Film über. 104 Krotkoff (1972), 77. 105 Die Zeiten sind folgendem Audioträger entnommen: Deutsche Grammophon. Robert Schumann: Carnaval op. 9, Ein Faschingsschwank aus Wien op. 26. Arturo Benedet-
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Handlung des Textes (Spalte 3) enthält. Die Unterstreichung bezieht sich auf das tatsächlich abgedruckte Notenzitat. Carnaval op. 9 1. Préambule. 2. Pierrot. 3. Arlequin. 4. Valse noble. 5. Eusebius. 6. Florestan. 7. Coquette. 8. Réplique – Sphinxes. 9. Papillons. 10. A.S.C.H.-S.C.H.A. Lettres dansantes. 11. Chiarina. 12. Chopin. 13. Estrella. 14. Reconnaissance.
0’57 1’38 1’10 0’38 0’57 1’36 1’13 0’28 1’41
Else erreicht den Musiksalon, sie erblickt durch die Scheibe Dorsday Else betritt den Musiksalon und wird erst nicht von Dorsday wahrgenommen, Dorsday sieht sie, Else entdeckt den Filou
Else öffnet den Mantel, lacht auf und bricht zusammen, die Musik endet
15. Pantalon et Colombine. 16. Valse Allemande. 17. Intermezzo: Paganini. 18. Aveu. 19. Promenade. 20. Pause. 21. Marche des „Davidsbündler“ contre les Philistins. Darstellung Henrike Hahn
ti Michelangeli, Piano. 1981 BBC Enterprises Ltd., Records & Tapes. Recording : London, BBC Studios, 3/1957.
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Else, nur mit einem Mantel bekleidet, läuft durch das Hotel und sucht Dorsday. Dabei hört sie von Ferne Klaviermusik. Sie geht den Klängen nach und erreicht den Musiksalon. Schumann? Ja, Karneval...Hab’ ich auch einmal studiert. Schön spielt sie. Warum denn sie? Vielleicht ist es ein Er? [eingefügtes Notenzitat] Vielleicht ist es eine Virtuosin? Ich will einen Blick in den Musiksalon tun. Da ist ja die Tür. - - Dorsday! Ich falle um. Dorsday! Dort steht er am Fenster und hört zu. Wie ist das möglich? Ich verzehre mich - ich werde verrückt - ich bin tot - und er hört einer fremden Dame Klavierspielen zu. (371)
Else erkennt durch die Scheibe Dorsday, steht aber noch außerhalb des Zimmers. Dieses erste Notenzitat sind die Takte 19–24 aus Florestan. Dieses SchumannStück klingt ganz leicht, nicht dramatisch, nicht gehetzt und eher zart. Also ganz gegensätzlich zu Elses vermeintlichem Gefühlszustand. Es vergehen in Schumanns Carnaval 12 Takte, bis sich das nächste abgedruckte Notenzitat in Fräulein Else anschließt. Alle Menschen haben es gut . . . nur ich bin verdammt . . . Dorsday! Dorsday! Ist er das wirklich? Er sieht mich nicht. Jetzt schaut er aus, wie ein [eingefügtes Notenzitat] anständiger Mensch. Er hört zu. Fünfzigtausend! Jetzt oder nie. Leise die Tür aufgemacht. Da bin ich, Herr von Dorsday! Er sieht mich nicht. Ich will ihm nur ein Zeichen mit den Augen geben, dann werde ich den Mantel ein wenig lüften, das ist genug. Ich bin ja ein junges Mädchen. (372)
Auch diese Noten stammen aus Florestan (Takte 37–41). Dieses Stück klingt nachdenklich, eher zweifelnd, aber auch unschuldig und ist in der Tonart moll. Else fühlt sich verdammt, die Musik drückt etwas anderes aus. Else betritt nun den Musiksalon. Huber vermutet, dass das zu den Klängen von Coquette geschieht. Es handelt sich dabei um eine lebhaft-neckische Musik mit einer starken rhythmischen Auf- und Abwärtsbewegung. Gefühle von Aufregung lassen sich hierzu gut assoziieren – Angst oder Ausgeliefertsein allerdings nicht. Es folgen nun in Schumanns Carnaval sieben Nummern (Réplique bis Estrella), bis sich das dritte Notenzitat im Text anschließt. Ob Schnitzler diese sieben Musikstücke, die er nicht als Notenzitate in den Text eingefügt hat, als gedachten Soundtrack beim Leser voraussetzt, kann nur vermutet werden. Elses innerer Monolog dreht sich um Dorsday, der sie nun entdeckt hat und anstarrt. Ihr Mantel ist noch geschlossen. Else erblickt den Filou und ist sehr
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glücklich darüber. Bei Schumann wechseln sich locker-verspielt-rhythmische Musik (Réplique), mit dramatischen Passagen (Papillons und Chiarina) und wieder mit verspielt-fließenden Stellen (A.S.C.H.-S.C.H.A. Lettres dansantes und Chopin) ab. Die letzte Nummer in Schumanns Klavierzyklus vor dem dritten Notenzitat im Schnitzlerschen Text heißt Estrella, ist schnell und wirkt gehetzt. Elses Feststellung ich bin ganz ruhig (372) stimmt nicht mit der Stimmung der Musik überein. Die Pianistin spielt nun Reconnaissance. Diese Musik schein Else zum Ausziehen zu stimulieren. Es rieselt durch meine Haut. Wie wundervoll ist es nackt zu sein. Die Dame spielt weiter, sie weiß nicht, was hier [eingefügtes Notenzitat] geschieht. Niemand weiß es. Keiner noch sieht mich. Filou, Filou! Nackt stehe ich da. Dorsday reißt die Augen auf. Jetzt endlich glaubt er es. Der Filou steht auf. Seine Augen leuchten. Du verstehst mich, schöner Jüngling. „Haha!“ Die Dame spielt nicht mehr. Der Papa ist gerettet. Fünfzigtausend! Adresse bleibt Fiala! „Ha, ha, ha!“ Wer lacht denn da? Ich selber? „Ha, ha, ha!“ Was sind denn das für Gesichter um mich? (372 f)
Die hier abgedruckten Takte 1–8 von Reconnaissance klingen rhythmisch, verlockend und beschwingt, fast ruhig und leidenschaftlich. Vor diesem Hintergrund kann man das Auftreten Elses vor Dorsday und dem Filou ganz anders bewerten: Sie genießt in gewisser Weise ihre Entblößung und ist nicht allein ein Opfer. Die Musik wirkt nicht verzweifelt und auch keineswegs hysterischhektisch. Schumanns Szenenbezeichnung Reconnaissance (Wiedererkennen, Anerkennen, Liebend-Erkennen) passt zudem in Schnitzlers eigenen Erzählkontext. Am Ende der Novelle vernimmt Else noch einmal Musik. Was ist denn das? Ein ganzer Chor? Und Orgel auch? Ich singe mit. Was ist es denn für ein Lied? Alle singen mit. Die Wälder auch und die Berge und die Sterne. Nie habe ich etwas so Schönes gehört. (381)
Werner Wolf bezeichnet diese Musikzitate und die erzählte Musik als „intermediale Vergegenwärtigung von Musik“ und verweist auf Huxleys Begriff der „musicalization of fiction“106. Es ist die Musik, die z.T. als Auslöser der Gedanken der Protagonistin fungiert und den Ablauf ihres inneren Monologs steuert.
106 W. Wolf (1996), 85f.
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An diesen Stellen beinhaltet der innere Monolog demnach das Bewusstsein einer Musik hörenden Figur. Wolf unterteilt diese Musikevokation, also die Thematisierung von Musik, das Notenzitat und die Inszenierung bzw. Imitation eines anderen Mediums, zum einen in word music, „d.h. eine Musikimitation hauptsächlich auf der lautlichen Ebene des sprachlichen signifiant [...] die Rhythmisierung der Prosa, [...] Lautmalereien“107, und zum anderen in verbal music als eine „Suggestion, durch die Sprache einen bestimmten – existierenden oder fingierten – musikalischen Prätext hindurchzuhören‘“108. Die Funktion dieser Erzählweise ergibt sich aus der Relation der nichtmusikalischen und musikalischen Passagen. Dabei gilt für Wolf das Hören/Erfahren von Musik als eine ästhetisch-emotionale Sinnerfahrung jenseits der Rationalität, da die Musik von allen Künsten wohl den direktesten Zugang zum emotionalen und sinnlichen Erleben habe. Insofern erschließt sich auch der Einsatz des Musikzitats bei Schnitzler: Das Innere, Elses Gefühle, werden noch besser erfahrbar, der Leser selbst taucht ein in den Stream of Consciousness.
107 W. Wolf (1996), 101. 108 W. Wolf (1996), 104.
Fräulein Else (D 1929)
Die vier für diesen Band ausgewählten Verfilmungen werden als Einzelfallbeispiele behandelt, anhand deren keine Entwicklungsgeschichte des Medienwechsels von figurativen Innenwahrnehmungen aufgezeigt werden kann. Allerdings wird sich zeigen, dass sich von diesen Filmen, die sich streckenweise durch eine hohe visuelle und auditive Komplexität in der Darstellung von figurativen Innenwahrnehmungen auszeichnen, allgemeine Prinzipien für die filmische Darstellung von figurativen Innenwahrnehmungen ableiten lassen. Fräulein Else (D 1929) war die sechste Verfilmung eines Textes von Schnitzler172, die vor allem durch ihre Starbesetzung hervorsticht. Neben den bekannten Schauspielern Elisabeth Bergner (als Else), Albert Steinrück (als Dorsday), Albert Bassermman (als Dr. Thalhof) und Adele Sandrock (als Tante Emma) schrieb Carl Mayer2, der bereits 1919 mit Das Cabinet des Dr. Caligari (D 1919) großen Erfolg erlangt hatte, das Drehbuch. Carl Freund3 war für die Kamera verantwortlich. Die Premiere von Fräulein Else (D 1929) fand am 7. März 1929 im Capitol in Berlin statt. Schnitzler war nicht anwesend. Er sah den Film erst am 13. März in Berlin.
1
Voran gingen folgende Filme: Liebelei (Dänemark 1914), The Affairs of Anatol (Verkauf der Rechte in die USA 1921), Der junge Merdardus (Ö 1923), Liebelei (D 1927), Freiwild (D 1928).
2
Mayer schrieb ab 1924 vor allem für die Filme von Friedrich Wilhelm Murnau die Drehbücher. So entstanden Der letzte Mann (D 1924), Tartüff (D 1925) sowie Sonnenaufgang – Lied von zwei Menschen (USA 1927).
3
Freund war Kameramann unter anderem bei Der Golem, wie er in die Welt kam (D 1920), Der letzte Mann (D 1924) und Metropolis (D 1927).
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In einem Brief äußert er seine Eindrücke zur Else-Verfilmung: „Der Anfang nicht übel; das letzte Viertel dumm und schlecht. Ich begreife jetzt warum man mir das ‚Buch‘ nicht schickte. Der Einfall gegen den ich mich bei unserem ersten Gespräch (Czinner Mayer) gewendet hatte: dass Else ‚Veronal‘ nimmt, ehe sie unbekleidet unter dem Mantel in die Halle geht – blieb bestehn; – Czinner war zu überheblich und talentlos, um davon abzugehn; – und da wurde nicht nur ein completter Unsinn daraus – sondern viele Möglichkeiten für Elisabeth gingen verloren. Die Episode Vater nimmt zu viel Raum ein; – und man weiss weder was aus ihm noch aus Dorsday am Ende wird. Bassermann sehr gut aber sehr Theater; – unvergleichlich Steinrück als Dorsday (besser als von mir.) – Die Episode Paul – Cissy ist überhaupt nicht vorhanden. Die Wohnung des Dr. Thalhof (so heißt nemlich im Film Elsens Vater) lächerlicher Kinoluxus. St Moritzer Landschaft und winterlicher Sport ist nicht umzubringen. – Die Leistung von Elisabeth wundervoll – nur ist es (durch den Filmtext) – eine ganz andere Else als ich gedichtet hatte.“
4
Ähnlich sahen es die damaligen Kritiker, die Reaktionen waren eher gemischt: „Schnitzlers bedeutende Novelle Fräulein Else hat die Unterlage für diesen Film abgegeben. Freilich, Paul Czinner hat nur Motive der Dichtung benutzt. Hätte er sich doch genauer an den Text gehalten, statt die Handlung mehr oder weniger frei zu übernehmen! Die Novelle nämlich ist ein einziger innerer Monolog, und die Gestaltung des inneren Monologs wäre auch im Film von größter Wirkung gewesen.“5 Es fehle die Visualisierung der Innenperspektive fast vollständig. Arnheims Kritik fällt noch drastischer aus: „Paul Czinners Regie: ein hysterisches Gewimmel aufgescheuchter Mitmenschen; tückisch verschobenes Mobiliar; Vorkriegsfinsternis der Innenaufnahmen: endlose Mätzchen, wie auf einen Fliegenleim photographiert und plump mit der Gartenschere geschnitten; große Posten antiquarischer Ansichtskarten aus St. Moritz und dem menschlichen Liebesleben.“
4
6
Schnitzler, Briefe 1913–1931, 597. Brief an Clara Katharina Pollaczek. Hervorhebung im Original.
5
Rezension von Siegfried Kracauer in der Frankfurter Zeitung vom 14.4.1929. In: Kracauer (2004), 240. Hervorhebung im Original.
6
Rezension von Rudolf Arnheim in der Weltbühne Jg. 25, Band1, 1929, S. 416. Zit. nach: Hätte ich das Kino! (1976), 203f.
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Auch Elisabeth Bergner äußerte sich später kritisch: „Der Stummfilm von Fräulein Else war natürlich eine ziemlich verkitschte Version des Buches. Wir waren zu ungeduldig gewesen; zwei oder drei Jahre später hätten wir einen viel intelligenteren Sprechfilm daraus machen können.“7 Die Ernüchterung der Kritiker und von Schnitzler selbst ist nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass bereits 1924 Filme wie Der letzte Mann (D 1924) mit der von Freund entwickelten Methode der ‚entfesselten‘ Kamera entstanden waren.8 Auch bei Fräulein Else (D 1929) finden sich Szenen, in denen man die Kameraarbeit ohne Stativ erkennt, allerdings sind solche Momente rar (außer Sequenz 14, TC 1.24.34). Aber gerade einer Visualisierung des inneren Monologs von Else, wie er in der Schnitzlerschen Textvorlage fast ununterbrochen zur Anwendung kommt, wären eine entfesselte Kamera oder andere bildästhetische Gestaltungstechniken möglicherweise entgegengekommen.
1. D ER AUFBAU
DES
F ILMS
IM
V ERGLEICH
ZUR
N OVELLE
Wie bereits dargelegt, verzichtete Schnitzler auf eine Gliederung in Kapitel oder auf nummerierte Unterteilungen im Text Fräulein Else. Hingegen wird der ElseFilm mittels Zwischentitel in sieben Akte unterteilt. Und das nicht grundlos: Schon 1920 beschreibt Urban Gad in seinem Werk Der Film. Seine Mittel. Seine Ziele den Akt als gängiges Mittel zur Unterteilung der gefilmten Stoffmenge (die Länge der Akte wurde damals in Meter der Filmrolle gemessen): „Ein Akt ist ein Glied des Ganzen und seine Struktur stellt genau dieselben Forderungen im Kleinen wie die Filmhandlung im Großen. Der Akt muß seine Exposition haben, von wo aus die Erzählung zur Katastrophe steigt, um mit einer Zusammenfassung der ganzen Stoffmenge des Aktes in der Schlussszene zu endigen, die wiederum auf den nachfolgenden Akt hinweist. Jeder Akt muß zum mindesten seinen Schwerpunkt in einer großen entscheidenden Szene haben, die den ganzen Konflikt widerspiegelt.“9
Ein Akt wurde auf eine Filmrolle gewickelt. Während einer Vorführung, vor allem in kleineren Kinos mit nur einem Abspielgerät, mussten die Filmrollen ge-
7 8
Bergner (1978), 109. Eine ‚entfesselte‘ Kamera ist eine Bewegung der Kamera ohne Stativ. Beispielsweise visualisierte Freund das Torkeln einer Figur, indem er sich die Kamera vor die Brust schnallte und das Torkeln nachahmte. (Vgl. Kapitel III.2.)
9
Gad (1920), 241.
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wechselt werden und es entstanden Pausen. Die Aktstruktur konnte dem bereits Gezeigten eine innere Geschlossenheit verleihen, und die Zwangs-Pausen wirkten weniger störend. Neben dieser eingeblendeten Aktstruktur verfügt die Else-Verfilmung noch über weitere Zwischentitel. Wie Gad es schon 1920 forderte, werden sie sparsam eingesetzt: In den gesamten 90 Minuten gibt es lediglich 56 Zwischentitel, die ein Gespräch bzw. einen Dialog wiedergeben.
Fräulein Else (D 1929), TC 0.07.19, Beispiel für einen Zwischentitel
Zusätzlich werden Zeitungsartikel und (abgefilmte) Briefausschnitte an 13 Stellen des Films einmontiert. Gerade die eingeblendeten Ausschnitte bieten, neben der inhaltlichen Informationskomponente, eine weitere, filmdramaturgische Gestaltungsmöglichkeit: Das Publikum liest mit eigenen Augen den Brief, sieht die Schrift des Absenders, sieht das Papier, eventuelle Schreibfehler usw. und kann so Rückschlüsse auf den Figurencharakter oder die Handlung ziehen.
Fräulein Else (D 1929), TC 0.40.52, Beispiel für eine Einblendung von einem Brief (hier schreibt Else an ihre Mutter)
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Hier lässt sich schon anhand der Anrede „Liebste“ erkennen, dass Else im Film ihre Mutter mag und anscheinend kein ungelöster Konflikt besteht. Im Gegensatz dazu gestaltet Schnitzler seine Else anders. Dort herrscht ein regelrechtes Missverhältnis, Else beschreibt ihre Mutter als ziemlich dumm (329) und als eine Mörderin (378). Auch das Schriftbild verrät einiges über die Figur Else: man sieht hier deutlich eine kindlich-schnörkelige Schreibschrift, die kurzen Sätze und deren Inhalt unterstreichen diesen Eindruck. Tatsächlich wird die Figur Else im Film viel kindlicher, verspielter und naiver dargestellt als die Protagonistin aus der Textvorlage von Schnitzler. Es fallen weitere Unterschiede zwischen dem Schnitzler-Text und der Czinner-Verfilmung auf. Vor allem bei der Erzählzeit und der erzählten Zeit ergeben sich starke Abweichungen. Wie bereits dargelegt, beschreibt Schnitzler in seinem Text Elses Erlebnisse am 3. September 189610 in San Martino di Castrozza, im Berghotel Fratazza zwischen 19.00 Uhr und 22.00 Uhr. Erzählzeit und erzählte Zeit decken sich fast. Im Film hingegen erstreckt sich die Handlung über mehrere Tage. Sie beginnt bei einer Dinnerparty im Hause Thalhof in Wien, reicht über die Vorbereitungen zur St. Moritz-Reise und einer sehr langen Zugfahrt bis hin zum Ferienaufenthalt in St. Moritz, der an verschiedenen Tagen unterschiedliche Wintersportaktivitäten und gesellschaftliche Verpflichtungen der Protagonistin visualisiert. Ein genauer Zeitraum der Filmhandlung kann nicht festgelegt werden. Lediglich eine engere Eingrenzung kann getroffen werden: Bei einigen Einstellungen in St. Moritz sind deutlich Olympische Ringe zu erkennen. Tatsächlich fanden die II. Olympischen Winterspiele im Februar 1928 in St. Moritz und der Schweiz statt. Somit muss die Filmhandlung zu dieser Zeit oder kurz danach spielen, Czinner verlegt demnach die Filmhandlung um 32 Jahre später. Elses Handlungsradius in der Novelle beschränkt sich auf das Hotel und dessen Umkreis. Dabei schweifen ihre Gedanken oft rückenblendenartig ab: in ihre Kindheit, in ihre Jugend, nach Wien, zu verschiedenen Verwandten und an verschiedene Orte. Teilweise schläft sie und träumt oder befindet sich in einem ohnmachtsähnlichen Zustand. Bei der Else-Verfilmung von 1929 gibt keine Rückblenden. Diese werden als Jetzt-Handlung integriert und füllen die ersten 36 Minuten des Films (1. Akt bis 3. Akt). In dieser Arbeit wurde der Schnitzler-Text bereits anhand der Handlungsorte in acht Teile segmentiert. Folgende Tabelle soll veranschaulichen, inwieweit
10 Vgl. Rey (1968), 49, Aurnhammer (1983), 502 sowie Polt-Heinzl (2010), 195.
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sich Übereinstimmungen bzw. Unterschiede zur Czinner-Verfilmung ergeben. Der Vergleich wird dabei anhand der vom Regisseur gewählten Aktstruktur und nicht anhand der gewählten Sequenzeinteilung nach Handlungsort und Sinnzusammenhang (vgl. Anhang) vorgenommen. Fräulein Else Text
Erster Teil Else befindet sich vor dem Hotel Fratazza in San Martino di Castrozza. Es ist ca. 19.00 Uhr. Sie kommt vom Tennisspielen, trifft auf dem Weg Herrn von Dorsday und spricht kurz mit ihm. Im Hotel gibt der Portier Else einen Expressbrief von ihrer Mutter. Sie geht auf ihr Zimmer und setzt sich zum Lesen aufs Fensterbrett.
Fräulein Else (D 1929) Stummfilm 1. Akt Abends. Eine Party im Hause Dr. Alfred Thalhof in Wien. Unter den Gästen sind auch Elses Cousin Paul und Tante Emma. Es wird der Plan gefasst, gemeinsam nach St. Moritz in den Winterurlaub zu fahren. Tag. Elses Reise nach St. Moritz und Eintreffen im Hotel Carlton. Else trifft im Hotel das erste Mal auf Dorsday. 2. Akt Tag. Das schöne Leben in St. Moritz, buntes unbeschwertes Treiben und Wintersportfreuden. Hingegen überschlagen sich in Wien durch einen Börsencrash die Ereignisse. 3. Akt Pferderennen in St. Moritz. Dr. Thalhofs Klinkenputzen in Wien. Die Lange spitzt sich bei Elses Vater zu.
4. Akt Wien. Elses Mutter nimmt die Angelegenheit in ihre Hand und schreibt einen Brief an Else. Else erhält in St. Moritz den Brief ihrer Mutter.
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Zweiter Teil Else liest den Brief im Hotelzimmer. Dritter Teil Else hält sich in der Hotelhalle und vor dem Hotel auf. Sie trifft kurz auf ihren Cousin Paul und lässt sich vom Portier den Mantel geben. Sie verlässt das Hotel und wird von Dorsday angesprochen. Dorsday und Else setzen sich auf eine Bank und Else bittet ihn um das Geld. Dorsday verlangt als Gegenleistung, Else eine Viertelstunde nackt zu sehen. Vierter Teil Else ist aufgewühlt von Dorsdays Forderung. Sie setzt sich auf eine Bank, schläft ein und träumt. Nachdem sie aus dem Traum erwacht ist, geht sie zurück zum Hotel und überlegt, ob und wie sie sich Dorsday zeigen soll. Fünfter Teil Else trifft in der Hotelhalle auf Paul und spricht kurz mit ihm. Der Portier gibt Else ein Telegramm. Else ahnt Schlimmes und geht schnell auf ihr Zimmer. Sechster Teil Else ist wieder in ihrem Zimmer. Es ist ca. 21.00 Uhr. Sie liest das Telegramm von ihrer Mutter, die ihr mitteilt, dass sich die Summe auf fünfzigtausend Gulden erhöhe. Sie hält Zwiesprache mit ihrem Spiegelbild. Siebter Teil Else geht durch den leeren Flur und legt Dorsday das Telegramm mit einer Notiz vor sein Zimmer. Sie erreicht die Halle, sucht Dorsday, geht von
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4. Akt St. Moritz. Else liest den Brief im Hotelzimmer. 5. Akt St. Moritz. Else nimmt Kontakt zu Dorsday und Tante Emma auf. 6. Akt St. Moritz. Elses Gespräch mit Dorsday
Der Traum wird nicht visualisiert.
6. Akt Else will aus St. Moritz abreisen, doch es kommt ein Telegramm.
6. Akt Else liest das Telegramm. Sie denkt über Veronal nach und weint bitterlich. Sie ruft nach ihrem Vater.
7. Akt Else hat das ganze Röhrchen Veronal eingenommen und sich einen weißen Pelzmantel angezogen. Sie verlässt ihr Hotelzimmer und geht in Dorsdays
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Raum zu Raum, trifft kurz auf die Tante und findet Dorsday im Musikzimmer, wo gerade eine ältere Dame am Klavier Schumanns Carnaval spielt. Else öffnet den Mantel, lacht hysterisch, bricht in Pauls Armen zusammen und schreit. Else wird auf einer Bahre in ihr Zimmer getragen.
Zimmer, den sie dort allerdings nicht antrifft. Also beschließt Else, nach unten zu gehen und ihn dort zu suchen, um seine Bedingung zu erfüllen. Sie findet Dorsday in der Hotelbar am Spieltisch, eine Jazzband macht Musik, sie entblößt sich und bricht zusammen. Tante Emma und Paul werden vom Hotelpersonal herbeigeholt. Else wird mit einer Bahre weggebracht
Achter Teil Else liegt regungslos in ihrem Zimmer auf dem Bett, registriert aber alles um sich herum. Paul und Cissy sind bei ihr, Else trinkt in einem unbeobachteten Augenblick die bereitgestellte Überdosis Veronal und bemerkt, dass das Mittel wirkt. Sie hat noch eine letzte Todesvision, dann löst sich die Syntax auf und Else verstummt. Die Novelle endet an dieser Stelle.
7. Akt Elses Hotelzimmer. Paul tritt ein. Im Zimmer ist ein Arzt, der Elses Puls fühlt. Er lässt ihren Arm sinken, der leblos aufs Bett fällt. Else ist anscheinend tot. Paul wirft sich über sie und weint. Das letzte Bild zeigt die verschneiten Berge von St. Moritz. Die Todesvision fehlt.11
Darstellung: Henrike Hahn
Anhand der Tabelle wird nochmals deutlich: Im Film gibt es mehrere Handlungsorte, neben dem Hotel und der Umgebung von St. Moritz auch die elterliche Wohnung in Wien, eine Fußgängerpassage, die Wohnung von Dorsday sowie Büros in verschiedenen Wiener Banken. Der Film visualisiert zudem die lange Bahnfahrt nach St. Moritz12. Czinner versucht diese verschiedenen Handlungsorte mit Parallelmontagen in Beziehung
11 Nach Recherchen bei der Filmredaktion von arte steht fest, dass Szenen ganz zum Schluss fehlen. Da es keine original erhaltene deutsche Fassung von Fräulein Else (D 1929) gibt, musste man sich bei der Restaurierung auf die längste noch erhaltene Fassung beschränken: eine dänische Exportfassung.
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zu bringen. Beispielsweise werden Sequenz 6 (die fröhliche Else beim Pferderennen in St. Moritz) und Sequenz 7 (der traurige Dr. Thalhof in Wien auf der Suche nach Geldgebern) so miteinander verbunden. „Das Lichtspiel kann in verflochtenen Szenen all das zeigen, was unser Bewußtsein erfaßt. Geschehnisse aus drei, vier oder fünf Weltgegenden lassen sich zu einer vielschichtigen Handlung verweben.“13 Eine weitere Besonderheit: Im Film nehmen die Vorgeschichte und das Wintersportleben in St. Moritz über 60 Minuten ein. Zwischen dem Gespräch mit Dorsday und Elses Tod vergehen gerade einmal zwanzig Minuten (TC 1.08.17 bis TC 1.29.21). Else lernt in St. Moritz Ski fahren und betreibt Skijöring, im Text spielt das sporting girl (334) mit jüdischer Abstammung lediglich Tennis. Auch sonst mutet der Film moderner an als seine textliche Vorlage: Elses Hotelzimmer verfügt über ein Telefon und ein Bad mit Badewanne, die verschiedenen Etagen des Hotels kann man mit einem Lift erreichen, und in der Hotelbar spielt eine Jazzband. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass der Film als Handlungseinleitung die Vorgeschichte von Elses Reise und deren tragisches Ende für den Kinozuschauer aufbereitet, allerdings auf Visualisierungen von Elses Träumen oder Gefühlen weitgehend verzichtet wird.
12 Kracauer bemerkt dazu: „Da er [Czinner] die Assoziationen Fräulein Elses unbenutzt läßt, gerät ihm die Handlung zu mager. Was tut er also? Er füllt sie einfach mechanisch auf. Wir sind unfreiwillige Zeugen der ganzen Bahnfahrt von Wien nach St. Moritz und werden mit wenig erwünschter Ausführlichkeit in das Leben und Treiben im Luxushotel verwickelt.“ (Kracauer [2004], 241). 13 Münsterberg (1996), 83. Bereits 1916 veröffentlichte der Harvard-Professor Hugo Münsterberg in New York seine Arbeit „Das Lichtspiel. Eine psychologische Studie“, in der es vor allem um die Mittel geht, „mit denen das Lichtspiel auf die Psyche des Zuschauers einwirkt“. Es handelt sich um eine psychologische Studie, welche die „Erregungen des Bewußtseins“ beim Filmsehen zu erforschen sucht, vor allem in Bezug auf Bewegung auf der Leinwand. Auf formale Aspekte der Filmdarstellung und die „subtile Kunst der Kamera“ geht Münsterberg nur am Rande ein. (Münsterberg [1996], 41 sowie 70)
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2. E RZÄHLPERSPEKTIVE : DIE V ISUALISIERUNG DES INNEREN M ONOLOGS In Bezug auf das Thema des Buches stellt sich die zentrale Frage: Wird im Film Elses innerer Monolog aus dem Text umgesetzt? Ist eine Visualisierung mit den technischen Gegebenheiten des Stummfilms überhaupt möglich? Oder werden Elses Gedanken lediglich mit Hilfe der Zwischentitel übermittelt? Schon 1930 äußert sich Bela Balázs in seinem Buch Der Geist des Films theoretisch über den „sichtbaren Monolog“14: „Montage, Überblendung und Tricktechnik des absoluten Films geben die Möglichkeit, Gedanken, Symbolvorstellungen zu zeigen. Zwischen zwei Worten, in jagender Montage, die Assoziationsreihe der inneren Vorstellungen.“15
Das bedeutet, dass es bereits zu Stummfilmzeiten theoretische Überlegungen zur Visualisierung von figurativen Innenwahrnehmungen gab. Allerdings verwendet sie Czinner nur punktuell. „Die Novelle nämlich ist ein einziger innerer Monolog, und die Gestaltung des inneren Monologs wäre auch im Film von größter Wirkung gewesen. [...] Czinner hat die Möglichkeit nicht gesehen oder nicht sehen wollen, die sich aus der Vorlage für den Film ergab. Statt die Handlung aus der Perspektive Fräulein Elses aufzubauen, hat er einen normalen Gesellschaftsfilm gedreht, in dem auch Fräulein Else vorkommt. Damit verliert aber das Geschehen seinen Sinn, und es bleibt eine ziemlich schale Verkettung von Ereignissen übrig, die eines großen Aufwands nicht bedurft hätte.“16
Die Visualisierungen der Innenwahrnehmungen werden vor allem durch die Schauspielkunst und die Ausstrahlung von Elisabeth Bergner realisiert. Einige Großaufnahmen von Elses Gesicht verweisen auf ihr Inneres17 – eine Vorgehensweise, die für die damalige Zeit üblich ist.
14 Balázs (2001a), 67. Erstausgabe 1930. 15 Balázs (2001a), 67. 16 Kracauer (2004), 240f. Hervorhebung im Original. 17 Münsterberg schreibt: „Die durch die Großaufnahme bewirkte Vergrößerung auf der Leinwand bringt die emotionale Bewegung des Gesichts am deutlichsten zum Ausdruck.“ (Münsterberg [1996], 65) Die Großaufnahme unterscheidet das Kino vom Theater. Das Kino kann Ausschnitte zeigen und das Bewusstsein des Zuschauers darauf lenken.
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Auch Arnheim weist 1932 auf die Darstellung seelischer Vorgänge im Film hin: „Dem Film stehen als Darstellungsmaterial nur Körper und körperliche Vorgänge zur Verfügung. Aber mit diesen lassen sich seelische Vorgänge darstellen. Da ist vor allem die Mimik des menschlichen Gesichts und die Pantomimik des Körpers und der Gliedmaßen – in ihnen drückt sich auf die direkteste und gewohnteste Art menschliches Denken und Fühlen aus.“18
Die Figur Else hat in allen Situationen des Filmes ausreichend Zeit, mit Hilfe ihrer Mimik und Pantomimik dem Zuschauer zu zeigen, wie es ihr geht: vom kindlichen Herumspringen bis hin zum verbitterten Weinen und Zittern und dem Zusammenbruch am Ende des Films.19 Allein beim Lesen des Briefes wird die Bergner fast drei Minuten abgefilmt (TC 0.51.13 bis TC 0.53.42)
Fräulein Else (D 1929), TC 1.20.44 Fräulein Else (D 1929), TC 1.18.07 Elses Pantomimik beim Lesen des Tele- Else in Großaufnahme. Man sieht aufgegramms. Else drückt ihre geballte Faust klebte Tränen. Else ist zutiefst erschüttert. Sie zittert und erstarrt abwechselnd. gegen den Mund.
18 Arnheim (2002), 146. Gleichzeitig warnt er: „Wenn der Schauspieler seinen Brustkorb heftig auf- und abschwellen lässt, so ist jedermann klar, daß innere Erregung gemeint ist [...], aber der Verstoß gegen die Wirklichkeit ist dabei zumeist doch allzu heftig, als daß man solche Darstellung noch als ‚natürlich‘ anerkennen könnte.“ (Arnheim [2002], 149). 19 Bergners Spiel wurde auch kritisiert. Arnheim schreibt 1929 in der Weltbühne: „Elisabeth Bergner als Fräulein Else, hilflos und ohne Helfer, schleudert die Gliedmaßen wie jemand, dem es zum Stillstehen zu kalt ist; ein irritierendes Gestammel der Unterarme und der Augenlider; das Gesicht: zwei tote Augen im Gipsverband [...].“ (Rezension von Rudolf Arnheim in der Weltbühne Jg. 25, Band 1, 1929, S. 416. Zit. nach: Hätte ich das Kino! [1976], 203f.)
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Insofern hat Paul Czinner mit seiner Fräulein Else (D 1929) eine für damalige Verhältnisse gängige Adaption geliefert: „Der innere Monolog wurde aufgelöst in äußere Vorgänge, gestische und mimische Ausdrucksformen.“20 Neben der Mimik nennt Arnheim noch weitere Möglichkeiten für die Darstellung seelischer Vorgänge: die Montage von Zwischenhandlung sowie das Zeigen von Requisiten. Beide Varianten finden sich auch in der CzinnerVerfilmung. Ein immer wiederkehrendes Requisit, welches zum Index für Elses tragisches Ende wird, ist ein Röhrchen Veronal-Schlaftabletten.
Fräulein Else (D 1929), TC 0.44.49. Paul findet in Cissys Handtasche Veronal.
Fräulein Else (D 1929), TC 1.22.39 Else hat die Tabletten in Wasser aufgelöst und eingenommen.
Das Veronal wird ab der 44. Minute wiederholt an verschiedenen Stellen im Film eingeblendet. So wird der Zuschauer darauf vorbereitet, dass Else nicht zufällig am Ende des Films verzweifelt auf die Tabletten in ihrer Schreibtischschublade (TC 1.21.27) schaut. Die Einnahme der Tabletten und damit Elses Suizid werden so angedeutet bzw. vorweggenommen. Das Medikament wird zum Index. Auch an einer anderen Stelle gelingt es Czinner und Freund die Innenwahrnehmung von Else zu visualisieren. Als Else im Hotel in St. Moritz ankommt, wird sie von Dorsday in der Hotelhalle erkannt und angesprochen.
20 Polt-Heinzl (2002), 62.
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Fräulein Else (D 1929), TC 0.17.56
Hier zeigt sich eine besondere Kadrierung: Die zerbrechliche, kleine Else wird regelrecht erdrückt und eingeschlossen von den zwei dunklen massiven Säulen, eine Visualisierung des Alleingelassen- und Verlorenseins in der Gesellschaft.22 Die gewundene und steile Treppe im Hintergrund wird später, nach Einnahme der Überdosis an Schlaftabletten, ihr Abstieg in den Tod sein: Nur in einen weißen Pelz gehüllt und verzweifelt wird sie ein letztes Mal hinabschreiten, um Dorsday zu suchen. Ein mögliches weiteres Beispiel, wie seelische Vorgänge mit Hilfe der Montage von Zwischenhandlung visualisiert werden können, findet man in Sequenz 10: Else erhält den ersten Brief ihrer Mutter. Zugleich verändert sich die Farbe des Filmbildes.
Fräulein Else (D 1929), TC 0.53.44
22 In der Novelle denkt Else: „Ich bin ja ganz allein. Ich bin ja so furchtbar allein, wie es sich niemand vorstellen kann. Sei gegrüßt mein Geliebter. Wer? Sei gegrüßt mein Bräutigam! Wer? Sei gegrüßt mein Freund! Wer?“ (336)
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Die Blaufärbung dieser Bilder entsteht durch eine Viragierung des Filmmaterials, wie sie damals üblich war. Das Filmmaterial wurde dafür in ein Farbbad getaucht, um die gewünschte Tonung zu erreichen. Blau stand dabei in der dramaturgischen Filmsprache für Nacht und Mondschein (auch: nachtblau). Fraglich ist, ob Czinner an dieser Stelle tatsächlich eine Textstelle aus der literarischen Vorlage visualisieren wollte und das Blau somit für Elses Innenwahrnehmung steht.23 In der Novelle denkt Else an dieser Stelle: Aus ist es mit dem Alpenglühen. Der Abend ist nicht mehr wunderbar. Traurig ist die Gegend. Nein, nicht die Gegend, aber das Leben ist traurig. Und ich sitz’ da ruhig auf dem Fensterbrett. Und der Papa soll eingesperrt werden. Nein. Nie und nimmer. Es darf nicht sein. Ich werde ihn retten. (332)
Wahrscheinlicher ist, dass Czinner an dieser Stelle lediglich auf standardisierte filmdramaturgische Techniken zurückgriff um dem Publikum zu signalisieren, dass in der Filmhandlung nun Abend ist. Allerdings handelt es sich hier um die einzige Viragierung im gesamten Film, obwohl auch zu Beginn der Handlung, bei der Dinnerparty in Wien, Abend ist. Somit sticht diese kolorierte Stelle heraus. Im nächsten Bild (TC 0.53.58), nach der Viragierung, wird ein Gong geschlagen: Ein abermals drastischer Bild-Wechsel.
Fräulein Else (D 1929), TC 0.53.58 Der Gong wird acht Mal geschlagen.
23 Fraglich ist auch, ob in der originalen deutschen Fassung überhaupt diese blaue Viragierung vorhanden war. Die Viragierung, so wie sie in der von arte restaurierten Fassung vorkommt, wurde vom dänischen Ausgangsmaterial von 1929 übernommen. Es ist durchaus möglich, dass die blaue Tönung erst von den Dänen in den 1930er Jahren willkürlich vorgenommen wurde. Das ist heute nicht mehr nachvollziehbar. (Quelle: Nina Goslar, Filmredaktion arte)
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„Stummfilme, die in konkreten Aufführungssituationen aufgrund der kompensierenden Musikbegleitung nicht wirklich stumm waren, setzten visuelle Geräusch-Zeichen. Sie machten deutlich, was den Filmen fehlte und was der Zuschauer von sich aus ergänzen mußte. Durch die deiktische Akzentuierung der gezeigten Aktivitäten und Reaktionen konnte das nur visuell vermittelte Akustische zum Zeichen für ein Geräusch werden.“24
Hier vermittelt der Gong, vielleicht auch mit Unterstützung der kurz zuvor visualisierten Blaufärbung, ein lautes Geräusch, einen Schlag ins Gesicht, ein Erwachen aus Träumen und, ganz profan, dass es acht Uhr ist und es bald Abendbrot gibt. Neben Kadrierung, Indices und Viragierung setzt Czinner – sicherlich nicht zuletzt angeregt durch den Kameramann Karl Freund – auch die subjektive Kamera (Point-of-View-Shot25) ein. Sie bietet die Möglichkeit, das Kinopublikum mit den Augen von Else sehen zu lassen, und suggeriert, dass das Geschehen aus der subjektiven Wahrnehmung der Figur abgebildet wird.
Fräulein Else (D 1929), TC 1.25.28 POV-Shot Else Nahaufnahme, sie erschrickt beim Erblicken Dorsdays.
Fräulein Else (D 1929), TC 1.25.35 POV-Shot Technisch verfremdetes Bild: Elses vernebelter Blick auf Dorsday. Kurz darauf bricht sie leblos zusammen.
24 Kanzog (2007), 208. 25 Wie bereits dargelegt, bezeichnet man als Point-of-View-Einstellung oder einen POVShot eine von zwei direkt aufeinanderfolgenden Einstellungen: Die erste Einstellung zeigt eine Figur, die irgendwohin blickt (z.B. in Form einer Großaufnahme des Gesichts). Die andere Einstellung (der eigentliche POV-Shot) zeigt nun das, was die Figur betrachtet oder erblickt, von der Position der Figur aus gefilmt.
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Hier hat Czinner das Kamerabild sogar technisch verfremdet: Die Unschärfe (TC 1.25.35) signalisiert Elses vernebelten, gleichsam durch das Veronal ‚sedierten‘ Blick. Im nächsten Bild sieht man die nackte Else zusammenbrechen.26 Die hohen Erwartungen, die Publikum, Schnitzler und Kritiker an die Verfilmung der Novelle gestellt hatten, konnten von Czinner und Freund nur punktuell erfüllt werden. An einigen Stellen bleibt die filmische Realisierung hinter der Textvorlage zurück, vor allem aufgrund der mangelnden Umsetzung der inneren Welt von Else. Diese Lücken füllen großzügige Wintersportpanoramen von St. Moritz.
3. E LSE
UND ANDERE
F IGUREN
IM
F ILM
Da es im Film keine Rückblenden gibt, werden auch die Figuren, die im Schnitzler-Text größtenteils aus Elses Gedanken generiert werden, im Film anders dargestellt. Elses Mutter und Dr. Thalhof (Elses Vater) sind Teil der dramatis personae des Films und agieren in über einem Drittel der Handlung. Cousin Paul, Cissy Mohr sowie Tante Emma sind die Reisebegleiter von Else. Auch im Film wohnt Herr von Dorsday im selben Hotel wie Fräulein Else und wandelt sich vom väterlichen Freund zum berechnenden und feigen alten Lüstling. Ferner agieren im Film zahlreiche Komparsen und das Hotelpersonal. Aus der Textvorlage gestrichen wurden Elses 21-jähriger Bruder Rudi, ihr Freund Fred, Freundin Bertha, das Kindermädchen von Cissy, Frau Winawer (die Geliebte von Dorsday), Doktor Waldberg sowie der Filou. Auch bei der Charakterisierung der Figuren wurden Änderungen vorgenommen: Wie bereits angedeutet, existiert anscheinend keine inzestuöse Beziehung von Vater und Tochter und auch ein Mutter-Tochter Konflikt wird nicht augenscheinlich. Auch das Verhältnis zwischen Else und ihrer Tante Emma scheint kaum angespannt. Man hat vielmehr das Gefühl, dass Tante Emma eine mütterliche Freundin für Else ist. Die meisten Veränderungen hat allerdings die Darstellung der Figur Else erfahren. Bei Schnitzler spielt Else die „unbeschwert Fröhliche von ihrem ersten Auftritt an nur nach außen [...]. Außerdem vergisst sie keinen Moment ihre prob-
26 Im Film finden sich weitere Belege für Freunds dynamische Kameraführung, unter anderem auch eine kurze Subsequenz mit ‚entfesselter Kamera‘ (Else geht die Treppe hinunter TC 1.24.34).
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lematische Rolle als arme Verwandte zu Gast bei der reichen Tante.“27 Einen anderen Eindruck vermittelt die Else im Film: Dort ist sie energiegeladen, verspielt, naiv, neugierig, unbekümmert und sportlich. „Er [Czinner] zeigt sie nicht etwa als ein Mädchen, dem das Gemisch von Unschuld und Reflexion zuzutrauen wäre, sondern setzt sie mitten in die sportfrohe Nachkriegswelt hinein. Kein heute in St. Moritz betriebener Sport wird uns unterschlagen, und Fräulein Else ist überall mit einer unbedenklichen Jugendlichkeit dabei, die zu ihrem Urbild so wenig wie zu ihrem späteren Verhalten paßt.“28
Nachdem Elisabeth Bergner als Else fast die Hälfte des Films sorglos ihre Jugendlichkeit zelebriert, erhält sie den alles verändernden Brief der Mutter. Der nun folgende Wechsel ihrer Stimmung hin zu Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit überzeugt nicht durchgehend bzw. ist schwer nachvollziehbar. Bei Schnitzler gelingt es Else, mit Hilfe der Phantasie unterschiedliche Identitätsentwürfe zu erproben: von der bürgerlichen Ehefrau bis hin zum Luder, wie es die Welt noch nicht gesehen hat (362). Auch im Film gibt es einen Moment, wo dieses Bild von Else anklingt.
Fräulein Else (D 1929), TC 0.08.46
Nachdem Else ihren Vater überreden konnte, sie mit auf die Reise nach St. Moritz zu lassen, zieht Else keck den Zigarrenring von der brennenden Zigarre ihres Vaters ab. Sie streift ihn sich über den Finger und schaut ihn triumphierend an, ähnlich wie einen Ehering. Ihre ödipale Bindung zum Vater wird hier angedeutet, genauso wie ihre Macht über ihn. Zudem klingt eine Ehe-Phantasie an, die Else in der Schnitzlerschen Novelle hat:
27 Polt-Heinzl (2010), 195. 28 Kracauer (2004), 241.
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Nach Amerika würd’ ich ganz gern heiraten, aber keinen Amerikaner. Oder ich heirat’ einen Amerikaner und wir leben in Europa. Villa an der Riviera. Marmorstufen ins Meer. Ich liege nackt auf dem Marmor. (324)
Gemein mit der Novellen-Figur hat die Else im Film das Bedürfnis nach dem momentanen sinnlichen Genuss, was bei Czinner vor allem durch Elses Begeisterung für den Sport und die freie Bewegung in der Natur visualisiert wird. Anders ist wiederum Elses Verhältnis zu ihrem Körper: In der Novelle steigert sich dieses bis hin zum Narzissmus. Die Film-Else ist nicht eitel, sie trägt auch zum Dinner eine jungenhafte Sportkleidung (TC 0.48.53) und betrachtet sich nicht ständig im Spiegel. Am auffälligsten wird der Unterschied zwischen den beiden Figurencharakteren, wenn man den Schluss der Novelle und jenen des Stummfilms betrachtet. Wichtig ist hier der Zeitpunkt der Einnahme des Schlafmittels: Im Film nimmt Else das Veronal bereits, bevor sie sich nackt im Pelz auf den Weg zu Dorsday macht. Im Buch schluckt Else das Schlafmittel erst, als sie wieder in ihrem Zimmer ist. Auch Schnitzler ist dieser Unterschied aufgefallen.29 Schnitzlers Else äußert mehrfach in der Novelle, dass sie sich gern nackt zeigt.30 Aus diesem Grund muss sie sich vor ihrer Entblößung nicht betäuben, bedeutet die Entblößung für sie nicht automatisch den Suizid. Die Film-Else hingegen leidet nicht unter einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Deshalb ist es für sie undenkbar, sich einem Fremden nackt zu zeigen. Folglich nimmt sie das Schlafmittel auch schon vor der Entblößung. Auch sucht sie erst das Zimmer von Dorsday auf und ist erschüttert, als sie ihn dort nicht vorfindet. Sie muss nun hinunter ins Hotel gehen (Zwischentitel: Ich bin doch ... vergiftet!) und ihre Entblößung öffentlich machen, bevor das Veronal endgültig wirkt. Sie genießt das Szenario keinen Augenblick. Für sie ist klar, dass Dorsdays Bedingung ihr Ende ist.
29 Schnitzler, Briefe 1913–1931, 597. 30 Zum Beispiel auf Seite 349: „Und ich hab’ mich gefreut. Ah, mehr als gefreut. Ich war wie berauscht. Mit beiden Händen hab’ ich mir über die Hüften gestrichen und vor mir selber hab’ ich getan, als wüsste ich nicht, dass man mich sieht. [...] Ja, so bin ich, so bin ich. Ein Luder, ja. Sie spüren es ja alle.“ (349)
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4. I NDICES
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UND I KONS
Neben dem indexikalischen Einsatz des Veronal und eines Zigarrenrings finden sich im Film noch weitere Indices und auch Ikons. Else bekommt zum Dinner einen Fisch serviert. Else, noch vor dem Gespräch mit Dorsday, wird, so scheint es, von diesem glitschigen Fisch angeglotzt. In der nächsten Einstellung schaut Dorsday begehrlich zu Else.
Fräulein Else (D 1929), TC 0.57.11 Fräulein Else (D 1929), TC 0.58.44 Der Fisch in Aspik starrt mit aufgerissenen Dorsday schaut durch sein Monokel nach Augen und Maul von Elses Teller in ihr Else. Gesicht. Die weißen Punkte unter seinen Augen wirken wie Dorsdays Monokel.
In der Novelle beschreibt Else Dorsday als den alten Mann mit Kalbsaugen (326). Auch der abgefilmte Fisch könnte als Ikon von Dorsday verstanden werden, wird aber zum Index für das lüsterne Anglotzen, was Else anwidert und sie in den Suizid treibt.31
31 Für Hurst erzeugt der kinematographische Code verschiedene Arten von Konnotationen. In diesem Fall handelt es sich, nach Hurst, um eine syntagmatische Konnotation (auf der Ebene der Montage, das heißt durch die Verknüpfung einzelner Bilder). Damit erhält „das Einzelbild [...] seine volle Bedeutung erst in der Kombination mit anderen Bildern“ [Hurst (1996), 133.]). Elses Ekel vor dem Fisch ist mit Elses Ekel vor Dorsday gleichzusetzen.
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Fräulein Else (D 1929), TC 1.24.36 Fräulein Else (D 1929), TC 1.13.41. Dorsday zeigt Else anhand dieser Statue, Else als Venus im Pelz. wie er sie sehen möchte: als Venus Pudica
Bei TC 1.13.41 wird eine Statue eingeblendet. Dorsday zeigt Else dieses Standbild, um so seine Bedingung, sie nackt zu sehen, auszudrücken. Diese Statue ist nach Peirces Zeichentypologie ein Ikon: Ein Zeichen, das auf seinen bezeichneten Gegenstand durch das Merkmal der Ähnlichkeit hinweist. Entsprechend soll sich Else zeigen; als eine Venus Pudica, die allerdings nicht ihre Scham verbirgt, sondern lediglich die Brust und dabei verlegen den Blick senkt. Am Ende aber schlüpft Else in einen weißen Pelzmantel (und nicht in einen schwarzen Mantel wie in der Novelle). Polt-Heinzl deutet diesen Pelz als einen Verweis auf die 1870 erschienene Novelle von Leopold von Sacher-Masoch, Venus im Pelz.32 Darin hat die Protagonistin Wanda, durch das Tragen eines Pelzes auf nackter Haut, Macht über ihren Sklaven Gregor bzw. ihren Bräutigam Severin. Sie misshandelt ihn, peitscht ihn aus, ist sadistsich. Sie prophezeit: „Ja, daß ich immer im Pelz erscheinen muß“, rief Wanda, „aber dies verspreche ich dir so, ich werde ihn schon deshalb tragen, weil er mir das Gefühl einer Despotin gibt, und ich will sehr grausam gegen dich sein, verstehst du?“ (Venus im Pelz, 63)33 „Du weißt es ja“, entgegnete sie boshaft, „ich bin ein Weib aus Stein, Venus im Pelz, dein Ideal, knie nur und bete mich an.“ (Venus im Pelz, 121)
32 Polt-Heinzl (2010), 199. 33 Sacher-Masoch (1980). Bei Sacher-Masoch findet sich wiederum eine Gemeinsamkeit zum Schnitzler-Text: Auch Wanda liest Manon l'Escault, genauso wie Else.
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Else präsentiert sich also nicht als Venus Pudica, wie Dorsday es wünscht, sondern als Venus im Pelz. Sie degradiert Dorsday damit zum Sklaven und ernennt sich selbst zur Herrin. Dass sie keinen schwarzen Pelz trägt wie in SacherMasochs Erzählung, sondern einen weißen, unterstreicht Elses Jungfräulichkeit.34 Auch das Ende von Sacher-Masochs Venus im Pelz mutet wie ein Statement von Else an: „Aber die Moral?“ „Daß das Weib, wie es die Natur geschaffen und wie es der Mann gegenwärtig heranzieht, sein Feind ist und nur seine Sklavin oder seine Despotin sein kann, nie aber seine Gefährtin. Dies wird sie erst dann sein können, wenn sie ihm gleich steht an Rechten, wenn sie ihm ebenbürtig ist durch Bildung und Arbeit.“ (Venus im Pelz, 138)
Else denkt in Schnitzlers Novelle ähnlich: „Ach Gott, warum habe ich kein Geld? Warum hab’ ich mir noch nichts verdient? Warum habe ich nichts gelernt?“ (332) Somit wird auch der Pelz zum Index. Er wirft ein neues Licht auf die Filmfigur Else, die doch an so vielen Stellen des Films blasser, eindimensionaler und naiver wirkt. Dieses Bild sollte revidiert werden. Mit Hilfe von Ikons und Indices wird ein facettenreiches Bild der Figur Else geschaffen. Allein der Schluss des Films, der wahrscheinlich in allen noch erhaltenen Duplikaten des Stummfilms unvollständig ist, fällt weit hinter das fulminante Ende der Novelle zurück. Czinner realisiert keine Todesvision von Else, kein (Ver-)Zweifeln am Leben oder Tod. Lediglich setzt er, neben eine Nahaufnahme von Elses leblosem Gesicht, eine verlassene winterliche Berglandschaft. Davor wirft sich Elses Cousin Paul theatralisch auf ihr Sterbebett.
34 Schnitzlers Else denkt: „Nehmt Euch ein Beispiel. Ich, die Jungfrau, ich traue mich.“ (364)
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Fräulein Else (D 1929), TC 1.29.01 Die leblose Else.
Fräulein Else (D 1929), TC 1.29.03 Das letzte Bild des Films zeigt schneebedeckte Berge.
In der Novelle phantasiert Else: Ich will noch auf viele Berge klettern. Ich will noch tanzen. Ich will auch einmal heiraten. Ich will noch reisen. Morgen machen wir die Partie auf den Cimone. (380) Was ist denn das? Ein ganzer Chor? Und Orgel auch? Ich singe mit. Was ist es denn für ein Lied? Alle singen mit. Die Wälder auch und die Berge und die Sterne. (381) Sie rufen von so weit! Was wollt ihr denn? Nicht wecken. Ich schlafe ja so gut. Morgen früh. Ich träume und fliege. Ich fliege... fliege... fliege... schlafe und träume... und fliege... nicht wecken... morgen früh... „El...“ Ich fliege... ich träume... ich schlafe... ich träu... träu – ich flie...... (381)
Ob diese Naturaufnahme als Index für Elses Naturverbundenheit oder für ihre Einsamkeit zu verstehen ist beziehungsweise ob Czinner damit das Aufsteigen der Seele in die unendlichen Weiten ihrer geliebten Schneelandschaft visualisieren wollte, bleibt offen. Nicht zuletzt dieses doch etwas verkitschte Filmende hat bei vielen Zuschauern – und auch bei Schnitzler selbst – Enttäuschung hinterlassen.35
35 Vgl. Schnitzler, Tagebuch 1927–1930, 284. Eintrag vom 20.10.1929.
Mademoiselle Else/Fräulein Else (F/Ö/D 2002)
Nachdem die Novelle Fräulein Else bereits 1929 als Stummfilm in die Kinos gekommen war, wurde erst 1970 eine weitere Verfilmung, diesmal in Belgien, realisiert. Danach folgten 1974 und 1987 zwei österreichische Fernsehfilme und schließlich im Jahr 2002 eine Koproduktion von Frankreich, Österreich und Deutschland für das Fernsehen, die hier näher untersucht wird. Das Drehbuch schrieben Erik Orsenna, Louis Gardel sowie Pierre Boutron, der zudem Regie führte.
1. D ER AUFBAU
DES
F ILMS
IM
V ERGLEICH
ZUR
N OVELLE
Auch dieser Film beginnt nicht wie Schnitzlers Textvorlage in medias res beim Tennisspiel. Hier gleichen die Bilder des Filmanfangs dem Suizid der Protagonistin am Ende des Films: Else trinkt das Veronal in ihrem Hotelzimmer und lässt das leere Glas fallen. Dabei filmt die Kamera das herabfallende Glas von unten.
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Fräulein Else (F/Ö 2002), TC 0.00.10
Fräulein Else (F/Ö 2002), TC 0.00.18 Das herabfallende Glas.
Der Zuschauer, der die Novelle nicht kennt, kann allerdings diese kurze Bildsequenz noch nicht der Filmhandlung logisch zuordnen, denn ein Handlungszusammenhang zu diesen Bildern erschließt sich erst bei TC 1.24.11 des Films. Ohne Kenntnis der Textvorlage bleibt der Filmanfang also vorerst ohne Sinnzusammenhang. Nach dieser kurzen Bildsequenz setzt die Filmhandlung im Wiener Theater bzw. der Wiener Oper ein: Ein festlich gekleidetes Publikum applaudiert. Von nun an folgt der Film, abgesehen von einigen Visionen der Protagonistin, einem linearen Zeitverlauf (vgl. Tabelle). Ähnlich wie im Stummfilm Fräulein Else (D 1929) werden auch hier Figuren, die in der Novelle nur mittelbar in Elses Gedankenwelt existieren, zum aktiv handelnden Teil des Personals (Elses Vater, Elses Mutter, Rudi, Fred). Auch hier erstreckt sich die Filmhandlung über mehrere Tage und spielt an verschiedenen Orten. Rückblenden aus der Novelle werden als Jetzt-Handlung integriert und füllen die ersten 33 Minuten des Films (Sequenz eins bis fünf), was die folgende Tabelle verdeutlichen soll. Fräulein Else Text
1
Fräulein Else (F/Ö/D 2002) Vorspann, Prolog Elses Hotelzimmer. Else lässt ein leeres Glas fallen. Sequenz 1 Im Theater. Wien. Coriolan. Else besucht mit ihrer Familie das Theater1.
Hier wird aus der Schnitzlerschen Jüdin Else T. eine Else Braun. Im Film heißen nun Elses Vater Franz Braun und ihre Mutter Anna Braun. Das Jüdische wurde eliminiert.
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In der Pause trifft sie auf Fred, Leutnant Brandl, einen Bekannten ihres Vaters und Herrn von Dorsday. All diese Männer sind von ihr beeindruckt. Sie flirtet. Sequenz 2 Am nächsten Tag besucht Else mit ihrem Vater Dorsdays Kunstgalerie. Dorsday gewährt Herrn Braun kein Darlehen. Dorsday schaut begehrlich auf Else. Sequenz 3 Dorsday und Else kommen im Hotel Fratazza an. Else trifft dort auf ihre Tante Emma. Sequenz 4 Am nächsten Tag macht Else eine unbeschwerte Wanderung in die Berge, zusammen mit ihrem Cousin Paul und einem Begleiter. Kontrastierend dazu muss Elses Vater in Wien erleben, dass er finanziell, geschäftlich und gesellschaftlich ruiniert ist. Binnen dreier Tage muss er das Geld an Fiala übergeben. Sequenz 5 Elses Vater kehrt als gebrochner Mann abends in die Wohnung zurück. Elses Mutter schreibt einen Brief an ihre Tochter und bittet sie darin, noch einmal mit Dorsday zu sprechen. Vater: „Diese Schande. Das ist beinahe Prostitution.“ Erster Teil Sequenz 6 Else befindet sich vor dem Hotel Else beim Tennisspielen vor dem HoFratazza in San Martino di Castrozza. tel. Paul: „Willst du nicht weiterspieEs ist ca. 19.00 Uhr. Sie kommt vom len Else?“ Else: „Oh nein Paul, ich Tennisspielen, trifft auf dem Weg kann nicht mehr.“ (TC 0.33.24) Herrn von Dorsday und spricht kurz Else geht zum Hotel zurück, da sie ei-
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mit ihm. Im Hotel gibt der Portier Else einen Expressbrief von ihrer Mutter. Sie geht auf ihr Zimmer und setzt sich zum Lesen aufs Fensterbrett.
nen Brief erwartet. Im Hotel wird ihr der Expressbrief der Mutter übergeben. Auf dem Weg in ihr Zimmer trifft sie einen hübschen jungen Mann. Rückblende zum Theaterabend in Wien: Leutnant Brandl macht Else ein eindeutiges Angebot, was sie ablehnt. Zweiter Teil Sequenz 7 Else liest den Brief im Hotelzimmer. Else liest den Brief ihrer Mutter. Gespräch mit ihrem Spiegelbild und verschiedene visualisierte Visionen von Else (Tod durch Fenstersturz, Else in verschiedenen Kleidern). Es klopft. Das Zimmermädchen tritt ein. Dritter Teil Sequenz 8 Else hält sich in der Hotelhalle und Else verlässt ihr Zimmer, geht in den vor dem Hotel auf. Sie trifft kurz auf Salon des Hotels und raucht mit Paul ihren Cousin Paul und lässt sich vom und Cissy eine Zigarette. Sie sieht den Portier den Mantel geben. Sie verlässt schönen jungen Mann wieder. Dann das Hotel und wird von Dorsday anlässt sie sich vom Pagen den Mantel gesprochen. Dorsday und Else setzen geben und verlässt das Hotel. sich auf eine Bank und Else bittet ihn Else spricht mit Dorsday und bittet um um das Geld. Dorsday verlangt als das Geld. Dorsday verlangt als GegenGegenleistung, Else eine Viertelstun- leistung, Else eine Viertelstunde nackt de nackt zu sehen. zu sehen. Vierter Teil Sequenz 9 Else ist aufgewühlt von Dorsdays Else ist aufgewühlt von Dorsdays ForForderung. Sie setzt sich auf eine derung. Sie steht am See vor dem HoBank am Waldrand, schläft ein und tel und blickt in ihr Spiegelbild. Dann träumt. Nachdem sie aus dem Traum hat sie die Vision, dass sie in den See erwacht ist, geht sie zurück zum Hotel springt und langsam ertrinkt. Dorsday, und überlegt, ob und wie sie sich ihre Familie und viele Hotelgäste Dorsday zeigen soll. kommen zu ihrer Beerdigung und stehen um ihren offenen Sarg. Fünfter Teil Sequenz 10 Else trifft in der Hotelhalle auf Paul Else taucht mit dem Kopf aus dem und spricht kurz mit ihm. Der Portier Badewasser auf. Sie befindet sich in gibt Else ein Telegramm, Else ahnt ihrem Hotelzimmer. Es klopft an der Schlimmes und geht schnell auf ihr Tür und der Page bringt ein Tele-
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Zimmer. Sechster Teil Else ist wieder in ihrem Zimmer. Es ist ca. 21.00 Uhr. Sie liest das Telegramm von ihrer Mutter, die ihr mitteilt, dass sich die Summe auf fünfzigtausend Gulden erhöhe. Sie hält Zwiesprache mit ihrem Spiegelbild. Siebter Teil Else geht durch den leeren Flur und legt Dorsday das Telegramm mit einer Notiz vor sein Zimmer. Sie erreicht die Halle, geht von Raum zu Raum, trifft kurz auf die Tante und findet Dorsday im Musikzimmer, wo gerade eine ältere Dame am Klavier Schumanns Carnaval spielt. Else öffnet den Mantel, lacht hysterisch, bricht in Pauls Armen zusammen und schreit. Else wird auf einer Bahre in ihr Zimmer getragen. Achter Teil Else liegt regungslos in ihrem Zimmer auf dem Bett, registriert aber alles um sich herum. Paul und Cissy sind bei ihr, Else trinkt in einem unbeobachteten Augenblick die bereitgestellte Überdosis Veronal und bemerkt, dass das Mittel wirkt. Sie hat noch eine letzte Todesvision), dann löst sich die Syntax auf und Else verstummt. Die Novelle endet an dieser Stelle.
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gramm für Else. Else steigt aus der Wanne, liest das Telegramm und tritt vor den Spiegel, vor dem sie wieder eine Vision hat. Diesmal besucht sie ihren Vater im Gefängnis. Anschließend schreibt sie einen Brief an Dorsday und legt sich das Veronal in die Nachttischschublade. Sequenz 11 Else tritt in einem langen Mantel und mit wallendem Haar auf den Gang des Hotels und schreitet bedächtig zu Dorsdays Zimmer, wo sie einen Brief hinterlegt. Nun geht sie nach unten, trifft in den Gesellschaftsräumen des Hotels auf ihre Tante und auf Dorsday, der am Klavier sitzt und spielt. Else öffnet den Mantel, fängt an zu lachen und bricht zusammen. Else wird auf einer Bahre in ihr Zimmer getragen. Sequenz 12 Else liegt regungslos in ihrem Zimmer auf dem Bett, registriert aber alles um sich herum. Paul und Cissy sind bei ihr, Else trinkt in einem unbeobachteten Augenblick die bereitgestellte Überdosis Veronal und bemerkt, dass das Mittel wirkt. Elses Vater kommt hinzu, sie möchte sich mitteilen, kann es aber nicht mehr. Else hört einen Chor, und der Film endet mit einem Flug über Wolken und helle Berge.
Darstellung: Henrike Hahn
Wie die Tabelle zeigt, wird auch bei diesem Film eine ausgedehnte Handlungseinleitung voran gestellt, bis der Film (ab Sequenz sechs) Schnitzlers Textvorlagefolgt.
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Zuvor arbeitet Boutron mit Parallelmontagen2, um Leben und Geschehnisse in Wien und San Martino3 einander gegenüber zu stellen. Oft scheint es, als würden die Handlungen fast zeitgleich stattfinden. Im hier gewählten Beispiel sieht man eine überglückliche Else auf einem Berggipfel in San Martino und einen gebrochenen Franz Braun in Wien.
Fräulein Else (F/Ö/D 2002), TC 0.23.34 Else, frei wie ein Vogel mit ausgebreiteten Armen auf der Bergspitze. Kameraperspektive leicht von oben.
Fräulein Else (F/Ö/D 2002), TC 0.24.07 Elses Vater, verbittert, weinend und zusammengesunken im Kaffeehaus. Kameraperspektive von unten.
Der Verlauf der Filmhandlung lehnt sich stark an die Verfilmung von 1929 an. Allerdings, und hier findet sich ein gravierender Unterschied zu Czinners Version, verzichtet Boutron nicht auf die Darstellung von Elses Träumen bzw. Visionen. Dabei hält sich der Regisseur inhaltlich ziemlich genau an Schnitzlers Textvorlage – nur Elses Todesvision am Ende fehlt, allerdings wird Chorgesang eingespielt.
2. E RZÄHLPERSPEKTIVE : DER M EDIENWECHSEL DES INNEREN M ONOLOGS Auch hier stellt sich die Frage: Wie werden Elses Innenwahrnehmungen aus dem Text in den Film übertragen? Neben den eben beschriebenen unterschiedlichen Kameraperspektiven (vgl. Screenshot TC 0.23.34 sowie TC 0.24.07), ist in die-
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Bei der Parallelmontage springen aufeinander folgende Einstellungen zwischen zwei oder mehr Handlungssträngen hin und her und stellen so einen Zusammenhang oder eine emotionale Verbindung her.
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Anders als bei Czinner ist hier Spätsommer und keine Wintersportsaison.
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ser Verfilmung das prägende Inszenierungselement für Elses Innenwahrnehmungen das voice-over bzw. Elses Stimme aus dem Off. Bereits bei genauer Betrachtung des Sequenzprotokolls (vgl. Anhang) wird klar, dass Boutron in jeder Sequenz des Films, vor allem aber ab Sequenz 7, auf diese Inszenierungstechnik zurückgreift. Dabei hält sich das Drehbuch teilweise wortgenau an Schnitzlers Vorlage. Ein weiteres kennzeichnendes Element dieser Verfilmung ist die Visualisierung von Elses Träumen und Visionen (Sequenz 6, 7, 9, 10, 12) als POV. Dabei werden diese nicht nur bildlich dargestellt, sondern auch auditiv umgesetzt: mittels Klangfülle und Textur entweder anschwellend (TC 0.43.38), nachhallend oder mit Echoeffekten (TC 1.02.57, TC 1.03.03). Auch optische Filter kommen zum Einsatz. Eingeleitet wird eine solche Vision durch Elses Blick in einen Spiegel (TC 0.43.30, TC 1.06.48) und eine spiegelnde Wasseroberfläche (TC 1.02.48) oder durch das Schließen ihrer Augen. Dazu erklingt dramatische Streichermusik, häufig wird auf das Spiegelbild gezoomt. Als Beispiel sei hier Elses Vision in Sequenz 7 (TC 0.44.43 bis TC 0.45.05) herausgegriffen.
Fräulein Else (F/Ö/D 2002), TC 0.44.25 Else vor dem Spiegel. voice-over: „Welches Kleid soll ich anziehen, Papa? He?“ Kamerazoom auf den Spiegel.
Fräulein Else (F/Ö/D 2002), TC 0.44.43 Überblendung von Else vor dem Spiegel zu Elses Vision: Sie sieht sich mit verschiedenen Kleidern im Treppenhaus des Hotels.
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Fräulein Else (F/Ö/D 2002), TC 0.44.45 Vision von Else (Eingerahmt vom Spiegelrahmen des Hotelzimmers und optisch leicht unscharf): Sie geht mit verschiedenen Kleidern durchs Treppenhaus.
Fräulein Else (F/Ö/D 2002), TC 0.45.04 Überblendung von der Vision zurück zu Else, die noch immer vor dem Spiegel im Hotelzimmer steht. Man sieht noch verschwommen das Treppengeländer ihrer Vision.
Diese Unmittelbarkeit der Vision, die sich scheinbar direkt aus Elses Blick generiert, wird auch durch einen unsichtbaren Schnitt (découpage classique) mittels einer Überblendung4, als ein fließender, fast stufenloser Übergang zu Elses Innerem realisiert. Dazu kommt ein Zoom auf das Spiegelbild, der evoziert, dass die Kamera direkt in Else ‚hineinfährt‘ und so den Fokus auf ihr Inneres richtet – genauso wie es Schnitzler mit dem inneren Monolog und dem Stream of Consciousness erreichen möchte. Des Weiteren arbeitet Boutron im gesamten Film mit vielen Großaufnahmen von Elses Gesicht, um ihre Reaktionen und Mimik hautnah zu zeigen (Weinen, Lachen, Verzweiflung, Flirten). Auch die Musik und das sound design üben in dieser Verfilmung eine erzählerische Funktion aus, sei es als Kommentar, als Verstärker verschiedener Bilder oder als dramaturgisches Mittel. Beispielsweise wird Dorsday oft eine bassbetonte, dramatische Musik in Moll zugeordnet, was die Bedrohlichkeit, die sich auch in seinem Spiel ausdrückt, verstärkt. Ebenso ist auch Else thematisch ein ganz bestimmtes Musikstück zugedacht, das variiert immer wiederholt wird, wenn Else die Handlung dominiert. Es handelt es sich um einen Walzer, der mal beschwingter und mal getragener (teilweise auch in einer Moll-Variation) von Streichern, Flöte und Klavier interpretiert wird. Dabei wird die Klangfarbe dieses Themas dem Inhalt des Films angepasst. Zudem gibt es ein spezielles Musikstück zu Elses Visionen (vor dem Spiegel,
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Wie bereits erörtert, dienen Überblendungen meist dazu, Traumsequenzen, Gedanken und Rückblenden hervorzuheben.
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der Wasserfläche): Ein Streicherdreiklang in Moll mit hervorstechenden Höhen. Dieses Stück klingt disharmonisch und wirkt surreal, was den traumhaften Inhalt von Elses Gedanken verstärkt. Größtenteils ist die Quelle der Musik nicht in der Bildrahmung sichtbar. Lediglich an einer Stelle sieht und hört man Dorsday Klavier spielen (TC 1.16.13). Insgesamt kann festgestellt werden, dass die Musik in diesem Fernsehfilm sehr aufwändig und subtil arrangiert ist. Wie bereits dargelegt, greift der Regisseur hier auf ein großes Arsenal an kinematographischen Techniken zurück, um Elses Innenwahrnehmung zu präsentieren.5 Allerdings wirkt diese Darstellung streckenweise plakativ, nicht subtil bzw. durchdacht genug, um Schnitzlers Text vollständig gerecht zu werden.
