Verfassungsrichterwahlen: Die Besetzung der Richterbank des Bundesverfassungsgerichts und die Besetzung des Europäischen Gerichtshofes sowie des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und des Internationalen Gerichtshofes mit deutschen Kandidaten [1 ed.] 9783428494446, 9783428094448


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German Pages 102 Year 1998

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Verfassungsrichterwahlen: Die Besetzung der Richterbank des Bundesverfassungsgerichts und die Besetzung des Europäischen Gerichtshofes sowie des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und des Internationalen Gerichtshofes mit deutschen Kandidaten [1 ed.]
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STEFAN ULRICH PIEPER

Verfassungsrichterwahlen

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 762

Verfassungsrichterwahlen Die Besetzung der Richterbank des Bundesverfassungsgerichts und die Besetzung des Europäischen Gerichtshofes sowie des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und des Internationalen Gerichtshofes mit deutschen Kandidaten

Von

Stefan Ulrich Pieper

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Pieper, Stefan Ulrich: Verfassungsrichterwahlen : die Besetzung der Richterbank des Bundesverfassungsgerichts und die Besetzung des Europäischen Gerichtshofes sowie des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und des Internationalen Gerichtshofes mit deutschen Kandidaten / von Stefan Ulrich Pieper. Berlin : Duncker und Humblot, 1998 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 762) ISBN 3-428-09444-1

Alle Rechte vorbehalten © 1998 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-09444-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ

Vorwort Die personelle Besetzung von Gerichten - zumal höchster Gerichte und Gerichtshöfe - ist ein politischer Vorgang, der von entscheidender Bedeutung für die Rechtsprechung ist. Denn die Umsetzung etwa der Verfassung oder des gesetzgeberischen Willens im Einzelfall wird durch Richter bewirkt. Für das Verständnis der anzuwendenden Rechtssätze sind - neben der juristischen Fachkenntnis - die eigene Herkunft, die berufliche Erfahrung, die moralische, weltanschauliche und sittliche Einstellung entscheidend. So erstaunt es, daß - von der Besetzung des Bundesverfassungsgerichts einmal abgesehen - die Verfahren zur Besetzung der in dieser Studie untersuchten Gerichte in der breiten Öffentlichkeit wie der Fachöffentlichkeit so wenig Aufmerksamkeit erfahren. Denn selbst wenn im Einzelfall die konkrete personelle Besetzung einmal umstritten ist, so werden Auswahl und Wahlverfahren der höchsten Gerichte normativ gesteuert, ohne daß den einschlägigen Regelungen Aufmerksamkeit geschenkt wird. Dabei kommt der Einhaltung der Verfahrensregelungen eine grundsätzliche Bedeutung zu, weil sie Legitimation vermitteln und Akzeptanz sichern. Die Studie will Bewußtsein hierfür schaffen, indem sie einen Beitrag zur Rekonstruktion der eigentlich vorgesehenen personellen demokratischen Legitimation wichtiger Gerichte beisteuern möchte. Im Vordergrund stehen das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof. Neben diesen werden auch die Landesverfassungsgerichte, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sowie der Internationale Gerichtshof im Hinblick auf ihre personelle Besetzung mit in die Betrachtung einbezogen. War mir schon früher das geringe öffentliche wie fachliche Interesse an der Besetzung der Richterbank des Europäischen Gerichtshofes aufgefallen und die hier zudem eklatante Regelungslosigkeit, so gab ein Vortrag des ehemaligen Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts im Rahmen der Ringvorlesung der Assistentenschaft der rechtswissenschaftlichen Fakultät Münster den endgültigen Anstoß zur Befassung mit der vorliegenden Problematik. In diesem Vortrag und auch in der nachfolgenden Diskussion äußerte Ernst Gottfried Mahrenholz erhebliche Bedenken gegenüber dem Verfahren zur Besetzung des Bundesverfassungsgerichts und forderte zugleich auf, das Problem (erneut) literarisch zu bearbeiten. Ich danke meinen Kollegen Dr. Arno Scherzberg, Dr. Rolf Eckhoff, Priv. Doz. Dr. Volker Epping, Carsten Günther und Dr. Martin Coen für ihre Diskussions-

6

Vorwort

bereitschaft und ihre wertvollen Anregungen und Hilfe. Prof. Jack M. Beermann, Boston School of Law, gilt mein besonderer Dank für seine Hinweise zum Nominierungsverfahren von Richtern in den USA. Münster, im Juli 1998 Stefan Ulrich Pieper

Inhaltsverzeichnis Α. Einführung

11

Β. Die demokratische Legitimation der Dritten Gewalt

15

I. Personelle demokratische Legitimation II. Funktionsadäquate demokratische Legitimation der Rechtsprechung . . . . C. Die Besetzung der Richterbank von Verfassungsgerichten

15 19 22

I. Bundesverfassungsgericht 22 1. Grundgesetzliche Regelungen 22 a) Auswahlregelung 22 b) Wahlregelungen 23 2. Regelungen des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes 23 a) Auswahlregelungen 23 b) Wahlregelungen nach dem Bundesverfassungsgerichtsgesetz 25 3. Die Praxis der Richterwahl 27 4. Verfassungsrechtliche Beurteilung 29 a) Wahlregelung 29 b) Auswahl 36 c) Zwischenergebnis 37 II. Die Besetzung der Richterbank der Verfassungsgerichte der Länder Überblick 38 1. Zusammensetzung der Landesverfassungsgerichte 39 2. Amtszeit 40 3. Wahlregelungen 40 4. Zusammenfassung 41 III. Exkurs: Die Besetzung des U.S.-Supreme Court mit Verfassungsrichtern . 42 1. Einführung 42 2. Auswahl und Wahl von Richtern zum Supreme Court 44 a) Rechtsstellung 44 b) Die Vorschriften über die Wahl der Verfassungsrichter 44 c) Auswahlkriterien und -verfahren 45 3. Bewertung des amerikanischen Systems 48 IV. Reform 53

8

Inhaltsverzeichnis

D. Die Besetzung der Richterbank des Europäischen Gerichtshofes mit deutschen Richtern Die Aufgaben der gemeinschaftlichen Gerichtsbarkeit Zuständigkeiten Demokratische Legitimation Wahl und Auswahl der Richter am Europäischen Gerichtshof nach derzeitiger Praxis 1. Gemeinschaftsrecht a) Ernennung und Eignungskriterien b) Staatsangehörigkeit c) Fehlende Mitwirkung von Gemeinschaftsorganen 2. Voraussetzungen nach deutschem Recht 3. Nationale Auswahlkompetenz V. Der Europäische Gerichtshof als Staatengerichtshof VI. Herstellung einer funktionsadäquaten demokratischen Legitimation

55

I. II. III. IV.

55 56 58

....

60 60 61 62 62 63 63 64 66

E. Die Besetzung zwischenstaatlicher Gerichte mit deutschen Richtern . . . .

71

I. Besetzung der Europäischen Kommission für Menschenrechte und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte mit deutschen Mitgliedern 1. Bedeutung 2. Die Regelung zur Besetzung der bisherigen Organe a) Wahlverfahren b) Nationale Auswahl c) Bewertung 3. Verfahren nach Inkrafttreten des 11. Zusatzprotokolls II. Besetzung der Richterbank beim Internationalen Gerichtshof 1. Bedeutung 2. Zusammensetzung des Gerichtshofs 3. Persönliche Voraussetzungen 4. Wahlverfahren 5. Nationale Auswahl F. Zusammenfassung I. Verfassungswidrige Besetzung des Bundesverfassungsgerichts 1. Verfassungspolitische Notwendigkeit einer Wahl der Richter durch den Bundestag 2. Verfassungswidrigkeit der Entscheidungen II. Personelle demokratische Legitimation des Europäischen Gerichtshofes III. Übrige zwischenstaatliche Gerichte IV. Fazit

71 71 73 73 74 74 75 77 77 78 79 79 80 82 82 82 84 86 86 87

Inhaltsverzeichnis Literaturverzeichnis

88

Sachregister

97

Α. Einführung Verfassungsgerichten kommt nach der Funktionsordnung des Grundgesetzes und nach der der Landesverfassungen eine besondere Machtfülle zu: Obwohl staatlich-politische Entscheidungen grundsätzlich durch die Parlamente zu fällen sind, ist deren Befugnis nicht grenzenlos. Vielmehr ist die Legislative bei ihren Entscheidungen an die Verfassung, insbesondere an die Grundrechte (Art. 1 Abs. 3 GG), die grundlegenden Verfassungsprinzipien und an die Verfahrensvorschriften gebunden. Diese Bindung läßt die politische Entscheidung offen, bestimmt aber deren Rahmen. Dessen Einhaltung unterliegt der verfassungsgerichtlichen Kontrolle. Verfassungsgerichte sind „Hüter der Verfassung". 1 Mit einer Abnahme des politischen Konsenses ist die Tendenz zu verzeichnen, politische Entscheidungen der Parlamente unter rechtlichen Gesichtspunkten verfassungsgerichtlich kontrollieren zu lassen. Die abstrakte Normenkontrolle (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG), das Organstreitverfahren (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG), vor allem aber die gesteigerte Bereitschaft der Bürger, rechtliche Interessen in letzter Konsequenz durch eine Verfassungsbeschwerde gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG zu verfolgen 2 - ablesbar an der hohen Zahl der erhobenen Beschwerden 3 - , eröffnen dem Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit, eine Vielzahl von verfassungsrechtlich relevanten Fragen einer Klärung zuzuführen. 4 Diese Verfahren bewirken nicht immer den erwünschten Rechtsfrieden. Streit entzündet sich an Entscheidungen mit jeweils aktuellem politischen Bezug, wie zur Verteidigungspolitik, 5 der gesetzlichen Regelung des Schwangerschafts-

1

Denkschrift des Bundesverfassungsgerichts, in: Der Status des Bundesverfassungsgerichts, JöR NF 6 (1957), 109, 144 f.; schon Schmitt, Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, 63 ff. 2

Vgl. hierzu allgemein von Münch, Jura 1992, 505, 509 f.