3. E LSE
UND ANDERE
F IGUREN
IM
F ILM
Wie aus der obigen Tabelle ersichtlich wird, erscheinen Figuren, die Schnitzlers Novellenfigur lediglich erinnert, als handelndes Personal im Film: Franz, Anna und Rudi Braun sowie Elses Freund Fred. Dabei, und auch hier ähnelt diese Verfilmung dem Stummfilm, werden wiederum die inzestuöse Beziehung zum Vater und das Zerwürfnis mit der Mutter ausgespart. Da es sich um einen Tonfilm handelt, haben die Figuren hier jedoch mehr Spielraum, ihren Rollencharakter zu entfalten. So entgeht einem nicht, dass Elses Mutter eher berechnend ist und ohne Skrupel ihre Tochter ‚opfert‘. Sie denkt über Else: „Anderen Menschen zu gefallen, ist ihr angeboren.“ (TC 0.32.48) Es fällt ebenso auf, dass Cissy eifersüchtig auf Else ist und dass Tante Emma ihre Nichte schlichtweg ablehnt, sie als ‚verrückt‘ einstuft. Einzig Paul und Franz Braun scheinen ein echtes Interesse an Elses Wohlergehen zu haben. Dorsday wird als Geschäftsmann, als gesetzte Respektsperson, aber auch als ein für Else entflammter Lüstling dargestellt. Jeder Blick, den er auf Else richtet, ist aufdringlich, fast hypnotisch, und wird von der Kamera genüsslich und ausdauernd eingefangen. Nur scheinen das weder Elses Vater noch Tante Emma zu registrieren. Die junge Else ist dem gealterten Lüstling schutzlos ausgeliefert. Allerdings, und hier wird ein Unterschied zu Czinners Verfilmung deutlich, wirkt das Spiel von Wolfgang Hübsch als Dorsday wenig facettenreich. Wesentlich vielfältiger wird dagegen die Figur Else dargestellt. Von einer im Film anfänglich kindlichen Naivität (sie spielt unbeschwert mit einem Hund), schlüpft die Figur in eine Lolita-Rolle und blick Dorsday auffordernd und lockend an. Dann präsentiert sich Else im Hotel mal spielerisch als Femme fatale
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Allein eine Handkamera kam nicht zum Einsatz.
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mit Zigarette und Netzhandschuh (TC 0.49.02) oder ähnlich der Jungfrau Maria (TC 1.11.41). Fräulein Else Braun ist eine flatterhafte, intelligente und selbstbewusste junge Frau. Ihre becircende Schönheit, der scheinbar jeder Mann im Film erliegt, ist allerdings nicht ganz plausibel inszeniert. „Einerseits versucht sie zu verführen, andererseits latscht sie wie weiland Heidi über die Almen.“6 Es bleibt offen, ob Else ihre Anziehungskraft bewusst einsetzt, um sich Vorteile zu verschaffen, ob alles für sie nur ein großer Spaß ist und sie testen möchte, wie weit sie gehen kann oder ob sie tatsächlich naiv und unschuldig ist und gar nicht bemerkt, was für eine Wirkung sie auf Männer hat. Und derer gibt es viele in der Verfilmung von Boutron: Fred, Leutnant Brandl, ein älterer Freund ihres Vaters, Cousin Paul, Hotelpage Edgar, ein fremder junger Mann im Hotel, Dorsday und zahlreiche namenlose Hotelgäste in San Martino. Ähnlich wie Schnitzlers Else spielt Julie Delarme die Unbeschwert-Fröhliche nur nach Außen. Sie registriert und reflektiert durchaus die finanziellen Probleme ihrer Familie. Elses zwiespältige Persönlichkeit kommt im gesamten Film zur Geltung. Der Wechsel zwischen äußerem Schein und innerem Sein gelingt nicht zuletzt durch Elses Stimme aus dem Off, welche die Gedanken der Protagonistin zum Ausdruck bringt. Beispielsweise am Anfang des Films treffen Else und ihre Familie im Theater in Wien auf Dorsday. Elses Vater plaudert mit Dorsday, was Else langweilt. Dieser Gemütszustand wird allein durch die Stimme aus dem Off zum Ausdruck gebracht, nicht visuell.
Fräulein Else (F/Ö/D 2002), TC 0.07.04 Elses Stimme aus dem Off: „Hach, wie langweilig er ist. Er weiß nicht, was er mir sagen soll. Lustig wär’s, wenn er plötzlich um meine Hand anhielte.“ (TC 0.07.04) Trotzdem lächelt Else freundlich.
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Stern (2006), 204f.
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Allerdings unterschlägt auch diese Verfilmung Elses ausgeprägte narzisstische Veranlagung, wie sie Schnitzler in seinem Text beschreibt. Die Entblößung am Ende ist somit kein Befreiungsakt, sondern eher ein verwirrter Hilferuf. Und auch ein Leben als Luder mit vielen Männern erträumt sich die Else bei Boutron nicht. Elses Gedanken über die Zukunft sind hier mit Ängsten belegt. Sie fürchtet sich davor, mittellos oder als Kindermädchen zu enden. Somit wird auch in der Verfilmung von 2002 ein Bild der Protagonistin gezeichnet, das deutlich von der Textvorlage abweicht. Warum beide Verfilmungen diesen abgemilderten Weg wählen, bleibt offen.
4. I NDICES , I KONS
UND
F ARBCODES
Neben Kameratechniken und Elses Stimme aus dem Off finden sich auch Indices und Ikons im Film, die Elses Innenwahrnehmungen visualisieren. Am auffälligsten ist das an sieben Stellen des Films wiederkehrende Bild eines herunterfallenden und zerbrechenden Glases, welches bereits im Vorspann gezeigt wird (TC 0.00.18). Es ist ein Index für Elses Scheitern, für das Zerbrechen ihres freien Wesens, was auch die Protagonistin in Schnitzlers Novelle formuliert. Hätte ich ihm nicht einfach ins Gesicht schlagen sollen? [...] Warum tu’ ich es denn nicht? Ich bin feig, ich bin zerbrochen, ich bin erniedrigt. (Schnitzler: Fräulein Else, 346)
Dabei erscheinen die zerbrochenen Gläser immer an Schlüsselstellen des Films, die richtungsweisend für Elses späteres Scheitern sind. Sie visualisieren so die Etappen von Elses Zerbrechen: Franz Braun traut sich nicht, in der Oper Dorsday anzusprechen; Else wird Dorsday in der Oper vorgestellt; Else verrutscht der Rock in Dorsdays Galerie, er blickt sie lüstern an; Else in Euphorie auf dem Gipfel eines Berges, während ihr Vater keinen Bürgen für seine Schulden auftreiben kann; Else beim Lesen des Briefes ihrer Mutter; Else lässt das Glas fallen, nachdem sie Veronal genommen hat, und stirbt. Auch für einen Zuschauer, der Schnitzlers Novelle nicht kennt und somit das herunterfallende Glas, welches bereits in den ersten Sekunden des Films als Index etabliert wird, nicht automatisch mit einer Überdosis Schlafmittel in Verbindung bringt, bekommt dieses Bild im Verlauf des Films eine Bedeutung. Für ihn wird das zerbrechende Glas ein böses Omen, eine Vorankündigung von einem tragischen Ereignis.
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Bei Boutron kommen auch Farbcodes zum Einsatz, wenn auch sehr sparsam.
Fräulein Else (F/Ö 2002), TC 0.34.09 Paul: „Dein Sportdress steht dir gut, Else. Ganz in weiß.“ (Else hier in einem weißen Kleid)
Fräulein Else (F/Ö 2002), TC 0.34.30 Else (nicht im Bild): „Bei Blau wirst du hoffentlich mehr Gnade finden.“(Cissy trägt hier eine blaue Strickjacke)
Hier findet sich eine weitere Veränderung gegenüber Schnitzlers Novelle: Else trägt keinen roten Sweater, sondern einen weißen Sportdress. Das Weiß steht für ihre Unbeflecktheit, ihre Jungfräulichkeit. Das Blau, auf das auch Schnitzlers Else anspielt, wird Cissy zugeschrieben: Sie trägt eine blaue Jacke (TC 0.34.30). So deutet Else im Film an, dass sie von Pauls und Cissys Affäre weiß. Cissys affektiertes Lachen scheint Elses Vermutung zu untermauern. Die Farbe Blau erscheint noch an einer anderen Stelle im Film: Else trägt ein blaues Handtuch, bevor sie sich nackt auf den Weg zu Dorsday macht.
Fräulein Else (F/Ö/D 2002), TC 1.06.48
Gebrochen, verstört und gescheitert steht Else ihrem Spiegelbild gegenüber. Das blaue Handtuch bedeckt ihren nackten Körper. In diesem Zusammenhang scheinen Elses Worte, sich im Blauen ‚‚mehr Gnade‘ zu erhoffen, ihren wirklichen
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Sinn zu entfalten: Das Blau kann so in seiner christlichen Bedeutung verstanden werden, wo es für das Göttliche und die Reinheit steht. Schon bei der Ankunft im Hotel Fratazza vergleicht Tante Emma ihre Nichte mit der „heiligen Jungfrau“ (TC 0.15.39), als der Hotelpage Edgar Else mit offenem Mund anstarrt. Am Ende des Films erscheint die Protagonistin tatsächlich wie eine Heilige.
Fräulein Else (F/Ö/D 2002), TC 1.11.16 Fräulein Else (F/Ö/D 2002), TC 1.11.03 Else wandelt mit offenem Haar, ohne Else, kurz bevor sie sich niederkniet und Schuhe und mit verschränkten Händen Dorsday einen Brief hinterlegt. durchs Hotel.
Hier wird das Filmbild selbst zum Bildzitat, indem es traditionelle christliche Ikonographien aufruft: Else wird zur Jungfrau Maria: barfuss, mit wallendem Haar, gefalteten Händen und gesenktem Kopf umhüllt von einem weiten Mantel. „Ich, die Jungfrau, ich traue mich.“7, denkt Else in der Novelle. Sie opfert sich für ihren Vater. Dabei scheint das Schwarz des Mantels ihr Schicksal vorauszudeuten: Tod und Trauer. Doch zuvor zeigt sich Else noch nackt im Musikzimmer des Hotels, ohne bereits das Veronal genommen zu haben. Bis dahin folgt Boutron der Textvorlage. Auch Klaviermusik erklingt, allerdings nicht von Schumann, wie Schnitzler es vorgesehen hatte. Dorsday sitzt selbst am Klavier, und die Musik verstummt, bevor Else den Mantel öffnet. Im Hintergrund ist der unbekannte junge Mann aus dem Hotel zu sehen. Nachdem Else zusammengebrochen und auf ihr Hotelzimmer getragen worden ist, weicht das Drehbuch erneut von der Novelle ab. Anstatt der letzten Todesvision von Else, in der ihr Vater eine übergeordnete Rolle spielt, erscheint Herr Braun selbst im Hotel und trifft auf Dorsday, der jegliche Schuld an Elses
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Schnitzler: Fräulein Else, 364.
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Zustand von sich weist. Der Vater eilt ans Krankenbett seiner Tochter. Doch Else hat bereits das Veronal eingenommen und kann sich ihm nicht mehr mitteilen. Das Filmende gleicht erstaunlicherweise der Stummfilmfassung von 1929, obwohl Boutron kinematographisch mehr Mittel zur Verfügung stehen (Farbe, Ton, Tricktechnik). Auch in diesem Film wird am Ende auf ein Bergpanorama zurückgegriffen und auf die Todesvision aus der Novelle verzichtet. Die stark surreale letzte Vision der Textvorlage würde sich auch inhaltlich nicht plausibel in den Film fügen. Denn auch hier werden der Inzest mit dem Vater und der Konflikt mit der Mutter nicht thematisiert. Man könnte dieses Bergpanorama als Reminiszenz an Czinners Stummfilm verstehen, eventuell als ein Filmzitat. Ansonsten würde dieses letzte Bild und mit diesem eher naiven Inhalt (Berge – Freiheit – Himmelfahrt) stutzig machen. Schließlich laufen in der Novelle an dieser Stelle komplexe und komplizierte innere Vorgänge ab.
Fräulein Else (F/Ö/D 2002), TC 1.31.23 Fräulein Else (F/Ö/D 2002), TC 1.31.09 Aufhellen des Bildes, dann Überblendung Abspann. Kameraflug über Berge und Wolken. Dazu Chorgesang. auf Wolken und Berge. Elses Stimme aus dem Off: „Ich fühle mich ganz leicht. Es ist der Moment gekommen, über die Berge zu fliegen. [...] Wir schweben zu den Wolken. Hach, so schön ist die Welt, wenn man fliegen kann.“
Das Filmbild wird an dieser Stelle stark aufgehellt und Chorgesang erklingt. Elses Vision vom Fliegen aus der Novelle greift Boutron mittels eines Kamerafluges über Wolken und Berge auf. Eine Überblendung ins Weiß könnte dahingehend interpretiert werden, dass diese letzten Bilder aus Elses Gedanken generiert werden, oder – in einer anderen Lesart – dass sich Elses Gedankenwelt auflöst. Auch wenn sich diese Frage nicht beantworten lässt, bleibt trotzdem festzustellen dass das Filmende mit seiner mystischen Chormusik in ästhetischer Hinsicht nicht gelungen ist. Es wirkt verkitscht. Die psychologische Komplexität der Novelle scheint hier in eine idyllisierende Heimatfilm-Ästhetik zu kippen.
Der Medienwechsel figurativer Innenwahrnehmungen anhand des Vergleichs beider Else-Verfilmungen
Emotionen werden im Text einerseits explizit erzählt (Elses innerer Monolog und Stream of Consciousness) und andererseits implizit präsentiert (vor allem mittels Index, Konnotationen und Farbcodes). Am folgenden Beispiel soll nun verdeutlicht werden, wie sich der Medienwechsel von figurativen Innenwahrnehmungen konkret gestaltet. Dazu wurde eine Textstelle aus dem sechsten Teil der Novelle ausgewählt (361–367), in der Else mit dem Telegramm ihrer Mutter am Abend in ihr Hotelzimmer zurückkehrt. Darin teilt ihr die Mutter unmissverständlich mit, dass sie Dorsday um das Geld bitten muss. Else realisiert, dass sie nun tatsächlich gezwungen ist, auf die bizarre Forderung von Dorsday einzugehen – und sich ihm nackt zeigen muss. Der Erzählrhythmus steigert sich langsam, und Elses Gedanken werden sprunghafter. Gott sei Dank, daß ich oben bin. Licht gemacht, Licht gemacht. Kühl ist es geworden. Das Fenster war zu lange offen. Courage, Courage. Ha, vielleicht steht drin, daß die Sache geordnet ist. Vielleicht hat der Onkel Bernhard das Geld hergegeben und sie telegraphieren mir: Nicht mit Dorsday reden. Ich werde es ja gleich sehen. Aber wenn ich auf den Plafond schaue, kann ich natürlich nicht lesen, was in der Depesche steht. Trala, trala, Courage. Es muß ja sein. ‚Wiederhole flehentliche Bitte mit Dorsday reden. Summe nicht dreißig, sondern fünfzig. Sonst alles vergeblich. Adresse bleibt Fiala.‘ – Sondern fünfzig. Sonst alles vergeblich. Trala, trala. Fünfzig. Adresse bleibt Fiala. Aber gewiß, ob fünfzig oder dreißig, darauf kommt es ja nicht an. Auch dem Herrn von Dorsday nicht. Das Veronal liegt unter der Wäsche, für alle Fälle. Warum habe ich nicht gleich gesagt: fünfzig. Ich habe doch daran gedacht! Sonst alles vergeblich. Also hinunter, geschwind, nicht da auf dem Bett sitzen bleiben. Ein kleiner Irrtum, Herr von Dorsday, verzeihen Sie. Nicht
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dreißig, sondern fünfzig, sonst alles vergeblich. Adresse bleibt Fiala. – ‚Sie halten mich wohl für einen Narren, Fräulein Else?‘ Keineswegs, Herr Vicomte, wie sollte ich. Für fünfzig müßte ich jedesfalls entsprechend mehr fordern, Fräulein. Sonst alles vergeblich, Adresse bleibt Fiala. Wie Sie wünschen, Herr von Dorsday. Bitte, befehlen Sie nur. Vor allem aber, schreiben Sie die Depesche an Ihr Bankhaus, natürlich, sonst habe ich ja keine Sicherheit. – Ja, so mach’ ich es. Ich komme zu ihm ins Zimmer und erst, wenn er vor meinen Augen die Depesche geschrieben – ziehe ich mich aus. Und die Depesche behalte ich in der Hand. Ha, wie unappetitlich. Und wo soll ich denn meine Kleider hinlegen? Nein, nein, ich ziehe mich schon hier aus und nehme den großen schwarzen Mantel um, der mich ganz einhüllt. So ist es am bequemsten. Für beide Teile. Adresse bleibt Fiala. Mir klappern die Zähne. Das Fenster ist noch offen. Zugemacht. Im Freien? Den Tod hätte ich davon haben können. Schuft! Fünfzigtausend. Er kann nicht Nein sagen. Zimmer fünfundsechzig. Aber vorher sag' ich Paul, er soll in seinem Zimmer auf mich warten. Von Dorsday geh' ich direkt zu Paul und erzähle ihm alles. Und dann soll Paul ihn ohrfeigen. Ja, noch heute Nacht. Ein reichhaltiges Programm. Und dann kommt das Veronal. Nein, wozu denn? Warum denn sterben? Keine Spur. Lustig, lustig, jetzt fängt ja das Leben erst an. Ihr sollt Euere Freude haben. Ihr sollt stolz werden auf Euer Töchterlein. Ein Luder will ich werden, wie es die Welt noch nicht gesehen hat. Adresse bleibt Fiala. Du sollst deine fünfzigtausend Gulden haben, Papa. Aber die nächsten, die ich mir verdiene, um die kaufe ich mir neue Nachthemden mit Spitzen besetzt, ganz durchsichtig und köstliche Seidenstrümpfe. Man lebt nur einmal. Wozu schaut man denn so aus wie ich. Licht gemacht, – die Lampe über dem Spiegel schalt' ich ein. Wie schön meine blondroten Haare sind, und meine Schultern; meine Augen sind auch nicht übel. Hu, wie groß sie sind. Es wär’ schad’ um mich. Zum Veronal ist immer noch Zeit. – Aber ich muß ja hinunter. Tief hinunter. (361f.) [...] Schön, schön bin ich! Schau’ mich an, Nacht! Berge schaut mich an! Himmel schau’ mich an, wie schön ich bin. Aber ihr seid ja blind. Was habe ich von euch. Die da unten haben Augen. Soll ich mir die Haare lösen? Nein. Da säh ich aus wie eine Verrückte. Aber Ihr sollt mich nicht für verrückt halten. Nur für schamlos sollt Ihr mich halten. Für eine Kanaille. Wo ist das Telegramm? Um Gottes willen, wo habe ich denn das Telegramm? Da liegt es ja, friedlich neben dem Veronal. ‚Wiederhole flehentlich – fünfzigtausend – sonst alles vergeblich. Adresse bleibt Fiala.‘ Ja, das ist das Telegramm. [...] Ah, wie hübsch ist es, so nackt im Zimmer auf- und abzuspazieren. Bin ich wirklich so schön wie im Spiegel? Ach, kommen Sie doch näher, schönes Fräulein. Ich will Ihre blutroten Lippen küssen. Ich will Ihre Brüste an meine Brüste pressen. Wie schade, daß das Glas zwischen uns ist, das kalte Glas, Wie gut würden wir uns miteinander vertragen. Nicht wahr? Wir brauchten gar niemanden andern. Es gibt vielleicht gar keine andern Menschen. Es gibt Telegramme und Hotels und Berge und Bahnhöfe und Wälder, aber Menschen gibt es nicht. Die träumen
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wir nur. Nur der Doktor Fiala existiert mit der Adresse. Es bleibt immer dieselbe. O, ich bin keineswegs verrückt. Ich bin nur ein wenig erregt. Das ist doch ganz selbstverständlich, bevor man zum zweitenmal auf die Welt kommt. Denn die frühere Else ist schon gestorben. Ja, ganz bestimmt bin ich tot. Da braucht man kein Veronal dazu. (365ff) (Hervorgehoben durch die Autorin, H.H.)
Der gesamte hier vorliegende Textauszug ist ein innerer Monolog (mit Ansatz zum Stream of Consciousness), der sich aus den Gedanken von Else generiert. Somit werden im gesamten Textauszug Elses Emotionen thematisiert. Gefühle und Gedanken werden explizit beschrieben und benannt. Zudem arbeitet Schnitzler mit weiteren narrativen Techniken, welche die beschriebenen Emotionen detaillierter und subtiler ausformen und sie so auch implizit präsentieren. Winko hat, wie bereits beschrieben, ein praktikables Analyseverfahren entworfen, um diesen codierten, implizit präsentierten Emotionen auf die Spur zu kommen. Mittels eines Close Reading soll zuerst die Frage beantwortet werden, wie Emotionen auf der Ebene der fiktiven Welt vermittelt werden können. Winko meint damit Handlungen, Situationen und Gegenstände, die kulturell und als Bestandteil der fiktiven Welt (des Textes) emotional codiert sind. Am auffälligsten in diesem Textauszug ist das Erwähnen des Veronals (361, 362, 365), welches bereits seit 1903 verkauft wurde und von dem bekannt war, dass es bei einer Überdosierung leicht zum Tode führen kann. Derart codiert fungiert das Veronal als Vorausnahme von Elses Suizid. Im Zusammenhang mit dem Aufbewahrungsort unter der Wäsche (361) wird dieses Todesmotiv zudem sexuell aufgeladen. Winko fragt weiter, mit welchen sprachlichen Mitteln sich Emotionen an der Textoberfläche manifestieren. Zum einen können Emotionen explizit lexikalisch benannt werden (sogenannte explizite Emotionen). Im vorliegenden Textauszug wären das: Courage, Courage (361), womit sich die Protagonistin selber Mut macht, sowie ihr Gedanke Mir klappern die Zähne (362), der nicht nur Kälte, sondern auch Angst und Ausweglosigkeit ausdrückt. Mit Ich bin nur ein wenig erregt (365) beschreibt Else ganz präzise ihren eigenen Gemütszustand. Zum anderen definiert Winko implizite bzw. konnotierte Emotionen und meint damit diverse sprachliche Mittel, die auf verschiedenen Textebenen eingesetzt werden, um auf Emotionen zu verweisen bzw. Emotionen unterschwellig auszudrücken. Emotionen können sich mittels phonetischer und lautlicher Präsentation manifestieren. Ich zähle darunter Elses trala, trala (361f.), das zum einen eine star-
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ke Erregung, Nervosität, anzeigt, zum anderen aber auch etwas Zynisches beinhaltet: Der Verfall ihrer gesellschaftlichen Existenz als Frau spiegelt sich in Elses Rede, die gleichsam einen Rückfall in infantiles Sprechen erlebt, sie sagt sich trala, trala. Zudem reimt sich trala, trala auf Fiala, vermutlich eine unbewusste Assoziation, die aber auch Elses Nervosität vermittelt. Auch mit Hilfe einer rhythmisch-metrischen Präsentation können implizite Emotionen vermittelt werden. Es kann eine Signalwirkung durch Sprechpausen, durch Gedankenstriche oder Auslassungspunkte erreicht werden. Die kurzen Sätze Sondern fünfzig. Sonst alles vergeblich. Trala, trala. Fünfzig. Adresse bleibt Fiala (361) erzielen eine rhythmische Signalwirkung. Besonders das trala, trala verdeutlicht die zunehmende emotionale Verstörung der Protagonistin und mutet wie ein verzweifeltes Kinderlied an. Ferner kann auch die rhetorische Präsentation auf implizite Emotionen im Text verweisen: Wiederholungen bzw. Dopplungen setzen besondere Emphasen auf Wortelemente und Worte und unterstreichen so Elses innere Zwangslage, deren Gedanken sich buchstäblich ‚drehen‘. Auch hier fallen die Geminationen trala, trala und Courage, Courage auf. An anderer Stelle wiederholt sich mehrfach die Phrase Nicht dreißig, sondern fünfzig, sonst alles vergeblich. Auch finden sich in dem Textausschnitt Ellipsen, um das Tempo zu steigern und die Angespanntheit der Protagonistin zu verdeutlichen. Zugemacht. Im Freien? Den Tod hätte ich davon haben können. Schuft! Fünfzigtausend. Er kann nicht Nein sagen. Zimmer fünfundsechzig. Die sprachliche Gestaltung wird spannungsreicher und verstärkt so die inhaltliche Aussage. Im weiteren Verlauf der Novelle (über das hier gewählte Textbeispiel hinaus) entwickelt sich die Phrase Adresse bleibt Fiala zu einer Art Leitmotiv des Textes und wird so für den Leser zu einem verbalisierten Indikator für Elses Erregungszustand, der sich bis zur Ekstase und am Ende zur Todesvision steigert. Schließlich kann auch die grammatisch-syntaktische Präsentation implizite Emotionen ausdrücken. Elses gedankliche Ausrufe Ich habe doch daran gedacht!, Schuft! oder Schön, schön bin ich! Schau' mich an, Nacht! Berge schaut mich an! (365) zählen dazu. Else wird immer angespannter, verzweifelter, hektischer und nervöser, was durch die immer kürzeren, abgehackten Ausrufesätze deutlich wird. Dass Schnitzler auch die bildliche Präsentation, d.h. einen bildlichen Typ impliziter Emotionsvermittlung, für seinen Text wählte, wurde bereits ausführlich dargelegt. Winko versteht unter bildlicher Präsentation vor allem die Verwendung von Stilfiguren wie Vergleich, Metapher, Metonymie oder Allegorie. Darunter kann auch Peirces Index als Mittel zur impliziten Emotionsvermittlung subsumiert werden.
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Ein Beispiel: Die Beschreibung von schwarzer Kleidung einer Person konnotiert ‚Trauer‘ und ‚Tod‘. Auch Elses schwarzer Mantel (362) zählt dazu. Der Eindruck verstärkt sich, da die Protagonistin selbst über ihren Tod nachdenkt und Schlaftabletten sucht. Zudem beschreibt Else ihre blutroten Lippen (365) bzw. einem blutroten Mund (366). Blut in Verbindung mit Schwarz kann ein Index für den Tod sein. Tatsächlich bedeutet Dorsdays Bedingung, Else nackt zu sehen, den Tod des gutbürgerlichen Mädchens. Dann bin ich nicht mehr das Fräulein Else [...] und komme zum zweitenmal auf die Welt... (364), stellt die Protagonistin selbst fest. Auffällig ist auch, dass Else, nicht nur in der hier ausgewählten Passage, Dorsday mit einem Vicomte von Eperies (354, 362) gleichsetzt bzw. über einen Vicomte (336, 346, 361, 362, 366, 367) nachdenkt. Es stellt sich heraus, dass Vicomte ein intertextueller Verweis ist und somit zum Index für Elses Gefühlswelt wird, denn „die Verbindung zwischen Zeichen und Objekt [muss] beim Index nicht immer natürlich sein [...], sondern sie [kann] auch künstlich oder bloß mental sein“1. Eperies ist die deutsche Bezeichnung für den slowakischen Ort Prešov. Anscheinend kommt der Jude Dorsday aus dieser Gegend, was durch Elses Gedanken Ich werde mit Herrn Dorsday aus Eperies sprechen (334) nahe gelegt wird. Entscheidender ist Elses Verweis auf einen Vicomte, der auch schon in einem anderen bedeutenden Roman eine Rolle spielte: In Gustave Flauberts Madame Bovary. Im achten Kapitel des Buches wird Emma Bovary von einem Vicomte zum Walzertanz aufgefordert – ein Augenblick, den die Protagonistin mit Freiheit, Leidenschaft und Glück gleichsetzt und fortan in ihrem Leben immer wieder suchen wird. „Einmal, als das Paar dicht an einer der Türen vorbeitanzte, wickelte sich Emmas Schleppe um das Bein ihres Tänzers. Sie fühlten sich beide und blickten einander in die Augen. Ein Schwindel ergriff Emma.“ (Madame Bovary, 70)2 Immer wieder muss Emma an den Vicomte, an ihr Gefühl in diesem Augenblick denken. Einige Male vermutet sie ihn zu sehen, aber er bleibt eine reine Vorstellung, generiert aus der Erinnerung. ‚Wer war das doch?‘ fragte sie sich. Er kam ihr bekannt vor. Das Gefährt fuhr im Trabe fort und war bald verschwunden. ‚Aber das war doch der Vicomte!‘ Emma wandte sich um, aber die Straße war leer. Sie fühlte sich so niedergeschlagen, so traurig, daß sie sich an die Wand eines Hauses lehnen mußte, um nicht umzusinken. Sie grübelte darüber nach, ob es wirklich der Vicomte gewesen war. Vielleicht, vielleicht auch
1
Nöth (2000), 185.
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Flaubert (1952).
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nicht! Was lag daran! Sie war eine Verlassene, vor sich selber und vor anderen! Eine Verlorene, vom Geratewohl gegen die Klippen des Lebens getrieben ... (Madame Bovary, 360)
Hier wird deutlich, dass beide Figuren – Emma und Else – ähnliche Gefühle haben.3 Auch in den Biografien der Figuren finden sich Parallelen. Emma Bovary bietet sich für Geld an, um aus einer finanziellen Notlage gerettet zu werden. Und auch Emma Bovary wählt den Freitod: Sie vergiftet sich mit Arsen. Beide Figuren scheitern als isolierte und unverstandene Frauen an der Gesellschaft. Dass Else jedoch ausgerechnet Dorsday, der ihr zuwider ist, als Vicomte tituliert, verwirrt allerdings. Schließlich trauert Emma Bovary ihrem Vicomte sentimental nach. Man könnte den Verweis auf den Vicomte hier allerdings weniger in Hinblick auf eine unerfüllte Liebesbeziehung als eher auf das Schicksal von Emma Bovary interpretieren. Zudem darf nicht außer Acht gelassen werden, dass ein Vicomte über viel Geld verfügt und auch diesbezüglich eine Assoziation der Protagonistin möglich ist. Weiterhin fragt Winko, welchen textinternen Instanzen die Emotionen zugeordnet werden. Nach den Analysekriterien von Genette zusammengefasst: In dem hier ausgewählten Textbeispiel handelt es sich um einen dramatischen Modus ohne Distanz, um eine interne Fokalisierung, bei der die Stellung des Sprechers zum Dargestellten autodiegetisch ist. In Elses innerem Monolog wird die Distanz zur erlebenden Figur auf Null reduziert, die Präsenz einer vermittelnden narrativen Instanz wird scheinbar vollkommen ausgeschaltet. Auch die Erzählzeit und die erzählte Zeit decken sich. Bei Fräulein Else gibt es kaum Dissonanzen zwischen der Chronologie der Geschichte und der Chronologie der Erzählung, da ja die gesamte Monolognovelle die Gedanken im Jetzt der Protagonistin evoziert. Analepsen, wie sie in der Novelle vorkommen, finden sich in dem hier ausgewählten Textauszug nicht. Winko schlägt für die umfassende Analyse von Emotionen vor, auch historisches Kontextwissen in die Untersuchung mit einzubeziehen. Vor allem das Veronal, ein Schlafmittel, welches heutzutage kaum noch bekannt ist, ist hier zu nennen. Des Weiteren kann Kontextwissen zur Psychoanalyse und Traumdeutung von Nutzen sein. Auch die gesellschaftliche Rolle der Frau in der damaligen Zeit kann Elses verzweifeltes Handeln aus heutiger Sicht plausibler machen.
3
Else denkt an anderer Stelle im Text: Ich bin ja ganz allein. Ich bin ja so furchtbar allein, wie es sich niemand vorstellen kann. Sei gegrüßt mein Geliebter. Wer? Sei gegrüßt mein Bräutigam! Wer? Sei gegrüßt mein Freund! Wer? (336)
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Schnitzler vermag es in dem hier gewählten Textauszug von wenigen Buchseiten, figurative Innenwahrnehmungen zum einen explizit, zum anderen aber auch implizit zu beschreiben und auszudrücken. Wird das auch in den Filmen möglich sein? Der Vergleich mit dem Stummfilm Fräulein Else (D 1929) Die dem eben zitierten Textausschnitt entsprechende Szene findet sich im Stummfilm von TC 1.14.54 bis 1.22.42 (Sequenz 13, vgl. Einstellungsanalyse im Anhang). Zu Beginn steht die Kamera in Elses Zimmer. Auch hier ist es dunkel. Die Tür geht auf, Else tritt ein und schaltet das Licht an, ähnlich wie in Schnitzlers Text. Else kommt gerade von dem Gespräch mit Dorsday, sie hat das Telegramm ihrer Mutter noch nicht erhalten. Immer noch verstört von Dorsdays Forderung lehnt sich Else an ihren großen Spiegel und schaut sich an. Es scheint, als würde sie mit ihrem Spiegelbild gedanklich Zwiesprache halten. Nur ein Jahr nach Fertigstellung des Films wird Balasz das Spiegelbild als Möglichkeit der Visualisierung von Emotionen als „sichtbaren Monolog“ auch theoretisch reflektieren. „Und was sich auch in der Seele spiegeln mag, hat die Substanz, den Charakter der Seele. Nicht Dinge und nicht Gestalten erscheinen in solchen Bildern. Der Spiegel selbst ist es letzten Endes, der in ihnen erscheint. Die Psyche wird mit ihren Eindrücken ausgedrückt [...]. [A]us den eigenlebigen Bildern werden wieder Abbilder, die ein bildjenseitiges Objekt meinen. Es werden wieder Tatsachen dargestellt. Bloß nicht Tatsachen der Außenwelt, sondern Tatsachen des Inneren, der Psyche.“4
Fräulein Else (D 1929), TC 1.15.40
4
Balázs (2001a), 89.
Fräulein Else (D 1929), TC 1.15.53
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Fräulein Else (D 1929), TC 1.16.04 Elses innerer Monolog als Zwischentitel
Fräulein Else (D 1929), TC 1.16.07 Else schaut sich erstaunt an.
Neben Elses Nahaufnahme und dem hypnotischen Blick in ihre eigenen Augen, wird an dieser Stelle auch ein Zwischentitel eingeblendet: Nein, nein, Herr von Dorsday! (TC 1.16.04) denkt Else für sich. Dieser Zwischentitel visualisiert Elses Gedanken, ihre Lippen bewegen sich nicht. Auch im Schnitzler-Text steht Else einige Male ihrem Spiegelbild gegenüber. Schön, schön bin ich! Schau mich an, Nacht! Berge schaut mich an! Himmel schau’ mich an, wie schön ich bin. [...] Ah, wie hübsch ist es, so nackt im Zimmer auf- und abzuspazieren. Bin ich wirklich so schön wie im Spiegel? Ach, kommen Sie doch näher, schönes Fräulein. Ich will Ihre blutroten Lippen küssen. Ich will ihre Brüste an meine Brüste pressen. Wie schade, daß das Glas zwischen uns ist, das kalte Glas. Wie gut würden wir uns miteinander vertragen. Nicht wahr? Wir brauchten gar niemand anderen. Es gibt vielleicht gar keine andern Menschen. (365) Laß dir noch einmal in die Augen sehen, schöne Else. Was du für Riesenaugen hast, wenn man näher kommt. Ich wollte, es küsste mich einer auf meine Augen, auf meinen blutroten Mund. (366) Leb’ wohl, mein heißgeliebtes Spiegelbild. Wie du im Dunkel leuchtest. (367)
Hier zeigt sich, dass der Grund von Elses Selbstbespiegelung ein anderer ist: Schnitzlers Else bewundert ihre Schönheit, ist selbstverliebt. Czinners Else schaut nicht wegen ihrer schönen Augen und Lippen in den Spiegel, „sondern eher aus verzweifelter Selbstbefragung“5. Hier wirkt das Betrachten im Spiegel hilfesuchend, erschrocken und zerbrechlich. Beide Figuren wollen sich mittels
5
Polt-Heinzl (2010), 203.
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ihres Spiegelbilds nahe sein und können sich mit keinem anderen austauschen. „Der Kontaktverlust zur Gemeinschaft äußert sich in der Selbstbespiegelung.“6 Die Else im Film fasst nach ihrer Selbstbetrachtung Mut, fängt an ihren Koffer zu packen und fragt an der Rezeption nach dem nächsten Zug nach Wien. Ihre jugendliche Leichtigkeit kehrt zurück. Wenige Augenblicke später wird ihr das Telegramm gebracht. Die Bergner hat nun vier Minuten Zeit, dieses zu lesen und mit Mimik und Gestik darauf zu reagieren. Immer wieder, durch Zwischentitel oder Schnitte unterbrochen, fängt die Kamera Else in verschiedenen Einstellungsgrößen ein: Else liest fassungslos das Telegramm; sie schaut erschüttert auf den Text; sie sitzt an einem Tisch und starrt vor sich hin, sie zittert, schluchzt, sackt zusammen und weint.
Fräulein Else (D 1929), TC 1.18.07 Else liest fassungslos das Telegramm
Fräulein Else (D 1929), TC 1.18.09
Fräulein Else (D 1929), TC 1.18.19 Else sitzt an einem Tisch, zittert, schluchzt und sackt zusammen. Sie legt den Kopf auf den Tisch
Fräulein Else (D 1929), TC 1.19.47 Else sitzt immer noch weinend an dem Tisch in ihrem Zimmer. Das Telegramm der Mutter liegt vor ihr. Sie weint, schluchzt und zittert.
6
Diersch (1977), 88.
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Der Schwerpunkt der Filmhandlung liegt hier eindeutig auf Elses emotionaler Reaktion auf das Telegramm. Die Visualisierung der Innenwahrnehmungen wird hier vor allem durch die Schauspielkunst von Elisabeth Bergner realisiert. Großund Nahaufnahmen (vgl. Anhang) von Elses Gesicht verweisen auf ihr Inneres. Czinner schließt nun einen Point-of-View-Shot an, der suggeriert, dass das Geschehen aus der subjektiven Wahrnehmung der Figur abgebildet wird.
Fräulein Else (D 1929), TC 1.21.16. POV-Shot Else Nahaufnahme, sie blickt von oben auf etwas.
Fräulein Else (D 1929), TC 1.21.27 POV-Shot Elses Blick von oben auf das Röhrchen Veronal in der Schreibtischschublade.
Elses Blick auf das Veronal impliziert so ihren Suizid, welcher dem Zuschauer nun, nach ihrem melodramatischen vierminütigen Gefühlsausbruch in Reaktion auf das Telegramm, tatsächlich als eine logische Konsequenz erscheint. Die nächsten Bilder vermitteln entsprechend, dass die Protagonistin alle Tabletten genommen hat. Ihr Abstieg kann beginnen. Der Vergleich mit Mademoiselle Else/Fräulein Else (2002) Die entsprechende Szene zum Textauszug, der am Beginn dieses Kapitels aus Schnitzlers Novelle zitiert wurde, findet sich in der Verfilmung von 2002 bei TC 1.05.21 bis TC 1.10.50 (Sequenz 10, vgl. Einstellungsanalyse im Anhang). Die Sequenz beginnt ungewöhnlich und folgt nicht Schnitzlers Plot: Else liegt in der Badewanne ihres Hotelzimmers und hat (wie in einer vorangegangenen Vision, vgl. Anhang) Kopf und Körper unter Wasser. Es klopft an der Tür und Else taucht auf. Hotelpage Edgar tritt ein und schaut neugierig ins Badezimmer, Else versteckt sich hinter dem Wannenrand. Genauso voyeuristisch wie der Page ist auch die Kamera: Sie lugt durch den Spalt der offnen Badezimmertür. Der Hotelpage, der sich erfolglos einen Blick auf die nackte Else erhofft, legt das Telegramm auf den Tisch und geht wieder.
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Man hört Elses Stimme aus dem Off: „Alle wollen mich heute nackt sehen.“ Dabei findet sich auch in Schnitzlers Text eine entsprechende Passage: „Nackt willst du mich sehen? Das möchte mancher. Ich bin schön, wenn ich nackt bin.“ (Schnitzler: Fräulein Else, 346), denkt Else über Dorsday. Else steigt aus der Wanne und bindet sich ein blaues Handtuch um. Wie bereits erläutert, ist die Farbe blau codiert und wird von der Protagonistin selbst zuvor mit Gnade in Verbindung gebracht („Bei Blau wirst du hoffentlich mehr Gnade finden, Paul. Adieu.“ [Schnitzler: Fräulein Else, 324]). Aus diesem Grund liegt es nahe, dass auch hier das Blau als die Farbe Marias und mit der Suche nach Erfüllung, Sehnsucht und Hoffnung konnotiert ist. Während Else aus dem Badezimmer kommt und das Telegramm liest, fokussiert die Kamera mit einer Detailaufnahme ein leeres Glas, welches auf Elses Tisch steht. Wie bereits dargelegt, sind herabfallende und zerbrechende Gläser in diesem Film ein Index für Elses Scheitern.
Fräulein Else (F/Ö/D 2002), TC 1.06.07
Das erneute ausgedehnte Verweilen der Kamera auf diesem Detail (bereits schon bei TC 0.41.48) konkretisiert das, was die bereits mehrfach gezeigte Sequenz eines zerbrechenden Glases visualisiert und prophezeit. Diese Einstellung verbindet das Glas mit seiner Besitzerin und greift letztendlich auch auf das Filmende vor: Diese Botschaft, dieses Telegramm wird Else zerstören. Der Index manifestiert sich und erhält eine Bedeutung. Else lässt nun das Telegramm fallen. Die Kamera schwenkt erst jetzt auf Elses leeren, verzweifelten Gesichtsausdruck. Die Protagonistin geht zum Spiegel und schaut ratlos hinein. Die nun folgende Vision ist wieder als POV-Shot reali-
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siert und beginnt mit einem Zoom7 auf den Spiegel, der als Überblendung in die Vision übergeht. Parallel dazu wird Musik eingespielt.
Fräulein Else (F/Ö/D 2002), TC 1.06.48
Fräulein Else (F/Ö/D 2002), TC 1.06.51
Erneut wird der Eindruck erzeugt, die Kamera fahre direkt in Elses Gedanken. Auch die nun folgende Vision ist zu Beginn wieder vom Spiegelrahmen eingeschlossen. Erst nach einigen Sekunden entfaltet sich das ganze Szenario: Else befindet sich im Gefängnis und besucht ihren Vater. Das Licht ist herabgesetzt, das Schwarz verschluckt fast die Figuren. Die scharfen Schatten der Gitterstäbe lassen das Gefängnis bedrohlich und trostlos erscheinen. Auch innerhalb der Vision herrschen POV-Einstellungen vor: Erst wird die Protagonistin gezeigt und dann das, was sie erblickt. Im entsprechenden Textauszug aus Schnitzlers Novelle (s.o.) reflektiert Else jedoch nicht über ihren Vater im Gefängnis. Allerdings tut sie das an anderen Stellen im Text. Und der Papa soll eingesperrt werden. Nein. Nie und nimmer. Es darf nicht sein. Ich werde ihn retten. Ja, Papa, ich werde dich retten. Es ist ja ganz einfach. (332) Die Kinder des Sträflings! Roman von Temme in drei Bänden. Der Papa empfängt uns im gestreiften Sträflingsanzug. (350)
In der filmischen Umsetzung der Vision entschuldigt Else sich bei ihrem Vater, dass sie es nicht geschafft hat, Dorsday zur Bürgschaft zu überreden. Der Vater bleibt stumm. Im Verlauf von Elses Vision kommt es zu einem Handkuss, der, wie bereits dargelegt, als Indiz für den Inzest interpretiert werden kann. Doch hier küsst nicht Elses Vater die Hand seiner Tochter wie in Schnitzlers Novelle
7
Nach Bentele (1981), 55f. kann hier von einer referentiellen Verwendung des Zooms gesprochen werden.
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(„Küss’ mir doch nicht die Hand. Ich bin ja dein Kind, Papa.“ [381]), sondern die Protagonistin küsst die Hand ihres Vaters.
Fräulein Else (F/Ö/D 2002), TC 1.07.44 Fräulein Else (F/Ö/D 2002), TC 1.07.47 Handkuss Kameraperspektive: Over-the-shoulderShot (nach Branigan [1984], 103f.), der als Visualisierungsstrategie für die inneren Wahrnehmungen von Figuren eingesetzt wird.
Es zeigt sich an dieser Stelle, dass zwischen Vater und Tochter ein sehr inniges Verhältnis besteht, was in der filmischen Umsetzung nicht durch einen Missbrauch belastet zu sein scheint. Es herrscht eher eine ödipale Vater-Fixierung vor. Elses Hinwendung zu ihrem Vater macht ihre Motivation, auf Dorsdays Bedingung einzugehen und sich nackt zu zeigen, für die Filmhandlung plausibel. Ihre Liebe zum Vater treibt sie in den Tod. Diese visualisierte Vision hat demnach die Aufgabe, die Motivation der Protagonistin für den Zuschauer nachvollziehbar zu machen. Dafür spricht auch, dass bei der nun folgenden Überblendung von Elses Vision in die Realität ihres Hotelzimmers für Sekunden übergroß der Kopf ihres Vaters verschmolzen mit ihrem Spiegelbild erscheint.
Fräulein Else (F/Ö/D 2002), TC 1.07.51
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Der mahnende und todtraurige Blick ihres Vaters brennt sich in Elses Bild hinein. Im weiteren Verlauf verbindet Boutron mittels Parallelmontagen die Handlung in Elses Zimmer und im Hotel. Er zeigt, was sich zeitgleich im Dinnerraum abspielt: Elses Tante, Cousin Paul und Cissy sitzen scherzend am Tisch. Tante Emma gibt unmissverständlich zu verstehen, was sie von ihrer Nichte hält: „Sie ist im Kopf nicht ganz normal.“ (TC 1.08.17) Davon lassen sich die drei aber nicht den Abend verderben, sie scherzen weiter, während Else in ihrem Zimmer einen Entschluss fasst: Sie stellt sich Veronal bereit und schreibt einen Brief an Dorsday. Dass ihr Selbstmord als logische Konsequenz erscheint, wird letztendlich auch durch die Gefängnisvision plausibel. In dieser spielen Musik und Geräusche eine übergeordnete Rolle bei der Vermittlung von Innenwahrnehmungen. In der hier näher untersuchten Sequenz setzt erst Musik ein, nachdem Else das Telegramm ihrer Mutter gelesen hat. Das hier so benannte Musikthema „Vision Else“, ein Streicherdreiklang, setzt leise ein, während Else zum Spiegel geht (TC 1.06.44). Als die Protagonistin dann vor dem Spiegel steht, wird die Musik lauter. Der Kamerazoom auf ihr Spiegelbild wird mit einem langgezogenen Basston und einem Rauschen auch auditiv vollzogen. Das Öffnen der Gittertüren in Elses Vision wird von einem lauten Quietschen – einer deutlichen Reminiszenz an das Genre des Horrorfilms – unterlegt, so dass Spannung erzeugt wird. Die Streicher werden nun immer lauter und der Rhythmus schneller, was die Stimmung dramatisiert. Die Schritte von Elses Vater in der Vision werden mit Kettenrasseln unterlegt, was auch akustisch eine Zuchthausatmosphäre schafft. Die Streichermusik schwillt an und wieder ab. Die Musik wechselt nach Moll, vereinzelte Klaviertöne kommen hinzu. Auch der Übergang von der Vision zurück zum Spiegelbild in Elses Hotelzimmer ist laut vom Streicherdreiklang unterlegt. Else atmet noch drei Mal schwer, dann verstummt die Musik. Erst einige Augenblicke später, als Else sich an den Tisch setzt, um einen Brief an Dorsday zu schreiben, erklingen wieder einzelne Klaviertöne (TC 1.10.04), Streicher kommen hinzu und die Musik wird etwas lauter. Else gießt Wasser in ein Glas. Erst jetzt erkennt man das Musikthema „Else“, welches an dieser Stelle in einer Moll-Variation eingespielt wird. Else legt das Fläschchen Veronal in ihre Nachttischschublade und schreibt den Brief weiter, dann verlässt sie als ‚Jungfrau Maria‘ das Zimmer und schreitet hinab zu Dorsday.
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Wie sich deutlich zeigte, findet in beiden Verfilmungen ein Medienwechsel von figurativen Innenwahrnehmungen statt. In den hier gewählten Beispielen mit Hilfe von kinematographischen Techniken wie Kameraarbeit (Kamerastandort, Zoom), Einstellungsgrößen (Nah- und Detailaufnahmen), POV-Shots und Overthe-shoulder-Shots, Montage (Überblendung) und mise-en-scène. Auch die Verweildauer der Kamera auf einem bestimmten Objekt kann Innenwahrnehmungen visualisieren. Durch auditive Mittel wie die Stimme aus dem Off, Geräusche und Musik sowie Zwischentiteln im Stummfilm werden Innenwahrnehmungen zudem konkret hör- und lesbar. Durch schauspielerische Darstellung mittels Mimik und Pantomimik werden Gefühlte erfahrbar. Inhaltlich können Indices (hier zum Beispiel ein leeres Glas) und Farbcodes, aber auch Handlung, etwa der Blick in einen Spiegel, Innenwahrnehmungen visualisieren.
Schnitzlers Traumnovelle (1925/26)
In diesem Kapitel soll der zweite Text, der für diese Arbeit ausgewählt wurde, umfassend analysiert werden. Auch bei dieser Textanalyse stehen die Darstellung, Gestaltung und der Inhalt der figurativen Innenwahrnehmungen im Mittelpunkt. Hinzu kommen die Analyse und Interpretation von verwendeten Farbcodes, von Spiegelungen, Parallelen, Träumen und Licht. Die Ergebnisse bilden die Grundlage für einen Vergleich mit zwei ausgewählten Verfilmungen: dem österreichischen Fernsehfilm Traumnovelle (Glück, Ö 1969) und dem Kinospielfilm Eyes Wide Shut (Kubrick, GB/USA 1999). Träume hatten in Schnitzlers Leben einen hohen Stellenwert. Er notierte seine eigenen Träume regelmäßig im Tagebuch. Ab 1891 entstanden vermehrt Traumaufzeichnungen, die bis zu seinem Lebensende (1931) immer zahlreicher wurden. Auch in seinen Werken nehmen Träume einen großen Platz ein, sie werden ausführlich wiedergegeben und stehen an zentralen Stellen der Texte (z.B. in: Frühlingsnacht im Seziersaal 1880, Der Weg ins Freie 1905-07, Casanovas Heimfahrt 1918, Traumnovelle 1925, Im Spiel der Sommerlüfte 1929, Flucht in die Finsternis 1931). Im Spätwerk Arthur Schnitzlers gibt es kaum eine Erzählung, in der nicht ein Traum thematisiert und mittels dessen eine Figur charakterisiert wird. Dass sich die Traumelemente häufig wie ein Puzzle aus Rahmenhandlung, Biografie und ‚Tagesresten‘ (Freud) der Figur zusammensetzen, wird sich auch bei der Analyse der Traumnovelle herausstellen. In Schnitzlers Texten haben „die Traumbilder [...] eher einen verdeutlichenden als einen verschleiernden Charakter“1.
1
Hinck (1986), 124.
196 | V ERFILMTE GEFÜHLE Bei den Schlagworten ‚Schnitzler‘, ‚Wien der Jahrhundertwende‘, ‚Traumnovelle‘ drängt sich die Frage auf: Gibt es eine Verbindung zu Freuds Traumdeutung2? Tatsächlich war Schnitzler Freuds Theorie bekannt, er las das Buch bereits kurz nach seiner Veröffentlichung im Frühjahr 1900.3 Darin beschreibt Freud unter anderem, dass der Traum ohne Bedeutung für die Zukunft sei und somit auch keine heilende Funktion im Prozess psychischer Konfliktbewältigung habe. Vielmehr enthalte der Traum vor allem Erfahrungen aus der Kindheit, auch Kindheitstraumata. Inhalte des Traumes sind laut Freud somit psychische Inhalte des Träumenden, die aktiv (im Wachzustand) das Bewusstsein nicht erreichen. Im Traum werden nun diese Inhalte des Unbewussten mit den Erlebnissen der vorherigen Tage (den sogenannten Tagesresten) und Eindrücken aus dem Langzeitgedächtnis vermischt. Der Trauminhalt wirkt oft verdichtet oder komplex und ohne linearen Zeitverlauf. Das führt dazu, dass sich der Sinn eines Traumes erst mittels einer Analyse erschließen lässt.
2
Nicht nur Freytag stellt fest, dass „Arthur Schnitzlers Traumnovelle [...] bereits im Titel eine Auseinandersetzung mit Freuds Traumdeutung (1900) an[zeigt]“. (Freytag [2008], 99.)
3
Vgl. die Tagebuchaufzeichnung von Schnitzler vom 26.3.1900: „Traum, daß ich in Uniform mit Civilhosen (wie Im Traumdeutungs Buch von Freud gelesen)...“. (Schnitzler: Tagebuch 1893–1902 [1995], 325) Arthur Schnitzler und Sigmund Freud lebten beinahe ihr ganzes Leben in Wien, stammen beide aus jüdischen Elternhäusern und studierten Medizin. Vor allem die Hypnose, die den Zugang zum Unbewussten der Patienten zu versprechen schien, erweckte bei Freud und Schnitzler großes Interesse. Obwohl beide beinahe ihr Leben in örtlicher Nähe verbrachten, kam ein persönlicher Kontakt erst spät zustande. Freud schrieb am 14. Mai 1922 an Schnitzler (zu dessen 60. Geburtstag): „Ich will Ihnen [...] ein Geständnis ablegen, welches Sie gütigst aus Rücksicht für mich für sich behalten [...]. Ich habe mich mit der Frage gequält, warum ich eigentlich in all diesen Jahren nie den Versuch gemacht habe, Ihren Verkehr aufzusuchen und ein Gespräch mit Ihnen zu führen. [...] Die Antwort auf diese Frage enthält das mir zu intim erscheinende Geständnis. Ich meine, ich habe Sie gemieden aus einer Art von Doppelgängerscheu. [...] Ihr Ergriffensein von den Wahrheiten des Unbewußten, von der Triebnatur des Menschen, Ihre Zersetzung der kulturell-konventionellen Sicherheiten, das Haften Ihrer Gedanken an der Polarität von Lieben und Sterben, das alles berührte mich mit einer unheimlichen Vertrautheit.“ (Freud [1960], 339)
S CHNITZLERS T RAUMNOVELLE
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Schnitzlers Überlegungen zu Träumen unterscheiden sich an einigen Stellen von Freuds Theorien4, was sich auch in der Handlung der Traumnovelle widerspiegelt: Von Albertines Traum und Fridolins traumähnlichen Nachterlebnissen hängt ganz erheblich die Zukunft des Ehepaares ab. Durch die Reflexion beider Erlebnisse (durch Albertine) vollzieht sich eine Konfliktbewältigung, die Beziehung der Eheleute kann neu strukturiert werden. Außerdem ist Albertines Trauminhalt auf vielschichtige und nuancierte Art und Weise mit Fridolins nächtlichen Unternehmungen verbunden. Nicht nur in der Traumnovelle, sondern auch in Schnitzlers wissenschaftlichen Schriften über die Psychoanalyse spielt der Traum eine wichtige Rolle. Hierzu hat Schnitzler die Begriffe des Halb- bzw. Mittelbewusstseins (Tagträume und Assoziationen) geprägt. So schrieb er 1926: „Eine Einteilung in Bewußtsein, Mittelbewußtsein und Unterbewußtsein käme den wissenschaftlichen Tatsachen näher. [... Das Mittelbewußtsein] ist das ungeheuerste Gebiet des Seelen- und Geisteslebens; von da aus steigen die Elemente ununterbrochen ins Bewußte auf oder sinken ins Unbewußte hinab. Das Mittelbewußtsein steht ununterbrochen zur Verfügung. Auf seine Fülle, seine Reaktionsfähigkeit kommt es vor allem an. [...] Das Mittelbewußtsein verhält sich zum Unterbewußtsein wie der Schlummer zum Scheintod. [...] Die Psychoanalyse wirkt viel
4
Grundlage für Freuds Überlegungen ist sein Modell des psychischen Apparates des Menschen. In der ersten Fassung der Traumdeutung konstituiert sich dieser aus verschiedenen Instanzen: Das Unbewusste beinhaltet die meist sexuellen Wünsche und existiert bereits im Säuglingsstadium. Im Kindesalter entwickeln sich zusätzlich das Vorbewusste und das Bewusstsein, nachdem die moralischen Wertvorstellungen und sozialen Normen der Eltern übernommen worden sind. Da die infantilen Wünsche zumeist nicht mit den gesellschaftlichen Sitten in Einklang gebracht werden können, werden sie durch eine Kontrollinstanz am Einzug in das Bewusstsein gehindert. Dabei ist „das Unbewußte [...] das eigentlich real Psychische“ (vgl. Freud [1961], 497). Schnitzler ist allerdings der Auffassung, dass der Psychoanalytiker nicht mehr über das Unterbewusstsein weiß als der Patient: „Die Psychoanalyse benützt Tatsachen der Volkskunde, der Urgeschichte, der Mythe, manchmal in vollkommen willkürlicher Weise.“ (Schnitzler [1976], 283) Interessant ist auch Schnitzlers Namensverweis in der Traumnovelle: Dort trifft der Protagonist Fridolin auf Dr. Adler, der auch im realen Wien praktizierte. Auch für den realen Adler galt der Traum nicht als Wunscherfüllung im Sinne der infantilen Sexualität, sondern vielmehr als Auseinandersetzung des Träumers mit seinen Lebensproblemen und als Hilfsmittel für deren Überwindung.
198 | V ERFILMTE GEFÜHLE öfter auf das Mittelbewußtsein als (wie sie glaubt) auf das Unterbewußtsein. Manches, vielleicht das Meiste, was sie in das Unterbewußtsein verlegt, ist im Mittelbewußtsein zu suchen.“5
Schnitzler entwickelte den Begriff des Mittelbewusstseins im zeitlichen Zusammenhang zur Entstehung der Traumnovelle. Laut Aurnhammer/Marquart bilden Fridolins Erlebnisse „in ihrer projektiven Überformung das Mittelbewusstsein des Protagonisten ab“6, da sie nicht klar zu Traum oder Realität zugeordnet werden können. Der Titel Traumnovelle verweist „[a]uf das Spannungsverhältnis von psychologischer Wirklichkeit und ästhetischer Form“7. Tatsächlich findet im Text ununterbrochen ein Wechsel von Handlungen und Imaginationen statt, die Ereignisabfolgen ähneln einer Traumlogik, es wiederholen sich Motive und Symbole. Zudem mischen sich subjektive und verklärt-impulsive Eindrücke der Figuren mit den (innerfiktionalen) Begebenheiten einer Nacht. Unterstrichen wird diese surreale Stimmung durch einen personalen Erzähler, der ausschließlich aus der Fridolin-Perspektive berichtet und die Ereignisse nicht wertet. Auch die Figur Fridolin ist sich nicht immer sicher, was Realität und was Traum ist. Lag er in diesem Augenblick nicht daheim zu Bett – und all das, was er erlebt zu haben glaubte, waren nichts als Delirien gewesen?! Fridolin riß die Augen so weit auf als möglich, strich sich über Stirn und Wange, fühlte 8
nach seinem Puls. Kaum beschleunigt. Alles in Ordnung. Er war völlig wach. (473f.)
Die Traumnovelle thematisiert das Entdecken und Artikulieren von verborgenen Lebensträumen und bisher geheimen (sexuellen) Fantasien, die im alltäglichen Eheleben von Fridolin und Albertine bislang unausgesprochen waren.
5
Schnitzler (1976), 283.
6
Aurnhammer/Marquart (2010), 20.
7
Scheffel (1998), 136.
8
Ich zitiere nach der Ausgabe: Arthur Schnitzler, Gesammelte Werke. Die Erzählenden Schriften. Bd. 2. Frankfurt am Main: S. Fischer, 1961. S. 434–504. Dabei wird die Seitenzahl in Klammern hinter dem Zitat aufgeführt und das Zitat nicht noch einmal zusätzlich mit Anführungszeichen versehen. Alle verwendeten Anführungszeichen stammen aus dem Originaltext Traumnovelle.
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Die Bewältigung dieses entdeckten Verlangens wird erst mit einem gegenseitigen Entfremden und Wiederfinden möglich. Erst am Ende der Traumnovelle können sich Fridolin und Albertine als ‚erwacht‘ bezeichnen „Und kein Traum“, seufzte er leise, „ist völlig Traum.“ Sie nahm seinen Kopf in beide Hände und bettete ihn innig an ihre Brust. „Nun sind wir wohl erwacht“, sagt sie – „für lange.“ Für immer, wollte er hinzufügen, aber noch ehe er die Worte ausgesprochen, legte sie ihm einen Finger auf die Lippen und, wie vor sich hin, flüsterte sie: „Niemals in die Zukunft fragen.“ (503f.)
Das Ehepaar erkennt, dass das Unbewusste in ihrem Inneren und ihren Träumen ebenso eine große Rolle spielt wie das bisherige Bewusste in der Realität.
1. O RT , Z EIT
UND
AUFBAU
DES
T EXTES
Die Grundzüge der Handlung sind schnell umrissen: Die Traumnovelle zeichnet 34 Stunden im Leben des Wiener Ehepaares Fridolin und Albertine nach, aus Sicht von Fridolin. Im Mittelpunkt der Erzählung stehen das ungestillte erotische Verlangen von Fridolin und Albertine, dessen Eröffnung gegenüber dem Ehepartner, die daraus resultierende Entfremdung der beiden, ihr Wiederfinden und letztendlich die Konsequenz, die das Paar daraus zieht, nämlich trotz der geheimen Wünsche und der vielen Verlockungen zusammen zu bleiben. Auch in diesem Text findet man genaue Angaben über Ort und Zeit, man kann das Geschehen fast stundenweise verfolgen. Die Handlung beginnt „neun Uhr“ (434) abends, die Familie ist zu Hause, die Eheleute bringen ihre Tochter zu Bett, danach unterhalten sie sich. Doch aus dem leichten Geplauder [...] gerieten sie in ein ernsteres Gespräch über jene verborgenen, kaum geahnten Wünsche [...] von den geheimen Bezirken, nach denen sie kaum Sehnsucht verspürten und wohin der unfaßbare Wind des Schicksals sie doch einmal, und wär’s auch nur im Traum, verschlagen könnte. (435f.)
Beide hatten auf einer Redoute (Maskenball) am Vorabend die Möglichkeit gehabt, ihren Partner zu betrügen, doch beide hatten es nicht getan. Fridolin, weil er durch einen Zufall keine Gelegenheit dazu hatte, und Albertine, weil sie sich dagegen entschied. Beide erzählen sich diese Erlebnisse vom Maskenball, die keine sinnliche Verwirklichung beinhalten, sondern nur Möglichkeiten darstellten. Aber das Paar weiß nun: Jeder hat geheime Wünsche oder Sehnsüchte, von
200 | V ERFILMTE GEFÜHLE denen der andere bisher nichts wusste, und jeder kann in Versuchung geraten. „[Schnitzler] rückt nur den schmalen Grat des Wirklichen unerbittlich vor den ungeheuren und grenzenlosen Hintergrund des Möglichen.“9 Und damit kann vor allem Fridolin nicht umgehen. Albertine eröffnet nun ihrem Mann, dass sie ihn im vergangenen Sommer fast wegen eines Anderen verlassen hätte – für Fridolin ein Schock. Doch das gemeinsame Gespräch muss unterbrochen werden, da Fridolin (in seinem Beruf als Arzt) zu einem Patienten gerufen wird. Er verlässt das Haus, erschüttert von den Schilderungen seiner Frau, verärgert und verletzt. Fridolin erreicht die Wohnung des mittlerweile verstorbenen Patienten und trifft dort Marianne (die Tochter) an, die ihm ihre Liebe gesteht, was er nicht erwidern kann. Er verlässt das Haus, „von einer nahen Kirche schlug es elf“ (446). Auf dem Nachhauseweg (der nicht nach Hause führt) trifft der Protagonist die Hure Mizzi, geht mit auf ihr Zimmer, verlässt sie jedoch wieder, ohne mit ihr geschlafen zu haben, und geht in ein Kaffeehaus. Dort trifft Fridolin „um dreiviertel ein Uhr nachts“ (454) seinen alten Freund Nachtigall (einen Barpianisten), der ihm von dem Ball einer geheimen Gesellschaft erzählt, zu dem man nur maskiert und mit einem Passwort Zugang erhält. Sie verlassen beide um 1.00 Uhr das Kaffeehaus, um sich beim Kostümverleiher Gibiser wiederzutreffen. Fridolin fährt zum Maskenball („dort fängt es [...] um zwei an“ [455]), wird mit Nachtigalls Passwort eingelassen, von einer Maskierten gewarnt und dann doch als fremder Eindringling entdeckt. Er soll öffentlich entlarvt werden, was er strikt ablehnt. Eine maskierte Frau setzt sich für ihn ein, und Fridolin kann den Ball maskiert und unversehrt verlassen. Er wird von einem stummen Kutscher von der geheimen Gesellschaft weggefahren. Um 3.00 Uhr („Von der Turmuhr schlug es drei Uhr morgens“ [472]) kann Fridolin die Kutsche verlassen. „Es war vier Uhr morgens, als er die Treppe zu seiner Wohnung hinaufschritt.“ (474) Kaum ist er im ehelichen Schlafzimmer angekommen, erwacht Albertine mit einem schrillen Lachen aus einem Traum, den sie daraufhin Fridolin erzählt. „Das leise Klopfen des Dienstmädchens weckte ihn um sieben Uhr früh.“ (481) Fridolin ist nun den gesamten Tag unterwegs, um die Rätsel der Nacht aufzudecken, kehrt wiederum erst um 4.00 Uhr morgens nach Hause, beichtet nun seine Erlebnisse Albertine und schläft ein, „bis es wie jeden Morgen um sieben Uhr an die Zimmertür klopfte...“ (504).
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Schrimpf (1963), 179.
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Die Traumnovelle ist in sieben Abschnitte unterteilt. Die Handlung ist chronologisch aufgebaut, abgesehen vom ersten Abschnitt, der vier Analepsen10 beinhaltet. Bis zum fünften Abschnitt trifft Fridolin auf Figuren (eins: Albertine, zwei: Marianne, drei: Mizzi, vier: Nachtigall, Gibiser, Pierrette, fremde Warnerin, fünf: Albertine), die er im sechsten Abschnitt versucht, wiederzufinden oder zu treffen. Er durchläuft somit die Stationen der letzten Nacht fast in umgekehrter Reihenfolge. Die einzige ‚neue‘ Figur, die in diesem sechsten Abschnitt auftritt, ist Dr. Adler. In den Abschnitten eins, fünf und sieben begegnen sich Fridolin und Albertine und tauschen sich über das Vorgefallene aus. Im vierten Teil kommt es für Fridolin zum Höhepunkt seiner Erlebnisse, genauso wie im darauffolgenden fünften Abschnitt für Albertine, „so daß in diesem Doppelkern der Schwerpunkt der Novelle liegt.“11 Obwohl Albertine in den Abschnitten zwei bis vier nicht aktiv handelt, erlebt sie in derselben Zeit auch Abenteuer, nämlich in ihrem Traum. Diese ‚verlorengegangene‘ Zeit holt sie in einer Art Zeitraffer im fünften Abschnitt wieder durch ihre Traumerzählung auf. „Traumnovellen sind beide Episoden nach Struktur und Aufbau gleichermaßen: gesteuert von der Magie des Wünschens, gehorchen sie einer ähnlichen Dramaturgie, welche die Akteure durch die – lediglich unterschiedlich ausgefüllten – Abenteuer des Eros führt.“12 Am Anfang und am Ende der Novelle treffen sich Fridolin und Albertine (er ist ausgezogen, um sie wiederzufinden), ähnlich einer Kreisstruktur. Zudem beginnt und endet der Text mit Lautäußerungen der Tochter: Zu Beginn der Traumnovelle liest sie aus einem Märchen vor, und mit einem „hellen Kinderlachen von nebenan“ (504) beginnt der neue Tag am Ende des Textes. Auf das Dunkel vom Beginn des Textes folgt am Ende ein „sieghafter Lichtstrahl“ (504). Ähnlich wie bei Fräulein Else verzichtet Schnitzler auch in der Traumnovelle auf eine erzählerische Einführung. Der Leser gerät in medias res in einen Monolog, der eine Szene aus einer anderen, fremden Welt beschreibt. Die Tochter des Paares liest aus einem Märchenbuch vor:
10 Erlebnisse auf der Redoute am Vorabend, Ferienerlebnisse aus dem letzten Sommer, Fridolins Junggesellenzeit, Verlobungszeit von Fridolin und Albertine. 11 Rey (1968), 123. 12 Alt (2002), 347.
202 | V ERFILMTE GEFÜHLE „Vierundzwanzig braune Sklaven ruderten die prächtige Galeere, die den Prinzen Amgiad zu dem Palast des Kalifen bringen sollte. Der Prinz aber, in seinem Purpurmantel gehüllt, lag allein auf dem Verdeck unter dem dunkelblauen, sternbesäten Nachthimmel und sein Blick – “ (434)
Hier fallen dem Kind die Augen zu, und das orientalische Märchen endet vorerst. Der Name „Prinz Amgiad“, der in diesem Märchenauszug genannt wird, verweist auf „die Geschichte von Kamar ez-Zaman“13 aus den Erzählungen aus den Tausendundein Nächten, die Schehrezad dem König Schehrijar erzählt.14 Der König Kamar ez-Zaman hat zwei Söhne, el-Malik el Amschad und el-Malik el As’ad, die durch den Verrat ihrer Mütter von ihrem Vater aus dem Heimatland verstoßen werden und viele Abenteuer erleben, ehe sie nach Hause zurückkehren können. Aus den Namen el-Malik el Amschad und el-Malik el As’ad wurden in einer späteren französischen Übersetzung die Namen der Prinzen Amgiad und Assad. Dieses Amgiad-Assad-Motiv und die Erzählungen aus Tausendundein Nächten waren Schnitzler und auch seinem Freund Hofmannsthal gut bekannt. Schnitzler schreibt am 15.11. 1894 in sein Tagebuch: „Nm. Loris und Richard da; auch genachtmahlt. – Gespräch über das Amgiad Assad Motiv (Loris will Stück machen) [...]“15. Mit diesem Verweis auf die Geschichte von Prinz Amgiad gibt Schnitzler viele Hinweise auf den Inhalt der nun folgenden Geschichte: Nacht, Einsamkeit, Reise, Abenteuer (Entgrenzung des Alltäglichen), Träumen, seine Gedanken schweifen lassen und das Übertreten in eine andere, fremde Welt. Der Orient weckt Assoziationen von bunter, lockender und exotischer Ferne, die auch in den Phantasien des Ehepaares existieren. Auch Fridolin fühlt sich wegen eines ‚Verrates‘ seiner Frau Albertine außerstande, nach Hause zurückzukehren. Er muss ebenfalls etliche ‚märchenhafte‘ Abenteuer erleben, ehe er heimkehren kann. Neben diesen inhaltlichen und thematischen Übereinstimmungen zur Geschichte von Kamar ez - Zaman findet man in der gesamten Traumnovelle Passagen, die auf ein Märchen verweisen. Der Kostümverleiher Gibiser trägt „eine türkische Mütze mit einer Troddel“ (458). Auf dem geheimen Maskenball umfängt Fridolin „[e]in fremdartiger, schwüler Wohlgeruch, wie von südländi-
13 Die Erzählungen aus den Tausendundeinen Nächten (1970), 357ff. Somit verfügt auch dieser Schnitzler-Text über intermediale Bezüge bzw. thematisiert andere Medien. 14 Scheffel (1998), 125ff. 15 Schnitzler: Tagebuch 1893–1902 (1995), 100.
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schen Gärten“ (463). Pierrette gibt im vierten Abschnitt Fridolin den Hinweis, dass ihm das Kostüm des Prinzen gut stehen würde. Und auch in Albertines Traum werden Motive des orientalischen Märchens vom Anfang wieder aufgenommen. Neben dem Traumelement eines „türkischen Bazar[s]“ (478), sieht sie „Kostüme [...] opernhaft, prächtig, orientalisch“ (476). Weiterhin identifiziert sie sich und Fridolin mit einem Prinzenpaar: „Mit einem Male standest du davor, Galeerensklaven hatten dich hergerudert, ich sah sie eben im Dunkel verschwinden. Du warst sehr kostbar gekleidet, in Gold und Seide, hattest einen Dolch mit Silbergehänge an der Seite und hobst mich aus dem Fenster. Ich war jetzt auch herrlich angetan, wie eine Prinzessin [...].“ (476)
Das Erzählen einer Geschichte vor oder in einer Geschichte könnte man auch als durchgehendes Stilmittel des Textes sehen (ähnlich wie Schehrezad in den Erzählungen aus Tausendundein Nächten), denn Kernpunkt der Handlung ist das Austauschen und Reflektieren der Eheleute über Geschehnisse, also Geschichten oder Träume des anderen. Das Erzählen an sich hat also in der Traumnovelle eine wichtige Funktion, denn aus Erzähltem motiviert sich Handlung. Fridolins Antrieb im Text, etwas Verbotenes zu erleben, das Albertines Erlebnissen gleichkommt, ist eine Reaktion auf ihre erzählten ‚Geschichten‘. Wann bzw. in welchem zeitlichen Rahmen man die Handlung der Traumnovelle anlegen kann, ist nicht eindeutig festlegbar. Die Fachliteratur verweist auf das Wien der zwanziger Jahre16 oder das „Wien der Vorkriegszeit“17, dann ist die Novelle „in einer Niemalszeit angesiedelt, die zugleich vor und nach dem Ende der Doppelmonarchie liegt“18. Das erzählte Geschehen ist nur räumlich festlegbar. Man erfährt von Wien19, der Josefstadt und der Schreyvogelgasse20. Die Novelle spielt im Februar, kurz nach der Karnevalszeit.