3

Für den zweiten Senat gibt Böckenförde v. 24.5.1996, 8. 4

für 1995 3.041 Beschwerden an, vgl. FAZ

Zur Frage, inwieweit das Bundesverfassungsgericht „Politik" macht, vgl. von Münch, Jura 1992, 505, 510 m.w.N.; ders., NJW 1996, 2073 ff.; zur Untrennbarkeit von Recht und Politik auch Geiger, EuGRZ 1985, 401. 3

BVerfGE 88, 174; 89, 38; 90, 286.

12

Α. Einführung

abbruchs,6 zum Vertrag von Maastricht 7 oder zur Regelung der Rundfunkgebühren 8.9 Anlaß zu Diskussionen bieten aber auch Entscheidungen mit zunächst geringerem politischen Einschlag wie etwa die zu Kruzifixen in Schulräumen 10, zum Konsum von Cannabis11 oder zur Äußerung „Soldaten sind Mörder" 12 . Die Kette ließe sich beliebig auch mit derzeit streitigen Sachverhalten fortsetzen. 13 Um eine solche Auseinandersetzung mit Inhalten umstrittener Entscheidungen geht es hier allerdings nicht. Der Streit und die öffentliche Auseinandersetzung um solche Entscheidungen verdeutlichen aber die Kritik am verfassungsgerichtlichen Prozeß. 14 Gleichwohl ist das Ansehen des Gerichts weitgehend ungebrochen, die Institution wird nicht ernstlich in Zweifel gezogen. 15 Kritik am Bundesverfassungsgericht indes ist keineswegs neu, sie tritt vielmehr periodisch meist dann auf, wenn politisch umstrittene Fragen durch das Gericht verhandelt und entschieden werden müssen.16 Dabei ist unbestritten, daß die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts politische Wirkungen zeigen,17 auch wenn das Gericht in erster Linie als Organ des Rechts18 konzipiert ist.

6

BVerfGE 88, 203.

7

BVerfGE 89, 155.

8

BVerfGE 90, 60.

9 Vgl. zu den vorgenannten Entscheidungen lediglich die Beiträge in: Piazolo (Hrsg.) verfaßt von Blumenwitz, Verteidigungspolitik, 87 ff., Steiner, Schwangerschaftsabbruch, 107 ff., Kruis, Maastricht, 125 ff. und Bethge, Gebührenfinanzierung, 141 ff. 10

BVerfGE 93, 1.

11

BVerfGE 90, 145.

12

BVerfGE 93, 266.

13

Neuester Anlaß ist der Streit zwischen 1. und 2. Senat über die Frage, ob die Geburt eines Kindes ein zivilrechtlicher Schaden sein kann, vgl. FAZ v. 16.12.97, Iff. sowie Der Spiegel, Nr. 52/1997, 22 ff. 14

Vgl. etwa Großfeld, NJW 1995, 1719 ff.; Wassermann, Recht und Politik 1996, 61 ff.; vgl. auch jüngst Kutscha, NJ 1996, 171 m.v.w.N. sowie Bettermann, FAZ v. 20.12.1996, 13. 15

Roellecke, Ansehen des Bundesverfassungsgerichts, 33 f.

16

Vgl. die Darstellung bei Häußler, Der Konflikt zwischen Bundesverfassungsgericht und politischer Führung, 22 ff.; Geiger, EuGRZ 1985, 401, 402 ff.; zu früherer Kritik vgl. m.w.N. Kimminch, Verfassungsgerichtsbarkeit, 62 f. sowie m. Bsp. Fromme, „Karlsruhe" - Wie es euch gefällt, 98 ff. 17 Fromme, „Karlsruhe" - Wie es euch gefällt, 98, 102 ff.; vgl. auch Limbach, Humbold Forum Recht 1996, Beitrag 12, Exkurs lb; Gusy, EuGRZ 1982, 93, 99. 18

Clemens, Bundesverfassungsgericht, 13, 16 ff.

Α. Einführung Nicht selten rückt die personelle Besetzung des Bundesverfassungsgerichts jenseits fachlicher Fragen in den Vordergrund des allgemeinen öffentlichen Interesses. So wurde die Forderung erhoben, die Wahlmodalitäten zu ändern. 19 Diskrepanzen bei der Besetzung gelangen in der Regel nur in Extremfällen ins Visier der Öffentlichkeit, wie etwa der Streit um die Nachbesetzung der Position des Vizepräsidenten in den Jahren 1993 und 1994.20 Besetzungsstreitigkeiten verdeutlichen die auch politische Rolle 21 des Bundesverfassungsgerichts und den „ Z u g r i f f der tragenden politischen Parteien auf staatliche Institutionen.22 Für die Wahl der Bundesverfassungsrichter schreibt § 6 BVerfGG eine von Art. 94 GG abweichende Regelung vor. Zudem erfolgt die Auswahl der Kandidaten in der Praxis nach politischen Kriterien. So stellt sich die Frage nach der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit dieser Praxis, zumal die Autorität des Bundesverfassungsgerichts auf seiner Unabhängigkeit basiert. 23 Politisch beeinflußt ist auch die Besetzung der Richterbank von Landesverfassungsgerichten. 24 Weniger öffentlichkeitswirksam hingegen ist die personelle Besetzung der obersten Gerichtshöfe des Bundes (Art. 95 Abs. 2 GG) 25 sowie der Fachgerichte der Länder. Deren Bedeutung mag politisch nicht im gleichen Maße erheblich sein und auch über den Einzelfall hinaus nur eine auf das Fachpublikum bezogene Breitenwirkung entfalten. Gleichwohl muß für die ordentliche Gerichtsbarkeit wie für die Fachgerichtsbarkeit - auch wenn sie im folgenden außer Betracht bleiben sollen - ein politischer Zugriff bei der Besetzung der obersten Gerichtshöfe konstatiert werden 26 und ein solcher ist

19

Besonders pointiert Bettermann, FAZ v. 20.12.1996, 13; vgl. auch Zuck, NJW 1995, 2903, 2904. 20

Hierbei ging es um die als Nachfolgerin des Vizepräsidenten Mahrenholz vorgesehene Herta Däubler-Gmelin, vgl. hierzu nur Kerscher, SZ v. 8.9.1993, 3; Der Spiegel, Heft 13/1993, 47. 21 Pointiert hierzu von Münch, NJW 1993, 2286 f.; schon Triepel, VVDStRL 5 (1929), 2, 8, bezeichnete Verfassungsrecht als politisches Recht. 22 Allgemein hierzu Scheuch, Cliquen, Klüngel und Karrieren, 1992, 170 ff. und passim; allgemein zum Verhältnis Politik und Justiz vgl. Piorreck, DRiZ 1993, 109. 23

von Münch, Jura 1992, 505, 511.

24

Zur Besetzung des BayVerfGH vgl. BayVerfGH, NVwZ 1993, 1081 ff., sowie FAZ v. 19.11.1994, 4; siehe auch VerfGH NW v. 11.5.1994, VerfGH 6/94 = NWVB1. 1994, 373 ff. 25 Auch hier hat es wegen der politischen Mehrheitsverhältnisse im Richterwahlausschuß (Art. 95 GG) jüngst Personaldiskussionen gegeben, vgl. Neue Westfälische Zeitung, 13.1.1996, 2; zum Stellenwert parteipolitischer Ausrichtungen von Kandidaten vgl. Erhard, FS für Wallis, 35, 41 f. 26

21.

Vgl. zu dieser Problematik Vultejus, DRiZ 1995, 393; dagegen Göhner, DRiZ 1996,

14

Α. Einführung

selbst für untere Instanzen nicht auszuschließen.27 Die Relevanz parteipolitischer Aspekte im Rahmen der Besetzung von Richterstellen hoher Gerichte wurde zum Beispiel öffentlich bekannt anläßlich des Falles des Richters am BGH Maul, der nicht zum Vorsitzenden Richter ernannt wurde. Hierfür sollten, wie im Rahmen eines einstweiligen Anordnungsverfahrens vom Verwaltungsgericht Karlsruhe festgestellt wurde, sachfremde Erwägungen, nämlich die kommunalpolitische Tätigkeit für die SPD ausschlaggebend gewesen sein.28 Auch wenn im Ergebnis offen geblieben ist, ob parteipolitische Gründe vorgelegen haben, wirft der Vorgang ein bezeichnendes Licht auf die Praxis. Die Besetzungspraxis der Richterbank internationaler Gerichte durch die Bundesrepublik mit Richtern spielt in der Öffentlichkeit eine untergeordnete Rolle. Es fehlen neben den in den jeweiligen internationalen Verträgen vorgesehenen Regelungen auch Vorschriften für die nationale Bestimmung der Kandidaten. Sie erfolgt meist durch die Exekutive. Die Studie befaßt sich nach einer Darstellung der Notwendigkeit demokratischer Legitimation der Judikative (B.) mit der Besetzung des Bundesverfassungsgerichts und der Landesverfassungsgerichte (C.). In diesen Kontext wird die Besetzung der Richterbank der Europäischen Gerichtsbarkeit (D.) und die zwischenstaatlicher Gerichte mit deutschen Kandidaten gestellt (E.).

27 28

Vgl. Schmidt-Hieber/Kiesswetter,

NJW 1992, 1790.

Vgl. die Berichte in: Der Spiegel Heft 19/1996, 96; FAZ v. 29.6.1996, 5; v. 9.8.1996, 4; v. 10.8.1996, 5; v. 22.8.1996, 2.

Β. Die demokratische Legitimation der Dritten Gewalt Rechtsprechung ist nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG Ausübung von Staatsgewalt. Gemäß Art. 92 GG ist sie den Richtern anvertraut und wird durch das Bundesverfassungsgericht, die Bundesgerichte (Art. 95 GG) und die Gerichte der Länder ausgeübt. Rechtsschutz durch Rechtsprechung wird grundrechtlich in Art. 19 Abs. 4 GG garantiert, er ist Teil des subjektiv-rechtlichen Grundrechtsschutzes selbst.29

I. Personelle demokratische Legitimation Rechtsprechung hat materiell-rechtlich die endgültige Entscheidung eines streitigen Sachverhalts aufgrund der geltenden Rechtsnormen zum Gegenstand. Das Urteil belastet die unterlegene Partei, auch wenn die rechtskräftige Entscheidung mit der einfachgesetzlichen Rechtslage und mit den Grundrechten in Einklang steht. Gilt insoweit der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gemäß Art. 20 Abs. 3 GG 3 0 für exekutive Tätigkeiten, so bindet dieser mit seinen Komponenten Gesetzesvorrang und Gesetzesvorbehalt auch die Rechtsprechung. Die staatlichen Organe, die diese Tätigkeiten ausüben, müssen ihre Grundlagen damit letztlich in einer Entscheidung des Volkes finden, 31 also durch eine ununterbrochene demokratische Legitimationskette zu ihrer Tätigkeit berechtigt sein. 32 Wenn in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG die Grundentscheidung für eine repräsentative Demokratie zum Ausdruck kommt, so bedeutet demokratische Legitimation im Sinne des in Art. 20 Abs. 2 GG formulierten grundlegenden demokratischen Prinzips eine Rückführbarkeit der staatlichen Gewalt auf den Volkswillen. 33 Demokratie ist dabei nicht nur ein formales Zurechnungs-

29

Krebs, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 19 Rdnr. 47.

30

Vgl. hierzu Schnapp, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 20 Rdnr.

38. 31 32

Badura, HdbStR, Bd. 1, § 23 Rdnr. 27.

BVerfGE 38, 258, 271; 47, 253, 272; 77, 1, 40; Böckenförde, Rdnr. 16; kritisch Bryde, StWP 1994, 305 ff.

HdbStR, Bd. 1, § 22

33 Schnapp, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 20 Rdnr. 30; ausführlich dazu Böckenförde, HdbStR, Bd. 1, § 22 Rdnr. 10 und passim; Hesse, Grundzüge, Rdnr. 153 ff.

16

Β. Demokratische Legitimation der Dritten Gewalt

prinzip, sondern enthält eine inhaltliche Komponente, die durch vorrechtliche Voraussetzungen aufgefüllt wird. Hierzu zählt zunächst eine ständige freie Auseinandersetzung der sich begegnenden sozialen Kräfte, Interessen und Ideen, aus der heraus eine öffentliche Meinung den politischen Willen formt. 34 Außerdem müssen die Entscheidungsverfahren der Organe, die Hoheitsgewalt ausüben, allgemein sichtbar und nachvollziehbar sein; dies gilt auch für die Art und Weise, in der politische Zielvorstellungen verfolgt werden. 35 Demokratische Legitimation vermitteln zunächst Wahlen und Abstimmungen (Art. 20 Abs. 2 GG), also personelle und sachliche Entscheidungen des Souveräns. Das Grundgesetz sieht dabei Abstimmungen nur im Falle des Art. 29 GG für die Neugliederung des Bundesgebietes vor. Im repräsentativen System des Grundgesetzes sind daher Sachentscheidungen solche des Parlaments, die in legislativer Form gefällt und von der Verwaltung vollzogen werden. Für die Sachentscheidungen der Verwaltung wird der demokratische Verantwortlichkeitszusammenhang dadurch gewahrt, daß das Handeln in gesetzmäßiger Weise zu erfolgen hat. Die personelle demokratische Legitimation erfolgt durch die parlamentarische Verantwortlichkeit der Minister, die an der Spitze der hierarchischen Verwaltung stehen, und ihre Ernennung durch den Bundespräsidenten. Die Amtswalter sind daher mittelbar demokratisch legitimiert. So wird - wenn auch nur mittelbar über die Minister - eine parlamentarische Kontrolle der Verwaltung sichergestellt. 36 Auch wenn es das demokratische Prinzip selbst nicht erfordert, daß jedem Amtswalter unmittelbar selbst demokratische Legitimation durch Wahl vermittelt wird, es vielmehr ausreicht, daß die zentralen Führungs- und Kontrollinstanzen unmittelbar personell legitimiert sind, 37 so müssen diese unmittelbar gewählten Führungs- und Kontrollinstanzen doch die Tätigkeit der ihnen nachgeordneten Behörden verantworten und zugleich eine ausreichende Einflußmöglichkeit auf diese Instanzen haben. Art. 20 Abs. 2 GG beinhaltet aber keine Einbahnstraße der Legitimation einer sich von unten nach oben aufbauenden Staatsgewalt und der staatliche Ämter. Daneben soll in der Gegenrichtung das Abgleiten der nur selbst handelnden

34 Vgl. zur Funktion der „öffentlichen Meinung" Kloepfer, HdbStR, Bd. 2, § 35 Rn. 11 ff.; Bethge, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, Art. 5 Rn. 15 ff.; Hoffmann-Riem, HdbVerfR, § 7 Rn. 2; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Bd. 1, Art. 5 Rn. 28. 35

BVerfGE 89, 155, 185; 5, 85, 135, 198, 205; 69, 315, 344 ff.

36

So Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 22 Rdnr. 31.

37

BVerfGE 47,253, 275; 52, 112, 120, 130; 77, 1, 40.

I. Personelle demokratische Legitimation

17

Repräsentanten in eine souveräne Stellung verhindert sowie eine demokratische Korrigierbarkeit der repräsentativen Leitungs- und Entscheidungsgewalt gewährleistet werden, sei es durch Abberufung der Repräsentaten oder durch parlamentarische Sachentscheidungen.38 Demokratische Verantwortung in diesem Sinn heißt auch Einstehen-müssen für die getroffenen Entscheidungen, und zwar primär in einem politischen Sinn, der in der Möglichkeit zur Abberufung besteht.39 Dementsprechend muß die Besetzung der Staatsorgane mit Personen auf einer Letztentscheidung des Repräsentativorgans beruhen. Zugleich muß die Besetzung den geschilderten inhaltlichen Komponenten genügen, also Ergebnis eines offenen Prozesses sein. Auch wenn nach dem „Prinzip der individuellen Berufung der Amtswalter durch das Volk oder durch volksgewählte Organe" 40 im Grundsatz eine mittelbare Rückführbarkeit auf das Volk ausreicht, so vermittelt in der Bundesrepublik allein das Parlament die Legitimation der Amtswalter, und zwar im Detail nach den in der Verfassung bzw. gesetzlich vorgesehenen Regelungen.41 Dies gilt auch für den Teil der staatlichen Gewalt, der von der Rechtsprechung ausgefüllt wird. 42 Judikative Sachentscheidungen sind gerade Aufgabe der unabhängigen, nur dem Recht verpflichteten Gerichte. Eine demokratische Verantwortung im Sinne eines Einstehen-müssens ist in Anbetracht des Grundsatzes über die Unabhängigkeit der Richter (Art. 97 GG, für Bundes Verfassungsrichter § 105 BVerfGG) gerade ausgeschlossen. Dies ist hinnehmbar für solche Gerichte, die nach der Funktionenordnung des Grundgesetzes gem. Art. 20 Abs. 2 als Rechtsprechung einzuordnen und an Gesetz und Recht gebunden sind. Die personelle Legitimation der Richter erwächst hier aus der Ernennung. Für das Bundesverfassungsgericht gilt in Bezug auf die demokratische Legitimation aber die Besonderheit, daß es zwar Gericht ist und damit Teil der Rechtsprechung. Als Verfassungsorgan kommen ihm aber die geschilderten besonderen Kompetenzen zu, die im Hinblick auf das Demokratieprinzip einen Bruch darzustellen scheinen. Denn die Kompetenzen zur Überprüfung von Gesetzen anhand der Verfassung setzt das Mehrheitsprinzip außer Kraft, ein

38

Böckenförde,

39

In diesem Sinn Haltern, Der Staat 36 (1996), 551, 561, umfassender 562 ff.

40

BVerfGE 83, 60, 73; 93, 37, 67.

41

BVerfGE 93, 37, 67 f.

42

Böckenförde, Richterwahl, 71 ff. * 2 Pieper

HdbStR, Bd. 1, § 22 Rdnr. 15.

HdbStR, Bd. 1, § 22 Rdnr. 24; dersVerfassungsfragen der

18

Β. Demokratische Legitimation der Dritten Gewalt

- von der Verfassung allerdings gewollter - Antagonismus.43 Die Frage nach der demokratischen Legitimation stellt sich hierfür in aller Schärfe. Sie läßt sich indes - jenseits aller demokratietheoretischen Erwägungen 44 - nur konkret anhand des von der Verfassung selbst vorgesehenen Spannungsfeldes beantworten. Denn neben den „legitimationsspendenden" Vorschriften des Grundgesetzes45 über die Befugnisse des Bundesverfassungsgerichts speist sich die demokratische Legitimation dieser Hoheitsgewalt allein durch die Bestellung der Richter. Diese muß deshalb Art. 20 Abs. 2 GG genügen. Setzt die in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG niedergelegte Aufgabenzuweisung für die Ausübung von Staatsgewalt eine funktionsgerechte Struktur, Zusammensetzung und Besetzung der Organe voraus, 46 so erfordert Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG zugleich eine funktionsadäquate demokratische Legitimation. Art. 20 Abs. 2 S. 1 und 2 GG zielen nicht nur auf eine rein formelle Rückführbarkeit, sondern bedingen auch ein Maß an Rückführbarkeit auf die Entscheidung des Souveräns, das in Relation zur ausgeübten Staatsgewalt steht. Staatsgewalt erweist sich in der Demokratie als Ergebnis der politischen Macht und der ausgeübten politischen Funktionen. Die Bedeutung der politischen Funktion und das Maß der politischen Macht bestimmen dabei die Relation der erforderlichen demokratischen Legitimation. Anders gewendet, je gewichtiger und umfassender die Ausübung der Staatsgewalt ist, umso kürzer muß die Legitimationskette sein, da mit Zunahme von politischer Macht und Funktion proportional die politische Verantwortung gegenüber dem Legitimationssubjekt wächst.47 Die Relation ist dabei der jeweiligen Funktion im Gesamtgefüge der Ausübung von Staatsgewalt zu entnehmen. Denn Art. 20 Abs. 2 GG beinhaltet ein Prinzip der Verfassung, dessen Inhalt und Tragweite sich aus den Regelungen der Gesamtverfassung erschließen. 48 So sieht für eine Reihe von staatlichen Organen das Grundgesetz selbst das Verfahren der Besetzung mit Personen vor. Die Besetzung des Staatsorgans „Bundeskanzler" erfolgt durch eine Wahl im Bundestag (Art. 63 GG), das Staatsorgan „Bundespräsident" wird durch einen Wahlakt des besonders hierfür vorgesehenen Wahlorgans „Bundesversammlung" bestimmt (Art. 54 GG). In anderen Fällen ist das Maß an personeller demokratischer Legitimation durch

43

Pointiert insoweit Haltern, Der Staat 36 (1996), 551, 552 ff., 556.