16 Farese (1999), 266. 17 Rey (1968), 99. 18 Spiel (1991), 130. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war durch ambivalente Weltauffassungen gekennzeichnet: Während den positivistisch ausgerichteten Naturwissenschaften ein großes Vertrauen in Bezug auf die Wahrheitsfindung entgegengebracht wurde, dominierten in der Gesellschaft der Habsburger Monarchie traditionelle, festgefahrene moralische Werte. 19 Eine detaillierte Rekonstruktion der Topografien Wiens in der Traumnovelle macht Wolfgang Müller-Funk (2006), 215f.
204 | V ERFILMTE GEFÜHLE Der einzige Ort, an dem Fridolin und Albertine in der Traumnovelle zusammentreffen, ist die gemeinsame eheliche Wohnung in der Josefstadt, in der Nähe des Allgemeinen Krankenhauses. Alle anderen Orte und Räume, an denen sich das Ehepaar aufhält, wenn es nicht zusammen ist, stehen in Atmosphäre und Größe gegeneinander, spiegeln sich. Fridolins Räume sind dunkel, mystisch, morbide und vor allem geschlossen. Als er im zweiten Abschnitt zum Hofrat geht, muss er erst eine „schlecht beleuchtete gewundene Treppe“ (441) hinaufsteigen, kommt durch einen „unbeleuchteten Vorraum“ (441) in ein kleines Zimmer mit niedriger Decke und „kärglicher Beleuchtung“ (441). Auch das Zimmer von Mizzi ist klein, das Kaffeehaus ist „nicht besonders geräumig, mäßig beleuchtet“ (451). Das Magazin des Kostümverleihers ist in einem „engen, langgestreckten Gang[...], der sich rückwärts in Finsternis verlor“ (458). Die geheime Gesellschaft trifft sich in einem „dämmrigen, fast dunklen hohen Saal, der ringsum von schwarzer Seide umhangen war“ (463). Eine Kutsche mit geschlossenen und undurchsichtigen Fenstern bringt ihn von der geheimen Gesellschaft weg. Albertine hingegen befindet sich zu Beginn ihres Traumes in einem ganz hellen Zimmer, dann geht sie „einen Waldweg hin“ (476), befindet sich „sehr hoch im Gebirge in einer Art Lichtung“, über ihr „ein Sternenhimmel so blau und weit gespannt, wie er in Wirklichkeit gar nicht existiert“ (476). Dann ist sie auf einer blumenübersäten Wiese „licht und bunt, der Wald ringsum köstlich betaut, und über der Felswand zitterten Sonnenstrahlen [...] hingestreckt im Sonnenglanz“ (477), „es war eine weit, unendlich weithin gedehnte, blumenbunte Fläche, die sich nach allen Seiten in den Horizont verlor“ (478). Albertines Orte sind offen, hell, lichtüberflutet und strahlen eine positive Stimmung aus.
20 Auch hier kann man eine Referenz vermuten: Joseph Schreyvogel war österreichischer Autor und Übersetzer und lebte in Wien. Eines seiner übersetzen Werke ist Calderón de la Barcas Drama Das Leben ein Traum (1816). Tatsächlich gibt es in Wien eine Schreyvogelgasse.
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2. E RZÄHLPERSPEKTIVE ,
ERLEBTE
R EDE
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T RÄUME
Im Gegensatz zu Fräulein Else gibt es in der Traumnovelle einen personalen21 oder auch heterodiegetischen Erzähler22, der perspektivisch vom Standpunkt Fridolins aus erzählt (oft in der dritten Person) und größtenteils dessen Innenund Außenwelt fokalisiert. Es herrscht also eine personale Erzählsituation vor. Allerdings gilt das nicht zu Beginn des Textes: Die Erzählperspektive setzt im ersten Abschnitt mit dem Bericht eines auktorialen, allwissenden Erzählers ein, der Zusammenhänge mit vergangenen Ereignissen herstellt, diese kommentiert sowie Handlungen verschiedener Charaktere zur gleichen Zeit an unterschiedlichen Orten schildert. Bis hierher hatte die Kleine laut gelesen; jetzt, beinahe plötzlich, fielen ihr die Augen zu. Die Eltern sahen einander lächelnd an, Fridolin beugte sich zu ihr nieder, küßte sie auf das blonde Haar und klappte das Buch zu, das auf dem noch nicht abgeräumten Tische lag. Das Kind sah auf wie ertappt. (434)
Generell weiß dieser auktoriale Erzähler mehr als seine Figuren, er kennt deren Gedanken- und Gefühlswelt und sieht die Situation aus einer anderen Perspektive. Harmlose und doch lauernde Fragen, verschmitzte, doppeldeutige Antworten wechselten hin und her; keinem von beiden entging, daß der andere es an der letzten Aufrichtigkeit fehlen ließ, und so fühlten sich beide zu gelinder Rache aufgelegt. Sie übertrieben das Maß der Anziehung, das von ihren unbekannten Redoutenpartnern auf sie ausgestrahlt hätte, spotteten der eifersüchtigen Regungen, die der andere merken ließ, und leugneten ihre eigenen weg. (435)
Die auktoriale Erzählperspektive wird bis zum Ende der ersten Rückblende im ersten Abschnitt (Erlebnisse auf dem Maskenball am Vorabend) eingehalten. Dann ‚verschwindet‘ der auktoriale Erzähler hinter der Figur Fridolin. „Fast unmerklich geht so auch der objektive Erzählgestus zugunsten einer ‚internen Fokalisierung‘ verloren [...].“23 Ab dem Gespräch von Fridolin und Albertine (436f.) sowie in den folgenden Abschnitten zwei, drei, vier und sechs herrscht eine personale Erzählperspektive vor, welche von Fridolin bestimmt ist. Es wird
21 Vgl. Stanzel (1995), 109f. 22 Vgl. Martinez/Scheffel (2005), 81. 23 Aurnhammer/Marquart (2010), 46. Interne Fokalisierung nach Genette (1994), 121f.
206 | V ERFILMTE GEFÜHLE fast ausschließlich aus seiner Sicht erzählt. Dabei tritt Fridolin „nicht als Erzähler, sondern nur als Reflektorfigur in Erscheinung“24. Der Erzähler trifft keine Voraussagen oder hat Wissen darüber, was andernorts geschieht. Und: Der Leser erhält nur eingeschränkten Einblick in die Gefühls- und Gedankenwelt der anderen Figuren (Marianne, Mizzi, Nachtigall, Pierrette usw.). „Er [der Erzähler] adaptiert gleichsam die Einstellungen (das Wissen, die Emotionen usw.) der Figur und nimmt so weitgehend einen internen, figurenbezogenen Standpunkt (internal point of view) ein, der ihm allein eine Außensicht auf die anderen Figuren erlaubt.“25 Er dachte daran, daß er vor Jahren auch eine akademische Laufbahn angestrebt, daß er aber bei seiner Neigung zu einer behaglicheren Existenz sich am Ende für die praktische Ausübung seines Berufes entschieden hatte; – und plötzlich kam er sich dem vortrefflichen Doktor Roediger gegenüber als der Geringere vor. (443)
Erzähltechnisch wird die personale Erzählperspektive durch den Einsatz von erlebter Rede und punktuell vom inneren Monolog umgesetzt. Zusätzlich setzt Schnitzler auch direkte Rede ein. Bei der erlebten Rede gibt die Erzählinstanz „die Gehalte eines Figurenbewusstseins oder einer Figurenrede in der Sicht- und Ausdrucksweise der Figur [Fridolin] wieder“26. Diese Textpassagen sind – im Gegensatz zur direkten Rede – nicht mit Anführungszeichen gekennzeichnet. „Stehen Sie doch auf, Marianne“, sagte er leise, beugte sich zu ihr herab, richtete sie milde auf und dachte: natürlich ist auch Hysterie dabei. (444)
Die erlebte Rede wird mit Hilfe der 3. Person Singular, Indikativ Imperfekt markiert. Der Erzähler bleibt als Sprechinstanz erhalten. Des Weiteren finden sich oft explizite Ankündigungen von Gedanken wie zum Beispiel „dachte er“. Auch die Verwendung von deiktischen, d.h. verweisenden Zeit- und Raumadverbien wie „morgen“, „hier“ und „nun“, die sich auf den Standpunkt der Figur beziehen, sind unter die stilistischen Mittel der erlebten Rede zu subsumieren. „Dabei erweckt der Gebrauch von Zeitadverbien [...] die Illusion einer ge-
24 Scheffel (1998), 129. 25 Spörl (2007c), 579. 26 Spörl (2007a), 205.
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ringen Distanz zu der Figur und ihren Gefühlen“27, genauso wie der Gebrauch von emphatischen Ausrufen wie zum Beispiel „Ach!“. Des Weiteren finden sich auch kurze Textpassagen, die einen inneren Monolog von Fridolin wiedergeben (in Ich-Form und Präsens). Aber: Es findet sich kein Stream of Consciousness wie bei Fräulein Else, und die kurzen inneren Monologe werden immer wieder durch einen personalen Erzählereinschub unterbrochen. Soll ich mich mit einem betrunkenen Studenten herstellen, ich, ein Mann von fünfunddreißig Jahren, praktischer Arzt, verheiratet, Vater eines Kindes! – Kontrahage! Zeugen! Duell! Und am Ende wegen einer solchen dummen Rempelei einen Hieb in den Arm? Und für ein paar Wochen berufsunfähig? – Oder ein Auge heraus? – Oder gar Blutvergiftung? – Und in acht Tagen so weit wie der Herr in der Schreyvogelgasse unter der Bettdecke aus braunem Flanell! Feig? Drei Säbelmensuren hatte er ausgefochten, und auch zu einem Pistolenduell war er einmal bereit gewesen, und nicht auf seine Veranlassung war die Sache damals gütlich beigelegt worden. Und sein Beruf! Gefahren von allen Seiten und in jedem Augenblick – man vergaß nur immer wieder dran. (448)
Sehr oft überlagern sich in der Traumnovelle Erzählertext und Figurentext, die Übergänge sind fließend. Dadurch wirkt die Handlung stark subjektiviert. Der Rezipient wird vor die Frage gestellt: Ist das Geschilderte ‚real‘ (im Sinne von: Erlebt die Figur die Geschehnisse auf der innerfiktionalen Handlungsebene tatsächlich) oder sind die Erlebnisse von der Figur lediglich geträumt bzw. imaginiert? Denn in längeren Passagen der erlebten Rede lässt sich oft nicht mehr entscheiden, wer spricht: der Erzähler oder die Figur. „Durch diese eingeschränkte, subjektive Perspektive wird bereits der Eindruck der Unzuverlässigkeit des Erzählens hinsichtlich einer tatsächlich vorhandenen objektiven Wirklichkeit hervorgerufen.“28 Die Figurenrede wird nahtlos in den Erzählerbericht eingewoben. Auffällig ist auch, dass Schnitzler in seinem Text häufig die Wörter „mechanisch“, „unwillkürlich“ oder „magisch“ verwendet29. Er trat an das Kopfende des Bettes, berührte mechanisch die Stirn des Toten, dessen Arme [...]. (441) Unwillkürlich legte er seine Hand auf ihren Scheitel und strich ihr über die Stirn. (444)
27 Martinez/Scheffel (2005), 58. 28 Ruschel (2002), 27. Auch durch dieses stilistische Mittel wird ein Hauptthema des Textes umgesetzt: Was ist Traum, was ist Wirklichkeit? 29 Weitere Beispiel finden sich auf den Seiten 450, 491, 492 sowie 493.
208 | V ERFILMTE GEFÜHLE Unwillkürlich, ja wie von einer unsichtbaren Macht gezwungen und geführt, berührte Fridolin mit beiden Händen die Stirne, die Wangen, die Schultern, die Arme der toten Frau; [...] und wie magisch angezogen beugte er sich herab. (500) (Hervorhebungen durch die Autorin, H. H.)
Hier wird ein Verloren-Sein des Protagonisten suggeriert und gleichzeitig einen traumähnlichen Zustand verwiesen. Vielleicht ist Fridolin auch nur ein Spielball und hat keine eigene Macht über die Ereignisse? Ist er eine Figur, die unwillkürlich und mechanisch durchs Leben geht, wie fremdgelenkt? „In der personalisierten Darstellung erscheinen die Ereignisse nicht mehr wie Akte von Fridolins freiem Willen, sondern als phantastisch, unerklärlich und fremdbestimmt.“30 Ob der Text nun tatsächliche oder imaginierte Erlebnisse der Figur, gleichsam deren Tagträume und Phantasien, wiedergibt, wird offen gelassen. Eindeutig kennzeichnet der Text aber die Erlebnisse als Fridolins Wahrnehmung. „Der Text stellt nicht den tatsächlichen Traum oder das Träumen dar, sondern ein traumähnliches Erleben, und hebt damit das Träumen selbst als perzeptiven Vorgang, als inneres Sehen von Bildern, hervor.“31 Die absolute Dominanz der ‚Fridolin-Perspektive‘ wird nur im fünften Abschnitt unterbrochen. An dieser Stelle steht der Reflektorfigur Fridolin die IchErzählerin Albertine gegenüber, die somit eine andere Form subjektiver Darstellung kennzeichnet. Sie beschreibt präzise das Traumgeschehen. Trotzdem ist auch diese Episode aus Fridolins Perspektive geschildert und wird so „möglicherweise durch seine Projektionen überlagert“32. Außerdem ist Albertines Traumerzählung kein reiner Monolog. Immer wieder tauscht sie sich mit Fridolin aus, und seine Gefühle werden als erlebte Rede wiedergegeben. Auch der auktoriale Erzähler tritt wieder in Erscheinung. „Du solltest dich doch noch ein wenig hinlegen.“ Er zögerte eine Weile, dann tat er nach ihrem Wunsch und streckte sich an ihrer Seite aus. Doch er hütete sich, sie zu berühren. Ein Schwert zwischen uns, dachte er in der Erinnerung an eine halb scherzhafte Bemerkung gleicher Art, die einmal bei ähnlicher Gelegenheit von seiner Seite gefallen war. Sie schwiegen beide, lagen mit offenen Augen, fühlten gegenseitig ihre Nähe, ihre Ferne. (475f.)
30 Aurnhammer/Marquart (2010), 51. 31 Freytag (2008), 102. 32 Aurnhammer/Marquart (2010), 52.
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Die Haltung dieses auktorialen Erzählers in der Traumnovelle ist neutral. „Der Erzähler distanziert sich nicht von den unerklärlichen, übermächtigen Vorgängen, denen Fridolin [...] ausgesetzt ist, und macht auch nicht den Versuch, nach materiellen Ursachen bzw. logischen Zusammenhängen zu forschen.“33 Er wertet nicht. Die Stimmung des Textes wird auch von der Syntax geprägt: Lange, hypotaktische Sätze, reich an Adjektiven, sorgen für einen getragenen, bedächtigen Ton. Langsamkeit herrscht vor, genauso wie eine Dominanz der Zustandsbeschreibung von Fridolin. Dabei bleibt die erlebte Rede meist beim ‚Jetzt‘ der Figur, Analepsen und Prolepsen werden als Gedankengänge der Figur eingebaut und sind bezogen auf das aktuelle Geschehen. Die erlebte Rede erzeugt damit den Eindruck von Unmittelbarkeit.
3. F IGUREN Das Personal des Textes ist überschaubar. Die Hauptfigur ist Fridolin, dessen Perspektive den gesamten Erzähltext bestimmt. Er ist 35 Jahre alt, praktischer Arzt, verheiratet und Vater eines Kindes. Albertine ist seine einige Jahre jüngere Ehefrau, sie ist Mutter und Hausfrau. Beide haben eine gemeinsame Tochter, sechs Jahre alt. Die Familie wohnt in Wien, Josefstadt, in der Nähe des Allgemeinen Krankenhauses. Alle Figuren in der Traumnovelle erscheinen nur im Zusammenspiel mit Fridolin. Keine Figur existiert außerhalb seines Blickwinkels. Der Leser erfährt nur etwas über Figuren, wenn sich Fridolin mit ihnen in einem Raum befindet und sie wahrnimmt. Albertine begegnet außer dem Dienstmädchen, ihrer Tochter und ihrem Mann keinen weiteren ‚real-existierenden‘ Figuren. Nur in ihrem Traum trifft sie auf weitere Personen, nämlich einen Mann, „er sah [...] ungefähr aus wie der Däne“ (477), nackte Paare, Soldaten, Geistliche und „eine junge Frau mit einem Diadem auf dem Haupt und im Purpurmantel“ (479), eine Fürstin. Fridolin begegnet während seines nächtlichen Abenteuers der 26-jährigen Marianne sowie ihrem Verlobten Herrn Dr. Roediger, ein „überschlanke[r], blasse[r] junge[r] Mensch mit kurzem, blondem Vollbart und Brille, Dozent für Geschichte an der Wiener Universität“ (442). Weiterhin begegnet Fridolin der 17jährigen Dirne Mizzi, Pierrette, Gibiser, dem Pianisten Nachtigall, einer maskierten Frau ohne Namen (die geheime Warnerin), maskierten Besuchern der gehei-
33 Perlmann (1987), 191.
210 | V ERFILMTE GEFÜHLE men Gesellschaft, Dr. Adler (er arbeitet in der Pathologie) und der toten Baronin Dubiesky. Das Personal der Traumnovelle entspricht „den klar umrissenen Typen, die Schnitzler schon vor 1900 entwickelt hatte: die Hysterikerin, das süße Mädel, die Femme fatale, der Wiener Dandy“34. Fridolin Fridolin bewegt sich in der Traumnovelle sowohl im alltäglichen Leben als auch in einer Art Ausnahmezustand, in einer Nacht der Abenteuer. Dabei erlebt man ihn angeberisch, egozentrisch, oberflächlich, übervorsichtig, schwach, gefühlskalt, ängstlich, aber auch verletzlich, neugierig, ehrgeizig und professionell. Durch Albertines Geständnis herausgerissen aus seiner bürgerlichen Routine, träumt er davon, unbemerkt ein Doppelleben führen zu können. Ja, verraten, betrügen, lügen, Komödie spielen, da und dort, vor Marianne, vor Albertine, vor diesem guten Doktor Roediger, vor der ganzen Welt; – eine Art von Doppelleben führen, zugleich der tüchtige, verläßliche, zukunftsreiche Arzt, der brave Gatte und Familienvater sein – und zugleich ein Wüstling, ein Verführer, ein Zyniker, der mit Menschen, mit Männern und Frauen spielte, wie ihm just die Laune ankam [...]. (489)
Fridolin ist nicht fähig, dieses Doppelleben zu führen. Nicht die moralischen Verpflichtungen gegenüber seiner Familie veranlassen ihn dazu, sondern eher seine Ängste und Unsicherheit, altbekannte Pfade zu verlassen. Dieses Dilemma zieht sich leitmotivisch durch den gesamten Text: Fridolins Wünsche und sein Handeln stimmen nicht überein. Zudem ist Fridolin eine Figur voller Vorurteile. Zwar kritisiert er: „Wie man doch immer wieder, durch Worte verführt, Straßen, Schicksale, Menschen in träger Gewohnheit benennt und beurteilt.“ (492) Aber er lebt und handelt nach dieser Maxime. Fridolin ist Arzt, aber nicht aus Passion. Es macht nicht den Eindruck, als würde der Umgang mit Menschen und das Lindern ihrer Leiden ihn erfüllen. Ihm gefällt eher das Repräsentieren eines Arztbildes nach Außen: unantastbar, Vertrauen einflößend, seriös. Er beschreibt sich selbst als „der tüchtige, verläßliche, zukunftsreiche Arzt“ (489). Fridolins Selbstbild ist stark außenorientiert, die gesellschaftlichen Normen üben einen großen Einfluss auf sein Handeln aus. Er hat es zu etwas gebracht, arbeitet professionell. Das ist seine Lieblingsrolle.
34 Aurnhammer/Marquart (2010), 108. Die Typisierung entspricht dem Zeitgeschmack des Wiener Fin de Siècle: bürgerliche Ehefrau (Albertine), Hysterikerin (Marianne), süßes Mädel (Mizzi), Femme fatale (maskierte Warnerin), Femme fragile (Pierrette).
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Fridolin fühlte sich beinahe glücklich, als er, von den Studenten gefolgt, von Bett zu Bett ging, Untersuchungen vornahm, Rezepte schrieb, mit Hilfsärzten und Wärterinnen sich fachlich besprach. (484)
Wenn seine Arzttätigkeit nicht vor einem größeren und bestenfalls ehrfurchtsvollen und ernstzunehmenden Publikum stattfindet, fehlt Fridolin allerdings der berufliche Ehrgeiz. Er erledigt die Arbeit in seiner Praxis oft mit Gleichgültigkeit, Routine und wenig Enthusiasmus. Am Totenbett seines Patienten, des Hofrats, verhält er sich zwar gewissenhaft, aber ohne ehrliche Anteilnahme für die Hinterbliebenen, obwohl er diesen Patienten viele Jahre betreut hat. Er fragt nur „pflichtgemäß nach dem Verlauf des letzten tödlichen Anfalls“ (441). Er schreibt den Totenschein und spricht oberflächliche, tröstende Worte. Anteilnahme kann Fridolin erst entwickeln, als er, sensibilisiert durch sein Abenteuer, selbst „in einen medizinischen ‚Fall‘ verwickelt wird“35: Er sucht nach seinen Erlebnissen in der Nacht im sechsten Abschnitt nach der maskierten Frau, die ihn auf dem geheimen Maskenball gewarnt und sich geopfert hat. Fridolin vermutet sie in der Leichenhalle, nachdem er in einem Polizeibericht von dem Tod einer Baronin D. gelesen hat, die er als die Gesuchte identifiziert. Er findet in der Pathologie tatsächlich den toten Körper einer jungen Frau, doch es ist unklar, ob es sich tatsächlich um die Person handelt, die Fridolin in der Nacht geholfen hat. Mit viel mehr Anteilnahme tritt er der Toten gegenüber. Noch berauscht durch das sinnliche Abenteuer des Maskenballs, ist es Fridolin plötzlich möglich, tiefe Gefühle in seinem Beruf und auch gegenüber dem Tod anderer zu zeigen. Doch diese Emotionalität kippt sogleich wieder in medizinische Sachlichkeit. Er „reinigte sorgfältig seine Hände mit Lysol und Seife“ (501), erkundigt sich nach einer neuen mikroskopischen Färbemethode und nimmt sich vor, diese Technik auch selbst anzuwenden. Doch das Weib, [...] das er gesucht, das er verlangt, das er eine Stunde lang vielleicht geliebt hatte, [...] ihm bedeutete es, ihm konnte es nichts anderes mehr bedeuten als, zu unwiderruflicher Verwesung bestimmt, einen bleichen Leichnam der vergangenen Nacht. (502)
Die nächtlichen Abenteuer und deren Geheimnisse sind abgeschlossen, Fridolin ist wieder im Alltag angekommen. Die eben noch gefühlte Leidenschaft und Liebe zur Unbekannten sind verflogen.
35 Perlmann (1987), 183.
212 | V ERFILMTE GEFÜHLE Eine weitere Eigenart der Figur Fridolin offenbart sich im Verlauf der Handlung: Der junge Arzt hat Angst, sich bei Patienten oder anderen Personen lebensbedrohlich anzustecken. Auch als er sich bei seinem nächtlichen Spaziergang durch Wien mit einer Gruppe Couleurstudenten konfrontiert sieht, will sich Fridolin nicht verteidigen, um keine eigene Verletzung zu riskieren. Gleichzeitig denkt er an ein krankes Kind, welches er am Tag behandelt hat („Wie lange war es her, daß das diphtheritiskranke Kind ihm ins Gesicht gehustet hatte?“ [448]). Auch über soziales Engagement verfügt die Figur kaum. Beim Betrachten eines Bettlers will er „jeder Art von Verantwortung und Versuchung so rasch als möglich [...] entfliehen“ (476). Diese Beispiele belegen, „daß Fridolin den moralischen Anforderungen seines Berufes nicht gewachsen ist“36. Er flüchtet häufig vor der Verantwortung, statt sich ihr zu stellen. „[J]ede der Begegnungen ist ein abgebrochenes Erlebnis, jedesmal ist Fridolins Versagen und eine Flucht vor der Verantwortung das Ende, und jedesmal findet eine Verdrängung statt.“37 Frauen gegenüber fühlt sich die Figur Fridolin überlegen – im damaligen gesellschaftlich-historischen Kontext durchaus nachvollziehbar. Seine Frau Albertine kann aus Fridolins Sicht nicht die selben Rechte in Anspruch nehmen wie er. Nachdem sie ihm ihre Erlebnisse auf der Redoute und im letzten Sommerurlaub erzählt hat, denkt Fridolin an Rache, obwohl er Gleiches erlebt und getan hat. Nach Albertines Traumschilderung, scheinen sich seine Gefühle noch einmal zu potenzieren. Je weiter sie in ihrer Erzählung fortgeschritten war, um so lächerlicher und nichtiger erschienen ihm seine eigenen Erlebnisse, soweit sie bisher gediehen waren, und er schwor sich, sie alle zu Ende zu erleben, sie ihr dann getreulich zu berichten und so Vergeltung zu üben an dieser Frau, die sich in ihrem Traum enthüllt hatte als die, die sie war, treulos, grausam und verräterisch, und die er in diesem Augenblick tiefer zu hassen glaubte als er sie jemals geliebt hatte. (480)
Dass Fridolin selbst eine turbulente Junggesellenzeit hinter sich hat, ist für ihn, einen Mann, die Regel. Ähnliche Gefühle bei einer Frau, dann auch noch bei seiner eigenen festzustellen, stellt für ihn die gemeinsame Ehe in Frage. Während seiner nächtlichen Abenteuer begegnet Fridolin immer wieder verschiedenen Frauen. Und er scheint ehrlich an deren Schicksal interessiert – allerdings muss diesem Interesse ein erotisches Verlangen vorausgehen. Marianne findet er sexuell nicht anziehend. Aus diesem Grund kann er sich auch nicht auf
36 Perlmann (1987), 184. 37 Kluge (1982), 325.
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ihre Gefühle eingehen. Aber das Straßenmädchen Mizzi, „ein zierliches, noch ganz junges Geschöpf, sehr blaß mit rotgeschminkten“ oder doch „von einem natürlichen Rot gefärbt[en]“ Lippen (449), zieht Fridolin an. Nach ersten „hygienischen Bedenken“38 kann er diesen Lippen nicht widerstehen, doch Mizzi weist ihn zurück. Fridolin verlässt sie und nimmt sich vor, ihr am nächsten Tag Wein und Pralinen zu schicken. Er will sie wiedersehen. Auch seine Begegnung mit Pierrette, der jungen Tochter des Kostümverleihers Gibiser, weckt in ihm zuerst erotische und dann Beschützer-Gefühle: Am liebsten wäre er dageblieben oder hätte die Kleine gleich mitgenommen, wohin immer – und was immer daraus gefolgt wäre. Sie sah lockend und kindlich zu ihm auf, wie gebannt. (459) Er [empfand] es wie eine Verpflichtung, zu bleiben und der Pierrette in einer drohenden Gefahr beizustehen. (460)
Fridolin nimmt Gibiser sogar das Versprechen ab, dem Kind nichts Böses zu tun, da es scheinbar psychisch labil ist. Und auch die maskierte Frau auf dem Ball der geheimen Gesellschaft erweckt erst Fridolins erotisches Interesse, bevor er sich für ihre Belange interessiert. Die Anteilnahme an ihrem Werdegang oder Weiterleben wird noch verstärkt, da sie sich offenbar für ihn opfert. Die Suche nach ihr wird am nächsten Tag das Wichtigste für ihn sein. Es fällt auf, dass die Frauen, denen Fridolin in der Nacht begegnet, scheinbar Eigenschaften besitzen, die er seit dem gemeinsamen Gespräch im ersten Abschnitt bei Albertine vermisst: mütterliche und absolut hingebungsvolle Liebe wie bei Marianne, kindliche Schönheit und Naivität wie bei Pierrette, großmütiger Verzicht und Verständnis wie bei Mizzi und am Ende Aufopferung des eigenen Lebens für das seinige, wie es anscheinend die maskierte Frau getan hat. Doch je mehr das Magische der Nacht verflogen ist, desto mehr festigt sich wieder sein altes Frauenbild. Und die Damen? Vermutlich ... aus Freudenhäusern zusammengetrieben. Nun, das war keineswegs sicher. Jedenfalls ausgesuchte Ware. Aber die Frau, die sich ihm geopfert hatte? Geopfert? Warum er nur immer wieder sich einbilden wollte, daß es wirklich ein Opfer gewesen war! Eine Komödie. Selbstverständlich war das Ganze eine Komödie gewesen. (486)
38 Rey (1968), 102.
214 | V ERFILMTE GEFÜHLE Fridolin muss feststellen, dass viele seiner Beobachtungen mehr Schein als Sein waren: Pierrette ist nicht geistig verwirrt, vielmehr Hure unter den wohlwollenden Augen des Vaters. Die geheime Warnerin wurde möglicherweise für ihr Opfer bezahlt, und Mizzi ist mit Syphilis im Krankenhaus. Fridolin wird bewusst, dass er kein Erlebnis der vergangenen Nacht zu Ende bringen wird. „Als Fridolin aus dem Haustor auf die Straße trat, fühlte er Tränen in der Kehle; aber er wußte, daß das nicht so sehr Ergriffenheit zu bedeuten hatte als ein allmähliches Versagen seiner Nerven.“ (493) Er kehrt nach Hause zurück und will seiner Frau alles erzählen, „doch so, als wäre alles, was er erlebt, ein Traum gewesen“ (502). Als er das eheliche Schlafzimmer betritt, sieht er seine Maske. Sie liegt auf dem Kopfkissen, neben seiner schlafenden Frau. Er fühlt sich enttarnt und kann jetzt die Wahrheit erzählen. „Daß Fridolin seine realen Abenteuer [...] nicht zu Ende erlebt, dafür jedoch zu seinem Inneren Zugang findet und seinen Erfahrungen in einem bewußten Akt sprachlichen Ausdruck verleiht, ist die psychologisch realistische Bedingung dafür, daß die beiden Ehepartner sich am Ende ‚für lange‘ als ‚erwacht‘ betrachten können.“39 Nach seiner Beichte ist Fridolin ratlos. Er fragt: „Was sollen wir tun, Albertine?“ (503) Letztlich erweist sich Albertine auch hier als die Klügere. Sie lächelte, und nach kurzem Zögern erwiderte sie: „Dem Schicksal dankbar sein, glaube ich, daß wir aus allen Abenteuern heil davongekommen sind – aus den wirklichen und aus den geträumten.“ „Weißt du das auch ganz gewiß?“ fragte er. „So gewiß, als ich ahne, daß die Wirklichkeit einer Nacht, ja daß nicht einmal die eines ganzen Menschenlebens zugleich auch seine innerste Wahrheit bedeutet.“ „Und kein Traum“, seufzte er leise, „ist völlig Traum.“ (503)
Albertine Die Figur Albertine tritt, wie alle Figuren in der Traumnovelle, nur dann als direkt Redende auf, wenn sie sich mit Fridolin in einem Gespräch befindet, das heißt in den Abschnitten eins, fünf und sieben. Sie wird ansonsten nur durch den Fridolin-Fokus beschrieben oder in seinen Gedanken wahrgenommen. Auch sie scheint nur in Bezug auf den Protagonisten zu existieren. Trotzdem nimmt sie in der Traumnovelle eine zentrale Stellung ein. Das wird bereits zu Beginn des Textes deutlich, da sie diejenige ist, die im Gespräch die Initiative ergreift und deutlich ihre Wünsche, Phantasien und Gefühle mitteilen kann. Die Offenbarung des Erlebnisses mit dem Dänen erfordert Selbstbewusst-
39 Scheffel (1998), 130.
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sein und Mut. Da Fridolin bis dahin keinen Verdacht geschöpft hatte, gab es keinen dringenden Grund, ihm dieses längst Vergangene zu berichten. Aber Albertine schildert dieses Erlebnis nicht grundlos. Sie möchte ihrem Mann damit zeigen, dass sie ihm nicht immer so sicher war, wie er bisher dachte. Sie ist kein Eigentum, sondern ein selbstbestimmtes Individuum mit eigenen Wünschen und Sehnsüchten (die allerdings durch gesellschaftliche Zwänge unterdrückt werden). Eine Ansicht, deren Artikulierung für die damalige Zeit keineswegs selbstverständlich war. Albertine hat die Situation mit dem Dänen sehr genau reflektiert und für sich aufgearbeitet, ein Vorgang, zu dem Fridolin (so wird es sich in der Traumnovelle zeigen) nicht fähig ist. In ihren Worten schwingt auch eine gewisse Eifersucht auf Fridolins gesellschaftlich geduldete Experimentiererlaubnis als Junggeselle mit. Frauen ist so etwas nicht erlaubt, der erste Mann ist der Ehemann. Albertine erlebt (wie Fridolin) im Text die beiden Sphären von Realität und Traum. Doch sie scheint wesentlich sicherer zwischen diesen beiden Bereichen unterscheiden zu können. Sie setzt sich bewusst und selbständig mit ihrem Unterbewussten auseinander. Auch wertet sie ihren Traum als einen wichtigen Hinweis. „Mit der Wiedergabe ihres Traumes bestätigt Albertine, daß sie für den Blick in das ‚Zwischenland zwischen Bewußtem und Unterbewußtem‘ bestens ausgestattet ist. Sie kann ihren Traum vollständig wie eine Geschichte mit Anfang, Mitte und Ende erzählen und vermag dabei genau [...] zwischen Traumund Wachbewußtsein zu unterscheiden.“40 Der Traum veranschaulicht, dass die Figur Albertine den Unterschied zwischen ihren bürgerlichen Pflichten bzw. ihrer Rolle als Mutter im Alltagsleben und ihrer Sehnsucht nach Abenteuer, Erotik und Freiheit durchaus wahrnimmt und reflektiert. Sie träumt, dass sie Fridolin noch einmal vor ihrer Hochzeit am Wörthersee begegnet. Doch im Traum schlafen sie bereits miteinander, ohne vorher geheiratet zu haben. „Du nahmst mich in die Arme und liebtest mich sehr.“ (477). Im Traum stellt sie am nächsten Morgen stellt fest, dass ihre Kleider verloren gegangen sind. Fridolin macht sich im Traum auf die Suche nach neuen Kleidern für Albertine. Sie bleibt zurück und fühlt sich leicht und glückselig. „[...] und während ich so dalag, trat aus dem Wald ein Herr, ein junger Mensch hervor, in einem hellen, modernen Anzug, er sah, wie ich jetzt weiß, ungefähr aus wie der Däne, von dem ich dir gestern erzählt habe.“ (477) Diesem Mann gibt sie sich „unzählige Tage und Nächte“ hin, bis sie nicht mehr allein sind auf der Wiese.
40 Scheffel (1998), 128f.
216 | V ERFILMTE GEFÜHLE „[...] so sahst du auch mich, auch den Mann, der mich in seinen Armen hielt, und alle die anderen Paare, diese unendliche Flut von Nacktheit, die mich umschäumte, und von der ich und der Mann, der mich umschlungen hielt, gleichsam nur eine Welle bedeuteten.“ (479)
Albertine scheint aus allen Bindungen gelöst und nur auf eigene Wünsche fixiert. Sie erlebt eine sexuelle Obsession. Fridolin hingegen, Albertine in Treue ergeben, wird von einer Fürstin, die er nicht lieben will, zur Strafe ausgepeitscht und zum Schluss gekreuzigt. Albertine erlebt in ihrer Phantasie das, was Fridolin schon erfahren konnte: die freie Wahl des Sexualpartners, ein Ausprobieren vor dem Festlegen. Im Traum ist sie frei. Fridolin hingegen hat in ihrem Traum die Eigenschaften, die ihr in der Alltagswelt zugewiesen sind: ein aufopfernder und treuer Mensch zu sein. Weitere Figuren Alle Figuren im Text sind Fridolins Perspektive unterworfen. Die Frauenfiguren sind nicht tiefer gehend individuell charakterisiert und werden nur knapp beschrieben. Sie tauchen in Fridolins Wahrnehmung schemenhaft auf, um dann wieder zu verschwinden und im Licht des nächsten Tages erneut verändert zu erscheinen. So verwandelt sich Marianne von der unglücklich Verliebten zur unglücklichen Braut, die Prostituierte Mizzi von der süßen Verführerin zur Syphiliskranken, die kindliche Pierrette vom schutzbedürftig-elfenhaften Wesen zur kalkulierenden Verführerin und die geheime Warnerin vom Objekt der Begierde mit blutrotem Mund, dunklen Augen und duftendem Leib zum „völlig nichtige[n], leere[n], [...] tote[n] Antlitz“ (499). Neben diesen verwandelten Frauen trifft Fridolin auf Männer, die gleich bleibend charakterisiert werden, so dass ihre Identität – zumindest so, wie sie von Fridolin wahrgenommen wird – gefestigt erscheint. Der Maskenverleiher Gibiser ist „hager, bartlos, kahl, trug einen altmodischen geblümten Schlafrock und eine türkische Mütze mit einer Troddel, so daß er wie ein lächerlicher Alter auf dem Theater aussah“ (458). Er ist nachts und am folgenden Tag Fridolin gegenüber gebieterisch, höhnisch, kühl und voller „Unbehagen, Spott oder Ärger“ (483). Nachtigall, ein früherer Kommilitone, ist polnischer Jude und tingelt seit dem Abbruch seines Medizinstudiums als Pianist durch Wiener Kaffeehäuser, um so das Geld für seine Frau und vier Kinder in Lemberg zu verdienen. „Der Name Nachtigall tritt erst in der letzten vorliegenden Fassung aus den Jahren
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1922 und 1923 auf, in den früheren Entwürfen heißt die Gestalt ‚Amsel‘.“41 Auch Fridolin muss an den Vogel Nachtigall denken: „Nachtigall, Nachtigall, was singst du da für ein Lied!“ (456) In der Traumnovelle erweist sich auch die Figur ihrem sprechenden Namen gemäß als ‚Nachtvogel‘, denn Nachtigall spielt nicht tagsüber in den Kaffeehäusern. Fridolin trifft ihn um „dreiviertel ein Uhr nachts“ (454). Zentrale Bedeutungen, die dem Motiv des Vogels Nachtigall bzw. deren Gesang zugeschrieben werden, sind Liebe, Tod und Sehnsucht42 – Begriffe, die mit den Themen der Traumnovelle korrespondieren. Nachtigall gibt Fridolin das Passwort für die Teilnahme an einem exklusiven, geheimen und erotischen Fest. Der Gesang der Nachtigall deutet zudem auf eine „nächtliche Liebeserfüllung wie aber auch den Tod voraus“43. Zudem kann man die Figur des Pianisten Nachtigall durch Korrespondenz- und Kontrastrelationen auch als gegensätzlichen ‚Doppelgänger‘ von Fridolin sehen – beide bilden ein Gegensatzpaar.44 Nach dem Besuch auf dem geheimen Maskenball versucht Fridolin Nachtigall am nächsten Tag wiederzutreffen und ihn zu den Vorkommnissen zu befragen. Doch er bleibt verschwunden. Der Figur Dr. Adler begegnet Fridolin „um Mitternacht“ (498) im histologischen Kabinett, wo er die tote Baronin Dubieski sucht. Auch Adler und Fridolin kennen sich von der Studienzeit. „Jeweils ist es ein Exkommilitone, über den Fridolin Zugang zu diesen [...] Räumen erhält, jeweils ein Jude, der jeweils nachts und jeweils solitär arbeitet und jeweils einen Vogelnamen trägt [...].“45 Dr. Adler erscheint im Text als fleißiger und passionierter Wissenschaftler und stellt somit einen starken Gegensatz zu Fridolins Berufsauffassung dar, so dass auch hier von einem Gegensatzpaar gesprochen werden kann.
41 Krotkoff (1972), 88. 42 Becker (1998), 202. 43 Lengiewicz (2008), 246. 44 Im Gegensatz zu Nachtigall ist Fridolin als Arzt ein erfolgreicher Tagesmensch. Das spiegelt sich auch im äußeren Erscheinungsbild der Figuren wider. Nachtigall trägt zerknitterte Kleidung, ist breit und plump und wirkt dadurch nicht anziehend. Obwohl Fridolins Aussehen in der Traumnovelle nicht näher beschrieben wird, ist davon auszugehen, dass er attraktiv ist, zumindest für die Frauen, denen er begegnet. Nachtigall muss, im Gegensatz zu Fridolin, sehr hart und auch in nicht sehr „vornehmen Etablissements“ (455) arbeiten, um seine Familie durchzubringen. Fridolins Patienten dagegen sind Hofräte und Anwälte. Auch Kubrick greift diese Idee vom ‚Gegensatzpaar‘ auf und gestaltet Nightingale und Bill visuell komplementär (schwarz-weiß). 45 Lukas (1996), 214.
218 | V ERFILMTE GEFÜHLE Interessant ist, dass auch im realen Wien der Jahrhundertwende ein Dr. Adler lebte.46 Alfred Adler entwickelte die Individualpsychologie47, die später auch als „Alternative zur ‚Psychoanalyse‘ anerkannt [wurde]“48. Weiterhin beschäftigte sich Adler mit der Traumdeutung. „Für [ihn] ist der Traum keine Wunscherfüllung im Sinne der infantilen Sexualität. [Der Traum ist] eine Auseinandersetzung des Träumers mit seinen Lebensproblemen.“49 Diese These Adlers ähnelt der Auffassung Schnitzlers, es finden sich dazu auch Prallelen in Albertines beschriebenen Traum. Adlers Theorie besagt weiterhin, dass der Träumende im Traum ein Persönlichkeitsideal entwickelt, welches über den als bedrückend empfundenen Schwierigkeiten und Mängeln steht. Auch diese Idee realisiert sich in Albertines Traum. „[W]ir können den Traum ebenso, wie jede andere seelische Erscheinung, wie das Leben eines Menschen selbst dazu benützen, um über seine Stellung in der Welt und zu der anderer Menschen Aufschlüsse zu erhalten.“50 Adler versteht Träume als Hilfsmittel der Phantasie, um eine Unterlegenheit zu kompensieren. Eine weiterführende Recherche, inwieweit Adlers Ideen zur Traumdeutung Einfluss auf Schnitzlers Traumnovelle oder andere Texte hatten, wäre sicherlich lohnenswert.
46 Alfred Adler, geboren am 7. Februar 1870 in Wien, Studium der Medizin an der Wiener Universität. (Vgl. Rattner [1990], 80ff.) Obwohl Arthur Schnitzler bereits 1885, also drei Jahre bevor Alfred Adler sein Studium begann, die Universität verließ, könnte er ihn gekannt haben. Adler war ein Freud-Schüler, distanzierte sich später von ihm, „als [er] im Freudschen Diskussionskreis eine Vortragsreihe über das Thema ‚Zur Kritik der Freudschen Sexualtheorie des Seelenlebens‘ hielt. Darin wurde nahezu alles bestritten, was Freud zum Grundpfeiler seiner Lehre gemacht hatte. Nach Adler spielte die infantile Sexualität keine entscheidende neurosenverursachende Rolle“ (Rattner [1990], 26). Hier findet sich eine Übereinstimmung mit Schnitzlers Ideen. Auch er distanzierte sich immer von der Freudschen Konzeption der infantilen Sexualität und ihren Entwicklungsstufen, dem Ödipuskomplex sowie von dem Inzestgedanken (vgl. Hinck [1986], 248ff.). 47 Seine Lehre bezeichnete er als Individualpsychologie insofern jeder Patient als Unwiederholbar-Einmaliges, als Individuum und als Ganzheit körperlich zu behandeln und psychisch zu verstehen sei. Adler wollte eine lebensnahe Psychologie schaffen, die dem Menschen ermöglicht, seine Mitmenschen aus deren jeweils individueller Lebensgeschichte heraus zu verstehen. Seine Bücher und Vorträge sollten seine Psychologie jedermann zugänglich und zum Allgemeingut machen. 48 Rattner (1990), 29. 49 Rattner (1990), 48. 50 Rattner (1990), 50.
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4. T RÄUME , I NDICES , M OTIVE
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F ARBEN
Leitmotivische Themen der Traumnovelle sind Eros, Tod, Maskierung und Demaskierung. Sie erscheinen „in immer neuen Variationen“51. Metaphern, Verweise, Metonymien, Indices und Leitmotive sind Formen des indirekten sprachlichen Ausdrucks. „Der Rezipient wird durch sie zu einem assoziativen Lesen angeregt, das eher bildliche Zusammenhänge entstehen lässt, als es die direkte Benennung tun würde. [...] Durch ihre primäre semantische und strukturierende Funktion sind [diese] Ausdrucksmittel von großer Bedeutung für die Erzeugung literarischer Visualität“52 und zur Vermittlung von figurativen Innenwahrnehmungen. Über beides verfügt die Traumnovelle in einem erhöhten Maße. Die Erzählstruktur des Textes ist durchzogen von Träumen, Indices, Motiven, Spiegelungen und Parallelen. Fast jedes Motiv oder Thema wird an anderer Stelle in Variation wieder aufgegriffen (Masken, Rollen, bürgerliche Sicherheit, Trieb und Norm, Prinz Amgiad, Eifersucht usw.). Ein „Zwischenreich der Ungewissheit zwischen Wunsch und Wirklichkeit, Innenwelt und Außenwelt, Bewusstem und Unbewusstem wird von Schnitzler auf allen Ebenen erzählerischer Gestaltung stimmig vermittelt“53. So gelingt es Schnitzler, die Grenzen zwischen Realität und Traum immer wieder aufs Neue zu verwischen und Fridolins Verwirrung und Unsicherheit über das Erlebte (oder doch bloß Geträumte) auszudrücken. Spiegelungen und Prallelen Zahlreiche Parallelen und Spiegelungen zu Fridolins Nachterlebnissen lassen sich in Albertines Traumschilderung (Abschnitt 5) finden – einem Höhepunkt des Textes. Albertines Traum verbindet ihre erotischen Wunschvorstellungen mit Elementen der Wirklichkeit, ‚Tagesresten‘ und dem Märchen ihrer Tochter vom ersten Abschnitt. Und er knüpft auf rätselhafte Weise an die nächtlichen Erlebnisse von Fridolin an, beide Erlebniswelten korrespondieren miteinander. Albertine träumt zeitlich synchron zu Fridolins nächtlicher Odyssee durch Wien. „Mit diesen Verschränkungen ist ästhetisch eine Existenz des einzelnen
51 Allerdissen (1985), 114. Zum Beispiel Mariannes Liebesgeständnis am Bett des toten Vaters, die Verführungskünste der kranken Mizzi, die Opferung der maskierten Frau, Albertines Traum. Die Liste ließe sich problemlos weiterführen. 52 Poppe (2007), 53. 53 Ruschel (2002), 33.
220 | V ERFILMTE GEFÜHLE angedeutet, der immer schon in Zusammenhängen steht, die er selbst nicht beeinflussen kann.“54 Schnitzler, ein aus medizinisch-psychologischer und auch persönlicher Sicht ausgewiesener Traumexperte, rekurriert mit diesem Traum auf das Gespräch mit Fridolin und auf Erlebnisse in der Erzählfiktion der kürzlich vergangenen Zeit. Es erscheinen der Däne und seine gelbe Tasche (die nun Fridolin trägt), die Situation am Abend vor der Verlobung, das elterliche Haus am Wörthersee, die Redoute und auch die Galeere aus dem Märchen des Kindes. „In Abwandlung der psychoanalytischen Traumdeutung, die ja das in Bilder umgearbeitete Unbewusste in Sprache zurückübersetzt, wird in Schnitzlers Text sprachlich explizit eine Visualität erzeugt, die durch die Motive von Maske, Geheimnis und Nacktheit auf der manifesten Textebene die Frage des Verborgenen, die Struktur von Verhüllen und Enthüllen reflektiert.“55 Es entsteht eine Doppelperspektive, die erneut (nach den Erlebnissen Fridolins in der Nacht) die Grenzen von Traum, Realität, Surrealem und Greifbarem überschreitet. „Traum und Wirklichkeit werden austauschbar.“56 Nicht umsonst denkt die Figur Fridolin am Anfang des fünften Abschnitts, als Albertine aus ihrem Traum erwacht: Sie nickte, schien ihn aber kaum gehört oder verstanden zu haben, starrte wie durch ihn hindurch ins Leere, und ihm war – so unsinnig ihm selbst der Einfall im gleichen Augenblick erschien, als müßte ihr bekannt sein, was er in dieser Nacht erlebt hatte. (475)
Schnitzler gibt hier dem Leser einen versteckten Hinweis auf das nun Folgende, der Name Traumnovelle wird Programm. Schon in der ‚Rahmenhandlung‘ beider Vorfälle (Albertines Traum – Fridolins Nachterlebnisse) lässt sich eine Parallele finden: Fridolin will sich in der Realität an Albertine rächen, sie sich in ihrem Traum an Fridolin. Er trennt sich im ersten Abschnitt von Albertine, um Abenteuer zu erleben. Sie trennt sich in ihrem Traum von ihm, um dasselbe zu tun. Beide treffen sich am Ende wieder – in der innerfiktionalen Handlungsebene des Textes und in der Traumhandlung. „Der Dreiakt der Novelle widerspiegelt sich damit in der Struktur des Traums.“57 Albertine verliert in ihrem Traum Fridolin niemals aus den Augen, genauso wie er bei seinen nächtlichen Erlebnissen ständig an seine Frau denken muss.
54 Knorr (1988), 201. 55 Freytag (2008), 102. Hervorhebung im Original. 56 Schuster (1980), 164. 57 Perlmann (1987), 197.
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Die Handlung von Albertines Traum beginnt in der Nacht vor ihrer Hochzeit. „Galeerensklaven hatten dich hergerudert, ich sah sie eben im Dunkel verschwinden. Du warst sehr kostbar gekleidet, in Gold und Seide, hattest einen Dolch mit Silbergehänge an der Seite und hobst mich aus dem Fenster.“ (476)
Diese Galeere erscheint nicht das erste Mal im Text, sondern schon zu Beginn der Traumnovelle. Wie eingangs erwähnt, stammt die Geschichte des Prinzen Amgiad aus den Erzählungen aus den Tausendundein Nächten. Albertine identifiziert den Prinzen an dieser Stelle eindeutig mit Fridolin und überträgt so den Kern der Geschichte auf ihn: den Verrat seiner Mutter (hier Albertine), das Verstoßen aus dem Heimatland (eheliche Wohnung), das Erleben vieler Abenteuer und die Rückkehr nach Hause. Albertine träumt von Kostümen, die sich plötzlich in ihrem Schrank befinden, „opernhaft, prächtig, orientalisch“ (476). Fridolin selbst befindet sich im vierten Abschnitt beim Kostümverleiher Gibiser. In „offenen Schränken [...] rechts und links hingen Kostüme aller Art“ (458). Fridolin sucht für sich ein Kostüm bei Gibiser und Kleidung für Albertine in ihrem Traum. Albertine träumt von einem türkischen Basar – Gibiser trägt „eine türkische Mütze mit einer Troddel“ (458). Eine weitere Parallele zwischen Albertines Traum und Fridolins Erlebnissen ist seine Kostümierung für den geheimen Maskenball. Bei der geheimen Gesellschaft trägt er eine „dunkle Mönchskutte und eine schwarze Larve“ (458). In Albertines Traum ist Fridolin in „einen schwarzen Mantel gehüllt“ (479). Bei beiden Erlebnissen spielt ‚Dänemark‘ eine wichtige Rolle. Für Fridolin ist es das Passwort zur geheimen erotischen Gesellschaft, für Albertine ist der Däne ebenfalls eine Art Schlüssel(figur), die zu einer Orgie führt.58 Im Gegensatz zu Fridolin findet Albertine in ihrem Traum mehrfach sexuelle Befriedigung mit dem Dänen. „Wie Fridolin in der geheimen Gesellschaft erfährt Albertine im Traum die Überwindung traditioneller Partnerbeziehungen [...].“59 Albertine erlebt eine „unendliche Flut von Nacktheit“ (479); „Fridolins Augen irrten [in der geheimen Gesellschaft] durstig von üppigen zu schlanken, von zarten zu prangend erblühten Gestalten“ (464), und er sieht „glühende, weiße Leiber“ (466). Nackte Paare tanzen auf dem geheimen Maskenball vor Fridolins Augen.
58 Daneben steht ‚Dänemark‘ auch für abgebrochene Abenteuer: Fridolin und Albertine haben ihre Erlebnisse damals im Urlaub in Dänemark nicht zu Ende geführt. Und auch Fridolin wird kein Erlebnis der Nacht beenden. 59 Perlmann (1987), 196.
222 | V ERFILMTE GEFÜHLE In Albertines Traum haben beide gemeinsam Sex – ohne bereits miteinander verheiratet zu sein. Am nächsten Morgen erwachen sie ohne Kleider, Albertine erfasst eine „brennende Scham bis zu innerer Vernichtung“ (477). Sie erlebt eine Art Demaskierung, wie sie auch Fridolin in der geheimen Gesellschaft beinahe erlebt hätte. In Albertines Traum erscheinen „Geistliche“ (479), auf Fridolins geheimen Ball sind viele Gäste „in geistlicher Tracht“ (463) anwesend, eine „altitalienische geistliche Arie“ (463) erklingt. Es gibt weitere Übereinstimmungen: Bei beiden Erlebnissen wird eine Strafe erwähnt.60 Während Fridolin beim Maskenball dieser nur knapp entgeht, wird er in Albertines Traum ausgepeitscht. Auch das Personal in Albertines Traum weist Ähnlichkeiten zu Fridolins geheimer Gesellschaft auf: Die Fürstin im Traum ähnelt der geheimen Warnerin. Sie trägt ein Diadem und einen langen Purpurmantel, als „Analogien zur Maske und geistlichen Kostüm der Warnerin“61. Die Fürstin tritt Fridolin in Albertines Traum nackt und mit herabfallendem Haar gegenüber. „Ihre Haare waren aufgelöst, flossen um ihren nackten Leib, das Diadem hielt sie in beiden Händen dir entgegen [...].“ (479)
Ähnlich beschreibt Fridolin die demaskierte Frau auf dem geheimen Maskenball. Die dunkle Tracht fiel wie durch einen Zauber von ihr ab, im Glanz ihres weißen Leibes stand sie da, sie griff nach dem Schleier, der ihr um Stirn, Haupt und Nacken gewunden war, und mit einer wundersamen runden Bewegung wand sie ihn los. Er sank zu Boden, dunkle Haare stürzten ihr über die Schultern, Brust und Lenden [...]. (470)
Auch die Adelstitel „Baronin“ und „Fürstin“ stellt eine Verbindung zwischen den beiden Figuren her. Eine weitere Parallele zwischen Fridolins Erlebnissen und Albertines Traum ist das „tolle, beinahe böse Lachen“ (465). Zum einen lachen so die Frauen auf dem geheimen Maskenball, als die Kavaliere zu ihnen kommen. Zum anderen empfängt auch Albertine ihren Mann mit diesem schrillen Lachen, als er nach Hause zurückkehrt.
60 Beim geheimen Maskenball wird Fridolin gewarnt: „Sie ergriff seine Hände. ‚Es war eine Nacht, da fiel es einem ein, einer von uns im Tanz den Schleier von der Stirn zu reißen. Man riß ihm die Larve vom Gesicht und peitschte ihn hinaus.‘“ (467) 61 Perlmann (1987), 197.
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Neben diesen zahlreichen Parallelen spiegeln sich Erlebnisse in der Traumnovelle.62 Auf einige solcher Spiegelungen in den Nachterlebnissen des Ehepaares wurde bereits eingegangen (Bewegung versus Ruhe; helle und offene Räume versus geschlossene und dunkle Räume). Dieser Hell-Dunkel-Kontrast ergibt sich auch noch einmal, wenn man Albertines Brautkleid (weiß) der Maskierung Fridolins (schwarz) gegenüberstellt. Ein weiteres dieser komplementären Phänomene ist die Fortbewegung beider Protagonisten. Fridolins nächtliche Erlebnisreise ist von Aktivität, Standortwechseln und Bewegung gekennzeichnet.63 Er geht zu Fuß in die Wohnung des Hofrates, er trifft bei seinem Spaziergang die Hure Mizzi, er läuft in ein Kaffeehaus, danach zum Maskenverleiher, fährt mit einer Kutsche zu einem geheimen Maskenball, verlässt ihn wieder und geht dann zu Fuß nach Hause. Fridolin treibt ruhelos von einer Episode in die nächste. Dagegen erlebt Albertine ihre Abenteuer in einer Ruheposition – im Schlaf. Sie bewegt sich also nicht physisch. Der Wechsel an einen anderen Ort vollzieht sich im Schlaf, meist fliegt sie. Weiterhin kann Albertine, ohne ihren Standort zu wechseln, andere, weit entfernte Orte einsehen. Sie ist nicht an die Gesetze von Raum und Zeit gebunden, im Gegensatz zu Fridolin. Auch das Verhalten der beiden (geheimer Maskenball – Orgie im Traum) ist gegensätzlich. Denn anders als Albertine scheut sich Fridolin in der geheimen Gesellschaft aktiv an den erotischen Handlungen teilzunehmen. [...] und plötzlich, als wären sie gejagt, stürzten sie alle [...] aus dem dämmerigen Saal zu den Frauen hin, wo ein tolles, beinahe böses Lachen sie empfing. Fridolin war der einzige, der als Mönch zurückgeblieben war, und schlich sich, einigermaßen ängstlich, in die entfernteste Ecke [...]. (464f.)
Im Gegensatz dazu empfindet Albertine die Massenorgie in ihrem Traum als beglückend, sie distanziert sich nicht, befindet sich sogar in ihrem Zentrum. Für Albertine ist diese Orgie eine Befreiung, für Fridolin eine Qual, denn Sinn des Festes der geheimen Gesellschaft ist nicht die Befriedigung. Auch gegensätzlich ist die Nacktheit bei beiden Erlebnissen. In der geheimen Gesellschaft sind die Kavaliere und die Frauen maskiert. Bei der Orgie in Albertines Traum sind sie es nicht.
62 Mit Spiegelungen sind Erscheinungen gemeint, die sich gleichen und nur in ihrer Bedeutung oder Ausführung gegensätzlich sind. 63 Vgl. Perlmann (1987), 192.
224 | V ERFILMTE GEFÜHLE Komplementär ist der Erfolg der Wunscherfüllung beider Erlebnisse. Fridolin kann keine seiner erotischen Abenteuer zu Ende bringen. „Seinen Begegnungen haftet weniger der Charakter des Erotischen als der des Morbiden und Kranken an.“64 Im Gegensatz zu Albertine, die den Ehebruch an ihrem Mann nicht nur einmal, sondern „unzählige Tage und Nächte“ (478) begeht. Eine letzte Gegensätzlichkeit ist das Zeitempfinden der beiden. Fridolins Erlebnisse sind mit genauen Zeitangaben versehen, für Albertine hingegen „gab es weder Zeit noch Raum“ (478). Leitende Motive und Indices Neben Parallelen und Spiegelungen, die das Traumhafte des Textes unterstreichen, lassen sich noch weitere Motive und auch Indices finden, die diesen Effekt erzielen.65 Je tiefer man in die Struktur der Traumnovelle eindringt, desto mehr wird klar, dass kein Detail dem Zufall überlassen wurde. Wie bereits erwähnt, plante Schnitzler zu Beginn, seine Erzählung Doppelnovelle oder Doppelgeschichte zu nennen. Nicht ohne Grund – die meisten Dinge erlebt Fridolin doppelt: Er begegnet Doppelgängern (Nachtigall, Dr. Adler), er besucht Orte zweimal und, wie eben dargelegt, verdoppeln sich auch Fridolins Erlebnisse in Albertines Traum. Auch wünscht sich der Protagonist mehrfach, ein Doppelleben zu führen. Zudem begegnet er immer wieder der Zahl Zwei: Fridolin trifft auf zwei rote Dominos auf der Redoute (434), der Däne sitzt mit zwei anderen Offizieren am Tisch (436), der geheime Maskenball fängt um zwei Uhr nachts an (455), zwei Femrichter sind bei Gibiser (459), zwei Diener fragen Fridolin nach der Parole (463), zwei Kavaliere stellen ihm später noch einmal diese Frage (468), zwei geheimnisvolle Herren bringen Nachtigall fort (481), genauso wie zwei Herren die Baronin Dubieski besuchen (494). Auch die Schilderung des Wetters unterliegt einer ausgeklügelten dramaturgischen Strategie. Bei genauerer Betrachtung wird klar, dass mit Hilfe von Wetterbeschreibungen die Erregungssteigerung des Protagonisten veranschaulicht und somit auch figurative Innenwahrnehmung ausgedrückt werden. Das Wetter wird somit zum Index für Fridolins Gefühle, die – so scheint es – mit der Außenwelt korrelieren. Durch das sich wandelnde Klima wird im Text eine Steigerung der Spannung erreicht, die mit der Steigerung von Fridolins Erregung einhergeht. Im ersten Abschnitt endet die Redoute nach „einer raschen Wagenfahrt durch die weiße Winternacht“ (435). Schon im zweiten Abschnitt ändert sich
64 Perlmann (1987), 192. 65 Auf Parallelen zu den Erzählungen aus den Tausendundeinen Nächten wurde bereits näher eingegangen.
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das. Fridolin ist auf dem Weg zum Hofrat. Er muss seinen Pelz aufknöpfen, denn „es war plötzlich Tauwetter eingetreten“ (441). Beim Hofrat öffnet Fridolin das Fenster „und ließ die Luft herein, die, indes noch wärmer und frühlingshafter geworden“ (444) ist. Die Erwärmung steigert sich. Im dritten Abschnitt herrschen „Vorfrühlingswinde“ (446). „Der Schnee in den Straßen war geschmolzen, links und rechts waren kleine schmutzig-weiße Häuflein aufgeschichtet [...].“ (446) Später ist „die trügerisch-warme Luft nicht schwanger von Gefahren“ (446). Nachdem Fridolin das Haus von Mizzi verlassen hat, ist es „noch etwas wärmer geworden“ (451). Auf der Kutschfahrt zum geheimen Maskenball ist die Luft „unnatürlich warm“ (461), die Klimaerwärmung erreicht hier ihren Höhepunkt. Als Fridolin die geheime Gesellschaft verlassen muss, bläst der Wind heftig und „über den Himmel hin flogen violette Wolken“ (470). Das Wetter ist hier am surrealsten. Fridolin wird nun mit einer Kutsche vom Maskenball weggebracht. Als er den Wagen verlassen kann, findet er sich auf einem freien Feld wieder. „Der Himmel war bedeckt, die Wolken jagten, der Wind pfiff, Fridolin stand im Schnee, der ringsum eine blasse Helligkeit verbreitete.“ (472) Der Winter vom Beginn der Handlung ist wieder eingetreten, das surreale Abenteuer der Nacht ist am Ende des vierten Abschnittes beendet. Es wird hell. Farben Ein weiteres Element zur Darstellung von figurativen Innenwahrnehmungen sind die im Text verwendeten Farbcodes, die auch in den filmischen Umsetzungen von großer Bedeutung sind. Rot, Gelb, Grün, Blau, Grau, Schwarz, Weiß und Purpur/Violett sind die Farben der Traumnovelle. Am Ende (in der Leichenhalle) gipfelt diese Farbpalette in einem „farbenprächtig“ (501). Dabei stehen verschiedene Orte für eine Farbe, aber auch einzelnen Figuren sind Farben zugeordnet. Fridolins Farben sind Schwarz und Weiß, gegensätzlich wie auch sein Charakter. Er trägt auf dem geheimen Ball „eine dunkle Mönchskutte und eine schwarze Larve“ (458). Er hat eine „schwarze Arzttasche“ (482) und einen „weißen Ärztekittel“ (473, 484). Schwarzweiß gilt als „Symbol der Gegensätzlichkeit in Form eines scharfen visuellen Kontrasts [...]“66. So wünscht sich Fridolin auch wiederholt ein Doppelleben. In Albertines Traum ist er „in einen schwarzen Mantel gehüllt“ (479), hat aber auch eine gelbe Tasche bei sich. „Schwarz, verbunden mit Gelb, charakteri-
66 Scheuer (2008), 338.
226 | V ERFILMTE GEFÜHLE siert negative Gefühle [wie] Schuld, Lüge, Untreue.“67 Gefühle, die zu einer Entfremdung zwischen Fridolin und Albertine führen. Vor allem an Albertines Schilderung der gelben Reisetasche (436, 445), die der Däne bei sich trug, erinnert sich Fridolin mehrmals. Bitterkeit gegen sie stieg in ihm auf und ein dumpfer Groll gegen den Herrn in Dänemark mit der gelben Reisetasche auf der Hotelstiege. (445)
Diese gelbe Tasche wird zum wiederkehrenden Motiv für seinen Neid und seine Eifersucht, beides kulturelle Codes der Farbe Gelb. Einzig am Anfang des Textes wird auch Albertine eine Farbe zugeordnet. Bei ihrer Erzählung über den Urlaub und den Dänen trägt sie eine „weiße Rose im Gürtel“ (437). Weiß ist das „Symbol der Unschuld, Jungfräulichkeit und Tugend, des Heiligen und Erhabenen [...]. Relevant für die Symbolbildung sind die Helligkeit der Farbe und damit die besondere Affinität zur Ver- und Beschmutzung [...].“68 Zudem hat eine weiße Rose den kulturellen Code der Jungfräulichkeit. Doch Albertine war zu dieser Zeit keine Jungfrau mehr und in starker Versuchung, ihren Mann für den Dänen zu verlassen, anstatt ein bürgerliches Leben zu führen. Die codierten Bedeutungen ‚Unschuld‘ oder ‚Tugend‘ werden durch diese ironische Überspitzung ad absurdum geführt. Und es wird etwas angedeutet, was später im Text noch einmal thematisiert wird: Albertine war Fridolin nicht immer sicher. Marianne, der Fridolin im zweiten Abschnitt begegnet, ist farblos. Sie ist ein „blasses Mädchen“ (441), wie der Protagonist selbst bemerkt. Deshalb reizt sie ihn auch nicht, er fühlt sich von ihr nicht erotisch angezogen. Am nächsten Tag „war [sie] schwarz gekleidet, um den Hals trug sie eine schwarze Jettkette“ (490). Schwarz wird hier mit Attributen des Todes versehen. Die Petroleumlampe in ihrem Zimmer ist grün verhangen (441). Grün gilt unter anderem als Farbcode für Giftigkeit und Ungenießbares (Galle, Aussatz, Verwesung)69 – Gefühle, die Fridolin bei dieser Frau und ihrem toten Vater empfindet und die ihm Marianne in diesem Augenblick auch so „ungenießbar“ erscheinen lassen. Genauso ‚giftig‘ grün sind am nächsten Tag die heruntergelassenen Jalousien der geheimen Villa (487) und erscheinen so fast als eine Art stumme Warnung, keine weiteren Nachforschungen anzustellen. Dasselbe wird Fridolin auch wenig später in einem Brief angeraten.
67 Heller (1999), 92. 68 Gretz (2008), 420f. 69 Heller (1999), 78.
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Eine übergeordnete Rolle im Text spielt die Farbe Rot. Schon auf dem ersten Maskenball begegnet Fridolin zwei roten Dominos (434), die ihn verführen wollen. Rot wird also gleich zu Beginn des Textes ganz eindeutig als Farbe der Leidenschaft identifiziert. Sie steht für das moralisch Verbotene, für Erotik, Sexualität, Begierde und das Verführerische, aber auch für Gefahr.70 Mizzi, die Fridolin im dritten Abschnitt trifft, hat Lippen „von einem natürlichen Rot gefärbt“ (450) und trägt einen roten Schlafrock (450). Als Prostituierte vereint sie alle codierten Bedeutungen der Farbe Rot. Nachdem Fridolin allerdings einen näheren Kontakt mit Mizzi ablehnt, legt sie sich „einen schmalen blauen Wollschal um“ (451). Dem Farbcode Blau werden Melancholie und Tod zugeordnet, wobei diese kulturelle Konnotation auf die kommende Handlung vorausdeutet. Denn erst am nächsten Tag erfährt Fridolin, dass Mizzi Syphilis hat. Die Farbe Blau steht aber auch für Sehnsucht und Treue: Fridolin kann an diesem Abend Albertine treu bleiben. Pierrette, die Tochter des Kostümverleihers, trägt weiße Seidenstrümpfe. Ihr kleines schmales Gesicht war weiß bestäubt, mit einigen Schönheitspflästerchen bedeckt, von ihren zarten Brüsten stieg ein Duft von Rosen und Puder auf; – aus ihren Augen lächelte Schelmerei und Lust. (459) Sie stand in der Türe, weiß und zart, und schüttelte mit einem Blick auf Fridolin traurig den Kopf. (460)
„Weiß ist die Farbe der Unschuld.“71 Die junge Pierrette wird von Fridolin tatsächlich als unschuldig eingeschätzt. Allerdings verströmt sie außerdem einen betörenden Duft und schaut verführerisch, was auf ihr eigentliches Wesen verweist. Das realisiert Fridolin jedoch erst am nächsten Tag. Pierrette ist in Gesellschaft von zwei kostümierten roten Femrichern72, das unschuldige Weiß wird so auch sexuell konnotiert. Pierrette ist keine Jungfrau mehr, kokettiert aber mit ihrer Kindlichkeit. Das nächste Rot im Text beschreibt den „rotglühenden“ (466) Mund der maskierten Warnerin auf dem geheimen Ball. Ferner trägt sie einen schwarzen Schleier über ihrem Leib. Sie vereint somit die drei Grundfarben der Frauen in der Novelle: schwarz (Marianne), rot (Mizzi) und weiß (Pierrette). Sie ist auch
70 Heller (1999), 53 ff. 71 Heller (1999), 148. 72 Die Kostümierung des Femrichters verweist auf das Femgericht und deutet offensichtlich auf zukünftige Erlebnisse des Protagonisten bei der geheimen Gesellschaft: geheime Losung, Bestrafung, Warnung durch einen Brief, rituelle Handlungen.
228 | V ERFILMTE GEFÜHLE diejenige, nach der sich Fridolin am meisten sehnt und die doch für ihn am unerreichbarsten ist. Abschließend sei noch etwas zu den verkleideten Gästen auf der Geheimgesellschaft gesagt, die, nachdem sie ihre Mönchkutten abgelegt haben, „in festli-
chen weißen, gelben, blauen, roten Kavalierstrachten“ (464) den Saal betreten. Die Gäste erscheinen in fast alle Farben, die bisher im Text verwendet wurden. Weiß (Albertine, Pierrette), Gelb (die Tasche des Dänen), Blau (Sehnsucht) und Rot (Mizzi, die geheime Warnerin, Leidenschaft, Wollust). Nachdem Fridolin den Ball verlassen hat, leuchtet draußen „trüb-rötlich eine Laterne. [... Ü]ber den Himmel hin flogen violette Wolken“ (470). Das erotischgefährliche Rot verblasst, es weicht einem violetten Himmel. Violett, eine Mischfarbe aus Rot und Blau, ist in der liturgischen Farbensymbolik ein Symbol der Reue und Buße, der Einkehr und Umkehr. Fridolins Nachterlebnisse scheinen abgeschlossen. Gerüche Obwohl vor allem die Beschreibung von Farbe, Licht und Kostüm bzw. Maske für eine filmische Visualisierung relevant ist, möchte ich kurz auf Schnitzlers Darstellung von Gerüchen im Text eingehen – ein weiterer Indikator für Fridolins Wahrnehmungen. Geruchsbeschreibungen verdeutlichen, wie sich der Protagonist immer mehr von dem Alltäglichen löst und dem Unbekannt-Lockenden entgegenstrebt. „Alle Frauen, die ab dem zweiten Kapitel auftreten, werden mittels Geruchseindrücken beschrieben; das gleiche gilt für eine Reihe von Orten, wobei die Geruchsatmosphäre des Ortes die Charakterisierung der Personen vielfach ergänzt.“73 Albertine trägt eine weiße Rose (437). Auch andere Figuren verströmen einen Rosenduft: Marianne riecht „ein wenig nach [...] Rosenseife“ (441) und von Pierrettes „zarten Brüsten stieg ein Duft von Rosen und Puder auf“ (459). Frauen, von denen sich Fridolin angezogen fühlt, verströmen einen angenehmen Geruch. Bei Marianne riecht es lediglich „nach alten Möbeln, Medikamenten, Petroleum, Küche“ (441). Bei ihr spürt er deshalb auch „nicht die geringste Erregung“ (445). Zudem flößt Fridolin der „süßlich-fade Geruch ihres ungelüfteten Kleides einen leichten Widerwillen ein“ (445). Er muss sogar das Fenster öffnen. Dabei strömt ein „Duft aus den erwachenden fernen Wäldern“ herein (444). Bei Mizzi „roch es [...] viel angenehmer als zum Beispiel in Mariannens Behausung“ (449). Später, auf der Straße, bringt der „laue Wind [...] in die enge Gasse einen Duft von feuchten Wiesen und fernem Bergfrühling“
73 Krotkoff (1972), 82.
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(451). In Pierrettes Umgebung „roch [es] nach Seide, Samt, Parfüms, Staub und trockenen Blumen“ (458). Die Maske, die Fridolin von Gibiser bekommt, „roch nach einem fremdartigen, etwas widerlichen Parfüm“ (460). Genauso fremdartig sind für ihn auch die Regeln der geheimen Gesellschaft, was Fridolin allerdings reizt und auch berauscht. Fridolin war wie trunken, nicht nur von ihr, ihrem duftenden Leib, ihrem rotglühenden Mund, nicht nur von der Atmosphäre dieses Raums, den wollüstigen Geheimnissen, die ihn hier umgaben; – er war berauscht und durstig zugleich von all den Erlebnissen dieser Nacht, deren keines einen Abschluß gehabt hatte; von sich selbst, von seiner Kühnheit, von der Wandlung, die er in sich spürte. (466f.)