44

Hierzu unter Bezug auf die amerikanische Diskussion Haltern, Der Staat 36 (1996), 551, 555 ff. m. w. N. 45

Vgl. Grimm, JZ 1976, 697, 699; Roellecke, HdbStR, Bd. 2, § 53 Rdnr. 21.

46

Hesse, Grundzüge, Rdnr. 488.

47

Haltern, Der Staat 36 (1996), 551, 553, 568 f. m.w.N.; Kröger, Richterwahl, 79.

48

Hesse, Grundzüge, Rdnr. 481.

II. Funktionsadäquate Legitimation der Rechtsprechung

19

die Rückführbarkeit in der Verfassung inhaltlich weniger bestimmt. Die personelle Besetzung der verschiedenen Regierungsämter fällt in die politische Entscheidungsgewalt des Bundeskanzlers, der hierbei politische Konstellationen wie Koalitionen zu berücksichtigen hat. Die Ernennung erfolgt durch den Bundespräsidenten. Geringer durch die Verfassung determiniert ist auch die Besetzung staatlicher Institutionen mit Bediensteten, wobei Art. 33 GG zu berücksichtigen ist. Personelle demokratische Legitimation wird hier über eine Kette individueller, auf die Aktiv-Bürgerschaft zurückzuführender Berufungsakte, etwa gemäß Art. 38, 63, 64 und 67 GG vermittelt. 49 Die Funktionsadäquanz der demokratischen Legitimation bestimmt sich bei der personellen Besetzung von Staatsorganen aus der Konkretisierung in der Verfassung selbst. Der Bundeskanzler etwa bestimmt die Richtlinien der Politik und ist hauptverantwortlich für die Regierungspolitik, weshalb er unmittelbar durch den Bundestag gewählt wird. Die Wahl des Bundespräsidenten durch die Bundesversammlung vermittelt ihm insoweit eine funktionsadäquate Legitimation, als ihm Integrationsfunktion zukommt und er somit auf einer breiten, föderal mitbestimmten Basis gewählt werden soll. Die Legitimation vermittelnden Ernennungsakte der Mitglieder der Exekutive reichen für die ihnen zukommende Befugnis aus, da sie Sachentscheidungen der Legislative regelmäßig nur im Einzelfall vollziehen. 50 Verfassungsrechtsprechung erhält demokratische Legitimation mithin auch in ihrer personellen Ausgestaltung, womit sich die Frage nach der Funktionsadäquanz demokratischer Legitimation bei der Besetzung der Richterbank stellt.

II. Funktionsadäquate demokratische Legitimation der Rechtsprechung Für die funktionsadäquate demokratische Legitimation der Rechtsprechung ist hinsichtlich ihres Zuständigkeits- und Kompetenzbereichs zu differenzieren. Art. 92 GG unterteilt die rechtsprechende Gewalt in die des Bundesverfassungsgerichts, die der nach dem Grundgesetz vorgesehenen Bundesgerichte und die der Gerichte der Länder. Zwar schreibt Art. 20 Abs. 3 GG einheitlich vor, die Rechtsprechung sei an Gesetz und Recht gebunden, doch ergibt sich aus der Systematik der Art. 92 ff. GG ein differenziertes Bild. 5 1

49

BVerfGE 68, 1, 88.

50

Dies gilt jedenfalls theoretisch; daß die Verwaltung heute über einen eigenen Entscheidungsspielraum verfügt und die Steuerungsfähigkeit von Rechtssätzen und damit des Gesetzgebers abnimmt, steht außer Frage. 51

2*

Zu weiteren Unterschieden von Münch, Jura 1992, 505 f.

20

Β. Demokratische Legitimation der Dritten Gewalt

Art. 93 GG zählt abschließend die Kompetenzen des Bundesverfassungsgerichts auf, die im wesentlichen darin bestehen, staatliches Handeln am Maßstab des Grundgesetz zu prüfen. Das Bundesverfassungsgericht selbst ist Verfassungsorgan. 52 Ihm obliegt die Auslegung der Verfassung. Es prüft darüber hinaus die Vereinbarkeit von einfachem Recht mit dem Grundgesetz und kann dieses gegebenenfalls für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklären (vgl. § 31 BVerfGG in den Fällen des § 13 Nr. 6, 11, 12 und 14 BVerfGG sowie in den Fällen des § 13 Nr. 8 a BVerfGG). Seine Entscheidungen binden gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG alle Behörden und bei der Normenkontrolle auch den Gesetzgeber.53 Neben der Normverwerfungskompetenz nimmt das Gericht die Befugnis in Anspruch, Übergangsregelungen, Vorgaben für den Gesetzgeber und Fristen zu bestimmen,54 bis der Gesetzgeber eine verfassungsgemäße Neuregelung erläßt. 55 Im System der „checks and balances"56 liegt in der Funktion des Bundesverfassungsgerichts eine institutionalisierte Befugnis zum Übergriff in legislative Kompetenzen. Eine dem Bundesverfassungsgericht ähnliche Funktion besitzen die Verfassungsgerichte der Länder in bezug auf die Prüfung des einfachen Landesrechts auf seine Übereinstimmung mit den Landesverfassungen. 57 Demgegenüber knüpft Art. 95 GG an die klassische Aufteilung der ordentlichen Gerichtsbarkeit, der Verwaltungs-, der Finanz-, der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit an und institutionalisiert hier oberste Gerichtshöfe für die einzelnen Gerichtszweige. Die obersten Gerichtshöfe stehen am Ende der Instanzenkette über den Landesgerichten. Ihnen und sonstigen Gerichten kommt keine Norm Verwerfungskompetenz zu. Art. 100 GG sieht für die Fälle, in denen ein Gericht im Rahmen des ihm vorliegenden Verfahrens zur Verfassungswidrigkeit einfachen Rechts kommt, eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht vor (konkrete Normenkontrolle). Die Differenzierung in Art. 93 GG und Art. 95 GG verdeutlicht damit die unterschiedliche Aufgabenzuweisung, das daran anknüpfende unterschiedliche Kompetenzmaß und damit auch die unterschiedliche Funktion. Gesetzesrecht ist in hohem Maß demokratisch legitimiert, da es von den direkt gewählten Parlamenten selbst erlassen wird. Nicht nur die Qualifikation

52

Klein, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 5 Rdnr. 3; Schiaich, Das Bundesverfassungsgericht, Rdnr. 26 m.w.N. 53

Roellecke, HdbStR, Bd. 2, § 53 Rdnr. 17 ff.

54

Etwa: BVerfGE 82, 322, 352; 84, 9, 23 f.

55

Vgl. hierzu Frenz, DÖV 1993, 847.

56

Umfassend hierzu Bleckmann, Staatsrecht I, Rdnr. 519 ff.

57

Zu den Zuständigkeiten s.u. C. II.

II. Funktionsadäquate Legitimation der Rechtsprechung

21

des Bundesverfassungsgerichts als Verfassungsorgan, die eine demokratische Legitimation notwendig macht, 58 sondern auch die in der Normverwerfungskompetenz zum Ausdruck kommende besondere Funktion gegenüber der Legislative, erfordert eine Rückführbarkeit der Richtereinsetzung auf eine Willensäußerung des Souveräns oder seiner Repräsentanten. Denn der Grundsatz des Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG macht für die Norm Verwerfung eine der Legislativentscheidung adäquate demokratische Legitimation notwendig. So wie das Gesetzgebungsverfahren gemäß Art. 76 GG für das Zustandekommen von Bundesgesetzen einen unmittelbaren Beschluß von Bundestag und Bundesrat erfordert und damit repräsentativ demokratische und förderative Elemente vereinigt, bedarf es für die Normverwerfung, wie für alle Befugnisse des Bundesverfassungsgerichts, einer entsprechenden Rückführbarkeit. Auch die übrigen Zuständigkeiten des Bundesverfassungsgerichts - Entscheidung über die Verwirkung von Grundrechten (Art. 18 GG), über die Verfassungswidrigkeit der Parteien (Art. 21 GG), über die Präsidentenanklage (Art. 61 GG) sowie eine Anklage gegen Bundesrichter (Art. 98 Abs. 2 GG) - bedürfen einer funktionsadäquaten demokratischen Legitimation. Diese wird von Art. 94 GG gewährleistet. Danach sind die Bundesverfassungsrichter von Bundestag und Bundesrat zu wählen.

58

So Klein, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 5 Rdnr. 3.

C. Die Besetzung der Richterbank von Verfassungsgerichten L Bundesverfassungsgericht Der Besetzung des Bundesverfassungsgerichts mit Richtern wurde vom Tag seiner Errichtung an besondere Bedeutung beigemessen. So war die Gründungszeit von dem Bestreben geprägt, dieses für die deutsche Staatlichkeit neue Gericht 59 deutlich von anderen Gerichten abzusetzen. Gleichwohl rückte schnell die parteipolitische Zuordnung der Richter in den Vordergrund. 60 Die faktischen Einflüsse auf den Auswahl- und Wahlvorgang werden dabei durch die Dürftigkeit der grundgesetzlichen und einfachgesetzlichen Regelungen begünstigt.

1. Grundgesetzliche Regelungen a) Auswahlregelung Das Grundgesetz regelt die Besetzung der Richterbank in Art. 94 GG. Danach erfolgt die Besetzung mit Bundesrichtern und anderen Mitgliedern (Art. 94 Abs. 1 S. 1 GG). Soweit das Gericht aus Bundesrichtern besteht, bedürfen sie der Qualifikation, die sie zu einem solchen Amt befähigt. Aber auch die Qualifikation zur Befähigung für das Amt eines Bundesrichters ist im Grundgesetz nicht in vollem Umfang geregelt. Art. 95 Abs. 2 GG bestimmt das Wahlverfahren, Art. 98 Abs. 1 GG verweist auf die nähere Ausgestaltung durch ein Bundesgesetz. Keine weiteren Qualifikationserfordernisse enthält das GG für die „anderen Mitglieder" des Bundesverfassungsgerichts. Allerdings erklärt Art. 94 Abs. 1 S. 3 GG die Mitgliedschaft im Bundesverfassungsgericht für

59

Vgl. hierzu allgemein Scheuner, Die Überlieferung der deutschen Staatsgerichtsbarkeit im 19. und 20. Jahrhundert, BVerfG und GG, Bd. 1, 1 ff. 60

Zu den parteipolitischen Zuordnungen der Richter bis 1987 vgl. Frank, FS für Zeidler, 163 ff.; derzeit sind drei Richter und Richterinnen Mitglieder der CDU, ein Mitglied der CSU, fünf Mitglieder der SPD, und sieben sind parteilos, vgl. Übersicht in der FAZ v. 4.5.1996, 5 sowie Der Spiegel, Nr. 52/1997, 23, nach der Darstellung hier sind derzeit von CDU/CSU sieben, von der SPD acht, von der FDP ein Mitglied vorgeschlagen worden; allgemein auch Seujfert, FS für Hirsch, 447 ff.

I. Bundesverfassungsgericht

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unvereinbar mit einer Zugehörigkeit zu Bundestag, Bundesrat oder Bundesregierung bzw. den entsprechenden Organen eines Landes. Handelt es sich hierbei zwar nicht um eine persönliche Qualifikation, so doch um Voraussetzungen in der Person eines Richters. b) Wahlregelungen Art. 94 Abs. 1 S. 2 GG bestimmt in eklatanter Kürze: „Die Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts werden je zur Hälfte vom Bundestage und Bundesrate gewählt." Weitere Bestimmungen zur Wahl trifft das Grundgesetz nicht.

2. Regelungen des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes a) Auswahlregelungen Das Bundesverfassungsgerichtsgesetz komplettiert die grundgesetzlichen Regeln. Gemäß § 3 Abs. 1 und 2 BVerfGG sind Vollendung des 40. Lebensjahres, Wählbarkeit zum Bundestag sowie die Befähigung zum Richteramt nach dem deutschen Richtergesetz die geforderten subjektiven Eignungsvoraussetzungen, die ein Bewerber zu erfüllen hat. Zudem muß sich der Kandidat schriftlich bereit erklärt haben, Mitglied des Verfassungsgerichts zu werden. Die schriftliche Erklärung, zur Übernahme eines Richteramtes am Bundesverfassungsgericht bereit zu sein, wird vom Bundesminister der Justiz eingeholt; sie erfüllt den Zweck, daß nur ernsthafte Kandidaten in das Auswahlverfahren einbezogen werden. 61 Sie kann nicht bedingt oder befristet werden, aber zurückgenommen werden (vgl. auch § 12 BVerfGG). 62 Die Befähigung zum Richteramt richtet sich nach dem Deutschen Richtergesetz. 63 Sie setzt gemäß § 5 DRiG ein rechtswissenschaftliches Studium mit erstem juristischen Staatsexamen und Vorbereitungsdienst mit zweitem juristischen Staatsexamen voraus bzw. den erfolgreichen Abschluß der mittlerweile eingestellten einstufigen Juristenausbildung. Zudem gilt die Regelung des § 109 DRiG. Auch ordentliche Professoren der Rechte im Geltungsbereich des Deutschen Richtergesetzes besitzen gemäß § 7 DRiG die erforderliche Befähigung. Die Regelungen des Einigungsvertrages 64 stellen der Befähigung zum Richteramt die Befähigung als Diplomjurist für Juristen der ehemaligen DDR gleich, die dort oder in Ostberlin tätig sind. Hiermit soll auch befähigten Juristen aus den neuen

61

Geck, Wahl und Amtsrecht, 15.

62

Robbers, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 3 Rdnr. 6.

63

Vgl. Maunz, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 3 Rdnr. 1.

64

Vgl. Einigungsvertrag vom 31.8.1990, BGBl. II, S. 885, Anlage I.

24

C. Besetzung der Richterbank von Verfassungsgerichten

Bundesländern im Grundsatz die Möglichkeit eingeräumt werden, zum Bundesverfassungsgericht gewählt zu werden. 65 Nichtjuristen können mithin nicht Mitglied des Bundesverfassungsgerichts werden. 66 Die Wählbarkeit zum Bundestage richtet sich nach Art. 38 Abs. 3 GG i.V.m. § 1 5 BWahlG. 67 Mit der Bestimmung, das 40. Lebensjahr vollendet zu haben, wird sichergestellt, daß die Kandidaten ein Mindestmaß an Berufs- und Lebenserfahrungen besitzen.68 Die Regelung entspricht insoweit Art. 54 Abs. 1 GG für den Bundespräsidenten. Für die Kandidaten, die aus dem Kreis der Richter an obersten Gerichtshöfen des Bundes stammen (Art. 94 Abs. 1 GG i.V.m. § 2 Abs. 3 BVerfGG), müssen zudem die Voraussetzungen erfüllt sein, die für dieses Amt vorgeschrieben sind. Diese Kandidaten müssen gemäß § 2 Abs. 3 BVerfGG mindestens drei Jahre an einem Bundesgericht tätig gewesen sein. Die in Frage kommenden Gerichte ergeben sich aus Art. 95 Abs. 1 GG. 69 Neben der bereits in Art. 94 Abs. 1 S. 3 GG enthaltenen Unvereinbarkeit eines Amtes als Bundesverfassungsrichter mit anderen Ämtern, die in § 3 Abs. 3 BVerfGG wiederholt wird - ergänzt um die Verpflichtung zum Ausscheiden bei einer Ernennung zum Richter - , schreibt § 3 Abs. 4 BVerfGG vor, daß mit der richterlichen Tätigkeit die Ausübung eines anderen Berufes mit Ausnahme der eines Hochschullehrers unvereinbar ist. Der Hochschullehrertätigkeit geht das Richteramt vor. Sonstige Anforderung an die Eignung eines zur Wahl anstehenden Kandidaten sind gesetzlich somit nicht vorgeschrieben. Früher erwogene, zusätzliche Qualifikationen sind nicht verbindlich. So wurden im Rahmen früherer Reformüberlegungen Anforderungen wie besondere Kenntnisse des öffentlichen Rechts oder Erfahrungen im öffentlichen Leben erwogen. 70 In der ersten Fassung des § 3 Abs. 2 BVerfGG waren solche Qualifikationen vorgesehen, wurden aber bei Erlaß des Deutschen Richtergesetzes 1961 gestrichen. Andere subjektive Eignungsvoraussetzungen sind für die zur Wahl zum Bundesverfassungsrichter anstehenden Kandidaten nicht

65

Ein Richter, der aus den neuen Bundesländern stammt, ist derzeit nicht Mitglied im Gericht. Anfang Mai 1996 wurde der frühere thüringische Justizminister zum Richter gewählt, womit einem Wunsch entsprochen worden sein soll, jemanden mit Erfahrungen in Ostdeutschland in das Gericht zu wählen, vgl. FAZ v. 4.5.1996, 5. 66

Hierzu ausführlich auch Geck, Wahl und Amtsrecht, 15 ff.

67

Vgl. hierzu Robbers, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 3 Rdnr. 5.

68

Robbers, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 3 Rdnr. 4.

69

Robbers, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 2 Rdnr. 15.

70

Vgl. m.w.N. Geck, Wahl und Amtsrecht, 17 f.

I. Bundesverfassungsgericht

25

gesetzlich geregelt. 71 Dementsprechend ist in der Vergangenheit die Herkunft der Richter ζ. T. sehr unterschiedlich gewesen.72 Gemäß § 8 BVerfGG führt der Bundesminister der Justiz Vorschlagslisten aller geeigneten Kandidaten, die aber nicht verbindlich sind. 73 b) Wahlregelungen

nach dem Bundesverfassungsgerichtsgesetzes

Die §§ 5 ff. BVerfGG regeln das Wahlverfahren. § 5 BVerfGG konkretisiert in Abs. 1 S. 1 die Vorschrift des Art. 94 GG dahin, daß die Richter jedes Senats je zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat gewählt werden. Während der Wortlaut des Art. 94 Abs. 1 S. 2 GG es grundsätzlich erlauben würde, den einen Senat vom Bundestag, den anderen vom Bundesrat wählen zu lassen, stellt § 5 Abs. 1 S. 1 BVerfGG klar, daß die beiden Wahlorgane an der Bestellung beider Senate zu beteiligen sind. 74 Nach Satz 2 werden aus der Zahl der Richter an den obersten Gerichtshöfen einer von dem einen, zwei von dem anderen Organ, von den übrigen Richtern drei von dem einen, zwei von dem anderen Wahlorgan in die Senate gewählt. Dementsprechend wählt der Bundestag je Senat zwei sonstige Mitglieder und zwei Bundesrichter, der Bundesrat lediglich einen Bundesrichter und drei sonstige Mitglieder. 75 Im Falle einer Neubesetzung darf das Wahlverfahren frühestens drei Monate vor Ablauf der Amtszeit des Vorgängers eingeleitet werden bzw. innerhalb eines Monats nach Zusammentritt eines neu gewählten Bundestages, sollte dieser zuvor aufgelöst worden sein (§ 5 Abs. 2 BVerfGG). 76 Die ratio der Norm besteht darin, daß die Wahlorgane nicht irgendwann, zu einem politisch opportunen Zeitpunkt, bereits lange vor dem Ende der Amtsperiode eines Richters dessen Nachfolger wählen können.77 Allerdings fehlt die Bestimmung eines Zeitpunktes, bis wann die Wahl spätestens erfolgen müßte. Dabei besteht

71 Kritisch auch Geck, HdbStR, Bd. 2, § 55 Rdnr. 2 f.; höchste Qualifikationsanforderungen finden sich bei Stern, GS für Geck, 885, 889 f. 72 Einen Überblick über Richterbiographien bieten die Beiträge in: Großfeld/Roth, Verfassungsrichter, 271 ff. 73

Zierlein, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 8 Rdnr. 3; Geck, Wahl und Amtsrecht,

22 f. 74 Vgl. Bowitz, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 5 Rdnr. 6; Klein, in: Maunz/ Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 5 Rdnr. 8 f. 75 Bowitz, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 5 Rdnr. 8; Klein, in: Maunz/SchmidtBleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 5 Rdnr. 11. 76 Vgl. Bowitz, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 5 Rdnr. 20 ff.; Klein, in: Maunz/ Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 5 Rdnr. 12 ff. 77

Bowitz, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 5 Rdnr. 24.