Die sinnliche Wahrnehmung von Gerüchen vermischt sich hier stark mit Fridolins erotischen Vorstellungen. An dieser Stelle des Textes ist der Protagonist am empfänglichsten für körperliche Sinnesreize: Geruch, Geräusche, Bilder, Berührungen und Geschmack strömen massiv auf ihn ein. Nach diesem sinnlichen Höhepunkt kehrt Fridolin nach Hause zurück. Am nächsten Tag hat er das „quälende Verlangen nach dem wundersamen Frauenleib, dessen Duft noch um ihn strich“ (467), zu suchen. Seine Nachforschungen führen ihn auch in das Hotel von Nachtigall, wo es „nach ungelüfteten Betten, schlechtem Fett und Zichorienkaffee“ (482) riecht. Den berauschenden Geruch der geheimen Warnerin kann er nicht wiederfinden. Die letzte beschriebene Geruchswahrnehmung in der Traumnovelle gilt Fridolins medizinischer Arbeitswelt. Er befindet sich im sechsten Abschnitt im Pathologisch-anatomischen Institut, wo ihn ein „vertrauter, gewissermaßen heimatlicher Geruch von allerlei Chemikalien, der den angestammten Duft dieses Gebäudes übertönte, umfing [...]“ (497). Der Protagonist ist wieder im Alltag angekommen, genauso wie die Gerüche für ihn wieder alltäglich sind. „Das Ende der Beschreibung der Geruchseindrücke zeigt die noch unbewußte, aber innerlich bereits vollzogene Loslösung von den sinnorientierten Stimmungen der vergangenen Nacht an.“74 Licht Die Traumnovelle beginnt „unter dem rötlichen Schein der Hängelampe“ (434), unter dem sich das Ehepaar die Erlebnisse der Redoute des Vorabends und des vergangenen Sommerurlaubes erzählt. Von nun an herrscht diffuses Licht vor: In Mariannes Haus ist die Treppe schlecht beleuchtet, Fridolin geht durch „den un-
74 Krotkoff (1972), 83.
230 | V ERFILMTE GEFÜHLE beleuchteten Vorraum in das Wohnzimmer“ (441), die Petroleumlampe ist verhängt. Bei Mizzi „brannte eine Öllampe“ (449). Als er ihr Haus verlässt, muss sie Fridolin eine Kerze anzünden, damit er den Weg nach unten findet. Das Kaffeehaus, in dem Nachtigall Klavier spielt, ist „mäßig beleuchtet“ (451). Auch beim Kostümverleiher Gibiser muss der Hausmeister ihm so lange von unten mit der Kerze leuchten, „bis Fridolin im ersten Stockwerk geklingelt hatte“ (458). Das Magazin von Gibiser liegt in einem „schwimmenden Dunkel [...] und [es] glänzten eine Menge kleiner Lämpchen zwischen offenen Schränken eines engen, langgestreckten Gangs, der sich rückwärts in Finsternis verlor“ (458). Es zeigt sich, dass die „geheimnisvoll traumhafte Stimmung [...] durch konsequent abnehmende [...] Lichtverhältnisse unterstrichen“75 wird. Als Fridolin den Ball verlässt, leuchtet draußen eine „rot-trübliche Laterne“ (470), ähnlich wie die Hängelampe zu Beginn des Textes. Auch das Feld, auf dem er sich wiederfindet, strahlt in „blasser Helligkeit“ (472). Sein Nachhauseweg führt ihn durch ein „fast unbeleuchtetes Gäßchen“ (472), das Licht seiner Nachttischlampe ist gedämpft (474). Erst am Ende der Traumnovelle erleuchtet ein „sieghafter Lichtstrahl“ (504) das Schlafzimmer von Fridolin und Albertine. Dieses Bild deutet auf „eine wirkliche Überwindung der Nacht, der zeitlichen und der gefühlsmäßigen, hin.“76 Im Text wird durch die präzise Schilderung der Lichtverhältnisse erneut der Anschein erweckt, Fridolins innere Verfassung und seine Außenwelt korrelierten. Die diffuse Lichtgebung ist ein Index für die Stimmung von Fridolins Umwelt, die sich gleichzeitig auf sein Inneres überträgt. Eine dramaturgisch durchdachte Lichtsetzung ist auch für das Medium Film charakteristisch. Es wird zu untersuchen sein, wie das Licht in den ausgewählten Verfilmungen gesetzt wird. Masken und Verkleidungen Die Maske erfüllt in der Traumnovelle die Funktion eines Katalysators und steht für verborgene Wünsche, deren Ausleben und Eingestehen. Das Thema Masken und Maskierung wird gleich zu Beginn der Traumnovelle eingeführt und findet sich im gesamten Text. Bereits im ersten Abschnitt der Novelle unterhält sich das Ehepaar über eine Redoute zum Abschluss der Karnevalssaison, die sie am Vorabend besucht haben. Auch bei der geheimen Gesellschaft spielen Verkleidung und Maskierung eine große Rolle. Die zahlreichen Maskierungen (Gibiser, Pierrette, geheime Gesellschaft, Mönchskutte, Albertines Traum), auf die bereits eingegangen wurde, sollen über das wahre Sein ihres Trägers hinwegtäuschen.
75 Perlmann (1987), 191. 76 Krotkoff (1972), 77.
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Eine Maske oder Verkleidung verwandelt ihren Träger in die Person, die er sein möchte und als die er von anderen wahrgenommen werden möchte. So wird die Maske für Fridolin und Albertine ein Hilfsmittel, um verborgene Wünsche zu entdecken und auszuleben. Beide maskieren sich in dieser Nacht: Fridolin mit Larve und Mantel; Albertines Verkleidung ihrer Sehnsüchte ist der Traum. Mittels der Maskierung erfolgt eine „Trennung vom sozialen Ich und das Freiwerden der primitiven Triebe, die in der gesellschaftlichen Kulturwelt gebändigt oder verdrängt werden“77. Dieses Freiwerden der Triebe findet sich sowohl in Albertines Traum als auch auf dem Fest der geheimen Gesellschaft, dem Fridolin beiwohnt. Auf diesem geheimen Ball sind alle Beteiligten maskiert. Der Maskenträger verschleiert seine Identität und Individualität, wird anonym. Die Mitglieder der geheimen Gesellschaft fühlen sich dank ihrer Ununterscheidbarkeit ungehemmt und können ungezügelt ihren sexuellen oder sadistischen Phantasien nachgehen. Nur Fridolin kann trotz Maske nicht frei sein. Er fühlt sich auch maskiert befangen und sucht weiterhin den persönlichen Kontakt zum Individuum. Er möchte sich mit der geheimen Warnerin zurückziehen, sie besser kennen lernen, was strikt gegen die Regeln der geheimen Gesellschaft verstößt. Die Maske erzielt für Fridolin hier nicht den erwünschten Effekt. Sie ist erst an späterer Stelle wirksam, als er seine Larve neben Albertines Gesicht im Ehebett wiederfindet. Erst da kann er sich öffnen, frei werden und auch echte Gefühle zeigen. Obwohl der Protagonist nur beim geheimen Ball eine für alle sichtbare Maske trägt, ist er im gesamten Text maskiert und spielt eine Rolle. Erst die Konfrontation mit der Larve, die neben Albertines auf dem Kopfkissen liegt, macht ihm dieses Dilemma bewusst. Die Maske demaskiert ihn und bringt sein wahres Ich zum Vorschein. Er kann sich nun öffnen. „Ich will dir alles erzählen“ (503), sagt er zu seiner Frau. „Ich wunderte mich nicht, denn es war vollkommen in der Ordnung und konnte gar nicht anders sein, als daß du mir auf alle Gefahr hin und in alle Ewigkeit die Treue halten mußtest.“ (479) Die Treue – ein Grundpfeiler der bürgerlichen Ehe beginnt in der Traumnovelle zu wanken, wird von den Eheleuten in Frage gestellt. „Bürgerliche Rollenwelt, Triebkräfte des einzelnen und komplexe Wirklichkeitserfahrungen stehen unverstanden und unvermittelt nebeneinander.“78 Fridolin, überrascht und verstört vom Geständnis seiner Frau, begibt sich in eine erotische Nacht der Vergeltung, in der er allerdings keinen Ehebruch bege-
77 Krotkoff (1972), 86. 78 Knorr (1988), 192.
232 | V ERFILMTE GEFÜHLE hen will und kann. Zurückgekehrt ins eheliche Schlafzimmer, erzählt Albertine Fridolin einen Traum, der alles Erlebte weit übertrifft: Sie begeht unzählige Male Ehebruch und verspottet ihren Mann, der sich aus Treue ans Kreuz nageln lässt. Empört über diese Offenbarung, versucht der Protagonist, seine erotischen Abenteuer der vergangenen Nacht zu Ende zu führen, was ihm erneut nicht gelingt. Entmutigt und verstört kehrt er nach Hause zurück und muss feststellen, dass Albertine etwas ahnt oder gar alles weiß. Erst jetzt kann er sich öffnen. Die Rückkehr des Paares in den Alltag ist nun von dem Bewusstsein begleitet, dass ihrer Ehe Gefahren drohen. Deshalb können sie sich nur „für lange“ (503) aus den Träumen erwacht sehen, nicht für immer. Trotzdem bleiben Fridolin und Albertine zusammen, denn sie erkennen auch, dass sie sich lieben. Dieser Ausgang der Traumnovelle ist ein Novum bei Schnitzler, der Text endet nicht mit einer persönlichen Katastrophe der Protagonisten.
Traumnovelle (Ö 1969)
Obwohl Schnitzler-Texte seit 1914 vielfach verfilmt wurden1, entstand die erste filmische Version der Traumnovelle erst 1969. Das ORF strahlte den Fernsehfilm aus. Nach dieser Verfilmung sicherte sich Stanley Kubrick die Rechte an dem Stoff. Als Fridolin agiert Karlheinz Böhm, der durch seine Rolle als Kaiser Franz Joseph in der Sissi-Trilogie (Ö 1955–57) bekannt wurde. Erika Pluhar, langjähriges Mitglied des Wiener Burgtheaters, spielt die Albertine.2 Der Regisseur des Films, Wolfgang Glück3, stellt dem Fernsehfilm ein Vorwort voran – eine Einblendung mit einem Textauszug aus dem Paracelsus (1898) von Arthur Schnitzler. Dieses Versspiel weist inhaltlich einige Parallelen zur Traumnovelle (1924/25) auf. Der Protagonist ist ebenfalls ein Arzt (Paracelsus), der eine Frau (Justina) in einen langen Schlaf versetzt, in dem sie intensiv von der Zeit vor ihrer Hochzeit träumt. Sie gesteht, dass sie damals, vor ihrer Hochzeit mit Cyprian, Paracelsus liebte. Als sie erwacht, entscheidet sie, bei ihrem Ehemann (Cyprian) zu bleiben.
1
Eichinger spricht sogar von einer „Schnitzler-Renaissance“ und meint damit Produktionen aus den 1960er Jahren, „die keine eigene Filmsprache entwickelten und sich vielmehr in bloßer Abbildung der damaligen Theaterästhetik erschöpften“. (Eichinger [2006], 252)
2
Sie wirkte in weiteren Schnitzler-Verfilmungen mit. So in Zwischenspiel oder die neue Ehe (BRD 1971) und im Reigen (Ö 1973).
3
Im Laufe der Recherchen zu diesem Band war es möglich, Kontakt zu Wolfgang Glück in Wien aufzubauen, der dort als Professor an der Filmakademie lehrt. Er war bereit, zu einigen Fragen bezüglich seines Films schriftlich Auskünfte zu geben, die punktuell in die Untersuchung einfließen werden.
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Nach diesem Erlebnis resümiert Paracelsus:
Traumnovelle (Ö 1969), TC 0.00.01 Insert am Beginn des Films. Das Zitat in Schnitzlers Originaltext geht noch weiter: „Wir wissen nichts von Andern, nichts von uns. Wir spielen immer, wer es weiß, ist klug.“4
Ähnlich formuliert es Albertine am Ende von Schnitzlers Traumnovelle: Sie lächelte, und nach kurzem Zögern erwiderte sie: „Dem Schicksal dankbar sein, glaube ich, daß wir aus allen Abenteuern heil davongekommen sind – aus den wirklichen und aus den geträumten.“ „Weißt du das auch ganz gewiß?“ fragte er. „So gewiß, als ich ahne, daß die Wirklichkeit einer Nacht, ja daß nicht einmal die eines ganzen Menschenlebens zugleich auch seine innerste Wahrheit bedeutet.“ (503)
Das dem Fernsehfilm vorangestellte Zitat beeinflusst bereits vor der filmischen Handlungseröffnung die Wahrnehmung des Zuschauers. Glück schreibt selbst zu diesem Vorwort: „Zunächst wollte ich auf keinen Fall die üblichen Signale ‚Traum im Film‘ verwenden (Unschärfen, Überblendungen, Einfärbungen etc.), weil ich dem Zuschauer unbedingt die Freiheit überlassen wollte, ‚Wirklichkeit oder Traum‘ selbst zu entscheiden. Daher auch der ‚Vorspruch‘.“5 Das Vorwort aus dem Paracelsus thematisiert demnach ein zentrales Problem der Traumnovelle: Was ist Realität, was ist Traum? Glück greift diese Problematik an zahlreichen Stellen des Films auf: mittels der Dialoge zwischen den Protagonisten und auch mit Hilfe von Farbsymbolik und Musik. Auf die Spitze
4
Schnitzler (1922), 56.
5
Zitiert aus einer E-Mail am 20.5.2011.
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getrieben wird die Feststellung ‚Sicherheit ist nirgends‘ zweifellos auf dem Maskenball. Dort begegnet Fridolin zahlreichen weiblichen Maskierten. Hinter zwei der Larven kann man unschwer Albertine und Pierrette erkennen, die zu diesem Zeitpunkt gar nicht auf dem Maskenball sein können. Oder vielleicht doch? Die maskierte Albertine fragt: „Wunderst du dich?“ (TC 0.41.08) Fridolin wirkt verunsichert. Neben der Frage nach Realität und Fiktion, die im Film thematisiert wird, konzentriert sich die Verfilmung auch auf die Gestaltung der figurativen Innenwahrnehmungen von Fridolin. Genauso wie bei Fräulein Else (F/Ö/D 2002) wird auch hier scheinbar in erster Linie die Stimme aus dem Off (in diesem Fall Fridolins Stimme) als Inszenierungstechnik eingesetzt. Bei genauerer Analyse wird allerdings klar, dass Glück zahlreiche kinematographische Mittel anwendet, um die Gefühle und Gedanken des Protagonisten darzustellen.
1. D ER AUFBAU
DES
F ILMS
IM
V ERGLEICH
ZUR
N OVELLE
Der Fernsehfilm, der sich bei Aufbau und Handlung fast exakt an die literarische Vorlage hält,6 spielt im Wien um 1900 zur Faschingszeit. Wie Schnitzlers Novelle werden auch im Film genaue Zeitangaben gemacht: Uhren werden eingeblendet, Kirchenglocken schlagen oder die Protagonisten selbst benennen die Uhrzeit. Anders als die Novelle gibt der Film zusätzlich ein exaktes Datum an: bei TC 0.18.51 wird der Totenschein des Hofrats eingeblendet. Fridolin trägt den 1.3.1910 ein. Folgende Tabelle soll den Aufbau des Films und Textes gegenüberstellen. Traumnovelle Text 1. Abschnitt (21.00 Uhr) Albertine und Fridolin
4 Rückblenden: 1. Erlebnisse auf der Redoute am Vorabend 2. Ferienerlebnisse im Sommer
6
Traumnovelle (Ö 1969) Film Sequenz 1 Abend, Wien, Wohnzimmer der Familie: das Gespräch zwischen Fridolin und Albertine 4 Rückblenden, die nur sprachlich vollzogen werden, nicht visuell: 1. Erlebnisse auf der Redoute am Vorabend 2. Ferienerlebnisse im Sommer
Lediglich die Verfolgungsszene aus dem sechsten Abschnitt wurde nicht visualisiert.
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3. Anspielungen auf Fridolins Junggesellen-erlebnisse 4. Verlobungszeit/ Sommerfrische am Wörthersee 2. Abschnitt (23.00 Uhr) Marianne und Fridolin 3. Abschnitt Fridolin begegnet den Couleurstudenten Mizzi und Fridolin 4. Abschnitt Fridolin und Nachtigall im Kaffeehaus
3. Anspielungen auf Fridolins Junggesellen-erlebnisse 4. Verlobungszeit/Sommerfrische am Wörthersee Sequenz 2 Abend. Wien. Marianne und Fridolin Sequenz 3 Fridolin begegnet den Couleurstudenten Sequenz 4 Mizzi und Fridolin Sequenz 5 Fridolin und Nachtigall in einem Kaffeehaus. Sequenz 6 Fridolin beim Kostümverleiher Gibiser Fridolin beim Kostümverleiher Gibiser und seiner Tochter Pierrette und seiner Tochter Pierrette Sequenz 7 Fridolin auf dem Weg zum geheimen Fridolin auf dem Weg zum geheiMaskenball men Maskenball Sequenz 8 Fridolin auf dem Maskenball und die Fridolin auf dem Maskenball und fremde Warnerin die fremde Warnerin Sequenz 9 Fridolin auf dem Nachhauseweg Fridolin auf dem Nachhauseweg 5. Abschnitt (4.00 Uhr) Sequenz 10 (nach 4.00 Uhr) Albertine und Fridolin, sie erzählt Albertine und Fridolin, sie erzählt ihren ihren Traum Traum.
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Sequenz 11 6. Abschnitt Beginn 7.00 Uhr früh, danach keine der nächste Tag, Fridolin auf der Suche nach Nachtigall genauen Zeitangaben mehr Fridolin sucht Nachtigall Sequenz 12 Fridolin bringt Gibiser sein Kostüm Fridolin bei Gibiser Sequenz 13 zurück Fridolin sucht das Haus vom Mas- Fridolin vor der Villa der geheimen Gesellschaft kenball auf Sequenz 14 Fridolin bei Marianne Fridolin und Marianne Sequenz 15 Fridolin sucht Mizzi Fridolin sucht Mizzi Sequenz 16 Fridolin im Kaffeehaus/Verfolgung Fridolin im Kaffeehaus, keine Verfolgungsszene Sequenz 17 Fridolin auf der Suche nach der maskierFridolin auf der Suche nach der ten Warnerin (Dr. Adler und die Tote in maskierten Warnerin (Dr. Adler der Leichenhalle) und die Tote in der Leichenhalle) 7. Abschnitt (4.00–7.00 Uhr) Sequenz 18 Das Gespräch zwischen Albertine Nacht, Fridolin will nach Hause, das Geund Fridolin spräch mit Albertine
Darstellung: Henrike Hahn
Wie auch bei Schnitzler beginnt der Film in medias res mit einem Märchen, welches die Tochter ihrer Mutter vorliest. Auch hier handelt es sich um die Geschichte von Kamar ez-Zaman aus den Erzählungen aus den Tausendundein Nächten. Alle Verweise, die Schnitzler mit diesem Märchenmotiv in seinem Text anklingen lässt, fließen auch in Glücks Verfilmung ein. Mittels Musik, der Bekleidung von Gibiser und der Traumerzählung von Albertine wird eine märchenhafte Atmosphäre erzeugt. Das erste Gespräch der Eheleute findet nicht – wie im Text – unter einer roten Hängelampe statt, sondern im hell erleuchteten Jugendstil-Wohnzimmer. Dabei gestehen sich beide, dass sie schon mehrfach der Versuchung widerstanden haben. Fridolin erfüllt hier die Rolle des Stärkeren, Dominanteren, wie man auch am Bildaufbau erkennen kann (vgl. Abbildung TC 0.04.28). Eine vergleichbare Gesprächssituation findet sich am Ende des Films, als Fridolin seine
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Erlebnisse der Nacht seiner Frau beichtet. Allerdings befindet er sich dort in der Rolle des Unterlegenen (vgl. Abbildung TC 1.09.46).
Traumnovelle (Ö 1969), TC 0.04.28 Albertine als die Bittende. Sie schaut zu ihm auf. Fridolin streckt ihr, als Geste der Versöhnung, die Arme entgegen.
Traumnovelle (Ö 1969), TC 1.09.46 Fridolin als der Bittende. Diesmal schaut er zu Albertine auf und ergreift verzweifelt ihre Arme. Sie verzeiht ihm.
Auch hier folgt die Filmhandlung der Textvorlage: Mit einem Gespräch des Ehepaares am Anfang und am Ende vollzieht der Film eine Kreisstruktur. Innerhalb dieses Kreises überdenken beide Protagonisten ihre Partnerschaft.
2. E RZÄHLPERSPEKTIVE Im Gegensatz zu Fräulein Else gibt es in Schnitzlers Traumnovelle einen personalen oder auch heterodiegetischen Erzähler, der perspektivisch vom Standpunkt Fridolins aus erzählt (oft in der dritten Person) und größtenteils dessen Innenund Außenwelt fokalisiert. Es herrscht eine personale Erzählsituation vor. Auch die hier untersuchte Verfilmung erzählt perspektivisch von Fridolins Standpunkt aus. Ausgenommen davon ist Sequenz 1, in der die Kamera nicht nur bei Fridolin ist.7 Hier wird auf ihn, aber auch auf Albertine gezoomt. Fridolin agiert zu Beginn der Sequenz 1 im Hintergrund, es folgt eine Halbtotale des Wohnzimmers. Erst ab der zweiten Sequenz der Traumnovelle (Ö 1969) wird eine FridolinPerspektive realisiert. Prägend dafür ist ab TC 0.12.47 seine Stimme aus dem Off, welche die Handlung aus Fridolins Sicht kommentiert. Es finden sich nun Amerikanische- und Nahaufnahmen als vorwiegende Einstellungsgrößen. Im
7
Auch bei Schnitzler findet sich im ersten Abschnitt ein auktorialer Erzähler.
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Verlauf des Films kommt die Kamera dem Protagonisten immer näher. Sie läuft oder fährt neben ihm her (beispielsweise bei TC 0.19.54), zoomt auf ihn (unter anderem bei TC 0.24.44, TC 0.26.12, TC 0.34.53), verfolgt ihn (TC 0.20.32, TC 0.33.01, TC 0.34.02), steht neben ihm und filmt über die Schulter, zeigt POVs (TC 0.25.41, TC 0.32.46, TC 0.38.05) und unterlegt diese mit Fridolins Stimme aus dem Off. Um die personalisierte Erzählsituation zu verdichten, greift Glück in seiner Verfilmung häufig auf Groß- und Nahaufnahmen und auf Zooms auf Gesichter zurück. Höhepunkt der Kameranähe zum Protagonisten ist Fridolins unfreiwillige Kutschfahrt nach dem geheimen Ball. Auch danach ist die Kamera fast ununterbrochen bei Fridolin.8 Der Zuschauer ist immer in der Welt des Protagonisten, ohne Zusatzinformationen zu bekommen, ähnlich wie in Schnitzlers Traumnovelle. Verfremdet wird die personalisierte Inszenierungstechnik, die, das wird mit fortlaufender Handlung deutlich, nur ein begrenzt ‚reales‘ Bild der Figur Fridolin darstellt, durch zunehmend surreale Elemente. Gemeint ist der Einsatz von märchenhafter Musik, einer ausgeprägt unnatürlichen Farbgebung und einer abnehmenden Lichtintensität. Auch die teilweise exotisch anmutenden Schauplätze (ein vollgestopfter Kostüm-Fundus bei Gibiser, das unbeleuchtete Treppenhaus bei Mizzi, die dunkle Kutsche) verfremden das Gezeigte. So vollführt der Film, ähnlich wie Schnitzlers Novelle, an zahlreichen Stellen den Balanceakt zwischen Traum und Wachen. Die absolute Dominanz der ‚Fridolin-Perspektive‘ wird außer in Sequenz 1 auch in Sequenz 10 unterbrochen. An dieser Stelle erzählt Albertine ihren Traum. Hier findet sich eine starke inhaltliche Abweichung zum Schnitzler-Text. Glück verknappt und verändert Albertines Traum für seinen Film, was folgende Transkription verdeutlichen soll. Albertine: „Ich fahre auf der Nordsee auf einem riesigen altertümlichen Schiff. [...] Es ist ein Frauenschiff. An den Rudern sitzen nur Frauen, alle nackt. Ein einziger Mann ist an Bord, es ist der Reitbursche meines Vaters. [...] Als kleines Mädchen war ich in ihn verliebt. Ich führ das Kommando auf dem Schiff. Das Meer geht hoch. Auf einmal bemerke ich unter meinen Frauen einen zweiten Mann, er hat sich eingeschmuggelt. Ich bemerke ihn nur, weil er als einziger kostümiert ist. [...] Ja sehr kostbar, wie ein Prinz. Ich bin wü-
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Es handelt sich hier um eine attached camera, eine gebundene Kameraführung: „Die Kamera als Aufnahmegerät [bindet] sich an die abzubildenden Personen, Gegenstände und Ereignisse [...], Nähe und Teilnahme suggerierend“. (Hurst [1996], 138.) Im Gegensatz dazu würde die detached camera (gelöste Kameraführung) ein auktoriales ES vermitteln und einen Blick von außen erzeugen.
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tend, dass er kostümiert ist. Ich befehle, ihn an den Mastbaum zu binden. Er ist zu schwach sich zu wehren. Ich tanze vor ihm. Lachend, nackt und ohne Scham. Und während meine Frauen ihn blutig schlagen, gebe ich mich dem andern hin.“ Fridolin: „Dem Reitburschen?“ Albertine nickt. Albertine: „Ein verrückter Traum, nicht? Auf einmal ist mein Liebhaber verschwunden, und ich höre vom Mastbaum her meinen Namen. Albertine! Albertine! Ich schreie: Löst ihm die Fesseln. Der Gekreuzigte fällt auf mich herab. Ich will dich lieb haben. Ich will gut zu dir sein, aber du bist tot.“ Fridolin: „Ich?“ Fridolin: „Ich?“ Albertine: „Der Tote auf mir wird immer schwerer. Ich ringe nach Atem. Ich keuche vor Entsetzen. Da hebt eine Sturmböe das Schiff. Ein Blitz. Ich sehe die dänische Küste. Wir rollen über Bord. Der Tote geht unter. Ich schwimme mit offenen Haaren. Das Meer neigt sich mächtig über mich. Es hat ein furchtbares Gesicht. Wo warst du heute Nacht?“ Fridolin: „Schlaf jetzt.“ Albertine: „Verzeih mir.“ (ab TC 0.51.06)
Es wird deutlich, dass Glück Fridolins Nachterlebnisse viel stärker mit Albertines Traumerzählung in Zusammenhang setzt. Der Interpretationsspielraum des Zuschauers wird damit reduziert. Möglicherweise ist diese Strategie für das Medium Film, bei dem zahlreiche Handlungen simultan ablaufen, notwendig, um Handlungszusammenhänge besser nachvollziehen zu können. Dass Albertines Traum mit Fridolins Erlebnissen auf diffizile Art verbunden ist, hat Schnitzler in seinem Text meisterhaft inszeniert. Im Film wird dieses erzählerische Element nun verknappt und unmittelbarer mitgeteilt. Spielort des Traums ist ein Frauenschiff (ähnlich der Galeere aus dem Märchen der Tochter) mit nackten Frauen an den Rudern, auf dem Albertine das Kommando hat. Sie tanzt nackt und ohne Scham – eine Assoziation zum geheimen Maskenball mit den vielen nackten tanzenden Frauen liegt nahe. Albertine erzählt auch von Fridolin, der sich kostümiert auf das Schiff eingeschmuggelt hat – genauso wie er es beim geheimen Maskenball tat. Er wird von Albertine entdeckt, zur Strafe an den Mastbaum gebunden und ausgepeitscht. Währenddessen gibt sich Albertine dem Reitburschen sexuell hin. Allerdings, und hier findet sich ein deutlicher Unterschied zum Schnitzler-Text, stirbt Fridolin in Albertines Traum. Wie auch bei Schnitzler wird anhand von Albertines Traumerzählung klar, dass das Verhalten des Paares gegensätzlich ist. Denn anders als Albertine scheut sich Fridolin in der geheimen Gesellschaft aktiv an den erotischen Handlungen und am Tanz teilzunehmen. Albertine sagt selbst über Fridolin im Traum:
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„Er ist zu schwach, sich zu wehren“, genauso wie es der Fridolin in der Realität ist. Mittels Albertines Traumerzählung erreicht auch Glück eine Doppelperspektive, die erneut (nach den Erlebnissen Fridolins in der Nacht) die Grenzen von Traum und Realität überschreitet. Neben Kameraführung, Einstellungsgrößen, Zooms und inhaltlichen Verweisen hat in Glücks Verfilmung auch die Musik eine wichtige Erzählfunktion. Glück schreibt dazu: „[D]ie Musik war für mich sehr wesentlich, ich hatte mich nach Gesprächen für den (damals) jungen spanischen Komponisten entschieden und mit ihm sehr genau am Schneidetisch meine Wünsche geäußert.“9 Die Musik kommentiert und verstärkt inhaltlich verschiedene Szenen und wird eindeutig dramaturgisch eingesetzt. Vor allem eine plätschernde Xylophon-Harfenmusik wird zum immer wiederkehrenden Leitmotiv10, welches das TraumartigMärchenhafte der Handlung assoziieren und auditiv untermalen soll. Dieses Musikstück wird bereits zu Beginn des Films, bei der Einblendung des Vorworts, eingesetzt. Somit wird die Bedeutung dieser Harfen-Xylophon-Klänge eindeutig durch das Text-Insert benannt: Hier geht es um die Grauzone von Traum und Wachen, Wahrheit und Lüge. Im Verlauf des Films signalisiert dieses Leitmotiv immer wieder, dass etwas Außergewöhnliches (Traumartiges) passiert oder passieren wird. Mit zwei Aussagen der Protagonisten in den ersten Minuten des Films wird dieser Eindruck noch verstärkt. Albertine sagt bei TC 0.04.03: „Deine Gedanken, deine Wünsche. Gehen die niemals auf die Reise?“ Dieser Satz wird mit dem eben beschriebenen Musikstück unterlegt. Das gilt auch für Fridolins Aussage: „Aber vielleicht ist die Verwirklichung eines Wunsches nicht einmal so gefährlich wie ein Wunsch, der Traum bleibt.“ (TC 0.04.17) Die nun folgenden Szenenbilder zeigen, an welchen markanten Stellen im Film außerdem dieses musikalische Leitmotiv eingesetzt wird.
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Zitiert aus einer E-Mail am 20.5.2011.
10 Bereits Kracauer definiert leitmotivische Musik in Filmen. Die leitmotivische Musik regt „uns dazu an, die Bilderwelt zu durchdringen. Und doch verschwindet sie nicht hinter den Aussagen der Bilder.“ Vgl. Kracauer (1985), 194.
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Traumnovelle (Ö 1969), TC 0.15.13 Fridolin sitzt bei Marianne. Neben dem traumartig-märchenhaften Musikstück setzt auch Fridolins Stimme aus dem Off ein. Fridolin wird erst jetzt bewusst, was Albertines Geständnis eigentlich bedeutet. Er fühlt sich herausgerissen aus seiner bürgerlichen Routine und ist bereit, sich an ihr zu rächen.
Traumnovelle (Ö 1969), TC 0.21.43 Fridolin geht mit Mizzi. Das musikalische Leitmotiv setzt ein. Das Treppenhaus ist dunkel, die Situation wird surreal. Fridolin verlässt seine bürgerlichen Pfade. Sicherheit ist nirgends.
Traumnovelle (Ö 1969), TC 0.36.47 Traumnovelle (Ö 1969), TC 0.34.45 Unwirklich erscheint auch die Begegnung „Parole: Dänemark“, sagt Nachtigall. Fridolin traut seinen Ohren nicht. Das mumit Pierrette beim Maskenverleiher. sikalische Leitmotiv setzt auditiv um, was inhaltlich gerade passiert: Fridolin befindet sich in einer Grauzone von Traum und Realität.
Des Weiteren verwendet Glück dieses musikalische Leitmotiv bei TC 0.57.02 (Fridolin begegnet am darauffolgenden Tag erneut der verkleideten Pierrette) und bei TC 0.57.53. Hier kehrt der Protagonist noch einmal an den Ort der geheimen Gesellschaft zurück. Das Leitmotiv ruft dem Zuschauer in Erinnerung, wie traumartig das Fest der vergangenen Nacht war und der Ort immer noch bei Tag ist. Die Musik wird Kommentator der Handlung, unterstützt auditiv die Bildaussage und hat eindeutig eine narrative Funktion. Zudem kann festgestellt werden,
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dass Glück beide Erzähltechniken aus dem Schnitzler-Text aufgegriffen hat: Er versucht, mit Hilfe der Kamera im gesamten Film eine Fridolin-Perspektive zu visualisieren, und vermittelt mit Musik und inhaltlichen Verweisen, wie Traum und Realität ineinander übergehen.
3. F RIDOLIN UND
ANDERE
F IGUREN
IM
F ILM
Das Personal im Film gleicht den Figuren in Schnitzlers Traumnovelle nicht nur namentlich, sondern auch in seiner Charakteristik. Deshalb ist es nicht notwendig, an dieser Stelle erneut alle Figureneigenschaften herauszuarbeiten. Auffallend ist, dass der männliche Protagonist im gesamten Film nicht ein einziges Mal beim Namen genannt wird, nicht einmal von seiner Frau (sie nennt ihn „Liebster“). Er ist für alle der „Herr Doktor“, oder „Euer Gnaden“, „mein Herr“ oder der „liebe Kollege“. Die Figur Fridolin erfährt damit eine Namenlosigkeit und Austauschbarkeit, die aber zugleich keine Anonymität garantiert. Denn die Kellner im Kaffee, die Hure Mizzi oder der Maskenverleiher Gibiser erkennen den „Herrn Doktor“, obwohl sie ihn gar nicht persönlich kennen. Inkognito ist Fridolin somit nirgends. Selbst als Maskierter bei der geheimen Gesellschaft fällt er auf. Einen weiteren Charakterzug der Figur Fridolin hat Glück in seiner Verfilmung deutlicher herausgearbeitet: Der Beruf als praktizierender Arzt stellt ihn nicht zufrieden. Nicht nur, dass die Gefahr einer Ansteckung beim Patienten immer gegeben ist. Fridolin würde lieber rein wissenschaftlich arbeiten und forschen – eine Tätigkeit, welche ihm mehr Reputation und Anerkennung einbringen würde. Er wäre dadurch zwar finanziell weniger abgesichert, aber gleichzeitig auch kein austauschbarer grauer „Herr Doktor“ mehr. Seine Frau Albertine, selbstbewusst und jung, ist wie in der Textvorlage Hausfrau und Mutter. Marianne ist eine ähnlich graue und blasse Frau wie bei Schnitzler, genauso wie die Lippen von Mizzi von einem natürlichen Rot gefärbt sind. Nachtigall sieht etwas heruntergekommen aus, Gibiser trägt eine türkische Mütze mit Bommel, Pierrette ist jung und verführerisch und die maskierte Warnerin eine erotische Frau. Somit folgt die Verfilmung Schnitzlers Text.
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4. I NDICES
UND
F ARBCODES
Glück verwendet in seiner Verfilmung auch Indices und Farbcodes zur Darstellung von Innenwahrnehmungen. Ein häufig wiederkehrendes Bildelement ist eine Treppe, die Fridolin hinauf- oder hinabsteigt. Dabei ist auffällig, dass der Protagonist im ersten Teil des Films (bis zur Enttarnung auf dem geheimen Ball) die Treppen hinaufsteigt. Danach geht er vorwiegend die Treppen hinunter. Ein Treppenaufstieg steht für das Streben nach Höherem, nach neuer Erkenntnis, für den Weg zu einer neuen Bewusstseinsstufe oder auch den Übergang in eine andere Welt.11 Fridolin, motiviert durch das vorangegangene Gespräch mit seiner Frau, ist tatsächlich auf der Suche nach einer Antwort, einer neuen Erkenntnis. Er selbst hat es zu Beginn des Films so formuliert: „Vielleicht ist die Verwirklichung eines Wunsches nicht so gefährlich wie ein Wunsch, der Traum bleibt.“ (TC 0.04.16) Nach dem Geständnis seiner Frau (der Däne im Sommerurlaub) treibt Fridolin der Wunsch nach Verwirklichung an, um sich an seiner Frau zu rächen. Doch er ist nicht in der Lage, seine Wünsche umzusetzen, sich selbst zu finden. Seine Bemühungen scheitern an seiner Passivität, und eine Antwort auf seine Frage erhält der Protagonist in dieser Nacht nicht. Er muss am nächsten Tag noch einmal alle Treppen hinaufsteigen, um Antworten zu finden. Ob diese ihn befriedigen? Tatsächlich, und auch hier folgt der Film Schnitzlers Textvorlage, wird Fridolin erst im erneuten Gespräch mit Albertine eine Antwort bekommen: Beide haben geträumt und beide sind nun aus den Träumen erwacht, nicht für immer, aber für lange. Sie können nun auf gleicher Augenhöhe ehrlich miteinander umgehen. Die folgenden Szenenbilder zeigen die Treppen, die Fridolin hinaufsteigt.
11 In Freuds Traumdeutung ist das Treppensteigen sexuell konnotiert. Freud: „Stiegen, Leitern, Treppen, respektive das Steigen auf ihnen, und zwar sowohl aufwärts als abwärts, sind symbolische Darstellungen des Geschlechtaktes.“ (Freud, 1961, 294)
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Traumnovelle (Ö 1969), TC 0.21.47 Traumnovelle (Ö 1969), TC 0.12.35 Fridolin geht zu Marianne. Die Nacht der Fridolin steigt mit Mizzi die Treppe zu ihrem Zimmer hinauf. Abenteuer beginnt.
Traumnovelle (Ö 1969), TC 0.33.34 Das dunkel-mystische Treppenhaus bei Gibiser. Fridolin muss in den ersten Stock hinauf, um sich ein Kostüm auszuleihen.
Traumnovelle (Ö 1969), TC 0.39.43 Fridolin muss wieder eine Treppe hinaufsteigen, diesmal, um zum geheimen Maskenball zu gelangen.
Eine weitere Verbindung zwischen den Treppen und der Handlung findet sich am Anfang des Films, als Albertine von dem Dänen erzählt: „Ich traf ihn zum ersten Mal an dem Morgen, als er mit seiner gelben Tasche die Stiegen hinaufging. Ein paar Stufen höher blieb er stehen und unsere Blicke begegneten einander.“ (TC 0.05.44)12 In diesem Zusammenhang wäre es auch möglich, Fridolin als Doppelgänger des Dänen zu interpretieren. Statt einer gelben Tasche trägt er seine Arzttasche bei sich. Auch der Protagonist selbst muss immer wieder an den Dänen denken, auch als er ein Offiziersbild in der Wohnung des toten Hofrats erblickt. Glück hat zwei markante Stellen für einen Treppenabstieg ausgewählt.
12 „Ich hatte ihn schon des Morgens gesehen“, erwiderte Albertine, „als er eben mit seiner gelben Handtasche eilig die Hoteltreppe hinanstieg.“ (TN, 436)
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Traumnovelle (Ö 1969), TC 0.48.11 Fridolin wird von zwei Maskierten von der geheimen Gesellschaft ausgeschlossen und läuft die Treppe hinunter. (Sequenz 8)
Traumnovelle (Ö 1969), TC 1.05.44 Fridolin und Dr. Adler steigen hinunter in die Leichenhalle. (Sequenz 17)
Der Ausschluss aus der geheimen Gesellschaft markiert das Ende der traumartigen Erlebnisse der Nacht. Fridolin steigt hinab und kehrt in die Wirklichkeit zurück. Vergleichbar ist auch der Treppenabstieg in die Leichenhalle, in der die tote Frau, die der Protagonist als die Warnerin identifiziert, jegliche Anziehungskraft verloren hat. Fridolin kehrt erneut und endgültig in die Realität zurück. Er hat keine befriedigenden Antworten gefunden. Glück schreibt mir zu diesem ‚Abstieg‘ in die Leichenhalle: „Zum ‚In die Realität Zurücksteigen‘: Sch. hat tatsächlich in der Pathologie (als Arzt) gearbeitet, im Keller, in dem selben Raum vermutlich, in dem wir gedreht haben. Der, und der ‚Abstieg‘ schien mir richtig, wieder ein Hinweis auf ‚aus dem Bauch‘ also der Intuition, oder wie man es nennen mag, des ‚Künstlers‘ gewählt.“13 Die Beispiele haben deutlich gemacht, dass der Einsatz von Treppen eine indexikalische Funktion im Film erfüllt. Der Aufstieg steht in direkter Verbindung zum Dänen und visualisiert zugleich die Suche nach Antworten, das Betreten einer anderen, traumartigen Sphäre, einer Nacht des Ausnahmezustands. Das Herabsteigen ist ein Index für die Rückkehr in die Realität. Ein weiteres Element zur Darstellung von figurativen Innenwahrnehmungen sind die im Film verwendeten Farbcodes, die auch in Schnitzlers Text von großer Bedeutung sind. Glück orientiert sich auch hier an der Textvorlage. Weiß, Rot, Grün, Grau, Schwarz, und Türkis sind die Farben der Traumnovelle (Ö 1969). Am Ende (in der Leichenhalle) gipfelt diese Farbpalette unter einem Mikroskop in einem „farbenprächtigen Bild“ (TC 1.07.50).
13 Zitiert aus einer E-Mail vom 20.5.2011.
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Fridolin trägt Schwarz und Weiß. Er trägt im Berufsleben immer einen weißen Kittel, ansonsten einen schwarzen Mantel, einen schwarzen Anzug oder ein schwarzes Kostüm (Mönchskutte und eine schwarze Larve). Das Schwarzweiß visualisiert Fridolins Schwanken zwischen zwei Welten: der bürgerlichen und der traumartigen. Er führt ein Doppelleben. Man sieht ihn oft im Film, wie er den weißen Kittel abstreift (TC 0.01.40 und TC 0.58.20) und etwas Schwarzes anzieht. Die Farbe Weiß ist im Film Albertine (weißes Nachthemd mit blauer Schleife, weiße Bluse, weiße Schürze) und Fridolin (Kittel) zugeordnet. Weiß wird aber auch mit Rot kombiniert (Albertines Rock). Auch bei Pierrette findet man diese Kombination (weißes Kleid mit roten Verzierungen). Weiß ist das „Symbol der Unschuld, Jungfräulichkeit und Tugend, des Heiligen und Erhabenen [...]. Relevant für die Symbolbildung sind die Helligkeit der Farbe und damit die besondere Affinität zur Ver- und Beschmutzung [...].“14
Traumnovelle (Ö 1969), TC 0.35.25 Traumnovelle (Ö 1969), TC 0.01.31 Albertine mit rotem Rock und weißer Pierrette in einem weißen Kostüm mit roten Bommeln. Die Femrichter im Hintergrund. Bluse. Fridolin im weißen Arztkittel.
Die Figur Marianne ist wie in der Novelle farblos. Sie ist erdfarben, ja regelrecht farblos gekleidet. Die Lampe in ihrem Zimmer ist, wie in Schnitzlers Text, grün verhangen. Auch die Wände der Wohnung und das Licht im Fenster sind grün. Auch hier steht Grün als Farbcode für Giftigkeit und Ungenießbares.
14 Gretz (2008), 420f.
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Traumnovelle (Ö 1969), TC 0.24.13 Traumnovelle (Ö 1969), TC 0.12.47 Marianne, grau und farblos in einen grau- Mizzi mit einen schwarzen Schal über ihen Zimmer. Die Lampe ist grün verhan- rem roten Morgenmantel. gen.
Eine übergeordnete Rolle im Film spielt die Farbe Rot. Sie steht für das moralisch Verbotene, für Erotik, Sexualität, Begierde und das Verführerische, aber auch für Gefahr. Mizzi hat natürlich rote Lippen und trägt einen roten Hut. Als Prostituierte vereint sie alle Codes der Farbe. Nachdem Fridolin allerdings einen näheren Kontakt mit Mizzi ablehnt, legt sie sich einen schwarzen Schal um (TC 0.24.13). Auch bei Glück wird Sexualität mit dem Tod in Verbindung gebracht: Am nächsten Tag erfährt Fridolin, dass Mizzi Syphilis hat. Die geheime Warnerin auf dem Maskenball vereint nun alle Farben des Films: das Weiß von Albertine und Pierrette leuchtet hier als silberne Maske, das Grün von Marianne funkelt als türkisgrüne Haube, das Schwarz findet sich in Schleier und im glänzenden Mantel, und ihre Lippen sind auffallend rot geschminkt.
Traumnovelle (Ö 1969), TC 0.46.27 Die maskierte Warnerin.
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Wie in Schnitzlers Traumnovelle verfällt auch hier der Protagonist dieser Maskierten. Allerdings weist der Film an dieser Steller in seiner Umsetzung einige Schwächen auf. Die Obsession Fridolins für die geheime Warnerin wird meines Erachtens nicht glaubwürdig genug vermittelt. Seine Motivation, trotz der Warnung und einer drohenden Enttarnung das Fest nicht zu verlassen, wird nicht plausibel. Der doch recht kurze Augenblick (22 Sekunden), den er die Maskierte angesehen hat, bleibt ohne filmische Wirkung und kann die entflammte Leidenschaft nicht glaubhaft visualisieren. Näher kommen sich beide nicht. Auch Fridolins Angst nach der Enttarnung und die Sorge um das Schicksal der Warnerin, wirken melodramatisch und überzogen. Dramaturgisch ist das geheime Fest nicht vollständig durchdacht. Es wird zu untersuchen sein, wie Kubrick diese Szene löst. Das Ende des Films folgt erneut dem Text: Fridolin, nach Hause zurückgekehrt, entdeckt seine Larve auf dem Kopfkissen, bricht zusammen und kann sich nun seiner Frau öffnen. Sie sprechen sich aus und sind nun aus allen Träumen erwacht.
5. D ER M EDIENWECHSEL VON I NNENWAHRNEHMUNGEN , B EISPIELANALYSE Bei den Traumnovelle-Verfilmungen werden zwei verschiedene Filmszenen als Grundlage für eine Feinanalyse des Medienwechsels untersucht, da in beiden Filmen unterschiedliche Szenen repräsentativ für den Einsatz von kinematographisch und filmischen Mitteln zur Darstellung von figurativen Innenwahrnehmungen sind. Es existieren im Text explizit erzählte Emotionen, die durch den personalen Erzähler vermittelt werden. Ferner werden Emotionen mittels Indices, Konnotationen, Farbcodes, Spiegelungen und Parallelen auch implizit präsentiert. Im Film erfahren diese Emotionen einen Medienwechsel, der nun anhand des hier ausgewählten Ausschnitts expliziert werden soll. Dazu ist es notwendig, zuerst den zugrunde liegenden Text näher zu untersuchen. Es handelt sich dabei um eine Textstelle aus dem vierten Abschnitt der Novelle (470–472), in der Fridolin gegen seinen Willen in einer verschlossenen Kutsche von der geheimen Gesellschaft fortgebracht wird. Nacht war um ihn, in einiger Entfernung über ihm, dort, wo der Wagen seiner warten sollte, leuchtete trübrötlich eine Laterne. Aus der Tiefe der Gasse fuhr die Trauerkutsche vor, als hätte er nach ihr gerufen. Ein Diener öffnete den Schlag.
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„Ich habe meinen Wagen“, sagte Fridolin. Der Bediente schüttelte den Kopf. „Sollte er davongefahren sein, so werde ich zu Fuß nach der Stadt zurückkehren.“ Der Diener antwortete mit einer Handbewegung so wenig bedientenhafter Art, daß sie jeden Widerspruch ausschloß. Der Zylinder des Kutschers ragte lächerlich lang in die Nacht auf. Der Wind blies heftig, über den Himmel hin flogen violette Wolken. Fridolin konnte sich nach seinen bisherigen Erlebnissen nicht darüber täuschen, daß ihm nichts übrigblieb, als in den Wagen zu steigen, der sich auch mit ihm unverzüglich in Bewegung setzte. Fridolin fühlte sich entschlossen, auf alle Gefahr hin die Aufklärung des Abenteuers, sobald es anging, in Angriff zu nehmen. Sein Dasein, so schien ihm, hatte nicht den geringsten Sinn mehr, wenn es ihm nicht gelang, die unbegreifliche Frau wiederzufinden, die in dieser Stunde den Preis für seine Rettung bezahlte. Was für einen, das war allzu leicht zu erraten. Aber welchen Anlaß hatte sie, sich für ihn zu opfern? Zu opfern –? War sie überhaupt eine Frau, für die, was ihr bevorstand, was sie nun über sich ergehen ließ, ein Opfer bedeutete? Wenn sie an diesen Gesellschaften teilnahm – und es konnte heute nicht zum erstenmal der Fall sein, da sie sich in die Bräuche so eingeweiht zeigte –, was mochte ihr daran liegen, einem dieser Kavaliere oder ihnen allen zu Willen zu sein? Ja, konnte sie überhaupt etwas anderes sein als eine Dirne? Konnten alle diese Weiber etwas anderes sein? Dirnen – kein Zweifel. Auch wenn sie alle noch irgendein zweites, sozusagen bürgerliches Leben neben diesem führten, das eben ein Dirnenleben war. Und war nicht alles, was er eben erlebt, wahrscheinlich nur ein infamer Spaß gewesen, den man sich mit ihm erlaubt hatte? Ein Spaß, der für den Fall, daß sich einmal ein Unberufener hier einschleichen sollte, schon vorgesehen, vorbereitet, ja möglicherweise einstudiert war? Und doch, wenn er nun wieder dieser Frau dachte, die ihn von Anfang an gewarnt hatte, die nun bereit war, für ihn zu bezahlen – in ihrer Stimme, in ihrer Haltung, in dem königlichen Adel ihres unverhüllten Leibes war etwas gewesen, das unmöglich Lüge sein konnte. Oder hatte vielleicht nur seine, Fridolins plötzliche Erscheinung als Wunder gewirkt, sie zu verwandeln? Nach allem, was ihm in dieser Nacht begegnet war, hielt er – und er war sich in diesem Gedanken keiner Geckerei bewußt – auch ein solches Wunder nicht für unmöglich. Vielleicht gibt es Stunden, Nächte, dachte er, in denen solch ein seltsamer, unwiderstehlicher Zauber von Männern ausgeht, denen unter gewöhnlichen Umständen keine sonderliche Macht über das andere Geschlecht innewohnt? Der Wagen fuhr immer hügelaufwärts, längst hätte er, wenn’s mit rechten Dingen zuging, in die Hauptstraße einbiegen müssen. Was hatte man mit ihm vor? Wohin sollte ihn der Wagen bringen? Sollte die Komödie vielleicht noch eine Fortsetzung finden? Und welcher Art sollte diese sein? Aufklärung vielleicht? Heiteres Wiederfinden an anderm Ort? Lohn nach rühmlich bestandener Probe, Aufnahme in die geheime Gesellschaft? Ungestörter Besitz der herrlichen Nonne –? Die Wagenfenster waren geschlossen, Fridolin versuchte hinauszublicken; – sie waren undurchsichtig. Er wollte die Fenster öffnen, rechts, links, es war unmöglich; und ebenso undurchsichtig, ebenso fest verschlossen war die Glaswand
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zwischen ihm und dem Kutschbock. Er klopfte an die Scheiben, er rief, er schrie, der Wagen fuhr weiter. Er wollte den Wagenschlag öffnen, rechts, links, sie gaben keinem Drucke nach, sein neuerliches Rufen verhallte im Knarren der Räder, im Sausen des Windes. Der Wagen begann zu holpern, fuhr bergab, immer rascher, Fridolin, von Unruhe, von Angst erfaßt, war eben daran, eines der blinden Fenster zu zerschmettern, als der Wagen plötzlich stillstand. Beide Türen öffneten sich gleichzeitig wie durch einen Mechanismus, als wäre nun Fridolin ironischerweise die Wahl zwischen rechts und links gegeben. Er sprang aus dem Wagen, die Türen klappten zu – und ohne daß der Kutscher sich um Fridolin im geringsten gekümmert hatte, fuhr der Wagen davon, über das freie Feld in die Nacht hinein. Der Himmel war bedeckt, die Wolken jagten, der Wind pfiff, Fridolin stand im Schnee, der ringsum eine blasse Helligkeit verbreitete. Er stand allein mit offenem Pelz über seinem Mönchsgewand, den Pilgerhut auf dem Kopf, und es war ihm nicht eben heimlich zumute. (TN 470f.) (Hervorhebungen durch mich, H. H.)
Der gesamte hier vorliegende Textauszug ist in einer personalen Erzählperspektive durch den Einsatz von erlebter Rede gestaltet. Die erlebte Rede wird hauptsächlich mit expliziten Ankündigungen von Gedanken („so schien ihm“, „dachte er“) und der dritten Person Singular umgesetzt. Auch die Verwendung der Zeitund Raumadverbien „hier“ und „nun“, die sich auf den Standpunkt der Figur beziehen, sind unter die stilistischen Mittel der erlebten Rede zu subsumieren. Es wird der Eindruck von Unmittelbarkeit erzeugt. Dabei wird die Figurenrede nahtlos in den Erzählerbericht eingearbeitet, Erzählertext und Figurentext überlagern sich. Die Handlung wirkt stark subjektiviert. Es ist eindeutig festzustellen, welcher textinternen Instanz die Emotionen zugeordnet werden können: der Figur Fridolin. Ein Großteil dieses Textauszugs ist eine Thematisierung von Fridolins Emotionen. Gefühle und Gedanken werden hauptsächlich explizit beschrieben und benannt, eine implizite Präsentation von Emotionen findet man hier nur punktuell. Trotzdem ist diese Stelle, gerade auch im Blick auf die Verfilmung, von starker Aussagekraft. Zuerst soll die Frage beantwortet werden, wie in dieser Textpassage Emotionen vermittelt werden. Zunächst, und hier folge ich Winkos Vorgehensweise, sollen die Emotionen der fiktiven Welt lokalisiert werden. Gemeint sind Handlungen, Situationen und Gegenstände, die kulturell und als Bestandteil der fiktiven Welt (des Textes) emotional codiert sind. Die Hauptemotionen in diesem Textabschnitt sind die Angst des Protagonisten und auch die Unsicherheit über das bereits Erlebte, die Zweifel an der ‚Echtheit‘ der Rituale der geheimen Gesellschaft. Fridolins Todesangst wird durch ei-
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ne Trauerkutsche, die undurchsichtige Fenster und verschlossene Türen hat, auch gegenständlich vermittelt. Der stumme Diener, der allein durch seine körperliche Anwesenheit und seinen unmissverständlichen Blick eine solche Macht auszuüben scheint, dass Fridolin gegen seinen Willen die Kutsche betritt, kann gleichfalls als emotional codierte Figur gewertet werden. Die surreal-traumartige Atmosphäre des Settings wird durch die Beschreibung eines Zylinders, der „lächerlich lang in die Nacht auf[ragte]“ (470),und mittels violetter Wolken, die „über den Himmel hin flogen“ (470), untermalt. Winko untersucht, mit welchen sprachlichen Mitteln sich Emotionen an der Textoberfläche manifestieren. Zum einen können Emotionen explizit lexikalisch benannt werden (sogenannte explizite Emotionen). Im hier ausgewählten Textbeispiel fühlt sich Fridolin „entschlossen, auf alle Gefahr hin die Aufklärung des Abenteuers, sobald es anging, in Angriff zu nehmen“ (471). Diese Entschlossenheit wandelt sich wenig später in Unruhe und Angst und „ihm [ist] nicht eben heimlich zumute“ (472). Zum anderen definiert Winko implizite bzw. konnotierte Emotionen und meint damit diverse sprachliche Mittel, die auf verschiedenen Textebenen eingesetzt werden, um auf Emotionen zu verweisen bzw. Emotionen unterschwellig auszudrücken. Sie können sich mittels rhythmisch-metrischer Präsentation manifestieren. Fridolins aufkeimende Angst und Unruhe werden durch verkürzte Sätze dargestellt. Sein Zweifeln, sein Überlegen und Analysieren der eben erlebten Situation wird durch die Gedankenstriche, die Sprech- bzw. Denkpausen signalisieren, ausgedrückt. Die verkürzten Fragesätze haben eine rhythmische Signalwirkung und evozieren eine zunehmende emotionale Beteiligung des Protagonisten. Auch eine abweichende Syntax und Grammatik kann auf implizite Emotionen im Text verweisen: Es finden sich im Textausschnitt Ellipsen (kurze Fragesätze, Aussparung von Verben), die das Tempo steigern und Angespanntheit evozieren. Dass Schnitzler auch sprachliche Bilder und Motive, d.h. einen bildlichen Typ impliziter Emotionsvermittlung, für seinen Text wählte, wurde bereits ausführlich dargelegt. Hier kann die Beschreibung der Trauerkutsche unter eine solche Manifestation von Emotionen subsumiert werden. Eine schwarze Kutsche mit verklebten Fenstern und verschlossenen Türen, die sich wie von Geisterhand öffnen können, evoziert eine schaurige und unheimliche Atmosphäre. Der stumme Diener unterstreicht dieses Angst erregende Gefühl zusätzlich. Die entsprechende Szene zum eben zitierten Textausschnitt findet sich im Film bei TC 0.48.17 bis TC 0.50.12 (Sequenz 9, vgl. Einstellungsanalyse Anhang). Wie der gesamte Film weicht auch die hier ausgewählte Szene inhaltlich
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nicht von der Textvorlage ab, die Filmfigur Fridolin befindet sich in der gleichen Situation wie die Figur im Schnitzler-Text. Doch außer mit Sprache (im Film Fridolins Stimme aus dem Off) und Geräuschen arbeitet Glück vor allem mit der Erzählinstanz Kamera, d.h. mit Einstellungsgrößen, POV und Cadrage (Rahmen des Filmbilds), um Innenwahrnehmungen darzustellen. Am auffälligsten in dieser Szene sind Fridolins aufgerissene Augen, die als Detailansicht abgefilmt wurden. Die Augen füllen das gesamte Bild aus. Der Fokus liegt an dieser Stelle ganz auf der Emotion des Protagonisten.
Traumnovelle (Ö 1969), TC 0.49.13 Detailaufnahme
Traumnovelle (Ö 1969), TC 0.49.27 Detailaufnahme
Glück verwendet weiterhin einige Großaufnahmen, vor allem um zu verdeutlichen, wie entschlossen Fridolin ist, die Kutsche schnellstmöglich zu verlassen. Der Protagonist rüttelt und zieht an beiden Türen.
Traumnovelle (Ö 1969), TC 0.49.10
Traumnovelle (Ö 1969), TC 0.49.22
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Auch mittels der Kamera-Bewegung, beispielsweise einem Schwenk durch das Innere der Kutsche von Fridolins Blickpunkt aus, wird figurengebunden fokalisiert. Glück arbeitet des Weiteren in dieser Szene mit einigen POV’s und lässt die Kamera die Perspektive der wahrnehmenden Figur (Fridolin) einnehmen (vgl. Branigan [2007], 46). Auch Geräusche unterstreichen die Stimmung: Die Trauerkutsche sieht nicht nur unheimlich aus, ist verschlossen und innen schwarz und dunkel, sie knarrt und knarzt auch übertrieben laut. Das Unheimliche des Settings wird damit auch auditiv erlebbar gemacht. Ferner nutzt Glück die Inszenierungstechnik der Stimme aus dem Off. Fridolin denkt: Wer ist sie? Eine Dirne? Sie kennt die Gebräuche dort. Was sollte sie sonst? Sie ist keine. Vergiss nicht. Warum in der Trauerkutsche? Es ist doch noch nicht zu Ende. Ich will heraus! Vielleicht. Vielleicht wiederfinden am anderen Ort. Diese herrliche Frau. Es ist nicht zu Ende. Wohin führen die mich? Keine Komödie spielen, nie mehr. Ich will ich selber sein. Albertine! Albertine! Nicht mehr weiter! Stehen bleiben! (ab TC 0.48.46)
Dabei werden gerade die letzten Sätze vom Protagonisten laut geschrien, Fridolin wird immer aufgeregter, wirkt fast hysterisch. Die kurzen Sätze und Wortauslassungen erinnern an einen Stream of Consciousness. Zusätzlich erhöht Glück die Schnittfrequenz und visualisiert so, dass sich Fridolins Lage und Gemütszustand zuspitzen. Am Ende stemmt sich der Protagonist gegen das Innere der Kutsche, er füllt so das gesamte Bild aus. Wenige Augenblicke später stoppt die Kutsche und beide Türen springen auf. Fridolin kann die Kutsche unversehrt verlassen und steht allein auf einer Straße. Das nächtliche Abenteuer scheint beendet. Anhand der hier ausgewählten Szene wird deutlich, dass Glück zahlreiche kinematographische Mittel anwendet, um figurative Innenwahrnehmung einem Medienwechsel zu unterziehen und sie auch im Film nachvollziehbar bzw. sehund hörbar zu machen. Aufzuzählen wären die Stimme aus dem Off, verschiedenen Einstellungsgrößen (Detailaufnahme der aufgerissenen Augen, Großaufnahmen der Hände, die an Hebeln und Griffen ziehen), POV, auffällige Geräusche, eine erhöhte Schnittfrequenz und die Aktion des Schauspielers.
Eyes Wide Shut (GB/USA 1999)
Obwohl Stanley Kubricks (1928–1999) Filme über Jahre hinweg in den Kinos der Welt gespielt wurden und auch kommerziell erfolgreich waren, weiß man kaum etwas über die Person Stanley Kubrick. Er lebte sehr zurückgezogen in der Nähe von London und gab sehr selten Interviews. „Stanley liebte Ordnung, sein Denken war methodisch, und seine Filme bezeugen die sorgfältig kalkulierte Perfektion, die ihn zufrieden stellte.“1 Dabei ging er stets mit einer außerordentlichen Akribie vor.2 Zwischen Kubricks Idee für einen Film und seiner Realisierung vergingen oft mehrere Jahre, in denen er sich intensiv um Recherchen zum Drehbuch, die Drehorte und die Besetzung kümmerte. Neben der ausführlichen Vorbereitung eines Projektes erforderte auch der Filmdreh sehr viel Zeit: Fünfzig bis neunzig Aufnahmen für eine ‚einfache‘ Szene waren bei Kubrick die Regel. „Ähnlich wie ihre Romanvorlagen sind Kubricks Filme entscheidend von der Erzählweise geprägt. Diese wird von Kubrick jedoch keineswegs von vornherein festgelegt, sondern ist vielmehr Ergebnis einer langen Versuchsreihe, aus der sie sich am Ende herauskristallisiert.“3 Von der Konzeption und Planung eines Films über den konkreten Schnitt bis hin zur Synchronisation in Fremdsprachen und der Anzeigenschaltung in Zeitungen überwachte er alles, was seine Filme betraf, ganz genau. „The thing I’d really like to do is explode the narrative
1
Harlan (2004), 7.
2
Einblicke in Kubricks Detailverliebtheit gab die Ausstellung „Stanley Kubrick“ 2004 im Deutschen Filmmuseum in Frankfurt. Dort waren neben Requisiten und Kameratechnik vor allem Pläne, Notizen und Fotos aus Kubricks umfangreichem Archiv ausgestellt. Besonders die Dokumentation des nicht realisierten Napoleon-Projekts, eines Films über den französischen Kaiser, zeigte das Ausmaß seiner Akribie. Auf über 25.000 Karteikarten hatte Kubrick mit seinen Assistenten das Leben des Kaisers und seiner Zeitgenossen fast stundengenau festgehalten.
3
Ruschel (2002), 14.
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structure of movies. I want to do something earthshaking”4, sagte er selbst. Kubrick starb im März 1999 an Herzversagen, kurz nach der Fertigstellung seines letzten Films Eyes Wide Shut (GB/USA 1999). Erst danach wurden seine Archive geöffnet, und man bekam Einblicke in Kubricks Arbeitsweise.5 Kubrick besaß seit 1970 die Filmrechte an der Traumnovelle, die er auch beständig verlängerte.6 „1968, nach der Premiere von 2001: Odyssee im Weltraum, schwankte Stanley für sein nächstes Projekt zwischen zwei Büchern: Anthony Burgess’ A Clockwork Orange und Schnitzlers Traumnovelle.“7 Kubrick entschied sich für die Verfilmung von A Clockwork Orange (GB 1971). Erst rund zwanzig Jahre später, 1996, begann er, die Traumnovelle zu verfilmen. Tom Cruise und Nicole Kidman (zum Zeitpunkt der Verfilmung verheiratet) spielten das Ehepaar Fridolin und Albertine, die im Film als William (Bill) und Alice Harford auftreten.8 „Um Cruise und Kidman die Entwicklung ihrer Charaktere nachvollziehen lassen zu können, hielt sich Kubrick beim Dreh soweit als möglich an die Chronologie der Handlung.“9 Nach Drehschluss war Kubrick mit Teilen des Materials nicht zufrieden, er beschloss einiges noch einmal aufzunehmen. Jennifer Jason Leigh, welche anfangs die Rolle der Marianne spielte, stand für einen Nachdreh allerdings nicht mehr zur Verfügung, da sie bereits an einem neuen Filmprojekt arbeitete. So wurde die Rolle mit der Schauspielerin Marianne Richardson von Kubrick neu besetzt. Das bedeutete, dass alle entsprechenden Szenen komplett neu gedreht werden mussten. Genauso wie die Szenen mit Harvey Keitel, der zu Beginn die Rolle des Victor Ziegler spielte und später
4
Kubrick in Newsweek, 29.6.1987.
5
Die 2001 ausgestrahlte Dokumentation Stanley Kubrick: A Life in Pictures (USA 2001) berichtet darüber.
6
Der deutsche Regisseur Dominik Graf fragte Ende der 80er Jahre wegen der Rechte an, vergeblich (vgl. Ruschel [2002], 41).
7
vgl.: Urs Jenny/Martin Wolf: Er war einfach schüchtern. Christiane Kubrick im Interview, Der Spiegel 35/1999 (http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14443802.html [abgerufen am 2.3.2011]).
8
Der Drehbuchautor Raphael schreibt: „Am Ende bekam Fridolin den Nachnamen Harford verliehen, der – mit freudscher Adrettheit – sich nicht sehr viel anders als Hertford(shire) anhört, die Grafschaft, in der Stanley wohnte. Allzu weit entfernt von Har(rison) Ford war es auch nicht.“ (Raphael [1999], 83)
9
Ruschel (2002), 83. Ruschel rekonstruiert hier akribisch und umfassend die Drehbuchentstehung, Drehphasen, -zeiten und -orte und führte zahlreiche Interviews mit den Darstellern von Eyes Wide Shut (GB/USA 1999).
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durch Sydney Pollack ersetzt wurde. So lässt sich auch erklären, wie aus drei Monaten angesetzter Drehzeit neunzehn Monate wurden (bei sieben Drehtagen pro Woche). „Das Budget war von den veranschlagten 40 auf über 55 Millionen Dollar angewachsen.“10 Der Co-Autor des Drehbuchs, Frederic Raphael, schreibt in seinem Buch zur Filmentstehung von Eyes Wide Shut (GB/USA 1999): „Aus Sorge um einen fehlenden Titel faxte ich einen Vorschlag: ‚The Female Subject‘. Den Erhalt bestätigte er [Kubrick] nicht. Ein paar Tage darauf schlug er ‚Eyes Wide Shut‘ vor.“11 „Augen weit geschlossen“ – ein widersprüchlicher Titel. Man kann nur spekulieren, warum sich Kubrick für diesen Titel entschied, denn Interviews konnten mit ihm nicht mehr geführt werden, da Kubrick kurz nach der Fertigstellung des Films verstarb. Eine Hypothese für die Titelwahl kann man entwickeln, wenn man Eyes Wide Shut mit der Traumnovelle in Zusammenhang bringt. Man kommt auf die Phrase „mit offenen Augen träumen“. Der Traum ist etwas Irreales, das man eigentlich nur mit geschlossenen Augen und meist im Schlaf erlebt. Dem gegenüber kennzeichnen offene Augen den Wachzustand und die Wahrnehmung der Wirklichkeit. Der Titel Eyes Wide Shut könnte somit Grundfragen des Films und des Schnitzlerschen Textes aufgreifen: Was ist Realität, was ist Traum? Kann man eine Unterscheidung treffen? Kann man mit offenen Augen träumen? Auch Fridolin und Albertine bzw. Bill und Alice denken über diese Fragen nach. Alice: „[...] die Wirklichkeit einer verwirrenden Nacht, sogar die Wirklichkeit unseres gesamten Lebens, kann niemals die volle Wahrheit sein.“ Bill: „Und ein Traum ist niemals nur ein Traum.“
12
10 Seeßlen/Jung (1999), 295. 11 Raphael (1999), 192. 12 Kubrick/Raphael (1999), 184. Einen weiteren möglichen Interpretationsschlüssel für den Filmtitel bietet die erste Szene, in der Bill Alice fragt, ob sie seine Brieftasche gesehen habe. Alice weiß sofort und ohne hinzuschauen, wo sie ist – auf dem Nachttisch. Kurz darauf fragt Alice ihren Mann, wie sie aussieht. Bill antwortet: „Perfekt“, obwohl er sie nicht einmal angesehen hat. Beide haben die Augen ‚weit geschlossen‘, sie sehen nicht hin, haben in ihrer Beziehung Routine. Dieser gleichsam blind-routinierte Umgang miteinander ist ein Aspekt, der auch im Titel Eyes Wide Shut anklingt. Alice, die Frau mit der Brille, scheint dabei mehr wahrzunehmen als ihr Mann. Während er überzeugt ist, seine Frau würde nur ihm gehören, ahnt Alice, dass Bill ihr nicht sicher ist (Sequenz 5). Entsprechend wirft ihr Geständnis über die Begebenheit im Urlaub Bill völlig aus der Bahn,
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1. D ER AUFBAU
DES
F ILMS
IM
V ERGLEICH
ZUR
N OVELLE
Anders als in Schnitzlers Traumnovelle kann der Zuschauer von Eyes Wide Shut (GB/USA 1999) das Leben des Ehepaares Harford nicht 34 Stunden, sondern fast vier Tage mitverfolgen. Dabei beginnt der Film am zeitigen Abend des ersten Tages und endet am Vormittag des vierten Tages. Der Film enthält keine genauen Zeitangaben. Kubrick und sein Co-Autor Frederic Raphael haben die Handlung der Novelle in das New York von heute verlegt, „an einen Ort, der ebenso zeitlos und unwirklich ist wie Schnitzlers Wien“13. Die Arbeit an dem Drehbuch zu Eyes Wide Shut (GB/USA 1999) begann Frederic Raphael im November 1994.14 Kubrick hat den Kern der Novelle bis auf ein paar Kürzungen fast originalgetreu übernommen, sogar ein großer Teil der Dialoge aus dem Originaltext wurde verwendet. Raphael schreibt darüber: „Der Unterschied zwischen dem Verfassen von Büchern und dem Drehbuchschreiben war nie so offenkundig wie in jenen Tagen meiner erzwungenen Übereinstimmung mit Arthur Schnitzlers Plot.“15 Raphael wollte eine Schlüssigkeit der Handlung, welche die Traumnovelle eben nicht immer bietet: Der Film sollte nicht so geheimnisvoll enden. In diesem Punkt fanden Kubrick und Raphael einen Kompromiss und fügten dem Film eine Episode hinzu (Sequenz 23), die im Originaltext nicht vorhanden ist. Hier wird der Protagonist Bill von seinem Bekannten Victor Ziegler über seine geheimnisvollen nächtlichen Erlebnisse ‚aufgeklärt‘. Auch das zentrale Schema der Novelle, die Parallelen und Spiegelungen, Indices, die Kreisstruktur und das ständige Wiederkehren von Bildern, Situationen und Worten werden von Kubrick und Raphael beibehalten. Eyes Wide Shut (GB/USA 1999) thematisiert ähnlich wie die Textvorlage, dass man in einer Ehe oder Paarbeziehung sein Gegenüber nie vollständig kennen kann, dass jeder ver-
und er muss feststellen, dass er bisher die Augen ‚weit geschlossen‘ hatte. Seine Erlebnisse der darauf folgenden Nacht sind nur Variationen dieses Themas. Alles sieht im Tageslicht anders aus. Bill war naiv, genauso wie Fridolin in der Traumnovelle. 13 Seeßlen/Jung (1999), 283. 14 Raphael (1999), 97. In diesem Buch wird die Entstehung des Drehbuches nachgezeichnet. Raphael wollte dem Originaltext nicht so stark treu bleiben, wie Kubrick es immer wieder verlangte und einforderte. Kubrick sagte dazu immer: „Folgen Sie Arthurs Beat“. 15 Raphael (1999), 166.