26

C. Besetzung der Richterbank von Verfassungsgerichten

auch hinsichtlich eines solchen Zeitpunkts eine verfassungspolitische Notwendigkeit. Die Regelung des § 4 Abs. 4 BVerfGG, nach der ein Richter bis zur Wahl des Nachfolgers im Amt bleibt, hält den Vorgänger für unvorhersehbare Zeit im Amt. Anstehende Entscheidungen des Gerichts können so zumindest partiell beeinflußt werden. 78 Das Problem wird am jüngsten Fall, bei dem die Neuwahl auf Wunsch des Bundesverfassungsgerichts (2. Senat) verzögert wurde, weil aufwendige Prozesse vor einer Neubesetzung abgeschlossen werden sollten, besonders deutlich: § 4 Abs. 4 BVerfGG ermöglicht eine Manipulation des gesetzlichen Richters. 79 Während gemäß § 7 BVerfGG der Bundesrat mit 2/3 Mehrheit der Stimmen die Richter direkt wählt, werden die vom Bundestag zu wählenden Richter gemäß 6 Abs. 1 BVerfGG indirekt durch einen Wahlausschuß von 12 Mitgliedern des Bundestages gewählt (§ 6 Abs. 2 BVerfGG). In der Beteiligung des Bundesrates wird das föderative Element gesehen.80 Das Verfahren zur Wahl der Richter durch den Bundesrat erfolgt mangels eingehender Regelung im BVerfGG entsprechend der Vorschriften der Art. 52 Abs. 3 S. 3 GG, § 29 GO BRat durch das Plenum in öffentlicher Sitzung. 81 Dies entspricht den Vorgaben des Art. 94 Abs. 1 S. 2 GG. Damit wird die hier vorgesehene demokratische Legitimation gewährleistet, nach der - dem föderalen Prinzip entsprechend auch die Völker der Bundesländer durch die von Landesparlamenten gewählten Regierungen an der Besetzung des Gerichts mitwirken. 82 Der Wortlaut des § 7 BVerfGG erfordert als Quorum 2/3 der Stimmen, nicht nur der Anwesenden.83 Art. 51 Abs. 3 S. 2 GG gilt auch für diese Wahl. 84 Das Wahlverfahren ist öffentlich, gewählt wird durch Handaufheben. 85 Eine § 6 Abs. 4 BVerfGG (Verschwiegenheitspflicht der Wahlmänner) entsprechende Bestimmung existiert nicht, ebensowenig eine Regelung, ob die Wahl mit oder ohne Aussprache erfolgt. Gegenüber dem Wahlverfahren im Bundesrat entspricht das Wahlverfahren im Bundestag nach der Regelung des § 6 BVerfGG nicht den Vorgaben des Art. 94 GG. Nach § 6 BVerfGG erfolgt die Wahl im Bundestag indirekt durch

78

So auch Bowitz, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 5 Rdnr. 23, 26.

79

Hierzu umfangreich Rüthers, NJW 1996, 1867; Höfling/Roth,

80

Geck, HdbStR, Bd. 2, § 55 Rdnr. 6.

DÖV 1997, 67.

81

Klein, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 7 Rdnr. 2; Geck, Wahl und Amtsrecht, 25. 82

Majer, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 7 Rdnr. 4, 6.

83

Majer, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 7 Rdnr. 11.

84

Geck, Wahl und Amtsrecht, 25.

85

Klein, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 7 Rdnr. 2.

I. Bundesverfassungsgericht

27

einen Wahlausschuß von 12 Bundestagsmitgliedern, das vom Bundestag nach den Regelungen der Verhältniswahl bestimmt wird. Vorschläge für die Kandidaten des Wahlausschusses kann jede Fraktion machen.86 Der Wahlausschuß besitzt eine weitgehende Unabhängigkeit gegenüber dem Parlament, seine Mitglieder sind an Weisungen und Aufträge nicht gebunden, können nicht abberufen werden oder zur Rechenschaft gezogen werden. 87 Die indirekte Wahl der Verfassungsrichter wird vom Ältesten 88 des Wahlausschusses geleitet (§ 6 Abs. 3 BVerfGG). Gewählt ist derjenige, der acht Stimmen auf sich vereinigt (§ 6 Abs. 5 BVerfGG). Die Wahl verläuft in Anbetracht der Regelung des § 6 Abs. 4 S. 4 BVerfGG unter Ausschluß der Öffentlichkeit. 89

3. Die Praxis der Richterwahl Der karge Normbefund von Grundgesetz und Bundesverfassungsgerichtsgesetz impliziert eine Praxis, die die ungeregelten Fragen ausfüllt. Tatsächlich hat sich seit Bestehen des Bundesverfassungsgerichts ein Verfahren herausgebildet, bei dem die Auswahl und faktische Bestimmung nicht mehr durch die dafür vorgesehenen Gremien vorgenommen wird, sondern vielmehr nach außen verlagert ist. Dabei wird der Ausleseprozeß für Verfassungsrichter als exemplarisch für die Besetzung höchster Richterpositionen angesehen.90 Bevor es zu einer Entscheidung im Wahlausschuß bzw. im Bundesrat kommt, erfolgen parteipolitische Absprachen nach einem festgelegten Tableau.91 Im Bundesrat, dessen Wahlverfahren im Grundsatz offen ist (§ 7 BVerfGG), erfolgt eine Vorabstimmung durch eine ad-hoc-Kommission (entsprechend § 15 GO BR). 92 Sie besteht aus den Justizministern der Länder und erarbeitet

86

Zu den Einzelheiten vgl. Klein, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 6 Rdnr. 5. 87

Vgl. Gusy, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 60 Rdnr. 11 f.; Geck, Wahl und Amtsrecht, 24. 88

Majer, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 6 Rdnr. 15.

89

Schiaich, Das Bundesverfassungsgericht, Rdnr. 43.

90

Lamprecht, Vom Mythos der Unabhängigkeit, 70.

91 Vgl. zu diesem Tableau Kröger, Richterwahl, 92 ff. sowie Geck, Wahl und Amtsrecht, 31 ff. m.w.N.; zur Entstehung des Tableaus Geiger, EuGRZ 1983, 397 f. sowie hierzu Erhard, EuGRZ 1983, 473. 92

Vgl. Fischer, Amtsrecht, 25.

in: Großfeld/Roth, Verfassungsrichter, 71, 78; Geck, Wahl und

28

C. Besetzung der Richterbank von Verfassungsgerichten

Beschlußvorlagen an den Bundesrat, der diesen entsprechend in der Paxis die Richter wählt. 93 Die tatsächliche Entscheidungsfindung bleibt somit auch im Bundesrat geheim. Die Auswahl der Kandidaten für die Wahl im Bundestag durch den Wahlausschuß gemäß § 6 BVerfGG erfolgt faktisch durch vorgeschaltete parteipolitisch besetzte Gremien. Die Auslese der Kandidaten wird in fraktionellen Gruppen und einer interfraktionellen Gruppe vorgenommen. Letztere stimmt die Entscheidungsfindung ab und leitet sie an den Ausschuß. Der parteipolitische Einfluß auf diese fraktionsgebundene Auswahl ist entscheidend,94 die Entscheidungen fallen häufig „in den Parteizentralen" 95. Faktisch wird die Kandidatenkür durch zwei bis drei Personen der tragenden Parteien vorgenommen und beruht auf Abmachungen der großen Parteien. Danach stehen SPD und CDU/ CSU in jedem Senat je drei Richterstellen zu, die verbleibenden zwei Positionen werden mit neutralen Personen auf Vorschlag der Parteien besetzt.96 Kleinere Koalitionspartner (bisher in der Praxis die FDP) werden durch die größeren beteiligt. Diese politische Praxis führt letztlich dazu, daß tatsächlich zwischen den Parteien nur noch selten über Personen verhandelt wird, 97 sondern nur die Besetzungspräferenz wahrgenommen wird, wobei auch die Wahl im Bundesrat sowie künftig anstehende Wahlen - einschließlich der Besetzung zwischenstaatlicher Gerichte - bei „Personalpaketen" 98 mit berücksichtigt werden. Auch bei der Wahl im Bundesrat spielt die parteipolitische Couleur eine wichtige Rolle. Zum wahlentscheidenden Kriterium wird so neben fachlicher Qualifikation und föderativen Gesichtspunkten der parteipolitische Proporz 99, nicht die Entscheidung im Wahlausschuß.100

93

Majer, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 7 Rdnr. 12; Klein, in: Maunz/SchmidtBleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 7 Rdnr. 3. 94 Majer, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 6 Rdnr. 29; Geiger, EuGRZ 1983, 397 m. Bsp. 95

Lamprecht, Vom Mythos der Unabhängigkeit, 70.

96

Majer, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 6 Rdnr. 29.

97

Wie etwa der Streit um die Wahl von H. Däubler-Gmelin.

98

Wie diese Pakete geschnürt werden beschreibt anschaulich Zuck, NJW 1994, 497; kritisch auch Häberle, ZfP 39 (1992), 233, 259, er spricht von „Tauschgeschäften". 99

So schon Billing, Das Problem der Richterwahl zum BVerfG, 220 ff.; Kröger, Richterwahl, 86 f. m.w.N.; für die Praxis instruktiv auch Erhard, FS für Wallis, 35, 37 f. 100

Kritisch auch Majer, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 6 Rdnr. 29 ff., pointiert insbesondere Lamprecht, Vom Mythos der Unabhängigkeit, 70 ff.

I. Bundesverfassungsgericht

29

4. Verfassungsrechtliche Beurteilung Auch wenn vereinzelt behauptet wird, die Stellenbesetzung habe sich bewährt, 101 so bleiben gravierende verfassungsrechtliche Zweifel, zumindest aber bleibt ein Unbehagen.102 Vor allem steht zu befürchten, daß die innere Unabhängigkeit in Anbetracht der parteipolitischen Wahlpräferenzen bedroht ist. 103 Auch das Ergebnis, daß sich parteipolitische Erwartungen nicht erfüllen, weil Bundesverfassungsrichter nun doch „den blauen Himmel über sich haben" 104 , ist letztlich nicht geeignet, verfassungsrechtliche Bedenken zu beseitigen.105 Dies gilt vor allem, weil es nicht allein darauf ankommen kann, ob die Kandidaten tatsächlich innerlich unabhängig sind; schon der bloße Anschein der (partei-)politischen Abhängigkeit oder Voreingenommenheit ist dem Ansehen und der Überzeugungsfähikeit des Bundesverfassungsgerichts abträglich. a) Wahlregelung Der Wortlaut des Art. 94 Abs. 1 S. 2 GG ist eindeutig: Danach werden die Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts je zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat gewählt. Eine Delegation der Wahlentscheidung ist nicht vorgesehen. Wird demgegenüber die Delegation für zulässig erachtet, 106 gehen die Begriin-

101

So wohl jüngst Koch, ZRP 1996, 41 ff.; ähnlich Klein, in: Maunz/SchmidtBleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 6 Rdnr. 4; diesen Fragen nachzugehen, hält Sturm, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, Art. 94 Rdnr. 3 in Anbetracht der jahrezehntelangen Praxis für wenig sinnvoll! 102

Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz Kommentar, Art. 94 Rdnr. 1; Stern, in: Bonner Kommentar, Art. 94 Rdnr. 83; ders., GS für Geck, 885, 889 m.w.N.; Geck, Wahl und Amtsrecht, 33 ff.; kritisch insbesondere auch zum parteibezogenen Präferenzsystem Pestalozzi Verfassungsprozeßrecht, § 2 Rdnr. 26; zum Streit bei Erlaß des BVerfGG vgl. Koch, ZRP 1996, 41, 42 m.w.N. in Fn. 4 - 14. 103

Isensee, in: Piazolo, Michael (Hrsg.), Das Bundesverfassungsgericht 49, 54.

104

Sendler, NJW 1996, 825.

105

Im Ergebnis wird die endgültige Qualifikation als verfassungswidrig vermieden, etwa Klein, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 6 Rdnr. 3 f.; Benda/Klein, Lehrbuch des Verfassungsprozeßrechts, Rdnr. 89 ff.; ohne eindeutige Festlegung auch Schiaich, Das Bundesverfassungsgericht, Rdnr. 44 f. 106

So wohl Gusy, in Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 60 Rdnr. 12; positiv auch Simon, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), HdbVerfR, § 34 Rdnr. 38 sowie die Nachweise in den folgenden Fußnoten; eine h. M. für die Zulässigkeit der Delegation, die Pietzcker/Pallasch JuS 1995, 511, 512, Fn. 3 und 4 angeben, ist m. E. nicht mehr ersichtlich.

30

C. Besetzung der Richterbank von Verfassungsgerichten

düngen hierfür dahin, daß der Wortlaut nicht eindeutig sei, 107 zum Teil unmittelbare Wahlen ausdrücklich in Art. 28 Abs. 1 und 38 Abs. 1 GG vorgeschrieben seien und ein Umkehrschluß hieraus zumindest für die Zulässigkeit der indirekten Wahl spreche. 108 Allerdings handelt es sich bei den Wahlen gemäß Art. 28 Abs. 1 und Art. 38 Abs. 1 GG um solche zu den Repräsentationsorganen des Souveräns, nicht aber um Wahlen, die diese Organe selbst vorzunehmen haben. Hier sind letztlich andere Fälle geregelt, die sich für einen Vergleich nicht fruchtbar machen lassen. Auch die Regelungen über die Kreation anderer Verfassungsorgane erlaubten ihrem Wortlaut nach dann eine indirekte Wahl, doch niemand würde ernsthaft eine solche für zulässig erachten. 109 Die Zulässigkeit der Delegation kann auch nicht aus Art. 94 Abs. 2 S. 1 GG entnommen werden, denn die Ausführungsbefugnis bezieht sich auf die Verfassung des Gerichts („seine Verfassung") und auf das verfassungsgerichtliche Verfahren, nicht auf das Verfahren zur Wahl der Verfassungsrichter. 110 Die Norm des Art. 94 GG ist hinsichtlich des Wahlgremiums Bundestag eindeutig und kann nicht als offen 111 einer weiteren Konkretisierung zugeführt werden. 112 Art. 94 Abs. 2 S. 1 GG enthält eine Gesetzgebungskompetenz daher nur insoweit, als die Regelung des Art. 94 Abs. 1 GG noch Raum zur Ausfüllung läßt. 113 Art. 94 GG ist auch nicht im übrigen lückenhaft. Die Regelung, die eine Wahl der Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts direkt durch Bundestag und Bundesrat vorsieht, entspricht anderen Kreationsvorschriften im Grundgesetz. Der gemäß Art. 54 Abs. 1 GG für die Wahl des Bundespräsidenten zuständigen Bundesversammlung gehören alle Bundestagsabgeordneten an. Der Bundestag selbst wählt direkt den Bundeskanzler (Art. 63 GG), seinen Präsidenten (Art. 40 Abs. 1 GG) sowie den Wehrbeauftragten (Art. 45 b GG). Auch die Abberufungsrechte kommen dem Bundestag selbst zu (Art. 61, 67, 68 GG). Spricht

107

Thoma, JöR NF 6 (1957), 161, 202; Klein, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/ Ulsamer, BVerfGG, § 6 Rdnr. 4. 108

Kröger, Richterwahl, 92.

109

Ähnlich Teubner, Die Bestellung von Berufsrichtern in Bund und Ländern, 22; Preuß, ZRP 1988, 389, 390. 110

So aber ohne nähere Begründung Pestalozzi Verfassungsprozeßrecht, § 2 Rdnr.

24.

111

Zum Begriff offener Normen vgl. BVerfGE 62, 1, 37 ff.

112

Steiger, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 26 Rdnr. 21.

113

A. A. Pietzcker/Pallasch, JuS 1995, 511, 512, die insbesondere dem Vergleich mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG entnehmen, daß dem Bund die Gesetzgebungskompetenz zur Regelung der Verfassungsrichterwahl auch aus Art. 94 Abs. 2 S. 1 GG zustehen müsse.

I. Bundesverfassungsgericht

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schon dieser Vergleich für eine direkte Wahl durch den Bundestag, wird das Ergebnis auch durch die explizite Delegation der Wahlbefugnis in Art. 95 GG bestätigt. In Absatz 2 der Regelung ist die Delegation auf den Richterwahlausschuß ausdrücklich bestimmt. Im Gegenschluß ist hieraus für Verfassungsrichter eine direkte Wahl durch den Bundestag abzuleiten. Denn hätte der Verfassungsgeber eine Delegation tatsächlich gewollt, hätte er sie ausdrücklich in Art. 94 GG vorgesehen. Der abschließende Charakter des Art. 94 Abs. 1 S. 2 GG spricht auch gegen eine Delegation auf den Wahlausschuß im Wege normativer Kraft des Faktischen, 114 durch die eine Verfassungswandlung eingetreten sei. 115 Angesichts der in Art. 79 GG enthaltenen Regelungen zur Änderung der Verfassung ist ein Rückgriff auf Verfassungswandel oder Verfassungsgewohnheitsrecht für sich genommen bereits zweifelhaft. Bedenkt man, daß die Wahlpraxis insgesamt umstritten ist, fehlen auch die Voraussetzungen für eine Anwendung der Institute. Für Verfassungsgewohnheitsrecht 116 - contra Constitutionen! - fehlt die eindeutige, überwiegende opinio juris. Auch eine ausdrückliche Zustimmung des Verfassungsgerichts läßt sich hierfür nicht ins Feld führen. In seinem Schweigen 117 wäre allein dann eine Zustimmung zu erblicken, 118 wenn es konkret Anlaß gehabt hätte, genau zur Frage der Delegation auf den Wahlausschuß Stellung zu nehmen. Hierfür gibt es indes keinen Anhaltspunkt. Dies war auch ausweislich der Darstellung der für diese Argumentationskette angegebenen Entscheidungssachverhalte 119 gar nicht der Fall. Vielmehr war die Wählbarkeit der konkreten Personen in der Öffentlichkeit bezweifelt worden, nicht aber die Auswahl oder das Wahlverfahren als solches.120

114

Klein, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 6 Rdnr. 4; Benda/ Klein, Lehrbuch des Verfassungsprozeßrechts, Rdnr. 89; so wohl auch Geck, Wahl und Amtsrecht, 24. 115

Thoma, JöR NF 6 (1957), 161, 188.

116

Tomuschat, Verfassungsgewohnheitsrecht ?, 10 ff., 69. ff., 88 ff.

117 Anläßlich der Entscheidung in BVerfGE 40, 356 ff., in der es um den Ausschluß der Wiederwahl durch Änderung des § 4 BVerfGG und die entgegen der Neuregelung erfolgte Wiederwahl von Dr. Zeidler ging; ähnlich BVerfGE 65, 152, in der es um die Herkunft der Richter gemäß § 2 BVerfGG ging. 118

So etwa Geck, Wahl und Amtsrecht, 24; ähnlich Pieroth, Grundgesetz Kommentar, Art. 94 Rdnr. 1; Preuß, ZRP 1988, 389.

in: Jarass/Pieroth,

119

BVerfGE 40, 356 ff.; BVerfGE 65, 152 ff.

120

Kritisch zu beiden Entscheidungen schon Geiger, EuGRZ 1985, 401, 403.