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borgene Geheimnisse, Wünsche und Bedürfnisse hat.16 Nichts ist unerschütterlich und konstant im Leben, keine Persönlichkeit ist endgültig definierbar. Manchmal braucht es nur einen kleinen Anlass, um alles ins Wanken zu bringen. Kubrick zeigt durch seine modernisierte Inszenierung, dass Schnitzlers Novelle eine Thematik aufgreift, die über den Zeitraum ihrer Entstehung hinaus reicht und von zeitloser Gültigkeit ist. Bereits der Vorspann gibt einen Ausblick auf ein Thema des Films: Man sieht Nicole Kidman in ihrem Schlafzimmer stehen. Sie wird von hinten gefilmt, während sie ihr schwarzes Kleid am Körper herabgleiten lässt. Sie ist nun nackt, „das erste von vielen folgenden Aktbildern mit ihren Demaskierungsvarianten“17.
Eyes Wide Shut (GB/USA 1999), TC Eyes Wide Shut (GB/USA 1999), TC 1.11.13 0.00.38 Die nackten Frauen bei der geheimen GeDie nackte Alice in ihrem Schlafzimmer. sellschaft.
Dieses erste Bild des Films zeigt ein Ikon des „Ewigweiblichen“18. Die Sehnsucht danach wird Bill wenig später durch das nächtliche New York treiben. Dieses erste Bild ist außerdem ein visueller Verweis auf eine andere Szene im Film: auf die geheime Gesellschaft. Dort sind zahlreiche Frauen, die ebenfalls ihre Kleidung (in diesem Fall schwarze Umhänge) abwerfen und fast nackt sind. Eine dieser Frauen möchte auch Bill besitzen, mit ihr zusammensein. Eine dieser Unbekannten begehrt er. Deshalb könnte dieses erste Bild des Films auf einen Satz von Fridolin aus der Traumnovelle verweisen: „[…] ja daß ihm, wie er nun
16 Szavost sagt in Sequenz 2 beim Tanz mit Alice:„Die Ehe wird doch dadurch erst reizvoll, weil sie beide Seiten zwingt, sich einander was vorzumachen“. Darüber muss Alice lachen. 17 Hackert/Eicher (2001), 46. 18 Thissen (1999), 195.
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erst erschaudernd wußte, ununterbrochen seine Gattin als die Frau vor Augen geschwebt war, die er suchte.“ (497) Auch für Bill ist seine Frau Alice zu einer Unbekannten geworden, die er wieder finden möchte – schon der Vorspann verrät ein Motiv des Films. Ähnlich wie in der Traumnovelle ist auch das filmisch dargestellte Geschehen in Eyes Wide Shut (GB/USA 1999) nur räumlich, aber nicht exakt zeitlich festlegbar. Man sieht Bilder der Großstadt New York: die Brooklyn Bridge, Greenwich Village und Manhattan. „In den Schleiern des Lichts glitzert die Dekadenz. Und eine Prise österreichisch-ungarischer Zynismus aus dem späten 19. Jahrhundert wirkt wie Paprika; sie verleiht dem amerikanischen Milieu ein wenig fremde Würze.“19 Die Ausstattung des großzügigen Apartments der Harfords ist reich und altmodisch-chic: große Gemälde an den Wänden20, Stuck an den Decken und verzierte Marmorböden. Das Apartment von Marianne Nathanson sieht so antik und stilvoll aus wie im Wien der Jahrhundertwende, genauso wie das Somerton-Landhaus. Die Harfords, Zieglers und Nathansons haben Dienstboten und Kindermädchen, man bewegt sich in den oberen Kreisen. Es erinnert an die Zeit der Traumnovelle. Nur Neonleuchtreklamen, TV-Geräte, Handyklingeln und Anspielungen auf die Gefahr einer HIV-Infektion holen den Zuschauer in das Heute zurück. „Das Alte und das Neue, eine Lockerung der Sitten und ein innerer und äußerer Zwang zur Offenheit stehen einer nach wie vor fundamentalen Organisation von Liebe und Familie gegenüber.“21 Kubrick hat fast alle Räume und Straßen22 in den Pinewood-Studios in England bauen lassen.23 Die Ausstattung der Räume und Straßen erhält damit eine Modellhaftigkeit und ist komplett konstruiert. „Kubrick [hat] lediglich einige Straßen-Totalen, in denen Tom Cruise nicht zu sehen ist, von einem zweiten Aufnahmestab tatsächlich in New York drehen lassen.“24
19 Walker (1999), 350. 20 Die Gemälde stammen alle von Christiane Kubrick. 21 Seeßlen/Jung (1999), 283. 22 „Bei der Gestaltung dieses laut Drehbuch in Greenwich Village angesiedelten Schauplatzes wurde nichts dem Zufall überlassen, von den bereitgestellten Abfalltüten über die Kostümierung der Komparsen bis hin zu den Schaufensterauslagen.“ (Ruschel [2002], 114) Fast alles wurde künstlich arrangiert. 23 Zusätzlich gibt es einige Londoner Locations außerhalb des Pinewood-Sets. Dazu gehören die Weihnachtsparty bei den Zieglers, der Club Sonata Café, die Orgie in Somerton, die Verfolgung von Bill und das Spielwarengeschäft am Ende des Films. 24 Thissen (1999), 205.
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Der Film spielt (im Gegensatz zur Traumnovelle) im Dezember, kurz vor Weihnachten. Überall stehen bunt erleuchtete Weihnachtsbäume, Geschenke werden verpackt, alles wirkt gemütlich und familiär. Die weihnachtliche Atmosphäre transportiert hier die Grundstimmung des Films25: das harmonische Fest der Familie, der Hoffnung und des Neuanfangs. Allerdings wird hier die gespielte ‚heile Welt‘ um die Weihnachtszeit als „Gesellschaftsritual des Konsumzeitalters“26 karikiert. Ein kalkulierter Effekt, den Kubrick mit jedem grellen Weihnachtsbaum visuell betont. Schnitzler hat seinen Text in sieben Abschnitte unterteilt. Die folgende Tabelle soll veranschaulichen, inwieweit sich Übereinstimmungen mit bzw. Unterschiede zu Kubricks Verfilmung ergeben. Traumnovelle Text
Eyes Wide Shut (GB/USA 1999) Film 1. Abschnitt (21.00 Uhr) Sequenz 1: Vorbereitungen für die Albertine und Fridolin bringen die Party Tochter zu Bett und führen ein GeSequenz 2: Die Party bei den Zieglers spräch Sequenz 3: Bill und Alice haben Sex Sequenz 4: Der Alltag von Bill und Alice Sequenz 5: Das Gespräch 4 Rückblenden: Keine Rückblenden, diese werden teilweise chronologisch in die Film1. Erlebnisse auf der Redoute am Vor- handlung integriert: abend Erlebnisse auf der Party (Sequenz 1) 2. Ferienerlebnisse im Sommer Ferienerlebnis von Alice und dem 3. Anspielungen auf Fridolins Jungge- Marineoffizier (Sequenz 2) sellen-erlebnisse Anspielung auf männliche und weib4. Verlobungszeit/Sommerfrische am liche Sexualität im Gespräch des Wörthersee Ehepaars (Sequenz 5) 2. Abschnitt (23.00 Uhr) Sequenz 6
25 Der Karneval und die Maskenfeste aus der Traumnovelle sind Ende der neunziger Jahre kein fester Bestandteil des Jahresablaufes wie im Wien um 1900. Kein Zuschauer in Amerika oder England kann sich unter Karneval und seinen Regeln (bzw. der Ausnahmesituation) heute konkret etwas vorstellen. In New York gibt es nur Halloween. 26 Hackert/Eicher (2001), 35.
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Marianne und Fridolin 3. Abschnitt Fridolin begegnet den Couleurstudenten Mizzi und Fridolin 4. Abschnitt Fridolin und Nachtigall im Kaffeehaus
Bill und Marianne Sequenz 7 Bill wird von Schülern beschimpft Sequenz 8 Bill und Domino Sequenz 9 Bill und Nick Nightingale (Sonata Café) Sequenz 10 Fridolin beim Kostümverleiher Gibiser Rainbow Fashions, Milich und seine Tochter und seiner Tochter Pierrette Sequenz 11 Fridolin auf dem Weg zum geheimen Bill fährt mit dem Taxi Sequenz 12 Maskenball Somerton-Landhaus (Party) Fridolin auf dem Maskenball und die Bill auf dem Nachhauseweg entfällt fremde Warnerin Fridolin auf dem Nachhauseweg 5. Abschnitt (4.00 Uhr) Sequenz 13 Albertine und Fridolin, sie erzählt ih- Alice und Bill, sie erzählt ihren ren Traum Traum 6. Abschnitt Sequenz 14 Beginnt 7.00 Uhr früh, danach keine Der nächste Tag. Bill auf der Suche genauen Zeitangaben mehr nach Nightingale Fridolin sucht Nachtigall Sequenz 15 Bill Milich/Rainbow Fashions. Fridolin bringt Gibiser sein Kostüm Sequenz 16 zurück Bills Arztpraxis Sequenz 17 Somerton-Landhaus Fridolin sucht das Haus vom Masken- Sequenz 18 ball auf Später Nachmittag. Bills und Alices Apartment Sequenz 19 Abend. Bills Arztpraxis. Bill will MaFridolin und Marianne rianne anrufen. Sequenz 20 Fridolin sucht Mizzi Bill geht zu Domino Sequenz 21
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Fridolin im Kaffeehaus/Verfolgung Fridolin auf der Suche nach der maskierten Warnerin (Dr. Adler und die Tote in der Leichenhalle)
7. Abschnitt (4.00–7.00 Uhr) Das Gespräch zwischen Albertine und Fridolin
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Bill wird verfolgt und geht in ein Café Sequenz 22 Bill sucht die maskierte Warnerin
Sequenz 23 Ziegler klärt die Dinge Sequenz 24 Nacht. Bill kehrt nach Hause zurück Sequenz 25 Der Nächste Tag. Spielzeugabteilung.
Darstellung: Henrike Hahn
Aus der Tabelle wird ersichtlich, dass Inhalt und Handlung des Films der Traumnovelle folgen. Weggelassen hat Kubrick lediglich zwei Rückblenden aus Abschnitt 1 (Fridolins Junggesellenzeit und die Verlobung am Wörthersee). Gekürzt wurde der Traum von Albertine, und inhaltlich etwas verändert wurde das Gespräch zwischen dem Paar aus Abschnitt 1 (Sequenz 4). Die Handlung verläuft linear, das heißt ohne die Rückblenden aus dem Text. Die Filmhandlung setzt abends in der Wohnung der Harfords ein. Bill und Alice bereiten sich auf die Party bei den Zieglers vor. Die Harfords sind sich vertraut, erscheinen als perfektes Paar. Worte bzw. Sätze wie „Schatz“ und „du siehst perfekt aus“ werden gewechselt. Und auch auf der Party werden solche Worte ausgetauscht, man wünscht sich gegenseitig vier Mal fröhliche Weihnachten. Alice beteuert, dass sie diese Party „auf keinen Fall versäumen wollte“ (Sequenz 2). Man tauscht Nettigkeiten aus, bewundert gegenseitig die Kleider, bedankt sich. Der Film bedient bis jetzt Klischees und spielt mit Floskeln. Doch schon die nächste Szene, in der man Alice gierig ein Glas Champagner trinken sieht, verweist darauf, dass sie sich in diesen Oberflächlichkeiten scheinbar nicht wohl fühlt. Keiner ist hier perfekt. Alles, was bisher gesagt und getan wurde, ist nicht echt und nur inszeniert. Wenige Filmsekunden später wirkt die Szenerie noch
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veränderter: Alice wird von einem Ungarn angesprochen (Szavost) und flirtet bereitwillig mit ihm. Bill flirtet mit zwei Models, die ihm „das Ende des Regenbogens“ zeigen wollen. Ehe er dorthin folgen kann, muss er einer Prostituierten (Mandy), mit der Ziegler gerade Sex hatte, medizinisch weiterhelfen. Sie liegt nackt in Zieglers Badezimmer. Währenddessen macht Szavost beim Tanzen Alice ein Angebot zum Sex eine Etage höher. Doch beide – Bill und Alice – gehen an diesem Abend den Verlockungen nicht nach,27 sie kehren gemeinsam nach Hause zurück und haben ehelichen Sex. Schon diese ersten beiden Sequenzen, die 17 Minuten umfassen, umreißen das Thema des Films: Wenn man hinter die Oberflächlichkeiten sieht, könnte man überrascht werden. Eyes Wide Shut (GB/USA 1999) spielt mit diesem Motiv, mit Schein und Sein, mit Wirklichkeit und Phantasie, mit Maskierungen und Demaskierung. Außerdem wird gezeigt, wie sich Bill und Alice verhalten, wenn sie in Versuchung geraten. Sequenz 3 stimmt inhaltlich mit der Traumnovelle überein.28 Sie ist aber länger ausgearbeitet und hat eine andere Funktion als im Buch. Die Szene visualisiert den Filmtitel: Bill hat die Augen geschlossen, Alice hat sie offen und beobachtet sich im Spiegel. Bill und Alice verkörpern Eyes Wide Shut. Sie denkt anscheinend an etwas anderes (oder an jemand anderen?) und träumt mit offenen Augen. „Denn der Blick am sie küssenden Bill vorbei zeugt von Alices geistiger Abwesenheit, von einem Wandern der Gedanken zu anderen Körpern, anderen Männern, anderem Sex.“29 Dazu ertönt Chris Isaaks Song: „They did a bad bad thing“.
27 Wobei Bill unfreiwillig die beiden Models verlassen muss, um Ziegler zu helfen. Alice hingegen entscheidet selbstständig, dass sie ihrem Mann treu bleiben will. 28 „[...] und nach einer raschen Wagenfahrt durch die weiße Winternacht sanken sie einander daheim zu einem schon lange Zeit nicht mehr so heiß erlebten Liebesglück in die Arme.“ (TN, 435) 29 Mieszkowski (2002), 215.
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Eyes Wide Shut (GB/USA 1999), TC 0.19.41 Alice schaut sich im Spiegel an, wie Bill sie küsst.
Auch Sequenz 4 ist vom Umfang her etwas länger ausgearbeitet als in der Traumnovelle.30 Kubrick versteht es hier meisterlich, mittels Musik (ein Walzer von Dimitri Shostakovich), Farben (Blau, Rot, bunte Weihnachtsbäume) und der Kameraführung die visuellen und auditiven Grundelemente des Films weiter auszubauen und dem Zuschauer zu präsentieren. Die Sequenzen 5 bis 25 sind vom Umfang und vom Inhalt annähernd kongruent zur Traumnovelle. Nur in Sequenz 25 wird das klärende Gespräch nicht zu Hause, sondern in der Spielzeugabteilung eines Kaufhauses geführt. Der Dialog zwischen Bill und Alice stimmt mit der Traumnovelle an dieser Stelle fast vollständig überein, lediglich ein Wort hat Kubrick am Ende hinzugefügt: „ficken“. Der einzige gravierende inhaltliche Unterschied zwischen Schnitzlers Text und Kubricks Film ist Sequenz 23. An dieser Stelle ändert Kubrick die Geschichte, gibt vermeintlich eine Auflösung der Verwirrungen, die Bill widerfahren sind. Bill wird zu Ziegler gerufen. Ziegler gibt an, auch auf der geheimen Party gewesen zu sein. Er hat den Auftrag gegeben, Bill zu beschatten. Und er weiß auch, dass Nightingale wieder zu seiner Familie nach Seattle zurückgekehrt ist. Alles war nur eine Farce.
30 „Den Gatten forderte sein Beruf schon in früher Stunde an die Betten seiner Kranken; Hausfrau und Mutterpflichten ließen Albertine kaum länger ruhen. So waren die Stunden nüchtern und vorbestimmt in Alltagspflicht und Arbeit hingegangen, die vergangene Nacht, Anfang wie Ende, war verblaßt; [...].“ (TN, 435)
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Bill: „Was sollte das für einen Zweck haben?“ Ziegler: „Wollen Sie’s hören? In einfachen Worten? Sie sollten sich in die Hosen scheißen, Bill. Damit Sie schweigen, darüber, wo sie waren und was dort vorging.“
31
Ziegler gibt auch zu, dass die tote Frau tatsächlich die maskierte Warnerin war. Sie sei tot, weil sie ein Junkie gewesen sei und eine Überdosis genommen habe. Aber es bleiben Fragen offen: Warum hat sie Bill gewarnt? Warum hat Bill nichts mehr von Nightingale gehört? Ziegler verstrickt sich in Widersprüche. Er behauptet, man habe Bill bereits bei seiner Ankunft im Somerton-Landhaus als unbefugten Besucher entdeckt, denn Bill kam mit einem städtischen Taxi, was bei diesen Partys nicht üblich ist. Warum jedoch hat man Bill dann überhaupt Einlass gewährt? War wirklich alles nur eine Farce? Spricht Ziegler die Wahrheit? Diese Fragen beantwortet der Film nicht.
2. E RZÄHLPERSPEKTIVE Auch in Eyes Wide Shut (GB/USA 1999) wird die Erzählperspektive von Bill bestimmt. Bei Kubrick fungiert die Kamera als personaler oder auch heterodiegetischer Erzähler, der perspektivisch vom Standpunkt Fridolins aus erzählt und größtenteils dessen Innen- und Außenwelt fokalisiert.32 Die Kamera ist fast den gesamten Film über beim Protagonisten, Bill ist immer im Bild. Kubrick drängt den Zuschauer damit in die Rolle eines Komplizen, man erlebt die Abenteuer mit und weiß niemals mehr als der Protagonist. Koch spricht hier treffend von einer „distanzierten Nähe“33, welche die Kamera evoziere. Gemeint ist, dass die Kamera im Film die Position einer „vermeintlichen dritten Figur“34 einnimmt, welche das Geschehen begleitet. Die Kamera ist neben Bill, filmt über dessen Schulter oder beobachtet ihn aus der Nähe. Realisiert wird diese ‚distanzierte Nähe‘ durch eine attached camera, eine an den Protagonisten gebundene Kameraführung. „[D]ie Kamera als Aufnahmegerät [bindet] sich an die abzubildenden Per-
31 Kubrick/Raphael (1999), 179. 32 Dazu gibt es Passagen, genauso wie in der Traumnovelle, in denen scheinbar ein auktorialer Erzähler das Geschehen wiedergibt. Vor allem Sequenz 4 (der Alltag von Bill und Alice) ist hier zu nennen. Oder auch Sequenz 24 (TC 2.18.23): bereits bevor Bill die Wohnung oder das eheliche Schlafzimmer betritt, wird seine Maske neben der schlafenden Alice gezeigt. 33 Koch (2009), 337f. 34 Koch (2009), 338.
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sonen, Gegenstände und Ereignisse [...], Nähe und Teilnahme suggerierend.“35 Kubrick verzichtet auf weitschweifende Kamerabewegungen und -fahrten. Schuss-Gegenschuss-Verfahren und subjektivierende Aufnahmetechniken (subjektive Kamera, Fokalisierung, POV) herrschen vor. Die attached camera „erhöht die Illusion einer scheinbar unmittelbaren Teilnahme am fiktiven Geschehen“36. Auch die vielen Überblendungen im Film, die den Eindruck eines ununterbrochenen Geschehensflusses vermitteln, sind Mittel der attached camera. Weitere Belege für eine ‚distanzierte Nähe‘ zum Protagonisten sind die im Film eingesetzten Einstellungsgrößen. Kubrick verwendet im Film vor allem Totale, Halbtotale, Amerikanische und Nah. Großeinstellungen sind sehr selten (zehn Mal im Film), Detailaufnahmen von Figuren werden nicht gemacht. Somit kommt die Kamera dem Protagonisten nur selten ganz nah. Neben der beschriebenen ‚distanzierten Nähe‘ gibt es auch Passagen im Film, die konkret Bills Innenwahrnehmungen wiedergeben. Hervorzuheben ist vor allem die Darstellung von Bills Vision, in der sich seine Frau dem Marineoffizier sexuell hingibt. An fünf Stellen im Film (Sequenzen 6, 7, 11, 16, 19) hat Bill diese Visionen in scheinbar fortlaufenden Szenen.37 Dabei ist eine Vision immer ähnlich eingerahmt: Bill schaut starr in eine Richtung, zusätzlich erklingt das Musikthema „Naval Officer“, eine orchestrale, düstere Streichermusik, die sich kreisend um einen Ton bewegt. Dann erfolgt ein leichter Zoom auf Bills Gesicht. Im Anschluss daran wird in Schwarz-Weiß gezeigt, was sich in Bills Kopf ‚abspielt‘: Alice gibt sich in einem dunklen Raum auf einem Bett dem Offizier leidenschaftlich hin. Eine Szenerie, wie sie nie stattgefunden hat und sich tatsächlich nur in Bills Phantasie abspielen kann. Nach dieser kurzen SchwarzWeiß-Szene erfolgt erneut ein Schnitt, und Bill wird gezeigt, wie er noch immer einen imaginären Punkt anvisiert. Das Musikthema „Naval Officer“ wird langsam ausgeblendet. Dabei erfüllt das Musikthema „Naval Officer“ die Funktion einer inneren Fokalisierung. „Von innerer Fokalisierung durch Ton ist dann zu sprechen, wenn dieser durch audiovisuelle Kontextualisierung (z.B. vorhergehender close-up,
35 Hurst (1996), 138, in Anlehnung an Peters. Ganz anders funktioniert die detached camera, eine gelöste Kameraführung, die ein auktoriales ES vermittelt und einen Blick von außen erzeugt. 36 Hurst (1996), 139. 37 Bills ‚Kopfkino‘ schreitet von Sequenz zu Sequenz voran: In Sequenz 19 (TC 1.49.59) sind Alice und der Offizier nackt und haben leidenschaftlichen Sex. Davor küssen sie sich und sind noch angezogen.
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Tonverfremdung) der Vorstellungswelt einer Figur oder eines Binnenerzählers zuzuordnen ist.“38 Anzunehmen ist außerdem, dass Kubrick mit der Wahl des Schwarz-Weiß-Materials für die Visionen auf eine ganz bestimmte Äußerung von Bill am Anfang des Films verweisen will. In Sequenz 5 hat das Paar ein Streitgespräch über die sexuelle Rolle von Frau und Mann. Alice versteht Bill so, dass ein Mann mit ihr, einer schönen Frau, nur aus einem Grund eine Unterhaltung führt: „Nämlich dass er mich gern ficken möchte? Ja? Hab’ ich dich da richtig verstanden?“ (TC 0.25.12) Bill antwortet: „Na ja – ich glaub’, es ist nicht unbedingt so schwarzweiß. Aber wir wissen doch sicher beide, wie Männer sind.“ (TC 0.25.25) Bill gibt im Verlauf des Gesprächs zu, dass es für Frauen „nur um Geborgenheit und Bindungswunsch“ (TC 0.28.53) geht und Männer immer und überall Sex haben wollen und können. Umso verständlicher ist Bills Schock, als er von seiner eigenen Frau erfahren muss, dass sein Schwarz-WeißDenken über Frauen völlig falsch ist. Auch Alice hätte gern spontanen, ungehemmten Sex mit dem Offizier gehabt. Sie hätte dafür ihre Familie verlassen. Folglich ist sie Bill alles andere als sicher; diese Erkenntnis wird Bill die ganze Nacht und den nächsten Tag verfolgen und manifestiert sich als variierendes Schwarz-Weiß-Bild von Alice und dem Offizier. Bills Visionen belegen seine „zerstörte konservative Idee der Sexualität von Frauen und Männern im Allgemeinen und seiner Frau im Speziellen“39. Auch in der Traumnovelle muss Fridolin einige Male an Albertine und den Dänen denken. Bitterkeit gegen sie stieg in ihm auf und ein dumpfer Groll gegen den Herrn in Dänemark. (444f.) Wenn jetzt zum Exempel der junge Däne ihm entgegenkäme, mit dem Albertine – ach nein, was fiel ihm denn nur ein? Nun – es war ja doch nicht anders, als wenn sie seine Geliebte gewesen wäre. (448) Und erst auf der Stiege kam ihm wieder zu Bewußtsein, daß all diese Ordnung, all dieses Gleichmaß, all diese Sicherheit seines Daseins nur Schein und Lüge zu bedeuten hatten. (488)
Neben dem Musikthema „Naval Officer“, welches durch seinen düsteren, traumartigen Klang sehr gut Bills Gefühle transportiert, ist ein weiteres Musikstück dem Protagonisten zugeordnet: „Musica Ricercata II“ von György Ligeti. Es besteht hauptsächlich aus harten Klaviertönen und klingt wie ein schnelles, angsterfülltes Herzklopfen, das sich zu einem Rasen steigert. So kann Bills hohe psy-
38 Griem/Voigts-Virchow (2002), 166. 39 Koch (2009), 334.
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chische Belastung auch hörbar gemacht werden. Dieses Thema taucht in Situationen auf, die Bill bedrohlich erscheinen und ihm Angst machen. Auch Fridolin in der Traumnovelle ist mehrfach von „Unruhe, von Angst erfasst“ (472). Zum ersten Mal setzt „Musica Ricercata II“ ein, als Bill von der geheimen Gesellschaft enttarnt und von einem Mann mit rotem Umhang verhört wird (Sequenz 12, TC 1.20.49). Alle anderen Maskierten haben Bill eingeschlossen, er kann nicht entkommen – eine bedrohliche Situation. Als Bill am nächsten Tag zum Somerton-Landhaus (dem Ort des geheimen Festes) zurückkehrt, erklingt erneut diese bedrohliche Musik. Wenig später wird der Protagonist von einem Mann verfolgt. Bill kauft sich eine Zeitung, flüchtet in ein Café und liest einen Artikel über ein Model, welches an einer Überdosis Drogen verstorben sei. Wieder hört man das musikalische Herzklopfen von „Musica Ricercata II“. Das letzte Mal erklingt „Musica Ricercata II“ in Sequenz 24. Bill kehrt nach Hause zurück und sieht seine Maske neben Alice liegen – sein Herz schlägt, er fasst sich sogar an die Brust und atmet schwer.
Eyes Wide Shut (GB/USA 1999), TC 2.20.30 Bill ist vor Angst erstarrt. „Musica Ricercata II“ unterlegt diese Szene.
Kubrick benötigt für den Ausdruck von Bills Angst in Eyes Wide Shut (GB/USA 1999) an dieser Stelle keine Worte. Bei Schnitzler kann man lesen: Einen Moment nur stand ihm das Herz still, im nächsten schon wußte er, woran er war, griff nach dem Polster hin und hielt die Maske in der Hand. (502)
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Ein weiteres Mittel, um Innenwahrnehmungen zu evozieren, ist der Einsatz einer Frauenstimme aus dem Off an zwei Stellen des Films,40 zum einen in Sequenz 18, und zum anderen in Sequenz 22, in der Bill sich in der Pathologie befindet und noch einmal die Stimme der maskierten Warnerin hört. In beiden Szenen fungiert die Stimme aus dem Off als Erinnerung von Bill, als eine Art auditiver flash back. Herausgegriffen sei an dieser Stelle Sequenz 18. Bevor hier Alices Stimme aus dem Off einsetzt, wird ein POV von Bill vorangestellt. Der Protagonist blickt auf seine Frau, die mit der Tochter Hausaufgaben macht. Dabei wird auf Alice gezoomt. Danach folgt, ähnlich wie bei Bills Schwarz-Weiß-Visionen, ein Zoom auf den Protagonisten, der seine Frau aus der Küche heraus beobachtet und mit einem starren Blick fixiert. Alice bemerkt seinen Blick und lächelt ihn an. Währenddessen wird Alices Traumerzählung vom Vorabend als Stimme aus dem Off eingespielt, als eine Erinnerung von Bill.
Eyes Wide Shut (GB/USA 1999), TC 1.49.11 Bill erinnert sich an Alices Traum. An dieser Stelle setzt Alice Stimme aus dem Off ein: „Da war der ganze Garten voller Leute. Hunderte. Und wir waren in der Mitte. Alle haben sie gefickt.“
Eyes Wide Shut (GB/USA 1999), TC 1.49.23 Alice merkt, dass Bill sie beobachtet, und lächelt ihn an. Parallel dazu erinnert Bill ihre Stimme aus dem Off: „Und dann habe ich auch mit anderen gefickt. Es waren so viele, dass ich überhaupt nicht mehr weiß, wie viele es waren.“
Diese Szene vermittelt die Entfremdung, die Bill aufgrund ihrer Traumerzählung empfindet. Seine Frau, die sich liebevoll um die Hausaufgaben der Tochter kümmert und ihn verliebt anlächelt, hat ihn im Traum tausend Mal betrogen. Auch Bill will seine Erlebnisse zu Ende bringen, genauso wie Fridolin in der Traumnovelle:
40 In einer früheren Drehbuchfassung wollte Kubrick einen intensiven Gebrauch von voice over machen, was er dann aber wieder verwarf.
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Je weiter sie in ihrer Erzählung fortgeschritten war, um so lächerlicher und nichtiger erschienen ihm seine eigenen Erlebnisse, soweit sie bisher gediehen waren, und er schwor sich, sie alle zu Ende zu erleben, sie ihr dann getreulich zu berichten und so Vergeltung zu üben an dieser Frau, die sich in ihrem Traum enthüllt hatte als die, die sie war, treulos, grausam und verräterisch, und die er in diesem Augenblick tiefer zu hassen glaubte als er sie jemals geliebt hatte. (480)
Neben Bills Schwarz-Weiß-Vision, spezieller Musik und der Stimme aus dem Off verwendet Kubrick auch den Point-of-View-Shot (POV) bzw. die subjektive Kamera zur Darstellung von Bills Innenwahrnehmungen. In Sequenz 12 beispielsweise, in der Bill das sexuelle Treiben bei der geheimen Gesellschaft beobachtet (ab TC 1.16.06), suggeriert die Kameraperspektive, dass das Geschehen aus der subjektiven Wahrnehmung der Figur abgebildet wird: Bill geht durch die Räume und ist der Beobachter. Realisiert wird dieser POV durch eine Handkamera, die, ähnlich einer Laufbewegung mit leichten Wacklern und mit leichten Schwenks, die Kopfbewegungen des Protagonisten nachahmt. Die Kamera befindet sich dabei in Normalhöhe/Brusthöhe bzw. ist an Bills Körpergröße orientiert. Die verschiedenen Szenen sind durch Überblendungen miteinander verbunden. Zwischendurch wird immer wieder der laufende Bill eingeblendet. Auch die Kamerabewegungen in Eyes Wide Shut (GB/USA 1999) sind ein Mittel, um eine personale Erzählweise zu evozieren. Man findet im Film fast ausschließlich ‚natürliche‘ Bewegungen. Gemeint sind Fahrten (Ranfahrt, Rückfahrt, Seitenfahrt und Parallelfahrt), Drehungen, wenige Schwenks und kaum ruckartige Bewegungen der Kamera.41 Von der ersten Einstellung bis zum letzten Bild bewegt sich die Kamera schwerelos, frei von jeglicher Beschränkung und umkreist die Protagonisten. „[Kubrick verwendete] eine Handkamera, die nie verwackelt, und eine Steadicam, die nie aufdringlich schwankt oder schwimmt. Alles ist im Gleichmaß, ruhig, beherrscht, anstrengungslos.“42 Allein an zwei Stellen im Film, in Sequenz 12, gibt es auffällige Zooms43. Diese Zooms fungieren als Erzählerkommentare: Denn erst nachdem sich der Zoom als Hinweis auf eine wichtige Begebenheit vollzogen hat, blickt auch Bill
41 Am Ende des Films gibt es einen, wenn man das Kamera-Auge mit dem menschlichen Auge gleichsetzt, ‚unnatürlichen‘ Reißschwenk: Die Kamera zeigt blitzartig die Maske auf Bills Kopfkissen (Sequenz 24, TC 2.20.05). Diese schnelle und aus dem gesamten Film herausstechende Bewegung visualisiert ein Erwachen von Bill. 42 Kilb (1999), 239. 43 Hier wird der Zoom vor allem referentiell verwendet, d.h. es wird mit dem Zoom auf ein Objekt hingewiesen (vgl. Bentele [1981], 51).
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in diese Richtung. Bei der Zeremonie auf dem geheimen Maskenball beobachten zwei Maskierte von der Empore herab Bill. Erst nachdem auf die beiden Maskierten gezoomt wurde, bemerkt auch Bill sie und grüßt mit einem Nicken. Später, bei TC 1.24.03, wird noch schneller auf ein Objekt gezoomt: Bill, der gerade von dem Mann im roten Umhang verhört und bedroht wird, steht eingeschüchtert in einem Kreis von Maskierten. Es erfolgt ein Schnitt, und die Kamera erfasst die maskierte Warnerin auf der Empore, zoomt sie sehr schnell heran. Sie schreit: „Halt!“ Erst in diesem Augenblick kann man sehen, wie Bill auch nach oben schaut. Verbunden mit diesen Zooms ist die Aufsicht auf die Objekte, die allerdings allein der Verdeutlichung der räumlichen Relationen dient (Maskierte und Warnerin stehen oben auf der Galerie, Bill und die Kamera befinden sich unterhalb). Ansonsten entspricht die Kameraperspektive im gesamten Film Bills Brusthöhe44 und evoziert damit, als würde man neben dem Protagonisten stehen. Überaus wichtig ist auch der Einsatz von Musik im Film. Die Musik übt hier größtenteils eine kommentierende Funktion aus. Kubrick setzt Musikstücke und deren Texte gezielt ein, um auszudrücken, wie sich die Protagonisten fühlen bzw. in welcher Situation sie sich befinden. Teilweise ironisiert die Musik auch das Dargestellte. Filmhandlung Der Alltag der Harfords, Vorspann und Abspann Bill und Alice kommen bei den Zieglers an Alice flirtet mit Szavost
Bill flirtet mit den Models
Titel45 Dimitri Shostakovich „Waltz 2 from Jazz Suite“ The Victor Silvester Orchestra „I’m in the mood for love“ Tommy Sanderson „It had to be you“ The Victor Silvester Orchestra „Chanson d’amour“ The Victor Silvester Orchestra „Old fashioned way“ The Victor Silvester Orchestra „When I fall in love“ The Victor Silvester Orchestra „I only have eyes for you“ The Victor Silvester Orchestra „Old fashioned way“
44 Kubrick weicht von dieser Vorgehensweise nur in Sequenz 21 ab. 45 vgl. Soundtrack 1999.
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Bill und Alice küssen sich, Alice scheint nicht bei der Sache Bill denkt an die Untreue seiner Frau Bill hat Angst, sein Herz schlägt Bill und Domino küssen sich Bill im Sonata Café Die Zeremonie der geheimen Gesellschaft Die Orgie Bill möchte die Identität der Maskierten erfahren Alice erzählt ihren Traum Bill im Gillespies Coffeeshop Bill kommt in Sharky’s Café
Bill betrachtet die tote Frau in der Pathologie
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Chris Isaak „Baby did a bad bad thing“ Jocelyn Pook „Naval Officer“ György Ligeti „Musica Ricercata II“ The Oscar Peterson Trio „I got it bad (and that ain’t good)“ Roy Gerson „If I had you“ Jocelyn Pook „Masked Ball“ Jocelyn Pook „Migrations“ Peter Hughes Orchestra „Strangers in the night“ Jocelyn Pook „The Dream“ The Del-Vets „I want a boy for christmas“ Berliner Radio Symphonie Orchester (W.A. Mozart) „Requiem K626 Rex Tremenadae“ Dominic Harlan, Franz Liszt „Nuages Gris“
Darstellung. Henrike Hahn
Der größte Teil der Musik wird synchron zum Bild eingesetzt: Shostakovichs Walzer endet, als Bill die Stereo-Anlage in Sequenz 1 ausschaltet. Ein in der Filmhandlung auftretendes Orchester spielt Musik auf Zieglers Party. Das Radio bei Domino wird von Bill ausgeschaltet. Nick Nightingale spielt im Sonata Café und beim geheimen Maskenball. Auch im Fall von Chris Isaaks „Baby did a bad bad thing“ scheint die Musik tatsächlich für die Protagonisten hörbar zu sein, denn Alice bewegt sich leicht im Rhythmus des Songs (Sequenz 3, TC 0.19.04). „Im Gegensatz dazu stehen musikalische Ergänzungen, die ausschließlich zur Vermittlung von Stimmung verwendet werden, zur emotionalen Vertiefung des vorgängigen Geschehens [...].“46 Dazu gehören vor allem Dimitri Shostakovichs
46 Ruschel (2002), 90.
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„Waltz 2 from Jazz Suite“47 in Sequenz 4 und die bereits vorgestellten BillThemen „Naval Officer“ sowie „Musica Ricercata II“. Musikstücke mit kommentierender Funktion werden vor allem in Sequenz 2 bei der Weihnachtsparty eingesetzt. Als Bill und Alice auf der Party der Zieglers ankommen, spielt die Band „I’m in the mood for love“. Und tatsächlich: Nur wenige Minuten später sieht man Alice mit Szavost und Bill mit den Models flirten. Während Alice und Szavost tanzen und sich über die Institution der Ehe und die Liebe unterhalten, erklingen verschiedene Musikstücke. Als Szavost Alice anspricht, spielt die Band „It had to be you“. Szavost und Alice beginnen den Flirt. Wenige Augenblicke später erklingt der „Chanson d’amour“. Als Szavost über die frühere Funktion der Ehe spricht, tanzen beide zu „Old fashioned way“. Parallel dazu spielt sich folgender Dialog ab: Szavost: „Sie wissen, warum Frauen früher einmal geheiratet haben, oder?“ Alice: „Vielleicht verraten Sie’s mir.“ Szavost: „Nur auf die Art konnten sie ihre Jungfräulichkeit verlieren – um mit anderen Männern das zu machen, was sie wollten. Mit denen, die sie wirklich wollten.“ (TC 0.10.43)
Das ist der ‚altmodische Weg‘, den zahlreiche Frauen noch zur Jahrhundertwende und somit zu Zeiten, als Schnitzlers Traumnovelle entstand, gegangen sind. Zu „When I fall in love“ (TC 0.14.14) macht Szavost Alice ein unmoralisches Angebot, welches sie ablehnt. Sie will lieber ihren Mann suchen. An dieser Stelle setzt das Lied „I only have eyes for you“ (TC 0.17.57) ein. Und tatsächlich: Ab dieser Stelle hat Alice den gesamten Film über ihren Blick auf Bill gerichtet. Auch in Sequenz 8 erfüllt die Musik eine kommentierende Funktion. Bill und Domino küssen sich. Aus der Stereoanlage ertönt: „I got it bad (and that ain’t good)“, während Bill im Begriff ist, fremdzugehen.
47 Waltz 2 from Jazz Suite“ steht für den Alltag der Harfords (Sequenzen 1 und 4) und unterstreicht (durch seine Walzerstruktur) die Kreisstruktur des Films. Shostakovichs Walzer erklingt auch im Abspann. Damit wird implizit vermittelt, dass am Ende des Films der Alltag für die Harfords wieder einsetzt und damit möglicherweise auch wieder die alten Probleme. Der Walzer erinnert zudem an Wien, den Handlungsort der Traumnovelle. Allerdings wurde für Eyes Wide Shut (GB/USA 1999) Shostakovichs „Waltz 2 from Jazz Suite“ modifiziert: Hier handelt es sich um eine Moll-Tonart mit Jazzelementen (Saxophon, Klarinette). Möglicherweise ein auditiver Verweis auf das moderne Setting oder der Verweis auf einen „unechten“ Walzer, genauso wie das harmonische Eheleben der Harfords unecht ist.
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Ironisch kommentiert die Musik eine Szene in Sequenz 12: Bill, umgeben von Maskierten und Anonymität, aber auf der Suche nach Nähe und Identität, möchte den Namen der maskierten Warnerin erfahren. In diesem Moment ertönt aus der Ferne „Strangers in the night“. Im Verlauf tanzen zu diesem Titel die maskierten Paare einen Foxtrott.
3. B ILL , ALICE
UND ANDERE
F IGUREN
IM
F ILM
Kubrick hat einige Änderungen bezüglich der Namen der Protagonisten im Film vorgenommen. Traumnovelle Fridolin Albertine Tochter --Nachtigall „fremdländischer Unbekannter“ auf der Redoute zwei Dominos auf der Redoute -Hofrat Marianne Dr. Roediger Coleursteudenten dänischer Offizier Mizzi Gibiser zwei rote Femrichter Pierrette maskierte Warnerin Weißer Kavalier
Eyes Wide Shut (GB/USA 1999) Dr. William (Bill) Harford (Tom Cruise) Alice Harford (Nicole Kidman) Helena Harford (Madison Eginton) Victor Ziegler (Sydney Pollack) Ilona Ziegler (Leslie Lowe) Nick Nightingale (Todd Field) Sandor Szavost (Sky Dumont) Gayle und Nuala (L. Taylor, S. Thorndike) Mandy, die Prostituierte auf der Party (Julienne Davis) Lou Nathanson Marion Nathanson (Marie Richardson) Carl (Thomas Gibson) sechs Schüler Marineoffizier (Gary Goba) Domino (Vinessa Shaw) Milich (Rade Sherbedgia) zwei Japaner in roten Unterhosen (T. Igawa, E. Kusuhara) Milichs Tochter (Leelee Sobieski) maskierte Warnerin (Abigail Good) --
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Gibiser zwei rote Femrichter Pierrette maskierte Warnerin Weißer Kavalier Roter Kavalier „ein übel aussehender Portier“ (482)
Milich (Rade Sherbedgia) zwei Japaner in roten Unterhosen (T. Igawa, E. Kusuhara) Milichs Tochter (Leelee Sobieski) maskierte Warnerin (Abigail Good) -Mann im roten Umhang (Leon Vitali) Portier im Hotel Jason (Alan Cumming) Sally (Fay Masterson)
„[ein] nicht unhübsches Frauenzimmer“ (492) ein unauffällig gekleideter Herr (494) Verfolger (Phil Davies) Dr. Adler Mann in der Pathologie (Treva Etienne) Darstellung: Henrike Hahn
Der Drehbuchautor Raphael schreibt über die Besetzung der Hauptrollen: „Ich hatte den Eindruck, der sich nicht als irrtümlich erwies, daß Kubrick nicht recht wußte, welche Art Geschichte er zu erzählen beabsichtigte. Was ihn interessierte, waren die erotische Atmosphäre und die besondere Sexualität ehelicher Liebe. Er sprach davon, die Hauptrollen mit einem Paar zu besetzen, das auch im wirklichen Leben verheiratet war [...].“48 Diese Idee von Kubrick vermittelt erneut die Grundfrage des Films: Was ist Realität, was ist Fiktion? Ein real verheiratetes Paar durchlebt in einer von Requisiteuren gebauten Versuchsanordnung die ‚Realität‘ ihrer Ehe? „Kubrick hat Cruise und Kidman aus ihren üblichen Starrollen gelöst, bei ihm müssen sie mitdenken und mitfühlen. So scheinen sie Gram und Schuld, Scham und Eifersucht, die sie darstellen, auch wirklich zu empfinden.“49 Obwohl er einige Namen geändert hat, bleibt Kubrick der Figurencharakteristik aus der Traumnovelle weitgehend treu.50
48 Raphael (1999), 141. 49 Walker (1999), 354. 50 Marion Nathanson ähnelt Schnitzlers Marianne, Domino ist eine moderne und etwas schlagfertigere Version von Mizzi, Milich hat einen russischen Akzent und erscheint etwas rauer und wilder (graues, zotteliges Haar, langer Bart, aufbrausendes Wesen) als Gibiser. Seine Tochter ähnelt Pierrette. Die maskierte Warnerin trägt eine Maske,
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Lediglich bei der Darstellung von Bill und Alice gibt es einige andere Akzentuierungen. Auffällig an Tom Cruise ist hier sein reduzierter Schauspielstil. Er ist erstarrt, schockiert. Seine Mimik wirkt größtenteils maskenhaft. Diese Maskenhaftigkeit setzt in Sequenz 5 ein, als Alice ihrem Mann die Begebenheit mit dem Marineoffizier erzählt.
Eyes Wide Shut (GB/USA 1999), Eyes Wide Shut (GB/USA 1999), TC 2.21.17 TC 0.31.43 Bills Gesicht versteinert zu einer Maske. Bills Maske fällt. Die Vorstellung wie Alice Sex mit einem anderen Mann hat, bekommt Bill nicht mehr aus seinem Kopf.
Bill sitzt auf dem Bett und erstarrt bei den Worten seiner Frau, die Kamera zoomt leicht auf sein Gesicht und verweilt. Wenn Bill im weiteren Verlauf der Handlung an die Worte seiner Frau denkt, bekommt er diesen starren Ausdruck. Man realisiert so automatisch, das die Figur sich an das Gespräch erinnert, an den möglichen Ehebruch seiner Frau denkt. Erst am Ende des Films, als Bill seine Maske neben Alice findet, fällt diese Starre von seinem Gesicht ab, er kann nun alles erzählen, sich seiner Frau öffnen, Emotionen wieder zeigen (TC 2.21.17). Neben dieser Maskenhaftigkeit der Mimik bewegt sich Bill größtenteils „wie hypnotisiert durch die Handlung“51, verlangsamt, fast schlaftrunken. Cruise stellt diesen Zustand entsprechend dar. Auch Bills Sprache ist bedächtig und verlangsamt. Der Protagonist wiederholt häufig eben Gesagtes in Gesprächen mit anderen Figuren. Es wirkt oft etwas zäh.
aus der Traumnovelle beibehalten. Kubrick fügte zwar den Vornamen Nick hinzu, Bill nennt ihn aber trotzdem die ganze Zeit Nightingale. Es ist anzunehmen, dass auch Kubrick auf die symbolische Bedeutung des Begriffs Nachtigall anspielen möchte. 51 Kamp (2006), 16.
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Fast alle Gespräche, die er außerhalb seiner Wohnung führt, sind beruflich oder formal. Dabei kommt seiner Arztzulassung eine besondere Rolle zu, da er sie einerseits wie eine Art Universalausweis für Integrität und Vertrauenswürdigkeit einsetzt und sie andererseits ein Rettungsanker für seine zunehmende Unsicherheit zu sein scheint. So verschafft er sich Zutritt zu Milichs Kostümverleih, erfährt Nightingales Aufenthaltsort, bekommt Informationen vom Rezeptionisten im Hotel Jason und kann schließlich sogar bis in die Pathologie vordringen, um dort die vermeintlich tote Warnerin zu besichtigen. Genauso wie Fridolin ist auch der eloquente Bill immer passiv. Nur hat Kubrick diesen Charakterzug im Film noch stärker herausgearbeitet: Noch bevor Bill in Sequenz 2 selbst entscheidet, den Models eventuell bis „ans Ende des Regenbogens“ zu folgen, wird er zu Ziegler gerufen. Ob er mit der Prostituierten Domino schläft, entscheidet nicht Bill, sondern Alice mit ihrem Anruf (Sequenz 8). Und schließlich entscheiden die Regeln und die Mitglieder der geheimen Gesellschaft, dass Bill der maskierten Warnerin nicht näher kommt (Sequenz 12). Bill werden alle Entscheidungen abgenommen, was ihm allerdings nicht bewusst ist. Erst in Sequenz 23, beim klärenden Gespräch mit Victor Ziegler, wird ihm klar, dass er eine Figur in einer Inszenierung war, bei der andere ihn überwachten und unter Kontrolle hatten. Bill war, bildlich von Kubrick in Szene gesetzt, eine Billardkugel, angestoßen von einem Queue. Bei der Analyse des Schnitzler-Textes wurde bereits darauf hingewiesen, dass Fridolin viele Dinge „mechanisch“ oder „unwillkürlich“ vollführt. Der Protagonist (ob nun mit dem Namen Fridolin oder Bill) scheint ein Spielball zu sein, er hat keine eigene Macht über die Ereignisse, ist fremdgelenkt. Der weiblichen Protagonistin wird in Kubricks Inszenierung ein noch größerer Stellenwert als in Schnitzlers Text beigemessen. Nicht nur, dass Nicole Kidman die Filmfigur mit intensiven mimischen und gestischen Bewegungen verkörpert und so schon rein darstellerisch mehr Spielraum hat. Ihr gelten das erste und das letzte Bild des Films. Sie hat das letzte Wort in Eyes Wide Shut (GB/USA 1999). Und der Film beginnt und endet mit einer Frage, die Bill seiner Frau stellt. Damit arbeitet Kubrick noch stärker heraus, was Schnitzler bereits in der Traumnovelle verdeutlichte: Albertine/Alice ist ein überlegenes Gegenüber ihres Ehemannes. Auch wenn Alice nicht so oft im Bild zu sehen ist wie der Protagonist, ist sie doch ständig gegenwärtig (beispielsweise in Bills SchwarzWeiß-Phantasien) und schaltet sich an wichtigen Punkten in das Geschehen ein, etwa durch ein Telefonat oder mittels ihrer Traumerzählung. Man hat im Film oft den Eindruck, als wäre Alice die Sehende, als würde sie wissen, was Bill tut, auch wenn sie nicht bei ihm ist. Das wird schon in der ersten Sequenz deutlich, als sie Bill, ohne hinzuschauen, sagen kann, wo seine Brieftasche liegt. In Sequenz 8, als Domino Bill die entscheidende Frage stellt („Und? Wollen wir?“ TC
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0.49.55), ruft Alice im richtigen Augenblick an und nimmt so Bills Antwort vorweg. Am Ende des Films sieht man Alice schlafend, neben ihr hat sie seine Maske drapiert. Sie weiß um Bill, und er erkennt das in diesem Augenblick. Dass Alice an einigen Stellen im Film eine Brille trägt, scheint das passende Requisit für ihre umfassende Sehkraft. Interessant ist es außerdem, der Frage nachzugehen, warum Kubrick die Protagonistin in Alice umbenennt. Hier drängt sich möglicherweise eine Verbindung zu Lewis Carrolls Kinderbuchklassiker Alice im Wunderland/Alice’s Adventures in Wonderland (1865) auf. Auch bei diesem Text handelt es sich in großen Teilen um eine Traumerzählung bzw. um eine fantastische Geschichte, die über die Grenzen der Erfahrungswirklichkeit hinausgeht. Der zweite Teil dieses Märchens trägt den Titel: Alice im Spiegelland und handelt vom kleinen Mädchen Alice, welches in den Spiegel über dem Kamin schaut und sich vorstellt, dahinter existiere noch ein zweites Universum, ein anderes Zimmer. „Es gleicht haargenau unserer Wohnstube, nur mit dem Unterschied, daß darin alle Gegenstände andersrum sind. [...] Bestimmt gibt’s da Wunderdinge zu sehen! Laß uns mal so tun, als ob es einen Weg hinein gäbe!“52 Es macht den Anschein, als würde auch Alice in Eyes Wide Shut (GB/USA 1999) einen Weg ins Spiegelland suchen.
Eyes Wide Shut (GB/USA 1999), Eyes Wide Shut (GB/USA 1999), TC 0.19.17 TC 0.01.41 Alice schaut in den Spiegel und nimmt ihre Brille ab.
52 Carroll (1976), 16.
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Ihre Mittel, um in dieses ‚Spiegelland‘ jenseits der Alltagswirklichkeit zu gelangen, sind Alkohol, Haschisch und sexuelle Begierde – mithin alles Dinge, die Rauschzustände erzeugen. In Sequenz 1 schaut sie in den Spiegel und nimmt ihre Brille ab, Alice ist nun bereit, ins ‚Spiegelland‘ zu gehen, und versucht den Übergang mit reichlich Champagner auf Zieglers Party zu erleichtern. Auch in Sequenz 3 schaut Alice in den Spiegel, als Bill sie küsst: Sie nimmt die Brille ab und schaut weiter auf die Spiegelfläche, als würde sie bereits sehen, was sich dahinter verbirgt. Und auch in Sequenz 5 schaut Alice lange in den Spiegel, diesmal öffnet sie die Tür des Badezimmerspiegelschrankes und entnimmt aus dem Inneren eine Büchse mit Haschisch. Die Wirkung des Joints kulminiert im weiteren Verlauf im Streitgespräch zwischen den Eheleuten. Die kleine Alice im Kinderbuch gelangt in das Spiegelland, indem sie einschläft und davon träumt. „Und jetzt laß uns mal überlegen, Miez, wer den Traum geträumt hat. Das ist eine ernste Frage! [...] Weißt du, Miez, entweder war ich es, oder es war der rote König. Er war natürlich Teil meines Traumes, aber danach war ich auch Teil seines Traumes!“53 Im Märchen muss die kleine Alice eine imaginäre Schachpartie durchlaufen, am Ende gewinnt sie und wird die Königin – genauso wie Alice im Film. Sie hat am Ende das letzte Wort und ist die Siegerin im Spiel um die ‚Vormachtstellung‘ in der Ehe.54 Eine neue Figur wurde von Kubrick der Filmhandlung zugefügt. Raphael notiert dazu: „So blieb ich weiterhin überzeugt, daß es eine Verbindung zwischen der Szene auf der Party zum Anfang des Films und der Orgie und ihren Folgen
53 Carroll (1976), 192. 54 Der letzte Satz in Alice im Spiegelland lautet: „Leben – nichts anders ist’s als Traum.“ (Carroll [1976], 193)
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geben müsse.“55 Diese Verbindung heißt Victor Ziegler. „Rein formal braucht der Film eine Figur wie Ziegler, um darstellbar zu machen, was dem Leser der Novelle mit Hilfe des inneren Monologs vermittelt: Wenn Fridolin gegen Ende der Traumnovelle in Gedanken Für und Wider seiner Verschwörungstheorie erwägt [vgl. Traumnovelle 486], setzt Kubrick dies als Dialog zwischen Bill und Ziegler um.“56 Victor Ziegler ist ein Patient von Bill. Er scheint ein sehr vermögender Mann zu sein, schließlich besitzt er eine Luxusvilla mitten in Manhattan. Ziegler hat Macht, er kann vieles kontrollieren. Und es ist Mitglied der maskierten geheimen Gesellschafter. Ziegler weiß trotzdem, wer sich hinter den Masken verbirgt. So scheint es, als würde er Bill erkennen und von der Balustrade herab begrüßen.
Eyes Wide Shut (GB/USA 1999), Eyes Wide Shut (GB/USA 1999), TC 2.05.29 TC 1.12.48 Ziegler ist der Maskierte rechts und grüßt Bill mit einem Kopfnicken.
Es wird überdies suggeriert, dass er es ist, der Bill bei der geheimen Gesellschaft verrät. Denn als Bill den Maskierten zum Verhör zugeführt wird, filmt die Kamera zuerst diese Maske, hinter der sich – und diese Vermutung legt der Film nahe – Ziegler verbirgt. Aber nicht nur bei der geheimen Gesellschaft ist er maskiert. Auch im Alltag hat er zwei Gesichter: Zum einen ist Ziegler der charismatische Ehemann, der smarte Gastgeber und dankbare Patient von Bill, zum anderen ist er ein knallharter Machtmensch, der seine Frau betrügt und das Geschehen kontrolliert. Ziegler
55 Raphael (1999), 165. 56 Mieszkowski (2002), 213.
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gibt in Sequenz 23 an, dass er Bill hat beschatten lassen.57 Doch: Sollte man den Erklärungen von Ziegler trauen? Einiges scheint sich tatsächlich in Sequenz 23 aufzuklären, aber ein Detail stimmt nicht. Warum hat Ziegler einen rot bespannten Billardtisch? Billardtische (ob Pool, Snooker oder Karambolage) sind grün bespannt. Soll das rote Spielfeld ein Hinweis von Kubrick sein, dass alles, was so logisch scheint, doch nur gelogen ist?
4. I NDICES , I KONS
UND
F ARBCODES
„Das Zeichen- und Verweissystem in Eyes Wide Shut ist so dicht geknüpft, dass nichts mehr einfach als gegeben hingenommen werden kann. [...] Jedes Element der Inszenierung wirkt als Zeichen vor- und rückverweisend auf andere Kontexte.“58 Erst nach wiederholter Betrachtung und einer Sequenz- bzw. Einstellungsanalyse kann man erkennen, wie planvoll und präzise scheinbar nebensächliche Details arrangiert sind. Einige dieser Details seien hier vorgestellt. Auffällig sind die Weihnachtsbäume als „visuelle Konstante des gesamten Films“59. Sie stehen als Index für das Fest der Familie, den Zusammenhalt und die Geborgenheit und überspitzen diese Bedeutung ironisch, führen sie ad absurdum, denn Sicherheiten gibt es im Film nicht. In fast jedem Raum, den Bill betritt, steht ein bunt erleuchteter Weihnachtsbaum. Dabei verdeutlichen die Weihnachtsbäume „nicht nur den Widerspruch zwischen einem sexuellen Traumrausch und der ökonomisch-semiologischen Konstruktion der Familie [...], sondern eine Ebene tiefer auch die Mythologie der Heiligen Familie [...], die hier auf dem Prüfstand steht.“60 Immer leuchten die Weihnachtsbäume bunt, sogar bei der Prostituierten Domino. Einzig als Bill am Ende des Films (Sequenz 24), desillusioniert durch das Gespräch mit Ziegler, nach Hause zurückkehrt, schaltet er die Lichter seines Weihnachtsbaums aus: Die Doppelmoral von Weihnachten scheint gebrochen. Er wird nun Alice alles erzählen. Ein weiteres leicht zu übersehendes Detail, welches bei näherer Betrachtung allerdings auch für die Darstellung figurativer Innenwahrnehmungen bedeutsam ist, sind die sprachlichen Zeichen in schriftlicher Form – gemeint sind Leuchtreklamen und Warnschilder. „Sprache und Text ergänzen als nicht-kinematogra-
57 Der Dreh dieses Gesprächs beanspruchte drei Wochen (vgl. Ruschel [2002], 84). Eine präzise Analyse des Gesprächs Bill-Ziegler macht Ruschel (2002), 157ff. 58 Kamp (2006), 25. 59 Kilb (1999), 238. 60 Seeßlen/Jung (1999), 287.
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phische Codes das Bild“ und bilden so „mehrere Sprachschichten“61. Einige Beispiele sollen dies im Folgenden verdeutlichen: Als Bill in Sequenz 9 das Sonata Café betritt und eine rote Treppe hinab steigt, hängt gut lesbar im Hintergrund ein Schild „All Exits are final“ (dt.: alle Ausgänge sind endgültig/enden hier bzw. hier ist der letzte Ausgang) – übrigens ein erfundenes Warnschild. Tatsächlich bedeutet diese Szene für Bill den letzten Ausweg aus seinen Abenteuern, seinem Besuch der Orgie. Doch Bill ignoriert die Warnung und lässt sich von Nightingale das Passwort (Fidelio) geben, ein anderes Passwort als bei Schnitzler.62
Eyes Wide Shut (GB/USA 1999), TC 0.53.35 Warnschild im Hintergrund.
Eyes Wide Shut (GB/USA 1999), TC 0.57.32 Passwort
61 Hurst (1996), 106f. 62 Kubricks Passwort-Wechsel scheint nicht durch den Medienwechsel von Text zu Film motiviert. Ansonsten hätte er wahrscheinlich Cape Cod (Urlaubsort der Harfords) oder den Titel des Bill-Themas „Naval Officer“ ausgewählt. ‚Fidelio‘ als Passwort impliziert eine Mehrdeutigkeit. Kubrick verweist damit auf die Oper von Beethoven, auf das Treuemotiv und die „Nietzsche-Deutung als Ausbruch des Dionysischen“. (Seeßlen/Jung [1999], 287) Beethovens Fidelio ist eine Frau in Männerkleidern (Leonore), die ihren zu Unrecht eingekerkerten Mann (Florestan) retten möchte. Sie ist ihm über Jahre treu geblieben und will ihn nun befreien, was ihr auch gelingt. Eine Frau rettet ihren Mann, wie die maskierte Warnerin den Protagonisten auf dem geheimen Fest und Alice am Ende des Films die gemeinsame Ehe. Zum einen greift so die Bedeutung des Passwortes der Handlung vor, zum anderen kommentiert es das Schicksal des Protagonisten. „In einem einzigen Wort ist das ganze Dilemma des Helden, die Unmöglichkeit seines Lebensentwurfes, die Unmöglichkeit der bürgerlichen Konstruktion der Liebe, zusammengefaßt.“ (Seeßlen/Jung [1999], 287)
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Als Bill wenig später vor der verschlossenen Tür des Kostümverleihers steht und um Einlass bittet, weisen ihm erneut Schilder (diesmal rote und blaue Leuchtreklamen) einen Ausweg, indem sie zum einen auf Alice verweisen, die derweil in der blau erleuchteten Küche isst und wartet (Blue Diner), zum anderen Abenteuer und Erotik versprechen (Eros).
Eyes Wide Shut (GB/USA 1999), TC 0.48.58 Alice in der Küche beim Mitternachtsimbiss (“Blue Diner”). Sie wartet auf ihren Mann.
Eyes Wide Shut (GB/USA 1999), TC 1.00.37 Bill vor der Tür von Milich. Links im Hintergrund der Wegweiser zum „Diner“, also zu seiner Ehefrau. Rechts hinter Bill der rote „Eros“-Schriftzug.
Ähnlich mutet es in der Traumnovelle an: Nach wenigen Minuten, im Laufschritt, war er zu dem Eckhaus gelangt, das er suchte, läutete, erkundigte sich beim Hausmeister, ob der Maskenverleiher Gibiser hier im Hause wohnte, und hoffte im stillen, daß es nicht der Fall wäre. (458)
Denn so hätte Fridolin sich kein Kostüm ausleihen können und wäre nach Hause (im Film „Blue Diner“) zurückgekehrt. Eine übergeordnete Bedeutung haben die Farben im Film. „Farbfilme, die eine eigene Farbsymbolik konstituieren, legen ihren Zuschauern die ‚stillschweigende Vereinbarung‘ nahe, die Farbwerte als spezifische Bedeutungsträger zu akzeptieren. Dabei bedienen sie sich zwar konventionalisierter Farbwerte, unterwerfen diese aber spezifischen Wahrnehmungsbedingungen.“63 Kubrick verwendet die Grundfarben Blau, Rot und Grün. Hinzu kommen Schwarz und Weiß – wie in der Traumnovelle. Die Lichter des Weihnachtsbaums und die Farben des Regenbogens vereinen alle Farben des Films in sich. Dabei haben die Grund-
63 Kanzog (2007), 123.
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farben mehrere unterschiedliche Bedeutungsebenen: Rot als Farbe der Liebe, Wärme und auch der Gefahr, Blau ist mit den Attributen Distanz und Entfremdung versehen. Grün steht als Farbe für Hoffnung und auch Giftigkeit. Vor allem für den Protagonisten sind diese Farbcodes relevant. Der Film beginnt in der ehelichen Wohnung. Warmes licht, warme Farben, Rottöne dominieren das Setting. Das Blau scheint entfernt durch die Fenster. Im Verlauf des Films erobert sich dieses Blau immer mehr die Szenerie. Es bricht in die Wohnung, in den Alltag von Bill ein. Genauso wie sich der Protagonist – nach dem Gespräch mit seiner Frau – immer mehr von seiner Frau, seinem bürgerlichen Leben entfernt. Auch Fridolin fühlt sich wie ein Ausgestoßener. Fridolin, als wäre es nicht das Selbstverständliche, endlich nach Hause zu gehen und sich schlafen zu legen. Aber dazu konnte er sich nicht entschließen. Wie heimatlos, wie hinausgestoßen erschien er sich seit der widerwärtigen Begegnung mit den Alemannen ... Oder seit Mariannens Geständnis? – Nein, länger schon – seit dem Abendgespräch mit Albertine rückte er immer weiter fort aus dem gewohnten Bezirk seines Daseins in irgendeine andere, ferne, fremde Welt. (451)
Je weiter sich Bill von seinem bürgerlichen Leben entfernt, desto mehr Blau erfüllt das Bild.
Eyes Wide Shut (GB/USA 1999), TC 0.20.27 Der Alltag von Alice. Immer mehr blaue Requisiten dominieren die Szene.
Eyes Wide Shut (GB/USA 1999), TC1.27.34 Bill kommt nach dem Maskenball nach Hause. Das kalte Blau durchflutet die Wohnung.
Die ungewöhnlichen Farbverteilungen im Bild werden durch unterschiedliche Farbnuancierung der Lichter in verschiedenen Räumen erzeugt, etwa in der Form, dass der Raum im Vordergrund natürlich wirkt, während der angrenzende Raum in blaues Licht getaucht ist, oder umgekehrt.
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„In ‚Eyes Wide Shut‘ ist Rot [...] Kubricks Zentralfarbe. Von der allerersten Einstellung an kommt Rot fast in jeder Sequenz vor.“64
Eyes Wide Shut (GB/USA 1999), TC 0.46.14 Bill und Domino.
Eyes Wide Shut (GB/USA 1999), TC 0.53.25 Bill geht ins Sonata Café.
Rot codiert im Film Sexualität, Erotik und Gefahr. Auf der Suche nach sexuellen Abenteuern, begibt sich Bill gleichzeitig auch in Gefahr. Dominos Haustür ist rot. Sie ist eine Prostituierte, bietet also sexuelle Dienstleistungen an.65 Gleichzeitig ist sie HIV-positiv und verkörpert somit auch die Gefahr. Als Domino wenig später ihren Mantel ablegt, trägt sie darunter ein violettes Kleid. In ihrer Küche liegen rot verpackte Geschenke, und Bill trägt einen schwarzen Mantel. Violett und Rot bezeichnen die Sünden der Sexualität, „je mehr Schwarz und Violett mit Rot kombiniert werden, desto sichtbarer wird das Unmoralische“. (Heller [1999], 175) Außerdem fällt auf, dass Domino einen schwarz-weißen Mantel trägt, was als ein visueller Verweis auf Bills Aussage gegenüber seiner Frau gelten kann: „Es ist nicht alles so Schwarz-Weiß. Aber wir wissen doch sicher beide, wie Männer sind.“ Männer führen eine Unterhaltung mit einer schönen Frau nur aus reinem sexuellen Verlangen – das spricht auch aus Dominos Kleidung. Zudem sind die Steine des Glücksspiels Domino schwarzweiß. In Sequenz 9 geht Bill die Treppe vom Sonata Café hinunter: An dieser Stelle wirkt das Rot am stärksten, denn alles um Bill ist in diese Farbe getaucht. Er begibt sich in „Gefahr, die mit dem Vordringen auf verbotenes Terrain verbun-
64 Walker (1999), 226. 65 Dass Rot symbolisch für Sexualität steht, gibt Kubrick im Film an vielen Stellen zu erkennen, am deutlichsten mit der bereits erwähnten roten „Eros“-Leuchtreklame, an der Bill mehrfach vorbei läuft.
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den ist“66. Vergleichbar symbolisch aufgeladen ist der rote Teppich bei der geheimen Gesellschaft: Er steht für die Sexualität und das Risiko, entdeckt zu werden. Blau und Rot sind codierte, ständig wiederkehrende Farben, die Kubrick gezielt einsetzt. Und zwar so gezielt, dass jede Szene, jedes Requisit, jeder Statist, jedes Auto entweder blau oder rot ist (eine genaue Rekonstruktion findet sich im Anhang, vgl. Sequenzprotokoll). Vor allem, wenn Bill durch die (künstlichen, da im Studio errichteten) Straßen läuft, wird diese ausgeklügelte Farbdramaturgie deutlich. Die Kombination dieser Farben, die sich durch den gesamten Film zieht und alle Requisiten betrifft, drückt die Grundthemen der Handlung aus: Sexualität und Entfremdung, Sexualität und Sehnsucht, Erotik und Gefahr, Sexualität und Treue. Und am Ende des Films trägt Bill nicht mehr allein Schwarz und Weiß. Er hat eine blaue Jeans und einen roten Pullover an und bekennt so Farbe (Sequenz 25). Neben Blau und Rot verwendet Kubrick auch Grün. Die Farbe Grün steht im Film für das Giftige. Die Wände des Treppenhauses von Dominos Apartmenthaus sind in dieser Farbe gestrichen. Auch Domino ist ‚giftig‘, sowohl im übertragenen Sinne (als erotische Verführerin ist sie ‚Gift‘ für die Ehe der Harfords) als auch ganz wörtlich verstanden (durch ihre ansteckende, todbringende HIVInfektion). Als Bill Nachforschungen über die maskierte Warnerin anstellt (ab Sequenz 21), wird er verfolgt, und auch die Farbe Grün erscheint nun häufiger im Film. Bills Nachforschungen sind scheinbar ‚giftig‘ für ihn. Bei Ziegler (der Bill beschatten ließ) findet sich dieses Grün wieder – die Lampenschirme über dem Billardtisch haben diese Farbe. Auch die Machtperson Ziegler ist somit für Bill ‚giftig‘. Schwarz und Weiß sind die Farben von Bill. Nicht nur seine Ansichten und seine visualisierten Gedanken sind schwarzweiß, auch sein Äußeres ist in diesen Farben gehalten. Im Film trägt er schwarze Anzüge, weiße Hemden und einen weißen Arztkittel. Auf der geheimen Party sieht man ihn in einer weißen Maske, umrandet von der Kapuze seines schwarzen Umhangs. Bill denkt wie alle Männer schwarzweiß, obwohl er das Alice und sich zu Beginn des Filmes nicht eingestehen will. Es zeigt sich, dass Kubricks Film aus einem fast unerschöpflichen Verweissystem besteht, das sich aus kleinen Details zusammensetzt. Die bisher gemachten Ausführungen könnten problemlos um zahlreiche weitere Beobachtungen ergänzt werden. Abschließend noch einige Bemerkungen zu den Masken im Film.
66 Walker (1999), 228.
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Zu den Masken wird hier nicht nur das Kostüm-Accessoire gezählt, sondern dazu gehören auch gesellschaftliche und identitätsstiftende Implikationen (beispielsweise für Alice die Rolle der Frau/der Mutter/der Verführten). Wie bereits dargelegt, tragen die Gäste auf Zieglers Weihnachtsparty ‚Gesellschaftsmasken‘, allerdings nicht lange. Ziegler entpuppt sich als Ehebrecher, Alice und Bill flirten mit anderen. Die Maskerade wird sukzessive aufgelöst, es folgt die Demaskierung als ein Vorgang, der den gesamten Film beherrscht. Die Eheleute werden am folgenden Tag in ihren gesellschaftlichen Rollenmasken67 gezeigt (Sequenz 4), bevor diese zumindest bei Alice durch ein Gespräch in Sequenz 5 fällt. Bills Mimik wiederum versteinert in Sequenz 5 zu einer Maske, die durch eine weitere beim geheimen Maskenball in Sequenz 12 ergänzt wird. Der Maskenball der geheimen Gesellschaft ist der Höhepunkt der Maskerade. Es sind schwelgerische, opulente Szenen, die sich in einem Meer von absurden und Furcht einflößenden Masken abspielen. „Man sieht Fratzen von Ensor, Breughel und Bosch, Figuren der Commedia dell’Arte und des venezianischen Karnevals und sogar ein kubistisches Maskenhaupt à la Picasso.“68 Wie Fridolin in der Traumnovelle kann sich auch Bill erst am Ende des Films mit Hilfe einer Maske seiner Frau öffnen. Er muss erst über Maskierungen sein Innerstes entdecken. Eyes Wide Shut (GB/USA 1999) impliziert den Gegensatz von Spiegel und Maske, von Selbsterkenntnis und Verschleierung. Kubricks Film thematisiert Fragen um die Liebe, die Familie, die Sexualität in der Ehe. Die Antwort, die der Regisseur mit Eyes Wide Shut (GB/USA 1999) gibt, ist ernüchternd und konsequent: Es gibt keine Liebe ohne Geheimnisse, ohne Hintergedanken oder Abgründe. Das einzige, was Mann und Frau zusammenhält, ist „Ficken“ (das letzte Wort des Films). Die Harfords sind in der Realität angekommen. So unverschnörkelt und unvermittelt lässt Kubrick den Zuschauer zurück.