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C. Besetzung der Richterbank von Verfassungsgerichten

Von Verfassungswandel wird gesprochen, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse, die eine Norm regeln will, so geändert haben, daß ein anderes Verständnis und eine andere Interpretation der Norm notwendig wird. 1 2 1 Dies ist allerdings mehr als fraglich. Das gesteigerte Interesse und die Aufmerksamkeit, die dem Bundesverfassungsgericht in der allgemeinen Öffentlichkeit entgegengebracht wird, hat gerade im Gegenteil dazu geführt, daß tatsächlich ein offenes Wahlverfahren gefordert wird. Ein Wandel der faktischen Verhältnisse hin zu einer geheimen Wahl läßt sich nicht konstatieren. Die Delegation auf den Wahlausschuß widerspricht vielmehr dem Erfordernis funktionsadäquater demokratischer Legitimation. Sie wird gemäß Art. 20 Abs. 2 GG allein durch den Bundestag vermittelt, der direkt vom Volk gewählt wird. Das Grundgesetz hat in Art. 20 Abs. 2 GG die Entscheidung für eine mittelbare demokratische Legitimation der Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung getroffen, die diesen durch die in der Verfassung vorgesehenen Verfahren zu ihrer Bestellung vermittelt wird. 1 2 2 Die Verfassung selbst bestimmt in den einzelnen Regelungen das Maß der demokratischen Legitimation, die weitere Staatsorgane oder Sachentscheidungen erhalten. Die personelle demokratische Legitimation des Bundesverfassungsgerichts ist so gemäß Art. 94 Abs. 1 S. 2 GG von einer Entscheidung des Bundestages abhängig. Die Verfassung kennt das in § 6 BVerfGG vorgesehene Gremium nicht, weshalb es auch keine demokratische Legitimation vermitteln kann. Selbst die Überlegung, auch ein Wahlausschuß spiegele die politischen Kräfte des Parlaments wider und entspreche so dem Sinn des Art. 94 Abs. 1 S. 2 GG, 1 2 3 hilft über diesen Bruch der Kette nicht hinweg. Das Erfordernis funktionsadäquater demokratischer Legitimation durch eine unmittelbare Wahl des Bundestages und Bundesrates gemäß Art. 94 Abs. 1 S. 2 GG wird durch die die parlamentarische Arbeit bestimmenden Prinzipien ergänzt und gestützt. Verwendet das Grundgesetz den Begriff „Bundestag", entscheidet dieser grundsätzlich unmittelbar, d. h. in seinem Plenum. 124 Nur auf diese Weise wird die Repräsentationsfunktion erfüllt, indem alle Abgeordneten als Vertreter des ganzen Volkes (Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG) in den Stand versetzt werden, an den Entscheidungen mitzuwirken. Die Möglichkeit zur Ausschußdelegation ist zwar gegeben, die Verfassung geht aber davon aus, daß wichtige

121

BVerfGE 2, 380, 401; vgl. Böckenförde,

FS für Lerche, 53 ff.

122

BVerfGE 49, 89, 125; vgl. auch Steiger, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 26 Rdnr. 3. 123

So Stern, in: Bonner Kommentar, Art. 94 Rdnr. 83; kritisch zur Frage, inwieweit das Gremium von 12 Personen alle Abgeordneten repräsentieren kann, auch Pietzcker/ Pallasch, JuS 1995, 511, 512 f. 124

Steiger, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 26 Rdnr. 21.

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politische Kompetenzen vom Plenum wahrgenommen werden 125 und bestimmt anderenfalls eine solche Delegation selbst. Der Bedeutung des Art. 94 GG und der Stellung des Bundesverfassungsgerichts und seiner Mitglieder wird eine Wahldelegation nicht gerecht. 126 Nimmt der Bundestag Verfassungsfunktionen wahr, kann nur er die adäquate Legitimation vermitteln. Eine Delegation ist, anders als in autonomen Angelegenheiten oder den ausdrücklich vom Grundgesetz vorgesehenen Fällen, unzulässig.127 Denn gerade die Unabhängigkeit des Wahlausschusses kappt im Rahmen der Verfassungsfunktion Verfassungsrichterwahl die Legitimationskette in einem unvertretbaren Maß. 128 Die demokratische Legitimation kann nur noch durch den Abgeordnetenstatus der Mitglieder allein vermittelt werden, schon die Besetzung des Wahlausschusses erfolgt nach parteipolitischen Präferenzen. 129 Die Delegation an den Wahlausschuß, der unter Ausschluß der Öffentlichkeit entscheidet, widerspricht 130 zudem dem in Art. 42 Abs. 1 GG enthaltenen Öffentlichkeitsprinzip, 131 das gerade dazu dient, das parlamentarische Handeln durchsichtig zu gestalten.132 Gemeinsam mit den Bestimmungen, die eine direkte Entscheidung des Bundestages selbst vorschreiben, kommt diesem Grundsatz eine gesteigerte Bedeutung zu. Die erforderliche Kette demokratischer Legitimation wird inhaltlich aufgefüllt. Statt eines formalen Akklamationsvorgangs wird ein öffentlicher Entscheidungsfindungsprozeß ermöglicht. Dies verdeutlicht auch die Regelung des Art. 42 Abs. 1 S. 2 GG, wonach für den Ausschluß der Öffentlichkeit das besonders hohe Quorum der 2/3-Mehrheit vorgesehen ist.

125 Klein, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 6 Rdnr. 3; Steiger, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 26 Rdnr. 21. 126 So auch Klein, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 6 Rdnr. 3 m.w.N. in Fn. 3. 127

Preuß, ZRP 1988, 389, 390; Pietzcker/Pallasch, JuS 1995, 511; Kasten, DÖV 1985, 222, 224 ff.; Steiger, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 26 Rdnr. 21. 128

Ähnlich Teubner, Die Bestellung von Berufsrichtern in Bund und Ländern, 23; Kreuzer, Der Staat 7 (1968), 183, 190. 129 Vgl. etwa Klein, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 6 Rdnr. 5 f. zu den Listenvorschlägen der Fraktionen. 130 In diesem Sinne auch von Eichborn, JöR 104 (1969), 11 f., 21 f.; Kreuzer, Der Staat 7 (1968), 183, 189 ff.; Meyer, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 4 Rdnr. 93; zutreffend sehen Pietzcker/Pallasch, JuS 1995, 511, 514 in § 6 Abs. 4 BVerfGG, soweit er eine nicht öffentliche Verhandlung beinhaltet, bereits unmittelbar einen Verstoß gegen Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG. 131

Vgl. dazu Achterberg, Parlamentsrecht, 561 f.

132

BVerfGE 70, 324, 355 ff.

3 Pieper

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C. Besetzung der Richterbank von Verfassungsgerichten

Die Öffentlichkeit des parlamentarischen Entscheidungsverfahrens hat eine materielle Funktion: 133 Der Bürger soll in die Lage versetzt werden, Positionen und Gegenpositionen zu erkennen, um zwischen ihnen abwägen zu können. Das „arcanum" als Politikstrategie ist hiermit unvereinbar. 134 Nicht mehr die Wahrheitsfindung steht im Mittelpunkt des öffentlichen parlamentarischen Verfahrens, es vermittelt vielmehr auch Begründung und Verantwortung. 135 Die öffentliche parlamentarische Auseinandersetzung transportiert ein Mehr an Information und vermittelt so einen besseren Interessenausgleich. 136 Zugleich ist zu berücksichtigen, daß das Parlament durch einen Wahlentscheid legitimiert wird. Der Bürger kann an der Ausübung von Staatsgewalt nur über Art. 38 GG partizipieren. Die öffentliche Entscheidungsfindung im Bundestag korreliert so mit dem Wahlrecht des Bürgers und seiner Partizipation an der Staatsgewalt.137 Denn um sein Wahlrecht inhaltlich ausüben zu können, bedarf es der Möglichkeit zur Information über die Entscheidungsinhalte im Parlament, was bei der nicht öffentlichen Entscheidungsfindung im Wahlausschuß von vornherein ausgeschlossen ist. Die grundgesetzlich nicht vorgesehene Delegation an den Wahlausschuß beeinträchtigt die in Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG enthaltene Repräsentationsaufgabe jedes Abgeordneten, der als Abgeordneter die im Grundgesetz vorgesehenen Befugnisse im Plenum auszufüllen hat. 138 Hierzu gehört auch das Recht, sich an den vom Parlament vorzunehmenden Wahlen zu beteiligen. 139 Soweit das Grundgesetz Kreativbefugnisse des Parlaments vorsieht, erfolgen all diese Verfahren offen. Gerade Art. 94 Abs. 1 S. 2 GG delegiert die Personalentscheidung anders als Art. 95 Abs. 2 GG nicht auf ein besonderes Gremium. Das Bundesverfassungsgericht hat die oben geschilderte besondere Funktion vor allem gegenüber dem allein demokratisch unmittelbar legitimierten Gesetzgeber. Diese exklusive Stellung erfordert eine öffentliche Entscheidung der Kreation seiner Mitglieder. Denn eine öffentliche Wahl der Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts ermöglicht dem (Wahl-)Bürger eine

133

Achterberg, Parlamentsrecht, 562.

134

Achterberg, Parlamentsrecht, 562.

135

Achterberg, Parlamentsrecht, 564; Zeh, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 32 Rdnr. 8 ff. 136

BVerfGE 40, 237, 249; ähnlich Zeh, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 32 Rdnr. 1. 137

Kißler, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 36 Rdnr. 1 f., 11 ff., 15; Hesse, Grundzüge, Rdnr. 152. 138

Teubner, Die Bestellung von Berufsrichtern in Bund und Ländern, 24; Preuß, ZRP 1988, 389, 390; zur Repräsentationsaufgabe der Abgeordneten vgl. BVerrfGE 4, 144, 149; 44, 308, 316; 56, 396, 405. 139

BVerfGE 80, 188, 218.

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eigene Meinungsbildung über die Kandidaten, selbst wenn der Wahlakt, vergleichbar denjenigen Kreationsakten gemäß Art. 63 Abs. 1 GG und Art. 54 Abs. 1 S. 1 GG, ohne Aussprache erfolgt. Art. 94 Abs. 1 S. 2 GG hat zugleich eine weitere, materielle Komponente, die durch die derzeitige Praxis nicht erfüllt wird. Neben der direkt durch den Bundestag zu treffenden Entscheidung geht die Vorschrift von einer Wahl aus. Der Begriff der Wahl setzt eine Entscheidung zwischen verschiedenen Kandidaten, also die reale Freiheit einer Wahlentscheidung voraus. Praktisch bedeutet dies - wie auch für Art. 38 GG - die Aufstellung mehrerer konkurrierender Kandidaten.14