5. D ER M EDIENWECHSEL VON I NNENWAHRNEHMUNGEN , B EISPIELANALYSE Für diese Beispielanalyse wurde eine Textstelle aus dem sechsten Abschnitt der Novelle (493–495) ausgewählt, in dem Fridolin scheinbar von einem Mann beo-
67 Alices ‚Maske‘ ist in diesem Fall ein Alltagsutensil und im Film sichtbar: Wenn sie ihre Brille trägt, ist sie in der Rolle der Hausfrau und Mutter. 68 Kilb (1999), 245.
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bachtet wird und von einer toten Baronin aus der Zeitung erfährt, die er für die maskierte Warnerin vom geheimen Fest hält. Und nun wußte er, warum seine Schritte ihn statt in der Richtung seines Hauses unwillkürlich immer weiter in die entgegengesetzte führten. Er wollte, er konnte Albertine jetzt nicht entgegentreten. Das Vernünftigste war es, irgendwo auswärts zur Nacht zu essen, dann auf die Abteilung nach seinen zwei Fällen sehen – und keinesfalls daheim sein – „daheim!“ –, bevor er sicher sein konnte, Albertine schon schlafend anzutreffen. Er trat in ein Café, eines der vornehmeren, stilleren in der Nähe des Rathauses, telephonierte nach Hause, daß man ihn zum Abendessen nicht erwarten solle, läutete rasch ab, damit nicht etwa Albertine noch ans Telephon käme, dann setzte er sich an ein Fenster und zog den Vorhang zu. In einer entfernten Ecke nahm eben ein Herr Platz; in dunklem Überzieher, auch sonst ganz unauffällig gekleidet. Fridolin erinnerte sich, diese Physiognomie im Laufe dieses Tages schon irgendwo gesehen zu haben. Das konnte natürlich auch Zufall sein. Er nahm ein Abendblatt zur Hand und las, so wie er es gestern nacht in einem anderen Kaffeehaus getan, da und dort ein paar Zeilen. [...] In einem vornehmen Hotel der inneren Stadt hatte sich heute früh eine Frau vergiftet, eine Dame, die unter dem Namen einer Baronin D. vor wenigen Tagen dort abgestiegen war, eine auffallend hübsche Dame. Fridolin fühlte sich sofort ahnungsvoll berührt. Die Dame war morgens um vier Uhr in Begleitung zweier Herren nach Hause gekommen, die am Tore sich von ihr verabschiedeten. Vier Uhr. Gerade zu der Stunde, da auch er nach Hause gekommen war. Und gegen Mittag war sie bewußtlos – so hieß es weiter – mit den Anzeichen einer schweren Vergiftung im Bette aufgefunden worden ... Eine auffallend hübsche junge Dame ... Nun, es gab manche auffallend hübsche junge Damen ... Es war kein Anlaß, anzunehmen, daß die Baronin D., vielmehr die Dame, die unter dem Namen Baronin D. in dem Hotel abgestiegen war, und eine gewisse andere ein und dieselbe Person vorstellen. Und doch – ihm klopfte das Herz, und das Blatt bebte in seiner Hand. In einem vornehmen Stadthotel ... in welchem? Warum so geheimnisvoll? – So diskret? ... Er ließ das Blatt sinken und sah, wie zugleich der Herr dort in der fernen Ecke eine Zeitung, eine große illustrierte Zeitung, wie einen Vorhang vor sein Gesicht schob. Sofort nahm auch Fridolin sein Blatt wieder zur Hand, und er wußte in diesem Augenblick, daß die Baronin D. unmöglich jemand anders sein konnte als die Frau von heute nacht ... In einem vornehmen Stadthotel ... Es gab nicht so viele, die in Betracht kamen – für eine Baronin D .... Und nun mochte geschehen, was da wolle – diese Spur mußte verfolgt werden. Er rief nach dem Kellner, zahlte, ging. An der Tür wandte er sich noch einmal nach dem verdächtigen Herrn in der Ecke um. Der aber war sonderbarerweise schon verschwunden. (Hervorhebungen durch die Autorin, H. H.)
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Der gesamte hier vorliegende Textauszug ist in einer personalen Erzählperspektive durch den Einsatz von erlebter Rede gestaltet. Die erlebte Rede (als direkt wiedergegebene Gedanken Fridolins) ist nicht mit Anführungszeichen markiert. Sie wird mit Hilfe der 3. Person Singular, Indikativ Imperfekt wiedergegeben. Eine Erzählinstanz bleibt erhalten. Es finden sich stellenweise explizite Ankündigungen von Gedanken und Gefühlen wie zum Beispiel „wusste er“, „erinnerte sich“ oder „fühlte sich“. Es wird das deiktische Zeitadverb „nun“ verwendet, das sich auf den Standpunkt der Figur bezieht und unter die stilistischen Mittel der erlebten Rede zu subsumieren ist. Ebenfalls ein stilistisches Mittel der erlebten Rede ist der emphatische Ausruf: „und keinesfalls daheim sein – ‚daheim!‘ – [...]“. Obwohl die Grenzen der sprachlichen Gestaltung der Redewiedergabe in der Traumnovelle stellenweise verwischen, findet sich im hier gewählten Textauszug kein innerer Monolog in Ich-Form und Präsens. Allerdings überlagern sich teilweise Erzählertext und Figurentext, die Übergänge sind fließend. Dadurch wirkt die Handlung stark subjektiviert. In dem hier gewählten Beispiel lässt sich oft nicht mehr entscheiden, wer spricht: der Erzähler oder die Figur. „Die Verschmelzung des Leseerlebnisses Fridolins mit seinem persönlichen nächtlichen Erlebnis gibt hier der erlebten Rede eine eigene Intimität, die sich hinter dem Zeitungsblatt versteckt, dann aber nach einer Lösung verlangt.“69 Auffällig ist auch in diesem Textauszug wie in der gesamten Novelle, dass Schnitzler häufig das Wort „unwillkürlich“ verwendet. Fridolin bewegt sich hier beispielsweise unwillkürlich von zu Hause weg. Es wird damit etwas Traumähnliches, Fremdgesteuertes suggeriert. Vielleicht ist Fridolin nur ein Spielball und hat keine eigene Macht über die Ereignisse und die Ereignisse werden von einer höheren Instanz gelenkt? Fridolins Emotionen und Gedanken werden in diesem Textauszug größtenteils explizit beschrieben und benannt („[...] ihm klopfte das Herz, und das Blatt bebte in seiner Hand [...] Fridolin fühlte sich sofort ahnungsvoll berührt“). Das Geheimnisvolle, Sonderbare, das diese Textpassage außerdem transportiert, wird allerdings nicht nur explizit benannt („Warum so geheimnisvoll? – So diskret?“), sondern auch implizit präsentiert. Fridolin geht in ein stilles Café und zieht den Vorhang zu. Er bemerkt trotzdem den „verdächtigen“ Herrn, der in einer entfernten Ecke Platz nimmt, er kommt ihm von „irgendwo“ her bekannt vor. Fridolin liest nun von der „auffallend hübschen“ Baronin D., die eine schwere Vergiftung erlitten habe.
69 Neuse (1990), 352.
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Er ließ das Blatt sinken und sah, wie zugleich der Herr dort in der fernen Ecke eine Zeitung, eine große illustrierte Zeitung, wie einen Vorhang vor sein Gesicht schob. Sofort nahm auch Fridolin sein Blatt wieder zur Hand, und er wußte in diesem Augenblick, daß die Baronin D. unmöglich jemand anders sein konnte als die Frau von heute nacht ... (494) (Hervorhebungen durch die Autorin, H. H.)
Nicht nur, dass allein der Umstand, dass der Herr von gegenüber mit einer Zeitung sein Gesicht verdeckt, Fridolin an eine Verschwörung, an etwas Geheimnisvolles glauben lässt. Auch der Leser wird mittels verschiedener Andeutungen (der unwillkürliche Gang in ein stilles Café, zugezogene Vorhänge, verdächtiger Herr) verunsichert. Der hier zu untersuchenden Episode im Caféhaus geht ein anderes Ereignis im Text voraus, welches ebenfalls mysteriös und zudem eindeutig mit einer Warnung vor Gefahr durch eine andere Instanz verbunden ist. Als Fridolin erste Nachforschungen anstellt und das Haus der geheimen Gesellschaft aufsucht, erhält er eine schriftliche Warnung. An der Ecke öffnete er den Brief, entfaltete ein Blatt und las: „Geben Sie Ihre Nachforschungen auf, die völlig nutzlos sind, und betrachten Sie diese Worte als zweite Warnung. Wir hoffen in Ihrem Interesse, daß keine weitere nötig sein wird.“ Er ließ das Blatt sinken. (487) (Hervorhebungen durch die Autorin, H. H.)
Genauso lässt Fridolin im oben ausgewählten Textauszug die Zeitung sinken. Es scheint so, dass Schnitzlers Beschreibung ganz bewusst Phrasen aus dem vorangegangenen Textzitat aufgreift, um das Geheimnisvolle, Sonderbare, Traumartige zu evozieren und eine Verbindung herzustellen. Schließlich benennt es Fridolin selbst: Als er das Café verlässt, ist der verdächtige Herr „sonderbarerweise schon verschwunden“. Ist Fridolin bereits allen Gefahren entgangen? Gab es überhaupt ein Geheimnis, eine Gefahr, eine Verfolgung? Diese Fragen bleiben offen. Die Begebenheit bleibt sonderbar und geheimnisvoll. Es sollen nun zunächst weitere sprachliche Mittel lokalisiert werden, mit denen sich Emotionen an der Textoberfläche manifestieren. Zum einen können Emotionen explizit lexikalisch benannt werden. Im hier ausgewählten Textbeispiel fühlt sich Fridolin „ahnungsvoll berührt“, sein Herz klopft und seine Hände beben. Die Hauptemotion des Protagonisten ist in diesem Textabschnitt das Erahnen einer Verschwörung, eines Geheimnisses und seine Anspannung und innere Unruhe, diesem Geheimnis endlich auf die Spur zu kommen. Wie ein Puzzle scheinen sich die Abenteuer der vergangenen Nacht für den Protagonisten mit
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den Informationen aus der Zeitung zusammenzusetzen. Dass Fridolins Nachforschungen verboten und gefährlich sind, vermittelt nicht nur der Brief, den der Protagonist an anderer Steller erhält: Auch der verdächtige Herr, der Fridolin anscheinend beobachtet, lässt ein Gefahrenpotential, etwas Verbotenes, mitschwingen.70 Fridolin ist überrascht, aufgeregt und auch etwas verängstigt. Winko definiert auch implizite bzw. konnotierte Emotionen und meint damit diverse sprachliche Mittel, die auf verschiedenen Textebenen eingesetzt werden, um auf Emotionen zu verweisen bzw. Emotionen unterschwellig auszudrücken. Hierunter zählt beispielsweise eine rhythmisch-metrische Präsentation. Die im Textbeispiel eingesetzten Gedankenstriche und Auslassungspunkte markieren Sprech- bzw. Denkpausen. Zudem finden sich verkürzte Fragesätze, auch Ellipsen, die das Tempo steigern und eine Angespanntheit des Protagonisten evozieren. Auch die grammatisch-syntaktische Präsentation, dazu zählt Fridolins Ausruf „– und keinesfalls daheim sein – ‚daheim!‘ –“, verweist auf Emotion. Es findet sich auch ein bildlicher Typ impliziter Emotionsvermittlung: Genauso wie Fridolin den Vorhang im Café zuzieht, schiebt sich auch „der Herr dort in der fernen Ecke eine Zeitung, eine große illustrierte Zeitung, wie einen Vorhang vor sein Gesicht“. Es soll nun untersucht werden, inwieweit Kubrick den Medienwechsel der Innenwahrnehmungen realisiert. Die entsprechende Szene zum eben zitierten Textausschnitt findet sich im Film bei TC 1.56.35 bis TC 2.01.19 (Sequenz 21). Die Sequenz läuft inhaltlich ähnlich zu Schnitzlers Text ab, allerdings hat Kubrick andere Akzente gesetzt: Im Film findet tatsächlich eine Verfolgung auf der Straße statt. Jedoch folgt der Mann dem Protagonisten nicht ins Café. Insgesamt wirkt die gesamte Sequenz etwas bedrohlicher als die vergleichbare Passage in Schnitzlers Text. Dies vermittelt sich ohne Dialoge, es wird nicht gesprochen. Der Eindruck einer Verfolgung wird allein durch die Montage von Blickwechseln und Musik evoziert. Auch Bills Entsetzen beim Zeitungslesen wird nicht mittels einer Stimme aus dem Off ausgedrückt. Am hervorstechendsten ist im hier gewählten Filmausschnitt der Einsatz von Musik, Kamera und Schnitt. Zu Beginn der Szene setzt Bills Thema „Musica Ricercata II“ ein. Es besteht aus einer Abfolge von harten Klaviertönen, die wie angstvolles Herzklopfen anmuten, welches sich zu einem Rasen steigert. Die
70 Kubrick hat diese Facette besonders deutlich herausgearbeitet.
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Szenerie ist dunkel, kein Mensch ist auf der Straße. Die Kamera beobachtet den Protagonisten von oben, übrigens das einzige Mal im Film71. Alle Ampeln stehen auf Rot, kein Mensch und kein Auto sind auf der Straße. Nur ein Mann läuft auf der anderen Straßenseite hinter Bill her. Bill bemerkt ihn und schaut sich immer wieder ängstlich nach ihm um. Sein Schritt wird schneller. Der Mann im beige-farbenen Trenchcoat72 beobachtet und verfolgt ihn.
Eyes Wide Shut (GB/USA 1999), Eyes Wide Shut (GB/USA 1999), TC 1.59.04 TC 1.58.30 Bill schaut zum Verfolger (im linken hin- Das STOP-Schild neben dem Verfolger. Er beobachtet Bill. teren Bild).
Immer, wenn Bill stehen bleibt, bleibt auch er stehen und starrt ihn an. Es scheint den Verfolger nicht zu stören, dass er von Bill wahrgenommen wird. Im Gegenteil, seine Präsenz soll Bill beängstigen und einschüchtern. Kubrick vertont dieses Bedrohliche nicht nur mittels „Musica Ricercata II“, sondern stellt es auch mit Hilfe von Schnitt und Schnittrhythmus dar. Dabei bilden die schrillen Musiktöne und der Bildwechsel eine Einheit und lassen so die Szenerie noch bedrohlicher erscheinen. Sparsames Licht, eine fast menschenleere Straße, keine Hintergrundgeräusche und ein Stop-Schild unterstreichen die Botschaft: „auch Bill sollte seine Nachforschungen besser ‚stoppen‘.“ An dieser Stelle stehen sich der Protagonist und der Verfolger quasi gegenüber und schauen sich stumm an. Kubrick montiert diese Bilder im SchussGegenschuss-Verfahren zwischen Bill und dem Verfolger und vermittelt so das Gefühl von Rivalität und Gefahr, ähnlich einem Duell in einem Western. Nachdem sich die schrillen Klaviertöne aus „Musica Ricercata II“ bis zu einem Hö-
71 Das könnte auch auf die oben Erwähnte ‚Fremdbestimmung‘ durch eine Instanz, d.h. Fridolin (hier Bill) als Spielball des Schicksals, verweisen. 72 Erstaunlicherweise trägt Alice den gleichen Mantel in der letzten Szene im Film.
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hepunkt gesteigert haben, läuft der geheimnisvolle Mann einfach die Straße weiter und scheint Bill nun nicht weiter zu verfolgen. Bill kauft sich eine Zeitung und geht schnell ins nächste Café, dessen Eingang unter einer grünen Markise liegt. Ein giftiges Grün taucht in der hier untersuchten Sequenz sehr häufig auf, geschickt von Kubrick in das Setting eingebaut. Neben der Markise von Sharky’s Café sind auch Türen und Schaufenster in dieser Sequenz grün erleuchtet. Grün steht an dieser Stelle für das Giftige. Bills Nachforschungen sind „giftig“ für ihn. Als Bill mit seiner Zeitung das Café betritt, ertönt erneut Musik – diesmal aus den Lautsprechern im Gastraum. Die Musik vermischt sich mit den Hintergrundgeräuschen der Gäste. Es handelt sich dabei um das „Requiem K626, Rex Tremendae“, eine Totenmesse von Mozart. Die Musik greift an dieser Stelle inhaltlich der Handlung vor: Bill wird gleich den Artikel über eine Ex-BeautyQueen lesen (die er für die maskierte Warnerin hält), die eine Überdosis genommen hat und im Krankenhaus liegt. Dass sie zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben ist, verrät allein das Requiem. Kubrick spielt an dieser Stelle mit dem kulturellen Vorwissen des Rezipienten, in dem die Totenmesse als Teil des Bestattungsritus entsprechend codiert ist. Bill setzt sich an einen Tisch und schaut sich kurz etwas beunruhigt um. Dann greift er seine Zeitung und beginnt zu lesen. Die nun folgenden kurzen Einstellungen (TC 2.00.37 bis 2.01.10) umfassen weniger als eine Minute und zeigen erneut das große filmische und kinematographische Spektrum, mit dem Kubrick perfekt umzugehen weiß. Aus diesem Grund soll auf diese Einstellungen näher eingegangen werden. Die Szene beginnt, indem Bill von unten gefilmt wird. „Hier distanziert sich nun das Kamera-Auge von Bills Normalsicht und vermittelt auf subtile Weise die Spannung und Bedrohung, der er ausgesetzt ist.“73 Man hört noch immer Mozarts Totenmesse. Parallel dazu zoomt nun die Kamera von unten auf Bills Gesicht. Dabei kann man gut die Titelschlagzeile der New York Post lesen: „Lucky to be alive“ – eine inhaltliche Anspielung auf Bills Erlebnisse und ein Textverweis auf die Traumnovelle. Darin stellt Fridolin fest: „Daß er einer so großen Gefahr entgangen war, konnte immerhin auch ein gutes Zeichen bedeuten.“ (493) Es schließt sich ein POV an, der den Zeitungsartikel von oben (aus Bills Perspektive) zeigt. Auch auf den Zeitungsartikel wird gezoomt. Parallel setzt Bills Thema „Musica Ricercata II“ ein, das musikalische Herzklopfen.
73 Koch (2009), 340.
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Fridolin empfindet an der entsprechenden Stelle in der Traumnovelle: „Und doch – ihm klopfte das Herz, und das Blatt bebte in seiner Hand.“ (494)
Eyes Wide Shut (GB/USA 1999), Eyes Wide Shut (GB/USA 1999), TC 2.01.10 TC 2.00.37 Bill liest Zeitung. Kameraperspektive von Bill starrt vor sich hin. unten. Das Musikthema „Musica Ricercata II“ erklingt.
Die Totenmesse und die Hintergrundgeräusche aus dem Café werden ausgeblendet. Dadurch wird das Gefühl vermittelt, ganz nah beim Protagonisten zu sein, seine Gedanken erahnen zu können. Es wird erneut geschnitten und Bill von unten angezoomt, bis die Kamera ganz nah an sein Gesicht herangefahren ist. Parallel dazu erklingt immer noch „Musica Ricercata II“. Bill blickt von der Zeitung auf und starrt vor sich hin. Ein weiterer Zoom fährt auf Bills Gesicht. Die Kamera verweilt nun etwas länger auf Bills versteinertem Gesicht, man spürt förmlich sein Entsetzen, sein Gefühl in diesem Moment. Bill scheint zu erahnen, in welchen Schwierigkeiten er steckt. Mit Hilfe filmischer und kinematographischer Mittel wie Musik, Kameraperspektive, Montagetechniken, Farbcodes, Kamerabewegung (Zoom), Schnittrhythmus, POV sowie Lichtsetzung gelingt es Kubrick, figurative Innenwahrnehmungen ohne Sprache zu vermitteln. Ein Medienwechsel der figurativen Innenwahrnehmungen hat stattgefunden.
Fazit: Möglichkeiten der sprachlichen und filmischen Gestaltung von figurativen Innenwahrnehmungen
Im Mittelpunkt der Text- und Filmanalysen stand das Lokalisieren von figurativen Innenwahrnehmungen, womit die Gedanken und Gefühle von Figuren gemeint sind. Darüber hinaus wurde untersucht, ob figurative Innenwahrnehmungen aus Texten bei einer Umsetzung in den Film einem Medienwechsel unter Berücksichtigung medienspezifischer Verfahrensweisen unterzogen wurden. Mittels der Filmanalysen hat sich dabei die Anfangsthese bestätigt, dass ein Medienwechsel mit verschiedenen Mitteln stattfindet: Innenwahrnehmungen sind demnach von Text zu Film übertragbar. Lediglich die Intensität und Art und Weise des Medienwechsels unterscheiden sich bei den einzelnen hier untersuchten Verfilmungen. Es hat sich auch gezeigt, dass der Entstehungszeitpunkt einer Verfilmung nicht für die Quantität und Qualität des Medienwechsels der Innenwahrnehmung entscheidend ist. Vielmehr scheinen kreative Arbeitsprozesse und ästhetische Ansprüche bzw. der Stil des Regisseurs für das Auftreten bzw. das medienspezifische Einsetzen verschiedener Mittel für die Darstellung von figurativen Innenwahrnehmungen eine Rolle zu spielen. In den theoretischen Überlegungen wurde vorangestellt, dass Analogie und Werktreue in Bezug auf Text und Verfilmung nicht als Kriterien für diese Untersuchung gelten sollen. Vielmehr wurde die Verfilmung als eigenständiges (Kunst-)Werk angesehen, mit eigenen, medienspezifischen Codes. Die theoretischen Überlegungen nahmen von der Frage ihren Ausgang, welche filmischen und vor allem kinematographischen Mittel bzw. Codes (Eco, Schneider, Kanzog) in den ausgewählten Verfilmungen zum Einsatz kamen, um figurative Innenwahrnehmungen darzustellen. Unter kinematographische Mittel sind bei-
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spielsweise Kameraarbeit, Point-of-view-Strategien, mise-en-scène und die Montage (Einstellungskombination) zu subsumieren. Des Weiteren wurde die Anwendung des dynamischen Zeichenbegriffs von Charles Sanders Peirce als sinnvoll erachtet. Vor allem Peirces Kategorisierung der Zeichen-Objekt-Beziehungen nach Ikon, Index und Symbol wurde als hilfreich für diese Untersuchung eingeordnet. Mittels Indices ist es im Film möglich, metaphorisch und konnotativ Bedeutung zu transportieren und so figurative Innenwahrnehmungen darzustellen. Methodologisch griff die Untersuchung der Texte vor allem auf narratologische Verfahrensweisen in Anlehnung an Genette und Martinez/Scheffel zurück. Zusätzlich wurde für die Feinanalysen ausgewählter Textabschnitte Winkos Modell für die Analyse der textuellen Gestaltung und Präsentation sowie der Thematisierung von Emotionen erprobt. Obwohl es sich bei Winkos Modell ursprünglich um ein Analyseverfahren für lyrische Texte (Gedichte) handelt, hat es sich auch bei der Untersuchung der Erzähltexte bewährt. Die Filmanalysen erfolgten zum einen durch eine systematische, deskriptive Protokollierung des Films (mit Inhaltsangabe, Kamerastrategien, Toneinsatz sowie zeitlicher Struktur) mit Hilfe von Filmprotokollen (vgl. Anhang) nach Kanzog, Korte und Hickethier. Zum anderen erfolgte eine qualitative Beschreibung der ästhetischen Komponenten des Films, die durch zahlreiche Screenshots ergänzt wurde. Dabei wurde jeweils ein Text mit zwei Verfilmungen verglichen. Mittels der Textanalysen wurde ausführlich dargelegt, dass Schnitzlers Novellen über ein großes Darstellungsspektrum von figurativen Innenwahrnehmungen verfügen. Bei Fräulein Else werden vor allem durch den inneren Monolog, den Stream of Consciousness sowie auch mittels impliziter Darstellungsformen die Innenwahrnehmungen der Protagonistin dargestellt. Mit Elses Eindrücken von Romanen, Gemälden, Theateraufführungen und Musik werden die Gefühle der Protagonistin auch implizit präsentiert und damit auf einer weiteren Textebene transportiert. Es finden sich viele intertextuelle Verweise auf literarische Texte und Figuren (Guy de Maupassants Notre Cœur, Alexandre Dumas’ Kameliendame, Heinrich Joseph von Collins Coriolan), auf Gemälde (Tizians und Rubens’ Die Toilette der Venus) sowie auf Musik (Mozarts Oper Figaros Hochzeit, Jules Massenets Oper Manon). Auch ein konkretes Notenzitat (Robert Schumanns Klavier-Werk Carnaval [op. 9]) wurde von Schnitzler in den Text eingearbeitet. Die Musik ist hier Auslöser von Gedanken der Protagonistin und steuert den Ablauf ihres inneren Monologs. Ferner arbeitet Schnitzler mit Farbcodes (Schwarz, Rot, Blau und Gelb). Herausgegriffen sei der Einsatz von Rot: die Farbe der Liebe, der Sexualität, der Macht (ranghohe Richter tragen rote Um-
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hänge) und des animalischen Lebens. Nicht zufällig trägt Else zu Beginn des Textes einen rote[n] Sweater (324). Else, die Kindfrau, ist eine Projektionsfläche für die Sexualität anderer (der Feriengäste) und zugleich auf der Suche nach ihrer eigenen Sexualität. Sie übt mit ihrer adoleszenten Schönheit und ihrer vermeintlichen Jungfräulichkeit auch bewusst Macht aus: Cousin Paul ist ihr mehr als zugetan und Dorsday verfällt ihr. Zudem finden sich in Schnitzlers Fräulein Else zahlreiche metaphorische Aufladungen, die den Text zusätzlich mit Bedeutung anreichern (Veilchen, Loch im Strumpf). Das Schlafmittel Veronal wird zum Index für den Suizid. Alle diese impliziten Darstellungsformen haben die Funktion, die Innenwahrnehmungen der Protagonistin komplexer darzustellen und so die Protagonistin differenzierter zu charakterisieren. Dabei ist im gesamten Text der point of view auf die Wahrnehmungen von Else begrenzt. Die sprachliche Gestaltung von figurativen Innenwahrnehmungen in der Traumnovelle konzentriert sich vor allem auf die Technik der erlebten Rede, die in eine stark personalisierte Erzählweise (interne Fokalisierung) eingebunden ist. Auch in diesem Text verwendet Schnitzler implizite Mittel zur Darstellung von Fridolins Gefühlen. Gemeint sind Träume, Indices, Motive, Spiegelungen und Parallelen, Farben, Gerüche und das Wetter. Die Nachterlebnisse der Eheleute Albertine und Fridolin korrelieren miteinander und vermitteln so eine Doppelperspektive zwischen Traum und Realität. Schnitzlers Fokus in dieser Erzählung ist es auch, die Grenzen zwischen Realität und Traum immer wieder aufs Neue zu verwischen und Fridolin als Spielball in den Abenteuern treiben zu lassen. Auch in der Traumnovelle findet sich ein intertextueller Verweis auf einen literarischen Text: die Erzählungen aus den Tausendundein Nächten. Mit diesem Verweis auf die Geschichte von Prinz Amgiad gibt Schnitzler viele Hinweise auf den Inhalt der Traumnovelle: Nacht, Einsamkeit, Reise, Abenteuer (Entgrenzung des Alltäglichen), Träumen, seine Gedanken schweifen lassen und das Übertreten in eine andere, fremde Welt. Auch die Schilderungen des Wetters sind eng mit figurativen Innenwahrnehmungen verbunden: Mittels der Wetterbeschreibungen wird die Erregungssteigerung des Protagonisten veranschaulicht und somit auch figurative Innenwahrnehmung ausgedrückt. Durch das wechselhafte Klima wird im Text eine Steigerung der Spannung erreicht, die mit der Steigerung von Fridolins Erregung einhergeht. Rot, Gelb, Grün, Blau, Grau, Schwarz, Weiß und Violett sind die Farben der Traumnovelle. Eine übergeordnete Rolle im Text spielt die Farbe Rot. Schon auf dem ersten Maskenball begegnet Fridolin zwei roten Dominos, die ihn verführen
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wollen. Rot wird also gleich zu Beginn des Textes ganz eindeutig als Farbe der Leidenschaft konnotiert. Sie steht für das moralisch Verbotene, für Erotik, Sexualität, Begierde und das Verführerische, aber auch für Gefahr. Die Prostituierte Mizzi hat rote Lippen und einen roten Schlafrock, Fridolin trifft rote Femricher, und auch die maskierte Warnerin hat einen rotglühenden Mund. Schnitzlers Beschreibung von Gerüchen ist ein zusätzlicher Indikator für Fridolins Wahrnehmungen. Sie verdeutlichen, wie er sich immer mehr von dem Alltäglichen löst und dem Unbekannt-Lockenden entgegenstrebt. Auch durch die präzise Schilderung der Lichtverhältnisse wird der Anschein erweckt, Fridolins innere Verfassung und seine Außenwelt korrelierten. Die diffuse Lichtgebung ist ein Index für die Atmosphäre von Fridolins Umwelt, die sich gleichzeitig auf sein Inneres überträgt. Bei den Textanalysen zeigte sich demnach deutlich, dass beide Novellen, neben dem Einsatz von erzähltechnischen Strategien wie dem inneren Monolog und der erlebten Rede, mit impliziten Mitteln zur Darstellung von figurativen Innenwahrnehmungen angereichert sind. Mit diesen Analyseergebnissen wurde nun der Fokus auf die vier ausgewählten Verfilmungen gerichtet. Dabei wurde die Fragestellung verfolgt, ob ein Medienwechsel dieser Innenwahrnehmungen stattfindet und wenn ja, wie. Es stellte sich heraus, dass alle hier untersuchten Verfilmungen Schnitzlers Darstellungsstrategien für figurative Innenwahrnehmungen aufgreifen, allerdings in unterschiedlicher Intensität und Präzision und einer unterschiedlichen Art der Ausführung. Es wurde deutlich, dass das Medium Film alle Voraussetzungen bietet, Motive, Indices, Farben, Licht und Musikzitate aus den Texten visuell bzw. auditiv umzusetzen und somit Innenwahrnehmungen im Film medienspezifisch nachzubilden. Inwieweit auch die rein sprachlichen Mittel aus den Texten zur Darstellung von Emotionen, gemeint sind die erlebte Rede und der innerer Monolog, filmtechnisch umgesetzt werden können, wurde zusätzlich untersucht. Dabei stellte sich heraus, dass vor allem die kinematographischen Mittel des Mediums Film diese Aufgabe erfüllen können. Im Speziellen sind die lokalisierten kinematographischen Mittel für die Visualisierung von figurativen Innenwahrnehmungen im Stummfilm Fräulein Else (D 1929) die Großaufnahme, die Parallelmontage, POV-Shots, schnelle Schnitte (Stakkato, pulsieren) und eine Lichtsetzung, die auf Hell-Dunkel-Kontraste setzt. Hinzu kommen die sprachlichen Möglichkeiten der Zwischentitel sowie Indices (Veronal, Zigarrenring) und Ikons (Venusstatue), die auf kulturelles Wissen rekurrieren und emotional konnotiert sind. Elses Blicke in den Spiegel und die einmontierten Zwischentitel visualisieren den inneren Monolog aus Schnitzlers
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Text. In Czinners Film wird die Szene, in der Else das Telegramms der Mutter erhält, zum dramaturgischen Dreh- und Angelpunkt. Hier verdichtet sich nicht nur der Ruin ihres ganzen Lebens, sondern es wird auch Elses Suizid vorweggenommen. Die Visualisierungen der Innenwahrnehmungen werden hier vor allem durch die (teilweise sehr intensive, theatralische) Schauspielkunst von Elisabeth Bergner realisiert. Groß- und Nahaufnahmen von Elses Gesicht verweisen auf ihr Inneres. Zu den kinematographischen Techniken zur Darstellung von figurativen Innenwahrnehmungen in Mademoiselle Else/Fräulein Else (F/Ö/D 2002) zählen die Kameraarbeit (Kamerastandort, Zoom), die Einstellungsgrößen (Nah- und Detailaufnahmen), POV-Shots und Over-the-Shoulder-Shots, Montage (Überblendung) und die mise-en-scène. Es finden sich außerdem konkrete Visualisierungen von Elses Phantasien. Durch auditive Mittel wie die Stimme aus dem Off, Geräusche und Musik werden Elses Innenwahrnehmungen zudem konkret hörbar. Auch mittels Farbcodes und Ikons (Jungfrau Maria) werden Innenwahrnehmungen visualisiert. Else selbst wird zum Ikon von Jungfrau Maria: barfuß, mit wallendem Haar, gefalteten Händen und gesenktem Kopf, umhüllt von einem weiten Mantel schreitet sie am Ende des Films durch das Hotel. „Ich, die Jungfrau, ich traue mich.“ (Schnitzler: Fräulein Else, 364), denkt Else in der Novelle. Sie opfert sich für ihren Vater. Dabei scheint das Schwarz des Mantels ihr Schicksal vorauszudeuten: Tod und Trauer. Sehr auffällig ist zudem das an sieben Stellen des Films wiederkehrende Bild eines herunterfallenden und zerbrechenden Glases. Auch Schnitzlers Else fühlt sich zerbrochen. Hätte ich ihm nicht einfach ins Gesicht schlagen sollen? [...] Warum tu’ ich es denn nicht? Ich bin feig, ich bin zerbrochen, ich bin erniedrigt. (Schnitzler: Fräulein Else, 346)
Dabei erscheinen die zerbrochenen Gläser im Film immer an Stellen, die richtungsweisend für Elses späteres Scheitern sind. Sie visualisieren so die Etappen von Elses Zerbrechen. Auch Wolfgang Glück greift in seiner Traumnovelle-Verfilmung (Ö 1969) auf eine Stimme aus dem Off als Inszenierungstechnik zurück, um die Gedanken des Protagonisten hörbar zu machen. Zudem wird mittels der Kameraarbeit (beispielsweise kommt im Verlauf des Films die Kamera der Protagonistin immer näher, etwa durch POV) und den verwendeten Einstellungsgrößen (Groß- und Nahaufnahmen) sowie Zooms auf Gesichter eine personalisierte Erzählsituation evoziert. Auch der Einsatz von märchenhafter Musik, einer ausgeprägt unnatür-
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lichen Farbgebung und einer abnehmenden Helligkeit werden Innenwahrnehmungen vermittelt. Es finden sich auch bei Glück Farbcodes zur Darstellung von Innenwahrnehmungen. Außerdem sind die wiederkehrenden Treppen, die Fridolin hinauf- und hinabsteigt, sehr auffällig. Bei Schnitzler erzählt Albertine über den Dänen aus dem Sommerurlaub: „Ich hatte ihn schon des Morgens gesehen“, erwiderte Albertine, „als er eben mit seiner gelben Handtasche eilig die Hoteltreppe hinanstieg.“ (Schnitzler: TN, 436)
Glück greift dieses Gespräch auf und lässt es Albertine in der Verfilmung ähnlich schildern: „Ich traf ihn zum ersten Mal an dem Morgen, als er mit seiner gelben Tasche die Stiegen hinaufging. Ein paar Stufen höher blieb er stehen und unsere Blicke begegneten einander.“ (TC 0.05.44)
Fridolin wird so in der Verfilmung zum Doppelgänger des Dänen. Statt einer gelben Tasche trägt er seine Arzttasche bei sich. Der Aufstieg steht in direkter Verbindung zum Dänen und visualisiert zugleich die Suche nach Antworten, das Betreten einer anderen, traumartigen Sphäre, einer Nacht des Ausnahmezustands. Das Herabsteigen am nächsten Tag ist ein Index für die Rückkehr in die Realität. Die Treppe visualisiert somit Innenwahrnehmungen. Bei Fridolins unfreiwilliger Kutschfahrt nach dem geheimen Maskenball arbeitet Glück vor allem mit der Erzählinstanz Kamera, d.h. mit Einstellungsgrößen, POV und Cadrage, um Innenwahrnehmungen darzustellen. Am auffälligsten in dieser Szene sind Fridolins aufgerissene Augen, die als Detailansicht abgefilmt wurden. Die Augen füllen das gesamte Bild aus. Der Fokus liegt an dieser Stelle ganz auf der Emotion des Protagonisten. Die Unruhe und Angst, die den Protagonisten in Schnitzlers Text während der Kutschfahrt befallen, werden so auch im Film visuell dargestellt. Zusätzlich erhöht Glück die Schnittfrequenz und visualisiert so, dass sich Fridolins Lage und Gemütszustand zuspitzen. Bei Kubricks Eyes Wide Shut (GB/USA 1999) fallen vor allem die an den Protagonisten gebundene Kameraführung (attached camera) sowie der ausgefeilte Einsatz von Farbe und Beleuchtung auf. Kubrick verwendet die Grundfarben Blau, Rot und Grün. Hinzu kommen Schwarz und Weiß – wie in Schnitzlers Traumnovelle. Die Lichter des Weihnachtsbaums und die Farben des Regenbogens vereinen alle Farben des Filmes in sich. Dabei haben hier die Grundfarben unterschiedliche Bedeutungen: Rot als Farbe der Liebe und der Gefahr, Blau als
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Farbe der Distanz und Entfremdung, Grün als Farbe der Hoffnung und des Gifts. Der Farbeinsatz ist bis ins Detail durchkomponiert: Die Farben scheinen als Lichter durch Fenster, manifestieren sich mittels Requisiten, Bekleidung, Leuchtreklamen sowie Lampen. Auch hier ist Rot die zentrale Farbe, die immer wieder mit Blau kombiniert wird. Das Arrangement dieser Farben, das sich durch den gesamten Film zieht und alle Requisiten betrifft, drückt die Grundthemen der Handlung aus: Sexualität und Entfremdung, Sexualität und Sehnsucht, Erotik und Gefahr. Besonders bei der exemplarischen Untersuchung einer Einstellung (Bill wird verfolgt) hat sich gezeigt, wie sehr die medienspezifischen Mittel des Films der Evozierung von Innenwahrnehmungen entgegenkommen, und zwar ohne sie in Dialogen verbalisieren zu müssen, denn es wird in dieser Szene nicht gesprochen. Der Eindruck einer Verfolgung wird allein durch die Montage von Blickwechseln, den Kamerastandort, die Musik und den Filmschnitt evoziert. Darüber hinaus arbeitet Kubrick im gesamten Film mit subjektivierenden Aufnahmetechniken (Fokalisierung, POV-Shot, Handkamera). Auch die Kamerabewegungen in Eyes Wide Shut (GB/USA 1999) sind ein Mittel, um eine personale Erzählweise zu evozieren. Man findet im Film fast ausschließlich ‚natürliche‘ Bewegungen. Gemeint sind Fahrten, Drehungen, wenige Schwenks und gleitende, kaum ruckartige Bewegungen der Kamera. Hervorzuheben ist auch der gezielte Einsatz von Musik, um Innenwahrnehmungen zu vermitteln. Beispielsweise das Bill-Thema „Musica Ricercata II“ von György Ligeti, welches aus harten Klaviertönen besteht, mutet wie ein schnelles, angsterfülltes Herzklopfen an. So kann die hohe psychische Belastung des Protagonisten auch hörbar gemacht werden. Punktuell arbeitet Kubrick mit einer Stimme aus dem Off. Zudem finden sich Indices (Weihnachtsbaum), Leuchtreklamen und Warnschilder sowie Spiegelungen und Parallelen, die auf Gefühle der Figur verweisen. Die Untersuchung hat gezeigt, dass sich in zwei Verfilmungen zudem konkrete Visualisierungen von Phantasien der Protagonisten finden. Gemeint ist zum einen die bildliche Darstellung von Elses Gedanken in Mademoiselle Else/Fräulein Else (F/Ö/D 2002) in den Sequenzen 6, 7, 9, 10, 12 und zum anderen die Darstellung von Bills Phantasie (Alice und der Marineoffizier) in Eyes Wide Shut (GB/USA 1999) in den Sequenzen 6, 7, 11, 16, 19. Dabei verlaufen in beiden Filmen diese Visualisierungen als eine Art POV-Shot sehr ähnlich ab: Else/Bill fixieren einen Punkt im Raum, bei Else häufig ein Spiegel. Musik setzt ein (bei Kubrick immer das Musikthema „Naval Officer“, bei Boutron „Vision Else“) und die Kamera zoomt auf das Gesicht der Figur. So wird der Eindruck vermittelt, als würde die Kamera direkt in die Figur ‚hineinfahren‘ und den
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Focus auf ihr Inneres richten. Nach dem Zoom auf das Gesicht folgt eine Markierung des Übergangs von der Außenansicht in ein Innen: bei Fräulein Else (F/Ö/D 2002) mittels einer Überblendung und optischer Unschärfe, bei Eyes Wide Shut (GB/USA 1999) mittels eines Farbwechsels ins Schwarzweiß. Nachdem die Visionen der Protagonisten beendet sind, werden noch einmal Else bzw. Bill gezeigt, wie sie noch immer mit starrem Blick in derselben Position verharren. Die Musik wird ausgeblendet. Selbstverständlich ist in allen Verfilmungen auch die schauspielerische Darstellung mittels Mimik und Pantomimik unter die Darstellung von Gefühlen zu subsumieren. Wie sich zeigte, findet in allen Verfilmungen ein Medienwechsel von figurativen Innenwahrnehmungen statt. Die Analyse hat die These bestätigt, dass Text und Film über zahlreiche medienspezifische ästhetische und technische Mittel verfügen, diese Innenwahrnehmungen darzustellen. Das Medium Film weist viele unterschiedliche technische und auch inhaltliche Darstellungsverfahren auf, um diese von Text zu Bild zu transformieren. Die Annahme, dass figurative Innenwahrnehmungen, wie sie im literarischen Text etwa durch Gedankenbericht (‚sie dachte...‘) ausgedrückt werden, nicht in das Medium Film übertragbar sind, ist daher kurzschlüssig. Die in der Einleitung bereits kritisch betrachtete Auffassung, dass figurative Innenwahrnehmungen auf das Medium Film nur in begrenztem Maße übertragbar sind, muss korrigiert werden.
Filmprotokolle
1. S EQUENZPROTOKOLLE Fräulein Else (D 1929) Vorspann Zeit
Dau er 0.00.00 19 -0.00.19 sec. 0.00.19- 1.21 0.01.40 min
Inhalt (Ort, Personen, Handlung) Englischer Vortext
Ton
Vorspann (Fräulein Else) Manuskript und Regie, Fotografische Leitung, An der Kamera, Bauten, Regie-Assistent, Aufnahmeleitung, Darsteller.
Der Soundtrack (Keyboard) setzt ein.
Applaus
Sequenz 1 Abend. Party im Hause Dr. Alfred Thalhof in Wien. Zeit
Dau er 0.01.40 4 sec. 0.01.44 1.38 min.
0.03.22 22 sec. 0.3.44 9 sec. 0.03.53 16 sec.
Inhalt (Ort, Personen, Handlung) Zwischentitel Salon. Champagner wird eingeschenkt, eine vergnügte Gesellschaft erhebt sich vom Essen. Alfred Thalhof setzt sich ans Klavier und spielt. Die festlich gekleideten Gäste applaudieren. Else sucht Klaviernoten heraus. Paul an der Geige und Else am Klavier spielen den Gästen vor. Blick in die Küche, das Personal trocknet Geschirr ab. Else und Paul machen Musik. Die Gäste lauschen. Küche. Das Personal lauscht der Musik.
Zwischentitel 1. Akt
306 | V ERFILMTE G EFÜHLE 0.04.09 17 sec. 0.04.26 1.03 min.
Else und Paul musizieren. Die Gäste applaudieren. Vier Männer (darunter Elses Vater) spielen in einem anderen Raum Karten, alle rauchen dicke Zigarren. Man merkt: Elses Vater geht gern Risiken ein.
0.05.29 46 sec.
Elses Mutter und Tante Emma sitzen in einem anderen Raum und unterhalten sich ernst. Tante Emma redet Elses Mutter ins Gewissen.
0.06.15 8 sec. 0.06.23 8 sec. 0.06.31 4 sec. 0.06.35 2.18 min.
Innen. Dienstmädchen, weibliche Gäste und Else. Spieltisch/Spielzimmer der Herren. Die Herren beim Kartenspiel. Küche. Das Personal wird langsam müde. Korridor. Die Gäste werden verabschiedet. Paul lädt Else nach St. Moritz ein. Elses Eltern müssen noch überzeugt werden. Else albert liebevoll mit ihrem Vater herum. Küche. Else erzählt der Köchin vom bevorstehenden Ausflug nach St. Moritz. Schlafzimmer. Elses Vater entkleidet sich mit sorgenvoller Miene. Küche. Else tanzt vergnügt.
0.08.53 55 sec. 0.09.48 10 sec. 0.09.58 35 sec.
- Immer noch der alte Hasardeur! - Nur wer riskiert, hat Chance! - Apropos Chance! – Was halten sie von Wiener BaubankAktien? - Prima, prima! Hausse1 in Sicht! - Kinder, Kind, Ihr lebt auf zu großem Fuß! - Alfred steht vor einer großen Transaktion. - Die Transaktionen deines Mannes kenne ich! - ... ich will jedenfalls nichts mehr damit zu tun haben.
- Else, komm doch mit nach St. Moritz! - Onkel Alfred, gib uns Else mit nach St. Moritz
Sequenz 2 Tag. Die Reise nach St. Moritz. Zeit
Dau er 0.10.31 4 sec. 0.10.35 23 sec.
1
Inhalt (Ort, Personen, Handlung)
Zwischentitel
Besonderheiten
Einkäufe für St. Moritz... Außen. Tag. Straße. Autos fahren. Else ist mit ihrem Vater unterwegs.
Überblendungen
Hausse ist das französische Wort für „Anstieg“ und steht für anhaltend steigende Kurse an der Börse.
S EQUENZPROTOKOLLE
0.10.58 15 sec. 0.11.13 12 sec. 0.11.25 5 sec. 0.11.30 32 sec.
0.12.02 17 sec.
0.12.19 5 sec. 0.12.24 8 sec. 0.12.32 13 sec.
0.12.45 16 sec. 0.13.01 27 sec.
0.13.28 3 sec. 0.13.31 14 sec. 0.13.45 56 sec.
0.14.41 8 sec. 0.14.49 21 sec. 0.15.10 18 sec. 0.15.28 8 sec. 0.15.36 21 sec.
Innen. Elses Mutter packt Koffer. Außen. Straße. Else schlendert mit ihrem Vater über die Straße. Beide tragen diverse Pakete. Außen, vor dem Bahnhof. Aus einem Auto werden Koffer abgeladen. Bahnsteig. Else beugt sich aus dem Zug und küsst ihre Mutter. Auch Tante Emma und Cousin Paul schauen aus dem Zugfenster. Es schneit. Innen im Zugabteil. Else beugt sich hinaus und umarmt ihren Vater zum Abschied. Der Zug fährt los. Else winkt. Außen. Der Zug fährt ab. Außen, schnell vorbeiziehende Landschaft, Schienen, Stromleitungen und Häuser. Innen im Zugabteil. Tante Emma versucht zu schlafen. Else liest die Illustrierten und unterhält sich leise mit Paul. Innen im Zuggang. Paul verlässt das Abteil und läuft den Gang vor. Innen. Ein anderes Zugabteil. Darin: Cissy Mohr und das Kindermädchen, die einem Kind vorliest. Paul erkennt Cissy, beide begrüßen sich und führen eine Unterhaltung. Außen. Schnell vorbeiziehende Landschaft. Innen im Zuggang. Auch Else verlässt das Abteil und folgt Paul. Innen, Cissys Zugabteil. Else tritt zu den beiden und ist überrascht. Paul stellt Else vor. Er flirtet mit Cissy. Else, Cissy und Paul verlassen das Abteil. Innen. Zuggang. Else, Paul und Cissy gehen zu Tante Emma. Innen in Tante Emmas Abteil. Paul öffnet die Tür und stellt Cissy vor. Tante Emma freut sich. Außen, schnell vorbeiziehende Winterlandschaft. Halt in Chur. Außen. Bahnhof Chur. Else und Paul schauen sich die Zuglock an. Außen. Der Zug fährt wieder und Else sitzt auf der Plattform vom Hänger und genießt die Aussicht. Paul kommt dazu.
- Du Paul, ich komme um vor Durst
- Denk dir Else, Frau Mohr fährt auch nach St. Moritz.
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308 | V ERFILMTE G EFÜHLE 0.15.57 7 sec. 0.16.04 8 sec. 0.16.12 12 sec. 0.16.24 29 sec. 0.16.53 10 sec.
Außen. Vorbeiziehende Landschaft. Schneebedeckte Tannen. Außen. Else und Paul auf der Plattform. Paul wärmt Else. Außen. Vorbeiziehende Landschaft. Schneebedeckte Hügel. Außen. Else, Paul und Tante Emma steigen in St. Moritz in einen Pferdeschlitten. Außen. Der Pferdeschlitten hält vor dem Hotel.
Überblendung.
Sequenz 3 Tag. St. Moritz. Elses erste Begegnung mit Dorsday im Hotel Carlton. Zeit 0.17.03 0.17.17 0.17.26 0.17.31 0.17.39 0.17.43 0.17.45 0.17.48 0.17.54 0.17.57
Dau er 14 sec. 9 sec. 5 sec. 8 sec. 4 sec. 2 sec. 3 sec. 6 sec. 3 sec. 29 sec.
0.18.26 10 sec.
Inhalt (Ort, Personen, Handlung)
Zwischentitel
Innen. Else, Paul und Tante Emma betreten die Hotelhalle. Innen. Dorsday liest Zeitung und blickt um sich. Innen. Else, Paul und Tante Emma werden zu ihren Zimmern gebracht. Innen. Dorsday setzt sich sein Monokel auf. Innen. Else, Paul und Tante Emma werden zu ihren Zimmern gebracht. Innen. Dorsday blickt ernst den neuen Gästen nach. Er scheint sie zu kennen. Innen. Else, Paul und Tante Emma erreichen den Hotelfahrstuhl. Dorsday erhebt sich.
- Fräulein Else!
Else dreht sich um. Dorsday geht auf Else zu und begrüßt sie. Er erfasst ihre Hand und lässt sie gar nicht mehr los. Sie läuft den anderen nach zum Fahrstuhl. Dorsday bleibt vor dem Fahrstuhl allein zurück.
- Was machen der Herr Papa... die Frau Mama? - Ende des 1. Aktes.
Sequenz 4 Tag. Außen. Das schöne Leben in St. Moritz: unbeschwertes Treiben, Wintersportfreuden. Zeit
Dau er 0.18.36 3 sec.
Inhalt (Ort, Personen, Handlung)
Zwischentitel - 2. Akt.
Besonderheiten
S EQUENZPROTOKOLLE
0.18.39 4 sec. 0.18.43 7 sec. 0.18.50 6 sec. 0.18.56 15 sec. 0.19.11 13 sec. 0.19.24 5 sec. 0.19.29 6 sec. 0.19.35 10 sec.
0.19.45 13 sec. 0.19.58 5 sec. 0.20.03 12 sec. 0.20.15 5 sec. 0.20.20 7 sec.
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Außen. Urlauber beim Wintersport. Außen. Else und Paul gehen im verschneiten St. Moritz spazieren. Außen. Menschen beim Schlittschuhlaufen. Außen. Else und Paul beim Spazierengehen und Herumtollen. Außen. Menschen spielen Eishockey. Außen. Else und Paul vor den Olympiaringen. Außen. Eine Skisprungschanze. Ein Skispringer springt gerade ab. Außen. Else und Paul scheinen den Skisprung beobachtet zu haben und freuen sich. Sie küssen sich fast, doch Paul dreht schnell den Kopf weg. Außen. Ein weiterer Skispringer springt ab. Außen. Else und Paul beobachten den Wintersport. Außen. Eine Mannschaft auf dem Rodel startet ihre Fahrt. Außen. Else beobachtet den Wintersport. Außen. Der Rodel fährt weiter in seiner Bahn.
Überblendung.
Sequenz 5 Derselbe Tag in Wien: Börsencrash. Zeit
Dau er 0.20.27 13 sec.
0.20.40 11 sec. 0.20.51 11 sec.
0.21.02 5 sec.
Inhalt (Ort, Personen, Handlung)
Zwischentitel
Zeitungsartikel Die Stunde „Katastrophaler Kurssturz an der Börse. Ein schwarzer Tag.“ Parallel dazu werden aufgeregtes Börsengeschehen und enttäuschte Anleger sowie Tumult auf den Straßen Wiens einmontiert. Innen. Dr. Alfred Thalhof sitzt an seinem Schreibtisch und liest entsetzt die Zeitung. Er ist fassungslos. Einblendung Zeitungsartikel: Katastrophale Kursstürze an der Börse! Die heutige Börse stand unter dem Zeichen katastrophaler Kursrückgänge, die eine Panik hervorriefen, wie sie selten in der Wiener Börse erlebt wurde. Innen. Dr. Alfred Thalhof ist sichtlich erschüttert.
Besonderheiten Überblendung und Montage verschiedener Zeitungsartikel.
310 | V ERFILMTE G EFÜHLE 0.21.07 36 sec.
0.21.43 1 sec. 0.21.44 4 sec. 0.21.48 18 sec. 0.22.06 3 sec. 0.22.09 12 sec.
0.22.21 3.46 min
0.25.07 49 sec.
0.25.56 4 sec.
Innen. Elses Mutter deckt den Tisch. Ihr Mann kommt hinzu. Beide setzen sich und wollen mit dem Essen beginnen. Innen. Die Türklingel läutet. Innen. Das Dienstmädchen öffnet die Wohnungstür und ein Herr tritt ein. Er übergibt dem Mädchen seine Karte. Innen. Die Thalhofs beim Essen. Das Dienstmädchen bringt die Karte des Gastes. Einblendung Visitenkarte: Dr. Ernst Fiala. Rechtsanwalt und Notar. Wien. Innen. Dr. Thalhof am Esstisch. Er ist nicht erfreut über den Besucher, der sich auf der Visitenkarte ankündigt. - Herr Kollege... wir Innen. Das Arbeitszimmer warten seit Wochen auf von Dr. Thalhof. Dr. Fiala die Überweisung der tritt ein, wenig später auch Mündelpapiere... Dr. Thalhof. Beide setzen - Man spricht von ihren sich. Dr. Fiala spricht ernst. Verlusten an der Börse... Dr. Thalhof versucht sich - Lieber Herr Kollege, herauszureden, doch Fiala wenn die Ausfolgung lässt sich nicht beirren. der Papiere nicht binnen vierundzwanzig Stunden erfolgt, – müssen die Dinge ihren Lauf Dr. Thalhof ist bestürzt. nehmen. - Ich werde die Angelegenheit bis morgen in Ordnung bringen. Sie verabschieden sich. Innen. Frau Thalhof sitzt am Tisch und isst. Ihr Mann kommt hinzu. Er versucht, sich nichts anmerken zu lassen. Ende des 2. Aktes.
Sequenz 6 Tag. Pferderennen in St. Moritz. Zeit
Dau er 0.26.00 3 sec.
Inhalt (Ort, Personen, Handlung)
Zwischentitel 3. Akt.
S EQUENZPROTOKOLLE
0.26.03 35 sec.
0.26.38 10 sec.
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Außen. Tag. Man sieht Wintersport. Else, Paul und Cissy gehen spazieren. Sie suchen etwas und steigen dann eine Tribüne hinauf. Außen. Pferdeschlittenrennen
Sequenz 7 Tag. Klinkenputzen in Wien, Dr. Thalhof bei Dorsday. Zeit
Dauer Inhalt (Ort, Personen, Handlung)
Zwischentitel
0.26.48
39 sec.
- Wir können Ihnen beim besten Willen keinen weiteren Kredit gewähren.
0.27.27
19 sec. 23 sec. 9 sec.
0.27.46 0.28.09 0.28.18
19 sec.
Innen. Thalhof bei einem Mitarbeiter der Bank. Er sieht verzweifelt aus. Dr. Thalhof verlässt die Bank. Innen. Eine Tür öffnet sich. Thalhof wird auch woanders abgewiesen. Innen. Eine Tür öffnet sich. Thalhof wird wieder abgewiesen. Innen. Eine Tür öffnet sich. Thalhof wird abgewiesen. Innen. Die große Empfangshalle im Haus des Herrn von Dorsday. Ein Diener öffnet. Thalhof. Beide reden. Thalhof geht enttäuscht.
- Herr von Dorsday ist leider verreist. - Es ist ganz unbestimmt, wann Herr von Dorsday wiederkommt.
Sequenz 8 Wien. Dr. Thalhof kehrt unverrichteter Dinge in seine Wohnung zurück. Zeit
Dauer Inhalt (Ort, Personen, Handlung)
0.29.37 10 sec. 0.30.47 3.34 min.
0.33.21 18 sec.
Zwischentitel
Innen. Wohnung der Thalhofs. Ein völlig erschöpfter Thalhof tritt ein. Innen. Arbeitszimmer Thalhof. Er setzt sich an den Schreibtisch, auf dem zwei ungeöffnete Briefe liegen. Beim Lesen bricht er über dem Tisch zusammen. Seine Frau tritt ein, sie versucht ihren Mann zu trösten. Er zeigt ihr den Brief, er stammt von Fiala. Einblendung: Brief von Dr. Ernst Fiala an Herrn Rechtsanwalt Dr. Alfred Thalhof, Wien.: Sie haben ihr Versprechen, die Ihnen anvertrauten Mündelpapiere bis heute Mittag zurückzustellen, nicht gehalten. Wenn die Regelung der Angelegenheit nunmehr nicht umgehendst erfolgt, sehe ich mich zu meinem Bedauern genötigt, die Sache der Staatsanwaltschaft zu übergeben. Hochachtungsvoll Dr. Fiala.
Besonderheiten
312 | V ERFILMTE G EFÜHLE 0.33.39 19 sec.
Innen. Arbeitszimmer. Thalhof und seine Frau lesen fassungslos den Brief von Fiala. Thalhof versucht sich seiner Frau zu erklären. Frau Thalhof verlässt weinend das Arbeitszimmer.
0.34.58 8 sec.
Innen. Wohnzimmer der Thalhofs. Frau Thalhof wälzt sich verzweifelt auf dem Sofa. Innen. Arbeitszimmer. Thalhof ringt mit sich. Er nimmt etwas aus seinem Schrank und steckt es in seine Jackentasche. Er schaut sich das Bild seiner Tochter an und verlässt den Raum.
0.35.04 57 sec.
0.36.01 4 sec.
- Das hast du getan?! ... - Die Welt glaubte an eine Riesenhausse ... - ... ich dachte, uns mit einem Schlage von allen Sorgen zu befreien ... - ... und Dorsday, der mir bestimmt geholfen hätte, ist verreist.
Ende des 3. Aktes.
Sequenz 9 Wien. Elses Mutter nimmt die Angelegenheit in ihre Hand und schreibt einen Brief an Else Zeit
Dauer Inhalt (Ort, Personen, Handlung)
0.36.05 3 sec. 0.36.08 40 sec.
0.36.48 3.56 min.
0.40.44 6 sec. 0.40.50 2 sec.
Zwischentitel
Besonderheiten
4. Akt. Innen. Korridor der Wohnung von Familie Thalhof. Thalhof versucht, schnell die Wohnung zu verlassen, wird aber von seiner Frau aufgehalten. Sie ertastet den Revolver in seiner Jackentasche Beide ringen miteinander. Sie klammert sich an ihn. Innen. Schlafzimmer. Das Ehepaar Thalhof tritt ein. Herr Thalhof wird von seiner Frau gestützt. Sie legt ihn ins Bett. Er bekommt einen Herzanfall und ringt um Luft. Sie holt ein Pulver, löst es in Wasser auf. Herr Thalhof trinkt es. Er ist völlig verzweifelt und schläft ein. Sie verlässt den Raum. Innen. Korridor. Frau Thalhof hebt den Revolver auf. Innen. Frau Thalhof versteckt den Revolver in der Wäschetruhe.
Dynamische Kamera, viele Schnitte, verschiedene Kameraeinstellungen
S EQUENZPROTOKOLLE
0.40.52 9 sec.
0.41.01 12 sec. 0.41.13 21 sec.
0.41.34 6 sec.
0.41.40 43 sec.
0.42.23 23 sec. 0.42.46 2 sec. 0.42.48 29 sec.
0.43.17 16 sec.
0.43.33
0.43.42 6 sec. 0.43.48 13 sec. 0.44.01 4 sec.
0.44.05 6 sec.
Einblendung: Brief von Else: Liebste Mama, hier ist es herrlich. Wundervolles Wetter. Schade, daß ihr nicht hier seid… Ich mache ganz gute Fortschritte im Skifahren. Vater würde lachen, wenn er sehen... Innen. Thalhofs Arbeitszimmer. Elses Mutter beim Brieflesen. Einblendung Brief von Else: Paul ist etwas verliebt in sie. Sie treibt gar keinen Sport. Sie guckt nur zu. Das tun aber viele Leute. Übrigens soll ich von einem Herrn von Dorsday grüßen, der behauptet, Papa sehr gut zu kennen. Ich kann mich nicht an ihn erinnern, aber er hat mich ja gleich... Innen. Thalhofs Arbeitszimmer. Elses Mutter beim Brieflesen. Sie überlegt kurz und steht auf. Innen. Korridor. Elses Mutter läuft mit dem Brief in der Hand zu ihrem schlafenden Mann. Sie lässt ihn schlafen und geht zurück zum Arbeitszimmer. Innen. Thalhofs Arbeitszimmer. Elses - Bitte das Mutter greift zum Telefon. Fernamt. Innen. Fräulein beim Fernamt. Innen. Thalhofs Arbeitszimmer. Elses - Ich möchte eine VerbinMutter am Telefon. dung nach St. Sichtlich aufgewühlt sinkt sie in den Moritz, – HoSessel. tel Carlton. Innen. Fräulein beim Fernamt. - Hallo, 66780? – Ihre Verbindung mit St. Moritz kann wegen Schneeverwehung leider nicht hergestellt werden. Innen. Thalhofs Arbeitszimmer. Elses Mutter legt den Telefonhörer auf und weint. Innen. Schlafzimmer. Dr. Thalhof schläft noch immer. Innen. Thalhofs Arbeitszimmer. Elses Mutter schreibt einen Brief. Einblendung Brief an Else: Mein liebes, liebes Kind, es tut mir so schrecklich leid, daß ich dir die schönen ... Innen. Thalhofs Arbeitszimmer. Elses Mutter schreibt einen Brief.
| 313
314 | V ERFILMTE G EFÜHLE 0.44.11 57 sec.
0.45.28 6 sec. 0.45.34 12 sec.
- Aber Frau Außen. St. Moritz. Else, Paul und Cissy ... Cissy fahren Pferdeschlitten. Paul Schlafmittel nimmt aus Cissys Handtasche ein Röhrchen Veronal und schaut es sich ... hier oben an. Cissy gibt Else das Veronal, Else - ? steckt es ein. Innen. Thalhofs Arbeitszimmer. Elses Mutter schreibt einen Brief. Einblendung Brief an Else: ... ich kann Dir im Augenblick nicht näher erklären, warum Papa das Geld so dringend braucht. Aber es ist leider sehr ernst und da kommt Dein Brief, in dem Du von der Anwesenheit des Herrn von Dorsday in St. Moritz berichtest, wie ein Fingerzeig. Deshalb...
Parallelmontage
Sequenz 10 St. Moritz. Tag. Else erhält den Brief ihrer Mutter. Zeit
Dauer Inhalt (Ort, Personen, Handlung)
0.45.46 20 sec.
Innen. Hotel Carlton. Else wartet am Fahrstuhl, sie will Schlittschuh fahren gehen. Herr von Dorsday kommt hinzu. Sie unterhalten sich. Else ist die Situation etwas unangenehm. Sie möchte nicht mit ihm Schlitten fahren. Er steigt allein in den Fahrstuhl. Paul kommt zum Fahrstuhl.
0.47.06 25 sec.
Außen. Wintersport. Else beim Skijöring. Else fällt in den Schnee. Paul kommt ihr zu Hilfe. Innen. Speisesaal im Hotel. Die Gäste essen. Tante Emma sitzt mit einem anderen weiblichen Hotelgast am Tisch. Else und Paul kommen zu spät. Else spielt mit einem Hund. Kaffee wird serviert. Innen. Rezeption Hotel Carlton. Ein Postbote bringt Briefe. Der Hotelboy soll einen Brief direkt einem Gast übergeben. Innen. Speisesaal im Hotel. Else und die anderen beim Kaffeetrinken. Der Hotelboy übergibt Else einen Brief. Else öffnet ihn gleich am Tisch.
0.48.31 1.12 min.
0.49.43 18 sec.
0.50.01 29 sec.
Zwischentitel
- Gnädiges Fräulein, wollen Sie uns die Freude machen, heute nachmittag an einer Schlittenfahrt teilzunehmen? - Oh wie schade, ich bin leider schon verabredet. - Paul! - Was machen wir heute nachmittag? - Skijöring.
Beson sonderheiten
S EQUENZPROTOKOLLE
0.50.30 7 sec.
0.50.37 23 sec. 0.51.00 13 sec.
0.51.13 19 sec. 0.51.32 13 sec.
0.51.45 8 sec. 0.51.53 11 sec.
0.52.04 1.39 min. 0.53.43 14 sec.
0.53.57 14 sec.
0.54.04 31 sec.
0.55.35 4 sec.
| 315
Einblendung: Brief an Else: Mein liebes, liebes Kind, es tut mir so schrecklich leid, daß ich dir die schönen Tage Deiner Erholung mit einer sehr traurigen Nachricht zerstören muß! Innen. Speisesaal im Hotel. Else schaut verunsichert, faltet den Brief zusammen und steht vom Tisch auf. Innen. Korridor im Hotel. Die Fahrstuhltür öffnet sich. Else steigt mit dem Brief in der Hand aus und geht in ihr Zimmer. Innen. Elses Hotelzimmer. Else liest den Brief. Einblendung: Brief an Else: ... ich kann Dir im Augenblick nicht näher erklären, warum Papa das Geld so dringend braucht. Aber es ist leider sehr ernst und da kommt Dein Brief, in dem Du von der Anwesenheit des Herrn von Dorsday in St. Moritz berichtest, wie ein Fingerzeig. Deshalb... Innen. Elses Hotelzimmer. Else liest den Brief. Einblendung Brief an Else: Von Tante Emma ist leider keine Hilfe zu erwarten. In meiner Ratlosigkeit bitte ich Dich, mit Herrn von Dorsday zu sprechen und ihm Papas Verlegenheit anzudeuten. Es handelt sich um dreißigtausend Schilling. Papa würde die Summe natürlich... Innen. Elses Hotelzimmer. Else sieht ratlos aus. Sie läuft im Zimmer herum. Blaue Außen. Nebel zieht über schneebeViradeckte Berge. Schneelandschaften. Es gieist Abend. rung GeInnen. Ein Gong wird acht Mal geräusc schlagen. (Ankündigung des Dinhners?) Zeichen - Ach, Herr von Innen. Elses Hotelzimmer. Dorsday, ich beElse macht Licht. Sie fängt an, sich komme da eben eiauszuziehen. Sie geht ins Bad und nen Brief - lässt Wasser in eine Wanne ein. Sie - Dreißigtausend, hat es plötzlich sehr eilig und sucht Herr von Dorsday ... Sachen aus dem Schrank aus. Sie überlegt und spricht vor sich hin. - Ende des 4. Aktes.
316 | V ERFILMTE G EFÜHLE
Sequenz 11 Am selben Abend im Hotel/St. Moritz. Else nimmt Kontakt zu Dorsday und zu Tante Emma auf. Zeit
Dauer Inhalt (Ort, Personen, Handlung)
Zwischentitel
0.55.38 0.55.41
3 sec. 4.44 min.
- 5. Akt.
1.00.25
2.27 min.
1.02.52
18 sec.
1.03.10
1.39 min.
1.04.49
1.47 min.
1.06.36
13 sec.
Innen. Speisesaal des Hotels. Die Gäste nehmen ihr Dinner ein. Im Vordergrund der Tisch von Paul, Tante Emma und Cissy. Else erscheint im Speisesaal und setzt sich an den Tisch. Sie wirkt bedrückt und isst nichts. Ihr wird ein ganzer Fisch serviert. Im Hintergrund grüßt Herr von Dorsday. Else beobachtet ihn. Er beobachtet auch sie. Als er sich vom Essen erhebt, folgt ihm Else. Gesellschaftsräume des Hotels. Dorsday raucht eine Zigarette. Else kommt hinzu, folgt Dorsday. Er bemerkt das und muss lächeln. Dorsday geht zur Hotelbar und plaudert mit zwei Frauen. Else traut sich nicht hinein. Innen. Hotelbar. Dorsday plaudert mit zwei Frauen. Herr Dorsday grüßt Else und geht auf sie zu. Else läuft weg. Innen. Korridor des Hotels. Else läuft vor Dorsday weg. Er folgt ihr. Sie ist unsicher. Sie geben sich die Hand. Sie verabschieden sich. Innen. Gesellschaftsräume des Hotels. Else setzt sich zu Tante Emma. Sie unterhalten sich. Tante Emma ist sichtlich erregt. Else will den Tisch verlassen, Tante Emma hält sie zurück, streichelt ihre Hand und versucht, Else zu beruhigen. Else und Tante Emma betreten den Fahrstuhl.
Innen. Elses Hotelzimmer. Sie schreibt einen Brief.
- Werde ich die Freude haben, Sie heute noch beim Ball begrüßen zu dürfen? - Tante, Papa geht es nicht gut. - So? – Das waren also seine großen Transaktionen?! - ... ich will davon nichts mehr hören! - Es wird nicht so arg sein ... Papa war schon öfter in einer solchen Situation. - Komm jetzt mein Kind, wir müssen uns umziehen.
Beson sonderheiten
S EQUENZPROTOKOLLE
1.06.49
2 sec,
1.06.51 1.07.02
11 sec. 2 sec.
1.07.04
8 sec.
1.07.11
4 sec.
| 317
Einblendung Elses Brief an die Mutter: Liebste Mama, das kann ich nicht ... Dorsday anbetteln ... das kann... Innen. Elses Hotelzimmer. Sie schreibt einen Brief. Einblendung Elses Brief an die Mutter: Liebste Mama, das kann ich nicht ... Dorsday anbetteln ... das kann ich nicht ... ich kann nicht... Innen. Elses Hotelzimmer. Sie legt den Stift beiseite und zieht sich um. Ende des 5. Aktes.
Sequenz 12 Am selben Abend im Nebenraum des Ballsaals/St. Moritz. Elses Gespräch mit Dorsday. Zeit
Dauer Inhalt (Ort, Personen, Handlung)
Zwischentitel
1.07.15 1.07.18
3 sec. 12 sec. 35 sec.
6. Akt.
1.07.30
1.08.05 1.08.12
Innen. Hotel. Ballsaal. Viele Paare tanzen. Innen. Hotelkorridor. Der Hotelboy hält Dorsday die Tür auf. Hinter ihm kommt Else. Er entdeckt sie, beide begrüßen sich. 7 sec. Innen. Hotel. Ballsaal. Viele Paare tanzen. 6.42 Innen. Hotel. Nebenraum des Ballmin. saals. Else und Dorsday setzen sich an einen Tisch, und Else erzählt. Else fängt an zu weinen und nestelt nervös an ihrem Taschentuch herum. Dorsday überlegt. Else weint. Dorsday trinkt ihr Glas aus und streichelt sie. Er verspricht Else, ihrem Vater zu helfen. Else ist sehr erleichtert. Dorsday redet weiter. Er zeigt auf eine kleine nackte Statue. Else wird nur langsam bewusst, was Dorsday da von ihr verlangt. Else ist erschüttert und verbirgt ihr Gesicht mit den Händen. Dorsday geht.
Besonderheiten
Venus- Was bedrückt sie denn so, mein liebes statue Fräulein Else? - Papa wird es ihnen bestimmt sehr bald zurückgeben ... - Aber so schlimm ist ja das alles gar nicht, Fräulein Else! - Ich werde ihrem Vater helfen, Fräulein Else. - Aber auch ich habe eine Bitte ... - Ich möchte ... - ... ich möchte Sie sehen. - Ich warte ---
318 | V ERFILMTE G EFÜHLE
Sequenz 13 Am selben Abend. Else bekommt ein Telegramm in ihr Hotelzimmer. Zeit
Dauer Inhalt (Ort, Personen, Handlung)
1.14.54 2.22 min.
1.16.14 3 sec. 1.16.17 9 sec.
1.16.26 4 sec.
1.16.30 38 sec. 1.17.08 3 sec.
1.17.11 26 sec. 1.17.37 9 sec.
1.17.46 2 sec. 1.18.48 38 sec. 1.19.26 2.19 min.
1.21.45 4 sec. 1.21.49 3 sec. 1.21.52 33 sec.
Innen. Elses dunkles Zimmer. Else tritt ein. Sie wirkt nachdenklich und schaut sich im Spiegel an, redet mit sich selbst. Sie greift zum Telefon. Innen. Hotelempfang, der Portier geht ans Telefon. Innen. Elses Zimmer. Else am Telefon.
Zwischentitel
- Nein, nein, Herr von Dorsday!
- Wann geht der nächste Zug nach Wien?
Innen. Hotelempfang, der Portier am Telefon. Er sucht einen Fahrplan heraus. Innen. Elses Hotelzimmer. Else am Telefon. Sie legt den Hörer auf und packt einen Koffer. Innen. Der Hotelboy klopft an Elses Zimmertür. Er hat einen Brief bei sich. Innen. Elses Hotelzimmer. Der Hotelboy gibt ihr einen Brief. Else liest scheinbar keine guten Neuigkeiten. Einblendung, Telegramm an Else: Else thalhof, carltonhotel st. moritz. Bitte noch mal instaendigst mit dorsday reden, bewusste summe muss bis morgen in dr. fialas haenden sein, sonst erfolgt papas verhaftung. Mama. Innen. Elses Hotelzimmer. - Papa. Else weint. Innen. Hotelzimmer Dorsday. Dorsday läuft unruhig herum und raucht Zigaretten. Innen. Elses Hotelzimmer. Else weint - Papa. und schluchzt. Sie öffnet die Schreib- - Papa. tischschublade, darin liegt ein Röhrchen Veronal. Ende des 6. Aktes. 7. Akt. Innen. Hotelzimmer von Dorsday. Dorsday läuft unruhig herum und raucht Zigaretten. Er schaut auf die Uhr (20.05 Uhr).
Besonderheiten
S EQUENZPROTOKOLLE
1.22.25 17 sec.
1.22.42 39 sec. 1.23.21 7 sec. 1.23.28 56 sec. 1.24.04 1 sec.
1.24.05 9 sec.
| 319
Innen. Elses Hotelzimmer. Else trägt einen weißen Pelzmantel. Die Kamera schwenkt auf ein leeres Glas und ein leeres Röhrchen Veronal. Else verlässt das Zimmer. - Herr von Dorsday Innen. Hotelzimmer von Dorsday. Die Tür öffnet sich, und Else tritt ein. Sie wirkt umnachtet. Innen. Hotelhalle. Dorsday steigt aus dem Fahrstuhl. Innen. Hotelzimmer von Dorsday. - Ich bin doch ... Else sucht Dorsday. Innen. Elses Hotelzimmer. Elses leeres Glas und ein leeres Röhrchen Veronal stehen auf einem Tisch. - ... vergiftet! Innen. Hotelzimmer von Dorsday. Else spricht mit sich selbst. Sie wird panisch und rennt aus dem Zimmer.
Sequenz 14 Am selben Abend. Else zeigt sich vor allen nackt und bricht zusammen. Zeit
Dauer Inhalt (Ort, Personen, Handlung)
1.24.14 15 sec. 1.24.29 4 sec. 1.24.33 18 sec.
1.24.51 5 sec. 1.24.56 10 sec. 1.25.06 42sec .
Innen. Korridor und Treppe des Hotels. Else kommt aus Dorsdays Zimmer und rennt die Treppe hinunter. Innen. Gesellschaftsraum des Hotels. Eine Jazzband spielt. Innen. Korridor des Hotels. Else läuft schnell an verschiedenen Menschen vorbei. Den Mantel hält sie hoch geschlossen. Die Menschen schauen ihr hinterher. Innen. Ballsaal des Hotels, viele Paare tanzen. Innen. Else biegt in einen weiteren Korridor. Zwei Hotelboys öffnen ihr eine Schwingtür. Innen. Else betritt die Hotelbar, in dem sich viele Hotelgäste aufhalten. Sie ruft Dorsday. Der dreht sich entgeistert um und Else öffnet den Mantel. Das Kamerabild wird unscharf. Else bricht nackt zusammen. Einige Hotelgäste kommen ihr zu Hilfe. Viele starren und schauen. Der Pelzmantel wird über ihr ausgebreitet.
Zwischentitel
Besonderheiten
Kameraperspektive von unten, Handkamera TC 1.24.49
Zoom, Nahaufnahme POV
320 | V ERFILMTE G EFÜHLE 1.25.48 4 sec.
1.25.52 2 sec. 1.25.54 2 sec. 1.25.56 3 sec. 1.25.59 3 sec. 1.26.02 3 sec.
1.26.05 3 sec.
1.26.09 3 sec. 1.26.12 10 sec. 1.26.22 2 sec.
1.26.24 4 sec.
1.26.28 13 sec. 1.26.41 53 sec.
1.27.34 16 sec. 1.27.50 36 sec.
Innen. Korridor vor der Hotelbar. Ein Mann kommt herausgerannt und eilt die Treppe hinauf. Alle tuscheln. Innen. Der Hotelboy öffnet dem Mann eine Tür. Innen. Hotelbar. Gäste laufen durcheinander. Innen. Tür vor der Bar. Immer mehr Menschen stürmen in den Raum. Innen. Korridor vor der Hotelbar. Gäste rennen in die Bar. Innen. Ballsaal. Tante Emma bahnt sich einen Weg durch die tanzenden Paare. Innen. Korridor vor der Hotelbar. Tante Emma wird hastig zur bewusstlosen Else geführt. Mittlerweile hat sich eine Traube Menschen vor und in dem Raum versammelt. Innen. Foyer des Hotels. Zwei Männer hasten die Treppe hinauf. Innen. Ballsaal. Alle Hotelgäste tuscheln und laufen aufgeregt in Richtung Hotelbar. Innen. Korridor vor der Hotelbar. Immer mehr Hotelgäste versammeln sich vor dem Raum und stehen im Gang herum. Innen. Foyer des Hotels. Hotelangestellte hasten die Treppe hinauf und hinab. Innen. Korridor vor der Hotelbar, die voller Menschen ist. Zwei Hotelangestellte stürmen die Treppe hinauf. Innen. Hotelbar. Hotelangestellte halten von innen die Tür zu, damit die neugierigen Gäste nicht zur nackten Else vordringen. Else wird auf einer Bahre durch die Menschentraube getragen. Einige folgen Else (wie eine Trauerprozession), darunter auch Tante Emma. Innen. Korridor vor der Hotelbar. Die Hotelgäste unterhalten sich aufgeregt. Innen. Foyer des Hotels. Paul und Cissy kommen nichtsahnend von einem Ausflug herein. Ein Hotelmitarbeiter informiert Paul und Cissy. Paul stürmt nach oben und steigt in den Fahrstuhl.
Viele Schnitte, kurze Bilder und Einstellungen
S EQUENZPROTOKOLLE
1.28.26 6 sec.
1.28.32 31 sec.
1.29.03 17 sec. 1.29.20 1 sec. 1.29.21 1 sec. 1.29.22 3 sec.
| 321
Innen. Korridor. Die Fahrstuhltür öffnet sich und Paul steigt aus. Er rennt zu Elses Zimmer. Innen. Elses Hotelzimmer. Paul tritt ein. Im Zimmer ist ein Arzt, der Elses Puls fühlt. Er lässt ihren Arm sinken, der leblos aufs Bett fällt. Es wird deutlich: Else ist tot. Paul wirft sich auf das Bett und weint bitterlich. Außen. Schneebedeckte Berge Innen. Elses Hotelzimmer. Else liegt leblos im Bett. Außen. Schneebedeckte Berge. Ende
Fräulein Else /Mademoiselle Else (F/Ö/D 2002) Vorspann Zeit 0.00
Dauer Inhalt (Ort, Personen, Handlung) 23 Innen. Hotelzimmer. Eine Frauensec. hand hält ein leeres Glas. Das Glas wird abgestellt, fällt aber hinunter. Das Glas zerschellt.
Besonderheiten Kamera von unten, dramatische Musik, Spannung
Sequenz 1 Im Theater. Wien. Coriolan. Zeit
Dauer Inhalt (Ort, Personen, Handlung)
0.00.23
1.35 min.
0.01.58
44 sec.
0.02.42
16 sec.
Innen. Theater. Publikum applaudiert begeistert. Else sitzt mit ihrer Familie in einer Loge. Elses Vater entdeckt Dorsday im Publikum. Fred kommt hinzu und möchte Else zu einem Getränk einladen. Innen. Aufenthalts-Bereich des Theaters. Fred und Else unterhalten sich. Dorsday kommt vorbei. Else will ihn ansprechen, er geht vorbei. Elses Vater kommt und nimmt Else mit.
Innen. Treppenhaus des Theaters. Else geht mit ihrem Vater zum Speisesaal.
Elses Stimme aus Besondem Off derheiten
Wenn er Geld hätte, würde ich ihn natürlich heiraten. Und dann käm’ ein hübscher Filou, und das Malheur wär’ fertig. Ich bin frohgemut, aber ich würde nicht treu sein.
322 | V ERFILMTE G EFÜHLE 0.03.04
11 sec.
0.03.15
0.03.22
14 sec.
0.03.36
Innen. Elses Mutter läuft in der Loge auf und ab und rückt ihre Frisur zurecht. Rudi kommt hinzu. Sie scheint aufgeregt. Innen. Speisesaal des Theaters. Else und ihr Vater sitzen an einem Tisch und bestellen Champagner. Innen. Loge. Elses Mutter und Rudi. Sie unterhalten sich über Dorsday. Innen. Speisesaal des Theaters. Else und ihr Vater sitzen am Tisch. Elses Vater spricht einen Bekannten an und bittet ihn an den Tisch. Else steht auf und geht. Innen. Treppenhaus des Theaters. Leutnant Brandl ruft nach Else. Sie flirten. Innen. Speisesaal des Theaters. Dorsday kommt hinein. Elses Vater läuft ihm nach und traut sich aber nicht, ihn anzusprechen. Ein Glas fällt hinunter und zerbricht. Innen. Else betritt hastig die Loge und setzt sich zu ihren Eltern.
0.04.05
17 sec.
0.04.22
26 sec.
0.04.48
30 sec.
0.05.18
Innen. Garderobe des Theaters. Elses Familie holt ihre Mäntel. Herr von Dorsday spricht Elses Eltern an, sie stellen Dorsday Else vor. Er ist fast sprachlos bei ihrem Anblick. Dorsday lädt die ganze Familie in seine Galerie ein. Else geht einfach. Dorsday blickt ihr lange nach. 2 sec. Das Glas aus dem Vorspann fällt herunter und zerbricht.
0.07.42
Wär’ ich geblieben, wär’ mein Schicksal besiegelt und mein Unglück auch.
Bassige, dramatische Musik Mama und Rudi sind einfach blind. Warum zittere nur ich vor Angst, nur ich, wenn Papa so verzweifelt aussieht. Hach, wie langweilig er ist. Er weiß nicht, was er mir sagen soll. Lustig wärs, wenn er plötzlich um meine Hand anhielte.
Bassige, unheimliche Musik (leise) (0.06.38)
Sequenz 2 Besuch der Kunstgalerie der Herrn von Dorsday. Wien. Zeit 0.07.44
0.08.52
Dauer Inhalt 1.08 Innen. Tag. Die Wohnung der Familie Braun. min. Die Mutter stickt. Rudi kommt hinzu. Er fragt sie nach 300 Gulden. Else neckt Rudi. 1.07 Innen. Kunstgalerie Dorsday. Herr Braun und min. Dorsday im Gespräch. Elses Vater fragt Dorsday nach Geld, doch Dorsday möchte nicht aushelfen.
Besonderheiten
Bassige Musik, Großaufnahmen
S EQUENZPROTOKOLLE
0.10.59
40 sec.
0.11.39
3 sec.
Innen. Nebenraum der Kunstgalerie. Dorsday und Braun treten ein. Else spielt wild mit einem Hund. Elses Vater will gehen. Dorsday will Else aber noch einen Akt von Renoir zeigen. Sie zieht ihre Schuhe an, dabei rutsch ihr Rock ein wenig hoch. Dorsday blickt begierlich. Das Glas aus dem Vorspann fällt herunter und zerbricht
| 323
Großaufnahmen; Getragene Streichermusik in Moll, die lauter wird, je mehr Else von ihrem Körper preis gibt. Streichermusik
Sequenz 3 Dorsday und Else kommen im Hotel Fratazza an. Zeit
Dauer Inhalt
0.11.42
37 sec.
0.12.25
20 sec.
0.12.45
30 sec. 53 sec.
0.13.15
0.15.08
50 sec.
0.15.58
44 sec.
0.16.42
33 sec.
Elses Stimme aus dem Off
Tag. Außen. Hotel Fratazza. Eine Kutsche mit Dorsday kommt im Hotel Fratazza an. Innen. Dorsday betritt das Hotel. Jeder kennt ihn dort, und er kennt jeden. Innen. Treppe im Hotel. Dorsday trifft die Marquesa. Innen. Wien. Esszimmer im Hause Braun. Die Familie sitzt am Abendbrottisch. Else bekommt einen Brief von Tante Emma, die Else ein paar Tage nach San Martino einlädt. Außen. Abend. Else und Tante Emma kommen mit der Kutsche vor dem Hotel Fratazza an. Else flirtet mit dem Hotelpagen Edgar. Ist der dumm. Innen. Hotel Fratazza. Else betritt Spricht zu mir das Hotel und bekommt ihren Zimals ob ich reich merschlüssel. wär’. Weiß er denn nicht, dass Tante Emma die Rechnungen bezahlt? Innen. Gesellschaftsräume des Hotels. Else und Tante Emma treffen auf Dorsday und begrüßen ihn.
Besonderheiten Streichermusik in Moll
Düstere Musik
Walzermusik, Streicher und Flöte Walzermusik, Streicher und Flöte
Streicher in Moll.
Sequenz 4 Der nächste Tag in Wien und im Hotel. Zeit 0.17.21
Dauer Inhalt 7 sec. Außen. Wien. Tag. Vor dem Wohnhaus der Brauns.
Besonderheiten
324 | V ERFILMTE G EFÜHLE 0.17.30
23 sec.
0.17.53
7 sec.
0.18.00
21 sec.
0.18.21
42 sec. 1.44 min.
0.19.03
0.20.47
21 sec.
0.21.08
43 sec.
0.21.51
37 sec. 26 sec. 1.02 min.
0.22.28 0.22.54
0.23.56
50 sec.
Innen. Wien. Wohnung der Brauns. Elses Vater verlässt die Wohnung, um sich mit dem Generalstaatsanwalt zu treffen. Innen. Hotel Fratazza. Else kommt am Morgen die Treppe hinunter. Innen. Empfangshalle des Hotels. Else macht sich für einen Ausflug in die Berge bereit. Außen. Vor dem Hotel. Cousin Paul wartet auf Else. Sie wollen einen Ausflug machen. Innen. Gerichtsgebäude, Büro des Staatsanwalts. Braun soll das Geld in drei Tagen Fiala geben, sonst muss er ins Gefängnis. Innen. Wien. Braun verlässt das Gerichtsgebäude. Alle flüstern hinter seinem Rücken. Außen. Natur. Else, ihr Cousin und ein Begleiter spazieren. Else ist beiden weit voraus. Innen. Braun bei Jakobson, der nicht da ist.
Streichermusik
Außen. Wien. Elses Vater tritt auf die Straße. Außen. Else mit einem Glas Wein hoch oben auf dem Gipfel des Berges. Sie ruft euphorisch in die Tiefe. Sie droht den Berg herunter zu stürzen. Ihr Glas fällt herunter. Innen. Wien. Kaffeehaus. Das fliegende Glas von Else verschmilzt visuell mit dem herunterfallenden Glas von Elses Vater. Der sitzt verzweifelt in einem Kaffeehaus und weint.
bassige Musik in Moll
Walzermusik, Streicher, Klavier und Flöte Walzermusik, Streicher, Klavier und Flöte
Walzermusik, Streicher, Klavier und Flöte
Walzermusik, Streicher, Klavier und Flöte Übergang zu Moll, dramatische Orchestermusik. Überblendung, Parallelmontage Kameraperspektive von unten, Streicher in Moll
Sequenz 5 An Else wird ein Brief geschrieben. Zeit
Dauer Inhalt
0.24.46
3.37 min.
0.28.25 0.28.33 0.29.03
Stimme von Elses Mutter aus dem Off (Briefinhalt)
Innen. Abend. Die Wohnung der Brauns in Wien. Elses Vater kommt betrunken nach Hause. Seine Frau ist wartet auf ihn. Sie schreibt einen Brief an Else und entscheidet, dass Else Dorsday nach Geld fragen soll. 8 sec. Innen. Hotel Fratazza. Ein Telegramm an Else (Briefinhalt) wird vom Postboten abgegeben. 30 Innen. Hotel Fratazza. Empfangshalle. Der Rezep- (Briefinhalt) sec. tionist nimmt das Telegramm an. 47 Innen. Hotel Fratazza. Gesellschaftsräume. Else (Briefinhalt) sec. spielt mit Kindern. Dorsday spielt Karten.
S EQUENZPROTOKOLLE
0.29.50 0.31.16
26 sec. 1.08 min.
| 325
Innen. Wien. Wohnung der Brauns. Rudi zieht (Briefinhalt) sich an. Der Gerichtsvollzieher kommt. Innen. Wien. Wohnung der Brauns. Schlafzimmer. (Briefinhalt) Elses Vater liest den Brief an Else und ist dagegen, diesen abzuschicken. Elses Mutter hat ihn aber bereits abgeschickt. Am Ende ist auch Elses Vater damit einverstanden
Sequenz 6 Else beim Tennisspielen. Zeit 0.33.24
Dauer Inhalt 1.08 Außen. Tennisplatz. min. Else Paul, Cissy und ein Gast spielen zusammen Tennis.
0.34.32
1 min.
Außen. Gelände vor dem Hotel. Else lässt sich ihre Sportsachen vom Hotelboy Edgar tragen.
0.35.32
1.12 min.
0.36.44
14 sec.
0.37.02
32 sec.
Außen. See vor dem Hotel. Else macht mit Edgar eine Bootsfahrt. Elses Tante beobachtet sie dabei mit einem Fernglas. Außen. Hotel Fratazza. Der Postbote kommt angeradelt. Innen. Hotel. Der Hotelboy nimmt den Expressbrief entgegen.
Elses Stimme aus dem Off Besonderheiten Walzermusik, Streicher, Klavier und Flöte. Dialog: „Dein Sportdress steht dir gut, Else. Ganz in Weiß.“ – „Bei Blau wirst du hoffentlich mehr Gnade finden.“ Walzermusik, Hoffentlich glauben die beiden nicht, dass ich ei- Streicher, Klavier und Flöte fersüchtig bin. Das die beiden was haben, darauf schwör ich. Nichts auf der Welt ist mir gleichgültiger. Walzermusik, Streicher, Klavier und Flöte.
326 | V ERFILMTE G EFÜHLE 0.37.34
1.42 min.
0.39.16
1.28 min.
0.40.44
46 sec.
0.41.34
14 sec.
Warum fragt sie das, sieht man doch. Esel, darauf antworte ich gar nicht. Wie furchtbar, so alt zu sein. Ein hübsches Ding. Warum ist die eigentlich Gouvernante? Ein bittres Los. Kann mir auch noch blühen. Ich werde es besser machen. Warum die Leute bei dem Innen. Else betritt das wundervollen Wetter in Hotel. Ihr wird der der Halle sitzen. Oder Brief übergeben. Sie geht zu ihrem Zimmer. wartet jeder auf einen Expressbrief? Dabei trifft sie auf eiWarum hat sich bis jetzt nen jungen hübschen kein Mann wirklich um Mann, der sie begehrmich bemüht? Ach doch, lich anschaut. Sie erletztens in der Oper, ach schreckt sich vor ihm. Else schließt die Augen doch. Ein Draufgänger? Nein, RÜCKBLENDE: Innen. Abend. Theater. einfach nur ein Filou. Else geht mit Leutnant Aber schön. Schön. Wie Brandl durch das Thea- der Apollo in Belvedere. Er schaut mich an, ich bin ter. Er lädt sie zum sicher, dass er mich anOpiumgenuss in seine schaut. Wohnung ein., sie lehnt ab. Innen. Hotelgang. Else steht mit geschlossenen Augen da. Als sie die Augen öffnet, ist der junge Mann verschwunden. Außen. Else steht an einem See und wird von Dorsday angesprochen. Else läuft zum Hotel zurück. Sie trifft Fritzi (Tochter von Cissy) und die Gouvernante. Sie plaudern kurz.
Leise Musik, wird bei Elses Gang die Treppe hinauf lauter.
Walzermusik, Streicher, Klavier und Flöte
S EQUENZPROTOKOLLE
| 327
Sequenz 7 Else liest den Brief ihrer Mutter. Zeit
Dauer Inhalt
0.41.48
1.46 min.
Innen. Elses Zimmer. Eine Karaffe Wasser und ein leeres Glas. Else tritt ein. Else gießt sich Wasser ein. Else lässt das Glas fallen. Else spricht mit sich selbst. Sie tritt an den Spiegel und spricht mit ihrem Spiegelbild. Überblendung zum Fenster, das sich langsam öffnet. Der Blick nach unten zeigt eine tote Else.
0.43.34
49 sec.
VISION VON ELSE Überblendung zum Fenster, das sich langsam öffnet. Der Blick nach unten zeigt eine tote Else, die vor dem Hotel liegt. Alle Gäste kommen angelaufen: Cissy, Tante Emma, Edgar, Herr von Dorsday und andere.
0.44.23
20 sec.
Innen. Elses Hotelzimmer. Sie steht noch immer vor dem Spiegel und redet.
Elses Stimme aus dem Off Nun Fräulein Else, möchten sie sich nicht entschließen, den Brief zu lesen? Ich fange mit dem Schluss an. Anna Brauns Stimme aus dem Off: Sei uns nicht böse mein liebes Kind. Und sei tausendmal gegrüßt. Sie werden sich doch nicht umgebracht haben? Und jetzt zum Anfang. Anna Brauns Stimme aus dem Off: (weiterer Briefinhalt) Wie uns aus San Martino gemeldet wird, hat sich im Hotel Fratazza ein beklagenswerter Unfall ereignet. Fräulein Else Braun, Tochter des bekannten Anwalts... Ach das ist doch lächerlich, das geht nicht. Natürlich wird es heißen, ich hätte mich umgebracht, aus unglücklicher Liebe oder weil ich in der Hoffnung war. Also, ich soll Herrn von Dorsday anpumpen. Ich, die Hochgemute. Tochter des Betrügers, der Mündelgelder veruntreut. Welches Kleid soll ich anziehen Papa, he?
Besonderheiten Die Kamera zeigt nur die Karaffe Wasser (bis TC 0.42.57). Musik, Walzermusik, Streicher, Klavier und Flöte in variierter Form. Musikthema „Vision Else“
Musikthema „Vision Else“, Else ist ganz in Weiß gekleidet
Erst Rückwärtsbewegung, dann Zoom auf Elses Spiegelbild.
328 | V ERFILMTE G EFÜHLE 0.44.43
22 sec.
0.45.05
31 sec.
0.45.36
1.05 min.
0.46.41
51 sec.
VISION VON ELSE Else geht mit einem schwarzen Spitzenkleid die Treppe im Hotel hinunter und begegnet Dorsday. Überblendung auf Else in einem blauen Kleid auf der Treppe. Sie lehnt sich verführerisch ans Treppengeländer. Innen. Elses Hotelzimmer. Sie steht vor dem Spiegel. Else geht zum Schrank, öffnet ihn und nimmt ein Kleid heraus. Sie hält es sich an und stellt sich wieder vor den Spiegel. Es klopft. VISION VON ELSE Elses Hotelzimmer. Die Tür öffnet sich und der junge Mann aus dem Hotelflur tritt ein. Else hat ihr schwarzes Kleid an. Der Mann legt ihr eine Kette um den Hals. Er macht ihr einen Heiratsantrag und küsst sie. Es klopft erneut. Innen. Elses Hotelzimmer. Das Zimmermädchen tritt ein. Else hat sich das schwarze Kleid angezogen. Sie verlässt das Zimmer und grüßt ihr Spiegelbild.
Das Schwarze? Jedenfalls muss ich berückend aussehen, wenn ich mit Dorsday rede. Sag, Papa, oder lieber das Blaue? Seine Augen werden sich in meinen Ausschnitt bohren. Bedeutende Persönlichkeit. Ich hasse ihn. Alle Menschen hasse ich.
Musikthema „Vision Else“ Der Bildausschnitt ist in den Spiegelrahmen von Elses Hotelzimmer montiert. Verschwommenes Kamerabild.
Musikthema „Vision Else“, leise. Überblendung in Elses Spiegelbild. Großaufnahme von Elses Gesicht mit geschlossenen Augen. Musikthema „Vision Else“, Elses atmet
Ich würde so gerne Zoom auf Else mit jemanden sprechen ehe ich wieder hinunter steige unter das Gesindel. Aber mit wem nur? Ich bin ja ganz allein. Ich bin ja so furchtbar allein.
S EQUENZPROTOKOLLE
| 329
Sequenz 8 Else spricht mit Dorsday. Zeit
Dauer Inhalt
Elses Stimme aus dem Off
0.47.32
33 sec.
Warum schauen sie mich so merkwürdig an? Haben sie etwa Mamas Brief gelesen?
Besonderheiten Großaufnahme von Else
0.48.05
17 sec.
0.48.22
3.27 min.
Ah, sie sagt nicht mehr Dinner. Tu dir keinen Zwang an, mein Kleiner. Aber ich gehöre allen.
Walzermusik, Streicher
Innen. Treppe im Hotel. Else kommt herunter. Innen. Empfangshalle des Hotels. Else geht am Portier vorbei. Innen. Salon des Hotels. Viele Leute sitzen an Tischen. Ein Mann spielt Klavier. Else trifft Cissy und Paul. Sie setzen sich. Else raucht eine Zigarette. Sie sieht Dorsday hereinkommen. Else verlässt den Salon und lässt sich ihren Mantel bringen.
330 | V ERFILMTE G EFÜHLE 0.51.49
10.53 min.
Außen. Vor dem Hotel. Else wird von Dorsday angesprochen. Sie erzählt ihm vom Brief und bittet ihn um die 30.000 Gulden. Dorsday nennt seine Bedingung. Er möchte sie 15 Minuten nackt sehen. Nachdem Dorsday weg ist, rennt Else los.
Mein Gott, das schaff’ ich nie. Ich geh’ wieder. Ich würde am liebsten im Erdboden versinken. Er ist ja nett, aber muss er meinen Arm anfassen? Papa, wie kannst du nur so etwas verlangen? Ich muss weitermachen. Jaja, drück die Knie nur an. Du darfst es dir ja erlauben.Ich bring’ mich um, wenn er nein sagt. Warum sagt er ‚liebes Kind‘? Ist das gut oder schlecht? Um Gottes Willen, er will das Geld nicht hergeben. Alles ist verloren. Nein, man darf mir meine Angst nicht ansehen, das darf nicht sein, nicht jetzt. Er überlegt, das sieht man. Das ist nicht auszuhalten. Er muss mir antworten. Ich lasse mich nicht so behandeln. Jetzt sage ich kein Wort mehr. Papa soll sich ruhig umbringen. Er soll nicht weiterreden. Er soll nicht. Warum, warum schlage ich ihn nicht einfach ins Gesicht? Was hält mich zurück? Wie zu einer Sklavin spricht er. Ich spuck’ ihm ins Gesicht. Ich schau’ ihn an. Er glaubt, dass ich ihn anschaue.
Viele Nah- und Großaufnahmen; Streicher in Moll; Elses Thema in Variation dramatisch.
Sequenz 9 Elses Vision. Zeit
Dau er 1.02.42 8 sec.
Inhalt
1.02.50 25 sec.
Außen. Else steht am See auf dem Steg vor dem Hotel. Sie blickt hinein und betrachtet ihr Spiegelbild im See. VISION VON ELSE Abend. Else springt in den See und geht langsam unter. Alle (auch Dorsday) suchen nach Else. Sie haben Laternen in der Hand.
Elses Stimme aus Besonderheiten dem Off Es wäre schön, tot zu sein. Wer wird weinen, wenn ich tot bin? Musikthema „Vision Else“, Die Stimmen klingen weit entfernt.
S EQUENZPROTOKOLLE
1.03.15 42 sec.
Glocken läuten. Musikthema „Vision Else“. Alle Stimmen haben einen Hall, klingen weit entfernt. Else trägt einen Veilchenkranz auf dem Kopf. Viele Nah- und Großaufnahmen.
VISION VON ELSE Außen. Abend. Alle gehen zu Elses Beerdigung. Auch Dorsday mit einer großen Laterne. Er unterhält sich mit Frau Winawer.
VISION VON ELSE Else unter Wasser. Sie ertrinkt. Else schüttelt den Kopf. 1.04.01 1.16 VISION VON ELSE min. Innen. Herr von Dorsday und Frau Winawer erreichen das Totenzimmer, einen Andachtsraum mit vielen Kerzen und einem offenen Sarg, in dem Else liegt. Um den Sarg stehen Elses Eltern, ihr Bruder, Cissy, Dorsday, der schöne junge Mann, Edgar. Dorsday flüstert Elses Vater etwas zu.
| 331
1.03.57 4 sec.
1.05.15 6 sec.
VISION VON ELSE Else unter Wasser. Sie ertrinkt.
Was hat er zu meinem Vater gesagt, dieser Dreckskerl Dorsday? Spricht er mit ihm über die Rückzahlung der 30.000 Gulden? Warum verstehe ich sie nicht? Schrecklich, sie flüstern. Ich versteh’ nichts. Wofür ist es gut zu sterben, wenn ich sie nicht leiden höre?
Musik-Thema von Dorsday
Musik-Thema von Dorsday
Sequenz 10 Else bekommt das Telegramm Zeit 1.05.21
Dauer 1.29 min.
Inhalt Innen. Elses Hotelzimmer. Else liegt in der Badewanne. Es klopft. Sie taucht mit dem Kopf auf. Der Hotelpage Edgar bringt Else ein Telegramm.Else steigt aus der Wanne und liest das Telegramm. Sie tritt vor den Spiegel.
Elses Stimme aus dem Off Alle wollen mich heute nackt sehen. Anna Brauns Stimme aus dem Off: Ich wiederhole flehentliche Bitte. Mit Dorsday reden. Summe nicht 30, sondern 50. Sonst alles vergeblich. Adresse bleibt Fiala.
Besonderheiten Nah- und Großaufnahme Else hat sich in ein blaues Handtuch gewickelt.
332 | V ERFILMTE G EFÜHLE 1.06.50
1.01 min.
1.07.51
5 sec. Innen. Elses Hotelzimmer. Else steht in ein blaues Handtuch gehüllt vorm Spiegel.
1.07.58
1.11 min.
1.09.09
15 sec.
1.09.24
23 sec.
1.09.47
1.04 min.
Musikthema „Vision Else“. Zoom auf den Spiegel, dann Gefängnis. Gittertüren öffnen sich quietschend. Musikthema „Vision Else“, laut. Überblendung, Laute Musik, Else atmet schwer.
VISION VON ELSE Else ist im Gefängnis. Es ist dunkel und überall sind Gitterstäbe. Ein Gefangener (Elses Vater) kommt. Else tritt zu ihm. Das traurige Gesicht ihres Vaters verschmilzt mit ihrem Spiegelbild.
Innen. Abend. Speisesaal des Hotels. Emma, Paul und Cissy wundern sich, wo Else bleibt. Die Stimmung ist locker. Innen. Elses Hotelzimmer. Else geht zum Schrank und holt Kleidungsstücke heraus. Dabei fällt ein Fläschchen zu Boden. Innen. Speisesaal. Emma, Paul und Cissy stehen vom Tisch auf und verlassen den Raum. Innen. Elses Hotelzimmer. Else hebt die Flasche auf. Es ist Veronal. Sie trägt einen schwarzen Mantel. Sie gießt Wasser in ein Glas, geht zum Bett, stellt es auf den Nachttisch. Das Veronal legt sie in die Nachttischschublade. Sie schreibt den Brief.
Sehr geehrter Herr von Dorsday, in dem Augenblick, da Sie diese Zeilen lesen...
Musikthema „Else“, anfänglich nur auf dem Klavier interpretiert, dann mit Streichern, in Moll.
S EQUENZPROTOKOLLE
| 333
Sequenz 11 Else sucht Dorsday. Zeit 1.10.51
Dauer 33 sec.
1.11.24
36 sec.
1.12.00
1.46 min.
1.13.46
2.27 min.
Inhalt Innen. Vor Elses Zimmer. Else tritt auf den Gang. Sie trägt einen schwarzen Mantel und hat einen Brief bei sich. Ihr Haar ist offen. Sie trägt keine Schuhe. Sie schiebt den Brief unter Dorsdays Tür hindurch. Innen. Treppe im Hotel. Else schreitet die Treppe hinunter. Innen. An der Rezeption. Page Edgar spricht Else an. Zwei alte Damen kommen vorbei.
Elses Stimme aus dem Off
Besonderheiten Musikthema ...ist Ihre Bedingung erfüllt. „Else“ in Wenn auch nicht ganz in der von Ihnen vorgesehenen Weise. Moll, Ich vertraue darauf, dass Sie ihr Else sieht aus wie eine Wort halten werden und bitte Sie, 50.000 Gulden per telegra- Heilige, wie die Jungfrau fischem Auftrag an RechtsanMaria . walt Fiala zu schicken.
Musikthema „Else“ in Moll Großaufnahmen
Warum schauen sie mich so an? Ob sie was bemerkt haben? Bin ich verrückt geworden? Ich gehe wieder nach oben und ziehe mein blaues Kleid an und darüber meinen Mantel, da kann niemand glauben, dass ich vorher nackt war. Ich kann nicht zurück. Ich will auch nicht zurück. Sollen sie mich doch anschauen, die alten Weiber. Darüber lach’ ich nur. Wo ist dieser Dorsday? Wenn er dort ist, winke ich ihn mit den Augen her. Guten Abend, Herr von Dorsday, lassen Sie uns in den Park gehen. Ich mach’ den Mantel vor ihm Innen. Gesellauf, und die 50.000 Gulden geschaftsräume des hören mir. Da, Cissy und Paul. Hotels. Else läuft Worüber mögen sie reden? Ihr durch die Räume und sucht Dorsday. Busen ist nicht so schön wie meiner. Sie hat ja auch ein Sie wird von ihrer Tante angesprochen. Kind bekommen. Ich sollte nicht so laut lachen. Das GeElse verhält sich sicht von der Tante ist angstwunderlich und verzerrt. Sie hält mich für ververwirrt. KlaviermuDie Tante geht Paul rückt. sik beginnt Dorsday, ich muss Dorsday holen. finden.
334 | V ERFILMTE G EFÜHLE 1.16.13
1.17.54
1.41 min.
1 min.
Innen. Musikzimmer des Hotels. Dorsday spielt Klavier. Else kommt herein. Sie öffnet den Mantel und fängt an zu lachen. Dann bricht sie zusammen. Sie wird auf eine Bahre gelegt. Innen. Hotel. Else wird mit der Bahre auf ihr Zimmer getragen. Paul, Cissy und Tante Emma sind dabei. Dorsday kommt hinterhergelaufen.
50.000. Adresse bleibt Rechtsanwalt Fiala. Papa ist gerettet. Meine Augen sind geschlossen. Niemand sieht mich. Papa ist gerettet. Hände, Hände unter mir. Pauls Hände.
Die Tür frei machen? Sind denn so viele Menschen da? Hach, wenn die Tante nur endlich still wär’! Was ist denn los mit Cissy, warum lacht sie wie eine Idiotin?
Die Musik verstummt, alles verstummt. Nur Else lacht kurz auf. Elses Gesicht in Großaufnahme. Getragene Musik. Die Stimmen der Anderen klingen wie gedämpft. Perspektive von unten.
Sequenz 12 Else trinkt das Veronal und stirbt/schläft ein. Zeit 1.18.54
Dauer 6.47 sec.
Inhalt (Ort, Personen, Handlung) Innen. Elses Hotelzimmer. Paul, Tante Emma und Cissy sind auch da. Else wird in ihr Bett gelegt. Tante Emma geht. Es klopft. Paul geht an die Tür. Im Spiegel sieht man Tante Emma. Die Tante geht zu Bett. Paul und Cissy bleiben. Cissy will Paul küssen. Paul wehrt ab. Es klopft. Dorsday steht vor der Tür. Er möchte auf dem Laufenden gehalten werden. Dorsday und Paul verlassen den Raum. Dorsday geht.
Elses Stimme aus dem Off Aber natürlich hör’ ich dich, Paul. Ich hör’ alles. Du, sie sagt ihm du! Hab’ ich euch erwischt. Hab ich euch Schwindelbande. Wer kommt denn noch? Schon wieder Tante Emma. Elendes Frauenzimmer. Ich liege hier ohnmächtig, und sie macht Späße. Sie begleiten die Tante zur Tür. Jetzt sieht mich niemand. Auf dem Nachttisch steht das Glas mit dem Veronal. Ich werde die ganze Flasche trinken, und alles ist vorbei. Sie bleiben, wieso bleiben sie? Schämt ihr euch nicht? Dorsday. Er ist es. Wagt er es wirklich? Ich höre sie flüstern vor der Tür. Das Geld, hat er das Geld geschickt? Geforderter Betrag nicht 30, sondern 50.000 Gulden. Adresse unverändert. Hat er den Umschlag unter seiner Tür gefunden? Hat er Rechtsanwalt Fiala telegrafiert?
S EQUENZPROTOKOLLE
1.25.41
1.25.45 1.26.19
Cissy schaut sich im Spiegel an, dann geht sie zu Elses Bett. Sie spricht zu Else, dann geht sie hinaus zu Paul. Else öffnet die Augen, greift zum Veronal und gießt es in das Wasserglas. Dann trinkt sie alles. Beim Abstellen des Glases fällt dieses herunter. Cissy und Paul kommen hinzu. Cissy verlässt beleidigt das Zimmer. 4 sec. Außen. Vor dem Hotel. Eine Kutsche kommt an. 34 Innen. Hotelhalle. Elsec. ses Vater kommt an. 1.41 Innen. Treppenhaus min. des Hotels. Elses Vater trifft auf Dorsday. Dorsday streitet ab, dass Else mit ihm über das Geld gesprochen hat.
| 335
Was macht sie denn vor dem Spiegel. Das ist mein Spiegel. Was will sie denn. Will sie mir mein Spiegelbild stehlen? Sie sieht zu mir her. Warum kommt sie näher? Was wollen sie an meinem Bett, Cissy? Warum beugen sie sich über mich? Wollen sie mich erwürgen? Ich kann mich nicht rühren. Hilfe, hilfe, hilfe! Ich schreie, aber niemand hört mich. Ja ich höre, jaja ich höre. Aber sie hört mein ‚Ja‘ nicht. Ich kann meine Lippen nicht bewegen und darum hört sie mich nicht. Gehen sie fort Cissy, ich möchte mein Veronal trinken. Hauen sie schon ab. Wie scharfsinnig mein lieber Paul.
336 | V ERFILMTE G EFÜHLE Zeit 1.28.00
Dauer 3.17 min.
Inhalt
Elses Stimme aus dem Off
Innen. Elses Hotelzimmer. Elses Vater kommt herein. Er setzt sich zu Paul an Elses Bett.
Papa, du bist doch gekommen. Ich hatte dich früher erwartet, aber du bist doch noch gekommen. Wie neu geboren. Wie er das sagt. Paul merkt gar nicht, wie ich sterbe. Und mein Vater weint um mich. Fräulein Else, sie sind ein über alles geliebtes Mädchen. Manchmal verlassen, zu Unmöglichem gezwungen, aber geliebt. Daran besteht kein Zweifel. Papa, rette mich, ich beschwöre dich! Paul sieht nicht, dass ich sterbe! Lass mich nicht sterben, Papa. Es ist noch nicht zu spät. Aber bald werde ich einschlafen und ihr werdet nichts merken. Rette mich, Papa! Es ist nicht deine Schuld, es ist Dorsday. Ich habe Veronal genommen. Das läuft mir über die Beine, rechts und links, wie Ameisen. Ich fühle mich ganz leicht. Es ist der Moment gekommen, über die Berge zu fliegen. Nein, Papa, bleib’ bei mir! Allein hab ich Angst. Ich werde lieber fliegen. Ich hab ja gewusst, dass ich fliegen kann. Was ist denn das? Ein ganzer Chor? Und was ist das für ein Gesang? Alle singen mit. Die Wälder auch, die Berge und die Sterne. Gib mir die Hand, Papa. Gib mir die Hand. Wir schweben zu den Wolken. Hach, so schön ist die Welt, wenn man fliegen kann.
Herr Braun nimmt Else in den Arm.
Elses lebloses Gesicht in Großaufnahme.
1.31.17- 33 1.31.50 sec.
Überblendung zu hellen Bergen. Ein Flug über den Wolken. Abspann.
Besonderheiten Streicher, getragen
Musik wird dramatischer
Leise Chormusik Das Bild wird immer weißer
Chorgesang
S EQUENZPROTOKOLLE
| 337
Traumnovelle (Ö 1969) Vorspann Zeit
Dauer
0.00
16 sec.
Inhalt (Ort, Personen, Handlung)
Zwischentitel Es fliehen ineinander Traum und Wachen, Wahrheit und Lüge. Sicherheit ist nirgends. Schnitzler „Paracelsus“
Besonderheiten Märchenhafte Xylophonmusik
Schwarzblende
Sequenz 1 Abend. Wien. Wohnzimmer der Familie. Das Gespräch zwischen Fridolin und Albertine. Zeit 0.00.16
Dauer Inhalt (Ort, Personen, Handlung) 11.40mi 21.00 Uhr. Tochter Elsbeth liest das n Märchen von Prinz Amgiad vor. Albertine sitzt daneben, Fridolin im Hintergrund. Die Kinderfrau kommt und holt das Kind. Fridolin und Albertine unterhalten sich über das Fest vom Vorabend. Albertine erzählt vom Sommerurlaub in Dänemark, vom Offizier. Auch Fridolin erzählt vom nackten Mädchen am Strand. Sie erzählt von der Zeit vor der Verlobung. Fridolin wird zum Hofrat gerufen.
Besonderheiten Xylophongeräusche, Harfe, märchenhafte, leicht atonale Musik. Fridolin trägt einen grünen Hausmantel. Nahaufnahme Albertine; Nahaufnahme Fridolin. Märchenhafte Musik; Gesichter in Großaufnahme Zoom auf Albertine Zoom auf Fridolin
Sequenz 2 Abend. Wien. Fridolin und Marianne Zeit
Dauer Inhalt
0.11.56 35 sec.
0.12.31 7 sec.
0.12.38 9 sec.
Fridolin verlässt das Haus. Es ist Fasching, Konfetti wird geworfen. Fridolin läuft zum Hofrat. Innen. Fridolin im dunklen Treppenhaus beim Hofrat. Er eilt die Treppe hoch. Die Wohnungstür steht offen. Innen. Wohnung des Hofrats. Fridolin betritt den Korridor.
Fridolins Stimme aus dem Off
Besonderheiten
Aus der offenen Wohnung dringt grünes Licht. Die Wände im Korridor sind grün gestrichen.
338 | V ERFILMTE G EFÜHLE 0.12.47 5.14 min.
Innen. Schlafzimmer Hofrat. Marianne sagt gar nichts. Fridolin stellt den Tod des Hofrats fest. Er wäscht sich die Hände. Sie unterhalten sich. Fridolin öffnet das Fenster und stellt fest, dass es draußen fast warm geworden ist. Marianne fängt an zu weinen und wirft sich Fridolin zu Füßen und will nicht, dass er geht. Er küsst sie auf die Stirn. Es klingelt an der Tür.
0.18.01 5 sec.
Innen. Korridor beim Hofrat. Fridolin lässt Dr. Roediger hinein. Innen. Schlafzimmer des Toten. Marianne steht wie versteinert da. Innen. Korridor beim Hofrat. Dr. Roediger hängt seinen Mantel auf. Innen. Nebenzimmer des Schlafraums. Fridolin läuft kurz herum, und setzt sich dann an den Schreibtisch und füllt den Totenschein aus.
0.18.06 2 sec.
0.18.08 12 sec. 0.18.20 28 sec.
0.18.48 10 sec.
Einblendung des Totenscheins. Datum: 1. März 1910.
Wenn, wenn nur jemand käme. Dr. Roediger, Historiker glaube ich. Sicher liebt sie ihn nicht, ist auch nicht seine Geliebte. Sie würde besser ausschauen, froher. Sie ist mager geworden. Sie hat Sorgen. Spitzenkatarrh vermutlich. Was das für eine Ehe wird? Wie tausend andere halt. Geld hat er sicher auch nicht viel. Aber Wissenschaftler, Akademiker immerhin. Ich hab’ die behagliche Existenz vorgezogen. Spital und Privatpraxis. Vielleicht hat er ja doch den besseren Teil.
Grüne Deckenlampe, Grünliche Wände. Großaufnahme von Marianne und Fridolin. Märchenhafte Musik. Die Stimme von Marianne wird fast ausgeblendet und von der Stimme aus dem Off überlagert.
Sie will in meiner Nähe leben. Und er? Tut so als merkt er nichts. Alle gleich die Frauen. Der Däne, der mit der gelben Tasche. Albertine will wahrscheinlich auch in seiner Nähe leben. Immer einer in der Nähe des anderen. Und nach ein paar Jahren alle unter braunen Flanelldecke wie der Hofrat jetzt. Hofrat im Ruhestand. Naja, 15 Jahre krank. Der würde sich wundern.
Märchenhafte Musik Fridolin schaut sich das Bild eines Offiziers an (und denkt an den Dänen).
S EQUENZPROTOKOLLE
0.18.58 19 sec.
Fridolin sitzt am Schreibtisch und füllt den Totenschein aus. Es klingelt.
0.19.17 4 sec.
Innen. Korridor des Hofrats. Dr. Roediger öffnet die Tür. Innen. Schlafzimmer des Toten. Fridolin übergibt den Totenschein. Marianne sagt: „Ich liebe dich.“ Innen. Korridor des Hofrats. Fridolin verlässt die Wohnung.
0.19.21 10 sec.
0.19.31 8 sec.
Vielleicht hört er sie noch. Es ist ja möglich. Vielleicht ist man die ersten Stunden nur scheintot.
| 339
Märchenhafte Musik. Schwenk und Zoom auf Marianne und Roediger.
Sequenz 3 Nacht. Fridolin ist in Wien zu Fuß unterwegs. Er begegnet den Couleurstudenten. Zeit
Dauer Inhalt
0.19.39 24 sec.
0.20.03 54 sec.
Fridolins Stimme aus dem Off Außen. Fridolin verlässt Ganz schön gespensterhaft und unwirklich da oben. Sie das Haus und tritt auf liebt mich. Ich werde sie nie die Straße. Er blickt noch einmal zum Fens- wiedersehen. Andere sind ter von Marianne hoch. mir näher gestanden und ich habe sie auch nie wiedergesehen. Außen. Fridolin geht durch den Park. Er sieht einen Bettler auf der Bank liegen. Fridolin kommt eine Gruppe junger Studenten entgegen. Er wird angerempelt. Fridolin läuft weiter. Er gelangt an einen See und schaut auf die schwarze Wasserfläche.
Wer kann wem helfen? Komm nur, Alemanne! Ich müsste mich mit ihm schlagen, sofort. Feig’? Bin ich feig’? Familienvater. Ich könnte ja auch auf dem Weg zu einem Patienten sein. Ansteckungsgefahr genug. Ich bin nicht feig’. Wenn’s der mit der gelben Tasche gewesen wäre, mit dem...
Besonderheiten Grün leuchtendes Fenster, märchenhafte Musik. Fridolin öffnet seinen Mantel Musik
340 | V ERFILMTE G EFÜHLE
Sequenz 4 Nacht. Wien. Fridolin und Mizzi. Zeit
Dauer
Inhalt
0.20.57
41 sec.
0.21.38
24 sec.
0.22.02
2.17 min.
0.24.15
49 sec.
Außen. Fridolin geht einen Fußweg entlang. Er wird von Mizzi angesprochen. Auf der Straße stehen noch weitere Prostituierte. Fridolin geht mit Mizzi in ein Haus. Innen. Treppenhaus. Mizzi zündet eine Kerze Sie gehen die Treppe hinauf. Innen. Mizzis Zimmer. Sie zieht sich aus und will ihn küssen. Fridolin weicht zurück. Er will sie trotzdem bezahlen, sie lehnt das Geld ab. Außen. Haustür von Mizzi. Sie verabschieden sich. Fridolin tritt auf die Straße.
Fridolins Stimme aus dem Off ... Albertine. Ist ja doch als wenn sie seine Geliebte gewesen wäre. Ärger. Dem würde ich gern auf die blonde Stirn mit der Pistole zielen. Was ist das für ein Weg den ich gehe? Wo bin ich denn? Längst über meine Gasse hinaus? Bin ich verrückt? Seit meiner Gymnasialzeit bin ich mit keiner...
Besonderheiten Mizzi trägt einen auffälligen roten Hut.
Märchenhafttraumartige Musik Märchenhafttraumartige Musik; rote Tischlampe; rot-geblümter Morgenmantel, schwarze Stola.
Ich will ihr morgen POV Wein und was zum Na- Zoom auf Fridoschen schicken. Wohin? lin Noch eine Nacht nicht schlafen? Ich hab’ kein Zuhause. Ausgestoßen. Seit dem widerlichen Studenten, Mariannes Geständnis? Seit dem Gespräch mit Albertine? Seit dem Dänen. Weiterfahrt in eine andere, fremde, ferne Welt.
S EQUENZPROTOKOLLE
| 341
Sequenz 5 Nacht. Wien. Fridolin und Nachtigall in einem Kaffeehaus. Zeit
Dauer
Inhalt
Fridolins Stimme aus dem Off
0.25.04
7.32 min.
0.32.36
21 sec.
Nacht. Innen. Kaffeehaus. Fridolin setzt sich an einen Tisch und schließt die Augen. Als er die Augen wieder öffnet, erkennt er Nachtigall. Die Uhr im Hintergrund zeigt 0.45 Uhr. Nachtigall erzählt von geheimen Auftritten bei einem Ball. Fridolin möchte unbedingt auch dort hin. Er verabredet sich mit Nachtigall und verlässt das Kaffeehaus. Wie eine TrauNacht. Außen. Die Kutsche vor dem Kaffeehaus. Fridolin erkutsche. Bin ich verrückt? läuft daran vorbei.
Besonderheiten
Grüne Vorhänge. Zoom auf Fridolin, der die Augen geschlossen hat. Großaufnahmen. Alle Geräusche verschwinden, es ist völlig ruhig. Märchenhaftes Musikgeräusch, POV-Fahrt.
Sequenz 6 Nacht. Wien. Maskenleihanstalt Gibiser. Zeit 0.32.57
Dauer 35 sec.
0.33.32
16 sec.
0.33.48
2.51 min.
Inhalt
Besonderheiten
Nacht. Außen. Fridolin vor der Maskenleihanstalt. Er öffnet das Tor und klopft an die Tür. Der Hausmeister mit einer Kerze in der Hand öffnet. Innen. Treppenhaus des Kostümverleihers. Fridolin und der Hausmeister gehen die Treppe hinauf. Herr Gibiser öffnet die Tür, Fridolin tritt ein. Innen. Kostümverleih. Gibiser und Fridolin gehen eine dunkle Treppe hinauf und betreten den Kostümraum, in dem prächtige bunte Kostüme hängen. Im Hintergrund sind Geräusche. Gibiser schaltet das Licht an. Man sieht Pierette mit zwei Femrichtern. Pierrette läuft auf Fridolin zu, die Femrichter gehen. Gibiser gibt Fridolin den schwarzen Mantel. Er geht.
Das Tor des Hauses ist rot.
Dunkles Treppenhaus. Voyeuristisches Auge durch den Spion. Gibiser trägt eine türkische Mütze mit Troddel. Dunkle Räume. Zoom auf Fridolin und Gibiser. Helles Licht. Märchenhafte, klingelnde Musik (Querflöte und Harfe). Großaufnahme und Zoom auf Fridolins Gesicht. Laute, klingelnde Musik.
342 | V ERFILMTE G EFÜHLE
Sequenz 7 Nacht. Wien. Fridolin auf dem Weg zur geheimen Gesellschaft. Zeit 0.36.40
Dauer 45 sec.
0.37.25
12 sec.
0.37.37
41 sec.
Inhalt Außen. Vor einer Kneipe. Nachtigall verrät Fridolin die Parole für die geheime Gesellschaft. Nebenan steht die Trauerkutsche. Außen. Straßen von Wien. Fridolins Kutsche folgt der Trauerkutsche. Innen. Fridolins Kutsche.
Fridolin setzt seine Maske auf.
0.38.18 0.38.28
0.39.03
10 sec. 35 sec.
24 sec.
Fridolins Stimme aus dem Off
Ich hätte von der Kleinen nicht weggehen dürfen. Visite. Diagnose. Gehen, gehen und dann die braune Flanelldecke. Unnatürlich diese Fönnacht. Als ob der Frühling käme. Ist der Wagen noch vor uns? Vielleicht verlieren wir die Spur. Nein. Auch schon hinter uns Frauenzimmer. Die Larve. Niemand darf mich... Dänemark.
Außen. Fridolins Kutsche biegt um eine Ecke. Kann auch übel ausgeInnen. Fridolins Kutsche. Der maskierte Fridolin denkt hen. Wenn ich gar nicht aussteige, gleich zunach. rückfahr’? Zurück? Wohin? Zu wem? Zu der kleinen Pierrette? Zu der Dirne in der…? Zu Marianne? Keinesfalls nach Hause. Dorthin ist es am weitesten. Albertine. Warum? Nein, ich kann nicht zurück. Weiter meinen Weg, weiter. Und wär’s mein Tod. Außen. Vor der Kutsche. Fridolin steigt aus. Er bittet den Kutscher, auf ihn zu warten. Fridolin geht durch das offene Tor auf ein Haus zu.
Besonderheiten Märchenhafte Musik. Parole „Dänemark“.
POV, Fridolins Blick aus der Kutsche.
Großaufnahme POV vom Kutscheninneren Insgesamt sehr dunkel.
S EQUENZPROTOKOLLE
| 343
Sequenz 8 Nacht. Wien. Fridolin bei dem geheimen Maskenball. Zeit 0.39.27
Dauer 29 sec.
0.39.56
11 sec.
0.40.07
3.35 min.
0.43.28
29 sec.
0.43.57
0.43.59
Inhalt Außen. Fridolin vor dem Haus. Die Tür wird. geöffnet, er sagt die Parole. Fridolin geht eine steile Treppe hinauf. Innen. Zwei Diener öffnen Fridolin die Tür zum Ballsaal. Darin viele maskierte Männer und Frauen. Innen. Saal. Die Maskierten sehen aus wie Mönche und Nonnen, eine sieht aus wie Pierrette, eine wie Albertine. Sie sagt: „Wunderst du dich?“ Dann ein weiblicher Gesang. Fridolin wird von einer Frau gewarnt. Die Nonnen entkleiden sich, die Mönche werfen ihre Kutten ab. Darunter tragen sie bunte Kostüme. Die Gesellschaft begibt sich in einen anderen Raum. Fridolin bleibt zurück.
Innen. Tanzsaal. Nachtigall spielt mit verbundenen Augen Klavier. Viele Paare tanzen. Die Frauen sind nackt. 2 sec. Innen. Saal. Fridolin, noch immer allein, schließt kurz die Augen. 8 sec. Innen. Tanzsaal. Viele Paare tanzen im Kreis. Die Frauen sind nackt.
Fridolins Stimme aus dem Off
Besonderheiten Orgelmusik von innen. Die Tür ist grün. Orgelmusik
Orgelmusik; Violette Mäntel; Sakraler Gesang. Die Warnerin trägt ein grünes Kostüm. Die Musik wird lauter, intensiver. Großaufnahmen. Schwungvolle Klaviermusik. Klaviermusik, kurze Schnitte Die Musik wirkt hysterisch. Die Musik wirkt hysterisch..
344 | V ERFILMTE G EFÜHLE 0.44.07
0.48.07
0.48.10
4.14 min.
Innen. Saal. Fridolin, noch immer allein, öffnet die Augen. Bunt Verkleidete schauen aus dem Tanzsaal zu Fridolin hinüber. Eine Frau geht auf Fridolin zu und bittet ihn zum Tanz. Fridolin erinnert sich an die fremde Warnerin und will sie suchen. Ein Diener öffnet die Ausgangstür. Die letzte Chance für Fridolin, den Ball zu verlassen. Fridolin wird erneut nach der Parole gefragt, nach der Parole des Hauses. Ein Maskierter gibt ein Zeichen und das Klavierspiel verstummt. Die anderen Männer kommen hinzu.
Fridolin soll die Maske absetzen. Er will nicht. Die maskierte Warnerin kommt hinzu und setzt sich für Fridolin ein. Sie nimmt ihre Strafe an und demaskiert sich. Fridolin wird von den bunten Kavalieren aus dem Saal gedrängt und die Treppe hinuntergejagt. 3 sec. Innen. Fridolin rennt eine Treppe hinunter. Die bunt Verkleideten stehen oben am Treppenabsatz. 7 sec. Außen. Vor dem Haus des geheimen Balls. Fridolin rennt weg. In der Hand trägt er seinen Mantel. Vor dem Tor bricht er zusammen. Das Tor fällt zu.
Wer sind diese Leute? Jedenfalls keine Verbrecher. Aristokraten? Dirnen? Es soll ja sogar bei... Sie, wo ist sie? Gehen? Ich kann nicht. Ich muss sie haben. Ich kann ohne sie nicht leben. Vielleicht alles eine Probe, eine Mutprobe? Die letzte Gelegenheit zu gehen. Nein, ich gehe nicht. Es kann nicht mehr auf dem Spiel stehen als mein Leben, und das bist du mir wert. Warum sein Leben immer für die Pflicht auf’s Spiel setzen? Warum es nicht opfern für die Leidenschaft. Einfach mit dem Schicksal sich messen. Das wäre im Stil dieser Nacht. So muss ich schließen, nach all den wüsten, abgebrochenen Abenteuern. Ich nehme den Kampf auf, ich stelle mich. Einmal nicht versagen.
Die Musik wird leiser, klingt wie entfernt.
Musik klingt entfernt, traumhaft.
Schwungvolle Klaviermusik, traumhaft verzerrt.
Die Stimme des Fragers ist mit Hall unterlegt und klingt so sehr bedrohlich.
Schnelle Rückwärtsfahrt der Kamera. Die schwungvolle Klaviermusik setzt wieder ein. Dramatische Musik
Dramatische Musik
S EQUENZPROTOKOLLE
| 345
Sequenz 9 Nacht. Fridolin auf dem Nachhauseweg. Zeit 0.48.17
Dauer 21 sec.
Inhalt Außen. Auf der Straße. Fridolin steht auf. Er wird aufgefordert, einzusteigen. Die Kutsche fährt los. Innen. Fridolin in der Kutsche. Die Fenster sind schwarz verklebt. Die Türen kann man von innen nicht öffnen. Fridolin versucht, die Kutsche zu verlassen. Fridolin nimmt seine Maske ab. Die Kutsche bleibt stehen. Beide Türen öffnen sich.
0.48.38
59 sec.
0.49.37
5 sec. Außen. Die Kutsche bleibt stehen und die Türen öffnen sich. 3 sec. Innen. Fridolin in der Kutsche. 27 Außen. Fridolin klettert sec. aus der Kutsche. Es ist dunkel. Die Kutsche rollt weiter. Fridolin steht allein da.
0.49.42 0.49.45
Fridolins Stimme aus dem BesonderheiOff ten
Wer ist sie? Eine Dirne? Sie kennt die Gebräuche dort. Was sollte sie sonst? Sie ist keine. Vergiss nicht. Warum in der Trauerkutsche? Es ist doch noch nicht zu Ende. Ich will heraus! Vielleicht wiederfinden am anderen Ort. Diese herrliche Frau. Es ist nicht zu Ende. Wohin führen die mich? Keine Komödie spielen, nie mehr. Ich will ich selber sein. Albertine! Albertine! Nicht mehr weiter! Stehen bleiben!
Lautes Knarren; Wackelnde Kamera; Großaufnahme Hände; Detailaufnahme Fridolins Gesicht; POV auf die verklebten Fenster.
Tonüberblendung zu Albertines unruhigem Schlaf/ihrem Stöhnen.
Sequenz 10 Nacht. Albertines Traum. Nach 4.00 Uhr. Zeit 0.50.12
Dau Inhalt er 3.59 Innen. Schlafzimmer. Albertine scheint min. schlecht zu träumen. Fridolin kommt hinzu. Er hat bereits seinen Schlafanzug an. Er weckt Albertine. Sie erzählt ihren Traum. Danach legen sich beide nebeneinander. Fridolin sagt, sie solle jetzt schlafen. Albertine bittet um Verzeihung.
Besonderheiten Weiße Bettwäsche, weißes Nachthemd. Großaufnahmen der Gesichter. Zoom auf das Paar. Großaufnahme Fridolins Gesicht.
346 | V ERFILMTE G EFÜHLE
Sequenz 11 Der nächste Tag. Fridolin auf der Suche nach Nachtigall. Zeit
Dau er 0.54.11 13 sec.
0.54.24 13 sec.
Inhalt Innen. Fridolin geht in der Poliklinik eine Treppe hinauf. Er spricht kurz mit einem anderen Arzt. Innen. Behandlungsraum. Fridolin untersucht einen Patienten.
0.54.37 1.20 Innen. Kaffeehaus. Fridolin min. erkundigt sich nach der Adresse von Nachtigall. 0.54.57 11 Innen. Fridolin in der Klinik sec. (Patientensaal), im Gespräch mit einer Krankenschwester. 0.55.08 17 Innen. Hotel ‚drei Mohren‘ sec. in der Leopoldstadt. Fridolin befragt den Portier. Nachtigall ist bereits abgereist. 0.55.25 36se Innen. Wohnung. Fridolin c. ruft an. 0.56.01 22 Innen. Krankenhaus. sec. Fridolin macht Visite.
Fridolins Stimme aus Besonderheiten dem Off Treppe. Fridolin im schwarzen Mantel mit roter Arzttasche. Vorgestern. Und ges- Fridolin trägt einen weißen Kittern? Heute Nacht? tel. Albertine, es kann nie wieder gut werden. Es muss alles zu Ende gebracht werden. Fridolin trägt einen schwarzen Mantel. Fridolin trägt einen weißen Kittel. Fridolin im schwarzen Mantel. Leichte Heranfahrt. Albertine im weißen Kleid. So vergnügt als wär’ Fridolin trägt einen weißen Kitnie etwas gewesen. tel. Kein Traum, kein Däne, nicht gekreuzigt. Ich muss diese Abenteuer vollenden. Durchführen, Aufklären, Betrügen, mich rächen. Dann erst vielleicht finde ich sie wieder.
Sequenz 12 Fridolin bei Gibiser Zeit
Dau Inhalt er 0.56.23 1.05 Innen. Fridolin stellt Gibiser wegen seiner Tochter min. zur Rede. Gibiser streitet alles ab Die Tür öffnet sich, und ein Herr kommt herein (ein Femrichter des Vorabends). Im Nebenraum steht Pierrette im Kostüm und mit einer Puppe auf dem Arm.
Besonderheiten Fridolin im schwarzen Mantel. Märchenhafte Musik (Xylophon, Querflöte)
S EQUENZPROTOKOLLE
| 347
Sequenz 13 Tag. Fridolin vor der Villa der geheimen Gesellschaft. Zeit
Dau er 0.57.28 4 sec.
Inhalt
0.57.32 24 sec.
Außen. Fridolin steht am Tor der Villa. Es kommt ein Diener mit einem Brief für ihn. Im Vorgarten steht ein Kinderwagen. Der stumme Diener übergibt Fridolin einen Brief.
0.57.56 9 sec.
Einblendung des Briefes: Geben sie ihre Nachforschungen auf die völlig nutzlos sind, und betrachten Sie diese Worte als zweite Warnung. Wir hoffen in Ihrem Interesse, daß keine weitere nötig sein wird. Außen. Fridolin steht noch immer am Tor der Villa. Er steckt den Brief ein.
0.58.05 14 sec.
Innen. Poliklinik. Fridolin bei der Visite
Fridolins Stimme aus dem Off Man wird doch in jedem Falle Auskunft geben. Es muss geklärt werden. Vielleicht gehört ja das Haus sogar ihr, die sich für mich geopfert hat. Ein Kind? Bürgerliches Doppelleben? Was bedeutet das? Von ihr, für mich?
Zweite Warnung?
Nicht letzte? Noch eine Prüfung? Sie lebt jedenfalls. Wieso? Doch. Es liegt an mir, sie zu finden. Sicher, sie lebt.
Besonderheiten Fridolin trägt einen weißen Kittel. Dunkel. Fridolin im schwarzen Mantel. Grüner Efeu. Traumartige Musik (Geigen, Xylophon, Harmonium). Gruseligtraumartige Musik (Geigen, Xylophon, Harmonium).
Gruseligtraumartige Musik (Geigen, Xylophon, Harmonium).
Sequenz 14 Abend. Fridolin bei Marianne. Zeit
Dau er 0.58.19 38 sec.
0.58.57 23 sec. 0.59.20 6 sec. 0.59.26 2.13 min.
Inhalt (Ort, Personen, Handlung)
Besonderheiten
Innen. Klinik, Garderobe. Fridolin zieht sich seinen Arztkittel aus und seinen schwarzen Mantel an. Er bittet seinen Kollegen, nach der Ordination seine Abendvisite zu übernehmen. Außen. Straße. Vor dem Haus von Marianne. Fridolin trifft auf Dr. Roediger. Innen. Marianne öffnet die Wohnungstür. Innen. Wohnung von Marianne. Fridolin kommt herein. Beide unterhalten sich. Fridolin gratuliert zur bevorstehenden Hochzeit. Sie ist stumm. Fridolin geht.
Weißer Kittel, schwarzer Mantel.
Marianne trägt ein schwarzes Kleid. Großaufnahmen der Gesichter. Lautes Ticken einer Uhr.
348 | V ERFILMTE G EFÜHLE
Sequenz 15 Fridolin auf der Suche nach Mizzi. Zeit
Dau er 1.01.39 39 sec.
Inhalt (Ort, Personen, Handlung)
Besonderheiten
Innen. Vor der Wohnungstür von Mizzi. Eine ältere Dame öffnet. Es kommt die Mitbewohnerin von Mizzi hinzu. Sie teilt Fridolin mit, dass Mizzi im Spital ist. Fridolin übergibt der Mitbewohnerin zwei Päckchen. Dann schließt sie die Tür.
Sie trägt einen roten Bademantel.
Sequenz 16 Abends. Fridolin in einem Kaffeehaus. Zeit
Dau er 1.02.18 12 sec.
1.02.30 24 sec.
1.02.54 9 sec. 1.03.03 7 sec.
Inhalt
Fridolins Stimme aus dem Off
Innen. Telefonzelle. Fridolin ruft zu Hause an und lässt ausrichten, dass er nicht zum Abendessen kommen wird. Innen. Billardraum. Fridolin setzt sich an einen Tisch und blättert die Zeitung durch. Einblendung Zeitungsartikel:„Selbstmordversuch in einem Wiener Stadthotel“ Innen. Billardraum. Frido- Für mich. Und ich lin liest Zeitung. wollte doch für sie… Aber sie kann doch, sie ist doch längst...
Besonderheiten
Grüne Billardtische.
Großaufnahme Fridolins Gesicht
Sequenz 17 Fridolin auf der Suche nach der maskierten Warnerin. Zeit
Dau er 1.03.10 31 sec.
1.03.41 18 sec.
Inhalt Innen. Rezeption Stadthotel. Fridolin erkundigt sich, wie die Baronin gefunden wurde und was mit den zwei Herren ist. Innen Krankenhaus. Hier erfährt Fridolin, dass die Baronin gestorben ist.
Fridolins Stimme aus dem Off …gerettet worden. Wenn man ganz rasch…
Besonderheiten
S EQUENZPROTOKOLLE
1.03.59 25 sec.
1.04.24 10 sec. 1.05.34 15 sec.
1.05.49 1.32 min.
1.07.21 48 sec.
1.08.09 10 sec.
Außen. Fridolin vor dem Krankenhaus. Eine Krankenschwester kommt hinzu. Innen. Pathologisches Institut. Laborraum. Fridolin bei Dr. Adler. Innen. Pathologisches Institut. Treppenhaus. Fridolin und Dr. Adler gehen die Treppe hinunter. Innen. Leichenhalle. Viele Tote liegen hier. Fridolin findet eine rothaarige Tote, von der er meint, es sei die Warnerin. Er streichelt sie und verschränkt seine Hände in ihren Händen. Innen. Laborraum. Fridolin desinfiziert sich die Hände. Dr. Adler zeigt Fridolin eine neue Färbungsmethode am Mikroskop. Außen. Fridolin verlässt das Pathologische Institut.
| 349
Die Krankenschwester ist eine Nonne. Grüne Lampe
Steile Treppe, grünes Licht scheint durch die Fenster.
Fridolin sieht ein farbenprächtiges Bild durchs Mikroskop.
Sequenz 18 Nacht. Fridolin will nach Hause. Gespräch mit Albertine. Zeit
Dau er 1.08.19 18 sec. 1.08.37 2.57 min.
Inhalt
Besonderheiten
Außen. Fridolin steigt in eine Kutsche und will „nach Haus“. Innen. Schlafzimmer von Fridolin und Albertine. Auf dem Bett liegt Fridolins Maske. Fridolin kommt hinzu und betrachtet diese. Er sinkt auf das Bett und weint. Albertine kommt hinzu. Fridolin erzählt seine Erlebnisse des Vorabends.
Bild vom Anfang des Films wiederholt sich: diesmal ist Fridolin der Bittende.
Inhalt
Besonderheiten
Einblendung: Traumnovelle nach Arthur Schnitzler. Abspann mit Nennung von Buch, Musik, Schauspielern, Ton, Regieassistenz, Fertigung, Masken, Schnitt, Kostüme, Bauten, Kamera, Produktionsleitung, Aufnahmeleitung, Produktion, Regie.
Musik
Abspann Zeit
Dau
er 1.11.34 1.32 bis min. 1.13.06
350 | V ERFILMTE G EFÜHLE
Eyes Wide Shut (GB/USA 1999) Vorspann Zeit
Dau er 0.00.18 18 sec.
Inhalt
Musik
Warner Bros. präsentiert: Tom Cruise, Nicole Kidman, A film by Stanley Kubrick
Dimitri Shostakovich: „Walz 2 from Jazz Suite“
0.00.33 8 sec.
Nicole Kidman entkleidet sich in ihrem Schlafzimmer
0.00.41 6 sec.
Schwarzblende EyesWide Shut
Besonderheiten
Rote Vorhänge, schwarzes Kleid
Sequenz 1 Bill und Alices Apartment (Vorbereitungen für die Party). Abend. Zeit
Dau er 0.00.47 5 sec.
0.00.52 58 sec.
0.01.50 44 sec.
Inhalt
Musik
Dimitri Shostakovich: „Walz 2 from Jazz Suite“ Dimitri Innen, Ankleideraum, Schlafzimmer und Bad, Bill Shostakovich: und Alice bereiten sich zum „Walz 2 from Jazz Suite“, Ausgehen vor Bill macht die Musik aus. Korridor, Bill, Alice, Roz (das Kindermädchen) und Helena.
Besonderheiten
Außen, Apartmenthaus, New York, Nacht.
Blaue Handtücher, rote Gardinen, von außen scheint blaues Licht durch die Fenster
Rotes Sofa; Weihnachtsbaum; Helena trägt ein weißes Engelskostüm.
Sequenz 2 Die Party in Zieglers Villa. Abend. Zeit
Dau er 0.02.34 5 sec.
Inhalt
Außen, Straßenverkehr, ein großes Stadthaus in New York 0.02.39 39 Korridor bei den Zieglers, sec. Bill und Alice, man begrüßt sich. 0.03.18 1.31 Ballsaal, Bill und Alice tanmin. zen, eine Band spielt, Nightingale sitzt am Klavier.
Musik
Besonderheiten
Die Band spielt „I’m in the mood for Love“. Die Band spielt „I’m Weihnachtsbaum in the mood for Love“. Die Band spielt „I’m Weihnachtsbaum in the mood for Love“.
S EQUENZPROTOKOLLE
0.04.49 6 sec. 0.04.55 1.14 min.
Vorraum, Alice trinkt Champagner. Tanzsaal, Bill erkennt Nightingale und unterhält sich mit ihm.
0.06.09 2.03 Vorraum, Alice und min. Szavost, er trinkt ihr Glas leer. 0.08.12 36 Tanzsaal, Alice und Szavost sec. tanzen. 0.08.48 8 Vorraum, Bill und die Mosec. dels (Gayle/Nuaala). 0.08.56 53 Tanzsaal, Alice und Szavost sec. tanzen 0.09.49 51 Korridor, Bill und die Mosec. dels flirten. 0.10.40 26 Tanzsaal, Alice und Szavost sec. tanzen. Szavost erklärt Alivce, warum die Frauen früher geheiratet haben. 0.11.06 1.23 Korridor, Bill und die Momin. dels flirten.
Weihnachtsbaum Hintergrundmusik
Tanzsaal, Alice und Szavost tanzen Badezimmer, Bill, Ziegler und Mandy, die wieder wach ist. 0.17.40 1.24 Tanzsaal, Alice und Szavost min. tanzen. Alice will zu Bill.
Roter Teppich auf der Bühne; das Gegensatzpaar (schwarz weiß).
Die Band spielt „It had to be you“ und „Chanson d’amour“. „Chanson d’amour“ Weihnachtsbaum Hintergrundmusik „Chanson d’amour“
„Old fashioned way“
„Old fashioned way“
0.12.29 1.44 Badezimmer, Bill, Ziegler min. und die bewusstlose Mandy.
0.14.13 1.12 min. 0.15.25 2.15 min.
| 351
Gayle/Nuala: „Wir gehen dahin, wo der Regenbogen endet.“ Roter Sessel, rotes Bild, blaue Unterwäsche liegt auf dem Boden.
„When I fall in love“ „When I fall in love“ Blaues Handtuch, (Hintergrund). rote Lippen, roter Sessel. „When I fall in love“ „I only have eyes for you“
Sequenz 3 Bill und Alice im Schlafzimmer. Nacht. Zeit
Dau er 0.19.04 47 sec. 0.19.51 6 sec.
Inhalt
Musik
Innen, Schlafzimmer in Bill und Alices Appartment. Die nackte Alice steht vor dem Spiegel. Der nackte Bill kommt hinzu. Sie küssen sich. Schwarzblende
Chris Isaak: „Baby did a bad bad thing“
352 | V ERFILMTE G EFÜHLE
Sequenz 4 Der Alltag von Bill und Alice. Tag. Zeit
Dau er 0.19.57 16 sec. 0.20.13 5 sec.
Inhalt
0.20.18 9 sec.
Bills Arztpraxis, Rezepti- Dimitri Shostakoon, Bill kommt an. vich: „Waltz 2 from Jazz Suite“ Küche, Bills und Alices Apartment, Alice im Morgenmantel. Bills Arztpraxis, Untersuchungszimmer, Bill untersucht Patientin. Bill und Alices Apartment, Helenas Schlafzimmer, Alice bürstet ihr das Haar.
0.20.27 5 sec.
0.20.32 5 sec.
0.20.37 10 sec. 0.20.47 7 sec.
0.20.54 7 sec.
Bills Arztpraxis, Untersuchungszimmer, Bill untersucht einen kleinen Jungen. Bill und Alices Apartment, Ankleidezimmer, Alice zieht einen BH an. Bills Arztpraxis, Untersuchungszimmer. Bill untersucht einen alten Mann. Bill und Alices Apartment. Alice im Badezimmer. Sie trägt Deodorant auf.
0.21.01 7 sec.
Bill und Alices Apartment, Wohnzimmer. Alice und Helena packen Geschenke ein.
0.21.08 7 sec.
Bill und Alices Apartment, Helena wird ins Bett gebracht. Sie liest etwas vor. Bill und Alices Apartment, Bill und Alice im Wohnzimmer. Der Fernseher läuft.
0.21.15 20 sec.
Musik
Besonderheiten Weihnachtsbaum, blauer Teppich Alice im blauen Morgenmantel Alle tragen weiß
Alice trägt einen blauen Morgenmantel, Helena ein rotes Kleid, blaue Haarbürste. Bill trägt einen weißen Kittel. Die Patientin einen blauen Rollkragenpullover. Die Vorhänge sind rot. Die Kittel sind weiß, die Tür ist blau.
Helena trägt ein rotes Kleid, blaues Handtuch, blaues Licht kommt durch die Fenster. Helena trägt ein rotes Kleid, Alice einen blauen Pullover. Das Geschenkpapier ist rot. Alice trägt einen blauen Pullover.
Das Sofa ist rot. Alice trägt einen blauen Pullover.
S EQUENZPROTOKOLLE
| 353
Sequenz 5 Das Gespräch (Bill und Alices Apartment). Abend. Zeit 0.21.3 5
Dau er 21 sec.
Inhalt
Musik
0.21.5 6
3 sec.
0.21.5 9
13.5 Schlafzimmer (an Badezimmer). Das Ehepaar raucht einen 2 min. Joint und beginnt ein Gespräch über die Rolle von Mann und Frau. Bill sagt: es ist nicht alles so schwarz – weiß. Alice erzählt vom letzten Urlaub auf Cape Cod und dem Marineoffizier. Bill wird angerufen.
Besonderheiten Alice im blauen Pullover, Duschvorhang und Zigarettenpapier sind blau.
Alice im Badezimmer. Sie öffnet den Badezimmerspiegelschrank und entnimmt eine Dose mit Haschisch und Blättchen. Tisch. Alice dreht einen Joint.
„Naval Officer“ ertönt leise im Hintergrund.
Die Blättchen sind blau (Großaufnahme). Rote Bettwäsche, weiße Unterwäsche von Alice, blaues Bad im Hintergrund. Blaues Licht fällt durch die Fenster. Bills Gesicht erscheint in Nahaufnahme. Es folgt ein leichter Zoom auf Bills Gesicht.
Sequenz 6 Bill und Marianne Nathanson. Nacht. Zeit
Inhalt
0.35.5 1 0.35.5 5 0.36.0 1
Dau er 4 sec. 48 sec. 12 sec.
0.36.1 3 0.36.2 1 0.36.3 5 0.37.0 7
8 sec. 14 sec. 32 sec. 5.20 min.
Bill im Taxi.
0.42.2 7
6 sec.
Carl Thomas (Mariannes Verlobter) kommt in das Apartment.
Außen. Ein Taxi rast durch die Straße. Bill im Taxi. Er blickt starr vor sich hin. Bills Vision von Alice mit dem Marineoffizier.
Lobby, Nathansons Apartmenthaus. Halle, Hausmädchen öffnet (Luxus - Apartment). Schlafzimmer des Toten/Totenzimmer. Bill und Marianne unterhalten sich, sie küsst ihn.
Musik
Besonderheiten
„Naval Officer“
Bill wird leicht angezoomt. Die gesamte Szene ist in Schwarzweiß gehalten. Bill wird leicht angezoomt. Durch die Fenster leuchtet blaues Licht.
Weihnachtsbaum; durch das Fenster leuchtet blaues Licht, der Tote ist mit einer blauen Decke bedeckt.
354 | V ERFILMTE G EFÜHLE 0.42.3 3
6 sec.
Carl, Bill und Marianne im Schlafzimmer des Toten.
Der Tote im Hintergrund ist mit einer blauen Decke zugedeckt. Weihnachtsbaum leuchtet.
Sequenz 7 Greenwich Village. Nacht. Zeit
Inhalt
Musik
Besonderheiten
0.43.3 9 0.43.4 4
Dau er 5 sec. 16 sec.
Außen. Straßenansicht. Taxis, Nachtleben Bill läuft auf dem Bürgersteig. Er sieht ein sich küssendes Paar.
„Naval Officer“
0.44.0 0
6 sec.
0.44.0 6
8 sec.
Bill hat eine Vision von Alice mit dem Marineoffizier Bill geht weiter, trifft Schüler und wird von ihnen als Schwuler beschimpft.
Blaue Markise, rotes Auto, blauer Müllsack, grüne Hauswand. Die gesamte Szene ist in Schwarzweiß gehalten. Rote und blaue Autos, eine blaue Häuserwand.
Musik
Besonderheiten
Sequenz 8 Bill und Domino. Nacht. 0.10 Uhr Zeit 0.45.1 4
Dau er 1.25 min.
Inhalt
0.46.3 9
12 sec.
0.46.5 1
6 sec.
Im Inneren von Dominos Apartment macht Domino Bill ein Angebot zum Sex.
0.48.5 7
16 sec.
Bill und Alices Apartment, Alice sitzt in der Küche und wartet auf Bill. Sie isst Kekse und trinkt Milch.
0.49.1 3
1.13 min.
Dominos Apartment. Bill und Domino sind im Schlafzimmer. Sie küssen sich.
Bill wird auf der Straße von Domino angesprochen. Es ist 0.10 Uhr. Hausflur in Dominos Apartmenthaus.
„I got it bad (and that ain’t good)“. Als das Telefon klingelt schaltet Bill die Musik aus.
Blaue Tür, rote Markise, rote Haustür von Domino. Die Wände im Hausflur sind grün, die Wohnungstür ist blau. Weihnachtsbaum, bunte Lichterkette; Domino trägt ein lilafarbenes Kleid. Die Küche ist in bläuliches Licht getaucht. Alice trägt einen blauen Morgenmantel Bunte Lichterkette
S EQUENZPROTOKOLLE
0.50.2 6
2 sec.
0.50.2 8
3 sec.
0.50.3 1
7 sec.
0.50.3 8
9 sec.
0.50.4 7 0.50.5 0
3 sec. 7 sec.
0.50.5 7 0.51.0 3
6 sec. 1.35 min.
| 355
Küche in blau (Blue Diner)
Bill und Alices Apartment. Alice sitzt in der Küche und raucht. Sie telefoniert mit Bill auf seinem Handy. Dominos Apartment, Schlafzimmer. Bill antwortet in sein Handy. Bill und Alices Apartment, Küche. Alice antwortet Bill ins Telefon. Dominos Apartment, Schlafzimmer. Bill antwortet Alice. Bill und Alices Apartment, Küche. Alice antwortet Bill. Dominos Apartment, Schlafzimmer. Bill antwortet Alice. Bill und Alices Apartment, Küche. Alice antwortet Bill. Dominos Apartment, Schlafzimmer. Bill legt auf, bezahlt Domino und geht.
Küche in blau (Blue Diner)
Küche in blau
Küche in blau Masken hängen an der Wand.
Sequenz 9 Nick Nightingale und das Sonata Café. Nacht. Zeit
Inhalt
Musik
Besonderheiten
0.52.3 8
Dau er 46 sec.
Außen. Bill auf der Straße. Er entdeckt das Sonata Café, in dem Nightingale spielt.
0.53.2 4
5.35 min.
Innen, Sonata Café, Bill geht hinein und setzt sich an einen Tisch. Er trifft Nightingale, der ihm von der geheimen Party erzählt, für die man ein Kostüm braucht. Passwort: FIDELIO
Aus dem Inneren des Cafés ertönt „If I had you“. Band spielt: „If I had you“.
Blaue Mülltonnen, die Passanten tragen rote Jacken, blaue Jeans, rote Mützen und rote Rucksäcke. Bill geht eine rote Treppe hinunter; Warnschild: „All Exits are final“. Weihnachtsbaum; blaues Licht auf der Bühne.
Sequenz 10 Rainbow Fashions. Nacht. Zeit 0.58.5 9
Dau er 1.26 min.
Inhalt
Besonderheiten
Außen. Taxi hält vor dem Kostümverleih „Rainbow Fashions“. Bill steigt aus, klingelt und spricht mit dem Kostümverleiher Milich.
Ein Regenbogen ist das Logo des Kostümverleihs.
356 | V ERFILMTE G EFÜHLE 1.00.2 5 1.01.4 7 1.02.3 9
1.22 Rainbow Fashions, Hausflur. Bill remin. det durch ein Tor mit Milich. Er zeigt ihm seinen Ärzteausweis. 52 Innen. Rainbow Fashions. sec. 3.18 Innen. Kostümfundus. Plötzlich entmin. deckt Milich zwei Japaner und seine Tochter, es gibt einen Streit, Milichs Tochter läuft zu Bill. Bill hat was er braucht und geht.
Bill steht zwischen zwei Leuchtreklamen (DINER/blau EROS/rot) Weihnachtsbaum, bläuliches Licht fällt durch die Fenster. Die Wände sind rot. Der Japaner trägt eine rote Unterhose, die Tochter von Milich trägt weiße Wäsche.
Sequenz 11 Bill fährt mit dem Taxi zur Party der geheimen Gesellschaft. Nacht. Zeit
Dau er 1.05.5 8 7 sec. 1.06.0 12 5 sec. 1.06.1 11 7 sec. 1.06.2 8 1.06.3 6 1.06.4 5
8 sec. 9 sec. 13 sec.
1.06.5 8 1.06.0 5 1.06.1 7 1.06.2 8 1.06.3 6 1.06.4 5
5 sec. 12 sec. 11 sec. 8 sec. 9 sec. 13 sec.
1.06.5 8 1.07.0 3
5 sec. 21 sec.
1.07.2 5 4 sec.
Inhalt
Musik
Besonderheiten
Außen, Brooklyn Bridge, ein fahrendes Taxi. Innen, Bill sitzt im Taxi
„Naval Officer“
Leichter Zoom auf Bill. Gesamte Szene ist in schwarzweiß. POV
Bill hat eine Vision von Alice und dem Marineoffizier Innen. Bill sitzt im Taxi. Man sieht die Straße aus Bills Blickwinkel. Außen. Das Taxi fährt über eine Landstraße, man sieht Vororte und Wald. Innen. Bill im Taxi. Er schaut hinaus. Innen, Bill sitzt im Taxi
POV
POV
Bills Vision von Alice und dem Marineoffizir Innen. Bill sitzt im Taxi
Leichter Zoom auf Bill Gesamte Szene in schwarzweiß POV
Straße, Bills Blickwinkel
POV
Außen. Das Taxi fährt über eine Landstraße, man sieht Vororte und Wald Innen. Bill im Taxi. Er schaut raus. Innen. Bills Blick auf die Straße. Das Taxi fährt auf ein blaues Tor zu. Davor stehen zwei Männer. Außen. Das Taxi hält am Tor.
„Naval Officer“
POV POV Blaues Tor, dahinter ein rotes Auto. Blaues Tor, rotes Auto.
S EQUENZPROTOKOLLE
1.07.2 44 9 sec.
1.08.1 13 3 sec.
Innen. Taxi. Bill zerreißt einen 100 Dollar Schein und gibt eine Hälfte dem Fahrer, damit dieser wartet. Außen. Bill steigt aus dem Taxi und geht auf das blaue Tor zu.
| 357
Blaues Tor, rotes Auto.
Sequenz 12 Somerton-Landhaus, die Party der geheimen Gesellschaft. Nacht. Zeit
Dau er 1.08.2 12 6 sec. 1.08.3 33 8 sec.
1.09.1 32 1 sec.
1.09.4 5.27 3 min.
1.15.1 1.11 0 min.
1.16.2 35 1 sec. 1.16.5 38 6 sec.
Inhalt Außen vor dem blauen Tor. Bill geht zu den Torwächtern und nennt das Passwort. Außen. Blick auf das Somerton– Landhaus. Bill kommt mit dem roten Auto an und geht auf den Eingang zu. Innen. Säulenhalle. Bill muss noch einmal das Passwort sagen. Er gibt seinen Mantel ab und setzt seine Maske auf. Innen. Eine Marmorhalle. Auf einem roten Teppich knien vermummte Personen in einem Kreis. In der Mitte läuft ein roter Priester mit Weihrauch. Es wird ein Ritual durchgeführt. Viele Maskierte stehen auf der Empore und beobachten das Ritual. Im Hintergrund sitzt Nightingale an einem Klavier. Die Vermummten im Kreis werfen ihre Umhänge ab; es sind nackte Frauen mit Masken auf dem Gesicht. Bill wird von einem Maskierten gegrüßt, eine Frau führt Bill weg. Innen, Korridor. Bill wird von der mysteriösen Frau gewarnt, bevor diese dann von einem anderen Maskierten weggeführt wird. Innen, Halle mit Balkonen. Bill folgt einem Paar in eine andere Halle, er sieht eine Orgie. In einem Raum mit langem Tisch sind viele kopulierende und maskierte Paare.
Musik
Besonderheiten Blaues Tor, rotes Auto.
Von Innen ertönt „Masked Ball“.
Der Teppich und die Vorhänge sind rot.
„Masked Ball“
Teppich und Talar sind rot, die Umhänge der im Kreis versammelten Vermummten sind schwarz.
„Masked Ball“ „Migrations“ (klingt orientalisch) „Migrations“
„Migrations“
Im Zoom erscheinen die Maskierten oben auf der Empore. Der Teppich ist rot.
POV; roter Teppich, rote Sessel und Sofas. POV; roter Teppich, rote Tischdecke.
358 | V ERFILMTE G EFÜHLE 1.17.3 1.46 4 min.
1.19.2 1.14 0 min.
1.20.3 15 4 sec.
1.20.4 5.38 9 min.
Vorraum/Bibliothek. Eine Frau spricht Bill an, eine andere kommt hinzu und nimmt Bill mit. Kleine Halle. Die Maskierte warnt Bill noch einmal. Er möchte ihre Identität wissen. Bill wird von einem Diener geholt. In einer großen Halle mit Palmen tanzen nackte, maskierte Paare. Nightingale wird weggeführt. Innen. Bill wird in die große Marmorhalle geführt. Ein Mann mit einem roten Umhang und unzählige Maskierte warten auf ihn. Er wird in den Kreis gebeten. Alle versammeln sich um ihn. Bill soll seine Kleider ablegen, er demaskiert sich lieber. Von der Empore ruft die maskierte Warnerin „Halt!“ Sie opfert sich für ihn, und Bill kann gehen.
„Migrations“
„Strangers in the night“
Blaues Licht leuchtet durch die Fenster.
Man fühlt sich an Zieglers Party erinnert. György Ligeti: „Musika Ricercata II“
POV; roter Umhang des Priesters; roter Teppich; blaues Licht von oben. Zoom auf maskierte Warnerin. Sie steht vor einem blauen Hintergrund.
Sequenz 13 Bill und Alices Apartment, Bill kehrt nach Hause zurück. Nacht. Zeit
Dau er 1.26.2 1.44 7 min.
Inhalt
1.28.1 6.18 1 min.
Schlafzimmer. Alice lacht im Schlaf, erwacht und erzählt Bill ihren Traum. Schwarzblende
1.34.2 6 9 sec.
Musik
Bill öffnet seine Wohnungstür, geht hinein und sieht nach seiner Tochter. Er versteckt das Kostüm in einem Schrank. „The Dream“
Besonderheiten Blaue Wohnungstür, alle Räume sind in ein blaues Licht getaucht, der Weihnachtsbaum leuchtet bunt. Das gesamte Zimmer ist in Blau getaucht. Die Bettwäsche ist rot.
S EQUENZPROTOKOLLE
| 359
Sequenz 14 Auf der Suche nach Nightingale. Tag. Zeit
Dauer 1.34.35 5 sec. 1.34.40 51 sec.
Inhalt
1.35.31 39 sec.
Innen. Bill im „Gillespies Coffeshop“, der sich neben dem „Sonata Café“ befindet. Er erkundigt sich nach Nightingales Hotel. Er benutzt seinen Ärzteausweis, um Informationen zu bekommen. Außen, Straße. Bill geht zum „Hotel Jason“.
1.37.10 19 sec. 1.37.29 3.09 min.
Musik
Besonderheiten
„I want a boy for christmas“
Rote Markise, Fußgänger mit roten und blauen Jacken, blauen Mütze und Stirnbändern und eine blaue Leuchtreklame, Die Gäste im Coffeshop sind rot und blau gekleidet.
Außen, Straße, New York. Außen. Ein Taxi hält an. Bill steigt aus und geht zum Sonata Café. Es ist noch geschlossen.
Rote Markise; die Passanten sind rot und blau gekleidet. Weihnachtsbaum; roter Teppich; blaue Wände. Gelbe Krawatte.
Innen, Hotelhalle „Hotel Jason“. Bill erkundigt sich nach Nightingale, weist sich als Arzt aus.
Sequenz 15 Rainbow Fashions. Tag. Zeit 1.40.38
1.41.00
Dauer 22 sec. 2.16 min.
Inhalt
Besonderheiten
Außen, Straße. Ein Taxi fährt bei Rainbow Fashions vor. Innen, Rainbow Fashions. Bill bringt das Kostüm zurück. Die Maske fehlt. Milichs Tochter entpuppt sich als Hure, die Japaner sind auch da.
Passanten in rot und blau.
Milich trägt ein blaues Hemd und eine gelbe Krawatte, seine Tochter einen weißem Kimono. Einer der Japaner trägt ein rotes Hemd und eine gelbe Krawatte.
Sequenz 16 Bills Arztpraxis. Tag. Zeit 1.43.16 1.43.18
Dau er 2 sec. 6 sec.
Inhalt
Musik
Außen, Straße. Bürogebäude in Manhattan. Innen, Bills Büro. Bill sitzt am Tisch und denkt nach.
„Naval Officer“
Besonderheiten
Bill trägt einen weißen Arztkittel.
360 | V ERFILMTE G EFÜHLE 1.43.24 1.43.33
9 sec. 40 sec.
Bill hat eine Vision von Alice mit dem Offizier. Innen, Bills Büro. Bill sitzt am Schreibtisch. Die Sprechstundenhilfe Lisa tritt ein und bringt einen Snack. Bill sagt für den Tag alle Termine ab.
Die Gesamte Szene ist in Schwarzweiß. Bürotür und Teppich sind blau, die Jalousie ist rötlich.
Sequenz 17 Somerton Landhaus. Tag. Zeit 1.44.13 1.44.16 1.44.21 1.44.25
Dau er 3 sec. 5 sec. 4 sec. 2.25 min.
1.46.50 20 sec.
1.47.10 20 sec.
Inhalt
Musik
Besonderheiten
Außen. Bills Range Rover fährt über die Brooklyn Bridge. Innen. Bill sitzt hinterm Steuer. Außen. Der Rover ist auf dem Weg durch die Vororte. Außen, Landstraße. Bill kommt am Landhaus an, findet ein verschlossenes Tor und wird von der Überwachungskamera gefilmt. Ein älterer Herr bringt stumm einen Brief für ihn. „Dr. William Harford“ steht auf dem Briefumschlag Der Brieftext wird eingeblendet („Give up your inquiries which are completely useless, and consider these words a second warning. We hope, for your own good, that this will be sufficient.”) Außen. Bill starrt fassungslos auf den Brief.
Bill wird leicht angezoomt.
György Ligeti: „Musika Ricercata II“
Das Tor ist blau.
Zoom auf den Brief.
Sequenz 18 Bill und Alices Apartment. Abend. Zeit
Dau er 1.47.30 5 sec.
Inhalt
Außen, Abendverkehr. Taxis rasen über die Straße. 1.47.35 1.15 Innen, Bill und Alices min. Apartment. Bill kommt zur Tür herein. Alice und Helena machen Hausaufgaben.
Stimme aus dem Off
Besonderheiten
Weihnachtsbaum; rote Tischdecke; blaue Vorhänge. Helena trägt ein blaues Kleid, Alice eine weiße Bluse.
S EQUENZPROTOKOLLE
1.48.50 11 sec.
1.49.01 10 sec. 1.49.11 10 sec.
1.49.21 3 sec.
1.49.24 2 sec.
1.49.26 5 sec.
| 361
Innen. Bill nimmt sich aus dem Kühlschrank ein Getränk. Bill beobachtet seine Familie. Zoom auf die beiden. Innen. Esszimmer. Alice und Helena machen Hausaufgaben. Zoom auf Bill. Alices Stimme Innen. Küche. Bill beobachtet Alice und denkt an aus dem Off: „Da ihre Worte aus dem Traum war der ganze Garten voller Leute. Hunderte. Und wir waren in der Mitte. Alle haben sie gefickt.“ Zoom auf Alice. Alice blickt auf die Haus- Alices Stimme aufgaben ihrer Tochter. aus dem Off: Als sie Bills Blick be„Und dann habe merkt, lächelt sie freundich auch mit andelich. ren gefickt.“ Bill lächelt zurück. Alices Stimme aus dem Off: „Es waren so viele.“ Alice lächelt Bill an. Alices Stimme aus dem Off: „Dass ich überhaupt nicht mehr weiß, wie viele es waren.“
Sequenz 19 Bill will Marianne anrufen. Abends. Zeit
Dau er 1.49.31 23 sec.
Inhalt
Musik
Besonderheiten
Innen, Bills Praxis, Empfangsraum.
„Naval Officer“
Baues Licht leuchtet von außen herein. Weihnachtsbaum
1.49.54 5 sec. 1.49.59 8 sec. 1.50.07 18 sec. 1.50.25 9 sec.
Innen, Bills Büro. Er starrt auf das Telefon. Bill hat eine Vision von Alice mit dem Offizier. Innen, Bills Büro. Er tippt eine Nummer in das Telefon. Innen, Halle Marianne Nathansons Apartment. Das Telefon klingelt. Carl geht ran. Innen, Bills Büro. Bill ist enttäuscht, dass Carl ans Telefon geht.
1.50.34 5 sec.
Gesamte Szene ist in schwarzweiß.
362 | V ERFILMTE G EFÜHLE 1.50.39 3 sec. 1.50.42 7 sec.
Innen, Halle Mariannes Apartment. Carl wartet am Hörer auf eine Reaktion. Innen, Bills Büro. Bill sagt nichts und legt den Hörer auf. Er ist verwirrt.
Sequenz 20 Bill geht zu Domino. Nacht. Zeit
Dau er 1.50.49 27 sec.
Inhalt
Besonderheiten
Außen, Dominos Apartmenthaus. Ein Taxi hält und Bill steigt aus. Er hat eine Kuchenschachtel in der Hand. 1.51.16 1.23 Innen, im Treppenhaus von Domimin. nos Apartmenthaus. Bill klingelt und eine Frau (Sally) öffnet ihm. 1.52.39 3.59 Innen, Dominos Apartment. Beide min. flirten. Sally erzählt von Dominos HIV - Infektion, Bill geht.
Die Tür ist rot. Fußgänger mit roten und blauen Mützen gehen vorbei. Die Wände im Treppenhaus sind grün. Sally trägt ein blaues Hemd. Ein Weihnachtsbaum leuchtet bunt, der Küchentisch ist gelb, das Fenster leuchtet blau..
Sequenz 21 Bill wird verfolgt. Nacht. Zeit
Dau er 1.56.35 9 sec.
Inhalt
Musik
Besonderheiten
György Ligeti: „Musika Ricercata II“
1.56.59 6 sec.
Außen, verlassene Straße in Soho. Bill läuft die Straße entlang. Außen, andere Straße in Soho. Bill schaut sich um. Er wird von einem Mann verfolgt. Außen. Andere Straßenseite. Ein Mann läuft.
1.57.05 24 sec.
Außen. Bill schaut sich um und läuft.
Keine Menschen sind auf der Straße. Wenig Licht. Grüne Schaufenster, keine Menschen auf der Straße; wenig Licht. Grüne Schaufenster, keine Menschen auf der Straße; wenig Licht. Keine Menschen auf der Straße. Wenig Licht. Der Verfolger bleibt an einem Stopp-Schild stehen. Die Titelschlagzeile der New York Post: „LUCKY TO BE ALIVE“.
1.56.47 12 sec.
1.57.29 1.54 Außen, andere Straße, Bill min. schaut sich um. Er wird immer noch verfolgt. Er will ein Taxi nehmen, doch es gelingt ihm nicht. Er kauft eine New York Post.
S EQUENZPROTOKOLLE
1.59.23 19 sec. 1.59.42 1.02 min.
2.00.44 9 sec.
2.00.53 26 sec.
Bill geht in ein Kaffee (Sharky’s Café), um den Verfolger abzuschütteln. Innen, Sharky’s Café. Bill blättert in der New York Post. Er findet einen Bericht über eine Ex-Miss, die in der vergangenen Nacht eine Überdosis im Hotel genommen habe. Einblendung des Zeitungsartikels: „Ex-beauty queen in hotel drugs overdose” (Amanda/Mandy Curran). Bill liest erschrocken die Zeitungsmeldung.
| 363
Das Café hat außen eine grüne Markise. „Requiem K626, Rex Tremendae“
György Ligeti: „Musika Ricercata II“
Man sieht bunte Lichterketten und Weihnachtsdekoration. Es wird auf den zeitungslesenden Bill gezoomt. Zoom auf den Zeitungsartikel.
Zoom auf Bill.
Sequenz 22 Bill sucht die maskierte Warnerin. Nacht. Zeit
Dau er 2.01.19 3 sec. 2.01.22 1.04 min.
2.02.26 8 sec.
2.02.34 2.12 min.
Inhalt Außen, New York. Innen, Haupteingang des Krankenhauses. Ein Taxi hält. Bill geht zum Empfang, weist sich mit seinem Ärzteausweis aus und spricht mit der Empfangsdame. Er fragt nach Amanda Curran und erfährt, dass sie schon tot ist. Innen, Korridor Krankenhaus. Bill und ein Pfleger gehen einen Gang hinunter.
Innen, Pathologie des Krankenhauses. Bill sieht Amandas Leiche, er studiert ihr Gesicht und schließt seine Augen.
Musik/Stimme aus dem Off György Ligeti: „Musika Ricercata II“
Man hört aus dem Off die Stimme der Warnerin: „Es wäre mein Tod. Und ihrer vielleicht auch. Es ertönt „Nuage Gris“.
Besonderheiten
Weihnachtsbaum; blauer Bildschirm.
Der Pfleger trägt blaue Kleidung. Auf dem Fußboden sind rot-blaue Markierungen. Das Licht ist bläulich.
364 | V ERFILMTE G EFÜHLE
Sequenz 23 Ziegler klärt die Dinge. Nacht. Zeit
Dau er 2.04.46 7 sec. 2.04.53 24 sec. 2.05.17 5 sec.
Inhalt
Musik
Besonderheiten
Innen, Korridor im Krankenhaus. Bill wird auf seinem Handy angerufen Außen, Zieglers Villa.
„Nuage Gris“
Die Wände sind rot und gelb.
Weihnachtsbaum; Weihnachtsdekoration. Roter Billardtisch; grüne Lampen; blaues Licht.
Innen, Korridor/Halle in Zieglers Villa. Ein Bediensteter führt Bill durch die Halle zu einem Raum. 2.05.32 12.5 Innen, Billard-Zimmer von Ziegler. Ziegler gibt zu, dass er Bill be1 min. schatten ließ.
Sequenz 24 Bill kehrt nach Hause zurück. Nacht. Zeit
Dau er 2.18.23 12 sec.
Inhalt
Innen, Schlafzimmer in Bill und Alices Apartment. Bills Maske liegt auf dem Kopfkissen. Daneben schläft Alice. 2.18.35 1.30 Innen, Flur Apartment. Bill öffnet min. die Wohnungstür, geht zum Weihnachtsbaum und schaltet ihn aus.
Musik
Besonderheiten
György Ligeti: „Musika Ricercata II“
Das Licht ist bläulich.
Die Beleuchtung des Weihnachtsbaums wird ausgeschaltet. Blaues Licht; Alice trägt ein blaues Nachthemd. Die Bettwäsche ist rot.
2.20.05 1.45 Innen, Schlafzimmer. Bill sieht die min. Maske auf dem Kopfkissen. Er bricht zusammen. Alice wird wach. Er will nun alles erzählen.
Sequenz 25 Der nächste Tag. Zeit
Dau Inhalt er 2.21.50 1.13 Innen, Wohnzimmer von Bill und min. Alices Apartment. Der Morgen dämmert. Alice weint und ist nachdenklich. Bill ist reuevoll.
Musik
Besonderheiten Alice trägt eine blaue Strickjacke. Die Weihnachtsbaumbeleuchtung ist ausgeschaltet. Das Sofa und die Vorhänge sind rot.
S EQUENZPROTOKOLLE
„Jingle 2.23.03 4.22 Innen, Spielzeugladen. Bill und min. Alice kaufen Weihnachtsgeschenke Bells“ mit Helena ein. Bill fragt, was sie nun tun sollen. Alice antwortet: „Ficken.“
2.27.25 1 sec.
Alice trägt einen Kamelhaarmantel (ähnlich dem Mantel des Verfolgers aus Sequenz 21) und eine Brille. Bill trägt eine blaue Jeans und einen roten Pullover.
Schwarzblende
Abspann Zeit
Dau Inhalt er 2.27.26 5.02 Abspann min. Produced an directed bei Stanley Kubrick...
| 365
Musik Dimitri Shostakovich: „Waltz 2 from Jazz Suite“
Besonderheiten
Bild
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
TC
1.14.54
1.15.18
1.15.53
1.16.04
1.16.07
1.16.08
1.16.14
1.16.16
1.16.20
1.16.25
4 sec.
5 sec.
4 sec.
2sec.
6 sec.
1 sec.
3 sec.
11 sec.
35 sec.
24 sec.
Dauer
AM
-
-
-
-
-
AM
N
-
N
-
-
N
-
-
Kamerabewegung -
AM
AM
Einstellungsgröße
Zwischentitel: Wann geht der nächste Zug nach Wien? Hotelrezeption. Der Portier tele- N
Dunkelheit. Else betritt das dunkle Zimmer. Licht scheint kurz vom Korridor hinein. Else schaltet das Licht an. Else geht zum großen Schrankspiegel. Else lehnt ihren Kopf an den Spiegel und hält mich sich Zwiesprache. Zwischentitel: Nein, nein, Herr von Dorsday! Else vor dem Spiegel. Sie hält mit ihrem Spiegelbild Zwiesprache. Hotelzimmer. Neben der Tür steht ein Telefon. Else greift den Hörer und ruft den Portier an. Hotelrezeption. der Portier nimmt den Hörer ab.. Hotelzimmer. Else steht am Telefon und spricht.
Inhalt
Einstellungsanalyse Fräulein Else (D 1929) Sequenz 13. Else erhält das Telegramm.
-
Dunkelheit, dann ein kleiner Lichtstrahl, dann helles Licht.
KS: vor dem Portier
KS: links vor dem Spiegel KP: auf Brusthöhe KS: vor dem Telefon, im Raum, vor Else KP: auf Brusthöhe KS: vor dem Portier KP: Brusthöhe KS: vor dem Telefon, im Raum, vor Else KP: auf Brusthöhe -
-
KS: links vor dem Spiegel KP: auf Brusthöhe KS: links vor dem Spiegel KP: auf Brusthöhe
KS: innen, vor der Zimmertür KP: auf Brusthöhe
Kamerastandort (KS) und Licht, Farben, AufKameraperspektive (KP) fälligkeiten
366 | V ERFILMTE G EFÜHLE
11
12
13
14
15
16
17
1.16.29
1.16.38
1.17.08
1.17.10
1.17.12
1.17.36
1.17.45
5 sec.
9 sec.
24 sec.
2 sec.
2 sec.
30 sec.
9 sec.
foniert und nimmt ein dickes Buch in die Hand Hotelzimmer. Else steht am Telefon und spricht. Sie legt auf und nimmt einen Koffer. Else legt den Koffer aufs Bett und packt eilig ihre Sachen. Vor dem Hotelzimmer. Der Hotelboy klopft an Elses Tür. Er trägt ein Tablett, auf dem ein Brief liegt. Innen. Elses Hotelzimmer. Else beim Kofferpacken. Sie erschrickt vor dem Klopfen. Der Hotelboy öffnet Elses Zimmertür und tritt ein. Else nimmt sich den Brief vom Tablett. Der Hotelboy verlässt das Zimmer. Else geht zum Bett, um den Brief zu öffnen. Sie beginnt den Inhalt laut vorzulesen. Einblendung Telegramm: else thalhof, carlton hotel, st. moritz. Bitte noch mal instaendigst mit dorsday reden, bewusste summe muss bis morgen in dr. fialas haenden sein, sonst erfolgt papas verhaftung. Mama. Else liest fassungslos das Telegramm. -
-
-
Schwenk KS: vor dem Hotelboy, in Elzu Elses ses Zimmer Bewegun- KP: Brusthöhe e gen.
N
N
-
AM
KS: schräg vor Else KP: Brusthöhe
-
KS: hinter dem Bett, vor Else KP: auf Brusthöhe
-
N
KS: vor dem Telefon, im Raum, vor Else KP: auf Brusthöhe KS: hinter dem Bett, vor Else KP: auf Brusthöhe KS: rechts hinter dem Hotelboy KP: Brusthöhe
-
-
AM
AM
KP: Brusthöhe
-
E INSTELLUNGSPROTOKOLLE
| 367
18 19
20
21
22
23 24
25 26
27
1.17.50 1.17.53
1.18.07
1.18.47
1.19.26
1.19.43 1.19.46
1.19.53 1.19.56
1.20.33
28 sec.
3 sec. 37 sec.
3 sec. 7 sec.
17 sec.
39 sec.
40 sec.
3 sec. 14 sec.
Zwischentitel: Papa. Else sitzt weinend an dem Tisch in ihrem Zimmer. Das Telegramm der Mutter liegt auf dem Tisch. Zwischentitel: Papa. Else sitzt weinend an dem Tisch in ihrem Zimmer. Das Telegramm der Mutter liegt auf dem Tisch. Sie wirft den Kopf auf und nieder. Else sitzt am Tisch. Unter ihren
Zwischentitel: Papa. Else starrt fassungslos auf das Telegramm. Else sitzt an einem Tisch in ihrem Hotelzimmer und sackt in sich zusammen und schluchzt. Sie legt den Kopf auf den Tisch und weint. Dorsday in seinem Zimmer. Er geht auf und ab und raucht eine Zigarette. Er macht die Zigarette im Aschenbecher auf dem Tisch aus und steckt sich gleich eine neue an. Else sitzt immer noch weinend an dem Tisch in ihrem Zimmer. In einer Hand hält sie das Telegramm der Mutter. Leichter Schwenk zu Elses Bewegung
N
KS: schräg vor Else KP: Brusthöhe KS: rechts neben Else KP: Brusthöhe
G
N
N
N
-
-
Leichter Schwenk zu Elses Bewegung. -
KS: rechts neben Else
KS: rechts neben Else KP: Brusthöhe
KS: rechts neben Else KP: Brusthöhe
KS: rechts neben Else KP: Brusthöhe
HT Î AM Î Schwenk KS: leicht rechts vor Dorsday HT zu Dors- KP: Brusthöhe days Bewegung.
-
N
-
-
-
368 | V ERFILMTE G EFÜHLE
28
29
30
31
32 33 34
35
36
37
38
1.21.01
1.21.14
1.21.24
1.21.32
1.21.45 1.21.49 1.21.52
1.21.54
1.21.57
1.22.00
1.22.18
7 sec.
18 sec.
3 sec.
3 sec.
4 sec. 3 sec. 2 sec.
13 sec.
8 sec.
10 sec.
13 sec.
Dorsday greift in seine Westentasche nach der Uhr. Das Ziffernblatt der Taschenuhr. Es ist 0.40 Uhr. Dorsday steckt die Uhr wieder in seine Westentasche. Dorsday macht seine Zigarette aus und verlässt sein Zimmer.
Augen sieht man große Tränen. Else sitzt am Tisch. Sie greift unter die Tischdecke, deckt sie zurück und zieht die Schublade hervor. Sie blickt hinein. Else blickt von oben in die Schublade. Die Tränen laufen ihr die Wange herunter. Das Innere der Schublade. Ein Röhrchen Veronal und Briefpapier vom Hotel Carlton. Else blickt von oben in die Schublade. Die Tränen laufen ihr die Wange herunter. Sie überlegt. Zwischentitel: Ende des 6. Aktes. Zwischentitel: 7. Akt. Dorsday in seinem Zimmer. Er geht auf und ab und raucht eine Zigarette. -
G
AM
N
D
N
KS: leicht rechts vor Dorsday KP: Brusthöhe
KS: rechts neben Else KP: Brusthöhe
KS: über der Schublade KP: von oben.
KS: rechts neben Else KP: Brusthöhe
KP: Brusthöhe KS: rechts neben Else KP: Brusthöhe
KS: vor Dorsday KP: Brusthöhe KS: über der Uhr KP: von oben. KS: vor Dorsday KP: Brusthöhe KS: leicht rechts vor Dorsday Schwenk zu Dors- KP: Brusthöhe days Be-
Schwenk zu Dorsdays Bewegung. -
-
D
HT
-
G
N
-
POV
E INSTELLUNGSPROTOKOLLE
| 369
39
24 sec.
Else in ihrem Zimmer. Sie trägt N einen weißen Pelzmantel. Sie geht zur Zimmertür und öffnet sie und verlässt den Raum. Die Kamera schwenkt auf das leere Röhrchen Veronal und ein leeres Glas.
Bild
1
2
3
TC
1.05.21
1.05.22
1.05.25
11 sec.
3 sec.
1 sec.
Dauer
Einstellungsgröße
Elses Hotelzimmer.
Elses Hotelzimmer. Else sitzt in der Badewanne.
-
Leichter
HT Î AM
-
Kamerabewegung
HT
G Elses Hotelzimmer Else taucht mit dem Kopf aus der Badewanne auf.
Inhalt
KS: vor dem Badezimmer KP: normal KS: schräg vor der
Kamerastandort (KS) und Kameraperspektive (KP) KS: über der Wanne KP: von oben
wegung. Schwenk KS: recht neben Else zu Elses KP: leicht von unten Bewegung. Schwenk nach unten zur leeren Veronalpackung und einem Glas Wasser.
Einstellungsanalyse Mademoiselle Else/Fräulein Else (F/Ö/D 2002) Sequenz 10. Else erhält das Telegramm.
1.22.25
Musik,
Das Klopfen aus Elses Vision geht über in ein Klopfen an Elses Hotelzimmertür.
Licht, Farben, Auffälligkeiten
370 | V ERFILMTE G EFÜHLE
4
5
6
7
8
9
10
11
12
1.05.36
1.05.37
1.05.39
1.05.40
1.05.43
1.05.44
1.05.46
1.05.48
1.05.49
2 sec.
1 sec.
2 sec.
2 sec.
1 sec.
3 sec.
1 sec.
2 sec.
1 sec.
Hotelpage Edgar kommt in Elses Zimmer. Er hat einen Briefumschlag in der Hand. Elses Hotelzimmer. Edgar schaut durch die offene Badezimmertür zu Else. Elses Hotelzimmer. Else rutscht mir ihrem Körper in der Wanne etwas tiefer, sie möchte nicht nackt gesehen werden Elses Hotelzimmer. Edgar schaut durch die offene Badezimmertür zu Else. Elses Hotelzimmer. Edgar legt den Briefumschlag auf den Tisch. Elses Hotelzimmer. Else rutscht in der Wanne noch etwas tiefer, sie möchte nicht nackt gesehen werden Elses Hotelzimmer. Edgar schaut und geht. Elses Hotelzimmer. Else schaut ängstlich über den Wannenrand. Elses Hotelzimmer. Edgar kommt zurück Elses Hotelzimmer. N
N
-
-
-
-
HT
N
-
AM
-
Leichte wegung
N
N
-
AM
HT
KS: vor Edgar KP: leicht von unten KS: vor dem Badezimmer KP: normal KS: vor Edgar KP: leicht von unten KS: vor dem Badezim-
KS: vor dem Badezimmer KP: normal
KS: im Bad KP: normal
Be- KS: im Bad KP: leicht von unten.
KS: vor dem Badezimmer KP: normal
Schwenk zu Zimmertür, im Raum Edgars Bewe- KP: normal gung KS: im Bad KP: normal
E INSTELLUNGSPROTOKOLLE
| 371
13
14
15
16
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18
19
1.05.51
1.05.52
1.05.53
1.05.58
1.06.01
1.06.04
1.06.07
43 sec.
3 sec.
3 sec.
3 sec.
5 sec.
1 sec.
1 sec.
-
-
HT
N
-
-
-
-
N
HT
-
N
N Elses Hotelzimmer. Else schaut über den Wannenrand. Elses Stimme aus dem Off: „Alle wollen mich heute nackt sehen.“ Elses Hotelzimmer. Eine leeres Glas und eine Karaf- D fe stehen auf dem Tisch. Daneben liegt das Telegramm an Else. Im Hintergrund sieht man verschwommen, wie Else aus der Wanne steigt und sich in ein blaues Handtuch hüllt. Sie
Else rutscht wieder in die Wanne zurück. Elses Hotelzimmer. Edgar wartet. Elses Hotelzimmer. Else spricht über den Wannenrand mit Edgar. Elses Hotelzimmer. Edgar bestätigt, dass das Telegramm auf dem Tisch liegt. Elses Hotelzimmer. Else schaut über den Wannenrand. Elses Hotelzimmer. Edgar verlässt das Zimmer.
KS: vor dem Tisch in Richtung Badezimmer. KP: normal
KS: vor dem Badezimmer KP: normal KS: schräg vor der Zimmertür, im Raum KP: normal KS: vor dem Badezimmer KP: normal
mer KP: normal KS: vor Edgar KP: leicht von unten KS: vor dem Badezimmer KP: normal KS: im Bad KP: normal
372 | V ERFILMTE G EFÜHLE
20
21
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1.06.50
1.06.55
1.06.58
1.07.06
6 sec.
8 sec.
3 sec.
5 sec.
kommt auf den Tisch zu und nimmt sich das Telegramm, um es zu lesen. (Elses Mutter aus dem Off: „Ich wiederhole flehentliche Bitte mit Dorsday reden. Summe nicht 30, sondern 50. Sonst alles vergeblich. Adresse bleibt Fiala.“) Else lässt das Telegramm fallen. Else läuft zum Spiegel. Elses Spiegelbild. Überblendung: Das Spiegelbild von Else verändert sich langsam. VISION Gitterstäbe, eine Gittertür, die sich öffnet, eingerahmt vom Spiegelrahmen VISION Else, schwarz gekleidet, steht mit verschränkten Händen vor den Gitterstäben, die sich öffnen VISION Blick auf einen vergitterten Raum. Am Ende des Raums erscheint ein Sträfling (Elses Vater). VISION Else tritt nach vorn, hat die Hände verschränkt und sieht Fahrt in den Raum hinein, bis zu den nächsten Gitterstäben. KS: vor Else KP: normal
T
N
-
N
KS: vor Else KP: normal
Zoom und KS: vor dem Spiegel Fahrt in das KP: normal Gefängnis
Fahrt nach oben auf Elses Gesicht Schwenk zu Elses Bewegung. -Zoom auf das Spiegelbild
HT
Großaufnahme von Elses Gesicht N N NÎG
POV Schwere Türen fallen zu Musik
POV Musik Kettengeklapper
POV Quietschende Türen Musik (Streicher)
Musik, POV
Musik setzt leise ein und wird lauter. Zoom und Überblendung.
E INSTELLUNGSPROTOKOLLE
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1.07.12
1.07.23
1.07.29
1.07.34
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1.07.48
1.07.51
7 sec.
3 sec.
6 sec.
8 sec.
5 sec.
6 sec.
11 sec.
traurig aus. Else läuft nach vorn. VISION Blick in den vergitterten Raum. Elses Vater kommt auf das Gitter zugelaufen. VISION Else und ihr Vater stehen sich gegenüber, nur die Gitterstäbe trennen sie. Else weint, sie ergreift die Hand ihres Vaters. VISION Beide stehen sich gegenüber. Else streichelt seine Hand, sie schauen sich an. VISION Beide stehen sich gegenüber. Else spricht: „Ich weiß, was du denkst, Papa. Wenn ich Dorsday hätte überzeugen können…“ VISION Beide stehen sich gegenüber. Else küsst die Hand ihres Vaters. VISION Else entfernt sich wieder von dem Gitter. Sie geht rückwärts von ihrem Vater weg. Elses Hotelzimmer. Überblendung: Das Gesicht von Elses Vater in Großaufnahme geht -
-
-
-
-
-
N
N
N
N
N
over the shoulder Musik
over the shoulder Musik
KS: schräg hinter Elses over the shoulder Musik Vater KP: normal Laute Musik KS: direkt vor Else Überblendung, Musik KP: normal Musik Ende, Else atmet
KS: schräg hinter Else KP: leicht von oben
KS: schräg hinter Elses over the shoulder Musik Vater KP: normal
KS: schräg hinter Else KP: leicht von oben
KS: schräg hinter Elses over the shoulder Musik Vater KP: normal
KS: vor den Gitterstä- POV Leichter Musik Zoom auf El- ben KP: normal ses Vater
N
TÎN
374 | V ERFILMTE G EFÜHLE
31
32
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1.07.58
1.08.58
1.09.09
1.09.24
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1.09.54
57 sec.
7 sec.
20 sec.
15 sec.
11 sec.
1 min.
Dinnerraum des Hotels. Paul, Tante Emma und Cissy unterhalten sich. Elses Hotelzimmer. Else läuft nackt zum Schrank, öffnet ihn und wirft alle Kleider auf ein Sofa. Dabei fällt die Flasche Veronal herunter. Dinnerraum des Hotels. Paul, Tante Emma und Cissy unterhalten sich, stehen auf und verlassen den Raum. Elses Hotelzimmer. Else (im schwarzen Mantel) hebt die Flasche auf und stellt diese auf den Tisch, schlägt das Briefpapier auf und schreibt einen Brief (an Dorsday). Elses Hotelzimmer. Sie beginnt zu schreiben, legt Schwenk
N Î AM
G (allerdings Schwenk zu KS: schräg hinter Else ohne Elses Elses Bewe- KP: Brusthöhe
KS: hinter Else, am Kleiderschrank KP: von oben
KS: neben dem Tisch KP: Brusthöhe
Schwenk
N Î AM
KS: rechts neben Paul KP: Brusthöhe
KS: neben dem Tisch KP: Brusthöhe
Schwenk zu KP: links hinter Else, Elses Bewe- im Raum KP: Brusthöhe gung
Fahrt neben dem Tisch bis hin zu Dorsday, dann Schwenk zurück zu Paul, dann Fahrt am Tisch vorbei. Schwenk zu Cissy.
G
N
über in das Spiegelbild von Else im blauen Handtuch. N Dinnerraum des Hotels. Tante Emma, Cissy und Paul sitzen am Tisch und essen. Dorsday, der am Nachbartisch sitzt, schaltet sich in das Gespräch mit ein. Alle erheben sich vom Tisch.
Einzelne Klaviertöne erklingen (in Moll mit
-
E INSTELLUNGSPROTOKOLLE
| 375
Bil d
0.48.22 3
0.48.20 2
0.48.17 1
TC
Inhalt
Einstellungsgröße 3 sec. Außen. Fridolin liegt vor der N Villa der geheimen Gesellschaft auf dem Fußweg. Er hebt den Kopf. 2 sec. Außen. Der Kutscher zeigt AM Fridolin stumm, dass er in die Kutsche steigen soll 4 sec. Außen. Fridolin erhebt sich, er G trägt immer noch seine Larve und den Umhang. Er sagt dem
Dauer
Einstellungsanalyse Traumnovelle (Ö 1969) Sequenz 9. Nacht. Fridolin auf dem Nachhauseweg.
die Feder nieder und steht auf. Kopf) Sie nimmt ein volles Wasserglas und das Veronal und geht zu ihrem Nachtschrank. Das Wasserglas stellt sie auf den Nachtschrank, das Veronal legt sie in die Schublade. Dann geht sie zum Tisch zurück, setzt sich und schreibt den Brief weiter. Elses Stimme aus dem Off: „Sehr geehrter Herr von Dorsday. In dem Augenblick, da sie diese Zeilen...“
-
leichtem Hall), dann setzen Geiger ein, dann eine Melodie.
Kamerastandort (KS) Licht, Farben, Musik, Auffälligkeiten und Kameraperspektive (KP) KS: vor Fridolin Kein Ton KP: Brusthöhe
KS: schräg vor dem Kein Ton Kutscher KP: Brusthöhe KS: vor Fridolin Leichter Schwenk zu KP: Brusthöhe Î von unten Fridolins
-
Kamerabewegung
gungen.
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Innen. Blick auf die verschlos- G sene Tür der Kutsche. Fridolins Hand drückt gegen die Tür, klopft und zieht daran. 5 sec. Innen. Fridolins Augen hinter D der Larve
0.49.03 9
0.49.22 12
0.49.18 11
0.49.13 10
4 sec. Innen. Blick auf ein zugeklebtes G Fenster. 3 sec. Innen. Blick auf die verschlos- G sene Kutschentür. Fridolin will die Tür öffnen. Klopft.
10 sec.
8 sec. Innenraum der Kutsche. Man N sieht die zugeklebten Fenster. Alles ist schwarz. 17 Innen. Fridolin sitzt in der Kut- N sec. sche.
0.48.38 7
0.48.46 8
7 sec. Außen. Blick auf die schwarze AM Kutsche, die nun losfährt.
0.48.31 6
0.48.29 5
0.48.26 4
Kutscher, dass er einen Wagen hat. 3 sec. Außen. Der Kutscher schüttelt. AM Fridolin steigt ein. Der Kutscher schließt eilig hinter ihm die Tür. 2 sec. Innen. Fridolin setzt sich. N
-
-
-
-
POV, Fahrtgeräusche, Knarren und Rumpeln.
Die Kutschtür knarrt.
Fridolins Stimme aus dem Off: Wer ist sie? Eine Dirne? Sie kennt die Gebräuche dort. Was sollte sie sonst? Sie ist keine. Vergiss nicht. KS: neben der Tür, Fridolins Stimme aus dem Off: Warum in der Trauerkutsche? Es ist vor Fridolin doch noch nicht zu Ende. Ich will herKP: leicht von oben aus! Vielleicht... KS: vor Fridolin Fridolins Stimme aus dem Off: KP: Augenhöhe ... vielleicht wiederfinden am anderen Ort. Diese herrliche Frau. KS: vor dem Fenster POV KP: Brusthöhe KS: neben der Tür Fridolins Stimme aus dem Off: KP: leicht von oben. Es ist nicht zu Ende. Wohin führen die mich?
KS: vor dem Kutscher KP: leicht von unten KS: vor Fridolin KP: Brusthöhe Schwenk zur KS: neben der Kutsche FahrtrichKP: Brusthöhe tung. Schwenk im KS: auf der Bank in der Kutsche Innenraum der Kutsche. KP: Brusthöhe KS: vor Fridolin KP: Brusthöhe
Schwenk zu Fridolins Bewwegung -
Bewegung.
E INSTELLUNGSPROTOKOLLE
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0.49.56 20
0.49.45 19
0.49.41 18
0.49.37 17
0.49.33 16
0.49.31 15
0.49.27 14
0.49.25 13
N
-
-
-
-
Fridolins Stimme aus dem Off: Nicht mehr weiter! Stehen bleiben!
Fridolins Stimme aus dem Off: Keine Komödie spielen, nie mehr. Fridolins Stimme aus dem Off: Ich will ich selber sein. Albertine! Albertine!
KS: schräg Fridolin KP: Brusthöhe.
vor Das Stöhnen einer Frau (Albertine) mischt sich in den Glockenschlag.
KS: neben der Kut- sche KP: Brusthöhe
KS: neben der Kutsche KP: Brusthöhe KS: vor Fridolin KP: Brusthöhe
KS: vor Fridolin KP: Brusthöhe
-
N
KS: vor Fridolin KP: Augenhöhe
POV
POV
-
-
G
D
G
4 sec. Innen. Fridolin sitzt mit ausge- N streckten Armen in der Kutsche. Er begreift, dass er die Kutsche verlassen kann. 11 Außen. Die Kutsche steht auf T sec. einem verlassenen Platz. Es ist dunkel. Fridolin steigt aus. Die Kutschentüren schließen von selbst. Die Kutsche fährt weiter. 15 Außen. Fridolin schaut sich um. HT sec. Die Turmuhr schlägt vier Mal.
2 sec. Innen. Blick auf die schwarz verklebte Scheibe. 4 sec. Innen. Fridolins Augen hinter der Larve. Fridolin nimmt sich die Larve ab. 2 sec. Innen. Blick auf eine zugeklebte Scheibe. 4 sec. Innen. Fridolin stemmt sich mit beiden Armen gegen die Wände. Die Kutsche bleibt stehen. 4 sec. Außen. Beide Kutschentüren öffnen sich von selbst.
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2
3
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5
6
7
8
1.56.44
1.56.57
1.57.03
1.57.20
1.57.25
1.57.41
1.57.54
Außen. Bill läuft und dreht sich AM nach dem Mann um.
Außen. Der Mann biegt um die HT Ecke. AM
Außen. Bill biegt um die Ecke. Er HT läuft und blickt sich um. AM
4 sec. Außen. Bill winkt nach einem AM
13 sec.
16 sec.
5 sec. Außen. Ein Mann geht auf der T Straße.
17 sec.
1
1.56.35
Inhalt
Fahrt
Fahrt zu Bills Laufen.
Fahrt
Fahrt
Î Fahrt
KS: schräg vor dem Mann KP: normal KS: schräg vor Bill KP: leicht von unten KS: schräg vor dem Mann KP: normal KS: schräg vor Bill KP: leicht von unten KS: schräg vor dem Mann KP: leicht von unten KS: schräg vor Bill
György Ligeti: „Musika Ricercata II“.
György Ligeti: „Musika Ricercata II“.
György Ligeti: „Musika Ricercata II“. Grüne Leuchtreklame.
György Ligeti: „Musika Ricercata II“. Wenig Licht. Bläuliches Licht. Grüner Hauseingang. György Ligeti: „Musika Ricercata II“
György Ligeti: „Musika Ricercata II“. Grünlich erleuchtete Schaufenster.
Kamerastandort Licht, Farben, Musik, Auffälligkeiten (KS) und Kameraperspektive (KP) KS: hinter Bill György Ligeti: „Musika Ricercata II“. KP: von oben Keine Menschen auf der Straße. Wenig Licht. Alle Ampeln stehen auf rot. Fahrt zu KS: schräg vor Bill György Ligeti: „Musika Ricercata II“. Bills Laufen. KP: leicht von un- Wenig Licht. ten
Kamerabewegung
Î Fahrt zu Bills Laufen.
Einstellungsgröße 9 sec. Außen, verlassene Straße in T Soho. Bill läuft die Straße entlang. 13 Außen. Bill läuft die dunkle, leere AM sec. Straße entlang. Er dreht sich langsam um und bemerkt einen Mann, der ihn verfolgt. 6 sec. Außen. Ein Mann geht auf der T Straße.
Bil Daud er
TC
Einstellungsanalyse Eyes Wide Shut (GB/USA 1999) Sequenz 21. Nacht. Bill wird verfolgt.
E INSTELLUNGSPROTOKOLLE
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9
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1.57.58
1.58.12
1.58.31
1.58.34
1.58.38
1.58.48
1.59.07
T
10 sec.
-
Schwenk
-
-
György Ligeti: „Musika Ricercata II“. KS: neben Bill KP: leicht von unten
György Ligeti: „Musika Ricercata II“ (Herz-klopfen). Titelschlagzeile der Zeitung: „Lucky to be alive“. KS: schräg vor dem György Ligeti: „Musika Ricercata II“. Die Farben Rot und Blau. Der Mann Mann steht an einem Stop-Schild. KP: normal
György Ligeti: „Musika Ricercata II“.
György Ligeti: „Musika Ricercata II“. Grüne Markise im Hintergrund.
KS: neben Bill KP: leicht von unten KS: schräg vor dem Mann KP: normal KS: neben Bill KP: leicht von unten
AM
-
KS: hinter Bill, vor György Ligeti: „Musika Ricercata II“. Î Schwenk, Rotes Stop-Schild im Hintergrund. Fahrt vor Bill KP: normal Bill her.
KP: leicht von un- Bunt erleuchtetes Schaufenster. ten Fahrt hinter KS: neben Bill, György Ligeti: „Musika Ricercata II“. Bill. hinter Bill KP: normal
HT AM
AM
Außen. Bill steht an einem Zei- AM tungskiosk und schaut zu dem Verfolger. Bill kauft eine Zeitung. 19 Außen. Der Mann steht an der T sec. Straßenecke und schaut zu Bill. Er überquert langsam die Straße, ohne Bill dabei aus den Augen zu lassen. 3 sec. Außen. Bill steht an einem Zei- AM tungskiosk und schaut zu dem Verfolger. Er hält die Zeitung in
Außen. Bill winkt nach einem Taxi. Autos brausen vorbei. Ein Taxi hält auf der gegenüber liegenden Straße. Bill rennt dort hin. 19 Außen. Bill erreicht das Taxi und sec. will die Tür öffnen. Der Fahrer fährt weiter. Bill läuft eilig weiter und schaut sich um. Der Verfolger erscheint nun an der Straßenecke und schaut Bill an. 3 sec. Außen. Bill steht an einem Zeitungskiosk und schaut zu dem Verfolger. 4 sec. Außen. Der Mann steht an der Straßenecke und schaut zu Bill.
14 sec.
Taxi.
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22
1.59.10
1.59.19
1.59.40
1.59.47
2.00.37
2.00.42
2.00.50
AM
HT
AM HT
T
29 sec.
NÎG
Innen. Sharky’s Café. Bill liest N Î G gebannt den Zeitungsartikel, dann schaut er auf.
8 sec. Einblendung Zeitungsartikel.
5 sec. Innen. Sharky’s Café. Bill liest N Zeitung.
der Hand. 9 sec. Außen. Der Mann steht neben dem Stop-Schild und schaut zu Bill. Dann läuft er langsam weiter, ohne Bill dabei aus den Augen zu lassen. Er biegt um die Ecke und geht nicht zu Bill. 21 Außen. Bill steht noch immer am sec. Zeitungskiosk. Er schaut dem Mann nach. Dann geht er weiter in ein Café. 7 sec. Innen. Sharky’s Café. Bill betritt den Vorraum des Cafés. 50 Innen. Sharky’s Café. Bill betritt sec. das Café, setzt sich an einen Tisch und liest Zeitung. KS: vor dem Mann. KP: normal
auf
Zoom Bill.
auf
Zoom auf den Zeitungsartikel.
Zoom Bill.
György Ligeti: „Musika Ricercata II“. Grüne Markise im Hintergrund. Bunte Weihnachtslichter.
György Ligeti: „Musika Ricercata II“.
„Requiem K626, Rex Tremendae“. Weihnachtsdekoration „Requiem K626, Rex Tremendae“. Weihnachtsdekoration. Titelschlagzeile der Zeitung: „Lucky to be alive“. KS: vor Bill „Requiem K626, Rex Tremendae“ KP: von unten Titelschlagzeile der Zeitung: „Lucky to be alive“. KS: über der Zei- POV „Requiem K626, Rex Tremendae“ wird tung ausgeblendet. KP: von oben György Ligeti: „Musika Ricercata II“. KS: vor Bill György Ligeti: „Musika Ricercata II“. KP: von unten
Î Fahrt hinter KS: neben Bill, hinBill. ter Bill. KP: leicht von unten Schwenk KS: vor Bill KP: leicht von oben Schwenk, KS: vor/neben Bill Fahrt KP: normal
-
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Verzeichnisse
1. L ITERATURVERZEICHNIS Werkausgaben Schnitzler, Arthur: Der grüne Kakadu. Drei Einakter von Arthur Schnitzler. Berlin: Fischer, 1922. Darin: Paracelsus (S. 1–57) Schnitzler, Arthur: Traum und Schicksal. Sieben Novellen. Berlin: Fischer, 1931. Schnitzler, Arthur: Gesammelte Werke. Die Erzählenden Schriften. Bd. 2. Frankfurt am Main: Fischer, 1961. Darin: Fräulein Else (S. 324–381) Darin: Traumnovelle (S. 434–504) Schnitzler, Arthur: Über Psychoanalyse. In: Breicha, Otto (Hrsg.): Protokolle. Wiener Halbjahresschrift für Literatur, bildende Kunst und Musik. Heft 2/1976. Wien/München: Jugend und Volk, 1976. S. 277–284. Schnitzler, Arthur: Gesammelte Werke. Entworfenes und Verworfenes. Aus dem Nachlass. Frankfurt am Main: Fischer, 1977. Schnitzler, Arthur: Jugend in Wien. Eine Autobiographie. Berlin: Aufbau Verlag, 1985. Schnitzler, Arthur: Medizinische Schriften. Wien/Darmstadt: Zsolny Verlag, 1988. Briefe Bergel, Kurt (Hrsg.): Briefwechsel. Georg Brandes und Arthur Schnitzler. Bern: Francke, 1956. Schnitzler, Arthur: Briefe 1875-1912. Herausgegeben von Nickl, Therese/Schnitzler, Heinrich. Frankfurt am Main: Fischer Verlag, 1981.
384 | V ERFILMTE G EFÜHLE
Schnitzler, Arthur: Briefe 1913-1931. Herausgegeben von Braunwarth, Peter Michael u.a.. Frankfurt am Main: Fischer Verlag, 1984. Tagebuch Schnitzler, Arthur: Tagebuch 1879–1892. Unter Mitwirkung von Peter Michael Braunwarth, Susanne Pertlik und Reinhard Urbach, vorgelegt von M. Werner Welzig. Wien: Österreichische Akademie der Wissenschaften, 1987 ff. Tagebuch 1893–1902. a.a.O., 1995. Tagebuch 1903–1908, a.a.O., 1991. Tagebuch 1920–1922. a.a.O., 1993. Tagebuch 1923–1926, a.a.O., 1995. Tagebuch 1927–1930. a.a.O., 1997. Weitere Primärliteratur Arnim, Achim von/Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder. In: Rölleke, Heinz (Hrsg.). Studienausgabe in neun Bänden. Band 3. Stuttgart: Kohlhammer, 1979. Bergner, Elisabeth: Bewundert viel und viel gescholten. Elisabeth Bergners unordentliche Erinnerungen. München: Bertelsmann, 1978. Carroll, Lewis: Alice im Spiegelland. Berlin: Kinderbuchverlag, 1976. Maupassant, Guy de: Unser einsames Herz (Notre Cœur). Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Dolf Oehler. Aus dem Französischen von Josef Halperin. Frankfurt am Main: Insel, 1978. Die Erzählungen aus den Tausendundeinen Nächten. Vollständige deutsche Ausgabe in sechs Bänden zum ersten Mal nach dem arabischen Urtext der Calcuttaer Ausgabe aus dem Jahre 1830. Übertragen von Enno Littmann. Band 2. Frankfurt am Main: Büchergilde Gutenberg, 1970. Flaubert, Gustave: Frau Bovary. Leipzig: Insel, 1952. Freud, Sigmund: Briefe 1873–1939. Frankfurt am Main: Fischer, 1960. Freud, Sigmund: Die Traumdeutung. Frankfurt am Main: Fischer, 1961. Kubrick, Stanley/Raphael, Frederic: Eyes Wide Shut. Das Drehbuch. Frankfurt am Main: Fischer, 1999. Sacher-Masoch, Leopold von: Venus im Pelz. Mit einer Studie über den Masochismus von Gilles Deleuze. Frankfurt am Main: Insel, 1980.
V ERZEICHNISSE
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Forschungsliteratur Adam, Gerhard: Literaturverfilmungen. München: Oldenbourg, 1984. Albersmeier, Franz-Josef/Roloff, Volker (Hrsg.): Literaturverfilmungen. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1989. Allerdissen, Rolf: Arthur Schnitzler. Impressionistisches Rollenspiel und skeptischer Moralismus in seinen Erzählungen. Bonn: Bouvier, 1985. Allerkamp, Andrea: „...Ich schreibe ja keine Memoiren.“ Über die ars memoriae als Spiel zwischen Bild und Text in Schnitzlers Fräulein Else. Cahiers D’Études Germaniques 1995, Nr. 29. S. 95–108. Alt, Peter-André: Der Schlaf der Vernunft. Literatur und Traum in der Kulturgeschichte der Neuzeit. München: Beck, 2002. Anz, Thomas/Huber, Martin: Einleitung. In: Anz, Thomas/Huber, Martin (Hrsg.): Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes. Literatur und Emotion. 54 Jahrgang, Heft 3. Bielefeld: Aisthesis Verlag, 2007. S. 282–285. Arnheim, Rudolf: Film als Kunst. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2002. Aurnhammer, Achim: Selig, wer in Träumen stirbt. Das literarische Leben und Sterben von Fräulein Else. In: Euphorion. Zeitschrift für Literaturgeschichte. 77. Band, 4. Heft. Heidelberg: Carl Winter Universitätsverlag, 1983. S. 500– 510. Aurnhammer, Achim/Marquart, Lea: Traumnovelle. Braunschweig: Schroedel, 2010. Bal, Mieke: Poetics, Today. In: Poetics Today 21/3 (2000). S. 479–502. Balàzs, Béla: Schriften zum Film. Band 2: Der Geist des Films. Artikel und Aufsätze 1926–1931. München: Hanser, 1984. Balàzs, Béla: Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2001. Balàzs, Béla: Der Geist des Films. Franfurt am Main: Suhrkamp, 2001. [Zitiert als 2001a] Ballhausen, Thomas/Eichinger, Barbara u.a. (Hrsg.): Die Tatsachen der Seele. Arthur Schnitzler und der Film. Wien: verlag filmarchiv austria, 2006. Barthes, Roland : Rhetorik des Bildes. In: Ders.: Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1990. S. 28–46. Basseler, Michael: Point of View. In: Burdorf, Dieter u.a. (Hrsg.): Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen. Stuttgart/Weimar: Metzler, 2007. S. 596–597. Bazin, André: Für ein ‚unreines‘ Kino – Plädoyer für die Adaption. In: Ders.: Was ist Kino? Bausteine zur Theorie des Films. Köln: DuMont, 1975. S. 45– 67. Bazin, Andre: Was ist Film? Berlin: Alexander Verlag, 2004.
386 | V ERFILMTE G EFÜHLE
Bazin, André: Die Entwicklung der kinematographischen Sprache (1958). In: Albersmeier, Franz-Josef: Texte zur Theorie des Films. Stuttgart: Reclam, 1995. S. 259–277. Beilenhoff, Wolfgang (Hrsg.): Poetik des Films. Deutscher Erstausgabe der filmtheoretischen Texte der russischen Formalisten mit einem Nachwort und Anmerkungen. München: Fink, 1974. Bentele, Günter: Der Zoom – eine filmsemiotische Untersuchung. In: Zeichenkonstitution, Akten des 2. Semiotischen Kolloquiums Regensburg 1978. Bd. 2. Berlin: de Gruyter, 1981. S. 49–59. Blanke, Horst Werner: Film und Literatur. Ein Überblick über englischsprachige Veröffentlichungen der Jahre 1970–1980. In: Komparatistische Hefte, 5/6. Bayreuth: Ellwanger, 1982. S. 221–234.. Bluestone, George: Novels into Film. Baltimore: Johns Hopkins University Press, 1957. Blumensath, Heinz/Lohr, Stephan: Verfilmte Literatur – literarischer Film. In: Praxis Deutsch. Zeitschrift für den Deutschunterricht. 10. Jahrgang. Nr. 57. Seelze: Friedrich Verlag, 1983. S. 10–19. Boehm, Gottfried: Die Wiederkehr der Bilder. In: Ders. (Hrsg.): Was ist ein Bild? München: Fink, 2001. S. 11-38. Bogner, Ralf Georg: Medienwechsel. In: Nünning, Ansgar (Hrsg.): MetzlerLexikon Literatur- und Kulturtheorie: Ansätze – Personen – Grundbegriffe. Stuttgart/Weimar: Metzler, 2008. S. 437. Bogner, Ralf Georg: Medienwechsel. In: Burdorf, Dieter u.a. (Hrsg.): Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen. Stuttgart/Weimar: Metzler, 2007. S. 484. Bohnenkamp, Anne: Literaturverfilmung als intermediale Herausforderung. In: Dies. (Hrsg.): Interpretationen. Literaturverfilmungen. Stuttgart: Reclam, 2005. S. 9–39. Bordwell, David: Narration in the Fiction Film. Madison, London: University of Wisconsin Press, 1988. Bordwell, David: Visual Style in Cinema. Vier Kapitel Filmgeschichte. Frankfurt am Main: Verlag der Autoren, 2001. Branigan, Edward: Point of View in the Cinema. A Theory of Narration and Subjectivity in Classical Film. Berlin/New York: Mouton Publishers, 1984. Branigan, Edward R.: Die Point-of-View-Struktur. In: montage/av. Zeitschrift für Theorie & Geschichte audiovisueller Kommunikation. Figur und Perspektive (2). Jh. 16, Heft1. Marburg: Schüren, 2007. S. 45–70.
V ERZEICHNISSE
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Zeitschrif t für Kultur wissenschaf ten Kathrin Audehm, Iris Clemens (Hg.)
GemeinSinn Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Heft 2/2013
2013, 136 Seiten, kart., 8,50 €, ISBN 978-3-8376-2322-2 Der Befund zu aktuellen Konzepten kulturwissenschaftlicher Analyse und Synthese ist ambivalent. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften bietet eine Plattform für Diskussion und Kontroverse über »Kultur« und die Kulturwissenschaften – die Gegenwart braucht mehr denn je reflektierte Kultur sowie historisch situiertes und sozial verantwortetes Wissen. Aus den Einzelwissenschaften heraus wird mit interdisziplinären Forschungsansätzen diskutiert. Insbesondere jüngere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen kommen dabei zu Wort.
www.transcript-verlag.de